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Full text of "Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror"

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BRAUNBUCH 

uber Reichstagsbi-and unci Hitler-Terror 



iil»er Reichstagsterantl 
mid Hitler-Terror 



Vorwort v«i. LORD MAELEY 



UNIVERSUH-BUCHEREI BASEL 



Binbandeutwurt vou JOHN HEAltTFIELD 



Dritte Auflage 20.— 30. Taueend. 

Alle Reekie, insbesondere die des Nachdruchs, der Verfilmung, Badiover- 

breUung und Ueberseteung vorbehallen. Copyright by Edition du Car- 

refaur Paris 1933. Nachdruck von Texlen und Bild&rn nur mil ausdrUch- 

lichem Himveis owf das ■ Bran n buck* gestaltet. 



Als der Verlag seine Absicht bekannt gab, ein dokumentari- 
sches Buch iiber Reichstagsbrand und Hitler-Terror zu publizie- 
ren, da meldeten sich Hunderte freiwilliger Mitarbeiter. Schrift- 
steller, Arbeiter, Aerzte, Rechtsanwalte, die der Hitler-Terror aus 
Deutschland vertrieben hatte, stellten sich zur Verfiigung. Sie 
beschafften Material, sichteten und priiften es, sorgten fur die 
Verbindungen nach Deutschland und schrieben den Text, 

Nicht nur Emigranten haben an diesem Buche gearbeitet. 
In dem grossen braunen Kerker, der sich « Drittes Reich » nennt, 
fanden wir viele Mithelfer, die unter Lebensgefahr Material iiber 
die deutschen Ereignisse besorgten und Material, das wir ihnen 
sandten, auf seine Zuverlassigkeit hin priiften. 

So entstand dieses Buch; als Kollektivarbeit von Antifaachi- 
sten, als Gemeinschaftsarbeit von Kampfern innerhalb und aus- 
serhalb Deutschlands, die geeint sind in dem Gedanken, fur den 
Sturz des Hitler-Faschismus und fur ein sozialistisches Deutsch- 
land zu wirken. 

Es ist ein deutsches Buch. Deutsche haben es erlebt und erlit- 
ten. Deutsche haben es geschrieben. 

Es ist ein Internationales Buch. Antifaschisten in England 
und Frankreich, in Holland und Amerika haben die Herausgabe 
dieses Buches unterstiitzt. Das Weltkomitee fiir die Opfer 
des Hitler-Faschismus, an dessen Spitze ProL Einstein und Lord 
Marley stehen, hat diesem Buche seine Hilfe geliehen. 

Internationale Schriftsteller von hohem Rang haben durch 
Beitrage die Solidaritat mit den Opfern des Hitler-Terrors und 
mit dem Kampf gegen den Hitler-Faschismus dokumentiert. 

Es ist ein internationales Buch, es zeigt fiir alle Leser, gleich- 
giiltig, ob sie in Deutschland, in Amerika, in England oder Ita- 
lien, in Polen oder Frankreich leben, die Gefahr des Faschismus. 
Nicht nur die Gefahr. Fiinf Monate Hitler-Faschismus sind in 
diesem Buche dargestellt, fiinf Monate Hitler-Holle. 

Es ist ein dokumentarisches Buch. Jede Behauptung dieses 
Buches stutzt sich auf dokumentarisches Material. Nicht immer 
ist es moglich, Namen und Adresse des Verfolgten oder des Augen- 
zeugen zu veroffentlichen. In diesem Falle wurden die Beweise 
fur unsere Behauptungen beim Notar niedergelegt. 



Das Braunbuch ist das erste einer Biicherreihe uber Hitler- 

Deutschland. Andere werden folgen, in denen gezeigt werden 

soil, was die Hitlerdiktatur den Arbeitern, Bauern, den Mittel- 

schichten Deutschlands okonomisch, sozial und rechtlich genom- 

men hat. Die Verelendung Deutschlands, die sich unter der Hitler- 

Diktatur in rapidem Tempo fortsetzt, wird in diesen Biichern 

ihre Darstellung finden. In einem besonderen Band wird der 

Kampf innerhalb Deutschlands gegen den Hitler-Faschismus 

geschildert werden. 

Die Autoren dieses Buches wiinschen, ungenannt zu bleiben. 
Sie schrieben das Buch fiir die Opfer des Hitler-Faschismus, fur 
die Gefangenen und Gernarterten der braunen Holle, fiir Frauen 
und Kinder, denen der Hitler-Terror den Gatten und Vater nahm, 
fiir die Millionen antifaschistischer Kampfer, deren Kampfwille 
durch Stahlruten und Konzentrationslager nicht gebrochen wer- 
den konnte. 

Der Kaznpf gegen den Hitler-Faschismus wird innerhalb 
Deutschlands entschieden. Es ist dafur gesorgt, dass dieses Do- 
kument der braunen Schmach, das « Braunbuch iiber Reichs- 
tagsbrand und Hitler-Terror », seinen Weg nach Deutschland 
findet. 

Jul! 1933. Die Verfasser und der Verlag. 



V R W R T 

Es ist immer schwierig, Aulhentisches uber Dinge zu er- 
fahren, die unter einem gut organisierten Terror geschehen. 
Selbst erfahrenen Journalisten mit ihren Fachkenntnissen ge- 
lingt es nur schwer, der Wahrheit nahe zu kommen: solche Angst 
haben die Leute zu sprechen, und so vollkommen funktioniert 
die Spionage. Es ist das besondere Verdienst einiger auslandischer 
Pressekorrespondenten in Deutschland, dass sie unter dem Risiko. 
ihre Stellungen zu verlieren, soviel von der Wahrheit uber die 
Grenze gebracht haben. 

Dem Weltkomitee fur die Opfer des Deutschen Faschismus 
sind viele anthentische Dokumente zur Verfiigung gestellt 
worden: einige von Journal isten, andere von Aerzten und 
Rechtsanwalten, denen besondere Wege zur Wahrheit offer, 
standen, die aber ihre Informationen in Deutschland nicht zu 
veroffentlichen wagen und es auch nicht konnen. Weitere Do- 
kumente sind von den Gefolterten und Gemarterten selbst gesandt 
worden. Den Hauptteil des Materials verdankt das Komitee eige- 
nen Berichterstattern, die unter Lebensgefahr in Deutschland ge- 
arbeitet haben. 

Wir haben nicht die sensationellsten dieser Dokumente be- 
nutzt. Jede Feststellung, die in diesem Buche gemacht wird, ist 
sorgfaltig gepruft worden und typisch fur eine Reihe ahnlicher 
Falle. Wir waren in der Lage, vie! schlimmere Einzelfalle zu 
bringen, aber wir haben davon Abstand genommen, weil sie eben 
Einzelfalle waren. Kein einziger hier gebrachter Fall ist ein Aus- 
nahmefall. Alle sind typisch fur viele andere, die in unserem 
oder im Besitz der nationalen Hilfskomitees sind* 

Diese Zeugnisse des Faschismus sind schrecklich. Aber das 
Gedachtnis der Oeffentlichkeit ist kurz, und die offentliche Mei- 



imng ist leider nur allzu bereit, sich init einem fait accompli ab- 
zufindcn, wie heute ten Falle Italien. 

Unser Buch soil die Erinnerung an den verbrechcrischen Weg 
der Nazi-Regierung stiindig wachhalten. Unser liuch ist ein Bei- 
trag zum Kanipf gegen Hitler-Faschismus. Dieser Kampf ist nicht 
gegen Deutschland gerichtet. Dieser Kampf wird fur das wahre 
Deutschland gefuhrt. 

House of Lords 
London SW, 1 

Lord MARLEY, 

Vorsitzender des Weltkomitees fur die Opfer 
des Hitler-Faschismus. 



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Der breuneride Reichstag 



<Dte polizeiliche Uotersuchung hat ergebeu, dass 
im gesamteu Keichstagsgebaude vom Erdgeschoss 
bis zur Kuppel Brandherde angelegt waren. Ea 
liegt zweifelsfrei die schwerste bisher in Deutsch- 
land erleble Brandsti flung vor.> 

(MeJdung dcs Ami!. Preuss. Pressed icnslcs 
vom 58. 2. 1913 frith.) 




Per Sitziuigssaal des Reichstages 



Die Verwfistuti.ii' naoli <Umii lira ml hu SitzimaaKwial 




Der Weg znr Maclit 

Im Januar 1919 wird in Mun.ch.en die < Deutsche Arbeiter- 
partei » gegriindet. Im Juli desselben Jahres tritt Adolf Hitler, 
damals « Bildungsoffizier » in der Reichswehr, dieser Partei bei. 
Er ist das siebente Mitglied dieser Keirnzelle der spateren 
Nationalsoziatisiischen Deutschen ArbeiterparteL 

Wer sind die Griinder und ersten Mitglieder der NSDAP? 
Aus welchen Schichten stammen sie und welche Interessen ver- 
ireten sie? Es sind zunachst Soldaten und Offiziere, die ent- 
tauscht aus dem Weltkriege heimgekehrt waren. Vier Jahre lang 
hatten sie an die chauvinistischen Losungen ehrlich geglaubt. Sie 
hatten sich mit ihrem Leben fiir die « Erkampfung eines mach- 
tigen Grossdeutscliland » eingesetzt. Sie glaubten an die Legende, 
dass Pazifisten und Sozialdemokraten als « Landesverrater » die 
deutsche Front von Linten erdolcht und die Niederlage herbei- 
gefuhrt hatten. Diese «Heimkehrer» waren tief erbittert uber die 
Schwache der herrschenden Klassen, uber Verrat und Flucht des 
Kaisers und der sajig- und klanglos abgesetzten Fiirsten, uber die 
Generale des grossen Krieges, welche die «Novemberverbrecher« 
nicht mit eiserner Faust niedergeschlagen, zur Rechenscbaft ge- 
zogen und vor ein Kriegsgericht geslellt hatten. 

Diese zutiefst enttiiuschten Soldaten und Offiziere fan den 
sich nicht mehr zuriick ins burgerliche Leben. Die Berufe, die sie 
cinst innegehabt hatten, gab es zum Teil nicht mehr. Das gait 
vor allem fur die Berufssoldaten, Militiiranwarter und eine Reihe 
von Beamtenkategorien. Zu ihnen gesellten sich entwurzelte 
Adelige, Studenten, die durch den Krieg aus ihrem Studium 
berausgerissen waren, deklassierte und radikalisierte Kleinbiir- 
ger, Angehorige der Mittelklassen, die jetzt vollends den Baden 
unter den Fussen zu verlieren begannen. Alle diese Elemente. 
die sich ebenso in den zahlreichen damals entstehenden Frei- 
korps, in der Einwohnerwehr, im Stahlhelm (Bund der Front- 
soldaten, gegriindet 1919) und in der Brigade Ehrhardt samrnel- 
ten, bildeten auch die ersten Kader des jungen Nationalsozialisti- 
schen Deutschen Arbeitervereins, wie sich die Partei zuerst offi- 
ziell nannte. 

In den ersten beiden Jahren nach der Griindung blieb die 
NSDAP zunachst eine unbedeutende Gruppe. Die November- 





devolution 1918/19 war niedergeworl'en, cler Sturz des kapitali- 

stischen Systems unci die Erkampfung dcs Sozialismus verliin- 

dert. Der Sozialdemokrat Friedrich Ebert wird der erste Reichs- 

prasident der Weimarer Republik, Die Herrschaft der alten 

finanzkapitalistischen Krafte konsolidiert sich wieder. Die 

Gewerkschaftsfiihrer haben einen Friedcnspakt mit den Unter- 

nehmern abgeschlossen: die «Zentralarbeitsgemeinschaft», die 

bereits im November 1918 zwischen dem Trustherrn Hugo 

Stinnes und dem Vorsitzenden der Genera Ikommission der 

Gewerkschaften, dem Sozialdemokralen Karl Legien, vereinbart 

worden war. 

Was konnte also Hitler den fahrenden Gruppen des deut- 
schen Kapitalismus damals bieten? Sie brauehten die NSAPD zu 
dieser Zeit noch nichi. Hitlers Verein konnte zunachst zu keiner 
Bedeutung gelangen. Er selbst blieb noch bis zum April 1920 in 
den Diensten der Reichswehr, fur deren Soldaten er politische 
Vortrage hielt. Im Auftrage der Reichswehr « beobachtete » er 
auch politische Vereinigungen und Versammlungen. Er lieferte 
Berichte und Informationen. Auf diese Weise kam Hitler auch 
mit der « Deutschen Arbeiterpartei » in Verbindung. 

Die politische Bedeutung der NSDAP stieg aber bald. Die 
politische Lage in Deutschland anderte sich, je mehr die erdriik- 
kenden Auswirkungen des Versailler Friedensdiktates und des 
verlorenen Krieges spiirbar wurden. Milliarden an Reparationen 
wurden gefordert und bezahlt. Wichtige Wirtschaftsgebiete wur- 
den abgetreten: Elsass-Lothringen, Oberschlesien, Saargebiet, 
Posen und Westpreussen (der sogenannte « polnische Korri- 
dor »). Danzig und Eupen-Maknedy. Der deutsche Absatz wurde 
durch den Verlust eines erheblichen Teils der europaischen 
und uberseeischen Absatzmarkte und der Kolonien noch weiter 
eingeengt. Die Koslen der Demobilisierung, insbesondere der 
Urnstellung der Kriegsindustrien, lasteten schwer auf dem werk- 
tatigen Steuertrager. Die ausschlagg^benden Kreise des deut- 
schen Monopolkapitals waren unablassig bemuht, die Repara- 
tions-Milliarden und alle andern Verluste auf die Schultern der 
Arbeiter und der Mittelklassen abzuwalzen. 

Diese Entwicklung fand ihren ersten Hohepunkt in der 
Inflation, die bereits 1917 wahrend des Krieges von der wilhel- 
rmnischen Regierung begonnen wurde, aber erst 1921/22 den 
Massen deutlicher spiirbar wurde. Die Inflation erreichte ihre 
katastrophalste Steigerung im Herbst 1923. Sie hatte eine wei- 
tere Verelendung der Arbeiter und eine tiefgehende Proletari- 
siening der Mittelklassen zur Folge. Millionen kleiner Existenzen 
smd durch die Inflation buchstablich ihrer letzten Habe beraubt 
worden. Banken und Grossindustrielle heimsten riesige Profite 

10 



ein Der Staat zahlle ihnen 600 Millionen Goldmark als « Ent- 
Sdigung » fur die Ruhrbesetzung, wahrend die Masse der 

Revollcerung leer ausgiug. .... «^ t».* 

Das Wirtschafts-Chaos rul't schwere poliUsche Erschutte- 
rnn*en hervor. Erzberger und Rathenau fallen als «Eriullungs- 
noliliker* den Kugeln nationalsozialistischer Morder zuin Opfer. 
Mil neuer mitreissender Gewalt leben die Erinnerungen auf an 
die Berliner Spartakuskampfe nn Januar 1919. an den Ruhrauf- 
stand beim Kapp-Putsch im Marz 1920 und an die Arbeiterer- 
hebung im Marz 1921. Die Abwanderung der Arbeiter von der 
Sozialdemokratie nimmt zu, zunachst zu den Unabhangigen, 
dann, nach der Spaltimg der U. S. P. im Herbst 1920, immer star- 
ker zur Kommunistischen Partei. MacMige anhfaschistische 
Demonstrationen finden statt. In grossen Massenbewegungen, 
die sich im Oktober 1923 zum Hamburger Aufstand steigern, 
kampfen revolutionare Arbeiter gegen die Diktatur Eberts und 
der Reichswehrgenerale. 

Die 25 Pnnkte — das Programm der NSDAP 

In dieser Zeit erlebt die Nationalsozialistische Deutsche 
Arbeiterpartei ihren ersten Aufschwung. Im Februar 1920 war 
das ^Prograram» der Partei, die sogenannten 25 Punkte, von 
Hitler seibst in seiner Versammlung im Miinchener Hofbrauhaus 
verkiindet worden. Es enthalt ein Gemisch von Satzen und For- 
derungen, die zum Teil einander widersprechen. Die politisclie 
Praxis der NSDAP hat rait ihnen niemals in Einklang gestanden. 
Was scherte es Hitler und seine Vasallen, dass es am Schlusse 
des Programms grossspurig hiess: 

<Die Fuhrer der Partei versprechen, wenn n6tig unter Einsatz des 
eigenen Lebens, fiir die Durchftthrung der vorstehenden Punkte riick- 
sichtslos einzutreten.> 

Es blieb nicht das einzige Versprechen, das die Fuhrer der 
NSDAP gaben, ohne es zu halten. Von einer Generalmitglieder- 
versammlung der Partei im Mai 1926 ist noch einmal die « Unab- 
anderlichkeit a des Programms ausdriicklich beschlossen wor- 
den. Ausserdem hat Gottfried Feder, Mitverfasser der 25 Punkte 
und « Theoretiker » der NSDAP* in seinem Programm-Kommen- 
tar mit « aller Entschiedenheit a und « unbeugsamer Deutlich- 
keit » betont: 

<An den Grundlagen und Grundgedanken dieses Programms dart 
nicht geriittelt werden. Ee gibt kein Dreben und Wenden aus etwaigen 
NUtzlichkeitserwagungen. es gibt kein Versteckspielen mil wichti$- 
Bten. der heutigen Staats-. Wirschafte- und Gesellschafsordnung. be- 
ll 



soaders unaugeuebmen Programmpunklen und es gibt kein Schwan- 
kea in der Geeinnung . . . Wer in der Judenfrage, in unserem 
Kampf geseti die Hochfinanz, gegen Dawes-Pakt und Verelendunga- 
politik cder in anderen projrrammatisrhen Fragen nicht mit unseren 
unverriickbar festgeleg'en Wegen und Zielen iibcreinstimnuni zu kro- 
nen glaubt. wer durch VOlkerbund oder Locarno, wer dunii Komp'o- 
misseln und Feigheit die Freiheit der deutschen Nation erkaufen zu 
konnen glaubt, der hat eben bei une oicbtfi 2u suchen, der steht yus 
serijaib der NSDAP.> 

AUe diese tonenden W&rte kouncn nicht dariiber hinweg- 
(iiuschen, dass die Fiihrerschaft der NSDAP in ihrer praktischen 
Politik ihr eigenes, kompromisslerischos, halbes « Programm a 
iramer wieder verleugnet und in der Praxis das Gegenteil ge- 
tan haben. 

Der Betrug beginnt gleich bei den ersten beiden Punkten: 
* Zusammenschluss aller Deutschen auf Grand des Selbstbestirn- 
mungsrechts der Volker zu einem Gross-Deutschland » (Punkt 
J) und c Gleichberechtigung des deutschen Volkes gegeniiher den 
anderen Nationen, Aufhebung der Friedensvertrage von Ver- 
sailles und St. Germain » (Punkt 2). Eeine dieser beiden Pro- 
grammforderungen hatten Hitler gehindert, sowohl vor wie nach 
der Machtergreifung, mit den Signatarrnachten des Versailler 
Vertrages Kompromisse zu schliessen, durch Beauftragle mit 
dem Volkerbund, mit Frankreich, Polen, England und Italien zu 
verhandeln! 

Ueber diese « Zwnsfaden » ist er nicht gestolpert. als er 
Sudtirol an Mussolini verriet. In der ersten Auflage des Feder- 
schen Programrnkommentars hatte es noch geheissen: « Wir 
verzichten auf keinen Deutschen in Suddeutschland, in Elsass- 
Lothringen, in Sudtirol, in Polen, in der Volkerbundskolonie 
Oesterreich und den Nachfolgestaaten des alten Oesterreich ». 
In dor zweiten und in alien spdteren Auflagen der Federschen 
Scluift sind die Worte « in Sudtirol » gestrichen! Dabei wagte 
Keder, im Vorwort zur 5. Auflage zu schreiben: « Verbessert sind 
nur da und dort einige Schonheitsfehler (!) im Ausdruck und 
Melien, die zu Missdeutungen fiihren konnten. » 

Aehnlich steht es mit anderen Punkten des Programms, vor 
a Hem mit den wirtschafts- und sozialpolitisclien Forderungen: 
I Rrfh , g S S , arbeitS - Und ™ h *losen Einkommens ,, 

2ieh«n? Un if % Zmsknechtschaft » (Punkt ID, * restlose Ein- 
allar £u h I Knegsgewmne . (Punkt 12), « Verstaatlichung 
(Punk^it ° r be - eit l /.^gesellschafteten (Trusts) Betriebe » 
™ 13) : « Gewinnbeteihgung an Grossbetrieben » (Punkt 14), 

I ST 8,ger . Ausbau der Altersversorgung » (Punkt 15 
* Schaffung ernes gesunden Mittelstandes und seine Erhaltunft 

12 



sofortige Kommunalisierung der Grosswarenbkuser und ihre 
Vennietung zu billi S en Preisen an ktone Ge^erbetreibeade, 
2Se Berucksichtrgung a ller kleinen Gewerbetrei^nJen b« 

icferun* an den Staat, die Lander oder Gemeinden » (Pi* nkt 16), 
< eine unseren nationalen Bedurinissen angepaSSte Bodonre- 
form Schaffung eines Gesetzes zur unentgeltlichen Enteignung 
von Boden fur gemdnnutzige Zwecko, Abschaffung des Boden- 
zinses und Verhinderung jeder Bodenspekuiution » (Punkt 17). 
Es ist nicht notwendig, auf jeden dieser Programmpunktc hicr 
im einzelnen einzugehen. Einige der Programmpunktc werden m 
spatercn Kapiteln des vorliegenden Buches behandelt werden, 
z. B. die Judenfrage (Punkt 4 — 8 und 23). 

Hier kommt es uns darauf an, den Grundzug des national- 

sozialisfischen Programms zu skizzieren und die Skrupellosig- 

keit der Fuhrer der NSDAP aufzuzeigen, die es Punkt fur Punkt 

verfalschen und verraten. Die Forderungen selbst sind zum Ted 

kleinbiirgerlich-reaktionare, wie die in Punkt 16 erhobene 

(« Schaffung und Erhaltung eines gesunden Mittelstandes »); 

auch hier Halbheit und Widerspruche, die fur das ganze Pro- 

gramm charakteristisch sind: wie soil der «Mittelstand» erhal- 

ten werden, wenn zugleich die Voraussetzungen fur sein allrnah- 

Iiches Verschwinden, die Voraussetzung fur die Proletarisierung 

der Mttelklassen, namlich das kapitalistische Wirtschafis- 

system, von der NSDAP grundsalzlich bejaht wird? Dasselbe gilt 

entsprechend fur Punkt 17, der die Grundlage fur die national- 

sozialistische Agrarpolitik bilden soil: wie will Hitler den Bauer 

rctten, wenn er absolui auf dem Boden des Privateigentums 

steht, wenn von einer unentgeltlichen Enteignung des Gross- 

grundbesitzes zu Gunsten der landarmen Kleinbauern keine 

Rede sein kann? Hitler hat im April 1928 nochmals ausdrucklich 

betont, dass die NSDAP das Privateigentum an den Produktions- 

mitteln mit aller Kraft zu verteidigen entschlossen ist. Er hob in 

einer Erklarung zu eben diesem Punkt 17 des Programms her- 

vor, dass der Passus « unentgeltliche Enteignung » nur auf die 

Schaffung gesetzlicher Moglichkeiten Bezug habe, Boden, der auf 

unrechtmiissige Weise erworben sei oder nicht nach den Ge- 

sichtspunkten des Voikswohles verwaltet werde, wenn notig (!}, 

zu enteignen. Dieser Passus richte sich demgemass in erster 

Linie gegen die — judischen Grundstiicksspekulationsgesell- 

schaften. 

Widerspruche und Kompromisse auf der ganzen Linie! 
Auf der anderen Seite finden wir in den wirtschafts- und 
sozialpolitischen Programmpunkten der NSDAP wohlbekannte 
(lite Ladenhiiter aus den Programmen burgerlich-liberaler Par- 
teien und der — Weimarer Verfassung. Punkt 13 (Verstaat- 

13 



lichung der Trusts) ist direkt geslohlen aus dem Programm der 
Deutschen Demokratischen Parlei von 1919! Andere Punktc 
figurieren als nie erfiillte Versprechungen der Weimarer Verfas- 
sung: Punkt 15 (Ausbau der Altersversorgung), 20 («Freie Bahn 
dem Tucbtigen!» — vergleiche Reichsverfassung und Reiclis 
jugendwohlfahrtsgesetz von 1924), 21 (Hebung der Volksgesund- 
heit, Schutz fur Mutter und Kind), 24 (« Genicinnutz vor Eigen- 
nutz » — vergl. Art, 156 der Verfassung). 

Der erste Aui'schwimg der nationalsozialistisclieii 
Bewegnng 

Mit diesem Programm, mit Reden, die im Geiste der 25 

Punkte gehalten waren, Irat Hitler in der Zeit des ersten Auf- 

schwungs der NSDAP in den ersten grdsseren Versammlungen 

out. Die Agitation gegen Versailles stand dabei durchaus im Vor- 

dergrund. Je starker das Kleinbiirgertum durch die fortschrei- 

tende Inflation in Garung kam, desto grosser war der Zustrom 

zu den nationalsozialistischen Kundgebungen. Zweifellos spielte 

aber in den kleinbiirgerlichen Massen nicht nur die materielle 

Schadigung dureh Reparationen, Geldentwertung und Ruhrbe- 

setzung erne Rolle, sondern auch die Verletzung des Nationalge- 

luhls durch das Versailler Friedensdiktat und den Einfall der 

Iranzosischen Truppen in deutsches Gebiet 

«*«? H FebrU f l?. 2 J' k " rz nadl d en Reparationsverhandlungen, 
K™, TV, " Hl^Versnmmlung im Riesenraum des Zirkus 
fCn I^KvJ; " Zuk ( Un \ od f Untergang^! Zum ersten Male 
fahren Lastwagen mit webenden Hakenkreuzfahnen durch die 
Strassen Munchens, urn fur die Versaromlung Propaganda zu 
machen. Die NSDAP ahmt Agitationsmethoden der ^ h Son 

Kunt T erSChat lV aCh - SiC laSSt feuerrote Platte «* die g osse 
Kundgebung anschlagen mit dem demagogischen Text- 

in W e Tnm«.lf "rTft ""Z Und Weib " VOm Greis bis «™ Jungen. 
oil Z W L » M n , h , 6it erklSren - w ! r - o " « " n i c h ., dann 

Die Zirkusversammlunff war pin Frfnirt tj;h 



i:iul gar, als er nach ihrem ZSgexn unci ihrer offenen Ablehnung 
mit seiner immerhin noch schwachen Gruppe allcin das Wagnis 
unternahm. Das Programm dieser Parteien der grossburgerlich- 
junkerlichen Reaktion war nicht geeignet, ihnen in den klein- 
bljrgerlichen Schichten die Positionen zu verschaffen, die sich 
di« Nationalsozialisten spat-er mil ihren 25 Pimkten und ihren 
skrupellosen Agitationsmethoden zu erobern verstanden. Das 
Scheitern des Kapp-Puisches im Marz 1920 hatte dies bereits 
bewlesen. 

Ohne Fiihlung mit den in Garung befindlichen Mittelklas- 
sen, lediglich auf die Grossgrundbesitzer, Teile der Reichs-wehr 
und der hohon Biirokratie sowie einige Freikorps und Wehrver- 
Mnde gestiitzt, war dieser Restaurationsversuch des junker- 
liehen Fliigels der Bourgeoisie, war der Kapp-Putsch von der 
deutschen Arbeiterschaft innerhalb 24 Stunden vereitelt und 
niedergeschlagen worden. 

Auch der Stahlhelm war iiber einen begrenzten Einfluss 
unter Teilen der bauerlichen und biirgerlichen Jugend und den 
riickstandigsten Arbeiterschichten (Mitgliedern der gelben Ver- 
bande und der Werkvereine, Landarbeitern) nie hinausgekom- 
men. Anders die NSDAP. Mit ihrem Scheinkampf gegen das 
« internationale jiidische Bank- und Borsenkapital », mit ihrer 
Losung der « Volksgemeinschaft », in der alle Klassen unter 
cinem uber ihnen stehenden starken Staat friedlich miteinander 
leben sollten, konnte sie in breitere Schichten eindringen. Es 
gelang ihr, grossere Teile der kleinbiirgerlichen Massen unter 
ihre Fahnen zu sammeln. 

Der Einfluss der Nationalsozialisten wachst. 1921 ver- 
doppelt sich die Mitglicderzahl: sie steigt von 3.000 auf 6.000. 
Der Wirkungskreis der NSDAP beschrankte sich damals 
fast ausschliesslich auf Bayern. In Norddeutschland ist die 
volkische Bewegung, die von Graefe, Wulle, Henning und Grat 
Reventlow gefuhrt wird, weitaus starker. 

Zwei Jahre nach Kriegsschluss finden die ersten Kongresse 
und Parteitage statt. 1920 tritt in Salzburg eine Tagung zusam- 
men, auf der mit den Fuhrern d«r osterreichischen und siid- 
deutschen nationalsozialistischen Bewegung gemeinsame Bera- 
lungen abgehalten werden. Die Bewegung war in den Gebieten 
des fruheren Oesterreich bereits viel alter. Eine osterreichische 
« Deutsche Arbeilerpartei » war bereits 1904 gegrundet und auf 
emer Wiener Tagung im Mai 1918 zusammen mit anderen Grup- 
pen in « Nationalsozialistische Partei Oesterreichs » umbenannt 
worden. Die Anfange des Nationalsozialismus gehen also auf den 
Begum des Jahrhunderts zuriick. Er entfaltete sich zuerst im al- 

15 



ten Volkergefangrns Oesterreich. in Bohmen. wo die national, 
Fragc erne besondere Rolle spielte. Hitler als geborener Oe er- 
reicher hat v.eles von dort ubernommc. In Salzburg kanTe , , 
Verstandigung mat Jung, dem Leiter der bohmischen ? a 
nicht zustande. Es waren andere Verhaltnisse, in denen der del 
sche Nationalsozialisnuis sich entwickelte. 

«™. D ^v " SCh ! te . Kon 8 re « s wurd e 1921 in Reichenhall genX- 
* aro > mit russisch en und ukrainisehen weissgardistischen Vcr- 

^S 11 ™' D " *«**«*« Hetman Skoropadski war 
A?frirt p Re , dnern -. *™«"nwn mit dem NationalsoziXten 
Alfred Rosenberg, emem Balten, dem spateren Chefredaktejr des 
« \olkischen Beobachters » und Aussenpolitiker der tfSDAP 
entwickeln die weissgardistischen Emigranten ihre Interven- 
tionsplane gegen den jungen Sowjetstaat, der soeben die leteten 
Interyentionstruppen aus dem Lande gejagt hat. Damals bereits 
Knuptte Rosenberg Verbindungen mit Deterdincr und dem deut- 
schen Grossmdustriellen Rechberg, wiitenden Feinden der Sow- 
jetrepubhk, an. Er schreibt im « Volkischen Beobachter » seine 
ersten anhbolschewistischen, propolnischen (!) Hetzartikel. 

Im Januar 1922 wird dann in Munchen der erste offizielle 
Parte.tag der NSDAP abgchalten. In einer Proklamation anlass- 
hch des Parteitages erklart Hitler, der noch urn die alleinise dik- 
tatonsche Herrschafl in der Partei zu kampfen hat : es gelte, die 
Bewegung reinzufegen, denn sie sei eine « Brutstatte gutgesinn- 
ter, aber deshalb umso gefahrlichercr Narren ». Das richtete sich 
deuthch gegen die alten Mitbegriinder der Partei, u. a. gegen 
Anton Drexler und Korner, die mit den neuen skrupellosen Me- 
thoden Hitlers nicht mitkommen konnten und wollten. 

Einflussreiche hohe Offiziere des Munchener Reichswehr- 
komrnandos hatten die jimge Bewegung seit langem gefordert. 
Unter ihnen waren friihere Kameraden Hitlers aus den Jahren 
1919/20. Mit ihrer Hilfe hatte er neben der eigentlichen Partei- 
organisation und dem Presse- und Propaganda-Apparat eine 
dritte Organisation erriehtet, die ihm bercits in diesen Jahren 
des ersten Aufschwungs als hervorragendes Kampfinstrumeut 
diente: die SA. Urspriinglich hatte die NSDAP im Sommer 1920. 
angeblich zum Schutze ihrer Versammhmgen gegen Ueberialle 
der « Roten », eine « Ordnungstruppe » geschaffen. Diese 
geniigte aber auf die Dauer nicht; sie war zu klein und sehwach 
im Vergleich zu den anderen nationalistischen WehrverbSnden. 
So schritt Hitler im August 1921 zur Grundung eines eigenen 
nationalsozialistischen Wehrverbandes, der Sturm-Ahteilungen, 
der SA. Sie stellt die terroristische Kampftruppe der NSDAP dar 
und ist der politischen Fiihrung untergeordnet. 



16 



Wer finanzicrte Hitler? 

Bald begannen sich auch eine Reihe von Kapitalisten, beson- 
dcrs in Siiddeutschland, fur Hitler und die NSDAP zu interessie- 
ren, uni sie in den Dienst ihrer reaktionaren Politlk zu stellen. 
Sie erkannten den Wert der national sozialistischen Bev/egung 
fiir die Nicderhaltung der klass^nkampferischen Arbeiterschaft. 
Sie waren bereit, die NSDAP zu « Kirdern » und sie vor allera 
finanziell zu unterstiitzen. 

Im spateren Hitler-Ladendorff-Prozess (1924) ist festge- 

slellt worden, dass Hitler von dem Direktor des bayerischen 

Industriellenverbandes, Geheimrat Aust, dem Verbandssyndikus 

Dr. Kuhlo, dem Inhaber der Klavierfabrik Bechsiein, dem Gross- 

industriellen Maffei (Munchen), den Fabrikanten Hornschuh 

(Kulmbach) und Grande! (Augsburg) erhebliche Geldsummen fiir 

die Partei erhalten hat. Hitler liielt auch in den vornehmen Klubs 

der Bankiers, Grossgrundbesitzer und Industriellen Vortrage 

iiber « seine Ziele ». Er nahrn dafur Geldzuvvendungen fiir die 

nationalsozialislische Presse und ahnliche Zwecke in Empfang. 

Auch von dem bekannten Berliner Grossindustriellen Borsig, 

dem als sozialpolitischen Scharfmacher bekannten Vorsitzenden 

der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbande, hat Hitler 

bereits in jener Zeit Subventionen bekommen. Ein Agent Hitlers 

in der Schweiz, Dr. Gausser, soil ihm damals die Unterstiitzung 

Henry Fords und Gelder aus franzosischen Kapitalistenkreisen, 

die auf den bayerischen Separatismus spekulierten, verschafft 

haben. 

Dokumentarisch wird man alle diese dunklen Geldquellen 
des « Arbeiterfiihrers » Hitler wohl erst dann im einzelnen nach- 
weisen konnen, wenn die Archive in einem kommenden soziali- 
stischen Arbeiter-Deutschland riicksichtslos geoffnet sein war- 
den. Der politische Nachweis ist aber heute schon moglich. Die 
ganze Politik der NSDAP, die ihr spater offene Sympathieerkla- 
rungen aus grosskapitalistischen Kreisen (Tlxyssen, Schacht 
usw.) eingebracht hat, bestatigt das grosse Interesse, das die 
herrschenden Klassen an ihrer Forderung haben mussten. Die 
Schuldcn Hitlers, der ungeheuere Aufwand fur die Propaganda 
und fur die Unterhaltung der SA haben 1923 eine gewisse^RolIe 
gespiell und ihn zum Losschlagen mit veranlasst. 

Der Putsch vom 9. November 1023 

^ Q .^"^hepunkt und Abschluss dieser ersten Aufschwunes- 

h" °iooo der T NSDAP bi,dete der Wwtoer Putsch vom 9. Novem- 
ber ly^d. im Laufe des Jahres 1923 hatte Hitler seine Verbiin- 

17 



deten in der bayrischen Regierung und Reichswehr fcmmer wie- 
der zum Losschlagen gedrangt. In den ersten Novembertagcn 
mobilisierte er schliesslich die Kampfverbande und stellte den 
bayerischen Generalstabskommissar von Kahr, den zogerndcn 
General Ludendorff und den General von Lossow, den Komman- 
deur der bayerischen Reichswehr, in einer grossen Versammlung 
der Vaterlandischen Verbande Miinchens im Burgerbraukeller 
vor ein fait accompli. Zur Ueberraschung der meisten Anwesen- 
den proklamierte Hitler die « nationale Republik ». Er setzt 
Ebert ab, « ernennt » sich selbst zum Reichskanzler, Kahr zum 
Landesverweser, den Munchener Polizeiprasidenten Pohner zum 
Ministerprasidenlen und Ludendorff zum Reichswehrrainister. 
Der bayerische Ministerprasident von KnilLing, die Minister 
Giirtner, Schweyer, Wutzelhofer und General von Lossow wer- 
den verhaftct, aber schon wenige Stunden spiiter von Ludendorff 
gegen « Ehrenwort » entlassen. Kahr geht zunachst auf Hitlers 
Vorschlage ein, begibt sich aber mit Lossow und Oberst Seisser 
in der Nacht in die Kaserne des 19. Infanterie-Regiments. In 
einem Funkspruch verkiinden die drei, dass sie den Hitlerputsch 
ablehnen. Kahr erklart, seine Zustimmung zum Putsch fur un- 
giiltig, da sie von ihm im Munchener Burgerbrau mit Waffenge- 
walt erpresst wurde. Um drei Uhr morgens verfasst der General- 
stabskommissar von Kahr eine zweite Erklarung, in der es 
heisst, dass « treu- und wortbriichige ehrgeizige Gesellen » aus 
einer Kundgebung fur Deutschlands Wiedcrerwachen eine Szene 
widerwartiger Vergewaltigung gemacht hatten und dass die 
« mit vorgehaltenem Revolver abgepressten Erklarungen » 
Kahrs, Lossows und Seissers null und nichtig seien. Die Natio- 
nalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei sowie die Kampfbiinde 
« Oberland » und « Reichsflagge » werden fur aufgelost erklart. 
Diese Mitteilung und die Auflosungsverordnung erscheinen noch 
am Morgen des 9, November in den Munchener Zeitungen. 

Hitler und Ludendorff versuchen einen verzweifelten Ge- 
waltstreich, obwohl Hitler einige Monate vorher dem bayrischen 
Innenminister Schweyer sein Ehrenwort gegeben hatte, nicht zu 
putschen. Sie marschieren mit den Kampfverbanden durch die 
Strassen. Die Reichswehr verhalt sich neutral. Sie schiesst nicht 
auf die Marschierenden. Bayerische Landespolizei erwartet Hit- 
lers Anmarsch an der Feldherrnhalle. Sie gibt eine Salve ab. Die 
Hitlerleute haben fiinfzehn Tote. Hitler selbst flieht und wird 
wenige Tage spiiter, bevor er die osterreichische Grenze erreichen 
kann, in der Luxusvilla einer Prinzessin verhaftet. Goring 
fliichtet nach Italien, spater nach Schweden. Ludendorff bleiht 
von der Haft verschont. 

18 



Der Prozess gegen die Putschistcn vora 9. November iintlct 
im Friihjahr 1924 vor dem Volksgericht in Miinchen statt. Die 
Richler sind gnadig and freundlich. Handclt es sich doch una 
iauter « nationalgesinnle » Angeklagte, die « nur das Beste 
gewolll » haben : Hitler, General der Infanlerie Ludendori'L 
FoHzeiamtmann Frick (1933: Reichsminister des Innern), Haupt- 
mann Rohm, Oberleutnant Pernet, den Stiefsohn Ludcndorffs 
usav. Die Geschichtsschreiber der NSDAP berichten, dass die 
Angeklagten in frohlicher Stimmung seien, lacheln und spas- 
sen. Hitler erhiili funf Jahre Festungshaft — mit Bewahrungs- 
frist. wen-n ein Teil der Strafe verbiisst isi. Schon nach wenigen 
Monaten, im Dezernber 1924, wird er aus der Festung Landsberg 
wieder entlassen. Rohm, Frick und Bruckner kommen sogar mit 
nur drei Monaten Festungshaft weg. Ludendorff wird wegen 
« Sinnesverwirrung im Augenblick der Tat » freigesprochen. 
Hitler, damals noch osterreichischer Staatsbiirger, darf weiter 
in Deutschland bleiben und wird nicht ausgewiesen. Die reak- 
tionare deutsche Justiz weiss, was sie diesem « Revolutionar » 
schuldig ist. 

Die j\SI>AP vei'sehwindet vorttbergehend vom Schauplatz 

Der missgliickie Putsch des Jahres 1923 bildete den Ab- 
'lluss der « umstiirzlerischen Periode » der Hitler-Bewegung. 
Vorbei jede Zeit dor illegalen odcr nur halblegalen Plane eines 
bewaffnelen Auftretens geg-en die « Berliner Judenregierung ». 
Diese Zeit der iVSDAP war mil dem Uebergang zu einer gewis- 
sen wirtschaftlichen Stabilisierung in Deutschland, mit dem 
Abebben der Garungswelle in den kleinbiirgerhchen Massen, end- 
gultig vorbei. Die NSDAP geht dnrch eine tiefe Niedergangppe- 
riode und verschwindet fiir einige Jahre fast vollig vom politi- 
schen Schauplalz. Die vereinigten Volkischen unci Nationalso 
zialisten, die noch im Mai 1924 bei den Reichstagswahlen 1,9 Mil- 
lionen Stimmen (32 Mandate) crhallen haben, bekommen im De- 
zember desselben Jahres nur noch 14 Reicbstagssitze (840.000 
Stimmen). Sie sinken zur Splitterpartei herab, wahrend die 
Deuischnationalen iiber 100 und die Sozialdemokraten 120 Man- 
date fiir sich buchen konnen. 

Die nachsten Jahre vergehen mit inneren Kampfen der ein- 
zelnen volkischen und nationalsozialistischcn Gruppen unter- 
einander. Im Sommer 1925 erfolgt die Trennung von der 
Deutschvolkischen Freiheitspartei. Ein grosser Teil von deren 
friiheren Anhangern gcht dabei zu Hitler iiber. Die kapitalisti- 
schen Machle fiihren wahrenddessen den Abbau der 1918 
erzwungenen Konzessionen an das Proletariat weiter. Im Januar 

19 



1925 wird eine reaktioniire Biirgerblock-Regierung unter 
deutschnationaler Fiihrung gebildet. Drei Monate spiiler wird 
der Generalfeldmarschall von Hindenburg von der vereinigteij 
Rechten als Nachfolger Eberts zum Reichspriisidenten gewahlt. 
Auch Nationalsozialisten, die im ersten Wahlgang die aussichfe- 
lose Kandidatur Ludendorffs unterstiitzt batten, haben im zwei- 
ten Wahlgang fiir Hindenburg gesfimmt: ein charakteristischer 
Zug fiir die beginnende Umformung der nationalsozialistisf.hcn 
Bewegung. 

Die NSDAP fiir (lie Piirsten * 

1926, anlasslich des Volksentscheidcs fiir die Fiirstenenteig- 
nung, findet man die NSDAP im Chor aller burgerlichen Paneien 
von den Deutschnationalen bis zum Zentrum und den Demokra- 
ten, die schrien; « Fiirstenenteignung ist Diebstahl an wohler- 
worbenem Eigentum! » Die NSDAP ist iibrigens auch in spate- 
ren Jahren nicht von dieser ihrer damaligen Stellungnahme abge- 
gangen. Durch den Mund ihres Fraktionsfuhrers im Preussiscben 
Landtag, des nachmaligen Oberprasidenten von Berlin und Bran- 
denburg, Kube, nahm sie zu einem kommunistischen Antrag auf 
entschadigungslose Enteignung der Furstenvermogen und Nicht- 
auszahlung der dem friiheren Kaiser und den Standesherren 
bewilligten Millionenrenten folgendermassen Stellung: 

<Den kommunistischen Antrag auf Fursten enteignung lehnen wir 
aus Gerecbtigkeitsgefuhl (1) ab. Der deutsche Sozialismua 
hat auch das Recht der Hohenzollern anzuer- 
k e n n e n.> 

Die deutschen Fursten und ehemaligen Standesherren — wir 
nennen u. a. den Prinzen August-Wilhelm von Preussen aus dem 
Hause Hohenzollern, Sohn des Ex-Kaisers, den Herzog Karl 
Eduard von Sachsen-Koburg-Gotha, den Prinzen Wilhelm von 
Hessen, der im Juni 1933 von Goring zum Oberprasidenten von 
Hessen-Nassau ernannt worden ist, den Prinzen Christian zu 
Schamburg-Lippe (neuerdings hat sich auch der ehemalige 
Kronprinz zur NSDAP bekannt, indem er ihrem Kraftwagenkorps 
beitrat) — sie alle haben sich fiir diese Haltung der NSDAP re- 
vanchiert, indem sie ihr aus ihren «Entschadigungs»-Geldeni 
Millionen zur Vcrfugung stellten. Die Nationalsozialisten haben 
nicht ableugnen konnen, dass auch der Exkaiser Wilhelm II. 
an der Finanzierung der SA mitgeivirkt hat 

Durch seine neue Politik der Angleichung an die burgerli- 
chen Parteien versucht Hitler, das durch sein putschistisches 
Vorgehen erschiitterte Vertrauen der Bourgeoisie wiederzugewin- 

20 



nen. Er bezieht legale Positionen, weil er einsieht, dass er sich 
nur so die Gunst und Unterstiitzung der herrschenden Klassen 
erhalten kann. Wieder halt er Vortrage in den Industriellenklubs, 
um die Schlotbarone von der Ungetahrlichkeit seiner « Ideen » 
zu iiberzeugen und ihnen darzulegen, wie viel besser sie mit der 
NSDAP fahren wiirden als mit der « landesverrateriscben Sozial- 
demokratie ». Diesmal beschriinkt sich der « Fiihrer » nicht auf 
Suddeutschland. Er fahrt gen Westen, um die Industrieherren 
von der Ruhr in ihren Zvvingburgen aufzusuchen. 192G spricht 
er zweimal vor geladenem Kreise in Essen und Konigswinter, im 
April 1927 wiederum im Essener Krupp-Saal. Die schwerindu- 
strielle « Rheinisch-Westfalisehe Zeitung >> berichtet von dem 
Beifall, mit dem die Industriellen die Ausfiihrungen Hitlers auf- 
genommen haben. 

Strasser und Goebbels maclien in „Sozialismus" 

Zu gleicher Zeit — und das ist typisch fiir den zweideutigen, 
skrupellos-demagogischen Charakter der nationalsozialistischen 
Propaganda — reist Gregor Strasser, einer der Paladine Hitlers, 
in Nord- und Ostdeutschland umher und verbreitet dort seme 
« sozialistischen » Losungen von der « deutschen Revolution ... 
Damals taucht auch Joseph Goebbels, em jnnger kathohscher 
Literat aus dem Rheinland, auf. Im Oktober 1925 griindet Stras- 
ser die « Nationalsozialistischen Brief e », die sozusagen zum theo- 
retischen Organ des « linken » Fliigels der NSDAP werden. Goeb- 
bels, zunachst Redakteur der < Nationalsozialistischen Briete », 
geht dann im Oktober 1926 als Gauleiter nach Berlin, wo die 
Bewegung noch sehr wenig Fuss gefasst hat. Er gibt . seit Juli 
1927 unter dem pseudosozialistischen Motto: « Fur die Unter- 
driicktenl Gegen die Ausbeuter! » ein eigenes Wochenblatt mit 
dem Titel « Der Angriff » heraus. Gregor Strasser grundet zu- 
sammen mit seinem Bruder Otto, einem fruheren Sozialdemokra- 
ten, in Berlin einen kleinen Pressekonzern, den Kampt-yenag. 
Er aibt drei Tageszeitungen heraus: den « Nationalen Sozialist » 
(NS) in BerlhVden « Markischen Beobachter » fiir die Provmz 
Brandenburg und den « Sachsischen Beobachter ... Es waren da- 
mals die einzigen nationalsozialistischen Tageszeitungen m 
Mittel- und Norddeutschland. Im Kampf-Verlag erschienen aus- 
serdem drei Wochenblatter und eine Reihe von Buchern una 
Broschuren. Es ist nicht zu bezweifeln, dass Gregor Strasser (ja- 
mais dem -Fiihrer. in Norddeutschland Konkunenz zu mactien 
versucht hat; er hatte gevvisse Differenzen nut Hrtier, onu 
Autoritat er sich spater wieder unterordnete (er versi chtc a er 
dings immer wieder, eine eigene Politik zu machen und ^urde 

21 



schliesslich Ende 1932 von Hitler seiner Funklionen enthoben, 
als er sich zu eng mil dem General Schleicher verbunden hatte; 
im Dezember 1932 verschwand Gregor Strasser vorerst in der pa- 

litischen Versenkung). 

In alien Publikationcn des Kampf-Vcrlages wurden sefat 
« radikale » Tone angeschlagen. Im Leser sollte der Emdruck 
enveckt werden, dass, der « Arbeiterfreund » und sogar der 
KlassenkSmpfer » zu ihm spricht, « Die Nationalsozialistische 
Partei 1st die Klassenpartei (!) der schaffenden Arbeit », heisst 
es in der in Strassers Verlag erschienenen Broschure, « Nationa- 
ler oder Internationaler Sozialismus ». Der Verfasser dieser Bro- 
schiire ist Jung, erster Vorsitzender der NSDAP der Sudlander. 
Gregor Strassers Parole lautet : * Freiheit und Brot *>, und « Ham- 
mer unci Schwert » sind das Warenzeichen seiner VerlaKser- 

zeusnisse. . . ,,. 

'in dieselbe Kerbe haut Goebbels, der in seiner Broschure 
« Der Nazi-Sozi. Fragen und Antworten fur den Nationalisten » 
schreibt: 

<Es cribt docb nicbfe verlogeneres, als eiuen dicken f wohlgenahrten 
Burger, der gegen den proletarischen Klassenkampfgedanken pro- 
testiert. . - - Woher nimmst du das Recht, gegen den Klassenkampf 
des Proletariats deine von oationaler Veraiitwortlichkeit geschwellte 
Brust zu wolben ? 1st der Burgerstaat nicht seit nahezu 60 .lahren der 
organieierte Klassenstaat gewesen, der als zwingende geschichthche 
Notwendigkeit den proletarischen Klassenkampfgedanken in sich 
gebar? . . Schamt ihr euch nicht, als wohlgenahrte Mitteleuropaer 
unterernahrten. hohlblickenden, hungernden, arbeitslosen Proleta- 
riern gegenuber den Klassenkampf zu bek&mpfen ? Jawrhl, wir 
nennen uns Arbeiteretaat ! Das ist der erste Scbritt. Der erste Schntt 
ab^eits voni Burgerstaat. Wir nennen uns Arbeiterpartei, weil wur 
die Arbeit frei machen wollen, weil fur uns die schaffende Arber 
das vorwaxtstreibende Element der Oeecbichte ist. weil uns Arbeit 
mehr bedeutet als Besitz, Bildung, Niveau und biJrgerhcbe Herkunft. 
Darum nennen wir uns Arbeiterpartei ... Wir nennen uns sozia- 
listisch ale Protest gegen die Luge des sozialen biirgerlichen Mrt- 
leide. Wir wollen kein Mitleid, wir wollen keine soziale Gesinnung. 
Wir pFeifen auf den Quark, den ihr <soziale Gesetzgebung» nennt. 
Das ist zum Leben zu wenig und zum Sterben zuviel . . Wir wollen 
vollen Anteil am Ertrag dessen, was der Hinunel uns gab und was 
wir durch unserer Fauste und Stirnen Arbeit schufen. Das ist So- 
zialismus ! . . . Wir protestieren gegen den Gedanken des Klassen- 
kr.mpfes. Tin sere ganze Bewegung ist ein einziger grandioser Protest 
gegen den Klassenkampf . . . Aber dabei nennen wir die Dinge 
beim Namen : wenn auf der linken Seite 17 MUlionen Proletaner 
im Klassenkampf die letzte Rettung sehen, so nur deshalb. weil man 
es sie auf der rechten Seite 60 Jahre lang durch die Praxis lehrte 
Weber wollen wir die sittliche Berechtigung nehmen, gegen den 

22 



proletarischeu Klaesenkampfgedankeii anzurennen, wenu nkht zuerst 
der bttrgerliche Kla.sseiistaat grundeatzlich zertrHmmert und abgelost 
wird durch eine neue sozialistische Giiederung der deutschen Cn i - 
meinsehaft.> 

Das schrieb der spatere Minister fur Volksaufklarung und 
Propaganda des Deutschen Reiches vor noch gar nicht langcr Zeit. 
Es ist eine andere Sprache als die der 25 Punkte, in denen das 
Wort « Sozialismus » nicht vorkommt. Man vergleiche die Goeb- 
belssche Forderung der Zertrummerung (!) des burgerlichen 
Kiassenstaates mit dem offiziellen Parteiprogramm der NSDAP. 
das in Punkt 25 sa£t: 

Zur Durchfiihrung alles dessen (des gesamten Programme) i'ordern 
wir : Die Schaffung einer starken Zentralgewalt des Reiches. Unbe- 
dingte Autoritat des politischen Zentralparlaraents iiber das gesamte 
Reich und seine Organisationen im allgemeinen. Die Bildung von 
Stande- und Berufskammern zur Durchfiihrung der vora Reich er- 
lassenen Rahmengesetze in aen einzelnen Bundesstaaten.'* 

Neben der Goebbelsschen Konzeption wirkt das Programm 
Hitlers von 1920 farblos, konventionell, kleinbiirgerlich, liberal- 
istisch. Der Goebbelssche Aufruf gegen den « dicken, wohlge- 
nahrten Burger » stellt gegenuber Hitlers 25 Punkten ein faschi- 
stisches « Programm » in raffinierterer Form dar, welches fur das 
industrialisierte Deutschland und besonders fur Berlin viel mehr 
geeignet ist als jene 25 Punkte. 

Neue Niederlage: 1928 

Indessen gelang es weder Hitler mit seinen Vortragen vor 
den « wohlgenahrten Biirgern » des Rheinlands und des Ruhrge- 
biets, noch Strasser und Goebbeis, den Masseneinfluss der NSDAP 
zu vergrossern, Zwar ist in diesen Jahren eine gewisse innere 
Konsolidierung der Partei zu verzeichnen. Die Mitgliederzahl 
wachst von 17.000 (1926) auf 40.000 (1927). Zwei Parteitage wer- 
den abgehalten: 1926 in Weimar und 1927 in Nurnberg. Die SA 
■wird neugegrundet. Die Partei wird von einer Reihe von « gut- 
gesinnten, aber deshalb umso gefahrlicheren Narren >» befreit; 
u. a. wird der « Rassenforscher » Dinter in Thiiringen J eraus 8 e - 
worfen. Ferner wird, um die Partei salonfahig zu machen, 1927 
der beriichtigte Fememorder Heines ausgeschlossen, dessen teige 
Bluttaten Hitler allerdings nicht gehindert haben, ihnspater wie- 
der aufzunehmen und zum Polizeiprasidenten von Bresiau una 
obersten SA-Fuhrer von ganz Nord- und Ostdeutschland zii ma- 
chen. Die NSDAP erlitt im Mai 1928 nochmals cine sehr M 
Wahlniederlage. Sie erhielt nur 12 Reichstagssitze. Die objektive 

23 



Situation fur cin Anwachsen der faschistischen Bowegung war 
noch nicht gegeben: Die Jahre 1924—1927 batten ein gewisses 
Wiederaufbliihen des Wirtschaftslebens mil sich gebrachl, das 
dem Kleinburgertum und auch bestimmten Kategorien dor Arhei- 
terschaft eiuige Erleiclxterungen brachte. 

Die Wirtschaftskrise in Dcutschlami 

Die wirtschaftliche Seheinblute hatte aber bereits ihrea Ho tie- 
pun kt tiberschritten. Deutschland ist das erste europaische Land, 
das von der hereinbrechcnden Weltwirtschaftskrise erfasst 
wurde. Die Produktion geht zuriick. Die Arbeitslosigkeit steigt. 
Ira Winter 1930 gibt es in Deutschland bereits iiber drei Millio- 
nen Erwerbslose. Die Unlernehmer beginnen ihren grossen An- 
griff zur fortgesetzten Senkung der Lohne. Nach den Berechnun- 
gen der Berliner « Finanzpolitischen Korrespondenz » bctrugen 
die durchschnittlichen Industriearbeiter-Wochenlohne im Som- 
mer 1929: 44.60 RM.; im Marz 1930 waren sie auf 39.05 RM. 
gesunken. Der Jahresdurchschnitt der Wochenlohne, der 192S 
und 1929 noch 42—45 Mark betragen hatte, fiel 1930 auf 37 Mark 
und 1931 auf 30 Mark. Unter der Regierung Papen-Schleicher 
schliesslich waren die Durchschnitts-Wochenlohne um mehr als 
die Halfte gegeniiber 1928/29 abgebaut worden. Sie beliefen sich 
im August 1932 auf 20.80 RM und sind seitdem noch weiter gesun- 
ken. Nach den Berechnungen der « Finanzpolitischen Korrespon- 
denz » erreichte die Gesamtsumme der den deutschen Arbeitern 
und Angestellten vom Juli 1929 bis zum Juli 1932 gekiirzten 
Lohne und Gehdlter etwa 38 Milliarden Mark. 

Hand in Hand mit dem Lohn- und Gehaltsabbau geht ein 
ungeheures Anschwellen der Arbeitslosigkeit. Im Winter 1931/32 
uberschritt sie — nach den offiziellen Angaben des Reichsarbeits- 
ministcriums — die Sechs-Millionen-Grenze. Das amtliche «Insti- 
tut fiir Konjunklurforschung» hat aber festgestellt, dass dicse 
offiziellen Zahlen nicht die wirkiiche Hohe der Erwerbslosigkeit 
angeben, da nur jene Arbeitslose gezalilt wurden (und auch 
heute nocb wcrdcn), die sich bei den staatlictten Arbcitsamtem 
melden. So wurde aber nur ein Teil der Arbeitslosen von der Sta- 
tistik erfasst. Es besland, wie das Konjunklurinstitut sich aus- 
driickte, neben der « sichtbaren » noch eine < unsichtbare » 
Arbeitslosigkeit. Das konnte durch einen Vergleich mit der Sta- 
tistik der Krankenkassen, die alle Beschaftigten erfasst, unschwer 
festgestellt werden. Danach betrug die « unsichtbare » Arbeits- 
losigkeit elwa zwei Millionen. Wahrend demnach die offizielle 
Statistik im Winter 1931/32 rund 6 Millionen und im Sommer 
1932 iiber 5 Millionen Arbeitslose aufwies, betrug nach den Ver- 

24 



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Der teutsclio Reichstag 
Nach clem Brand veranstalteten die Nazis Fflitnpn dxircl, den fc**«Uc 




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Am Tatort 




Hitler, Goring und Goebbels wenige Minulen nach der Enldeckun; 

des Brandies, an der Brandstatte. 
Hitler spriclit : 



ciffentlichungen des « Instituts fiir Konjunkturforschung „ die 
Arbeitslosigkeit im Winter 31/32 fast achl, unci im dritten Vier- 
teljahr 1932 (m der bestcn Saisonl) iiber sieben Millionen. Aber 
selbst diese Zahlen entsprachen keineswegs der wirklichen La«e 
Jn ihnen waren nicht eafhalten: die Hunderttausende von Ian«- 
jahrigen Erwerbslosen, die als « Bettler » die Strassen der Stiidte 
bevolkern oder als « Landstreicher » durch ganz Deutschlwnd 
Ziehen, die < verwahrlosten » Kinder und die jugendlicben Er- 
werbslosen, die, aus der Schuie enllassen, keine Stelle fanden. 
Ebenso sind die Hunderttausende von kleinen und kleinsten Kauf- 
leuten, Hiindlern, fruheren « Selbsliindigen » und Angehorigen'der 
sogenannten f'reien Berufe, die ein Hungerdasein fiihren und fak- 
tisckarbeitslos sind, in dieser Zahl nicht mit eingerechnet. Die 
vvirldiehe .Zahl der Erwerbslosen muss demnach auf etwa neun 
Millionen (Juhreswende 1932/33) geschaizt werden! 

Die Lage der Mittelklassen verschlechterte sich ebenfalls in 
steigendem Masse. Das spezifische Gewicht dieser Zwischen- 
schichten ist in Deutschland nicht unbedeutend. Nacli den stati- 
stischen Untersuchungen von Theodor Geiger (« Die soziale 
Schichtung des deutschen Volkes », Stuttgart 1932), ist der pro- 
zentuale Anteil der -verschiedenen Klassen an der Gesamtzahl der 
Erwerbstiitigen wie folgt: Kapitalisten 0,84 %, « alter Mittel- 
stand » (Kleineigentiimer an Produktionsmitteln) 18,33 %, 
* neuer Mittelstand » (Angestellte, Beamte usw.) 16,04 %, « Pro- 
letaroide » (Tagewerker auf eigene Rechnung, Kleinhandler usw ) 
13,76 %, Proletariat 51,03 %. Dabei ist der Anteil des Proleta- 
riats bestimmt zu hoch berechnet. Doch entspricht diese Auftei- 
lung ungefahr der Wirklichkeit. 

Die Krise proletarisierte weitere Schichten der Mittelklassen. 
Die Zahl der Konkurse wuchs, Zwangsversteigerungen waren an 
der Tagesordnung. Das stadtische Kleinbiirgertum und die Klein- 
bauern wurden besonders hart betroffen. Die Krise erfasste aber 
auch Kreise, die bisher von ihr verschont geblieben waren und 
deren Lage in der Zeit der relativen Stabilisierung sich konsoli- 
chert hatte. Die Geisel der Arbeitslosigkeit trifft jetzt auch die 
bevorzugte Schicht der geistigen Arbeiter. Der Lebensstandard 
der Lehrer, Ingenieure, Aerzte, Rechtsanwalte, Schriftsteller, 
Kunstler sinkt tiefer und tiefer. Ein Viertel der Akademiker ist 
ohne Stellung. Von 8.000 Absolventen der Technischen Hoch- und 
Mittelschulen (1931/32) z. B. fanden nur 1.000 Arbeit in ihrem 
Beruf; 1500 setzen « vorlaufig » unter Enlbehrungen ihr Sta- 
dium tort, weitere 1500 schlugen sich eine Zeit lang als Strassen- 
nandler, Kellner, Geschirrspiiler, Eintiinzer usw. dureh; 4.000 
aber hegen arbeitslos auf der Strasse. Nach einer Untersuchung 
inrer am then anerkannten t Standesorganisation », des Hart- 

25 



mannbundes. verdienlen 70 Prozent der deutschen Aerate 1932 
weniger als 170 Mark im Monat. Aehnliche Feststellungen traf 
der « Deutsche Anwaltverein » fur die Anwaltschafl. Von *>•> 000 
fertig ausgebildeten jungen Lehrera konnten im vorigen Jahre 
nach einer Veroffentlichung des Preussischen Kultusministeriums 
nur 990 beschaftigt werden, und auch diese fast ausnabmslos 
nur vertretungsweise und als Hilfslehrer. Und das allein in Preus 
sen! Unter den angestellten Ingenieuren und Chemikern sties die 
Arbeitslosigkeit m der Zeit vom 1. April 1930 bis zum 1 April 
1932 um 500 Prozent, wahrend die Erwerbslosigkeit der \nge 
stellten aller Kategorien « nur » um 150 und die der technischen 
Angestellten um 200 Prozent vvuchs. Die Lage der Akademiker 
die sich noch in Anstellung befanden, verschlechterte sich von 
Jahr zu Jahr. Die Arbeitszeit wurde verlangert, Gehaltsktirzun«en 
wurden ngoros durchgefiihrt. Die Gehalter der preussischen StU- 
dienassessoren z. B. waren im Herbst 1932 um fiber 24% niedrWer 
als 1927. Dazu kam Kurzarbeit: in zahlreichen Betrieben wurde 
nur noch 3—5 Tage in der Woche gearbeitet. 

Krisenverscharfend wirkten die ungeheuren Reparationsla- 
sten. Die an den Dawesplan und die Locarno-Vertrage (1924/25) 
ge f k -1u Pf 5 Vers P recll " n §en und Hoffnungen hatten sich nicht 
erfullt. 1929 wird im Youngplan eine neue intern ationale « Schul- 
denregelung ., getroffen, die der kapitalistischen Klasse neue Gele- 
genheit gibt, den werktatigen Massen Milliardenlasten aulzu- 
Imrden. 

Durch die verelendete Arbeiterschaf t geht eine neue Welle der 
Radikalisierung. Kurz nach dem Wahlerfolg der Sozialdemokra- 
tie im Mai 1928 beginnen die Arbeiter massen von neuem, sich 
derKommunistischpa P'artei zuzuwenden. Bisher indifferente 
Schichten des stadtischen Kleinbiirgertums werden im Laufe der 
Krise politisiert. Die Bauernschaft beginnt sich zu riihren. In 
Norddeutschland kommt es 1929 zu Rebellionen. Die werktatigen 
Bauern verjagen die Gerichtsvollzieher, die ihnen die letzte Kuh 
im Stalle pfanden und Zwangsversteigerungen vornehmen wolien. 
Es kommt zu Zusammenrottungen vor den Finanzamtern, zu 
blutigen Zusammenstossen mit der Polizei. Schliesslich folgt ein 
Bombenattentat auf das andere. In der preussischen Provinz 
Schleswig-Holstein werden Versuche gemacht, Landratsamter 
und andere Regierungsgebaude in die Luft zu sprengen. 

Die Bourgeoisie setzt ihre Politik der Unterdriickung fort mit 
dem Ziel, die Zugestandnisse von 1918 aufzuheben. Die Burger- 
block-Regierungen unter dem Volksparteiler Luther (dem jet- 
zigen Botschafter in Amerika) und dem Zentrumsfiihrer Marx 
werden 1928 von einer Regierung der « grossen Koalition », die 
von der schwerindustriellen Deutschen Volkspartei bis zur 

26 



Sozialdemokratie reicht, abgelost. Der sozialdemokratischc Par- 

teivorsitzende Hermann Miiller wird Reichskanzler. Neben ihm 

sitzen drei Sozialdemokraten im Reichskabinett: Severing (In- 

nenminister), Hilferding (Finanzminister wie 1923) und "Wissel 

(Arbeitsminister). Stresemann, der Fiihrer der Deutschen Volks- 

partei, ist Reichsaussenminister, sein Parteifreund Dr. Curtius 

Wirtschaftsmimster und der Demokrat Gessler (heute Faschist) 

Reichswehrminister. Unter der Regierung Hermann Miiller wird 

der Youngplan unter « Dach und Fach » gebracht. Hauptdele- 

gierter auf der Pariscr Youngkonferenz ist der Reichsbankprasi- 

dent Schacht, 1933 als Anhimger Hitlers wiederum President der 

Reichsbank, nachdem er 1930 abgesetzt worden war. 

Die Aera Briining- 

Im Dezember 1929 wird der Finanzminister Hilferding 
gestiirzt, obwohl er durch die Auflegung einer steuerfreien Anleihe 
den Grossbanken ausserordentliche Gewinne zugeschanzt hatte. 
Er wird durch den Professor Moidenhauer ersetzt. Moldenhauer 
ist Mitglied des Aufsichtsrats des grossten deutschen Trusts, der 
I. G. Farbenindustrie. Wenige Monate spiiter, im Marz 1930, wird 
das Muller-Kabinett von der Regierung Bruning abgelost. Die 
SPD wird aus der Reichsregierung herausmanovriert. Die Regie- 
rung Bruning-Groener-Stegerwald, die im Reichstag keine Mehr- 
heit besitzt, wird aber von der Sozialdemokratie bereitwillig 
unterstutzl und « toleriert ». Gleichzeitig nimmt diese Regierung 
schon Kurs auf die Einbeziehung der NSDAP. Im Gereke-Prozess 
Juni 1933, hat der fruhere Minister Treviranus ausdrucklich 
bestatigt, dass Bruning schon damals die Absicht hatte, die 
NSDAP mit « einzuschalten >». Die Sozialdemokratie prasentiert 
mdessen die Briiningregierung den werktatigen Massen als « klei- 
neres Uebel » gegeniiber einem rein faschistischen Biirgerblock- 
kabmett. Die von der Sozialdemokratie gefiihrte preussische 
Regierung Braun-Severing ist die festeste Stiitze Briinings. 

Die Periode der « Demokratie » endete in den Schwierigkei- 
ten, in die Deutschlands Finanz-, Industrie- und Agrarkapltali- 
sten durch die Wirtschaftskrise gestossen wurden. Bruning 
regiert mit dem Artikel 48 der Weimarer Verfassung, der eben 
diese Verfassung aufheht. Dies ist nicht das erste Mai in der Ge- 
schichte der deutschen burgerlichen Republik, das mit dem Aus- 
narimezustand und der Aufhebung der demokratischen Rechte 
^'" e Pohtischc Entwicklung, die dem kapitalistischen System 
gelahrhch zu werden beginnt, «korrigiert» werden muss. Schon in 
aen Jahren 1919 bis 1923 unter dem sozialdemokratischen Reichs- 
prasidenten Ebert gab der Artikel 48 die Handhabe, urn Streiks 

27 



in den sogenannten lebenswichtigen Betrieben zu verbieten i 
dor « Technischen Nothilfe , eine Slreikbrechergarde zu orBankii™ 
ren, 1923 die Reichswehr in Sachsen und Thiiringen zur « W p~ 
derherstellung verfassungsmassiger Zu.star.de » einmarschieren 
zu Iassen und den General von Seeckt als Militardiktator zum 
Vcrbot der Kommnmstischen Partei Dcutschlands zu ermarhi? 
gen. Der sozialdemokratische Polizeiprasident von Berlin trT 
giebel, ein friiherer Gcwerkschaftsfiihrer, verbietet 1929 die M ,V 
demonstration der Berliner Arbeiterschaft. Er setzt, als die Arbe i- 
ler das Verbot durchbrechen und demonstrieren, seine Polizei- 
truppen ein. Durch ihre Kugeln (alien 33 Berliner Arbeiter. Einige 
Tage spater verbietet Severing den Roten Frontkampferbund, die 
antifaschistische Wehrorganisation des revolutionaren ProleU 
riats, wahrend in Preussen die SA ihre Kampfverbande le«al wel- 
ter ausbauen darf. 

Der Reichstag wird von Br lining ausgeschaltet. Die SPD eibt 
ihre Zustimmimg dazu. Briining regiert mit Notverordnungen auf 
Grund des Artikels 48. Er dekretiert den Abbau der Arbeitslosen- 
unterstutzungen, die Kurzungen der kargen Renten der Kriegs- 
opfer der Invaliden, der Alten, Witwen und Waisen. Er oktroiert 
neue Massensteuern: die Kopfstcuer, die Krisensteuer, die Ledi- 
gensteuer. Er notverordnet Zollerhohungn und damit Lebensmit- 
telverteuerungen. Er hebt den Mieterschutz auf. Banken und 
Industnekonzerne erhalten Millionen-Subventionen. Die Gross- 
grundbesitzer sanieren sich auf Kosten der Werktatigen. 4us der 
sogenannten « Osthilfe » erhalten sie Millionen. Und die Polizei- 
prasidenten, von denen iiber die Halite Mitglieder der Sozialde- 
mokratischen Partei sind, unterdriicken mit grosser Hiirte die 
Abwehrbewegungen des Proletariats, verbieten die kommunisti- 
sche Presse und erlassen Demonstrationsverbote gegen die Arbei- 
terschaft. 

Durch diese Politik hat die Sozialdemokratie nicbt nur tat- 
sichhch die Entwicklung der reaktionaren und faschistischen 
Gewalten in Deutschland begiinstigt, sondern hat sie auch den 
Nationalsozialisten den Vorwand fur die Entfesselung ihrer de- 
rnagogischen Hetze gegen das Versagen des « marxistischen 
Systems » gegeben. 

Die Sozialdemokratie hat selbst noch die Regierung Briining 
toleriert, welche die Ausplunderung der Massen ins Unertragliche 
steigerte, diktatorisch regierte und die Heranziehung der Natio- 
nalsozialisten zur Regierungsmacht vorbereitete. 

In dieser Zeit setzt der zweite Aul'schwung der nationalso- 
zialistischen Bewegung ein. Die NSDAP halt streng legalen Knrs. 
Gemeinsam mit Hugenberg, dem Exponenten des reaktionaren 
Fliigels der Schwerindustrie und des Grossgrundbesitzes, gemein- 

28 



sam mit dem Stahlhelm und anderen nation alistischen Organisa- 
tional Leitet sie ein Volksbegehren gegen den Youngplan ein. 
« Vergessen » ist, dass die Deutschnalionale Volkspartei Hugen- 
bergs 1925 die Halite ihrer Fraktion abkommandiert hatte, urn 
dem Dawesplan zur Annahme zu verhelfen. Der riesige Propa- 
ganda-Apparat des Hugenberg-Konzerns, der Hunderte von Zei- 
tungen beeinflusst und erne eigene Nachrichten-Agentur, die 
TeleVraphen-Union (TU) besitzt, kommt jetzt auch den National- 
sozialisten zugute. Das Volksbegehren scheilerl zwar, aber die 
Nationalsozialisten konnen gewisse erste Wahlerfolge bei den 
Landtagswahlcn in Sachsen, Thuringen und bei den preussischen 
Gemeindewahlen buchen. 

Im Januar 1930 wird Frick thiiringischer Innen- und Kulius- 

minister der erste Nationalsozialist in Deutschland auf dem 

Ministersessel. Die NSDAP geht dabei in Thuringen eine Koali- 
tion ein mil samtlichen Rechtsparteien bis zur deutschen Volks- 
partei, welche zu gleicher Zeit im Reich mit der Sozialdemokratie 
koaliert ist. Noch ein Jahr vorher hatte Goebbels in semem 
« Kleinen ABC des Nationalsozialisten » die Deutsche Volkspar- 
tei eine Interessenvertreterin des Grosskapitals genannt. Jetzt 
sitzt der Vertreter der « sozialistischen Arbeiterpartei » mit 
Reprasentanten der DVP gemeinsam in einer Regierung. 

Hitler zeigt sein wahres Gesicht 

Ein Teil der « Sozialisten » in der NSDAP unter Fiihrung 
von Otto Strasser glaubt, den legalen Kurs nicht mehr mitmaehen 
zu konnen und Iritt Im Mai 1930 unter der Parole « Die Sozia- 
listen verlassen die NSDAP » aus der Parlei aus. Vorher hatte 
Strasser eine langere Aussprache mit Hitler: 

<Die grosse Masse der Arbeiter> — sagte Hitler zu Strasser — cwill 
nichts anderes als Brot und S p i e 1 e. Sie hat kein Verstandnis fur 
lrgendwelche Ideale, und wir werden nie damit rechnen konnen, die 
Arbeiter in erheblichem Masse zu gewinnen. Wir wollen eine Aus- 
wahl der neuen Herrenschicht (!), die nicht wie Sie von einer Mit- 
leiasmoral getrieben wird.> 

Strasser fragte Hitler dann u. a.: « Was wiirden Sie, wenn 
Sie morgen die Macht in Deutschland iibernehrnen wiirden, iiber- 
morgen tun z. B. mit der Krupp-A. G.? Bliebe hier bei Aklionaren 
und Arbeitern beziigl. Besitz, Gewinn und Leitung alles unver- 
andert, so wie heute, oder nicht? » Darauf antwortete Hitler: 

<Aber s e 1 bs t v e r st an d 1 i ch. Glauben Sie denn, ich bin so 
wahnsimug, die Wirtschaft zu zersttiren ? Nur wenn die Leute nicht 
im Inleresse der Nation handeln wiirden, daun wiirde der Staat ein- 

29 



greifen. Dazu bedarf es aber keiner Bnteignung und keines Mitbe- 

stimmungsrechtes, sondern das macht der Starke Slaat, der allein in 

der Lage isl. ohne Kikksicht auf Interessen ausaiihliesslioh von 

grossen Gesichtspunkten Bicb leiten zu lassen . . . Der Auadruck So 

zialismus ist an sich schlecht, aber vor a]lem heisst das nichi dass 

diese BelnVb,. sozialisiert werden m fi s s e n. sondern nur, da'ss sie 

sozialisiert werden kSnnen, namlidi wenn sic gegeu das' Inteiesse 

der Nation verstossen. Solange sie das nicbl tun, ware es einfach 

ein Verbrechen, die Wirtaehalt zu zerstoren . . . Wir haben hier eio 

Vorbild. das wir ohne weiteres annehmen kdnuen. den F a s e h i s- 

mus ! Genau so, wie die Faschieten dies bereits durchgefiihrt haben 

werden auch in unserem nationalsozialistischen Staat Unternehmer- 

tum und Arbeiterschaft gleichberechtigt nebeneinander etehen wSh- 

rend der slarke Staat bei Streitigkeiten die Entscheidung falit und 

dafur sorgt, dass nicbt Wirtsehaftskampfe das Leben der Nation ^e- 

fahrden.* 

Mit diesem Bekenntnis zum kapitalistischen Wirtschafts- 
system empfahl sich Hitler von neuem den herrschenden Kreisen 
dcs deutschen Finanzkapitals. Er bewies ihnen, dass das natio- 
nalsozialishsche Wirtschaftsprogramm ebenso wie das faschisti- 
sche nur die Rekonsohdierung des Kapitalismus garantieren will. 
Die Versprechungen die er damals gegeben hat, hat er gehalten I 

Die September wahl en 1930 

Ihren ersten grossen Wahlerfolg errang die NSDAP bei den 
Keichstagswahlen im September 1930: sie erhielt 6,4 Millionen 
Mirnmen (107 Mandate) und wurde damit die zweitstarkste Partei 
nach der Sozialdemokratie. Die Kommunisten gewannen 600.000 
Mimrnen. Die Deutschnationale Partei verlor die Hfilfte ihrer Man- 
date, die Deutsche Volkspartei ein Drittel. Die Nationalsozialisten 
verdankten ihren Erfolg einer ganz auf die Gewinnung der 
radikahsierten kleinbiirgerlichen Massen eingestellten Propa- 
ganda. Sie wurde mit masslosen Versprechungen gegeniiber alien 
uerutsschichten und mit gigantischem, von kapitalistischen G6n- 
nern stammenden Geldmitteln betrieben. Die Nazis verstanden 
SlT' , k Aglt f t ! on § e § en Versailles und gegen den Youngplan 
<ne jedem Chauvimsmus zuganglichen KIcinburgerschichten fiir 
sich zu gew.nnen. Sie versprachen alien Alles: den Arbeitern 
nonere Lohne, den Unternehmern hohere Gewinne, den Mietern 
niedrigere Mieten, den Hausbesitzern hohere Mieten, den Bauern 
aZ f" Pre ! s fv d f n Kleinbiirgern wohlfeilere Lebensmittel. Trote- 
£'t w,rkI ' c , he j; Embruch in die Reihen der Arbeiterschaft ge- 

WohW 2 T- l rl Z08e n n Iediglich § r0sse TeiIe d " WHWW" 
Wahler der burgerhchen Parteien zu sich heruber. 

30 



Soli Hitler Reichskanzler werdea? 

Bruning regierte weiter und erliess neue Notverordnungen. 
Die Sozialdemokratie unterstiitzte ihn in der Durchfuhrung sei- 
ner Notverordnungspolitik. Mit dem Anwachsen der nationalso- 
zialistischen Bewegung tauchte immer wieder die Frage der offe- 
nen Heranziehung der Nationalsozialisten auf. 

I in April 1932 wurde Hindenburg mit den Stimmen der 
Sozialdemokratie unter der Parole: « Wer Hindenburg wahlt, 
schlagt Hitler! » zum zweiten Male zum Reichsprasidenten ge- 
wahlt. Im Mai 1932 wurde auf Betreiben der ostpreussiscben 
Junker der Reichskanzler Briming gestiirzt. Ihm folgte die Papen- 
Schleicher-Regierung. 

Die neue Regierung leitete einen Abschnitt verscharfter Dik- 
iaturmassnahmen ein. Am 20. Juli 1932 wurde Papen zum Reichs- 
kommissar fiir Preusscn ernannt. Ein Hauptmann mit 3 Reichs- 
wehrsoldaten geniigten, um den « Widerstand >> der sozialdemo- 
kratischen Preussenrainister zu brechen. Fiir kurze Zeit wird 
iiber Berlin — Brandenburg auch der militarische Ausnahmezu- 
stand verhangt Die sozialdemokratischen Fiihrer weichen wider - 
standslos, obwohl sie noch die gesamte Schutzpolizei in Preusseu 
und zahlreichen anderen Landern des Reiches unter ihrem Kom- 
mando liaben und obwohl die demokratischen Polizeioffiziere 
stiirmisch auf bewaffneten Widerstand drangen. Sie bezeichnen 
die Kommunisten, die die Arbeiterschaft zum Generalstreik auf- 
nifen, offentlich als « Provokateure ». Sie lahmen die Krafte der 
Arbeiterschaft und geben ihre Posltionen preis, um vielleicht 
doch noch einige Posten zu retten. Der preussische « Hort der 
Deniokratie » fallt der Reaktion kampflos in die Hande. 

Im August 1932 — nach einem zweiten grossen Wahlerfolg 
der NSDAP im Juli (13,5 Millionen Stimmen = 225 Reichstags- 
sitze) — wird zum ersten Male von einer Berufung Hitlers zum 
Reichskanzler gesprochen. Hindenburg zogert noch. Doch immer 
lauter werden die Stimmen, die eine Heranziehung der NSDAP 
verlangen. In einer geheimen Privatkorrespondenz des Reichsver- 
bandes der deutschen Industrie, den « Deutschen Fiihrerbriefen », 
erscheint in dieser Zeit ein vielbeachteter Artikel, der in voller 
Offenheit die Plane der ausschlaggebenden kapitalistischen Kreise 
enthiillt. Es heisst in diesem Artikel, der den Titel: « Die soziale 
Rekonsolidierung des Kapitalismus » tragt, u. a.: 

<Das Problem der KoBSOlidierung des burgerlichen Regimes im 
Nachkriegsdeutschland ist allgemein durcb die Tatsaclie bestimmt. 
dasa das fuhrende. namlich iiber die Wirlschaft verfiigende Burger- 
turn zu schmal geworden ist, um seine Herrschaft allein zu tragen. 
Es bedarf fur diese Herrschaft. falls es sicb nicht der hochst gefahr- 

31 



lichen Waff© der rein niilitarisehen Gewaltausiibung anvcrtrauen 
will der Bindung von Schichten au sich, die sozial niriu zu ihm ge- 
horen die ihm aber den unentbehrlichen Dienst leisten, seine Herr- 
BChaft iin Volk zu verankern und dadnrch deren eigentlieher oder 
letZter Triiger zu sein. Dieser ietzte oder <Grenztrager> der burger- 
lichen Herrschaft war in der ersten Periode der Nachkriegskonsoli- 
dierung die Sozialdemokratie. 

(Es wird danu weiter ein Vergleich zwischen Killer und Ebert g**- 
zogen und festgestellt, dass der Nationalsozialisrnus die Sozialdemo- 
kratie in der Aufgabe abzuloeen hatte, den Massenstiitzpunkt riir die 
Herrschaft des BQrgertums in Deutschland darzubieten:)* Die So- 
yialdemokratie brachte zu dieser Aufgabe eine Eigenschait mil, die 
dem Nationalsozialisrnus fehlfc, wenigstens bisher nocb fen It . . . 
Veimoge ihres eozialen Charakters als originare Arbeiterpartei 
brachte die Sozialdemokratie in das System der damaligen Konso- 
lidierung iiber ihre rein politische Stosskraft hinaus das viel wert- 
vollere und dauerhaftere Gut der organisierten Arbeiterschaft ein 
und verkettete diese unter Paralysierung ihrer revolutionaren Ener- 
srien fest mit dem burgerlichen Staat . . . 

In der ersten Rekonsolidierungsaera des burgerlichen Nachkriegs- 
regimes war die Spaltung der Arbeiterschaft fundierl durch die lohn- 
und sozialpolitischen Errungenschaften, in die die Sozialdemokratie 
den revolutionaren Anaturm umgemunzt hatte. Diese namlidi funk- 
tionierten als eine Art Schleusenmechanismus, durch den der be- 
schaftigte und fest organisierte Teil der Arbeiterschaft im Arbeits- 
marktgefalle einen .... erheblichen Niveauvorteil gegeniiber der 
arbeitslosen und fluktuierenden Masse der unteren Kategorie genoss 
und gegen die voile Auswirkung der Arbeitslosigkeit und der allge- 
meinen Krisenlage der Wirtschaft . . . relativ geschiitzt war. Die 
politische Grenze zwischen Sozialdemokratie und Kommunisraus ver- 
iauft fast genau auf der sosialen und wirtschaftlichen Linie dieses 

Scbleusendamans . . . 

Da zudetn die sozialdemokratische Ummiinzung der Revolution in 
Sozialpolitik zusammenfiel mit der Verlegung des Kampfes aus den 
Betrieben und von der Strasse in das Parlament, die Ministerien 
und die Kanzleien, d. h. mit der Verwandlung des Kampfes <von 
unten> in die Sicherung cvon oben» ( waren fortan Sozialdemokratie 
und Gewerkschaftsburokratie, mithin aber auch der gesamte von 
ihnen gefiihrte Teil der Arbeiterschaft mit Haut und Haaren an den 
burgerlichen Staat und ihre Machtbeteiligung an ihn gekettet, und zwar 
solange, ale erstens das Geringste von jenen Errungenschaften auf 
diesem Wege zu verteidigen librigbleibt und als zweitens die Arbei- 
terschaft ihrer Flihruflg folgt. 

VieT Folgerungen aus dieser Analyse sind wicbtig : 1. die Politik 
des ddeinen Uebels> iet nicht eine Taktik, sie ist die politische Sub- 
stanz der Sozialdemokratie; 2. die Bindung der Gewerkschaftsbuor- 
kratie an den staatlschen Weg <von oben» 1st zwingender als ihre 
"Bindunsr an den Marxism us, also an die Sozialdemokratie und gilt 
gegeniiber jedem burgerlichen Staat. der sie einbeziehen will: 



32 



3. die Bindung der Gewerkschaftsburokratie an die Sozialdemokratie 
steht und faUlt pohtiscb rait dem Parlamentarismus; 4. die Moglich- 
keit einer liberalen SozialverTassung des Monopolkapitalismus 1st 
bedingt durch das Vorhandensein eines automatischen Spaltunga- 
raechanismus der Arbeiterschaft ; ein biirgerliches Regime, dem an 
einer liberalen Sozialverfassung gelegen ist, muss nicht nur uber- 
haupt parlamentarisch sein, es muss sich auf die Sozialdemokratie 
stutzen und der Sozialdemokratie ausreichende Errungenschaften 
lassen ; ein biirgerliches Regime, das diese Errungenschaften ver- 
nichtet, muss Sozialdemokratie und Parlamentarismus opfern muss 
sich fin- die Sozialdemoki-atie einen Ersatz verschaffen und zu 
einer gebundGnen Sozialverfassung ubergeben. 

Der Prozess dieses Ueberganges, in dem wir une augenblicklich be- 
finden, weil die Wirtschaft6krise jene ErxuugenschaFten zwangslau- 
fig zermalmt hat, duxchlauft das akute Gefahrenstadium, dass mit 
dem Fortfall jenpr Errungenschaften auch der aui ihnen beruhende 
Spaltungsmechanismus der Arbeiterschaft zu wirken aufhort, mithin 
die Arbeiterschaft in der Richtung auf den Kommunismus ins Glei- 
ten gerat und die biirgerliche Herrschaft eich der Grenze des Not- 
stands einer Militardiktatur nahert . . . Die Rettung aus diesem 
Abgrund ist nur moglich, wenn die Spaltung und Bindung der Ar- 
beiterschaft, da jener Schleusenznechanismus in ausreicbender Weise 
nicht wieder auJ'zurichten geht, auf andere und z"war direkte Weise 
gelingt. Hier liegen die positiven Moglichkeiten und Aufgaben des 
Nationalsozialismus . . . 

Wenn es dem Nationalsozialismus gelange, die Gewerkschaften in 
eine gebundene Sozialverfassung einzubringen, so wie die Sozialde- 
mokratie sie fruher in die liberale eingebracht hat, so wiirde der 
Nationalsozialismus damit zum Trager einer fur die kunftige biirger- 
liche Herrschaft unentb-ehrliehen Funktion und musste in dem So- 
zial- und Slaatssystem dieser Herrschaft notwendig seinen organi- 
sierten Platz finden. Die Gefahr einer staatskapitalistischen Oder 
sogar sozialistischen Entwicklung, die oft gegen eiue solcbe berufs- 
stiindische Eingliederung der Gewerkschaften unter nationalsoziali- 
etischer Fiihrung eingewandt wird, wird in Wahrbeit gerade duich 
sie sebannt ....Zwischen den be id en Moglichkei- 
ten einer R ekons ol id i eruug der bttrgerliehen 
Herrechaft und der kommunistischen Revolu- 
tion gibt es keine dritte.> 

Diese Satze bilden einen Schlussel zum Verslandnis der poli- 
tischen Lage. Sie reprasentieren die Rechnung der treibenden 
Krafte der deutschen Wirtschaft 

Die Aera Papen-Schldcher 

Die Regierung Papen-Schleicher bedeutete eine neue Etappe 
auf dem Wage zur Hitlerdiktatur. Ihre Notverordniingcn nd 
direkte Vorbilder fur Hitler: Todesstrafe fur Hochverrat, Todes- 



strafe fur « politiscke Bluttaten ». Einfuhning von Sondergerich- 
strate iur aeringc « Delikte » hohe Zuchthausslrafen ver- 

^™^t*mM*^ ** Grossbour«eoisic , der lute 
md Generate hat keinan Masscnanhcmg. Der btahlhelm und die 
Seutschnationale Volkspartei geniigen nicht. Das grossartig yer- 
Sefe Wirtschaftprogramra Papens im September 1932 brmgt 
™ . Belastung fur die Massen und Qcue Millionen als Geschenk 
fiir die Besitzenden. Machtige antifaschistische Gegenaktioiien 
werden unter Ffihrung der Kommunistischen Parte, die alletn 
einen ernsthaften, ausserparlamentarischen Karnpf gegec .den 
Faschismus fiihrt, ausgelost. Sie finden im November 1932 ifaren 
Hohepunkt im Berliner Vexkehrsarbeiterstreik, der die Olmmacht 
der Regierung gegeniiber dem AnsLurm des Proletariats manife- 
stiert. Jeder Tag enthiillt, wie trugerisch Papens Hotinungen aut 
ein baldiges Ende der Wirtschaftskrise sind. 

Zu "leicher Zeit macht der Nationalsozialismus einc sennvere 
Krise durch. Bei den Novemberwahlen 1932 verliert die NSDAP 
fast 2 Millionen Stimmen. Fur die Kommunislische Partei warden 
6 Millionen Stimmen abgegeben. 

Ende November stiirzt Papen. Auf lhn iolgt Anfang Dezernber 
Schleicher. Hinter den Kulissen beginnen wieder Verhandlungen, 
sowohl mit den Gewerkschaften wie auch iiber eine Heranziehung 
der Nationalsozialisten. Keine Regierung kaim, nach Schleichers 
Wort, auf den Spitzen der Bajonette sitzen. Der Kanzler-General 
zogcrt, untcrnimmt nichts, mildert lediglieh einige Notverord- 
nungen Papens. Am 22. Januar wagen die Nationalsozialisten eine 
krasse Provokation. Sie setzen eine Demonstration an auf dera 
Biilowplatz, vor dem Karl Liebknechthaus, dem Gebaude des 
Zentralkomitees der Kommunistischen Partei. General Schlei- 
cher schiitzt diese Provokation mit dem Aufgebot der gesamten 
Polizei gegen grosse proletarische Gegendemonstrationen. 

Die Situation spitzt sich zu. General Schleicher spielt mit 
der sofortigen Proklamierung der Militardiktatur. Papen operiert 
durch "Verhandlungen mit Hitler und Hugenberg gegen Schlei- 
chers Plan. Die herrschenden Kreise Deutschlands wagen jetzt, 
wie die « Deutsche Allgemeine Zeitung » sich ausdriickt, den 
« Sprung ins Dunkle ». Am 30. Januar ernennt Hindenburg, der 
Prasidentschaftskandidat der SPD, Adolf Hitler zum deutscheu 
Reichskanzler. 



;S4 



Dei 1 Reichstag muss breimen ! 

Dem Stui*z des Kanzier-Generals Schleicher war cm monate- 
langes Kulissenspiel im Palais des Reichsprasidenten von Hin- 
denburg vorausgegangen. Papens «Ankurbelung der Wirtschaft* 

war <*escheitert. Die wirtschaftlichen Schwierigkeitcn turmten 
sich. Bei jedem Schritt stiess Schleicher aut* Hindemisse, die ihm 
der grosse Einfluss seines Vorgangers Papen heim Reichsprasi- 
denten von Hindenburg schuf. Papen arbeitete vom Augenblick 
seines Rucktritts planmassig aut* den Sturz seines Nachfolgers 
Schleicher hin. 

Das Spiel im Palais 

Fur einen oberflachlichen Belrachter stellen sich die Yor- 
gange hinler den deutschen Regierungskulissen, die in den Mona 
ten vor Hitlers RegierungsantriLt spielten, als ein Ausschnitt aus 
eineru wirren, poiitischen Intriguenstiick dar. Es gab um Hinden- 
burg eine Reihe von niehr oder weniger i'esten Gruppen, die 
gegeneinander kampften. Nicht personliche Antipathic oder Sym- 
athie gab in diesem Ringen den Ausschlag, sondern es ging um 
Teilinteressen der herrschenden Klassen, um Sonderinteressen 
politiseh einflussreicher Kreise. 

General Kurt von Schleicher war aus der Reichswchr zurn 
Posten des deutschen Reichskanzlers aufgesliegen. Der Mann, der 
sich in seiner Regierungserklarung durch den Rundfunk selbst 
als «sozialen Generals prasentierte, hatte vierzehn Jahre lang 
seine geschickte Hand inimer dann im poiitischen Spiel gehabt, 
wenn es gait, die poIiLische Entwicklung der Weimarer Republik 
ein Stuck weiter in die Richtung der Reaktion zu stossen. 
Schleicher erscheint im November 1918 als Verbindungsmann 
zwischen der Obersten Heeresleitung und den sozialdemokrati- 
schen Volksbeauftragten bei der Niederschlagung der Revolution. 
Der Name des jungen Generalstabshauptmanns tauclit in jenen 
Tagen neben den Namen Hindenburg, Groner unci Ebert auf. Er 
wird ein Mann von grossem Einfluss im neu geschaffenen Reichs- 
wehrministerium. Er Eiihrt im Oktober 1923 den Ausnahmezu- 
stand durch, als Ebert die gesamte vollziehende Gewalt dem Reichs- 
wehrgenera] von Seeckt iibertragt und dainil die aus dem Elcnd 
der Inflation emporsteigendc revolutionSxe Welle zu brechen 



;-;r> 



^ u. - u* r «ni-H als Major Chef des Ministeramls iin Reiehs- 
sucht. ScWei^ wird ^f.^ j d isl er aufs engste verbundeo 

^fuSS^^S^^^ gemeinsame Dienstzeil im 3. Garde- 
niit Hindenbu. und Gei f eraIslab _ mit seinem Sohn, dem 

nf '52 OslS von Hindenburg. Schleicher gelingt es. person- 
P w BerTSteJatter bei Hindenburg zu werden. Er hat die 
Sen fn der H^nd, als Hindenburg im Man .1930 dem Reichs- 
2 r Hermann Muller die Vollmacht zur Rcichstagsauflosung 
verweigert und die Sozialdcmokratie aus der Regierung wirft. 
Schleicher lasst Bruning fallen, als die entscheidenden kapita- 
listischen Kreise in Deutschland sich immer starker aut die Heran- 
ziehung der Nationalsozialisten an die Regierungsmacht oncn- 
tieren. Schleicher tritt selbst an die Stelle Groners als Reichswehr- 
minister und trill damit aus dem Dunkel des Reichswehrmim- 
steriums, in dem er als «Buro-General» seine politischen General- 
stablerkunste unsichtbar anwandte, ins grelle Licht der politi- 
schen Oeffentlichkeit. 

Schon unter der Kanzlerschaft Papens hatte Schleicher be- 
gonnen, die wichtigsten Positionen im Regierungsapparat mil 
seinen Vertrauensleuten zu besetzen. Als unter dem Ansturm der 
proletarischen Streiks die Regierung Papen ins Wanken kam, 
gab Schleicher den Ausschlag zur Erklarung der meisten Mini- 
ster : Papens Kanzlerschaft sei nicht langer tragbar. Schleichei 
mussle noch mehr offen in den Vordergrund treten. Aber es war 
leichter, Manover auf dem glatten Parkett der Regierungszimmer 
zu machen, als Politik auf dem abschiissigen Boden der verschari- 
ten Wirlschaftskrise. Ohne Programm, ohne klare Politik, mit 
alien moglichen Planen spielend, — so verlief die kurze Zeit 
seiner Regierung. Sie sollte den einflussreichsten kapitalistischen 
Kraften Deutschlands nur als Briicke dienen zum scharferen fa- 
schislischen Angriff gegen den sichtbaren revolutionaren Auf- 
schwung der Arbeiter. Zur engeren Clique des Generals von 
Schleicher gehorten der friihcre Major Planck, der Staatssekretfir 
in der Reichskanzlei, und der Major Marcks. der unter d«r 
Schleicher-Regierung Reichspressechef wurde. 

Zur engsten Gruppe urn Hindenburg gehorten in erster Linie 
scin Sohn und personlicher Adjutant. Oberst Oskar von Hinden- 
burg. Sein Staatssekretar ist Dr. Meissner, der schon Ebert ge- 
dient hat. Herr von Papen gchorte audi nach seinera Sturz zum 
unimttelbaren Vertrauenskreis Hindenburgs. Papen besass im 
Herrenklub, einer sehr einflussreichen Vereinigung von Politi- 
kern, Bankiers, Industriellen, Grossgrundbesilzern, hohen Beam- 
ten und Offiziercn, cine besondere Stiitze. Von Papen liefen Fa- 
den zur NSDAP, zu Hitler und Goring, zum Stahlhelm und zur 
ueutschnalionalen Parte! unter Hugenbergs Fubrung. Wenige 

36 



Wochen nach seinem Sturze traf sich Papen mit Hitler in der 
Wohnung des Bankiers Schroder in Koln. Hitler, der am 7. No- 
vember in einem Aufruf den Kampf *bis zum letzten Atemzug* 
gegen Papen proklamiert hatte, nahm im Salon des Bankiers die 
vertraulichen Vorschlage Papens entgegen. Von Koln reisle Papen 
nach Dortmund, wo er mit dem Grossindustriellen Springorum und 
anderen Vertretern des rheinisch-westfalischen Schwerkapitals 
Geheimbesprechungen zur Regierungsfrage fuhrte. 

Schleicher unterhielt ebenfalls enge Beziehungen zur NSDAP, 
besonders zu ihrern *sozialistisch» aufgeschminkten Flugel unter 
Gregor Strassers Fiihrung. Schleicher versuchte, die Krise in der 
NSDAP, die durch den Verlust von zwei Millionen WaMern am 
6. November signalisiert wurde, fur seine Regierungspolitik aus- 
zuniitzen. Er hatte Verbindungsfaden zu dem Sozialdemokraten 
Leipart, dem Vorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Gewerk- 
schaftsbundes, zu den Christlichen Gewerkschaften und zum 
Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband. Er versuchte, durch 
diese «Querverbindungen» von den sozialdemokratisch gefuhrten 
Gewerkschaften bis zum «sozialistischen»- Fliigel der NSDAP sich 
eine Art gewerkschaftlicher Massenbasis zu schaffen. Gleichzeitig 
gab Schleicher den Junkern Millionen um Millionen an «Sanie- 
rungs»-Geschenken. 

Verbindungsleute vermittelten zwischen diesen Gruppen. Tag- 
lich wurden neue Koalitionen geschlossen und wieder aufgelost. 
Taglich anderte sich die Situation. Zeitungen wechselten ihre 
Besitzer, Redakteure ihre polilischen Ueberzeugungen. Um die 
liberalen Organe des Ullstein-Konzerns und des Verlages Rudolf 
Mosse wogte der Cliquen-Kampf. Die «Tagliche Rundschau*, 
einsl das Organ Stresemanns, wurde zum Sprachrohr Schleichers. 
Man sprach von Geldern, die der Zeilung aus der reichgefullten 
Reichs wehrkasse zugef los sen seien. Chef r edakteur der «Tag - 
lichen Rundschau* wurde Hans Zehrer, Leiter des sogenannten 
«Tat-Kreises» und seiner Zeitschrift «Die Tat», die eine beson- 
dere Art Faschismus mit pseudo-revolutionarem Einschlag pro- 
pagierte. Papen versuchte, Einfluss auf das «Berliner Tageblatt* 
zu erlangen. Die Exportindustriellen, die grossen Schiffahrtsge- 
sellschaften und die Reichsbahn (Siemens) hatten ihr Organ in 
der «Deutschen Allgemeinen Zeitung», die sie seit langem sub- 
vention ierten. 

Hinter Schleicher standen in jenen Wochen zwar Herr Erupp 
von Bohlen und Halbach und der Geheimrat Duisberg von der 
I. G. Farben-Industrie A. G., die fiihrenden Leute des Reichsver- 
bandes der deutschen Industrie. Aber Papen hatte die festeren Ver- 
bindungen zu Springorum und Thyssen, zu Hugenberg und den 
Grossagrariern. Alle Gruppen waren sich darin einig, dass die 

37 



■ oHbipt, als Dolitische Stiilze einer burgerlichen Dik- 
NaUonalsMialwto ate jg ^ Uneinig 

,al K r "Srd"e g Form und den Umfang ihres Anteils an der Reg.e- 
SIC h ube '7 e I 5„° s r s pie i im Reichsprasidentenpala.s. die tausend 

S^pie^diese Different wieder. 

Der Osthilfe-Skaiulal 

Als Ende Januar 1933 Schleicher immer starker die Bedro- 
hung seiner Regierung durch die Machenschaften Papeus und der 
rril ihm verbundeten Grossagrarier spfirte, als lt immor star- 
ker vom engeren Hindenburg-Kreis abgedrangt wurde griff er 
zur Gegenwehr durch eines seiner jahrclang bewahrten Manover, 
Unceheuerliches Material iiber die ,Osthilfe»-KorrupUon der 
erossagrarischen Junker gelangte in die Zeilungen. Die wk- 
tatieen Massen waren emport. Im Reichstag wurde cm Unler- 
suchmigsausschuss gebildet. Der Skanda) drohte. Hindenburg 
selbst in seinen Bannkreis zu Ziehen. 

Schon unter dera Reichskanzler Herrmann Muller ha lien die 
Junker Millionen zur Sanierung ihrer bankrotten Giiter durch die 
so<*enannte Osthilfe erhalten. Die Kleinbauern bekamen bei dei 
Verteilung der Gelder so gut wie nichts. Die grossen Herren 
steckten den Lowenanteil ein. Es wurde nun im Untersuchungs- 
ausschuss des Reichstages Ende Januar 1933 enthullt. ^ dass da- 
neben «unberechtigterweise» die reichen Grossgrundbesitzer viele 
Hunderttausende erhalten hatten. Sie hatten sich diese Summen 
regelrecht erschwindelt. Der millionenschwere Kammerherr yon 
Oldenberg-Januschau, Besilzer von sechs Rittergiitern, person- 
licher Freund und Gutsnachbar Hindenburgs, hatte sich 621.000 
Mark durch falsche Angaben verschafft. Die Grafen Wolf und 
Adalbert von Keyserling-Casterhausen nahmen 700.000 Mark. Ein 
Herr von Quast-Rabensleben, der nach Angaben des Finanzamtes 
Ruppin sein Vermogen verspielt, verhurt und versoffen hatte. 
«verschaffte» sich 281.000 Mark. Die Herren Bronsart in Bran- 
denburg und von Wolf in Stettin, Leiter von Osthilfe-Landstellen, 
haben sich selbst umgeschuldet und Zehntausende in die eigene 
Tasche gesteckt. Der Rittergutsbesitzer Kroek im Kreise Wehlau 
iiberschrieb seinen Viehstand auf seine Frau, um 154.000 Mark 
Osthilfe-Gelder einzuheimsen. Trotzdem ging er in Konkurs. 
Seine Frau verschleuderte den Viehstand, gab den Erlos der 
Tochter, die dann bei der Versteigerung das Gut zu einem Spott- 
preis fur die Eltern zuriickerwerben konnte. 

Taglich tauchten neue Namen auf. die in den «Osthilfe-Skan- 
dal» verwickelt waren : Gutsnachbarn des Reichsprasidenten von 
Hindenburg, die bei ihm auf dem Gut Neudeck aus- und ein- 
gingen. Man wurde im Hause Hindenburg sehr unruhig. Denn 

38 



es war der jetzt blossgesteilte Junker von Oldenburg-Januschau 

gcwesen, der zu Hindenburgs 80. Geburtstag industrielle Verbande 

und Einzelpersonen bewogen hatte. dem Reichspriisidenten seta 

Stammgul Neudeck als Geschenk zu uberreichen. Fur das Gut 

■war damals keine Schenkungssteuer gezahlt worden — und es 

■war nicht dem Reichspriisidenten, sondern seinem Sohn, dem 

Obersten und Adjutanten, tiberschrieben worden. Der Staat war 

also auch um die kunftige Erbschaftssteuer belrogen worden. 

Zweimal hatten die Junker und die Industriellen schon fur die 

Emeuerung des Inventars und der Rauten des Gutes Neudeck 

Geld gesammelt. Sie sammelten zum dritten Male, um das Gut 

rentabler zu machen. Die Schlaramflut des Osthilfe-Skandals 

drang bis ins Reichsprasidenten-Palais. 

Die Junker berieten: Schleicher muss weg! Schon Briining 
war auf Belrciben der Grossagrarier — damals mit Schleichers 
Hilfe — a us dem Reichskanzleramt entlassen worden. 



Hitler wird Reichskauzler 

Am Morgen des 28. Januar tritt die Regierung Schleicher 
zuriick, nachdeni Hindenburg dem Kanzler-General die Vollmacht 
zu einer Reichstagsauflosung verweigert hat. Dagegen erhalt Papen 
von Hindenburg den Auftrag, mit Hitler iiber die Bildung einer Re- 
gierung der «nationalen Konzentration» zu verhandeln. Zwei Tage 
voll unerhorter Spannung: die Kommunistische Partei verbreitet 
FlugbMlter, die zum Generalstreik gegen die drohende Hitlerdik- 
tatur rufen. Schleicher verhandelt mit Leipart. Der Kampf hinter 
den Kulissen spitzt sich zu, Schleicher spiell in der Nacht vont 
29. auf 30. Januar mit dem Gedanken der sofortigen Verkiindung 
der Militardiktatur, mit dem Marsch der Potsdamer Garnison 
naeh Berlin. Jede Stunde kann iiberraschende Ereignisse brin- 
gen. Da entschliesst sich Hindenburg, unter bestimmten Bedin- 
gungen. Hitler sofort die Kanzlerschaft zn iibertragen. So kommt 
uberstiirzt am Morgen des 30. Januar die Regierung Hitler-Papen- 
Hugeoberg zustande. 

Im Juni 1932 hatte sich die Regierung Papen-Schleicher auf 
die Tolerierung der Nationalsozialistisohen Partei gestutzt. Gobbels 
hat die Leute vom Herrenklub spater angeklagt, dass sie «auf 
dem breiten Rucken der NSDAP behende in die Amllichkeit ge- 
klettert* seien. Noch im November 1932 erklarte der national - 
sozialistische Fraktionsfuhrer im Preussischen Landtag, Wilhehn 
Kube, die Nationalsozialisten wurden niemals unter dem Schlacht- 
ruf : «Mit Hugenberg, fur Borse und Kapital !» marschieren. In 
monatelanger Arbeit hinter den Kulissen hatte aber Herr von 
Papen vorbereitet, class die Nationalsozialisten ihre donnernden 

39 



RrklSrunffen und pathetischen Beteuerungen wie uberflussigen 
illlaS lb£ Bord warfen, als Hindenburg sie net > 

^ Dk K^izlerschaft fiei Hitler nicht als die Fmcht ernes he- 
roisahen Kampfes in den Schoss. Es war kerne «na tionale Revo- 
E£ die sich am 30. Januar vollzog und im kuhnen ABgriff 
die Maiht eroberte. Adolf Hitler erhielt uberraschend den Kanz- 
l^osten, als die fuhrenden Gruppen der herrschenden Klasse 
Ml nu^ auf eine Verstarkung ihrer Gewalt gegen die Arbei er 
dSngten, sondern auch den Geruch des Osthilfe-Skandals eihg 

erStl AIs n am°Abend des 30. Januar die SA und der Stahlhclm mil 
lodernden Fackeln durch die Wilhclnistrasse marschierten, als 
sie Hindenburg und Hitler zujubelte, ahnte sie nichts von den 
wirklichen Vorgangen. Die SA-Manner und Stahlhelmer die den 
.Tag der nationalen Erhebung* feierten, wussten nicht, dass Fro- 
fitsucht und Korruption ihm Pate gestanden batten. 

Die Welle des Widerstands steigt 

Die Kominunistische Partei macbte am 30. Januar 1933 dem 
Parteivorstand der Sozialdemokratie, den Vorstanden der sozial- 
demokratisch gefuhrten und der christlichen Gewerkschaften den 
offiziellen Vorschlag, gemeinsam den Generalstreik fur den Sturz 
der Hitler-Regierung zu organisieren. Die Antwort der Sozial- 
demokratie und der Gewerkschaften war : Hitler sei legal zur 
Macht gekommen. Man musse abwarten, bis er die Legalitat 
breche. Man diirfe jetzt nicht kampfen. Der Tenor der sozialde- 
mokraiischen Presse war, Hitler werde bald abwirtschaften. 

Grosse Teile der deutschen Arbeiter vertrauten diesen Erkla- 
rungen. Es gelang der Kommunistischen Partei noch nicht, durch 
eigene Kraft die Mehrheit der Arbeiterklasse in den Kampf zu 
fiihren. Die rasch zusammengekittete Hitler-Regierung ware dem 
vereinten Ansturm der deutschen Arbeiter in den ersten Februar- 
Tagen nicht gewachsen gewesen. Die SA war soeben durch eine 
heftige Krise gegangen und hatte teilweise bis zur Halfte ihres 
Mitgliederbestandes verloren. Der Polizeiapparat war noch nicht 
zuverlassig in den Handen der neuen Regierung. Sie hatte Schwie- 
rigkeiten mit Schleichers Reichswehr. Durch das Ausbleiben des 
soforligen Generalstreiks gewann nun die Hitler-Regierung Zeit, 
ihre Machtmittel zu entfalten. 

Trotzdem wuchs der Widerstand der Arbeiter in Berlin, in 
Hamburg, an der Ruhr, am Niederrhein, in Mitteldeutschland 
und in alien Teilen des Reiches. Die Hitler-Diktatur hatte gegen 
sich eine Arbei terschaft, deren Kampf kraft noch nicht gebrochen 
war. Die Arbeiter hatten sich am 22. Januar nicht provozieren 
lassen. Unter ihnen entfaltete sich jetzt gegen den verstarkt wu- 

40 



Der Kanzler des „l>rittcu Reichcs" 




Hitler spriehl: 



<Das ist ein von Gott gegebeues Zeicheu, »iemand 
wird xins nua daran hinder*, die Konnmimsten 
rait eisemer Faust zu vernichten.» 

liillcr an J" Branclstnltc) 



Dor Propagandaniinister clcs „Dritton Reiclies" 




Dr. Josef Goebbels, der den Plan zum Reichstagsbrand erdachte. 



cZeistampft den Kommunismus! Zerschmettert 
die SozialdemokratieU 

(Losung auf Gttbbd's Platalcn nadl dcm Reiclisfogsbrandl 



beiter verbruderten sich ^ffy^^^Z^^ Ar " 

b&uden und GewerkschaftshfiuseVn/MSffl 

bieten, Demanstrationsverbote verhnnSS . Uni «a /eilun ^n ver- 

Welle des antifaschistischen SSd^^ TrbSfef ^ 

Der Zwang zur Provokation 

Hitler war wochenlang an der Macht, aber die Situation war 
fur ihn kcmeswegs gunstig. Das neue Kabinett hatte den Reichs 
tag aufgelost und Neuwahlen ausgeschrieben. Die Terrorverord- 
nungen Papens wurden in verscharfter Form wieder hergestelll 
Der Osthilfe-Skandal wurde in einem geheimen Ausschuss begra 
ben. Hitler verkundete durch den Rundfunk mil verschwornme- 
nen Worten seinen nichtexistierenden «4-JahrespIan». Mit ein 
paar Notverordnungen und vagen Versprechungen konnten je- 
doch die Millionenmassen seiner Wahler, die auf die Verwirk- 
lichung des «deutschen Sozialismus» hofften, nicbt zufrieden We- 
stell t werden. 

Hitler war Ende Januar gezwungen gewesen. unter den ein- 
engenden Bedingungen Hindenburgs in die Regierung zu gehen. 
Es gab fur seine Bereitschaft zum Kompromiss damals eine Reibe 
von Grunden : Unzufriedenheit bei Mitgliedern und Anhangern, 
Krise und zahlreiche Austritte in der SA, unbezahlte Millionen- 
schulden der NSDAP. In burgerlichen Kreisen hatte sich ein Teil 
friihercr Naziwahler den Dcutschnationalen zuzuwenden be- 
gonnen. Komnuinisten hatten am 6. November 11 Reichstags- 
mandate gewonnen. wahrend die Nationalsozialisten 35 Mandate 
verloren. In der neuen Regierung standen 3 nationalsozialistische 
Minister acht Vcrlretern der Dcutschnationalen und des Stahl- 
helms gegenuber. Ohne die Zustimmung Hindenburgs durfte 
keine Veranderung im Kabinett vorgenommen werden. 

Hitlers Wahlaussichton waren bei der wachsenden antifa- 
schistischen Kampfstimmung der Arbeiter ungunstig. Hugenberg 
und die Dcutschnationalen hielten alle wirtschaftlichen Kom- 
mandohohen in der Regierung besetzt, und grosse Volksmassen 
sahen, dass Hitler die Politik der schlimmsten kapitalistischen 
Scharfmacher durchzufuhren begann. Die Enttauschung der 
Masscn rausste in dera Wahlresultat des 5. Marz ihren Ausdruck 
finden. Ein neues Wachstum der koinrnunistischcn Stimmen 
drohte. Es ergab sich fur die natkmalsozialistischen Fuhrer die 
dringende Notwendigkeit, durch eine gross angel eg to 
Provokation die Situation zu andern: Die Wah - 
len sollten in einer Pogromstiinmung gegen Kommunisten und 

41 



Sozialdemokraten durchgcfiihrt werden. Gleichzeitig sollte die 
nationalsozialistische Position inncrhalb der Regierung mil eineiM 
Schlag verstarkt werden. *) 

Gobbels lieferte den Plan zu der schurktschsten aller Provo- 

kationen, die jemals die herrschenden Klassen gegen das anstiir- 

mende Proletariat angewandt haben. Goring. ReichstagsprasidenL 

und Kommandeur der preussischen Polizei, sorgle fiir die exakte 

Durchfiihrung des tiickischen Planes. Hatlen die Nationalsozia- 

listen urspriinglicb fiir die Nacht void 5. auf den S. Marz einen 

Marsch der gesamten SA nach Berlin geplant und war dicse Ab- 

sicht an der Drohung ihrer Verbiindeten, dann die Reichswehr 

gegen die SA marschieren zu lassen, gescheitert, so war jetzt 

mit dem grossen Provokationsplan ein Millel gefunden, dem na- 

tionalsozialistischen Drangen zur ganzen Rcgierungsmacht und 

zur Entfesselung des schrankenlosen SA-Terrors freie Bahn zu 

sehaffen. 

Die nationalsozialistischen Ffihrer schritten zur Aktion. Der 
deutschnalionale Polizeiprasidcnt von Berlin, Dr. Melcher, wurde 
nach Magdeburg versetzt. An seine Stelle trat ein Nationalsozia- 
list, der Kontreadmiral a. D. von Levetzow. Am 24. Februar wurde 
das Berliner Karl Liebknecht-Haus, das Gebaude des Zentralko- 
mitees der Kommunistischen Partei Deutschlands, vvieder einnial 
von der Polizei durchsucht. Obwohl das Karl Liebknecht-Haus 
bereits wochenlang von der Polizei besetzt gehalten und nach 
ergebnisloser Untersuchung wieder geraumt worden war. wurde 
jetzt plotzlich «schwer belastendes» Material gefunden. Am Tage 
vor dem Reicbstagsbrand erschienen riesige Schlagzeilen in der 
gesamten burgerlichen Presse iiber die «Geheimnisse» des Karl 
Liebknechthauses, uher «unterirdische Gange», hochverraterisches 
Material* und «bolschewistische Umsturzplane*. Zeitungen be- 
richteten von einem angeblichen kommunistischen Eisenbahn- 
attentat in Ostpreussen (niemals spater ist von diesem Attentat 
mehr die Rede gewesenl). Am 25. Januar brach im Berliner 
Schloss ein kleiner Brand aus, der in sensationeller Weise als 
okommunistische Aktion» aufgemacht wurde. So wurde die 
Oeffentlichkeit von Zeitung zu Zeitung, von Tag zu Tag auf den 
«grossen Schiag» vorbereitet ! 

Die Kommunistische Partei erhielt zuverlassige Nachrichten, 
dass die Regierung eine Provokation plane. Der Abgeordnete Wil- 
helm Pieck sprach im Sportpalast dariiber. Er enthiillte die Plane 



*) Es begaan jener Kampf der Nationalsozialisten urn die Monopoletel- 
limg in der Regierung, in dem spater die Deutschnationaleii Schritt ffl* 
Scbritt zuriickgedrangt wurden und nack vier Monaten neben dem Riick- 
tritt Hugenbergs die Auflosuug der Deutschnationalen Partei erzwnngen 
wurde. 

42 



der Nazi auf ein vorget&uschles Attentat gegeu Hitlei oder eine 
andere Provokation. die wenigc Tage vor dei Wahl ein Yerbol 
der kommunistlschen ParLei herbeifuhren sollle- Die kommuui- 
slische Reichstagst'raktion gab vor einer Konferenz auslandischer 
Pressevertreter eine ahnliche Erklarung ab. 

Die hitlertreue Presse steigerte die ihr befohlene Hetze gegen 
die revolulionare Arbeiterschafl aufs iiusserste. Jeder politische 
Menscb spiirle in Deutschland die bis zuui Zerreissen gespannte 
polilische Situation. Jeder spur to, dass «etwas in der Lull liegt*. 
Da verkiindete in der Nachi vom 27. auf den 28. Fetruar der 
Rundi'uiik fiber alle deutschen Sender. 

*D e r Reichstag b r e n n t W 



M 



Van der Lubbe, das Werkzeng 

In der Nacht vom 27. zum 28. Februar gehen Sitzungssaal 
und Kuppel des Deutschen Reichstages in Flammen auf. In einer 
Wandelhalle ergreift man einen der Brandleger : Marinus van 
der Lubbe, der sich nach dem amtlichen Preussischen Presse- 
dienst angeblich als «Mitglied der Kommunistischen Partei Hol- 
lands* bekennt Rundfunk, Telegraf, Telefon, Presse und Nach- 
riehtenagenturen brullen im Auftrag der Hitlerregierung ins 
Land: «Die Kommunisten haben den Reichstag angezundetU 

Die Auffindung dieses Marinus van der Lubbe im Reichstag 
bildete fur die Hitlerregierung formal und juristisch den 
Vorwand zu dem unerhorten Pogrom gegen die KPD, die SPD 
und die Juden, zu den Massenverhaftungen, Organ isationsver- 
boten, Folterungen und Ermordungen, die in der ganzen Welt 
mit dem Namen Hitler-Deutschland den Begriff der grausamsten 
BaFbarei verbunden haben. Wer ist dieser van der Lubbe? Wie 
kam. er in den brennenden Reichstag? 

Die Jugend des van der Lnbbe 

Am 13. Januar 1909 meldet der hausierende Kaufmann Fran- 
ziskus Cornells van der Lubbe auf dem Standesamt in Leiden 
die Geburt ernes Knaben. Als Zeugen fungieren der beschafti- 
gungslose Isaak Cornet und der Strassenkehrer Gerardus Beurse, 
Das Kind erhiilt den Namen Marinus. Die Mutter, Petronella 
van Handel, ist mit Franziscus Cornelis van der Lubbe in zweiter 
Ehc verbunden. Tochter eines reichen Bauern aus Nord-Branant, 
heiratete sie in jungen Jahren den Kolonialunteroffizier van 
Peuthe. Sie gebar ihm eine Tochter und drei Sonne. Peuthe start) 
verhaltnismassig Jung an einer Krankheit, die er sich in den 
Kolonien geholt hatte. Seine Witwe ehelichte kurz nach seinem 
Tode den Hausierer van der Lubbe, der in Leiden em Geschaft 
betrieb. Dieser Ehe entsprangen drei Sohne. Marinus war das 
siebente und letzte Kind der Petronella van Handel. 

Die Ehe van der Lubbe ist nicht gliickhch Der Bmifdea 
Mannes treibt ihn fur Tage und Wochen in *e umhegenden 
Dorfer wo er den Bauern seine Galantenewaren verkauft Die 
meiste; Verkaufe werden in Gasthausern ««f ^«P« ^ 
schlossen. Man gew6hnt sich ans Trinken. Der ^^""J"^ 
lich nur Mittel zum Geschaftsabschluss, wn-d zum Freunde aucn 



sK^ d sr^ lunden - *— — *«* -„ der 

Teil in die Kneipe. HaLhS^nTe'oJ™^ ZUm 8 ™ sslen 
und wenig. Die Mutter SS da^NftL 8 „" " Ur Selte » 
Kinder durchzuiuUern. CXbS steht ^i/'h-T"', Um die 
denpult de S kleinen Geschff.ef in fiide£ ahenf ^ ^ 
die Wirlschafl in Ordnung, slonf. flS' , ab . ends . u bnn g l sie 
standig von einem schvverert Astt a SSUXTSi X,"5 
dass ein Klimawechsel notwendig 1st D e FamlL Ar f l .f kIart . 
Breda, spater nach Hertogenbosch. £'ri 5jEt d^uS« 
trennt sich Franz^cus Cornells van der Lubbe von seiner FaSe 
fcr Iasst sich in Dordrecht nieder und eroffnet dort ein kleines 
Galanteriewarengeschaft, das er noch heute fiihrt. 

Petronella van Handel betreibt in Breda, spater in Hertoeen- 
bosch, lhren kleinen Handel weiter. Fur die Erziehung der Kin- 
der bleibt ihr keine Zeit. Sie beschrankt sich darauf, ihre Kin- 
der religios zu beeinflussen. Vom Dorfe, vom Elternhause her ist 
sie anFrommigkeit gewdhnt, und sie bemiiht sich, ihren Kin- 
dern die gleiche primitive Glaubigkeit einzupflanzen. Der junge 
Marinus geht in Hertogenbosch in die protestantische Schule des 
Domine Voorhoeve. Er lernt nur miihsam schreiben. Im Re- 
ligionsunterricht ist er unter den Besten. Jeden Sonntag trottet 
er neben Mutter und Gescliwi stern zur Kirche. 

Im Hause der van der Lubbes herrscht eine driickende 
Atmospharc. Die Heiligenbilder an der Wand mahnen zu From- 
migkeii und Gottesfurcht. Die Mutter weiss oft nicht, -wo sie das 
Geld fur Essen hernehmen soil. Das kleine Geschaft in Hertogen- 
bosch kann sechs Sohne nicht ernahren. Die einzige Moglichkeit 
fur sie: Arbeiter zu werden. Herkunft und Erziehung macheu 
den Entschluss nicht leicht. Obwohl im Hause der van der 
Lubbes oft bittere Not herrscht, ist es doch ein Kleinbiirgerhaus. 
crfullt von den Sehnsuchten und Hoffnungen des Handlers. Der 
Hunger treibt die jungen van der Lubbes in die Armee des Pro- 
letariats. Sie tauchen unter im Heer der Hunderltausende, die in 
Holland die Fabriken, und als Landarbeiter die Bauernhofe be- 
volkern. Sie tauchen unter, aber sie assimilieren sich nicht. Noch 
heute stosst man, wenn man mit einem der Briider und Halb- 
briider des Marinus van der Lubbe spricht, auf eine Wand von 
kleinburgerlichen Illusionen. 

Der Tod der Mntter 

Die Halbschwester des Marinus lebt in Leiden als Frau des 
Wascherciarbeiters Snardijn. Am 16. April 1921 erhalt sie die 

45 



Nachricht, dass der Tod der Mutter nahe bevorsteht. Es ist der 
Wunsch der Mutter, dass Marinus im Hause seiner Halbschwestei 
aufwachst. So komml Marinus als elfjahriger Junge nach Oegst- 
geest bei Leiden in das Haus des WSsehereiarbeiters Snardijn. 
Zu den drei Kindern der Snardijns, die in der engen Wohnung 
spielen, gesellt sich als Aeltester Marinus. 

Wir wissen aus Berichlen seiner einstigen Mitschuler, dass 
Marinus van der Lubbe schon in der Schule von dem Bestreben 
besessen war, sich hervorzutun. Im Hause der Snardijns ist es 
Ieicht, unter den Kindern, deren Aeltestes funf, sechs Jahre 
alt ist, der erste zu sein. Vier Zauberkunststiicke geniigen, urn 
die Herrschaft zu sichern. Marinus iibt sie drakonisch aus. 

Die Schwester hat der Mutter auf dem Totenbett geschwo- 
ren, Marinus in Frommigkeit zu erziehen. Wieder wandert er 
jeden Sonntag — nun mit der Schwester und ihren Kindern — 
zur Kirche. Die Schwester erzahlt, dass er damals ein frommer, 
gottesfiirchtiger Junge gewesen sei. War es wirklich nur Gottes- 
furcht, die ihn Sonntags in die Kirche fiihrte? Fiihlte er sich viel- 
leicht magisch angezogen von der Macht, die der Pater in der 
Genieinde hatte? In jener Zeit wuchs in ihm der Gedanke> Geist- 
licher zu werden, Fiihrer einer Gemeinde, die ihm bedingungslos 
folgte. Als zwolfjahriger Junge spricht er oft und ausfiihrlich 
von der kirchlichen Laufbahn, die er einschlagen will. 

In den Pausen zwischen den Lehrstunden versucht er sich 
nicht selten als Prediger. Die Kameraden hanseln ihn mit dies-er 
Freude am Predigen. 

Sie necken ihn aber audi wegen seiner Scheu vor 
Madchen. Diese Besonderheit des Marinus van der Lubbe 
ist so stark und augenfallig, dass seine friiheren Schulkarne- 
raden heute noch ubereinstimmend davon erzahlen. Er war 
nicht zu bewegen. in Madchengesellschafl zu gehen. Er suchle 
seine Liebe in den Reihen der Schulknaben und Altersgenossen. 

Zur Kirchenkarriere bedarf es eiaes langen Sttidiums. Zum 
Studium gehort Geld. Der praktische Sinn des Wascherciarbeiters 
Snardijn sorgt dafiir, dass Marinus van der Lubbe mit vierzehn 
Jahren ans Geldverdienen geht. Er wird Lehrling in cinem Ge- 
schiift und arbeitet dort zwei Jahre. Nach Geschaftsschluss geht 
er in die katholische Abendschule. Der protestantisch erzogenc 
Marinus kommt hier mit einer Welt in Beriihrung, die ihm 
bisher fremd war. 

Van der Lubbe ist von der Arbeit im Geschaft nicht befrie- 
digt. Wohl hat sich der Handelsgeist des Vaters auf ihn ver- 
erbt, wohl macht es ihm Spass, hinter dem Ladenpult zu stehen 
und den Kunden moglichst viel zu verkaufen, aber die Zukunfts- 
aussichlen sind zu klein. In langen Aussprachcn mil seinew 

4(3 



Sob-wager Snarchjn versucht Marinus die Moglichkeit eines neuen 
tu-ruls zu idaren. Marinus van der Lubbe maeht, »ach den 
klarungen semes Schwagers Snardijii. nebeneinander die 
luihnsten and die bescheidensten Plane. Ein Blumcngeschaft ein 
richten - eme Nveltreise macho i, so weit spannt sich det 

ogen m semen IYauinen. Die Wunsche enden im Entschluss 
Maurer zu werden. 

Der scchzchnjahrige Marinus van der Lubbe 1st ein unter- 
setzter, gedrungener Junge von so kraftigem Korperbau, dass ihn 
seine Kameraden « Dempsey » nennen. Er demonstriert seine 
Kraft bei jeder Gelegenheit. Umso unerklariicher ist den 
Maurergesellen, mit denen or jetzt zusammen arbeitet, dass Mari- 
nus van der Lubbe eine solche Scheu vor Frauen hat. 

Arbeitskameraden von Marinus haben uns iiber Gesprache 
berichtet, die er in jenen Jahren mit ihnen hatte. Sie konnten 
uns selbstverslandlich die Gesprache nicht wdrtlich wiedergeben, 
vieles haben sie vergessen, manches Bedeutungslose ist haften ge- 
blieben. Aber iibereinslimmend berichten sie iiber eines: sie er- 
zahlen alle vom Drang des Marinus van der Lubbe, sich hervor- 
zutun, abzustecben von den andern. Sie sprechen von seinem 
fanatischcn Streben, el was « Besonderes » zu sein. Die Berichte 
sine! so eindeutig — sowoh] der Arbeitsgenosscn, als der Schul- 
kameraden, als auch seiner Verwandten — . dass kein Zweifel 
daran beslehen kann. Der junge Marinus van der Lubbe war von 
Kilelkeit und Ruhmsucht besessen. 

Ein schwerer Onfall 

Die tagliche Beriihrung mit einem neuen Menschenschlag, 
mit Arheitern bring! in Marinus* Leben manche Aenderung. Bis- 
her hat er gehort und gelernt, dass Gottesfurcht das hochste aller 
Giiter sei. Dor sonntagliche Kirchgang war ihm ein Bediirfnis, 
die Ordnung, nach der es Reich und Arm gibt, eine Selbstver- 
standlichkeit. Nun stosst er auf andere Anschauungen. In den 
Arbeitspausen wird nicht von Gott gesprochen, umso mehr von 
den Lohnverhaltnissen. Die bestehende Ordnung ist nicht selbst- 
verstandlich und nicht ewig. Sie zu stiirzen, eine Notwendigkeit. 
Der junge Marinus van der Lubbe hort diese Gesprache taglich. 
Er nimmt sie auf, aber er verarbeitet sie nicht. Es geht ihm wie 
inen Briidern. Er wird Arbeiter, aber er bleibt Kleinbiirger. 

Ein Zufall bring! eine einschneidende Aenderung in sein 

Leben. In der Mittagspause stulpen ihm zwei Kameraden einen 

en Sack aber den Kopf. Ein Kulkstiick gerat ihm dabei ins 

Marinus lei-del drei Wochen an einer Augcnenlziindung. 

Kurze Zeit darauf erlebt er einen neuen, vie! sdrwereren Unfall. 

einem Eimer spritzt ihm wiederum Kalk ins Auge. Die Polge 

47 



, ,1-hpit die ihn fur fiinf Monate ins 
ist eine schwere Au^^g wird dre imal operiert. Als er 
Leidener Krankenhau- .bnng ^^ beider Augen bedeu . 

das Krankenhaus verlasst f ^ Erblmd g . 

tend geschwacht. Es bcstc di 7U einer Verstarkung sei- 

Das Augenjeiden muss nom b ^ ^ Rulimsucht 

ner hervorstechends^n E^ch ^^ bestrebt E t 

U nd der E ' te . k a f V^^ifedensten Einfliissen ausgesetzt, be- 
sein, ungefesUgt den ^"cn hervorzulun , sie ht pkrtxlich die 
sessen von dem f ^ange, s« ^ ^ Furcht gepacklt 

das Le b en °icht zu Ende zu ehe er §em Z]el 

Licht des Tages J „ verse* ^ ^ ^ 
erreicht. Jin Zie" we ^ ne bensachlieh. Bauptsache 

S "held d^GedLke an den Erfolg, die Sucht, « von 

SiCh Ku d r" SI*^ den schweren Unfall erleidet tritt Marinus 
van ?er Lubb in den Kommunistischen Jugendverband zu Lei- 
den ein Die Kommunistische Partei Hollands war damals m den 
Anfangen der Organisierung. Der Jugendverband in Leiden be- 
gann sich eben zu formieren. Marmus van der Lubbe tritt dem 
Verband bei, well er die Kraft spurt, die von der Bewegung aus- 
gehf. Er fiihlt ihre Krafte, aber er bat nicht die Standhaftigkeit, 
welc'he die kommunistische Partei von ihren Mitgliedern verlangt. 
Marinus van der Lubbe ist in standigem Konflikt mit der kom- 
munistischen Jugendorganisation. Als er eintritt, glaubt er, 
schnell aufzusteigen. Er sieht in der Organisation nichts als ein 
Versuchsfeld fur seine ehrgeizigen Wiinsche. Wenn seine Wiin- 
sche nicht befriedigt werden, schreibt er eine Austrittserklarung. 
Marinus van der Lubbe ist viermal aus dem Kommunistischen 
Jugendverband Leidens ausgetreten und dreimal wieder einge- 
treten. Jedem neuen Austritt ging der Versuch voran, die Fiih- 
rung an sich zu reissen. Sein erster Austritt erfolgte im Januar 
1929, weil er nicht zum Leiter der Pionierorganisation ernannt 
wurde. Wir veroffentlichen nur einen der zahlreichen Briefe, die 
Marinus van der Lubbe an den Jugendverband in Leiden geschrie- 
ben hat. Das Schreiben ist fiir das Verhalten van der Lubbes 
charakteristisch. 

Leiden, den 13. Dezember 1929. 

An die permanent^ Kommission der Sektion des kommunisti- 
schen Jugendverbandes in Leiden. 

Werte Genossen, 
In Verfolg des Briefes der permanenten Kommission aber meine 
Bitte, eine erweiterte Kommiesionssitzung einzuberufen. muss 

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jch feststellen, dass Ihr meine Bitte, eine erweiterte Koinmissions- 
sitzung einzuberufen, im Grossen und Ganzeu nicht versteht, und 
dass diese Weigerung, ob nun bewusst oder nicht. einen schweren 
irrlum vom Standpunkt der Organisation darstellt. 

Ihr seid der Meinung, dase diese Frage nicht vor die Versamm- 
lung des H. H. gebracht werden darf. Ihr wei'det, wonn Ihr auf diesar 
Weigerung besteht, den Interessen Eures eigenen Stand punktes und 
dem der Sektion schaden. Audi mciehte ich Euch durch diesen Brief 
darauf aufmerksam machen, dase fiir eine neue Diskussion (die 
meiner Ansicht nach sehr wichtig ist) des Arta'kels, den ieh geschickt 
faabe, und meiner beiden Artikel, die :ch ausserdem geschicki habe. 
eine enveiterte Kommissiorj6sitzung und eine Schlussabstimraung 
iiber diese Frage notwendig sind, uad ich wurde dann wissen. woran 
ich bin, wahrend icb ohne diese gewunschte Sitzung diese Frage ah 
nicht behandelt betrachts, und dann wurde ich Masenahmen treffen. 
urn diese Frage der Mitgliederversammlung zur Kenntnis zu brio- 
■ren, was von mir nicht gewiinscht wird (und von Euch auch nicht) 

Deshalb schlage ich eine Sitzung der permanenten Kommissioo 
fiir deu niichsten Sonntag vor (also eine Sitzung der erweiterlen 
[Commission) (was eine Bedingung ist), denn wenn ich es andera 
machen wurde, wurde ich die ganze Sektion verargern. 

Einliegend schicke ich Euch eine Erklarung, die meine Stelhing 
zu den Wiinschen von Dirk van Roojen Rnthalt. 
Mit kameradschaftlichem Grusa : 

Folgt Unterschrift des Van der Lubbe. 

P. S. Nur die jetzt geschickte Erklarung fiir Dirk van Roojen 
muss vollstandig behandelt werden.* 

Die Jagd nach Geltung 

Das Leben des Marinus van der Lubbe nach dem schweren 
Unfall ist eine ewige Jagd nach Geltung, eine Suche nach dem 
Aussergewohnlichen. Kaum ein Augenblick der Selbstbesinnung 
in dieser Unrast. Er versuchl sich in verschiedenen Berufen, aber 
er traumt vom grossen Coup, der ihn mit einem Schlage in die 
vorderste Reihe stellt. Im Winter 1927-28 arbeitet er als Aushilfs- 
kellner im Bahnhofsrestanrant in Leiden, im Sommer 1928 als 
Hoteldiener im « Hof Van Holland » auf Nordwyk. Zwischen- 
durch betatigt er sich als Handler. Er fiihrt einige Wochen auf 
eigene Rechnung einen Kartoffelhandel. Dann arbeitet er als 
Fahrmann auf einer Fahre, die zwischen Nordwyk und Sassen- 
heim Baumaterial befordert. Aber er denkt immer an den grossen 
Schlag. Im Dezember 1929 hat er einen neuen Konflikt rnit dem 
Jtlgendverband, weil er Flugblatter auf eigene Faust herausgibt 
und mit s ein em Namen unterzeichnet. Wir besitzen einen Brief 
des Marinus van der Lubbe aus diesen Tagen, in dem er in einem 

50 



Anfall von Selbstkritik seine Stellung cum Knmmunismus cha- 
rakterisiert. Er sagt in diescm Schreiben: 

<Dies sind Dinge, die beweisen, class ich kein guter Bolschewik bio 
Ich fiihle. dass ich dies jetzt sicher nicht bin (trotzaem ich dem Ka 
nilalisraus und alleru. was damit zusammenhangt, sehr radikal £<- 
LnUberstehe) und es vielleicht me werden kano. Jetzt fuhle ich micta 
bisweilen ganz fremd im Lager (ich tneine damit die Partei).> 
Das Innenleben des Marinus van der Lubbe ist nicht 
nrSziser zu charakterisieren. Sein anarchisches Denken, sein 
Drane nach Aufwirts, seine Disziplinlosigkeit machen ihn fremd 
im Lager einei Partei, die von ihren Milgliedern straffste Dis- 
ziplin verlangl und im Interesse der Sache verlangen muss. 

Die Kaiialdui'chschwimmiing 

Im Sommer 1930 macht sich van der Lubbe auf den Weg 
nach Calais. Nach seiner Riickkehr erzahlt er, er babe sich in 
Calais sein Brot als Erdarbeiter verdient und babe dabei einige 
Versuche gemaeht, den Kanal zu durchschwimmen. Wir haben 
eingehende Ermittehingen daruber angestellt, ob van der Lubbe 
diesen Versuch wirklich gemaeht hat- Wir konnten keine Be- 
statigung daffir finden. Aber gleichgiiltig, ob der Versuch ge- 
maeht wurde oder nicht, ist die ganze Episode bezeichnend fiir 
van der Lubbcs Art zu denken und zu leben. Nicht die Leistung 
ist fiir ihn entscheidend, sondern die Tatsache, dass iiber ihn ge- 
sprochen wird. Der erhoffte Rnhm bleibt aus. Die Erzahlungen. 
mit denen van der Lubbe nach seiner Riickkehr aus Calais zu 
prahlen versucht, stossen bei den meisten auf Unglauben und 
Spott. Obwohl Marinus im Jahre 1930 wieder in den TCommunisti- 
sciien Jugendverband eingelreten ist, wird der Zusammenhang 
zwischen ihm und den anderen Milgliedern immer lockerer. Die 
Organisation hat sich inzwisehen bedeutend gefestigt. 

Van der Lubbe wird immer mehr als frerndes Element emp- 
funden und alles weist darauf hin, dass sein endgiiltiges Aus- 
scheiden aus der Organisation in kiirzester Zeit erfolgen muss. 

Das Haus in der Uiterste Ghrackt 

Das Haus Nr. 56 in der Uiterste Gracht unterseheidet sich 
ausserlich keineswegs von den typischen hollandischen Hausern. 
Aber wenn du mit einem Leidener iiber dieses Haus sprichst, dann 
merkst du, dass es ein besonderes Haus ist, ein Haus, in dem 
mcrkwiirdige Mcnschen hausen und mcrkwurdige Dinge gesche- 
hen. Es gibt Leidener Burger, die dieses Haus fur eine Laster- 
nohle batten. Es wird bewohnt von einem biedern Ehepaar, das 

51 



den Namen van Zijp fiihrt. Der Mann geht tagsuber zur Arbeit, 

die Frau Zijp fiihrt die Wirtschaft. Sie verznietet einige Zimmer 

dieses Hauses. Sie sind sehr einfach und nicht komfortabel. Die 

Miete ist billig, und darum wohnten und wohnen hauptsachlich 

Studenten and Arbeitslose darin. Manchmal auch eine Prosit 

tuierte. Van der Lubbe war lange Zeit einer der Mieter der Frau 

van Zijp, und auch ais er ausgezogen war. kam er beinahe tag- 

lich in dieses Haus. Mit ihm gleichzeitig wohnten der Student 

Piet van Albada, und der Chauffeur Izak Vink, in der « Uiterste 

Gracht ». Eine zeitlang zahlte auch em « geheixnnisvoller » deut- 

scher Student zu den Mietern der Frau van Zijp. Die eben ge- 

nannten Mieter waren alle durch eine gemeinsame Eigenschaft 

verbunden: sie waren homosexuell, der eine oder der andere viel- 

leicht bisexuell. An sich ware diese Tatsache ohne jeden Belan<> 

und nicht erwahnenswert. In unserem Bericht muss sie hervois 

gehoben werden, weil die Homosexualitat van der Lubbe bei sei- 

nen spateren Reisen nach Deutschland mit den Nazis in Verbin- 

dung brachte. 

Piet van Albada hat nach seinem Auszug aus dem Haus 
in der Uiterste Gracht geheiratet, und auch der Chauffeur Izak 
Vink lebt jetzt mit einer Frau zusammen. Trotzdem steht 
fest, dass van der Lubbe zu diesen beiden und auch zu anderen 
in homosexuellen Beziehungen stand. Izak Vink hat unserem Be- 
richterstatter erzahlt, dass er mit van der Lubbe oft in einem Bett 
geschlafen hat. Piet van Albada hatte homosexuelle Beziehungen 
zu einem Leidener Universitatsprofessor. Van der Lubbe ist seinem 
ganzen Wesen nach homosexuell. Seine Art ist weibisch, seine Zu- 
rurkhaftung und Scheu Frauen gegeniiber ist durch viele Aussagen 
erhartet, sein Anlehnungs- und Zartlichkeitsbedurfnis Mannern 
gegeniiber notorisch. 

Ein hollandischer Schriftsteller, der die Verhaltnisse im 
Hause Uiterste Gracht genau kennt und der mit van der Lubbe 
oft gesprochen hat, erzahlt, dass er stets das Gefuhl hatte, van der 
Lubbe wolle sich ihm nahern, habe aber nicht den Mut dazu. 

Wir besitzen ausserdem einen weiteren Beweis fiir van der 
Lubbes Homosexualitat. Van der Lubbe ist auf seinen Reisen und 
Wanderungen mit vielen Handwerksburschen und Jungarbeitern 
zusammengekommen. Als sein Name im Zusammenhang mit dem 
Reichstagsbrand durch die Presse ging, meldete sich ein deutscher 
Jungarbeiter bei uns- Dieser Jungarbeiter hat im Jahre 1931 mil 
van der Lubbe zusammen in einer Jugendherberge genachtigt. 
Er ist mit van der Lubbe ins Gesprach gekommen, und er hat 
iiber dieses Gesprach bei einem Notar protokollarische Aussagen 
gemachl. Die Stelle des Protokolls, die hier fur uns besonders 
•wichtig ist, lautet wdrtlich: 

52 



<So sprachen wir sehr lange. Wfihrend dea Gesprflehs ruckte del 
hollandisehe Arbeiter naher an mien heran. Er versuctate mehrere 
Male, meinen (Jeachlecasteil zu beruhren. Erst als ieh ihra energiscb 
eril&rte, dass ich fur so etwae nichi zu haben bin, liees er davon ab.> 

Die Aufgabe, die diesem Buche gestellt ist, verlangt, dass van 
der Lubbes Leben bis in die letzte Einzelheit beleuchtet wird. Die 

Homosexual itat van der Lubbes hat neben seinem Geltungstrieb 
sein Leben entscheidend beeinflusst. Deshalb ist diese Frage hier 

rnehr als Privatsache. 

„Studienreise" durch Europa 

Die KanaldurchscMwimmung war in jedem Sinne missgriickt, 
als Leistung und als Anlass zum Beriihmtwerden. Im Kopfe des 
Marinus van der Lubbe entsteht ein neuer Gedanke, der den Lei- 
denern imponieren soil. Van der Lubbe plant eine grosse « Ar- 
beiter-, Sport- und Studienreise » durch Europa und die Sowjet- 
cinion. » Er lasst Karten drucken, die ihn und seinen Reisepart- 
ner Holverda zeigen. Das wichtigste an dieser Reise sind ihm die 
Postkarten. Ueber den Kopfen der beiden Burschen leuchtet em 
geheimnisvoller Stern. In vier Sprachen wird auf dieser Karte ge- 
lagt, dass van der Lubbe und H. Holverda durch Europa und die 
Sowjetunion reisen wollen. t . 

Wollen sie dies wirklich? Noch ehe die Reise beginnt, gibt 
es Streit zwischen ihnen. Die Freunde van der Lubbes behaupten, 
der Streit sei ausgebrochen, weil Holverda den Erlos der Postkar- 
ten, die er in Leiden verkaufte, unterschlagen habe. Die Freunde 
Holverdas behaupten, van der Lubbe habe die Emnahmen vom 
Kartenverkauf fiir sich verwendet. Wie dem auch immer war. 
Tatsache ist, dass Holverda in Leiden blieb. 

Hatte van der Lubbe die Absicht, diese Reise dann all em zu 
machen ? Er ist tatsachlich im April 1931 nach Deutschland 
eereist. Auf der Postkarte steht, dass die Reise am 14. April 
Stn Leiden aus angetreten werden soil. Wir besitzen em 
Ansichtskarte, die van der Lubbe aus Potsdam an d le Famih Ho 
verda schrieb. Die Karte ist vom 14. April 193 1 dah erf als o von 
jenem Tage, an dem der Marsch aus Leiden hatte begonnen je* 
den miissen. Am 28. April 1931 wird van der Lubbe in G au 
Westfalen festgenommen, weil er die Postkarten, die ihn una 
seinen Freund Holverda darstellen, auf der Strasse verkauf . Das 
Gericht in Miinster verurteilt ihn zu einer Geldstrafe wegen unbe 
fugten Postkartenverkaufs. Nach dem ^ichstagsbrand hat me 
Hitler-Regierung verbreitet, van der Lubbe se> 1931 in Gronju 
wegen Verkaufs kommunistischer Literatur verhaftet wo den LMe 
kommunistische Literatur bestand in einer Postkarte, auf der van 
der Lubbe und Holverda abgebildet waren. 

53 



Anfang Mai war van der Lubbe wieder in Leiden. Die Euro- 
pareise endete so wie die «Kanaldurchschwimmung». 

Ausschcideii aus deni KoinmuuLstischen Jngendverband 

Anfang April 1931, kurz vor seiner ersten Reise nach Deutsch- 
land, fand auch der aussere Bruch zwischen van der Lubbe und 
dem Kommunistischen Jugendverband statt. Van der Lubbe war 
mil den Leidener Jungkommunisten schon lange durch nichts 
mehr verbunden. Es drohte ihm der Ausschluss aus der Jugend- 
organisation und aus der Kommunistischen Partei. Er kam dem 
zuvor und erklarte seinen Austritt. Von diesem Tage an hat er die 
Kommunistische Partei Hollands bei alien Gelegenheiten, die sich 
ihm boten, bekampft, 

Seine innere Trennung von der Kommunistischen Bewegung 
vollzog sich schon zwei Jahre friiher. Er schrieb am 21. Januar 
1929. als ihn ein Konflikt aim Austritt veranlasste, einen Brief 
an den Kommunistischen Jugendverband, in dem es heisst: 

<Mich hat auf unerklSrliehe Weise eio bestimmter Pessimismus er- 
fasst, Ich vereuchte auf alle mogliehe Weise dagegen zu kimpfen.) 

So ergibt sich das merkwurdige Biid eines jungen Menschen, 
dessen Aeusseres in keiner Weise seinem inneren Zustand ent- 
spricht. Kraftig, so kraftig, das er * Dempsey » genannt wird, 
gesund, scheinbar zur Bezwingung des Lebens wie geschaffen, 
ist er dem Leben in keiner Weise gewachsen. Der Schriftsteller 
E. Knuttel aus Leiden, der mit van der Lubbe oft zu tun hatte, 
charakterisiert ihn ungefahr so: 

< Wen n man mit van dex Lubbe iiber eine beetimmte Frage lange dis- 
kutiert hat, stimmt er zu. Man glaubt. ihn iiberzeugt zu haben Am 
nachsten Tag erhalt man einen Brief, in dem van der Lubbe mitteilt, 
dass er auf seinem alien Standpunkt verbarrt.> 

Parallel mit dieser Verbohrtheit geht eine merkwurdige 
Weichheit, wie sie bei Homosexuellen oft zu finden ist. Daneben 
ein Hang zu liigen und zu ubertreiben. Frau van Zijp. die 
van der Lubbe sehr gut kennt, erzahlt, dass er es mit der Wahr- 
heit nicht genau nimmt. Und auch seine besten Freunde, der 
Maurer Harteveld, der Chauffeur Izak Vink und dessen Bruder, 
Koos Vink, bestatigen van der Lubbes Eitelkeit, die ihn vielfach 
zu Liigen und Uebertreibungen veranlasst. 

Die Bekanntschaft van der Lubbes mit Dr. Bell 

Als van der Lubbe von seiner ersten Deutschlandreise im 
Fruhjahr 1931 nach Leiden zuriickkehrt, erzahlt er seinen Freun- 
den von einem Herrn, der ihn in seinem Auto zu einer grosser) 

54 



Tour milgenommen habe. Wir wissen nicht, ob die Angaben van 
der Lubbes slimmen, oder ob er diesen llerrn aus Leipzig erfun- 
rien hal Wir wissen abei\ dass van der Lubbe bei dieser ersten 
Reise nach Deutscbland die Bekanntschaft mil einem Manne 
inachte, die fur Lubbes Schicksal von entscheidender Bedeutung 

war. 

In dieser Zeit spielte ein naturalisierler Schotte, Dr. ueorg 
Bell in der nationalsozialistischen Bewegung eine grosse RoUe. bi 
ist ungefahr ein Jahr Spater mit einigen seiner Freunde scharf n 
Verfolgungen seitens einiger SA-Fiihrer ausgesetzt gewesen, so- 
dass er fur sein Leben fiircblete. Wir scbildern an anderer StelJe 
seine Ermordung- Einige seiner Freunde haben uns uber die Ver- 
bindungen Dr. Bells und liber seine Rolle in der Nationalsozia- 
listischen Partei wichtige Aussagen gemacht. Ein Freund Dr. Bells, 
Herr W S-, hat in einem Protokoll die Bekanntschalt Bells mil 
van der' Lubbe genau geschildert. Die Slelle im Protokoll lautet 
wortlich: 

«Bell erzahlte mir, weno ich mien recht erinnere, war das im Mai 
1931 dass er die Bekanntschaft eines jungen holliindischen Arbeiters 
gemacht hat, der ihm sehr gut gefiel. Er muss ihm auf einer Auto- 
fahrt in der Gegend von Berlin oder Potsdam begegnet sein. Sie tra- 
Fen auf der Strasse einen Wanderburschen, den sie im Auto mitnah- 
men. Das war ein junger hollUnclischer Arbeiter. Der junge Hollan- 
der hat Bell spater auch in Miinchen besucht. Bell nannte ihn Reous 
oder Rinus. Er iet 6fter mit ihm zusammengekommen.* 

Seit dieser Zeit blieb van der Lubbe mit Dr. Bell in Stan- 
digem Briefverkehr. Die personliche Verbindung mit Bell hat er 
im September 1931 wieder aufgenommen. 

Reise nach Miinclien 

Van der Lubbe bleibt nicht lange in Leiden. Im September 
1931 macht er sich wieder auf den Weg nach Deulschiand. kr 
beauftragt seinen Freund Koos Vink, die Invalidenrente von / 
Gulden wochentlich, die van der Lubbe zugcsprochen ist, zu kas- 
sieren und aufzubewahren - . 

Bei seiner Wanderung durch die Rhemgegend komml 
van der Lubbe in Bacharach am Rhein mit einem Motorrad 
fahrer ins Gesprach. Es ist ein Landsmann, ier ptrassen- 
bahnfuhrer Ploegk, aus dem Haag, BloemfonteenStr. 24 Bloegk 
nimmt Marinus im Beiwagen mit. Sie nachtigen in Rolhenburg 
ob der Tauber. Ploegk im Hotel, Marinus in der Jugendherbergo. 
Ploegk machte unserem Berichterstalter fiber das Gesprach mit 
van der Lubbe einige Mitteilungen. Ploegk hatte van der Lubbe 
Refragt, was er in Deutschland mache. Van der Lubbe erzahlte, 

55 



dass er Arbeit suche. Auf die Frage, ob er denn nicht Icichter in 
Holland Arbeit finden konne, antwortete van dcr Lubbe mil 
Grosser Besthnmtheit, er werde in Deutschland Arbeit bekommen. 
fin Gesprach mit unserem Berichlerslatter unterstrich der Stras- 
senbahnfflhrcr Ploegk, dass er sich uber diese Beslimmtheit sehr 

gewundert habe. 

Von Rothenburg fuhr Ploegk nach Munchen weiter. Er 

nahm van der Lubbe bis Munchen mit. An der Stadtgrenze trenn- 
ten sie sich. 

Van der Lubbe muss einige Tage in Munchen gewesen sein, 
denn er gab seinen Freunden nach seiner Ruckkehr eingehendo 
und ausfuhrliche Schilderungen dieser Stadt. Er sprach nicht nur 
von der Stadt. Er erzahlte auch vielfach von den grossen Erleb- 
nissen, die er dort gehabt, und von den vielen Menschen, die er 
dort kennengeJernt habe. Jener Jungarbeiter, dessen protokollari- 
sche Aussage wir an einer Stelle bereits veroffentlicht haben, sag! 
in seinem Protokoll dariiber folgendes aus; 

<Der Hollander erzahlte mir, wie gut es ihm in Munchen ergangen 
sei. Er sprach davon, dass ein gewisser Dr. B. sich seiner angenom- 
men und ihn mit vielen Menschen bekannt gemacht habe. Er deutete 
an, dass er durch Dr. B. mit einflussreichen Menschen in Beriihrung 
gekornmen sei. Er sprach von diesem D. B. in schwaraierischen Aus- 
driicken.> 

Dieser Dr. B. ist niemand anders als Dr. Bell, den van der 

Lubbe in Munchen besucht hat. Dr. Bell hat ihn in nationalsozia- 

listische Kreise eingefuhrt und unter anderem auch mit Hitlers 

Stabschef Rohm bekanntgemacht. Dr. Bell war damals noch 

der aussenpolitische Berater von Hitlers Stabschef Rohm und 

mit ihm eng befreundet, so eng befreundet, dass Rohm ihm 

spater den vertraulichen Auftrag gab, die Verbindung zum Reichs- 

bannermajor Mayr herzustellen. Rohm fuhlte sich damals von 

der nationalsozialistischen Feme verfolgt, und er suchte durch 

Bells Vermittlung Schutz bei Mayr. Alle diese Tatsachen sind 

durch die Aussagen Mayrs und Bells im Oktober 1932 m offent- 

licher Gerichtsverhandlung bekannt geworden, als Hauptmann 

Rohm die sozialdemokratische Zeitung « Miinchener Post » ver- 
klagte. 

Bell war nicht nur der aussenpolitische Berater Rohrns, er 
war auch sein Vertrauter in Liebesdingen. Die « Miinchener 
Post » und andere Blatter haben 1932 Briefe Rohms an junge 
Manner veroffentlicht, aus denen hervorgeht, dass Rohm homo- 
sexual ist, Dr. Bell war der Zutreiber Rohms. Er wusste urn 
viele Beziehungen Rohms zu jungen Mannern, weil er ihm die 
meisten selbst zugefuhrt hatte. Bell fuhrte eine genaue Liste uber 
alle Junghnge, die er Rohm zugetrieben hatte. Bell sah voraus, 

56 



Per Polizciministcr fles .,l>H11cn Uciclics" 




Hermann Goring, Minfcterprtoidenl in Preussen 
unci Reichstagsprasident. 



mal zu kur/. oder ?" 



cLieber schiesse ich ein paar 

weit, aber ich schiesse W emgstensl> 

(Gorins «"' 11. 3. 19S3 In Essafl 



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Anteckningar: t 



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ifiM. a. » 



Vami! 



Kartolhekkarle des Krankenhauses, in der die Ueborii'ihrung 
Gorings nach der Irrenanslalt Langbro vermcrki isl. 

GuLachtcn des Stockholmer Gerichtsarztes ; 

is wird hicrmil bcieuijl : „doss Kopiliin Goring .in Morphiumsudil unci seine Frail Korin Goring \{cl»orc(ic 
Frcifrntt Fock nn Epilcpsio Iciilct unci |dnss deslialb deicn Hcim nls ungccignel fur iliren Sohn 'I homos Kan- 
Uow ■mges*licn wcrdcn muss. Knrt A. R. Lundberg, leg. Aril. 

Stockholm, den 18, April 1026 



tsisy^tsl^ 











itto*£?uPxns~- t**JCtyfr#^--- 





SrL^spv*~&f /4fr>T~ /&&>*~«^ 






iihrem 
war er 
Beobachter» 



dass cs zwischen ihm und ,) Pn .- , 
iiber kurz oder lang zu Differ^*! ""jalsozialisiischen Ft 
der Vertraute des Chefredakleure deTTn^- Wohl i 
Alfred Rosenberg, WO hl war er der 4„ "Y°, lk,Schen Ueobachter", 
>m Auftrage der Nationalsozia istiscl^n "p Dc,cldin Ss, zu dem « 

ten. Durch diese Liste wollte Bell ksL J n, niChlS zurf '^ch rec k- 
chen D.ese Liste sollte eine Watfe sehf mh S™* Jl^ig ma- 
bedrohen konnte. "' Imt der er Rohm irumer 

Die Liste existierl heute nicht mehr AU iuu 
den Ermordung im April 1933 nach Kuf stein t AT der drohen - 
tete, wurde er dort von einer SA -Banrlp £h t n slerreich fl *ich- 

Dabei warden samtliche £mpJoSm?^S fc ^ P"* 
raubt, die Bell besesspn ho* „«£ v uuerenaen Uokumente se- 

lislische Parte ausnuSn wolhe vSJfJW* ^ Na «««*o&- 

au/'efne'n Rnil"^''^ *!? piere aU9 Beinem Geheimechrank. Er wiet, 
auf enea Bogen hm und sagte: <Das ist Rehm3 Liebesliste Wenn 

' C t h de e ; m ? al ^ff^tliche, ist Rohm ein toter Mann > Er uZ 
m.eh die Lute sehen. Es ™ren ungefahr 30 Namen daraS vemS 
Mi ennnere m,ch genau an einen Vornamen <Rinu S >. hinter Tem >n 
K ammern ein tolltadtacher Name, beginnend mit <van der> stand 
K«t. lVt I f 1? Abkurzung fiir Marinus. Auf Rohms Liebes- 
liste ist auch der Name van der Lubbe zu finden 

Von Miinchen aus hat nun van der Lubbe tatsacblich einen Teil 
der grossaagekundigten « Arbeiter-, Sport- und Studienreise » ge- 
macnt. Wir besitzen eine Postkarte von ihm aus Krakau. Unser 
Benchterstatter sah einen Brief, den er einem Freund aus Buda- 
pest schneb, und eine Karte aus Belgrad. AIs van der Lubbe im 
Januar oder Februar 1932 nach Leiden zuruckkommt, erzahlt er 
yiel von seiner Reise. Auf dem Wege nach Budapest will er einen 
jungen Handwerksburschen kennengelernt haben, dessen Serrwe- 
ster in einem Budapester Bordell lebte. Van der Lubbe erzahlte, 
dass er dieses Madchen aus dem Bordell retten wollte. Sie aber 
habe von ihm Liebe verlangt. Er habe eine Nacht mit ihr io 
einem Zimmer geschlafen, ohne sie zu beriihren, und sei dann 
weitergereist. Die Erzahlung vom Madchen, das erlost werden 
soil, ist typisch homosexuell und wird nach Freud von den Ho- 
mosexuellen «Parsifal-Komplex» genannt. 

Der Fluss zwischen Poleu und der Sowjetuaioii 

Aus der Erzahlung van der Lubbes iiber seine Reise, die 
mehrere seiner Freunde unserem Berichterstatter iiberemstim- 
mend wiedergaben, muss noch eine Stelle besonders hervorgehoben 

57 



Werden. Van der Lubbe erzahlte. class er in Polen gewesen Lmd 
bis ZU r sowjelrussischen Grenze gelangt sei. Ein mSchtiger Flus 
irenne Polen yon der Sowjetunion. Lubbe habe versucht, diesen 
Fluss zu durchschwimmen, urn in die Union zu gelaneen Das oT 
wehrieuer der polnischen Grenzsoldaten habe ihn zurQckaetHp" 
ben. Er sei emige Tage im Gefangnis gehallen worden, von riem 
aus cr die Sowjetposten jenseits des Flusses habe sehen konnen 
Dann sei er abgeschoben worden. 

Die Freunde van der Lubbes waren ausserst erstaunt, als sie 
von unserem Berichterstatter erfuhren, dass es zwischen Polen 
und der Sowjetunion keinen machtigen Grenzfluss gibt \ ucn 
diese Erzahlung ist fiir Lubbes Liigenhaftigkeit und Gross 
sprechertum charakteristisch. 

Eines steht fest: Van der Lubbe hat Sowjetboden nie 
betreten. Bei allem Drang zur Prahlerei hat nicht einmal er 
die Behauptung aufgestellt, dass er in der Sowjetunion war. 

Die Karten und Briefe, die unser Berichterstatter sah/besta- 
tigcn, dass van der Lubbe in den letzten Monaten 1931 und An 
fang 1932 tatsachlich in einigen Stadten Ungarns, Polens, Ju«o- 
slawiens und der Tschechoslowakei gewesen ist. Er scheint bei 
seiner Reise mehrere Bekanntschaften mil reichen Herren semacht 
zu haben. Er erzahlte nach seiner Ritckkehr, in Budapest habe 
lhm ein Heir neue Schuhe geschenkt, ein anderer Herr habe ihm 
in Jugoslawien die Fahrkarte bezahlL 

Dr. Bell hat van der Lubbe in nationalsozialitische Erase ein- 
gef-uhrt, mit denen Lubbe von da ab standig in Verbindung blieb. 
Seine Bekannten berichten ubereinstimmend, dass Lubbe sehr 
vie! Briefe aus Deutschland erhalten habe. Lubbe war immer 
angstlich bemuht, die Briefe aus Deutschland vor seinen Freun- 
den und Bekannten geheim zu halten. 

AJs Gast bei Nationalsozialisten 

Van der Lubbe ist im Januar oder Februar 1932 nach 
Leiden zuruckgekehrt. Er kam iiberraschend schnell zurucK. 
Frau van Zijp erzahlt, dass er ihr aus Berlin eine Postkarte 
geschickt hat und am Tage, nachdem die Postkarte eingetroffen 
war, selbst angekommen ist. Er muss also von Berlin nach Leiden 
mit der Bahn oder mit dem Auto gereist sein. Es bleibt die Frage 
offen, woher er das Geld dazu nahm. 

Nach ungefahr zwei Monaten unternahm van der Lubbe 
eine dritte Reise nach Deutschland. Vor seiner Abreise hatte er 
mit der Unterstiitzungskasse einen Konflikt. Er schlug bei der Un- 
terstutzungskasse, die ihm die Erhohung seiner Pension ver- 
weigerte, einige Fensterscheiben ein. Das hollandische Gerichi 
verurteilte ihn zu drei Monaten Gefangnis. Bevor er die Gefang- 

58 



nisstrafe abbusste, reiste er narh n«» . i . . 

dieser Reise, class sie ihn nach K ?,? utschIand - Wir wissen vou 

1. unci 2. Juni 1932 naduS ^ ^ ^^ *»**• A - 

(Amtshauplmannschaft Meissen in L/k beme]nde Sdrncwitz 

Gemeinderat Summer und dem Garwl^u D <', W0 er mil dem 

sehen wurde Beide sind thOoJ^SS^Z n^^T ge " 

tagsbrande hat Gemeinderat Somrner dtt S™ h dem Reichs - 

Brockwitz iiber van der Lubbes darnTu", Bur S erm eister von 

richlet. Diese Talsache wurde vom ?e ff /f Anwesenb ^t be- 

bei der Amtshauptmannschaft MdJ2? orS i! Dr ' Haertl 

gelegt. Das Protokoll wurde dem SsKn anSCh - fesl " 

num zugestellt, das dem ReichsinnenmfnTst p r t k S^^^^ 

VerS t7d" e ? St AUCh die l ! 6 Meldun « blieb uniwe^rcS^ 
Van der Lubbe muss nach dem Aufenthalt in «Wr«n ■ cne °* 

einige Tage in Deutschland geblieben sein it J ? T ,? 0Ch 

nach Holland wurde er am RnilZj^ZlI^^ 

9 Tage in Utrecht in Haft und wurde dann sup vS^sung sexier 

Strafe m das Strafgefangnis S'Gravenhage (Haag) gebSt 

Van der Lubbe steigert die Ang-ritfe gegen die 
Jvoinmiuiistische Partei ft 

Am 2. Oktober 1932 wurde van der Lubbe aus dem Haager 
Gefartgnis entlassen. Er kam nach Leiden. Bis zum Jahresschluss 
unternahm er mehrere Reisen. Er besuchte seinen Vater in Dord- 

r S, , m nach Amsterdam und n »ch dem Haag, In alien 

diesen Stadten trat er in verschiedenen Versammlungen als Red- 
ner aui . Seine Reden waren angefullt mit heftigen Angriffen 
gegen die Kommunistische Partei. 

Wir besitzen Zeugnisse von van der Lubbes Kanipf gegen die 
Kommunisten. Er nahm am 6. Oktober 1932 in der Getreideborse 
zu Leiden an einer Versammlung teil, deren Hauplredner der 
u S ! "ollandischen Faschisten I. A. Baars war. Kurze Zeil 
nach dem Reichstagsbrande, als die Hitlerpresse behauptete, dass 
van der Lubbe Kommunist sei, haben einige Besucher dieser Ver- 
sammlung, unabhangige Manner, in einem notariellen Protokoll 
die Haltung van der Lubbes in dieser Versammlung geschildert. 
Van der Lubbe Iral damals dafur ein, den Faschislenfuhrer ruhig 
reden zu lassen. Er wandte sich gegen alle Versuche der im Saal 
amvesenden Anti faschisten. Baars zu unterbrechen, und er ent- 



59 



hielt sich in seiner Rede jedes Aneriffc a^^ a- r, 

notarielle Protokoll hat ioJgenden^Clllut Faschisl <*- Das 



\ ■nw-o.dto »corilc-.l«n Manr; n»goall acnaadord drli in i» r 
HC>T«cc«n>B toot n!J bgnflrU Mnrfcnai H_rtam-o ITotnrlo t or , 
•i-ndplaoto L«ii£n.lo t_5«a»o-r«'lgba_._ dor bold* na t- dd-- 
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LopboKot ten' r>ma-r t '.--_—. ___ < 

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J.d* Boer yiliwiBug iM-wM^sr.rgrdaLoae.^ncoa. t« L-id.n . 

Lc*gndna3 i>J53fr Ma .— —-—___ 

i-Off Boor JoHnnn-o gorn-li n Bgtriio. lBadgiot ^ wh.m. 1o . 
fcf tdgr. i Pririair.in: r.u--g- n., 

_-.d. Roir . froot.it !«aTi^, i£ M10rr,- anO aflfl -,, Lcidfln . PrlnaWl 

"■trap; Dn.-j"r J6.— — ——_- -- ■ 

die too nv.rot.nn -on nij.aotM-ie.le. lefiwoordlgfloia 
van as tc ngeaan fioli)ig»n nAhird«ni 

flat HJ,ccepar_nien,_U-n b_ JOe «or» _lj t fi c*c«S Tan da 
gf.o.atlocno op.nbaro --lyaa-rl nr, S «QOu«« If. d* Q PBMb ^in. 
-■ U ltfoq.op a»n 8«BJon OctoPgr nm-nti-nnnadBrrt tyo. „n 

AS£iU'l« ■•!>=• V^Md.rlna «l a ,-no..r is «pe«ir<Kioa do 
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oaxoa-ofitn i -onnon r : -cn o.or hot npircdoo *_q doa fooolo 
lcaltW«r BafiU.O? •«. dtd.l to ■prIo e . B .h.t .cord t, n c-_ft 
on fioo ooa to aanoa den aprvkvr ruaUtf aim to QDoren 

Ein anderer Bericht, den %vir im Wortlaut an anderer Stelle 
publizieren, schilderl van der Lubbes Verhalten wahrend einer 
Versammlung streikender Chauffeure im Haag im Dezember 1932. 
mer ging van der Lubbe noch weiler als in den vorhergehenden 
Versammlungen. Er griff die Komraunistische Partei auf das 
nettigste an. Er wandte sich in den scharfsten Ausdriicken gegen 
ihre Pohtik, und er forderte die streikenden Chauffeure auf, gegen 
den Willen der Kommunistischen Partei Terroraktionen zu be- 
gehen. Emige zwanzig Tcilnehmer dieser Versammlung hahen in 
einem Protokoll detaillierte Milteilungen uber van der Lubbes 
Verhalten geraacht. Sie gehoren den verschiedensten Parteien an. 
Einige von ihnen sind parteilos. Sie sind sich alle einig daruber, 
dass van der Lubbes Rede auf dieser Versammlung gegen die 
Kommunisten gerichLet war. Der Bericht dieser Teilnehmer an 
der Versammlung ist im nachsten Kapitel veroffentlicht 

Es liegt eine gerade Linie in dem Verhalten van der Lubbes 
nach seiner Loslosung von der Kommunistischen Partei Hollands. 
Er steigert seine Angriffe gegen sie von Versammlung zu Ver- 

60 



samiBluag. Die Arg^ente, die er bei seinem Auftrete* in den 
letzten Monaten 1932 vorbringt, sin d deutlich von national 

fed*, hat. E r sp„ch in W«d.^^VSd£XS& 

der nationalsoziahslischen Propaganda entnommen sind. Es l2£ 
Aussagen daruber vor, dass er in seinen Reden Unterschiede zwi- 
schen dem «raffenden» und dem « S chaffenden* Kapital machte 
also eine Terminology anwandte, die gan 2 der nationalsoziahs £ 
schen enlspnch . Es kann ke,n Zweife! bestehen, dass van der 
Lubbe, jedenfalls in den letzten Monaten 1932, den nationalso 
ziahstischen Lockungen erlegen war. Der enttauschte Kleinbureer 
hatte «heimgefunden». 

Die Ietzte Reise nach Deutschland im Februar 1933 

Im Januar 1933 musste sich van der Lubbe im Leidener Ho- 
spital einer neuen Augcnbehandlung unterziehen. Das Augen- 
leiden war schlimnaer geworden. Er lag vier Wochen im Hospital 
Er erhielt in jener Zeit viele Briefe aus Deutschland. Ungefahr 
urn Mitte Februar verliess er das Hospital. Hitler war in dieser 
Zeit bereits deutscher Reichskanzler. Van der Lubbe erzahlte 
einigen Bekanntcn, dass er nach Deutschland fahren musse, und 
er deulete an, dass er sich von dieser Reise viel verspreche. Einige 
Bekannte van der Lubbes erklarten unserem Berichterstatter uber- 
einstimmend, dass van der Lubbe gesagl habe, seine deutschen 
Freunde drangten darauf, dass er nach Deutschland komme. Es 
steht mcht fest, ob van der Lubbe damals schon wusste, dass er 
fur eine «grosse Tab ausersehen sei. Vielleicht hoffte er nur. 
dass seine nationalsozialistischen Freunde ihra zu Arbeit und 
Slellung verhelfen \viirde». Aber es ist kein Zweifel, dass er von 
dieser Reise nach Deutschland viel crwartete. Daruber gibt auch 
ein Gesprach Auskunft, das er kurz vor seiner Reise mil Frau van 
Zijp hatte. Sie hat unserem Gewahrsmann iiber dieses Gesprach 
berichtet. Van der Lubbe erzahlte ihr, dass sein Pass in kurzer 
Zeit ablaufe. Sie fragte ihn, ob er unbedingt fahren musse, und 
ob er nicht besser tate, in Leiden zu bleiben! Van der Lubbe ant- 
wortete, er habe in Deutschland etwas wichtiges zu erledigen, er 
brauche den Pass nur noch dieses eine, Ietzte MaL 

Van der Lubbe ist Mitte Februar 1933 aus Leiden abgereist. 
Nach einem Bericht der «Vossi schen Zeitung* vom 2. Marz 1933 
hat er am 17. Februar in Glindowbei Werder genachttgl unci ist am 
18, Februar nach Berlin weilergegangen. In Berlin traf er mil seinen 
nationalsozialislischen Freunden zusammen. die er durch Bells 
iVenni itlung kennengelernl hat. Er nnhm sogleich die Verbindung 
mit dem Kreis um den Grafen Helldorf wieder auf. 

61 



Van der Lubbe, das Werkzeug 

Am 27. Februar wird van der Lubbe ira brtrmenden Reichs- 
tag verhaftet. Die Flammen des Brandes bilden den Hintergrund 
fur ein TSuscriungsspiel, dessen Hauptperson fiir einige Stunden 
van der Lubbe ist. Darin muss er die Szene den wirklichen Haupi- 
akteuren iiberlassen. Die Scheinwerfer der Wahrheil zeireissen 
das lugnerische Dunkel und Ziehen in iiu erbarmuagsloses Licht 
diejenigen, die van der Lubbe als ihr Werkzeug benutzen wollten: 
Goring und Goebbels. 

Warum wurde van der Lubbe als Werkzeug gewahlt? 

Van der Lubbe war bis April 1931 Mitglied der Kommunasti- 
schen Partei Hollands. Die von Goring und Goebbels Beauftrag- 
ten glanblen. dass diese Tatsache ausreiche, urn den Kommu- 
nisten die Schuld am Reichstagsbrand aufbiirden zu konnen. 

Van der Lubbes homosexuelle Beziehungen zu nationalisti- 
schen FQhrern, seine materielle AbMngigkeit von ihnen, mach- 
ten ihn dem Willen der Brandstifter horig und gefiigig. 

Van der Lubbes hollandische Staatsangehorigkeit war cine 
erwfinschte Zugabe. Sie erleichterte <% s Goring und Goebbels. den 
Reichstagsbrand als ein intemalionales Komplolt darzusteilen. 
Goring und Goebbels wollten den Reichstagsbrand als Werk 
des intcrnationalen Kommunismus erscheinen lassen. Des- 
halb wurden auch die drei Bulgarer verhaftet und der Mittater- 
schaft besehuldigt. olnvohl sie am Reichstagsbrand vSllig unbe- 
leiligt waren. 

Aus alien diesen Grunden wurde van der Lubbe zum Werk- 
zeug der Brandstiftung gewahlt. 

Seht die Hauptfiguren des Komplotts: 

Den Plan zur Brandstiftung ersann der fanatische Verfechter 
der Luge und Provokation: Dr. Goebbels. 

Die Leitung der Aktion hatte ein Morphinist: Hauptmann 
Goring. 

Die Fuhrung der Brandstifterkolonne war einem Feme- 
morder anvertraut; Edmund Heines. 

Das Werkzeug war ein kleiner, halbblinder Lustknabe: Ma- 
rinus van der Lubbe. 

Als die Chicagoer Polizei ira Jahre 1886 durch bezahlte Pro- 
vokateure ein Bombenattentat inszenierte, das vielen Pohzisten 
den Tod brachte, dauerte es sieben Jahre, bevor die Provokation 
aufgedeckt werden konnte. Die Werkzeuge waren gut gewahlt. 
Nach dem Reichstagsbrand genugten drei Tage, urn der ganzeia 
Welt die Sicherheit ZU geben, dass die Nationalsoziahsten den 
Reichstag angeziindel baben. Das Werkzeug van der Lubbe war 
vu schlecht gewahlt. 

62 



Die wahren JBrandstifter 

Der deutsche Reichstag 

Am 9. Juni 1884 wurde in Berlin durch Wilhelm I der 
Grundstein zum deutschen Reichstag gelegt. Das Gebaude wurde 
nach Entwiirfen des Frankfurter Architekten Paul W allot er- 
baut. Der Stil war traditionsgebundene Renaissance. Die Bau- 
koslen betrugen 27 Millionen Mark. Der Bau dauerte iiber zehn 
Jahre. Wilhelm II setzte am 5. Dezember 1894 den Schlusstein. 

Das Gebaude des deutschen Reichstages steht auf dem «Platz der 
Republik», gegeniiber dem Bismarck-Denkmal. Die Ostfront des 
Reichstagsgebaudes fiihrt nach der Friedrich Ebertslrasse, die 
Sudfront blickt nach dem Tiergarten und wird von der Simson- 
strasse begrenzt, die Nordfront ist gegen die Spree gerichtet. 

Das Gebaude des Reichstages besteht aus einem Kellerge- 
schoss, einem Erdgeschoss, einem Hauptgeschoss, einem Zwischen- 
stock und zwei Obergtsohossen. Die Front des Hauses ist 137 
Meter lang, Der Bau wird i oben von einer grossen Kuppel 

abgeschlosstrn, die von vier kleinen Kuppeln umgeben ist. DenMil- 
telpunkt des Hauptgeschosses bildet der grosse Sitzungssaal mil 
den Tribiinen. 

Drei Wande des Sitzungssaales haben Holzverkleidung, die 
S-tirnwand hinlcr dem Prasidentenstuhl ist mit Stoff bespannt. Die 
Estrade, die Tribflnen, die Abgeordnetenbanke sind aus Holz. Die 
Sitzreihen sind in sieben Abteihuigen amphitheatralisch anstei- 
gend angeordnet und voneinander durch schmale, mit schweren 
Teppichen belegte Gange getrennt. Der Sitzungssaal ist von einem 
Rundgang umgeben, der in die Wandelhalle miindet. Die Wan- 
delgange und die Halle sind mit Teppichen, Polsfersesseln und 
Portieren ansgestattet. 

Im Hauptgeschoss sind ausserdem zahlreiche Zimmer und 
Sale gelegen, deren Fenster nach den Strassen urn den Reichstag 
gehen. Die Lesesale, das Archiv und die Bibliothek befinden sich 
teils im Hauptgeschoss, teils im Zwischenstock. Im Kellergeschoss 
licgen die Heiz- und Entluftungsanlagen. Vora Kellergeschoss 
fiihrl eine kleine Treppe zu einem unterirdischen Gang, der unter 
dem Saulenvorbau des Reichstages und unter der Friedrich 
Ebertstrasse hindurch zum Palais des Reichstagsprasidenten Go- 
ring liihrt (das auf der andcren Strassenseite der Friedrich Ebert- 

63 



strasse liegt). Der unterirdische Gang ist gegen diese Kellertreppe 
sowie gegen die ubrigen Heizungskeller durch cine Tur abge- 
schlossen. An den Wanden des Ganges laufen Heizrohren entlang. 

Der Haupteingang des Reichslages fuhrt nach dem «Platz der 
Republik* und ist nur bei festlichen Anlassen geoffnet. 

Wie gelangt der Besucher in den Reichstag? 

Die Hitler-Regierung vermied in alien ihren Berichten iiber 
den Reichstagsbrand die Angaben, auf welche Weise die Tater 
in den Reichstag gekommen sind. Sie rechnete damit, class fast 
kein Deutscher oder Auslander die Forrnalitaten kennt, die man 
erfullen muss, um in den Reichstag zu gelangen. Die nachfolgende 
Aufzahlung zeigt, was der Besucher des Reichslages tun muss, 
um in den Reichstag zu kommen. 

1) Nichtmitglieder und Besucher konnen in den Reichstag 
nur durch Portal 2 oder Portal 5 gelangen. Portal 2 liegt an der 
Simsonstrasse, Portal 5 am Reichstagsufer. 

2) Wer den Reichstag durch Portal 5 betritt, gelangt in einen 
Vorraum. Der Vorraum ist durch eine Strickbarriere abgegrenzt. 
Hinler dieser Strickbarriere befinden sich die Empfangsbeamten. 

3) Jeder Besucher hat sich an einen der Empfangsbeamten 
zu wenden. Es ist unmoglich, in den Reichstag zu gelangen, ohne 
sich beim Empfangsbeamten gemeldet zu haben. Jeder Besucher 
muss einen vorgedruckten Zettel ausfiillen, auf dem der Name 
des Besuchers, der Name des Abgeordneten, den er besuchen -will, 
sowie der Anlass des Besuches anzugeben sind. 

4) Der ausgefiillte Zettel wird von einem Relchstagsboten zu 
dem betreffenden Abgeordneten gebracht, dem der Besuch gilt. 
Der Abgeordnete wird gefragt, ob er bereit ist, den Besucher 
zu empfangen. 

5) Wahrend der Reichstagsbote das Einverstandnis des Ab- 
geordneten einholt, wartet der Besucher im Warteraum. Er ist 
hierbei standig unter Beobachtung der diensthabenden Reichs- 

tassbeamten. „ _ . . .,, . _. 

6) Wenn der Abgeordnete sein Einverstandnis erteill hat, 
fuhrt der Reichstagsbote den Besucher zu dem betreffenden Ab- 
geordneten. Der Besucher wird vom Reichstagsboten bis zu dem 
Abgeordneten hingebracht. Der Reichstagsbote enlferat sich erst, 
wenn der Besucher dem Abgeordneten gegenuber stent. 

7) Alle Besucher werden in eine besondere Liste eingetragen. 
Der ausgefullte Besuchszettel dient als Gmndlage fur die Eintra 
gungen in diese Liste. 

64 



Der Brand im Reichstag 

Am 27 Februar 1933 abends zrwischen 9 Ufar und C J Uhr 15, 
hrichl im Gebaude des Reichstags Feuer aus. Die ersle offentliche 
Mitteilung uber den Rcichstagsbrand erfolgt nocli am gleichea 
Abend durch den Rundfunk. Der Berliner Sender teilt iiberdies 
mit dass der Tater ein holiandischer Kommunist namens "van der 
Lubbe sei. Er habe ein voiles Geslandnis abgelegl. Er sei nur mit 
einer Hose bekleidet von eindringenden Polizeibeamten im Reichs- 
tagsgebaude aufgefunden worden. Der Tater habe einen hollan- 
dischen Reisepass und ein Mitgliedsbuch der hollandischen Kom- 
munistischen Partei bei sich gehabt. In den fruhen Morgenstun- 
den des 28. Februar 1933 verbreilel der amtliche «Preussische 
PressediensU die nachfolgendeDarstellung desReichslagsbrandcs; 

<Am Montag Abend brannte der Deutsche Reichstag. Der Reichs- 
kemmissar tur das preussische Ministerium des Innem, Reichsmi- 
nieter Goring, verfiigte sol'ort aach seinem Eintreffen an der Brand- 
stelle samtliche Massnahmen und ubernahm die Leitung aller 
Aktionen. Auf die erste Meldung von dem Brande trafen auch 
Reicbskanzler Adolf Hitler und Vizekanzler von Papen ein. 
Es liegt zweifelsfrei die schwerste bisher in Deutschland erlebte 
Brandstiftung vor. Die polizeiliche Uatersuchung hat ergeben, dass 
im gesamten Reichstagsgebaude vom Erdgeschoss bis zur Kuppel 
Brandherde angelegt waren. Sie bestanden aus Teerpraparaten und 
Brandfackeln, die man in Ledersesseln, unter Reichstagsdrucksachen, 
an Turen, Vorhangen, Holzverkleidungen und anderen Leicht brenn- 
baren Stellen gelegt hatte. Ein Polizeibeamter hat in dem dunklen 
Gebaude Personen rnit brennenden Fackeln beobachtet. Er hat so- 
fort geschossen. Es ist gelungen, einen der Tater zu fassen. Ea 
handelt sich urn den 24jahrigen Maurer van der Lubbe aus Leiden 
in Holland, der einen ordnungsmassigen hollandischen Pass bei 
sich hatte und sich als Mitglied der hollandischen Kommunistischen 
Partei bekannte. 

Der Mittelbau des Reichstages ist vollig ausgebrannt, der Sitzungs- 
saal mit samtlichen Tribiinen und Umgangen ist vernichtet, der 
Schaden geht in die Millionen. 

Diese Brandstiftung ist der bisher ungeheuerlichste Terrorakt des 
Bolschewismus in Deutschland. Unter den hundert Zentnern Zer- 
setzungsmaterial, das die Polizei bei der Durchsuchung des Karl- 
Liebknfccht-Hauses entdeckt hat, Fanden sich die Atrweisungen zur 
Durchfuhrung des kommunistischen Terrors nach bolschewistischem 
Muster. 

Hiernach sollen RegierungsgebSude. Museen, SehlSsser und lebens- 
wichtige Betriebe in Brand gesteckt werden. Es wird ferner die 
Anweisung gegeben, bei Unruhen und Zusammenstossen vor den 
Terrorgruppen Frauen und Kinder herzuschicken, nach Moglichkeit 
sogar solche von Beamten der Polizei. Durch die Auffindung dieses 

* 65 



Materials ist die planmassige Dun-hiuhrung der bolschewistischea 
Revolution gestort worden. Trotzdem sollte der Brand des Reich3- 
tages das Fanal zura blutigen Aul'ruhr und zum Bftrgerkrieg seiu 
Schon fiir Dieustag frith 4 Uhr waren in Berlin grosse Plunderun- 
gen angesetzt. Es stehl fest, dass mil diesem beutigen Tag in ganz 
Deutschland die Terrorakte gegen einzelne Personlielikeiten, geg*zju 
das Privateigenlurn, gegen Leib und Leben der Friedliches Etevol- 
kerung beginnen und den allgemeinen Btirgerkrieg enlfesseln 
sollten. 

Der Kommissar des Reiche9 im Preussischen Ministerium des ln- 
nern, Reidnninister Goring, ist dieser ungeheuren Gefahr mit den 
srharfsten Massnahmen entgegengetreten, Er wird die Staatsauto- 
ritiit outer alien Umstandeu und mit alien Mitteln aufrechtorhalten. 
Es konnte festgestellt werden, daes der erste Angriff der verbrecheri- 
scheu Krafte zunachst abgeschlageti worden ist. Zum Scnutze der 
offentlichen Sicherheit wurden noch am Montag abend samtliche 
offentlichen und lebenswichtigeu Betriebe unler Polizeischutz ge- 
stellt. Sonderwagen der Polizei durchstreifen stiindig die haupt- 
sSchlich gefahrdeten Stadtteile. Die gesamte Sehutzpolizei Un 1 
Kriminalpolizei in Preussen ist so fort auf hGchste Alannstufe ge- 
setzt worden. Die Hilfspolizei ist eiuberufen. Gegen zwei fiihrende 
kommunistische Reichstagsabgeordnete ist wegen dringendem Tat- 
verdacht Haftbefehl erlassen. Die ubrigen Abgeordneten und Funk- 
tionare der Kommunistisehen Partei werden in Schutzhaft <zenom- 
men. Die kommunistischen Zeitungeu, Zeitschriften, Flugblalter und 
Plakate sind auf vier Woehen fiir ganz Preussen verboteu. Auf vier- 
zehn Tage verboten sind samtliche Zeitungen der sozialdemolcrati- 
schen Partei, da der Brandstifter aus dem Reichstag in seinem 
Gestandnis die Verbindung mit der SPD z-ugegeben hat. Durch 
dieses Gestandnis ist die kommunistisch-sozialdemokratische Ein- 
heitsfront offenbar Tatsache ge worden. Sie verlangt von dem verant- 
■woitlichen Hiiter der Sicherheit Preussens ein Durchgreifen, das voo 
seiner Pflicht bestimmt wird, die Staatsautoritat in diesem Augen- 
blick der Gefahr aufrechtzuerhalten. Die Notwendigkeit der schon 
friiher eingeleiteten besonderen Massnahmen (Schiesserlaese, Hilfs- 
polizei usw.) ist durch die Ietzten Vorgange in vollem Umfauge 
bewiesen. Durch sie steht die Staatsmacht ausreichend gertistet da. 
um jeden weiteren Anschlag auf den Frieden Deutschlands und 
damit Europas im Keime zu ersticken. Reichsminister Goring for- 
dert in dieser ernsten Stunde von der deutschen Nation ausserste 
Disziplin, Er erwartet die restlose Unterstiitzung der Bev51kerung 
fur deren Sicherheit und Schutz er sich mit eigener Person ver- 
biirgt hat.:* 

Die ersten Press emelduagen 

Am Morgen des 28. Februar lesen Millionen Menschen in 
ihren Zeitungcn die Schilderung des Reichstagshrandes. Von den 
Titelseiten der Blatter schreit es in grossen Lettern : Der Deutsche 

66 



Geschehiusse. In Umdoi j, Pans jew g hHdenmgen des bren - 

gebrannt «St, eficnso ^u ve rbogen sind. Der Umgehungs- 

geborsten IS und deren * W andelhalle s i„d ausgebrannt. 

gang i d li we?£en Angaben der Weltpresse zeigten sich we- 
H ? h VerS edenheitL. Wahrend das «Prager Tagblat . vom 
senthc-he vc,bcm £", ,„„ der Brand gegen zweiundzwanzig Uhr 

^•erfdf SSelS ^Vfeicrillef der «Temps>> voir. . 1. Marz dass 
abends bemeikt wura . „ ntdec k t wurde. In den Londoner 

??L^UVkwr\St zu lesen,dass das Feuer um 

^^W2^^ tatt. auseina;,- 
der we a Reicbstagsbrand enldeckt wurde. Die Hugenbergsche 
Naehrichtenagentur «Telegrafen-Union» behauptet ra einer Mel- 
JuS die "or! f einem Teil der Presse in der Morgenausgabe vom 
28. Febniar 1933 wiedergegeben wird : 

<Es steht ausser Zweifel, dass das Feuei mil Hilfe von Fackeln an 
den verschiedensten Brandstellen zur Entziindung gebracht wrrden 
ist Ein Schuhpolizeibeamter bemerkte hinter einer der Scheiben 
einen vorteihuschenden Fackeltrager, auf den er sofort em en Setauss 
abgab.» 

Der «Temps» vom 1. Marz 1933 bericbtet hingegen, dass die 
erste Meldung vom Brand durch einen Angestellten des dem 
Reichstag gegeniiber liegenden lngenieur-Hauses gemacbt wuide. 

Die Zahl der Brandherde wird von den Blattern ganz ver- 
schieden angegeben. Wahrend das «Prager Tagblatl» vom 28. Fo- 
bruar von zwanzig Brandherden spricht, erklart der Berliner Be- 
richterstatter der «Times» in der Morgenausgabe vom 28. Februar, 
dass die diensthabenden Polizeioffiziere ihin mitgeteilt hiitlen, 
der Brand sei an vier bis i'iinf Stellen gelegt worden. Die --Chicago 
Tribune* weiss von zehn Brandherden zu berichten. 

Die Schnelligkeit, mit der sich das Feuer ausbreitete, lasst 
darauf schliessen. dass viele Brandherde angelegt worden sind. 

Der Pogrom g;eg:eu links beginut 



B U S 



Nodi schwelt das Feuer im Reichstag, noch steht fine tau 
ndkopfige Menge vor dem brennenden Gebiiude — da sind die 

67 



Ponzeiaulos, die Motorrader, die SA-Slurme schon unter- 

Die ersle Verhaftung erfolgl kuiv nnrN mh^. , . ,» 
Lich.de, Tag« die falls, G L ge fa Mi^S^S 
da sjtzen Hunderte von Verhafteten auf langen Banken taffi 
Komdoren : Kommunisten Sozialisten, Pazifisten, SchriftstelS 
Aerzle, Rechtsanwalle sind m der Nacht aus den Betten serissen 
und nach dcra Pohzeiprasidium gebracht worden. Viele von iunen 
schliefen als der Rundfunk die Nachricht vom Reichstagsbrand 
verbreitete. 5 

Die Mittagsblatter mclden die ersten Namen der Verhafteten- 
unter lhnen die Schriftsteller Ludwig RENN, Egon Erwin K1SCH 
Erich BARON, Carl von OSSIETZKY und Otto LEHMANN- 
RUSSBUELDT ; die Aerzte BOENHE1M, SCHMINKE und 
HODANN ; die Rechtsanwalle LITTEN, BARBASCH und 
Felix HALLE ; die kommunistischen Abgeordneten Walter 
STOECKER, Ernst SCHNELLER, Fritz EMMERICH, Ottomar 
GESCHKE und Willi KASPER. Der Reichstagsabgeordnele 
TORGLER, der bezichtigt wird, Mittater des Reichstagsbrandes 
zu sein, begibt sich am Morgen des 28. Februar zum Polizeipra- 
sidium, urn gegen die Beschuldigungen zu protestieren. Er wird 
in Haft genommen. Die kommunistische und sozialdemokratische 
Presse erscheint am 28. Februar nicht mehr. Die Drucke- 
reien des «Vorwarts» und der Zeitungen «Berlin am Mor- 
gen» und «WeIt am Abend* werden noch in der Nacht voni 27. 
auf den 28. Februar besetzt, die bereits ausgedruckten Exemplare 
der Morgenausgabe werden beschlagnahmt. Die Druckerei der 
«Roten Fahne», die sich im Karl-Liebknecht-Haus befand, war 
schon einige Tage vorher von der Polizei besetzt warden. Die 
«Rote Fahne» war bereits vor dem Reichsiagsbrand verboien. 

Not- und Todvcrordnung 

Das Feuer im Reichstag wurde noch in der Brandnacht ge- 
loscht. Schon wenige Slunden darauf unterschrieb der Reichspra- 
sident jenen barbarischen Erlass, dem man den Namen «Not- 
verordnung zum Schutze von Volk und Staat» gab : 

<Auf Grund des Art. 48 der Reichsverfassung wird zur Abwehr koxn- 
munistischer staategefahrdender Gewaltakte angeordnet : 
6 1 Die Art. 114. 115, 117, 118, 123, 124 und 153) der Verfaesung 
des deutschen Reicha werden bis auf weiteres ausser Kraft gesetet 
Es sind daher Beschrankungen der personlichen Freitaeit des Rechte 
der freien Meinungsausserung ainschliesslich der ^«eir ? iheit des 
Verein*- und Versammlungsrechtes, Eingnffe in das Brief-, Post-, 
Telegrafen- und Fernsprectagebeimnia, Anordnungen von Haus- 



suchungen und von Beschlagnahmen sowie Beschrankungen des Ei- 
gentums auch auaserhalb der sonst hierfur bestimmten gesetzlichen 

Grenze zulassig. 

6 4 Wer den von den obereten Landesbehorden oder ihnen nachge- 
ordneten Behorden zur DurchPUhrung dieser Verordnung erlassenen 
Anordnuugen oder dea von der Reichsregierung gemiiss § 2 erlasse- 
nen Anordnungen zuwiderhande.lt, oder wer zu solcher Zuwider- 
handlung aui'fordert oder anreizt, wird, soweit nicht die Tat nach 
anderen°Vorschriften mit einer schwereren Strafe bedroht ist, mit 
Gefangnis nicht unter 1 Monat oder mit Geldstrafe von 150 bis zu 
15 000 Reicbsmark bestraft. 

Wer durcb Zuwiderhandlung nach Abs. 1 eine gemeine Gefahx fur 
Menschenleben berbeil'uhrt, wird mit Zuchthaus, bei mildernden 
Umstanden mit Gefangnis nicht unter 6 Monaten und, wenn die Zu- 
widerhandlung den Tod eines Menschen verursacht, mit dem Tode, 
bei mildernden Umstanden mit Zuchthaus nicht unter 2 Jahren be- 
straft, Daneben kann auch aui Vermogenseinziehung erkannt 

werden. 

Wer zu einer gemeingefahrlichen Zuwiderhandlung (Absatz 2) auf- 

fordert oder anreizt, wird mit Zuchthaus, bei mildernden Umstan- 
den mit Gefangnis nicht unter 3 Monaten bestraft. 

§ 5. Mit dem Tode sind die Verbrechen zu bestrafen, die das Strafge- 
setzbuch in den §§ 81 (Hochverrat), 229 (Giftbeibringung), 307 
(Brandstiftungen), 311 (Explosionen), 312 (Ueberschvvemmung), 315 
Absatz 2 (Beschiidigung von Eisenbahnanlagen), 324 (gemeingefahrli- 
che Vergiftung) mit lebenslangem Zuchthaus bedroht. 
Mit dem Tode oder, soweit nicht bisher eine schwerere Strafe ange- 
droht ist, mit lebenslanglichem Zuchthaus oder mit Zuchthaus bis zu 
15 Jahren wird bestraft: 

1. wer es unternimmt, den Reicbsprasidenten oder ein Mitglied Oder 
einen Kommissar der Reichsregierung oder einer Landesre- 
gierung zu toten, oder wer zu einer solchen Totting auffordert, aich 
erbietet, ein solchos Erbieten annimrat oder eine solche Totung mit 
einem anderen verabredet; 

2. wer in den Fallen des § 115 Abs. 2 des Strafgesetzbuches (schwe- 
rer Aufruhr) oder des § 125 Abs. 2 des Strafgesetzbuches (schwerer 
Landfriedensbruch) die Tat mit Waffen oder in bewusstem und ge- 
wolltem Zusammernvirken mit einem Bewaffneten begeht; 

3. wer eine Freiheitsberaubung (§ 239 des Strafgesetzbuches) in der 
Absicht begeht, sich des der Freiheit Beraubten als Geisel im politi- 
schen Kampf zu bedienen. 

Die Hetze gegen die Kommunisten 

In Extrablattera, in Ministerreden, im Rundfunk, in Plaka- 
ten wird verkfindet ; Die Kommunisten haben den Reichstag 
angeziindet ! Dem Reichstagsbrand sollten Aufstand und Burger- 
kneg folgen ! Die Kommunisten wollten Eure Frauen schanden, 

69 



Eure Kinder ermorden ! Die Kommunisten wollten das Was sei 
der Brunnen, die Speisen in den Restaurants und Speisehallen 
vergiften ! Stiindlich wird den deutschen Zeitungslesern und den 
deutschen Rundl'unkhdrern das *Verbrechen» der Kommunisten 
eingehammeri. 

Die Hetze wird planiuiissig und systematise* durchgefuhrt 
Die Presse wird mil Greuel-Nachrichten fiber die Absiehlen der 
Kommunisten iiberschwemmt. Die «Vossischc Zeitung» vom l. 
Uarz 1933 meldet aus Regierungskreisen ; 

Die Regierung ist, wie betonl wird, der Meiuung, dass aach Lage 
der Dinge eine Gefahr ftir Staat und Volk bestand und noch bestehe. 
Das Material aus dem Karl-Liebknecht-Haus wird zur Zeit vom 
Oberreichsanwalt geprttft. Die amtlichen Mitteilungen besageu, dass 
sich in dieeem Material der Beweis dafiir finde, dass systematisch 
von kommunistischer Seite Terror-Aktionen vorbereitet selen in ei- 
nem Urn fang, der VoJk und Ftaat in ungeheure Gei'ahr bringe. 
Es hatten sich in dem beschlagnahmten kommunistischen Material 
bestinimte Plane befunden fur die Festnahme von Geiseln, 
hauptsfichlich Frauen unci Kinderu bestimmter Personen, Angaben 
uber Brandstiftungen in offentlichen Gebauden, Anordnungen fur 
Terr orgruppen, die an bestimmten Sftentlicheu Platzen. und 
zwar aueh in Uniform von Schupo, SA und Stahlhelm eingesetzt 
werden sollen. Es bestehe, so wird erkiart, begrundeter Verdacht, 
dass die kommunistischen Aktionen fortgesetzt werden sollen und 
dass die Zentralleitung dieser Aktionen eventuell von Berlin fort- 
verlegt werde. Es sei auch begriirideter Anlass, anzunehmen, dase 
ebenso wie im Karl-Liebknecht-Haus an auderer Stelle unterirdl- 
srhe Gewolbe und Ganae vorhanden seien, durch die die Komrau- 
nifiten im Augenblick der Gefahr verschwinden. In diesem Zu 
Sfmmenhang wird betont, dass an den deutschen Grenzen die er- 
foiderlichen Vorkehrungen getroffen worden sind, urn einen Ueber- 
sang verdachtiger Personen in das Ausland unmoglich zu machen. 
Zu der Br a n d st i f t u ng im Reichstag wird erkiart. es liege 
der einwandfreie Beweis dafiir vor, dass der Vorsitzende der kom- 
munistischen Reichslagsfraktion, Abg. Torgler, sich nut dem 
Brandstifler mehrere Stunden im R e i ch st a g s geba u de 
auigebalten babe und dass er auch mit anderen an der BranMiftung 
btUiligten Personen zusammengewesen sei. Es wird binzugeFUgt. 
dass die anderen Tater eventuell durch die unterirdmchen G&nge. 
die im Zusammenhang mit den Heizungsanlagen dee Reichetages 
das Reichsta^sgebaude selber und das Gebaude des Reichstagspra- 
tidenien verbinden, entkommen sein kSnnteo. In diesem Zusamraen- 
banc; wird auf die Vexhaftung von zwei Personen verw.esen, die 
vom Beichstagsgebaude aus telefoniert haben. urn den R »** te pP™- 
.iderten Goring als den Anstifter der Brandstiftung hinzustellen. 
und es wird betont, dass sich dabei Zusammenhange rait der soz.al- 
demjlratischen Partei und Presse ergeben hatten. 

70 



me zustandigen Stellen erklaren, dass del damp! gegen den Kom- 
numismus nunmehr mit grasster Scharfe gefuhrt werdeo wurde. 
Wer mit den Kommunisten zusammenarbeite, Oder hinreichend ver- 
min- hti 2 sei mit ibnen zusammen zu arbeiten, werde ebenso ngoroa 
ieiiandelt werden wie die Kommunisten selbst. Aus dea Erklarun- 
K e-> der Regierungsstellen ergibt aicb gleichzettig, dass die Wahlen 
unipr alien Umstaadeu etattiinden werden. 

Es ist zu beacbten, dase die Verordnungen czum Scbutze von Volte 
und Staat> und die Verordnung. die Landea- und Horhverrat wesent- 
liCh -charter als bisher bestraft, einauder ergarizen. Die zustandigen 
leicbs^tbllen erklaren, dass die einzelnen Bestimmungen der Ver- 
crdnuntren czum Scbutze von Volk und StaaU, die sich besonders 
cee'-n den Kommunismus richten, wegen der einzelnen in dem 
Kaxi Uebkneebl-Haus gefundenen Dokumente erfoxderhch gewesea 
sei ^o sea insbesondere die Verschariung der im Strafgesetzbuch 
v«rw«henen Straftaten der Giftbeibringung und der gememge- 
iTr'cben VcmHung rait scMrferen Strafandrohungen versehen 
wen den, wefl die Kommunisten in weitem Umfange Vergiftungen 
voraesehen hattett, darunter die Vergiftung von V o 1 k s- 
3 pel sun gen und von Speisen in Restaurants, in denen miss- 
liebi'e Politiker verkehren usw.> 
Dei Reichsminister Hermann Goring spricht am 1. Marz von 
Berlin aus liber alle deutschen Sender. Nacb ub erems ^enden 
Berichten der Blatter stellt Goring in dieser Rede folgende Be- 
hauptungen auf: 

Die Kommuntoton warben durcb Handzettel und Auflagescbeine 
wehrfahige Arbeiter fur einen rot en M a a s e n- 
-elbstschutz. Diese Eiririebtung war eine Vertarnung, um 
die Masaen der revolutionaren Kommunisten mobil zu machen und 
eie im Xampf gegen Votk und Staat einzusetzen. 
Ich rnocbte es offen aussprechen, dass wir nicht einen Abwehr- 
krmpf fiihien, sondern auf der ganzen Front zum Angriff uber- 
aeben wollen. Es wird meine vornehmste AuFgabe & e i n. 
den Kommuuismus aus unsrem Volke auszurotten. 
Deshalb haben wir auch diejenigen Krafte des nationalen Deutscb- 
land mobil gemacht, deren Hauptaufgabe es sein muss, den Kommu- 
nitrons zu iiberwinden. 

Goering behauptet writer: 
Am 15. Februar ist festgestellt worden, dass die KPD. mit der Bll- 
d u n cr von Torrorgruppen in St&rk-ebis a U 20 OM aim 
beschaftigt war. Diese Gruppen hatten die Aufgabe, sich die S A- 
Uniform anzuziehen und dann auf Autos, Warenhauser, La- 
den usw. Ueberfalle zu unteroebmen. Auch auf verbiindete VerbSn- 
de, wie den Stahlhelm und nationale Parteien, sollten solcfae Ueber- 
raile ausgefiibrt werden. Man wollte damit die Einheit der nationa- 
len Bewegung stdren. Auf der anderen Seite sollten Terror grup- 
pen in Sta htbelmun i f r>r m ijhnliehe Taten auaffihrea. Bet 

7! 



cltr Veruaftung eolllen die t'alscheu Ausweise vorgezeigt werden. 
Ferncr wurden zablreiche gefalachte Befehle von Sa- 
uud Stah Ih el m f fibre*' n gefunden, in deoen die SA in ge- 
lioMunisvollei" Weise aul'get'ordert wurde, sich fiir die Nacht 
zum G. Mfira bereitzuh alien, u ni Berlin zu besetzen, 
und zwar unter rucksiehtslosem Waffengebraueh, Niedersehlagung 
aller Widerslande usw. Diese gefalschten Befehle wurden dann an 
Behorden and Biirger vei'breitet, um das Schreckensge- 
spenst eines uaMoaalsozi a MsM ecb en Staatsput- 
sches bervorzurufen und die Arbeiterschaft in die notwendige 
Verwirrung zu briugeu. Auch Polizeibefehle wurden ge- 
false lit, wonaeh Panzerwagen auszuliefcrn wareu. In einer Sitzung 
der KPD am IS. Februar war von einem ausdrucklichen An- 
griffspakt der vereinigten Proletarier gegen die 
Bourgeoisie und gegen die Faschistischen Siaaten die Rede. Am glei- 
cben Tage wird der Fiihrer einer Bruckenaprengkaloone, 
der eich durch Fehleu grosserer Mengen Sprengeloff verdachtig ge- 
macht batte, festgenommen. 

Bald danach wird eine Organisation der KPD aufgedeekt, die mil 
Gift vorgehen sollte. Durcb die Aufdeekung eines solcnen 
G i f t p 1 a n e s in Koln a. Fh. wurde off eubar, dass das Gift in G e- 
meinschaftsspeisungen der SA wie auch dee 
Stahlhelm verwendet werden sollte. Eine weitere 
Ilnterlage beweist, dass nicht nur Frauen und Kinder fuhrender Per- 
sonlicbkeiten ais Geiseln festgesetzt werden sollten, sondern auch 
Frauen und Kinder von P o 1 iz e i b ea in t e n, die man 
als lebendigen Schutzwall bei den Demonstrationen vor- 
schieben wollte. Die Leitung dieser Mordorganisatioii lag in den Han- 
den des Kommuuefuhrera Miinzenberg. 

\m 22 Februar wurde vcm Zectralkomitee die Parole zux Be- 
waffnung dor Arbeiterschaft ausgegeben. In der 
eutsprechenden Anweisung hiess es: <Zur Anwendung des Terrors 
istjedes Mittel und jede Waffe *u benutzen.i 
Massenstreiks wurden angeordnet. Solidaritatsstreiks sollten vorbere.^ 
tet werden. Es sollten alle Leute gemeldet werden, die nut der Waffe 
Tgehen verstehen, alles babe sich auf die Illegality umzuatellen. 



umz 



Goring sprach dann fiber einer, O r * a ». ■*'•»»£ ] ™ 
zum bewaffneten Auf si and. Dort sei davon die Rede, dass der 
Ewaffnete Aufstand die erste Phase ^.^*KS^«S 
wurden Amveisungen iiber den Einsatz ^"^J^^Xr- 
gegeben. iiber Anlegung von Bran den an lau ;f"l*.n und ab« 
tinwnden von (Men. Zweck dieser Aklionen se es. Polizei una 
Wehrrnacht auf das fl.che Land zu locken und dann u. den ent- 
blossten Stadten den A u f r u h r anzublasen. 

Bei der Verwendung von Geiseln durfe man s,ch 
von keiner Humanilat leilen lassen. 



72 



■ * "- 






'"Will H!j||| 



liTcnaustiilt Langbro 



Obeii: Gesamtaii3icbl der Heil- 
anstalt Langbro bei Stockholm. 
Mifcte: Kiniatirl in die gescbloe- 
seue Ansliili Langbro. Aul der 
Tafel sleht: Bei Strafe von 
15— Kr. ist es Uxftefugten ver- 
boton, das Gebiel der AnstaU zu 

betretea.* . 

Unten: Mamicrpuvillon der An- 

stalt Langbro. 










•*'-. 



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II 

II 



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Dei* Mann, der in den deutsclieu Sclmlen die Prttgelstrafe 

wieder einftllu'te 




Dr. Rust preussischer Kultusminisler. 



<Dr. Rust hat im Jahre 1930, ate er Studienrat in 
Hannover war, um seine Pension ierung ereucht 
und sie outer Beibringung von arzlhchen Attesten 
dan.it begriindet. dass er geistesgestort so. Damit 
erbrachtfl er den BefahigungsnaohTveia M* e.ne 
Ministeretelle im Drilten Reich.* 



Goring schloss: 
<Den Kommunisten darf ich sngen: Meine Nerven sind bisher ooeh 
nicht durchgegangen, und ich fUhle mich stark genag, 
ihrem verbrecherischen Treiben Paroli z u 
biet en !> 

Wor smd die Brandstifter? 

Gleichzeitig mit der Mitteilung uber den Reichstagsbrand geht 
die Frage durch die Weltpresse : "Wer sind die Brandstifter? Die 
meisten deutschen Blatter machten sich die Mitteilung der Hitler - 
Regierung zu eigen, dass die Kommunisten den Reichstag ange- 
zundet hatten. Im Gegensatz dazu nahm die gesamte Auslands- 
presse die amtlichen Mitteilungen uber den Reichstagsbrand rait 
Skepsis auf, die sich, je mehr sich die Nachrichten hauften, in 
kurzer Zeit 2U offener Verhohnung der offziellen Behauptungen 
steigerte. Der «Temps» berichtet am 1, Marz uber den Reichs- 
tagsbrand: 

<Das offizielle Kommunique hat offeneichtlich den Zweck, dieBe- 
\6)kerung zur Raserei zu bringen und sie gegen die Linksopposition 
aufzubringen. Es gibt keine Mittel, die Polizeibehauptungen zu pru- 
fen. Man kann lediglich feststellen, dass der Reichstagsbrand der R**- 
gierungspropaganda zu den Wahlen eehr gelegen kommt. Er dient 
als Vorwand fiir eine Aktion nicht bloss gegen die Kommunisten, sou 
dern auch gegen die Sozialdemokraten, sowie dem Zweck, die SA- 
AbteiLungen und den Stahlhelm in eine Reihe mit der bewaffaeten 
Macht treten zu lassen. 

In der gleichen Ausgabe des «Temps» wird davon gesprochen: 
<dass sich die demokratiscben und LinkskreLse von Berlin dem Dr- 
sprung des Reichstagsbrandes gegeniiber skeptisch zeigen.> 

In der Ausgabe vom nachsten Tage geht der «Temps» weiter: 

*Die Verhaftung v. d. Lubbes und sein Schuldbekenntnie gentigen 
nicht, urn den Schleier zu lUften, der den Reichstagsbrand umgibt.* 

Der Londoner ^Evening Standard* schreibt am 1. Marz ; 

<VVir waren erstaunt, wenn die Welt die Erklarung Herrn Hitlers fur 
bare Miinze nahme, dass der Reichstagsbrand ein Werk kommunisti- 
scher Brandstifter sei.» 

Die Londoner «Ne\vs Chronicle* vom gleichen Tage erklari : 
<Die Behauptung, dass die deutschen Kommunisten irgend eine Be- 
ziehung zum Brand hatten, ist einfach eine Dummheit . . .> 

Die offizielle Reuter-Agentur verbreitet am 1. Marz folgen- 
den Berichl : 

<Ee unterliegt keiaem Zweifel, dase Millionen Menschen in Deutsch- 
land der aus offiziellen Quellen stammenden Geschichte der Revo- 

73 



lution der Rotea, die soeben vermieden wurde, weder glauben Icon- 
nen noch wollen.* 
tv««» wpnieen Beispiele aus der R.esenzahl der Pressestirn- 
Wei en zm Genuge, dass ausserhalb Deutschlands den offi- 
m Xn Belfauptungen der Hitler-Regierung kein Glauben ge- 
SSt wt"D a s S g esamte Ausland war und ist ubcrzeugU dass 
dirNationalsozialisten den Reichstag angezundet hahen. Wir _zi- 
Tieren nur noch ein Blatt, das die Weltmeinung besonders prag- 
nant wiedergibt. Der -Daily Telegraph ». London, schreibt am 

3. Marz : 

<Die Theorie, wonach der Reichstag von Kommunistm angezundet 
worden ist vrird heute schon von keinem vemunft.gen Deutsche* ge- 
daub* Und man hat inswischen erfahren, dass Hauptmann Qoruig 
Shon vor dem Reichstagsbrand eine garm Rexhe von Verordnungen 
md Unterdruckungsmassnahmcn vorbereitet aatte, ala ob er voraus 
^JuKSl daJ f rieh in Berlin in dieser Nacbt etwas Sensahonel- 
les abspielen wiirdo 

Kaiim drei Tage nach dern Reichstagsbrand steht die Hitler- 

Kaum are: i ag Tatsacn e dass im Ausland niemand 

^^^Sfirbten Glauben sThenla Kine unubersteigbare Mauer 

die nach Deutschland geh en smd fast een Die ™ f n um , 
giere, die sie benutzen, kommen im AutU-age no. r 

Sr f nisationen die festal en ^was^D^ ^^ 

g'etnTen^Snd^ e^ziger tfschrei des Entsetzens. 
Wer brauchte den Reichstagsbraua ? 

Chen zupute gekommen ist. Diese I- 1 a,,e mu 

gestellt werden. n—s-hi 

Die Hitler-Regierung ««^rvof SSJS-S! 
vo,n 28. Februar, dass der R^f^^J blu tigen Aufruhr 
gelegt worden sei und dass er da* . ranal ,u , S. 

and Burgerkrieg se m sollte G t •< wg^ Nachi ^ 2? 

=S fffefc - aSSSftC ««■*- woMe ? 



74 



Die Taktik der Koinmuiuslisclien Partei spricht eutsehieden 
«/e"en diese Bchauptung. In den offtziellen Publikationen der 
Koromunistischen Partei ist mehr als einmal zu lesen, dass der 
• ndkampf urn die Machl nur gefiihrt werden kann, wenn die 
Kmmuunislische Partei imstande ist, die Mehrheit der Arbeiter- 
Sa. sse in den Kampf zu liihren. Die Kommunistische Parte) 
Deutschlands war erst auf dem Wege, diese Mehrheit zu erobern. 

In einer Erklarung der Kommunistischen Partei Deutschlands 
vom 25. Marz 1933 zun. Reichstagsbrand heisst es : 

tjeder der mit den Grundsiitzeu des Kommunisinus, mil don Lehren 
von Marx unci Lenin, mit den Beschliissen der Kommunistifldieu hi 
tenmttamle und der Kommunistischen Partei Deutschland aucb uur 
ein wenig vertraut ist. Weiss, dass Methoden des individueUen Ter- 
po«, Brandstirturgen, Sabotageakte und dergleichea n.cht zu den tak- 
Leh» Mitteln der kommunistischen Bewegung gehoren D.e Ron.- 
mStiSChe Partei hat immer ausgesprochei., dass ,hr Z.el die Durch- 
Eung der proletaricbea Revolution ist. Urn d,ese S Z.el zu erre.- 
,'.„ - n mbraucht die KPD die Taktik des revoluhonaren Massenkamp- 
' dfe Tewinnuag der Massen fur die kommunistische Bewegung 
dun-h Igitation und Propaganda, vor alien, aber durch d.e Organ.sa 
Hon des tagluhen Kampfes fur die unmittelbareu Interessen der 
Werktatfcen Da* ist die Taktik, dutch die die kommunurtische Be- 
wegung nach den GrundsStzen des Marxismus-LeninismuB in alien 
Jndein ihre Ziele wrwirkliebt. Es liegt auf der Hand, dass d.e 
Bvandstiltung im Reichstag keinerlei erdenk-ichen S.nn und Zweck 
lu. die kommunistiscbe Bewegung haben konnte.* 
Die Richtigkeit dieser Erklarung wild durch die Geschichte 
der Kommunistischen Partei von ihrem Entstehungstag an be- 
s£u«t Fsliegl nichl der geringste Beweis daffir vor ■ ■ es w.der- 
ge auch lo" ig ihrer Polifik -, dass die Kormnumsten .hre 
Ktik Sndtten u°nd plotzlich zu individuellen TcrrorakUonen 

SChr D!e n Kom.nunislische Partei Deutschlands war in den lelzten 
Jahren in einem ununterbrochenen Aufstieg. Sic . vere.mg e be 
den ersten PrSsidcnlenwahlen im Marz 1932 ; auf * r _ e ?J^"£_ 
ten Ernst Thalmann 4.960.000 Stimmen. Sie steiger e diese : Stimrn 
zahl bei den Reichstagsxvahlen am 31. Jul. 1932 a* n^^£ 
Sie erreichte bei den Wahlen am 6. November 1932 sechs Mil no 
nen Stimmen. Die Kommunisten gingen in die Neuwah kn des 
5. Marz 1933 mit den besten Aussichten. Nahezu in der Sumter. 
Auslandspresse wurde ihnen ein grosser St.mmzuwachs prophe- 

Ze,t Die Unzulriedenheit im Lager der Soziaidemokratie : wuchs. 
Die standigen Provokationen der Nazis, die Passmtat der Ue- 
werkschaftl- und Parteifuhrer, die zugelassen «a" en - d * s s j*£ 
Minister in Preussen von einem Hauptmann und dre. Mann 



75 



verjagt wurden, trieben breite Massen der sozialdemokratischen 
Wahler zu den Koinmunisten. 

Nicht minder gross war die Unzufriedenheit im nalionalso- 

zialistiscben Lager. Bei den Wahlen im November 1932 hatte 

Hitler uber 2 Millionen Stimmen verloren. Der Zerselzungsprozess 

war im Wachsen .Als Hitler an die Macht kam, erwarteten viele 

seiner Anhiinger eine entscheidende Wendung zum Besseren Sie 

kam nicht. Es bestand die Gefahr einer weiteren Abwanderune 

nationalsoziahstischer Wahler ins kommunistische Lager. 

Die Hitler-Regierung zahlt zu den Beweismilteln fur die Ab- 
sicht der Kommunisten neben anderem auch die Broschure : «Die 
Kunst des Aufstandes.» Aber in eben dieser Broschure ist unter 
anderem folgender Satz Lenins zu lesen : 

cDie entscheidende Schlacht kann dann als voll berangereift gelten 
wenn sich alle uns feindlichen Klassenltiafte hinreichend verrannt 
haben, wenn sie sich hinreichend gegenseitig in die Haare eeratea 
sind und sich durch den Kampf, der ihre Krafte ubersteigt hinrei- 
chend gescbwaeht haben, wenn sich alle schwankenden unsichereo. 
unbestandigen Zwischenelemente, d. h. das Kleinburgertum di> 
kleinburgeiliche Demokratie, zum Unterschied von der Bourgeoisie 
hinre.chend vor dem Volk entlarvt und durch ihren praktiscben 
Bankroll hinre.chend blamiert haben, Wb nn die Massenstimmung 
zugunsten emer Unterstiitzung der entschlossensten, aufopfernd kiil. 
nen revo utionaren Handhingen gegen die Bourgeoisie im Proletariat 
emgesetzt und machtig anzuschwellen begonoen hat. Eben dann ist 
die Revolution reif, eben dann . . . falls wir alle vorstehend 
beze.chneten Voraussetzungen rirhtig erwogen und den Moment 

nchtig gewahlt haben, ist unser Si eg gesichert.* 
Und weiter sagt Lenin in dieser Broschure : 
<Mit der Vorhut allein kann man nicht siegen. Die Vorhut allein id 
den entscheidenden Kampf werfen, solange die ganze Klasse, solange 
die breiten Massen die Avantgarde nicht direkt unterstutzen oder 
zum mindesten eine wohlwollende Neutralist ihr gegenuber iiben 
wire nicht nur eine Dummheit, sondern auch ein Verbrechen.> 

Hatte Goring die Broschure «Die Kunst des Aufstandes* audi 
nur I uchtig gelesen so hatte er sich nicht dazu verleiten lassen, 
sie als Beweismittel gegen die Kommunistische Partei zu be- 
nutzen. Der Pfe.l ist auf den Schutzen zuriickgeschnellt. 

Hitler, der Gefangene Hugenbergs ? 

nannte Regierung der «nationalen Konzentration» gebildet wor- 
aen Die Bedingungen, unter denen Hindenburg Hitler zum 
ue.chskanzler ernannt hatte, waren fur die Nationalsozialisten 
s>enr nart. Die deutschnationalen Minister hatten im Kabinett die 

76 



absolute Mchrheil. Der Stellvertreter des Reichskanzlers Her- 
von Papen, wurde zum Reichskommissar fur Preussen ernannt 
obwohl , n den vorhergehenden Regierungen der Reichskanzlw 
selbst das Preussische Reichskommissariat gefiihrt hatte Das 
Reichswehrministenum, das die Nationalsozialisten in der letzten 
Etappe des Rampfes urn die Macht fur sich beansprucht hatten 
wurde in die Handc des hindcnburgtreucn Generals von Blombere 
gelegt. Als Hmdcnburg am 30. Januar dem neuen Kabinett deu 
Eid abnahm, musste Hitler ausdriicklich in Gegenwarl aller Ka 
binettsmiLglieder das Versprechen ablegen, an der Zusammen- 
setzung der Regierung nichts zu verandern, wie immer die Wah- 
len auch ausfallen wiirden. Die drei nationalsozialistischen Mini- 
ster Hitler, Frick und Goering sassen in der Regierung eingekeilt 
zwischen Deulschnationalen, denen samlliche wirtschaftlichen 
Ministericn, die Fiihrung der Aussenpolitik und das Reichswehr- 
minislerium uberlragen worden war. Der Fuhrer Hitler sollle 
nach dem Plane der Deutschnalionalen ihr Gefangener sein. Er 
wurde von Hindenburg nur in Gegenwart Papens empfangen. 
Nie vorher war cinem Reichskanzler eine so druckende Bedingung 
gestellt worden. 

Auf legalem^ Wege konnle eine Aenderung nicht herbeige- 
fuhrt werden. Die Deulschnationalen pochlen auf ihren Schein. 
Der zweite Bundesfiihrer des Stahlhelm, Oberstleutnant Diister- 
berg, gab, urn Hitler festzulegen, in einer Wahlversammlung am 
12. Februar, das bindende Versprechen Hitlers bekannt, an der 
Zusammensctzung des Kabinctls koine Aenderung vorzunehmen. 
Die Schale senktc sich zugunsten der Deutschnationalen. 

Die Manner um Hitler, in erster Linie Goebbels und Goring, 
waren seit dem 30. Januar unablassig bemiiht. Hitler aus der 
Umklatnmerung der Deulschnationalen zu befreien. 

Der Druck verstarkte sich von Tag zu Tag. Nur eine Aende- 
rung der Machtverteilung innerhalb der Regierung konnte die 
wachsende Unzufriedcnheit vieler nationalsozialistischer Wahler 
eindammen. Era Gewaltstreich barg zuviel Gefahren in sich. Die 
Reichswehr und der Stahlhelm standen auf Seiten Hindenburgs. 
Bei einem offenen Kampf war damit zu rechnen, dass auch das 
Reichsbanner an die Seile der Reichswehr und des Stahlhelms 
gegen die Nationalsozialisten treten wurde. 

Die Denkschrift des Doktor Oberfoliren 

In dieser Situation gingen die Nationalsozialisten in den 
Wahlkampf. Dr. Goebbels, der erfindungsreichste unter den na- 
tionalsozialistischen Fuhrer n, sah die drohende Entwicklung am 
aeutlichsten. In seinem Kopf entstand zuerst der Plan zu einem 
grossen Coup, der die politische Situation des Nationalsozialismus 

77 



mil eiuem Schlage verandem sollte. Wir besilzen em Zeugnis 

liber den ^rossen Coup, seine Entslehung und seine Durehfuhrung. 

Der deutschnalianale Abgeordnete Dr. Oberfohren hat uacb 

den WahJen vom 5. Marz 1933, als die Nationalsozialisten Stuck 

urn Stuck der deulschnationalen Positionen an sich rissen, den 

Kanrpf der Deulschnationalen und des Siahlhelms gegen Hitler zu 

organ isieren versucht. Als Vertrauter Hugenbergs war er iiber alle 

Vorgaoge im Kabinett genau unterrichtel. Er legte sein Wissen 

iiber die Vorbereitungen zum Reichstagsbrand in einer Denk- 

schrifl nieder, die er an seine Freunde versandte. 

Diese Denkschrift Dr. Oberfohrens ist auf Schleichwegen ins 
Ausland gelangt. Einzelne Abschnitte der Denkschrift wurden in 
englischen, franzosischen und Schweizer Blattern anonym, olme 
Angabe des Verfassers veroffentlicht. 

YVenige Tage darauf spielte ein deutschnationaler Abgeordne- 

tei-. der spater zu den Nazis ubertrat, der «Geheimen Staatspolizei* 

die Denkschrift Oberfohrens in die Hande. Mit dieseni Tage be- 

gann die Hetzjagd auf den Verfasser. Dr. Oberfohren wurde am 

7. Mai in seiner Wohnung tot aufgefunden. Der Polizeibericht be- 

hauplete, Oberfohren habe Selbstmord verubl. Die amtliche Mit- 

teilung hob besonders hervor, dass in der Wohnung Oberfohrens 

keinerlei Dokumcnte gefunden worden seien. In' Wirklichkeil 

wurde Oberfohren von den Nazis ermordet. Alle fur die Hitlerre- 

gierung komprommittierenden Papiere wurden von den Mordern 

Oberfohrens geraubt. 

Oberfohren erzahlt zu Beginn der Denkschrift, dass die 

Durchsuchungen, die der Berliner Polizeiprasident Melcher im 

Karl-Liebknecht-Hai;- mehrfach unternehmen liess, ergebnislos 

geblieben waren. Er schildert dann in seiner Denkschrift, wie 

der Plan zum Reichstagsbrande bei den Nationalsozialisten ent- 
stand: 

Herr Doktor Goebbels. von keioer Skrupel beschwert, hatte bald 
einen Plan festgelegt, bei dessen Ausftihrung man nicht nur den 
Widerstand bei den Deutschnationalen gegeniiber den Forderungen 
der NSDAP auf Unterbinduug der sozialdemokratiscben und konimu- 
nistischen Agitation Uberwinden Iconne, sondem unter Urastanden 
bei volligem Gelingen auch das Verbot der Kommunistischen Partei 
erzwingen wiirde 

Goebbels hielt es fiir not wend ig, dass man im Karl-Liebkneeht-Haus 
Material fande. durch das verbrecherische Absichten der Kommuni- 
sfcen belegt, ein kommunistischer Aufstand als unmittelbar bevor 
stehend und dadurch anmittelbare Gefahr im Verzuge beweisbar wa- 
ren. Da unter Melchers Polizei im Karl-Liebknecht-Haus wiedernichls 
gefunden worden war, musste ein neuer Polizeiprasident fur Berlin. 
und mar aus den Reihen der Nationalsozialisten. genommen werden 

78 



Nm ^iu hen Herr von P apen seinen Beauftraglen Melcher aus 
m Pol^eiprasidium scheiden. Der Vowchtag aer NSDAP, den FUh 
r der Berliner SA den Grafen Helldorf, zum PolizeiprMdenten ■ 
ernemm, wurde abge^chlagen. Man einigte sich schliesslieh aTde" 
gemassigieren Admiral von Levetaow, der zwar der NSDAP angehSrt 
desson Binauugeu an den deutecbnationalen Kreis aber immer noch 
vorhant en ware,,. Material in das leerstehende Karl-Liebknecht-Haua 
einz^hmuggeln, war eine Kleinigkeit. Die Polizei bat die Bauplane 
des Burohauses und sonut auch die Lage seiner Keller Die notwen 
digen Dokumente konnten dort also leicht hineingebracht werden 
Goebbels war sich auch von vornherein daruber klar, dass es notwen 
dig sei, den Ernst und die Glaubwirdigkeii der aufgefundeuen. von 
ihm gefiilschten Papiere durch die eine oder andere, wenn auch nur 
angedeutete Handlung zu unterstreichen. Man batte auch in dieser 
Hinsicht vorgesorgt. 

Am 24. Februar drang die Polizei in das seit Wochen leerstehende 
Karl-Liebknecht-Haue ein, durehsuchte und versiegelte ee. Am glei- 
ctien Tage wurde amtlich bekanntgegeben, dass eine Fiille hochver- 
ratiscben Materials gefunden sei. 

km "?6. Februar verSffentliehte der Conli, ein Nachrichtenburo der 
Regierung, eehr ausfuhrlich das Ergebnie der Aktion. Es ver- 
lohnt sich nicht, diese genaue Meldung wiederzugeben. Der Hinter- 
treppensiil dieser Meldungen fiel auch dem unbefangenen Leser auf. 
Es wurde ausfuhrlich von geheimen GMngen, geheimen Sperrvorrich- 
tungen, Schlupfkanalen, Katakomben, unterirdischea GewSlben und 
dergleichen mehr berichtel. Die ganze Art der Aufmachung des Be- 
richtes musste umso lacherlicber wirkeo, ala zum Beispiel die Keller 
eines Burohauses mil den Ausdrucken cUnterirdische Gcwolbe* und 
«Katakoml>en» bezeichnct wurden. Es musste auffallen, dass in an- 
geblieh gut abgedeckten Nebenraumen der Keller mehrere hundert 
Zentner genaueste Amveisungen fur die Durchfuhrung der bevor- 
stehenden Revolution der Polizei in die Hande gefallen seien. Beson- 
ders Iacherlich war die Mitteilung, dass durch die Funde in diesen 
ceheimen Gewolben die Beweise gefunden word en waren, «dass die 
kommunistieche Partei und ihre Unterverbande ein zweites illegales 
Dasein unter der Oberflache fiihren*. 

Admiral von Levetzow, Polizeipriisident von Berlin, eretattete am 
Sonntag, dem 26. Februar, nachmittags dem kommissarischen Innen- 
ministftT. Herrn Goering, Bericht tiber die Funde im Karl-Liebknecht- 
Haus. 

Innerhalb der Regierungskoalition gab es auf Grund des Ergebnissee 
der Durcheuchung des Karl-Liebknecht-Hauses lebhafte Auseinander 

'iingen Papen, Hugenberg und Seldte macbten Herrn Goering die 

lebhaftesten Vorwurte, dass er mit solchen Gaunertricks arbeitete. 

wiesen darauf bin. dass die angeblich vorgefundeneu Dokumeute 

so ungeschickt gefalscht seien. dass man sie der Oeffentlichkeit unter 

keinen Urnstandon llbergebeu ko'nne. Sie verwieeen darauf. dass niau 

chickter Mtte vorgeben rntSssen, etwa in der Art wie semerzeit 

79 



die englischon Konservativen bei der Falechung des Sinowjew- Brie- 
fes. Die Plumpbeil der dern Conti-Buro Ubergebenen Scliilderung dea 
Karl-Liebkneeht-Hausea wurde angegriffen. Deutschnutionale und 
Stablhelm wiesen darauf hin, dass kein Mensch glaube, daea die Kom- 
mun.sten nusgerechnet im Karl-Liebknecht-Haus ibr illegaleg Quar- 
ter aufschlagen wiirden. Man hiktte schon geachickter talschen muaeen 
und die illegalen Raume in irgendeinem anderen Sladtteil aushobea 
mlissen. 

Nachdem jedccb die ganze Angelegenheit dor Oeffentlichkeit iiberge- 
ben war, blicb auch den Deutschuationalen nichts weiter librig, ala 
weiteren Versrharfuugeu der Verordnungen gegen die Koramunisten 
auf Grund dea vorgefundenen Materials zuzustimmen. Es bestand fur 
sie ja keineswegs die Frage einer Schonung der Kommuniaten, le- 
diglich die Plumpheit dea Vorgehens wurde gerugt. Doch hatte man 
auseerdem den Wunsch, die Kommuniatische Partei unter alien Um- 
standen an den Wahlen teilnehmen zu lassen. Man wollte verhindern 
dass die Nalionnlsoziali&ten allein die absolute Mehrheit im Reichs- 
tag bekommen konnten durch Aussctaaltung der Kommunistischen 
Partei. 

Die Ausfiiliruiig tics Goebbelsscheu Planes 

Dr. Oberfohren stellt in seiner Denkschrift dar, dass Goebbels 
es fur notwendig hielt, die Wirkung des im Karl-Liebknecht- 
Haus angeblich aufgefundenen Materials durch eine Handlung zu 
verstarken. Er versprach sich die grossten Erfolge von einer Se- 
rie von Brandlegungen, die — immer nach Oberfohrens Denk- 
schrift — in den lelzten Wochen vor dem Reichstagsbrande statt- 
finden und durch eine Brandlegung im deutschen Reichstag ge- 
kront werden sollten. Als Tag des Reichslagsbrandes wurde der 
27. Februar festgelegt. Es wurde verabredet, dass die wichtigsten 
Fuhrer der Nationalsozialislen Hitler, Goring und Goebbels an 
diesem Tage keinerlei Redeverpflichlungen auf Wahlversamm- 
lungen ubernehmen und sich in Berlin aufhalten sollten. Wir ver- 
offentlichen nachstehend eine Mitteilung des nationalsozialisti- 
schen Propagandaleiters vom 10. Februar uber die vorgesehenen 
Wahlreden Hitlers. Es ist besonders auffallig, dass Hitler die Tage 
vom 25. bis 27. Februar frei hielt: 

<23. Februar Frankfurt a. M. 

24. Februar MiincheD 

28. Februar Leipzig 

1. Marz Breslau 

2. Marz Berlin 

3. Marz Hamburg 

4. Marz ..... Kdnigsberg> 

80 



Weiter vvurde noch mitgeteilt: 
<Es bosteht die Moglichkeit, dass aucb am 25. und 26. Februar nocb 
Wahlkundgi'buiiger, angesetzt werden. Als Tageszeit wird zumeist die 
Zeit zwischen 8 und 9 Uhr in Frage kommenj 
Sicherheitshalber hat sich Hitler also die Tage vom 25. bis 
97 Februar frcigehallen. Auf alle Falle wird jedoch schon vor- 
her angekiindigt, dass Hitler keinesfalls am 27. Februar in Wahl- 
kundgcbungen sprechen konne. 

Die Widerspriicke in den amtlichen Berickten 

Wir suitzen uns bei unserer Beweisfiihrung fur die Unschuld 
der Kommunisten und die Schuld der Nazis am Reichstagsbrande 
nJchf allein auf die Aussagen unbeein lusster Zeugen und auf 
die un? vorliegenden Dokumentc. Wir konnen den Beweis auch 
funren an Hand der amtlichen Meldungen der Hitlerreg.erung 

i£e amtlichen Auslassungen der Hitlerregicrung zum Reich.- 
tassbrande weisen soviel Widerspriiche auf, dass allein deren Auf- 
deckung geniigt, um zu zeigen, in welchem Lager die wahren 
Brandstifter zu suchen sind. . . 

In der ersten amtlichen Mitteilung h.ess es, dass em Polizei- 
beamter in dem dunkeln Gebaude Personen mit brennenden Fak- 
keln beobachtet hat, und dass es gelang. den Tater zu fassen Es 
vvurde weiter erklart, dass der Tater in den Rellerraumen des 
Reichstages vorgefunden wurde und sich oh n e W ide rs t an d 
Snehmen lies! Am 4. Marz wird hingegen die Verhaftung des 

lerraumen. den Marinus van der Lubbe, der aon 
a Tten nacb erheblichen, Wideband UbenvalUgt wurde. 
Dies 1st der erste Widerspruch in den amtlichen Meldungen. 

Die Beschnldignngen gegen Torgler und Koenen 

Der amtliche «Preu SS ische Pressedienst, meldet am 1. Mar, 

1933 abends folgendes ; Rr3 ndstiftung in. 

cDle bisherigc- amtliche Untersuehung der gro- » J* Hta g 
Gebaude de» deutsrben Reichstags hat ergeben. dass an d - 

beischafhing des ™**™**% ^^Zr ^andherde a.d ihre 
gewesen sind mtr-end die Verteiiun a aw 

81 



gleiclweitige Entziindung in deni riesigen Hause mindestens 10 Per- 

sonen erfordert haben muss. Qanz zweifellos sind die Brandstifter 

so vollkoinmeu mit alien Einzelheiten des weitlaufiger Gebaudes ver- 

traut gewesen, dass nur ein jahrelanger ungehinderter Verkehr diese 

sichere Kenntnis siiinllicher Raume ergeben haben kann. Driugender 

Tatverdacht besteht deshalb gegen die Abgeordneter der Koinmunisti- 

schen Partei, die sich ganz besonders in der letzten Zeit aut'fallend 

liiiufig uater den verechiedensten Anliissen im Rpicbstagsgebiiude zu- 

sammenfanden Aus dieser Verlrautheit mit deni Reichstagsgebaude 

und der Diensteinteilung der Beamten erklart sich audi die Tatsache, 

dass vorlaufig nur der auf frischer Tat ertappte hollandische Kom- 

munist verhaftet werden konnte. da er in Unkenntnis der Raumlich- 

keiten nach begangener Tat nicht mebr Fliehen konnte. Dei Verbaf- 

tete, der auch in Holland als besonders radikal bekanut ist, hat den 

Verhandlungen des Kommunistischen Aktionsausschusses stiindig bei- 

gewohnt und durchgeeetzt. dass er zu der Brandstiftung hinzugezogen 

wurde 

Die Untersuchung hat weiter ergeben, dass drei Augenzeugen einige 
Stunden vor Ausbruch des Brandes den verhat'teten hollandischen Ta- 
ter in Begleitung der kommunistischen Reichstagsabgeordneten Toi- 
ler und Koenen in den Gfingen des Reichstages tun 8 Uhr abends 
ge?ehen haben. Ein Irrtum der Augenzeugen ist bei dem Anssehen 
des Brandstifters unmoglich. Da weiterhin der Abgeordneteneingang 
des Reichstages urn 8 Uhr abends geschlossen wird, die kommunisti- 
schen Abgeordneteu Torgler und Koenen sich jedocb gegen einhalb- 
neun Uhr ihre Garderobe in ihr Zimnier bringen liessen und erst ge- 
gen 10 Uhr durch ein anderes Portal den Reichstag verliessen. besteht 
gegen diese beiden Kommunisten dringendster Tatverdacht. In dieser 
Zeit ist namlich der Brand angelegt worden. 

Unrichtig ist das Gerucht, uach dem der Abgeordnete Torgler sich 
der Polizei frerwillig gestellt haben soil. Er hat allerdings durch sei- 
nen Reehtsbeistand in dem Augenblick urn frejes Geleit gebeten, als 
er erkannte, dass ein Entkommen unmoglich ge worden war. Das freie 
Geleit wurde abgelehnt und der Abgeordnete verhaftet.* 

Am 4. Marz gibt der Leiter der politischen Polizei einen Be- 
richt, in dem es heisst : 

cSoweit die bisherige Untersuchung begriicdete Verdachtsmomeute 
hinsichtlich der Mitwirkung dritter Personen ergeben hat. kann im 
Interesse des schwebenden Verfahrens und der Staatssicherheit nichts 
gesagt werden.* 

Am 1 . Marz also besteht dringender Tatverdacht gegen Torgler 
und Koenen, und die Staatssicherheit verbietet nicht, mitzuteilen, 
worauf sich dieser Verdacht stulzt. Am 4. Marz wiirde eine Mit- 
tcilung uber die Verdachlsmomente die Staatssicherheit ge 
fahrden. 

Dies ist der zweite Widerspruch. 

82 



In der zitierten Mitfceilung des «Pieussischen Pressedienstes» 
v ,nn i. Marz hoissl es, dass Torgler und Koenen das Reichstagsge- 
baude inn 10 Uhr abends verlassen haben. Nach deji Meldungen 
des offiziellen Wolff- Buros, der Telegrafen-Union und der aus- 
wartigen Korrespondenten wurde der Brand in der Zeit zwischen 

9 Uhr und 9 Uhr 15 enldeckt. Die Feuerwchr begann um 9 Uhr 15 
ihre Tatigkeit. Die Polizei umstellle ungefahr uni die gleiche Zeit 
den Reichstag und machle jeden Zutritl zum Reichstag unmog- 
lich. YVenige Minuten nach der LOnldeckung des Reichstagsbran- 
des traf Goring an der Brandstelle ein, kurze Zeit nach ihm 
Hitler, Goebbeis, Papen und Prinz August Wilhehn. Trotzdem 
sollen die Abgeardnelen Torgler und Koenen den brennenden 
Reichstag, der von der Polizei abgeriegelt und von einer tausend- 
koptigen Menge umgeben war, in Seelenruhe verlassen haben, 
ohne dass es irgendeinem Menschen einfiel. auch nur eine Fragc 
an sie zu stellen ? 

Dies ist der dritte Widerspruch. 

Luekenloses Alibi fur Torgler mid Koenen 

Z-\vei Keilner des Aschin^er-Restaurants am Bahnhof Fried- 
richstrasse haben in eineni Protokoll eidesstattlich versicherL 
dass die Reichstagsab^conluelen Torgler und Koenen am 27. Fe- 
bruar bereits um 8 Uhr 30 in dieser Restauration ihr Abendessen 
eingenommen haben. Sic inussen demnach den Reichstag spate- 
stens kurz nach 8 Uhr abends verlassen haben, und nicht um 

10 Uhr, wie die amtliche Mddung behauptet. 

Ueberdies geht aus der naehfolgend veroffentlichten eides- 
slattlichen Versicherung des Reichstagsabgeordneten Wilhelm 
Koenen eindeutig hervor. dass die beiden zwisehen 8 Uhr 10 und 
8 Uhr 15 abends den Reichstag verlassen haben. Wir verofientli- 
chen die eidesslaltliche Versicherung des Reichstagsabgeordneten 
NVilhelm Koenen vollstandig. well Koenen am 27. Februar gegen 
£7 Uhr abends in den Reichstag kam und von dieser Zeit an bis 
¥2 Uhr naehts mil Torgler zusammen blieb. Das Alibi der beiden 
ist Kiekenlos, und es beweist, dass an den Beschuldigungen der 
Hitler-Rei^icrung gegen Torgler und Koenen kein Wort wahr ist. 
Die Erklarung des Abgeordnelen Koenen lautel: 

Hdesstattliche VersicheruniJ. 

Ich veraichere an Eidestatt folgeudes : 

<Am Nach::ii(t;i^ des 27. Februar suchte ich. wie an fast alien Tag 
der vorhergegangeneu Wocbe, im Polizeiprasi.iiuni am Alexander 
ttz don Kriminalkomniissar Dr. Braschwitz auf. urn weiterhin mil 
i Uber 'lie Auslieferung von Wahlmaterialien aus dam Karl-Lie^ 

83 



knecht-Haus zu verhaadeln. Wir begaben una nach drei Uhr zusam- 
men mit einigen Kriminalbeamten vom Polizeiprasidium zum Karl- 
Liebknecbt-Haus, wo dann wieder einige kleine Ladungen Plakate, 
Klebeslreifen und dergleichen, die zur Wahlagitation freigegebeo 
worden waren, verpackt und herausgeschafft wurden. Um zwanzig 
Minuten vor sechs verabscbiedete ich micb aach Beendigung dieser 
Arbeit von dem Kriminalkommissar, verstiindigte mich in einem 
iiahen Restaurant mit unseren Hilfsarbeitem fiber den weiteren Ab- 
transport von Material ftir den nacbsten Tag und rief dann unser 
Fraktionssekretariat im Reichstag an, wo ich wegen der Rednerver- 
mittlung fur die letzte Wahlkampfwoche noch einiges zu besprechen 
hatte. Im Anschluss an dieses Telefongespraeh fuhr ich zum ange- 
gebenen Zweck unmittelbar in den Reichstag, wo ich kurz vor halb- 
sieben eintraf. Dort traf ich auch meinen Kollegen Ernst Torgler, der 
als Leiter des offiziellen Wahlkomitees uaserer Partei an der Auf- 
teilung der Abgeordneten auf die angesetzien Versamralungen betei- 
ligt war. Ale etwa ein Viertel nach sieben meine Angelegenheiten 
erledigt waren, bat mich mein Freund Ernst Torgler, doch noch ein 
Weilchen zu bleiben, da er nur noch einen Telefonannif erwarte. 
der bald kommen musse. Dann konnten wir doch zusammen 
essen gehen. Da ich ea ubernommen halte, unterwegs noch eine 
dringliche Postanweisung aufzugeben, Ue6fl ich Ernst Torgler bei 
der Telefonzentrale des Reichstags anfragen, ob das Postamt im 
Reichstag noch geoffnet 8ei. Er bekam zur Antwort, dass es seit 
sieben Uhr geschlossen sei. Angchliessend erzfihlte ich ihm von den 
dauornden Schwierigkeiten, die bei der Herausgabe von Wahlmate- 
rialion aus dem Karl-Liebknecht-Haus gemacht wurden. Wir kamon 
dann dahin uberein, dass Torgler offiziell als Leiter des Zentral- 
Wnhlkomitees unserer Partei bei dem Leiter der politischen Abtci- 
lung der Berliner Polizei, dem Oberregierungsrat Dr. Diehls, noch- 
malfi anrufen solle, um bei ihm erneut gegen die ZurUckhaltung von 
Wahlplakaten veschiedenster Art und anderer Wahlmaterialien zu 
protestieren. 

Es war etwa halb acht, als dieses Gesprach mil Dr. Diehls gefiihrt 
wurde. Anschliessend liess ich mich selbst mit dem Assessor, der ale 
rechte Hand von Dr. Diehle fur die Durchfuhrung der Freigabe ver- 
antwortlich war, verbinden und besprach nun meinerseits mit dem 
Assessor die Schwierigkeiten eowie die fur den nachsten Tag zu 
eTledigenden Angelegenheiten, wozu ich mich bereits mit dem Kri- 
minalkommissar erneut nach dem Karl-Liebknecht-Haus verabredet 
hatte. 

Nach diesen Telefon-Gesprachen mit dem Polizeiprasidium telefo- 
Qlerte der Abgeordnete Ernst Torgler um etwa dreiv.ertel acht dann 
QOCh mil ■ = ■' Rechtwinwalt Dr. Rosenfdd. Als dann das von 
ihm seit sieben Uhr ervvartete Gesprach einee Parteifreundes immer 
DOCh nicbt gakommen war, rial er den Pfortner von Portal j5 an und 
teilte ihm mil falls ein Gesprach nach acht Uhr (nacb Schluse der 






Telefoozentra.e) beim Partner einlaufen wiirde, solle man durch die 
Hausleitung bei thm in. Fraktionssekretar.at anruien. 
Irwwischen wurde noch von der Siidgarderobe angerufen ob Herr 
STv ietzt fortgehe, Oder ob man ihm, wie ublich, d.e Garderobe 
MSktS-Snmer br«»B» eolie. Er ersuchte, lhn> die Garderobe 
ie'raSu^gen, w. gegen acht Uhr ge.chah. Urn diese Zeit wu.den 
Sich die Sudgarderobe und das Portal 2 geschlossen. 

Wenige Mimuen nacb acht kam dann endlicb das erwartete Oe- 
onrach das nun beim Pfortner des Portal o, dem einugen noch 
P St™ Leant! geffihrt werden musste. Zu diesem Zweck 
6 e *' r A^geordnefe Torgler durch das Haustelefon herunWr- 
L Z hat sich selbstverstaadlich, da er vom dritten Stock kam 
u^d sei'nen Freuad nicht unnotig warten laesen wollte, sehr beeiit. 
Nah w«ig«. Minulen kam En»t Torgley voa der Pfortaerloge 
ZL dTrekt ins Fraktionszimmer zuriick. Kurze Ze.t darauf zogen 
w uL dann an und verliessen, etwa acht einviertel Uhr geme.nsan. 
mit der Fraktionssekretarin den Reichstag durch das Portal 5. 
Entgegen den Behauptungen uber unser angeblich "^htartigM 
VerfaTsen des Reicbstagsgebaudes ist festeustellen, dass wir zufall g 
Sean diesem Abend so ouMMgewObnlich langum Wie aiemau 
fe zuvor das Reichstagsgebaude verliessen. Die Frakt.onssekret^n 
die diesmal gemeinsam mil uns herausging l.tt namlicta ™ Z » l *° 
einer Venenentziindung am R-in. die sie bcsonders stark im Gehen 
behinderte, sodass wir nur ganz langsam geben konnten. 
In diesem sehr langsamen Schritt gingen wir bis sum Bahnhof Fried- 
richsstrasse, wo uns die Sekretarin wrii«B, um "'* d .°% °f?° *" 
faliren. Wir gingen unmittelbar, also elwa urn acht einhalb Uhr, m das 
Aschinger-Restaurant am Friedrichstrassenbahnhof, wo wir zu Abend 
gegessen haben. Dort trafen wir noch drei Parteifreunde, nut denen 
wir uns noch einige Zeit unterhielten. Zwei dieser Parteifreunde 
verliessen uns, nachdem sie gegessen hatten, etwa zwischen balb 
und dreiviertel zehn. Um zehn Uhr war Kir d.e Kellner Sch.chtwech- 
sel, so dass wir kurz vorher unsere Rechnung bezahlten. 

Erst nach zebn Uhr kam dann der neue Kellner an unseren Tiecb 
heran, sprach mich mit meinem Namen an und sagte: <Herr Koeneii. 
wissen Sie scbon, der Reichstag breont.* Aufs hochste erstaunt, ant- 
wortete ich: <Mensch, sind Sie verruckt? Das ist doch ganz un 
moglich !> Er antwortet aufgeregt : <Nein, wirklich, alle Chauffeure 
erzahlen es. Sie konnen sie ja vorne an der Tbeke fragen. Tausende 
von Menschen stehen schon dort herum.J 
So erfuhren wir von einem der ungeheuerlichsterj Verbrecben der 

Wcltgeschichte. 

gez. Wilbelm Koenen 

Diese Erkliuung enthullt den vierten Widerspruch in den 
amtlicben Meldungon. 

85 



Ernst Torgler hat sick selbst gestellt 

In der Mitteilung des «Preussischen Pressed iensles* vom 
1. Marz 193^ heisst es, dass Torgler sich nicht selbst gestellt habe, 
sonde™ verhaftet wurde. Die nachfolgende eidesstattliche Ver- 
sicherung des Reclitsan\vaUs Dr. Kurt Rosenfeld, der Torgler zum 
Polizeiprasidium begleitete, beweist die Unwahrheil dieser Be- 
hauplung: 

Erdesfiieiftlirh e Versich&mng. 

Hierduri'h versichere icb Folgendes an Eidesstatt: 
Am Morgen nach dem Reiehstagsbrande rief mich Herr Ernst Torg- 
ler telephoni.sch an und Fragte mich, ob ich bereit sei, ihn zum Po- 
lizeiprasidium zu begleiten, wohin er gehen wolle, um die Beschul- 
digungen zu entkraften. die im Zusammenhang mil dem Reichstags- 
brand gegen ihn erhoben seien. Ich erklarte mich bereit und rieP 
sofort im Polizeiprasidium an, urn niitzuteilen, dass ich zusamnuui 
mit Torgler sofort hinkommen werde. Wenn ich mich recht erinuere, 
sprach ich mit dem Kriminalrat Heller. Ich fuhr daun mit Herrn 
Torgler zusainmen im Auto zum Polizeiprasidium und begab mich 
zu Herrn Heller, dem ich sagte: hier ist Herr Torgler und ich bitte 
ihn iiber die Beschuldiguagen zu vernehmen, nach denen er irgend- 
wie am R«ichslagsbrande beteiligt sein soil. Die Nachricht, dass 
Torgler freiwillig erschienen war, um sich vernehmen zu lassen, 
fiihrte dazu, dass mehrere Polizeibeamte in daa Zimmer kamen, in 
cm ich war und sagten: ^Torgler ist wirklich von selber gekorn- 

men?> 

Herr Heller ging dann mit Herrn Torgler in ein anderes Zimmer, 
wahrend ich im Vorzimmer wartete. Nach langerer Zeit kam dann 
Herr Torgler wieder aus dem Zimmer heraus, und wir warteten ge- 
meinsam bis Herr Heller uns beide in ein anderee Zimmer rief und 
in meinem Beisein Herrn Torgler fiir verhaftet eklarte. 

gez. Kurt Rosenfeld 

Aus dieser Erklarung des Dr. Rosenfeld geht eindeutig hervor, 
dass Torgler sich freiwillig gestellt hat. 

Dies ist der funfte Widerspruch. 

Der «Preussische Pressedienst» vom 1. Marz 1933 meldet, der 
Abgeordnete Torgler habe sich mit den Brandstiftern mehrere 
Stunden im Reichstagsgebaude aufgehalten und sei auch mit an - 
deren an der Brandstiftimg beteiligten Personen zusammen ge- 
wesen. Wenn Torgler wirklich Mittater des Reichstagsbrandes 
gewesen ware, hatte die primitivste Vernunft ihn abgehalten, sich 
mit van der Lubbe offentlich zu zeigen. 

Dies ist der sechste Widerspruch. 

In der Meldung des amtlichen «Preussischen Pressedienstes* 
vom 1 Marz heisst es, dass die Kommunistischen Reichstagsabge- 
ordneten mil dem Reichstagsgebaude und der Dienstemteilung der 

86 



r aniten vertraut gewesen seien. Tats&chlich waren die Kommu- 

Utischen Reichstagsabgeordneten mil dei Diensteinteilung der 

r ichsla°sbeamlen nichl verlraul, sie batten keinen Sitz im 

R^'chstaesprasidium und waren auch aus alien Kommissionen, 

Yp sich mit der Verwaltung des Reichstags beschaftigten, ausge- 

1 qllel Aiisserdem isl aber, wie wir nachfolgend noch aufzeigen 

toerden die Diensteinteilung der Reichstagsbeamlen am Tage des 

R '•lista c, sbrandes durch den nationalsozialistischen Hausinspek- 

tnr"°eandert worden. sodass wohi der Reichstagsprasident Goring. 

Tier nicht die Kommunistischen Abgeordneten von dieser Aende- 

mnS Kenntnis haben konnten. 

Dies ist der siebcnte Widerspruch. 

Van der Lubbe ist kein Kommunist 

In den Verlautbarungen des amtlichen Preussischen Presse- 
dienstes vom 28. Februar heisst es, dass -van der Lubbe «sich als 
Mitslied der Kommunistischen Partei Hollands bekannte* (Die 
Rundfunk- Version, dass van der Lubbe ein Mitghedsbuch der 
Kommunistischen Partei Hollands bei sich gehabt habe, hess man 
noch in der Brandnachl fallen, weil sie zu unglaubhaft war.) Der 
erste Journalist, der mit van der Lubbe nach dem Reichstags- 
brand sprach, war der Berichterslatter des Amsterdamer Blattes 
«De TelegraaR und dieser schrieb in seinem Blatte am 2. Marz • 
cMarinua tftill mir mit, dass er schon lange Jahre nicht Mitglied ir- 
gend einer Partei ist. Er ist kein Qberzeugter Kommunist* 
Gegeniiber seinem Landsmann liilll van der Lubbe aus der 
Rolle und sagt ausnahmsweise einmal die Wahrheit. Tatsachhch 
ist Marinus van der Lubbe im April 1931 aus dem Kommu- 
nistischen Jugendverband Leiden ausgeireten. um einem Aus 
schluss zuvorzukommen. 

Dies ist der achte Widerspruch. 

Das Wolffsche Telegrafenbiiro meldel am 2. Marz 1933 aus 
Amsterdam : 

•-•Der Versuch der hollandischen Kommunisten. van der Lubbe abzu- 
schiitteln. kann nicht gelingen. denn nach Auskunft im Haager Po- 
lizeiprasidium ist Lubbe. der seine radikalen Ideen der in Holland 
betriebenen vorsichtigen Parteitaktik nicht unterordneU wollte. von 
der Parteiteitung keineswegs ausgeschlossen, sondern lediglich au8 
der vordersten Front herausgenommen und kaltgestellt -worden* 

Die amtlichen deutschen Stellen wollen demnach glauben 

machen. dass ein von der holliindischen Kommunistischen Partei 

kahsestellter* Kommunist (in Wirklicbkeit ist van der Lubbe 

seil April 1931 nicht mehr Mitglied des Kommunistischen Jugend- 

verhand.es Hollands gewesen") von der deutsehen Kommumsti- 

87 



schen Parte zu Terrorakten herangezogen wird. Wares es nichi 
die Nationalsozialisten .die seit Jahren behaupict haben zwischen 
den Koiiimunistischen Parteien, die alle mir Sektionen der Ko 
munistischen Internaltonale seien, herrsche die engste Verbunden 
heit? Wie remit sich mil dieser Uehauplung zusammen, dass em 
kaltgestelltcr hollandischer kommunist von der deutschen kom 
munistischen Fuhrung mil offencn Armen empfangen und mit 
den vertrauhchsten Aufgaben betraut wird ? 
Dies ist der neunte Widerspruch. 

Van der Lubbe gegen die Kommunisten 

In der gleichen Meldung des Wolffschen Telegrafenburos 
heisst es weiter : 

<Noch am 22. Dezember 1932 nahm Lubbe an einer Versammlung 
streikender Taxichauffeure ira Haar? teil und hielt dabei eine laugere 
kommunistische Ansprache. Diese Mitteilung der holliindischen Po 
lizei ist ausserordeatHch wichtig fiir die Beurteilung des Reichstaga- 
braades als eines organisierten kommunistechen Terrorattentats.> 

In der Tat, die Teilnahme Lubbes an der Versammlung ist 
ausserordentlich wichtig fur die Beurteilung des Rekhstagsbran- 
des. Van der Lubbe hat in der Versammlung der Taxi-Chauf- 
feure nicht nur keine kommunistische Ansprache gehalten, son- 
dern die Kommunistische Partei Hollands, wie schon oft vorher, 
angegriffen. 

Teilnehmer der Versammlung haben das Auftreten van der 
Lubbes wie folgt geschildert; 

Haag, den 12. Marz. 

Mit grossem Unwillen habe ich letzte Woche in der biirgerlichen 
Prease eine falsche Nachricht gelesen, demzufolge die Polizei erklart 
haben will, dass van der Lubbe am 22. Dez 1932 in einer Versamm- 
lung von Cbauffeuren im Volksbaus im Haag eine kommunistische 
Rede gehalten haben soil. Als Berichterstatter der cTribune> fiir den 
Haag war ich in dieser Versammlung und habe dariiber berichtet. Da 
die <Tribune» keinen Platz fiir vollstandige Versammlungsberichte hat, 
ist dieser Bericht nicht erschienen. Glucklicherweise besitze ich ihn 
aber noch und bin unabhiingig genug, den Lugnern der biirgerlichen 
Blatter auf die Finger zu klopfen. Ich fordere hiermit die Behordeo 
auf, den Bericht zu widerlegen, den ich im Folgenden wiedergebe, un- 
terschrieben von Arbeitern der verechiedenen Richtungen. 
cDieee Versammlung wurde vom Streikkomitee der Tax-ischauffeure 
gemeinsam mil den syndikalistischen P. A. S. einberufen. Fur daa 
Streikkomitee sprachen President Steenberger und Sekret&r 
Kaptiz. Fiir den syndikalistischen P. A. S. Nieuwenbiu*. 
Nachdem er gesprochen hatte faod eine offentliche Diskusaion sUtt. 

88 



Der Fememdrdor-Polizeipr&sident 




Oberleulnant Heines, Polizeiprasidenl von Breslau, 

SA-Obergruppenfiihrer. 



Brand gesteckt hat. 



Kin Mitwissei',"der zum Sohweigon gebracbt \vur<le 




Dr. Ernsl Oberfohren, Vorsitzender der Deutschualionalcn 

Reichslagsfraklion. 



Dr. Oberfohren wurde an. 7. Mai 1888 m mm 
Wohnung tot aufgehmden. Der amthehe Berichl 
l,Vl uuptrto. .lass ir Selbstniord venibi babe. In 
wSbkeit wurde Dr. Oberfohren. von , deji ito 
Stigl, well er in eiato DenJachrift, die aucl 
S Ausland gelaogle, die wahren Brandstiffcei 
namentlieb bezeiclmet hat. 



Genoese Vorduin benuUte die Gelegenheit namens der K v o h«h 
verleidigte »e. Audere Personen, daiunter eiii SyndiL It ,™ ? 
von ihreu, Standpunkt aus. Van der Lubbe nabn aS ' ^W 
spracbe ted. D.eser cRedner, mussle sich m.hrfacb vom Prastdent^i 
rucon lassen, da er nicht zur Sachft snranh \ n nn - r '^*aenten 

2U kein Ank.ang an et.as ErnMes" g eL -enTe^E^ 
verlor er den Faden und wiederbohe i rtb . & sa g t ^JJJSS' 

Die Organisationen haben auch bei diesem Streik wi«rii». „«™-™* 
dass sie die Arbeiter tauschen. Die ChauffeuL^^^^ 
7 Monate, und Wir konnen ruhig sagen, das s der Streik Reached 
1st, Die <Neue Gesverkschaft* hat sich beeilt, die Chauffeure Snte 
ibrem Rucken an die Meister zu verkaufen, und in den letzten Taeen 
fconnte cet Streik aurch die Organisation nicht mehr gehalten wer- 
den, da sie anderenfalls einen Vertragbruch begangen hatte. 

Die N. A. S. mil Houwman an der Spitze hat die Unzufriedenheit der 
Chauffeure bcnutzt und hat den Chauffeureu alles versprochen Die 
Chauffeure sind aufgewiegeit worden, eiue Akiion zu unternehnien, 
und der Streik ist ausgerufen worden. Aber als die Organisationen 
sahen, dass der Streik zu lange dauerle und dass die Streikkassen 
zu viel verschlangen, verhandelten die Bonzea mit den dicken Ge- 
haltern hinter dem Rucken der Chauffeure mit den Meistera. Es ist 
fclai, dass die Arbeiter zum soiuidsovielsteu Male nicht verstanden 
haben, selbst zu handeln. Wc-un es eineu Streik gibt, mussen alle 
streiken. Indessen arbeiteten audere Taxis und auch die cGelbge- 
streiftens gaben gelben Streikbrechern Arbeit. Sie mussten das mit 
Gewalt verhindern. Es hat koine Einzelaktionen gege- 
b e n. Der Streik in der Textilindustrie ist auch geseheitert, und alio 
Slreiks werden scheitern. Die Zetten der Streiks ist vorbei, man 
muss etwas anderes finden, aber das ist erst moglich, wenn alle Or- 
ganisation zerschlagen sind, auch die syndikalistischen. Was hat Nieu- 
wenhius Kir die Bauarbeiter getan? Nicbte und wieder nichts und jetzt 
werden die Chauffeure von den Organisationen von reehta und links 
betrogen. Sie bemiihen sich, ihre kleinen Vereiuigungen zu vergros- 
sern. Auch die R.V.O. oder die kommunistische Partei (das ist das- 
selbe) haben im Texlilarbeiterstreik eine betrugerische Politik be- 
Jrieben und genau wie die anderen nichts getan. Der N.A.S. und 
die <Neue Gewerkscbaft* machen auch nur eine reformistische Pol! 
tik (Der President bittet beim Thema zu bleiben und sich kurz zu 
fassen) Die Chauffeure mussen jeder fur sich bleiben und die Un- 
terstutzung aller Organisationen und Parteien ablehnen Jeder 
kampft fiir sein eigenes Intere-sse, man muss neue Kampfrormen 
suchen, die Organisationen sind tiberlebt. 

Nachdem er sich mehrfach wiederholt und Nieuwenhuis pereonlich 
angegriffen hat, weise er sehliesslich nicht, wie er we. er reden 
■cdl. wauf der President sag}, dass seine ^^[^^Li: 
Ulld dass es SCbOD zu spat ist. In seiner Aalwort erktarte Niewren- 



89 



huis, dass er dieseni Redner nicht gut habe lolgen konnen, dass er 
dux seke, dass er gegen alle Organisationen let. 
in meiner Eigenachaft als Redakteur der iTribiine», glaube ich mei- 
ne Pflieht erfiillt zu haben, werni ich die Lugen der PolLzei entlarve, 
denn die Kouimunistische Partei ist ftir die Ma^eeaaktion und glecn- 
zeitig (re^eii die Einzelaktion. 

Gezeichnet: A. T e r o I. 
Der Haag, Olienberg 4 
Die Unterzeichneten erklaren, dass eie bei der offentlichen Ver- 
samnilung zugegen waren, vod der der Bericht handelt, und dasa van 
der Lubbe auf dieser Tagung gesprochen hat, wie es im Bericht 
wiedergegeben ist. 






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UnabhS.ii.igc Tetlnehmer der aauHeurvemmmlung erK- 

hW 'T„ £ 1SJS2 ME?*. Polity WW 1- 

4. Miv win. behaupV van der Lubbe W*T* bo M ,e deu s h 






I okalans&eiger» vom 28. Februar heisst es, dass van der Lubbe 

mit Hilie cines Dolnaetschers vernommen wcrden konnte. 
Q Dies ist der elite Widerspruch. 

In der gieicben Mitteilung des Letters der Politischen Polizei 
wird sesagt : 

<Van der Lubbe ist im ubrigen der Polizei ais kommunietischer Agi- 
tator bekannt.. So wurde er am 28. April 1931 von der Polizei in Gro 
nan iu Westfalen Festgenommen, Weil er dort Aneichtskarten kommu- 
nistiscber Tendeuz verkaufte.> 
In Wirklichkeit hal van der Lubbe in Gronau in WesUalcu 
. in unsercm Buch wiedergegebene Ansichtspostkarte von sich 
1 seinern Freund Holverda verkauft. Auf dieser Karte sind van 
111 t bbe un d sein Freund abgebildet. Die Poslkarle tragi in vier 
Qnrnrhen den Text: «Arbeiter-Sport- und Studienreise des 
Erms van der Lubbe und H. Holverda durch Europa und die 
SSnlon. kntritt der Reise von Leiden am 14 April 1931, 
3 weiteres Wort, nicht da, genngste Merkmal, das auf kom- 
mnnislische Agitation hinweisen wurde. Van der Lubbe wurde 
Sens nur deshalb festgenommen, well er die Erlaubms zum 
Strassenverkauf von Postkarten nicht besass. 
Dies ist der zwolite Widerspruch. 

Der Letter der politischen Polizei, Berlin, Oberregierungsrat 
Diehls. teille weiter mil ; 

% ., :*«. hoi«1 ps Ln der -leichen Mitteilung: 

Einige Zcilen weitei heisst es w uei B 

tPr (v d Lubbe) ist in weiten. Jmfange gestand.g.* 

nicht namhafl gemacht ^ eil -«™ a ; n der Lubbe von der 
Pressediensf hat nicht bebauptet, *"£J beim Anziinden des 
Polizei oder von irgendeiner ande * e p n m £"u° hatte er nach der Mil- 
Reichstags beobachtet worden sei- Demnac * . . t g sbrand stifvun* 
teilung d D es Oberregierungsrats D^^dScIbe Herr Diehls. 
gar nicht zugegeben. Andem **toW* upteUl 
van der Lubbe sei in weitem Umian e ^ 
Dies ist der dreizehnte Widerspruch. 

Lubbe war uio in der Sowjet-Union ^ 

Wir publizieven eine Meldung des ' *£* ^ L £ h e sei in 
28. Februir abends, in der behauplet j»J erhalten D es 
Moskau gewesen undhabe dort sei e^Aus d 5 d . e Sowjetumon 

Ldung ist zu einer ausgedchnUm Hetze g b 
benutzt worden. 



Der <xLokal-Anzeiger» brachte sie in grosster Aufmactiung; 

BeirHsfogsattentfitet 
in Btftlanb auagefcUiiel 

Die MtHfeUung bet fjottanbijdjen potijeL 

2>iafjt&eric!jt unfttcs So rre[p on bcntcn. 

js. Mmperiom, 28. Sc&iuar. SSJie bic | uotgcrufen, 6ie iiutif) bic SBtanbftiftuitg ira beut- 
act'icrbomec ^Jolijei jaitteili, ift Scr [ Wjen ttcta-jstagsacoaubf. »" I— •' 
•efiflenommene SleWt^lojiaaHstilS *"■ 

Meldung im «Lokal-Anzeiger* vom 38. Februar 3933 

In Wirklichkeit hat die hollandische Polizei diese Meldung 
im «Lokalanzeiger» vom 28. Februar 1933 niemals gemacht. Selbst 
van der Lubbe hat niemals behauptet, dass er in der Sowjetunion 
war. Van der Lubbe hat Sowjetboden nie betreten. 

Dies ist der vierzehnte "VViderspruch. 

Van der Lubbe hat Leiden zwischen dem 13. und 15. Februar 
verlassen. Er verbrachte nach den Meldungen der «Vossischen 
Zeitung» vom 2. Marz 1933 die Nacht vom 17. zum 18. Februar 
in einer Herberge in Glindow bei Werder. Am achtzehnlen Fe- 
bruar ging er zu Fuss nach Berlin weiter. In einem Interview, 
das der Kriminalkommissar Heisig am 13. Marz der hollandischen 
Presse gab, erklarte er, dass van der Lubbe auf Stempelstellen 
Bekanntschaft mit Kommunisten gemacht habe und durch siein 
den kommunistischen .Aktionsausschuss. gelangt sei. Van der 
Lubbe ist friihestens am Sonnabend. dem 18. Februar abends, in 
Berlin eingetroffen. Am nachfolgenden Sonntag, dem 19. feDruar, 
waxen die Stempelstellen geschlossen. Er konnte also wenn djo 
Behauptung der Polizei zutrafe. friihestens Montag, den 20. re- 
bruar, auf einer Stempelstelle Bekanntschaft mil ^ omm . u "^| 
geschlossen hal.en. Man stelle sich vox : Em gebrochen deutech 
sprechender Hollander, der keinerlei Ausweispapiere der hollan- 
dischen Kommunistischen Partei besitzt, macht am m Februar 
auf einer Stempelstelle in Berlin Bekanntschaft mil IJ™^ 
sten, wird von ihneo mil der hochsten Leitung der Partei zusam 
mengebracfat imd von ihr beauttragl. am 27. Februar den Rucns 
lag anzuzunden! 

Dies ist der funlzehnte vViderspruch. 

92 



Meldung des aiutlichen aPrcussisclien Pressedienstes* 
I? S 1933 heisst es : 
v0 n) l * M -i ia ftete hat den Verhandlungen des kommuiiiatischen Ak- 

eDeX ^chusses stiiudig beigewohnt und durchgesetzt, dass er zu der 



iJ^dsUftung zugezogen wurde.* ^ 



L-i-irle das Zentralkomitee der Kommunislischen Par- 

• XcSanos — 3 " MSrZ im f ° lgendeS '• 
t cl r-landlich haben nie Sitzungen irgendeines kommunistischen 

<Selbs V we | lueBeB im Reichstag Oder andeTwarts stattgefunden, an 
^ litl ° d'-r ini Reichstag verhaftete van der Lubbe teilgenommen hatte. 
den f'\ exisiiert kein kommunistischer Aktionsausschuss, sondern nur 
Erstena ,j. oiritee der Kommunistischen Partei Deutschlands und 
d8S noliti'sches Biiro. Zweitens nehmen an Tagungen der Kommu- 
•H \la Partei Oder irgendwelcher Korpersehaften der Kommum- 
njsnscne ^ ^.^ irgendwelche Individuen teil, die weaei Mit- 

fi der Kommunistischen Partei Deutschlands, noch irgendeiaer an- 
Je'ren WW*" der Komintern sind.» 

Diese Aniwort auf die Behauptungen Gorings enthullt den 
sechzehnten "VViderspruch. 

Die H Katakombeu" im Karl Liebkneclit-Haus 

Eiue Mitteilung des amtlichen -Prcussischen Pressedienstes- 
vom 28. Februar 1933 besagt : 

«UDter den 100 Zentnern Zeraeteungsmaterial, die die , Pohzei be, der 
Durchsuohung des Karl-LiebUnecht-Hauses entdeckt ** J^£«J 
die Anweieung zur Durchfuhrung des kommunistischen Terro s 
nach bolschewistischem Muster. Hiernach sollen Reperunpgebaude, 
Museen. Schlosser und lebei.swichtige Betnebe in Brand ge steckt .WW- 
den Es wild ferner die Anweisung gegeben, bei Unruhen und Zu- 
sammenstossen vor den Terrorgruppen Frauen und Kinder her zu 
schicken, nach Moglichkeit solche von Beamten der Polizei. ? Durch 
die Auffindung dieses Materials ist die planmassige Durchfuhrung 
der bolschwistischen Revolution gestort worden.J 
Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Deutsch- 
lands erklarte am 3. Marz 1933 : 

<Die Kommunistische Partei Deutschlands hatte b .^eits am 30 Ja^ 
nuar 1933 alles auf ihre gegenwartige politische lat.gkeit bezugliche 
Materia] aus dem Karl-Liebknecht-Haus entfernt und ihre gesamte 
Burolatigkeit im Karl-Liebknecht-Haus eingestellt. Es ^yaren I e dig eh 
in den Rilumen des Zentralkomitees wie der Bezirksleitung Ber in- 
Brandenburg je ein bis zvei Personen zur Abwicklung una weuer- 
leitung von Anfragcn, Besuehern usw. zuruckgelaseen.» 
Der Reichslagsabgeordnetc W i 1 b. e I m K o e n i e n, der als 
letzter luhrender Funktionar der Kommunistischen Partei in aen 

93 



Februartagen slandig ini Karl-Liebknm-hi 11 L . 

uns fiber die Haussu&ungen in, SSS tt*' S"' 

benchlel; IU(ll, ' lulus ">lgendes 

cAm Vormitlag des 17. Febrnar <,(,-,™. 

Krinnnalbeam.en, begleite von »etre?e n ,7 „ !Tf * teebot V0D 
in das Haus und besetzte sSmtlthn dh Hundertschaftenn Schupo. 

sorglich hatte man s l2l PoZ hta g ™ ndl,c, l? t durchsucht. Vor. 
ge Schreibtische, zu Tent * ^ ' Su^f' *• ^ 
einandernabmen Auch die KolWrs?, 1 kunst & ere °nt aus- 

In den Kellerraumer, lag n I S? "7, ■ g "T nn,er,U6M - 

ma hien P n' e , g p , Und , dl ' e La * erbesla <^ der Buchhand.u, e Da 
h elten d,e Pohzeikomnnssare sich noch fiir verpflichte auf 
meme Aufforderung bin die al s bedenkiich beschlagaafaXn PapiS 
jewe.ls vorzuze.gen uad ihre Beschlagnahmung auldriicklich festzu 
s tellen Oder zu quittieren. Unter den be, dieser grundlichen • el. 
blunder, daueruden Durchsuchung besehlaguahraten Schriften befanrt 
s.ch wader das Bach <Die Kunet des bewaffneten Aufstandes, 7ocb 
irgendeine aadere sogenannte Zersetzungsechrift. Davon war' auch 
,n k e ". B ! r f" der PoIiz ei unmittelbar nacb der Durchsuchung 
mcht d le Rede. Erst s.eben Tage spater, am 24. Februar, obwohl ich 
last taglich zwecks Herausgabe von Wahlmaterialien mit Polizeikom 
mmmxvam Karl-Liebknecbt-Hause geweaea war, behauptete das 
Pohzeipras.dium plotzlich, dass bei einer neuerlichen Durchsuchung 
in den angeblichen Katakomben Zersetzungsschriften und darunter 
das Bach <Die Kunst des bewaffneten Aufstandes* gefunden worden 
seien. Djeee angeblich neuerliche Durchsuchung fand, wenn iiberhaupt 
so ohne leaerj zivilen Zeugen und ohne Anwesenheit eines Vertreters 
der Beteihgten statt. Das ist umso kennzeichnender, ale ich »erade in 
diesen Tagea fast taglich im Karl-Liebkaecht-Hause rait den Poli- 
zeikommissaren \arhandelte, um Wahlmaterialien, Druckpapier Bi- 
Miotheken und atmliches zu reklamieren und herausschaffen zu 
lassen. Obgleich ich also taglich zur Verfugung stand, wurde ich 
weder zugraogen, noch nachtriiglich von dem angeblichen Fund in 
Keantais gesetzt. Eine solche Mitteilung an mich ware schon deshalb 
leicht moglich gewesen, weil ich sogar nach dem 24.. namlich am 
Sonnabend, den 25. ujid auch am Montag. den 27. wiederum mit Kri 
m.nalbeamten und Kommissaren im Karl-Liebkneeht-Haus wegen 
der Aaslieferung der reklamierten Sachen viele Stuuden ver- 
handelte. 

Am 25. Februar, nachde.n der Bericht fiber die Ganse. Gewolbe und 
Katakomben bereife in auff.illender Aufmacbung in de r <grossen» 
Presse ersohjen, stellte ich nach den Verhandlungen fiber die Walil- 
materialauslieferung an den leitenden Kommissar die Frage wo 



34 



Sich denn nun eigeutlich die <Katakomben» befanden. Ee waren eiue 

Anzahl Genossen, die als Hilfearbeitex mit der Verpackung uuseres 

Wahlmaterials beschfiftigt waren. mit zugegen. Darauf zei^te un9 

der Uitende Kommissar zu unscrer Ueberrasehung im Parterreraum 

der als Wachstube benutzt wurde, eine etwas iiber einen Meter brei- 

te Klaj>pe im Fussboden, die hochgestellt war, sodass man die in 

den Keller fiihrende Trittleiter sehen konnte. Sofort rief ein Geno&se 

der als langjahriger Hilfsarbeiter im Hause genau Beseheid wusste! 

Mensch, jetzt haben sie die Klappe zu unserem alten Bierkel- 

ler!» Wir bracken in scballeudes Gelachter aus und fragten dann wte 

aus einem Munde nochmals ausdrueklich; <Das sollen die <Katakom- 

beu> sein?^ Der Kriniinalkommissar antwortete nur mit einem ver- 

legenen Kopfnicken. 

Friiher befand sieh in diesem Hause an der bet-reffenden Stelle 
-\virklich eine Gastwirtechaft. Ebenso einfach ist die Erklarung fur 
die Gange, dureh die man angeblicb nach anderen Strassen uatte ent- 
fliehen konnen. Das Karl-Liebknechi-Haus ist ein Eckhaus, das als 
Burohaus fur gewerblicbe Unternehmungen Lager- und Arbeitskeller 
besase, die von Gorings Polizei als Gewolbe, Gange und Katakombeu 
bezeirhnet \vuvden.» 

Diese beiden Erklarungen decken den siebzehnten Wider- 
spruch in den amtlichen Meldungen auf. 

„Fanal zum Biirgcrkrieg" 

Der amlliche «Preussische Presscdienst» vom 28. Februar 
1933 behauptet : 

•i . , . sollte der Brand des Reichstages das Fanal zum blutigeu A.uf- 
ruhr und zum Burgerkrieg sein. Sctaon fiir Dienstag Fruh waren in 
Berlin grosse Pliinderungen festgesetzt, Ee steht fest. dass mit dem 
heutigen Tage in ganz Deutschland die Terrorakte gegen einzelne 
Personlichkeiten. gegen das Privateigentum, gegen Leib und Leben 
der friedlichen Bevolkerung beginnen und den allgemeinen Burger- 
krieg en tf ess ein sollten.s 

Die «Vossische Zeitung» vom 4. Marz 1933 meldete : 

Die Arbeit der Polizei hat bisher verhindert, dass daa Material al- 
ien Kommunisten zuganglich gemacht werden konnte. Es hat sicb nur 
in den Handen einiger weniger Fuuktionare in Geheimschrift befun- 
den.> 

Die letzte Durchsuchung des Karl-Liebknecht-Hauses fand 
am 24. Februar statt. Bei dieser Durchsuchung soil angcblich das 
Terrormaterial gefunden worden sein. Die politische Polizei be- 
hauptet, dass die Terroranweisungen nicht in die Hande aller 
Kommunisten ^elangt, sondern nur einigen Funktionaren bekannt 

95 



gewesen seien. In dem Zeitraum von drei Tagen vom 24 bis ?7 
Februar, hatte demnach die Kommunisiische Parlei Deulschlands 
erstens das Material aus dein Karl-Liebknecht-Haus in alle 
Bezirke Deulschlands sclialien miissen, 

zweilens halte sie in dieser Zeil die zur Ausfiihrung des Ter- 
rors besliimiilen Gruppen zusammenstellen naussen, 

drittens hatte sie diese Gruppen fur die Durchf uhruna der 
Terrorakte instrmeren und schulen rmissen, und § 

viertens hatte sie die ubrigen Mitglieder fur den durch die 
Terrorakte entfesseiten Burgerkrieg vorbereilen und oreanisierS 
mussen Die Kommunisiische Parfei Deulschlands hateimFe- 

wT/n^S I 00 ' 00 ? n 1181 '^ ft *** ganz D ^schland vmeut 
SE It S In ?r rialL rf l drC1 Tagen alle Pmne durchzuiuhren, 
die ihr die am lichen Meldungcn untcrstellen, hatle die Kommu- 
nisiische Parlei Deulschlands Wunder verrichten miissen. 

In der Gegeniiberstellung der beiden amtlichen Behauptungeu 
enthullt sich der achlzehnte Widerspruch. 

Goring veroffeutlicht das „Bclastungsiaaterial" nicht 

Der amtliche «Preussische PressediensU brachte am 1 Marz 
abends folgende Mitteilung : 

<Das Preussische Ministeriuin des Innern erklaxt zu der Notverord- 
-nuDg der Reicksregierung gegen die kommunistische Gefahr vom 28. 
Februar, dass in ihr verschiedene Verbrechen uuter besondeiB 
scnwere Strafen gestelll seien, aus Grunden einer voll erwiesenen 
grossen und akuten Gefahr und eines uumenschlichen und eorgfal- 
tig vorbereiteten Systems masslosen kommunistischen Terrors. 
Deutschland sollte in das Chaos des Bolschewismus gesturzt werden. 
Mordanschlage gegen einzelne Fuhrer des Volkes und Staates, Atten- 
tate gegen lebenswichtige Betriebe und offentlicbe Personen. das 
Abfangen von Geiseln, von Frauen und Kindern hervorragender 
Manner sollen Furcht und Entsetzen iiber das Volk bringen und jeden 
Wideretandewillen des Burgertums lahmen. 

Der Kommissar des Reichs ftir das preussische Ministerium des In- 
nern, Reichsm mister Goering, wird in allerkiirzester Friat 
der Oeffentlichkeit die Dokumente vorlegen, die die Notwendigkeit 
aller getroffenen Massnahmen belegen. Es findet lediglich noch eine 
Sichtung des iiberaus umfangreichen Materials statt, sowie eine letzte 
Priifung ira Hinblick darauf, dass durch die Veroffentlichung die 
Staatssicherheit nicht noch mehr gefahrdet werden darf.} 

Die Dokumente sind bis zum heutigen Tage nicht veroffent- 
licht worden. 

Dies ist der achtzehnte Widerspruch. 
96 



Goring dementiert sicli selbst 




da gewissen Blattern des Auslandes wird von deutacher marxisti- 

Bfiher Seite die verleumderwche Behauptung verbreitet da«s der 

Brand an Reichstagagebaude nicht von KomnuuWen, TontnTon na- 

t.onalsozialistigcher Seite gelegt worden sei. Die Urheber dieser Ver 

leunidung sind bereits reatgenommen und werden, sobald die Ermitt" 

lungen abgeechlossen sind, der verwirkten Strafe zugefuhrt werden 

a. a. wird behauptet, dass der verhaftete holliindische KommunUt io 

Wirkliehkeit ein agent provocateur und von fiihrender nationalso- 

zialistischer Seite zu der BrandstifUmg verleitet worden sei. Dies 

gehe daraus hervor, dass der Brandstifter zwar eeine Jacke und sein 

Hemd als Brennmaterial verwandt, aber sich nicht einmal der bei 

ihm vorgefundenen kommunistischen Ausweispapiere und seines Rei- 

sepasees eutledigt habe. Bezeichneud sei feraer, dass die Polizeibe- 

horden die Photographic des Brandstffters und die bei ihm sicherge- 

stellten Dokuraente nicht veroffentlicht und auch keine Belohnung 

fur Personen ausgesetzt batten, die niihere Angaben iiber den Atten- 

tiiter machen und seine Verbindung rait kommunistischen und -<o- 

zialdemokratkchen Politikern nachweisen kGnnen. Dieses bei einem 

grossen Kriminalfall ganz uugewohnliche Verfabren sei ein Beweis 

dafur, dass die Behorden die Aufkliirung des Verbrechens hintcr- 

treiben, ujii einen aationalsozialiatischen Provokationsakt zum Vor- 

wand der aniimarxistischen Aktion mifisbrauchcn zu konnen. 

Hierzu wird vou amtlicher Seite erklart, dass diese verleumderischen 
Kombinationen selbstredend jeder Grundlage entbehren. Die Ptaoto- 
graphien des Attentates und der bei ihm beachlagnahmten Doku- 
roente wurden bisher Iediglich im Interesee der Untersuchung noch 
nicht veroffentlicht. Die Veroffentlichung wird noch im Laufe des 
beutigen Tages erfolgen. Auch die Berliner Korrespondenten der aus- 
landfsvbeti Presse konnen noch im Laufe des heutigeo Tages die pho- 
rographischen Reproduktionen bei der Abteilung IA des PolizeiprS- 
sidium? erhalten. Ebenso wird das Photo noch heute der holl&ndi- 
si-hen Polizei zugeleitet werden, urn die Identitat des Attentates mit 
der Person van der Lubbe aucb in Holland festzustellen. Damit wird 
we.teren Verleumdungen der Boden entzoger sein. Vor ihrer Ver- 
brcitung wird nachdriicklich gewarnt.* 

Noch ehe die iibrigen deutschen Blatter diese Meldung pu- 
blizieren konnten. wurde ihr Nachdruck verboten. 

Goring Hess durch das Wolffsche Buro verbreiten. dass die 
Deutsche Allgemeine Zeitung* und die «Tagliche Rundschau* 
uier komrnunistischen Falschung zum Opfer gefallen seien. 

97 



Goring will demnach glauben niachen, dass jeder beliebige 
Mensch eine Zeitung nur anzurufen brauche und sagen iniisse- 
«Hier Preussischer PrcssediensU, una jede beliebige Nachricht 
zu lanzieren. In Wirklichkeit isl der Telefonverkehr zwischen den 
Presseagenturen und den Zeitungen genauestens geregelt. Die 
Redaktionsslenotypistin stellt, bevor sie die Meldung aufnimml 
erst eine Kontrollfrage. Das Dementi Gorings kann uber die 
Tatsache nicht hinwegtausclien, dass er ursprunglich mil der Mel- 
dung des Preussischen Pressedienstes die Welt bluffen wollte und 
erst, als er — zu spat allerdings — die grosse Gefahr erkannte die 
Meldung zuriickhielt. 

Dies ist der zwanzigste Widerspruch. 

Auf der Jagd nack Mitschuldigen 

Der Conti-Dienst des amtlichen Wolffschen Telegrafenbiiros 
teilte am 4. Marz 1933 mil : 

c . . dass der kommunistische Reichstagsabgeorduete Schumann in 
einer am 24. Februar in Gehren (Thiiringen) abgehaltenen komnju- 
nistiachen Wahlversammlung den Brand des Reichstagsgebaudes be- 
reils angekihidigt habe. Schumann soil wortlich gesagt haben: <Heute 
abend wird der Reichstag brennen. Aber das macht nichts. Wenn 
dieeer Tanzsaal niederbrennt, dann kriegen wir einen Schaukelboden.> 

Die «Vossische Zeitung» berichtet am 5. Marz 1933 : 

cAus Thiiringen war die Nachricht verbreitet und aucb durcb Rund- 
funk weiter gegeben worden, dass dem Kreisamt in Arnstadt in Thu- 
ringen ein Bericht tiber eine am Abeud der rachlosen Brandstif- 
tung im deutschen Reichstagsgebaude in dem Stadtchen Gehren ab- 
gehaltene kommunistische Wahlversammlung vorliege, in welch em 
der iiberwacnentfe firlliche Pchzeibearate eine Aeusserung dea Rcfr- 
renten, dea kommunistischen Reichstagsabgeordneten Schumann, fest- 
gehalten habe, in der der Reiehstagshrand im voraus angekiindigt 
sei. Bei den eingeleiteten Ermittlungen hat sich inzwischen, wie die 
<Thtiringer Allgemeine Zeitung* naitteilt, herausgestellt, ddss si-Jh : n 
der Gastwiitschaft, in der jene Versammlung stattfand, eine Radio 
anlage befindet, und daes dex Gastwirt dem Redner wahrend seiner 
Ausfuhmngen auf Grund der Rundfunkmeldung hat sagen lasson, 
dass der Reichstag brennt. 

Es steht fest, daes der betreffende Beamte sich in seinem Bericht um 
eine Stuade geirrt hat, und daes der Abgeordnete Schumann seine 
Aeusserung erst gegen 10 Uhr 15 abends gemacht hal, Daher 9ei mit 
Bestimmtheit anzunehmen, dass er von der Rundfunkmeldung bereite 
Kenntnis erhalten hatte.> 

Dies ist der einundzwanzigste Widerspruch. 
98 



Die «Vossische Zeitung* vom 7. Marz 1933 meldet auf Grund 
polizeilicher Informationen : 

<Duren, 6. 3. — In dem deutechen Grenzort Laramerdorf, unweit der 
belgischen Grenze, wurde gestern abend ein ruseischer Emigrant feet- 
genommen, der im Verdaeht steht, an der Brandstiftung im Reichs- 
tagsgebaude beteiligt gewesen zu sein, Er hatte kurz vorher von einem 
belgischen Postamt aus ein Telegramm nach Paris weitergegeben, 
deseen Inhalt bis jetzt nicht in Erfahrung gebracht werden konnte. 
Als er von belgischen Grenzbeamten nach Deutscllland abgeschoben 
worden war, erfolgle diesseits der Grenze eeine Verhaitung. Bei sei- 
ner Vernehmung gab er an, aus Russland zu stammon und eich lan- 
gere Zeit in Berlin aufgehalten zu haben. An Armen und Beinen 
hatte er erhebliche Brandwunden, Der mysteriose Fremde wurde heute 
im Lauie des Tages der Staatsanwaltschaft ubergeben, Er weigert 
eich nach "wie vor hartnackig, naheres iiber seine Tatigkeit in der 
Reichshauptstadt aoszusagen. Auch seinen Namen hat er bisher nicht 
angegeben.2 

Am 8. Marz 1933 gibt die «Vossische Zeitung* eine Mittei- 
lung des Regierungsprasidenten von Aachen wieder : 

Der Regieningsprasident von Aachen teilt mit, dass der bei Frings- 
haus festgenommene russische Staatsangehorige als Reichstagsbxand- 
stifter, wie die Ennittlungen ergeben haben, nicht in Frage kommt. 
Der Betreffende hat sich zwar in der KPD schriftstellerisch betatigt 
Aus diesem Grande ist er vor einem Jahr ausgewiesen worden.^ Wei- 
teres liegt jedorh gegen ihn nicht vor. Die Ausweisung ist inzwi- 
scrrwi diirchgefuhrt worden.> 

Dies ist der zweiundzwanzigste Widerspruch. 

Hat van der Lnbbe den Brand allein gelegt? 

Die HiUerregierung hatte Anfang Marz den Kriminalkom- 
missar Heisig nach Leiden geschickt, damit er dort Untersu- 
chungen iiber die Person van der Lubbes anstelle. Knmi- 
nalkommissar Heisig gab Vertretern der hollandischen Pjesse e in 
Interview, das am 14. Marz in yielen Zeilungen veroffenthcht 
wurde und in dem es wortlich heisst : 

<Was die wichtige Frage betrifrt, ob Lubbe Helfershelfer oder gar 
Mittater gehabt hat, so ist e* wabrscheinlich, dass er das Feuer al- 
lein gelegt hat, dass aber die vorbereitenden Massregeln von ttei- 
fershelfern durchgefOhrt worden sind!> 
Die«e Erklarung des Kriminalkommissars Heisig steht in 
schroffem Widerspruch zu den amtlichen Behauptungen vom i. 
Marz, dass die gleichzeitige Entziindung der Brand be^n dem 
riesigen Hause mindestens 10 Personen erforder haben .muss. 
Der Untersuchungsrichter, Reichsgerichtsrat Vogt, beeilt sich des- 

99 



halb, am 14. Mftrz abends die Erkl&rung des Kriminalkommissars 
Heisie durch die Justizpressestelle dementieren zu lassen: 

<In versehiedenen Zeitungen wird die Nacbricht verbreitet, dass van 
d»r Lubbe das Feuer iui Reichstag ullein augeziindet hat. Das trifft 
nicht zu. Die Ermittlungen des Untersuchungsrichters beim Reiehs- 
gericht haben zuverlassige Anhaltspunkte daflir ergeben, dass van 
der Lubbe die Tat nicht aus eigenem Antrieb begangen hat. Zur Zeit 
komien Einzelheiten im Interesee der Untersuchung nicht mitgeteik 
werden„» 
Dies ist der dreiundzwanzigste Widerspruch. 

Lubbes „Beziehungen" zur Sozialdcmokratie 

Der aratliche «Preussische PressediensU voiu 28. Februai 
teilte mil, dass van der Lubbe in seinem Gestandnis Beziehungen 
zur Sozialdemokratischen Partei eingestanden babe. Der Partei- 
■vorstand der Sozialdemokratischen Partei gab am 28. Februar 
eine Erklarung ab, in der es heisst : 

cln der Nacht vom 27. zum 28. Februar wurde die gesamte sozialde- 
raokratische Presee in Preussen auf 14 Tage verboten. Das Verbot 
wird mit der Behauptung begriindet, ein verhafteter Mann habe ge- 
standen, den Brand im Reichstagsgcbaude gelegt und zuvor in einer 
gewissen Verbindung mit der Sozialdemokratischen Partet gestandeu 

zu haben. 

Die Annahme, die Sozialdemokratische Partei hatte irgendwie mit 
Leuten zu tun, die den Roichstag in Brand steckten, wird von der 
Partei zuxiickgewiesen.* 

Diese Erklarung des sozialdemokratischen Parteivorslandes 
wurde durch die Mitteilung des Untersuchungsrichters am Reichs- 
gericht, Vogt, bestatigt. Diese Mitteilung wurde am 22. Marz 1933 
veroffentlicht : 

<Die bisberigen Ermittlungen haben ergeben, dass der als Brandstif- 
ter des Reichstagsgebaudes verhaftete hollandische Kommunist van 
der Lubbe in der Zeit unmittelbar vor dem Brande nicht nur nut 
deutschen Kommunisten in Verbindung gestanden hat, aondern auch 
mit auslandischen Kommunisten, darunter soichen, die wegen des 
Attentats in der Kathedrale von Sofia im Jahre 1925 zum Tode bet*, 
in schweren Zuchthausstrafen verurteilt worden sind. Die in Frage 
Iforomenden Personen befinden sich in Haft. Daflir, dass nichtkommu- 
niBtiscbe Krcise mit dem Reichstagsbrand in Beziehung stehen, ha- 
ben rlip Ermittlungen nicht den geringsten Anhalt ergeben.* 
Am 27 Februar soil van der Lubbe Beziehungen zu den So- 

zialdernokraien zugegeben haben, am 22. Marz gab es fur diesi 

Behauptung nicht den geringsten Anhaltspunkt. 
Dies ist der vierundzwanzigste Widerspruch. 

100 



Vaii der Lubbe und die Bulgaren 

In der zitierten Mitteilung des Reichsgerichtsrats Vogt wird 
Lehauplet dass van der Lubbe in Verbindung geslanden habt 
mil den Atleniatorn auf die Sofioter Kathedrale 

die er — auf der sAp^enS^ SfUZSK 

Kreisen der Kommunistischen Partci Deutschlands in Verbindun- 
zu kommen Es ist thin aucb gelungen, in dieser Zeit die Bul- 
garen zu linden, von denen behauptet wird, sie batten das 
Attentat auf die Kathedrale von Sofia verubl. 

Dies ist der fiinfundzwanzigste Widersprucb. 

Die verhafteten und der Mittaterschaft am Reichstagsbrand 
beschuldigten Bulgaren heissen: DIMITROFF, POPOFF unci 
TANEFF. 

Georg Dimitroff war einer der Fuhrer der Kommuni- 
stischen Partei Bulgariens. Er hat im Jabre 1923 am Auf- 
stand der bulgarischen Arbeiterschaft teilgenoinmen. Seit 1923 
hat er Bulgarien nicht mehr betreten. Er war am Attentat auf 
die Kathedrale von Sofia in keiner Weise beteiligt. 

Blagoi Popoff emigrierte im Oktober 1924 nach Jugoslawien 
und ist erst Ende 1930 nach Bulgarien zuriickgekehrt. Auch er 
war am Sofioter Bombenallenlal 1925 nicht beteiligt. 

Der dritte verhaftete Bulgare. Taneff, gehort der nationalisti- 
schen Partei Bulgariens an. Auch sein Name wurde im Zusam- 
menhang mit dem Attentat von Sofia nie gfcnannt. 

Dem Untersuchungsrichter am Reichsgericht Vogt sind diese 
Tatsachen ebenso bekannt wie uns. Trotzdem stellt er Dimitroff, 
Popoff und Taneff bewusst als die Mitschuldigen des Attentats 
von Sofia hin, um auf diese Weise die Reichslagsbrandstiftung 
als Internationales kommun istisches Komplott erscheinen zu 
lassen. 

Dies ist der sechsundzwanzigste Widersprucb. 

Der Untersuchungsrichter hat behauptet. Dimitroff sei mit 
van der Lubbe am 20. Februar um 3 Uhr nachmittags in einem 
Lokal in der Dusseldorferstrasse gesehen worden. Der Unter- 
suchungsrichter stellte auch eine Zeugin bereit, die bescbwor, an 
diesem Tage Lubbe mit Dimitroff gesehen zu haben. Die Zeugm 
verschwand nach kurzer Zeit wieder in der Versenkung. Derm 
Dimitroff konnte nachweisen, dass er am 26. Februar gar nicht 
in Berlin, sondern in Munchen gewesen sei. 

Dies ist der siebenundzwangzigste Widersprucb. 

101 



Keiii Material fiLr einen grossen Koiumunistenprozess 

Nachdem Reichsgerichtsrat Vogt noch am 27. Marz erklart 
hatte, dass ein strafrechtlicher Haftbefehl bisher lediglich gegen 
van der Lubbe ergangen sei, lasst er am 3. April mitteilen, dass 
insgesamt funf richterliche Haftbefehle wegen der Reichstags- 
brandstiftung, und zwar gegen van der Lubbe, gegen drei bulga- 
rische Kommunisten und gegen den kommunistischen Reichstags- 
abgeordneten Torgler vorliegen. Torgler wurde am 28. Februar 
verhaftet, die Bulgaren am 3. Marz. Bis zum 27. Marz, also in der 
Zeit, wo die wichtigsten und hauptsachlichsten Untersuchungen 
gefuhrt wurden, lag kein Haftbefehl gegen Torgler und die Bul- 
garen vor. Die Haftbefehle wurden erst erlassen, als es in der 
Weltpresse Aufsehen erregte, dass nur gegen van der Lubbe straf- 
rechtlicher Haftbefehl ergangen sei. 

Dies ist der achtundzwanzigste Widerspruch. 

In der Mitteilung vom 3. April des Reichsgerichtsrats Vogt 
wird gesagt : 

<Gegen eimge weitere Verdfichtige bestebeo vorlaufig lediglich 
SchutzhaftbereMe.> 

Am 2. Juni wird amtlich mitgeteilt : 

c . . . das* die. Voruntersuchung des Reichsgerichtsrate Vogt gcgeu 
dia angoschuldigten van der Lubbe, Torgler, Dimitroff, Popoff ua-i 
Tunoff wegen der Inbrandsetzung des Reichstages und wegen Hoch- 
verrats am 1 Juni abgeschlossen wurde. Die Akten sind dem Ober- 
reicbsanwal' ll Leipzig nunmehr vollstandig zugeeandt worden.* 

Am 3. April gab es noch «einige weitere Verdachiige*. Am 
1. Juni sind sie nicht mehr vorhanden. 

Dies ist der neunundzwanzigste Widerspruch. 
Am 22. April lasst Reichsgerichtsrat Vogt folgende amtliche 
Meldung uber den Fortgang der Untersuchung verbreiten: 

<Oa8 Reichsgericht beabsichtigt, die Untersuchung in den zahlreichen 
schwebenden Hoenverratsverfahren gegen Mltglieder der Kommuni- 
stischen Fartei zu einem grossen einheltlichen Komplex zusammen- 
zufassen. Man recbnet damit, dass die Untersuchungen in 8—10 Wo- 
cben zum Abschluss gelangt sind, sodase dann die gesamten Hochver- 
ratsverfabren vorr. Reichsgericht behandelt werden kSnnen. In Frage 
kommen sSmtlkbe Hochverratsverfahrea, die in Zusammenhang mit 
dem Regieruugsweehsel in Deutschland stehen, also alle Verbrechen 
aus dem Zeilravm Januar und Februar. 

Danacb wurde auch das Verfahren wegen der Relchstagsbrandetif- 
tuna einbezogen werden. Es ist bisher deshalb nicht sehr rasch voran 
gegangen, weil die Beteiligten, vor allem die verhafteten Buigareo 

102 



jegliche Aussage verweigern. Die Verdachtsinomente fur &ine Be- 
teiligung des Reichstagsabgeordneten Torgler habea sich verstarkt.s 

Einen Monat spater, am 25. Mai ist von dem grossen Kom- 
munislenprozess keine Rede mehr. Die Hitlerregierung ist ge- 
zwungen, durch ein parlanaenlarisches Nachrichtenburo die Nach- 
richt verbreiten zu lassen, dass 

<im Uebrigeu uicht dautit zu reclmen sei, wie gelegentlich behaupU>t 
vurde, dass der Prozess wegen der Reichatagsbrandstiftung mit an 
dcren gegen die koramunlstischen Ftihrer angangigen Verfahren zu 
einem grossen Kommunistenprozess verbunden werde. Die tiaunt- 
verhaudlung gegen van der Lubbe and seine Mithetfer wird vielmeiir 
vou dem Keichsgericht durchgeiuhrt warden, sobald aie nStigen Vor- 
arbeiteo abgeschlossen sind. 
Dies ist der dreissigste Widerspruch. 

Der «V61kische Beobachter», das offizielle Organ Hitlers, 
brachte am 3. Marz folgende Mitteilung aus Regierungskreisen: 

<Der Presseleiter der nationalsozialietischen Reichstagsfraktion 
entdeckte iiber dem Zimmer des kommunietischen Abgeordn-3ten 
Toigler im Glasdach eine herausgenommene Seheibe und naen wei- 
teiem Suchen daruber eine grosse Leiter, die unter dem Fenster 
aines kommunistischen Abgeordnetenzimmere im z-weiten Oberge- 

schoss lag. 

Die Kriminalkommissare stellten sofort eine eingehende Unter3U- 
chung an- Hier also mussen die Brandatifter vor der Tat heruM&r- 
gekoramen oder naeh der Tat hinausgestlegen sein>. 

Am 1. Marz hatte Goring behauptet, die Brandstifter seien 
durch den unterirdischen Gang, der vom Reich stagsgebaude zu 
Gorings Hause fiihrte, entkommen. Mit dieser Erklarung bestatigt 
er, was viele vermuteten: dass die Reichstagsbrandstifter durch 
sein Haus in den Reichstag eingedrungen und durch sein Haus 
entkommen seien. Um den niederschmetternden Emdruck, den 
Gorings Mitteilung machte, abzuschvvachen, schickte man den 
Presseleiter der Nationalsozialistischen Fraktion vor, der plotz- 
lich eine zerschlagene Fensterscheibe und eine Leiter entdeckte. 
Die Kriminalpolizei hatte demnach trotz dreitagigem grundlicnem 
Suchen iibersehen, was des Reichspresseleiters scharfes Auge so- 
fort entdeckte. 

Dies ist der einunddreissigste Widerspruch. 

Van der Lubbe gesteht, was verlangt wird 

Dr. Oberfohren schildert in seiner Denkschrift, dass Goebbels 
Plan darin bestand, eine Scrie von Brandst.it ungen zu ^ntfachen, 
die durch den Reichstagsbrand gekront ^verden ^sollten. Zj ^ Brand- 
stiftungen braucht man Brandstifter. Van der Lubbe gesteht, das, 

103 



er den Reichstag angezundel hat. Van dor Lutobe gesteht, dass er 
am 25. Februar das Berliner Schloss anzuziinden versuchte. Die 
Blatter nielden am 27. Februar liber den Schlossbrand: 

<Wie erst jetz.t bekannt wird, iet am Sounabend iui Berliner ScUIohs 
in einem Buroraum im fUnften Stock ein geringfugigea Feuer ausgo- 
biocben, das durch die Aulmerksanikeit einee itn Schlosa slalionier- 
ten Feuerwehrmannes echnell gelSacht werden konnte. Die Eatste- 
hungsursache 1st noch nieht vSllig geklart. Man vermutet jedoch 
eine Brandfltinuug. 

Bine Stunde vor dem Entstehen des Feuers hatte der Hausmeiater 
seinen Rundgang durch das Schloes angetreten und war auch durch 
das Biiro gekommen. Zu jeaer Zeit war noch nichts Verdacbtiges 
zu bemerken. Bald danach brannte es im Zinnner. Wie sich heraus- 
stellte lag auf dem Fensterbrett ein giiihender Kohlenaazunder, 
ebenso unter dem Fenster wie auch auf der Dampfheizung. Die 
polizeiliche Untersuchung 1st noch nicht abgeschlossen.> 

Van der Lubbe gesteht, am 25. Februar den Versuch geroacht 
zu haben, im Wohlfahrtsamt Neukolln Feuer anzulegen. Van der 
Lubbe gesteht, am 25. Februar den Versuch gemacht zu haben, 
im Berliner Rathaus Feuer anzulegen. 

Dieser van der Lubbe ist ein wahrer Teufelskerl. An einem 
Tag an drei verschiedenen Orten Berlins Feuer legen! Dazu 
spricht der Mann gebrochen deutsch. Er ist erst am 18. Februar 1933 
in Berlin cingetroffen. Nach sieben Tagen besass er bereits ge- 
nueend Ortskenntnis, urn im Schloss, im Rathaus und im Wohl- 
fahrtsamt Feuer anzulegen. Neun Tage brauchte er nur. urn sicli 
fiber das Reichslagsgebaude so zu informieren, dass er dort etn 
und aus gine wie zu Hause. , 

Van der Lubbe soil als waschechter Communist, gelten. Zum 
,Kommunisten, gehort nach der Vorstellung des Dr. Gobbels ^in 
falscher Pass. Infolgedessen muss van der ^ JJ^ 11 ^ 
Namen im Pass eine Aenderung anbnngen. Er macht aus dem «U> 
ein «u». So wird mit zwei Strichen aus einem echten Pass em 
«gefalschter». . _ _ 

Van der Lubbe nfcnmt bereitwilligst «ko«st>sche F^g- 
bl&ller. mit in den Reichstag Noch memals ist em Verbjedier 
so koraplett ausgerfistet mit «Ausweispapieren. dei Poumi em 
gegengetreten. 

Ein Gesprach mit Torgler am Vorabend 

aes neibiufw Vorsitzender der Kommunistischen 

Ernst Torgler hatte ™\V°™™™ Zeitunf , e n und Journa- 
Reichstagsfraktion vielfach An agen ^ e ^| elconferenz der 
listen zu beanhvorten. ki nai 

104 






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Das Hauptgeselioss des Reiclistagsgebaudos in. Grundriss 

la der Mitlr der Silnuiigssual mil den ffmgehungs- 
giln^eii hikI der Wandellialle. ffier waren die 
bauptsaohliohsteii Bwndherde angelegt. 



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SI17.I NliSSAAl. 



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Aufriss des ReichstaffSffebSiudes 



©•■"X 



Aii tier init cSitzungssaaI» bezeichneten Slelle 
rinal der uaterirdiscbe Gang, der zu Garings 
Ifaus I'iihrt. 



Kommunistischen Reichstagsfraktion am 24. Februar den anwe- 
senden Journalisten erklart, dass die Komtuunisten Nachrichten 
uber eine geplante Provokation der Nazis besassen. Er berichtete 
damals, dass unter anderem dariiber gesprochen wiirde, ein At- 
tentat gegen Hitler vorzutauschen. Die gesamte Auslandspresse 
und ein Teil der deutschen Presse hat diese Mitteilungen Torg- 
lers in grosser Aufmachung wiedergegeben. Kurze Zeit nach dieser 
Pressekonferenz ersuchte der Parlamentsberichterstatter der *Vos- 
sischen Zeitung», Adolf Philippsborn, den Abgeordneten Torgler 
um eine Zusammenkunft, in der uber die geheimen Urntriebe und 
Plane der Nationalsozialisten gesprochen werden sollte. Adolf 
Philippsborn hat dieses letzte Interview mit Torgler im «Gegen- 
angriff» vorn 1. Juli 1933 geschildert: 

<Als Parlamentsjournalist hatte ich aeit Jahren Ftihlung mit den 

Abgeordneten aller Parteien im deutschen Reichstag. Ein Zufall 

wollte es, dass ich am 26. Februar d. J. im Cafe Friediger am Pots- 

damer Platz in Berlin eine Zuaammenkunft mit Torgler hatte, vier- 

undzwunzig Stunden vor dem Reichstagabrand. 

Torgler erschien mit seinem elfjahrigen Tochterchen. Ich legte ibm, 

ate dem Fuhrer seiner Fraktion, Material vor Uber die Urntriebe und 

geheimen Plane der Nationalsozialisten. Im Anschluss daxan un- 

terhielten wir uns etwa zwei Srunden iiber die gesamte politiache 

Situation. Ich, der ich der Kommunistischen Partei niemals nafie- 

gestanden habe, wies auf manche Schwaehen der KPD hin. Frei- 

miitig gab Torgler dies und jenes zu, verteidigte jedoch energisch 

die allgemeine Haltung seiner politischen Freunde. Schliesslich 

stellte ich ihm etwa folgende Fragen: 

<Man verbreitet das Geriicbt, die Kommunisten wollten noch vol 

der Reichstagswahl (5. Marz) irgend eine Aktion gegen die Nazire- 

gierung unternehmen. Stimmt da9?> 

Torgler: <Das let Wahnsinn. Die Regierung wartet ja nur auf eine 

golche Gelegenheit, um die KPD zu verbieten.> 

Ich: « Werden die kommunistischen Fuhrer zum Streik aufrufen?> 

Torgler: sNatiirlich fordern wir den politischen Massenstreik ali 

Kampfmittel gegen die faschistischen Gewalttaten. Aber wir wis- 

sen, dass diese Aktion nur dann von Erfolg begleitet sein kdnnte, 

wenn die Gewerkschaften ihrcn Widerstand aufgeben und sich in 

die Kampffront einreihen wurden.* 

Ich: *Kann ich also das Ergebnis dieser Unterredung dahin zueam- 

menfaseen, class die Kommunistisehe Partei nichta zu unternehmen 

beabsichtigt, was der Naziregierung Anlase zu einer Offensive gegen 

die marxistische Arbeiterschalft geben konnte?> 

Torgler (mil Nachdruck uud Ueberzeugung) : <Jawohl, so tat ex 

Wir Kommunisteu wiflsen, dass wir allein zu schwach zum Kampf 

sind, Wir wiseen. dass Hitler, Goring und Genossen nur auf euiea 

Anlass warten, der ihnen Gelegenheit gibt, die KPD zu verbieten 

und ihre Reichstagstnandate zu kassieren. Wir wissen, dass wir be- 

109 



spitzelt, dass unsere Telephongesprache iiberwaeht werden. Wir 

laulen den Herren nictat in die uns gestellte Falle.» 

Am Abend nach dieser Unterredung brannte der Reichstag, und 

einige Stunden danach hatte man Torgler als <Tater> verhaflet. 

Ich hatte damals die Ueberzeugung, die ich noch heute babe, dass 

Torgler die lautere Wahrbeit zu mir gesprochen batte. Und darum 

sage ich es, obwohl ich Gegner dee Kommunismus bin, jedem, nnd 

auch Herrn Goring, der es sicher besser weise als ich, und dea 

Richtern beim Reichsgericht, 

Hfinde weg von Ernst Torgler, er iet unschuldigl 

Dieser Bericht Philippsborns ist ein Beweis mehr fur Ernst 
Torglers Unschuld. Dieser Mann, der sich selbst gestellt hat, hat 
mit dem Reichstagsbrande ebenso wenig zu tun wie sein Genosse 
Koenen und die verhafteten Bulgaren. Wir haben an anderer S telle 
nachgewiesen, dass die Kommunistische Partei in vielen Erkla- 
rungen gegen den individuellen Terror aufgetreten ist und ihn 
verdammt hat. Alle «Zeugen», die Herr Goering nun gegen Torgler 
und Koenen loslasst (Koenen ist den Polizeischergen entkommen 
und setzt den antifaschistischen Kampf fort), werden mit lhren 
bezahlten und praparierten Aussagen die Schuld der beiden Man- 
ner nicht beweisen. Ernst Torgler, Wilhelm Koenen, Dimitroff, 
Popoff, Taneff haben van der Lubbe nie gesehen. Sie waren nicht 
die Brandstifter des Deutschen Reichstags. 

Der Beweis ftir die Schuld der Nazis 

Die Widerspruche allein, in die sich die Hitler-Regierung in 
ihren Erklarungen zum Reichstagsbrande verwickelte genugten 
schon, um ein Urteil iiber die wahren Reichstagsbrandstifter zu fal- 
len. Aber uber diese Widerspruche hinaus gibt es direkte Beweise 
fur die Schuld der Nationalsozialisten am Reichstagsbrande. Nicht 
alle Beweismittel, die uns zur Verfugung stehen, werden hier an - 
eefuhrt. Nur die bedeutendsten und wichtigsten sind in diesem 
Buche verzeichnet. Der Brand im Deutschen Reichstag wurde 
um 9 Uhr 15 entdeckt. Die Massenverhaftungen in Berlin began - 
nen kurz nach Mitternacht. Fast samtliche Haftbefehle waren mil 
Fotografien der zu Verhaftenden versehen, das Datum des Hat - 
befehls war mit Tinte eingesetzt. Am 28. Februar wurden alleio 
in Berlin rund 1500 Menschen verhaftet. 

Kann man in drei Stunden 1500 Haftbefehle ausfullen. unter- 
schreiben und der Mehrzahl eine Fotografie ^^J- ^"^ 
lungen von entlassenen Polizeibeamten geben uns Aufklarun^ 
ubel diese Fixigkeit. Die Haftbefehle wurden m ■ den let .en Tage . 
vor dem Reich stagsbrand vorbemtet. Nur das Datun , bheb otte 
Am Morgen des 27. Februar lagen samthche ^^ h r , f. bereiL 
Sie waren unterschrieben, ehe das Datum emgesetzt wurde. 

106 



Am 22. Februar beschloss die Preussische Regierung die Ver- 
Starkung des Polizeikorps durch Hilfspolizei. Zu Hilfspolizei- 
beamten durftcn nur Mitglieder der sogenannten nationalen Ver- 
bande, also der SA und des Stahlhelm, ernannt werden. "Wahrend 
die Bestellung von HilfspoHzeibeamten in den Bezirken durch die 
Regierungsprasidenten besLSitigi werden musste, behielt sich der 
konimissarische Minister des Innern, Goring, das Recht der Er- 
uennuag von HilfspoHzeibeamten fur Berlin selbst vor. Der Be- 
schluss wurde am 25. Februar, zwei Tage vor dem Reichstags- 
brand, der Oei'fentlichkeit libergeben. 

In der ersten amtlichen Meldung iiber den Reichstagsbrand 
hat Goring triumphierend verkiindet, dass die von ihm durchge- 
tuhrte Einstellung der Hilfspolizei sich als berechtigt und begriin- 
dct erwiesen habe. 

Die nationalsozialistischen Fuhrer und Minister begnuglen 
sich nicht mit der Schaffung der Hilfspolizei. Am 27. Februar 
war die gesamte SA von Berlin in ihren Unterkunften und Ka- 
sernen zusammengezogen. Ein SA-Mann, der Ende Marz aus 
Dcutschland gefluchtet ist, berichlet tm Pariser «InlransigeanU, 
iiber die Alarmbereitschaft der SA. folgendes: 

«Am 27. Februar erhielten wir mittags den Befehl, bis auf weitere* 
Id unseren Unterkunften zu bleiben, Strengea Verbot, sich in Grup- 
pen auf der Strasse zu zeigen, Nur die Geldsammler mil ihren Bttch- 
sen hatten Ausgang, und bestimmte Leute mit Sonderbefehlen. 
Wir wusaten nicht, was das bedeuten sollte, und warteten. Bis auf 
einmal, urn 10 Uhr abends, der Befehl kain: < A lies im Laufschritt 
zum Brandenbuxger Tori Waff en zu Hause lassen! Absperrungsdienst. 
Der Reichstag brennt!* 

Der Berliner Gnippciifuhrer Ernst versammelte e-inige von una in der 
Bierstube an der Ecke Wilhelm- und Dorotheenstrasse. Er beaufrragle 
un*. in die u-rvehiedenen Stadtteile zu eilen und in Kneipen un-i an 
Strassenecken zu verbreiten, dass die Kommunisten den Reicbstag 
angezttndet hatten, dass man bestimmte Beweise in der Hand habe — 
kurz alles das. was am n&cbsten Tage in der Presse stand. 
Um diese Zeit war noch nicht bekannt, dase van der Lubbe ein Hol- 
lander ist und dass der Abgeordnete Torgler als letzter den Reichs- 
tag verlassen hatte. Uns wurde dies alles ale feststehende Tatsaeh* 
mitgeteilt, und zwar mit solcher Sicherheit, dass uns alle die Wuc 
gegen die Brandstifter fasste. Wir sausten los und erledigten unser* 
Aufgaben rait Feuereifer. Je dfter ich meine Geschichte wiederholte, 
umso ausl'iihrlicher wurde sie. und bald White ich mich als Augen- 
zeuge der Brand9tiftung.» 

Der Gruppenfuhrer Ernst ndmmi in dor Hierarchie der Hitler- 
wegung einen hohen Rang ein. Aber es gehort mehr als die 
fe&it eines Gnippenffihrers dazu, wemge Minuten nach 

107 



10 Uhr scfaon zu wissen, dass Torgler als Letzter den Reichstag 
verlassen hatte. Gruppenfuhrer Ernst war in Goebbels" undGorings 

Plan eingeweiht. Ihm fiel die besondere Rolle zu, die SA-Manner 
zu Herolden der *.komnnmistischen» Brandstiflung zu machen. 

Hitler verriit sioh 

Am 27. Februar 1933 brennt der deutsche Reichstag. Am 27. 
Februar 1933 sind die wichtigsten Fiihrer der Nalionalsozialisten 
in Berlin, obwohl der Wahlkampf im ganzen Reiche auf dem 
Hohepunkt stehl. Hitler spricht am 27. Februar in keiner Ver- 
sammlung, Goebbels spricht am 27. Februar in keiner Versamm- 
lung. Alle zwei sind in Berlin. Keiner von ihnen hat am Abend des 

27. Februar eine Besprechung, eine dienstliche Zusammenkunft, 
eine Arbeit. 

Wenige Minuten, nachdem der Reichstagsbrand gemeldet 
wird, erscheinl Goring, kurz nach ihm Hitler ur.d Goebbels an der 
Brandstatte. Sefton Delmar, der Berliner Korrespondent des «Daily 
Express* ist in ihrer Gesellschaft. Der faschistische Londoner 
*Daily Express* ist eines der wen i gen hitlerfreundlichen Blatter 
in England. Sefton Delmar erfreut sich der besonderen Anerken- 
nung Hitlers. Trotzdem ist der Bericht des «Daily Express* vom 

28. Februar 1933 fur Hitler belastender als die Berichte der geg- 
nerischen Auslandsblatter von diesem Tage. 

Sefton Delmar schildert in seinem Bericht vom Brandort eine 
Szene, die sich aller Berechnung nach ungefahr zwanzig bis 
dreissig Minuten nach der Enldeckung des Brandes abgespielt 
haben muss. Hitler, der eben an der Brandstatte eingetroffen war, 
wandte sich an den Vizekanzler von Papen mit folgenden 
Worten : 

<Das ist ein von Gott gegebenes Zeichen. Niemand wird uns nun 
daran hindern, die Kommunisten mil eiserner Faust zu vernichten.> 
Und zu Delmar gewendet, fuhr Hitler fort: 
«Sie sind Zeuge einer groesen neuen Epoche in der deutschen Ge- 
schichte. Dieser Brand ist ihr Beginn.> 

Der Kanzler des 3. Reiches sprach diese Worte zu einer Zeit, 
wo die «Schuld» der Kommunisten noch gar nicht festgestellt sein 
konnte, wo van der Lubbe erst mit Hilfe eines Dolmetschers ver- 
h5rt wurde. Das Verhor, das mit van der Lubbe unmittelbar nach 
seiner Verhaftung angestellt wurde, dauerte nach den uberein- 
stimmcnden Berichten der Blatter bis in die Morgenstunden. Van 
der Lubbe wurde ungefahr um 9 Uhr 20 Abends verhaftet Er 
konnte demnach zur Zeit, wo Hitler den eben zitierlen Aus- 
spruch tat, noch keinerlei «umfassendes Gestandnis* gemacht ha- 
ben, das Hitler als Unterlage fur seinen Ausspruch, fur seine Be- 
schuldigungen gegen die Kommunisten hatte dienen konnen. 

108 



Hitlers Unbeherrschlhett H-™, -,,,„ A „, 
der Kommunislen zu friifa sp eeheT Fr ? r . 1 VOn dei *<*«« 
nichl ab, er sprach die vier Saie iSh„ fix WartCte f m Stlch^ort 

Hitler ha. 1930 vor den, EhSShf' .T^T" 
sozialistischen Bewegimg geschehe n ?ri? e ' rl ' m der ^onal. 
Behauptung trim AJStd^^SS^ Wis „ sen - Di« 
zu. Hitler hat die Kommunisien de B SSl'" "", Re chsta S e 
ehe er einer. Beweis daffir eine Viiw,™ ; (, ? g beschuldigt, 

Welch andere Schlussfolgerun^ | Jf, 1 ?« W* konnle. 
Hitler den P, a „ von GoriSg und Q^S£SSS^St^ d ™ 
Kanzler des Written Reiches. is, der MiSe? ff fi2£ 

Bin Bundesgenos.se beschuldigt. die Nazis 
der Brandstiftung 

i Die *Deu tsche Allgemeine Zeitung», das Blatt der Schwerin- 
dustrie, hatte seit 1930 die Betrauung Hitlers mil der Regierungs- 
fuhrung verlangt. Die Schwerindustrie baute gleich den Deutsch- 
nationalen auf die Illusion. Hitler wurde sich damit begnfieen 
die Macht mit den Deutschnationalen zu teilen. 

Die ersten Wochen der nationalen Regierung schon enthull- 
ten SChwere Gcgensalze innerhalb der Regierungskoalilion. In der 
Denkschnft Oberfohrens sind dicse Gegensatze mit alter Deutlich- 
kei t aufgezeigt. 

Die "Deutsche AUgemeine Zeitung* bemuhte sich, die Stellung 
der Deutschnationalen zu slarken. Sie sparte in den Anfangen der 
nationalen Regierung nicht mil Kritik. Und sie ging kurz nach 
dem Reichstagsbraru!. als die Nalionalsozialisten das Ueberge- 
wicht in der Regierung erhielten, sogar soweit, die Erkllirungen 
Gorings fur unwahr zu erklaren und Zvveifel an der Schuld der 
Kornmunisten auszusprechen. Das Blatt schrieb am 2. Marz 1933: 

Politiseh ist an dem Brand im Reichstag our einee vollig unbegreif- 
lich: class ein Kommunist gefunden werden konnte, der so tSricht 
war, das Verbrechon zu begehen. Von einer koiumunistisch-sozialdp- 
mokratisehen Einheitsfront haben wir ausser in einigen Reden. Zei- 
tungsartfkeln und AnU-agen bisher venig bemerkt. Dass jene Ein- 
heitsfront sich ausgerechnet zum Zwwk einer Brandstiftung im deut- 
schen Reichstag gebildet haben sollte, ist ausserordentlich unwanr- 
scheMleh. Wir fiirchten, dass eine genaue Nachpriifung der voraus. 
setzungen jener bekannten Bemerkung des Relehekommiesars rar 
Inneres die Unhaltbarkeit dieses Vorwurfa beweiaen wnd. \\enn rtas 
der Fall 1st. Wfire es besser gewese/i. ibn gar nicbt zu erheben.s 

Das ist nicht die Mitleilung einer marxistischen Zeitoig, das 
schreibt das Blatt der Schwerindustrie. Den Herren wurde angst 

109 



und bange vor ihrem eigenen Spiel. 

Der Artikel in der «Deutschen Allgemeinen Zeitung» bestatigt 
Oberfohrens Mitteilungen. Zu spat. Oberfohren wurde ermordet. 
Die "Deutsche Allgenicine Zeitungo wurde einige Monale nach 
dem Reichstagsbrande gleichgeschaltet. Ihr Chefredakteur Dr. 
Fritz Klein wurde abgeselzt. Nicht lange bevor auch Hugenberg in 
der Versenkung untertauchte. Die verstcckte Drohung, die in der 
Mitteilung der «Deutschen Allgemeinen Zeitung» liegt, hat ihren 
Zweck verfehlt. Die Auflosung der Deutschnationalen Partei war 
nicht auizuhallen. Uns allerdings ist der Artikel der «Deulschen 
Allgemeinen Zeitung» ein wichtiges Beweismittel. Der Bundesge- 
nosse zeiht Goring der Luge und zweifelt an der Schuld der Kora- 
munisten. Heisst das nicht, in undiplomatische Sprache ubersetzt: 
die Nazis haben den Reichstag angeziindet! 

Warum liess Goring den Reichstag olme Sckutz ? 

In den Mitteilungen des amtlichen «Preussischen Pressedien- 
stes> vom 28. Februar wird gesagt, dass unter dem im Karl-Lieb- 
knecht-Haus gefundenen Material auch die Anweisungen fiir den 
Reichstagsbrand gewesen waren. Die Durchsuchung des Karl- 
Liebknecht-Hauses fand am 24. Februar 1933 statt. Die gesamte 
burgerliche Presse berichtete bereits am 24. und 25. Februar in 
grosster Aufrnachung iiber die angeblichen Mordplane der Kom- 
munisten. Der Polizeiprasident von Berlin erstattete Goring am 
26. Februar Bericht iiber das angeblich in den «Katakomben» des 
Karl-Liebknecht-Hauses gefundene Material. Goring verfiigte als 
kommissarischer Innenminister iiber die preussische Polizei. Goring 
war als Reichstagsprasident Hausherr im Reichstag. Niemand 
hatte so wie er die Moglichkeit, den Reichstag vor einem Anschiag 
zu schutzen. Niemand hatte so wie er die Pflicht, es zu lun. 

Goring hat weder die Polizei zum Schutze des Reichstagsge- 
baudes herangezogen, noch hat er innerhalh des Reichstages selbsi 
irgendwelche Schutzmassnahmen ergriffen. Ware die Mitteilung 
iiber das angeblich im Karl-Liebknecht-Haus gefundene Material 
zutreffend, so hatte sich Herr Goring zumindest der Vorschublei - 
stung zu einem schweren Verbrechen schuldig gemacht, Aus der 
Tatsache, dass Goering nichts zum Schutze des Reichstags unter- 
nommen hat, ebenso wie aus der Tatsache, dass die im Kan- 
Liebknecht-Haus angeblich gefundenen Dokumenlen bis zum heu- 
tigen Tage nicht veroffentlicht sind, lasst sich nur ein Schluss 
ziehen : das Material aus dem Karl-Liebknecht-Hause existiert 
nur in den Berichten des amtlichen «Preussischen Pressedienstes*; 
die Kommunisten hatten weder die Absicht, noch hatten sie Vor- 
bereitungen getroffen, den Reichstag anzuzundcn; hingegen rich- 
tete Goering alles darauf ein, den Reichstag abbrennen zu lassen. 

110 



verliesseL Am 27. Feb™ ""Sufess de^n.Tn ^ -"S^ 
Hausinspektor die diensthabenden SLl . . onalsoziah stische 
tag aus dem Dienst. Die Beamten SkSpn? 8 T * Uhr miU 
BMidfeag des Dienstes deT^St^" SS ^ T^ 6 

diesen Tag zu beenden, da doch nichts z U tun sei 

u-« ! T U f n S l M S Z S^ C u len ^ gr5ssten Aus landszeitungen die 
Mitteilung, dass die Reichstegjcamten am 27. Februar vorzei S 

beurlaubl worden seien. Die Hitler-Regierung hat nicht eewaet 
daese Meldung zu dementieren. & ft ' 

Oberbranddirektor Gempp beschuldigt Goring 

Am 24. Marz erfolgte die uberraschende Mitteilung, dass der 
Berliner Oberbranddirektor Gempp, Leiter der Berliner Feuer- 
wehr, vorliiufig beurlaubt worden sei, weil er in seinem Dienst- 
bereich kommunistische Umtriebe geduldet habe. Die kommu- 
nistischen Umtriebe, die Oberbranddirektor Gempp angeblich ge- 
duldet hatte, bestanden darin, dass er in einer Besprechung mit 
den Inspekteuren und Brandleitern der Feuerwehr fachmannische 
Mitteilungen uber den Reichstagsbrand gemacht hatte, die das 
Verhalten Gorings am Brandorte in sonderbarem Licht erschei- 
nen liessen. Die Mitteilungen Gempps betrafen folgende drei we- 
sentliche Tatsachen: 

«In einer Besprechung mit eeinen Inspekteuren und Brandleitern hat 
Herr Gempp kurz vor seinem Ausscheideu Klage dariiber gefuhrt, 
dass die Feuerwehr zu spat alarmiert worden sei, Nur so sei es zu 
erklSren, dass eine etwa 20 Mann starke SA-Abteilung sich bereite am 
Brandherd befand, als die Feuerwehr endlich erschien. 
Ferner ftihrte Herr Gempp dariiber Klage, dass der tommies arische 
Innenminister Preussens, Goring, ihm ausdrucklich verboten habe, 
sofort die hochste Alarmstufe zu verkunden und demgemass stiirkere 
FeuerwehrkrSfte einzusetzen. 

Scbliesslich war Herrn Gempp aufgefallen, dass In den nicht zerstor- 
ten Teilen des Reichstaes^ebSudes grosse Mengen nicht mehr verwen- 
deten Brandstiftungsmateriate herumgelegen hatten; ihfflW w«* 
den en Zimmcrn, ur.ter und in Schranken USW., Material, das alieui 
einen ganzen Lastwagen gefiillt haben wtirde.> 

Die hier wiedergegebene Meldung w^rde^m 2o. April MBBiii 

der .Saarbriickener Volksstimme. veroffenthcht und nahm von 
hier ihren Weg durch die geeamte Weltpresse. 

Ill 



Goring beaalwortele die MitteUuugeii dei Saai'br&ckener 

Volksstsmme* nicht etwa mil einer Lrklarung, dass die Behaun- 
tungen falsch seien. Er nahm sie zura Anlass, Gempp der Untreue 
^ es ? l hu l di Sf n - Die ^Deutsche Allgemeine Zeitung, voni 29. April 
1933 gibt Auskunit daruber, wie Goring auf die Knthullungen der 
Volksstirume» reagierte : " 

Der Staatskomniiss:.,- z. B. V. d,-. Lippert teilt mit; Gegen den am 
24. Marz a. ,1. vom Staatskoinniissar z. b. V. Dr. Uppeu vorlaufig 
beurlaubten Oberbranddirektor Gempp, Leiter der Berliner Feuer- 
vehr. war die Beschuldigung erhoben worden, dass er in aeinem 
Dienstbereick kommuuistisehe Umtriebe geduldet babe. Gempp hat 
darauf die Einleitung eines Disziplinarverfahren ge-gen sich bean 
tragt. Dieser Antrag ist zuniichst mit Riicksicht darauf abgelehnt war 
den, weil der Verdacht anderweitiger Verfehhmgerj gegen Gempp 
'orliegt. Es ist minmehr gegen ihn ein Disziplinyrverfahrerj einge- 
ieitet worden, weil er bei deni Ankauf eines Autos durch dea 
darnaligen Dezernenten, den sozialdemokratischen Stadtrat Ahrena, 
sich der Untreue geinass § 266 des Strafgesetzbuches schuldig ge- 
macht haben so!l.> 

Diese Taktik der Nationalsozialisten. unbequeme Gegner 
durch kriininelle Beschuldigungen zur Strecke zu bringen, ist 
nicht nur im Falle Gempp angewendet worden. Unter den gleichen 
Beschuldigungen wurde der stadtische Dezernent fur Fcuerwehr- 
fragen, Sladtrat Ahrens verhaftet. Auch er hatte kritisiert dass 
die Feuerwehr zu spat alariniert worden war. 

Aus den Beschuldigungen Gempps gegen Goring geht klar 
hervor. dass Goring an der Ausdehnnng des Brandes, und 
nicht an seiner Eindammung interessiert war. Die Ver- 
wustung, die das Feuer im Reichstag anrichtete, musste moglichst 
gross und eindrucksvoll sein, deshalb durfte der Brand nichl zu 
friih geloscht werden. Drei Tage nach dein Reicbstagsbrande 
schon wurde die Brandstatte zur Besichtigung fiir das Publikum 
freigegeben. Der gleiche nationalsozialistische Hausinspektor. der 
die Beamten am 27. Februar vorzeitig beurlaubt hatte. war nun 
Fiihrer durch das zerstorte Reichstagsgebaude. Die Menschen 
drangten sich zu Zehntausenden nach der Brandstatte. Der Fiih- 
rer erklarte «sachkundig», wie der Brand von den «Kommunislen» 
gelegt worden sei. Er vergass nicht, seine Schilderungen mit 
Greuelmarchen uber die Absichten der Kommunisten auszu- 
schmiicken. 

Goring, der selbst nicht den Mut hatte, die Behauptungen deT 
«Saarbrfickener Volksstiimne* zu dementieren, zwang den Ober- 
branddirektor Gempp zu einem Dementi. Herr Gempp scheint 
sich lange gewehrt zu haben. Erst am 18. Juni 1933, nachdem 
Bell, Hanussen und Oberfohren bereits ermordet waren, erschien 
eineMitteilung Gempps in den deutschen Blattern, m der er die ISe- 

112 



faauptungen der baarbruckener *Volksslimme» fur falsch erkttrte 
Es gib} Dementis, welche die Richtigkeit des demenQertcn Jte 
nchts bestatigen. Das verspatete Dementi Gempps isl von dieser 
Art 

Unler dem Druck der Anklagc, die gegen ihn erhoben worden 
wax, aus Furcht vor der Gefangnisstrafe, mit der man ihn be- 
drobte, bat sich Gempp dem Verlangen Gorings gefiigj 

Wo stecken die Urheber dieses Anscklags? 

In der zweiten Marznummer der konservativen Wochensehrift 

-<Der Ring*, die von Heinricb von Gleichen herausgegeben wird, 

is1 zu lesen : 

,Der Brand im Reichstag hat zu scharfsten Gegenmassnahjnen der 
Reichsregierung gefiihrt. Die Behorden befinden sich in einem Zu- 
stand hoehster Bereitschaft. Die cieutsche Oeffentlichkeit und die 
Leitartikel klingen wider von der Frage: Wie war das moglich? Sind 
wir denn wirklich ein Volk vou blindeti fTiihnern? Wo stecken 
die Urheber dieses Anschlages, deseen Riickwirkung zeigt, wie ziel- 
sicher sie gehandelt haben? Um eine Antwort auf alle Fragen zu ge- 
ben. stellen wir nuchtern und saehlieh feet: Es fehlt uns an einem 
Gehe.?mdienst. wie ihn die Englander und andere Natioaen be 

sitzen , . . 

Besassen wir eine solche Einrichtung, dann wiirde man heute schon 
ganz genan wissen, in weigher Richtun^ die Urheber dea Reichstaga- 
brandes zu suchen wfiren, ja man wiirde die ei^entlicbea Maimer 
- CbOIl kennen. Es sind v i e I ! e i c h t Mit.«?lieder der be- 
S 1 e a d'PUtschen odeT ioternatio-nalen G e s e 1 1 - 

schaM, 
Heinricb von Gleichen isl eines der einflussreichsten Mit- 
glieder des *Herrenklubs». Seit Papons Reichskanzlerschaft isl 
von Gleichen einer der Drahlzieher der Regierungspolitik. Seine 
Beziehungcn zum Prasideatenpalais sind mehr als ausgezeichnet. In 
der von uns zilicrten Mitteilung des <Ring» beschuldigt von 
Gleichen in durren Worten die HiUer-Regierung, dass sie zur 
Aufklarung des Reichstagsbrandes afchts getan habe. Er frag ,jo 
eigentlich die Urheber des Anschlages stocky, dessen **&™* 
kiLg zeigt. wie zielsicher sie gehandelt haben? Kann dam t e.a 
andlres gemeint sein, als dass die Nationalsozrahsten den . Brand 
angeiegl haben. am zielsicfaer eine Machtposxtion nach der andern 

«Ring» wurde nach diesero AuXsate verboten. 

Dr. Bell scliwatzt aus der Schnle 

In unserem Kapitel iiber die brauuen Morde * :te FW ^ 

Dr. Bell und sein Tod durch SA-Hand ge. at ige 1 ^ rden . VV ir 
nut Bells Rolle beta Reichslassbrande beha ndat en 

v, ,, uns. bierbei jene Bench* zu benotoen. .1 

113 



Dr. Bell habe am 27. Februar 1933, eine Stmui. *,„ i r, 
tagsbrand bereits einige englische und 4eS S X jS *W" 
dariiber informiert, dass der Reichsia- h? . amsc 2* Journahsten 
ist planmassig von der HiU^3SSnS.T , " e - ^T Mddun * 
Die Nazis wollten sich eine bequfme ZJr S£" * WOrden - 
Dementi und damil zur DiskredSS d« g -m^k ™ *"** 
tungen Bells verschaffen. SKredn,erun § der wirklxchea Behaup- 

Dr. Bell kannte van der Lubbe sehr gut, er war auch auf das 
genaueste uber d,e Beziehungen orientiert, die van der Lubb 

Or Re" rj,^ MU r? en ZU S T A ; Kreisen ^geknflpft hatle. ObvThl 
Dr Bell seit ungefahr einem Jabre in Opposition zur Nationalsozia- 
listiscnen Parteifuhrung stand, besass er noch viele Verbindungs- 
manner innerhalb der Nationalsozialistischen Partei. Durch lie 
kannte er die Vorgange beim Reichslagsbrande. Bell verriet am 
3. oder 4. Marz 1933 im nationalen Klub in der Friedrich-Ebert- 
strasse seine Kenntnisse fiber den Reichstagsbrand einem volks- 
parteilichen Politiker. Dieser Politiker gab in seinen Briefen 
einigen Freunden Kenntnis von den Mitteilungen uber die wahren 
Brandstifter, die ihm Bell gemacht hatte. Einer dieser Briefe fiel 
in die Hande Dalueges, des Leiters der geheimen Staatspolizei. 

Der Brief kostete Bell das Leben. Am 3. April wurde er in 
Oesterreich, im Stadtchen Kufstein von SA-Mannern die aus 
Miinchen kamen, ermordet. 

Der Mord an Hannssen 

Die Geschichte des Mordes an Hanussen wird ebenfalls in einem 
anderen Kapitel ausfuhrlich behandelt. An dieser Stelle soil von 
Hanussen nur die Rede sein, soweit er zum Reichstagsbrand in 
Beziehungen stand. Der Hellseher Erik Hanussen weihte einen 
Tag vor dem Reicbstagsbrand seine neue Wohnung in Berlin 
(Lietzenburgerstr. 16) ein, die er «Palast des Okkullismus* nannte. 
Am Fest der Einweihung nabmen einige Fiibrer der SA. darunter 
auch Graf Helldorf. sowie Kiinstler. Schauspieler und Journalisten 
teU. Unter ihnen war ein Berichterstatter des -Berliner 
12-Uhr-Blatt». In der Hellsehseance, die Hanussen bei diesem 
Fest veranstaltete. erklarte er unter anderem vvortlich: «ich sene 

ein crosses Haus brennen*. . w 

Hanussen publizierte in der ersten Mhrznumrner emer jjo- 
chenschrift -Hanussens Bunte Wochenschau* emeu Au sat .1 uber 
die politische Lage. In diesem Art.kel schr eb < er dag ; er den 
Reichstagsbrand vorausgewusst ^habe, dass er aber went na 
dariiber offentlich sprechen dunen. Graf 

Hanussens bester Freund, der Fuhrer oer o Von 

Helldorf, ist einer der Brand, ^^S^SS? tfforxnationen 
Helldorf hat Hanussen vor dem Keicnsiaga 



114 



erlMlten. die ihm ermoglichten «hellzusehen». Hanussen muss senr 
viel gewusst haben. Das geht au S einer eidesstaUlichen vSi he- 
rung hervor. die wir von dem ehemalieen Chefredaktwir h!« 
.Berliner 12-Uhr-BlatU, Dr. Franz Hoilerfng, ^S^** 

Eidesstattliche Versicherung ; 

Der Unterfertigte, Dr. Franz Hffllering. erklart hiermit an Eidesstatt- 
«Iu meiner Eigeixschaft als Chefredakteur des <Berlin e r ZwaTf Tlhr 
Blatt> and des cMontag Morgen> in der Zeit des FebSl bk 4 
Marz 1933 begegnete mir E r i k H a n u s s e n als Her»er set 
ner nationalsozialistischen Heliseherzeitung, die in derselben Setae 
rei gesetzt und gedruekt wurde wi e die obengenannten Blatter Ich 
Lernte Hanussen persSnlich nicht kennen wurde mil ihm aber einmai 
telefonisch verbimden, ale er den nlcht anwesenden Geschaftsfiihrer 
des Verlages und Redakteur Rolf Niirnberg sprechen wollte. Das war 
in der Nacht des 27. Februar, der Nacht des Reiehstagsbrandes. In 
der Redaktion wren kaum die ersten Meldungen iiber den entdeekten 
Brand eingelaufen, ala sich Hanussen am Telefon meldete. Er wollte 
von mir wissen, wie weit der Brand sei und ob man die Tater ge- 
fasst habe. Ich anwortete, daes eine unkcntrollierte Meldung iiber 
eiuen Icommunistischen Trupp vorliege, der angeblich mil Faekeln 
den Reichstag angeziindet habe. Gleichzeitig wies ich auf die Un- 
glaubwiirdigkeit dieser Meldung hin. Ich sagte ausdrucklich, dass 
den Kommunisten, insbesondere bei der gegebenen politischen Si- 
tuation, eine solche selbstmorderisehe Wahnsinnstat nicht zuzutrauen 
sei. Darauf erwiderte Hanussen erregt, dasa er ganz gegenteiliger 
Ansicht sei, dass er wisse, es hand)*' Bich uni ein Komplott der Koui- 
munisten, und dass ich schon die Folgen sehen werde. Dieser Anmf 
1'and zwischen lialb Zehn und dreiviertel Zehn Uhr statt. Ich teilte 
ihn meiner Redaktion mit, der die engen Beziehungen Hanussens zu 
Graf Helldorf, besonders durch dessen wiederholte Anrufe in der 
Setzerei, bekannt waren. Hanussen gait allgemein als iiber national- 
sozialistische Vorhaben ausserordentlich orientiert. 

gez. Dr. Franz Hollering.* 

Zu einer Zeit, wo in den Zeitungsredaktionen erst die ersten 
vagen Nachrichten iiber den Reichstagsbrand eingelaufen waren, 
sprach Hanussen bereits davon, dass der Reichstagsbrand von den 
Kommunisten angelegt worden sei und schwere Folgen haben 
werde. Diese Aeusserung Hanussens beweist, dass sein Informa- 
tor in hohen Kreisen der SA zu suchen ist. 

Der Jude Hanussen hat die Herrschaft Hitlers, die er so sehn- 
Suchlig herbeigewiinschl, nicht lange genossen. 

Am 7. April 1933 wurde seine Leiche in einer kleinen Tannen- 
schonung an der Landstrasse von Baruth nach Neuhof gcfunden. 
Hanussen starb von Nazihand. 

1lo 



Doitor Oberfohreii wird ermordet 

Nach Bell Hanussen, nach Hanusspn n- r»v « , 
diesen drei. die das Geheimnis a™ p ■ I- °l Jerfohr en. Von 
kannlen, war Dr. Oberfohre„de SuS^^f^^ **»» 
als politiscben Abenteurcr abtun H»1 hll,chsLe ; B * u k ^nte man 
ObeSohren war ein eiXsScier pSSw^ ^^ Dr " 

ssasttjt w?sm ways 

.onen der Deutschnationalen zu erhalten. De? Schluss ei 1 d r 

Denkschrift zeigt die letzte Phase des Kampfes irmertialb der 

Reichsregierung. Die Denkschrift kostete Dr. Oberfohren das 
Leben! 

So sehr die Deutschnationale Partei mil den scharfsten Massnahnien 
gegen die Kommunisten eiDverstanden iat, so -wenig billigt sie die 
Brandstiftung durch die Koalitionsfreunde. In der Kabinettssitzung 
am Dienstag wurde zwar den scharfsten Massnahmen gegeu die Kom- 
munisten urid zum Teil auch gegen die Sozialdemokraten zugestimmt. 
Es wurde jedoch kein Zweifel daran gelassen, dass die Brandstiftung 
das Ansehen der nationalen Front im Auslande aufs scharfste scha- 
digen wiirde. In der Verurteilung wurde bei dieser Kabinettssitzung 
mit den scharfsten Ausdriickeu nicht gespart. Es gelang den national- 
sozialistischen Ministern nicht, das Verbot der Kommunistiseheu 
Partei durchzudriieken. Die Deutschnationalen brauchten, wie bexeita 
oben gesagt, die komnumistischen Abgeordneten, um den National- 
sozialisten nicht die absolute Mehrheit im Parlament zu ermOglichen. 
In der Kabinettssitzung wurde gleichzeitig Herrn G&rng auf das 
strengste untersagt, seine im Karl-Liebknecht-Haus gefundeneu Fal- 
schungen der Oeffentlichkeit zu ubergeben. Es wurde darauf tisnge- 
wiesen, dass die Veroffentlichung dieser plumpen Falachungen die 
Regieruug nur noch mehr belasten wiirde. Besonders ungelegen war 
der Regierung auch gekommen, dass der kommunistische Abgeord- 
nete Torgler. der Vorsitzende der kommunistischen Reicbstagsirak- 
tion, sich am Dienstagmorgen der Polizei nv Verffigung gestellt hatte. 
Seine Flucht ware wtoBCheBBWertej gewesen. Die Tatsache aber, daw 
er der eines solchen Verbrechens beschuldigt war, sich nach den 
Verhaftungen tausender kommunistischer Funktionare und bei aro- 
hendem Standgericbt der Polizei zur Verfiigung stellte, i um de a BJ 
Bchuldigungen seiner Partei entgegentreten zu kftniien. 
der RegSig ausserst unangenehm. Herr G6r,ng *™£|E«SS 
zu dementieren. dass sich der Abgeordnete ToggrlJ^ig" 
babe. Das Echo der Weltpresse aber. das den. Reieb jt-g£« * ^ 

,uf fahrende Regierungsmitgl.ede.r. daes da S Ansehen 
Reruns auft Scharfste erscMKtwt wurde. 



So fiehr Uuiing uud Goebbels die- Stillogung Her koBiimmistischen und 
gozialdemokraUschen Wahlpropaganda gelegen kam, so setar sie wuaa- 
ten, dass die breiten Massen der KleinMrger, Angestellten und 
Bauern das Geriicht vom Reichstagsbrand glauben warden und dem- 
gemii6S der NSDAP als der Vorkampferin gegen den Botschewismua 
ibre Stirnme geben wiirden, so wenig waren sie erbaut Uber die Stel- 
lungnahme der deutschnationalen Minister im Kabinett. Das Verbot 
der Kommunistischen Partei war ihnen wieder uicht zugebilligt wor- 
den. Mit Verbitterung Fiililten 8ie sich mit ihreu masslosen Ansprii- 
chen in der eisernen Umklamraerung der Deutschnationalen. des 
Stahlhelms uud der Reicbswehr. Ee war ihnen klar, dass man so rasch 
wie moglich aus dieser Umklammerung herauskomnien musse. Es 
wurde bin- und herberaten. 

Scblieeslich entscbloesen sich die Gruppen zu dem Gewaltstreich in 
der Nacht vom 5. zura 6, Marz. Es wurde geplant, die Regierungs- 
viertel zu besetzen, von Hindenburg die Umbildung der Regierung 
zu verlangen. In diesem Falle sollte von Hindenburg die Vertreumg 
der Reichsprasidentenschaft auf Adolf Hitler ubertragen und ini glei- 
chen Augenblick durcfa Adolf Hitler Goring zum Reichskanzler er- 
nannt werden. Die Beratungeii gingen auch d&hin, diese Aktion gege- 
benenfalla anlasslich eines grossen Propaganda-Umzuges der SA und 
SS durch Berlin, verbunden mit einer Huldigung vor Adolf Hitler, 
Freitag, den 3. Marz durchzufuhren. Dieser grosse Propaganda-Umzug 
wurde nun mit alien Mitteln vorbereitet. Schon waren zahlreiche 
auawartige Formationen del SA in der Stadt. die Strassen fair den 
Durchmarsch dea Siegeazugee polizeilich gesfebert, der Verkehr urn- 
geleitet, and Taueende erwarteten in der Wiltaelmatrasse den Vorbei- 
marsch vor dem Fiihrer Adolf Hitler. Da sich die Geruchte verdich- 
tet hatten, daas bei diesem Marsch das Regierungeviertel besetzt wer- 
den sollte, wurde im leteten Augenblick durch die deutschnationalen 
Minister durchgesetzt, dase Adolf Hitler auf den Vorbeimarseh in 
der Wilhelme-trasse Verzicht leistete. Den Tausenden in der Wilbelm- 
strasse wurde plotztich zu ihrer Verwunderung mitgeteilt. dass der 
Zug der SA einen anderen Weg nehmen und die Wilhelmstrasse nicbt 
beriihrer. werde, sondern vielmehr durch die Prinz-AIbrechtstrasse 
nach dem Westen weitergeleitet werde. Allerdings mussteu sich die 
Deutschnationalen dazu verpfiichten. nun auch ihrerseits auf einen 
Durchzug dee Stahlhelms durch das Regierung^viertel Verzicht zu lei- 
Bten. Dieser Aufmarsch des Stahlhelms war fur dea Wataltag als Hul- 
digungsmarsch Fiir Hindenburg angekuodipt worrien In diese Ah 
finderung w illiCTtpn die Stahlhelm fiihrer pin 

Die Lagi fiir die deutschnationalen Minister w*r auaeerowleotUcb 
ernsi Dae Wahlergebnis in Lippe-Detmold batte geaeigt wie gross 
die Gefahr war, daas deutschaationale WShlar mit fflegenden Fahnen 
zu dan NatiooBlsoalalisten Qbergingen. Der ungehemmten Propa- 
ganda der Nationalsoaialisten war aidera die douteohnationale Pro- 
aicht gewadisen. Der Herrenklub. die Gruppen urn den 
Whelm, die itioaalao Fubxet berieten. Nach der gerade 

M7 



noch am Freitag nachmittag abgewendeten Besetzung des Regierunga- 
viertels musste man sich fur die drohende Gefahr der Nacht vorn 5. 
aur den 6. Marz nicht nur mit Reichswehr und Stahlbelm rusten. £s 
war klar 9 dues die Maseeu nicht mehr hinter dem alten Generalfeld- 
marachall, sondern hinter ihrem Abgotl Adolf Hitler standen. Gegen 
diese Masseu und gegen diese ^.dsseustimmung nur Waffen einzu- 
setzen, ware vergeblich gewes*jn. Also war es notwendig, ebenso 
rucksichtslos wie Goring u&d Gobbela beirn Reichstagsbrand vor- 
zugehen. Ea wurde folgender Plan featgelegt: Die Oeffentlichkeit be- 
kommt eine amtliche MitteiluDg iiber die bisherigen Ergebnisse der 
Untersuchung gegen die Brandstifter. Diese MitteiLung wird so abge- 

fasst, dass man im Notfall jederzeit auf sie hinweisen konnte, mit 
der Feststellung, dass man schon damals den nationalsozialistischen 
AttentHtern auf der Spur gewesen sei. Eine solche amtliche Mit- 
teilung konnte man dann in der Nacht vom 5. auf den 6. Marz als 
Druckmittel gegeniiber den nationalsozialistischen Ministern be- 
nutzen, wenn diese wirklich ibren Plan der Besetzung des Regie- 
rungsviertels durchsetzen wollten. Man beabsichtigte auf diese Weise 
die nationalsozialistischen Massen zu verwirren und nach Mdglichkeit 
fur die nationale Front unter FUhrung der Deutschnationalen und 
fiir Hindenburg zu gewinnen. Man bereitete einen dementsprechen- 
den Aufruf an da9 nationale Deutschland vor, in dem Hinden- 
burg die Plane der gewaltsamen Machtergreifung enthiillte. 
Goring, Hitler und Gdbbela der Brandstiftung bezichtigte, unter Hin- 
weis auf das bereits fn'iher berausgegeben amtliche Communique, 
und die Millionen Nationalsozialisten aufforderte, sich geschloasen 
binter die Fuhrung des Generalfeldmarschalis zu stellen, um die na- 
tionale Front gegen den Marx ism us zu retten. Dadurch hoffte man, 
die nationalen Massen bereUzumaehen, eine Militardiktatur unter 
Fuhrung des Generalfeldmar^chaHs zu unterstiiUen, Der Genera!- 
feldmarschall selbst sollte der Huldigung des Stahlhelnis fern blei- 
ben, die Nacht vom 5. und 6. aussertalO im Schutze der Reichswehr 
venveilen und die Reichswehr selbst niarschbereit stehen. 

Fememorder — Brandstifter 

Im Zimmer des Breslauer Polizeiprasidenten steht eine grosse 
gerahmte Fotografie, auf der funf junge Menschen zu sehen sind. 
Diese funf jungen Menschen haben 1932, im schlesischen Dorf 
Potempa, einen polnischen Arbeiter mit einer in der Kriminalge- 
schichte einzig dastehenden Bes'lalitat ermordet. Das Gericht 
hatte die Morder zum Tode verurteilt, der Reichskanzler Papen 
hat ihre Begnadigung erwirkt, der Reichskanzler Hitler gab ihnen 
die Freiheit wieder. Ihr Bild steht auf dem Schreibtisch des Bres- 
lauer Polizeiprasidenten. 

Sie verstehen einander sehr gut, die Morder von Potempa und 
der Polizeiprasident Edmund Heines. Auch er war wegen Mordes 
zu Tode verurteilt, auch er wurde begnadigt, auch er hat nicht 
lange im Gefangnis gesessen. Der Oberleutnant Heines nimmt in 

118 



Hitlers Reich eine hohe Stellung ein. Er ist Obergruppenfuhrer der 
SA, genau wie Goring und der General von Epp. Dr. Oberfohren 
liat in seiner Denkschrift nachgewiesen, dass Heines der Fuhrer 
jenes Trupps war, der den Reichstag anziindete: 
Oberfohren schrieb in seiner Denkschrift: 

<Unterdessen gingen die Beauftragten des Herrn Goring unter Ftth- 
rung des SA-Fiihrers von Schlesien, des Reichstageabgeoxdneten 
Heines, durch die Heizungsgange vom Palais des Reichstagsprasideu 
ten durch den Tint'-rirdisehen Gang in den Reichstag. Ftir jeden ein- 
zelnen der ausgesucbten SA- und SS-Fiihrer war die Stelle genau 
bezeiohnet, wo er anzusetzen batte. Am Tage vorher war General- 
probe abgehalten worden. Van der Lubbe ging als 5. Oder 6. Mann. 
AIs der Beobachtungsposten im Reichetac meldet, dass die Luft rein 
ist, begaben sich die Brandstifter an die Arbeit. Die Brandlegung war 
in wenigen Minuten vollendet. Auf dem gleicben Weg, auf dem sie 
gekoramen waren, gingen eie nach getaner Arbeit zuruek. Van der 
Lubbe blieb allein im Reichetagsgebaude zurGck.j 

Die Behauptung Dr. Oherfohrens, dass Heines der Fuhrer der 
Brandslifterkolonne gewesen sei, wird audi von anderen Einge- 
weibten bestatigt. Unter anderem hat Dr. Bell in den lelzten Mit- 
teilungen, die er seinen Frcunden zukommcn lassen konnte, aus- 
driicklich erkliirt, dass die Fuhrung der Brandstifterkolonne in 
den Handen von Heines las. 

Heines war fur diese »Arbeit> wie gcschaffen. Heines ist eine 
Landsknechtnatur: Er mordet auf Befehl, er schiesst auf Befehl. 
er legt auf Befehl Feuer. 

Der strate^iselir. Sliltzpimkt der Brandstifter 

Es geniigte. die Widerspriiche in den arnllichen Berichten der 
Nazis zu enthiillen, es genugte der Indizienbeweis, den wir ge- 
fuhrt haben, urn die Schuid der Nazis am Reichstagsbrand ein- 
deutig festzustellen. Aber selbst wenn diese Beweise nicht vor- 
handen waren, wenn die Werkzeuge Gorings die Provokation 
sargfaltiger vorbereitet hatten, bliebe noch immer das ent- 
s c h e i d e n d e Beweismittel fur die Brandstiftung durch 
die Nazis bestehen. Von diesem Beweismittel soil jetzt gesprochen 
werden. 

Die «Vossische Zeitung* vom 1. Marz 1933 berichtete aus Re- 

gierungskreisen folgendes: 

<Ee wird erklfirt, es liege der einwandfreie Beweis dafflr vor. dass 
der Vorsitzende der Kommuflisti*chen Reichstagsfraktion, Abgeord- 
neter Torgler, sich rait dem Brandstifter mehrere Stunden im 
Reiehstagsgebaude aufgehalten habe, und dase er auch mil anderen 
an der Brandstiftung beteiligten Personen zusammen gewesen set 
Es wird hinzugeftigt dass die anderer Tater evontuoU durch die 

119 



unterirdischen Gange im Zueauimenhang mit den Hei- 
sungsanlagea des Rekbstages, die daa ReichstagsgeMude aelbst uad 
das GebSude des Reichstaggprasidenten verbinden. 
entkommcn 3ein konnten.> 

Es fuhrt. wie wir in der Eirtleitung dieses Kapitels zeigten, 
talsachlich ein unterirdischer Gang vom Reichstagsge- 
baude zum Hause des Reichstagsprasidcnten. Inhaber dieses Am- 
ies, Bewohner dieses Hauses, zu dem der unterirdische Gang fuhrt, 
war in der Zeit des Reichstagsbrandes Hermann G 6 r i n g. Er be- 
wohnt das Haus, durch das nach seinen eigenen Anga- 
b e n die Tater entkommen sind. 

Hermann Goring ?st nicht nur Preussischer Minister- 
prasident, Poiizeiminister und Reichstagsprasident. Hermann 
Goring isl zugleich Obergruppenfuhrer der SA. Hermann 
Goring hat einen Spezial-Sturm der SA, den Sturm G, zu 
seiner Verf iigung. Sein Haus ist standig von einer 
Stabs \v ache bewacht, die aus mindestens 30 Mann be- 

steht. 

Der amtliche «Preussische Pressedienst» hat gemeldei, dass 
zum Herbeischaffen des Brandmate rials mindestens sieben Mann 
notwendig waren, wahrend die Brandlegung von zehn Menschen 
besorgt warden sei. Demnach sind, wenn wir uns diese amtlichen 
Angaben zu eigen machen, mindestens zehn Menschen unmittelbar 
an der Reichstagsbrandstiftung beteiligt gewesen. 

Es ist mit aller Sicherheit anzunehmen, dass im Deutschen 
Reichstage zahlreiche Brandherde in den verschiedensten Teilep 
des Gebaudes gelegt wurden. Anders ware die Schnelligkeit, mit 
der sich das Feuer in diesern grossen Gebaude ausbreitete, nicht 
erklarlich. Diese vielen Brandherde verlangten eine grosse Menge 
Brandmaterials. Das Gewicht des Brandmaterials muss einige 
Zentner betragen haben. Oberbranddirektor Gempp hat in seinem 
fachmannischen Bericht vor den Brandinspektoren und Brandlei- 
tern erklart, dass er nach dem Brande noch grosse Mengen unver- 
brannten Brandmaterials gefunden habe. Zum Abtransport dieses 
Materials sei ein Lastauto notig gewesen. Diese Erkiarung 
Gempps bestatigt die Annahme, dass die Brandstifter grosse Men- 
sen Brandmaterials in den Reichstag geschafft haben. 

Wie wurde das Brandmaterial in den 
Reichstag gebracht? 

Wir haben zu Beg inn dieses Kapitels eine Schilderung der 
Schwierigkeiten gegehen, die der Besucher za «Jerwmd|n tau 
wenn er in den Deutschen Re.chstag gelangen v 11 Der ^ an 
zum Reichstag ist dem Besucher qui durch Portal 5 moghch. Er 

120 



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Es ist die alfe Kethode 




lin Jahre 1SS6 inszenierte die Polizei von Chicago ein Bombenalionlai, dem 
viele Menschenleben zum Opfer Helen. Als angebliche liter wurderi 
Hint' revolutionary Arbeiter bingerichtet. Die walnvn Urheber des Bombeo 
i'iisrhi;,n S wimimrrst sieben Jahre spate* in den Reifoen der Polizai Fest- 
gestellt. Auch dieses Attentat wuxde begangen, uni <U-n Anlass fiir die 
bxutalste Verfolgung dor Arbeiterbow^wng zu gobon. 



- ,*. Manner zeMnerweise 12JSJSSZ&E££S& 

pen, ohne dass es einein einzisen der Vmnf*na«\>L™* £m?~, 

gelbst der befangenste Beurteiler wird %"&^!^^ 
kern Brandstifter und keine Gruppe von B^St^T"™ 
konnte, das Brandmatenal durch Portal 5 zu transportieren § 

Lbenso verhal es sich mit dein sogenannten Abgeordneten- 
Eingang, dem Portal 2. Der Zugang durch Portal 2 ist nur den 
Reichstagsabgeordneten gestattet. Die Vorstellung, dass Reichs- 
tagsabgeordnete unter den Augen der Beamten, die am Portal 2 
Dienst versehen, zentnerweise Brandmaterial in den Reichstag 
bringen, ist nicht weniger absurd als die Vorstellung, dass das 
Brandmaterial durch Portal 5 in den Reichstag transportiert 
wurde. 

Die Brandstifter niussten demnach einen andern Weg wahlen, 
einen Geheimweg, der ihnen gestattete, unbemerkt und von 
den diensthabenden Beamten ungesehen, in den Reichstag zu ge- 
langen und das Brandmaterial an Ort und Stelle zu bringen. Es 
gibt einen einzigen geheimen Weg zum Reichstag. Das ist der 
unlerirdische Gang, der das Haus des Reich s- 
tagsprasidenten mit dem Reichstagsgebaude 
verbindet. Der unterirdische Gang ist die strategische An- 
marschstrasse fur die Brandstifterkolonne gewesen. 

Wer den unterirdischen Gang zum Reichstage benutzen will, 
muss zuerst Gorings Haus, das Haus des Reichstagsprasidenten, 
passieren. Er muss demnach an der Stabs wache vorbei, die stan- 
dig Gorings Haus bewacht. Er lauft ausserdem Gefahr, von einem 
der Bewohner des Goringschen Hauses gesehen zu werden. 

Ist es vorstellbar, dass Kommunisten durch Gorings Haus 
hindurch zum unterirdischen Gang gehen, ohne von der Stabs- 
wache (30 Mann!) angehalten und verhaftet zu werden? 1st es 
vorstellbar, dass Kommunisten durch Gorings Haus hmdurcfi 
zentnerweise Brandmaterial transportieren, ohne von der btaDs- 
wache angehalten und verhaftet zu werden? 1st es vorstellbar, 
dass Kommunisten durch Gorings Haus fluchten? 

Das ist unmoglich. Jeder Kommunist, der in den F*™*"- 
Tagen versucht hatte, Gorings Haus zu betreten, ware zweifellos 
verhaftet worden. 

Fiir die Kommunisten war es w^-' ^JfeSs- 
Gorings Haus und durch den unterirdischen Gang m den Keicu 

tag zu gelangen. Fiir wen war es ™f»™ n den ger ing S te n Ver- 
Am unauffalligsten und ohn « »" c \S^ en nUr fuhrende Na- 
dacht bei der Stabswache zu erwecken. ><° n ™ n n Hausc fanden 
lionalsozialisten Gorings Haus belreten. In d.esem 

121 



viele Besprechimgen zwisehen Goring und den Snitmifimirti - 
ren der Nationalsozialisten stall. Kein S A Won. P b!f funkt r 10na ~ 
Gedankea kommen, Manner, die in seine^VaS toS%*n ^ 
bekleiden, und die er oft in G6rin 6 s^s Ki^SSffi 
ten^ Fur sie bestand kerne Gefahr. Sie konnten nngehinS ein- 
und ausgehen. Dies gilt vor allem fur hohere s/SSSSoiE 
l n et a ' S ^°E etZ ^ dcr Slabswache ein vollig ungehemmtes 

SI J f HaU n . G °™? geSkhert war - Sie konnten ohne jede 
Schwiengkeit in kleinen Mengen und unbemerkt das notwendige 
Brandmaterial in Gorings Haus bringen. Auf die Stabswache 
konnte es selbst nicht auffallig wirken, wenn eine Anzahl Kisten, 
deklanert als «Akten» oder sogar als « Waff en » im Keller des 
Hauses eingelagert wurden (Waffentransporte waren in jenen Ta- 
gen im Nazilager allerorts an der Tagesordnung). 

Gorings Haus war die Schliisselstellung fur den Angriff gegen 
den Reichstag. Wer Gorings Haus zur Yerfugung hatte, konnte 
gegen das Reichstagsgebiuide unternehmen, was er wollte. Gorings 
Haus war der Briickenkopf, von dem aus die Brandkolonne zum 
Sturme antrat Gorings Haus war das Depot fur ihre Brand- 
materialien. Gorings Haus war der sichere Port, in den sie nacb 
vollbrachter Tat fluchten konnten. 

Die Brandstifterkoloune 

Wir sprachen davon, dass es nur fur SA-Fuhrer moglich war, 
in Gorings Haus zu gelangen, ohne Verdacht zu erwecken. Auch 
Oberfohren spricht in seiner Denkschrift von ausgesuchten SA- 
und SS-Ftihrern. Es ist klar. dass die nationalsozialistische 
Fiihrung, die den Plan zum Reichstagsbrand ausheckte und 
organisierte, alles Interesse daran hatte, ihre zuverlassigsten Pra- 
torianer mit der Durchfiihrung des Plans zu betrauen. Goebbels 
und Goring konnten sich nicht in die Hande eines beliebigen SA- 
Sturms geben. Goebbels und Goring konnten sich nicht der Ge- 
fahr aussetzen, dass ein unzufriedener S A -Mann die wahren 
Brandstifter verriet. Goebbels und Goring mussten ihre Mithelfer 
in den Reihen der obersten Funktionare suchen. Es mussten 
Manner gefunden werden, die einerseits vor keinem Verbrechen 
zuruckscheuten, andererseits durch viele gemeinsam begangene 
Verbrechen mit der nationalsozialistischen Fiihrung und ihrem 
Schicksal so eng verbunden waren, dass kein Verrat zu befurchten 
war. Die nationalsozialistische Fiihrung ist reich an Mannern, die 
diese Voraussetzung erfiillen. In ihren Reihen befinden sich Feme- 
morder vom Schlage der Oberleutnant Heines und Oberleutnant 
Schulz. kriminelle Verbrecher vom Schlage der Dr. Ley una 
Kaufmann, degenerierte und pervertierte Anstokralen vom 

122 



Scbiage des Graien Heildori. Aus dieser Schar von Mannern. dn- 
ra it Existenz und Leben an die Nazifuhrung unlosbar gekeltet 
sind, wurde die Brandstiflerkolonne zusamniengestellt. Die Let- 
tung erhieJl, wie wir aus dem Bericht Oberfohrens wissen, der 
Fememorder Heines. Sein erster Gehilfe war der Fememorder 
Schulz, und unter seinem Kommando arbeitete der Fuhrer der 
Berliner SA Graf Helldorf. 

Wie gescliah die Brandstif tung ? 

Die nachlolgende schematische Zeiehnung ernes Kjiminah- 
sten zeigl die erste Phase der Brandstiftung. Die Kolonne saui- 
melte sich in Gorings Haus. Heines, Schuiz, Helldorf und die an- 

deren konnten ungehinderi die Stabswache passieren, der sie ais 
SA-Fiihrer bekanul waren. Van der Lubbe ist vermutlich mil 
dem Graien Helldorf in Gorings Haus gekommen. 




Schematische Uarstelhmg der Reichstagsbrandstiftung nach 
kriwiinalistischen Festslellungen und amtliche-n Meldiing&n. 

2. Phase. 

I Goringe Haus. 2. Der uaterirdische Gang von G5rings Haus zum Reichs- 
tagagebiiude. 3. Sitzungssaa) des Reichstags. 4. und 5. Stabswaehe Gonngs. 
Man sieht die Brandstifter im unterirdischen Gang auf dem Weg zum 
Reichstag, 

123 



Die erste Auigabe, welch e die Kolonne nunmehr zu bewalti- 
gen hatte, war der 1 ransport des Brandmateriais. Uazu benutzten 
die Brandstittei den unterirdisehen Gang, der von Gonngs Haus 
in den Reichstag tuhrl. Vermuthch musste der Weg mehrmals 
gemacht werden. Sie begannen ihre Arbeit aut ein vciabredete^ 
Signal, das ihnen meldete, dass die ietzten Abgeordneten d«:i 
Reichstag verlassen hatten. Eine Gefahr der linldeckung durcb 
die diensthabenden Reichsiagsbeamten besland mcht, denn diese 
waren durch den nationalsozialistischen Hausinspektor vor Been- 
digung der Dienstzeit nach Hause geschickt worden. Die Vertei- 
lung des Brandmateriais aul die verschiedenen Stellen. das Be- 
giessen der leicht entzundlichen Stoffe mil Petroleum, Benzin und 
anderein muss eine geraume Zeit in Anspruch genommen haben. 
mindestens zwanzig Minuten. Dann wurden die Brandherde ent- 
ziindet. 




Schematised Darstellung der Reichstag sbrandsliftung nach 
kriminalislischen Fettstellungev and amtlichen Meldungev 

2.Pha$e. 

I Obrings Hans. 2 Der unterirdische Gang von Goring Hans zun, Reich, 
tflgsgeb&ude 3. Sitzungssaal des Reichstags. 4. und 5. Stabs^ache Gdrings. 
Die Rrandstifter entziluden die Brandherde. 



121 



Die ersten Berichte der Polizei und der Feuerwehr sprachen 
von sieben bis zehn Brandsliftern und von viclen Brandherden. 
Niemand in Deutschland glaubte, dass die Brandstifter auf dem 
gew6hnlichen Wege in den Reichstag gelangt und auf dem ge- 
wfihnlichen Wege gefluchtet seien. Es erhob sich die Frage: wie 
sind die Brandstifter entkommen? Jedes unvorsichtige Wort eines 
Polizisten, eines Feuerwehrmannes, jede Zeitungsnachricht konnte 
cine Ueberraschung bringen. Goring war in hochster Bedrangnis. 
Er griff zu einem alten Trick. Bevor ein anderer behauptete, die 
Brandstifter seien durch den unterirdischen Gang gefluchtet, 
wollte Goring es selbsl sagen. Er wollte damit der drohenden Ge- 
fahr begegnen, er wollle harmlos erscheinen lassen, was hochst 
verdachlig war. Goring selbsl sprach aus, dass die Brandstifter 
durch den unterirdischen Gang entkommen seien. Er hat diesen 
Ausspruch bitter bereut Der Trick misslang. Nie wieder war in 
einer Ministerrede, in einem amtlichen Bericht von diesem unter- 
irdischen Gang zu Gorings Hans die Rede. Gorings Ausspruch 
sol he vergessen werden. 

Wir haben ihn nicht vergessen. Jawohl: die Brand- 
stifter sind durch den unterirdischen Gang entkommen. aber 
sie konnten diesen Gang nur benutzen. weil sie wussten, dass 
er zu Gorings Haus Euhrt Gorings Haus. das hiess fur sie: Sicher- 
heit. Der amtliche iPreussisehe Pressdienst* vom 28. Februar 
schrieb, dass die Brandstifter genaue Ortskenntnis besessen hatten. 
Wem war es leichter mdglich, sich genaue Ortskenntnis zu be- 
schaffen. den unterirdischen Zugang bis ins Letzte zu priifen und 
zu studieren, als den Freundcn des Reichstagsprasidenten GSring? 
Er war Herr im Reichstag. Ei konnte seine Freunde an Hand der 
Plane fiber jeden Winkel informicreu« Er war Hen- im Palais des 
Reichstagsprasidenten, Er konnte seine Freunde bei sich empfan- 
gen. Er konnte in seinem Hause das Versteck und Depot fiir das 
Brandmaterial schaffen- Er war Preussischer Minister des Innern^ 
i besass die Poiizeigewalt in ganz Preussen. In Gorings Hand 
waren alle Mdglichkeiten vereint den Reichstagsbrand vorzube- 
retteUf 

Van dee Lubbe im brenneuden Reichstag 

: Prcussische Pressedienst* hat der offenllichen Meinung 
vorzuspiegeln versuchl. van der Lubbe habe nicht fhehen kon- 
nen, wei] er keinerlei Ortskenntnis besessen habe. Alle anderen 
Mithelfei des van der Lubbe waren r.ach Angabc des 'PreuSSl- 
schen Pressedienstes und Gorings ortskundig. Es ware ein leicn- 
tes Eur sie gewesen, van der Lubbe mitzunehmen und zu «™tten». 
Aber van der Lubbe durfte nicht .geretteU werde^ 
Van der Lubbe isl fur die Tat von den homosexue 
SA-Ffihrem, die in der Brandstifterkolonne rmtmarschier- 

125 



ten, als Werkzeug enipfohlen worden. Durch seine Person 
sollte bei der Brandstiftung der Kommunismus dargestellt werden 
Diesem eitlen, ruhmsfichtigen, halbblinden Werkzeug klar zu 
machen, dass es fur erne «grosse Roller ausersehen sei war leicht 
Van der Lubbe musste im brennenden Reichstag zurixckeelassen 
werden und wurde zuruckgelassen, weil er das Beweismittel ee- 
gcn die Kommunisten war. 

Van der Lubbe hat seine Rolle gespielt, so gut er konnte. Er 
liess sich im brennenden Reichstag verhaften. Er hatte Hemd und 
Jacke abgeworfen, urn ein «echtes Bild* des «kommunistischeu 
Brandstifters* zu stellen. Er gestand die Brandstiftung im 
Reichstag. Er gestand jede Brandstiftung, die gewunscht wurde: 
im Neukollner Wohlfahrtsamt, im Berliner Rathaus, im 
Berliner Schloss. Und van der Lubbe wird weiter alles 
gestehen, was seine Auftraggeber von ihm verlangen. Er wird 
gegen Torgler alles aussagen, was ihm seine nationalsoziali- 
stischen Auftraggeber vorschreiben. Er wird gegen Dimitroff alles 
aussagen, was gewunscht wird- Er wird jeden belasten, den seine 
nationalsozialistischen Freunde vernichten wollen. Er wird jeden 
enllaslen, den seine nationalsozialistischen Freunde schirtzert 
wollen. 

Hermann Goring 

Alle Gestandnisse van der Lubbes konnten doch nicht verhifl- 
dern, dass die zweite Aufgabe, die ihm zugedacht war, misslang: 
durch sein Hervortreten, durch seine bereitwilligen Gestand- 
nisse die wahren Brandstifler vor den Augen der Welt zu ver- 
decken. Hierfiir war die Figur «van der Lubbe* zu winzig, war 
seine Rolle zu durchsichtig. Die Welt durchschaute den Betrug; 
sie erkannte, wer dahinter steckt, sie sah: den Kapitan Her- 
m a n 11 Goring, Obergruppenfuhrcr der SA, Minister der Deut- 

tbwmam -SSHJjelnt ©Bring 

(Viationaljoa. 3>euifc3& ttr&cMeii;:^.- ■ 

• kim]. in ^oprif&sea. ©eb. 12. 1. 1893 
Sfabctlcnr:, Stn. i. ^t-Afcat. m. ]gM». 
Oft, 1914 Slieacr 3ui. ftommani). 5. 

SfofifcaB fcauptm. 1915 BUea. u. »g 
taUt im ?flu<ito. In ^ncmfl^ — 1920 
J>. 1921 Sylua^ei bel ©tocnjTa Sutmat. 
1922/33 Unito. OTimrtjeu, 1924/25 ©tug. 
tti Worn,. 1925/26 In ©tod&oim .©tetft, 

ftefC. 1957 tit Stfdrtb. P. I- nj?rite, 8Ut* 
Uxtx Sofierw. m. (2k(>hicrt., (5 SI. u. 
h ftC Mlttetft. SBttit. *ari^rlcbr.« 
Or*. (Stoto.), Sa$r. sawcn m. fmgt- 
u. ©tftfoctt. wo. — 2ft. &. ft. f- 1928' 

Goring* Biographie im Handbvch des Reichstag: 
126 



schen Reiches, Preussischen Ministerprasidenten und Minister 
des innern, Prasidenten des Dentschen Reichstags 

Hauptmann Goring hat uns i m Reichstag°shandbuch seine 
Biographie gegeben Ls ist eine Geschichte der Orden. Im Leben 
dieses Menschen scheint sich nichts anderes ereignet zu haben ais 
Ordensverleihungen. Selbst seine engeren Freunde, ehemaliee Of- 
fiziere wie er, haben in der Biographie, die im Reichstaashand- 
buch wiedergegeben ist, auf die Erwahnung ihrer Orden verzich- 
tet. Nur Hermann Gorng hat sie alle aufgezahlt. 

Der Kapitan Goring ist am 12. Januar 1893 in Rosenheim in 
Bayern geboren. Auch wenn man es nicht aus seiner Biographie 
wiisste, wurde man keinen Augenblick daran zweifeln, dass er in 
der Kadettenschule erzogen wurde. 

Gorings «Biographen» erzahlen gern von seinen Heldentaten 
als Jagdflieger im Kriege. Sie vergessen hinzuzui'iigen, dass 
Goring seine Jagdfliige imMorphiumrausch ausgefiihrt hat. 
Die Morphiumspritze war sein standiger Begleiter und ist es bis 
heute geblieben. 

Die «Biograpfaen» Gorings berichten, dass er sich 1924/25 in 
Rom aufgehalten hat. Sie vergessen hinzuzufugen, dass er 1923 
aus Deutschland floh, als der Hitlerputsch misslang. Der «Held 
des Weltkrieges», der «Wolkensturmer», desertierte, als ihm einige 
Monate Festungshaft drohten. Er war nicht vorn Tode bedroht 
wie jene deutschen Arbeiterfuhrer, die innerhalb und ausserhalb 
Deutschlands unter Einsatz ihres Lebens den Hitler-Faschismus 
bekampfen. Goring desertierte angesichts einer kleinen Festungs- 
strafe. 

Seine «Biographen» berichten, dass Goring 1925/26 in Stock- 
holm gewesen ist unddortbei einer Fluggesellschaf t gearbeitet hat. 
Sie vergessen hinzuzufugen, dass Hermann Goring nach den offi- 
ziellen Berichten der Stockholder Polizeiprafektur im Jahre 1925 
in der Anstalt Langbro interniert war, well ihn ein Arzt fur gei- 
stesgestort erklart hatte. Er wurde spater im Hospital Kon- 
radsberg bei Stockholm untergebracht, aber er musste J*Mf& 
seines Verhaltens nach Langbro zurucktransportiert und (tort 
unter Verschluss gehalten werden. Er konnte in Pnvatanstalten 
nicht laager gepflegt werden, denn das Personal weigerte sich, llin 
zu bewachen, Auch in Langbro hatte er so heftige Ausbmche von 
Tobsucht, dass er in die Abteilung fur schwere Falle gebracM 
werden musste. 

Wir veroffentlichen in unserem Bilderleil die Karjotti^-Karte 
die fiber die Einlieferung Gorings in die rrcnanstal L™gb ° 
Auskunft gibt. Alle Dementis Gorings und a le Klagen d e er nun 
durch die schwedische Regierung gegen die Blatter, die diese Mel- 



127 



dung uber ihn brad) (en, anstrengen lass I. werden vew»hK^h tai 
Das Braunbuch verolfentlicht den u n W i d c H e g fth °n d T " 
kumenianschen Beweis, dass Goring i m r ! 
haus in termer I war. »u uren- 

'''^J?SS?^^^ tedxtom gern uber seine Ehe mit 




Thomas. Wahrend einer der Gerichtsverhandlungen. am 22. April 
192o wurde dem Gericht ein Gulachten des Gcrichtsarztes Karl 
A. Lundberg vorgelegt, das wir in unserm Bilderteil wiedergeben 
In diesem Gutachten wird eindeutig erklart, dass Goring schvverer 
Morphinist sei. Die Morphiumsucht Gorings ist demnach *e- 
richtsnotorisch. Das Gericht hat beschlossen. dass Goring nichl 
zum Vormund des Knaben Thomas bestellt werden kann. Der Na- 
tionalsozialismus hat dem Morphinisten Goring die Vormund- 
schaft uber 60 Millionen Deutsche anvertraut. 

Am 10. Marz 1933 hielt Goring eine Rede in Essen, in deren 
Verlauf er unter anderem sagte: «Ich habe meine N erven bisher 
nichl verloren.» Mit dieser ausweichenden Antwort hoffte er. die 
Mitteilungen der Auslandspresse uber seinen Nervenzustand zum 
Verstummen zu bringen. Er rechnete damals nicht damit. dass 
dokumentarische Belege uber seine Nervenverfassung, seine Gei- 
stesgestortheit, seine Morphiumsucht bestehen. Wir verofientli- 
chen diese Dokumente nichl, urn sensationelle Details aus dem 
Privatleben Gorings zu enhiillen. Wir veroffentlichen sie, um zu 
zeigen, welchen Mannern der Nationalsozialismus die Macht in die 
Hand gegeben hat. Im <drilien R e i c h» ist der wich- 
tigste Mann n a c h Adolf Hitler ein notorischer 
Morphinist, dem ein schwedisches Gericht die 
Fahigkeit zur Vornuindschaft abgesprochen 
hat, ein Mensch. der wegen Geistesgeslorlheit 
im Irrenhaus interniert war. 

Es ist kein ZufalL dass dieser Gdring eine fiihrende Rolle im 
Dritten Reich spielt. In ihm ist die ganze Brutalitat des alien 
preussischen Offizierkorps reprasentiert, das seit 1918 unimter- 
brochen zur Macht drangte. In ihm ist der Sadismus der Offiziere 
reprasentiert. der in diesen Monaten zu Tausenden von Morden 
und Zehntausenden von brutalen und grausamen Misshandl unpen 
gefiihrt hat. In ibm ist jener Offiziersklungel reprasentiert, der 
Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordete, der in Ungarn 
Strome von Blut vergoss. der in Finnland weisse Galgen errich- 
tete. der ganz Hitler-Deutschland zu emer braunen none 

Cfstaltete. . ..,.., n r*-i. ,-<* 

In Goring ist der Sinn der nationalsozialistischen Poll til. re- 
prasentiert. Nicht der Arbeiler. nicht der Angestellte. nicbt der 

128 



MiUcLslandler vvhd durch den Nationalsozialismus ve.lreten I).., 
Nationalsozialismus vertritt die Inlerewr, rt» ZL u . 
Klasse, vertritt die Interesscn der H e , r e n I a ,1 1 herrKhenden 

sozialismus wurde die poHtis^m^H L de ge^ H t 
mit er das bestehende wirtschaftliche System erhafta, und es 
gegen die ansturmenden Krafte der sozialen Revolution scnmz? 
Zur Vertodwung dieser Interessen, zur Verieidigung de PfSde 

seme hochslen Spitzenfunkbonare au S den Reihen des ehemajS 
Ofhz.erskorps.. des Adels und des hohen Beamtentums gehoU 
Dieser Hauptmann Goring, brutal bis zum Letzten, verlo4n his 
zum Letzten, i'eige bis zum Letzten, tragt das wahre Gesicht des 
Nationalsozialismus. 

Dieser Hauptmann Goring ist der Organisator des Reichstass- 
brandes. Sein Parteigenosse Goebbels hat den Plan erdacht, Gorina 
bat ihn durchgefiihrt. In seiner Hand waren alle Moglichkeiten 
vereint. In seine Hand war alle notwendige Macht gegeben. In 
seiner Hand liefen alle Faden zusammen. Der Morphinist 
Goring hat den Reichstag angezundet 



1 29 



Zerattfrung der Legalen Arbeiterorgaiiisationen 

<Nuiinjehr ist die Stunde der Abrechnung gekommen, in der 
wir eiskalte Koiisequenzen Ziehen. Sie sollen sich keiner 
T&uschung hingeben, dass dieee Abrechnung ein uicht natur 
Itbes Ende nehmen konnte. Das Ende der Revolution ist das 
Ende der Novemberverbrecher, das Ende dieses System*, das 
Knda dieser ZeitI Wir werden diese Manner verfolgcn big in 
die ietztea Schlupfwinkel hinein und werden nicht rasten, bis 
dieses Gift restlos aus unserem Volkekorper entfernt sein 
wird.> (Hitler am 7. Mai 1933 in Kiel.) 

Hitler verkundete bereits in seinem Buch «Mein Kampl"» die 
Ausrottung des Marxismus als den entscheidenden 
Pro^rammpimkt der Nationalsozialislen. Er predigle den todlichen 
Hass gegen die Lehren von Karl Marx, Friedrich Engels, Lenin 
und Stalin. Er will 80 Jahre Erfahrung. Ideologic und Organisa- 
tion der Arbeiterklasse mil Blul und Eisen aus dem Leben 
Deutsclilands ausmcrzen 

Warum muss der Hitlcrfaschismus die Zerstorung und Aus- 
rottung der politischen Partcien.dei G n, der Konsum- 
genossenschaften, der Sport- und Kulturorganisationen des Prole- 
tariats mil alien Milteln anstreben? El kann es nicht ert ra- 
ge n, dass die Presse der Arbeit" rrscheinL Er kann keine 
Streiks, keine wirtschaftlichen Kampfbewcgungen, keine sell 
standige kulturelle Betatigung, keinen politischen Freiheitswillcn 
der Arbeiter dulden. Hire UnterdrQckung isl f£kr den Hitler- 
faschismus eine Leben sir age. Dureh den Faschismus wollen 
die herrschenden Klassen ihre M&cht, die sie mil den Mitteln de: 
btirgerlichen Demokratie nicht mehr aufrecht erhalten konnten. 
gewaltsam und diktatorisch behaupten. Wir sehen in spateren 
Kapiteln dieses Buches, wieviel beimtuckische Morde die Natio- 
nalsozialiston begingen. welche grauenhaften MLsshandlungen, Fol- 
terunscn und Kerkergreuel sie hauften. urn die Organisationen 
und die Fiihrerkaders der modernen Arbeiterbewegung Deutsch- 

lands zu vernichten. 

Millionen Menschen, die aus Not und Verzweiflung der Krise 

eincn Ausweg suchten, gingen zu Hitler. Sie kamen zu ihm in der 

gl&ubigen Hoffuung aid' soziale und nationale Befreiung. Sic 

USSten niclil. dass sie auf eiuen reaktionnren Weg gefuhrt und 

iss sie missbraucht wurden. Sie ahnten nicht. dass ihre Bew< 

, ihr antikapitalistischer Hass. ihre in den braunen Fonna- 

tionen zusammengebailtc Kraft in der Fausl der Hitler und Goring 

%v : \ f -u sollten, die auf die Organisationen der Arbeiter 

herab 



K,. »r1 zwn Wesen dea ] aschismus, mil dei Methode der 
Gewall raflhueri den sozialen Betrug zu paaren. Aui den Trum- 
niern dei von dra Arbeitern selbsl geschaffenen Organisationen 
so lN,„ unter dei Hakenkreuzflagge neue scheinbar arbeiterfreund- 
lich« Organisations erstehen. Das faschistische Italien sol) das 
Vorbild sein: Siandeorgamsationen aller Berufsschichteo ah 
Werkzetige des .totalen Staates., des Staates der absoluten fa 
schistischen Diktatur. Das Propagandanrinisterium des Herro 
Qoebbeh preist in tSnenden Worten den *neuen Add der Arbeit-, 
wfthrend die alten Ausbeutun rhaltnisse in den Betriebeii 
Deulschlands wetter bestehen bleibea Die neuen Pseado-Arbeiter- 
orgaaisationen sollen eine Efilfsarmee des diktatorischen Regimes 
m. Kein Mensch erhSl! einen Arbeitsplatz, wean er ihnen aicht 
angehorl ! 

Die gelegentlichen antikapitalistischen Redewendungen der 
Nazifubrer durfen aicht rail dem Wesen ihrer Politik verwech- 
sell werdea Man radge sich niefal dadurch lauschen lassen, dass 
die Nazia auch bei einigen kleinen Unternehmern Corruption* 
enthfllll baben, Im •VSIkischen ' vom 10. Jurri 19 

verdffentlichl der Fflbrei dei nationalaozialistischen -Doutschen 
ArbeitsfronU, Dr. Le .. Gi izYu he Gedanken Qber den stan- 

dischen Aufbau and dii trbeitsfront . d< -ribst 

die hfichste programmatische utung beimissl Ja, in der abli- 

chen nationalsozialistischen G ■- isl er sie sogar als 

■ Fundament, auf dem bunderte binaua neu 

li;iiini kdnnen.i I>i i undamenU sieht 

in seinem Kernabsata rtum im Beti id 

Klihrcrl«i b Dtthalb Wild der staodi- 

srfae Aufbau &I Ichen FQhrer elne« Betriebee. das 

beteal dtro Dnternahmer < ollc Filhrunj? wfeder in die Hand 

ib ■'!) and dtnil :>t>er aurh die voile Verantwortung aufladen , . . 

Entechetden ki - Pnt :ier,> 

Diesem Programm entspricht der Kampl 

dsationen von der Kommtmistischen Pai :( zu A 

wirtscbaftsfTiedlicfien trkschafta- and Gesellen- 

organ men, 

Der Hitlerfaschismus siehl und furchtet in der Kom muni- 
s' ' s «■ ii e n P a r t e 3 jene I nation. im Ku 
Uigc und Verleumdung, im Trommelfeucr der Vi und 

une itterlich aurh in der III 
den V ntrierl s m 

den Komi B. 

hrrn 



mil idler Klarheit Treuhekenntnisse zum bQrgerlichen Staat uiid 
zur Verteidigung des «Wirtschaft$friedens» abgelegl bat Er grelft 
r&cksicbtslos auch die sozialdemokratisch gefuhrten Gewerkschi 
ten an. trotzdem sie in den ersten zwei Monaten nach dem Reichs- 
tagsbrand in Rundbriefen, Artikeln und offizielien Erklarungen 
ihre Bereilschaft zu einer Mitarbeit unter Hitlers Fiihrung be- 
kundeten. Die Verfolgungswelle trifft sogar die chnstlichen Ge- 
werkschaftsorganisationen, die katholischen Gesellenvereine und 
auch die deutschnationalen Betriebsorganisationen, die als Kon- 
kurrenz gegen die NSBO von den deutschnalionalen Parteifuhrem 
aufgemachl wurden. 

Die fascbistische Diklalur verfolgt vor allem die von der Ar- 
beiterbewegung selbst geschaffenen Organisationen — sei ihre 
Polilik noch SO «staatserhaltend» — und will sie vernichten, 
weil sie in jeder dieser Organisationen ein antifaschistisches und 
antikapitalistisches Kraftereservoir furchlen muss. In den Reihen 
der Sozialdemokratie, der sozlaldemokratischen und christlichen 
Gewexkschaften sind Millionen antifaschistisch gesinnler Arbeiter. 
Muss die Hitlerregierung nach dem ohnmachtigen Untergang der 
Weimarer «Deinokralic» nichl die weitere Radikalisierung dieser 
Milglieder lurchtcn ? Muss sie nichl davor zittern. dass allc dicse 
Organisationen zu Zentren des antifaschistischen Widerstandes 
werden, da die Kommunisten in ihnen unter der Losung der Ein- 
heitsfront cine zahe AufklSrungs- und Mobilisierungsarbeit gegen 
das Hitlerregime betreiben? 

Furcht, Furebt und nochmals Furchl vor jeder selbstandi- 
gen Regung und Organisation der Arbeiter bestimmt alle Hand- 
lungen des deutschen Faschismus, der keine einzige der sozial 
und nationalen Lebensfragen der deutschen Arbeiter losen kann. 

Miller enteigiiet! 

Millionen Menscben bat Hitler mit der Losung Gegen das 
raffende Kapital !» unter seiner roten Fahne mil dein schwarzen 
Hakenkxouz im weissen Felde gesammelt Hitlei hat keine Trusts 
verstaatlicht, keinen Finanzkonig enteignet. Hitler hat jedoch in 
den ersten Monaten seiner Herrschaft einen grossen Enteignungs 
Eeldzug gegen das muhselig aus Arbeitergroschen geschaffene 
Eigentum der politischen und gewerkschaftlichen Arbeiterorgani- 
sationen durchgefuhrt 

In der Nachl des Reiehstagsbrandes wurden mil ei 
Schlage s a m 1 1 i c h e k o in in u n i st ische n n n d s 02 i a l- 
il e in k r a t i s c h e u Zeitun g e n v e r bote n. 

Verboten wurden das Zentv; an der KPD, die B 
, und ihre samtlichen Provinzzeilui 

132 



Verboten wurde das Zentralorgan der SPD. der «Vor- 
N v;iils», und ebenfalls ihre samtlichen Provinzblatter. 

Verboten wurden die der revolutioriaren Arbeiterschaft 
nahestehenden Blatter «Welt am Abend*, «Berlin am Morgen» 
und ; Arbeiter- lUustrierte-Zeitung*. 

Verboten wurden samtliche Arbeiterzeitschriften ohne 
Unterschied ihrer Parteirichtung. 

Auf Grund der Nolverordnung der Hitlerregierung vom 5. Fe- 
bruar 1933 wurde in der Woche des Reichstagsbrandes das Karl 
Liebknecht-Haus als ein *Herd staatsfeindlicher Umtriebe» 
enteignel. 

An! Grund derselben Notverordnung wurden samtliche 
Druckereien und Druckereigebaude der Kommunistischen Partei 
im ganzen Reiche enteignet. Die gleiche Methode wurde gegenuber 
den~Verlagen der «Welt am Abend* und ihrer Bruderorgane an- 
gewandt. 

Sturm auf Grewerkschaftahauser 

Schon vor dem Reichstagsbraud batten die planmassigen 
UeberfSIle der SA-Formationen auf die Gewerkschafts- und 
Volksbfmsn in alien TeileD des Koiches begonnen. Vielfach 
Stiessen Sie auf einen erbitlerten Widerstand der Arbeiter aller 
Parteirichlimgm. In Chemnitz wurde am 9. Marz der Ge- 
sch&ftsfuhrer dea sozialdemokratischen Druckerei Landgraf 
von der SA bei der Besetzung der Druckerei erschossen. Am 
selben Tag verteidigten Arbeiter mil Gewehren und Handgranaten 
das Gewerkschaftshaus in Wur gen die anstfirmende SA. 

In Braunschweig wurde der Werbeleiter Hans Saile bei 
der BeseLamt; des sozialdemokratisciien Volksfreund—Gebaudes 
durch die SA erschossen. Ein Teil der Dresdener Arbeiter 
streikte am gleichen Tag gegen die Plunderungen des Volkshauses. 
Das Berliner Gewerkschsftshaus wurde an diesem Tag van- 
dalisch verwfistet 

Ueber die Besetzung des Gewerkschaftshauses und des Otto 
Braun-Hauses in Konigsberg wird von einem Augenzeugen be- 
richtet : 

cDer aesamtvexband (Sektion Gesuodheitswesen) tatte ^•""Jj 
MonatsvereammluBg und daran anscbliessend. wie da? ^ u - 
Qblich war, ein gemMfches Beisammensein. Inzwiecben *aren 

i der Nacht die SA-Leute in die ra ™* d " °*^ ^ 
ihftftehause* ein^drungen. & m« em* Z***^** 

tPn Bleb 90 unbemerkl i W** Wttrden ™ - 



Tliren aufgerissen und ca. 60 Mann, siimtlich mit Pistol en bewaff- 
net, drangen in den gros9en Saal ein und feuerten mehrere Schusse 
an die Decke und an die Wand. Die abprallenden Schiisse ver- 
letzten 5 Mann, darunter einen sehr schwer. Aladann trieben die 
Banditen Frauen und Manner mit vorgehaltenen Piatolen aua dem 
Saal auf die Strasse. Die Garderobe der Leute war beschlagaaumt, 
sodass Frauen in dtinnen Kleidern und Manner ohne Kopfbe- 
deckung und Mantel ihre zum Teil sehr weiten Heinrwege antreten 
mussten. Sodaun wurden die GewerkecliaftsbUroa durchstbbert und 
vollig demoliert. Es wird ausdrttcklich bemerkt, dase sich im Have 
keine Reichsbanuerwache befand und dass auch nicht ein einziger 
Schuss gefallen ist, denn daa batten die Teilnehmer der Versamm- 
lung unbedingt merken museen. Selbst die Oekonomie hat nicbtfi 



davon gehbrt. 



aavon ^cuuit. 

Anders n.b.n sich die Voxfalle bei der Be.etair. s des Oil. Br. UD- 
Hau.ee enWickelt. Zelio Minuter, »»r X12 UUr Mchtt endue 
nee z.ei ueitormiert. Polfeeibeamte and nahmen dem dotl 1 im*"- 
ton Swechter die Pistole ab and erkldrtee ita ill Oe»el »d 

Z K <wir »--»^- I ;-™rS SJS5LS 

der B»^. MM - J- .^"ZgtfiEL*. 

Z TSXt: J3£ .*- r «f- r Met 

n&chst auf das ReichsbannerMro. Saml ' iches ™°° k , ein gescblagem. 
Aexten. die bereits mitgebrach wa = kun, und £ - J^ f rf . 

Grosse, wertvolle B.lder ^^J"™* Das Biiro 1st ein ein- 
gebrochen und ebenso afontliche S f reibt, ^., h a = Her SPD allea 
figer Schutthaufen. Aehnlich wurde im Be^ksbOro der^ 

demoUer, Im Bttro.de. Fr ^^^^f^Tet L ScTnn wrde 
Die Urnen waren em besonderes Objekt ^osberger Volkszeitung> 
der MflMUur d« Verlag* ^^fSSenoH und nahezu 
mit vogehaltener Pistole von 3 S^^ e A n d ronung des Er- 
4 Stunden durch alle RHurne "^^^^ffi musste auch auf dem 
nehieuen* geschleift. Der a^^S™;^^^ befindlicbea 
Hof die vernueteten Autopr^j. « J™ "^ ^ privat eo Fi, 
Wagen fataruninoghch machen. H.er standen a h en 

mon und Personen. die die Garagen gem.etet batten. ^ la ^ 

Z private- Lenten ^^fUS v^JenaUenen Pl- 
ana! wurde dem Geschaftsfuhrer Blank umer a . ge 

„ verbrennen^ Daa ^\^^\X^r^t^^ Nunmehr 
sich hi* sum Eimu«! dei ■•■^-'■;_ , ..., 



134 



Ueber die Besetzung des Gebaudes des Bergarbeiterverbandes 
in Bochum berichtete die sozialdemokratische «Volksstimme» in 
Saarbriickcn am 13. Miirz : 

<Ihre Reichszentrale, der Sitz des Verbandee der Bergbauinduatrie- 
arbftiter Bochum, Est von den Hitlerbanditen der SA und SS uberfallen 
und von oben bis unten demoliert und zeratSrt worden. Die gesamten 
Akten warden angezlindet, wobei Teile dee Hauses mit in Brand ge- 
rieten, und der gesamte Hauptvoratand, soweit er erreicbbar war, an 
der Spitze der Vorstandsvorsitzende, Reich stagsabgeordneter Huee- 
mann, wurden von der SA und SS fortgeschleppt.> 
Diese wenigen Beispiele bieten nur einen winzigen Ausschnill 
aus den Vorgangen jener Ta^e in ganz Deutschland. Ueber 
samtlichen Gewerkschaft-, Volks- und Zeitungshausern der So- 
zialdemokratie und der Kommunistischen Partei wurde gewalt- 
sam die Hakenkreuzfla^-e gehisst 

Moralische Provokation 

Den Nationalsozialisten genugte nicht die gegluckte Provoka- 
tion durch ihr braun«s Brandkommando im Reichstagsgebaude. 
Sie griffon zum Mittcl der moralischen Provokation. Sie nannten 
das Karl-Liebknecht-Haus • Horst-YVessel-Haus* und machten 
es zum Sitz der politischen Polizei. 

K a r I Li e I> k n e chta Name ist den Arbeitern der ganzen 
Welt bekannt. Der Name dieses edlen, selbstlosen Revolutionaxs 
ist Millionen Arbeitern weil 5ber Deutschlands Grenzen hinaus 
heilig. Karl Liebknecht del lrot2 Standrecht mitten im Weltkrieg 
unexschrocken seine Stimme erhob und ram Sprachrohr der gan- 
zen arbeitenden Menschheil i daa Millionenmorden wurde,— 
dieser Nairn- bat hohen Slang bei alien fortschrittliehen Menschen 

in der ganzen Welt 

Wer war dor nationalsozialistische Held* Horst Wessel, 
diese legendare Figur nationalso2ialistischer Geschichtsfabrikan- 
ten? Horst Wessel war ein verbummeltex Student, Sohn ernes Pa- 
stors, Zuhalter in dor Gegend der Berliner Miinzstrasse. Selbst die 
Nazis kSnnen nicht bestreiten, dass der *Held» Horst Wessel, der 
nachts mit seinen Sturmtrupps Jagd auf «Marxisten» machte. von 
den Einnahmen einer Prostiluierten lebte In der Wohnung des 
Strassenmadchens wurde er von cinem fruheren Zuhalter aes 
Mudchens umgebracht Die nationalsoziahstischen Legencien- 
schreiber wissen zu berichten. dass Horst Wessel nur die .beeie» 
der Dime rotten* wollte. Die nationalsozialistische Presse De- 
bauptete - und das wurde zur offiziellen Legende — Horst wessei 
sri ; ,is Opfer dor Kommunisten gefallen. 

Den Namen dieses Holders tr&gt jetzt das eheniahge Zentral- 
ib&ude der Kommunistischen Partei Deutschlands. Der Name 
Karl Liebknecht wurde entfernt 



Organisationsauflosuiigeii, Terror in den Betriebeu 

Es eaJb und gibt kein ionnelles Verbot der Kominunisti- 
schenPartei in Deutschland. In dem mit drakonischer 
Hiirte betriebenen Terrorfeldzug wurden alle kommunislischen 
Fuhrer und Funklionare fur vogelfrei erklart. Alle Organisationen, 
die im Geruch standen, klassenkampferisch zu sein, wurden ausser 

Gesetz gestellt. _ 

Die gewerkschaftlichen Organisationen der revolutionaren 
Arbeiterschai't wie der Einheilsverband der Bergarbeiter und der 
Berliner Einheitsverband der Metallarbeiter, die gesamte Re v o- 
lutionar". Gewerkschaft s-O p p o s i t i o n (.RGO) wurden 
in die Illegalitat getrieben Ueberparteiliche revolutionare Arbei- 
lerorganisationen, der Kampfbund gegen den Faschismus, die 
Kampfeemeinschaft fur Rote Sporteinheit. die revolutionaren Ver- 
bande der Schriftsteller, der bildenden Kunstler, der Arbeiterpho- 
toeraphen usw., verliefen unmittelbar nach dem Reichstagsbrand 
der "leichen Behandlung wie die Kommunislische Partei. 

Die Rote Hilfe Deutschland s, eine proletansche 
Hilfsorganisation fiir die Unterstiitzung der politischen Gefange- 
nen und ihrer Familien, eine Solidaritatsorgamsation, die sich um 
die werktatigen Justizopfer ohne Unterschied ihrer politischen 
Richtung bemiiht, wurde in die Illegalitat gestossen. Die beschei- 
denste Hilfe fiir die Opfer der Hitlerbarbarei muss illegal organi- 

siert werden. , . 

Die Internationale A rhe 1 1 e r-H ll f e. die sich in 

zahlreichen Wirtschaftskampl'en den Namen einer «Proviantko- 
lonne der streikenden Arbeiter* erwarb. wurde ebenfalls als ausser 
Gesetz stehend erklart. Ihr Eigentum wurde beschlagnahmt, ihre 
Funktionare und Mitglieder wurden verfolgt. 

Die faschistische Unterdruckung wandte sich gegen alle so- 
zialen und kulturellen Organisationen der Arbeiter; gegen die 
Kinderorganisationen, gegen den Bund fur Mutterschutz, gegen die 
ARSO (Arbeitsgemeinschaft sozialpolitischer Organisationen). 
Daneben richtete sie sich gegen alle pazifistischen Organisationen: 
die Liga fur Menschenrechte, riie Deutsche Friedensgesellschaft 

u. a. 

Die Betriebsratewahlen Ende Marz, die schon im Zeichen der 
wiitendsten Unterdruckung der Arbeiterorganisationen stattlanden. 
*aben kein wahrheitsgetreues Bild der wirklichen Stimmung der 
Arbeiter. Unter welchen Umstanden sich die Wahlen vollzogen, 
schildert ein Bericht vom Metallwerk Union in Dortmund, der ty- 
pisch fur die .Betriebsratewahlen* in fast alien deutschen Be- 
trieben ist : 

<Auf der <Union» i n Dortmund wurde der Wahlleiter und der lang- 
jahrige BetTipb^obmann Diekmann am Tage vor der Wahl verbanet 



Das Werkzeug 




Marinus van der Lubbe. 



Marinug van der Lubbe wurde als einziger iai 
brennenden Reichstag aufgefunden und verhaftet. 
pie aationalsozialistischen Brandstifter liaben ihn 
im brenneuden Reichstag zurtickgelassen, urn 
ihn als cBeweismittel> gegen die Kommunisten 
zu benuteen. 



Die Eltern ties van der Lubbe 




Franziskus Cornelis van der Lul.bc und Pelronella van Handel 

mil dcui Kind Marinus. 

(llnvor^llcnllidile Aulnnliini- ' 



uud eiogekerkert. Die Na?.ig besotzten den Wahlvorstaad und forder- 
teii die Arbeiter zur Wahl auf. Wer aicht wShlen vriirde, der wiirde 
als Feind der uationalen Regierung betrachtet werden. Der Wanltiach 
wai von den bewaffneten Nazis umseben. Jeder der zur Wahl kam, 
wurde genau regietriert, und es wurde beobachtet, welchen Stimmzet- 
tel er in daa Kuvert steckte uod am Wahltiscb abgab. Nach Beendi- 
»g der Wahl nahm der Nazihauptling- die Wahlurne und atellte mit 
seinen Freunden das Watalergebnis iest. Kein eiflziger Arbeiter ir- 
cendeiuer anderen Organisation war bei der Feststellung des Wahler- 
gebnisaes zuge$en,> 

Trotz solcher Melhoden blieben die Nazis im grosseren Teil 
aller Betriebe — wie auch auf der Dortmunder Union — bei die- 
sen Betriebsratewahlen in der Minderheit. Was Einschuchterung. 
Erpressung und Falschung wahrend der Wahl nichl erreichen 
konnten. wurde von den Nazis durch offene Gewalt im Verlaufe des 
Monats April herbeigefuhrt: die «Sauberung» der Betriebsrate -von 
freigewerkschaftlichen und revolutionaren Betriebsraten. Auch 
christ liche Betriebsriite, die als Antifaschisten bekannt waren 
wurden ihror Funktionen enthoben. SA marschierte in die Be- 
triebsratszimmer, die gewahii^n Betriebsrate wurden misshandelv 
eingekerkert und unter Todesdrohuneen zum Rucktrftt gezwungen 
Kommissarische Nazi-«Betriebsrate» wurden in alien Be»rieben 
zur Koi rigierung der Wahlert>ehnisse eingesetzt. 



Zersttfrang der Gewerkschaften 

Der 'Tag der oationalen Arbeit- am I. Mai. an dem Hundert- 
tausende unter Androhung des sofortigen Verlustes ihres Arbeits- 
platzes (besonders in Staats-, Gemeinde- und kleinen Betrieben) 
zur Teilnahmc an den offiziellen Aufmarschen gezwungen wur- 
den, diente der Hitler-Regierang zur Vorbereitung einer grosseren 
Aktion. Am 2. Mai besetzte SA die Gewerkschaftsburos. DieZer- 
slorung der Gewerkschaften in ihrer bisherigcn Form wurde im 
Namen eines bis dahin unbekannten Komitees zum Schutze der 
deutschen Arbeit* verkiindet. 

Es niitzte dem Allgemeinen Deutscben Gewerkschafisbund 
nichts. dass er zur Teilnahme an der Hitlerdemonstration am 
1. Mai aufgefordert hatte; .Der deutsche Arbeiter soil am 1. wai 
standesbewusst demonstrieren.» 

Die Gewerkschaftsburos wurden beset*, die G^rto^fts- 
mhrer misshandelt. Die .deutsche Arbeitsfront* ubernahm den 
satnten Gowerkschaftsapparat. 
Nachfolgend einige Dokumente uber die Methoden m,i de, 
diese ZersUifuiigsaktion gegen die Gewerkschaften ^ov s.eh gli 

137 



<Die Nationaisozialisten tibernehmen die freien 

GewerkschaJ'ten 

Die Fiihrer verhaftet — Aktion im ga n zen Reich> 

(Schlagzeilen der cDeutschen Allgemeinen Zeitung* vom 2. Mai 1933.) 

<Gewiss, wir haben die Macht, aber wir haben noch nicht daa ganze 

Volk. Dich Arbeiter haben wir noch nicht hundertprozeniig. > 

(Aua dem Aufruf Dr. Leys vom 2. Mai 1933.) 

cSauberung der Freien Gewerkachaftea ucd 
Aufbau einer Arbeiterorgauisation. 
Beset z ung sftmtlicbei Gewerkschaftsh&us«r 

darch SA — 50 Gewerkschaftefiihrer verhaftet 
Der 2. Abscnnitt der nationalsozialistischen Revolution.* 

(Ueberschrift des <V81kischen Beobachters* vom 3. Mai 1933.) 
Nachdem am 1. Mai Deutschland im umfassendeten Sinn sicb 
zur nationalsozialistischen Auffassung des Begriffs vom <Arbeitertum> 
bekannt hatfe, ist am 2. Mai durch die Bewegung die Folgerung aus 
dieeer Erkenntnis gezogen -worden Die eogenannten Freien Gewerk- 
schaften sind ihrem Wesen untreu gewesen und haben sich und den 
Gewerkschaftsged anken an den internationalen Marxismus ^er- 

(Alfred Rosenberg im Volltischen Beobachter am 3. Mai 1933.) 
cDie Zeitschrift der NSBO, <Arbeitertum>, Blatter fiir Tbeorie und 
Praxis der NSBO, wird mit dem heutigen Tage amthches Organ des 
ADGB und des AFA-Bundes.» 

(Aufruf des Ley-Komitees am 2. Mai 1933.) 
cDas Kapitel marxieti3cher Arbeiterverhetzung 

ist a b g e s c h 1 o s s e n.» 

Nachdem die Aktion gegen die marxistischen Gewerksehaften im 
Volk.- und besondeTe in der Arbeiterschaft einen ungeheuren Wider- 
hall gehinden hat, sahen sich der Gesamtverband der Christhchen 
Gewerksehaften Deutschlands, der Gewerkschaftsring Deutscher An- 
eestellten- Arbeiter- und Beamtenverbande (Hirech-Duncker), der 
Ge-werkscnaftsbund der Angestellten und andere kleinere Verbande 
natei dem Druck dieser gewaltigen Volksbewegung genMigt achnfl- 
lich zu erklaren, dass sie sich bedingungslos dem Fiihrer der NationaU 
sozialistischen Deutschen Arbeiterpartei unterstellten und vorbehalt- 
loa die Anordnungen des von ihm bemfenen Aktionskomitees zum 
Schutze der deutschen Arbeit befolgen werden. 

(Aua der Kundgebung dee Dr. Ley am 4. Mai 18J3.) 
<Endlose K orru p t i on s f a 11 e bei den Marxisti- 
schen Gewerkschaftaleitungen 

Bilanzverschleierungen und dunkle ?»**»*■ 
gesehafte _ 8 Millionen organisierte WerKta- 
tige der FiihruHg Adolf Hitlers inte»tellt> 

(Ueberschrift des <V61kiechen Beobachters* vom 5- Mai law.) 
Im ersten Aufruf von Dr. Ley, dem Leiter des ^t.ons-Ko- 

mitees zum Schutze der deutschen Arbeit., vvurde eine senr .gc 

werkschaftsfreundliche. Tonail angeschlagen: 

138 



«Wir haben nie etwaa zerstOrt, was tiberhaupt irgendwie Wert fur 
unser Volk hat und werden das aucb in Zukunft nicht tun. Das 1st 
aationalsazialistiecher Grundsatz. Das gilt beeonders fur die Qewerk- 
acbaften, die mit soviel sauer verdienten und vom Munde abgespartea 
Arbeitergroschen aufgebaut wurden. Nein, Axbeiter, Deine Instituiio- 
aen sind uns Nationalsozialisten heilig und unantastbar. Ich selbst bin 
ein armer Bauernsohn und kenna die Not: ich selbst war 7 Jahre in 
t :inem der groseten Betriebe Deutechlands.> 

Es sei nur nebenbei bemerkt, dass Dr. Ley niemals als Arbei- 
ter, sondern in seiner siebenjahrigen Tatigkeit als sehr gut be- 
zahlter hiiherer Angestellter der I. G. Farbenindustrie A. G. diente 
und dori mit einer hohen Abfindung ausschied. Dr. Ley macbte 
durch zahlreiche Exzesse und dunkle Affaren von sich reden, zu- 
letzt, als er, voilig betrunken, in Koln einen Ueberfall auf den so- 
zialdemokratischen Parteivorsitzenden Wels veriibte. Die national- 
sozialistischen Fuhrer wandten im Augenblick des gewaltsamen 
Raubes der Gewerkschaften die Taktik an, den gewerkschaftlich 
or^anisierten Arbeitern feierlich die Aufrechterhaltung inrer so- 
zialpolitischen Einrichtungen zu versprechen. Gleichzeitig wurde 
in der nationalsozialistschen Presse eine grosse Enthullungskam- 
pagne uber die «Korruption in den Ge-werkschaftsburos» eingetei- 
tet Die SA stand bereit, den Gewerkschaftsmitgliedern mit Revol- 
vern und Knuppeln den notigen Glauben an die Arbeiterfreund- 
lichkeit der Nazis beizubringen. 

Wenige Wochen spater, als Dr. Ley (am 10. Juni) in seineu 
«Grundsatzlichen Gedanken zum standischen Aufbau* die absolute 
Diktatur des Unternehmers im Betriebe verkiindete, ist kerne Spur 
mehr von der «Heiligkeit» und «Unantastbarkeit» der Gewer- 
schaftsorganisationen zu finden. Die Gewerkschaften sollen jetzt 
nur noch Hilfswerkzeuge des Staates der faschistischen Diktatur 
sein. So verfliegen die Versprechungen der nationalsoziahstischen 
Fiihrerschaft stets wie Schall und Ranch, nachdem m tern 
Zweck gedient haben, die wahre Pohtik der NSDAP Lrugenseh 
zu tarnen. 

„Der Fangschuss" 

<Lieber geben wir ihm (dem Marxismus) einen letzten Fang- 
schuss als dass wir jemals wieder dulden wurden, dass er sicn 
erhebe. Leiparts und Grassmanner mSgen Hitler noctt so wi 
Ergebenheit heucheln _ es ist besser, sie befmden .w* i m 
Schutzhaft. Deshalb schlagen wir dem marxist.se hen Ges mdel 
seine Hauptwaffe aus der Hand und nehmen ibm damit se ine 
letzte Moglichkeit, nm sich aeu m stark en Die ™*Z*"j£ 
Marxisms soil elendig auf dem Schlachtfelde der nahonalso- 
zialistischen Revolution krepieren.s 

(Aus dem Aufruf Dr. Leys vom 2. Mai 1933.) 

139 



„KoiTuptioii" — und Korruption 

Eine der Kampfmethoden der Nationalsozialisten isl, ihre do- 
liuschen Gegner durch die Beschuldigung der Korruplioa zu «er- 
ledigen,. So machle man Mitwiwer der Reichstagsbrandstit- 
lung wie den Branddirektor Gempp mundtoL So erledigie man 
zahlreiche Beamte der Weimarer Republik und viele Fiihrer noch 
mcht <<gleichgeschalteter>> biirgerlicher Organisationen. So ubte 
man auch Racne an dem Arbeitsbeschaffungskominissar Gerecke 
weil er im Jahre 1932 der Leiter des Hindenburg-Wahlausschusses 
und damit ein Hauptkampfer gegen die Reichsprasidentschafts- 
kandidatur Hitlers gewesen ist. 

Als unter der Fiihrung Dr. Leys die Freien Gewerkschaften 
und ihr gesamter Organisationsapparat «gleichgeschaltet» wurden, 
begannen die nationalsozialistischen Fiihrer — als Erganzun^ zu 
ihren bald vergessenen Versprechungen auf Erhohung der Lei- 
stungen und Senkung der Beitrage der Gewerkschaften — einen 
grossen Feldzug zur Enthullung der *Gewerkschaftskorruption». 
In ausfiihrlichen Reportagen der faschistischen Presse wurde °e- 
schildert, wie luxuries eingerichtet die Zentralbiiros der verschie- 
denen Gewerkschaften waren. Spaltenlang berichtete die Presse xiber 
hohe Gehalter der Gewerkschaftsfuhrer. Die nationalsozialistischen 
Fiihrer, die den geraubten gewerkschaftlichen Organisationsappa- 
rat unter das burokratisch politische Kommando von faschisti- 
schen Koininissaren stellten, versuchten die Emporung der radi- 
kal gestimmten Gewerkschafisraitglieder gegen die Burokrati- 
sierung ihrer Fiihrer und gegen ihre wirtschaftsfriedliche Politik 
in fruheren Streikkampfen in raffinierier Weise zugunsten der 
faschistischen «Sauberungs»-Aktion auzunutzen. Die Notlage der 
Mitglieder und die Verweigerung ihrer Unterstutzung in den ver- 
gangenen Wirtschaf tskampf en wurden von der fascitis tischen 
Presse dem Wohlleben der Gewerkschaftsfiihrer entgegengestellt. 
In dicken Lettern schrie der «Volkische Beobachter», dass der Vor- 
sitzende des Afa-Bundes, Aufhauser, bei seinem Ausscheiden sich 
mit 18 Monatsgehaltern a 940,— RM., insgesamt 16.920,— RM., 
hatte «abfinden» lassen. Der «Dortmunder Generalanzeiger» ver- 
offentlicht am 16. Juli unter der Ueberschrift «Lumpenpack» 
einen Brief, in welchem Leipart bei der Berufung zum 
Leiter des ADGB auf einem Monatsgehalt von viertausend Mark 
besleht, — und vergisst hinzuzufiigen. dass dieser Betrag im 
Jahre 1921, aus dem der Brief staramt, den Wert von 240 Gold- 
mark darstellte. 

Neben der scheinheiligen Ausschlachtung korruplious- 
ahnlicher Tatsachen wurden von den nationalsozialistischen 
-Enthullern» Korruptionsfalle einfach erfunden. Jede Ver- 
wendung von Geldern, die den Nazis politisch nicht passte, 

140 



wurde zur .tmtreue. gestempelt. Es wurde enlhullu class 

b ei der ReR-.hspras.dentenwahl mOOO, -- Mark G< >wa kschafis- 

des ADGB an die Sozialdemokratische Partei zur Unter- 

slulzung ihrer Hmdenburgpolitik gegeben wurden. Der Zentral- 

: CI ' ban -nnnn A 'uil , " *""* im ***&** 1932 a,, das Reichs- 
banner oU.UOO,— KM., ausserdem im Juli und November W& ■« 

,5000,-RM. an die STO-te abgefiihrt Dk {SS^diJV 

voluUonaren bewerksdiafts-Opposition* baben stels die Ver 

weadung VOn gewerkschafilichen Ueilragsgeldern fur Zwecke der 

burgerlich-sozmldemokratischen Politik bekampft; aber es ist na 

ttirlich nurein politischer Trick der nationalsozialistisehen Fiihrer 

svenn sie, die Zerstorer der klassenkampferischen Gewerkschaften 

sich als Ireuhander gegen die Yerwendung der Gewerkschafts- 

gelder fur nichtklassenkampferisctoe Zwecke" aufspielen! 

VeraiBgen der SPD and des Reichsbaiiners beschlagnahmt 

Mit der Behauplung, urn die <Erhaltung der Arbeitergroschen. 
besorgl zu sein, fiihrten die Nazis ihre Aktion gegen die~Gewerk- 
scbaften und Konsumgenossenschaften durcb. Der nachste Schlag 
>var die Beschlagnahme des gesamlen Vennogens der SPD und 
des Reichsbaiiners: 

(Berlin, den 10. Mai 1938 Der Generabtaateanwait I, Berlin, hat die 
Beschlagnahme d cogens der Sozialdemokratischen 

Partei Deutechlanda Hid ifc teilOUgen sowie des Reichbanners und 

seiner Zeitungeo angeordnet. Den Grund zu der Beschlagnahme bilden 
die aahlreicben DntxeuflUle, die durch die Uebernahme der Gewerk- 
schaften und der Arbeiterbanken durch die NSBO aufgedeckt wurden. 
Zur Beschlagnahme des Verrnftgens der SPD ist rjoch erganzend zu be- 
ricbten, daee ebenfalla dac Vermfigen der der SPD nahestelienden Or 
ganisationen beectiagnahml worden ist.> 

(<Angriff> vom 10. Mai 1933.) 

Ana selben Tag wurden auf Postscheckamtern, in Parteiver- 
lageu und auf der Arbeiterbank alle vorhandenen Gelder der 
SPD beschlagnahmt. Die Geschaftsraume der Sozialdemokrati- 
schen Organisationen. des Reichsbaiiners und der SPD-Zei- 
tungen wurden geschlossen. Der Amtliche Preussische Presse- 
dienst» meldete die Einleitung eines Verfahrens «wegen Untreue 
und Betrugs» gegen den sozialdemokratischen Reichstagsabgeord- 
neten und Gewerksehaftsfuhrer Leipart, weil < namhafte Betrage 
von Gewerkschaftsgeldern nicht bestimmun^emass verweud't 
worden sind.» 

Das Vorgehen erfolgte gegen alle der Sozialdemokratie nahe- 
iiejiden Organisationen. Zug um Zug: gegen den Arbeiterturn- 
I Sportbund, gegen den Deutscheo Frei'denkerverband. geg^n 

Arbeiterwohlfahrt u. a. Am 11. Mai wurde die (Jebemahme 
der Konsumvereine «in sichere Hande» verfflgt: 

141 



cUm die grossen Werte, die in den Einri C ht u „ TO „ a v 
festgelegt und die zweifeJlos gefMhrde s S \n ? 2 der P K ° n5jumv ereine 
-st es nach Ansicht dee F^rers de T R B h verfallen zu lassen, 

dersoostigen zustandigen Stellen'gie ; lC ^ sch ^^^rs und 
Abwicklung in sichere Hande zu nehmeu' Kottsumver eine zwecks 

^St h ^S t d ^i K S 5 --x e "-2? in ihrer * 

dass auf der anderen Seite eb we teT A ^ a ? Kii ; ckli * ■»•*«*. 
nicht erfolgen darf MilTn .. f" 8 " der Ko °sumver ft inc- 

Mas.nahmel hat d^'ptiirer der Deu^h fK^t 1 erfor ^rliehe n 
den Leiter de r Art^SS.% ^ S^^? * ^ 

(Volkischer Beobachter vom 12. Mai 1933 ) 

Unter der Flagge der «Korruptionsbekampfunfl» folate dann 
die Beschlagnahme der Gewerkschaftsvermogen: ° 

<Da & Korruptionsdezernat im Preussischen Justizministerium hat 
nunniehx nach der erfolgten Beschlagnahme des SPD- undTeicha 
banner- Vennogens das gesamte Vermogen der Qewerkachaften be^ 
schlagnahmt. Die Leitung dieser Aktion ist von dem Leiter der Deut 
schen Arbeitsfront Dr. Ley ubernommen worden.* 

(Volkischer Beobachter vom 13. Mai 1933.) 
Am 23. Juni 1933 verfugte die Hitlerregierung in der gegen- 
wartig liblichen Form die Auflosung der Sozialdernokratischen 
Partei: der Partei wurde jede politische Betatigung verboten, ihre 
Vertreter wurden aus alien Parlamonten ausgeschaltet. Audi d*e 
Zustimmung der Sozialdernokratischen Partei zu Hitlers aussen- 
politischer Erklarung im Reichstag am 17. Mai und die Bemfi- 
hungen des neuen Parteifuhrers Lobe, durch eine Absage an den 
emigrierten Teil des sozialdernokratischen Parteivorstandes Dul- 
dung bei der Hitlerregierung zu erbitten, waren vergeblich ge- 
wesen. 

Enteignum*; <les kommunlstischen Verni#gens 

Am 27. Mai erschien, nachdem schon monatelang alles greif- 
bare Eigenturn der Kommunistischen Partei und der ihr naheste- 
henden Organe und Organisationen beschlagnahnit war, folgendes 
Reichsgesetz iiber die Einziehung kommunistischer Vermogen: 

§ 1. (1) Die obersten Landesbehorden oder die von ihnen bestimmten 
Stellen konnen Sachen und Rechte der Kommunistischen Partei 
Deutschands und ihrer Hilfs- und Ersatzorganisationen sowie 
Sachen und Rechte, die zur Forderung kommunistischer Bestre- 
bungen gebraucht oder bestimmt slnd, zugunsten des Landes 
einziehen. 

(2) Der Reichsminister des Innexn kann die obersten Landes- 
behorden uin Massnahmen nach Abs. 1 ersuchen. 

112 



§ 2. Paragraph 1 Gadet auf vermietete oder unter Eigentumevorbehalt 
geliefert© Sachen keine Auwendurig, es eei denn, dass der Vex 
mieter odor Lieferant m )t d er Ilmgabe der Sachen eine F6rdp 
nm - kommuaishscher Bestrebungen beabflichtigt hat 

J 3 Die au den eingezogenen GegenstUndeii bestehenden Rechte » 
loschen Durch die Einziehung eines Grundstuckes werden jedoch 
die an dem Gmndstuck bestehenden Rechte nicht beriihrt Die 
emziehende Behorde kann ein sokhes Recht tOr erloechen er 
klaren, wenn mil der Hingabe des Gegenwertes eine Forderunz 
kommunisuscner Bestreburtgen beabsicblig war 

§ 4. Zur Vermeidung von Harten kcinnen aus den eingezogenen Ver 
rnogen Glaubiger der von der Einziehung Betroffenen befriediet 
werden , , . 

§ 7 bofout, dasa fine EutscMdigung nicht gewahrt wird n und Para- 
graph 8 ermachtigl Reichsminieter Dr. Frick, zur Durchiuhruag 
und Erglinzung dieses Gesetzes Rechtg. und Verwaltungsvor- 
schriften zu erlassen. 

Von der Enteignung der kommunistischen oder angebJich 
kommunistischen Vermfigen wurde audi das verbreitetste klassen- 
karnpferische Arbeilerblalt Berlins, die tWelt am Abend», 
belroffen. Das Blall war ism Kosmos-'N crschienen. Als sich 

in den ersten Monaten der Hitlerdiktatur envies, dass die offiziel- 
len nationalsozialistischen Zeitungen keinen Eingang in die 
grossen Masscn der Arbeiterleser linden konnten, wurde im Pro- 
pagandaministcriiun des Herrn Goebbels ein neuer betriigerischer 
Streicb ausgeheckt, Ende Mai erschien, in ahnlicher Aufmachung 
und mit demselberj Kopl wie die ait€ iWelt am Abend*, ein neues 
nationalsozialistisches Blatl unter dem alien TiteL Es tarnte sich in 
den ersten Tagen audi inhaltlSch, tfiuschte cine objektive Bericht- 
erstattung aus der Sowjetunion vor und appellierte immer wieder 
an dit 1 Arbeiterleser. Abei schon nach wenigen Tagen musste 
dieses nationalsozialistische Blatl sich in offentlichen Erklarungen 
gegen die Entlarvung verteidigen, die von den Berliner 
A r b o i t e r n in i llegal en Flugblattern vorgenomrncn 
wurde. 

,,Standisohe" Ziele dor Xatioiialsozialisten 

Je Idarer die ersten funf Monate der nationalsozialistischen 
Regierung den Beweis erbringen mussten, dass sie zu keiner 
Ueberwindung der wirtschaftlicben Schwierigkeiten fahig ist und 
Deutschland in die Katastrophe treibl. desto brataler enfissen die 
N'nxis ihre diktatorische Macht anwenden. Sie mussen auf die To- 
tality der Macht auf eine Monopolstellung ihrer eigenen Partei 
und ihrer Pseudo-Arbeiterorganisationen drSngen. So liessen sie 
den Katholiscfaen Gesellentag in Munchen, auf dem der Vize- 
kanzler von Paj.cn als offizieller Redner aufgetreten war, durch 



Polizei sprengen. Den chrislUctien Or^anisiiiinn^ j 
dere als religiose Betatigung verbotei S oh? T* 6 jedean - 
kurrenz der deutschnationaFen B S s 1 'w r^^ Kon " 
wurde mit polizeilicher Gewalt zeiihla^n n- r °- rganisationen 
der christlichen Gewerkschaften'n nT^UMeteT^ ^^ 

-a. Kon Venl als KFeinde £ML*iWyr 

den 5«J* jSPKu em ^ 1 ^ " Grun dsai Z lichen Gedanken fiber 
^r£{^£* a o U Und die Deuti *he ArbeitsfronU (Volki- 

scher Beobachter vom 8.-10. Juni 1933) gibt Dr. Ley die *Wdi- 

? a u ■ Nationalsozialisten nach Vernichtung der leea- 

len Arbeiterorganisationen programmatisch bekannt. Leys Pro- 
gramm ist: J 

a) Der Kampf fur hohere Lohne wird den Arbeitern verboten, 
weil er nur ein Ausdruck der «Geldgier» ist. Ley schreibt wortlich: 

<Wir wissen, wie der Profitgeist den Menschea beherrechen kann, 
wir wissen, wie die Geldgier in jedeni Menschen lebendig ist. Der 
eine strebt nach mehr Lohn, der andere nach niehr Dividendeo. Aber 
gerade weil wir dies wissen, haben wir ebenso klar die Erkenntnis, 
dass man diesen <Schweinehund» im einzelnen Menschen nicht noch 
dureh kiinstfiche Organisationen ziichten darf, soudern dass es die 
Aufgabe einer hSheren Staatsfuhrung ist, diese menschliche Unzti- 
langliclikeit zu heinmen, ihr Zfigel aimilegen, wenn es sein musa, 
ihr brutal (!) Schranken und Grenzen zu eetzen . . .t> 

b) Das aFtfhrertum* der Unternehmer ini Betrieb wird unein- 
geschrankt hergestellt. Dr. Ley sagt: 

<Deshalb wird der standische Aufbau als erstes dem natiirlichen 
Fiihrer eines Betriebes, d. h. dem Unternehmer die voile Fuhrung 
wieder in die Hand geben und damit aucb die voile Verantwortung 
aufladen. Der Betriebsrat eines Werkes besteht aus Arbeitern, An- 
gestellten uud Unternehmern. Jedoch hat er nur beratende Stimme, 
Entscheideu kann allein der Unternehmer. Viele der Unternehmer 
haben jahrelang nach dem <Herrn im Hause» gexufen. Jetzt sollen 
sie wieder <Herr im Hause* sein . . .» 

c) Die fts-tarren* Tarifvertrage der Vergangenheit sollen zer- 
trummert werden. Sie mussen «so lebendig und beweglich wie 
moglich sein». 

d) Den bisherigen Arbeitsgerichten wird der letzte Schein der 
Unabhungigkeit genommen. An ihre S telle treten sogenannte 
*Standesgerichte», denen neben Unternehmervertretern ausge- 
suchte Faschisten in der Maske von Arbeiter- und Angestellten- 
vertretern angehoren werden. 

Ill 



Das Prograinm des Dr. Ley ist keine Privatarbeit, sondera 
iMIK . parteiamtliche und regieru&gsoffizielle Arbeit iin Auflra^ 
Hitlers. Seiae Arbeiterfeindiichkeit und Unternehmerireundlict! 
ke il ist ofienbar. Der -standische Aufbau*, der angeblich die 
glassenzerklflftung und den Klassenkampf iiberwinden soil, bringt 
aa f alien Gebieten die verscharfte KlassendikLatur der Unte 
nehmer. 

Die Einsetzung von 12 -Treuhandern der Arbeil», die in alien 
Bezirken Deutschlands die Arbeitsbedingungen diktatorisch fest- 
setzen konnen, dient demselben Zwecke: der volligen Ausschal- 
tung jedes Mitbestimmungsrechtes der Arbeiter bei der Regelun^ 
ihrer eigenen Lebensbedingungen. Die Besetzung aller Gewerk- 
schaftsstellen, aller Staats- und Organisationsposten durch Natio- 
nalsozia listen zuchtet ein breites nationalsozialistisches Burokra- 
tentum heran. Dieses Monopol muss unter den kapitalistischen 
Bedingungen seiner Existenz, bei der gewaltsamen Ausschaltung 
jeder Kontrolle von unten, zu einer Quelle der ubelslen Korrup- 

tion werden. 

Jeder Tag in Deutschland beweist, dass es auch der Zersto- 
rungswut, Willkiir und Mordlust der nationalsozialistischen Fuh- 
rer nicht gclingen kann. die deutsche klasscnkampferische Arbei- 
terbewegunf* zu vcrnichten, Man kann thre legalen Organ isationen 
zerstciren. aber zehnteusendc TOD lodesmutigcn und iiberzeugten 
Streitera ftir den Soziailsmus kampfen illegal weiterl 






Der Verniohtangsfeldzug gegen die Kultur 

Neben dem Hauptstoss gegen die deutsche Arbeiterklasse und 
ihre Organisations fuhren Hitler und Goebbels ihren Krieg 
gleichzeitig gegen die besten Schichten der deutschen Intelligenz. 

Die Stiei'el der SA zerstampfen die miihselige Lebensarbeit 
der besten Gclehrten und Kiinstler. Sie zertreten im wahrsten 
Sinne des Wortes die brutal misshandelten Korper vieler In- 
tellektueller, die — obzwar sie oft nicht die geringste Verbindung 
mit den kampfenden Arbeitern halten — als unabhangig, fort- 
schrittlich and freiheitlich von den Nazis gehasst wurden. Liberate 
Gesinnung schon ist unter Hitler ein «Verbrechen», das scho- 
nungslos geahndet wird. 

Goebbels kommandiert die braunen Inquisitoren, die glauben, 
das Rad der Geschichte noch hinter die grosse franzosische Re- 
volution zuriickdrehen zu konnen. Kriickstock, Parademarsch und 
Kadavergehorsam eines nationalistisch verfalschten Fridericus 
Rex sollen der Inhalt jener «Kultur» sein, die das «Dritte Reich* 
kennzeichnet. Alles, was «judisch», "liberal* oder angeblich 
marxistisch ist, was den burgerlichen Fortschritt und die Auf- 
klarung der letzten hunderlfunlzi^ Jahre verkorpert, soil ausge- 
rottet werden. 

Es ist in Hitler-Deutschland keitl Raum mehr fur Ideen von 
«einer Freiheit des Geistes», fur den bescheidensten guten Willen 
biirgerlicher Gelehrter zu wissenschaftlichei Objektivitat, fiir den 
schiichternsten Ausdruck des sozialen Freiheitskampfes der Volks- 
massen in kiinstlerischen Werken. Verjagt von Lehrstiihlen, 
Biihnen, Vortrags- und Dirigentenpulten! Verjagt aus den Klini- 
ken, Forschungsinstituten und Akademien! Die Scheiterhaufen der 
fortschrittlichen Literatur auf den Platzen dcutscher Stadte kiin- 
den mil ihren Flammenzeichen weithin sichtbar, dass die braune 
Barbarei nicht nur die tapferslen und selbstlosesten Antifaschisten 
physisch ausrotten will, sondern dass sie auch alles zu vernichten 
trachtet, was die burgcrliche Kultur an Lebensfahigem und Wert- 
vollem der Arbeiterklasse zu vererben hat, oder was auch nur 
burger] ich forlschrittlich auftritt. 

Die letzten Bannertrager des geistigen «Liberabsmus» werden 
gegenw&rtig in Deutschland geistig und korperlich massaknert 
von iener braunen Gewalt, welche die herrschenden Machte ent- 
fesselt haben, urn den Untergang ihres kapitahstischen Systems 
aufzuhalten. Klarer denn jc ist durch die jiingsten deutschen hr- 

146 



eignisse bewiesen, dass in unserer Epoche die Zukunft der 
Kultur untrennbar verb un den ist mil dem Frei- 
k e i t s k a m p 1 der Arbeiterklasse, 

Verfolgimg dor Wigsenschaftler 

«0 Jahrttundert, o Wisseoschaft. es ist eine Lust zu leben!» 

(Ulricb von Hutten) 

Der todliche Hass des Faschismus richtel sich selbstverstand- 
lich gegen jene Intellektuellen, die sich offen zum Freiheitskampt 
der Arbeiterklasse bekennen oder pazifistischen Organisation^ 
nahestehen. Er entfaltete sich gegen sie bereits in den ersten Tagen 
nach dem Reichstagsbrand mit voiler Wucht. Von der ersten Serie 
der Verhaftungen, die unmittelbar nach der Provokation der 
braunen Brandstifter begann, svurde die deutsche Gruppe der in 
Amsterdam gegriindeten Aerztegesellschaft gegen den imperialisti- 
schen Krieg sehr stark betroffen. Ihr Fuhrer Dr. Felix Boen- 
heim sitzt seit Ende Februar in Hitlers Kerker. 

Dr. Boenheim ist ein ausserordentlich geachteter und durch 
viele wissenscbaftJiche Arbeiten bekannter Facharzt fur innere 
Erankheiten. 

Er gehSrte keiner Partei an. Die wissenscbaftliche Bedeutung 
seiner Arbeiten verschaffte ilim die Stellung des dirigierenden 
Arztes an einem der grdssten KrankenhSuser Berlins, an dem 
Hufelandhospital. Allein die Tatsache, daes Dr. Felix Boenheim, 
seinem Gewissen folgend sich an die Spitee der Aerztebeweguns 
gegen den Krieg stellte, hat genugt. ihn dem unversohnfichen 
Hass der Hitierfaschisten auszuliefern. Seine Tatigkeii fiir die 
Internationale Aerzte llsch&fl wird willkurlich zum «Hoch- 
verraU gestempelt. Kein Rechtsbeistand ist ihm gestattet. Trotz 
monatelanger Haft wurde ihm jede Verbindung mit seiner Fa- 
milie verweigert. 

Max Hod an n, bekannt durch seine aktive Tatigkeit auf 
dem Gebicte der Sexualberatung fur proletarische Frauen und 
Manner, Yerfasser zahlreicher populfirwissensehafllieher Werk 
ist seit Monaten in den Handen von Hitlers Schergen. 

Der bekannte marxistische Wissenschaftler Hermann 
Duncker, ein Name von hohem Rang in der gesamten Arbei- 
jerbewegung der Welt, ist trotz Greisenalter und schwerer 
Krankheit eingekerkert. Sein Leben ist in hochster Gefahr. Der 
Mann, in dem cine ganze Generation sozialdemokratischcr Arhei- 
[er in der Vorkriegszei! ihren hochgeschatzten Lehrer sah wird 
'n den Kerkern Hitlers phvsisch und psychiscfa zugrunde se- 
richtet. 

*7 



imfisLelier Karl A u g u s t W i l I f »,«.,. i v . 
e.nes aufschlussreichen Chinabuches, die Schriftf telW ? f* * 
Reno, Karl von O s s i e t z k y, Kurt Hi W Sf L , Udwig 
Kisch, Erich Muhsam, Klau N ™k « n tV'l^**^ 
u. a., die Aerzte Professor Schell er-Breslau Dr A ^ ?£'? " 
Dr. W o h I g e in u t h-Hamburg WU rden verhaft-i i r "' "' 

schaftlichen Institute, Universitatm mS Zu i ,, P ie wissen_ 

Wissenschaftler von hohem Rang, £ SSaSteTSSESSto 
Oder hberaler deen verdachlig sind, geht bis in d e Re ten , 
Deutschnationalen Der Lehrkorper "der wichtigslen deutschen 
Univerutaten wird mit vandalischer Aussichtslosigkeit vcTx^Se? 
penunziantentum und Postentreiberei von unfahigen, allmfalls 
konjunkturtuchtigen Auchwissenschaftlern triumphiert. 

Die Bliite der deutschen Forschung wird zerstort 

Wir greiien aus der Liste der Entlassungen, Beurlaubun«en 
und Verfolgungen nur einige wenige Falle heraus: 

Der bekannleste Fall isl die Verfolgung des weltberuhmten 
Physikers Albert Einstein. Albert Einstein. Schwcizer 
Staatsburger, Mitglied der Preussischen Akademie der Wissen- 
*.i'haften, hat durch cine linJks-demokralische politische Gesinnung. 
durch aktives Interesse fur jiidische Fragen und durch wissen- 
schaftliche Leistungen von Weltruf sich bei den Nazis ;>!> un- 
deutsch* vet-hasst gemacht. Einsteins wissenschaftliche Arbeiten 
vverden unter dein Jubel der Nazis auf dein Sdheilerhaufen 
Berliner Universitat verbrannt. Allein dieses Vorgehen gegen den 
Trager des Nobelpreises machl HiUerdeutschland schon in der 
Welt der modernen Wissenschaft zum Gespott. 

Ohne exakte Wissenschafl kann kein Zweig der bochenl- 
wickelten Industrie bliihen. Dennoch hat das Hitlei -regime die her- 
vorragendsten Vertreter der exakten Naturwissenschaften und der 
Mathematik von den Lehrstiihlen verlrieben. 

Die Universitat Gottingen besitzt eine sehr alle Tradition und 
hat in den letzten 50 Jahren eine ganze Generation bedeulender 
Forscher erzogen. Die wichtigslen Professoren dieser Kochschule 
sind davongejagt worden. 

.lames F ra n c k. ein Experimental- Physiker von Weltruf, 
'Inrager des Nobelpreises. wurde als Jude zu freiwilligenM Rflek- 
tritt gezwungen. 

Professor Born, ebenfalls bekanntcr Physiker, kann 
undeulschen* Forschungen in Deutschland nicht weiter 
eiben. 






Der Mathematiker Courandt ist eine Autoritat aul dem 
Gebiete der Funktionentheorie. Bernstein gilt als der bedea- 
lendste Versicherungsnialhematiker Europas. Emmy Noether 
IS 1 eine angesehene Wissenschaftlerin auf dem Gebiete der Mathe- 
matik und hoheren Algebra. Alle diese Gelehrlen mussten gehen. 

Die Berliner mathematische Fakultat wurde Hirer hervor- 
ragendsten Lehrer beraubt. Die Berliner Technische Hochschule 
bat starke Verluste zu verzeichnen. 

tlnter den Weggejagten ist Professor Arthur Kom, ein 
physikeo, dem das Verdi enst gebuhrt, die ersten praktischen Me- 
tbo'den zur Verwirklichung des Fernsehens angegeben zu haben. 

Unter den Berliner Malhematikern, die deT • Sauberung* der 
Hochschulen zum Opfer f ielen, stehen der AlgebraLker Schur 
sowie die Professoren Misses und Bieberbach an der 

Spitze, 

Dieses Wuten gegen Vertreler der exakten Wissenschai'ten ist 
selbst vorn Slandpunkt modeiner kapitalistischer Wirtschafts- 
fuhrung selbstmorderisch. Es ist im krassen Gegensatz zu den 
trossen Moglic.hkiiten. welche die Sowjetunion alien ehrlichia 
\\isscnschaftlern geboten hat. 

Inter den Opl'ern der Nazircinigung t'inden wir den Nobel- 
preistrager F r i t z H a b e i . Haber, das Haupt einer grossen 
Schule von Cheinikcrn. war bereita vor dem Krieg eine wissen- 
schaftliche Kapazitat ersten Ranges. Er hat das erste braucbbare 
Verfahren zur Gewinnung von Stirkstoff aus Luft ausgearbeitet. 
Er ist alles andere als ein Pazifist. Haber hat durch seme Erfin- 
dungen dem wilhelminischen Deutschland im \V_eJtkriep grosse 
Dienste geleistet. Sein Name verkorpert die hochste bnt- 
wicklung der modernen deutschen Chemie. M« 
Recht bemerkten die .Times* (4. Mai 1933). dass es cine Iron e der 
Geschiehte sei. wenn die Nazis den Mann W*^^*™*™ 
.zwingen.. dem Deutschland vvahrschembch mehr als jedem 
andern zu verdanken hat. dass es vier Knegsjahre durchhahen 
konnte. 

Der z.r gleichen Zeit vertriebene Professor Pol any i 
war ein wichtiger Mitarheiter Habers. 

Unter den andern namhaften Gelehrten «**gj*£2£ 
exakten Wissenschaften. die der Kulturbarbare, , de. Na/u w ^ 
mussten. sehen wir den Berliner P rot. uvl . K5nigs berger 
Ptenck'schen Quantcnlheone beschaftigt hat . u beiten auf 

Mathematiker H e n s e 1. bekannt durch •gj a ^£ -l0r Adolf 
dem Gebiete der Zahlentbeone. Den K.eitr 

149 



F r a n k e 1, der ein beachtetes 13uch iiber Mengenlheorie veroffenl- 
hcht hal. Den Berliner Physiker Prints helm, dessen Ar- 
beiten wichtige Fragen der Strahlung behandeln. 

Alle hier aufgezahlten Wissenschaftler sind bekannte in Facfa- 
kreisen hoch angesehene Gelehrte, Forscher uad Lehrer. Schon 
diese sehr unvollstandige Aufzahlung zeigl, dass es sich bei 
den Verlreibungen urn cine wahre Vernichtung der deuUchen 
Wissenschaft handell, dass der deutsche Faschismus mil Inquisi- 
tion und Scheiterhaufen jeden wissenschafllichen Fortschritt be- 
kainpft. 

Keine Auslandsp&sse fur Gelelirte 

Die Berufung Albert Einsteins an das inslitut de France 
and die Vorlesungcn des gemassregelten Gynakologen Prof. Bern- 
hard Zondek in Stockholm haben dazu gefuhrl, dass die t'^rit- 
ziehung der Ausiandspasse fur die gemassregelten deutschen 
Hochschulproi'essoren ernsthaft erwogen wurde. Der «undeutsche» 
Geist dieser Wissenschaftler dart* auch ausiandischen Universi- 
taten nicht zugute kommen. 

<Die recbtsstehende «Tagliche Rundschau* voni 17, April 1933 stell! 
angesicbts der Berufung Einsteing an das Institut de France an die 
Reachsregierung die Forderung, sie moge den 16 beurlaubten deut- 
schen Hochschulprofessoren sofort die Ausiandspasse entziehen, denn 
niemand konne sonst dafur garantieren, dass nicht der eine oder 
sindere von ihnen in kurzer Zeit in Paris, in Oxford oder in London 
sitzen und dort von einer Lehrkanze! aus antideutsche Politik be- 
treiben werde. Es sei dabei zu bedenken, dass einige der beurlaub 
ten Professoren, wie Kelsen, Lederer und Bonn iiber ganz ausge- 
zeichnete Auslandsbeziehungen verfiigen.* 

Deutschlaiuls grttsste Arzte 

diirfe-n in Deutschland nicht arbeiten 

An anderer Stelle dieses KapiteLs findet der Leser eine aller- 
dings unvollstandige Liste von entlassenen, «beurlaubten» und 
kaltgestellten Gelehrten in Deutschland. Einige der aus ihren 
Stellungen cntfernten Aerzte wollen wir noch knapp charakten- 
sieren: 

Bernhard Zondek wurde von dem schwedischen Nobel - 
preistrager fiir Medizin v. Euler als «einzig dastehende KapazitaU 
bezeichnet. Zondek verdanken wir die Entdeckung einer chemi- 
schen Methode, die durch Analyse des Harns die Feststellung der 
Schwangerschaft in den fruhesten Stadien ermoghcht. Diese Me- 
thode ist vom sozialhygienischen, wie vom rein medizmischen 
Standpunkt aus von grosster Bedeutung. Zondek hat m der Hor- 
monforschung hervorragende Arbeit geleistet. Er hat die Darstei- 

150 



lun g des Geschlechlshormons ancestreM ■ 

Frauen spezifisch verschiedenen SSSj e ' nes bei M »nnern und 

dieser Forschungsmelhoden; er haf ^, ■ ' St einer der Pio" £ 
ljch e» Herstellung von SexualhorXe" Sff^ *? die ^ U 
W eitergefordert. Die ffiUemgierang m*Tl erstaunliehem Erfolg 
Kraft vom Lehrstuhl! B 0Ssl d,ese w 'ssenschaftliche 

■ \ — D*-li m__i > 

stellt 

Volksseuche 

hochwertigen Miltcls gegen Tuberkulose Lrfmder eines 

Moritz Bor char d t. Direktor rW *u; ■ ■ 
?ra Moabte Krankcnhaus in B^aUS1E&£«£« 
fessor, war in saner Jugend Assistent des berfflia2nSJ5^ 
Chirurgen von Bergman* Spater leitender A mam iSS" 
K^kcnhaus to Berlta. Borchardt ha, die TabeAulo e al C i™ r ,. 
beUbmrfL Er wurde durch einen .Gesundhcitskommissar. dS 
tionalsozialisten abgesetzt. 

Wie Birschfelda Sexnalwiasenschaftliches Institut 
demoliert and rernichtel wurde 

Ein zuveri§ssiger Augen- und Ohrenzeuge, der ohne selbst 
dem Institul anzugehdren, die Vorg&nge genau verfolgen konnte, 
hat iiber die ungeheuerliche Zerstfirung dieser weltbekannten wis- 
senschaftlichen Forschungs . Lehr- und Heilstatte in Berlin fol- 
gendes Protokoll aufgesiomme 

«Am Morgen des 8. Mai 1988 brachte der (Berliner Lokalanzeigon 
die Nachricht, dagfl (Ue HnbermigsaktiOD der Berliner Bibliothekeo 
von Btlchern uudrutsrhen Geistes am Vormittag dieses Tages em 
setzen wttrde and dass die Sludeoten der Hochschule fur LeibesQbnn- 
gen diese Aktion im Institut fur SexualwisseDschafteinleiten wollten. 
Dieses Institul war 1918 in dem friiheren Hause des Fiirstea Hatz- 
feld von Dr. Magnus Hirschfeld bcgriindet worden und wurde kaxz 
darauf von der PreUBSfecheD Regierung ale gem ein n utzige 
S t i f t u n g uberuommen. Es genoss wegen der einzigdastehenden 
Sammlungen und Forscfaungen, seines Archiva und seiner Bibliothek 
einen iutcrnationalen Ruf and Ziwpruch. Vor allem kamen viele aw- 
landische Celebrte, Aerzte und Schriftssteller nacb Berlin, urn don 
zu arbeiten. 

Auf die erwahnte Zeitungsnotiz hin wurde der Versuc h ^"^J; 
men, noch einige besonder* kostbaw Privatbiicher und Manu .kr p 
in Bicherteit zu brtafi , wurde dies aber -^JJjSS-fcS 

den der |UBge Mann mil diesen Buchern von f»"J2K!teftrt- 
«.ff,„ba r iereita wahrend der Nacbt das Institot -***& *J 
Benommen und seiner Hat* beraubl wurde. Am 6. Ma. urn 

151 



ein Da dag Euro nocta geachlossen war, befaad sich kein eigentlS 
Vertreter des Hauses dort; nur einige Frauea vom Hauspioaai « 
wie ein dem Hause nahestehender Herr ware„ anwesJJ T e S^- 
denten begehrlen Einlass in eftmUiche Raume; soweit diese .e r - 
sehlos, en waren wie die bereits «it einiger Zeit atillgete-Si 
Repra.enta housraun^e fan Parterre sowie da/fruhere und^S? 

Nachdem ihnen die unteren Raume nicht viel boten, begaben sie aicb 

m das erete SMkWb, wo sie in den Emprangsniumen dea Inatituca 

die Tintenfasser uber SchriftstUcke und Teppicbe ausleerten uad 

sicb dana an PrivatMicherschrfinke machten. Sie nahmen rait waa 

ihnen nicht einwandfrei erschien. wobei sie won! irn wesentlichen 

sich an die sogenannte «scbwarze Listen hielten Dariiber hinaua 

liessen sie aber auch andere Bfictaer mitgehen, so aus de r PriyaE 

bibliothek des Sekretars Giese beispielsweise ein grosses Tutank- 

amon-Werk so wie viele Kunstzeitschriften. Aus dem Archiv entfern 

ten sie dann die grossen Wandtafeln mit den Darstellungen inter- 

sexueller Falie, die seinerzeit i'ur die Ausstellung dea Intemationalen 

Aerzte-Kongresses im Londoner Kensington-Museum im Jahre 1913 

angefertigt waren. Sie warfen diese Tafeln zum grossen Teil aus dem 

Fenster ihren vor dem Hause stehenden Kameraden zu. 

Die mei3ten der anderen Bilder, Photographien wichtiger Typen. 

nahmen sie von den Wanden und spielten mit ihnen Fuesball, sodasa 

grosse Haufen zertrummerter Bilder unci Glasscherben zurttekbliebea 

Auf die Einwande eines Studenten. dass es sich um medi zini- 

sches Material handle, antwortete eio anderer, darauf kSrae aa 

nicht an. es ware ihnen nicht um die Beschlagaahme von ein paar 

Biichern und Bildern zu tun. sondern um die Vernichtung dea 

Institute. Unter einer tangeren Anspraehe wurde dann ein le- 

bensgrosses Modell, das den Vorgang der inneren Sekretion dar- 

stellte. aus dem Fenster geworfen- una zertrummert. In einem Sprecb 

zimmer schlugen sie einen Pantostaten. der der Behaadlung von Pa- 

tienten diente, mit eineui Schrubber ein. Ferner raubten sie eine 

Brcnzebiiste von Dr. HirschFeld. Auch son$t wurdeu viele Kunstwerke 

raitgenommen. Aus der Institutsbibliothek nahmen sie zunachst nur 

eiuige hundert Biicher mit. 

Wahrend der ganzen Zeit wurde das Personal bewaeht und immer 
wieder spielte die Musik, sodass sicb grosse Scharen von Neugierigen 
vor dem Hause ansammelten. Um 12 Uhr hielt der Puhrer euw 
grossere Schlussanspracbe, und unter Absiagen eines beeonderen 
Schmutz- und Schundliedes sowie des Horst Wessel-Liedes zog der 
Trupp ab. 

Die Bewohner des Institute hatten angenonmien. dass es mit dieaer 
Plunderung seiu Bewenden haben wurde. aber um 3 Uhr nachmittags 
erschienen abermals mehrere Lastautos mit SA-Leuten und erkJarteu, 
dass sie die Beschlagnahme fortsetzen miiesten, da der Trupp am 



152 



Aiif der Fnln-t nad, Muncheii 




Attf dieecm Bild tsi v. d. Lubbe neben dem Motor- 
!■:■■ I abgebildet das ihn ira September L98J nach 
Munchen bractite. — Da? Molorrad Nr. 53102 
gehdrl dem Straesenbahnscliaffner van Ploegk (Den 
Haas). Am' seiner ereteii Deutscblandreise hat v. d. 
Lubbe den Dr. Bell kenneo gelernt, im September 
L931 hal er ihn in MOneheii besucht 

rUnvcr&ffefllltdifc ^ufnolime} 



Zwei Postkarten van der Lubbes 



Arbel v. d, Lublie 

H. Halwerdi door Europ ,,,,(. 

irlrtk mi Leiden, Holland >>p i-l April 18 



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Die obenstehende Post- 
karte h;ii van der Lubbe 
vor seiner angeblichen 
Europareise im February 
Mfirz 1931 in Leiden, 
spater auch in Deutsch- 
Land verkauft. — Auf 
der Postkarle ist ver- 
nierkt, dass <die Stu- 
dienreise am 14, April 
1931 von Leiden aus an- 
getreten werden soil?. 
Diese Postkarle ist d&S 
angebliche «kotaniunisti 
sche Agitationsmaterial», 
dessentwegen v. d. Lubbe 
in Gronau (Westfalen) 
i'estgenommen wurde. 

Die untenstehende Posl- 
karte bestatigt die krank- 
hafte Anlage van der 
Lubbes xuv Luge. Sie ist 
an jenen Hohverda ge- 
richtet, der die Studien- 
reise angeblich mitma- 
chen sollte. Sie iet in 
Potsdam an deni Tage 
aufgegeben, an deni die 
Reise von Leiden zu 
Fuss angetreten werden 
sollte. 







■ 






^± . 






Mcrgen nicht genugend Zeit gebabt haite, urn grundlich auazurau 
men. Dieser zweite frupp nahm dann nochmals eine griindlcne Durcb 
tiuc-bung ailer Raume vor und schleppt* in *ielen Korben allee niit 
was an Buchern und -Manuskripten von Wert war. im Ganzen zwel 
grosse LastAvagen voll. Aus den Schimptworten ging fervor, dase die 
Namen der in der SpeziaJibibliothek vertretenen Autoren den Studen- 
ten zum grossen Teil wohl vertraut waren. Nicht nur Siegmund 
Freud, dessen Bild sie aue dem Treppenhaus entferaten und mit- 
sehleppten. erbielt die Bezeictanung «der Saujude Fr eu d>, sondern 
auch Havelock Ellis wurde ala cdas Schwein Havelock Ellte> bezeich- 
net. Von engiischen Autoren hatten sie es aueser auf Havelock Ellis 
besonders auf die Werke von Oscar Wilde, Edward Carpenter und 
Noraian Hair abgesehen, von amerikaniechen SchrUtstellern auf die 
Bttcber von dem Jugendrichter Lindsey, Margaret Sanger und George 
Silvester Viereck. von i'ranzosischen Werken auf die von Andre Gide, 
Marcel Proust, Pierre Loti, Zola etc. Auch die Bticher Van de Veldes 
und des dani&chen Arztes Dr. Leunbach gaben den Studenten Anlass. 
die Verfaseer mit Schimpfworten zu belegea. Auch gaaze Jabrgange 
von Zeitscbriften, namentlicb die 24 Bande der Jahrbiicher fur se- 
xuelle ZTviechenstufen, wurden mitgenommen. Man wollte auch die 
auPgefullten Fragebogen fortschleppen (mehrere Tausend) und nur 
der ausdruckliche Hinweis, dass es sich um Krankengeschichten 
handle, Hess die Studenten davon Absxand nehmen. Dagegen war ee 
nicht moghch, zu wrhiadern, das6 das Material der Weltliga Fiir Se- 
xualreform, die gesamte vorhandene Auflage der Zeitschrift <Sexus» 
sowie die ' Kartolhek mitgenommen wurde. Auch zahlreiche. z. T. 
bisher noch nicht veroffentlichte Handsc.hriften und Manuskripte 
(u. a. von Krafft-Ebing und Karl Helnrich Ulriche) fieien den Ew- 
dnnglinpen zum Opfer. 

Immer wieder fragten sie nach der R ii c kk e b r Dr. Hirschfelde^Si.- 
wollten. wie sie sich nusdruckten. einen .Tip baton, wane ■ er wohl 
niruckkomn.e. Sehon vor der Plundemng dee Institute ™ ver 
BChiedeae Male SA-Mfinnei in Institut ? ewesen und hatten na£ 
Dr Hiifeld gefragt. AlBfiiedie Antwort erbielten, dass er .id. wegen 

Slum der WelKiga ein ^egniph-J"^^^ Male 
darauf hingewesen vnxrde, da* s,ch unter **£ P» ^ dgher 

rial vie> a u s 1 fi n d I b c h e s J. i g e n t a i m J e ™ a „ Diese an lien 
doch von der «**tadigi«n Ve*Jjn"™| ^°jSS mt , vfetaehr 
KultUKQinfetei gencblete ^pesche tend *« n _ allf dem Opero. 
w^en eamllidie Werke und Bilder dre W^ ^ ^ dpT 

ttSSU^tZEX £■— Rande helm flber 

153 



10 0O0. Im Fackelzug trugen Hip qtn.i. * 

HitBchfekl, die ,e i, dL «&££S£ ^^ V ° D Dr - **n- 

In den Berichten der Nazis wird di^P k-„h . , 
tnassea geschilderl: mese «Kullurtat» folgender- 

Maatelchen umzuhanger ^ versuch t tatte u„d £" ™ SChaftliche8 

protegiert worden 1st, war, W ie die ^v^^^S^^, 
ergeben faaben, eine emzige Brutstatte von SchLtz and Sf J 
wesen. Em ganzer Lwtwagen voll poruographischex Bilder 1E1 
Schnfteo sowie Akten und Kartotheken sind beschUgnahmt Zr 
den... M.t . einem Teil des vorgefundeuen Materials 4d sich dT, 
Krnmnalpohze. befassen miissen, eiaen anderen Teil wird die Kund 
gebung offentlich verbrenaen.> 

(«Angriff> vom 6. 5. 33.) 

„Undeutsclie" Soziologen, Staatsrechtler 
und Rechtswi-sscnschaftler 

Bei der Entfernung bekannter Soziologen, Staatsrechtler und 
Rechtswissenschat'tler haben die Nationalsozialisten auch viele 
sehr «slaatserhaltende» Forscher, vielfach gute Konservative, aus 
ihren Positionen geworfen. 

Der bekanntesle dieser davongejagten Gelehrten ist der Hei- 
delberger Soziologe Alfred Weber. Alfred Weber hat in 
grossen Arbeiten mil seinem verstorbenen Bruder Max Webex 
griindliche Studien uber die Entwicklungsformen der priori liven 
Wirtschaft vieler aussereuropaischer Volker und Kulturen ver- 
offenllichl. Weber ist keineswegs Marxist, sondern ein biirgerlicher 
Gelehrter. Weber hal die Todsiinde begangen, andere Volker und 
Kulluren nicht als halbaffisch und «untermenschlich» im Sinne 
des Nationaisozialismus z\x stempeln. 

Die Berliner Handelshochschule verliert ihren Rektor, den 
hervorragenden liberalen Nationalokonomen, Professor Bonn. 
Der Staatsrechtler A n s c h ix t z muss die Heidelberger Universitat 
verlassen. Langjahriger Professor der Berliner Universitat war 
Anschiilz schon im kaiserlichen Deutsehland eine Auloritat ersten 
Ranges auf seinem Gebiet. Spater wurde er autoritativer Kommen- 
tator der Weimarer Reichsverfassung. 

1 54 



V i o K; s c- 1 1 ler^ Kol le f|^ p "^^^ cleix in die Wflrie gesehiekt: der 

Kollege 

i- 

Heidelberg und Heller in Frankfurt, alle Rechtswissenschaflter 
per grcisste dcutsche Zivilrechtler, Professor Martin Wolff 
winde von Hakenkreuzstudenlen gewaltsani void Lehrpult ver- 
trieben. Der liberate Volkerrechtler Lew in Sckucking Kiel 
Vertreter Deulschlands am Haager internationalen Gerichtsho/ 
j S t aus dem Amte gejagt. 

Auch die grossen Psychologen wurden aus den Lehrsalen ent- 
fernt. William Stern in Hamburg, der grosse Arbeiten uber 
Kinderpsychologie veroffentlicht hat, und Max Werlheima 
in Frankfurt haben kein R-echt mehr, an deutschen Unrversitaten 
zu lehren. In Hamburg wurde neben einem halben Dutzend we- 
niger bekannter Professoren der Philosoph Ernst Cassirer 
entlasscn, ein Mann von £rossem Wissen und Ruf aus der soge- 
nannten Marburger Schute. 

Auf (ten Scheiterhaufe 

«In Berlin hat die politii etwa 10000 

Zftntner Bflrhor und Z< ii . b*seh unl und in die Stiille der 

ehemallgeu berittenen SchBta] afft, wo sie einer eingehen- 

den Sichtung unteraogen warden. Die Dun-hfuhrung der Beschlag- 
nahme gin# nicht inunrr reibongftloa vmi statten. Bald nach dem 
Bekanntwerden der Aktlon Kbafftea viele Bflchereien ihre Bticher in 
Schlupfwinkel, urn eie dem Zagriff der Polizei zu entziehen. Die mei- 
sten Veretecke wunien Jedocti tusfiadig gemacbt, Vieie Buchcreien 
wunlcn in Remiseo, Kelleru, Gartenlauben, Boden und in Privat- 

wohnungen verteilt, vorgefunden.? 

Volkischer Beobarhter> vom 21./22. Mai 33.) 

tWir sind nicht und wolten nicht sein dae Land Goethes und Ein- 
eteins. Eben gerade das nieht.> 

(Hussottg, .Berliner Lokal-Anz-eiger? vom 7. 5. 33.) 

<Als der Kali! die bertihmte Bibliothek der Stall Alexandria verbren- 
Den laseen wollte, Flehten einige ihn an, diese wertvolle Sammlung 

zu verechonen 

«Wanun?> frade der Kftlil «\Yenn in diesen BQchern steht. was in 

Koran steht sind sie QberflQssig. Und steht in ihnen anderee, *» 

aii bi b&dllch.> 

Daehalb wurde die Bibliothek von Alexandria -»>*•> 

d [odertcn aul dera Plata vor der Berliner Oper, 

it die Flaxaroen eines fcMiiernaii- 

inen ai 

155 



nen der SA und SS mililarisch abeerie«eli I a m fln t nB k„„ u, 
riesige Stapel von BBefaen ^MusU^ 

der Propagandamimster Goebfcels kam im Auto angerast Im 
Jahre neunachnhundertdreiunddreissLg fand dieses tinzigartE 
Schauspiel der Bucherverbrennung stall, begleitet von den°K 
gen des «Horst-Wessel-> und des Deutschland-Liedes 

Es logen aui den Scheiterhaufen die Werke von Karl Marx 
* ricdrich Lnge Is, von Lenin und Stalin, von Rosa Luxemburg 
Karl Liebknecht und Augusl Bebel. Die Verbrennune der Werke 
dieser grossen Gelehrten und Kampfer, die der arbeitenden 
Menschheit den Weg zu ihrer Befreiung gewiesen haben, wurde 
zum Schauspiel fur eine entfesselle reaktionare Meute. «Deutsch- 
land, Deutschland, fiber alles . . .»! 

Es flogen in die ziingelnden Flammen die Werke pazii'istischer 
Schrifts teller, es verbrannten die Bucher biirgerlicher Dichler und 
Sozialreformer, deren Narnen den hochsten Rang im burgerlichen 
Deutschland bedeuteten. Das Feuer vernichtete Bucher von Thomas 
Mann und Heinrich Mann, Leonhard Frank, Magnus HirschieLd, 
Siegmund Freud, Jacob Wassermann, Stefan Zweig, Bert Brecht 
Alfred D6blin und Theodor Plivier. «Deutschland, Deutschland 
fiber alles. . .»! 

Diese Verbrennung von fortschrittlichen Geistesschopfungen 
spielte sich unweit der Postamente von Alexander und Wilhelni 
von Humboldt an der Berliner Universitat ab. Wilhelni von Hum- 
boldt, der diese Universitat begrundete, ein Trager des Geistes 
der Aufklarungsepoche, wollte das Preussen der Junker auf 
das Niveau der burgerlichen Welt des Westens erheben. Vor 
seinem Denkmai fuhrte jetzt die dfeutsche Studentenschaft in SA- 
Uniform den Pogrom gegen die fortschrittliche Literatur durch. 
«Deutschland. Deutschland fiber alles . . .»! 

Das knisternde Feuer vor der Berliner Universitat, der schwe- 
lende Rauch fiber den K op fen einer chauvinistisch aufgepeitschten 
Menge, eine Ansprache des Reichspropagandaministers Gobbels — 
ein Schauspiel* das von dein hitlertreuen Berliner «12 Uhr- 
Blalt» in unbcwusster Selbsterkenntnis «gespenstisch» genannt 
wird. Vergcssen sind die schlechten Erfahrungen, welche die Un- 
terdrficker aller Jahrhunderte mit ihren Scheiterhaufen gemacht 
haben! Die Gespenster des Mittelalters werden erweckt. Die Flam- 
men vor der Berliner Universitat sollen neben den Werken des 
Marxismus auch die Spitzenleistungen der burgerlichen Kultu: 
und Wissenschaft der letzten 150 Jahre in Deutschland verzehren. 

In alien Teilen Deutschlands tobt die Zerstorungswut gegen 
jede fortschrittliche Literatur- Zehntausend von Privatbibliotheken 
wui-den bei den Haussuchungen beschlagnahmt. oft ar i Ort und 
Stelle vernichtet oder willkurlich weggeschieppt. Die Bibhot; 
imLeipzigerVolkshaus, eine der wertvollsten und 

1 56 



..,, Buchereien I >eutschlands mil uoersetzllchen uad selienen 
VVerken A*t Arbwiterbewegung. fiel de^i Has? der braunen *Kul- 
turlrSg^* r V 1 " den Marxismus zxxra Opfer, 

Einige Beispicle offentlicher liucherverbrennungen, nach Mel- 
dungen der deutschnationalen lV.legrafen-Union* vom 10. Mai 

193! 

Berlin, L0 Mai In Munch en fund im Lichthoi' der Univereitiit 

eine Feier stall, b-ei der der Rektor, Getaeimrat von Zumbusch. da. ! , 

neue Studenteorecht tibergab. Die Festcede hielt der Bayerienh? 

Kultuxminteter Scbemin, der tiber die nationale Revolution nni 

Aufgaben der Univevsitaten sprach. Den Abschluss bildete <-in 

kelzug '.urn KOnigsplate. WO 'lie Verbrennung undeutscher Bu- 

etattfand. 
Ir, [Ti'sden sprach auY der Kundgebung der Studenteasehaft 
Dicbtex Wilhelm Vesper, aueh dort bildete sirh nacb dem F*** 
r Farkob.u?, der zur Bismarck-Saule luhrte. wo nacn 
iner Aneprache ies Aeltesten der Dresdener Studentenschaft die i 
tnte SchUfld- raid Schimitzliteratur verbrarmt wurde. 
In Breslaa rand die Kundgebuim der Studentenschaft auf den: 
losspla Nil''* 1 , "' 1 Festrede dee Oiuversitateprofessora 

haueen v. etwa 40 Zentn Sebund- und Schmutzliteratur 

fbrannl . 

, n p ran ■. r „ ;•! a M. leilele Ui rsilSUprofessor Fncke den akt 

der b rollzogen wurde. Eia Ws 

nit der verden sollte, wurde 

von swei Ochsen E> latz gwira. Die Verbreo- 

D ang BChlose mil lej \\ "" M Weseel -LiedeM 

Ein i g€ Tagc vorfaer ware* in Dusseldorf die Werke to 

grosfen dtmtscLn Dichters Heinrich II e . n e den Flammer: 

sten will in Wahrheil das gedruckte ^^^^^y^x 
ganz una gar iinsymbolisch verbrennen so , wie sie (Ue von 
und Verfesser dir antifaschistischen Literate physiscli 

rotten will- 
Bine braune Liste 

von verbrennungswiirdiger Literatur finden «rir in der Bugenl*. 
scheti Nanhtausgabc vom 26. April 1**J- M ,. 

[ONE LITEBATUB: Schalom aach HennB*^^ ^ 
Max Brod (aosgeno »"> R < ..' „ , tkn 

.WaUmtotaJ ' 
Lion Feat* 



Waltei llasenelever, Ailhur Holitscber, Heinrich Eduard Jacob. Jo- 
aeon Kalenikow, Gina Kaus, Egou Erwin Kisch, Heinz Liepmann, 
Heinrich Manu (ausser «F10ten und Dolches), Klaus Manu, Robert 
Neumann, Ernst Ottwald, Kurt I'inthus, Theodor Plivier, Erich Maria 
Remarque, Ludwig Renn (nur sein Werk <Nachkrieg>>, Alfred Schi- 
rokouer, Arthur Schnitzler, Richard Beer-Hoffmann, Ernst Toller, 
Kurt Tucholeki, Arnold Zweig, Stefan Zweig, und von Adrienne Tho- 
mas das Buch <Die Kathrin wird 3oldat>. 

POLITIK UND STAATSWISSENSCHAFTEN: Lenin, Karl Liebkneetit, Karl 
Marx Hugo Preuss, Walter Rathenau, Rudolf Hilferdiug, August 
Bebel, Max Adler, S. Aufhausser, E. I. Gumbel, N. Bucharin, L. Bauer 
und Helen Keller. Von Lassalle alles, ausser <Asaisenreden» und 
<Ueber den besonderen Zusammenhang der gegenwartigen Geschichte- 
periode mil der Idee des Arbeiterstandes*. 

GESCHICHTE: Generell sollen samtlicbe pazifistischen und <defaitisti- 
"'acheiw Schrifteu entfernt werden, samtiche probolschewielische Lite- 
ratur aus der Geschichte Russlands. U. a. sollen ausgemerzt werden 
Werke von Otto Bauer. Karl Tschuppik. Oekar Blum, Paul Hahn, 
MUUer-Franken, «Bismarck und seine Zeita von Kurt Kersten, «Zur 
dfutechen Geschichte* und «Zur preuesischeu Geschich»e> von Franz 
Mehring, Werke von Glaeser, Upton Sinclair.! 

Der Leiter des Kreises Berlin-Brandenburg der deutschen 
Studentenschaft, Gutjahr. leitcle die Bucherverbrennung auf dem 
Platz vor der Berliner Universitat. l.i liess ausser dun Duchem der 
«»enannten Autorcn u. a. noch Werke von Engels, Sigmund Freud, 
Emil Ludwig, Alfred Kerr, Ossielzky. Theodor Wolff, Georg Bern- 
hard, Bcrllia von Suttner. Rosa Luxemburg, Theodor Heuss, Frei- 
herrn von Schoneicb und Vandewlde in die Flammen wandem. 

Die ideologisehe S C h w ;i c b e der braunen Herrscher 
zeigt sich in diesem Vernichtungskrieg gegen Wissenschaft und 
Literatur, in dem angeblichen Beslreben, aus den offenthchen Bi- 
bliolheken audi alios versehwinden zu lassen, was zura Verstand- 
nis der Geschichte der Kultur und der Wissenschaft unentbehr- 
lich ist. . 

Die Verbrennung aller Werke des deutschen fortschntthchen 

Denkens durch Hitler kann keinen Augenbhck vergessen machen 

was die Mensckheit in der Vergangenheil dem geistigen Leben 

Deulschlands zu verdanken hat. In den Flammen der Scheiter- 

haufen auf dem Berliner Opernplatz ist kemeswegs die Fahig- 

keit Deulschlands, dor Entwicklung der menschhehen Ku""/.^ 

dienen, verbrannt. Nie und nimmer sind Hitler, Goebbds G6nng 

und Rusl die VertreteT des .wahren deutschen Geistes»- Deutscn- 

lands wirklich grosse SchSpferkraft fur den ku turellen Fort- 

schritt ist in jenen Millionen Menschen begrundet. die von dem 

HukrUeairne als anlifaschistische Arbeiter. Wissenschaftler. 

Ktinstlcr und [ntellektuelle mil grausamer HSrte verfolgl und 

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frraime Lfctfi uer6ol«ner Backer 






schlagen werden. In diescn Millionen ist die Fahink«i i»«, , u 
lands verbfirgt in der Zukunf, ein mhrendes 3S £^ 
turland zu werden. llca ** U1 



Die w Sftuberimg;" der ^enssiachen Dichterakademie 

Es sleht nicht im Vordergrund unserer BelmchtUBg, ob die 
Preussische Dichterakadeime in den Jahren der Weimarer Repu- 
blic jemals eine positive und wirklich kuiturschdpferische Arbeit 
gdeislel hat, wenn wir den Hillerschen Feldzug gegen diese Dich- 
terakadeime schildern. Gemessen an ihren hakenkreuztreuen 
Nachtolgern smd die Hinausgeworfenen oder auf Druck ausge- 
trelenen Mitglieder dieses Instiluts in der Tat Giganten an Geisl, 
Konnen und verdientem Ruf, 

Unter den «gesauberten» Mitgliedern der Preussischen DLch- 
terakademie ist zunachst einmal Thomas Mann, der deutsche 
Nobelpreistrager, vielieicht der reprasentalivste Schriftsteller des 
burgerlichen Deutschland. Sein «Verbrechen» bestand darin, dass 
er im Laufe der letzten Jahre sich der Sozialdeniokratie naherte 
und sogar mehrfach seine Slimme gegen geplante Justizmorde, wie 
in den Fallen Sacco-Vanzetti und Rahosi offentlich erhob. Dteser 
grosse Schriftsteller des deulschen Burgertums wurde aus der 
Preussischen Akademie hinausgedrangt. Es wird ihm nie verziehen 
werden, dass er einmal die NSDAP als den verderblichsten Aus- 
wurf der Zeit* bezeichnet ha!. 

Sein Bruder Heinrich Mann versuchte. die Position eines 
*freiheitlichen unabhangigen Geistes* innerhalb der burgerlichen 
Welt zu schaffen. Er hat don Burger als Karikatur dargestellt. den 
Burger des Kaiserreichs (*Der Untertan») und den Burger der Re- 
publik («Die grosse Sachc»). Heinrich Mann hat die Amsterdamer 
internationale Volksbewegung gegen den imperialistischen Krieg 
unterstutzt. Er wird dafur. wie sein Bruder Thomas, verbrannt 
und verjagt von Hitlers *Kulturtragern». 

Ein dritter Schriftsteller des deutschen Burgertums, dem der 
Hass der Nazis gilt, ist Jacob Wassermann, dessen Werke 
in zahlreiche Sprachen ubersetzt sind. Sein Hauptverbrechen ist. 
Jude zu sein und biirgerlich liberale Auffassungen in seinen Ro- 
manen gestaltet zu haben. 

Alfred D 6 b 1 i n, ein vierter Herausgeworfener, von Beruf 
Arzt in einern Berliner Arbeiterviertel, begann als Schriftsteller 
mil fantastischen und teilweise exotisch aufgemachten Romanen 
(.Die drei Sprung* des Wang Lun», «Wallenstein», .Berge. Meere 

id Giganten.). Der letzte grosse Roman Doblins war <Mn 
Alexanderplatei. D&blin nannte sich selbst in offentlichcn Dta- 

.ssionen cfnen klassenbewussten Bfirger*. Er ospenmentierte 

160 



formal-kunstlerisch scht start i„ » , , 

Joyce and den Amerikaner i^ ^'"""S an d ™ ton James 

Fi anz Werfei, Scbriftst«.n« ' 
Ideenwelt, war vor zwanzig Jahren r^k^" , reiu btogerlichan 
Bismus. Sc, n Verdi-Roman eiWh 55 Bl,recher des Expressio- 
wird von den Nazis nicht geduldet " Browe Po P ular *tat, i, r 

Herausgeworfen wurde Re „ ,. Schi.. i- i 
Dichter aus dem Elsass. Verjagt wurde Lenn£« .*£ de ateche 
[as Antikriegsbuch -Dei Mensch ist git schruTunJ ■ rtt f k - der 
anen D,e Rauberbande, und .Die funX gSitSir" 
sche l endenzen verfolgte. Obwohl Leonhard FraSS fm i l" 
der lelzten Jahre Uleraturpolilisch immer welter Lch re KtsunS 
n rem burgerhchen Stoffgebieten eatwickelte, hat er duXsebe 
Vergangenheit sich den Mass der Nazis erwirkt. 

bo, Dramaiiker Georg Kaiser, ein eigenartiges, .lark 
anarchistisches laleni. musste die Akademie verlassen Fritz 
von Unruh der Dramatiker der Weimarer Republik 
Bern hard Kellermann, ein begabtei liberaler Schrifl- 
steller, die Lyriker M o m !> e r t und Rudolf P a n n wi tz 
sowie der Lustspiel-Autor Ludwjg Fulda warden hinaus- 
iworfen. Eine der wenigen deutschen schriltstelleraden Frauen 
von literarischem Kdnnan, Ri cards Huch, isl Anfang April 
sellisi aus der Preussischen Dichterakademie ausgetreten. 

Neben den politisch oil rgetreterun Mitghedern Oskar 

Loerke and Jakob Scbaffner durfte aucb Gerhard Haupt- 
mann seinen Sitz behaltcn. Der Dichter der Weber* hat schon 
manchc ■Wandlung> mitgemacbt. Im Eriege unterschrieb er die 
schmachvolle Erklarung der 93 [ntellektuellen fur die imperialisti- 
sche deutsche Kriegfuhrung. Naca dem Kriege liess er sich als 
Hofpoel der Weimarer Republik feiern. Er scbwieg beharrlich. 
als der braune Terror die besten burgerlichen Schriftsteller und 
Wissenschaftler aus dem Land? trieb. 

Und nun: die Gestalten, die der nationalsozialistische Volks- 
bildungsminister Rust in die Preussische Dichterakademie ein- 
iilirl hat: 

Ihr Parademann ist H a n n s J o b s t. der sich einst sehr kon- 
junkturtflchtig fur die Revolution einsetzte. Das Novemberve.- 

ben ist ihm vergeben. Er ist der einzig* nationalsozialistiscue 
ttriftsteller, der sich einen gewissen Namen geschaffen mi. ue- 

irtifi spielen bunderte von deutscben Rufanen «f" , ™ 1 £ 

Schlageter-Drama, dessen Held wonncn 

• rklart: 

Kultur hare, eitstokcr. ich 



Die besonderen Atlraktlonen des Herrn r„ , ,-■• , 
sche Dichterakademie sind ausser II „,s (', iur d,e pra "ssi- 

Schnftsteller wie Emi] Strauss, Wi v a w '„ U " bcdeut ^ 

Agnes MiegeJ und Peter Ddrfler II IL r P - ' VV,lhell » Schater. 
Roman das «Volk ohne Raum» I % • • "' "' ei ' fand ,n emeiu 
h a u s e n schrieb romantische Balladen m«t L! , 7 n M fi n c h " 
Bei ihrer Suche nach Narnen I ? SdleJ ' Ges "»>^ 

versuchen die National^ en" ^Tn^f' "S^ 
George fiir die Dichter-AknriTmin * ■ L . ynklir Stefan 

SSVKSi*-- SS^^lfflgSS gas 

Braune Dichtkunst 

Dr. Josef Goebbels, Propagandaminister des dritten Reiches 
hat einen Roman geschrieben: .Michael, ein deutsches Schick 3b 
Tagebuchblattern.. Michael, die suchende deutsche Seete hS 
Yisxomn Der B6se erscheinl ihm in dor Gestalt des RussenWan 
und will die edle Seek zum Boischewismus verleiten. Die Seele 
Michaels nngt mil dem Versucher; 

«Aber lota bin Bt&rker ate ■ 

Jetxt pack ich ihn bei der Ctargel. 

Xzt achlpudere ich ihn za Bodea. 

Da Iiegl er. 

RocFi-'ln,! mit blutunterlaufenen Augen. 

Verreoke, Du Aasl Ich Irele ih n len SchSdel ein. 

Und nun bin ich fn :? 

Das isi der Geisi, der fur die bitlerisierte Dicbter-Akademie 
reif macht: «Ich trete ihm den Srhadel ein! Verrecke, Du Aas! 

Der bekannte Schriftsteller Hanns Heinz Ewers, den 
Goebbels zum Fuhrer des gleichgeschalteten Schutzverbandes 
Deutscher Schriftsteller bestellt hatte, 1st rtoch nichl offiziell in 
die Dichter-Akademie berufen worden. Dieser Pornograph. dessen 
Romane «Alraune» und «Der Vampyr* von den Nazis selbst nach- 
tr&glicb auf die Listen der Sehund- und Schmutzliteratur gesetz* 
wurden (und sie sind die einzigen, die es wirklich verdienen!). 
der offizielle Hiograph des nationalsozialislischea Heros Horsl 
Wessel. Wie Ewers fruher als «Satauist» in literarischen Perver- 
sionen ■■machtc*. so vergoldet er jetzt literariscb das Zuhalte 
milieu, in dem ik beldenhafte* Figur Horsl Wessels der Kus 
eines Zuh filter -Rivalen zum Opfer HUH. An Hitlers Gebur 
brachte der Deutschlandsender das Eftrspiel Hnrst WesseN \ 
Hanns Heinz Ewers. Die Exis dieses Schriftsteilers seil 



vielen Jahren vdllig vergessen, bis er jetzt als Hofpoet des «DriUen 
Reiches» wieder seine Aufersiehung aus der literarischen Verges- 
senheit Mem durfte. I in Jahre 1922 hat H. H. Ewers ein sehr ju- 
denfreundliches Vorwort zu einem Kuch von Israel Zangwili (-Die 
Sliinnu' von .Jeriisalcm», 1922, Verlag von Samuel Cronhach. Ber- 
lin) geschriefoen. Inzwischen hat die Konjunktur ge^echselt, 
H. H. Ewers ist Antisemil geworden. 

So ist die Preussische Dichterakademie neu zusammengesetzt 
im Zeichen jenes Geisles. dessen «erwachende Lyrik» beispiels- 
weise so aussieht: 

AHe V&fflein sind schon do! 

(Weise: <Nun ade» und „AIle Voglein*) 

A. Nun ade Du mein lieb Heimatland 
Zu Strassburg* auf der Schanz 
Es fangt eiD grosses Trauern an 
Heil Dir im Siegerkranz 
Es brau>l ein Ruf wie Donuerhall 
Rosa Luxemburg sebwinunt im Kanal 
Karl LiebknecM hiinpt am... Baum 

2. Alle VOglein tind Kfaoa da 
Alle \ tll« 

Vmael. Droe*H. Fink und M€ 
und da.s Relchebanncr Srhwurz-Rot — 
Sen ..ade, da** kein Gold dab 

(Entnommeii Jem Bnche Den! nd erwacfa Dae kleine Naa- 

liederbueh. Ausgabe I'.. Berausgeber Paul Arend, Sulzbach-Oberpfalz. 
8. (!) Anflage.) 

Man sage ntcht. dieses in der 8. Auflage verbreitete Glanzstuck 
brauner Lyrik sei nicht ivpisch. Worin unterschcidct es sich von 
den vielgesungenen SA-Liedern: 

«Wenns Judenblut vom Messer rinnt, 
geht^ uns nochmal so gut.* 

Oder ahnlich: 

■ Hie rote Brut, schlagt sie zu Br 
\ marschiert — die Straese frei!> 

Es entsprichl diesem «Geist» der Nazis, dass dor Munchner 
SUdtral Mitte Juni 1933 die Graber von Gusttt Landauor 

er, die beide 1919 von der baycrischen Rcaktion 
rdbod ;leicti machen liess. 

163 



Der Feldzug gegeu die „«adeutsche" Musik 

Herr Josef Goebbels, Reichspropagandaminister, erklarte am 
9 Mai vor den deutschen Theater lei tern und Kiinsllcnr. Kunst 
komml vom Konnen und nicht vom Wollen.* Zur IlluslraUor. 
dieses schonen Wortes bieten wir hier nun eine weitere Verlust- 
liste der deutschen Kunst: 

Unter den beslen deutschen nachschafl'enden Kunstlern wur- 
den immer die Dirigenten Bruno Walter. Otto Klempe- 
i e r und FritzBusch genannt. 

Otto Klemperer war einige Jahre Letter der Berlinei 
Kroll-Oper, die er zn einer Pflegestatte moderner Musik raachte. 
Hindemith und Kurt Weill kamen unter mm zu Wort Nacb 
Schliessung der Krolloper wurde Klemperer an dve Berliner Staats- 
opex 3n, wo er in gleichem Sinne weUerwkte. Nun urns. 
e?den Dirigentenstab ruhen lassen, well er judischer Abslam- 

mim Iruno Walter. Dirigent von Weltrui", 1st Mahlerschulei. 
Man kennt ihn in Amerika oder England ebenso syie in Deutsch- 
land. Er ist Jude. Daher - ^Kunst kommt vom Konnen. - kann 
er nicht mehr in DeutSChland dirigieren. Slatt dessen wird irgend 
em Herr Fuhsel. Leibmusiker der Nazis (Kommandeur erne: 
grossen Blechkapelle), bei dem weder yon Kunst noch von Konnen 
gesprochen werden kann. der erwachten deutschen Nation bei- 
bringen, wie man Musik macht 

Der Dresdner Generalmusikdirektor Busch ist blond, sodass 
seine «arische» Abstammung aussei Zweifel Steht. Er at em kon- 
STativer Burger, aber zufaUig kein Nazi. Die Dre^« Oper, em 
beriihmtes Kunsfmstitut, vvurde durch Busch vv.ederbelebt. In den 
Tagen de, nalionalen Erhebung erschien mitten in einer vor- 
steflung ein nationalsozialistischer Denunziant auf der Buhne und 
forderle Busch auf. sein Anil niederzulegen. 

WUTde genetigt. die Oper ZU varlassen, uahrend Stneger 

tenpult Platz natun.» 
Der namhafteste deutoche Pj«^*&£ wdMAr thur 
Sch nabel. der sich in dre, Jahrzel mien Aibut zi cm t 
preten grosser Klaviermusik entwickelt hat. Lr tenets an 



164 



liner Rochschule Eur Musik eine Meisterklasse Eur Klavierspiel. Et 
wurde hinausgeworfeu, weil er Jude ist. Von seinen Kollegen au 
der Berliner Musikhochschule wurden entfernt. Emil Feuer- 
nia n n. gegenwartig der einzige deutsche CellisL von Ran-. 
Leonid Kreutzer, ein guter Pianist und Lehrer der Meistei 
klasse. Kaltgcstellt ist der ausgezeiehnete Geiger Kail Flesch, 
weggejagt sind die bekannten Dirigenten Oskar Fried, der 
einsl viel fur die neuere Musik getan hat, die beruhmten Opern- 
dirigenten Fritz Stiedry und Gusta-v Brecber und der 
bedeutende Pianist Bruno Eisner. 

Von den schaffenden Musikern, die es in Deulschland gibt, 
bat sich sofort zu den Nazis bekannt Max von Schillings, 
dessen Kompositionen unoriginell sind und der als Dirigent nir- 
gendwo iiber die Schablone hinaus wachst. Schillings, aer unter 
der verflossenen Republik sich hohe Aemter iibertragen liess, der 
nach dem Riicktritt Max Liebermanns Vorsitzender der Akademie 
der Kimste wurde, hat in dem Komponisten Hans Pfilzner 
einen nazilreuen Freund. lhnen gesellt sich von reprasentativen 
Komponisten noch Richard Strauss hinzu. Seine Werke dienen 
zwar, vom Standpunkt der NazimoraL dern «geilen jiidischen Sin- 
nenkiizeK aber er ist auf dem Wege, Hofkomponist zu wden. 

Von den modernen deutschen Komponisten ist kauui einer den 

Nazis geblieben. 

Verjagt ist A r n o 1 d S c h 6 n b e r g, der seine Stellung an der 

Musikhochschule aufgeben mussle. Schonberg hat — mag man zu 
seiner Musik stehem wie man will — auf die Entwicklung der 
modernen Musik den grossten und wichtigsten Einfluss aus- 
geiibt In politischer Hinsicht eher konservativ, ist Schonberg 
in der Musik ein formaler Revolution^ gewesen. der erne rieue 
eigene Musiksprache gefunden hat. Diesen bahnbrechenden Mann 
kann Nazideutschland nicht brauchen. 

Einer der bekanntesten deutschen Komponislen ist Kur. 
Weill der verpont ist in Hitlerdeutschland. Komponist der 
:-Dreigroschenoper», die einen Welterfolg errang. Weill ist jetzt 

heimailos, da er Jude ist. 

Der Opernkomponist Franz Schrekcr (dje bekanrUe.te 

seiner Opern: «Der feme Klang») wurde aus dem Verband der 

Berliner Musikhochschule cnilassen, obwohl er kemeswegs beson- 

ders fortschritflfch ist. Seine Abstammung ist n.chl emwandtrei*. 

Der besondere Hass der Nazis richtete sich gegen den ersten 

proletarisch-re-volutionaren Komponisten Hanns Eisier^aci 

cbenf alls ins Ausland verlrieben ist. Er hat der deutschen Arbeiter- 

klasse in den letzten Jahren grosse Chorwerke ( <D,e Massnahme.) 

und populare kampferische Songs gegeben, die auf den .S rassen. 

in den Versammlungen und Arbeilerquartieren mil grossteT Re- 

gsisterung von den Massen gesungen und bald in Video Land* 

165 



Die deutsche Musik, seit Jahren in einer allgemeinen Krise 

S iSiS^^l^ 1 * 1 DieSer V «««« *" den ™ fallen 
Mussohnis tatigen, beruhmtesten Dirigenlen der Welt Arturo 

loscanim, veranlasst, seine Teilnahme an den Bayreuther Fest- 
spielen im Richard Wagner Gedenkjahr abzulehnen. Er hat An- 
fang Jum folgendes TeJegramm an Frau Winnifred Wasner *e- 
richtet: & ° 

*Da die mein Gefuhl als Kiinetler uad Mensch verletzenden Gescheh- 
msse gegen mein Hoffen bis jetzt keine Veranderung erfuhren, be- 
trachte ich ee als raeine Pflicht, das Schweigen das icb mir seit 
2 Monaten auferlegte, heute zu brechen und ihnen mitzuteilen. daBS 
es fur meine, Ihre und aller Rune besser ist, an mein Kommen aach 
Bayieuth nicht mehr zu denken. 

MM dem Gefuhl unver&nderlJcber Freundschaft fur das Haus Wagner. 

gez. Arturo Toscan-'ni 

Theater — Bilclende Kunst — Film 

Auf den deutschen Buhnen darf jetzt die chauvinist ische 
Verherrlichung Schlageters und die roraantische Idealisierung von 
Horst Wessel Iriumphieren. Herr Goebbels lasst sein «bekanntes» 
Biihnenwerk «Der Wanderer* auf einer Berliner Buhne auftuhren. 

Aus dem deutschen Theatere verschwanden viele Darsteller, 
die grosse schauspielerische Leistungen aufzuweisen hatten. Alle 
Staats-, Stadt- und Prhattheater wurden <gleichgeschaltet». Die 
Or^anisationen des Thcaterpersonals wurden unter das Diktat von 
faschistischen Kommissaren gezwungen. Fritz Kortner, Max 
Pallenberg, die Massary und die Bergner, die Regis- 
seure Max Reinhardl und Jessner, sind als Mindeutseh* 
ins Ausland verjagt. 

Die kiinstlerische Kraft der Opernsanger Lotte Schone, 
FriedaLeider. AlexanderKipnisu. a. gilt unter Rusts 
brauner Kulturdiktatur nichts mehr. Der proletansch reyolutio- 
nare Sanger und Schauspieler Ernst Bus ch, cm hochbegaD er 
Kfinstler, der die neuen proletarischcn Lieder von Lisler P°P™J r 
machte und darait selbst zu einera gefeierlen himder aes rra- 
heitskampfes der deutschen Arheitermassen wurde, wurae 
Ausland gebetzt. 

166 



Die «UFA»-FUmgeseUschafl hat eine Anweisung erlassen, 
dass in ihren Filmen jiidische Dars teller nur Doch 
in negative!} Kollen beschaftigt werden durfen. Die Be- 
berrscher des deutschen Films beabsichtigen, in ihren Filmen 
Judea nur noch als Gauner, Verbrecher und Pathologen zu 
zeigen. An fang Juli 1933 erschien eine neue Verfugung von 
Goebbels, dass Juden nur nach seiner vorherigen Zustiminung 
beschSftigt werden durfen. 

Am 6. Juni fand in den Raumen der ehernaligen Buhnenge- 
nossenschaft in Berlin, die wie alle Gewerkschaften gewaltsam 
«gleichgeschaltet» worden ist, die Generalversammlung der «Ver- 
einigung kunstlerischer Buhnenvorslande* statt. Diese Vereinigung 
isl als rachgruppc dem nationalsozialistischen Kampfbund fur 
deulsche Kultur» eingegliedert. Der Staatskommissar Hinkel kiin- 
digte in dieser Generalversammlung einen neuen willkurlichen 
«Reinigungs»-Feldzug gegen die Kiinstler an: 

<Auf Verschlag des Preussiscben Kultusministeriums sei in den 
letzten Tagen Jem Ministerprasidenten Goring die Zusammensetzung 
ernes Preuasiechen Theateraueschusses mitgeteilt wordea. Die- 
eem Theateraueschuss. dessen Vorsit2 Hinkel ubemimmt, 
soil die IJeberprtifung aller [ntendanten, Generalnrnsikdirek- 
toien, Kapellmeister, Kegisseure and Snlieten aller stadtischen Buh- 
nen obliegen. In den Bachsten Tagen wilrden bereits Verordnungen 
erl'olgen. die < k - ermdgliebtei), Pertrfige zu annullieren, zu erganzen, 
oder abzufindern. um zu verhindern, das ;»-ndwie das kiinstleriscne 
Schaffen im Sunt' b deutschen Tb - gebemmt wtirde. Durch 

geselzlichc Massnahmen kdnnteo p ri va tr e chtl f che B i n d u n- 
en gelttsl (!i werden, wenn ale den In teressen des deut- 
-chen Theaters w i <l e rs p r I c ii 6 

(.Frankfurter Zeitung), 8. Juni 1933.) 

Die sinnlose Zerstorungsarbeil der Nazis vollzieht sich auf 
alien Gebieten der Kunst Der Vorsitzende der Akademie der 
Kiinste. der grosse Maler Max Lieberraann, ein Mann von 
konservativer Gesinmmg, wurde auf Grund des Arier-Paragraphen 
zum Rflcktritt gezwungen. Mitbegriinder und langjiihriger Presi- 
dent der Berliner Sezession, musste er auch hier ausscheiden. 
Dass K a t h e K oil w 5 1 z. die geniale Kiinstlerin der Arbeiter- 
welt, in die Verbannung geschickt wird, isl bei dem nationalso- 
zialistischen Kurs eine Seibsiverstandlichkeit. Die Zahl der Male; 
und bildenden Kiinstler. die der «deutschen Sauberung* der Aus- 
atellungen zuni Opfer fallen, ist Legion. 

Die bekanntesten fortschrittlichsten Fi Imregisseure 
Dcutschlands sind gezwungen, sich im Ausland Arbeit zu suchen. 
Alle der Arbeiterklasse nahe stehenden Filmkunstler, alle pr< 
tarischen oder fortschrittlichen Filme stehen auf schwarzeo I s 

167 



Mutter Krauses Fahrt ins GKick Sturn, fiber Asfen 

Die andere Seite Die MuW 

Hoizerne Kreuze (franz5s. Film) Der Mann, d. d. GedacE verlor 

c,H. W ?f dene S f . ? e aIlzuen g e * Verbindung mil dem proletari- 
schen Film verdachtig sind! 

Ein charakteristisches Beispiel dafiir ist die Verhaftung und 

Misshandlung dcs Dr. A. S t e i gl er durch SA und Hilfspolizei 

Meigler war seit Jahren als Direktor einer VolksfilmgesellschafL 

in Berlin SW 48, Friedrichstrasse 238 tatig. Unter den von 

der Gesellschaft nach kommerziellen Gesichtspunkten be- 

inebenen Filmgeschaften bcfand sich auch der Ycrleih ein>°er 

Russenfilme. Das gcnugle, urn die Raume dieser Filmgesellschaft 

durch SA und Polizei besetzen zu lassen und das gesamte Personal 

fur verhaftet zu erklaren. Nach Einliefenrog in die Berliner Mai- 

kaferkaserne wurde Dr. Steigler in Gegeirwart seiner Angestelllen 

densihlimmsten Miss h a n d lung e n u n d F 1 1 e r u n - 

gen ausgesetzt. 

Die Schule des „I)rittcii Reiches" 

, Man sagt, dads in euros Schulen Knaben und Madchen uackend 
in WetLkampi'en sich messen und solchermasaen zu Kiietrern imd Ai.ta 
zo-neii erzogen warden, Aber lernen sie denn auch etwas? Und wird 
ihre Sinnenlust nicht aufgepeitscht. wenn sie sich so sehenV- 
cKeineswegs, mein Bester, denn wir plagen eie. bis sie keinen Atem 
mehr baben, und wenn sie miide sind. konnen sie weder denken noch 
Sinnenliisfrp empfinden.v 

<Aber wie ist es mit den Wissensehaften und Kunsten, die sie erler- 
nen £olier>. o raein weiaer Gesetzseber? - * 

«Sta sollen ja uichts lemen una nicht denken. denn wer denken kann. 
•;ann Buses denken, wer aber tuehlig gezr.acht wird id Bezug auf 
eeicen Leib und gesehunden wird den ganzen Tag. der kann bid 
brauchbarer Staatsbtirger werden.» 

(Aus einem Gespraeh im alten Grieehenland iiber spartanische Er- 
ziehung.) 

Die Weimarer Republik ermoglichte einige. wenn auch un 
zulangliche, Experiment* in der Schulpolitik. Sie hat, wenigstens 
in den adieu, die Mdglichkeit offengelassen< di 






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Rl'ief Vail Cler Lllbbe S j 115 , drm ^ r,lncrl i n,c , rsu,,, ' l nsiss*fansnis. UiiwBmdilcrslaUcr hat aoht Briefe 
UUVVCS g„chon, die van der Ubbe im Mono! April nus dcm Gcfenifnts sdnrcibcn dtfrftc 






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^~r~vy^t 
















ten unbmilm gelassen. be? s*e h a ?%?nL ohlhabende " Schich- 
Versuche unternommen, auch ArhpSL Ti ? f " > ge Und zagha£le 
an den Hochsrhule., Lassen iS' 1 "^" *um Studium 

K a r 1 M a r x-R e a 1 g v m n a JK? ^2^^^?^ 
bung neuerer Untornehtsmethodeu, starker Gabelung der Un- 
ternchlskomplexe (d. h. leilung in mehrere Gruppen, I nach dem 
vorw.egenden Interesse der daran Beteiligten. etwa in Sprach 
gruppen) und vor allem der systematischen Ausbildun- von Ar 
beiterabrtunenten diente, solche Experimente sind erledigt unrl 
verboten worden. 5 

Schon Hitler hat in seinem Buch «Mein Kampi"» se in Schul- 
progranim entwickdl. Es sah dem des spartanischen Zynikers 
den wir anfangs zitierten, ahnlich genug. Der Sinn der Ausfuhrun- 
gen Hitlers ist der, dass man in der Schule des Written Reiches* 
den Kindern nichl etwa Kenntnisse und Wissen beizubringen hat 
sondern vor allem Gehorsam gegen den Fiihrer. Was Hitler grob 
und ohne Umschweife sagt, das fiihrt Frick etwas getarnt aus 

Am 9. Mai 1933 hielt Frick vor den Kultusministern der Lan- 
der seine Prograinmrede. Frick, der selber den Weltkrieg zu Pir- 
masens in der Heimat iiberdauerte. fordert jetzt heJdische Erzieh- 
ung zu Kanonenf utter. Bisher. so nieinl er. ist alles schlecht ge- 
wesen. Denn die Kinder wurdon «nicht erzogen, sondern geschnH». 
Was will Frick ? 

Wir haben heute mehr denn je Ursache, una daran zu erinnern. dass 
wir Hand in Hand mit den stammverwandten germanischen Volkern 
Vordeuropas und ihrer Tochterstaaten jenseits des Meeres weltuin- 
spannende Aut'gaben zu losen haben, die der Tatkraft der nordi- 
scben R a a s e ein weites Feld kulturaufbauender Betatigung 
geben.s 

Die <stainmverwandten» Volker sind hier nicht genau defi- 
niert. Es scheint. dass Heir Frick sie alle gegen die «Untermen- 
sehen* einen will, um ein weftumspannendes Drittes Reich* zu 
schaffen, das alien minderwertigen* Volkern romanischer oder 
sonstiger Rasse» zeigen wird. wie es in einem ordentlichen hit- 
ler i s c h e n Reich zugeht. 

Neben der Ausbildung rein korperlicher Gewandtheil und Leistuags- 
fShigkeit. ist besonderer Wert auf die Heranbilduug von Willena 
UDd EntBCblusskralt zu legen, als uaerlasslicher Vorbedingung fur die 
Erziebuag zur Verantwortungsfreudigkeit, in der der Charakter wur 
zelt.> 



Die Schule soil ungebildete C uU «geschulle») aber slrainm ge- 

drillte, draulgangerische Soldaten des «Dritlen Reiches* produ- 

zieren. Um den Kindern beizubringen, dass nichls in dei Well 

besser ist als das *Dritte Reich», muss ihnen die Well so darge- 

slelll werden, wie sie nie aussah. Dementsprechend muss die G e- 

schichte nationalsozialislisch verfalscht werden. In «neuen Ge- 

schichtsbuchern» soil moglichst wenig stehen. «Weitgehende Be- 

schrankung ist unerlasslich.» Daher geniigt es: *die geschichts- 

bildenden Krafte herauszuarbeilen, die zu alien Zeilen gewirkt 

haben. Ein Hauplstiick der Geschichtsbelrachtung haben die bei- 

den letzten Jahrzehnte unserer eigenen Zeil zu bilden.* Um die 

Sache noch genauer zu beschreiben, fugt Frick hinzu, dass be- 

sonders zu behandeln siad «d a s b e g i n n e n d e Erwachen 

der Nation vom Ruhrkampf an bis zum Durch- 

bruch des nationalsozialistischen Freiheitsge- 

dankensundbis zur Wiederherstellungderdeut- 

schen Volksgemeinschafl am T age von Polsda m.» 

Neben dieser Sorte Geschichtskunde sollen noch die besonders 

geforderte «Rassenkunde» und die «Einfiihrung in die Grundbe- 
griffe der Familienlorschung* gelehrt werden. Das baverische 
Kultusministerium hat einen Erlass herausgegeben, in dem es 

u. a. heisst: 

<Im GeschichtsunterricH(( aller Unterrichtsklassen des Landes Bayern 
wird fur den Anfang des Schuljahres 1933/34 - unabhangig von alien 
sonstigen Stoff- und Lehrplanen — bestimmt, dass in den ersten vier 
bis sectas Wochen das Stoffgebiet, das die .Jahre 1918 bis 1933 um- 
fasst, zu behandeln ist. Das ubrige lehrplanmassige Pensum in den 
erwahnten Fachern wird dann entsprechend gekiirzl auf die ubrigen 
Monate des Jahres verteilt. Nach Anschluss dieses Lehrganges soil 
die letzte Stunde zu einer erhebenden Schlussfeier ausgestaltet wer 
den, mit kurzen Ansprachen des Lehrers und eine6 Schiilers iiber den 
Aufbruch der Nation. Slngen vaterlandischer Lieder, Plaggeflschmuck. 
Es wird besonders auch darauf gesehen. dass dieses fur die W i e d er- 
erweckung des Nationalgeiiihls in der bayerisetaen Sehuljugend 
wichtigste Theraa <Aufbrueh der Nations nicht allein als Unter- 
richtsfach (fur Geschichte. Heilkunde USW.) zu gelten bat. sondern 
auch als Unterrichtsprinzip konzentriseh zur grundlichsten 
Behandlun* stebt Soweit am Ende des Trimesters Prufungen abge- 
halten werden, ist auf dieses Stoffgebiet vorzuglich Rttcksicht su 
nehmen.5 
Der Berliner Staatskommissar Dr. Me i nshausen prokla- 
mierte («V51kischer Beobachtei» vom 6. 5. 33) in einem \ ortrag 
iiber die Umgestaltung des Berliner Schulwesens: 

«Es muse alle liDerali6tische Gefuhlsduselei verstuttimeD _. . . _. - 
Zur Judenfrage gilt das Wort: Setttlmental itil isl VolK. 
v e t r a t.> 

170 



Dementsprechend haben die nationalsozialistischen Kultus- 
minister alle padagogischen Akademien vollkommen uingeslallet 
und alle Lehrer entlassen, die «verdacbtig» waren. Alle welt- 
lichen Schulen sind aufgelost. Der Religionsunterrkht ist wieder 
zwangsweise verordnet, die Wiedereinfuhrungder 
p r u g e 1 s t r a f e war die erste Leistung brauner Schulpolitik. 

Alle Tendenzen zur modernen Schule sind vollkommen aus- 
*etil a t. Die Oberprimaner der «umQrganisierten» Karl-Marx- 
Schule in Berlin- Neukolln sind alle um zwei Jahre zuriickver- 
setzt worden. Sie sollen erst einmal im echten Nazigeist gedrilll 
werden, ehe Lhnen gestattet wild, zu studieren. 

Nicht aur die jiidischen Professoren, auch die judischen Stu- 
denten wurden aus den Universitaten vertrieben. An den hoheren 
Lehranstalten werden nur noch anderthaib Prozent neueintretende 
Schtiler «nichtarischer» Rasse zugelassen. (Preussischer Mim- 
sterialerlass vorn 8. Mai 1933.) 

Die zwangsweise Mitgliedschaft aller Lehrer im national- 
sozialistischen Lehrerbund ist die Voraussetzung fur ihre staat- 
liche Beschaftigung als Lehrkraft. 

Wir lassen das neue Deutschland nun in einigen Er- 
lgssen und Verfugungen selbst sprecheri: 

Aus dem Gesetz gegen die Ueberl&lhmg und Ueberfremdung der 
Hochschulen. 

§ 1 Bei alien Schulen ausser den Pflichtschulen ist dieZahl der Schil- 
ler und Studenten so-weit zu beschranken, dass die griindhche 
Ausbildung gesichert und dem Bedarf der Beru£e genugt ist. 
§ 4 Bei den Neuaufnahmen ist darauf zu achten. dass die Zahl der 
Reichsdeutschen. die im Sinne dee Gesetzes zur Wiederher- 
stellun* des Berufebeamtentunwi vom 7. April 1933 nicht arischer 
Abstammim* sind, unter der Oeaamtheit der Besucher jedcr 
Schule und'jeder Fakultat den Anteil der Nichtaner an der 
veichsdeutschen Bevolkerung nicht iibersteigt. Die AnteilzaW 
wird einheitlicb fur das ganze Reichsgebiet Pestgesetzt. (1,»%.) 
§ 7. Das Gesetz tritt mit seiner Verkundung in Kraft. 
ErZetehferle juristische Priifungen fiir Mitglieder der nationalen 
Verbande. 

Der Kommissar des Reiches fiir das preussisctae Justizrainisterium, 
Kerl, hat durch Erlass vom 5. April verftigt, dass Rechtskandidaten 
und Referenda^, die als Mitglieder einer der anerkannten natio- 
nalen Verbande im vaterlandischen Dienst eine gewisse /.eit non- 
durch tatig gewesen sind, zum Ausgleicb einer dadurch verursachteri 
Behinderung des Ausbildungsganges auf Antrag die jurwtocheu 
Prttjtungen in absekurzter Form ablegen konneu. 

(*D. A. Z.» vom 12. 4. 330 

171 



Der „Gteis1 ' der Sclieiterhaiiten-Studenteii 

1. Sprache una Schrifttum wurzeln ini Volke . . . 
2 Es klafft beute ein Widersprueb zwischen Schxifttum und deut- 
schem Volkstum. Dieser Zustand ist eine Scbmach. 

3. Reinheit von Sprache und Schrifttum liegl an Din! 

4. Unser gefahxlichster Widersacher ist der Jude . . 

5! Der Jude kann nur jildisch denkeu. Schreibt er deutech, dann 
lugt er. Der Deutsche, der dcutsch schreibt, abet undeutsch denkt, 
ist ein Verraterl .... 

6. Wir wollen die Liige ausmerzen. wii wollerj deu Verrat brand- 

marken ... 

7. Wir wollen den Juden als Fremdling achten und wir wollen das 
Volkstum ernat nehmen. Wir ford era deshalb von der Zensur: 

Judische Werke erscheinen in taebr ai ach er 
Sprache Erscheineu sie in deutsch. sind sie als Jeber- 
setzung zu kennzeichnen . . . Deutsche Sehrift steht nur 
Deutechen zur Verfflgung. Der undeutsche Geist wird aus 
Sffentlichen Biichereien ausgemerzt 

Die Deutsche Studentenschart. 

(Aus den 12 Thesen < Wider den vindeutschen Geist>, angeschla- 
gen von den Berliner Studenten am 13. April 1933 in der Ber- 
liner Universitat.) 

„Gleichschaltung" der Presse 

Am Abend des 30. Januar 1933, dem Tage der Berujung der 
Regierung Hitler-Hugenberg. versatile der »eue Reichsmnen- 
2 er Fri=k die Verlreler der Berliner Pressezu Bluer tvon- 
S Er versprach, dass die neue Reg>eung stch von al ihre , 
Vorgangern durch eine weilgehende Wahrung der PresMtraheil 

^Ten^Tagetch .diesem deutsche* Uannes,ort» setzte in 
R anz DeuSchland eine Verbotswelle gegen die koinmunis ische 
fnd sozSnrokratische Presse ein. MittJ Februai jar fgt die 

gesarnte kommunistische ^^\^ ts f^UMer matter. 
Lite Verbote sozialdemokratischer und ^S^Sfnachtewr 
SA-Trupps zogen wahrend des Reichslagswahlkampte J«Ws jot 
dfe Dru P c P kereigebaude von Zentrumsb a tern trn ™^' U nd 

roangen den Abdruck n^ft^^^^JS^SSi aus. 
ubten! gedeckt durch die Polizeibehorden. ^^™ Frieks 

In jenen letzten Tagen vor dem Retchstagsbi an d v, • 
<Presse'freiheit» fast vollig von den Sttefeln del SA und a 
lizei zertreten. Die Arbeiterblatter wurden nui noch our 
chen tapLrer proletarischer W^ftSffScSt ^ ^ 
Uerung ihrer Sruckereien und B^^g^SSl war und 
ungcheuerliche Provokationsstuck »m Reicnsia* g 5 



172 



jjraune Pogrom zu rasen begann, wurden mil einem Schlag 
die letzlen kommuiiislischen und sozialdemokratisehen Zeitungen 

Der letzte HesL dci Pressefreiheit war gemordeL Koinmu- 
* isiische sozialdeEflokratische, linksbfirgerliche Journahslen 
wurden verhaftet oder Freibeute sadislischer Foiterknechte in 

SA-Kaserncn. Die weiter erscheinende biirgerlich-demokratische 
Presse und die Blatter dcs Zcntrums begannen, sich dem neuen 
Po°roinro o iinc xgleichzuschalLen*. In den grossen demokratischen 

\cria a en Berlins, bei Ullstein und Mosse, bei der liberalen Presse 
ini Reiche begann die «freiwillige» Entfernung jiidischer, pazi- 
jistischer oder sonsL bei den Nazis unbeliebter Redakteure. Auch 
diese Presse feierte die «schicksalsgcwaltigen Ereignisse dieser 
Ta CT e». Sie entdeckte ihr Herz fur das «Erwachen» der Nation, 
fur Hitler. Sie unterschlug die Meldungcn iiber die Massakers in 
den Arbeilervierteln. Sie verschwieg die Greueltaten. die — schlim- 
mer, a Is die Phantasie sie sich ausdenken kann — wenige Minuten 
vim Sitz ihrer Redaktionen entfernt. sich taglich ereigneten. Die 

-:udenblalter» dementierlen die Judenverfolgungen. 
Die auslandische Presse, die nicht so willfahrig im 
Verschweigen der unmenschhchen Greuel war, geriet sehr rasch in 
einen Konflikt mit der Hitlerregiening. Am 7. Marz erschien eine 
amtliche Regierungsmitteilung: 

<Angesicbte der boswillicjen Beriehterstattung iiber innendeutsche 
VorgMnge in der auslandisi'hen Presse, waren ernste Massnahmeo 
gegen eine Anzahl von Auslnmls-Korrpspondenten in Vorbereitung. 
Ein Teil der fraglicben Kom'spondenren hal sich dem Zugriff der Po 
Uzei durch A*breise 'iilzogen. Waa die ubrigen Ko-rrespondenten 
anlangt, so liegt von diesen aunmehr die Zusicherung vor, in Zukunft 
in ihrer BericlilersUttung sich jeder bi>swilligen Tendenz zn entha! 
ten und Zweideutigkeiten zu vefmeiden. Im Hittblick hierauf sind die 
fraglii'hen Kom*?pon<Ienten zunachst von der Au^veisung vcrschont 
geblieben; es ist ihnen vielmehr eine Be\Yahrungsiriet von 2 Monaten 
zugebilligt worden.> 

Am 5. April holte sich die Hillerregierung eine Niederlage 
beim Verein der auslandischen Presse. Sie hatte dem Verein den 
Boykott angedroht. wenn er nicht seinen Prasidenten, den Bericht- 
erstatter der •Chicago Daily News*, Mowrer, absetzen wurde. 
Die Geneialversammlung de's Vereins der auslandischen Presse be- 
sdiloss mit GO gegen 7 Stimmen. bei 3 Stimrnenlhnltun^en, das 
Rucklrittsangebot Mowrers abzulehnen. In den darauffolgenden 
^ochen wurde unter dem Druck der offentlichen Meinuiig des 
Auslands (he Hitlerregierun^ sezwungen, gegentiber den auslandi- 
schen Presseverlretern weiterc Riickzuge zu machen. 

Zwangsweise «gleichgeschaltet» wurden der Reichsver- 

17 



band der deulschen Presse mil dem nationalsozialistisehen Presse- 
ckef Dietrich als Vorsitzenden, die Vereinigung deutscher Zei- 
tungsverleger und der Reichsverband deutscher Zeitschriftenver- 
leger e. V. *Gleichgeschaltet» wurden alle bezirklichen Organisa- 
tionen der Verlegcr und Journalisten. Der Reichsverband der deut- 
schen Presse beschloss unter seiner neuen Fuhrung, dass kuni'tig 
judische und inarxistische Redakteure nicht mehr seine Mitglieder 
sein duri'en. 

Die «Germanisierung» seines Redakteurstabs und die deiniitige 
Unlerwerfung unter die Hitlerpolitik half dem Rudolf Mosse- 
V e r 1 a g. der das «Berliner Tageblatt» herausgibt, nicht viel. In 
den erste/i Apriltagen wurde der Verlag i'aktisch enteignet und von 
einer r-eugegriindeten G. m. b. H. ubernommen, deren Leitung bci 
dem nationalsozialistisehen Kommissar Ost, dem Verlagsdirektor 
Karl Vetter und einem nationalsozialistischen Betriebsrat lag. Ein 
neuer Redakteurstab. der alle Garantien fur Hitlertreue bot, wurde 
eingeslellt. Der nationalsozialistische Kommissar Ost, ein Ver- 
trauensmann des damaligen SA-Fiihrers Graf Helldorf, wurde we- 
nige Wochen spater verhaftet. Er hatte bei der erpresserischen 
Enteignung des Rudolf Mosse-Verlages einige Hunderttausend 
Mark in die eigene Tasche fliessen lassen. Nach 3 Monaten des 
Wirtschaftens der Nazikommissare stellle Miite Juli 1933 der Ver- 
lag Rudolf Mosse seine Zahlungen ein. 

Ein Beispiel mehr fur die zahlreichen «Gleichschaltungen» 
biirgerlicher Zeitungsverlage is I die «freiwillige» Umwandlung des 
«D ortrnun der Genera 1-Anzeigers» in ein nationalso- 
zialistisches Parteiblatt. Der «Dortmunder General-Anzeiger» ? der 
iiber die gross te Druckerei Europas verfugt, hatte die hochste 
Auflage aller deutschen Zeitungen ausserhalb Berlins. Da er be- 
sonders in den dichlbevolkerten Arbeitergebieten von Rheinland- 
Westfalen seine Verbreitung land, machte er in seinem Inhalt 
starke Konzessionen an antikapitalistische und antifaschistische 
Massenstimmungen. Nach der Bildung der Hitlerregierung muss- 
ten die alten Redakteure abtreten. Die iibliche «freiwillige Gleich- 
schaltung* begann. Das geniigte den braunen Machthabern aber 
nicht. Am 20. April war in der Zeitung inmitten zahlreicher Ge- 
burtstagshvmnen eine Hitler-Radierung des Zeichners Stumpp er- 
schienen. Die SA-Fiihrer erklarten dieses Bild fur eine Karika- 
tur Hitlers. Sie liessen die Zeitung beschlagnahmen und das ye 
baude des «Dortmunder General-Anzeiger» durch die SA sch ^ es ' 
sen. Der Dortmunder Polizeiprasident beauftragte den Chetreaatc- 
teur der nationalsozialistischen Zeitung «Rote Erde» mit der L«- 

tuns des Betriebes. _ __ „„ nfra n 

'Es kann hier nicht die Kette der Verbote und Venvamm»„en 

gegen burgerliche Zeilungen und Zollwtoftm.Krfg^^J™; 
Der (cGleifhschaltungs-Feldzug fuhrte zu einer diktatoriscben 

174 



Umgestalhmg des ganzen deutschen Nfachriehtendienstes, die Lei- 
tung d<is amllichen WoLffsehen Telegraphenburos wurde geindert. 
Die Leserschafl der in Deutschland noch erseheinenden Presse 
wird hcrinctisrli von alien wahrheitsgelreuen Nachrichlen aus 
dem Auslande abgeschniirl. 

«Ueber 250 auslandische Zeitungen sind in Deutschland verboten, 
mid zwar aus folgenden Staaten USA 9, Argeiitinien 2, Belgien 7, 
Kanada 2, Danemark 4, Danzig 8, Grosebritannien 5, Frankre-ich 81. 
Holland 9, LeMand 2, Litauen 1, Luxemburg r>, Oesterreich 37. Po- 
len 24, RumMnien 1, Saargebiet 4, Schweden I, Schweiz 26, Sowjel- 
union ft, Spanien 2, Tscheehoslowakei 66. Am stfirksten eind' also die 
Tsohechoslowakei, Oesterreich, Frankreich. die Sohweiz und Vol^u 
unler diesen Verboten vertreten. 

Deutschland war das Land der grosslen literarischen Produk- 
lion. Kennzeichnend fiir den Riickgang der literarischen Produk- 
ti3n schon in den erslen Wochen des Hitlerrcgimes isl folgende 
Meldung; 



Rickgang des Pnjiierverbrauchs in der Verlagsprodulction. 

«Nach einer Mitteilung der 'Frankfurter Zeitung? vom 15. April 
1933 sank die Bescbaftigung dor nniekpapierfabrikation irn Verlauf 
der «nationalon Revolutions in vielen Fallen bis zu 25%. 
Die ^Deutsche Allgemcine Zeitung> vom 22. April berichtet. dass 
die Verlagsproduktion im ersten Vierteljahr t9&3 urn 30% gegen 
iiber dem ersten Quartal 1931 zuriickgegangen ist. Der Export zeist 
einen standigen weifreren RUckgang. Der deutscbe Buchhaadel ist 
seiner besten Kunden beraubt. ganzer Wiasens- und Literatures- 
biete entMSsst 

Verzeichnis der in Hitler-Dentschland 
gemassregelten Wissenschaftler und Kiinstler 

Hochschulprofessoren 

BERLIN-UNIVERSITAT 

Prof. Albeit Einstein (Phyfiik: No- Prof. Dr. Fischel (Kunetgesshichte) 

belpreistrfiger) Prof. Dr Jolloe (Zoologie) 

Prof, Dr. Fritz Ilaber (Chemie: No Prof Dr. Walter Norden < Ver- 

betpreistrSger) sicheruagskunde) 

Prof, Berhard Zondek (Gynakoio Prof. Dr. Richter (Medizin) 

gif) Prof. Dr. Pringsheim (Chernn*) 

I Montz Bonn (Nationalokono- Prof. Dr. Hermann Grossmaun 

mle) (Tecbnik) 

175 



Prof Emu Lederer (Nationalokono- Prof Maw* fV*™- i 

Prof. IL Freiindlich (CoIioidchemSe) n JL*r, ^ ( ^ ySik) 

Prof. Dr. Polauyi (Phvsikalieche i V Lippmatm (Psycho 

Chemie) log,e) 

Prof. Ferdinand Bhunenthal (Krebs- , nt Dr Kouva d Cohn (Zahnheil 

forschung) kunde > 

Prof. Franz Blumenthal (Dermato Prof " James Ooldectaiidi Strut 

logie) re cbt) 

Prof. Peter Rona (Chemie uad Phy. ProJ ' Dr * Karl Brandt (Ackerbau) 

siologie) Dozent Dr. Fritz Baade (Soziolo<jie;< 



Prof. Dr. Birnban (Psychiatric) D°zent Dr. Balogti (Philosophic) 

Prof. Mittwoch (Semitische Philolo- dozent Dr. Kurt Haeutzschel 

gie) serecht) 

Prof. Dr, Julius Pokorny (Keltisch* Dozent Dr. Walter Lande (Me 

Philologie) Prof. Dr. Wolff-Eisner (Medi 

Prof Dr. Tesai Sehur (Mathematik* Prof. Noeller (Tierheilkunde) 



BERLIN - TECHNISCHE HOCHSCHULE 

Prof. Dr. Kurreiu (Technik) Prof. Traube (Colloidchemie) 

Prof. Dr. Schlesinger (Maschinen Prof. Dalinger (Elektrizitat) 

bail) Privatdozent Dr. Kelen (Hydrautik; 

Prof. Dr. Schwerin (Elaetizitats Dozent Grabowski (Mathematfk) 

lehre) Prof. Chajes (Hygiene) 

Prof. Dr. Lovy (Nationalokonomie) Prof. Nolde (Chemie) 

Prof. Dr. Lehmaan (Photochemie) Prof. Fritz Frank (Chemie) 

Prof. Korn (Photo-Tele^rafie) Prof. Igel (Eisenbahnbau) 



BERLIN - DEUTSCHE HOCHSCHULE FOB POLITIK 

Prof. Dr Jaekh Prof. Dr. Drews 

Prof. Dr. Simons 



AACHEN — TECHNISCHE HOCHSCHULE 

Prof. Blumentha] (Technik) Prof. Mautner (Eiaenkonstrution.) 

Prof. Hopf (Hohere Mathematik) Prof. Levy (Organische Chemie) 

Prof. Fuchs (Pkysik) Pmatdozent Straas (Literatur) 

Prof. Meusel (Nationalokonomie) Pmatdozent Pick (Mathematik) 



FRANKFURT a. fit 

Prof. Heller (OefTentliches Recht) Prof. Plessner (Orientalische Spra 

Prof. Horckheimer (Soziologie) chea) 

Prof. Lowe (Nationalokonomie) Prof. Sommerfeld (Philolo? e 



176 



Pro? Mannheim (Soziologie) 
Prof. Tillicb (Philosophic) 

Prof. Sinzheimer (Arbeitsrecht) 
Prof. Salomon (Soziologie) 
Pro!'. Karl Mennicke (Philosophic) 
Pro! M, Wertheimer (Psychologic) 
Prof Strupp (Internat. Recht) 
Prof. Weil (Orientalische Spraehen) 
Proi' Pribram (Nationalokonomi ■) 
Prof. Richard Koch (Medizin) 
Proi'. Glatzer (Judentum) 



Prof. Walter Fraenkel (Metalluc 

gie) 
Prof. Fritz Mayer (Chemie) 
Prof. Ernst Kahn (Handelsjouraa. 

1 ism us) 
Prof Neumark (Nationalokonomie) 
Prof. Ernst Cohn (Privatrecht) 
Prof, Bra un (Hygiene) 
Prof. Ludwig Wertheimer (Bankwe- 

sen) 
Prof. Altschul (Nationaldkonomie) 



KIEL 



Prof Schticking (Internal. Recbt) 
Prof. Eantorowicz (Strafrecht) 
Prof. Adolf Fraenkel (Mathematik) 
Prof. Ernst Fraenkel (Recht) 
rVivatdozent Colm (Nationalokono- 

cnie) 
I tof. Dr. Feller 
Fiof. Stenzel (Philosophic) 
Privatdozentin Melitia Gerhardt 
Prof, Hflber 

Proi, Uusserl (Ro-niische^ Recht) 
Prof. Honiger (Recht) 
Prof. Lei we 
Prof. Harder 

Proi". Tacoby (Philosophie) 
Prof, Reiser 



Privatdozent Kolle. 

Prof. Dr. Krohner 

Prof. Dr. Liepe (Deutsche Philolo. 

gie) 
Prof. Neisser (Nationalokonomie) 
Prof. Dr. Rosenberg 
Prof. Schrader 

Prof. Opet {Deutsches Recht) 
Prof. Skalweit (NationalSkonomie; 
Prof. V.'edemeyer 
Prof. Rauch (Philosophie) 
Prof. Dr. Kleinperer (Medizin) 
Prof. Dr. Bmil Fuchs (Theologie) 
Lektor Dr. Maiano 

of, Wilhelm Oppermann 
Dozen! Or Friedrich Copp; 



►NIGS lERG UXIVERSITAT 



Prof. Hcnzel (Oeffentlichea Recht) 
Prof. Paneth (Chemie) 



Prof. Reidemeister (Mathematik; 
Prof. Schneider (Philosophic) 



KOXIGSBERG - HANDELSHOCHSCHUIJ 



Prof Rogowski 
Prof Hansler 



Prof. Kurbs 
Pr&f. Feiler 



KOLN 



Prof. Kelsea (Oeffentlicheg Recht) 
if. Schmalenbach (Nationalokonr 
Lie) 



Prof Cohn-Vossen (Mathematik) 
Frol Braimfete (Philosophie) 
Prof Lips (Sozfolog 



177 



Prof. Sfhiijittinaun (Nalionalokono- Prof Eech (Verkehvsweaett) 

niie. Verhaftet) Prof. Beyer (Pudagogik) 

P:or. Spitzer (Philosophic) Prof. Homgste;n (Soziologie) 

JliNA 

Proi*. Emil Klein (Medizin) Prof. Dr. Peters (Psychologie) 

Prof. Theodor Meyer-Steinegg (Ge- Prof. Schaxel (Zoologie) 

BChichte der Medizin) Prof. Berthold Josephy (National- 
Prof. Hans Stimmel (Philoeophie) okonomie) 

Prof. Mathilde Vaertinp (Padagojjik) Privatdozent Leo Brauner (Botanik) 

BRESLAU 

Prof. Mark (Rechtsphilosophie) Prof. Colin (Recht) 

BONN 

Prof. Lowenstein (Psyehiatne) Prof. Dr. Hans Rosenberg (Philo- 

I'rof. Kantoroivicz (Zahnheilkunde) sophie) 

MARBURG 

Prof, Ropke (Staatfiwicsseuschai'tenJ germanisehe Philologie. Verubte 

Prof. Hermann Jacobsohn (Indo- nach der AbMzung Selbstmord) 



GOTTINGEN 

Prof. James Franck (Experimen- Prof. Born (Theoretische Physik) 

telle Physik. Nobel preistrfiger) Prof. Emnii Noelher (Philosophic) 

Prof. Honip (Strafrecht) Prof. Bernstein (Statistik) 

Prof. Couranl (Mathematik) Prof- Brandi (Geschichte) 

GREIFSWALD 

Prof. Klingmueller (Privatrecht) Prof. Dr. Braun (NaUonalokonomie. 

Prof. Ziegler (Klasaleche Philologie) Nach der Absetzung verhaftet) 

MONSTER 

Prof. Freud (Recht) Prof. Heilbronn (Botanik) 

ProP. Bruck ("National Skonomie) 

HEIDELBERG 

Prof. Man. v. Edkaxdt (Journalist!!;) Prof. ^^^^^T' 
Prof. RfldbPUCh (Strafrecht) Prof. Alfred Webe, (Sosiolog 

178 



HANNOVER 

Prof. Theodor Lessing (Philosophic) 

DRESDEN - TECHNISCHE HOCHSCHULE 

Prof. Dr. Holldack (Recht) 



HALLE 



Prof. D. Dehu (Theologie) 
Prof. Dr. Aubin (Recht) 
Prof. Frankl (Kunstgeachichte) 
Prof. Kisch (Reehtsgeschichte) 



Prof. Kitzmger (Strairecht) 
Prof. Utitz (Psychologie) 
Prof. Hertz (Soziologie) 
Privatdozent Dr. Baer (Mathematik) 



HAMBURG 

Prof. Eduard Heiniann (Recht) Prof. W. A. Berendson (Literator) 

Prof. Panofsky (Kunstgeschichie) Prof. Richard Salomon 

Prof. William Steru Pro f. El . Q3l Cassirer (Philosophie) 



Prof. Dr. Hegler 



TUBINGEN 

Prof. G. Weise (Kuustgeschichte) 



LEIPZIG 

Prof. Witkowski (Literaturgesch.) Prof. Eveetfa (Journal istik) 

Prof. G6tz (Geschichte) P ro f. Hellmanii (Medizin) 

Fro,. Apelt (Oeifentliches Recht) Dozem Dr. Becker (Philosophie) 



DCSSELDORF 



Prof. Boden 
Prof EUinger 



Prof. Dr. Meyer 
Privatdozent Dr. Neustadt 



DOZENTEN AN PADAGOGISCHEN AKADEM1EN 



Prof. Dr. Otto. Haase. Elbing 
Prof. Dr. Karl Thieme. Elbine 
Prof Hans rlafienriehter. Elbing 
Prof. Emil Gossow. Elbing 
Prof, Heleue Ziegert. Elbing 
Dozentin Job. Kretschmann, Elbing 
■Julius Frankenberger. Halle 
Prof. Frau Dr. Elisabeth Blocfa 
mann flalle 



Prof. Emil Fuehs, Kiel 
Prof. Wi]helm Oppermann, Kiel 
Dozent Dr Friedrich v. Copet. Kiel 
Prof. Dr. Joh. Sippe!. Dortmund 
Dozent Dr. Hans Plug, Dortmund 
Prof Dr. Conrad Ameln, Dortmund 
Prof Martin Schmidt. Frankfurt 
Prof. Dr. Marianne Kunze. Frank- 
furt 



1 79 



Dr Fritz Haschek, Halle 
Prof. Anna Deynehl, Halle 
Prof. Martin Rang, Halle 
Prof. Herbert Kranz, Halle 
Prof. Dr. Adolf Reichwein, Halle 
Prof. Dr. Karl v. Hollander, Hall* 
Prof. Fritz Kauffmann, Halle 
Prof. Dx. Hane Hoffmann, Halle 



Prof. Dr. QerUa Simons, Frankfurt 
Prof. Dr. Hermann Semiller, Frank 
furt 

Prof. Dr. Spemaoii, Frankfurt 
Dozen t Hans Thii rbach, Frankfurt 
Dozentin Berta Kieser, Frankfurt 
Prof. Hane Rosenberg, Bonn 
Prof, Dr. Johannes Richter, Leipzig 



Mt'SlK 



Otto Kleniperer, Generalmusikdirek- 

tor. 

Bruno Walter. Generalmusikdirekt 

Frilz Buseh. Generalmusikdirektor 

Fiitz Stiedry 

Gustav Brecher. Generalmusikdirek- 
toi-. 

Oskar Fried 

Arnold Schonberg 

Franz Schrei'ker 

Kurt Weill 
itz Kreieler 

Bruno Eisner 



Hannp Kisler 

Prof. Arthur Schnabel 

Prof. Karl Flech 

Prof. Daniel, Hoehschule fur Musik 

Berlin 
Prof Leonid Kreutzer, Hoch3Cqule 

fur Musik. Berlin 
Prof. Emanuel Feuerntann. Hock- 

schule fiir Musik, Berlin 
Prof. Horih. Hochschule fiir Musik. 

Berlin 
Prof. Hiinemann, Hochschule fiir 

Musik. Berlin 



MALEREI 



Prof. Kathe Kollwitz (wurue ver- 
anlasst. aus der Kun-takadernie 
auszutreten) 

Prof. Max Liebermann, Ehrenprasi- 
denf der preussiscben Akademie 
der Kfmste teab seine Demission) 

Prof. Otto Dix (aus der Akademie 
der bildenderi Kiinste entlassen) 

Prof. Karl Holer (von der Akade- 
mie d. b. K. ~beurlaubt>) 



Prof. Paul Klee Ubeurtaubt 
Prof. Oskar Moll (<beurlaubt» 
Prof. Georg Tapped, Staatliehe 

Kunstscbule Berlin-Schoueberg 
Prof Curt Labs, Staatlich* Kunst- 

schule Berlin-Schoneber^ 
Prof. Josef Vinecky. Staatliehe 

Kunstechule Berlin-Sehoneberg 
Prof, Fritz Wiecherf. Direktor der 

Kunstgewerbeschule. Frankfurt. 



MUSEEN 



Geheimrat Wilbelm Waeizold, Ge- 

neraldirektor der staatliehen Mu- 
seen, Berlin 
Geheimrat Max J. Friedlander. Di- 
rektoi des Kaiser Friedrich Mu- 
seums*, Berlin 



Geheimrat Ludwig Justi. Direktor 
der cNational-Galerie», Berlin 

Professor Georg Swarczenski a Di- 
rektor de? Staedel-Instituta>, 

Frankfurt 

und viele weitere Museumsleiter 



RECHTSANWALTE 
Allein in Berlin wurden Qber 1200 Rechtsan^lte als Juden oder «Mar 
item nh-hl mebr zur Ausubung ibies Berufes zugelassen. 



180 



D1CHTER UND SGHRIFTSTELLER 



deren Werke verboten wurden und die zum grossen Teil Deutsch- 

land verlassen haben: 



Thomas Mann, Heinnch Mann. 
Ernst Toller, Stefan Zweig, Ar- 
nold Zweig, Jakob Wassennann, 
Lion Feuchtwanger, Kurt Tuchol- 
ski, Emil Ludwig, Alfons Gold- 
schmidt, Gu9tav Regler, Otto Katz, 
Theodor Wolff, Alfred Kerr, Bert 
Brecht, Car) von Ossietzky (ver- 
iaftet) , Hellmuth von Gerlach. 
Otto Lehmann-Rusebuldt (verhaf- 
tet). Dr. Friedrich Wolff, Anna 
Seghers (Kleistpreistragerin), Dr. 
Martin Buber, Dr. Jurgen Kuc- 
zinsku Erich Maria Remarque, 
Josef Roth, Hans Marchwitza. Al- 
fred Doblin. Werner Hegeraann, 
Bruno von Salomon, Dr. Ernst 
Bloch. Walther Mehring, Arthur 
Holitecher, Prof. E. Gumbel, Prof. 
Grossmann, S. Krakauer, Hermann 



Weudel, K. A. Wittfogel (verhai'- 
tet), Botho Laserstein, Egon Er- 
win Kisch (ausgewiesen), V. C. 
Weiskopf, Johannes R. Becker. 
Brunc Frei, Paul Friedlander, 
Heinz Pol, Otto Heller, Mrich Wet 
nert, Ludwig Renn (verhaf tet). 
Dr. Hermann Dunker (verhaftet), 



Ilernhartj Kellenuann. 



Leon- 



hard Frank, Franz Werfel, Lud- 
wig Fulda, Vicki Baum, Adrienne 
Thomas, Ferdinand Bruckner-Tag- 
ger, Carl Sternheim, Georg Kai- 
ser, Carl Zuckcnayer, Georg 
Bernhard, Heinrich Simon 

(Frankfurter Zeitung), Erich Ba 
v on (i m G e ESngnis gestorbeu) , 
Walter Sehonstedl und viele an- 
dere Dichter, Schriftsteller und 
Journal isten. 



ARZTli 



Dr. Magnus Hirschfeld. Prof 
Scheller, Bakteriologie, Breslau 
(veriibte Selbetmord nach seiner 
Entlassung aus der Schutzhaft). 
Dr. Felix Boenheim (verhaftet). 
Dr. Hodann, Stadtrat u. Schriftstel 
ler (verhaftet), Dr. Fritz Weiss. 
Dr. Schmincke, Stadtarzt, Dr 
Fraenkel, Dr. Elisabeth Aschen- 
heim, Dr Karl Bamberg, D* 
Georg Beujamin, Dr. Borinski, 
Hauptgesundbeitsamt Berlin, Dr. 
Cohn, Stadtarztin. Dr. Cohn. 
Hauptgesundheitsamt Berlin, Pr. 
Gustav Emanuel, Dr. Kurt Fried- 
maun, Dr. Alfred Gottheimer, Dr. 
Rosa Holde. Dr. Leva, Chefarzt 



der Allgemeinen Ortskranken- 
kasse, Braunschweig (verhaftet). 
Dr. Mas L«svi, Dr. Julius Levin. 
Dr. Ruth Lubliner, Dr Brwtn 
Markussen. Dr. Seligmann. Haupt- 
gesundheitsamt Berlin, Dr. Josef 
Stueinas (geborener Litauer). Di 
rektor eines Krankenliauses in 
Berlin-Lichtenberg (wurde ausge- 
wiesen), Dr. VVohlgemut, Vor- 
etandsmitglied des Vereins der 
Krankenkasseniirzte Hamburgs. 
(verhaftet). Dr. Asch, Berlin (er 
mordet. Dr. Dienemann. Krau- 
kenhaus Wittenau. Dr. Goetz. 
Oberarzt der Heilanstalt Wuhl- 
garten 



UQd ttber tausend andere judlsche Aerzte, die 
Qicbt mehr oaehgehen diirfen, von denen viele 
f nnordet = ind. 



ihrer beruflichen Tiitigkeit 
verhaftet und eine Reihe 



181 



Misshandlimgen mid Folterungen 

'*^«£*S2?5^ £S5S; ^i^partei, seit 
r\«,.*_i_. "en Industrie- und Agrar-CL 

ieschichte gt 
iie friiheren 



Janren ausgehalten von den InrW • A ™ e, «*partei. sett 



ti e r m n n v Bau T t6ter Luther - ™£%2*&££f^ 

lmi im bluigen Terror gegen die Amgebeuteten. Die Parte" der 
Nationalsozia lis en hat in ihren amtlichen Dokumenten St Jah 

2h ^ ^ 3nge, l Messer »- Diese Nacht b rach herein mil dem 

/u stark' i^Ht 81 ^ b ; an t deS , S !f iSt bis h6Ute n0ch nicht beende" 
rLI n lst der Widerstand der revolutionaren Arbeiter und 

FrfES ni. V N le i M,11 : 0nen 1 ? ind ^ Ch ° n 8 eSchart um die Banner der 
,n a 2 ,?* lon ? lsoziall stische Deutsche Arbeiterpartei rausste 
iXr Z ^ bolomausnacht ein Bartholomausjahr mach.n, em 
Janr der Mahlruten, nber dessen erstes Viertel wir hier Bericht 
erst at ten. 

Die Freunde des Hitler-Regimes wiederholen gern die Erkla- 
rung der Regierung, in Deutschland herrsche Ruhe und Ord- 
nung. Dementis wollen das Ausland beruhigen, Feste und Para- 
den die Aufmerksamkeit von den wirklichen Geschehnissen ab- 
lenken. Warum konnen viele die wahren Vorgange in Deutsch- 
land nicht sehen? 

Die wenigen auslandischen Touristen, die noch Lust haben, 
das tyrannisierte Deutschland zu besuchen, werden weder in eine 
SA-Kaserne, noch in die Konzentrationslager gefiihrt. Naehtliche 
Folterungen, Erschiessungen « auf der Flucht », heimtuckisch 
organisierte Morde — der auslandische Besucher konnte nur zu- 
fiillig ihr Augenzeuge werden. 

Der auslandische Journalist aber — steht nicht jedes seiner 
I'elephongesprache, jedes seiner Telegrainme unter strengster 
Zensur! Wird nicht jeder seiner Schritte iiberwacht! Bedroht 
ihn nicht taglich die Ausweisung! 

Wenn aber die Schreie der Gefo Iter ten aus den SA-Kellern 
zu laut und grasslich in die Ohren der Anwohner dringen. wenn 



182 



jftzlich die Fr ™ eh \ p . s V«roigten mil alttestamentarischer Wut 
■hren Jammer uber die Strass, ,, sch.rit, wenn die Greuel del 
Nazis zutalhg vor Hun4er1on «i<*if-h n «. ™J a i . , l c ' aer 

diesem Deutschland S <K f^EJS??" TOd I" 311 L " 

cin Ausnahmefall ,. Das SS ™3^ . be « e g ien: « Da * ist 
lung jubelnd bestatigte WorT des MnSr? *rl ^ asse " ver t amm - 

„ Wo Holz gehobelt %ird g b ' S S 1 ™* ab " ^J 8 * 

l93 3) ' §,m es 5 Pane » (Essen, am 10. Marz 

a aSKSS SSfiE 

smd^sed Jahren von der Nazifuhrung propagiert und ausgear 
Die .Nazifuhrer haben miltelakerliche Pogrome gebraeht und 

hStun^S ■ if'*^ «f tPeS CaCb6t m!; i^en\villk!rliche' V r 
haf ungen CSchutzhaft) und die Scheiterhaufen, das Spiessruten- 
laufen und die Folter ersten, zweiten und dritten Grades SISt 

M P LT ga If S n r7 irl ? am war ' wurden di€ mittelalterliehett 
S^M ln 1 \° effenU,chkeit an g^vendet. Die Folter aber blieb 
geheim. Man wagte sie nur im Dunkel der Nacht. Bis zum heuti- 
gen Tag wissen Millionen Deutsche nichts davon. (Jnser Buch 
nffnet ihnen die Augen. 

Der nilchtliche Terror 

Seit dem 27. Februar dieses Jahres wutet der geheime Ter- 
ror. Man « rechnet ab ... System athisch wird verhaftet, mit Ueber- 
legung wird gepeinigt. Und den etwaigen Bedenken iiber ganz 
unberechtigte Torturen kommt wiederum der Minister enteeeen 
mdem er angibt, wie weit man gehen kann: 

<Solange ich noch keine Kommunisten mit abgeschnittenen Ohren und 
Nasen herumlaufen sehe, ist kein Grand sich aufzuregen.j 

Sowed also kann man gehen! Man ist auch nicht verpflichlet, 
sich die Ofer genau anzusehen und die Denunziationen allza 
genau zu iibehpriifen; die SA, die von ihrem Polizeichef so unzwei- 
jeutig angewiesen wird, halt es bei den Verhaftungen mit dem 
Wort des franzosischen Kardinals, der in ahnlicher Zeit (in der 
zum Vorbild gewordenen Bartholomausnacht) den Fragern 
erklarte: « Totet sie alle, Gott wird sich seine Christen sen on 
heraussuchen». 

Alle Tage erscheinen vor uns Opfer dieser nachtliclun 
Folter und zeigen ihre immer noch nicht geheilten Wunden. Sie 
berichten von den Qualen, die sie erlitten, mit dem eigentiim li- 
chen Zittern von Misshandelten, denen man nicht nur die Kor- 
per blutig sehlug, deren Seelen man auch den unausloschlichen 
Hass gegen die Peiniger einbrannte. 

183 



Wir veroffentlichen hier Protokolle und Berichte, die wir 
mil aller Sorgfalt unci Grundlichkeit gepxiift habcn, die unsere 
Sache verlangt. 

Die Folterkamniern 

Es Iiegt itns ein Bericht vor, der offen von ein em Priigeltarif 
der SA Kenntnis gibt: « Einfache Zugehorigkeit zur SPD wird 
mit dreissig Gumrnikniippelhieben auf den entblossten Korper 
bestraft. Die kommunistische Parteimitgliedschaft ist allgemein 
mit 40 Hieben zu ahnden. Strafverstarkend bat zu wirken, dass 
der Betreffende politische oder gewerkschaftliche Funktionen 
hatte. Die Strafen sind je nach dem Verhalten des Gefangenen 
ahzuwandeln ». 

Der Arbeiterfunktionar Bernstein aus Berlin-Niederschon^- 
weide wird in einer SA-Kaserne auf eine Pritsche geworfen und 
mit fiinfzig Stockhieben geziichtigt, well er Kommunist ist; es 
folgen dann weitere fiinfzig Stockhiebe, weil er «auch noch Jude» 
ist. 

Es gibt also mehrere Grade der Folter, Die Protokolle besta- 
ligen es. Folgen wir den Gefangenen auf ihrem Leidensweg: 

Die Folter beginnt mit dem Augenblick, wo die Opfer aus der 
Wohnung « abgeholt » werden. Revolver werden den Oeffnenden 
vorgefaalten; die Familienmitglieder werden bedroht, man zer- 
schlagt Mobel, Bibliotheken werden zertreten oder auf die Strasse 
geworfen. Schriftstellern vernichtet man vor ihren Augen 
Manuskripte, die Frucht vieler Monate Arbeit. Arbeitern beschlag- 
nabmt man das letzte Lohngeld, Die Familie steht dabei. Die Kin- 
der sehe-n fassungslos, dass der Vater von unbekannten jungen 
Leuten ins Gesicht geschlagen wird, dass er wehrlos ist, und 
schon steht riesengross vor alien die Sorge, wie alles enden wird. 
Die Frau sieht die rohen Gesichfcer der verhaftenden Burschen, 
Sie beginnt zu ahnen, was bevorsteht. Sie will mehr wissen. Sie 
fragt, wohin man ihren Mann bringe. Sie hort nur hohnische Ant- 
worten, und dann stosst man den Gefangenen aus der Wohiuiiig 
und treibt ihn die Treppe hinunter auf die Strasse in das bereit- 
stehende Auto. (Allen Dementis, solche Aktionen seien spontap 
gewesen, ist immer wieder zu entgegnen, dass in unseren samtli- 
fthen Berichten dieses Auto figuriert; seit Monaten hatten alle 
Sliirme der SA auf Anordnung der hochsten Fiihrung ein Kraft- 
fahrzeug zur Verfiigung; die Listen fur die Verhafteten waren 
verteilt; man hatte ein grosses Arbeitspensum. Es gait sich eilen.) 

Da man sich so legal gab wie moglich, fiirchtete man die 
offentliche Kritik der Abenteuer und verlegte sie in die Zeit, da 
3er Burger schlief. Erwaehten Hausbewohner, so suchte man 

184 




Gcorg Dimiti'off 

JertSK v r Zaolcoff-Kegierung ... dor Emi- 

zu konstruieren. 




Ernsl Torgler 
Vorsitzender dor Kommunistiscben ReichstagsfraklioH 



Br v,i«l von den Nazis b«clHddwt emei to 

vollcn Unscliuld meldete er sicb am Moigen aacb 
den. Reicbstagsbrande befan Berliner TO lrt V™*J- 
dium, urn gegen diese heimtttckische Beschuldi- 
gung zu protestieren. Er wurde verhaftet, und dei 
Oberreiotisanwalt hal gegen ihn die Anklage wegen 
Brandstiftung erhoben. 



,■ iktion schnell als eine normal verlaufende zu tarnen. Em 
dlC ■ m meldet dass wabrend einer Verhaftung schon im Trep- 
BeV \ C t „ die Scblage begannen. Plotzlich hort der Verhaflete den 
K de Smmiuhrers: \ Achtung! Nicht schlagen! , Die Hkbe 
~ „ 7„f der Get'anqene sieht, dass im gegenuberhegenden Haus 
KE tva^orden sind. Die Oeffexxtlichkeii trat auf, die SA 
^"de « diszipliniert »>. 

Diese Vorsicht kcmnlen sie in ihren Keller* nun autgeben 
u m Tuaenblick, da der Gel'angene die. SA-Kaserne betritt, ist er 
V *X wie die Ffihrung ihn sett Jahren der SA versprochen 
f i Inch hat er nicht ganz erfasst, W ie rechtlos er geworden ist, 
hat "-, Inn Kn uppel die Treppen des Folterhauses hinauf jagen. 
?Sfi^^SKfflS Tmeinen Kampt'er, vor einer Gelahr 
Es isl lmmei scnimp wp u r i - a ber semen Feinden verfallen 

SSasSrwSES -ssosh 

bringl, das gibl tiefere Verletzungen. 

L Minute in den Hansen; der ^^mtfda K 

den auf. Denn man ^^^g^S^S seines Opfers 
auch nnr das germgs e Get h 1ft ir "W^ ^ 

hat. Wer immer auf den 1 r J^ en u Fei g lin g e sind zu Mordern 

oca begegnet. schlagt oder Ir u tih .';• ^f S ^^ gie 

geworden; sie kenueii kerne Ritterl c bfce £ ^ Folter aQ . 

lor den Zimmern, in den en ma n d en i»« ><> ^ m Ussen 

wendet und erwarten ^^^0^ d slossen in das 

durch ihr &P^ J^jSgradiSS ~f den Schadel. 
GeS5 5^X^cS^e Tuf^ StuS- oder Staffelinhrer, das 

4 Verhor » beginnt. 

Hinter einem Tisch sitzt der French £. ^Urliche 
den Aulschlagen der SA-Umform h^ Tischplat te sleeken 
Gewalt iiber alle Verhafteten gegti . en - m ittem recht s und links 
blanke Dolche and Seitenge^ehre of t : * an d Tl scb 

die Flammen von Kerzen De, Gef*ng^ sie ^ 

eestossen. Dicht an ihn treten die bA> Beteuert er 

Eh sie begleiten seine Antworten g Sch^g d 

seine Unschuld so treten Sie A" ™ h , um Wahrbe.t. Das 
,nng wird closes bandit «* ^^ 

Gericht ist nut Farce, Vorwai.a D cnunziation 

Plotzlich crfahrt ^ f ^kX^$™ "***" 
kam, die ibn hierherbracbte. « gl« 



zu konnen, leidenschaftlich legt er den Tatbestand dar, aber schon 
sausen Giunmikniippel auf ilia: « Du hast nur zu reden, wenn 
du gefragt wirst! » Man will Adressen wissen. Man braucht neue 
Opfer- Man glaubt, politische Erf'olge zu erzielen, wenn man uber- 
all verbreiten kann, wie sich die Fuhrer der Arbeiterbewegung 
gegenseitig verraten haben. Aber man begegnet der Treue. Die 
Karneraden verraten nichts. Und wieder setzen in sadistischer 
Wut neue Priigeleien ein. 

Es ist ein Ehrenblatt in der Geschichte der deutschen Arbei- 

Eerbewegung, dass Tausende von Arbeitern auch unter den Kniip- 

peln der SA nicht wankend geworden sind. AlLe Brutalitat hat 

nichts geniitzt; die Karneraden sind lieber zusammengebrochen, 

als dass sie den Henkern neue Opfer ausgeliel'ert hatten. Die 

Femegerichte von 1933 konnten die Leiber der Revolutionare tref- 

fen, sie fur Lebenszeit zu Kriippeln machen. Dennoch waren sie 

machtlos vor dem Mut der Revolutionare. Sie konnten einen 

Menschen martern, ihn mit systematischer Grausamkeit zurn Zu- 

sammenbrechen bringen, sie konnten Dutzende von Gefangenen in 

den Selbstmord treiben. Aber ihr riesiger Apparal hat kaum eine 

Uandvoll von Verratstallen zu erzwingen vermocht. Diese Stand- 

haftigkeit ist am besten bewiesen durch die weitere Massnahme 

der SA: sie hat einen zweiten Grad der Folter erfinden miissen. 



Der Priigelkeller 

Vom Verhor bringt man die Gefangenen in die Keller. Schon 
taumeln die Ungliicklichen. Unheimlich ist das Erlebnis, vollig 
allein zu sein unter lauter Morderiu Unheimlich ist fiir alle das 
Wissen, dass dieses Folterhaus in einer modernen Grossstadt 
steht, dass Millionen Menschen in Ruhe in ihren Betten Iiegen* 
unbekummert urn die Schandtaten, die irn Auftrag einer Reichs- 
regierung Nacht fiir Nachl begangen werden. Aus den Grabern 
scheint der Profoss des friderizianischen Heeres wieder aufge- 
sfanden zu sein. Die Gefangenen sehen im Halbdunkel des Kellers 
die seit Wochen bereitgehaltene Prugelpritsche stehen. Der 
Moder des Gewolbes riecht nach getrocknetem Blut und Angst' 
schweiss. 

Und wieder wird alles wie Spuk; es sind die Tage, da Hitler 
in der Garnisonkirche von Potsdam am Grabe Friedrichs 
seine AnLritlsrede halt. Ueberall lauten die Glocken der Kir- 
chen, Hunderttausende stehen auf den Strassen. Die Begeisterung 
kocht, man spricht vom Aufbruch der Nation, von ihrer Wieder- 
geburt. Der Gefangene hat die Phrasen noch gehort, und er erlebt 
;etzt vor dieser Pritsche, wie ungehcuerlich diese Liige ist. 

186 



Syjabolisch wird der Slaalsakt in Potsdam: dort redet vor 
feneralen und den Nachkommen der Hohenzollern der « Fiihrer » 
dd" Gruft des Fursten mit dern Eriickstock — hier priigelt und 
foltert die SA-Garde wehrlose Arbeiter im schallsicheren Verliess 
der Keller. Und es besteht nur der eine symbolische Unterschied: 
dass nun, im Jahre 1933, die deutsche Stahlindustrie die Werk- 
-eu^e fiir ihre eigenen Biittel geliefert hat. Der Gefangene wird 
f die Pritsche g^worfen, Stahlruten hammern auf seinen 

Riicken. 

In letzler Emporung, brennend am ganzen Korper, baumt 
sich der Gefangene auf. Man driickt seinen Kopf in schmutzige 
Tiicher, er beisst hinein in die Lumpen. Wie eine Linderung fiihlt 
cr Blut'aus den Wunden in seine Kleider laut'en, aber die neuen 
Streiche zerfetzen schon das rohe Fleisch. 

Die Biittel schlagen zu viert, kaum ist Platz genug auf dem 
jsuckenden Korper fiir die zahlreichen Hiebe. Dann ermuden sie. 
Das Wimmern d«s Geschlagenen scheint Musik in ihren Ohren. 
Sie betrachten ihn lachend und verhohnen ihn. Dann jagen sie 
ihn in den Nebenkeller, wo er endlich nicht mehr allein ist. In den 
Ecken kauern Genossen seines Leids; auf Stroll und Kartoffel- 
sacken walzen sich Schwerverwundete. Einige sind am Ende ihrer 
Kraft und weinen. Der Wahnsinn zieht durch das Gewolbe. Ne- 
benan hort man die Schreie des nachsten Opfers. 

Die wahren Unterinenschen 

Die Schergen lassen sich Zeit mit ihm. MMe wie sie sind, 
erquicken sie sich eine Weile an den seelischen Foltern. Das Ent- 
wiirdigendste denken sie sich aus; der neue Gefangene muss sich 
selbst entkleiden. 

Der Sadismus verkommener Lehrer wird hier neu abge- 
wandelt. Vor uns erscheint ein Familienvater, Arbeiter, Organi- 
sator einer Erwerbslosenkiiche und herichtet — seine Stimme 
wird zogernd bei der Erinnerung — wie er sich ini SA-Keller 
niederbeugen und sein nacktes Gesass wegstrecken muss zu wohl- 
abgezielten Schlagen, Die SA-Leute lassen ihn eine zeitlang so 
stehen, weiden sich an dem Anblick, dann schlagen sie zu. 

Die Gefangenen im Nebenraum konnen jetzt alles sehen, 
denn man hat es fiir gut befunden, die Tiire zu ihrem Verschiag 
aufzustossen. Der neue Gefangene richtet sich unter dem ersten 
Schlag der Stahlrute auf, aher ein neuer Befehl duckt ihn wieder 
in die erniedrigende Stellung. Sein Aufrecken war i strafbar » 
die Prozedur wird verscharft: er muss jetzt die Schlage mit lauter 
Stirnme mitzahlen, die man ihm aufgibt. Die Zahlen werden un- 

187 



deutlich im Schrei der Schmerzen. die Schlage sind scharf, die 
Haut plalzi nach deni lunften Schlag, die SA-Leute haben sich 
inzwischen wieder ermuntert. 

Schon hat sich der zweite Grad mil dem dritten verbunden: 
mit der seelischea Folter. Sie wird erfunden von den Staffelfiih- 
rern. Was an primitivem Rachegelust bei den unteren SA-Leuten 
noch gerade Wcge gehen wollte, ist durch die Fiihrer abgebogen 
in die Perversion des Sadismus. Spatere Zeit wird feststellen, wie- 
viel hier die unnatiirliche Sexualitat vieler SA-Fiihrer mitgehol- 
fen hat. Die Anwesenheit des homosexuellen Grafen Helldorf, 
des jetzigen Polizeiprasidenten von Potsdam, bei vielen Marte- 
rungen gibt geiuig Verdacht zu dem Schluss, dass viele der Opfer 
unsjliickliche Objekte fiir die Perversitat der SA-Leitung waren. 
' Man i'iirchtete auch jetzt die Oeffentlichkeit. Ein Dokument 
aus Berlin-Kopenick berichtet iiber die Zustande im SA-Lokal 
Demiifh- Kopenick: 

*An diesen Priigeleien hat sich der Sohn des Wirts besonders betei- 
ligt. Ausserdem" der standige Leiter der AJriionen, der SA-Fiihrer 
Scharsich Herbert. Kopenick. In der erst en Zeit liess 
der Sohn der W irtin sein Motor r a d I a u f e n. u m 
die Schreie zu iiberfonen. Neuerdings driickt man d ie 
Gesichter der Opfer in Stoi'fe. Die Mitbewohner haben sick wieder. 
holt an die Polizei gewandl Die Hausbewohner, die ibre Schlafzim- 
mer zum Hofe batten, haben ihre Wohmmgen umgestellt und schla- 
feu jetzt in Raumen, die zur Strafe liegen. um die Schreie nicht 
horen zu mussen. An den Fenstern zum Hof darf sich niemand sehen 
lassen. Staadig eteh! ein bewaffneter SA-Mann im Hoi'. Auch wir sioa 
unseres Lebens nicht sicher. besonders da man merit, wie wir iiber 
dieses Reich rienken.:^ 

Sadisten sine! erfinderisch 

Der halb bewusstlos geschlagene Gefangene wird von der 
Pritsche hochgerissen, die Gesichter der SA-Leute werden streng, 
der Sturmfuhrer tritt vor und verkundet dem unsicher vor lhm 
stehenden blutenden Opfer: « Jetzt wirst du erschossen. » 

Man fiihrt den entsetzt wieder Erwachenden an die Wand, 
dreht ihn mit dem Gesicht zu den Steinen des Kellers, tiefe Stille 
tritt ein, er hort hinter sich nur die Manipulationen der Henker, 
leise knacken die Sicherungen der Revolver. Aber noch fallen 
keine Schusse. Der Gefangene starrt die Wand an, die Famine 
fallt ihm ein, die Kameraden, soil er verraten, was er nicht weiss. 
Gibt es eine Rettung? Der wunde Riicken brennt, die Rleider 
scheuern iiber die Fetzen. Der Schmerz zerrt ihn in eine Ohn- 
macht, der sichere Tod in seinem Riicken reisst ihn zu grasshchem 
Waehsein. Wie gelahmt steht er. Da fallen die Schusse. Er hort 

188 



sie an seinen Ohren vorbi^infAtfa** • i r . 

aber nun me rk« er, Sf£ l^EL*?*,**^ ^JrlSsung 

ken. dass die Henker ihn ;1 i ] SS2 n' Uu " 10 '" h e h zu cieQ " 

IffiMhen die Heine b££2£ Sto Z V™ ^Vh'u^ 88 * 
schmerzhafl aufrecht, der Todewwf? Kra fP f ^lt .hn noch 

jars; ■ SBsasrsssff -a 

sache obenmttelt. Wir geben einen Eur ,11c; 

<Ich bin Amvohn,r der Jiidenstrasse 50, Berlin C. wo die SA-Stan 
darte hailSte. Am 19. Mar. wurden die willkuriichen Verhaftunoen 
von denen icli mi letzten Bericht schrieb, tortgesetzt Gegen 21 Uhr 
horten dae Anwohner. kurz naehdera vieder ein GeFaugener herauf- 
holt WOlde, au m offenstehenden Fencer des Standartbti-o* 

<i fieri Schuss. Ich liess mich nicht abhalten nachzusehen und eat- 
Ckte, da?? in krummer Haltung ein Mann, auqemeheinlich der Gp 
10, ans Fenster gestellt war. Darauf fielea wieder Schiisse die 
enen wiederum nicht trafen, was auch aicher nicht beab- 
sah man. wie er jetzt zusammenfiel und sich la- 
ttber ihn beueten. Im Befehlston rief eine 

use!* Der Gefangene 
llen nbr| ' in '' Bui nit ht mehr zu horen, er war vor 

Si'hreck ;, [a1 ee Bin Wvoder. wenn man hort. 

daes dabei [roig \wrden?> 

Hunderte von Gefangenen hal>en auch das ertragen. Man hat 
sie aus dem Marterzimmer weggeschleift und in das « Wartezim- 
mer » zu den Kameraden geworfen. In den letzten Augenblic 
eli sie auf die SScke erschopft niederfielen, sagte man ihnen. da 
die Erschiessung am oSchsten Morgen stattfinde. Ihre Schmer- 
zen machten sie gleichgultig gegen die neue Androhung. Aber 
wenn sie dann nach einiger Zeit aufwachten. erianerten sie sich. 
Keinex hatte Grund, an der Drohung zu rweifeln. So sassen sie 
unter den stohnenden Freunden und erwarteten ihren letzten 
Morgen. Die nationale Revolution bereitete ihnen eine « Nacht 
vor dem Beil ». Jede Minute wurde zur Ewigkeit und trieb doch 
zu rasch vorwarts dem Ende zu. 

Der Dammerschein, der gczvn Morgen in das Verliess ein- 

hr kiindigte die ietzte Stunde an. Schweigend war die Wache 

in dor Nachl n, hatte sich an den Turpfosten gelehnt und 

onisch ein Lied gesungen: « Morgenrot, Morgenrot, leuchtest 

mi Frfihen Tod a, (Ein Bericht aus der Hedemannstrasse 

A dieses Detail.) Nun sind schon Schritte fiber Horn Ge- 

■ h8ren Iber man dehnl die Nacht noch wetter 

sy 



Immer wieder lesen wir in den Protokollen, class Gefangene 
bach solchen Drohungen tagelang in der schauerliehsten Unge- 
wissheit gelassen werden. Sie horen, dass nebenan die Priigeleien 
jieu beginnen. Man. stosst auch die Tiir zu ihnen wieder auf, sie 
sehen den Folterungen zu. Von Zeit zu Zeit ruft man einen von 
ihnen heraus und « verhort » ihn -wieder. 

Die Freude am Schmutz 

Das Entsetzen hat aUe fast abgestumpft. Aber sie sehen im- 
mer neue Arlen der Folterung. Sie wollen schon nicht mehr hin- 
sehen, aber immer -wieder reisst ihnen ein neuer Schreckensschrei 
die Kopi'e herum. Eben ist ein intellektuell aussehender neuer 
Gefangener in den Pritschenkeller eingeliefert worden. Sie sehen, 
wie man ihm den Kopf festhalt, ihm die Zahne auseinanderreisst, 
ein SA-Mann hebt eine Flasche und giesst Rizmusol in den keu- 
chenden Schlund. Der Mann wiirgt angeekelt, die SA lacht. Ihre 
Um "angsformen scheinen vornehmer zu werden. Sie fordern den 
Gefangenen auf, die Hose herunterzulassen, sie 4 bitten darum ». 
Mit irren Augen knopft der Gefangene die Kleider auf, lost den 
Riemen, die Hose fallt. Man wirft ihn diesmal nicht auf die Pnt- 
sche, man lasst ihn eine Viertelstunde in gebiickter Haltung mit 
blossem Gesass stehen. Die Gefangenen im Nebenraum erleben 
aufs Neue die ganze Demiitigung. Die SA macht ihre Bernerkun- 
gen. Sie wartet unverstandlicherweise. Endlich aber greift sie zu 
den Stahlruten. Die Streiche prasseln auf den mageren Korper des 
Intellektuellen. 

Er reckt sich immer wieder auf, schreit, wird niedergedriickt 
und plotzlich heult er und driickt sich die Eingeweide. Die SA 
sehlagt weiter. Das Gesass rotet sich und dann entleert sich m 
die Hiebe hinein der Darm des hundertfach Gequalten. 

Die Fiihrung der Nazis wird diese Widerlichkeiten bestiei- 
ten. Unser Archiv wird sie Lugen strafen. Es liefert nicht nur 
die Protokolle von Schriftstellern und Arbeitern, die diese Art 
der Folter haben erdulden mussen. Es liefert auch den Bencbt 
einer vertraulichen Sitzung der Berliner SA-Leute, wo der jetzige 
Minister fur Volksaufklarung, Dr. Gobbels, die Aufklarung gab, 
wie er als Innenminister gegen Redakteure vorgehen wurde, die 
etwa nicht sofort seiner Meinung waren: 

■•.dann miisete die SS zu der betreffenden Zeitung in die Bfiros gehen 
und den Redakteuren je ein Liter RizinusOl eingeben.> 

Man sieht, die SA handelt nur nach Instruktioncn. So blieb sie 
auch unbekiimmert urn jede, aber auch jede Not iftrer Upier. 

190 



Das ..I tote Kreuz" im SA-Keller 

Die Gefangenen liegcn nach dea Priigelqualen auf dem Boden 
der Kellerraume ohne Hilfe, ohne Linderung, ohne jeden Trost. 
Das Wimmern der Schwerverwundeten, das Wexiien der Zusam- 
mengebrochenen vernichtet ihren Schlat. Die Nazi-Aerzte sind 
arundsatzlich nur bei den Folterungen anwesend; sie sollen nieht 
helfen, sondern nur feststellen, ob der Gefangene noch fahig ist, 
aeprugelt zu werden. Es sind die wahren Folterarzte. wie sie zu- 
i"[/.t aus den Kainmern der Inquisition bekannt sind. Man stoppt 
die Folter bei Todesgef ahr. 

Vile Berichte bestatigen, dass Medizxn erst gereieht wurdc, 
wenn ein Ableben des Opfers zu befiirchten war Injektionea 
wurden in letzter Minute gemacht. Der Abtransport ins Kranken- 
haus erfolgte, wenn der Fachmann versicherte, dass ein « Exi- 
t us » bevorstand. . 

Aucb die Nazi-Sanitater arbeiteten nach solchen R^J""*?' 
die Verbande wurden ohne Riicksicht auf Sepsis angelegt die 
vahre Gesinnung dieser « Hilfsmannschaften » bevvies die Roh- 
ZTJtZ Mull und Pilaster um die Wund en g^gt ™de. 
Widerwillig schleppen sie Schwervenvundete zu den To let. en. 
M.nchmal befallt einen einzigen der Schrecken wie man hier mit 
JteSSatur umgeht. In hundert Protokollen lesen w,r _ einmal, 
dass e n Sanitate* einem Misshandelten, der von emer Ohnmacht 
dass em aa Schluck aus seiner Schnapsflasche ge- 

Is WascbCsser verweigert, oft mH hohnischer Begrundung. 
Betitmkciie Murder 

unter die Elenden kommen und neue « Verhore , abhaUen 

Ein Gefangener, dessen Frau tapfer m ^^S, 
gangen war. berxchtet uber einen SpitzeJ, den man dm S he 
:-s er schon auf den Tod krank am ^ * a f a f'* Kotwuh 
ihn zu Gestandnissen treibex, Der **^**££ genommen. 
gen tapfer widerstanden. Der SA-Spitzel ha t A konoi 
am seine schwere Aufgabe leichter zu erfedigen. 

<Er beurfe sieh Bbet mich er rock *A nnch ^fJ^J, 
..„„ ,i„ SehuK. dass die GrSBse DeutectUand 



du Stinkresi Bald werfen wir Oich ubei den Haulten.* Er zog deu Re- 
volver. Ich lag stumm und regungslos. <Oder ist Ihueu ihr Leben 
nicht lieb und wollen eie Hire Frau weiterea Qualen nussetzen? ft 
redete und verfinderte pldtslich den Ton: <Und leben ist doch so 
schdn. Ich habe die Slave* gem, ei Q hebes netles Volk tcb bin in 
der Ukraine gewesen. Sagen eie eudlich, dass sie em rscbeka-Spion 
fiindl Ich kenne auch viele Buhpuren. Sie baben nui au antworten. 
nicht mir, sondern dea andem, die tfanen die Fragen stelleti werdeu.> 

Der Spitzel wird clann vSIUg umgeworfen von seinena Rausch, 
seine Rede wird irr. Er begirmt zu fluehen, tritt <\zn schwerver- 
letzten Gei'angenen und schreit: 

<Das sagt ihneii kein Geringerer als der BeauVtragte der Regierung, 
der Kominissar fur Heereswesen.s 

(Kntnommen dem Protokoll des bulgarischen Arzteg Angeluschew, das 
Protokoll ist notariell deponiext am 15. Mai 1933 in Paris.) 

Manchmal sliftet auch ein Opfer den Schnaps. Wir geben 
hier den Berichi vvieder, der aus der Hedemannstrasse von 
einem in>:wischen ins Ausland gef'luchteten Kameraden gegeben 
wurde: 

Der Gefangene hurt am Abend, dass ein jtidiseher Gefangeuer. der 
noch Geld bei sicb hatte. versuchte, sein Schicksal zu tindern durch 
eine Alkoholspende. Er wild danu auch zu dem Gelage zugezogen; 
vielleicht glaubte er schon, gliicklich das Scfalimmste abgewendet zu 
haben. Die Gefangenen horen nun die ganze Nactat den Larm der 
Zechenden. In der Friihe tritt ein SA-Mann in den Keller, urn den 
Wachthabenden abzulosen; er ist aocb berauscht, Bchwankt und er- 
zahlt mit lallender Stimme: cMensch, haben wir aber gekippt. Wir 
waren so 1m Tran. dass wir den Wolfsohn schliesslich fiber den tfau- 
fen geknallt haben. Er hat dran glauben miissen, das l'eige Schwein.t 

In diesem Augenblick ist nicht nachzuprufen, ob dieser Mord 
wirklich ^escbah. Aufs neue wird den schwerverletzten Gefange- 
nen in all ihren Schmerzen klar, dass sie von ihren betrunkenen 
Kerkerwartern jede Gewalttat envarten diirfen und jede 'Art der 
Tortur. Zur brutalen Misshandlung gesellt aefa. **«^«" 
nur durch den Ton des Sturmiuhrers, die zymsche Verhohnung. 

Die seelische Folter 

Ein letzter Trost blieb bis hierhin ^^J^Sf^ 

nen: man hat sie alkin «abgeholt», nur fur *• ^S£ schwin- 

cler Verhaftimg war ihre Farnihe bedroht Langs am ^ ^ 

del nun auch diese Ge^iashcit; man ^J""^. Die Gefun- 

r SA. auch die Vsrwandten nicht sicner sein 

;i^en. 
192 



Sie wollen nur irgend etwas von ihrer Familie horen Sie 
wissen, dass seit dem Tag der Verhaftung kein Brot i m Rause 
sein kann. Das letzte Lohngeld verfiel der SA bei der Verhaftung 
Sie sehen ihre Kinder weinend vor der verzweifelnden Mutter 
stehen. Sie furcliten, dass die Wohlfahrt ihren Frauen die Unter- 
s!iitzung verweigern wird. (Eine hundertfach bestatigte Tatsa- 
che.) Sie wiederholen ihre Frage an die Wachmannschaften. 
« Eure Frauen », antwortet man den Mannern, die in der erbarm- 
lichsten Lage noch an den liebsten Mitmenschen zu denken ver- 
mogen, « Eure Weiber haben wir gut versorgt; in neun Monaten 
konnt ihr bei euch daheim stramme Hitler jungens vorfinden ». 
Die « Ehrengarde » Hitlers ri'ihmt sich, dass sie Frauen veree- 
waltigt hat. Der Bericht stammt aus der SA-Kaseme der General 
Papestrasse Berlin, Es ist dabei vollstandig gleichgiiltig fur un- 
sere Betrachtung, ob dieser SA-Mann die Wahrheit sagte oder ob 
er die Gefangenen nur bis zur Verzweiflung reizen wollte. 

Sie sing-en (lie „Internationale" 

Die revolutionaren Arbeiter haben sich von den Folterknech- 
len nicht provozieren lassen. Ungebrochen standen. sie vor ihnen. 
Die Vielfalt in der Erfindung immer neuer Folterarten beweist 
es. Die braunen Truppen haben hundert neue Qualen ausdenken 
mfissen, urn die Haltung der Gefangenen zu brechen. Sie konnlen 
die Korper zerschlagen, sie konnten die Wehrlosen zu Demiiti- 
gungen zwingen, ihre Nerven in wochenlanger Tortur zerreis- 
sen, aber immer wieder stand cin neuer Mensch vor ihnen und 
zwang sie zu Steigerungen ihrer Folter. Wenn sie es als Siege 
feierten, dass Kommunisten das « Vatemnser » beteten, dass 
Juden sich selbst als « Schweine » bezeichneten, so stellen wir 
bier fest, dass Schlage mit elektrischen Kabeln die Opfer dazu 
zwingen mussten. Stahlruten und Lederkoppel mussten ge- 
sdrwungen werden, damit Schwerverwundete « Heil Hitler. » 
riefen. Brennende Zigaretten musste man an nackte ^ssomer. 
h alien, um aus schmerzverzerrten Mundern das Horst-Wessel- 

Lied zu horen. 

Schweigend aber stehen die Arbeiter vor ihren Pe«"gern, a s 
diese verlangen, die « Internationale » zu singen. (Em Berich .aus 
Essen meldet diese heroische Episode.) D.e Arbeiter denken an 
hundert Versammlungen, wo sie es mit ihren k» nde ™ ^^ 
das Lied der Freiheit, das weltumspannende, die Hymne a 
ersten Arbeiterstaates der Welt, ihr heihges Lied. Von **J» 
scnden umgd.cn, haben sie es noch .« Jan" ar 1 BM * sung e 
Genossen neben Geimssen. Sie ^gJ^^^SA^. 
nicht vor diesen Henkern. Man scbiagt sie urn 

193 



immer neue Mannschaften stiirzen sich in den Raum, vereint 
schla^en sie auf die Manner, denen aus Schlafe und Mund schon 

das Blut spritzt. 

Fiebrig sind ihre Augen, sie halten sich noch an den Handen, 
aber sie singen noch nicht. Die Hiebe hageln, die Manner taumcln, 
und jetzt stiirzen sie gleichzeitig zu Boden. Hohnlachend lassen 
die Peiniger von ihnen ab und treten zuriick an die Wand. 

Aber nur erne Minute ist Stille. Plotzlich steigt leise, von zit- 
ternden Stimmen getragen, aus dem Knauel der Gefangenen der 
Gesang auf- Nun da die anderen ihren billigen brutalen Sieg glau- 
ben erfochten zu haben, singen die Manner. Am Boden liegend, 
zerschlagen und blutend, aber nicht gebrochen, singen sie, was 
keine Gewalt der Erde niederkniippeln kann: « Wacht auf, Ver- 
dammte dieser Erde! » Dwi SA-Leute stehen einen Augenbiick 
starr, dann springen sie heran und schlagen auf den singenden 
Haufen, bis er stumm wird und Hndernde Ohnmacht iiber alle 
kommt. Aber das Lied steht im Raum, fiillt ihn aus, durchdringt 
die Mauer der Folterkammer, ist lauter als das Pfeifen der Stahi- 
ruten. 

Der Terror der Verleumdungen 

Die Nationalsozialisten konnten auch die Folter nur anwen- 
den, nachdem sie eine Atmosphare von Verdaehtigungen gesehaf- 
fen hatten, die an das Recht der Folter glauben Hess. Das Mittel- 
alter profitierte vom Hexenglauben, von den primitiven Vorstel- 
lungen verdummter Kirchenganger, die in jedem Wissenschaft- 
ler den Teufels-Banner sahen, in jedem Apotheker den nacht- 
liehen Beschworer unterirdischer Geister. 

1. « Novemberuerbrecher >>. 

Die nationalsozialistische Ftihrung hat wider besseres Wis- 
sen seit Jahren behauptel, dass der Ausgang des Krieges das 
Werk einiger Verbrecher, der « Novemberverbrecher », gewesen 
sei. Sie hat diese Liige immer wiederholt, sodass bei den Millio- 
nen der Enttauschten die Ueberzeugung entstand, vom November 
1918 an datiere tatsachlich der Ruin Deutschlands. 

Der Minister Goring betont bis heute, dass der schmach- 
vollste Augenbiick seines Lebens der November 1918 war, als 
den Offizieren des Kaisers die Achselstiicke abgerissen wurden. 
Der Reichskanzler Hitler hat ein einziges Mai in seinem Leben 
geweint, und auch er weinte — um Achselstiicke. Er verzieh es 
den Matrosen von 1&18 nicht, dass sie die Offiziere angriffen, 
deren Gefreiter gewesen zu sein, der Reichskanzler sich bis heute 
riihmt. 

194 



So hat die gesamte Propaganda immer rmr dicscn einen Te- 
,nr- di * Novemberverbrccher sind schuld. Hit er gibt zu, dass 
nr bei seiner Propaganda auf die Leichtgl&ubigkeit der unpohti- 
Ztn MasLn spekuliert. Er halt die Aufnahmeialngkeit der 
Msse fiir beschrankt, ihr Verstandnis klein, dafur jedoeh ihre 
,r l«lirhkeit gross. Man kann auf diese Propaganda die Worte 
SgSwEta die er der Entente im Weltkrieg widrnet; auch 
W Ss Propaganda war: « im Anfang scheinbar verruckt in der 
Bwhheit ibrer Behauptungen, wurde spater unangenehm und 
a *ndlich geglaubt. («Mein Kampf», Seite 203"). Das Resul- 
Tf he, sehen wir im Bilderteil dieses Buches. Die SA fahrt 
•t Srhubkarren vor die Wohnungen der NovemberverhrecheT 
und fuhrt die Manner durch das Spalier der hohnenden Meute, 
die man schnell zusammengetrommelt hat. 

Splbst die Ruhe der Toten wird von der Rachsucht der SA. 
nicht verschont. Man zerstort die Graber der Matrosenmeuterer 
Rdchpietsch und Kobes, zerschlagt die Denksteme auf ihren 
Ruhestatten : Novemberverbrecher verdienen kein Grab. 

2. Sowjet-Russland. 

Die Verleumdung hat weder an den Grenzen des Todes halt 
gemacht, noch an den Grenzen Deutschlands. Hitler sagt uber 
Sowjet-Russland und seine Staatsmiinner : 

<Man vr-rgesse doch nie, dass die Agenten des heutigen Roland 
blutbefleckte gemeine Verbrecher sind, dass es sieh hier um den Ab- 

schaum der Menscbheit handelt.» 

(<Mein Kampf>, Seite 750.) 

Kaum ist Hitler zur Macht gekommen, so werden auch schon 
die ersten Ueberfalle auf Sowjetbiirger veriibt. 

Der Sowjetbiirger Schajag, Berlin, Greifwalderstr. 12, 
wird in seiner Werkstatt verprugelt. Als er sich beschwert, wird 
er in eine SA-Kaserne verschleppt. Dort wird er blutig geschla- 
gen und auf die Strasse geworfen. , . 

In die Hamburger Handelsvertretung der Sowjetumon bncht 

SA ein, pliindert und demoliert. 

Die Gesellschaft der Freunde des Neuen Russland, welcner 
Graf Arco, Kardorff und viele fiihrende Personlichkeiten des 
Biirgertums angehorten, wird aufgelost. Ihr Sekretar Erich Baron 
wird ins Gefangnis geworfen und in den Selbstmord getrieben. 

Alle deutschen Sender bringen seit dem 10. Marz ein Horspiel 
« Hoist Wessel », in dem Hitlers Lugen iiber die USSR wieder- 
holt werden: in Russland seien seit 1917 zwei Millionen Men- 
schen ermordet worden. Die Sowjets seien die Reprasentauten 
der Luge, des Betrugs, des Diebstahls, der Plunderung, des Rau- 

195 



I>es. Kcin Wort dariiber, dass das Internationale Oel-Kapital jene 
furchtbarcn fnterventionskriege heraufbeschworen hat, dass die 
Opfer voll und ganz den Interventionsgenenilcn zur Last zu 
schreiben siiul. Kcin Wort fiber den heroischen Kampf der russi- 
schen Arbeiter und Baucrn zur Verteidigung ihrer endiich errun- 
genen Freiheit. Kein Wort iiber die furelitbaren Greuel dor weiss- 
russischen Heerfuhrer in den eroberten Dorfcrn und S tad ten. Die 
Verleumdungen aber geben den Nazis die Handhabe zur groSS- 
angelegten Kommunistonhatz, zur Verfolgung der deutschen Ar- 
beiter und Intellektuellen. 

3. Der « Erbfeind ». 

Die nationalsozialistischc Fiibrung lenkt von den eigenen 
Schandtaten auch durch Verleumdung des westliehen Nachbars 
ah. Sie erzielt schon die ersten Resultate. Man iiberfalH im 
Dritten Reich Franzosen mitten fan Frieden. Frankreich bleibt 
fur Hitler der Erbfeind. Die « bastardisierte Nation », die Deutsch- 
Iands Untergang wunschen muss. Der Hass gegen Frankreich 
Wild genahrt, die Jugend wird mil Revanchegedanken geiutlert. 
Die Folge zeiet der Brief der Frau eines franzosischen Arbei- 
lers, der in Diisseldorf Arbeit gefunden hatte und I Ende Marz von 
SA fiberfallen wurde. Die Frau wandte sieh hilfesuchend an 
ihren Konsul: 

cHiermit mOcbt. ich, Frau Frit, Blanck, Solingen Wald, Hauptstraese 
265a, micb nut einer sehr ernsten Angelegenhe. an S.e wenden^ Me.n 
Mann ist am Freitag, den 31. Marz von SA-Mitgliedern der NSDAT 
um 2 Uhr uachmittaj aus unserm Garten verhaftet worden- Er wurde 
Z SA KaLrne gebracM. Hier ist er bes.ia.isch and « ; — 
lich kaum noch auszudenken, ohne sicb uberhaupt emer Schuld be 

nischen Bemerkungen. In emer gross Dann 



kenhaus. R in xrhen an aie hittten ihn gefunden. 



Die Kleider 
Dieselben 
Wie mein 

196 



keuhaus batten sie die erete Nacht gedacht, daaa er gestorben ware. 
Icb wurde abends telefoniach dorthin gerufen. Wir haben 2 Kinder, 
eina von 6 Jahren und eins von 7 Wochen. Bei einer deraxtigen A.uf- 
regung i s t bei mir die Milch vergangen...> 

Heute ist es ein franzosischer Arbeiter in Dusseldorf, ein 
Sowjetbiirger in Berlin, ein tschechischer Schriftsteller, die unter 
den Schlagen der SA zusainmenbrechen, morgen aber? 

4. Greuelmarchen. 

Der Terror der Verleumdung geht nicht mir vom « Fiihrer » 
aus Tausende von Agitatoren haben Hitler seit Jahren zu iiber- 
bieten versucht in Erfindungen von Greuelmarchen. Die Saat 
yvurde aus vollen Handen gestreut. Jetzt in den Friihlmgstagen 
erfahren wir erst, welch ein Unmass von Luge ausgeschiittet wor- 
den ist. Nichts ist so dumm, als dass es in Zeiten der Not nicht 
seinen Glaubigen fande. Ein Protokoll berichtet: 

tEin Arzt wird in einer Kaserne der SA blutig geechlagen und liegt 
scnwer verwundet auf dem Strohlager. Ein ins Zimmer eintretender 
SA-Mann verlangt, dass er aufeteht, wird aber von emem andereo 
autmerksam gemacht, wie es um den Arzt stehe. Diese Erklarung 
bringt den SA-Mann in hocbste Aufregung; er beginnt zu schreien, 
und man entdeckt, dass er von seinem GauWtaar folgende Schauer- 
mare gehort bat: alle Aerzte, die Juden sind, rSchen s.eh aeU Jahren 
Z jedem deutschen Madchen, da3 ibnen ins Krankenhaus geliefert 
"rd. indem sie ihnen heimlich die Eierstbcke p™"**^** 
mil r.ur das <Judenpack> sich vermehre und die Herrechaft ttbet 

SSJlSl.-^d- ~~— Gefangenen eineu Tritt in den 
Bauch.3 

Auch dieser SA-Mann hat direkt bei Hitler gelernt: 
cSo wie er (der Jude) selber planmassig Frauen und MMtoJ^ 
dtebt, so schreckt er auch nicht davor zuruck, selbst ,n grdseerem 
Unrfange die Blutscbranken fur andere ^^^ ^ 237 .) 

Der Terror auf dem Lande 

Hitler hat im besonderen Mass von de ^Pj^ die 
Hlle Provinzstadte umgibt Die Vorurte.le de Sta^scb , ^ 

reaktionaren Moralbegriffe des klemen .Burgers J g ^ 
der deutschen Provinz erhalten gebheben Mit ler^ * 
auch die Unerbittlichkeit der Sp^ c ?H "nzuzwelfein'und zu 
Aussenseiter zu verfolgen, jeden F °^ r d ! f he a ^ uc h aus der Pro- 
diffamieren. Viele Stiramen und Hitler ^daner . gt 

vinz zugeflossen. Der Stamrntisch, von dem Hii 

197 



m den Tagen des Terrors der Beratun K sort eMi k . 
provinziellen GeneralstSbler der Dorfcr U n , |? bl eben fUr die 
Hegt die Fiihrung beim Gutsbesitzer oder h J S '.- MeiS,enS 
zieren. Den Kleinbauern wird die sehw" \ eh , em:ih Sen Offi- 
der marxistischen Politik dargestelU Agrarknse als ™& 

Der Antisemitismus dienip dam as* t- 
denden K.einbande.s furs erst SU^^TE^S 
mer wurde in den Konkurs getrieben. Der jiidisch V hhLd er 

ZfiSh™ 11 , m UC xr ? ,S Ciner der H»«Ptschuldigeu an sei- 
nem Elend hingestellt. Viele wurden in den Tagen der nationa- 
ien Erhebung misshandelt und erschlagen. 

Man ging zu Erpressungen iiber. Der Gifthauch der Dennn- 
ziation strich iiber die Dacher der Hofe und Hauser. Sozialde- 
mokratische Gemeindevorsteher (in Oberhessen) wurden ge- 
lyncht. Jede Bestialitat gegen Kommunisten wird gebilligt. 

Seit der Macbtergreifung Hitlers erscbienen regelmassig in 
den Dorfern die Autos der braunen Rollkommandos, die den 
Stutzpunktfuhrer des Ortes in seinen Aktionen unterstiitzen. An- 
ze.igen fiihren zu Haussuchungen. Anschuldigungen zu Verhaf- 
tungen. Denunzianten werden zu Helfersbelfern. Au£ den Land- 
strassen werden Autos von der SA angehalten; zu Wucberprei- 
sen werden Hitlerbilder verkauft, die sofqrt an die Scheiben ge- 
klebt werden nuissen. Die SA zieht von Hof zu Hof mit Sammel- 
listen, deren Autoritat niemand unzuzweiieln wagt. Weigerun- 
gen, Geld zu geben, haben so sicher Sanktionen zur Folge, dass 
niemand diese Erpressungen zuruckweist. 

Die Bltttschuld tier Nazifuhrer 

Wie sehr die nationalsozialistischen Fiibrer verantworthch 

ergreifung. , . ~ Prick erklarte: 

Der jetzige Reichsianenmxn s er ^ Esche ^ 

tEe ist oi,ht schlimm, wenn eirnge Zehntausend 

Uonme zu Schader, ikonuwai > tagSj sagte in einer 

Stohr, der ehemalige Vizeprasident cies 

Oldenburg, Raven ^ ^ Zmltanl , teal . , m G.lge. d.„ 

<Wir warden <ne i>» * 
Sea »- FM« P* w, '» 



198 



Der Gauleiter Telschow sagte in einer Versammlung am 22. Ok- 
tober 1929 in Neuhaus an der Elbe: 

<Wir werden den Kampf mit alien Mitteln flihien, Im Kampf gibt 
es Leieben. Wenn es gegen den jUdiachen Janhagel geht, Bchreiten 
wir auch Obex Griiber. Es kann auch sein, dass manche Mutter ihr*n 
Sohn verlierl.> 

Am 10. Marz 1933 spricht der Reichsminister Goring in einer Mas- 
senversamnilung in der Ausstellungshalle von Essen. Das Land 
schreit auf gegen die Schandtaten der entfesselten SA. Der Mini- 
ster Goring aber erklart der Versammlung; 

<Lieber schiesse ich ein paar Mai zu kurz und zu weit aber ich 
schiesse wenigstens.> 

Mord dokument 

Gorings Wort fiel auf fruchtbaren Boden. Ende April erliess 
der Dortmunder Polizeiprasident Scheppman einen Befehl, der 
in seiner Art alle Polizeibefehle der modernen Geschichte iiber- 
trumpft : 

<In letzter Zeit sind wieder mehrfach kommunistische Flugblatter 
verteilt worden. Ich befeble der mir unterstellten Polizei, gegen je- 
den Versuch komraunistischer Flugblattverteilung sofort voa der 
Schusswaffe Gebrauch zu machen.> 

Der Terror war organisiert ! 

1. In der Nacht des Reichstagsbrandcs waren allein in Berlin 
fur die Gnnisamkeiten 30 SA-Kasernen vorbereitet. Stahlruten, 
Peitschen, Ketten, Stricke zur Fesselung, Wasserkiibel und Rizi- 
nusol waren eingekauft. Sie fanden in derselben Nacht schon 
4-nwendung. Allen Kasernen waren Aerzte zugeteilt. 

2. Aus vielen deutschen Stadten liegen Berichte vor, die be- 
zeugen, dass die SA an diesem Abend in erhohter Alarmbereit- 
schaft lag und die Wohnungen der Arbeiterfiihrer, ebenso Bahn- 
hofe und Postamter unter Kontrolle hielt. 

3. Die Auswahl der Opfer war in alien deutschen Stadten die 
gleiche. 

4. Die Verhaftungen wurden hauptsachlich der SA und ihren 
Spezialabteilungen iiberlassen. Die Polizei wurde in diesen Ta- 
gen nur beibegeben, da man ihrer noch nicht sicher war. 

5. Am 22. Februar wurde begonnen, SA als Hilfspolizei ein- 
zustellen; ein sicheres Zeichen, dass man grossere Aktionen 
plante und den legalen Schein wahren wollte, soweit es ging. 

199 



6. Schon am 17. Februar gab Goring in seiner Funktkm als 
Preussenkommissar alien Polizeibeamten durch seinen Sehiess- 
erlass voile Freiheit zu jeglichem Terror und zur Vollstreckung 
von Tc-desurteilen ohne jedes Gericht. Dieser Erlass gait nicht 
nur der Eruierung der skrupellosen und der zogernden Elemenle 
innerhalb der Schupo, er nahm den Mordtatcn der SA iegliche 
lllegalitat: 

«Wer in Aufiiibung dieser Pflichten von der Schusswaffe Gebrauch 
macht, wird ohne Rttcksicht auf die Folgen von mir gedeckt. Wer 
hingegen in falscher Ruckflichtsnahme versagt, hat dienstetrafrecht- 
lichft Folgen zu gewartigen. Jeder Beamte hat sich stets vor Augen zu 
halten, dass die Unterlassung einer Massnahme schwerer wiegl, 
als begangene Fehler in der Austibung.i 

7. In dem Blutkeller der Hedemannstrasse und in anderen 
Kasernen haben sich standig hohe Funktionare der NSDAP auf- 
gehalten. Sie leiteten die Misshandlungen und hielten Verhore 
ab. Es steht unter anderem fest, dass der SA-Fuhrer Graf Hell- 
dorf, der in taglicher Verbindung mit Goring und Hitler stand 
und steht, Paraden der Missbandelten abnahm. 

Unsere Dokumente 

In unserem Archiv liegen 536 Protokolle von schwer Miss- 

handelten. Die Tatsachen sind iiberpruft und richtig befunden. 

137 Atteste bestatigen schwere chronische Schadigungen 

dieser Opfer. 

375 Protokolle berichten von Reversen, die die Misshandelten 
nach den Folterungen untcrschreiben mussten. Die Gcfolterten 
haben noch im Folterhause best&tigen miissen, dass sie « gut be- 

handelt » worden seien. 

Unser Material aus den Stadten und Dorfern des Dntten 
Reiches lasst schliessen, dass seit dem 28. Februar ungefahr 
60.000 Menschcn misshandelt worden sind. 

Wir lassen nun die Opfer selbst sprechen: 

Sie itemicii sich Arbeiterfreuude . . . 

Ein Erwerbsloser, der bei Kommunisten gebettelt und I dart 

Hausarbeit gefunden hatte, sollte die ^^^J^ISZ 
raden durch Verrat belohaen. Seine Tapferkeit trug dun folgende 

Missbandlungen ein- Er schreibt: 

cMontag, den 6. Marz, 17 Uhr, eiwhieneo 2 SA-Leute «Jj*^ 
flihrer t der WohnUBgBtto des Abgeoj dne en , X und «*« ^ ^ 
lass. Da ieh mich in der Wohnung aufbielt, tun 

200 




Popoff 

ein Sijahriger bulgari- 
scher Arbeiter. wiirde 
1931 wegen revolutiona- 
rer Propaganda in Bulga- 
rien verhaftet und zu 
zwBlf JahroD Zwangsar- 
beit verurteilt. Es gelang 
ihm /.u ontl'liehen, er 
emigrierte naob Deutseh- 

laud. 



Taneff 

Mazedonisctaer Freiheite- 
kampfer, wurde in Plow- 
diw zu 12& Jahren Ge- 
ESngnifi verurteilt. Er eni- 
Uaiii oach Deutechland. 
Die Hitlerregierung ver- 
hai'iete PopoiT und Tanefl 
ans den gleichen ftlotiven 
wie D-imitroff. Der Ober- 
reichsanwalt haf gfcgfin 
Diraitroff, Popoff und 
Tanefl 'lw Ajiklage we- 
gen Braiulsliftuiig erho- 
ben. 







Wie Attentate fabriziert 
wei'den! 

Der Im-Iit Tagore, eia Neffe 
von Rabiadranath Tagore. 



eiuc0 attentats* 
ae&nt gitkr. 



f^nniing Bines infcifdlftt gommnniften 
uttb nnes ©liauffcaro in gnncvn. 

Selegrautm unfereS Stor*cHHMl>ettteM. 

2Ruiwf)MJ, 25. Slprii Ueber einen 51 1 te tt t a 1 3 pi a n 
qegen ben Sfaidjsaan^cr SlbuLf Sitter roirb mitgeteilt : 
9£uj ©mnb einet 92oct)rict)t bet i'irola (skenaftation toutbe 
am Ganntag in 3t i m (t i n g am Sfctemfee ein mil Uahenu 
Icbein Senn^id>eti unb itahemidjei ftlaage Derj«l)2ncS |5 e t= 
fonenauto a n q e t) a 1 1 e u unb be{d)lag,nat)mt 
Sic 3 n f a j f e n rautben o e t f) a | te t. G§ fjanbett firt urn 
nnenSnbti twmen-3 Sa gor t, bet bee tujl'ijdjen 
Kommunifti|d)en >Bartei anfldjBtt, unb oe|jcn 
ISIjaiiffeui, ben aiigeblidjen £eittfcf|ru}feii SJe&eia*. 
Da-S n-aio, ba3 jal)treid)03 un'O Derbarf>tigei5 ©epacfc entljielt, 
muiSe auf bet Strafe uad) SHUndjen fluacb/ilten S3 mat 
em attentat gegen ben IHei^fea'uUt 
g « p [ a ft t. Ser ^nbct vft em erraa Dienia Safe* a t« 
Mann M» frrkulijd)em fttapedxu.. & unb [em garter 
rourben am ©oimtag buid) oie ikmbeapirfijei natf> 9HumI;flt 
gebtadjt, ;;Denfo bee ffiraftroagen. 

3c itun 9 c,t crV,icnenc n 9btH «*« bic g^me C.ft * 3"* J 
Ijritcn imtcrnommen h>arb-cn iff- 



tjeren, fiffnete ich die Tfir, aber vorerat nur bifl zum Sperrhaken. 
Sofort erschien in dem TQrspalt ein Revolver und der SA-Mann ver- 
langte vdllige Oeffnung. Man fragte nach dem Verbleib des Genoa- 
sen X, den ich nicht angeben konnte. Daraufhin nahmen sie mich 
mit. Mit Motorrad-Berwagen fuhren sie mich nach der BSttcherstrasse. 
Dort begannen die Misshandlungen. Ich habe bia zu diesem Augen- 
blick, wo ich dieses schreibe, noch sichtbare Merkmale von all dem, 
was sie da mit mix trieben; beide Augen blau geschlagen, an der 
I in ken Stirnhalfte eine 4 cm groese verdeckte Risawunde, die Hande 
mit denen icb schreibe noch verschwollen und verkratzt. Man nanoW 
mich <Mordbuben> usw., ohne irgend einen Grund dafiir zu haben. 
Dann sollte ich mir das Blut abwasehen. Es floss mir aus Stirn, Mund 
und Nase. Kaum war ich gereinigt, so brachte man mich wieder in 
den vorderen Raum und schlug wieder neu auf mich ein. Ich suchte 
Schutz auf einer im Raum etehenden Bank und bedeckte mit beiden 
Handen raein Gesieht, urn so den SchlSgen auszuweichen, sonst hatte 
man mir sicher den Kiefer zerschlagen. Aber sie batten damit noch 
nicht genug*. 

Zusammen mit zwei weiteren Festgenommenea wurde ich in die 
Hedemannstrasse gebracht, in einer Taxe. Zwei Motorrader fub- 
ren als Begleitung mit. Bei der Abfahrt sagte man mir, 
ich kenne froh sein, dasB aie so human w&ren, in der Untergruppe 
wfirde anders <gearbeitet>. Beinahe bStte ich dariiber gelachl. 
In der Hedemannstrasae sagte ich beim Verhor, ich eei fechten ge- 
gangen und habe an der Wohnungstur von X inuner etwas bekom- 
men. Daraufhin sei ich Ofters hingegangen, auch um mich politisch 
zu unterhalten und schliesalich habe ich von Fran X Hausarbeiten 
ubertragen bekommen, Teppichklopfen usw. Ich sagte den SA-Leu- 
teu, dass ich sehr froh gewesen sei, von Kommuni9ten auf so »n- 
stSndige Weise behandelt worden zu sein. Ich sagte den SA-Leuten 
auch, ich sympathiaiere mit der KPD und habe Liate 3 gewMhlt 
Derauf sagte der Frageeteller; <Fflr Leute die die Wahrheit sagen, 
haben wir immer noch etwas ubrig. Wir wollen ja nicht Euch, wir 
wollen Eure Fuhrer vernichten und mit ihnen abrechnen.> 

• . . aber in Wahrheit verfolgen sie Taxisende von Arbeitera 

Hier ein besonders deutlicher Beweis dafiir. Es spricht ein 
Arbeiter, der in die Hedemannstrasse verschleppt war: 

<Am Abend des 5. M3rz wurde ich mit 6 andern Arbeitern In dem 
Lokal X in der Y-Strasse des Berliner Nordens von einer Schar 
umformierter SA-Leute uberfallen. Wir sassen dort, um die Bekannt- 
gabe der Wahlergebnisse zu erwarten. Die SA-Leute hielten una die 
Revolver vor die Brust und zwangen uns, mit erhobenen Hfinden in 
ihr Sturmlokal in der X-Strasse zu gehen. Dort wurden wir zueret 
emmal als ckommunistische SSue> blutig geschlagen. Dann kamen 
wir in ein Auto, das uns in die SA-Zentrale Hedemannstrasse 6 

201 



schaffte. Wir wurden in den 4. Stock gejagt uud unter dauernden 
Faust- and Reitpeitechenhieben durch einen langen Korrido "Sfil 
ben. Der Korndor war von oben bia unten mit <erbeuteten> Liat 
demokratischen Fabnen and Transparenten tgeschmUckt* An der 
Wand bing eine F lg ur in Rot-Frontkampfer-Uniform am Galgen die 
Ernst Thalniaun darstcllen sollte. 

Wir wurden in einen Gemelnschaftsraum bineingeprugelt Man 
zwang uns, unter <Hei] Hitler»-Rufen niederzuknien und das Vater- 
unfler zu beten, sodann das Horet-Wessellied zu singen Wer nicbt 
augenbhcklich gehorchte, wurde bewusstlos gepriigelt SpKter 
schleppte man uns an die Wand des Raumes, feuerte ununter- 
brochen Sal v en knapp tiber unsern KGpfen ab. Nachdem man 
una eine Weile hatle ruhen lassen, erfolgten die ersten <Vernehmun- 
gem. .Teder von una wurde einzeln in ein Zimmer gerufen, wo etwa 
6 SA-Leute mit Reitpeitechen standee. Bin Mann sass an der Schreib- 
masobine, Wir mussten uns vo list an dig ausaiehen, und 
man erklarte uns, dass wir Bolange geschlagen warden, bis war alles 
auegesagt taatten. Man verlangte die unmoglichsten Gestandnisse von 
uns. Gefragt wurde nach Namen und Adressen von kommunistiscben 
Funktionaren, nach angeblichen Verstecken von Waffen und Verviel- 
faltigungsapparaten. WShrend dieser Vernehmung schlug man un- 
nnterbrochen auf uns ein. Dann wurden uns J^stOndige Bedenkpau- 
sen gegeben, nacb deren Ablauf die Folterungen von neuem be- 
gannen. 

Einigen Anlifasohifcten, die fruher der SA angehdrten, wurden die 
Haare geschoTMi tea auf s?ue zusammengbbundene Stirnlocke. Una 
wurde erklart daw diese Leute am nEchsten Morgen erscbossen 
wurden. Als wir kamen. Ingen «i* bereits besinnungslos im Gemein- 
aebflftsraum. Au&ser uns waren noch etwa ~>0 weitere eozialdemokra- 
tische und kommunfctsciie Arbiter im Gemeinschaflaraum. Bei der 
Entlassung wurde una ein Re\ers vcrgelegt mit dem Inhalt, dass 
wir ohne gesundbeitlicbe SchBdigting das Haus verlassen baben. 
Wir untercahrieben. Zwei meaner Oe*fl>rten faad ich erst im Kran- 
kenhaus (Am Friedrirhrtiain* wieder. Einen davon mit Halssctauf*.> 

Wir lassen diesem deutlichen Dokument noch eine Reihe 
weiterer Berichte misshandeltcr Arbeiter folgen, um darzulun, mit 
welchen Aktionen die nationalsozialistische Bewegung uberall ihre 
amtliche Periode begann: 

•eBedeckt mit Wunden* 

cDer Arbeiter J. M. aue der Werderstrasse in Bert* «t fc< Jer MacW 
vom 27. zum 28. 8. von der SA abgeholt und in der ^"^JJVJ 
der Rudowerstrass* Bchwer misshandelt worden. Se.n gamer Harper 
1st bedeckt von offenen Wunden.* 

202 



Die Wohnung wird zerst&rt. 

<Der Arbeiter K. aus Schfineberg, der als politischer Funktionar be- 
kannt war, wuru* am Montag nach diesem Ueberfall in eeiner Woh- 
nung nufgesuchl, dort mU Stahlruten achwer verwundet und dann 
nach einer SA Kaserne abgesehleppt. 1m Augenblick ala dieser Be- 
riclit niedergefichrieben wurde, war noch nicht bekannt was mit dem 
Arbeiter ge word en ist. Seine Wohnuig war bei dem Ueberfall van 
der SA vollkommen zertrilmmert worden.» 

[tiicksichtslos uird geschosaen. 

cDer Arbeiter Max F. in W M Prov. Brandenburg, wurde nachts von 
etwa 40 bewaffneten SA-Leuten uberfallen. Die Wohnungsttir wurde 
eingeechlagen. Die SA-Leute achossen aofort wild in die Wohnung 
liinein. F. konnte sicb trotz eine9 gchweren Gesas6chusses durch 
einen Sprung aus dem Fenster retten. Aui der Flucht erhielt er noch 
einen Ann- und Brustatreifschuas. Er entkam und fand Aulnahme 
in einem Krankenhaua. Dieser Aufenthaltsort musste etreng geheim 
gehalten werden. da die Angehorigen seit jenem Ueberfall taglichen 
Dioliungen ausgesetzt sind.> (Genaues Material iiber diesen Fall ent- 
hiilt anger Archiv.) 

Die Kvochen zerbrochcn ! 

<Der 36jahrige Arbeiter Paul Paprorki aus der MaLplakstras9e 23, 
wurde in der Nacht void 96, zum 27. M. urn 3 Uhr au3 der Wohnung 
herausgoholl. Eine irrOssere Abteilung SA brachte den Verhafleten 
in das Sturmlokal in der Utrecbteretraflee, wo er nach Adreasen von 
Funktioniiren gefr&gl WUlde- Ala er sicb weigerte, die Adres- 
sen bekannt zu u.-L-n. :annen die Misshandlungen. Nach 

einigen Stnndeia tint man ihn mit schwereu Schlagverletzungen und, 
wie die arztliche Untersuchung ergeben hat, 9ehr wahrscheinlich 
auch mit einem komplizierten Wadenbeinbruch entlassen.> 

Voter a user- Be fen odcr Lederkoppel iiber den Schddel, 

<Der lPjahrige Arbeiter Kurt Hackenbusch, Griinthaleratxasse 63, 
wurde zusamroen mit 3 Freunden am 26. 3. verhaftet und in das Lo- 
kal Prinzenstrasae gesehleift. Misshandlungen mit sehweren Leder- 
koppeln. Die Gefangenen weigerten sich, vor der veraammelten SA 
das Vaterunser zu beten. Neue Misshandlungen. Nach einigen Stun- 
den warden die Gefangenen zu einer Unfallstation gebracht. wo die 
unter Drohungen erklSren mussten, die SA-Leute bitten sie vor ei- 
aem Ueberfall gerettet Hackenbusch trug neben Blutergussen in 
Gesicht und Rucken eine schwere Kopfwunde davon.> 

.Arbeiter Jacob Ickler, Kassel. Kette n ga S se 4, . Anfang der 20er Jahi* 

203 



Ges&ss und Oberechenkel. Ein Srztliches Attm,* /;«, a u- 

nigt den Bcfund.* (Der Name des Arztes t W h C ntE ' *'"** 

es in, Deutsch.and des dritten ReichenVS X^iSS £ 

Urin fiir den Durst 

Der sozialdeinokratische Reichstagsabgeordnete, ehemalige 
Reichsnunistcr. Wilhelm Sollmann, schreibt uber seine Miss- 
handlung durch SS und SA: 

<Am Donnerstag, den 9. MSrz, nach 3 Uhr nachmittags, fuhren vor 
meinem Bause, in KSln-Rath, 3 mit SS und SA-Leuten besetzte Autos 
vor. Da ich gerade ein Gesprach mit einem Stadtverordneten ffihrte, 
konnte ich noch in den Apparat rufen; <SS dringt in mein Hans ein, 
das Ueberfall-Kommando alarmieren.> 

In diesem Augenblick sttirmten mehrere Leute mit schussbereiten 
Revolvem, mit Beilen und mit hochgeschwungenen Messern in raein 
Arbeitszimmer. Noch ehe ich ein Wort sagen konnte, wurde ich an 
meinem Schreibtisch niedergeschlagen. Die Leule waren in einer Art 
Raserei, au3 Mass und Frcude, daea sie an mir Rache nebmen konn- 
ten. Der grosste Teil der Leute verteilte sfch auf die ubrigen Zim- 
mer des Hauses und schlug buchatablich in wenigen Augenblickea, 
alles kurz und klein . . . Ich wurde unter Faustschlai*cn in ein of- 
fenes Auto geworfen. Meine Frau rief: <Wo bringen eie meinen 
Mann hin?» Einer antwortete grinsend: tDas werden sie achon er- 
fahren.> Man fuhr mich zunachst Qber die ETelde, dem Walde zu. Da 
ein vor mir sitzender SA-Mnnn dnuernd mit dem Revolver vor mir 
herumfuchtelte, nahm ich an, dass man mich im nahen Walde erle- 
digen wollte. Man fuhr mich aber unter dauernden Beschimpfungen 
von teihveise geradezu irrsinnigem Charaktei uber Briick nach Ka!k. 
Dort wurde laogsam gefahren und auf der belebten Hauptstrasae 
wurde ich imrner wieder den Passanten sozeigt: <Das ist der grosse 
Sollmann 1 Sehl vvie klein !> Man schaffte mich in die Gauleitung der 
Nationalsozialisten in der Mozartstrasse. Mit Faustschlagen, Fusstnt- 
ten und Hieben, wurde ich die Treppe hinauf in ein Konferenzziro- 
mer gejagt Man hatte die Jalousien hcruntergelassen, sodass der 
Raum im Halbdunkel lag. Hier eollte ich vor ein Tribunal gesteiit 
werden. Auf dem Tisch war ein grosses Hakenkreuzbanner ausge- 
breitet Ich sah, dass mein Redaktionskollege Efferoth in der Nahe 
d<» Fenetere sass, fihnlich zugerichtet wie ich. Kaum hatte ,cb newn 
Efferroth Plata genommen, so setzte die mehr a!s .weistundige toi- 
trrunc ein. 

Kunlrh.t bielt ein Mann in SA-Unifonn den mein KoHege a s c* 
Stadtverordneten Ebe.e bezeichnete, e»e kuxze Red W *» » ^ 
m |etZ| Vwgeltung gMibt werde. Dann neieo 
dagen Qber una her. 

20A 



Btwfl te Slumle lagen Efferoth und ich aui dem Fossbodan, so f-r- 

richopft. tias& wir una niebl mehr erheben konnteri. Inmier wiecier 
wurden wir aber mil FausUchlagen und Fusstritten behandelt, zwi- 
schenduirh auch an den Haaren gerissen, und mit den Kopfen #egen- 
einander gestossen. 

Schliesslich riss miui uns hoch, wir wurden auf die SU'ihle gesetzt, 
einer Well uns hinter der Stuhllehne die Hande zusammen, ein zwei- 
ter zwang uns, die Zahne zu offnen, und ein diitter goss uns je % Li- 
ter Rizinus in den Schluad. Der eiae Folterknecht rief nach Salz, um 
unswe Qua.'en zu vennehren, aber anscbeinend war nicht so ras':h 
Salz aufzutreiben. Dann gonnte man uns wieder eine kurze Pause. 
[Cb bat um ein Glas Wasser. Als icb es erhielt, sab ich, dass das Was- 
ser eine verdachtige Farbung hatte und ich benutzte es daher nur 
zum Waseben meiner blutfiberstromten Hande. Einer rief darauf: 
«Warum saufst Du das Wasser nicht?> Wir wurden nur geduzt. In 
demselben Augenblick warf er mir das Glas mit dem Rest der Flu9- 
sigkeit ins Gesicht. Nun gabs wieder Faustschlage und Fusstritte. 
PIStzl'ch kam eine gewisse Unruhe in unsere Foiterknechte. Ich 
nahm an, dass inzwischen die Polizei von den Ueberfallen und un- 
H-rm Vorschlepptwerden Kenntnis erhalten habe. Gegen 5 Uhr ergriff 
uns die S3 und warf uns unter dem Ruf: <In den Kohlenkellor!> 
buohstflblicb die Treppen binanter. Dei ttoblenkeller war anscheinend 
nichl gefiffnel und man srli a habea, uns los zu werden. Mao 

trieb uns desbalb outer Deuec FavisUchlii^en und Fusstritten — un- 
seri" Goaichter wares Inn blutende Masse — fiber 

die Strasse zu einem Aulo. I>ort n :i wir uns auf den Boden 

bocken, Ein Mann oeben r, seiner Bpiteren Andeu- 

tung nach, ein frflherer 0f1 -en sein muss, rief herunter: 

<Tretet sie in den Arscbl sofort befolgt wurde. 

Die Mieshandlungen warden i:n gesehlossenen Auto fortgeaetzt; icb 
erhielt einen FaustbChlftg auf da- te Auge. Wir hielten am Po- 

lizeiprasidium, dt- r ReiehatagBabgeordnete Sdialler, der den Trans- 
port geleitet hatte, offnete das Tor. Wir wurden, obwohi wir fast 
zusammenbrachen, gezwungen, im Galopp uber die Ganpe und fiber 
die Treppen zu jagen . . , Einer sagte: <wir mu?slen am nacheten 
Tage vor dem grossen Fackelzug der Nazis hermar^tiiieren und am 
Schluss wurden wir auf den zusammengeworfenen Fackeln ver- 
brannt . . . Der Polizeiprasident schlug uns vor. wir mSchten uns in 
Schutzhaft begeben. Ich wies auf meine parlamentarische ImmunitSt 
bin. Er schloss sich meinem Standpunkt an, bat rnich aber dennoch. 
mich mit Efferoth ins Gefangnislazarett einliefern zu Ia?sen. 
Im Lazarelt wurden wir verbunden und genaht. Wahrercd der Fol- 
terung hatte der eine der SS-Leute lanirsam und wohlber^chnet raei- 
n*Mi^ Frpunde Efferoth ein Messer in die Seite gedrflckl Der Arzt 
erklart* 1 . daaa der Stich lebensgefahrlich gewe&eu sei. wenn er einon 
GDI liefer gegang<m ware . . . Am andern Tage stand in der Pree?e 
Ha Bericbt, wir eeien von politisch Anderedenkenden ftberfallen 
i und batten <leichie> KSrperscb&den edition. 

206 



Sie folteni cincn Arzt und seine Frau 

Am 6. &., um 4 Uhr friih, schellte ea an der Wohnungstiix. Mehrere 
Manners timraen riefen: Hier ist die Polizei! Aufmachenl Meine Frau 
erwiderte: <Bitte konimen Sie morgen frilh, in der Nacht mache ich 
nicht aufl> Es folgten mehxere starke Schlage gegea die Tiir, sie 
wurde eingeschiagen und 5 Manner in SA-Uniform ohne Polizeiab- 
zeichen, mit vorgehaltenern Revolver und Maschinenpistolen, dran- 
gen in die Wohnung ein. Meine Frage, «\vas wollen sie?» beantwor- 
teten sie mit mehrerem Gummiknttppelhieben und Faustachlagen. 
cHalts Maul, hat Dich jemand gefragt?* Sie kommandierten <HaVnde 
bochi. Einige fassten mich am Kragen und driickten mich an die 
Wand. *Es ist aus mit euch Juden, bolschewistisches Pack.» Als ich 
etwas erwidern wollte, schlugen sie erneut auf mich ein. 

Sie durchsuchteo die Wohnung, schlugen die Schubladen meine*a 
Schreibtisches ein, fiillten einen Koffer mit Biichem, Schriften und 
Korrespondenzen und befahlen <Raual> Meine Frau, die mich nicht 
in den Handen dieser Eindringlinge laseen wollte, kam unaufgefor- 
dert mit Sie stiessen mich mit Fusstritten die Trep-pe hmunter. 

Als meine Frau sich eine solche Behandlung eines Kranken ener- 
gisch verbal, wurde sie beschimpft und aus dem Sitz un Auto ver- 
dran^t. *Du freche Sau, sei ruhig, sonst kriegst Du aucb.* Das Auto 
hielt%or einem Haus, vor dem eine Schar von SA und SS atanden. 
Kaum aus dem Auto ausgestiegen, wurden wir mit Gummiknttppel 
und Hundepeitsche 4 Treppen hochgejagt Da ich infolge einer 
Krankr^it (Grippe, Herzmuskelschwache) physischen Anstrengungen 
nicht gewachsen war, schlugen sie voll Wut auf mich ein, bis ich 
Em letzten Stock war. Ich wurde in einen Korridor hinemgestossen, 
ich und meine Frau museten dureb ein Spalier von SA-Leuten, die 
sich mit Schlagen auf uns sttirzten. Ich wurde dann in ein besonderes 
Zimmer gebracht, Ich erklarte, dass es sich bestimmt um ein Miss- 
veretandnis handelt und bat, Aufklarung geben zu konnen.* 

Der Gefangene, der seit 7 Jahren an Berliner Krankenhau- 
sem tatig und zuletzt leitender Arzt einer Fachabteilung im 
Stadtischen Krankenhaus in Neukolln war, erfuhr erst nach lan- 
gerem Verhor, dass er unter der unsinnigen Anklage stand, 
Reichspropaganclaleiter der Kommunisten gewesen zu sem. Seme 
Unschuldsbeteuerungen wurden mit Misshandlungen beantwortet. 
Er berichtet weiter: 

cSie stolen sich auf mi* mit bestialischer Wut, mit ^** fl £ 

Kopf, sie spraagen auf T.sche uud StuWe. und f£f™ verstumra . 
voe oben. Blut iiberstr6mte mem Oesi*t, nu " ' Pfeifea lm Un- 
teo bald. Einige Schlage mit eira E.sen f^^Jn 
ken Ohr, ich taumelte und bracb bewusfitlos zusamraen. 

206 



Anitliche 

Bestatig-ungcn des Tcrro rs 









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■htf M>j1«0MMlBHf, 







— ■M3S£e£^ £ssg ^_jr r f. 



.Hi.. 



D»c AffesfcantfeJten Ziaben die 

Kosten filr die Hiilfelehtung 

* € * Rettungsamtes selbst zu 
tragen. 






207 



Der Misshandelte erzahlt dann weiter, dass er bald in einen 
lebensgeiahrlichen Zustand kam, und dass man sich gezwungen 
sah, ihm auch arztliche Hilfe angedeihen zu lassen. Trotzdem er 
mit einem plotzlichen Versagen des Korpers jeden Augenblick 
rechnen musstc, hat er die geistige Kraft behalten, die Vorgange 
urn ihn herum genau zu beobachten. Wir geben im Auszug einige 
der wichtigsten Schilderungen: 

elm Zimmer sasseu junge Menschen, mit blassen Gesichteru, manche 
hatten Kopfverbaade. Sie warteten auf das Verhor. Oefters kamen 
SA-Leute herein und verlangten, dass alle Haftlinge sofort aufepran- 
gen und sie mit cHeil Hitler* begriissten. Die dieser Aufforderung zu 
langsam nachkamen, wurden unter Peitschenhieben gezwungen, auf- 
zustehen und 9ich wieder hinzusetzen. Dies wurde 10 bia 15 mal in 
immer schnellerera Tempo wiederholt. 

Es kamen SA-Leute und holten aus den Schreibtischschubladen Re- 
volver und Munition. Die Schubladen waren voll Revolvern, und 
jeder suchte sich einen nach Belieben aus. Andere kamen und such- 
ten die Eintragungsliste fur Freiwillige nach Oest&rreich (!) 
Ein Mann der einige Tage vorher einen SA-Mann beleidigt hatte, 
war aus dem Belt geholt worden und in dieser Nacht verhaftet war- 
den. Eine Frau, die einem, der von den Kommunisten zu den Nazis 
iibergegangen war, Gesinnungslosigkeit vorgeworfen hatte,, war in ih- 
rer Wohnung verhaftet und hierher geschleppt worden. 

Plotzlich rief man aus: cPieck und Ullstein sind verhaftet undwerden 
hierhergebracht!* Die SA-Leute kamen in eine Wutextaee. Sie 
schwangen die Gummikniippel in der Luft herum. <Sie mdgen nur 
kommen!> Man meldete, der Ar beater Schulze ware gekommen. Alle 
SA-Leute gingen aus dera Zimmer. Eine Viertelstunde lang horte 
man sie auf dem Korridor wtiten. Dann wurde ein kleiner, ungefahr 
30jahriger Arbeiter durch die Tiir hereingestossen. Sein rechtes Auge 
war voll Blut. Bei dem VerhSr gab er zu, Mitglied der <Roten 
Hilfe> zu sein. Man beschuldigte ihn, bei der Ermordung eines SA- 
Mannes betoiligt gewesen zu sein. Er bestritt dies'. Er sagte, er ware 
wegen dieser Verdachtigung schon in der Untersuchungshaft geweaen 
und freigelassen worden. Es wurde mit Hundepeitschen geschlagen, 
und es wurde ihm befohlen, jede an ihn gestellte Frage mit c.Tawohb 
zu beantworten. Man schlug so lange auf ihn ein, bis er cJawohb 
sagte. <Bi-st Du der Mdrder, Du Schuft?> <Nein> erwiderte der Ar- 
beiter. <Nein?> Man schlug noch heftiger. Das ganze Geeicht war 
schon blutiiberstromt. Er wischte das Gesicht mit dem Aermsl ab. 
<Eben hast Du es zugegeben!* Antwort: <Dies war erzwungen.* Sie 
schlugen ihn wieder. Er wurde gefragt, wieviel Kinder er in die Wolf 
gesetzt habe und mit wieviel Frauen er geschlafen habe. Ob alle Kin. 
der aolche Tdioten waren wie er. 

Dann wurde er in die Kiiche geschickt, urn kurz gesehoren zu werden, 
Als er wiederkam, wurde er "einem 80jahrigen gebrechlichen Herrn, 
Pastor aus Lichterfelde, gegeniibergestellt. Der weisshaarige aite Herr 

208 



sollte ihm die Hand reichon und ihn mil tauten Tag, Genossel* be- 
griissen. Der Alte reichto ihm seine Hand und sagte: cich driicke 
Ihre Hand, Sie sind ein leidender Measch,> Alia lachten. cSo, Du 
begriisst einen Mdrder!* Der A.U Q erwiderte: <Und wenn, sogar, er 
[g| ein geplagter Mensch, und Ihr seid die Verkorperung der Gewait, 
und sie iat nicht ewig. Meine Ueberzeugung kdnnen Sie nicht mit 
Gumnukntippel uustreiben, Sie sind national und ich bin internatio- 
nal.* Dieses rautige Benehnten dee Greises schilchterte einige der 
Peiniger ein. Als sich doch welche auf ihn stttrzten, wurden sie von 
ancern daran gehindert.» 

Welche Qualen inzwischen die Frau des Arztes ausgestan- 
den hat, erhellt aus der Fortsetzung des Berichtes: 

<tfaeh MitternachL wurde ich durch mehrere Hande in das Verneh- 
mungszimmer geschleppt. Dort traf ich meine Frau, blase wie ein 
Gespenst. Sie flusterte mir in ihrer Muttersprache zu: <Ich kann es 
nicht mehr aushaJten. Ich werde mich aus dem Fenster sturzen! Ich 
kann nicht mehr! Man will Dich zum Tschekaspion abstempelu und 
erechiessenl* <Mach nur keine Dummheiten, nimm Dich zusammenl* 
Dieser Wortwechsel loste ein Wulgescbrei bei dem verhorenden SA 
Mann aus, der Bicb vor Mudigkeit (Betrunkenheit?) kaum aufrecht 
halten konnte. Meine Frau wurde hinausgefiihrt. 
Mein Zuetand wurde schhmrner, und ich verlangte nach einem Arzl. 
Ich wurde in das Zimnier des Steffelfuhrers gebracht. Auf Verlangen 
meiner Frau wurde ihr gestattet, mir loffelweise Getranke einzu- 
geben.> 

Trotz des kritischen Zustandes des Misshandelten, gab die 
SA-Abteilung ihre Absicht nicht auf, dem Arzt die GestSndnissc 
zu erpressen, die sie haben wollla Man schickte ihni einen bul- 
garisch sprechenden Spitzei, der ihn zum Reden bnngen sollte. 
Der Spitzcl war genau im Bilde, wie er sich in der haserne ne- 
nehmen durfte. Der Arzt schreibt daruber: 

<Er zog den Revolver heraus und rief: cDrei Kugelu, eine in die 
Mm, eine in den Mund, eine in den Bauch und S^J^^^^^; 
Misthaufen.* Ich lag stumm und regungslos. . . ^ oh ^ff h fZ 
Fauste und schlug mir in 3 Gesicht: cln ein P^.^^ te ; p f s fJ b e 
Ihnen zu Ende. Hier am Fensterbrett werde ich D«h tangen. So babe 
ich in Kiew gehangt. Nur einige Minuten noch wenn ,ch aus d 
Zimmer heraus bin! 1st es zu .pat- Sagst ^ f «ier nicht! Du 
der Schuft! Was tut die Tscheka, was treibt die u.r.u. 
Ich lag regungslos, mil voller Wucht vereetzte er mir einen 
tritt in den Bauch. Ich verlor die Besinnung.> 

ai Wir bringen in unserm tel ft fffCfgASS 
die uns der misshandelte Arzl als Beweis fur jene acuro 

railgebracht hal. 



Sie locken cincn Arzt in den Hinterhalt 

Wir cntnehmen der Snarbriicker «Arbeilerzeilung» vom 
14. 4. folgenden Bericht: 

<Am 17. Marz fand eiae der regelmassigen Zusammenkunfte der Me- 

dizinischen Geeellschaft (Berlin) statt. Nach dem Vortrag bat der 

erste Vorsitzende, Professor Goldscheider, Leiter der Univereitats- 

khmk, em Mann von 70 Jahren, die Kollegen, noch einige Minutcn zu 

bleiben, well er ihnen einen besonders interessanten Fall vorzuiiihren 

habe. Daraul' wurde ein vollxg verbuudener Patient hereingerufen, 

und Professor Goldscheider erklarte: «Meine Herren, dieser Patient 

ist unser Koilege Dr. Lust. Vorgestern wurde er abends telephonisch 

zu einem Patienten nach Lichterfelde gerufen. Ala er hinfeam, 

wurde er von SA empfangen und so furchterlich zugerlchtet^ Bei 

diesen Worten entstand eine ungeheure Erregung in der Versamm- 

kmg. Der weltbekannte deutschnationale Professor Sauerbruch sprang 

spontan auf und erklarte sich bereit, das Opfer der SA in seine 

Klinik zu nehmen. Infolge dieses Erlebnisses verbreitete sick in 

grossen Schichten der Berliner Aerztesehaft eine Panik, denn viele 

fiirchten, daes, wenn sie zu Patienten gerufen werden, ihnen ein ahn- 

liches grauenvolle* Schicksal bereitet werden konnto 

Eine funfzigj ahrigc Fran wir<l gepeitsclit 

(Zeugenbericht — Photodokument.) 

In der Nachl vom Montag, dem 20. Marz zum Dienstag, dem 
21. Marz, wurde die sozialdemokratische Stadtratin Marie Jan- 
kowski (Bergmannstr. 18, Berlin-Kopenick) in ihrer Wohnung 
uberfallen. Ein Auto der Wascherei Miethke, (Kopenick, Karl- 
strasse) hielt vor dem Hause. Zwanzig SA-Leute sprangen ab 
und erbrachen die Haustiir, besetzten^ Hausflur 'und Treppe. 
Sechs Mann drangen mit vorgchaltenem Revolver in die Woh- 
nung ein. Frau Jankowski wurde zusammen mit zwei kommu- 
nistischen Funktioniiren, die bereits im Auto festgehalten wur- 

den, zum Verkehrslokal der Kopenicker SA (Elisabethstrasse 29) 
gebracht. 

In einem Schuppen auf dem Hof wurde sie gezwungen, sich 
nackt auszuziehen, und auf eine Holzpritsche gelegt, die mit 
einea schwarz-rot-goldenen Fahne bcdeckt war. Vier Mann hiel- 
ten sie fest, einer druckte ihr Gesicht in ein Biindel alter Lum- 
pen. Zwei Stunden lang wurde die 50jiihrige Frau erbarmungs- 
los mit Kniippeln, Stahlruten und Peitschen gepriigelt. 

Nach der Torlur wurde Frau Jankowski auf die Strasse ge- 
sctzt. Urn fiinf Uhr friih fanden sie Passanten und brachtcn sie 

210 



Taxe nach Hause. Die Aerzte stellten fest, dass Lebens- 
in ciner up S tand. Eine Nierc war abgeschlagen worden. Buch- 
^'U^.h keine einzige Stelle am Korper war heil geblieben. 

Antoniusspital in Karlshorst gab Frau Jankowski fol- 
gendelussagen zu Protokoll: 

Wahrend ich geschlagen wurde, befahl man mir immer wie- 
Adressen und Namen von Arbeitern anzugeben. Ich musste 
^ P rben der Republik aufzahlen und fur Schwarz-Rot-Gold 
d 'm iHi Schwarz-Rot-Scheisse sagen. Es wurden mir Fragen 
S ° i lit wic Hast Du Geld vom WoKlfahrtsamt bekommen? 
ufJ DU Kommunisten aufgenommen und gefuttert? Hast Du 
SSiiihe van Arbeitslosen gestohlen? Hast Du eine Boykotthste 
Nazigeechaften vorbereitet? Jedevsmal wenn ich verneinte, 
erhielt ich eine Tracht Schlage. Wenn ich schrie, driickte der 
fiinfte der Peiniger mein Gesicht in die Lumpen. 

Nachdem ich mindestens hundert Schlage erhalten hatte, 
fiel ich von der Pritsche herunter. Ich wurde wieder hochgeris- 
sen und so heftig ins Gesicht geschlagen, dass ich in eine Eoke 
Stiirzte. Dabei wurde mein Knie verlctzt. Dann musste ich zu- 
sammen mit den beiden kommunistischen Arbeitern, die eben- 
falls gefoltert wurden, singen: c Deutachlaad, Deutschland iiber 
Alles ». 

Ich wurde gezwungen, eine Erklarung zu unterschreiben, 
dass ich aus der SPD austreten, dass ich niemals mehr palitisch 
tatig sein und mich jeden Donnerstag bei der Nazi-Befehlsstelle 
melden wilrde. Darauf trat ein Wechsel in meiner Behandlung 
ein. Ich erhielt ein Glas Wasslr. Meine Kleider wurden ausge- 
biirstet und zuriickgegeben. Der Sturmfuhrer befahl einem SA- 
Mann, « die Dame hinauszuiuhren ». Der Mann stiitzte mich, als 
ich zu fallen drohte und schloss die Tiir hinter mir mit einem 
hoflichen « Guten Abend », 

Der Gatte erstattete Anzeige bei der Polizei, erhielt aber die 
Auskunft, das die Polizei machtlos sei, 

Was hat die jungen Burschen zu der unmenschlichen Grau- 
samkeit veranlasst, die hier in Bild und Protokoll festgehalten Est? 
Sie marlerten eine Frau, die seit Jahren an verantwortlicher 
Stelle Not gelindert hatte, die dem Alter nach ihre Mutter sein 
konnte. Man sage nicht, dass es sich um einen privaten Racheakt 
handelte. Die Burschen schlugen die nackte Frau ja nicht nur, 
sie fragten nach Adrcssen der SPD. Sie handelten im Auftrag 
der SA-Ffihrung, Die rTuhrung hat das Verbrechen nicht nur ge- 
Mckt, sir hat sogar, als der Fall im Ausland bekanni wurde, gegen 

211 






die lodkratike Frau, die ihr Leben \ana an ri n „ x? i 

leiden wird, ein Verfahren wegen *V erh ~?, gC " dGf Folter 
meldungem angestrengt. S "Verbre.tung von Greuel- 

Nervenarzt nach Misskandlnngen rtes Landes verwiesen 

halten. In den zwei Tagen wurde er mehreren Ve r h6re n nnter" 
worfen und immer wieder mit Stahlruten und HundepeTschen Z' 
schlagen D.e Spuren der Misshandlungen und eineXch Pe ?t" 
schenhxebe verursachte Augenverletzung sind nach der EnUassung 
Dr. Fraenkels einwandfrei festgestellt worden. Dr. Fraenkel ll 
am Donncrstag dem 23. Marz, enllassen worden, nachdemeV fS 
s ch und seine Frau einen Revers unterzeichnet hatte, durch den 
lassen Verpfllchtete " D eutschland scfort und fur immer zu \ er - 

Dr. Fraenkel, der diesem crpressten Zugestandnis nachkam 
und nun in der Emigration lebt, berichte. u. t iiber S e vStaS 
m der Naz.kaserne foJgende Details: vor ange 

<Wahrend meines Aufenthaltes sind in dem Raum, in (km icb mich 
befand, ungefahr 15 junge Arbeiter eingeliefert worden. Ich bezeu- 
ge dass d.ese jungen Arbeiter auf die grauenvollste Weise misshan- 
delt worden smd. Als Arzt kann ich die Ansicht vertreten dasjs 
mmdestens 8 von ihnen schon ihren Verletzungen in der General- 
Papestrasse erlegen sein miissen. Die Arbeiter aind, nachdem man 
sie gebunden und mit brennenden Zigaretten in die Fussohlen ge- 
brannt hat, von den SA-Leuten noch stundenlang grausam gefoltert 
worden. Gleichzeitig mit mir war ein Dr. Pbilippsthal aue Berlln- 
Biesdorf eingeliefert worden. Dieser Kollege wurde sehwer verwun- 
det. Teh hege sebwerste Bedenken am Aufkommen dieses Arztes,> (Dr 
Philippsthal wurde am 23. 3. nach dem Urbankrankenhaus iiber- 
tuhrt und ist dort tatsachlich gestorben.) 

Reichsbannerleute und Funktionare 
in der Folterkammer 

In den Dementis der Naziregjerung wird immer wieder der 
Versuch gemacht, die Exzesse in den SA-Kasernen als Willkiir- 
akte einzelner SA-Leute darzustellen, Wir bringen hier mehrere 
Berichte aus der Stadt Kassel, aus denen einwandfrei hervorgeht, 
in wie engem Zusammenhang die Misshandlungen mit der offi- 

212 



rielien FJrung der SA ortolan. Man hai sich nichl vie] M&he 
"geben, Verhor und Misshandlung, die in verschiedenen Htamn 
JJ g I e i c h c a II a us e s stattfandcn, vo a einander itaffX 
H&ufig to! man dass _ die Verhafteten nach einem aus 
D ahmswcise gehnden Verhor .enllassen. wu. den, darm aber be 
reils auf der Treppe von der SA jr .NachbehandK SJwE 
un d in den Keller geschleppl wurden. * wgruien 

Der Rcichsbannerluhrer Hans Quer gibt zu Protokol]- 
cAm N- 3 88, kurz nach J Uhr von 4 SA-Leuen und einem Zivilisten 
auts Dienstzimwer 51 aufs Rathaus geholt. <Herr Quer Sie mussen 
mitkODunen.* Am Ilandgelenk von zwei Leuten festgehalten Fiei 
treppe Iimuntergefiihrt. Voa mehreren SA-Leuten, die obea auf der 
Treppe standen, wurde zum Publikum gerufen: <Jetzt koramt der 
Reiehsbannergeneral Quer!> In die Burgersale gefiihrt. Namen des 
einen begleitenden SA-Fuhrers: Dippel (Steinhager-Vertreter, zuletzt 
am Wohlfahrtsamt besehaftigt, linterschlagung begangen e'ntlassen 
und zu 4 Monatcn Gefangnis verurteilt). Von einem SA-Mann nach 
Personalien gefragt, deegleichen nach Parteizugehorigkeit. Hierauf 
Mitleilung, dass ich entluseen sei. 

Auf dern Gang hielten rnich 2 SA-Leute an, dass ich noch nicht gehen 
kfinne, Einer gfog IflB Zlmmer ZU dam SAMann, der die Personalien 
noiiert hatte. Kam oacb fcurzer Zeil wieder, macbte eine Handbewe- 
gung, die andeuten aollta, da* Ich in den Keller gebracht wiirde. 
Dort wurde Ich von 10 bla 16 SA-Lenten in Bmpfang ^onommen, die 
mlch aufforderten, sofort Mantel und Hut auazuziehen. Danach gewalt- 
sam in einen duaklOQ Kelli uhrt. in dem eine Pritsche stand. Ein 

SA-Mann ging mit aloer Taechenlaterne voraus uod leuchtete. Die 
Lampe ging aus. Qewaltsam aber eine Pritsche geworfen und mit 
Gumniikniippeln [q einer geradezu vtehiseben und bestialischen Weise 
10 bis 15 Minuten mindestens gesdilagen. Als ich halbbewusstlos 
von der Pritsche heruuterfiel, und bat, doch menschlicher mit mir 
umzugehon, wurde mir hohnlachcnd geantwortet; und gleich darauf 
setzten die Schlfige aoeb viel starker ein. Ala ich beim Verlaesen des 
Kellers nieht rasch genug ging, wurde mir gesagt: <Sie haben noch 
zu wenlg bekornnien, wenn Sie sich nicht beeilen, werden Sie noch 
einmal zuruckgefuhrL* 

Stadtsekretar Martin Meyer, 30 Jahre, Bottneretrasse 4. 
wurde am 24. 3. von SA urn Ji1 L'hr. aus dem Volistrcckungsamt der 
Stadt Raesel, wo er tatig ist, geholt und in die Burgersale in der 
oboren Karlstrasse gobracht. Dort wurde er in einen dunklen Keller 
gefUhrt, auf eine Pritsche gelegt und mit einer kurzen Unterbrechung 
" ,w a K Stunde mit QumraiknOppeln geschlagen. Sdmero Schlfige auf 
die Nase und auf das rechte Auge. 

Raacbel Seppel, Qewerkschafteaekretfir, Kassel, ScMIeir. 14, 

ntn 23. 8, 88 naohmlttaga & Uhr Bosammefl mit Oewerkaohalte- 

fcretfir Gorke nu9 dem QeverkBCbaftehaus von 8 SA-Leuten angeb- 

'•* turn VerhOr In die BOj lie gebolt Im grossen Seal feetgebal- 

21 



Dr. mad. Fr its Schwo ?* r Gfc*rlotio3barg,2 .April 1933 



Rtuts an tl Ohr k*b nerr K u mir 

und bat mich um Auastslluhg diese6 Ittestes.Dia torgala?t« 
policsiliah* Anmsldung lautata au 

B»funa:Dia ffeich**ils u« daa links Aug« sind stark 
varscfcirol l«a und blutunterS.auf an^ luch Uber dam raohtsn Auga 
und auf der 3tirns blutuntorlaujtsns 3tsll»n Auf dam bshaartan 
Teil das Schtdals^-asondecs racbta , zahl re lone Bemlerj und blutig 
*erschgrrts St%lltn*n« Unij» Ohrmtdahsl gsrotst und stark vsr- 
■ehwollsn,an dar linksn linlssflts sbsnfallt Schrrtl lunger. i»d 
Hautdsfckte.3si.de Oberarcs ^aaonder* der rschte , geschwollea 
und blau und rot onterlaufsn-Die rschte Hand und Ja« Han3ge- 
lank, vollstandig vsrschwoilen, besonder* schmerzhaft slnd das 
Jlandgslsuk,.ier Handruoksa fce»ondsrs Id Serslch der 2, und J. 

ttitt«lhandkr\ocbsn und du 3aaidengrund£«leAX3 und ClitteIff^C* ^ ""• 
grundgolenks und dss KndgLisd* ds* 4. Fingers. Ob eins I^raktax 

vorlisgt,bsdUrfts dsr Rontgsnurjt^rsuchunc.jLr. der linksn Rand 
let dsr HandrUcksn gsschitllsn und schmsrzhaf t , bssondsrs der 
2.:iiittslhandknochsn und das 0rundgslsrJc.3slde OaaasEbackea 
und iar ebsrs Tsll bsid« Qbsrsch^nKsl s * nd rollkommsn rot and 
tsilweims strlenig blutlA nit Hsutdsfsktsn untsrlaufertjSbsnso 
3trismen en de>r 7orctsrssits d«s rschten Obsrschsnksls.Daa reac- 
ts Fr.is zsigt llnke untax dar Fnisschsibs »ina nits Operations- 
narbe # es 1 si stfirker als cias links und is* eehmorzhaft* 




Of\me»ti 6chw6rs>r 

Das Orinwnl civet ttrstlichen Atte$tes liber Folgen von Misshandlung, 
214 



teD . Schreie bus Unterraum gehdrt. Eine Stande gewartet. Von 8 Mann 
in den dunklen Keller gefuhrt, iiber Tisch gelegt, in drei Abstiinden 
von 6 Mann mit Gunimiknuppel geschlagen. In arztlicberBehandlung. 
Zut Zeit noeh bettliigrig. Vermutlich Nierenverletzung. Blutiger Ur'tp 
Rflcken, Ges2ss, Oberschenkel getroffen. 

Ba 1 1 H e i ii r i c h, Kaufmann Kassel, Ludwigetrasse 2, im Laden 
a ni 24. 3. 33 von 4 SA-Leuten gegen 3 Uhr verhaftet und nach den Bttr- 
gc rsalen gebracht. Auf der Straese schon geschlagen worden. Mit 
Erschiessen bedroht, falls Fluchtversueh. In den BiirgersMen raisshan- 
delt. Auf entblosstem Korper (Hose heruntergezogen) % Stunde mit 
Gummikntippel geschlagen worden. Seitdem bettlagrig im Landee- 
krankenhaus in Kaseel. 

Oer Geschaftefuhrer an der Ortskrankenkasse Kassel Chri- 
stian Wittrock, Kassel, Luisenstrasse 20, in den 40er Jahren 
wurde am 24. 3. 33 von zwei SA-Leuten aus seinem Biiro geholt. Ueber 
die Rathausfreitreppe gefuhrt, dann dureh die Menschenmenge nin- 
durch nach den Burgersalen in der oberen Karlstrasse. Dabei schon 
getreten und geschlagen. In den Burgersalen wurden zuerst seine 
Persocalien von SA aufgenommen und dann gesagt: cWittrock ist 
entlassena. Er wurde dann, anscheinend, als wenn er entlassen wer- 
den sollte, aus dem Saal gefuhrt, aber nicht aus dem Hause heraus. 
aondern iiberraschend in einen dunklen Keller gebracht. dort auf 
eine Pritsdie gelegt und mit Gummiknuppeln misshand'elt. Zwai 
Schlage auf den Kopf, Blutergusse im Riicken, GesSsa und Oberschen- 
keln. Kleidung besohmutzt, teilw c ise zerriseen, ebenfalLe Schuhe. 
Dann nochmals in den Saal gebracht und dort ein zweitcs mal mise- 
handelt. In Brztlfcber R^-handlung. 

Auch Otfiziore vorfallen der Feme 

In der zweiten Woche des Marz wird der Oberleutnant a. D. A n h alt, 
jetzt ale Bezirksvermesser tatig, wohnhaft Berlin-Tempelhof, Germa- 
niastrasse 12, von 3 SA-Leuten und einem Zivilisten in seiner Woh- 
nung verhaftet. Er alarmiert sofort das Ueberfallkommando, das 
auch erscheint, aber ein Eingreifen ablehnt. Die SA-Leute transpor- 
tieren Anhalt zum Untergruppenkommando Ost, Hedemannstrasse. 
Dort wurde er zueret von dem Zivilisten der Grappe geschlagen, weil 
er gewagt hatte. das Ueberfallkommando anzurufen. Daraufhin wurde 
er in einen Raum gefuhrt, wo bereits 12 bis 13 Mann auf Stroh la- 
gen. Em SA^Mann. der den Naroen <Oberfabrer> hatte. nahm den 
Oberleutnant in Empteng. Es wurde gar nicht mehr davon gespro- 
cnen, dass Anhalt beschuldigt war, das Reichsbanner illegal in Wat- 
en ausgebildet zu haben. <Oberfahrer> wusste nur. dase er einen 
jruheren Offizier vor eich hatte. Er besanD mit 2 Helfershelfem die 
'^ecotion und hielt nk-ht eher ein mit dem Prugeln, bie Anhalt das Blut 
RUB Mund und Nase lief. Dann hob er den Scbwerverwundeten hocb 
jmd zeigte ihn den stohnend am Boden liegenden anderen Gefanc 
nen rnit den Worten: <Seht her. das Schwein iet Oberleutnant und 

21.3 



kann vor Angst nicht gerade stehen.> Da Anhall ihn U; 

in dem C r *ich aufrichtete, ati esa ih n dl' *Tm ge " 9,raft "" 

len. Er wiederholte das so langT Ms A„^n ' D " Kniekeh - 

Eine neue Prttgelei folgte die a b J r nnrt Msamn ! e '«"»«te. 

das Gefangenen in dem ,, ta L t " ^ dle Ha,tun * 

Stroh zu den andern Gefangenen. 

Nnr ein Nervenzusammenbrach 

?H-ffc??- r - k * e ' kMn ^ Uhr inS Kas3eler Qewerkschaftshaus, von 
3 Hilfcpolwurten angeredet. Nr. 1 sagte: <Das iat auch so ein Kerb. 
Nr 2: cDen werden wir uns holen>. Nr. 3: <Dag ist Qerke void DM- 
Verband>. 

Urn i% Uhr Icamen 4 SALeute ins BUro. <Herr Gerke?> <Ja» cZiehen 
Sie sich an, Sie miissen mit zum Verh6r.» Auf Frage ob Polizeiprasi 
dent unterrichtot sei, Anfwort: c.Ta.> Mit 8 SA-Leuten durch Spohr- 
strasse in die Bttrgersaie gebracht. Erst auf Wache geiiihrt, dann oben 
im Saal nach Waffen durchsucht. Um M bis %6 Uhr wurde ich auf- 
gerufen. Von 2 SA-Leuten die Treppe binuntergefiihrt in den Kel- 
lergang, wo auf der rechten Seite mehrere Fahrrader standen. Darauf 
Mantel und Hut ablegen. In 12 Stufen tiefen Keller gefuhrt. Im Kel- 
ler Uber bereitstehenden Tisch geworfen. Kopf und Arme festgehal- 
ten und 15 bis 20 Minuten mit Gummikntippel mtsshandelt. Empor- 
gerissen sollte ich «Keil Hitler* rufen, was ich nicht vermochte. Haus- 
arzt sofort angerufen, stellte heftige Blutergiiese uud Nervenzusam- 
menbruch fest. 
Abecbrift des Attestes. 

Kasael, den 28. 3. 33 
clch bescheinige hiermit, dass ich Herrn Otto Gerke, in Kassel, Yus- 
sowstrasse behandele wegen grosser BIuterguase r die die Gegend bei- 
der Arme, die Oberschenkel an der Hintereeite, die Kniekehlea und 
auch noch die Unterschenkel hinten umfassen. Nach oben reichen die 
Blutergusse bis in die Nierengegend. Ich behandele Herrn Gerke seit 
dem 24. 3. 33. Er tst nicht in der Lage, seinen Dienst auszuiiben und 
muss im Bett liegen. gez. Unterschrift.> 

Hetzftlm statt Mittagessen 

<Am Montag, den 3. April morgens um K- 7 Uhr, wurde ich von zwei 
SS-Leuten verhaftet. Obscbon sich bei der Vernehniung herausstellte, 
dass kein Grund zu meiner Verhaftung vorhanden war, wurde ich 
mit zwei anderen Gefangenen in einen Eiakeller gebracht. Das war 
ein Raum unter der Erde, etwa 3 m lang und 2 m breit. Es kamen 
weder Luft noch Licht in dieses Loch. Wir erkannten uns nur, wenn 
w!r ganz dicht voreinander standen und ung anfassen konnten. Wir 
litten sehr bald unter Atemnot und versuchten uns durch Hinlegen 

216 



gin Blutzeuge fur 

<;iviicliniirchoir 



Der G r o s s r a b b i n e r 
Jonas Frii n kel wur- 
,le in Berlin von SA blu- 
lig misshandelt. Es ge- 
iang i Jim . mil seiner 
Tochter nach Prag zu 
entflielien. Die Aerzte 
bezeiclmeten seine Ver- 
angeu als lebenege- 

lahi'lk'h. 










; 



y 






^e Ihtlerregierung liess 

duxch WTB erklaren, 

- ein Grossrabbiner 

1;i, ' k °l nirRends vor- 

h '»'ulen sei> 



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gcmrnti einrr Grcurlljefee. 

Scrfin. 95. SJpiif (Solff.) £oS „$wgct SagMalt" oei&teifet 
(jcutc cmt (^tf uclmcldung un& bctjauplcl, ocb $} 1 1 U n c i G) t o fi 
Jiflbbincr 3 o n a S 2 i o n f r I [ei tieitle in ^Jrag cinsettojien 
unb brndjle u&et id)cit|iid)e ©tcucl an 3ub*n in "EeuljdjIanD. So 
bebaupict a u. a., et jei Don £$I-.fieulcn uberiallen unb urn 'J000 
9imf. bcftoljlen roorben. 'Sit £3t -Sfulc gotten itjn unb [cine 2od). 
Icr mil SRcDoIoern bebroljl, ibn niebtrgeidjlagjen unb [ajioei ocrlefct. 
Gr babe in 'Hccfen gcbiifll in ein anbeiea Slabloicctcl gejajmuggcll 
rocrben inufjen, unb ci fja.be fid) bann fo nad) iptag burdjgcftfjfa' 
gen. Gr leibe nod) jc&l an ©lrid)Ben>id)l3florungen unb on cincr 
li>ef)itner[d)ullctunii. Gr Ijabt bie iUbpd)!, nad) ^laflino lottlcyU' 
teijen unb nefjme ubuall Die $ilfe &ct jubtje^en J& ilffiTomUeca in 
2injptuefj. 

SCie baflu Don a u ft d n b i g e r j u b i i a) e r © t e r f c in Berlin 
fcfteQcfUOi rcirb, pjibt c3 in Berlin ubec^aupt fclncn &ro&- 
WafibinerGin ttabbinei obec anb<r«E jubtfaVr ©eifLlic&er namenS 
gtanTc! obec aljnlidjcn ftamene ifi nirgcnbS Doitjanb.-n. tf* 
bonbell fiaj alio rohrbec etnmal am cine bet uDIictjcn ©reuelmel* 
bungen cms qhag. betcn Oueflen {XC5:S. aujotfle) im aUgemeincn 

beutidft mfltjiftiic&e JBmfe |m&- 



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f.Kr 



£)er ^cidigprofideiit 



Berlin, den 7.0ktober 1932. 



PUr die mir finlHClich noinsa 85. Coburte 
tages Ubermlttalten freund lichen GlUcfcminsehe apreche lch 
roelnen hersllcbeo Dank nug. 



Zwei Briefe des Reichs- 
pr&sidenten von Hinden. 
burg an den Grossrabbi- 
ner Jonas Frllnkel, von 
tlem das amlliche WTR 
behauplet, er sei cnichl 
vnrliauden>. 




Berrri 



GroDrabbincr f* r D n k e t , 



Sec 3}ou^prafiDeni 



Berlin, den 5.Januar 1933 



Hersllchen Danlc ftir die mir zum Jahres- 
vrechsel ubermittelten Glttctortinsche, die ich bestens 
erwidere- 

Mlt freundlichen GruBf 




Herrn 

Gross-Babbiner Jones ? r a n k e 1 

Berlin C- 



Unten: I*. le der Vorderseite ei- 

MaliiiliriclYs vom Rettangsaml 

an Grosarabbiner Frankel zur 

Maik liir erste Hilfe- 

Rettuugsamf hal dem 

wei M id el ten die wste HiUe 







MS? 





ljM(16w3KtiR»SB5 i 

3- . / 






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(L^JC_- 



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z u erholen. Die einzige Lagermdglichkeit war em altes Feldbett, ohne 
Decke und Matratze. Ein paar Kartoffelsacke lagen herum, die wir 
a l & Decken verweadeten. Ee gab kein Trinkwasser, und auch Waech- 
w a?&er verweigertc man uqs. Die Mahlzeiten *varen eine Qual und 
das Essen war imraer kalt 

Bluer der Mitgefangenen, ein Jude, hatte bei der Vernehmung den 
Befehl erhalten, jeden SA-Mann, der in den Keller kara, bei seiner 
Eintritt mit deal Kuf zu begriiesen: <Ich will nach Palastinal* Mir 
Int. er selir leid, well ich an seiner Stimine merkte, wie echwer ihm 
diese Demiitigung wurde. 

Donnerstag, nachts ura J^12 Uhr, wurden wis endlich aus dem Keller 
eptlassen und in einen Scnulsaal gebracht. Am Freitag schien es, als 
sollten wir die Freiheit wieder bekommen. Aber man macule eich 
uur ein Schauspiel mit una. Die faechistische Bevolkerung der Um- 
aegeud war augenscheinlick von den SA-Leuten alarmiert worden. 
lis wir in die Autos verladen wurden, slanden sie Kopf an Kopf vor 
der Schule und empfingen uns mit hohnischen Rufen. Sie mussten 
«ehen, dass es une alien nicht beeonders gut ging, aber sie amusier- 
ten sich mit unserm Elend. Zu unserin Erstaunen wurden wir id ein 
Kino gefahren. Der Film, den man uns zeigte, hiess: cBlutendes 
Deutscliland.> Dae war eine einzige Hetze gegen Frankreich. Auch 
die Erschiessung Schlageters kara darin vor. Einer der amvesenden 
Nazis fing an, eine Rede zu halten. Er hat eich eingebildet, uns uber- 
zeugen zu kunnen. Aber uns hat vielmehr die Tateacbe uberzeugt, 
dass wir an diesem Tage nicht einmal ein Mittagessen bekamen. 
Freitag nacht um 12 Uhr, wurde ich plotzlich von 2 SA-Leuten wie- 
der eeholt und auf die Wache geiahren. Ich konnte auch dort ihre 
Fragen nicht zu ihrer Zufriedenheit beantworten. Der Pohzeikom- 
missar gab Befehl, raicb wieder fortzubringen. Nach einer Stunde 
holten mich zwei SS-Leute ab, aber es ging nicht wieder ins Haitlo- 
kal zuruck, sondern sie fuhren mich in den Wald Auf einmal 
stoppte das Auto. Ich wurde herausgerissen und auf den Boden ge- 
worfen dann fraeten sie: <Wo sind die Waffen?. Ich sagte: <Ich 

ins Gras gedriickt. Ich roch die feuchte Erde, hatte Sand in den Zah 
nen, und auf meinem Rucken knaLlten die Gummiknuppel. Das 
Schrecklichste war, dass ich jeden Augenblick dachte, pU kwunt 

der letzte Schlag. . . -vyo 

Nach einer Write lieMen sie nach und von neuem hie s^ es. <W° 
sind die Waflen?, Ich wollte sie schon ana prmgen, ™' °nr P tote 
Lich alles egal war, aber da drehten sie s.ch w,eder he™, undtfte 
merkte ich. dass sie sich schon mude g^ 1 *^ *^ n . epreS st 
Lug, die Faust los, die meinen Hinterkopf an den B den ep ^ 
halte, ein furchtbarer Schlag traf meinen Schadel, und icn 

Besinnung. . scbleppte mich nach 

Als ich wieder auiwaehte,waren sie weg. Ic& sc ugg sieh 

Eause. Ich liess einen Arzt holen. Er war aber so tag, 
weigerte, ein Attest auszustellen. 

217 



I* is j a auch alles Schwindel, was sie da m. *i 

sprechen, auch mil ihren Sonderkomm.nrf * ^^^Mnahme ver- 

Augen etreuen. Id, habe dae Grau ' *", ° Leu,en San d in die 
audern Freigelassenen sprach der ZJl *T' * h ich dann **«» 
vers unterschreiben musS en das, P ? „•£* te ' er hatte emen Re. 
Kaum hatte er unterschrieben ale m ?' 1 miS8 ^ andel t worden sei. 
dun dabei hohnisch zurief- «]*, uT aufe Neue 8chlu g und 

dasa Dir niehts passiert ist.> ^ ** ga Deine Unterschrift, 

Auch Kriegsbescliadig-te verfallen der Falter ! 

Gebaude, hinderten die AngestellteT aT^S, I beset ? ten das 
alle Betriebsratsmitglieder S &to ^ff^sT^J 
Die Leitung der Bewag versuchte mehrere Stunden vert'S T 

SSdiTp ? nSChrel r " J. 8 ™** Erst am'nLSn ^ £ 
Jang die Freilassung durch direkte Verhandlungen mit den N 

:TlT a '; sl 7 ? ie 13 - Arbe ^ er erzahien ' dass s^ 2™- 

gen hat, stundenlang in mihtarischer Formation herumzumar- 
schieren und immer wieder das «Deutschlandlied>. zu singen 
Understand wurde mit vorgehaltenem Revolver gebrochen. Die" 
lortur wurde von alien urn so unmenschlicher gefunden, als unter 
den Arbeitern zwei Schwerkriegsbeschadigte waren, die spater 
vor Erschopfung zusammenbrachen. Wie bei alien Freilassuneen 
mussten auch diese Arbeiter Reverse unterschreiben, dass sie 
einwandfrei behandclt worden seien. 

Ein 24jahriger Arbeiter aus Berlin (Name im Archiv) wurde 
am Montag, den 27. Marz, spat abends von S A abgeholt und nach der 
Hedemannstrasse gebracht. Er wurde dort bis Mittwoch gefangen- 
gehalten und mehrmals mit der Reitpeitsche geprugelt, weil er 
sich weigerte. Namen von politischen Freunden anzugeben. 
Gleichzeitig mil ihm verschleppten die Nazis seinen schwer- 
kriegsbeschadigten Vater. Der Sohn musste zusehen, 
wie der alte Mann ebenfalls mit Peitschen geschlagen wurde. Aus 
den Attesten entnehmen wir, dass beide Gesichtswunden hatten, 
die Nasen verschwollen waren und Nacken und Gesass fiber und 
fiber mit Striemen bedeckt waren. 

Er muss sein eigenes Blut auflecken 

In der Brotfabrik Wittier Berlin-Norden tat in einem Ge- 
sprach der 2ljrihrige Mitfahrer Ziegler am 24. Marz 1933 in der 
Fabrikkantine eine antifaschistische Aeussenmg. Der SA-Mann 
Muller, der auch bei Wittier arbeitet. erfuhr diese Aeusserun^ 
mobilisierte die SS-Staffel aus der Gentherstrasse. Diese Iauerte 



21 fi 



.1 

do 



Ziogler aufi I * I <*l t Ihrn sofort die Pistole vor die Bmsl um 
d° 111 ..'jinn, bei Fluchtversueh scharf zu schiessen. Ziegler wurd 
f°n yon den SS^Leuten verschleppt Was mil ihm weiter ge 
c!:, , l !'i I erzahlte hfihniscb triumphierend ein SS-Mann: «Der hat 

it seined eigencn Koppel so lange gekriegt, bis .las Koppel ent- 
"Jj*. ging, (Imiim ha t er sei n in u t aufgelec kt Dann haben 

• r ihm die Zun-ge mil der Blirste wieder sauber gemacht, und der 
eiflffelfQhrer hat ihm gesagt; *Du Aas befindest Dich jetzl aui* 
Hitlers Boden, und der wird Dir auch noch heilig werden.» 

Kin wakrer Arier lernl das Dritte Reich kennen 

Wie wir an andeni Sudlc schon berichtel haben, wurde iq 
ler letzten Aprilwoche der Neffe des indischen Dichters Rabin - 
dranatb Tagore unter dem Verdacht, ein Attentat auf Hitler ge- 
nlant zu IimIhti, in Siiddeutschland verhaftet l>i< i Schilderung, 
die er von dem GetYmgnis des sDritten Reiches» gibt, darf wohl 
den Anspruch erheben, so unparteiisch zu sein, wie keine andere. 
Tagore musste, nachdem er Erniedrigungen und Misshandlungen 
einige Tage erduldet hatte, freigelassen werden. Er berichtet: 

<Der Ranm, Ln den i»'l> kam, lag tief, war Haster und ohne Lull 
Zweinndzwanzig Qefangene waren dort beryls I'in^ekcrkert, durch- 
weg Mitglieder der Linkaparteien, iu dor Mehrzahl Konnnuniston. 
Viele von Ihnen waren Bchon mehr ala einen Mount hier und noch 
K,in einzigeemal veratomman worden, Von Zeit zu Zeit wurde 
eiiHT gerufen and &ua dei Zelle gefQbrt 

Man luirlo » i Mchtitternde* Qaheul, and d;mn WUrde unser Gefilhrte 

wieder zu una herein gaatoeaen, Wimmerni /.ci^to er die Spuren der 
Bruta'Mtea, deren Opfer er geworden war, 

Bin komnroniatiflcher Roloh abgeordneter reigte mir Miesbnnd- 
iuagaapurrn und p*gt« plafaeh da*u« iSebeo SU\ d«w r*nai man oa- 
Uenule di>uwbf> Kultur>, Am Tage aacb melner Verhaftung wurde 
eln lunger Mann namena Rahm hinauagerufen und kara mil aufgeris- 
aenen im a blutigan Schenkeln zurttck. Die SA-Leute batten Ihn msi 
Stahlruten geprttgelt, weil er alch geweigerl hatte, gegaa aeineGenoa. 
sen eine toleche Zeugeaauasage abzugeben. Auf das stinkonde Stroh, 
•las una ale Lager diente, batten wir una unter groaaen Schwierig- 
keiten hingelegt, aber er konnte ea oiebt, weil Ihn die Wunden, die 
b!<* liber seiner) RUcken hinzogen, daran binderten. Dienatag fcub 
morgans wurde In unaere Zelle ein Mann geworfen, der Bich kauna 
aul den Beiaen halten konnte; er trug einen ^rnii der ^tnz ver 
Bchwollen war, Ln einer Binde, und aein Qesicht war Mutig, Er hote 
Puhlar und tel Qewerkachaftafunktionttr, SA-Loute waron m das 
Ga-werkBohanshaus elngedrungen, und ala Fabler Ihxer Auiiordoni..:: 
ler Waffen aichi entaprach, warfen aie Bicft aui um. 
brachen ihm deo Arm, bobrten Ihm elneo Stook in die Softe, Pisaon 



ilnn die Wange bis knapp unter dem Auge auf, schlugen fon zu 
Boden und nii6«handelten lhn mit Fusatritten 

In der Nacht war es unmoglich, ei n Auge zu schliessen: das Ge- 
fangms tcinte wieder von den Schreien der Gefangenen und dem 
Gesang und dem Gelachter unserer Peiniger. In der Nacbbarzelle 
schne em Geiangener unablassig nacb seiner Mutter Nicht selten 
drangen SA-Leute in die Zellen ein, um ihre brutalen Wunsche zu 
beinedigen. 

Die Nahrung, die man uns gab, war wohl ausreichend, aber schlecht 
IcL lag in dieser Holle abgeschiedea von der Welt, ohne zu wissen, 
wessen ich beschuldigt wurde, Gefangener fur unbestimmte Zeit in 
diesera Kerker ernes fremden Landes, in den Handen unbekannter 
furchterlicher Feinde.> 

Dokumente, die nicht einmal Gobbels dementieren kann 

Der vollig unpolitische Filmjournalist Kurt Haas wird am 
28. Februar nachls in seiner Wohnung von Zivilisten verhaftet. 
Er weigert sich, den Leuten zu folgen, die ausser einem SA-Aus- 
weis, kein amtliches Papier vorzeigen konnen. Man droht ihm 
mit sofortiger Erschiessung, man knebelt ihn und verpriigelt ihn 
in seineni Bett, fesselt ihn und verschleppt den schon Schwerver- 
vvundeten in einern Auto. Eine Schupowache, die der emporte 
Chauffeur unterwegs plotzlich anruft, rettet Haas. Er wird im 
Staatskrankenhaus verbunden und freigelassen. Ein bedauerlicher 
«Jrrtum»? 

Bis hierhin hat der Fall nichts besonderes an sich. Haas be- 
schwert sich beim Innenministerium, und nun gewinnt sein Fall 
eine besondere Bedeutung. Obwohl die verhaftende SA in keiner 
Weise nachweisen konnte, dass sie im aintlichen Auftrag handelte, 
wird sie nachtraglich vom Ministerium vollig gedeckt. Wir ver- 
offentlichen die Antwort des Goering-Ministeriums im Wortlaut: 

*Der Preussische Minister des Innern 

SA-Verbindungsfufarer Brb. Nr. 29/33. 

Berlin, den 13. Marz 1933 

Herrn Curt Haas 

Ber 1 in- Wi linersdor f 

Ihr an den Herrn Minister des Innern gerichtetes Schreiben vom 
4. 3. 1933 ist mir zustandigkeitshalber zur weiteren Bearbeitung und 
Veranlassung iibergeben worden. 

Ich habe feetgestellt, dass die in ihrem Schreiben gemachten Angaben 
vielmehr in wesentlichen Punkten unzutreffend uod entstellt sind. 
Die SA war durchaus berechtigt und hat weiaungsgemass gehandeit, 
Sie in Schutzhaft zu nehmen. Sie haben nach den von mir angesteli- 
ten Ermittlungen. nachdem sich die SA, xvie Sie selber zugeben ate 
sokhe auage^iesen hatte. auch suidcM den VerhSltnissen entspr*- 

220 



cbend sicb benonimeo. Nachdera Sie sich auf Aurforderung der SA 
angekleidet hatten, haben Sie aber dadurch, dass Sie auf die SA-Ao- 
gehorigen plfitzlich unter lautem Toben und Schreien aelbst einzu- 
schlogen begonnen hatten, und dass Sie einen SA-Mann derartig in 
den Finger bisaen, dass die Verletzung noch heute nicbt geheilt ist, 
ea selbst verschuldet, dass Ihr Widerstand zwaugaweise gebrochen 
werden musste. Nach memen Feststellungen ist das Mass dee ange- 
wandteu Zwanges nleht hoher geweeen, ale es zur Breehung Ihrea 
Widerstandes erforderlich war. 

Ich babe keinerlei Veranlasauag, gegen die beteiligten SA-FUhrer 
und SA-Manner irgend etwaa zu unternehmen, muss vielmehr dem 
ve r»etzten SA-Mann ee vorbehalten, seineraeits gegen Sie vorzugehea 
gerrn Krimiualrat Heller, auf den Sie sich berufen, habe ich Durch- 
schlag dieses Scbreibens zur Kenntnianatame iibersandt. 

Der SA-Verbindungsfuhrer 
im Preussischen Ministerium des Innern 
gez. Dr. Heyl, Sturm bannftthreo 

Wor einem Morder in lelzter Todesangst die Zahne in die 
Finder schlagt, hat sich schuldig gemacht und verdient neue Be- 
strafung. Die Beschwerde eines Burgers beantvvorten Minister mit 
drier Mordhetze. Hier spricht das neue Gesetzbuch des dritten 

Reich s: 

Wer von der SA. iiberfallen wurde, der soil wissen, dass er 

vogelfrei ist. 

Dieses Dokument durfte geschichtlichen Wert besitzen. Ks 

ist ebensowenig zu widerlcgen, wie jene offizielle Meldung aus 

Bielefeld, die im iibrigen zeigt, wie ungestraft man in Deutsch- 

land von seinen Verbrechcn reden kann. 

<Bieiefeld, 3. April 1933. Der sozialdemokratiflche Reichstagsab- 
geordnete und Stadtrat Schreck wurde geetern verhaftet; er liegt 
zur Zeit im Krankenhaus.t 

Ein klassisches Zeugnis. Verhaflung ist identisch mit schwe- 
rer Verletzung. 

Da niitzt kein Dementi tuehr. Die Hitlerpolizei hat selbsl 
ihre Anklagescfarift geschrieben. 



221 



Die Jndenverfolgnngen in Hitlerdeutschlaiid 

«Eine der ersten Taten der neuen naiionalistischen Lande&- 
regierung von ThiLringen war das Verbot des C. V. (Central- 
Verein deutscher Staatsbiirger jtidischen Glaubens) fii r das 
Landesgebiet Thttringen. Die Regierung gab dazu folgende Er- 
klarung; 

«Eines der Hauptziele des C. V. ist die Bekainpfung dee Anti- 
semitismus. Da es in Deutschland keinen Antisemitismus gibt, 
hat der C. V. keine Existenzberechtigung mehr. Er ist deshalb 
mifc dem heutigeo Tage aufgel<Jst.> 

Hier ist von Tatsachen die Rede: authentische Berichte und 
Zeugnisse uher Folterungen, Misshandlungen, Entrechtung und 
Aushungerung der in Deutschland lebenden Juden werden die 
Grenze zwischen «Greuelnachrichten» und der schau- 
erlichen Wrrklichkeit genau aufzeigen. Es wird sich heraus- 
stellen, dass die sogenannten «Grcuelnachrichten» zwar im einen 
oder im anderen Fall ungenau und ubertrieben waren, dass sie 
indessen die wahren Brutalitaten eher zu schwach dargestelll 
haben. Das will sagen: man hat beispielshalber von irgend einem 
Herren Cohn berichtet, ihm seien die Haare einzeln aiisgerissen 
worden. Es stellt sich heraus, dass dieser Herr Cohn unversehrt 
langst im Ausland sitzt. Dafur aber ist es ein Herr Levy, dem 
man nicht nur die Haare ausgerissen, sondern auch ein Auge 
ausgeschlagen hat, so dass er todlich verwundet seit Wochen in 
irgend einem Krankenhaus liegt. Irrtumer in der Person oder im 
Ort der Handlung sind vorgekommen; aber fiir jeden Fall, der 
sich als unrichtig oder iibertriebcn herausgestellt hat, gibt es 
hundert Falle von Folterungen, Totschlag und Berauhung, die 
noch gar nicht bekannt geworden sind, weil die Betroffenen un- 
ter Todesdrohung daran verhindert werden, die Wahrheit iiber 
die Verbrechen, die tagtaglich in Hitlerdeutschland geschehen, 
auszusagen. 

Der Bericht der Tatsachen kann sich in weitem Masse un- 
abhangig machen von den Problemen der « J u d e n f r a g e». Die 
Analyse der judischen Situation in Deutschland ist in vielen 
Buchern und von vielen Gesichtspunkten aus zu geben versucht 
worden. Wir grenzen den Problemkreis hier eng ein. Von den 
unaufloslichen Zusammenhangen der Hitlerbewegung mit dem 
Antisemitismus muss dennoch auf knappstem Raum zunachst ge- 
sprochen werden. 

222 



I per Antiseniitismus 

a 'ls eiue ©runuiage des Nationalsozialismus 

Es ist ein altes Mittel der herrschenden Schichlen, die Un- 
zufriedenheil der Massen mil einem Regime, unler dem sie ver- 
elenden, von den wirklichen Ursachen abzulenken. Warum 
diese Ablenkungsmanover durch viele Jahrhunderte, wahrend 
dcs ganzen Mittelalters und dann wieder in der Neuzeit gerade 
die Juden gclrpffen haben, ehemals als Religionsgemeinschaft, 

_i_ ..nrnaVimlir.h nls «RaSSP.». kann Viipr nich» mU A™. .»,.« j: 




|eit ist uns abgenommen worden durch die geniale Konzeption des 
iun^en Marx: «Zur Judenfrage». Auf den grundlegenden Marx- 
schen Erkenntnissen bauten spider zahlreiche "Werke iiber diese 
Fraae auf, die sic in ihren gesellschafllichen Zusammenhangen 

behandcllen. 

Deshalb sehen wir heute das Kernproblem der Juden- 
fra°e» nicht in einem ungeklarten Durcheinander der Komplexe 
«Rasse, Nation, Volksgemeinschaft, Religionsgemeinschaft etc.» 
sondern in ihrer Stellung als s o z i a 1 e F r a g e (in der rassische, 
nationale und religiose Elemente mit umschlossen sind). Die 
Analyse der Judenfrage ist untrennbar verquickt mit der Ana- 
lyse der allgemeinen gesellschaftlichen Verhaltnisse. 



Der ueudeutsclie Antiseniitismus 

Der HiUerismus hat als eine charakteristische Form des Auf- 
losungsprozesses des kleinen Burgertums im Zeitalter des ln- 
dS-Kapitalismus seine Vorlaufer gehabt Der neudejitsche 
Anusemilismus lasst sich mruckfuhren auf ^"2™^ 
Bewcuna die im letzten Viertel des vorigcn Jahrhunderts unter 
der Sung des Hofpredigers AdoW S t 6 c k e r arfau^^e 
Ursachen dieser Bewegung waren ^vxrtschafthcher Art Der nem 
mungslosen Speculation der Grunderjahre ^*\£el$££ 
Krieg von 1870/71 war eine schwere wirtschafthche Kuse ge 

S3? Sen Leidtrageader <*^*££^*&. 

Linie das ^^^S^r^A^SSgS^ ernste War- 
in seinem sozralen politischen Tati^enstrr _ eins , eschuch terl. 
nuneen der Unternehmer und der Re f e ™V de _g etze . (c Ohne 
findel die neue ^M^^c^eP^de^^^ ^ 
jegliche Blickmoglichke.t fur oVonom. c ^ ^^^ crwa che» 
schreibt in seiner ausgezeichneten Stud e <«u ™ Juden _ 
Ernst Oltwall. «schiebt Stocker alles a«J den bmn u und 

turns, was il,m nur ^^^S^SS^^^ ^ 
verderblich zu sein scheint. F" die ^ er ', c n h "„ Jl 8 eine nohvendige 
Bevolkcrung der 6sU. preussischen F ™"™ ■ _ raac ht Stacker 
Folge der Steigerung der Weltgetreideproduktion 



nur den Juden verantwortlich, der den Bauern Kredite 
gibt, um ihn nachher in Leuflischer Bosheit von Haus und Hof 
zu vertreiben. Die beklagenswerte Lage der deutschen Industrie- 
arbeiterschaft: Stocker sieht nicht die Profitsucht eines Unter- 
nehmertypus, den die Vervollkommnung der Produktionsmittel 
geschaffen hat, er sieht nur den judischen Unternehmer, und 
«die Juden sind an allem schuld*. 

Bismarck, der „Jiidenlmeclit" 

Der Radau-Antiseniitismus fiihrt zu einem gewissen Erfolg. 
Die erste revolutionise Wallung des geprellten Kleinburgertums 
wird auf den schwachsten Punkt konzentriert: die jiidische Min- 
derheit. Allerdings, als Adolf Stocker beginnt, auch vermogende 
und machtige Juden anzugreifen, da regt sich starker die Soli- 
darity der Klasse der Besitzenden und Machtigen: Bismarck 
selbst greift ein, und der Hofprediger, der zum Agitator geworden 
ist, wird kaltgestellt* lis ist nicht ohne Pikanterie, dass die anti- 
semitische Bewegung dieser Zeit sich auch gegen Bismarck 
wandte, den man als «Judenknecht» denunzierte. In einer Bro- 
schiire vom Jahre 1878 ist zu lesen: *Dem Fursten Bismarck ge- 
buhrt das Verdienst, die Juden und ihre Genossen zur herrschen- 
den Clique in Deutschland erhoben zu haben. . - Die Protektion 
der Juden ist eines der schwiirzesten Merkmale des gloriosen 
Reiches Bismarcks und seine Folge die Verarmung des arbeiten- 
den Volkes, die Demoralisierung aller Kreise der GesellschafU 
die widerliche Verschmelzung von Geld und Geburtsadel . . . und 
der Fflrst Bismarck ist dem Einfluss des Juden turns unterlegen. 
Juden und Judengenossen bilden seine Gesellschaft, sie sind sein 
taglicher Umgang und seine politischen Ratgeber, seine Haupt- 
kulturkampfer.» 

Diese «Volksbewegung» von damals miindete zwangslaufig 
in Exzessen. In dem pommerschen Stadtchen Neustettin flammt 
als ein Signal die Synagoge auf (schon damals leitete sich die 
«nationale» Emporung durch eine Brandstiftung ein, und 
auch damals wurden nicht die Tater unter Anklage gestellt — 
sondern Juden, von denen man behauptete, sie selbst hatten aus 
Rachsucht ihren eigenen Tempel angeziindet). Es kommt zu 
Pogromen. Als die «Volksbe\vegung» schon im Abflauen ist — 
die wirtschaftliche Krise ist vorubergegangen — legalisiert sich 
dieser Antisemitismus in der Form von Parteien* und alsbald 
finden sich auch jene, die die notwendige Ideologic dazu liefern; 
der Professor Eugen Duhring leitet mit seiner Schrift «Die 
Judenfrage als Frage des Rassencharakters» eine neue Aera des 
Antisemitismus, den «Rassenantisemitismus», ein. Inzwischen ist 
viel Tinte vergossen worden urn des Nachweises willen, dass die 
Juden eine Rasse, und zwar eine fremde, niedrige und ver- 

224 



brecherische Rassc seien. Von ecistrpi<«h<m Unu. » 
berlains abgesehen, hat sich ?"m To!^ nJ^^J™ Cha, °- 
senschalt* mil rohen Spassen ISnlT $?£Su T" *^ 
lerdeulsehland ihre Triumph" uReifellot *£•.?• ' m HU " 
Anzahl von Leuten, die im Dritten^Sch auf A U "* 1ST 
Weise ihr Brot zu verdienen vSmogen " unredl,che 

Formen der neudeutschen antisemitischeu. Agitation 

Der neudeutsche Antisemitismus, desscn Gipfelung der Sieo 
Hitlers ist, hat sich niemals mit «wissen S chaftlichen» Be R riindin 
gen sehr gequalt. Es ist ja das besondere Kennzeichen dieser Be" 
wegung, dass sie von Anbeginn an niemals «be\viesen» sonde™ 
burner nur «behauptet» hat. Ihr Erfolg bestehl darin zu vcrwirren- 
abzulenken von den wirklichen Verhiiltnissen. Dieser Antisemi- 
tismus hat sich immer in der widerlichsten Form des Radau- 
antisemitismus gespreizt. Anfang 1920, wiihrend des Kapp- 
Putsches, zeigte sich zuerst in der breiten Oeffentlichkeit an den 
Stahlhelmen der Ehrhardtbrigade das merkwurdige antisemiti- 
sche Symbol: das Hakenkreuz. Damals wurden auch zuerst 
Hass- und Hetzlieder ofi'entlich gesungen. Ein rechter "natio- 
nal er» Mann sprach damals schon nur noch in Ausdriicken wie: 
• Rathenau, die Judensau* usw. Die Kinder lernien 
schon auf der Strasse antiscmitische Lieder. Heute, im Dritten 
Reich, kennen sie alle das schSne Kampfiied. das den Refrain 
hat: >W c n n's Judenblut vom Messer spritzt, dann 
g e h t's n o c h in a 1 s o g u t. » 

In zehntausriulc!) von Versammlungcn, in zehntausenden 
von Zeitungsartikeln ist seit If) Jahren von der Hitlerpartei der 
Jude den verfuhrten Massen als das abgrflndigste Scheusal 
vcrgefuhrt worden. Der .hide ist an allem schuld. Am Krieg wie 
am Friedeu, am Kapitalismus wie an der Revolution, an der 
Armut und am Reich turn. Ueberall verbirgt sich fur die natio- 
nalsozialistischc Agitation der Jude, urn das Werk des Judentums 
vollenden zu helfen: die judische Weltherrschaft», das heisst fur 
Hitler und die Soinen «Vernichtung der Welt». 

Hitler iibcr die Judeii 

Wir entmhinen einige Beispiele der offiziellsten Schrift de.s 
Nalionalsozialismus. dem heute in vielen hunderttausend fcxero- 

plarcn verbreiteten Buch von HitleT «Mein Kam P f ^ H ™;f n ,™ 
folgendes: Der schwarzhaarige Judenjunge lauert stundenian*, 

salanische Freudc- in seinem Gesicht, auf das a* 1 ™^ L 't 
chen. das er mit seinem Blute schandet und damit seinem, des 
Madchens, Volke raubt». «Juden waren es und smd es, die a« 

225 

9 



Neger an den Rhein bringen, immer mil dem deichen Hinier^ 
danken und Ziele durch die dadurch z^angslau^ ein retS'e 
Bastardierung die ihnen verhasste weisse Rasse zu zlrstoren von 
ihrer kulturellen und pohUschen Hohe zu sturzen und selL zu 
ihrcn Herren auizusteigen*. «Kulturell verseucht er Ku Li le 

R tUr ifJ 1 %' h ve ™ ar f l d ^^turliche Empfinden. sturzt alio 
Begnffe yon Schonheit und Erhabenheit, von Edel und Gut und 
zerrt dafur die Menschen herab in den Bannkreis seiner e^genen 
niedngen Wesensart*. ; Waren die Juden auf dieser WdfJS, 

fn SSS l~m eb ^ nS0Se e hr m u Schl ™ tz ™d Unrat ersticken wie 
in hasseriulllem Kampfe sich gegenseitig zu ubervorteilen und 
auszurotten versuchen, sofern nicht der sich in ihrer Feigheit 
ausdruckende restlose Mangel jedes Aufopferungssinnes auch hier 
den Kampf zum Theater werden liesse*. «Indem der Jude 
die politische Macht erringt, wirft er die wenigen Hiillen, die er 
noch tragt, von sich. Aus dem demokratischen Volksjuden wird 
der Blutjude und Volkertyrann. In wenigen Jahren versucht er, 
die nationalen Trager der Intelligenz auszurotten, und macht 
die Volker, indem er sie ihrer naturlichen geistigen Fiihrung 
beraubt, reif zum Sklavenlos einer dauernden Unterjochung». 

Man muss bedenken, dass diese Ausspruche in einem imrner- 
hin reprasentativen und mit dem Bewusstsein der Representation 
geschriebenen Buche stehen. Was wir hier zitieren, stellt sich so- 
mit als die mildes-le und geziigeltste Form der antisemilischen 
Agitation dar. In den Versammlungen, in den Zeitungsartikeln 
horte und las man eine andere, noch eindeutigere Sprache. Jahre- 
lang haben die Ueberschriften der nationalsozialistischen Blatter 
etwa so gelautet: «An den Zitzen der jiidischen Sau» oder «Die 
jiidische Weltpest» usw. Schliesslich soil man nicht vergessen, 
dass der Hauptschlachtruf der Hitlerbewegung heisst: «Juda 
verrecke». 

Aber geniigt es nicht, in den «Fi\hrer- und Schulungsbriefen 
fur Funktionare der NSDAP» (15. Marz 1931) zu ksem 

cDie naturgegebene Feindschaft des Bauern gegen den Juden, seine 
Feindschaft gegen den Freimaurer als Judenkncht muss his zur Ra- 
serei aufgestachelt werden.» 

„Afrrechnung" 

Man muss sich dies einrnal wieder ins Gedachtnis rufen urn 
zu erkennen, wie unsinnig die Dementis der nationalsozialisti- 
schen Gewalthaber in Bezug auf die Nachrichten *}>* j ud <?™- 
folgungen sind und wie grotesk die Behaugung ist, den Juden 
gcschehe untcr der Schirmherrschaft Adolf Hitlers nichts Uebles. 
Funfzehn Jahre lang hat man den Juden als die Welt- 

226 



pest, als den tierischsten Untermenschcn dargestellt man hat 
den Anhangern der nahonalsozialistischen Bewegung'Freibriefe 
gegeben, die Juden zu verleumden und zu verfoigen. Man hat den 
Hass gegen den Juden systematise!* geziichtet. Man hat 15 Jahre 
iang «Abrechnung» versprochen. 1st es ein Wunder, wenn mil 
dem Beginn der sogenannten «Nationalen Revolution, diese 
Mordsaat aulgeht? Man hat jedem jungen Nationalsozialisten 
unermudlich dargclegt, dass es eine sittliche Tat sei, die hochste 
Aufgabe, zu der er als nationaler Deutscher berufen sei: die 
Juden auszurotten. Wie will man jetzt diesem jungen SA-Mann 
begreiflich niachen, dass er, im Besitz der Macht, heute den 
Juden schonen soil? Man lasst den jungen SA-Mann gewahren 
und man lasst ihn gern gewahren — denn von alien Dingen, die 
man ihm versprochen hat, kann man ja nur diese eine Lust be- 
friedigen: seine Mordgier. Man kann nicht alien nationalsoziafisti- 
schen Anhangern Brot und Arbeit geben, man kann die wirt- 
schaflliche Krise nicht beheben, man kann keine der Verspre- 
chungen, die man gemacht hat, erfiillen — aber so lange man 
den kleinburgerlichen Massen erlaubt. die Juden zu verfoigen 
und zu verpriigeln, so lange sind diese Massen abgelenkt von 
dem grossen Betrug, desscn Opfer auch sie sind. Deshalb wird 
man in Hitlerdeutschland der Judenhetze nicht Einhalt gebieten. 
Es ware eine furchtbare Tauschung zu glauben, dass die Juden- 
verfolgungen bei der Machti'ibernahme Hitlers nur voriiber- 
gehende Ereignisse gewesen seien, Sie sind systematische und im 
Rahmen des grossen Volksbctruges notwendige politische Mittel. 
Wie sagle doch Herr Minister Goebbels in seiner Broschiire 
«Der Nazi-Sozi» (Veiiag Eher, Munchen) : «Die Freiheit der deut- 
schen Nation kann nur gegen den Juden vollendet werden. Gewiss 
ist der Judo auch ein Mensch. . . aber der Floh ist auch ein Tier — 
nur kein angenehmes. . . vor uns und unserem Gewissen haben wir 
die Pflicht. . . ihn unschSdlich zu machen.» 

„Juden seben (licit an" 

Wir greifen, urn zu beweisen, dass die antisemitische Hetze 
keineswegs aufgehort hat, sondern mit alien Milteln organisiert 
wciterbetrieben wird, wiederum nur eine der Pubhkahonen, die 
nach der Machlubernahme erschienen sind, heraus. Es ist em Bucii 
von Herrn Dr. Johann von Leers mit dem Titel : « Juden sehen 
Dich an». Es ist eine ziemlich wahllose Zusammenstellung von 
Photographicn, die «dem deutschen Volk» als Schreckbddnisse vor- 
gefiihrt werden sollen. Unter diesen etwa 60 Photographien m 
Deutschen und Auslandern finden sich auch Bilder von Karl uen- 
knecht, der ein Abkomme Martin Lulhers ist, von dem katnoiiken- 
fuhm* Erzberger, von Willy Munzenberg, in dem sich kern irop- 

227 



fen ..iudischen Blutes* nachweisen lasst, von Gresinski, von dem 
katholischen Oberbiirgermeister von Koln, Adenauer, von dem Pa- 
t (m Erwin Piskator, die alle mi Sinne der nalionalsoziali- 

sKen Rassentheorie «reinrassige» Deutsche sind. Aber das ist 
bezeichnend genug. Man nimmt sich in Hitler-Deutsckland gat 
nicht die Muhe, auch nur die primitivsten Talbesliinde, die don 
Behauptungen zugrunde liegen soil ten, nachzuprufen. Es genugt 
zu behaupten, es genugt zu verleumden. Wer dem Hitlerregime 
unbequem ist, der ist 1'iir dies Regime ein «Jude». Basla. Der 13e- 
sriff «Verantwoitlichkeit» ist diesen nalionalsozialistischen 
«Schriflslellci-n» vollkommen fremd. Sie haben einen Freibrief 
zu liigen. Fordert jemand Rechen&chaft von ihnen, so sind die 
aationalsozialistischen Sturmtrupps gut genug dafur, urn jeden 
unbequemen Frager zum Schweigen zu bnngen. Deshalb wagt 
niemand, auch den unsinnigslen Behauptungen zu widersprechen, 
und da niemand widerspricht, so glaubt die verhetzte Masse alles. 

Wir linden in diesem Buch, dem man die weiteste Verbrei- 
hm« vvunschen soil, weil es wahrhaft aufklarend wirken yvurde 
iibe? den «Geist», der das neue Regime beseelt, unter anderem 
auch die Photographicn von Rosa Luxemburg, von Professor Ein - 
stein, von Georg Bernhard, von Lion Feuchtwanger, von Mieodor 
Wolff, von Emil Ludwig, von Max Reinhardt, von Charlie Cha- 
plin von Alfred Kerr und von dem amerikamschen Bankier Otto 
H Kahn. Niemand, der nicht Nationalsozialist ist, wird an die- 
sen Photographien elwas Abstossendes finden konnen. Ls sind zu- 
meist wunderbare Kopfe von klugen und sehr ernst blickenden 
Mannern mit hohen Stirnen, Mnnnern von wirklicher mtellek- 
tueller Bedeutung. Abstossend sind allein die Unterschnften, mil 
denen Herr Dr. von Leers diese Pholographien versehen hat. IJei 
Rosa Luxemburg steht: «Ger ic h te t». Bei Levine steht. 
«Hingerichtet». Bei Erzberger steht: .Endlich genchtet. Die 
jungen Deutschen. die ihn abgesch ossen, wurden nach der 
nationalen Revolution von 1933 ausser Verfolgung gesetzt... Neben 
Einstein steht lakonisch: «Ungehenkt». Das ist ein Lieb- 
linesausdruck dieses Herrn von Leers, er verwendet ihn bei at 
denen, die noch nicht ermordet worden sind. Von Remhardt heisst 
es: «Seine minderwertige und seclenlose Kunst usw.». Chaplin 
wird bezeichnet als ein «ebenso langwe.hger wie wi der war- 
tiger kleiner Zapp el judo. Von Toller wird behauptet: 
,Konnte nach der Machtergreifung durch Adolf Hitler rcchtzeitig 
cingesperrt werden* - aber nicht einmal das shmml: Ernst Toller 
!*cr'and sich zu jener Zeil ubcrhaupt n.chl mehr id Deutschland. 
Der Pastorensohn Erwin Piskator wird als «bolschewistische 
Kunstjude» bezeichnet. Die Bankiers Max Warburg und Dr. Karl 
Melchior erhalten das Attribut: «Hochgefahrlich!». 



228 



II. „Juda vcrrccko 4 - 

Hon- Hanfstaengl, der uationaUoziaLiatische «Ausland3-Press©- 
Chef>, gab dem arueiikanisehen Vertreter der halbamtlichen 
Pressekorrespondenz «'l elegraphenuuiou* am 21, Miirz 1933 ein 
offizitfses Interview, 

Aui die Frage: cSind die Berichte iiber angebliche Judenmise* 
haudluugen wahr oder unwahr?* autwortete ex: <I>er Reichs- 
kanzier bat mich vor wenigeu Minuten, ala ieh inn auf dem 
Munc'liiier Flugplatz nacli seiner AnkuuU aue Berlin traf, auto- 
risiert, Ibneii zu erklaren, dasa alke diese Berichte in ihrer 
Gesamtheil genieiue Liigen sind>. 

Auf Eiuzellragen iiber die Verfoigung von Juden antwortete 
Hanfstaengl: «Die Untersuchungen der achwedisehen, wie der 
holla ndiseheti Berliner Gesandtschafl haben ergeben, dasa nicht 
ein einziger Jude gettitet worden ist>- 

43 Ermordete 

Die von uns uberprufte Liste der von der SA erschossenen 
oder totgepriigelten Juden weist Lusher 43 Namen auf. Es handell 
sich bei diesen 43 Erschlagenen um soiche Falle, die in erster 
Reihe als Juden, nicht aber als «Mamsten» ermordet worden sind. 
Diese 43 authenlischen, im einzelnen genau uberpriiften Falle 
stellen einen Ausschnitt dar, einen Bruchteil der wirklichen 
Zahl, die sich zweifellos vervieliachen wird, wenn mit der Dauer 
der Zeil eine noch genauere Uebersicht iiber die tatsachlichen 
Ereignisse in Hitlerdeulschland moglich sein wird. Diese 43 er- 
mordeten Juden sind ausgewahll aus hunderten von Namen. Alle 
Falle, die hisher noch nicht zweifelsfrei aufgeklart werden konn- 
ten, sind hierbei noch nicht beri'icksichtigt worden. 

Am IS. Marz 193d verstarb intotpe elnes tragischtMi 
Geschickes unser heias-elicbter hotfnungsvoller Sohn 
und lirudcr, der BilckerlehrtiriE 

Siegbert Ksndermann 

im eben vollendcten 18. i.ebcnslahre. 

Schildermalarmeislor 

Moritz Kindermann u. Frau 

Fransockyslrasse 5. 

Beisetzung: Sonntag den 26, Miirz 1933, nachmlt. 2 Uhr 
Wcisscnsee, Alle millc, 

K'indolenzbosnclie dankend vcrliett-n. 

Todesanzeiye im ^Berliner Tageblatt» t Miirz 1033. 

Der jfidische Lehrling Kindermann, von dessen *tragischem 
leschick* die unauff&llige Todesanzeige Kenntnis gibt, wurde im 

229 



Jahre 1932 als Milglied des vSJUig unpolilischcn judisehen Turn 
verems «Bar-Kocbba» von Nationalsozialislen uberfallen Ein Na 
tionalsozialist wurde deshalb angeklagt und verurteill. Um diese* 
Urteil zu «rachen», wurde nach der Machlergreifung Hitlers der 
junge Kindermann in die Nazi-Kaserne Berlin-Hedeuiannstra«* 
verschleppt buchsiablich zu Tode geprugelt und TaTdie S ras e 

ISten Seme War dn gr ° SSeS Hakenkr ^z einge 

Kassel als Beispiel 

In e inemBerichtdes Kasseler Dr. O. M. heisst es: 
<Am Freitag, dem 17. Miirz 1933, durchzogen Nazibandea die Sladt 
Kassel, um Mitglieder der judischen Gemeinde, die ihnen aus ir- 
gendwelchen Grunden unliebsam waren, abzuholen und <Gericht> 
iiber sie zu halten. Bemerkenswerterweise handelt es sich bei derv 
Opfern durchwegs um Personen, die niemab irgendwie politisch her- 
vorgetreten waren, sondern die Ursachen fiir die Misshandlungen wa- 
ren regelmSssig kleinliche Gehassigkeiten eines Promineuten der 
NSDAP. Folgende besonders schwenviegende Falle mochte ich ber- 
vorheben; 

Der Rechtsanwalt Dr. Max Plaut wurde an diesem Tag von einer 
grossen Horde aus seinem Biiro abgeholt und im geschlossenen Zug 
durch die Hauptstraese gefiiurt. Unterwegs wurde er durch Schlage- 
mil Gummikniippeln gezwungen «HeiI Hitler* zu rufeu, worauf jedes- 
Dial ein wildes Gebriill von Seiten der Nazis ertonte. Plaut wurde- 
dann in das Hauptversammlungslokal der NSDAP _ die Bitrgersale 
in der Karlstrasse — gebracht, und dort wurde ein sogenanntes Stani 
gericht uber Din abgehalten. Mitglied dieses Standgerichts soil siche- 
rem Vernehmen nach der derzeitige Intendant des Kasseler Staats- 
theaters, der frtihere Opernsanger Schilling, gewesen sein. Plaut 
wurde wegen angeblicher beruFiicher Verfehlungen zu 200 Schlageo 
mit dem Gummiknuppl verurleilt. Zur Vornahme der Prozedur wurde 
er in einen unter dem Versammlungslokal befindlichen Keller ge- 
bracht und dort auf einem Bock festgeschnallt. Die Misshandlungen 
wurden dann in der fiirchterlichsten Form vorgenommen und dauerten 
fast zwei Stuuden. Nach einer gewissen Zeit war P. oh n mac h tig 
geworden, er wurde dann durch Uebergiessen mit Wasser wieder 
zum Bewusstsein gebracht und bekam dann von sogenannten Schwe- 
stern alkoholis-che ErFrischungen gereicht. Als er dann einigermassen 
wieder zur Besinnung gekommen war, gingen die Misshandlungen 
in derselben Weise weiter. Nach Beendigung der grauenvollen Ziich- 
iigung hatte er vollkommen das Bewusstsein verloren und wurde blut- 
liberstrOmt in einer Eeke lipgen gelassen. Plant wurde dann in seine 
Wohnung geschafft, wo er bis zu seinem Tode noch zehn Tage nieder- 
lag. Die herbeigerufenen Aerzte, der Nervenarzt Dr. Scholl und der 
Chefarzt des Landeskrankenhauses. Prof. Tonnisen. steUten die- 
fiirchterlichsten Verletzungen Fest, unter andereai atich sen were- 



230 



Plaut musste aaf seiuem KvanTnt "*? UUd DaCh ^ ■**«■ 
warden, da er, ^r^^B^**™?* " ^^ gehaIlen 

der ein sehr kraftiger Mann war L. ,!, ^ , e h6rte> Dr - Plau ^ 
nacfa etwa 10 Tagen gestorben Folgen der Verlet W 

Am gleichen Tag wurde der Rechtaanwalt Dalbera in a 

sten Weise misshandelt und zwar am gleich™ r£ * a SChWGr ' 

Weise wie Plaut. Bemerkenswert ^£tS^^ m z £^ 

einen Streit vor Gericht mil dem damaligen Rechlsanwal^ Jt • * 

Ministerialdirektor Dr. Freisler gehabt h.lfe uo/^^Ve^ 

vtfbrend der ■ Mwahandlung vorgehalten wurde. Ee besteht also keln 

Zweifel daruber, dass die Folterung des Rechtsanwalts Dalberg art 

direkten Befehl dieses zur damaligen Zeit obersten Fuhrerq der Kas 

selerNSDAPund jetzigen hohen preussischen Beamten erfolgt tot Dal 

berg wurde auch sein laager Vollbart abgesebnitten. Die Verletzun^en 

von D. waren so schwer, dass die Aerzte einige Tage befiirchteten 

em Bein miisste amputiert werden, doch konnte es glucklicherveise 

noch gerettet werden. Dalberg leidet heute noch schwer unter den 

Folgen der Missbandlungeu. 

Besonders schwer wurde noch 'ein junger judischer Kaufmann Moss- 
bach misshandelt, dem meines Wissens nur vorgeworfen wurde, dass 
er ein Verhaltnis mit einem christlichen Madchen gehabt und Wie- 
der aufgegeben hatte. Bei ihm drangen Nazis in dip- Wohnung ein 
und misshandelten ihn En Gegenwart seiner Mutter so furchterlich, 
dass er schwere Kopfverletzungen und Verletzungen des Riick- 
grats davonirug. Der zuerst herbeigerufene Arzt, Dr. Stephan, der 
selbst politisch ganz rechts steht, erklarte. dass er selbst im Krieg 
keinen so grauenvollen Anblick gehabt batte. Mossbach schwebte 
lange Zeit in Lebensgefahr, ist aber gerettet worden. 
Ferner wurde am selben Tag auch im Versammlungslokal der Nazis 
ein Kaufmann Freudenstein schwer durch Prugel verletzt, sodass 
er wochenlang krank lag, und ein Kaufmann Ball, der gleich- 
falls langere Zeit danacb krank war. Bei beiden Fallen handell es 
sich urn persOnlic-he Racheakte irgendwelcber Nazis, n&heres daruber 
ist mir nicht bekannt. 

Schliesslieh wurde noch ein liber 60jahriger Herr, Baokier Plaut, 
misebandelt, er hatte aber keine so schweren Verletzungen. 
Die Untaten der Nazis in Hessen beschranken sich keinesfalls auf 
Kassel. Vielmehr kann man wohl ohne Uebertreibung sagen, dass in 
jedem Ort dee Regiemngsbezirks Kassel, in dem iiberhaupt Juden 
wohnen, solohe FiUle und zwar zum Teil ganz furehterliche, vorge- 
kommen sind. Mir ist bekannt, dass in einzelnen Orten samtliehe 
mannlichen jiidischen Gemeindemitglieder ihre Heimat verlassen ha- 
ben und — so weit iiberhaupt _ nur nach langerer Zeit zuruckgek**hrt 
sind.i 

231 



Erzwuiigcne Erkluruiig 

Der 25jahrige Journalist Leo Krell, Berlin SO, Skalitzer- 
strasse, Mitarbeiter der Zeitung ^Berlin am Morgen», wurde am 16. 
Marz von SS-Lculen uberfallen, verschleppt und in der Nazikaserae 
totgeschlagen. Seine Leiche wurde vor dem judischen Friedhof 
niedergelegt. Wir erwahnen diesen Fall urn des Nachspiels willen. 
An die alte Mutter kam ein Brief mit der Auiforderang, ihren 
Sohn im Leichenschauhaus zu besichtigen. Es war fur die alte 
Frau schwer, ihren Sohn zu identifizieren. Er war vollig entstellL 
Im Gesicht und uberall am Korper waren Hakenkreuze einge- 
schnitten und eingebranut worden. Eine blutige Masse lag vor 
ihr, die einstmals ihr Kind gewesen war. Angesichts dieser ent- 
stellten Leiche wurde die Mutter gezwungen, eine Erklarung 
zu unterschreiben, dass ihr Sohn «nach langerer Krankheit im 
Krankenhaus gestorben» sei. 

Diese Erklarung wird von den Angehorigen der zu Tode Ge- 
prugelten in jedem Fall verlangt. Wenn eiuer der Angehorigen 
eine Aeusserung ubcr den wahren Sachverhalt auch nur im 
engen Kreise tut r so kann er gewartig sein, wegen «Greuelhetze» 
von dem deutschen Gericht zu vielen Monaten, manchmal Jahren 
Gefangnis verurieilt zu werden. Im allgemeinen drohen die be- 
teiliglen SA-Leule dem Anverwandten: er wurde dasseibe Schick- 
sal erleiden, wenn er nicht «das Maul hielte». 

300 nachgewiesene F&Ile barbarischer Misshandlung 

43 bisher autenlisch i-deutifizierte verstummelte Leichen — 
undwieviel tauscnde Halbtotgeschlagene Oder furs Leben Verletzte! 
Von mehr als 300 uns vorliegenden, verifizierten Nachrichten 
bringen wir die folgeiiien: 

Mitte April ging durch verschiedene Blatter die Nachricht, 
dass der mehr als SOjahrige Grossrabbiner Jonas Friin- 
kel in seiner Wohnung Berlin C, Dragonerstrasse 37, von SA- 
Leuten uberfallen und schwer misshandelt worden sei. 
Die Regierung dementierte diese Mitteilung. 
Den Tatbestand berichtet die Tochter des Grossrabbiners, Ella 
Frank el, ini einzelnen: 

*Wie mem Vater ennordet werden sollte* 
Von Ella Frankel. 
Am 7 MSTZ se«en halb 8 Uhr abends, drangen drei SA-Hilfepoli- 
ziln in Inse're Wohnung, Dragonerstrasse 37, ein ■ ^ tadteanijjh 
fest und hieltcn mir je einen Revolver auf die Brust und auf die 
£nt Sei. nuf den Vater, der am S^bhach saw 
liei Kugeln Mta den Kopf. Mein Vater sank blutuberstromi und 

232 



** 









p 




Ernst Thstlmanii 

Der Fiihrer der Komnuinislischcn Pailci Deulsehlauds 



Ernst Thalmann 

in seiner Zelle im Polizeigefangnis Berlin-Alexanderplatz. 




Ernst Thalmann, von Berut' Transportarbeiter, kampfte sehon vor dem 
Kriege in den Reihen der deutsclien Arbeiterklasso. Wnhrend des Krieges 
1914/18 gehorto er zu den aktivsten Kriegsgegnern. Er organisierte die 
Antikriegspropagandu im Bezirk Hamburg-Wasserkante. 

Nach der Spaltung der Onabhangigen Sozialdemokratischen Partei (USP) 
kam er im Jahre 1920 an dor Spitze der Mehrhea! der Hamburger USP in die 

Koniimmislische Partei. Kmsl Thiilmanii wurde zum I'Tihrer dor Kommti- 
nislen des Hamburger Bezirks. 

Im Jahre 1923 wurde er Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischon 
Partei Deutschlands. In don darauffolgenden Jahren trat er immer starker 
in der Fiilirung der KPD hervor. In don Jahren 1925 mid 1932 war er dor 
Prasidentschaftelcandidat der deutsrhen ivvolutionaren Arbeiter. 

Als Fiihrer dor Kommunlstischen Partei Deutschlands arbeitete er, in den 
Tagen des entfesselten Hitlerterrors, inmitten der Arbeiterschaft Berlins* 
Am 3. Miirz 1933 wurde Ernst Thalmann von derPolizei der rlitlerregienmg 
nach fieberhafter Suche verhaftet. 
Kin Prozess wegen Hochverral wild gegen i Im vorbereitet. 



bewusstlos zu Boden. Eiaer rief; <Jetzt ist der erledigt>. Dann rissen 
8ie den Schreibtisch auf und stahlen alles Geld (es waren 5000 Dol- 
lar und -000 Mark, meine Mitgift), das sie dort fanden. Bevor aie 
giugeu, warnten sie mich davor, etwa um Hilfe zu schreien uud zer- 
achlugen die elektrische Sicherung, sodass die Wohnung vdllig im 
Dunkeki lag. Wir wir spSter feststellten, waren die «Hilfspolizi- 
sfen» Mitglieder des SA-Stuxmes aus der Dragonerstrasse. 
Ich st'hieppte den Vater vom Schreibtisch zum Feneter und rief eine 
halb- Siandt um Hilfe, Die Strasse war von Nazis und mebreren 
U(*bcrl'al3komiuaiidos der Schutzpolizei abgesperrt. Jeder, der ein 
JIaus verlaFfen wollte, wurde mit Gummikntippeln zuruckgeschlagen. 
Scbliessllch kainefl einige Beamte des Ueberfallkommandos herauf, 
danach auch die Rettungsgesellschaft, die von Nachbarn alarmiert 
worden war. Man wollte meinen Vater ins Spital bringen, ich liess 
es aber nicht zu. Nach zwei Tagen kam ein Beamter vom polnischen 
Konsuiat. Br fan-i die Wohnung i»och voller Blufepuren. 
tVem Vater lag 14 Tage im Bett. Jede Stunde befurchteten wir, dasa 
der Tod eintreten konnte. Am 8. April drangen wiederum einige SA- 
Leute in die Wohnung ein und verlangten, den Vater zu eprechen. 
Sie erklarten, wenn mein Vater schriftlich bestatige, dass er nicht 
von SA-Leuten, eondern von Juden iiberfallen und misshandelt wor- 
den sei, werde er ktaftig unbehelltgl bleiben. Ich sagte ihnen, mein 
Vater ist zu krank, um schreiben zu konnen, sie sollten in zwei 
Tagen wlederkommen. Mit vorgehaltenen Revolv-ern zwangen sie mir 
unci ihm das Ehrenwort ab, in zwei Tagen die Unterschrift zu leisten. 
Da mein Vater auf keinen Fall einen solchen ftevera unterschrei- 
ben wollte, blieb uns nichts anderes iibrig. als schnellstena zu fliehen. 
Zwei Freunde wickelten ihn In einen Teppich und trugen inn am 
hellen Tage zu Bekannten in einem weit entlegenen Stadtteil. Ich 
wuide beinahe wahneinnig vor Angst Knrz vorher hatten wir dio 
beiden Thorarollea weggetxagen. Wir liessen alles iibrige in der 
Wohnung zuriick. Ich verliess das Haus im Hauskleid ohne Hut, denn 
unser Portier war ein SA-Mann. Er ha'tte uns sofort denunziert. Wir 
fuhien mit dem Zug Berlin-Wien. Mein Vater, dessen Kopf vollig 
verbunden war, wurde als scbwerhoriger alter Mann ausgegeben. 
Ich gab mich als junge Dame aus. die nach Wien reiste und den 
alten Mann elwas betreute. Gleich nach Abfahrt des Zuges setzto 
sich ein Spitzel zu uns und Fragte mich aus, 9tieg aber in Dresden 
aus dem Wagen, da ich vollig harmlose Auskunfte gegeben hatte. 
Gleich hinter Dresden begann die Kontrolle. Die deutschen Beamten. 
liefen von Abteil zu Abteil und fragten jfiden: «Sind Sie jiidisch?> 
Ich stellte mich vor die Eingangetttr des Abteils, in dem sich ausser 
meinem Vater, der rest zu schlafen schien, nur noch die beiden Tho 
rarcllen befanden. Die Beamten wussten aber echon durch den 
Spitzel Bescheid. Sie griissten hoflich und meinten: «Ach. Sie sind 
die jungre Dame, die nach Wien fahrt und den alten schwerhorigen 
Herra betreut. Wir wissen schon Bescheid.^ 

So kamen wir beriiber und maohten in Reichenberg Station, da mein 
Vater einfaoh nicht weiter konnte. Spater fuhren wir nach Prag. 

233 



Wir haben diesen Fall als eineo der bewrh™^*, 
und Dokumente. Ein mehr als 80iahriger ft™.?, r™ ^ der 

In der SynagogeZuberfallen 

Sprechen wir noch von einem anderen Fall, der sich in der 
Synagoge abspielte. Der Rabbiner Bereisch St D.Jf 
burg wahrend des Gottesdienstes in der Synagoge ubeklkn und 
misshandelt. Man schleppte ihn auf die Strasfe unfhu UeThn "n 
eme schwarz-rot-goldene Fahne. Inmitten einer tobenden Meng" 
musste er m diesem Aufzug Spiessruten laufen. Schliesslich 
wurde er - verhaftet unter der Beschuldigung: «Oeffentliche Un- 
ruhe auf der Strasse erzeugt zu haben». 

Der Rabbiner von Gelsenkirchen wurde wahrend des Sabbath- 
Gottesdienstes nut emer Anzahl glaubiger Juden aus der Synagoge 
SSfTn™! f d»f Strassen der Stadt bis in die SA-Kaserne 
Iff w ? ^ U u den a H e g ezwun S en - sich mit dem Gesicht gegen 
die Wand zu stellen und Kniebeuge zu machen. Da der Rabbiner 
gegen diese Brutahtat protestierte, wurde er auf eine Leiter ee- 
legt und mil einem Stock verpriigelt. Nach seiner Freilassuna ge- 
lang es ihm, uber die hollandische Grenze zu enlkommen. Er traf 
in Amsterdam so schwer verletzt ein, dass er weder stehen noch 
sitzen konnte. Bevor man ihn frei Hess, musste er einen Revers 
unterschreiben, dass «seine Verhaftung auf ein MissverstSndnis 
zuruckzufuhren sei». 

Pogroine 

Die ..Frankfurter Zeitung» vom 24. April 1933 meldet: 

•Wiesbaden, 23. April. Zwei Ueberfalle mit todlichem Ausgang habeo 
sicn hier am Samsrag abend ereignet. Es handelt sich um den Kauf 
mann Salomon Rosenstrauch und den Milchhiindler Max Kassel. Dor 
Pohzeibeneht besagt iiber den Mord an Kassel: 
.Samstag um 23,30 Uhr drangen aus einer Wohnung im Hause Weber, 
gasse 43 Hilferufe. Gleichzeitig Helen mehrere SchUsse. Durcli einen- 
Kraftwagenfiihrer, der die Strasse passierte, wurde dfe Polizei be- 
r.achrichtigt. Sie etellte fest, dass die Hilferufe aus der Wohnung de? 
alleinstehenden 59jiihrigen Milchhandlers Max KasseJ gekommen 
waren Beim Betreten der Wohnung fanden die Beamten Kassel in 
einem Zimmer tot auf dem Boden liegend vor. Der K5rper wie? 
Schussverletzuugen auf, die t6dlich waren. Die weiteren Feststelluo- 

234 



aeo ergaben, class mehrere Personon durch Eiaschlagcn einer Tiir- 
s'heibe und einer TOrffilluag gewaltsam in die Wohnung eingedrun- 
gen waren und den nach dein Fenster der Wohnung fttichtendeii 
Mann uiedergeschoesen haben. Die Schiisse sind aus einer Armee- 
pistole Kaliber 9 mm abgefeuert. Anhaltspunkle dafur, daas von den 
Ifitern Raub beabsichtlgt war, haben die Feststellungen nicht ergeben. 
Ea diirfte sich allem Anschein nach urn einen Racheakt handeln.> 
Uebcr den zweiten Fall sagt der anitliche Bericht: 
*Samstag gegen 21,43 Uhr wurde die Polizei nach der Wohnuug dea 
SSjahrigen Kaufman ns I?., Wilhelmstrasse 20, gerufen. In einem Zim- 
nicr der Wohnung lag, nur noch schwache Lebenszeichen von sich 
gebond, R. am Boden. h'gendwelche Verietzungen wie9 der Korper 
nicht a'ui Durch einen Am wurde die Ueberiuhrung ins Kranken- 
haus angeordnet. Auf dem Transport starb R. infolge Herachlags. 
Die in der Wobuung noch anwescnde Sttitze bckundete, dass etwa um 
21.1C Uhr zwei junge Manner an der Wohnungftttfe schellten und nach 
R. fiagten. Als R. erschien, drangen die beiden Manner in die Woh- 
nung em, und einer davon hielt R. einen Revolver entgegen. R- fliich- 
tete in ein Zimmer und liel dort vor Aufregung nieder. Die beiden 
Eindringlrnge verliessen gleich darauf die Wohnung, ohne sich iiber 
die Griinde ihres Erscheinens auszulassen. Nach der Beschreibung 
des Madchens handelt es sich um zwei Burschen im Alter von 20 bis 
23 Jahren. Der eine trug grauen Rock, dunkelgraue Hose und grauen 
Schnitthut, der andere einen dunkelgrauen Anzug mit grauer Miitze„> 

Das sind einige wenige Falle, die von den Behorden selbst be- 
kanntgemacht worden sind, aber jenc lausende von Brutalitaten, 
die verschwiegen werden, die nicht bekannt werden sollen, sind 
damit nicht ungeschehen geniacht. Die Vergniigungen der SA 
sind mannigfaltig. Eines Tages wurde auf offener Strasse in Ber- 
lin der Sohn des Synagogendieners P. vor den Augen seines Va- 
ters von einem Trupp SA-Leuten iiberfallen. Man hielt den Un- 
gliicklichen fest, und einer der Erneuerer Deutschlands machte 
sich den «Spass», den jungen Mann zweimal durch die rechte und 
zweimal durch die linke Wade zu schiessen. Der Sohn des Syna- 
gogendieners P. lag noch nach drei Monaten im Kranken- 
haus. Er kam zuerst ins St. Hedwigskrankenhaus, spater in das 
Berliner jiidische Krankenhaus, zuletzt in eine Nervenheilanstalt. 
Er wird vermutlich fur sein ganzes Leben gelahmt sein. 

Verge waltigt 

Die junge jiidische Naherin K. L. wurde aus ihrer Wohnung 
in Berlin C, Augustastrasse 35, abgcholt und in die SA-Kaserne in 
der Kastamenallee verschleppt Ihr Verbrechen war: ihre Frcund- 
schaft nut einem christlichen jungen Mann. In der Kaserne 
sracnte man sie in einen Raurn, in dem sich etwa 30 SA-Leute 

235 



aufhielten, die sich sofort auf sie sturzten ihr Hio vwj 
Le.be ri SS en u„d sie verp r a 5 eHe„. jC" ££" £"£' T, 
Treppe, wo noch ungefahr 10 andere T Put* ™ n J»» ? 5 

SA-Fuhrer Erich Schulz, holte sie Lnn ' rT iVT^" Der 
ging fort, urn noch zwei ^ere S??^ 

er den, Madchen ei„e Liebeserklarung^V^e'Thr^'wa* ihr 
von nun an nichte mchr geschehen, wenn sie sich jeden abend 
bei ihm meldete Wenn sie allerdings versuchen wurde Tns Aus 
l«i TO H— ^ d ™\™'te * erschossen, man hatte genugend 

sie entlassen. Erich Schulz versprach ihr das, ging fort und kam 
nach kurzer Zeit zuruck, um sie abzuholen. Er brachte sie zu 
seiner Mutter, deren Wohnung der SA-Kaserne gegeniiber Meet 
Dort bekam sie neue Kleider, da die ihren vollstandig zerrissen 
waren. Dann durfte sie gehen. 



Kleinstadt und Landgemeinden 

"Wir geben Kenntnis von der folgenden uberpriiften Einsen- 
dung, die wir im Wortlaut hierhersetzen: 

«In der kleinen wiirttembergischen Stadt Niederstetten _ nahe be? 
Mergentheim -^ existiert schon Beit Jafarhunderten eine kleine jii- 
disehe Gemeinde. Ihre Mitglieder sind zum groasten Teile Kaufleute, 
die, wie sich das von selbst versteht, durchweg, aoweit sie iiberhaupt 
politisch interesgiert sind, den Parteien der Rechten naher steben aia 
den Sozialieten oder Kommunisten. Zwischen der christlichen and 
der jiidischen BevGlkerung in Niederstetten bestand bis in die aller- 
letzte Zeit hinein ein ungetriibtes Verhaltnis. 

Etwn 8 Tage vor Ostern erschten eines Morgens ganz frilh eine Ab- 
teilung SA in Niederstetten, besetzte das Rathnus und iibernahm die 
Pclixeigewalt. Dann wurden die Hauser der .Tuden nach kommuni- 
stischen Schrii'ten durchsucht. natiirlich vSHig vergeblich Trotzdem 
wurden flO Juden — alles angesehene Burger in ihrer Stadt — aufe 
Rathaus gefiihrt; dori fuhrte man jeden einzeln in ein Zimmer. kne 
belte ibn, warf ihn auf einen Stuhl und schlug mit Stahlruten solange 
auf ihn ein, bis or nahezu bewusstlos war Alsdann Fiihrte man die 
Ungliicklichen. die sich kaum noch aufrecht hfl]tcn konnten alle m 
den Rathaussaal, wo sie sieb der Feihe nach an der Wand — <an d*r 
Klagemauer*. wie man ihnen hohnisch sagte - aufstellen mUflfl * cn 
Nschdem sie die Hand zum Faschislengruss *rhoben hatten durfTeo 
sie dae Rathaus verlassen. Die meisten von ihnen waren jedoch in- 
frige der erlittenen Misahandlunge-n so geschwaeht. dass sie von ihren 
AngehGrigen heimgetragen oder gefahren werden muesten. 
SUtnthche Misehandelten waren mehrere Wocbco br-ttlagerig. einer 
von ihnen hatte sogar die Sprache verloren 

236 



Es verdienl hervorgehoben zu warden, dass die gesamte nicht-judische 
Bevolkerung von Niederetetten, die am 5. Miirz zum grosaten Teil 
nationalislisch gewahlt hatte, fiber diesen Vorfall entsetzt war. Eia 
alter Bauer meinte kopfschiittelnd: <Das hat der Hitler doch nicht ge- 
wo!lt». — Der alte Mann besitzt offenbar keinen Rundfunkapparat, 
sons! wflsste er, dass dieee «deutschen Manners (angeblich waren sie 
aus Heilbionn a. N.. sie eollen in anderen Ortea noch schlimmere 
Taten vcrGbt haben) nu r das ausgefuhrt haben. was die zur Zeit 
fiihrenden Manner in Deutecbland altabendlich in touenden Reden 
als ihr Ziel verkiinden.> 

2ur Erganzung dieser Berichte von den Zustanden auf dem 
flachen Lande, bringen wir noch folgenden Aufruf des «Aktions- 
ausschusses zur Bekampfung des Judenturns in Neustadt am 
Aich», der im Lokalblatt dieses Stadtchens am 18. Mai 1933 er- 
schienen isi: 

« , . . . Unser Kainpfziel ist, Neustadt von Juden und Judenknech- 
ten freizumachen. Wir mochten dies nochmals und mit aller Deut- 
lichkeit feststellen, fur den Fall, dass es die, die es angeht, noch 
nicht begriffen haben . . . wer trotzdem noch glaubt, fur die Juden 
eintrelen zu sollen, ist in unseren Augen ein Lump, rait dem wir 
genau so verfahren werden, wie mit den Juden . . .> 

In den SA-Kasernen 

K. W., Berlin C, Xstr. 43, berichtel fiber seine Erlebnisse in 
der SA-Kasernc Berlin-Ystrase unter anderem Folgendes: 

«Man lieferle auch einen 26jahrigen Juden ein, Dieser erzahlte mir 
spater, er sei auf seinem Motorrad verliaftet worden, babe sicb nie 
urn Politik gekummert und war noch nie wablen. Erst wurden ihm 
die Haare mit einer Nagelschere geschnitten und zum TeiJ ausgeris- 
sen. Dann stntten sich die Hilfspolizisten darum, wer ihn verpriigeln 
durfte, denn diejenigen, die ih D eingeliefert hatten, verlangten dieses 
Recht fur sich. Der Hilfspolizist, der ihn gebracht hatte, sagte: Ich 
hatte den Juden ja gar nicht bringen brauchen, wenn ich ihn nicht 
verhauen darf. Darauf sagten die anderen: Du bist betrun ken 
gehe erst deinen Rausch ausschlafen. 

Dm meifiten Hilfspolizisten rochen furchtbar nach Alkohol. Dann 
wurde der Jude verhauen wie die anderen. und zwar mit Oehsen- 
ziemern, Stahlruten, Gummiknuppeln. Dann wurde ihm auf das nackte 
U-esass Spintus gegossen und dabei geschlagen. Dann wurde ihm 
em Dolch auf die Brust geaetzl mit dem Bemerken: Jetzt wirst 
flu er s toch en. Man brachte ihm eine kleine Verletzung bei und 
sagte ihm: Morgen frfth wirst du erstochen. 

lob kara um %6 zum Verhor. Da sie mir nichts nachweisen konntpn 
Kam ich in den Schlafsaal, wo ungefiihr 40 Mann lagen. Ich selbst 
oekam nur einige Schlage mit dem Gumrniknuppel und Fusstritte. 

237 



Es eab nocii erne sogenannte MOrderzelle. In dieser bel'anden sich 
3 (Vlann. Dieselben witrden von oben bis unlen schwarz geschtagen. 
Einer von diesen wollte sich schon mit einer Schour das Leben 
n eh men. 

Mcrgens uui 7 Uhr kain der diensttuende Ot'fizier der SA. Wit er- 
tuelten dann Friihstiick. Karfee und troeken Brot. Dann wurde auf 
dein Hof oxerziert. Vorher mussten wir sageti: «Unserem fteichs- 
kanzler Adolf Hitler eiD Sieg Heilx Beira Exerzieren musstsn wir 
tDeutschland iiber alles* und <Ich hatt' einen Kameradeu* siogen. 
D#nn wurden wir gefragt., ob wir das Vaterland verteidigen burden, 
falls es einen Itrieg gegen Polen gabe.Wir erwidertencja*. Man fragte 
mis, was wir machen, wena wir entlassen wurden, ob wir in die SA 
eintreten. Wir antworteleen ebenfalls «ja*. Die Juden, ca zehn, muss- 
ten besonders exerzieren. Sie mussten gemeiue Spriiche sagen, wie: 
Sport fordert den Haanvuchs, starkt die Bauchmuskeln und gibl deru 
Arech eine gesunde Farbe.» 

Wir entnehmen der Fiille der von amtlichen Stellen des Aus- 
landes verofi'enilichten Meldungen und Proteste folgendes: 

olnisclie Proteste 

«Berlin, 30. Marz. — Der polnische Gesandte in Berlin, Herr Wysocki, 
hat bei der Reichsregierung Protest erhoben gegen die Verfolguagen, 
deren die polmschen Israeli ten seitens der Hitler-Banden ausgesetzt 
sii*d. Herr Wysocki flihrte u. a. folgende Falle an, die in Berlin selbst 
stattgefunden haben: 

Am 4. Marz wurde Herr Israel Weisa aus seiner Wohnung geholt und 
in eine Garage geschleppt, wo er derart misshandelt wurde, dass er 
das Bewusstsein verlor. Darauf wurde er auf die Polizeiwache ge- 
fiihrt, wo er bis ziun 6. Marz zuriickgehalten wurde. Wahrend der 
Misshandlung nahmen die Flitleranhanger ihm seinen Pass und sei- 
nen Ring ab und gaben ihm diese Gegenstiinde oicht wieder zuriick. 
Am 6. Marz wurde Herr Abraham Leib Mittelmann iiberfallen und 
in ein Wirtshaus geftihrt, wo man ihn schwer misshandelte und ihn 
zwang, eine ekelhafte Flussigkeit zu trinken. Lnfolge dieser Miss- 
handlung ist Leib Mittelmann arbeitsunfahig gewordea. 
Am 7. Marz wurden Maier Wulken und seine Nlchte von Hitlerbanden 
derart mit Gummikmippeln bearbeitet, dass beide das Bewusstsein 
verloren . . . usw. 

Besonders in Chemnitz und Plauen haben sich die Hitleranhanger 
mit einer unerhorten Brutalitat den Juden gegeniiber aufgefiihrt. 
Samtliche polnischen Israeliten, die in Chemnitz verhaftet worden wa- 
ren, wurden unter Bewaehung in die Stadt geFiihrt, wo sie die kom- 
munistischen Maueraufschriften, die noch aus der Wahlzeit heriiih- 
ren, auswischen mussten Sie verrichteten diese Arbeit unter den un- 
[Uttigsten Beschimpfungen, die die Passanten ihnen zuteil werdon 
liessen. 

238 



Ein polnischer StaatsangehSriger, Adalbert Dafner, erhielt 50 Hiebe 

mit einer Reitpeitsche. Nach jedem Schlag mussle er <Dankel> sagen. 

Salo Rubinstein wurde dermassen misehandelt, dass sein KQrper 

?ine Woche nach seiner Misshandlung noch zahlreiche Verwundungen 

ind Merkmale aufwies. 

;m Gefiingnis von Plauen, wo zahlreiche Israeliten durch Hitlerleute 

eingesperrt word en waren, sind schreckliche Graueamkeiten verubt 

vorden. 

Infolge einer Intervention des polnischen Koneuls wurden in Zwickau 

ind in Falkenstein acht polnische Juden freigelassen, aber infolge 

der erlittenen Misshandlungen sind viele lange Zeit arbeitsunfahig 

geworden. 

Am 12. Marz wurde der Pole Simon Her an in Dresden von 

SA-Leuten in seiner Wohnung libeifallen. Er wurde unter furcht- 
baren Misshandlungen durch den Korridor geschleift, auf dem meh- 
rere Tage spater noch Blutspuren zu sehen waren.a 

Amerikaniscke Bcschwerde 

Rach einer Meldung aus Berlin vom 9. Marz hat der ameri- 
kanische Botschafter Sackett gegen die Misshandlungen 
von amerikanischen Staatsangehorigen Beschwerde eingelegt. Er 
bezieht sich auf eine Anzahl von Fallen, die allein in Berlin im 
Verlaufe von wenigen Tagen sich ereignet haben: 

iln Berlin wurden verschiedene Juden, darunter einige amerikani- 
scher Vationalitat, brutalisiert. So wurde ein amerikanischer Burger, 
Herr Max Schiissler, der Besitzer eines Hauses ist und die Ausweisung 
pines nationalsozialistischen Mieters aus seinem Hause beantragt und 
erhalten hatte, mitten in der Nacht von Nationaleozialisten aufgesucht. 
Um sich Eingang in die Wohnung zu verschaffen, hatten diese sich 
als Polizisten ausgegeben. Sie drangen in das Schlafzimmer von Fran 
Schiissler und zwangen diese, sich vor ihnen anzukleiden. Darauf 
forderten sie Herrn Schiissler auf, eine Erklaning zu unterzeichnen. 
auf Grund deren er die Ausweisung des nationalsozialistischen Mie- 
tfclS ruekgSngig machen rnusste. 

Andererfreits wurde auf dem Kurfuretendamm ein anderer araerika- 
nischer Staatsbiirger, Herr Leo Jaffe. von Nationalsozialisten ge- 
schlagen . . . usw > 

Das amtliche tschechische Pressebiiro 
meldet am 2. April 

*Iin WarnsdoiTer Spital befinden sich vier misshandelte Fliichtlinge 
aus Deutschland. Sie wurden gestern nacht um ein Uhr von zwolf 
SA-Leuten auf einem Lasiauto vom Hainewalder SchJoss in Sachsen. 
das gegenwartig ein Konzentrationslager ist, nach dem Ort Gross- 
sclidnau in Sachsen in der Nahe von Warns dorf eskortiert. Es handelt 
sich um vier Juden, von welcben einer oeterreichischer Staatsburger, 
zwei Polen und der Vierte staatenlos sind. Hundert Schritte von der 

239 




Grenze bei Warnsdorf eutfern!, wurden die vier Manner ausgeUden, 
auf der Wiese blutig geschlagen, und als sie nach der tschecho- 
slowakischen Grenze zu fliichten wollten, mit mehreren Schiiss^n be- 
dacht, Alle vier sind ernstlich verletzt; einer von ihneti hat ausser 
a»deren Wunden einen Sohadelbruch erlitten und ist nich; ver- 
nelnnungsfahig. 

An <lcn Grcuzen 

Die SA und SS der Grenzdorier gestalten den Opl'ein cks 
braunen Terrors natiirlich audi nicht zu entfliehen. Jedcr deut- 
sche Staatsangehorige, der bei dem Fluchtversuch uber die Grenze 
get'angen wird, gilt als ein Landesverrater. Aber nicht einmai die 
auslandischen Staatsangehorigen selbst sind vor der Wiilkur der 
braunen Herren sicher. 

A us Prag wird gemeidet: 

<Der Berliu-Athener Schnellzug, der jeden Morgen raehrere Hun- 
dert Perscnen nach Prag bringt, ist am 1. April mit eifistiindxger 
Verspatung und nur 3 Passagieren in Prag eingetroffen. Die Aus»- 
steigenden haben noiariell uber Szenen berichtet, die sicb in Dres- 
den abgespielt haben. Auf dem Bahnsteig hatte beiderseits des Zuges 
ein Kordon NationalsoziaHsten Auf-stellung genommen, eine andere 
Abteilung ersnhien in den Waggons mit dem Befehi: «Juden heraus!> 
Alle judischen Passagiere, auch die Auslander, mussten den Zug ver- 
lassen. Danach wurden auch die Papiere der iibrigen Fahrgaste unter- 
sucht und diese gleichfalls zum Aussteigen gezwungen. Auf dem 
Bahnsteig mussten die Fahrgiiste nebeneinander Aufstellung nehmen, 
dann wurde der BefehJ gegeben: sLinks um Marsch!* Die Kolonno 
bewegte eieh, von Nationalsozialisten flankiert, gegen den Bahnhofs- 
ausgang. Ueber das weitere Schicksal dieser zwangswelse an der 
Ausreise aus Deutschland verhinderten Personen, unter denen sicb 
viele Frauen und Kinder befauden, ist nichts bekannt.» 

Der Grossrabbiner von Fraukrcicli erklart 

Der Grossrabbiner von Frankreich gab im Zusammenhang 
mit den Dementis der amtlichen deutschen Stellen einem Ver- 
treter des «Petit Journal* folgende Erklarung uber die antise- 
mitischen Ausschreitungen in Deutschland ab: 

«Ich bin I eider gezwungen zu sagen, dass die Meldungen uber die 
Greueltaten absolut richtig sind. Wir besitzen unwiderle?- 
bare Beweise und photographische Dokumente. Glaubea Sie 
aicht, dass wir ohne weiteres den Erzahlungen Glauben sehenken, 
die uns von Fliichtlingen gernacht werden, Wir haben Mittel, um sie 
nachzupriifen. Wir sind im Besitze von Dokumenten, die aus absolut 
sicherer Quelle stammen, die ich Ihnen nicht angeben kann. Ich 

240 



£Lu~ f b - ht U l V ^rSSr g en -ndJn urn grans*.- 
haol«lt s.ch mcht uin reine Be b » ■ Wenu wir da zu 

^XT^e^nTZrTei wir Sese Da^ente vacant- 



lichen.* 



E s war viel sckliinuicr! 
ier .Manchester Guardian, slellt fort: 

i- „ Q „H n Rpisoiele von Terrorakten der Nazis seil den Wan- 
; Di nrden S es Se Sir * fe d» der Terror viel .cblimmer 
1C " 1 ™ P 2 Sriaubt wurde. Die britische, franzosische und ame- 
'SS^lfSldto SU nicht etwa, wie die deutsehe Press* 
nkaaiscM. wesse mm* ^u dj Senrec kuisse unterschaUt, was 

ewu7et Z "u habea, in Schlesien, wo do, amnestied Fememox-der 
Ees die Braunhernden kommandiert, dann in Worms and .„ vie- 
Ien anderen kleinen Stadten und Ddrfern. 

Erne genaue Sctailderung der Dinge, die sicb allein to den DSrfern 
OberhLens in. Laufe der letzlen vior Woctaaa "g**ff» Jjj 
wurde einen grauenerrwjenden Bericut geben. Aber es ist unmogl cb, 
mehr als ein paar Einzelfalle genau festzustelleu, da jede Un L er- 
suchun* dutch die allgemeine Angst vor Vergeltungsmassregeln, so- 
wie auch vor Gefangaisstrafen erschwert wird. Vor em paar Tagen. 
wurde ein Mann zu einem Jahr Gefangnis verurteilt. well er das 
Jalsche Geriiehb verbreitete, ein Judo sei von den Braunhernden 
gehiuigt worden. Das s Gerikbt» war in Wirkilchkeit wahr: 

Der Jude, ein Herr . . ., wurde von Braunhernden gescblagen und 
an den Flissen aufgehangt, sodass sein Kopf uber dem Erdboden 
hing. Als die Braunhernden ihre Tatigkeit beendet hatten, war er tot 
Ein Deutscher, der in seinem eigenen Land ein wahres Wort uber 
den entselzlichen Terror spricht, riskiert furehtbare Misshandlung, 
langes Gefangnis und eelbst den Tod. Von niernand kann verniinf- 
tigenveise die Uebernahme eines solchen Risikos erwartet werden.i 

Eiu Aufruf Einsteins 

Beenden wir dieses Kapitel des Mordes und des Schreckens 
mit einem menschlichen Dokument, dem Aufruf des aus DeutscU- 
land vertriebenen Professor Einstein. 

Am 27. Marz Iraf der Gelehrte aut dem Darnpler Belgenland 
in Le Havre ein. Er wurde von einer Delegation der Internal io- 
n.alen Liga gegeti den Antisemitismus an Hord des Schiffes be- 

241 



grusst und ubergab ihr folgenden, eigenhandig geschnebenen 
A uf ruf: 

.Die Tatlichkeiten brutaler Gewalt und Unterdriickung »egen alle 
freien Geister und gegen die Juden, diese Tatlichkeitea, die in 
Deutschland stattgefunden haben und noch stattfinden. hsben eliick 
l.chenveise das Gewissen alter Lander geweckt, die der Humanittt 
und den pohtischen freihciten treu bleiben. 

Die Internationale Liga gegen den Antisemitismus hat sicb das groese 
Verdienst erworben, die Gerechtigkeit zu verteidgen, indem sie die 
tmigkeit der Volker herstellte, die nicht durch das Gift angesteckt 
eind. 

Es steht zu boffen, dass die Reaktion stark genug sein wird. urn einen 
P.uckfall Europas in langst verflossene Zeiten des Barbarentume zu 
verhiiten. Mogen alle Freunde unserer so schwer bedrohten Zivilisa- 
tion ihre Anstrengungen konzentrieren, um diese psychische Krank- 
beit der Welt zu beseitigen. Ich bin rnit Euch.» 

III. Der Boykott 

rife SS«? eginn Seine i Exi * tenz an hat der Nationalsozialisraus 
die Methode angewandt, sich selbst als angegriffen, verfolgt und 
bedroht ^rzustellen Der durch den Hitlerismus organisiertl, vo 
her in Deutschland unbekannte pol it is che Terror hat 
SSSfn ""r ? Hand mlt der or ganisierten Liige gear 

best m^ni° y T ge 5 Cn d J Q jiid J Schen GescMfte - die Ausnahme- 
Dest.mrnungen gegen die deutschen Juden bieten der Welt ein 

hstenf.S 1ChCS S f aUSpiel dieser Methoden. Die Nationals 
TZ C T. S38en k0 " nen: es entspricht unserem Programm, 
5 Ssoh^f rCr Grundfor derung seit Jahren, dass die Juden 
m Deutschland a u s g e r o 1 1 e t werden mussen. 

I*JS?. ^ c" tal T - die NationaI sozialislen, um ihren Boykott zu 

wolen nn n J n t!^ "^ sind a » H * g r i f f e n! Die Juden 
S' e !,J S * rme Deut ^ vernichten! Wir handeln in ausserster 

Z™ „i* / or S anisierte T ^ror wurde «eine Abwehrbewe- 
gung» genannt: 

.Deutsche Volksgenossen, deutsche Volksgenossinnenl Die Schuldigen 

Gr „ D , I e9em J W n ah 1 WitzigeD Verbrec nen, an dieaer niedertrachtigen 
weuei. Ulld Boykotthetze sind die Juden in Deutschland. Sie haben 
Hire Kassengenossen im Ausland zum Kampf gegen das deutsche 
voiJt autgerufen. Sie haben die Liigen und Verlenmdungen hinausge- 
meidet. Darum hat die Reichsleitung der deutschen Freiheitsbewegung 
Deacnlossen, in Abwehr der verbrecherischen Hetze ab Samstag, den 
i. April 1933, vormittage 10 Uhr, tiber alle judischen Geschafte, Wa- 
renhauaer, Kanzleien usw. den Boykott zu verhangen. Dieser Boykot- 

242 



iftrmifl Folue zu leieten, dnzu rufen wir Euch, deutsche Fraued und 

C Kauft aicht in judischen Gescbaften Und War,nhausernl 

S nichVzu judische* Rechtsanwfilten! Meidet judische Aerztel> 

nip Reichsieitung der NSDAP veroffentlichte am 28. Marz an 
n« Parteior-'anisaUonen einen Aufruf, in dem die deutschen Ju- 
5 n beSuldigt werden. die .Greuelhetze* gegen die *nalionale 
Hegicrunj* inszeniert zu haben. 

Pie 11 Prograinmpiinkte 

Am jrfeichen Tage wurden die beruchtigten elf Programme 
punkte zur Durchfiihrung des Boykotts veroffentlicht. Wir geben 
sie im Wortlaut: 

G l In jeder Ortsgruppe und Organisationsgliederung der NSDAP 
sind sofort Aktionskomitees zu bilden zur praktischen, planmassigen 
Durchfiihrung des Boykotts jiidischer Geschafte, judischer War en, 
jiidischer Aerzte und judischer Rechtsanwalte. Die Aktionskomitees 
sind verantwortlich dafiir, dass der Boykott keinen Unschuldigen, 
umso barter aber die Schuldigen trifft. 

% Die Aktionskomitees sind verantwortlich fiir den hSchsten Schutz 
aller Auslander ohno Ansehen ihrer Konfesaion, ihrer Herkunft Oder 
Rasse. Der Boykott ist eine reine Abwenrmassnahme, die sich aus- 
schliesslich gegen das deutsche Judentum wendet 

3. Die Aktionskomitees haben sofort durch Propaganda und Aufklarung 
den Boykott zu popularisieren. Grundsatz: Kein Deutscher kauft 
noch be] einem Juden Oder laeet sich von ihm und seinen Hinter- 
mannern Waren anpreisen, Der Boykott muss ein allgemeiuer sein 
Er wird vom ganzen Volke getragen und muss das Judentum an 
seiner empfindlichsten Stelle treffen. 

4. In Zweifelsfallen soil von einer Boykottierung solcher Geschafte 
sclauge abgesehen werden, bis nicht vom Zentralkomitee in Miinchen 
eine andere Weisung erfolgt. 

5. Die Aktionskomitees iibervvachen auf das scharfste die Zeitungen, 
inwieweit sie sich an dem Aufkliirungsfeldzug des deutschen Volkes 
gegen die judische Greuelhetze im Auslande beteiligen. Tuen Zei- 
tungen dies nicht Oder nur beschrankt, so ist darauf zu sehen. dass 
sie aus jedem Haus, in dem Deutsche wohnen, augenblicklich eut- 
fernt werden. Kein deutscher Mann und kein deutsche? Gesehaft 
soil in solchen Zeitungen noch Annoncen aufgeben. Sie miisson der 
uffentlichen Verachtung verfallen, geschrieben fiir die judischen Ras- 
sengenossen, aber nicht fur das deutsche Volk. 

6. Die Aktionskomitees muesen die Propaganda der Aufklarung iiber 
die Folgen der jiidischon Greuelhetze fiir die deutsche Arbeit und 
damn fur clen deutschen Arbeiter in die Betriebe hineintragen uud 
besonders die Arbeiter iiber die Notwendigkeit des nationals Boy- 
cotts ais Abwehrn.assnahme zum Schutz der deutschen Arbeit auf- 
Klaren. 

243 



7. Die Aktioiiskomitees oiussen bis in das kleinete Bauerndarl" hinein 
vorgetrieben werden, urn besonders auf dem flachen Lande die jl'i- 
dischen Handler zu treffen. 

8. Der Boykott setzt nieht verzettelt ein, sondern schlagartig. hi die 
sem Sinne sind augenblicklieh alle Vorarbeiten zu treffen. Es ergehen 
die Anordnungen an die SA und SS, um vom Augenblick des Boykotts 
ab durch die Posten die Bev61kerung vor dem Betreten der jiidischen 
Geschiifte zu warnen. Der Boykott setzt schlagartig am Samstas, den 
1. April, pimkt 10 Uhr vormittags, ein. Er wird fortgefiihrt soTange. 
bis erne Anordnung der Parteileitung die Aufhebung bel'iehlt. 

9. Die Aktionskomitees propagieren sofort in zehntausenden von 
Massenversammlungen, die bis ins kleinste Dorf hineinzureichen ha- 
ben, die Forderung nach Einfuhrung einer relativen Zahl flip die 
Beschaftigung der Juden in alien Berufen entsprechead ihrer Betei- 
ligung an der deutschen Volkszahl. Um die Stosskraft der Aktion 
zu erhohen, ist diese Forderung zunachst auf drei Gebiete zu be. 
schranken: 

a) auf den Besuch an den deutschen Mittel- und Hochschulen; 

b) fur den Beruf der Aerzte; 

c) fur den Beruf der Rechtsanwalte. 

10. Die Aktionskomiteee haben weiterhin die Aufgabe, dafiir zu 
sorgen. dass jeder Deutsche, der irgendeine Verbindung zum Aus- 
lande besitzt, diese verwendet, um in Briefen. Telegrammen und 
Telefonaten aufklSrend die Wahrheit zu verbreiten, dass in Deutsch- 
land Ruhe und Ordnung herrscht, dass das detitsche Volk keinen 
sehnlicheren Wunsch besitzt, als in Frieden seiner Arbeit naehzu- 
gehen und in Frieden mit der anderen Welt zu leben, und dass es 
den Kampf gegen die jiidische Greuelhetze tiut fiihrt als reinen 
Abwehrkampf. 

11. Die Aktionskomiteee sind dafiir verantwortlich, dass sich dieser 
gesamte Kampf in vollster Ruhe und grosster Disziplin vollzieht. 
Krumrnt auch weiterhin keinem Juden auch nur ein Haar. Wir wer- 
den mit dieser Hetze fertig einfach durch die einschneidende Wucht 
dieser Massnahmen.j 

Dieser Aufruf wird von einer langatmigen Erklarung be 
gleitet: jedes Wort ein Indiz fur das schlechte Gewissen — aber. 
wie immer bei diesen Herren, durch besondere Schneidigkeit ge- 
tarnt. Zurn Schluss heisst es: «Nationalsozialisten! Samsta*;. 
Schlag 10 Uhr, wird das Judentum wissen, wem es den Kampf an- 
gesagt hatl» 

Ein Berufener! 

Zum Hauptling dieser «Abwehraktion» bestellten die Herren 
des «Dritten Reiches» Julius Streicher, den Herausgeber 
der Nurnberger Zeitschrift .Der Sturmer». Man wird in der 
aussertteulschen Welt nicht wissen, was fur ein Blatt «Der Stur- 

244 



r» ist obwohl dieses Organ zeitweilig eine Auflage erreichte, 

?^ in die Hunderttausende ging. «Der Stunner* ist kein antise- 
lisches Hetzblatt ini ublichen Masstab. Sein Inhalt ging weit 
"her alles hinaus, was man bisher in Deutschland an Schmutz 
U lesea gewfibnt war. Dei Slurmer* war immer cin Gossen- 
przeugnis- Er behandelte die «Judenfrage» pornographisch. Einige 
neberscbriften nur aus der unendlichen Reihe der Schmutzlitel; 
«Oskar Gross, der Dienstbotenschander von Kitzingen* 
■ Blonde Madchen Opfer des internationalen Madchenhandels* 
Unterhosenskandal am Jakobsplatz* 
Das Privathotel auf dem Plauencr Kirchplatz* 
-Das Polizeiverbot und das Bordell auf dem Zeppelinfeld*. 
Diese Leistungen legitimierten Herrn S t r e i c h e r, in den 
Reihen der NSDAP Karriere zu machen und endlich zum 
Kommissar der Boykottbewegung ernannt zu vverden. Streicher ist 

mmir M 

Qamvu £ttfc fc&Htffht Kufflarung, im& aCec {Q xe BcitcflunflMt utib tfaufe a« Bffptfieit Er.tet 
!Prcpcgicrung nationolfpsioliffifcfjcr (Scbanfen* aitfer?m Wurmen, wit bet ficiAFf&unfe sv-ticitt, 

vl*l «5« ft m aafamalfoaioIilUW einguftellen. », ^ - % ffr*^«II Often- 

W W M b« ft„»pfS„A be* .MH. fifilff 5 * ?«WlK^^^ 

SSitielfian&cS Qcnotigt, dnmal cin ejempel gu gelbmanst, OBttiRgeirifiUV Ctfemtfce 85, 

[ictuieren. 2ki bcr tefcten S.'tion 311 ©unit en fccS (5d?n eiber. Stater. ficsfrinsfticfee S.Jsira^- 

beuifd}«i Cinjelbanbtlfl iDiirfcen intercftante gcf!« 5! 






(IcQunQcn gcmadjt. 3m ©etou&ijcm iljreS unrcd?- 

Jen STunfi ecrmeiben cS S?oIIBgenofien, jubifdjc 

<S*fdjafie effen $\i betxehn, fie benu&en lon'nte "biefc Sijtc " nocf» fcbculcni crtrcitctt 

ftinterturen o&er oa* SeletTjon, urn njerhen. 

JvdmboyJfotl halt an : Au&schnitt aus dem xDortmunder Gcneralanzelger* 

vom 8. Juli 1<)33. 

oft verurteilt worden, nicht nur wegeii Verleumdung, Bedrohung 
und anderen «politischen» Delikten, sondern auch wegen «E r- 
pr es su ng». 

Herr Streicher hat zu seinem Stellvertreler im Aktionskomitee 
unverzuglich seinen Mitarbeiter, den Redakteur des "Stunner*, 
Holz, gemacht. Auch Holz ist vielfach mil den Strafgesetzen in 
Konflikt geraten. Er ist nicht nur wegen «b e w u s s t e r Ver- 
leumdung politischer Gegner ini Wiederholungsfalle* selbst 
von bayerischen Gerichten zu Gefangnis verurteilt worden, son- 
dern auch vielfach wegen Trankenheits- und Rohheitsdelikten. 
Er und Streicher haben das Rilualmord-Marchen alien Ernstes im 
20. Jahrhundert aufs Neue verbreitet. Ein Gerichtsurteil besagl, 
dass Holz, um diese Marchen glaubhafter zu machen, sie in die 
liegenwart verlegt hat und, • ohne den geringsten Anhalt dafur 

245 



zu besitzen, ehrbare und fuhrende Personiichkeiten Niimbergs 
daran beteiligt und als Riiualmorder hat auftreten lassen». 

Herr Streicher erklSrte auf einer Pressekonferenz der «nalio- 
nalen Journalisten» am 30. Marz: 

«Ich werde oicht davor zurtickschrecken, den deutschea Juden auch 
die Ausubung des Gottesdienstes mil Gewalt zu verbieten und aie 
am Betreten der Synagogen durch bewaffnete SA-Leute hinder* zu 
lassen.* 

Im ubrigen sei der Stein nunmehr im Rollen; ob die Greuel- 
propaganda aufhore oder nicht, das eei gleich- 
giiltig. Diese Propaganda des Auslandes gegen Hitler habe den 
w i I Ikonmien en Anlass gegeben, und die Aktion wurde 
durchgefuhrt; es ware eine vollendete Illusion, anzunehmen, dass 
die SA-Leute sich hiervon abkalten liessen. Er, Streicher, sei mit der 
EntwickJung durchaus zufrieden; seine einzige Sorge in den ver- 
gangenen Wochen sei gewesen, dass der Vernichtungskampf 
gegen die Juden etwa unterbleiben konnte. 

In diesem Falle — das sei seine feste Ueberzeugung! ware die 

nationale Revolution an ihrer eigenen Unzulanglichkeit zusammen- 
gebrochen. Diese Gefahr aber ware nun endlich und endgtiltig besei- 
tigt; man moge ihm, Streicher, vertrauen, dass erganze Arbeit 
den Juden gegenuber leisten "werde! 

Boykott-Vorbereituugcu 

In den letzten Tagen vor dem Boykott wurde die Judenhetze 
systemalisch gesleigert. 

VVir bringen als Exempel eine der « representatives Reden, 
die des neuernannlen Polizeiprasidenlen von Frankfurt, General 
von West rem, die eincm Organ der NSDAP, dem «Frankfurter 
VolksbIatt» vom 30. Marz cntnommen worden ist : 

<Kein SA-Mann vergreift sich an einem Juden, weil er weiss, dass 
der Jud' ihm nicht ebenbiii'tig ist. Ich werde ea auch nicht mehr 
langer dulden, dass auf deutschem Boden geborene Tiere unter 
der sadistisch-asiatischen Sch&chtrnethode qual- 
voll verenden mfissen. Kann der Jud' unser Fleiech nicht essen. 
dann mag er Kohlriiben und Kartoffeln essen wie ihr im Hunger- 
winter des Weltkrieges. Deutschland ist erwacht Ihr Juden, ihr 
braueht nicht zu zittern, wir bleiben legal, so legal, dass euch vielleicht 
die Legal i tat unbehaglich wird, dann k6nnt ihr ja nach Palastina ge- 
hen und euch das Fell gegenseitig iaber die Ohren ziehen!> 

Aktionskomitees 

Die Anordnungen der nationalsozialistischen Parteileilung 
iibersturzcn sich. Aktionskomitees wurden allerorten gebildet und 
mit der Aufgabe betraut festzustellen, vvelche Geschafte, Waren- 
h.iuser. Anwaltskanzleien usw. sich in jiidischen Handen befin- 

246 



Das •Zentralkomitee zur Boykottierung judischer Geschafle» 
gab 'folgende Richtlinien aus: 

ni* Akticnskomiteee Ubergeben das Verzeichnis der festgeetell- 
in iiidi«chen Geschafte der SA una SS, damit diese am 
-omstaa den 1. April 1933, vormittags punkt, 10 Uhr die W ache n 
nfsiclieii konnen. Die Wachen haben die AuFgabe, den. Publikum 
hpkanntzug eben ' dass das von ih,ien Bberwachte Geschaft judisch ist. 
Tfilllcl" vorzugehen ist ihnen verboten. Verboten ist ihneu auch. di-a 
Geschafte zu schliessen. 

7 r Kenntnismachung judischer Geschafte 

B ind an deren Ei n ga n gs t li r e n Plakate oder T a- 
f in mit gelben Flecken auf Bchwarieoi 
rVunde anzubringen. Entlaesungen von aicht 
/lid is chen A ng est el It en und Arbeitera durfen 
v o a den boykottierten judischen Geechaften 
nicht vorgenommen, Kiindigungeo nieht aus- 
gesprochen werden. 

Die Aktionskomitees veranstalten am Freitag abend in alien Orten 
hr Einvernehmen mit den politischen Leitungen grosse Masse 0- 
1,-undgebungen und Demonst ratioDSZiige. Am 
Samstag vonnittag sind bis spatestens 10 Uhr die Plakate mit dem 
Bojkottaufruf an alien A n s ch 1 a gsa u 1 e n in Stadten 
uiid DorFern anzubringen. 

Zu gleicher Zeit sind auch an Lastautos Oder nocb besser an 
MilbclwageQi folgende Transparente in hier angegebener 
Reibt'nfolgr clurch die Strassen zu fahren; 

«Zur Abwehr der judischen Greuel- und Boykotthetze» 

.Boykotliert alle judischen Geechafte* 

«Kauft n.'cht in judiechen Warenhausern* 

«Geht nicht zu judischen Rechtsanwaltem 

cMudet jiidische Aerzte> 

«Di€' Juden sind unser Ungliicki. 

Zur Finaazierung der Abwehrbewegung organisieren die Komitees 
Sanunlungen bei den deutschen Geechaftsleu- 
I e n.> 

An samtlichen Litfassaulen im Reich hing in den Tagen vor 
dem 1. April diese Bekanntmachung: 

«Bie Sonnabend friib 

10 Uhr 
hat das Judentum Bedenkzeit! 
Dann beginnt der Kampfl 
Die Juden aller Welt 
wollen Deutschland vernichten! 
Deutech es Volk 1 
Wehr dichl 
Kauf nicht bei Juden!» 

247 



Audi die verschiedensten Ministerial aus&erten sich ihrer- 
seils ressortmassig iiber die anzuwendenden Boykottmassnah- 
men. Wir werden im Abschnitt A us n ah m e-«Rec h t» noch 
mit solchen Vcrordnungen bekanntgemacht werden. Alle mil dor 
NSDAP korrcspondierenden Vereinigungen, samtliche Unterabtei- 
tungen, Gaue usw- erliessen detaillierle Bestimmungen; es gab 
keinen noch so kleinen Parteibeamten, der sich aicht rait scinen 
Anweisungen wichtig inachte. 

Aus den Nachrichten iiber den Boykotlverlauf bringen wir 
einige bezeichnende offizielle Meldungen, die beweisen, dass ins- 
besondere in Klein- und Mittelsladlen die SA vor dor Anwendung 
von Gewalt durchaus nicht zuriickschreckte. Das Conti-Bureau 
(WTB) meldet aus Annabel* g in Sachsen: 

a Hier zogen heute vormittag vor jiidischen Geschaften etarke SS- 
und SA- Abteilungen auf und driicktea jedem Kaufer, der die Laden 
verliess, cinen Stempel mit der In sen rift ins Ge- 
sicht: aWir Verratsr kauften bei Juden>. Nach eiaer Anordnung 
der NSDAP diirfen die jiidischen Geschafte erst morgen boykottiert 
werden. Auch in Berlin sind, wie das Conti-Buro erfahrt, ahnliche 
Massnahmen wie in Annaberg vorgeseben.» 

Die deutschnalionaJen «Leipziger Neuesten Nachrichten* Hid- 
den aus K a s s e I vom 1. April: 

<Die Abwehraktion hat auch in Kassei ptinktlich urn 10 Uhr vormit 
tags eingesetzt. Auf dem Friedricha Platz vor dem Warenhaus Tier? 
ist ein Viereck des Platzes in Kafigform mit Stacheldrabt 
abgespcrrt und ein Schild mit der Aufschrift angebracht: «K on- 
zentrationslager fiir widerspenetige S t a a t s- 
biirger, die ihre Einkaufe bei Juden tfitigen.i im Urn • 
Drahtverschlages ist ein lebender Esel untergebracht. Zu irgendwel- 
chen Zwiachenfallen ist es bfcher nicht gekommen.> 

Eine andere Mel dung der Telegraphen-Union vom 31. Marz 
aus Leipzig lautct: 

*Die aus den Hausern sicb entfernenden Kaufer wuTden photogra- 
phiert, Verschiedene Warenhaueer haben bereits geechlossen.* 

„Provokateure" 

Die nationalsozialistische Parteileitung hatte Vorsorge getroi- 
fen, dass die imvermeidlichen Brutalitaten und Ausschreitungen 
entfesselter SA-Horden nicht zu Lasten der Bewegung gerechnet 
werden sollten. Tage vorher wurde gewarnt vor «kommunisti- 
schen Provokateuren*, und konsequent sind denn auch die meisten 
Bestialitaten, die an diesem Tage vorgekommen sind, auf das 

248 




Ohen- Die aorialdemokratischen Stadtrate Westfahlinj-er und M 
3£5« geswun S en, Hire* Genossen Kuhnt .n einem Karren durch 
Stadt zu Ziehen. 



Muller 
diy 



ITnten: Dor fruhere oldenburgischa MinisterprasiderU und ^^^okr^ 
tische Reichstagsabgeordnete Kuhnt wurde am 9 Mar 1933 m Chemn.a 
von SA verhaflel und im Triumph durch die Stadt gefunrt. 

(Dieu Polos warden als NnaiAtaposllwricn vcn dcr.SA in den Handel rfebrachl.) 




Die ffitlfcrregierung raubt das Dresden or Gewerkschaftshaus 




unci verwandell cs in eine SA-Kaserne. 




SA verbrennt die Fahnen der Dresdener Orlskrankenkasse. 



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Fragebogen der Arztekammer nach <Qrossvaler and Oroumultor*. 



Konto dieser frei erfundenen «kommunislischen Provokateure», 
die nierkwiirdigorweise schon seit vielen Jahren in den Reihen 
der SA stehen, geschoben worden. Nicht in alien Fallen ist es 
moglich gewesen zu leugnen, dass SA-Kommandos auf Weisung 
mittlerer oder hoherer Funktionare «Verhaftungen» vorgenom- 
men haben, bei deneu dann das eine oder andere Juden- 
schwein zu Schaden gekommen» ist. 

Kicliter auf Miilltonnen 

Von einem Augenzeugen wird aus Koln berichtet: 

An Koln spielte sich am Freitag, 31. Marz, vor dem Oberlandesge- 
richt auf dem Keichensbergerplatz eine unbeschreiblieh gemeine 
Szene ab. Nazi-Burschen dFangen in das Oberlandesgerichtsgebaude 
em und d r a n g t e n gewalteam die judischen R e c h 1 6- 
anwalte und Richter hinaus, die man vorber dorthiu 
bs&tellt halle. Draussen wurden sie vor den Augen eines grossen 
Publikums auf M till tonnen wagen geladen und dem Gespott der 
Meuge ausgesetzt. Mehrere Anwalte und Ricbter trugen noch ihren 
Talar. Die Wagen warcn mit Sehildem versehen, auf denen sich die 
Aufschrift bel'and : cAbtransport zur Miillverwer- 
tungss t elle*. Die Polizei sah untatig zu. Die Wagen fuhren 
dann zum Polizeiprasidium, wo die Insassen in Schutzhaft genommen 
werden sollten. 

Der offizlelle Bericht, eine dreiste False hung, sah so aus: In 
Koln haben SS-Leute inx Einvernehmen mit der Polizei eine grossere 
Anzah] judischer Richter und Rechtsanwalte zu ibrer personlicheD 
Sicherheit (!), als eine grossere Menschenmenge sich vor dem Ge- 
richtsgebaude versammelt hatte, in Schutzhaft genommen.> 

Audi dieser Boykott hatte seine Grenzen — namlich da, wo 
der Profit in Frage steht. Wir werden noch horen, dass alle diese 
Massnahmen im Effekt nur den judischen Miltelstand und die 
proletanschcn judischen Schichten getrolfen haben, nicht aber den 
judischen Kapitalisten. Wo etwa der Fremdenverkehr bedroht er- 
scheint, da haben alle Vorurteile, da hat aller Rassenhass zuruck- 
zustehen, da ist auf einmal «der Jud'» nicht mehr der Unter- 
mensch, nichl mehr «die WeltpesU, sondern nur noch der hoch- 
willkommene zahlende Kurgast. Horen wir eine Meldune der 
^Frankfurter Zeitung*: b 

tWiesbaden, Ende Mai. Das Kurgeschaft ist in diesem Jahre bisher 
wei hinter den Erwartungen zuriickReblieben: die Fremdenzahl be- 
trug z. B. in der ersten Woche im Mai, der fur Wiesbaden immer 
Hauptsaisoa ist, nur 1744, in der folgenden grossen Festspielwoche 
stieg sie auch nur auf 1808 und ging in der nachsten, der hollandi- 
schen Woche, wieder auf 1760 zurttclc. Die Gesamtfremdenziffer be- 

250 



!rug bis Mitte Mai erst 27.000. E* is! daher rra Intcresae de r Kur 
Industrie, dass Magistrat, Kurdirektion und die nationalso- 
zi a 1 is ti sciie Kreialeitung in einem Aufruf an alle in 
Frage konimenden Stellen dee In- und Auslandcs bekanntgeben da^ 
die Heilquellen und sonBtigen Heilmittel Wiesbadens auch unter der 
neuen Re^ierung alien Heilung. und Erliolungssm-hendea aus alien 
Laodern nach wie vor ungehindert mx Verfuguug stehen, dass Rune 
und Ordnung niemals hier gestort waren.» 

Es heisst weiter: «Die fur die VerwaUung Wiesbadeas massgeben- 
den Stellen verburgen alien, die zum dauernden oder vorubercehen- 
den Aufeuthalt nacb Wiesbaden kommen, gleictagiiltii* wel 
cher Konfession und Einstellung, einen "unge- 
start en, sichereo und angenehmen Aufenthall.* 

IV. Ausnahmc-„liccht" 

Der offene Boykott des 1. April-Tages wurde nichl weiter 
fortgefiihrt, obwohl die nationalsozialistische Presse und Parlei 
versichert hatten, dass dies-er kistorische Sonnabend «lediglich als 
Generalprobe fur cine Reihe von Massnahmen zu betrachten* sei, 
die, «wenn sich die Meinung der Welt, die im Augenblick gegen 
tins ist, nicht endgiiltig anderl, durchgefuhrt werden». Nun, die 
Meinung der Welt hatle sich grundiich geanderl von diesem Tage 
an, und zwar zu Ungunsten des «I) r i 1 1 e n Reiches*. Die 
Machthaber in Deutschland merkten es sehr bald, sie merkten es 
schon vor clem Boykolt selbst, und sie fanden, dass diese offene 
Demonstration ein schlechtes Geschaft sei. Die National- 
soziahslen haben zwar Grundsatze, aber sie waren stels bereit, 
sich diese Grundsatze abkaufen zu lassen. 

Schon an den Vortagen des Boykotls ausserte selbst Herr 
Mreicher — offenbar auf Druck der Regierung hin - dass die 
w lederaufnahme des Boykotts voraussichllich nicht notig sein 
werde. Und der Reichsminister fiir ^Propaganda und Volksauf- 
Kiarung, leilte am Vorabend des 31. Marz den Vertretern der aus- 
iandischen Presse mit: 

«dass sich die Reichsregierung entschlossen habe, den Boykott ?o- 
gen die Juden vorlaufig fur Samstag, den 1. April 'zu 
Degrenzen, und zwar in der Weise, dass von 10 Uhr fruh bis 
» Uhr abends der Boykott aufreeht bleibt. 

Darauf sol] bis Mittwoch zugewartet werden. Hat die Internationale 

resse bis dahin ihre Hetze gegen Deutschland eingestellt, so wer- 

k 7 Weiteren Massr, ahmen abgesehen werden. Andernfalle werde 

"»> Mittwoch, 10 Uhr vormittags, ein Boykott einsetzen, der die Ju- 

d en sen aft Deutscb lands zur v611igen Vernich- 

251 



tun" treiben wird. Die Verordnung, dass am 1. April die 
jLohuo uiid Gehiiiter vou den jiidisch-eu Firuien aui zwei Moaate 
im voraus ausbezahlt werden miisseu, wurde zuriickgenomraen.> 

Der lelzte Satz dieser Mitteilung zeigte besonders deuttich, 
dass unter dern Druck der Vcrhiiltnisse die Nationalso- 
zialisten gezwungen waren, ihre eigenen Verordnungen Punkt 
fur Punkt wieder abzubauen. Ursprunglich war bestimrnl worden, 
dass alle jiidischen Geschaftsinhaber alien ibren christlicben An- 
gestellten das Gehalt fur zwei Monate vorauszubezahlen hatten. 
Daraul'hin erfolgte ein Run auf die Banken, der zu einer Kata- 
strophe gefuhrt hatle, wenn man diese Verordnung nicbt schleu- 
nigst zuruckgenommen hatte. 

Der offene lioykott war eine Demonstration, und als Demon- 
stration ein Schlag ins Wasser. Der offene Boykott wurde nicht 
wieder aufgenommen. Dafiir wurde der stille Boykott weiter 
fortgefuhrt, jener Boykott, der nichts kostete, und der nicht so sehr 
die grossen und reichen jiidischen Firmen betraf als Zehntausen.de 
und Aberzehntausende von kleinen jiidischen Ange- 
s t e 1 1 1 e n, von Aerzten, Rechtsanwalten, Lehrern, 
Beamten, Universitatsprofessoren usw. Es ist eine 
Frage der F u 1 1 e r k r i p p e. Hunderttausende von Juden werden 
brotlos gemacht — nun gut, es gibt also Platz fur viele nationai- 
sozialistische Anwiirter. 

Die jiidischen Anwalte werden nicht mehr zugelassen 

Die Verordnungen der einzelnen Minister, Gauleiter uvw. 
jagten sich und widersprachen teihveise einander. In Berlin wur- 
den zunachst von fiber 1200 jiidischen Anwalten nur noch 35 zuge- 
lassen, in Koln durften nur vier jiidische Rechtsanwalte weiter 
pladieren. Alle jiidischen Ric liter wurden ebeur- 
laubt». Die nationalsozialistischen Juristen, die rasch die Ge- 
legenheit ergriffen, sich der jiidischen Konkurrenz zu entledigen. 
fassten (nach der deutschvolkischen «Wahrheit» vom 25. Marz 
1933) auf einer im Marz in Leipzig abgehaltenen Tagung ihres 
Bundcs einen entsprechenden Beschluss. 

Der Reiehskomioissar fur das Preussische Justizministerium 
gab am 31. Marz an samtliche Ofcerlandesgerichtsprasidenten, Ge- 
neralstaatsanwiilte und Prasidenten der Strafvollzug&amter in 
Prcussen folgenden Erlass heraus: 

«Die Erregung des Volkes iiber das a n m asse nd e Auftreten 
amtierender jiidischer Rechtsanwalte und ] tt- 
d is cher Aerzte hat Ausmasse erreicht, die dazu zwingen, niit 



252 



M<5glichkeit 211 recbnen, das3 besondere in der Zeit des berech- 
t- e \en Abwebrkampfes des deutschen Voikes gegen die alliudiache 
^ g ue l propaganda das Volk zur Selbsthilfe schreitet. Das wilrde eine 
rfabr fur die Aufrechterhalrung der Autoritat der Rechtspflege dar- 
llen Icb ersuche desbalb umgfthend, alien amtierenden 
iftdischen Richtern nahezulegen, sofort ihr 
it -laubsgesuch eiozure:chen und dieaem sofort stattzugeben. 

1 ti ersuche, mit den Anwaltskammern oder cirtlichen Anwaltsver- 
inen aoch beute zil vereinbaren, dass ab morgan frtih 10 TJbr nur 
och besiinmto judische Rechtsanwaite, und zwar in einer Ver- 
1 :; 1 1 u i y zali ». die dem Verhiiltnis der jiidischen Bevolkerung 
sofistigen Uevolkerungszahl entsprieht, auitreten. Mir scbeiut eg 
sOlbstverstandlich £H eein, dass die BeioTdmmg jiidischer Anwalte 
uodArmrnanwaJU* Oder Bestellung von solchen als Pflichtverteidiger, 
zu KockursveiwaHern. Zwangsverwaltern usw. ab morgen 10 Uhr 
aicht mehr erfclpt. AaftrSge zur Vertretung von Recbtsstreitigkeiten 
des Staates an jiidiecbe Anwalte ersuche ich sofort zuruckzu- 
ziehen. Den Gesanitrucktritt des Vorstandes der Anwaltskam- 
niern ersuche ich riurcb ents-prechende Verhandlungen herbeizufuh- 
ren. Wenn von den Gau- und Kreisleitungen der NSDAP der Wunsch 
geaussert wird. durcb uniformierte Wachen die Si- 
cherlieit ycd Ordnung innerhalb dee Gerichts- 
gebfiudeszu iiberwachen, ist diesem Wunscb Reehnung zu tragen.> 

Aehnliche Verordnimgen wurden gegen die jiidischen Aerzte 
erlassen. Ihnen wnrde zunachst ausnahmslos die Berechtigung zur 
Kassenpraxis. das heisst zur Behandlung der sozial-versicherten 
KrankriK also der grossen Mehrzahl alter Patienten, entzogen. 

An die preussischen Hochschullehrer und Dozenten wurden 
auf Veranlassung des Kultusministers Rust Fragebogen ausgege- 
ben, durcli deren AusfiUhmg der Minister Aufschluss iiber die 
rassische Abstammuns der Universitatslehrer zu erhalten wunsch I. 



Das Beamtengesetz 

Was die Beamten betrifft, so wurde die «Rassenfrage» durch 
ein Gesetz, das Anfang April im Reichsgesetzblatt veroffentlicht 
w"urde, vorlaufig folgendermassen geregelt: 

cAls nichtariscb gilt, wer von nichtar-schen, insbesondere jii- 
discben Eltern odrcr Grosseltern abstammt. Es genmrt, wenn ein 
Elternteil oder ein Grosselternleil nichtariscb ist. Dies ist insbeson- 
dere drum an/.unehmen, wenn ein Eltern- oder Grosselternteil der 
Sischen Religion angehort hat. 

Es hat feme sr, it aicht be re its seit dem 1. August 

191 I Beamier gewesen ist, nachzuweiseu, dass er ariscfaer A b- 



s t a m m u n g Oder F r o n ! k a m p f e r oder der Sohn Oder V a- 
ter einee im Weltkriege Ci»fallenen ist (Geburteur- 
kunde und Heiratsurkunde der Elteru, Miiitarpapiere) 1st die 
arische Abstammung eines Beamten zweifelhaft, so muss ein 
Gutachten dea beira Reicharainisteriuni des ttmern beelelHen 
Sacb vers tiin di gen f ii r R a 6 s e n f o r s c b u n g eingebolt 
werden. 

Bei der Priifung, ob die Vorausaefeungen dee § 4 Satz 1 gegoben 
sind. ist die gesarute politische Betatigung des Beam- 
ten, insbesondere seit dera 9. November 1918 in Betracht zu ziehen. 
Jeder Beamte ist verpflichtet, der oberaten Reichs- oder Lan- 
desbehorde auf Verlangen dariiber Auskunft zu geben, welchen poli- 
tischen Parteien er bisher angehOrt und in welcher Richtung er sich 
politlech betatigt hat. A Is politische Parteien im Siune dieser Be- 
stimmung gelten auch das Reich sbanner Schwarz-Rot- 
Gold, der Republik anise he Richterbund und die 
L i g a fur Menschenrechte.> 

Diese Verordnung ist besonders wichtig, weil spaterhin fast 
alle Kategorien von Akademikern (Aerzte, Anwalte, Hochschul- 
lehrer usw.) aber auch Bankbeamte, Angestellte us-w. nach den 
Ausleseprinzipien dieser Verordnung gesiebt wurden. 

Der Ka-nipf gegen die jiidischen Arzte 

Was die Aerzte angeht, so genugt vielleichl die Lekture des 
folgenden Aufrufs, der im «Gross-BerIiner AerzleblaU mit Ber- 
liner Aerzte-Correspondenz» am 20. Mai 1933 veroffentlicht wurde. 
Der Verfasser, ein Herr Dr. Ruppin, ist nicht irgendwer, son- 
dern Kommissar im Provinzialverband der Aerzte der Provinzen 
Brandenburg und Grenzmark. Dieses Dokument tragt die Ueber- 
schrift: «Fort mit den jiidischen AerztenU 

<Die vSIIige Entfernung der Juden aus den akademischen Berufen 

ist notwendig. 

Dii! freien akademischen Berufe, insbesondere die Aerzte, kommen 
mit weitesten Kreisen der Bevolkerung in personliche Beriihrung und 
nehraen aJs Aerzte ihren Patienten gegeniiber eine Vertrauensstel- 
lung ein, die ibnen Einfluse auf die Denkweise dieser Kreise ein- 
raumt. Der Provinzialvorstand der Aerzte Brandenburgs halt es da- 
her in unserem volkischen Staat Kir undenkbar, dass ein Jude die 
MOglichkeit behalt, das Gift j it d i s c h e n D e n k e n s auf diesem 
Wege auszustreuen. Dureh die Ueberjudung ist unstreitig die Erti- 
here ideale Berafsauffassung in weiten Kreisen der freien Berufe 
dern jiidischen Geschaftsgeist bereits gewichen. Dieser Geist muss 
aus unserem Aerztestand ausgetilgt und jede Moglichkeit 6einer 
Wiederkehr beseitigt werden. Mit scharfsten Mitteln ist die Kor- 
ruption, soweit sie schon eingedrungen ist, auezurotten. Wir deut- 
schen Aerzte fordern daher Ausscbluse all er Juden von der 

25-1 



arztlichen Behandlung deutscaer Volksgenossen, weil der Jude die 
[ukaruation der Luge und dea Betruges ist. Ferner 
fordern wir eine strafrechtliche Bestimmung, die Vergeben und Ver. 
brecben, die mit der Vertrauensstellung der freien Berufe zusam- 
menhangen, mit Zuchthaus und sofortiger Entziehung der Berufs- 
ausiibungserlaubnis bestraft. 

Wir Aerzte fordern alle national-volkischen Berufsorganisationen 
des Deutschen Reiches auf, sich uneerer Forderung anzuschlies9en.» 

Zur Erganzung noch aus dem Erlass des Kommissars Dr. 
Wagner, dem sich die Spitzerwerbande der Deutschen Aerzte- 
schafl unterstelli haben: 

<Auf Grund des Boykotts gegen das Judentura hat im Einvemehmen 
mit dem Oberbiirgermeister die stadtische Krankenversicherungsan- 
stalt zu Berlin ihre Abteilungen angewiesen, Erstattungsantragen 
ihrer Mitglieder, aus denen hervorgeht, dass die arztliche Behand- 
lung am Oder nach dem 1. April bei einem judischen A r z i 
begonnen hat, nieht s t a ttz uge b en. Bei bereits begonne 
ner Behandlung bei einem judischen Aral sollen die Mitglieder sich 
liberie gen, ob sie die Behandlung bei diesem fortsetzen. Die 
Krankenversicherungsanstalt erwartet, dass die Mitglieder aus ihrem 
nationalen Pflicbtgefiihl heraus auch jiidische Apotheken, Kliniken, 
Optiker, Badeaastaltsbesitzer, Zahnarzte und Dentisten nieht in 
Anepruch n e h m e n s 

Entlassung der judischen Lelircr 

Die kunftige Stcllung der judischen Lehrer in Deutsch- 
land ist gekennzeichnet durch einen Brief eines der einfluss- 
reichsten nationalsozialistischen Fiihrer, des Landtagsabgeord- 
neten Dr. Lopelmann, in dem es heisst: 

cWir machen Sie darauf aufmerksam, dass es untragbar ist, 
wenn he ute noch judisehe Lehrer an preussisch en 
Unterrichtsanstalten amtieren, whrend deutsche Fronteoi- 
daten als Aushilfslehrer in ihrem eigenen Vaterlande mit unzurei- 
chender Bezablung herumgestossen werden. Wir betrachten es wei 
ter als einen unmoglichen Zustand, dass in preussischen Lehranstal- 
ten auf die Ueberheblichkeit judischer Schiiler und Schillennnefl 
noch irgendwie Riicksicht genommen wird. Namens der nationalso- 
zialistischen Preussenfraktion diirfen -\vir von Ihnen folgende Mass- 
nahmen wohl erwarten : 

1. Samtliche judisehe, d. h. von Juden abstam- 
mendeLehrpersonen sindmitsofortiger Wirkung 
von alien preussischen Unterrichtsanstalten zu 
beurlauben bezw. abzubauen. 

25S 



2. Fur die judischen Schiilex und Schiilerinnen Stu- 
denten und Studenlinnen wird der Numerus clausus enteprechend 
der Bevolkerungszahl des judischen Volkes innerhalb des Deutschen 
Reiches eingefiihrt, d. h. nup immer ein Prozent der Schulerachaft 
einer Anstalt darf judisch Oder judischer Herkunll sein.» 

I m Sinne dieses Briefes sind fast alle im slaatlichen Kom- 
munaldiensl beschafLigten judischen Lehrer zunachst einmal so- 
fort «beurlaubt» worden. Ein Erlass des Oberprasidenten von 
Brandenburg und Berlin dehnt diese Massnahmen auch auf die 
judischen Privatlchror aus. 

Am 25. April wurde in einer Kahinetts-Sitzung ein «Gesetz 
>! e g e n die Ueberfremdung deutscher Schulen 
und H o c h s c h u 1 c n» verabschiedet 

Naiurgeinass gclten die Bestimmungen, die auf die Kalegorie 
der Lehrer angcwendet werden, im besonderen Masse aueh fur die 
Hochschullehrer. Die Liste der entlassenen oder «beurlaub- 
ten» judischen Dozenten brachten wir in einem fruheren Kapitel 
des Braunbuches. 

AusscUaltung jiidischer Redakteure und Jonraalisten 

Die «Neue Freie Presses vom 13. April 1 9:?3 meldet: 

Tin der ausserordentlichen MJigliederversammlung dee Bezirks- 
verbandes Berlin im Reiehsverban-d der deutschen 
Presse wurde einstimrnig beschlossen, fiir die Delegiertenver- 
sammlung dee Reichsverbandes Dr. Dietrich zum Vorsitzen- 
den des Reichsverbandes vorzuschlagen. Im Anschluss an 
die Generalversammiung des Landesverbandes im Reichsver- 
band der deutschen Presse — so nennt sich fortan der Be- 
Kirksverband — fand eine Sitzung des neuen Vorstandes 
slatt, in der einstimmig ein Antragangenommen wurde. dass 
kunftig judisch e und marxistische Redakteure nicht 
raehr Mitglieder des Landesverbandes werden kcinnen, Fer- 
ner wurde ein Antrag fur die Delegiertenversammlung, den Reichs- 
verbandstag, angenommen, der fordert, dass jiidisehe und m ar- 
sis tische Redakteure weder dem Reichsverband 
ier deutschen Presse beitreten noch fhm angeho- 
ren konnen. Auch dieser Antrag fand einstimmige Annahzne.* 

Unterdessen sind fast samtliche judischen Redakteure an 
cteutschen Zeitungen entlassen worden, und die Arbeiten fast aller 
freien Mitarbeiter judischen Glaubens oder judischer Abstamraung 
werden konscquent refiisiert. Es muss feslgestellt werden, dass sich 
hierbei insbesondere auch die judischen Zeilungsverleger unruhm- 
hch ausgezeichnet haben. Erwahnen wir als Beispiel das Ver- 
nalten des judischen Zeilungsverlegers der «Neuen Badischen 

2^0 



Landeszeitung; in Mannheim, Giitermann, der schon am i Ma™ 
alle seine judischen Redakteure und Angestellten entliess. ' 

Ausschlass der Schotten und Geschworenen 

Auf alien Gebieten geht der stille Boykott geeen 
die Juden weiter; sie werden aus dem off entlichen Leben au^e- 
merzt. Die «Neue Freie Presses meldet am 12. April den Aus- 
schluss der Juden aus den Listen der Geschworenen, Schoffen und 
Handelsrichter: 

«Die Reichsregierung hat beschlossen, die laufende Wahlperiode alter 
Schoffen und Gesch worenen vorzeitig mit dem 30. Juni 1933 zu beenden. 
Zu dem gleichen Terrain soil auch die Anitsdauer der Handelerichter 
enden. Die neuen Schoffen und Geschworeuen werden anders zu- 
sanunengesetzt sein als bisher, denn die Genteinden werden in die 
Wahlkorperschaft fiir Schoffen unter den heutigen Yerhiiltnissen na- 
turgemass anders orientierte Personen entsenden. Bs wird keine 
kommunietischen Schoffen und Geschworenen 
mehr geben. Die Zahl der vorgeschlagenen Sozialdeinokraten 
wird weeeatlich geringer sein, und auch Juden -werden 
wohl nicht mehr gewahlt -werden. Das gleiche Bild wird sich 
fur die neu zu ernennenden Handelsrichter ergeben. Bis zu den Neu- 
wahlen brauchen sich nach dem soeben erlassenen Gesetz die Rich- 
ter nicht an die bisherigen Vorschriften iiber die Zuziehung der 
Laienrichter zu halten. Sie konnen zum Beispiel einzelne Rich- 
ter iibergehen.> 

Juden als „outcasts" im Sport 

Selbst im Sport gilt jeder Jude als ..outcast* Wahrend sogar 
in Amerika farbige Boxer zu Titelkampfen antreten ^ *«£ 
scke Boxer iudischer Religion oder Abstammung in deutscben 
Rmgen n ich J tmehr auftreW Der Mittdajw^-eigo^ 

Deutschland, Erich S e e 1 i g, wurde dara V^h"? inzW ischen in 
land seinen Meistertitel zu verteidigen Er ha ^^S 1 ^ ™ 
Frankreich seine Form unter Beweis gestellt Der deutec he 1 e :n 
nismeister Daniel Prenn, der weitaus ! bote deutt^ 
Spieler, darf nicht mehr als Vertreter Deutschlands auf den mtcr 
nationalen Spielen nomimert werden. mP iHef 

Die «Neue Freie Presse» vom 28. April 1933 meldet. 

. . . <r>er Deutsche 
<Der Deutsche Sctrwimmverband VCTlaUtD " ' ph e n bekannt. 
Schwimmverband hat sich zum Arierpa s Sportve rban- 

In welcher Form die Zugehongkeit der Juden bezieh ungs- 

den und dadurch auch zum SchwimnvverT»and ger^ aufgenom . 
weise der Arierparagraph in die |»«^ dje die Re g ie rung 

men wird, richtet eich nach den Bestimmu g 

257 



erliisst. Bis dal.in bestimme ich, class Juden v OB alien lei t e n- 
rfln Stellen in Verband zu entfernen uud hinter 
a a Front zu stellen s i u d ; auch bei alien reprusenta- 
fiven Veranstaltungen und sportlichen Vertre- 
tunsen haben sie niclil in Eracheiuung zu treten 
1 u u s Oeorg Has.* 

(Der Deutsche Schwiinmverband gehort vorlaufig noch dem I n t «sr- 
nationalen Schwiinmverband an, gegen (lessen 
Satzungen, der G 1 e i c h bere ch t i gu n g aller, der 
Arierparagrapb verstosst. Vorsitzender des Internatio- 
nal Schwimniverbandes ist aller Jiags der bisherige deutscne 
Schwimn.wart B i u n e r der jedoch wegen seiner cinteznalianaleiD 
Einstellung aus dem Verbandsgetriebe ausgeschaltet wurde.) 

sMitgliedschaji der Juden in der DSB. 

Bis zu den endgiiltigen Richtliniea des Herrn Reichaeportkonimissara 
werden fur die judiscben Mitglieder der DSB-Vereine die B est , m- 
mun*en dee Bea m t en geset ze a angewandt, Damit ist die 
sportlicbe Betatigung nur denjenigen Juden (nicht Icon felons-, son- 
dern rassemassig) bei Veranstaltungen gestattet, die den Schutz des 
Beamtengesetzee geniessen.» 

„B6swillige Geriiclite" 

Allerdings wo es urn das Geschaft gelil, da hort auch hier 
wiederum die Grundsatz-Treue alsbald auf. Das gleichgeschaltete 
«12-Uhr-Mittags-Blatt» vorn 19. April 1933 versichert unler der 
Ueberschrift «B6swillige Geruchte», dass bei der 11. Olympiads 
die 1936 in Berlin ausgetragen werden wird, die Rassentrage kerne 
Rolle spielen soil: 

cDie auslandische Boykott-Propaganda gegen Deutschland hat auch 

vor dem Sport nicht Halt gemacht In der letzten Zeit konnte man 

mehrfaeh in verschiedenen auslaudischen Blattern lesen, dass 

besonders in den Vereinigten Staaten von Nordamerika Bestrebungen 

im Gange seien, die darauf hinzielen, die fur 1936 nach Berlin ver- 

gebenen Olyrapischen Spiele einer anderen Nation zu uber- 

tragen, Weil angeblicb in Deutscbland Massnahmen getroffen sein 

sollen, den Start jiidischer Sportsleute bei internationalen Wettbe- 

werben zu verhindern. Auf eine offizielle Anfrage in dieser Ricn- 

tun^ erklarte Avery Brundage, der Vorsitzend e des Arae- 

rikanischen Olyrapischen Komi tees, dass fiir die Aus- 

wahl des Olympiaortes das Internationale Olympische Komitee d i- 

rekt zustandig sei Das Komitee, das im Juni in Wien zusammen- 

tritt, werde siek iweUeltaa mil der Frage beschaitigen Seine pw- 

sonliche Meinung sei, dass die Spiele nicht in einem Lan de abge- 

halten werden wiirden, W o man die Olympische Grimdtheone der 

Gleichheit aller Rassen verletze. Zu diesen voreihgen Aeusserungen 

258 



des ^erikani^hen Sportfnhre* , kann o gen -J^^^rden 

S0lCh 1 "S^^K. Die Welt kann .ieh darauf 
von der Ra^enfrage g g ^^ ^ den Q > schen 

! er 'fn e nactle ita en.* wdl wlrd, ohne Rucksicht auf seine R^ 
S ^ Staa^gSgkeil, al S Gas. behandel. and emprangen wrt» 

Jnden-Pass e 

RocfimtTumeen gelten audi fur die judischen 
pJSSfDS^SSPSrS.ld... von B,...a. o,d- 

M,e * -r •air " r rsrt: &£ .rat 

judischen Glauben a 1B33 fc dcm [ur [hre 

diesen P eI8 ^*S pSe^evier vorzulegen haben. Die Passe 

Hi and den Passinhabern zuruckgegeben.) 

Bcsondere Badezeiten 

F sibt kaum irgend einen Erlass, geeignet den judischen 

StaafsbuC .uTffamieren, auf den irgendeine Behorde irgend- 
Slim« nicht gekommen ware. Die Stadt Speyer 

reS^dmderWhichte dieser Tage als j ponders 

erfinderfsch fortleben. Sie hat den Ruhm, als erste deutsche Kom- 

mune eine Verordnung erlassen zu haben. 

nvonach die Judon in, Interest d er 6 ff en n- 
efeen Ordnung die Stadtischen 1 e r ma 1 b ad er nur 
B oeh zubestimmtenStunder, be n ut z e n ion n en.. 
Were deulsche Gcmeinden folgtcn diesem Beispiel baid. 

Die .Frankfurter Zeitung» vom 24. Mai 1933 ber.chtet: 

«In der Tiibinger Gemeinderatssitzung vom 15. Mai wurde von 
der NSDAP ein Antrag eingebracht. in dem es u. a. he.sst : «Juden 
und Fremdrassfcen fat der Zutritt zu der stadtischen Fre.badeanstalt 
zu verwehreV, Der Antrag wurde mit alien gegen drei Stimmen 
angenommen.> 
Kurz darauf las man in oberschlesischen Zeitungen ahnlichc 
Verordnungen. 

Entlassiing der jiidischeii Angestellten 

Falsch ware es zu glauben, dass die Ausschaltung der deiil- 
schen Juden nur aus intcllekluellen Berufen forciert wurde. Man 
spricht zu wenig von den kleinen jiidischen Angestellten. 
den kleinen Kaufleuien und den judischen Arbeitern. 
Aber gerade hier. in diesen Kategorien, sind die Mas sen des 



259 



judischen Kleinburgerlums zu finden, wirtschaftlich genau so 
verelcndet und gedruckt wie die Masscn der nichljudischen Klein- 
burger und Arbeiter. Die nationalsozialistischen Betriebs-Zellen- 
Organisationen haben es sich sehr angelegen sein laSSen, die 
kleinen judischen Angestellten, die klcinen judischen Handler 



b ©run© fQr Die CSItmfl 6» ttrbrlUperljaitnlH™- 

.1) JriRtok (Enllaflnnfl OKgrn L....U ' 




b> fiAn&igung tuir-tf) Dm 2(rbclilge|ier ro^gcn ?*2jfi £****hG&?V ^ 

(Slngabe Bfo ©run&f», }. 8 ZOTUming — ftranflielt — ung*nflgent»e !Urb(M9lcipang u|ro.) 

c) ftunOigung tnirrfj tam VtMTne^mjr nrgen . c= — — 

d) UrrlragsaufliSftinfl im beHxiff'tiflfn (SinoerftfinOniW-- : 77Z... . _. 

3uc SIusfQUung Ovr oblgtm 3d<5f<nlgcng If! txrt Xlrbellgcfcer auf (Brand too g 170 6?3 
fflri.*(]t-3 Qber Slrbeit&pcrniltUung uufr "M rtti i»! oftnwerfi djvnsng ocrpflidjlct. 




J>*n 



sk1s2 JdM&s* __ iQ 3 j^ 




Z*ntrale Cehalts- und Lohnstelle 

Str Stadfgcmcindcvcrwaltunfl Boclin ^ 



'H»!fT|i*ftn a D » jlna/i*m»in 



Original einer Kundigung wegen tnicht ariscker Abstammung*. 

und die judischen Arbeiter brotlos zu machen. Eine Meldung aus 
Berlin vom 31. Marz besagt: 

<Auf Veranlassung der nationalsozialistischen Farteileitung teilt die 
Betriebszellenorganisalion mit : 

Morgen haben sich die nationalsozialistischen BetriebszellenvorstSode 
mit den Arbeiterorganisationen zusammen bei den judischen Ge- 
schafteii vorstellig zu machen und die Vorauszahlung von 2 Monats- 
gebiilter fiir die chrietlichen Arbeiter und Ange- 
st el It en zu fordern. Auseerdem muss die Forderung erhoben 
werden, dass alle judischen Angestellten fristlos 
entlassen werden. Wer sich nicht fiigt, ist sofort der Leitung 
zu melden, die dann die ert'orderlicheu Masenahmen trifft. Morgen 
Sclilag 3 Uhr nachmittag verlassen alle Angestellten und Arbeiter 
die judischen Geschafte, urn an der Kundenabwehr teilzujielimen. 
Zeitungen und lebenswichtige Betriebe sind auagenommen, jedoch 
in lias en alle jildischen Angestellten so fort fristlos 
entlassen werden. Im Verlag UUstein sind bereits heule alle 
Redakteure jiidiscber Rasse an hervorragenden Stellen beurlaubU 

Die "Frankfurter Zeitung* vom 28. 5. 19:33 meldet: 

<Auf einer Gautagung des Re i chs v e r ba n d es ambulanter 
Oewerbetreibender wurde nach dem <P0ssnecker Handier- 
blatt* dem ofFiziellen Organ des Verbandes deutscber Handler, 

260 



Schausteller und Marktreisender (Sitz Dresden), die Frage gestellt, 
ob kunl'Ughin jiidische Handler und Gewerbetreibende auf den Mee- 
sen und Mfirkten zugelassen sein sollen. Der Gaufiihrer ver- 
trat den Stnndpunkf, dass <die Juden radikal ausgemerzti werden 
miissen.> 

Geschaft ist Geschiift — auch fur Autisemiten 

Im «V61kischen Beobachter* vom 2. April -wild als ausserster 
Effekt der Boykottbewegung die «spontane Hausse an der juden- 
reinen B6rse» bejubelt. Wir wissen, was mit dieser Jubelhyinne 
demonstriert wird: dass namlich der Kampf nicht gegeu 
das System, nicht gegen den Kapitalismus, nicht ein- 
mal gegen die Auswiichse des Kapitalismus gefuhrt wird, 
sonden^dass es sich um einen Konkurrenzkampf der nation a- 
len Schieber gegen die jiidische Konkurrenz handelt. Auch an 
der KJudenreinen B 6 r s e» konnen die Borseaner Geschaf te 
machen. Es geht nicht gegen das Kapital, es geht nicht gegen deu 
Besitz; es geht gegen den kleinen Mann: gegen den 
«arischen» Arbeiter und Mittelstandler, der b e t r o g e n wird, 
gegen den jiidischen kleinen Angestellten und Handler, der ver- 

n i c h t e t wird. 

Die «arischen» Grundsatze richten sich durchaus nach der 
Hohe des Geldbeutels. Wie seinerzeit mit personlicher Berechti- 
gung Herr Oskar "Wassermann, Vorstandsmitglied der «Deutschen 
Bank und Diskontogesellschaft» in einer Erklarung (im «Berliner 
Tageblatt» vom 31. Marz 1933) mit Recht darauf hinwies, dass er 
nicbt im geringsten belastigt worden sei, und dass sich ihm ge- 
genuber der Wandel der Dinge nicht bemerkbar gemacht habe, 
auch gesellschaftlich nicht, so durfen heute die anderen jiidischen 
Kapital islen frohlocken : die nationalsozialistische Regierung setzt 
sich mit vollem Nachdruck fur ihre materiellen Belange ein. Sie 
ruft jene untergeordneten Stellen, die da glaubten, dass der An- 
tisemitismus durch die antikapitalistische Haltung des National - 
sozialismus bedingt sei, zur Ordnung. Sie schiitzt, wenn nicht den 
Juden, so doch das jiidische Geld. Der Kapitalismus darf dieser 
«nationalen Revolution), nicht zum Opfer fallen. Die «Frank- 
furter Zeitung» vom 27. Marz und der «V6lkische Beobacliter» 
gleichen Datums veroffentlichten folgenden Brief, den der «Reicns- 
kommissar fur die Wirtschaft», Dr. Wagner, an den Vorsitzenden 
des «Kommunalpolilischen Amtes der NSDAP», den Oberburger- 
meister Fiehler (Miinchen) gerichtet hat : 

<Aus sahlreichen Kreisen der Wirtsrhaft wurden mlr in der lefsten 
Zeit Rundschreiben Qbersandt, die von einzelnen Kommunen 
an sine grosse Zahl vo« Fabrikanten und an andere Wirtschaftsim- 
ternehmungen hinausgegangen sind, um festzustellen, ob die Unter- 

201 



uehnien als cdeutsche Unlev oehmunge n» angesproeheu 
werden konnen. Die in diesem Rundschreibon enthaltenen Fragen 
wollen daboi feststellen, in welcuem Umfaug das Kapilal der betref- 
fenden Firm en deutsch eei, in welchera Umfange ntchtarische und 
nicbtdeutsche leiteude Personlichkeiteu vorhanden sind usw. So sehr 
ich selbstverstantilich auf dem Standpunkt stehe, dass gerade die 
Kommuaen ibre Auftrage nur an deutscbe Firmen vergcben sollen, 
halte ich es doch i'ur notwendig, dass dem eingeschlagenen Verfah- 
ren Einhalt geboten wird. Der ganze mil diesen Rundschrei- 
ben aufgerollte Fragenkomplex 1st nicht so einfach, class man durcb 
«Ja> oder <Nein> Oder durch Zahlen Entschcidungen fallen konnte. 
Vielmehr ist es Aufgabe der Reichsregierung, dafur zu sor- 
gen, daes jede Untemehmung in Deutschiand, gleich- 
g u I tig woher s i e i fa r K a p i t a 1 b e s i t z t und w e r s i e 
leitet in die deutsche Volkswirtschaft als ein Glied derselben 
eingefiihit wird, und dass die Leitung eines jeden Unternehmens in 
Zukunft ausschliesslich nur nach deutschen volkswirtschaftlichen Ge- 
sithtspunlron erfolgen kaa-n. In der DurchFuhrung dieser Notwen- 
digkeit wirH die Regierung aber nur gehindert, wenn vorher von 
einselnen Slc.leiJ aus Tatsachen geschaffen werden, die erne Er- 
sehuttetuxig des Wirtschaftelebeng mit sich bringen. Unser Ziel 
k a n n nicht 6 e i n, bestehende Wirtschaftsunteraehmungen in 
DeutecM&nd, audi wenn sie mit fremdem Kapital und bishex zum 
Teil \on fremden Person! ichkeiten geleitet word en sind, zu zersto- 
ren, sondern sie dazu zu zwingen, dass sie deutsch haudeln und dass 
auch sie dem grossen Grundsatz unseres Fiihrers cGemeinnuttz vor 
Eigennutzs untergeordnet werden. Ich mochte Sie deshalb bitten, 
dass Sie Ihren Einfluss als Leiter des kommunalpolitischen Amtes 
auf die Leitungen der deutschen Kommunen geltend machen, urn zu 
verhindern, dass weiterhin solche Rundschreiben versandt wer- 
den und dass durch solche Massregeln eine Storuug des Gesarat- 
wirtschaftslebens hervorgerufen wird, die wir beim best en 
Willen in der jetzigen Zeit nicht braucben konnen.* 

•Beim besten Willow - das konnen sie nicht braueben dass 
irgendein Kapitalist in dieser mationalen Revolution, zu Scbadw 
klinel Wir wussten es seit langem. Und die, ^ eu ^ n ^ n S^ 
den «Sozialisten» Adolf Hitler schworen, die von ^ das Wunder 
erwarten, dass er fur den Bauern Cohere Preiseur den Ver- 
braucher aber zugleich billigere Lebensmitte ■g^I™"^ 
den Arbeiter hohere Lohne, aber zugleich ShSrSfteto 
grorwen Proflt, Mr den Be^to G£tt -g»— £*S 
Staat aber Ersparnisse — diese «vvunaeigidu d uner hitt- 

mit Grauen a u f g e sch reck 1 werden *«* J* d Tm 1- 
liche Tatsache dass im jDntten tag* »»**»£?&, 
holfen wird als den Kapi toll stei ^ se ™ & .J lemm dim , h 

das, was ihnen noch un .Uiiuui ue^ 

- 

262 



Fudcnhatz zu nichts anderem gedient hat, als sie abzu- 
f 8 n k e n von dem Kampf gegen die wahrhaf t Schuldigen, gegen 
das S y s t e m des K a p i t a I i s m u s. 

V Arierparagrapa uud Rasse-Amter 

Wir liaben gesehen, dass der neudeutsche Antisemitismus ein 
Antisemitismus °auf bioiogischer Grundlage : Rasse-Antise- 
i " -mus ist. Dieser biologische Antisemitismus fuhrt zuruck 
'"]• die antisemitische Welle unter Fuhrung des Hofpredigers 
«&*«• die seinerzeit ihre «Ideologie», d. h. lhre pseudo-wissen- 
thaftli'che Rechtfertigung durch Eugen Diihrings Schrift «Die 
t H^nfraee als Frage des Rassencharakters» fand. Die «R ssen- 
kunde Imstmals ein Steckenpferd absonderlicher Schrif Welter 
und niemals recht ernst genommen, ist heute ,m neuen Demseh- 
Und zur offiziellen «Wissenschaft» erklart -worden, d. fa. em em- 
traglicher Beruf geworden. 

Die Jadeu als „Rasse" 

Nun ist es dieser «Wissenschaft» bisher zwar trotz alter Re- 
muhun-en nicht gelungen, nachzuweisen. dass die Deutschen erne 
Rasse sfnd - im Ge|enteil stoht feat, dass die Deutschen em 
Miscnvolk und sehr weit entfernt davon sind sich -nordisch. 
S zu diirfen. Aber es ist diesen seltsamen Forschern bisher 
nocn nicht einmal gelungen, nachzmveisen, dass die Juden wirk- 
lich eine eRasse» sind. 

Wir wollen den Rasseforschern zu Hilf e kommen : es ist 
schon etwas an dem Geschrei urn die judische Rase. Fur dw 
Untersuchung dieser komplizierlcn Materie emyfiehlt es sicfc 
auch hier die Sachverhaltc vom Kop au f d e F u s s e z ° 
st ell en ; d. h. die Rasse ist nicht ein Urprodukt, sonde. n em 
Z u c h t u n g s p r o d u k t, nicht der Beginn, sondern dasEg^ 
ni eines Entwicklungsprozesses. Die heute lebenden Juden au 
die Urvater, die biblischen Juden zuruckfuhren zu wolten, jiu 
ware ein verzweifeltes und absurd* Lnterne hmen ^ Rasse 
mischungen, die in der judischen Gesch.chte stattgefunder ha 
ben, sind zahlreicb und unubersichtbeh. Aber etwa ™*J™£ 
1000 an, mil dem Ende des Proselytismus' (d h. : derUe^rtte 
V on Andersglaubigen zur judischen Rehgionsge memsch aft) 
wurden die Juden durch ihre Religion ihre Gesetzgeb ung und 
durch die sozialen Verhaltnisse. unter denen sie lebten zu e mer 
«Inzucht» angehalten, die an Dauer und Volbtendigke t in 
der europaischen Geschichte beispiellos ist. Die an hrop log 
schen Rassenmerkmale leiten sich her ^us dieser Per.ode die 
in fast SOOjahriger Dauer einen gewissen Menschentypus, eoen 
den judischen, entwickelte. 

263 



Eine andere Frage ist, was denn selbst mit dem Nachweis 

jiidischer Rassemerkniale gewonnen ist. Gerade jene Eigentum- 

lichkeiten der Juden, gegen welche die Antisemiten zu kampfen 

vorgeben, erklaren sich keineswegs aus der Rasse, sondern aus 

den sozialen Verhaltnissen.in denen die Juden leben : 

eine Kaste, der von der Umwelt bestimmte Existenzbedin- 

gungen vorgeschrieben vvurden. Mit dem Fortfall dieses Zwanges 

fallen auch fast unmittelbar, das heisst mindestens in der zwei- 

ten Generation, die nicht mehr unter diesem Zwange lebt, die 

Eigentumliclikeiten fort. 

Mit solchen theoretischen Erorterungen haben wir uns indes- 
sen schon von der Praxis des Nationalsozialismus weit fortbewegt. 
Dort ist alles viel einfacher und viel plumper. In keiner Frage hat 
der Nationalsozialismus etwa nach eigenen Argumentationen ge- 
handelt, vielmehr hat er sich immer erst im Nachhinein seine 
eigenen Barbareien durch kaufliche Subjekte als «Kulturtaten» 
bestatigen lassen. 

Wenn heute in Deutschland eine «Rassenforschung» sich 
als * Wissenschaf t» auftut, so hat im innern Grunde solche Ko- 
modie nur den einen Zweck : ein neues Manlelchen zu schaffen 
fur die Bestialitaten des herrschenden Regimes. 

Die Praxis der „Rasse-Amter" 

Sprechen wir von der Praxis. Die «Frankfurter Zeitung» mel- 
dete am 5. Mai 1933 : 

iDcrtmund, 4. Mai (TU). Der Staatekommissar der Stadt Dortmund 
hat ang-eordnet, dass bereits jetzt mit dem Aui'bau eines R as se- 
am tes in Dortmund begonnen werden soil. Mit der Leitung wurde 
der Hilfskommissar fur das Geeundheitsweeen, Dr. med. Bra us a, 
betraut, der im Rahmen einer Press ebesprechung grundsatzliche 
Au«fuhrungen ilber rassehygienische Fragen machte. Er fflhrte u, a. 
aus, dass bereits die Aufzeichnungen gesundheitlicher Art fur die 
80.000 Dortm under Schulkinder, die sich fur aie Zwecke der rasse- 
bygienischen Statistik erganzen lieisen, vorhanden seien. Die Ju- 
gend, die die nSchste Generation bilde, werde also zuerst erfaest. 
Daneben wiirden diejenigen FSlle zu bearbeiten sein, die nach den 
bereits eilassenen Verordnungea zwangslauffg bearbeitet werden 
miissten, d. h, die Bewerber ftir Beaintenstellen, Schiiler der 
h6beren Sehulen und der Hochschulen, Das Erfassen 
der gesamten BevSlkerung sei dann die Aufgabe der nachsten 
Jahre. 

Es stebe zu erwarten, dass bereits in aller- 
nHchster Zeit Gesetze zur Soheidnng und A u f - 
artung der Rasse erfolgten. 

Daa wesentlichste dieser Gesetze werde sein, dass in Deutschland 
264 







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Verjag'tc Wissenschaftler mid Kiinstlei 1 





Der Sdiriftsteller Thomas Mann. 
Trager des Nobelpreises. 



per Chemiker Pro!'. Fritz Haber. 
Trager des Nobelpreises. 





Der Generalmusikdirektor an der 
Maatsoper, PVoF. Otto Klemperer 



Prof, Max Remhardt, Ehrendoktor 
der Oxforder Universitai. 



Rassenmiachehen v e r b o t e n wtirden, dasa ferner die BevSlkerung 

in Familien geechieden werden milsse, derea Nachkommenschaft 

dem Staate erwilnscht Oder derea Nachkommenschaft als eine Be- 

la3tung des Volkes unerwilnscht sei.» 

Ein "eschaftsluchtiger junger Mann, Herr Dr. Achini Gerke, 

hat sich° zum cMinisterialreferenten als Sachverstandiger fur 

Rasseforschung im Re!chsinnenministerium» ernennen lassen. 

Mensclien und „TJntermeiis chert" 

Das alles erscheint noch relativ «harmlos». Es richtet sich 
zunachst nur auf die wirtschaftliche Vernichtung der judischen 
Bevolkerung, noch nicht aber direkt gegen Leib und Leben. We- 
ni«er harmlos erscheint ein kleiner Zettel, der zu Tausenden 
in°allen Gaststatten verteilt wurde und insbesondere alien deut- 
schen Madchen in die Hand gesteckt wurde, die mit einem Juden 

zusammen gesehen wurden. »,--,. j • j Qm 

In diesem Dokument wird dem jungen Madchen, das in dem 

schrecklichen Verdacht stent, mit einem Juden |*freundet zu 
sein, angedrohl, dass man ihr die Initiate J H, d. h. .Juden- 
Hure» ins Gesicht einbrennen wurde. Es wird versichert, «dass 
diesc Drohung fcdne leere Redensart sei, sondern unter alien Uni- 
standen in die Tat umgesetzt werden wurde, falls das betreliende 
junge Madchen noch einmal mit einem Juden gesehen werden 

*" fitter zeigt sich schon handf ester die nationalsozialistische 
Unterscheidung zwischen Menschen und «Untermenschen», wobei 
«Untermenschen» alle diejenigen sind, die nicht natiorialsoziali- 
stisch denken und fuhlen. Fiir die Nationalsozialisten sind «Men- 
schen» und «Untermenschen» zwei vollig verschiedene Gruppen. 
Zur Gruppe I gehoren die «reinen Vertreter der nordischen Rasse*. 
In die Gruppe II gehoren (nach dem Organ der nationalsoziahsti- 
schen Aerzte «Ziel und Weg» II/2) neben 

«Trinkern, Morphinisten, Gewohnheitsverbrechern und fro- 
slituicrlen alle Fremdrassigen, besonders die Juden.» 
Der nationalsozialistische «Rassentheoretiker» Professor 
Stammler brachte im Auftrage der nationalsoziahstischen 
Aerzte folgendes Gesetz zur «Scheidung der Rasse» em : 

cl. A.18 fremdrassig gilt derjenige, der wenigstens zur HSlfte 
fremdes Blut hat, d. h. von dessen Vorfahren *ner der Htern we 
zwei der Orosseltern fremdrassig gewesen sind, gleichgultig, weime 
Religion sie hatten. Als fremdrassig gelten dabei alle farbigen Kaesen, 
die vorderasiatische und orientalische Rasse einschlieselich der Juden. 
2. Danach hat jeder grossjahrige deutsche St f tsan *f °" ge ',1 
lich dem zustandigen Einwohnermeldeamt anzugeben, welcher Kasae 
er angehort. Fur Minderjahnge wird die Angabe vom gesotri.cben 

265 



Vertreter gainacht. Palsche Angaben werden mil Zuchthaus und 
Einziehung des Vermbgens bestraft. 

3 Die als fremdrassig Festgestellten haben 6ich kiinftig niclit 
als Deutsche, sondern als Fremdrassige (Juden aus Deutschland usw.j 

zu bezeichnen. 

4. Wer nach dem Stichtag geboren wird, gilt als deutsch nur. 
wenn beide Eltern deutsch sind. Doch $ollen jiingere Geschwister 
dieselbe Volkszugehorigkeit erbalten, wie die alteren, bei denen die 
Zugehorigkeit durch Erklarung festgelegt ist.a> 

„Hegeh8fc u 

Der schon erwahnte Herr Professor Stammler schreibt : «Das 
Zuchtzid engt sich ein auf den korperlich, moralisch und gei- 
stig gesunden Menschen nordischer Rasse». Zur Forderung dies<-s 
«Zuchtziels» werden «Hegehofe» gefordert. Wie man sich diese 
«Hegehofe» vorstellt, geht aus folgenden Ergiissen eines Professor 
Ernst Bergmann hervor : 

<Zur Begattung der vorhandenen Frauen und Miidchen finden si Hi 
willige und fleissige (!) Manner und Junglinge genug, und 
glucklicherweise geniigt ein flotter Buxsch aui 10 bis 20 Madcbcu. 
die den Willen zum Kind noch nicht ertotet haben, bestunde nur 
nicht der naturwidrige Kulturunsinn der inonogamen Dauereho 
{Professor Ernst Bergmann in <Erkenntnisgeist und Muttergeists.)> 

Schliessen wir diese Erzeugnisse der Barbarei ab mil 
einem weiteren «Gesetzent\vurf zur Reinhaltung der Rasse». Es 
heisst darin : 

<1. Ehen zwischen deutschen und fremden Rassen sind verboten. 
Die bestehenden behalten ihre Giiltigkeit, neue dlirfen nicht ge- 
echlossen werden und werden nicht anerkannt. 

2. Ausserehelicher Geschiechtsverkehr zwischen Deutschen und 
Fremdraseigen wird rait Zuchthaus des frerndrassigen, mit Gefangnis 
des deutschen Teiles bestraft. Prostituierte fallen nicht unter das 
Gesetz. 

3. Die Einreise Fremdrassiger ist nur in besonderen Fallen zu- 
zulassen. Die Ein-wanderung von Frerndrassigen ist verboten. 

4. Namensanderungen, die in zumeist nur den Zweck haben, die 
Rassenzugeborigkeit zu verschleiern, sind bis auf Weiteres verboten 
Die seit 1914 vorgenommenen werden riickgangig gemacht.> 

Genug! Vielleicht wird man einwenden, ein solcher Irrsinn. 
fiir den allein die Psychose-Pathologie zustandig sei, habe letzten 
Endes mit der «Millionenbewegung» nichts zu schaffen. Diese * Ras- 
senhygieniker» seien Erscheinungen am Rande, fiir die letzthch 
die Bewegung nicht verantwortlich zu machen set. Eine solche 
Auffassung ist irrig. Ein Mann wie Professor Stammler ist der 
offizielle Ratgeber fiir diese Fragen. Die von ihm ausgearbeiteten 

266 



oograph Hanns He,n Z Lw ^ wie der blutrunsUge Mor- 

deutschen Schuftt ums au ^ allmachtiger Minister werden 

phinist G ,° r ' " ^"denrwcjen Geistesstorung entlassenen Lehrer 
Uon nte el,en o v.t dem w fa? t ^ e Unzurechnungs . 

R u s t (cin deutbcho^e preuss i sc hen Kultusmin.sters 

iahigkct besche,n Ig t) das Ami P fc r e . c fa e r> der wegen be . 

wusstei Vul ^3 a T 3 ieitsde iikten vielfach von deutschen Gench- 
l.v lls chun«s- und Rohhe sdel^ hen Kommissar fQr den 

ten veiurteil ™°™™} S \™Z _ ebenso ist dieser Professor 
REEK heTtrdnT^gebent 6 Mann des harrschenden 



Reaimes. 



VI. Liquidation der Judenfrage 

Es bleibt uns zu resumieren. Wir haben aus der Tat- 
sachenfiille eines Vernichtungskampfes gegen 600 000 deutsche 
Juden winzige Ausschnitte gegeben, typische Dokumente 
des inferioren, kiinstlich hochgeziichteten Hasses 
«e"eo die Juden, die noch cinmal vor der Geschichte Europas zu 
den Siindenbocken gemacht werden. Wir haben zu zeigen ver- 
sucht, dass, alles in allem, der Fanatismus sich nicht gegen 
die richlet, gegen die er geziichtet wurde : die Borseaner, die 
Grossbankiers, Grosskaufleute und Spekulanten. Die «Volks\vut» 
ist wieder einmal abgelenkt worden gegen die kleinen Leute, ge- 
gen den jiidischen Mittelstand und gegen das jiidische Proleta- 
riat. So will es das Gesetz des Kapitalismus, dem Millionen, 
die heute «Heil Hitler» schreien, dienen, ohne es zu wissen. 

Erpresste Dementis 

Was aber taten die Juden in Deutschland? Sie protestierten 
gegen die -<Greuelpropaganda» des Auslandes. Sie sandten Do- 
kumente der Todesangst hinaus in die Welt unter dem 
Uruck der bereilstehenden SA. Sie sind manches Mai in ihrer 
angst weilergegangen, als es notwendig gewesen ware. Kiirzlich 
rtL!° gar em § eschaftstii chtiger Mann auf die Idee gekommen. 
ml e i rpreSS ! en Dementis der deutschen Juden in Buchform zu 
XnrH S Un t U - verle « en unter dem Titel : «Die Greuelpropa- 
solhu, n eine Lugenpropaganda - sagen die deutschen Juden 
zwSnnl if ^^geschaltete "Berliner TageblatL bringt einen 

we ?&? .t^ ^ ^ —""dentlich begrussenl 
werte I5uch», aber niemand in der Welt wird sich daruber tau- 

267 



schen lassen, dass hier Menschen, die um ihr Leben, um ihre 
Freiheit und um ihre Existenz zitterten, wider besseres 

sen die Luge verbreiten mussten, es gabe in Deutschland 

Judenverfolgungen. 



Wissen die 
kerne 



Juden, die fiir Hitler sind 

Es gibt noch andere Stimmen. Es gibt Juden, die fur Hitler 
suid. In der «Judischen Presses (Wien, Bratislava, 31. Marz 1933) 
dera Organ der orthodoxen Juden, schreibt eine Rabbiner Pro- 
fessor Dr. Weinberg: 

cUeberhaupt bringt man in jQdischen Kreieen und insbesondere in 
orthodoxen Kreisen der nationalen Erhebung Deutschlanda raehr 
Sympathie und Verstandnis entgegen, als die Fuhrer dieser Bewe- 
gung wissen. Die religiosen Juden wissen, -wie sehr sie gerade Hitler 
fiir seinea energischen durchgreifenden Kampf gegen den Kommu- 
niamus dankbar sein mlissen.* 

Ganz ahnlich macht es das Zentralorgan der deutschen Zioni 
sten, die «Jiidische Rundschau* : 

<Die judische Oeschicbte wird auch Hitler verstehen. Sie wlrd ihn 
anfuhren als Beweis dafQr, dass Geschichte gemacht wird von den 
Inponderabilien des menschlichen Auftriebs zu einer Idee eanz 
gipirh welcher.* ' e 

Der dritte im Bunde darf nicht fehlen. Zur judischen Ortho- 
doxy und zum judischen Nationalisms gehort auch der judische 
St ' Wir zitierten bereits die Erklarung des Direktors der 
Deutschen Bank und Diskonto Gesellschaft, Oskar Wassermann, 
ihm aLH lC ^ "! eermgsten belastigt worden sei und dass sich 

hZ g S? r If ^f^f 1 d - er Dln 8 e nicht bemerkbar gemach! 
habe, «auch gesellschaftlich nicht.. B 

Lenin jfter den Antisemitismus 

•rf.^? versci ^^n diese Stimmen nicht. Sie sind uns ein Be- 
weis, dass auch die Judenfrage Letzlich keine Rassenfrage, 
sondern eine Klassenfrage ist. 

»»# ; A " l !f mitismus», sagt Lenin - und er hat diese Ansprache 
aut Schallplatten verbreiten lassen — 

cAnlisfimitismufi nennt man die Verbreitung der Feindschaft gegen 
oie Juden. Als die verfluchte Zarenmonarchie ihre letzten Stunden 
erlebto, Vfrsuchte sie, die unwissenden Arbeiter und Bauern gegen 
die Juden aufzuhetzen. Die Zarenpolizei, im Bunde mit den Gutsbe- 
sitzern und Kapitalisten, organisiert Judenpogrome. Den Hass der 
von Not zenniirbten Arbeiter und Bauern gegen die Gutsbeeitzer und 
Ausbeuter bemuhten aie sich auf die Juden zu lenken. Auch in un- 
deren Landern erlebt man oft, dass die Kapitalisten Feindschaft ge- 

268 



£Vdie Juden eind die Feinde der Werktatigen Die Pelade _ der 

Arbeiter Bind die Kapitalisten aller Lander. Unter den Juden grot es 

Arbeiter Werktatige, eie sind die Mehrheit. Sie shud unsere Bruder, 

unaere Genossen im Kampf fur den Sozialismus, weil sie vom Ka- 

Ditai unterdruckt wexden. Unter den Juden gibt es Kulaken, Aus- 

beuter Kapitalisten, wie auch unter alien. Die Kapitalisten sind be- 

muht Feindschaft zwisehen den Arbeitern verechiedenen Glaubena, 

versciiiedener Nationen, verscbiedeuer Rassen zu entfachen. Die 

reichen Juden, wie auch die reichen Russen und die Reichen alter 

Lauder, alle miteinander im Bunde, zertreten, unterdriicken und 

verunreinigen die Arbeiter. 

Sehmach und Schande dem verfluchten Zarismus, der die Juden pei- 
nigte und verfolgte. Scbmach und Schande dem, der Feindschaft ge- 
gen Juden, der Hass gegen andere Nationen slit I 

Es lebe das briiderliche Vertrauen und das Karnpfbitndnis alter 
Nationen zum Kampf f(ir den Stuxz des Kapitals !» 

Lenin fugte einem Dekret der Sowjetregierung gegen die Po- 
grome der weissen Interventionslruppen handschriftlich an: 

«Der Rat der Volkskorrunissare weist alle Deputiertenrate 
an, entschiedene Massnahmen zu ergreifen, um die antisemitische 
Bewegung mil der Wurzel auszurotten. Pogromisten und Po- 
gromagitatoren sind ausserhalb des Gesetzes zu stellen.* 



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Vierzigtauseiid Maimer mid Frauen 
in Konzentrationslagern 

Nach den verschiedenen Pressemeldungen und Veroffent- 
lichungen muss Anfang Juli die Gesamtzahl der politischen Ge- 
fangenen in HUlerdeutschland auf 60 — 70.000 geschatzt werden. 
Davon sind 35 — 40.000 Frauen und Manner in Konzentrationsla- 
gern untergebracht Welche Rechtsgrundlage haben diese Kon- 
zentrationslager im faschistischen Deutschland? Da im faschi- 
stischen Deutschland jede Rechtsgrundlage aufgehoben ist, ist 
es selbstverstandlich, dass auch fur die Errichtung von Konzen- 
trationslagern keine gesetzliche Grundlage vorhanden ist. Es 
besteht nieht einmal ein Gesetz oder eine Verordnung, die die 
Rechte der Gefangenen in den Konzentrationslagern regelt. Schon 
dadurcli charakterisiert sich die Einrichtung von Konzentrations- 
lagern in Deutschland als schlimmster Willkiirakt der Hitlei*- 
Regierung. Auch iiber die Dauer der Haft der Gefangenen besteht 
keinerlei gesetzliche Regelung ocler Verordnung. 



„Bis der Fiilirer sicli iSirer erbarmt !** 

In einem Artikel \om 8. Mai 1933, der sich ausfuhrlick mit 
den Konzentrationslagern in Deutschland beschaftigt, meldet die 
« Neue Ziiricher Zeitung », dass die Gefangenen in leicht und 
schwer erziehbare Staatsbiirger geschieden werden, und dass die 
ersteren ein Jahr* die letzteren drei Jahre in Schutzhaft bleiben. Es 
handelt sich hier aber nicht urn eine autentische Nachricht, son- 
dern urn eine personliche Meinung des betreffenden Berichterstat- 
ters. Es gibt keine gesetzliche Regelung. Die Verbannung in die 
Konzentrationslager, die Dauer der Haft in den Konzentrationsla- 
gern wird lediglich bestimmt durch die absolute Willkiir der 
faschistischen Ober- und Unterfiihrer. 

Am treffendsten werden diese ungeheuerlichen Zustande ge- 
kennzeichnet von dem nationalsozialistischen Unterfiihrer Leut- 
nant Kaufmann, einem der Leiter des Konzentrationslager s Heu- 
berg in Baden. Leutnant Kaufmann erklarte Ende April dem Be- 
richterstatter der danischen Zeitung « Politiken » auf die Frage 
« Wie lange wollen Sie die Gefangenen hier halten? » : 

« Bis der Fiihrer sich ihrer erbarmt. » 

270 



nie « Deutsche Allgemeine Zeitung . vom 30 .April 19.63 brmyt 

■ nP Bos t§ tigung dieser Meimmg des Leutnants Kaufmann, mdern 

"'ifschrei , es werde fur viele Gefangene mil der Fmheit bose 

w'ilfhSS., weil der Wille der Gefangenen nicht leicht zu bre- 

chen sei. » 

Weiiu ich wenigstens wfisste, weshalb man raich 
gefangen halt!" 

Die Frauen unci Manner, die in den deutschen Konzenlrations- 
Ia tf ern interniert werden, sind selbst ira Sinne des faschistischen 
Staatsprinzips ▼ollig schuldlos. Alle sozialistischen und korarau- 
nistischen Arbeiter und Fiihrer, die sich nach Ansicht der Hitler- 
Regierung gegen die Gesetze des faschistischen Gewaltregimes ver- 
gangen haben, werden nicht in Konzentrationslager gebracht, son- 
dern in Gefangnisse und Zuchthauser gesperrt und durch Aus- 
nahine- und Sondergerichte verfolgt und abgeurteilt. In die Kon- 
zentrationslager kommen nur solche Manner und Frauen, die der 
Faschismus fur politisch verdachtig halt, gegen die aber selbst die 
faschistischen Staatsanwalte keine Handhabe zu einer strafrecht- 
lichen Verfolgung finden konnen. Die Gefangenen in den Kon- 
zentrationslagern hah.en keinerlei Delikte begangen. Man hat sie 
zum grossten Teil sofort nach deni Reichstagsbrand und nach den 
Wahlen vom 5. Marz verhaftet, sodass sie selbst beirn besten Wil- 
len keine Aktion gegen das faschistische Regime fiihren konnten. 
Immer wieder klingt dies in den Gcfangenenbriefen an. In einem 
Bericht der danischen Zeitung « Politiken », der Ende April er- 

schien, wurden einige Brief e aus Konzentrationslagern veroffent- 
licht: 

cWenn ich wenigstens wlisste, weshalb man mich hier gefangen 

halts, schreibt ein junger Arbeiter. 

<Nur anonyme und personliche Rache kann der Grand meiner 

Einkerkerung sein>, schreibt ein verhafteter Arzt. 

dch habe mix nichts vorzirwerfen, ich weiss liberhaupt nicht warum 

»ch festgenommen wurde», lautet eine andere Stinirne. 

frov Wa i S fQr Nic ! ltj g keite n ausreichen, urn jemanden ins Konzen- 

lehV^i S- BC1 J ? ? ingen ' Zd§t der Fa!I des J^ischen Religions- 
cher IS Kr f S - ln Dink elsbuhl.Bayern. Krebs ist tschechi- 

^t^nTf S ^ "^ ,6bt Sdt Seinem ersten Lehensjahr in 

ueutscnland. Gegen ihn erging folgender 

ilaftbefehl: 

Man X in" Vu Schutzbaft genomnaen. Krebs hat m 
B!ta n ?? geacMchtet, wodurcb er eine sehr grc^ 
"MMnmung in der Bev51kerung hervorgerufen hat. Wenn audi 

27 i 



keine strafbare Handlung vorliegf, so hatte Krebs doch bei ,I,t 
starken Erregung der BevSlkerung iiber die Hetzpropaganda der 
JudeD im Auslande eine derartige Handlung unterlassen solLea 
Die Erregung in der Bevolkerung ig t derartig, daes Krebs in Sehutz' 
haft genommen werden muss, um ihn vor tatlidien Angrili'eo zu 
bewai.ren. Die Anordnung der Schulzhaft erfol K te im Benehmen mi. 

den. Beau Iragten der ■ Obersten SA-FUhrung, Harm Burgermaiater 

Iltameyer in Wassertrudingen. 

Dinkelabfihl, den 29, Marz 1933. 

Bezirksamt 
i. V. gez. Itlamayer.j 
Der Mann sitzt heute noch in Haft, 

In alien zivilisierten Staaten gilt der Grundsatz: nullum cri 

men, nulla poena sine lege. Nicht die schlechte Gesinnung, nicht 

die Gefahrhchkeit, nur der tatsachliche Gesetzesverstoss die Schuld 

vvird bestraft. Kein Strafgesetz kann sich deshalb ruckwirkende 

ivralt beilegen. Darin sind sich ausnahmsweise alle Strafrechts 

schulen enng, die klassische und die moderne, Deterministen und 

Vertreter der Spannungslehre. Dieser Grundsatz, den auch das 

hTiTITt ^^f^^Wuch von 1927 generell normiert, 

mi J Seltenclen deutschen Reichsstrafgesetzbuches von 

1871 seine gesetahche Verankerung erfahren. § 2, RStGB ist Ms 

intra*' tie V W^**"*** Korperschaft nicht aufgehoben at 
m Kraft. Die Verhaftungea und Verschleppungen von Frauen und 

!™ "i d r tSCl ? C Konzentrationslager 1 sind 1 gesetz- und reUTs 
widng nach deutschem Recht und Gesetz. 

Ziichtig-uiig- dep Gcfaugencn 

als Zweck der Konzentrationslager 

Ueber den Zweck der Konzentrationslager erklart der natio 
»■ sozxa hstisch e Hauptmann Buck, Leiter des Heube'gex Ko^en-" 
trauons agers, dem Berichterstatter der Zeitung « Politiken " 
jv-^eser m semem Ende April veroffentlichten Aufsatz mitl 

Dierpfo^ gilt ' dieGefangenenzuzuchti gen. » 

vovaeht U?T T SSen x SiCh ' Wie aUS Briefen von Entlassenen her- 
bnf^^n L t nen l Ugem in mil itarischer Form als « Straf- 
Zuchtt n„« JSt * Ian T {! a V hnen ^ nach cten Vorschriften fiber 
TeJ P ^S, ^ d o? ? 0pfe kahl geschoren. Der Londoner « Daily 
kS? * XT 27 " ApdI 193S bestati S t diese Tatsache in einem 
hnhpn ! S W «. n f r Korres Pondenten R. G. Geyde. Die Straflinge 

nS«i ?• R . 1Chter 8 esehei » un <l werden keinen sehen. Die 

nationalsoztahstischen Fflhrer haben wiederholt erkhirt, dass es 

del" Cme reme Verwaltun gsmassnahme, um Schulzhaft han- 

272 



cVVir musslen*, bo sagten die Nazis dera Berichterstatter der dani- 
schen Zeitung <Politiken>, cviele dieser Individuen einstecken, urn 
sie vor der Volksrache zu schiitzen. Sie waien von der patriotischeD 
Menge gelyneht worden, die in diesen <Verbrechera> die Urheber 
der Novemberrevolution sieht.s 

Diese Behauptung ist eine dreiste Liige. I>ie ausserge-wohnlich 

slrenge Eewachung der Lager erfolgt nicht zum Schutz der verhaf- 

teten Sozialisten und Kommunisten. Die Maschinengewehre vor 

den Konzentrationslagern sollen Fluent- und Befreiungsversuche 

unmoglich machen. Ueberall dort, wo es angeblich zu Demonstra- 

tionen gegen Verhaftete gekommen ist, wurden die Auflaufe und 

Radauszenen von den Faschisten organisiert. Die Ueberfuhrung 

des ehemaligen sozialdemokratischen Ministers Remmele in ein 

Konzentrationslager, die als grosse Volksbelustigung organisiert 

war, beweist dies deutlich. Der « Volkische Beobachter » vora 

17. Mai 1933 verot'fentlicht unter der Ueberschrift « Am Pranger » 

die folgende Korrespondenzmeklung: 

tAai Diensfag wurde der ehemalige Staatsprasident and Minister 
Dr. )i. c. Adam Remmele, zuletzt President der Deutschen Konsum- 
BiDkaufsgenossenachaft in Hamburg, der vor wenigen Tagen von 
dort in Karlsruhe auf Ersuchen der Regierung eingeliefert worden 
war. ferner der von Remmele in das Innenministerium eingesetzte 
Regierungsrat blenz. der fruhere badische Staatsiat und Reichstags- 
abgeordnete Marum der Redakteur an dem sozialdemokratischen 
Karisruher tVolksfreund, GrOnebaum, Polfceikonuaissar a D 
FroTi'nnH dW . f FQh f r «* ReichsbaBTlere und der Eisernen 
chon SHd«.M ," and r D SPD - Mit 8lted e rn von dem in, westli- 
Po Lttl , 8 S T U Gei " Ugnis im 0ffenen Polizeiauto nach dem 
S t^r"^ V °" W0 Sle da ™ "«* der Strafaastalt 
Sn '^nit is h SfS *° nzeDtralio "^?« gebracht warden. Vor 
die Il?« Slch eine nc ^ e Menscbenmensje angesammelt 

Z t ZTZr^Zi' 11 ' Pfui - ™* Niederrufen e^pfingen 

reihige SS-K W „f , f Hauptes Sas6en ' schrftt ei °* ™ei- 
t« dem e * t ° Poli^ £? ^ ,T Freima ^ung der Strasse. Hin- 
Ausserden var der Zul T h S^l" ^^ mlt SA-B«etning. 
Leuten begleilet Die pJ e " ! e ' ten Und am SchIus ^ ™n &A- 

^rch e ine § di C h e o»acMGHir n /^7, n g3nZ '"a""" im Schilt; 
«*« auf dem gl fc r "fe Menschenmauer. Ununterbro- 

«uxd, uberali ffSllariS. "^ PfUi " ^ Nie derrufe, Auch 

^es MOJIerliedeg beTstrS ^ seinerzeit ™ Baden das Singen 
Laadtagsgebaude und an ? S Z^f- J" 1 ! 6 " D « *« «"* «■ - «™ 

273 



Publikiuus war so stark, dasa der gesamte Strasseubahn- und Auto 
verkehr vollkommen labmgeiegt war. Unterwegs wurden versciiH- 
dene Rot-Front-Rufer safort aul der Stelle veriiaftet und auf <len» 
zweiten Polizeiwagen mit transporliert.i 

Der Bericht zeigt klar, dass es sich um cine organisierte Demon- 
stration mil einstudierten Lynchrufen, kurz um eine jener Szenen 
handelt, mit denen der Reichspropagantlaminister Goebbels die 
Menge unterhalten und eine Zeit lang iiber den Hunger hinwee 
tauschen will. G 

- 1 

„ScIiutzliaft" 

Die Schutzhaft ist in Deutschland durch das Gesetz iiber die 

Beschrankung der personlichen Freiheit von 1849 genau gere«clt 

Danach dflrfen nur solche Personlichkeiten, die selbst bedroht 

sind, in Schutzhaft generamen werden. Diese darf nicht uber ihren 

Zweck hinaus, keinesfalls langer als drei Monate autrecht erhalten 

■werden. Beschwerderecht und gerichtliche Entscheidung sind im 

Gesetz vorgesehen. Alle jetzt Eingekerkerten werden aber nicht in 

ifarem eigenen Ihteresse, sondern zum Schutze der neuen Machtha- 

ber estgesetzl. Sie werden langer als drei Monate festgehalten S'e 

besitzen kein Beschwerderecht. 

45 Konzentrationslager 

Wieviele Konzentrationslager gibt es, und wieviele Menschen 
S,n ?,i" ihnen eingepfereht? Die deutsche Regierung - auch das 
spricht fur ihr schlechtes Gewissen - hutet sich wohlweislich. 
genaue Angaben zu machen. In einem Lande, in dem alles sta- 
bstisch erfasst ist, fehlt eine Statistik der Konzentrationslager. 
Soweit einzelne verlassliche Meldungen der deutschen Presse, gc- 
Iegentliche Aeusserungen von Nazifuhrern und Besuche auslandi- 
scner Journahsten einen Ueberblick gestatten, gibt es beute (d. i. 

4nnn I- ,n S ™ in destens 45 Konzentrationslager mit etwa 
35.000 bis 40.000 Gefangenen. Dabei bandelt es sich u. a. um fol- 
gende Lager: 

Dachau bei Mfinchcn (5000 Gefangene) 

Fleuberg, Oberbaden (2000) 

Gotteszell boi Gemiind. Wiirttemberg 

Kieslau bei Bruchsal, Baden (100) 

Kaxtatt, Baden (300) 

Bad Diirrheim, Baden (500) 

Pfalz (2000) 

Ginsheim bei Frankfurt 

I'Odelheirn bei Frankfuit 

Gaswerk Frankfurt- Fechenheim 

Osthofen, Hessen 

274 



Langen, Hessen 
Kassct 

mihlheim, Rhein (2000) 
Wonne-Eickel, Westfalen 

Sentielager bei Paderborn (900 Mannor, 30 Fraw 

Esterioegen bei Dorpen, Wostfalen f^OO) 

Mooring™ bei Hannover 

Papenburg, Emsland (eingerichtet fur 4000 Oefangeue) 

Bremen i 

Vechta 7 Oldenburg 

Wilsede. Liineburger Haide (2000) 

Fuhisbiittel bei Hamburg 

Wilhnoor bei Hamburg 

Oranienbu-rg bei Berlin (1500) 

Btiniiche bei Nauen 

Sonnenburg. Preussen (414) 

Ohrdnif, Thuringen (1200) 

Strafgefangenenanstalt Mathildenschldssehen bei Drpsden 

Colditz, Sachsen 

7Jitau. Sachsen (300) 

Haintwalde bei Zittau, Sachsen 

Sehloss Ortenslein bei Zwickau, Sachsen (200) 

Griinhainichen (Sachsen) 

Feste Hohenstein. Sachsen (800) 

Feste K&nigstein, Sachson (200) 

Sachsenburg. Erzgobi: 

Breslau 

Diirrrjoy bei Breslau 
Grwndau bei Konigsbi' 

Weitere Lager befinden sieh: 

in d&r Provinz Brandenburg (etwa 6 La^er) 

in Braunschweig 

im Ruhrgebiet (er\va 5 Lager) 

in Ostpreussen 

in Schleewig 

id Pommern 

in Mitteldeutechland (mehrere Lager). 

KonS^^ h u l MUte Mai besch l^sen, zehn neue 

vom3r£TA g m ™ T chten ' Die ■ Frankfurter Zeiiung » 
^^^SRS^f 9 daS ?. aUf d6m Heuber 8 * Oberbaden ein 
^t^S^S m9UP I tt S ° ,che GefangenT errichtet wind, 

Sett mln r 4 °f ' V ° r dem Winter »plant ist 
1 ^^S^ , S a Jf Gefangenen in jenen Lagern, fiber die 

ganz Deutschland sicker nicht zu hoch gegriffen. 

275 



Fianen and IuteUektuelle hi <len Konzentrationslagerii 

zuerst in das FrauengefangnS BerHn IW 1™ ° nnU ' ™ rden 
vox sie in das KonzerTtral^ 

besonderes Konzenb-atiomlS ^^1^ 'l" 8 Juni ein 
amtliche Meldung vo^ r/unf 1933 berS" ^^ "*» 

&W& ST *A ™ — — 

Kurze Zeit darauf ist in Sachsen ein zweites Konzentrationslaaer 
iur Ijrajien err.chtet worden. Alle Berichte besagen ubereShn 
mend, dass die Frauen in den GefSngni„en und Konzentrat low 
Iagern besonderen Qualen und Verfolgungen ausgesetzt sTnd 

Unter den Gefangenen sind alle Weltanschauungen, alle Be- 
rufe, alle Altersstufen vertreten. In den Konzentralionslagern sfnd 
zusammengepercht: Kommunisten, Anarchisten, Sozialdemok a 

LLp K rUm t S , ^ P f lfiSten> Juden: jUnfie und alte Arbeiter, Ge- 
<? A ? n Jl Studente ". Abgeordnele, Rechtsanwalte, Aerzte, 
Schr.ftsteller, Klemgewerbetreibende; bekannle Namen und nie ge- 
horte ; Mitlaufer und Kampfer. Unter ihnen befinden sich : der 
revolutionare Pazifist Carl von Ossietzky, Herausgeber der «W«lt- 
hunne» der Anarchist Erich Miihsam, der bayerische Abgeordnete 
Auer der demokratische Reichstagsabgeordnete Fischer, die 
sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Rossmann und Pflii- 
ger, der Verteidiger Hans Litten, die Aerzte Dr. Schmincke und 
iJr. Boenheim und viele andere. 

Die Wahrheit bricht sich Balm 

Die Hitler-Regterung ist bemiiht, fiber die Zustfinde in den 
Konzentrationslagern ein verhfillendes Dunkel zu breiten. Es ist 
jedoch gelungcn, authentisches Material fiber erschreckende Tat- 
sachen in den Lagern zu erhalten. Das « Komitee fur die Opfer 
des Hitler-Faschismus » hat durch gefluchtete Haftlinge oder 
durch Angehorige von Gefangenen eine umfangreiche Sammlung 
der entsetzlichen Tatsachen aus den deutschen Konzentrations- 
lagern vornehmen konnen. 

Die Wahrheit bricht sich Bahix. Sie findet ihren Weg in die 
Reihen der Arbeit und in die ausliindische Oeffentlk-hkeit, trotz 

276 



der starksten Bewachung der Lager durch die SA. Die Wahrheit 
findet ihre Wege durch Stacheldrahte und spanische Reiter. Keine 
Todesdrohung der nationalsozialistischen Machthaber kann es ver^ 
hindern. 

Auslandische Journalisten haben einige « Musterlager », Heu- 
berg, Dachau und Oranienburg, besuchen dtirfen, Die SA beglei- 
tete diese Pressevertreter bei jedem Schritt in den Lager n, die fur 
diese Besucher besonders «hergerichtet» waren. Es konnte keine 
unbeaufsichtigte Verbindung zwischen den Haftlingen und den 
Reportern zustande kommen. So sind die Schilderungen der aus- 
landischen Korrespondenten iiber die Konzentrationslager oft mehr 
Impressionen iiber die landschaftliche Lage dieser Lager als Be- 
obachtungen ihres wirklichen Zustandes. Wo aber die Journa- 
listen sieh nur in bescheidenster Weise bemuhen, die Lagerver- 
haltnisse objektrv zu schildern, oder wo sie gar — wie Edmund 
Tavylor von der « Chikago Daily Tribune » — durch Fragen in 
frcmdei; Sprache einige kurze Augenblicke die Gefangenen bei'ra- 
gen konnen, da offnet sich sofort der Blick in einen Abgrund von 
Unmenschlichkeiten. Da tritt die Wahrheit auch in den Zeitungs- 
berichten zutage. 

Wer der Wahrheit iiber die deutschen Konzentrationslager 
dienen will, muss die Forderung unterstutzcn; Eine internationale 
Kommission, die aus Mitgliedcrn der iiberparteilichen Hilfskomi- 
tees zusammengestelll wird, muss das Recht erhalten, alle Lager 
zu besuchen. Diese Besuche diirfen aber nicht unter der Aufsicht 
von Lagerkommandanten und Naziwachtcrn stattfinden. Die Kom- 
missionen miissen das Recht erhalten, unangemeldet in den Lagern 
zu erscheinen, die Zustande in ihnen in alien Einzelheiten per- 
sonlich zu priifen und mit alien Gefangenen ungehindert zu spre- 
chenJ 

Zerfallene Hiitten und Arbeitshauser als Wohnstatten 

Die Zuchthauser Sonnenburg und Fuhlsbfittel sind schon vor 
Jahren geschlossen worden, weil sie mittelalterliche, vollig unhy- 
gienische Kerkcr sind. Man wagte nicht einmal mehr, Schwerver- 
brecher doit untcrzubringen. In Fuhlsbfittel gibt es keine Klosetts 
und keine Kanalisationsanlage. Der Aufenttialt in diesem Zucht- 
haus wird besonders in der heissen Jahreszeit zu einer unertrag- 
lichen Qual. Diese Zuchthauser sind von der Hitler-Regierung 
jetzt :ils Konzentrationslager eingerichtet worden. In Sonnenburg 
sitzen u. a. Litton, Kasper, Ossictzky und Miihsain in Haft. 

Zahlreiche Gefangcne sind auch in Arbeitshausern unterge- 

I't. u. a. im Arbeitshaus Kieslau bei BruchsaJ. Die Arbeits- 

ITOT waren letztc Station™ fflr alle, denen der kapitnlistische 

277 



Staat keine freie Arbeit mehr aeben knnni P «.», r » i- 
.asozial, erklarte. FortgeselztS iSteln LanduJ K " ***?*> tT,r 
seheu. Oder gewerbsmussige .UnzuS siS dt v T'' S^*- 
Aermsten der Armen, welche die deutsc-l ™ a . ^ brechen » der 
Ein deutscher Richter erzahlt, d L f t ,1 1 n" ffiUen - 
dem Arbeitshaus so gross war, da ^ da?Ge r h, i"f ^ 8ten vor 
lieber zu Zuchthaus zu verurteiien beschworen, sie 

Das Konzentrationslager Zitta'u war friiher eine Volkshu,!, 
handlung, sodass man sich den Komfort dW< „ i . J oiksbuch - 

Shi *"? .^ s ^^tratioJaS T^TcH^ST,^ 

nach dem Bencht des « Daily Telegraph . vom 25. April 1933 a »; 
alten halbverfallenen Hiitten. Oranienburg ist jenes MuJteW 
das man eimgen auslandischen Journalisten gczeigt hat und f m 
dem die Nazis zahlreiche Fotografien verbreitet hoben 
,. " Eme verlassene Fabrik - ehedem eine Brauerei -, die WerU 
statten verhelen, die Fenster warden zu Scherben und den Fahrit" 
hof liberwuchert Gras und Unkraut. » 

l0 „ S °. sch T ild 1 er . t , die « Beut sche Allgemeine Zeitung » vom 30. April 

1933 ! die Yerhallnisse in Oranienburg. Wir besitzen den ver- 

trau lichen Bencht einer deutschen Journalistin, die einen Auslan- 

der bei seinem Besuch des Oranienburger Lagers ah Dolmetsche- 

rin begleitet hat: 

<Auf dem Hof nur eine einzige Pumpe. Die 100—200 Gefangeaen 
miissen sich in 5 alien Waschschilsaeln waschen, die auJ dem Hof 
aafgestellt warden. Die Sehlafriiurne : alte verfallene Fabriksale, in 
denea auf. dem kalten Zementboden eiuige Zentimeter angefau'ltes 
Stroh liegen.» 

Auch die « Deutsche Allgemeine Zeitung » vom 30. April 1933 
bestatigt, dass die Gefangenen auf Stroh schlafen miissen. 

In Dachau — so schildert Geyde im « Daily Telegraph » vom 
25. April 1933 — schlafen in einer kleinen Hiitte 54 Haftlinge auf 
primitiven Holzbrettern, die mit Stroh bedeckt sind. 

Die erwahnte Dolmetscherin schildert den entsetzlichen Zu- 
stand eines solchen Schlafraumes in Oranienburg: 

<Schon am Abend. wenn die Gefangenen eingeschlossen werden. 
stinkt es so, ats hiitte hier eine Herde Urwaldtiere ubernachtet. Nichi 
zu besehreiben ist aber die Luft, die durch den Aufenthalt von 50 
Meuschen oder mehr, deren ungewasehene Kleider, deren ver- 
schwitzte Korper hier ausdunsten, erzeugt wird.s 

Musterlagcr Heuberg 

Das Konzentrationslager Heuberg ist das Prunkstiick untcr 
den Lagern. Man zeigt es alien ausliindischen Berichterstattern. 
AUe Berichte, die diese Besucher geben, schildern den ausseren An- 

273 



blick des Lagers unci seiner Umgebung, sie gehen uber mem nicHt 
auf die Auientnaltsrauine und die Schlafsiile em 

Die . : Frankfurter Zeitung , veroffentliehle" Ende Mai 1933 
einen ausfuhrl.chen Bencht iiber eincn Besuch im Lager Heuberd 

2T.38H32 orm^S^^^S?"^ A 

jede Ljnterhaltung »,, den Gefangfnen *KS !fu5* "Sab 
der pohtischen Beeinflussung der SA-Manner zu begeanen Pnr 
gen schreibt: ° ° luli ' 

ten IherTn ^ m^r^ "" Un ' erkanfte der «**»^S£ 
Schutzhaitlmge , n enge Stuben zusammen^epfercht 
Lie iHtew sind von spanfechen Reitern blockiert. Hohe Staehel- 
drahtzaune umgeben z U beideo Seiten des Weges die Gebfiud und 
zwar immer zwe. zugleich, sodass ein Innenhof Ziehen ibnen 
«nhtefat Das Konzentrationslager 1st in Teillager auf»eteilt Neoen 
den spa^chen Reitern versieht die SA ihren Die J? e DopJS 
rosier. nut Karabinern. Ausserdem wird Jede Seite des 4"beE 
unyon e,n em Hilfspolizisten bewadrt. Man sieht an di 5£« 

535 l h» eDSt f , 8iDd ' eer - * i6t Verboten "inaus zu gTken 
Jachte leuchten Scheinwerter die Fassade ab. Jedes Haus i!t vie 

^issrjir geleilt - Bau A und B - beide haben -^ 

im Treppenhaus. Links und recbts auf heirt^ Efa-™ u ^ • 

2tfS 2fJ?S*S- ', der Mit ' e ^^S-ldts 1 

sonen 1 ■ hi ?' *? lDSChrift = 'Aufsichtsbeamter,. Drei Per- 

htr . - hier onter *«ft»«*t E in SA-Fuhror. d.-r die Iinke StX 

In » t? o m VOT 8" ete ten Polizeikommando. 

V^Sm^d^p S °! da h tenS,Ube befindet sich ein Kanzleiblatt, das 
verze chn.s der 36 StubemnaasscD. Name, Geburtsort Wohnune Der 

Xf^aSZLZ" ^^f hen '° r - * AchtUQ ^ ™« e ""Len 
kornm, g eihebeD 6U ' h ' WeDn der Aufeichtebeamte herein 

HocSf unflSSff k^c"? Si,Zen diS GfifaD Senen auf kleinen 

Zeitunp 1 und M S^ It SJe habeD die Spie,e selb6( fabrizie "" 
auf eif BHH J 1, ^ "!" man faBt ^rnicht ! die ganze Stube fet 

lose Wand t mi Z' *" ^T S ew6hnlich «• Die Feaster- 

bewahren de/ E^it'S qUadraflSCheD S W» «>«»« ^ Auf- 

kon?men d S r J Ter d ehr he m if A H f ilfSP ° ,iZiSten - d,e ^ ro » L »«" 
, jeaer Verkehr nut Gefangenen untersagt fat baben die 



27t> 



zur Aufsichi bestellten FUhrer Auftrag, im staatspolitischen Sinn auf 
ihre Stub.* einzuwirken. Die Poet wird vou dcm diensthabenden 
Aufsichtsbeamten kontroiliert. Jeder Gefangeno Bchreibt alle zwei 
YVochen einen Brief oder eine Karte. Aua aiesen Briel'en, aua dem 
allgemeiuen Verhalten, aus dienstlichen und privaten Gesprfichen 
soil der Aufsichtsbeamte feststellen, bei wein Auseicht auf Aende- 
rung der politischen Gesinnung vorhandeu ist.> 

Wir konnen diesen Bericht durch Angaben erganzen, die uns 
ein Gefangener des Lagers Heuberg in einem Briefe geraacht hat. 
(Der Name des Gefangenen kann nicht genannt werden, weil er 
sich noch im Lager befindet) ; 

<Auf deal Heuberg sind 2 000 Klassengenoseen, in der Mehrzahl 

Kommunislen, untergebrachr. 7—8 zweietockige Gebaude dienen zur 

Ucterkunft. Je ein Doppelblock und ein einFacher Block sind geson- 

dert mit 2 in hohem Stacheldrahl abaesehlossen. In einem Zimmer, 

12 X 8 m gross, liegen je 30 Mann, in den Dachkammern je uach 

GrOsse 4—12 Mann. Die Betten, je zwei ubereinander, bestehen aus 

Strohsaek und zwei iibexzogenen Decken. Badegelegenheit besteht 

nicht. (Der Reporter von *De Telegraaf>, Amsterdam, sagt in sei- 

nem Bericht vom 5, April, das3 es monatlich ein Bad gibt. Das gilt 

oFFenbar nicht fiir alle Gefangenen, Die R^d.) Seife wird nicht ge- 

liefert. AVer sicb ordentlich waschen will, muss sie sich kaufen. Wii- 

sche wild nicht geliefert und nicht gewaschen. Handlucher sind 

knapp, immer zwei Gefangeno haben ein Ilandtuch. Rasiermeseer 

sind verboten. Rasieren ist schwer, sodass der Vollbart als neueste 

Errungenschaft AuFerstehung feiern kann . . .> 

Hauptmann Buck, der Letter des Lagers, hat dem Berichter- 
statter vou « Poli liken » Ende April 1933 erklart, dass der Heuberg 
fcein Sanatorium ist, weder an Bequemlichkeit, noch an Hygiene. 
Er hat recht. Diese Lager sind Seuehcnherde, die nur -wenige ge- 
sund verlassen. 

Schwerbewaft'nete Patrouillen mit Mascldnengcweliren 
und Polizeiliumlen bewadien die Lager 

Die Bewachuug der Gefangenen in den Lagern ist ausseror- 
dentlich streng, Ueberall patrotiillieren mit Gummikniippeln, Kara- 
binem und Rcvolvcrn bewaffnete SA-Manner. Viele Patrouillen 
werden von PoJizeihundcn begieitet. Das sieht man auf den amt- 
lichen Bildern. Das schildern uns a Politiken », « Telegraaf », 
« Daily Telegraph ». Das steht in jedem Gefangenenbrief. Das 
Konzenlrationslager Dachau ist — so berichtet Geyde im « Daily 
Telegraph »> vom 27. April 1933 — von einem hohen Drahtzaun 
rangeben, der mit elektriscfaer Hochspannung geladen ist. In der 
Haiiptwache sind schussbereite Maschinengewehre aufgestellt. 

380 



Hordlietzu gegen jiidischc Wissenschaftler 



Juden 
fehen 

Dich 




^-" li 

- 



Wiedergabe des Buchuinschlage 
uud von Unterschriften aus dem 
Buch cJuden sehen Dich an.» 
Diese von dem Naziabgeordne- 
ten von Leers geschriebene 
Broschiire hetzt offen zum Mord. 
Der Beschreibung und dem Foto 
zahlreichei- deutscher Manner 
des deutschen Geisteslebens ist 
das Wort <Ungehangt» hinzu 
gefflgt. 

Albert E i n st e i n. der be- 
riihmle Wissenschaftler erhob 
unerschrocken seine S limine 
Segen den Hitlerterror. 




9JHbttiif erf Stiffen, Slbfcbniff II: Cugeitjubett 



Sinffein 

Srfanb cine [tark beffritfene „9lctafio«aKtfecoric". SBurbe pon 6ct '3u&*«; 
pre[(c un.b bcm abnungSIofen oeufjcfcen 9?otke bod) gefeiert, oanfcte oic* 
ourd) Derlogeite®reueu>efce gegen 9l5olf Stflcr im%t$lanbe. (UngcDongt.) 




Erich Baron 



Der Sekretax der cGesellschaft cler Freunde des Neuen Russland» in Ber 
lin wurde wahrend der Untersuchungshat't in den Selbstmord getneben. 



n Berichterstattern von « Politiken » (Ende April 1933) und von 

De Telegraaf » (5. April 1933) fallt auf dem Heuberg das unent- 

lC . n h a re Gewirr von Stacheldraht und spanischen Reitern auf. 

nj 11 hts ist das Lager von riesigen Scheinwerfern hell erleuchtet. 

n s grelle Licht raubt den Gefangenen den Schlaf. 

< ( Oeffnet man ein Fenster, um Luftzug zu haben, wird ge- 
u^ccpti » berichtet « De Telegraaf » (Amsterdam) am 5. April 

In Oranienburg ist das Lager auf der einen Seite von niedri- 

Fabrikmauern, auf der anderen, wo die Gefangenen turnen, 

^n ganz niedrigen Strauchern urageben. Flieht keiaer der Hfift- 

r°«*eT Diese Frage hat auch die Journalistin gestellt, die Oranien- 

bur* als Dolmetscherin eines auslandischen Reporters gesehen hat. 

«Antwort : Hier gibt es keine Fluchlgefahr. Die Waehter sind be- 
waffnet und haben strengen Befehl, sofort zu echiessen, wenn 
ein Gefangener die durch Straucher bezeichnete Grenze uber- 
schreitet. Warum sollten sie ausserdem fliehen ? Sie haben 
es so gut hier. Selbet wenn man eie entlasst, weigern sie sicb 
zu gehen. 

Frage : <Unmoglich !> 

Antwort : <Vorgestern bekamen wir Befehl, einen zu entlassen. Er 
wollte nicht gehen und musste mil Gewalt zur Bahn gebracht 
werden. Fragen Sie doch die Andern, ob es wahr ist.* 

Die Journalistin fahrt fort: 

<Talsachlich, es hat sich der Fall ereignet, dass Gefangene die 
Freiheit verschiniiht haben. Aber warum? Die Entlassungsorder 
kommt meist nachts oder zu sehr frflher Morgenstunde. Da kann 
man leichter auf dem Weg erschossen werden, und am anderen 
Tage heisst es dann in den Zeitungen : <Marxist auf der Fluent 
erschossen^. 
In cler Tat: Diese niedrigen Straucher sollen einen Anreiz zur 
Flucht geben. Flucht aber bedeutet Tod, 

Dunkel-Arrest uiid korperliche Ziichtigung 

Die Willkur, welche die Konzentrationslager geschaffen hat, 
hat auch die Inhaftierten nach drei Graden eingeteilt, und zwar mt 

a) Leichtverbesserliche (Deutschnationale, Bayenrwacht, Mit- 

laufer) ; 

b) sogenannte Sclrwerverbesserliche; 

c) Unverbesserliche. . ^...^ 
In die letzte Kategorie werden die kommumstischen *unrer, 

die Funktioniire und die linksstehenden Intellektuellen eingemnt. 

Gegen sie werden die schlimmsten Sondcrbestimmungen ange- 

281 



waadt In dem erwahnien Bericht von Porzgen uber das Gefange- 
nenlager von Heuberg wird dafiir folgende Bestatigung gegeben: 

«\Ver auf Grund der vorliegenden Akten uad Bericbte als unver- 
besserlicb gelten muss, wird in den <Stammbau> versetzt, auf Num- 
mer 19 und 23. Da geht alles vie] strenger zu. Der Aufsichtsbeamte 
ftthrt kein Gesprach. Die Bewegungsfreibeit ist auf 10 Minuten be- 
schrankt. Die Rauch- und Sprecherlaubnis wird weniger oi't erteilt, 
auch der Arbeitsdienst, der den Gei'angenen Gelegcnheit zu einigeu 
Stunden korperlicher Betatigung bietet und ihnen eiae Nahrungszu- 
lage ermoglieht, fallt beim Stammbau \veg.> 

Auch diesen nuchternen Bericht des Journalisten konnen wir 
erganzen durch den Originalbrief eines Gefangenen im Lager 
Heuberg, dessen Notschrei uns uber Stacheldraht und Grenzen 
hinweg erreichte: , 

<Teure Genossen! Hoffentlich erhaltet Ihr diesen Hilfeschrei. Das 
Leben ist hier geradezu furchtbar. Die BehandJung isl schliminer wie 
in den Gefiingnissen und Zuehthausern, von den Kriegsgefangenen 
nicht zu reden. Um 1<9 Uhr nitissen wir zu Belt, rnorgens um *A6 Uhr 
(uichC um 6 Uhr) werden wir herausgejagt. In der Nacht habea wir 
keine Ruhe. Oft werden wir 3-4 Mai des Nachts vor die Baracke ge- 
trieben und werden auf dem Platz herumgejagt, wobei Prtigel und 
grobste Beleidigungen zur Selbstverstandlichkeit geworden sind. Des 
Nachts haben wir auf diese Weise nur 3-4 Stunden «Ruhe». 
Ein Vorfall: Die ganze Abteilung wird des Nachts herausgejagt, muss 
exerzieren und 6 Nazis mit Gummikniippel und vorgehalteuem Re- 
volver prugeln einen Genossen unmenschlich. Sie warteten nur auf 
einen Widerstand und batten den Genossen zweifellos erschosseu. 
Da er sich nicht provozieren liess, schlugen sie inn spater nochmals 
griin und b!au. Diesem Genossen erkliirte man: «Sie konnen sich 
zwar beschweren. aber das ist zwecklos. Wir konnen Sie aber auch 
mit einem Sandsack besclnveren!* 

Ein Ebinger Genosse erhielt wiihrend sechs Tagen Dunkelarrest nur 
zweimal zu essen und karn halb verhungert uud totenbleich zuriick. 
Im Dunkelarrest ist er schrecklich verpriigelt worden. 
Die Niirtinger Genossen sind von einer wahnsinnigen Prligelei beute 
noch griin und blau. 

Gebriill der SA-Leute, Hilfeschreie unserer wehrlosen Kameraden 
bdren Tag und Nacht nicht auf. 

Bei dem Essen, das fiir langeames Verhu.njrern bestimmt ist, miissej 
die sturksten Nerven kaputtgehen. so dass viele Genossen sich mit 
Selbstmordgedanken tragen odpr Widerstand leisten wollen, selbst 
auf die Gefahr, dass sie totgeschlagen oder erschossen werden. 
Jetzt sind neue StPafverschSrfungen in 19a, 19b, 23a uud 23 b durch- 
gefiihrt. Die Gefangenen werden auf den einzelnen StuPen dem Alter 
nach zusammengelegt Der Zweck ist, die jiingeren Genossen noch 
schl burner zu dresiseren und die alteren Kameraden, die fast durch - 



282 



weg gegeniiber den jungen SA-Leuten jahrelang au der Front standeu, 
abgesondert zu behandeln. 

In den Strafbauteo ist uoch kein Journalist gewesen. Den Journa- 
listen hat man wahrscheinlich die Bauten der Stufe I. gezeigt 
Die- Vergunstigungen vom I. and II. sind : 

Je 3 Zigaretten Mittwochs and Sametags und eine echwarze Wurst 
fur 3 Mann. 

Das Essen ist so gut. dass wir alle unterernahrt sind und Furchtbar 
aussehen. Hier eiuigo Typs vom Essen: Kohl xnit Nudeln, sehr dUnii 
Blaukraut, Kaxtoifelschnitzel mit Nudeln, siisser Reis mtt KartofMn, 
duxchschiiittlich 3 Gramm Fleisch (in Worten: drei Granuu Fleischl). 
In 11 Wochen haben wir zweiinal richtig Fleisch mit Sauerkraut er- 
halteu. Das ganze Bs-sen ist fettles, ohne Gesehmack und mit vie! 
Soda In 11 Wochen haben wir zweimal Butter bekoinineii. Dasa wir 
dabei langsam zugrundegehen, ist klar.> 

Planmassig wird (Lurch die Einteilung der Haftlinge in drei 
Kitetforien versucht, sie gegeneinander aufzuhetzen. DieLagerkom- 
mandantcn wetteifern in der Erfindung rafflniert ausgekliigelter 
Disziplinarstrafen: Den Gefangenen wird die Freizeit gekiirzt. Die 
Schreiberlaubnis -wird eingeschrankt oder fiberhaupt entzogen. Die 
Besuchserlaubnis wird fiir lange Zeit aufgehobcn. Den Gefange- 
nen ist vcrboten, wahrend der geringen Freizeit an gemeinsamen 
Zusammenkiinften teilzunehmen. Sie werden einer besonders 
scharfen Isolierung und Ueberwachung unterworten. Strengstes 
Rauchverbot wird durchgefiihrt Lange Arreststrafen mit nur 
zehn Minuten Spaziergang am Tage oder Dunkelarrest werden ver- 
balist Beliebte Disziplinarstrafen sind: mehrstundiges Nach- 
exerziercn, Strafturnen, Verlangming der Arbeitszeit, besonders 
schwere ungewolmte und aufreibende Arbeit. In einjehienkon- 
zentrationslagern ist man dazu ubergegangen, besonders misshe- 
bige Strafgefangene in Ketten zu legen. 

Nach dem Bericbt von « Daily Telegraph . vom 27 . April 1933 
diirfen in Dachau zum Beispiel Widerspenshge die ldeinen Batten 
uberhaupt nicht verlassen undnUbtandieLuttgenen. 

Der Bericbt der erw-ihnten Joumalistin schildert einen Arrest- 
ranm in Oranienburg, in dem « schwcrerziehhare » Gefan G ene 
schmaehten mussen- 

«Ein Mftuerloch, mit einer Eisentlir gesichert, ^J™*£ b Z^£ 

LDftng ab die Tiir. Man zeigte uns diesen tajjjj g^^ 

geschah erst eine Stunde nach Beg.nn der Bea .ch W g 

Ln oHenbar die Gerangenen ^st^ r -t,,,n hatta. D^ 

283 



Auf dem Heuberg besclrwerte sich ein alterer Rcchtsanwalt 
iiber das schlechte Essen. Wegen dieser Beschwewle wurde er ver- 

urteilt, funfzehn Tage auf dem Dach der Baracke 
ohne Decke zu schlafen. 

Hnuptmann Buck aber vcrsichert dem Reporter der hollandi- 
scben Zeitung « De Telegraaf » (5. April 1933), dass es im Heuber- 
ger Lager iiberhaupt koine Arrestlokale gebe. 

Priigel mid sadistiscke Folterungen 

Es unterliegt keinem Zweifel, und alle Berichterslatter stim- 
men darin iiberein: die a Unverbesserlichen » werden so behan- 
delt, dass ihr korperlicher Untergang unabwendbar ist. 

Man erkennl den Zweck: die besten Kaders der 
Arbeiterschaft Deutsch lands sollen physisch 

vernichtet werden. 

Aus zahlreichen Briefen geht hervor, dass in den Konzen- 
trationslagern ausserordentlich schwere Misshandlungen der 
Gefangenen vorkommen. Hauptmann Buck hat dem Vertreter von 
«. Politiken » versiehert, dass in den Konzentrationslagern niemand 
niisshandelt werde. « Keine Schlage, keine Ziichtigungen », wagte 
er zu behaupten. Dass in Wahrheit die Gefangenen auf das 
Schlimmste niisshandelt werden und dass insbesondere die Haft- 
linge des dritten Grades unertraglichen Martern ausgesetzt sind, 
zeigt sogar ein Blick in die deutsche Regierungspresse. Der c An- 
griff » vom 1. April 1933 schreibt: 

<Eiu Reichsbannermann wird vernomnien . . . er gibt patzige Aut- 

worton, jedoch genUgt ein freundlicher aber beetimiuter Hinweia 

auf seinen eigenen Gumniikniippel, urn ihn den Ernst der Situa- 
tion erkenuen zu lassen.* 

Welche schweren Misshandlungen miissen in diesem Lager 
geschehen sein, wenn sclion ein Himvcis auf den Gummikniippel 
geniigt, dem Gefangenen den « Ernst der Situation » klar zu raa- 
chen. Die « Deutsche Allgemeine Zeitung » bestatigt in einem 
Bericht vom 30. April 1933: 

<Denn erst dadurch, dass man sich ihrer versicherte und mil un- 
erbittlicher Hfirte ihr Verhor durchfiihrte, gelang es, deu 
unterirdischen Terror fast in vollem Umfange aufzudecken . . 
Noch immer ist der Widerstand einzelner Haftlinge zu brecheu.* 

Diese Nachrichten bestiitigen, dass bei Verhoren die Folter 
angewandt wircl. Wir besitzen eiaon Bericht des Korrespondenten 
der « Chicago Daily Tribune », Edmund Taylor, dem es gelang, 

234 



pdt einigen Gefangenen des Lagers Heuberg in englischcr und 
franzdsischer Spraclie zu reden, so dass seine SA-BcgLeiLer die 
Gesprache nicht verstanden. Mehrere Gefangene bestatigten au S - 
drflcklicb, dass in diesem Lager haufig scrwere Misshandlungen 
vorkomnien. 

Nicht anders lauten aueh die Berichte aus dem Lager Schloss 
Ortenstein bei Zwickau. Besucher dieses Lagers erklaren eides- 
stattlich, dass sie an Armen und Handen von Gefangenen blutige 
Striemen, grune und blaue Hecken gesehen haben. Es kann kein 
Zweifel sein, dass diese Zeichen von Misshandlungen herriihren 
Besonders fiirchterlich waren die Misshandlungen, solange die 
Bcwachung der Gefangenen SA-Leuten anvertraut war. Als die 
SA durch Polizci ersetzt wurde, gestaltete sich die Lage der 
Gefangenen etwas ertraglicher. Aber seit Anfang Mai ist wieder 
SA in Ortenstein. 

Die HSIle von Sonnenburg 

Das Konzentrationslager Sonnenburg muss gesondert behan- 
dell werden. Briefe und Berichte von Gefangenen, ja selbst amt- 
liche Feststellungen beweisen unzweideutig, dass Sonnenburg 
cine wahre Folterkaramer ist. Arbeiterfiihrer und Intellektuelle 
sind den erniedrigendsten Misshandlungen ausgesetzt. Das Lager 
heisst in ganz Deutschland: Die Holle von Sonnenburg. 

Das Schreiben eines Arbeiters, das aus Sonnenburg hinaus- 
geschmuggelt wurde, gibt eine aufwiihlende Darstellung der 
Zustande: 

cDie ersten Gefangenentransporte vvurdeu auf dem Bahnhof Son- 
renburg von SA-Abteilungen und von Schupos z. b. V. empfangen. 
Sie wurden zum Singen gezwungen und buchstiiblich bia zura Lager 
hingepriigelt. Das konnen die Einwohner von Sonnenburg bezeugen. 
Im Lager angekommen, mussten die Gefangenen bei stromenden 
Regen im Hof stehen. Dann wurden die ersten in den Salen unter- 
gebrachl. Jeder musste eich selbst Stroh aus einer anderen Etage 
holen. Auf der Treppe standen SA-Leute, die mit ihren Gummi- 
knuppeln erbarmungslos auf die Gefangenen dreinschlugen. In den 
Salen wurden wir wieder mit Stuhlbeinen und Gummikniippeln ge- 
priigelt. Einzelne Genossen mussten die Koteimer der SA reiuigea, 
wobei sie wieder viehisch misshandelt wurden. Ein SA-Maun steckte 
den Kopf des Gefangenen zwischen seine Beine, wahrend ein an- 
derer zuschlug. Die Genossen mussten die SchUige laut zahlen. Bis 
zu 185 SchlSgen haben einzelne Gefangene erhalten. Dazu gab es 
nocb Fusstritte und die ubrigen Misshandlungen. Am moisten zu 
leiden hatten die Genossen Litten, Wiener, Bernstein, Kasper, 
Schneller und die jiidischen Gefangenen. Besonders hat unser alter 



28"i 



Freund Muhsaai gelitten. Jetzt hat es sich ein bischen geiindert, 
aber dafur herrecht ein unerhbit scharfer militariscuor Drill, schliin- 
mer als zu meiner Rekrutenzeit. Die meiste Zeit miisseu wir draue- 
sen axerzieren, mareehieren und singen. 

Die ersten drei Wochen waren die schrecklichsh-u, lu den Einzel- 
zellen wurden wir nachls uberiallen und hirchtbar verpriigelt. 
Manche Genossen hatten ganz schwarze Rueken. Ob Littcn mil dem 
Leben davonkoramen wird, weiss ich nicht. Er selbst hat dem Staate- 
anwaltschaftsrat Mittelbach (die furehtbav erregten Frauen meh- 
rerer in Sonneuburg internierten Haftlinge hatten im Berliner Peli- 
zeiprasidium scharfsten Protest erhoben und durchgesetzt ; daee 
Mittelbach zur Untersuehung nach Sonnenburg entsandl wurde) 
gebeien, man moge ihm doch eine Kugel durch don Kopf jagen, 
■weil er diese viehischen Misshandluugen nicht ertragen konne.* 

Diese Schilderung wird durch einen Bericht des « Sonnen- 
burger Anzeigers » vom 7. April 1933 erganzt: 

<Mit dem Gesang der Nationalhymne mussten die Haftlinge vom 
Bahnhof nach dem ehemaligen Zuchthaus marschieren, wobei viel- 
fach der GummikntippeS der Berliner Hilfspolizei nachhalf.* 

In diese drei Zeilen ist eine ganze Holle eingeschlossen. 

MiQisam, Kasper, Bernstein, Ossietzky barbarisch 
missJiaiidelt 

Die Schilderung des Sonnenburger H&Itlings erhatt eine er- 
schiitternde Bestatigung durch Briefe der Frau Muhsam und i der 
Frau Kasper, die ihre Manner in Sonnenburg besucht haben. 1 rau 
Muhsam schreibt: 

<Sie tiaben unsere Manner zu Tode gepriigelt. Der total ! Wi 
habe es gesehen I Ich babe ihn nicht erkannt, Bum mcht eAannt 
xwbchen den anderen ! Wie sie gepriigelt smd it rage a.. I die 
Toni! Den Bart haben sie ihm gestutzt, die Za h»e herauBges^gea. 
Seinen KoHer hat er tragen mussen, auf dem Transport, ^o der 
Erich iiberhaupt schon so nngesehickt ist. Untenvegs erget. Men- 
Dann haben die Bestieu ihn so geschlagen als er auf dem Rodw 
lag auf der Cbauasee und nicbt aufstehen ^onnte ! Al chin ^ 
nenbur" ankam, da sass er vollkommen zerbroehen und war em 
setzt Uber mein Kommen. Seine ersten Worte waren : cW.e k - t 
Du denn in diese Holle? Ihx kommt nicht lebendig raus e W 
den Euch totscMlagen, da ihr uns gesehen habt. w.e wn zu er 

286 



die Wan J gelehut, sein Gesicht war blutleer und ganz entsteltt. 
An einem Auge, das vollig blau war, hatte ex einen Blutergusa 
bis auf den Mund. Sein Mund war so stark blutunterlaufen, ala 
b jemand in 6 as Gesicht hineingetreten ware. Er 
konnte kaum sprechen und sich vor Schmerzen, die er am ganzen 
Korper empfand, nicht rUhren.> 

Die Frauen der politischen Gefangenen Bernstein und Geisler 
hatten bei der Aufsiehtsbehorde ein Besuchserlaubnis fur Sonnen- 
burg erz^ungen. Frau Bernstein schildert: 

<lch glaubte, einen fremden Menschen vw mir zu haben. Die 
Au^en und die anliegenden Partieu waren blutrot und stark <*e- 
schwollen. Ueber das Gesicht breite Striemen von Gummiknuppel- 
sc hlagea Ich durfte meinen Mann nicht beruhren, aber sein ganzer 
Korper musste so zerschlagen sein, wahrend der ganzen Zeit ver- 
barrte er in einer raerkwurdigen Stellung unbeweglich.> 

Frau Geisler erzahlt: 

cMein Mann war, als ich ihn sah, so verandert, daa Gesicht so stark 
ireschwollen, dass ich mich beherrschen musste, nicht laut vor 
Jammer zu schreien.i 

Ein Gefangener, dem es gelang, aus Sonnenburg zu fliichten 
und das Ausland zu erreichen, berichtet: 

<Im Zuchthaus Sonnenburg sind 414 politische Gefangene unterge- 
bn.cht, uuter ihnen Carl von Ossietzky, den man am 28. Februar 
verbaftet I>at. Ein Mitgefangener, der dreizehn Tage im Sonnenbur- 
g ( »r Zwbthaus verbrachte und jetzt die Grenze erreichen konnte, 
hat Ossietzky in der Krankenabteilung gesehen. Gebiickte Haltung. 
eingefallenes Gesicht, gelbe, krankhafte Gesichtsfarbe, nervoses 
Gesh'kulieren mil den Hauden, schlotternder Gang, so beschreibt er 
Oswetzky. Die anderen Sonnenburger Haftlinge : Dr. Wiener, am 
ganzen Korper griin und blau geschlagen; der Kommuniet Bernstein, 
dasst-n Nieren man zerschlug und der jetzt nur mit einer Stiitze 
geher kann, der Kommunist Kasper, dem man die Sehamhaare aus- 
gerisseu hat, Erich Muhsam, der mit Kasper zusammen fiir sich eia 
Grab schaufeln musste, mit der Begriindung : am nachsten Morgeu 
wiirden sie beide erschosseu werden. Auch Erich Muhsam sieht 
entstellt aus. denn seine Bartbaare hat man ihm abgeschnitten. Id 
der Nacht hat man Kasper dae Fenster seiner Zelle eingeschlagen, 
eine Pistole durcbgesteckt und ihm mit Erschieesen gedroht. Dann 
drang man in die Zelle und bearbeitete Kasper mit Gummikniippeln. 
Da3 Tagesprogramm in Sonnenburg: 
5 Uhr 15 friih : Wecken, Heraustragen der Abortkiibel (in Son- 

nerburg gibt es keiue Wasserspiilung), Reinigen der Zellen, 

Was chen, Freiubungen etc. 

8 U h r 30 : Fruhstiick. 

9 — 10 Uhr : Militarische Uebungen, Absingen von Hitler-Liedern. 

10 Uhr 30 _ 12 Uh r : Pause, dann Mittag. 

287 



1? llhr 30 — 5 Uhr 30 : Militarische Uebungen und Tumspiele. 

6 Uh r ; Abendbrot. 

6 U h r 30 — 7 Uhr 30: Exerzierea. 

7 Uhr 30 8 Uhr 30: Gemeinsames Beiaamtneneein. 

Die Misshandlungen im Lager Sonnenburg waren so un- 
menschlich, dass der am 11. April neu antrctende Polizeikom- 
mandant des Lagers sich gezwungen sah, an die vorgesetzte 
Behorde Bericht zu erstatten. Auf Befehl von oben musste er die 
Kopie dieses Briefes vernichten. Die moisten Stiicke dieser zer- 
rissenen Kopie gelangten in unsere Hande: 

<Sonnenburg, den 18. Mai 19$3 

Betrifft besondere Vorkommnisse nach Uebernahnie der Polizeige- 
fangnisses am 11. 4. 33. 

Bei meinem Dienstantritt am 11. 4. 33 stellte ich fest, dass im 
hie^igen Polizeigefangnis, insbesondere bei der SA-Mannschaft keine 
geordneten Zustiinde herrschen. Vornebmlich bezog sich dies auf 
folgende Punkte : 

1) Behandlung der Gefangenen durch die SA-Mannschaft; 

2) Verhalten der SA gegen die Verwaltungsbeamten; 

3) Verhalten der SA untereinander; 

4) Verhalten der SA in der Oeffentlichkeit; 

5) Besoldungsverbaltnisse der SA. 

zu 1). Ein Teil der Gefangenen, insbesondere die Prominenten, wa- 
ren durch Angehdrige der SA auf das Schwerste misshandelt wor- 
den. Um Fortsetzungen der Misshandlungen zu unterbinden, wurden 
die verletzten Gefangenen nun unter Aufsicht von Schutz (fehlt) 
beamlen gehalten. Den SA-Mfinnern drohte ich bei Wiederholung 
(fehlt) durch scharfe Ueberwachung der SA bei Tag und Nacht 
die (fehlt) gegen Gefangene nachliessen, habe ich dennoch in zwei 
Fallen das Schlagen von Gefangenen festgestellt. Bei deni Zusam- 
menhaiten der SA-Mannschaft, besonders bei derartigen Vorkomm- 
n.ssen, hatte die angestellte Untersuchung nach den Tatern keinen 
Erfolg. Ich drohte nunmehr der SA an, dass ich bei dem geringsten 
Vorfall dieser Art die in Frage kommenden Wachschichten, bzw. die 
gesamte SA-Mannschaft abltfsen werde. 

zu 2). Dauernde Reibereien zwischen den Verwaltungsbeamten und 
den SA-Manosebaften entstanden wegen der umgekehrten Lo Q - 
nungsverhMltnisse. Trots angemessener Vorschusszahlungen fuhlten 
sich die SA-MSnner benachteiligt und bielten den Polizeiinspektor 
Pelz fur den Schuldigen. Ihr Auftreten dem Polizeiinspektor Pelz 
gegenfiber ging soTveit, dase die SA nur durch mein personliches 
Eingreifen durch scharfe Zurechtweisungen zur Vernunft zu bringen 
war. Beim Abzug der SA am 24. 4. 1933 musste ich den Polizeiinspek- 
tor Pelz in seiner Wohnung durch einen bewaffneten Schutzpolizei- 
beamten beschUtzen lassen, um TStlichkeitea zu verhindern. 

288 



EEC"* d,e im An "- ta - - -i*S« to aS£E- j 

(Hier bricbt der Bericht ab.) 



„Schweig"en and Prfigel" 



Ein junger sozialdemokratischer Arbeiter entfloh vor kur 
zem aus dem Lager Hohenstein, in dem er 7 Wochen liL i 
keI , war. Sein Bericht der ein Bild des tr^^t^S^ 
Konzentrahomlager gibt, wirkt in seiner ruhigen SachUchkeTt 
besonders stark: Wfteu 



cWir waren 800 Menechen auf Hohenstein. Sozialdemokraten Kom 
rnunisten, Juden und auch einige Zentrumsleute. Die Kornmunieten 
werden gesondert gehalten. Ihr Schicksal war ein noch viel schwe- 
reres, als dae unsrige. 

Morgene um 6 Ubr mussten wir auf den Weckruf <Heil Hitler> 
aus den Betten springen und uns stramm neben das Bett aufpflanzeu. 
So, unangekleidet, ungewaschen, beteten wir unser erstes Stossgebet. 
L'ott helfe unserer Nation und beschiitze unseren Reichskanzler 
Hitler.* So genau kenne ich den Wortlaut nicht, ich habe dabei blosa 
inimer gemurmelt. Der Vorbeter war unser GruppenFuhrer. Unsere 
Gruppe zanlte 20 Mann. 

%7 Ubr Antreten zum Kaffee. Warmes schwarzes Wasser (als Kaffee 
kann man es beim besten Willen nicht bezeichnen) und ein Stiick 
Brot. Danach: Strammstehen, Absingendee <Horst-We6sel-> und des 
Dcutschlandliedes. 

7 Uhr Abmarsch auf den Hof: Freitibungen, Kniebeuge und mili- 
tarische Uebungen. Hinwerfen. aufstehen, hinwerfen, aufstehen . . . 
und im Magen nur das bisschen Wasser und Brot. So ging es, dazwi- 
schen Fussballspiel und Stafettenlauf, bis 9 U b r. Nun antreten zur 
Arbeit: Sandschieben, Barackenbauen, Holz aus dem Wald heran- 
schleppen. 

TJra 12 Uhr gescblossener Abmarseb. Das cHorst-Wessellied* wird 
wieder gesungen. Tischgebet: < Jesus sei unser Gast . . . und sfchutze 
unsere deutsche Nation*. Mittagstisch: Suppe und Brot. Zweimal die 
Woche gab es etwas Fleisch. Manchen geniigt es. Hinterher: Jede 
Gruppe mit Geschirr zum Abwaschen. 
12J4 Uhr wieder Spielen und Exerzieren. 

3 Uhr Musterungsappell. Der Befehlshaber echreitet die Front ab. 
Wir mtissen brullen «Heil Hitler*, singeo das <Horst-Wessellied^ und 
wieder . . . exerzieren bis 5 Ubr, Nun dttrfen wir <ungezwuncren> 
auf dem Hof herumgehen. Aber keiner darf mit dem ao- 
deren ein "Wort wechseln. Weder jetzt, wenn wir frei ha- 
b*»n. noch wenn wir arbeiten. 

7 Uhr Abendessen. Stuck Brot wenn wir mal Gltick haben. 
pin Stuck Wurst oder Kase. 

id 289 



y$ Uhr alle an den Betten antreten. Das cDeutschLandlied* wird 
wieder gesungen, das Gebet abgeleiert, und um 8 Uhr muss alles in 
den Betten liegen. 

Wahrend der ganzen Nacbt breunt das Licht im Raum. SA-Posten 
mil Karabinern bewachen uns. Niemand darf den Mund oi'fnen. Wir 
sind verurteilt zu schweigen : bei Tag und boi Nacht. Wir h5ren nur 
Kcmmanaorufe, FlUche, Gebele, das Ilorst-Weasel- und Deutschlaud- 
Iied. 

Ich wurde nur einmal gepriigell. cWillst du veifluehter Marxist nicht 
strammstehen ? Ich werde dir schou zeigen !> Uud der Gummiknup- 
pel sauste auf meinen Scbiidel nieder. 

Wir trugen uiasere eigene Kleiduug, nur die Knopl'e schnitt man ab. 
und die llosentrager nahm man uns weg. Besuch von Angeborigen 
konnten wir (aber nicht alle) zweimal im Monat enipfangen. 
Fiir Sprechen oder eine andere «Ungehorsamkeit> wurde man ent- 
weder an Ort und Stelle verpriigelt oder es gab Gefangnis. Hohen- 
stein ist niimiich eine alle Burg, und im Keller lag ein uraltes, feuch- 
tes, dunkles Burggefiingnis. 

So ging es alle sieben Wochen. Strammstehen, hinwerfeu, aufstehen, 
nationale Hymnen singen, arbeiten, hungern und — sehweigen. 

Ein anderer Haftling schreibt aus dem Konzentrationslager 
Konigstein: 

<Fruhmorgens um 6 Uhr werden wir von der Polizei geholt, die uns 
durchaus anstandig behandelt. Wir werden in das Konzentrations- 
lager Konigstein eingeliefert. Hier befinden sich 200 Gefangene, auf 
die sechzig SA-Leute als Bewachung kommen. Wir werden mit dem 
Bauen von Schiesstiinden beschaftigt. Das Essen ist ertraglich. Wenn 
nur nicht die fortgesetzten Misshandlungen waren. Die SA-Wachter 
sind aber auch mit wenigen Ausnahmen (iiltere Leute) zu gernein. 
Gleicb bei unserer Einlieferung wurden wir heftig gequalt. Zuerst 
muesten wir dreiviertel Stimden Laufachritt tiben, dann eine Stunde 
strammstehen, ohue uns zu ruhxen, dabei wurden wir mit dem Re- 
volver bedroht und bekamen mit Gummikniippeln, Reitpeitschen und 
Karabinern Schlage. Dann mussten wir eine Stunde knien, den Kopf 
zur Erde gewandt. Bei ungenauer Durchfiihrung dieser Uebung be- 
kamen wir Fusstrilte ins Genick und zwar mit Nagelschuhen. Dann 
bekamen wir wieder eine Stunde lang Prtigel. Einzelne Leute wur- 
den halbtot geschlagen. Die Haare wurden uns abgesennitten und in 
den Mund gesteckt. Die ganze Prozedur dauerte von viertelsieben 
Uhr abends bis halbdrei Uhr nachts. Auch in den folgenden Wochen 
wurden namentlich von dem Truppfuhrer Fuhrmann diejenigen be- 
sonders schwer misshandelt, die durch Auseindersetzungen mit Nazis 
bekannt waren. Als bei einer solchen Gelegenheit ein Heidenauer 
Genoese, der Fiihrer des antifaschistischen Kampfbundes Gumbert 
(41 Jahre alt) totgeschlagen wurde, griffen hobere SA-Fiihrer ein, 
dann wurde es etwas besser. In den ersten Nacbten mussten wir 
ohne Decken in kalten und nassen Raumen schlafen. Spater lieferte 

290 



man uns Decken. Trotz aller Qualen ist die 1 1 alt imp der Gcaoseen 

lapfer. Auch dia So2ialdemokraten halten sich tapfer, obwohl 9io 

nodi minier politiscbe Illusionen haben. Verral von Genossen ist 

oicht vorgekommon, 

Ueber die uninenschlichslen Greuel, die auf dcm «K 6 n i g- 

stein* geschehen sind, erschien im Prager «Sozialdemo- 

krat» folgcndcr Berichl, fur dessen Inhalt das Blatt ausdruck- 

lich die Verantwortung fibernimmt Es svird bezeugt: 

«dass in K&rigstein HSfUinge gezwungen wurden, das blutig geschla- 
geae Gesites ilirer Leidensgefiihrten abzulecken; dase man die Haft- 
linge zwang, drei Stunden lang das Gesieht iiber den frischen Kot 
von SA-Leulen zu halten. da<=s angetniakene SA-Leute die Hiiftlinge 
nachts weckten und sie unler wiisten Drohungen zwangen, gebrauchte 
Preservative auszulecken; dass die Haftlinge zitterten, wonn sie dea 
Nachts den Gesang ihrer Peiniger horten, weil sie wussten, dass sip 
das Opfer sadistischer Orgien warden; dass die Haftlinge gezwungen 
warden, in Gegenwart ihrer Peiniger zu onanieren und man von 
ihnen verlangte, widernaturlichen Geschlechtsverkehr mi! ihren Lei- 
denegenossen zu vollziehen; dass man den Haftlingen Geld stahl und 
sie zwang, zuzugeben. dass sie Falsehgeld gehabt hatten: dass man die 
Haftlinge <straf\veise» in feucbte und kalte Kellergelasse warf und 
ihnen jede Schlaf- und Sitzgelegenbeit verweigerte; dass man alle 
Gefangenen zwang, bei ihrer Entlassung zu best&tigen, es sei ihnen 
nichts geschehen. Dies alles geschab unter Leitung des SA-Fiihrers 
Bienert-Konigstein und Fuhrmaun-GoUleuba.:* 

Diese beiden «Fflhrer» wurden nicht etwa bestraft, sondern 
versetzt. 

Hnngerrationeu 

Die Berichterstatter der Zeitungen « De Telegraaf » (5. April 
1933) und « Daily Telegraph » (27. April 1933) erhielten von den 
Haftlingen auf die Frage, wie das Essen sei, die Antwort: « Gut, 
aber nicht reichlich ». In Wahrheit ist das Essen weder gut, noch 
ausreichend. Ein Gefangener im Konzentrationslager Heuberg hat 
in wenigen Wochen der Haft 30 Pfund abgenommen. Trotzdera 
erklarte Leutnant Kaufmann, einer der Leiter des Lagers, dem 
Berichterstatter dor « Frankfurter Zeitung » (Ausgahe vom 
8. April 1933): 

<Die Mehrzahl der Haftlinge ist zufrieden. Das Essen isl gui Es gibt 
ein krSftigea und reichliches Einheitsgericht, Fleiscb zweimal in der 
Woehe>. 

Edmund Taylor, der mehrere Gefangene in englischer Sprache 
gefraj sehreibl hin i in der « Chicago Daily Tribune »: 

<Die Gefangenen beschwerten sich bitter iibor die unzureichende 
Verpftegung, Die Nabrung beelebt im wesentlichen aua wSsseriger 
Oraupensuppe.* 

29] 



Im « Daily Telegraph » vom 27. April 1933 berichtet Geyde 
dass die Gefangenen zur Feier von Hitlers Geburtstag — « £ ei * 
Deutscher soil an diesem Tage hungern » — Sauerkraut erhielten 
Wenn Sauerkraut schon ein Festtagsessen ist, wie muss die Ver 

pflegung der Gefangenen erst an gewohnlichen Tagen aussehen? 

Dariiber gibt ein Brief eines Haftlings grundlichen Aufschluss- 

cKohldampf schieben ist die Parole. Das Essen ist hundsmiserabel 
Wir erhalten nur ein Pfund Brot pro Tag. Unser Mittagmahl sah 
letzte Woche so aus : Topfgerichte aus Kartoffeln und Geiniise oder 
Dainpfnudeln mit etwas Mischobst oder Linsen mit Kartoffeln Erst 
gab es einen Liter dieses Essens. Jetzt sind die Rationen verideinert 
Da an Fleisch und Fett gespart wird, fehlt dem Essen jede Kraft' 
Ausserdem ist es zu wenig. Noch schlimnier wird es am Abend: 
Em- bis zweimal Suppe, zwecks -cnationaler Erziehung* mit Haken' 
kreuznudeln, die in Wasser gekocht sind. Oder 100 gr. Limburger 
Oder 80 gr. schwarze Wurst oder Leberwurst. Kein Gramm Butter 
keine Margarine, kein Schraalz. Dazu wie am Morgen Kaffee. Wir 
gehen immer hungrig zu Bett. Wer zu Aussenarbeiten kommandiert 
wird, erhalt Zulage y* Pfund Brot und 80 gr schwarze Wurst.> 

Der Schrei nach Brot 

In alien Briefen kehrt die Feststellung wieder, dass dem karg- 
lichen Essen jegliches Fett fehlt. Dagegen wird an Soda nicht 
gespart, das angeblich den Geschlechtstrieb mindert. In Wahrheit 
zerstort Soda die Zeugungsfahigkeit und greift die Magenwande 
an. 

Nicht einmal die Brotration ist ausreichend. Das bestatigen 
alle Briefe der Haftlinge. 

Der Berichterstatter von « De Telegraaf » (5. April 1933) 
fragte den kommunistischen Abgeordneten Arnold (ULm), was 
er uber das Essen sagen konne. Der Gefangene erwiderte: 

« Zu wenig Fleisch, zu wenig Brot, ranziges Fett ». 

Derselbe Berichterstatter gibt den Wochenspeisezettel fur die 
Zeit vom 26. Marz bis 1. April 1933 wieder : 

<Taglich 1 Pfund Brot, 10 gr, Kaffee, SO gr. Zucker, keine Butter. 
Sonntag, mittags: Fleisch mit Kartoffeln; 

abends: Kaffee mit Zucker, ein Bismarkhering. 

M on tag, mittags: Fleisch; 
abends: dicke Suppe. 

Dienstag, mittags: Erbsbrei, 100 gr. Wurst; 

abends: Kaffee mit Zucker, 100 gr. Kase. 

Mittwoch, mittags: Graupen, Kartoffeln, Makkaroni; 
abends: Kaffee, 100 gr. Wurst. 

292 




Donnerstag, mitlogs : LinseD und Kartoffeln; 
abends: Erbsensuppe und 100 gr. Speck.> 

Dieser Speisezettel ist fur den Besuch des Berichterstatters 
sicher besonders zusammengestellt worden. Aber auch aus diesem 
Speisezettel ist ersichtlich, dass die Gefangenenkost nicht einmal 
das Minima lquanluin der lebensnotwendigen Nahrstoffe enthalt. 
JSin Pfund Brot fiir Menschen, die 12 Stunden arbeiten! Kein 
frisches GemuseS 100 Gramm Felt in der Woche! Die Gefange- 
nen hungern. Ein Zettel, den em junger Gefangener aus dem Lager 
Hohenstein schmuggelt, ist ein einziger Nolschrei: 

Acht-, neuu- und mehrstiindige Zwangsarbeit 

Der nationalsozialistische Minister Frick erklarte, dass in den 
Konzentrationslagern die Haftlinge durch zweckmassige Arbeit 
wieder zu niitzlichen Mitgliedern des Staates erzogen werden 
soil en. In Wahrheit ist die acht-, neun- und mehrstiindige Ar- 
beitszeit nichts als ein Mittel der Qualerei. 

Einige Zeilen aus einem Gefangenenbrief geniigen, ein Bild 

der « erzieherischen » Arbeit zu geben: 

<Um 1/^6 Uhr raus. V/ z Stunden Marsch zur Arbeitestelle (Planie- 
nmgearbeiten, Strassenbau) und dann mit einer Stunde Pause bis 
l/ 3 3 Uhr arbeiten. Wieder 1% Stunden marschieren. Als Bewachung 
gehen je 20 SA-Leute mit Karabiner, Revolver und Gummiknuppel 
unter Folizeikommando mit.* 

Der Tortur dieser ungewohnten Zwangsarbeit sind auch Aerzte, 
Anwalte und Schriftsteller unterworfen. Viele von ihnen sind 
nicht mehr jung und den Anstrengungen einer solchen Arbeit 
nicht gewachsen. Auf dem Heuberg mussen von den Haftlingen 
Steinbrucharbeiten verrichtet werden. Die Gefangenen des Neustad- 
ter Lagers mussten einen Flugplatz planieren. Trotz aller Taffi- 
nierten Abspemmgsmassnahmen dringen Nachrichten iiber die 

29;) 



schwere und aufreibende Zwangsarbeit an die OpHW.- u. 
Die Nationalsozialisten versucben die Wirknn. r Uelte ™ichkeit. 
ten durch Veroffentlichungen in ihren illus trier eT^u *? ^ 
abzuschwachen. In gestellten Bildern werdeii lio r.f SC ' lnften 
frohlicher und leichter Arbeit gezeigt SSon «£S fange * en ^ 
Lugen stellen wir die Schilderungen eine „ to 8Wphier ten 
des Oranienburger Lagers entgegen! neu tralen Besuchers 

<Die Arbeit — nennen wir es einmaj 30 ;„ f «„ H ,- u. 
wachte ao^iemlich das Sinntoseste, was sich denke n E DrSl ^ 
Arbiter treiben sechs ihrer Stempelkollepen an GralLm. T* 
n:gst aus der Erde zu rupfen Die sect i '"L'., alme schi6l «- 

den Pruhlingshaimchen, buadeln die Wurzelchen aus winCn"? 1 - 
Sand von Riickstanden und drucken ihn fein saubexS 3 n 5 
Ritzen der Pflaslerung. Handwerkszeug gibt es nirht 17*1 • ! e 
da3 Gras .tichse es ruhig waiter, nilnfande? JSE ^1^ 
Fabnkgebaude wird eine Menge Wasser ver Spr i l2t . Einige J' ^ 
Menseben sind damit beschaftigt, den alten Kasten eauber zu ma 
ehen, Eb Wd ihnen als personliahe Verworfenheit angerechnet d "« 
er mcht wie e , n Marmorpalast glanzt. Jedes HotepliHcrchen 'jedS 
Sandkornchen muss weg. An der Wand 1st von Niher her ein Sowjet- 
stern steherj geblieben, weg damit, und wenn die Wand zum Teufel 
gent. Auch iner die tierische Sinnlosigkeit einer Arbeit, die keine 181 
sondern nur Beschaftiguni* 

Viel schlinimer wird es dort, wo der benachbarte Wald gerodet wird 
Die Baume sind schon weg. Die Belegschaft dee Lagers, vielfach 
bewacht, riickt an, um mit blossen Fingern die riesigen WurzelbI6cke 
auszugraben. SA-Manner treiben Arbeiter an, die ihre Grossvater 
sein kounten : «Alte Sau», «rotes Schwein*, cEierschleifens _ die 
Ausdriicke sind dem Wortschatz der kaiserlichen Armee entnom- 
men. Nur sind sie noch kriif tiger und gemeiner. 

Das ist die « erzieherische Arbeit » des Reichsinnenministers 
Frick ! 

Nach der Zwangsarbeit: Strafexerzieren 

Mit der Zwangsarbeit ist die Qualerei der Gefangenen nicht 
crschopft. Die noch verbleibende Zeit ist mit Exerzieren, das vol- 
]ig zu Unrecht als « Sport » bezeichnet wird, ausgefiillt. Nach amt- 
lichen Milteilungen ist die Zeit von V&2 Uhr bis }£Q Uhr abends 
ffir Exerzieren bestimmt. 

Die Journalistin, die das Oranienburger Lager besuchte, gibt 
nachstehend ihre Eindriicke: 

<Auf diesem (nur mit kleinen Straurhern gegen die Freiheit abge 
grenzten. D. Red.) Geliinde sind versehiedene Geriite fiir die sport- 
lichen Uebungen aufgestellt, die man die Gefangenen machen iasst. 

294 



Der oberMchhche Beobachter, der nichts sehen will, kann den Ein 

druck haben, dass sich die Gefangenen gut ausarbeifen dttrfen M „ 

glaubt, dass B ie Sport treiben. Aber wer zu beobachten varstehj ,K 

dass man da vor einen. raffinierlen System gemeiner Qualere sen t 

In der Tat smd die verlangten Uebungeu selbst fttr eiael ierute 

sportier ast unmoghoh Un> 8ie durchfuhreu zu konnen Lda rf es 

ernes method.schen und dauernden Trainings und vor allem ein^r 

besonders guten Ernahrung. Aber in diesem Lager das seifdV™ 91 

Marz besteht, mussen alle Gefangenen ohne Ausaahafe s SE" 

ren und zwar nicht einmal, soadern 4 Stunden lane ieden Ta 7w„ 

ehen and Monate hind arch ungerechnet die anL fn VeoLgla' 

Marsehe, Geaange usw. . Rechts, in 10 m Entfernung von S 

Slrauchem, befindet sich em fester Barren. Jeder Gefangene muss 

zunacnst an diesem Barren turnen. 10 m weiter befindet sich ein 

Brett Oder besser gesagt eine hblzerne Palisade (2,50 m hoch mid 

3 m breit), tiber die nr sodann klettern muss. Id der gleichen Ent- 

fernung befindet sich dann noch ein 2 m tiefer, 2-3 m breiter Qra 

ben, dessen Grund schlammig ist and uber den er springen muss 

Augenbhckhch ist er leer, aber bald wird er voll Wasser sein 10 m 

weiter befindet sich eine Wiederholung dieses Grabens, aber in 

Wahrheit ist das mehr eine Erhohung von 2 m Hohe und 80 cm 

Starke, uber die die Gefangenen klettern mtissen Dann befindet 

eich noch langs der linken Grenze eine Art Falle, ungefiihr 10 m 

lang und 70-80 cm tief, in welche die Gefangenen klettern mtissen. 

Ira Innern dieser Falle befinaen sich, jeweils in y 2 Meter Abstand 

abwechselnd von oben und von unten kommend, Bretter, die man 

nur in Schlangenbewegung kriechend passieren kann. Der Raum 

der zum Knechen ubrigbleibt, ist aber so eng, dass nur ein Kind 

ohne Anstrengung durchkommen kann. fur einen mittelgrossen Mann 

1st er kaum tiberwindlieh. Am Ausgang dieser Falle muss man noch 

uber zwei Hmdernisse von 1 bezw. % Meter Hohe springen Wenn 

diese Serie von Uebungen beendet ist, beginnt man von neuem 

vier Stunden lang, alle Tage, alle Woehen, alle Monate . . .> 

Wir haben uns an einen angesehenen Sportarzt, Dr. Bellin 
du Coteau, gewandt und ihn gebeten, uns ein Gutach- 
len uber die Wirkung dieser Exerziermethoden auf den mensch- 
Iichen Organismus abzugeben. Wir haben diesen Internisten von 
Ruf der politisch vollig neutral ist, die sich aus dem vorstehen- 
den Bencht ergebenden Tatsachen vorgelegt, ohne zu sagen, dass 
es sich dabei um die faschistischen Konzentrationslager in 
Deutschland handelt. Dr. Bellin du Coteau beanhvortete unsere 
Frage so: 

Sehr geehrter Herr, «Paris, den 27. Mai 1933 

Im folgenden erhalten Sie die Beratung, die Sie von mir verlangt 
haben : 

1) Die Streckenlaufe, von denen Sie mir sprechen, die Laufiibungen 
mit Hindernissen umfassen, gehoren zu der Kategorie der sogenann- 

295 



lea athletischen Laufubungen. Sie beruhen auf demselben Prinzip 
wie schoD die ersten turnerischen Uebungen des Obersten Amoros 
(1830). 

Sie eind von der Armee in verschiedenen Fernien Qbernommen war- 
den und haben wahrend des Kriegea al3 Training der Truppen, ge- 
dient. Schliesslicb Iiaben verschiedene Wehrverbande sie in ihr 
Program m iiberuoninicn. Es handell sich dabei urn schwierige 
und ausgedehnte Uebungen Die verechiedenen Hinder- 
niese, die auf dem Weg aufgebaut sind, vermehren in jeder Hinaicht 
die Grosse der Anstrengung. Die Wirkung kann sich in einer Be- 
schleunigung des Herzschlages zeigen, denrestalt. class, wahrend bei 
normalen schnellen Lauf eine Beschieunigung des Herzechlages von 
80 bis 100 auf 140 bis 150 eintritt, die Erdehwerung durch Hinder- 
nisee eine Beschleunigung des Pulses bis auf 180, ja sogar 200 
Schlage herbeifiihren kann. 

Daraus ergibt sich, dass die athletischen Laufe auf Seiten der Sport- 
ier eine gute allgemeine Form voraussetzen. Diese Form ist unbe- 
dingt erforderlich, wenn der Organismus die Anstren- 
gung e n aushalten soil. 

Ausserdem muss man ein bestimmtes allgemeines Training voraus- 
setzen: Springen, Klettern, Laufen usty. Unter diesen Bedingungen 
muss man fiir das allgemeine und spezielle Tiaining eine imgefahre 
Dauer von zwei Monaten vorsehen. 

2) Diese Laufe diirfen keinesfalls innerhalb 24 Stunden wiederholt 
werden. Es ist vollkommen unnutz, ja sogar schadlich, mehr ale 
drei solcher Laufe vornehmen zu lassen. Es Lst unerlasslich, zwischen 
jeder dieser Uebungen mindestens eine Ruhepause von 
einer Stunde einzulegen. 

3) Es ist notig, sich jedesmal, wo es sich um eine so starke physische 
Anstrengung haudelt, einer arztlichen U-ntersuchung zu unterziehen, 
um etwaige Schaden festzustellen, die es unmSglich machen, eine 
derartige Anstrengung auf sich zu nehmen. Diese Vorschrift ist umso 
wich tiger, da es sich um eine langere korperliche Anstrengung han- 
delt, die bei einem ungeeigneten oder ungeniigend vor- 
bereiteten Organismus schwere Schaden hinter- 
lassen kann. 

4) Fiir jeden Menschen, der einer solchen physiachen Anstrengung 
unterzogen wird, muss eine besonders reichhaltige, ja 
geradezu uppige Emahruag beschafft werden. 
Nut dann kann das ktfrperliche Gleichgewicht aufrechterhalten 
bleiben. 

24 Stunden in einem Konzentrationslager 

Aus den Berichten, die uns vorliegen, ergibt sich ein genaues 
Bild, wie der Alltag im Konzentrationslager verlauft: 

y 2 6 Uhr : Wecken. 

%6 bis 6 Uhr : WegrHumen der Strohschiitten. 

290 



Die Bltite" der SA orgauisiert den Juden-Boykott 




SA-Poslen verhindern das Betreten einer Woolworlh-Filiale 

in Berlin. 




Elite [nscluift, die fin- sicli selbst spricht 

Beim Juden-Boykott in Dresden. 




Chemnitzer SA schneidet einem Judeu fin Hakeiikieuz ins Haar 

Das Folo wurde als Foslkarte verkauft mil der Inschi ill: 
«Sau]5erungsaktiOQ in Chemnitz*. 



6 Uhr: Antreten, militarische Haltung, Hand zum Hitlergrusa ge- 
reckt. Nationale Andachtestunde, Siagen <Nationaler> Lieder. 
6 bis HI Uhr: Kaffee mil trockenera Brot. 
V.7 bis l/$ Uhr: Marsch zur Arbeitsstiitte oder Zwangsarbeit im 

Lager. 
Vc8 b ifl Y2 1 Uhr : Zwan & sarbeit (Steinbrucb, Wegebau, Wurzelroden, 

Mauermvaschen). 
U-.l bia y$ Uhr : Vollig unzureichendes Mittagesaen : dreiviertel 

Liter "\vaeserige Topfgerichte, fast durchweg vSllig fleisch- 

und fettlos. 
%2 bis }4$ Uhr: Grausame Exerzier- und Turntibungen (vier Stua- 

den !). 
1/26 bis y& Uhr : Zwangsarbeit. 
J48 bis Hs9 Uhr; Abendessen (wie mittage: meiat Wassersupp^n 

oder Brei, trockenes Brot mit einigen Gramm Wurst). 
M9 Uhr : Locken (selbst dieses Signal, rait dem der altpreussische 

Militarismue die Soldaten in die Kaserne rief, ist_ sinnloser 

Weise auch fiir die standig im Lager bcfindliehen Hiiftlinge 

iibernomoien). 
9 bis V96 Uhr : Schlaf auf Holzpritschen und Strobschutten, in 

schlecht geliifteten, fur die Zahl der Gefangenen vieJ zu klei- 

nen Hiitten, Karnmern oder verfallenen Faoriksalen.s* 

Aus dem Leben geri3sen 

Schlimmer als die geschilderten korperlichen Qualen, denen 
die Gefangenen ausgesetzt sind, ist die seelische Tortur, unter der 
sie zu leiden haben. Aus dem Leben und Beruf herausgerissen, 
mussen sie auf die Befriedigung der elementarsten geistigen und 
korperlichen Bediirfnisse verzichten. Keine freie Zeit, keine Un- 
terhaltung, kein Urlaub, keine Ablenkung, keine Moglichkeit zur 
weiteren Fortbildung. Zwangsarbeit und Exerzieren — so verlauft 
der Tag der Haftlinge im Konzentrationslager. « De Telegraaf » 
vom 5. April 1933 erzahlt uns daruber einiges; 

cToiletten: keine. Kantine: keine (nur als Gunst darf man sich 
etwas besorgen). Besuch: k e i n e r. Lektiire: nur Nazischriften; 
ein paar Klassiker, fiir Arbeiter zu schwer. Rauchen; verbo- 
ten (nur ausnahmsweise als Gunst gestattet). Brief e: a lie 
vierzehn Tage einer unter Zensur. Musik und Sport: par 
nicht. Bad: eines im Monat. (Andere eagen: gar keines). Ver- 
pfiegiuigspakete: nichts ausgeliefert.> 

Der Berichterstatter der danischen Zcitung « Politiken » 

zitiert in seinem Aufsatz iiber Konzentrationslager Gefangcnen- 

bnefe, die er in der Zensurstelle des Heuberger Lagers gesehen 

hat. Diese Briefe sind erschutternde Aufschreie gepeinigter 
Menschen. 

297 



«Ach wieviel Wiinsehe, wieviel Trauer, wieviel Ungltick, wieviel 

Tranen . . . .» 

<WievieI an den Himmel gerichtete Bitten, dase er eine Mutter, eine 
Gattin, die Kinder schutse, die ihre dun-en Arme gegen die unsieht 
barenTraillen dieses Gefangniasee strecken.* 

sagt der Berichters tatter und zitiert: 

<Ach, koante ich noch einmal unsere kleine Hedwig an mein Herz 
driicken . . . .> 

<H£tte ich wenigetene Ostern unter Euch verbringen diirfen . . . .> 
cArme Mutter, hast Du wenigstens zu essen 1 . . . .> 

So miissen sie Tage, Wochen, Monate leben. Nur die spani- 
schen Reiter und den Stacheldraht haben sie vor Augen. Dahin- 
ter miissen sie stumpfsinnig exerzieren oder sinnlose Arbeit ver- 
richten. 

Der Weg in den Tod 

Jeder Zuchthausler kann sich ausrechnen, wieviel Tage ihn 
von der Freiheit trennen, Jeder Tag bringt ihn der Entlassung 
naher. Der Gefangene im Konzentrationslager weiss nicht, fur 
wie lange er eingekerkert ist. Tage, Wochen, Monate, Jahre? Hoff- 
nung flammt auf und wird erstickt. Die Ungewissheit soil ihn 
zermiirben. 

Die barbarische Behandlung in den Konzentrationshollen, die 
Qual der Ungewissheit treibt viele Haftlinge zu Verzweiflungs- 
akten. Selbstmorde sind an der Tagesordnung. « De Telegraaf » 
vom 5. April 1933 spricht von « Gefangenenpsychosen » und zahl- 
reichen versuchten und gelungenen Selbstmorden. 

Der Reporter von « Politiken » berichtet Anfang April 1933 
aus dem Heuberger Lager; 

«Freimiitig antwortet Hauptmann Buck auf meane Frage. Ex gesteht, 
class die Seibstmordversuche in diesem Lager nicht selten sind.) 

„Auf der Flucht erschossen" 

Die offizielle deutsche Presse meldet immer wieder, dass 
Haftlinge « auf der Flucht erschossen » worden seien. Die Un- 
wahrheit dieser Behauptung ist offensichtlich. Die Lager sind aufs 
Scharfste bewacht: schwerbewaffnete SA-Patrouillen, Polizei- 
hunde, Scheinwerfer, die das Lager bei Nacht taghell erleuchten. 
Jeder Fluchtversuch muss den Gefangenen aussichtslos scheinen. 
Deshalb kommen wirkliche Fluchtversuche sehr selten vor. Trotz- 
dem meldet die Presse haufig Erschiessungen auf der Flucht. Die 
Morde in den Konzentrationslagern werden von der Re^ierung 
nach bekanntem Vorbild in « Erschiessungen auf der Flucht » 
umgebogen. 

298 



Sirs 3^ ~ * MBd dBr vlerte ' 

S «*« w » rd " . ,,., dem m glisclicn Joumalisten 

jssss assTA w . «. ». *- 

„„,. Bald drang es abet an d, c u biireerliche judiscbe 

haw t nicbl um J-gJ™ del . aus Daclla u entkommen 

iiidischen Intellektuellcn: 

aueh nur oin Wort sagte, BChosen eimge SA ™\^™* n %* 
n. % die keine Miene zu emem FlUChtversufcta gemacht haben. Alie 
vior waren sofort tot. Die Leicbeu viesen siimtlich Stirnschusse aut 
Sie wurden heimlich auf dem Friedhof verscharrt, ohne dass jemand 
an der Beerdigung teilnehmeu durfte. Dann hielt man vor uns erne 
Versammlung ab ( ein Slurintruppfculirer hieit eine Rede und erklfirte, 
es sei gut, dass dise vier Saujudeu tot seieu, Es seien volksfremde 
Elemente gewesen, die nlcht berechtigt seien, in Deutachland zu le- 
ben. Sie hiitten ihre gcrechte Strafe erhalten.* 

Die Mordchronik von Dachau geht weiter. Einige Zeit nach 
der Ermordung der vier jiidischen Burger meldet WTB abermals 
eine « Dachaucr Flucht » : 

<Mdnchen, den 19. Mai. WTB. Der im Konzentrationslager in Dachau 
untergebrachte S.-hutzgefangene Hausmann, der bei Aussenarbeiten 
beschaftigt war, versuehte heute zu fliehen. Hausmann blieb trotz 
wiederholter Anrufe des Wachpostens uictat stehen. Der Posten feu- 
erte daraufhin und traf den Fluchtling tddlich.* 

crmS? 1 Vn n / UrdC - Wle die vier J Mischen Gefangenen fcige 
ermordct. Von den weiteren uns aus Dachau gemeldeten ub?r 



299 



zwanzig Mordfallen nennen wir nur diejenigen, die bisher auf 
unsere Nachprtifungen hin bestatigt wordcn sind: 
Polizeimajor Hunglinger, angeblich «Scibstmord» 

Sebastian Nefzger, angeblich «Selbslmord» 

Michael Sigman, Sozialdemokrat aus Pasing 

Franz Lehrburger, Kommunist aus Niirnberg, «auf der Flucht 
erschossen* 

Anton Hausladen, Kommunist 

Franz Dressel, kommunistischer Landtagsabgeordneter 

Josef Gotz, kommunistischer Landtagsabgeordneter 

Dr. Alfred Strauss, Rechtsanwalt aus Miinchen, «auf der 
Flucht erschossen» 

Wilhelm Aron, Referendar aus Bamberg, «auf der Flucht 
erschossen» 

Ferner sind im Lager Dachau «verschollen» : 

Max Holy, Sekretar der siidbayerischen «Roten Hilfe» 

Hirsch, kommunistischer Stadtverordneter 

Johann Wiesmann. 

Die bestialisclie Ermordung' der Landtagsabgeordneten 
Dressel und Goetz 

Die Ermordung der beiden kommunistischen Landtagsabge- 
ordneten Dressel und Gotz ist der erschutterndste Fall im Kon- 
zentrationslager Dachau, der bisher bekannt geworden isL 
Vielleicht ware auch diese viehische Ermordung der beiden Abge- 
ordneten unbekannt geblieben oder als « Erschiessung auf der 
Flucht » von der Regierungspresse gemeldet worden, wenn es 
nicht durch einen glucklichen Zufall dem mitinhaftierten kom- 
munistischen Funktionar Beimler, der Augenzeuge dieser Ermor- 
dung war, gelungen ware, aus dem Lager zu fliehen. Beimler, der 
ebenfalls auf das grausamste misshandelt wurde und der wie seine 
Schicksalsgenossen Dressel und Gotz ermordet werden sollte, 
gelang trotz schwerer Verletzung die Flucht. Beimler machte fiber 
die Ermordung der Abgeordneten Dressel und Gotz folgende 
Angaben: 

<Der kommuni3tische Landtagsabgeordnete Dressel wurde voo 
diesen Bestien solange gefoltert. bis er 6tarb. Nackt warfen sie ihn 
auf den Bodcn der Zelle. der Korper war grauenhaft zugerichtet, 
liber und uber blau und schwarz, mit Wunden und schwarzgeronne- 
uem Blut bedeckt. Die Hiinde waren von den vielen SchlSgen et-wa 
10 cm lioch angesdrwollen. Die Beine und Arnie glicben uafSrmigen 
schwarz-blau geschwollencn SScken. Die Leiche lag mit dem Gesichl 
naeh unten. ein Arm war gewaltsam nach aussen gedreht, die iuls- 
adern durchechnitten, ausserdem dreieckige PlefeclTflHicke QTO dem 
Arm geschnitten. Daneben lag ein Messer, urn einen Selbstmord vor- 

300 



■tiiuschen Ate sie Dressel erschlagen batten, f.ngen die SS-Leute 
" mus zi^cn an und veranstaiteten ein wahres Freudenfest. Dressel 
wriTZlO. Mai in dem kleinen Dorf Brittelbach bei Dachau 

Die r s?Bestien hatten den nackten Leichnam in eine Kiste geworien. 

Alle bei der Beerdigung zugegen Gewesenen erschauerten, ala Bie 

dies erauenhaft vestiimmelte Leiche sahen. 

n er Kommunist Sepp G o e t z war schon einige Wochen vor seiner 

Errnordung infolge grauenhafter Misehandlungen taub geworden. Die 

Nazis schlugea ihn weiter, Tag fiir Tag und erschossen ihn fast zur 
elben Zeit, als eie Dressel ennordeten. Die Leiche von Gotz wurde 

am 12. Mai feuerbestattet. 

Der Kommunist Beimler erhielt die ersten vie r Tage seines Aufent- 
haltes in Dachau weder Wasser noch Brot, sondern nur Priigel auf 
den nackten Korper vom Nacken bis zur Fussohle. Als Prugelinstru- 
mente benutzten die Bestien meterlange knotige Ochsenschwanze. 
Dia SS-Banditen stiessea den Kommunisten Beimler in die Zelle, in 
der Dressels Leichnam lag, wiesen hohnisch auf den Toten und 
sagten <Sq wie der musst du's auch machen 1> Auf das Messer deu- 
tend das neben der Leiche lag, Musserten sie : <Das Messer haben 
wir nicht zum Brotabschneiden hingelegt.» Dann wollten sie Beimler 
zwingen, sich aufzuhangen. Sie drohten, dass, wenn er sich bis zum 
nachsten Morgen nicht aufgehangt hatte, sie es mit ihm tun wttrden. 
Sicherlich ware dann wieder in der schamlosen Presse, die alles 
bringt, was die Nazis fordem, eine Notiz zu lesen gewesen : «Der 
Kommunist Beimler hat sich in seiner Zelle erhangt.* 
In dieser Todesgefahr gelang es Beimler zu entfliehen. Wir wollen 
aus begreiflichen Grunden nicht schildern, wie ihm die Flucht ge- 
lang. In Strumpfen, kaum bekleidet, schleppte Beimler mit iiber- 
menschlischer Willenskraft seinen zerschundenen und zerschlagenen 
Korper nach MUnchen, wo ihn revolutionare Arbeiter aufnahmen und 
weiterbeforderten.> 

Die Regierungspresse behauptete, dass Dressel Selbstmord 
verubt habe. 

Dachau ist keine Ausnahme. Auch in anderen Lagern ereig- 
nen sich ■ derartige Morde. Im Konzentrationslager Konigstein 
wurae der Heidenauer Kommunist Gumbert er- 
scniagen. Wenn allein aus dem Lager Dachau innerhalb weniger 

2?n?. M ° rde bekannt wurden, so lasst das erraten. 
denln V- u ^ den 45 Kon zentrationslagern gefallen sind, von 
denen bisher nur ihre Henker wissen. 

Keine Folter bricht den antifaschistischen Geist! 

die GfifJno? 1 ^ S . eeli f hen und korperlichen Folterungen, denen 
trotederqfSn? "n?*? Konzentra tionslagern ausgesetzt sind, 

miscnen Ueberzeugung treu geblieben. 

301 






Die « Deutsche Allgemeine Zeitung » schreibt am 30. April 

cNoch ist das letzte Waffenversteek nieht preisgegeben. Noch web- 
ren sich boser Wille und verbohrter Fanatiemus gegen die Erkennt- 
nis, dasa die Zeit fur bolschewistisdie Experimente in Deutscliland 
vorbei sein soil. Bezeichnend dafiir ist die Tatsache, dass noch kiirz- 
Lich Haftlinge es verstanden, durch Verwandtenbesuche (?) Kassiber 
aus dera Lager hinauszuschmuggeln.j. 

Hauptmanu Buck und Leutnant Kaufmann machen dem 
Berichterstatter von « Politiken » folgende Mitteilung; 

<Von den Hiiftlingen sprechen sie ohne Hass, aber mit schSrfsteni 
Misstrauen, das sich weniger gegen die richtet, die ihre Feindschaft 
bekennen als gegen die *ublen Gegner*, die Neigung zum Nazisystem 
heucheln, ohne sie zu haben .... 

Die Menschen sind wie Muscheln. Spricht man mit ihnen, um sie 
zu uberzeugen, und ihren Geist zu oi'fnen, sagen sie zu allem Ja und 
Amen. Sie scheinen unsere Ansicht zu teilen und endlich der guteu 
Sache gewonnen zu sein. Aber in ihrem Innern hat sich nichts ge- 
iindert. Sie bleiben Gegner wie zuvor» ? sagt Leutnant Kaufmann. 
Und Buck fiigt hinzu : 

<Am schlimmsten sind die Doktoren und Intellektuellen. Sie sollten 
doch wenigstens lernen und unseren Weisheiten zuganglich sein- 
Nicht im Geringsten. Sie 3ind ohne Verstand. Sie mussen wie am 
liingsten hier behalten.> 

In Bremen und an anderen Orten sind Kommunisten, die 
man entlassen halte, wieder verhaftet worden, wcil sie ihre anli- 
faschistische Arbeit fortsetzten. Der Miinchener Polizeiprasident 
Himmler musste dies in einer Rede bestatigen: 

cEs ist nicht mSglich, diese Funktionare wieder in Freiheit zu lassen. 
Bei einzelnen Versuchen, die wir bei der Freilassung gemacbt ha- 
ben, ergab sich, dass sie weiter hetzen und zu organisieren ver- 
suchen.> 
Die Ueberzeugungstreue und der Kampfwille der Gefange- 

nen ist ungebrochen. Der nachstehende schlichte Brief ist ein 

Heldengedicht proletarischen Kampfertums: 

<Trotz aller Schikanen stehen unsere Genossen treu zur Partei. Ha- 
ben sie auch nicbt die gute Verbindung mit uns, sie nehmen zu alien 
politischen Fragen Stellung. Der <nationalsoziaIistische Kurier* gi&' 
ihnen Aufschluss iiber alle Vorgange uud ihre marxistiscbe beau- 
hmg die Moglichkeit, sich ein richtiges Biid von der Lag* :m ma*ej 
Zudem ist trotz Zensur und Abgeschlossenheit die Verbindung zu 
uns nicht unmdglich zu machen. Die Wa^mannsebaft kann eich *« 
marxistischen Einflusa nicht entzieben. **™^™^^~ 
heiten, eins ist klar, das Konnentrationalager lestigt die Geno.sen 
und etarkt sie in ihrer Treue zur Partei.* 

)2 



Zetotausend* in Untersnchiuigshatt nnd in Gefangnissen 

n ie 35 bis 40 Tausend Gefangcncn, die heute in Konzentrations- 
taJo wsananengepfercht sind, bilden nicht die Gesarntzahl der 
Sschen Gefangenen in Deutschland. Ls koramen noch die Ge- 
fangenen dazu, die in Untersuchungsgofangnissen schmachten 
Aer die abgeurteilt in Gefangnisse und Zuchthauser abtranspor- 
JJerl wurden. Ihre Zahl wachst standig. Taglich meldet die Presse 
neue Massenverhaftungen. Besonders gross war die Zahl der Neu- 
prhafteten in den letzten Juniwochen. Oft erreichte die Zahl der 
neuverhaftelen politischen Gefangenen — nach Presseberichten 
__ an einem Tage die Zahl von Tausend. So wurden beispiels- 
weise an einem einzigen Tage von der Geheimen Staatspolizei ver- 

haftet: 

In Senftenberg (einer kleinen Stadt im Niederlausitzer Braun- 
kohlenrevier) 267 sozialdemokralische Funktionare, in Bremen 
fiber 80, in Braunschweig, Hamburg, Sachsen, Berlin, Stuttgart 
usw. weitere Hunderte. 

Die Zahl der in die Unlersuchungsgefangnisse und Zucht- 
hauser eingekerkerten politischen Gefangenen lasst sich, da keine 
offiziellen Angaben vorliegen, nur abschatzen. Ihre Zahl ist mit 
12—15 000 eher zu niedrig als zu hoch gegriffen. 

Die Untersuchun-gsgefangnisse sind iibcrfi'illt. Untersuchungs- 
gefangene, die entlassen wurden, schildern die entsetzlichen Vw- 
haltnisse in den iiberfullten Geffmgiiisscn. In Zellen, die kaum 
Raum und Luft fur einen GefanKenen haben, sind heute fiinf und 
mehr Gefangene untergebracht I- in Toil der Gefangenen hat keine 
Bettstelle und muss dcshalb auf dem nackten Steinfussboden 
schlafen. Es fehlt an Dccken. Das Essen ist dnrchaus unzu- 
reichend und schlecht. Die faschistische Regierung hat fur das 
Ke.cn, die Lander und die einzelnen Startle besondere Abtei- 
lungen der von ihr geschaffenen Geheimen Staatspolizei einge- 
r AnJ! ! *a f T Unterstutzun g von Schupo. Hilfs- und SA-Polizei 
vorneh^n C n- rVl v le i " mste,len und d ™" Massenverhaftungen 
ESSSL ' Verhaf * 1, 1 n .8« n erf0, g e « ^solut willkurlich. Eine 
i weS *"* perSOnhcher Missgunst geniigt, urn verhaftet 

wird K k, n K hn S nd fQ v die Brutali ^- mit der heute vorgegangen 
&3*^{^ % ™*^ ^ StaatskommS fur 

alt JSihti! i! legalen Fl ^lattes betrorfen wird. fa* bis 
«tet, so sind sofor, alIe FQhrer der fraglichen RichtuDg * (K p D 

3(W 



SPD o. a.) bis auf weiteres in verschMrfte Polizeiftaft (Arrestzelle, 
Arrestkost usw.) zu nehmen, 

3. Die Polizeibeamten und die Soaderkommafldos haben bei Strei- 
fen g-egenuber F 1 u gb 1 a 1 1 v e r t e i 1 e rn, die eich nicht auf den 
ersten Anruf stellen, aofort von der Waffe Gebrauch 
z u m a c h e n.» 

Unter den heute in Untersuchungshaft befindlichen Gefange- 
nen befinden sich zahlreiche bekannte Funlttionare der Kommu- 
nistischen und Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, auch 
viele Reprasentanten der Demokratischen, der Volksparteilichen, 
der Katholischen und sogar der Deutschnationalen Parteiorgani- 
s at ion en. 

Als einer der ersten politischen Fiihrer wurde der Fiihrer 
der Kommunistischen Parlei Deutschlands, E r n st Th al ma nn, 
verhaftet Ernst Thalmann wurde am 3. Marz in Berlin-Charlot- 
tenburg festgenommen und ins Gefangnis uberfiihrt. Man verkun- 
dete in alien regierungstreuen und <*gleichgeschaltelen» Btattern, 
dass die Verhaftung im Zusammenhang mit dem Reichstags- 
brand erfolgt sei. Man schuf damit eine Stimmung fur alle weite- 
ren Demiitigungen, mit denen man den revolutionaren Fiihrer 
glaubte treffen zu konnen. Es wird bekannt, dass tagelang SA an 
der offenen Zelle Thalmanns vorbeigefuhrt wird, als galte es, 
ein wildes Tier zu besichtigen. Ziige von jungen Burschen diirfen 
neugierig und mit unflatigen Beschimpfungen an Thalmann, 
dem Prasidentschaftskandidaten der Arbeiterschaft, dem Fuhrer 
der Partei, die sechs Millionen Stimmen auf sich vereinigt hatte, 
vorbeiinarschieren. 

Der Terror der Verhaftungen 

Das Ausland wird sich schlecht ein Bild von der Technik der 
Verhaftungen machen konnen, die seit Hitlers Machtergrafunj 
zur taglichen Uebung der Polizei und der SA geworden i sind. 
Es erscheint in einem Strassenviertel ein illegales Flugblatt. bin 
Polizist oder ein Nazianhanger denunziert. Uninittclbar daraui 
rasen die Autos der «Polizei zur besonderen Ver\vcndung» 
herbei, riegeln den ganzen Stadtteil ab, durchsuchen alle Hauser 
vom Dach bis zu den Kellern, beschlagnahmen BGc ^ s p cnr ^; 
maschinen und fiihren oft vollig unbeteiligte Burger als Gefangene 
mit. Jede Regung dagegen wird sofort mil MisshandlungCT ige- 
ahndet. Einspruch gegen Beschlagnahmen bewirken *esse 

lung und Verhaftung. . . T*wn her- 

Emige Zeitangslberschriften, mflUUfl an einigei Tagen 

ausgegriffen, mogen die ^f^g^^^^S^S^^ 

-70 Kommunisten festgenommen* («Vo!kiscner 

vom 10. April 1933"). 
804 



*Grosse Raz^ien in Erfurt, Dresden und Altona* («Berliner 

Ta"eblatt» vom 25. April 1933.) 

°«Haussuchungen in Charlottenburg» («ID. A. Z.» vom 29. April 

«Sozialdemokratische Gemeinderatsfraktion in Miinchen ver- 
h*ftet» — «SPD-Stadtrale werden nicht bestatigt* («D. A. Z.* 
vom 12. April 1933.) 

«Razzia am BulowpIalz» — «Verhaftungen von Kommunisten 
in Stuttgart* (270 Verhaftungen und 400 Haussuchuagen) — 
«Komniunistische Verschworergruppe in Meissen festgenommen* 
___ {( Grosse Razzia im Norden Berlins* («D. A. Z.» vom 12. April 

1933-) 

Hunderte solcher Nachrichlen sind in den Monaten Marz, 

April, Mai, Juni, Juli in alien deutschen Zeitungen zu finden. Gegen 

Ende Juni, bei der Auflosung der Sozialdemokratischen Partei 

und des Kampfringes Junger Deutschnationaler, verscharft sicb 

die Verfolgung. Statt der Hunderte werden es jetzt Tausende, die 

in den Kerker mussen. 

Die Hitlerregierung beginnt Anfang Juli die Anverwandten 

gefliichteter Arbeiterfuhrer als Geiseln festzusetzen. Am bekannte- 

sten wurde die Verhaftung von funf Verwandten Scheidemanns, 

die aber nur ein Fall unter vielen ahnlichen ist. 

Der Terror der Urteile 

Die Staatsanwalte haben seit dem 27. Februar Hochbetrieb. 
Sondergerichte tagen in alien deutschen Gross-Stadten. Die Flut 
der Denunziationen schwemmt immer neue Opfer vor das Nazi- 
TribunaL Die Anklagen sind so w i 1 1 k ii r 1 i c h wie die Urteile. 

Ofl sitzen die Verhafteten wochenlang ohne Vernehmung in 
den Gefangnissen und werden dann wieder entlassen. Auch 
nach der Enllassung sind sie taglich noch weiter bedroht und 
mussen sich in vielen Fallen sogar an den Polizeistellen regel- 
massig melden. Es steht fesU dass man sie nur entlassen hat, 
vveil die Gefangnisse uberftillt waren und man fur neue Opfer 
Platz brauchte. 

Unter welchen nichtigen Vorwanden schwere Verurteilungen 
geschehen, zeigen einige Nachrichten: 

<Das Sondergericht Berlin-Moabit verurteilte die erwerbslosen Arbei- 
ter Max Ziegler und Richard Schroter zu 1 Jahr 3 Monaten bezw. 
zu 1 Jahr 6 Monaten Gcfangnis, well Ziegler. der der KPD angea5rte, 
auf der Weberwiese im Osten Berlins illegal hergestellte Exemplare 
der <Roten Fahnea verteilt hatte, die er von SchrSter erhalten hatte.> 
<Das Darmstadter Sondergerich verurteilte wegen Herstellung und 
Verbreitung einee Flugblattes ein weibliches Mitglied des KJV zu 
aeht Monaten, ein mannliches zu funf Monaten Gefaagnis Die Ver- 
Urteilten sind 18 Jabre alt!» 

305 






Zahlreich sind die Verurleilungcn wegen «Greuelhetze». Aus 
Berlin werden einige Urteile bekannt. die das S o n d e r g c r i c h t 
Berl in-Moabi t gefallt hat. Vier Urteile wegen «Greuclhelze» 
an eineru Tag. Man kann sich eine Vorslellung fiber den Um- 
fang der Verhaftungen machen, wenn man von Angehdrigen der 
Verhafteten hort, dass der Untersuckungsrichter ihnen erklarte, 
vor Ablauf von vier Wochen sci tnit keiner Entscheidung uber die 
Haft zu rechnen; die Slaatsanwaltschaften konnten trotz Verdop- 
pelung ihres Personals die Unzahl der Akten nicht bewalligen. 

Wie der Terror sich auswirkt, beweisen die Kiagen der 
Frauen der Verhafteten, denen es in den seltensten Fallen gelingt, 
einen Rechtsanwalt zu finden, der die Verteidigung von ange- 
klagten Antifaschisten zu iibernehmen wagt. 

Die Zahl der Prozesse ist nicht festzustellen. Sie geht in die 
Zehntausende. Die Zahl der Verhaftungen wachst mit jedem 
weiteren Tag der Hitler-Regierung. Das «geeinte deutsche Volk» 
muss zu Zehntausenden aus den Wohnungen geholt werden, da- 
mit die Regierung der «nationalen Erhebung» weiter bestehen 
kann. 

Die Lage der Verhafteten ist noch dadurch verschlimmert, 
dass die Hitler-Regierung auch die «Rote Hilfe Deutschlands» ver- 
boten hat, die seit vielen Jahren in unermudlicher Arbeit fur die 
Familien der politischen Gefangenen gesorgt hat. Trotz der 
scharfsten Verfolgungen setzt die «Rotc Hilfe» in Deutschland ihre 
Arbeit fort. Sie findet dabei die aktive Hilfe der «Roten Hilfe»-Or- 
ganisationen in alien Landern und die briiderliche Unterstiitzung 
der auf Anregung der «Internationalen Arbeiter Hilfe» gebildeten 
«Hilfskomitees fur die Opfer des Hitlerfaschismus». 

Der Deutsche war nie so unsicher wie seit dem Augenblick, da 
Adolf Hitler die Verordnungen «zum Schutze der Staatssicherheit* 
herausgegeben hat. Tausende leben unter Polizeiaufsicht, Zehn- 
tausende leben in der Erwartung ihrer Verhaftung, im Zustand 
volliger Rechtsunsicherheit. Jeden Augenblick bei Tag und bei 
Nacht konnen die Fauste der braunen Buttel oder der offiziellen 
Polizei an jede deutsche Wohnung klopfen. 

Die Regierungserlasse melden indessen im Polizeijargon: «In 
Deutschland herrscht Ruhe und Ordnung.* 

Friedhofsruhe. 
Zuchthausordnung. 



:m 



Morel 



<Es werden Kopfe rollen, ja es werden Kopfe rollen.i 

Hitler vor dem Reichsgericht im Jahre 1930. 



in g 



Der Mord gcht (lurch Deutschland. Aus SA-Kasernen werden 

eschlossenen Siirgen verstiimiuelte Leichen abtransportiert. 
In diisteren Waldern findet man Tote, die bis zur Unkenntlich- 
keit entstellt sind. Fliisse schwemmen zusammengebundene K6r- 
per von Ermordetcn ans Land. In Leichenschauhausern sind 
« unbekannte » Tote aufgebahrt. 

Hunderte von grausamen Tragodien spielen sich ab : die Frau 
sieht ihren Mann zwischen den Hevolvern und Kniippeln der SA- 
Leute, die ihn mitten in der Nacht aus dem Bette reissen, und sie 
weiss dass sie ihren Mann nicht mehr lebend wiedersehen wird. Am 
niichsten Morgen findet man ihn mit zertriimmertem Schadel, 
mil einem Dutzend Messerstichen, mit verzerrtem Gesicht. Die 
Presse meldet : « Auf der Flucht ersehossen ! » Falls iiberhaupt 
eine Mitteilung in einer Zeitung erscheint. Die Mutter hort Tag 
und Nacht in hilfloser Verzweiflung die Schmerzensschreie 
ihres gefangenen Sohnes, sie -will das Furchtbare nicht wahr 
haben, und dennoch kommt nach einigen Tagen die gefurchtete 
Nachricht, «dass seine Leiche in EmpEang zu nehmen sei». 

Einer wird nachts « abgeholt » . Man hort strassenweit seine 
Schreie aus der SA-Kaserne, bis er stirbt. Einer wird getreten, 
geschlagen, gefoltert, bis er fast wahnsinnig aus dem Fenster 
springt. Die Henkersknechte hohnen: er habe aus dem Fenster 
des dritten Stockes fliichten wollen. Ein Anderer wird mit zer- 
schmetterten Gliedern im Lichtschacht des Gefangnisses gefun- 
den. Ein Dritter liegt mit abgeschlagenen Nieren: Verletzungen 
sind ausserlich kaum zu sehen. Statt Urin gibt er Blut von sich. 
Er stirbt nach kurzer Zeit. 

Der Mord geht durch Deutschland : heimtuckisch, bestialisch, 
planmassig. Welche ausliindische « Greuelmeldung » ware im- 
stande. auch nur annahernd ein Bild der wirklichen entsetz- 
iichen Greuel zu geben, die im Namen und Auftrag der Hrtler- 
Regierung taglich und nachtlich in den SA-Kasernen und Konzen- 
trationslagern, in Arbeiterstrassen und in entlegenen Waldern 
verubt werden ! Es ist eine historische Erfahrung, dass die herr- 
schende Schicht einer untergangsreil'en Gesellschaftsordiuing mit 
unmenschlieher Brutalitat ihre Herrscbaft aufrechtzuerhalten 

307 



versucht. Das DeuKchland Adolf Hitlers bietet dafur ein neues 

Zeugnis wurd en Totenlisten gefiihrt. Sie wurden sogar 

i m -n7rii Fdnd ausgetauscht. Die Hitler-Regierung ist natur- 

von Fern d zu *«j?° « d - Ust alI ihrer Opfer zu veroffent- 

1 &S^JL^S^WI der Morde, solche Falle, die wegen 
de r PerSichkeit des Ermordeten oder der grossen Zahl von 
Svvissem nicht verheimlicht werden konnen, wird als « auf der 
MSrSchSen . Oder in anderer gefalsch ter Form bekannt- 
Jegeben. Wehe dem, der versuchen wurde, der Wahrheit auf den 
Grund zu gehen ! Ihn erwartet das gleiche Schicksal : Folter und 

Die Hunderte von Morden, begangen im Auftrage der SA- 
Fiihrer werden unter dem Hitler-Regime menials vor Gericht 
kommen. Am 22. Marz ist eine Generalamnestie fur alle 
Straftaten, die « im Kampf um die nationale Erhebung begangen 
worden sind », ausgesprochen worden. Diese Generalamnestie 
ist ein Freibrief fiir alle vergangenen und kommenden Morde. 
Am 23. Juli garantiert Goring noch einmal Straflosigkeit fur die 
grauenhaftesten Taten «im Dienste der nationalen Erhebung^. 

Hitlers Kameraden von Potempa 

Es gibt keine genaue Zusammenstellung der Opfer, die 
schon in den Monaten vor Hitlers Regierungsantritt unter den 
Kugeln und Messern der SA fielen. Ihre Zahl betragt viele Hun- 
dert: sozialdemokratische, christliche, kommunistische und par- 
ieilose Arbeiter. Wenn die Nationalsozialistische Partei sich in 
besonderen politischen Schwierigkeiten befand oder wenn der 
hartnackige Widerstand der Arbeiter ihr Vordringen aufzuhal- 
ten drohte, schlugen die Wellen der braunen Terrorakte be- 
sonders hoch. Bombenattentate, Handgranatenanschlage, Mord- 
uberfalle auf Sozialdemokraten, Kommunisten und Demokraten 
erfolgten in der Nacht nach den Juliwahlen 1932 ; in vielen 
Stadten fanden sie zur selben Stunde statt, offenbar ge- 
nau verabredet. Im Januar 1933, unter der Regierung Schleicher, 
stieg die Zahl der nationalsozialistischen Gewalttaten wieder sehr 
rasch. Nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler wurde der SA- 
Terror von Tag zu Tag schrankenloser entfesselt. Allein aus der 
ersten Februarhalfte sind 27 SA-Morde an Arbeitem und Arbei- 
terinnen bekannt geworden. 1 ) 

*) 1. II. Helmuth Schafer (Velberth), Franke und Hans 
Haaae (Wilhelmsburg), Paul Schulz (Berlin), 2. II. Hofe (Altona), 
Wilhelmine Struth (Hamborn), 3. II. Kathe Sennholt (Duisburg), Erwin 
Berner und Alfred Kollatsch (Berlin), Wettmann, 5. II. Anno Roder (Ber- 
lin), Walter Steinfeld (Brealau), Bader (Gottingen), Paul Fischer (Chem- 

308 



Schon vor dem 30. Januar hatte die SA ihre wohlausgearbei- 

tete Mordtaktik. Ortsansiissige SA-Leute kundschafteten die 

GelegenJieiten aus und bereiteten die Morde vor. Ortsfremde 

Trupps mussten in Uebermacht auftreten, oft aus dem Hinter- 

halt. Nach der Niederstreckung einiger Gegner mussten sie sofort 

wieder (me.st in Autos) aus der Gegend verschwinden. Eine An- 

zahl Attentate und Erschiessungen fanden aus voriiberrasenden 

Autos Oder von Motorriidern aus stall. Schiisse schlueen in die Ar- 

beiterlokale, Arbeiter sanken hin — und die Schiitzen waren ver- 

schwunden, bevor an ihre Feststellung odcr an eine Abwehr 

gedacht werden konnte. 

Es sei an jene bestialische Mordtat erinnert, die im Som- 
mer 1932 ira oberschlesischen Ort Potempa sich ereignete und 
durch Hitlers offene Billigung in der ganzen Kulturwelt Aufsehen 
erregte. Ein Mordkommando der SA, das sich vorher in einer 
kneipe Mul angetrunken halte, drang ein in die Wohnung eines 
kornmunistischen Arbeiters, der bucbstablich zertrampelt wurde 
vor dm Augen seiner alten Mutter. Als die Tat in all ihren viehi- 
scnen Emzelheiten vor Gericht enthullt und Todesurteile seeen 
"«' g n- u r M6r , der verh3n gt wurden, solidarisierte sich Hitler 
offenthch mit den Mordbuben und nannte sie in einem Tele- 
gramm : « Meine Kameraden ». Sie wurden von der Regieruno 
Papen begnadigt. 6 

Unmittelbar nach dem 5. Marz nochvorder «G e n e r a 1- 
amnestie. wurden diese Morder dureh Hitler amnestiert und 
wieder auf die Arbeiterschaft losgelassen. 

Die Tarnung der Morde 

Wir benutzen, wie in alien Abschnitten dieses Buches, nur 
sorgfaltig verbiirgtes Material. Wir beschranken uns vorwiegend 
auf zwei beshmmte Arten von Quellen: auf Zeugenberichte aus 
Ueutschland von Personen, die selbst die Vorfalle erlebt haben, 
und auf Nachrichten der « gleichgeschalteten ,, deutschen Presse. 

ril ie iS re j Seber,C ^ te enthalten nicht nur eine offiziclle Bestiitigung 
der Morde, sond«rn zeigen auch drastisch die groben Methoden* 
mil denen man den wahren Tatbestand zu verhiillen sucht und 
inn dabei oft selbst unfreiwillig enthullt. 

Bite), Hermann Raster, (Stassfurt), 6. II. Martin Leuschel (Wilhelmsburg), 
Hpinwl t "''^ (K5,n) " 8 " IL Wilhelm Esser (Oladbach-Rheydt), 9. II 

2u r^' i° Seph Meng ^'"heim). ein Landarbeiter in Gross- 

309 



Im Monal Marz erschienen noch solche Nachrichten uner 
ooliShe Morde, die von der Presse selbstandig verfasst W a- 
Kn Allerdings waren die Arbeiterblatter bereits unterdruckt 
»n5 war die Presse der «Mitte» dermassen eingeschuchtert, dass sie 
"e'bst die sichersten Nachrichten meist nicht zu drucken wagte. 
Trotz der Unterwurfigkeit der Presse drangen aber noch so 
viele kompromittierende Meldungen in die Oeffentlichkeit, dass 
die Hitler-Regierung ihr Prestige bedroht sah. Zur lokalen Zensur 
durch Nazikommissare und zur «Selbstzensur» der Zeitungen trat 
die zentralisierte Zensur durch das Propagandamimstenura hin- 
zu Am 2. April wird offen zugegeben, dass im « Dritten Reich » 
die Berichterstattung iiber Morde nicht eine Sache der Polizei 
und der Presse, sondcrn der Propaganda ist: 

tBerlin 2 April WTB. Die Reichsregierung hat an samtliche Naeb- 
richtenagenturen die Anweisung gegeben, dass Mitteilungea uber 

Zwischenfalle in Deutschland nieht veroffeathcht werdea 

durfen bevor airht die Pressestelle der Reichsregierung (im 

Propaganda- :.. isterium) die Genehmigung ausdriicklich er- 

teilt hat. Jedo Nachrichtenveranderung dea ge- 

nehmigten Wortlauts ist verboten.» 

Infolge der zentralisierten Zensur werden die Nachrichten 

schematischer. Die « gleichgeschallete » Presse richtet sich streng 

nach den Vorschriften. Ein konkretes Bild der Tatumstande wird 

selten gegeben. Werden nahere Angaben gemacht, so enthiillen 

Widerspriiche in den Details sofort die Luge. 

Verschiedene Kategorien der Falschung treten immer deut- 
licher hervor: 

Erstens: Auf fin dung angeblich unbekannter Leichen. Der 

Polizei gelingt es in den meisten Fallen, die Toten, die bereits 

seit Tagen als « vermisst » oder « verschleppt » gemeldet sind, 

sofort zu identifizieren. Vor der Oeffentlichkeit wird die Iden- 

tifizierung geheim gehalten oder erst nach vielen Wochen mog- 

lichst unauffallig bekanntgegeben. Unter dieser Kategone befin- 

den sich eine Anzahl von der Feme ermordeter rebelherender 

SA-Leute. 

Zweitens: Im Zusammenhang mit der Welle von Selbstmor- 
den, die seit dem 5. Marz den faschistischen Terror begleitet, wird 
versucht, eine grosse Anzahl von Mordtaten als Selbstmorde dar- 
zustellen. 

Wie plump dieser Betrug oft betrieben wird, zeigt der amt- 
liche Bericht der Ermordung des Magdeburger Stadtrats Kresse: 

cMagdeburg, 14. Marz (TU). In Felgeleben bei Magdeburg kam es 
in den spiiten Abendstunden des Sonntags in einer Gastwirtschaft, 
die als Wahllokal gedient hatte, zu einem blutigea Zwischenfall. 

310 



Der aus Magdeburg kommende sozialdemokratische Stadtrat Kresse 
wurde nach Betreten dea Lokala von den dort anwesenden Schutz- 
polizeibeamten auf Verlangen einiger SA-Manner in Schutzhaft ge- 
nommen. In einem Nebenraum des Wahllokals kam Kresse mit men- 
reren SA-Miinnern in Wortwechsel, in deesea Verlauf e r 
einen Schuss auf die N ati on a la ozi a 1 is t e n a b 
gab. Durch den Schuss wurde der Sturmftihrer Gustav Lehmann 
scbwer verletzt. Alle Anwesenden verliessen fluchtartig das Lokal 
in das dann von aussen mehrera Schiisse Helen. Kurze Zeit darauf 
wurde Kresse mit einem Kopfschuss tot in der Gastwirtschaft auf 
gehmden. Zurzeit findet eine Obduktion statt, um festzustellen ob 
Kresse nach seinem Revolveranschlag seinem Leben selbst 
ein Ende gemacht hat oder ob er durch eine der von 
draussen auf das Lokal abgegebenen Schiisse getfctet word en iet.> 

Die nationalsozialistische Parteipresse hat die Tendenz sol- 
che Meldungen noch sensalionell auszuschlachten. Am 25. April 
bringt der * Volkische Beobachter » einen der grausigsten Lynch- 
Morde als « Selbstmord » in einer Fassung, aus der gerade durch 
die Details hervorgeht, dass Selbstmord ausgeschlossen ist : 

<FurcutbarerSeibstmord. Mit Teer eingerieben und ver- 
brannt. Ein hiesiger Einwohner beging in seiner Wohnlaube auf dera 
Horner Moor in furchtbarer Weise Selbstmord. Er ging in den ange- 
bauten Gerateschuppen, in dem sich u. a. ein Fass Teer befand. Nach- 
dem er sich teilweise entkleidet hatte, rieb er sich iiber und iiber 
mit Teer ein und ziindete dann das Fass an. In dem entstandenen 
Brand hat er den Tod gefunden. Der Beweggrund zum Selbstmord 
ist in Schwermut zu suchen. Die Wohnlaube ist vollkommen nieder- 
gebrannt. Der Selbstmorder war verheiratet und hatte mehrere 
Kinder.* 

Diese Art von Berichterstattung will wie ein Kolportagero- 
man wirken. Sie will durch grausige Ausmalung des Vorfalls 
die Frage nach dem Motiv und den Zusammenhangen aus- 
schalten. 

Drittens ist man bemiiht, bei solchen Opfern, die infolge 
der Misshandlungen im Krankenhaus sterben, einen natiirlichen 
Tod vorzutaus-chen. In einer Reihe von Fallen (z. B. Dr. Eckstein- 
Breslau) lasst es sich die Berichterstattung nicht entgehen, die 
Ermordeten noch iiber den Tod hinaus zu verleumden. Die Er- 
fmdung von Geschlechtskrankheiten wird zur Diffamierung 
benutzt. 

Viertens: Vortauschung ernes unpolitischen Verbrechens. Es 
fehlen die einfachsten Angaben iiber Motiv und Tater, weil sie 
sofort auf die richtige Spur lenken wurden. Die brutate Inhalt- 

311 



losigkeit soldier Bcrichte erinnert an die leere Schematik der amt- 
lichen Kriegsberichterstattung: 

cDie Polizei meldet: Am Samatag abend wurde der Dachdecker Hen- 

seler von mehreren Personen veranlasst, mit ihnen in das Haus Lt»- 

singstrasse Nt. 21 zu gehen. Die Bewohner horten kurz darauf meh- 

rere Schiisse. H. wurde mit schweren Verletzungen auf dem Spei- 

cber des Hauses aufgefunden und in ein Krankenhaus gebracht wo 

er kurze Zeit spiiter starb. Die Tatar sind unerka'nnt 

eotkommen.> <<Germania» vom 15. Mai.) 

Fiinftens: Wo alle anderen Manover versagen, wo nicht 

mehr zu verheimlichen ist, wer wen umgebracht hat und dass 

allein die politische Gesinnung der Grund der Ermordung war 

tritt eine Formel ein, die seit der Ermordung Karl Liebknechts 

und Rosa Luxemburgs einen ganz bestimmten, unzweideutiffen 

Charakter angenommen hat: « Auf der Ftucht erschossen » 

Als Dokument fur die schamlose Offenheit, mit der diese Methode 

angewandt wird, bringen wir die amtlichen Originalberichte fiber 

den Fall Heinz Bassler : 

I. 

Ip^^J. 2 ^ 1111 ^ 5 ' Apii1, meldet aU8 ^ttldorf vierten 

<Der langesuchte Kommuni6teafilhrer Bassler konnte bents 
m org en von Hilfspolizeibeamten gestellt werden Bei der 
Leibesvisitaticm benutzte der Verhaftete einen unbewachten Auaeu- 
bhck zu emem Fluchtversuch. Da er auf wiederholte Anrufe nicht 
steben bheb, griffen die Beamten zur Schueswaffe. B. wurde durch 
einen Schuss schwer verletzt und ist nach seiner Einlieferung ins 
Krankenhaus gestorben.^ 

II. 

«Angriff>, 5. April, meldet aus Diisseldorf fun ft en April- (Die Po- 
lizeistelle teilt mit :) 

«Am 4. April gegen sechzehn Uhr (!) wurde der kommunisti- 
SCbe runkhonar Bassler von SS-Mannern in seiner Wohnung 
featgenommen. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung wurden zwei 
iakete Dynamit gefunden. Ausserde;n wurden Schriftstucke be- 
schlagnahmt. Auf dem Wege zur Prasidiahvache unternahm B. einen 
Muchtvereuch. Mehrmaligen Zurufen cSteheubleiben* leistete er keiae 
ri k S0Ddera setzte trolz Abgabe mehrerer Warnungsschiisse die 
Fluent fori. Durch einen Riickenschues wurde er schwer verletzt und 
starb kurz nach seiner Einlieferung in das Krankenhaus.) 
(Tatsachhch wurde Basalers Wohnung schon nachfs umstellt, fruhmor- 
gens wurde er abgeholt und auf der Strasse erschossen. Die Wider- 
spruche in den amtlichen Berichten laseen sich nicht aus der Welt 
schaffen. Das <Dynamit» wurde aicht gefunden, sondern e-r- 
u n d e n. Aber die <Warnungsschus6e> waren wohl gezielt.) 

312 



Ein 



BUS «om Ko^atratiouslager Granted 




Junger Ar boiler wird weggefflfait Wohin?- Vielleichl meJden die 
Zeilungen schon in einigen Stunden; cAuf der Fluchi erschossen N 




Die Hafllinge im Konzentrationslager Oranienburg werden jeden 
Tag stundenlaag mililarisch gedrillL Aui' Kranke unci Hochbelagtc 

wild keine Mcksichl ^enommen. 







« Auf der Plucht erschossen » ist der faschistische Ausdruck 
fiir Treibjagd auf Menschen. Zu dieser Treibjagd gehort auch die 
Art der Berichterstattung. Sie ist so terroristisch wie das eanze 
Hitler-Regime. 

„Starkster Riickgang der politischen Hordtaten" 

Die « Deutsche Allgemeine Zeitung » vom 6. Mai 1933 ver 
offentlichte unter dem Titel € Starkster Riickgang der politischen 
Mordtaten seit der Machtergreifung durch die nalionale Regie- 
rung » : 

(Amtlich wird mitgeteilt :) 

cWie der Herr Preuflsische Ministerprasident und Minister des In- 
nern, Goring, durch dec Leiter des Geheimen Staatspolizeiamts mit 
teilt, ist seit dem Beginn der nationalen Erhebung ein merklicher 
Riickgang der aus politischen Motiven verubtea Gewalttaten mit To- 
desfolge eingetreten . . . Fast gleichzeitig mit der Machtergreifung 
durch die Nationale Reglerung zeitigten die tatkraftigen Ab"wehr- 
massnahmen der neuen Regiernug in Verbindung mit der aus dem 
Siege der nationalen Bewegung hervorgegangenen Entspannung der 
politischen Gegensatze ein schnelles Absinfcen der Todesfalle, das 
bisher stetig angehalten und nunmehr mit nur zwei Todes- 
fallen im April d. J. den seit langer Zeit tiefsten Stand erreicht 
hat.i 

In ^ den gleichen Tagen, in denen die Hitler-Regierung diese 
durchsichtige Mitteilung verbreiten liess, wurde ebenfalls amtlich 
berichtet, « dass allein im Berliner Schauhaus im Monat April 
46 Tote, deren Gesichtsziige bis zur Unkenntlichkeit entstellt 
waren, eingelieferl worden sind». Die faschistische Presse hat im 
Monat April iiber 50 politische Mordfalle mit Namensnennung 
selbst durch Nachrichten eingestanden. 

Wir schildern hier einige der erschiitterndsten Ermordun- 
gen von Arbeitern und Intel lektuellen durch SA. Es gibt Augen- 
blicke, da dem Leser der Zweifel kommt und die Phantasie den 
Berichten des Grauens nicht folgen will. Und doch sind sie leider 
wahr. Bestatigt durch zahlreiche Zeugen, bestatigt oft durch die 
Morder selber kommt hier die Wahrheit iiber die Schrecken des 
dntlen Reiches zuna Wort. 

„Diese Tat war keine deutsche Tat" 

4 m 4 ' April 1933 wurde in Dusseldorf der kommunistische 
Arbeiter Heinz Bassler von SA ermordet. Wir veroffentlichen oben 
die Meidungen der « Frankfurter Zeitung » und des « Angriff », 
di e sich bemiihen, den Mord in eine Erschiessung « auf der 

313 



Flucht » umzufalschen. Heinz Bassler wurde das Opfer der 
braunen Feme. Er war bis zuni Dezember 1930 Mitglied 
der Nationalsozialistischen Partei und Sturmfiihrer der SA Er 
erlebte die Nazi-Luge aus nachster Nahe, und schied angewidert 
ini Dezember 1930 aus den Reihen der SA. Er suchlc und fand 
den Weg zur Kommunistischen Partei. Daher der Mord. Der Mord 
an einem jungen Arbeiter, der nach schwerem seelischen Kampf 
und nach cindnnglichen politischen Studien die NSDAP verliess 
und in die Partei der revolulionaren Arbciterbewegung eintral. Fol- 
gender Brief eines Augenzeugen entlarvt das Verbrechen der Nazis 
in seiner ganzen Gemeinheit. Der Brief ist es wert, in Millionen 
Exemplaren verbreitet zu werden. 










&OC 



*-<U4- ***{ sefy+4 .^^^f^^tz^f£*> , & 



Faksimile des Originalbriefes liber den SS.Mord an Heinz Bassler, 

(Der Brief im vollen Worllaut ;) 

<Weun dooh unset liebes Heinzel noch leben wiirde. Ich kauns nicht 
fassen. Aber Gott wird die9e Tat riichen. Diese Tat war keine deut- 
sche Tat. 

Morgens, also Dienstagmorgen um 4 Uhr wurden wir von 7 SS-Man- 
ner u. 2 Kriminalbeanite aufgeweckt Mit Revolvern wurden wir 
in Schacht gehalten, Heinz mueste $ich anziehen und rnusste mitgehen. 
Wir mussten die Ttire schliessen u. durften die Fenster nicht of- 
nen. 0, Gott wie robust haben sie nun unser Heinzel behandelt. Die 
Strassen haben sie um 3 Uhr sclion abgesperrt und um 4 Uhr kamen 
sie rauf Und dann haben sie ihn mitgenommen und auf der Sternstr. 
haben sie ihn erschoesen staudrechtlich. 0, was mag der arme 
Jung gelitten haben, ware ich doch rnitgegangen ! Er hat 3 Herz- 
schiisse, ein Arm- ein Hals- einen Beckenschuss und dann 
noch 2 Schusse im ganzen acht Schiisse. Sie haben ihn dann 
liegen gelassen u. Bauern haben ihn gefunden, wie emen Hand. 



;;m 



lob kann es nicht glauben. Ich bin sofort morgens nach Herrn M. 

gelaufeii, dean Heinz sagte mir, geh sofort nach ibm und sag es 

ihm, dann M. hat mir in die Hand versprochen, dass e r mir 

helfen wird. Aber wie hat er ihm geholfen! Heinz hat zu viel Ver- 

trauen auf die Menechheit gehabt. Frau L. . ., wena sie Heinz jetzt 

geeeheu flatten, auf der Totenbahre, Sie hatten Gott augerufen sum 

Richter, so misshandelt haben sie ihn. Ich kann das Bifd nicht ver- 

gessen, wie kann man einen armen hilFlosen Menschen so misshan- 

deln! Und dann die Liigenblatter, Heinz eei auf de r Flucht erschos- 

sen und zwei Pakete Dynamit batten sie gefunden. So eine Geraein- 

heit und man kann kerne Gerechtigkeit bekommen. Noch nicht mal 

eine Pistole Oder ein belangloses Blattchen haben sie gefunden. Nur 

meine Liebesbriefe und ein paar Hefte haben sie gefunden," und 

dann schreiben die Zeitungen so eine Helze. Aber Gott im Himmel 

rufe ich als Richter an, fiir eolch eine robuste und gemeine Tat 

Die Menschen sind alio iiber diese Tat so erschuttert, das konaen 

sie nicht fassen, dass diese Leute einen einzelnen Menschen so ge- 

mein und brutal niederschiessen. Das Begrabnis ifit Samstag mittag 

um ^ 2 Uhr auf dem Siidfriedhof. Heinz wird mil dem Geistlichen 

begraben und viele, viele Leute wollen ihrn das letzte Geleite gebcn. 

Wie ich beim Herrn M. war, wie hat er mich behandelt! Als ich ihm 

sagte, wie kann man einen hilflosen Menschen so erschiessen, ant- 

•wortete er mir: <Wenn Sie noch viel machen. lass ieh Sie auch ver- 

haften!» 

Mutter liisst Sie griissen und nach dem Begrabnis kame sie wieder 

nach Haus. 

Ich will Sie herzlich griissen zum Dank, dass sie eo an Heinzel gedacht 

haben. Adieu und ich griisse Sie. Ich kann ihn nie vergessen, denn 

ich hatt ihn zu lieb! 

Bitte schreiben Sie mir bitte und seien Sie meineni Jung nicht bos*?, 

dass er nicht geschrieben bat. Ich war schuld, Ach hatte ich das nicht 

getan ] Mein lieber guter Jung !> 

„Ich scliiesse Dich nieder" 

(Zeugenbericht — Photodokument.) 

Die Arbeiterin Grete Messing, verheiratet, Mutter zweier 
Kinder, verliess am 6. Marz abends gegen sechs Uhr mit ihrer 
Markttasche ihre Wohnung am Sommermiihlenweg in Selb 
(Bayern) und ging gegen das Stadtinnere, um Besorgungen zu 
machen.^ Etwa vierzig Schritte von ihrer Wohnung entfernt be- 
gegnete ihr ein gleichfalls am Sommermiihlenweg wohnhafter 
^ationalsozialist namens Lager. Er trat der Arbeiterin in den 
y eg und provozierte sie durch den Gruss « Heil Hitler ». Frau 
Messing enviderte darauf « Rot Front » und suchte weiterzukom- 
Ir |en. Lager hielt sie auf, drohte ihr wiitend: « Ich schiesse Dich 
n ieder ». Sie antwortete ruhig: « Schiess zu! » 

315 



Lager setzte der Arbeiterin den Browning an den Hals und 
driickte ab. 

Frau Messing war todlich getroffen. Sie wurde von ihrem 
Mann in die Wohnung gebracht. Dort verblutete sie. 

Der Morder begab sich in das Nazi-Verkehrslokal des Ortes 
siarkte sich nut einigen Schnapsen und stellte sich der « Hilfs- 
polizei)). Er wurde in Haft genommen. Nach zehn Tagen wurde 
er bereits wieder enllassen. Eine Ehrenabordnung empfing ihn 
am Bahnhof in Selb. 

Lager wurde nicht aus der SA ausgeschlossen. Hingegen 
sitzen der Mann und der 19jahrige Sohn der Ermordeten^ in 
« Schutzhaft » im Bayreuther Arbeitshaus. 

Polizei und Hilfspolizei veranstalten in den Selber Arbeiter- 
wohnungen immer wieder Haussuchungen. Sie fahnden nicht 
nach einem Verbrecher, nicht nach einem Morder — sondern 
nach einer Photographie, welche die todliche Wunde der Ermor- 
deten dokumentarisch festhalt. Diese Photographie zu besitzen, 
ist in Deutschland Iebensgefahrlich. 

Die Leichen im Machnower Forst 

(Zeugenbericht.) 

Die gesamte Presse berichtete am 11. 3. 33. iiber die Auf- 
findung von drei erschossenen jungen Leuten im Machnower 
Forst, deren Identitat noch nicht festgestellt sei. Trotz Feststel- 
lung der Personalien durch die Polizei werden diese der Oeffent- 
lichkeit verschwiegen. Nach Ermittlungen handelt es sich um 
folgende Personen: 

1. Fritz Nitschmann, Tapezierer, geb. 1. 3. 09 in Oldenburg. 
Wohnhaft in Berlin-Schoneberg. Parteilos. Eltern ebenfalls par- 
teilos. 

2. Hans Balschukat, Arbeiter, geb. 28. 3. 13 in Berlin. Wohn- 
haft in Berlin-Schoneberg. Mitglied der «Roten Hilfe». 

3. Preuss, 23 Jahre alt. Wohnhaft in Berlin, Gotenstrasse 22. 
Ueber Fritz Nitschmann, der keiner Organisation angehorte, 

ist folgendes ermittelt worden: 

Am 8. Marz, abends halb 10 Uhr, ging Nitschmann nut seiner 
Braut von der Gleditschstrasse durch die Grunewaldstrasse m 
Richtung Siegfriedstrasse nach seiner Wohnung. Als Beide sich 
an der Ecke Stubenrauch-Erdmannstrasse befanden, kam ein 
roter Personenwagen iiber die Siegfriedbriicke und fuhr in der 
menschenleeren Strasse auf der linken Seite. Aus dem Wagen 
sprangen zwei uniformierte SA-Leute (der Chauffeur war in Zi- 
vil), kamen auf Nitschmann und seine Braut zu und „e fen sie 
an : .Halt, stehen bleiben, mitkommen zur Personalfeststellung.> 

316 



Die dre, SA-Leute hatten entsicherte Pistolen in der Har.d Nitsch 
maa gte mil aller Ruhe: c Sie verkennen sich wohl . 25 
die SA-Leut, en: < Maul halten. oinste i£££l 

folgte dmer .^dening da er sich nichts be 3 r D?e 

Braut. die ebenfalls parteilos 1st, wollte mit in de Q e ; n 

aber von aen SA-Leuten einen heftier ° s vor 
dieBrust. Diese sagten lhr aber noch dav; \iu~h- ^or 

nichts Die Braut. die nach dem hef tigen £ dnte h f ^e^r 

die Autonummer noch die Nummer auf dem Kragen der S V I HZ 
feststellen konnen. *- -v-i-euie 

Das Auto fuhi ciurch die Stubenrauchstrasse und bo- in die 
Hauptstrasse em. kurz nach der Verba f tun g ging die Brmit zur 
Mutter des Nitschxnann und erzahlte ihr den Vorgang Von dort 
ging sie zur Polizeiwache Kriemhildstrasse und erstattete Anzeise 
Dort sagte man ihr: « Ihm wird schon nichts passieren, er wi 
schon wieder kommen. Kommen Sie am nachsten Ifeg noch ete- 
rnal wieder. » Am 9. Mara fruh um S Uhr ging die Mutter zu dem- 
selben Pohzeirevier. auch sie erhielt dieselbe Antwort wie die 
Braut. Man sagte aber noch. dass man im Laufe der Nacht samt- 
liche Reviere angerufen habe. Nitschmann sei aber nirgends ein- 
geliefert worden. Sie solle mittags um 12 Uhr wiederkonimen. Urn 
12 Uhr ging der Vater zura Revier und gab Verhistanzeige auf. 

Die Eltern des Nitschmann blieben bis zum 11. Mara ohne 
jede Nachricht von der Polizei. Um 9 Uhr an diesem Tage kamen 
Beamte zu ihnen mit der Mitteilung. dass in der Berliner Morgen- 
post eine Notiz stehe, nach der im Machnower Forst drei Leichen 
gefunden worden seien. Nach der Personalbeschreibung vermu- 
tete der Vater sofort, dass sich unter den dreien seia Solm befin- 
den musse. Er begab sich sofort wieder zur Polizei. die ihm aber 
auch jctzt noch keine Auskunft geben konnte. 

Mittags 12 Uhr ging der Vater zur Mordkommission ins 
Presidium und sprach dort mit dem Kommissar. der die Un- 
tersuchung leitete. Dieser, noch nicht iiber die Verhaftung des 
Nitschmann durch SA informiert, sagte zu dem Vater. dass ihm 
wahrend seiner Kriminaltatigkeit solch ein roher. brutalei Mord 
noch nicht vorgekommen sei. Nachdem der Vater ihm den Saeh- 
verhalt geschildert hatte, sagte der Kommissar, dass er und seine 
Beamtensich die grosste Mi'ihe geben wurden, um den Mord auf- 
zuklaren. 

Im Leichenschauhaus stellte der Vater im Beisein des Kom- 
missars die Identitiit seines Sohnes fest. Die Leiche wfes insge- 
samt zehn Schusse auf, davon vS Ruekenschusse, einen Halsschuss 
und einen Kieferschuss, Die Erlaubnis zum Photographieren der 
Leiche wurde verweigert. Verbrennung dart nicht stattfinden 

317 



wegen eventueller Widerspriiche der Sachverstandigen. Am 15 Marz 
Marz miltags waren die Leichen von der Staatsanwaltschaft noch 
nicht freigegeben. 

Bei dem Vater des Ermordelen haben sich jetzt zwei Perso- 
nen unabhangig von einander gemeldet und bezeichnen uberein- 
stimmend die Nummer des rolen Autos, in dem Nitschmann ent- 
fflhrt worden ist. Es handelt sich urn die Nummer I A 78087. Audi 
bezeugen Beide, dass es sich um einen roten Wagen handelt. 

Die Entfiihrung des zweiten Ermordeten ging nach angestell- 
ten Ermittlungen folgendcrmassen vor sich: 

Hans Balschukat wurde am 8. Marz abends vor dem Hausflur 
Gotenstrasse 14 in Schoneberg von drei Nationalsozialisten mil 
vorgehaltenem Revolver verhaflet und in einem dunklen Auto 
fortgeschafft. 

Am 10. Marz morgens erhielt der Vater des Balschukat eine 
Postkarte mit folgendem Inhalt: 

<Habe heute eine Brieftasehe mit Inhalt gefunden, bitteSie die Tasche 
bei rair abzuholen am Sonnabend, dem 11. 3. um 6 Uhr nachrnit-tags. 

Hans Schmidt 

Bornstedt bei Potsdam 
Viktoriastr. 26.3> 

Als die Karte ankam, war der Vater nicht zu Hause, die Mut- 
ter ging mit dieser Karte zur Kriminalpolizei, dort wurde ihr ge- 
sagt, sie solle unter keinen Umstanden nach Bornstedt hinausfah- 
ren. Gleichzeitig wurde nach dem Alex (Presidium) telephoniert, 
von dort nach Bornstedt und zur Mordkommission, die noch 
im Machnower Forst beschaftigt war. Die Brieftasehe wurde von 
der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Am selben Tage ging der 
Vater nochmals zur Kriminalpolizei, wo auch ihm gesagt wurde, 
er solle unter keinen Umstanden nach Bornstedt hinaus- 
fahren, den angeblichen Finder habe man bereits verhaftet, da 
man in ihm einen Tater vermute. Verdacht bestehe deshalb, weil 
die Brieftasehe nicht beschmutzt gewesen sei. 

Am 11. 3. besichtigte der Vater die Leiche seines Sohnes. Es 
war ihm nicht moglich, sofort seinen Sohn zu erkennen, da er 
schrecklich zugerichtet war. Die Lip-pen waren dick geschwollen 
und blau, das Kinn durch Schlage aufgeschlagen. Hals, Kehlkopf 
und Brust wiesen vieie blaue Stellen auf, anscheinend durch ge- 
waltige Fusstritte hervorg-erufen. Die Arme und die Brust batten 
viele blutunterlaufene Stellen, die anscheinend von einer Fesse- 
lung herriihren. 

Der Ermordete hat nach oberflachlicher Besichtigung durch 
den Vater (eine griindliche Untersuchung wurde dem Vater ver- 
wehrt) zirka sieben bis acht Schiisse erhalten, davon zwei Schiisse 

318 



in 



in den Hinterkopf, einen Schlafenschuss, zwci bis drei Schiisse 
den rechten Arm, sowie einen Brustschuss auf der rechten Seite 

Ueber den dntten Ermordeten Preuss ist noch nichts zu er 
fahren gewesen, da der Vater jede Auskunft verweigert Der 
Vater ist Maschmist bei der Reichsbahn, er kummert sich auch 
nicht urn die Beerdigung seines Sohnes. Diese wird durch die 
Wohlfahrt flbernommen. In Schoneberg redet man dariiber dass 
den Nazis rait Preuss em Missgriff unterlaufen sei. Der ermor- 
dete Preuss soil den Nazis nahegestanden haben. 

Stahlrutcn und Salzsaure 

(Zeugenbericht aus Braunschweig) 

Der Telegraphenmonteur Grotehenne hatte keine politi- 
sche Funktion, er war Mitglied des Reichsbanners. Am Montag, dem 
27. MSrz wurde Grotehenne von S A-Mannern auigesucht und aufge- 
fordert, in das Lokal der SA zu konimen. Seine Frau glaubte, es 
handle sich um den iiblichen Zwang, der NSDAP beizutreten, und 
riet ihrem Mann, den Beitritt sofort zu vollziehen und das Haus 
aicht zu verlassen. 

Grotehenne begab sich aber in Begleitung der Nazi in das SA- 
Lokal. Stunden vergingen. Er kam nicht zuriick. Seine Frau ent- 
schloss sich, ihm nachzugehen. Vor dem SA-Lokal stand ein Nazi 
namens Meyer. Frau Grotehenne kniete vor ihm nieder, jammerte 
und bat, ihren Mann freizugeben. In diesem Augenblick wurde der 
Korper Grotehennes auf die Strasse geschleudert. Der Mann war zu 
einem blutigen Fleischklumpen zusammengehauen worden. Meh- 
rere Manner brachten den Schwerverletzten nach Hause. Er klagte 
nicht nur iiber aussere, sondern auch iiber innere Schmerzen. 
Da man Gift vermutete, wurde ihm Milch eingeflosst. Er er- 
brach. Die Frau, die ihm den ausgetretenen Schaum vom 
Munde abwischte, bemerkte, dass ihr Taschentuch von der Saure, 
die er erbrochen hatte, ganz zerfetzt wurde. G. hatte zeitweise 
soviel Bewusstsein, um den Vorgang seiner Marterung zu er- 
zahlen. Er war entkleidet und drei Stunden lang mil Stahlruten 
gesehlagen worden. Zwischendurch war er gezwungen worden, mil 
seinen Kleidern das Blut vom Boden aufzuwischen. 

Als er bewusstlos mit zusammengebissenen Zahnen dalag, 
versuchten die SA-Manner, ihm Salzsaure einzuflossen. Da dies 
nicht sofort gelang, wurde ihm der Mund gewaltsam geoffnet. 
Dab-ei wurde ihm ein Teil der Oberlippe weggerissen. 

Grotehenne starb nach ungeheuren Schmerzen am Abend 
des 29. April. Die Leiche wurde gerichtlich obduziert. Als lo- 
desursache wurde « Gehirnschlag und innere Verbrennung » 
festgestellt. Die Staatsanwaltschaft wurde mit der Angelegen- 
heit befasst, doch ist bis jetzt keiner der Schuldigen irgendwie 
zur Verantwortung gezogen worden. 

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320 



BnchstftbJich zerrissen 
(Zfeugenberichte aus Heidenau.) 

Anfang Marz wurde Fritz Gumbert a ,K w«m* o « 

vergraben zu haben». Er wurde in die F«ct„ M T /. • , y anen 
von dori in das K„„ r ^i on ^Ja W" urui 

wurde er » Ketten gelegl „„,, gefoltert. Die Mi M hSndl nien d e 
er zu erleiden hatte, waren derarl schwer, dass er star!,. To! 

desursache tcilte man seiner Frau mil- *r c «; .-.« a* 
Darmblutungen verstorben. * St ' M ***** und 

Die Arbeiterschafi der Heidenauer Betriehe veranstaltete 
hieraui erne Sammlung und hess die Leiche nach Heidenau iiber- 
fuhren. Dies wurde bewilhgt, allerdings unter der ausdriickHchen 
Bedingung, dass der Sarg nicht geoffnet wurde. Die Arbeiter hiel- 
ten sich nicht an diesen Befehl. Keiner der Augenzeugen wird 
den Anbhck jemals vergessen. Das Gesicht war vollig zusammen- 
gethekt. Allein Anschein nach fthlte die Zunge. An den Armen 
waren die Spuren der schweren Ketten sichtbar. Das Hinterteil 
des Korpers war cin zerstiickelter, durchlocherter Fleischfetzen 
Der Alter war mil einem Lumpen verstopft, der die Verblutung 
aufhalten sollte. Das Riickgrat war gebrochen. Die Geschlechts- 
teile waren zerfetzt. Der reclite Sclienkel war aufgerissen Die 
Magengrube war eingetreten, sodass die Gedarme heraustraten. 
Die ganz zerbissenen Lippen zeugten von den entsetzlichen 
Schmerzen, die Gumbert ausgehalten hatte. 

Auf Grund der Ansammlung der entsetzt und emport 
herzudrangenden Arbeiter wurde der Leichnam wiederum von 
der SA beschlagnahmt. Der Henker Killinger selber erschien am 
Ort mil einem Stab von Polizei und Aerzten. Es wurde eine Razzia 
durch die Arbeitcrwohmmgen veranstaltet, um photographische 
Apparate und Flatten zu beschlagnahmen, Unter Androhung 
schwerster Strafen wurde alien Zeugen verboten zu sprechen. 
Diejenigen, von denen man wusste, dass sie an der Besichtignng 
teilgenommen batten, wurden vorgeladen und verwarnt, « die 
Schnauze zu halten». 

Am Freitag, dem 28. April, fand das Begrabnis statt. Gegen 
drei Tausend Arbeiter und Arbeiterinnen waren erschienen, dem 
Toten das Geleit zu geben. Samtliche Zugangstrassen waren von 
SA mil Karabinem im Anschlag abgesperrt. Als sich der Zug 
vor der Friedhofstur einfand, wurde er von den Nazis angefallen 
und auseinandcrgesprengt. Nur die AngehSrigen durften den 
Friedhof betreten. 

Am Grabe sprach ein Geistlicher, tier demonstrate das 
Hakenkreuz trug. 

u 321 



Zerschlagen, zerstochen, zertreten 

(Zeugenbericht.) 

Am 28- Marz wurde der Kommunist Edom, Konigsberg, Ro- 
bcrtstrasse 6, nachts 12 Uhr aus seiner Wohnung geholt. Da 
man wusste, dass er mit dem kommunistischen Reichstagsabge- 
ordneten Schiitz befreundet war, schlug man ihn zwei Stunden 
lang so unrnenschlich, dass er wllig hilflos, besinnungslos 
und irrsinnig vor Schnierzen zusammenbrach und die Wohnung 
des Schiitz verriet. 

Um 2,30 Uhr morgens wurde Schiitz in die gleiche SA-Ka- 
serne geschleppt und dort zwolf Stunden lang zu einer form- 
losen, unkenntlichen Masse zerschlagen, zerstochen, 2ertreten. 
Am 29. Marz abends starb Schiitz im Krankenhaus. Der Toten- 
schein lautet auf Herzschlag. 

Arn 3. April ist Schiitz wie ein Tier verscharrt worden. Keine 
deutsche Zeitung hat iiber seinen Tod berichtet. Durch Drohun- 
gen wurde von den Aerzten und Pflegern Verschwiegenheit er- 

zwungen. 

Die Frau des Toten wurde wahrend dieser Tage in Schutz- 

haft genommen. Den zwolfjahrigen Sohn stiess man vor der Be- 
er digung an den entstellten Leichnam des Vater. Ein Nazi er- 
klarte : «So geht es Dir, wenn Du in seine Fusstapfen trittst.» 

Die Nieren abgesehlagen 

B. T. 9. Mai: <Wie polizeiamtlich mitgeteilt wird, verstaxb am Montag 

vormitlag im Breslauer Knmkenhaus in der Einbaumstrasse der seit 

dem 28. II. in Schutzhaftbefinliche Rechtsanwalt Dr. Eckstein an Lun- 

gen- u, Nierenentziindung u. beginnender G e i s t e s k ra nk h e i tV 

Der Tod Ecksteins hat die Breslauer Arbeiterschaft nicht 

iiberrascht. « Den Eckstein werdet ihr nicht wiedersehen », er- 

klarten die SA-Leule hereits bei seiner Festnahme am 28. April. 

Als man am Vorabend des 1. Mai die Breslauer Schutzhaf Hinge 

im Triumphzug, Musik an der Spitze, aus dem Braunen Haus 

(Neudorferstrasse) zum Konzentrationslager (Stechlauer Chaus- 

see) fuhrle, da fehlte Eckstein bereits. Die Blatter mussten melden, 

dass er sich im Gefangnis «selbst verwundel* habe. Er befand sich 

schon damals in einem Zustand, in dem man ihn der Oeffentlich- 

keit nicht mehr zu zeigen wagte. Man brachte ihn gesondert in 

das neu errichtete Lager. Die Misshandlungen wurden fortgesetzt. 

Die Nieren hat man ihm durch viehische Prugel abgesehlagen. 

Die « Lungenentziindung » ist hinzugetreten, als man den be- 

wusstlos Gepriigelten mit Eimern kalten Wassers wieder auf- 

weckte* « Geisteskrank » wurde man seine Morder nennen, vtenn 

ihr Verbal len nicht einem von der deutschen Regierung gezfich- 

teten Normalzustand entspriiclie. 

322 



Ira (Mantis gelyncht ^ 

enti Die n ^ SIS tfS&SSi. Nachrichtendienstes 

v(,llla»inmcri: 

'' , -1 TO Geeen 11 ('In kam es vor den. jiidischen M5bel- 

g«dtfft Sd»«J» " ?1™ B ss . Mann Btttrzte . Ate ein K.merad d.e- 
jOdfscben ahabers au re ' bcjden ss _ Le uten und dem 

. ssssijsss - *» r ss - ManD walter 

" US Kie ' IT ^ " Wi rWlchUell folgen derma ssen 

Der Vorfall spie lie sich in w SA -Mannschaft 

;il): to Verlwfe to ftjjj^toto^te ™ Jnhaber wur(le 

das Geschuft dcs ^J^K Dag^n setzte sich der Sohn 
von den Eindnnglmgen be ast.g l - »*&*> w h Es kam zum 

andern SA-Mann schwer verletzte. 

II. 

cKiel 1 April, WTB. Der Sohn dee MObelhtodleia Schumm, der vor- 
nuttags'vor dem Qnschaft seines Vatera auf einen SA-Mann eraige 
Schusse abgegeben hatte, durch die dieser einen schweren Bauch- 
KchusB davonlruR, 1st im PoUzeigeftogofa, wohin er gebracht wordon 
war, erachoseen worden. Wie vertautftt, veriangtexi einige Personen 
im PolizeiprSflidium, dasa Itanen die Tiir dea Schumm geoffnet 
werde. Ala diesem Verlangen -laltgegebcn wurde, fielen mehrere 
Sehusee, die auf der Stalk tSteten. Die Leiche wurdo dem gerichts- 
medizinischen Institut zugefBhrt.) 

Der zweite Berieht 1st bcreits insofern «korrigiert», als von 
Schumm, der uberhaupt keine Waffe besessen hat, behauptet 
wirri, er habe nicht nur « den Schuss », sondern sogar « mehrere 
Schtisse a abgegeben- Dieser Bericht bringt die Umstande der 
Ermordung Schumms ziemlich wahrheitsgemass, allerdings ohne 
ausdrueklich zu erwiihnen, dass eben jene SA-Leute Schumm 
umgebracht haben, urn den Zeugen der Bluttat vom Vormittag 
y\\ beseitigen. 

Beide Berichte sind so durchsichtig, so ungeschickt und 
kompromittierend abgefaast, class noch am selben Nachmitl- 
die zentrale Pressestelle eingreift und den dritten in jcder Weise 
bereinigten und in jeder Weise falschec Bericht herausgibt: 



3M 



J/ 1 ', i Anril WTB Dm Jiidische Rechtsanwalt und Not»r Schumm 
» ' vormitta« gege* 11.80 Uhr den SS-Mann nam ens Walter 
f Ihnlfpr in der* Kehdenstraaae durch Bauchschuss nieder, und zwar 
naTdS bisherigen Meldungen ohne triftigen Grand. Dei SS-Mann 
st in der Klinik gestorben. Eine erregte Menschenmenge sammelte 
sich vor deni Polizeigefangnis an, bevor der vom Oberpriisidenten an- 
jreordnete Abtransport des Rechtsan waits Schumm ennoglicht wer- 
den konnte. Die erregte Volksmenge drang in das Polizeigefangnis 
ein, wo Schumm durch Revo-lverschiisse getfctet wurde. Das ganze 
entwickelte sich so schnell, dass polizeilich der Vorgang nicht ver 
bindert werden konnte. Die Menge drang auch in das GeschSft des 
Vatera des Rechtsanwalts Schumm in der Kehdenstrasse ein und zer- 
storte das Inventar. 

Dieser Bericht kann zwar die Oeffentlichkeit ilber den wirk- 
lichen Verlauf des Vorfalls nicht mehr tauschen, aber er hat eine 
weitere und « tiefere » Bedeutung: er ist als ein Schema zu be- 
trachten fiir die Art, wie auf Bcfehl des Reichspropagandamini- 
sters Goebbels in Zukunft solche Ereignisse — soweit sie nicht 
iiberhaupt verheimlicht werden konnen — der Oeffentlichkeit 
mitzuteilen sind. Am sclben Abend noch wurde die oben zitierte 
Bestimmung erlassen, dass «Mittcilungen iiber Zwischenfalle* 
nicht ohne vorherige Genehmigung erlaubt und dass jegliche Ver- 
anderungen des amtlichen Wortlauts verboten seien. 

Aus clem Fcnster gesttirztl 

Am 16. April wurde der Bergarbciterfuhrer Albert Funk in 
Dortmund von einem Nationalsozialisten erkannt und der Poli- 
zei denunziert. Albert Funk war ein langjahriger Streikfiihrer 
der Bergarbeiter, ehemaliger kommunistischer Reichstagsabge- 
ordneter und Fiihrer des Einheitsverbandes der Bergarbeiter. 
Geachtet und geliebt von den revolutionaren Bergarbeitern, ge- 
noss Albert Funk weit iiber die Partel- und Verbandsgrenzen 
hinaus das Vertrauen der Ruhrkumpels. 

Albert Funk wurde ins Dortmunder Polizeigefangnis einge- 
liefert. Es gelang Lhm, einen Brief hinauszuschrnuggeln, in dem 
er iiber furchtbare Misshandlungen an sieben andern Gefangenen 
berichtete. Funk wurde. in den ersten Tagen nicht misshandelt. 

Die Zeitungen berichteten kein Wort iiber seine Verhaftung. 
Diese Tatsache musste die schlimmsten Befiirchtungen erwek- 
ken. Was war mit Alhert Funk geplant? Wamm wurde seine 
Verhaftung verschwiegen? 

Am 26. April, nach zehntagiger Haft, wurde Albert FiAik er- 
rnordet. Seine Fran erschien im Dortmunder Polizeigefangnis, 
urn ihren Mann zu sprechen. Die Verwalhmg iiess Ihr erklaren, 

324 



Kommun.ste.1 im JJf^ de mitge teHt: Der verhaftete kom- 

di ^/SSW^ * lbert Funk sei . bei dem r " 
munistische Rejcliswfc » uger UntersuchungS g e fang- 

k " hne ^Sen aus dem Fenster des III. Stoekes in den Hof 
nis zu flucnten, au RiJckgrat, Arme und Beine mehrfach 

gesprungen and hab ^ Bewusstsein ins Spital eingeliefert 
gebrochen e r «» J be. mm ben . Es wurde verschwiegen, 

J° rd Fnnk sich schon e Uva zwei Wochen in Haft befand und es 
Se F ntS SnWort der Erklarung dafur gegeben, wieso er 
Sich von Dortmund nach Recklinghausen kam. 
P D r Bergarbeiterfiihrer Albert Funk wurde durch furchtbar- 
.te Misshandlungen dem Wahnsinn nahegebracht und von semen 
Folte knechten zum Stars aus dem Fenster gezwungen Als 
gefangene Kameraden des Ermordeten, die sich gerade auf dem 
Gefangnishof befanden, erschiittert aufschrien, nssen die Mor- 
der die Fenster auf und schrien ihnen zu: « Ihr Moskauschweine 
konnt hier nachspringen! » 

Der Fememord an Dr. Georg Bell 

Am 5. April liel Dr. Georg Bell Im osterreichischen Ort 
Durchholzen bei Kufstein einem Mordkommando der SA-Fuh- 
rung zum Opfer. 

Die Schiisse von Durchholzen haben einem abenteuerlichen 
Leben ein Ziel gesetzt. Wer war Georg Bell? 

Bis Anfang 1930 ein Agent, von dessen Existenz nur seine 
nationalsozialistischcn Freunden wusslen. Erst im Januar 1930 
beschaftigle er die Oeffentlichkeit. Damals sass er (der bereits 
friiher in Miinchen wegen Spionage verurteilt war) im Tscherwon- 
zenfalscherprozess mit auf der Anklagebank. Von ihm soil der 
Plan ausgegangen sein, sowjetrussische Noten zu fiilschen, um 
auf diese Weise die USSR in Schwierigkeiten zu bringen und die 
Sudstaaten von Russland loszureissen. Bell operierte in diesem 
Prozess ausserordentlich geschickt. Imraer, wenn das Gericht. 
das ohnehin bestrebt war, nicht zu tief in die Machenschaften 

gegen den Arbeiter- und Bauernstaat hineinzuleuchlen. fur Bell 
pemi.chc Punkie beriihren musste, drohte er iiber Beziehungen 

■u aeuischen Staatsmannern auszupacken. So beherrscbie er das 



„ • u* riac «irh willig beherrschen liess, und — wurde freige- 
Genc "' d Sne TaSche aber ergab der Prozess doch: Bells Hin- 
f pro ° «?hPi diien Ffilschungcn ist der englische Oelkonig Sir 
u "Tnefcrding! der auf diese Weise die Oelkonkurrenz Sowjet- 
SSSnds SSampfea und in den Besitz neuer Oelquellen gelan- 

ge ° Deterding ist auch einer der Geldgeber der deutschen Natio- 
nalsozialisten, die ihm als der beste Vorspann fur seine anti- 
sowjetischen arbeiterfeindlichen Plane erscheinen. Der Verbin- 
dunesinann zwischen Deterding und den Nazis aber ist Georg 
Bell Das erfuhr man Mitte 1932 in einem zweiten Prozess, der 
in Munchen stattfand und die Oeffentlichkcit stark erregte. Es 
handelte sich urn eine Beleidigungsklage des Fememorders 
Schulz und des Reichsfuhrers der NSDAP Schwarz gegen die 
sozialdemokratische «Munchener Post*. 

Welcher Tatbestand lag dem Miinchener Prozess zu Grunde? 
Mitte Februar 1932 veroffentlichte die c Miinchener Post » ver- 
trauliche Inforxnationen, aus denen hervorging, dass in der 
NSDAP eine Sonderabteilung besteht, die die Aufgabe hat, 
missliebige Personen aus dem Wege zu schaffen. Die Abteilung 

fiihrt den Namen « Zelle G ». 

In diesem Prozess sagte Bell als Zeuge folgendes aus: 

cEines Tages habe ihm Rohm gesapt: 

cWissen Sie schon das Neueste ? Man will une umbringen, Sie, du 
Moulin-Eckhard und mich.> 

Er habe es anfangs nichl glauben wollen, bis Rohm Einzelheiten 
mitteiite und erwiihnte, dass Major Buch dahinterstecke. Bald darauf 
habe er Schweickard in einem Kaffeehaus getroffen. Auch von die- 
sem sei er gefragt word en, ob er schon wisse, dass er umgebracht 
werden solle. Schweickard habe weiter erklSrt : 

<Ein Wort von mir bei der Polizeidirektion wurde geniigen, dass die 
die ganze Saubande ins Zuchthaus kame.:> (Mit der <Saubande> war 
die Reicbsleitung der NSDAP gemeint.) Schweickard habe ihn dann 

gefragt : 

<Willst Du Deinen Morder kennenlernen? Er wird bald hierher- 

kommen.> 

Talsachlich sei dann Dr. Horn aus Karlsruhe in da9 Lokal g"e- 

kommen.> 

Im sogenannten Danzeisenprozess, der im Juli 1932 statt- 
fand, erfuhr man dann, dass Rohm und du Moulin-Eckard wegen 
ihrer homosexuellen Veranlagung, Bell wegen seines Wissens 
dnruni, das er zu Erpressungen benutzt hatte, « gekillt » werden 
sollten. Die Weisung des Auftraggebers war eindeutig: 

<Wieland II, Ausland, den.. . . 

An die Helene. 

Sie setzen sich sofort in Solln (Major Buch) in Verbindung, Vor 

m 



her telefoni&chen Anruf an die Wohnung. Hauafrau weies Bescheid. 
Tatbegtand ist der: Graf du M. ist mit R. auf Oruod Paragraph 175 
von frCiher bekannt. R. wird durch einen gewiseen Bell erpresst. Du 
M liat einen grossen iiinfluss auf R. Es muss gehandelt werden, des- 
eleichen aucn bei Uhl. Dae dicke Hascheu uberniniuit den Auftrji? 
Uhl Gue (Quenech) liber nEmmt den Auftrag Bell mit seiner 
gesamten Gruppe. Den Auftrag Zi. 50 (Zimmer 50, in dem 
Graf du Moulin untergebracht ist) ubernehmen Sie ala den ge- 
fahrlichsten. Radschrauben lttsen (blauer Anton) Oder noch was bew- 
seres. Zi. 50 fiihrt einen Ope! 1050. Auf Haschen einen eVarken 
Driifik ausiiben. Bei Fehlachlag ist fttr juristische Deckung gesorgt. 
Hausfrau weise Adreese. Wld. II.> 

Dass Dr. Bell zu viel von dem personlichen Leben der 
< Fiihrer » wusste, war nicht der einzige Grund, aus dem er besei- 
tigt wurde, beseitigt von der gleichen Gruppe « G », gegen die 
sich friiher sein Freund Rohm und er schutzsuchend an die 
sozialdemokratische Zeitung gewandt hatten* Das letzte und ent- 
scheidende Moment dafiir war, dass er zuviel vom Reichstags- 
brand, von der Beteiligung Gorings, Goebbels', Heines' und Rohms 
wusste. War doch das Werkzeug van der Lubbe auch sein Agent 
und konnte er doch aus dessen Mitteilungen Riickschliisse iiber 
seine Verbindungsleute Ziehen. Das ist in einem friiheren Kapi- 
tel eindeutig unter Beweis gestellt. Aber auch die Leitung der 
SA, die Goring und Rohm, wussten durch ihren ausgedehnten 
Spitzelapparat, was Bell wusste, der seine Kenntnis wieder ein- 
mal in klingend-e Miinze umsetzen vvollte. 

Deshalb gab Rohm den Befehl, Dr. Bell zu erledigen. Bell, 
der davon horte, trat zuerst aus der NSDAP aus. AIs er sich wri- 
ter verfolgt sah, floh er nach Oesterreich. Seine Frau und seine 
Tochter wurden von der SA als Geisein in Halt genommen. Durch 
einen Freund Bells, den SA-Mann Konrad, erfuhr Rohm seinen 
Aufenthaltsort. Vergebens bat Bell in einem Telegramm den all- 
machtigen Rohm, ihn zu schonen. Rohm wies vier Mann seiner 
engeren Leibgarde an, Bell nach Deutschland zu verschleppen. 
Beim Abschied sagte er ihnen: 

<Bringt ihn mir lebend Oder tot; lieber ist mir aber, ihr bringt mir ihn 
lebendig, Also keine Geschichten. Schlag auf den Kopf, hinein ins 
Auto und rnarsch, marsch iiber die Grenzel* 

Rohms Mordkommando fuhr mit einem Auto der Naziparteilei- 
tung: ausserdem aber wurde noch von dem Munchener Polizei- 
priisidenten Himmler, der zugleich oberster Chef der SS ist, ein 
Auto mit SA-Leuten, die als Hilfspolizisten Dienst machen, auf- 
geboten. 

Bell, der inzwischen von Konrad telegraphisch gewarnt war, 
packte gerade seine Koffer, als seine Verfolger eintrafen. Er 

327 



lehnte es ab, in ihrem Auto nach Deutschland mitzufahren. Sechs 
Schiisse waren die Antwort. Alle trafen: drei in den Kopf, zwei 
in die Brust, einer in den Bauch. Bell war sofort tot. 

Der 3Iord an dem Hellseher 

Erik Jan Hanussen, recte Herschmann-Steinsehneider ist 
am 2. Juh 1882 in Wien als Sohn jiidischer Eltern geboren'und 
nach Prossmtz (CSR) zustandig. Er wird Artist, macht im Krieg 
fur das osterreichische Militar Wiinschelrutenexperimente und 
tntt nach dem Kriege in Varietes auf. Dabei gibt er seine Ta- 
schenspielereien als Wirkung ubcrnaturlicher Krafte aus, wird 
deshalb wiederholt verhaftet und aus Wien und Memel ausge- 
wiesen. 

In der Tschechoslowakei betatigt er sich zum ersten Mai 
offentlich in grosserem Urafang als Hellseher. Er hat das Gliick, 
von einem Gendarmen wegen Betruges angezeigt zu werden. Es 
gelingt ihm, den gefahrlichsten Zeugen, seinen Sekretar Erich 
Juhn, der ihm durch Tricks das « Hellsehen » ermoglicht hatte, 
am Erscheinen vor Gericht zu verhindern. Das Leitmeritzer Ge- 
richt spricht ihn mangels Beweisen frei. 

Gestiitzt auf diese Reklame, beginnt er, sich in Deutschland 

als Hellseher zu betatigen. Er gewinnt grossen Zulauf, besonders 

seitdem er auch politische Fragen in den Kreis seiner Prophe- 

zeiungen zieht. Er veranstaltet Seancen und Vortrage, griindet 

erne Zeitung « Hanussens Bunte Wochenschau » und wird ein 

reicher Mann. Nach dem Wahlsieg der Nazis am 14. September 

1930 wird er Nationalsozialist. Der Massenstimmung folgend, 

beginnt er Hitler zu popularisieren. Er falscht seinen Pass, indem 

er das Wortchen « van » hineinsetzt, ist nun Arier aus adligem 

Geschlecht. So wird er Mitglied der SA und Freund holier Nad- 

fuhrer, insbesondere des Grafen Helldorf. Als ihn der «Angriff» 

im Dezember 1932 anlasslich eines Betrugsprozesses einen 

tschechischen Juden » nennt, interveniert Helldorf und der 

« Angriff » druckt eine Ehrenerklarung. Er stellt seine Autos 

der SA, sein Geld den SA-Fiihrera zur Verfiigung und erhalt den 

Schutz eines SA-Sturms. Sein Chauffeur ist Sturmbannfuhrer. 

Als Hitler am 30. Januar zum Reichskanzler ernannt wird, 

■ eroffentlicht der Jude Hanussen, der inzwischen zum Christen- 

tum iibergetreten war, einen offenen Brief an Hitler, in welchem 

er Hitlers Sieg als seinen Sieg feiert. 

Nach der « nationalen Erhebung » wurde Hanussen iiber- 
routig. Er liess sich allabendlich in der « Scala », einem Berliner 
Variete, in dem er auftrat, als Propheten des dritten Reiches 
feiern, er ging zu jtidischen Firm en und Zeitungsverlagen, um 

328 



Schwer misshandelte Fran 




Woliilahrtvorsteherin Frau Marie Jankowski, Berlia-Kopeuick. 
d n atinstrasse 18. wurde vnn SA.T.pntP.n in das SA-Lokal Demut. 

Slunden lang rmt 



Bergmaanstrasse 18, wurde von SA-Leuten 
KliHabethstrasse 29 in Kopenick gebracht und dort xwel 
jvnupnelu, Slahliuten und Peitschen auf den nackten Korper geschlagen. 
as Bild zeigt die Folgen dieser furchtbaren Misshandlunsen. Frau Jan- 
icnwsk, erlitt ^chwere innerc Verletzungen. Die Hitler-Regienmg hat gegeo 
che schwertoanke Frau ein Strafverfahreu svegen <Greuelhetze» eingeleud. 



> 






Misshandelte Arbeiter 

Ohen rpHfA^'f '*' l '' delte, ;.-H beiter aus P^ankfurl am Mai,,. 
Unten: Misshandelter ReichsbannerfQhrer aus Siiddeutschland. 




unter Berufung auf seine guten Beziehungen zur SA Gelder zu 
erpressea. So kam er auch zu dem gleichgeschalteten Verlags- 
direktor des * Berliner Tageblalts » Karl Vetter und erklarte 
ihm. er konne ilin vor alien Anfeindungen der Nationalsozialisten 
bewahren. Der Nazikonnuissar im Mossehaus von Ost, Hell* 
dorf und andere SA-Fuhrer, seien ihm viel Geld schuldig. Vetter 
nahm das Angebot nicht an. er ging zu Osl, uberreichte ihm 
einen Scheck init einem namhaften Betrag und bat ihn, sich 
aus der Abhlingigkeit von Hanussen zu befreien. Ost erwiderte. 
«So wird das bei uns nicht geregeltl* Ost ging zu Goring, Hell- 
dorf und Himmler. 

Am gleichen Abend, dem 24. Mai z, wurde Hanussen yor seinem 
Auftreten in der «Scala» verhaftet. Dem Publikum wurde er- 
Hart er babe einen Nervenzusammenbruch erlitten. Der «Vol- 
kische Beobachter » meldete, Hanussen befinde sich im Polizei- 
prasidium Berlin, well er sich mil falschen Papieren in die 
NSDAP eingeschlichen habe. In Wahrheit entfiihrte man Hanus- 
sen in einem Auto nach Baruth bei Zossen nahe Berlin. Nach 
zchn Tagen fan den bier Spazierganger seine Leiche im Waldes- 
dickicht, sein Gesicht war durch sechs Schiisse bis zur Unkennt- 
lichkeit verstunimelt- Wieder war ein gefahrlicher Mitwisser 
zahlreicher Geheimnisse der hohen SA-Fiihrung von der nalio- 
naisozialistischen Feme beseitigt. 

Bartkoloimiusnacht in Kopenick 

In viclen Stadtgebieten Deutschlands hat die SA, die vor 
Hitlers Machtantritt angekundigte «Nacht der langen Messer» re- 
gelrecht durchgefuhrt. In der Nacht vom 21. zum 22. Juni begann 
im Berliner Vorort Kopenick ein bestialisches Morden der SA, das 
mehrere Tage wiitete. Funktionare der Sozialdemokratie, des 
Reichsbanners und der Kommunisten fielen ihm zum Opfer. 

Am 21. Juni fuhrte die SA zwei Haussuchungen bei dem 
Gewerkschaftssekretar Schmaus in der Siedlung Kopenick durch. 
Sie suchte angeblich nach Waffen. In der Nacht kam die SA zum 
dritten Mai, schleppte den verhafteten kommunistischen Schwie- 
gersohn von Schmaus mit und sturmte unter Abgabe von mehr- 
er en Schussen das Haus. Schmaus hat einen geistesschwachen 
22jahrigen Sohn, der durch die Schiesserei erwachte und in un- 
bekleidetem Zustand, mit dem Revolver in der Hand, der SA ent- 
genlrat. Seine Mutter rief ihrn erschrocken zu: «Schiess nicht!* 
Er schoss jedoch und verletzte zwei eindringende SA-Leute 
todlich. 

Nun begann ein Abschlachten: Schmaus' Schwiegersohn Ra- 
kowski wurde sofort vor dem Haus von der SA erschossen. Der 
Sohn von Schmaus wurde verhaftet und zu Tode misshandelt. 

329 



Schmaus wurde von der SA im Hause aufgehangt. Mutter 
Schmaus wurde von SA-Leulen beschuldigt, sie habe gerufen.; 
«Schiess dochl* Sie wurde so gefoltert, dass sie nach wenieeri 
Tagen starb. ° 

In der Siedlung, in ganz Kopenick und in Friedricbsbagen 
wurden «Marxisten» noch in der Nacht aus den Betten herausge- 
holt, darunter der Reichsbannerfiihrer und friihere Ministerprasi- 
dent von Mecklenburg, Johannes Stelling, der 55jahrige Reichs- 
bannerfunktionar Paul von Essen aus Kopenick und der 57jahrige 
ehernalige Reichsbannerfiihrer von Friedrichshagen, Assmann. 

Wie es den Verhafteten in der Morderkaserne erging, schil- 
dert ein sozialdemokratischer Augenzeuge: 

fDas Auto brachte uns zum Kopenicker Gerichtsgeiangnis. Der Platz 

vor dem Amtsgericht war vol! von SA-Leuten,, die eich sofort auf uns 

stiirzen wollten. Der Sturmfiihrer brtiilte jedoch: <Halt, auf der 

Strassenicht schlagen|> Kaum batten wir jedoch daa Ge- 

bziude betreten, eo ging es loe. Wir wurden die Treppe hinauf und 

exnen langen Gang entlang getrieben. In einer grossen Zeile standen 

10 Genossen mit dem Gesicht zur Wand. Fussboden und Wand wa- 

ren mit Blut befleckt. Eine alte Frau, blutend aus Mund und Naae, 

mit blutbeflecktem Kteide, musste den Fussboden scheuern. Der SA- 

Mann Lohse fragte mich: cKennat Dudiese Hure?) Ichsah 

genauer bin und erkannte mit Entsetzen die Mutter meiner Frau. 

Nun wurde Genosse Kaiser von Lohse aul'gefordert, einein anderen 

Genossen mit der Faust ins Gesicht zu schlagen. AIs Kaiser zdgerte, 

erhielt er selber von Lohse einen Fauslschlag, so dass er mit dem 

Kopf an die Wand flog. Dann warden die Genossen mit StOcken an- 

getrieben, sich gegenseitigzu schlagen, bis eiebluie- 

ten. Ich wurde von Lohse mit den Worten empfangen; cEndlich ha- 

ben wir dich, du Marxistenschweinx Darauf schlug er mir ins Gesicht 

vnd seine Kumpane folgten seinem Beispiel. Allen wurden 

Haare und Bart abgeschnitten, mir wurde ein Ha- 

kenkreuz zurechtgeschnitten. 

Einem Kommunisten schnitt man absichtlich mit der Schere in die 
Kase, wobei der FiLhrer brullte: <Schadet nichts, wenu Haut mitgeht, 
wir haben Verbandszeug>. Danach mussten wir etwa zehnmal durch 
Spaliere von SA-Leuten, die mit StScken und KnQppeln bewaffnet 
waren, Spiessruten laufen. Einige altera Leute brachen dabei zusam- 
men. Inzwischen war unter ungeheurem Siegesgebeul der 55jahrige 
Genoese Paul von Essen herbeigeschleppt worden. Er war 
seit langer Zeit erwerbslos, eben erst aus dem Krankenhaus gekom- 
men und auf einem Auge blind, Vater von vier Kindern und Kriegs- 
teilnehmer. Man echlug ihn erst ins Gesicht, dann riss man ihm die 
Hoaen hexunter und schlug ihn mit geradezu rasender W'ut mit 
Stocken und KnOtteln auf den entbloesten Ktfrper, bis er die Besin- 
nung verier Era SA-Fuhrer sagte dann: <So, ein Schwein ware fer- 
tic I* Genosse von Essen ist inzwischen den furchtbaren Verletzun- 
gen, die ihm seine PeinSger zufiigten, erlegen. 

330 



Oe^ene, die no* ^^'S^^^ 
8e3 stundenlang mitemander boxen^br m Eifef angetrie . 

jeder einzeln m ein s4*w J k0rp erlichen Misshandlungen. 

rait r S,a , Dd, turde £ de Sturmbannfiihrer Gerieke vorgefiihrt. 
Scbhesshch *urde ^ ^ ^^ ^ Q 

Ia , m fdarauf an diss ich einstweilen welter nicht xu schtagan .el, 
*' S die Un.ahrheit gosagt, so wurde Kb .M 



nt« Zeit ^de^e ^ — « Zelle au^sen der Stun. 

Lump -wirst heute fertiggemacM!> 

Man zerrte mich den Gang entlang zur Zelle meiner Schwiegermul- 
ter; wahrend mich zwei SA-Leute festhielten, wurde die SSJttnge 
Frau von Kobold und anderen mil Stocken geschlagen^ bts sie am 
Boden lag. Sie ist jetzt geistesgestort und befindet sich in einer An- 
stalt. Ich sah auch noch, wie die mir bekannten Briider Hasche, 
zwei' ganz junge Leute, grauenhaft geschlagen wurden. Diese^Miss- 
handiungen dauerten den ganzen Tag. Zur Ablosung kamen immer 
wieder neue Schlagerkoloanen. Urn 4 Ubr nachmittags wurde ich 
aus der Zelle geholt mit dem Befehl, sofort nach Hause zu gehen. 
Der Truppfiihrer Kobold fuhr mit drei SA-Leuten auf Motorra- 
dern voran. Ein SA-Mann, der mit mir Mitleid hatte, raunte mir zu, 
ich sollte ermordet werden. Mein Weg fttbrte durch den Wald, dort 
gelang es mir, zu entkommen.* 

Dieser Augenzeuge hat Stelling nicht unter den Verhafteten 
erkannt, da ihre Gesichter vollig entstellt waren. Nach einigen Ta- 
gen fischte man die Leiche von Stelling, in einen Sack einge- 
naht und mit Wunden bedeckt, im Finowkanal auf. Gleichzeitig 
wurden zwei andere unbekannte Leichen gelandet. Noch elf 
Manner waren vermisst. Am 12. Juli erfuhr man in Friedrichs- 
hagen, dass auch die Leiche von Assmann aufgefunden worden 
war. 

Die SA-Leitung hat diese «Nacht der langen Messer» bewusst 
organisiert, urn die steigende Unzufriedenheit der SA-Leute, die 
gerade zu jener Zeit auf Verwirklichung der «sozialistischen» For- 
derungen der NSDAP in einer «zweiten Revolution* drangten. 
durch Gewahrung ungehemmter Mordfreiheit abzulenken. So 
steigt gerade in den Tagen, in denen Hitler sich offener zu den 
Forderungen der grosskapitalistischen Kreise bekannte, die Zahl 
aer Morde in alien Teilen Deutschlandsl 

331 






Mordliste des „Dritten Reiches" 

Abgesclilossen am 29. Juli 1933. 

Mein Vater ist tot. Meine Mutter ist balb waho&innig. Ich bin 
auch nicht mehr ganz normal.* 

(Brief der Tochter eines ermordeten Arbeiters 
aus Deutschland.) 

Im Folgenden veroffentlichen wir einen Auszug aus unserer Liste 
der ermordeten Arbeiter und Intellektuellen. Uns Hegen Mitteilun- 
gen iiber mehr als 500 Morde der SA vor. Wir ubergeben heute da- 
raus 250 Mordfalle der Oeffentlichkeit. Wir stiitzen unsere Angaben 
auf amtliche deutsche Meldungen, auf Zeitungsberichte, die nicht 
dernentiert wurden und auf Aussagen von Zeugen, die vor uns oder 
unseren Vertrauensmannern erschienen sind. 

3* Marz 

Gerdes, kommunistischer Landtagsabgeordneter, Oldenburg, 
auf der Strasse erschossen (WTB). 

(Frankf. Z. 16. Marz: <Das Staatsministerhmi kann die Tat keines- 
wegs billigen. Es hat aber trotzdem das Verfahren gegen die in Haft 
geEommenen Personen niedergeschlagen . . .>) 

Unbekannter Kommunist, Homberg, Kreis Moers, durch Pi- 
stolenschuss getotet (WTB). 

(WTB: <Die Polizei bemerkt dazu, sie verraute T dass die Tater in 
Kreisen politischer Gegner zu suchen sind.>) 

Unbekannter Reichsbannermann, Bremen, auf der Strasse 
erschossen (WTB). 

Unbekannter Arbeiter, Bernburg, von Nationalsozialisten er- 
schossen (WTB). 

Gustav Segebrecht, Berlin, Liebenwalderstr. 44, im Lokal Ste- 
phan, Liebenwalderstr. 41, durch Schlagaderschuss getotet (Zeu- 
genbericht). 

Bernhard Wirsching, Berlin, Petristr. 8/9, in der Wohnung 
von SA erschossen (Zeugenbericht). 

Ebeling, Arbeiter, Magdeburg, in der Breckenstrasse durch 
Bauchschuss getotet (Zeugenbericht). 

Weiss, Oekonom des sozialdemokratischen Volkshauses, 
Worms, erschossen (Zeugenbericht). 

Ungenanntes Madchen, Worms, beim Ueberfall auf das Volks- 
haus getotet (Zeugenbericht). 

Fabian, kommunistischer Arbeiter, Kellinghusen, angeschos- 
sen, im Krankenhaus gestorben (WTB). 

332 



4. Mat 2 

Zwei angmannte Arbeiter, Koln, bei einer Schiesserei schwer 
verletzl, gesiorben (WTB). 

Ungenarmtes Mitglied der «Eisemen Fronh, Thaleschweile, 
aiif der Strasse erschossen (WTB). 

WTB: <Bei einem Werbe-Umzug aus dem VerkehrslokaL der Natio 
nalsoziahsten etwa 20 Schtisse abgegeben.>) 

Friedrich Marquardt. Diisseldorf, Behrenstr. 14, parteilos 
durch Querschiager geidiet (Zeugenberichl). 

5. Marz 

Klassen unci de Longueville. Oberhausen (Rheinprovinz), bei 
.■mem «Fluchlversuch» im Ho} des Realgymnasiums erschossen 
(WTB). Beide haben Schiisse von vorn (Augenzeuge). 

Warnicke, Quickborn bei Pinneberg, erschossen (WTB). 
(Brief an die Prau des Ermordeten: <Das schadet Ihnen garments, 
dass Ihr Mann ermordet worden ist . . . . Es dauert nicht lange, dana 
liegeo auch Sie und Ihr Sohn auf der Bahre.> Der Sohn iet 8 Jahre 
alt.) 

Ungenannter Reichsbannermann, Mitteldeutschland, erstochen 
(WTB). 

Zwei Bruder Bassy, Bankau, Oberschlesien, von SA ermordet 
(Zeugenbericht). 

Karl Tarnow, Berlin, Kolonie Frieden am Mariendorfer Weg, 
in Neukolln, Knesebeckstrasse, erschlagen (Zeugenbericht). 

6. Marz 

Grete Messing, Arbeiterin, Selb, auf der Strasse niederge- 
schossen (WTB). (Siehe Bericht.) 

Hans Bauer, parteiloser Arbeiter, Berlin-Moabit, aus SA-Ka- 
serne Friedrichstrasse 23A (Hedemannstrasse) nicht zuriickge- 
kehrt (Augenzeugenbericht). 

Friedlander, Backerlehrling, 19 Jahre, Berlin-Friedrichshain. 
Allensleinerstr. 11, in der SA-Kaserne Hedemannstrasse ermor- 
det (Berliner Tageblatt). 

7. Marz 

Bernhard Krause, kommunistischer Arbeiter, Wiesenau bei 
Frankfurt a. d. Oder, von SA erschossen (WTB). 

Zwei ungenannte Arbeiter, Hamburg, Ueberfall der SA avf 
Arbeiter. Getotcl warden zwei Arbeiter, schwer verletzt acht. . . . 
(WTB). 

333 



Ungenannter Arbeiter, Dusseldorf, bei einem Ueberfall in der 
Levetzowstrasse getotet (TU). 

8. M a r z 

Ungenannter kommunistischer Arbeiter, BiJlsLedt bei Ham- 
burg, bei *Fluchtversuch* erschossen (WTB). 

Philipp, Oekonom des Gewerkschaftshauses, Breslau, bei Be- 
setzung des Gewerkschaftshauses erschossen (WTB). 

Heinrich Sparlich, Bauarbeiter, Breslau, von Nationalsoziali- 
steen durch einen Messerstich in den Riicken und durch einen 
Schuss getotet (Deutsche Allgemeine Zeitung). 

Balschukat, Nitschmann und Preuss, Berlin -Schoneberg. Als 
Leichen aufgefunden im Machnower Forst am 11. Mart (Voss. Z.). 
(Siehe Bericht). 

Ungenannter kommunistischer Arbeiter, Bochum- Duster n, 
tote amtlich rnitgeteilt wird t . . . erschossen auf der Slrasse ge- 
funden (TU). 

Ungenannter Arbeiter, Bochurn, in der Nacht in seiner Woh- 
nung von 6 Unbekannten Mannern iiberfallen und niederge- 
schossen (TU). 

Bless, Reichsbannermann, Offenbach, bei SA-Ueberfall auf 
Wahllokal am 5. III. todlich verletzt, gestorben (Zeugenbericht). 

9. Marz 

Ungenannter Reichsbannermann, Munchen, als verweste 
Leiche aufgefunden im Munchner Gewerkschaftshaus. (Zeugen- 
bericht). 

(Es handelt sich offenbar um einen der am 1. Marz bei der Besetzung 
des Gewerkschaftshauses in der Miinchner Presse als cVermisst* g* 
meldeten Reichsbannerleute.) 
Landgraf, Verlagsdireklor, Chemnitz, bei Besetzung der 
zVolksstimme* erschossen (TU). 

Hellpuch, kommunistischer Arbeiter, Duisburg, im Stadtteil 
Diissen erschossen aufgefunden (WTB). 

10. Marz . , u 

Frau Bicks, 70jahrig, Berlin- Weissensee, \ngehongedes M- 
Slurmes Langhansstrasse schossen durch die ^^g*^^ 
durch Frau R. die ein Kind auf dem Arm trug, todlich verletzt 

wurde (WTB). 

Herrmann, Uhrmacher, Dresden, Fu # tion§r |n d ^/i^aS 
Hause totgeschlagen. (Zeugenbericht, erschienen in der mega 

Dresdner Arbeiterstimme). 
334 



Hans Saile, Werbeleiter, Braunschweig, bei Beselzung des 
tVolksfreund* erschossen (Zeugenbericht). 

Ullrich, luhrer der hessischen Sozialdemokraten, zu Tode 

misshandelt (Berliner Tageblatt). 

(Der Staatsprasident von Hessen, Herr Dr. Werner, hat an die Wit- 
we des erruordeten Ullrich eineu Beileidsbrief gesandt. Das <Berliner 
Tageblatt* versieht die Meldung iiber diese Blasphemie mit der Ue- 
berschrift <Eine ritterliche Handlung*.) 

Zivei ungenannte Arbeiter, Zschopau, von SA erschossen (Ber- 
liner Lokal Anzeiger). 

Alfred Petzlaff, kommunistischer Arbeiter, Berlin-Schoneberg, 
Nollendorfstr. 10, von SA aus der Wohnung geholt, der Leichnam 
wurde vollig entstellt im Laubengelande am Bahnhof Priesterweg 
gefunden (Zeugenbericht). 

Scheunflagel, Arbeiter, Bernau bei Chemnitz, durch «verirrte 
Kugel* getotet (Berliner Lokal Anzeiger). 

11. Ma r z 

Erich Meyer, Jungarbeiter, Spandau, totgescldagen (Frankf. 
Zeitung). 

(Wiener Arbeiter Zeitung, 25. Marz: <. . . 20 Nazi . . . kletterten 
auf das Dach der Wchnlaube . . . breiteten Strohbundel darauf au9 
. . . drohten die gauze Keionie in Brand zu sleeken . , .») 

Robert Dittmar* Arbeiter, Karlshorst bei Berlin, erschossen 
aufgefunden (Berliner Lokal Anzeiger). 

Ungenannter Arbeiler, Breslau, erstochen (TU). 

Forsler und Tandler, komrnunistische Arbeiter, Limbach bei 
Chemnitz, auf der Flucht erschossen (Zeugenbericht). 

Paul Krantz, Jungarbeiter, Limbach bei Chemnitz, auf der 
Flucht erschossen (WTB). 

(Zeugenbericht: <K. lehnte ee ab, den Aufenhalt des Vaters zu ver 
ratcn . . dermassen geschlagen, dass er bewusstlos zusammenbrach. . 
wieder zum Bewusstsein gebracht . . . wiederholte man die Tortux. 
Als er auch dann nichts verriet, wurde er an die Wand gestellt und 
erschossen. Der Morder ist der Nationalsozialist Molt z.») 

Ungenannter Mann, parteilos, Oppeln, auf der Rathaustreppe 
erschossen (Berliner Lokal Anzeiger). 

12. M a r z 

Stadtral Kresse, Sozialdemokrat, Magdeburg, im Wahllokal 
in Felgeleben erschossen (TU). 

Eichholz und Kaf/ier, Arbeiter, Tolkemith, auf der * Flucht y 
erschossen (TU). 

335 



Spiegel, sozialdeuiokralischer Rechtsanvvall Ki P i , n w „• 
nung aberf alien und ersckossen (WTB) 0/ '~ 

gefuhrt . . . minded vi er P er3 * « ^J^'^^ ^ 
von ihnen die Tat begingen di P T» w „ ' ' i Wahread *wei 

Nachbargrundstuck als AufSir'V) aadem V ° r eiae ™ 



13. Mar z 



UMtonrite Arbeiter. Elbing, i,n Meissnerschen Grund ».« 
eineni Kopfschuss tot aufgefunden (TU). m " 

14. Marz 

7 ffr "S- Schweinfurth, durch SA-Mann in «Notwehr» er- 
sckossen (TV). cr 

Ungenannter Arbeiter, Hamburg, durch Kriminalbeamte er- 
sckossen (WTB). 

Leo Krell, Redakteur, Berlin, totgeschlagen (Sielie Bericht). 

17. M a r z 

Zwei Unbekannte, Elbing, auf der tFluchh erschossen 
(Nachtausgabe). 

18. Marz 

Walter Scliulz, kommunistischer Arbeiter, Wittstock an der 
Dosse, im Gefdngnis ermordet (Zeugenbericht). 

Hans Sachs, Fabrikant, Chemnitz, erschossen (WTB). 

(Der Tag, Chemnitz, 19. Mara sMitdirektor der bekannten Trikotageo 
fabrik Marsehel Frank Sachs AG., hat sich gestern abend, als er ia 
Sehutzhaft genommen werden sollte, erschossen.?) 

Siegbert Kindermann, Berlin-Charlottenburg, Kaiser Fried- 
richstrasse, verschleppt in die Hedemannstrasse, totgeschlagen, 
aus dem Fenster geworfen (Berliner Tageblatt). 

Ungenannter Arbeiter, Berlin- Wedding, Gerichlstrasse, im 
SA-Lokal-Novalisstrasse erscblagen (Zeugenbericht). 

19. Marz 

Krebs, kommunistischer Arbeiter, Berlin-Moabil, Birken- 
strasse 54, von SA auf der Strasse erschossen (Zeugenbericht). 

336 



20. M a r z 

Giinther Joachim, Rechtsanwalt, Berlin, im Utap gefoltert, in, 
Staatskrankenhaas Moabit gestorben (Voss. Ztg.). 

Kurt Possanner, Berlin-Wicn, erschossen. Fememord? (Wie- 
ner Blatter). v 

(Wien, 21. Marz: <Vor einer Woche unter dera Verdacht unerwiinach- 
ter pohtischer Tatigkeit in Berlin verhaftet . . auf dem Transport 
an der Ssterreicfaiechen Grenze erschossen. Lange Zeit Verbindungs- 
offizier der deutschen mit den Ssterreichischen Nationalsozialisten 
rn der letzten Zeit mit der Fiihrung uberworfen.>) 

21. Marz 

Otto Sclz, Straubing, erschossen (Zeugenbericht). 

22. M a r z 

Walter Boege, Ebersbach, Verhaftet in Lobau bei Besetzung 
der sozialdemokralischen «Volkszeitung». Auf der zFlucht* er- 
schossen (Vossische Zeitung). 

Wilhelm Wenzel, kommunistischer Arbeiter, Essen, auf der 
Strasse erschossen (WTB). 

(Toss Z. 22. Marz: <In der Nacht zum Dienstag schoss ein Hilfspolt- 
zist den 29jahrigen W W. ana Essen nieder. W. starb kurz nach der 
Aufnahme im Krankenhaus.^) 

Dresche, Dresden, ermordet aufgefunden (Zeugenbericht). 

Paul Reuter, Berlin, Selchowerstrasse, von SA erschlagen 
(Zeugenbericht). 

23. Marz 

Erich Lange, ehemaliger SS-Mann, Gelsenkirchen, von SA er- 
schossen (Zeugenbericht). 

Franck, Milglied des Reichsbanners, Worms, Neffe des im 
Kriege gei'allenen sozialdernokratiscben Reichstagsmitglieds 
Franck, angeblich Selbstmord («Unsere Zeit»). 

(Zeugenbericht: cAus dem Belt geholt, misshandelt und in ei- 

nem Stall aufgehang t.») 

Herbert Pangeritz t Arbeiter, Berlin N, Bergstrasse 78, miss- 
handelt, kurz nach Einlieferung ins Urban-Krankenhaus gestor- 
ben (Zeugenbericht). 

(Der arztlicbe Totenschein besagi: cDer Tod ist infolge von schweren 
inneren Verletzungen, infolge Zertretens der Blase und Zertriim- 
mening der Schadeldecke erfolgt.») 

337 



24. Marz 

Frau Arbets, Arbeiterin, Gladbach-Rheydt, bei einem tFlucht- 
uersuch* erschossen (TU). 

(Ueberschrift des Volkischen Beobaehters : cEi n Kommuni- 
stenweib erschoese n.>) 

Erich Perl Jungarbeiter, 17 Jahrc, Leipzig, nach Entlassung 
aus der Nazi-Kaserne auf der Slrasse erschossen. (Zeugenberichl). 
(Zeugenbericht: <Die Nazis bildeten Spalier, durch welches die Ar- 
beiter hindurch mussten, wobei sie nochmal Priigel erhielten. Als 
sie die nachete Ecke erreichten, fielerj eine gauze Reibe von Revol- 
verechussen . . . Perl wurde mit 5 Bauchschtissen, eiaem Lungen- 
schuss, Schenkel- und Armschiissen ins Krankenhaus eingeliefert 20 
Stunden spSter ist er gestorben.*) 

Haus, Landrat a. D., SPD, Dortmund, im Strassengraben in 
Eichlingshofen erschossen aufgefunden (Frankfurter Zeitung). 

25. Marz 

SPD-Bezirksvorsteher, Berlin- Wedding, misshandelt, im 
Krankenhaus gestorben (Zeugenbericht). 

(<. . .gezwungen, eine Rede in faschistschem Sinne zu halten. Als 
er dies ablehnte ... an den Ftissen gepackt . . . schleiften ihn aus 
dem 3. Stockwerk iiber die Steintreppen auf die Strasse . . .>) 

Frau Muller, Aue, Sachsen, misshandelt, angeblich Selbst- 
mord (Zeugenbericht). 

27. M a r z 

Neumann, Warenhausbesitzer, Konigsberg, uberfallen, ge- 
schlagen und als Zielscheibe benulzl (TU). 

(Zeugenbericht : <Die Wunden wurden . . . Salz und Pfeffer be 
streut. Nach 6einer Belreiung wurde er in ein Krankenhaus in Berlin 
uberflihrt, wo er starb.*) 

Grotehenne, Braunschweig, Telegraphenmonleur, Mitglied des 
Reichsbanners, im SA-Lokal erschlagen (Siehe Bericht). 

Rechtsanwalt Dr. Max PlauU in Kasseler Nazikaserne (Biirger- 
sale. Karlslrasse) wegen einer personlichen Feindschaft mit seinem 
Nazi-Kollegen, dern jetzigen Unterstaatssekretar Freisler, auf 
dessen Befehl zu Tode gepriigelt (Zeugenbericht). 

Max Bilecki, Schoneberg, Hauptstrasse 18, in der SA-Kaserne 
General-Papestr. gefoltert, im Urbankrankenhaus gestorben (Zeu- 
genbericht). 

338 



29. M a r z 

Walter Schiitz, Konigsberg, kommunistischer Reiclislagsab- 
geordneter, tolgetreien. Keine deutscho Zcitung darf seinen Tod 
bekannt geben. (Siehe Bericht.) 

30. M a r z 

Fritz Rolle, Arbeiter, Siemensstadt, erstochen auf gef unden 
(\VTB). 

fVoss 2. 30. Marz: < . . . durch mehrere Stiche in die rechte Brust 
Ltotet . . . Der Tote wies auch Verletzungeu am KopF auf, die dur^b 
einen Fall entstanden sein kunnten ... Da em Suchhund vergebLich 
eingesetzt wurde, ist auzunehmeu, dass die Morder ein Auto benutzt 

uaben.*) 
Leibl Vollschldger, Berlin SO, Skalitzerstrasse, verschUppt, 
ermordel, ins Wasser geworfen (Zeugenbencht). 

(<Der auslandische Jude L. V. wurde beirn Betreten einea Restau- 
anS von SA-Leuten verschleppt und war dann 3 Tage ™»»«>»f £ 
Am 4 Tage wurde sein Leichnam aus der Spree geborgen. Das Be- 
grabnis fand am 30. Marz in Weisaenaee statu) 

Unbekannter Jade, in Oberhessen, an den Fiissen aufge- 
hangl und dabei gestorben (Manchester Guardian). 

Wilhelm Potter, Backer, und Karl Gormann k«J™2J^S 
Arbeiter, Woldenberg (Neumark), auf der *Fluchh erschossen 

(Voss. Zlg.)- 

Wilhelm Dengmann, Huttenarbeiter, Meidrich-Duisburg- 

Hamborn, auf der Strasse erschossen (Voss. Mg.). 

(Voss. Z. 1. April C . . tot aufgefunde. Die Le.c e = v£ 
Sehusse auf. Nach den Tatumstanden rnus D. «»« der 

folgt und von hinten erschossen worden sein. UeDer 
Tat fehlt jeder Anbaltspunkt.i) 

Vngenannler 23jal,riger ^f^^^^* 
auf der *Flacht> erschossen (Munchner Neueste m ^ ^^ 

CM.NN. 1, April: « . . . in Schutzha »•••££ Anruf nioht st, 
naob Landsberg gebradit. Da er auf^ dreimali^n 
hen blieb, gab die BegleitmanMchaft Feuer.JJ 
Frit, Schumm, Rechtsanwalt, Kiel, in der Gefangnisselle 
erschlagen (TU). (Siehe Bericht) 

339 



Pressburger, Viehhandler, Miinchen, erschossen, angeblich 
Selbstmord vor der Verhaftung (Munchner Neueste Nachrichten). 

(M.N.N. 1. 4.: cAm Sonntag frQh totete sich der judische ViehhSndler 
P. durch einen Revolver6chuss in den Kopf. P. hatte verhaftet wer- 
den sollen, da er wegen Verbreitung von Judengreuelnachrichten uu 
?er schwerem Verdacht stand. >) 

2. April 

H. Wertheimer, Kehl, angeblich Schlaganjall vor der Ver- 
haftung (WTB). 

3. April 

Paul Jaws, Schmied, Limbach bei Chemnitz, auf der tFlucht* 
erschossen (TU). 

Ungenannter Steindrucker, Augsburg, angeblich Schlaganjall 
bei der Verhaftung (TU). 

Georg Bell, Ingenieur aus Miinchen, engster Mitarbeiter des 
Braunen Hauses und des SA-Stabschefs Rohm, fliichtete vor der 
Nazifenie nach Oesterreich und wurde im Gasthof Durchholzen 
bei Walchsee (Bezirk Kufstein) von SA*- Leu ten erschossen (Conti- 
WTB). (Siehe Bericht.) 

4. April 

Heinz Bassler, Diisseldorf, auf der zFlucht* erschossen 
(WTB). (Siehe Bericht.) 

Wilhelm Drews, Arbeiter, Berlin, erschossen aufgefunden 
(Voss. Ztg.)- 

Dr. Philippstal, Berlin-Biesdorf, Arzt, tolgeschlagen (Berliner 
Tageblatt). 

(Zeugenbericht : :Ph. wurde nachts aiw der Wohnung geholf. in einer 
SA-Kaseme misshandelt, ins Urbankrankenhaus gebracht. Ein paar 
Stunden, bevor er starb, brachte man ihn in die Charity, w ei 1 sich 
diese Fa lie im Urban-Krankenhaus z u sehr 
h a u ? en.>) 

5. April 

Renois, kommunistischer Stadtrat. Bonn, auf der «Flucht» er- 
schossen (TU). 

(Zeugenbericht: * . gefoltert. . . bis zux Uiikenntliehkeit ReBCbla- 
gen. . . als Zielecheibe benutzt. Am Morgen ersebienen Schupo- 
Beamte . . . erklarten der Frau des Ermordeten: Wir kormten es 
nicht verhindem, wir haben nichts damit zu tun.») 

340 



Saner. Zubachwitz, Kalkulalor, Mitglied der SPD, Im Kon- 
zentrationslager erschlagen (Neue "Welt). 

(N. W. 12. April: Wurde im Konzentrationslager Hohensteiu zu Totle 
gepriigelt und am 5. April beerdigt.) 

Wilhelm Drews, kommunistischer Arbeiter, Hamburg, aut der 
Strasse erschossen (TU). 

(Volkischer Beobachter. 7. April : <Im pol. Streit, Mittwoch aachta 
wurde in der Humboldstr. in Hamburg ein Arbeiter gelegentlieh einer 
politiscben Unterhaltung von hinten angescho8sen.> _ Presaedienst 
der SP-Schweiz: *. . . wurde auf dem nSchtlichen Heimweg von einera 
Nazi gestellt. Gleichzeitig schlichen zwei SA-Leute von hinten an den 
Arbeiter heran und versetzten ihm mehrere DolchsWese in deo 
Riicken . . . mehrere Personen Zeugen dieses feigen Mordes . . .*) 

6. April 

Max Niedermayer, kommunistischer Stadtverordneter, Jo- 
hann Georgenstadt (Sachsen), im Zwickauer Gefangnis erschlagen 
(Zeugenbericht). 

Kurt Friedrich, kommunistischer Arbeiter., Johann Georgen- 
stadt (Sachsen), erschossen (Zeugenbericht). 

(«Der Sturmfiihrer Koch mit seinem beriichtigten Limbacher <Mord- 
6turra> hauste auch in Johann Georgen-Stadt. Viele flohen in den be- 
nachbarten Wald. Er wurde umstellt, und K. F. erhielt einen K*opf- 
echuss.>) 

7. April 

Herschmann Steinschneider (Erik Jan Hanussen), Berlin, 
Fememord (TU). (Siehe Bericht.) 

8. April 

Ungenannter Arbeiter, Berlin-Neukolln, Ganghoferstr., von SA 
erschlagen (Zeugenbericht). 

9. April 

Walter Kasch, Hamburg, von SA in der Laube iiberfallen und 
erschossen. 

10. April 

Fritz Engler, unpolitischer Frisor, Chemnitz, im Zeisigwald 
zu Tode gefoltert (Zeugenbericht). 

11. April 

Max Rupf, Angehoriger des Reichsbanners, Chemnitz, er- 
schossen aufqefunden (TU). -.. .. 
(Berliner B&rsen-Zeltung, It. April: <In Neukirchen be, Chemmtz 
wurde ein Waffenlager entdeckt. Da Rupf Eenntnis davon hatle, nucn- 
tete er Er wurde spfiter erschossen aufgefunden.*) 

341 



Dr. Arthur Weiner, Rechtsanwalt, Chemnitz, erschossen auf- 

gefunden (Frankf. Ztg.). 

Alwin Hanspach, kommunistischer Arbeiter aus Frieders- 

dorf bei Zittau, in der Schutzhaft erschossen (TU). 

(Voss. Z., 11. April: <. . . versuchte, in den Schiafraum der SS einzu- 
dringeu ... als ihm ein SS-Mann eutgegentrat, wollte er ihm die 
Waff e entre.issen. Der SS-Mann gab einen Sctareckscbues ab, un<j als 
H. nicht von ihm liess, feuerte er einen soharfen Schuss, durch den H. 
ttfdlich getroffen wurde. Die Frau dea Erschossenen befindet sieh 
seit gestern wegen kommunistischer Urntriebe in Schutzhaft.> — 
Frankf. Z., 12. 4. behauptet sogar, H. sei dem SS-Mann emit der Waffe 
entgegengetreten!> Die 6ich widersprechenden Berichte offeobaren 
die Plumpheit der Erfindung.) 

12. A p r i 1 

Rechtsanwalt Benario, Artur Kahn. Kaufmann aus Niirnberg, 
Erwin Kahn, Kaufmann aus Niirnberg, Goldmann, Kaufmann aus 
Nurnberg, im Konzentrationslager Dachau «auf der Fluchi er- 
schossen* (WTB, Deutsche Allgem. Ztg. etc.). 

(Zeugenbericht aus Munch en: cAlle vier wurden von vorn er- 
schossen. Die Beerdigung durfte in keiner Zeitung bekannt gege- 
ben werden, niemand wurde auf den Friedhof gelassen.s) 
Fritz Kollosche, Charlottenburg, im Ronlgental-Prozess frei- 
gesprochen, in der SA-Kaserne Rosinenstr. gefoltert, im Kranken- 
haus gestorben (Zeugenbericht). 

13. A p r i 1 

Albert Janka, kommunistischer Reichstagsabgeordneter, «an- 
geblich Selbslmord (WTB). 

(Baseler National-Zeitung, 18. April, WTB: <Der 26jahrige fruhere 
kommunistische Reichstagsabgeordnete Janka, der sich in Schutzhaft 
befand, hat sich im Qefaugnis erhangt.> Die faschistische Presse mel- 
dete AnFang Marz, Janka sei zur NSDAP iibergetreten, wobei jedoch 
nur der Wunsch der Vater des Gedankens war. J. wurde wochen- 
iang bearbeitet, seinen Uebertritt zu erklaren. Weil er etandliaft blieb 
und die Luge nicht durchgehalten werden konnte, ist er im GefHngnts 
ermordet worden.) 
Gustav Schonherr, Arbeiter, Hamburg, Alter Steinweg 71, zu 

Tode qefoltert. , , , . M 

(Brief des Vateis an den Propagandaminister Goebbels, erschienen 

am 19. 5. in der Saarbriieker Arbeiter-Zeitung.) 

15. April 

Spiro. Jude, 17 Jahre, Berlin, Schonholzerstr 17, ^^™™ 
Prinzenstr. 100 gefoltert, tn der SA-Kaserne Hedemannstrasse er 
mordet (Zeugenbericht). 

342 



f» K 



Bretschneider, Siegmar (Sachsen), erschossen aufgefunden 
(WTI3). 

(Der Tag, 16. April; <Der Autifafiihrer Bretschneider ist ira Walda 
unweit von Siegmar erschossen aufgefunden wordcro) 

17. April. Am Ostermontag wurde der jiidische Kaufinann 
Schneider aus Munchen, Aventinstrasse, in der Munchener Poli- 
zeidirektion getotet. Der PoJizeiarzt, der die Untersuchung im 
Polizeigcbaude vornahm, stellle erne Durchschlagung des Gesass- 

knochens lest. 

18. April 

Beigeordneter Beyer, Krefeld-Uerdingen, erschossen aufge- 
funden (Voss. Ztg.). 

Richard Tolleit, kommunistischer Arbeiter, Konigsberg, auf 
der *Flucht* erschossen (Frankf- Ztg.)- 

Ungenannter kommunistischer Arbeiter, Konigsberg, auf der 
tFlucht* erschossen (TU). 

(Frankf. Z., 20. April: <Bei Durchsuchung einer Wohnung im Wa fi- 
ring, in der Kommunisten eine Versamrnlung abhielten. ergriff ein 
Teilnehmor die Flucht. Da er der polizeilicheu Aufforderung. stehen 
zu bleiben, nicht Folge leistete, wurde gescho6sen. Er wurde todlieh 
getroffen und starb auf dem Transport ins Krankenhaus.*) 

19. April 

Ungenannter Bahngehilfe, Munchen, von hinten erslochen, an- 
geblich Selbstmord (Miinchncr Neueste Nachr.). 

Alfred Elker. ein Christ, wegen seines jiidischen Aussehens 
von SA. erschlagen (Zeugenbericht). 

D-ie <Leipziger Neuesten Nachrichten* registrieren dieses Ereignis 
nur im Anzeigenteil auf folgende Art: 



Statt jeder besonderen Anzeige. 

Alfred Elker 
geboren 26. 9. 86. geetorben 19. 4. 33 

Durch ein Missverstiindnis wurde mir 
mein Mann entrissen. 

Um stilles Beileid bittet 
Martha Lotte Elker*' geb. Weinert 
nebst AngehSrigen. 



20- A pril | 

KaminskU Dortmund-Hoerde, Mitglied des Kampfbundes ge- 
gen den Paschismus. im Gefdngnis totgeschlagen (Zeugenbericht), 

(<In der Hoerder SA-Kaserne wurde er in grauenhaftester Weise ge- 

343 



folteri, sodass man straaaenweit sein 3chreien h6rea konnte . . . Eb 
durfte keiae Todesanzeige in der Zeituag ver- 
of fentlicht werden . . , BegrSbnis unter Aussctaluss der 
Oeffeiitlichkeit , . . nur die niicbsteu Angehfirigen zugetassen . . . Ei 
nige Tage spiiter erschiea eine illegale Zeitung, der Dortmunder 
E£&mj»fet», in der von der Arbeiterschaft der Dortmunder Poli- 
zeipriisident Seheppmann als der iviorder Kaminkie angeprangert 
■wurde.>) 

21. April 

Fritz Dressel, Schreiner, Vorsitzender der kommunisllschen 
Landtagsfraktion, angebliaii ^Selbstmord*, laut Zeugenbericht im 
Konzenlrationslager Dachau ermordet. (Mfinchener N. Nachr.).. 

22. April 

Max Kassel, Milchhandler, Wiesbaden, in der Wohnung er- 
schossen (Deutsche Attgem. Ztg.). 

Salomon Rosenstrauch, Kaufmann, Wiesbaden, in der Woh- 
nung ermordet (Deutsche Allgem. Ztg.). 

Paul Papst, Arbeiter, angeblich Selbstmord in SA-Kaserne 

(Germania). 

(Germ. 29, April: <Nach Verhaftung im Haus der SA-Gruppe Berlin- 
Brandenburg aus dem Fenstergesprungen. Schwerer Bruch 
der Wirbelsaule. Verstarb.>) 

23. April 

Polizeiwachlmeister Kurt Benke, SA-Mann, Berlin, anschei- 
nend Fememord (Angriff). 

Paul Ilerde, Arbeiter, Liibben, erschossen (Voss. Ztg.). 
(Deutsche Allg. Z., 25. 4. <... ein Bahnschutzmann verfolgte H... rief 
ihn an und erkliirte ihn ah festgenommen. H ging mit, riss sich jedoch 
nach kurzer Zeit los und fliichtete. Der Bahnschutzmann rief ihn 
dretmal an, H. stand jedoch nicht. Auch auf eineri Schreckschuss ain 
lief er weiter. Der Bahnschutzmann schoss nun auf den Fluchtenden 
und traf ihn durch den Riicken ins Herz.») 

Franz Schneider, antifaschistischer Arbeiter, Goch (Rhein- 
land), angeblich Selbstmord in Gefangenschaft (Voss. Ztg.). 

(Voss. Z., 24. April: <S., der in Schutzhaft zur Vernehmung vorge- 

fiihrt werden sollte, sprang von der 2. Etage in den 8 m ttefen Licht- 

schacht. Er erlitt so schwere Verletzungen, dass er kurz darauf starb.>) 

Konietzny, kommunistischer Arbeiter, Oelsnitz (Erzgebirge), 

angeblich Selbstmord in Gefangenschaft (Voss. Ztg.). 

(Voss Z.. 25. April: *...hat sich in seiner Zelle erbangt...*) 

24. April 

Ungenannter Laubenkolonist, Horner Moor, geteert und ver- 
brannt wie die Christen unter Nero, angeblich Selbstmord (V61- 
kischer Beobachter, 25. April). (Siehe Bericht). 

344 




Verhaftete Arbeiter, Frauen uml Kinder 

wrten stundenlang mit erhobenen Handen auf ihren Abtransport vor 
eiaer Breslauer SA-Kaserne. 




Strafexpeditiou der HS gogen <l;is Arbeitervi&rte] DfisseMorf-Bilh 

ttuaderte Arbeiter wurden verh&ftel mid tore ht bar misshaudelt. Dor juniro 
Arbeiter aul dem Bilde rechte wurde derart getretem, daae er nichi mebr 
tahig war, die Araie Ml beben. 



/ 




} 




Von \jizis zerstOrte ArlM'iterwoIuiuiigen in Chemnitz uml Frankfort am Main 




Cordes und Sohn, Handler, Wittruund bei Bremen, bei einem 
Pogrom erschosscn (WTB). 

(Bremer Zeitung, 24. April: <In der Nacht zum Montag wurde der 
jiidische Handler C. ; aus seinera Hause geloekt und diirch drei 
Schttsse gettftet. Seine Frau wurde zu Boden geschlagen. Der 24]&hrige 
Sohn wurde im Belt durch einen Schlafensehiiss getdtet.s) 

25. April 

Mendel Haber, Kaufmann, Dortmund, erschossen, ins Wasser 
geworfen (Dortmunder Generalanzeiger). 

(Rote Erde, Organ der NSDAP, 28, April; <Der Jude Ii. wurde von 
SA feetgenommen und in die SA-Kaserne eingeliefert...* Am 6. Mai 
stand in samtlichen Dortmunder Tageszeitungen die Nacbricht von 
einer Leiche, die im Kanal bei Castrop-Rauxel angeschwemmt wur- 
de. Frau H. erkannte in dein Toten ihren vermissten Mann. Er hatte 
mehxere Kopfsehibsse, Messerstiche, etc. Obwohl die <Rote Erde> die 
Verhaftung Habere am 25. April eingestanden hatte, erachien am 19. 
Mai im Dortmunder General Anzeiger ein Artikel mit der Ueber- 
schrift: ^Tausend Mark Belohnung — Raubmord an Dortmunder 
Handler — Wer hat den Toten am 25. April gesehen?*) 

Zwei ungenannte Arbeiter, Heil (Lippe), Leichenfund (Y6I- 
kischer Beobachter). 

(V B., 25. April: <In Heil wurden aus dem Lippe-Seitenkanal zwei 
mit Stricken zusammengebundene mannliche Leichen geborgen. Beide 
wiesen erhebliche Kopfverletzungen auf. Es handelt sich urn zwei 
Personen aus dem Arbeiterstand.*) 

Granitza, Arbeiter, Konigsberg, auf der tFlucht* erschossen 

(Nachtausgabe). 

(Stuttg. Neueg Tagbl., 2ti. 4. <G. wurde in der Nacht zum Dienstag aus 
KOnigsberg nach Deutsch-Eylau zu einer Gegeniiberstellung gebracht. 
Kurz\'or Elbing sprang G. aus dem fahrenden Zug. Er wurde be- 
schoesen und durch einen Lungenschues getdtet). 

26. April 

Willy Plonske, Arbeiter, Berlin, Manteuffelstr. 97, Leichen- 
fund CAngriff). 

(Angriff, 27. April: < ... an der Kanalbriicke. Wuppertaleretrass* 
in Teltow eine treibende Leiche . . . Dex ratselhafte Tod dieses Uu- 
bekannten konnte nodi nicht geklart werden.* — Voss. Z., is. Mai. 
<Die Leiche eines Mamies, der aus dem Teltowkanal geborgen werden 
konnte. konnte jetzt identifiziert werden.>) 

27. A p r i 1 

Erwin Volhmar, Berlin-Neukolln, Boxer. Angeblich «unpo- 
litischer Totso.hlag». Auf der Strasse erschossen (Angnlt). 

345 



28- April 

Ungenannter Mann, Wollenberg, Kreis Oberbarnim, erschos- 
sen und verbrannt (Frankf. ZtgJ 

(B-ericht der Mordkommission Prenzlau: <Die Leiche war mit Ben- 
zin Ubergoesen und angezUudet worden. Mehrere Blutlachen deuten 
darauf bin, dass der Fundort auch der Tatort ist und dase daa Opfer 
lebio, als man es anziindete.>) 

Funk, kommunistischer Reichstagsabgeordneter, Dortmund, 
im Gefangnis ermordet, angeblich Selbstmord (Angrit'f). (Siehe 
Bericht). 

Fritz Gnmbert, kommunistischer Arbeiter, Heidenau, nach 
wochenlanger Poller totgeschlagen, am 28. April beerdigt. (Siehe 
Bericht). 

29. April 

Unbekannter Mann, bei Werneuchen in der Mark ermordet 
aufgefunden (WTB). 

30. April 

Hackstein, kommunistischer Arbeiter, Grevenbroich, auf der 
*Flucht» erschossen (Koln. Ztg.). 

(Koln. Z., 2. Mai: <H-, der seit Fastnacht fliichtig ist und wegen Hocfa- 
verrats gesucht wurde, wurde am Sonntag von der Polizei und Hilfa- 
polize-i aufgespiirt und auf der Flucht erschossen.i) 

Andres v. Flotou, deutschnationaler Landwirt, Mitglied des 
Reichswehniiinisteriums, von SA verhaftet und in Ncubuckow 
bei Schwerin (Mecklenburg) auf der «Flucht» erschossen (Conti). 

Ende April 

Ungenannter Arbeiter, Ebersdorf (Sachsen) und Heinz Gold- 
berg, roter Sportier, Niederkunnersdorf bei Lobau, im Keller des 
«Hermann-G6ring-Hauses» in Lobau erschossen (Zeugenbericht). 

Ende April wurde in Dachau der fruhere Sekretar der «Roten 
Hilfe» Karl Holy getotet. Vierzehn Tage nach seinem Tode er- 
schien in der «Mixnchener Zeitung» ein von ihm unterzeichneter 
Brief iiber die gute Behandlung in Dachau. 

2. Mai 

Rodenstock f sozialdemokratischer Sekretar der Kommunal- 
arbeiter und zwei unbekannte Gewerkschaftsbeamte im SA-Heun 
Duisburg, Wittekindstrasse gefoltert und erschlagen (Zeugen- 
bericht). 

Danziger, jiidischcr Kaufmann aus Duisburg-Hamborn, nachts 
von SA-Leuten uberfallen und derart misshandelt, dass er kurz 
darauf starb (Zeugenbericht). 

346 



3. Mai 

Dr. Ernst Oberfohren, Vorsitzender der Deutschnationalen 
Reichstagsfraktion, in seiner Kieier Wohnung tot aufgefunden. 
Die deutsche Presse meldet seinen «Selbstmord». In Wirklieh- 
keit handelt es sich urn einen Femeniord der SA. weil Oberfohren 
eiiie Denkschrift uber die wahren Reichstagsbrandstifler versandt 
hatte (Zeugenbericht). 

4. Mai 

Ungenannter Stahlhelmer, Berlin, im SA-Lokal iSturmvogel* . 
Malmoer-Ecke Uckermiinderstrasse, erschossen (Arbeiter-Zeitung 
Saarbrucken). 

5. M a i 

Simon Katz, Handwerker, polnischer Staalsbiirger, zu Tode 
geprigell (Zeugenbericht). 

(Berlin, 5. Mai: < ... die Leiche aus der Spree herausgefischt. Die 
Leiche wies viele Verletzungen auf. Nationalsozialisten hatten K, 
nachdem sie ihn zu Tode geprugelt, in die Spree geworfeu.>) 

Ungenannter Mann, Potsdara-Geltow, eingeschniirt ins Was- 
ser geiuorfen (Voss. Ztg.). 

(Voss. Z., 5. Mai; <Im sog. Grashora bei Geltow . . . mannliche Lei- 
che geborgen, deren Uuterkorpex in eine graue Miiitardecke gehullt 
und mit Bindfaden verschaiirt war. Beine und Knie waren zusam- 
mengebundeo. Ueber den OberkSrper war ein rotgestreifter Bettiiber- 
zug gezogen . . , muss etwa seit Mitte April im Wasser gelegen ha- 
ben . . .») 

Spangenberg, kommunistischer Arbeiter, Bredereiche (Kreis 
Templin), angeblich Selbstmord im Gefangnis (Voss. Ztg.). 

(Voss. Z., 6. Mai: <rn seiner GefSngniszelle im Amtsgericbt Prenzlau 
.... Selbstmord durch Erhangen.>) 
Ungenannter Farberei- Arbeiter. Sagan, angeblich Selbstmord, 
im Gefangnis ermordel (WTB). 

6.Mai 

Ungenanntes Mddchen, Grossen, Leichenfund CAngriff). 
(Angriff, 8. Mai: c . . . die Leiche eines noch unbekannten Mfid- 
chens. Sie tag in der Nfifae der Chaussee in einer Kiefernschonung. 
Spuren deuten daraufhin, dasa die Unbekannte mit einera Auto 
dorthin gebracht.... Anscheinend ist das Mfidchen er- 
d r o e 8 e 1 1 worden.>) 

8. Mai 

Dr. Eckstein, Fiihrer der Sozialistischen Arbeiterpartei, Bres- 
lau, zu Tode gefoltert (WTB). (Siehe Bericht). 

347 



9. M a i 

Dr. Meyer, judischer Zahnarzt, aus Wuppertal von SA-Leuten 
festgenommen und in das Dusseldorfer SA-Heim verschleppi Dor 
wurde er lebensgefahrlich imsshandelt und verstummelt, dann im 
Auto nach der Mohne-Talsperre gefahren und ertrankl fZelT 

Dusseldorfer Freunden wurde anonym mitgeteilt, dass fur den Fall, 
dass diese Begebenheit veroffeatlicht wurde, zehn weitere Juden 
<dran glauben miissten.*) 

Galinowski, Arbeiter, Allenstein, auf der «Fluchh erschossen 
(WTB). 

10. Mai 

Ungenannter Jungarbeiter, (Roter Sportier), Berlin-Wedding, 
in der SA-Kaserne-Hedemannstrasse ermordel, mit durchschnit- 
tener Kehle aus dcm Spreekanal gezogen (Zeugenbericht). 



11. Mai 



■■ 



Biedermann, sozialdemokratischer Reich stagsabgeordneter, 
Hamburg, angeblich Selbstmord (Frankf. Ztg.). 

(Havas. Essen, 11. Mai: <. . . . in der Nahe des Bahnbofs Reckling- 
hausen auf den Eisenbahngeleisen aufgefunden ....») 

Gliickow, kommunistischer Arbeiter, Berlin 0, Palisadenstr. 9, 
gefoltert, im Hedwigskrankenhaus gestorben (Zeugenbericht). 

(Auf dem Totenschein ist angegel>en: <Innere Verblutung infolge 
von Gewa3ttaigkeiten.>) 

12. Mai 

Sepp Goetz, kommunistischer Landlagsabgeordneter, im Iion- 
zentrationslager Dachau ermordet nach wochenlangen Misshand- 
lungen. (Bericht eines aus Dachau entflohenen Augenzeugen.) 

13. M a i 

Ungenannter SA-Hilfspolizist, Kiel, erschossen aufgefunden 
(Frankf. Ztg.). 

(Frankf. Z., 14. Mai: <In einem Geholz am Kaiser Wilhelm-Kanal in 
Kiel . . . steht noch nicht fest, ob Mord oder Selbstmord . > 
Fememord. Nacb Zeugenbericht hat der Erschossene in einem Nazi- 
Lokal die Frage gestellt, wann die Relchsregierung daran denke, mit 
ihren grossen Versprechungen ernst zu machen.) 

Henseler, kommunistischer Arbeiter, Diisseldorf, erschossen 
(Germania). 

348 



15. M a i 

Dr. Alfred Strauss, Munchen, Rechtsanwait, 30 Jahre natio- 
naldeutscher Jude, auf Befehl seines Kollegen Frank 11, des bav- 
rischen Justizministers verhaftet, schwer misshandelt, erschlagen 

(Zeugenbericht). 

~Ungenannter Stahlhelmer, Berlin. Rei einem Platzkonzert des 
Stahlhelms von SA uberfallen und erslochen (Zeugenbericht). 

Paleiti, Berlin- Schaneberg, zu Tode gefollert (Zeugenbericht). 
(<Auf die Brust und den RiLcken wurde ihm das Hakenkreuz einge- 
brannt, dann wurde er derart gepriigelt, dass ihm die Nieren abge- 
trennt wurden. Kurz darauf erlag er seinen Verletzungen.>) 

17. M a i 

Hermann Riedel Gladbeck angeblich Selbslmord (Der Tag). 
(Der Tag, 17. Mai: <In G. erbangte eich der ehemalige Spartakisten 
fiihrer R., der wahrend der roten Wirren der ersten Nachkriegszeit 
im Emscher-Lippe-Land eine Rolle spielte.>) 

Johannes und Wtlhelm Bardt, Duisburg, erschlagen (D. Tag). 
(Der Tag, 17. Mai: <. . . von Unbekannten uberfallen 
und lebensgefahrlich verletzt . . . ringen mit dem Tode.> — Inzwi- 
schen verstorben.?) 

18. M a i 

Ungenannter Mann, Berlin, angeblich Selbslmord (Voss. Ztg.). 
(Voss. Z.. 18. Mai: *Polizeibeamte bargen am MaybachuFer die Leicbe 
eines Mannes aus dem Wasser, der offenbar vor liingerer Zeit Selbet- 
mord veriibt hatte. Die Personalien konnten noch nicht ermittelt 
werden.*) 

Honkstein, Grevenbroich, auf der «Flucht» erschossen (WTB). 

19. M a i 

Leonhard Hausmann, koramunistischer Funktionar, im Kon- 
zenlrationslager Dachau auf der *Fluchh erschossen (WTB). 

20. M a i 

Arthur MMler, Reichsbannerarbeiter, wurde von Nazis im 
Auto entffihrt und in der Nazi-Kaseme Berlin-Schoneberg, Ge- 
neral Papestrasse gemartert und erschlagen (Zeugenbericht). 

(«Die Leiche vollig entstellt Der Schadel eingeschlagen, da? rech.c 
Auge ausgelaufen. Das ganze Gesicht war zerfetzt, der Korper iiber 
und ttber mit Striemen und Blutgerinnsel bedeckt. Ein Arm an zwei 
Slellen gebrocben.*) 

25. Mai 

Schloss, Kaufmans aus Nfirnberg. erschossen (Zeugenbericht). 

349 



26. M a i 



Gromann, Kunstmaler in Duisbura, wird von S<* T ,»,« 
Kalkumer Waldchen erschossen, Die M6rd« hefS an'den I " T 

JSLhS Den Zelteh <iZUm And6nken an ScWaget^Tz^t 
27. M a i 

Franz Lehrburger aus Nurnbcrg, 29 Jahre alt, im Dachauer 
Konzentrat.onslager auf der <Flucht> erschossen (FrKS 

iSirrS 1 ' 1 ^- ^^ , EUerD erhiellen einen vergiegelten Sarg unci 
durften ifan be. Androhung schiirfster Strafen nicht Mtaea*) 

29. M a i 

Wilhelm Aron, Referendar aus Bamberg, 24 Jahre alt Reichs- 
banner, in Dachau auf der *Flucht* erschossen (Bamberger Zei 
lung). 

E n d e Mai 

Zwei kommunistische Arbeiter, im Konzentrationslager Sieg- 
burg erschossen (Zeugenbericbt). 

8, Juni 

Oppositioneller SA-Mann, Dusseldorf, beim Flugblattver- 
teilen erschossen (Dortmimder General Anzeiger). 

(Eine Bekanntmachung doe Dusseldorfer Polizeiprasidenten vom 
10. Juni sagt daruber: clu den letzten Tagen wurden wiederholt 
Flugblatter verteiit mit der Aufsehrift < Alarm, Kampfblatt der Gruppe 
revolutionarer SA-Leute der Standarte 3-9>. Einer dieser Flugblattver- 
1 teller, dessen Personalien bieher noch nicht festgestellt werden konn- 

ten, wurde in verfloesener Nacht auf der Rheinbriicke erschossen 
aufgefunden.>) — 

10. Juni 

Karl Lottes, kommunistischer Arbeiter, auf der cFIuchf* er- 
schossen (WTB). 

Fritz Kokorenz, ein oppositioneller SA-Mann in seiner Woh- 
nung Berlin, Kopenickstr. 114, erschossen aufgefunden (Zeugen- 
bericht). 

(*Ee handeit sich urn einen Fememord, Kokorenz hatte in letzter Zeit 
wiederholt Auseinandereetzungen mit seinen Vorgesetzten. Am 
Abend vor seinem Tode hatte er in einer SA-Veranstaltungeine oppo- 
sitionelle Rede gehalten. Seine Wohnung befindet sich im gleichen 
Hause wie das Nazi-Biiro. Angeaichts seiner Leicbe ausserten 2 SA- 
Leute: Man muss voreichtig sein; sonst geht es uns auch noch eo>) 

350 



Walter Ernst, auf dem Friedhof in Hennigsdorf bei Berlin 
halb eingegraben aufgefunden (WTB). 

(Zeugenberidit: (Waiter Ernst vurde in der SA-Kaserne Meisnerhof 
bei Velten tolgeschlagen. Die Friedhofswarter fanden in Henningg- 
dorf die Leiche halb eiiigeacharrt auf,») 

12. J u n i 

JJngenannter Arbeiter, Essen, auf der tFlucht* erschossen 

(TU). 

20. J u n i 

Waller Kersing, Arbeiter, Mitglied des deutschnationalen 
Kampfringes, in Frankfurt a. d. Oder, bei <Auseinandersetzungen> 
von Nazis erschossen (WTB). 

21. Juni 

Paul Urban, Arbeiter, Brandenburg, angeblich «Selbstrnord* 
im Gefangnis (Nachtausgabe). 

Drei Unbekannte im Filzteich in Neustadtel bei Zwickau ah 
Leichen gefunden. (12-Uhr-Mittagsblatt). 

(12 Uhr Blatt, 23. Juni: < ... an den Fiissen mit Stricken zusammen* 
gebunden . . . durch Steine beschwert . . . mit Drabt aneinaudeTjj^ 
fesselt . . . Manner im Alter zwisehen 25 und 30 Jahrea . . . Ta&ehen- 
tiicber mit G. E. und M. H. gezeichnet . . . gelaag «b blsher nicht, dU 
Personalien feetzustellen.*) 

22. J u n i 

Altenburg, kommunistischer Arbeiter, Arnswalde (Neumark), 
auf der «Fluchh erschossen (Deutsche Allgena. Ztg.). 

Familie Schmaus, Berlin- Kopenick: Vater, Mutter und Sohn 
von SA ermordet (siehe Bericht). 

RakovskU Arbeiter, Edpenick, von SA erscbossen (s. Bericht). 

Johannes Stalling, ehemaliger mecklenburgischer Minister - 
prasident, in Kopenick verschleppt und ermordet (siehe Bericht"). 

Paul von Essen, Reichsbannerfuhrer, Kopenick, zu Todc 
misshandelt (siehe Bericht). 

24. J u n i 

Arthur May, kommunistischer Funktionar in Aachen, auf der 
«Flucht* beim Transport nach der Festung Jiilich erschossen 
(Polizeipresscslclle Aachen). 

26. Juni 

Unbekannter kommunistischer Arbeiter, Braunschweig, im 
Gefangnis ermordet, angeblich «Selbstmord» (WTB"). 

351 



29. Juni 

Dr. Rosenf elder. Rechtsanwalt aus Nftmberg, <rrnordel i m 
Konzenlrationslager Dachau (Zeugenberichi ). 

E n d e J u n i 

Glasper, Bezirksleiter der «RoLen Hilfe», Elberfeld, 
Gottschalk, Stadtverordneter (Bruder des ermordeicn Franz G ) 
Erwin Dahler, Jungarbeiter, Elberfeld, Wirkstrasse, mit auf- 

gescblilztem Leib auf der Mullkippe, Elberfeld lot aufgefunden. 
Gorsmeier, Jungarbeiter, Elberfeld, im Auto nach der Fest- 

nahme durch SA erschossen; am andern Morgen in einem Was- 

sertumpel in der Beck tot aufgefunden. 

Ungenannter Arbeiter, Elberfeld, lot aufgefunden in der Bre- 
merstrasse (2 Bauchschusse, 1 Bruslschuss). 

Ungenannter Arbeiter, Elberfeld, Osterbrunn, tot aufgefunden 
(2 Bauchschiisse, 2 Riickenschiisse). 

(Samlliche Angaben iiber die Elberfelder BluUaleberuhen auf 
gepriiften Zeugenberichten. Sechs weitere Meldungen konnten 
bisher nicht kontrolliert werden. Die Mordaktionen wurden fast 
ausnahmslos geleitet von dem SA-Fiihrer August Puppe, Elber- 
feld. Reilbahnstrasse.) 

Ilunglinger,. Polizeimajor, Muncherv 
Sebastian Nefzger, Miinchen, 

Michael Sigman, Sozialdemokrat, Pasing, im Konzentralions- 
lager Dachau. ermordct (ZeugerihericJate). 

1. Jul i 

Max Margoliner, Breslau, 2-ijahriger Kaufmann, im April im 
Braunen Haus, KarlsUasse gefoltert. nach 2 Monaten .im judischen 
Krankenhaus Breslau-Siid gestorben rZeugenbenchl). 

(Saarbruclcener Volksstimme: < .... die entmeiiscbten Burschen 
drehten dem Bewusstlosen eine Spiralfeder m deu Mastdarm 
im Krankenhaus lag er 8 Wochen im Wasser, well er weder s.tzen 

noch liegen konnte.») 

10. J u 1 i . _ _ . 

Joseph Nies, Redakteur, Bezirksleiter des proletanschen Frei- 

denkerverbandes, Erfurt, , . & Ipn „ lln( i em 

Alfred Noll, kommunistischer Funkt onar, Jena and cm 

richt ). 
352 



12. 3v I i 

ge „, Offer der Kopenicker ^ ^ 

Zuchthausgefangener seit Oktober 1931 oaf w^"' di P ^V Scher 
SC/iowen (Conti-WTB). '' a "' der •Finch*, er- 

Schalz. kommunistischer Landtagsabgeordneto,. m i- • 
foIge Misshandlungen in, Gefangnishos^Tst^ T^ T 
(Searbrttckener Volksstimme, 18. Juli • < sSnu ' ( ! em ' )sl 

eines sozialdemokratischen Redaktenr* h^ ■ ? ," "' er an Ste!le 
B au von Panzerkreuz^ sprX^X, 'beintder 1 ^ "" ^ 
die Regierungstaldik i,n B e r M „ e r R uTdfu^ "S ^ 

^(An^' k0mmiiniSliSCl - ****. K6nigsber g ; •;. 
(Angriff. 12. Juli: cEine grosse Volksmenge zog vor da s GerichU- 
geiangnie, holte den kommunistischen Mtader heraus und Ivnchie 
ihn.») 

Joseph Mcssingcr, kommunistischer Arbeiter, Bonn im Ge 
fancjnts inncjebrachl. angeblic.h -Selbstmord» (Havas). 

14. Juli 

Franz Braun, Redakteur dor .VolkswachU, Stettin, am Tage 
nach der Vcrhai'tung In tier Zelle umyebracht (Conli WTB). 
Ungenannlcr kommunistischer Arbeiter, Stettin, niederoe- 

schossen (Conli WTB). 

Drei ungenannte Kommunisten, Kreis S.hwerin (Warthe), bei 
der Ueberfiihrung in das Konzentrationslager Sonnonburg aa[ 
der tFluchh erschossen (Vossische Ztg.). 

Ungenannter kommunistischer Funktiondr, Hochum, geiegent- 
lich oiner Vernekmung nuj der Fluchh erschossen (Voss. Ztg.). 

15. Juli 

Spcer, Schneider. Berlin, in der Nahe der Vcrsucbsanstalt fur 
Handfeuerwaffen mil durchschnittener Kehlc aufgefunden (Zeu- 
genbericht). 

Klara Wagner, Sekretarin, Berlin- Treptow, erschossen (Zeu- 
genberieht). 

17. Juli 

I Dr - Wii Schafer, Frankfurt, frtther Nalionalso-ialist, be- 

anni geworden durch die Veioffentlichung der «Boxheimer Do- 

umente» (Terror-Anweisungen der Nazis von 1931) erschossen 

lu gefunden im Frankfurter Stadlwald. Fememord (Frankf. Ztg.). 

"" 7 18, .Itili: «... von den Tatern Wilt bisher nocb jede 

Spar . . .>) 

12 35;' 



20- J u 1 i 

Ungenannter Arbeiter, Berlin, bei Hirschgarten am Miiggelsee- 

damm tot aufgefunden (Zeugenbericht). 

5Qjdhriger Mann, Berlin, in der Nahe der Museumsbiucke am 
Kupfergraben tot aufgefunden (Zeugenbericht). 

Hugo Feddersen, kommtinistischer Arbeiter, Hamburg, j m 
Gefangnis umgebracht, angeblich «Selbstmoi'd» (WTB). 

Oppositioneller SA-Mann, Obermenzig bei Munchen, in der 
Nahe des Umspannwerkes Karlsfeld erschossen aufgefunden, /•>- 
memord (Conti-WTB). 

24. J u 1 i 

Erich und Gustav Rudolf, Duhringshof (Ostbahn), in Lands - 
berg an der Wartiie auf der tFlucht* erschossen (Frankf. Ztg.). 

Drei oppositionelle SA-Leute, im Grunewald bei Berlin er- 
schossen aufgefunden, Fememord (Zeugenbericht). 

Jaskowiak, oppositioneller Nationalsozialist, Leverkusen, von 
einem SS-Mann angeblich in «Not\vehr» erschossen (Dortmunder 
General Anzeiger). 

29. J u 1 i 

Solecki, kommunistischer Arbeiter, Iserlohn, von Hilfspolizei 
«in Notwehr» niedergeschossen (WTB). 

Heinrich Foerding, kommunistischer Arbeiter, Coesfeld, im 
Polizeiprasidium Recklinghausen aus dem Fenster gesturzt, an- 
geblich Selbstmord, ein neuer Fall Funk! (WTB). 

Am ersten August wurden die Arbeiter Lutgens, Tesch, Wolff 
und Moller in Altona hingerichtet. 

Ein Bericht aus Braunschweig meldet, dassdortin den letzien 

YVochen zehn Gefangene ermordet wurden, darunter der Reichs- 

bannerrnann Otto Rose («Selbstmord»), der 19jahrige Benno Elder* 

(zu Tode gepriigelt), ' der Sekretar des Eisenbahnerbundes 

Hermann Basse, die Kommunisten Karl Wolf und Erich Schelp- 

rnann (aus dem 3- Stock des «Volksfreundhauses» geworfen). Ein 

anderer Bericht sagt, dass in der Nacht vom 4. zum 5. Juli im 

friiheren ADGB-Heim Rieseberg (Braunschweig) zehn Arbeiter 

erschossen wurden. Diese Nachrichten, wie auch die Meldungen 

u. a. iiber die Ermordung des sozialdemokratischen Reichstags- 

abgeordneten Faust im Konzentrationslager Bremen, die Er 

schiessung von funfzehn oppositionellen SA-Leuten im Konzen- 

trationslager Wilsede, konnten vor Abschluss der Drucklegung 

nicht mehr iiberpruft werden. Band II des «Braunbuches» w ird 

die hier noch nicht veroffentlichten Mordtaten des Hitler-i ascnis 

mus belegen. 

354 



Die Welt lasst sich nicht beliigen 

Der AViderhall, den die deutschen Ereignisse im Auslaiide ge- 
funden haben, beweisl, dass die verzweifeltsten Manover der Hit 
lerregierung den Durchbruch der Wahrheit nicht verhindern 
konnten. Die auslandische Presse hat in ihrer iiberwaltieenden 
Mehrhert die NaUonalsozialisten des Reichslagsbrandes beschul 
digt. Die auslandische Presse hat, unbekiiinmert um die Dementis 
der Hitlerregierung, den blutigen Terror und die Judenverfol*un- 
gen registriert. Nicht nur die auslandische Presse, die besten 
Schriftsteller der biirgerlichen Welt, Wissenschaftler. Aerzte. 
Rechtsanwalic haben ihre Stimme erhoben, um gegen den Hitler- 
Terror zu protestieren. Sie haben sich in den meisten Landern 
zu Komi tees vereinigt, die den Opfern des Hitler-Faschisinus Hill'e 
bringen. 

Aus dem Riesenchor derer, die Anklage gegen den Hitler- 
Terror erhoben, konnen wir im ersten Band des Braunbuches nur 
einige wenige Stimmen zu Worte kommen lassen. 

Protest 

Sherwood Anderson antwortete auf unser Ersuehen um einen 
Beitrag fiir das Braunbuch mit folgendem Schreiben : 

Was Hitler-Deutschland betrifft:: dies ist eine jener schreck- 
liehen menschlichen Absurditaten, die einem das Leben 
manehmal so hoffnungslos erscheinen lassen. Was mich er- 
schreckt hat, ist die Moglichkeit, dass hier sehr leicht eine 
Basis fur neuen Hass gegen das deutsche Volk entstehen 
kann. Wir haben das schon einmal durchgemacht. Und daan 
kann ich, als Amerikaner, ja auch nicht gerade stolz sein auf 
unsere eigene Geschichte. Wir Amerikaner diirfen nicht verges- 
sen, was der Ku Klux Klan noch vor wenigen Jahren war, wir 
diirfen die Neger-Lynchungen nicht vergessen, die hier im Siiden 
noch nicht aufgehort haben. 

Doeh alles dies hindert mich nicht in dem Wunsch, mit den 
anderen Schriftstellern Europas und Amerikas zu protestieren. 

Ihr aufrich tiger Sherwood Anderson 

Der deutsche Fsisoliismus 

Wer uberzeugt isl, dass die Zukunil Westeuropas in Deutsch- 
land entschioden wird, muss die heutige deutsche Entwicklung 
schmerzlich erapfinden. Aber ganz iiberraschend kann sie 'hm 
nicht sein. War doch vor dem Kriege schon alles latent vorhan 

355 



den ,as si* ~*Z§S3tti3^^ 

folgung dor J udei ^ de ^r d i e Anspruche auf em menschliches 
brelteifvolk^cb.cM^ und ih« A J diese m enschhchen 

Dascin, die Grau.aruke t in a ^ fen _ es war alles 

Anspruche zu verfolgen una ^ andei - sw o, zur Genuge Das 
schon da! BeakUon gab es au Schutzgebiel dei 

pr eussisahe Junker and w abu a ^ ^ Rel he ve 

Vellreaktion; hier a f _ f ^f\^°° n d ie Junker - und sitzen sie 
nichte icn /^fff'J i!hc EisdU Reiches. Von hier ilog 
neck - das Ma rk desj ilh » Kindheit durch den 

sie aus, die Brut. Scho J vbW^ 'Viandelten Landarbeiter 
taglichen Anblick der UDB *™***^ studentenzeit, den KorpS- 
daheim, noch mehr verroht rch eS ^ Bey61 _ 

geist, die 'ln^f o a p f B "j*^ JS^SSmren und stellten der 
n^iSTvS'SS S - t^edes Volk, wenn man 

dSeSi^^ 

baren, unheimlichen Kraften, die es auf einen *S*£™™«£ 
und an deren Brutalitat alles Geistige und Me^cWiche J* 
Deutschland wirkte wie ein scheinbar /orgfalUg kultrvierter 
Boden, wo aber die Wildnis jederzeit wieder einbrechen konnte. 
alles uberwuchernd, alles -vernichtend. .♦»««„*. ; n 

Manchmal zeigte sich diese Gefahr brutal und ubers eigert. n 
der Zabern- und der Moabit-Affare; manchmal drastisch unci 
slumpfsinnig: in der Kopenick-Affare. 

Die breiten Schichten besassen im grossen und ganzen nu.ru 

die Fahigkeit, sich von dem Herrengeist und dem daraus ent- 

springenden Sklavengeist zu befreien. Selbst m der deutscben 

Arbeiterbewegung - der «grossten auf der Welt» und langc 

Zeit der massgebenden — war mehr Korpsgeist als menscniicne 

Selbstbehauptung. Es waT der Sozialdemokratie mcht geiun D en. 

den Proletarier zum Selbstbewusstsein zu wecken; in den gewerit- 

schaftlichen und parteilichen Kadern rait ihren ziyilen Unteroni- 

zieren und Feldwebeln. mit ihren imperialistisch emgestciiten An- 

fuhrern kehrte die Struktur des WUbelminiscben Regimes unyer 

kennbar wieder. Die deutsche Sozialdemokratie war vol J»m»- 

listischen Unkrauts: Imperialismus, Antisemitismus, Individualis- 

mus und Biirokralismus: in der Masse wirkte es sich aus als Mel 



356 



TfrMim und wenig selbstandige Denkfahigkeit, als Schlaffheit. 
tnni Teil Fcigheit, auf alle Falle Mangel an Elan. 

Viel Unlvraul hat das Weltproletariat - mil Deutschland 
Is Vorbild — als proletaiisclie Kulturpilanzen gutheissen 

mUSS Jeder Kulturkampf bedeutet rnenschliche Befreiung auf 
ireend einem Gebiel; es gibt heule nur einen Kulturkampf: die 
Refreiun" des Proletariats aus der wirtschaithchen, nationalen, 
knlonialen, rassenmassigen Tyrannei. Jede Unterdriickung hat 
r»v Voraussetzung die Verachtung der Seele, der Kultur, der 
Menschlichkeit; unler jeder Verkleidung des Unterdriickers steekt 

d ' C Der Vaschismus ist der Kapitalisrnus, im Moment, da er 
sirh als Bestie enthiillt. Unser heutiger Karapf ist wie jeder 
Kulturkampf der Kampf fur den Menschen g e g e n die Bestie. 
Wer noch daruber im Zweifel ist, schaue sich das heutige 

Deutschland an. _ 

Zu diesem Kampf taugt keine Arbeiterbewegung, die mit Pa- 
zifismus und Humanismus spielt und btirgerliche Tugenden 
und Untugenden nachafft. Wer Disteln roden will, muss test 
zupacken und noch dazu harte Haut in den Handen haben. 

Wir haben nicht tief genug gepflugt. Unter der bebauten 
Schicht sassen noch alle Wurzeln des Alten. Am meisten gilt dies 
wohl for Deutschland. Wir mussen von vorn anfangen und den 
Boden neu aufwerfen. Machen wir es wie in Sowjetrussland. 
fangen wir neu an mit Bataillonen von Traktoren. 

Martin Andersen Nexo 

Die grbsste Tragikomidie miserer Zeit 

Dieses Buch ist ein Denkmal von Tatsachen und Dokumen- 
ten. Wenn es gleichzeitig eine erschreckende Anklageschrift ist. 
so de^halb, weil die Tatsachen selbst die Anklage herausschreien. 

Wo stehen wir heute? 

Unser stolzes 20. Jahrhundert hat von den vergangenen 
Epoehen eine Produktionskraft, due Zivilisation, eine Kultur ge- 
erbt, die alien Lebewesen ihr Auskommen sichern konnten. Wenn 
es einen Augenblick in der Geschichte der Menschheit gibt. da 
das alte Miirchen vom goldenen Zeitalter Wirklichkeit werden 
konnte, so heute, da der Menschengeist, nach tausendjahrigem 
Kampfe, so viele Waffen zur Bewiiltigung der Naturkriifte, so viel 
vollkommene Mittel der Verbindung und Verstandigung erobert 
hat. Und was im Gegenteil sehen wir! Dass diese vielgeruhmte 
Zivilisation alle Anstvcngungen macht, die Menschheit ihrem Un- 
tergang zuzutreiben. Goldenes Zeitalter? Nein: Zeitalter des 

357 



Goldes, des Eisens, des Blutcs. Wahrend ri. r w i . • 

«* - genau so wie wahrend des KriSes £ w *"***** hat 

hchen Eiends und Leidens gewaltig, ,T e ~ £,£*' 



mensch- 

ver- 



Grausamkeit : in den Kolonien fm fa '^ Unlerdriickun 8. 

und Siidamerika, in R^toT^iJS^^SL,?**^, ? Notd " 

Jcan. Und jetet erfolgt die Rucld5,r ? f. n * aUt dem Bal " 

Deutschland, die Bestfalita 2£K^ ffl !^ ^n*™ * 
her Erlebten. "wscnrertet die Grenzen alles bis- 

i^°Z£Z£% TAz s t rb G eT e ": ioneD d ; n r er E - che 

Deutschland gekonunen ^uK^S^^ 1 ^ 

Geast Das grosse Vo.k, das wir lieben gelernt h abe n1?ht nu 2 

der jmuosophischen und kiinstlerischen Genies, um der MeL IZ 

werke willen, die die Welt erleuchtet haben. dessen glS 3e 

Begabung fur SystemaUk und Organisation wir bewundertet 

dieses Volk ist nur noch em Heer von Sklaven, in dem jeder Konf 

der sich zu erheben wagl, zerstampft wird. Jene deutsche Fabia- 

keit zur Emspannung des Einzelnen in das Ganze, die Gabe der 

Harrnome der Krafte, der instinktive soziale Geist, der eine der 

nationalen Tugenden dieses Volkes ist, wird dazu missbraucht em 

anti-soziales Werk, ein Werk der Verfolgung und Vernichtung 

durchzufiihren. Die heutigen Herren des grossen Deutschland 

haben die Macht nur in selbstsiichtigen Interessen ergriffen. sie 

sind die schlimmsten Feinde lhres eigenen Volkes. 

Eine Phase organisierter, raffinierter Barbarei. Anderswo 
tragen Raub und Blutbad einen primitiven und rein bestialischen 
Charakter; hier jedoch sind sie berechnet, wohldurchdacht, und 
zeugen von erprobter Taktik und iiberlegter Strategie. Die Ver- 
brechen des Hitler-Faschismus sind die offentliche Auffiihrung 
lange vorbereiteter, von den davon engagierten Regisseuren und 
Komddianten (vom Kanzler bis zum untersten Denunzianten) 
sorgfaltig inszenierter Schauerstucke, 

Die ganze Welt ist davon iiberzeugt — das habe ich kiirzlich 
an der Spitze einer Delegation von zahlreicben Organisationen 
jeder Schattierung in der deutschen Botschaft erklart — : dass die 
offizielle Legende des Reichstagsbrandes, dieses pomposen Recht- 
f'ertigungsmanovers aller Verbrecben von gestern, dieses dusteren 
Prologs aller Verbrecben von heute und morgen, welcfce in die- 
sem Buch so meisterhaf't nachgewiesen werden vorsatzlich und 
hewHSSt in alien Teilen auf einem Nicbts ^^[^t' nnX 
jenigen. die unter dem Eindruck fruherer ^afuMischaf mi nocb 
LS. ^weifelten, vverden nacb der unan echtb, - n wed 

,, M ,n Beweisfuhrang dieses Werkes ^g^^SX 
rieit der Folgerungen, zu denen jene geia g 

3S8 



Ueberzeugung gewinnen, dass hier Irrsinn am Werk ist, und 
z-war ein inferiorer Wahnsinn, der sich vor den eigenen Taten 
furchtet. 

Hitler hat in seinem Buch « Mein Kampf » erklart, « man 
konne die Massen nur fiihren, indem man sie betruge ». Es ist 

wohl richtig: man kann die Massen durch Betrug verfiihren 

aber -wie lange wirkt dieser Betrug? 

Gerade jetzt, in dem Augenblick, da ich diese Zeilen schreibe 
un d da der grosste Teil dieses Buches schon im Druck ist, fallen 
meine Blicke auf eine sehr ausfiihrliche Meldung: ein neues Er- 
eignis, das allein imstande sein miisste, denjenigen, die nicht 
absichtlich blind sind und von ihrer Kurzsichtigkeit profitieren, 
die Augen zu offnen iiber die Taktik der Hitler, Goring und 
Goebbels. 

Es handelt sich um eine Flugzeug-Affare, urn eine klagliche, 
aber bedrohliche Erfindung. Am 23. Juni um 22 Uhr 30 meldete 
eine Nachrichtenagentur den Berliner Zeitungen unter dem Titel 
« Rote Fliegerpest iiber Berlin » folgendes: 

<Heute nachmittag haben auslandische Flugzeuge von einem in 
Deutschland unbekannten Typ Berlin iiberflogen und iiber dem Re- 
gierungsviertel und im Osten der Stadt fiir die Reichsregierung belei- 
digende Flugschriften abgeworfen. Die Luftpolizei hatte keine Appa- 
rate zur Verfiigung. und die Sportflugzeuge, die sich auf dem Flug- 
platz befanden, batten nicht die genGgende Geschwindigkeit, um die 
auslandiscben Apparate zu verfolgen. Dieae konnten entkommen, 
ohne erkannt zu werden.> 

Nun hat aber um 23 Uhr 30 der Flughafen Berlin-Tempeihoi 
auf Anfrage auslandischer Korrespondenten iiber den Inhalt die- 
ser Nachricht erklart, er wisse von nichts. 

Um 23 Uhr 25 -wusste die Luftpolizei, die iiber den gleichen 
Gegenstand befragt wurde, ebenfalls von nichts, obwohl die Nach- 
richtenagentur in ihrer Meldung erklart hatte, dass Luftpolizei und 
Flugplatzleitung nur mangels geeigneter Apparate nicht in Aktion 
getreten seien. Der Berliner Korrespondent der « Times » bat sei- 
nem Blatt telegraphiert, dass weder die Luftpolizei, noch die 
Flugplatzbehorde, noch die « Lufthansa » etwas von diesem 

« Luftangriff » wiissten. 

Unnotig zu sagen, dass niemand diese ungewohn lichen Flug- 
zeuge gesehen haC die es fertig gebracht haben sollen, aus einer 
Hohe von 3.000 Metern Flugschriften so abzuzielen, dass sie aus- 
gerechnet im Regierungsviertel und in vorbestimmten Strassen 
niederfielen. 

Trotzdern veroffentlicht am nachsten Morgen die ganze 
deutsche Presse diese Nachricht und kommentiert sic mit fast 
glcichlautcnden Worten. 

359 



Die Zeitung « Le Temps » enthullt uns den Grund fur die 
Eiiiheitlichkeit ixn Wortlaut dieser Kommenterc: der Melchmg 
war ein-e Instruktion an die Zeitungen und ein « Muster-Kommen- 
tar » beigefugt mit dem Befehl, ihn auf der ersten Seite zu ver- 
offentlichen. 

Dieser Standardkommentar betont die Tatsache, dass 
Deuischland sich gegenwartig in Bezug auf Luftfahrt in einer 
unhakbaren Situation befinde, und er gibt die Anweisung, das 
Thema dahingehend zu entwickeln: heute sind es nur Flugblit- 
ter, was die auslandischen Flugzeuge abwerfen, morgen werden 
es viellcicht Bomben sein, die Tod und Vernichtung bringen. 
Schlussfolgerung: Was gerienkt das Deutsche Luftfahrtministe- 
riura zu tun? 

So blast die gauze dcutsche Pressc in ein Horn und verlangt 
Aufrfistung der Luftstreitkrafte. Das « Berliner Tageblatt » fasst 
diese Wiinsche in die folgenden Worte zusammen, welche so oder 
ahnlich von der untcr Hitlers Oberbefehl stehenden, das heisst 
also von der gesarnten deutschen Presse iibernommen wurden: 
« Das deutsche Volk verlangt, dass man ihm die Moglichkeit 
gibt, sich gegen solche Ueberfalle aus der Luft zu schiitzen. » 

In Wirklichkeit entbehrt die ganze Geschichte jeglicher 
Grundlage. Auch wenn der Staatssekretar des Luftfahrtministe- 
nums, Herr Milch, den Pressevertretern erklart hat, < es seien » 
(in einer Hoke von dreitausend Metern!) « ein bis zwei » Doppel- 
decker « gesichtet » worden (wobei er ubrigens die Ungeschick- 
hchkeit begeht, zur Stiitzung seiner These hinzuzufugen, es seien 
« ahnliche Flugblatter » wie die vom Himmel gefallenen auch 
« aus den oberen Etagen eines Wolkenkratzers am Alexander- 
platz » abgeworfen worden). Er setzt beide Ereignisse in Be- 
xiehung zueinander. Dessen bedurfte es nicht, urn die Kabale 
dieser faustdicken Luge zu entlarven, welche gesponnen ist zu 
(tern Zwecke, das deutsche Volk in dieselbe Erregung zu verset- 
zen, die jenes legendare Auftauchen cles beruhmten Fliegers 
uber Nurnberg am 28. Juli 1914 verursachte. Das Ziel ist die Auf- 
rustung, ist der Krieg. Durch solche Tricks lenkt man die offent- 
liche Memung auf diese Dinge und erzcugt die Panik, die man 
oraucht. 

Es gibt fiir alle Menschen gesunden Geistes, fiir die anstan- 
digen Leute aller Lander nur eine Antworl: 

Den Kampf gegen Krieg und Faschismus mit mehr Energie 
und Erbitterung als je und in Einheitsfront mit den Arbeitern 
aller Lander der Welt zu ftihren. Internationale Bewegungen wie 
die von Amsterdam zu starken. Den Ruf der Wahrheit und des 
Zornes in grossen Welt-Kundgebungen erlonen zu Iassen. 

Henri Barbusse 

360 



Zwei erniordete 
komuiunistiselie Reichs 
taffsabgeordnete 



Walter Schiitz, ostpreus- 
sischer Reichstagsabgeordneter 
der. KPD, einer cler beliebtesten 
ATbeitedltthi'ei) Osl preussens, 
wurde nach seiner Verhaftung 
in KSnigsberg von der SA be- 
sfcialiscb gefoltert u. erschlagen. 




Albert F uak. Reichstags- 
abgeordneter der KPD. bekann- 
ter Fiihrer der Bergnrbeiter des 
Ruhrgebietes, wurde im Unter- 
Buchungagefangaia Recklinghau 
-"ii ermordet, Kr wurde aue 
dem Penster des 3. Stockes 
in den Hoi' hinuntergesttirzt. 





Arbeitev Gmnbert 
zu Tod** gemarterl 



Dei* Arbeiter Gumbert a us 
Heidenau wurde in Konigs 
stein (Sachsen) von SA buch 
stiLblieh iu Stiicke gebrochen 
und zu Tod© gefoltert. Unten : 
Vier von den fiinf Kindern 
dee ermordeten Gumbert. 




Gegcn den imperialislischcn Nationalisnma 
ini eiffenen Lande 



lis ist gut, dass lingland und Amerika sirh A iifi»i 
Machtcebrauch unci <i» n ««!£ ".. l . Mcl V ul l(lu,en Wfw 




apzukampfen. Icb meine die Abneigung, die gerade ehvas 2b 
flaute unci die das beutige Deutschland teidei Wieder n, r,v 
fertigen scoei.nL 

Ohne Zweifel isi cs gut, sich miner wieder zu sagen class 
das Hitlerdeutschland nichl das ganze Deutschland ist, trotz der 
Wahlresultate. Ohne Zweifel ist es gut, dem unterdriickten Toil 
Deutschlands, der jetzi niedergeknuppelt ist, zu sagen, dass wir 
ihm unserc Sympathie bewahren. vor allem aber ist es gui, 
zu belfen und die Opfer zu unterstutzen, 

Alle Gewalttaten. die heute Deulschland begeht, werden be- 
gangen im Namen von Grundsatzen und Theorien, die, so wenig 
sie entschuldbar sind, doch den Kcim der Ansteckung in sich 
tragen, und die, sei es durch Rivalitaten oder durch AngsL die 
Gefahr in sicli bergen, die Nachbartander zu ahnlichen Gewalt- 
taten zu verfuhren und sie schliesslich in Kriege hineinzureissen. 
Deshalb geniigt es auch nicht, gegen den deutschen Htllerismus 
zu protestieren, sondcrn ebenso sehr muss jeder in seinem eige- 
nen Land gegen den imperialistischen Nationalisms, die Larve 
des Faschismus, kampfen, stall sich als Feigling behandcln zu 
lassen von jenen, die nichts begreifen als den bewaffneten Mut. 

Andre Gide 

Das wirkliche DeutscliJand lebt nock 

Wir haben in Amcrika den Ku Klux Klan, wir haben Lyn- 
cher, Erpresser, Gangster und brutale Burger, die unsere besten 
Arbeiterfiihrer crmorden. Aber in Deutschland scheint der ganze 
Sumpf der sterbenden Gesellschaftsordnung noch einmal in einer 
gewaltigen Woge aufzubrodeln. Die Nazis haben der Welt ge- 
zeigt, wie tief die Abgriinde der Renktion sind, und wie weit der 
Kapitalismus geht, tun sein altersbriicbiges Geriist zu retten. _ 

Dies sollte eine endgultige Lektion sein fur die in Verwir- 
rung geratenen Massen der Welt, die so langsam, so muhsani ler- 
ncn. Die Nazis lehren uns, dass es unmoglich ist, mit dcin Ksipi- 
talismus Kompromisse zu macben oder zu vcrhandeln. Ssozia- 
listen und Liberate haben Jahrzehnte hindurcfa Zusaininenarbe.t 

schland im Gefangnis 
ihen der Nazis steht. 



der Klassen gepredigt: heute ist in DeutscWs 
oder auf dem Friedhof, wer nicht in den Reihc 



361 



Italien ist diese bittere Lektion erteilt worden, ebenso China. 

Heute ist der historische Moment, in dem die Massen zu sehen 
beginnen, dass der einzig sichere Weg fur die Arbeiterklasse, der 
einzige Weg, auf dem der Faschismus vermieden werden kann 
der Weg der Sowjets ist. 

Ueberall reprasentiert der Faschismus Vergangenheit- er 

sucht z:u bewahren, was die Geschiehte verdammt hat. Die Nazis 

bewiesen, von ihrem Standpunkt aus den richtigen Instinkt als 

sie die Buchervon Thomas Mann, Romain Rolland, Siegmund 

Freud, Albert Einstein und anderen verbrannten. Jeder grosse Ge- 

danke, jede wissenschaftliche Leistung der letzten fiinfzig Jahre 

stent in tiefstem innern Widerspruch zum Nazi-«Geist» der 

in seinem Wesen jener kleinbiirgerliche Geist, jener Rentier- und 

Ladenbesitzergeist ist, den es nach Genie und Entdeckunaen 

nicht verlangt. & 

Aber kann Hitler die grosse Flut neuer Gedanken eindam- 
men? Unmoglich! Kann er die deutsche Arbeiterklass-* zer- 
schmettern und die besten Elemente deutschen Geistes zerstoren? 
Unmoglich ! 

Unmoglich! Die Arbeiterklasse Deutschland* und ihre 
besten Geister gegen nicht mit Hitler. Der deutsche Arbeitdr 
qualt und verfolgt keinen Juden. Der deutsche Intellektuelle 
lasst sich nicht mit Dragonerstiefeln in die preussischen Kaser- 
nen zurucktreiben. 

Das wirkliche Deutschland lebt noch und wird seine Krank- 
heit uherstehen. Aus dem Deutschland, wie es heute ist, kann - 
Iruher Oder spater - nur ernes erwachsen: eine Regierung, ge- 
bildet von alien denen, die Hitler unterdriickt hat; em Staat in 

Tvl^ 7 eRa r Sei,VeXf ° lgUng S* 1 ' keinen Hass und l^inen 
Lynch-Geist; em Land der Freiheit, ein Sowjet-Deutschland. 

Michael Gold 
Am 28. Februar iin Berliner Polizeiprasidium 

Egon Erwin Kisch wurde in der Nacht des Reichstagsbrandee in 
Berlin verhaftet. Er verbrachte 14 Tage in Hitlers Polizeigefangnia 
• ff WU ^ e , dann aber die Qreaze abgeschoben. Egon Erwin Kisch 
verottenthchte ala erster deutscher Schriftsteller eine umfassende 
uarstellung der Zustande in Hitlers Gefangnissen und SA-Kasernen. 
wir entnehmen den aachfolgenden Abschnitt einem grosseu Werk 
uber Hitler-Deutschland, dae Egon Erwin Kisch vorbexeitet: 

Meine Begleiter gaben mich gegen Quiitung an die Politische 

±-oiizei ab Die Banke auf beiden Seiten des Korridors sind be- 

eizt, im Raum dazwischen ist der Kulturbolschewismus anein- 

362 



andergedraugl. Alle kennen einander und i mm , 

* x,,o,. von Po, izlste „ hminse ^ 5BT flSU'TS 

geriebenen. uber den Fluss .ruckgew^^^ £ 
Gruppe war das, was gestern noch ein Regiment gewesen war 
Und .mmer wenn erne nasse, abgerissene Gestalt voruberwankte' 
d/ e zum Regiment gehortedann grusslen die KumpSJ mli 
einem melanchohschen Lacheln, ruckten dichter aneinanZ 
machten ihn, Plate. So ahnlie.h sieht es heute aus. aSS_' 
gnti ich nicht, warum viele so version und blass waren erst 
spaler erluhr ich, welche Gewaltszenen bei manchen Verhaltun- 
gen vorgenonimen waren. Ich sollte spater auch mit eigenen 
Augen sehen, welche Greuel die Nationalsozialisten in ihren Ka- 
sernen an wehrlosen Gefangenen begangen hatten. 

Die Polizisten, die uns vom ubrigen Teil des Korridors ab- 
riegeln, sind junge Burschen, schon mit dem hilfspolizeilichen 
Hakenkreuz auf der Armbinde. Sie scheinen sehr aufgeregt, ihr 
Dienst ist ihnen neu, umsomehr versuchen sie ihre Unsicherheil 
hinter flegelhaftem Benehmen zu verbergen; sie machen hohnisehe 
Bemerkungen, und wenn sie jemanden anschreien, sich nicht zu 
bewegen, so apostrophieren sie ihn nicht anders, als <Dreckskerl», 
«Saujud» und per Du. 

Narnen werden aufgerufen, Gruppen formiert, «rechts um», hs 
geht hinab ins Polizeigefangnis. Erste Station, das Depot; hier 
wird Uhr, Fiillfeder und Bargeld abgegeben und in ein Kuvert 
gesteckt. Zweite Station: Abgabe von Messer, Schere. Nagelfeile. 
Die dritte Etappenstalion ist schon im Keller unten: was dem 
Haftling noch geblieben ist — Brieftasche, Notizbuch, Zigaretten- 
schachtel, Streichholzer, Taschentuch, Schliissel, Handschuhe oder 
Bleistift — muss er in seinen Hut legen, Schniirsenkel offnen. 
Rock ausziehen, und ietzt untersuchen greifende Hande, ob nichts 
in den Taschen geblieben, gleitende Hande, ob nichts ins Futter 
eingenaht ist, sich nichts in Schuh oder Strumpf versteckt hat. 

Wahrend dieser Prozedur kommt der neue Polizeiprasident 
vorbei, Herr von Levetzow, gefolgt von Polizeiadjutant und Par- 
teiadjutant und einem ganzen Stab. Er war Marineoffizier, der 
Sozialdemokrat Noske hat ihn in den Admiralsrang erhohen. Der 
Herr Admiral, jetzt schreitet er gcblaht seine Kommandobrucke 
im Polizeiprasidium ab: 

Das ist also das Pack?* fragt er und scfaielt uns uber die 

Achsel verachtlich an. 

-<Jawohl. Herr Polizeiprasident!* beeilt sich der Adjutant zu 

schnarren. 

363 



0W0 bis! du verhaftet warden?* fragt er Hermann Duncker. 
Bevor der grauhaarige Gelehrte, Lehrer des Sozialismus Kir eine 
ganze Generation, noch antworten kann: «Wirst du die Hacken 
zusammenreissen, wenn icfa mil clir spreche, du Saubengel?!* 

Und sclion hat er einen andcren erspaht, der ihm nichl 
strainm genug zu stehen scheint: «Fflhren Sie den Lumrnel soforl 
in Dunkelarresl und legen Sie ihm Eisen an, bis ihm die Sclvwar- 
ten krachen.» 

Diensteifrig sturzen sich zwei Butte] auf Otto Lehmann-Russ- 
buldl, den alten Obmann der Liga fur Menschenrechte und zerrefl 
ihn fort. 

Bleich vor Emporung stehen wir da, der Herr Admiral von 
Noskes Gnaden ist schon vorbei, wir horen ihn eine andere Gruppe 
anbriillen. 

Man stosst uns in eine unterirdische Gemeinschaf tszelle, sieben- 
undvierzig miissen darin Platz finden. Langs der Wande verlaufen 
Pritschen, in der Mitte der gegen den Hof zu gerichteten Wand 
Steht der Eimer — einer fur alle, alle fur einen. Gegenuber, in die 
dern Korridor zugekchrte Wand sind zwei trichterformige Aus- 
buchtungen gemauert. Das spitze Ende ist der «Judas»: ein Be- 
obachter von aussen kann durch dieses Guckloch das ganze Lokal 
beslreichen, sei es mit einem Auge, sei es mit einem Maschinen- 
gewehr. 

Jeder von uns sucht sich einen Nachbarn, neben dessen Platz 
er den Paletot zum Kopfkissen faltet, Gruppen konstituieren sich. 
Man erzahlt einander, wie sich die Verhaflungen abgespielt. Man- 
che : Wohnungen batten regelrechte Belagerungen durch die Nazis 
zu bestehen, Schiisse wurden durch die Tiir abgefeuert, dann Mo- 
bel zerhackt und Bucher zerrissen, die Ueberfallenen aneesichts 
Hirer hrauen und Kinder schandlich misshandelt. 

Egon Erwin Kisch 

Hitler ist der gigantischste Betrug 

Ob Hitler in der Geschichte den Platz eines grossen Tra- 
goden oder eines grossen Narren einnehrnen wird, bleibt der Zu- 
kuntt uberlassen, aber dass es einer dieser beiden Platze sein 
wird, schemt sicher. 

Mpn?H-!l n d - ie f er ^ ann ist cler Bigmthctate Betrug, der jemals 
Menschengeisl verblendct hat. Seine Philosophic ist falsch. derm 

Sf l l\ aUS , t^ SS 8 eboren ; seine Politik ist gefahrlich. denn sie 
oerunt auf Lnwissenheit; und sogar seine Uniform ist ein 
^cinvindel - Kopie eines Symbols, das er nicht versteht 
fc> u a f Tra S lsche daran ist, dass wir diesen Popanz geschaf- 
ten haben - wir. die Yerbundeten, bliesen ihm Atem ein und 
^.eizicn seine bosen kleinen Arme in Bewegung. Aus dem Gift in 

364 



unseren eigenen Herzen schufen wir den Hitlerismus, und wit 
W erdcii den Hillerisnius nicht zerstdrcn. his wir nicht uns selhst 
von diesem Gii'i gereimgt haben. 

Beverley Nichols 

» die Internationale der Geister iind Viilker 

Die «K61nische Zeitung* vojh !). Mai 1933 veroffentliehte 

unter der Rubrik «Randnotcn» naehfolgende Bemerkungen iiher 
Romain RollaiKl: 

Die Kommunistische Internationale betreibt vom Ausland her eine 
masslose Hetze gegen die nationale Regierung in Deutschland. Mit 
einem rrrossen Aufwand an Liigen und Schauergeschichten sucht sie 
dor Welt weiszumachen, dass Deutschland <vom Blut der Arbeiter 
dampfts und class das Proletariat aller Lander die Pflicht habe. sich 
y.um Angriff «gegen den faschistischen Terror in Deutschland:* zu 
sammeln. In pathetischen Wendnngen werden die sogenannten In- 
tellektuellen anF^erordert, sich diesem Kampf anzuschliessen. Viele 
sind verblendet genug. das zu tun. und man w-undert sich nicht, ihre 
Namen unter den Aufrufen der Kommunistisehen Internationale zu 
lesen. Merkwiird;^ beriihrt nur, das> eine jener iibeln Schmahschrif- 
ten, die in Kopenhaeen erscheint. neben einem Beitrag von Henri 
Barbusse auch eine;] Bolchen von Romain Holland veroffentlicht. Man 
erinnert sich bei di<»ser Gel e ■■!!. dftSfi die beiden einst einen leb- 

baften Meinungestreil batten, da Romain Holland die grausamen Ir- 
ntngen des BolscheT .Ion verurteilte, wahrend Barbusse 

eie als Durchennt'^tuf-'n bh "iner be-seren Zukunft der Menschheit 
zu rer.htfertigen suebte. Jetet hal ie beide zusammengefunden, der 

fanatische JflngeT Moskatia and der Mnnn, den man einst «das Ge- 
wissen Kiiropas , > nannte. well er tnpfer senug war. die Dinge gerecht 
zu betrnrhten. und dern P iland wiihrend des Kriegee und in den 

spiitera .Tahren fiir manchen Beweie seiner gerechten Gesinnung 

nkbar sein konnte Zuletzt war Romain Roiland noch fiir die An- 
spriiche Deutechland? auf eine grundlichere Revision der Vertraae 
eingetreten. Dass er sich dadurch den Hass der franzosiscben Chau- 
vinisten zuzo?. kummerte ihn nicht. denn es gins ihm am Europn und 
seine hohen Kulturguter. fiir die er einen beesern Frieden erkampfte. 
1'iid gerade weil er diese Einsicht besass. hatte er auch fur die na- 
tionale Regierung in Deutschland Verstandni.e nufbringen mflssen, 
Derm nur dank des entschlossenen Zugriffs dieser Regierung blieb 

utschland von dem bolschewistischen Chaos verschont. C b& 

hfitte an den Greazen des Reiches bestinunt nicht haltgeinacbt, weun 

ihm Deutschland turn Opfer gefallen ware* Wter wefes, ob es nicht 

auch jene ruhigen Orte ergriffen hatte. wo heute uDter er Beru- 

raf Kultur und Frieden fiegen De ehetzl wird. 

Romain Holland antworfcete in einem Offenen Brief, den wir 
»St] ' mtlichen: 

36o 



Hollands Otfener Brief 
an die ,JKOIuische Zeitung-' 

Paris, den 15. Mai 1933. 
Herr Chefredakteur, 

Man hat mir die «Randnoten» der «Kolnischen Zeitung* vora 
9. Mai (Nr. 25) ubermitlelt. die meiner Person gewidrnet sind 
(vgl. die Anlage). 

Es ist wahr: ich liebe Deutschland und habe es lnimer gegen 
Ungerechtigkeiten und das Unverstandnis des Auslandes verteidigt 

Das Deutschland aber. das ich liebe und das meinen Geist 
bereichert hat, ist das seiner grossen Weltburger, — derer, «die 
(nach Goethe) Gliick und Ungluck anderer Volker wie ihr eigenes 
empfunden hab-en» — derer, die an der Kommunion der Rassen 
und Geister gearbeitet haben. 

Dieses Deutschland ist mit Fiissen getreten, mit Blut besudelt 
und geschandet worden von seiner jetzigen «nationalen» Regie- 
rung, vom Deutschland des Hakenkreuzes, das die freien Geister, 
die guten Europaer, Pazifisten, Juden, Sozialisten, Kommunisten 
von sich stosst, die eine Internationale der Arbeit griinden wollen. 
— Sehen Sie denn nicht, dass dieses national -faschistische 
Deutschland der schlimmste Feind jenes wahren Deutschland ist. 
das es gerade verneint? 

Eine solche Politik ist ein Verbrechen nicht nur gegen die 
Humanitat, sondern gegen Euer eigenes Volk. Ihr beraubt es eines 
grossen Teils seiner Energien. Ihr lasst es die Achtung seiner 
besten Freunde in der Welt verlieren. Eure «Fuhrer» haben in 
alien Landern gewaltsam ein Biindnis der Nationalisten und Inter - 
nationalisten gegen Euch geschaffen. Ihr wollt das nicht sehen. Ihr 
sprecht wieder von einer Verschworung gegen Deutschland. Ihr, 
nur Ihr, habt Euch gegen Deutschland verscfrworen. 

Ich habe die Ungerechtigkeit angeklagl, deren Opfer 
Deutschland nach dem Siege von 1918 geworden ist. Ich habe die 
Revision des aufgezwungenen Vertrages von Versailles -verlangt. 
Ich habe die Gleichberechtigung Deutschlands mit den anderen 
Machten gefordert. — Aber glauben Sie. dass ich sie zugunsten 
einer schlimmeren Ungleichheit verlangt habe, zugunsten eines 
Deutschland. das selbst die Gleichheit der menschiichen Rassen 
verletzt ja alle Menschenrechte. die uns heilig sind? Die wiitend- 
sten Revisionsgegner konnten nicht arger gegen Deutschland han- 
deln. als Ihr, Ihr allein es getan habt. 

Die Zukunft wird Euch — zu spat! — Euren vernichtenden 
frrtum beweisen, dessen einzige Entschuldigung der Wahnsinn der 
Verzweiflung ist, in die die IMindheit und Harte Eurer Besieger 
Euer Volk seil Versailles gestiirzi haben. 

366 



Ich werde meine Zuneigung zu Deutschland bewahren, trotz 
Eurer Taken und gegen Euch, meine Zuneigung zu jenem 
wahren Deulschland, das die Schandlichkeiten und Irrungen 
des Hitlerfaschismus verabscheut. Und ich werde weiterarbeiten, 
wie mein gauzes Leben lang, nicht fur den Egoismus eines einzel- 
nen Volkes, sondern fiir a lie verbiindelen Volker — fur die In- 
ternationale der Geister und Vdlker. 

Romain Rolland 

P. S- Sie behandeln die Anklage der auslandischen Presse ge- 
gen den Hitlerfaschismus als Verleumdung. 

Wir haben ein ganzes Archiv von Zeugnissen Verbannter iiber 
Gowalttaten der Braunhemden, die die Staatsgewalt weder geahn- 
det noch bedauert hat. Aber lassen wir das! Uns geniigen die off i - 
ziellen Meldungen. Leugnet Ihr denn die eigenen Erklarungen 
Eurer Minister Goring, Goebbels, — die der Rundfunk verbreitet 
hat? Leugnet Ihr ihren Schrei nach Gewalt, ihre Bekenntnisse 
eines Rassenwahns, der andere Rassen, z. B. Juden, krankt, riecht 
Ihr nicht all diesen Muff des Mittelalters, der langst aus Europa 
verschwunden war? Leugnet Ihr die Scheiterhaufen der freien 
Gedanken, die kindlichen von der ganzen Welt verlachten Bii- 
cherverbrennungen? Leugnet Ihr das freche Eindringen der Po- 
litik in Akademien und Universitaten? Merkt Ihr denn nicht, dass 
die grossen Verbannten der YVissenschaft und Kunst auf der 
Wage der Weltmeinung schwerer wiegen als die lacherlichen 
Bannilfiche ihrer Verfolger? 

Romain Rolland 



Die Bedeutimg des dentschen faschistischen Terrors 

Wer heute iiber die Misshandlungen der Juden und Kom- 
munisten in Deutschland entsetzt ist, sollte sich daran erinnern, 
dass physische und moralische Gewalt das Wesen des Faschis- 
mus iiberhaupt ist. Der Faschismus ist nicht nur konterrevolu- 
tionar. Er ist auch « konter-historisch ». Man muss seine ganze 
Kraft anspannen, um gegen den Strom zu schwimmen, wie Hit- 
ler es tut, und wie Mussolini es get an hat. Hitler muss seinen 
Vorteil ziehen aus jedem Vorurteil, jeder in Erscheinung treten- 
den Leidenschaft, um die naturlichen, die okonomischen Stro- 
mungen einzudammen, welche dem Ende des kapitalistischen 
Systems zustreben. Der Anti-Semitismus bedeutete eine Kraft 
fiir ihn, die er sich zu Nutze machen musste. 

In jeder verzweifelten Situation benutzt und entfacht der 
faschistische Fiihrer alle Leidenschaften, alle Vorurteile. So trieb 
die Fi'ihrerschaft Hitlers zu den groben Exzessen, welche 
die iibrige Welt gegen ihn aufbrnchten. Aber die Welt sollte, 

367 



j-etat mehr denn je. begreifen, dass cut Faschismus immer diesen 

Weg gehen v/ird und gchen muss. Die Faschisten haben die Ge- 
schichle gegen sich — die Geschichte und die menschliche Ein- 

sicht 

Audi der Kommunismus in Russland stiess aui Anti-Se- 

mitismus, und zwar auf sehr starken, sehr verbreiteten Anti- 
Semitismus. Die zaristischen Pogrome sind bekannt. Aber die 
russischen Ffihrer wolllen alle Volker um .sich sammeln, die 
am Auf ban j-enes measchlichen und verstandlichen Systems 
mitarbeiten und mit helfen konntcn, das man Kommunismus 
nennt. Der Kommunismus hat die Pogromc abgeschaft't. Der 
Anli-Semilismus isl irn Aussterben. 

Ich frcue mich sehr, dass in Madison Square Garden ein 
Massen-Meeting stattfinden soil, und ich hoffe, dass hier die 
Bedeutung des Faschismus klargelegt wird. Es wiirde schade 
sein, sich bloss in Entrfistung — wenn auch gerechter — zu ver- 
lieren, statt sich von den Ereignissen in Deutschland erne Lektion 
erteilen zu lassen. Diesc Lektion lehrt, dass der Faschismus alle 
auf hoher Wirtschaftsstufe stehenden Volker, ob Judcn, Deut- 
sche, Italiener oder Amerikaner, rait seinem Hass verfolgt, und 
zwar am heftigsten jenc Minderheiten, die in der Vergangenheit 
am wenigsten in der Lage waren, sich zu verteidigen, Ich habe 
von vornherein angenommen, dass den Angriffen auf die Juden 
Angriffe auf die Rechte folgen wiirden, (lie sich Frauen, Kinder, 
die x\rbeiterklasse, die Neger in unserer Zeil erworben haben. Fol 
gendes ist keine Uebertreibung: In elm iutscb( i Zeituni?, die 
ich selbst gelesen babe, in d Nationalsozialistischen Monats- 
hefien » wurde der Neger dargestellt als das wilde Tier, das 
wedcr durch Sklaverei noeh durch Zivilisation gezahmt werden 
kann. » Ferner wird angestrebt, dass die Frauen ihr Stimmrecht 
verlieren und sich dem alien monarch istischen Ideal der deut- 
schen Frau fur « Kuche, Kirche, Kinder » wieder angleichen 
sollen. 

Der Faschismus hat nicbt etwa erst vor einigen Wochen, 
gleichzeitig mit dem Hitler-Terror, begonnen. Die heute geset?- 
lich sanktionierten Methoden sind schon Jahre hindurch er- 
probt worden. Jahre hindurch haben Juden und Liberale auf 
Grund des wachsenden faschistischen Druckes ihre Stellungeu 
verlorrn. 

Es ist heute vor all em der Faschismus, auf den wir unsere 
ganze Aufmerksamkeit konzentrieren mussen, der Faschismus 
als Phase der Politik des Weltkapitals, das keinen anderen Aus- 
weg findet aus seinen eigencn Widerspriichen uxid seinem 
Kampf ums nackte Lebeiu Wir haben es hier mit vie! mehr zu 
tun, als mit einer blossen Serie von Ereignissen innerhalb einei 



ntionalistischen Terrorwelle. Es ist nicht Deulschland, sondern 
! l [. xV mid eindeutig der Faschismus,, der die Juden und andere 
Mi"nclerheiten unterdruckt. 

Der Faschismus zielt — - ich wiederhole es — auf die Unter- 
driickung aller wirtschat'tlich fortgeschrittenen Volker hin, die 
sich einem koininunistischen System einpassen und sogar gliick- 
lich unter ihin sein konnten. Wir Amerikaner konnten den Korn- 
miuiisrous leichter als die Russen durchftthren. Wir sind reifer fur 
den Komrnunismus als Russland. Und ebenso Deutschland; die 
Deutschen wiirden sich ini Komrnunismus so schnell zurechtfin- 
den wic junge En ten im Enienteich. Sie sind reif fur den Kom- 
inunismus. Sogar nach der Unterdriickung durch Hitler haben 
sie funf Millionen konimunistische Stimrnen gehabt. 

Von alien Nachrichten aus Deutschland hat mich am mei- 
sten die Nachricht erschiittert von dem organisierten Protest 
einiger Juden (jiidischer Vetcranen, zum Beispiel), dass sie nicht 
misshandelt worden sind. Man stelle sich den Terror vor, der 
imstande war, die Juden so etwas sagen und so etwas unterzeich- 
ncn zu lassen. Es kann nur die Angst um das nackte Leben 
gewesen sein, die sie dazu gctricben hat. 

Die amerikanische Arbeiterschal'i lufc ein grosses Werk und 
kann aus dem Rassenelend in Deutschland einen Triumph 
machen, wenn sie dicse Tatsachen begreift und in das richtige 
Licht ruckt. 

Lincoln Steffens 
Offener Brief an ITemi Goebbela 

Als am fiinften Mai die Werke deutscher Schriftsteller, Philo- 
sophen und Forscher auf den Scheiterhaufen geworfen wurden. 
haben Sie, Herr Goebbels. diesen barbarischen Akt beschutzt und 
gut geheissen und in Hirer Rede die verbrannten Werke jener 
Manner, die ein edleres Deutschland reprasentieren als Sie, «gei- 
stigen Unflat* genannt. 

Sie haben aus den deutschen Verlagen, Theatern, Buchhand- 
lungen, Bibliotheken, Schulen unsre "Werke verbrannt, Sie ver- 
folgen die Veifasser, sperren sie ein oder jagen sie aus dem Land. 

Sie verlreiben von den deutschen Universitaten die besten 
Lohrer. 

Aus den Konzertsalen die Dirigenten und Komponisten. 

Aus den Theatern horvorragende Schauspieler. 

Von ihren Arbeitsstatten und aus den Akademien Maler. 
Architekten, Bildhauer. 

Es genfigi Ihnen nicht. die zu qualen, die Sie in Ihre Gefang- 

gwse und Konzentrationslager kerkem, Sie verfolgen selbst die 

-sugranten durch die mannigfachen Mittel Ihrer Gewalt. Sie 

369 



wollen sie (um in Hirer Sprache zu reden:) geistig und physisch 
^brutal und rucksichtslos vernichten». 

Und was ist dcr Grund so abgriindigen Hasses? 

Diese Manner glauben an eine Welt der Freiheit, der Mensch 
lichkeit t der sozialen Gerechtigkeit, diese Manner sind wahrhafte 
Sozialisten, Kommunisten oder glaubige Christen, diese Manner 
sind nicht gewillt, die Stimme der Wahrheit zu verleugnen und 
der Macht sich zu beugen. 

Die Verfolgungen und Aechtungen sind fur uns Verfolgte 
eine grosse Ehrung, mancher von uns wird jetzt erst beweisen 
mussen, dass er diese Ehrung verdient. 

Sie geben vor, die deutsche Kultur zu retten, und Sie zer- 
storen die edelste Arbeit der deutschen Kultur. 

Sie geben vor, die deutsche Jugend zu erwecken, und Sie 
blenden ihren Geist, ihre Augen, ihre Sinne. 

Sie geben vor, die deutschen Kinder zu retten, und Sie ver- 
giften ihre Herzen mit den schandlichen Phrasen eines stupiden 
Nationalismus und Rassenhasses. 

Sie geben vor, das werktatige Volk zu befreien, und Sie 
Schmieden es in die Knechtsfesseln sozialer und geistiger Un- 
freiheit. 

Sie geben vor, Deutschland von seinen Sduildigen» zu rei- 
nigen, und Sie verfolgen die Schwachsten, die Juden. 

Sie geben vor, dass Sie und der deutsche Geist identisch sind, 
aber Ihre Taten sind die Aechtung der Ideen Goethes und 
Lessings, Herders und Schillers, Wielands und Rankes und alter 
jener Manner, die um die reinsten Werte Deutschlands gerun- 
gen haben und sie in die Welt trugen. 

Ich las in diesen Tagen Ihre kiinstlerischen Werke und die 
ihrer Pgs. Dass Sie ein schlechtes Deutsch schrciben. will ich 
Ihnen nicht zum Vormirl machen, Gewalt verleiht noch kein 
Talent, dass Sie aber die deutschen Theater zwingen, diese arm- 
seligen Werke zu spielen, ist klaglich. 

Sie sprechen soviel vom Heldentum, wo haben sie es be- 
wiesen? Auch wir kennen ein Heldentum, das Heldentum der 
Arbeit, des Charakters, des unbedingten Menschen. der zu seiner 
Idee halt. 

Sie sprechen soviel von der Feigheit Ihrer Gegner. Wir ver- 
sprechen Ihnen, dass Ihre Verfolgungen uns barter. Ihr Hass uns 
lifer, Ihr Kampf uns kampferischer machen werden. 

Wir sind nicht schuldlos an unserem Schicksal, wir haben 
viele Fehler begangen, der grossle war unsere Langmut. 

Wir werden, dank der Lehre, die Sie uns gaben. unsere 
>hler (iberwinden. Und das ist Ihr Verdienst. 

E r n s t Toiler. 

70 



Einheitsfl-ont ge ff en den Paschismus am jeden Preis 

, , ih < nince, gegen die man sich mil ganzer Seele auflen- 
£ Die Welt hal seit August 1914 viel Grausamkeit ge- 
ne " Hnd man sollte meinen, dass der uienschliche Gelsi teme 
se 'r" , loren Oualon erf in den kann als die Schrecken nur ernes 
s " Gas-Angriffs. Und dennoch ist eine Welt, die den Kneg 
* lanee todesschwangere Jahre hindurch duldete, ja verherr- 
i"mp entsetzt fiber das, was Hitler in drei Monaten getan hat. 
n- iprdaen die fur Hitlers Angriffe auf die Sozialisten nur em 
4 hsclzuckcn fibrig batten, die seine Schlage gegen den Kommu- 
smus so^ar beifallig begriisst haben, sind emport fiber seine 
Sanatische Kampagne gegen alle jene kulturellen Bestrebun- 
11 g«gen die Biicher, Menschen. Forschungen, Ideen, die der 
Villon Deutschland die Achtung der Welt eingetragen haben. 

I,h habe mit einem Arbeiterffihrer im Ruhrgebiet ge- 
sprochen. Sie verbrennen Biicher.* sagte er. und seine Stimme 
y an g beschfimt. Biirher konnen neu gedruckt werden. Aber die 
werlvollen Manner und Frauen, die die SA gelotet hat. konnen 
■liclil wieder zum Leber /tiriickuerufen \\«erden. Die Gefahr des 
Faschismus liegl in seiner erbarmungslosen Bekampfung von 
allciti. was in die Zukunfl deutet in seinei Entschlossenheit 
mis an alle Ideen zu ketten: Mililni ismns. Sklaventum. Unter- 
ordnung der Frauen, Klein-Industrie sellschaftliche Formen, 
welcbe die Menschheil schon iiberholl hat. 

Hitler und die Faschisten haben sich sorgfaltig die Fuhrer 
jeder Art von Fortschrttl berausgesuchl I'ml oichi nur Schrift- 
sieiier. Dichter, Wissenschaftler, nichl qui die Fuhrer und Ver- 
breiter forlschi illlirher politischer Meinung. Diese sogenannten 
«Slurm-'-Trupps haben gerade jene Arbeiter ausgesucht, die den 
Anschein erweckten, geistige Fuhrer Hirer Kameraden zu sein. 
diejenigen Arbeiter, die schon eine kleine Bibliothek gesammelt 
liatlcn. und die llilder besassen von Ludwig Renn. von Karl 
Marx. Arbeiter haben gelitten, weil sie des Verbreehens verdachtig 
waren, ernsthaft riachzudenken. Das ist unlcr dem Faschismus 
ouenbar das grosste Verbrechen. 

In Kngland und Amerika beginnt man schon zu sagen: «Das 

■^mimmste ist vorbei. Deutschland wird sich jetzt beruhigen.. 

seiH.r kurzll,h - e,ade bei den Fliichtlingen in den Grenz- 

SELS"*^ , m Saarbrfi <*en. Forbach. Strassburg und in den 

' M-.uIen D6rfern. Jeden Tag kommen neue Fluchtlingc an: 

e 1 ; K '/'' n Rechtsa «^ite aus ihren Villen. ' Jeder 

n/l l '"' legl Zeugnis ab von d 




.171 



schrmb: dch wurde voj I«reude m die Bande klatschen ,,„., 
id, Fhegej sehen wurde, die gegen Hitlei faerfiberkomrnen war- 
den. Selbsl wenrj ich getStet wurde, so warden doch die anderen 
Deutsche von diesen Ungeheuern gerette! werden.* !•;„,<■ Frau 
die nur nut aussersler Miihe vier Mark zusammenkratzen kann 
um sie ihrem mittellosen Sohn ins Exil zu schicken, kann so 
eiwas nur sehre.ben aus einer Erbilterung der Seele heraus die 
von jemand, der iaschrstische Herrschaft noch nich! am eteenen 
Leibe gespurt hal, cint'ach nicbt begriffen werden kann. 

Jetzt. da sie Herren im Lande sincl. konuen die Nazis nut 
ihren Oeiangenen machen, was sie wollen. Mil cinem iun-en 
Fiuchtling, einem Menschen, der der Stolz seines Landes und 
nicht ein Fiuchtling sein sollte, besuchte ich die Redaktion 
emer Strassburger Zeitung. Der Rcdakleur war weder Soziaiisl 
noch Kornmunist, er war ein ausgekochter Zeitungsmann. Er warl 
uns fiber den SchreibLisch cine Liste von Namerl hcruber. «VieI- 
leicht Bekannte dm nter? Es isl die letzte Liste der Tolen von 
Dachau. » Mein Begleiter nahin das Papier, und wurde weiss 
im Gesicht. «Den kannte ich,» sagte er niedergesehmelteri. 
«Haben Sie irgendeine Nachricht dariiber, wie er geslorben 
ist?» <Ja, schlechte Zeiten,» sagte der Redakleur in sachlichem 
Ton. «Schwer gequalt. Im Delirium erschossen. Nalurlich wird 
gesagl «auf der Flucht» erschossen. » «Woher haben Sie das er- 
fahren?» fragte ich. Der Redaktcur lachelte. «Das mochten auch 
die Nazis gerne wissen. Mcine Informationen sind genauer. als 
sie es gern haben. » 

12 1 1 e n Wilkinson. 



372 



Per heroische Kampf cler deutschen Arbciter 

Bxemer Polizeidirektion: <Trotz der vor elnigen 
Tagen veroffentlichten polizeilichen Warnung vor der Verbrel- 
tung illegaler kommunistischer DruckschriHen und dem Hin- 
weis auf die hohen Strafbestimmungen. wurde am Dienstag 
Abend von kommunistischer &eite die illegale, 6 Seiten starke 
<Arbeiter-Zeitong» zur Verteiiung gebradit....» (26. Mai 1933). 
Berliner Polizei-Pressestelle: «Bei der Durch- 
suchimg wurden erheblichee Druckschriftenmaterial und zahl- 
reiche Matrizen zur Anfertigung von Mai-Flugblattern in Steg- 
litz und Friedenau gefunden...» (28. April 1933). 
Stuttgarter Polizei-Pressestelle: cObwohl die 
Beschlagnahme und Einzienung samtlicher kommunistischer 
Druckschriften sclion am 1. Marz 1933 angeordnet word en 1st, 
warden immer noch kommunistische Flugblatter im Land ver- 
breitet.,.* (21. April 1933). 

Dieses Buch berichtet von den wahren Brandstiftern des 
Reichstages und von dem barbarischen Hitler-Terror. Die deut- 
schen Antifaschisten, die dieses Ruch in kollektiver Arbeit schrie- 
ben, wollen aber audi der ganzen Welt freudig kiindcn: dass es 
noch ein anderes, lebendiges Dcutschland gib I. 
Es isl das Deutschland des unterirdischen, illegalen Freiheits- 
kampfes der Antifaschisten. Es ist das Deutschland des wahren 
Heldentums. Es ist das Deutschland derer, die mit dem Opfer ihres 
Gliickes oder ihres Lebens heroisch die Ehre und die sozialisti- 
sche Zukunft des deutschen Arbeitervolkes verteidigen. 

Hitler wollte alle politischen Parteien zertrummern, Es gibt 
aber eine Partei, die nicht zu zertrummern ist; die illegal 
karapfende Kommunistische Partei Deutschlands. Die Nachrichten 
der Hitler-Regierung selbst bezeugen taglich die Tatsache, dass 
diese Partei eine unerschiitterliche aktive Gegenkrafl ist- Sie 
setzt ihre Taligkeit fort, und aus ganz Deutschland kommen^ Nach- 
richten, dass ganze Arbeitergruppen der Sozialdemokratie, des 
Rcichsbanners, der Sozialistischen Arbeitcrjugend und der christ- 
lichen Arbeiler sich mit den illegal arbeitenden Koxnmunisten im 
praktischen Kampf gegen die Hitlerdiktatur zur bruderlichen Ein- 
heitsfront zusammenfinden. 

Schon in den Tagen des Reichstagsbrandes flatterten die 
antifaschistiscehn Flugblatter der Kommunislcii in die Mnssen der 
Arbeiter. Die ArbeUcrwohnungen, die Keller und Dachbodcn der 

373 



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374 



Mietskasemen werden in Geheimdruekemen verwandelt Wenn 
Hunderto ihrer Agitatoren verhaftet wurden, traten Tausende 
neuer geschulter und uberzeugter Kampfer an ihre Stelle. Wenn 
Folterungen und Misshandlungen sich hauften, erklane die 
SLinime des antifaschistischen Freiheitskampfes noch kuhner und 
auiriittelnder. Jede der illegalen Zeitungen der Kommunisten ist 
Zeile fiir Zeile nut Arbeiterblut geschriebeii. Auf jede erschienene 
Nummer antworten an ihrem Erscheinungsort neue grausame 
Verfolgungsaktionen. 

Der Organisator des Reichstagsbrandes Goring, musste der 
antifaschistischen «Zersetzungsarbeil» der Kommunisten das 
glanzendste Zeugnis ausstellen, als er bei der Auflosung des 
Karnpfringes junger Deutschnationaler», Ende Juni 1933, in der 
anitllchen Begriindung erklarte, der «Kampfring» sei vollig von 
Kommunisten durchsetzt gewesen. Anfang Juli beweisen die 
drohenden Erklarungen Hitlers und Fricks gegen eine «zweite 
Revolution*, dass die Entlarvungsarbeit gegen das Hitlerregime 
aueh in weiten Kreisen der SA und der NSBO -wirksam ist. 

Die folgenden wenigen Seiten konnen nur einen kleinen Aus- 
schnilt aus dem «unterirdischen» Deutschland geben: 

Die illegal© „Rote Fahue" 

Einer der wichtigsten antifaschistischen Kampfabschnitte ist 
die Herausgabe und Verbreitung der illegalen Presse. Die «Rote 
Fahne», das Zentralorgan der Komrnunistischen Parlei Deutsch- 
lands, ist seit dem Reichstagsbrand in regelmassiger Folge er- 
schienen. Polizeiaktionen, Razzien, Aufgebote von Tausenden von 
Spitzeln, nachtliche Patrouillen der SA und SS durch die Drucke- 
reien konnen das Erscheinen dieser Zeitung nicht verhindern. 
Immer wieder findet das illegale Blatt. vier- oder zweiseitig, 
seinen Weg in die Mietskasemen auf dem Wedding, in die Be- 
triebsabteilungen der AEG und von Siemens, in die Strassen- 
bahnhofe der Berliner Verkehrsgesellschaft. Mag die techmsche 
Ausstattung der «Roten Fahne* schlechter als fruher sem, memals 
hat jedes einzelne ihrer Exemplare mehr Leser gefunden als jetzt. 
Die christlichsoziale Wiener «Reichspost» vom 27. Mai gibt 
folgende interessante Schilderung: 

<Die <Rote Fahne* erschien zuerat in einer illegal gedruckten Aus- 
gabe, in einer Auflage von 300000 Exemplaren, der dann »*™*| 
vervielfaltipte Auflagen folgten. Geheime Druckereien _ soaon 
friiher fur solche Zwecke vorbereitet - Abzngsapparate und 
Sctareibmaeehinen begannen ihr Werk. Bald ™" *J r «J^ 
te Teil de Orto-, Zellen- u*d BetxiebszeituBger ■ _ f ^J ™^ 
nur vervielfSltigt - wieder fan Umlaufe, und Hu^rtteusMde vot 
Flugzetteln gingen in de D Betrieben und in den ArbeiteloeenSmten. 
Ton Hand zu Hand.* 

375 



la *wanag Stadtteilea von Gross- Berlin warden - neben der 
gedruck en Ro.cn Fa hne- ■- regelmassig WOChentilch, i„ man- 
chen Gcbie en zweimal ,n der Woche, vervielfaltigte. von WaX- 
- oder Metallplaaen ahgezogeae Zeitungen, verbreite . Sie 2, 
alle den Kopi «Rote Fahne». Zahlreiche einiache Arbeiter sin 
die Redakteure dieser Zeitungen. 

liote Sprachrohi-e in ganz Deutschland 

Die Hamburger Polizei leilt Anfang Mai mit: 
<Trotz scMrfster behordlieher Gegenmassnahmen kommt ee immer 
wieder vox dans hochverraterfeche Flugschriften der KPD. insbeson- 
dere Hugblatter sowie die verbotene cHamburger Volkszeitune> 
und sonetige marxistwche Schriften hergestellt und auf de r StraB- 
se und in den Hausern vertrieben warden.* 

Im Ruhrgebiet erschien das «Ruhr-Echo» mehri'ach in grosser 
Auflage. Die 1. Mai-Nummer des Blattes der Ruhrarbeiler hatte 
sogar Doppellarbendruck. In den Stadtteilen von Essen erschie- 
nen obwohl ganze Stadtvierlel von SA und Polizei durchsucht 
wurden, obwohl die mutmasslichen Verteiler der Zeitungen in 
grauenhaf tester V.'eise gefolterl wurden, immer wieder verviet- 
faltigte Ausgaben des *Ruhr-Echo». 

Aus Miinchen berichtct ein Arbeiterbrief, dass jede Woche 
erne hektographierle Zeitung in einer Auflage von 3000 Exem- 
plaren erscheint. Scchs Reichsbannerkameradschaften helfen bei 
der Verteilung der Zeitung. 

Die Bremer Polizeidirektion erliisst am 23. Mai Aufrufe °e- 

S | n jj' e il,esa!e ' sechs Seiten slarke «Arbeiter-Zeitung». Die 
«Suddeutsche Arbeiter-Zeitung» in Stuttgart erscheint gedruckt. 
ebenso die illegalen Organe in Leipzig und Frankfurt am Main. 
Am rsiederrbcm kamen im April und Mai mehrere Nummera der 
Dusseldorfer «Freiheit» zur Verteilung. In Mannheim erhebt 
immer wieder die «Rote Fahne Badens» ihre Stimme. In Erfurt 
erscheint das «Thiiringer Volksblatt». ') 

Die Stimme der Antifaschisten in den Betrieben 

Die Kommunislische Parlei hatte sich als einzige Partei seit 
Jahren m den Betrieben auf eine illegale Tatigkeit -vorbereilet. 
ihre Partermitglieder wurden schon vor Errichtung der Hitler- 
dikiatur in der geheimen Herstellung und Verbreitung von Be- 
triebszeitungen geschull. So erscheinen jetzt zahlreiche soldier 
clatter, die mit unerhortem Opfermut verbreitet werden. 

1.) Ini Juli wurde eine Erfurter Geheimdruckerei entdeckt. Drei Funk- 
Honare wurden auf der Stelle von SA erschossen. 

376 






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Fememord 

an Heinz Bassler 



Heinz Bassler wurde im April 
19B3 in Dusseldorf von einei 
SA-Tmppe durch acht Schilsse 
auf ofi'ener Strasse ermordet. 
Die Behorden versuchten die- 
sen Fememord ato cErschies- 
sung auf der Flucht> hinzustel- 
len. Heinz Bassler war bei der 
Diisseldorfer SA besondera ver- 
hasst, weil er im Dezember 1931 
aus der SA ausgetreten und 
Mitglied der Kommunistischen 
Partei geworden war. r>ns 
obere Bild zeifft inn als 
Sturmfiihrer der SA. das un- 
tere Bild stammt vom Tage 
seines Etatritts in die KPD. 








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Heinz Bassler mil dem Totenbetl 

Drei Einschusse, voo vorn ira Gesicht: «Auf der Plu-eht erschossen.* 




Arbdtwfrau Grete Messing auf dem Totenbett 

«ui aci btiasse hc^on unci verbluten. 



[n dcr Berliner AEG erscheinen illegale Betriebszeitungen. Lm 
Hamburger Hafen erscheinen die Zeiiungen «Hafentelegrarnme>. 
runkspriiche* und «Der Sturm*. 
Ein AEG-Arbeiter bericfatet ( •Anliiasrhishsclu? Fronts vom 
2 Juli 1933) uber die Melhoden der illegalen Betriebsarbeit: 

tUuser letztes Flugblatt erschien in einer Grosse von 10X20 cm. 
\\ir stellten es folffendermassen her: Erst habeu wir die Parolen 
ausgearbeitet und sie in Linoleum geschnitten, dann baben wir den 
Linoleumstreifen auf einen TintenJo6cher angenagelt und so, StUck 
urn StiiC-kj gedruckt. In der Nacht haben wir eine ganze Anzahl vor 
den Betriebsloren angeklebt und die iibrigen als Streuzettel auf dia 
Slrasse gelegt. Die Kollegen, die direkt verhungert 6ind nach Aut'- 
klarungsraaterial. haben, als sie morgens zur Arbeit kamen, die 
Zettel begeistert aufgenommen und jeder einzelne ging durcb 
Dutzende von H&iden.» 

Aus einem Hamburger AngestellLenbetrieb wird berichlel, 
dass dort hn Klosell beim Zieben der Papierroile jedes Mai ein 
winziges Flugblatt oder ein AusschniU aus einer illegalen Zeitung 
herausfiel. 1m Berlin-Spandauer Belrieb von Siemens gelaiu-; es 
den antifaschistischen Jungarbeitern, ihre Betriebszeitung bis 
zur letzlen Numrner regelmassig zu verteilen. Die selbst hergc- 
sleilte -Eote Wacht» der Betriebe Bielefelds wird gemeinsam von 
konrmunistischen, sozialdemokralischen und Reichsbannerarbei- 
tern verkaufl. 

„Blitz-Aktiouett" 

In den vergangeaen Monaten kam es in vielen Hunderten 
von Orten zu grosseren und kleineren Demonslrationen der Anti- 
faschisten, die sich meist in der Form sogenannter «BIite- 
Demonstrationen* abspielten. «Blitz-Demonstralionen» oder «flie- 
gende Demonslrationen)) gehen meist in folgender Form vor sich: 
Die Arbeiter sammeln sich auf ein bestimmtes Signal an einem 
veraoredcten Punkt, demonstrieren mehrere Minuten mit Rufen 
gegendieliitler-Diktatur und mit Gesang anlifaschistischer Lieder. 
25! ■ Dena ^ a A strat,0ne n l»sen sich oft wieder auf, bevor noch 
h T u ge ^ cn SIC ein 8 r eii*en kann. Diese bewegliche Me- 

thode soil eine grossere Zahl von Verhaftungen verhindern 

Whe^n^V^^" c 1 .' a ' SOlche Demonslrationen aus 
S l,Jr p^ld Siegen, Stettin, Worms. Osterode. 
uusseldorf und Linden bei Hannover gemeldet. 

koini?i.S T ird t ^kfSS Harabur 8 berichtet, dass dort die 
-^ Flugblatter verteilt, 30 

^t^isti^v^ te gek, 5 l Und m alIen Stadtteilen eifrir; 
Vicr I > n± , r °, en an Maucrn und SSulen gemalf hat 

scnnituich je 300 junge Anhfaschislen beteiligten. 

377 



Ein danischer Antifaschist berichtet iihfr di« m„.i 
aulilaschistischen Agitation die er hi; • C A Me c Ul °den der 

Sprechchor auf. Es erschallt ^ ! ? T ' P 15tzIich ei « 

Mann des Sprechchors verschwunden P d ' e Vler 

Die «Vossische Zeitung» vom 3. Mai meldet: 

<In Bernau ^war, wie das WTB meldet, in der Nacht zum 1 Mai an 

del j Spite des Turms , der Marienkirche eine rote Fahne mij Harn^ 

und SicheS angehracht Borden, Sie wurde in der Friihe des 1 Mai 

von SA-Leuten unter Lebensgefabr heruntergeholt. AIs man am Rathaus. 

am Feiertag der nationalen Arbeit die Hakenkreuzfahne aulzieheo 

wollte, musste man feststellen, dass sie in der Nacht gestohlen wor- 

den war. D ie Aufregung in Bernau iiber die doppelte Herausfor- 

derung war unbeschreiblich. In der Nacht vom 1. zum 2 Mai wuraen 

dann durch die SA im Verein mit der Polizei 40 verdachtige Perso- 

nen festgenommen und in das Konzentrationslager Oranienbure *e- 

bracht.> 

Vor dem 1. Mai setzten die blitzartigen Agitationsmethoden 
der Antifaschisten verslarkt ein. Am 29. April abends 9 Uhr flat- 
terten von den Hausern der Frankfurter Allee, Ecke Konigsber- 
gerstrasse Tausende von Flugblatter unter die Passanten. Im Kauf- 
haus des Westens und in den Warenhausern von Tietz wurden 
im Lichthof von den Galerien und Treppen aus die Flugblatter 
abgeworfen. Am 1. Mai demonstrierten nachmittags 300 Arbeiter 
im Berliner Osten auf dem Marsch zum Petersburger Platz. 

Im Monat Mai steigert sich die neue Welle der antifaschisti- 
schen Aktivitat. Am 12. Mai berichtet das Berliner «12-Uhr-Blatt» 
uber die Sprengung eines kommunistischen Demonstrationszuges 
in Spandau, wobei zehn Verhaftungen vorgenommen werden. In 
Stultgart-Ost in der Kolonie «Reitelsberg» demonstrieren die 
Jungarbeiter gegen die Hitlerdiktatur. Auch die neue Verhaftungs- 
welle im Juni konnte nicht die tapferen Aktionen der Anti- 
faschisten verhindern: 

<Ara 9. Juni fand im Osten Berlins am Zentralviehhof eine Demon- 
stration statt, an der sich ;>00 bis 600 Arbeiter beteilijrten. Kurz vor 
7 Uhr abends sammelten sich auf ein Hornsignal die Arbeiter, aus 
den Nebenstrassen kommend, in der Eldenacherstrnsse. Unter star- 
ker Beteiligung auch der SchlUchtergesellen vom Zentralviehhof 
und der umliegenden SchlHchtergeschSfte setzte sich die Demon- 



378 



Btratloo ""'t dem Geaang der 'Internationales in Sewogung, Uater 
jioobrofen auf die KPI) mid NM-.irrnir--n gugeii die Hitlerreglerung 
zop die Demonstration durch die KWlcnadief Hamburg und Thaer 

......... bis kurss vor di<- Frankfurter Alice Faachiatiacaen Sturmlrup- 

pon auB (ici. innin').'<Mir,i SlurmloUalen gelang e nichi, die Demon 
gtration dei Arbeiter zu eprengen. Die alaraiiertfl Polizel oahm nach 

BeenrlitfunL'' der Demonstration wahllos Verhartum>en vor 

Ant(1a8eMiH8Che Zeiiunyen aut Deutschland. 



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Helden des Antifaschismus 

Mil gTausamer Hart, verioigen die aationalsozialistischeu 
Fuhrer die AnUfasch.sien die illegal in Deutschland weite 
kampfen. Fallen sie m die Hande der SA, dam* bedeuiet es oft 
Folter und lod. Die Bremer Pohzeidirektion hat am l. Juli 1933 
die Marterung der verhafteten Antifaschisten, als Vorbereitun* 
der polizeihchen Vernehiming offentlich angekundi*!: 

Die Bremer Polizeidirektion gib t bekannt : <I«n An- 
schluss an die Plakatienuig <Letzte Wamung> hat der Polizeiherr die 
Anordnung gelrotfen, dass samlliche Personen die trotz aller War- 
nungen in Zukunft noeh wegen marxietischer Propaganda oder an- 
derweitiger Btaatsfeindlicher Betatigung in Haft genommen werden 
zunachst einem nationalen Verband zugefiihrt werden sollen (■) Der 
nationale Verband hat die Aufgabe, zur Unterstiitzaing der poiitischon 
Polizei die Festgenommenen eingehend Uber ihre Straftat vorberei- 
fend zu vernehinen und sie dann mit dem Ermittelungsergebnis der 
Geheimen Staatspolizei zuzufiihren.> 

Zu Folter und Mord tritt die Aushungerung als Waffe 
der Hillerregierung gegen die Antifaschisten. 

Kassel, 8. Juli: <Im Kreise Schmalkalden, der zum Regierungsbezirk 
Kassel gebSrt, hat sich in den letzten Tgaen eine verstarkte 
kommunistische Pi*opaganda unter den Erwerbslosen bemerkbar ge- 
macht. Es wurdeu verschiedentlich kommunistische Flugblatter ver- 
breitet, deren Urheber und Verbreiter noch nacht erraittelt sind. In 
der Stadt Schmalkalden hat der Btirgermeister darauf angeordnet, 
dass alien links eingestellten Unterstutzungsempfangern des Wohl- 
fahrtsamtes die Unterstutzung so lange geaperrt werden soil, bis die 
later ermittelt 6ind.> (Frankfurter Zeitung, 10. Jidi 33.) 

Vor dem Sondergericht stehen die angeklagten Antifaschisten, 
ohne Verteidigung, ohne Zeugen, ohne die geringste Verteidi- 
gungsmoglichkeit. Der Richter ist Henker. Bevor noch die An- 
klage erhoben ist, weiss er, welches drakonische UrteH er zu 
fallen hat. Heldenhaft stehen viele Angeklagten der faschistischen 
Gewalt gegeniiber. So wird am 2. Juni 1933 aus Altona uber einen 
Prozess gegen 20 antifaschistische Arbeiter berichtet: 

cDer kommunistische Arbeiter Liitgens, gegen den der Staatsanwalt 
die Todeestrafe beantragt hatte, erklarte, dass ihm der A filing dor 
Staatsanwaltschaft zur Eh re gereiche, denn Kir einen Revolutionar 
sei die Todessrafe vor dem Klassengericht die hSchste Auszeichnung, 
die er erhalten konne, und die Zuchthauskleidung em Ehrenkleid. 
Et erklSrte auch, dass er es als eine Schande empfinde, dass em zum 
Scheine mitangeklagter Polizeiepitzel mil ihm in einem Zueliui.ui. 
sitze. und forderte zum Schluss, dass ihm die eventuelle Strafe die- 
ses Polizelspitzels mit zudiktiert werde, damit er mcht nut mesem 
liu i Im gleichen Zuchthaus sitzen rausse.* 






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l\\i-gale Betriebszeilmigen, Flugbltitter, StreuzeUel. 

Mille Mai stand die Stenolypistin Jto vor Gerichj und 
wurde zu 1% Jabren Zuchthaus verurteilt, well sie Flugblattei 
weilergegeben hatte. Der Berliner «Tag» berichtete: 

*Die Angeklagtn nrkiarte vor Oerioht, Ble Btehfl 8UCh Jetzt norh /.urn 
IcommunistiBchen rjr..i:mk.!n, woranf -lor Anldagevertretei enrtderHs: 
*Ha muse hi.-.- eternal Ln aller OeffentHchkelt erklHrt warden, m« 






welcher Dreistigkeil uud in welch unversohiimter Weise die Kom- 
munisten es wagen, noch hier vor dem Sondergericht aufzutreten.t 

Aehnliches ereignet sich taglich vor deutschen Sondergerich- 
ten. Nur iiber einen Bruchteil der Prozesse erscheinen Nachrich- 
ten in der Presse. Die Weltoffentlichkeit wurde Ende Mai alar- 
miert durch die Todesurteile gegen die antifaschistischen 
Arbeiter B a r t h e 1 und Winkler in Chemnitz, sowie gegen die 
Arbeiter Liitgens, Tesch, Wolff und Moller in Altona. 
Seitdem steigert sich die Zahl der terroristischen Todesurteile von 
Woche zu Woche: in Dessau, in Koln, in Harburg-Wilheimsburg. 
in Berlin, in Hamburg wild in Serien die Todesstrafe gegen anti- 
faschistische Arbeiter ausgesprochen wegen Taten, die z. T. langst 
amnestiert waren, die in Notwehr geschahen, an dencn sie oft 
iiherhaupt nicht beteiligt waren. Sie werden verurteilt nicht we- 
gen ihrer Taten sondern wegen ihrer Gesinnung. 

Der Umfang dieses Buches gestattet nur, einige Ausschnitte 
aus dem illegalen antifaschistischen Kampf zu geben. Auf diesen 
Seiten konnte nicht geschildert werden: die Organisierung von 
politischen und wirtschaftlichen Streiks durch Antifaschisten, die 
Hunderte von Bewegungen in den Betrieben, die Rebellionen in 
den Arbeitsdienstpflichtlagern unter der Fiihrung von jungen 
Antifaschisten. Von diesen Aktionen wird im zweiten Band des 
«Braunbuches» berichtet werden. 

Das Heldenlied des illegalen antifaschistischen Freiheitskampies 
in Deutschland muss noch geschrieben werden: Kampf er, die der 
drohenden Ermordung ins Auge blickten und dem braunen An- 
sturm standhielten. Verhaftete, die auf die Todesankiindigung mit 
dem stolzen Bekenntnis zum Sozialismus antworteten. Misshan- 
delte, die unter den Schlagen der Stahlrulen und Knuppel die 
■< International sangen, Helden wie jener Lehrer Wilhelni Ha- 
mann in Hessen, der die Hakenkreuzfahne tragen und rufen 
sollte «Es lebe der Fiihrer des deutschen Volkes, Adolf Hitler!*, 
der aber die Hakenkreuzfahne zu Boden warf und unter den 
Schlagen der SA rief: «Es lebe die Revolution und der Genosse 
ThalmannU 

Zehntausende namenloser Kampf er sind im «Dritten Reich* 
am Werk, Deutschland und die Welt von der schmachvollen 
braunen Barbarei zu befreien. Galgen und Sondergerichte, Fol- 
terungen und Konzcntrationslager bedrohen sie. Ihre Standhaftig- 
keit, ihr Mut sind nicht zu brechen. Sie stehen ein fur das kom- 
mende freie SOzialistische Deutschland. Sie entfachen in uner- 
schrockener Tatigkeit immer aufs Neue die Funken. aus denen 
die Flam me der sozialistischen Freiheit schla- 
gen wird. 

382 



I N H A L T 

Der Weg zur Macht <j 

Der Reichstag muss brennen! 35 

Das Werkzeug van der Lubbe 44 

Die wahren Brandstifter 63 

Zerstorung der legalen Arbeiterorganisationen 130 

Der Vernichtungsfeldzug gegen die Kultur 146 

Misshandlungen und Folterungen 182 

«Juda verreckel* 222 
Vierzigtausend Manner und Frauen in Konzentrationslagern 270 

Mord 307 

Die Welt lasst sich nicht beliigen 355 

Der heroische Kampf der deulschen Axbeiter 3 ?3 



Das tBrounbuch, tonrde gegen Ende Juni ^M J^X 

kapilel gourde «ock ein F«U ~ A ^ jTZZ'Jm^rt. 
Ermordeten urn* wUhreni der Drucklegung de> B»<*' 



HEIUCHTIGUNG : 



Aur Sette 149 wurde Prof. Hensel veraehentlich als Mathematiker bezeich 
net. Prof. Hensel ist Jurist. 









Imprimerif 5, Plact du Corb«au - Strasbourg,