BRAUNBUCH
uber Reichstagsbi-and unci Hitler-Terror
iil»er Reichstagsterantl
mid Hitler-Terror
Vorwort v«i. LORD MAELEY
UNIVERSUH-BUCHEREI BASEL
Binbandeutwurt vou JOHN HEAltTFIELD
Dritte Auflage 20.— 30. Taueend.
Alle Reekie, insbesondere die des Nachdruchs, der Verfilmung, Badiover-
breUung und Ueberseteung vorbehallen. Copyright by Edition du Car-
refaur Paris 1933. Nachdruck von Texlen und Bild&rn nur mil ausdrUch-
lichem Himveis owf das ■ Bran n buck* gestaltet.
Als der Verlag seine Absicht bekannt gab, ein dokumentari-
sches Buch iiber Reichstagsbrand und Hitler-Terror zu publizie-
ren, da meldeten sich Hunderte freiwilliger Mitarbeiter. Schrift-
steller, Arbeiter, Aerzte, Rechtsanwalte, die der Hitler-Terror aus
Deutschland vertrieben hatte, stellten sich zur Verfiigung. Sie
beschafften Material, sichteten und priiften es, sorgten fur die
Verbindungen nach Deutschland und schrieben den Text,
Nicht nur Emigranten haben an diesem Buche gearbeitet.
In dem grossen braunen Kerker, der sich « Drittes Reich » nennt,
fanden wir viele Mithelfer, die unter Lebensgefahr Material iiber
die deutschen Ereignisse besorgten und Material, das wir ihnen
sandten, auf seine Zuverlassigkeit hin priiften.
So entstand dieses Buch; als Kollektivarbeit von Antifaachi-
sten, als Gemeinschaftsarbeit von Kampfern innerhalb und aus-
serhalb Deutschlands, die geeint sind in dem Gedanken, fur den
Sturz des Hitler-Faschismus und fur ein sozialistisches Deutsch-
land zu wirken.
Es ist ein deutsches Buch. Deutsche haben es erlebt und erlit-
ten. Deutsche haben es geschrieben.
Es ist ein Internationales Buch. Antifaschisten in England
und Frankreich, in Holland und Amerika haben die Herausgabe
dieses Buches unterstiitzt. Das Weltkomitee fiir die Opfer
des Hitler-Faschismus, an dessen Spitze ProL Einstein und Lord
Marley stehen, hat diesem Buche seine Hilfe geliehen.
Internationale Schriftsteller von hohem Rang haben durch
Beitrage die Solidaritat mit den Opfern des Hitler-Terrors und
mit dem Kampf gegen den Hitler-Faschismus dokumentiert.
Es ist ein internationales Buch, es zeigt fiir alle Leser, gleich-
giiltig, ob sie in Deutschland, in Amerika, in England oder Ita-
lien, in Polen oder Frankreich leben, die Gefahr des Faschismus.
Nicht nur die Gefahr. Fiinf Monate Hitler-Faschismus sind in
diesem Buche dargestellt, fiinf Monate Hitler-Holle.
Es ist ein dokumentarisches Buch. Jede Behauptung dieses
Buches stutzt sich auf dokumentarisches Material. Nicht immer
ist es moglich, Namen und Adresse des Verfolgten oder des Augen-
zeugen zu veroffentlichen. In diesem Falle wurden die Beweise
fur unsere Behauptungen beim Notar niedergelegt.
Das Braunbuch ist das erste einer Biicherreihe uber Hitler-
Deutschland. Andere werden folgen, in denen gezeigt werden
soil, was die Hitlerdiktatur den Arbeitern, Bauern, den Mittel-
schichten Deutschlands okonomisch, sozial und rechtlich genom-
men hat. Die Verelendung Deutschlands, die sich unter der Hitler-
Diktatur in rapidem Tempo fortsetzt, wird in diesen Biichern
ihre Darstellung finden. In einem besonderen Band wird der
Kampf innerhalb Deutschlands gegen den Hitler-Faschismus
geschildert werden.
Die Autoren dieses Buches wiinschen, ungenannt zu bleiben.
Sie schrieben das Buch fiir die Opfer des Hitler-Faschismus, fur
die Gefangenen und Gernarterten der braunen Holle, fiir Frauen
und Kinder, denen der Hitler-Terror den Gatten und Vater nahm,
fiir die Millionen antifaschistischer Kampfer, deren Kampfwille
durch Stahlruten und Konzentrationslager nicht gebrochen wer-
den konnte.
Der Kaznpf gegen den Hitler-Faschismus wird innerhalb
Deutschlands entschieden. Es ist dafur gesorgt, dass dieses Do-
kument der braunen Schmach, das « Braunbuch iiber Reichs-
tagsbrand und Hitler-Terror », seinen Weg nach Deutschland
findet.
Jul! 1933. Die Verfasser und der Verlag.
V R W R T
Es ist immer schwierig, Aulhentisches uber Dinge zu er-
fahren, die unter einem gut organisierten Terror geschehen.
Selbst erfahrenen Journalisten mit ihren Fachkenntnissen ge-
lingt es nur schwer, der Wahrheit nahe zu kommen: solche Angst
haben die Leute zu sprechen, und so vollkommen funktioniert
die Spionage. Es ist das besondere Verdienst einiger auslandischer
Pressekorrespondenten in Deutschland, dass sie unter dem Risiko.
ihre Stellungen zu verlieren, soviel von der Wahrheit uber die
Grenze gebracht haben.
Dem Weltkomitee fur die Opfer des Deutschen Faschismus
sind viele anthentische Dokumente zur Verfiigung gestellt
worden: einige von Journal isten, andere von Aerzten und
Rechtsanwalten, denen besondere Wege zur Wahrheit offer,
standen, die aber ihre Informationen in Deutschland nicht zu
veroffentlichen wagen und es auch nicht konnen. Weitere Do-
kumente sind von den Gefolterten und Gemarterten selbst gesandt
worden. Den Hauptteil des Materials verdankt das Komitee eige-
nen Berichterstattern, die unter Lebensgefahr in Deutschland ge-
arbeitet haben.
Wir haben nicht die sensationellsten dieser Dokumente be-
nutzt. Jede Feststellung, die in diesem Buche gemacht wird, ist
sorgfaltig gepruft worden und typisch fur eine Reihe ahnlicher
Falle. Wir waren in der Lage, vie! schlimmere Einzelfalle zu
bringen, aber wir haben davon Abstand genommen, weil sie eben
Einzelfalle waren. Kein einziger hier gebrachter Fall ist ein Aus-
nahmefall. Alle sind typisch fur viele andere, die in unserem
oder im Besitz der nationalen Hilfskomitees sind*
Diese Zeugnisse des Faschismus sind schrecklich. Aber das
Gedachtnis der Oeffentlichkeit ist kurz, und die offentliche Mei-
imng ist leider nur allzu bereit, sich init einem fait accompli ab-
zufindcn, wie heute ten Falle Italien.
Unser Buch soil die Erinnerung an den verbrechcrischen Weg
der Nazi-Regierung stiindig wachhalten. Unser liuch ist ein Bei-
trag zum Kanipf gegen Hitler-Faschismus. Dieser Kampf ist nicht
gegen Deutschland gerichtet. Dieser Kampf wird fur das wahre
Deutschland gefuhrt.
House of Lords
London SW, 1
Lord MARLEY,
Vorsitzender des Weltkomitees fur die Opfer
des Hitler-Faschismus.
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I te^i •*-*
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Der breuneride Reichstag
<Dte polizeiliche Uotersuchung hat ergebeu, dass
im gesamteu Keichstagsgebaude vom Erdgeschoss
bis zur Kuppel Brandherde angelegt waren. Ea
liegt zweifelsfrei die schwerste bisher in Deutsch-
land erleble Brandsti flung vor.>
(MeJdung dcs Ami!. Preuss. Pressed icnslcs
vom 58. 2. 1913 frith.)
Per Sitziuigssaal des Reichstages
Die Verwfistuti.ii' naoli <Umii lira ml hu SitzimaaKwial
Der Weg znr Maclit
Im Januar 1919 wird in Mun.ch.en die < Deutsche Arbeiter-
partei » gegriindet. Im Juli desselben Jahres tritt Adolf Hitler,
damals « Bildungsoffizier » in der Reichswehr, dieser Partei bei.
Er ist das siebente Mitglied dieser Keirnzelle der spateren
Nationalsoziatisiischen Deutschen ArbeiterparteL
Wer sind die Griinder und ersten Mitglieder der NSDAP?
Aus welchen Schichten stammen sie und welche Interessen ver-
ireten sie? Es sind zunachst Soldaten und Offiziere, die ent-
tauscht aus dem Weltkriege heimgekehrt waren. Vier Jahre lang
hatten sie an die chauvinistischen Losungen ehrlich geglaubt. Sie
hatten sich mit ihrem Leben fiir die « Erkampfung eines mach-
tigen Grossdeutscliland » eingesetzt. Sie glaubten an die Legende,
dass Pazifisten und Sozialdemokraten als « Landesverrater » die
deutsche Front von Linten erdolcht und die Niederlage herbei-
gefuhrt hatten. Diese «Heimkehrer» waren tief erbittert uber die
Schwache der herrschenden Klassen, uber Verrat und Flucht des
Kaisers und der sajig- und klanglos abgesetzten Fiirsten, uber die
Generale des grossen Krieges, welche die «Novemberverbrecher«
nicht mit eiserner Faust niedergeschlagen, zur Rechenscbaft ge-
zogen und vor ein Kriegsgericht geslellt hatten.
Diese zutiefst enttiiuschten Soldaten und Offiziere fan den
sich nicht mehr zuriick ins burgerliche Leben. Die Berufe, die sie
cinst innegehabt hatten, gab es zum Teil nicht mehr. Das gait
vor allem fur die Berufssoldaten, Militiiranwarter und eine Reihe
von Beamtenkategorien. Zu ihnen gesellten sich entwurzelte
Adelige, Studenten, die durch den Krieg aus ihrem Studium
berausgerissen waren, deklassierte und radikalisierte Kleinbiir-
ger, Angehorige der Mittelklassen, die jetzt vollends den Baden
unter den Fussen zu verlieren begannen. Alle diese Elemente.
die sich ebenso in den zahlreichen damals entstehenden Frei-
korps, in der Einwohnerwehr, im Stahlhelm (Bund der Front-
soldaten, gegriindet 1919) und in der Brigade Ehrhardt samrnel-
ten, bildeten auch die ersten Kader des jungen Nationalsozialisti-
schen Deutschen Arbeitervereins, wie sich die Partei zuerst offi-
ziell nannte.
In den ersten beiden Jahren nach der Griindung blieb die
NSDAP zunachst eine unbedeutende Gruppe. Die November-
devolution 1918/19 war niedergeworl'en, cler Sturz des kapitali-
stischen Systems unci die Erkampfung dcs Sozialismus verliin-
dert. Der Sozialdemokrat Friedrich Ebert wird der erste Reichs-
prasident der Weimarer Republik, Die Herrschaft der alten
finanzkapitalistischen Krafte konsolidiert sich wieder. Die
Gewerkschaftsfiihrer haben einen Friedcnspakt mit den Unter-
nehmern abgeschlossen: die «Zentralarbeitsgemeinschaft», die
bereits im November 1918 zwischen dem Trustherrn Hugo
Stinnes und dem Vorsitzenden der Genera Ikommission der
Gewerkschaften, dem Sozialdemokralen Karl Legien, vereinbart
worden war.
Was konnte also Hitler den fahrenden Gruppen des deut-
schen Kapitalismus damals bieten? Sie brauehten die NSAPD zu
dieser Zeit noch nichi. Hitlers Verein konnte zunachst zu keiner
Bedeutung gelangen. Er selbst blieb noch bis zum April 1920 in
den Diensten der Reichswehr, fur deren Soldaten er politische
Vortrage hielt. Im Auftrage der Reichswehr « beobachtete » er
auch politische Vereinigungen und Versammlungen. Er lieferte
Berichte und Informationen. Auf diese Weise kam Hitler auch
mit der « Deutschen Arbeiterpartei » in Verbindung.
Die politische Bedeutung der NSDAP stieg aber bald. Die
politische Lage in Deutschland anderte sich, je mehr die erdriik-
kenden Auswirkungen des Versailler Friedensdiktates und des
verlorenen Krieges spiirbar wurden. Milliarden an Reparationen
wurden gefordert und bezahlt. Wichtige Wirtschaftsgebiete wur-
den abgetreten: Elsass-Lothringen, Oberschlesien, Saargebiet,
Posen und Westpreussen (der sogenannte « polnische Korri-
dor »). Danzig und Eupen-Maknedy. Der deutsche Absatz wurde
durch den Verlust eines erheblichen Teils der europaischen
und uberseeischen Absatzmarkte und der Kolonien noch weiter
eingeengt. Die Koslen der Demobilisierung, insbesondere der
Urnstellung der Kriegsindustrien, lasteten schwer auf dem werk-
tatigen Steuertrager. Die ausschlagg^benden Kreise des deut-
schen Monopolkapitals waren unablassig bemuht, die Repara-
tions-Milliarden und alle andern Verluste auf die Schultern der
Arbeiter und der Mittelklassen abzuwalzen.
Diese Entwicklung fand ihren ersten Hohepunkt in der
Inflation, die bereits 1917 wahrend des Krieges von der wilhel-
rmnischen Regierung begonnen wurde, aber erst 1921/22 den
Massen deutlicher spiirbar wurde. Die Inflation erreichte ihre
katastrophalste Steigerung im Herbst 1923. Sie hatte eine wei-
tere Verelendung der Arbeiter und eine tiefgehende Proletari-
siening der Mittelklassen zur Folge. Millionen kleiner Existenzen
smd durch die Inflation buchstablich ihrer letzten Habe beraubt
worden. Banken und Grossindustrielle heimsten riesige Profite
10
ein Der Staat zahlle ihnen 600 Millionen Goldmark als « Ent-
Sdigung » fur die Ruhrbesetzung, wahrend die Masse der
Revollcerung leer ausgiug. .... «^ t».*
Das Wirtschafts-Chaos rul't schwere poliUsche Erschutte-
rnn*en hervor. Erzberger und Rathenau fallen als «Eriullungs-
noliliker* den Kugeln nationalsozialistischer Morder zuin Opfer.
Mil neuer mitreissender Gewalt leben die Erinnerungen auf an
die Berliner Spartakuskampfe nn Januar 1919. an den Ruhrauf-
stand beim Kapp-Putsch im Marz 1920 und an die Arbeiterer-
hebung im Marz 1921. Die Abwanderung der Arbeiter von der
Sozialdemokratie nimmt zu, zunachst zu den Unabhangigen,
dann, nach der Spaltimg der U. S. P. im Herbst 1920, immer star-
ker zur Kommunistischen Partei. MacMige anhfaschistische
Demonstrationen finden statt. In grossen Massenbewegungen,
die sich im Oktober 1923 zum Hamburger Aufstand steigern,
kampfen revolutionare Arbeiter gegen die Diktatur Eberts und
der Reichswehrgenerale.
Die 25 Pnnkte — das Programm der NSDAP
In dieser Zeit erlebt die Nationalsozialistische Deutsche
Arbeiterpartei ihren ersten Aufschwung. Im Februar 1920 war
das ^Prograram» der Partei, die sogenannten 25 Punkte, von
Hitler seibst in seiner Versammlung im Miinchener Hofbrauhaus
verkiindet worden. Es enthalt ein Gemisch von Satzen und For-
derungen, die zum Teil einander widersprechen. Die politisclie
Praxis der NSDAP hat rait ihnen niemals in Einklang gestanden.
Was scherte es Hitler und seine Vasallen, dass es am Schlusse
des Programms grossspurig hiess:
<Die Fuhrer der Partei versprechen, wenn n6tig unter Einsatz des
eigenen Lebens, fiir die Durchftthrung der vorstehenden Punkte riick-
sichtslos einzutreten.>
Es blieb nicht das einzige Versprechen, das die Fuhrer der
NSDAP gaben, ohne es zu halten. Von einer Generalmitglieder-
versammlung der Partei im Mai 1926 ist noch einmal die « Unab-
anderlichkeit a des Programms ausdriicklich beschlossen wor-
den. Ausserdem hat Gottfried Feder, Mitverfasser der 25 Punkte
und « Theoretiker » der NSDAP* in seinem Programm-Kommen-
tar mit « aller Entschiedenheit a und « unbeugsamer Deutlich-
keit » betont:
<An den Grundlagen und Grundgedanken dieses Programms dart
nicht geriittelt werden. Ee gibt kein Dreben und Wenden aus etwaigen
NUtzlichkeitserwagungen. es gibt kein Versteckspielen mil wichti$-
Bten. der heutigen Staats-. Wirschafte- und Gesellschafsordnung. be-
ll
soaders unaugeuebmen Programmpunklen und es gibt kein Schwan-
kea in der Geeinnung . . . Wer in der Judenfrage, in unserem
Kampf geseti die Hochfinanz, gegen Dawes-Pakt und Verelendunga-
politik cder in anderen projrrammatisrhen Fragen nicht mit unseren
unverriickbar festgeleg'en Wegen und Zielen iibcreinstimnuni zu kro-
nen glaubt. wer durch VOlkerbund oder Locarno, wer dunii Komp'o-
misseln und Feigheit die Freiheit der deutschen Nation erkaufen zu
konnen glaubt, der hat eben bei une oicbtfi 2u suchen, der steht yus
serijaib der NSDAP.>
AUe diese tonenden W&rte kouncn nicht dariiber hinweg-
(iiuschen, dass die Fiihrerschaft der NSDAP in ihrer praktischen
Politik ihr eigenes, kompromisslerischos, halbes « Programm a
iramer wieder verleugnet und in der Praxis das Gegenteil ge-
tan haben.
Der Betrug beginnt gleich bei den ersten beiden Punkten:
* Zusammenschluss aller Deutschen auf Grand des Selbstbestirn-
mungsrechts der Volker zu einem Gross-Deutschland » (Punkt
J) und c Gleichberechtigung des deutschen Volkes gegeniiher den
anderen Nationen, Aufhebung der Friedensvertrage von Ver-
sailles und St. Germain » (Punkt 2). Eeine dieser beiden Pro-
grammforderungen hatten Hitler gehindert, sowohl vor wie nach
der Machtergreifung, mit den Signatarrnachten des Versailler
Vertrages Kompromisse zu schliessen, durch Beauftragle mit
dem Volkerbund, mit Frankreich, Polen, England und Italien zu
verhandeln!
Ueber diese « Zwnsfaden » ist er nicht gestolpert. als er
Sudtirol an Mussolini verriet. In der ersten Auflage des Feder-
schen Programrnkommentars hatte es noch geheissen: « Wir
verzichten auf keinen Deutschen in Suddeutschland, in Elsass-
Lothringen, in Sudtirol, in Polen, in der Volkerbundskolonie
Oesterreich und den Nachfolgestaaten des alten Oesterreich ».
In dor zweiten und in alien spdteren Auflagen der Federschen
Scluift sind die Worte « in Sudtirol » gestrichen! Dabei wagte
Keder, im Vorwort zur 5. Auflage zu schreiben: « Verbessert sind
nur da und dort einige Schonheitsfehler (!) im Ausdruck und
Melien, die zu Missdeutungen fiihren konnten. »
Aehnlich steht es mit anderen Punkten des Programms, vor
a Hem mit den wirtschafts- und sozialpolitisclien Forderungen:
I Rrfh , g S S , arbeitS - Und ™ h *losen Einkommens ,,
2ieh«n? Un if % Zmsknechtschaft » (Punkt ID, * restlose Ein-
allar £u h I Knegsgewmne . (Punkt 12), « Verstaatlichung
(Punk^it ° r be - eit l /.^gesellschafteten (Trusts) Betriebe »
™ 13) : « Gewinnbeteihgung an Grossbetrieben » (Punkt 14),
I ST 8,ger . Ausbau der Altersversorgung » (Punkt 15
* Schaffung ernes gesunden Mittelstandes und seine Erhaltunft
12
sofortige Kommunalisierung der Grosswarenbkuser und ihre
Vennietung zu billi S en Preisen an ktone Ge^erbetreibeade,
2Se Berucksichtrgung a ller kleinen Gewerbetrei^nJen b«
icferun* an den Staat, die Lander oder Gemeinden » (Pi* nkt 16),
< eine unseren nationalen Bedurinissen angepaSSte Bodonre-
form Schaffung eines Gesetzes zur unentgeltlichen Enteignung
von Boden fur gemdnnutzige Zwecko, Abschaffung des Boden-
zinses und Verhinderung jeder Bodenspekuiution » (Punkt 17).
Es ist nicht notwendig, auf jeden dieser Programmpunktc hicr
im einzelnen einzugehen. Einige der Programmpunktc werden m
spatercn Kapiteln des vorliegenden Buches behandelt werden,
z. B. die Judenfrage (Punkt 4 — 8 und 23).
Hier kommt es uns darauf an, den Grundzug des national-
sozialisfischen Programms zu skizzieren und die Skrupellosig-
keit der Fuhrer der NSDAP aufzuzeigen, die es Punkt fur Punkt
verfalschen und verraten. Die Forderungen selbst sind zum Ted
kleinbiirgerlich-reaktionare, wie die in Punkt 16 erhobene
(« Schaffung und Erhaltung eines gesunden Mittelstandes »);
auch hier Halbheit und Widerspruche, die fur das ganze Pro-
gramm charakteristisch sind: wie soil der «Mittelstand» erhal-
ten werden, wenn zugleich die Voraussetzungen fur sein allrnah-
Iiches Verschwinden, die Voraussetzung fur die Proletarisierung
der Mttelklassen, namlich das kapitalistische Wirtschafis-
system, von der NSDAP grundsalzlich bejaht wird? Dasselbe gilt
entsprechend fur Punkt 17, der die Grundlage fur die national-
sozialistische Agrarpolitik bilden soil: wie will Hitler den Bauer
rctten, wenn er absolui auf dem Boden des Privateigentums
steht, wenn von einer unentgeltlichen Enteignung des Gross-
grundbesitzes zu Gunsten der landarmen Kleinbauern keine
Rede sein kann? Hitler hat im April 1928 nochmals ausdrucklich
betont, dass die NSDAP das Privateigentum an den Produktions-
mitteln mit aller Kraft zu verteidigen entschlossen ist. Er hob in
einer Erklarung zu eben diesem Punkt 17 des Programms her-
vor, dass der Passus « unentgeltliche Enteignung » nur auf die
Schaffung gesetzlicher Moglichkeiten Bezug habe, Boden, der auf
unrechtmiissige Weise erworben sei oder nicht nach den Ge-
sichtspunkten des Voikswohles verwaltet werde, wenn notig (!},
zu enteignen. Dieser Passus richte sich demgemass in erster
Linie gegen die — judischen Grundstiicksspekulationsgesell-
schaften.
Widerspruche und Kompromisse auf der ganzen Linie!
Auf der anderen Seite finden wir in den wirtschafts- und
sozialpolitischen Programmpunkten der NSDAP wohlbekannte
(lite Ladenhiiter aus den Programmen burgerlich-liberaler Par-
teien und der — Weimarer Verfassung. Punkt 13 (Verstaat-
13
lichung der Trusts) ist direkt geslohlen aus dem Programm der
Deutschen Demokratischen Parlei von 1919! Andere Punktc
figurieren als nie erfiillte Versprechungen der Weimarer Verfas-
sung: Punkt 15 (Ausbau der Altersversorgung), 20 («Freie Bahn
dem Tucbtigen!» — vergleiche Reichsverfassung und Reiclis
jugendwohlfahrtsgesetz von 1924), 21 (Hebung der Volksgesund-
heit, Schutz fur Mutter und Kind), 24 (« Genicinnutz vor Eigen-
nutz » — vergl. Art, 156 der Verfassung).
Der erste Aui'schwimg der nationalsozialistisclieii
Bewegnng
Mit diesem Programm, mit Reden, die im Geiste der 25
Punkte gehalten waren, Irat Hitler in der Zeit des ersten Auf-
schwungs der NSDAP in den ersten grdsseren Versammlungen
out. Die Agitation gegen Versailles stand dabei durchaus im Vor-
dergrund. Je starker das Kleinbiirgertum durch die fortschrei-
tende Inflation in Garung kam, desto grosser war der Zustrom
zu den nationalsozialistischen Kundgebungen. Zweifellos spielte
aber in den kleinbiirgerlichen Massen nicht nur die materielle
Schadigung dureh Reparationen, Geldentwertung und Ruhrbe-
setzung erne Rolle, sondern auch die Verletzung des Nationalge-
luhls durch das Versailler Friedensdiktat und den Einfall der
Iranzosischen Truppen in deutsches Gebiet
«*«? H FebrU f l?. 2 J' k " rz nadl d en Reparationsverhandlungen,
K™, TV, " Hl^Versnmmlung im Riesenraum des Zirkus
fCn I^KvJ; " Zuk ( Un \ od f Untergang^! Zum ersten Male
fahren Lastwagen mit webenden Hakenkreuzfahnen durch die
Strassen Munchens, urn fur die Versaromlung Propaganda zu
machen. Die NSDAP ahmt Agitationsmethoden der ^ h Son
Kunt T erSChat lV aCh - SiC laSSt feuerrote Platte «* die g osse
Kundgebung anschlagen mit dem demagogischen Text-
in W e Tnm«.lf "rTft ""Z Und Weib " VOm Greis bis «™ Jungen.
oil Z W L » M n , h , 6it erklSren - w ! r - o " « " n i c h ., dann
Die Zirkusversammlunff war pin Frfnirt tj;h
i:iul gar, als er nach ihrem ZSgexn unci ihrer offenen Ablehnung
mit seiner immerhin noch schwachen Gruppe allcin das Wagnis
unternahm. Das Programm dieser Parteien der grossburgerlich-
junkerlichen Reaktion war nicht geeignet, ihnen in den klein-
bljrgerlichen Schichten die Positionen zu verschaffen, die sich
di« Nationalsozialisten spat-er mil ihren 25 Pimkten und ihren
skrupellosen Agitationsmethoden zu erobern verstanden. Das
Scheitern des Kapp-Puisches im Marz 1920 hatte dies bereits
bewlesen.
Ohne Fiihlung mit den in Garung befindlichen Mittelklas-
sen, lediglich auf die Grossgrundbesitzer, Teile der Reichs-wehr
und der hohon Biirokratie sowie einige Freikorps und Wehrver-
Mnde gestiitzt, war dieser Restaurationsversuch des junker-
liehen Fliigels der Bourgeoisie, war der Kapp-Putsch von der
deutschen Arbeiterschaft innerhalb 24 Stunden vereitelt und
niedergeschlagen worden.
Auch der Stahlhelm war iiber einen begrenzten Einfluss
unter Teilen der bauerlichen und biirgerlichen Jugend und den
riickstandigsten Arbeiterschichten (Mitgliedern der gelben Ver-
bande und der Werkvereine, Landarbeitern) nie hinausgekom-
men. Anders die NSDAP. Mit ihrem Scheinkampf gegen das
« internationale jiidische Bank- und Borsenkapital », mit ihrer
Losung der « Volksgemeinschaft », in der alle Klassen unter
cinem uber ihnen stehenden starken Staat friedlich miteinander
leben sollten, konnte sie in breitere Schichten eindringen. Es
gelang ihr, grossere Teile der kleinbiirgerlichen Massen unter
ihre Fahnen zu sammeln.
Der Einfluss der Nationalsozialisten wachst. 1921 ver-
doppelt sich die Mitglicderzahl: sie steigt von 3.000 auf 6.000.
Der Wirkungskreis der NSDAP beschrankte sich damals
fast ausschliesslich auf Bayern. In Norddeutschland ist die
volkische Bewegung, die von Graefe, Wulle, Henning und Grat
Reventlow gefuhrt wird, weitaus starker.
Zwei Jahre nach Kriegsschluss finden die ersten Kongresse
und Parteitage statt. 1920 tritt in Salzburg eine Tagung zusam-
men, auf der mit den Fuhrern d«r osterreichischen und siid-
deutschen nationalsozialistischen Bewegung gemeinsame Bera-
lungen abgehalten werden. Die Bewegung war in den Gebieten
des fruheren Oesterreich bereits viel alter. Eine osterreichische
« Deutsche Arbeilerpartei » war bereits 1904 gegrundet und auf
emer Wiener Tagung im Mai 1918 zusammen mit anderen Grup-
pen in « Nationalsozialistische Partei Oesterreichs » umbenannt
worden. Die Anfange des Nationalsozialismus gehen also auf den
Begum des Jahrhunderts zuriick. Er entfaltete sich zuerst im al-
15
ten Volkergefangrns Oesterreich. in Bohmen. wo die national,
Fragc erne besondere Rolle spielte. Hitler als geborener Oe er-
reicher hat v.eles von dort ubernommc. In Salzburg kanTe , ,
Verstandigung mat Jung, dem Leiter der bohmischen ? a
nicht zustande. Es waren andere Verhaltnisse, in denen der del
sche Nationalsozialisnuis sich entwickelte.
«™. D ^v " SCh ! te . Kon 8 re « s wurd e 1921 in Reichenhall genX-
* aro > mit russisch en und ukrainisehen weissgardistischen Vcr-
^S 11 ™' D " *«**«*« Hetman Skoropadski war
A?frirt p Re , dnern -. *™«"nwn mit dem NationalsoziXten
Alfred Rosenberg, emem Balten, dem spateren Chefredaktejr des
« \olkischen Beobachters » und Aussenpolitiker der tfSDAP
entwickeln die weissgardistischen Emigranten ihre Interven-
tionsplane gegen den jungen Sowjetstaat, der soeben die leteten
Interyentionstruppen aus dem Lande gejagt hat. Damals bereits
Knuptte Rosenberg Verbindungen mit Deterdincr und dem deut-
schen Grossmdustriellen Rechberg, wiitenden Feinden der Sow-
jetrepubhk, an. Er schreibt im « Volkischen Beobachter » seine
ersten anhbolschewistischen, propolnischen (!) Hetzartikel.
Im Januar 1922 wird dann in Munchen der erste offizielle
Parte.tag der NSDAP abgchalten. In einer Proklamation anlass-
hch des Parteitages erklart Hitler, der noch urn die alleinise dik-
tatonsche Herrschafl in der Partei zu kampfen hat : es gelte, die
Bewegung reinzufegen, denn sie sei eine « Brutstatte gutgesinn-
ter, aber deshalb umso gefahrlichercr Narren ». Das richtete sich
deuthch gegen die alten Mitbegriinder der Partei, u. a. gegen
Anton Drexler und Korner, die mit den neuen skrupellosen Me-
thoden Hitlers nicht mitkommen konnten und wollten.
Einflussreiche hohe Offiziere des Munchener Reichswehr-
komrnandos hatten die jimge Bewegung seit langem gefordert.
Unter ihnen waren friihere Kameraden Hitlers aus den Jahren
1919/20. Mit ihrer Hilfe hatte er neben der eigentlichen Partei-
organisation und dem Presse- und Propaganda-Apparat eine
dritte Organisation erriehtet, die ihm bercits in diesen Jahren
des ersten Aufschwungs als hervorragendes Kampfinstrumeut
diente: die SA. Urspriinglich hatte die NSDAP im Sommer 1920.
angeblich zum Schutze ihrer Versammhmgen gegen Ueberialle
der « Roten », eine « Ordnungstruppe » geschaffen. Diese
geniigte aber auf die Dauer nicht; sie war zu klein und sehwach
im Vergleich zu den anderen nationalistischen WehrverbSnden.
So schritt Hitler im August 1921 zur Grundung eines eigenen
nationalsozialistischen Wehrverbandes, der Sturm-Ahteilungen,
der SA. Sie stellt die terroristische Kampftruppe der NSDAP dar
und ist der politischen Fiihrung untergeordnet.
16
Wer finanzicrte Hitler?
Bald begannen sich auch eine Reihe von Kapitalisten, beson-
dcrs in Siiddeutschland, fur Hitler und die NSDAP zu interessie-
ren, uni sie in den Dienst ihrer reaktionaren Politlk zu stellen.
Sie erkannten den Wert der national sozialistischen Bev/egung
fiir die Nicderhaltung der klass^nkampferischen Arbeiterschaft.
Sie waren bereit, die NSDAP zu « Kirdern » und sie vor allera
finanziell zu unterstiitzen.
Im spateren Hitler-Ladendorff-Prozess (1924) ist festge-
slellt worden, dass Hitler von dem Direktor des bayerischen
Industriellenverbandes, Geheimrat Aust, dem Verbandssyndikus
Dr. Kuhlo, dem Inhaber der Klavierfabrik Bechsiein, dem Gross-
industriellen Maffei (Munchen), den Fabrikanten Hornschuh
(Kulmbach) und Grande! (Augsburg) erhebliche Geldsummen fiir
die Partei erhalten hat. Hitler liielt auch in den vornehmen Klubs
der Bankiers, Grossgrundbesitzer und Industriellen Vortrage
iiber « seine Ziele ». Er nahrn dafur Geldzuvvendungen fiir die
nationalsozialislische Presse und ahnliche Zwecke in Empfang.
Auch von dem bekannten Berliner Grossindustriellen Borsig,
dem als sozialpolitischen Scharfmacher bekannten Vorsitzenden
der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbande, hat Hitler
bereits in jener Zeit Subventionen bekommen. Ein Agent Hitlers
in der Schweiz, Dr. Gausser, soil ihm damals die Unterstiitzung
Henry Fords und Gelder aus franzosischen Kapitalistenkreisen,
die auf den bayerischen Separatismus spekulierten, verschafft
haben.
Dokumentarisch wird man alle diese dunklen Geldquellen
des « Arbeiterfiihrers » Hitler wohl erst dann im einzelnen nach-
weisen konnen, wenn die Archive in einem kommenden soziali-
stischen Arbeiter-Deutschland riicksichtslos geoffnet sein war-
den. Der politische Nachweis ist aber heute schon moglich. Die
ganze Politik der NSDAP, die ihr spater offene Sympathieerkla-
rungen aus grosskapitalistischen Kreisen (Tlxyssen, Schacht
usw.) eingebracht hat, bestatigt das grosse Interesse, das die
herrschenden Klassen an ihrer Forderung haben mussten. Die
Schuldcn Hitlers, der ungeheuere Aufwand fur die Propaganda
und fur die Unterhaltung der SA haben 1923 eine gewisse^RolIe
gespiell und ihn zum Losschlagen mit veranlasst.
Der Putsch vom 9. November 1023
^ Q .^"^hepunkt und Abschluss dieser ersten Aufschwunes-
h" °iooo der T NSDAP bi,dete der Wwtoer Putsch vom 9. Novem-
ber ly^d. im Laufe des Jahres 1923 hatte Hitler seine Verbiin-
17
deten in der bayrischen Regierung und Reichswehr fcmmer wie-
der zum Losschlagen gedrangt. In den ersten Novembertagcn
mobilisierte er schliesslich die Kampfverbande und stellte den
bayerischen Generalstabskommissar von Kahr, den zogerndcn
General Ludendorff und den General von Lossow, den Komman-
deur der bayerischen Reichswehr, in einer grossen Versammlung
der Vaterlandischen Verbande Miinchens im Burgerbraukeller
vor ein fait accompli. Zur Ueberraschung der meisten Anwesen-
den proklamierte Hitler die « nationale Republik ». Er setzt
Ebert ab, « ernennt » sich selbst zum Reichskanzler, Kahr zum
Landesverweser, den Munchener Polizeiprasidenten Pohner zum
Ministerprasidenlen und Ludendorff zum Reichswehrrainister.
Der bayerische Ministerprasident von KnilLing, die Minister
Giirtner, Schweyer, Wutzelhofer und General von Lossow wer-
den verhaftct, aber schon wenige Stunden spiiter von Ludendorff
gegen « Ehrenwort » entlassen. Kahr geht zunachst auf Hitlers
Vorschlage ein, begibt sich aber mit Lossow und Oberst Seisser
in der Nacht in die Kaserne des 19. Infanterie-Regiments. In
einem Funkspruch verkiinden die drei, dass sie den Hitlerputsch
ablehnen. Kahr erklart, seine Zustimmung zum Putsch fur un-
giiltig, da sie von ihm im Munchener Burgerbrau mit Waffenge-
walt erpresst wurde. Um drei Uhr morgens verfasst der General-
stabskommissar von Kahr eine zweite Erklarung, in der es
heisst, dass « treu- und wortbriichige ehrgeizige Gesellen » aus
einer Kundgebung fur Deutschlands Wiedcrerwachen eine Szene
widerwartiger Vergewaltigung gemacht hatten und dass die
« mit vorgehaltenem Revolver abgepressten Erklarungen »
Kahrs, Lossows und Seissers null und nichtig seien. Die Natio-
nalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei sowie die Kampfbiinde
« Oberland » und « Reichsflagge » werden fur aufgelost erklart.
Diese Mitteilung und die Auflosungsverordnung erscheinen noch
am Morgen des 9, November in den Munchener Zeitungen.
Hitler und Ludendorff versuchen einen verzweifelten Ge-
waltstreich, obwohl Hitler einige Monate vorher dem bayrischen
Innenminister Schweyer sein Ehrenwort gegeben hatte, nicht zu
putschen. Sie marschieren mit den Kampfverbanden durch die
Strassen. Die Reichswehr verhalt sich neutral. Sie schiesst nicht
auf die Marschierenden. Bayerische Landespolizei erwartet Hit-
lers Anmarsch an der Feldherrnhalle. Sie gibt eine Salve ab. Die
Hitlerleute haben fiinfzehn Tote. Hitler selbst flieht und wird
wenige Tage spiiter, bevor er die osterreichische Grenze erreichen
kann, in der Luxusvilla einer Prinzessin verhaftet. Goring
fliichtet nach Italien, spater nach Schweden. Ludendorff bleiht
von der Haft verschont.
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Der Prozess gegen die Putschistcn vora 9. November iintlct
im Friihjahr 1924 vor dem Volksgericht in Miinchen statt. Die
Richler sind gnadig and freundlich. Handclt es sich doch una
iauter « nationalgesinnle » Angeklagte, die « nur das Beste
gewolll » haben : Hitler, General der Infanlerie Ludendori'L
FoHzeiamtmann Frick (1933: Reichsminister des Innern), Haupt-
mann Rohm, Oberleutnant Pernet, den Stiefsohn Ludcndorffs
usav. Die Geschichtsschreiber der NSDAP berichten, dass die
Angeklagten in frohlicher Stimmung seien, lacheln und spas-
sen. Hitler erhiili funf Jahre Festungshaft — mit Bewahrungs-
frist. wen-n ein Teil der Strafe verbiisst isi. Schon nach wenigen
Monaten, im Dezernber 1924, wird er aus der Festung Landsberg
wieder entlassen. Rohm, Frick und Bruckner kommen sogar mit
nur drei Monaten Festungshaft weg. Ludendorff wird wegen
« Sinnesverwirrung im Augenblick der Tat » freigesprochen.
Hitler, damals noch osterreichischer Staatsbiirger, darf weiter
in Deutschland bleiben und wird nicht ausgewiesen. Die reak-
tionare deutsche Justiz weiss, was sie diesem « Revolutionar »
schuldig ist.
Die j\SI>AP vei'sehwindet vorttbergehend vom Schauplatz
Der missgliickie Putsch des Jahres 1923 bildete den Ab-
'lluss der « umstiirzlerischen Periode » der Hitler-Bewegung.
Vorbei jede Zeit dor illegalen odcr nur halblegalen Plane eines
bewaffnelen Auftretens geg-en die « Berliner Judenregierung ».
Diese Zeit der iVSDAP war mil dem Uebergang zu einer gewis-
sen wirtschaftlichen Stabilisierung in Deutschland, mit dem
Abebben der Garungswelle in den kleinbiirgerhchen Massen, end-
gultig vorbei. Die NSDAP geht dnrch eine tiefe Niedergangppe-
riode und verschwindet fiir einige Jahre fast vollig vom politi-
schen Schauplalz. Die vereinigten Volkischen unci Nationalso
zialisten, die noch im Mai 1924 bei den Reichstagswahlen 1,9 Mil-
lionen Stimmen (32 Mandate) crhallen haben, bekommen im De-
zember desselben Jahres nur noch 14 Reicbstagssitze (840.000
Stimmen). Sie sinken zur Splitterpartei herab, wahrend die
Deuischnationalen iiber 100 und die Sozialdemokraten 120 Man-
date fiir sich buchen konnen.
Die nachsten Jahre vergehen mit inneren Kampfen der ein-
zelnen volkischen und nationalsozialistischcn Gruppen unter-
einander. Im Sommer 1925 erfolgt die Trennung von der
Deutschvolkischen Freiheitspartei. Ein grosser Teil von deren
friiheren Anhangern gcht dabei zu Hitler iiber. Die kapitalisti-
schen Machle fiihren wahrenddessen den Abbau der 1918
erzwungenen Konzessionen an das Proletariat weiter. Im Januar
19
1925 wird eine reaktioniire Biirgerblock-Regierung unter
deutschnationaler Fiihrung gebildet. Drei Monate spiiler wird
der Generalfeldmarschall von Hindenburg von der vereinigteij
Rechten als Nachfolger Eberts zum Reichspriisidenten gewahlt.
Auch Nationalsozialisten, die im ersten Wahlgang die aussichfe-
lose Kandidatur Ludendorffs unterstiitzt batten, haben im zwei-
ten Wahlgang fiir Hindenburg gesfimmt: ein charakteristischer
Zug fiir die beginnende Umformung der nationalsozialistisf.hcn
Bewegung.
Die NSDAP fiir (lie Piirsten *
1926, anlasslich des Volksentscheidcs fiir die Fiirstenenteig-
nung, findet man die NSDAP im Chor aller burgerlichen Paneien
von den Deutschnationalen bis zum Zentrum und den Demokra-
ten, die schrien; « Fiirstenenteignung ist Diebstahl an wohler-
worbenem Eigentum! » Die NSDAP ist iibrigens auch in spate-
ren Jahren nicht von dieser ihrer damaligen Stellungnahme abge-
gangen. Durch den Mund ihres Fraktionsfuhrers im Preussiscben
Landtag, des nachmaligen Oberprasidenten von Berlin und Bran-
denburg, Kube, nahm sie zu einem kommunistischen Antrag auf
entschadigungslose Enteignung der Furstenvermogen und Nicht-
auszahlung der dem friiheren Kaiser und den Standesherren
bewilligten Millionenrenten folgendermassen Stellung:
<Den kommunistischen Antrag auf Fursten enteignung lehnen wir
aus Gerecbtigkeitsgefuhl (1) ab. Der deutsche Sozialismua
hat auch das Recht der Hohenzollern anzuer-
k e n n e n.>
Die deutschen Fursten und ehemaligen Standesherren — wir
nennen u. a. den Prinzen August-Wilhelm von Preussen aus dem
Hause Hohenzollern, Sohn des Ex-Kaisers, den Herzog Karl
Eduard von Sachsen-Koburg-Gotha, den Prinzen Wilhelm von
Hessen, der im Juni 1933 von Goring zum Oberprasidenten von
Hessen-Nassau ernannt worden ist, den Prinzen Christian zu
Schamburg-Lippe (neuerdings hat sich auch der ehemalige
Kronprinz zur NSDAP bekannt, indem er ihrem Kraftwagenkorps
beitrat) — sie alle haben sich fiir diese Haltung der NSDAP re-
vanchiert, indem sie ihr aus ihren «Entschadigungs»-Geldeni
Millionen zur Vcrfugung stellten. Die Nationalsozialisten haben
nicht ableugnen konnen, dass auch der Exkaiser Wilhelm II.
an der Finanzierung der SA mitgeivirkt hat
Durch seine neue Politik der Angleichung an die burgerli-
chen Parteien versucht Hitler, das durch sein putschistisches
Vorgehen erschiitterte Vertrauen der Bourgeoisie wiederzugewin-
20
nen. Er bezieht legale Positionen, weil er einsieht, dass er sich
nur so die Gunst und Unterstiitzung der herrschenden Klassen
erhalten kann. Wieder halt er Vortrage in den Industriellenklubs,
um die Schlotbarone von der Ungetahrlichkeit seiner « Ideen »
zu iiberzeugen und ihnen darzulegen, wie viel besser sie mit der
NSDAP fahren wiirden als mit der « landesverrateriscben Sozial-
demokratie ». Diesmal beschriinkt sich der « Fiihrer » nicht auf
Suddeutschland. Er fahrt gen Westen, um die Industrieherren
von der Ruhr in ihren Zvvingburgen aufzusuchen. 192G spricht
er zweimal vor geladenem Kreise in Essen und Konigswinter, im
April 1927 wiederum im Essener Krupp-Saal. Die schwerindu-
strielle « Rheinisch-Westfalisehe Zeitung >> berichtet von dem
Beifall, mit dem die Industriellen die Ausfiihrungen Hitlers auf-
genommen haben.
Strasser und Goebbels maclien in „Sozialismus"
Zu gleicher Zeit — und das ist typisch fiir den zweideutigen,
skrupellos-demagogischen Charakter der nationalsozialistischen
Propaganda — reist Gregor Strasser, einer der Paladine Hitlers,
in Nord- und Ostdeutschland umher und verbreitet dort seme
« sozialistischen » Losungen von der « deutschen Revolution ...
Damals taucht auch Joseph Goebbels, em jnnger kathohscher
Literat aus dem Rheinland, auf. Im Oktober 1925 griindet Stras-
ser die « Nationalsozialistischen Brief e », die sozusagen zum theo-
retischen Organ des « linken » Fliigels der NSDAP werden. Goeb-
bels, zunachst Redakteur der < Nationalsozialistischen Briete »,
geht dann im Oktober 1926 als Gauleiter nach Berlin, wo die
Bewegung noch sehr wenig Fuss gefasst hat. Er gibt . seit Juli
1927 unter dem pseudosozialistischen Motto: « Fur die Unter-
driicktenl Gegen die Ausbeuter! » ein eigenes Wochenblatt mit
dem Titel « Der Angriff » heraus. Gregor Strasser grundet zu-
sammen mit seinem Bruder Otto, einem fruheren Sozialdemokra-
ten, in Berlin einen kleinen Pressekonzern, den Kampt-yenag.
Er aibt drei Tageszeitungen heraus: den « Nationalen Sozialist »
(NS) in BerlhVden « Markischen Beobachter » fiir die Provmz
Brandenburg und den « Sachsischen Beobachter ... Es waren da-
mals die einzigen nationalsozialistischen Tageszeitungen m
Mittel- und Norddeutschland. Im Kampf-Verlag erschienen aus-
serdem drei Wochenblatter und eine Reihe von Buchern una
Broschuren. Es ist nicht zu bezweifeln, dass Gregor Strasser (ja-
mais dem -Fiihrer. in Norddeutschland Konkunenz zu mactien
versucht hat; er hatte gevvisse Differenzen nut Hrtier, onu
Autoritat er sich spater wieder unterordnete (er versi chtc a er
dings immer wieder, eine eigene Politik zu machen und ^urde
21
schliesslich Ende 1932 von Hitler seiner Funklionen enthoben,
als er sich zu eng mil dem General Schleicher verbunden hatte;
im Dezember 1932 verschwand Gregor Strasser vorerst in der pa-
litischen Versenkung).
In alien Publikationcn des Kampf-Vcrlages wurden sefat
« radikale » Tone angeschlagen. Im Leser sollte der Emdruck
enveckt werden, dass, der « Arbeiterfreund » und sogar der
KlassenkSmpfer » zu ihm spricht, « Die Nationalsozialistische
Partei 1st die Klassenpartei (!) der schaffenden Arbeit », heisst
es in der in Strassers Verlag erschienenen Broschure, « Nationa-
ler oder Internationaler Sozialismus ». Der Verfasser dieser Bro-
schiire ist Jung, erster Vorsitzender der NSDAP der Sudlander.
Gregor Strassers Parole lautet : * Freiheit und Brot *>, und « Ham-
mer unci Schwert » sind das Warenzeichen seiner VerlaKser-
zeusnisse. . . ,,.
'in dieselbe Kerbe haut Goebbels, der in seiner Broschure
« Der Nazi-Sozi. Fragen und Antworten fur den Nationalisten »
schreibt:
<Es cribt docb nicbfe verlogeneres, als eiuen dicken f wohlgenahrten
Burger, der gegen den proletarischen Klassenkampfgedanken pro-
testiert. . - - Woher nimmst du das Recht, gegen den Klassenkampf
des Proletariats deine von oationaler Veraiitwortlichkeit geschwellte
Brust zu wolben ? 1st der Burgerstaat nicht seit nahezu 60 .lahren der
organieierte Klassenstaat gewesen, der als zwingende geschichthche
Notwendigkeit den proletarischen Klassenkampfgedanken in sich
gebar? . . Schamt ihr euch nicht, als wohlgenahrte Mitteleuropaer
unterernahrten. hohlblickenden, hungernden, arbeitslosen Proleta-
riern gegenuber den Klassenkampf zu bek&mpfen ? Jawrhl, wir
nennen uns Arbeiteretaat ! Das ist der erste Scbritt. Der erste Schntt
ab^eits voni Burgerstaat. Wir nennen uns Arbeiterpartei, weil wur
die Arbeit frei machen wollen, weil fur uns die schaffende Arber
das vorwaxtstreibende Element der Oeecbichte ist. weil uns Arbeit
mehr bedeutet als Besitz, Bildung, Niveau und biJrgerhcbe Herkunft.
Darum nennen wir uns Arbeiterpartei ... Wir nennen uns sozia-
listisch ale Protest gegen die Luge des sozialen biirgerlichen Mrt-
leide. Wir wollen kein Mitleid, wir wollen keine soziale Gesinnung.
Wir pFeifen auf den Quark, den ihr <soziale Gesetzgebung» nennt.
Das ist zum Leben zu wenig und zum Sterben zuviel . . Wir wollen
vollen Anteil am Ertrag dessen, was der Hinunel uns gab und was
wir durch unserer Fauste und Stirnen Arbeit schufen. Das ist So-
zialismus ! . . . Wir protestieren gegen den Gedanken des Klassen-
kr.mpfes. Tin sere ganze Bewegung ist ein einziger grandioser Protest
gegen den Klassenkampf . . . Aber dabei nennen wir die Dinge
beim Namen : wenn auf der linken Seite 17 MUlionen Proletaner
im Klassenkampf die letzte Rettung sehen, so nur deshalb. weil man
es sie auf der rechten Seite 60 Jahre lang durch die Praxis lehrte
Weber wollen wir die sittliche Berechtigung nehmen, gegen den
22
proletarischeu Klaesenkampfgedankeii anzurennen, wenu nkht zuerst
der bttrgerliche Kla.sseiistaat grundeatzlich zertrHmmert und abgelost
wird durch eine neue sozialistische Giiederung der deutschen Cn i -
meinsehaft.>
Das schrieb der spatere Minister fur Volksaufklarung und
Propaganda des Deutschen Reiches vor noch gar nicht langcr Zeit.
Es ist eine andere Sprache als die der 25 Punkte, in denen das
Wort « Sozialismus » nicht vorkommt. Man vergleiche die Goeb-
belssche Forderung der Zertrummerung (!) des burgerlichen
Kiassenstaates mit dem offiziellen Parteiprogramm der NSDAP.
das in Punkt 25 sa£t:
Zur Durchfiihrung alles dessen (des gesamten Programme) i'ordern
wir : Die Schaffung einer starken Zentralgewalt des Reiches. Unbe-
dingte Autoritat des politischen Zentralparlaraents iiber das gesamte
Reich und seine Organisationen im allgemeinen. Die Bildung von
Stande- und Berufskammern zur Durchfiihrung der vora Reich er-
lassenen Rahmengesetze in aen einzelnen Bundesstaaten.'*
Neben der Goebbelsschen Konzeption wirkt das Programm
Hitlers von 1920 farblos, konventionell, kleinbiirgerlich, liberal-
istisch. Der Goebbelssche Aufruf gegen den « dicken, wohlge-
nahrten Burger » stellt gegenuber Hitlers 25 Punkten ein faschi-
stisches « Programm » in raffinierterer Form dar, welches fur das
industrialisierte Deutschland und besonders fur Berlin viel mehr
geeignet ist als jene 25 Punkte.
Neue Niederlage: 1928
Indessen gelang es weder Hitler mit seinen Vortragen vor
den « wohlgenahrten Biirgern » des Rheinlands und des Ruhrge-
biets, noch Strasser und Goebbeis, den Masseneinfluss der NSDAP
zu vergrossern, Zwar ist in diesen Jahren eine gewisse innere
Konsolidierung der Partei zu verzeichnen. Die Mitgliederzahl
wachst von 17.000 (1926) auf 40.000 (1927). Zwei Parteitage wer-
den abgehalten: 1926 in Weimar und 1927 in Nurnberg. Die SA
■wird neugegrundet. Die Partei wird von einer Reihe von « gut-
gesinnten, aber deshalb umso gefahrlicheren Narren >» befreit;
u. a. wird der « Rassenforscher » Dinter in Thiiringen J eraus 8 e -
worfen. Ferner wird, um die Partei salonfahig zu machen, 1927
der beriichtigte Fememorder Heines ausgeschlossen, dessen teige
Bluttaten Hitler allerdings nicht gehindert haben, ihnspater wie-
der aufzunehmen und zum Polizeiprasidenten von Bresiau una
obersten SA-Fuhrer von ganz Nord- und Ostdeutschland zii ma-
chen. Die NSDAP erlitt im Mai 1928 nochmals cine sehr M
Wahlniederlage. Sie erhielt nur 12 Reichstagssitze. Die objektive
23
Situation fur cin Anwachsen der faschistischen Bowegung war
noch nicht gegeben: Die Jahre 1924—1927 batten ein gewisses
Wiederaufbliihen des Wirtschaftslebens mil sich gebrachl, das
dem Kleinburgertum und auch bestimmten Kategorien dor Arhei-
terschaft eiuige Erleiclxterungen brachte.
Die Wirtschaftskrise in Dcutschlami
Die wirtschaftliche Seheinblute hatte aber bereits ihrea Ho tie-
pun kt tiberschritten. Deutschland ist das erste europaische Land,
das von der hereinbrechcnden Weltwirtschaftskrise erfasst
wurde. Die Produktion geht zuriick. Die Arbeitslosigkeit steigt.
Ira Winter 1930 gibt es in Deutschland bereits iiber drei Millio-
nen Erwerbslose. Die Unlernehmer beginnen ihren grossen An-
griff zur fortgesetzten Senkung der Lohne. Nach den Berechnun-
gen der Berliner « Finanzpolitischen Korrespondenz » bctrugen
die durchschnittlichen Industriearbeiter-Wochenlohne im Som-
mer 1929: 44.60 RM.; im Marz 1930 waren sie auf 39.05 RM.
gesunken. Der Jahresdurchschnitt der Wochenlohne, der 192S
und 1929 noch 42—45 Mark betragen hatte, fiel 1930 auf 37 Mark
und 1931 auf 30 Mark. Unter der Regierung Papen-Schleicher
schliesslich waren die Durchschnitts-Wochenlohne um mehr als
die Halfte gegeniiber 1928/29 abgebaut worden. Sie beliefen sich
im August 1932 auf 20.80 RM und sind seitdem noch weiter gesun-
ken. Nach den Berechnungen der « Finanzpolitischen Korrespon-
denz » erreichte die Gesamtsumme der den deutschen Arbeitern
und Angestellten vom Juli 1929 bis zum Juli 1932 gekiirzten
Lohne und Gehdlter etwa 38 Milliarden Mark.
Hand in Hand mit dem Lohn- und Gehaltsabbau geht ein
ungeheures Anschwellen der Arbeitslosigkeit. Im Winter 1931/32
uberschritt sie — nach den offiziellen Angaben des Reichsarbeits-
ministcriums — die Sechs-Millionen-Grenze. Das amtliche «Insti-
tut fiir Konjunklurforschung» hat aber festgestellt, dass dicse
offiziellen Zahlen nicht die wirkiiche Hohe der Erwerbslosigkeit
angeben, da nur jene Arbeitslose gezalilt wurden (und auch
heute nocb wcrdcn), die sich bei den staatlictten Arbcitsamtem
melden. So wurde aber nur ein Teil der Arbeitslosen von der Sta-
tistik erfasst. Es besland, wie das Konjunklurinstitut sich aus-
driickte, neben der « sichtbaren » noch eine < unsichtbare »
Arbeitslosigkeit. Das konnte durch einen Vergleich mit der Sta-
tistik der Krankenkassen, die alle Beschaftigten erfasst, unschwer
festgestellt werden. Danach betrug die « unsichtbare » Arbeits-
losigkeit elwa zwei Millionen. Wahrend demnach die offizielle
Statistik im Winter 1931/32 rund 6 Millionen und im Sommer
1932 iiber 5 Millionen Arbeitslose aufwies, betrug nach den Ver-
24
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Der teutsclio Reichstag
Nach clem Brand veranstalteten die Nazis Fflitnpn dxircl, den fc**«Uc
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MftHV
J
Am Tatort
Hitler, Goring und Goebbels wenige Minulen nach der Enldeckun;
des Brandies, an der Brandstatte.
Hitler spriclit :
ciffentlichungen des « Instituts fiir Konjunkturforschung „ die
Arbeitslosigkeit im Winter 31/32 fast achl, unci im dritten Vier-
teljahr 1932 (m der bestcn Saisonl) iiber sieben Millionen. Aber
selbst diese Zahlen entsprachen keineswegs der wirklichen La«e
Jn ihnen waren nicht eafhalten: die Hunderttausende von Ian«-
jahrigen Erwerbslosen, die als « Bettler » die Strassen der Stiidte
bevolkern oder als « Landstreicher » durch ganz Deutschlwnd
Ziehen, die < verwahrlosten » Kinder und die jugendlicben Er-
werbslosen, die, aus der Schuie enllassen, keine Stelle fanden.
Ebenso sind die Hunderttausende von kleinen und kleinsten Kauf-
leuten, Hiindlern, fruheren « Selbsliindigen » und Angehorigen'der
sogenannten f'reien Berufe, die ein Hungerdasein fiihren und fak-
tisckarbeitslos sind, in dieser Zahl nicht mit eingerechnet. Die
vvirldiehe .Zahl der Erwerbslosen muss demnach auf etwa neun
Millionen (Juhreswende 1932/33) geschaizt werden!
Die Lage der Mittelklassen verschlechterte sich ebenfalls in
steigendem Masse. Das spezifische Gewicht dieser Zwischen-
schichten ist in Deutschland nicht unbedeutend. Nacli den stati-
stischen Untersuchungen von Theodor Geiger (« Die soziale
Schichtung des deutschen Volkes », Stuttgart 1932), ist der pro-
zentuale Anteil der -verschiedenen Klassen an der Gesamtzahl der
Erwerbstiitigen wie folgt: Kapitalisten 0,84 %, « alter Mittel-
stand » (Kleineigentiimer an Produktionsmitteln) 18,33 %,
* neuer Mittelstand » (Angestellte, Beamte usw.) 16,04 %, « Pro-
letaroide » (Tagewerker auf eigene Rechnung, Kleinhandler usw )
13,76 %, Proletariat 51,03 %. Dabei ist der Anteil des Proleta-
riats bestimmt zu hoch berechnet. Doch entspricht diese Auftei-
lung ungefahr der Wirklichkeit.
Die Krise proletarisierte weitere Schichten der Mittelklassen.
Die Zahl der Konkurse wuchs, Zwangsversteigerungen waren an
der Tagesordnung. Das stadtische Kleinbiirgertum und die Klein-
bauern wurden besonders hart betroffen. Die Krise erfasste aber
auch Kreise, die bisher von ihr verschont geblieben waren und
deren Lage in der Zeit der relativen Stabilisierung sich konsoli-
chert hatte. Die Geisel der Arbeitslosigkeit trifft jetzt auch die
bevorzugte Schicht der geistigen Arbeiter. Der Lebensstandard
der Lehrer, Ingenieure, Aerzte, Rechtsanwalte, Schriftsteller,
Kunstler sinkt tiefer und tiefer. Ein Viertel der Akademiker ist
ohne Stellung. Von 8.000 Absolventen der Technischen Hoch- und
Mittelschulen (1931/32) z. B. fanden nur 1.000 Arbeit in ihrem
Beruf; 1500 setzen « vorlaufig » unter Enlbehrungen ihr Sta-
dium tort, weitere 1500 schlugen sich eine Zeit lang als Strassen-
nandler, Kellner, Geschirrspiiler, Eintiinzer usw. dureh; 4.000
aber hegen arbeitslos auf der Strasse. Nach einer Untersuchung
inrer am then anerkannten t Standesorganisation », des Hart-
25
mannbundes. verdienlen 70 Prozent der deutschen Aerate 1932
weniger als 170 Mark im Monat. Aehnliche Feststellungen traf
der « Deutsche Anwaltverein » fur die Anwaltschafl. Von *>•> 000
fertig ausgebildeten jungen Lehrera konnten im vorigen Jahre
nach einer Veroffentlichung des Preussischen Kultusministeriums
nur 990 beschaftigt werden, und auch diese fast ausnabmslos
nur vertretungsweise und als Hilfslehrer. Und das allein in Preus
sen! Unter den angestellten Ingenieuren und Chemikern sties die
Arbeitslosigkeit m der Zeit vom 1. April 1930 bis zum 1 April
1932 um 500 Prozent, wahrend die Erwerbslosigkeit der \nge
stellten aller Kategorien « nur » um 150 und die der technischen
Angestellten um 200 Prozent vvuchs. Die Lage der Akademiker
die sich noch in Anstellung befanden, verschlechterte sich von
Jahr zu Jahr. Die Arbeitszeit wurde verlangert, Gehaltsktirzun«en
wurden ngoros durchgefiihrt. Die Gehalter der preussischen StU-
dienassessoren z. B. waren im Herbst 1932 um fiber 24% niedrWer
als 1927. Dazu kam Kurzarbeit: in zahlreichen Betrieben wurde
nur noch 3—5 Tage in der Woche gearbeitet.
Krisenverscharfend wirkten die ungeheuren Reparationsla-
sten. Die an den Dawesplan und die Locarno-Vertrage (1924/25)
ge f k -1u Pf 5 Vers P recll " n §en und Hoffnungen hatten sich nicht
erfullt. 1929 wird im Youngplan eine neue intern ationale « Schul-
denregelung ., getroffen, die der kapitalistischen Klasse neue Gele-
genheit gibt, den werktatigen Massen Milliardenlasten aulzu-
Imrden.
Durch die verelendete Arbeiterschaf t geht eine neue Welle der
Radikalisierung. Kurz nach dem Wahlerfolg der Sozialdemokra-
tie im Mai 1928 beginnen die Arbeiter massen von neuem, sich
derKommunistischpa P'artei zuzuwenden. Bisher indifferente
Schichten des stadtischen Kleinbiirgertums werden im Laufe der
Krise politisiert. Die Bauernschaft beginnt sich zu riihren. In
Norddeutschland kommt es 1929 zu Rebellionen. Die werktatigen
Bauern verjagen die Gerichtsvollzieher, die ihnen die letzte Kuh
im Stalle pfanden und Zwangsversteigerungen vornehmen wolien.
Es kommt zu Zusammenrottungen vor den Finanzamtern, zu
blutigen Zusammenstossen mit der Polizei. Schliesslich folgt ein
Bombenattentat auf das andere. In der preussischen Provinz
Schleswig-Holstein werden Versuche gemacht, Landratsamter
und andere Regierungsgebaude in die Luft zu sprengen.
Die Bourgeoisie setzt ihre Politik der Unterdriickung fort mit
dem Ziel, die Zugestandnisse von 1918 aufzuheben. Die Burger-
block-Regierungen unter dem Volksparteiler Luther (dem jet-
zigen Botschafter in Amerika) und dem Zentrumsfiihrer Marx
werden 1928 von einer Regierung der « grossen Koalition », die
von der schwerindustriellen Deutschen Volkspartei bis zur
26
Sozialdemokratie reicht, abgelost. Der sozialdemokratischc Par-
teivorsitzende Hermann Miiller wird Reichskanzler. Neben ihm
sitzen drei Sozialdemokraten im Reichskabinett: Severing (In-
nenminister), Hilferding (Finanzminister wie 1923) und "Wissel
(Arbeitsminister). Stresemann, der Fiihrer der Deutschen Volks-
partei, ist Reichsaussenminister, sein Parteifreund Dr. Curtius
Wirtschaftsmimster und der Demokrat Gessler (heute Faschist)
Reichswehrminister. Unter der Regierung Hermann Miiller wird
der Youngplan unter « Dach und Fach » gebracht. Hauptdele-
gierter auf der Pariscr Youngkonferenz ist der Reichsbankprasi-
dent Schacht, 1933 als Anhimger Hitlers wiederum President der
Reichsbank, nachdem er 1930 abgesetzt worden war.
Die Aera Briining-
Im Dezember 1929 wird der Finanzminister Hilferding
gestiirzt, obwohl er durch die Auflegung einer steuerfreien Anleihe
den Grossbanken ausserordentliche Gewinne zugeschanzt hatte.
Er wird durch den Professor Moidenhauer ersetzt. Moldenhauer
ist Mitglied des Aufsichtsrats des grossten deutschen Trusts, der
I. G. Farbenindustrie. Wenige Monate spiiter, im Marz 1930, wird
das Muller-Kabinett von der Regierung Bruning abgelost. Die
SPD wird aus der Reichsregierung herausmanovriert. Die Regie-
rung Bruning-Groener-Stegerwald, die im Reichstag keine Mehr-
heit besitzt, wird aber von der Sozialdemokratie bereitwillig
unterstutzl und « toleriert ». Gleichzeitig nimmt diese Regierung
schon Kurs auf die Einbeziehung der NSDAP. Im Gereke-Prozess
Juni 1933, hat der fruhere Minister Treviranus ausdrucklich
bestatigt, dass Bruning schon damals die Absicht hatte, die
NSDAP mit « einzuschalten >». Die Sozialdemokratie prasentiert
mdessen die Briiningregierung den werktatigen Massen als « klei-
neres Uebel » gegeniiber einem rein faschistischen Biirgerblock-
kabmett. Die von der Sozialdemokratie gefiihrte preussische
Regierung Braun-Severing ist die festeste Stiitze Briinings.
Die Periode der « Demokratie » endete in den Schwierigkei-
ten, in die Deutschlands Finanz-, Industrie- und Agrarkapltali-
sten durch die Wirtschaftskrise gestossen wurden. Bruning
regiert mit dem Artikel 48 der Weimarer Verfassung, der eben
diese Verfassung aufheht. Dies ist nicht das erste Mai in der Ge-
schichte der deutschen burgerlichen Republik, das mit dem Aus-
narimezustand und der Aufhebung der demokratischen Rechte
^'" e Pohtischc Entwicklung, die dem kapitalistischen System
gelahrhch zu werden beginnt, «korrigiert» werden muss. Schon in
aen Jahren 1919 bis 1923 unter dem sozialdemokratischen Reichs-
prasidenten Ebert gab der Artikel 48 die Handhabe, urn Streiks
27
in den sogenannten lebenswichtigen Betrieben zu verbieten i
dor « Technischen Nothilfe , eine Slreikbrechergarde zu orBankii™
ren, 1923 die Reichswehr in Sachsen und Thiiringen zur « W p~
derherstellung verfassungsmassiger Zu.star.de » einmarschieren
zu Iassen und den General von Seeckt als Militardiktator zum
Vcrbot der Kommnmstischen Partei Dcutschlands zu ermarhi?
gen. Der sozialdemokratische Polizeiprasident von Berlin trT
giebel, ein friiherer Gcwerkschaftsfiihrer, verbietet 1929 die M ,V
demonstration der Berliner Arbeiterschaft. Er setzt, als die Arbe i-
ler das Verbot durchbrechen und demonstrieren, seine Polizei-
truppen ein. Durch ihre Kugeln (alien 33 Berliner Arbeiter. Einige
Tage spater verbietet Severing den Roten Frontkampferbund, die
antifaschistische Wehrorganisation des revolutionaren ProleU
riats, wahrend in Preussen die SA ihre Kampfverbande le«al wel-
ter ausbauen darf.
Der Reichstag wird von Br lining ausgeschaltet. Die SPD eibt
ihre Zustimmimg dazu. Briining regiert mit Notverordnungen auf
Grund des Artikels 48. Er dekretiert den Abbau der Arbeitslosen-
unterstutzungen, die Kurzungen der kargen Renten der Kriegs-
opfer der Invaliden, der Alten, Witwen und Waisen. Er oktroiert
neue Massensteuern: die Kopfstcuer, die Krisensteuer, die Ledi-
gensteuer. Er notverordnet Zollerhohungn und damit Lebensmit-
telverteuerungen. Er hebt den Mieterschutz auf. Banken und
Industnekonzerne erhalten Millionen-Subventionen. Die Gross-
grundbesitzer sanieren sich auf Kosten der Werktatigen. 4us der
sogenannten « Osthilfe » erhalten sie Millionen. Und die Polizei-
prasidenten, von denen iiber die Halite Mitglieder der Sozialde-
mokratischen Partei sind, unterdriicken mit grosser Hiirte die
Abwehrbewegungen des Proletariats, verbieten die kommunisti-
sche Presse und erlassen Demonstrationsverbote gegen die Arbei-
terschaft.
Durch diese Politik hat die Sozialdemokratie nicbt nur tat-
sichhch die Entwicklung der reaktionaren und faschistischen
Gewalten in Deutschland begiinstigt, sondern hat sie auch den
Nationalsozialisten den Vorwand fur die Entfesselung ihrer de-
rnagogischen Hetze gegen das Versagen des « marxistischen
Systems » gegeben.
Die Sozialdemokratie hat selbst noch die Regierung Briining
toleriert, welche die Ausplunderung der Massen ins Unertragliche
steigerte, diktatorisch regierte und die Heranziehung der Natio-
nalsozialisten zur Regierungsmacht vorbereitete.
In dieser Zeit setzt der zweite Aul'schwung der nationalso-
zialistischen Bewegung ein. Die NSDAP halt streng legalen Knrs.
Gemeinsam mit Hugenberg, dem Exponenten des reaktionaren
Fliigels der Schwerindustrie und des Grossgrundbesitzes, gemein-
28
sam mit dem Stahlhelm und anderen nation alistischen Organisa-
tional Leitet sie ein Volksbegehren gegen den Youngplan ein.
« Vergessen » ist, dass die Deutschnalionale Volkspartei Hugen-
bergs 1925 die Halite ihrer Fraktion abkommandiert hatte, urn
dem Dawesplan zur Annahme zu verhelfen. Der riesige Propa-
ganda-Apparat des Hugenberg-Konzerns, der Hunderte von Zei-
tungen beeinflusst und erne eigene Nachrichten-Agentur, die
TeleVraphen-Union (TU) besitzt, kommt jetzt auch den National-
sozialisten zugute. Das Volksbegehren scheilerl zwar, aber die
Nationalsozialisten konnen gewisse erste Wahlerfolge bei den
Landtagswahlcn in Sachsen, Thuringen und bei den preussischen
Gemeindewahlen buchen.
Im Januar 1930 wird Frick thiiringischer Innen- und Kulius-
minister der erste Nationalsozialist in Deutschland auf dem
Ministersessel. Die NSDAP geht dabei in Thuringen eine Koali-
tion ein mil samtlichen Rechtsparteien bis zur deutschen Volks-
partei, welche zu gleicher Zeit im Reich mit der Sozialdemokratie
koaliert ist. Noch ein Jahr vorher hatte Goebbels in semem
« Kleinen ABC des Nationalsozialisten » die Deutsche Volkspar-
tei eine Interessenvertreterin des Grosskapitals genannt. Jetzt
sitzt der Vertreter der « sozialistischen Arbeiterpartei » mit
Reprasentanten der DVP gemeinsam in einer Regierung.
Hitler zeigt sein wahres Gesicht
Ein Teil der « Sozialisten » in der NSDAP unter Fiihrung
von Otto Strasser glaubt, den legalen Kurs nicht mehr mitmaehen
zu konnen und Iritt Im Mai 1930 unter der Parole « Die Sozia-
listen verlassen die NSDAP » aus der Parlei aus. Vorher hatte
Strasser eine langere Aussprache mit Hitler:
<Die grosse Masse der Arbeiter> — sagte Hitler zu Strasser — cwill
nichts anderes als Brot und S p i e 1 e. Sie hat kein Verstandnis fur
lrgendwelche Ideale, und wir werden nie damit rechnen konnen, die
Arbeiter in erheblichem Masse zu gewinnen. Wir wollen eine Aus-
wahl der neuen Herrenschicht (!), die nicht wie Sie von einer Mit-
leiasmoral getrieben wird.>
Strasser fragte Hitler dann u. a.: « Was wiirden Sie, wenn
Sie morgen die Macht in Deutschland iibernehrnen wiirden, iiber-
morgen tun z. B. mit der Krupp-A. G.? Bliebe hier bei Aklionaren
und Arbeitern beziigl. Besitz, Gewinn und Leitung alles unver-
andert, so wie heute, oder nicht? » Darauf antwortete Hitler:
<Aber s e 1 bs t v e r st an d 1 i ch. Glauben Sie denn, ich bin so
wahnsimug, die Wirtschaft zu zersttiren ? Nur wenn die Leute nicht
im Inleresse der Nation handeln wiirden, daun wiirde der Staat ein-
29
greifen. Dazu bedarf es aber keiner Bnteignung und keines Mitbe-
stimmungsrechtes, sondern das macht der Starke Slaat, der allein in
der Lage isl. ohne Kikksicht auf Interessen ausaiihliesslioh von
grossen Gesichtspunkten Bicb leiten zu lassen . . . Der Auadruck So
zialismus ist an sich schlecht, aber vor a]lem heisst das nichi dass
diese BelnVb,. sozialisiert werden m fi s s e n. sondern nur, da'ss sie
sozialisiert werden kSnnen, namlidi wenn sic gegeu das' Inteiesse
der Nation verstossen. Solange sie das nicbl tun, ware es einfach
ein Verbrechen, die Wirtaehalt zu zerstoren . . . Wir haben hier eio
Vorbild. das wir ohne weiteres annehmen kdnuen. den F a s e h i s-
mus ! Genau so, wie die Faschieten dies bereits durchgefiihrt haben
werden auch in unserem nationalsozialistischen Staat Unternehmer-
tum und Arbeiterschaft gleichberechtigt nebeneinander etehen wSh-
rend der slarke Staat bei Streitigkeiten die Entscheidung falit und
dafur sorgt, dass nicbt Wirtsehaftskampfe das Leben der Nation ^e-
fahrden.*
Mit diesem Bekenntnis zum kapitalistischen Wirtschafts-
system empfahl sich Hitler von neuem den herrschenden Kreisen
dcs deutschen Finanzkapitals. Er bewies ihnen, dass das natio-
nalsozialishsche Wirtschaftsprogramm ebenso wie das faschisti-
sche nur die Rekonsohdierung des Kapitalismus garantieren will.
Die Versprechungen die er damals gegeben hat, hat er gehalten I
Die September wahl en 1930
Ihren ersten grossen Wahlerfolg errang die NSDAP bei den
Keichstagswahlen im September 1930: sie erhielt 6,4 Millionen
Mirnmen (107 Mandate) und wurde damit die zweitstarkste Partei
nach der Sozialdemokratie. Die Kommunisten gewannen 600.000
Mimrnen. Die Deutschnationale Partei verlor die Hfilfte ihrer Man-
date, die Deutsche Volkspartei ein Drittel. Die Nationalsozialisten
verdankten ihren Erfolg einer ganz auf die Gewinnung der
radikahsierten kleinbiirgerlichen Massen eingestellten Propa-
ganda. Sie wurde mit masslosen Versprechungen gegeniiber alien
uerutsschichten und mit gigantischem, von kapitalistischen G6n-
nern stammenden Geldmitteln betrieben. Die Nazis verstanden
SlT' , k Aglt f t ! on § e § en Versailles und gegen den Youngplan
<ne jedem Chauvimsmus zuganglichen KIcinburgerschichten fiir
sich zu gew.nnen. Sie versprachen alien Alles: den Arbeitern
nonere Lohne, den Unternehmern hohere Gewinne, den Mietern
niedrigere Mieten, den Hausbesitzern hohere Mieten, den Bauern
aZ f" Pre ! s fv d f n Kleinbiirgern wohlfeilere Lebensmittel. Trote-
£'t w,rkI ' c , he j; Embruch in die Reihen der Arbeiterschaft ge-
WohW 2 T- l rl Z08e n n Iediglich § r0sse TeiIe d " WHWW"
Wahler der burgerhchen Parteien zu sich heruber.
30
Soli Hitler Reichskanzler werdea?
Bruning regierte weiter und erliess neue Notverordnungen.
Die Sozialdemokratie unterstiitzte ihn in der Durchfuhrung sei-
ner Notverordnungspolitik. Mit dem Anwachsen der nationalso-
zialistischen Bewegung tauchte immer wieder die Frage der offe-
nen Heranziehung der Nationalsozialisten auf.
I in April 1932 wurde Hindenburg mit den Stimmen der
Sozialdemokratie unter der Parole: « Wer Hindenburg wahlt,
schlagt Hitler! » zum zweiten Male zum Reichsprasidenten ge-
wahlt. Im Mai 1932 wurde auf Betreiben der ostpreussiscben
Junker der Reichskanzler Briming gestiirzt. Ihm folgte die Papen-
Schleicher-Regierung.
Die neue Regierung leitete einen Abschnitt verscharfter Dik-
iaturmassnahmen ein. Am 20. Juli 1932 wurde Papen zum Reichs-
kommissar fiir Preusscn ernannt. Ein Hauptmann mit 3 Reichs-
wehrsoldaten geniigten, um den « Widerstand >> der sozialdemo-
kratischen Preussenrainister zu brechen. Fiir kurze Zeit wird
iiber Berlin — Brandenburg auch der militarische Ausnahmezu-
stand verhangt Die sozialdemokratischen Fiihrer weichen wider -
standslos, obwohl sie noch die gesamte Schutzpolizei in Preusseu
und zahlreichen anderen Landern des Reiches unter ihrem Kom-
mando liaben und obwohl die demokratischen Polizeioffiziere
stiirmisch auf bewaffneten Widerstand drangen. Sie bezeichnen
die Kommunisten, die die Arbeiterschaft zum Generalstreik auf-
nifen, offentlich als « Provokateure ». Sie lahmen die Krafte der
Arbeiterschaft und geben ihre Posltionen preis, um vielleicht
doch noch einige Posten zu retten. Der preussische « Hort der
Deniokratie » fallt der Reaktion kampflos in die Hande.
Im August 1932 — nach einem zweiten grossen Wahlerfolg
der NSDAP im Juli (13,5 Millionen Stimmen = 225 Reichstags-
sitze) — wird zum ersten Male von einer Berufung Hitlers zum
Reichskanzler gesprochen. Hindenburg zogert noch. Doch immer
lauter werden die Stimmen, die eine Heranziehung der NSDAP
verlangen. In einer geheimen Privatkorrespondenz des Reichsver-
bandes der deutschen Industrie, den « Deutschen Fiihrerbriefen »,
erscheint in dieser Zeit ein vielbeachteter Artikel, der in voller
Offenheit die Plane der ausschlaggebenden kapitalistischen Kreise
enthiillt. Es heisst in diesem Artikel, der den Titel: « Die soziale
Rekonsolidierung des Kapitalismus » tragt, u. a.:
<Das Problem der KoBSOlidierung des burgerlichen Regimes im
Nachkriegsdeutschland ist allgemein durcb die Tatsaclie bestimmt.
dasa das fuhrende. namlich iiber die Wirlschaft verfiigende Burger-
turn zu schmal geworden ist, um seine Herrschaft allein zu tragen.
Es bedarf fur diese Herrschaft. falls es sicb nicht der hochst gefahr-
31
lichen Waff© der rein niilitarisehen Gewaltausiibung anvcrtrauen
will der Bindung von Schichten au sich, die sozial niriu zu ihm ge-
horen die ihm aber den unentbehrlichen Dienst leisten, seine Herr-
BChaft iin Volk zu verankern und dadnrch deren eigentlieher oder
letZter Triiger zu sein. Dieser ietzte oder <Grenztrager> der burger-
lichen Herrschaft war in der ersten Periode der Nachkriegskonsoli-
dierung die Sozialdemokratie.
(Es wird danu weiter ein Vergleich zwischen Killer und Ebert g**-
zogen und festgestellt, dass der Nationalsozialisrnus die Sozialdemo-
kratie in der Aufgabe abzuloeen hatte, den Massenstiitzpunkt riir die
Herrschaft des BQrgertums in Deutschland darzubieten:)* Die So-
yialdemokratie brachte zu dieser Aufgabe eine Eigenschait mil, die
dem Nationalsozialisrnus fehlfc, wenigstens bisher nocb fen It . . .
Veimoge ihres eozialen Charakters als originare Arbeiterpartei
brachte die Sozialdemokratie in das System der damaligen Konso-
lidierung iiber ihre rein politische Stosskraft hinaus das viel wert-
vollere und dauerhaftere Gut der organisierten Arbeiterschaft ein
und verkettete diese unter Paralysierung ihrer revolutionaren Ener-
srien fest mit dem burgerlichen Staat . . .
In der ersten Rekonsolidierungsaera des burgerlichen Nachkriegs-
regimes war die Spaltung der Arbeiterschaft fundierl durch die lohn-
und sozialpolitischen Errungenschaften, in die die Sozialdemokratie
den revolutionaren Anaturm umgemunzt hatte. Diese namlidi funk-
tionierten als eine Art Schleusenmechanismus, durch den der be-
schaftigte und fest organisierte Teil der Arbeiterschaft im Arbeits-
marktgefalle einen .... erheblichen Niveauvorteil gegeniiber der
arbeitslosen und fluktuierenden Masse der unteren Kategorie genoss
und gegen die voile Auswirkung der Arbeitslosigkeit und der allge-
meinen Krisenlage der Wirtschaft . . . relativ geschiitzt war. Die
politische Grenze zwischen Sozialdemokratie und Kommunisraus ver-
iauft fast genau auf der sosialen und wirtschaftlichen Linie dieses
Scbleusendamans . . .
Da zudetn die sozialdemokratische Ummiinzung der Revolution in
Sozialpolitik zusammenfiel mit der Verlegung des Kampfes aus den
Betrieben und von der Strasse in das Parlament, die Ministerien
und die Kanzleien, d. h. mit der Verwandlung des Kampfes <von
unten> in die Sicherung cvon oben» ( waren fortan Sozialdemokratie
und Gewerkschaftsburokratie, mithin aber auch der gesamte von
ihnen gefiihrte Teil der Arbeiterschaft mit Haut und Haaren an den
burgerlichen Staat und ihre Machtbeteiligung an ihn gekettet, und zwar
solange, ale erstens das Geringste von jenen Errungenschaften auf
diesem Wege zu verteidigen librigbleibt und als zweitens die Arbei-
terschaft ihrer Flihruflg folgt.
VieT Folgerungen aus dieser Analyse sind wicbtig : 1. die Politik
des ddeinen Uebels> iet nicht eine Taktik, sie ist die politische Sub-
stanz der Sozialdemokratie; 2. die Bindung der Gewerkschaftsbuor-
kratie an den staatlschen Weg <von oben» 1st zwingender als ihre
"Bindunsr an den Marxism us, also an die Sozialdemokratie und gilt
gegeniiber jedem burgerlichen Staat. der sie einbeziehen will:
32
3. die Bindung der Gewerkschaftsburokratie an die Sozialdemokratie
steht und faUlt pohtiscb rait dem Parlamentarismus; 4. die Moglich-
keit einer liberalen SozialverTassung des Monopolkapitalismus 1st
bedingt durch das Vorhandensein eines automatischen Spaltunga-
raechanismus der Arbeiterschaft ; ein biirgerliches Regime, dem an
einer liberalen Sozialverfassung gelegen ist, muss nicht nur uber-
haupt parlamentarisch sein, es muss sich auf die Sozialdemokratie
stutzen und der Sozialdemokratie ausreichende Errungenschaften
lassen ; ein biirgerliches Regime, das diese Errungenschaften ver-
nichtet, muss Sozialdemokratie und Parlamentarismus opfern muss
sich fin- die Sozialdemoki-atie einen Ersatz verschaffen und zu
einer gebundGnen Sozialverfassung ubergeben.
Der Prozess dieses Ueberganges, in dem wir une augenblicklich be-
finden, weil die Wirtschaft6krise jene ErxuugenschaFten zwangslau-
fig zermalmt hat, duxchlauft das akute Gefahrenstadium, dass mit
dem Fortfall jenpr Errungenschaften auch der aui ihnen beruhende
Spaltungsmechanismus der Arbeiterschaft zu wirken aufhort, mithin
die Arbeiterschaft in der Richtung auf den Kommunismus ins Glei-
ten gerat und die biirgerliche Herrschaft eich der Grenze des Not-
stands einer Militardiktatur nahert . . . Die Rettung aus diesem
Abgrund ist nur moglich, wenn die Spaltung und Bindung der Ar-
beiterschaft, da jener Schleusenznechanismus in ausreicbender Weise
nicht wieder auJ'zurichten geht, auf andere und z"war direkte Weise
gelingt. Hier liegen die positiven Moglichkeiten und Aufgaben des
Nationalsozialismus . . .
Wenn es dem Nationalsozialismus gelange, die Gewerkschaften in
eine gebundene Sozialverfassung einzubringen, so wie die Sozialde-
mokratie sie fruher in die liberale eingebracht hat, so wiirde der
Nationalsozialismus damit zum Trager einer fur die kunftige biirger-
liche Herrschaft unentb-ehrliehen Funktion und musste in dem So-
zial- und Slaatssystem dieser Herrschaft notwendig seinen organi-
sierten Platz finden. Die Gefahr einer staatskapitalistischen Oder
sogar sozialistischen Entwicklung, die oft gegen eiue solcbe berufs-
stiindische Eingliederung der Gewerkschaften unter nationalsoziali-
etischer Fiihrung eingewandt wird, wird in Wahrbeit gerade duich
sie sebannt ....Zwischen den be id en Moglichkei-
ten einer R ekons ol id i eruug der bttrgerliehen
Herrechaft und der kommunistischen Revolu-
tion gibt es keine dritte.>
Diese Satze bilden einen Schlussel zum Verslandnis der poli-
tischen Lage. Sie reprasentieren die Rechnung der treibenden
Krafte der deutschen Wirtschaft
Die Aera Papen-Schldcher
Die Regierung Papen-Schleicher bedeutete eine neue Etappe
auf dem Wage zur Hitlerdiktatur. Ihre Notverordniingcn nd
direkte Vorbilder fur Hitler: Todesstrafe fur Hochverrat, Todes-
strafe fur « politiscke Bluttaten ». Einfuhning von Sondergerich-
strate iur aeringc « Delikte » hohe Zuchthausslrafen ver-
^™^t*mM*^ ** Grossbour«eoisic , der lute
md Generate hat keinan Masscnanhcmg. Der btahlhelm und die
Seutschnationale Volkspartei geniigen nicht. Das grossartig yer-
Sefe Wirtschaftprogramra Papens im September 1932 brmgt
™ . Belastung fur die Massen und Qcue Millionen als Geschenk
fiir die Besitzenden. Machtige antifaschistische Gegenaktioiien
werden unter Ffihrung der Kommunistischen Parte, die alletn
einen ernsthaften, ausserparlamentarischen Karnpf gegec .den
Faschismus fiihrt, ausgelost. Sie finden im November 1932 ifaren
Hohepunkt im Berliner Vexkehrsarbeiterstreik, der die Olmmacht
der Regierung gegeniiber dem AnsLurm des Proletariats manife-
stiert. Jeder Tag enthiillt, wie trugerisch Papens Hotinungen aut
ein baldiges Ende der Wirtschaftskrise sind.
Zu "leicher Zeit macht der Nationalsozialismus einc sennvere
Krise durch. Bei den Novemberwahlen 1932 verliert die NSDAP
fast 2 Millionen Stimmen. Fur die Kommunislische Partei warden
6 Millionen Stimmen abgegeben.
Ende November stiirzt Papen. Auf lhn iolgt Anfang Dezernber
Schleicher. Hinter den Kulissen beginnen wieder Verhandlungen,
sowohl mit den Gewerkschaften wie auch iiber eine Heranziehung
der Nationalsozialisten. Keine Regierung kaim, nach Schleichers
Wort, auf den Spitzen der Bajonette sitzen. Der Kanzler-General
zogcrt, untcrnimmt nichts, mildert lediglieh einige Notverord-
nungen Papens. Am 22. Januar wagen die Nationalsozialisten eine
krasse Provokation. Sie setzen eine Demonstration an auf dera
Biilowplatz, vor dem Karl Liebknechthaus, dem Gebaude des
Zentralkomitees der Kommunistischen Partei. General Schlei-
cher schiitzt diese Provokation mit dem Aufgebot der gesamten
Polizei gegen grosse proletarische Gegendemonstrationen.
Die Situation spitzt sich zu. General Schleicher spielt mit
der sofortigen Proklamierung der Militardiktatur. Papen operiert
durch "Verhandlungen mit Hitler und Hugenberg gegen Schlei-
chers Plan. Die herrschenden Kreise Deutschlands wagen jetzt,
wie die « Deutsche Allgemeine Zeitung » sich ausdriickt, den
« Sprung ins Dunkle ». Am 30. Januar ernennt Hindenburg, der
Prasidentschaftskandidat der SPD, Adolf Hitler zum deutscheu
Reichskanzler.
;S4
Dei 1 Reichstag muss breimen !
Dem Stui*z des Kanzier-Generals Schleicher war cm monate-
langes Kulissenspiel im Palais des Reichsprasidenten von Hin-
denburg vorausgegangen. Papens «Ankurbelung der Wirtschaft*
war <*escheitert. Die wirtschaftlichen Schwierigkeitcn turmten
sich. Bei jedem Schritt stiess Schleicher aut* Hindemisse, die ihm
der grosse Einfluss seines Vorgangers Papen heim Reichsprasi-
denten von Hindenburg schuf. Papen arbeitete vom Augenblick
seines Rucktritts planmassig aut* den Sturz seines Nachfolgers
Schleicher hin.
Das Spiel im Palais
Fur einen oberflachlichen Belrachter stellen sich die Yor-
gange hinler den deutschen Regierungskulissen, die in den Mona
ten vor Hitlers RegierungsantriLt spielten, als ein Ausschnitt aus
eineru wirren, poiitischen Intriguenstiick dar. Es gab um Hinden-
burg eine Reihe von niehr oder weniger i'esten Gruppen, die
gegeneinander kampften. Nicht personliche Antipathic oder Sym-
athie gab in diesem Ringen den Ausschlag, sondern es ging um
Teilinteressen der herrschenden Klassen, um Sonderinteressen
politiseh einflussreicher Kreise.
General Kurt von Schleicher war aus der Reichswchr zurn
Posten des deutschen Reichskanzlers aufgesliegen. Der Mann, der
sich in seiner Regierungserklarung durch den Rundfunk selbst
als «sozialen Generals prasentierte, hatte vierzehn Jahre lang
seine geschickte Hand inimer dann im poiitischen Spiel gehabt,
wenn es gait, die poIiLische Entwicklung der Weimarer Republik
ein Stuck weiter in die Richtung der Reaktion zu stossen.
Schleicher erscheint im November 1918 als Verbindungsmann
zwischen der Obersten Heeresleitung und den sozialdemokrati-
schen Volksbeauftragten bei der Niederschlagung der Revolution.
Der Name des jungen Generalstabshauptmanns tauclit in jenen
Tagen neben den Namen Hindenburg, Groner unci Ebert auf. Er
wird ein Mann von grossem Einfluss im neu geschaffenen Reichs-
wehrministerium. Er Eiihrt im Oktober 1923 den Ausnahmezu-
stand durch, als Ebert die gesamte vollziehende Gewalt dem Reichs-
wehrgenera] von Seeckt iibertragt und dainil die aus dem Elcnd
der Inflation emporsteigendc revolutionSxe Welle zu brechen
;-;r>
^ u. - u* r «ni-H als Major Chef des Ministeramls iin Reiehs-
sucht. ScWei^ wird ^f.^ j d isl er aufs engste verbundeo
^fuSS^^S^^^ gemeinsame Dienstzeil im 3. Garde-
niit Hindenbu. und Gei f eraIslab _ mit seinem Sohn, dem
nf '52 OslS von Hindenburg. Schleicher gelingt es. person-
P w BerTSteJatter bei Hindenburg zu werden. Er hat die
Sen fn der H^nd, als Hindenburg im Man .1930 dem Reichs-
2 r Hermann Muller die Vollmacht zur Rcichstagsauflosung
verweigert und die Sozialdcmokratie aus der Regierung wirft.
Schleicher lasst Bruning fallen, als die entscheidenden kapita-
listischen Kreise in Deutschland sich immer starker aut die Heran-
ziehung der Nationalsozialisten an die Regierungsmacht oncn-
tieren. Schleicher tritt selbst an die Stelle Groners als Reichswehr-
minister und trill damit aus dem Dunkel des Reichswehrmim-
steriums, in dem er als «Buro-General» seine politischen General-
stablerkunste unsichtbar anwandte, ins grelle Licht der politi-
schen Oeffentlichkeit.
Schon unter der Kanzlerschaft Papens hatte Schleicher be-
gonnen, die wichtigsten Positionen im Regierungsapparat mil
seinen Vertrauensleuten zu besetzen. Als unter dem Ansturm der
proletarischen Streiks die Regierung Papen ins Wanken kam,
gab Schleicher den Ausschlag zur Erklarung der meisten Mini-
ster : Papens Kanzlerschaft sei nicht langer tragbar. Schleichei
mussle noch mehr offen in den Vordergrund treten. Aber es war
leichter, Manover auf dem glatten Parkett der Regierungszimmer
zu machen, als Politik auf dem abschiissigen Boden der verschari-
ten Wirlschaftskrise. Ohne Programm, ohne klare Politik, mit
alien moglichen Planen spielend, — so verlief die kurze Zeit
seiner Regierung. Sie sollte den einflussreichsten kapitalistischen
Kraften Deutschlands nur als Briicke dienen zum scharferen fa-
schislischen Angriff gegen den sichtbaren revolutionaren Auf-
schwung der Arbeiter. Zur engeren Clique des Generals von
Schleicher gehorten der friihcre Major Planck, der Staatssekretfir
in der Reichskanzlei, und der Major Marcks. der unter d«r
Schleicher-Regierung Reichspressechef wurde.
Zur engsten Gruppe urn Hindenburg gehorten in erster Linie
scin Sohn und personlicher Adjutant. Oberst Oskar von Hinden-
burg. Sein Staatssekretar ist Dr. Meissner, der schon Ebert ge-
dient hat. Herr von Papen gchorte audi nach seinera Sturz zum
unimttelbaren Vertrauenskreis Hindenburgs. Papen besass im
Herrenklub, einer sehr einflussreichen Vereinigung von Politi-
kern, Bankiers, Industriellen, Grossgrundbesilzern, hohen Beam-
ten und Offiziercn, cine besondere Stiitze. Von Papen liefen Fa-
den zur NSDAP, zu Hitler und Goring, zum Stahlhelm und zur
ueutschnalionalen Parte! unter Hugenbergs Fubrung. Wenige
36
Wochen nach seinem Sturze traf sich Papen mit Hitler in der
Wohnung des Bankiers Schroder in Koln. Hitler, der am 7. No-
vember in einem Aufruf den Kampf *bis zum letzten Atemzug*
gegen Papen proklamiert hatte, nahm im Salon des Bankiers die
vertraulichen Vorschlage Papens entgegen. Von Koln reisle Papen
nach Dortmund, wo er mit dem Grossindustriellen Springorum und
anderen Vertretern des rheinisch-westfalischen Schwerkapitals
Geheimbesprechungen zur Regierungsfrage fuhrte.
Schleicher unterhielt ebenfalls enge Beziehungen zur NSDAP,
besonders zu ihrern *sozialistisch» aufgeschminkten Flugel unter
Gregor Strassers Fiihrung. Schleicher versuchte, die Krise in der
NSDAP, die durch den Verlust von zwei Millionen WaMern am
6. November signalisiert wurde, fur seine Regierungspolitik aus-
zuniitzen. Er hatte Verbindungsfaden zu dem Sozialdemokraten
Leipart, dem Vorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Gewerk-
schaftsbundes, zu den Christlichen Gewerkschaften und zum
Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband. Er versuchte, durch
diese «Querverbindungen» von den sozialdemokratisch gefuhrten
Gewerkschaften bis zum «sozialistischen»- Fliigel der NSDAP sich
eine Art gewerkschaftlicher Massenbasis zu schaffen. Gleichzeitig
gab Schleicher den Junkern Millionen um Millionen an «Sanie-
rungs»-Geschenken.
Verbindungsleute vermittelten zwischen diesen Gruppen. Tag-
lich wurden neue Koalitionen geschlossen und wieder aufgelost.
Taglich anderte sich die Situation. Zeitungen wechselten ihre
Besitzer, Redakteure ihre polilischen Ueberzeugungen. Um die
liberalen Organe des Ullstein-Konzerns und des Verlages Rudolf
Mosse wogte der Cliquen-Kampf. Die «Tagliche Rundschau*,
einsl das Organ Stresemanns, wurde zum Sprachrohr Schleichers.
Man sprach von Geldern, die der Zeilung aus der reichgefullten
Reichs wehrkasse zugef los sen seien. Chef r edakteur der «Tag -
lichen Rundschau* wurde Hans Zehrer, Leiter des sogenannten
«Tat-Kreises» und seiner Zeitschrift «Die Tat», die eine beson-
dere Art Faschismus mit pseudo-revolutionarem Einschlag pro-
pagierte. Papen versuchte, Einfluss auf das «Berliner Tageblatt*
zu erlangen. Die Exportindustriellen, die grossen Schiffahrtsge-
sellschaften und die Reichsbahn (Siemens) hatten ihr Organ in
der «Deutschen Allgemeinen Zeitung», die sie seit langem sub-
vention ierten.
Hinter Schleicher standen in jenen Wochen zwar Herr Erupp
von Bohlen und Halbach und der Geheimrat Duisberg von der
I. G. Farben-Industrie A. G., die fiihrenden Leute des Reichsver-
bandes der deutschen Industrie. Aber Papen hatte die festeren Ver-
bindungen zu Springorum und Thyssen, zu Hugenberg und den
Grossagrariern. Alle Gruppen waren sich darin einig, dass die
37
■ oHbipt, als Dolitische Stiilze einer burgerlichen Dik-
NaUonalsMialwto ate jg ^ Uneinig
,al K r "Srd"e g Form und den Umfang ihres Anteils an der Reg.e-
SIC h ube '7 e I 5„° s r s pie i im Reichsprasidentenpala.s. die tausend
S^pie^diese Different wieder.
Der Osthilfe-Skaiulal
Als Ende Januar 1933 Schleicher immer starker die Bedro-
hung seiner Regierung durch die Machenschaften Papeus und der
rril ihm verbundeten Grossagrarier spfirte, als lt immor star-
ker vom engeren Hindenburg-Kreis abgedrangt wurde griff er
zur Gegenwehr durch eines seiner jahrclang bewahrten Manover,
Unceheuerliches Material iiber die ,Osthilfe»-KorrupUon der
erossagrarischen Junker gelangte in die Zeilungen. Die wk-
tatieen Massen waren emport. Im Reichstag wurde cm Unler-
suchmigsausschuss gebildet. Der Skanda) drohte. Hindenburg
selbst in seinen Bannkreis zu Ziehen.
Schon unter dera Reichskanzler Herrmann Muller ha lien die
Junker Millionen zur Sanierung ihrer bankrotten Giiter durch die
so<*enannte Osthilfe erhalten. Die Kleinbauern bekamen bei dei
Verteilung der Gelder so gut wie nichts. Die grossen Herren
steckten den Lowenanteil ein. Es wurde nun im Untersuchungs-
ausschuss des Reichstages Ende Januar 1933 enthullt. ^ dass da-
neben «unberechtigterweise» die reichen Grossgrundbesitzer viele
Hunderttausende erhalten hatten. Sie hatten sich diese Summen
regelrecht erschwindelt. Der millionenschwere Kammerherr yon
Oldenberg-Januschau, Besilzer von sechs Rittergiitern, person-
licher Freund und Gutsnachbar Hindenburgs, hatte sich 621.000
Mark durch falsche Angaben verschafft. Die Grafen Wolf und
Adalbert von Keyserling-Casterhausen nahmen 700.000 Mark. Ein
Herr von Quast-Rabensleben, der nach Angaben des Finanzamtes
Ruppin sein Vermogen verspielt, verhurt und versoffen hatte.
«verschaffte» sich 281.000 Mark. Die Herren Bronsart in Bran-
denburg und von Wolf in Stettin, Leiter von Osthilfe-Landstellen,
haben sich selbst umgeschuldet und Zehntausende in die eigene
Tasche gesteckt. Der Rittergutsbesitzer Kroek im Kreise Wehlau
iiberschrieb seinen Viehstand auf seine Frau, um 154.000 Mark
Osthilfe-Gelder einzuheimsen. Trotzdem ging er in Konkurs.
Seine Frau verschleuderte den Viehstand, gab den Erlos der
Tochter, die dann bei der Versteigerung das Gut zu einem Spott-
preis fur die Eltern zuriickerwerben konnte.
Taglich tauchten neue Namen auf. die in den «Osthilfe-Skan-
dal» verwickelt waren : Gutsnachbarn des Reichsprasidenten von
Hindenburg, die bei ihm auf dem Gut Neudeck aus- und ein-
gingen. Man wurde im Hause Hindenburg sehr unruhig. Denn
38
es war der jetzt blossgesteilte Junker von Oldenburg-Januschau
gcwesen, der zu Hindenburgs 80. Geburtstag industrielle Verbande
und Einzelpersonen bewogen hatte. dem Reichspriisidenten seta
Stammgul Neudeck als Geschenk zu uberreichen. Fur das Gut
■war damals keine Schenkungssteuer gezahlt worden — und es
■war nicht dem Reichspriisidenten, sondern seinem Sohn, dem
Obersten und Adjutanten, tiberschrieben worden. Der Staat war
also auch um die kunftige Erbschaftssteuer belrogen worden.
Zweimal hatten die Junker und die Industriellen schon fur die
Emeuerung des Inventars und der Rauten des Gutes Neudeck
Geld gesammelt. Sie sammelten zum dritten Male, um das Gut
rentabler zu machen. Die Schlaramflut des Osthilfe-Skandals
drang bis ins Reichsprasidenten-Palais.
Die Junker berieten: Schleicher muss weg! Schon Briining
war auf Belrciben der Grossagrarier — damals mit Schleichers
Hilfe — a us dem Reichskanzleramt entlassen worden.
Hitler wird Reichskauzler
Am Morgen des 28. Januar tritt die Regierung Schleicher
zuriick, nachdeni Hindenburg dem Kanzler-General die Vollmacht
zu einer Reichstagsauflosung verweigert hat. Dagegen erhalt Papen
von Hindenburg den Auftrag, mit Hitler iiber die Bildung einer Re-
gierung der «nationalen Konzentration» zu verhandeln. Zwei Tage
voll unerhorter Spannung: die Kommunistische Partei verbreitet
FlugbMlter, die zum Generalstreik gegen die drohende Hitlerdik-
tatur rufen. Schleicher verhandelt mit Leipart. Der Kampf hinter
den Kulissen spitzt sich zu, Schleicher spiell in der Nacht vont
29. auf 30. Januar mit dem Gedanken der sofortigen Verkiindung
der Militardiktatur, mit dem Marsch der Potsdamer Garnison
naeh Berlin. Jede Stunde kann iiberraschende Ereignisse brin-
gen. Da entschliesst sich Hindenburg, unter bestimmten Bedin-
gungen. Hitler sofort die Kanzlerschaft zn iibertragen. So kommt
uberstiirzt am Morgen des 30. Januar die Regierung Hitler-Papen-
Hugeoberg zustande.
Im Juni 1932 hatte sich die Regierung Papen-Schleicher auf
die Tolerierung der Nationalsozialistisohen Partei gestutzt. Gobbels
hat die Leute vom Herrenklub spater angeklagt, dass sie «auf
dem breiten Rucken der NSDAP behende in die Amllichkeit ge-
klettert* seien. Noch im November 1932 erklarte der national -
sozialistische Fraktionsfuhrer im Preussischen Landtag, Wilhehn
Kube, die Nationalsozialisten wurden niemals unter dem Schlacht-
ruf : «Mit Hugenberg, fur Borse und Kapital !» marschieren. In
monatelanger Arbeit hinter den Kulissen hatte aber Herr von
Papen vorbereitet, class die Nationalsozialisten ihre donnernden
39
RrklSrunffen und pathetischen Beteuerungen wie uberflussigen
illlaS lb£ Bord warfen, als Hindenburg sie net >
^ Dk K^izlerschaft fiei Hitler nicht als die Fmcht ernes he-
roisahen Kampfes in den Schoss. Es war kerne «na tionale Revo-
E£ die sich am 30. Januar vollzog und im kuhnen ABgriff
die Maiht eroberte. Adolf Hitler erhielt uberraschend den Kanz-
l^osten, als die fuhrenden Gruppen der herrschenden Klasse
Ml nu^ auf eine Verstarkung ihrer Gewalt gegen die Arbei er
dSngten, sondern auch den Geruch des Osthilfe-Skandals eihg
erStl AIs n am°Abend des 30. Januar die SA und der Stahlhclm mil
lodernden Fackeln durch die Wilhclnistrasse marschierten, als
sie Hindenburg und Hitler zujubelte, ahnte sie nichts von den
wirklichen Vorgangen. Die SA-Manner und Stahlhelmer die den
.Tag der nationalen Erhebung* feierten, wussten nicht, dass Fro-
fitsucht und Korruption ihm Pate gestanden batten.
Die Welle des Widerstands steigt
Die Kominunistische Partei macbte am 30. Januar 1933 dem
Parteivorstand der Sozialdemokratie, den Vorstanden der sozial-
demokratisch gefuhrten und der christlichen Gewerkschaften den
offiziellen Vorschlag, gemeinsam den Generalstreik fur den Sturz
der Hitler-Regierung zu organisieren. Die Antwort der Sozial-
demokratie und der Gewerkschaften war : Hitler sei legal zur
Macht gekommen. Man musse abwarten, bis er die Legalitat
breche. Man diirfe jetzt nicht kampfen. Der Tenor der sozialde-
mokraiischen Presse war, Hitler werde bald abwirtschaften.
Grosse Teile der deutschen Arbeiter vertrauten diesen Erkla-
rungen. Es gelang der Kommunistischen Partei noch nicht, durch
eigene Kraft die Mehrheit der Arbeiterklasse in den Kampf zu
fiihren. Die rasch zusammengekittete Hitler-Regierung ware dem
vereinten Ansturm der deutschen Arbeiter in den ersten Februar-
Tagen nicht gewachsen gewesen. Die SA war soeben durch eine
heftige Krise gegangen und hatte teilweise bis zur Halfte ihres
Mitgliederbestandes verloren. Der Polizeiapparat war noch nicht
zuverlassig in den Handen der neuen Regierung. Sie hatte Schwie-
rigkeiten mit Schleichers Reichswehr. Durch das Ausbleiben des
soforligen Generalstreiks gewann nun die Hitler-Regierung Zeit,
ihre Machtmittel zu entfalten.
Trotzdem wuchs der Widerstand der Arbeiter in Berlin, in
Hamburg, an der Ruhr, am Niederrhein, in Mitteldeutschland
und in alien Teilen des Reiches. Die Hitler-Diktatur hatte gegen
sich eine Arbei terschaft, deren Kampf kraft noch nicht gebrochen
war. Die Arbeiter hatten sich am 22. Januar nicht provozieren
lassen. Unter ihnen entfaltete sich jetzt gegen den verstarkt wu-
40
Der Kanzler des „l>rittcu Reichcs"
Hitler spriehl:
<Das ist ein von Gott gegebeues Zeicheu, »iemand
wird xins nua daran hinder*, die Konnmimsten
rait eisemer Faust zu vernichten.»
liillcr an J" Branclstnltc)
Dor Propagandaniinister clcs „Dritton Reiclies"
Dr. Josef Goebbels, der den Plan zum Reichstagsbrand erdachte.
cZeistampft den Kommunismus! Zerschmettert
die SozialdemokratieU
(Losung auf Gttbbd's Platalcn nadl dcm Reiclisfogsbrandl
beiter verbruderten sich ^ffy^^^Z^^ Ar "
b&uden und GewerkschaftshfiuseVn/MSffl
bieten, Demanstrationsverbote verhnnSS . Uni «a /eilun ^n ver-
Welle des antifaschistischen SSd^^ TrbSfef ^
Der Zwang zur Provokation
Hitler war wochenlang an der Macht, aber die Situation war
fur ihn kcmeswegs gunstig. Das neue Kabinett hatte den Reichs
tag aufgelost und Neuwahlen ausgeschrieben. Die Terrorverord-
nungen Papens wurden in verscharfter Form wieder hergestelll
Der Osthilfe-Skandal wurde in einem geheimen Ausschuss begra
ben. Hitler verkundete durch den Rundfunk mil verschwornme-
nen Worten seinen nichtexistierenden «4-JahrespIan». Mit ein
paar Notverordnungen und vagen Versprechungen konnten je-
doch die Millionenmassen seiner Wahler, die auf die Verwirk-
lichung des «deutschen Sozialismus» hofften, nicbt zufrieden We-
stell t werden.
Hitler war Ende Januar gezwungen gewesen. unter den ein-
engenden Bedingungen Hindenburgs in die Regierung zu gehen.
Es gab fur seine Bereitschaft zum Kompromiss damals eine Reibe
von Grunden : Unzufriedenheit bei Mitgliedern und Anhangern,
Krise und zahlreiche Austritte in der SA, unbezahlte Millionen-
schulden der NSDAP. In burgerlichen Kreisen hatte sich ein Teil
friihercr Naziwahler den Dcutschnationalen zuzuwenden be-
gonnen. Komnuinisten hatten am 6. November 11 Reichstags-
mandate gewonnen. wahrend die Nationalsozialisten 35 Mandate
verloren. In der neuen Regierung standen 3 nationalsozialistische
Minister acht Vcrlretern der Dcutschnationalen und des Stahl-
helms gegenuber. Ohne die Zustimmung Hindenburgs durfte
keine Veranderung im Kabinett vorgenommen werden.
Hitlers Wahlaussichton waren bei der wachsenden antifa-
schistischen Kampfstimmung der Arbeiter ungunstig. Hugenberg
und die Dcutschnationalen hielten alle wirtschaftlichen Kom-
mandohohen in der Regierung besetzt, und grosse Volksmassen
sahen, dass Hitler die Politik der schlimmsten kapitalistischen
Scharfmacher durchzufuhren begann. Die Enttauschung der
Masscn rausste in dera Wahlresultat des 5. Marz ihren Ausdruck
finden. Ein neues Wachstum der koinrnunistischcn Stimmen
drohte. Es ergab sich fur die natkmalsozialistischen Fuhrer die
dringende Notwendigkeit, durch eine gross angel eg to
Provokation die Situation zu andern: Die Wah -
len sollten in einer Pogromstiinmung gegen Kommunisten und
41
Sozialdemokraten durchgcfiihrt werden. Gleichzeitig sollte die
nationalsozialistische Position inncrhalb der Regierung mil eineiM
Schlag verstarkt werden. *)
Gobbels lieferte den Plan zu der schurktschsten aller Provo-
kationen, die jemals die herrschenden Klassen gegen das anstiir-
mende Proletariat angewandt haben. Goring. ReichstagsprasidenL
und Kommandeur der preussischen Polizei, sorgle fiir die exakte
Durchfiihrung des tiickischen Planes. Hatlen die Nationalsozia-
listen urspriinglicb fiir die Nacht void 5. auf den S. Marz einen
Marsch der gesamten SA nach Berlin geplant und war dicse Ab-
sicht an der Drohung ihrer Verbiindeten, dann die Reichswehr
gegen die SA marschieren zu lassen, gescheitert, so war jetzt
mit dem grossen Provokationsplan ein Millel gefunden, dem na-
tionalsozialistischen Drangen zur ganzen Rcgierungsmacht und
zur Entfesselung des schrankenlosen SA-Terrors freie Bahn zu
sehaffen.
Die nationalsozialistischen Ffihrer schritten zur Aktion. Der
deutschnalionale Polizeiprasidcnt von Berlin, Dr. Melcher, wurde
nach Magdeburg versetzt. An seine Stelle trat ein Nationalsozia-
list, der Kontreadmiral a. D. von Levetzow. Am 24. Februar wurde
das Berliner Karl Liebknecht-Haus, das Gebaude des Zentralko-
mitees der Kommunistischen Partei Deutschlands, vvieder einnial
von der Polizei durchsucht. Obwohl das Karl Liebknecht-Haus
bereits wochenlang von der Polizei besetzt gehalten und nach
ergebnisloser Untersuchung wieder geraumt worden war. wurde
jetzt plotzlich «schwer belastendes» Material gefunden. Am Tage
vor dem Reicbstagsbrand erschienen riesige Schlagzeilen in der
gesamten burgerlichen Presse iiber die «Geheimnisse» des Karl
Liebknechthauses, uher «unterirdische Gange», hochverraterisches
Material* und «bolschewistische Umsturzplane*. Zeitungen be-
richteten von einem angeblichen kommunistischen Eisenbahn-
attentat in Ostpreussen (niemals spater ist von diesem Attentat
mehr die Rede gewesenl). Am 25. Januar brach im Berliner
Schloss ein kleiner Brand aus, der in sensationeller Weise als
okommunistische Aktion» aufgemacht wurde. So wurde die
Oeffentlichkeit von Zeitung zu Zeitung, von Tag zu Tag auf den
«grossen Schiag» vorbereitet !
Die Kommunistische Partei erhielt zuverlassige Nachrichten,
dass die Regierung eine Provokation plane. Der Abgeordnete Wil-
helm Pieck sprach im Sportpalast dariiber. Er enthiillte die Plane
*) Es begaan jener Kampf der Nationalsozialisten urn die Monopoletel-
limg in der Regierung, in dem spater die Deutschnationaleii Schritt ffl*
Scbritt zuriickgedrangt wurden und nack vier Monaten neben dem Riick-
tritt Hugenbergs die Auflosuug der Deutschnationalen Partei erzwnngen
wurde.
42
der Nazi auf ein vorget&uschles Attentat gegeu Hitlei oder eine
andere Provokation. die wenigc Tage vor dei Wahl ein Yerbol
der kommunistlschen ParLei herbeifuhren sollle- Die kommuui-
slische Reichstagst'raktion gab vor einer Konferenz auslandischer
Pressevertreter eine ahnliche Erklarung ab.
Die hitlertreue Presse steigerte die ihr befohlene Hetze gegen
die revolulionare Arbeiterschafl aufs iiusserste. Jeder politische
Menscb spiirle in Deutschland die bis zuui Zerreissen gespannte
polilische Situation. Jeder spur to, dass «etwas in der Lull liegt*.
Da verkiindete in der Nachi vom 27. auf den 28. Fetruar der
Rundi'uiik fiber alle deutschen Sender.
*D e r Reichstag b r e n n t W
M
Van der Lubbe, das Werkzeng
In der Nacht vom 27. zum 28. Februar gehen Sitzungssaal
und Kuppel des Deutschen Reichstages in Flammen auf. In einer
Wandelhalle ergreift man einen der Brandleger : Marinus van
der Lubbe, der sich nach dem amtlichen Preussischen Presse-
dienst angeblich als «Mitglied der Kommunistischen Partei Hol-
lands* bekennt Rundfunk, Telegraf, Telefon, Presse und Nach-
riehtenagenturen brullen im Auftrag der Hitlerregierung ins
Land: «Die Kommunisten haben den Reichstag angezundetU
Die Auffindung dieses Marinus van der Lubbe im Reichstag
bildete fur die Hitlerregierung formal und juristisch den
Vorwand zu dem unerhorten Pogrom gegen die KPD, die SPD
und die Juden, zu den Massenverhaftungen, Organ isationsver-
boten, Folterungen und Ermordungen, die in der ganzen Welt
mit dem Namen Hitler-Deutschland den Begriff der grausamsten
BaFbarei verbunden haben. Wer ist dieser van der Lubbe? Wie
kam. er in den brennenden Reichstag?
Die Jugend des van der Lnbbe
Am 13. Januar 1909 meldet der hausierende Kaufmann Fran-
ziskus Cornells van der Lubbe auf dem Standesamt in Leiden
die Geburt ernes Knaben. Als Zeugen fungieren der beschafti-
gungslose Isaak Cornet und der Strassenkehrer Gerardus Beurse,
Das Kind erhiilt den Namen Marinus. Die Mutter, Petronella
van Handel, ist mit Franziscus Cornelis van der Lubbe in zweiter
Ehc verbunden. Tochter eines reichen Bauern aus Nord-Branant,
heiratete sie in jungen Jahren den Kolonialunteroffizier van
Peuthe. Sie gebar ihm eine Tochter und drei Sonne. Peuthe start)
verhaltnismassig Jung an einer Krankheit, die er sich in den
Kolonien geholt hatte. Seine Witwe ehelichte kurz nach seinem
Tode den Hausierer van der Lubbe, der in Leiden em Geschaft
betrieb. Dieser Ehe entsprangen drei Sohne. Marinus war das
siebente und letzte Kind der Petronella van Handel.
Die Ehe van der Lubbe ist nicht gliickhch Der Bmifdea
Mannes treibt ihn fur Tage und Wochen in *e umhegenden
Dorfer wo er den Bauern seine Galantenewaren verkauft Die
meiste; Verkaufe werden in Gasthausern ««f ^«P« ^
schlossen. Man gew6hnt sich ans Trinken. Der ^^""J"^
lich nur Mittel zum Geschaftsabschluss, wn-d zum Freunde aucn
sK^ d sr^ lunden - *— — *«* -„ der
Teil in die Kneipe. HaLhS^nTe'oJ™^ ZUm 8 ™ sslen
und wenig. Die Mutter SS da^NftL 8 „" " Ur Selte »
Kinder durchzuiuUern. CXbS steht ^i/'h-T"', Um die
denpult de S kleinen Geschff.ef in fiide£ ahenf ^ ^
die Wirlschafl in Ordnung, slonf. flS' , ab . ends . u bnn g l sie
standig von einem schvverert Astt a SSUXTSi X,"5
dass ein Klimawechsel notwendig 1st D e FamlL Ar f l .f kIart .
Breda, spater nach Hertogenbosch. £'ri 5jEt d^uS«
trennt sich Franz^cus Cornells van der Lubbe von seiner FaSe
fcr Iasst sich in Dordrecht nieder und eroffnet dort ein kleines
Galanteriewarengeschaft, das er noch heute fiihrt.
Petronella van Handel betreibt in Breda, spater in Hertoeen-
bosch, lhren kleinen Handel weiter. Fur die Erziehung der Kin-
der bleibt ihr keine Zeit. Sie beschrankt sich darauf, ihre Kin-
der religios zu beeinflussen. Vom Dorfe, vom Elternhause her ist
sie anFrommigkeit gewdhnt, und sie bemiiht sich, ihren Kin-
dern die gleiche primitive Glaubigkeit einzupflanzen. Der junge
Marinus geht in Hertogenbosch in die protestantische Schule des
Domine Voorhoeve. Er lernt nur miihsam schreiben. Im Re-
ligionsunterricht ist er unter den Besten. Jeden Sonntag trottet
er neben Mutter und Gescliwi stern zur Kirche.
Im Hause der van der Lubbes herrscht eine driickende
Atmospharc. Die Heiligenbilder an der Wand mahnen zu From-
migkeii und Gottesfurcht. Die Mutter weiss oft nicht, -wo sie das
Geld fur Essen hernehmen soil. Das kleine Geschaft in Hertogen-
bosch kann sechs Sohne nicht ernahren. Die einzige Moglichkeit
fur sie: Arbeiter zu werden. Herkunft und Erziehung macheu
den Entschluss nicht leicht. Obwohl im Hause der van der
Lubbes oft bittere Not herrscht, ist es doch ein Kleinbiirgerhaus.
crfullt von den Sehnsuchten und Hoffnungen des Handlers. Der
Hunger treibt die jungen van der Lubbes in die Armee des Pro-
letariats. Sie tauchen unter im Heer der Hunderltausende, die in
Holland die Fabriken, und als Landarbeiter die Bauernhofe be-
volkern. Sie tauchen unter, aber sie assimilieren sich nicht. Noch
heute stosst man, wenn man mit einem der Briider und Halb-
briider des Marinus van der Lubbe spricht, auf eine Wand von
kleinburgerlichen Illusionen.
Der Tod der Mntter
Die Halbschwester des Marinus lebt in Leiden als Frau des
Wascherciarbeiters Snardijn. Am 16. April 1921 erhalt sie die
45
Nachricht, dass der Tod der Mutter nahe bevorsteht. Es ist der
Wunsch der Mutter, dass Marinus im Hause seiner Halbschwestei
aufwachst. So komml Marinus als elfjahriger Junge nach Oegst-
geest bei Leiden in das Haus des WSsehereiarbeiters Snardijn.
Zu den drei Kindern der Snardijns, die in der engen Wohnung
spielen, gesellt sich als Aeltester Marinus.
Wir wissen aus Berichlen seiner einstigen Mitschuler, dass
Marinus van der Lubbe schon in der Schule von dem Bestreben
besessen war, sich hervorzutun. Im Hause der Snardijns ist es
Ieicht, unter den Kindern, deren Aeltestes funf, sechs Jahre
alt ist, der erste zu sein. Vier Zauberkunststiicke geniigen, urn
die Herrschaft zu sichern. Marinus iibt sie drakonisch aus.
Die Schwester hat der Mutter auf dem Totenbett geschwo-
ren, Marinus in Frommigkeit zu erziehen. Wieder wandert er
jeden Sonntag — nun mit der Schwester und ihren Kindern —
zur Kirche. Die Schwester erzahlt, dass er damals ein frommer,
gottesfiirchtiger Junge gewesen sei. War es wirklich nur Gottes-
furcht, die ihn Sonntags in die Kirche fiihrte? Fiihlte er sich viel-
leicht magisch angezogen von der Macht, die der Pater in der
Genieinde hatte? In jener Zeit wuchs in ihm der Gedanke> Geist-
licher zu werden, Fiihrer einer Gemeinde, die ihm bedingungslos
folgte. Als zwolfjahriger Junge spricht er oft und ausfiihrlich
von der kirchlichen Laufbahn, die er einschlagen will.
In den Pausen zwischen den Lehrstunden versucht er sich
nicht selten als Prediger. Die Kameraden hanseln ihn mit dies-er
Freude am Predigen.
Sie necken ihn aber audi wegen seiner Scheu vor
Madchen. Diese Besonderheit des Marinus van der Lubbe
ist so stark und augenfallig, dass seine friiheren Schulkarne-
raden heute noch ubereinstimmend davon erzahlen. Er war
nicht zu bewegen. in Madchengesellschafl zu gehen. Er suchle
seine Liebe in den Reihen der Schulknaben und Altersgenossen.
Zur Kirchenkarriere bedarf es eiaes langen Sttidiums. Zum
Studium gehort Geld. Der praktische Sinn des Wascherciarbeiters
Snardijn sorgt dafiir, dass Marinus van der Lubbe mit vierzehn
Jahren ans Geldverdienen geht. Er wird Lehrling in cinem Ge-
schiift und arbeitet dort zwei Jahre. Nach Geschaftsschluss geht
er in die katholische Abendschule. Der protestantisch erzogenc
Marinus kommt hier mit einer Welt in Beriihrung, die ihm
bisher fremd war.
Van der Lubbe ist von der Arbeit im Geschaft nicht befrie-
digt. Wohl hat sich der Handelsgeist des Vaters auf ihn ver-
erbt, wohl macht es ihm Spass, hinter dem Ladenpult zu stehen
und den Kunden moglichst viel zu verkaufen, aber die Zukunfts-
aussichlen sind zu klein. In langen Aussprachcn mil seinew
4(3
Sob-wager Snarchjn versucht Marinus die Moglichkeit eines neuen
tu-ruls zu idaren. Marinus van der Lubbe maeht, »ach den
klarungen semes Schwagers Snardijii. nebeneinander die
luihnsten and die bescheidensten Plane. Ein Blumcngeschaft ein
richten - eme Nveltreise macho i, so weit spannt sich det
ogen m semen IYauinen. Die Wunsche enden im Entschluss
Maurer zu werden.
Der scchzchnjahrige Marinus van der Lubbe 1st ein unter-
setzter, gedrungener Junge von so kraftigem Korperbau, dass ihn
seine Kameraden « Dempsey » nennen. Er demonstriert seine
Kraft bei jeder Gelegenheit. Umso unerklariicher ist den
Maurergesellen, mit denen or jetzt zusammen arbeitet, dass Mari-
nus van der Lubbe eine solche Scheu vor Frauen hat.
Arbeitskameraden von Marinus haben uns iiber Gesprache
berichtet, die er in jenen Jahren mit ihnen hatte. Sie konnten
uns selbstverslandlich die Gesprache nicht wdrtlich wiedergeben,
vieles haben sie vergessen, manches Bedeutungslose ist haften ge-
blieben. Aber iibereinslimmend berichten sie iiber eines: sie er-
zahlen alle vom Drang des Marinus van der Lubbe, sich hervor-
zutun, abzustecben von den andern. Sie sprechen von seinem
fanatischcn Streben, el was « Besonderes » zu sein. Die Berichte
sine! so eindeutig — sowoh] der Arbeitsgenosscn, als der Schul-
kameraden, als auch seiner Verwandten — . dass kein Zweifel
daran beslehen kann. Der junge Marinus van der Lubbe war von
Kilelkeit und Ruhmsucht besessen.
Ein schwerer Onfall
Die tagliche Beriihrung mit einem neuen Menschenschlag,
mit Arheitern bring! in Marinus* Leben manche Aenderung. Bis-
her hat er gehort und gelernt, dass Gottesfurcht das hochste aller
Giiter sei. Dor sonntagliche Kirchgang war ihm ein Bediirfnis,
die Ordnung, nach der es Reich und Arm gibt, eine Selbstver-
standlichkeit. Nun stosst er auf andere Anschauungen. In den
Arbeitspausen wird nicht von Gott gesprochen, umso mehr von
den Lohnverhaltnissen. Die bestehende Ordnung ist nicht selbst-
verstandlich und nicht ewig. Sie zu stiirzen, eine Notwendigkeit.
Der junge Marinus van der Lubbe hort diese Gesprache taglich.
Er nimmt sie auf, aber er verarbeitet sie nicht. Es geht ihm wie
inen Briidern. Er wird Arbeiter, aber er bleibt Kleinbiirger.
Ein Zufall bring! eine einschneidende Aenderung in sein
Leben. In der Mittagspause stulpen ihm zwei Kameraden einen
en Sack aber den Kopf. Ein Kulkstiick gerat ihm dabei ins
Marinus lei-del drei Wochen an einer Augcnenlziindung.
Kurze Zeit darauf erlebt er einen neuen, vie! sdrwereren Unfall.
einem Eimer spritzt ihm wiederum Kalk ins Auge. Die Polge
47
, ,1-hpit die ihn fur fiinf Monate ins
ist eine schwere Au^^g wird dre imal operiert. Als er
Leidener Krankenhau- .bnng ^^ beider Augen bedeu .
das Krankenhaus verlasst f ^ Erblmd g .
tend geschwacht. Es bcstc di 7U einer Verstarkung sei-
Das Augenjeiden muss nom b ^ ^ Rulimsucht
ner hervorstechends^n E^ch ^^ bestrebt E t
U nd der E ' te . k a f V^^ifedensten Einfliissen ausgesetzt, be-
sein, ungefesUgt den ^"cn hervorzulun , sie ht pkrtxlich die
sessen von dem f ^ange, s« ^ ^ Furcht gepacklt
das Le b en °icht zu Ende zu ehe er §em Z]el
Licht des Tages J „ verse* ^ ^ ^
erreicht. Jin Zie" we ^ ne bensachlieh. Bauptsache
S "held d^GedLke an den Erfolg, die Sucht, « von
SiCh Ku d r" SI*^ den schweren Unfall erleidet tritt Marinus
van ?er Lubb in den Kommunistischen Jugendverband zu Lei-
den ein Die Kommunistische Partei Hollands war damals m den
Anfangen der Organisierung. Der Jugendverband in Leiden be-
gann sich eben zu formieren. Marmus van der Lubbe tritt dem
Verband bei, well er die Kraft spurt, die von der Bewegung aus-
gehf. Er fiihlt ihre Krafte, aber er bat nicht die Standhaftigkeit,
welc'he die kommunistische Partei von ihren Mitgliedern verlangt.
Marinus van der Lubbe ist in standigem Konflikt mit der kom-
munistischen Jugendorganisation. Als er eintritt, glaubt er,
schnell aufzusteigen. Er sieht in der Organisation nichts als ein
Versuchsfeld fur seine ehrgeizigen Wiinsche. Wenn seine Wiin-
sche nicht befriedigt werden, schreibt er eine Austrittserklarung.
Marinus van der Lubbe ist viermal aus dem Kommunistischen
Jugendverband Leidens ausgetreten und dreimal wieder einge-
treten. Jedem neuen Austritt ging der Versuch voran, die Fiih-
rung an sich zu reissen. Sein erster Austritt erfolgte im Januar
1929, weil er nicht zum Leiter der Pionierorganisation ernannt
wurde. Wir veroffentlichen nur einen der zahlreichen Briefe, die
Marinus van der Lubbe an den Jugendverband in Leiden geschrie-
ben hat. Das Schreiben ist fiir das Verhalten van der Lubbes
charakteristisch.
Leiden, den 13. Dezember 1929.
An die permanent^ Kommission der Sektion des kommunisti-
schen Jugendverbandes in Leiden.
Werte Genossen,
In Verfolg des Briefes der permanenten Kommission aber meine
Bitte, eine erweiterte Kommiesionssitzung einzuberufen. muss
48
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jch feststellen, dass Ihr meine Bitte, eine erweiterte Koinmissions-
sitzung einzuberufen, im Grossen und Ganzeu nicht versteht, und
dass diese Weigerung, ob nun bewusst oder nicht. einen schweren
irrlum vom Standpunkt der Organisation darstellt.
Ihr seid der Meinung, dase diese Frage nicht vor die Versamm-
lung des H. H. gebracht werden darf. Ihr wei'det, wonn Ihr auf diesar
Weigerung besteht, den Interessen Eures eigenen Stand punktes und
dem der Sektion schaden. Audi mciehte ich Euch durch diesen Brief
darauf aufmerksam machen, dase fiir eine neue Diskussion (die
meiner Ansicht nach sehr wichtig ist) des Arta'kels, den ieh geschickt
faabe, und meiner beiden Artikel, die :ch ausserdem geschicki habe.
eine enveiterte Kommissiorj6sitzung und eine Schlussabstimraung
iiber diese Frage notwendig sind, uad ich wurde dann wissen. woran
ich bin, wahrend icb ohne diese gewunschte Sitzung diese Frage ah
nicht behandelt betrachts, und dann wurde ich Masenahmen treffen.
urn diese Frage der Mitgliederversammlung zur Kenntnis zu brio-
■ren, was von mir nicht gewiinscht wird (und von Euch auch nicht)
Deshalb schlage ich eine Sitzung der permanenten Kommissioo
fiir deu niichsten Sonntag vor (also eine Sitzung der erweiterlen
[Commission) (was eine Bedingung ist), denn wenn ich es andera
machen wurde, wurde ich die ganze Sektion verargern.
Einliegend schicke ich Euch eine Erklarung, die meine Stelhing
zu den Wiinschen von Dirk van Roojen Rnthalt.
Mit kameradschaftlichem Grusa :
Folgt Unterschrift des Van der Lubbe.
P. S. Nur die jetzt geschickte Erklarung fiir Dirk van Roojen
muss vollstandig behandelt werden.*
Die Jagd nach Geltung
Das Leben des Marinus van der Lubbe nach dem schweren
Unfall ist eine ewige Jagd nach Geltung, eine Suche nach dem
Aussergewohnlichen. Kaum ein Augenblick der Selbstbesinnung
in dieser Unrast. Er versuchl sich in verschiedenen Berufen, aber
er traumt vom grossen Coup, der ihn mit einem Schlage in die
vorderste Reihe stellt. Im Winter 1927-28 arbeitet er als Aushilfs-
kellner im Bahnhofsrestanrant in Leiden, im Sommer 1928 als
Hoteldiener im « Hof Van Holland » auf Nordwyk. Zwischen-
durch betatigt er sich als Handler. Er fiihrt einige Wochen auf
eigene Rechnung einen Kartoffelhandel. Dann arbeitet er als
Fahrmann auf einer Fahre, die zwischen Nordwyk und Sassen-
heim Baumaterial befordert. Aber er denkt immer an den grossen
Schlag. Im Dezember 1929 hat er einen neuen Konflikt rnit dem
Jtlgendverband, weil er Flugblatter auf eigene Faust herausgibt
und mit s ein em Namen unterzeichnet. Wir besitzen einen Brief
des Marinus van der Lubbe aus diesen Tagen, in dem er in einem
50
Anfall von Selbstkritik seine Stellung cum Knmmunismus cha-
rakterisiert. Er sagt in diescm Schreiben:
<Dies sind Dinge, die beweisen, class ich kein guter Bolschewik bio
Ich fiihle. dass ich dies jetzt sicher nicht bin (trotzaem ich dem Ka
nilalisraus und alleru. was damit zusammenhangt, sehr radikal £<-
LnUberstehe) und es vielleicht me werden kano. Jetzt fuhle ich micta
bisweilen ganz fremd im Lager (ich tneine damit die Partei).>
Das Innenleben des Marinus van der Lubbe ist nicht
nrSziser zu charakterisieren. Sein anarchisches Denken, sein
Drane nach Aufwirts, seine Disziplinlosigkeit machen ihn fremd
im Lager einei Partei, die von ihren Milgliedern straffste Dis-
ziplin verlangl und im Interesse der Sache verlangen muss.
Die Kaiialdui'chschwimmiing
Im Sommer 1930 macht sich van der Lubbe auf den Weg
nach Calais. Nach seiner Riickkehr erzahlt er, er babe sich in
Calais sein Brot als Erdarbeiter verdient und babe dabei einige
Versuche gemaeht, den Kanal zu durchschwimmen. Wir haben
eingehende Ermittehingen daruber angestellt, ob van der Lubbe
diesen Versuch wirklich gemaeht hat- Wir konnten keine Be-
statigung daffir finden. Aber gleichgiiltig, ob der Versuch ge-
maeht wurde oder nicht, ist die ganze Episode bezeichnend fiir
van der Lubbcs Art zu denken und zu leben. Nicht die Leistung
ist fiir ihn entscheidend, sondern die Tatsache, dass iiber ihn ge-
sprochen wird. Der erhoffte Rnhm bleibt aus. Die Erzahlungen.
mit denen van der Lubbe nach seiner Riickkehr aus Calais zu
prahlen versucht, stossen bei den meisten auf Unglauben und
Spott. Obwohl Marinus im Jahre 1930 wieder in den TCommunisti-
sciien Jugendverband eingelreten ist, wird der Zusammenhang
zwischen ihm und den anderen Milgliedern immer lockerer. Die
Organisation hat sich inzwisehen bedeutend gefestigt.
Van der Lubbe wird immer mehr als frerndes Element emp-
funden und alles weist darauf hin, dass sein endgiiltiges Aus-
scheiden aus der Organisation in kiirzester Zeit erfolgen muss.
Das Haus in der Uiterste Ghrackt
Das Haus Nr. 56 in der Uiterste Gracht unterseheidet sich
ausserlich keineswegs von den typischen hollandischen Hausern.
Aber wenn du mit einem Leidener iiber dieses Haus sprichst, dann
merkst du, dass es ein besonderes Haus ist, ein Haus, in dem
mcrkwiirdige Mcnschen hausen und mcrkwurdige Dinge gesche-
hen. Es gibt Leidener Burger, die dieses Haus fur eine Laster-
nohle batten. Es wird bewohnt von einem biedern Ehepaar, das
51
den Namen van Zijp fiihrt. Der Mann geht tagsuber zur Arbeit,
die Frau Zijp fiihrt die Wirtschaft. Sie verznietet einige Zimmer
dieses Hauses. Sie sind sehr einfach und nicht komfortabel. Die
Miete ist billig, und darum wohnten und wohnen hauptsachlich
Studenten and Arbeitslose darin. Manchmal auch eine Prosit
tuierte. Van der Lubbe war lange Zeit einer der Mieter der Frau
van Zijp, und auch ais er ausgezogen war. kam er beinahe tag-
lich in dieses Haus. Mit ihm gleichzeitig wohnten der Student
Piet van Albada, und der Chauffeur Izak Vink, in der « Uiterste
Gracht ». Eine zeitlang zahlte auch em « geheixnnisvoller » deut-
scher Student zu den Mietern der Frau van Zijp. Die eben ge-
nannten Mieter waren alle durch eine gemeinsame Eigenschaft
verbunden: sie waren homosexuell, der eine oder der andere viel-
leicht bisexuell. An sich ware diese Tatsache ohne jeden Belan<>
und nicht erwahnenswert. In unserem Bericht muss sie hervois
gehoben werden, weil die Homosexualitat van der Lubbe bei sei-
nen spateren Reisen nach Deutschland mit den Nazis in Verbin-
dung brachte.
Piet van Albada hat nach seinem Auszug aus dem Haus
in der Uiterste Gracht geheiratet, und auch der Chauffeur Izak
Vink lebt jetzt mit einer Frau zusammen. Trotzdem steht
fest, dass van der Lubbe zu diesen beiden und auch zu anderen
in homosexuellen Beziehungen stand. Izak Vink hat unserem Be-
richterstatter erzahlt, dass er mit van der Lubbe oft in einem Bett
geschlafen hat. Piet van Albada hatte homosexuelle Beziehungen
zu einem Leidener Universitatsprofessor. Van der Lubbe ist seinem
ganzen Wesen nach homosexuell. Seine Art ist weibisch, seine Zu-
rurkhaftung und Scheu Frauen gegeniiber ist durch viele Aussagen
erhartet, sein Anlehnungs- und Zartlichkeitsbedurfnis Mannern
gegeniiber notorisch.
Ein hollandischer Schriftsteller, der die Verhaltnisse im
Hause Uiterste Gracht genau kennt und der mit van der Lubbe
oft gesprochen hat, erzahlt, dass er stets das Gefuhl hatte, van der
Lubbe wolle sich ihm nahern, habe aber nicht den Mut dazu.
Wir besitzen ausserdem einen weiteren Beweis fiir van der
Lubbes Homosexualitat. Van der Lubbe ist auf seinen Reisen und
Wanderungen mit vielen Handwerksburschen und Jungarbeitern
zusammengekommen. Als sein Name im Zusammenhang mit dem
Reichstagsbrand durch die Presse ging, meldete sich ein deutscher
Jungarbeiter bei uns- Dieser Jungarbeiter hat im Jahre 1931 mil
van der Lubbe zusammen in einer Jugendherberge genachtigt.
Er ist mit van der Lubbe ins Gesprach gekommen, und er hat
iiber dieses Gesprach bei einem Notar protokollarische Aussagen
gemachl. Die Stelle des Protokolls, die hier fur uns besonders
•wichtig ist, lautet wdrtlich:
52
<So sprachen wir sehr lange. Wfihrend dea Gesprflehs ruckte del
hollandisehe Arbeiter naher an mien heran. Er versuctate mehrere
Male, meinen (Jeachlecasteil zu beruhren. Erst als ieh ihra energiscb
eril&rte, dass ich fur so etwae nichi zu haben bin, liees er davon ab.>
Die Aufgabe, die diesem Buche gestellt ist, verlangt, dass van
der Lubbes Leben bis in die letzte Einzelheit beleuchtet wird. Die
Homosexual itat van der Lubbes hat neben seinem Geltungstrieb
sein Leben entscheidend beeinflusst. Deshalb ist diese Frage hier
rnehr als Privatsache.
„Studienreise" durch Europa
Die KanaldurchscMwimmung war in jedem Sinne missgriickt,
als Leistung und als Anlass zum Beriihmtwerden. Im Kopfe des
Marinus van der Lubbe entsteht ein neuer Gedanke, der den Lei-
denern imponieren soil. Van der Lubbe plant eine grosse « Ar-
beiter-, Sport- und Studienreise » durch Europa und die Sowjet-
cinion. » Er lasst Karten drucken, die ihn und seinen Reisepart-
ner Holverda zeigen. Das wichtigste an dieser Reise sind ihm die
Postkarten. Ueber den Kopfen der beiden Burschen leuchtet em
geheimnisvoller Stern. In vier Sprachen wird auf dieser Karte ge-
lagt, dass van der Lubbe und H. Holverda durch Europa und die
Sowjetunion reisen wollen. t .
Wollen sie dies wirklich? Noch ehe die Reise beginnt, gibt
es Streit zwischen ihnen. Die Freunde van der Lubbes behaupten,
der Streit sei ausgebrochen, weil Holverda den Erlos der Postkar-
ten, die er in Leiden verkaufte, unterschlagen habe. Die Freunde
Holverdas behaupten, van der Lubbe habe die Emnahmen vom
Kartenverkauf fiir sich verwendet. Wie dem auch immer war.
Tatsache ist, dass Holverda in Leiden blieb.
Hatte van der Lubbe die Absicht, diese Reise dann all em zu
machen ? Er ist tatsachlich im April 1931 nach Deutschland
eereist. Auf der Postkarte steht, dass die Reise am 14. April
Stn Leiden aus angetreten werden soil. Wir besitzen em
Ansichtskarte, die van der Lubbe aus Potsdam an d le Famih Ho
verda schrieb. Die Karte ist vom 14. April 193 1 dah erf als o von
jenem Tage, an dem der Marsch aus Leiden hatte begonnen je*
den miissen. Am 28. April 1931 wird van der Lubbe in G au
Westfalen festgenommen, weil er die Postkarten, die ihn una
seinen Freund Holverda darstellen, auf der Strasse verkauf . Das
Gericht in Miinster verurteilt ihn zu einer Geldstrafe wegen unbe
fugten Postkartenverkaufs. Nach dem ^ichstagsbrand hat me
Hitler-Regierung verbreitet, van der Lubbe se> 1931 in Gronju
wegen Verkaufs kommunistischer Literatur verhaftet wo den LMe
kommunistische Literatur bestand in einer Postkarte, auf der van
der Lubbe und Holverda abgebildet waren.
53
Anfang Mai war van der Lubbe wieder in Leiden. Die Euro-
pareise endete so wie die «Kanaldurchschwimmung».
Ausschcideii aus deni KoinmuuLstischen Jngendverband
Anfang April 1931, kurz vor seiner ersten Reise nach Deutsch-
land, fand auch der aussere Bruch zwischen van der Lubbe und
dem Kommunistischen Jugendverband statt. Van der Lubbe war
mil den Leidener Jungkommunisten schon lange durch nichts
mehr verbunden. Es drohte ihm der Ausschluss aus der Jugend-
organisation und aus der Kommunistischen Partei. Er kam dem
zuvor und erklarte seinen Austritt. Von diesem Tage an hat er die
Kommunistische Partei Hollands bei alien Gelegenheiten, die sich
ihm boten, bekampft,
Seine innere Trennung von der Kommunistischen Bewegung
vollzog sich schon zwei Jahre friiher. Er schrieb am 21. Januar
1929. als ihn ein Konflikt aim Austritt veranlasste, einen Brief
an den Kommunistischen Jugendverband, in dem es heisst:
<Mich hat auf unerklSrliehe Weise eio bestimmter Pessimismus er-
fasst, Ich vereuchte auf alle mogliehe Weise dagegen zu kimpfen.)
So ergibt sich das merkwurdige Biid eines jungen Menschen,
dessen Aeusseres in keiner Weise seinem inneren Zustand ent-
spricht. Kraftig, so kraftig, das er * Dempsey » genannt wird,
gesund, scheinbar zur Bezwingung des Lebens wie geschaffen,
ist er dem Leben in keiner Weise gewachsen. Der Schriftsteller
E. Knuttel aus Leiden, der mit van der Lubbe oft zu tun hatte,
charakterisiert ihn ungefahr so:
< Wen n man mit van dex Lubbe iiber eine beetimmte Frage lange dis-
kutiert hat, stimmt er zu. Man glaubt. ihn iiberzeugt zu haben Am
nachsten Tag erhalt man einen Brief, in dem van der Lubbe mitteilt,
dass er auf seinem alien Standpunkt verbarrt.>
Parallel mit dieser Verbohrtheit geht eine merkwurdige
Weichheit, wie sie bei Homosexuellen oft zu finden ist. Daneben
ein Hang zu liigen und zu ubertreiben. Frau van Zijp. die
van der Lubbe sehr gut kennt, erzahlt, dass er es mit der Wahr-
heit nicht genau nimmt. Und auch seine besten Freunde, der
Maurer Harteveld, der Chauffeur Izak Vink und dessen Bruder,
Koos Vink, bestatigen van der Lubbes Eitelkeit, die ihn vielfach
zu Liigen und Uebertreibungen veranlasst.
Die Bekanntschaft van der Lubbes mit Dr. Bell
Als van der Lubbe von seiner ersten Deutschlandreise im
Fruhjahr 1931 nach Leiden zuriickkehrt, erzahlt er seinen Freun-
den von einem Herrn, der ihn in seinem Auto zu einer grosser)
54
Tour milgenommen habe. Wir wissen nicht, ob die Angaben van
der Lubbes slimmen, oder ob er diesen llerrn aus Leipzig erfun-
rien hal Wir wissen abei\ dass van der Lubbe bei dieser ersten
Reise nach Deutscbland die Bekanntschaft mil einem Manne
inachte, die fur Lubbes Schicksal von entscheidender Bedeutung
war.
In dieser Zeit spielte ein naturalisierler Schotte, Dr. ueorg
Bell in der nationalsozialistischen Bewegung eine grosse RoUe. bi
ist ungefahr ein Jahr Spater mit einigen seiner Freunde scharf n
Verfolgungen seitens einiger SA-Fiihrer ausgesetzt gewesen, so-
dass er fur sein Leben fiircblete. Wir scbildern an anderer StelJe
seine Ermordung- Einige seiner Freunde haben uns uber die Ver-
bindungen Dr. Bells und liber seine Rolle in der Nationalsozia-
listischen Partei wichtige Aussagen gemacht. Ein Freund Dr. Bells,
Herr W S-, hat in einem Protokoll die Bekanntschalt Bells mil
van der' Lubbe genau geschildert. Die Slelle im Protokoll lautet
wortlich:
«Bell erzahlte mir, weno ich mien recht erinnere, war das im Mai
1931 dass er die Bekanntschaft eines jungen holliindischen Arbeiters
gemacht hat, der ihm sehr gut gefiel. Er muss ihm auf einer Auto-
fahrt in der Gegend von Berlin oder Potsdam begegnet sein. Sie tra-
Fen auf der Strasse einen Wanderburschen, den sie im Auto mitnah-
men. Das war ein junger hollUnclischer Arbeiter. Der junge Hollan-
der hat Bell spater auch in Miinchen besucht. Bell nannte ihn Reous
oder Rinus. Er iet 6fter mit ihm zusammengekommen.*
Seit dieser Zeit blieb van der Lubbe mit Dr. Bell in Stan-
digem Briefverkehr. Die personliche Verbindung mit Bell hat er
im September 1931 wieder aufgenommen.
Reise nach Miinclien
Van der Lubbe bleibt nicht lange in Leiden. Im September
1931 macht er sich wieder auf den Weg nach Deulschiand. kr
beauftragt seinen Freund Koos Vink, die Invalidenrente von /
Gulden wochentlich, die van der Lubbe zugcsprochen ist, zu kas-
sieren und aufzubewahren - .
Bei seiner Wanderung durch die Rhemgegend komml
van der Lubbe in Bacharach am Rhein mit einem Motorrad
fahrer ins Gesprach. Es ist ein Landsmann, ier ptrassen-
bahnfuhrer Ploegk, aus dem Haag, BloemfonteenStr. 24 Bloegk
nimmt Marinus im Beiwagen mit. Sie nachtigen in Rolhenburg
ob der Tauber. Ploegk im Hotel, Marinus in der Jugendherbergo.
Ploegk machte unserem Berichterstalter fiber das Gesprach mit
van der Lubbe einige Mitteilungen. Ploegk hatte van der Lubbe
Refragt, was er in Deutschland mache. Van der Lubbe erzahlte,
55
dass er Arbeit suche. Auf die Frage, ob er denn nicht Icichter in
Holland Arbeit finden konne, antwortete van dcr Lubbe mil
Grosser Besthnmtheit, er werde in Deutschland Arbeit bekommen.
fin Gesprach mit unserem Berichlerslatter unterstrich der Stras-
senbahnfflhrcr Ploegk, dass er sich uber diese Beslimmtheit sehr
gewundert habe.
Von Rothenburg fuhr Ploegk nach Munchen weiter. Er
nahm van der Lubbe bis Munchen mit. An der Stadtgrenze trenn-
ten sie sich.
Van der Lubbe muss einige Tage in Munchen gewesen sein,
denn er gab seinen Freunden nach seiner Ruckkehr eingehendo
und ausfuhrliche Schilderungen dieser Stadt. Er sprach nicht nur
von der Stadt. Er erzahlte auch vielfach von den grossen Erleb-
nissen, die er dort gehabt, und von den vielen Menschen, die er
dort kennengeJernt habe. Jener Jungarbeiter, dessen protokollari-
sche Aussage wir an einer Stelle bereits veroffentlicht haben, sag!
in seinem Protokoll dariiber folgendes aus;
<Der Hollander erzahlte mir, wie gut es ihm in Munchen ergangen
sei. Er sprach davon, dass ein gewisser Dr. B. sich seiner angenom-
men und ihn mit vielen Menschen bekannt gemacht habe. Er deutete
an, dass er durch Dr. B. mit einflussreichen Menschen in Beriihrung
gekornmen sei. Er sprach von diesem D. B. in schwaraierischen Aus-
driicken.>
Dieser Dr. B. ist niemand anders als Dr. Bell, den van der
Lubbe in Munchen besucht hat. Dr. Bell hat ihn in nationalsozia-
listische Kreise eingefuhrt und unter anderem auch mit Hitlers
Stabschef Rohm bekanntgemacht. Dr. Bell war damals noch
der aussenpolitische Berater von Hitlers Stabschef Rohm und
mit ihm eng befreundet, so eng befreundet, dass Rohm ihm
spater den vertraulichen Auftrag gab, die Verbindung zum Reichs-
bannermajor Mayr herzustellen. Rohm fuhlte sich damals von
der nationalsozialistischen Feme verfolgt, und er suchte durch
Bells Vermittlung Schutz bei Mayr. Alle diese Tatsachen sind
durch die Aussagen Mayrs und Bells im Oktober 1932 m offent-
licher Gerichtsverhandlung bekannt geworden, als Hauptmann
Rohm die sozialdemokratische Zeitung « Miinchener Post » ver-
klagte.
Bell war nicht nur der aussenpolitische Berater Rohrns, er
war auch sein Vertrauter in Liebesdingen. Die « Miinchener
Post » und andere Blatter haben 1932 Briefe Rohms an junge
Manner veroffentlicht, aus denen hervorgeht, dass Rohm homo-
sexual ist, Dr. Bell war der Zutreiber Rohms. Er wusste urn
viele Beziehungen Rohms zu jungen Mannern, weil er ihm die
meisten selbst zugefuhrt hatte. Bell fuhrte eine genaue Liste uber
alle Junghnge, die er Rohm zugetrieben hatte. Bell sah voraus,
56
Per Polizciministcr fles .,l>H11cn Uciclics"
Hermann Goring, Minfcterprtoidenl in Preussen
unci Reichstagsprasident.
mal zu kur/. oder ?"
cLieber schiesse ich ein paar
weit, aber ich schiesse W emgstensl>
(Gorins «"' 11. 3. 19S3 In Essafl
^L''„ s&
P r*/
>"?
''-
N:rS.S/'
HemortsriiU: &4 "»* r " " w Bct ' 8
Anteckningar: t
- ■
ifiM. a. »
Vami!
Kartolhekkarle des Krankenhauses, in der die Ueborii'ihrung
Gorings nach der Irrenanslalt Langbro vermcrki isl.
GuLachtcn des Stockholmer Gerichtsarztes ;
is wird hicrmil bcieuijl : „doss Kopiliin Goring .in Morphiumsudil unci seine Frail Korin Goring \{cl»orc(ic
Frcifrntt Fock nn Epilcpsio Iciilct unci |dnss deslialb deicn Hcim nls ungccignel fur iliren Sohn 'I homos Kan-
Uow ■mges*licn wcrdcn muss. Knrt A. R. Lundberg, leg. Aril.
Stockholm, den 18, April 1026
tsisy^tsl^
itto*£?uPxns~- t**JCtyfr#^---
SrL^spv*~&f /4fr>T~ /&&>*~«^
iihrem
war er
Beobachter»
dass cs zwischen ihm und ,) Pn .- ,
iiber kurz oder lang zu Differ^*! ""jalsozialisiischen Ft
der Vertraute des Chefredakleure deTTn^- Wohl i
Alfred Rosenberg, WO hl war er der 4„ "Y°, lk,Schen Ueobachter",
>m Auftrage der Nationalsozia istiscl^n "p Dc,cldin Ss, zu dem «
ten. Durch diese Liste wollte Bell ksL J n, niChlS zurf '^ch rec k-
chen D.ese Liste sollte eine Watfe sehf mh S™* Jl^ig ma-
bedrohen konnte. "' Imt der er Rohm irumer
Die Liste existierl heute nicht mehr AU iuu
den Ermordung im April 1933 nach Kuf stein t AT der drohen -
tete, wurde er dort von einer SA -Banrlp £h t n slerreich fl *ich-
Dabei warden samtliche £mpJoSm?^S fc ^ P"*
raubt, die Bell besesspn ho* „«£ v uuerenaen Uokumente se-
lislische Parte ausnuSn wolhe vSJfJW* ^ Na «««*o&-
au/'efne'n Rnil"^''^ *!? piere aU9 Beinem Geheimechrank. Er wiet,
auf enea Bogen hm und sagte: <Das ist Rehm3 Liebesliste Wenn
' C t h de e ; m ? al ^ff^tliche, ist Rohm ein toter Mann > Er uZ
m.eh die Lute sehen. Es ™ren ungefahr 30 Namen daraS vemS
Mi ennnere m,ch genau an einen Vornamen <Rinu S >. hinter Tem >n
K ammern ein tolltadtacher Name, beginnend mit <van der> stand
K«t. lVt I f 1? Abkurzung fiir Marinus. Auf Rohms Liebes-
liste ist auch der Name van der Lubbe zu finden
Von Miinchen aus hat nun van der Lubbe tatsacblich einen Teil
der grossaagekundigten « Arbeiter-, Sport- und Studienreise » ge-
macnt. Wir besitzen eine Postkarte von ihm aus Krakau. Unser
Benchterstatter sah einen Brief, den er einem Freund aus Buda-
pest schneb, und eine Karte aus Belgrad. AIs van der Lubbe im
Januar oder Februar 1932 nach Leiden zuruckkommt, erzahlt er
yiel von seiner Reise. Auf dem Wege nach Budapest will er einen
jungen Handwerksburschen kennengelernt haben, dessen Serrwe-
ster in einem Budapester Bordell lebte. Van der Lubbe erzahlte,
dass er dieses Madchen aus dem Bordell retten wollte. Sie aber
habe von ihm Liebe verlangt. Er habe eine Nacht mit ihr io
einem Zimmer geschlafen, ohne sie zu beriihren, und sei dann
weitergereist. Die Erzahlung vom Madchen, das erlost werden
soil, ist typisch homosexuell und wird nach Freud von den Ho-
mosexuellen «Parsifal-Komplex» genannt.
Der Fluss zwischen Poleu und der Sowjetuaioii
Aus der Erzahlung van der Lubbes iiber seine Reise, die
mehrere seiner Freunde unserem Berichterstatter iiberemstim-
mend wiedergaben, muss noch eine Stelle besonders hervorgehoben
57
Werden. Van der Lubbe erzahlte. class er in Polen gewesen Lmd
bis ZU r sowjelrussischen Grenze gelangt sei. Ein mSchtiger Flus
irenne Polen yon der Sowjetunion. Lubbe habe versucht, diesen
Fluss zu durchschwimmen, urn in die Union zu gelaneen Das oT
wehrieuer der polnischen Grenzsoldaten habe ihn zurQckaetHp"
ben. Er sei emige Tage im Gefangnis gehallen worden, von riem
aus cr die Sowjetposten jenseits des Flusses habe sehen konnen
Dann sei er abgeschoben worden.
Die Freunde van der Lubbes waren ausserst erstaunt, als sie
von unserem Berichterstatter erfuhren, dass es zwischen Polen
und der Sowjetunion keinen machtigen Grenzfluss gibt \ ucn
diese Erzahlung ist fiir Lubbes Liigenhaftigkeit und Gross
sprechertum charakteristisch.
Eines steht fest: Van der Lubbe hat Sowjetboden nie
betreten. Bei allem Drang zur Prahlerei hat nicht einmal er
die Behauptung aufgestellt, dass er in der Sowjetunion war.
Die Karten und Briefe, die unser Berichterstatter sah/besta-
tigcn, dass van der Lubbe in den letzten Monaten 1931 und An
fang 1932 tatsachlich in einigen Stadten Ungarns, Polens, Ju«o-
slawiens und der Tschechoslowakei gewesen ist. Er scheint bei
seiner Reise mehrere Bekanntschaften mil reichen Herren semacht
zu haben. Er erzahlte nach seiner Ritckkehr, in Budapest habe
lhm ein Heir neue Schuhe geschenkt, ein anderer Herr habe ihm
in Jugoslawien die Fahrkarte bezahlL
Dr. Bell hat van der Lubbe in nationalsozialitische Erase ein-
gef-uhrt, mit denen Lubbe von da ab standig in Verbindung blieb.
Seine Bekannten berichten ubereinstimmend, dass Lubbe sehr
vie! Briefe aus Deutschland erhalten habe. Lubbe war immer
angstlich bemuht, die Briefe aus Deutschland vor seinen Freun-
den und Bekannten geheim zu halten.
AJs Gast bei Nationalsozialisten
Van der Lubbe ist im Januar oder Februar 1932 nach
Leiden zuruckgekehrt. Er kam iiberraschend schnell zurucK.
Frau van Zijp erzahlt, dass er ihr aus Berlin eine Postkarte
geschickt hat und am Tage, nachdem die Postkarte eingetroffen
war, selbst angekommen ist. Er muss also von Berlin nach Leiden
mit der Bahn oder mit dem Auto gereist sein. Es bleibt die Frage
offen, woher er das Geld dazu nahm.
Nach ungefahr zwei Monaten unternahm van der Lubbe
eine dritte Reise nach Deutschland. Vor seiner Abreise hatte er
mit der Unterstiitzungskasse einen Konflikt. Er schlug bei der Un-
terstutzungskasse, die ihm die Erhohung seiner Pension ver-
weigerte, einige Fensterscheiben ein. Das hollandische Gerichi
verurteilte ihn zu drei Monaten Gefangnis. Bevor er die Gefang-
58
nisstrafe abbusste, reiste er narh n«» . i . .
dieser Reise, class sie ihn nach K ?,? utschIand - Wir wissen vou
1. unci 2. Juni 1932 naduS ^ ^ ^^ *»**• A -
(Amtshauplmannschaft Meissen in L/k beme]nde Sdrncwitz
Gemeinderat Summer und dem Garwl^u D <', W0 er mil dem
sehen wurde Beide sind thOoJ^SS^Z n^^T ge "
tagsbrande hat Gemeinderat Somrner dtt S™ h dem Reichs -
Brockwitz iiber van der Lubbes darnTu", Bur S erm eister von
richlet. Diese Talsache wurde vom ?e ff /f Anwesenb ^t be-
bei der Amtshauptmannschaft MdJ2? orS i! Dr ' Haertl
gelegt. Das Protokoll wurde dem SsKn anSCh - fesl "
num zugestellt, das dem ReichsinnenmfnTst p r t k S^^^^
VerS t7d" e ? St AUCh die l ! 6 Meldun « blieb uniwe^rcS^
Van der Lubbe muss nach dem Aufenthalt in «Wr«n ■ cne °*
einige Tage in Deutschland geblieben sein it J ? T ,? 0Ch
nach Holland wurde er am RnilZj^ZlI^^
9 Tage in Utrecht in Haft und wurde dann sup vS^sung sexier
Strafe m das Strafgefangnis S'Gravenhage (Haag) gebSt
Van der Lubbe steigert die Ang-ritfe gegen die
Jvoinmiuiistische Partei ft
Am 2. Oktober 1932 wurde van der Lubbe aus dem Haager
Gefartgnis entlassen. Er kam nach Leiden. Bis zum Jahresschluss
unternahm er mehrere Reisen. Er besuchte seinen Vater in Dord-
r S, , m nach Amsterdam und n »ch dem Haag, In alien
diesen Stadten trat er in verschiedenen Versammlungen als Red-
ner aui . Seine Reden waren angefullt mit heftigen Angriffen
gegen die Kommunistische Partei.
Wir besitzen Zeugnisse von van der Lubbes Kanipf gegen die
Kommunisten. Er nahm am 6. Oktober 1932 in der Getreideborse
zu Leiden an einer Versammlung teil, deren Hauplredner der
u S ! "ollandischen Faschisten I. A. Baars war. Kurze Zeil
nach dem Reichstagsbrande, als die Hitlerpresse behauptete, dass
van der Lubbe Kommunist sei, haben einige Besucher dieser Ver-
sammlung, unabhangige Manner, in einem notariellen Protokoll
die Haltung van der Lubbes in dieser Versammlung geschildert.
Van der Lubbe Iral damals dafur ein, den Faschislenfuhrer ruhig
reden zu lassen. Er wandte sich gegen alle Versuche der im Saal
amvesenden Anti faschisten. Baars zu unterbrechen, und er ent-
59
hielt sich in seiner Rede jedes Aneriffc a^^ a- r,
notarielle Protokoll hat ioJgenden^Clllut Faschisl <*- Das
\ ■nw-o.dto »corilc-.l«n Manr; n»goall acnaadord drli in i» r
HC>T«cc«n>B toot n!J bgnflrU Mnrfcnai H_rtam-o ITotnrlo t or ,
•i-ndplaoto L«ii£n.lo t_5«a»o-r«'lgba_._ dor bold* na t- dd--
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j.d- llf»r r""^ rA» i « H.M« B ,ii^. B M. MMm , f ^ kjia^.
LopboKot ten' r>ma-r t '.--_—. ___ <
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J.d* Boer yiliwiBug iM-wM^sr.rgrdaLoae.^ncoa. t« L-id.n .
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van as tc ngeaan fioli)ig»n nAhird«ni
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gf.o.atlocno op.nbaro --lyaa-rl nr, S «QOu«« If. d* Q PBMb ^in.
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to L-iiw^dio BMr mio Hoaiag op d , M »«sado„«a aon lre _
«rtt Berft so-atixil.l fi.BMl afwiis^a t^«o W boi fast.
■» U oiaon on noli— .
Its S£i___i door.t^oa do la-rijko -_n. BS ig- .rooldor- baa
oaxoa-ofitn i -onnon r : -cn o.or hot npircdoo *_q doa fooolo
lcaltW«r BafiU.O? •«. dtd.l to ■prIo e . B .h.t .cord t, n c-_ft
on fioo ooa to aanoa den aprvkvr ruaUtf aim to QDoren
Ein anderer Bericht, den %vir im Wortlaut an anderer Stelle
publizieren, schilderl van der Lubbes Verhalten wahrend einer
Versammlung streikender Chauffeure im Haag im Dezember 1932.
mer ging van der Lubbe noch weiler als in den vorhergehenden
Versammlungen. Er griff die Komraunistische Partei auf das
nettigste an. Er wandte sich in den scharfsten Ausdriicken gegen
ihre Pohtik, und er forderte die streikenden Chauffeure auf, gegen
den Willen der Kommunistischen Partei Terroraktionen zu be-
gehen. Emige zwanzig Tcilnehmer dieser Versammlung hahen in
einem Protokoll detaillierte Milteilungen uber van der Lubbes
Verhalten geraacht. Sie gehoren den verschiedensten Parteien an.
Einige von ihnen sind parteilos. Sie sind sich alle einig daruber,
dass van der Lubbes Rede auf dieser Versammlung gegen die
Kommunisten gerichLet war. Der Bericht dieser Teilnehmer an
der Versammlung ist im nachsten Kapitel veroffentlicht
Es liegt eine gerade Linie in dem Verhalten van der Lubbes
nach seiner Loslosung von der Kommunistischen Partei Hollands.
Er steigert seine Angriffe gegen sie von Versammlung zu Ver-
60
samiBluag. Die Arg^ente, die er bei seinem Auftrete* in den
letzten Monaten 1932 vorbringt, sin d deutlich von national
fed*, hat. E r sp„ch in W«d.^^VSd£XS&
der nationalsoziahslischen Propaganda entnommen sind. Es l2£
Aussagen daruber vor, dass er in seinen Reden Unterschiede zwi-
schen dem «raffenden» und dem « S chaffenden* Kapital machte
also eine Terminology anwandte, die gan 2 der nationalsoziahs £
schen enlspnch . Es kann ke,n Zweife! bestehen, dass van der
Lubbe, jedenfalls in den letzten Monaten 1932, den nationalso
ziahstischen Lockungen erlegen war. Der enttauschte Kleinbureer
hatte «heimgefunden».
Die Ietzte Reise nach Deutschland im Februar 1933
Im Januar 1933 musste sich van der Lubbe im Leidener Ho-
spital einer neuen Augcnbehandlung unterziehen. Das Augen-
leiden war schlimnaer geworden. Er lag vier Wochen im Hospital
Er erhielt in jener Zeit viele Briefe aus Deutschland. Ungefahr
urn Mitte Februar verliess er das Hospital. Hitler war in dieser
Zeit bereits deutscher Reichskanzler. Van der Lubbe erzahlte
einigen Bekanntcn, dass er nach Deutschland fahren musse, und
er deulete an, dass er sich von dieser Reise viel verspreche. Einige
Bekannte van der Lubbes erklarten unserem Berichterstatter uber-
einstimmend, dass van der Lubbe gesagl habe, seine deutschen
Freunde drangten darauf, dass er nach Deutschland komme. Es
steht mcht fest, ob van der Lubbe damals schon wusste, dass er
fur eine «grosse Tab ausersehen sei. Vielleicht hoffte er nur.
dass seine nationalsozialistischen Freunde ihra zu Arbeit und
Slellung verhelfen \viirde». Aber es ist kein Zweifel, dass er von
dieser Reise nach Deutschland viel crwartete. Daruber gibt auch
ein Gesprach Auskunft, das er kurz vor seiner Reise mil Frau van
Zijp hatte. Sie hat unserem Gewahrsmann iiber dieses Gesprach
berichtet. Van der Lubbe erzahlte ihr, dass sein Pass in kurzer
Zeit ablaufe. Sie fragte ihn, ob er unbedingt fahren musse, und
ob er nicht besser tate, in Leiden zu bleiben! Van der Lubbe ant-
wortete, er habe in Deutschland etwas wichtiges zu erledigen, er
brauche den Pass nur noch dieses eine, Ietzte MaL
Van der Lubbe ist Mitte Februar 1933 aus Leiden abgereist.
Nach einem Bericht der «Vossi schen Zeitung* vom 2. Marz 1933
hat er am 17. Februar in Glindowbei Werder genachttgl unci ist am
18, Februar nach Berlin weilergegangen. In Berlin traf er mil seinen
nationalsozialislischen Freunden zusammen. die er durch Bells
iVenni itlung kennengelernl hat. Er nnhm sogleich die Verbindung
mit dem Kreis um den Grafen Helldorf wieder auf.
61
Van der Lubbe, das Werkzeug
Am 27. Februar wird van der Lubbe ira brtrmenden Reichs-
tag verhaftet. Die Flammen des Brandes bilden den Hintergrund
fur ein TSuscriungsspiel, dessen Hauptperson fiir einige Stunden
van der Lubbe ist. Darin muss er die Szene den wirklichen Haupi-
akteuren iiberlassen. Die Scheinwerfer der Wahrheil zeireissen
das lugnerische Dunkel und Ziehen in iiu erbarmuagsloses Licht
diejenigen, die van der Lubbe als ihr Werkzeug benutzen wollten:
Goring und Goebbels.
Warum wurde van der Lubbe als Werkzeug gewahlt?
Van der Lubbe war bis April 1931 Mitglied der Kommunasti-
schen Partei Hollands. Die von Goring und Goebbels Beauftrag-
ten glanblen. dass diese Tatsache ausreiche, urn den Kommu-
nisten die Schuld am Reichstagsbrand aufbiirden zu konnen.
Van der Lubbes homosexuelle Beziehungen zu nationalisti-
schen FQhrern, seine materielle AbMngigkeit von ihnen, mach-
ten ihn dem Willen der Brandstifter horig und gefiigig.
Van der Lubbes hollandische Staatsangehorigkeit war cine
erwfinschte Zugabe. Sie erleichterte <% s Goring und Goebbels. den
Reichstagsbrand als ein intemalionales Komplolt darzusteilen.
Goring und Goebbels wollten den Reichstagsbrand als Werk
des intcrnationalen Kommunismus erscheinen lassen. Des-
halb wurden auch die drei Bulgarer verhaftet und der Mittater-
schaft besehuldigt. olnvohl sie am Reichstagsbrand vSllig unbe-
leiligt waren.
Aus alien diesen Grunden wurde van der Lubbe zum Werk-
zeug der Brandstiftung gewahlt.
Seht die Hauptfiguren des Komplotts:
Den Plan zur Brandstiftung ersann der fanatische Verfechter
der Luge und Provokation: Dr. Goebbels.
Die Leitung der Aktion hatte ein Morphinist: Hauptmann
Goring.
Die Fuhrung der Brandstifterkolonne war einem Feme-
morder anvertraut; Edmund Heines.
Das Werkzeug war ein kleiner, halbblinder Lustknabe: Ma-
rinus van der Lubbe.
Als die Chicagoer Polizei ira Jahre 1886 durch bezahlte Pro-
vokateure ein Bombenattentat inszenierte, das vielen Pohzisten
den Tod brachte, dauerte es sieben Jahre, bevor die Provokation
aufgedeckt werden konnte. Die Werkzeuge waren gut gewahlt.
Nach dem Reichstagsbrand genugten drei Tage, urn der ganzeia
Welt die Sicherheit ZU geben, dass die Nationalsoziahsten den
Reichstag angeziindel baben. Das Werkzeug van der Lubbe war
vu schlecht gewahlt.
62
Die wahren JBrandstifter
Der deutsche Reichstag
Am 9. Juni 1884 wurde in Berlin durch Wilhelm I der
Grundstein zum deutschen Reichstag gelegt. Das Gebaude wurde
nach Entwiirfen des Frankfurter Architekten Paul W allot er-
baut. Der Stil war traditionsgebundene Renaissance. Die Bau-
koslen betrugen 27 Millionen Mark. Der Bau dauerte iiber zehn
Jahre. Wilhelm II setzte am 5. Dezember 1894 den Schlusstein.
Das Gebaude des deutschen Reichstages steht auf dem «Platz der
Republik», gegeniiber dem Bismarck-Denkmal. Die Ostfront des
Reichstagsgebaudes fiihrt nach der Friedrich Ebertslrasse, die
Sudfront blickt nach dem Tiergarten und wird von der Simson-
strasse begrenzt, die Nordfront ist gegen die Spree gerichtet.
Das Gebaude des Reichstages besteht aus einem Kellerge-
schoss, einem Erdgeschoss, einem Hauptgeschoss, einem Zwischen-
stock und zwei Obergtsohossen. Die Front des Hauses ist 137
Meter lang, Der Bau wird i oben von einer grossen Kuppel
abgeschlosstrn, die von vier kleinen Kuppeln umgeben ist. DenMil-
telpunkt des Hauptgeschosses bildet der grosse Sitzungssaal mil
den Tribiinen.
Drei Wande des Sitzungssaales haben Holzverkleidung, die
S-tirnwand hinlcr dem Prasidentenstuhl ist mit Stoff bespannt. Die
Estrade, die Tribflnen, die Abgeordnetenbanke sind aus Holz. Die
Sitzreihen sind in sieben Abteihuigen amphitheatralisch anstei-
gend angeordnet und voneinander durch schmale, mit schweren
Teppichen belegte Gange getrennt. Der Sitzungssaal ist von einem
Rundgang umgeben, der in die Wandelhalle miindet. Die Wan-
delgange und die Halle sind mit Teppichen, Polsfersesseln und
Portieren ansgestattet.
Im Hauptgeschoss sind ausserdem zahlreiche Zimmer und
Sale gelegen, deren Fenster nach den Strassen urn den Reichstag
gehen. Die Lesesale, das Archiv und die Bibliothek befinden sich
teils im Hauptgeschoss, teils im Zwischenstock. Im Kellergeschoss
licgen die Heiz- und Entluftungsanlagen. Vora Kellergeschoss
fiihrl eine kleine Treppe zu einem unterirdischen Gang, der unter
dem Saulenvorbau des Reichstages und unter der Friedrich
Ebertstrasse hindurch zum Palais des Reichstagsprasidenten Go-
ring liihrt (das auf der andcren Strassenseite der Friedrich Ebert-
63
strasse liegt). Der unterirdische Gang ist gegen diese Kellertreppe
sowie gegen die ubrigen Heizungskeller durch cine Tur abge-
schlossen. An den Wanden des Ganges laufen Heizrohren entlang.
Der Haupteingang des Reichslages fuhrt nach dem «Platz der
Republik* und ist nur bei festlichen Anlassen geoffnet.
Wie gelangt der Besucher in den Reichstag?
Die Hitler-Regierung vermied in alien ihren Berichten iiber
den Reichstagsbrand die Angaben, auf welche Weise die Tater
in den Reichstag gekommen sind. Sie rechnete damit, class fast
kein Deutscher oder Auslander die Forrnalitaten kennt, die man
erfullen muss, um in den Reichstag zu gelangen. Die nachfolgende
Aufzahlung zeigt, was der Besucher des Reichslages tun muss,
um in den Reichstag zu kommen.
1) Nichtmitglieder und Besucher konnen in den Reichstag
nur durch Portal 2 oder Portal 5 gelangen. Portal 2 liegt an der
Simsonstrasse, Portal 5 am Reichstagsufer.
2) Wer den Reichstag durch Portal 5 betritt, gelangt in einen
Vorraum. Der Vorraum ist durch eine Strickbarriere abgegrenzt.
Hinler dieser Strickbarriere befinden sich die Empfangsbeamten.
3) Jeder Besucher hat sich an einen der Empfangsbeamten
zu wenden. Es ist unmoglich, in den Reichstag zu gelangen, ohne
sich beim Empfangsbeamten gemeldet zu haben. Jeder Besucher
muss einen vorgedruckten Zettel ausfiillen, auf dem der Name
des Besuchers, der Name des Abgeordneten, den er besuchen -will,
sowie der Anlass des Besuches anzugeben sind.
4) Der ausgefiillte Zettel wird von einem Relchstagsboten zu
dem betreffenden Abgeordneten gebracht, dem der Besuch gilt.
Der Abgeordnete wird gefragt, ob er bereit ist, den Besucher
zu empfangen.
5) Wahrend der Reichstagsbote das Einverstandnis des Ab-
geordneten einholt, wartet der Besucher im Warteraum. Er ist
hierbei standig unter Beobachtung der diensthabenden Reichs-
tassbeamten. „ _ . . .,, . _.
6) Wenn der Abgeordnete sein Einverstandnis erteill hat,
fuhrt der Reichstagsbote den Besucher zu dem betreffenden Ab-
geordneten. Der Besucher wird vom Reichstagsboten bis zu dem
Abgeordneten hingebracht. Der Reichstagsbote enlferat sich erst,
wenn der Besucher dem Abgeordneten gegenuber stent.
7) Alle Besucher werden in eine besondere Liste eingetragen.
Der ausgefullte Besuchszettel dient als Gmndlage fur die Eintra
gungen in diese Liste.
64
Der Brand im Reichstag
Am 27 Februar 1933 abends zrwischen 9 Ufar und C J Uhr 15,
hrichl im Gebaude des Reichstags Feuer aus. Die ersle offentliche
Mitteilung uber den Rcichstagsbrand erfolgt nocli am gleichea
Abend durch den Rundfunk. Der Berliner Sender teilt iiberdies
mit dass der Tater ein holiandischer Kommunist namens "van der
Lubbe sei. Er habe ein voiles Geslandnis abgelegl. Er sei nur mit
einer Hose bekleidet von eindringenden Polizeibeamten im Reichs-
tagsgebaude aufgefunden worden. Der Tater habe einen hollan-
dischen Reisepass und ein Mitgliedsbuch der hollandischen Kom-
munistischen Partei bei sich gehabt. In den fruhen Morgenstun-
den des 28. Februar 1933 verbreilel der amtliche «Preussische
PressediensU die nachfolgendeDarstellung desReichslagsbrandcs;
<Am Montag Abend brannte der Deutsche Reichstag. Der Reichs-
kemmissar tur das preussische Ministerium des Innem, Reichsmi-
nieter Goring, verfiigte sol'ort aach seinem Eintreffen an der Brand-
stelle samtliche Massnahmen und ubernahm die Leitung aller
Aktionen. Auf die erste Meldung von dem Brande trafen auch
Reicbskanzler Adolf Hitler und Vizekanzler von Papen ein.
Es liegt zweifelsfrei die schwerste bisher in Deutschland erlebte
Brandstiftung vor. Die polizeiliche Uatersuchung hat ergeben, dass
im gesamten Reichstagsgebaude vom Erdgeschoss bis zur Kuppel
Brandherde angelegt waren. Sie bestanden aus Teerpraparaten und
Brandfackeln, die man in Ledersesseln, unter Reichstagsdrucksachen,
an Turen, Vorhangen, Holzverkleidungen und anderen Leicht brenn-
baren Stellen gelegt hatte. Ein Polizeibeamter hat in dem dunklen
Gebaude Personen rnit brennenden Fackeln beobachtet. Er hat so-
fort geschossen. Es ist gelungen, einen der Tater zu fassen. Ea
handelt sich urn den 24jahrigen Maurer van der Lubbe aus Leiden
in Holland, der einen ordnungsmassigen hollandischen Pass bei
sich hatte und sich als Mitglied der hollandischen Kommunistischen
Partei bekannte.
Der Mittelbau des Reichstages ist vollig ausgebrannt, der Sitzungs-
saal mit samtlichen Tribiinen und Umgangen ist vernichtet, der
Schaden geht in die Millionen.
Diese Brandstiftung ist der bisher ungeheuerlichste Terrorakt des
Bolschewismus in Deutschland. Unter den hundert Zentnern Zer-
setzungsmaterial, das die Polizei bei der Durchsuchung des Karl-
Liebknfccht-Hauses entdeckt hat, Fanden sich die Atrweisungen zur
Durchfuhrung des kommunistischen Terrors nach bolschewistischem
Muster.
Hiernach sollen RegierungsgebSude. Museen, SehlSsser und lebens-
wichtige Betriebe in Brand gesteckt werden. Es wird ferner die
Anweisung gegeben, bei Unruhen und Zusammenstossen vor den
Terrorgruppen Frauen und Kinder herzuschicken, nach Moglichkeit
sogar solche von Beamten der Polizei. Durch die Auffindung dieses
* 65
Materials ist die planmassige Dun-hiuhrung der bolschewistischea
Revolution gestort worden. Trotzdem sollte der Brand des Reich3-
tages das Fanal zura blutigen Aul'ruhr und zum Bftrgerkrieg seiu
Schon fiir Dieustag frith 4 Uhr waren in Berlin grosse Plunderun-
gen angesetzt. Es stehl fest, dass mil diesem beutigen Tag in ganz
Deutschland die Terrorakte gegen einzelne Personlielikeiten, geg*zju
das Privateigenlurn, gegen Leib und Leben der Friedliches Etevol-
kerung beginnen und den allgemeinen Btirgerkrieg enlfesseln
sollten.
Der Kommissar des Reiche9 im Preussischen Ministerium des ln-
nern, Reidnninister Goring, ist dieser ungeheuren Gefahr mit den
srharfsten Massnahmen entgegengetreten, Er wird die Staatsauto-
ritiit outer alien Umstandeu und mit alien Mitteln aufrechtorhalten.
Es konnte festgestellt werden, daes der erste Angriff der verbrecheri-
scheu Krafte zunachst abgeschlageti worden ist. Zum Scnutze der
offentlichen Sicherheit wurden noch am Montag abend samtliche
offentlichen und lebenswichtigeu Betriebe unler Polizeischutz ge-
stellt. Sonderwagen der Polizei durchstreifen stiindig die haupt-
sSchlich gefahrdeten Stadtteile. Die gesamte Sehutzpolizei Un 1
Kriminalpolizei in Preussen ist so fort auf hGchste Alannstufe ge-
setzt worden. Die Hilfspolizei ist eiuberufen. Gegen zwei fiihrende
kommunistische Reichstagsabgeordnete ist wegen dringendem Tat-
verdacht Haftbefehl erlassen. Die ubrigen Abgeordneten und Funk-
tionare der Kommunistisehen Partei werden in Schutzhaft <zenom-
men. Die kommunistischen Zeitungeu, Zeitschriften, Flugblalter und
Plakate sind auf vier Woehen fiir ganz Preussen verboteu. Auf vier-
zehn Tage verboten sind samtliche Zeitungen der sozialdemolcrati-
schen Partei, da der Brandstifter aus dem Reichstag in seinem
Gestandnis die Verbindung mit der SPD z-ugegeben hat. Durch
dieses Gestandnis ist die kommunistisch-sozialdemokratische Ein-
heitsfront offenbar Tatsache ge worden. Sie verlangt von dem verant-
■woitlichen Hiiter der Sicherheit Preussens ein Durchgreifen, das voo
seiner Pflicht bestimmt wird, die Staatsautoritat in diesem Augen-
blick der Gefahr aufrechtzuerhalten. Die Notwendigkeit der schon
friiher eingeleiteten besonderen Massnahmen (Schiesserlaese, Hilfs-
polizei usw.) ist durch die Ietzten Vorgange in vollem Umfauge
bewiesen. Durch sie steht die Staatsmacht ausreichend gertistet da.
um jeden weiteren Anschlag auf den Frieden Deutschlands und
damit Europas im Keime zu ersticken. Reichsminister Goring for-
dert in dieser ernsten Stunde von der deutschen Nation ausserste
Disziplin, Er erwartet die restlose Unterstiitzung der Bev51kerung
fur deren Sicherheit und Schutz er sich mit eigener Person ver-
biirgt hat.:*
Die ersten Press emelduagen
Am Morgen des 28. Februar lesen Millionen Menschen in
ihren Zeitungcn die Schilderung des Reichstagshrandes. Von den
Titelseiten der Blatter schreit es in grossen Lettern : Der Deutsche
66
Geschehiusse. In Umdoi j, Pans jew g hHdenmgen des bren -
gebrannt «St, eficnso ^u ve rbogen sind. Der Umgehungs-
geborsten IS und deren * W andelhalle s i„d ausgebrannt.
gang i d li we?£en Angaben der Weltpresse zeigten sich we-
H ? h VerS edenheitL. Wahrend das «Prager Tagblat . vom
senthc-he vc,bcm £", ,„„ der Brand gegen zweiundzwanzig Uhr
^•erfdf SSelS ^Vfeicrillef der «Temps>> voir. . 1. Marz dass
abends bemeikt wura . „ ntdec k t wurde. In den Londoner
??L^UVkwr\St zu lesen,dass das Feuer um
^^W2^^ tatt. auseina;,-
der we a Reicbstagsbrand enldeckt wurde. Die Hugenbergsche
Naehrichtenagentur «Telegrafen-Union» behauptet ra einer Mel-
JuS die "or! f einem Teil der Presse in der Morgenausgabe vom
28. Febniar 1933 wiedergegeben wird :
<Es steht ausser Zweifel, dass das Feuei mil Hilfe von Fackeln an
den verschiedensten Brandstellen zur Entziindung gebracht wrrden
ist Ein Schuhpolizeibeamter bemerkte hinter einer der Scheiben
einen vorteihuschenden Fackeltrager, auf den er sofort em en Setauss
abgab.»
Der «Temps» vom 1. Marz 1933 bericbtet hingegen, dass die
erste Meldung vom Brand durch einen Angestellten des dem
Reichstag gegeniiber liegenden lngenieur-Hauses gemacbt wuide.
Die Zahl der Brandherde wird von den Blattern ganz ver-
schieden angegeben. Wahrend das «Prager Tagblatl» vom 28. Fo-
bruar von zwanzig Brandherden spricht, erklart der Berliner Be-
richterstatter der «Times» in der Morgenausgabe vom 28. Februar,
dass die diensthabenden Polizeioffiziere ihin mitgeteilt hiitlen,
der Brand sei an vier bis i'iinf Stellen gelegt worden. Die --Chicago
Tribune* weiss von zehn Brandherden zu berichten.
Die Schnelligkeit, mit der sich das Feuer ausbreitete, lasst
darauf schliessen. dass viele Brandherde angelegt worden sind.
Der Pogrom g;eg:eu links beginut
B U S
Nodi schwelt das Feuer im Reichstag, noch steht fine tau
ndkopfige Menge vor dem brennenden Gebiiude — da sind die
67
Ponzeiaulos, die Motorrader, die SA-Slurme schon unter-
Die ersle Verhaftung erfolgl kuiv nnrN mh^. , . ,»
Lich.de, Tag« die falls, G L ge fa Mi^S^S
da sjtzen Hunderte von Verhafteten auf langen Banken taffi
Komdoren : Kommunisten Sozialisten, Pazifisten, SchriftstelS
Aerzle, Rechtsanwalle sind m der Nacht aus den Betten serissen
und nach dcra Pohzeiprasidium gebracht worden. Viele von iunen
schliefen als der Rundfunk die Nachricht vom Reichstagsbrand
verbreitete. 5
Die Mittagsblatter mclden die ersten Namen der Verhafteten-
unter lhnen die Schriftsteller Ludwig RENN, Egon Erwin K1SCH
Erich BARON, Carl von OSSIETZKY und Otto LEHMANN-
RUSSBUELDT ; die Aerzte BOENHE1M, SCHMINKE und
HODANN ; die Rechtsanwalle LITTEN, BARBASCH und
Felix HALLE ; die kommunistischen Abgeordneten Walter
STOECKER, Ernst SCHNELLER, Fritz EMMERICH, Ottomar
GESCHKE und Willi KASPER. Der Reichstagsabgeordnele
TORGLER, der bezichtigt wird, Mittater des Reichstagsbrandes
zu sein, begibt sich am Morgen des 28. Februar zum Polizeipra-
sidium, urn gegen die Beschuldigungen zu protestieren. Er wird
in Haft genommen. Die kommunistische und sozialdemokratische
Presse erscheint am 28. Februar nicht mehr. Die Drucke-
reien des «Vorwarts» und der Zeitungen «Berlin am Mor-
gen» und «WeIt am Abend* werden noch in der Nacht voni 27.
auf den 28. Februar besetzt, die bereits ausgedruckten Exemplare
der Morgenausgabe werden beschlagnahmt. Die Druckerei der
«Roten Fahne», die sich im Karl-Liebknecht-Haus befand, war
schon einige Tage vorher von der Polizei besetzt warden. Die
«Rote Fahne» war bereits vor dem Reichsiagsbrand verboien.
Not- und Todvcrordnung
Das Feuer im Reichstag wurde noch in der Brandnacht ge-
loscht. Schon wenige Slunden darauf unterschrieb der Reichspra-
sident jenen barbarischen Erlass, dem man den Namen «Not-
verordnung zum Schutze von Volk und Staat» gab :
<Auf Grund des Art. 48 der Reichsverfassung wird zur Abwehr koxn-
munistischer staategefahrdender Gewaltakte angeordnet :
6 1 Die Art. 114. 115, 117, 118, 123, 124 und 153) der Verfaesung
des deutschen Reicha werden bis auf weiteres ausser Kraft gesetet
Es sind daher Beschrankungen der personlichen Freitaeit des Rechte
der freien Meinungsausserung ainschliesslich der ^«eir ? iheit des
Verein*- und Versammlungsrechtes, Eingnffe in das Brief-, Post-,
Telegrafen- und Fernsprectagebeimnia, Anordnungen von Haus-
suchungen und von Beschlagnahmen sowie Beschrankungen des Ei-
gentums auch auaserhalb der sonst hierfur bestimmten gesetzlichen
Grenze zulassig.
6 4 Wer den von den obereten Landesbehorden oder ihnen nachge-
ordneten Behorden zur DurchPUhrung dieser Verordnung erlassenen
Anordnuugen oder dea von der Reichsregierung gemiiss § 2 erlasse-
nen Anordnungen zuwiderhande.lt, oder wer zu solcher Zuwider-
handlung aui'fordert oder anreizt, wird, soweit nicht die Tat nach
anderen°Vorschriften mit einer schwereren Strafe bedroht ist, mit
Gefangnis nicht unter 1 Monat oder mit Geldstrafe von 150 bis zu
15 000 Reicbsmark bestraft.
Wer durcb Zuwiderhandlung nach Abs. 1 eine gemeine Gefahx fur
Menschenleben berbeil'uhrt, wird mit Zuchthaus, bei mildernden
Umstanden mit Gefangnis nicht unter 6 Monaten und, wenn die Zu-
widerhandlung den Tod eines Menschen verursacht, mit dem Tode,
bei mildernden Umstanden mit Zuchthaus nicht unter 2 Jahren be-
straft, Daneben kann auch aui Vermogenseinziehung erkannt
werden.
Wer zu einer gemeingefahrlichen Zuwiderhandlung (Absatz 2) auf-
fordert oder anreizt, wird mit Zuchthaus, bei mildernden Umstan-
den mit Gefangnis nicht unter 3 Monaten bestraft.
§ 5. Mit dem Tode sind die Verbrechen zu bestrafen, die das Strafge-
setzbuch in den §§ 81 (Hochverrat), 229 (Giftbeibringung), 307
(Brandstiftungen), 311 (Explosionen), 312 (Ueberschvvemmung), 315
Absatz 2 (Beschiidigung von Eisenbahnanlagen), 324 (gemeingefahrli-
che Vergiftung) mit lebenslangem Zuchthaus bedroht.
Mit dem Tode oder, soweit nicht bisher eine schwerere Strafe ange-
droht ist, mit lebenslanglichem Zuchthaus oder mit Zuchthaus bis zu
15 Jahren wird bestraft:
1. wer es unternimmt, den Reicbsprasidenten oder ein Mitglied Oder
einen Kommissar der Reichsregierung oder einer Landesre-
gierung zu toten, oder wer zu einer solchen Totting auffordert, aich
erbietet, ein solchos Erbieten annimrat oder eine solche Totung mit
einem anderen verabredet;
2. wer in den Fallen des § 115 Abs. 2 des Strafgesetzbuches (schwe-
rer Aufruhr) oder des § 125 Abs. 2 des Strafgesetzbuches (schwerer
Landfriedensbruch) die Tat mit Waffen oder in bewusstem und ge-
wolltem Zusammernvirken mit einem Bewaffneten begeht;
3. wer eine Freiheitsberaubung (§ 239 des Strafgesetzbuches) in der
Absicht begeht, sich des der Freiheit Beraubten als Geisel im politi-
schen Kampf zu bedienen.
Die Hetze gegen die Kommunisten
In Extrablattera, in Ministerreden, im Rundfunk, in Plaka-
ten wird verkfindet ; Die Kommunisten haben den Reichstag
angeziindet ! Dem Reichstagsbrand sollten Aufstand und Burger-
kneg folgen ! Die Kommunisten wollten Eure Frauen schanden,
69
Eure Kinder ermorden ! Die Kommunisten wollten das Was sei
der Brunnen, die Speisen in den Restaurants und Speisehallen
vergiften ! Stiindlich wird den deutschen Zeitungslesern und den
deutschen Rundl'unkhdrern das *Verbrechen» der Kommunisten
eingehammeri.
Die Hetze wird planiuiissig und systematise* durchgefuhrt
Die Presse wird mil Greuel-Nachrichten fiber die Absiehlen der
Kommunisten iiberschwemmt. Die «Vossischc Zeitung» vom l.
Uarz 1933 meldet aus Regierungskreisen ;
Die Regierung ist, wie betonl wird, der Meiuung, dass aach Lage
der Dinge eine Gefahr ftir Staat und Volk bestand und noch bestehe.
Das Material aus dem Karl-Liebknecht-Haus wird zur Zeit vom
Oberreichsanwalt geprttft. Die amtlichen Mitteilungen besageu, dass
sich in dieeem Material der Beweis dafiir finde, dass systematisch
von kommunistischer Seite Terror-Aktionen vorbereitet selen in ei-
nem Urn fang, der VoJk und Ftaat in ungeheure Gei'ahr bringe.
Es hatten sich in dem beschlagnahmten kommunistischen Material
bestinimte Plane befunden fur die Festnahme von Geiseln,
hauptsfichlich Frauen unci Kinderu bestimmter Personen, Angaben
uber Brandstiftungen in offentlichen Gebauden, Anordnungen fur
Terr orgruppen, die an bestimmten Sftentlicheu Platzen. und
zwar aueh in Uniform von Schupo, SA und Stahlhelm eingesetzt
werden sollen. Es bestehe, so wird erkiart, begrundeter Verdacht,
dass die kommunistischen Aktionen fortgesetzt werden sollen und
dass die Zentralleitung dieser Aktionen eventuell von Berlin fort-
verlegt werde. Es sei auch begriirideter Anlass, anzunehmen, dase
ebenso wie im Karl-Liebknecht-Haus an auderer Stelle unterirdl-
srhe Gewolbe und Ganae vorhanden seien, durch die die Komrau-
nifiten im Augenblick der Gefahr verschwinden. In diesem Zu
Sfmmenhang wird betont, dass an den deutschen Grenzen die er-
foiderlichen Vorkehrungen getroffen worden sind, urn einen Ueber-
sang verdachtiger Personen in das Ausland unmoglich zu machen.
Zu der Br a n d st i f t u ng im Reichstag wird erkiart. es liege
der einwandfreie Beweis dafiir vor, dass der Vorsitzende der kom-
munistischen Reichslagsfraktion, Abg. Torgler, sich nut dem
Brandstifler mehrere Stunden im R e i ch st a g s geba u de
auigebalten babe und dass er auch mit anderen an der BranMiftung
btUiligten Personen zusammengewesen sei. Es wird binzugeFUgt.
dass die anderen Tater eventuell durch die unterirdmchen G&nge.
die im Zusammenhang mit den Heizungsanlagen dee Reichetages
das Reichsta^sgebaude selber und das Gebaude des Reichstagspra-
tidenien verbinden, entkommen sein kSnnteo. In diesem Zusamraen-
banc; wird auf die Vexhaftung von zwei Personen verw.esen, die
vom Beichstagsgebaude aus telefoniert haben. urn den R »** te pP™-
.iderten Goring als den Anstifter der Brandstiftung hinzustellen.
und es wird betont, dass sich dabei Zusammenhange rait der soz.al-
demjlratischen Partei und Presse ergeben hatten.
70
me zustandigen Stellen erklaren, dass del damp! gegen den Kom-
numismus nunmehr mit grasster Scharfe gefuhrt werdeo wurde.
Wer mit den Kommunisten zusammenarbeite, Oder hinreichend ver-
min- hti 2 sei mit ibnen zusammen zu arbeiten, werde ebenso ngoroa
ieiiandelt werden wie die Kommunisten selbst. Aus dea Erklarun-
K e-> der Regierungsstellen ergibt aicb gleichzettig, dass die Wahlen
unipr alien Umstaadeu etattiinden werden.
Es ist zu beacbten, dase die Verordnungen czum Scbutze von Volte
und Staat> und die Verordnung. die Landea- und Horhverrat wesent-
liCh -charter als bisher bestraft, einauder ergarizen. Die zustandigen
leicbs^tbllen erklaren, dass die einzelnen Bestimmungen der Ver-
crdnuntren czum Scbutze von Volk und StaaU, die sich besonders
cee'-n den Kommunismus richten, wegen der einzelnen in dem
Kaxi Uebkneebl-Haus gefundenen Dokumente erfoxderhch gewesea
sei ^o sea insbesondere die Verschariung der im Strafgesetzbuch
v«rw«henen Straftaten der Giftbeibringung und der gememge-
iTr'cben VcmHung rait scMrferen Strafandrohungen versehen
wen den, wefl die Kommunisten in weitem Umfange Vergiftungen
voraesehen hattett, darunter die Vergiftung von V o 1 k s-
3 pel sun gen und von Speisen in Restaurants, in denen miss-
liebi'e Politiker verkehren usw.>
Dei Reichsminister Hermann Goring spricht am 1. Marz von
Berlin aus liber alle deutschen Sender. Nacb ub erems ^enden
Berichten der Blatter stellt Goring in dieser Rede folgende Be-
hauptungen auf:
Die Kommuntoton warben durcb Handzettel und Auflagescbeine
wehrfahige Arbeiter fur einen rot en M a a s e n-
-elbstschutz. Diese Eiririebtung war eine Vertarnung, um
die Masaen der revolutionaren Kommunisten mobil zu machen und
eie im Xampf gegen Votk und Staat einzusetzen.
Ich rnocbte es offen aussprechen, dass wir nicht einen Abwehr-
krmpf fiihien, sondern auf der ganzen Front zum Angriff uber-
aeben wollen. Es wird meine vornehmste AuFgabe & e i n.
den Kommuuismus aus unsrem Volke auszurotten.
Deshalb haben wir auch diejenigen Krafte des nationalen Deutscb-
land mobil gemacht, deren Hauptaufgabe es sein muss, den Kommu-
nitrons zu iiberwinden.
Goering behauptet writer:
Am 15. Februar ist festgestellt worden, dass die KPD. mit der Bll-
d u n cr von Torrorgruppen in St&rk-ebis a U 20 OM aim
beschaftigt war. Diese Gruppen hatten die Aufgabe, sich die S A-
Uniform anzuziehen und dann auf Autos, Warenhauser, La-
den usw. Ueberfalle zu unteroebmen. Auch auf verbiindete VerbSn-
de, wie den Stahlhelm und nationale Parteien, sollten solcfae Ueber-
raile ausgefiibrt werden. Man wollte damit die Einheit der nationa-
len Bewegung stdren. Auf der anderen Seite sollten Terror grup-
pen in Sta htbelmun i f r>r m ijhnliehe Taten auaffihrea. Bet
7!
cltr Veruaftung eolllen die t'alscheu Ausweise vorgezeigt werden.
Ferncr wurden zablreiche gefalachte Befehle von Sa-
uud Stah Ih el m f fibre*' n gefunden, in deoen die SA in ge-
lioMunisvollei" Weise aul'get'ordert wurde, sich fiir die Nacht
zum G. Mfira bereitzuh alien, u ni Berlin zu besetzen,
und zwar unter rucksiehtslosem Waffengebraueh, Niedersehlagung
aller Widerslande usw. Diese gefalschten Befehle wurden dann an
Behorden and Biirger vei'breitet, um das Schreckensge-
spenst eines uaMoaalsozi a MsM ecb en Staatsput-
sches bervorzurufen und die Arbeiterschaft in die notwendige
Verwirrung zu briugeu. Auch Polizeibefehle wurden ge-
false lit, wonaeh Panzerwagen auszuliefcrn wareu. In einer Sitzung
der KPD am IS. Februar war von einem ausdrucklichen An-
griffspakt der vereinigten Proletarier gegen die
Bourgeoisie und gegen die Faschistischen Siaaten die Rede. Am glei-
cben Tage wird der Fiihrer einer Bruckenaprengkaloone,
der eich durch Fehleu grosserer Mengen Sprengeloff verdachtig ge-
macht batte, festgenommen.
Bald danach wird eine Organisation der KPD aufgedeekt, die mil
Gift vorgehen sollte. Durcb die Aufdeekung eines solcnen
G i f t p 1 a n e s in Koln a. Fh. wurde off eubar, dass das Gift in G e-
meinschaftsspeisungen der SA wie auch dee
Stahlhelm verwendet werden sollte. Eine weitere
Ilnterlage beweist, dass nicht nur Frauen und Kinder fuhrender Per-
sonlicbkeiten ais Geiseln festgesetzt werden sollten, sondern auch
Frauen und Kinder von P o 1 iz e i b ea in t e n, die man
als lebendigen Schutzwall bei den Demonstrationen vor-
schieben wollte. Die Leitung dieser Mordorganisatioii lag in den Han-
den des Kommuuefuhrera Miinzenberg.
\m 22 Februar wurde vcm Zectralkomitee die Parole zux Be-
waffnung dor Arbeiterschaft ausgegeben. In der
eutsprechenden Anweisung hiess es: <Zur Anwendung des Terrors
istjedes Mittel und jede Waffe *u benutzen.i
Massenstreiks wurden angeordnet. Solidaritatsstreiks sollten vorbere.^
tet werden. Es sollten alle Leute gemeldet werden, die nut der Waffe
Tgehen verstehen, alles babe sich auf die Illegality umzuatellen.
umz
Goring sprach dann fiber einer, O r * a ». ■*'•»»£ ] ™
zum bewaffneten Auf si and. Dort sei davon die Rede, dass der
Ewaffnete Aufstand die erste Phase ^.^*KS^«S
wurden Amveisungen iiber den Einsatz ^"^J^^Xr-
gegeben. iiber Anlegung von Bran den an lau ;f"l*.n und ab«
tinwnden von (Men. Zweck dieser Aklionen se es. Polizei una
Wehrrnacht auf das fl.che Land zu locken und dann u. den ent-
blossten Stadten den A u f r u h r anzublasen.
Bei der Verwendung von Geiseln durfe man s,ch
von keiner Humanilat leilen lassen.
72
■ * "-
'"Will H!j|||
liTcnaustiilt Langbro
Obeii: Gesamtaii3icbl der Heil-
anstalt Langbro bei Stockholm.
Mifcte: Kiniatirl in die gescbloe-
seue Ansliili Langbro. Aul der
Tafel sleht: Bei Strafe von
15— Kr. ist es Uxftefugten ver-
boton, das Gebiel der AnstaU zu
betretea.* .
Unten: Mamicrpuvillon der An-
stalt Langbro.
•*'-.
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II
II
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Dei* Mann, der in den deutsclieu Sclmlen die Prttgelstrafe
wieder einftllu'te
Dr. Rust preussischer Kultusminisler.
<Dr. Rust hat im Jahre 1930, ate er Studienrat in
Hannover war, um seine Pension ierung ereucht
und sie outer Beibringung von arzlhchen Attesten
dan.it begriindet. dass er geistesgestort so. Damit
erbrachtfl er den BefahigungsnaohTveia M* e.ne
Ministeretelle im Drilten Reich.*
Goring schloss:
<Den Kommunisten darf ich sngen: Meine Nerven sind bisher ooeh
nicht durchgegangen, und ich fUhle mich stark genag,
ihrem verbrecherischen Treiben Paroli z u
biet en !>
Wor smd die Brandstifter?
Gleichzeitig mit der Mitteilung uber den Reichstagsbrand geht
die Frage durch die Weltpresse : "Wer sind die Brandstifter? Die
meisten deutschen Blatter machten sich die Mitteilung der Hitler -
Regierung zu eigen, dass die Kommunisten den Reichstag ange-
zundet hatten. Im Gegensatz dazu nahm die gesamte Auslands-
presse die amtlichen Mitteilungen uber den Reichstagsbrand rait
Skepsis auf, die sich, je mehr sich die Nachrichten hauften, in
kurzer Zeit 2U offener Verhohnung der offziellen Behauptungen
steigerte. Der «Temps» berichtet am 1, Marz uber den Reichs-
tagsbrand:
<Das offizielle Kommunique hat offeneichtlich den Zweck, dieBe-
\6)kerung zur Raserei zu bringen und sie gegen die Linksopposition
aufzubringen. Es gibt keine Mittel, die Polizeibehauptungen zu pru-
fen. Man kann lediglich feststellen, dass der Reichstagsbrand der R**-
gierungspropaganda zu den Wahlen eehr gelegen kommt. Er dient
als Vorwand fiir eine Aktion nicht bloss gegen die Kommunisten, sou
dern auch gegen die Sozialdemokraten, sowie dem Zweck, die SA-
AbteiLungen und den Stahlhelm in eine Reihe mit der bewaffaeten
Macht treten zu lassen.
In der gleichen Ausgabe des «Temps» wird davon gesprochen:
<dass sich die demokratiscben und LinkskreLse von Berlin dem Dr-
sprung des Reichstagsbrandes gegeniiber skeptisch zeigen.>
In der Ausgabe vom nachsten Tage geht der «Temps» weiter:
*Die Verhaftung v. d. Lubbes und sein Schuldbekenntnie gentigen
nicht, urn den Schleier zu lUften, der den Reichstagsbrand umgibt.*
Der Londoner ^Evening Standard* schreibt am 1. Marz ;
<VVir waren erstaunt, wenn die Welt die Erklarung Herrn Hitlers fur
bare Miinze nahme, dass der Reichstagsbrand ein Werk kommunisti-
scher Brandstifter sei.»
Die Londoner «Ne\vs Chronicle* vom gleichen Tage erklari :
<Die Behauptung, dass die deutschen Kommunisten irgend eine Be-
ziehung zum Brand hatten, ist einfach eine Dummheit . . .>
Die offizielle Reuter-Agentur verbreitet am 1. Marz folgen-
den Berichl :
<Ee unterliegt keiaem Zweifel, dase Millionen Menschen in Deutsch-
land der aus offiziellen Quellen stammenden Geschichte der Revo-
73
lution der Rotea, die soeben vermieden wurde, weder glauben Icon-
nen noch wollen.*
tv««» wpnieen Beispiele aus der R.esenzahl der Pressestirn-
Wei en zm Genuge, dass ausserhalb Deutschlands den offi-
m Xn Belfauptungen der Hitler-Regierung kein Glauben ge-
SSt wt"D a s S g esamte Ausland war und ist ubcrzeugU dass
dirNationalsozialisten den Reichstag angezundet hahen. Wir _zi-
Tieren nur noch ein Blatt, das die Weltmeinung besonders prag-
nant wiedergibt. Der -Daily Telegraph ». London, schreibt am
3. Marz :
<Die Theorie, wonach der Reichstag von Kommunistm angezundet
worden ist vrird heute schon von keinem vemunft.gen Deutsche* ge-
daub* Und man hat inswischen erfahren, dass Hauptmann Qoruig
Shon vor dem Reichstagsbrand eine garm Rexhe von Verordnungen
md Unterdruckungsmassnahmcn vorbereitet aatte, ala ob er voraus
^JuKSl daJ f rieh in Berlin in dieser Nacbt etwas Sensahonel-
les abspielen wiirdo
Kaiim drei Tage nach dern Reichstagsbrand steht die Hitler-
Kaum are: i ag Tatsacn e dass im Ausland niemand
^^^Sfirbten Glauben sThenla Kine unubersteigbare Mauer
die nach Deutschland geh en smd fast een Die ™ f n um ,
giere, die sie benutzen, kommen im AutU-age no. r
Sr f nisationen die festal en ^was^D^ ^^
g'etnTen^Snd^ e^ziger tfschrei des Entsetzens.
Wer brauchte den Reichstagsbraua ?
Chen zupute gekommen ist. Diese I- 1 a,,e mu
gestellt werden. n—s-hi
Die Hitler-Regierung ««^rvof SSJS-S!
vo,n 28. Februar, dass der R^f^^J blu tigen Aufruhr
gelegt worden sei und dass er da* . ranal ,u , S.
and Burgerkrieg se m sollte G t •< wg^ Nachi ^ 2?
=S fffefc - aSSSftC ««■*- woMe ?
74
Die Taktik der Koinmuiuslisclien Partei spricht eutsehieden
«/e"en diese Bchauptung. In den offtziellen Publikationen der
Koromunistischen Partei ist mehr als einmal zu lesen, dass der
• ndkampf urn die Machl nur gefiihrt werden kann, wenn die
Kmmuunislische Partei imstande ist, die Mehrheit der Arbeiter-
Sa. sse in den Kampf zu liihren. Die Kommunistische Parte)
Deutschlands war erst auf dem Wege, diese Mehrheit zu erobern.
In einer Erklarung der Kommunistischen Partei Deutschlands
vom 25. Marz 1933 zun. Reichstagsbrand heisst es :
tjeder der mit den Grundsiitzeu des Kommunisinus, mil don Lehren
von Marx unci Lenin, mit den Beschliissen der Kommunistifldieu hi
tenmttamle und der Kommunistischen Partei Deutschland aucb uur
ein wenig vertraut ist. Weiss, dass Methoden des individueUen Ter-
po«, Brandstirturgen, Sabotageakte und dergleichea n.cht zu den tak-
Leh» Mitteln der kommunistischen Bewegung gehoren D.e Ron.-
mStiSChe Partei hat immer ausgesprochei., dass ,hr Z.el die Durch-
Eung der proletaricbea Revolution ist. Urn d,ese S Z.el zu erre.-
,'.„ - n mbraucht die KPD die Taktik des revoluhonaren Massenkamp-
' dfe Tewinnuag der Massen fur die kommunistische Bewegung
dun-h Igitation und Propaganda, vor alien, aber durch d.e Organ.sa
Hon des tagluhen Kampfes fur die unmittelbareu Interessen der
Werktatfcen Da* ist die Taktik, dutch die die kommunurtische Be-
wegung nach den GrundsStzen des Marxismus-LeninismuB in alien
Jndein ihre Ziele wrwirkliebt. Es liegt auf der Hand, dass d.e
Bvandstiltung im Reichstag keinerlei erdenk-ichen S.nn und Zweck
lu. die kommunistiscbe Bewegung haben konnte.*
Die Richtigkeit dieser Erklarung wild durch die Geschichte
der Kommunistischen Partei von ihrem Entstehungstag an be-
s£u«t Fsliegl nichl der geringste Beweis daffir vor ■ ■ es w.der-
ge auch lo" ig ihrer Polifik -, dass die Kormnumsten .hre
Ktik Sndtten u°nd plotzlich zu individuellen TcrrorakUonen
SChr D!e n Kom.nunislische Partei Deutschlands war in den lelzten
Jahren in einem ununterbrochenen Aufstieg. Sic . vere.mg e be
den ersten PrSsidcnlenwahlen im Marz 1932 ; auf * r _ e ?J^"£_
ten Ernst Thalmann 4.960.000 Stimmen. Sie steiger e diese : Stimrn
zahl bei den Reichstagsxvahlen am 31. Jul. 1932 a* n^^£
Sie erreichte bei den Wahlen am 6. November 1932 sechs Mil no
nen Stimmen. Die Kommunisten gingen in die Neuwah kn des
5. Marz 1933 mit den besten Aussichten. Nahezu in der Sumter.
Auslandspresse wurde ihnen ein grosser St.mmzuwachs prophe-
Ze,t Die Unzulriedenheit im Lager der Soziaidemokratie : wuchs.
Die standigen Provokationen der Nazis, die Passmtat der Ue-
werkschaftl- und Parteifuhrer, die zugelassen «a" en - d * s s j*£
Minister in Preussen von einem Hauptmann und dre. Mann
75
verjagt wurden, trieben breite Massen der sozialdemokratischen
Wahler zu den Koinmunisten.
Nicht minder gross war die Unzufriedenheit im nalionalso-
zialistiscben Lager. Bei den Wahlen im November 1932 hatte
Hitler uber 2 Millionen Stimmen verloren. Der Zerselzungsprozess
war im Wachsen .Als Hitler an die Macht kam, erwarteten viele
seiner Anhiinger eine entscheidende Wendung zum Besseren Sie
kam nicht. Es bestand die Gefahr einer weiteren Abwanderune
nationalsoziahstischer Wahler ins kommunistische Lager.
Die Hitler-Regierung zahlt zu den Beweismilteln fur die Ab-
sicht der Kommunisten neben anderem auch die Broschure : «Die
Kunst des Aufstandes.» Aber in eben dieser Broschure ist unter
anderem folgender Satz Lenins zu lesen :
cDie entscheidende Schlacht kann dann als voll berangereift gelten
wenn sich alle uns feindlichen Klassenltiafte hinreichend verrannt
haben, wenn sie sich hinreichend gegenseitig in die Haare eeratea
sind und sich durch den Kampf, der ihre Krafte ubersteigt hinrei-
chend gescbwaeht haben, wenn sich alle schwankenden unsichereo.
unbestandigen Zwischenelemente, d. h. das Kleinburgertum di>
kleinburgeiliche Demokratie, zum Unterschied von der Bourgeoisie
hinre.chend vor dem Volk entlarvt und durch ihren praktiscben
Bankroll hinre.chend blamiert haben, Wb nn die Massenstimmung
zugunsten emer Unterstiitzung der entschlossensten, aufopfernd kiil.
nen revo utionaren Handhingen gegen die Bourgeoisie im Proletariat
emgesetzt und machtig anzuschwellen begonoen hat. Eben dann ist
die Revolution reif, eben dann . . . falls wir alle vorstehend
beze.chneten Voraussetzungen rirhtig erwogen und den Moment
nchtig gewahlt haben, ist unser Si eg gesichert.*
Und weiter sagt Lenin in dieser Broschure :
<Mit der Vorhut allein kann man nicht siegen. Die Vorhut allein id
den entscheidenden Kampf werfen, solange die ganze Klasse, solange
die breiten Massen die Avantgarde nicht direkt unterstutzen oder
zum mindesten eine wohlwollende Neutralist ihr gegenuber iiben
wire nicht nur eine Dummheit, sondern auch ein Verbrechen.>
Hatte Goring die Broschure «Die Kunst des Aufstandes* audi
nur I uchtig gelesen so hatte er sich nicht dazu verleiten lassen,
sie als Beweismittel gegen die Kommunistische Partei zu be-
nutzen. Der Pfe.l ist auf den Schutzen zuriickgeschnellt.
Hitler, der Gefangene Hugenbergs ?
nannte Regierung der «nationalen Konzentration» gebildet wor-
aen Die Bedingungen, unter denen Hindenburg Hitler zum
ue.chskanzler ernannt hatte, waren fur die Nationalsozialisten
s>enr nart. Die deutschnationalen Minister hatten im Kabinett die
76
absolute Mchrheil. Der Stellvertreter des Reichskanzlers Her-
von Papen, wurde zum Reichskommissar fur Preussen ernannt
obwohl , n den vorhergehenden Regierungen der Reichskanzlw
selbst das Preussische Reichskommissariat gefiihrt hatte Das
Reichswehrministenum, das die Nationalsozialisten in der letzten
Etappe des Rampfes urn die Macht fur sich beansprucht hatten
wurde in die Handc des hindcnburgtreucn Generals von Blombere
gelegt. Als Hmdcnburg am 30. Januar dem neuen Kabinett deu
Eid abnahm, musste Hitler ausdriicklich in Gegenwarl aller Ka
binettsmiLglieder das Versprechen ablegen, an der Zusammen-
setzung der Regierung nichts zu verandern, wie immer die Wah-
len auch ausfallen wiirden. Die drei nationalsozialistischen Mini-
ster Hitler, Frick und Goering sassen in der Regierung eingekeilt
zwischen Deulschnationalen, denen samlliche wirtschaftlichen
Ministericn, die Fiihrung der Aussenpolitik und das Reichswehr-
minislerium uberlragen worden war. Der Fuhrer Hitler sollle
nach dem Plane der Deutschnalionalen ihr Gefangener sein. Er
wurde von Hindenburg nur in Gegenwart Papens empfangen.
Nie vorher war cinem Reichskanzler eine so druckende Bedingung
gestellt worden.
Auf legalem^ Wege konnle eine Aenderung nicht herbeige-
fuhrt werden. Die Deulschnationalen pochlen auf ihren Schein.
Der zweite Bundesfiihrer des Stahlhelm, Oberstleutnant Diister-
berg, gab, urn Hitler festzulegen, in einer Wahlversammlung am
12. Februar, das bindende Versprechen Hitlers bekannt, an der
Zusammensctzung des Kabinctls koine Aenderung vorzunehmen.
Die Schale senktc sich zugunsten der Deutschnationalen.
Die Manner um Hitler, in erster Linie Goebbels und Goring,
waren seit dem 30. Januar unablassig bemiiht. Hitler aus der
Umklatnmerung der Deulschnationalen zu befreien.
Der Druck verstarkte sich von Tag zu Tag. Nur eine Aende-
rung der Machtverteilung innerhalb der Regierung konnte die
wachsende Unzufriedcnheit vieler nationalsozialistischer Wahler
eindammen. Era Gewaltstreich barg zuviel Gefahren in sich. Die
Reichswehr und der Stahlhelm standen auf Seiten Hindenburgs.
Bei einem offenen Kampf war damit zu rechnen, dass auch das
Reichsbanner an die Seile der Reichswehr und des Stahlhelms
gegen die Nationalsozialisten treten wurde.
Die Denkschrift des Doktor Oberfoliren
In dieser Situation gingen die Nationalsozialisten in den
Wahlkampf. Dr. Goebbels, der erfindungsreichste unter den na-
tionalsozialistischen Fuhrer n, sah die drohende Entwicklung am
aeutlichsten. In seinem Kopf entstand zuerst der Plan zu einem
grossen Coup, der die politische Situation des Nationalsozialismus
77
mil eiuem Schlage verandem sollte. Wir besilzen em Zeugnis
liber den ^rossen Coup, seine Entslehung und seine Durehfuhrung.
Der deutschnalianale Abgeordnete Dr. Oberfohren hat uacb
den WahJen vom 5. Marz 1933, als die Nationalsozialisten Stuck
urn Stuck der deulschnationalen Positionen an sich rissen, den
Kanrpf der Deulschnationalen und des Siahlhelms gegen Hitler zu
organ isieren versucht. Als Vertrauter Hugenbergs war er iiber alle
Vorgaoge im Kabinett genau unterrichtel. Er legte sein Wissen
iiber die Vorbereitungen zum Reichstagsbrand in einer Denk-
schrifl nieder, die er an seine Freunde versandte.
Diese Denkschrift Dr. Oberfohrens ist auf Schleichwegen ins
Ausland gelangt. Einzelne Abschnitte der Denkschrift wurden in
englischen, franzosischen und Schweizer Blattern anonym, olme
Angabe des Verfassers veroffentlicht.
YVenige Tage darauf spielte ein deutschnationaler Abgeordne-
tei-. der spater zu den Nazis ubertrat, der «Geheimen Staatspolizei*
die Denkschrift Oberfohrens in die Hande. Mit dieseni Tage be-
gann die Hetzjagd auf den Verfasser. Dr. Oberfohren wurde am
7. Mai in seiner Wohnung tot aufgefunden. Der Polizeibericht be-
hauplete, Oberfohren habe Selbstmord verubl. Die amtliche Mit-
teilung hob besonders hervor, dass in der Wohnung Oberfohrens
keinerlei Dokumcnte gefunden worden seien. In' Wirklichkeil
wurde Oberfohren von den Nazis ermordet. Alle fur die Hitlerre-
gierung komprommittierenden Papiere wurden von den Mordern
Oberfohrens geraubt.
Oberfohren erzahlt zu Beginn der Denkschrift, dass die
Durchsuchungen, die der Berliner Polizeiprasident Melcher im
Karl-Liebknecht-Hai;- mehrfach unternehmen liess, ergebnislos
geblieben waren. Er schildert dann in seiner Denkschrift, wie
der Plan zum Reichstagsbrande bei den Nationalsozialisten ent-
stand:
Herr Doktor Goebbels. von keioer Skrupel beschwert, hatte bald
einen Plan festgelegt, bei dessen Ausftihrung man nicht nur den
Widerstand bei den Deutschnationalen gegeniiber den Forderungen
der NSDAP auf Unterbinduug der sozialdemokratiscben und konimu-
nistischen Agitation Uberwinden Iconne, sondem unter Urastanden
bei volligem Gelingen auch das Verbot der Kommunistischen Partei
erzwingen wiirde
Goebbels hielt es fiir not wend ig, dass man im Karl-Liebkneeht-Haus
Material fande. durch das verbrecherische Absichten der Kommuni-
sfcen belegt, ein kommunistischer Aufstand als unmittelbar bevor
stehend und dadurch anmittelbare Gefahr im Verzuge beweisbar wa-
ren. Da unter Melchers Polizei im Karl-Liebknecht-Haus wiedernichls
gefunden worden war, musste ein neuer Polizeiprasident fur Berlin.
und mar aus den Reihen der Nationalsozialisten. genommen werden
78
Nm ^iu hen Herr von P apen seinen Beauftraglen Melcher aus
m Pol^eiprasidium scheiden. Der Vowchtag aer NSDAP, den FUh
r der Berliner SA den Grafen Helldorf, zum PolizeiprMdenten ■
ernemm, wurde abge^chlagen. Man einigte sich schliesslieh aTde"
gemassigieren Admiral von Levetaow, der zwar der NSDAP angehSrt
desson Binauugeu an den deutecbnationalen Kreis aber immer noch
vorhant en ware,,. Material in das leerstehende Karl-Liebknecht-Haua
einz^hmuggeln, war eine Kleinigkeit. Die Polizei bat die Bauplane
des Burohauses und sonut auch die Lage seiner Keller Die notwen
digen Dokumente konnten dort also leicht hineingebracht werden
Goebbels war sich auch von vornherein daruber klar, dass es notwen
dig sei, den Ernst und die Glaubwirdigkeii der aufgefundeuen. von
ihm gefiilschten Papiere durch die eine oder andere, wenn auch nur
angedeutete Handlung zu unterstreichen. Man batte auch in dieser
Hinsicht vorgesorgt.
Am 24. Februar drang die Polizei in das seit Wochen leerstehende
Karl-Liebknecht-Haue ein, durehsuchte und versiegelte ee. Am glei-
ctien Tage wurde amtlich bekanntgegeben, dass eine Fiille hochver-
ratiscben Materials gefunden sei.
km "?6. Februar verSffentliehte der Conli, ein Nachrichtenburo der
Regierung, eehr ausfuhrlich das Ergebnie der Aktion. Es ver-
lohnt sich nicht, diese genaue Meldung wiederzugeben. Der Hinter-
treppensiil dieser Meldungen fiel auch dem unbefangenen Leser auf.
Es wurde ausfuhrlich von geheimen GMngen, geheimen Sperrvorrich-
tungen, Schlupfkanalen, Katakomben, unterirdischea GewSlben und
dergleichen mehr berichtel. Die ganze Art der Aufmachung des Be-
richtes musste umso lacherlicber wirkeo, ala zum Beispiel die Keller
eines Burohauses mil den Ausdrucken cUnterirdische Gcwolbe* und
«Katakoml>en» bezeichnct wurden. Es musste auffallen, dass in an-
geblieh gut abgedeckten Nebenraumen der Keller mehrere hundert
Zentner genaueste Amveisungen fur die Durchfuhrung der bevor-
stehenden Revolution der Polizei in die Hande gefallen seien. Beson-
ders Iacherlich war die Mitteilung, dass durch die Funde in diesen
ceheimen Gewolben die Beweise gefunden word en waren, «dass die
kommunistieche Partei und ihre Unterverbande ein zweites illegales
Dasein unter der Oberflache fiihren*.
Admiral von Levetzow, Polizeipriisident von Berlin, eretattete am
Sonntag, dem 26. Februar, nachmittags dem kommissarischen Innen-
ministftT. Herrn Goering, Bericht tiber die Funde im Karl-Liebknecht-
Haus.
Innerhalb der Regierungskoalition gab es auf Grund des Ergebnissee
der Durcheuchung des Karl-Liebknecht-Hauses lebhafte Auseinander
'iingen Papen, Hugenberg und Seldte macbten Herrn Goering die
lebhaftesten Vorwurte, dass er mit solchen Gaunertricks arbeitete.
wiesen darauf bin. dass die angeblich vorgefundeneu Dokumeute
so ungeschickt gefalscht seien. dass man sie der Oeffentlichkeit unter
keinen Urnstandon llbergebeu ko'nne. Sie verwieeen darauf. dass niau
chickter Mtte vorgeben rntSssen, etwa in der Art wie semerzeit
79
die englischon Konservativen bei der Falechung des Sinowjew- Brie-
fes. Die Plumpbeil der dern Conti-Buro Ubergebenen Scliilderung dea
Karl-Liebkneeht-Hausea wurde angegriffen. Deutschnutionale und
Stablhelm wiesen darauf hin, dass kein Mensch glaube, daea die Kom-
mun.sten nusgerechnet im Karl-Liebknecht-Haus ibr illegaleg Quar-
ter aufschlagen wiirden. Man hiktte schon geachickter talschen muaeen
und die illegalen Raume in irgendeinem anderen Sladtteil aushobea
mlissen.
Nachdem jedccb die ganze Angelegenheit dor Oeffentlichkeit iiberge-
ben war, blicb auch den Deutschuationalen nichts weiter librig, ala
weiteren Versrharfuugeu der Verordnungen gegen die Koramunisten
auf Grund dea vorgefundenen Materials zuzustimmen. Es bestand fur
sie ja keineswegs die Frage einer Schonung der Kommuniaten, le-
diglich die Plumpheit dea Vorgehens wurde gerugt. Doch hatte man
auseerdem den Wunsch, die Kommuniatische Partei unter alien Um-
standen an den Wahlen teilnehmen zu lassen. Man wollte verhindern
dass die Nalionnlsoziali&ten allein die absolute Mehrheit im Reichs-
tag bekommen konnten durch Aussctaaltung der Kommunistischen
Partei.
Die Ausfiiliruiig tics Goebbelsscheu Planes
Dr. Oberfohren stellt in seiner Denkschrift dar, dass Goebbels
es fur notwendig hielt, die Wirkung des im Karl-Liebknecht-
Haus angeblich aufgefundenen Materials durch eine Handlung zu
verstarken. Er versprach sich die grossten Erfolge von einer Se-
rie von Brandlegungen, die — immer nach Oberfohrens Denk-
schrift — in den lelzten Wochen vor dem Reichstagsbrande statt-
finden und durch eine Brandlegung im deutschen Reichstag ge-
kront werden sollten. Als Tag des Reichslagsbrandes wurde der
27. Februar festgelegt. Es wurde verabredet, dass die wichtigsten
Fuhrer der Nationalsozialislen Hitler, Goring und Goebbels an
diesem Tage keinerlei Redeverpflichlungen auf Wahlversamm-
lungen ubernehmen und sich in Berlin aufhalten sollten. Wir ver-
offentlichen nachstehend eine Mitteilung des nationalsozialisti-
schen Propagandaleiters vom 10. Februar uber die vorgesehenen
Wahlreden Hitlers. Es ist besonders auffallig, dass Hitler die Tage
vom 25. bis 27. Februar frei hielt:
<23. Februar Frankfurt a. M.
24. Februar MiincheD
28. Februar Leipzig
1. Marz Breslau
2. Marz Berlin
3. Marz Hamburg
4. Marz ..... Kdnigsberg>
80
Weiter vvurde noch mitgeteilt:
<Es bosteht die Moglichkeit, dass aucb am 25. und 26. Februar nocb
Wahlkundgi'buiiger, angesetzt werden. Als Tageszeit wird zumeist die
Zeit zwischen 8 und 9 Uhr in Frage kommenj
Sicherheitshalber hat sich Hitler also die Tage vom 25. bis
97 Februar frcigehallen. Auf alle Falle wird jedoch schon vor-
her angekiindigt, dass Hitler keinesfalls am 27. Februar in Wahl-
kundgcbungen sprechen konne.
Die Widerspriicke in den amtlichen Berickten
Wir suitzen uns bei unserer Beweisfiihrung fur die Unschuld
der Kommunisten und die Schuld der Nazis am Reichstagsbrande
nJchf allein auf die Aussagen unbeein lusster Zeugen und auf
die un? vorliegenden Dokumentc. Wir konnen den Beweis auch
funren an Hand der amtlichen Meldungen der Hitlerreg.erung
i£e amtlichen Auslassungen der Hitlerregicrung zum Reich.-
tassbrande weisen soviel Widerspriiche auf, dass allein deren Auf-
deckung geniigt, um zu zeigen, in welchem Lager die wahren
Brandstifter zu suchen sind. . .
In der ersten amtlichen Mitteilung h.ess es, dass em Polizei-
beamter in dem dunkeln Gebaude Personen mit brennenden Fak-
keln beobachtet hat, und dass es gelang. den Tater zu fassen Es
vvurde weiter erklart, dass der Tater in den Rellerraumen des
Reichstages vorgefunden wurde und sich oh n e W ide rs t an d
Snehmen lies! Am 4. Marz wird hingegen die Verhaftung des
lerraumen. den Marinus van der Lubbe, der aon
a Tten nacb erheblichen, Wideband UbenvalUgt wurde.
Dies 1st der erste Widerspruch in den amtlichen Meldungen.
Die Beschnldignngen gegen Torgler und Koenen
Der amtliche «Preu SS ische Pressedienst, meldet am 1. Mar,
1933 abends folgendes ; Rr3 ndstiftung in.
cDle bisherigc- amtliche Untersuehung der gro- » J* Hta g
Gebaude de» deutsrben Reichstags hat ergeben. dass an d -
beischafhing des ™**™**% ^^Zr ^andherde a.d ihre
gewesen sind mtr-end die Verteiiun a aw
81
gleiclweitige Entziindung in deni riesigen Hause mindestens 10 Per-
sonen erfordert haben muss. Qanz zweifellos sind die Brandstifter
so vollkoinmeu mit alien Einzelheiten des weitlaufiger Gebaudes ver-
traut gewesen, dass nur ein jahrelanger ungehinderter Verkehr diese
sichere Kenntnis siiinllicher Raume ergeben haben kann. Driugender
Tatverdacht besteht deshalb gegen die Abgeordneter der Koinmunisti-
schen Partei, die sich ganz besonders in der letzten Zeit aut'fallend
liiiufig uater den verechiedensten Anliissen im Rpicbstagsgebiiude zu-
sammenfanden Aus dieser Verlrautheit mit deni Reichstagsgebaude
und der Diensteinteilung der Beamten erklart sich audi die Tatsache,
dass vorlaufig nur der auf frischer Tat ertappte hollandische Kom-
munist verhaftet werden konnte. da er in Unkenntnis der Raumlich-
keiten nach begangener Tat nicht mebr Fliehen konnte. Dei Verbaf-
tete, der auch in Holland als besonders radikal bekanut ist, hat den
Verhandlungen des Kommunistischen Aktionsausschusses stiindig bei-
gewohnt und durchgeeetzt. dass er zu der Brandstiftung hinzugezogen
wurde
Die Untersuchung hat weiter ergeben, dass drei Augenzeugen einige
Stunden vor Ausbruch des Brandes den verhat'teten hollandischen Ta-
ter in Begleitung der kommunistischen Reichstagsabgeordneten Toi-
ler und Koenen in den Gfingen des Reichstages tun 8 Uhr abends
ge?ehen haben. Ein Irrtum der Augenzeugen ist bei dem Anssehen
des Brandstifters unmoglich. Da weiterhin der Abgeordneteneingang
des Reichstages urn 8 Uhr abends geschlossen wird, die kommunisti-
schen Abgeordneteu Torgler und Koenen sich jedocb gegen einhalb-
neun Uhr ihre Garderobe in ihr Zimnier bringen liessen und erst ge-
gen 10 Uhr durch ein anderes Portal den Reichstag verliessen. besteht
gegen diese beiden Kommunisten dringendster Tatverdacht. In dieser
Zeit ist namlich der Brand angelegt worden.
Unrichtig ist das Gerucht, uach dem der Abgeordnete Torgler sich
der Polizei frerwillig gestellt haben soil. Er hat allerdings durch sei-
nen Reehtsbeistand in dem Augenblick urn frejes Geleit gebeten, als
er erkannte, dass ein Entkommen unmoglich ge worden war. Das freie
Geleit wurde abgelehnt und der Abgeordnete verhaftet.*
Am 4. Marz gibt der Leiter der politischen Polizei einen Be-
richt, in dem es heisst :
cSoweit die bisherige Untersuchung begriicdete Verdachtsmomeute
hinsichtlich der Mitwirkung dritter Personen ergeben hat. kann im
Interesse des schwebenden Verfahrens und der Staatssicherheit nichts
gesagt werden.*
Am 1 . Marz also besteht dringender Tatverdacht gegen Torgler
und Koenen, und die Staatssicherheit verbietet nicht, mitzuteilen,
worauf sich dieser Verdacht stulzt. Am 4. Marz wiirde eine Mit-
tcilung uber die Verdachlsmomente die Staatssicherheit ge
fahrden.
Dies ist der zweite Widerspruch.
82
In der zitierten Mitfceilung des «Pieussischen Pressedienstes»
v ,nn i. Marz hoissl es, dass Torgler und Koenen das Reichstagsge-
baude inn 10 Uhr abends verlassen haben. Nach deji Meldungen
des offiziellen Wolff- Buros, der Telegrafen-Union und der aus-
wartigen Korrespondenten wurde der Brand in der Zeit zwischen
9 Uhr und 9 Uhr 15 enldeckt. Die Feuerwchr begann um 9 Uhr 15
ihre Tatigkeit. Die Polizei umstellle ungefahr uni die gleiche Zeit
den Reichstag und machle jeden Zutritl zum Reichstag unmog-
lich. YVenige Minuten nach der LOnldeckung des Reichstagsbran-
des traf Goring an der Brandstelle ein, kurze Zeit nach ihm
Hitler, Goebbeis, Papen und Prinz August Wilhehn. Trotzdem
sollen die Abgeardnelen Torgler und Koenen den brennenden
Reichstag, der von der Polizei abgeriegelt und von einer tausend-
koptigen Menge umgeben war, in Seelenruhe verlassen haben,
ohne dass es irgendeinem Menschen einfiel. auch nur eine Fragc
an sie zu stellen ?
Dies ist der dritte Widerspruch.
Luekenloses Alibi fur Torgler mid Koenen
Z-\vei Keilner des Aschin^er-Restaurants am Bahnhof Fried-
richstrasse haben in eineni Protokoll eidesstattlich versicherL
dass die Reichstagsab^conluelen Torgler und Koenen am 27. Fe-
bruar bereits um 8 Uhr 30 in dieser Restauration ihr Abendessen
eingenommen haben. Sic inussen demnach den Reichstag spate-
stens kurz nach 8 Uhr abends verlassen haben, und nicht um
10 Uhr, wie die amtliche Mddung behauptet.
Ueberdies geht aus der naehfolgend veroffentlichten eides-
slattlichen Versicherung des Reichstagsabgeordneten Wilhelm
Koenen eindeutig hervor. dass die beiden zwisehen 8 Uhr 10 und
8 Uhr 15 abends den Reichstag verlassen haben. Wir verofientli-
chen die eidesslaltliche Versicherung des Reichstagsabgeordneten
NVilhelm Koenen vollstandig. well Koenen am 27. Februar gegen
£7 Uhr abends in den Reichstag kam und von dieser Zeit an bis
¥2 Uhr naehts mil Torgler zusammen blieb. Das Alibi der beiden
ist Kiekenlos, und es beweist, dass an den Beschuldigungen der
Hitler-Rei^icrung gegen Torgler und Koenen kein Wort wahr ist.
Die Erklarung des Abgeordnelen Koenen lautel:
Hdesstattliche VersicheruniJ.
Ich veraichere an Eidestatt folgeudes :
<Am Nach::ii(t;i^ des 27. Februar suchte ich. wie an fast alien Tag
der vorhergegangeneu Wocbe, im Polizeiprasi.iiuni am Alexander
ttz don Kriminalkomniissar Dr. Braschwitz auf. urn weiterhin mil
i Uber 'lie Auslieferung von Wahlmaterialien aus dam Karl-Lie^
83
knecht-Haus zu verhaadeln. Wir begaben una nach drei Uhr zusam-
men mit einigen Kriminalbeamten vom Polizeiprasidium zum Karl-
Liebknecbt-Haus, wo dann wieder einige kleine Ladungen Plakate,
Klebeslreifen und dergleichen, die zur Wahlagitation freigegebeo
worden waren, verpackt und herausgeschafft wurden. Um zwanzig
Minuten vor sechs verabscbiedete ich micb aach Beendigung dieser
Arbeit von dem Kriminalkommissar, verstiindigte mich in einem
iiahen Restaurant mit unseren Hilfsarbeitem fiber den weiteren Ab-
transport von Material ftir den nacbsten Tag und rief dann unser
Fraktionssekretariat im Reichstag an, wo ich wegen der Rednerver-
mittlung fur die letzte Wahlkampfwoche noch einiges zu besprechen
hatte. Im Anschluss an dieses Telefongespraeh fuhr ich zum ange-
gebenen Zweck unmittelbar in den Reichstag, wo ich kurz vor halb-
sieben eintraf. Dort traf ich auch meinen Kollegen Ernst Torgler, der
als Leiter des offiziellen Wahlkomitees uaserer Partei an der Auf-
teilung der Abgeordneten auf die angesetzien Versamralungen betei-
ligt war. Ale etwa ein Viertel nach sieben meine Angelegenheiten
erledigt waren, bat mich mein Freund Ernst Torgler, doch noch ein
Weilchen zu bleiben, da er nur noch einen Telefonannif erwarte.
der bald kommen musse. Dann konnten wir doch zusammen
essen gehen. Da ich ea ubernommen halte, unterwegs noch eine
dringliche Postanweisung aufzugeben, Ue6fl ich Ernst Torgler bei
der Telefonzentrale des Reichstags anfragen, ob das Postamt im
Reichstag noch geoffnet 8ei. Er bekam zur Antwort, dass es seit
sieben Uhr geschlossen sei. Angchliessend erzfihlte ich ihm von den
dauornden Schwierigkeiten, die bei der Herausgabe von Wahlmate-
rialion aus dem Karl-Liebknecht-Haus gemacht wurden. Wir kamon
dann dahin uberein, dass Torgler offiziell als Leiter des Zentral-
Wnhlkomitees unserer Partei bei dem Leiter der politischen Abtci-
lung der Berliner Polizei, dem Oberregierungsrat Dr. Diehls, noch-
malfi anrufen solle, um bei ihm erneut gegen die ZurUckhaltung von
Wahlplakaten veschiedenster Art und anderer Wahlmaterialien zu
protestieren.
Es war etwa halb acht, als dieses Gesprach mil Dr. Diehls gefiihrt
wurde. Anschliessend liess ich mich selbst mit dem Assessor, der ale
rechte Hand von Dr. Diehle fur die Durchfuhrung der Freigabe ver-
antwortlich war, verbinden und besprach nun meinerseits mit dem
Assessor die Schwierigkeiten eowie die fur den nachsten Tag zu
eTledigenden Angelegenheiten, wozu ich mich bereits mit dem Kri-
minalkommissar erneut nach dem Karl-Liebknecht-Haus verabredet
hatte.
Nach diesen Telefon-Gesprachen mit dem Polizeiprasidium telefo-
Qlerte der Abgeordnete Ernst Torgler um etwa dreiv.ertel acht dann
QOCh mil ■ = ■' Rechtwinwalt Dr. Rosenfdd. Als dann das von
ihm seit sieben Uhr ervvartete Gesprach einee Parteifreundes immer
DOCh nicbt gakommen war, rial er den Pfortner von Portal j5 an und
teilte ihm mil falls ein Gesprach nach acht Uhr (nacb Schluse der
Telefoozentra.e) beim Partner einlaufen wiirde, solle man durch die
Hausleitung bei thm in. Fraktionssekretar.at anruien.
Irwwischen wurde noch von der Siidgarderobe angerufen ob Herr
STv ietzt fortgehe, Oder ob man ihm, wie ublich, d.e Garderobe
MSktS-Snmer br«»B» eolie. Er ersuchte, lhn> die Garderobe
ie'raSu^gen, w. gegen acht Uhr ge.chah. Urn diese Zeit wu.den
Sich die Sudgarderobe und das Portal 2 geschlossen.
Wenige Mimuen nacb acht kam dann endlicb das erwartete Oe-
onrach das nun beim Pfortner des Portal o, dem einugen noch
P St™ Leant! geffihrt werden musste. Zu diesem Zweck
6 e *' r A^geordnefe Torgler durch das Haustelefon herunWr-
L Z hat sich selbstverstaadlich, da er vom dritten Stock kam
u^d sei'nen Freuad nicht unnotig warten laesen wollte, sehr beeiit.
Nah w«ig«. Minulen kam En»t Torgley voa der Pfortaerloge
ZL dTrekt ins Fraktionszimmer zuriick. Kurze Ze.t darauf zogen
w uL dann an und verliessen, etwa acht einviertel Uhr geme.nsan.
mit der Fraktionssekretarin den Reichstag durch das Portal 5.
Entgegen den Behauptungen uber unser angeblich "^htartigM
VerfaTsen des Reicbstagsgebaudes ist festeustellen, dass wir zufall g
Sean diesem Abend so ouMMgewObnlich langum Wie aiemau
fe zuvor das Reichstagsgebaude verliessen. Die Frakt.onssekret^n
die diesmal gemeinsam mil uns herausging l.tt namlicta ™ Z » l *°
einer Venenentziindung am R-in. die sie bcsonders stark im Gehen
behinderte, sodass wir nur ganz langsam geben konnten.
In diesem sehr langsamen Schritt gingen wir bis sum Bahnhof Fried-
richsstrasse, wo uns die Sekretarin wrii«B, um "'* d .°% °f?° *"
faliren. Wir gingen unmittelbar, also elwa urn acht einhalb Uhr, m das
Aschinger-Restaurant am Friedrichstrassenbahnhof, wo wir zu Abend
gegessen haben. Dort trafen wir noch drei Parteifreunde, nut denen
wir uns noch einige Zeit unterhielten. Zwei dieser Parteifreunde
verliessen uns, nachdem sie gegessen hatten, etwa zwischen balb
und dreiviertel zehn. Um zehn Uhr war Kir d.e Kellner Sch.chtwech-
sel, so dass wir kurz vorher unsere Rechnung bezahlten.
Erst nach zebn Uhr kam dann der neue Kellner an unseren Tiecb
heran, sprach mich mit meinem Namen an und sagte: <Herr Koeneii.
wissen Sie scbon, der Reichstag breont.* Aufs hochste erstaunt, ant-
wortete ich: <Mensch, sind Sie verruckt? Das ist doch ganz un
moglich !> Er antwortet aufgeregt : <Nein, wirklich, alle Chauffeure
erzahlen es. Sie konnen sie ja vorne an der Tbeke fragen. Tausende
von Menschen stehen schon dort herum.J
So erfuhren wir von einem der ungeheuerlichsterj Verbrecben der
Wcltgeschichte.
gez. Wilbelm Koenen
Diese Erkliuung enthullt den vierten Widerspruch in den
amtlicben Meldungon.
85
Ernst Torgler hat sick selbst gestellt
In der Mitteilung des «Preussischen Pressed iensles* vom
1. Marz 193^ heisst es, dass Torgler sich nicht selbst gestellt habe,
sonde™ verhaftet wurde. Die nachfolgende eidesstattliche Ver-
sicherung des Reclitsan\vaUs Dr. Kurt Rosenfeld, der Torgler zum
Polizeiprasidium begleitete, beweist die Unwahrheil dieser Be-
hauplung:
Erdesfiieiftlirh e Versich&mng.
Hierduri'h versichere icb Folgendes an Eidesstatt:
Am Morgen nach dem Reiehstagsbrande rief mich Herr Ernst Torg-
ler telephoni.sch an und Fragte mich, ob ich bereit sei, ihn zum Po-
lizeiprasidium zu begleiten, wohin er gehen wolle, um die Beschul-
digungen zu entkraften. die im Zusammenhang mil dem Reichstags-
brand gegen ihn erhoben seien. Ich erklarte mich bereit und rieP
sofort im Polizeiprasidium an, urn niitzuteilen, dass ich zusamnuui
mit Torgler sofort hinkommen werde. Wenn ich mich recht erinuere,
sprach ich mit dem Kriminalrat Heller. Ich fuhr daun mit Herrn
Torgler zusainmen im Auto zum Polizeiprasidium und begab mich
zu Herrn Heller, dem ich sagte: hier ist Herr Torgler und ich bitte
ihn iiber die Beschuldiguagen zu vernehmen, nach denen er irgend-
wie am R«ichslagsbrande beteiligt sein soil. Die Nachricht, dass
Torgler freiwillig erschienen war, um sich vernehmen zu lassen,
fiihrte dazu, dass mehrere Polizeibeamte in daa Zimmer kamen, in
cm ich war und sagten: ^Torgler ist wirklich von selber gekorn-
men?>
Herr Heller ging dann mit Herrn Torgler in ein anderes Zimmer,
wahrend ich im Vorzimmer wartete. Nach langerer Zeit kam dann
Herr Torgler wieder aus dem Zimmer heraus, und wir warteten ge-
meinsam bis Herr Heller uns beide in ein anderee Zimmer rief und
in meinem Beisein Herrn Torgler fiir verhaftet eklarte.
gez. Kurt Rosenfeld
Aus dieser Erklarung des Dr. Rosenfeld geht eindeutig hervor,
dass Torgler sich freiwillig gestellt hat.
Dies ist der funfte Widerspruch.
Der «Preussische Pressedienst» vom 1. Marz 1933 meldet, der
Abgeordnete Torgler habe sich mit den Brandstiftern mehrere
Stunden im Reichstagsgebaude aufgehalten und sei auch mit an -
deren an der Brandstiftimg beteiligten Personen zusammen ge-
wesen. Wenn Torgler wirklich Mittater des Reichstagsbrandes
gewesen ware, hatte die primitivste Vernunft ihn abgehalten, sich
mit van der Lubbe offentlich zu zeigen.
Dies ist der sechste Widerspruch.
In der Meldung des amtlichen «Preussischen Pressedienstes*
vom 1 Marz heisst es, dass die Kommunistischen Reichstagsabge-
ordneten mil dem Reichstagsgebaude und der Dienstemteilung der
86
r aniten vertraut gewesen seien. Tats&chlich waren die Kommu-
Utischen Reichstagsabgeordneten mil dei Diensteinteilung der
r ichsla°sbeamlen nichl verlraul, sie batten keinen Sitz im
R^'chstaesprasidium und waren auch aus alien Kommissionen,
Yp sich mit der Verwaltung des Reichstags beschaftigten, ausge-
1 qllel Aiisserdem isl aber, wie wir nachfolgend noch aufzeigen
toerden die Diensteinteilung der Reichstagsbeamlen am Tage des
R '•lista c, sbrandes durch den nationalsozialistischen Hausinspek-
tnr"°eandert worden. sodass wohi der Reichstagsprasident Goring.
Tier nicht die Kommunistischen Abgeordneten von dieser Aende-
mnS Kenntnis haben konnten.
Dies ist der siebcnte Widerspruch.
Van der Lubbe ist kein Kommunist
In den Verlautbarungen des amtlichen Preussischen Presse-
dienstes vom 28. Februar heisst es, dass -van der Lubbe «sich als
Mitslied der Kommunistischen Partei Hollands bekannte* (Die
Rundfunk- Version, dass van der Lubbe ein Mitghedsbuch der
Kommunistischen Partei Hollands bei sich gehabt habe, hess man
noch in der Brandnachl fallen, weil sie zu unglaubhaft war.) Der
erste Journalist, der mit van der Lubbe nach dem Reichstags-
brand sprach, war der Berichterslatter des Amsterdamer Blattes
«De TelegraaR und dieser schrieb in seinem Blatte am 2. Marz •
cMarinua tftill mir mit, dass er schon lange Jahre nicht Mitglied ir-
gend einer Partei ist. Er ist kein Qberzeugter Kommunist*
Gegeniiber seinem Landsmann liilll van der Lubbe aus der
Rolle und sagt ausnahmsweise einmal die Wahrheit. Tatsachhch
ist Marinus van der Lubbe im April 1931 aus dem Kommu-
nistischen Jugendverband Leiden ausgeireten. um einem Aus
schluss zuvorzukommen.
Dies ist der achte Widerspruch.
Das Wolffsche Telegrafenbiiro meldel am 2. Marz 1933 aus
Amsterdam :
•-•Der Versuch der hollandischen Kommunisten. van der Lubbe abzu-
schiitteln. kann nicht gelingen. denn nach Auskunft im Haager Po-
lizeiprasidium ist Lubbe. der seine radikalen Ideen der in Holland
betriebenen vorsichtigen Parteitaktik nicht unterordneU wollte. von
der Parteiteitung keineswegs ausgeschlossen, sondern lediglich au8
der vordersten Front herausgenommen und kaltgestellt -worden*
Die amtlichen deutschen Stellen wollen demnach glauben
machen. dass ein von der holliindischen Kommunistischen Partei
kahsestellter* Kommunist (in Wirklicbkeit ist van der Lubbe
seil April 1931 nicht mehr Mitglied des Kommunistischen Jugend-
verhand.es Hollands gewesen") von der deutsehen Kommumsti-
87
schen Parte zu Terrorakten herangezogen wird. Wares es nichi
die Nationalsozialisten .die seit Jahren behaupict haben zwischen
den Koiiimunistischen Parteien, die alle mir Sektionen der Ko
munistischen Internaltonale seien, herrsche die engste Verbunden
heit? Wie remit sich mil dieser Uehauplung zusammen, dass em
kaltgestelltcr hollandischer kommunist von der deutschen kom
munistischen Fuhrung mil offencn Armen empfangen und mit
den vertrauhchsten Aufgaben betraut wird ?
Dies ist der neunte Widerspruch.
Van der Lubbe gegen die Kommunisten
In der gleichen Meldung des Wolffschen Telegrafenburos
heisst es weiter :
<Noch am 22. Dezember 1932 nahm Lubbe an einer Versammlung
streikender Taxichauffeure ira Haar? teil und hielt dabei eine laugere
kommunistische Ansprache. Diese Mitteilung der holliindischen Po
lizei ist ausserordeatHch wichtig fiir die Beurteilung des Reichstaga-
braades als eines organisierten kommunistechen Terrorattentats.>
In der Tat, die Teilnahme Lubbes an der Versammlung ist
ausserordentlich wichtig fur die Beurteilung des Rekhstagsbran-
des. Van der Lubbe hat in der Versammlung der Taxi-Chauf-
feure nicht nur keine kommunistische Ansprache gehalten, son-
dern die Kommunistische Partei Hollands, wie schon oft vorher,
angegriffen.
Teilnehmer der Versammlung haben das Auftreten van der
Lubbes wie folgt geschildert;
Haag, den 12. Marz.
Mit grossem Unwillen habe ich letzte Woche in der biirgerlichen
Prease eine falsche Nachricht gelesen, demzufolge die Polizei erklart
haben will, dass van der Lubbe am 22. Dez 1932 in einer Versamm-
lung von Cbauffeuren im Volksbaus im Haag eine kommunistische
Rede gehalten haben soil. Als Berichterstatter der cTribune> fiir den
Haag war ich in dieser Versammlung und habe dariiber berichtet. Da
die <Tribune» keinen Platz fiir vollstandige Versammlungsberichte hat,
ist dieser Bericht nicht erschienen. Glucklicherweise besitze ich ihn
aber noch und bin unabhiingig genug, den Lugnern der biirgerlichen
Blatter auf die Finger zu klopfen. Ich fordere hiermit die Behordeo
auf, den Bericht zu widerlegen, den ich im Folgenden wiedergebe, un-
terschrieben von Arbeitern der verechiedenen Richtungen.
cDieee Versammlung wurde vom Streikkomitee der Tax-ischauffeure
gemeinsam mil den syndikalistischen P. A. S. einberufen. Fur daa
Streikkomitee sprachen President Steenberger und Sekret&r
Kaptiz. Fiir den syndikalistischen P. A. S. Nieuwenbiu*.
Nachdem er gesprochen hatte faod eine offentliche Diskusaion sUtt.
88
Der Fememdrdor-Polizeipr&sident
Oberleulnant Heines, Polizeiprasidenl von Breslau,
SA-Obergruppenfiihrer.
Brand gesteckt hat.
Kin Mitwissei',"der zum Sohweigon gebracbt \vur<le
Dr. Ernsl Oberfohren, Vorsitzender der Deutschualionalcn
Reichslagsfraklion.
Dr. Oberfohren wurde an. 7. Mai 1888 m mm
Wohnung tot aufgehmden. Der amthehe Berichl
l,Vl uuptrto. .lass ir Selbstniord venibi babe. In
wSbkeit wurde Dr. Oberfohren. von , deji ito
Stigl, well er in eiato DenJachrift, die aucl
S Ausland gelaogle, die wahren Brandstiffcei
namentlieb bezeiclmet hat.
Genoese Vorduin benuUte die Gelegenheit namens der K v o h«h
verleidigte »e. Audere Personen, daiunter eiii SyndiL It ,™ ?
von ihreu, Standpunkt aus. Van der Lubbe nabn aS ' ^W
spracbe ted. D.eser cRedner, mussle sich m.hrfacb vom Prastdent^i
rucon lassen, da er nicht zur Sachft snranh \ n nn - r '^*aenten
2U kein Ank.ang an et.as ErnMes" g eL -enTe^E^
verlor er den Faden und wiederbohe i rtb . & sa g t ^JJJSS'
Die Organisationen haben auch bei diesem Streik wi«rii». „«™-™*
dass sie die Arbeiter tauschen. Die ChauffeuL^^^^
7 Monate, und Wir konnen ruhig sagen, das s der Streik Reached
1st, Die <Neue Gesverkschaft* hat sich beeilt, die Chauffeure Snte
ibrem Rucken an die Meister zu verkaufen, und in den letzten Taeen
fconnte cet Streik aurch die Organisation nicht mehr gehalten wer-
den, da sie anderenfalls einen Vertragbruch begangen hatte.
Die N. A. S. mil Houwman an der Spitze hat die Unzufriedenheit der
Chauffeure bcnutzt und hat den Chauffeureu alles versprochen Die
Chauffeure sind aufgewiegeit worden, eiue Akiion zu unternehnien,
und der Streik ist ausgerufen worden. Aber als die Organisationen
sahen, dass der Streik zu lange dauerle und dass die Streikkassen
zu viel verschlangen, verhandelten die Bonzea mit den dicken Ge-
haltern hinter dem Rucken der Chauffeure mit den Meistera. Es ist
fclai, dass die Arbeiter zum soiuidsovielsteu Male nicht verstanden
haben, selbst zu handeln. Wc-un es eineu Streik gibt, mussen alle
streiken. Indessen arbeiteten audere Taxis und auch die cGelbge-
streiftens gaben gelben Streikbrechern Arbeit. Sie mussten das mit
Gewalt verhindern. Es hat koine Einzelaktionen gege-
b e n. Der Streik in der Textilindustrie ist auch geseheitert, und alio
Slreiks werden scheitern. Die Zetten der Streiks ist vorbei, man
muss etwas anderes finden, aber das ist erst moglich, wenn alle Or-
ganisation zerschlagen sind, auch die syndikalistischen. Was hat Nieu-
wenhius Kir die Bauarbeiter getan? Nicbte und wieder nichts und jetzt
werden die Chauffeure von den Organisationen von reehta und links
betrogen. Sie bemiihen sich, ihre kleinen Vereiuigungen zu vergros-
sern. Auch die R.V.O. oder die kommunistische Partei (das ist das-
selbe) haben im Texlilarbeiterstreik eine betrugerische Politik be-
Jrieben und genau wie die anderen nichts getan. Der N.A.S. und
die <Neue Gewerkscbaft* machen auch nur eine reformistische Pol!
tik (Der President bittet beim Thema zu bleiben und sich kurz zu
fassen) Die Chauffeure mussen jeder fur sich bleiben und die Un-
terstutzung aller Organisationen und Parteien ablehnen Jeder
kampft fiir sein eigenes Intere-sse, man muss neue Kampfrormen
suchen, die Organisationen sind tiberlebt.
Nachdem er sich mehrfach wiederholt und Nieuwenhuis pereonlich
angegriffen hat, weise er sehliesslich nicht, wie er we. er reden
■cdl. wauf der President sag}, dass seine ^^[^^Li:
Ulld dass es SCbOD zu spat ist. In seiner Aalwort erktarte Niewren-
89
huis, dass er dieseni Redner nicht gut habe lolgen konnen, dass er
dux seke, dass er gegen alle Organisationen let.
in meiner Eigenachaft als Redakteur der iTribiine», glaube ich mei-
ne Pflieht erfiillt zu haben, werni ich die Lugen der PolLzei entlarve,
denn die Kouimunistische Partei ist ftir die Ma^eeaaktion und glecn-
zeitig (re^eii die Einzelaktion.
Gezeichnet: A. T e r o I.
Der Haag, Olienberg 4
Die Unterzeichneten erklaren, dass eie bei der offentlichen Ver-
samnilung zugegen waren, vod der der Bericht handelt, und dasa van
der Lubbe auf dieser Tagung gesprochen hat, wie es im Bericht
wiedergegeben ist.
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UnabhS.ii.igc Tetlnehmer der aauHeurvemmmlung erK-
hW 'T„ £ 1SJS2 ME?*. Polity WW 1-
4. Miv win. behaupV van der Lubbe W*T* bo M ,e deu s h
I okalans&eiger» vom 28. Februar heisst es, dass van der Lubbe
mit Hilie cines Dolnaetschers vernommen wcrden konnte.
Q Dies ist der elite Widerspruch.
In der gieicben Mitteilung des Letters der Politischen Polizei
wird sesagt :
<Van der Lubbe ist im ubrigen der Polizei ais kommunietischer Agi-
tator bekannt.. So wurde er am 28. April 1931 von der Polizei in Gro
nan iu Westfalen Festgenommen, Weil er dort Aneichtskarten kommu-
nistiscber Tendeuz verkaufte.>
In Wirklichkeit hal van der Lubbe in Gronau in WesUalcu
. in unsercm Buch wiedergegebene Ansichtspostkarte von sich
1 seinern Freund Holverda verkauft. Auf dieser Karte sind van
111 t bbe un d sein Freund abgebildet. Die Poslkarle tragi in vier
Qnrnrhen den Text: «Arbeiter-Sport- und Studienreise des
Erms van der Lubbe und H. Holverda durch Europa und die
SSnlon. kntritt der Reise von Leiden am 14 April 1931,
3 weiteres Wort, nicht da, genngste Merkmal, das auf kom-
mnnislische Agitation hinweisen wurde. Van der Lubbe wurde
Sens nur deshalb festgenommen, well er die Erlaubms zum
Strassenverkauf von Postkarten nicht besass.
Dies ist der zwolite Widerspruch.
Der Letter der politischen Polizei, Berlin, Oberregierungsrat
Diehls. teille weiter mil ;
% ., :*«. hoi«1 ps Ln der -leichen Mitteilung:
Einige Zcilen weitei heisst es w uei B
tPr (v d Lubbe) ist in weiten. Jmfange gestand.g.*
nicht namhafl gemacht ^ eil -«™ a ; n der Lubbe von der
Pressediensf hat nicht bebauptet, *"£J beim Anziinden des
Polizei oder von irgendeiner ande * e p n m £"u° hatte er nach der Mil-
Reichstags beobachtet worden sei- Demnac * . . t g sbrand stifvun*
teilung d D es Oberregierungsrats D^^dScIbe Herr Diehls.
gar nicht zugegeben. Andem **toW* upteUl
van der Lubbe sei in weitem Umian e ^
Dies ist der dreizehnte Widerspruch.
Lubbe war uio in der Sowjet-Union ^
Wir publizieven eine Meldung des ' *£* ^ L £ h e sei in
28. Februir abends, in der behauplet j»J erhalten D es
Moskau gewesen undhabe dort sei e^Aus d 5 d . e Sowjetumon
Ldung ist zu einer ausgedchnUm Hetze g b
benutzt worden.
Der <xLokal-Anzeiger» brachte sie in grosster Aufmactiung;
BeirHsfogsattentfitet
in Btftlanb auagefcUiiel
Die MtHfeUung bet fjottanbijdjen potijeL
2>iafjt&eric!jt unfttcs So rre[p on bcntcn.
js. Mmperiom, 28. Sc&iuar. SSJie bic | uotgcrufen, 6ie iiutif) bic SBtanbftiftuitg ira beut-
act'icrbomec ^Jolijei jaitteili, ift Scr [ Wjen ttcta-jstagsacoaubf. »" I— •'
•efiflenommene SleWt^lojiaaHstilS *"■
Meldung im «Lokal-Anzeiger* vom 38. Februar 3933
In Wirklichkeit hat die hollandische Polizei diese Meldung
im «Lokalanzeiger» vom 28. Februar 1933 niemals gemacht. Selbst
van der Lubbe hat niemals behauptet, dass er in der Sowjetunion
war. Van der Lubbe hat Sowjetboden nie betreten.
Dies ist der vierzehnte "VViderspruch.
Van der Lubbe hat Leiden zwischen dem 13. und 15. Februar
verlassen. Er verbrachte nach den Meldungen der «Vossischen
Zeitung» vom 2. Marz 1933 die Nacht vom 17. zum 18. Februar
in einer Herberge in Glindow bei Werder. Am achtzehnlen Fe-
bruar ging er zu Fuss nach Berlin weiter. In einem Interview,
das der Kriminalkommissar Heisig am 13. Marz der hollandischen
Presse gab, erklarte er, dass van der Lubbe auf Stempelstellen
Bekanntschaft mit Kommunisten gemacht habe und durch siein
den kommunistischen .Aktionsausschuss. gelangt sei. Van der
Lubbe ist friihestens am Sonnabend. dem 18. Februar abends, in
Berlin eingetroffen. Am nachfolgenden Sonntag, dem 19. feDruar,
waxen die Stempelstellen geschlossen. Er konnte also wenn djo
Behauptung der Polizei zutrafe. friihestens Montag, den 20. re-
bruar, auf einer Stempelstelle Bekanntschaft mil ^ omm . u "^|
geschlossen hal.en. Man stelle sich vox : Em gebrochen deutech
sprechender Hollander, der keinerlei Ausweispapiere der hollan-
dischen Kommunistischen Partei besitzt, macht am m Februar
auf einer Stempelstelle in Berlin Bekanntschaft mil IJ™^
sten, wird von ihneo mil der hochsten Leitung der Partei zusam
mengebracfat imd von ihr beauttragl. am 27. Februar den Rucns
lag anzuzunden!
Dies ist der funlzehnte vViderspruch.
92
Meldung des aiutlichen aPrcussisclien Pressedienstes*
I? S 1933 heisst es :
v0 n) l * M -i ia ftete hat den Verhandlungen des kommuiiiatischen Ak-
eDeX ^chusses stiiudig beigewohnt und durchgesetzt, dass er zu der
iJ^dsUftung zugezogen wurde.* ^
L-i-irle das Zentralkomitee der Kommunislischen Par-
• XcSanos — 3 " MSrZ im f ° lgendeS '•
t cl r-landlich haben nie Sitzungen irgendeines kommunistischen
<Selbs V we | lueBeB im Reichstag Oder andeTwarts stattgefunden, an
^ litl ° d'-r ini Reichstag verhaftete van der Lubbe teilgenommen hatte.
den f'\ exisiiert kein kommunistischer Aktionsausschuss, sondern nur
Erstena ,j. oiritee der Kommunistischen Partei Deutschlands und
d8S noliti'sches Biiro. Zweitens nehmen an Tagungen der Kommu-
•H \la Partei Oder irgendwelcher Korpersehaften der Kommum-
njsnscne ^ ^.^ irgendwelche Individuen teil, die weaei Mit-
fi der Kommunistischen Partei Deutschlands, noch irgendeiaer an-
Je'ren WW*" der Komintern sind.»
Diese Aniwort auf die Behauptungen Gorings enthullt den
sechzehnten "VViderspruch.
Die H Katakombeu" im Karl Liebkneclit-Haus
Eiue Mitteilung des amtlichen -Prcussischen Pressedienstes-
vom 28. Februar 1933 besagt :
«UDter den 100 Zentnern Zeraeteungsmaterial, die die , Pohzei be, der
Durchsuohung des Karl-LiebUnecht-Hauses entdeckt ** J^£«J
die Anweieung zur Durchfuhrung des kommunistischen Terro s
nach bolschewistischem Muster. Hiernach sollen Reperunpgebaude,
Museen. Schlosser und lebei.swichtige Betnebe in Brand ge steckt .WW-
den Es wild ferner die Anweisung gegeben, bei Unruhen und Zu-
sammenstossen vor den Terrorgruppen Frauen und Kinder her zu
schicken, nach Moglichkeit solche von Beamten der Polizei. ? Durch
die Auffindung dieses Materials ist die planmassige Durchfuhrung
der bolschwistischen Revolution gestort worden.J
Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Deutsch-
lands erklarte am 3. Marz 1933 :
<Die Kommunistische Partei Deutschlands hatte b .^eits am 30 Ja^
nuar 1933 alles auf ihre gegenwartige politische lat.gkeit bezugliche
Materia] aus dem Karl-Liebknecht-Haus entfernt und ihre gesamte
Burolatigkeit im Karl-Liebknecht-Haus eingestellt. Es ^yaren I e dig eh
in den Rilumen des Zentralkomitees wie der Bezirksleitung Ber in-
Brandenburg je ein bis zvei Personen zur Abwicklung una weuer-
leitung von Anfragcn, Besuehern usw. zuruckgelaseen.»
Der Reichslagsabgeordnetc W i 1 b. e I m K o e n i e n, der als
letzter luhrender Funktionar der Kommunistischen Partei in aen
93
Februartagen slandig ini Karl-Liebknm-hi 11 L .
uns fiber die Haussu&ungen in, SSS tt*' S"'
benchlel; IU(ll, ' lulus ">lgendes
cAm Vormitlag des 17. Febrnar <,(,-,™.
Krinnnalbeam.en, begleite von »etre?e n ,7 „ !Tf * teebot V0D
in das Haus und besetzte sSmtlthn dh Hundertschaftenn Schupo.
sorglich hatte man s l2l PoZ hta g ™ ndl,c, l? t durchsucht. Vor.
ge Schreibtische, zu Tent * ^ ' Su^f' *• ^
einandernabmen Auch die KolWrs?, 1 kunst & ere °nt aus-
In den Kellerraumer, lag n I S? "7, ■ g "T nn,er,U6M -
ma hien P n' e , g p , Und , dl ' e La * erbesla <^ der Buchhand.u, e Da
h elten d,e Pohzeikomnnssare sich noch fiir verpflichte auf
meme Aufforderung bin die al s bedenkiich beschlagaafaXn PapiS
jewe.ls vorzuze.gen uad ihre Beschlagnahmung auldriicklich festzu
s tellen Oder zu quittieren. Unter den be, dieser grundlichen • el.
blunder, daueruden Durchsuchung besehlaguahraten Schriften befanrt
s.ch wader das Bach <Die Kunet des bewaffneten Aufstandes, 7ocb
irgendeine aadere sogenannte Zersetzungsechrift. Davon war' auch
,n k e ". B ! r f" der PoIiz ei unmittelbar nacb der Durchsuchung
mcht d le Rede. Erst s.eben Tage spater, am 24. Februar, obwohl ich
last taglich zwecks Herausgabe von Wahlmaterialien mit Polizeikom
mmmxvam Karl-Liebknecbt-Hause geweaea war, behauptete das
Pohzeipras.dium plotzlich, dass bei einer neuerlichen Durchsuchung
in den angeblichen Katakomben Zersetzungsschriften und darunter
das Bach <Die Kunst des bewaffneten Aufstandes* gefunden worden
seien. Djeee angeblich neuerliche Durchsuchung fand, wenn iiberhaupt
so ohne leaerj zivilen Zeugen und ohne Anwesenheit eines Vertreters
der Beteihgten statt. Das ist umso kennzeichnender, ale ich »erade in
diesen Tagea fast taglich im Karl-Liebkaecht-Hause rait den Poli-
zeikommissaren \arhandelte, um Wahlmaterialien, Druckpapier Bi-
Miotheken und atmliches zu reklamieren und herausschaffen zu
lassen. Obgleich ich also taglich zur Verfugung stand, wurde ich
weder zugraogen, noch nachtriiglich von dem angeblichen Fund in
Keantais gesetzt. Eine solche Mitteilung an mich ware schon deshalb
leicht moglich gewesen, weil ich sogar nach dem 24.. namlich am
Sonnabend, den 25. ujid auch am Montag. den 27. wiederum mit Kri
m.nalbeamten und Kommissaren im Karl-Liebkneeht-Haus wegen
der Aaslieferung der reklamierten Sachen viele Stuuden ver-
handelte.
Am 25. Februar, nachde.n der Bericht fiber die Ganse. Gewolbe und
Katakomben bereife in auff.illender Aufmacbung in de r <grossen»
Presse ersohjen, stellte ich nach den Verhandlungen fiber die Walil-
materialauslieferung an den leitenden Kommissar die Frage wo
34
Sich denn nun eigeutlich die <Katakomben» befanden. Ee waren eiue
Anzahl Genossen, die als Hilfearbeitex mit der Verpackung uuseres
Wahlmaterials beschfiftigt waren. mit zugegen. Darauf zei^te un9
der Uitende Kommissar zu unscrer Ueberrasehung im Parterreraum
der als Wachstube benutzt wurde, eine etwas iiber einen Meter brei-
te Klaj>pe im Fussboden, die hochgestellt war, sodass man die in
den Keller fiihrende Trittleiter sehen konnte. Sofort rief ein Geno&se
der als langjahriger Hilfsarbeiter im Hause genau Beseheid wusste!
Mensch, jetzt haben sie die Klappe zu unserem alten Bierkel-
ler!» Wir bracken in scballeudes Gelachter aus und fragten dann wte
aus einem Munde nochmals ausdrueklich; <Das sollen die <Katakom-
beu> sein?^ Der Kriniinalkommissar antwortete nur mit einem ver-
legenen Kopfnicken.
Friiher befand sieh in diesem Hause an der bet-reffenden Stelle
-\virklich eine Gastwirtechaft. Ebenso einfach ist die Erklarung fur
die Gange, dureh die man angeblicb nach anderen Strassen uatte ent-
fliehen konnen. Das Karl-Liebknechi-Haus ist ein Eckhaus, das als
Burohaus fur gewerblicbe Unternehmungen Lager- und Arbeitskeller
besase, die von Gorings Polizei als Gewolbe, Gange und Katakombeu
bezeirhnet \vuvden.»
Diese beiden Erklarungen decken den siebzehnten Wider-
spruch in den amtlichen Meldungen auf.
„Fanal zum Biirgcrkrieg"
Der amlliche «Preussische Presscdienst» vom 28. Februar
1933 behauptet :
•i . , . sollte der Brand des Reichstages das Fanal zum blutigeu A.uf-
ruhr und zum Burgerkrieg sein. Sctaon fiir Dienstag Fruh waren in
Berlin grosse Pliinderungen festgesetzt, Ee steht fest. dass mit dem
heutigen Tage in ganz Deutschland die Terrorakte gegen einzelne
Personlichkeiten. gegen das Privateigentum, gegen Leib und Leben
der friedlichen Bevolkerung beginnen und den allgemeinen Burger-
krieg en tf ess ein sollten.s
Die «Vossische Zeitung» vom 4. Marz 1933 meldete :
Die Arbeit der Polizei hat bisher verhindert, dass daa Material al-
ien Kommunisten zuganglich gemacht werden konnte. Es hat sicb nur
in den Handen einiger weniger Fuuktionare in Geheimschrift befun-
den.>
Die letzte Durchsuchung des Karl-Liebknecht-Hauses fand
am 24. Februar statt. Bei dieser Durchsuchung soil angcblich das
Terrormaterial gefunden worden sein. Die politische Polizei be-
hauptet, dass die Terroranweisungen nicht in die Hande aller
Kommunisten ^elangt, sondern nur einigen Funktionaren bekannt
95
gewesen seien. In dem Zeitraum von drei Tagen vom 24 bis ?7
Februar, hatte demnach die Kommunisiische Parlei Deulschlands
erstens das Material aus dein Karl-Liebknecht-Haus in alle
Bezirke Deulschlands sclialien miissen,
zweilens halte sie in dieser Zeil die zur Ausfiihrung des Ter-
rors besliimiilen Gruppen zusammenstellen naussen,
drittens hatte sie diese Gruppen fur die Durchf uhruna der
Terrorakte instrmeren und schulen rmissen, und §
viertens hatte sie die ubrigen Mitglieder fur den durch die
Terrorakte entfesseiten Burgerkrieg vorbereilen und oreanisierS
mussen Die Kommunisiische Parfei Deulschlands hateimFe-
wT/n^S I 00 ' 00 ? n 1181 '^ ft *** ganz D ^schland vmeut
SE It S In ?r rialL rf l drC1 Tagen alle Pmne durchzuiuhren,
die ihr die am lichen Meldungcn untcrstellen, hatle die Kommu-
nisiische Parlei Deulschlands Wunder verrichten miissen.
In der Gegeniiberstellung der beiden amtlichen Behauptungeu
enthullt sich der achlzehnte Widerspruch.
Goring veroffeutlicht das „Bclastungsiaaterial" nicht
Der amtliche «Preussische PressediensU brachte am 1 Marz
abends folgende Mitteilung :
<Das Preussische Ministeriuin des Innern erklaxt zu der Notverord-
-nuDg der Reicksregierung gegen die kommunistische Gefahr vom 28.
Februar, dass in ihr verschiedene Verbrechen uuter besondeiB
scnwere Strafen gestelll seien, aus Grunden einer voll erwiesenen
grossen und akuten Gefahr und eines uumenschlichen und eorgfal-
tig vorbereiteten Systems masslosen kommunistischen Terrors.
Deutschland sollte in das Chaos des Bolschewismus gesturzt werden.
Mordanschlage gegen einzelne Fuhrer des Volkes und Staates, Atten-
tate gegen lebenswichtige Betriebe und offentlicbe Personen. das
Abfangen von Geiseln, von Frauen und Kindern hervorragender
Manner sollen Furcht und Entsetzen iiber das Volk bringen und jeden
Wideretandewillen des Burgertums lahmen.
Der Kommissar des Reichs ftir das preussische Ministerium des In-
nern, Reichsm mister Goering, wird in allerkiirzester Friat
der Oeffentlichkeit die Dokumente vorlegen, die die Notwendigkeit
aller getroffenen Massnahmen belegen. Es findet lediglich noch eine
Sichtung des iiberaus umfangreichen Materials statt, sowie eine letzte
Priifung ira Hinblick darauf, dass durch die Veroffentlichung die
Staatssicherheit nicht noch mehr gefahrdet werden darf.}
Die Dokumente sind bis zum heutigen Tage nicht veroffent-
licht worden.
Dies ist der achtzehnte Widerspruch.
96
Goring dementiert sicli selbst
da gewissen Blattern des Auslandes wird von deutacher marxisti-
Bfiher Seite die verleumderwche Behauptung verbreitet da«s der
Brand an Reichstagagebaude nicht von KomnuuWen, TontnTon na-
t.onalsozialistigcher Seite gelegt worden sei. Die Urheber dieser Ver
leunidung sind bereits reatgenommen und werden, sobald die Ermitt"
lungen abgeechlossen sind, der verwirkten Strafe zugefuhrt werden
a. a. wird behauptet, dass der verhaftete holliindische KommunUt io
Wirkliehkeit ein agent provocateur und von fiihrender nationalso-
zialistischer Seite zu der BrandstifUmg verleitet worden sei. Dies
gehe daraus hervor, dass der Brandstifter zwar eeine Jacke und sein
Hemd als Brennmaterial verwandt, aber sich nicht einmal der bei
ihm vorgefundenen kommunistischen Ausweispapiere und seines Rei-
sepasees eutledigt habe. Bezeichneud sei feraer, dass die Polizeibe-
horden die Photographic des Brandstffters und die bei ihm sicherge-
stellten Dokuraente nicht veroffentlicht und auch keine Belohnung
fur Personen ausgesetzt batten, die niihere Angaben iiber den Atten-
tiiter machen und seine Verbindung rait kommunistischen und -<o-
zialdemokratkchen Politikern nachweisen kGnnen. Dieses bei einem
grossen Kriminalfall ganz uugewohnliche Verfabren sei ein Beweis
dafur, dass die Behorden die Aufkliirung des Verbrechens hintcr-
treiben, ujii einen aationalsozialiatischen Provokationsakt zum Vor-
wand der aniimarxistischen Aktion mifisbrauchcn zu konnen.
Hierzu wird vou amtlicher Seite erklart, dass diese verleumderischen
Kombinationen selbstredend jeder Grundlage entbehren. Die Ptaoto-
graphien des Attentates und der bei ihm beachlagnahmten Doku-
roente wurden bisher Iediglich im Interesee der Untersuchung noch
nicht veroffentlicht. Die Veroffentlichung wird noch im Laufe des
beutigen Tages erfolgen. Auch die Berliner Korrespondenten der aus-
landfsvbeti Presse konnen noch im Laufe des heutigeo Tages die pho-
rographischen Reproduktionen bei der Abteilung IA des PolizeiprS-
sidium? erhalten. Ebenso wird das Photo noch heute der holl&ndi-
si-hen Polizei zugeleitet werden, urn die Identitat des Attentates mit
der Person van der Lubbe aucb in Holland festzustellen. Damit wird
we.teren Verleumdungen der Boden entzoger sein. Vor ihrer Ver-
brcitung wird nachdriicklich gewarnt.*
Noch ehe die iibrigen deutschen Blatter diese Meldung pu-
blizieren konnten. wurde ihr Nachdruck verboten.
Goring Hess durch das Wolffsche Buro verbreiten. dass die
Deutsche Allgemeine Zeitung* und die «Tagliche Rundschau*
uier komrnunistischen Falschung zum Opfer gefallen seien.
97
Goring will demnach glauben niachen, dass jeder beliebige
Mensch eine Zeitung nur anzurufen brauche und sagen iniisse-
«Hier Preussischer PrcssediensU, una jede beliebige Nachricht
zu lanzieren. In Wirklichkeit isl der Telefonverkehr zwischen den
Presseagenturen und den Zeitungen genauestens geregelt. Die
Redaktionsslenotypistin stellt, bevor sie die Meldung aufnimml
erst eine Kontrollfrage. Das Dementi Gorings kann uber die
Tatsache nicht hinwegtausclien, dass er ursprunglich mil der Mel-
dung des Preussischen Pressedienstes die Welt bluffen wollte und
erst, als er — zu spat allerdings — die grosse Gefahr erkannte die
Meldung zuriickhielt.
Dies ist der zwanzigste Widerspruch.
Auf der Jagd nack Mitschuldigen
Der Conti-Dienst des amtlichen Wolffschen Telegrafenbiiros
teilte am 4. Marz 1933 mil :
c . . dass der kommunistische Reichstagsabgeorduete Schumann in
einer am 24. Februar in Gehren (Thiiringen) abgehaltenen komnju-
nistiachen Wahlversammlung den Brand des Reichstagsgebaudes be-
reils angekihidigt habe. Schumann soil wortlich gesagt haben: <Heute
abend wird der Reichstag brennen. Aber das macht nichts. Wenn
dieeer Tanzsaal niederbrennt, dann kriegen wir einen Schaukelboden.>
Die «Vossische Zeitung» berichtet am 5. Marz 1933 :
cAus Thiiringen war die Nachricht verbreitet und aucb durcb Rund-
funk weiter gegeben worden, dass dem Kreisamt in Arnstadt in Thu-
ringen ein Bericht tiber eine am Abeud der rachlosen Brandstif-
tung im deutschen Reichstagsgebaude in dem Stadtchen Gehren ab-
gehaltene kommunistische Wahlversammlung vorliege, in welch em
der iiberwacnentfe firlliche Pchzeibearate eine Aeusserung dea Rcfr-
renten, dea kommunistischen Reichstagsabgeordneten Schumann, fest-
gehalten habe, in der der Reiehstagshrand im voraus angekiindigt
sei. Bei den eingeleiteten Ermittlungen hat sich inzwischen, wie die
<Thtiringer Allgemeine Zeitung* naitteilt, herausgestellt, ddss si-Jh : n
der Gastwiitschaft, in der jene Versammlung stattfand, eine Radio
anlage befindet, und daes dex Gastwirt dem Redner wahrend seiner
Ausfuhmngen auf Grund der Rundfunkmeldung hat sagen lasson,
dass der Reichstag brennt.
Es steht fest, daes der betreffende Beamte sich in seinem Bericht um
eine Stuade geirrt hat, und daes der Abgeordnete Schumann seine
Aeusserung erst gegen 10 Uhr 15 abends gemacht hal, Daher 9ei mit
Bestimmtheit anzunehmen, dass er von der Rundfunkmeldung bereite
Kenntnis erhalten hatte.>
Dies ist der einundzwanzigste Widerspruch.
98
Die «Vossische Zeitung* vom 7. Marz 1933 meldet auf Grund
polizeilicher Informationen :
<Duren, 6. 3. — In dem deutechen Grenzort Laramerdorf, unweit der
belgischen Grenze, wurde gestern abend ein ruseischer Emigrant feet-
genommen, der im Verdaeht steht, an der Brandstiftung im Reichs-
tagsgebaude beteiligt gewesen zu sein, Er hatte kurz vorher von einem
belgischen Postamt aus ein Telegramm nach Paris weitergegeben,
deseen Inhalt bis jetzt nicht in Erfahrung gebracht werden konnte.
Als er von belgischen Grenzbeamten nach Deutscllland abgeschoben
worden war, erfolgle diesseits der Grenze eeine Verhaitung. Bei sei-
ner Vernehmung gab er an, aus Russland zu stammon und eich lan-
gere Zeit in Berlin aufgehalten zu haben. An Armen und Beinen
hatte er erhebliche Brandwunden, Der mysteriose Fremde wurde heute
im Lauie des Tages der Staatsanwaltschaft ubergeben, Er weigert
eich nach "wie vor hartnackig, naheres iiber seine Tatigkeit in der
Reichshauptstadt aoszusagen. Auch seinen Namen hat er bisher nicht
angegeben.2
Am 8. Marz 1933 gibt die «Vossische Zeitung* eine Mittei-
lung des Regierungsprasidenten von Aachen wieder :
Der Regieningsprasident von Aachen teilt mit, dass der bei Frings-
haus festgenommene russische Staatsangehorige als Reichstagsbxand-
stifter, wie die Ennittlungen ergeben haben, nicht in Frage kommt.
Der Betreffende hat sich zwar in der KPD schriftstellerisch betatigt
Aus diesem Grande ist er vor einem Jahr ausgewiesen worden.^ Wei-
teres liegt jedorh gegen ihn nicht vor. Die Ausweisung ist inzwi-
scrrwi diirchgefuhrt worden.>
Dies ist der zweiundzwanzigste Widerspruch.
Hat van der Lnbbe den Brand allein gelegt?
Die HiUerregierung hatte Anfang Marz den Kriminalkom-
missar Heisig nach Leiden geschickt, damit er dort Untersu-
chungen iiber die Person van der Lubbes anstelle. Knmi-
nalkommissar Heisig gab Vertretern der hollandischen Pjesse e in
Interview, das am 14. Marz in yielen Zeilungen veroffenthcht
wurde und in dem es wortlich heisst :
<Was die wichtige Frage betrifrt, ob Lubbe Helfershelfer oder gar
Mittater gehabt hat, so ist e* wabrscheinlich, dass er das Feuer al-
lein gelegt hat, dass aber die vorbereitenden Massregeln von ttei-
fershelfern durchgefOhrt worden sind!>
Die«e Erklarung des Kriminalkommissars Heisig steht in
schroffem Widerspruch zu den amtlichen Behauptungen vom i.
Marz, dass die gleichzeitige Entziindung der Brand be^n dem
riesigen Hause mindestens 10 Personen erforder haben .muss.
Der Untersuchungsrichter, Reichsgerichtsrat Vogt, beeilt sich des-
99
halb, am 14. Mftrz abends die Erkl&rung des Kriminalkommissars
Heisie durch die Justizpressestelle dementieren zu lassen:
<In versehiedenen Zeitungen wird die Nacbricht verbreitet, dass van
d»r Lubbe das Feuer iui Reichstag ullein augeziindet hat. Das trifft
nicht zu. Die Ermittlungen des Untersuchungsrichters beim Reiehs-
gericht haben zuverlassige Anhaltspunkte daflir ergeben, dass van
der Lubbe die Tat nicht aus eigenem Antrieb begangen hat. Zur Zeit
komien Einzelheiten im Interesee der Untersuchung nicht mitgeteik
werden„»
Dies ist der dreiundzwanzigste Widerspruch.
Lubbes „Beziehungen" zur Sozialdcmokratie
Der aratliche «Preussische PressediensU voiu 28. Februai
teilte mil, dass van der Lubbe in seinem Gestandnis Beziehungen
zur Sozialdemokratischen Partei eingestanden babe. Der Partei-
■vorstand der Sozialdemokratischen Partei gab am 28. Februar
eine Erklarung ab, in der es heisst :
cln der Nacht vom 27. zum 28. Februar wurde die gesamte sozialde-
raokratische Presee in Preussen auf 14 Tage verboten. Das Verbot
wird mit der Behauptung begriindet, ein verhafteter Mann habe ge-
standen, den Brand im Reichstagsgcbaude gelegt und zuvor in einer
gewissen Verbindung mit der Sozialdemokratischen Partet gestandeu
zu haben.
Die Annahme, die Sozialdemokratische Partei hatte irgendwie mit
Leuten zu tun, die den Roichstag in Brand steckten, wird von der
Partei zuxiickgewiesen.*
Diese Erklarung des sozialdemokratischen Parteivorslandes
wurde durch die Mitteilung des Untersuchungsrichters am Reichs-
gericht, Vogt, bestatigt. Diese Mitteilung wurde am 22. Marz 1933
veroffentlicht :
<Die bisberigen Ermittlungen haben ergeben, dass der als Brandstif-
ter des Reichstagsgebaudes verhaftete hollandische Kommunist van
der Lubbe in der Zeit unmittelbar vor dem Brande nicht nur nut
deutschen Kommunisten in Verbindung gestanden hat, aondern auch
mit auslandischen Kommunisten, darunter soichen, die wegen des
Attentats in der Kathedrale von Sofia im Jahre 1925 zum Tode bet*,
in schweren Zuchthausstrafen verurteilt worden sind. Die in Frage
Iforomenden Personen befinden sich in Haft. Daflir, dass nichtkommu-
niBtiscbe Krcise mit dem Reichstagsbrand in Beziehung stehen, ha-
ben rlip Ermittlungen nicht den geringsten Anhalt ergeben.*
Am 27 Februar soil van der Lubbe Beziehungen zu den So-
zialdernokraien zugegeben haben, am 22. Marz gab es fur diesi
Behauptung nicht den geringsten Anhaltspunkt.
Dies ist der vierundzwanzigste Widerspruch.
100
Vaii der Lubbe und die Bulgaren
In der zitierten Mitteilung des Reichsgerichtsrats Vogt wird
Lehauplet dass van der Lubbe in Verbindung geslanden habt
mil den Atleniatorn auf die Sofioter Kathedrale
die er — auf der sAp^enS^ SfUZSK
Kreisen der Kommunistischen Partci Deutschlands in Verbindun-
zu kommen Es ist thin aucb gelungen, in dieser Zeit die Bul-
garen zu linden, von denen behauptet wird, sie batten das
Attentat auf die Kathedrale von Sofia verubl.
Dies ist der fiinfundzwanzigste Widersprucb.
Die verhafteten und der Mittaterschaft am Reichstagsbrand
beschuldigten Bulgaren heissen: DIMITROFF, POPOFF unci
TANEFF.
Georg Dimitroff war einer der Fuhrer der Kommuni-
stischen Partei Bulgariens. Er hat im Jabre 1923 am Auf-
stand der bulgarischen Arbeiterschaft teilgenoinmen. Seit 1923
hat er Bulgarien nicht mehr betreten. Er war am Attentat auf
die Kathedrale von Sofia in keiner Weise beteiligt.
Blagoi Popoff emigrierte im Oktober 1924 nach Jugoslawien
und ist erst Ende 1930 nach Bulgarien zuriickgekehrt. Auch er
war am Sofioter Bombenallenlal 1925 nicht beteiligt.
Der dritte verhaftete Bulgare. Taneff, gehort der nationalisti-
schen Partei Bulgariens an. Auch sein Name wurde im Zusam-
menhang mit dem Attentat von Sofia nie gfcnannt.
Dem Untersuchungsrichter am Reichsgericht Vogt sind diese
Tatsachen ebenso bekannt wie uns. Trotzdem stellt er Dimitroff,
Popoff und Taneff bewusst als die Mitschuldigen des Attentats
von Sofia hin, um auf diese Weise die Reichslagsbrandstiftung
als Internationales kommun istisches Komplott erscheinen zu
lassen.
Dies ist der sechsundzwanzigste Widersprucb.
Der Untersuchungsrichter hat behauptet. Dimitroff sei mit
van der Lubbe am 20. Februar um 3 Uhr nachmittags in einem
Lokal in der Dusseldorferstrasse gesehen worden. Der Unter-
suchungsrichter stellte auch eine Zeugin bereit, die bescbwor, an
diesem Tage Lubbe mit Dimitroff gesehen zu haben. Die Zeugm
verschwand nach kurzer Zeit wieder in der Versenkung. Derm
Dimitroff konnte nachweisen, dass er am 26. Februar gar nicht
in Berlin, sondern in Munchen gewesen sei.
Dies ist der siebenundzwangzigste Widersprucb.
101
Keiii Material fiLr einen grossen Koiumunistenprozess
Nachdem Reichsgerichtsrat Vogt noch am 27. Marz erklart
hatte, dass ein strafrechtlicher Haftbefehl bisher lediglich gegen
van der Lubbe ergangen sei, lasst er am 3. April mitteilen, dass
insgesamt funf richterliche Haftbefehle wegen der Reichstags-
brandstiftung, und zwar gegen van der Lubbe, gegen drei bulga-
rische Kommunisten und gegen den kommunistischen Reichstags-
abgeordneten Torgler vorliegen. Torgler wurde am 28. Februar
verhaftet, die Bulgaren am 3. Marz. Bis zum 27. Marz, also in der
Zeit, wo die wichtigsten und hauptsachlichsten Untersuchungen
gefuhrt wurden, lag kein Haftbefehl gegen Torgler und die Bul-
garen vor. Die Haftbefehle wurden erst erlassen, als es in der
Weltpresse Aufsehen erregte, dass nur gegen van der Lubbe straf-
rechtlicher Haftbefehl ergangen sei.
Dies ist der achtundzwanzigste Widerspruch.
In der Mitteilung vom 3. April des Reichsgerichtsrats Vogt
wird gesagt :
<Gegen eimge weitere Verdfichtige bestebeo vorlaufig lediglich
SchutzhaftbereMe.>
Am 2. Juni wird amtlich mitgeteilt :
c . . . das* die. Voruntersuchung des Reichsgerichtsrate Vogt gcgeu
dia angoschuldigten van der Lubbe, Torgler, Dimitroff, Popoff ua-i
Tunoff wegen der Inbrandsetzung des Reichstages und wegen Hoch-
verrats am 1 Juni abgeschlossen wurde. Die Akten sind dem Ober-
reicbsanwal' ll Leipzig nunmehr vollstandig zugeeandt worden.*
Am 3. April gab es noch «einige weitere Verdachiige*. Am
1. Juni sind sie nicht mehr vorhanden.
Dies ist der neunundzwanzigste Widerspruch.
Am 22. April lasst Reichsgerichtsrat Vogt folgende amtliche
Meldung uber den Fortgang der Untersuchung verbreiten:
<Oa8 Reichsgericht beabsichtigt, die Untersuchung in den zahlreichen
schwebenden Hoenverratsverfahren gegen Mltglieder der Kommuni-
stischen Fartei zu einem grossen einheltlichen Komplex zusammen-
zufassen. Man recbnet damit, dass die Untersuchungen in 8—10 Wo-
cben zum Abschluss gelangt sind, sodase dann die gesamten Hochver-
ratsverfabren vorr. Reichsgericht behandelt werden kSnnen. In Frage
kommen sSmtlkbe Hochverratsverfahrea, die in Zusammenhang mit
dem Regieruugsweehsel in Deutschland stehen, also alle Verbrechen
aus dem Zeilravm Januar und Februar.
Danacb wurde auch das Verfahren wegen der Relchstagsbrandetif-
tuna einbezogen werden. Es ist bisher deshalb nicht sehr rasch voran
gegangen, weil die Beteiligten, vor allem die verhafteten Buigareo
102
jegliche Aussage verweigern. Die Verdachtsinomente fur &ine Be-
teiligung des Reichstagsabgeordneten Torgler habea sich verstarkt.s
Einen Monat spater, am 25. Mai ist von dem grossen Kom-
munislenprozess keine Rede mehr. Die Hitlerregierung ist ge-
zwungen, durch ein parlanaenlarisches Nachrichtenburo die Nach-
richt verbreiten zu lassen, dass
<im Uebrigeu uicht dautit zu reclmen sei, wie gelegentlich behaupU>t
vurde, dass der Prozess wegen der Reichatagsbrandstiftung mit an
dcren gegen die koramunlstischen Ftihrer angangigen Verfahren zu
einem grossen Kommunistenprozess verbunden werde. Die tiaunt-
verhaudlung gegen van der Lubbe and seine Mithetfer wird vielmeiir
vou dem Keichsgericht durchgeiuhrt warden, sobald aie nStigen Vor-
arbeiteo abgeschlossen sind.
Dies ist der dreissigste Widerspruch.
Der «V61kische Beobachter», das offizielle Organ Hitlers,
brachte am 3. Marz folgende Mitteilung aus Regierungskreisen:
<Der Presseleiter der nationalsozialietischen Reichstagsfraktion
entdeckte iiber dem Zimmer des kommunietischen Abgeordn-3ten
Toigler im Glasdach eine herausgenommene Seheibe und naen wei-
teiem Suchen daruber eine grosse Leiter, die unter dem Fenster
aines kommunistischen Abgeordnetenzimmere im z-weiten Oberge-
schoss lag.
Die Kriminalkommissare stellten sofort eine eingehende Unter3U-
chung an- Hier also mussen die Brandatifter vor der Tat heruM&r-
gekoramen oder naeh der Tat hinausgestlegen sein>.
Am 1. Marz hatte Goring behauptet, die Brandstifter seien
durch den unterirdischen Gang, der vom Reich stagsgebaude zu
Gorings Hause fiihrte, entkommen. Mit dieser Erklarung bestatigt
er, was viele vermuteten: dass die Reichstagsbrandstifter durch
sein Haus in den Reichstag eingedrungen und durch sein Haus
entkommen seien. Um den niederschmetternden Emdruck, den
Gorings Mitteilung machte, abzuschvvachen, schickte man den
Presseleiter der Nationalsozialistischen Fraktion vor, der plotz-
lich eine zerschlagene Fensterscheibe und eine Leiter entdeckte.
Die Kriminalpolizei hatte demnach trotz dreitagigem grundlicnem
Suchen iibersehen, was des Reichspresseleiters scharfes Auge so-
fort entdeckte.
Dies ist der einunddreissigste Widerspruch.
Van der Lubbe gesteht, was verlangt wird
Dr. Oberfohren schildert in seiner Denkschrift, dass Goebbels
Plan darin bestand, eine Scrie von Brandst.it ungen zu ^ntfachen,
die durch den Reichstagsbrand gekront ^verden ^sollten. Zj ^ Brand-
stiftungen braucht man Brandstifter. Van der Lubbe gesteht, das,
103
er den Reichstag angezundel hat. Van dor Lutobe gesteht, dass er
am 25. Februar das Berliner Schloss anzuziinden versuchte. Die
Blatter nielden am 27. Februar liber den Schlossbrand:
<Wie erst jetz.t bekannt wird, iet am Sounabend iui Berliner ScUIohs
in einem Buroraum im fUnften Stock ein geringfugigea Feuer ausgo-
biocben, das durch die Aulmerksanikeit einee itn Schlosa slalionier-
ten Feuerwehrmannes echnell gelSacht werden konnte. Die Eatste-
hungsursache 1st noch nieht vSllig geklart. Man vermutet jedoch
eine Brandfltinuug.
Bine Stunde vor dem Entstehen des Feuers hatte der Hausmeiater
seinen Rundgang durch das Schloes angetreten und war auch durch
das Biiro gekommen. Zu jeaer Zeit war noch nichts Verdacbtiges
zu bemerken. Bald danach brannte es im Zinnner. Wie sich heraus-
stellte lag auf dem Fensterbrett ein giiihender Kohlenaazunder,
ebenso unter dem Fenster wie auch auf der Dampfheizung. Die
polizeiliche Untersuchung 1st noch nicht abgeschlossen.>
Van der Lubbe gesteht, am 25. Februar den Versuch geroacht
zu haben, im Wohlfahrtsamt Neukolln Feuer anzulegen. Van der
Lubbe gesteht, am 25. Februar den Versuch gemacht zu haben,
im Berliner Rathaus Feuer anzulegen.
Dieser van der Lubbe ist ein wahrer Teufelskerl. An einem
Tag an drei verschiedenen Orten Berlins Feuer legen! Dazu
spricht der Mann gebrochen deutsch. Er ist erst am 18. Februar 1933
in Berlin cingetroffen. Nach sieben Tagen besass er bereits ge-
nueend Ortskenntnis, urn im Schloss, im Rathaus und im Wohl-
fahrtsamt Feuer anzulegen. Neun Tage brauchte er nur. urn sicli
fiber das Reichslagsgebaude so zu informieren, dass er dort etn
und aus gine wie zu Hause. ,
Van der Lubbe soil als waschechter Communist, gelten. Zum
,Kommunisten, gehort nach der Vorstellung des Dr. Gobbels ^in
falscher Pass. Infolgedessen muss van der ^ JJ^ 11 ^
Namen im Pass eine Aenderung anbnngen. Er macht aus dem «U>
ein «u». So wird mit zwei Strichen aus einem echten Pass em
«gefalschter». . _ _
Van der Lubbe nfcnmt bereitwilligst «ko«st>sche F^g-
bl&ller. mit in den Reichstag Noch memals ist em Verbjedier
so koraplett ausgerfistet mit «Ausweispapieren. dei Poumi em
gegengetreten.
Ein Gesprach mit Torgler am Vorabend
aes neibiufw Vorsitzender der Kommunistischen
Ernst Torgler hatte ™\V°™™™ Zeitunf , e n und Journa-
Reichstagsfraktion vielfach An agen ^ e ^| elconferenz der
listen zu beanhvorten. ki nai
104
4»
• »
i»
H
H
4
4
-
Das Hauptgeselioss des Reiclistagsgebaudos in. Grundriss
la der Mitlr der Silnuiigssual mil den ffmgehungs-
giln^eii hikI der Wandellialle. ffier waren die
bauptsaohliohsteii Bwndherde angelegt.
r
SI17.I NliSSAAl.
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Aufriss des ReichstaffSffebSiudes
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Aii tier init cSitzungssaaI» bezeichneten Slelle
rinal der uaterirdiscbe Gang, der zu Garings
Ifaus I'iihrt.
Kommunistischen Reichstagsfraktion am 24. Februar den anwe-
senden Journalisten erklart, dass die Komtuunisten Nachrichten
uber eine geplante Provokation der Nazis besassen. Er berichtete
damals, dass unter anderem dariiber gesprochen wiirde, ein At-
tentat gegen Hitler vorzutauschen. Die gesamte Auslandspresse
und ein Teil der deutschen Presse hat diese Mitteilungen Torg-
lers in grosser Aufmachung wiedergegeben. Kurze Zeit nach dieser
Pressekonferenz ersuchte der Parlamentsberichterstatter der *Vos-
sischen Zeitung», Adolf Philippsborn, den Abgeordneten Torgler
um eine Zusammenkunft, in der uber die geheimen Urntriebe und
Plane der Nationalsozialisten gesprochen werden sollte. Adolf
Philippsborn hat dieses letzte Interview mit Torgler im «Gegen-
angriff» vorn 1. Juli 1933 geschildert:
<Als Parlamentsjournalist hatte ich aeit Jahren Ftihlung mit den
Abgeordneten aller Parteien im deutschen Reichstag. Ein Zufall
wollte es, dass ich am 26. Februar d. J. im Cafe Friediger am Pots-
damer Platz in Berlin eine Zuaammenkunft mit Torgler hatte, vier-
undzwunzig Stunden vor dem Reichstagabrand.
Torgler erschien mit seinem elfjahrigen Tochterchen. Ich legte ibm,
ate dem Fuhrer seiner Fraktion, Material vor Uber die Urntriebe und
geheimen Plane der Nationalsozialisten. Im Anschluss daxan un-
terhielten wir uns etwa zwei Srunden iiber die gesamte politiache
Situation. Ich, der ich der Kommunistischen Partei niemals nafie-
gestanden habe, wies auf manche Schwaehen der KPD hin. Frei-
miitig gab Torgler dies und jenes zu, verteidigte jedoch energisch
die allgemeine Haltung seiner politischen Freunde. Schliesslich
stellte ich ihm etwa folgende Fragen:
<Man verbreitet das Geriicbt, die Kommunisten wollten noch vol
der Reichstagswahl (5. Marz) irgend eine Aktion gegen die Nazire-
gierung unternehmen. Stimmt da9?>
Torgler: <Das let Wahnsinn. Die Regierung wartet ja nur auf eine
golche Gelegenheit, um die KPD zu verbieten.>
Ich: « Werden die kommunistischen Fuhrer zum Streik aufrufen?>
Torgler: sNatiirlich fordern wir den politischen Massenstreik ali
Kampfmittel gegen die faschistischen Gewalttaten. Aber wir wis-
sen, dass diese Aktion nur dann von Erfolg begleitet sein kdnnte,
wenn die Gewerkschaften ihrcn Widerstand aufgeben und sich in
die Kampffront einreihen wurden.*
Ich: *Kann ich also das Ergebnis dieser Unterredung dahin zueam-
menfaseen, class die Kommunistisehe Partei nichta zu unternehmen
beabsichtigt, was der Naziregierung Anlase zu einer Offensive gegen
die marxistische Arbeiterschalft geben konnte?>
Torgler (mil Nachdruck uud Ueberzeugung) : <Jawohl, so tat ex
Wir Kommunisteu wiflsen, dass wir allein zu schwach zum Kampf
sind, Wir wiseen. dass Hitler, Goring und Genossen nur auf euiea
Anlass warten, der ihnen Gelegenheit gibt, die KPD zu verbieten
und ihre Reichstagstnandate zu kassieren. Wir wissen, dass wir be-
109
spitzelt, dass unsere Telephongesprache iiberwaeht werden. Wir
laulen den Herren nictat in die uns gestellte Falle.»
Am Abend nach dieser Unterredung brannte der Reichstag, und
einige Stunden danach hatte man Torgler als <Tater> verhaflet.
Ich hatte damals die Ueberzeugung, die ich noch heute babe, dass
Torgler die lautere Wahrbeit zu mir gesprochen batte. Und darum
sage ich es, obwohl ich Gegner dee Kommunismus bin, jedem, nnd
auch Herrn Goring, der es sicher besser weise als ich, und dea
Richtern beim Reichsgericht,
Hfinde weg von Ernst Torgler, er iet unschuldigl
Dieser Bericht Philippsborns ist ein Beweis mehr fur Ernst
Torglers Unschuld. Dieser Mann, der sich selbst gestellt hat, hat
mit dem Reichstagsbrande ebenso wenig zu tun wie sein Genosse
Koenen und die verhafteten Bulgaren. Wir haben an anderer S telle
nachgewiesen, dass die Kommunistische Partei in vielen Erkla-
rungen gegen den individuellen Terror aufgetreten ist und ihn
verdammt hat. Alle «Zeugen», die Herr Goering nun gegen Torgler
und Koenen loslasst (Koenen ist den Polizeischergen entkommen
und setzt den antifaschistischen Kampf fort), werden mit lhren
bezahlten und praparierten Aussagen die Schuld der beiden Man-
ner nicht beweisen. Ernst Torgler, Wilhelm Koenen, Dimitroff,
Popoff, Taneff haben van der Lubbe nie gesehen. Sie waren nicht
die Brandstifter des Deutschen Reichstags.
Der Beweis ftir die Schuld der Nazis
Die Widerspruche allein, in die sich die Hitler-Regierung in
ihren Erklarungen zum Reichstagsbrande verwickelte genugten
schon, um ein Urteil iiber die wahren Reichstagsbrandstifter zu fal-
len. Aber uber diese Widerspruche hinaus gibt es direkte Beweise
fur die Schuld der Nationalsozialisten am Reichstagsbrande. Nicht
alle Beweismittel, die uns zur Verfugung stehen, werden hier an -
eefuhrt. Nur die bedeutendsten und wichtigsten sind in diesem
Buche verzeichnet. Der Brand im Deutschen Reichstag wurde
um 9 Uhr 15 entdeckt. Die Massenverhaftungen in Berlin began -
nen kurz nach Mitternacht. Fast samtliche Haftbefehle waren mil
Fotografien der zu Verhaftenden versehen, das Datum des Hat -
befehls war mit Tinte eingesetzt. Am 28. Februar wurden alleio
in Berlin rund 1500 Menschen verhaftet.
Kann man in drei Stunden 1500 Haftbefehle ausfullen. unter-
schreiben und der Mehrzahl eine Fotografie ^^J- ^"^
lungen von entlassenen Polizeibeamten geben uns Aufklarun^
ubel diese Fixigkeit. Die Haftbefehle wurden m ■ den let .en Tage .
vor dem Reich stagsbrand vorbemtet. Nur das Datun , bheb otte
Am Morgen des 27. Februar lagen samthche ^^ h r , f. bereiL
Sie waren unterschrieben, ehe das Datum emgesetzt wurde.
106
Am 22. Februar beschloss die Preussische Regierung die Ver-
Starkung des Polizeikorps durch Hilfspolizei. Zu Hilfspolizei-
beamten durftcn nur Mitglieder der sogenannten nationalen Ver-
bande, also der SA und des Stahlhelm, ernannt werden. "Wahrend
die Bestellung von HilfspoHzeibeamten in den Bezirken durch die
Regierungsprasidenten besLSitigi werden musste, behielt sich der
konimissarische Minister des Innern, Goring, das Recht der Er-
uennuag von HilfspoHzeibeamten fur Berlin selbst vor. Der Be-
schluss wurde am 25. Februar, zwei Tage vor dem Reichstags-
brand, der Oei'fentlichkeit libergeben.
In der ersten amtlichen Meldung iiber den Reichstagsbrand
hat Goring triumphierend verkiindet, dass die von ihm durchge-
tuhrte Einstellung der Hilfspolizei sich als berechtigt und begriin-
dct erwiesen habe.
Die nationalsozialistischen Fuhrer und Minister begnuglen
sich nicht mit der Schaffung der Hilfspolizei. Am 27. Februar
war die gesamte SA von Berlin in ihren Unterkunften und Ka-
sernen zusammengezogen. Ein SA-Mann, der Ende Marz aus
Dcutschland gefluchtet ist, berichlet tm Pariser «InlransigeanU,
iiber die Alarmbereitschaft der SA. folgendes:
«Am 27. Februar erhielten wir mittags den Befehl, bis auf weitere*
Id unseren Unterkunften zu bleiben, Strengea Verbot, sich in Grup-
pen auf der Strasse zu zeigen, Nur die Geldsammler mil ihren Bttch-
sen hatten Ausgang, und bestimmte Leute mit Sonderbefehlen.
Wir wusaten nicht, was das bedeuten sollte, und warteten. Bis auf
einmal, urn 10 Uhr abends, der Befehl kain: < A lies im Laufschritt
zum Brandenbuxger Tori Waff en zu Hause lassen! Absperrungsdienst.
Der Reichstag brennt!*
Der Berliner Gnippciifuhrer Ernst versammelte e-inige von una in der
Bierstube an der Ecke Wilhelm- und Dorotheenstrasse. Er beaufrragle
un*. in die u-rvehiedenen Stadtteile zu eilen und in Kneipen un-i an
Strassenecken zu verbreiten, dass die Kommunisten den Reicbstag
angezttndet hatten, dass man bestimmte Beweise in der Hand habe —
kurz alles das. was am n&cbsten Tage in der Presse stand.
Um diese Zeit war noch nicht bekannt, dase van der Lubbe ein Hol-
lander ist und dass der Abgeordnete Torgler als letzter den Reichs-
tag verlassen hatte. Uns wurde dies alles ale feststehende Tatsaeh*
mitgeteilt, und zwar mit solcher Sicherheit, dass uns alle die Wuc
gegen die Brandstifter fasste. Wir sausten los und erledigten unser*
Aufgaben rait Feuereifer. Je dfter ich meine Geschichte wiederholte,
umso ausl'iihrlicher wurde sie. und bald White ich mich als Augen-
zeuge der Brand9tiftung.»
Der Gruppenfuhrer Ernst ndmmi in dor Hierarchie der Hitler-
wegung einen hohen Rang ein. Aber es gehort mehr als die
fe&it eines Gnippenffihrers dazu, wemge Minuten nach
107
10 Uhr scfaon zu wissen, dass Torgler als Letzter den Reichstag
verlassen hatte. Gruppenfuhrer Ernst war in Goebbels" undGorings
Plan eingeweiht. Ihm fiel die besondere Rolle zu, die SA-Manner
zu Herolden der *.komnnmistischen» Brandstiflung zu machen.
Hitler verriit sioh
Am 27. Februar 1933 brennt der deutsche Reichstag. Am 27.
Februar 1933 sind die wichtigsten Fiihrer der Nalionalsozialisten
in Berlin, obwohl der Wahlkampf im ganzen Reiche auf dem
Hohepunkt stehl. Hitler spricht am 27. Februar in keiner Ver-
sammlung, Goebbels spricht am 27. Februar in keiner Versamm-
lung. Alle zwei sind in Berlin. Keiner von ihnen hat am Abend des
27. Februar eine Besprechung, eine dienstliche Zusammenkunft,
eine Arbeit.
Wenige Minuten, nachdem der Reichstagsbrand gemeldet
wird, erscheinl Goring, kurz nach ihm Hitler ur.d Goebbels an der
Brandstatte. Sefton Delmar, der Berliner Korrespondent des «Daily
Express* ist in ihrer Gesellschaft. Der faschistische Londoner
*Daily Express* ist eines der wen i gen hitlerfreundlichen Blatter
in England. Sefton Delmar erfreut sich der besonderen Anerken-
nung Hitlers. Trotzdem ist der Bericht des «Daily Express* vom
28. Februar 1933 fur Hitler belastender als die Berichte der geg-
nerischen Auslandsblatter von diesem Tage.
Sefton Delmar schildert in seinem Bericht vom Brandort eine
Szene, die sich aller Berechnung nach ungefahr zwanzig bis
dreissig Minuten nach der Enldeckung des Brandes abgespielt
haben muss. Hitler, der eben an der Brandstatte eingetroffen war,
wandte sich an den Vizekanzler von Papen mit folgenden
Worten :
<Das ist ein von Gott gegebenes Zeichen. Niemand wird uns nun
daran hindern, die Kommunisten mil eiserner Faust zu vernichten.>
Und zu Delmar gewendet, fuhr Hitler fort:
«Sie sind Zeuge einer groesen neuen Epoche in der deutschen Ge-
schichte. Dieser Brand ist ihr Beginn.>
Der Kanzler des 3. Reiches sprach diese Worte zu einer Zeit,
wo die «Schuld» der Kommunisten noch gar nicht festgestellt sein
konnte, wo van der Lubbe erst mit Hilfe eines Dolmetschers ver-
h5rt wurde. Das Verhor, das mit van der Lubbe unmittelbar nach
seiner Verhaftung angestellt wurde, dauerte nach den uberein-
stimmcnden Berichten der Blatter bis in die Morgenstunden. Van
der Lubbe wurde ungefahr um 9 Uhr 20 Abends verhaftet Er
konnte demnach zur Zeit, wo Hitler den eben zitierlen Aus-
spruch tat, noch keinerlei «umfassendes Gestandnis* gemacht ha-
ben, das Hitler als Unterlage fur seinen Ausspruch, fur seine Be-
schuldigungen gegen die Kommunisten hatte dienen konnen.
108
Hitlers Unbeherrschlhett H-™, -,,,„ A „,
der Kommunislen zu friifa sp eeheT Fr ? r . 1 VOn dei *<*««
nichl ab, er sprach die vier Saie iSh„ fix WartCte f m Stlch^ort
Hitler ha. 1930 vor den, EhSShf' .T^T"
sozialistischen Bewegimg geschehe n ?ri? e ' rl ' m der ^onal.
Behauptung trim AJStd^^SS^ Wis „ sen - Di«
zu. Hitler hat die Kommunisien de B SSl'" "", Re chsta S e
ehe er einer. Beweis daffir eine Viiw,™ ; (, ? g beschuldigt,
Welch andere Schlussfolgerun^ | Jf, 1 ?« W* konnle.
Hitler den P, a „ von GoriSg und Q^S£SSS^St^ d ™
Kanzler des Written Reiches. is, der MiSe? ff fi2£
Bin Bundesgenos.se beschuldigt. die Nazis
der Brandstiftung
i Die *Deu tsche Allgemeine Zeitung», das Blatt der Schwerin-
dustrie, hatte seit 1930 die Betrauung Hitlers mil der Regierungs-
fuhrung verlangt. Die Schwerindustrie baute gleich den Deutsch-
nationalen auf die Illusion. Hitler wurde sich damit begnfieen
die Macht mit den Deutschnationalen zu teilen.
Die ersten Wochen der nationalen Regierung schon enthull-
ten SChwere Gcgensalze innerhalb der Regierungskoalilion. In der
Denkschnft Oberfohrens sind dicse Gegensatze mit alter Deutlich-
kei t aufgezeigt.
Die "Deutsche AUgemeine Zeitung* bemuhte sich, die Stellung
der Deutschnationalen zu slarken. Sie sparte in den Anfangen der
nationalen Regierung nicht mil Kritik. Und sie ging kurz nach
dem Reichstagsbraru!. als die Nalionalsozialisten das Ueberge-
wicht in der Regierung erhielten, sogar soweit, die Erkllirungen
Gorings fur unwahr zu erklaren und Zvveifel an der Schuld der
Kornmunisten auszusprechen. Das Blatt schrieb am 2. Marz 1933:
Politiseh ist an dem Brand im Reichstag our einee vollig unbegreif-
lich: class ein Kommunist gefunden werden konnte, der so tSricht
war, das Verbrechon zu begehen. Von einer koiumunistisch-sozialdp-
mokratisehen Einheitsfront haben wir ausser in einigen Reden. Zei-
tungsartfkeln und AnU-agen bisher venig bemerkt. Dass jene Ein-
heitsfront sich ausgerechnet zum Zwwk einer Brandstiftung im deut-
schen Reichstag gebildet haben sollte, ist ausserordentlich unwanr-
scheMleh. Wir fiirchten, dass eine genaue Nachpriifung der voraus.
setzungen jener bekannten Bemerkung des Relehekommiesars rar
Inneres die Unhaltbarkeit dieses Vorwurfa beweiaen wnd. \\enn rtas
der Fall 1st. Wfire es besser gewese/i. ibn gar nicbt zu erheben.s
Das ist nicht die Mitleilung einer marxistischen Zeitoig, das
schreibt das Blatt der Schwerindustrie. Den Herren wurde angst
109
und bange vor ihrem eigenen Spiel.
Der Artikel in der «Deutschen Allgemeinen Zeitung» bestatigt
Oberfohrens Mitteilungen. Zu spat. Oberfohren wurde ermordet.
Die "Deutsche Allgenicine Zeitungo wurde einige Monale nach
dem Reichstagsbrande gleichgeschaltet. Ihr Chefredakteur Dr.
Fritz Klein wurde abgeselzt. Nicht lange bevor auch Hugenberg in
der Versenkung untertauchte. Die verstcckte Drohung, die in der
Mitteilung der «Deutschen Allgemeinen Zeitung» liegt, hat ihren
Zweck verfehlt. Die Auflosung der Deutschnationalen Partei war
nicht auizuhallen. Uns allerdings ist der Artikel der «Deulschen
Allgemeinen Zeitung» ein wichtiges Beweismittel. Der Bundesge-
nosse zeiht Goring der Luge und zweifelt an der Schuld der Kora-
munisten. Heisst das nicht, in undiplomatische Sprache ubersetzt:
die Nazis haben den Reichstag angeziindet!
Warum liess Goring den Reichstag olme Sckutz ?
In den Mitteilungen des amtlichen «Preussischen Pressedien-
stes> vom 28. Februar wird gesagt, dass unter dem im Karl-Lieb-
knecht-Haus gefundenen Material auch die Anweisungen fiir den
Reichstagsbrand gewesen waren. Die Durchsuchung des Karl-
Liebknecht-Hauses fand am 24. Februar 1933 statt. Die gesamte
burgerliche Presse berichtete bereits am 24. und 25. Februar in
grosster Aufrnachung iiber die angeblichen Mordplane der Kom-
munisten. Der Polizeiprasident von Berlin erstattete Goring am
26. Februar Bericht iiber das angeblich in den «Katakomben» des
Karl-Liebknecht-Hauses gefundene Material. Goring verfiigte als
kommissarischer Innenminister iiber die preussische Polizei. Goring
war als Reichstagsprasident Hausherr im Reichstag. Niemand
hatte so wie er die Moglichkeit, den Reichstag vor einem Anschiag
zu schutzen. Niemand hatte so wie er die Pflicht, es zu lun.
Goring hat weder die Polizei zum Schutze des Reichstagsge-
baudes herangezogen, noch hat er innerhalh des Reichstages selbsi
irgendwelche Schutzmassnahmen ergriffen. Ware die Mitteilung
iiber das angeblich im Karl-Liebknecht-Haus gefundene Material
zutreffend, so hatte sich Herr Goring zumindest der Vorschublei -
stung zu einem schweren Verbrechen schuldig gemacht, Aus der
Tatsache, dass Goering nichts zum Schutze des Reichstags unter-
nommen hat, ebenso wie aus der Tatsache, dass die im Kan-
Liebknecht-Haus angeblich gefundenen Dokumenlen bis zum heu-
tigen Tage nicht veroffentlicht sind, lasst sich nur ein Schluss
ziehen : das Material aus dem Karl-Liebknecht-Hause existiert
nur in den Berichten des amtlichen «Preussischen Pressedienstes*;
die Kommunisten hatten weder die Absicht, noch hatten sie Vor-
bereitungen getroffen, den Reichstag anzuzundcn; hingegen rich-
tete Goering alles darauf ein, den Reichstag abbrennen zu lassen.
110
verliesseL Am 27. Feb™ ""Sufess de^n.Tn ^ -"S^
Hausinspektor die diensthabenden SLl . . onalsoziah stische
tag aus dem Dienst. Die Beamten SkSpn? 8 T * Uhr miU
BMidfeag des Dienstes deT^St^" SS ^ T^ 6
diesen Tag zu beenden, da doch nichts z U tun sei
u-« ! T U f n S l M S Z S^ C u len ^ gr5ssten Aus landszeitungen die
Mitteilung, dass die Reichstegjcamten am 27. Februar vorzei S
beurlaubl worden seien. Die Hitler-Regierung hat nicht eewaet
daese Meldung zu dementieren. & ft '
Oberbranddirektor Gempp beschuldigt Goring
Am 24. Marz erfolgte die uberraschende Mitteilung, dass der
Berliner Oberbranddirektor Gempp, Leiter der Berliner Feuer-
wehr, vorliiufig beurlaubt worden sei, weil er in seinem Dienst-
bereich kommunistische Umtriebe geduldet habe. Die kommu-
nistischen Umtriebe, die Oberbranddirektor Gempp angeblich ge-
duldet hatte, bestanden darin, dass er in einer Besprechung mit
den Inspekteuren und Brandleitern der Feuerwehr fachmannische
Mitteilungen uber den Reichstagsbrand gemacht hatte, die das
Verhalten Gorings am Brandorte in sonderbarem Licht erschei-
nen liessen. Die Mitteilungen Gempps betrafen folgende drei we-
sentliche Tatsachen:
«In einer Besprechung mit eeinen Inspekteuren und Brandleitern hat
Herr Gempp kurz vor seinem Ausscheideu Klage dariiber gefuhrt,
dass die Feuerwehr zu spat alarmiert worden sei, Nur so sei es zu
erklSren, dass eine etwa 20 Mann starke SA-Abteilung sich bereite am
Brandherd befand, als die Feuerwehr endlich erschien.
Ferner ftihrte Herr Gempp dariiber Klage, dass der tommies arische
Innenminister Preussens, Goring, ihm ausdrucklich verboten habe,
sofort die hochste Alarmstufe zu verkunden und demgemass stiirkere
FeuerwehrkrSfte einzusetzen.
Scbliesslich war Herrn Gempp aufgefallen, dass In den nicht zerstor-
ten Teilen des Reichstaes^ebSudes grosse Mengen nicht mehr verwen-
deten Brandstiftungsmateriate herumgelegen hatten; ihfflW w«*
den en Zimmcrn, ur.ter und in Schranken USW., Material, das alieui
einen ganzen Lastwagen gefiillt haben wtirde.>
Die hier wiedergegebene Meldung w^rde^m 2o. April MBBiii
der .Saarbriickener Volksstimme. veroffenthcht und nahm von
hier ihren Weg durch die geeamte Weltpresse.
Ill
Goring beaalwortele die MitteUuugeii dei Saai'br&ckener
Volksstsmme* nicht etwa mil einer Lrklarung, dass die Behaun-
tungen falsch seien. Er nahm sie zura Anlass, Gempp der Untreue
^ es ? l hu l di Sf n - Die ^Deutsche Allgemeine Zeitung, voni 29. April
1933 gibt Auskunit daruber, wie Goring auf die Knthullungen der
Volksstirume» reagierte : "
Der Staatskomniiss:.,- z. B. V. d,-. Lippert teilt mit; Gegen den am
24. Marz a. ,1. vom Staatskoinniissar z. b. V. Dr. Uppeu vorlaufig
beurlaubten Oberbranddirektor Gempp, Leiter der Berliner Feuer-
vehr. war die Beschuldigung erhoben worden, dass er in aeinem
Dienstbereick kommuuistisehe Umtriebe geduldet babe. Gempp hat
darauf die Einleitung eines Disziplinarverfahren ge-gen sich bean
tragt. Dieser Antrag ist zuniichst mit Riicksicht darauf abgelehnt war
den, weil der Verdacht anderweitiger Verfehhmgerj gegen Gempp
'orliegt. Es ist minmehr gegen ihn ein Disziplinyrverfahrerj einge-
ieitet worden, weil er bei deni Ankauf eines Autos durch dea
darnaligen Dezernenten, den sozialdemokratischen Stadtrat Ahrena,
sich der Untreue geinass § 266 des Strafgesetzbuches schuldig ge-
macht haben so!l.>
Diese Taktik der Nationalsozialisten. unbequeme Gegner
durch kriininelle Beschuldigungen zur Strecke zu bringen, ist
nicht nur im Falle Gempp angewendet worden. Unter den gleichen
Beschuldigungen wurde der stadtische Dezernent fur Fcuerwehr-
fragen, Sladtrat Ahrens verhaftet. Auch er hatte kritisiert dass
die Feuerwehr zu spat alariniert worden war.
Aus den Beschuldigungen Gempps gegen Goring geht klar
hervor. dass Goring an der Ausdehnnng des Brandes, und
nicht an seiner Eindammung interessiert war. Die Ver-
wustung, die das Feuer im Reichstag anrichtete, musste moglichst
gross und eindrucksvoll sein, deshalb durfte der Brand nichl zu
friih geloscht werden. Drei Tage nach dein Reicbstagsbrande
schon wurde die Brandstatte zur Besichtigung fiir das Publikum
freigegeben. Der gleiche nationalsozialistische Hausinspektor. der
die Beamten am 27. Februar vorzeitig beurlaubt hatte. war nun
Fiihrer durch das zerstorte Reichstagsgebaude. Die Menschen
drangten sich zu Zehntausenden nach der Brandstatte. Der Fiih-
rer erklarte «sachkundig», wie der Brand von den «Kommunislen»
gelegt worden sei. Er vergass nicht, seine Schilderungen mit
Greuelmarchen uber die Absichten der Kommunisten auszu-
schmiicken.
Goring, der selbst nicht den Mut hatte, die Behauptungen deT
«Saarbrfickener Volksstiimne* zu dementieren, zwang den Ober-
branddirektor Gempp zu einem Dementi. Herr Gempp scheint
sich lange gewehrt zu haben. Erst am 18. Juni 1933, nachdem
Bell, Hanussen und Oberfohren bereits ermordet waren, erschien
eineMitteilung Gempps in den deutschen Blattern, m der er die ISe-
112
faauptungen der baarbruckener *Volksslimme» fur falsch erkttrte
Es gib} Dementis, welche die Richtigkeit des demenQertcn Jte
nchts bestatigen. Das verspatete Dementi Gempps isl von dieser
Art
Unler dem Druck der Anklagc, die gegen ihn erhoben worden
wax, aus Furcht vor der Gefangnisstrafe, mit der man ihn be-
drobte, bat sich Gempp dem Verlangen Gorings gefiigj
Wo stecken die Urheber dieses Anscklags?
In der zweiten Marznummer der konservativen Wochensehrift
-<Der Ring*, die von Heinricb von Gleichen herausgegeben wird,
is1 zu lesen :
,Der Brand im Reichstag hat zu scharfsten Gegenmassnahjnen der
Reichsregierung gefiihrt. Die Behorden befinden sich in einem Zu-
stand hoehster Bereitschaft. Die cieutsche Oeffentlichkeit und die
Leitartikel klingen wider von der Frage: Wie war das moglich? Sind
wir denn wirklich ein Volk vou blindeti fTiihnern? Wo stecken
die Urheber dieses Anschlages, deseen Riickwirkung zeigt, wie ziel-
sicher sie gehandelt haben? Um eine Antwort auf alle Fragen zu ge-
ben. stellen wir nuchtern und saehlieh feet: Es fehlt uns an einem
Gehe.?mdienst. wie ihn die Englander und andere Natioaen be
sitzen , . .
Besassen wir eine solche Einrichtung, dann wiirde man heute schon
ganz genan wissen, in weigher Richtun^ die Urheber dea Reichstaga-
brandes zu suchen wfiren, ja man wiirde die ei^entlicbea Maimer
- CbOIl kennen. Es sind v i e I ! e i c h t Mit.«?lieder der be-
S 1 e a d'PUtschen odeT ioternatio-nalen G e s e 1 1 -
schaM,
Heinricb von Gleichen isl eines der einflussreichsten Mit-
glieder des *Herrenklubs». Seit Papons Reichskanzlerschaft isl
von Gleichen einer der Drahlzieher der Regierungspolitik. Seine
Beziehungcn zum Prasideatenpalais sind mehr als ausgezeichnet. In
der von uns zilicrten Mitteilung des <Ring» beschuldigt von
Gleichen in durren Worten die HiUer-Regierung, dass sie zur
Aufklarung des Reichstagsbrandes afchts getan habe. Er frag ,jo
eigentlich die Urheber des Anschlages stocky, dessen **&™*
kiLg zeigt. wie zielsicher sie gehandelt haben? Kann dam t e.a
andlres gemeint sein, als dass die Nationalsozrahsten den . Brand
angeiegl haben. am zielsicfaer eine Machtposxtion nach der andern
«Ring» wurde nach diesero AuXsate verboten.
Dr. Bell scliwatzt aus der Schnle
In unserem Kapitel iiber die brauuen Morde * :te FW ^
Dr. Bell und sein Tod durch SA-Hand ge. at ige 1 ^ rden . VV ir
nut Bells Rolle beta Reichslassbrande beha ndat en
v, ,, uns. bierbei jene Bench* zu benotoen. .1
113
Dr. Bell habe am 27. Februar 1933, eine Stmui. *,„ i r,
tagsbrand bereits einige englische und 4eS S X jS *W"
dariiber informiert, dass der Reichsia- h? . amsc 2* Journahsten
ist planmassig von der HiU^3SSnS.T , " e - ^T Mddun *
Die Nazis wollten sich eine bequfme ZJr S£" * WOrden -
Dementi und damil zur DiskredSS d« g -m^k ™ *"**
tungen Bells verschaffen. SKredn,erun § der wirklxchea Behaup-
Dr. Bell kannte van der Lubbe sehr gut, er war auch auf das
genaueste uber d,e Beziehungen orientiert, die van der Lubb
Or Re" rj,^ MU r? en ZU S T A ; Kreisen ^geknflpft hatle. ObvThl
Dr Bell seit ungefahr einem Jabre in Opposition zur Nationalsozia-
listiscnen Parteifuhrung stand, besass er noch viele Verbindungs-
manner innerhalb der Nationalsozialistischen Partei. Durch lie
kannte er die Vorgange beim Reichslagsbrande. Bell verriet am
3. oder 4. Marz 1933 im nationalen Klub in der Friedrich-Ebert-
strasse seine Kenntnisse fiber den Reichstagsbrand einem volks-
parteilichen Politiker. Dieser Politiker gab in seinen Briefen
einigen Freunden Kenntnis von den Mitteilungen uber die wahren
Brandstifter, die ihm Bell gemacht hatte. Einer dieser Briefe fiel
in die Hande Dalueges, des Leiters der geheimen Staatspolizei.
Der Brief kostete Bell das Leben. Am 3. April wurde er in
Oesterreich, im Stadtchen Kufstein von SA-Mannern die aus
Miinchen kamen, ermordet.
Der Mord an Hannssen
Die Geschichte des Mordes an Hanussen wird ebenfalls in einem
anderen Kapitel ausfuhrlich behandelt. An dieser Stelle soil von
Hanussen nur die Rede sein, soweit er zum Reichstagsbrand in
Beziehungen stand. Der Hellseher Erik Hanussen weihte einen
Tag vor dem Reicbstagsbrand seine neue Wohnung in Berlin
(Lietzenburgerstr. 16) ein, die er «Palast des Okkullismus* nannte.
Am Fest der Einweihung nabmen einige Fiibrer der SA. darunter
auch Graf Helldorf. sowie Kiinstler. Schauspieler und Journalisten
teU. Unter ihnen war ein Berichterstatter des -Berliner
12-Uhr-Blatt». In der Hellsehseance, die Hanussen bei diesem
Fest veranstaltete. erklarte er unter anderem vvortlich: «ich sene
ein crosses Haus brennen*. . w
Hanussen publizierte in der ersten Mhrznumrner emer jjo-
chenschrift -Hanussens Bunte Wochenschau* emeu Au sat .1 uber
die politische Lage. In diesem Art.kel schr eb < er dag ; er den
Reichstagsbrand vorausgewusst ^habe, dass er aber went na
dariiber offentlich sprechen dunen. Graf
Hanussens bester Freund, der Fuhrer oer o Von
Helldorf, ist einer der Brand, ^^S^SS? tfforxnationen
Helldorf hat Hanussen vor dem Keicnsiaga
114
erlMlten. die ihm ermoglichten «hellzusehen». Hanussen muss senr
viel gewusst haben. Das geht au S einer eidesstaUlichen vSi he-
rung hervor. die wir von dem ehemalieen Chefredaktwir h!«
.Berliner 12-Uhr-BlatU, Dr. Franz Hoilerfng, ^S^**
Eidesstattliche Versicherung ;
Der Unterfertigte, Dr. Franz Hffllering. erklart hiermit an Eidesstatt-
«Iu meiner Eigeixschaft als Chefredakteur des <Berlin e r ZwaTf Tlhr
Blatt> and des cMontag Morgen> in der Zeit des FebSl bk 4
Marz 1933 begegnete mir E r i k H a n u s s e n als Her»er set
ner nationalsozialistischen Heliseherzeitung, die in derselben Setae
rei gesetzt und gedruekt wurde wi e die obengenannten Blatter Ich
Lernte Hanussen persSnlich nicht kennen wurde mil ihm aber einmai
telefonisch verbimden, ale er den nlcht anwesenden Geschaftsfiihrer
des Verlages und Redakteur Rolf Niirnberg sprechen wollte. Das war
in der Nacht des 27. Februar, der Nacht des Reiehstagsbrandes. In
der Redaktion wren kaum die ersten Meldungen iiber den entdeekten
Brand eingelaufen, ala sich Hanussen am Telefon meldete. Er wollte
von mir wissen, wie weit der Brand sei und ob man die Tater ge-
fasst habe. Ich anwortete, daes eine unkcntrollierte Meldung iiber
eiuen Icommunistischen Trupp vorliege, der angeblich mil Faekeln
den Reichstag angeziindet habe. Gleichzeitig wies ich auf die Un-
glaubwiirdigkeit dieser Meldung hin. Ich sagte ausdrucklich, dass
den Kommunisten, insbesondere bei der gegebenen politischen Si-
tuation, eine solche selbstmorderisehe Wahnsinnstat nicht zuzutrauen
sei. Darauf erwiderte Hanussen erregt, dasa er ganz gegenteiliger
Ansicht sei, dass er wisse, es hand)*' Bich uni ein Komplott der Koui-
munisten, und dass ich schon die Folgen sehen werde. Dieser Anmf
1'and zwischen lialb Zehn und dreiviertel Zehn Uhr statt. Ich teilte
ihn meiner Redaktion mit, der die engen Beziehungen Hanussens zu
Graf Helldorf, besonders durch dessen wiederholte Anrufe in der
Setzerei, bekannt waren. Hanussen gait allgemein als iiber national-
sozialistische Vorhaben ausserordentlich orientiert.
gez. Dr. Franz Hollering.*
Zu einer Zeit, wo in den Zeitungsredaktionen erst die ersten
vagen Nachrichten iiber den Reichstagsbrand eingelaufen waren,
sprach Hanussen bereits davon, dass der Reichstagsbrand von den
Kommunisten angelegt worden sei und schwere Folgen haben
werde. Diese Aeusserung Hanussens beweist, dass sein Informa-
tor in hohen Kreisen der SA zu suchen ist.
Der Jude Hanussen hat die Herrschaft Hitlers, die er so sehn-
Suchlig herbeigewiinschl, nicht lange genossen.
Am 7. April 1933 wurde seine Leiche in einer kleinen Tannen-
schonung an der Landstrasse von Baruth nach Neuhof gcfunden.
Hanussen starb von Nazihand.
1lo
Doitor Oberfohreii wird ermordet
Nach Bell Hanussen, nach Hanusspn n- r»v « ,
diesen drei. die das Geheimnis a™ p ■ I- °l Jerfohr en. Von
kannlen, war Dr. Oberfohre„de SuS^^f^^ **»»
als politiscben Abenteurcr abtun H»1 hll,chsLe ; B * u k ^nte man
ObeSohren war ein eiXsScier pSSw^ ^^ Dr "
ssasttjt w?sm ways
.onen der Deutschnationalen zu erhalten. De? Schluss ei 1 d r
Denkschrift zeigt die letzte Phase des Kampfes irmertialb der
Reichsregierung. Die Denkschrift kostete Dr. Oberfohren das
Leben!
So sehr die Deutschnationale Partei mil den scharfsten Massnahnien
gegen die Kommunisten eiDverstanden iat, so -wenig billigt sie die
Brandstiftung durch die Koalitionsfreunde. In der Kabinettssitzung
am Dienstag wurde zwar den scharfsten Massnahmen gegeu die Kom-
munisten urid zum Teil auch gegen die Sozialdemokraten zugestimmt.
Es wurde jedoch kein Zweifel daran gelassen, dass die Brandstiftung
das Ansehen der nationalen Front im Auslande aufs scharfste scha-
digen wiirde. In der Verurteilung wurde bei dieser Kabinettssitzung
mit den scharfsten Ausdriickeu nicht gespart. Es gelang den national-
sozialistischen Ministern nicht, das Verbot der Kommunistiseheu
Partei durchzudriieken. Die Deutschnationalen brauchten, wie bexeita
oben gesagt, die komnumistischen Abgeordneten, um den National-
sozialisten nicht die absolute Mehrheit im Parlament zu ermOglichen.
In der Kabinettssitzung wurde gleichzeitig Herrn G&rng auf das
strengste untersagt, seine im Karl-Liebknecht-Haus gefundeneu Fal-
schungen der Oeffentlichkeit zu ubergeben. Es wurde darauf tisnge-
wiesen, dass die Veroffentlichung dieser plumpen Falachungen die
Regieruug nur noch mehr belasten wiirde. Besonders ungelegen war
der Regierung auch gekommen, dass der kommunistische Abgeord-
nete Torgler. der Vorsitzende der kommunistischen Reicbstagsirak-
tion, sich am Dienstagmorgen der Polizei nv Verffigung gestellt hatte.
Seine Flucht ware wtoBCheBBWertej gewesen. Die Tatsache aber, daw
er der eines solchen Verbrechens beschuldigt war, sich nach den
Verhaftungen tausender kommunistischer Funktionare und bei aro-
hendem Standgericbt der Polizei zur Verfiigung stellte, i um de a BJ
Bchuldigungen seiner Partei entgegentreten zu kftniien.
der RegSig ausserst unangenehm. Herr G6r,ng *™£|E«SS
zu dementieren. dass sich der Abgeordnete ToggrlJ^ig"
babe. Das Echo der Weltpresse aber. das den. Reieb jt-g£« * ^
,uf fahrende Regierungsmitgl.ede.r. daes da S Ansehen
Reruns auft Scharfste erscMKtwt wurde.
So fiehr Uuiing uud Goebbels die- Stillogung Her koBiimmistischen und
gozialdemokraUschen Wahlpropaganda gelegen kam, so setar sie wuaa-
ten, dass die breiten Massen der KleinMrger, Angestellten und
Bauern das Geriicht vom Reichstagsbrand glauben warden und dem-
gemii6S der NSDAP als der Vorkampferin gegen den Botschewismua
ibre Stirnme geben wiirden, so wenig waren sie erbaut Uber die Stel-
lungnahme der deutschnationalen Minister im Kabinett. Das Verbot
der Kommunistischen Partei war ihnen wieder uicht zugebilligt wor-
den. Mit Verbitterung Fiililten 8ie sich mit ihreu masslosen Ansprii-
chen in der eisernen Umklamraerung der Deutschnationalen. des
Stahlhelms uud der Reicbswehr. Ee war ihnen klar, dass man so rasch
wie moglich aus dieser Umklammerung herauskomnien musse. Es
wurde bin- und herberaten.
Scblieeslich entscbloesen sich die Gruppen zu dem Gewaltstreich in
der Nacht vom 5. zura 6, Marz. Es wurde geplant, die Regierungs-
viertel zu besetzen, von Hindenburg die Umbildung der Regierung
zu verlangen. In diesem Falle sollte von Hindenburg die Vertreumg
der Reichsprasidentenschaft auf Adolf Hitler ubertragen und ini glei-
chen Augenblick durcfa Adolf Hitler Goring zum Reichskanzler er-
nannt werden. Die Beratungeii gingen auch d&hin, diese Aktion gege-
benenfalla anlasslich eines grossen Propaganda-Umzuges der SA und
SS durch Berlin, verbunden mit einer Huldigung vor Adolf Hitler,
Freitag, den 3. Marz durchzufuhren. Dieser grosse Propaganda-Umzug
wurde nun mit alien Mitteln vorbereitet. Schon waren zahlreiche
auawartige Formationen del SA in der Stadt. die Strassen fair den
Durchmarsch dea Siegeazugee polizeilich gesfebert, der Verkehr urn-
geleitet, and Taueende erwarteten in der Wiltaelmatrasse den Vorbei-
marsch vor dem Fiihrer Adolf Hitler. Da sich die Geruchte verdich-
tet hatten, daas bei diesem Marsch das Regierungeviertel besetzt wer-
den sollte, wurde im leteten Augenblick durch die deutschnationalen
Minister durchgesetzt, dase Adolf Hitler auf den Vorbeimarseh in
der Wilhelme-trasse Verzicht leistete. Den Tausenden in der Wilbelm-
strasse wurde plotztich zu ihrer Verwunderung mitgeteilt. dass der
Zug der SA einen anderen Weg nehmen und die Wilhelmstrasse nicbt
beriihrer. werde, sondern vielmehr durch die Prinz-AIbrechtstrasse
nach dem Westen weitergeleitet werde. Allerdings mussteu sich die
Deutschnationalen dazu verpfiichten. nun auch ihrerseits auf einen
Durchzug dee Stahlhelms durch das Regierung^viertel Verzicht zu lei-
Bten. Dieser Aufmarsch des Stahlhelms war fur dea Wataltag als Hul-
digungsmarsch Fiir Hindenburg angekuodipt worrien In diese Ah
finderung w illiCTtpn die Stahlhelm fiihrer pin
Die Lagi fiir die deutschnationalen Minister w*r auaeerowleotUcb
ernsi Dae Wahlergebnis in Lippe-Detmold batte geaeigt wie gross
die Gefahr war, daas deutschaationale WShlar mit fflegenden Fahnen
zu dan NatiooBlsoalalisten Qbergingen. Der ungehemmten Propa-
ganda der Nationalsoaialisten war aidera die douteohnationale Pro-
aicht gewadisen. Der Herrenklub. die Gruppen urn den
Whelm, die itioaalao Fubxet berieten. Nach der gerade
M7
noch am Freitag nachmittag abgewendeten Besetzung des Regierunga-
viertels musste man sich fur die drohende Gefahr der Nacht vorn 5.
aur den 6. Marz nicht nur mit Reichswehr und Stahlbelm rusten. £s
war klar 9 dues die Maseeu nicht mehr hinter dem alten Generalfeld-
marachall, sondern hinter ihrem Abgotl Adolf Hitler standen. Gegen
diese Masseu und gegen diese ^.dsseustimmung nur Waffen einzu-
setzen, ware vergeblich gewes*jn. Also war es notwendig, ebenso
rucksichtslos wie Goring u&d Gobbela beirn Reichstagsbrand vor-
zugehen. Ea wurde folgender Plan featgelegt: Die Oeffentlichkeit be-
kommt eine amtliche MitteiluDg iiber die bisherigen Ergebnisse der
Untersuchung gegen die Brandstifter. Diese MitteiLung wird so abge-
fasst, dass man im Notfall jederzeit auf sie hinweisen konnte, mit
der Feststellung, dass man schon damals den nationalsozialistischen
AttentHtern auf der Spur gewesen sei. Eine solche amtliche Mit-
teilung konnte man dann in der Nacht vom 5. auf den 6. Marz als
Druckmittel gegeniiber den nationalsozialistischen Ministern be-
nutzen, wenn diese wirklich ibren Plan der Besetzung des Regie-
rungsviertels durchsetzen wollten. Man beabsichtigte auf diese Weise
die nationalsozialistischen Massen zu verwirren und nach Mdglichkeit
fur die nationale Front unter FUhrung der Deutschnationalen und
fiir Hindenburg zu gewinnen. Man bereitete einen dementsprechen-
den Aufruf an da9 nationale Deutschland vor, in dem Hinden-
burg die Plane der gewaltsamen Machtergreifung enthiillte.
Goring, Hitler und Gdbbela der Brandstiftung bezichtigte, unter Hin-
weis auf das bereits fn'iher berausgegeben amtliche Communique,
und die Millionen Nationalsozialisten aufforderte, sich geschloasen
binter die Fuhrung des Generalfeldmarschalis zu stellen, um die na-
tionale Front gegen den Marx ism us zu retten. Dadurch hoffte man,
die nationalen Massen bereUzumaehen, eine Militardiktatur unter
Fuhrung des Generalfeldmar^chaHs zu unterstiiUen, Der Genera!-
feldmarschall selbst sollte der Huldigung des Stahlhelnis fern blei-
ben, die Nacht vom 5. und 6. aussertalO im Schutze der Reichswehr
venveilen und die Reichswehr selbst niarschbereit stehen.
Fememorder — Brandstifter
Im Zimmer des Breslauer Polizeiprasidenten steht eine grosse
gerahmte Fotografie, auf der funf junge Menschen zu sehen sind.
Diese funf jungen Menschen haben 1932, im schlesischen Dorf
Potempa, einen polnischen Arbeiter mit einer in der Kriminalge-
schichte einzig dastehenden Bes'lalitat ermordet. Das Gericht
hatte die Morder zum Tode verurteilt, der Reichskanzler Papen
hat ihre Begnadigung erwirkt, der Reichskanzler Hitler gab ihnen
die Freiheit wieder. Ihr Bild steht auf dem Schreibtisch des Bres-
lauer Polizeiprasidenten.
Sie verstehen einander sehr gut, die Morder von Potempa und
der Polizeiprasident Edmund Heines. Auch er war wegen Mordes
zu Tode verurteilt, auch er wurde begnadigt, auch er hat nicht
lange im Gefangnis gesessen. Der Oberleutnant Heines nimmt in
118
Hitlers Reich eine hohe Stellung ein. Er ist Obergruppenfuhrer der
SA, genau wie Goring und der General von Epp. Dr. Oberfohren
liat in seiner Denkschrift nachgewiesen, dass Heines der Fuhrer
jenes Trupps war, der den Reichstag anziindete:
Oberfohren schrieb in seiner Denkschrift:
<Unterdessen gingen die Beauftragten des Herrn Goring unter Ftth-
rung des SA-Fiihrers von Schlesien, des Reichstageabgeoxdneten
Heines, durch die Heizungsgange vom Palais des Reichstagsprasideu
ten durch den Tint'-rirdisehen Gang in den Reichstag. Ftir jeden ein-
zelnen der ausgesucbten SA- und SS-Fiihrer war die Stelle genau
bezeiohnet, wo er anzusetzen batte. Am Tage vorher war General-
probe abgehalten worden. Van der Lubbe ging als 5. Oder 6. Mann.
AIs der Beobachtungsposten im Reichetac meldet, dass die Luft rein
ist, begaben sich die Brandstifter an die Arbeit. Die Brandlegung war
in wenigen Minuten vollendet. Auf dem gleicben Weg, auf dem sie
gekoramen waren, gingen eie nach getaner Arbeit zuruek. Van der
Lubbe blieb allein im Reichetagsgebaude zurGck.j
Die Behauptung Dr. Oherfohrens, dass Heines der Fuhrer der
Brandslifterkolonne gewesen sei, wird audi von anderen Einge-
weibten bestatigt. Unter anderem hat Dr. Bell in den lelzten Mit-
teilungen, die er seinen Frcunden zukommcn lassen konnte, aus-
driicklich erkliirt, dass die Fuhrung der Brandstifterkolonne in
den Handen von Heines las.
Heines war fur diese »Arbeit> wie gcschaffen. Heines ist eine
Landsknechtnatur: Er mordet auf Befehl, er schiesst auf Befehl.
er legt auf Befehl Feuer.
Der strate^iselir. Sliltzpimkt der Brandstifter
Es geniigte. die Widerspriiche in den arnllichen Berichten der
Nazis zu enthiillen, es genugte der Indizienbeweis, den wir ge-
fuhrt haben, urn die Schuid der Nazis am Reichstagsbrand ein-
deutig festzustellen. Aber selbst wenn diese Beweise nicht vor-
handen waren, wenn die Werkzeuge Gorings die Provokation
sargfaltiger vorbereitet hatten, bliebe noch immer das ent-
s c h e i d e n d e Beweismittel fur die Brandstiftung durch
die Nazis bestehen. Von diesem Beweismittel soil jetzt gesprochen
werden.
Die «Vossische Zeitung* vom 1. Marz 1933 berichtete aus Re-
gierungskreisen folgendes:
<Ee wird erklfirt, es liege der einwandfreie Beweis dafflr vor. dass
der Vorsitzende der Kommuflisti*chen Reichstagsfraktion, Abgeord-
neter Torgler, sich rait dem Brandstifter mehrere Stunden im
Reiehstagsgebaude aufgehalten habe, und dase er auch mil anderen
an der Brandstiftung beteiligten Personen zusammen gewesen set
Es wird hinzugeftigt dass die anderer Tater evontuoU durch die
119
unterirdischen Gange im Zueauimenhang mit den Hei-
sungsanlagea des Rekbstages, die daa ReichstagsgeMude aelbst uad
das GebSude des Reichstaggprasidenten verbinden.
entkommcn 3ein konnten.>
Es fuhrt. wie wir in der Eirtleitung dieses Kapitels zeigten,
talsachlich ein unterirdischer Gang vom Reichstagsge-
baude zum Hause des Reichstagsprasidcnten. Inhaber dieses Am-
ies, Bewohner dieses Hauses, zu dem der unterirdische Gang fuhrt,
war in der Zeit des Reichstagsbrandes Hermann G 6 r i n g. Er be-
wohnt das Haus, durch das nach seinen eigenen Anga-
b e n die Tater entkommen sind.
Hermann Goring ?st nicht nur Preussischer Minister-
prasident, Poiizeiminister und Reichstagsprasident. Hermann
Goring isl zugleich Obergruppenfuhrer der SA. Hermann
Goring hat einen Spezial-Sturm der SA, den Sturm G, zu
seiner Verf iigung. Sein Haus ist standig von einer
Stabs \v ache bewacht, die aus mindestens 30 Mann be-
steht.
Der amtliche «Preussische Pressedienst» hat gemeldei, dass
zum Herbeischaffen des Brandmate rials mindestens sieben Mann
notwendig waren, wahrend die Brandlegung von zehn Menschen
besorgt warden sei. Demnach sind, wenn wir uns diese amtlichen
Angaben zu eigen machen, mindestens zehn Menschen unmittelbar
an der Reichstagsbrandstiftung beteiligt gewesen.
Es ist mit aller Sicherheit anzunehmen, dass im Deutschen
Reichstage zahlreiche Brandherde in den verschiedensten Teilep
des Gebaudes gelegt wurden. Anders ware die Schnelligkeit, mit
der sich das Feuer in diesern grossen Gebaude ausbreitete, nicht
erklarlich. Diese vielen Brandherde verlangten eine grosse Menge
Brandmaterials. Das Gewicht des Brandmaterials muss einige
Zentner betragen haben. Oberbranddirektor Gempp hat in seinem
fachmannischen Bericht vor den Brandinspektoren und Brandlei-
tern erklart, dass er nach dem Brande noch grosse Mengen unver-
brannten Brandmaterials gefunden habe. Zum Abtransport dieses
Materials sei ein Lastauto notig gewesen. Diese Erkiarung
Gempps bestatigt die Annahme, dass die Brandstifter grosse Men-
sen Brandmaterials in den Reichstag geschafft haben.
Wie wurde das Brandmaterial in den
Reichstag gebracht?
Wir haben zu Beg inn dieses Kapitels eine Schilderung der
Schwierigkeiten gegehen, die der Besucher za «Jerwmd|n tau
wenn er in den Deutschen Re.chstag gelangen v 11 Der ^ an
zum Reichstag ist dem Besucher qui durch Portal 5 moghch. Er
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Es ist die alfe Kethode
lin Jahre 1SS6 inszenierte die Polizei von Chicago ein Bombenalionlai, dem
viele Menschenleben zum Opfer Helen. Als angebliche liter wurderi
Hint' revolutionary Arbeiter bingerichtet. Die walnvn Urheber des Bombeo
i'iisrhi;,n S wimimrrst sieben Jahre spate* in den Reifoen der Polizai Fest-
gestellt. Auch dieses Attentat wuxde begangen, uni <U-n Anlass fiir die
bxutalste Verfolgung dor Arbeiterbow^wng zu gobon.
- ,*. Manner zeMnerweise 12JSJSSZ&E££S&
pen, ohne dass es einein einzisen der Vmnf*na«\>L™* £m?~,
gelbst der befangenste Beurteiler wird %"&^!^^
kern Brandstifter und keine Gruppe von B^St^T"™
konnte, das Brandmatenal durch Portal 5 zu transportieren §
Lbenso verhal es sich mit dein sogenannten Abgeordneten-
Eingang, dem Portal 2. Der Zugang durch Portal 2 ist nur den
Reichstagsabgeordneten gestattet. Die Vorstellung, dass Reichs-
tagsabgeordnete unter den Augen der Beamten, die am Portal 2
Dienst versehen, zentnerweise Brandmaterial in den Reichstag
bringen, ist nicht weniger absurd als die Vorstellung, dass das
Brandmaterial durch Portal 5 in den Reichstag transportiert
wurde.
Die Brandstifter niussten demnach einen andern Weg wahlen,
einen Geheimweg, der ihnen gestattete, unbemerkt und von
den diensthabenden Beamten ungesehen, in den Reichstag zu ge-
langen und das Brandmaterial an Ort und Stelle zu bringen. Es
gibt einen einzigen geheimen Weg zum Reichstag. Das ist der
unlerirdische Gang, der das Haus des Reich s-
tagsprasidenten mit dem Reichstagsgebaude
verbindet. Der unterirdische Gang ist die strategische An-
marschstrasse fur die Brandstifterkolonne gewesen.
Wer den unterirdischen Gang zum Reichstage benutzen will,
muss zuerst Gorings Haus, das Haus des Reichstagsprasidenten,
passieren. Er muss demnach an der Stabs wache vorbei, die stan-
dig Gorings Haus bewacht. Er lauft ausserdem Gefahr, von einem
der Bewohner des Goringschen Hauses gesehen zu werden.
Ist es vorstellbar, dass Kommunisten durch Gorings Haus
hindurch zum unterirdischen Gang gehen, ohne von der Stabs-
wache (30 Mann!) angehalten und verhaftet zu werden? 1st es
vorstellbar, dass Kommunisten durch Gorings Haus hmdurcfi
zentnerweise Brandmaterial transportieren, ohne von der btaDs-
wache angehalten und verhaftet zu werden? 1st es vorstellbar,
dass Kommunisten durch Gorings Haus fluchten?
Das ist unmoglich. Jeder Kommunist, der in den F*™*"-
Tagen versucht hatte, Gorings Haus zu betreten, ware zweifellos
verhaftet worden.
Fiir die Kommunisten war es w^-' ^JfeSs-
Gorings Haus und durch den unterirdischen Gang m den Keicu
tag zu gelangen. Fiir wen war es ™f»™ n den ger ing S te n Ver-
Am unauffalligsten und ohn « »" c \S^ en nUr fuhrende Na-
dacht bei der Stabswache zu erwecken. ><° n ™ n n Hausc fanden
lionalsozialisten Gorings Haus belreten. In d.esem
121
viele Besprechimgen zwisehen Goring und den Snitmifimirti -
ren der Nationalsozialisten stall. Kein S A Won. P b!f funkt r 10na ~
Gedankea kommen, Manner, die in seine^VaS toS%*n ^
bekleiden, und die er oft in G6rin 6 s^s Ki^SSffi
ten^ Fur sie bestand kerne Gefahr. Sie konnten nngehinS ein-
und ausgehen. Dies gilt vor allem fur hohere s/SSSSoiE
l n et a ' S ^°E etZ ^ dcr Slabswache ein vollig ungehemmtes
SI J f HaU n . G °™? geSkhert war - Sie konnten ohne jede
Schwiengkeit in kleinen Mengen und unbemerkt das notwendige
Brandmaterial in Gorings Haus bringen. Auf die Stabswache
konnte es selbst nicht auffallig wirken, wenn eine Anzahl Kisten,
deklanert als «Akten» oder sogar als « Waff en » im Keller des
Hauses eingelagert wurden (Waffentransporte waren in jenen Ta-
gen im Nazilager allerorts an der Tagesordnung).
Gorings Haus war die Schliisselstellung fur den Angriff gegen
den Reichstag. Wer Gorings Haus zur Yerfugung hatte, konnte
gegen das Reichstagsgebiuide unternehmen, was er wollte. Gorings
Haus war der Briickenkopf, von dem aus die Brandkolonne zum
Sturme antrat Gorings Haus war das Depot fur ihre Brand-
materialien. Gorings Haus war der sichere Port, in den sie nacb
vollbrachter Tat fluchten konnten.
Die Brandstifterkoloune
Wir sprachen davon, dass es nur fur SA-Fuhrer moglich war,
in Gorings Haus zu gelangen, ohne Verdacht zu erwecken. Auch
Oberfohren spricht in seiner Denkschrift von ausgesuchten SA-
und SS-Ftihrern. Es ist klar. dass die nationalsozialistische
Fiihrung, die den Plan zum Reichstagsbrand ausheckte und
organisierte, alles Interesse daran hatte, ihre zuverlassigsten Pra-
torianer mit der Durchfiihrung des Plans zu betrauen. Goebbels
und Goring konnten sich nicht in die Hande eines beliebigen SA-
Sturms geben. Goebbels und Goring konnten sich nicht der Ge-
fahr aussetzen, dass ein unzufriedener S A -Mann die wahren
Brandstifter verriet. Goebbels und Goring mussten ihre Mithelfer
in den Reihen der obersten Funktionare suchen. Es mussten
Manner gefunden werden, die einerseits vor keinem Verbrechen
zuruckscheuten, andererseits durch viele gemeinsam begangene
Verbrechen mit der nationalsozialistischen Fiihrung und ihrem
Schicksal so eng verbunden waren, dass kein Verrat zu befurchten
war. Die nationalsozialistische Fiihrung ist reich an Mannern, die
diese Voraussetzung erfiillen. In ihren Reihen befinden sich Feme-
morder vom Schlage der Oberleutnant Heines und Oberleutnant
Schulz. kriminelle Verbrecher vom Schlage der Dr. Ley una
Kaufmann, degenerierte und pervertierte Anstokralen vom
122
Scbiage des Graien Heildori. Aus dieser Schar von Mannern. dn-
ra it Existenz und Leben an die Nazifuhrung unlosbar gekeltet
sind, wurde die Brandstiflerkolonne zusamniengestellt. Die Let-
tung erhieJl, wie wir aus dem Bericht Oberfohrens wissen, der
Fememorder Heines. Sein erster Gehilfe war der Fememorder
Schulz, und unter seinem Kommando arbeitete der Fuhrer der
Berliner SA Graf Helldorf.
Wie gescliah die Brandstif tung ?
Die nachlolgende schematische Zeiehnung ernes Kjiminah-
sten zeigl die erste Phase der Brandstiftung. Die Kolonne saui-
melte sich in Gorings Haus. Heines, Schuiz, Helldorf und die an-
deren konnten ungehinderi die Stabswache passieren, der sie ais
SA-Fiihrer bekanul waren. Van der Lubbe ist vermutlich mil
dem Graien Helldorf in Gorings Haus gekommen.
Schematische Uarstelhmg der Reichstagsbrandstiftung nach
kriwiinalistischen Festslellungen und amtliche-n Meldiing&n.
2. Phase.
I Goringe Haus. 2. Der uaterirdische Gang von G5rings Haus zum Reichs-
tagagebiiude. 3. Sitzungssaa) des Reichstags. 4. und 5. Stabswaehe Gonngs.
Man sieht die Brandstifter im unterirdischen Gang auf dem Weg zum
Reichstag,
123
Die erste Auigabe, welch e die Kolonne nunmehr zu bewalti-
gen hatte, war der 1 ransport des Brandmateriais. Uazu benutzten
die Brandstittei den unterirdisehen Gang, der von Gonngs Haus
in den Reichstag tuhrl. Vermuthch musste der Weg mehrmals
gemacht werden. Sie begannen ihre Arbeit aut ein vciabredete^
Signal, das ihnen meldete, dass die ietzten Abgeordneten d«:i
Reichstag verlassen hatten. Eine Gefahr der linldeckung durcb
die diensthabenden Reichsiagsbeamten besland mcht, denn diese
waren durch den nationalsozialistischen Hausinspektor vor Been-
digung der Dienstzeit nach Hause geschickt worden. Die Vertei-
lung des Brandmateriais aul die verschiedenen Stellen. das Be-
giessen der leicht entzundlichen Stoffe mil Petroleum, Benzin und
anderein muss eine geraume Zeit in Anspruch genommen haben.
mindestens zwanzig Minuten. Dann wurden die Brandherde ent-
ziindet.
Schematised Darstellung der Reichstag sbrandsliftung nach
kriminalislischen Fettstellungev and amtlichen Meldungev
2.Pha$e.
I Obrings Hans. 2 Der unterirdische Gang von Goring Hans zun, Reich,
tflgsgeb&ude 3. Sitzungssaal des Reichstags. 4. und 5. Stabs^ache Gdrings.
Die Rrandstifter entziluden die Brandherde.
121
Die ersten Berichte der Polizei und der Feuerwehr sprachen
von sieben bis zehn Brandsliftern und von viclen Brandherden.
Niemand in Deutschland glaubte, dass die Brandstifter auf dem
gew6hnlichen Wege in den Reichstag gelangt und auf dem ge-
wfihnlichen Wege gefluchtet seien. Es erhob sich die Frage: wie
sind die Brandstifter entkommen? Jedes unvorsichtige Wort eines
Polizisten, eines Feuerwehrmannes, jede Zeitungsnachricht konnte
cine Ueberraschung bringen. Goring war in hochster Bedrangnis.
Er griff zu einem alten Trick. Bevor ein anderer behauptete, die
Brandstifter seien durch den unterirdischen Gang gefluchtet,
wollte Goring es selbsl sagen. Er wollte damit der drohenden Ge-
fahr begegnen, er wollle harmlos erscheinen lassen, was hochst
verdachlig war. Goring selbsl sprach aus, dass die Brandstifter
durch den unterirdischen Gang entkommen seien. Er hat diesen
Ausspruch bitter bereut Der Trick misslang. Nie wieder war in
einer Ministerrede, in einem amtlichen Bericht von diesem unter-
irdischen Gang zu Gorings Hans die Rede. Gorings Ausspruch
sol he vergessen werden.
Wir haben ihn nicht vergessen. Jawohl: die Brand-
stifter sind durch den unterirdischen Gang entkommen. aber
sie konnten diesen Gang nur benutzen. weil sie wussten, dass
er zu Gorings Haus Euhrt Gorings Haus. das hiess fur sie: Sicher-
heit. Der amtliche iPreussisehe Pressdienst* vom 28. Februar
schrieb, dass die Brandstifter genaue Ortskenntnis besessen hatten.
Wem war es leichter mdglich, sich genaue Ortskenntnis zu be-
schaffen. den unterirdischen Zugang bis ins Letzte zu priifen und
zu studieren, als den Freundcn des Reichstagsprasidenten GSring?
Er war Herr im Reichstag. Ei konnte seine Freunde an Hand der
Plane fiber jeden Winkel informicreu« Er war Hen- im Palais des
Reichstagsprasidenten, Er konnte seine Freunde bei sich empfan-
gen. Er konnte in seinem Hause das Versteck und Depot fiir das
Brandmaterial schaffen- Er war Preussischer Minister des Innern^
i besass die Poiizeigewalt in ganz Preussen. In Gorings Hand
waren alle Mdglichkeiten vereint den Reichstagsbrand vorzube-
retteUf
Van dee Lubbe im brenneuden Reichstag
: Prcussische Pressedienst* hat der offenllichen Meinung
vorzuspiegeln versuchl. van der Lubbe habe nicht fhehen kon-
nen, wei] er keinerlei Ortskenntnis besessen habe. Alle anderen
Mithelfei des van der Lubbe waren r.ach Angabc des 'PreuSSl-
schen Pressedienstes und Gorings ortskundig. Es ware ein leicn-
tes Eur sie gewesen, van der Lubbe mitzunehmen und zu «™tten».
Aber van der Lubbe durfte nicht .geretteU werde^
Van der Lubbe isl fur die Tat von den homosexue
SA-Ffihrem, die in der Brandstifterkolonne rmtmarschier-
125
ten, als Werkzeug enipfohlen worden. Durch seine Person
sollte bei der Brandstiftung der Kommunismus dargestellt werden
Diesem eitlen, ruhmsfichtigen, halbblinden Werkzeug klar zu
machen, dass es fur erne «grosse Roller ausersehen sei war leicht
Van der Lubbe musste im brennenden Reichstag zurixckeelassen
werden und wurde zuruckgelassen, weil er das Beweismittel ee-
gcn die Kommunisten war.
Van der Lubbe hat seine Rolle gespielt, so gut er konnte. Er
liess sich im brennenden Reichstag verhaften. Er hatte Hemd und
Jacke abgeworfen, urn ein «echtes Bild* des «kommunistischeu
Brandstifters* zu stellen. Er gestand die Brandstiftung im
Reichstag. Er gestand jede Brandstiftung, die gewunscht wurde:
im Neukollner Wohlfahrtsamt, im Berliner Rathaus, im
Berliner Schloss. Und van der Lubbe wird weiter alles
gestehen, was seine Auftraggeber von ihm verlangen. Er wird
gegen Torgler alles aussagen, was ihm seine nationalsoziali-
stischen Auftraggeber vorschreiben. Er wird gegen Dimitroff alles
aussagen, was gewunscht wird- Er wird jeden belasten, den seine
nationalsozialistischen Freunde vernichten wollen. Er wird jeden
enllaslen, den seine nationalsozialistischen Freunde schirtzert
wollen.
Hermann Goring
Alle Gestandnisse van der Lubbes konnten doch nicht verhifl-
dern, dass die zweite Aufgabe, die ihm zugedacht war, misslang:
durch sein Hervortreten, durch seine bereitwilligen Gestand-
nisse die wahren Brandstifler vor den Augen der Welt zu ver-
decken. Hierfiir war die Figur «van der Lubbe* zu winzig, war
seine Rolle zu durchsichtig. Die Welt durchschaute den Betrug;
sie erkannte, wer dahinter steckt, sie sah: den Kapitan Her-
m a n 11 Goring, Obergruppenfuhrcr der SA, Minister der Deut-
tbwmam -SSHJjelnt ©Bring
(Viationaljoa. 3>euifc3& ttr&cMeii;:^.- ■
• kim]. in ^oprif&sea. ©eb. 12. 1. 1893
Sfabctlcnr:, Stn. i. ^t-Afcat. m. ]gM».
Oft, 1914 Slieacr 3ui. ftommani). 5.
SfofifcaB fcauptm. 1915 BUea. u. »g
taUt im ?flu<ito. In ^ncmfl^ — 1920
J>. 1921 Sylua^ei bel ©tocnjTa Sutmat.
1922/33 Unito. OTimrtjeu, 1924/25 ©tug.
tti Worn,. 1925/26 In ©tod&oim .©tetft,
ftefC. 1957 tit Stfdrtb. P. I- nj?rite, 8Ut*
Uxtx Sofierw. m. (2k(>hicrt., (5 SI. u.
h ftC Mlttetft. SBttit. *ari^rlcbr.«
Or*. (Stoto.), Sa$r. sawcn m. fmgt-
u. ©tftfoctt. wo. — 2ft. &. ft. f- 1928'
Goring* Biographie im Handbvch des Reichstag:
126
schen Reiches, Preussischen Ministerprasidenten und Minister
des innern, Prasidenten des Dentschen Reichstags
Hauptmann Goring hat uns i m Reichstag°shandbuch seine
Biographie gegeben Ls ist eine Geschichte der Orden. Im Leben
dieses Menschen scheint sich nichts anderes ereignet zu haben ais
Ordensverleihungen. Selbst seine engeren Freunde, ehemaliee Of-
fiziere wie er, haben in der Biographie, die im Reichstaashand-
buch wiedergegeben ist, auf die Erwahnung ihrer Orden verzich-
tet. Nur Hermann Gorng hat sie alle aufgezahlt.
Der Kapitan Goring ist am 12. Januar 1893 in Rosenheim in
Bayern geboren. Auch wenn man es nicht aus seiner Biographie
wiisste, wurde man keinen Augenblick daran zweifeln, dass er in
der Kadettenschule erzogen wurde.
Gorings «Biographen» erzahlen gern von seinen Heldentaten
als Jagdflieger im Kriege. Sie vergessen hinzuzui'iigen, dass
Goring seine Jagdfliige imMorphiumrausch ausgefiihrt hat.
Die Morphiumspritze war sein standiger Begleiter und ist es bis
heute geblieben.
Die «Biograpfaen» Gorings berichten, dass er sich 1924/25 in
Rom aufgehalten hat. Sie vergessen hinzuzufugen, dass er 1923
aus Deutschland floh, als der Hitlerputsch misslang. Der «Held
des Weltkrieges», der «Wolkensturmer», desertierte, als ihm einige
Monate Festungshaft drohten. Er war nicht vorn Tode bedroht
wie jene deutschen Arbeiterfuhrer, die innerhalb und ausserhalb
Deutschlands unter Einsatz ihres Lebens den Hitler-Faschismus
bekampfen. Goring desertierte angesichts einer kleinen Festungs-
strafe.
Seine «Biographen» berichten, dass Goring 1925/26 in Stock-
holm gewesen ist unddortbei einer Fluggesellschaf t gearbeitet hat.
Sie vergessen hinzuzufugen, dass Hermann Goring nach den offi-
ziellen Berichten der Stockholder Polizeiprafektur im Jahre 1925
in der Anstalt Langbro interniert war, well ihn ein Arzt fur gei-
stesgestort erklart hatte. Er wurde spater im Hospital Kon-
radsberg bei Stockholm untergebracht, aber er musste J*Mf&
seines Verhaltens nach Langbro zurucktransportiert und (tort
unter Verschluss gehalten werden. Er konnte in Pnvatanstalten
nicht laager gepflegt werden, denn das Personal weigerte sich, llin
zu bewachen, Auch in Langbro hatte er so heftige Ausbmche von
Tobsucht, dass er in die Abteilung fur schwere Falle gebracM
werden musste.
Wir veroffentlichen in unserem Bilderleil die Karjotti^-Karte
die fiber die Einlieferung Gorings in die rrcnanstal L™gb °
Auskunft gibt. Alle Dementis Gorings und a le Klagen d e er nun
durch die schwedische Regierung gegen die Blatter, die diese Mel-
127
dung uber ihn brad) (en, anstrengen lass I. werden vew»hK^h tai
Das Braunbuch verolfentlicht den u n W i d c H e g fth °n d T "
kumenianschen Beweis, dass Goring i m r !
haus in termer I war. »u uren-
'''^J?SS?^^^ tedxtom gern uber seine Ehe mit
Thomas. Wahrend einer der Gerichtsverhandlungen. am 22. April
192o wurde dem Gericht ein Gulachten des Gcrichtsarztes Karl
A. Lundberg vorgelegt, das wir in unserm Bilderteil wiedergeben
In diesem Gutachten wird eindeutig erklart, dass Goring schvverer
Morphinist sei. Die Morphiumsucht Gorings ist demnach *e-
richtsnotorisch. Das Gericht hat beschlossen. dass Goring nichl
zum Vormund des Knaben Thomas bestellt werden kann. Der Na-
tionalsozialismus hat dem Morphinisten Goring die Vormund-
schaft uber 60 Millionen Deutsche anvertraut.
Am 10. Marz 1933 hielt Goring eine Rede in Essen, in deren
Verlauf er unter anderem sagte: «Ich habe meine N erven bisher
nichl verloren.» Mit dieser ausweichenden Antwort hoffte er. die
Mitteilungen der Auslandspresse uber seinen Nervenzustand zum
Verstummen zu bringen. Er rechnete damals nicht damit. dass
dokumentarische Belege uber seine Nervenverfassung, seine Gei-
stesgestortheit, seine Morphiumsucht bestehen. Wir verofientli-
chen diese Dokumente nichl, urn sensationelle Details aus dem
Privatleben Gorings zu enhiillen. Wir veroffentlichen sie, um zu
zeigen, welchen Mannern der Nationalsozialismus die Macht in die
Hand gegeben hat. Im <drilien R e i c h» ist der wich-
tigste Mann n a c h Adolf Hitler ein notorischer
Morphinist, dem ein schwedisches Gericht die
Fahigkeit zur Vornuindschaft abgesprochen
hat, ein Mensch. der wegen Geistesgeslorlheit
im Irrenhaus interniert war.
Es ist kein ZufalL dass dieser Gdring eine fiihrende Rolle im
Dritten Reich spielt. In ihm ist die ganze Brutalitat des alien
preussischen Offizierkorps reprasentiert, das seit 1918 unimter-
brochen zur Macht drangte. In ihm ist der Sadismus der Offiziere
reprasentiert. der in diesen Monaten zu Tausenden von Morden
und Zehntausenden von brutalen und grausamen Misshandl unpen
gefiihrt hat. In ibm ist jener Offiziersklungel reprasentiert, der
Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordete, der in Ungarn
Strome von Blut vergoss. der in Finnland weisse Galgen errich-
tete. der ganz Hitler-Deutschland zu emer braunen none
Cfstaltete. . ..,.., n r*-i. ,-<*
In Goring ist der Sinn der nationalsozialistischen Poll til. re-
prasentiert. Nicht der Arbeiler. nicht der Angestellte. nicbt der
128
MiUcLslandler vvhd durch den Nationalsozialismus ve.lreten I)..,
Nationalsozialismus vertritt die Inlerewr, rt» ZL u .
Klasse, vertritt die Interesscn der H e , r e n I a ,1 1 herrKhenden
sozialismus wurde die poHtis^m^H L de ge^ H t
mit er das bestehende wirtschaftliche System erhafta, und es
gegen die ansturmenden Krafte der sozialen Revolution scnmz?
Zur Vertodwung dieser Interessen, zur Verieidigung de PfSde
seme hochslen Spitzenfunkbonare au S den Reihen des ehemajS
Ofhz.erskorps.. des Adels und des hohen Beamtentums gehoU
Dieser Hauptmann Goring, brutal bis zum Letzten, verlo4n his
zum Letzten, i'eige bis zum Letzten, tragt das wahre Gesicht des
Nationalsozialismus.
Dieser Hauptmann Goring ist der Organisator des Reichstass-
brandes. Sein Parteigenosse Goebbels hat den Plan erdacht, Gorina
bat ihn durchgefiihrt. In seiner Hand waren alle Moglichkeiten
vereint. In seine Hand war alle notwendige Macht gegeben. In
seiner Hand liefen alle Faden zusammen. Der Morphinist
Goring hat den Reichstag angezundet
1 29
Zerattfrung der Legalen Arbeiterorgaiiisationen
<Nuiinjehr ist die Stunde der Abrechnung gekommen, in der
wir eiskalte Koiisequenzen Ziehen. Sie sollen sich keiner
T&uschung hingeben, dass dieee Abrechnung ein uicht natur
Itbes Ende nehmen konnte. Das Ende der Revolution ist das
Ende der Novemberverbrecher, das Ende dieses System*, das
Knda dieser ZeitI Wir werden diese Manner verfolgcn big in
die ietztea Schlupfwinkel hinein und werden nicht rasten, bis
dieses Gift restlos aus unserem Volkekorper entfernt sein
wird.> (Hitler am 7. Mai 1933 in Kiel.)
Hitler verkundete bereits in seinem Buch «Mein Kampl"» die
Ausrottung des Marxismus als den entscheidenden
Pro^rammpimkt der Nationalsozialislen. Er predigle den todlichen
Hass gegen die Lehren von Karl Marx, Friedrich Engels, Lenin
und Stalin. Er will 80 Jahre Erfahrung. Ideologic und Organisa-
tion der Arbeiterklasse mil Blul und Eisen aus dem Leben
Deutsclilands ausmcrzen
Warum muss der Hitlcrfaschismus die Zerstorung und Aus-
rottung der politischen Partcien.dei G n, der Konsum-
genossenschaften, der Sport- und Kulturorganisationen des Prole-
tariats mil alien Milteln anstreben? El kann es nicht ert ra-
ge n, dass die Presse der Arbeit" rrscheinL Er kann keine
Streiks, keine wirtschaftlichen Kampfbewcgungen, keine sell
standige kulturelle Betatigung, keinen politischen Freiheitswillcn
der Arbeiter dulden. Hire UnterdrQckung isl f£kr den Hitler-
faschismus eine Leben sir age. Dureh den Faschismus wollen
die herrschenden Klassen ihre M&cht, die sie mil den Mitteln de:
btirgerlichen Demokratie nicht mehr aufrecht erhalten konnten.
gewaltsam und diktatorisch behaupten. Wir sehen in spateren
Kapiteln dieses Buches, wieviel beimtuckische Morde die Natio-
nalsozialiston begingen. welche grauenhaften MLsshandlungen, Fol-
terunscn und Kerkergreuel sie hauften. urn die Organisationen
und die Fiihrerkaders der modernen Arbeiterbewegung Deutsch-
lands zu vernichten.
Millionen Menschen, die aus Not und Verzweiflung der Krise
eincn Ausweg suchten, gingen zu Hitler. Sie kamen zu ihm in der
gl&ubigen Hoffuung aid' soziale und nationale Befreiung. Sic
USSten niclil. dass sie auf eiuen reaktionnren Weg gefuhrt und
iss sie missbraucht wurden. Sie ahnten nicht. dass ihre Bew<
, ihr antikapitalistischer Hass. ihre in den braunen Fonna-
tionen zusammengebailtc Kraft in der Fausl der Hitler und Goring
%v : \ f -u sollten, die auf die Organisationen der Arbeiter
herab
K,. »r1 zwn Wesen dea ] aschismus, mil dei Methode der
Gewall raflhueri den sozialen Betrug zu paaren. Aui den Trum-
niern dei von dra Arbeitern selbsl geschaffenen Organisationen
so lN,„ unter dei Hakenkreuzflagge neue scheinbar arbeiterfreund-
lich« Organisations erstehen. Das faschistische Italien sol) das
Vorbild sein: Siandeorgamsationen aller Berufsschichteo ah
Werkzetige des .totalen Staates., des Staates der absoluten fa
schistischen Diktatur. Das Propagandanrinisterium des Herro
Qoebbeh preist in tSnenden Worten den *neuen Add der Arbeit-,
wfthrend die alten Ausbeutun rhaltnisse in den Betriebeii
Deulschlands wetter bestehen bleibea Die neuen Pseado-Arbeiter-
orgaaisationen sollen eine Efilfsarmee des diktatorischen Regimes
m. Kein Mensch erhSl! einen Arbeitsplatz, wean er ihnen aicht
angehorl !
Die gelegentlichen antikapitalistischen Redewendungen der
Nazifubrer durfen aicht rail dem Wesen ihrer Politik verwech-
sell werdea Man radge sich niefal dadurch lauschen lassen, dass
die Nazia auch bei einigen kleinen Unternehmern Corruption*
enthfllll baben, Im •VSIkischen ' vom 10. Jurri 19
verdffentlichl der Fflbrei dei nationalaozialistischen -Doutschen
ArbeitsfronU, Dr. Le .. Gi izYu he Gedanken Qber den stan-
dischen Aufbau and dii trbeitsfront . d< -ribst
die hfichste programmatische utung beimissl Ja, in der abli-
chen nationalsozialistischen G ■- isl er sie sogar als
■ Fundament, auf dem bunderte binaua neu
li;iiini kdnnen.i I>i i undamenU sieht
in seinem Kernabsata rtum im Beti id
Klihrcrl«i b Dtthalb Wild der staodi-
srfae Aufbau &I Ichen FQhrer elne« Betriebee. das
beteal dtro Dnternahmer < ollc Filhrunj? wfeder in die Hand
ib ■'!) and dtnil :>t>er aurh die voile Verantwortung aufladen , . .
Entechetden ki - Pnt :ier,>
Diesem Programm entspricht der Kampl
dsationen von der Kommtmistischen Pai :( zu A
wirtscbaftsfTiedlicfien trkschafta- and Gesellen-
organ men,
Der Hitlerfaschismus siehl und furchtet in der Kom muni-
s' ' s «■ ii e n P a r t e 3 jene I nation. im Ku
Uigc und Verleumdung, im Trommelfeucr der Vi und
une itterlich aurh in der III
den V ntrierl s m
den Komi B.
hrrn
mil idler Klarheit Treuhekenntnisse zum bQrgerlichen Staat uiid
zur Verteidigung des «Wirtschaft$friedens» abgelegl bat Er grelft
r&cksicbtslos auch die sozialdemokratisch gefuhrten Gewerkschi
ten an. trotzdem sie in den ersten zwei Monaten nach dem Reichs-
tagsbrand in Rundbriefen, Artikeln und offizielien Erklarungen
ihre Bereilschaft zu einer Mitarbeit unter Hitlers Fiihrung be-
kundeten. Die Verfolgungswelle trifft sogar die chnstlichen Ge-
werkschaftsorganisationen, die katholischen Gesellenvereine und
auch die deutschnationalen Betriebsorganisationen, die als Kon-
kurrenz gegen die NSBO von den deutschnalionalen Parteifuhrem
aufgemachl wurden.
Die fascbistische Diklalur verfolgt vor allem die von der Ar-
beiterbewegung selbst geschaffenen Organisationen — sei ihre
Polilik noch SO «staatserhaltend» — und will sie vernichten,
weil sie in jeder dieser Organisationen ein antifaschistisches und
antikapitalistisches Kraftereservoir furchlen muss. In den Reihen
der Sozialdemokratie, der sozlaldemokratischen und christlichen
Gewexkschaften sind Millionen antifaschistisch gesinnler Arbeiter.
Muss die Hitlerregierung nach dem ohnmachtigen Untergang der
Weimarer «Deinokralic» nichl die weitere Radikalisierung dieser
Milglieder lurchtcn ? Muss sie nichl davor zittern. dass allc dicse
Organisationen zu Zentren des antifaschistischen Widerstandes
werden, da die Kommunisten in ihnen unter der Losung der Ein-
heitsfront cine zahe AufklSrungs- und Mobilisierungsarbeit gegen
das Hitlerregime betreiben?
Furcht, Furebt und nochmals Furchl vor jeder selbstandi-
gen Regung und Organisation der Arbeiter bestimmt alle Hand-
lungen des deutschen Faschismus, der keine einzige der sozial
und nationalen Lebensfragen der deutschen Arbeiter losen kann.
Miller enteigiiet!
Millionen Menscben bat Hitler mit der Losung Gegen das
raffende Kapital !» unter seiner roten Fahne mil dein schwarzen
Hakenkxouz im weissen Felde gesammelt Hitlei hat keine Trusts
verstaatlicht, keinen Finanzkonig enteignet. Hitler hat jedoch in
den ersten Monaten seiner Herrschaft einen grossen Enteignungs
Eeldzug gegen das muhselig aus Arbeitergroschen geschaffene
Eigentum der politischen und gewerkschaftlichen Arbeiterorgani-
sationen durchgefuhrt
In der Nachl des Reiehstagsbrandes wurden mil ei
Schlage s a m 1 1 i c h e k o in in u n i st ische n n n d s 02 i a l-
il e in k r a t i s c h e u Zeitun g e n v e r bote n.
Verboten wurden das Zentv; an der KPD, die B
, und ihre samtlichen Provinzzeilui
132
Verboten wurde das Zentralorgan der SPD. der «Vor-
N v;iils», und ebenfalls ihre samtlichen Provinzblatter.
Verboten wurden die der revolutioriaren Arbeiterschaft
nahestehenden Blatter «Welt am Abend*, «Berlin am Morgen»
und ; Arbeiter- lUustrierte-Zeitung*.
Verboten wurden samtliche Arbeiterzeitschriften ohne
Unterschied ihrer Parteirichtung.
Auf Grund der Nolverordnung der Hitlerregierung vom 5. Fe-
bruar 1933 wurde in der Woche des Reichstagsbrandes das Karl
Liebknecht-Haus als ein *Herd staatsfeindlicher Umtriebe»
enteignel.
An! Grund derselben Notverordnung wurden samtliche
Druckereien und Druckereigebaude der Kommunistischen Partei
im ganzen Reiche enteignet. Die gleiche Methode wurde gegenuber
den~Verlagen der «Welt am Abend* und ihrer Bruderorgane an-
gewandt.
Sturm auf Grewerkschaftahauser
Schon vor dem Reichstagsbraud batten die planmassigen
UeberfSIle der SA-Formationen auf die Gewerkschafts- und
Volksbfmsn in alien TeileD des Koiches begonnen. Vielfach
Stiessen Sie auf einen erbitlerten Widerstand der Arbeiter aller
Parteirichlimgm. In Chemnitz wurde am 9. Marz der Ge-
sch&ftsfuhrer dea sozialdemokratischen Druckerei Landgraf
von der SA bei der Besetzung der Druckerei erschossen. Am
selben Tag verteidigten Arbeiter mil Gewehren und Handgranaten
das Gewerkschaftshaus in Wur gen die anstfirmende SA.
In Braunschweig wurde der Werbeleiter Hans Saile bei
der BeseLamt; des sozialdemokratisciien Volksfreund—Gebaudes
durch die SA erschossen. Ein Teil der Dresdener Arbeiter
streikte am gleichen Tag gegen die Plunderungen des Volkshauses.
Das Berliner Gewerkschsftshaus wurde an diesem Tag van-
dalisch verwfistet
Ueber die Besetzung des Gewerkschaftshauses und des Otto
Braun-Hauses in Konigsberg wird von einem Augenzeugen be-
richtet :
cDer aesamtvexband (Sektion Gesuodheitswesen) tatte ^•""Jj
MonatsvereammluBg und daran anscbliessend. wie da? ^ u -
Qblich war, ein gemMfches Beisammensein. Inzwiecben *aren
i der Nacht die SA-Leute in die ra ™* d " °*^ ^
ihftftehause* ein^drungen. & m« em* Z***^**
tPn Bleb 90 unbemerkl i W** Wttrden ™ -
Tliren aufgerissen und ca. 60 Mann, siimtlich mit Pistol en bewaff-
net, drangen in den gros9en Saal ein und feuerten mehrere Schusse
an die Decke und an die Wand. Die abprallenden Schiisse ver-
letzten 5 Mann, darunter einen sehr schwer. Aladann trieben die
Banditen Frauen und Manner mit vorgehaltenen Piatolen aua dem
Saal auf die Strasse. Die Garderobe der Leute war beschlagaaumt,
sodass Frauen in dtinnen Kleidern und Manner ohne Kopfbe-
deckung und Mantel ihre zum Teil sehr weiten Heinrwege antreten
mussten. Sodaun wurden die GewerkecliaftsbUroa durchstbbert und
vollig demoliert. Es wird ausdrttcklich bemerkt, dase sich im Have
keine Reichsbanuerwache befand und dass auch nicht ein einziger
Schuss gefallen ist, denn daa batten die Teilnehmer der Versamm-
lung unbedingt merken museen. Selbst die Oekonomie hat nicbtfi
davon gehbrt.
aavon ^cuuit.
Anders n.b.n sich die Voxfalle bei der Be.etair. s des Oil. Br. UD-
Hau.ee enWickelt. Zelio Minuter, »»r X12 UUr Mchtt endue
nee z.ei ueitormiert. Polfeeibeamte and nahmen dem dotl 1 im*"-
ton Swechter die Pistole ab and erkldrtee ita ill Oe»el »d
Z K <wir »--»^- I ;-™rS SJS5LS
der B»^. MM - J- .^"ZgtfiEL*.
Z TSXt: J3£ .*- r «f- r Met
n&chst auf das ReichsbannerMro. Saml ' iches ™°° k , ein gescblagem.
Aexten. die bereits mitgebrach wa = kun, und £ - J^ f rf .
Grosse, wertvolle B.lder ^^J"™* Das Biiro 1st ein ein-
gebrochen und ebenso afontliche S f reibt, ^., h a = Her SPD allea
figer Schutthaufen. Aehnlich wurde im Be^ksbOro der^
demoUer, Im Bttro.de. Fr ^^^^f^Tet L ScTnn wrde
Die Urnen waren em besonderes Objekt ^osberger Volkszeitung>
der MflMUur d« Verlag* ^^fSSenoH und nahezu
mit vogehaltener Pistole von 3 S^^ e A n d ronung des Er-
4 Stunden durch alle RHurne "^^^^ffi musste auch auf dem
nehieuen* geschleift. Der a^^S™;^^^ befindlicbea
Hof die vernueteten Autopr^j. « J™ "^ ^ privat eo Fi,
Wagen fataruninoghch machen. H.er standen a h en
mon und Personen. die die Garagen gem.etet batten. ^ la ^
Z private- Lenten ^^fUS v^JenaUenen Pl-
ana! wurde dem Geschaftsfuhrer Blank umer a . ge
„ verbrennen^ Daa ^\^^\X^r^t^^ Nunmehr
sich hi* sum Eimu«! dei ■•■^-'■;_ , ...,
134
Ueber die Besetzung des Gebaudes des Bergarbeiterverbandes
in Bochum berichtete die sozialdemokratische «Volksstimme» in
Saarbriickcn am 13. Miirz :
<Ihre Reichszentrale, der Sitz des Verbandee der Bergbauinduatrie-
arbftiter Bochum, Est von den Hitlerbanditen der SA und SS uberfallen
und von oben bis unten demoliert und zeratSrt worden. Die gesamten
Akten warden angezlindet, wobei Teile dee Hauses mit in Brand ge-
rieten, und der gesamte Hauptvoratand, soweit er erreicbbar war, an
der Spitze der Vorstandsvorsitzende, Reich stagsabgeordneter Huee-
mann, wurden von der SA und SS fortgeschleppt.>
Diese wenigen Beispiele bieten nur einen winzigen Ausschnill
aus den Vorgangen jener Ta^e in ganz Deutschland. Ueber
samtlichen Gewerkschaft-, Volks- und Zeitungshausern der So-
zialdemokratie und der Kommunistischen Partei wurde gewalt-
sam die Hakenkreuzfla^-e gehisst
Moralische Provokation
Den Nationalsozialisten genugte nicht die gegluckte Provoka-
tion durch ihr braun«s Brandkommando im Reichstagsgebaude.
Sie griffon zum Mittcl der moralischen Provokation. Sie nannten
das Karl-Liebknecht-Haus • Horst-YVessel-Haus* und machten
es zum Sitz der politischen Polizei.
K a r I Li e I> k n e chta Name ist den Arbeitern der ganzen
Welt bekannt. Der Name dieses edlen, selbstlosen Revolutionaxs
ist Millionen Arbeitern weil 5ber Deutschlands Grenzen hinaus
heilig. Karl Liebknecht del lrot2 Standrecht mitten im Weltkrieg
unexschrocken seine Stimme erhob und ram Sprachrohr der gan-
zen arbeitenden Menschheil i daa Millionenmorden wurde,—
dieser Nairn- bat hohen Slang bei alien fortschrittliehen Menschen
in der ganzen Welt
Wer war dor nationalsozialistische Held* Horst Wessel,
diese legendare Figur nationalso2ialistischer Geschichtsfabrikan-
ten? Horst Wessel war ein verbummeltex Student, Sohn ernes Pa-
stors, Zuhalter in dor Gegend der Berliner Miinzstrasse. Selbst die
Nazis kSnnen nicht bestreiten, dass der *Held» Horst Wessel, der
nachts mit seinen Sturmtrupps Jagd auf «Marxisten» machte. von
den Einnahmen einer Prostiluierten lebte In der Wohnung des
Strassenmadchens wurde er von cinem fruheren Zuhalter aes
Mudchens umgebracht Die nationalsoziahstischen Legencien-
schreiber wissen zu berichten. dass Horst Wessel nur die .beeie»
der Dime rotten* wollte. Die nationalsozialistische Presse De-
bauptete - und das wurde zur offiziellen Legende — Horst wessei
sri ; ,is Opfer dor Kommunisten gefallen.
Den Namen dieses Holders tr> jetzt das eheniahge Zentral-
ib&ude der Kommunistischen Partei Deutschlands. Der Name
Karl Liebknecht wurde entfernt
Organisationsauflosuiigeii, Terror in den Betriebeu
Es eaJb und gibt kein ionnelles Verbot der Kominunisti-
schenPartei in Deutschland. In dem mit drakonischer
Hiirte betriebenen Terrorfeldzug wurden alle kommunislischen
Fuhrer und Funklionare fur vogelfrei erklart. Alle Organisationen,
die im Geruch standen, klassenkampferisch zu sein, wurden ausser
Gesetz gestellt. _
Die gewerkschaftlichen Organisationen der revolutionaren
Arbeiterschai't wie der Einheilsverband der Bergarbeiter und der
Berliner Einheitsverband der Metallarbeiter, die gesamte Re v o-
lutionar". Gewerkschaft s-O p p o s i t i o n (.RGO) wurden
in die Illegalitat getrieben Ueberparteiliche revolutionare Arbei-
lerorganisationen, der Kampfbund gegen den Faschismus, die
Kampfeemeinschaft fur Rote Sporteinheit. die revolutionaren Ver-
bande der Schriftsteller, der bildenden Kunstler, der Arbeiterpho-
toeraphen usw., verliefen unmittelbar nach dem Reichstagsbrand
der "leichen Behandlung wie die Kommunislische Partei.
Die Rote Hilfe Deutschland s, eine proletansche
Hilfsorganisation fiir die Unterstiitzung der politischen Gefange-
nen und ihrer Familien, eine Solidaritatsorgamsation, die sich um
die werktatigen Justizopfer ohne Unterschied ihrer politischen
Richtung bemiiht, wurde in die Illegalitat gestossen. Die beschei-
denste Hilfe fiir die Opfer der Hitlerbarbarei muss illegal organi-
siert werden. , .
Die Internationale A rhe 1 1 e r-H ll f e. die sich in
zahlreichen Wirtschaftskampl'en den Namen einer «Proviantko-
lonne der streikenden Arbeiter* erwarb. wurde ebenfalls als ausser
Gesetz stehend erklart. Ihr Eigentum wurde beschlagnahmt, ihre
Funktionare und Mitglieder wurden verfolgt.
Die faschistische Unterdruckung wandte sich gegen alle so-
zialen und kulturellen Organisationen der Arbeiter; gegen die
Kinderorganisationen, gegen den Bund fur Mutterschutz, gegen die
ARSO (Arbeitsgemeinschaft sozialpolitischer Organisationen).
Daneben richtete sie sich gegen alle pazifistischen Organisationen:
die Liga fur Menschenrechte, riie Deutsche Friedensgesellschaft
u. a.
Die Betriebsratewahlen Ende Marz, die schon im Zeichen der
wiitendsten Unterdruckung der Arbeiterorganisationen stattlanden.
*aben kein wahrheitsgetreues Bild der wirklichen Stimmung der
Arbeiter. Unter welchen Umstanden sich die Wahlen vollzogen,
schildert ein Bericht vom Metallwerk Union in Dortmund, der ty-
pisch fur die .Betriebsratewahlen* in fast alien deutschen Be-
trieben ist :
<Auf der <Union» i n Dortmund wurde der Wahlleiter und der lang-
jahrige BetTipb^obmann Diekmann am Tage vor der Wahl verbanet
Das Werkzeug
Marinus van der Lubbe.
Marinug van der Lubbe wurde als einziger iai
brennenden Reichstag aufgefunden und verhaftet.
pie aationalsozialistischen Brandstifter liaben ihn
im brenneuden Reichstag zurtickgelassen, urn
ihn als cBeweismittel> gegen die Kommunisten
zu benuteen.
Die Eltern ties van der Lubbe
Franziskus Cornelis van der Lul.bc und Pelronella van Handel
mil dcui Kind Marinus.
(llnvor^llcnllidile Aulnnliini- '
uud eiogekerkert. Die Na?.ig besotzten den Wahlvorstaad und forder-
teii die Arbeiter zur Wahl auf. Wer aicht wShlen vriirde, der wiirde
als Feind der uationalen Regierung betrachtet werden. Der Wanltiach
wai von den bewaffneten Nazis umseben. Jeder der zur Wahl kam,
wurde genau regietriert, und es wurde beobachtet, welchen Stimmzet-
tel er in daa Kuvert steckte uod am Wahltiscb abgab. Nach Beendi-
»g der Wahl nahm der Nazihauptling- die Wahlurne und atellte mit
seinen Freunden das Watalergebnis iest. Kein eiflziger Arbeiter ir-
cendeiuer anderen Organisation war bei der Feststellung des Wahler-
gebnisaes zuge$en,>
Trotz solcher Melhoden blieben die Nazis im grosseren Teil
aller Betriebe — wie auch auf der Dortmunder Union — bei die-
sen Betriebsratewahlen in der Minderheit. Was Einschuchterung.
Erpressung und Falschung wahrend der Wahl nichl erreichen
konnten. wurde von den Nazis durch offene Gewalt im Verlaufe des
Monats April herbeigefuhrt: die «Sauberung» der Betriebsrate -von
freigewerkschaftlichen und revolutionaren Betriebsraten. Auch
christ liche Betriebsriite, die als Antifaschisten bekannt waren
wurden ihror Funktionen enthoben. SA marschierte in die Be-
triebsratszimmer, die gewahii^n Betriebsrate wurden misshandelv
eingekerkert und unter Todesdrohuneen zum Rucktrftt gezwungen
Kommissarische Nazi-«Betriebsrate» wurden in alien Be»rieben
zur Koi rigierung der Wahlert>ehnisse eingesetzt.
Zersttfrang der Gewerkschaften
Der 'Tag der oationalen Arbeit- am I. Mai. an dem Hundert-
tausende unter Androhung des sofortigen Verlustes ihres Arbeits-
platzes (besonders in Staats-, Gemeinde- und kleinen Betrieben)
zur Teilnahmc an den offiziellen Aufmarschen gezwungen wur-
den, diente der Hitler-Regierang zur Vorbereitung einer grosseren
Aktion. Am 2. Mai besetzte SA die Gewerkschaftsburos. DieZer-
slorung der Gewerkschaften in ihrer bisherigcn Form wurde im
Namen eines bis dahin unbekannten Komitees zum Schutze der
deutschen Arbeit* verkiindet.
Es niitzte dem Allgemeinen Deutscben Gewerkschafisbund
nichts. dass er zur Teilnahme an der Hitlerdemonstration am
1. Mai aufgefordert hatte; .Der deutsche Arbeiter soil am 1. wai
standesbewusst demonstrieren.»
Die Gewerkschaftsburos wurden beset*, die G^rto^fts-
mhrer misshandelt. Die .deutsche Arbeitsfront* ubernahm den
satnten Gowerkschaftsapparat.
Nachfolgend einige Dokumente uber die Methoden m,i de,
diese ZersUifuiigsaktion gegen die Gewerkschaften ^ov s.eh gli
137
<Die Nationaisozialisten tibernehmen die freien
GewerkschaJ'ten
Die Fiihrer verhaftet — Aktion im ga n zen Reich>
(Schlagzeilen der cDeutschen Allgemeinen Zeitung* vom 2. Mai 1933.)
<Gewiss, wir haben die Macht, aber wir haben noch nicht daa ganze
Volk. Dich Arbeiter haben wir noch nicht hundertprozeniig. >
(Aua dem Aufruf Dr. Leys vom 2. Mai 1933.)
cSauberung der Freien Gewerkachaftea ucd
Aufbau einer Arbeiterorgauisation.
Beset z ung sftmtlicbei Gewerkschaftsh&us«r
darch SA — 50 Gewerkschaftefiihrer verhaftet
Der 2. Abscnnitt der nationalsozialistischen Revolution.*
(Ueberschrift des <V81kischen Beobachters* vom 3. Mai 1933.)
Nachdem am 1. Mai Deutschland im umfassendeten Sinn sicb
zur nationalsozialistischen Auffassung des Begriffs vom <Arbeitertum>
bekannt hatfe, ist am 2. Mai durch die Bewegung die Folgerung aus
dieeer Erkenntnis gezogen -worden Die eogenannten Freien Gewerk-
schaften sind ihrem Wesen untreu gewesen und haben sich und den
Gewerkschaftsged anken an den internationalen Marxismus ^er-
(Alfred Rosenberg im Volltischen Beobachter am 3. Mai 1933.)
cDie Zeitschrift der NSBO, <Arbeitertum>, Blatter fiir Tbeorie und
Praxis der NSBO, wird mit dem heutigen Tage amthches Organ des
ADGB und des AFA-Bundes.»
(Aufruf des Ley-Komitees am 2. Mai 1933.)
cDas Kapitel marxieti3cher Arbeiterverhetzung
ist a b g e s c h 1 o s s e n.»
Nachdem die Aktion gegen die marxistischen Gewerksehaften im
Volk.- und besondeTe in der Arbeiterschaft einen ungeheuren Wider-
hall gehinden hat, sahen sich der Gesamtverband der Christhchen
Gewerksehaften Deutschlands, der Gewerkschaftsring Deutscher An-
eestellten- Arbeiter- und Beamtenverbande (Hirech-Duncker), der
Ge-werkscnaftsbund der Angestellten und andere kleinere Verbande
natei dem Druck dieser gewaltigen Volksbewegung genMigt achnfl-
lich zu erklaren, dass sie sich bedingungslos dem Fiihrer der NationaU
sozialistischen Deutschen Arbeiterpartei unterstellten und vorbehalt-
loa die Anordnungen des von ihm bemfenen Aktionskomitees zum
Schutze der deutschen Arbeit befolgen werden.
(Aua der Kundgebung dee Dr. Ley am 4. Mai 18J3.)
<Endlose K orru p t i on s f a 11 e bei den Marxisti-
schen Gewerkschaftaleitungen
Bilanzverschleierungen und dunkle ?»**»*■
gesehafte _ 8 Millionen organisierte WerKta-
tige der FiihruHg Adolf Hitlers inte»tellt>
(Ueberschrift des <V61kiechen Beobachters* vom 5- Mai law.)
Im ersten Aufruf von Dr. Ley, dem Leiter des ^t.ons-Ko-
mitees zum Schutze der deutschen Arbeit., vvurde eine senr .gc
werkschaftsfreundliche. Tonail angeschlagen:
138
«Wir haben nie etwaa zerstOrt, was tiberhaupt irgendwie Wert fur
unser Volk hat und werden das aucb in Zukunft nicht tun. Das 1st
aationalsazialistiecher Grundsatz. Das gilt beeonders fur die Qewerk-
acbaften, die mit soviel sauer verdienten und vom Munde abgespartea
Arbeitergroschen aufgebaut wurden. Nein, Axbeiter, Deine Instituiio-
aen sind uns Nationalsozialisten heilig und unantastbar. Ich selbst bin
ein armer Bauernsohn und kenna die Not: ich selbst war 7 Jahre in
t :inem der groseten Betriebe Deutechlands.>
Es sei nur nebenbei bemerkt, dass Dr. Ley niemals als Arbei-
ter, sondern in seiner siebenjahrigen Tatigkeit als sehr gut be-
zahlter hiiherer Angestellter der I. G. Farbenindustrie A. G. diente
und dori mit einer hohen Abfindung ausschied. Dr. Ley macbte
durch zahlreiche Exzesse und dunkle Affaren von sich reden, zu-
letzt, als er, voilig betrunken, in Koln einen Ueberfall auf den so-
zialdemokratischen Parteivorsitzenden Wels veriibte. Die national-
sozialistischen Fuhrer wandten im Augenblick des gewaltsamen
Raubes der Gewerkschaften die Taktik an, den gewerkschaftlich
or^anisierten Arbeitern feierlich die Aufrechterhaltung inrer so-
zialpolitischen Einrichtungen zu versprechen. Gleichzeitig wurde
in der nationalsozialistschen Presse eine grosse Enthullungskam-
pagne uber die «Korruption in den Ge-werkschaftsburos» eingetei-
tet Die SA stand bereit, den Gewerkschaftsmitgliedern mit Revol-
vern und Knuppeln den notigen Glauben an die Arbeiterfreund-
lichkeit der Nazis beizubringen.
Wenige Wochen spater, als Dr. Ley (am 10. Juni) in seineu
«Grundsatzlichen Gedanken zum standischen Aufbau* die absolute
Diktatur des Unternehmers im Betriebe verkiindete, ist kerne Spur
mehr von der «Heiligkeit» und «Unantastbarkeit» der Gewer-
schaftsorganisationen zu finden. Die Gewerkschaften sollen jetzt
nur noch Hilfswerkzeuge des Staates der faschistischen Diktatur
sein. So verfliegen die Versprechungen der nationalsoziahstischen
Fiihrerschaft stets wie Schall und Ranch, nachdem m tern
Zweck gedient haben, die wahre Pohtik der NSDAP Lrugenseh
zu tarnen.
„Der Fangschuss"
<Lieber geben wir ihm (dem Marxismus) einen letzten Fang-
schuss als dass wir jemals wieder dulden wurden, dass er sicn
erhebe. Leiparts und Grassmanner mSgen Hitler noctt so wi
Ergebenheit heucheln _ es ist besser, sie befmden .w* i m
Schutzhaft. Deshalb schlagen wir dem marxist.se hen Ges mdel
seine Hauptwaffe aus der Hand und nehmen ibm damit se ine
letzte Moglichkeit, nm sich aeu m stark en Die ™*Z*"j£
Marxisms soil elendig auf dem Schlachtfelde der nahonalso-
zialistischen Revolution krepieren.s
(Aus dem Aufruf Dr. Leys vom 2. Mai 1933.)
139
„KoiTuptioii" — und Korruption
Eine der Kampfmethoden der Nationalsozialisten isl, ihre do-
liuschen Gegner durch die Beschuldigung der Korruplioa zu «er-
ledigen,. So machle man Mitwiwer der Reichstagsbrandstit-
lung wie den Branddirektor Gempp mundtoL So erledigie man
zahlreiche Beamte der Weimarer Republik und viele Fiihrer noch
mcht <<gleichgeschalteter>> biirgerlicher Organisationen. So ubte
man auch Racne an dem Arbeitsbeschaffungskominissar Gerecke
weil er im Jahre 1932 der Leiter des Hindenburg-Wahlausschusses
und damit ein Hauptkampfer gegen die Reichsprasidentschafts-
kandidatur Hitlers gewesen ist.
Als unter der Fiihrung Dr. Leys die Freien Gewerkschaften
und ihr gesamter Organisationsapparat «gleichgeschaltet» wurden,
begannen die nationalsozialistischen Fiihrer — als Erganzun^ zu
ihren bald vergessenen Versprechungen auf Erhohung der Lei-
stungen und Senkung der Beitrage der Gewerkschaften — einen
grossen Feldzug zur Enthullung der *Gewerkschaftskorruption».
In ausfiihrlichen Reportagen der faschistischen Presse wurde °e-
schildert, wie luxuries eingerichtet die Zentralbiiros der verschie-
denen Gewerkschaften waren. Spaltenlang berichtete die Presse xiber
hohe Gehalter der Gewerkschaftsfuhrer. Die nationalsozialistischen
Fiihrer, die den geraubten gewerkschaftlichen Organisationsappa-
rat unter das burokratisch politische Kommando von faschisti-
schen Koininissaren stellten, versuchten die Emporung der radi-
kal gestimmten Gewerkschafisraitglieder gegen die Burokrati-
sierung ihrer Fiihrer und gegen ihre wirtschaftsfriedliche Politik
in fruheren Streikkampfen in raffinierier Weise zugunsten der
faschistischen «Sauberungs»-Aktion auzunutzen. Die Notlage der
Mitglieder und die Verweigerung ihrer Unterstutzung in den ver-
gangenen Wirtschaf tskampf en wurden von der fascitis tischen
Presse dem Wohlleben der Gewerkschaftsfiihrer entgegengestellt.
In dicken Lettern schrie der «Volkische Beobachter», dass der Vor-
sitzende des Afa-Bundes, Aufhauser, bei seinem Ausscheiden sich
mit 18 Monatsgehaltern a 940,— RM., insgesamt 16.920,— RM.,
hatte «abfinden» lassen. Der «Dortmunder Generalanzeiger» ver-
offentlicht am 16. Juli unter der Ueberschrift «Lumpenpack»
einen Brief, in welchem Leipart bei der Berufung zum
Leiter des ADGB auf einem Monatsgehalt von viertausend Mark
besleht, — und vergisst hinzuzufiigen. dass dieser Betrag im
Jahre 1921, aus dem der Brief staramt, den Wert von 240 Gold-
mark darstellte.
Neben der scheinheiligen Ausschlachtung korruplious-
ahnlicher Tatsachen wurden von den nationalsozialistischen
-Enthullern» Korruptionsfalle einfach erfunden. Jede Ver-
wendung von Geldern, die den Nazis politisch nicht passte,
140
wurde zur .tmtreue. gestempelt. Es wurde enlhullu class
b ei der ReR-.hspras.dentenwahl mOOO, -- Mark G< >wa kschafis-
des ADGB an die Sozialdemokratische Partei zur Unter-
slulzung ihrer Hmdenburgpolitik gegeben wurden. Der Zentral-
: CI ' ban -nnnn A 'uil , " *""* im ***&** 1932 a,, das Reichs-
banner oU.UOO,— KM., ausserdem im Juli und November W& ■«
,5000,-RM. an die STO-te abgefiihrt Dk {SS^diJV
voluUonaren bewerksdiafts-Opposition* baben stels die Ver
weadung VOn gewerkschafilichen Ueilragsgeldern fur Zwecke der
burgerlich-sozmldemokratischen Politik bekampft; aber es ist na
ttirlich nurein politischer Trick der nationalsozialistisehen Fiihrer
svenn sie, die Zerstorer der klassenkampferischen Gewerkschaften
sich als Ireuhander gegen die Yerwendung der Gewerkschafts-
gelder fur nichtklassenkampferisctoe Zwecke" aufspielen!
VeraiBgen der SPD and des Reichsbaiiners beschlagnahmt
Mit der Behauplung, urn die <Erhaltung der Arbeitergroschen.
besorgl zu sein, fiihrten die Nazis ihre Aktion gegen die~Gewerk-
scbaften und Konsumgenossenschaften durcb. Der nachste Schlag
>var die Beschlagnahme des gesamlen Vennogens der SPD und
des Reichsbaiiners:
(Berlin, den 10. Mai 1938 Der Generabtaateanwait I, Berlin, hat die
Beschlagnahme d cogens der Sozialdemokratischen
Partei Deutechlanda Hid ifc teilOUgen sowie des Reichbanners und
seiner Zeitungeo angeordnet. Den Grund zu der Beschlagnahme bilden
die aahlreicben DntxeuflUle, die durch die Uebernahme der Gewerk-
schaften und der Arbeiterbanken durch die NSBO aufgedeckt wurden.
Zur Beschlagnahme des Verrnftgens der SPD ist rjoch erganzend zu be-
ricbten, daee ebenfalla dac Vermfigen der der SPD nahestelienden Or
ganisationen beectiagnahml worden ist.>
(<Angriff> vom 10. Mai 1933.)
Ana selben Tag wurden auf Postscheckamtern, in Parteiver-
lageu und auf der Arbeiterbank alle vorhandenen Gelder der
SPD beschlagnahmt. Die Geschaftsraume der Sozialdemokrati-
schen Organisationen. des Reichsbaiiners und der SPD-Zei-
tungen wurden geschlossen. Der Amtliche Preussische Presse-
dienst» meldete die Einleitung eines Verfahrens «wegen Untreue
und Betrugs» gegen den sozialdemokratischen Reichstagsabgeord-
neten und Gewerksehaftsfuhrer Leipart, weil < namhafte Betrage
von Gewerkschaftsgeldern nicht bestimmun^emass verweud't
worden sind.»
Das Vorgehen erfolgte gegen alle der Sozialdemokratie nahe-
iiejiden Organisationen. Zug um Zug: gegen den Arbeiterturn-
I Sportbund, gegen den Deutscheo Frei'denkerverband. geg^n
Arbeiterwohlfahrt u. a. Am 11. Mai wurde die (Jebemahme
der Konsumvereine «in sichere Hande» verfflgt:
141
cUm die grossen Werte, die in den Einri C ht u „ TO „ a v
festgelegt und die zweifeJlos gefMhrde s S \n ? 2 der P K ° n5jumv ereine
-st es nach Ansicht dee F^rers de T R B h verfallen zu lassen,
dersoostigen zustandigen Stellen'gie ; lC ^ sch ^^^rs und
Abwicklung in sichere Hande zu nehmeu' Kottsumver eine zwecks
^St h ^S t d ^i K S 5 --x e "-2? in ihrer *
dass auf der anderen Seite eb we teT A ^ a ? Kii ; ckli * ■»•*«*.
nicht erfolgen darf MilTn .. f" 8 " der Ko °sumver ft inc-
Mas.nahmel hat d^'ptiirer der Deu^h fK^t 1 erfor ^rliehe n
den Leiter de r Art^SS.% ^ S^^? * ^
(Volkischer Beobachter vom 12. Mai 1933 )
Unter der Flagge der «Korruptionsbekampfunfl» folate dann
die Beschlagnahme der Gewerkschaftsvermogen: °
<Da & Korruptionsdezernat im Preussischen Justizministerium hat
nunniehx nach der erfolgten Beschlagnahme des SPD- undTeicha
banner- Vennogens das gesamte Vermogen der Qewerkachaften be^
schlagnahmt. Die Leitung dieser Aktion ist von dem Leiter der Deut
schen Arbeitsfront Dr. Ley ubernommen worden.*
(Volkischer Beobachter vom 13. Mai 1933.)
Am 23. Juni 1933 verfugte die Hitlerregierung in der gegen-
wartig liblichen Form die Auflosung der Sozialdernokratischen
Partei: der Partei wurde jede politische Betatigung verboten, ihre
Vertreter wurden aus alien Parlamonten ausgeschaltet. Audi d*e
Zustimmung der Sozialdernokratischen Partei zu Hitlers aussen-
politischer Erklarung im Reichstag am 17. Mai und die Bemfi-
hungen des neuen Parteifuhrers Lobe, durch eine Absage an den
emigrierten Teil des sozialdernokratischen Parteivorstandes Dul-
dung bei der Hitlerregierung zu erbitten, waren vergeblich ge-
wesen.
Enteignum*; <les kommunlstischen Verni#gens
Am 27. Mai erschien, nachdem schon monatelang alles greif-
bare Eigenturn der Kommunistischen Partei und der ihr naheste-
henden Organe und Organisationen beschlagnahnit war, folgendes
Reichsgesetz iiber die Einziehung kommunistischer Vermogen:
§ 1. (1) Die obersten Landesbehorden oder die von ihnen bestimmten
Stellen konnen Sachen und Rechte der Kommunistischen Partei
Deutschands und ihrer Hilfs- und Ersatzorganisationen sowie
Sachen und Rechte, die zur Forderung kommunistischer Bestre-
bungen gebraucht oder bestimmt slnd, zugunsten des Landes
einziehen.
(2) Der Reichsminister des Innexn kann die obersten Landes-
behorden uin Massnahmen nach Abs. 1 ersuchen.
112
§ 2. Paragraph 1 Gadet auf vermietete oder unter Eigentumevorbehalt
geliefert© Sachen keine Auwendurig, es eei denn, dass der Vex
mieter odor Lieferant m )t d er Ilmgabe der Sachen eine F6rdp
nm - kommuaishscher Bestrebungen beabflichtigt hat
J 3 Die au den eingezogenen GegenstUndeii bestehenden Rechte »
loschen Durch die Einziehung eines Grundstuckes werden jedoch
die an dem Gmndstuck bestehenden Rechte nicht beriihrt Die
emziehende Behorde kann ein sokhes Recht tOr erloechen er
klaren, wenn mil der Hingabe des Gegenwertes eine Forderunz
kommunisuscner Bestreburtgen beabsicblig war
§ 4. Zur Vermeidung von Harten kcinnen aus den eingezogenen Ver
rnogen Glaubiger der von der Einziehung Betroffenen befriediet
werden , , .
§ 7 bofout, dasa fine EutscMdigung nicht gewahrt wird n und Para-
graph 8 ermachtigl Reichsminieter Dr. Frick, zur Durchiuhruag
und Erglinzung dieses Gesetzes Rechtg. und Verwaltungsvor-
schriften zu erlassen.
Von der Enteignung der kommunistischen oder angebJich
kommunistischen Vermfigen wurde audi das verbreitetste klassen-
karnpferische Arbeilerblalt Berlins, die tWelt am Abend»,
belroffen. Das Blall war ism Kosmos-'N crschienen. Als sich
in den ersten Monaten der Hitlerdiktatur envies, dass die offiziel-
len nationalsozialistischen Zeitungen keinen Eingang in die
grossen Masscn der Arbeiterleser linden konnten, wurde im Pro-
pagandaministcriiun des Herrn Goebbels ein neuer betriigerischer
Streicb ausgeheckt, Ende Mai erschien, in ahnlicher Aufmachung
und mit demselberj Kopl wie die ait€ iWelt am Abend*, ein neues
nationalsozialistisches Blatl unter dem alien TiteL Es tarnte sich in
den ersten Tagen audi inhaltlSch, tfiuschte cine objektive Bericht-
erstattung aus der Sowjetunion vor und appellierte immer wieder
an dit 1 Arbeiterleser. Abei schon nach wenigen Tagen musste
dieses nationalsozialistische Blatl sich in offentlichen Erklarungen
gegen die Entlarvung verteidigen, die von den Berliner
A r b o i t e r n in i llegal en Flugblattern vorgenomrncn
wurde.
,,Standisohe" Ziele dor Xatioiialsozialisten
Je Idarer die ersten funf Monate der nationalsozialistischen
Regierung den Beweis erbringen mussten, dass sie zu keiner
Ueberwindung der wirtschaftlicben Schwierigkeiten fahig ist und
Deutschland in die Katastrophe treibl. desto brataler enfissen die
N'nxis ihre diktatorische Macht anwenden. Sie mussen auf die To-
tality der Macht auf eine Monopolstellung ihrer eigenen Partei
und ihrer Pseudo-Arbeiterorganisationen drSngen. So liessen sie
den Katholiscfaen Gesellentag in Munchen, auf dem der Vize-
kanzler von Paj.cn als offizieller Redner aufgetreten war, durch
Polizei sprengen. Den chrislUctien Or^anisiiiinn^ j
dere als religiose Betatigung verbotei S oh? T* 6 jedean -
kurrenz der deutschnationaFen B S s 1 'w r^^ Kon "
wurde mit polizeilicher Gewalt zeiihla^n n- r °- rganisationen
der christlichen Gewerkschaften'n nT^UMeteT^ ^^
-a. Kon Venl als KFeinde £ML*iWyr
den 5«J* jSPKu em ^ 1 ^ " Grun dsai Z lichen Gedanken fiber
^r£{^£* a o U Und die Deuti *he ArbeitsfronU (Volki-
scher Beobachter vom 8.-10. Juni 1933) gibt Dr. Ley die *Wdi-
? a u ■ Nationalsozialisten nach Vernichtung der leea-
len Arbeiterorganisationen programmatisch bekannt. Leys Pro-
gramm ist: J
a) Der Kampf fur hohere Lohne wird den Arbeitern verboten,
weil er nur ein Ausdruck der «Geldgier» ist. Ley schreibt wortlich:
<Wir wissen, wie der Profitgeist den Menschea beherrechen kann,
wir wissen, wie die Geldgier in jedeni Menschen lebendig ist. Der
eine strebt nach mehr Lohn, der andere nach niehr Dividendeo. Aber
gerade weil wir dies wissen, haben wir ebenso klar die Erkenntnis,
dass man diesen <Schweinehund» im einzelnen Menschen nicht noch
dureh kiinstfiche Organisationen ziichten darf, soudern dass es die
Aufgabe einer hSheren Staatsfuhrung ist, diese menschliche Unzti-
langliclikeit zu heinmen, ihr Zfigel aimilegen, wenn es sein musa,
ihr brutal (!) Schranken und Grenzen zu eetzen . . .t>
b) Das aFtfhrertum* der Unternehmer ini Betrieb wird unein-
geschrankt hergestellt. Dr. Ley sagt:
<Deshalb wird der standische Aufbau als erstes dem natiirlichen
Fiihrer eines Betriebes, d. h. dem Unternehmer die voile Fuhrung
wieder in die Hand geben und damit aucb die voile Verantwortung
aufladen. Der Betriebsrat eines Werkes besteht aus Arbeitern, An-
gestellten uud Unternehmern. Jedoch hat er nur beratende Stimme,
Entscheideu kann allein der Unternehmer. Viele der Unternehmer
haben jahrelang nach dem <Herrn im Hause» gexufen. Jetzt sollen
sie wieder <Herr im Hause* sein . . .»
c) Die fts-tarren* Tarifvertrage der Vergangenheit sollen zer-
trummert werden. Sie mussen «so lebendig und beweglich wie
moglich sein».
d) Den bisherigen Arbeitsgerichten wird der letzte Schein der
Unabhungigkeit genommen. An ihre S telle treten sogenannte
*Standesgerichte», denen neben Unternehmervertretern ausge-
suchte Faschisten in der Maske von Arbeiter- und Angestellten-
vertretern angehoren werden.
Ill
Das Prograinm des Dr. Ley ist keine Privatarbeit, sondera
iMIK . parteiamtliche und regieru&gsoffizielle Arbeit iin Auflra^
Hitlers. Seiae Arbeiterfeindiichkeit und Unternehmerireundlict!
ke il ist ofienbar. Der -standische Aufbau*, der angeblich die
glassenzerklflftung und den Klassenkampf iiberwinden soil, bringt
aa f alien Gebieten die verscharfte KlassendikLatur der Unte
nehmer.
Die Einsetzung von 12 -Treuhandern der Arbeil», die in alien
Bezirken Deutschlands die Arbeitsbedingungen diktatorisch fest-
setzen konnen, dient demselben Zwecke: der volligen Ausschal-
tung jedes Mitbestimmungsrechtes der Arbeiter bei der Regelun^
ihrer eigenen Lebensbedingungen. Die Besetzung aller Gewerk-
schaftsstellen, aller Staats- und Organisationsposten durch Natio-
nalsozia listen zuchtet ein breites nationalsozialistisches Burokra-
tentum heran. Dieses Monopol muss unter den kapitalistischen
Bedingungen seiner Existenz, bei der gewaltsamen Ausschaltung
jeder Kontrolle von unten, zu einer Quelle der ubelslen Korrup-
tion werden.
Jeder Tag in Deutschland beweist, dass es auch der Zersto-
rungswut, Willkiir und Mordlust der nationalsozialistischen Fuh-
rer nicht gclingen kann. die deutsche klasscnkampferische Arbei-
terbewegunf* zu vcrnichten, Man kann thre legalen Organ isationen
zerstciren. aber zehnteusendc TOD lodesmutigcn und iiberzeugten
Streitera ftir den Soziailsmus kampfen illegal weiterl
Der Verniohtangsfeldzug gegen die Kultur
Neben dem Hauptstoss gegen die deutsche Arbeiterklasse und
ihre Organisations fuhren Hitler und Goebbels ihren Krieg
gleichzeitig gegen die besten Schichten der deutschen Intelligenz.
Die Stiei'el der SA zerstampfen die miihselige Lebensarbeit
der besten Gclehrten und Kiinstler. Sie zertreten im wahrsten
Sinne des Wortes die brutal misshandelten Korper vieler In-
tellektueller, die — obzwar sie oft nicht die geringste Verbindung
mit den kampfenden Arbeitern halten — als unabhangig, fort-
schrittlich and freiheitlich von den Nazis gehasst wurden. Liberate
Gesinnung schon ist unter Hitler ein «Verbrechen», das scho-
nungslos geahndet wird.
Goebbels kommandiert die braunen Inquisitoren, die glauben,
das Rad der Geschichte noch hinter die grosse franzosische Re-
volution zuriickdrehen zu konnen. Kriickstock, Parademarsch und
Kadavergehorsam eines nationalistisch verfalschten Fridericus
Rex sollen der Inhalt jener «Kultur» sein, die das «Dritte Reich*
kennzeichnet. Alles, was «judisch», "liberal* oder angeblich
marxistisch ist, was den burgerlichen Fortschritt und die Auf-
klarung der letzten hunderlfunlzi^ Jahre verkorpert, soil ausge-
rottet werden.
Es ist in Hitler-Deutschland keitl Raum mehr fur Ideen von
«einer Freiheit des Geistes», fur den bescheidensten guten Willen
biirgerlicher Gelehrter zu wissenschaftlichei Objektivitat, fiir den
schiichternsten Ausdruck des sozialen Freiheitskampfes der Volks-
massen in kiinstlerischen Werken. Verjagt von Lehrstiihlen,
Biihnen, Vortrags- und Dirigentenpulten! Verjagt aus den Klini-
ken, Forschungsinstituten und Akademien! Die Scheiterhaufen der
fortschrittlichen Literatur auf den Platzen dcutscher Stadte kiin-
den mil ihren Flammenzeichen weithin sichtbar, dass die braune
Barbarei nicht nur die tapferslen und selbstlosesten Antifaschisten
physisch ausrotten will, sondern dass sie auch alles zu vernichten
trachtet, was die burgcrliche Kultur an Lebensfahigem und Wert-
vollem der Arbeiterklasse zu vererben hat, oder was auch nur
burger] ich forlschrittlich auftritt.
Die letzten Bannertrager des geistigen «Liberabsmus» werden
gegenw&rtig in Deutschland geistig und korperlich massaknert
von iener braunen Gewalt, welche die herrschenden Machte ent-
fesselt haben, urn den Untergang ihres kapitahstischen Systems
aufzuhalten. Klarer denn jc ist durch die jiingsten deutschen hr-
146
eignisse bewiesen, dass in unserer Epoche die Zukunft der
Kultur untrennbar verb un den ist mil dem Frei-
k e i t s k a m p 1 der Arbeiterklasse,
Verfolgimg dor Wigsenschaftler
«0 Jahrttundert, o Wisseoschaft. es ist eine Lust zu leben!»
(Ulricb von Hutten)
Der todliche Hass des Faschismus richtel sich selbstverstand-
lich gegen jene Intellektuellen, die sich offen zum Freiheitskampt
der Arbeiterklasse bekennen oder pazifistischen Organisation^
nahestehen. Er entfaltete sich gegen sie bereits in den ersten Tagen
nach dem Reichstagsbrand mit voiler Wucht. Von der ersten Serie
der Verhaftungen, die unmittelbar nach der Provokation der
braunen Brandstifter begann, svurde die deutsche Gruppe der in
Amsterdam gegriindeten Aerztegesellschaft gegen den imperialisti-
schen Krieg sehr stark betroffen. Ihr Fuhrer Dr. Felix Boen-
heim sitzt seit Ende Februar in Hitlers Kerker.
Dr. Boenheim ist ein ausserordentlich geachteter und durch
viele wissenscbaftJiche Arbeiten bekannter Facharzt fur innere
Erankheiten.
Er gehSrte keiner Partei an. Die wissenscbaftliche Bedeutung
seiner Arbeiten verschaffte ilim die Stellung des dirigierenden
Arztes an einem der grdssten KrankenhSuser Berlins, an dem
Hufelandhospital. Allein die Tatsache, daes Dr. Felix Boenheim,
seinem Gewissen folgend sich an die Spitee der Aerztebeweguns
gegen den Krieg stellte, hat genugt. ihn dem unversohnfichen
Hass der Hitierfaschisten auszuliefern. Seine Tatigkeii fiir die
Internationale Aerzte llsch&fl wird willkurlich zum «Hoch-
verraU gestempelt. Kein Rechtsbeistand ist ihm gestattet. Trotz
monatelanger Haft wurde ihm jede Verbindung mit seiner Fa-
milie verweigert.
Max Hod an n, bekannt durch seine aktive Tatigkeit auf
dem Gebicte der Sexualberatung fur proletarische Frauen und
Manner, Yerfasser zahlreicher populfirwissensehafllieher Werk
ist seit Monaten in den Handen von Hitlers Schergen.
Der bekannte marxistische Wissenschaftler Hermann
Duncker, ein Name von hohem Rang in der gesamten Arbei-
jerbewegung der Welt, ist trotz Greisenalter und schwerer
Krankheit eingekerkert. Sein Leben ist in hochster Gefahr. Der
Mann, in dem cine ganze Generation sozialdemokratischcr Arhei-
[er in der Vorkriegszei! ihren hochgeschatzten Lehrer sah wird
'n den Kerkern Hitlers phvsisch und psychiscfa zugrunde se-
richtet.
*7
imfisLelier Karl A u g u s t W i l I f »,«.,. i v .
e.nes aufschlussreichen Chinabuches, die Schriftf telW ? f* *
Reno, Karl von O s s i e t z k y, Kurt Hi W Sf L , Udwig
Kisch, Erich Muhsam, Klau N ™k « n tV'l^**^
u. a., die Aerzte Professor Schell er-Breslau Dr A ^ ?£'? "
Dr. W o h I g e in u t h-Hamburg WU rden verhaft-i i r "' "'
schaftlichen Institute, Universitatm mS Zu i ,, P ie wissen_
Wissenschaftler von hohem Rang, £ SSaSteTSSESSto
Oder hberaler deen verdachlig sind, geht bis in d e Re ten ,
Deutschnationalen Der Lehrkorper "der wichtigslen deutschen
Univerutaten wird mit vandalischer Aussichtslosigkeit vcTx^Se?
penunziantentum und Postentreiberei von unfahigen, allmfalls
konjunkturtuchtigen Auchwissenschaftlern triumphiert.
Die Bliite der deutschen Forschung wird zerstort
Wir greiien aus der Liste der Entlassungen, Beurlaubun«en
und Verfolgungen nur einige wenige Falle heraus:
Der bekannleste Fall isl die Verfolgung des weltberuhmten
Physikers Albert Einstein. Albert Einstein. Schwcizer
Staatsburger, Mitglied der Preussischen Akademie der Wissen-
*.i'haften, hat durch cine linJks-demokralische politische Gesinnung.
durch aktives Interesse fur jiidische Fragen und durch wissen-
schaftliche Leistungen von Weltruf sich bei den Nazis ;>!> un-
deutsch* vet-hasst gemacht. Einsteins wissenschaftliche Arbeiten
vverden unter dein Jubel der Nazis auf dein Sdheilerhaufen
Berliner Universitat verbrannt. Allein dieses Vorgehen gegen den
Trager des Nobelpreises machl HiUerdeutschland schon in der
Welt der modernen Wissenschaft zum Gespott.
Ohne exakte Wissenschafl kann kein Zweig der bochenl-
wickelten Industrie bliihen. Dennoch hat das Hitlei -regime die her-
vorragendsten Vertreter der exakten Naturwissenschaften und der
Mathematik von den Lehrstiihlen verlrieben.
Die Universitat Gottingen besitzt eine sehr alle Tradition und
hat in den letzten 50 Jahren eine ganze Generation bedeulender
Forscher erzogen. Die wichtigslen Professoren dieser Kochschule
sind davongejagt worden.
.lames F ra n c k. ein Experimental- Physiker von Weltruf,
'Inrager des Nobelpreises. wurde als Jude zu freiwilligenM Rflek-
tritt gezwungen.
Professor Born, ebenfalls bekanntcr Physiker, kann
undeulschen* Forschungen in Deutschland nicht weiter
eiben.
Der Mathematiker Courandt ist eine Autoritat aul dem
Gebiete der Funktionentheorie. Bernstein gilt als der bedea-
lendste Versicherungsnialhematiker Europas. Emmy Noether
IS 1 eine angesehene Wissenschaftlerin auf dem Gebiete der Mathe-
matik und hoheren Algebra. Alle diese Gelehrlen mussten gehen.
Die Berliner mathematische Fakultat wurde Hirer hervor-
ragendsten Lehrer beraubt. Die Berliner Technische Hochschule
bat starke Verluste zu verzeichnen.
tlnter den Weggejagten ist Professor Arthur Kom, ein
physikeo, dem das Verdi enst gebuhrt, die ersten praktischen Me-
tbo'den zur Verwirklichung des Fernsehens angegeben zu haben.
Unter den Berliner Malhematikern, die deT • Sauberung* der
Hochschulen zum Opfer f ielen, stehen der AlgebraLker Schur
sowie die Professoren Misses und Bieberbach an der
Spitze,
Dieses Wuten gegen Vertreler der exakten Wissenschai'ten ist
selbst vorn Slandpunkt modeiner kapitalistischer Wirtschafts-
fuhrung selbstmorderisch. Es ist im krassen Gegensatz zu den
trossen Moglic.hkiiten. welche die Sowjetunion alien ehrlichia
\\isscnschaftlern geboten hat.
Inter den Opl'ern der Nazircinigung t'inden wir den Nobel-
preistrager F r i t z H a b e i . Haber, das Haupt einer grossen
Schule von Cheinikcrn. war bereita vor dem Krieg eine wissen-
schaftliche Kapazitat ersten Ranges. Er hat das erste braucbbare
Verfahren zur Gewinnung von Stirkstoff aus Luft ausgearbeitet.
Er ist alles andere als ein Pazifist. Haber hat durch seme Erfin-
dungen dem wilhelminischen Deutschland im \V_eJtkriep grosse
Dienste geleistet. Sein Name verkorpert die hochste bnt-
wicklung der modernen deutschen Chemie. M«
Recht bemerkten die .Times* (4. Mai 1933). dass es cine Iron e der
Geschiehte sei. wenn die Nazis den Mann W*^^*™*™
.zwingen.. dem Deutschland vvahrschembch mehr als jedem
andern zu verdanken hat. dass es vier Knegsjahre durchhahen
konnte.
Der z.r gleichen Zeit vertriebene Professor Pol any i
war ein wichtiger Mitarheiter Habers.
Unter den andern namhaften Gelehrten «**gj*£2£
exakten Wissenschaften. die der Kulturbarbare, , de. Na/u w ^
mussten. sehen wir den Berliner P rot. uvl . K5nigs berger
Ptenck'schen Quantcnlheone beschaftigt hat . u beiten auf
Mathematiker H e n s e 1. bekannt durch •gj a ^£ -l0r Adolf
dem Gebiete der Zahlentbeone. Den K.eitr
149
F r a n k e 1, der ein beachtetes 13uch iiber Mengenlheorie veroffenl-
hcht hal. Den Berliner Physiker Prints helm, dessen Ar-
beiten wichtige Fragen der Strahlung behandeln.
Alle hier aufgezahlten Wissenschaftler sind bekannte in Facfa-
kreisen hoch angesehene Gelehrte, Forscher uad Lehrer. Schon
diese sehr unvollstandige Aufzahlung zeigl, dass es sich bei
den Verlreibungen urn cine wahre Vernichtung der deuUchen
Wissenschaft handell, dass der deutsche Faschismus mil Inquisi-
tion und Scheiterhaufen jeden wissenschafllichen Fortschritt be-
kainpft.
Keine Auslandsp&sse fur Gelelirte
Die Berufung Albert Einsteins an das inslitut de France
and die Vorlesungcn des gemassregelten Gynakologen Prof. Bern-
hard Zondek in Stockholm haben dazu gefuhrl, dass die t'^rit-
ziehung der Ausiandspasse fur die gemassregelten deutschen
Hochschulproi'essoren ernsthaft erwogen wurde. Der «undeutsche»
Geist dieser Wissenschaftler dart* auch ausiandischen Universi-
taten nicht zugute kommen.
<Die recbtsstehende «Tagliche Rundschau* voni 17, April 1933 stell!
angesicbts der Berufung Einsteing an das Institut de France an die
Reachsregierung die Forderung, sie moge den 16 beurlaubten deut-
schen Hochschulprofessoren sofort die Ausiandspasse entziehen, denn
niemand konne sonst dafur garantieren, dass nicht der eine oder
sindere von ihnen in kurzer Zeit in Paris, in Oxford oder in London
sitzen und dort von einer Lehrkanze! aus antideutsche Politik be-
treiben werde. Es sei dabei zu bedenken, dass einige der beurlaub
ten Professoren, wie Kelsen, Lederer und Bonn iiber ganz ausge-
zeichnete Auslandsbeziehungen verfiigen.*
Deutschlaiuls grttsste Arzte
diirfe-n in Deutschland nicht arbeiten
An anderer Stelle dieses KapiteLs findet der Leser eine aller-
dings unvollstandige Liste von entlassenen, «beurlaubten» und
kaltgestellten Gelehrten in Deutschland. Einige der aus ihren
Stellungen cntfernten Aerzte wollen wir noch knapp charakten-
sieren:
Bernhard Zondek wurde von dem schwedischen Nobel -
preistrager fiir Medizin v. Euler als «einzig dastehende KapazitaU
bezeichnet. Zondek verdanken wir die Entdeckung einer chemi-
schen Methode, die durch Analyse des Harns die Feststellung der
Schwangerschaft in den fruhesten Stadien ermoghcht. Diese Me-
thode ist vom sozialhygienischen, wie vom rein medizmischen
Standpunkt aus von grosster Bedeutung. Zondek hat m der Hor-
monforschung hervorragende Arbeit geleistet. Er hat die Darstei-
150
lun g des Geschlechlshormons ancestreM ■
Frauen spezifisch verschiedenen SSSj e ' nes bei M »nnern und
dieser Forschungsmelhoden; er haf ^, ■ ' St einer der Pio" £
ljch e» Herstellung von SexualhorXe" Sff^ *? die ^ U
W eitergefordert. Die ffiUemgierang m*Tl erstaunliehem Erfolg
Kraft vom Lehrstuhl! B 0Ssl d,ese w 'ssenschaftliche
■ \ — D*-li m__i >
stellt
Volksseuche
hochwertigen Miltcls gegen Tuberkulose Lrfmder eines
Moritz Bor char d t. Direktor rW *u; ■ ■
?ra Moabte Krankcnhaus in B^aUS1E&£«£«
fessor, war in saner Jugend Assistent des berfflia2nSJ5^
Chirurgen von Bergman* Spater leitender A mam iSS"
K^kcnhaus to Berlta. Borchardt ha, die TabeAulo e al C i™ r ,.
beUbmrfL Er wurde durch einen .Gesundhcitskommissar. dS
tionalsozialisten abgesetzt.
Wie Birschfelda Sexnalwiasenschaftliches Institut
demoliert and rernichtel wurde
Ein zuveri§ssiger Augen- und Ohrenzeuge, der ohne selbst
dem Institul anzugehdren, die Vorg&nge genau verfolgen konnte,
hat iiber die ungeheuerliche Zerstfirung dieser weltbekannten wis-
senschaftlichen Forschungs . Lehr- und Heilstatte in Berlin fol-
gendes Protokoll aufgesiomme
«Am Morgen des 8. Mai 1988 brachte der (Berliner Lokalanzeigon
die Nachricht, dagfl (Ue HnbermigsaktiOD der Berliner Bibliothekeo
von Btlchern uudrutsrhen Geistes am Vormittag dieses Tages em
setzen wttrde and dass die Sludeoten der Hochschule fur LeibesQbnn-
gen diese Aktion im Institut fur SexualwisseDschafteinleiten wollten.
Dieses Institul war 1918 in dem friiheren Hause des Fiirstea Hatz-
feld von Dr. Magnus Hirschfeld bcgriindet worden und wurde kaxz
darauf von der PreUBSfecheD Regierung ale gem ein n utzige
S t i f t u n g uberuommen. Es genoss wegen der einzigdastehenden
Sammlungen und Forscfaungen, seines Archiva und seiner Bibliothek
einen iutcrnationalen Ruf and Ziwpruch. Vor allem kamen viele aw-
landische Celebrte, Aerzte und Schriftssteller nacb Berlin, urn don
zu arbeiten.
Auf die erwahnte Zeitungsnotiz hin wurde der Versuc h ^"^J;
men, noch einige besonder* kostbaw Privatbiicher und Manu .kr p
in Bicherteit zu brtafi , wurde dies aber -^JJjSS-fcS
den der |UBge Mann mil diesen Buchern von f»"J2K!teftrt-
«.ff,„ba r iereita wahrend der Nacbt das Institot -***& *J
Benommen und seiner Hat* beraubl wurde. Am 6. Ma. urn
151
ein Da dag Euro nocta geachlossen war, befaad sich kein eigentlS
Vertreter des Hauses dort; nur einige Frauea vom Hauspioaai «
wie ein dem Hause nahestehender Herr ware„ anwesJJ T e S^-
denten begehrlen Einlass in eftmUiche Raume; soweit diese .e r -
sehlos, en waren wie die bereits «it einiger Zeit atillgete-Si
Repra.enta housraun^e fan Parterre sowie da/fruhere und^S?
Nachdem ihnen die unteren Raume nicht viel boten, begaben sie aicb
m das erete SMkWb, wo sie in den Emprangsniumen dea Inatituca
die Tintenfasser uber SchriftstUcke und Teppicbe ausleerten uad
sicb dana an PrivatMicherschrfinke machten. Sie nahmen rait waa
ihnen nicht einwandfrei erschien. wobei sie won! irn wesentlichen
sich an die sogenannte «scbwarze Listen hielten Dariiber hinaua
liessen sie aber auch andere Bfictaer mitgehen, so aus de r PriyaE
bibliothek des Sekretars Giese beispielsweise ein grosses Tutank-
amon-Werk so wie viele Kunstzeitschriften. Aus dem Archiv entfern
ten sie dann die grossen Wandtafeln mit den Darstellungen inter-
sexueller Falie, die seinerzeit i'ur die Ausstellung dea Intemationalen
Aerzte-Kongresses im Londoner Kensington-Museum im Jahre 1913
angefertigt waren. Sie warfen diese Tafeln zum grossen Teil aus dem
Fenster ihren vor dem Hause stehenden Kameraden zu.
Die mei3ten der anderen Bilder, Photographien wichtiger Typen.
nahmen sie von den Wanden und spielten mit ihnen Fuesball, sodasa
grosse Haufen zertrummerter Bilder unci Glasscherben zurttekbliebea
Auf die Einwande eines Studenten. dass es sich um medi zini-
sches Material handle, antwortete eio anderer, darauf kSrae aa
nicht an. es ware ihnen nicht um die Beschlagaahme von ein paar
Biichern und Bildern zu tun. sondern um die Vernichtung dea
Institute. Unter einer tangeren Anspraehe wurde dann ein le-
bensgrosses Modell, das den Vorgang der inneren Sekretion dar-
stellte. aus dem Fenster geworfen- una zertrummert. In einem Sprecb
zimmer schlugen sie einen Pantostaten. der der Behaadlung von Pa-
tienten diente, mit eineui Schrubber ein. Ferner raubten sie eine
Brcnzebiiste von Dr. HirschFeld. Auch son$t wurdeu viele Kunstwerke
raitgenommen. Aus der Institutsbibliothek nahmen sie zunachst nur
eiuige hundert Biicher mit.
Wahrend der ganzen Zeit wurde das Personal bewaeht und immer
wieder spielte die Musik, sodass sicb grosse Scharen von Neugierigen
vor dem Hause ansammelten. Um 12 Uhr hielt der Puhrer euw
grossere Schlussanspracbe, und unter Absiagen eines beeonderen
Schmutz- und Schundliedes sowie des Horst Wessel-Liedes zog der
Trupp ab.
Die Bewohner des Institute hatten angenonmien. dass es mit dieaer
Plunderung seiu Bewenden haben wurde. aber um 3 Uhr nachmittags
erschienen abermals mehrere Lastautos mit SA-Leuten und erkJarteu,
dass sie die Beschlagnahme fortsetzen miiesten, da der Trupp am
152
Aiif der Fnln-t nad, Muncheii
Attf dieecm Bild tsi v. d. Lubbe neben dem Motor-
!■:■■ I abgebildet das ihn ira September L98J nach
Munchen bractite. — Da? Molorrad Nr. 53102
gehdrl dem Straesenbahnscliaffner van Ploegk (Den
Haas). Am' seiner ereteii Deutscblandreise hat v. d.
Lubbe den Dr. Bell kenneo gelernt, im September
L931 hal er ihn in MOneheii besucht
rUnvcr&ffefllltdifc ^ufnolime}
Zwei Postkarten van der Lubbes
Arbel v. d, Lublie
H. Halwerdi door Europ ,,,,(.
irlrtk mi Leiden, Holland >>p i-l April 18
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Paw.
"5 •
■»||
Die obenstehende Post-
karte h;ii van der Lubbe
vor seiner angeblichen
Europareise im February
Mfirz 1931 in Leiden,
spater auch in Deutsch-
Land verkauft. — Auf
der Postkarle ist ver-
nierkt, dass <die Stu-
dienreise am 14, April
1931 von Leiden aus an-
getreten werden soil?.
Diese Postkarle ist d&S
angebliche «kotaniunisti
sche Agitationsmaterial»,
dessentwegen v. d. Lubbe
in Gronau (Westfalen)
i'estgenommen wurde.
Die untenstehende Posl-
karte bestatigt die krank-
hafte Anlage van der
Lubbes xuv Luge. Sie ist
an jenen Hohverda ge-
richtet, der die Studien-
reise angeblich mitma-
chen sollte. Sie iet in
Potsdam an deni Tage
aufgegeben, an deni die
Reise von Leiden zu
Fuss angetreten werden
sollte.
■
^± .
Mcrgen nicht genugend Zeit gebabt haite, urn grundlich auazurau
men. Dieser zweite frupp nahm dann nochmals eine griindlcne Durcb
tiuc-bung ailer Raume vor und schleppt* in *ielen Korben allee niit
was an Buchern und -Manuskripten von Wert war. im Ganzen zwel
grosse LastAvagen voll. Aus den Schimptworten ging fervor, dase die
Namen der in der SpeziaJibibliothek vertretenen Autoren den Studen-
ten zum grossen Teil wohl vertraut waren. Nicht nur Siegmund
Freud, dessen Bild sie aue dem Treppenhaus entferaten und mit-
sehleppten. erbielt die Bezeictanung «der Saujude Fr eu d>, sondern
auch Havelock Ellis wurde ala cdas Schwein Havelock Ellte> bezeich-
net. Von engiischen Autoren hatten sie es aueser auf Havelock Ellis
besonders auf die Werke von Oscar Wilde, Edward Carpenter und
Noraian Hair abgesehen, von amerikaniechen SchrUtstellern auf die
Bttcber von dem Jugendrichter Lindsey, Margaret Sanger und George
Silvester Viereck. von i'ranzosischen Werken auf die von Andre Gide,
Marcel Proust, Pierre Loti, Zola etc. Auch die Bticher Van de Veldes
und des dani&chen Arztes Dr. Leunbach gaben den Studenten Anlass.
die Verfaseer mit Schimpfworten zu belegea. Auch gaaze Jabrgange
von Zeitscbriften, namentlicb die 24 Bande der Jahrbiicher fur se-
xuelle ZTviechenstufen, wurden mitgenommen. Man wollte auch die
auPgefullten Fragebogen fortschleppen (mehrere Tausend) und nur
der ausdruckliche Hinweis, dass es sich um Krankengeschichten
handle, Hess die Studenten davon Absxand nehmen. Dagegen war ee
nicht moghch, zu wrhiadern, das6 das Material der Weltliga Fiir Se-
xualreform, die gesamte vorhandene Auflage der Zeitschrift <Sexus»
sowie die ' Kartolhek mitgenommen wurde. Auch zahlreiche. z. T.
bisher noch nicht veroffentlichte Handsc.hriften und Manuskripte
(u. a. von Krafft-Ebing und Karl Helnrich Ulriche) fieien den Ew-
dnnglinpen zum Opfer.
Immer wieder fragten sie nach der R ii c kk e b r Dr. Hirschfelde^Si.-
wollten. wie sie sich nusdruckten. einen .Tip baton, wane ■ er wohl
niruckkomn.e. Sehon vor der Plundemng dee Institute ™ ver
BChiedeae Male SA-Mfinnei in Institut ? ewesen und hatten na£
Dr Hiifeld gefragt. AlBfiiedie Antwort erbielten, dass er .id. wegen
Slum der WelKiga ein ^egniph-J"^^^ Male
darauf hingewesen vnxrde, da* s,ch unter **£ P» ^ dgher
rial vie> a u s 1 fi n d I b c h e s J. i g e n t a i m J e ™ a „ Diese an lien
doch von der «**tadigi«n Ve*Jjn"™| ^°jSS mt , vfetaehr
KultUKQinfetei gencblete ^pesche tend *« n _ allf dem Opero.
w^en eamllidie Werke und Bilder dre W^ ^ ^ dpT
ttSSU^tZEX £■— Rande helm flber
153
10 0O0. Im Fackelzug trugen Hip qtn.i. *
HitBchfekl, die ,e i, dL «&££S£ ^^ V ° D Dr - **n-
In den Berichten der Nazis wird di^P k-„h . ,
tnassea geschilderl: mese «Kullurtat» folgender-
Maatelchen umzuhanger ^ versuch t tatte u„d £" ™ SChaftliche8
protegiert worden 1st, war, W ie die ^v^^^S^^,
ergeben faaben, eine emzige Brutstatte von SchLtz and Sf J
wesen. Em ganzer Lwtwagen voll poruographischex Bilder 1E1
Schnfteo sowie Akten und Kartotheken sind beschUgnahmt Zr
den... M.t . einem Teil des vorgefundeuen Materials 4d sich dT,
Krnmnalpohze. befassen miissen, eiaen anderen Teil wird die Kund
gebung offentlich verbrenaen.>
(«Angriff> vom 6. 5. 33.)
„Undeutsclie" Soziologen, Staatsrechtler
und Rechtswi-sscnschaftler
Bei der Entfernung bekannter Soziologen, Staatsrechtler und
Rechtswissenschat'tler haben die Nationalsozialisten auch viele
sehr «slaatserhaltende» Forscher, vielfach gute Konservative, aus
ihren Positionen geworfen.
Der bekanntesle dieser davongejagten Gelehrten ist der Hei-
delberger Soziologe Alfred Weber. Alfred Weber hat in
grossen Arbeiten mil seinem verstorbenen Bruder Max Webex
griindliche Studien uber die Entwicklungsformen der priori liven
Wirtschaft vieler aussereuropaischer Volker und Kulturen ver-
offenllichl. Weber ist keineswegs Marxist, sondern ein biirgerlicher
Gelehrter. Weber hal die Todsiinde begangen, andere Volker und
Kulluren nicht als halbaffisch und «untermenschlich» im Sinne
des Nationaisozialismus z\x stempeln.
Die Berliner Handelshochschule verliert ihren Rektor, den
hervorragenden liberalen Nationalokonomen, Professor Bonn.
Der Staatsrechtler A n s c h ix t z muss die Heidelberger Universitat
verlassen. Langjahriger Professor der Berliner Universitat war
Anschiilz schon im kaiserlichen Deutsehland eine Auloritat ersten
Ranges auf seinem Gebiet. Spater wurde er autoritativer Kommen-
tator der Weimarer Reichsverfassung.
1 54
V i o K; s c- 1 1 ler^ Kol le f|^ p "^^^ cleix in die Wflrie gesehiekt: der
Kollege
i-
Heidelberg und Heller in Frankfurt, alle Rechtswissenschaflter
per grcisste dcutsche Zivilrechtler, Professor Martin Wolff
winde von Hakenkreuzstudenlen gewaltsani void Lehrpult ver-
trieben. Der liberate Volkerrechtler Lew in Sckucking Kiel
Vertreter Deulschlands am Haager internationalen Gerichtsho/
j S t aus dem Amte gejagt.
Auch die grossen Psychologen wurden aus den Lehrsalen ent-
fernt. William Stern in Hamburg, der grosse Arbeiten uber
Kinderpsychologie veroffentlicht hat, und Max Werlheima
in Frankfurt haben kein R-echt mehr, an deutschen Unrversitaten
zu lehren. In Hamburg wurde neben einem halben Dutzend we-
niger bekannter Professoren der Philosoph Ernst Cassirer
entlasscn, ein Mann von £rossem Wissen und Ruf aus der soge-
nannten Marburger Schute.
Auf (ten Scheiterhaufe
«In Berlin hat die politii etwa 10000
Zftntner Bflrhor und Z< ii . b*seh unl und in die Stiille der
ehemallgeu berittenen SchBta] afft, wo sie einer eingehen-
den Sichtung unteraogen warden. Die Dun-hfuhrung der Beschlag-
nahme gin# nicht inunrr reibongftloa vmi statten. Bald nach dem
Bekanntwerden der Aktlon Kbafftea viele Bflchereien ihre Bticher in
Schlupfwinkel, urn eie dem Zagriff der Polizei zu entziehen. Die mei-
sten Veretecke wunien Jedocti tusfiadig gemacbt, Vieie Buchcreien
wunlcn in Remiseo, Kelleru, Gartenlauben, Boden und in Privat-
wohnungen verteilt, vorgefunden.?
Volkischer Beobarhter> vom 21./22. Mai 33.)
tWir sind nicht und wolten nicht sein dae Land Goethes und Ein-
eteins. Eben gerade das nieht.>
(Hussottg, .Berliner Lokal-Anz-eiger? vom 7. 5. 33.)
<Als der Kali! die bertihmte Bibliothek der Stall Alexandria verbren-
Den laseen wollte, Flehten einige ihn an, diese wertvolle Sammlung
zu verechonen
«Wanun?> frade der Kftlil «\Yenn in diesen BQchern steht. was in
Koran steht sind sie QberflQssig. Und steht in ihnen anderee, *»
aii bi b&dllch.>
Daehalb wurde die Bibliothek von Alexandria -»>*•>
d [odertcn aul dera Plata vor der Berliner Oper,
it die Flaxaroen eines fcMiiernaii-
inen ai
155
nen der SA und SS mililarisch abeerie«eli I a m fln t nB k„„ u,
riesige Stapel von BBefaen ^MusU^
der Propagandamimster Goebfcels kam im Auto angerast Im
Jahre neunachnhundertdreiunddreissLg fand dieses tinzigartE
Schauspiel der Bucherverbrennung stall, begleitet von den°K
gen des «Horst-Wessel-> und des Deutschland-Liedes
Es logen aui den Scheiterhaufen die Werke von Karl Marx
* ricdrich Lnge Is, von Lenin und Stalin, von Rosa Luxemburg
Karl Liebknecht und Augusl Bebel. Die Verbrennune der Werke
dieser grossen Gelehrten und Kampfer, die der arbeitenden
Menschheit den Weg zu ihrer Befreiung gewiesen haben, wurde
zum Schauspiel fur eine entfesselle reaktionare Meute. «Deutsch-
land, Deutschland, fiber alles . . .»!
Es flogen in die ziingelnden Flammen die Werke pazii'istischer
Schrifts teller, es verbrannten die Bucher biirgerlicher Dichler und
Sozialreformer, deren Narnen den hochsten Rang im burgerlichen
Deutschland bedeuteten. Das Feuer vernichtete Bucher von Thomas
Mann und Heinrich Mann, Leonhard Frank, Magnus HirschieLd,
Siegmund Freud, Jacob Wassermann, Stefan Zweig, Bert Brecht
Alfred D6blin und Theodor Plivier. «Deutschland, Deutschland
fiber alles. . .»!
Diese Verbrennung von fortschrittlichen Geistesschopfungen
spielte sich unweit der Postamente von Alexander und Wilhelni
von Humboldt an der Berliner Universitat ab. Wilhelni von Hum-
boldt, der diese Universitat begrundete, ein Trager des Geistes
der Aufklarungsepoche, wollte das Preussen der Junker auf
das Niveau der burgerlichen Welt des Westens erheben. Vor
seinem Denkmai fuhrte jetzt die dfeutsche Studentenschaft in SA-
Uniform den Pogrom gegen die fortschrittliche Literatur durch.
«Deutschland. Deutschland fiber alles . . .»!
Das knisternde Feuer vor der Berliner Universitat, der schwe-
lende Rauch fiber den K op fen einer chauvinistisch aufgepeitschten
Menge, eine Ansprache des Reichspropagandaministers Gobbels —
ein Schauspiel* das von dein hitlertreuen Berliner «12 Uhr-
Blalt» in unbcwusster Selbsterkenntnis «gespenstisch» genannt
wird. Vergcssen sind die schlechten Erfahrungen, welche die Un-
terdrficker aller Jahrhunderte mit ihren Scheiterhaufen gemacht
haben! Die Gespenster des Mittelalters werden erweckt. Die Flam-
men vor der Berliner Universitat sollen neben den Werken des
Marxismus auch die Spitzenleistungen der burgerlichen Kultu:
und Wissenschaft der letzten 150 Jahre in Deutschland verzehren.
In alien Teilen Deutschlands tobt die Zerstorungswut gegen
jede fortschrittliche Literatur- Zehntausend von Privatbibliotheken
wui-den bei den Haussuchungen beschlagnahmt. oft ar i Ort und
Stelle vernichtet oder willkurlich weggeschieppt. Die Bibhot;
imLeipzigerVolkshaus, eine der wertvollsten und
1 56
..,, Buchereien I >eutschlands mil uoersetzllchen uad selienen
VVerken A*t Arbwiterbewegung. fiel de^i Has? der braunen *Kul-
turlrSg^* r V 1 " den Marxismus zxxra Opfer,
Einige Beispicle offentlicher liucherverbrennungen, nach Mel-
dungen der deutschnationalen lV.legrafen-Union* vom 10. Mai
193!
Berlin, L0 Mai In Munch en fund im Lichthoi' der Univereitiit
eine Feier stall, b-ei der der Rektor, Getaeimrat von Zumbusch. da. ! ,
neue Studenteorecht tibergab. Die Festcede hielt der Bayerienh?
Kultuxminteter Scbemin, der tiber die nationale Revolution nni
Aufgaben der Univevsitaten sprach. Den Abschluss bildete <-in
kelzug '.urn KOnigsplate. WO 'lie Verbrennung undeutscher Bu-
etattfand.
Ir, [Ti'sden sprach auY der Kundgebung der Studenteasehaft
Dicbtex Wilhelm Vesper, aueh dort bildete sirh nacb dem F***
r Farkob.u?, der zur Bismarck-Saule luhrte. wo nacn
iner Aneprache ies Aeltesten der Dresdener Studentenschaft die i
tnte SchUfld- raid Schimitzliteratur verbrarmt wurde.
In Breslaa rand die Kundgebuim der Studentenschaft auf den:
losspla Nil''* 1 , "' 1 Festrede dee Oiuversitateprofessora
haueen v. etwa 40 Zentn Sebund- und Schmutzliteratur
fbrannl .
, n p ran ■. r „ ;•! a M. leilele Ui rsilSUprofessor Fncke den akt
der b rollzogen wurde. Eia Ws
nit der verden sollte, wurde
von swei Ochsen E> latz gwira. Die Verbreo-
D ang BChlose mil lej \\ "" M Weseel -LiedeM
Ein i g€ Tagc vorfaer ware* in Dusseldorf die Werke to
grosfen dtmtscLn Dichters Heinrich II e . n e den Flammer:
sten will in Wahrheil das gedruckte ^^^^^y^x
ganz una gar iinsymbolisch verbrennen so , wie sie (Ue von
und Verfesser dir antifaschistischen Literate physiscli
rotten will-
Bine braune Liste
von verbrennungswiirdiger Literatur finden «rir in der Bugenl*.
scheti Nanhtausgabc vom 26. April 1**J- M ,.
[ONE LITEBATUB: Schalom aach HennB*^^ ^
Max Brod (aosgeno »"> R < ..' „ , tkn
.WaUmtotaJ '
Lion Feat*
Waltei llasenelever, Ailhur Holitscber, Heinrich Eduard Jacob. Jo-
aeon Kalenikow, Gina Kaus, Egou Erwin Kisch, Heinz Liepmann,
Heinrich Manu (ausser «F10ten und Dolches), Klaus Manu, Robert
Neumann, Ernst Ottwald, Kurt I'inthus, Theodor Plivier, Erich Maria
Remarque, Ludwig Renn (nur sein Werk <Nachkrieg>>, Alfred Schi-
rokouer, Arthur Schnitzler, Richard Beer-Hoffmann, Ernst Toller,
Kurt Tucholeki, Arnold Zweig, Stefan Zweig, und von Adrienne Tho-
mas das Buch <Die Kathrin wird 3oldat>.
POLITIK UND STAATSWISSENSCHAFTEN: Lenin, Karl Liebkneetit, Karl
Marx Hugo Preuss, Walter Rathenau, Rudolf Hilferdiug, August
Bebel, Max Adler, S. Aufhausser, E. I. Gumbel, N. Bucharin, L. Bauer
und Helen Keller. Von Lassalle alles, ausser <Asaisenreden» und
<Ueber den besonderen Zusammenhang der gegenwartigen Geschichte-
periode mil der Idee des Arbeiterstandes*.
GESCHICHTE: Generell sollen samtlicbe pazifistischen und <defaitisti-
"'acheiw Schrifteu entfernt werden, samtiche probolschewielische Lite-
ratur aus der Geschichte Russlands. U. a. sollen ausgemerzt werden
Werke von Otto Bauer. Karl Tschuppik. Oekar Blum, Paul Hahn,
MUUer-Franken, «Bismarck und seine Zeita von Kurt Kersten, «Zur
dfutechen Geschichte* und «Zur preuesischeu Geschich»e> von Franz
Mehring, Werke von Glaeser, Upton Sinclair.!
Der Leiter des Kreises Berlin-Brandenburg der deutschen
Studentenschaft, Gutjahr. leitcle die Bucherverbrennung auf dem
Platz vor der Berliner Universitat. l.i liess ausser dun Duchem der
«»enannten Autorcn u. a. noch Werke von Engels, Sigmund Freud,
Emil Ludwig, Alfred Kerr, Ossielzky. Theodor Wolff, Georg Bern-
hard, Bcrllia von Suttner. Rosa Luxemburg, Theodor Heuss, Frei-
herrn von Schoneicb und Vandewlde in die Flammen wandem.
Die ideologisehe S C h w ;i c b e der braunen Herrscher
zeigt sich in diesem Vernichtungskrieg gegen Wissenschaft und
Literatur, in dem angeblichen Beslreben, aus den offenthchen Bi-
bliolheken audi alios versehwinden zu lassen, was zura Verstand-
nis der Geschichte der Kultur und der Wissenschaft unentbehr-
lich ist. .
Die Verbrennung aller Werke des deutschen fortschntthchen
Denkens durch Hitler kann keinen Augenbhck vergessen machen
was die Mensckheit in der Vergangenheil dem geistigen Leben
Deulschlands zu verdanken hat. In den Flammen der Scheiter-
haufen auf dem Berliner Opernplatz ist kemeswegs die Fahig-
keit Deulschlands, dor Entwicklung der menschhehen Ku""/.^
dienen, verbrannt. Nie und nimmer sind Hitler, Goebbds G6nng
und Rusl die VertreteT des .wahren deutschen Geistes»- Deutscn-
lands wirklich grosse SchSpferkraft fur den ku turellen Fort-
schritt ist in jenen Millionen Menschen begrundet. die von dem
HukrUeairne als anlifaschistische Arbeiter. Wissenschaftler.
Ktinstlcr und [ntellektuelle mil grausamer HSrte verfolgl und
IS8
. » u t
n 1 ■• A fl J
'_" . 3
-
frraime Lfctfi uer6ol«ner Backer
schlagen werden. In diescn Millionen ist die Fahink«i i»«, , u
lands verbfirgt in der Zukunf, ein mhrendes 3S £^
turland zu werden. llca ** U1
Die w Sftuberimg;" der ^enssiachen Dichterakademie
Es sleht nicht im Vordergrund unserer BelmchtUBg, ob die
Preussische Dichterakadeime in den Jahren der Weimarer Repu-
blic jemals eine positive und wirklich kuiturschdpferische Arbeit
gdeislel hat, wenn wir den Hillerschen Feldzug gegen diese Dich-
terakadeime schildern. Gemessen an ihren hakenkreuztreuen
Nachtolgern smd die Hinausgeworfenen oder auf Druck ausge-
trelenen Mitglieder dieses Instiluts in der Tat Giganten an Geisl,
Konnen und verdientem Ruf,
Unter den «gesauberten» Mitgliedern der Preussischen DLch-
terakademie ist zunachst einmal Thomas Mann, der deutsche
Nobelpreistrager, vielieicht der reprasentalivste Schriftsteller des
burgerlichen Deutschland. Sein «Verbrechen» bestand darin, dass
er im Laufe der letzten Jahre sich der Sozialdeniokratie naherte
und sogar mehrfach seine Slimme gegen geplante Justizmorde, wie
in den Fallen Sacco-Vanzetti und Rahosi offentlich erhob. Dteser
grosse Schriftsteller des deulschen Burgertums wurde aus der
Preussischen Akademie hinausgedrangt. Es wird ihm nie verziehen
werden, dass er einmal die NSDAP als den verderblichsten Aus-
wurf der Zeit* bezeichnet ha!.
Sein Bruder Heinrich Mann versuchte. die Position eines
*freiheitlichen unabhangigen Geistes* innerhalb der burgerlichen
Welt zu schaffen. Er hat don Burger als Karikatur dargestellt. den
Burger des Kaiserreichs (*Der Untertan») und den Burger der Re-
publik («Die grosse Sachc»). Heinrich Mann hat die Amsterdamer
internationale Volksbewegung gegen den imperialistischen Krieg
unterstutzt. Er wird dafur. wie sein Bruder Thomas, verbrannt
und verjagt von Hitlers *Kulturtragern».
Ein dritter Schriftsteller des deutschen Burgertums, dem der
Hass der Nazis gilt, ist Jacob Wassermann, dessen Werke
in zahlreiche Sprachen ubersetzt sind. Sein Hauptverbrechen ist.
Jude zu sein und biirgerlich liberale Auffassungen in seinen Ro-
manen gestaltet zu haben.
Alfred D 6 b 1 i n, ein vierter Herausgeworfener, von Beruf
Arzt in einern Berliner Arbeiterviertel, begann als Schriftsteller
mil fantastischen und teilweise exotisch aufgemachten Romanen
(.Die drei Sprung* des Wang Lun», «Wallenstein», .Berge. Meere
id Giganten.). Der letzte grosse Roman Doblins war <Mn
Alexanderplatei. D&blin nannte sich selbst in offentlichcn Dta-
.ssionen cfnen klassenbewussten Bfirger*. Er ospenmentierte
160
formal-kunstlerisch scht start i„ » , ,
Joyce and den Amerikaner i^ ^'"""S an d ™ ton James
Fi anz Werfei, Scbriftst«.n« '
Ideenwelt, war vor zwanzig Jahren r^k^" , reiu btogerlichan
Bismus. Sc, n Verdi-Roman eiWh 55 Bl,recher des Expressio-
wird von den Nazis nicht geduldet " Browe Po P ular *tat, i, r
Herausgeworfen wurde Re „ ,. Schi.. i- i
Dichter aus dem Elsass. Verjagt wurde Lenn£« .*£ de ateche
[as Antikriegsbuch -Dei Mensch ist git schruTunJ ■ rtt f k - der
anen D,e Rauberbande, und .Die funX gSitSir"
sche l endenzen verfolgte. Obwohl Leonhard FraSS fm i l"
der lelzten Jahre Uleraturpolilisch immer welter Lch re KtsunS
n rem burgerhchen Stoffgebieten eatwickelte, hat er duXsebe
Vergangenheit sich den Mass der Nazis erwirkt.
bo, Dramaiiker Georg Kaiser, ein eigenartiges, .lark
anarchistisches laleni. musste die Akademie verlassen Fritz
von Unruh der Dramatiker der Weimarer Republik
Bern hard Kellermann, ein begabtei liberaler Schrifl-
steller, die Lyriker M o m !> e r t und Rudolf P a n n wi tz
sowie der Lustspiel-Autor Ludwjg Fulda warden hinaus-
iworfen. Eine der wenigen deutschen schriltstelleraden Frauen
von literarischem Kdnnan, Ri cards Huch, isl Anfang April
sellisi aus der Preussischen Dichterakademie ausgetreten.
Neben den politisch oil rgetreterun Mitghedern Oskar
Loerke and Jakob Scbaffner durfte aucb Gerhard Haupt-
mann seinen Sitz behaltcn. Der Dichter der Weber* hat schon
manchc ■Wandlung> mitgemacbt. Im Eriege unterschrieb er die
schmachvolle Erklarung der 93 [ntellektuellen fur die imperialisti-
sche deutsche Kriegfuhrung. Naca dem Kriege liess er sich als
Hofpoel der Weimarer Republik feiern. Er scbwieg beharrlich.
als der braune Terror die besten burgerlichen Schriftsteller und
Wissenschaftler aus dem Land? trieb.
Und nun: die Gestalten, die der nationalsozialistische Volks-
bildungsminister Rust in die Preussische Dichterakademie ein-
iilirl hat:
Ihr Parademann ist H a n n s J o b s t. der sich einst sehr kon-
junkturtflchtig fur die Revolution einsetzte. Das Novemberve.-
ben ist ihm vergeben. Er ist der einzig* nationalsozialistiscue
ttriftsteller, der sich einen gewissen Namen geschaffen mi. ue-
irtifi spielen bunderte von deutscben Rufanen «f" , ™ 1 £
Schlageter-Drama, dessen Held wonncn
• rklart:
Kultur hare, eitstokcr. ich
Die besonderen Atlraktlonen des Herrn r„ , ,-■• ,
sche Dichterakademie sind ausser II „,s (', iur d,e pra "ssi-
Schnftsteller wie Emi] Strauss, Wi v a w '„ U " bcdeut ^
Agnes MiegeJ und Peter Ddrfler II IL r P - ' VV,lhell » Schater.
Roman das «Volk ohne Raum» I % • • "' "' ei ' fand ,n emeiu
h a u s e n schrieb romantische Balladen m«t L! , 7 n M fi n c h "
Bei ihrer Suche nach Narnen I ? SdleJ ' Ges "»>^
versuchen die National^ en" ^Tn^f' "S^
George fiir die Dichter-AknriTmin * ■ L . ynklir Stefan
SSVKSi*-- SS^^lfflgSS gas
Braune Dichtkunst
Dr. Josef Goebbels, Propagandaminister des dritten Reiches
hat einen Roman geschrieben: .Michael, ein deutsches Schick 3b
Tagebuchblattern.. Michael, die suchende deutsche Seete hS
Yisxomn Der B6se erscheinl ihm in dor Gestalt des RussenWan
und will die edle Seek zum Boischewismus verleiten. Die Seele
Michaels nngt mil dem Versucher;
«Aber lota bin Bt&rker ate ■
Jetxt pack ich ihn bei der Ctargel.
Xzt achlpudere ich ihn za Bodea.
Da Iiegl er.
RocFi-'ln,! mit blutunterlaufenen Augen.
Verreoke, Du Aasl Ich Irele ih n len SchSdel ein.
Und nun bin ich fn :?
Das isi der Geisi, der fur die bitlerisierte Dicbter-Akademie
reif macht: «Ich trete ihm den Srhadel ein! Verrecke, Du Aas!
Der bekannte Schriftsteller Hanns Heinz Ewers, den
Goebbels zum Fuhrer des gleichgeschalteten Schutzverbandes
Deutscher Schriftsteller bestellt hatte, 1st rtoch nichl offiziell in
die Dichter-Akademie berufen worden. Dieser Pornograph. dessen
Romane «Alraune» und «Der Vampyr* von den Nazis selbst nach-
tr&glicb auf die Listen der Sehund- und Schmutzliteratur gesetz*
wurden (und sie sind die einzigen, die es wirklich verdienen!).
der offizielle Hiograph des nationalsozialislischea Heros Horsl
Wessel. Wie Ewers fruher als «Satauist» in literarischen Perver-
sionen ■■machtc*. so vergoldet er jetzt literariscb das Zuhalte
milieu, in dem ik beldenhafte* Figur Horsl Wessels der Kus
eines Zuh filter -Rivalen zum Opfer HUH. An Hitlers Gebur
brachte der Deutschlandsender das Eftrspiel Hnrst WesseN \
Hanns Heinz Ewers. Die Exis dieses Schriftsteilers seil
vielen Jahren vdllig vergessen, bis er jetzt als Hofpoet des «DriUen
Reiches» wieder seine Aufersiehung aus der literarischen Verges-
senheit Mem durfte. I in Jahre 1922 hat H. H. Ewers ein sehr ju-
denfreundliches Vorwort zu einem Kuch von Israel Zangwili (-Die
Sliinnu' von .Jeriisalcm», 1922, Verlag von Samuel Cronhach. Ber-
lin) geschriefoen. Inzwischen hat die Konjunktur ge^echselt,
H. H. Ewers ist Antisemil geworden.
So ist die Preussische Dichterakademie neu zusammengesetzt
im Zeichen jenes Geisles. dessen «erwachende Lyrik» beispiels-
weise so aussieht:
AHe V&fflein sind schon do!
(Weise: <Nun ade» und „AIle Voglein*)
A. Nun ade Du mein lieb Heimatland
Zu Strassburg* auf der Schanz
Es fangt eiD grosses Trauern an
Heil Dir im Siegerkranz
Es brau>l ein Ruf wie Donuerhall
Rosa Luxemburg sebwinunt im Kanal
Karl LiebknecM hiinpt am... Baum
2. Alle VOglein tind Kfaoa da
Alle \ tll«
Vmael. Droe*H. Fink und M€
und da.s Relchebanncr Srhwurz-Rot —
Sen ..ade, da** kein Gold dab
(Entnommeii Jem Bnche Den! nd erwacfa Dae kleine Naa-
liederbueh. Ausgabe I'.. Berausgeber Paul Arend, Sulzbach-Oberpfalz.
8. (!) Anflage.)
Man sage ntcht. dieses in der 8. Auflage verbreitete Glanzstuck
brauner Lyrik sei nicht ivpisch. Worin unterschcidct es sich von
den vielgesungenen SA-Liedern:
«Wenns Judenblut vom Messer rinnt,
geht^ uns nochmal so gut.*
Oder ahnlich:
■ Hie rote Brut, schlagt sie zu Br
\ marschiert — die Straese frei!>
Es entsprichl diesem «Geist» der Nazis, dass dor Munchner
SUdtral Mitte Juni 1933 die Graber von Gusttt Landauor
er, die beide 1919 von der baycrischen Rcaktion
rdbod ;leicti machen liess.
163
Der Feldzug gegeu die „«adeutsche" Musik
Herr Josef Goebbels, Reichspropagandaminister, erklarte am
9 Mai vor den deutschen Theater lei tern und Kiinsllcnr. Kunst
komml vom Konnen und nicht vom Wollen.* Zur IlluslraUor.
dieses schonen Wortes bieten wir hier nun eine weitere Verlust-
liste der deutschen Kunst:
Unter den beslen deutschen nachschafl'enden Kunstlern wur-
den immer die Dirigenten Bruno Walter. Otto Klempe-
i e r und FritzBusch genannt.
Otto Klemperer war einige Jahre Letter der Berlinei
Kroll-Oper, die er zn einer Pflegestatte moderner Musik raachte.
Hindemith und Kurt Weill kamen unter mm zu Wort Nacb
Schliessung der Krolloper wurde Klemperer an dve Berliner Staats-
opex 3n, wo er in gleichem Sinne weUerwkte. Nun urns.
e?den Dirigentenstab ruhen lassen, well er judischer Abslam-
mim Iruno Walter. Dirigent von Weltrui", 1st Mahlerschulei.
Man kennt ihn in Amerika oder England ebenso syie in Deutsch-
land. Er ist Jude. Daher - ^Kunst kommt vom Konnen. - kann
er nicht mehr in DeutSChland dirigieren. Slatt dessen wird irgend
em Herr Fuhsel. Leibmusiker der Nazis (Kommandeur erne:
grossen Blechkapelle), bei dem weder yon Kunst noch von Konnen
gesprochen werden kann. der erwachten deutschen Nation bei-
bringen, wie man Musik macht
Der Dresdner Generalmusikdirektor Busch ist blond, sodass
seine «arische» Abstammung aussei Zweifel Steht. Er at em kon-
STativer Burger, aber zufaUig kein Nazi. Die Dre^« Oper, em
beriihmtes Kunsfmstitut, vvurde durch Busch vv.ederbelebt. In den
Tagen de, nalionalen Erhebung erschien mitten in einer vor-
steflung ein nationalsozialistischer Denunziant auf der Buhne und
forderle Busch auf. sein Anil niederzulegen.
WUTde genetigt. die Oper ZU varlassen, uahrend Stneger
tenpult Platz natun.»
Der namhafteste deutoche Pj«^*&£ wdMAr thur
Sch nabel. der sich in dre, Jahrzel mien Aibut zi cm t
preten grosser Klaviermusik entwickelt hat. Lr tenets an
164
liner Rochschule Eur Musik eine Meisterklasse Eur Klavierspiel. Et
wurde hinausgeworfeu, weil er Jude ist. Von seinen Kollegen au
der Berliner Musikhochschule wurden entfernt. Emil Feuer-
nia n n. gegenwartig der einzige deutsche CellisL von Ran-.
Leonid Kreutzer, ein guter Pianist und Lehrer der Meistei
klasse. Kaltgcstellt ist der ausgezeiehnete Geiger Kail Flesch,
weggejagt sind die bekannten Dirigenten Oskar Fried, der
einsl viel fur die neuere Musik getan hat, die beruhmten Opern-
dirigenten Fritz Stiedry und Gusta-v Brecber und der
bedeutende Pianist Bruno Eisner.
Von den schaffenden Musikern, die es in Deulschland gibt,
bat sich sofort zu den Nazis bekannt Max von Schillings,
dessen Kompositionen unoriginell sind und der als Dirigent nir-
gendwo iiber die Schablone hinaus wachst. Schillings, aer unter
der verflossenen Republik sich hohe Aemter iibertragen liess, der
nach dem Riicktritt Max Liebermanns Vorsitzender der Akademie
der Kimste wurde, hat in dem Komponisten Hans Pfilzner
einen nazilreuen Freund. lhnen gesellt sich von reprasentativen
Komponisten noch Richard Strauss hinzu. Seine Werke dienen
zwar, vom Standpunkt der NazimoraL dern «geilen jiidischen Sin-
nenkiizeK aber er ist auf dem Wege, Hofkomponist zu wden.
Von den modernen deutschen Komponisten ist kauui einer den
Nazis geblieben.
Verjagt ist A r n o 1 d S c h 6 n b e r g, der seine Stellung an der
Musikhochschule aufgeben mussle. Schonberg hat — mag man zu
seiner Musik stehem wie man will — auf die Entwicklung der
modernen Musik den grossten und wichtigsten Einfluss aus-
geiibt In politischer Hinsicht eher konservativ, ist Schonberg
in der Musik ein formaler Revolution^ gewesen. der erne rieue
eigene Musiksprache gefunden hat. Diesen bahnbrechenden Mann
kann Nazideutschland nicht brauchen.
Einer der bekanntesten deutschen Komponislen ist Kur.
Weill der verpont ist in Hitlerdeutschland. Komponist der
:-Dreigroschenoper», die einen Welterfolg errang. Weill ist jetzt
heimailos, da er Jude ist.
Der Opernkomponist Franz Schrekcr (dje bekanrUe.te
seiner Opern: «Der feme Klang») wurde aus dem Verband der
Berliner Musikhochschule cnilassen, obwohl er kemeswegs beson-
ders fortschritflfch ist. Seine Abstammung ist n.chl emwandtrei*.
Der besondere Hass der Nazis richtete sich gegen den ersten
proletarisch-re-volutionaren Komponisten Hanns Eisier^aci
cbenf alls ins Ausland verlrieben ist. Er hat der deutschen Arbeiter-
klasse in den letzten Jahren grosse Chorwerke ( <D,e Massnahme.)
und populare kampferische Songs gegeben, die auf den .S rassen.
in den Versammlungen und Arbeilerquartieren mil grossteT Re-
gsisterung von den Massen gesungen und bald in Video Land*
165
Die deutsche Musik, seit Jahren in einer allgemeinen Krise
S iSiS^^l^ 1 * 1 DieSer V «««« *" den ™ fallen
Mussohnis tatigen, beruhmtesten Dirigenlen der Welt Arturo
loscanim, veranlasst, seine Teilnahme an den Bayreuther Fest-
spielen im Richard Wagner Gedenkjahr abzulehnen. Er hat An-
fang Jum folgendes TeJegramm an Frau Winnifred Wasner *e-
richtet: & °
*Da die mein Gefuhl als Kiinetler uad Mensch verletzenden Gescheh-
msse gegen mein Hoffen bis jetzt keine Veranderung erfuhren, be-
trachte ich ee als raeine Pflicht, das Schweigen das icb mir seit
2 Monaten auferlegte, heute zu brechen und ihnen mitzuteilen. daBS
es fur meine, Ihre und aller Rune besser ist, an mein Kommen aach
Bayieuth nicht mehr zu denken.
MM dem Gefuhl unver&nderlJcber Freundschaft fur das Haus Wagner.
gez. Arturo Toscan-'ni
Theater — Bilclende Kunst — Film
Auf den deutschen Buhnen darf jetzt die chauvinist ische
Verherrlichung Schlageters und die roraantische Idealisierung von
Horst Wessel Iriumphieren. Herr Goebbels lasst sein «bekanntes»
Biihnenwerk «Der Wanderer* auf einer Berliner Buhne auftuhren.
Aus dem deutschen Theatere verschwanden viele Darsteller,
die grosse schauspielerische Leistungen aufzuweisen hatten. Alle
Staats-, Stadt- und Prhattheater wurden <gleichgeschaltet». Die
Or^anisationen des Thcaterpersonals wurden unter das Diktat von
faschistischen Kommissaren gezwungen. Fritz Kortner, Max
Pallenberg, die Massary und die Bergner, die Regis-
seure Max Reinhardl und Jessner, sind als Mindeutseh*
ins Ausland verjagt.
Die kiinstlerische Kraft der Opernsanger Lotte Schone,
FriedaLeider. AlexanderKipnisu. a. gilt unter Rusts
brauner Kulturdiktatur nichts mehr. Der proletansch reyolutio-
nare Sanger und Schauspieler Ernst Bus ch, cm hochbegaD er
Kfinstler, der die neuen proletarischcn Lieder von Lisler P°P™J r
machte und darait selbst zu einera gefeierlen himder aes rra-
heitskampfes der deutschen Arheitermassen wurde, wurae
Ausland gebetzt.
166
Die «UFA»-FUmgeseUschafl hat eine Anweisung erlassen,
dass in ihren Filmen jiidische Dars teller nur Doch
in negative!} Kollen beschaftigt werden durfen. Die Be-
berrscher des deutschen Films beabsichtigen, in ihren Filmen
Judea nur noch als Gauner, Verbrecher und Pathologen zu
zeigen. An fang Juli 1933 erschien eine neue Verfugung von
Goebbels, dass Juden nur nach seiner vorherigen Zustiminung
beschSftigt werden durfen.
Am 6. Juni fand in den Raumen der ehernaligen Buhnenge-
nossenschaft in Berlin, die wie alle Gewerkschaften gewaltsam
«gleichgeschaltet» worden ist, die Generalversammlung der «Ver-
einigung kunstlerischer Buhnenvorslande* statt. Diese Vereinigung
isl als rachgruppc dem nationalsozialistischen Kampfbund fur
deulsche Kultur» eingegliedert. Der Staatskommissar Hinkel kiin-
digte in dieser Generalversammlung einen neuen willkurlichen
«Reinigungs»-Feldzug gegen die Kiinstler an:
<Auf Verschlag des Preussiscben Kultusministeriums sei in den
letzten Tagen Jem Ministerprasidenten Goring die Zusammensetzung
ernes Preuasiechen Theateraueschusses mitgeteilt wordea. Die-
eem Theateraueschuss. dessen Vorsit2 Hinkel ubemimmt,
soil die IJeberprtifung aller [ntendanten, Generalnrnsikdirek-
toien, Kapellmeister, Kegisseure and Snlieten aller stadtischen Buh-
nen obliegen. In den Bachsten Tagen wilrden bereits Verordnungen
erl'olgen. die < k - ermdgliebtei), Pertrfige zu annullieren, zu erganzen,
oder abzufindern. um zu verhindern, das ;»-ndwie das kiinstleriscne
Schaffen im Sunt' b deutschen Tb - gebemmt wtirde. Durch
geselzlichc Massnahmen kdnnteo p ri va tr e chtl f che B i n d u n-
en gelttsl (!i werden, wenn ale den In teressen des deut-
-chen Theaters w i <l e rs p r I c ii 6
(.Frankfurter Zeitung), 8. Juni 1933.)
Die sinnlose Zerstorungsarbeil der Nazis vollzieht sich auf
alien Gebieten der Kunst Der Vorsitzende der Akademie der
Kiinste. der grosse Maler Max Lieberraann, ein Mann von
konservativer Gesinmmg, wurde auf Grund des Arier-Paragraphen
zum Rflcktritt gezwungen. Mitbegriinder und langjiihriger Presi-
dent der Berliner Sezession, musste er auch hier ausscheiden.
Dass K a t h e K oil w 5 1 z. die geniale Kiinstlerin der Arbeiter-
welt, in die Verbannung geschickt wird, isl bei dem nationalso-
zialistischen Kurs eine Seibsiverstandlichkeit. Die Zahl der Male;
und bildenden Kiinstler. die der «deutschen Sauberung* der Aus-
atellungen zuni Opfer fallen, ist Legion.
Die bekanntesten fortschrittlichsten Fi Imregisseure
Dcutschlands sind gezwungen, sich im Ausland Arbeit zu suchen.
Alle der Arbeiterklasse nahe stehenden Filmkunstler, alle pr<
tarischen oder fortschrittlichen Filme stehen auf schwarzeo I s
167
Mutter Krauses Fahrt ins GKick Sturn, fiber Asfen
Die andere Seite Die MuW
Hoizerne Kreuze (franz5s. Film) Der Mann, d. d. GedacE verlor
c,H. W ?f dene S f . ? e aIlzuen g e * Verbindung mil dem proletari-
schen Film verdachtig sind!
Ein charakteristisches Beispiel dafiir ist die Verhaftung und
Misshandlung dcs Dr. A. S t e i gl er durch SA und Hilfspolizei
Meigler war seit Jahren als Direktor einer VolksfilmgesellschafL
in Berlin SW 48, Friedrichstrasse 238 tatig. Unter den von
der Gesellschaft nach kommerziellen Gesichtspunkten be-
inebenen Filmgeschaften bcfand sich auch der Ycrleih ein>°er
Russenfilme. Das gcnugle, urn die Raume dieser Filmgesellschaft
durch SA und Polizei besetzen zu lassen und das gesamte Personal
fur verhaftet zu erklaren. Nach Einliefenrog in die Berliner Mai-
kaferkaserne wurde Dr. Steigler in Gegeirwart seiner Angestelllen
densihlimmsten Miss h a n d lung e n u n d F 1 1 e r u n -
gen ausgesetzt.
Die Schule des „I)rittcii Reiches"
, Man sagt, dads in euros Schulen Knaben und Madchen uackend
in WetLkampi'en sich messen und solchermasaen zu Kiietrern imd Ai.ta
zo-neii erzogen warden, Aber lernen sie denn auch etwas? Und wird
ihre Sinnenlust nicht aufgepeitscht. wenn sie sich so sehenV-
cKeineswegs, mein Bester, denn wir plagen eie. bis sie keinen Atem
mehr baben, und wenn sie miide sind. konnen sie weder denken noch
Sinnenliisfrp empfinden.v
<Aber wie ist es mit den Wissensehaften und Kunsten, die sie erler-
nen £olier>. o raein weiaer Gesetzseber? - *
«Sta sollen ja uichts lemen una nicht denken. denn wer denken kann.
•;ann Buses denken, wer aber tuehlig gezr.acht wird id Bezug auf
eeicen Leib und gesehunden wird den ganzen Tag. der kann bid
brauchbarer Staatsbtirger werden.»
(Aus einem Gespraeh im alten Grieehenland iiber spartanische Er-
ziehung.)
Die Weimarer Republik ermoglichte einige. wenn auch un
zulangliche, Experiment* in der Schulpolitik. Sie hat, wenigstens
in den adieu, die Mdglichkeit offengelassen< di
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Rl'ief Vail Cler Lllbbe S j 115 , drm ^ r,lncrl i n,c , rsu,,, ' l nsiss*fansnis. UiiwBmdilcrslaUcr hat aoht Briefe
UUVVCS g„chon, die van der Ubbe im Mono! April nus dcm Gcfenifnts sdnrcibcn dtfrftc
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^~r~vy^t
ten unbmilm gelassen. be? s*e h a ?%?nL ohlhabende " Schich-
Versuche unternommen, auch ArhpSL Ti ? f " > ge Und zagha£le
an den Hochsrhule., Lassen iS' 1 "^" *um Studium
K a r 1 M a r x-R e a 1 g v m n a JK? ^2^^^?^
bung neuerer Untornehtsmethodeu, starker Gabelung der Un-
ternchlskomplexe (d. h. leilung in mehrere Gruppen, I nach dem
vorw.egenden Interesse der daran Beteiligten. etwa in Sprach
gruppen) und vor allem der systematischen Ausbildun- von Ar
beiterabrtunenten diente, solche Experimente sind erledigt unrl
verboten worden. 5
Schon Hitler hat in seinem Buch «Mein Kampi"» se in Schul-
progranim entwickdl. Es sah dem des spartanischen Zynikers
den wir anfangs zitierten, ahnlich genug. Der Sinn der Ausfuhrun-
gen Hitlers ist der, dass man in der Schule des Written Reiches*
den Kindern nichl etwa Kenntnisse und Wissen beizubringen hat
sondern vor allem Gehorsam gegen den Fiihrer. Was Hitler grob
und ohne Umschweife sagt, das fiihrt Frick etwas getarnt aus
Am 9. Mai 1933 hielt Frick vor den Kultusministern der Lan-
der seine Prograinmrede. Frick, der selber den Weltkrieg zu Pir-
masens in der Heimat iiberdauerte. fordert jetzt heJdische Erzieh-
ung zu Kanonenf utter. Bisher. so nieinl er. ist alles schlecht ge-
wesen. Denn die Kinder wurdon «nicht erzogen, sondern geschnH».
Was will Frick ?
Wir haben heute mehr denn je Ursache, una daran zu erinnern. dass
wir Hand in Hand mit den stammverwandten germanischen Volkern
Vordeuropas und ihrer Tochterstaaten jenseits des Meeres weltuin-
spannende Aut'gaben zu losen haben, die der Tatkraft der nordi-
scben R a a s e ein weites Feld kulturaufbauender Betatigung
geben.s
Die <stainmverwandten» Volker sind hier nicht genau defi-
niert. Es scheint. dass Heir Frick sie alle gegen die «Untermen-
sehen* einen will, um ein weftumspannendes Drittes Reich* zu
schaffen, das alien minderwertigen* Volkern romanischer oder
sonstiger Rasse» zeigen wird. wie es in einem ordentlichen hit-
ler i s c h e n Reich zugeht.
Neben der Ausbildung rein korperlicher Gewandtheil und Leistuags-
fShigkeit. ist besonderer Wert auf die Heranbilduug von Willena
UDd EntBCblusskralt zu legen, als uaerlasslicher Vorbedingung fur die
Erziebuag zur Verantwortungsfreudigkeit, in der der Charakter wur
zelt.>
Die Schule soil ungebildete C uU «geschulle») aber slrainm ge-
drillte, draulgangerische Soldaten des «Dritlen Reiches* produ-
zieren. Um den Kindern beizubringen, dass nichls in dei Well
besser ist als das *Dritte Reich», muss ihnen die Well so darge-
slelll werden, wie sie nie aussah. Dementsprechend muss die G e-
schichte nationalsozialislisch verfalscht werden. In «neuen Ge-
schichtsbuchern» soil moglichst wenig stehen. «Weitgehende Be-
schrankung ist unerlasslich.» Daher geniigt es: *die geschichts-
bildenden Krafte herauszuarbeilen, die zu alien Zeilen gewirkt
haben. Ein Hauplstiick der Geschichtsbelrachtung haben die bei-
den letzten Jahrzehnte unserer eigenen Zeil zu bilden.* Um die
Sache noch genauer zu beschreiben, fugt Frick hinzu, dass be-
sonders zu behandeln siad «d a s b e g i n n e n d e Erwachen
der Nation vom Ruhrkampf an bis zum Durch-
bruch des nationalsozialistischen Freiheitsge-
dankensundbis zur Wiederherstellungderdeut-
schen Volksgemeinschafl am T age von Polsda m.»
Neben dieser Sorte Geschichtskunde sollen noch die besonders
geforderte «Rassenkunde» und die «Einfiihrung in die Grundbe-
griffe der Familienlorschung* gelehrt werden. Das baverische
Kultusministerium hat einen Erlass herausgegeben, in dem es
u. a. heisst:
<Im GeschichtsunterricH(( aller Unterrichtsklassen des Landes Bayern
wird fur den Anfang des Schuljahres 1933/34 - unabhangig von alien
sonstigen Stoff- und Lehrplanen — bestimmt, dass in den ersten vier
bis sectas Wochen das Stoffgebiet, das die .Jahre 1918 bis 1933 um-
fasst, zu behandeln ist. Das ubrige lehrplanmassige Pensum in den
erwahnten Fachern wird dann entsprechend gekiirzl auf die ubrigen
Monate des Jahres verteilt. Nach Anschluss dieses Lehrganges soil
die letzte Stunde zu einer erhebenden Schlussfeier ausgestaltet wer
den, mit kurzen Ansprachen des Lehrers und eine6 Schiilers iiber den
Aufbruch der Nation. Slngen vaterlandischer Lieder, Plaggeflschmuck.
Es wird besonders auch darauf gesehen. dass dieses fur die W i e d er-
erweckung des Nationalgeiiihls in der bayerisetaen Sehuljugend
wichtigste Theraa <Aufbrueh der Nations nicht allein als Unter-
richtsfach (fur Geschichte. Heilkunde USW.) zu gelten bat. sondern
auch als Unterrichtsprinzip konzentriseh zur grundlichsten
Behandlun* stebt Soweit am Ende des Trimesters Prufungen abge-
halten werden, ist auf dieses Stoffgebiet vorzuglich Rttcksicht su
nehmen.5
Der Berliner Staatskommissar Dr. Me i nshausen prokla-
mierte («V51kischer Beobachtei» vom 6. 5. 33) in einem \ ortrag
iiber die Umgestaltung des Berliner Schulwesens:
«Es muse alle liDerali6tische Gefuhlsduselei verstuttimeD _. . . _. -
Zur Judenfrage gilt das Wort: Setttlmental itil isl VolK.
v e t r a t.>
170
Dementsprechend haben die nationalsozialistischen Kultus-
minister alle padagogischen Akademien vollkommen uingeslallet
und alle Lehrer entlassen, die «verdacbtig» waren. Alle welt-
lichen Schulen sind aufgelost. Der Religionsunterrkht ist wieder
zwangsweise verordnet, die Wiedereinfuhrungder
p r u g e 1 s t r a f e war die erste Leistung brauner Schulpolitik.
Alle Tendenzen zur modernen Schule sind vollkommen aus-
*etil a t. Die Oberprimaner der «umQrganisierten» Karl-Marx-
Schule in Berlin- Neukolln sind alle um zwei Jahre zuriickver-
setzt worden. Sie sollen erst einmal im echten Nazigeist gedrilll
werden, ehe Lhnen gestattet wild, zu studieren.
Nicht aur die jiidischen Professoren, auch die judischen Stu-
denten wurden aus den Universitaten vertrieben. An den hoheren
Lehranstalten werden nur noch anderthaib Prozent neueintretende
Schtiler «nichtarischer» Rasse zugelassen. (Preussischer Mim-
sterialerlass vorn 8. Mai 1933.)
Die zwangsweise Mitgliedschaft aller Lehrer im national-
sozialistischen Lehrerbund ist die Voraussetzung fur ihre staat-
liche Beschaftigung als Lehrkraft.
Wir lassen das neue Deutschland nun in einigen Er-
lgssen und Verfugungen selbst sprecheri:
Aus dem Gesetz gegen die Ueberl&lhmg und Ueberfremdung der
Hochschulen.
§ 1 Bei alien Schulen ausser den Pflichtschulen ist dieZahl der Schil-
ler und Studenten so-weit zu beschranken, dass die griindhche
Ausbildung gesichert und dem Bedarf der Beru£e genugt ist.
§ 4 Bei den Neuaufnahmen ist darauf zu achten. dass die Zahl der
Reichsdeutschen. die im Sinne dee Gesetzes zur Wiederher-
stellun* des Berufebeamtentunwi vom 7. April 1933 nicht arischer
Abstammim* sind, unter der Oeaamtheit der Besucher jedcr
Schule und'jeder Fakultat den Anteil der Nichtaner an der
veichsdeutschen Bevolkerung nicht iibersteigt. Die AnteilzaW
wird einheitlicb fur das ganze Reichsgebiet Pestgesetzt. (1,»%.)
§ 7. Das Gesetz tritt mit seiner Verkundung in Kraft.
ErZetehferle juristische Priifungen fiir Mitglieder der nationalen
Verbande.
Der Kommissar des Reiches fiir das preussisctae Justizrainisterium,
Kerl, hat durch Erlass vom 5. April verftigt, dass Rechtskandidaten
und Referenda^, die als Mitglieder einer der anerkannten natio-
nalen Verbande im vaterlandischen Dienst eine gewisse /.eit non-
durch tatig gewesen sind, zum Ausgleicb einer dadurch verursachteri
Behinderung des Ausbildungsganges auf Antrag die jurwtocheu
Prttjtungen in absekurzter Form ablegen konneu.
(*D. A. Z.» vom 12. 4. 330
171
Der „Gteis1 ' der Sclieiterhaiiten-Studenteii
1. Sprache una Schrifttum wurzeln ini Volke . . .
2 Es klafft beute ein Widersprueb zwischen Schxifttum und deut-
schem Volkstum. Dieser Zustand ist eine Scbmach.
3. Reinheit von Sprache und Schrifttum liegl an Din!
4. Unser gefahxlichster Widersacher ist der Jude . .
5! Der Jude kann nur jildisch denkeu. Schreibt er deutech, dann
lugt er. Der Deutsche, der dcutsch schreibt, abet undeutsch denkt,
ist ein Verraterl ....
6. Wir wollen die Liige ausmerzen. wii wollerj deu Verrat brand-
marken ...
7. Wir wollen den Juden als Fremdling achten und wir wollen das
Volkstum ernat nehmen. Wir ford era deshalb von der Zensur:
Judische Werke erscheinen in taebr ai ach er
Sprache Erscheineu sie in deutsch. sind sie als Jeber-
setzung zu kennzeichnen . . . Deutsche Sehrift steht nur
Deutechen zur Verfflgung. Der undeutsche Geist wird aus
Sffentlichen Biichereien ausgemerzt
Die Deutsche Studentenschart.
(Aus den 12 Thesen < Wider den vindeutschen Geist>, angeschla-
gen von den Berliner Studenten am 13. April 1933 in der Ber-
liner Universitat.)
„Gleichschaltung" der Presse
Am Abend des 30. Januar 1933, dem Tage der Berujung der
Regierung Hitler-Hugenberg. versatile der »eue Reichsmnen-
2 er Fri=k die Verlreler der Berliner Pressezu Bluer tvon-
S Er versprach, dass die neue Reg>eung stch von al ihre ,
Vorgangern durch eine weilgehende Wahrung der PresMtraheil
^Ten^Tagetch .diesem deutsche* Uannes,ort» setzte in
R anz DeuSchland eine Verbotswelle gegen die koinmunis ische
fnd sozSnrokratische Presse ein. MittJ Februai jar fgt die
gesarnte kommunistische ^^\^ ts f^UMer matter.
Lite Verbote sozialdemokratischer und ^S^Sfnachtewr
SA-Trupps zogen wahrend des Reichslagswahlkampte J«Ws jot
dfe Dru P c P kereigebaude von Zentrumsb a tern trn ™^' U nd
roangen den Abdruck n^ft^^^^JS^SSi aus.
ubten! gedeckt durch die Polizeibehorden. ^^™ Frieks
In jenen letzten Tagen vor dem Retchstagsbi an d v, •
<Presse'freiheit» fast vollig von den Sttefeln del SA und a
lizei zertreten. Die Arbeiterblatter wurden nui noch our
chen tapLrer proletarischer W^ftSffScSt ^ ^
Uerung ihrer Sruckereien und B^^g^SSl war und
ungcheuerliche Provokationsstuck »m Reicnsia* g 5
172
jjraune Pogrom zu rasen begann, wurden mil einem Schlag
die letzlen kommuiiislischen und sozialdemokratisehen Zeitungen
Der letzte HesL dci Pressefreiheit war gemordeL Koinmu-
* isiische sozialdeEflokratische, linksbfirgerliche Journahslen
wurden verhaftet oder Freibeute sadislischer Foiterknechte in
SA-Kaserncn. Die weiter erscheinende biirgerlich-demokratische
Presse und die Blatter dcs Zcntrums begannen, sich dem neuen
Po°roinro o iinc xgleichzuschalLen*. In den grossen demokratischen
\cria a en Berlins, bei Ullstein und Mosse, bei der liberalen Presse
ini Reiche begann die «freiwillige» Entfernung jiidischer, pazi-
jistischer oder sonsL bei den Nazis unbeliebter Redakteure. Auch
diese Presse feierte die «schicksalsgcwaltigen Ereignisse dieser
Ta CT e». Sie entdeckte ihr Herz fur das «Erwachen» der Nation,
fur Hitler. Sie unterschlug die Meldungcn iiber die Massakers in
den Arbeilervierteln. Sie verschwieg die Greueltaten. die — schlim-
mer, a Is die Phantasie sie sich ausdenken kann — wenige Minuten
vim Sitz ihrer Redaktionen entfernt. sich taglich ereigneten. Die
-:udenblalter» dementierlen die Judenverfolgungen.
Die auslandische Presse, die nicht so willfahrig im
Verschweigen der unmenschhchen Greuel war, geriet sehr rasch in
einen Konflikt mit der Hitlerregiening. Am 7. Marz erschien eine
amtliche Regierungsmitteilung:
<Angesicbte der boswillicjen Beriehterstattung iiber innendeutsche
VorgMnge in der auslandisi'hen Presse, waren ernste Massnahmeo
gegen eine Anzahl von Auslnmls-Korrpspondenten in Vorbereitung.
Ein Teil der fraglicben Kom'spondenren hal sich dem Zugriff der Po
Uzei durch A*breise 'iilzogen. Waa die ubrigen Ko-rrespondenten
anlangt, so liegt von diesen aunmehr die Zusicherung vor, in Zukunft
in ihrer BericlilersUttung sich jeder bi>swilligen Tendenz zn entha!
ten und Zweideutigkeiten zu vefmeiden. Im Hittblick hierauf sind die
fraglii'hen Kom*?pon<Ienten zunachst von der Au^veisung vcrschont
geblieben; es ist ihnen vielmehr eine Be\Yahrungsiriet von 2 Monaten
zugebilligt worden.>
Am 5. April holte sich die Hillerregierung eine Niederlage
beim Verein der auslandischen Presse. Sie hatte dem Verein den
Boykott angedroht. wenn er nicht seinen Prasidenten, den Bericht-
erstatter der •Chicago Daily News*, Mowrer, absetzen wurde.
Die Geneialversammlung de's Vereins der auslandischen Presse be-
sdiloss mit GO gegen 7 Stimmen. bei 3 Stimrnenlhnltun^en, das
Rucklrittsangebot Mowrers abzulehnen. In den darauffolgenden
^ochen wurde unter dem Druck der offentlichen Meinuiig des
Auslands (he Hitlerregierun^ sezwungen, gegentiber den auslandi-
schen Presseverlretern weiterc Riickzuge zu machen.
Zwangsweise «gleichgeschaltet» wurden der Reichsver-
17
band der deulschen Presse mil dem nationalsozialistisehen Presse-
ckef Dietrich als Vorsitzenden, die Vereinigung deutscher Zei-
tungsverleger und der Reichsverband deutscher Zeitschriftenver-
leger e. V. *Gleichgeschaltet» wurden alle bezirklichen Organisa-
tionen der Verlegcr und Journalisten. Der Reichsverband der deut-
schen Presse beschloss unter seiner neuen Fuhrung, dass kuni'tig
judische und inarxistische Redakteure nicht mehr seine Mitglieder
sein duri'en.
Die «Germanisierung» seines Redakteurstabs und die deiniitige
Unlerwerfung unter die Hitlerpolitik half dem Rudolf Mosse-
V e r 1 a g. der das «Berliner Tageblatt» herausgibt, nicht viel. In
den erste/i Apriltagen wurde der Verlag i'aktisch enteignet und von
einer r-eugegriindeten G. m. b. H. ubernommen, deren Leitung bci
dem nationalsozialistisehen Kommissar Ost, dem Verlagsdirektor
Karl Vetter und einem nationalsozialistischen Betriebsrat lag. Ein
neuer Redakteurstab. der alle Garantien fur Hitlertreue bot, wurde
eingeslellt. Der nationalsozialistische Kommissar Ost, ein Ver-
trauensmann des damaligen SA-Fiihrers Graf Helldorf, wurde we-
nige Wochen spater verhaftet. Er hatte bei der erpresserischen
Enteignung des Rudolf Mosse-Verlages einige Hunderttausend
Mark in die eigene Tasche fliessen lassen. Nach 3 Monaten des
Wirtschaftens der Nazikommissare stellle Miite Juli 1933 der Ver-
lag Rudolf Mosse seine Zahlungen ein.
Ein Beispiel mehr fur die zahlreichen «Gleichschaltungen»
biirgerlicher Zeitungsverlage is I die «freiwillige» Umwandlung des
«D ortrnun der Genera 1-Anzeigers» in ein nationalso-
zialistisches Parteiblatt. Der «Dortmunder General-Anzeiger» ? der
iiber die gross te Druckerei Europas verfugt, hatte die hochste
Auflage aller deutschen Zeitungen ausserhalb Berlins. Da er be-
sonders in den dichlbevolkerten Arbeitergebieten von Rheinland-
Westfalen seine Verbreitung land, machte er in seinem Inhalt
starke Konzessionen an antikapitalistische und antifaschistische
Massenstimmungen. Nach der Bildung der Hitlerregierung muss-
ten die alten Redakteure abtreten. Die iibliche «freiwillige Gleich-
schaltung* begann. Das geniigte den braunen Machthabern aber
nicht. Am 20. April war in der Zeitung inmitten zahlreicher Ge-
burtstagshvmnen eine Hitler-Radierung des Zeichners Stumpp er-
schienen. Die SA-Fiihrer erklarten dieses Bild fur eine Karika-
tur Hitlers. Sie liessen die Zeitung beschlagnahmen und das ye
baude des «Dortmunder General-Anzeiger» durch die SA sch ^ es '
sen. Der Dortmunder Polizeiprasident beauftragte den Chetreaatc-
teur der nationalsozialistischen Zeitung «Rote Erde» mit der L«-
tuns des Betriebes. _ __ „„ nfra n
'Es kann hier nicht die Kette der Verbote und Venvamm»„en
gegen burgerliche Zeilungen und Zollwtoftm.Krfg^^J™;
Der (cGleifhschaltungs-Feldzug fuhrte zu einer diktatoriscben
174
Umgestalhmg des ganzen deutschen Nfachriehtendienstes, die Lei-
tung d<is amllichen WoLffsehen Telegraphenburos wurde geindert.
Die Leserschafl der in Deutschland noch erseheinenden Presse
wird hcrinctisrli von alien wahrheitsgelreuen Nachrichlen aus
dem Auslande abgeschniirl.
«Ueber 250 auslandische Zeitungen sind in Deutschland verboten,
mid zwar aus folgenden Staaten USA 9, Argeiitinien 2, Belgien 7,
Kanada 2, Danemark 4, Danzig 8, Grosebritannien 5, Frankre-ich 81.
Holland 9, LeMand 2, Litauen 1, Luxemburg r>, Oesterreich 37. Po-
len 24, RumMnien 1, Saargebiet 4, Schweden I, Schweiz 26, Sowjel-
union ft, Spanien 2, Tscheehoslowakei 66. Am stfirksten eind' also die
Tsohechoslowakei, Oesterreich, Frankreich. die Sohweiz und Vol^u
unler diesen Verboten vertreten.
Deutschland war das Land der grosslen literarischen Produk-
lion. Kennzeichnend fiir den Riickgang der literarischen Produk-
ti3n schon in den erslen Wochen des Hitlerrcgimes isl folgende
Meldung;
Rickgang des Pnjiierverbrauchs in der Verlagsprodulction.
«Nach einer Mitteilung der 'Frankfurter Zeitung? vom 15. April
1933 sank die Bescbaftigung dor nniekpapierfabrikation irn Verlauf
der «nationalon Revolutions in vielen Fallen bis zu 25%.
Die ^Deutsche Allgemcine Zeitung> vom 22. April berichtet. dass
die Verlagsproduktion im ersten Vierteljahr t9&3 urn 30% gegen
iiber dem ersten Quartal 1931 zuriickgegangen ist. Der Export zeist
einen standigen weifreren RUckgang. Der deutscbe Buchhaadel ist
seiner besten Kunden beraubt. ganzer Wiasens- und Literatures-
biete entMSsst
Verzeichnis der in Hitler-Dentschland
gemassregelten Wissenschaftler und Kiinstler
Hochschulprofessoren
BERLIN-UNIVERSITAT
Prof. Albeit Einstein (Phyfiik: No- Prof. Dr. Fischel (Kunetgesshichte)
belpreistrfiger) Prof. Dr Jolloe (Zoologie)
Prof, Dr. Fritz Ilaber (Chemie: No Prof Dr. Walter Norden < Ver-
betpreistrSger) sicheruagskunde)
Prof, Berhard Zondek (Gynakoio Prof. Dr. Richter (Medizin)
gif) Prof. Dr. Pringsheim (Chernn*)
I Montz Bonn (Nationalokono- Prof. Dr. Hermann Grossmaun
mle) (Tecbnik)
175
Prof Emu Lederer (Nationalokono- Prof Maw* fV*™- i
Prof. IL Freiindlich (CoIioidchemSe) n JL*r, ^ ( ^ ySik)
Prof. Dr. Polauyi (Phvsikalieche i V Lippmatm (Psycho
Chemie) log,e)
Prof. Ferdinand Bhunenthal (Krebs- , nt Dr Kouva d Cohn (Zahnheil
forschung) kunde >
Prof. Franz Blumenthal (Dermato Prof " James Ooldectaiidi Strut
logie) re cbt)
Prof. Peter Rona (Chemie uad Phy. ProJ ' Dr * Karl Brandt (Ackerbau)
siologie) Dozent Dr. Fritz Baade (Soziolo<jie;<
Prof. Dr. Birnban (Psychiatric) D°zent Dr. Balogti (Philosophic)
Prof. Mittwoch (Semitische Philolo- dozent Dr. Kurt Haeutzschel
gie) serecht)
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Philologie) Prof. Dr. Wolff-Eisner (Medi
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bail) Privatdozent Dr. Kelen (Hydrautik;
Prof. Dr. Schwerin (Elaetizitats Dozent Grabowski (Mathematfk)
lehre) Prof. Chajes (Hygiene)
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Prof. Korn (Photo-Tele^rafie) Prof. Igel (Eisenbahnbau)
BERLIN - DEUTSCHE HOCHSCHULE FOB POLITIK
Prof. Dr Jaekh Prof. Dr. Drews
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Prof. Blumentha] (Technik) Prof. Mautner (Eiaenkonstrution.)
Prof. Hopf (Hohere Mathematik) Prof. Levy (Organische Chemie)
Prof. Fuchs (Pkysik) Pmatdozent Straas (Literatur)
Prof. Meusel (Nationalokonomie) Pmatdozent Pick (Mathematik)
FRANKFURT a. fit
Prof. Heller (OefTentliches Recht) Prof. Plessner (Orientalische Spra
Prof. Horckheimer (Soziologie) chea)
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176
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Pro!'. Karl Mennicke (Philosophic)
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Prof Strupp (Internat. Recht)
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gie)
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Prof. Ernst Kahn (Handelsjouraa.
1 ism us)
Prof Neumark (Nationalokonomie)
Prof. Ernst Cohn (Privatrecht)
Prof, Bra un (Hygiene)
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Prof. Altschul (Nationaldkonomie)
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Prof Schticking (Internal. Recbt)
Prof. Eantorowicz (Strafrecht)
Prof. Adolf Fraenkel (Mathematik)
Prof. Ernst Fraenkel (Recht)
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cnie)
I tof. Dr. Feller
Fiof. Stenzel (Philosophic)
Privatdozentin Melitia Gerhardt
Prof, Hflber
Proi, Uusserl (Ro-niische^ Recht)
Prof. Honiger (Recht)
Prof. Lei we
Prof. Harder
Proi". Tacoby (Philosophie)
Prof, Reiser
Privatdozent Kolle.
Prof. Dr. Krohner
Prof. Dr. Liepe (Deutsche Philolo.
gie)
Prof. Neisser (Nationalokonomie)
Prof. Dr. Rosenberg
Prof. Schrader
Prof. Opet {Deutsches Recht)
Prof. Skalweit (NationalSkonomie;
Prof. V.'edemeyer
Prof. Rauch (Philosophie)
Prof. Dr. Kleinperer (Medizin)
Prof. Dr. Bmil Fuchs (Theologie)
Lektor Dr. Maiano
of, Wilhelm Oppermann
Dozen! Or Friedrich Copp;
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Prof. Hcnzel (Oeffentlichea Recht)
Prof. Paneth (Chemie)
Prof. Reidemeister (Mathematik;
Prof. Schneider (Philosophic)
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Prof Rogowski
Prof Hansler
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Prof. Kelsea (Oeffentlicheg Recht)
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Prof Cohn-Vossen (Mathematik)
Frol Braimfete (Philosophie)
Prof Lips (Sozfolog
177
Prof. Sfhiijittinaun (Nalionalokono- Prof Eech (Verkehvsweaett)
niie. Verhaftet) Prof. Beyer (Pudagogik)
P:or. Spitzer (Philosophic) Prof. Homgste;n (Soziologie)
JliNA
Proi*. Emil Klein (Medizin) Prof. Dr. Peters (Psychologie)
Prof. Theodor Meyer-Steinegg (Ge- Prof. Schaxel (Zoologie)
BChichte der Medizin) Prof. Berthold Josephy (National-
Prof. Hans Stimmel (Philoeophie) okonomie)
Prof. Mathilde Vaertinp (Padagojjik) Privatdozent Leo Brauner (Botanik)
BRESLAU
Prof. Mark (Rechtsphilosophie) Prof. Colin (Recht)
BONN
Prof. Lowenstein (Psyehiatne) Prof. Dr. Hans Rosenberg (Philo-
I'rof. Kantoroivicz (Zahnheilkunde) sophie)
MARBURG
Prof, Ropke (Staatfiwicsseuschai'tenJ germanisehe Philologie. Verubte
Prof. Hermann Jacobsohn (Indo- nach der AbMzung Selbstmord)
GOTTINGEN
Prof. James Franck (Experimen- Prof. Born (Theoretische Physik)
telle Physik. Nobel preistrfiger) Prof. Emnii Noelher (Philosophic)
Prof. Honip (Strafrecht) Prof. Bernstein (Statistik)
Prof. Couranl (Mathematik) Prof- Brandi (Geschichte)
GREIFSWALD
Prof. Klingmueller (Privatrecht) Prof. Dr. Braun (NaUonalokonomie.
Prof. Ziegler (Klasaleche Philologie) Nach der Absetzung verhaftet)
MONSTER
Prof. Freud (Recht) Prof. Heilbronn (Botanik)
ProP. Bruck ("National Skonomie)
HEIDELBERG
Prof. Man. v. Edkaxdt (Journalist!!;) Prof. ^^^^^T'
Prof. RfldbPUCh (Strafrecht) Prof. Alfred Webe, (Sosiolog
178
HANNOVER
Prof. Theodor Lessing (Philosophic)
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Prof. Dr. Holldack (Recht)
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Prof. Dr. Aubin (Recht)
Prof. Frankl (Kunstgeachichte)
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HAMBURG
Prof. Eduard Heiniann (Recht) Prof. W. A. Berendson (Literator)
Prof. Panofsky (Kunstgeschichie) Prof. Richard Salomon
Prof. William Steru Pro f. El . Q3l Cassirer (Philosophie)
Prof. Dr. Hegler
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Prof. G. Weise (Kuustgeschichte)
LEIPZIG
Prof. Witkowski (Literaturgesch.) Prof. Eveetfa (Journal istik)
Prof. G6tz (Geschichte) P ro f. Hellmanii (Medizin)
Fro,. Apelt (Oeifentliches Recht) Dozem Dr. Becker (Philosophie)
DCSSELDORF
Prof. Boden
Prof EUinger
Prof. Dr. Meyer
Privatdozent Dr. Neustadt
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Prof. Dr. Otto. Haase. Elbing
Prof. Dr. Karl Thieme. Elbine
Prof Hans rlafienriehter. Elbing
Prof. Emil Gossow. Elbing
Prof, Heleue Ziegert. Elbing
Dozentin Job. Kretschmann, Elbing
■Julius Frankenberger. Halle
Prof. Frau Dr. Elisabeth Blocfa
mann flalle
Prof. Emil Fuehs, Kiel
Prof. Wi]helm Oppermann, Kiel
Dozent Dr Friedrich v. Copet. Kiel
Prof. Dr. Joh. Sippe!. Dortmund
Dozent Dr. Hans Plug, Dortmund
Prof Dr. Conrad Ameln, Dortmund
Prof Martin Schmidt. Frankfurt
Prof. Dr. Marianne Kunze. Frank-
furt
1 79
Dr Fritz Haschek, Halle
Prof. Anna Deynehl, Halle
Prof. Martin Rang, Halle
Prof. Herbert Kranz, Halle
Prof. Dr. Adolf Reichwein, Halle
Prof. Dr. Karl v. Hollander, Hall*
Prof. Fritz Kauffmann, Halle
Prof. Dx. Hane Hoffmann, Halle
Prof. Dr. QerUa Simons, Frankfurt
Prof. Dr. Hermann Semiller, Frank
furt
Prof. Dr. Spemaoii, Frankfurt
Dozen t Hans Thii rbach, Frankfurt
Dozentin Berta Kieser, Frankfurt
Prof. Hane Rosenberg, Bonn
Prof, Dr. Johannes Richter, Leipzig
Mt'SlK
Otto Kleniperer, Generalmusikdirek-
tor.
Bruno Walter. Generalmusikdirekt
Frilz Buseh. Generalmusikdirektor
Fiitz Stiedry
Gustav Brecher. Generalmusikdirek-
toi-.
Oskar Fried
Arnold Schonberg
Franz Schrei'ker
Kurt Weill
itz Kreieler
Bruno Eisner
Hannp Kisler
Prof. Arthur Schnabel
Prof. Karl Flech
Prof. Daniel, Hoehschule fur Musik
Berlin
Prof Leonid Kreutzer, Hoch3Cqule
fur Musik. Berlin
Prof. Emanuel Feuerntann. Hock-
schule fiir Musik, Berlin
Prof. Horih. Hochschule fiir Musik.
Berlin
Prof. Hiinemann, Hochschule fiir
Musik. Berlin
MALEREI
Prof. Kathe Kollwitz (wurue ver-
anlasst. aus der Kun-takadernie
auszutreten)
Prof. Max Liebermann, Ehrenprasi-
denf der preussiscben Akademie
der Kfmste teab seine Demission)
Prof. Otto Dix (aus der Akademie
der bildenderi Kiinste entlassen)
Prof. Karl Holer (von der Akade-
mie d. b. K. ~beurlaubt>)
Prof. Paul Klee Ubeurtaubt
Prof. Oskar Moll (<beurlaubt»
Prof. Georg Tapped, Staatliehe
Kunstscbule Berlin-Schoueberg
Prof Curt Labs, Staatlich* Kunst-
schule Berlin-Schoneber^
Prof. Josef Vinecky. Staatliehe
Kunstechule Berlin-Sehoneberg
Prof, Fritz Wiecherf. Direktor der
Kunstgewerbeschule. Frankfurt.
MUSEEN
Geheimrat Wilbelm Waeizold, Ge-
neraldirektor der staatliehen Mu-
seen, Berlin
Geheimrat Max J. Friedlander. Di-
rektoi des Kaiser Friedrich Mu-
seums*, Berlin
Geheimrat Ludwig Justi. Direktor
der cNational-Galerie», Berlin
Professor Georg Swarczenski a Di-
rektor de? Staedel-Instituta>,
Frankfurt
und viele weitere Museumsleiter
RECHTSANWALTE
Allein in Berlin wurden Qber 1200 Rechtsan^lte als Juden oder «Mar
item nh-hl mebr zur Ausubung ibies Berufes zugelassen.
180
D1CHTER UND SGHRIFTSTELLER
deren Werke verboten wurden und die zum grossen Teil Deutsch-
land verlassen haben:
Thomas Mann, Heinnch Mann.
Ernst Toller, Stefan Zweig, Ar-
nold Zweig, Jakob Wassennann,
Lion Feuchtwanger, Kurt Tuchol-
ski, Emil Ludwig, Alfons Gold-
schmidt, Gu9tav Regler, Otto Katz,
Theodor Wolff, Alfred Kerr, Bert
Brecht, Car) von Ossietzky (ver-
iaftet) , Hellmuth von Gerlach.
Otto Lehmann-Rusebuldt (verhaf-
tet). Dr. Friedrich Wolff, Anna
Seghers (Kleistpreistragerin), Dr.
Martin Buber, Dr. Jurgen Kuc-
zinsku Erich Maria Remarque,
Josef Roth, Hans Marchwitza. Al-
fred Doblin. Werner Hegeraann,
Bruno von Salomon, Dr. Ernst
Bloch. Walther Mehring, Arthur
Holitecher, Prof. E. Gumbel, Prof.
Grossmann, S. Krakauer, Hermann
Weudel, K. A. Wittfogel (verhai'-
tet), Botho Laserstein, Egon Er-
win Kisch (ausgewiesen), V. C.
Weiskopf, Johannes R. Becker.
Brunc Frei, Paul Friedlander,
Heinz Pol, Otto Heller, Mrich Wet
nert, Ludwig Renn (verhaf tet).
Dr. Hermann Dunker (verhaftet),
Ilernhartj Kellenuann.
Leon-
hard Frank, Franz Werfel, Lud-
wig Fulda, Vicki Baum, Adrienne
Thomas, Ferdinand Bruckner-Tag-
ger, Carl Sternheim, Georg Kai-
ser, Carl Zuckcnayer, Georg
Bernhard, Heinrich Simon
(Frankfurter Zeitung), Erich Ba
v on (i m G e ESngnis gestorbeu) ,
Walter Sehonstedl und viele an-
dere Dichter, Schriftsteller und
Journal isten.
ARZTli
Dr. Magnus Hirschfeld. Prof
Scheller, Bakteriologie, Breslau
(veriibte Selbetmord nach seiner
Entlassung aus der Schutzhaft).
Dr. Felix Boenheim (verhaftet).
Dr. Hodann, Stadtrat u. Schriftstel
ler (verhaftet), Dr. Fritz Weiss.
Dr. Schmincke, Stadtarzt, Dr
Fraenkel, Dr. Elisabeth Aschen-
heim, Dr Karl Bamberg, D*
Georg Beujamin, Dr. Borinski,
Hauptgesundbeitsamt Berlin, Dr.
Cohn, Stadtarztin. Dr. Cohn.
Hauptgesundheitsamt Berlin, Pr.
Gustav Emanuel, Dr. Kurt Fried-
maun, Dr. Alfred Gottheimer, Dr.
Rosa Holde. Dr. Leva, Chefarzt
der Allgemeinen Ortskranken-
kasse, Braunschweig (verhaftet).
Dr. Mas L«svi, Dr. Julius Levin.
Dr. Ruth Lubliner, Dr Brwtn
Markussen. Dr. Seligmann. Haupt-
gesundheitsamt Berlin, Dr. Josef
Stueinas (geborener Litauer). Di
rektor eines Krankenliauses in
Berlin-Lichtenberg (wurde ausge-
wiesen), Dr. VVohlgemut, Vor-
etandsmitglied des Vereins der
Krankenkasseniirzte Hamburgs.
(verhaftet). Dr. Asch, Berlin (er
mordet. Dr. Dienemann. Krau-
kenhaus Wittenau. Dr. Goetz.
Oberarzt der Heilanstalt Wuhl-
garten
UQd ttber tausend andere judlsche Aerzte, die
Qicbt mehr oaehgehen diirfen, von denen viele
f nnordet = ind.
ihrer beruflichen Tiitigkeit
verhaftet und eine Reihe
181
Misshandlimgen mid Folterungen
'*^«£*S2?5^ £S5S; ^i^partei, seit
r\«,.*_i_. "en Industrie- und Agrar-CL
ieschichte gt
iie friiheren
Janren ausgehalten von den InrW • A ™ e, «*partei. sett
ti e r m n n v Bau T t6ter Luther - ™£%2*&££f^
lmi im bluigen Terror gegen die Amgebeuteten. Die Parte" der
Nationalsozia lis en hat in ihren amtlichen Dokumenten St Jah
2h ^ ^ 3nge, l Messer »- Diese Nacht b rach herein mil dem
/u stark' i^Ht 81 ^ b ; an t deS , S !f iSt bis h6Ute n0ch nicht beende"
rLI n lst der Widerstand der revolutionaren Arbeiter und
FrfES ni. V N le i M,11 : 0nen 1 ? ind ^ Ch ° n 8 eSchart um die Banner der
,n a 2 ,?* lon ? lsoziall stische Deutsche Arbeiterpartei rausste
iXr Z ^ bolomausnacht ein Bartholomausjahr mach.n, em
Janr der Mahlruten, nber dessen erstes Viertel wir hier Bericht
erst at ten.
Die Freunde des Hitler-Regimes wiederholen gern die Erkla-
rung der Regierung, in Deutschland herrsche Ruhe und Ord-
nung. Dementis wollen das Ausland beruhigen, Feste und Para-
den die Aufmerksamkeit von den wirklichen Geschehnissen ab-
lenken. Warum konnen viele die wahren Vorgange in Deutsch-
land nicht sehen?
Die wenigen auslandischen Touristen, die noch Lust haben,
das tyrannisierte Deutschland zu besuchen, werden weder in eine
SA-Kaserne, noch in die Konzentrationslager gefiihrt. Naehtliche
Folterungen, Erschiessungen « auf der Flucht », heimtuckisch
organisierte Morde — der auslandische Besucher konnte nur zu-
fiillig ihr Augenzeuge werden.
Der auslandische Journalist aber — steht nicht jedes seiner
I'elephongesprache, jedes seiner Telegrainme unter strengster
Zensur! Wird nicht jeder seiner Schritte iiberwacht! Bedroht
ihn nicht taglich die Ausweisung!
Wenn aber die Schreie der Gefo Iter ten aus den SA-Kellern
zu laut und grasslich in die Ohren der Anwohner dringen. wenn
182
jftzlich die Fr ™ eh \ p . s V«roigten mil alttestamentarischer Wut
■hren Jammer uber die Strass, ,, sch.rit, wenn die Greuel del
Nazis zutalhg vor Hun4er1on «i<*if-h n «. ™J a i . , l c ' aer
diesem Deutschland S <K f^EJS??" TOd I" 311 L "
cin Ausnahmefall ,. Das SS ™3^ . be « e g ien: « Da * ist
lung jubelnd bestatigte WorT des MnSr? *rl ^ asse " ver t amm -
„ Wo Holz gehobelt %ird g b ' S S 1 ™* ab " ^J 8 *
l93 3) ' §,m es 5 Pane » (Essen, am 10. Marz
a aSKSS SSfiE
smd^sed Jahren von der Nazifuhrung propagiert und ausgear
Die .Nazifuhrer haben miltelakerliche Pogrome gebraeht und
hStun^S ■ if'*^ «f tPeS CaCb6t m!; i^en\villk!rliche' V r
haf ungen CSchutzhaft) und die Scheiterhaufen, das Spiessruten-
laufen und die Folter ersten, zweiten und dritten Grades SISt
M P LT ga If S n r7 irl ? am war ' wurden di€ mittelalterliehett
S^M ln 1 \° effenU,chkeit an g^vendet. Die Folter aber blieb
geheim. Man wagte sie nur im Dunkel der Nacht. Bis zum heuti-
gen Tag wissen Millionen Deutsche nichts davon. (Jnser Buch
nffnet ihnen die Augen.
Der nilchtliche Terror
Seit dem 27. Februar dieses Jahres wutet der geheime Ter-
ror. Man « rechnet ab ... System athisch wird verhaftet, mit Ueber-
legung wird gepeinigt. Und den etwaigen Bedenken iiber ganz
unberechtigte Torturen kommt wiederum der Minister enteeeen
mdem er angibt, wie weit man gehen kann:
<Solange ich noch keine Kommunisten mit abgeschnittenen Ohren und
Nasen herumlaufen sehe, ist kein Grand sich aufzuregen.j
Sowed also kann man gehen! Man ist auch nicht verpflichlet,
sich die Ofer genau anzusehen und die Denunziationen allza
genau zu iibehpriifen; die SA, die von ihrem Polizeichef so unzwei-
jeutig angewiesen wird, halt es bei den Verhaftungen mit dem
Wort des franzosischen Kardinals, der in ahnlicher Zeit (in der
zum Vorbild gewordenen Bartholomausnacht) den Fragern
erklarte: « Totet sie alle, Gott wird sich seine Christen sen on
heraussuchen».
Alle Tage erscheinen vor uns Opfer dieser nachtliclun
Folter und zeigen ihre immer noch nicht geheilten Wunden. Sie
berichten von den Qualen, die sie erlitten, mit dem eigentiim li-
chen Zittern von Misshandelten, denen man nicht nur die Kor-
per blutig sehlug, deren Seelen man auch den unausloschlichen
Hass gegen die Peiniger einbrannte.
183
Wir veroffentlichen hier Protokolle und Berichte, die wir
mil aller Sorgfalt unci Grundlichkeit gepxiift habcn, die unsere
Sache verlangt.
Die Folterkamniern
Es Iiegt itns ein Bericht vor, der offen von ein em Priigeltarif
der SA Kenntnis gibt: « Einfache Zugehorigkeit zur SPD wird
mit dreissig Gumrnikniippelhieben auf den entblossten Korper
bestraft. Die kommunistische Parteimitgliedschaft ist allgemein
mit 40 Hieben zu ahnden. Strafverstarkend bat zu wirken, dass
der Betreffende politische oder gewerkschaftliche Funktionen
hatte. Die Strafen sind je nach dem Verhalten des Gefangenen
ahzuwandeln ».
Der Arbeiterfunktionar Bernstein aus Berlin-Niederschon^-
weide wird in einer SA-Kaserne auf eine Pritsche geworfen und
mit fiinfzig Stockhieben geziichtigt, well er Kommunist ist; es
folgen dann weitere fiinfzig Stockhiebe, weil er «auch noch Jude»
ist.
Es gibt also mehrere Grade der Folter, Die Protokolle besta-
ligen es. Folgen wir den Gefangenen auf ihrem Leidensweg:
Die Folter beginnt mit dem Augenblick, wo die Opfer aus der
Wohnung « abgeholt » werden. Revolver werden den Oeffnenden
vorgefaalten; die Familienmitglieder werden bedroht, man zer-
schlagt Mobel, Bibliotheken werden zertreten oder auf die Strasse
geworfen. Schriftstellern vernichtet man vor ihren Augen
Manuskripte, die Frucht vieler Monate Arbeit. Arbeitern beschlag-
nabmt man das letzte Lohngeld, Die Familie steht dabei. Die Kin-
der sehe-n fassungslos, dass der Vater von unbekannten jungen
Leuten ins Gesicht geschlagen wird, dass er wehrlos ist, und
schon steht riesengross vor alien die Sorge, wie alles enden wird.
Die Frau sieht die rohen Gesichfcer der verhaftenden Burschen,
Sie beginnt zu ahnen, was bevorsteht. Sie will mehr wissen. Sie
fragt, wohin man ihren Mann bringe. Sie hort nur hohnische Ant-
worten, und dann stosst man den Gefangenen aus der Wohiuiiig
und treibt ihn die Treppe hinunter auf die Strasse in das bereit-
stehende Auto. (Allen Dementis, solche Aktionen seien spontap
gewesen, ist immer wieder zu entgegnen, dass in unseren samtli-
fthen Berichten dieses Auto figuriert; seit Monaten hatten alle
Sliirme der SA auf Anordnung der hochsten Fiihrung ein Kraft-
fahrzeug zur Verfiigung; die Listen fur die Verhafteten waren
verteilt; man hatte ein grosses Arbeitspensum. Es gait sich eilen.)
Da man sich so legal gab wie moglich, fiirchtete man die
offentliche Kritik der Abenteuer und verlegte sie in die Zeit, da
3er Burger schlief. Erwaehten Hausbewohner, so suchte man
184
Gcorg Dimiti'off
JertSK v r Zaolcoff-Kegierung ... dor Emi-
zu konstruieren.
Ernsl Torgler
Vorsitzender dor Kommunistiscben ReichstagsfraklioH
Br v,i«l von den Nazis b«clHddwt emei to
vollcn Unscliuld meldete er sicb am Moigen aacb
den. Reicbstagsbrande befan Berliner TO lrt V™*J-
dium, urn gegen diese heimtttckische Beschuldi-
gung zu protestieren. Er wurde verhaftet, und dei
Oberreiotisanwalt hal gegen ihn die Anklage wegen
Brandstiftung erhoben.
,■ iktion schnell als eine normal verlaufende zu tarnen. Em
dlC ■ m meldet dass wabrend einer Verhaftung schon im Trep-
BeV \ C t „ die Scblage begannen. Plotzlich hort der Verhaflete den
K de Smmiuhrers: \ Achtung! Nicht schlagen! , Die Hkbe
~ „ 7„f der Get'anqene sieht, dass im gegenuberhegenden Haus
KE tva^orden sind. Die Oeffexxtlichkeii trat auf, die SA
^"de « diszipliniert »>.
Diese Vorsicht kcmnlen sie in ihren Keller* nun autgeben
u m Tuaenblick, da der Gel'angene die. SA-Kaserne betritt, ist er
V *X wie die Ffihrung ihn sett Jahren der SA versprochen
f i Inch hat er nicht ganz erfasst, W ie rechtlos er geworden ist,
hat "-, Inn Kn uppel die Treppen des Folterhauses hinauf jagen.
?Sfi^^SKfflS Tmeinen Kampt'er, vor einer Gelahr
Es isl lmmei scnimp wp u r i - a ber semen Feinden verfallen
SSasSrwSES -ssosh
bringl, das gibl tiefere Verletzungen.
L Minute in den Hansen; der ^^mtfda K
den auf. Denn man ^^^g^S^S seines Opfers
auch nnr das germgs e Get h 1ft ir "W^ ^
hat. Wer immer auf den 1 r J^ en u Fei g lin g e sind zu Mordern
oca begegnet. schlagt oder Ir u tih .';• ^f S ^^ gie
geworden; sie kenueii kerne Ritterl c bfce £ ^ Folter aQ .
lor den Zimmern, in den en ma n d en i»« ><> ^ m Ussen
wendet und erwarten ^^^0^ d slossen in das
durch ihr &P^ J^jSgradiSS ~f den Schadel.
GeS5 5^X^cS^e Tuf^ StuS- oder Staffelinhrer, das
4 Verhor » beginnt.
Hinter einem Tisch sitzt der French £. ^Urliche
den Aulschlagen der SA-Umform h^ Tischplat te sleeken
Gewalt iiber alle Verhafteten gegti . en - m ittem recht s und links
blanke Dolche and Seitenge^ehre of t : * an d Tl scb
die Flammen von Kerzen De, Gef*ng^ sie ^
eestossen. Dicht an ihn treten die bA> Beteuert er
Eh sie begleiten seine Antworten g Sch^g d
seine Unschuld so treten Sie A" ™ h , um Wahrbe.t. Das
,nng wird closes bandit «* ^^
Gericht ist nut Farce, Vorwai.a D cnunziation
Plotzlich crfahrt ^ f ^kX^$™ "***"
kam, die ibn hierherbracbte. « gl«
zu konnen, leidenschaftlich legt er den Tatbestand dar, aber schon
sausen Giunmikniippel auf ilia: « Du hast nur zu reden, wenn
du gefragt wirst! » Man will Adressen wissen. Man braucht neue
Opfer- Man glaubt, politische Erf'olge zu erzielen, wenn man uber-
all verbreiten kann, wie sich die Fuhrer der Arbeiterbewegung
gegenseitig verraten haben. Aber man begegnet der Treue. Die
Karneraden verraten nichts. Und wieder setzen in sadistischer
Wut neue Priigeleien ein.
Es ist ein Ehrenblatt in der Geschichte der deutschen Arbei-
Eerbewegung, dass Tausende von Arbeitern auch unter den Kniip-
peln der SA nicht wankend geworden sind. AlLe Brutalitat hat
nichts geniitzt; die Karneraden sind lieber zusammengebrochen,
als dass sie den Henkern neue Opfer ausgeliel'ert hatten. Die
Femegerichte von 1933 konnten die Leiber der Revolutionare tref-
fen, sie fur Lebenszeit zu Kriippeln machen. Dennoch waren sie
machtlos vor dem Mut der Revolutionare. Sie konnten einen
Menschen martern, ihn mit systematischer Grausamkeit zurn Zu-
sammenbrechen bringen, sie konnten Dutzende von Gefangenen in
den Selbstmord treiben. Aber ihr riesiger Apparal hat kaum eine
Uandvoll von Verratstallen zu erzwingen vermocht. Diese Stand-
haftigkeit ist am besten bewiesen durch die weitere Massnahme
der SA: sie hat einen zweiten Grad der Folter erfinden miissen.
Der Priigelkeller
Vom Verhor bringt man die Gefangenen in die Keller. Schon
taumeln die Ungliicklichen. Unheimlich ist das Erlebnis, vollig
allein zu sein unter lauter Morderiu Unheimlich ist fiir alle das
Wissen, dass dieses Folterhaus in einer modernen Grossstadt
steht, dass Millionen Menschen in Ruhe in ihren Betten Iiegen*
unbekummert urn die Schandtaten, die irn Auftrag einer Reichs-
regierung Nacht fiir Nachl begangen werden. Aus den Grabern
scheint der Profoss des friderizianischen Heeres wieder aufge-
sfanden zu sein. Die Gefangenen sehen im Halbdunkel des Kellers
die seit Wochen bereitgehaltene Prugelpritsche stehen. Der
Moder des Gewolbes riecht nach getrocknetem Blut und Angst'
schweiss.
Und wieder wird alles wie Spuk; es sind die Tage, da Hitler
in der Garnisonkirche von Potsdam am Grabe Friedrichs
seine AnLritlsrede halt. Ueberall lauten die Glocken der Kir-
chen, Hunderttausende stehen auf den Strassen. Die Begeisterung
kocht, man spricht vom Aufbruch der Nation, von ihrer Wieder-
geburt. Der Gefangene hat die Phrasen noch gehort, und er erlebt
;etzt vor dieser Pritsche, wie ungehcuerlich diese Liige ist.
186
Syjabolisch wird der Slaalsakt in Potsdam: dort redet vor
feneralen und den Nachkommen der Hohenzollern der « Fiihrer »
dd" Gruft des Fursten mit dern Eriickstock — hier priigelt und
foltert die SA-Garde wehrlose Arbeiter im schallsicheren Verliess
der Keller. Und es besteht nur der eine symbolische Unterschied:
dass nun, im Jahre 1933, die deutsche Stahlindustrie die Werk-
-eu^e fiir ihre eigenen Biittel geliefert hat. Der Gefangene wird
f die Pritsche g^worfen, Stahlruten hammern auf seinen
Riicken.
In letzler Emporung, brennend am ganzen Korper, baumt
sich der Gefangene auf. Man driickt seinen Kopf in schmutzige
Tiicher, er beisst hinein in die Lumpen. Wie eine Linderung fiihlt
cr Blut'aus den Wunden in seine Kleider laut'en, aber die neuen
Streiche zerfetzen schon das rohe Fleisch.
Die Biittel schlagen zu viert, kaum ist Platz genug auf dem
jsuckenden Korper fiir die zahlreichen Hiebe. Dann ermuden sie.
Das Wimmern d«s Geschlagenen scheint Musik in ihren Ohren.
Sie betrachten ihn lachend und verhohnen ihn. Dann jagen sie
ihn in den Nebenkeller, wo er endlich nicht mehr allein ist. In den
Ecken kauern Genossen seines Leids; auf Stroll und Kartoffel-
sacken walzen sich Schwerverwundete. Einige sind am Ende ihrer
Kraft und weinen. Der Wahnsinn zieht durch das Gewolbe. Ne-
benan hort man die Schreie des nachsten Opfers.
Die wahren Unterinenschen
Die Schergen lassen sich Zeit mit ihm. MMe wie sie sind,
erquicken sie sich eine Weile an den seelischen Foltern. Das Ent-
wiirdigendste denken sie sich aus; der neue Gefangene muss sich
selbst entkleiden.
Der Sadismus verkommener Lehrer wird hier neu abge-
wandelt. Vor uns erscheint ein Familienvater, Arbeiter, Organi-
sator einer Erwerbslosenkiiche und herichtet — seine Stimme
wird zogernd bei der Erinnerung — wie er sich ini SA-Keller
niederbeugen und sein nacktes Gesass wegstrecken muss zu wohl-
abgezielten Schlagen, Die SA-Leute lassen ihn eine zeitlang so
stehen, weiden sich an dem Anblick, dann schlagen sie zu.
Die Gefangenen im Nebenraum konnen jetzt alles sehen,
denn man hat es fiir gut befunden, die Tiire zu ihrem Verschiag
aufzustossen. Der neue Gefangene richtet sich unter dem ersten
Schlag der Stahlrute auf, aher ein neuer Befehl duckt ihn wieder
in die erniedrigende Stellung. Sein Aufrecken war i strafbar »
die Prozedur wird verscharft: er muss jetzt die Schlage mit lauter
Stirnme mitzahlen, die man ihm aufgibt. Die Zahlen werden un-
187
deutlich im Schrei der Schmerzen. die Schlage sind scharf, die
Haut plalzi nach deni lunften Schlag, die SA-Leute haben sich
inzwischen wieder ermuntert.
Schon hat sich der zweite Grad mil dem dritten verbunden:
mit der seelischea Folter. Sie wird erfunden von den Staffelfiih-
rern. Was an primitivem Rachegelust bei den unteren SA-Leuten
noch gerade Wcge gehen wollte, ist durch die Fiihrer abgebogen
in die Perversion des Sadismus. Spatere Zeit wird feststellen, wie-
viel hier die unnatiirliche Sexualitat vieler SA-Fiihrer mitgehol-
fen hat. Die Anwesenheit des homosexuellen Grafen Helldorf,
des jetzigen Polizeiprasidenten von Potsdam, bei vielen Marte-
rungen gibt geiuig Verdacht zu dem Schluss, dass viele der Opfer
unsjliickliche Objekte fiir die Perversitat der SA-Leitung waren.
' Man i'iirchtete auch jetzt die Oeffentlichkeit. Ein Dokument
aus Berlin-Kopenick berichtet iiber die Zustande im SA-Lokal
Demiifh- Kopenick:
*An diesen Priigeleien hat sich der Sohn des Wirts besonders betei-
ligt. Ausserdem" der standige Leiter der AJriionen, der SA-Fiihrer
Scharsich Herbert. Kopenick. In der erst en Zeit liess
der Sohn der W irtin sein Motor r a d I a u f e n. u m
die Schreie zu iiberfonen. Neuerdings driickt man d ie
Gesichter der Opfer in Stoi'fe. Die Mitbewohner haben sick wieder.
holt an die Polizei gewandl Die Hausbewohner, die ibre Schlafzim-
mer zum Hofe batten, haben ihre Wohmmgen umgestellt und schla-
feu jetzt in Raumen, die zur Strafe liegen. um die Schreie nicht
horen zu mussen. An den Fenstern zum Hof darf sich niemand sehen
lassen. Staadig eteh! ein bewaffneter SA-Mann im Hoi'. Auch wir sioa
unseres Lebens nicht sicher. besonders da man merit, wie wir iiber
dieses Reich rienken.:^
Sadisten sine! erfinderisch
Der halb bewusstlos geschlagene Gefangene wird von der
Pritsche hochgerissen, die Gesichter der SA-Leute werden streng,
der Sturmfuhrer tritt vor und verkundet dem unsicher vor lhm
stehenden blutenden Opfer: « Jetzt wirst du erschossen. »
Man fiihrt den entsetzt wieder Erwachenden an die Wand,
dreht ihn mit dem Gesicht zu den Steinen des Kellers, tiefe Stille
tritt ein, er hort hinter sich nur die Manipulationen der Henker,
leise knacken die Sicherungen der Revolver. Aber noch fallen
keine Schusse. Der Gefangene starrt die Wand an, die Famine
fallt ihm ein, die Kameraden, soil er verraten, was er nicht weiss.
Gibt es eine Rettung? Der wunde Riicken brennt, die Rleider
scheuern iiber die Fetzen. Der Schmerz zerrt ihn in eine Ohn-
macht, der sichere Tod in seinem Riicken reisst ihn zu grasshchem
Waehsein. Wie gelahmt steht er. Da fallen die Schusse. Er hort
188
sie an seinen Ohren vorbi^infAtfa** • i r .
aber nun me rk« er, Sf£ l^EL*?*,**^ ^JrlSsung
ken. dass die Henker ihn ;1 i ] SS2 n' Uu " 10 '" h e h zu cieQ "
IffiMhen die Heine b££2£ Sto Z V™ ^Vh'u^ 88 *
schmerzhafl aufrecht, der Todewwf? Kra fP f ^lt .hn noch
jars; ■ SBsasrsssff -a
sache obenmttelt. Wir geben einen Eur ,11c;
<Ich bin Amvohn,r der Jiidenstrasse 50, Berlin C. wo die SA-Stan
darte hailSte. Am 19. Mar. wurden die willkuriichen Verhaftunoen
von denen icli mi letzten Bericht schrieb, tortgesetzt Gegen 21 Uhr
horten dae Anwohner. kurz naehdera vieder ein GeFaugener herauf-
holt WOlde, au m offenstehenden Fencer des Standartbti-o*
<i fieri Schuss. Ich liess mich nicht abhalten nachzusehen und eat-
Ckte, da?? in krummer Haltung ein Mann, auqemeheinlich der Gp
10, ans Fenster gestellt war. Darauf fielea wieder Schiisse die
enen wiederum nicht trafen, was auch aicher nicht beab-
sah man. wie er jetzt zusammenfiel und sich la-
ttber ihn beueten. Im Befehlston rief eine
use!* Der Gefangene
llen nbr| ' in '' Bui nit ht mehr zu horen, er war vor
Si'hreck ;, [a1 ee Bin Wvoder. wenn man hort.
daes dabei [roig \wrden?>
Hunderte von Gefangenen hal>en auch das ertragen. Man hat
sie aus dem Marterzimmer weggeschleift und in das « Wartezim-
mer » zu den Kameraden geworfen. In den letzten Augenblic
eli sie auf die SScke erschopft niederfielen, sagte man ihnen. da
die Erschiessung am oSchsten Morgen stattfinde. Ihre Schmer-
zen machten sie gleichgultig gegen die neue Androhung. Aber
wenn sie dann nach einiger Zeit aufwachten. erianerten sie sich.
Keinex hatte Grund, an der Drohung zu rweifeln. So sassen sie
unter den stohnenden Freunden und erwarteten ihren letzten
Morgen. Die nationale Revolution bereitete ihnen eine « Nacht
vor dem Beil ». Jede Minute wurde zur Ewigkeit und trieb doch
zu rasch vorwarts dem Ende zu.
Der Dammerschein, der gczvn Morgen in das Verliess ein-
hr kiindigte die ietzte Stunde an. Schweigend war die Wache
in dor Nachl n, hatte sich an den Turpfosten gelehnt und
onisch ein Lied gesungen: « Morgenrot, Morgenrot, leuchtest
mi Frfihen Tod a, (Ein Bericht aus der Hedemannstrasse
A dieses Detail.) Nun sind schon Schritte fiber Horn Ge-
■ h8ren Iber man dehnl die Nacht noch wetter
sy
Immer wieder lesen wir in den Protokollen, class Gefangene
bach solchen Drohungen tagelang in der schauerliehsten Unge-
wissheit gelassen werden. Sie horen, dass nebenan die Priigeleien
jieu beginnen. Man. stosst auch die Tiir zu ihnen wieder auf, sie
sehen den Folterungen zu. Von Zeit zu Zeit ruft man einen von
ihnen heraus und « verhort » ihn -wieder.
Die Freude am Schmutz
Das Entsetzen hat aUe fast abgestumpft. Aber sie sehen im-
mer neue Arlen der Folterung. Sie wollen schon nicht mehr hin-
sehen, aber immer -wieder reisst ihnen ein neuer Schreckensschrei
die Kopi'e herum. Eben ist ein intellektuell aussehender neuer
Gefangener in den Pritschenkeller eingeliefert worden. Sie sehen,
wie man ihm den Kopf festhalt, ihm die Zahne auseinanderreisst,
ein SA-Mann hebt eine Flasche und giesst Rizmusol in den keu-
chenden Schlund. Der Mann wiirgt angeekelt, die SA lacht. Ihre
Um "angsformen scheinen vornehmer zu werden. Sie fordern den
Gefangenen auf, die Hose herunterzulassen, sie 4 bitten darum ».
Mit irren Augen knopft der Gefangene die Kleider auf, lost den
Riemen, die Hose fallt. Man wirft ihn diesmal nicht auf die Pnt-
sche, man lasst ihn eine Viertelstunde in gebiickter Haltung mit
blossem Gesass stehen. Die Gefangenen im Nebenraum erleben
aufs Neue die ganze Demiitigung. Die SA macht ihre Bernerkun-
gen. Sie wartet unverstandlicherweise. Endlich aber greift sie zu
den Stahlruten. Die Streiche prasseln auf den mageren Korper des
Intellektuellen.
Er reckt sich immer wieder auf, schreit, wird niedergedriickt
und plotzlich heult er und driickt sich die Eingeweide. Die SA
sehlagt weiter. Das Gesass rotet sich und dann entleert sich m
die Hiebe hinein der Darm des hundertfach Gequalten.
Die Fiihrung der Nazis wird diese Widerlichkeiten bestiei-
ten. Unser Archiv wird sie Lugen strafen. Es liefert nicht nur
die Protokolle von Schriftstellern und Arbeitern, die diese Art
der Folter haben erdulden mussen. Es liefert auch den Bencbt
einer vertraulichen Sitzung der Berliner SA-Leute, wo der jetzige
Minister fur Volksaufklarung, Dr. Gobbels, die Aufklarung gab,
wie er als Innenminister gegen Redakteure vorgehen wurde, die
etwa nicht sofort seiner Meinung waren:
■•.dann miisete die SS zu der betreffenden Zeitung in die Bfiros gehen
und den Redakteuren je ein Liter RizinusOl eingeben.>
Man sieht, die SA handelt nur nach Instruktioncn. So blieb sie
auch unbekiimmert urn jede, aber auch jede Not iftrer Upier.
190
Das ..I tote Kreuz" im SA-Keller
Die Gefangenen liegcn nach dea Priigelqualen auf dem Boden
der Kellerraume ohne Hilfe, ohne Linderung, ohne jeden Trost.
Das Wimmern der Schwerverwundeten, das Wexiien der Zusam-
mengebrochenen vernichtet ihren Schlat. Die Nazi-Aerzte sind
arundsatzlich nur bei den Folterungen anwesend; sie sollen nieht
helfen, sondern nur feststellen, ob der Gefangene noch fahig ist,
aeprugelt zu werden. Es sind die wahren Folterarzte. wie sie zu-
i"[/.t aus den Kainmern der Inquisition bekannt sind. Man stoppt
die Folter bei Todesgef ahr.
Vile Berichte bestatigen, dass Medizxn erst gereieht wurdc,
wenn ein Ableben des Opfers zu befiirchten war Injektionea
wurden in letzter Minute gemacht. Der Abtransport ins Kranken-
haus erfolgte, wenn der Fachmann versicherte, dass ein « Exi-
t us » bevorstand. .
Aucb die Nazi-Sanitater arbeiteten nach solchen R^J""*?'
die Verbande wurden ohne Riicksicht auf Sepsis angelegt die
vahre Gesinnung dieser « Hilfsmannschaften » bevvies die Roh-
ZTJtZ Mull und Pilaster um die Wund en g^gt ™de.
Widerwillig schleppen sie Schwervenvundete zu den To let. en.
M.nchmal befallt einen einzigen der Schrecken wie man hier mit
JteSSatur umgeht. In hundert Protokollen lesen w,r _ einmal,
dass e n Sanitate* einem Misshandelten, der von emer Ohnmacht
dass em aa Schluck aus seiner Schnapsflasche ge-
Is WascbCsser verweigert, oft mH hohnischer Begrundung.
Betitmkciie Murder
unter die Elenden kommen und neue « Verhore , abhaUen
Ein Gefangener, dessen Frau tapfer m ^^S,
gangen war. berxchtet uber einen SpitzeJ, den man dm S he
:-s er schon auf den Tod krank am ^ * a f a f'* Kotwuh
ihn zu Gestandnissen treibex, Der **^**££ genommen.
gen tapfer widerstanden. Der SA-Spitzel ha t A konoi
am seine schwere Aufgabe leichter zu erfedigen.
<Er beurfe sieh Bbet mich er rock *A nnch ^fJ^J,
..„„ ,i„ SehuK. dass die GrSBse DeutectUand
du Stinkresi Bald werfen wir Oich ubei den Haulten.* Er zog deu Re-
volver. Ich lag stumm und regungslos. <Oder ist Ihueu ihr Leben
nicht lieb und wollen eie Hire Frau weiterea Qualen nussetzen? ft
redete und verfinderte pldtslich den Ton: <Und leben ist doch so
schdn. Ich habe die Slave* gem, ei Q hebes netles Volk tcb bin in
der Ukraine gewesen. Sagen eie eudlich, dass sie em rscbeka-Spion
fiindl Ich kenne auch viele Buhpuren. Sie baben nui au antworten.
nicht mir, sondern dea andem, die tfanen die Fragen stelleti werdeu.>
Der Spitzel wird clann vSIUg umgeworfen von seinena Rausch,
seine Rede wird irr. Er begirmt zu fluehen, tritt <\zn schwerver-
letzten Gei'angenen und schreit:
<Das sagt ihneii kein Geringerer als der BeauVtragte der Regierung,
der Kominissar fur Heereswesen.s
(Kntnommen dem Protokoll des bulgarischen Arzteg Angeluschew, das
Protokoll ist notariell deponiext am 15. Mai 1933 in Paris.)
Manchmal sliftet auch ein Opfer den Schnaps. Wir geben
hier den Berichi vvieder, der aus der Hedemannstrasse von
einem in>:wischen ins Ausland gef'luchteten Kameraden gegeben
wurde:
Der Gefangene hurt am Abend, dass ein jtidiseher Gefangeuer. der
noch Geld bei sicb hatte. versuchte, sein Schicksal zu tindern durch
eine Alkoholspende. Er wild danu auch zu dem Gelage zugezogen;
vielleicht glaubte er schon, gliicklich das Scfalimmste abgewendet zu
haben. Die Gefangenen horen nun die ganze Nactat den Larm der
Zechenden. In der Friihe tritt ein SA-Mann in den Keller, urn den
Wachthabenden abzulosen; er ist aocb berauscht, Bchwankt und er-
zahlt mit lallender Stimme: cMensch, haben wir aber gekippt. Wir
waren so 1m Tran. dass wir den Wolfsohn schliesslich fiber den tfau-
fen geknallt haben. Er hat dran glauben miissen, das l'eige Schwein.t
In diesem Augenblick ist nicht nachzuprufen, ob dieser Mord
wirklich ^escbah. Aufs neue wird den schwerverletzten Gefange-
nen in all ihren Schmerzen klar, dass sie von ihren betrunkenen
Kerkerwartern jede Gewalttat envarten diirfen und jede 'Art der
Tortur. Zur brutalen Misshandlung gesellt aefa. **«^«"
nur durch den Ton des Sturmiuhrers, die zymsche Verhohnung.
Die seelische Folter
Ein letzter Trost blieb bis hierhin ^^J^Sf^
nen: man hat sie alkin «abgeholt», nur fur *• ^S£ schwin-
cler Verhaftimg war ihre Farnihe bedroht Langs am ^ ^
del nun auch diese Ge^iashcit; man ^J""^. Die Gefun-
r SA. auch die Vsrwandten nicht sicner sein
;i^en.
192
Sie wollen nur irgend etwas von ihrer Familie horen Sie
wissen, dass seit dem Tag der Verhaftung kein Brot i m Rause
sein kann. Das letzte Lohngeld verfiel der SA bei der Verhaftung
Sie sehen ihre Kinder weinend vor der verzweifelnden Mutter
stehen. Sie furcliten, dass die Wohlfahrt ihren Frauen die Unter-
s!iitzung verweigern wird. (Eine hundertfach bestatigte Tatsa-
che.) Sie wiederholen ihre Frage an die Wachmannschaften.
« Eure Frauen », antwortet man den Mannern, die in der erbarm-
lichsten Lage noch an den liebsten Mitmenschen zu denken ver-
mogen, « Eure Weiber haben wir gut versorgt; in neun Monaten
konnt ihr bei euch daheim stramme Hitler jungens vorfinden ».
Die « Ehrengarde » Hitlers ri'ihmt sich, dass sie Frauen veree-
waltigt hat. Der Bericht stammt aus der SA-Kaseme der General
Papestrasse Berlin, Es ist dabei vollstandig gleichgiiltig fur un-
sere Betrachtung, ob dieser SA-Mann die Wahrheit sagte oder ob
er die Gefangenen nur bis zur Verzweiflung reizen wollte.
Sie sing-en (lie „Internationale"
Die revolutionaren Arbeiter haben sich von den Folterknech-
len nicht provozieren lassen. Ungebrochen standen. sie vor ihnen.
Die Vielfalt in der Erfindung immer neuer Folterarten beweist
es. Die braunen Truppen haben hundert neue Qualen ausdenken
mfissen, urn die Haltung der Gefangenen zu brechen. Sie konnlen
die Korper zerschlagen, sie konnten die Wehrlosen zu Demiiti-
gungen zwingen, ihre Nerven in wochenlanger Tortur zerreis-
sen, aber immer wieder stand cin neuer Mensch vor ihnen und
zwang sie zu Steigerungen ihrer Folter. Wenn sie es als Siege
feierten, dass Kommunisten das « Vatemnser » beteten, dass
Juden sich selbst als « Schweine » bezeichneten, so stellen wir
bier fest, dass Schlage mit elektrischen Kabeln die Opfer dazu
zwingen mussten. Stahlruten und Lederkoppel mussten ge-
sdrwungen werden, damit Schwerverwundete « Heil Hitler. »
riefen. Brennende Zigaretten musste man an nackte ^ssomer.
h alien, um aus schmerzverzerrten Mundern das Horst-Wessel-
Lied zu horen.
Schweigend aber stehen die Arbeiter vor ihren Pe«"gern, a s
diese verlangen, die « Internationale » zu singen. (Em Berich .aus
Essen meldet diese heroische Episode.) D.e Arbeiter denken an
hundert Versammlungen, wo sie es mit ihren k» nde ™ ^^
das Lied der Freiheit, das weltumspannende, die Hymne a
ersten Arbeiterstaates der Welt, ihr heihges Lied. Von **J»
scnden umgd.cn, haben sie es noch .« Jan" ar 1 BM * sung e
Genossen neben Geimssen. Sie ^gJ^^^SA^.
nicht vor diesen Henkern. Man scbiagt sie urn
193
immer neue Mannschaften stiirzen sich in den Raum, vereint
schla^en sie auf die Manner, denen aus Schlafe und Mund schon
das Blut spritzt.
Fiebrig sind ihre Augen, sie halten sich noch an den Handen,
aber sie singen noch nicht. Die Hiebe hageln, die Manner taumcln,
und jetzt stiirzen sie gleichzeitig zu Boden. Hohnlachend lassen
die Peiniger von ihnen ab und treten zuriick an die Wand.
Aber nur erne Minute ist Stille. Plotzlich steigt leise, von zit-
ternden Stimmen getragen, aus dem Knauel der Gefangenen der
Gesang auf- Nun da die anderen ihren billigen brutalen Sieg glau-
ben erfochten zu haben, singen die Manner. Am Boden liegend,
zerschlagen und blutend, aber nicht gebrochen, singen sie, was
keine Gewalt der Erde niederkniippeln kann: « Wacht auf, Ver-
dammte dieser Erde! » Dwi SA-Leute stehen einen Augenbiick
starr, dann springen sie heran und schlagen auf den singenden
Haufen, bis er stumm wird und Hndernde Ohnmacht iiber alle
kommt. Aber das Lied steht im Raum, fiillt ihn aus, durchdringt
die Mauer der Folterkammer, ist lauter als das Pfeifen der Stahi-
ruten.
Der Terror der Verleumdungen
Die Nationalsozialisten konnten auch die Folter nur anwen-
den, nachdem sie eine Atmosphare von Verdaehtigungen gesehaf-
fen hatten, die an das Recht der Folter glauben Hess. Das Mittel-
alter profitierte vom Hexenglauben, von den primitiven Vorstel-
lungen verdummter Kirchenganger, die in jedem Wissenschaft-
ler den Teufels-Banner sahen, in jedem Apotheker den nacht-
liehen Beschworer unterirdischer Geister.
1. « Novemberuerbrecher >>.
Die nationalsozialistische Ftihrung hat wider besseres Wis-
sen seit Jahren behauptel, dass der Ausgang des Krieges das
Werk einiger Verbrecher, der « Novemberverbrecher », gewesen
sei. Sie hat diese Liige immer wiederholt, sodass bei den Millio-
nen der Enttauschten die Ueberzeugung entstand, vom November
1918 an datiere tatsachlich der Ruin Deutschlands.
Der Minister Goring betont bis heute, dass der schmach-
vollste Augenbiick seines Lebens der November 1918 war, als
den Offizieren des Kaisers die Achselstiicke abgerissen wurden.
Der Reichskanzler Hitler hat ein einziges Mai in seinem Leben
geweint, und auch er weinte — um Achselstiicke. Er verzieh es
den Matrosen von 1&18 nicht, dass sie die Offiziere angriffen,
deren Gefreiter gewesen zu sein, der Reichskanzler sich bis heute
riihmt.
194
So hat die gesamte Propaganda immer rmr dicscn einen Te-
,nr- di * Novemberverbrccher sind schuld. Hit er gibt zu, dass
nr bei seiner Propaganda auf die Leichtgl&ubigkeit der unpohti-
Ztn MasLn spekuliert. Er halt die Aufnahmeialngkeit der
Msse fiir beschrankt, ihr Verstandnis klein, dafur jedoeh ihre
,r l«lirhkeit gross. Man kann auf diese Propaganda die Worte
SgSwEta die er der Entente im Weltkrieg widrnet; auch
W Ss Propaganda war: « im Anfang scheinbar verruckt in der
Bwhheit ibrer Behauptungen, wurde spater unangenehm und
a *ndlich geglaubt. («Mein Kampf», Seite 203"). Das Resul-
Tf he, sehen wir im Bilderteil dieses Buches. Die SA fahrt
•t Srhubkarren vor die Wohnungen der NovemberverhrecheT
und fuhrt die Manner durch das Spalier der hohnenden Meute,
die man schnell zusammengetrommelt hat.
Splbst die Ruhe der Toten wird von der Rachsucht der SA.
nicht verschont. Man zerstort die Graber der Matrosenmeuterer
Rdchpietsch und Kobes, zerschlagt die Denksteme auf ihren
Ruhestatten : Novemberverbrecher verdienen kein Grab.
2. Sowjet-Russland.
Die Verleumdung hat weder an den Grenzen des Todes halt
gemacht, noch an den Grenzen Deutschlands. Hitler sagt uber
Sowjet-Russland und seine Staatsmiinner :
<Man vr-rgesse doch nie, dass die Agenten des heutigen Roland
blutbefleckte gemeine Verbrecher sind, dass es sieh hier um den Ab-
schaum der Menscbheit handelt.»
(<Mein Kampf>, Seite 750.)
Kaum ist Hitler zur Macht gekommen, so werden auch schon
die ersten Ueberfalle auf Sowjetbiirger veriibt.
Der Sowjetbiirger Schajag, Berlin, Greifwalderstr. 12,
wird in seiner Werkstatt verprugelt. Als er sich beschwert, wird
er in eine SA-Kaserne verschleppt. Dort wird er blutig geschla-
gen und auf die Strasse geworfen. , .
In die Hamburger Handelsvertretung der Sowjetumon bncht
SA ein, pliindert und demoliert.
Die Gesellschaft der Freunde des Neuen Russland, welcner
Graf Arco, Kardorff und viele fiihrende Personlichkeiten des
Biirgertums angehorten, wird aufgelost. Ihr Sekretar Erich Baron
wird ins Gefangnis geworfen und in den Selbstmord getrieben.
Alle deutschen Sender bringen seit dem 10. Marz ein Horspiel
« Hoist Wessel », in dem Hitlers Lugen iiber die USSR wieder-
holt werden: in Russland seien seit 1917 zwei Millionen Men-
schen ermordet worden. Die Sowjets seien die Reprasentauten
der Luge, des Betrugs, des Diebstahls, der Plunderung, des Rau-
195
I>es. Kcin Wort dariiber, dass das Internationale Oel-Kapital jene
furchtbarcn fnterventionskriege heraufbeschworen hat, dass die
Opfer voll und ganz den Interventionsgenenilcn zur Last zu
schreiben siiul. Kcin Wort fiber den heroischen Kampf der russi-
schen Arbeiter und Baucrn zur Verteidigung ihrer endiich errun-
genen Freiheit. Kein Wort iiber die furelitbaren Greuel dor weiss-
russischen Heerfuhrer in den eroberten Dorfcrn und S tad ten. Die
Verleumdungen aber geben den Nazis die Handhabe zur groSS-
angelegten Kommunistonhatz, zur Verfolgung der deutschen Ar-
beiter und Intellektuellen.
3. Der « Erbfeind ».
Die nationalsozialistischc Fiibrung lenkt von den eigenen
Schandtaten auch durch Verleumdung des westliehen Nachbars
ah. Sie erzielt schon die ersten Resultate. Man iiberfalH im
Dritten Reich Franzosen mitten fan Frieden. Frankreich bleibt
fur Hitler der Erbfeind. Die « bastardisierte Nation », die Deutsch-
Iands Untergang wunschen muss. Der Hass gegen Frankreich
Wild genahrt, die Jugend wird mil Revanchegedanken geiutlert.
Die Folge zeiet der Brief der Frau eines franzosischen Arbei-
lers, der in Diisseldorf Arbeit gefunden hatte und I Ende Marz von
SA fiberfallen wurde. Die Frau wandte sieh hilfesuchend an
ihren Konsul:
cHiermit mOcbt. ich, Frau Frit, Blanck, Solingen Wald, Hauptstraese
265a, micb nut einer sehr ernsten Angelegenhe. an S.e wenden^ Me.n
Mann ist am Freitag, den 31. Marz von SA-Mitgliedern der NSDAT
um 2 Uhr uachmittaj aus unserm Garten verhaftet worden- Er wurde
Z SA KaLrne gebracM. Hier ist er bes.ia.isch and « ; —
lich kaum noch auszudenken, ohne sicb uberhaupt emer Schuld be
nischen Bemerkungen. In emer gross Dann
kenhaus. R in xrhen an aie hittten ihn gefunden.
Die Kleider
Dieselben
Wie mein
196
keuhaus batten sie die erete Nacht gedacht, daaa er gestorben ware.
Icb wurde abends telefoniach dorthin gerufen. Wir haben 2 Kinder,
eina von 6 Jahren und eins von 7 Wochen. Bei einer deraxtigen A.uf-
regung i s t bei mir die Milch vergangen...>
Heute ist es ein franzosischer Arbeiter in Dusseldorf, ein
Sowjetbiirger in Berlin, ein tschechischer Schriftsteller, die unter
den Schlagen der SA zusainmenbrechen, morgen aber?
4. Greuelmarchen.
Der Terror der Verleumdung geht nicht mir vom « Fiihrer »
aus Tausende von Agitatoren haben Hitler seit Jahren zu iiber-
bieten versucht in Erfindungen von Greuelmarchen. Die Saat
yvurde aus vollen Handen gestreut. Jetzt in den Friihlmgstagen
erfahren wir erst, welch ein Unmass von Luge ausgeschiittet wor-
den ist. Nichts ist so dumm, als dass es in Zeiten der Not nicht
seinen Glaubigen fande. Ein Protokoll berichtet:
tEin Arzt wird in einer Kaserne der SA blutig geechlagen und liegt
scnwer verwundet auf dem Strohlager. Ein ins Zimmer eintretender
SA-Mann verlangt, dass er aufeteht, wird aber von emem andereo
autmerksam gemacht, wie es um den Arzt stehe. Diese Erklarung
bringt den SA-Mann in hocbste Aufregung; er beginnt zu schreien,
und man entdeckt, dass er von seinem GauWtaar folgende Schauer-
mare gehort bat: alle Aerzte, die Juden sind, rSchen s.eh aeU Jahren
Z jedem deutschen Madchen, da3 ibnen ins Krankenhaus geliefert
"rd. indem sie ihnen heimlich die Eierstbcke p™"**^**
mil r.ur das <Judenpack> sich vermehre und die Herrechaft ttbet
SSJlSl.-^d- ~~— Gefangenen eineu Tritt in den
Bauch.3
Auch dieser SA-Mann hat direkt bei Hitler gelernt:
cSo wie er (der Jude) selber planmassig Frauen und MMtoJ^
dtebt, so schreckt er auch nicht davor zuruck, selbst ,n grdseerem
Unrfange die Blutscbranken fur andere ^^^ ^ 237 .)
Der Terror auf dem Lande
Hitler hat im besonderen Mass von de ^Pj^ die
Hlle Provinzstadte umgibt Die Vorurte.le de Sta^scb , ^
reaktionaren Moralbegriffe des klemen .Burgers J g ^
der deutschen Provinz erhalten gebheben Mit ler^ *
auch die Unerbittlichkeit der Sp^ c ?H "nzuzwelfein'und zu
Aussenseiter zu verfolgen, jeden F °^ r d ! f he a ^ uc h aus der Pro-
diffamieren. Viele Stiramen und Hitler ^daner . gt
vinz zugeflossen. Der Stamrntisch, von dem Hii
197
m den Tagen des Terrors der Beratun K sort eMi k .
provinziellen GeneralstSbler der Dorfcr U n , |? bl eben fUr die
Hegt die Fiihrung beim Gutsbesitzer oder h J S '.- MeiS,enS
zieren. Den Kleinbauern wird die sehw" \ eh , em:ih Sen Offi-
der marxistischen Politik dargestelU Agrarknse als ™&
Der Antisemitismus dienip dam as* t-
denden K.einbande.s furs erst SU^^TE^S
mer wurde in den Konkurs getrieben. Der jiidisch V hhLd er
ZfiSh™ 11 , m UC xr ? ,S Ciner der H»«Ptschuldigeu an sei-
nem Elend hingestellt. Viele wurden in den Tagen der nationa-
ien Erhebung misshandelt und erschlagen.
Man ging zu Erpressungen iiber. Der Gifthauch der Dennn-
ziation strich iiber die Dacher der Hofe und Hauser. Sozialde-
mokratische Gemeindevorsteher (in Oberhessen) wurden ge-
lyncht. Jede Bestialitat gegen Kommunisten wird gebilligt.
Seit der Macbtergreifung Hitlers erscbienen regelmassig in
den Dorfern die Autos der braunen Rollkommandos, die den
Stutzpunktfuhrer des Ortes in seinen Aktionen unterstiitzen. An-
ze.igen fiihren zu Haussuchungen. Anschuldigungen zu Verhaf-
tungen. Denunzianten werden zu Helfersbelfern. Au£ den Land-
strassen werden Autos von der SA angehalten; zu Wucberprei-
sen werden Hitlerbilder verkauft, die sofqrt an die Scheiben ge-
klebt werden nuissen. Die SA zieht von Hof zu Hof mit Sammel-
listen, deren Autoritat niemand unzuzweiieln wagt. Weigerun-
gen, Geld zu geben, haben so sicher Sanktionen zur Folge, dass
niemand diese Erpressungen zuruckweist.
Die Bltttschuld tier Nazifuhrer
Wie sehr die nationalsozialistischen Fiibrer verantworthch
ergreifung. , . ~ Prick erklarte:
Der jetzige Reichsianenmxn s er ^ Esche ^
tEe ist oi,ht schlimm, wenn eirnge Zehntausend
Uonme zu Schader, ikonuwai > tagSj sagte in einer
Stohr, der ehemalige Vizeprasident cies
Oldenburg, Raven ^ ^ Zmltanl , teal . , m G.lge. d.„
<Wir warden <ne i>» *
Sea »- FM« P* w, '»
198
Der Gauleiter Telschow sagte in einer Versammlung am 22. Ok-
tober 1929 in Neuhaus an der Elbe:
<Wir werden den Kampf mit alien Mitteln flihien, Im Kampf gibt
es Leieben. Wenn es gegen den jUdiachen Janhagel geht, Bchreiten
wir auch Obex Griiber. Es kann auch sein, dass manche Mutter ihr*n
Sohn verlierl.>
Am 10. Marz 1933 spricht der Reichsminister Goring in einer Mas-
senversamnilung in der Ausstellungshalle von Essen. Das Land
schreit auf gegen die Schandtaten der entfesselten SA. Der Mini-
ster Goring aber erklart der Versammlung;
<Lieber schiesse ich ein paar Mai zu kurz und zu weit aber ich
schiesse wenigstens.>
Mord dokument
Gorings Wort fiel auf fruchtbaren Boden. Ende April erliess
der Dortmunder Polizeiprasident Scheppman einen Befehl, der
in seiner Art alle Polizeibefehle der modernen Geschichte iiber-
trumpft :
<In letzter Zeit sind wieder mehrfach kommunistische Flugblatter
verteilt worden. Ich befeble der mir unterstellten Polizei, gegen je-
den Versuch komraunistischer Flugblattverteilung sofort voa der
Schusswaffe Gebrauch zu machen.>
Der Terror war organisiert !
1. In der Nacht des Reichstagsbrandcs waren allein in Berlin
fur die Gnnisamkeiten 30 SA-Kasernen vorbereitet. Stahlruten,
Peitschen, Ketten, Stricke zur Fesselung, Wasserkiibel und Rizi-
nusol waren eingekauft. Sie fanden in derselben Nacht schon
4-nwendung. Allen Kasernen waren Aerzte zugeteilt.
2. Aus vielen deutschen Stadten liegen Berichte vor, die be-
zeugen, dass die SA an diesem Abend in erhohter Alarmbereit-
schaft lag und die Wohnungen der Arbeiterfiihrer, ebenso Bahn-
hofe und Postamter unter Kontrolle hielt.
3. Die Auswahl der Opfer war in alien deutschen Stadten die
gleiche.
4. Die Verhaftungen wurden hauptsachlich der SA und ihren
Spezialabteilungen iiberlassen. Die Polizei wurde in diesen Ta-
gen nur beibegeben, da man ihrer noch nicht sicher war.
5. Am 22. Februar wurde begonnen, SA als Hilfspolizei ein-
zustellen; ein sicheres Zeichen, dass man grossere Aktionen
plante und den legalen Schein wahren wollte, soweit es ging.
199
6. Schon am 17. Februar gab Goring in seiner Funktkm als
Preussenkommissar alien Polizeibeamten durch seinen Sehiess-
erlass voile Freiheit zu jeglichem Terror und zur Vollstreckung
von Tc-desurteilen ohne jedes Gericht. Dieser Erlass gait nicht
nur der Eruierung der skrupellosen und der zogernden Elemenle
innerhalb der Schupo, er nahm den Mordtatcn der SA iegliche
lllegalitat:
«Wer in Aufiiibung dieser Pflichten von der Schusswaffe Gebrauch
macht, wird ohne Rttcksicht auf die Folgen von mir gedeckt. Wer
hingegen in falscher Ruckflichtsnahme versagt, hat dienstetrafrecht-
lichft Folgen zu gewartigen. Jeder Beamte hat sich stets vor Augen zu
halten, dass die Unterlassung einer Massnahme schwerer wiegl,
als begangene Fehler in der Austibung.i
7. In dem Blutkeller der Hedemannstrasse und in anderen
Kasernen haben sich standig hohe Funktionare der NSDAP auf-
gehalten. Sie leiteten die Misshandlungen und hielten Verhore
ab. Es steht unter anderem fest, dass der SA-Fuhrer Graf Hell-
dorf, der in taglicher Verbindung mit Goring und Hitler stand
und steht, Paraden der Missbandelten abnahm.
Unsere Dokumente
In unserem Archiv liegen 536 Protokolle von schwer Miss-
handelten. Die Tatsachen sind iiberpruft und richtig befunden.
137 Atteste bestatigen schwere chronische Schadigungen
dieser Opfer.
375 Protokolle berichten von Reversen, die die Misshandelten
nach den Folterungen untcrschreiben mussten. Die Gcfolterten
haben noch im Folterhause best&tigen miissen, dass sie « gut be-
handelt » worden seien.
Unser Material aus den Stadten und Dorfern des Dntten
Reiches lasst schliessen, dass seit dem 28. Februar ungefahr
60.000 Menschcn misshandelt worden sind.
Wir lassen nun die Opfer selbst sprechen:
Sie itemicii sich Arbeiterfreuude . . .
Ein Erwerbsloser, der bei Kommunisten gebettelt und I dart
Hausarbeit gefunden hatte, sollte die ^^^J^ISZ
raden durch Verrat belohaen. Seine Tapferkeit trug dun folgende
Missbandlungen ein- Er schreibt:
cMontag, den 6. Marz, 17 Uhr, eiwhieneo 2 SA-Leute «Jj*^
flihrer t der WohnUBgBtto des Abgeoj dne en , X und «*« ^ ^
lass. Da ieh mich in der Wohnung aufbielt, tun
200
Popoff
ein Sijahriger bulgari-
scher Arbeiter. wiirde
1931 wegen revolutiona-
rer Propaganda in Bulga-
rien verhaftet und zu
zwBlf JahroD Zwangsar-
beit verurteilt. Es gelang
ihm /.u ontl'liehen, er
emigrierte naob Deutseh-
laud.
Taneff
Mazedonisctaer Freiheite-
kampfer, wurde in Plow-
diw zu 12& Jahren Ge-
ESngnifi verurteilt. Er eni-
Uaiii oach Deutechland.
Die Hitlerregierung ver-
hai'iete PopoiT und Tanefl
ans den gleichen ftlotiven
wie D-imitroff. Der Ober-
reichsanwalt haf gfcgfin
Diraitroff, Popoff und
Tanefl 'lw Ajiklage we-
gen Braiulsliftuiig erho-
ben.
Wie Attentate fabriziert
wei'den!
Der Im-Iit Tagore, eia Neffe
von Rabiadranath Tagore.
eiuc0 attentats*
ae&nt gitkr.
f^nniing Bines infcifdlftt gommnniften
uttb nnes ©liauffcaro in gnncvn.
Selegrautm unfereS Stor*cHHMl>ettteM.
2Ruiwf)MJ, 25. Slprii Ueber einen 51 1 te tt t a 1 3 pi a n
qegen ben Sfaidjsaan^cr SlbuLf Sitter roirb mitgeteilt :
9£uj ©mnb einet 92oct)rict)t bet i'irola (skenaftation toutbe
am Ganntag in 3t i m (t i n g am Sfctemfee ein mil Uahenu
Icbein Senn^id>eti unb itahemidjei ftlaage Derj«l)2ncS |5 e t=
fonenauto a n q e t) a 1 1 e u unb be{d)lag,nat)mt
Sic 3 n f a j f e n rautben o e t f) a | te t. G§ fjanbett firt urn
nnenSnbti twmen-3 Sa gor t, bet bee tujl'ijdjen
Kommunifti|d)en >Bartei anfldjBtt, unb oe|jcn
ISIjaiiffeui, ben aiigeblidjen £eittfcf|ru}feii SJe&eia*.
Da-S n-aio, ba3 jal)treid)03 un'O Derbarf>tigei5 ©epacfc entljielt,
muiSe auf bet Strafe uad) SHUndjen fluacb/ilten S3 mat
em attentat gegen ben IHei^fea'uUt
g « p [ a ft t. Ser ^nbct vft em erraa Dienia Safe* a t«
Mann M» frrkulijd)em fttapedxu.. & unb [em garter
rourben am ©oimtag buid) oie ikmbeapirfijei natf> 9HumI;flt
gebtadjt, ;;Denfo bee ffiraftroagen.
3c itun 9 c,t crV,icnenc n 9btH «*« bic g^me C.ft * 3"* J
Ijritcn imtcrnommen h>arb-cn iff-
tjeren, fiffnete ich die Tfir, aber vorerat nur bifl zum Sperrhaken.
Sofort erschien in dem TQrspalt ein Revolver und der SA-Mann ver-
langte vdllige Oeffnung. Man fragte nach dem Verbleib des Genoa-
sen X, den ich nicht angeben konnte. Daraufhin nahmen sie mich
mit. Mit Motorrad-Berwagen fuhren sie mich nach der BSttcherstrasse.
Dort begannen die Misshandlungen. Ich habe bia zu diesem Augen-
blick, wo ich dieses schreibe, noch sichtbare Merkmale von all dem,
was sie da mit mix trieben; beide Augen blau geschlagen, an der
I in ken Stirnhalfte eine 4 cm groese verdeckte Risawunde, die Hande
mit denen icb schreibe noch verschwollen und verkratzt. Man nanoW
mich <Mordbuben> usw., ohne irgend einen Grund dafiir zu haben.
Dann sollte ich mir das Blut abwasehen. Es floss mir aus Stirn, Mund
und Nase. Kaum war ich gereinigt, so brachte man mich wieder in
den vorderen Raum und schlug wieder neu auf mich ein. Ich suchte
Schutz auf einer im Raum etehenden Bank und bedeckte mit beiden
Handen raein Gesieht, urn so den SchlSgen auszuweichen, sonst hatte
man mir sicher den Kiefer zerschlagen. Aber sie batten damit noch
nicht genug*.
Zusammen mit zwei weiteren Festgenommenea wurde ich in die
Hedemannstrasse gebracht, in einer Taxe. Zwei Motorrader fub-
ren als Begleitung mit. Bei der Abfahrt sagte man mir,
ich kenne froh sein, dasB aie so human w&ren, in der Untergruppe
wfirde anders <gearbeitet>. Beinahe bStte ich dariiber gelachl.
In der Hedemannstrasae sagte ich beim Verhor, ich eei fechten ge-
gangen und habe an der Wohnungstur von X inuner etwas bekom-
men. Daraufhin sei ich Ofters hingegangen, auch um mich politisch
zu unterhalten und schliesalich habe ich von Fran X Hausarbeiten
ubertragen bekommen, Teppichklopfen usw. Ich sagte den SA-Leu-
teu, dass ich sehr froh gewesen sei, von Kommuni9ten auf so »n-
stSndige Weise behandelt worden zu sein. Ich sagte den SA-Leuten
auch, ich sympathiaiere mit der KPD und habe Liate 3 gewMhlt
Derauf sagte der Frageeteller; <Fflr Leute die die Wahrheit sagen,
haben wir immer noch etwas ubrig. Wir wollen ja nicht Euch, wir
wollen Eure Fuhrer vernichten und mit ihnen abrechnen.>
• . . aber in Wahrheit verfolgen sie Taxisende von Arbeitera
Hier ein besonders deutlicher Beweis dafiir. Es spricht ein
Arbeiter, der in die Hedemannstrasse verschleppt war:
<Am Abend des 5. M3rz wurde ich mit 6 andern Arbeitern In dem
Lokal X in der Y-Strasse des Berliner Nordens von einer Schar
umformierter SA-Leute uberfallen. Wir sassen dort, um die Bekannt-
gabe der Wahlergebnisse zu erwarten. Die SA-Leute hielten una die
Revolver vor die Brust und zwangen uns, mit erhobenen Hfinden in
ihr Sturmlokal in der X-Strasse zu gehen. Dort wurden wir zueret
emmal als ckommunistische SSue> blutig geschlagen. Dann kamen
wir in ein Auto, das uns in die SA-Zentrale Hedemannstrasse 6
201
schaffte. Wir wurden in den 4. Stock gejagt uud unter dauernden
Faust- and Reitpeitechenhieben durch einen langen Korrido "Sfil
ben. Der Korndor war von oben bia unten mit <erbeuteten> Liat
demokratischen Fabnen and Transparenten tgeschmUckt* An der
Wand bing eine F lg ur in Rot-Frontkampfer-Uniform am Galgen die
Ernst Thalniaun darstcllen sollte.
Wir wurden in einen Gemelnschaftsraum bineingeprugelt Man
zwang uns, unter <Hei] Hitler»-Rufen niederzuknien und das Vater-
unfler zu beten, sodann das Horet-Wessellied zu singen Wer nicbt
augenbhcklich gehorchte, wurde bewusstlos gepriigelt SpKter
schleppte man uns an die Wand des Raumes, feuerte ununter-
brochen Sal v en knapp tiber unsern KGpfen ab. Nachdem man
una eine Weile hatle ruhen lassen, erfolgten die ersten <Vernehmun-
gem. .Teder von una wurde einzeln in ein Zimmer gerufen, wo etwa
6 SA-Leute mit Reitpeitechen standee. Bin Mann sass an der Schreib-
masobine, Wir mussten uns vo list an dig ausaiehen, und
man erklarte uns, dass wir Bolange geschlagen warden, bis war alles
auegesagt taatten. Man verlangte die unmoglichsten Gestandnisse von
uns. Gefragt wurde nach Namen und Adressen von kommunistiscben
Funktionaren, nach angeblichen Verstecken von Waffen und Verviel-
faltigungsapparaten. WShrend dieser Vernehmung schlug man un-
nnterbrochen auf uns ein. Dann wurden uns J^stOndige Bedenkpau-
sen gegeben, nacb deren Ablauf die Folterungen von neuem be-
gannen.
Einigen Anlifasohifcten, die fruher der SA angehdrten, wurden die
Haare geschoTMi tea auf s?ue zusammengbbundene Stirnlocke. Una
wurde erklart daw diese Leute am nEchsten Morgen erscbossen
wurden. Als wir kamen. Ingen «i* bereits besinnungslos im Gemein-
aebflftsraum. Au&ser uns waren noch etwa ~>0 weitere eozialdemokra-
tische und kommunfctsciie Arbiter im Gemeinschaflaraum. Bei der
Entlassung wurde una ein Re\ers vcrgelegt mit dem Inhalt, dass
wir ohne gesundbeitlicbe SchBdigting das Haus verlassen baben.
Wir untercahrieben. Zwei meaner Oe*fl>rten faad ich erst im Kran-
kenhaus (Am Friedrirhrtiain* wieder. Einen davon mit Halssctauf*.>
Wir lassen diesem deutlichen Dokument noch eine Reihe
weiterer Berichte misshandeltcr Arbeiter folgen, um darzulun, mit
welchen Aktionen die nationalsozialistische Bewegung uberall ihre
amtliche Periode begann:
•eBedeckt mit Wunden*
cDer Arbeiter J. M. aue der Werderstrasse in Bert* «t fc< Jer MacW
vom 27. zum 28. 8. von der SA abgeholt und in der ^"^JJVJ
der Rudowerstrass* Bchwer misshandelt worden. Se.n gamer Harper
1st bedeckt von offenen Wunden.*
202
Die Wohnung wird zerst&rt.
<Der Arbeiter K. aus Schfineberg, der als politischer Funktionar be-
kannt war, wuru* am Montag nach diesem Ueberfall in eeiner Woh-
nung nufgesuchl, dort mU Stahlruten achwer verwundet und dann
nach einer SA Kaserne abgesehleppt. 1m Augenblick ala dieser Be-
riclit niedergefichrieben wurde, war noch nicht bekannt was mit dem
Arbeiter ge word en ist. Seine Wohnuig war bei dem Ueberfall van
der SA vollkommen zertrilmmert worden.»
[tiicksichtslos uird geschosaen.
cDer Arbeiter Max F. in W M Prov. Brandenburg, wurde nachts von
etwa 40 bewaffneten SA-Leuten uberfallen. Die Wohnungsttir wurde
eingeechlagen. Die SA-Leute achossen aofort wild in die Wohnung
liinein. F. konnte sicb trotz eine9 gchweren Gesas6chusses durch
einen Sprung aus dem Fenster retten. Aui der Flucht erhielt er noch
einen Ann- und Brustatreifschuas. Er entkam und fand Aulnahme
in einem Krankenhaua. Dieser Aufenthaltsort musste etreng geheim
gehalten werden. da die Angehorigen seit jenem Ueberfall taglichen
Dioliungen ausgesetzt sind.> (Genaues Material iiber diesen Fall ent-
hiilt anger Archiv.)
Die Kvochen zerbrochcn !
<Der 36jahrige Arbeiter Paul Paprorki aus der MaLplakstras9e 23,
wurde in der Nacht void 96, zum 27. M. urn 3 Uhr au3 der Wohnung
herausgoholl. Eine irrOssere Abteilung SA brachte den Verhafleten
in das Sturmlokal in der Utrecbteretraflee, wo er nach Adreasen von
Funktioniiren gefr&gl WUlde- Ala er sicb weigerte, die Adres-
sen bekannt zu u.-L-n. :annen die Misshandlungen. Nach
einigen Stnndeia tint man ihn mit schwereu Schlagverletzungen und,
wie die arztliche Untersuchung ergeben hat, 9ehr wahrscheinlich
auch mit einem komplizierten Wadenbeinbruch entlassen.>
Voter a user- Be fen odcr Lederkoppel iiber den Schddel,
<Der lPjahrige Arbeiter Kurt Hackenbusch, Griinthaleratxasse 63,
wurde zusamroen mit 3 Freunden am 26. 3. verhaftet und in das Lo-
kal Prinzenstrasae gesehleift. Misshandlungen mit sehweren Leder-
koppeln. Die Gefangenen weigerten sich, vor der veraammelten SA
das Vaterunser zu beten. Neue Misshandlungen. Nach einigen Stun-
den warden die Gefangenen zu einer Unfallstation gebracht. wo die
unter Drohungen erklSren mussten, die SA-Leute bitten sie vor ei-
aem Ueberfall gerettet Hackenbusch trug neben Blutergussen in
Gesicht und Rucken eine schwere Kopfwunde davon.>
.Arbeiter Jacob Ickler, Kassel. Kette n ga S se 4, . Anfang der 20er Jahi*
203
Ges&ss und Oberechenkel. Ein Srztliches Attm,* /;«, a u-
nigt den Bcfund.* (Der Name des Arztes t W h C ntE ' *'"**
es in, Deutsch.and des dritten ReichenVS X^iSS £
Urin fiir den Durst
Der sozialdeinokratische Reichstagsabgeordnete, ehemalige
Reichsnunistcr. Wilhelm Sollmann, schreibt uber seine Miss-
handlung durch SS und SA:
<Am Donnerstag, den 9. MSrz, nach 3 Uhr nachmittags, fuhren vor
meinem Bause, in KSln-Rath, 3 mit SS und SA-Leuten besetzte Autos
vor. Da ich gerade ein Gesprach mit einem Stadtverordneten ffihrte,
konnte ich noch in den Apparat rufen; <SS dringt in mein Hans ein,
das Ueberfall-Kommando alarmieren.>
In diesem Augenblick sttirmten mehrere Leute mit schussbereiten
Revolvem, mit Beilen und mit hochgeschwungenen Messern in raein
Arbeitszimmer. Noch ehe ich ein Wort sagen konnte, wurde ich an
meinem Schreibtisch niedergeschlagen. Die Leule waren in einer Art
Raserei, au3 Mass und Frcude, daea sie an mir Rache nebmen konn-
ten. Der grosste Teil der Leute verteilte sfch auf die ubrigen Zim-
mer des Hauses und schlug buchatablich in wenigen Augenblickea,
alles kurz und klein . . . Ich wurde unter Faustschlai*cn in ein of-
fenes Auto geworfen. Meine Frau rief: <Wo bringen eie meinen
Mann hin?» Einer antwortete grinsend: tDas werden sie achon er-
fahren.> Man fuhr mich zunachst Qber die ETelde, dem Walde zu. Da
ein vor mir sitzender SA-Mnnn dnuernd mit dem Revolver vor mir
herumfuchtelte, nahm ich an, dass man mich im nahen Walde erle-
digen wollte. Man fuhr mich aber unter dauernden Beschimpfungen
von teihveise geradezu irrsinnigem Charaktei uber Briick nach Ka!k.
Dort wurde laogsam gefahren und auf der belebten Hauptstrasae
wurde ich imrner wieder den Passanten sozeigt: <Das ist der grosse
Sollmann 1 Sehl vvie klein !> Man schaffte mich in die Gauleitung der
Nationalsozialisten in der Mozartstrasse. Mit Faustschlagen, Fusstnt-
ten und Hieben, wurde ich die Treppe hinauf in ein Konferenzziro-
mer gejagt Man hatte die Jalousien hcruntergelassen, sodass der
Raum im Halbdunkel lag. Hier eollte ich vor ein Tribunal gesteiit
werden. Auf dem Tisch war ein grosses Hakenkreuzbanner ausge-
breitet Ich sah, dass mein Redaktionskollege Efferoth in der Nahe
d<» Fenetere sass, fihnlich zugerichtet wie ich. Kaum hatte ,cb newn
Efferroth Plata genommen, so setzte die mehr a!s .weistundige toi-
trrunc ein.
Kunlrh.t bielt ein Mann in SA-Unifonn den mein KoHege a s c*
Stadtverordneten Ebe.e bezeichnete, e»e kuxze Red W *» » ^
m |etZ| Vwgeltung gMibt werde. Dann neieo
dagen Qber una her.
20A
Btwfl te Slumle lagen Efferoth und ich aui dem Fossbodan, so f-r-
richopft. tias& wir una niebl mehr erheben konnteri. Inmier wiecier
wurden wir aber mil FausUchlagen und Fusstritten behandelt, zwi-
schenduirh auch an den Haaren gerissen, und mit den Kopfen #egen-
einander gestossen.
Schliesslich riss miui uns hoch, wir wurden auf die SU'ihle gesetzt,
einer Well uns hinter der Stuhllehne die Hande zusammen, ein zwei-
ter zwang uns, die Zahne zu offnen, und ein diitter goss uns je % Li-
ter Rizinus in den Schluad. Der eiae Folterknecht rief nach Salz, um
unswe Qua.'en zu vennehren, aber anscbeinend war nicht so ras':h
Salz aufzutreiben. Dann gonnte man uns wieder eine kurze Pause.
[Cb bat um ein Glas Wasser. Als icb es erhielt, sab ich, dass das Was-
ser eine verdachtige Farbung hatte und ich benutzte es daher nur
zum Waseben meiner blutfiberstromten Hande. Einer rief darauf:
«Warum saufst Du das Wasser nicht?> Wir wurden nur geduzt. In
demselben Augenblick warf er mir das Glas mit dem Rest der Flu9-
sigkeit ins Gesicht. Nun gabs wieder Faustschlage und Fusstritte.
PIStzl'ch kam eine gewisse Unruhe in unsere Foiterknechte. Ich
nahm an, dass inzwischen die Polizei von den Ueberfallen und un-
H-rm Vorschlepptwerden Kenntnis erhalten habe. Gegen 5 Uhr ergriff
uns die S3 und warf uns unter dem Ruf: <In den Kohlenkellor!>
buohstflblicb die Treppen binanter. Dei ttoblenkeller war anscheinend
nichl gefiffnel und man srli a habea, uns los zu werden. Mao
trieb uns desbalb outer Deuec FavisUchlii^en und Fusstritten — un-
seri" Goaichter wares Inn blutende Masse — fiber
die Strasse zu einem Aulo. I>ort n :i wir uns auf den Boden
bocken, Ein Mann oeben r, seiner Bpiteren Andeu-
tung nach, ein frflherer 0f1 -en sein muss, rief herunter:
<Tretet sie in den Arscbl sofort befolgt wurde.
Die Mieshandlungen warden i:n gesehlossenen Auto fortgeaetzt; icb
erhielt einen FaustbChlftg auf da- te Auge. Wir hielten am Po-
lizeiprasidium, dt- r ReiehatagBabgeordnete Sdialler, der den Trans-
port geleitet hatte, offnete das Tor. Wir wurden, obwohi wir fast
zusammenbrachen, gezwungen, im Galopp uber die Ganpe und fiber
die Treppen zu jagen . . , Einer sagte: <wir mu?slen am nacheten
Tage vor dem grossen Fackelzug der Nazis hermar^tiiieren und am
Schluss wurden wir auf den zusammengeworfenen Fackeln ver-
brannt . . . Der Polizeiprasident schlug uns vor. wir mSchten uns in
Schutzhaft begeben. Ich wies auf meine parlamentarische ImmunitSt
bin. Er schloss sich meinem Standpunkt an, bat rnich aber dennoch.
mich mit Efferoth ins Gefangnislazarett einliefern zu Ia?sen.
Im Lazarelt wurden wir verbunden und genaht. Wahrercd der Fol-
terung hatte der eine der SS-Leute lanirsam und wohlber^chnet raei-
n*Mi^ Frpunde Efferoth ein Messer in die Seite gedrflckl Der Arzt
erklart* 1 . daaa der Stich lebensgefahrlich gewe&eu sei. wenn er einon
GDI liefer gegang<m ware . . . Am andern Tage stand in der Pree?e
Ha Bericbt, wir eeien von politisch Anderedenkenden ftberfallen
i und batten <leichie> KSrperscb&den edition.
206
Sie folteni cincn Arzt und seine Frau
Am 6. &., um 4 Uhr friih, schellte ea an der Wohnungstiix. Mehrere
Manners timraen riefen: Hier ist die Polizei! Aufmachenl Meine Frau
erwiderte: <Bitte konimen Sie morgen frilh, in der Nacht mache ich
nicht aufl> Es folgten mehxere starke Schlage gegea die Tiir, sie
wurde eingeschiagen und 5 Manner in SA-Uniform ohne Polizeiab-
zeichen, mit vorgehaltenern Revolver und Maschinenpistolen, dran-
gen in die Wohnung ein. Meine Frage, «\vas wollen sie?» beantwor-
teten sie mit mehrerem Gummiknttppelhieben und Faustachlagen.
cHalts Maul, hat Dich jemand gefragt?* Sie kommandierten <HaVnde
bochi. Einige fassten mich am Kragen und driickten mich an die
Wand. *Es ist aus mit euch Juden, bolschewistisches Pack.» Als ich
etwas erwidern wollte, schlugen sie erneut auf mich ein.
Sie durchsuchteo die Wohnung, schlugen die Schubladen meine*a
Schreibtisches ein, fiillten einen Koffer mit Biichem, Schriften und
Korrespondenzen und befahlen <Raual> Meine Frau, die mich nicht
in den Handen dieser Eindringlinge laseen wollte, kam unaufgefor-
dert mit Sie stiessen mich mit Fusstritten die Trep-pe hmunter.
Als meine Frau sich eine solche Behandlung eines Kranken ener-
gisch verbal, wurde sie beschimpft und aus dem Sitz un Auto ver-
dran^t. *Du freche Sau, sei ruhig, sonst kriegst Du aucb.* Das Auto
hielt%or einem Haus, vor dem eine Schar von SA und SS atanden.
Kaum aus dem Auto ausgestiegen, wurden wir mit Gummiknttppel
und Hundepeitsche 4 Treppen hochgejagt Da ich infolge einer
Krankr^it (Grippe, Herzmuskelschwache) physischen Anstrengungen
nicht gewachsen war, schlugen sie voll Wut auf mich ein, bis ich
Em letzten Stock war. Ich wurde in einen Korridor hinemgestossen,
ich und meine Frau museten dureb ein Spalier von SA-Leuten, die
sich mit Schlagen auf uns sttirzten. Ich wurde dann in ein besonderes
Zimmer gebracht, Ich erklarte, dass es sich bestimmt um ein Miss-
veretandnis handelt und bat, Aufklarung geben zu konnen.*
Der Gefangene, der seit 7 Jahren an Berliner Krankenhau-
sem tatig und zuletzt leitender Arzt einer Fachabteilung im
Stadtischen Krankenhaus in Neukolln war, erfuhr erst nach lan-
gerem Verhor, dass er unter der unsinnigen Anklage stand,
Reichspropaganclaleiter der Kommunisten gewesen zu sem. Seme
Unschuldsbeteuerungen wurden mit Misshandlungen beantwortet.
Er berichtet weiter:
cSie stolen sich auf mi* mit bestialischer Wut, mit ^** fl £
Kopf, sie spraagen auf T.sche uud StuWe. und f£f™ verstumra .
voe oben. Blut iiberstr6mte mem Oesi*t, nu " ' Pfeifea lm Un-
teo bald. Einige Schlage mit eira E.sen f^^Jn
ken Ohr, ich taumelte und bracb bewusfitlos zusamraen.
206
Anitliche
Bestatig-ungcn des Tcrro rs
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Hctliinff-ml dn Sl*iJI B. --. - ^
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■htf M>j1«0MMlBHf,
— ■M3S£e£^ £ssg ^_jr r f.
.Hi..
D»c AffesfcantfeJten Ziaben die
Kosten filr die Hiilfelehtung
* € * Rettungsamtes selbst zu
tragen.
207
Der Misshandelte erzahlt dann weiter, dass er bald in einen
lebensgeiahrlichen Zustand kam, und dass man sich gezwungen
sah, ihm auch arztliche Hilfe angedeihen zu lassen. Trotzdem er
mit einem plotzlichen Versagen des Korpers jeden Augenblick
rechnen musstc, hat er die geistige Kraft behalten, die Vorgange
urn ihn herum genau zu beobachten. Wir geben im Auszug einige
der wichtigsten Schilderungen:
elm Zimmer sasseu junge Menschen, mit blassen Gesichteru, manche
hatten Kopfverbaade. Sie warteten auf das Verhor. Oefters kamen
SA-Leute herein und verlangten, dass alle Haftlinge sofort aufepran-
gen und sie mit cHeil Hitler* begriissten. Die dieser Aufforderung zu
langsam nachkamen, wurden unter Peitschenhieben gezwungen, auf-
zustehen und 9ich wieder hinzusetzen. Dies wurde 10 bia 15 mal in
immer schnellerera Tempo wiederholt.
Es kamen SA-Leute und holten aus den Schreibtischschubladen Re-
volver und Munition. Die Schubladen waren voll Revolvern, und
jeder suchte sich einen nach Belieben aus. Andere kamen und such-
ten die Eintragungsliste fur Freiwillige nach Oest&rreich (!)
Ein Mann der einige Tage vorher einen SA-Mann beleidigt hatte,
war aus dem Belt geholt worden und in dieser Nacht verhaftet war-
den. Eine Frau, die einem, der von den Kommunisten zu den Nazis
iibergegangen war, Gesinnungslosigkeit vorgeworfen hatte,, war in ih-
rer Wohnung verhaftet und hierher geschleppt worden.
Plotzlich rief man aus: cPieck und Ullstein sind verhaftet undwerden
hierhergebracht!* Die SA-Leute kamen in eine Wutextaee. Sie
schwangen die Gummikniippel in der Luft herum. <Sie mdgen nur
kommen!> Man meldete, der Ar beater Schulze ware gekommen. Alle
SA-Leute gingen aus dera Zimmer. Eine Viertelstunde lang horte
man sie auf dem Korridor wtiten. Dann wurde ein kleiner, ungefahr
30jahriger Arbeiter durch die Tiir hereingestossen. Sein rechtes Auge
war voll Blut. Bei dem VerhSr gab er zu, Mitglied der <Roten
Hilfe> zu sein. Man beschuldigte ihn, bei der Ermordung eines SA-
Mannes betoiligt gewesen zu sein. Er bestritt dies'. Er sagte, er ware
wegen dieser Verdachtigung schon in der Untersuchungshaft geweaen
und freigelassen worden. Es wurde mit Hundepeitschen geschlagen,
und es wurde ihm befohlen, jede an ihn gestellte Frage mit c.Tawohb
zu beantworten. Man schlug so lange auf ihn ein, bis er cJawohb
sagte. <Bi-st Du der Mdrder, Du Schuft?> <Nein> erwiderte der Ar-
beiter. <Nein?> Man schlug noch heftiger. Das ganze Geeicht war
schon blutiiberstromt. Er wischte das Gesicht mit dem Aermsl ab.
<Eben hast Du es zugegeben!* Antwort: <Dies war erzwungen.* Sie
schlugen ihn wieder. Er wurde gefragt, wieviel Kinder er in die Wolf
gesetzt habe und mit wieviel Frauen er geschlafen habe. Ob alle Kin.
der aolche Tdioten waren wie er.
Dann wurde er in die Kiiche geschickt, urn kurz gesehoren zu werden,
Als er wiederkam, wurde er "einem 80jahrigen gebrechlichen Herrn,
Pastor aus Lichterfelde, gegeniibergestellt. Der weisshaarige aite Herr
208
sollte ihm die Hand reichon und ihn mil tauten Tag, Genossel* be-
griissen. Der Alte reichto ihm seine Hand und sagte: cich driicke
Ihre Hand, Sie sind ein leidender Measch,> Alia lachten. cSo, Du
begriisst einen Mdrder!* Der A.U Q erwiderte: <Und wenn, sogar, er
[g| ein geplagter Mensch, und Ihr seid die Verkorperung der Gewait,
und sie iat nicht ewig. Meine Ueberzeugung kdnnen Sie nicht mit
Gumnukntippel uustreiben, Sie sind national und ich bin internatio-
nal.* Dieses rautige Benehnten dee Greises schilchterte einige der
Peiniger ein. Als sich doch welche auf ihn stttrzten, wurden sie von
ancern daran gehindert.»
Welche Qualen inzwischen die Frau des Arztes ausgestan-
den hat, erhellt aus der Fortsetzung des Berichtes:
<tfaeh MitternachL wurde ich durch mehrere Hande in das Verneh-
mungszimmer geschleppt. Dort traf ich meine Frau, blase wie ein
Gespenst. Sie flusterte mir in ihrer Muttersprache zu: <Ich kann es
nicht mehr aushaJten. Ich werde mich aus dem Fenster sturzen! Ich
kann nicht mehr! Man will Dich zum Tschekaspion abstempelu und
erechiessenl* <Mach nur keine Dummheiten, nimm Dich zusammenl*
Dieser Wortwechsel loste ein Wulgescbrei bei dem verhorenden SA
Mann aus, der Bicb vor Mudigkeit (Betrunkenheit?) kaum aufrecht
halten konnte. Meine Frau wurde hinausgefiihrt.
Mein Zuetand wurde schhmrner, und ich verlangte nach einem Arzl.
Ich wurde in das Zimnier des Steffelfuhrers gebracht. Auf Verlangen
meiner Frau wurde ihr gestattet, mir loffelweise Getranke einzu-
geben.>
Trotz des kritischen Zustandes des Misshandelten, gab die
SA-Abteilung ihre Absicht nicht auf, dem Arzt die GestSndnissc
zu erpressen, die sie haben wollla Man schickte ihni einen bul-
garisch sprechenden Spitzei, der ihn zum Reden bnngen sollte.
Der Spitzcl war genau im Bilde, wie er sich in der haserne ne-
nehmen durfte. Der Arzt schreibt daruber:
<Er zog den Revolver heraus und rief: cDrei Kugelu, eine in die
Mm, eine in den Mund, eine in den Bauch und S^J^^^^^;
Misthaufen.* Ich lag stumm und regungslos. . . ^ oh ^ff h fZ
Fauste und schlug mir in 3 Gesicht: cln ein P^.^^ te ; p f s fJ b e
Ihnen zu Ende. Hier am Fensterbrett werde ich D«h tangen. So babe
ich in Kiew gehangt. Nur einige Minuten noch wenn ,ch aus d
Zimmer heraus bin! 1st es zu .pat- Sagst ^ f «ier nicht! Du
der Schuft! Was tut die Tscheka, was treibt die u.r.u.
Ich lag regungslos, mil voller Wucht vereetzte er mir einen
tritt in den Bauch. Ich verlor die Besinnung.>
ai Wir bringen in unserm tel ft fffCfgASS
die uns der misshandelte Arzl als Beweis fur jene acuro
railgebracht hal.
Sie locken cincn Arzt in den Hinterhalt
Wir cntnehmen der Snarbriicker «Arbeilerzeilung» vom
14. 4. folgenden Bericht:
<Am 17. Marz fand eiae der regelmassigen Zusammenkunfte der Me-
dizinischen Geeellschaft (Berlin) statt. Nach dem Vortrag bat der
erste Vorsitzende, Professor Goldscheider, Leiter der Univereitats-
khmk, em Mann von 70 Jahren, die Kollegen, noch einige Minutcn zu
bleiben, well er ihnen einen besonders interessanten Fall vorzuiiihren
habe. Daraul' wurde ein vollxg verbuudener Patient hereingerufen,
und Professor Goldscheider erklarte: «Meine Herren, dieser Patient
ist unser Koilege Dr. Lust. Vorgestern wurde er abends telephonisch
zu einem Patienten nach Lichterfelde gerufen. Ala er hinfeam,
wurde er von SA empfangen und so furchterlich zugerlchtet^ Bei
diesen Worten entstand eine ungeheure Erregung in der Versamm-
kmg. Der weltbekannte deutschnationale Professor Sauerbruch sprang
spontan auf und erklarte sich bereit, das Opfer der SA in seine
Klinik zu nehmen. Infolge dieses Erlebnisses verbreitete sick in
grossen Schichten der Berliner Aerztesehaft eine Panik, denn viele
fiirchten, daes, wenn sie zu Patienten gerufen werden, ihnen ein ahn-
liches grauenvolle* Schicksal bereitet werden konnto
Eine funfzigj ahrigc Fran wir<l gepeitsclit
(Zeugenbericht — Photodokument.)
In der Nachl vom Montag, dem 20. Marz zum Dienstag, dem
21. Marz, wurde die sozialdemokratische Stadtratin Marie Jan-
kowski (Bergmannstr. 18, Berlin-Kopenick) in ihrer Wohnung
uberfallen. Ein Auto der Wascherei Miethke, (Kopenick, Karl-
strasse) hielt vor dem Hause. Zwanzig SA-Leute sprangen ab
und erbrachen die Haustiir, besetzten^ Hausflur 'und Treppe.
Sechs Mann drangen mit vorgchaltenem Revolver in die Woh-
nung ein. Frau Jankowski wurde zusammen mit zwei kommu-
nistischen Funktioniiren, die bereits im Auto festgehalten wur-
den, zum Verkehrslokal der Kopenicker SA (Elisabethstrasse 29)
gebracht.
In einem Schuppen auf dem Hof wurde sie gezwungen, sich
nackt auszuziehen, und auf eine Holzpritsche gelegt, die mit
einea schwarz-rot-goldenen Fahne bcdeckt war. Vier Mann hiel-
ten sie fest, einer druckte ihr Gesicht in ein Biindel alter Lum-
pen. Zwei Stunden lang wurde die 50jiihrige Frau erbarmungs-
los mit Kniippeln, Stahlruten und Peitschen gepriigelt.
Nach der Torlur wurde Frau Jankowski auf die Strasse ge-
sctzt. Urn fiinf Uhr friih fanden sie Passanten und brachtcn sie
210
Taxe nach Hause. Die Aerzte stellten fest, dass Lebens-
in ciner up S tand. Eine Nierc war abgeschlagen worden. Buch-
^'U^.h keine einzige Stelle am Korper war heil geblieben.
Antoniusspital in Karlshorst gab Frau Jankowski fol-
gendelussagen zu Protokoll:
Wahrend ich geschlagen wurde, befahl man mir immer wie-
Adressen und Namen von Arbeitern anzugeben. Ich musste
^ P rben der Republik aufzahlen und fur Schwarz-Rot-Gold
d 'm iHi Schwarz-Rot-Scheisse sagen. Es wurden mir Fragen
S ° i lit wic Hast Du Geld vom WoKlfahrtsamt bekommen?
ufJ DU Kommunisten aufgenommen und gefuttert? Hast Du
SSiiihe van Arbeitslosen gestohlen? Hast Du eine Boykotthste
Nazigeechaften vorbereitet? Jedevsmal wenn ich verneinte,
erhielt ich eine Tracht Schlage. Wenn ich schrie, driickte der
fiinfte der Peiniger mein Gesicht in die Lumpen.
Nachdem ich mindestens hundert Schlage erhalten hatte,
fiel ich von der Pritsche herunter. Ich wurde wieder hochgeris-
sen und so heftig ins Gesicht geschlagen, dass ich in eine Eoke
Stiirzte. Dabei wurde mein Knie verlctzt. Dann musste ich zu-
sammen mit den beiden kommunistischen Arbeitern, die eben-
falls gefoltert wurden, singen: c Deutachlaad, Deutschland iiber
Alles ».
Ich wurde gezwungen, eine Erklarung zu unterschreiben,
dass ich aus der SPD austreten, dass ich niemals mehr palitisch
tatig sein und mich jeden Donnerstag bei der Nazi-Befehlsstelle
melden wilrde. Darauf trat ein Wechsel in meiner Behandlung
ein. Ich erhielt ein Glas Wasslr. Meine Kleider wurden ausge-
biirstet und zuriickgegeben. Der Sturmfuhrer befahl einem SA-
Mann, « die Dame hinauszuiuhren ». Der Mann stiitzte mich, als
ich zu fallen drohte und schloss die Tiir hinter mir mit einem
hoflichen « Guten Abend »,
Der Gatte erstattete Anzeige bei der Polizei, erhielt aber die
Auskunft, das die Polizei machtlos sei,
Was hat die jungen Burschen zu der unmenschlichen Grau-
samkeit veranlasst, die hier in Bild und Protokoll festgehalten Est?
Sie marlerten eine Frau, die seit Jahren an verantwortlicher
Stelle Not gelindert hatte, die dem Alter nach ihre Mutter sein
konnte. Man sage nicht, dass es sich um einen privaten Racheakt
handelte. Die Burschen schlugen die nackte Frau ja nicht nur,
sie fragten nach Adrcssen der SPD. Sie handelten im Auftrag
der SA-Ffihrung, Die rTuhrung hat das Verbrechen nicht nur ge-
Mckt, sir hat sogar, als der Fall im Ausland bekanni wurde, gegen
211
die lodkratike Frau, die ihr Leben \ana an ri n „ x? i
leiden wird, ein Verfahren wegen *V erh ~?, gC " dGf Folter
meldungem angestrengt. S "Verbre.tung von Greuel-
Nervenarzt nach Misskandlnngen rtes Landes verwiesen
halten. In den zwei Tagen wurde er mehreren Ve r h6re n nnter"
worfen und immer wieder mit Stahlruten und HundepeTschen Z'
schlagen D.e Spuren der Misshandlungen und eineXch Pe ?t"
schenhxebe verursachte Augenverletzung sind nach der EnUassung
Dr. Fraenkels einwandfrei festgestellt worden. Dr. Fraenkel ll
am Donncrstag dem 23. Marz, enllassen worden, nachdemeV fS
s ch und seine Frau einen Revers unterzeichnet hatte, durch den
lassen Verpfllchtete " D eutschland scfort und fur immer zu \ er -
Dr. Fraenkel, der diesem crpressten Zugestandnis nachkam
und nun in der Emigration lebt, berichte. u. t iiber S e vStaS
m der Naz.kaserne foJgende Details: vor ange
<Wahrend meines Aufenthaltes sind in dem Raum, in (km icb mich
befand, ungefahr 15 junge Arbeiter eingeliefert worden. Ich bezeu-
ge dass d.ese jungen Arbeiter auf die grauenvollste Weise misshan-
delt worden smd. Als Arzt kann ich die Ansicht vertreten dasjs
mmdestens 8 von ihnen schon ihren Verletzungen in der General-
Papestrasse erlegen sein miissen. Die Arbeiter aind, nachdem man
sie gebunden und mit brennenden Zigaretten in die Fussohlen ge-
brannt hat, von den SA-Leuten noch stundenlang grausam gefoltert
worden. Gleichzeitig mit mir war ein Dr. Pbilippsthal aue Berlln-
Biesdorf eingeliefert worden. Dieser Kollege wurde sehwer verwun-
det. Teh hege sebwerste Bedenken am Aufkommen dieses Arztes,> (Dr
Philippsthal wurde am 23. 3. nach dem Urbankrankenhaus iiber-
tuhrt und ist dort tatsachlich gestorben.)
Reichsbannerleute und Funktionare
in der Folterkammer
In den Dementis der Naziregjerung wird immer wieder der
Versuch gemacht, die Exzesse in den SA-Kasernen als Willkiir-
akte einzelner SA-Leute darzustellen, Wir bringen hier mehrere
Berichte aus der Stadt Kassel, aus denen einwandfrei hervorgeht,
in wie engem Zusammenhang die Misshandlungen mit der offi-
212
rielien FJrung der SA ortolan. Man hai sich nichl vie] M&he
"geben, Verhor und Misshandlung, die in verschiedenen Htamn
JJ g I e i c h c a II a us e s stattfandcn, vo a einander itaffX
H&ufig to! man dass _ die Verhafteten nach einem aus
D ahmswcise gehnden Verhor .enllassen. wu. den, darm aber be
reils auf der Treppe von der SA jr .NachbehandK SJwE
un d in den Keller geschleppl wurden. * wgruien
Der Rcichsbannerluhrer Hans Quer gibt zu Protokol]-
cAm N- 3 88, kurz nach J Uhr von 4 SA-Leuen und einem Zivilisten
auts Dienstzimwer 51 aufs Rathaus geholt. <Herr Quer Sie mussen
mitkODunen.* Am Ilandgelenk von zwei Leuten festgehalten Fiei
treppe Iimuntergefiihrt. Voa mehreren SA-Leuten, die obea auf der
Treppe standen, wurde zum Publikum gerufen: <Jetzt koramt der
Reiehsbannergeneral Quer!> In die Burgersale gefiihrt. Namen des
einen begleitenden SA-Fuhrers: Dippel (Steinhager-Vertreter, zuletzt
am Wohlfahrtsamt besehaftigt, linterschlagung begangen e'ntlassen
und zu 4 Monatcn Gefangnis verurteilt). Von einem SA-Mann nach
Personalien gefragt, deegleichen nach Parteizugehorigkeit. Hierauf
Mitleilung, dass ich entluseen sei.
Auf dern Gang hielten rnich 2 SA-Leute an, dass ich noch nicht gehen
kfinne, Einer gfog IflB Zlmmer ZU dam SAMann, der die Personalien
noiiert hatte. Kam oacb fcurzer Zeil wieder, macbte eine Handbewe-
gung, die andeuten aollta, da* Ich in den Keller gebracht wiirde.
Dort wurde Ich von 10 bla 16 SA-Lenten in Bmpfang ^onommen, die
mlch aufforderten, sofort Mantel und Hut auazuziehen. Danach gewalt-
sam in einen duaklOQ Kelli uhrt. in dem eine Pritsche stand. Ein
SA-Mann ging mit aloer Taechenlaterne voraus uod leuchtete. Die
Lampe ging aus. Qewaltsam aber eine Pritsche geworfen und mit
Gumniikniippeln [q einer geradezu vtehiseben und bestialischen Weise
10 bis 15 Minuten mindestens gesdilagen. Als ich halbbewusstlos
von der Pritsche heruuterfiel, und bat, doch menschlicher mit mir
umzugehon, wurde mir hohnlachcnd geantwortet; und gleich darauf
setzten die Schlfige aoeb viel starker ein. Ala ich beim Verlaesen des
Kellers nieht rasch genug ging, wurde mir gesagt: <Sie haben noch
zu wenlg bekornnien, wenn Sie sich nicht beeilen, werden Sie noch
einmal zuruckgefuhrL*
Stadtsekretar Martin Meyer, 30 Jahre, Bottneretrasse 4.
wurde am 24. 3. von SA urn Ji1 L'hr. aus dem Volistrcckungsamt der
Stadt Raesel, wo er tatig ist, geholt und in die Burgersale in der
oboren Karlstrasse gobracht. Dort wurde er in einen dunklen Keller
gefUhrt, auf eine Pritsche gelegt und mit einer kurzen Unterbrechung
" ,w a K Stunde mit QumraiknOppeln geschlagen. Sdmero Schlfige auf
die Nase und auf das rechte Auge.
Raacbel Seppel, Qewerkschafteaekretfir, Kassel, ScMIeir. 14,
ntn 23. 8, 88 naohmlttaga & Uhr Bosammefl mit Oewerkaohalte-
fcretfir Gorke nu9 dem QeverkBCbaftehaus von 8 SA-Leuten angeb-
'•* turn VerhOr In die BOj lie gebolt Im grossen Seal feetgebal-
21
Dr. mad. Fr its Schwo ?* r Gfc*rlotio3barg,2 .April 1933
Rtuts an tl Ohr k*b nerr K u mir
und bat mich um Auastslluhg diese6 Ittestes.Dia torgala?t«
policsiliah* Anmsldung lautata au
B»funa:Dia ffeich**ils u« daa links Aug« sind stark
varscfcirol l«a und blutunterS.auf an^ luch Uber dam raohtsn Auga
und auf der 3tirns blutuntorlaujtsns 3tsll»n Auf dam bshaartan
Teil das Schtdals^-asondecs racbta , zahl re lone Bemlerj und blutig
*erschgrrts St%lltn*n« Unij» Ohrmtdahsl gsrotst und stark vsr-
■ehwollsn,an dar linksn linlssflts sbsnfallt Schrrtl lunger. i»d
Hautdsfckte.3si.de Oberarcs ^aaonder* der rschte , geschwollea
und blau und rot onterlaufsn-Die rschte Hand und Ja« Han3ge-
lank, vollstandig vsrschwoilen, besonder* schmerzhaft slnd das
Jlandgslsuk,.ier Handruoksa fce»ondsrs Id Serslch der 2, und J.
ttitt«lhandkr\ocbsn und du 3aaidengrund£«leAX3 und ClitteIff^C* ^ ""•
grundgolenks und dss KndgLisd* ds* 4. Fingers. Ob eins I^raktax
vorlisgt,bsdUrfts dsr Rontgsnurjt^rsuchunc.jLr. der linksn Rand
let dsr HandrUcksn gsschitllsn und schmsrzhaf t , bssondsrs der
2.:iiittslhandknochsn und das 0rundgslsrJc.3slde OaaasEbackea
und iar ebsrs Tsll bsid« Qbsrsch^nKsl s * nd rollkommsn rot and
tsilweims strlenig blutlA nit Hsutdsfsktsn untsrlaufertjSbsnso
3trismen en de>r 7orctsrssits d«s rschten Obsrschsnksls.Daa reac-
ts Fr.is zsigt llnke untax dar Fnisschsibs »ina nits Operations-
narbe # es 1 si stfirker als cias links und is* eehmorzhaft*
Of\me»ti 6chw6rs>r
Das Orinwnl civet ttrstlichen Atte$tes liber Folgen von Misshandlung,
214
teD . Schreie bus Unterraum gehdrt. Eine Stande gewartet. Von 8 Mann
in den dunklen Keller gefuhrt, iiber Tisch gelegt, in drei Abstiinden
von 6 Mann mit Gunimiknuppel geschlagen. In arztlicberBehandlung.
Zut Zeit noeh bettliigrig. Vermutlich Nierenverletzung. Blutiger Ur'tp
Rflcken, Ges2ss, Oberschenkel getroffen.
Ba 1 1 H e i ii r i c h, Kaufmann Kassel, Ludwigetrasse 2, im Laden
a ni 24. 3. 33 von 4 SA-Leuten gegen 3 Uhr verhaftet und nach den Bttr-
gc rsalen gebracht. Auf der Straese schon geschlagen worden. Mit
Erschiessen bedroht, falls Fluchtversueh. In den BiirgersMen raisshan-
delt. Auf entblosstem Korper (Hose heruntergezogen) % Stunde mit
Gummikntippel geschlagen worden. Seitdem bettlagrig im Landee-
krankenhaus in Kaseel.
Oer Geschaftefuhrer an der Ortskrankenkasse Kassel Chri-
stian Wittrock, Kassel, Luisenstrasse 20, in den 40er Jahren
wurde am 24. 3. 33 von zwei SA-Leuten aus seinem Biiro geholt. Ueber
die Rathausfreitreppe gefuhrt, dann dureh die Menschenmenge nin-
durch nach den Burgersalen in der oberen Karlstrasse. Dabei schon
getreten und geschlagen. In den Burgersalen wurden zuerst seine
Persocalien von SA aufgenommen und dann gesagt: cWittrock ist
entlassena. Er wurde dann, anscheinend, als wenn er entlassen wer-
den sollte, aus dem Saal gefuhrt, aber nicht aus dem Hause heraus.
aondern iiberraschend in einen dunklen Keller gebracht. dort auf
eine Pritsdie gelegt und mit Gummiknuppeln misshand'elt. Zwai
Schlage auf den Kopf, Blutergusse im Riicken, GesSsa und Oberschen-
keln. Kleidung besohmutzt, teilw c ise zerriseen, ebenfalLe Schuhe.
Dann nochmals in den Saal gebracht und dort ein zweitcs mal mise-
handelt. In Brztlfcber R^-handlung.
Auch Otfiziore vorfallen der Feme
In der zweiten Woche des Marz wird der Oberleutnant a. D. A n h alt,
jetzt ale Bezirksvermesser tatig, wohnhaft Berlin-Tempelhof, Germa-
niastrasse 12, von 3 SA-Leuten und einem Zivilisten in seiner Woh-
nung verhaftet. Er alarmiert sofort das Ueberfallkommando, das
auch erscheint, aber ein Eingreifen ablehnt. Die SA-Leute transpor-
tieren Anhalt zum Untergruppenkommando Ost, Hedemannstrasse.
Dort wurde er zueret von dem Zivilisten der Grappe geschlagen, weil
er gewagt hatte. das Ueberfallkommando anzurufen. Daraufhin wurde
er in einen Raum gefuhrt, wo bereits 12 bis 13 Mann auf Stroh la-
gen. Em SA^Mann. der den Naroen <Oberfabrer> hatte. nahm den
Oberleutnant in Empteng. Es wurde gar nicht mehr davon gespro-
cnen, dass Anhalt beschuldigt war, das Reichsbanner illegal in Wat-
en ausgebildet zu haben. <Oberfahrer> wusste nur. dase er einen
jruheren Offizier vor eich hatte. Er besanD mit 2 Helfershelfem die
'^ecotion und hielt nk-ht eher ein mit dem Prugeln, bie Anhalt das Blut
RUB Mund und Nase lief. Dann hob er den Scbwerverwundeten hocb
jmd zeigte ihn den stohnend am Boden liegenden anderen Gefanc
nen rnit den Worten: <Seht her. das Schwein iet Oberleutnant und
21.3
kann vor Angst nicht gerade stehen.> Da Anhall ihn U;
in dem C r *ich aufrichtete, ati esa ih n dl' *Tm ge " 9,raft ""
len. Er wiederholte das so langT Ms A„^n ' D " Kniekeh -
Eine neue Prttgelei folgte die a b J r nnrt Msamn ! e '«"»«te.
das Gefangenen in dem ,, ta L t " ^ dle Ha,tun *
Stroh zu den andern Gefangenen.
Nnr ein Nervenzusammenbrach
?H-ffc??- r - k * e ' kMn ^ Uhr inS Kas3eler Qewerkschaftshaus, von
3 Hilfcpolwurten angeredet. Nr. 1 sagte: <Das iat auch so ein Kerb.
Nr 2: cDen werden wir uns holen>. Nr. 3: <Dag ist Qerke void DM-
Verband>.
Urn i% Uhr Icamen 4 SALeute ins BUro. <Herr Gerke?> <Ja» cZiehen
Sie sich an, Sie miissen mit zum Verh6r.» Auf Frage ob Polizeiprasi
dent unterrichtot sei, Anfwort: c.Ta.> Mit 8 SA-Leuten durch Spohr-
strasse in die Bttrgersaie gebracht. Erst auf Wache geiiihrt, dann oben
im Saal nach Waffen durchsucht. Um M bis %6 Uhr wurde ich auf-
gerufen. Von 2 SA-Leuten die Treppe binuntergefiihrt in den Kel-
lergang, wo auf der rechten Seite mehrere Fahrrader standen. Darauf
Mantel und Hut ablegen. In 12 Stufen tiefen Keller gefuhrt. Im Kel-
ler Uber bereitstehenden Tisch geworfen. Kopf und Arme festgehal-
ten und 15 bis 20 Minuten mit Gummikntippel mtsshandelt. Empor-
gerissen sollte ich «Keil Hitler* rufen, was ich nicht vermochte. Haus-
arzt sofort angerufen, stellte heftige Blutergiiese uud Nervenzusam-
menbruch fest.
Abecbrift des Attestes.
Kasael, den 28. 3. 33
clch bescheinige hiermit, dass ich Herrn Otto Gerke, in Kassel, Yus-
sowstrasse behandele wegen grosser BIuterguase r die die Gegend bei-
der Arme, die Oberschenkel an der Hintereeite, die Kniekehlea und
auch noch die Unterschenkel hinten umfassen. Nach oben reichen die
Blutergusse bis in die Nierengegend. Ich behandele Herrn Gerke seit
dem 24. 3. 33. Er tst nicht in der Lage, seinen Dienst auszuiiben und
muss im Bett liegen. gez. Unterschrift.>
Hetzftlm statt Mittagessen
<Am Montag, den 3. April morgens um K- 7 Uhr, wurde ich von zwei
SS-Leuten verhaftet. Obscbon sich bei der Vernehniung herausstellte,
dass kein Grund zu meiner Verhaftung vorhanden war, wurde ich
mit zwei anderen Gefangenen in einen Eiakeller gebracht. Das war
ein Raum unter der Erde, etwa 3 m lang und 2 m breit. Es kamen
weder Luft noch Licht in dieses Loch. Wir erkannten uns nur, wenn
w!r ganz dicht voreinander standen und ung anfassen konnten. Wir
litten sehr bald unter Atemnot und versuchten uns durch Hinlegen
216
gin Blutzeuge fur
<;iviicliniirchoir
Der G r o s s r a b b i n e r
Jonas Frii n kel wur-
,le in Berlin von SA blu-
lig misshandelt. Es ge-
iang i Jim . mil seiner
Tochter nach Prag zu
entflielien. Die Aerzte
bezeiclmeten seine Ver-
angeu als lebenege-
lahi'lk'h.
;
y
^e Ihtlerregierung liess
duxch WTB erklaren,
- ein Grossrabbiner
1;i, ' k °l nirRends vor-
h '»'ulen sei>
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gcmrnti einrr Grcurlljefee.
Scrfin. 95. SJpiif (Solff.) £oS „$wgct SagMalt" oei&teifet
(jcutc cmt (^tf uclmcldung un& bctjauplcl, ocb $} 1 1 U n c i G) t o fi
Jiflbbincr 3 o n a S 2 i o n f r I [ei tieitle in ^Jrag cinsettojien
unb brndjle u&et id)cit|iid)e ©tcucl an 3ub*n in "EeuljdjIanD. So
bebaupict a u. a., et jei Don £$I-.fieulcn uberiallen unb urn 'J000
9imf. bcftoljlen roorben. 'Sit £3t -Sfulc gotten itjn unb [cine 2od).
Icr mil SRcDoIoern bebroljl, ibn niebtrgeidjlagjen unb [ajioei ocrlefct.
Gr babe in 'Hccfen gcbiifll in ein anbeiea Slabloicctcl gejajmuggcll
rocrben inufjen, unb ci fja.be fid) bann fo nad) iptag burdjgcftfjfa'
gen. Gr leibe nod) jc&l an ©lrid)Ben>id)l3florungen unb on cincr
li>ef)itner[d)ullctunii. Gr Ijabt bie iUbpd)!, nad) ^laflino lottlcyU'
teijen unb nefjme ubuall Die $ilfe &ct jubtje^en J& ilffiTomUeca in
2injptuefj.
SCie baflu Don a u ft d n b i g e r j u b i i a) e r © t e r f c in Berlin
fcfteQcfUOi rcirb, pjibt c3 in Berlin ubec^aupt fclncn &ro&-
WafibinerGin ttabbinei obec anb<r«E jubtfaVr ©eifLlic&er namenS
gtanTc! obec aljnlidjcn ftamene ifi nirgcnbS Doitjanb.-n. tf*
bonbell fiaj alio rohrbec etnmal am cine bet uDIictjcn ©reuelmel*
bungen cms qhag. betcn Oueflen {XC5:S. aujotfle) im aUgemeincn
beutidft mfltjiftiic&e JBmfe |m&-
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&
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3-
©
to
lie
9
f.Kr
£)er ^cidigprofideiit
Berlin, den 7.0ktober 1932.
PUr die mir finlHClich noinsa 85. Coburte
tages Ubermlttalten freund lichen GlUcfcminsehe apreche lch
roelnen hersllcbeo Dank nug.
Zwei Briefe des Reichs-
pr&sidenten von Hinden.
burg an den Grossrabbi-
ner Jonas Frllnkel, von
tlem das amlliche WTR
behauplet, er sei cnichl
vnrliauden>.
Berrri
GroDrabbincr f* r D n k e t ,
Sec 3}ou^prafiDeni
Berlin, den 5.Januar 1933
Hersllchen Danlc ftir die mir zum Jahres-
vrechsel ubermittelten Glttctortinsche, die ich bestens
erwidere-
Mlt freundlichen GruBf
Herrn
Gross-Babbiner Jones ? r a n k e 1
Berlin C-
Unten: I*. le der Vorderseite ei-
MaliiiliriclYs vom Rettangsaml
an Grosarabbiner Frankel zur
Maik liir erste Hilfe-
Rettuugsamf hal dem
wei M id el ten die wste HiUe
MS?
ljM(16w3KtiR»SB5 i
3- . /
tow
(L^JC_-
ni
z u erholen. Die einzige Lagermdglichkeit war em altes Feldbett, ohne
Decke und Matratze. Ein paar Kartoffelsacke lagen herum, die wir
a l & Decken verweadeten. Ee gab kein Trinkwasser, und auch Waech-
w a?&er verweigertc man uqs. Die Mahlzeiten *varen eine Qual und
das Essen war imraer kalt
Bluer der Mitgefangenen, ein Jude, hatte bei der Vernehmung den
Befehl erhalten, jeden SA-Mann, der in den Keller kara, bei seiner
Eintritt mit deal Kuf zu begriiesen: <Ich will nach Palastinal* Mir
Int. er selir leid, well ich an seiner Stimine merkte, wie echwer ihm
diese Demiitigung wurde.
Donnerstag, nachts ura J^12 Uhr, wurden wis endlich aus dem Keller
eptlassen und in einen Scnulsaal gebracht. Am Freitag schien es, als
sollten wir die Freiheit wieder bekommen. Aber man macule eich
uur ein Schauspiel mit una. Die faechistische Bevolkerung der Um-
aegeud war augenscheinlick von den SA-Leuten alarmiert worden.
lis wir in die Autos verladen wurden, slanden sie Kopf an Kopf vor
der Schule und empfingen uns mit hohnischen Rufen. Sie mussten
«ehen, dass es une alien nicht beeonders gut ging, aber sie amusier-
ten sich mit unserm Elend. Zu unserin Erstaunen wurden wir id ein
Kino gefahren. Der Film, den man uns zeigte, hiess: cBlutendes
Deutscliland.> Dae war eine einzige Hetze gegen Frankreich. Auch
die Erschiessung Schlageters kara darin vor. Einer der amvesenden
Nazis fing an, eine Rede zu halten. Er hat eich eingebildet, uns uber-
zeugen zu kunnen. Aber uns hat vielmehr die Tateacbe uberzeugt,
dass wir an diesem Tage nicht einmal ein Mittagessen bekamen.
Freitag nacht um 12 Uhr, wurde ich plotzlich von 2 SA-Leuten wie-
der eeholt und auf die Wache geiahren. Ich konnte auch dort ihre
Fragen nicht zu ihrer Zufriedenheit beantworten. Der Pohzeikom-
missar gab Befehl, raicb wieder fortzubringen. Nach einer Stunde
holten mich zwei SS-Leute ab, aber es ging nicht wieder ins Haitlo-
kal zuruck, sondern sie fuhren mich in den Wald Auf einmal
stoppte das Auto. Ich wurde herausgerissen und auf den Boden ge-
worfen dann fraeten sie: <Wo sind die Waffen?. Ich sagte: <Ich
ins Gras gedriickt. Ich roch die feuchte Erde, hatte Sand in den Zah
nen, und auf meinem Rucken knaLlten die Gummiknuppel. Das
Schrecklichste war, dass ich jeden Augenblick dachte, pU kwunt
der letzte Schlag. . . -vyo
Nach einer Write lieMen sie nach und von neuem hie s^ es. <W°
sind die Waflen?, Ich wollte sie schon ana prmgen, ™' °nr P tote
Lich alles egal war, aber da drehten sie s.ch w,eder he™, undtfte
merkte ich. dass sie sich schon mude g^ 1 *^ *^ n . epreS st
Lug, die Faust los, die meinen Hinterkopf an den B den ep ^
halte, ein furchtbarer Schlag traf meinen Schadel, und icn
Besinnung. . scbleppte mich nach
Als ich wieder auiwaehte,waren sie weg. Ic& sc ugg sieh
Eause. Ich liess einen Arzt holen. Er war aber so tag,
weigerte, ein Attest auszustellen.
217
I* is j a auch alles Schwindel, was sie da m. *i
sprechen, auch mil ihren Sonderkomm.nrf * ^^^Mnahme ver-
Augen etreuen. Id, habe dae Grau ' *", ° Leu,en San d in die
audern Freigelassenen sprach der ZJl *T' * h ich dann **«»
vers unterschreiben musS en das, P ? „•£* te ' er hatte emen Re.
Kaum hatte er unterschrieben ale m ?' 1 miS8 ^ andel t worden sei.
dun dabei hohnisch zurief- «]*, uT aufe Neue 8chlu g und
dasa Dir niehts passiert ist.> ^ ** ga Deine Unterschrift,
Auch Kriegsbescliadig-te verfallen der Falter !
Gebaude, hinderten die AngestellteT aT^S, I beset ? ten das
alle Betriebsratsmitglieder S &to ^ff^sT^J
Die Leitung der Bewag versuchte mehrere Stunden vert'S T
SSdiTp ? nSChrel r " J. 8 ™** Erst am'nLSn ^ £
Jang die Freilassung durch direkte Verhandlungen mit den N
:TlT a '; sl 7 ? ie 13 - Arbe ^ er erzahien ' dass s^ 2™-
gen hat, stundenlang in mihtarischer Formation herumzumar-
schieren und immer wieder das «Deutschlandlied>. zu singen
Understand wurde mit vorgehaltenem Revolver gebrochen. Die"
lortur wurde von alien urn so unmenschlicher gefunden, als unter
den Arbeitern zwei Schwerkriegsbeschadigte waren, die spater
vor Erschopfung zusammenbrachen. Wie bei alien Freilassuneen
mussten auch diese Arbeiter Reverse unterschreiben, dass sie
einwandfrei behandclt worden seien.
Ein 24jahriger Arbeiter aus Berlin (Name im Archiv) wurde
am Montag, den 27. Marz, spat abends von S A abgeholt und nach der
Hedemannstrasse gebracht. Er wurde dort bis Mittwoch gefangen-
gehalten und mehrmals mit der Reitpeitsche geprugelt, weil er
sich weigerte. Namen von politischen Freunden anzugeben.
Gleichzeitig mil ihm verschleppten die Nazis seinen schwer-
kriegsbeschadigten Vater. Der Sohn musste zusehen,
wie der alte Mann ebenfalls mit Peitschen geschlagen wurde. Aus
den Attesten entnehmen wir, dass beide Gesichtswunden hatten,
die Nasen verschwollen waren und Nacken und Gesass fiber und
fiber mit Striemen bedeckt waren.
Er muss sein eigenes Blut auflecken
In der Brotfabrik Wittier Berlin-Norden tat in einem Ge-
sprach der 2ljrihrige Mitfahrer Ziegler am 24. Marz 1933 in der
Fabrikkantine eine antifaschistische Aeussenmg. Der SA-Mann
Muller, der auch bei Wittier arbeitet. erfuhr diese Aeusserun^
mobilisierte die SS-Staffel aus der Gentherstrasse. Diese Iauerte
21 fi
.1
do
Ziogler aufi I * I <*l t Ihrn sofort die Pistole vor die Bmsl um
d° 111 ..'jinn, bei Fluchtversueh scharf zu schiessen. Ziegler wurd
f°n yon den SS^Leuten verschleppt Was mil ihm weiter ge
c!:, , l !'i I erzahlte hfihniscb triumphierend ein SS-Mann: «Der hat
it seined eigencn Koppel so lange gekriegt, bis .las Koppel ent-
"Jj*. ging, (Imiim ha t er sei n in u t aufgelec kt Dann haben
• r ihm die Zun-ge mil der Blirste wieder sauber gemacht, und der
eiflffelfQhrer hat ihm gesagt; *Du Aas befindest Dich jetzl aui*
Hitlers Boden, und der wird Dir auch noch heilig werden.»
Kin wakrer Arier lernl das Dritte Reich kennen
Wie wir an andeni Sudlc schon berichtel haben, wurde iq
ler letzten Aprilwoche der Neffe des indischen Dichters Rabin -
dranatb Tagore unter dem Verdacht, ein Attentat auf Hitler ge-
nlant zu IimIhti, in Siiddeutschland verhaftet l>i< i Schilderung,
die er von dem GetYmgnis des sDritten Reiches» gibt, darf wohl
den Anspruch erheben, so unparteiisch zu sein, wie keine andere.
Tagore musste, nachdem er Erniedrigungen und Misshandlungen
einige Tage erduldet hatte, freigelassen werden. Er berichtet:
<Der Ranm, Ln den i»'l> kam, lag tief, war Haster und ohne Lull
Zweinndzwanzig Qefangene waren dort beryls I'in^ekcrkert, durch-
weg Mitglieder der Linkaparteien, iu dor Mehrzahl Konnnuniston.
Viele von Ihnen waren Bchon mehr ala einen Mount hier und noch
K,in einzigeemal veratomman worden, Von Zeit zu Zeit wurde
eiiHT gerufen and &ua dei Zelle gefQbrt
Man luirlo » i Mchtitternde* Qaheul, and d;mn WUrde unser Gefilhrte
wieder zu una herein gaatoeaen, Wimmerni /.ci^to er die Spuren der
Bruta'Mtea, deren Opfer er geworden war,
Bin komnroniatiflcher Roloh abgeordneter reigte mir Miesbnnd-
iuagaapurrn und p*gt« plafaeh da*u« iSebeo SU\ d«w r*nai man oa-
Uenule di>uwbf> Kultur>, Am Tage aacb melner Verhaftung wurde
eln lunger Mann namena Rahm hinauagerufen und kara mil aufgeris-
aenen im a blutigan Schenkeln zurttck. Die SA-Leute batten Ihn msi
Stahlruten geprttgelt, weil er alch geweigerl hatte, gegaa aeineGenoa.
sen eine toleche Zeugeaauasage abzugeben. Auf das stinkonde Stroh,
•las una ale Lager diente, batten wir una unter groaaen Schwierig-
keiten hingelegt, aber er konnte ea oiebt, weil Ihn die Wunden, die
b!<* liber seiner) RUcken hinzogen, daran binderten. Dienatag fcub
morgans wurde In unaere Zelle ein Mann geworfen, der Bich kauna
aul den Beiaen halten konnte; er trug einen ^rnii der ^tnz ver
Bchwollen war, Ln einer Binde, und aein Qesicht war Mutig, Er hote
Puhlar und tel Qewerkachaftafunktionttr, SA-Loute waron m das
Ga-werkBohanshaus elngedrungen, und ala Fabler Ihxer Auiiordoni..::
ler Waffen aichi entaprach, warfen aie Bicft aui um.
brachen ihm deo Arm, bobrten Ihm elneo Stook in die Softe, Pisaon
ilnn die Wange bis knapp unter dem Auge auf, schlugen fon zu
Boden und nii6«handelten lhn mit Fusatritten
In der Nacht war es unmoglich, ei n Auge zu schliessen: das Ge-
fangms tcinte wieder von den Schreien der Gefangenen und dem
Gesang und dem Gelachter unserer Peiniger. In der Nacbbarzelle
schne em Geiangener unablassig nacb seiner Mutter Nicht selten
drangen SA-Leute in die Zellen ein, um ihre brutalen Wunsche zu
beinedigen.
Die Nahrung, die man uns gab, war wohl ausreichend, aber schlecht
IcL lag in dieser Holle abgeschiedea von der Welt, ohne zu wissen,
wessen ich beschuldigt wurde, Gefangener fur unbestimmte Zeit in
diesera Kerker ernes fremden Landes, in den Handen unbekannter
furchterlicher Feinde.>
Dokumente, die nicht einmal Gobbels dementieren kann
Der vollig unpolitische Filmjournalist Kurt Haas wird am
28. Februar nachls in seiner Wohnung von Zivilisten verhaftet.
Er weigert sich, den Leuten zu folgen, die ausser einem SA-Aus-
weis, kein amtliches Papier vorzeigen konnen. Man droht ihm
mit sofortiger Erschiessung, man knebelt ihn und verpriigelt ihn
in seineni Bett, fesselt ihn und verschleppt den schon Schwerver-
vvundeten in einern Auto. Eine Schupowache, die der emporte
Chauffeur unterwegs plotzlich anruft, rettet Haas. Er wird im
Staatskrankenhaus verbunden und freigelassen. Ein bedauerlicher
«Jrrtum»?
Bis hierhin hat der Fall nichts besonderes an sich. Haas be-
schwert sich beim Innenministerium, und nun gewinnt sein Fall
eine besondere Bedeutung. Obwohl die verhaftende SA in keiner
Weise nachweisen konnte, dass sie im aintlichen Auftrag handelte,
wird sie nachtraglich vom Ministerium vollig gedeckt. Wir ver-
offentlichen die Antwort des Goering-Ministeriums im Wortlaut:
*Der Preussische Minister des Innern
SA-Verbindungsfufarer Brb. Nr. 29/33.
Berlin, den 13. Marz 1933
Herrn Curt Haas
Ber 1 in- Wi linersdor f
Ihr an den Herrn Minister des Innern gerichtetes Schreiben vom
4. 3. 1933 ist mir zustandigkeitshalber zur weiteren Bearbeitung und
Veranlassung iibergeben worden.
Ich habe feetgestellt, dass die in ihrem Schreiben gemachten Angaben
vielmehr in wesentlichen Punkten unzutreffend uod entstellt sind.
Die SA war durchaus berechtigt und hat weiaungsgemass gehandeit,
Sie in Schutzhaft zu nehmen. Sie haben nach den von mir angesteli-
ten Ermittlungen. nachdem sich die SA, xvie Sie selber zugeben ate
sokhe auage^iesen hatte. auch suidcM den VerhSltnissen entspr*-
220
cbend sicb benonimeo. Nachdera Sie sich auf Aurforderung der SA
angekleidet hatten, haben Sie aber dadurch, dass Sie auf die SA-Ao-
gehorigen plfitzlich unter lautem Toben und Schreien aelbst einzu-
schlogen begonnen hatten, und dass Sie einen SA-Mann derartig in
den Finger bisaen, dass die Verletzung noch heute nicbt geheilt ist,
ea selbst verschuldet, dass Ihr Widerstand zwaugaweise gebrochen
werden musste. Nach memen Feststellungen ist das Mass dee ange-
wandteu Zwanges nleht hoher geweeen, ale es zur Breehung Ihrea
Widerstandes erforderlich war.
Ich babe keinerlei Veranlasauag, gegen die beteiligten SA-FUhrer
und SA-Manner irgend etwaa zu unternehmen, muss vielmehr dem
ve r»etzten SA-Mann ee vorbehalten, seineraeits gegen Sie vorzugehea
gerrn Krimiualrat Heller, auf den Sie sich berufen, habe ich Durch-
schlag dieses Scbreibens zur Kenntnianatame iibersandt.
Der SA-Verbindungsfuhrer
im Preussischen Ministerium des Innern
gez. Dr. Heyl, Sturm bannftthreo
Wor einem Morder in lelzter Todesangst die Zahne in die
Finder schlagt, hat sich schuldig gemacht und verdient neue Be-
strafung. Die Beschwerde eines Burgers beantvvorten Minister mit
drier Mordhetze. Hier spricht das neue Gesetzbuch des dritten
Reich s:
Wer von der SA. iiberfallen wurde, der soil wissen, dass er
vogelfrei ist.
Dieses Dokument durfte geschichtlichen Wert besitzen. Ks
ist ebensowenig zu widerlcgen, wie jene offizielle Meldung aus
Bielefeld, die im iibrigen zeigt, wie ungestraft man in Deutsch-
land von seinen Verbrechcn reden kann.
<Bieiefeld, 3. April 1933. Der sozialdemokratiflche Reichstagsab-
geordnete und Stadtrat Schreck wurde geetern verhaftet; er liegt
zur Zeit im Krankenhaus.t
Ein klassisches Zeugnis. Verhaflung ist identisch mit schwe-
rer Verletzung.
Da niitzt kein Dementi tuehr. Die Hitlerpolizei hat selbsl
ihre Anklagescfarift geschrieben.
221
Die Jndenverfolgnngen in Hitlerdeutschlaiid
«Eine der ersten Taten der neuen naiionalistischen Lande&-
regierung von ThiLringen war das Verbot des C. V. (Central-
Verein deutscher Staatsbiirger jtidischen Glaubens) fii r das
Landesgebiet Thttringen. Die Regierung gab dazu folgende Er-
klarung;
«Eines der Hauptziele des C. V. ist die Bekainpfung dee Anti-
semitismus. Da es in Deutschland keinen Antisemitismus gibt,
hat der C. V. keine Existenzberechtigung mehr. Er ist deshalb
mifc dem heutigeo Tage aufgel<Jst.>
Hier ist von Tatsachen die Rede: authentische Berichte und
Zeugnisse uher Folterungen, Misshandlungen, Entrechtung und
Aushungerung der in Deutschland lebenden Juden werden die
Grenze zwischen «Greuelnachrichten» und der schau-
erlichen Wrrklichkeit genau aufzeigen. Es wird sich heraus-
stellen, dass die sogenannten «Grcuelnachrichten» zwar im einen
oder im anderen Fall ungenau und ubertrieben waren, dass sie
indessen die wahren Brutalitaten eher zu schwach dargestelll
haben. Das will sagen: man hat beispielshalber von irgend einem
Herren Cohn berichtet, ihm seien die Haare einzeln aiisgerissen
worden. Es stellt sich heraus, dass dieser Herr Cohn unversehrt
langst im Ausland sitzt. Dafur aber ist es ein Herr Levy, dem
man nicht nur die Haare ausgerissen, sondern auch ein Auge
ausgeschlagen hat, so dass er todlich verwundet seit Wochen in
irgend einem Krankenhaus liegt. Irrtumer in der Person oder im
Ort der Handlung sind vorgekommen; aber fiir jeden Fall, der
sich als unrichtig oder iibertriebcn herausgestellt hat, gibt es
hundert Falle von Folterungen, Totschlag und Berauhung, die
noch gar nicht bekannt geworden sind, weil die Betroffenen un-
ter Todesdrohung daran verhindert werden, die Wahrheit iiber
die Verbrechen, die tagtaglich in Hitlerdeutschland geschehen,
auszusagen.
Der Bericht der Tatsachen kann sich in weitem Masse un-
abhangig machen von den Problemen der « J u d e n f r a g e». Die
Analyse der judischen Situation in Deutschland ist in vielen
Buchern und von vielen Gesichtspunkten aus zu geben versucht
worden. Wir grenzen den Problemkreis hier eng ein. Von den
unaufloslichen Zusammenhangen der Hitlerbewegung mit dem
Antisemitismus muss dennoch auf knappstem Raum zunachst ge-
sprochen werden.
222
I per Antiseniitismus
a 'ls eiue ©runuiage des Nationalsozialismus
Es ist ein altes Mittel der herrschenden Schichlen, die Un-
zufriedenheil der Massen mil einem Regime, unler dem sie ver-
elenden, von den wirklichen Ursachen abzulenken. Warum
diese Ablenkungsmanover durch viele Jahrhunderte, wahrend
dcs ganzen Mittelalters und dann wieder in der Neuzeit gerade
die Juden gclrpffen haben, ehemals als Religionsgemeinschaft,
_i_ ..nrnaVimlir.h nls «RaSSP.». kann Viipr nich» mU A™. .»,.« j:
|eit ist uns abgenommen worden durch die geniale Konzeption des
iun^en Marx: «Zur Judenfrage». Auf den grundlegenden Marx-
schen Erkenntnissen bauten spider zahlreiche "Werke iiber diese
Fraae auf, die sic in ihren gesellschafllichen Zusammenhangen
behandcllen.
Deshalb sehen wir heute das Kernproblem der Juden-
fra°e» nicht in einem ungeklarten Durcheinander der Komplexe
«Rasse, Nation, Volksgemeinschaft, Religionsgemeinschaft etc.»
sondern in ihrer Stellung als s o z i a 1 e F r a g e (in der rassische,
nationale und religiose Elemente mit umschlossen sind). Die
Analyse der Judenfrage ist untrennbar verquickt mit der Ana-
lyse der allgemeinen gesellschaftlichen Verhaltnisse.
Der ueudeutsclie Antiseniitismus
Der HiUerismus hat als eine charakteristische Form des Auf-
losungsprozesses des kleinen Burgertums im Zeitalter des ln-
dS-Kapitalismus seine Vorlaufer gehabt Der neudejitsche
Anusemilismus lasst sich mruckfuhren auf ^"2™^
Bewcuna die im letzten Viertel des vorigcn Jahrhunderts unter
der Sung des Hofpredigers AdoW S t 6 c k e r arfau^^e
Ursachen dieser Bewegung waren ^vxrtschafthcher Art Der nem
mungslosen Speculation der Grunderjahre ^*\£el$££
Krieg von 1870/71 war eine schwere wirtschafthche Kuse ge
S3? Sen Leidtrageader <*^*££^*&.
Linie das ^^^S^r^A^SSgS^ ernste War-
in seinem sozralen politischen Tati^enstrr _ eins , eschuch terl.
nuneen der Unternehmer und der Re f e ™V de _g etze . (c Ohne
findel die neue ^M^^c^eP^de^^^ ^
jegliche Blickmoglichke.t fur oVonom. c ^ ^^^ crwa che»
schreibt in seiner ausgezeichneten Stud e <«u ™ Juden _
Ernst Oltwall. «schiebt Stocker alles a«J den bmn u und
turns, was il,m nur ^^^S^SS^^^ ^
verderblich zu sein scheint. F" die ^ er ', c n h "„ Jl 8 eine nohvendige
Bevolkcrung der 6sU. preussischen F ™"™ ■ _ raac ht Stacker
Folge der Steigerung der Weltgetreideproduktion
nur den Juden verantwortlich, der den Bauern Kredite
gibt, um ihn nachher in Leuflischer Bosheit von Haus und Hof
zu vertreiben. Die beklagenswerte Lage der deutschen Industrie-
arbeiterschaft: Stocker sieht nicht die Profitsucht eines Unter-
nehmertypus, den die Vervollkommnung der Produktionsmittel
geschaffen hat, er sieht nur den judischen Unternehmer, und
«die Juden sind an allem schuld*.
Bismarck, der „Jiidenlmeclit"
Der Radau-Antiseniitismus fiihrt zu einem gewissen Erfolg.
Die erste revolutionise Wallung des geprellten Kleinburgertums
wird auf den schwachsten Punkt konzentriert: die jiidische Min-
derheit. Allerdings, als Adolf Stocker beginnt, auch vermogende
und machtige Juden anzugreifen, da regt sich starker die Soli-
darity der Klasse der Besitzenden und Machtigen: Bismarck
selbst greift ein, und der Hofprediger, der zum Agitator geworden
ist, wird kaltgestellt* lis ist nicht ohne Pikanterie, dass die anti-
semitische Bewegung dieser Zeit sich auch gegen Bismarck
wandte, den man als «Judenknecht» denunzierte. In einer Bro-
schiire vom Jahre 1878 ist zu lesen: *Dem Fursten Bismarck ge-
buhrt das Verdienst, die Juden und ihre Genossen zur herrschen-
den Clique in Deutschland erhoben zu haben. . - Die Protektion
der Juden ist eines der schwiirzesten Merkmale des gloriosen
Reiches Bismarcks und seine Folge die Verarmung des arbeiten-
den Volkes, die Demoralisierung aller Kreise der GesellschafU
die widerliche Verschmelzung von Geld und Geburtsadel . . . und
der Fflrst Bismarck ist dem Einfluss des Juden turns unterlegen.
Juden und Judengenossen bilden seine Gesellschaft, sie sind sein
taglicher Umgang und seine politischen Ratgeber, seine Haupt-
kulturkampfer.»
Diese «Volksbewegung» von damals miindete zwangslaufig
in Exzessen. In dem pommerschen Stadtchen Neustettin flammt
als ein Signal die Synagoge auf (schon damals leitete sich die
«nationale» Emporung durch eine Brandstiftung ein, und
auch damals wurden nicht die Tater unter Anklage gestellt —
sondern Juden, von denen man behauptete, sie selbst hatten aus
Rachsucht ihren eigenen Tempel angeziindet). Es kommt zu
Pogromen. Als die «Volksbe\vegung» schon im Abflauen ist —
die wirtschaftliche Krise ist vorubergegangen — legalisiert sich
dieser Antisemitismus in der Form von Parteien* und alsbald
finden sich auch jene, die die notwendige Ideologic dazu liefern;
der Professor Eugen Duhring leitet mit seiner Schrift «Die
Judenfrage als Frage des Rassencharakters» eine neue Aera des
Antisemitismus, den «Rassenantisemitismus», ein. Inzwischen ist
viel Tinte vergossen worden urn des Nachweises willen, dass die
Juden eine Rasse, und zwar eine fremde, niedrige und ver-
224
brecherische Rassc seien. Von ecistrpi<«h<m Unu. »
berlains abgesehen, hat sich ?"m To!^ nJ^^J™ Cha, °-
senschalt* mil rohen Spassen ISnlT $?£Su T" *^
lerdeulsehland ihre Triumph" uReifellot *£•.?• ' m HU "
Anzahl von Leuten, die im Dritten^Sch auf A U "* 1ST
Weise ihr Brot zu verdienen vSmogen " unredl,che
Formen der neudeutschen antisemitischeu. Agitation
Der neudeutsche Antisemitismus, desscn Gipfelung der Sieo
Hitlers ist, hat sich niemals mit «wissen S chaftlichen» Be R riindin
gen sehr gequalt. Es ist ja das besondere Kennzeichen dieser Be"
wegung, dass sie von Anbeginn an niemals «be\viesen» sonde™
burner nur «behauptet» hat. Ihr Erfolg bestehl darin zu vcrwirren-
abzulenken von den wirklichen Verhiiltnissen. Dieser Antisemi-
tismus hat sich immer in der widerlichsten Form des Radau-
antisemitismus gespreizt. Anfang 1920, wiihrend des Kapp-
Putsches, zeigte sich zuerst in der breiten Oeffentlichkeit an den
Stahlhelmen der Ehrhardtbrigade das merkwurdige antisemiti-
sche Symbol: das Hakenkreuz. Damals wurden auch zuerst
Hass- und Hetzlieder ofi'entlich gesungen. Ein rechter "natio-
nal er» Mann sprach damals schon nur noch in Ausdriicken wie:
• Rathenau, die Judensau* usw. Die Kinder lernien
schon auf der Strasse antiscmitische Lieder. Heute, im Dritten
Reich, kennen sie alle das schSne Kampfiied. das den Refrain
hat: >W c n n's Judenblut vom Messer spritzt, dann
g e h t's n o c h in a 1 s o g u t. »
In zehntausriulc!) von Versammlungcn, in zehntausenden
von Zeitungsartikeln ist seit If) Jahren von der Hitlerpartei der
Jude den verfuhrten Massen als das abgrflndigste Scheusal
vcrgefuhrt worden. Der .hide ist an allem schuld. Am Krieg wie
am Friedeu, am Kapitalismus wie an der Revolution, an der
Armut und am Reich turn. Ueberall verbirgt sich fur die natio-
nalsozialistischc Agitation der Jude, urn das Werk des Judentums
vollenden zu helfen: die judische Weltherrschaft», das heisst fur
Hitler und die Soinen «Vernichtung der Welt».
Hitler iibcr die Judeii
Wir entmhinen einige Beispiele der offiziellsten Schrift de.s
Nalionalsozialismus. dem heute in vielen hunderttausend fcxero-
plarcn verbreiteten Buch von HitleT «Mein Kam P f ^ H ™;f n ,™
folgendes: Der schwarzhaarige Judenjunge lauert stundenian*,
salanische Freudc- in seinem Gesicht, auf das a* 1 ™^ L 't
chen. das er mit seinem Blute schandet und damit seinem, des
Madchens, Volke raubt». «Juden waren es und smd es, die a«
225
9
Neger an den Rhein bringen, immer mil dem deichen Hinier^
danken und Ziele durch die dadurch z^angslau^ ein retS'e
Bastardierung die ihnen verhasste weisse Rasse zu zlrstoren von
ihrer kulturellen und pohUschen Hohe zu sturzen und selL zu
ihrcn Herren auizusteigen*. «Kulturell verseucht er Ku Li le
R tUr ifJ 1 %' h ve ™ ar f l d ^^turliche Empfinden. sturzt alio
Begnffe yon Schonheit und Erhabenheit, von Edel und Gut und
zerrt dafur die Menschen herab in den Bannkreis seiner e^genen
niedngen Wesensart*. ; Waren die Juden auf dieser WdfJS,
fn SSS l~m eb ^ nS0Se e hr m u Schl ™ tz ™d Unrat ersticken wie
in hasseriulllem Kampfe sich gegenseitig zu ubervorteilen und
auszurotten versuchen, sofern nicht der sich in ihrer Feigheit
ausdruckende restlose Mangel jedes Aufopferungssinnes auch hier
den Kampf zum Theater werden liesse*. «Indem der Jude
die politische Macht erringt, wirft er die wenigen Hiillen, die er
noch tragt, von sich. Aus dem demokratischen Volksjuden wird
der Blutjude und Volkertyrann. In wenigen Jahren versucht er,
die nationalen Trager der Intelligenz auszurotten, und macht
die Volker, indem er sie ihrer naturlichen geistigen Fiihrung
beraubt, reif zum Sklavenlos einer dauernden Unterjochung».
Man muss bedenken, dass diese Ausspruche in einem imrner-
hin reprasentativen und mit dem Bewusstsein der Representation
geschriebenen Buche stehen. Was wir hier zitieren, stellt sich so-
mit als die mildes-le und geziigeltste Form der antisemilischen
Agitation dar. In den Versammlungen, in den Zeitungsartikeln
horte und las man eine andere, noch eindeutigere Sprache. Jahre-
lang haben die Ueberschriften der nationalsozialistischen Blatter
etwa so gelautet: «An den Zitzen der jiidischen Sau» oder «Die
jiidische Weltpest» usw. Schliesslich soil man nicht vergessen,
dass der Hauptschlachtruf der Hitlerbewegung heisst: «Juda
verrecke».
Aber geniigt es nicht, in den «Fi\hrer- und Schulungsbriefen
fur Funktionare der NSDAP» (15. Marz 1931) zu ksem
cDie naturgegebene Feindschaft des Bauern gegen den Juden, seine
Feindschaft gegen den Freimaurer als Judenkncht muss his zur Ra-
serei aufgestachelt werden.»
„Afrrechnung"
Man muss sich dies einrnal wieder ins Gedachtnis rufen urn
zu erkennen, wie unsinnig die Dementis der nationalsozialisti-
schen Gewalthaber in Bezug auf die Nachrichten *}>* j ud <?™-
folgungen sind und wie grotesk die Behaugung ist, den Juden
gcschehe untcr der Schirmherrschaft Adolf Hitlers nichts Uebles.
Funfzehn Jahre lang hat man den Juden als die Welt-
226
pest, als den tierischsten Untermenschcn dargestellt man hat
den Anhangern der nahonalsozialistischen Bewegung'Freibriefe
gegeben, die Juden zu verleumden und zu verfoigen. Man hat den
Hass gegen den Juden systematise!* geziichtet. Man hat 15 Jahre
iang «Abrechnung» versprochen. 1st es ein Wunder, wenn mil
dem Beginn der sogenannten «Nationalen Revolution, diese
Mordsaat aulgeht? Man hat jedem jungen Nationalsozialisten
unermudlich dargclegt, dass es eine sittliche Tat sei, die hochste
Aufgabe, zu der er als nationaler Deutscher berufen sei: die
Juden auszurotten. Wie will man jetzt diesem jungen SA-Mann
begreiflich niachen, dass er, im Besitz der Macht, heute den
Juden schonen soil? Man lasst den jungen SA-Mann gewahren
und man lasst ihn gern gewahren — denn von alien Dingen, die
man ihm versprochen hat, kann man ja nur diese eine Lust be-
friedigen: seine Mordgier. Man kann nicht alien nationalsoziafisti-
schen Anhangern Brot und Arbeit geben, man kann die wirt-
schaflliche Krise nicht beheben, man kann keine der Verspre-
chungen, die man gemacht hat, erfiillen — aber so lange man
den kleinburgerlichen Massen erlaubt. die Juden zu verfoigen
und zu verpriigeln, so lange sind diese Massen abgelenkt von
dem grossen Betrug, desscn Opfer auch sie sind. Deshalb wird
man in Hitlerdeutschland der Judenhetze nicht Einhalt gebieten.
Es ware eine furchtbare Tauschung zu glauben, dass die Juden-
verfolgungen bei der Machti'ibernahme Hitlers nur voriiber-
gehende Ereignisse gewesen seien, Sie sind systematische und im
Rahmen des grossen Volksbctruges notwendige politische Mittel.
Wie sagle doch Herr Minister Goebbels in seiner Broschiire
«Der Nazi-Sozi» (Veiiag Eher, Munchen) : «Die Freiheit der deut-
schen Nation kann nur gegen den Juden vollendet werden. Gewiss
ist der Judo auch ein Mensch. . . aber der Floh ist auch ein Tier —
nur kein angenehmes. . . vor uns und unserem Gewissen haben wir
die Pflicht. . . ihn unschSdlich zu machen.»
„Juden seben (licit an"
Wir greifen, urn zu beweisen, dass die antisemitische Hetze
keineswegs aufgehort hat, sondern mit alien Milteln organisiert
wciterbetrieben wird, wiederum nur eine der Pubhkahonen, die
nach der Machlubernahme erschienen sind, heraus. Es ist em Bucii
von Herrn Dr. Johann von Leers mit dem Titel : « Juden sehen
Dich an». Es ist eine ziemlich wahllose Zusammenstellung von
Photographicn, die «dem deutschen Volk» als Schreckbddnisse vor-
gefiihrt werden sollen. Unter diesen etwa 60 Photographien m
Deutschen und Auslandern finden sich auch Bilder von Karl uen-
knecht, der ein Abkomme Martin Lulhers ist, von dem katnoiiken-
fuhm* Erzberger, von Willy Munzenberg, in dem sich kern irop-
227
fen ..iudischen Blutes* nachweisen lasst, von Gresinski, von dem
katholischen Oberbiirgermeister von Koln, Adenauer, von dem Pa-
t (m Erwin Piskator, die alle mi Sinne der nalionalsoziali-
sKen Rassentheorie «reinrassige» Deutsche sind. Aber das ist
bezeichnend genug. Man nimmt sich in Hitler-Deutsckland gat
nicht die Muhe, auch nur die primitivsten Talbesliinde, die don
Behauptungen zugrunde liegen soil ten, nachzuprufen. Es genugt
zu behaupten, es genugt zu verleumden. Wer dem Hitlerregime
unbequem ist, der ist 1'iir dies Regime ein «Jude». Basla. Der 13e-
sriff «Verantwoitlichkeit» ist diesen nalionalsozialistischen
«Schriflslellci-n» vollkommen fremd. Sie haben einen Freibrief
zu liigen. Fordert jemand Rechen&chaft von ihnen, so sind die
aationalsozialistischen Sturmtrupps gut genug dafur, urn jeden
unbequemen Frager zum Schweigen zu bnngen. Deshalb wagt
niemand, auch den unsinnigslen Behauptungen zu widersprechen,
und da niemand widerspricht, so glaubt die verhetzte Masse alles.
Wir linden in diesem Buch, dem man die weiteste Verbrei-
hm« vvunschen soil, weil es wahrhaft aufklarend wirken yvurde
iibe? den «Geist», der das neue Regime beseelt, unter anderem
auch die Photographicn von Rosa Luxemburg, von Professor Ein -
stein, von Georg Bernhard, von Lion Feuchtwanger, von Mieodor
Wolff, von Emil Ludwig, von Max Reinhardt, von Charlie Cha-
plin von Alfred Kerr und von dem amerikamschen Bankier Otto
H Kahn. Niemand, der nicht Nationalsozialist ist, wird an die-
sen Photographien elwas Abstossendes finden konnen. Ls sind zu-
meist wunderbare Kopfe von klugen und sehr ernst blickenden
Mannern mit hohen Stirnen, Mnnnern von wirklicher mtellek-
tueller Bedeutung. Abstossend sind allein die Unterschnften, mil
denen Herr Dr. von Leers diese Pholographien versehen hat. IJei
Rosa Luxemburg steht: «Ger ic h te t». Bei Levine steht.
«Hingerichtet». Bei Erzberger steht: .Endlich genchtet. Die
jungen Deutschen. die ihn abgesch ossen, wurden nach der
nationalen Revolution von 1933 ausser Verfolgung gesetzt... Neben
Einstein steht lakonisch: «Ungehenkt». Das ist ein Lieb-
linesausdruck dieses Herrn von Leers, er verwendet ihn bei at
denen, die noch nicht ermordet worden sind. Von Remhardt heisst
es: «Seine minderwertige und seclenlose Kunst usw.». Chaplin
wird bezeichnet als ein «ebenso langwe.hger wie wi der war-
tiger kleiner Zapp el judo. Von Toller wird behauptet:
,Konnte nach der Machtergreifung durch Adolf Hitler rcchtzeitig
cingesperrt werden* - aber nicht einmal das shmml: Ernst Toller
!*cr'and sich zu jener Zeil ubcrhaupt n.chl mehr id Deutschland.
Der Pastorensohn Erwin Piskator wird als «bolschewistische
Kunstjude» bezeichnet. Die Bankiers Max Warburg und Dr. Karl
Melchior erhalten das Attribut: «Hochgefahrlich!».
228
II. „Juda vcrrccko 4 -
Hon- Hanfstaengl, der uationaUoziaLiatische «Ausland3-Press©-
Chef>, gab dem arueiikanisehen Vertreter der halbamtlichen
Pressekorrespondenz «'l elegraphenuuiou* am 21, Miirz 1933 ein
offizitfses Interview,
Aui die Frage: cSind die Berichte iiber angebliche Judenmise*
haudluugen wahr oder unwahr?* autwortete ex: <I>er Reichs-
kanzier bat mich vor wenigeu Minuten, ala ieh inn auf dem
Munc'liiier Flugplatz nacli seiner AnkuuU aue Berlin traf, auto-
risiert, Ibneii zu erklaren, dasa alke diese Berichte in ihrer
Gesamtheil genieiue Liigen sind>.
Auf Eiuzellragen iiber die Verfoigung von Juden antwortete
Hanfstaengl: «Die Untersuchungen der achwedisehen, wie der
holla ndiseheti Berliner Gesandtschafl haben ergeben, dasa nicht
ein einziger Jude gettitet worden ist>-
43 Ermordete
Die von uns uberprufte Liste der von der SA erschossenen
oder totgepriigelten Juden weist Lusher 43 Namen auf. Es handell
sich bei diesen 43 Erschlagenen um soiche Falle, die in erster
Reihe als Juden, nicht aber als «Mamsten» ermordet worden sind.
Diese 43 authenlischen, im einzelnen genau uberpriiften Falle
stellen einen Ausschnitt dar, einen Bruchteil der wirklichen
Zahl, die sich zweifellos vervieliachen wird, wenn mit der Dauer
der Zeil eine noch genauere Uebersicht iiber die tatsachlichen
Ereignisse in Hitlerdeulschland moglich sein wird. Diese 43 er-
mordeten Juden sind ausgewahll aus hunderten von Namen. Alle
Falle, die hisher noch nicht zweifelsfrei aufgeklart werden konn-
ten, sind hierbei noch nicht beri'icksichtigt worden.
Am IS. Marz 193d verstarb intotpe elnes tragischtMi
Geschickes unser heias-elicbter hotfnungsvoller Sohn
und lirudcr, der BilckerlehrtiriE
Siegbert Ksndermann
im eben vollendcten 18. i.ebcnslahre.
Schildermalarmeislor
Moritz Kindermann u. Frau
Fransockyslrasse 5.
Beisetzung: Sonntag den 26, Miirz 1933, nachmlt. 2 Uhr
Wcisscnsee, Alle millc,
K'indolenzbosnclie dankend vcrliett-n.
Todesanzeiye im ^Berliner Tageblatt» t Miirz 1033.
Der jfidische Lehrling Kindermann, von dessen *tragischem
leschick* die unauff&llige Todesanzeige Kenntnis gibt, wurde im
229
Jahre 1932 als Milglied des vSJUig unpolilischcn judisehen Turn
verems «Bar-Kocbba» von Nationalsozialislen uberfallen Ein Na
tionalsozialist wurde deshalb angeklagt und verurteill. Um diese*
Urteil zu «rachen», wurde nach der Machlergreifung Hitlers der
junge Kindermann in die Nazi-Kaserne Berlin-Hedeuiannstra«*
verschleppt buchsiablich zu Tode geprugelt und TaTdie S ras e
ISten Seme War dn gr ° SSeS Hakenkr ^z einge
Kassel als Beispiel
In e inemBerichtdes Kasseler Dr. O. M. heisst es:
<Am Freitag, dem 17. Miirz 1933, durchzogen Nazibandea die Sladt
Kassel, um Mitglieder der judischen Gemeinde, die ihnen aus ir-
gendwelchen Grunden unliebsam waren, abzuholen und <Gericht>
iiber sie zu halten. Bemerkenswerterweise handelt es sich bei derv
Opfern durchwegs um Personen, die niemab irgendwie politisch her-
vorgetreten waren, sondern die Ursachen fiir die Misshandlungen wa-
ren regelmSssig kleinliche Gehassigkeiten eines Promineuten der
NSDAP. Folgende besonders schwenviegende Falle mochte ich ber-
vorheben;
Der Rechtsanwalt Dr. Max Plaut wurde an diesem Tag von einer
grossen Horde aus seinem Biiro abgeholt und im geschlossenen Zug
durch die Hauptstraese gefiiurt. Unterwegs wurde er durch Schlage-
mil Gummikniippeln gezwungen «HeiI Hitler* zu rufeu, worauf jedes-
Dial ein wildes Gebriill von Seiten der Nazis ertonte. Plaut wurde-
dann in das Hauptversammlungslokal der NSDAP _ die Bitrgersale
in der Karlstrasse — gebracht, und dort wurde ein sogenanntes Stani
gericht uber Din abgehalten. Mitglied dieses Standgerichts soil siche-
rem Vernehmen nach der derzeitige Intendant des Kasseler Staats-
theaters, der frtihere Opernsanger Schilling, gewesen sein. Plaut
wurde wegen angeblicher beruFiicher Verfehlungen zu 200 Schlageo
mit dem Gummiknuppl verurleilt. Zur Vornahme der Prozedur wurde
er in einen unter dem Versammlungslokal befindlichen Keller ge-
bracht und dort auf einem Bock festgeschnallt. Die Misshandlungen
wurden dann in der fiirchterlichsten Form vorgenommen und dauerten
fast zwei Stuuden. Nach einer gewissen Zeit war P. oh n mac h tig
geworden, er wurde dann durch Uebergiessen mit Wasser wieder
zum Bewusstsein gebracht und bekam dann von sogenannten Schwe-
stern alkoholis-che ErFrischungen gereicht. Als er dann einigermassen
wieder zur Besinnung gekommen war, gingen die Misshandlungen
in derselben Weise weiter. Nach Beendigung der grauenvollen Ziich-
iigung hatte er vollkommen das Bewusstsein verloren und wurde blut-
liberstrOmt in einer Eeke lipgen gelassen. Plant wurde dann in seine
Wohnung geschafft, wo er bis zu seinem Tode noch zehn Tage nieder-
lag. Die herbeigerufenen Aerzte, der Nervenarzt Dr. Scholl und der
Chefarzt des Landeskrankenhauses. Prof. Tonnisen. steUten die-
fiirchterlichsten Verletzungen Fest, unter andereai atich sen were-
230
Plaut musste aaf seiuem KvanTnt "*? UUd DaCh ^ ■**«■
warden, da er, ^r^^B^**™?* " ^^ gehaIlen
der ein sehr kraftiger Mann war L. ,!, ^ , e h6rte> Dr - Plau ^
nacfa etwa 10 Tagen gestorben Folgen der Verlet W
Am gleichen Tag wurde der Rechtaanwalt Dalbera in a
sten Weise misshandelt und zwar am gleich™ r£ * a SChWGr '
Weise wie Plaut. Bemerkenswert ^£tS^^ m z £^
einen Streit vor Gericht mil dem damaligen Rechlsanwal^ Jt • *
Ministerialdirektor Dr. Freisler gehabt h.lfe uo/^^Ve^
vtfbrend der ■ Mwahandlung vorgehalten wurde. Ee besteht also keln
Zweifel daruber, dass die Folterung des Rechtsanwalts Dalberg art
direkten Befehl dieses zur damaligen Zeit obersten Fuhrerq der Kas
selerNSDAPund jetzigen hohen preussischen Beamten erfolgt tot Dal
berg wurde auch sein laager Vollbart abgesebnitten. Die Verletzun^en
von D. waren so schwer, dass die Aerzte einige Tage befiirchteten
em Bein miisste amputiert werden, doch konnte es glucklicherveise
noch gerettet werden. Dalberg leidet heute noch schwer unter den
Folgen der Missbandlungeu.
Besonders schwer wurde noch 'ein junger judischer Kaufmann Moss-
bach misshandelt, dem meines Wissens nur vorgeworfen wurde, dass
er ein Verhaltnis mit einem christlichen Madchen gehabt und Wie-
der aufgegeben hatte. Bei ihm drangen Nazis in dip- Wohnung ein
und misshandelten ihn En Gegenwart seiner Mutter so furchterlich,
dass er schwere Kopfverletzungen und Verletzungen des Riick-
grats davonirug. Der zuerst herbeigerufene Arzt, Dr. Stephan, der
selbst politisch ganz rechts steht, erklarte. dass er selbst im Krieg
keinen so grauenvollen Anblick gehabt batte. Mossbach schwebte
lange Zeit in Lebensgefahr, ist aber gerettet worden.
Ferner wurde am selben Tag auch im Versammlungslokal der Nazis
ein Kaufmann Freudenstein schwer durch Prugel verletzt, sodass
er wochenlang krank lag, und ein Kaufmann Ball, der gleich-
falls langere Zeit danacb krank war. Bei beiden Fallen handell es
sich urn persOnlic-he Racheakte irgendwelcber Nazis, n&heres daruber
ist mir nicht bekannt.
Schliesslieh wurde noch ein liber 60jahriger Herr, Baokier Plaut,
misebandelt, er hatte aber keine so schweren Verletzungen.
Die Untaten der Nazis in Hessen beschranken sich keinesfalls auf
Kassel. Vielmehr kann man wohl ohne Uebertreibung sagen, dass in
jedem Ort dee Regiemngsbezirks Kassel, in dem iiberhaupt Juden
wohnen, solohe FiUle und zwar zum Teil ganz furehterliche, vorge-
kommen sind. Mir ist bekannt, dass in einzelnen Orten samtliehe
mannlichen jiidischen Gemeindemitglieder ihre Heimat verlassen ha-
ben und — so weit iiberhaupt _ nur nach langerer Zeit zuruckgek**hrt
sind.i
231
Erzwuiigcne Erkluruiig
Der 25jahrige Journalist Leo Krell, Berlin SO, Skalitzer-
strasse, Mitarbeiter der Zeitung ^Berlin am Morgen», wurde am 16.
Marz von SS-Lculen uberfallen, verschleppt und in der Nazikaserae
totgeschlagen. Seine Leiche wurde vor dem judischen Friedhof
niedergelegt. Wir erwahnen diesen Fall urn des Nachspiels willen.
An die alte Mutter kam ein Brief mit der Auiforderang, ihren
Sohn im Leichenschauhaus zu besichtigen. Es war fur die alte
Frau schwer, ihren Sohn zu identifizieren. Er war vollig entstellL
Im Gesicht und uberall am Korper waren Hakenkreuze einge-
schnitten und eingebranut worden. Eine blutige Masse lag vor
ihr, die einstmals ihr Kind gewesen war. Angesichts dieser ent-
stellten Leiche wurde die Mutter gezwungen, eine Erklarung
zu unterschreiben, dass ihr Sohn «nach langerer Krankheit im
Krankenhaus gestorben» sei.
Diese Erklarung wird von den Angehorigen der zu Tode Ge-
prugelten in jedem Fall verlangt. Wenn eiuer der Angehorigen
eine Aeusserung ubcr den wahren Sachverhalt auch nur im
engen Kreise tut r so kann er gewartig sein, wegen «Greuelhetze»
von dem deutschen Gericht zu vielen Monaten, manchmal Jahren
Gefangnis verurieilt zu werden. Im allgemeinen drohen die be-
teiliglen SA-Leule dem Anverwandten: er wurde dasseibe Schick-
sal erleiden, wenn er nicht «das Maul hielte».
300 nachgewiesene F&Ile barbarischer Misshandlung
43 bisher autenlisch i-deutifizierte verstummelte Leichen —
undwieviel tauscnde Halbtotgeschlagene Oder furs Leben Verletzte!
Von mehr als 300 uns vorliegenden, verifizierten Nachrichten
bringen wir die folgeiiien:
Mitte April ging durch verschiedene Blatter die Nachricht,
dass der mehr als SOjahrige Grossrabbiner Jonas Friin-
kel in seiner Wohnung Berlin C, Dragonerstrasse 37, von SA-
Leuten uberfallen und schwer misshandelt worden sei.
Die Regierung dementierte diese Mitteilung.
Den Tatbestand berichtet die Tochter des Grossrabbiners, Ella
Frank el, ini einzelnen:
*Wie mem Vater ennordet werden sollte*
Von Ella Frankel.
Am 7 MSTZ se«en halb 8 Uhr abends, drangen drei SA-Hilfepoli-
ziln in Inse're Wohnung, Dragonerstrasse 37, ein ■ ^ tadteanijjh
fest und hieltcn mir je einen Revolver auf die Brust und auf die
£nt Sei. nuf den Vater, der am S^bhach saw
liei Kugeln Mta den Kopf. Mein Vater sank blutuberstromi und
232
**
p
Ernst Thstlmanii
Der Fiihrer der Komnuinislischcn Pailci Deulsehlauds
Ernst Thalmann
in seiner Zelle im Polizeigefangnis Berlin-Alexanderplatz.
Ernst Thalmann, von Berut' Transportarbeiter, kampfte sehon vor dem
Kriege in den Reihen der deutsclien Arbeiterklasso. Wnhrend des Krieges
1914/18 gehorto er zu den aktivsten Kriegsgegnern. Er organisierte die
Antikriegspropagandu im Bezirk Hamburg-Wasserkante.
Nach der Spaltung der Onabhangigen Sozialdemokratischen Partei (USP)
kam er im Jahre 1920 an dor Spitze der Mehrhea! der Hamburger USP in die
Koniimmislische Partei. Kmsl Thiilmanii wurde zum I'Tihrer dor Kommti-
nislen des Hamburger Bezirks.
Im Jahre 1923 wurde er Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischon
Partei Deutschlands. In don darauffolgenden Jahren trat er immer starker
in der Fiilirung der KPD hervor. In don Jahren 1925 mid 1932 war er dor
Prasidentschaftelcandidat der deutsrhen ivvolutionaren Arbeiter.
Als Fiihrer dor Kommunlstischen Partei Deutschlands arbeitete er, in den
Tagen des entfesselten Hitlerterrors, inmitten der Arbeiterschaft Berlins*
Am 3. Miirz 1933 wurde Ernst Thalmann von derPolizei der rlitlerregienmg
nach fieberhafter Suche verhaftet.
Kin Prozess wegen Hochverral wild gegen i Im vorbereitet.
bewusstlos zu Boden. Eiaer rief; <Jetzt ist der erledigt>. Dann rissen
8ie den Schreibtisch auf und stahlen alles Geld (es waren 5000 Dol-
lar und -000 Mark, meine Mitgift), das sie dort fanden. Bevor aie
giugeu, warnten sie mich davor, etwa um Hilfe zu schreien uud zer-
achlugen die elektrische Sicherung, sodass die Wohnung vdllig im
Dunkeki lag. Wir wir spSter feststellten, waren die «Hilfspolizi-
sfen» Mitglieder des SA-Stuxmes aus der Dragonerstrasse.
Ich st'hieppte den Vater vom Schreibtisch zum Feneter und rief eine
halb- Siandt um Hilfe, Die Strasse war von Nazis und mebreren
U(*bcrl'al3komiuaiidos der Schutzpolizei abgesperrt. Jeder, der ein
JIaus verlaFfen wollte, wurde mit Gummikntippeln zuruckgeschlagen.
Scbliessllch kainefl einige Beamte des Ueberfallkommandos herauf,
danach auch die Rettungsgesellschaft, die von Nachbarn alarmiert
worden war. Man wollte meinen Vater ins Spital bringen, ich liess
es aber nicht zu. Nach zwei Tagen kam ein Beamter vom polnischen
Konsuiat. Br fan-i die Wohnung i»och voller Blufepuren.
tVem Vater lag 14 Tage im Bett. Jede Stunde befurchteten wir, dasa
der Tod eintreten konnte. Am 8. April drangen wiederum einige SA-
Leute in die Wohnung ein und verlangten, den Vater zu eprechen.
Sie erklarten, wenn mein Vater schriftlich bestatige, dass er nicht
von SA-Leuten, eondern von Juden iiberfallen und misshandelt wor-
den sei, werde er ktaftig unbehelltgl bleiben. Ich sagte ihnen, mein
Vater ist zu krank, um schreiben zu konnen, sie sollten in zwei
Tagen wlederkommen. Mit vorgehaltenen Revolv-ern zwangen sie mir
unci ihm das Ehrenwort ab, in zwei Tagen die Unterschrift zu leisten.
Da mein Vater auf keinen Fall einen solchen ftevera unterschrei-
ben wollte, blieb uns nichts anderes iibrig. als schnellstena zu fliehen.
Zwei Freunde wickelten ihn In einen Teppich und trugen inn am
hellen Tage zu Bekannten in einem weit entlegenen Stadtteil. Ich
wuide beinahe wahneinnig vor Angst Knrz vorher hatten wir dio
beiden Thorarollea weggetxagen. Wir liessen alles iibrige in der
Wohnung zuriick. Ich verliess das Haus im Hauskleid ohne Hut, denn
unser Portier war ein SA-Mann. Er ha'tte uns sofort denunziert. Wir
fuhien mit dem Zug Berlin-Wien. Mein Vater, dessen Kopf vollig
verbunden war, wurde als scbwerhoriger alter Mann ausgegeben.
Ich gab mich als junge Dame aus. die nach Wien reiste und den
alten Mann elwas betreute. Gleich nach Abfahrt des Zuges setzto
sich ein Spitzel zu uns und Fragte mich aus, 9tieg aber in Dresden
aus dem Wagen, da ich vollig harmlose Auskunfte gegeben hatte.
Gleich hinter Dresden begann die Kontrolle. Die deutschen Beamten.
liefen von Abteil zu Abteil und fragten jfiden: «Sind Sie jiidisch?>
Ich stellte mich vor die Eingangetttr des Abteils, in dem sich ausser
meinem Vater, der rest zu schlafen schien, nur noch die beiden Tho
rarcllen befanden. Die Beamten wussten aber echon durch den
Spitzel Bescheid. Sie griissten hoflich und meinten: «Ach. Sie sind
die jungre Dame, die nach Wien fahrt und den alten schwerhorigen
Herra betreut. Wir wissen schon Bescheid.^
So kamen wir beriiber und maohten in Reichenberg Station, da mein
Vater einfaoh nicht weiter konnte. Spater fuhren wir nach Prag.
233
Wir haben diesen Fall als eineo der bewrh™^*,
und Dokumente. Ein mehr als 80iahriger ft™.?, r™ ^ der
In der SynagogeZuberfallen
Sprechen wir noch von einem anderen Fall, der sich in der
Synagoge abspielte. Der Rabbiner Bereisch St D.Jf
burg wahrend des Gottesdienstes in der Synagoge ubeklkn und
misshandelt. Man schleppte ihn auf die Strasfe unfhu UeThn "n
eme schwarz-rot-goldene Fahne. Inmitten einer tobenden Meng"
musste er m diesem Aufzug Spiessruten laufen. Schliesslich
wurde er - verhaftet unter der Beschuldigung: «Oeffentliche Un-
ruhe auf der Strasse erzeugt zu haben».
Der Rabbiner von Gelsenkirchen wurde wahrend des Sabbath-
Gottesdienstes nut emer Anzahl glaubiger Juden aus der Synagoge
SSfTn™! f d»f Strassen der Stadt bis in die SA-Kaserne
Iff w ? ^ U u den a H e g ezwun S en - sich mit dem Gesicht gegen
die Wand zu stellen und Kniebeuge zu machen. Da der Rabbiner
gegen diese Brutahtat protestierte, wurde er auf eine Leiter ee-
legt und mil einem Stock verpriigelt. Nach seiner Freilassuna ge-
lang es ihm, uber die hollandische Grenze zu enlkommen. Er traf
in Amsterdam so schwer verletzt ein, dass er weder stehen noch
sitzen konnte. Bevor man ihn frei Hess, musste er einen Revers
unterschreiben, dass «seine Verhaftung auf ein MissverstSndnis
zuruckzufuhren sei».
Pogroine
Die ..Frankfurter Zeitung» vom 24. April 1933 meldet:
•Wiesbaden, 23. April. Zwei Ueberfalle mit todlichem Ausgang habeo
sicn hier am Samsrag abend ereignet. Es handelt sich um den Kauf
mann Salomon Rosenstrauch und den Milchhiindler Max Kassel. Dor
Pohzeibeneht besagt iiber den Mord an Kassel:
.Samstag um 23,30 Uhr drangen aus einer Wohnung im Hause Weber,
gasse 43 Hilferufe. Gleichzeitig Helen mehrere SchUsse. Durcli einen-
Kraftwagenfiihrer, der die Strasse passierte, wurde dfe Polizei be-
r.achrichtigt. Sie etellte fest, dass die Hilferufe aus der Wohnung de?
alleinstehenden 59jiihrigen Milchhandlers Max KasseJ gekommen
waren Beim Betreten der Wohnung fanden die Beamten Kassel in
einem Zimmer tot auf dem Boden liegend vor. Der K5rper wie?
Schussverletzuugen auf, die t6dlich waren. Die weiteren Feststelluo-
234
aeo ergaben, class mehrere Personon durch Eiaschlagcn einer Tiir-
s'heibe und einer TOrffilluag gewaltsam in die Wohnung eingedrun-
gen waren und den nach dein Fenster der Wohnung fttichtendeii
Mann uiedergeschoesen haben. Die Schiisse sind aus einer Armee-
pistole Kaliber 9 mm abgefeuert. Anhaltspunkle dafur, daas von den
Ifitern Raub beabsichtlgt war, haben die Feststellungen nicht ergeben.
Ea diirfte sich allem Anschein nach urn einen Racheakt handeln.>
Uebcr den zweiten Fall sagt der anitliche Bericht:
*Samstag gegen 21,43 Uhr wurde die Polizei nach der Wohnuug dea
SSjahrigen Kaufman ns I?., Wilhelmstrasse 20, gerufen. In einem Zim-
nicr der Wohnung lag, nur noch schwache Lebenszeichen von sich
gebond, R. am Boden. h'gendwelche Verietzungen wie9 der Korper
nicht a'ui Durch einen Am wurde die Ueberiuhrung ins Kranken-
haus angeordnet. Auf dem Transport starb R. infolge Herachlags.
Die in der Wobuung noch anwescnde Sttitze bckundete, dass etwa um
21.1C Uhr zwei junge Manner an der Wohnungftttfe schellten und nach
R. fiagten. Als R. erschien, drangen die beiden Manner in die Woh-
nung em, und einer davon hielt R. einen Revolver entgegen. R- fliich-
tete in ein Zimmer und liel dort vor Aufregung nieder. Die beiden
Eindringlrnge verliessen gleich darauf die Wohnung, ohne sich iiber
die Griinde ihres Erscheinens auszulassen. Nach der Beschreibung
des Madchens handelt es sich um zwei Burschen im Alter von 20 bis
23 Jahren. Der eine trug grauen Rock, dunkelgraue Hose und grauen
Schnitthut, der andere einen dunkelgrauen Anzug mit grauer Miitze„>
Das sind einige wenige Falle, die von den Behorden selbst be-
kanntgemacht worden sind, aber jenc lausende von Brutalitaten,
die verschwiegen werden, die nicht bekannt werden sollen, sind
damit nicht ungeschehen geniacht. Die Vergniigungen der SA
sind mannigfaltig. Eines Tages wurde auf offener Strasse in Ber-
lin der Sohn des Synagogendieners P. vor den Augen seines Va-
ters von einem Trupp SA-Leuten iiberfallen. Man hielt den Un-
gliicklichen fest, und einer der Erneuerer Deutschlands machte
sich den «Spass», den jungen Mann zweimal durch die rechte und
zweimal durch die linke Wade zu schiessen. Der Sohn des Syna-
gogendieners P. lag noch nach drei Monaten im Kranken-
haus. Er kam zuerst ins St. Hedwigskrankenhaus, spater in das
Berliner jiidische Krankenhaus, zuletzt in eine Nervenheilanstalt.
Er wird vermutlich fur sein ganzes Leben gelahmt sein.
Verge waltigt
Die junge jiidische Naherin K. L. wurde aus ihrer Wohnung
in Berlin C, Augustastrasse 35, abgcholt und in die SA-Kaserne in
der Kastamenallee verschleppt Ihr Verbrechen war: ihre Frcund-
schaft nut einem christlichen jungen Mann. In der Kaserne
sracnte man sie in einen Raurn, in dem sich etwa 30 SA-Leute
235
aufhielten, die sich sofort auf sie sturzten ihr Hio vwj
Le.be ri SS en u„d sie verp r a 5 eHe„. jC" ££" £"£' T,
Treppe, wo noch ungefahr 10 andere T Put* ™ n J»» ? 5
SA-Fuhrer Erich Schulz, holte sie Lnn ' rT iVT^" Der
ging fort, urn noch zwei ^ere S??^
er den, Madchen ei„e Liebeserklarung^V^e'Thr^'wa* ihr
von nun an nichte mchr geschehen, wenn sie sich jeden abend
bei ihm meldete Wenn sie allerdings versuchen wurde Tns Aus
l«i TO H— ^ d ™\™'te * erschossen, man hatte genugend
sie entlassen. Erich Schulz versprach ihr das, ging fort und kam
nach kurzer Zeit zuruck, um sie abzuholen. Er brachte sie zu
seiner Mutter, deren Wohnung der SA-Kaserne gegeniiber Meet
Dort bekam sie neue Kleider, da die ihren vollstandig zerrissen
waren. Dann durfte sie gehen.
Kleinstadt und Landgemeinden
"Wir geben Kenntnis von der folgenden uberpriiften Einsen-
dung, die wir im Wortlaut hierhersetzen:
«In der kleinen wiirttembergischen Stadt Niederstetten _ nahe be?
Mergentheim -^ existiert schon Beit Jafarhunderten eine kleine jii-
disehe Gemeinde. Ihre Mitglieder sind zum groasten Teile Kaufleute,
die, wie sich das von selbst versteht, durchweg, aoweit sie iiberhaupt
politisch interesgiert sind, den Parteien der Rechten naher steben aia
den Sozialieten oder Kommunisten. Zwischen der christlichen and
der jiidischen BevGlkerung in Niederstetten bestand bis in die aller-
letzte Zeit hinein ein ungetriibtes Verhaltnis.
Etwn 8 Tage vor Ostern erschten eines Morgens ganz frilh eine Ab-
teilung SA in Niederstetten, besetzte das Rathnus und iibernahm die
Pclixeigewalt. Dann wurden die Hauser der .Tuden nach kommuni-
stischen Schrii'ten durchsucht. natiirlich vSHig vergeblich Trotzdem
wurden flO Juden — alles angesehene Burger in ihrer Stadt — aufe
Rathaus gefiihrt; dori fuhrte man jeden einzeln in ein Zimmer. kne
belte ibn, warf ihn auf einen Stuhl und schlug mit Stahlruten solange
auf ihn ein, bis or nahezu bewusstlos war Alsdann Fiihrte man die
Ungliicklichen. die sich kaum noch aufrecht hfl]tcn konnten alle m
den Rathaussaal, wo sie sieb der Feihe nach an der Wand — <an d*r
Klagemauer*. wie man ihnen hohnisch sagte - aufstellen mUflfl * cn
Nschdem sie die Hand zum Faschislengruss *rhoben hatten durfTeo
sie dae Rathaus verlassen. Die meisten von ihnen waren jedoch in-
frige der erlittenen Misahandlunge-n so geschwaeht. dass sie von ihren
AngehGrigen heimgetragen oder gefahren werden muesten.
SUtnthche Misehandelten waren mehrere Wocbco br-ttlagerig. einer
von ihnen hatte sogar die Sprache verloren
236
Es verdienl hervorgehoben zu warden, dass die gesamte nicht-judische
Bevolkerung von Niederetetten, die am 5. Miirz zum grosaten Teil
nationalislisch gewahlt hatte, fiber diesen Vorfall entsetzt war. Eia
alter Bauer meinte kopfschiittelnd: <Das hat der Hitler doch nicht ge-
wo!lt». — Der alte Mann besitzt offenbar keinen Rundfunkapparat,
sons! wflsste er, dass dieee «deutschen Manners (angeblich waren sie
aus Heilbionn a. N.. sie eollen in anderen Ortea noch schlimmere
Taten vcrGbt haben) nu r das ausgefuhrt haben. was die zur Zeit
fiihrenden Manner in Deutecbland altabendlich in touenden Reden
als ihr Ziel verkiinden.>
2ur Erganzung dieser Berichte von den Zustanden auf dem
flachen Lande, bringen wir noch folgenden Aufruf des «Aktions-
ausschusses zur Bekampfung des Judenturns in Neustadt am
Aich», der im Lokalblatt dieses Stadtchens am 18. Mai 1933 er-
schienen isi:
« , . . . Unser Kainpfziel ist, Neustadt von Juden und Judenknech-
ten freizumachen. Wir mochten dies nochmals und mit aller Deut-
lichkeit feststellen, fur den Fall, dass es die, die es angeht, noch
nicht begriffen haben . . . wer trotzdem noch glaubt, fur die Juden
eintrelen zu sollen, ist in unseren Augen ein Lump, rait dem wir
genau so verfahren werden, wie mit den Juden . . .>
In den SA-Kasernen
K. W., Berlin C, Xstr. 43, berichtel fiber seine Erlebnisse in
der SA-Kasernc Berlin-Ystrase unter anderem Folgendes:
«Man lieferle auch einen 26jahrigen Juden ein, Dieser erzahlte mir
spater, er sei auf seinem Motorrad verliaftet worden, babe sicb nie
urn Politik gekummert und war noch nie wablen. Erst wurden ihm
die Haare mit einer Nagelschere geschnitten und zum TeiJ ausgeris-
sen. Dann stntten sich die Hilfspolizisten darum, wer ihn verpriigeln
durfte, denn diejenigen, die ih D eingeliefert hatten, verlangten dieses
Recht fur sich. Der Hilfspolizist, der ihn gebracht hatte, sagte: Ich
hatte den Juden ja gar nicht bringen brauchen, wenn ich ihn nicht
verhauen darf. Darauf sagten die anderen: Du bist betrun ken
gehe erst deinen Rausch ausschlafen.
Dm meifiten Hilfspolizisten rochen furchtbar nach Alkohol. Dann
wurde der Jude verhauen wie die anderen. und zwar mit Oehsen-
ziemern, Stahlruten, Gummiknuppeln. Dann wurde ihm auf das nackte
U-esass Spintus gegossen und dabei geschlagen. Dann wurde ihm
em Dolch auf die Brust geaetzl mit dem Bemerken: Jetzt wirst
flu er s toch en. Man brachte ihm eine kleine Verletzung bei und
sagte ihm: Morgen frfth wirst du erstochen.
lob kara um %6 zum Verhor. Da sie mir nichts nachweisen konntpn
Kam ich in den Schlafsaal, wo ungefiihr 40 Mann lagen. Ich selbst
oekam nur einige Schlage mit dem Gumrniknuppel und Fusstritte.
237
Es eab nocii erne sogenannte MOrderzelle. In dieser bel'anden sich
3 (Vlann. Dieselben witrden von oben bis unlen schwarz geschtagen.
Einer von diesen wollte sich schon mit einer Schour das Leben
n eh men.
Mcrgens uui 7 Uhr kain der diensttuende Ot'fizier der SA. Wit er-
tuelten dann Friihstiick. Karfee und troeken Brot. Dann wurde auf
dein Hof oxerziert. Vorher mussten wir sageti: «Unserem fteichs-
kanzler Adolf Hitler eiD Sieg Heilx Beira Exerzieren musstsn wir
tDeutschland iiber alles* und <Ich hatt' einen Kameradeu* siogen.
D#nn wurden wir gefragt., ob wir das Vaterland verteidigen burden,
falls es einen Itrieg gegen Polen gabe.Wir erwidertencja*. Man fragte
mis, was wir machen, wena wir entlassen wurden, ob wir in die SA
eintreten. Wir antworteleen ebenfalls «ja*. Die Juden, ca zehn, muss-
ten besonders exerzieren. Sie mussten gemeiue Spriiche sagen, wie:
Sport fordert den Haanvuchs, starkt die Bauchmuskeln und gibl deru
Arech eine gesunde Farbe.»
Wir entnehmen der Fiille der von amtlichen Stellen des Aus-
landes verofi'enilichten Meldungen und Proteste folgendes:
olnisclie Proteste
«Berlin, 30. Marz. — Der polnische Gesandte in Berlin, Herr Wysocki,
hat bei der Reichsregierung Protest erhoben gegen die Verfolguagen,
deren die polmschen Israeli ten seitens der Hitler-Banden ausgesetzt
sii*d. Herr Wysocki flihrte u. a. folgende Falle an, die in Berlin selbst
stattgefunden haben:
Am 4. Marz wurde Herr Israel Weisa aus seiner Wohnung geholt und
in eine Garage geschleppt, wo er derart misshandelt wurde, dass er
das Bewusstsein verlor. Darauf wurde er auf die Polizeiwache ge-
fiihrt, wo er bis ziun 6. Marz zuriickgehalten wurde. Wahrend der
Misshandlung nahmen die Flitleranhanger ihm seinen Pass und sei-
nen Ring ab und gaben ihm diese Gegenstiinde oicht wieder zuriick.
Am 6. Marz wurde Herr Abraham Leib Mittelmann iiberfallen und
in ein Wirtshaus geftihrt, wo man ihn schwer misshandelte und ihn
zwang, eine ekelhafte Flussigkeit zu trinken. Lnfolge dieser Miss-
handlung ist Leib Mittelmann arbeitsunfahig gewordea.
Am 7. Marz wurden Maier Wulken und seine Nlchte von Hitlerbanden
derart mit Gummikmippeln bearbeitet, dass beide das Bewusstsein
verloren . . . usw.
Besonders in Chemnitz und Plauen haben sich die Hitleranhanger
mit einer unerhorten Brutalitat den Juden gegeniiber aufgefiihrt.
Samtliche polnischen Israeliten, die in Chemnitz verhaftet worden wa-
ren, wurden unter Bewaehung in die Stadt geFiihrt, wo sie die kom-
munistischen Maueraufschriften, die noch aus der Wahlzeit heriiih-
ren, auswischen mussten Sie verrichteten diese Arbeit unter den un-
[Uttigsten Beschimpfungen, die die Passanten ihnen zuteil werdon
liessen.
238
Ein polnischer StaatsangehSriger, Adalbert Dafner, erhielt 50 Hiebe
mit einer Reitpeitsche. Nach jedem Schlag mussle er <Dankel> sagen.
Salo Rubinstein wurde dermassen misehandelt, dass sein KQrper
?ine Woche nach seiner Misshandlung noch zahlreiche Verwundungen
ind Merkmale aufwies.
;m Gefiingnis von Plauen, wo zahlreiche Israeliten durch Hitlerleute
eingesperrt word en waren, sind schreckliche Graueamkeiten verubt
vorden.
Infolge einer Intervention des polnischen Koneuls wurden in Zwickau
ind in Falkenstein acht polnische Juden freigelassen, aber infolge
der erlittenen Misshandlungen sind viele lange Zeit arbeitsunfahig
geworden.
Am 12. Marz wurde der Pole Simon Her an in Dresden von
SA-Leuten in seiner Wohnung libeifallen. Er wurde unter furcht-
baren Misshandlungen durch den Korridor geschleift, auf dem meh-
rere Tage spater noch Blutspuren zu sehen waren.a
Amerikaniscke Bcschwerde
Rach einer Meldung aus Berlin vom 9. Marz hat der ameri-
kanische Botschafter Sackett gegen die Misshandlungen
von amerikanischen Staatsangehorigen Beschwerde eingelegt. Er
bezieht sich auf eine Anzahl von Fallen, die allein in Berlin im
Verlaufe von wenigen Tagen sich ereignet haben:
iln Berlin wurden verschiedene Juden, darunter einige amerikani-
scher Vationalitat, brutalisiert. So wurde ein amerikanischer Burger,
Herr Max Schiissler, der Besitzer eines Hauses ist und die Ausweisung
pines nationalsozialistischen Mieters aus seinem Hause beantragt und
erhalten hatte, mitten in der Nacht von Nationaleozialisten aufgesucht.
Um sich Eingang in die Wohnung zu verschaffen, hatten diese sich
als Polizisten ausgegeben. Sie drangen in das Schlafzimmer von Fran
Schiissler und zwangen diese, sich vor ihnen anzukleiden. Darauf
forderten sie Herrn Schiissler auf, eine Erklaning zu unterzeichnen.
auf Grund deren er die Ausweisung des nationalsozialistischen Mie-
tfclS ruekgSngig machen rnusste.
Andererfreits wurde auf dem Kurfuretendamm ein anderer araerika-
nischer Staatsbiirger, Herr Leo Jaffe. von Nationalsozialisten ge-
schlagen . . . usw >
Das amtliche tschechische Pressebiiro
meldet am 2. April
*Iin WarnsdoiTer Spital befinden sich vier misshandelte Fliichtlinge
aus Deutschland. Sie wurden gestern nacht um ein Uhr von zwolf
SA-Leuten auf einem Lasiauto vom Hainewalder SchJoss in Sachsen.
das gegenwartig ein Konzentrationslager ist, nach dem Ort Gross-
sclidnau in Sachsen in der Nahe von Warns dorf eskortiert. Es handelt
sich um vier Juden, von welcben einer oeterreichischer Staatsburger,
zwei Polen und der Vierte staatenlos sind. Hundert Schritte von der
239
Grenze bei Warnsdorf eutfern!, wurden die vier Manner ausgeUden,
auf der Wiese blutig geschlagen, und als sie nach der tschecho-
slowakischen Grenze zu fliichten wollten, mit mehreren Schiiss^n be-
dacht, Alle vier sind ernstlich verletzt; einer von ihneti hat ausser
a»deren Wunden einen Sohadelbruch erlitten und ist nich; ver-
nelnnungsfahig.
An <lcn Grcuzen
Die SA und SS der Grenzdorier gestalten den Opl'ein cks
braunen Terrors natiirlich audi nicht zu entfliehen. Jedcr deut-
sche Staatsangehorige, der bei dem Fluchtversuch uber die Grenze
get'angen wird, gilt als ein Landesverrater. Aber nicht einmai die
auslandischen Staatsangehorigen selbst sind vor der Wiilkur der
braunen Herren sicher.
A us Prag wird gemeidet:
<Der Berliu-Athener Schnellzug, der jeden Morgen raehrere Hun-
dert Perscnen nach Prag bringt, ist am 1. April mit eifistiindxger
Verspatung und nur 3 Passagieren in Prag eingetroffen. Die Aus»-
steigenden haben noiariell uber Szenen berichtet, die sicb in Dres-
den abgespielt haben. Auf dem Bahnsteig hatte beiderseits des Zuges
ein Kordon NationalsoziaHsten Auf-stellung genommen, eine andere
Abteilung ersnhien in den Waggons mit dem Befehi: «Juden heraus!>
Alle judischen Passagiere, auch die Auslander, mussten den Zug ver-
lassen. Danach wurden auch die Papiere der iibrigen Fahrgaste unter-
sucht und diese gleichfalls zum Aussteigen gezwungen. Auf dem
Bahnsteig mussten die Fahrgiiste nebeneinander Aufstellung nehmen,
dann wurde der BefehJ gegeben: sLinks um Marsch!* Die Kolonno
bewegte eieh, von Nationalsozialisten flankiert, gegen den Bahnhofs-
ausgang. Ueber das weitere Schicksal dieser zwangswelse an der
Ausreise aus Deutschland verhinderten Personen, unter denen sicb
viele Frauen und Kinder befauden, ist nichts bekannt.»
Der Grossrabbiner von Fraukrcicli erklart
Der Grossrabbiner von Frankreich gab im Zusammenhang
mit den Dementis der amtlichen deutschen Stellen einem Ver-
treter des «Petit Journal* folgende Erklarung uber die antise-
mitischen Ausschreitungen in Deutschland ab:
«Ich bin I eider gezwungen zu sagen, dass die Meldungen uber die
Greueltaten absolut richtig sind. Wir besitzen unwiderle?-
bare Beweise und photographische Dokumente. Glaubea Sie
aicht, dass wir ohne weiteres den Erzahlungen Glauben sehenken,
die uns von Fliichtlingen gernacht werden, Wir haben Mittel, um sie
nachzupriifen. Wir sind im Besitze von Dokumenten, die aus absolut
sicherer Quelle stammen, die ich Ihnen nicht angeben kann. Ich
240
£Lu~ f b - ht U l V ^rSSr g en -ndJn urn grans*.-
haol«lt s.ch mcht uin reine Be b » ■ Wenu wir da zu
^XT^e^nTZrTei wir Sese Da^ente vacant-
lichen.*
E s war viel sckliinuicr!
ier .Manchester Guardian, slellt fort:
i- „ Q „H n Rpisoiele von Terrorakten der Nazis seil den Wan-
; Di nrden S es Se Sir * fe d» der Terror viel .cblimmer
1C " 1 ™ P 2 Sriaubt wurde. Die britische, franzosische und ame-
'SS^lfSldto SU nicht etwa, wie die deutsehe Press*
nkaaiscM. wesse mm* ^u dj Senrec kuisse unterschaUt, was
ewu7et Z "u habea, in Schlesien, wo do, amnestied Fememox-der
Ees die Braunhernden kommandiert, dann in Worms and .„ vie-
Ien anderen kleinen Stadten und Ddrfern.
Erne genaue Sctailderung der Dinge, die sicb allein to den DSrfern
OberhLens in. Laufe der letzlen vior Woctaaa "g**ff» Jjj
wurde einen grauenerrwjenden Bericut geben. Aber es ist unmogl cb,
mehr als ein paar Einzelfalle genau festzustelleu, da jede Un L er-
suchun* dutch die allgemeine Angst vor Vergeltungsmassregeln, so-
wie auch vor Gefangaisstrafen erschwert wird. Vor em paar Tagen.
wurde ein Mann zu einem Jahr Gefangnis verurteilt. well er das
Jalsche Geriiehb verbreitete, ein Judo sei von den Braunhernden
gehiuigt worden. Das s Gerikbt» war in Wirkilchkeit wahr:
Der Jude, ein Herr . . ., wurde von Braunhernden gescblagen und
an den Flissen aufgehangt, sodass sein Kopf uber dem Erdboden
hing. Als die Braunhernden ihre Tatigkeit beendet hatten, war er tot
Ein Deutscher, der in seinem eigenen Land ein wahres Wort uber
den entselzlichen Terror spricht, riskiert furehtbare Misshandlung,
langes Gefangnis und eelbst den Tod. Von niernand kann verniinf-
tigenveise die Uebernahme eines solchen Risikos erwartet werden.i
Eiu Aufruf Einsteins
Beenden wir dieses Kapitel des Mordes und des Schreckens
mit einem menschlichen Dokument, dem Aufruf des aus DeutscU-
land vertriebenen Professor Einstein.
Am 27. Marz Iraf der Gelehrte aut dem Darnpler Belgenland
in Le Havre ein. Er wurde von einer Delegation der Internal io-
n.alen Liga gegeti den Antisemitismus an Hord des Schiffes be-
241
grusst und ubergab ihr folgenden, eigenhandig geschnebenen
A uf ruf:
.Die Tatlichkeiten brutaler Gewalt und Unterdriickung »egen alle
freien Geister und gegen die Juden, diese Tatlichkeitea, die in
Deutschland stattgefunden haben und noch stattfinden. hsben eliick
l.chenveise das Gewissen alter Lander geweckt, die der Humanittt
und den pohtischen freihciten treu bleiben.
Die Internationale Liga gegen den Antisemitismus hat sicb das groese
Verdienst erworben, die Gerechtigkeit zu verteidgen, indem sie die
tmigkeit der Volker herstellte, die nicht durch das Gift angesteckt
eind.
Es steht zu boffen, dass die Reaktion stark genug sein wird. urn einen
P.uckfall Europas in langst verflossene Zeiten des Barbarentume zu
verhiiten. Mogen alle Freunde unserer so schwer bedrohten Zivilisa-
tion ihre Anstrengungen konzentrieren, um diese psychische Krank-
beit der Welt zu beseitigen. Ich bin rnit Euch.»
III. Der Boykott
rife SS«? eginn Seine i Exi * tenz an hat der Nationalsozialisraus
die Methode angewandt, sich selbst als angegriffen, verfolgt und
bedroht ^rzustellen Der durch den Hitlerismus organisiertl, vo
her in Deutschland unbekannte pol it is che Terror hat
SSSfn ""r ? Hand mlt der or ganisierten Liige gear
best m^ni° y T ge 5 Cn d J Q jiid J Schen GescMfte - die Ausnahme-
Dest.mrnungen gegen die deutschen Juden bieten der Welt ein
hstenf.S 1ChCS S f aUSpiel dieser Methoden. Die Nationals
TZ C T. S38en k0 " nen: es entspricht unserem Programm,
5 Ssoh^f rCr Grundfor derung seit Jahren, dass die Juden
m Deutschland a u s g e r o 1 1 e t werden mussen.
I*JS?. ^ c" tal T - die NationaI sozialislen, um ihren Boykott zu
wolen nn n J n t!^ "^ sind a » H * g r i f f e n! Die Juden
S' e !,J S * rme Deut ^ vernichten! Wir handeln in ausserster
Z™ „i* / or S anisierte T ^ror wurde «eine Abwehrbewe-
gung» genannt:
.Deutsche Volksgenossen, deutsche Volksgenossinnenl Die Schuldigen
Gr „ D , I e9em J W n ah 1 WitzigeD Verbrec nen, an dieaer niedertrachtigen
weuei. Ulld Boykotthetze sind die Juden in Deutschland. Sie haben
Hire Kassengenossen im Ausland zum Kampf gegen das deutsche
voiJt autgerufen. Sie haben die Liigen und Verlenmdungen hinausge-
meidet. Darum hat die Reichsleitung der deutschen Freiheitsbewegung
Deacnlossen, in Abwehr der verbrecherischen Hetze ab Samstag, den
i. April 1933, vormittage 10 Uhr, tiber alle judischen Geschafte, Wa-
renhauaer, Kanzleien usw. den Boykott zu verhangen. Dieser Boykot-
242
iftrmifl Folue zu leieten, dnzu rufen wir Euch, deutsche Fraued und
C Kauft aicht in judischen Gescbaften Und War,nhausernl
S nichVzu judische* Rechtsanwfilten! Meidet judische Aerztel>
nip Reichsieitung der NSDAP veroffentlichte am 28. Marz an
n« Parteior-'anisaUonen einen Aufruf, in dem die deutschen Ju-
5 n beSuldigt werden. die .Greuelhetze* gegen die *nalionale
Hegicrunj* inszeniert zu haben.
Pie 11 Prograinmpiinkte
Am jrfeichen Tage wurden die beruchtigten elf Programme
punkte zur Durchfiihrung des Boykotts veroffentlicht. Wir geben
sie im Wortlaut:
G l In jeder Ortsgruppe und Organisationsgliederung der NSDAP
sind sofort Aktionskomitees zu bilden zur praktischen, planmassigen
Durchfiihrung des Boykotts jiidischer Geschafte, judischer War en,
jiidischer Aerzte und judischer Rechtsanwalte. Die Aktionskomitees
sind verantwortlich dafiir, dass der Boykott keinen Unschuldigen,
umso barter aber die Schuldigen trifft.
% Die Aktionskomitees sind verantwortlich fiir den hSchsten Schutz
aller Auslander ohno Ansehen ihrer Konfesaion, ihrer Herkunft Oder
Rasse. Der Boykott ist eine reine Abwenrmassnahme, die sich aus-
schliesslich gegen das deutsche Judentum wendet
3. Die Aktionskomitees haben sofort durch Propaganda und Aufklarung
den Boykott zu popularisieren. Grundsatz: Kein Deutscher kauft
noch be] einem Juden Oder laeet sich von ihm und seinen Hinter-
mannern Waren anpreisen, Der Boykott muss ein allgemeiuer sein
Er wird vom ganzen Volke getragen und muss das Judentum an
seiner empfindlichsten Stelle treffen.
4. In Zweifelsfallen soil von einer Boykottierung solcher Geschafte
sclauge abgesehen werden, bis nicht vom Zentralkomitee in Miinchen
eine andere Weisung erfolgt.
5. Die Aktionskomitees iibervvachen auf das scharfste die Zeitungen,
inwieweit sie sich an dem Aufkliirungsfeldzug des deutschen Volkes
gegen die judische Greuelhetze im Auslande beteiligen. Tuen Zei-
tungen dies nicht Oder nur beschrankt, so ist darauf zu sehen. dass
sie aus jedem Haus, in dem Deutsche wohnen, augenblicklich eut-
fernt werden. Kein deutscher Mann und kein deutsche? Gesehaft
soil in solchen Zeitungen noch Annoncen aufgeben. Sie miisson der
uffentlichen Verachtung verfallen, geschrieben fiir die judischen Ras-
sengenossen, aber nicht fur das deutsche Volk.
6. Die Aktionskomitees muesen die Propaganda der Aufklarung iiber
die Folgen der jiidischon Greuelhetze fiir die deutsche Arbeit und
damn fur clen deutschen Arbeiter in die Betriebe hineintragen uud
besonders die Arbeiter iiber die Notwendigkeit des nationals Boy-
cotts ais Abwehrn.assnahme zum Schutz der deutschen Arbeit auf-
Klaren.
243
7. Die Aktioiiskomitees oiussen bis in das kleinete Bauerndarl" hinein
vorgetrieben werden, urn besonders auf dem flachen Lande die jl'i-
dischen Handler zu treffen.
8. Der Boykott setzt nieht verzettelt ein, sondern schlagartig. hi die
sem Sinne sind augenblicklieh alle Vorarbeiten zu treffen. Es ergehen
die Anordnungen an die SA und SS, um vom Augenblick des Boykotts
ab durch die Posten die Bev61kerung vor dem Betreten der jiidischen
Geschiifte zu warnen. Der Boykott setzt schlagartig am Samstas, den
1. April, pimkt 10 Uhr vormittags, ein. Er wird fortgefiihrt soTange.
bis erne Anordnung der Parteileitung die Aufhebung bel'iehlt.
9. Die Aktionskomitees propagieren sofort in zehntausenden von
Massenversammlungen, die bis ins kleinste Dorf hineinzureichen ha-
ben, die Forderung nach Einfuhrung einer relativen Zahl flip die
Beschaftigung der Juden in alien Berufen entsprechead ihrer Betei-
ligung an der deutschen Volkszahl. Um die Stosskraft der Aktion
zu erhohen, ist diese Forderung zunachst auf drei Gebiete zu be.
schranken:
a) auf den Besuch an den deutschen Mittel- und Hochschulen;
b) fur den Beruf der Aerzte;
c) fur den Beruf der Rechtsanwalte.
10. Die Aktionskomiteee haben weiterhin die Aufgabe, dafiir zu
sorgen. dass jeder Deutsche, der irgendeine Verbindung zum Aus-
lande besitzt, diese verwendet, um in Briefen. Telegrammen und
Telefonaten aufklSrend die Wahrheit zu verbreiten, dass in Deutsch-
land Ruhe und Ordnung herrscht, dass das detitsche Volk keinen
sehnlicheren Wunsch besitzt, als in Frieden seiner Arbeit naehzu-
gehen und in Frieden mit der anderen Welt zu leben, und dass es
den Kampf gegen die jiidische Greuelhetze tiut fiihrt als reinen
Abwehrkampf.
11. Die Aktionskomiteee sind dafiir verantwortlich, dass sich dieser
gesamte Kampf in vollster Ruhe und grosster Disziplin vollzieht.
Krumrnt auch weiterhin keinem Juden auch nur ein Haar. Wir wer-
den mit dieser Hetze fertig einfach durch die einschneidende Wucht
dieser Massnahmen.j
Dieser Aufruf wird von einer langatmigen Erklarung be
gleitet: jedes Wort ein Indiz fur das schlechte Gewissen — aber.
wie immer bei diesen Herren, durch besondere Schneidigkeit ge-
tarnt. Zurn Schluss heisst es: «Nationalsozialisten! Samsta*;.
Schlag 10 Uhr, wird das Judentum wissen, wem es den Kampf an-
gesagt hatl»
Ein Berufener!
Zum Hauptling dieser «Abwehraktion» bestellten die Herren
des «Dritten Reiches» Julius Streicher, den Herausgeber
der Nurnberger Zeitschrift .Der Sturmer». Man wird in der
aussertteulschen Welt nicht wissen, was fur ein Blatt «Der Stur-
244
r» ist obwohl dieses Organ zeitweilig eine Auflage erreichte,
?^ in die Hunderttausende ging. «Der Stunner* ist kein antise-
lisches Hetzblatt ini ublichen Masstab. Sein Inhalt ging weit
"her alles hinaus, was man bisher in Deutschland an Schmutz
U lesea gewfibnt war. Dei Slurmer* war immer cin Gossen-
przeugnis- Er behandelte die «Judenfrage» pornographisch. Einige
neberscbriften nur aus der unendlichen Reihe der Schmutzlitel;
«Oskar Gross, der Dienstbotenschander von Kitzingen*
■ Blonde Madchen Opfer des internationalen Madchenhandels*
Unterhosenskandal am Jakobsplatz*
Das Privathotel auf dem Plauencr Kirchplatz*
-Das Polizeiverbot und das Bordell auf dem Zeppelinfeld*.
Diese Leistungen legitimierten Herrn S t r e i c h e r, in den
Reihen der NSDAP Karriere zu machen und endlich zum
Kommissar der Boykottbewegung ernannt zu vverden. Streicher ist
mmir M
Qamvu £ttfc fc&Htffht Kufflarung, im& aCec {Q xe BcitcflunflMt utib tfaufe a« Bffptfieit Er.tet
!Prcpcgicrung nationolfpsioliffifcfjcr (Scbanfen* aitfer?m Wurmen, wit bet ficiAFf&unfe sv-ticitt,
vl*l «5« ft m aafamalfoaioIilUW einguftellen. », ^ - % ffr*^«II Often-
W W M b« ft„»pfS„A be* .MH. fifilff 5 * ?«WlK^^^
SSitielfian&cS Qcnotigt, dnmal cin ejempel gu gelbmanst, OBttiRgeirifiUV Ctfemtfce 85,
[ictuieren. 2ki bcr tefcten S.'tion 311 ©unit en fccS (5d?n eiber. Stater. ficsfrinsfticfee S.Jsira^-
beuifd}«i Cinjelbanbtlfl iDiirfcen intercftante gcf!« 5!
(IcQunQcn gcmadjt. 3m ©etou&ijcm iljreS unrcd?-
Jen STunfi ecrmeiben cS S?oIIBgenofien, jubifdjc
<S*fdjafie effen $\i betxehn, fie benu&en lon'nte "biefc Sijtc " nocf» fcbculcni crtrcitctt
ftinterturen o&er oa* SeletTjon, urn njerhen.
JvdmboyJfotl halt an : Au&schnitt aus dem xDortmunder Gcneralanzelger*
vom 8. Juli 1<)33.
oft verurteilt worden, nicht nur wegeii Verleumdung, Bedrohung
und anderen «politischen» Delikten, sondern auch wegen «E r-
pr es su ng».
Herr Streicher hat zu seinem Stellvertreler im Aktionskomitee
unverzuglich seinen Mitarbeiter, den Redakteur des "Stunner*,
Holz, gemacht. Auch Holz ist vielfach mil den Strafgesetzen in
Konflikt geraten. Er ist nicht nur wegen «b e w u s s t e r Ver-
leumdung politischer Gegner ini Wiederholungsfalle* selbst
von bayerischen Gerichten zu Gefangnis verurteilt worden, son-
dern auch vielfach wegen Trankenheits- und Rohheitsdelikten.
Er und Streicher haben das Rilualmord-Marchen alien Ernstes im
20. Jahrhundert aufs Neue verbreitet. Ein Gerichtsurteil besagl,
dass Holz, um diese Marchen glaubhafter zu machen, sie in die
liegenwart verlegt hat und, • ohne den geringsten Anhalt dafur
245
zu besitzen, ehrbare und fuhrende Personiichkeiten Niimbergs
daran beteiligt und als Riiualmorder hat auftreten lassen».
Herr Streicher erklSrte auf einer Pressekonferenz der «nalio-
nalen Journalisten» am 30. Marz:
«Ich werde oicht davor zurtickschrecken, den deutschea Juden auch
die Ausubung des Gottesdienstes mil Gewalt zu verbieten und aie
am Betreten der Synagogen durch bewaffnete SA-Leute hinder* zu
lassen.*
Im ubrigen sei der Stein nunmehr im Rollen; ob die Greuel-
propaganda aufhore oder nicht, das eei gleich-
giiltig. Diese Propaganda des Auslandes gegen Hitler habe den
w i I Ikonmien en Anlass gegeben, und die Aktion wurde
durchgefuhrt; es ware eine vollendete Illusion, anzunehmen, dass
die SA-Leute sich hiervon abkalten liessen. Er, Streicher, sei mit der
EntwickJung durchaus zufrieden; seine einzige Sorge in den ver-
gangenen Wochen sei gewesen, dass der Vernichtungskampf
gegen die Juden etwa unterbleiben konnte.
In diesem Falle — das sei seine feste Ueberzeugung! ware die
nationale Revolution an ihrer eigenen Unzulanglichkeit zusammen-
gebrochen. Diese Gefahr aber ware nun endlich und endgtiltig besei-
tigt; man moge ihm, Streicher, vertrauen, dass erganze Arbeit
den Juden gegenuber leisten "werde!
Boykott-Vorbereituugcu
In den letzten Tagen vor dem Boykott wurde die Judenhetze
systemalisch gesleigert.
VVir bringen als Exempel eine der « representatives Reden,
die des neuernannlen Polizeiprasidenlen von Frankfurt, General
von West rem, die eincm Organ der NSDAP, dem «Frankfurter
VolksbIatt» vom 30. Marz cntnommen worden ist :
<Kein SA-Mann vergreift sich an einem Juden, weil er weiss, dass
der Jud' ihm nicht ebenbiii'tig ist. Ich werde ea auch nicht mehr
langer dulden, dass auf deutschem Boden geborene Tiere unter
der sadistisch-asiatischen Sch&chtrnethode qual-
voll verenden mfissen. Kann der Jud' unser Fleiech nicht essen.
dann mag er Kohlriiben und Kartoffeln essen wie ihr im Hunger-
winter des Weltkrieges. Deutschland ist erwacht Ihr Juden, ihr
braueht nicht zu zittern, wir bleiben legal, so legal, dass euch vielleicht
die Legal i tat unbehaglich wird, dann k6nnt ihr ja nach Palastina ge-
hen und euch das Fell gegenseitig iaber die Ohren ziehen!>
Aktionskomitees
Die Anordnungen der nationalsozialistischen Parteileilung
iibersturzcn sich. Aktionskomitees wurden allerorten gebildet und
mit der Aufgabe betraut festzustellen, vvelche Geschafte, Waren-
h.iuser. Anwaltskanzleien usw. sich in jiidischen Handen befin-
246
Das •Zentralkomitee zur Boykottierung judischer Geschafle»
gab 'folgende Richtlinien aus:
ni* Akticnskomiteee Ubergeben das Verzeichnis der festgeetell-
in iiidi«chen Geschafte der SA una SS, damit diese am
-omstaa den 1. April 1933, vormittags punkt, 10 Uhr die W ache n
nfsiclieii konnen. Die Wachen haben die AuFgabe, den. Publikum
hpkanntzug eben ' dass das von ih,ien Bberwachte Geschaft judisch ist.
Tfilllcl" vorzugehen ist ihnen verboten. Verboten ist ihneu auch. di-a
Geschafte zu schliessen.
7 r Kenntnismachung judischer Geschafte
B ind an deren Ei n ga n gs t li r e n Plakate oder T a-
f in mit gelben Flecken auf Bchwarieoi
rVunde anzubringen. Entlaesungen von aicht
/lid is chen A ng est el It en und Arbeitera durfen
v o a den boykottierten judischen Geechaften
nicht vorgenommen, Kiindigungeo nieht aus-
gesprochen werden.
Die Aktionskomitees veranstalten am Freitag abend in alien Orten
hr Einvernehmen mit den politischen Leitungen grosse Masse 0-
1,-undgebungen und Demonst ratioDSZiige. Am
Samstag vonnittag sind bis spatestens 10 Uhr die Plakate mit dem
Bojkottaufruf an alien A n s ch 1 a gsa u 1 e n in Stadten
uiid DorFern anzubringen.
Zu gleicher Zeit sind auch an Lastautos Oder nocb besser an
MilbclwageQi folgende Transparente in hier angegebener
Reibt'nfolgr clurch die Strassen zu fahren;
«Zur Abwehr der judischen Greuel- und Boykotthetze»
.Boykotliert alle judischen Geechafte*
«Kauft n.'cht in judiechen Warenhausern*
«Geht nicht zu judischen Rechtsanwaltem
cMudet jiidische Aerzte>
«Di€' Juden sind unser Ungliicki.
Zur Finaazierung der Abwehrbewegung organisieren die Komitees
Sanunlungen bei den deutschen Geechaftsleu-
I e n.>
An samtlichen Litfassaulen im Reich hing in den Tagen vor
dem 1. April diese Bekanntmachung:
«Bie Sonnabend friib
10 Uhr
hat das Judentum Bedenkzeit!
Dann beginnt der Kampfl
Die Juden aller Welt
wollen Deutschland vernichten!
Deutech es Volk 1
Wehr dichl
Kauf nicht bei Juden!»
247
Audi die verschiedensten Ministerial aus&erten sich ihrer-
seils ressortmassig iiber die anzuwendenden Boykottmassnah-
men. Wir werden im Abschnitt A us n ah m e-«Rec h t» noch
mit solchen Vcrordnungen bekanntgemacht werden. Alle mil dor
NSDAP korrcspondierenden Vereinigungen, samtliche Unterabtei-
tungen, Gaue usw- erliessen detaillierle Bestimmungen; es gab
keinen noch so kleinen Parteibeamten, der sich aicht rait scinen
Anweisungen wichtig inachte.
Aus den Nachrichten iiber den Boykotlverlauf bringen wir
einige bezeichnende offizielle Meldungen, die beweisen, dass ins-
besondere in Klein- und Mittelsladlen die SA vor dor Anwendung
von Gewalt durchaus nicht zuriickschreckte. Das Conti-Bureau
(WTB) meldet aus Annabel* g in Sachsen:
a Hier zogen heute vormittag vor jiidischen Geschaften etarke SS-
und SA- Abteilungen auf und driicktea jedem Kaufer, der die Laden
verliess, cinen Stempel mit der In sen rift ins Ge-
sicht: aWir Verratsr kauften bei Juden>. Nach eiaer Anordnung
der NSDAP diirfen die jiidischen Geschafte erst morgen boykottiert
werden. Auch in Berlin sind, wie das Conti-Buro erfahrt, ahnliche
Massnahmen wie in Annaberg vorgeseben.»
Die deutschnalionaJen «Leipziger Neuesten Nachrichten* Hid-
den aus K a s s e I vom 1. April:
<Die Abwehraktion hat auch in Kassei ptinktlich urn 10 Uhr vormit
tags eingesetzt. Auf dem Friedricha Platz vor dem Warenhaus Tier?
ist ein Viereck des Platzes in Kafigform mit Stacheldrabt
abgespcrrt und ein Schild mit der Aufschrift angebracht: «K on-
zentrationslager fiir widerspenetige S t a a t s-
biirger, die ihre Einkaufe bei Juden tfitigen.i im Urn •
Drahtverschlages ist ein lebender Esel untergebracht. Zu irgendwel-
chen Zwiachenfallen ist es bfcher nicht gekommen.>
Eine andere Mel dung der Telegraphen-Union vom 31. Marz
aus Leipzig lautct:
*Die aus den Hausern sicb entfernenden Kaufer wuTden photogra-
phiert, Verschiedene Warenhaueer haben bereits geechlossen.*
„Provokateure"
Die nationalsozialistische Parteileitung hatte Vorsorge getroi-
fen, dass die imvermeidlichen Brutalitaten und Ausschreitungen
entfesselter SA-Horden nicht zu Lasten der Bewegung gerechnet
werden sollten. Tage vorher wurde gewarnt vor «kommunisti-
schen Provokateuren*, und konsequent sind denn auch die meisten
Bestialitaten, die an diesem Tage vorgekommen sind, auf das
248
Ohen- Die aorialdemokratischen Stadtrate Westfahlinj-er und M
3£5« geswun S en, Hire* Genossen Kuhnt .n einem Karren durch
Stadt zu Ziehen.
Muller
diy
ITnten: Dor fruhere oldenburgischa MinisterprasiderU und ^^^okr^
tische Reichstagsabgeordnete Kuhnt wurde am 9 Mar 1933 m Chemn.a
von SA verhaflel und im Triumph durch die Stadt gefunrt.
(Dieu Polos warden als NnaiAtaposllwricn vcn dcr.SA in den Handel rfebrachl.)
Die ffitlfcrregierung raubt das Dresden or Gewerkschaftshaus
unci verwandell cs in eine SA-Kaserne.
SA verbrennt die Fahnen der Dresdener Orlskrankenkasse.
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Fragebogen der Arztekammer nach <Qrossvaler and Oroumultor*.
Konto dieser frei erfundenen «kommunislischen Provokateure»,
die nierkwiirdigorweise schon seit vielen Jahren in den Reihen
der SA stehen, geschoben worden. Nicht in alien Fallen ist es
moglich gewesen zu leugnen, dass SA-Kommandos auf Weisung
mittlerer oder hoherer Funktionare «Verhaftungen» vorgenom-
men haben, bei deneu dann das eine oder andere Juden-
schwein zu Schaden gekommen» ist.
Kicliter auf Miilltonnen
Von einem Augenzeugen wird aus Koln berichtet:
An Koln spielte sich am Freitag, 31. Marz, vor dem Oberlandesge-
richt auf dem Keichensbergerplatz eine unbeschreiblieh gemeine
Szene ab. Nazi-Burschen dFangen in das Oberlandesgerichtsgebaude
em und d r a n g t e n gewalteam die judischen R e c h 1 6-
anwalte und Richter hinaus, die man vorber dorthiu
bs&tellt halle. Draussen wurden sie vor den Augen eines grossen
Publikums auf M till tonnen wagen geladen und dem Gespott der
Meuge ausgesetzt. Mehrere Anwalte und Ricbter trugen noch ihren
Talar. Die Wagen warcn mit Sehildem versehen, auf denen sich die
Aufschrift bel'and : cAbtransport zur Miillverwer-
tungss t elle*. Die Polizei sah untatig zu. Die Wagen fuhren
dann zum Polizeiprasidium, wo die Insassen in Schutzhaft genommen
werden sollten.
Der offizlelle Bericht, eine dreiste False hung, sah so aus: In
Koln haben SS-Leute inx Einvernehmen mit der Polizei eine grossere
Anzah] judischer Richter und Rechtsanwalte zu ibrer personlicheD
Sicherheit (!), als eine grossere Menschenmenge sich vor dem Ge-
richtsgebaude versammelt hatte, in Schutzhaft genommen.>
Audi dieser Boykott hatte seine Grenzen — namlich da, wo
der Profit in Frage steht. Wir werden noch horen, dass alle diese
Massnahmen im Effekt nur den judischen Miltelstand und die
proletanschcn judischen Schichten getrolfen haben, nicht aber den
judischen Kapitalisten. Wo etwa der Fremdenverkehr bedroht er-
scheint, da haben alle Vorurteile, da hat aller Rassenhass zuruck-
zustehen, da ist auf einmal «der Jud'» nicht mehr der Unter-
mensch, nichl mehr «die WeltpesU, sondern nur noch der hoch-
willkommene zahlende Kurgast. Horen wir eine Meldune der
^Frankfurter Zeitung*: b
tWiesbaden, Ende Mai. Das Kurgeschaft ist in diesem Jahre bisher
wei hinter den Erwartungen zuriickReblieben: die Fremdenzahl be-
trug z. B. in der ersten Woche im Mai, der fur Wiesbaden immer
Hauptsaisoa ist, nur 1744, in der folgenden grossen Festspielwoche
stieg sie auch nur auf 1808 und ging in der nachsten, der hollandi-
schen Woche, wieder auf 1760 zurttclc. Die Gesamtfremdenziffer be-
250
!rug bis Mitte Mai erst 27.000. E* is! daher rra Intcresae de r Kur
Industrie, dass Magistrat, Kurdirektion und die nationalso-
zi a 1 is ti sciie Kreialeitung in einem Aufruf an alle in
Frage konimenden Stellen dee In- und Auslandcs bekanntgeben da^
die Heilquellen und sonBtigen Heilmittel Wiesbadens auch unter der
neuen Re^ierung alien Heilung. und Erliolungssm-hendea aus alien
Laodern nach wie vor ungehindert mx Verfuguug stehen, dass Rune
und Ordnung niemals hier gestort waren.»
Es heisst weiter: «Die fur die VerwaUung Wiesbadeas massgeben-
den Stellen verburgen alien, die zum dauernden oder vorubercehen-
den Aufeuthalt nacb Wiesbaden kommen, gleictagiiltii* wel
cher Konfession und Einstellung, einen "unge-
start en, sichereo und angenehmen Aufenthall.*
IV. Ausnahmc-„liccht"
Der offene Boykott des 1. April-Tages wurde nichl weiter
fortgefiihrt, obwohl die nationalsozialistische Presse und Parlei
versichert hatten, dass dies-er kistorische Sonnabend «lediglich als
Generalprobe fur cine Reihe von Massnahmen zu betrachten* sei,
die, «wenn sich die Meinung der Welt, die im Augenblick gegen
tins ist, nicht endgiiltig anderl, durchgefuhrt werden». Nun, die
Meinung der Welt hatle sich grundiich geanderl von diesem Tage
an, und zwar zu Ungunsten des «I) r i 1 1 e n Reiches*. Die
Machthaber in Deutschland merkten es sehr bald, sie merkten es
schon vor clem Boykolt selbst, und sie fanden, dass diese offene
Demonstration ein schlechtes Geschaft sei. Die National-
soziahslen haben zwar Grundsatze, aber sie waren stels bereit,
sich diese Grundsatze abkaufen zu lassen.
Schon an den Vortagen des Boykotls ausserte selbst Herr
Mreicher — offenbar auf Druck der Regierung hin - dass die
w lederaufnahme des Boykotts voraussichllich nicht notig sein
werde. Und der Reichsminister fiir ^Propaganda und Volksauf-
Kiarung, leilte am Vorabend des 31. Marz den Vertretern der aus-
iandischen Presse mit:
«dass sich die Reichsregierung entschlossen habe, den Boykott ?o-
gen die Juden vorlaufig fur Samstag, den 1. April 'zu
Degrenzen, und zwar in der Weise, dass von 10 Uhr fruh bis
» Uhr abends der Boykott aufreeht bleibt.
Darauf sol] bis Mittwoch zugewartet werden. Hat die Internationale
resse bis dahin ihre Hetze gegen Deutschland eingestellt, so wer-
k 7 Weiteren Massr, ahmen abgesehen werden. Andernfalle werde
"»> Mittwoch, 10 Uhr vormittags, ein Boykott einsetzen, der die Ju-
d en sen aft Deutscb lands zur v611igen Vernich-
251
tun" treiben wird. Die Verordnung, dass am 1. April die
jLohuo uiid Gehiiiter vou den jiidisch-eu Firuien aui zwei Moaate
im voraus ausbezahlt werden miisseu, wurde zuriickgenomraen.>
Der lelzte Satz dieser Mitteilung zeigte besonders deuttich,
dass unter dern Druck der Vcrhiiltnisse die Nationalso-
zialisten gezwungen waren, ihre eigenen Verordnungen Punkt
fur Punkt wieder abzubauen. Ursprunglich war bestimrnl worden,
dass alle jiidischen Geschaftsinhaber alien ibren christlicben An-
gestellten das Gehalt fur zwei Monate vorauszubezahlen hatten.
Daraul'hin erfolgte ein Run auf die Banken, der zu einer Kata-
strophe gefuhrt hatle, wenn man diese Verordnung nicbt schleu-
nigst zuruckgenommen hatte.
Der offene lioykott war eine Demonstration, und als Demon-
stration ein Schlag ins Wasser. Der offene Boykott wurde nicht
wieder aufgenommen. Dafiir wurde der stille Boykott weiter
fortgefuhrt, jener Boykott, der nichts kostete, und der nicht so sehr
die grossen und reichen jiidischen Firmen betraf als Zehntausen.de
und Aberzehntausende von kleinen jiidischen Ange-
s t e 1 1 1 e n, von Aerzten, Rechtsanwalten, Lehrern,
Beamten, Universitatsprofessoren usw. Es ist eine
Frage der F u 1 1 e r k r i p p e. Hunderttausende von Juden werden
brotlos gemacht — nun gut, es gibt also Platz fur viele nationai-
sozialistische Anwiirter.
Die jiidischen Anwalte werden nicht mehr zugelassen
Die Verordnungen der einzelnen Minister, Gauleiter uvw.
jagten sich und widersprachen teihveise einander. In Berlin wur-
den zunachst von fiber 1200 jiidischen Anwalten nur noch 35 zuge-
lassen, in Koln durften nur vier jiidische Rechtsanwalte weiter
pladieren. Alle jiidischen Ric liter wurden ebeur-
laubt». Die nationalsozialistischen Juristen, die rasch die Ge-
legenheit ergriffen, sich der jiidischen Konkurrenz zu entledigen.
fassten (nach der deutschvolkischen «Wahrheit» vom 25. Marz
1933) auf einer im Marz in Leipzig abgehaltenen Tagung ihres
Bundcs einen entsprechenden Beschluss.
Der Reiehskomioissar fur das Preussische Justizministerium
gab am 31. Marz an samtliche Ofcerlandesgerichtsprasidenten, Ge-
neralstaatsanwiilte und Prasidenten der Strafvollzug&amter in
Prcussen folgenden Erlass heraus:
«Die Erregung des Volkes iiber das a n m asse nd e Auftreten
amtierender jiidischer Rechtsanwalte und ] tt-
d is cher Aerzte hat Ausmasse erreicht, die dazu zwingen, niit
252
M<5glichkeit 211 recbnen, das3 besondere in der Zeit des berech-
t- e \en Abwebrkampfes des deutschen Voikes gegen die alliudiache
^ g ue l propaganda das Volk zur Selbsthilfe schreitet. Das wilrde eine
rfabr fur die Aufrechterhalrung der Autoritat der Rechtspflege dar-
llen Icb ersuche desbalb umgfthend, alien amtierenden
iftdischen Richtern nahezulegen, sofort ihr
it -laubsgesuch eiozure:chen und dieaem sofort stattzugeben.
1 ti ersuche, mit den Anwaltskammern oder cirtlichen Anwaltsver-
inen aoch beute zil vereinbaren, dass ab morgan frtih 10 TJbr nur
och besiinmto judische Rechtsanwaite, und zwar in einer Ver-
1 :; 1 1 u i y zali ». die dem Verhiiltnis der jiidischen Bevolkerung
sofistigen Uevolkerungszahl entsprieht, auitreten. Mir scbeiut eg
sOlbstverstandlich £H eein, dass die BeioTdmmg jiidischer Anwalte
uodArmrnanwaJU* Oder Bestellung von solchen als Pflichtverteidiger,
zu KockursveiwaHern. Zwangsverwaltern usw. ab morgen 10 Uhr
aicht mehr erfclpt. AaftrSge zur Vertretung von Recbtsstreitigkeiten
des Staates an jiidiecbe Anwalte ersuche ich sofort zuruckzu-
ziehen. Den Gesanitrucktritt des Vorstandes der Anwaltskam-
niern ersuche ich riurcb ents-prechende Verhandlungen herbeizufuh-
ren. Wenn von den Gau- und Kreisleitungen der NSDAP der Wunsch
geaussert wird. durcb uniformierte Wachen die Si-
cherlieit ycd Ordnung innerhalb dee Gerichts-
gebfiudeszu iiberwachen, ist diesem Wunscb Reehnung zu tragen.>
Aehnliche Verordnimgen wurden gegen die jiidischen Aerzte
erlassen. Ihnen wnrde zunachst ausnahmslos die Berechtigung zur
Kassenpraxis. das heisst zur Behandlung der sozial-versicherten
KrankriK also der grossen Mehrzahl alter Patienten, entzogen.
An die preussischen Hochschullehrer und Dozenten wurden
auf Veranlassung des Kultusministers Rust Fragebogen ausgege-
ben, durcli deren AusfiUhmg der Minister Aufschluss iiber die
rassische Abstammuns der Universitatslehrer zu erhalten wunsch I.
Das Beamtengesetz
Was die Beamten betrifft, so wurde die «Rassenfrage» durch
ein Gesetz, das Anfang April im Reichsgesetzblatt veroffentlicht
w"urde, vorlaufig folgendermassen geregelt:
cAls nichtariscb gilt, wer von nichtar-schen, insbesondere jii-
discben Eltern odrcr Grosseltern abstammt. Es genmrt, wenn ein
Elternteil oder ein Grosselternleil nichtariscb ist. Dies ist insbeson-
dere drum an/.unehmen, wenn ein Eltern- oder Grosselternteil der
Sischen Religion angehort hat.
Es hat feme sr, it aicht be re its seit dem 1. August
191 I Beamier gewesen ist, nachzuweiseu, dass er ariscfaer A b-
s t a m m u n g Oder F r o n ! k a m p f e r oder der Sohn Oder V a-
ter einee im Weltkriege Ci»fallenen ist (Geburteur-
kunde und Heiratsurkunde der Elteru, Miiitarpapiere) 1st die
arische Abstammung eines Beamten zweifelhaft, so muss ein
Gutachten dea beira Reicharainisteriuni des ttmern beelelHen
Sacb vers tiin di gen f ii r R a 6 s e n f o r s c b u n g eingebolt
werden.
Bei der Priifung, ob die Vorausaefeungen dee § 4 Satz 1 gegoben
sind. ist die gesarute politische Betatigung des Beam-
ten, insbesondere seit dera 9. November 1918 in Betracht zu ziehen.
Jeder Beamte ist verpflichtet, der oberaten Reichs- oder Lan-
desbehorde auf Verlangen dariiber Auskunft zu geben, welchen poli-
tischen Parteien er bisher angehOrt und in welcher Richtung er sich
politlech betatigt hat. A Is politische Parteien im Siune dieser Be-
stimmung gelten auch das Reich sbanner Schwarz-Rot-
Gold, der Republik anise he Richterbund und die
L i g a fur Menschenrechte.>
Diese Verordnung ist besonders wichtig, weil spaterhin fast
alle Kategorien von Akademikern (Aerzte, Anwalte, Hochschul-
lehrer usw.) aber auch Bankbeamte, Angestellte us-w. nach den
Ausleseprinzipien dieser Verordnung gesiebt wurden.
Der Ka-nipf gegen die jiidischen Arzte
Was die Aerzte angeht, so genugt vielleichl die Lekture des
folgenden Aufrufs, der im «Gross-BerIiner AerzleblaU mit Ber-
liner Aerzte-Correspondenz» am 20. Mai 1933 veroffentlicht wurde.
Der Verfasser, ein Herr Dr. Ruppin, ist nicht irgendwer, son-
dern Kommissar im Provinzialverband der Aerzte der Provinzen
Brandenburg und Grenzmark. Dieses Dokument tragt die Ueber-
schrift: «Fort mit den jiidischen AerztenU
<Die vSIIige Entfernung der Juden aus den akademischen Berufen
ist notwendig.
Dii! freien akademischen Berufe, insbesondere die Aerzte, kommen
mit weitesten Kreisen der Bevolkerung in personliche Beriihrung und
nehraen aJs Aerzte ihren Patienten gegeniiber eine Vertrauensstel-
lung ein, die ibnen Einfluse auf die Denkweise dieser Kreise ein-
raumt. Der Provinzialvorstand der Aerzte Brandenburgs halt es da-
her in unserem volkischen Staat Kir undenkbar, dass ein Jude die
MOglichkeit behalt, das Gift j it d i s c h e n D e n k e n s auf diesem
Wege auszustreuen. Dureh die Ueberjudung ist unstreitig die Erti-
here ideale Berafsauffassung in weiten Kreisen der freien Berufe
dern jiidischen Geschaftsgeist bereits gewichen. Dieser Geist muss
aus unserem Aerztestand ausgetilgt und jede Moglichkeit 6einer
Wiederkehr beseitigt werden. Mit scharfsten Mitteln ist die Kor-
ruption, soweit sie schon eingedrungen ist, auezurotten. Wir deut-
schen Aerzte fordern daher Ausscbluse all er Juden von der
25-1
arztlichen Behandlung deutscaer Volksgenossen, weil der Jude die
[ukaruation der Luge und dea Betruges ist. Ferner
fordern wir eine strafrechtliche Bestimmung, die Vergeben und Ver.
brecben, die mit der Vertrauensstellung der freien Berufe zusam-
menhangen, mit Zuchthaus und sofortiger Entziehung der Berufs-
ausiibungserlaubnis bestraft.
Wir Aerzte fordern alle national-volkischen Berufsorganisationen
des Deutschen Reiches auf, sich uneerer Forderung anzuschlies9en.»
Zur Erganzung noch aus dem Erlass des Kommissars Dr.
Wagner, dem sich die Spitzerwerbande der Deutschen Aerzte-
schafl unterstelli haben:
<Auf Grund des Boykotts gegen das Judentura hat im Einvemehmen
mit dem Oberbiirgermeister die stadtische Krankenversicherungsan-
stalt zu Berlin ihre Abteilungen angewiesen, Erstattungsantragen
ihrer Mitglieder, aus denen hervorgeht, dass die arztliche Behand-
lung am Oder nach dem 1. April bei einem judischen A r z i
begonnen hat, nieht s t a ttz uge b en. Bei bereits begonne
ner Behandlung bei einem judischen Aral sollen die Mitglieder sich
liberie gen, ob sie die Behandlung bei diesem fortsetzen. Die
Krankenversicherungsanstalt erwartet, dass die Mitglieder aus ihrem
nationalen Pflicbtgefiihl heraus auch jiidische Apotheken, Kliniken,
Optiker, Badeaastaltsbesitzer, Zahnarzte und Dentisten nieht in
Anepruch n e h m e n s
Entlassung der judischen Lelircr
Die kunftige Stcllung der judischen Lehrer in Deutsch-
land ist gekennzeichnet durch einen Brief eines der einfluss-
reichsten nationalsozialistischen Fiihrer, des Landtagsabgeord-
neten Dr. Lopelmann, in dem es heisst:
cWir machen Sie darauf aufmerksam, dass es untragbar ist,
wenn he ute noch judisehe Lehrer an preussisch en
Unterrichtsanstalten amtieren, whrend deutsche Fronteoi-
daten als Aushilfslehrer in ihrem eigenen Vaterlande mit unzurei-
chender Bezablung herumgestossen werden. Wir betrachten es wei
ter als einen unmoglichen Zustand, dass in preussischen Lehranstal-
ten auf die Ueberheblichkeit judischer Schiiler und Schillennnefl
noch irgendwie Riicksicht genommen wird. Namens der nationalso-
zialistischen Preussenfraktion diirfen -\vir von Ihnen folgende Mass-
nahmen wohl erwarten :
1. Samtliche judisehe, d. h. von Juden abstam-
mendeLehrpersonen sindmitsofortiger Wirkung
von alien preussischen Unterrichtsanstalten zu
beurlauben bezw. abzubauen.
25S
2. Fur die judischen Schiilex und Schiilerinnen Stu-
denten und Studenlinnen wird der Numerus clausus enteprechend
der Bevolkerungszahl des judischen Volkes innerhalb des Deutschen
Reiches eingefiihrt, d. h. nup immer ein Prozent der Schulerachaft
einer Anstalt darf judisch Oder judischer Herkunll sein.»
I m Sinne dieses Briefes sind fast alle im slaatlichen Kom-
munaldiensl beschafLigten judischen Lehrer zunachst einmal so-
fort «beurlaubt» worden. Ein Erlass des Oberprasidenten von
Brandenburg und Berlin dehnt diese Massnahmen auch auf die
judischen Privatlchror aus.
Am 25. April wurde in einer Kahinetts-Sitzung ein «Gesetz
>! e g e n die Ueberfremdung deutscher Schulen
und H o c h s c h u 1 c n» verabschiedet
Naiurgeinass gclten die Bestimmungen, die auf die Kalegorie
der Lehrer angcwendet werden, im besonderen Masse aueh fur die
Hochschullehrer. Die Liste der entlassenen oder «beurlaub-
ten» judischen Dozenten brachten wir in einem fruheren Kapitel
des Braunbuches.
AusscUaltung jiidischer Redakteure und Jonraalisten
Die «Neue Freie Presses vom 13. April 1 9:?3 meldet:
Tin der ausserordentlichen MJigliederversammlung dee Bezirks-
verbandes Berlin im Reiehsverban-d der deutschen
Presse wurde einstimrnig beschlossen, fiir die Delegiertenver-
sammlung dee Reichsverbandes Dr. Dietrich zum Vorsitzen-
den des Reichsverbandes vorzuschlagen. Im Anschluss an
die Generalversammiung des Landesverbandes im Reichsver-
band der deutschen Presse — so nennt sich fortan der Be-
Kirksverband — fand eine Sitzung des neuen Vorstandes
slatt, in der einstimmig ein Antragangenommen wurde. dass
kunftig judisch e und marxistische Redakteure nicht
raehr Mitglieder des Landesverbandes werden kcinnen, Fer-
ner wurde ein Antrag fur die Delegiertenversammlung, den Reichs-
verbandstag, angenommen, der fordert, dass jiidisehe und m ar-
sis tische Redakteure weder dem Reichsverband
ier deutschen Presse beitreten noch fhm angeho-
ren konnen. Auch dieser Antrag fand einstimmige Annahzne.*
Unterdessen sind fast samtliche judischen Redakteure an
cteutschen Zeitungen entlassen worden, und die Arbeiten fast aller
freien Mitarbeiter judischen Glaubens oder judischer Abstamraung
werden konscquent refiisiert. Es muss feslgestellt werden, dass sich
hierbei insbesondere auch die judischen Zeilungsverleger unruhm-
hch ausgezeichnet haben. Erwahnen wir als Beispiel das Ver-
nalten des judischen Zeilungsverlegers der «Neuen Badischen
2^0
Landeszeitung; in Mannheim, Giitermann, der schon am i Ma™
alle seine judischen Redakteure und Angestellten entliess. '
Ausschlass der Schotten und Geschworenen
Auf alien Gebieten geht der stille Boykott geeen
die Juden weiter; sie werden aus dem off entlichen Leben au^e-
merzt. Die «Neue Freie Presses meldet am 12. April den Aus-
schluss der Juden aus den Listen der Geschworenen, Schoffen und
Handelsrichter:
«Die Reichsregierung hat beschlossen, die laufende Wahlperiode alter
Schoffen und Gesch worenen vorzeitig mit dem 30. Juni 1933 zu beenden.
Zu dem gleichen Terrain soil auch die Anitsdauer der Handelerichter
enden. Die neuen Schoffen und Geschworeuen werden anders zu-
sanunengesetzt sein als bisher, denn die Genteinden werden in die
Wahlkorperschaft fiir Schoffen unter den heutigen Yerhiiltnissen na-
turgemass anders orientierte Personen entsenden. Bs wird keine
kommunietischen Schoffen und Geschworenen
mehr geben. Die Zahl der vorgeschlagenen Sozialdeinokraten
wird weeeatlich geringer sein, und auch Juden -werden
wohl nicht mehr gewahlt -werden. Das gleiche Bild wird sich
fur die neu zu ernennenden Handelsrichter ergeben. Bis zu den Neu-
wahlen brauchen sich nach dem soeben erlassenen Gesetz die Rich-
ter nicht an die bisherigen Vorschriften iiber die Zuziehung der
Laienrichter zu halten. Sie konnen zum Beispiel einzelne Rich-
ter iibergehen.>
Juden als „outcasts" im Sport
Selbst im Sport gilt jeder Jude als ..outcast* Wahrend sogar
in Amerika farbige Boxer zu Titelkampfen antreten ^ *«£
scke Boxer iudischer Religion oder Abstammung in deutscben
Rmgen n ich J tmehr auftreW Der Mittdajw^-eigo^
Deutschland, Erich S e e 1 i g, wurde dara V^h"? inzW ischen in
land seinen Meistertitel zu verteidigen Er ha ^^S 1 ^ ™
Frankreich seine Form unter Beweis gestellt Der deutec he 1 e :n
nismeister Daniel Prenn, der weitaus ! bote deutt^
Spieler, darf nicht mehr als Vertreter Deutschlands auf den mtcr
nationalen Spielen nomimert werden. mP iHef
Die «Neue Freie Presse» vom 28. April 1933 meldet.
. . . <r>er Deutsche
<Der Deutsche Sctrwimmverband VCTlaUtD " ' ph e n bekannt.
Schwimmverband hat sich zum Arierpa s Sportve rban-
In welcher Form die Zugehongkeit der Juden bezieh ungs-
den und dadurch auch zum SchwimnvverT»and ger^ aufgenom .
weise der Arierparagraph in die |»«^ dje die Re g ie rung
men wird, richtet eich nach den Bestimmu g
257
erliisst. Bis dal.in bestimme ich, class Juden v OB alien lei t e n-
rfln Stellen in Verband zu entfernen uud hinter
a a Front zu stellen s i u d ; auch bei alien reprusenta-
fiven Veranstaltungen und sportlichen Vertre-
tunsen haben sie niclil in Eracheiuung zu treten
1 u u s Oeorg Has.*
(Der Deutsche Schwiinmverband gehort vorlaufig noch dem I n t «sr-
nationalen Schwiinmverband an, gegen (lessen
Satzungen, der G 1 e i c h bere ch t i gu n g aller, der
Arierparagrapb verstosst. Vorsitzender des Internatio-
nal Schwimniverbandes ist aller Jiags der bisherige deutscne
Schwimn.wart B i u n e r der jedoch wegen seiner cinteznalianaleiD
Einstellung aus dem Verbandsgetriebe ausgeschaltet wurde.)
sMitgliedschaji der Juden in der DSB.
Bis zu den endgiiltigen Richtliniea des Herrn Reichaeportkonimissara
werden fur die judiscben Mitglieder der DSB-Vereine die B est , m-
mun*en dee Bea m t en geset ze a angewandt, Damit ist die
sportlicbe Betatigung nur denjenigen Juden (nicht Icon felons-, son-
dern rassemassig) bei Veranstaltungen gestattet, die den Schutz des
Beamtengesetzee geniessen.»
„B6swillige Geriiclite"
Allerdings wo es urn das Geschaft gelil, da hort auch hier
wiederum die Grundsatz-Treue alsbald auf. Das gleichgeschaltete
«12-Uhr-Mittags-Blatt» vorn 19. April 1933 versichert unler der
Ueberschrift «B6swillige Geruchte», dass bei der 11. Olympiads
die 1936 in Berlin ausgetragen werden wird, die Rassentrage kerne
Rolle spielen soil:
cDie auslandische Boykott-Propaganda gegen Deutschland hat auch
vor dem Sport nicht Halt gemacht In der letzten Zeit konnte man
mehrfaeh in verschiedenen auslaudischen Blattern lesen, dass
besonders in den Vereinigten Staaten von Nordamerika Bestrebungen
im Gange seien, die darauf hinzielen, die fur 1936 nach Berlin ver-
gebenen Olyrapischen Spiele einer anderen Nation zu uber-
tragen, Weil angeblicb in Deutscbland Massnahmen getroffen sein
sollen, den Start jiidischer Sportsleute bei internationalen Wettbe-
werben zu verhindern. Auf eine offizielle Anfrage in dieser Ricn-
tun^ erklarte Avery Brundage, der Vorsitzend e des Arae-
rikanischen Olyrapischen Komi tees, dass fiir die Aus-
wahl des Olympiaortes das Internationale Olympische Komitee d i-
rekt zustandig sei Das Komitee, das im Juni in Wien zusammen-
tritt, werde siek iweUeltaa mil der Frage beschaitigen Seine pw-
sonliche Meinung sei, dass die Spiele nicht in einem Lan de abge-
halten werden wiirden, W o man die Olympische Grimdtheone der
Gleichheit aller Rassen verletze. Zu diesen voreihgen Aeusserungen
258
des ^erikani^hen Sportfnhre* , kann o gen -J^^^rden
S0lCh 1 "S^^K. Die Welt kann .ieh darauf
von der Ra^enfrage g g ^^ ^ den Q > schen
! er 'fn e nactle ita en.* wdl wlrd, ohne Rucksicht auf seine R^
S ^ Staa^gSgkeil, al S Gas. behandel. and emprangen wrt»
Jnden-Pass e
RocfimtTumeen gelten audi fur die judischen
pJSSfDS^SSPSrS.ld... von B,...a. o,d-
M,e * -r •air " r rsrt: &£ .rat
judischen Glauben a 1B33 fc dcm [ur [hre
diesen P eI8 ^*S pSe^evier vorzulegen haben. Die Passe
Hi and den Passinhabern zuruckgegeben.)
Bcsondere Badezeiten
F sibt kaum irgend einen Erlass, geeignet den judischen
StaafsbuC .uTffamieren, auf den irgendeine Behorde irgend-
Slim« nicht gekommen ware. Die Stadt Speyer
reS^dmderWhichte dieser Tage als j ponders
erfinderfsch fortleben. Sie hat den Ruhm, als erste deutsche Kom-
mune eine Verordnung erlassen zu haben.
nvonach die Judon in, Interest d er 6 ff en n-
efeen Ordnung die Stadtischen 1 e r ma 1 b ad er nur
B oeh zubestimmtenStunder, be n ut z e n ion n en..
Were deulsche Gcmeinden folgtcn diesem Beispiel baid.
Die .Frankfurter Zeitung» vom 24. Mai 1933 ber.chtet:
«In der Tiibinger Gemeinderatssitzung vom 15. Mai wurde von
der NSDAP ein Antrag eingebracht. in dem es u. a. he.sst : «Juden
und Fremdrassfcen fat der Zutritt zu der stadtischen Fre.badeanstalt
zu verwehreV, Der Antrag wurde mit alien gegen drei Stimmen
angenommen.>
Kurz darauf las man in oberschlesischen Zeitungen ahnlichc
Verordnungen.
Entlassiing der jiidischeii Angestellten
Falsch ware es zu glauben, dass die Ausschaltung der deiil-
schen Juden nur aus intcllekluellen Berufen forciert wurde. Man
spricht zu wenig von den kleinen jiidischen Angestellten.
den kleinen Kaufleuien und den judischen Arbeitern.
Aber gerade hier. in diesen Kategorien, sind die Mas sen des
259
judischen Kleinburgerlums zu finden, wirtschaftlich genau so
verelcndet und gedruckt wie die Masscn der nichljudischen Klein-
burger und Arbeiter. Die nationalsozialistischen Betriebs-Zellen-
Organisationen haben es sich sehr angelegen sein laSSen, die
kleinen judischen Angestellten, die klcinen judischen Handler
b ©run© fQr Die CSItmfl 6» ttrbrlUperljaitnlH™-
.1) JriRtok (Enllaflnnfl OKgrn L....U '
b> fiAn&igung tuir-tf) Dm 2(rbclilge|ier ro^gcn ?*2jfi £****hG&?V ^
(Slngabe Bfo ©run&f», }. 8 ZOTUming — ftranflielt — ung*nflgent»e !Urb(M9lcipang u|ro.)
c) ftunOigung tnirrfj tam VtMTne^mjr nrgen . c= — —
d) UrrlragsaufliSftinfl im beHxiff'tiflfn (SinoerftfinOniW-- : 77Z... . _.
3uc SIusfQUung Ovr oblgtm 3d<5f<nlgcng If! txrt Xlrbellgcfcer auf (Brand too g 170 6?3
fflri.*(]t-3 Qber Slrbeit&pcrniltUung uufr "M rtti i»! oftnwerfi djvnsng ocrpflidjlct.
J>*n
sk1s2 JdM&s* __ iQ 3 j^
Z*ntrale Cehalts- und Lohnstelle
Str Stadfgcmcindcvcrwaltunfl Boclin ^
'H»!fT|i*ftn a D » jlna/i*m»in
Original einer Kundigung wegen tnicht ariscker Abstammung*.
und die judischen Arbeiter brotlos zu machen. Eine Meldung aus
Berlin vom 31. Marz besagt:
<Auf Veranlassung der nationalsozialistischen Farteileitung teilt die
Betriebszellenorganisalion mit :
Morgen haben sich die nationalsozialistischen BetriebszellenvorstSode
mit den Arbeiterorganisationen zusammen bei den judischen Ge-
schafteii vorstellig zu machen und die Vorauszahlung von 2 Monats-
gebiilter fiir die chrietlichen Arbeiter und Ange-
st el It en zu fordern. Auseerdem muss die Forderung erhoben
werden, dass alle judischen Angestellten fristlos
entlassen werden. Wer sich nicht fiigt, ist sofort der Leitung
zu melden, die dann die ert'orderlicheu Masenahmen trifft. Morgen
Sclilag 3 Uhr nachmittag verlassen alle Angestellten und Arbeiter
die judischen Geschafte, urn an der Kundenabwehr teilzujielimen.
Zeitungen und lebenswichtige Betriebe sind auagenommen, jedoch
in lias en alle jildischen Angestellten so fort fristlos
entlassen werden. Im Verlag UUstein sind bereits heule alle
Redakteure jiidiscber Rasse an hervorragenden Stellen beurlaubU
Die "Frankfurter Zeitung* vom 28. 5. 19:33 meldet:
<Auf einer Gautagung des Re i chs v e r ba n d es ambulanter
Oewerbetreibender wurde nach dem <P0ssnecker Handier-
blatt* dem ofFiziellen Organ des Verbandes deutscber Handler,
260
Schausteller und Marktreisender (Sitz Dresden), die Frage gestellt,
ob kunl'Ughin jiidische Handler und Gewerbetreibende auf den Mee-
sen und Mfirkten zugelassen sein sollen. Der Gaufiihrer ver-
trat den Stnndpunkf, dass <die Juden radikal ausgemerzti werden
miissen.>
Geschaft ist Geschiift — auch fur Autisemiten
Im «V61kischen Beobachter* vom 2. April -wild als ausserster
Effekt der Boykottbewegung die «spontane Hausse an der juden-
reinen B6rse» bejubelt. Wir wissen, was mit dieser Jubelhyinne
demonstriert wird: dass namlich der Kampf nicht gegeu
das System, nicht gegen den Kapitalismus, nicht ein-
mal gegen die Auswiichse des Kapitalismus gefuhrt wird,
sonden^dass es sich um einen Konkurrenzkampf der nation a-
len Schieber gegen die jiidische Konkurrenz handelt. Auch an
der KJudenreinen B 6 r s e» konnen die Borseaner Geschaf te
machen. Es geht nicht gegen das Kapital, es geht nicht gegen deu
Besitz; es geht gegen den kleinen Mann: gegen den
«arischen» Arbeiter und Mittelstandler, der b e t r o g e n wird,
gegen den jiidischen kleinen Angestellten und Handler, der ver-
n i c h t e t wird.
Die «arischen» Grundsatze richten sich durchaus nach der
Hohe des Geldbeutels. Wie seinerzeit mit personlicher Berechti-
gung Herr Oskar "Wassermann, Vorstandsmitglied der «Deutschen
Bank und Diskontogesellschaft» in einer Erklarung (im «Berliner
Tageblatt» vom 31. Marz 1933) mit Recht darauf hinwies, dass er
nicbt im geringsten belastigt worden sei, und dass sich ihm ge-
genuber der Wandel der Dinge nicht bemerkbar gemacht habe,
auch gesellschaftlich nicht, so durfen heute die anderen jiidischen
Kapital islen frohlocken : die nationalsozialistische Regierung setzt
sich mit vollem Nachdruck fur ihre materiellen Belange ein. Sie
ruft jene untergeordneten Stellen, die da glaubten, dass der An-
tisemitismus durch die antikapitalistische Haltung des National -
sozialismus bedingt sei, zur Ordnung. Sie schiitzt, wenn nicht den
Juden, so doch das jiidische Geld. Der Kapitalismus darf dieser
«nationalen Revolution), nicht zum Opfer fallen. Die «Frank-
furter Zeitung» vom 27. Marz und der «V6lkische Beobacliter»
gleichen Datums veroffentlichten folgenden Brief, den der «Reicns-
kommissar fur die Wirtschaft», Dr. Wagner, an den Vorsitzenden
des «Kommunalpolilischen Amtes der NSDAP», den Oberburger-
meister Fiehler (Miinchen) gerichtet hat :
<Aus sahlreichen Kreisen der Wirtsrhaft wurden mlr in der lefsten
Zeit Rundschreiben Qbersandt, die von einzelnen Kommunen
an sine grosse Zahl vo« Fabrikanten und an andere Wirtschaftsim-
ternehmungen hinausgegangen sind, um festzustellen, ob die Unter-
201
uehnien als cdeutsche Unlev oehmunge n» angesproeheu
werden konnen. Die in diesem Rundschreibon enthaltenen Fragen
wollen daboi feststellen, in welcuem Umfaug das Kapilal der betref-
fenden Firm en deutsch eei, in welchera Umfange ntchtarische und
nicbtdeutsche leiteude Personlichkeiteu vorhanden sind usw. So sehr
ich selbstverstantilich auf dem Standpunkt stehe, dass gerade die
Kommuaen ibre Auftrage nur an deutscbe Firmen vergcben sollen,
halte ich es doch i'ur notwendig, dass dem eingeschlagenen Verfah-
ren Einhalt geboten wird. Der ganze mil diesen Rundschrei-
ben aufgerollte Fragenkomplex 1st nicht so einfach, class man durcb
«Ja> oder <Nein> Oder durch Zahlen Entschcidungen fallen konnte.
Vielmehr ist es Aufgabe der Reichsregierung, dafur zu sor-
gen, daes jede Untemehmung in Deutschiand, gleich-
g u I tig woher s i e i fa r K a p i t a 1 b e s i t z t und w e r s i e
leitet in die deutsche Volkswirtschaft als ein Glied derselben
eingefiihit wird, und dass die Leitung eines jeden Unternehmens in
Zukunft ausschliesslich nur nach deutschen volkswirtschaftlichen Ge-
sithtspunlron erfolgen kaa-n. In der DurchFuhrung dieser Notwen-
digkeit wirH die Regierung aber nur gehindert, wenn vorher von
einselnen Slc.leiJ aus Tatsachen geschaffen werden, die erne Er-
sehuttetuxig des Wirtschaftelebeng mit sich bringen. Unser Ziel
k a n n nicht 6 e i n, bestehende Wirtschaftsunteraehmungen in
DeutecM&nd, audi wenn sie mit fremdem Kapital und bishex zum
Teil \on fremden Person! ichkeiten geleitet word en sind, zu zersto-
ren, sondern sie dazu zu zwingen, dass sie deutsch haudeln und dass
auch sie dem grossen Grundsatz unseres Fiihrers cGemeinnuttz vor
Eigennutzs untergeordnet werden. Ich mochte Sie deshalb bitten,
dass Sie Ihren Einfluss als Leiter des kommunalpolitischen Amtes
auf die Leitungen der deutschen Kommunen geltend machen, urn zu
verhindern, dass weiterhin solche Rundschreiben versandt wer-
den und dass durch solche Massregeln eine Storuug des Gesarat-
wirtschaftslebens hervorgerufen wird, die wir beim best en
Willen in der jetzigen Zeit nicht braucben konnen.*
•Beim besten Willow - das konnen sie nicht braueben dass
irgendein Kapitalist in dieser mationalen Revolution, zu Scbadw
klinel Wir wussten es seit langem. Und die, ^ eu ^ n ^ n S^
den «Sozialisten» Adolf Hitler schworen, die von ^ das Wunder
erwarten, dass er fur den Bauern Cohere Preiseur den Ver-
braucher aber zugleich billigere Lebensmitte ■g^I™"^
den Arbeiter hohere Lohne, aber zugleich ShSrSfteto
grorwen Proflt, Mr den Be^to G£tt -g»— £*S
Staat aber Ersparnisse — diese «vvunaeigidu d uner hitt-
mit Grauen a u f g e sch reck 1 werden *«* J* d Tm 1-
liche Tatsache dass im jDntten tag* »»**»£?&,
holfen wird als den Kapi toll stei ^ se ™ & .J lemm dim , h
das, was ihnen noch un .Uiiuui ue^
-
262
Fudcnhatz zu nichts anderem gedient hat, als sie abzu-
f 8 n k e n von dem Kampf gegen die wahrhaf t Schuldigen, gegen
das S y s t e m des K a p i t a I i s m u s.
V Arierparagrapa uud Rasse-Amter
Wir liaben gesehen, dass der neudeutsche Antisemitismus ein
Antisemitismus °auf bioiogischer Grundlage : Rasse-Antise-
i " -mus ist. Dieser biologische Antisemitismus fuhrt zuruck
'"]• die antisemitische Welle unter Fuhrung des Hofpredigers
«&*«• die seinerzeit ihre «Ideologie», d. h. lhre pseudo-wissen-
thaftli'che Rechtfertigung durch Eugen Diihrings Schrift «Die
t H^nfraee als Frage des Rassencharakters» fand. Die «R ssen-
kunde Imstmals ein Steckenpferd absonderlicher Schrif Welter
und niemals recht ernst genommen, ist heute ,m neuen Demseh-
Und zur offiziellen «Wissenschaft» erklart -worden, d. fa. em em-
traglicher Beruf geworden.
Die Jadeu als „Rasse"
Nun ist es dieser «Wissenschaft» bisher zwar trotz alter Re-
muhun-en nicht gelungen, nachzuweisen. dass die Deutschen erne
Rasse sfnd - im Ge|enteil stoht feat, dass die Deutschen em
Miscnvolk und sehr weit entfernt davon sind sich -nordisch.
S zu diirfen. Aber es ist diesen seltsamen Forschern bisher
nocn nicht einmal gelungen, nachzmveisen, dass die Juden wirk-
lich eine eRasse» sind.
Wir wollen den Rasseforschern zu Hilf e kommen : es ist
schon etwas an dem Geschrei urn die judische Rase. Fur dw
Untersuchung dieser komplizierlcn Materie emyfiehlt es sicfc
auch hier die Sachverhaltc vom Kop au f d e F u s s e z °
st ell en ; d. h. die Rasse ist nicht ein Urprodukt, sonde. n em
Z u c h t u n g s p r o d u k t, nicht der Beginn, sondern dasEg^
ni eines Entwicklungsprozesses. Die heute lebenden Juden au
die Urvater, die biblischen Juden zuruckfuhren zu wolten, jiu
ware ein verzweifeltes und absurd* Lnterne hmen ^ Rasse
mischungen, die in der judischen Gesch.chte stattgefunder ha
ben, sind zahlreicb und unubersichtbeh. Aber etwa ™*J™£
1000 an, mil dem Ende des Proselytismus' (d h. : derUe^rtte
V on Andersglaubigen zur judischen Rehgionsge memsch aft)
wurden die Juden durch ihre Religion ihre Gesetzgeb ung und
durch die sozialen Verhaltnisse. unter denen sie lebten zu e mer
«Inzucht» angehalten, die an Dauer und Volbtendigke t in
der europaischen Geschichte beispiellos ist. Die an hrop log
schen Rassenmerkmale leiten sich her ^us dieser Per.ode die
in fast SOOjahriger Dauer einen gewissen Menschentypus, eoen
den judischen, entwickelte.
263
Eine andere Frage ist, was denn selbst mit dem Nachweis
jiidischer Rassemerkniale gewonnen ist. Gerade jene Eigentum-
lichkeiten der Juden, gegen welche die Antisemiten zu kampfen
vorgeben, erklaren sich keineswegs aus der Rasse, sondern aus
den sozialen Verhaltnissen.in denen die Juden leben :
eine Kaste, der von der Umwelt bestimmte Existenzbedin-
gungen vorgeschrieben vvurden. Mit dem Fortfall dieses Zwanges
fallen auch fast unmittelbar, das heisst mindestens in der zwei-
ten Generation, die nicht mehr unter diesem Zwange lebt, die
Eigentumliclikeiten fort.
Mit solchen theoretischen Erorterungen haben wir uns indes-
sen schon von der Praxis des Nationalsozialismus weit fortbewegt.
Dort ist alles viel einfacher und viel plumper. In keiner Frage hat
der Nationalsozialismus etwa nach eigenen Argumentationen ge-
handelt, vielmehr hat er sich immer erst im Nachhinein seine
eigenen Barbareien durch kaufliche Subjekte als «Kulturtaten»
bestatigen lassen.
Wenn heute in Deutschland eine «Rassenforschung» sich
als * Wissenschaf t» auftut, so hat im innern Grunde solche Ko-
modie nur den einen Zweck : ein neues Manlelchen zu schaffen
fur die Bestialitaten des herrschenden Regimes.
Die Praxis der „Rasse-Amter"
Sprechen wir von der Praxis. Die «Frankfurter Zeitung» mel-
dete am 5. Mai 1933 :
iDcrtmund, 4. Mai (TU). Der Staatekommissar der Stadt Dortmund
hat ang-eordnet, dass bereits jetzt mit dem Aui'bau eines R as se-
am tes in Dortmund begonnen werden soil. Mit der Leitung wurde
der Hilfskommissar fur das Geeundheitsweeen, Dr. med. Bra us a,
betraut, der im Rahmen einer Press ebesprechung grundsatzliche
Au«fuhrungen ilber rassehygienische Fragen machte. Er fflhrte u, a.
aus, dass bereits die Aufzeichnungen gesundheitlicher Art fur die
80.000 Dortm under Schulkinder, die sich fur aie Zwecke der rasse-
bygienischen Statistik erganzen lieisen, vorhanden seien. Die Ju-
gend, die die nSchste Generation bilde, werde also zuerst erfaest.
Daneben wiirden diejenigen FSlle zu bearbeiten sein, die nach den
bereits eilassenen Verordnungea zwangslauffg bearbeitet werden
miissten, d. h, die Bewerber ftir Beaintenstellen, Schiiler der
h6beren Sehulen und der Hochschulen, Das Erfassen
der gesamten BevSlkerung sei dann die Aufgabe der nachsten
Jahre.
Es stebe zu erwarten, dass bereits in aller-
nHchster Zeit Gesetze zur Soheidnng und A u f -
artung der Rasse erfolgten.
Daa wesentlichste dieser Gesetze werde sein, dass in Deutschland
264
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Verjag'tc Wissenschaftler mid Kiinstlei 1
Der Sdiriftsteller Thomas Mann.
Trager des Nobelpreises.
per Chemiker Pro!'. Fritz Haber.
Trager des Nobelpreises.
Der Generalmusikdirektor an der
Maatsoper, PVoF. Otto Klemperer
Prof, Max Remhardt, Ehrendoktor
der Oxforder Universitai.
Rassenmiachehen v e r b o t e n wtirden, dasa ferner die BevSlkerung
in Familien geechieden werden milsse, derea Nachkommenschaft
dem Staate erwilnscht Oder derea Nachkommenschaft als eine Be-
la3tung des Volkes unerwilnscht sei.»
Ein "eschaftsluchtiger junger Mann, Herr Dr. Achini Gerke,
hat sich° zum cMinisterialreferenten als Sachverstandiger fur
Rasseforschung im Re!chsinnenministerium» ernennen lassen.
Mensclien und „TJntermeiis chert"
Das alles erscheint noch relativ «harmlos». Es richtet sich
zunachst nur auf die wirtschaftliche Vernichtung der judischen
Bevolkerung, noch nicht aber direkt gegen Leib und Leben. We-
ni«er harmlos erscheint ein kleiner Zettel, der zu Tausenden
in°allen Gaststatten verteilt wurde und insbesondere alien deut-
schen Madchen in die Hand gesteckt wurde, die mit einem Juden
zusammen gesehen wurden. »,--,. j • j Qm
In diesem Dokument wird dem jungen Madchen, das in dem
schrecklichen Verdacht stent, mit einem Juden |*freundet zu
sein, angedrohl, dass man ihr die Initiate J H, d. h. .Juden-
Hure» ins Gesicht einbrennen wurde. Es wird versichert, «dass
diesc Drohung fcdne leere Redensart sei, sondern unter alien Uni-
standen in die Tat umgesetzt werden wurde, falls das betreliende
junge Madchen noch einmal mit einem Juden gesehen werden
*" fitter zeigt sich schon handf ester die nationalsozialistische
Unterscheidung zwischen Menschen und «Untermenschen», wobei
«Untermenschen» alle diejenigen sind, die nicht natiorialsoziali-
stisch denken und fuhlen. Fiir die Nationalsozialisten sind «Men-
schen» und «Untermenschen» zwei vollig verschiedene Gruppen.
Zur Gruppe I gehoren die «reinen Vertreter der nordischen Rasse*.
In die Gruppe II gehoren (nach dem Organ der nationalsoziahsti-
schen Aerzte «Ziel und Weg» II/2) neben
«Trinkern, Morphinisten, Gewohnheitsverbrechern und fro-
slituicrlen alle Fremdrassigen, besonders die Juden.»
Der nationalsozialistische «Rassentheoretiker» Professor
Stammler brachte im Auftrage der nationalsoziahstischen
Aerzte folgendes Gesetz zur «Scheidung der Rasse» em :
cl. A.18 fremdrassig gilt derjenige, der wenigstens zur HSlfte
fremdes Blut hat, d. h. von dessen Vorfahren *ner der Htern we
zwei der Orosseltern fremdrassig gewesen sind, gleichgultig, weime
Religion sie hatten. Als fremdrassig gelten dabei alle farbigen Kaesen,
die vorderasiatische und orientalische Rasse einschlieselich der Juden.
2. Danach hat jeder grossjahrige deutsche St f tsan *f °" ge ',1
lich dem zustandigen Einwohnermeldeamt anzugeben, welcher Kasae
er angehort. Fur Minderjahnge wird die Angabe vom gesotri.cben
265
Vertreter gainacht. Palsche Angaben werden mil Zuchthaus und
Einziehung des Vermbgens bestraft.
3 Die als fremdrassig Festgestellten haben 6ich kiinftig niclit
als Deutsche, sondern als Fremdrassige (Juden aus Deutschland usw.j
zu bezeichnen.
4. Wer nach dem Stichtag geboren wird, gilt als deutsch nur.
wenn beide Eltern deutsch sind. Doch $ollen jiingere Geschwister
dieselbe Volkszugehorigkeit erbalten, wie die alteren, bei denen die
Zugehorigkeit durch Erklarung festgelegt ist.a>
„Hegeh8fc u
Der schon erwahnte Herr Professor Stammler schreibt : «Das
Zuchtzid engt sich ein auf den korperlich, moralisch und gei-
stig gesunden Menschen nordischer Rasse». Zur Forderung dies<-s
«Zuchtziels» werden «Hegehofe» gefordert. Wie man sich diese
«Hegehofe» vorstellt, geht aus folgenden Ergiissen eines Professor
Ernst Bergmann hervor :
<Zur Begattung der vorhandenen Frauen und Miidchen finden si Hi
willige und fleissige (!) Manner und Junglinge genug, und
glucklicherweise geniigt ein flotter Buxsch aui 10 bis 20 Madcbcu.
die den Willen zum Kind noch nicht ertotet haben, bestunde nur
nicht der naturwidrige Kulturunsinn der inonogamen Dauereho
{Professor Ernst Bergmann in <Erkenntnisgeist und Muttergeists.)>
Schliessen wir diese Erzeugnisse der Barbarei ab mil
einem weiteren «Gesetzent\vurf zur Reinhaltung der Rasse». Es
heisst darin :
<1. Ehen zwischen deutschen und fremden Rassen sind verboten.
Die bestehenden behalten ihre Giiltigkeit, neue dlirfen nicht ge-
echlossen werden und werden nicht anerkannt.
2. Ausserehelicher Geschiechtsverkehr zwischen Deutschen und
Fremdraseigen wird rait Zuchthaus des frerndrassigen, mit Gefangnis
des deutschen Teiles bestraft. Prostituierte fallen nicht unter das
Gesetz.
3. Die Einreise Fremdrassiger ist nur in besonderen Fallen zu-
zulassen. Die Ein-wanderung von Frerndrassigen ist verboten.
4. Namensanderungen, die in zumeist nur den Zweck haben, die
Rassenzugeborigkeit zu verschleiern, sind bis auf Weiteres verboten
Die seit 1914 vorgenommenen werden riickgangig gemacht.>
Genug! Vielleicht wird man einwenden, ein solcher Irrsinn.
fiir den allein die Psychose-Pathologie zustandig sei, habe letzten
Endes mit der «Millionenbewegung» nichts zu schaffen. Diese * Ras-
senhygieniker» seien Erscheinungen am Rande, fiir die letzthch
die Bewegung nicht verantwortlich zu machen set. Eine solche
Auffassung ist irrig. Ein Mann wie Professor Stammler ist der
offizielle Ratgeber fiir diese Fragen. Die von ihm ausgearbeiteten
266
oograph Hanns He,n Z Lw ^ wie der blutrunsUge Mor-
deutschen Schuftt ums au ^ allmachtiger Minister werden
phinist G ,° r ' " ^"denrwcjen Geistesstorung entlassenen Lehrer
Uon nte el,en o v.t dem w fa? t ^ e Unzurechnungs .
R u s t (cin deutbcho^e preuss i sc hen Kultusmin.sters
iahigkct besche,n Ig t) das Ami P fc r e . c fa e r> der wegen be .
wusstei Vul ^3 a T 3 ieitsde iikten vielfach von deutschen Gench-
l.v lls chun«s- und Rohhe sdel^ hen Kommissar fQr den
ten veiurteil ™°™™} S \™Z _ ebenso ist dieser Professor
REEK heTtrdnT^gebent 6 Mann des harrschenden
Reaimes.
VI. Liquidation der Judenfrage
Es bleibt uns zu resumieren. Wir haben aus der Tat-
sachenfiille eines Vernichtungskampfes gegen 600 000 deutsche
Juden winzige Ausschnitte gegeben, typische Dokumente
des inferioren, kiinstlich hochgeziichteten Hasses
«e"eo die Juden, die noch cinmal vor der Geschichte Europas zu
den Siindenbocken gemacht werden. Wir haben zu zeigen ver-
sucht, dass, alles in allem, der Fanatismus sich nicht gegen
die richlet, gegen die er geziichtet wurde : die Borseaner, die
Grossbankiers, Grosskaufleute und Spekulanten. Die «Volks\vut»
ist wieder einmal abgelenkt worden gegen die kleinen Leute, ge-
gen den jiidischen Mittelstand und gegen das jiidische Proleta-
riat. So will es das Gesetz des Kapitalismus, dem Millionen,
die heute «Heil Hitler» schreien, dienen, ohne es zu wissen.
Erpresste Dementis
Was aber taten die Juden in Deutschland? Sie protestierten
gegen die -<Greuelpropaganda» des Auslandes. Sie sandten Do-
kumente der Todesangst hinaus in die Welt unter dem
Uruck der bereilstehenden SA. Sie sind manches Mai in ihrer
angst weilergegangen, als es notwendig gewesen ware. Kiirzlich
rtL!° gar em § eschaftstii chtiger Mann auf die Idee gekommen.
ml e i rpreSS ! en Dementis der deutschen Juden in Buchform zu
XnrH S Un t U - verle « en unter dem Titel : «Die Greuelpropa-
solhu, n eine Lugenpropaganda - sagen die deutschen Juden
zwSnnl if ^^geschaltete "Berliner TageblatL bringt einen
we ?&? .t^ ^ ^ —""dentlich begrussenl
werte I5uch», aber niemand in der Welt wird sich daruber tau-
267
schen lassen, dass hier Menschen, die um ihr Leben, um ihre
Freiheit und um ihre Existenz zitterten, wider besseres
sen die Luge verbreiten mussten, es gabe in Deutschland
Judenverfolgungen.
Wissen die
kerne
Juden, die fiir Hitler sind
Es gibt noch andere Stimmen. Es gibt Juden, die fur Hitler
suid. In der «Judischen Presses (Wien, Bratislava, 31. Marz 1933)
dera Organ der orthodoxen Juden, schreibt eine Rabbiner Pro-
fessor Dr. Weinberg:
cUeberhaupt bringt man in jQdischen Kreieen und insbesondere in
orthodoxen Kreisen der nationalen Erhebung Deutschlanda raehr
Sympathie und Verstandnis entgegen, als die Fuhrer dieser Bewe-
gung wissen. Die religiosen Juden wissen, -wie sehr sie gerade Hitler
fiir seinea energischen durchgreifenden Kampf gegen den Kommu-
niamus dankbar sein mlissen.*
Ganz ahnlich macht es das Zentralorgan der deutschen Zioni
sten, die «Jiidische Rundschau* :
<Die judische Oeschicbte wird auch Hitler verstehen. Sie wlrd ihn
anfuhren als Beweis dafQr, dass Geschichte gemacht wird von den
Inponderabilien des menschlichen Auftriebs zu einer Idee eanz
gipirh welcher.* ' e
Der dritte im Bunde darf nicht fehlen. Zur judischen Ortho-
doxy und zum judischen Nationalisms gehort auch der judische
St ' Wir zitierten bereits die Erklarung des Direktors der
Deutschen Bank und Diskonto Gesellschaft, Oskar Wassermann,
ihm aLH lC ^ "! eermgsten belastigt worden sei und dass sich
hZ g S? r If ^f^f 1 d - er Dln 8 e nicht bemerkbar gemach!
habe, «auch gesellschaftlich nicht.. B
Lenin jfter den Antisemitismus
•rf.^? versci ^^n diese Stimmen nicht. Sie sind uns ein Be-
weis, dass auch die Judenfrage Letzlich keine Rassenfrage,
sondern eine Klassenfrage ist.
»»# ; A " l !f mitismus», sagt Lenin - und er hat diese Ansprache
aut Schallplatten verbreiten lassen —
cAnlisfimitismufi nennt man die Verbreitung der Feindschaft gegen
oie Juden. Als die verfluchte Zarenmonarchie ihre letzten Stunden
erlebto, Vfrsuchte sie, die unwissenden Arbeiter und Bauern gegen
die Juden aufzuhetzen. Die Zarenpolizei, im Bunde mit den Gutsbe-
sitzern und Kapitalisten, organisiert Judenpogrome. Den Hass der
von Not zenniirbten Arbeiter und Bauern gegen die Gutsbeeitzer und
Ausbeuter bemuhten aie sich auf die Juden zu lenken. Auch in un-
deren Landern erlebt man oft, dass die Kapitalisten Feindschaft ge-
268
£Vdie Juden eind die Feinde der Werktatigen Die Pelade _ der
Arbeiter Bind die Kapitalisten aller Lander. Unter den Juden grot es
Arbeiter Werktatige, eie sind die Mehrheit. Sie shud unsere Bruder,
unaere Genossen im Kampf fur den Sozialismus, weil sie vom Ka-
Ditai unterdruckt wexden. Unter den Juden gibt es Kulaken, Aus-
beuter Kapitalisten, wie auch unter alien. Die Kapitalisten sind be-
muht Feindschaft zwisehen den Arbeitern verechiedenen Glaubena,
versciiiedener Nationen, verscbiedeuer Rassen zu entfachen. Die
reichen Juden, wie auch die reichen Russen und die Reichen alter
Lauder, alle miteinander im Bunde, zertreten, unterdriicken und
verunreinigen die Arbeiter.
Sehmach und Schande dem verfluchten Zarismus, der die Juden pei-
nigte und verfolgte. Scbmach und Schande dem, der Feindschaft ge-
gen Juden, der Hass gegen andere Nationen slit I
Es lebe das briiderliche Vertrauen und das Karnpfbitndnis alter
Nationen zum Kampf f(ir den Stuxz des Kapitals !»
Lenin fugte einem Dekret der Sowjetregierung gegen die Po-
grome der weissen Interventionslruppen handschriftlich an:
«Der Rat der Volkskorrunissare weist alle Deputiertenrate
an, entschiedene Massnahmen zu ergreifen, um die antisemitische
Bewegung mil der Wurzel auszurotten. Pogromisten und Po-
gromagitatoren sind ausserhalb des Gesetzes zu stellen.*
m
Vierzigtauseiid Maimer mid Frauen
in Konzentrationslagern
Nach den verschiedenen Pressemeldungen und Veroffent-
lichungen muss Anfang Juli die Gesamtzahl der politischen Ge-
fangenen in HUlerdeutschland auf 60 — 70.000 geschatzt werden.
Davon sind 35 — 40.000 Frauen und Manner in Konzentrationsla-
gern untergebracht Welche Rechtsgrundlage haben diese Kon-
zentrationslager im faschistischen Deutschland? Da im faschi-
stischen Deutschland jede Rechtsgrundlage aufgehoben ist, ist
es selbstverstandlich, dass auch fur die Errichtung von Konzen-
trationslagern keine gesetzliche Grundlage vorhanden ist. Es
besteht nieht einmal ein Gesetz oder eine Verordnung, die die
Rechte der Gefangenen in den Konzentrationslagern regelt. Schon
dadurcli charakterisiert sich die Einrichtung von Konzentrations-
lagern in Deutschland als schlimmster Willkiirakt der Hitlei*-
Regierung. Auch iiber die Dauer der Haft der Gefangenen besteht
keinerlei gesetzliche Regelung ocler Verordnung.
„Bis der Fiilirer sicli iSirer erbarmt !**
In einem Artikel \om 8. Mai 1933, der sich ausfuhrlick mit
den Konzentrationslagern in Deutschland beschaftigt, meldet die
« Neue Ziiricher Zeitung », dass die Gefangenen in leicht und
schwer erziehbare Staatsbiirger geschieden werden, und dass die
ersteren ein Jahr* die letzteren drei Jahre in Schutzhaft bleiben. Es
handelt sich hier aber nicht urn eine autentische Nachricht, son-
dern urn eine personliche Meinung des betreffenden Berichterstat-
ters. Es gibt keine gesetzliche Regelung. Die Verbannung in die
Konzentrationslager, die Dauer der Haft in den Konzentrationsla-
gern wird lediglich bestimmt durch die absolute Willkiir der
faschistischen Ober- und Unterfiihrer.
Am treffendsten werden diese ungeheuerlichen Zustande ge-
kennzeichnet von dem nationalsozialistischen Unterfiihrer Leut-
nant Kaufmann, einem der Leiter des Konzentrationslager s Heu-
berg in Baden. Leutnant Kaufmann erklarte Ende April dem Be-
richterstatter der danischen Zeitung « Politiken » auf die Frage
« Wie lange wollen Sie die Gefangenen hier halten? » :
« Bis der Fiihrer sich ihrer erbarmt. »
270
nie « Deutsche Allgemeine Zeitung . vom 30 .April 19.63 brmyt
■ nP Bos t§ tigung dieser Meimmg des Leutnants Kaufmann, mdern
"'ifschrei , es werde fur viele Gefangene mil der Fmheit bose
w'ilfhSS., weil der Wille der Gefangenen nicht leicht zu bre-
chen sei. »
Weiiu ich wenigstens wfisste, weshalb man raich
gefangen halt!"
Die Frauen unci Manner, die in den deutschen Konzenlrations-
Ia tf ern interniert werden, sind selbst ira Sinne des faschistischen
Staatsprinzips ▼ollig schuldlos. Alle sozialistischen und korarau-
nistischen Arbeiter und Fiihrer, die sich nach Ansicht der Hitler-
Regierung gegen die Gesetze des faschistischen Gewaltregimes ver-
gangen haben, werden nicht in Konzentrationslager gebracht, son-
dern in Gefangnisse und Zuchthauser gesperrt und durch Aus-
nahine- und Sondergerichte verfolgt und abgeurteilt. In die Kon-
zentrationslager kommen nur solche Manner und Frauen, die der
Faschismus fur politisch verdachtig halt, gegen die aber selbst die
faschistischen Staatsanwalte keine Handhabe zu einer strafrecht-
lichen Verfolgung finden konnen. Die Gefangenen in den Kon-
zentrationslagern hah.en keinerlei Delikte begangen. Man hat sie
zum grossten Teil sofort nach deni Reichstagsbrand und nach den
Wahlen vom 5. Marz verhaftet, sodass sie selbst beirn besten Wil-
len keine Aktion gegen das faschistische Regime fiihren konnten.
Immer wieder klingt dies in den Gcfangenenbriefen an. In einem
Bericht der danischen Zeitung « Politiken », der Ende April er-
schien, wurden einige Brief e aus Konzentrationslagern veroffent-
licht:
cWenn ich wenigstens wlisste, weshalb man mich hier gefangen
halts, schreibt ein junger Arbeiter.
<Nur anonyme und personliche Rache kann der Grand meiner
Einkerkerung sein>, schreibt ein verhafteter Arzt.
dch habe mix nichts vorzirwerfen, ich weiss liberhaupt nicht warum
»ch festgenommen wurde», lautet eine andere Stinirne.
frov Wa i S fQr Nic ! ltj g keite n ausreichen, urn jemanden ins Konzen-
lehV^i S- BC1 J ? ? ingen ' Zd§t der Fa!I des J^ischen Religions-
cher IS Kr f S - ln Dink elsbuhl.Bayern. Krebs ist tschechi-
^t^nTf S ^ "^ ,6bt Sdt Seinem ersten Lehensjahr in
ueutscnland. Gegen ihn erging folgender
ilaftbefehl:
Man X in" Vu Schutzbaft genomnaen. Krebs hat m
B!ta n ?? geacMchtet, wodurcb er eine sehr grc^
"MMnmung in der Bev51kerung hervorgerufen hat. Wenn audi
27 i
keine strafbare Handlung vorliegf, so hatte Krebs doch bei ,I,t
starken Erregung der BevSlkerung iiber die Hetzpropaganda der
JudeD im Auslande eine derartige Handlung unterlassen solLea
Die Erregung in der Bevolkerung ig t derartig, daes Krebs in Sehutz'
haft genommen werden muss, um ihn vor tatlidien Angrili'eo zu
bewai.ren. Die Anordnung der Schulzhaft erfol K te im Benehmen mi.
den. Beau Iragten der ■ Obersten SA-FUhrung, Harm Burgermaiater
Iltameyer in Wassertrudingen.
Dinkelabfihl, den 29, Marz 1933.
Bezirksamt
i. V. gez. Itlamayer.j
Der Mann sitzt heute noch in Haft,
In alien zivilisierten Staaten gilt der Grundsatz: nullum cri
men, nulla poena sine lege. Nicht die schlechte Gesinnung, nicht
die Gefahrhchkeit, nur der tatsachliche Gesetzesverstoss die Schuld
vvird bestraft. Kein Strafgesetz kann sich deshalb ruckwirkende
ivralt beilegen. Darin sind sich ausnahmsweise alle Strafrechts
schulen enng, die klassische und die moderne, Deterministen und
Vertreter der Spannungslehre. Dieser Grundsatz, den auch das
hTiTITt ^^f^^Wuch von 1927 generell normiert,
mi J Seltenclen deutschen Reichsstrafgesetzbuches von
1871 seine gesetahche Verankerung erfahren. § 2, RStGB ist Ms
intra*' tie V W^**"*** Korperschaft nicht aufgehoben at
m Kraft. Die Verhaftungea und Verschleppungen von Frauen und
!™ "i d r tSCl ? C Konzentrationslager 1 sind 1 gesetz- und reUTs
widng nach deutschem Recht und Gesetz.
Ziichtig-uiig- dep Gcfaugencn
als Zweck der Konzentrationslager
Ueber den Zweck der Konzentrationslager erklart der natio
»■ sozxa hstisch e Hauptmann Buck, Leiter des Heube'gex Ko^en-"
trauons agers, dem Berichterstatter der Zeitung « Politiken "
jv-^eser m semem Ende April veroffentlichten Aufsatz mitl
Dierpfo^ gilt ' dieGefangenenzuzuchti gen. »
vovaeht U?T T SSen x SiCh ' Wie aUS Briefen von Entlassenen her-
bnf^^n L t nen l Ugem in mil itarischer Form als « Straf-
Zuchtt n„« JSt * Ian T {! a V hnen ^ nach cten Vorschriften fiber
TeJ P ^S, ^ d o? ? 0pfe kahl geschoren. Der Londoner « Daily
kS? * XT 27 " ApdI 193S bestati S t diese Tatsache in einem
hnhpn ! S W «. n f r Korres Pondenten R. G. Geyde. Die Straflinge
nS«i ?• R . 1Chter 8 esehei » un <l werden keinen sehen. Die
nationalsoztahstischen Fflhrer haben wiederholt erkhirt, dass es
del" Cme reme Verwaltun gsmassnahme, um Schulzhaft han-
272
cVVir musslen*, bo sagten die Nazis dera Berichterstatter der dani-
schen Zeitung <Politiken>, cviele dieser Individuen einstecken, urn
sie vor der Volksrache zu schiitzen. Sie waien von der patriotischeD
Menge gelyneht worden, die in diesen <Verbrechera> die Urheber
der Novemberrevolution sieht.s
Diese Behauptung ist eine dreiste Liige. I>ie ausserge-wohnlich
slrenge Eewachung der Lager erfolgt nicht zum Schutz der verhaf-
teten Sozialisten und Kommunisten. Die Maschinengewehre vor
den Konzentrationslagern sollen Fluent- und Befreiungsversuche
unmoglich machen. Ueberall dort, wo es angeblich zu Demonstra-
tionen gegen Verhaftete gekommen ist, wurden die Auflaufe und
Radauszenen von den Faschisten organisiert. Die Ueberfuhrung
des ehemaligen sozialdemokratischen Ministers Remmele in ein
Konzentrationslager, die als grosse Volksbelustigung organisiert
war, beweist dies deutlich. Der « Volkische Beobachter » vora
17. Mai 1933 verot'fentlicht unter der Ueberschrift « Am Pranger »
die folgende Korrespondenzmeklung:
tAai Diensfag wurde der ehemalige Staatsprasident and Minister
Dr. )i. c. Adam Remmele, zuletzt President der Deutschen Konsum-
BiDkaufsgenossenachaft in Hamburg, der vor wenigen Tagen von
dort in Karlsruhe auf Ersuchen der Regierung eingeliefert worden
war. ferner der von Remmele in das Innenministerium eingesetzte
Regierungsrat blenz. der fruhere badische Staatsiat und Reichstags-
abgeordnete Marum der Redakteur an dem sozialdemokratischen
Karisruher tVolksfreund, GrOnebaum, Polfceikonuaissar a D
FroTi'nnH dW . f FQh f r «* ReichsbaBTlere und der Eisernen
chon SHd«.M ," and r D SPD - Mit 8lted e rn von dem in, westli-
Po Lttl , 8 S T U Gei " Ugnis im 0ffenen Polizeiauto nach dem
S t^r"^ V °" W0 Sle da ™ "«* der Strafaastalt
Sn '^nit is h SfS *° nzeDtralio "^?« gebracht warden. Vor
die Il?« Slch eine nc ^ e Menscbenmensje angesammelt
Z t ZTZr^Zi' 11 ' Pfui - ™* Niederrufen e^pfingen
reihige SS-K W „f , f Hauptes Sas6en ' schrftt ei °* ™ei-
t« dem e * t ° Poli^ £? ^ ,T Freima ^ung der Strasse. Hin-
Ausserden var der Zul T h S^l" ^^ mlt SA-B«etning.
Leuten begleilet Die pJ e " ! e ' ten Und am SchIus ^ ™n &A-
^rch e ine § di C h e o»acMGHir n /^7, n g3nZ '"a""" im Schilt;
«*« auf dem gl fc r "fe Menschenmauer. Ununterbro-
«uxd, uberali ffSllariS. "^ PfUi " ^ Nie derrufe, Auch
^es MOJIerliedeg beTstrS ^ seinerzeit ™ Baden das Singen
Laadtagsgebaude und an ? S Z^f- J" 1 ! 6 " D « *« «"* «■ - «™
273
Publikiuus war so stark, dasa der gesamte Strasseubahn- und Auto
verkehr vollkommen labmgeiegt war. Unterwegs wurden versciiH-
dene Rot-Front-Rufer safort aul der Stelle veriiaftet und auf <len»
zweiten Polizeiwagen mit transporliert.i
Der Bericht zeigt klar, dass es sich um cine organisierte Demon-
stration mil einstudierten Lynchrufen, kurz um eine jener Szenen
handelt, mit denen der Reichspropagantlaminister Goebbels die
Menge unterhalten und eine Zeit lang iiber den Hunger hinwee
tauschen will. G
- 1
„ScIiutzliaft"
Die Schutzhaft ist in Deutschland durch das Gesetz iiber die
Beschrankung der personlichen Freiheit von 1849 genau gere«clt
Danach dflrfen nur solche Personlichkeiten, die selbst bedroht
sind, in Schutzhaft generamen werden. Diese darf nicht uber ihren
Zweck hinaus, keinesfalls langer als drei Monate autrecht erhalten
■werden. Beschwerderecht und gerichtliche Entscheidung sind im
Gesetz vorgesehen. Alle jetzt Eingekerkerten werden aber nicht in
ifarem eigenen Ihteresse, sondern zum Schutze der neuen Machtha-
ber estgesetzl. Sie werden langer als drei Monate festgehalten S'e
besitzen kein Beschwerderecht.
45 Konzentrationslager
Wieviele Konzentrationslager gibt es, und wieviele Menschen
S,n ?,i" ihnen eingepfereht? Die deutsche Regierung - auch das
spricht fur ihr schlechtes Gewissen - hutet sich wohlweislich.
genaue Angaben zu machen. In einem Lande, in dem alles sta-
bstisch erfasst ist, fehlt eine Statistik der Konzentrationslager.
Soweit einzelne verlassliche Meldungen der deutschen Presse, gc-
Iegentliche Aeusserungen von Nazifuhrern und Besuche auslandi-
scner Journahsten einen Ueberblick gestatten, gibt es beute (d. i.
4nnn I- ,n S ™ in destens 45 Konzentrationslager mit etwa
35.000 bis 40.000 Gefangenen. Dabei bandelt es sich u. a. um fol-
gende Lager:
Dachau bei Mfinchcn (5000 Gefangene)
Fleuberg, Oberbaden (2000)
Gotteszell boi Gemiind. Wiirttemberg
Kieslau bei Bruchsal, Baden (100)
Kaxtatt, Baden (300)
Bad Diirrheim, Baden (500)
Pfalz (2000)
Ginsheim bei Frankfurt
I'Odelheirn bei Frankfuit
Gaswerk Frankfurt- Fechenheim
Osthofen, Hessen
274
Langen, Hessen
Kassct
mihlheim, Rhein (2000)
Wonne-Eickel, Westfalen
Sentielager bei Paderborn (900 Mannor, 30 Fraw
Esterioegen bei Dorpen, Wostfalen f^OO)
Mooring™ bei Hannover
Papenburg, Emsland (eingerichtet fur 4000 Oefangeue)
Bremen i
Vechta 7 Oldenburg
Wilsede. Liineburger Haide (2000)
Fuhisbiittel bei Hamburg
Wilhnoor bei Hamburg
Oranienbu-rg bei Berlin (1500)
Btiniiche bei Nauen
Sonnenburg. Preussen (414)
Ohrdnif, Thuringen (1200)
Strafgefangenenanstalt Mathildenschldssehen bei Drpsden
Colditz, Sachsen
7Jitau. Sachsen (300)
Haintwalde bei Zittau, Sachsen
Sehloss Ortenslein bei Zwickau, Sachsen (200)
Griinhainichen (Sachsen)
Feste Hohenstein. Sachsen (800)
Feste K&nigstein, Sachson (200)
Sachsenburg. Erzgobi:
Breslau
Diirrrjoy bei Breslau
Grwndau bei Konigsbi'
Weitere Lager befinden sieh:
in d&r Provinz Brandenburg (etwa 6 La^er)
in Braunschweig
im Ruhrgebiet (er\va 5 Lager)
in Ostpreussen
in Schleewig
id Pommern
in Mitteldeutechland (mehrere Lager).
KonS^^ h u l MUte Mai besch l^sen, zehn neue
vom3r£TA g m ™ T chten ' Die ■ Frankfurter Zeiiung »
^^^SRS^f 9 daS ?. aUf d6m Heuber 8 * Oberbaden ein
^t^S^S m9UP I tt S ° ,che GefangenT errichtet wind,
Sett mln r 4 °f ' V ° r dem Winter »plant ist
1 ^^S^ , S a Jf Gefangenen in jenen Lagern, fiber die
ganz Deutschland sicker nicht zu hoch gegriffen.
275
Fianen and IuteUektuelle hi <len Konzentrationslagerii
zuerst in das FrauengefangnS BerHn IW 1™ ° nnU ' ™ rden
vox sie in das KonzerTtral^
besonderes Konzenb-atiomlS ^^1^ 'l" 8 Juni ein
amtliche Meldung vo^ r/unf 1933 berS" ^^ "*»
&W& ST *A ™ — —
Kurze Zeit darauf ist in Sachsen ein zweites Konzentrationslaaer
iur Ijrajien err.chtet worden. Alle Berichte besagen ubereShn
mend, dass die Frauen in den GefSngni„en und Konzentrat low
Iagern besonderen Qualen und Verfolgungen ausgesetzt sTnd
Unter den Gefangenen sind alle Weltanschauungen, alle Be-
rufe, alle Altersstufen vertreten. In den Konzentralionslagern sfnd
zusammengepercht: Kommunisten, Anarchisten, Sozialdemok a
LLp K rUm t S , ^ P f lfiSten> Juden: jUnfie und alte Arbeiter, Ge-
<? A ? n Jl Studente ". Abgeordnele, Rechtsanwalte, Aerzte,
Schr.ftsteller, Klemgewerbetreibende; bekannle Namen und nie ge-
horte ; Mitlaufer und Kampfer. Unter ihnen befinden sich : der
revolutionare Pazifist Carl von Ossietzky, Herausgeber der «W«lt-
hunne» der Anarchist Erich Miihsam, der bayerische Abgeordnete
Auer der demokratische Reichstagsabgeordnete Fischer, die
sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Rossmann und Pflii-
ger, der Verteidiger Hans Litten, die Aerzte Dr. Schmincke und
iJr. Boenheim und viele andere.
Die Wahrheit bricht sich Balm
Die Hitler-Regterung ist bemiiht, fiber die Zustfinde in den
Konzentrationslagern ein verhfillendes Dunkel zu breiten. Es ist
jedoch gelungcn, authentisches Material fiber erschreckende Tat-
sachen in den Lagern zu erhalten. Das « Komitee fur die Opfer
des Hitler-Faschismus » hat durch gefluchtete Haftlinge oder
durch Angehorige von Gefangenen eine umfangreiche Sammlung
der entsetzlichen Tatsachen aus den deutschen Konzentrations-
lagern vornehmen konnen.
Die Wahrheit bricht sich Bahix. Sie findet ihren Weg in die
Reihen der Arbeit und in die ausliindische Oeffentlk-hkeit, trotz
276
der starksten Bewachung der Lager durch die SA. Die Wahrheit
findet ihre Wege durch Stacheldrahte und spanische Reiter. Keine
Todesdrohung der nationalsozialistischen Machthaber kann es ver^
hindern.
Auslandische Journalisten haben einige « Musterlager », Heu-
berg, Dachau und Oranienburg, besuchen dtirfen, Die SA beglei-
tete diese Pressevertreter bei jedem Schritt in den Lager n, die fur
diese Besucher besonders «hergerichtet» waren. Es konnte keine
unbeaufsichtigte Verbindung zwischen den Haftlingen und den
Reportern zustande kommen. So sind die Schilderungen der aus-
landischen Korrespondenten iiber die Konzentrationslager oft mehr
Impressionen iiber die landschaftliche Lage dieser Lager als Be-
obachtungen ihres wirklichen Zustandes. Wo aber die Journa-
listen sieh nur in bescheidenster Weise bemuhen, die Lagerver-
haltnisse objektrv zu schildern, oder wo sie gar — wie Edmund
Tavylor von der « Chikago Daily Tribune » — durch Fragen in
frcmdei; Sprache einige kurze Augenblicke die Gefangenen bei'ra-
gen konnen, da offnet sich sofort der Blick in einen Abgrund von
Unmenschlichkeiten. Da tritt die Wahrheit auch in den Zeitungs-
berichten zutage.
Wer der Wahrheit iiber die deutschen Konzentrationslager
dienen will, muss die Forderung unterstutzcn; Eine internationale
Kommission, die aus Mitgliedcrn der iiberparteilichen Hilfskomi-
tees zusammengestelll wird, muss das Recht erhalten, alle Lager
zu besuchen. Diese Besuche diirfen aber nicht unter der Aufsicht
von Lagerkommandanten und Naziwachtcrn stattfinden. Die Kom-
missionen miissen das Recht erhalten, unangemeldet in den Lagern
zu erscheinen, die Zustande in ihnen in alien Einzelheiten per-
sonlich zu priifen und mit alien Gefangenen ungehindert zu spre-
chenJ
Zerfallene Hiitten und Arbeitshauser als Wohnstatten
Die Zuchthauser Sonnenburg und Fuhlsbfittel sind schon vor
Jahren geschlossen worden, weil sie mittelalterliche, vollig unhy-
gienische Kerkcr sind. Man wagte nicht einmal mehr, Schwerver-
brecher doit untcrzubringen. In Fuhlsbfittel gibt es keine Klosetts
und keine Kanalisationsanlage. Der Aufenttialt in diesem Zucht-
haus wird besonders in der heissen Jahreszeit zu einer unertrag-
lichen Qual. Diese Zuchthauser sind von der Hitler-Regierung
jetzt :ils Konzentrationslager eingerichtet worden. In Sonnenburg
sitzen u. a. Litton, Kasper, Ossictzky und Miihsain in Haft.
Zahlreiche Gefangcne sind auch in Arbeitshausern unterge-
I't. u. a. im Arbeitshaus Kieslau bei BruchsaJ. Die Arbeits-
ITOT waren letztc Station™ fflr alle, denen der kapitnlistische
277
Staat keine freie Arbeit mehr aeben knnni P «.», r » i-
.asozial, erklarte. FortgeselztS iSteln LanduJ K " ***?*> tT,r
seheu. Oder gewerbsmussige .UnzuS siS dt v T'' S^*-
Aermsten der Armen, welche die deutsc-l ™ a . ^ brechen » der
Ein deutscher Richter erzahlt, d L f t ,1 1 n" ffiUen -
dem Arbeitshaus so gross war, da ^ da?Ge r h, i"f ^ 8ten vor
lieber zu Zuchthaus zu verurteiien beschworen, sie
Das Konzentrationslager Zitta'u war friiher eine Volkshu,!,
handlung, sodass man sich den Komfort dW< „ i . J oiksbuch -
Shi *"? .^ s ^^tratioJaS T^TcH^ST,^
nach dem Bencht des « Daily Telegraph . vom 25. April 1933 a »;
alten halbverfallenen Hiitten. Oranienburg ist jenes MuJteW
das man eimgen auslandischen Journalisten gczeigt hat und f m
dem die Nazis zahlreiche Fotografien verbreitet hoben
,. " Eme verlassene Fabrik - ehedem eine Brauerei -, die WerU
statten verhelen, die Fenster warden zu Scherben und den Fahrit"
hof liberwuchert Gras und Unkraut. »
l0 „ S °. sch T ild 1 er . t , die « Beut sche Allgemeine Zeitung » vom 30. April
1933 ! die Yerhallnisse in Oranienburg. Wir besitzen den ver-
trau lichen Bencht einer deutschen Journalistin, die einen Auslan-
der bei seinem Besuch des Oranienburger Lagers ah Dolmetsche-
rin begleitet hat:
<Auf dem Hof nur eine einzige Pumpe. Die 100—200 Gefangeaen
miissen sich in 5 alien Waschschilsaeln waschen, die auJ dem Hof
aafgestellt warden. Die Sehlafriiurne : alte verfallene Fabriksale, in
denea auf. dem kalten Zementboden eiuige Zentimeter angefau'ltes
Stroh liegen.»
Auch die « Deutsche Allgemeine Zeitung » vom 30. April 1933
bestatigt, dass die Gefangenen auf Stroh schlafen miissen.
In Dachau — so schildert Geyde im « Daily Telegraph » vom
25. April 1933 — schlafen in einer kleinen Hiitte 54 Haftlinge auf
primitiven Holzbrettern, die mit Stroh bedeckt sind.
Die erwahnte Dolmetscherin schildert den entsetzlichen Zu-
stand eines solchen Schlafraumes in Oranienburg:
<Schon am Abend. wenn die Gefangenen eingeschlossen werden.
stinkt es so, ats hiitte hier eine Herde Urwaldtiere ubernachtet. Nichi
zu besehreiben ist aber die Luft, die durch den Aufenthalt von 50
Meuschen oder mehr, deren ungewasehene Kleider, deren ver-
schwitzte Korper hier ausdunsten, erzeugt wird.s
Musterlagcr Heuberg
Das Konzentrationslager Heuberg ist das Prunkstiick untcr
den Lagern. Man zeigt es alien ausliindischen Berichterstattern.
AUe Berichte, die diese Besucher geben, schildern den ausseren An-
273
blick des Lagers unci seiner Umgebung, sie gehen uber mem nicHt
auf die Auientnaltsrauine und die Schlafsiile em
Die . : Frankfurter Zeitung , veroffentliehle" Ende Mai 1933
einen ausfuhrl.chen Bencht iiber eincn Besuch im Lager Heuberd
2T.38H32 orm^S^^^S?"^ A
jede Ljnterhaltung »,, den Gefangfnen *KS !fu5* "Sab
der pohtischen Beeinflussung der SA-Manner zu begeanen Pnr
gen schreibt: ° ° luli '
ten IherTn ^ m^r^ "" Un ' erkanfte der «**»^S£
Schutzhaitlmge , n enge Stuben zusammen^epfercht
Lie iHtew sind von spanfechen Reitern blockiert. Hohe Staehel-
drahtzaune umgeben z U beideo Seiten des Weges die Gebfiud und
zwar immer zwe. zugleich, sodass ein Innenhof Ziehen ibnen
«nhtefat Das Konzentrationslager 1st in Teillager auf»eteilt Neoen
den spa^chen Reitern versieht die SA ihren Die J? e DopJS
rosier. nut Karabinern. Ausserdem wird Jede Seite des 4"beE
unyon e,n em Hilfspolizisten bewadrt. Man sieht an di 5£«
535 l h» eDSt f , 8iDd ' eer - * i6t Verboten "inaus zu gTken
Jachte leuchten Scheinwerter die Fassade ab. Jedes Haus i!t vie
^issrjir geleilt - Bau A und B - beide haben -^
im Treppenhaus. Links und recbts auf heirt^ Efa-™ u ^ •
2tfS 2fJ?S*S- ', der Mit ' e ^^S-ldts 1
sonen 1 ■ hi ?' *? lDSChrift = 'Aufsichtsbeamter,. Drei Per-
htr . - hier onter *«ft»«*t E in SA-Fuhror. d.-r die Iinke StX
In » t? o m VOT 8" ete ten Polizeikommando.
V^Sm^d^p S °! da h tenS,Ube befindet sich ein Kanzleiblatt, das
verze chn.s der 36 StubemnaasscD. Name, Geburtsort Wohnune Der
Xf^aSZLZ" ^^f hen '° r - * AchtUQ ^ ™« e ""Len
kornm, g eihebeD 6U ' h ' WeDn der Aufeichtebeamte herein
HocSf unflSSff k^c"? Si,Zen diS GfifaD Senen auf kleinen
Zeitunp 1 und M S^ It SJe habeD die Spie,e selb6( fabrizie ""
auf eif BHH J 1, ^ "!" man faBt ^rnicht ! die ganze Stube fet
lose Wand t mi Z' *" ^T S ew6hnlich «• Die Feaster-
bewahren de/ E^it'S qUadraflSCheD S W» «>«»« ^ Auf-
kon?men d S r J Ter d ehr he m if A H f ilfSP ° ,iZiSten - d,e ^ ro » L »«"
, jeaer Verkehr nut Gefangenen untersagt fat baben die
27t>
zur Aufsichi bestellten FUhrer Auftrag, im staatspolitischen Sinn auf
ihre Stub.* einzuwirken. Die Poet wird vou dcm diensthabenden
Aufsichtsbeamten kontroiliert. Jeder Gefangeno Bchreibt alle zwei
YVochen einen Brief oder eine Karte. Aua aiesen Briel'en, aua dem
allgemeiuen Verhalten, aus dienstlichen und privaten Gesprfichen
soil der Aufsichtsbeamte feststellen, bei wein Auseicht auf Aende-
rung der politischen Gesinnung vorhandeu ist.>
Wir konnen diesen Bericht durch Angaben erganzen, die uns
ein Gefangener des Lagers Heuberg in einem Briefe geraacht hat.
(Der Name des Gefangenen kann nicht genannt werden, weil er
sich noch im Lager befindet) ;
<Auf deal Heuberg sind 2 000 Klassengenoseen, in der Mehrzahl
Kommunislen, untergebrachr. 7—8 zweietockige Gebaude dienen zur
Ucterkunft. Je ein Doppelblock und ein einFacher Block sind geson-
dert mit 2 in hohem Stacheldrahl abaesehlossen. In einem Zimmer,
12 X 8 m gross, liegen je 30 Mann, in den Dachkammern je uach
GrOsse 4—12 Mann. Die Betten, je zwei ubereinander, bestehen aus
Strohsaek und zwei iibexzogenen Decken. Badegelegenheit besteht
nicht. (Der Reporter von *De Telegraaf>, Amsterdam, sagt in sei-
nem Bericht vom 5, April, das3 es monatlich ein Bad gibt. Das gilt
oFFenbar nicht fiir alle Gefangenen, Die R^d.) Seife wird nicht ge-
liefert. AVer sicb ordentlich waschen will, muss sie sich kaufen. Wii-
sche wild nicht geliefert und nicht gewaschen. Handlucher sind
knapp, immer zwei Gefangeno haben ein Ilandtuch. Rasiermeseer
sind verboten. Rasieren ist schwer, sodass der Vollbart als neueste
Errungenschaft AuFerstehung feiern kann . . .>
Hauptmann Buck, der Letter des Lagers, hat dem Berichter-
statter vou « Poli liken » Ende April 1933 erklart, dass der Heuberg
fcein Sanatorium ist, weder an Bequemlichkeit, noch an Hygiene.
Er hat recht. Diese Lager sind Seuehcnherde, die nur -wenige ge-
sund verlassen.
Schwerbewaft'nete Patrouillen mit Mascldnengcweliren
und Polizeiliumlen bewadien die Lager
Die Bewachuug der Gefangenen in den Lagern ist ausseror-
dentlich streng, Ueberall patrotiillieren mit Gummikniippeln, Kara-
binem und Rcvolvcrn bewaffnete SA-Manner. Viele Patrouillen
werden von PoJizeihundcn begieitet. Das sieht man auf den amt-
lichen Bildern. Das schildern uns a Politiken », « Telegraaf »,
« Daily Telegraph ». Das steht in jedem Gefangenenbrief. Das
Konzenlrationslager Dachau ist — so berichtet Geyde im « Daily
Telegraph »> vom 27. April 1933 — von einem hohen Drahtzaun
rangeben, der mit elektriscfaer Hochspannung geladen ist. In der
Haiiptwache sind schussbereite Maschinengewehre aufgestellt.
380
Hordlietzu gegen jiidischc Wissenschaftler
Juden
fehen
Dich
^-" li
-
Wiedergabe des Buchuinschlage
uud von Unterschriften aus dem
Buch cJuden sehen Dich an.»
Diese von dem Naziabgeordne-
ten von Leers geschriebene
Broschiire hetzt offen zum Mord.
Der Beschreibung und dem Foto
zahlreichei- deutscher Manner
des deutschen Geisteslebens ist
das Wort <Ungehangt» hinzu
gefflgt.
Albert E i n st e i n. der be-
riihmle Wissenschaftler erhob
unerschrocken seine S limine
Segen den Hitlerterror.
9JHbttiif erf Stiffen, Slbfcbniff II: Cugeitjubett
Sinffein
Srfanb cine [tark beffritfene „9lctafio«aKtfecoric". SBurbe pon 6ct '3u&*«;
pre[(c un.b bcm abnungSIofen oeufjcfcen 9?otke bod) gefeiert, oanfcte oic*
ourd) Derlogeite®reueu>efce gegen 9l5olf Stflcr im%t$lanbe. (UngcDongt.)
Erich Baron
Der Sekretax der cGesellschaft cler Freunde des Neuen Russland» in Ber
lin wurde wahrend der Untersuchungshat't in den Selbstmord getneben.
n Berichterstattern von « Politiken » (Ende April 1933) und von
De Telegraaf » (5. April 1933) fallt auf dem Heuberg das unent-
lC . n h a re Gewirr von Stacheldraht und spanischen Reitern auf.
nj 11 hts ist das Lager von riesigen Scheinwerfern hell erleuchtet.
n s grelle Licht raubt den Gefangenen den Schlaf.
< ( Oeffnet man ein Fenster, um Luftzug zu haben, wird ge-
u^ccpti » berichtet « De Telegraaf » (Amsterdam) am 5. April
In Oranienburg ist das Lager auf der einen Seite von niedri-
Fabrikmauern, auf der anderen, wo die Gefangenen turnen,
^n ganz niedrigen Strauchern urageben. Flieht keiaer der Hfift-
r°«*eT Diese Frage hat auch die Journalistin gestellt, die Oranien-
bur* als Dolmetscherin eines auslandischen Reporters gesehen hat.
«Antwort : Hier gibt es keine Fluchlgefahr. Die Waehter sind be-
waffnet und haben strengen Befehl, sofort zu echiessen, wenn
ein Gefangener die durch Straucher bezeichnete Grenze uber-
schreitet. Warum sollten sie ausserdem fliehen ? Sie haben
es so gut hier. Selbet wenn man eie entlasst, weigern sie sicb
zu gehen.
Frage : <Unmoglich !>
Antwort : <Vorgestern bekamen wir Befehl, einen zu entlassen. Er
wollte nicht gehen und musste mil Gewalt zur Bahn gebracht
werden. Fragen Sie doch die Andern, ob es wahr ist.*
Die Journalistin fahrt fort:
<Talsachlich, es hat sich der Fall ereignet, dass Gefangene die
Freiheit verschiniiht haben. Aber warum? Die Entlassungsorder
kommt meist nachts oder zu sehr frflher Morgenstunde. Da kann
man leichter auf dem Weg erschossen werden, und am anderen
Tage heisst es dann in den Zeitungen : <Marxist auf der Fluent
erschossen^.
In cler Tat: Diese niedrigen Straucher sollen einen Anreiz zur
Flucht geben. Flucht aber bedeutet Tod,
Dunkel-Arrest uiid korperliche Ziichtigung
Die Willkur, welche die Konzentrationslager geschaffen hat,
hat auch die Inhaftierten nach drei Graden eingeteilt, und zwar mt
a) Leichtverbesserliche (Deutschnationale, Bayenrwacht, Mit-
laufer) ;
b) sogenannte Sclrwerverbesserliche;
c) Unverbesserliche. . ^...^
In die letzte Kategorie werden die kommumstischen *unrer,
die Funktioniire und die linksstehenden Intellektuellen eingemnt.
Gegen sie werden die schlimmsten Sondcrbestimmungen ange-
281
waadt In dem erwahnien Bericht von Porzgen uber das Gefange-
nenlager von Heuberg wird dafiir folgende Bestatigung gegeben:
«\Ver auf Grund der vorliegenden Akten uad Bericbte als unver-
besserlicb gelten muss, wird in den <Stammbau> versetzt, auf Num-
mer 19 und 23. Da geht alles vie] strenger zu. Der Aufsichtsbeamte
ftthrt kein Gesprach. Die Bewegungsfreibeit ist auf 10 Minuten be-
schrankt. Die Rauch- und Sprecherlaubnis wird weniger oi't erteilt,
auch der Arbeitsdienst, der den Gei'angenen Gelegcnheit zu einigeu
Stunden korperlicher Betatigung bietet und ihnen eiae Nahrungszu-
lage ermoglieht, fallt beim Stammbau \veg.>
Auch diesen nuchternen Bericht des Journalisten konnen wir
erganzen durch den Originalbrief eines Gefangenen im Lager
Heuberg, dessen Notschrei uns uber Stacheldraht und Grenzen
hinweg erreichte: ,
<Teure Genossen! Hoffentlich erhaltet Ihr diesen Hilfeschrei. Das
Leben ist hier geradezu furchtbar. Die BehandJung isl schliminer wie
in den Gefiingnissen und Zuehthausern, von den Kriegsgefangenen
nicht zu reden. Um 1<9 Uhr nitissen wir zu Belt, rnorgens um *A6 Uhr
(uichC um 6 Uhr) werden wir herausgejagt. In der Nacht habea wir
keine Ruhe. Oft werden wir 3-4 Mai des Nachts vor die Baracke ge-
trieben und werden auf dem Platz herumgejagt, wobei Prtigel und
grobste Beleidigungen zur Selbstverstandlichkeit geworden sind. Des
Nachts haben wir auf diese Weise nur 3-4 Stunden «Ruhe».
Ein Vorfall: Die ganze Abteilung wird des Nachts herausgejagt, muss
exerzieren und 6 Nazis mit Gummikniippel und vorgehalteuem Re-
volver prugeln einen Genossen unmenschlich. Sie warteten nur auf
einen Widerstand und batten den Genossen zweifellos erschosseu.
Da er sich nicht provozieren liess, schlugen sie inn spater nochmals
griin und b!au. Diesem Genossen erkliirte man: «Sie konnen sich
zwar beschweren. aber das ist zwecklos. Wir konnen Sie aber auch
mit einem Sandsack besclnveren!*
Ein Ebinger Genosse erhielt wiihrend sechs Tagen Dunkelarrest nur
zweimal zu essen und karn halb verhungert uud totenbleich zuriick.
Im Dunkelarrest ist er schrecklich verpriigelt worden.
Die Niirtinger Genossen sind von einer wahnsinnigen Prligelei beute
noch griin und blau.
Gebriill der SA-Leute, Hilfeschreie unserer wehrlosen Kameraden
bdren Tag und Nacht nicht auf.
Bei dem Essen, das fiir langeames Verhu.njrern bestimmt ist, miissej
die sturksten Nerven kaputtgehen. so dass viele Genossen sich mit
Selbstmordgedanken tragen odpr Widerstand leisten wollen, selbst
auf die Gefahr, dass sie totgeschlagen oder erschossen werden.
Jetzt sind neue StPafverschSrfungen in 19a, 19b, 23a uud 23 b durch-
gefiihrt. Die Gefangenen werden auf den einzelnen StuPen dem Alter
nach zusammengelegt Der Zweck ist, die jiingeren Genossen noch
schl burner zu dresiseren und die alteren Kameraden, die fast durch -
282
weg gegeniiber den jungen SA-Leuten jahrelang au der Front standeu,
abgesondert zu behandeln.
In den Strafbauteo ist uoch kein Journalist gewesen. Den Journa-
listen hat man wahrscheinlich die Bauten der Stufe I. gezeigt
Die- Vergunstigungen vom I. and II. sind :
Je 3 Zigaretten Mittwochs and Sametags und eine echwarze Wurst
fur 3 Mann.
Das Essen ist so gut. dass wir alle unterernahrt sind und Furchtbar
aussehen. Hier eiuigo Typs vom Essen: Kohl xnit Nudeln, sehr dUnii
Blaukraut, Kaxtoifelschnitzel mit Nudeln, siisser Reis mtt KartofMn,
duxchschiiittlich 3 Gramm Fleisch (in Worten: drei Granuu Fleischl).
In 11 Wochen haben wir zweiinal richtig Fleisch mit Sauerkraut er-
halteu. Das ganze Bs-sen ist fettles, ohne Gesehmack und mit vie!
Soda In 11 Wochen haben wir zweimal Butter bekoinineii. Dasa wir
dabei langsam zugrundegehen, ist klar.>
Planmassig wird (Lurch die Einteilung der Haftlinge in drei
Kitetforien versucht, sie gegeneinander aufzuhetzen. DieLagerkom-
mandantcn wetteifern in der Erfindung rafflniert ausgekliigelter
Disziplinarstrafen: Den Gefangenen wird die Freizeit gekiirzt. Die
Schreiberlaubnis -wird eingeschrankt oder fiberhaupt entzogen. Die
Besuchserlaubnis wird fiir lange Zeit aufgehobcn. Den Gefange-
nen ist vcrboten, wahrend der geringen Freizeit an gemeinsamen
Zusammenkiinften teilzunehmen. Sie werden einer besonders
scharfen Isolierung und Ueberwachung unterworten. Strengstes
Rauchverbot wird durchgefiihrt Lange Arreststrafen mit nur
zehn Minuten Spaziergang am Tage oder Dunkelarrest werden ver-
balist Beliebte Disziplinarstrafen sind: mehrstundiges Nach-
exerziercn, Strafturnen, Verlangming der Arbeitszeit, besonders
schwere ungewolmte und aufreibende Arbeit. In einjehienkon-
zentrationslagern ist man dazu ubergegangen, besonders misshe-
bige Strafgefangene in Ketten zu legen.
Nach dem Bericbt von « Daily Telegraph . vom 27 . April 1933
diirfen in Dachau zum Beispiel Widerspenshge die ldeinen Batten
uberhaupt nicht verlassen undnUbtandieLuttgenen.
Der Bericbt der erw-ihnten Joumalistin schildert einen Arrest-
ranm in Oranienburg, in dem « schwcrerziehhare » Gefan G ene
schmaehten mussen-
«Ein Mftuerloch, mit einer Eisentlir gesichert, ^J™*£ b Z^£
LDftng ab die Tiir. Man zeigte uns diesen tajjjj g^^
geschah erst eine Stunde nach Beg.nn der Bea .ch W g
Ln oHenbar die Gerangenen ^st^ r -t,,,n hatta. D^
283
Auf dem Heuberg besclrwerte sich ein alterer Rcchtsanwalt
iiber das schlechte Essen. Wegen dieser Beschwewle wurde er ver-
urteilt, funfzehn Tage auf dem Dach der Baracke
ohne Decke zu schlafen.
Hnuptmann Buck aber vcrsichert dem Reporter der hollandi-
scben Zeitung « De Telegraaf » (5. April 1933), dass es im Heuber-
ger Lager iiberhaupt koine Arrestlokale gebe.
Priigel mid sadistiscke Folterungen
Es unterliegt keinem Zweifel, und alle Berichterslatter stim-
men darin iiberein: die a Unverbesserlichen » werden so behan-
delt, dass ihr korperlicher Untergang unabwendbar ist.
Man erkennl den Zweck: die besten Kaders der
Arbeiterschaft Deutsch lands sollen physisch
vernichtet werden.
Aus zahlreichen Briefen geht hervor, dass in den Konzen-
trationslagern ausserordentlich schwere Misshandlungen der
Gefangenen vorkommen. Hauptmann Buck hat dem Vertreter von
«. Politiken » versiehert, dass in den Konzentrationslagern niemand
niisshandelt werde. « Keine Schlage, keine Ziichtigungen », wagte
er zu behaupten. Dass in Wahrheit die Gefangenen auf das
Schlimmste niisshandelt werden und dass insbesondere die Haft-
linge des dritten Grades unertraglichen Martern ausgesetzt sind,
zeigt sogar ein Blick in die deutsche Regierungspresse. Der c An-
griff » vom 1. April 1933 schreibt:
<Eiu Reichsbannermann wird vernomnien . . . er gibt patzige Aut-
worton, jedoch genUgt ein freundlicher aber beetimiuter Hinweia
auf seinen eigenen Gumniikniippel, urn ihn den Ernst der Situa-
tion erkenuen zu lassen.*
Welche schweren Misshandlungen miissen in diesem Lager
geschehen sein, wenn sclion ein Himvcis auf den Gummikniippel
geniigt, dem Gefangenen den « Ernst der Situation » klar zu raa-
chen. Die « Deutsche Allgemeine Zeitung » bestatigt in einem
Bericht vom 30. April 1933:
<Denn erst dadurch, dass man sich ihrer versicherte und mil un-
erbittlicher Hfirte ihr Verhor durchfiihrte, gelang es, deu
unterirdischen Terror fast in vollem Umfange aufzudecken . .
Noch immer ist der Widerstand einzelner Haftlinge zu brecheu.*
Diese Nachrichten bestiitigen, dass bei Verhoren die Folter
angewandt wircl. Wir besitzen eiaon Bericht des Korrespondenten
der « Chicago Daily Tribune », Edmund Taylor, dem es gelang,
234
pdt einigen Gefangenen des Lagers Heuberg in englischcr und
franzdsischer Spraclie zu reden, so dass seine SA-BcgLeiLer die
Gesprache nicht verstanden. Mehrere Gefangene bestatigten au S -
drflcklicb, dass in diesem Lager haufig scrwere Misshandlungen
vorkomnien.
Nicht anders lauten aueh die Berichte aus dem Lager Schloss
Ortenstein bei Zwickau. Besucher dieses Lagers erklaren eides-
stattlich, dass sie an Armen und Handen von Gefangenen blutige
Striemen, grune und blaue Hecken gesehen haben. Es kann kein
Zweifel sein, dass diese Zeichen von Misshandlungen herriihren
Besonders fiirchterlich waren die Misshandlungen, solange die
Bcwachung der Gefangenen SA-Leuten anvertraut war. Als die
SA durch Polizci ersetzt wurde, gestaltete sich die Lage der
Gefangenen etwas ertraglicher. Aber seit Anfang Mai ist wieder
SA in Ortenstein.
Die HSIle von Sonnenburg
Das Konzentrationslager Sonnenburg muss gesondert behan-
dell werden. Briefe und Berichte von Gefangenen, ja selbst amt-
liche Feststellungen beweisen unzweideutig, dass Sonnenburg
cine wahre Folterkaramer ist. Arbeiterfiihrer und Intellektuelle
sind den erniedrigendsten Misshandlungen ausgesetzt. Das Lager
heisst in ganz Deutschland: Die Holle von Sonnenburg.
Das Schreiben eines Arbeiters, das aus Sonnenburg hinaus-
geschmuggelt wurde, gibt eine aufwiihlende Darstellung der
Zustande:
cDie ersten Gefangenentransporte vvurdeu auf dem Bahnhof Son-
renburg von SA-Abteilungen und von Schupos z. b. V. empfangen.
Sie wurden zum Singen gezwungen und buchstiiblich bia zura Lager
hingepriigelt. Das konnen die Einwohner von Sonnenburg bezeugen.
Im Lager angekommen, mussten die Gefangenen bei stromenden
Regen im Hof stehen. Dann wurden die ersten in den Salen unter-
gebrachl. Jeder musste eich selbst Stroh aus einer anderen Etage
holen. Auf der Treppe standen SA-Leute, die mit ihren Gummi-
knuppeln erbarmungslos auf die Gefangenen dreinschlugen. In den
Salen wurden wir wieder mit Stuhlbeinen und Gummikniippeln ge-
priigelt. Einzelne Genossen mussten die Koteimer der SA reiuigea,
wobei sie wieder viehisch misshandelt wurden. Ein SA-Maun steckte
den Kopf des Gefangenen zwischen seine Beine, wahrend ein an-
derer zuschlug. Die Genossen mussten die SchUige laut zahlen. Bis
zu 185 SchlSgen haben einzelne Gefangene erhalten. Dazu gab es
nocb Fusstritte und die ubrigen Misshandlungen. Am moisten zu
leiden hatten die Genossen Litten, Wiener, Bernstein, Kasper,
Schneller und die jiidischen Gefangenen. Besonders hat unser alter
28"i
Freund Muhsaai gelitten. Jetzt hat es sich ein bischen geiindert,
aber dafur herrecht ein unerhbit scharfer militariscuor Drill, schliin-
mer als zu meiner Rekrutenzeit. Die meiste Zeit miisseu wir draue-
sen axerzieren, mareehieren und singen.
Die ersten drei Wochen waren die schrecklichsh-u, lu den Einzel-
zellen wurden wir nachls uberiallen und hirchtbar verpriigelt.
Manche Genossen hatten ganz schwarze Rueken. Ob Littcn mil dem
Leben davonkoramen wird, weiss ich nicht. Er selbst hat dem Staate-
anwaltschaftsrat Mittelbach (die furehtbav erregten Frauen meh-
rerer in Sonneuburg internierten Haftlinge hatten im Berliner Peli-
zeiprasidium scharfsten Protest erhoben und durchgesetzt ; daee
Mittelbach zur Untersuehung nach Sonnenburg entsandl wurde)
gebeien, man moge ihm doch eine Kugel durch don Kopf jagen,
■weil er diese viehischen Misshandluugen nicht ertragen konne.*
Diese Schilderung wird durch einen Bericht des « Sonnen-
burger Anzeigers » vom 7. April 1933 erganzt:
<Mit dem Gesang der Nationalhymne mussten die Haftlinge vom
Bahnhof nach dem ehemaligen Zuchthaus marschieren, wobei viel-
fach der GummikntippeS der Berliner Hilfspolizei nachhalf.*
In diese drei Zeilen ist eine ganze Holle eingeschlossen.
MiQisam, Kasper, Bernstein, Ossietzky barbarisch
missJiaiidelt
Die Schilderung des Sonnenburger H&Itlings erhatt eine er-
schiitternde Bestatigung durch Briefe der Frau Muhsam und i der
Frau Kasper, die ihre Manner in Sonnenburg besucht haben. 1 rau
Muhsam schreibt:
<Sie tiaben unsere Manner zu Tode gepriigelt. Der total ! Wi
habe es gesehen I Ich babe ihn nicht erkannt, Bum mcht eAannt
xwbchen den anderen ! Wie sie gepriigelt smd it rage a.. I die
Toni! Den Bart haben sie ihm gestutzt, die Za h»e herauBges^gea.
Seinen KoHer hat er tragen mussen, auf dem Transport, ^o der
Erich iiberhaupt schon so nngesehickt ist. Untenvegs erget. Men-
Dann haben die Bestieu ihn so geschlagen als er auf dem Rodw
lag auf der Cbauasee und nicbt aufstehen ^onnte ! Al chin ^
nenbur" ankam, da sass er vollkommen zerbroehen und war em
setzt Uber mein Kommen. Seine ersten Worte waren : cW.e k - t
Du denn in diese Holle? Ihx kommt nicht lebendig raus e W
den Euch totscMlagen, da ihr uns gesehen habt. w.e wn zu er
286
die Wan J gelehut, sein Gesicht war blutleer und ganz entsteltt.
An einem Auge, das vollig blau war, hatte ex einen Blutergusa
bis auf den Mund. Sein Mund war so stark blutunterlaufen, ala
b jemand in 6 as Gesicht hineingetreten ware. Er
konnte kaum sprechen und sich vor Schmerzen, die er am ganzen
Korper empfand, nicht rUhren.>
Die Frauen der politischen Gefangenen Bernstein und Geisler
hatten bei der Aufsiehtsbehorde ein Besuchserlaubnis fur Sonnen-
burg erz^ungen. Frau Bernstein schildert:
<lch glaubte, einen fremden Menschen vw mir zu haben. Die
Au^en und die anliegenden Partieu waren blutrot und stark <*e-
schwollen. Ueber das Gesicht breite Striemen von Gummiknuppel-
sc hlagea Ich durfte meinen Mann nicht beruhren, aber sein ganzer
Korper musste so zerschlagen sein, wahrend der ganzen Zeit ver-
barrte er in einer raerkwurdigen Stellung unbeweglich.>
Frau Geisler erzahlt:
cMein Mann war, als ich ihn sah, so verandert, daa Gesicht so stark
ireschwollen, dass ich mich beherrschen musste, nicht laut vor
Jammer zu schreien.i
Ein Gefangener, dem es gelang, aus Sonnenburg zu fliichten
und das Ausland zu erreichen, berichtet:
<Im Zuchthaus Sonnenburg sind 414 politische Gefangene unterge-
bn.cht, uuter ihnen Carl von Ossietzky, den man am 28. Februar
verbaftet I>at. Ein Mitgefangener, der dreizehn Tage im Sonnenbur-
g ( »r Zwbthaus verbrachte und jetzt die Grenze erreichen konnte,
hat Ossietzky in der Krankenabteilung gesehen. Gebiickte Haltung.
eingefallenes Gesicht, gelbe, krankhafte Gesichtsfarbe, nervoses
Gesh'kulieren mil den Hauden, schlotternder Gang, so beschreibt er
Oswetzky. Die anderen Sonnenburger Haftlinge : Dr. Wiener, am
ganzen Korper griin und blau geschlagen; der Kommuniet Bernstein,
dasst-n Nieren man zerschlug und der jetzt nur mit einer Stiitze
geher kann, der Kommunist Kasper, dem man die Sehamhaare aus-
gerisseu hat, Erich Muhsam, der mit Kasper zusammen fiir sich eia
Grab schaufeln musste, mit der Begriindung : am nachsten Morgeu
wiirden sie beide erschosseu werden. Auch Erich Muhsam sieht
entstellt aus. denn seine Bartbaare hat man ihm abgeschnitten. Id
der Nacht hat man Kasper dae Fenster seiner Zelle eingeschlagen,
eine Pistole durcbgesteckt und ihm mit Erschieesen gedroht. Dann
drang man in die Zelle und bearbeitete Kasper mit Gummikniippeln.
Da3 Tagesprogramm in Sonnenburg:
5 Uhr 15 friih : Wecken, Heraustragen der Abortkiibel (in Son-
nerburg gibt es keiue Wasserspiilung), Reinigen der Zellen,
Was chen, Freiubungen etc.
8 U h r 30 : Fruhstiick.
9 — 10 Uhr : Militarische Uebungen, Absingen von Hitler-Liedern.
10 Uhr 30 _ 12 Uh r : Pause, dann Mittag.
287
1? llhr 30 — 5 Uhr 30 : Militarische Uebungen und Tumspiele.
6 Uh r ; Abendbrot.
6 U h r 30 — 7 Uhr 30: Exerzierea.
7 Uhr 30 8 Uhr 30: Gemeinsames Beiaamtneneein.
Die Misshandlungen im Lager Sonnenburg waren so un-
menschlich, dass der am 11. April neu antrctende Polizeikom-
mandant des Lagers sich gezwungen sah, an die vorgesetzte
Behorde Bericht zu erstatten. Auf Befehl von oben musste er die
Kopie dieses Briefes vernichten. Die moisten Stiicke dieser zer-
rissenen Kopie gelangten in unsere Hande:
<Sonnenburg, den 18. Mai 19$3
Betrifft besondere Vorkommnisse nach Uebernahnie der Polizeige-
fangnisses am 11. 4. 33.
Bei meinem Dienstantritt am 11. 4. 33 stellte ich fest, dass im
hie^igen Polizeigefangnis, insbesondere bei der SA-Mannschaft keine
geordneten Zustiinde herrschen. Vornebmlich bezog sich dies auf
folgende Punkte :
1) Behandlung der Gefangenen durch die SA-Mannschaft;
2) Verhalten der SA gegen die Verwaltungsbeamten;
3) Verhalten der SA untereinander;
4) Verhalten der SA in der Oeffentlichkeit;
5) Besoldungsverbaltnisse der SA.
zu 1). Ein Teil der Gefangenen, insbesondere die Prominenten, wa-
ren durch Angehdrige der SA auf das Schwerste misshandelt wor-
den. Um Fortsetzungen der Misshandlungen zu unterbinden, wurden
die verletzten Gefangenen nun unter Aufsicht von Schutz (fehlt)
beamlen gehalten. Den SA-Mfinnern drohte ich bei Wiederholung
(fehlt) durch scharfe Ueberwachung der SA bei Tag und Nacht
die (fehlt) gegen Gefangene nachliessen, habe ich dennoch in zwei
Fallen das Schlagen von Gefangenen festgestellt. Bei deni Zusam-
menhaiten der SA-Mannschaft, besonders bei derartigen Vorkomm-
n.ssen, hatte die angestellte Untersuchung nach den Tatern keinen
Erfolg. Ich drohte nunmehr der SA an, dass ich bei dem geringsten
Vorfall dieser Art die in Frage kommenden Wachschichten, bzw. die
gesamte SA-Mannschaft abltfsen werde.
zu 2). Dauernde Reibereien zwischen den Verwaltungsbeamten und
den SA-Manosebaften entstanden wegen der umgekehrten Lo Q -
nungsverhMltnisse. Trots angemessener Vorschusszahlungen fuhlten
sich die SA-MSnner benachteiligt und bielten den Polizeiinspektor
Pelz fur den Schuldigen. Ihr Auftreten dem Polizeiinspektor Pelz
gegenfiber ging soTveit, dase die SA nur durch mein personliches
Eingreifen durch scharfe Zurechtweisungen zur Vernunft zu bringen
war. Beim Abzug der SA am 24. 4. 1933 musste ich den Polizeiinspek-
tor Pelz in seiner Wohnung durch einen bewaffneten Schutzpolizei-
beamten beschUtzen lassen, um TStlichkeitea zu verhindern.
288
EEC"* d,e im An "- ta - - -i*S« to aS£E- j
(Hier bricbt der Bericht ab.)
„Schweig"en and Prfigel"
Ein junger sozialdemokratischer Arbeiter entfloh vor kur
zem aus dem Lager Hohenstein, in dem er 7 Wochen liL i
keI , war. Sein Bericht der ein Bild des tr^^t^S^
Konzentrahomlager gibt, wirkt in seiner ruhigen SachUchkeTt
besonders stark: Wfteu
cWir waren 800 Menechen auf Hohenstein. Sozialdemokraten Kom
rnunisten, Juden und auch einige Zentrumsleute. Die Kornmunieten
werden gesondert gehalten. Ihr Schicksal war ein noch viel schwe-
reres, als dae unsrige.
Morgene um 6 Ubr mussten wir auf den Weckruf <Heil Hitler>
aus den Betten springen und uns stramm neben das Bett aufpflanzeu.
So, unangekleidet, ungewaschen, beteten wir unser erstes Stossgebet.
L'ott helfe unserer Nation und beschiitze unseren Reichskanzler
Hitler.* So genau kenne ich den Wortlaut nicht, ich habe dabei blosa
inimer gemurmelt. Der Vorbeter war unser GruppenFuhrer. Unsere
Gruppe zanlte 20 Mann.
%7 Ubr Antreten zum Kaffee. Warmes schwarzes Wasser (als Kaffee
kann man es beim besten Willen nicht bezeichnen) und ein Stiick
Brot. Danach: Strammstehen, Absingendee <Horst-We6sel-> und des
Dcutschlandliedes.
7 Uhr Abmarsch auf den Hof: Freitibungen, Kniebeuge und mili-
tarische Uebungen. Hinwerfen. aufstehen, hinwerfen, aufstehen . . .
und im Magen nur das bisschen Wasser und Brot. So ging es, dazwi-
schen Fussballspiel und Stafettenlauf, bis 9 U b r. Nun antreten zur
Arbeit: Sandschieben, Barackenbauen, Holz aus dem Wald heran-
schleppen.
TJra 12 Uhr gescblossener Abmarseb. Das cHorst-Wessellied* wird
wieder gesungen. Tischgebet: < Jesus sei unser Gast . . . und sfchutze
unsere deutsche Nation*. Mittagstisch: Suppe und Brot. Zweimal die
Woche gab es etwas Fleisch. Manchen geniigt es. Hinterher: Jede
Gruppe mit Geschirr zum Abwaschen.
12J4 Uhr wieder Spielen und Exerzieren.
3 Uhr Musterungsappell. Der Befehlshaber echreitet die Front ab.
Wir mtissen brullen «Heil Hitler*, singeo das <Horst-Wessellied^ und
wieder . . . exerzieren bis 5 Ubr, Nun dttrfen wir <ungezwuncren>
auf dem Hof herumgehen. Aber keiner darf mit dem ao-
deren ein "Wort wechseln. Weder jetzt, wenn wir frei ha-
b*»n. noch wenn wir arbeiten.
7 Uhr Abendessen. Stuck Brot wenn wir mal Gltick haben.
pin Stuck Wurst oder Kase.
id 289
y$ Uhr alle an den Betten antreten. Das cDeutschLandlied* wird
wieder gesungen, das Gebet abgeleiert, und um 8 Uhr muss alles in
den Betten liegen.
Wahrend der ganzen Nacbt breunt das Licht im Raum. SA-Posten
mil Karabinern bewachen uns. Niemand darf den Mund oi'fnen. Wir
sind verurteilt zu schweigen : bei Tag und boi Nacht. Wir h5ren nur
Kcmmanaorufe, FlUche, Gebele, das Ilorst-Weasel- und Deutschlaud-
Iied.
Ich wurde nur einmal gepriigell. cWillst du veifluehter Marxist nicht
strammstehen ? Ich werde dir schou zeigen !> Uud der Gummiknup-
pel sauste auf meinen Scbiidel nieder.
Wir trugen uiasere eigene Kleiduug, nur die Knopl'e schnitt man ab.
und die llosentrager nahm man uns weg. Besuch von Angeborigen
konnten wir (aber nicht alle) zweimal im Monat enipfangen.
Fiir Sprechen oder eine andere «Ungehorsamkeit> wurde man ent-
weder an Ort und Stelle verpriigelt oder es gab Gefangnis. Hohen-
stein ist niimiich eine alle Burg, und im Keller lag ein uraltes, feuch-
tes, dunkles Burggefiingnis.
So ging es alle sieben Wochen. Strammstehen, hinwerfeu, aufstehen,
nationale Hymnen singen, arbeiten, hungern und — sehweigen.
Ein anderer Haftling schreibt aus dem Konzentrationslager
Konigstein:
<Fruhmorgens um 6 Uhr werden wir von der Polizei geholt, die uns
durchaus anstandig behandelt. Wir werden in das Konzentrations-
lager Konigstein eingeliefert. Hier befinden sich 200 Gefangene, auf
die sechzig SA-Leute als Bewachung kommen. Wir werden mit dem
Bauen von Schiesstiinden beschaftigt. Das Essen ist ertraglich. Wenn
nur nicht die fortgesetzten Misshandlungen waren. Die SA-Wachter
sind aber auch mit wenigen Ausnahmen (iiltere Leute) zu gernein.
Gleicb bei unserer Einlieferung wurden wir heftig gequalt. Zuerst
muesten wir dreiviertel Stimden Laufachritt tiben, dann eine Stunde
strammstehen, ohue uns zu ruhxen, dabei wurden wir mit dem Re-
volver bedroht und bekamen mit Gummikniippeln, Reitpeitschen und
Karabinern Schlage. Dann mussten wir eine Stunde knien, den Kopf
zur Erde gewandt. Bei ungenauer Durchfiihrung dieser Uebung be-
kamen wir Fusstrilte ins Genick und zwar mit Nagelschuhen. Dann
bekamen wir wieder eine Stunde lang Prtigel. Einzelne Leute wur-
den halbtot geschlagen. Die Haare wurden uns abgesennitten und in
den Mund gesteckt. Die ganze Prozedur dauerte von viertelsieben
Uhr abends bis halbdrei Uhr nachts. Auch in den folgenden Wochen
wurden namentlich von dem Truppfuhrer Fuhrmann diejenigen be-
sonders schwer misshandelt, die durch Auseindersetzungen mit Nazis
bekannt waren. Als bei einer solchen Gelegenheit ein Heidenauer
Genoese, der Fiihrer des antifaschistischen Kampfbundes Gumbert
(41 Jahre alt) totgeschlagen wurde, griffen hobere SA-Fiihrer ein,
dann wurde es etwas besser. In den ersten Nacbten mussten wir
ohne Decken in kalten und nassen Raumen schlafen. Spater lieferte
290
man uns Decken. Trotz aller Qualen ist die 1 1 alt imp der Gcaoseen
lapfer. Auch dia So2ialdemokraten halten sich tapfer, obwohl 9io
nodi minier politiscbe Illusionen haben. Verral von Genossen ist
oicht vorgekommon,
Ueber die uninenschlichslen Greuel, die auf dcm «K 6 n i g-
stein* geschehen sind, erschien im Prager «Sozialdemo-
krat» folgcndcr Berichl, fur dessen Inhalt das Blatt ausdruck-
lich die Verantwortung fibernimmt Es svird bezeugt:
«dass in K&rigstein HSfUinge gezwungen wurden, das blutig geschla-
geae Gesites ilirer Leidensgefiihrten abzulecken; dase man die Haft-
linge zwang, drei Stunden lang das Gesieht iiber den frischen Kot
von SA-Leulen zu halten. da<=s angetniakene SA-Leute die Hiiftlinge
nachts weckten und sie unler wiisten Drohungen zwangen, gebrauchte
Preservative auszulecken; dass die Haftlinge zitterten, wonn sie dea
Nachts den Gesang ihrer Peiniger horten, weil sie wussten, dass sip
das Opfer sadistischer Orgien warden; dass die Haftlinge gezwungen
warden, in Gegenwart ihrer Peiniger zu onanieren und man von
ihnen verlangte, widernaturlichen Geschlechtsverkehr mi! ihren Lei-
denegenossen zu vollziehen; dass man den Haftlingen Geld stahl und
sie zwang, zuzugeben. dass sie Falsehgeld gehabt hatten: dass man die
Haftlinge <straf\veise» in feucbte und kalte Kellergelasse warf und
ihnen jede Schlaf- und Sitzgelegenbeit verweigerte; dass man alle
Gefangenen zwang, bei ihrer Entlassung zu best&tigen, es sei ihnen
nichts geschehen. Dies alles geschab unter Leitung des SA-Fiihrers
Bienert-Konigstein und Fuhrmaun-GoUleuba.:*
Diese beiden «Fflhrer» wurden nicht etwa bestraft, sondern
versetzt.
Hnngerrationeu
Die Berichterstatter der Zeitungen « De Telegraaf » (5. April
1933) und « Daily Telegraph » (27. April 1933) erhielten von den
Haftlingen auf die Frage, wie das Essen sei, die Antwort: « Gut,
aber nicht reichlich ». In Wahrheit ist das Essen weder gut, noch
ausreichend. Ein Gefangener im Konzentrationslager Heuberg hat
in wenigen Wochen der Haft 30 Pfund abgenommen. Trotzdera
erklarte Leutnant Kaufmann, einer der Leiter des Lagers, dem
Berichterstatter dor « Frankfurter Zeitung » (Ausgahe vom
8. April 1933):
<Die Mehrzahl der Haftlinge ist zufrieden. Das Essen isl gui Es gibt
ein krSftigea und reichliches Einheitsgericht, Fleiscb zweimal in der
Woehe>.
Edmund Taylor, der mehrere Gefangene in englischer Sprache
gefraj sehreibl hin i in der « Chicago Daily Tribune »:
<Die Gefangenen beschwerten sich bitter iibor die unzureichende
Verpftegung, Die Nabrung beelebt im wesentlichen aua wSsseriger
Oraupensuppe.*
29]
Im « Daily Telegraph » vom 27. April 1933 berichtet Geyde
dass die Gefangenen zur Feier von Hitlers Geburtstag — « £ ei *
Deutscher soil an diesem Tage hungern » — Sauerkraut erhielten
Wenn Sauerkraut schon ein Festtagsessen ist, wie muss die Ver
pflegung der Gefangenen erst an gewohnlichen Tagen aussehen?
Dariiber gibt ein Brief eines Haftlings grundlichen Aufschluss-
cKohldampf schieben ist die Parole. Das Essen ist hundsmiserabel
Wir erhalten nur ein Pfund Brot pro Tag. Unser Mittagmahl sah
letzte Woche so aus : Topfgerichte aus Kartoffeln und Geiniise oder
Dainpfnudeln mit etwas Mischobst oder Linsen mit Kartoffeln Erst
gab es einen Liter dieses Essens. Jetzt sind die Rationen verideinert
Da an Fleisch und Fett gespart wird, fehlt dem Essen jede Kraft'
Ausserdem ist es zu wenig. Noch schlimnier wird es am Abend:
Em- bis zweimal Suppe, zwecks -cnationaler Erziehung* mit Haken'
kreuznudeln, die in Wasser gekocht sind. Oder 100 gr. Limburger
Oder 80 gr. schwarze Wurst oder Leberwurst. Kein Gramm Butter
keine Margarine, kein Schraalz. Dazu wie am Morgen Kaffee. Wir
gehen immer hungrig zu Bett. Wer zu Aussenarbeiten kommandiert
wird, erhalt Zulage y* Pfund Brot und 80 gr schwarze Wurst.>
Der Schrei nach Brot
In alien Briefen kehrt die Feststellung wieder, dass dem karg-
lichen Essen jegliches Fett fehlt. Dagegen wird an Soda nicht
gespart, das angeblich den Geschlechtstrieb mindert. In Wahrheit
zerstort Soda die Zeugungsfahigkeit und greift die Magenwande
an.
Nicht einmal die Brotration ist ausreichend. Das bestatigen
alle Briefe der Haftlinge.
Der Berichterstatter von « De Telegraaf » (5. April 1933)
fragte den kommunistischen Abgeordneten Arnold (ULm), was
er uber das Essen sagen konne. Der Gefangene erwiderte:
« Zu wenig Fleisch, zu wenig Brot, ranziges Fett ».
Derselbe Berichterstatter gibt den Wochenspeisezettel fur die
Zeit vom 26. Marz bis 1. April 1933 wieder :
<Taglich 1 Pfund Brot, 10 gr, Kaffee, SO gr. Zucker, keine Butter.
Sonntag, mittags: Fleisch mit Kartoffeln;
abends: Kaffee mit Zucker, ein Bismarkhering.
M on tag, mittags: Fleisch;
abends: dicke Suppe.
Dienstag, mittags: Erbsbrei, 100 gr. Wurst;
abends: Kaffee mit Zucker, 100 gr. Kase.
Mittwoch, mittags: Graupen, Kartoffeln, Makkaroni;
abends: Kaffee, 100 gr. Wurst.
292
Donnerstag, mitlogs : LinseD und Kartoffeln;
abends: Erbsensuppe und 100 gr. Speck.>
Dieser Speisezettel ist fur den Besuch des Berichterstatters
sicher besonders zusammengestellt worden. Aber auch aus diesem
Speisezettel ist ersichtlich, dass die Gefangenenkost nicht einmal
das Minima lquanluin der lebensnotwendigen Nahrstoffe enthalt.
JSin Pfund Brot fiir Menschen, die 12 Stunden arbeiten! Kein
frisches GemuseS 100 Gramm Felt in der Woche! Die Gefange-
nen hungern. Ein Zettel, den em junger Gefangener aus dem Lager
Hohenstein schmuggelt, ist ein einziger Nolschrei:
Acht-, neuu- und mehrstiindige Zwangsarbeit
Der nationalsozialistische Minister Frick erklarte, dass in den
Konzentrationslagern die Haftlinge durch zweckmassige Arbeit
wieder zu niitzlichen Mitgliedern des Staates erzogen werden
soil en. In Wahrheit ist die acht-, neun- und mehrstiindige Ar-
beitszeit nichts als ein Mittel der Qualerei.
Einige Zeilen aus einem Gefangenenbrief geniigen, ein Bild
der « erzieherischen » Arbeit zu geben:
<Um 1/^6 Uhr raus. V/ z Stunden Marsch zur Arbeitestelle (Planie-
nmgearbeiten, Strassenbau) und dann mit einer Stunde Pause bis
l/ 3 3 Uhr arbeiten. Wieder 1% Stunden marschieren. Als Bewachung
gehen je 20 SA-Leute mit Karabiner, Revolver und Gummiknuppel
unter Folizeikommando mit.*
Der Tortur dieser ungewohnten Zwangsarbeit sind auch Aerzte,
Anwalte und Schriftsteller unterworfen. Viele von ihnen sind
nicht mehr jung und den Anstrengungen einer solchen Arbeit
nicht gewachsen. Auf dem Heuberg mussen von den Haftlingen
Steinbrucharbeiten verrichtet werden. Die Gefangenen des Neustad-
ter Lagers mussten einen Flugplatz planieren. Trotz aller Taffi-
nierten Abspemmgsmassnahmen dringen Nachrichten iiber die
29;)
schwere und aufreibende Zwangsarbeit an die OpHW.- u.
Die Nationalsozialisten versucben die Wirknn. r Uelte ™ichkeit.
ten durch Veroffentlichungen in ihren illus trier eT^u *? ^
abzuschwachen. In gestellten Bildern werdeii lio r.f SC ' lnften
frohlicher und leichter Arbeit gezeigt SSon «£S fange * en ^
Lugen stellen wir die Schilderungen eine „ to 8Wphier ten
des Oranienburger Lagers entgegen! neu tralen Besuchers
<Die Arbeit — nennen wir es einmaj 30 ;„ f «„ H ,- u.
wachte ao^iemlich das Sinntoseste, was sich denke n E DrSl ^
Arbiter treiben sechs ihrer Stempelkollepen an GralLm. T*
n:gst aus der Erde zu rupfen Die sect i '"L'., alme schi6l «-
den Pruhlingshaimchen, buadeln die Wurzelchen aus winCn"? 1 -
Sand von Riickstanden und drucken ihn fein saubexS 3 n 5
Ritzen der Pflaslerung. Handwerkszeug gibt es nirht 17*1 • ! e
da3 Gras .tichse es ruhig waiter, nilnfande? JSE ^1^
Fabnkgebaude wird eine Menge Wasser ver Spr i l2t . Einige J' ^
Menseben sind damit beschaftigt, den alten Kasten eauber zu ma
ehen, Eb Wd ihnen als personliahe Verworfenheit angerechnet d "«
er mcht wie e , n Marmorpalast glanzt. Jedes HotepliHcrchen 'jedS
Sandkornchen muss weg. An der Wand 1st von Niher her ein Sowjet-
stern steherj geblieben, weg damit, und wenn die Wand zum Teufel
gent. Auch iner die tierische Sinnlosigkeit einer Arbeit, die keine 181
sondern nur Beschaftiguni*
Viel schlinimer wird es dort, wo der benachbarte Wald gerodet wird
Die Baume sind schon weg. Die Belegschaft dee Lagers, vielfach
bewacht, riickt an, um mit blossen Fingern die riesigen WurzelbI6cke
auszugraben. SA-Manner treiben Arbeiter an, die ihre Grossvater
sein kounten : «Alte Sau», «rotes Schwein*, cEierschleifens _ die
Ausdriicke sind dem Wortschatz der kaiserlichen Armee entnom-
men. Nur sind sie noch kriif tiger und gemeiner.
Das ist die « erzieherische Arbeit » des Reichsinnenministers
Frick !
Nach der Zwangsarbeit: Strafexerzieren
Mit der Zwangsarbeit ist die Qualerei der Gefangenen nicht
crschopft. Die noch verbleibende Zeit ist mit Exerzieren, das vol-
]ig zu Unrecht als « Sport » bezeichnet wird, ausgefiillt. Nach amt-
lichen Milteilungen ist die Zeit von V&2 Uhr bis }£Q Uhr abends
ffir Exerzieren bestimmt.
Die Journalistin, die das Oranienburger Lager besuchte, gibt
nachstehend ihre Eindriicke:
<Auf diesem (nur mit kleinen Straurhern gegen die Freiheit abge
grenzten. D. Red.) Geliinde sind versehiedene Geriite fiir die sport-
lichen Uebungen aufgestellt, die man die Gefangenen machen iasst.
294
Der oberMchhche Beobachter, der nichts sehen will, kann den Ein
druck haben, dass sich die Gefangenen gut ausarbeifen dttrfen M „
glaubt, dass B ie Sport treiben. Aber wer zu beobachten varstehj ,K
dass man da vor einen. raffinierlen System gemeiner Qualere sen t
In der Tat smd die verlangten Uebungeu selbst fttr eiael ierute
sportier ast unmoghoh Un> 8ie durchfuhreu zu konnen Lda rf es
ernes method.schen und dauernden Trainings und vor allem ein^r
besonders guten Ernahrung. Aber in diesem Lager das seifdV™ 91
Marz besteht, mussen alle Gefangenen ohne Ausaahafe s SE"
ren und zwar nicht einmal, soadern 4 Stunden lane ieden Ta 7w„
ehen and Monate hind arch ungerechnet die anL fn VeoLgla'
Marsehe, Geaange usw. . Rechts, in 10 m Entfernung von S
Slrauchem, befindet sich em fester Barren. Jeder Gefangene muss
zunacnst an diesem Barren turnen. 10 m weiter befindet sich ein
Brett Oder besser gesagt eine hblzerne Palisade (2,50 m hoch mid
3 m breit), tiber die nr sodann klettern muss. Id der gleichen Ent-
fernung befindet sich dann noch ein 2 m tiefer, 2-3 m breiter Qra
ben, dessen Grund schlammig ist and uber den er springen muss
Augenbhckhch ist er leer, aber bald wird er voll Wasser sein 10 m
weiter befindet sich eine Wiederholung dieses Grabens, aber in
Wahrheit ist das mehr eine Erhohung von 2 m Hohe und 80 cm
Starke, uber die die Gefangenen klettern mtissen Dann befindet
eich noch langs der linken Grenze eine Art Falle, ungefiihr 10 m
lang und 70-80 cm tief, in welche die Gefangenen klettern mtissen.
Ira Innern dieser Falle befinaen sich, jeweils in y 2 Meter Abstand
abwechselnd von oben und von unten kommend, Bretter, die man
nur in Schlangenbewegung kriechend passieren kann. Der Raum
der zum Knechen ubrigbleibt, ist aber so eng, dass nur ein Kind
ohne Anstrengung durchkommen kann. fur einen mittelgrossen Mann
1st er kaum tiberwindlieh. Am Ausgang dieser Falle muss man noch
uber zwei Hmdernisse von 1 bezw. % Meter Hohe springen Wenn
diese Serie von Uebungen beendet ist, beginnt man von neuem
vier Stunden lang, alle Tage, alle Woehen, alle Monate . . .>
Wir haben uns an einen angesehenen Sportarzt, Dr. Bellin
du Coteau, gewandt und ihn gebeten, uns ein Gutach-
len uber die Wirkung dieser Exerziermethoden auf den mensch-
Iichen Organismus abzugeben. Wir haben diesen Internisten von
Ruf der politisch vollig neutral ist, die sich aus dem vorstehen-
den Bencht ergebenden Tatsachen vorgelegt, ohne zu sagen, dass
es sich dabei um die faschistischen Konzentrationslager in
Deutschland handelt. Dr. Bellin du Coteau beanhvortete unsere
Frage so:
Sehr geehrter Herr, «Paris, den 27. Mai 1933
Im folgenden erhalten Sie die Beratung, die Sie von mir verlangt
haben :
1) Die Streckenlaufe, von denen Sie mir sprechen, die Laufiibungen
mit Hindernissen umfassen, gehoren zu der Kategorie der sogenann-
295
lea athletischen Laufubungen. Sie beruhen auf demselben Prinzip
wie schoD die ersten turnerischen Uebungen des Obersten Amoros
(1830).
Sie eind von der Armee in verschiedenen Fernien Qbernommen war-
den und haben wahrend des Kriegea al3 Training der Truppen, ge-
dient. Schliesslicb Iiaben verschiedene Wehrverbande sie in ihr
Program m iiberuoninicn. Es handell sich dabei urn schwierige
und ausgedehnte Uebungen Die verechiedenen Hinder-
niese, die auf dem Weg aufgebaut sind, vermehren in jeder Hinaicht
die Grosse der Anstrengung. Die Wirkung kann sich in einer Be-
schleunigung des Herzschlages zeigen, denrestalt. class, wahrend bei
normalen schnellen Lauf eine Beschieunigung des Herzechlages von
80 bis 100 auf 140 bis 150 eintritt, die Erdehwerung durch Hinder-
nisee eine Beschleunigung des Pulses bis auf 180, ja sogar 200
Schlage herbeifiihren kann.
Daraus ergibt sich, dass die athletischen Laufe auf Seiten der Sport-
ier eine gute allgemeine Form voraussetzen. Diese Form ist unbe-
dingt erforderlich, wenn der Organismus die Anstren-
gung e n aushalten soil.
Ausserdem muss man ein bestimmtes allgemeines Training voraus-
setzen: Springen, Klettern, Laufen usty. Unter diesen Bedingungen
muss man fiir das allgemeine und spezielle Tiaining eine imgefahre
Dauer von zwei Monaten vorsehen.
2) Diese Laufe diirfen keinesfalls innerhalb 24 Stunden wiederholt
werden. Es ist vollkommen unnutz, ja sogar schadlich, mehr ale
drei solcher Laufe vornehmen zu lassen. Es Lst unerlasslich, zwischen
jeder dieser Uebungen mindestens eine Ruhepause von
einer Stunde einzulegen.
3) Es ist notig, sich jedesmal, wo es sich um eine so starke physische
Anstrengung haudelt, einer arztlichen U-ntersuchung zu unterziehen,
um etwaige Schaden festzustellen, die es unmSglich machen, eine
derartige Anstrengung auf sich zu nehmen. Diese Vorschrift ist umso
wich tiger, da es sich um eine langere korperliche Anstrengung han-
delt, die bei einem ungeeigneten oder ungeniigend vor-
bereiteten Organismus schwere Schaden hinter-
lassen kann.
4) Fiir jeden Menschen, der einer solchen physiachen Anstrengung
unterzogen wird, muss eine besonders reichhaltige, ja
geradezu uppige Emahruag beschafft werden.
Nut dann kann das ktfrperliche Gleichgewicht aufrechterhalten
bleiben.
24 Stunden in einem Konzentrationslager
Aus den Berichten, die uns vorliegen, ergibt sich ein genaues
Bild, wie der Alltag im Konzentrationslager verlauft:
y 2 6 Uhr : Wecken.
%6 bis 6 Uhr : WegrHumen der Strohschiitten.
290
Die Bltite" der SA orgauisiert den Juden-Boykott
SA-Poslen verhindern das Betreten einer Woolworlh-Filiale
in Berlin.
Elite [nscluift, die fin- sicli selbst spricht
Beim Juden-Boykott in Dresden.
Chemnitzer SA schneidet einem Judeu fin Hakeiikieuz ins Haar
Das Folo wurde als Foslkarte verkauft mil der Inschi ill:
«Sau]5erungsaktiOQ in Chemnitz*.
6 Uhr: Antreten, militarische Haltung, Hand zum Hitlergrusa ge-
reckt. Nationale Andachtestunde, Siagen <Nationaler> Lieder.
6 bis HI Uhr: Kaffee mil trockenera Brot.
V.7 bis l/$ Uhr: Marsch zur Arbeitsstiitte oder Zwangsarbeit im
Lager.
Vc8 b ifl Y2 1 Uhr : Zwan & sarbeit (Steinbrucb, Wegebau, Wurzelroden,
Mauermvaschen).
U-.l bia y$ Uhr : Vollig unzureichendes Mittagesaen : dreiviertel
Liter "\vaeserige Topfgerichte, fast durchweg vSllig fleisch-
und fettlos.
%2 bis }4$ Uhr: Grausame Exerzier- und Turntibungen (vier Stua-
den !).
1/26 bis y& Uhr : Zwangsarbeit.
J48 bis Hs9 Uhr; Abendessen (wie mittage: meiat Wassersupp^n
oder Brei, trockenes Brot mit einigen Gramm Wurst).
M9 Uhr : Locken (selbst dieses Signal, rait dem der altpreussische
Militarismue die Soldaten in die Kaserne rief, ist_ sinnloser
Weise auch fiir die standig im Lager bcfindliehen Hiiftlinge
iibernomoien).
9 bis V96 Uhr : Schlaf auf Holzpritschen und Strobschutten, in
schlecht geliifteten, fur die Zahl der Gefangenen vieJ zu klei-
nen Hiitten, Karnmern oder verfallenen Faoriksalen.s*
Aus dem Leben geri3sen
Schlimmer als die geschilderten korperlichen Qualen, denen
die Gefangenen ausgesetzt sind, ist die seelische Tortur, unter der
sie zu leiden haben. Aus dem Leben und Beruf herausgerissen,
mussen sie auf die Befriedigung der elementarsten geistigen und
korperlichen Bediirfnisse verzichten. Keine freie Zeit, keine Un-
terhaltung, kein Urlaub, keine Ablenkung, keine Moglichkeit zur
weiteren Fortbildung. Zwangsarbeit und Exerzieren — so verlauft
der Tag der Haftlinge im Konzentrationslager. « De Telegraaf »
vom 5. April 1933 erzahlt uns daruber einiges;
cToiletten: keine. Kantine: keine (nur als Gunst darf man sich
etwas besorgen). Besuch: k e i n e r. Lektiire: nur Nazischriften;
ein paar Klassiker, fiir Arbeiter zu schwer. Rauchen; verbo-
ten (nur ausnahmsweise als Gunst gestattet). Brief e: a lie
vierzehn Tage einer unter Zensur. Musik und Sport: par
nicht. Bad: eines im Monat. (Andere eagen: gar keines). Ver-
pfiegiuigspakete: nichts ausgeliefert.>
Der Berichterstatter der danischen Zcitung « Politiken »
zitiert in seinem Aufsatz iiber Konzentrationslager Gefangcnen-
bnefe, die er in der Zensurstelle des Heuberger Lagers gesehen
hat. Diese Briefe sind erschutternde Aufschreie gepeinigter
Menschen.
297
«Ach wieviel Wiinsehe, wieviel Trauer, wieviel Ungltick, wieviel
Tranen . . . .»
<WievieI an den Himmel gerichtete Bitten, dase er eine Mutter, eine
Gattin, die Kinder schutse, die ihre dun-en Arme gegen die unsieht
barenTraillen dieses Gefangniasee strecken.*
sagt der Berichters tatter und zitiert:
<Ach, koante ich noch einmal unsere kleine Hedwig an mein Herz
driicken . . . .>
<H£tte ich wenigetene Ostern unter Euch verbringen diirfen . . . .>
cArme Mutter, hast Du wenigstens zu essen 1 . . . .>
So miissen sie Tage, Wochen, Monate leben. Nur die spani-
schen Reiter und den Stacheldraht haben sie vor Augen. Dahin-
ter miissen sie stumpfsinnig exerzieren oder sinnlose Arbeit ver-
richten.
Der Weg in den Tod
Jeder Zuchthausler kann sich ausrechnen, wieviel Tage ihn
von der Freiheit trennen, Jeder Tag bringt ihn der Entlassung
naher. Der Gefangene im Konzentrationslager weiss nicht, fur
wie lange er eingekerkert ist. Tage, Wochen, Monate, Jahre? Hoff-
nung flammt auf und wird erstickt. Die Ungewissheit soil ihn
zermiirben.
Die barbarische Behandlung in den Konzentrationshollen, die
Qual der Ungewissheit treibt viele Haftlinge zu Verzweiflungs-
akten. Selbstmorde sind an der Tagesordnung. « De Telegraaf »
vom 5. April 1933 spricht von « Gefangenenpsychosen » und zahl-
reichen versuchten und gelungenen Selbstmorden.
Der Reporter von « Politiken » berichtet Anfang April 1933
aus dem Heuberger Lager;
«Freimiitig antwortet Hauptmann Buck auf meane Frage. Ex gesteht,
class die Seibstmordversuche in diesem Lager nicht selten sind.)
„Auf der Flucht erschossen"
Die offizielle deutsche Presse meldet immer wieder, dass
Haftlinge « auf der Flucht erschossen » worden seien. Die Un-
wahrheit dieser Behauptung ist offensichtlich. Die Lager sind aufs
Scharfste bewacht: schwerbewaffnete SA-Patrouillen, Polizei-
hunde, Scheinwerfer, die das Lager bei Nacht taghell erleuchten.
Jeder Fluchtversuch muss den Gefangenen aussichtslos scheinen.
Deshalb kommen wirkliche Fluchtversuche sehr selten vor. Trotz-
dem meldet die Presse haufig Erschiessungen auf der Flucht. Die
Morde in den Konzentrationslagern werden von der Re^ierung
nach bekanntem Vorbild in « Erschiessungen auf der Flucht »
umgebogen.
298
Sirs 3^ ~ * MBd dBr vlerte '
S «*« w » rd " . ,,., dem m glisclicn Joumalisten
jssss assTA w . «. ». *-
„„,. Bald drang es abet an d, c u biireerliche judiscbe
haw t nicbl um J-gJ™ del . aus Daclla u entkommen
iiidischen Intellektuellcn:
aueh nur oin Wort sagte, BChosen eimge SA ™\^™* n %*
n. % die keine Miene zu emem FlUChtversufcta gemacht haben. Alie
vior waren sofort tot. Die Leicbeu viesen siimtlich Stirnschusse aut
Sie wurden heimlich auf dem Friedhof verscharrt, ohne dass jemand
an der Beerdigung teilnehmeu durfte. Dann hielt man vor uns erne
Versammlung ab ( ein Slurintruppfculirer hieit eine Rede und erklfirte,
es sei gut, dass dise vier Saujudeu tot seieu, Es seien volksfremde
Elemente gewesen, die nlcht berechtigt seien, in Deutachland zu le-
ben. Sie hiitten ihre gcrechte Strafe erhalten.*
Die Mordchronik von Dachau geht weiter. Einige Zeit nach
der Ermordung der vier jiidischen Burger meldet WTB abermals
eine « Dachaucr Flucht » :
<Mdnchen, den 19. Mai. WTB. Der im Konzentrationslager in Dachau
untergebrachte S.-hutzgefangene Hausmann, der bei Aussenarbeiten
beschaftigt war, versuehte heute zu fliehen. Hausmann blieb trotz
wiederholter Anrufe des Wachpostens uictat stehen. Der Posten feu-
erte daraufhin und traf den Fluchtling tddlich.*
crmS? 1 Vn n / UrdC - Wle die vier J Mischen Gefangenen fcige
ermordct. Von den weiteren uns aus Dachau gemeldeten ub?r
299
zwanzig Mordfallen nennen wir nur diejenigen, die bisher auf
unsere Nachprtifungen hin bestatigt wordcn sind:
Polizeimajor Hunglinger, angeblich «Scibstmord»
Sebastian Nefzger, angeblich «Selbslmord»
Michael Sigman, Sozialdemokrat aus Pasing
Franz Lehrburger, Kommunist aus Niirnberg, «auf der Flucht
erschossen*
Anton Hausladen, Kommunist
Franz Dressel, kommunistischer Landtagsabgeordneter
Josef Gotz, kommunistischer Landtagsabgeordneter
Dr. Alfred Strauss, Rechtsanwalt aus Miinchen, «auf der
Flucht erschossen»
Wilhelm Aron, Referendar aus Bamberg, «auf der Flucht
erschossen»
Ferner sind im Lager Dachau «verschollen» :
Max Holy, Sekretar der siidbayerischen «Roten Hilfe»
Hirsch, kommunistischer Stadtverordneter
Johann Wiesmann.
Die bestialisclie Ermordung' der Landtagsabgeordneten
Dressel und Goetz
Die Ermordung der beiden kommunistischen Landtagsabge-
ordneten Dressel und Gotz ist der erschutterndste Fall im Kon-
zentrationslager Dachau, der bisher bekannt geworden isL
Vielleicht ware auch diese viehische Ermordung der beiden Abge-
ordneten unbekannt geblieben oder als « Erschiessung auf der
Flucht » von der Regierungspresse gemeldet worden, wenn es
nicht durch einen glucklichen Zufall dem mitinhaftierten kom-
munistischen Funktionar Beimler, der Augenzeuge dieser Ermor-
dung war, gelungen ware, aus dem Lager zu fliehen. Beimler, der
ebenfalls auf das grausamste misshandelt wurde und der wie seine
Schicksalsgenossen Dressel und Gotz ermordet werden sollte,
gelang trotz schwerer Verletzung die Flucht. Beimler machte fiber
die Ermordung der Abgeordneten Dressel und Gotz folgende
Angaben:
<Der kommuni3tische Landtagsabgeordnete Dressel wurde voo
diesen Bestien solange gefoltert. bis er 6tarb. Nackt warfen sie ihn
auf den Bodcn der Zelle. der Korper war grauenhaft zugerichtet,
liber und uber blau und schwarz, mit Wunden und schwarzgeronne-
uem Blut bedeckt. Die Hiinde waren von den vielen SchlSgen et-wa
10 cm lioch angesdrwollen. Die Beine und Arnie glicben uafSrmigen
schwarz-blau geschwollencn SScken. Die Leiche lag mit dem Gesichl
naeh unten. ein Arm war gewaltsam nach aussen gedreht, die iuls-
adern durchechnitten, ausserdem dreieckige PlefeclTflHicke QTO dem
Arm geschnitten. Daneben lag ein Messer, urn einen Selbstmord vor-
300
■tiiuschen Ate sie Dressel erschlagen batten, f.ngen die SS-Leute
" mus zi^cn an und veranstaiteten ein wahres Freudenfest. Dressel
wriTZlO. Mai in dem kleinen Dorf Brittelbach bei Dachau
Die r s?Bestien hatten den nackten Leichnam in eine Kiste geworien.
Alle bei der Beerdigung zugegen Gewesenen erschauerten, ala Bie
dies erauenhaft vestiimmelte Leiche sahen.
n er Kommunist Sepp G o e t z war schon einige Wochen vor seiner
Errnordung infolge grauenhafter Misehandlungen taub geworden. Die
Nazis schlugea ihn weiter, Tag fiir Tag und erschossen ihn fast zur
elben Zeit, als eie Dressel ennordeten. Die Leiche von Gotz wurde
am 12. Mai feuerbestattet.
Der Kommunist Beimler erhielt die ersten vie r Tage seines Aufent-
haltes in Dachau weder Wasser noch Brot, sondern nur Priigel auf
den nackten Korper vom Nacken bis zur Fussohle. Als Prugelinstru-
mente benutzten die Bestien meterlange knotige Ochsenschwanze.
Dia SS-Banditen stiessea den Kommunisten Beimler in die Zelle, in
der Dressels Leichnam lag, wiesen hohnisch auf den Toten und
sagten <Sq wie der musst du's auch machen 1> Auf das Messer deu-
tend das neben der Leiche lag, Musserten sie : <Das Messer haben
wir nicht zum Brotabschneiden hingelegt.» Dann wollten sie Beimler
zwingen, sich aufzuhangen. Sie drohten, dass, wenn er sich bis zum
nachsten Morgen nicht aufgehangt hatte, sie es mit ihm tun wttrden.
Sicherlich ware dann wieder in der schamlosen Presse, die alles
bringt, was die Nazis fordem, eine Notiz zu lesen gewesen : «Der
Kommunist Beimler hat sich in seiner Zelle erhangt.*
In dieser Todesgefahr gelang es Beimler zu entfliehen. Wir wollen
aus begreiflichen Grunden nicht schildern, wie ihm die Flucht ge-
lang. In Strumpfen, kaum bekleidet, schleppte Beimler mit iiber-
menschlischer Willenskraft seinen zerschundenen und zerschlagenen
Korper nach MUnchen, wo ihn revolutionare Arbeiter aufnahmen und
weiterbeforderten.>
Die Regierungspresse behauptete, dass Dressel Selbstmord
verubt habe.
Dachau ist keine Ausnahme. Auch in anderen Lagern ereig-
nen sich ■ derartige Morde. Im Konzentrationslager Konigstein
wurae der Heidenauer Kommunist Gumbert er-
scniagen. Wenn allein aus dem Lager Dachau innerhalb weniger
2?n?. M ° rde bekannt wurden, so lasst das erraten.
denln V- u ^ den 45 Kon zentrationslagern gefallen sind, von
denen bisher nur ihre Henker wissen.
Keine Folter bricht den antifaschistischen Geist!
die GfifJno? 1 ^ S . eeli f hen und korperlichen Folterungen, denen
trotederqfSn? "n?*? Konzentra tionslagern ausgesetzt sind,
miscnen Ueberzeugung treu geblieben.
301
Die « Deutsche Allgemeine Zeitung » schreibt am 30. April
cNoch ist das letzte Waffenversteek nieht preisgegeben. Noch web-
ren sich boser Wille und verbohrter Fanatiemus gegen die Erkennt-
nis, dasa die Zeit fur bolschewistisdie Experimente in Deutscliland
vorbei sein soil. Bezeichnend dafiir ist die Tatsache, dass noch kiirz-
Lich Haftlinge es verstanden, durch Verwandtenbesuche (?) Kassiber
aus dera Lager hinauszuschmuggeln.j.
Hauptmanu Buck und Leutnant Kaufmann machen dem
Berichterstatter von « Politiken » folgende Mitteilung;
<Von den Hiiftlingen sprechen sie ohne Hass, aber mit schSrfsteni
Misstrauen, das sich weniger gegen die richtet, die ihre Feindschaft
bekennen als gegen die *ublen Gegner*, die Neigung zum Nazisystem
heucheln, ohne sie zu haben ....
Die Menschen sind wie Muscheln. Spricht man mit ihnen, um sie
zu uberzeugen, und ihren Geist zu oi'fnen, sagen sie zu allem Ja und
Amen. Sie scheinen unsere Ansicht zu teilen und endlich der guteu
Sache gewonnen zu sein. Aber in ihrem Innern hat sich nichts ge-
iindert. Sie bleiben Gegner wie zuvor» ? sagt Leutnant Kaufmann.
Und Buck fiigt hinzu :
<Am schlimmsten sind die Doktoren und Intellektuellen. Sie sollten
doch wenigstens lernen und unseren Weisheiten zuganglich sein-
Nicht im Geringsten. Sie 3ind ohne Verstand. Sie mussen wie am
liingsten hier behalten.>
In Bremen und an anderen Orten sind Kommunisten, die
man entlassen halte, wieder verhaftet worden, wcil sie ihre anli-
faschistische Arbeit fortsetzten. Der Miinchener Polizeiprasident
Himmler musste dies in einer Rede bestatigen:
cEs ist nicht mSglich, diese Funktionare wieder in Freiheit zu lassen.
Bei einzelnen Versuchen, die wir bei der Freilassung gemacbt ha-
ben, ergab sich, dass sie weiter hetzen und zu organisieren ver-
suchen.>
Die Ueberzeugungstreue und der Kampfwille der Gefange-
nen ist ungebrochen. Der nachstehende schlichte Brief ist ein
Heldengedicht proletarischen Kampfertums:
<Trotz aller Schikanen stehen unsere Genossen treu zur Partei. Ha-
ben sie auch nicbt die gute Verbindung mit uns, sie nehmen zu alien
politischen Fragen Stellung. Der <nationalsoziaIistische Kurier* gi&'
ihnen Aufschluss iiber alle Vorgange uud ihre marxistiscbe beau-
hmg die Moglichkeit, sich ein richtiges Biid von der Lag* :m ma*ej
Zudem ist trotz Zensur und Abgeschlossenheit die Verbindung zu
uns nicht unmdglich zu machen. Die Wa^mannsebaft kann eich *«
marxistischen Einflusa nicht entzieben. **™^™^^~
heiten, eins ist klar, das Konnentrationalager lestigt die Geno.sen
und etarkt sie in ihrer Treue zur Partei.*
)2
Zetotausend* in Untersnchiuigshatt nnd in Gefangnissen
n ie 35 bis 40 Tausend Gefangcncn, die heute in Konzentrations-
taJo wsananengepfercht sind, bilden nicht die Gesarntzahl der
Sschen Gefangenen in Deutschland. Ls koramen noch die Ge-
fangenen dazu, die in Untersuchungsgofangnissen schmachten
Aer die abgeurteilt in Gefangnisse und Zuchthauser abtranspor-
JJerl wurden. Ihre Zahl wachst standig. Taglich meldet die Presse
neue Massenverhaftungen. Besonders gross war die Zahl der Neu-
prhafteten in den letzten Juniwochen. Oft erreichte die Zahl der
neuverhaftelen politischen Gefangenen — nach Presseberichten
__ an einem Tage die Zahl von Tausend. So wurden beispiels-
weise an einem einzigen Tage von der Geheimen Staatspolizei ver-
haftet:
In Senftenberg (einer kleinen Stadt im Niederlausitzer Braun-
kohlenrevier) 267 sozialdemokralische Funktionare, in Bremen
fiber 80, in Braunschweig, Hamburg, Sachsen, Berlin, Stuttgart
usw. weitere Hunderte.
Die Zahl der in die Unlersuchungsgefangnisse und Zucht-
hauser eingekerkerten politischen Gefangenen lasst sich, da keine
offiziellen Angaben vorliegen, nur abschatzen. Ihre Zahl ist mit
12—15 000 eher zu niedrig als zu hoch gegriffen.
Die Untersuchun-gsgefangnisse sind iibcrfi'illt. Untersuchungs-
gefangene, die entlassen wurden, schildern die entsetzlichen Vw-
haltnisse in den iiberfullten Geffmgiiisscn. In Zellen, die kaum
Raum und Luft fur einen GefanKenen haben, sind heute fiinf und
mehr Gefangene untergebracht I- in Toil der Gefangenen hat keine
Bettstelle und muss dcshalb auf dem nackten Steinfussboden
schlafen. Es fehlt an Dccken. Das Essen ist dnrchaus unzu-
reichend und schlecht. Die faschistische Regierung hat fur das
Ke.cn, die Lander und die einzelnen Startle besondere Abtei-
lungen der von ihr geschaffenen Geheimen Staatspolizei einge-
r AnJ! ! *a f T Unterstutzun g von Schupo. Hilfs- und SA-Polizei
vorneh^n C n- rVl v le i " mste,len und d ™" Massenverhaftungen
ESSSL ' Verhaf * 1, 1 n .8« n erf0, g e « ^solut willkurlich. Eine
i weS *"* perSOnhcher Missgunst geniigt, urn verhaftet
wird K k, n K hn S nd fQ v die Brutali ^- mit der heute vorgegangen
&3*^{^ % ™*^ ^ StaatskommS fur
alt JSihti! i! legalen Fl ^lattes betrorfen wird. fa* bis
«tet, so sind sofor, alIe FQhrer der fraglichen RichtuDg * (K p D
3(W
SPD o. a.) bis auf weiteres in verschMrfte Polizeiftaft (Arrestzelle,
Arrestkost usw.) zu nehmen,
3. Die Polizeibeamten und die Soaderkommafldos haben bei Strei-
fen g-egenuber F 1 u gb 1 a 1 1 v e r t e i 1 e rn, die eich nicht auf den
ersten Anruf stellen, aofort von der Waffe Gebrauch
z u m a c h e n.»
Unter den heute in Untersuchungshaft befindlichen Gefange-
nen befinden sich zahlreiche bekannte Funlttionare der Kommu-
nistischen und Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, auch
viele Reprasentanten der Demokratischen, der Volksparteilichen,
der Katholischen und sogar der Deutschnationalen Parteiorgani-
s at ion en.
Als einer der ersten politischen Fiihrer wurde der Fiihrer
der Kommunistischen Parlei Deutschlands, E r n st Th al ma nn,
verhaftet Ernst Thalmann wurde am 3. Marz in Berlin-Charlot-
tenburg festgenommen und ins Gefangnis uberfiihrt. Man verkun-
dete in alien regierungstreuen und <*gleichgeschaltelen» Btattern,
dass die Verhaftung im Zusammenhang mit dem Reichstags-
brand erfolgt sei. Man schuf damit eine Stimmung fur alle weite-
ren Demiitigungen, mit denen man den revolutionaren Fiihrer
glaubte treffen zu konnen. Es wird bekannt, dass tagelang SA an
der offenen Zelle Thalmanns vorbeigefuhrt wird, als galte es,
ein wildes Tier zu besichtigen. Ziige von jungen Burschen diirfen
neugierig und mit unflatigen Beschimpfungen an Thalmann,
dem Prasidentschaftskandidaten der Arbeiterschaft, dem Fuhrer
der Partei, die sechs Millionen Stimmen auf sich vereinigt hatte,
vorbeiinarschieren.
Der Terror der Verhaftungen
Das Ausland wird sich schlecht ein Bild von der Technik der
Verhaftungen machen konnen, die seit Hitlers Machtergrafunj
zur taglichen Uebung der Polizei und der SA geworden i sind.
Es erscheint in einem Strassenviertel ein illegales Flugblatt. bin
Polizist oder ein Nazianhanger denunziert. Uninittclbar daraui
rasen die Autos der «Polizei zur besonderen Ver\vcndung»
herbei, riegeln den ganzen Stadtteil ab, durchsuchen alle Hauser
vom Dach bis zu den Kellern, beschlagnahmen BGc ^ s p cnr ^;
maschinen und fiihren oft vollig unbeteiligte Burger als Gefangene
mit. Jede Regung dagegen wird sofort mil MisshandlungCT ige-
ahndet. Einspruch gegen Beschlagnahmen bewirken *esse
lung und Verhaftung. . . T*wn her-
Emige Zeitangslberschriften, mflUUfl an einigei Tagen
ausgegriffen, mogen die ^f^g^^^^S^S^^
-70 Kommunisten festgenommen* («Vo!kiscner
vom 10. April 1933").
804
*Grosse Raz^ien in Erfurt, Dresden und Altona* («Berliner
Ta"eblatt» vom 25. April 1933.)
°«Haussuchungen in Charlottenburg» («ID. A. Z.» vom 29. April
«Sozialdemokratische Gemeinderatsfraktion in Miinchen ver-
h*ftet» — «SPD-Stadtrale werden nicht bestatigt* («D. A. Z.*
vom 12. April 1933.)
«Razzia am BulowpIalz» — «Verhaftungen von Kommunisten
in Stuttgart* (270 Verhaftungen und 400 Haussuchuagen) —
«Komniunistische Verschworergruppe in Meissen festgenommen*
___ {( Grosse Razzia im Norden Berlins* («D. A. Z.» vom 12. April
1933-)
Hunderte solcher Nachrichlen sind in den Monaten Marz,
April, Mai, Juni, Juli in alien deutschen Zeitungen zu finden. Gegen
Ende Juni, bei der Auflosung der Sozialdemokratischen Partei
und des Kampfringes Junger Deutschnationaler, verscharft sicb
die Verfolgung. Statt der Hunderte werden es jetzt Tausende, die
in den Kerker mussen.
Die Hitlerregierung beginnt Anfang Juli die Anverwandten
gefliichteter Arbeiterfuhrer als Geiseln festzusetzen. Am bekannte-
sten wurde die Verhaftung von funf Verwandten Scheidemanns,
die aber nur ein Fall unter vielen ahnlichen ist.
Der Terror der Urteile
Die Staatsanwalte haben seit dem 27. Februar Hochbetrieb.
Sondergerichte tagen in alien deutschen Gross-Stadten. Die Flut
der Denunziationen schwemmt immer neue Opfer vor das Nazi-
TribunaL Die Anklagen sind so w i 1 1 k ii r 1 i c h wie die Urteile.
Ofl sitzen die Verhafteten wochenlang ohne Vernehmung in
den Gefangnissen und werden dann wieder entlassen. Auch
nach der Enllassung sind sie taglich noch weiter bedroht und
mussen sich in vielen Fallen sogar an den Polizeistellen regel-
massig melden. Es steht fesU dass man sie nur entlassen hat,
vveil die Gefangnisse uberftillt waren und man fur neue Opfer
Platz brauchte.
Unter welchen nichtigen Vorwanden schwere Verurteilungen
geschehen, zeigen einige Nachrichten:
<Das Sondergericht Berlin-Moabit verurteilte die erwerbslosen Arbei-
ter Max Ziegler und Richard Schroter zu 1 Jahr 3 Monaten bezw.
zu 1 Jahr 6 Monaten Gcfangnis, well Ziegler. der der KPD angea5rte,
auf der Weberwiese im Osten Berlins illegal hergestellte Exemplare
der <Roten Fahnea verteilt hatte, die er von SchrSter erhalten hatte.>
<Das Darmstadter Sondergerich verurteilte wegen Herstellung und
Verbreitung einee Flugblattes ein weibliches Mitglied des KJV zu
aeht Monaten, ein mannliches zu funf Monaten Gefaagnis Die Ver-
Urteilten sind 18 Jabre alt!»
305
Zahlreich sind die Verurleilungcn wegen «Greuelhetze». Aus
Berlin werden einige Urteile bekannt. die das S o n d e r g c r i c h t
Berl in-Moabi t gefallt hat. Vier Urteile wegen «Greuclhelze»
an eineru Tag. Man kann sich eine Vorslellung fiber den Um-
fang der Verhaftungen machen, wenn man von Angehdrigen der
Verhafteten hort, dass der Untersuckungsrichter ihnen erklarte,
vor Ablauf von vier Wochen sci tnit keiner Entscheidung uber die
Haft zu rechnen; die Slaatsanwaltschaften konnten trotz Verdop-
pelung ihres Personals die Unzahl der Akten nicht bewalligen.
Wie der Terror sich auswirkt, beweisen die Kiagen der
Frauen der Verhafteten, denen es in den seltensten Fallen gelingt,
einen Rechtsanwalt zu finden, der die Verteidigung von ange-
klagten Antifaschisten zu iibernehmen wagt.
Die Zahl der Prozesse ist nicht festzustellen. Sie geht in die
Zehntausende. Die Zahl der Verhaftungen wachst mit jedem
weiteren Tag der Hitler-Regierung. Das «geeinte deutsche Volk»
muss zu Zehntausenden aus den Wohnungen geholt werden, da-
mit die Regierung der «nationalen Erhebung» weiter bestehen
kann.
Die Lage der Verhafteten ist noch dadurch verschlimmert,
dass die Hitler-Regierung auch die «Rote Hilfe Deutschlands» ver-
boten hat, die seit vielen Jahren in unermudlicher Arbeit fur die
Familien der politischen Gefangenen gesorgt hat. Trotz der
scharfsten Verfolgungen setzt die «Rotc Hilfe» in Deutschland ihre
Arbeit fort. Sie findet dabei die aktive Hilfe der «Roten Hilfe»-Or-
ganisationen in alien Landern und die briiderliche Unterstiitzung
der auf Anregung der «Internationalen Arbeiter Hilfe» gebildeten
«Hilfskomitees fur die Opfer des Hitlerfaschismus».
Der Deutsche war nie so unsicher wie seit dem Augenblick, da
Adolf Hitler die Verordnungen «zum Schutze der Staatssicherheit*
herausgegeben hat. Tausende leben unter Polizeiaufsicht, Zehn-
tausende leben in der Erwartung ihrer Verhaftung, im Zustand
volliger Rechtsunsicherheit. Jeden Augenblick bei Tag und bei
Nacht konnen die Fauste der braunen Buttel oder der offiziellen
Polizei an jede deutsche Wohnung klopfen.
Die Regierungserlasse melden indessen im Polizeijargon: «In
Deutschland herrscht Ruhe und Ordnung.*
Friedhofsruhe.
Zuchthausordnung.
:m
Morel
<Es werden Kopfe rollen, ja es werden Kopfe rollen.i
Hitler vor dem Reichsgericht im Jahre 1930.
in g
Der Mord gcht (lurch Deutschland. Aus SA-Kasernen werden
eschlossenen Siirgen verstiimiuelte Leichen abtransportiert.
In diisteren Waldern findet man Tote, die bis zur Unkenntlich-
keit entstellt sind. Fliisse schwemmen zusammengebundene K6r-
per von Ermordetcn ans Land. In Leichenschauhausern sind
« unbekannte » Tote aufgebahrt.
Hunderte von grausamen Tragodien spielen sich ab : die Frau
sieht ihren Mann zwischen den Hevolvern und Kniippeln der SA-
Leute, die ihn mitten in der Nacht aus dem Bette reissen, und sie
weiss dass sie ihren Mann nicht mehr lebend wiedersehen wird. Am
niichsten Morgen findet man ihn mit zertriimmertem Schadel,
mil einem Dutzend Messerstichen, mit verzerrtem Gesicht. Die
Presse meldet : « Auf der Flucht ersehossen ! » Falls iiberhaupt
eine Mitteilung in einer Zeitung erscheint. Die Mutter hort Tag
und Nacht in hilfloser Verzweiflung die Schmerzensschreie
ihres gefangenen Sohnes, sie -will das Furchtbare nicht wahr
haben, und dennoch kommt nach einigen Tagen die gefurchtete
Nachricht, «dass seine Leiche in EmpEang zu nehmen sei».
Einer wird nachts « abgeholt » . Man hort strassenweit seine
Schreie aus der SA-Kaserne, bis er stirbt. Einer wird getreten,
geschlagen, gefoltert, bis er fast wahnsinnig aus dem Fenster
springt. Die Henkersknechte hohnen: er habe aus dem Fenster
des dritten Stockes fliichten wollen. Ein Anderer wird mit zer-
schmetterten Gliedern im Lichtschacht des Gefangnisses gefun-
den. Ein Dritter liegt mit abgeschlagenen Nieren: Verletzungen
sind ausserlich kaum zu sehen. Statt Urin gibt er Blut von sich.
Er stirbt nach kurzer Zeit.
Der Mord geht durch Deutschland : heimtuckisch, bestialisch,
planmassig. Welche ausliindische « Greuelmeldung » ware im-
stande. auch nur annahernd ein Bild der wirklichen entsetz-
iichen Greuel zu geben, die im Namen und Auftrag der Hrtler-
Regierung taglich und nachtlich in den SA-Kasernen und Konzen-
trationslagern, in Arbeiterstrassen und in entlegenen Waldern
verubt werden ! Es ist eine historische Erfahrung, dass die herr-
schende Schicht einer untergangsreil'en Gesellschaftsordiuing mit
unmenschlieher Brutalitat ihre Herrscbaft aufrechtzuerhalten
307
versucht. Das DeuKchland Adolf Hitlers bietet dafur ein neues
Zeugnis wurd en Totenlisten gefiihrt. Sie wurden sogar
i m -n7rii Fdnd ausgetauscht. Die Hitler-Regierung ist natur-
von Fern d zu *«j?° « d - Ust alI ihrer Opfer zu veroffent-
1 &S^JL^S^WI der Morde, solche Falle, die wegen
de r PerSichkeit des Ermordeten oder der grossen Zahl von
Svvissem nicht verheimlicht werden konnen, wird als « auf der
MSrSchSen . Oder in anderer gefalsch ter Form bekannt-
Jegeben. Wehe dem, der versuchen wurde, der Wahrheit auf den
Grund zu gehen ! Ihn erwartet das gleiche Schicksal : Folter und
Die Hunderte von Morden, begangen im Auftrage der SA-
Fiihrer werden unter dem Hitler-Regime menials vor Gericht
kommen. Am 22. Marz ist eine Generalamnestie fur alle
Straftaten, die « im Kampf um die nationale Erhebung begangen
worden sind », ausgesprochen worden. Diese Generalamnestie
ist ein Freibrief fiir alle vergangenen und kommenden Morde.
Am 23. Juli garantiert Goring noch einmal Straflosigkeit fur die
grauenhaftesten Taten «im Dienste der nationalen Erhebung^.
Hitlers Kameraden von Potempa
Es gibt keine genaue Zusammenstellung der Opfer, die
schon in den Monaten vor Hitlers Regierungsantritt unter den
Kugeln und Messern der SA fielen. Ihre Zahl betragt viele Hun-
dert: sozialdemokratische, christliche, kommunistische und par-
ieilose Arbeiter. Wenn die Nationalsozialistische Partei sich in
besonderen politischen Schwierigkeiten befand oder wenn der
hartnackige Widerstand der Arbeiter ihr Vordringen aufzuhal-
ten drohte, schlugen die Wellen der braunen Terrorakte be-
sonders hoch. Bombenattentate, Handgranatenanschlage, Mord-
uberfalle auf Sozialdemokraten, Kommunisten und Demokraten
erfolgten in der Nacht nach den Juliwahlen 1932 ; in vielen
Stadten fanden sie zur selben Stunde statt, offenbar ge-
nau verabredet. Im Januar 1933, unter der Regierung Schleicher,
stieg die Zahl der nationalsozialistischen Gewalttaten wieder sehr
rasch. Nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler wurde der SA-
Terror von Tag zu Tag schrankenloser entfesselt. Allein aus der
ersten Februarhalfte sind 27 SA-Morde an Arbeitem und Arbei-
terinnen bekannt geworden. 1 )
*) 1. II. Helmuth Schafer (Velberth), Franke und Hans
Haaae (Wilhelmsburg), Paul Schulz (Berlin), 2. II. Hofe (Altona),
Wilhelmine Struth (Hamborn), 3. II. Kathe Sennholt (Duisburg), Erwin
Berner und Alfred Kollatsch (Berlin), Wettmann, 5. II. Anno Roder (Ber-
lin), Walter Steinfeld (Brealau), Bader (Gottingen), Paul Fischer (Chem-
308
Schon vor dem 30. Januar hatte die SA ihre wohlausgearbei-
tete Mordtaktik. Ortsansiissige SA-Leute kundschafteten die
GelegenJieiten aus und bereiteten die Morde vor. Ortsfremde
Trupps mussten in Uebermacht auftreten, oft aus dem Hinter-
halt. Nach der Niederstreckung einiger Gegner mussten sie sofort
wieder (me.st in Autos) aus der Gegend verschwinden. Eine An-
zahl Attentate und Erschiessungen fanden aus voriiberrasenden
Autos Oder von Motorriidern aus stall. Schiisse schlueen in die Ar-
beiterlokale, Arbeiter sanken hin — und die Schiitzen waren ver-
schwunden, bevor an ihre Feststellung odcr an eine Abwehr
gedacht werden konnte.
Es sei an jene bestialische Mordtat erinnert, die im Som-
mer 1932 ira oberschlesischen Ort Potempa sich ereignete und
durch Hitlers offene Billigung in der ganzen Kulturwelt Aufsehen
erregte. Ein Mordkommando der SA, das sich vorher in einer
kneipe Mul angetrunken halte, drang ein in die Wohnung eines
kornmunistischen Arbeiters, der bucbstablich zertrampelt wurde
vor dm Augen seiner alten Mutter. Als die Tat in all ihren viehi-
scnen Emzelheiten vor Gericht enthullt und Todesurteile seeen
"«' g n- u r M6r , der verh3n gt wurden, solidarisierte sich Hitler
offenthch mit den Mordbuben und nannte sie in einem Tele-
gramm : « Meine Kameraden ». Sie wurden von der Regieruno
Papen begnadigt. 6
Unmittelbar nach dem 5. Marz nochvorder «G e n e r a 1-
amnestie. wurden diese Morder dureh Hitler amnestiert und
wieder auf die Arbeiterschaft losgelassen.
Die Tarnung der Morde
Wir benutzen, wie in alien Abschnitten dieses Buches, nur
sorgfaltig verbiirgtes Material. Wir beschranken uns vorwiegend
auf zwei beshmmte Arten von Quellen: auf Zeugenberichte aus
Ueutschland von Personen, die selbst die Vorfalle erlebt haben,
und auf Nachrichten der « gleichgeschalteten ,, deutschen Presse.
ril ie iS re j Seber,C ^ te enthalten nicht nur eine offiziclle Bestiitigung
der Morde, sond«rn zeigen auch drastisch die groben Methoden*
mil denen man den wahren Tatbestand zu verhiillen sucht und
inn dabei oft selbst unfreiwillig enthullt.
Bite), Hermann Raster, (Stassfurt), 6. II. Martin Leuschel (Wilhelmsburg),
Hpinwl t "''^ (K5,n) " 8 " IL Wilhelm Esser (Oladbach-Rheydt), 9. II
2u r^' i° Seph Meng ^'"heim). ein Landarbeiter in Gross-
309
Im Monal Marz erschienen noch solche Nachrichten uner
ooliShe Morde, die von der Presse selbstandig verfasst W a-
Kn Allerdings waren die Arbeiterblatter bereits unterdruckt
»n5 war die Presse der «Mitte» dermassen eingeschuchtert, dass sie
"e'bst die sichersten Nachrichten meist nicht zu drucken wagte.
Trotz der Unterwurfigkeit der Presse drangen aber noch so
viele kompromittierende Meldungen in die Oeffentlichkeit, dass
die Hitler-Regierung ihr Prestige bedroht sah. Zur lokalen Zensur
durch Nazikommissare und zur «Selbstzensur» der Zeitungen trat
die zentralisierte Zensur durch das Propagandamimstenura hin-
zu Am 2. April wird offen zugegeben, dass im « Dritten Reich »
die Berichterstattung iiber Morde nicht eine Sache der Polizei
und der Presse, sondcrn der Propaganda ist:
tBerlin 2 April WTB. Die Reichsregierung hat an samtliche Naeb-
richtenagenturen die Anweisung gegeben, dass Mitteilungea uber
Zwischenfalle in Deutschland nieht veroffeathcht werdea
durfen bevor airht die Pressestelle der Reichsregierung (im
Propaganda- :.. isterium) die Genehmigung ausdriicklich er-
teilt hat. Jedo Nachrichtenveranderung dea ge-
nehmigten Wortlauts ist verboten.»
Infolge der zentralisierten Zensur werden die Nachrichten
schematischer. Die « gleichgeschallete » Presse richtet sich streng
nach den Vorschriften. Ein konkretes Bild der Tatumstande wird
selten gegeben. Werden nahere Angaben gemacht, so enthiillen
Widerspriiche in den Details sofort die Luge.
Verschiedene Kategorien der Falschung treten immer deut-
licher hervor:
Erstens: Auf fin dung angeblich unbekannter Leichen. Der
Polizei gelingt es in den meisten Fallen, die Toten, die bereits
seit Tagen als « vermisst » oder « verschleppt » gemeldet sind,
sofort zu identifizieren. Vor der Oeffentlichkeit wird die Iden-
tifizierung geheim gehalten oder erst nach vielen Wochen mog-
lichst unauffallig bekanntgegeben. Unter dieser Kategone befin-
den sich eine Anzahl von der Feme ermordeter rebelherender
SA-Leute.
Zweitens: Im Zusammenhang mit der Welle von Selbstmor-
den, die seit dem 5. Marz den faschistischen Terror begleitet, wird
versucht, eine grosse Anzahl von Mordtaten als Selbstmorde dar-
zustellen.
Wie plump dieser Betrug oft betrieben wird, zeigt der amt-
liche Bericht der Ermordung des Magdeburger Stadtrats Kresse:
cMagdeburg, 14. Marz (TU). In Felgeleben bei Magdeburg kam es
in den spiiten Abendstunden des Sonntags in einer Gastwirtschaft,
die als Wahllokal gedient hatte, zu einem blutigea Zwischenfall.
310
Der aus Magdeburg kommende sozialdemokratische Stadtrat Kresse
wurde nach Betreten dea Lokala von den dort anwesenden Schutz-
polizeibeamten auf Verlangen einiger SA-Manner in Schutzhaft ge-
nommen. In einem Nebenraum des Wahllokals kam Kresse mit men-
reren SA-Miinnern in Wortwechsel, in deesea Verlauf e r
einen Schuss auf die N ati on a la ozi a 1 is t e n a b
gab. Durch den Schuss wurde der Sturmftihrer Gustav Lehmann
scbwer verletzt. Alle Anwesenden verliessen fluchtartig das Lokal
in das dann von aussen mehrera Schiisse Helen. Kurze Zeit darauf
wurde Kresse mit einem Kopfschuss tot in der Gastwirtschaft auf
gehmden. Zurzeit findet eine Obduktion statt, um festzustellen ob
Kresse nach seinem Revolveranschlag seinem Leben selbst
ein Ende gemacht hat oder ob er durch eine der von
draussen auf das Lokal abgegebenen Schiisse getfctet word en iet.>
Die nationalsozialistische Parteipresse hat die Tendenz sol-
che Meldungen noch sensalionell auszuschlachten. Am 25. April
bringt der * Volkische Beobachter » einen der grausigsten Lynch-
Morde als « Selbstmord » in einer Fassung, aus der gerade durch
die Details hervorgeht, dass Selbstmord ausgeschlossen ist :
<FurcutbarerSeibstmord. Mit Teer eingerieben und ver-
brannt. Ein hiesiger Einwohner beging in seiner Wohnlaube auf dera
Horner Moor in furchtbarer Weise Selbstmord. Er ging in den ange-
bauten Gerateschuppen, in dem sich u. a. ein Fass Teer befand. Nach-
dem er sich teilweise entkleidet hatte, rieb er sich iiber und iiber
mit Teer ein und ziindete dann das Fass an. In dem entstandenen
Brand hat er den Tod gefunden. Der Beweggrund zum Selbstmord
ist in Schwermut zu suchen. Die Wohnlaube ist vollkommen nieder-
gebrannt. Der Selbstmorder war verheiratet und hatte mehrere
Kinder.*
Diese Art von Berichterstattung will wie ein Kolportagero-
man wirken. Sie will durch grausige Ausmalung des Vorfalls
die Frage nach dem Motiv und den Zusammenhangen aus-
schalten.
Drittens ist man bemiiht, bei solchen Opfern, die infolge
der Misshandlungen im Krankenhaus sterben, einen natiirlichen
Tod vorzutaus-chen. In einer Reihe von Fallen (z. B. Dr. Eckstein-
Breslau) lasst es sich die Berichterstattung nicht entgehen, die
Ermordeten noch iiber den Tod hinaus zu verleumden. Die Er-
fmdung von Geschlechtskrankheiten wird zur Diffamierung
benutzt.
Viertens: Vortauschung ernes unpolitischen Verbrechens. Es
fehlen die einfachsten Angaben iiber Motiv und Tater, weil sie
sofort auf die richtige Spur lenken wurden. Die brutate Inhalt-
311
losigkeit soldier Bcrichte erinnert an die leere Schematik der amt-
lichen Kriegsberichterstattung:
cDie Polizei meldet: Am Samatag abend wurde der Dachdecker Hen-
seler von mehreren Personen veranlasst, mit ihnen in das Haus Lt»-
singstrasse Nt. 21 zu gehen. Die Bewohner horten kurz darauf meh-
rere Schiisse. H. wurde mit schweren Verletzungen auf dem Spei-
cber des Hauses aufgefunden und in ein Krankenhaus gebracht wo
er kurze Zeit spiiter starb. Die Tatar sind unerka'nnt
eotkommen.> <<Germania» vom 15. Mai.)
Fiinftens: Wo alle anderen Manover versagen, wo nicht
mehr zu verheimlichen ist, wer wen umgebracht hat und dass
allein die politische Gesinnung der Grund der Ermordung war
tritt eine Formel ein, die seit der Ermordung Karl Liebknechts
und Rosa Luxemburgs einen ganz bestimmten, unzweideutiffen
Charakter angenommen hat: « Auf der Ftucht erschossen »
Als Dokument fur die schamlose Offenheit, mit der diese Methode
angewandt wird, bringen wir die amtlichen Originalberichte fiber
den Fall Heinz Bassler :
I.
Ip^^J. 2 ^ 1111 ^ 5 ' Apii1, meldet aU8 ^ttldorf vierten
<Der langesuchte Kommuni6teafilhrer Bassler konnte bents
m org en von Hilfspolizeibeamten gestellt werden Bei der
Leibesvisitaticm benutzte der Verhaftete einen unbewachten Auaeu-
bhck zu emem Fluchtversuch. Da er auf wiederholte Anrufe nicht
steben bheb, griffen die Beamten zur Schueswaffe. B. wurde durch
einen Schuss schwer verletzt und ist nach seiner Einlieferung ins
Krankenhaus gestorben.^
II.
«Angriff>, 5. April, meldet aus Diisseldorf fun ft en April- (Die Po-
lizeistelle teilt mit :)
«Am 4. April gegen sechzehn Uhr (!) wurde der kommunisti-
SCbe runkhonar Bassler von SS-Mannern in seiner Wohnung
featgenommen. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung wurden zwei
iakete Dynamit gefunden. Ausserde;n wurden Schriftstucke be-
schlagnahmt. Auf dem Wege zur Prasidiahvache unternahm B. einen
Muchtvereuch. Mehrmaligen Zurufen cSteheubleiben* leistete er keiae
ri k S0Ddera setzte trolz Abgabe mehrerer Warnungsschiisse die
Fluent fori. Durch einen Riickenschues wurde er schwer verletzt und
starb kurz nach seiner Einlieferung in das Krankenhaus.)
(Tatsachhch wurde Basalers Wohnung schon nachfs umstellt, fruhmor-
gens wurde er abgeholt und auf der Strasse erschossen. Die Wider-
spruche in den amtlichen Berichten laseen sich nicht aus der Welt
schaffen. Das <Dynamit» wurde aicht gefunden, sondern e-r-
u n d e n. Aber die <Warnungsschus6e> waren wohl gezielt.)
312
Ein
BUS «om Ko^atratiouslager Granted
Junger Ar boiler wird weggefflfait Wohin?- Vielleichl meJden die
Zeilungen schon in einigen Stunden; cAuf der Fluchi erschossen N
Die Hafllinge im Konzentrationslager Oranienburg werden jeden
Tag stundenlaag mililarisch gedrillL Aui' Kranke unci Hochbelagtc
wild keine Mcksichl ^enommen.
« Auf der Plucht erschossen » ist der faschistische Ausdruck
fiir Treibjagd auf Menschen. Zu dieser Treibjagd gehort auch die
Art der Berichterstattung. Sie ist so terroristisch wie das eanze
Hitler-Regime.
„Starkster Riickgang der politischen Hordtaten"
Die « Deutsche Allgemeine Zeitung » vom 6. Mai 1933 ver
offentlichte unter dem Titel € Starkster Riickgang der politischen
Mordtaten seit der Machtergreifung durch die nalionale Regie-
rung » :
(Amtlich wird mitgeteilt :)
cWie der Herr Preuflsische Ministerprasident und Minister des In-
nern, Goring, durch dec Leiter des Geheimen Staatspolizeiamts mit
teilt, ist seit dem Beginn der nationalen Erhebung ein merklicher
Riickgang der aus politischen Motiven verubtea Gewalttaten mit To-
desfolge eingetreten . . . Fast gleichzeitig mit der Machtergreifung
durch die Nationale Reglerung zeitigten die tatkraftigen Ab"wehr-
massnahmen der neuen Regiernug in Verbindung mit der aus dem
Siege der nationalen Bewegung hervorgegangenen Entspannung der
politischen Gegensatze ein schnelles Absinfcen der Todesfalle, das
bisher stetig angehalten und nunmehr mit nur zwei Todes-
fallen im April d. J. den seit langer Zeit tiefsten Stand erreicht
hat.i
In ^ den gleichen Tagen, in denen die Hitler-Regierung diese
durchsichtige Mitteilung verbreiten liess, wurde ebenfalls amtlich
berichtet, « dass allein im Berliner Schauhaus im Monat April
46 Tote, deren Gesichtsziige bis zur Unkenntlichkeit entstellt
waren, eingelieferl worden sind». Die faschistische Presse hat im
Monat April iiber 50 politische Mordfalle mit Namensnennung
selbst durch Nachrichten eingestanden.
Wir schildern hier einige der erschiitterndsten Ermordun-
gen von Arbeitern und Intel lektuellen durch SA. Es gibt Augen-
blicke, da dem Leser der Zweifel kommt und die Phantasie den
Berichten des Grauens nicht folgen will. Und doch sind sie leider
wahr. Bestatigt durch zahlreiche Zeugen, bestatigt oft durch die
Morder selber kommt hier die Wahrheit iiber die Schrecken des
dntlen Reiches zuna Wort.
„Diese Tat war keine deutsche Tat"
4 m 4 ' April 1933 wurde in Dusseldorf der kommunistische
Arbeiter Heinz Bassler von SA ermordet. Wir veroffentlichen oben
die Meidungen der « Frankfurter Zeitung » und des « Angriff »,
di e sich bemiihen, den Mord in eine Erschiessung « auf der
313
Flucht » umzufalschen. Heinz Bassler wurde das Opfer der
braunen Feme. Er war bis zuni Dezember 1930 Mitglied
der Nationalsozialistischen Partei und Sturmfiihrer der SA Er
erlebte die Nazi-Luge aus nachster Nahe, und schied angewidert
ini Dezember 1930 aus den Reihen der SA. Er suchlc und fand
den Weg zur Kommunistischen Partei. Daher der Mord. Der Mord
an einem jungen Arbeiter, der nach schwerem seelischen Kampf
und nach cindnnglichen politischen Studien die NSDAP verliess
und in die Partei der revolulionaren Arbciterbewegung eintral. Fol-
gender Brief eines Augenzeugen entlarvt das Verbrechen der Nazis
in seiner ganzen Gemeinheit. Der Brief ist es wert, in Millionen
Exemplaren verbreitet zu werden.
&OC
*-<U4- ***{ sefy+4 .^^^f^^tz^f£*> , &
Faksimile des Originalbriefes liber den SS.Mord an Heinz Bassler,
(Der Brief im vollen Worllaut ;)
<Weun dooh unset liebes Heinzel noch leben wiirde. Ich kauns nicht
fassen. Aber Gott wird die9e Tat riichen. Diese Tat war keine deut-
sche Tat.
Morgens, also Dienstagmorgen um 4 Uhr wurden wir von 7 SS-Man-
ner u. 2 Kriminalbeanite aufgeweckt Mit Revolvern wurden wir
in Schacht gehalten, Heinz mueste $ich anziehen und rnusste mitgehen.
Wir mussten die Ttire schliessen u. durften die Fenster nicht of-
nen. 0, Gott wie robust haben sie nun unser Heinzel behandelt. Die
Strassen haben sie um 3 Uhr sclion abgesperrt und um 4 Uhr kamen
sie rauf Und dann haben sie ihn mitgenommen und auf der Sternstr.
haben sie ihn erschoesen staudrechtlich. 0, was mag der arme
Jung gelitten haben, ware ich doch rnitgegangen ! Er hat 3 Herz-
schiisse, ein Arm- ein Hals- einen Beckenschuss und dann
noch 2 Schusse im ganzen acht Schiisse. Sie haben ihn dann
liegen gelassen u. Bauern haben ihn gefunden, wie emen Hand.
;;m
lob kann es nicht glauben. Ich bin sofort morgens nach Herrn M.
gelaufeii, dean Heinz sagte mir, geh sofort nach ibm und sag es
ihm, dann M. hat mir in die Hand versprochen, dass e r mir
helfen wird. Aber wie hat er ihm geholfen! Heinz hat zu viel Ver-
trauen auf die Menechheit gehabt. Frau L. . ., wena sie Heinz jetzt
geeeheu flatten, auf der Totenbahre, Sie hatten Gott augerufen sum
Richter, so misshandelt haben sie ihn. Ich kann das Bifd nicht ver-
gessen, wie kann man einen armen hilFlosen Menschen so misshan-
deln! Und dann die Liigenblatter, Heinz eei auf de r Flucht erschos-
sen und zwei Pakete Dynamit batten sie gefunden. So eine Geraein-
heit und man kann kerne Gerechtigkeit bekommen. Noch nicht mal
eine Pistole Oder ein belangloses Blattchen haben sie gefunden. Nur
meine Liebesbriefe und ein paar Hefte haben sie gefunden," und
dann schreiben die Zeitungen so eine Helze. Aber Gott im Himmel
rufe ich als Richter an, fiir eolch eine robuste und gemeine Tat
Die Menschen sind alio iiber diese Tat so erschuttert, das konaen
sie nicht fassen, dass diese Leute einen einzelnen Menschen so ge-
mein und brutal niederschiessen. Das Begrabnis ifit Samstag mittag
um ^ 2 Uhr auf dem Siidfriedhof. Heinz wird mil dem Geistlichen
begraben und viele, viele Leute wollen ihrn das letzte Geleite gebcn.
Wie ich beim Herrn M. war, wie hat er mich behandelt! Als ich ihm
sagte, wie kann man einen hilflosen Menschen so erschiessen, ant-
•wortete er mir: <Wenn Sie noch viel machen. lass ieh Sie auch ver-
haften!»
Mutter liisst Sie griissen und nach dem Begrabnis kame sie wieder
nach Haus.
Ich will Sie herzlich griissen zum Dank, dass sie eo an Heinzel gedacht
haben. Adieu und ich griisse Sie. Ich kann ihn nie vergessen, denn
ich hatt ihn zu lieb!
Bitte schreiben Sie mir bitte und seien Sie meineni Jung nicht bos*?,
dass er nicht geschrieben bat. Ich war schuld, Ach hatte ich das nicht
getan ] Mein lieber guter Jung !>
„Ich scliiesse Dich nieder"
(Zeugenbericht — Photodokument.)
Die Arbeiterin Grete Messing, verheiratet, Mutter zweier
Kinder, verliess am 6. Marz abends gegen sechs Uhr mit ihrer
Markttasche ihre Wohnung am Sommermiihlenweg in Selb
(Bayern) und ging gegen das Stadtinnere, um Besorgungen zu
machen.^ Etwa vierzig Schritte von ihrer Wohnung entfernt be-
gegnete ihr ein gleichfalls am Sommermiihlenweg wohnhafter
^ationalsozialist namens Lager. Er trat der Arbeiterin in den
y eg und provozierte sie durch den Gruss « Heil Hitler ». Frau
Messing enviderte darauf « Rot Front » und suchte weiterzukom-
Ir |en. Lager hielt sie auf, drohte ihr wiitend: « Ich schiesse Dich
n ieder ». Sie antwortete ruhig: « Schiess zu! »
315
Lager setzte der Arbeiterin den Browning an den Hals und
driickte ab.
Frau Messing war todlich getroffen. Sie wurde von ihrem
Mann in die Wohnung gebracht. Dort verblutete sie.
Der Morder begab sich in das Nazi-Verkehrslokal des Ortes
siarkte sich nut einigen Schnapsen und stellte sich der « Hilfs-
polizei)). Er wurde in Haft genommen. Nach zehn Tagen wurde
er bereits wieder enllassen. Eine Ehrenabordnung empfing ihn
am Bahnhof in Selb.
Lager wurde nicht aus der SA ausgeschlossen. Hingegen
sitzen der Mann und der 19jahrige Sohn der Ermordeten^ in
« Schutzhaft » im Bayreuther Arbeitshaus.
Polizei und Hilfspolizei veranstalten in den Selber Arbeiter-
wohnungen immer wieder Haussuchungen. Sie fahnden nicht
nach einem Verbrecher, nicht nach einem Morder — sondern
nach einer Photographie, welche die todliche Wunde der Ermor-
deten dokumentarisch festhalt. Diese Photographie zu besitzen,
ist in Deutschland Iebensgefahrlich.
Die Leichen im Machnower Forst
(Zeugenbericht.)
Die gesamte Presse berichtete am 11. 3. 33. iiber die Auf-
findung von drei erschossenen jungen Leuten im Machnower
Forst, deren Identitat noch nicht festgestellt sei. Trotz Feststel-
lung der Personalien durch die Polizei werden diese der Oeffent-
lichkeit verschwiegen. Nach Ermittlungen handelt es sich um
folgende Personen:
1. Fritz Nitschmann, Tapezierer, geb. 1. 3. 09 in Oldenburg.
Wohnhaft in Berlin-Schoneberg. Parteilos. Eltern ebenfalls par-
teilos.
2. Hans Balschukat, Arbeiter, geb. 28. 3. 13 in Berlin. Wohn-
haft in Berlin-Schoneberg. Mitglied der «Roten Hilfe».
3. Preuss, 23 Jahre alt. Wohnhaft in Berlin, Gotenstrasse 22.
Ueber Fritz Nitschmann, der keiner Organisation angehorte,
ist folgendes ermittelt worden:
Am 8. Marz, abends halb 10 Uhr, ging Nitschmann nut seiner
Braut von der Gleditschstrasse durch die Grunewaldstrasse m
Richtung Siegfriedstrasse nach seiner Wohnung. Als Beide sich
an der Ecke Stubenrauch-Erdmannstrasse befanden, kam ein
roter Personenwagen iiber die Siegfriedbriicke und fuhr in der
menschenleeren Strasse auf der linken Seite. Aus dem Wagen
sprangen zwei uniformierte SA-Leute (der Chauffeur war in Zi-
vil), kamen auf Nitschmann und seine Braut zu und „e fen sie
an : .Halt, stehen bleiben, mitkommen zur Personalfeststellung.>
316
Die dre, SA-Leute hatten entsicherte Pistolen in der Har.d Nitsch
maa gte mil aller Ruhe: c Sie verkennen sich wohl . 25
die SA-Leut, en: < Maul halten. oinste i£££l
folgte dmer .^dening da er sich nichts be 3 r D?e
Braut. die ebenfalls parteilos 1st, wollte mit in de Q e ; n
aber von aen SA-Leuten einen heftier ° s vor
dieBrust. Diese sagten lhr aber noch dav; \iu~h- ^or
nichts Die Braut. die nach dem hef tigen £ dnte h f ^e^r
die Autonummer noch die Nummer auf dem Kragen der S V I HZ
feststellen konnen. *- -v-i-euie
Das Auto fuhi ciurch die Stubenrauchstrasse und bo- in die
Hauptstrasse em. kurz nach der Verba f tun g ging die Brmit zur
Mutter des Nitschxnann und erzahlte ihr den Vorgang Von dort
ging sie zur Polizeiwache Kriemhildstrasse und erstattete Anzeise
Dort sagte man ihr: « Ihm wird schon nichts passieren, er wi
schon wieder kommen. Kommen Sie am nachsten Ifeg noch ete-
rnal wieder. » Am 9. Mara fruh um S Uhr ging die Mutter zu dem-
selben Pohzeirevier. auch sie erhielt dieselbe Antwort wie die
Braut. Man sagte aber noch. dass man im Laufe der Nacht samt-
liche Reviere angerufen habe. Nitschmann sei aber nirgends ein-
geliefert worden. Sie solle mittags um 12 Uhr wiederkonimen. Urn
12 Uhr ging der Vater zura Revier und gab Verhistanzeige auf.
Die Eltern des Nitschmann blieben bis zum 11. Mara ohne
jede Nachricht von der Polizei. Um 9 Uhr an diesem Tage kamen
Beamte zu ihnen mit der Mitteilung. dass in der Berliner Morgen-
post eine Notiz stehe, nach der im Machnower Forst drei Leichen
gefunden worden seien. Nach der Personalbeschreibung vermu-
tete der Vater sofort, dass sich unter den dreien seia Solm befin-
den musse. Er begab sich sofort wieder zur Polizei. die ihm aber
auch jctzt noch keine Auskunft geben konnte.
Mittags 12 Uhr ging der Vater zur Mordkommission ins
Presidium und sprach dort mit dem Kommissar. der die Un-
tersuchung leitete. Dieser, noch nicht iiber die Verhaftung des
Nitschmann durch SA informiert, sagte zu dem Vater. dass ihm
wahrend seiner Kriminaltatigkeit solch ein roher. brutalei Mord
noch nicht vorgekommen sei. Nachdem der Vater ihm den Saeh-
verhalt geschildert hatte, sagte der Kommissar, dass er und seine
Beamtensich die grosste Mi'ihe geben wurden, um den Mord auf-
zuklaren.
Im Leichenschauhaus stellte der Vater im Beisein des Kom-
missars die Identitiit seines Sohnes fest. Die Leiche wfes insge-
samt zehn Schusse auf, davon vS Ruekenschusse, einen Halsschuss
und einen Kieferschuss, Die Erlaubnis zum Photographieren der
Leiche wurde verweigert. Verbrennung dart nicht stattfinden
317
wegen eventueller Widerspriiche der Sachverstandigen. Am 15 Marz
Marz miltags waren die Leichen von der Staatsanwaltschaft noch
nicht freigegeben.
Bei dem Vater des Ermordelen haben sich jetzt zwei Perso-
nen unabhangig von einander gemeldet und bezeichnen uberein-
stimmend die Nummer des rolen Autos, in dem Nitschmann ent-
fflhrt worden ist. Es handelt sich urn die Nummer I A 78087. Audi
bezeugen Beide, dass es sich um einen roten Wagen handelt.
Die Entfiihrung des zweiten Ermordeten ging nach angestell-
ten Ermittlungen folgendcrmassen vor sich:
Hans Balschukat wurde am 8. Marz abends vor dem Hausflur
Gotenstrasse 14 in Schoneberg von drei Nationalsozialisten mil
vorgehaltenem Revolver verhaflet und in einem dunklen Auto
fortgeschafft.
Am 10. Marz morgens erhielt der Vater des Balschukat eine
Postkarte mit folgendem Inhalt:
<Habe heute eine Brieftasehe mit Inhalt gefunden, bitteSie die Tasche
bei rair abzuholen am Sonnabend, dem 11. 3. um 6 Uhr nachrnit-tags.
Hans Schmidt
Bornstedt bei Potsdam
Viktoriastr. 26.3>
Als die Karte ankam, war der Vater nicht zu Hause, die Mut-
ter ging mit dieser Karte zur Kriminalpolizei, dort wurde ihr ge-
sagt, sie solle unter keinen Umstanden nach Bornstedt hinausfah-
ren. Gleichzeitig wurde nach dem Alex (Presidium) telephoniert,
von dort nach Bornstedt und zur Mordkommission, die noch
im Machnower Forst beschaftigt war. Die Brieftasehe wurde von
der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Am selben Tage ging der
Vater nochmals zur Kriminalpolizei, wo auch ihm gesagt wurde,
er solle unter keinen Umstanden nach Bornstedt hinaus-
fahren, den angeblichen Finder habe man bereits verhaftet, da
man in ihm einen Tater vermute. Verdacht bestehe deshalb, weil
die Brieftasehe nicht beschmutzt gewesen sei.
Am 11. 3. besichtigte der Vater die Leiche seines Sohnes. Es
war ihm nicht moglich, sofort seinen Sohn zu erkennen, da er
schrecklich zugerichtet war. Die Lip-pen waren dick geschwollen
und blau, das Kinn durch Schlage aufgeschlagen. Hals, Kehlkopf
und Brust wiesen vieie blaue Stellen auf, anscheinend durch ge-
waltige Fusstritte hervorg-erufen. Die Arme und die Brust batten
viele blutunterlaufene Stellen, die anscheinend von einer Fesse-
lung herriihren.
Der Ermordete hat nach oberflachlicher Besichtigung durch
den Vater (eine griindliche Untersuchung wurde dem Vater ver-
wehrt) zirka sieben bis acht Schiisse erhalten, davon zwei Schiisse
318
in
in den Hinterkopf, einen Schlafenschuss, zwci bis drei Schiisse
den rechten Arm, sowie einen Brustschuss auf der rechten Seite
Ueber den dntten Ermordeten Preuss ist noch nichts zu er
fahren gewesen, da der Vater jede Auskunft verweigert Der
Vater ist Maschmist bei der Reichsbahn, er kummert sich auch
nicht urn die Beerdigung seines Sohnes. Diese wird durch die
Wohlfahrt flbernommen. In Schoneberg redet man dariiber dass
den Nazis rait Preuss em Missgriff unterlaufen sei. Der ermor-
dete Preuss soil den Nazis nahegestanden haben.
Stahlrutcn und Salzsaure
(Zeugenbericht aus Braunschweig)
Der Telegraphenmonteur Grotehenne hatte keine politi-
sche Funktion, er war Mitglied des Reichsbanners. Am Montag, dem
27. MSrz wurde Grotehenne von S A-Mannern auigesucht und aufge-
fordert, in das Lokal der SA zu konimen. Seine Frau glaubte, es
handle sich um den iiblichen Zwang, der NSDAP beizutreten, und
riet ihrem Mann, den Beitritt sofort zu vollziehen und das Haus
aicht zu verlassen.
Grotehenne begab sich aber in Begleitung der Nazi in das SA-
Lokal. Stunden vergingen. Er kam nicht zuriick. Seine Frau ent-
schloss sich, ihm nachzugehen. Vor dem SA-Lokal stand ein Nazi
namens Meyer. Frau Grotehenne kniete vor ihm nieder, jammerte
und bat, ihren Mann freizugeben. In diesem Augenblick wurde der
Korper Grotehennes auf die Strasse geschleudert. Der Mann war zu
einem blutigen Fleischklumpen zusammengehauen worden. Meh-
rere Manner brachten den Schwerverletzten nach Hause. Er klagte
nicht nur iiber aussere, sondern auch iiber innere Schmerzen.
Da man Gift vermutete, wurde ihm Milch eingeflosst. Er er-
brach. Die Frau, die ihm den ausgetretenen Schaum vom
Munde abwischte, bemerkte, dass ihr Taschentuch von der Saure,
die er erbrochen hatte, ganz zerfetzt wurde. G. hatte zeitweise
soviel Bewusstsein, um den Vorgang seiner Marterung zu er-
zahlen. Er war entkleidet und drei Stunden lang mil Stahlruten
gesehlagen worden. Zwischendurch war er gezwungen worden, mil
seinen Kleidern das Blut vom Boden aufzuwischen.
Als er bewusstlos mit zusammengebissenen Zahnen dalag,
versuchten die SA-Manner, ihm Salzsaure einzuflossen. Da dies
nicht sofort gelang, wurde ihm der Mund gewaltsam geoffnet.
Dab-ei wurde ihm ein Teil der Oberlippe weggerissen.
Grotehenne starb nach ungeheuren Schmerzen am Abend
des 29. April. Die Leiche wurde gerichtlich obduziert. Als lo-
desursache wurde « Gehirnschlag und innere Verbrennung »
festgestellt. Die Staatsanwaltschaft wurde mit der Angelegen-
heit befasst, doch ist bis jetzt keiner der Schuldigen irgendwie
zur Verantwortung gezogen worden.
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BnchstftbJich zerrissen
(Zfeugenberichte aus Heidenau.)
Anfang Marz wurde Fritz Gumbert a ,K w«m* o «
vergraben zu haben». Er wurde in die F«ct„ M T /. • , y anen
von dori in das K„„ r ^i on ^Ja W" urui
wurde er » Ketten gelegl „„,, gefoltert. Die Mi M hSndl nien d e
er zu erleiden hatte, waren derarl schwer, dass er star!,. To!
desursache tcilte man seiner Frau mil- *r c «; .-.« a*
Darmblutungen verstorben. * St ' M ***** und
Die Arbeiterschafi der Heidenauer Betriehe veranstaltete
hieraui erne Sammlung und hess die Leiche nach Heidenau iiber-
fuhren. Dies wurde bewilhgt, allerdings unter der ausdriickHchen
Bedingung, dass der Sarg nicht geoffnet wurde. Die Arbeiter hiel-
ten sich nicht an diesen Befehl. Keiner der Augenzeugen wird
den Anbhck jemals vergessen. Das Gesicht war vollig zusammen-
gethekt. Allein Anschein nach fthlte die Zunge. An den Armen
waren die Spuren der schweren Ketten sichtbar. Das Hinterteil
des Korpers war cin zerstiickelter, durchlocherter Fleischfetzen
Der Alter war mil einem Lumpen verstopft, der die Verblutung
aufhalten sollte. Das Riickgrat war gebrochen. Die Geschlechts-
teile waren zerfetzt. Der reclite Sclienkel war aufgerissen Die
Magengrube war eingetreten, sodass die Gedarme heraustraten.
Die ganz zerbissenen Lippen zeugten von den entsetzlichen
Schmerzen, die Gumbert ausgehalten hatte.
Auf Grund der Ansammlung der entsetzt und emport
herzudrangenden Arbeiter wurde der Leichnam wiederum von
der SA beschlagnahmt. Der Henker Killinger selber erschien am
Ort mil einem Stab von Polizei und Aerzten. Es wurde eine Razzia
durch die Arbeitcrwohmmgen veranstaltet, um photographische
Apparate und Flatten zu beschlagnahmen, Unter Androhung
schwerster Strafen wurde alien Zeugen verboten zu sprechen.
Diejenigen, von denen man wusste, dass sie an der Besichtignng
teilgenommen batten, wurden vorgeladen und verwarnt, « die
Schnauze zu halten».
Am Freitag, dem 28. April, fand das Begrabnis statt. Gegen
drei Tausend Arbeiter und Arbeiterinnen waren erschienen, dem
Toten das Geleit zu geben. Samtliche Zugangstrassen waren von
SA mil Karabinem im Anschlag abgesperrt. Als sich der Zug
vor der Friedhofstur einfand, wurde er von den Nazis angefallen
und auseinandcrgesprengt. Nur die AngehSrigen durften den
Friedhof betreten.
Am Grabe sprach ein Geistlicher, tier demonstrate das
Hakenkreuz trug.
u 321
Zerschlagen, zerstochen, zertreten
(Zeugenbericht.)
Am 28- Marz wurde der Kommunist Edom, Konigsberg, Ro-
bcrtstrasse 6, nachts 12 Uhr aus seiner Wohnung geholt. Da
man wusste, dass er mit dem kommunistischen Reichstagsabge-
ordneten Schiitz befreundet war, schlug man ihn zwei Stunden
lang so unrnenschlich, dass er wllig hilflos, besinnungslos
und irrsinnig vor Schnierzen zusammenbrach und die Wohnung
des Schiitz verriet.
Um 2,30 Uhr morgens wurde Schiitz in die gleiche SA-Ka-
serne geschleppt und dort zwolf Stunden lang zu einer form-
losen, unkenntlichen Masse zerschlagen, zerstochen, 2ertreten.
Am 29. Marz abends starb Schiitz im Krankenhaus. Der Toten-
schein lautet auf Herzschlag.
Arn 3. April ist Schiitz wie ein Tier verscharrt worden. Keine
deutsche Zeitung hat iiber seinen Tod berichtet. Durch Drohun-
gen wurde von den Aerzten und Pflegern Verschwiegenheit er-
zwungen.
Die Frau des Toten wurde wahrend dieser Tage in Schutz-
haft genommen. Den zwolfjahrigen Sohn stiess man vor der Be-
er digung an den entstellten Leichnam des Vater. Ein Nazi er-
klarte : «So geht es Dir, wenn Du in seine Fusstapfen trittst.»
Die Nieren abgesehlagen
B. T. 9. Mai: <Wie polizeiamtlich mitgeteilt wird, verstaxb am Montag
vormitlag im Breslauer Knmkenhaus in der Einbaumstrasse der seit
dem 28. II. in Schutzhaftbefinliche Rechtsanwalt Dr. Eckstein an Lun-
gen- u, Nierenentziindung u. beginnender G e i s t e s k ra nk h e i tV
Der Tod Ecksteins hat die Breslauer Arbeiterschaft nicht
iiberrascht. « Den Eckstein werdet ihr nicht wiedersehen », er-
klarten die SA-Leule hereits bei seiner Festnahme am 28. April.
Als man am Vorabend des 1. Mai die Breslauer Schutzhaf Hinge
im Triumphzug, Musik an der Spitze, aus dem Braunen Haus
(Neudorferstrasse) zum Konzentrationslager (Stechlauer Chaus-
see) fuhrle, da fehlte Eckstein bereits. Die Blatter mussten melden,
dass er sich im Gefangnis «selbst verwundel* habe. Er befand sich
schon damals in einem Zustand, in dem man ihn der Oeffentlich-
keit nicht mehr zu zeigen wagte. Man brachte ihn gesondert in
das neu errichtete Lager. Die Misshandlungen wurden fortgesetzt.
Die Nieren hat man ihm durch viehische Prugel abgesehlagen.
Die « Lungenentziindung » ist hinzugetreten, als man den be-
wusstlos Gepriigelten mit Eimern kalten Wassers wieder auf-
weckte* « Geisteskrank » wurde man seine Morder nennen, vtenn
ihr Verbal len nicht einem von der deutschen Regierung gezfich-
teten Normalzustand entspriiclie.
322
Ira (Mantis gelyncht ^
enti Die n ^ SIS tfS&SSi. Nachrichtendienstes
v(,llla»inmcri:
'' , -1 TO Geeen 11 ('In kam es vor den. jiidischen M5bel-
g«dtfft Sd»«J» " ?1™ B ss . Mann Btttrzte . Ate ein K.merad d.e-
jOdfscben ahabers au re ' bcjden ss _ Le uten und dem
. ssssijsss - *» r ss - ManD walter
" US Kie ' IT ^ " Wi rWlchUell folgen derma ssen
Der Vorfall spie lie sich in w SA -Mannschaft
;il): to Verlwfe to ftjjj^toto^te ™ Jnhaber wur(le
das Geschuft dcs ^J^K Dag^n setzte sich der Sohn
von den Eindnnglmgen be ast.g l - »*&*> w h Es kam zum
andern SA-Mann schwer verletzte.
II.
cKiel 1 April, WTB. Der Sohn dee MObelhtodleia Schumm, der vor-
nuttags'vor dem Qnschaft seines Vatera auf einen SA-Mann eraige
Schusse abgegeben hatte, durch die dieser einen schweren Bauch-
KchusB davonlruR, 1st im PoUzeigeftogofa, wohin er gebracht wordon
war, erachoseen worden. Wie vertautftt, veriangtexi einige Personen
im PolizeiprSflidium, dasa Itanen die Tiir dea Schumm geoffnet
werde. Ala diesem Verlangen -laltgegebcn wurde, fielen mehrere
Sehusee, die auf der Stalk tSteten. Die Leiche wurdo dem gerichts-
medizinischen Institut zugefBhrt.)
Der zweite Berieht 1st bcreits insofern «korrigiert», als von
Schumm, der uberhaupt keine Waffe besessen hat, behauptet
wirri, er habe nicht nur « den Schuss », sondern sogar « mehrere
Schtisse a abgegeben- Dieser Bericht bringt die Umstande der
Ermordung Schumms ziemlich wahrheitsgemass, allerdings ohne
ausdrueklich zu erwiihnen, dass eben jene SA-Leute Schumm
umgebracht haben, urn den Zeugen der Bluttat vom Vormittag
y\\ beseitigen.
Beide Berichte sind so durchsichtig, so ungeschickt und
kompromittierend abgefaast, class noch am selben Nachmitl-
die zentrale Pressestelle eingreift und den dritten in jcder Weise
bereinigten und in jeder Weise falschec Bericht herausgibt:
3M
J/ 1 ', i Anril WTB Dm Jiidische Rechtsanwalt und Not»r Schumm
» ' vormitta« gege* 11.80 Uhr den SS-Mann nam ens Walter
f Ihnlfpr in der* Kehdenstraaae durch Bauchschuss nieder, und zwar
naTdS bisherigen Meldungen ohne triftigen Grand. Dei SS-Mann
st in der Klinik gestorben. Eine erregte Menschenmenge sammelte
sich vor deni Polizeigefangnis an, bevor der vom Oberpriisidenten an-
jreordnete Abtransport des Rechtsan waits Schumm ennoglicht wer-
den konnte. Die erregte Volksmenge drang in das Polizeigefangnis
ein, wo Schumm durch Revo-lverschiisse getfctet wurde. Das ganze
entwickelte sich so schnell, dass polizeilich der Vorgang nicht ver
bindert werden konnte. Die Menge drang auch in das GeschSft des
Vatera des Rechtsanwalts Schumm in der Kehdenstrasse ein und zer-
storte das Inventar.
Dieser Bericht kann zwar die Oeffentlichkeit ilber den wirk-
lichen Verlauf des Vorfalls nicht mehr tauschen, aber er hat eine
weitere und « tiefere » Bedeutung: er ist als ein Schema zu be-
trachten fiir die Art, wie auf Bcfehl des Reichspropagandamini-
sters Goebbels in Zukunft solche Ereignisse — soweit sie nicht
iiberhaupt verheimlicht werden konnen — der Oeffentlichkeit
mitzuteilen sind. Am sclben Abend noch wurde die oben zitierte
Bestimmung erlassen, dass «Mittcilungen iiber Zwischenfalle*
nicht ohne vorherige Genehmigung erlaubt und dass jegliche Ver-
anderungen des amtlichen Wortlauts verboten seien.
Aus clem Fcnster gesttirztl
Am 16. April wurde der Bergarbciterfuhrer Albert Funk in
Dortmund von einem Nationalsozialisten erkannt und der Poli-
zei denunziert. Albert Funk war ein langjahriger Streikfiihrer
der Bergarbeiter, ehemaliger kommunistischer Reichstagsabge-
ordneter und Fiihrer des Einheitsverbandes der Bergarbeiter.
Geachtet und geliebt von den revolutionaren Bergarbeitern, ge-
noss Albert Funk weit iiber die Partel- und Verbandsgrenzen
hinaus das Vertrauen der Ruhrkumpels.
Albert Funk wurde ins Dortmunder Polizeigefangnis einge-
liefert. Es gelang Lhm, einen Brief hinauszuschrnuggeln, in dem
er iiber furchtbare Misshandlungen an sieben andern Gefangenen
berichtete. Funk wurde. in den ersten Tagen nicht misshandelt.
Die Zeitungen berichteten kein Wort iiber seine Verhaftung.
Diese Tatsache musste die schlimmsten Befiirchtungen erwek-
ken. Was war mit Alhert Funk geplant? Wamm wurde seine
Verhaftung verschwiegen?
Am 26. April, nach zehntagiger Haft, wurde Albert FiAik er-
rnordet. Seine Fran erschien im Dortmunder Polizeigefangnis,
urn ihren Mann zu sprechen. Die Verwalhmg iiess Ihr erklaren,
324
Kommun.ste.1 im JJf^ de mitge teHt: Der verhaftete kom-
di ^/SSW^ * lbert Funk sei . bei dem r "
munistische Rejcliswfc » uger UntersuchungS g e fang-
k " hne ^Sen aus dem Fenster des III. Stoekes in den Hof
nis zu flucnten, au RiJckgrat, Arme und Beine mehrfach
gesprungen and hab ^ Bewusstsein ins Spital eingeliefert
gebrochen e r «» J be. mm ben . Es wurde verschwiegen,
J° rd Fnnk sich schon e Uva zwei Wochen in Haft befand und es
Se F ntS SnWort der Erklarung dafur gegeben, wieso er
Sich von Dortmund nach Recklinghausen kam.
P D r Bergarbeiterfiihrer Albert Funk wurde durch furchtbar-
.te Misshandlungen dem Wahnsinn nahegebracht und von semen
Folte knechten zum Stars aus dem Fenster gezwungen Als
gefangene Kameraden des Ermordeten, die sich gerade auf dem
Gefangnishof befanden, erschiittert aufschrien, nssen die Mor-
der die Fenster auf und schrien ihnen zu: « Ihr Moskauschweine
konnt hier nachspringen! »
Der Fememord an Dr. Georg Bell
Am 5. April liel Dr. Georg Bell Im osterreichischen Ort
Durchholzen bei Kufstein einem Mordkommando der SA-Fuh-
rung zum Opfer.
Die Schiisse von Durchholzen haben einem abenteuerlichen
Leben ein Ziel gesetzt. Wer war Georg Bell?
Bis Anfang 1930 ein Agent, von dessen Existenz nur seine
nationalsozialistischcn Freunden wusslen. Erst im Januar 1930
beschaftigle er die Oeffentlichkeit. Damals sass er (der bereits
friiher in Miinchen wegen Spionage verurteilt war) im Tscherwon-
zenfalscherprozess mit auf der Anklagebank. Von ihm soil der
Plan ausgegangen sein, sowjetrussische Noten zu fiilschen, um
auf diese Weise die USSR in Schwierigkeiten zu bringen und die
Sudstaaten von Russland loszureissen. Bell operierte in diesem
Prozess ausserordentlich geschickt. Imraer, wenn das Gericht.
das ohnehin bestrebt war, nicht zu tief in die Machenschaften
gegen den Arbeiter- und Bauernstaat hineinzuleuchlen. fur Bell
pemi.chc Punkie beriihren musste, drohte er iiber Beziehungen
■u aeuischen Staatsmannern auszupacken. So beherrscbie er das
„ • u* riac «irh willig beherrschen liess, und — wurde freige-
Genc "' d Sne TaSche aber ergab der Prozess doch: Bells Hin-
f pro ° «?hPi diien Ffilschungcn ist der englische Oelkonig Sir
u "Tnefcrding! der auf diese Weise die Oelkonkurrenz Sowjet-
SSSnds SSampfea und in den Besitz neuer Oelquellen gelan-
ge ° Deterding ist auch einer der Geldgeber der deutschen Natio-
nalsozialisten, die ihm als der beste Vorspann fur seine anti-
sowjetischen arbeiterfeindlichen Plane erscheinen. Der Verbin-
dunesinann zwischen Deterding und den Nazis aber ist Georg
Bell Das erfuhr man Mitte 1932 in einem zweiten Prozess, der
in Munchen stattfand und die Oeffentlichkcit stark erregte. Es
handelte sich urn eine Beleidigungsklage des Fememorders
Schulz und des Reichsfuhrers der NSDAP Schwarz gegen die
sozialdemokratische «Munchener Post*.
Welcher Tatbestand lag dem Miinchener Prozess zu Grunde?
Mitte Februar 1932 veroffentlichte die c Miinchener Post » ver-
trauliche Inforxnationen, aus denen hervorging, dass in der
NSDAP eine Sonderabteilung besteht, die die Aufgabe hat,
missliebige Personen aus dem Wege zu schaffen. Die Abteilung
fiihrt den Namen « Zelle G ».
In diesem Prozess sagte Bell als Zeuge folgendes aus:
cEines Tages habe ihm Rohm gesapt:
cWissen Sie schon das Neueste ? Man will une umbringen, Sie, du
Moulin-Eckhard und mich.>
Er habe es anfangs nichl glauben wollen, bis Rohm Einzelheiten
mitteiite und erwiihnte, dass Major Buch dahinterstecke. Bald darauf
habe er Schweickard in einem Kaffeehaus getroffen. Auch von die-
sem sei er gefragt word en, ob er schon wisse, dass er umgebracht
werden solle. Schweickard habe weiter erklSrt :
<Ein Wort von mir bei der Polizeidirektion wurde geniigen, dass die
die ganze Saubande ins Zuchthaus kame.:> (Mit der <Saubande> war
die Reicbsleitung der NSDAP gemeint.) Schweickard habe ihn dann
gefragt :
<Willst Du Deinen Morder kennenlernen? Er wird bald hierher-
kommen.>
Talsachlich sei dann Dr. Horn aus Karlsruhe in da9 Lokal g"e-
kommen.>
Im sogenannten Danzeisenprozess, der im Juli 1932 statt-
fand, erfuhr man dann, dass Rohm und du Moulin-Eckard wegen
ihrer homosexuellen Veranlagung, Bell wegen seines Wissens
dnruni, das er zu Erpressungen benutzt hatte, « gekillt » werden
sollten. Die Weisung des Auftraggebers war eindeutig:
<Wieland II, Ausland, den.. . .
An die Helene.
Sie setzen sich sofort in Solln (Major Buch) in Verbindung, Vor
m
her telefoni&chen Anruf an die Wohnung. Hauafrau weies Bescheid.
Tatbegtand ist der: Graf du M. ist mit R. auf Oruod Paragraph 175
von frCiher bekannt. R. wird durch einen gewiseen Bell erpresst. Du
M liat einen grossen iiinfluss auf R. Es muss gehandelt werden, des-
eleichen aucn bei Uhl. Dae dicke Hascheu uberniniuit den Auftrji?
Uhl Gue (Quenech) liber nEmmt den Auftrag Bell mit seiner
gesamten Gruppe. Den Auftrag Zi. 50 (Zimmer 50, in dem
Graf du Moulin untergebracht ist) ubernehmen Sie ala den ge-
fahrlichsten. Radschrauben lttsen (blauer Anton) Oder noch was bew-
seres. Zi. 50 fiihrt einen Ope! 1050. Auf Haschen einen eVarken
Driifik ausiiben. Bei Fehlachlag ist fttr juristische Deckung gesorgt.
Hausfrau weise Adreese. Wld. II.>
Dass Dr. Bell zu viel von dem personlichen Leben der
< Fiihrer » wusste, war nicht der einzige Grund, aus dem er besei-
tigt wurde, beseitigt von der gleichen Gruppe « G », gegen die
sich friiher sein Freund Rohm und er schutzsuchend an die
sozialdemokratische Zeitung gewandt hatten* Das letzte und ent-
scheidende Moment dafiir war, dass er zuviel vom Reichstags-
brand, von der Beteiligung Gorings, Goebbels', Heines' und Rohms
wusste. War doch das Werkzeug van der Lubbe auch sein Agent
und konnte er doch aus dessen Mitteilungen Riickschliisse iiber
seine Verbindungsleute Ziehen. Das ist in einem friiheren Kapi-
tel eindeutig unter Beweis gestellt. Aber auch die Leitung der
SA, die Goring und Rohm, wussten durch ihren ausgedehnten
Spitzelapparat, was Bell wusste, der seine Kenntnis wieder ein-
mal in klingend-e Miinze umsetzen vvollte.
Deshalb gab Rohm den Befehl, Dr. Bell zu erledigen. Bell,
der davon horte, trat zuerst aus der NSDAP aus. AIs er sich wri-
ter verfolgt sah, floh er nach Oesterreich. Seine Frau und seine
Tochter wurden von der SA als Geisein in Halt genommen. Durch
einen Freund Bells, den SA-Mann Konrad, erfuhr Rohm seinen
Aufenthaltsort. Vergebens bat Bell in einem Telegramm den all-
machtigen Rohm, ihn zu schonen. Rohm wies vier Mann seiner
engeren Leibgarde an, Bell nach Deutschland zu verschleppen.
Beim Abschied sagte er ihnen:
<Bringt ihn mir lebend Oder tot; lieber ist mir aber, ihr bringt mir ihn
lebendig, Also keine Geschichten. Schlag auf den Kopf, hinein ins
Auto und rnarsch, marsch iiber die Grenzel*
Rohms Mordkommando fuhr mit einem Auto der Naziparteilei-
tung: ausserdem aber wurde noch von dem Munchener Polizei-
priisidenten Himmler, der zugleich oberster Chef der SS ist, ein
Auto mit SA-Leuten, die als Hilfspolizisten Dienst machen, auf-
geboten.
Bell, der inzwischen von Konrad telegraphisch gewarnt war,
packte gerade seine Koffer, als seine Verfolger eintrafen. Er
327
lehnte es ab, in ihrem Auto nach Deutschland mitzufahren. Sechs
Schiisse waren die Antwort. Alle trafen: drei in den Kopf, zwei
in die Brust, einer in den Bauch. Bell war sofort tot.
Der 3Iord an dem Hellseher
Erik Jan Hanussen, recte Herschmann-Steinsehneider ist
am 2. Juh 1882 in Wien als Sohn jiidischer Eltern geboren'und
nach Prossmtz (CSR) zustandig. Er wird Artist, macht im Krieg
fur das osterreichische Militar Wiinschelrutenexperimente und
tntt nach dem Kriege in Varietes auf. Dabei gibt er seine Ta-
schenspielereien als Wirkung ubcrnaturlicher Krafte aus, wird
deshalb wiederholt verhaftet und aus Wien und Memel ausge-
wiesen.
In der Tschechoslowakei betatigt er sich zum ersten Mai
offentlich in grosserem Urafang als Hellseher. Er hat das Gliick,
von einem Gendarmen wegen Betruges angezeigt zu werden. Es
gelingt ihm, den gefahrlichsten Zeugen, seinen Sekretar Erich
Juhn, der ihm durch Tricks das « Hellsehen » ermoglicht hatte,
am Erscheinen vor Gericht zu verhindern. Das Leitmeritzer Ge-
richt spricht ihn mangels Beweisen frei.
Gestiitzt auf diese Reklame, beginnt er, sich in Deutschland
als Hellseher zu betatigen. Er gewinnt grossen Zulauf, besonders
seitdem er auch politische Fragen in den Kreis seiner Prophe-
zeiungen zieht. Er veranstaltet Seancen und Vortrage, griindet
erne Zeitung « Hanussens Bunte Wochenschau » und wird ein
reicher Mann. Nach dem Wahlsieg der Nazis am 14. September
1930 wird er Nationalsozialist. Der Massenstimmung folgend,
beginnt er Hitler zu popularisieren. Er falscht seinen Pass, indem
er das Wortchen « van » hineinsetzt, ist nun Arier aus adligem
Geschlecht. So wird er Mitglied der SA und Freund holier Nad-
fuhrer, insbesondere des Grafen Helldorf. Als ihn der «Angriff»
im Dezember 1932 anlasslich eines Betrugsprozesses einen
tschechischen Juden » nennt, interveniert Helldorf und der
« Angriff » druckt eine Ehrenerklarung. Er stellt seine Autos
der SA, sein Geld den SA-Fiihrera zur Verfiigung und erhalt den
Schutz eines SA-Sturms. Sein Chauffeur ist Sturmbannfuhrer.
Als Hitler am 30. Januar zum Reichskanzler ernannt wird,
■ eroffentlicht der Jude Hanussen, der inzwischen zum Christen-
tum iibergetreten war, einen offenen Brief an Hitler, in welchem
er Hitlers Sieg als seinen Sieg feiert.
Nach der « nationalen Erhebung » wurde Hanussen iiber-
routig. Er liess sich allabendlich in der « Scala », einem Berliner
Variete, in dem er auftrat, als Propheten des dritten Reiches
feiern, er ging zu jtidischen Firm en und Zeitungsverlagen, um
328
Schwer misshandelte Fran
Woliilahrtvorsteherin Frau Marie Jankowski, Berlia-Kopeuick.
d n atinstrasse 18. wurde vnn SA.T.pntP.n in das SA-Lokal Demut.
Slunden lang rmt
Bergmaanstrasse 18, wurde von SA-Leuten
KliHabethstrasse 29 in Kopenick gebracht und dort xwel
jvnupnelu, Slahliuten und Peitschen auf den nackten Korper geschlagen.
as Bild zeigt die Folgen dieser furchtbaren Misshandlunsen. Frau Jan-
icnwsk, erlitt ^chwere innerc Verletzungen. Die Hitler-Regienmg hat gegeo
che schwertoanke Frau ein Strafverfahreu svegen <Greuelhetze» eingeleud.
>
Misshandelte Arbeiter
Ohen rpHfA^'f '*' l '' delte, ;.-H beiter aus P^ankfurl am Mai,,.
Unten: Misshandelter ReichsbannerfQhrer aus Siiddeutschland.
unter Berufung auf seine guten Beziehungen zur SA Gelder zu
erpressea. So kam er auch zu dem gleichgeschalteten Verlags-
direktor des * Berliner Tageblalts » Karl Vetter und erklarte
ihm. er konne ilin vor alien Anfeindungen der Nationalsozialisten
bewahren. Der Nazikonnuissar im Mossehaus von Ost, Hell*
dorf und andere SA-Fuhrer, seien ihm viel Geld schuldig. Vetter
nahm das Angebot nicht an. er ging zu Osl, uberreichte ihm
einen Scheck init einem namhaften Betrag und bat ihn, sich
aus der Abhlingigkeit von Hanussen zu befreien. Ost erwiderte.
«So wird das bei uns nicht geregeltl* Ost ging zu Goring, Hell-
dorf und Himmler.
Am gleichen Abend, dem 24. Mai z, wurde Hanussen yor seinem
Auftreten in der «Scala» verhaftet. Dem Publikum wurde er-
Hart er babe einen Nervenzusammenbruch erlitten. Der «Vol-
kische Beobachter » meldete, Hanussen befinde sich im Polizei-
prasidium Berlin, well er sich mil falschen Papieren in die
NSDAP eingeschlichen habe. In Wahrheit entfiihrte man Hanus-
sen in einem Auto nach Baruth bei Zossen nahe Berlin. Nach
zchn Tagen fan den bier Spazierganger seine Leiche im Waldes-
dickicht, sein Gesicht war durch sechs Schiisse bis zur Unkennt-
lichkeit verstunimelt- Wieder war ein gefahrlicher Mitwisser
zahlreicher Geheimnisse der hohen SA-Fiihrung von der nalio-
naisozialistischen Feme beseitigt.
Bartkoloimiusnacht in Kopenick
In viclen Stadtgebieten Deutschlands hat die SA, die vor
Hitlers Machtantritt angekundigte «Nacht der langen Messer» re-
gelrecht durchgefuhrt. In der Nacht vom 21. zum 22. Juni begann
im Berliner Vorort Kopenick ein bestialisches Morden der SA, das
mehrere Tage wiitete. Funktionare der Sozialdemokratie, des
Reichsbanners und der Kommunisten fielen ihm zum Opfer.
Am 21. Juni fuhrte die SA zwei Haussuchungen bei dem
Gewerkschaftssekretar Schmaus in der Siedlung Kopenick durch.
Sie suchte angeblich nach Waffen. In der Nacht kam die SA zum
dritten Mai, schleppte den verhafteten kommunistischen Schwie-
gersohn von Schmaus mit und sturmte unter Abgabe von mehr-
er en Schussen das Haus. Schmaus hat einen geistesschwachen
22jahrigen Sohn, der durch die Schiesserei erwachte und in un-
bekleidetem Zustand, mit dem Revolver in der Hand, der SA ent-
genlrat. Seine Mutter rief ihrn erschrocken zu: «Schiess nicht!*
Er schoss jedoch und verletzte zwei eindringende SA-Leute
todlich.
Nun begann ein Abschlachten: Schmaus' Schwiegersohn Ra-
kowski wurde sofort vor dem Haus von der SA erschossen. Der
Sohn von Schmaus wurde verhaftet und zu Tode misshandelt.
329
Schmaus wurde von der SA im Hause aufgehangt. Mutter
Schmaus wurde von SA-Leulen beschuldigt, sie habe gerufen.;
«Schiess dochl* Sie wurde so gefoltert, dass sie nach wenieeri
Tagen starb. °
In der Siedlung, in ganz Kopenick und in Friedricbsbagen
wurden «Marxisten» noch in der Nacht aus den Betten herausge-
holt, darunter der Reichsbannerfiihrer und friihere Ministerprasi-
dent von Mecklenburg, Johannes Stelling, der 55jahrige Reichs-
bannerfunktionar Paul von Essen aus Kopenick und der 57jahrige
ehernalige Reichsbannerfiihrer von Friedrichshagen, Assmann.
Wie es den Verhafteten in der Morderkaserne erging, schil-
dert ein sozialdemokratischer Augenzeuge:
fDas Auto brachte uns zum Kopenicker Gerichtsgeiangnis. Der Platz
vor dem Amtsgericht war vol! von SA-Leuten,, die eich sofort auf uns
stiirzen wollten. Der Sturmfiihrer brtiilte jedoch: <Halt, auf der
Strassenicht schlagen|> Kaum batten wir jedoch daa Ge-
bziude betreten, eo ging es loe. Wir wurden die Treppe hinauf und
exnen langen Gang entlang getrieben. In einer grossen Zeile standen
10 Genossen mit dem Gesicht zur Wand. Fussboden und Wand wa-
ren mit Blut befleckt. Eine alte Frau, blutend aus Mund und Naae,
mit blutbeflecktem Kteide, musste den Fussboden scheuern. Der SA-
Mann Lohse fragte mich: cKennat Dudiese Hure?) Ichsah
genauer bin und erkannte mit Entsetzen die Mutter meiner Frau.
Nun wurde Genosse Kaiser von Lohse aul'gefordert, einein anderen
Genossen mit der Faust ins Gesicht zu schlagen. AIs Kaiser zdgerte,
erhielt er selber von Lohse einen Fauslschlag, so dass er mit dem
Kopf an die Wand flog. Dann warden die Genossen mit StOcken an-
getrieben, sich gegenseitigzu schlagen, bis eiebluie-
ten. Ich wurde von Lohse mit den Worten empfangen; cEndlich ha-
ben wir dich, du Marxistenschweinx Darauf schlug er mir ins Gesicht
vnd seine Kumpane folgten seinem Beispiel. Allen wurden
Haare und Bart abgeschnitten, mir wurde ein Ha-
kenkreuz zurechtgeschnitten.
Einem Kommunisten schnitt man absichtlich mit der Schere in die
Kase, wobei der FiLhrer brullte: <Schadet nichts, wenu Haut mitgeht,
wir haben Verbandszeug>. Danach mussten wir etwa zehnmal durch
Spaliere von SA-Leuten, die mit StScken und KnQppeln bewaffnet
waren, Spiessruten laufen. Einige altera Leute brachen dabei zusam-
men. Inzwischen war unter ungeheurem Siegesgebeul der 55jahrige
Genoese Paul von Essen herbeigeschleppt worden. Er war
seit langer Zeit erwerbslos, eben erst aus dem Krankenhaus gekom-
men und auf einem Auge blind, Vater von vier Kindern und Kriegs-
teilnehmer. Man echlug ihn erst ins Gesicht, dann riss man ihm die
Hoaen hexunter und schlug ihn mit geradezu rasender W'ut mit
Stocken und KnOtteln auf den entbloesten Ktfrper, bis er die Besin-
nung verier Era SA-Fuhrer sagte dann: <So, ein Schwein ware fer-
tic I* Genosse von Essen ist inzwischen den furchtbaren Verletzun-
gen, die ihm seine PeinSger zufiigten, erlegen.
330
Oe^ene, die no* ^^'S^^^
8e3 stundenlang mitemander boxen^br m Eifef angetrie .
jeder einzeln m ein s4*w J k0rp erlichen Misshandlungen.
rait r S,a , Dd, turde £ de Sturmbannfiihrer Gerieke vorgefiihrt.
Scbhesshch *urde ^ ^ ^^ ^ Q
Ia , m fdarauf an diss ich einstweilen welter nicht xu schtagan .el,
*' S die Un.ahrheit gosagt, so wurde Kb .M
nt« Zeit ^de^e ^ — « Zelle au^sen der Stun.
Lump -wirst heute fertiggemacM!>
Man zerrte mich den Gang entlang zur Zelle meiner Schwiegermul-
ter; wahrend mich zwei SA-Leute festhielten, wurde die SSJttnge
Frau von Kobold und anderen mil Stocken geschlagen^ bts sie am
Boden lag. Sie ist jetzt geistesgestort und befindet sich in einer An-
stalt. Ich sah auch noch, wie die mir bekannten Briider Hasche,
zwei' ganz junge Leute, grauenhaft geschlagen wurden. Diese^Miss-
handiungen dauerten den ganzen Tag. Zur Ablosung kamen immer
wieder neue Schlagerkoloanen. Urn 4 Ubr nachmittags wurde ich
aus der Zelle geholt mit dem Befehl, sofort nach Hause zu gehen.
Der Truppfiihrer Kobold fuhr mit drei SA-Leuten auf Motorra-
dern voran. Ein SA-Mann, der mit mir Mitleid hatte, raunte mir zu,
ich sollte ermordet werden. Mein Weg fttbrte durch den Wald, dort
gelang es mir, zu entkommen.*
Dieser Augenzeuge hat Stelling nicht unter den Verhafteten
erkannt, da ihre Gesichter vollig entstellt waren. Nach einigen Ta-
gen fischte man die Leiche von Stelling, in einen Sack einge-
naht und mit Wunden bedeckt, im Finowkanal auf. Gleichzeitig
wurden zwei andere unbekannte Leichen gelandet. Noch elf
Manner waren vermisst. Am 12. Juli erfuhr man in Friedrichs-
hagen, dass auch die Leiche von Assmann aufgefunden worden
war.
Die SA-Leitung hat diese «Nacht der langen Messer» bewusst
organisiert, urn die steigende Unzufriedenheit der SA-Leute, die
gerade zu jener Zeit auf Verwirklichung der «sozialistischen» For-
derungen der NSDAP in einer «zweiten Revolution* drangten.
durch Gewahrung ungehemmter Mordfreiheit abzulenken. So
steigt gerade in den Tagen, in denen Hitler sich offener zu den
Forderungen der grosskapitalistischen Kreise bekannte, die Zahl
aer Morde in alien Teilen Deutschlandsl
331
Mordliste des „Dritten Reiches"
Abgesclilossen am 29. Juli 1933.
Mein Vater ist tot. Meine Mutter ist balb waho&innig. Ich bin
auch nicht mehr ganz normal.*
(Brief der Tochter eines ermordeten Arbeiters
aus Deutschland.)
Im Folgenden veroffentlichen wir einen Auszug aus unserer Liste
der ermordeten Arbeiter und Intellektuellen. Uns Hegen Mitteilun-
gen iiber mehr als 500 Morde der SA vor. Wir ubergeben heute da-
raus 250 Mordfalle der Oeffentlichkeit. Wir stiitzen unsere Angaben
auf amtliche deutsche Meldungen, auf Zeitungsberichte, die nicht
dernentiert wurden und auf Aussagen von Zeugen, die vor uns oder
unseren Vertrauensmannern erschienen sind.
3* Marz
Gerdes, kommunistischer Landtagsabgeordneter, Oldenburg,
auf der Strasse erschossen (WTB).
(Frankf. Z. 16. Marz: <Das Staatsministerhmi kann die Tat keines-
wegs billigen. Es hat aber trotzdem das Verfahren gegen die in Haft
geEommenen Personen niedergeschlagen . . .>)
Unbekannter Kommunist, Homberg, Kreis Moers, durch Pi-
stolenschuss getotet (WTB).
(WTB: <Die Polizei bemerkt dazu, sie verraute T dass die Tater in
Kreisen politischer Gegner zu suchen sind.>)
Unbekannter Reichsbannermann, Bremen, auf der Strasse
erschossen (WTB).
Unbekannter Arbeiter, Bernburg, von Nationalsozialisten er-
schossen (WTB).
Gustav Segebrecht, Berlin, Liebenwalderstr. 44, im Lokal Ste-
phan, Liebenwalderstr. 41, durch Schlagaderschuss getotet (Zeu-
genbericht).
Bernhard Wirsching, Berlin, Petristr. 8/9, in der Wohnung
von SA erschossen (Zeugenbericht).
Ebeling, Arbeiter, Magdeburg, in der Breckenstrasse durch
Bauchschuss getotet (Zeugenbericht).
Weiss, Oekonom des sozialdemokratischen Volkshauses,
Worms, erschossen (Zeugenbericht).
Ungenanntes Madchen, Worms, beim Ueberfall auf das Volks-
haus getotet (Zeugenbericht).
Fabian, kommunistischer Arbeiter, Kellinghusen, angeschos-
sen, im Krankenhaus gestorben (WTB).
332
4. Mat 2
Zwei angmannte Arbeiter, Koln, bei einer Schiesserei schwer
verletzl, gesiorben (WTB).
Ungenarmtes Mitglied der «Eisemen Fronh, Thaleschweile,
aiif der Strasse erschossen (WTB).
WTB: <Bei einem Werbe-Umzug aus dem VerkehrslokaL der Natio
nalsoziahsten etwa 20 Schtisse abgegeben.>)
Friedrich Marquardt. Diisseldorf, Behrenstr. 14, parteilos
durch Querschiager geidiet (Zeugenberichl).
5. Marz
Klassen unci de Longueville. Oberhausen (Rheinprovinz), bei
.■mem «Fluchlversuch» im Ho} des Realgymnasiums erschossen
(WTB). Beide haben Schiisse von vorn (Augenzeuge).
Warnicke, Quickborn bei Pinneberg, erschossen (WTB).
(Brief an die Prau des Ermordeten: <Das schadet Ihnen garments,
dass Ihr Mann ermordet worden ist . . . . Es dauert nicht lange, dana
liegeo auch Sie und Ihr Sohn auf der Bahre.> Der Sohn iet 8 Jahre
alt.)
Ungenannter Reichsbannermann, Mitteldeutschland, erstochen
(WTB).
Zwei Bruder Bassy, Bankau, Oberschlesien, von SA ermordet
(Zeugenbericht).
Karl Tarnow, Berlin, Kolonie Frieden am Mariendorfer Weg,
in Neukolln, Knesebeckstrasse, erschlagen (Zeugenbericht).
6. Marz
Grete Messing, Arbeiterin, Selb, auf der Strasse niederge-
schossen (WTB). (Siehe Bericht.)
Hans Bauer, parteiloser Arbeiter, Berlin-Moabit, aus SA-Ka-
serne Friedrichstrasse 23A (Hedemannstrasse) nicht zuriickge-
kehrt (Augenzeugenbericht).
Friedlander, Backerlehrling, 19 Jahre, Berlin-Friedrichshain.
Allensleinerstr. 11, in der SA-Kaserne Hedemannstrasse ermor-
det (Berliner Tageblatt).
7. Marz
Bernhard Krause, kommunistischer Arbeiter, Wiesenau bei
Frankfurt a. d. Oder, von SA erschossen (WTB).
Zwei ungenannte Arbeiter, Hamburg, Ueberfall der SA avf
Arbeiter. Getotcl warden zwei Arbeiter, schwer verletzt acht. . . .
(WTB).
333
Ungenannter Arbeiter, Dusseldorf, bei einem Ueberfall in der
Levetzowstrasse getotet (TU).
8. M a r z
Ungenannter kommunistischer Arbeiter, BiJlsLedt bei Ham-
burg, bei *Fluchtversuch* erschossen (WTB).
Philipp, Oekonom des Gewerkschaftshauses, Breslau, bei Be-
setzung des Gewerkschaftshauses erschossen (WTB).
Heinrich Sparlich, Bauarbeiter, Breslau, von Nationalsoziali-
steen durch einen Messerstich in den Riicken und durch einen
Schuss getotet (Deutsche Allgemeine Zeitung).
Balschukat, Nitschmann und Preuss, Berlin -Schoneberg. Als
Leichen aufgefunden im Machnower Forst am 11. Mart (Voss. Z.).
(Siehe Bericht).
Ungenannter kommunistischer Arbeiter, Bochum- Duster n,
tote amtlich rnitgeteilt wird t . . . erschossen auf der Slrasse ge-
funden (TU).
Ungenannter Arbeiter, Bochurn, in der Nacht in seiner Woh-
nung von 6 Unbekannten Mannern iiberfallen und niederge-
schossen (TU).
Bless, Reichsbannermann, Offenbach, bei SA-Ueberfall auf
Wahllokal am 5. III. todlich verletzt, gestorben (Zeugenbericht).
9. Marz
Ungenannter Reichsbannermann, Munchen, als verweste
Leiche aufgefunden im Munchner Gewerkschaftshaus. (Zeugen-
bericht).
(Es handelt sich offenbar um einen der am 1. Marz bei der Besetzung
des Gewerkschaftshauses in der Miinchner Presse als cVermisst* g*
meldeten Reichsbannerleute.)
Landgraf, Verlagsdireklor, Chemnitz, bei Besetzung der
zVolksstimme* erschossen (TU).
Hellpuch, kommunistischer Arbeiter, Duisburg, im Stadtteil
Diissen erschossen aufgefunden (WTB).
10. Marz . , u
Frau Bicks, 70jahrig, Berlin- Weissensee, \ngehongedes M-
Slurmes Langhansstrasse schossen durch die ^^g*^^
durch Frau R. die ein Kind auf dem Arm trug, todlich verletzt
wurde (WTB).
Herrmann, Uhrmacher, Dresden, Fu # tion§r |n d ^/i^aS
Hause totgeschlagen. (Zeugenbericht, erschienen in der mega
Dresdner Arbeiterstimme).
334
Hans Saile, Werbeleiter, Braunschweig, bei Beselzung des
tVolksfreund* erschossen (Zeugenbericht).
Ullrich, luhrer der hessischen Sozialdemokraten, zu Tode
misshandelt (Berliner Tageblatt).
(Der Staatsprasident von Hessen, Herr Dr. Werner, hat an die Wit-
we des erruordeten Ullrich eineu Beileidsbrief gesandt. Das <Berliner
Tageblatt* versieht die Meldung iiber diese Blasphemie mit der Ue-
berschrift <Eine ritterliche Handlung*.)
Zivei ungenannte Arbeiter, Zschopau, von SA erschossen (Ber-
liner Lokal Anzeiger).
Alfred Petzlaff, kommunistischer Arbeiter, Berlin-Schoneberg,
Nollendorfstr. 10, von SA aus der Wohnung geholt, der Leichnam
wurde vollig entstellt im Laubengelande am Bahnhof Priesterweg
gefunden (Zeugenbericht).
Scheunflagel, Arbeiter, Bernau bei Chemnitz, durch «verirrte
Kugel* getotet (Berliner Lokal Anzeiger).
11. Ma r z
Erich Meyer, Jungarbeiter, Spandau, totgescldagen (Frankf.
Zeitung).
(Wiener Arbeiter Zeitung, 25. Marz: <. . . 20 Nazi . . . kletterten
auf das Dach der Wchnlaube . . . breiteten Strohbundel darauf au9
. . . drohten die gauze Keionie in Brand zu sleeken . , .»)
Robert Dittmar* Arbeiter, Karlshorst bei Berlin, erschossen
aufgefunden (Berliner Lokal Anzeiger).
Ungenannter Arbeiler, Breslau, erstochen (TU).
Forsler und Tandler, komrnunistische Arbeiter, Limbach bei
Chemnitz, auf der Flucht erschossen (Zeugenbericht).
Paul Krantz, Jungarbeiter, Limbach bei Chemnitz, auf der
Flucht erschossen (WTB).
(Zeugenbericht: <K. lehnte ee ab, den Aufenhalt des Vaters zu ver
ratcn . . dermassen geschlagen, dass er bewusstlos zusammenbrach. .
wieder zum Bewusstsein gebracht . . . wiederholte man die Tortux.
Als er auch dann nichts verriet, wurde er an die Wand gestellt und
erschossen. Der Morder ist der Nationalsozialist Molt z.»)
Ungenannter Mann, parteilos, Oppeln, auf der Rathaustreppe
erschossen (Berliner Lokal Anzeiger).
12. M a r z
Stadtral Kresse, Sozialdemokrat, Magdeburg, im Wahllokal
in Felgeleben erschossen (TU).
Eichholz und Kaf/ier, Arbeiter, Tolkemith, auf der * Flucht y
erschossen (TU).
335
Spiegel, sozialdeuiokralischer Rechtsanvvall Ki P i , n w „•
nung aberf alien und ersckossen (WTB) 0/ '~
gefuhrt . . . minded vi er P er3 * « ^J^'^^ ^
von ihnen die Tat begingen di P T» w „ ' ' i Wahread *wei
Nachbargrundstuck als AufSir'V) aadem V ° r eiae ™
13. Mar z
UMtonrite Arbeiter. Elbing, i,n Meissnerschen Grund ».«
eineni Kopfschuss tot aufgefunden (TU). m "
14. Marz
7 ffr "S- Schweinfurth, durch SA-Mann in «Notwehr» er-
sckossen (TV). cr
Ungenannter Arbeiter, Hamburg, durch Kriminalbeamte er-
sckossen (WTB).
Leo Krell, Redakteur, Berlin, totgeschlagen (Sielie Bericht).
17. M a r z
Zwei Unbekannte, Elbing, auf der tFluchh erschossen
(Nachtausgabe).
18. Marz
Walter Scliulz, kommunistischer Arbeiter, Wittstock an der
Dosse, im Gefdngnis ermordet (Zeugenbericht).
Hans Sachs, Fabrikant, Chemnitz, erschossen (WTB).
(Der Tag, Chemnitz, 19. Mara sMitdirektor der bekannten Trikotageo
fabrik Marsehel Frank Sachs AG., hat sich gestern abend, als er ia
Sehutzhaft genommen werden sollte, erschossen.?)
Siegbert Kindermann, Berlin-Charlottenburg, Kaiser Fried-
richstrasse, verschleppt in die Hedemannstrasse, totgeschlagen,
aus dem Fenster geworfen (Berliner Tageblatt).
Ungenannter Arbeiter, Berlin- Wedding, Gerichlstrasse, im
SA-Lokal-Novalisstrasse erscblagen (Zeugenbericht).
19. Marz
Krebs, kommunistischer Arbeiter, Berlin-Moabil, Birken-
strasse 54, von SA auf der Strasse erschossen (Zeugenbericht).
336
20. M a r z
Giinther Joachim, Rechtsanwalt, Berlin, im Utap gefoltert, in,
Staatskrankenhaas Moabit gestorben (Voss. Ztg.).
Kurt Possanner, Berlin-Wicn, erschossen. Fememord? (Wie-
ner Blatter). v
(Wien, 21. Marz: <Vor einer Woche unter dera Verdacht unerwiinach-
ter pohtischer Tatigkeit in Berlin verhaftet . . auf dem Transport
an der Ssterreicfaiechen Grenze erschossen. Lange Zeit Verbindungs-
offizier der deutschen mit den Ssterreichischen Nationalsozialisten
rn der letzten Zeit mit der Fiihrung uberworfen.>)
21. Marz
Otto Sclz, Straubing, erschossen (Zeugenbericht).
22. M a r z
Walter Boege, Ebersbach, Verhaftet in Lobau bei Besetzung
der sozialdemokralischen «Volkszeitung». Auf der zFlucht* er-
schossen (Vossische Zeitung).
Wilhelm Wenzel, kommunistischer Arbeiter, Essen, auf der
Strasse erschossen (WTB).
(Toss Z. 22. Marz: <In der Nacht zum Dienstag schoss ein Hilfspolt-
zist den 29jahrigen W W. ana Essen nieder. W. starb kurz nach der
Aufnahme im Krankenhaus.^)
Dresche, Dresden, ermordet aufgefunden (Zeugenbericht).
Paul Reuter, Berlin, Selchowerstrasse, von SA erschlagen
(Zeugenbericht).
23. Marz
Erich Lange, ehemaliger SS-Mann, Gelsenkirchen, von SA er-
schossen (Zeugenbericht).
Franck, Milglied des Reichsbanners, Worms, Neffe des im
Kriege gei'allenen sozialdernokratiscben Reichstagsmitglieds
Franck, angeblich Selbstmord («Unsere Zeit»).
(Zeugenbericht: cAus dem Belt geholt, misshandelt und in ei-
nem Stall aufgehang t.»)
Herbert Pangeritz t Arbeiter, Berlin N, Bergstrasse 78, miss-
handelt, kurz nach Einlieferung ins Urban-Krankenhaus gestor-
ben (Zeugenbericht).
(Der arztlicbe Totenschein besagi: cDer Tod ist infolge von schweren
inneren Verletzungen, infolge Zertretens der Blase und Zertriim-
mening der Schadeldecke erfolgt.»)
337
24. Marz
Frau Arbets, Arbeiterin, Gladbach-Rheydt, bei einem tFlucht-
uersuch* erschossen (TU).
(Ueberschrift des Volkischen Beobaehters : cEi n Kommuni-
stenweib erschoese n.>)
Erich Perl Jungarbeiter, 17 Jahrc, Leipzig, nach Entlassung
aus der Nazi-Kaserne auf der Slrasse erschossen. (Zeugenberichl).
(Zeugenbericht: <Die Nazis bildeten Spalier, durch welches die Ar-
beiter hindurch mussten, wobei sie nochmal Priigel erhielten. Als
sie die nachete Ecke erreichten, fielerj eine gauze Reibe von Revol-
verechussen . . . Perl wurde mit 5 Bauchschtissen, eiaem Lungen-
schuss, Schenkel- und Armschiissen ins Krankenhaus eingeliefert 20
Stunden spSter ist er gestorben.*)
Haus, Landrat a. D., SPD, Dortmund, im Strassengraben in
Eichlingshofen erschossen aufgefunden (Frankfurter Zeitung).
25. Marz
SPD-Bezirksvorsteher, Berlin- Wedding, misshandelt, im
Krankenhaus gestorben (Zeugenbericht).
(<. . .gezwungen, eine Rede in faschistschem Sinne zu halten. Als
er dies ablehnte ... an den Ftissen gepackt . . . schleiften ihn aus
dem 3. Stockwerk iiber die Steintreppen auf die Strasse . . .>)
Frau Muller, Aue, Sachsen, misshandelt, angeblich Selbst-
mord (Zeugenbericht).
27. M a r z
Neumann, Warenhausbesitzer, Konigsberg, uberfallen, ge-
schlagen und als Zielscheibe benulzl (TU).
(Zeugenbericht : <Die Wunden wurden . . . Salz und Pfeffer be
streut. Nach 6einer Belreiung wurde er in ein Krankenhaus in Berlin
uberflihrt, wo er starb.*)
Grotehenne, Braunschweig, Telegraphenmonleur, Mitglied des
Reichsbanners, im SA-Lokal erschlagen (Siehe Bericht).
Rechtsanwalt Dr. Max PlauU in Kasseler Nazikaserne (Biirger-
sale. Karlslrasse) wegen einer personlichen Feindschaft mit seinem
Nazi-Kollegen, dern jetzigen Unterstaatssekretar Freisler, auf
dessen Befehl zu Tode gepriigelt (Zeugenbericht).
Max Bilecki, Schoneberg, Hauptstrasse 18, in der SA-Kaserne
General-Papestr. gefoltert, im Urbankrankenhaus gestorben (Zeu-
genbericht).
338
29. M a r z
Walter Schiitz, Konigsberg, kommunistischer Reiclislagsab-
geordneter, tolgetreien. Keine deutscho Zcitung darf seinen Tod
bekannt geben. (Siehe Bericht.)
30. M a r z
Fritz Rolle, Arbeiter, Siemensstadt, erstochen auf gef unden
(\VTB).
fVoss 2. 30. Marz: < . . . durch mehrere Stiche in die rechte Brust
Ltotet . . . Der Tote wies auch Verletzungeu am KopF auf, die dur^b
einen Fall entstanden sein kunnten ... Da em Suchhund vergebLich
eingesetzt wurde, ist auzunehmeu, dass die Morder ein Auto benutzt
uaben.*)
Leibl Vollschldger, Berlin SO, Skalitzerstrasse, verschUppt,
ermordel, ins Wasser geworfen (Zeugenbencht).
(<Der auslandische Jude L. V. wurde beirn Betreten einea Restau-
anS von SA-Leuten verschleppt und war dann 3 Tage ™»»«>»f £
Am 4 Tage wurde sein Leichnam aus der Spree geborgen. Das Be-
grabnis fand am 30. Marz in Weisaenaee statu)
Unbekannter Jade, in Oberhessen, an den Fiissen aufge-
hangl und dabei gestorben (Manchester Guardian).
Wilhelm Potter, Backer, und Karl Gormann k«J™2J^S
Arbeiter, Woldenberg (Neumark), auf der *Fluchh erschossen
(Voss. Zlg.)-
Wilhelm Dengmann, Huttenarbeiter, Meidrich-Duisburg-
Hamborn, auf der Strasse erschossen (Voss. Mg.).
(Voss. Z. 1. April C . . tot aufgefunde. Die Le.c e = v£
Sehusse auf. Nach den Tatumstanden rnus D. «»« der
folgt und von hinten erschossen worden sein. UeDer
Tat fehlt jeder Anbaltspunkt.i)
Vngenannler 23jal,riger ^f^^^^*
auf der *Flacht> erschossen (Munchner Neueste m ^ ^^
CM.NN. 1, April: « . . . in Schutzha »•••££ Anruf nioht st,
naob Landsberg gebradit. Da er auf^ dreimali^n
hen blieb, gab die BegleitmanMchaft Feuer.JJ
Frit, Schumm, Rechtsanwalt, Kiel, in der Gefangnisselle
erschlagen (TU). (Siehe Bericht)
339
Pressburger, Viehhandler, Miinchen, erschossen, angeblich
Selbstmord vor der Verhaftung (Munchner Neueste Nachrichten).
(M.N.N. 1. 4.: cAm Sonntag frQh totete sich der judische ViehhSndler
P. durch einen Revolver6chuss in den Kopf. P. hatte verhaftet wer-
den sollen, da er wegen Verbreitung von Judengreuelnachrichten uu
?er schwerem Verdacht stand. >)
2. April
H. Wertheimer, Kehl, angeblich Schlaganjall vor der Ver-
haftung (WTB).
3. April
Paul Jaws, Schmied, Limbach bei Chemnitz, auf der tFlucht*
erschossen (TU).
Ungenannter Steindrucker, Augsburg, angeblich Schlaganjall
bei der Verhaftung (TU).
Georg Bell, Ingenieur aus Miinchen, engster Mitarbeiter des
Braunen Hauses und des SA-Stabschefs Rohm, fliichtete vor der
Nazifenie nach Oesterreich und wurde im Gasthof Durchholzen
bei Walchsee (Bezirk Kufstein) von SA*- Leu ten erschossen (Conti-
WTB). (Siehe Bericht.)
4. April
Heinz Bassler, Diisseldorf, auf der zFlucht* erschossen
(WTB). (Siehe Bericht.)
Wilhelm Drews, Arbeiter, Berlin, erschossen aufgefunden
(Voss. Ztg.)-
Dr. Philippstal, Berlin-Biesdorf, Arzt, tolgeschlagen (Berliner
Tageblatt).
(Zeugenbericht : :Ph. wurde nachts aiw der Wohnung geholf. in einer
SA-Kaseme misshandelt, ins Urbankrankenhaus gebracht. Ein paar
Stunden, bevor er starb, brachte man ihn in die Charity, w ei 1 sich
diese Fa lie im Urban-Krankenhaus z u sehr
h a u ? en.>)
5. April
Renois, kommunistischer Stadtrat. Bonn, auf der «Flucht» er-
schossen (TU).
(Zeugenbericht: * . gefoltert. . . bis zux Uiikenntliehkeit ReBCbla-
gen. . . als Zielecheibe benutzt. Am Morgen ersebienen Schupo-
Beamte . . . erklarten der Frau des Ermordeten: Wir kormten es
nicht verhindem, wir haben nichts damit zu tun.»)
340
Saner. Zubachwitz, Kalkulalor, Mitglied der SPD, Im Kon-
zentrationslager erschlagen (Neue "Welt).
(N. W. 12. April: Wurde im Konzentrationslager Hohensteiu zu Totle
gepriigelt und am 5. April beerdigt.)
Wilhelm Drews, kommunistischer Arbeiter, Hamburg, aut der
Strasse erschossen (TU).
(Volkischer Beobachter. 7. April : <Im pol. Streit, Mittwoch aachta
wurde in der Humboldstr. in Hamburg ein Arbeiter gelegentlieh einer
politiscben Unterhaltung von hinten angescho8sen.> _ Presaedienst
der SP-Schweiz: *. . . wurde auf dem nSchtlichen Heimweg von einera
Nazi gestellt. Gleichzeitig schlichen zwei SA-Leute von hinten an den
Arbeiter heran und versetzten ihm mehrere DolchsWese in deo
Riicken . . . mehrere Personen Zeugen dieses feigen Mordes . . .*)
6. April
Max Niedermayer, kommunistischer Stadtverordneter, Jo-
hann Georgenstadt (Sachsen), im Zwickauer Gefangnis erschlagen
(Zeugenbericht).
Kurt Friedrich, kommunistischer Arbeiter., Johann Georgen-
stadt (Sachsen), erschossen (Zeugenbericht).
(«Der Sturmfiihrer Koch mit seinem beriichtigten Limbacher <Mord-
6turra> hauste auch in Johann Georgen-Stadt. Viele flohen in den be-
nachbarten Wald. Er wurde umstellt, und K. F. erhielt einen K*opf-
echuss.>)
7. April
Herschmann Steinschneider (Erik Jan Hanussen), Berlin,
Fememord (TU). (Siehe Bericht.)
8. April
Ungenannter Arbeiter, Berlin-Neukolln, Ganghoferstr., von SA
erschlagen (Zeugenbericht).
9. April
Walter Kasch, Hamburg, von SA in der Laube iiberfallen und
erschossen.
10. April
Fritz Engler, unpolitischer Frisor, Chemnitz, im Zeisigwald
zu Tode gefoltert (Zeugenbericht).
11. April
Max Rupf, Angehoriger des Reichsbanners, Chemnitz, er-
schossen aufqefunden (TU). -.. ..
(Berliner B&rsen-Zeltung, It. April: <In Neukirchen be, Chemmtz
wurde ein Waffenlager entdeckt. Da Rupf Eenntnis davon hatle, nucn-
tete er Er wurde spfiter erschossen aufgefunden.*)
341
Dr. Arthur Weiner, Rechtsanwalt, Chemnitz, erschossen auf-
gefunden (Frankf. Ztg.).
Alwin Hanspach, kommunistischer Arbeiter aus Frieders-
dorf bei Zittau, in der Schutzhaft erschossen (TU).
(Voss. Z., 11. April: <. . . versuchte, in den Schiafraum der SS einzu-
dringeu ... als ihm ein SS-Mann eutgegentrat, wollte er ihm die
Waff e entre.issen. Der SS-Mann gab einen Sctareckscbues ab, un<j als
H. nicht von ihm liess, feuerte er einen soharfen Schuss, durch den H.
ttfdlich getroffen wurde. Die Frau dea Erschossenen befindet sieh
seit gestern wegen kommunistischer Urntriebe in Schutzhaft.> —
Frankf. Z., 12. 4. behauptet sogar, H. sei dem SS-Mann emit der Waffe
entgegengetreten!> Die 6ich widersprechenden Berichte offeobaren
die Plumpheit der Erfindung.)
12. A p r i 1
Rechtsanwalt Benario, Artur Kahn. Kaufmann aus Niirnberg,
Erwin Kahn, Kaufmann aus Niirnberg, Goldmann, Kaufmann aus
Nurnberg, im Konzentrationslager Dachau «auf der Fluchi er-
schossen* (WTB, Deutsche Allgem. Ztg. etc.).
(Zeugenbericht aus Munch en: cAlle vier wurden von vorn er-
schossen. Die Beerdigung durfte in keiner Zeitung bekannt gege-
ben werden, niemand wurde auf den Friedhof gelassen.s)
Fritz Kollosche, Charlottenburg, im Ronlgental-Prozess frei-
gesprochen, in der SA-Kaserne Rosinenstr. gefoltert, im Kranken-
haus gestorben (Zeugenbericht).
13. A p r i 1
Albert Janka, kommunistischer Reichstagsabgeordneter, «an-
geblich Selbslmord (WTB).
(Baseler National-Zeitung, 18. April, WTB: <Der 26jahrige fruhere
kommunistische Reichstagsabgeordnete Janka, der sich in Schutzhaft
befand, hat sich im Qefaugnis erhangt.> Die faschistische Presse mel-
dete AnFang Marz, Janka sei zur NSDAP iibergetreten, wobei jedoch
nur der Wunsch der Vater des Gedankens war. J. wurde wochen-
iang bearbeitet, seinen Uebertritt zu erklaren. Weil er etandliaft blieb
und die Luge nicht durchgehalten werden konnte, ist er im GefHngnts
ermordet worden.)
Gustav Schonherr, Arbeiter, Hamburg, Alter Steinweg 71, zu
Tode qefoltert. , , , . M
(Brief des Vateis an den Propagandaminister Goebbels, erschienen
am 19. 5. in der Saarbriieker Arbeiter-Zeitung.)
15. April
Spiro. Jude, 17 Jahre, Berlin, Schonholzerstr 17, ^^™™
Prinzenstr. 100 gefoltert, tn der SA-Kaserne Hedemannstrasse er
mordet (Zeugenbericht).
342
f» K
Bretschneider, Siegmar (Sachsen), erschossen aufgefunden
(WTI3).
(Der Tag, 16. April; <Der Autifafiihrer Bretschneider ist ira Walda
unweit von Siegmar erschossen aufgefunden wordcro)
17. April. Am Ostermontag wurde der jiidische Kaufinann
Schneider aus Munchen, Aventinstrasse, in der Munchener Poli-
zeidirektion getotet. Der PoJizeiarzt, der die Untersuchung im
Polizeigcbaude vornahm, stellle erne Durchschlagung des Gesass-
knochens lest.
18. April
Beigeordneter Beyer, Krefeld-Uerdingen, erschossen aufge-
funden (Voss. Ztg.).
Richard Tolleit, kommunistischer Arbeiter, Konigsberg, auf
der *Flucht* erschossen (Frankf- Ztg.)-
Ungenannter kommunistischer Arbeiter, Konigsberg, auf der
tFlucht* erschossen (TU).
(Frankf. Z., 20. April: <Bei Durchsuchung einer Wohnung im Wa fi-
ring, in der Kommunisten eine Versamrnlung abhielten. ergriff ein
Teilnehmor die Flucht. Da er der polizeilicheu Aufforderung. stehen
zu bleiben, nicht Folge leistete, wurde gescho6sen. Er wurde todlieh
getroffen und starb auf dem Transport ins Krankenhaus.*)
19. April
Ungenannter Bahngehilfe, Munchen, von hinten erslochen, an-
geblich Selbstmord (Miinchncr Neueste Nachr.).
Alfred Elker. ein Christ, wegen seines jiidischen Aussehens
von SA. erschlagen (Zeugenbericht).
D-ie <Leipziger Neuesten Nachrichten* registrieren dieses Ereignis
nur im Anzeigenteil auf folgende Art:
Statt jeder besonderen Anzeige.
Alfred Elker
geboren 26. 9. 86. geetorben 19. 4. 33
Durch ein Missverstiindnis wurde mir
mein Mann entrissen.
Um stilles Beileid bittet
Martha Lotte Elker*' geb. Weinert
nebst AngehSrigen.
20- A pril |
KaminskU Dortmund-Hoerde, Mitglied des Kampfbundes ge-
gen den Paschismus. im Gefdngnis totgeschlagen (Zeugenbericht),
(<In der Hoerder SA-Kaserne wurde er in grauenhaftester Weise ge-
343
folteri, sodass man straaaenweit sein 3chreien h6rea konnte . . . Eb
durfte keiae Todesanzeige in der Zeituag ver-
of fentlicht werden . . , BegrSbnis unter Aussctaluss der
Oeffeiitlichkeit , . . nur die niicbsteu Angehfirigen zugetassen . . . Ei
nige Tage spiiter erschiea eine illegale Zeitung, der Dortmunder
E£&mj»fet», in der von der Arbeiterschaft der Dortmunder Poli-
zeipriisident Seheppmann als der iviorder Kaminkie angeprangert
■wurde.>)
21. April
Fritz Dressel, Schreiner, Vorsitzender der kommunisllschen
Landtagsfraktion, angebliaii ^Selbstmord*, laut Zeugenbericht im
Konzenlrationslager Dachau ermordet. (Mfinchener N. Nachr.)..
22. April
Max Kassel, Milchhandler, Wiesbaden, in der Wohnung er-
schossen (Deutsche Attgem. Ztg.).
Salomon Rosenstrauch, Kaufmann, Wiesbaden, in der Woh-
nung ermordet (Deutsche Allgem. Ztg.).
Paul Papst, Arbeiter, angeblich Selbstmord in SA-Kaserne
(Germania).
(Germ. 29, April: <Nach Verhaftung im Haus der SA-Gruppe Berlin-
Brandenburg aus dem Fenstergesprungen. Schwerer Bruch
der Wirbelsaule. Verstarb.>)
23. April
Polizeiwachlmeister Kurt Benke, SA-Mann, Berlin, anschei-
nend Fememord (Angriff).
Paul Ilerde, Arbeiter, Liibben, erschossen (Voss. Ztg.).
(Deutsche Allg. Z., 25. 4. <... ein Bahnschutzmann verfolgte H... rief
ihn an und erkliirte ihn ah festgenommen. H ging mit, riss sich jedoch
nach kurzer Zeit los und fliichtete. Der Bahnschutzmann rief ihn
dretmal an, H. stand jedoch nicht. Auch auf eineri Schreckschuss ain
lief er weiter. Der Bahnschutzmann schoss nun auf den Fluchtenden
und traf ihn durch den Riicken ins Herz.»)
Franz Schneider, antifaschistischer Arbeiter, Goch (Rhein-
land), angeblich Selbstmord in Gefangenschaft (Voss. Ztg.).
(Voss. Z., 24. April: <S., der in Schutzhaft zur Vernehmung vorge-
fiihrt werden sollte, sprang von der 2. Etage in den 8 m ttefen Licht-
schacht. Er erlitt so schwere Verletzungen, dass er kurz darauf starb.>)
Konietzny, kommunistischer Arbeiter, Oelsnitz (Erzgebirge),
angeblich Selbstmord in Gefangenschaft (Voss. Ztg.).
(Voss Z.. 25. April: *...hat sich in seiner Zelle erbangt...*)
24. April
Ungenannter Laubenkolonist, Horner Moor, geteert und ver-
brannt wie die Christen unter Nero, angeblich Selbstmord (V61-
kischer Beobachter, 25. April). (Siehe Bericht).
344
Verhaftete Arbeiter, Frauen uml Kinder
wrten stundenlang mit erhobenen Handen auf ihren Abtransport vor
eiaer Breslauer SA-Kaserne.
Strafexpeditiou der HS gogen <l;is Arbeitervi&rte] DfisseMorf-Bilh
ttuaderte Arbeiter wurden verh&ftel mid tore ht bar misshaudelt. Dor juniro
Arbeiter aul dem Bilde rechte wurde derart getretem, daae er nichi mebr
tahig war, die Araie Ml beben.
/
}
Von \jizis zerstOrte ArlM'iterwoIuiuiigen in Chemnitz uml Frankfort am Main
Cordes und Sohn, Handler, Wittruund bei Bremen, bei einem
Pogrom erschosscn (WTB).
(Bremer Zeitung, 24. April: <In der Nacht zum Montag wurde der
jiidische Handler C. ; aus seinera Hause geloekt und diirch drei
Schttsse gettftet. Seine Frau wurde zu Boden geschlagen. Der 24]&hrige
Sohn wurde im Belt durch einen Schlafensehiiss getdtet.s)
25. April
Mendel Haber, Kaufmann, Dortmund, erschossen, ins Wasser
geworfen (Dortmunder Generalanzeiger).
(Rote Erde, Organ der NSDAP, 28, April; <Der Jude Ii. wurde von
SA feetgenommen und in die SA-Kaserne eingeliefert...* Am 6. Mai
stand in samtlichen Dortmunder Tageszeitungen die Nacbricht von
einer Leiche, die im Kanal bei Castrop-Rauxel angeschwemmt wur-
de. Frau H. erkannte in dein Toten ihren vermissten Mann. Er hatte
mehxere Kopfsehibsse, Messerstiche, etc. Obwohl die <Rote Erde> die
Verhaftung Habere am 25. April eingestanden hatte, erachien am 19.
Mai im Dortmunder General Anzeiger ein Artikel mit der Ueber-
schrift: ^Tausend Mark Belohnung — Raubmord an Dortmunder
Handler — Wer hat den Toten am 25. April gesehen?*)
Zwei ungenannte Arbeiter, Heil (Lippe), Leichenfund (Y6I-
kischer Beobachter).
(V B., 25. April: <In Heil wurden aus dem Lippe-Seitenkanal zwei
mit Stricken zusammengebundene mannliche Leichen geborgen. Beide
wiesen erhebliche Kopfverletzungen auf. Es handelt sich urn zwei
Personen aus dem Arbeiterstand.*)
Granitza, Arbeiter, Konigsberg, auf der tFlucht* erschossen
(Nachtausgabe).
(Stuttg. Neueg Tagbl., 2ti. 4. <G. wurde in der Nacht zum Dienstag aus
KOnigsberg nach Deutsch-Eylau zu einer Gegeniiberstellung gebracht.
Kurz\'or Elbing sprang G. aus dem fahrenden Zug. Er wurde be-
schoesen und durch einen Lungenschues getdtet).
26. April
Willy Plonske, Arbeiter, Berlin, Manteuffelstr. 97, Leichen-
fund CAngriff).
(Angriff, 27. April: < ... an der Kanalbriicke. Wuppertaleretrass*
in Teltow eine treibende Leiche . . . Dex ratselhafte Tod dieses Uu-
bekannten konnte nodi nicht geklart werden.* — Voss. Z., is. Mai.
<Die Leiche eines Mamies, der aus dem Teltowkanal geborgen werden
konnte. konnte jetzt identifiziert werden.>)
27. A p r i 1
Erwin Volhmar, Berlin-Neukolln, Boxer. Angeblich «unpo-
litischer Totso.hlag». Auf der Strasse erschossen (Angnlt).
345
28- April
Ungenannter Mann, Wollenberg, Kreis Oberbarnim, erschos-
sen und verbrannt (Frankf. ZtgJ
(B-ericht der Mordkommission Prenzlau: <Die Leiche war mit Ben-
zin Ubergoesen und angezUudet worden. Mehrere Blutlachen deuten
darauf bin, dass der Fundort auch der Tatort ist und dase daa Opfer
lebio, als man es anziindete.>)
Funk, kommunistischer Reichstagsabgeordneter, Dortmund,
im Gefangnis ermordet, angeblich Selbstmord (Angrit'f). (Siehe
Bericht).
Fritz Gnmbert, kommunistischer Arbeiter, Heidenau, nach
wochenlanger Poller totgeschlagen, am 28. April beerdigt. (Siehe
Bericht).
29. April
Unbekannter Mann, bei Werneuchen in der Mark ermordet
aufgefunden (WTB).
30. April
Hackstein, kommunistischer Arbeiter, Grevenbroich, auf der
*Flucht» erschossen (Koln. Ztg.).
(Koln. Z., 2. Mai: <H-, der seit Fastnacht fliichtig ist und wegen Hocfa-
verrats gesucht wurde, wurde am Sonntag von der Polizei und Hilfa-
polize-i aufgespiirt und auf der Flucht erschossen.i)
Andres v. Flotou, deutschnationaler Landwirt, Mitglied des
Reichswehniiinisteriums, von SA verhaftet und in Ncubuckow
bei Schwerin (Mecklenburg) auf der «Flucht» erschossen (Conti).
Ende April
Ungenannter Arbeiter, Ebersdorf (Sachsen) und Heinz Gold-
berg, roter Sportier, Niederkunnersdorf bei Lobau, im Keller des
«Hermann-G6ring-Hauses» in Lobau erschossen (Zeugenbericht).
Ende April wurde in Dachau der fruhere Sekretar der «Roten
Hilfe» Karl Holy getotet. Vierzehn Tage nach seinem Tode er-
schien in der «Mixnchener Zeitung» ein von ihm unterzeichneter
Brief iiber die gute Behandlung in Dachau.
2. Mai
Rodenstock f sozialdemokratischer Sekretar der Kommunal-
arbeiter und zwei unbekannte Gewerkschaftsbeamte im SA-Heun
Duisburg, Wittekindstrasse gefoltert und erschlagen (Zeugen-
bericht).
Danziger, jiidischcr Kaufmann aus Duisburg-Hamborn, nachts
von SA-Leuten uberfallen und derart misshandelt, dass er kurz
darauf starb (Zeugenbericht).
346
3. Mai
Dr. Ernst Oberfohren, Vorsitzender der Deutschnationalen
Reichstagsfraktion, in seiner Kieier Wohnung tot aufgefunden.
Die deutsche Presse meldet seinen «Selbstmord». In Wirklieh-
keit handelt es sich urn einen Femeniord der SA. weil Oberfohren
eiiie Denkschrift uber die wahren Reichstagsbrandstifler versandt
hatte (Zeugenbericht).
4. Mai
Ungenannter Stahlhelmer, Berlin, im SA-Lokal iSturmvogel* .
Malmoer-Ecke Uckermiinderstrasse, erschossen (Arbeiter-Zeitung
Saarbrucken).
5. M a i
Simon Katz, Handwerker, polnischer Staalsbiirger, zu Tode
geprigell (Zeugenbericht).
(Berlin, 5. Mai: < ... die Leiche aus der Spree herausgefischt. Die
Leiche wies viele Verletzungen auf. Nationalsozialisten hatten K,
nachdem sie ihn zu Tode geprugelt, in die Spree geworfeu.>)
Ungenannter Mann, Potsdara-Geltow, eingeschniirt ins Was-
ser geiuorfen (Voss. Ztg.).
(Voss. Z., 5. Mai; <Im sog. Grashora bei Geltow . . . mannliche Lei-
che geborgen, deren Uuterkorpex in eine graue Miiitardecke gehullt
und mit Bindfaden verschaiirt war. Beine und Knie waren zusam-
mengebundeo. Ueber den OberkSrper war ein rotgestreifter Bettiiber-
zug gezogen . . , muss etwa seit Mitte April im Wasser gelegen ha-
ben . . .»)
Spangenberg, kommunistischer Arbeiter, Bredereiche (Kreis
Templin), angeblich Selbstmord im Gefangnis (Voss. Ztg.).
(Voss. Z., 6. Mai: <rn seiner GefSngniszelle im Amtsgericbt Prenzlau
.... Selbstmord durch Erhangen.>)
Ungenannter Farberei- Arbeiter. Sagan, angeblich Selbstmord,
im Gefangnis ermordel (WTB).
6.Mai
Ungenanntes Mddchen, Grossen, Leichenfund CAngriff).
(Angriff, 8. Mai: c . . . die Leiche eines noch unbekannten Mfid-
chens. Sie tag in der Nfifae der Chaussee in einer Kiefernschonung.
Spuren deuten daraufhin, dasa die Unbekannte mit einera Auto
dorthin gebracht.... Anscheinend ist das Mfidchen er-
d r o e 8 e 1 1 worden.>)
8. Mai
Dr. Eckstein, Fiihrer der Sozialistischen Arbeiterpartei, Bres-
lau, zu Tode gefoltert (WTB). (Siehe Bericht).
347
9. M a i
Dr. Meyer, judischer Zahnarzt, aus Wuppertal von SA-Leuten
festgenommen und in das Dusseldorfer SA-Heim verschleppi Dor
wurde er lebensgefahrlich imsshandelt und verstummelt, dann im
Auto nach der Mohne-Talsperre gefahren und ertrankl fZelT
Dusseldorfer Freunden wurde anonym mitgeteilt, dass fur den Fall,
dass diese Begebenheit veroffeatlicht wurde, zehn weitere Juden
<dran glauben miissten.*)
Galinowski, Arbeiter, Allenstein, auf der «Fluchh erschossen
(WTB).
10. Mai
Ungenannter Jungarbeiter, (Roter Sportier), Berlin-Wedding,
in der SA-Kaserne-Hedemannstrasse ermordel, mit durchschnit-
tener Kehle aus dcm Spreekanal gezogen (Zeugenbericht).
11. Mai
■■
Biedermann, sozialdemokratischer Reich stagsabgeordneter,
Hamburg, angeblich Selbstmord (Frankf. Ztg.).
(Havas. Essen, 11. Mai: <. . . . in der Nahe des Bahnbofs Reckling-
hausen auf den Eisenbahngeleisen aufgefunden ....»)
Gliickow, kommunistischer Arbeiter, Berlin 0, Palisadenstr. 9,
gefoltert, im Hedwigskrankenhaus gestorben (Zeugenbericht).
(Auf dem Totenschein ist angegel>en: <Innere Verblutung infolge
von Gewa3ttaigkeiten.>)
12. Mai
Sepp Goetz, kommunistischer Landlagsabgeordneter, im Iion-
zentrationslager Dachau ermordet nach wochenlangen Misshand-
lungen. (Bericht eines aus Dachau entflohenen Augenzeugen.)
13. M a i
Ungenannter SA-Hilfspolizist, Kiel, erschossen aufgefunden
(Frankf. Ztg.).
(Frankf. Z., 14. Mai: <In einem Geholz am Kaiser Wilhelm-Kanal in
Kiel . . . steht noch nicht fest, ob Mord oder Selbstmord . >
Fememord. Nacb Zeugenbericht hat der Erschossene in einem Nazi-
Lokal die Frage gestellt, wann die Relchsregierung daran denke, mit
ihren grossen Versprechungen ernst zu machen.)
Henseler, kommunistischer Arbeiter, Diisseldorf, erschossen
(Germania).
348
15. M a i
Dr. Alfred Strauss, Munchen, Rechtsanwait, 30 Jahre natio-
naldeutscher Jude, auf Befehl seines Kollegen Frank 11, des bav-
rischen Justizministers verhaftet, schwer misshandelt, erschlagen
(Zeugenbericht).
~Ungenannter Stahlhelmer, Berlin. Rei einem Platzkonzert des
Stahlhelms von SA uberfallen und erslochen (Zeugenbericht).
Paleiti, Berlin- Schaneberg, zu Tode gefollert (Zeugenbericht).
(<Auf die Brust und den RiLcken wurde ihm das Hakenkreuz einge-
brannt, dann wurde er derart gepriigelt, dass ihm die Nieren abge-
trennt wurden. Kurz darauf erlag er seinen Verletzungen.>)
17. M a i
Hermann Riedel Gladbeck angeblich Selbslmord (Der Tag).
(Der Tag, 17. Mai: <In G. erbangte eich der ehemalige Spartakisten
fiihrer R., der wahrend der roten Wirren der ersten Nachkriegszeit
im Emscher-Lippe-Land eine Rolle spielte.>)
Johannes und Wtlhelm Bardt, Duisburg, erschlagen (D. Tag).
(Der Tag, 17. Mai: <. . . von Unbekannten uberfallen
und lebensgefahrlich verletzt . . . ringen mit dem Tode.> — Inzwi-
schen verstorben.?)
18. M a i
Ungenannter Mann, Berlin, angeblich Selbslmord (Voss. Ztg.).
(Voss. Z.. 18. Mai: *Polizeibeamte bargen am MaybachuFer die Leicbe
eines Mannes aus dem Wasser, der offenbar vor liingerer Zeit Selbet-
mord veriibt hatte. Die Personalien konnten noch nicht ermittelt
werden.*)
Honkstein, Grevenbroich, auf der «Flucht» erschossen (WTB).
19. M a i
Leonhard Hausmann, koramunistischer Funktionar, im Kon-
zenlrationslager Dachau auf der *Fluchh erschossen (WTB).
20. M a i
Arthur MMler, Reichsbannerarbeiter, wurde von Nazis im
Auto entffihrt und in der Nazi-Kaseme Berlin-Schoneberg, Ge-
neral Papestrasse gemartert und erschlagen (Zeugenbericht).
(«Die Leiche vollig entstellt Der Schadel eingeschlagen, da? rech.c
Auge ausgelaufen. Das ganze Gesicht war zerfetzt, der Korper iiber
und ttber mit Striemen und Blutgerinnsel bedeckt. Ein Arm an zwei
Slellen gebrocben.*)
25. Mai
Schloss, Kaufmans aus Nfirnberg. erschossen (Zeugenbericht).
349
26. M a i
Gromann, Kunstmaler in Duisbura, wird von S<* T ,»,«
Kalkumer Waldchen erschossen, Die M6rd« hefS an'den I " T
JSLhS Den Zelteh <iZUm And6nken an ScWaget^Tz^t
27. M a i
Franz Lehrburger aus Nurnbcrg, 29 Jahre alt, im Dachauer
Konzentrat.onslager auf der <Flucht> erschossen (FrKS
iSirrS 1 ' 1 ^- ^^ , EUerD erhiellen einen vergiegelten Sarg unci
durften ifan be. Androhung schiirfster Strafen nicht Mtaea*)
29. M a i
Wilhelm Aron, Referendar aus Bamberg, 24 Jahre alt Reichs-
banner, in Dachau auf der *Flucht* erschossen (Bamberger Zei
lung).
E n d e Mai
Zwei kommunistische Arbeiter, im Konzentrationslager Sieg-
burg erschossen (Zeugenbericbt).
8, Juni
Oppositioneller SA-Mann, Dusseldorf, beim Flugblattver-
teilen erschossen (Dortmimder General Anzeiger).
(Eine Bekanntmachung doe Dusseldorfer Polizeiprasidenten vom
10. Juni sagt daruber: clu den letzten Tagen wurden wiederholt
Flugblatter verteiit mit der Aufsehrift < Alarm, Kampfblatt der Gruppe
revolutionarer SA-Leute der Standarte 3-9>. Einer dieser Flugblattver-
1 teller, dessen Personalien bieher noch nicht festgestellt werden konn-
ten, wurde in verfloesener Nacht auf der Rheinbriicke erschossen
aufgefunden.>) —
10. Juni
Karl Lottes, kommunistischer Arbeiter, auf der cFIuchf* er-
schossen (WTB).
Fritz Kokorenz, ein oppositioneller SA-Mann in seiner Woh-
nung Berlin, Kopenickstr. 114, erschossen aufgefunden (Zeugen-
bericht).
(*Ee handeit sich urn einen Fememord, Kokorenz hatte in letzter Zeit
wiederholt Auseinandereetzungen mit seinen Vorgesetzten. Am
Abend vor seinem Tode hatte er in einer SA-Veranstaltungeine oppo-
sitionelle Rede gehalten. Seine Wohnung befindet sich im gleichen
Hause wie das Nazi-Biiro. Angeaichts seiner Leicbe ausserten 2 SA-
Leute: Man muss voreichtig sein; sonst geht es uns auch noch eo>)
350
Walter Ernst, auf dem Friedhof in Hennigsdorf bei Berlin
halb eingegraben aufgefunden (WTB).
(Zeugenberidit: (Waiter Ernst vurde in der SA-Kaserne Meisnerhof
bei Velten tolgeschlagen. Die Friedhofswarter fanden in Henningg-
dorf die Leiche halb eiiigeacharrt auf,»)
12. J u n i
JJngenannter Arbeiter, Essen, auf der tFlucht* erschossen
(TU).
20. J u n i
Waller Kersing, Arbeiter, Mitglied des deutschnationalen
Kampfringes, in Frankfurt a. d. Oder, bei <Auseinandersetzungen>
von Nazis erschossen (WTB).
21. Juni
Paul Urban, Arbeiter, Brandenburg, angeblich «Selbstrnord*
im Gefangnis (Nachtausgabe).
Drei Unbekannte im Filzteich in Neustadtel bei Zwickau ah
Leichen gefunden. (12-Uhr-Mittagsblatt).
(12 Uhr Blatt, 23. Juni: < ... an den Fiissen mit Stricken zusammen*
gebunden . . . durch Steine beschwert . . . mit Drabt aneinaudeTjj^
fesselt . . . Manner im Alter zwisehen 25 und 30 Jahrea . . . Ta&ehen-
tiicber mit G. E. und M. H. gezeichnet . . . gelaag «b blsher nicht, dU
Personalien feetzustellen.*)
22. J u n i
Altenburg, kommunistischer Arbeiter, Arnswalde (Neumark),
auf der «Fluchh erschossen (Deutsche Allgena. Ztg.).
Familie Schmaus, Berlin- Kopenick: Vater, Mutter und Sohn
von SA ermordet (siehe Bericht).
RakovskU Arbeiter, Edpenick, von SA erscbossen (s. Bericht).
Johannes Stalling, ehemaliger mecklenburgischer Minister -
prasident, in Kopenick verschleppt und ermordet (siehe Bericht").
Paul von Essen, Reichsbannerfuhrer, Kopenick, zu Todc
misshandelt (siehe Bericht).
24. J u n i
Arthur May, kommunistischer Funktionar in Aachen, auf der
«Flucht* beim Transport nach der Festung Jiilich erschossen
(Polizeipresscslclle Aachen).
26. Juni
Unbekannter kommunistischer Arbeiter, Braunschweig, im
Gefangnis ermordet, angeblich «Selbstmord» (WTB").
351
29. Juni
Dr. Rosenf elder. Rechtsanwalt aus Nftmberg, <rrnordel i m
Konzenlrationslager Dachau (Zeugenberichi ).
E n d e J u n i
Glasper, Bezirksleiter der «RoLen Hilfe», Elberfeld,
Gottschalk, Stadtverordneter (Bruder des ermordeicn Franz G )
Erwin Dahler, Jungarbeiter, Elberfeld, Wirkstrasse, mit auf-
gescblilztem Leib auf der Mullkippe, Elberfeld lot aufgefunden.
Gorsmeier, Jungarbeiter, Elberfeld, im Auto nach der Fest-
nahme durch SA erschossen; am andern Morgen in einem Was-
sertumpel in der Beck tot aufgefunden.
Ungenannter Arbeiter, Elberfeld, lot aufgefunden in der Bre-
merstrasse (2 Bauchschusse, 1 Bruslschuss).
Ungenannter Arbeiter, Elberfeld, Osterbrunn, tot aufgefunden
(2 Bauchschiisse, 2 Riickenschiisse).
(Samlliche Angaben iiber die Elberfelder BluUaleberuhen auf
gepriiften Zeugenberichten. Sechs weitere Meldungen konnten
bisher nicht kontrolliert werden. Die Mordaktionen wurden fast
ausnahmslos geleitet von dem SA-Fiihrer August Puppe, Elber-
feld. Reilbahnstrasse.)
Ilunglinger,. Polizeimajor, Muncherv
Sebastian Nefzger, Miinchen,
Michael Sigman, Sozialdemokrat, Pasing, im Konzentralions-
lager Dachau. ermordct (ZeugerihericJate).
1. Jul i
Max Margoliner, Breslau, 2-ijahriger Kaufmann, im April im
Braunen Haus, KarlsUasse gefoltert. nach 2 Monaten .im judischen
Krankenhaus Breslau-Siid gestorben rZeugenbenchl).
(Saarbruclcener Volksstimme: < .... die entmeiiscbten Burschen
drehten dem Bewusstlosen eine Spiralfeder m deu Mastdarm
im Krankenhaus lag er 8 Wochen im Wasser, well er weder s.tzen
noch liegen konnte.»)
10. J u 1 i . _ _ .
Joseph Nies, Redakteur, Bezirksleiter des proletanschen Frei-
denkerverbandes, Erfurt, , . & Ipn „ lln( i em
Alfred Noll, kommunistischer Funkt onar, Jena and cm
richt ).
352
12. 3v I i
ge „, Offer der Kopenicker ^ ^
Zuchthausgefangener seit Oktober 1931 oaf w^"' di P ^V Scher
SC/iowen (Conti-WTB). '' a "' der •Finch*, er-
Schalz. kommunistischer Landtagsabgeordneto,. m i- •
foIge Misshandlungen in, Gefangnishos^Tst^ T^ T
(Searbrttckener Volksstimme, 18. Juli • < sSnu ' ( ! em ' )sl
eines sozialdemokratischen Redaktenr* h^ ■ ? ," "' er an Ste!le
B au von Panzerkreuz^ sprX^X, 'beintder 1 ^ "" ^
die Regierungstaldik i,n B e r M „ e r R uTdfu^ "S ^
^(An^' k0mmiiniSliSCl - ****. K6nigsber g ; •;.
(Angriff. 12. Juli: cEine grosse Volksmenge zog vor da s GerichU-
geiangnie, holte den kommunistischen Mtader heraus und Ivnchie
ihn.»)
Joseph Mcssingcr, kommunistischer Arbeiter, Bonn im Ge
fancjnts inncjebrachl. angeblic.h -Selbstmord» (Havas).
14. Juli
Franz Braun, Redakteur dor .VolkswachU, Stettin, am Tage
nach der Vcrhai'tung In tier Zelle umyebracht (Conli WTB).
Ungenannlcr kommunistischer Arbeiter, Stettin, niederoe-
schossen (Conli WTB).
Drei ungenannte Kommunisten, Kreis S.hwerin (Warthe), bei
der Ueberfiihrung in das Konzentrationslager Sonnonburg aa[
der tFluchh erschossen (Vossische Ztg.).
Ungenannter kommunistischer Funktiondr, Hochum, geiegent-
lich oiner Vernekmung nuj der Fluchh erschossen (Voss. Ztg.).
15. Juli
Spcer, Schneider. Berlin, in der Nahe der Vcrsucbsanstalt fur
Handfeuerwaffen mil durchschnittener Kehlc aufgefunden (Zeu-
genbericht).
Klara Wagner, Sekretarin, Berlin- Treptow, erschossen (Zeu-
genberieht).
17. Juli
I Dr - Wii Schafer, Frankfurt, frtther Nalionalso-ialist, be-
anni geworden durch die Veioffentlichung der «Boxheimer Do-
umente» (Terror-Anweisungen der Nazis von 1931) erschossen
lu gefunden im Frankfurter Stadlwald. Fememord (Frankf. Ztg.).
"" 7 18, .Itili: «... von den Tatern Wilt bisher nocb jede
Spar . . .>)
12 35;'
20- J u 1 i
Ungenannter Arbeiter, Berlin, bei Hirschgarten am Miiggelsee-
damm tot aufgefunden (Zeugenbericht).
5Qjdhriger Mann, Berlin, in der Nahe der Museumsbiucke am
Kupfergraben tot aufgefunden (Zeugenbericht).
Hugo Feddersen, kommtinistischer Arbeiter, Hamburg, j m
Gefangnis umgebracht, angeblich «Selbstmoi'd» (WTB).
Oppositioneller SA-Mann, Obermenzig bei Munchen, in der
Nahe des Umspannwerkes Karlsfeld erschossen aufgefunden, /•>-
memord (Conti-WTB).
24. J u 1 i
Erich und Gustav Rudolf, Duhringshof (Ostbahn), in Lands -
berg an der Wartiie auf der tFlucht* erschossen (Frankf. Ztg.).
Drei oppositionelle SA-Leute, im Grunewald bei Berlin er-
schossen aufgefunden, Fememord (Zeugenbericht).
Jaskowiak, oppositioneller Nationalsozialist, Leverkusen, von
einem SS-Mann angeblich in «Not\vehr» erschossen (Dortmunder
General Anzeiger).
29. J u 1 i
Solecki, kommunistischer Arbeiter, Iserlohn, von Hilfspolizei
«in Notwehr» niedergeschossen (WTB).
Heinrich Foerding, kommunistischer Arbeiter, Coesfeld, im
Polizeiprasidium Recklinghausen aus dem Fenster gesturzt, an-
geblich Selbstmord, ein neuer Fall Funk! (WTB).
Am ersten August wurden die Arbeiter Lutgens, Tesch, Wolff
und Moller in Altona hingerichtet.
Ein Bericht aus Braunschweig meldet, dassdortin den letzien
YVochen zehn Gefangene ermordet wurden, darunter der Reichs-
bannerrnann Otto Rose («Selbstmord»), der 19jahrige Benno Elder*
(zu Tode gepriigelt), ' der Sekretar des Eisenbahnerbundes
Hermann Basse, die Kommunisten Karl Wolf und Erich Schelp-
rnann (aus dem 3- Stock des «Volksfreundhauses» geworfen). Ein
anderer Bericht sagt, dass in der Nacht vom 4. zum 5. Juli im
friiheren ADGB-Heim Rieseberg (Braunschweig) zehn Arbeiter
erschossen wurden. Diese Nachrichten, wie auch die Meldungen
u. a. iiber die Ermordung des sozialdemokratischen Reichstags-
abgeordneten Faust im Konzentrationslager Bremen, die Er
schiessung von funfzehn oppositionellen SA-Leuten im Konzen-
trationslager Wilsede, konnten vor Abschluss der Drucklegung
nicht mehr iiberpruft werden. Band II des «Braunbuches» w ird
die hier noch nicht veroffentlichten Mordtaten des Hitler-i ascnis
mus belegen.
354
Die Welt lasst sich nicht beliigen
Der AViderhall, den die deutschen Ereignisse im Auslaiide ge-
funden haben, beweisl, dass die verzweifeltsten Manover der Hit
lerregierung den Durchbruch der Wahrheit nicht verhindern
konnten. Die auslandische Presse hat in ihrer iiberwaltieenden
Mehrhert die NaUonalsozialisten des Reichslagsbrandes beschul
digt. Die auslandische Presse hat, unbekiiinmert um die Dementis
der Hitlerregierung, den blutigen Terror und die Judenverfol*un-
gen registriert. Nicht nur die auslandische Presse, die besten
Schriftsteller der biirgerlichen Welt, Wissenschaftler. Aerzte.
Rechtsanwalic haben ihre Stimme erhoben, um gegen den Hitler-
Terror zu protestieren. Sie haben sich in den meisten Landern
zu Komi tees vereinigt, die den Opfern des Hitler-Faschisinus Hill'e
bringen.
Aus dem Riesenchor derer, die Anklage gegen den Hitler-
Terror erhoben, konnen wir im ersten Band des Braunbuches nur
einige wenige Stimmen zu Worte kommen lassen.
Protest
Sherwood Anderson antwortete auf unser Ersuehen um einen
Beitrag fiir das Braunbuch mit folgendem Schreiben :
Was Hitler-Deutschland betrifft:: dies ist eine jener schreck-
liehen menschlichen Absurditaten, die einem das Leben
manehmal so hoffnungslos erscheinen lassen. Was mich er-
schreckt hat, ist die Moglichkeit, dass hier sehr leicht eine
Basis fur neuen Hass gegen das deutsche Volk entstehen
kann. Wir haben das schon einmal durchgemacht. Und daan
kann ich, als Amerikaner, ja auch nicht gerade stolz sein auf
unsere eigene Geschichte. Wir Amerikaner diirfen nicht verges-
sen, was der Ku Klux Klan noch vor wenigen Jahren war, wir
diirfen die Neger-Lynchungen nicht vergessen, die hier im Siiden
noch nicht aufgehort haben.
Doeh alles dies hindert mich nicht in dem Wunsch, mit den
anderen Schriftstellern Europas und Amerikas zu protestieren.
Ihr aufrich tiger Sherwood Anderson
Der deutsche Fsisoliismus
Wer uberzeugt isl, dass die Zukunil Westeuropas in Deutsch-
land entschioden wird, muss die heutige deutsche Entwicklung
schmerzlich erapfinden. Aber ganz iiberraschend kann sie 'hm
nicht sein. War doch vor dem Kriege schon alles latent vorhan
355
den ,as si* ~*Z§S3tti3^^
folgung dor J udei ^ de ^r d i e Anspruche auf em menschliches
brelteifvolk^cb.cM^ und ih« A J diese m enschhchen
Dascin, die Grau.aruke t in a ^ fen _ es war alles
Anspruche zu verfolgen una ^ andei - sw o, zur Genuge Das
schon da! BeakUon gab es au Schutzgebiel dei
pr eussisahe Junker and w abu a ^ ^ Rel he ve
Vellreaktion; hier a f _ f ^f\^°° n d ie Junker - und sitzen sie
nichte icn /^fff'J i!hc EisdU Reiches. Von hier ilog
neck - das Ma rk desj ilh » Kindheit durch den
sie aus, die Brut. Scho J vbW^ 'Viandelten Landarbeiter
taglichen Anblick der UDB *™***^ studentenzeit, den KorpS-
daheim, noch mehr verroht rch eS ^ Bey61 _
geist, die 'ln^f o a p f B "j*^ JS^SSmren und stellten der
n^iSTvS'SS S - t^edes Volk, wenn man
dSeSi^^
baren, unheimlichen Kraften, die es auf einen *S*£™™«£
und an deren Brutalitat alles Geistige und Me^cWiche J*
Deutschland wirkte wie ein scheinbar /orgfalUg kultrvierter
Boden, wo aber die Wildnis jederzeit wieder einbrechen konnte.
alles uberwuchernd, alles -vernichtend. .♦»««„*. ; n
Manchmal zeigte sich diese Gefahr brutal und ubers eigert. n
der Zabern- und der Moabit-Affare; manchmal drastisch unci
slumpfsinnig: in der Kopenick-Affare.
Die breiten Schichten besassen im grossen und ganzen nu.ru
die Fahigkeit, sich von dem Herrengeist und dem daraus ent-
springenden Sklavengeist zu befreien. Selbst m der deutscben
Arbeiterbewegung - der «grossten auf der Welt» und langc
Zeit der massgebenden — war mehr Korpsgeist als menscniicne
Selbstbehauptung. Es waT der Sozialdemokratie mcht geiun D en.
den Proletarier zum Selbstbewusstsein zu wecken; in den gewerit-
schaftlichen und parteilichen Kadern rait ihren ziyilen Unteroni-
zieren und Feldwebeln. mit ihren imperialistisch emgestciiten An-
fuhrern kehrte die Struktur des WUbelminiscben Regimes unyer
kennbar wieder. Die deutsche Sozialdemokratie war vol J»m»-
listischen Unkrauts: Imperialismus, Antisemitismus, Individualis-
mus und Biirokralismus: in der Masse wirkte es sich aus als Mel
356
TfrMim und wenig selbstandige Denkfahigkeit, als Schlaffheit.
tnni Teil Fcigheit, auf alle Falle Mangel an Elan.
Viel Unlvraul hat das Weltproletariat - mil Deutschland
Is Vorbild — als proletaiisclie Kulturpilanzen gutheissen
mUSS Jeder Kulturkampf bedeutet rnenschliche Befreiung auf
ireend einem Gebiel; es gibt heule nur einen Kulturkampf: die
Refreiun" des Proletariats aus der wirtschaithchen, nationalen,
knlonialen, rassenmassigen Tyrannei. Jede Unterdriickung hat
r»v Voraussetzung die Verachtung der Seele, der Kultur, der
Menschlichkeit; unler jeder Verkleidung des Unterdriickers steekt
d ' C Der Vaschismus ist der Kapitalisrnus, im Moment, da er
sirh als Bestie enthiillt. Unser heutiger Karapf ist wie jeder
Kulturkampf der Kampf fur den Menschen g e g e n die Bestie.
Wer noch daruber im Zweifel ist, schaue sich das heutige
Deutschland an. _
Zu diesem Kampf taugt keine Arbeiterbewegung, die mit Pa-
zifismus und Humanismus spielt und btirgerliche Tugenden
und Untugenden nachafft. Wer Disteln roden will, muss test
zupacken und noch dazu harte Haut in den Handen haben.
Wir haben nicht tief genug gepflugt. Unter der bebauten
Schicht sassen noch alle Wurzeln des Alten. Am meisten gilt dies
wohl for Deutschland. Wir mussen von vorn anfangen und den
Boden neu aufwerfen. Machen wir es wie in Sowjetrussland.
fangen wir neu an mit Bataillonen von Traktoren.
Martin Andersen Nexo
Die grbsste Tragikomidie miserer Zeit
Dieses Buch ist ein Denkmal von Tatsachen und Dokumen-
ten. Wenn es gleichzeitig eine erschreckende Anklageschrift ist.
so de^halb, weil die Tatsachen selbst die Anklage herausschreien.
Wo stehen wir heute?
Unser stolzes 20. Jahrhundert hat von den vergangenen
Epoehen eine Produktionskraft, due Zivilisation, eine Kultur ge-
erbt, die alien Lebewesen ihr Auskommen sichern konnten. Wenn
es einen Augenblick in der Geschichte der Menschheit gibt. da
das alte Miirchen vom goldenen Zeitalter Wirklichkeit werden
konnte, so heute, da der Menschengeist, nach tausendjahrigem
Kampfe, so viele Waffen zur Bewiiltigung der Naturkriifte, so viel
vollkommene Mittel der Verbindung und Verstandigung erobert
hat. Und was im Gegenteil sehen wir! Dass diese vielgeruhmte
Zivilisation alle Anstvcngungen macht, die Menschheit ihrem Un-
tergang zuzutreiben. Goldenes Zeitalter? Nein: Zeitalter des
357
Goldes, des Eisens, des Blutcs. Wahrend ri. r w i . •
«* - genau so wie wahrend des KriSes £ w *"***** hat
hchen Eiends und Leidens gewaltig, ,T e ~ £,£*'
mensch-
ver-
Grausamkeit : in den Kolonien fm fa '^ Unlerdriickun 8.
und Siidamerika, in R^toT^iJS^^SL,?**^, ? Notd "
Jcan. Und jetet erfolgt die Rucld5,r ? f. n * aUt dem Bal "
Deutschland, die Bestfalita 2£K^ ffl !^ ^n*™ *
her Erlebten. "wscnrertet die Grenzen alles bis-
i^°Z£Z£% TAz s t rb G eT e ": ioneD d ; n r er E - che
Deutschland gekonunen ^uK^S^^ 1 ^
Geast Das grosse Vo.k, das wir lieben gelernt h abe n1?ht nu 2
der jmuosophischen und kiinstlerischen Genies, um der MeL IZ
werke willen, die die Welt erleuchtet haben. dessen glS 3e
Begabung fur SystemaUk und Organisation wir bewundertet
dieses Volk ist nur noch em Heer von Sklaven, in dem jeder Konf
der sich zu erheben wagl, zerstampft wird. Jene deutsche Fabia-
keit zur Emspannung des Einzelnen in das Ganze, die Gabe der
Harrnome der Krafte, der instinktive soziale Geist, der eine der
nationalen Tugenden dieses Volkes ist, wird dazu missbraucht em
anti-soziales Werk, ein Werk der Verfolgung und Vernichtung
durchzufiihren. Die heutigen Herren des grossen Deutschland
haben die Macht nur in selbstsiichtigen Interessen ergriffen. sie
sind die schlimmsten Feinde lhres eigenen Volkes.
Eine Phase organisierter, raffinierter Barbarei. Anderswo
tragen Raub und Blutbad einen primitiven und rein bestialischen
Charakter; hier jedoch sind sie berechnet, wohldurchdacht, und
zeugen von erprobter Taktik und iiberlegter Strategie. Die Ver-
brechen des Hitler-Faschismus sind die offentliche Auffiihrung
lange vorbereiteter, von den davon engagierten Regisseuren und
Komddianten (vom Kanzler bis zum untersten Denunzianten)
sorgfaltig inszenierter Schauerstucke,
Die ganze Welt ist davon iiberzeugt — das habe ich kiirzlich
an der Spitze einer Delegation von zahlreicben Organisationen
jeder Schattierung in der deutschen Botschaft erklart — : dass die
offizielle Legende des Reichstagsbrandes, dieses pomposen Recht-
f'ertigungsmanovers aller Verbrecben von gestern, dieses dusteren
Prologs aller Verbrecben von heute und morgen, welcfce in die-
sem Buch so meisterhaf't nachgewiesen werden vorsatzlich und
hewHSSt in alien Teilen auf einem Nicbts ^^[^t' nnX
jenigen. die unter dem Eindruck fruherer ^afuMischaf mi nocb
LS. ^weifelten, vverden nacb der unan echtb, - n wed
,, M ,n Beweisfuhrang dieses Werkes ^g^^SX
rieit der Folgerungen, zu denen jene geia g
3S8
Ueberzeugung gewinnen, dass hier Irrsinn am Werk ist, und
z-war ein inferiorer Wahnsinn, der sich vor den eigenen Taten
furchtet.
Hitler hat in seinem Buch « Mein Kampf » erklart, « man
konne die Massen nur fiihren, indem man sie betruge ». Es ist
wohl richtig: man kann die Massen durch Betrug verfiihren
aber -wie lange wirkt dieser Betrug?
Gerade jetzt, in dem Augenblick, da ich diese Zeilen schreibe
un d da der grosste Teil dieses Buches schon im Druck ist, fallen
meine Blicke auf eine sehr ausfiihrliche Meldung: ein neues Er-
eignis, das allein imstande sein miisste, denjenigen, die nicht
absichtlich blind sind und von ihrer Kurzsichtigkeit profitieren,
die Augen zu offnen iiber die Taktik der Hitler, Goring und
Goebbels.
Es handelt sich um eine Flugzeug-Affare, urn eine klagliche,
aber bedrohliche Erfindung. Am 23. Juni um 22 Uhr 30 meldete
eine Nachrichtenagentur den Berliner Zeitungen unter dem Titel
« Rote Fliegerpest iiber Berlin » folgendes:
<Heute nachmittag haben auslandische Flugzeuge von einem in
Deutschland unbekannten Typ Berlin iiberflogen und iiber dem Re-
gierungsviertel und im Osten der Stadt fiir die Reichsregierung belei-
digende Flugschriften abgeworfen. Die Luftpolizei hatte keine Appa-
rate zur Verfiigung. und die Sportflugzeuge, die sich auf dem Flug-
platz befanden, batten nicht die genGgende Geschwindigkeit, um die
auslandiscben Apparate zu verfolgen. Dieae konnten entkommen,
ohne erkannt zu werden.>
Nun hat aber um 23 Uhr 30 der Flughafen Berlin-Tempeihoi
auf Anfrage auslandischer Korrespondenten iiber den Inhalt die-
ser Nachricht erklart, er wisse von nichts.
Um 23 Uhr 25 -wusste die Luftpolizei, die iiber den gleichen
Gegenstand befragt wurde, ebenfalls von nichts, obwohl die Nach-
richtenagentur in ihrer Meldung erklart hatte, dass Luftpolizei und
Flugplatzleitung nur mangels geeigneter Apparate nicht in Aktion
getreten seien. Der Berliner Korrespondent der « Times » bat sei-
nem Blatt telegraphiert, dass weder die Luftpolizei, noch die
Flugplatzbehorde, noch die « Lufthansa » etwas von diesem
« Luftangriff » wiissten.
Unnotig zu sagen, dass niemand diese ungewohn lichen Flug-
zeuge gesehen haC die es fertig gebracht haben sollen, aus einer
Hohe von 3.000 Metern Flugschriften so abzuzielen, dass sie aus-
gerechnet im Regierungsviertel und in vorbestimmten Strassen
niederfielen.
Trotzdern veroffentlicht am nachsten Morgen die ganze
deutsche Presse diese Nachricht und kommentiert sic mit fast
glcichlautcnden Worten.
359
Die Zeitung « Le Temps » enthullt uns den Grund fur die
Eiiiheitlichkeit ixn Wortlaut dieser Kommenterc: der Melchmg
war ein-e Instruktion an die Zeitungen und ein « Muster-Kommen-
tar » beigefugt mit dem Befehl, ihn auf der ersten Seite zu ver-
offentlichen.
Dieser Standardkommentar betont die Tatsache, dass
Deuischland sich gegenwartig in Bezug auf Luftfahrt in einer
unhakbaren Situation befinde, und er gibt die Anweisung, das
Thema dahingehend zu entwickeln: heute sind es nur Flugblit-
ter, was die auslandischen Flugzeuge abwerfen, morgen werden
es viellcicht Bomben sein, die Tod und Vernichtung bringen.
Schlussfolgerung: Was gerienkt das Deutsche Luftfahrtministe-
riura zu tun?
So blast die gauze dcutsche Pressc in ein Horn und verlangt
Aufrfistung der Luftstreitkrafte. Das « Berliner Tageblatt » fasst
diese Wiinsche in die folgenden Worte zusammen, welche so oder
ahnlich von der untcr Hitlers Oberbefehl stehenden, das heisst
also von der gesarnten deutschen Presse iibernommen wurden:
« Das deutsche Volk verlangt, dass man ihm die Moglichkeit
gibt, sich gegen solche Ueberfalle aus der Luft zu schiitzen. »
In Wirklichkeit entbehrt die ganze Geschichte jeglicher
Grundlage. Auch wenn der Staatssekretar des Luftfahrtministe-
nums, Herr Milch, den Pressevertretern erklart hat, < es seien »
(in einer Hoke von dreitausend Metern!) « ein bis zwei » Doppel-
decker « gesichtet » worden (wobei er ubrigens die Ungeschick-
hchkeit begeht, zur Stiitzung seiner These hinzuzufugen, es seien
« ahnliche Flugblatter » wie die vom Himmel gefallenen auch
« aus den oberen Etagen eines Wolkenkratzers am Alexander-
platz » abgeworfen worden). Er setzt beide Ereignisse in Be-
xiehung zueinander. Dessen bedurfte es nicht, urn die Kabale
dieser faustdicken Luge zu entlarven, welche gesponnen ist zu
(tern Zwecke, das deutsche Volk in dieselbe Erregung zu verset-
zen, die jenes legendare Auftauchen cles beruhmten Fliegers
uber Nurnberg am 28. Juli 1914 verursachte. Das Ziel ist die Auf-
rustung, ist der Krieg. Durch solche Tricks lenkt man die offent-
liche Memung auf diese Dinge und erzcugt die Panik, die man
oraucht.
Es gibt fiir alle Menschen gesunden Geistes, fiir die anstan-
digen Leute aller Lander nur eine Antworl:
Den Kampf gegen Krieg und Faschismus mit mehr Energie
und Erbitterung als je und in Einheitsfront mit den Arbeitern
aller Lander der Welt zu ftihren. Internationale Bewegungen wie
die von Amsterdam zu starken. Den Ruf der Wahrheit und des
Zornes in grossen Welt-Kundgebungen erlonen zu Iassen.
Henri Barbusse
360
Zwei erniordete
komuiunistiselie Reichs
taffsabgeordnete
Walter Schiitz, ostpreus-
sischer Reichstagsabgeordneter
der. KPD, einer cler beliebtesten
ATbeitedltthi'ei) Osl preussens,
wurde nach seiner Verhaftung
in KSnigsberg von der SA be-
sfcialiscb gefoltert u. erschlagen.
Albert F uak. Reichstags-
abgeordneter der KPD. bekann-
ter Fiihrer der Bergnrbeiter des
Ruhrgebietes, wurde im Unter-
Buchungagefangaia Recklinghau
-"ii ermordet, Kr wurde aue
dem Penster des 3. Stockes
in den Hoi' hinuntergesttirzt.
Arbeitev Gmnbert
zu Tod** gemarterl
Dei* Arbeiter Gumbert a us
Heidenau wurde in Konigs
stein (Sachsen) von SA buch
stiLblieh iu Stiicke gebrochen
und zu Tod© gefoltert. Unten :
Vier von den fiinf Kindern
dee ermordeten Gumbert.
Gegcn den imperialislischcn Nationalisnma
ini eiffenen Lande
lis ist gut, dass lingland und Amerika sirh A iifi»i
Machtcebrauch unci <i» n ««!£ ".. l . Mcl V ul l(lu,en Wfw
apzukampfen. Icb meine die Abneigung, die gerade ehvas 2b
flaute unci die das beutige Deutschland teidei Wieder n, r,v
fertigen scoei.nL
Ohne Zweifel isi cs gut, sich miner wieder zu sagen class
das Hitlerdeutschland nichl das ganze Deutschland ist, trotz der
Wahlresultate. Ohne Zweifel ist es gut, dem unterdriickten Toil
Deutschlands, der jetzi niedergeknuppelt ist, zu sagen, dass wir
ihm unserc Sympathie bewahren. vor allem aber ist es gui,
zu belfen und die Opfer zu unterstutzen,
Alle Gewalttaten. die heute Deulschland begeht, werden be-
gangen im Namen von Grundsatzen und Theorien, die, so wenig
sie entschuldbar sind, doch den Kcim der Ansteckung in sich
tragen, und die, sei es durch Rivalitaten oder durch AngsL die
Gefahr in sicli bergen, die Nachbartander zu ahnlichen Gewalt-
taten zu verfuhren und sie schliesslich in Kriege hineinzureissen.
Deshalb geniigt es auch nicht, gegen den deutschen Htllerismus
zu protestieren, sondcrn ebenso sehr muss jeder in seinem eige-
nen Land gegen den imperialistischen Nationalisms, die Larve
des Faschismus, kampfen, stall sich als Feigling behandcln zu
lassen von jenen, die nichts begreifen als den bewaffneten Mut.
Andre Gide
Das wirkliche DeutscliJand lebt nock
Wir haben in Amcrika den Ku Klux Klan, wir haben Lyn-
cher, Erpresser, Gangster und brutale Burger, die unsere besten
Arbeiterfiihrer crmorden. Aber in Deutschland scheint der ganze
Sumpf der sterbenden Gesellschaftsordnung noch einmal in einer
gewaltigen Woge aufzubrodeln. Die Nazis haben der Welt ge-
zeigt, wie tief die Abgriinde der Renktion sind, und wie weit der
Kapitalismus geht, tun sein altersbriicbiges Geriist zu retten. _
Dies sollte eine endgultige Lektion sein fur die in Verwir-
rung geratenen Massen der Welt, die so langsam, so muhsani ler-
ncn. Die Nazis lehren uns, dass es unmoglich ist, mit dcin Ksipi-
talismus Kompromisse zu macben oder zu vcrhandeln. Ssozia-
listen und Liberate haben Jahrzehnte hindurcfa Zusaininenarbe.t
schland im Gefangnis
ihen der Nazis steht.
der Klassen gepredigt: heute ist in DeutscWs
oder auf dem Friedhof, wer nicht in den Reihc
361
Italien ist diese bittere Lektion erteilt worden, ebenso China.
Heute ist der historische Moment, in dem die Massen zu sehen
beginnen, dass der einzig sichere Weg fur die Arbeiterklasse, der
einzige Weg, auf dem der Faschismus vermieden werden kann
der Weg der Sowjets ist.
Ueberall reprasentiert der Faschismus Vergangenheit- er
sucht z:u bewahren, was die Geschiehte verdammt hat. Die Nazis
bewiesen, von ihrem Standpunkt aus den richtigen Instinkt als
sie die Buchervon Thomas Mann, Romain Rolland, Siegmund
Freud, Albert Einstein und anderen verbrannten. Jeder grosse Ge-
danke, jede wissenschaftliche Leistung der letzten fiinfzig Jahre
stent in tiefstem innern Widerspruch zum Nazi-«Geist» der
in seinem Wesen jener kleinbiirgerliche Geist, jener Rentier- und
Ladenbesitzergeist ist, den es nach Genie und Entdeckunaen
nicht verlangt. &
Aber kann Hitler die grosse Flut neuer Gedanken eindam-
men? Unmoglich! Kann er die deutsche Arbeiterklass-* zer-
schmettern und die besten Elemente deutschen Geistes zerstoren?
Unmoglich !
Unmoglich! Die Arbeiterklasse Deutschland* und ihre
besten Geister gegen nicht mit Hitler. Der deutsche Arbeitdr
qualt und verfolgt keinen Juden. Der deutsche Intellektuelle
lasst sich nicht mit Dragonerstiefeln in die preussischen Kaser-
nen zurucktreiben.
Das wirkliche Deutschland lebt noch und wird seine Krank-
heit uherstehen. Aus dem Deutschland, wie es heute ist, kann -
Iruher Oder spater - nur ernes erwachsen: eine Regierung, ge-
bildet von alien denen, die Hitler unterdriickt hat; em Staat in
Tvl^ 7 eRa r Sei,VeXf ° lgUng S* 1 ' keinen Hass und l^inen
Lynch-Geist; em Land der Freiheit, ein Sowjet-Deutschland.
Michael Gold
Am 28. Februar iin Berliner Polizeiprasidium
Egon Erwin Kisch wurde in der Nacht des Reichstagsbrandee in
Berlin verhaftet. Er verbrachte 14 Tage in Hitlers Polizeigefangnia
• ff WU ^ e , dann aber die Qreaze abgeschoben. Egon Erwin Kisch
verottenthchte ala erster deutscher Schriftsteller eine umfassende
uarstellung der Zustande in Hitlers Gefangnissen und SA-Kasernen.
wir entnehmen den aachfolgenden Abschnitt einem grosseu Werk
uber Hitler-Deutschland, dae Egon Erwin Kisch vorbexeitet:
Meine Begleiter gaben mich gegen Quiitung an die Politische
±-oiizei ab Die Banke auf beiden Seiten des Korridors sind be-
eizt, im Raum dazwischen ist der Kulturbolschewismus anein-
362
andergedraugl. Alle kennen einander und i mm ,
* x,,o,. von Po, izlste „ hminse ^ 5BT flSU'TS
geriebenen. uber den Fluss .ruckgew^^^ £
Gruppe war das, was gestern noch ein Regiment gewesen war
Und .mmer wenn erne nasse, abgerissene Gestalt voruberwankte'
d/ e zum Regiment gehortedann grusslen die KumpSJ mli
einem melanchohschen Lacheln, ruckten dichter aneinanZ
machten ihn, Plate. So ahnlie.h sieht es heute aus. aSS_'
gnti ich nicht, warum viele so version und blass waren erst
spaler erluhr ich, welche Gewaltszenen bei manchen Verhaltun-
gen vorgenonimen waren. Ich sollte spater auch mit eigenen
Augen sehen, welche Greuel die Nationalsozialisten in ihren Ka-
sernen an wehrlosen Gefangenen begangen hatten.
Die Polizisten, die uns vom ubrigen Teil des Korridors ab-
riegeln, sind junge Burschen, schon mit dem hilfspolizeilichen
Hakenkreuz auf der Armbinde. Sie scheinen sehr aufgeregt, ihr
Dienst ist ihnen neu, umsomehr versuchen sie ihre Unsicherheil
hinter flegelhaftem Benehmen zu verbergen; sie machen hohnisehe
Bemerkungen, und wenn sie jemanden anschreien, sich nicht zu
bewegen, so apostrophieren sie ihn nicht anders, als <Dreckskerl»,
«Saujud» und per Du.
Narnen werden aufgerufen, Gruppen formiert, «rechts um», hs
geht hinab ins Polizeigefangnis. Erste Station, das Depot; hier
wird Uhr, Fiillfeder und Bargeld abgegeben und in ein Kuvert
gesteckt. Zweite Station: Abgabe von Messer, Schere. Nagelfeile.
Die dritte Etappenstalion ist schon im Keller unten: was dem
Haftling noch geblieben ist — Brieftasche, Notizbuch, Zigaretten-
schachtel, Streichholzer, Taschentuch, Schliissel, Handschuhe oder
Bleistift — muss er in seinen Hut legen, Schniirsenkel offnen.
Rock ausziehen, und ietzt untersuchen greifende Hande, ob nichts
in den Taschen geblieben, gleitende Hande, ob nichts ins Futter
eingenaht ist, sich nichts in Schuh oder Strumpf versteckt hat.
Wahrend dieser Prozedur kommt der neue Polizeiprasident
vorbei, Herr von Levetzow, gefolgt von Polizeiadjutant und Par-
teiadjutant und einem ganzen Stab. Er war Marineoffizier, der
Sozialdemokrat Noske hat ihn in den Admiralsrang erhohen. Der
Herr Admiral, jetzt schreitet er gcblaht seine Kommandobrucke
im Polizeiprasidium ab:
Das ist also das Pack?* fragt er und scfaielt uns uber die
Achsel verachtlich an.
-<Jawohl. Herr Polizeiprasident!* beeilt sich der Adjutant zu
schnarren.
363
0W0 bis! du verhaftet warden?* fragt er Hermann Duncker.
Bevor der grauhaarige Gelehrte, Lehrer des Sozialismus Kir eine
ganze Generation, noch antworten kann: «Wirst du die Hacken
zusammenreissen, wenn icfa mil clir spreche, du Saubengel?!*
Und sclion hat er einen andcren erspaht, der ihm nichl
strainm genug zu stehen scheint: «Fflhren Sie den Lumrnel soforl
in Dunkelarresl und legen Sie ihm Eisen an, bis ihm die Sclvwar-
ten krachen.»
Diensteifrig sturzen sich zwei Butte] auf Otto Lehmann-Russ-
buldl, den alten Obmann der Liga fur Menschenrechte und zerrefl
ihn fort.
Bleich vor Emporung stehen wir da, der Herr Admiral von
Noskes Gnaden ist schon vorbei, wir horen ihn eine andere Gruppe
anbriillen.
Man stosst uns in eine unterirdische Gemeinschaf tszelle, sieben-
undvierzig miissen darin Platz finden. Langs der Wande verlaufen
Pritschen, in der Mitte der gegen den Hof zu gerichteten Wand
Steht der Eimer — einer fur alle, alle fur einen. Gegenuber, in die
dern Korridor zugekchrte Wand sind zwei trichterformige Aus-
buchtungen gemauert. Das spitze Ende ist der «Judas»: ein Be-
obachter von aussen kann durch dieses Guckloch das ganze Lokal
beslreichen, sei es mit einem Auge, sei es mit einem Maschinen-
gewehr.
Jeder von uns sucht sich einen Nachbarn, neben dessen Platz
er den Paletot zum Kopfkissen faltet, Gruppen konstituieren sich.
Man erzahlt einander, wie sich die Verhaflungen abgespielt. Man-
che : Wohnungen batten regelrechte Belagerungen durch die Nazis
zu bestehen, Schiisse wurden durch die Tiir abgefeuert, dann Mo-
bel zerhackt und Bucher zerrissen, die Ueberfallenen aneesichts
Hirer hrauen und Kinder schandlich misshandelt.
Egon Erwin Kisch
Hitler ist der gigantischste Betrug
Ob Hitler in der Geschichte den Platz eines grossen Tra-
goden oder eines grossen Narren einnehrnen wird, bleibt der Zu-
kuntt uberlassen, aber dass es einer dieser beiden Platze sein
wird, schemt sicher.
Mpn?H-!l n d - ie f er ^ ann ist cler Bigmthctate Betrug, der jemals
Menschengeisl verblendct hat. Seine Philosophic ist falsch. derm
Sf l l\ aUS , t^ SS 8 eboren ; seine Politik ist gefahrlich. denn sie
oerunt auf Lnwissenheit; und sogar seine Uniform ist ein
^cinvindel - Kopie eines Symbols, das er nicht versteht
fc> u a f Tra S lsche daran ist, dass wir diesen Popanz geschaf-
ten haben - wir. die Yerbundeten, bliesen ihm Atem ein und
^.eizicn seine bosen kleinen Arme in Bewegung. Aus dem Gift in
364
unseren eigenen Herzen schufen wir den Hitlerismus, und wit
W erdcii den Hillerisnius nicht zerstdrcn. his wir nicht uns selhst
von diesem Gii'i gereimgt haben.
Beverley Nichols
» die Internationale der Geister iind Viilker
Die «K61nische Zeitung* vojh !). Mai 1933 veroffentliehte
unter der Rubrik «Randnotcn» naehfolgende Bemerkungen iiher
Romain RollaiKl:
Die Kommunistische Internationale betreibt vom Ausland her eine
masslose Hetze gegen die nationale Regierung in Deutschland. Mit
einem rrrossen Aufwand an Liigen und Schauergeschichten sucht sie
dor Welt weiszumachen, dass Deutschland <vom Blut der Arbeiter
dampfts und class das Proletariat aller Lander die Pflicht habe. sich
y.um Angriff «gegen den faschistischen Terror in Deutschland:* zu
sammeln. In pathetischen Wendnngen werden die sogenannten In-
tellektuellen anF^erordert, sich diesem Kampf anzuschliessen. Viele
sind verblendet genug. das zu tun. und man w-undert sich nicht, ihre
Namen unter den Aufrufen der Kommunistisehen Internationale zu
lesen. Merkwiird;^ beriihrt nur, das> eine jener iibeln Schmahschrif-
ten, die in Kopenhaeen erscheint. neben einem Beitrag von Henri
Barbusse auch eine;] Bolchen von Romain Holland veroffentlicht. Man
erinnert sich bei di<»ser Gel e ■■!!. dftSfi die beiden einst einen leb-
baften Meinungestreil batten, da Romain Holland die grausamen Ir-
ntngen des BolscheT .Ion verurteilte, wahrend Barbusse
eie als Durchennt'^tuf-'n bh "iner be-seren Zukunft der Menschheit
zu rer.htfertigen suebte. Jetet hal ie beide zusammengefunden, der
fanatische JflngeT Moskatia and der Mnnn, den man einst «das Ge-
wissen Kiiropas , > nannte. well er tnpfer senug war. die Dinge gerecht
zu betrnrhten. und dern P iland wiihrend des Kriegee und in den
spiitera .Tahren fiir manchen Beweie seiner gerechten Gesinnung
nkbar sein konnte Zuletzt war Romain Roiland noch fiir die An-
spriiche Deutechland? auf eine grundlichere Revision der Vertraae
eingetreten. Dass er sich dadurch den Hass der franzosiscben Chau-
vinisten zuzo?. kummerte ihn nicht. denn es gins ihm am Europn und
seine hohen Kulturguter. fiir die er einen beesern Frieden erkampfte.
1'iid gerade weil er diese Einsicht besass. hatte er auch fur die na-
tionale Regierung in Deutschland Verstandni.e nufbringen mflssen,
Derm nur dank des entschlossenen Zugriffs dieser Regierung blieb
utschland von dem bolschewistischen Chaos verschont. C b&
hfitte an den Greazen des Reiches bestinunt nicht haltgeinacbt, weun
ihm Deutschland turn Opfer gefallen ware* Wter wefes, ob es nicht
auch jene ruhigen Orte ergriffen hatte. wo heute uDter er Beru-
raf Kultur und Frieden fiegen De ehetzl wird.
Romain Holland antworfcete in einem Offenen Brief, den wir
»St] ' mtlichen:
36o
Hollands Otfener Brief
an die ,JKOIuische Zeitung-'
Paris, den 15. Mai 1933.
Herr Chefredakteur,
Man hat mir die «Randnoten» der «Kolnischen Zeitung* vora
9. Mai (Nr. 25) ubermitlelt. die meiner Person gewidrnet sind
(vgl. die Anlage).
Es ist wahr: ich liebe Deutschland und habe es lnimer gegen
Ungerechtigkeiten und das Unverstandnis des Auslandes verteidigt
Das Deutschland aber. das ich liebe und das meinen Geist
bereichert hat, ist das seiner grossen Weltburger, — derer, «die
(nach Goethe) Gliick und Ungluck anderer Volker wie ihr eigenes
empfunden hab-en» — derer, die an der Kommunion der Rassen
und Geister gearbeitet haben.
Dieses Deutschland ist mit Fiissen getreten, mit Blut besudelt
und geschandet worden von seiner jetzigen «nationalen» Regie-
rung, vom Deutschland des Hakenkreuzes, das die freien Geister,
die guten Europaer, Pazifisten, Juden, Sozialisten, Kommunisten
von sich stosst, die eine Internationale der Arbeit griinden wollen.
— Sehen Sie denn nicht, dass dieses national -faschistische
Deutschland der schlimmste Feind jenes wahren Deutschland ist.
das es gerade verneint?
Eine solche Politik ist ein Verbrechen nicht nur gegen die
Humanitat, sondern gegen Euer eigenes Volk. Ihr beraubt es eines
grossen Teils seiner Energien. Ihr lasst es die Achtung seiner
besten Freunde in der Welt verlieren. Eure «Fuhrer» haben in
alien Landern gewaltsam ein Biindnis der Nationalisten und Inter -
nationalisten gegen Euch geschaffen. Ihr wollt das nicht sehen. Ihr
sprecht wieder von einer Verschworung gegen Deutschland. Ihr,
nur Ihr, habt Euch gegen Deutschland verscfrworen.
Ich habe die Ungerechtigkeit angeklagl, deren Opfer
Deutschland nach dem Siege von 1918 geworden ist. Ich habe die
Revision des aufgezwungenen Vertrages von Versailles -verlangt.
Ich habe die Gleichberechtigung Deutschlands mit den anderen
Machten gefordert. — Aber glauben Sie. dass ich sie zugunsten
einer schlimmeren Ungleichheit verlangt habe, zugunsten eines
Deutschland. das selbst die Gleichheit der menschiichen Rassen
verletzt ja alle Menschenrechte. die uns heilig sind? Die wiitend-
sten Revisionsgegner konnten nicht arger gegen Deutschland han-
deln. als Ihr, Ihr allein es getan habt.
Die Zukunft wird Euch — zu spat! — Euren vernichtenden
frrtum beweisen, dessen einzige Entschuldigung der Wahnsinn der
Verzweiflung ist, in die die IMindheit und Harte Eurer Besieger
Euer Volk seil Versailles gestiirzi haben.
366
Ich werde meine Zuneigung zu Deutschland bewahren, trotz
Eurer Taken und gegen Euch, meine Zuneigung zu jenem
wahren Deulschland, das die Schandlichkeiten und Irrungen
des Hitlerfaschismus verabscheut. Und ich werde weiterarbeiten,
wie mein gauzes Leben lang, nicht fur den Egoismus eines einzel-
nen Volkes, sondern fiir a lie verbiindelen Volker — fur die In-
ternationale der Geister und Vdlker.
Romain Rolland
P. S- Sie behandeln die Anklage der auslandischen Presse ge-
gen den Hitlerfaschismus als Verleumdung.
Wir haben ein ganzes Archiv von Zeugnissen Verbannter iiber
Gowalttaten der Braunhemden, die die Staatsgewalt weder geahn-
det noch bedauert hat. Aber lassen wir das! Uns geniigen die off i -
ziellen Meldungen. Leugnet Ihr denn die eigenen Erklarungen
Eurer Minister Goring, Goebbels, — die der Rundfunk verbreitet
hat? Leugnet Ihr ihren Schrei nach Gewalt, ihre Bekenntnisse
eines Rassenwahns, der andere Rassen, z. B. Juden, krankt, riecht
Ihr nicht all diesen Muff des Mittelalters, der langst aus Europa
verschwunden war? Leugnet Ihr die Scheiterhaufen der freien
Gedanken, die kindlichen von der ganzen Welt verlachten Bii-
cherverbrennungen? Leugnet Ihr das freche Eindringen der Po-
litik in Akademien und Universitaten? Merkt Ihr denn nicht, dass
die grossen Verbannten der YVissenschaft und Kunst auf der
Wage der Weltmeinung schwerer wiegen als die lacherlichen
Bannilfiche ihrer Verfolger?
Romain Rolland
Die Bedeutimg des dentschen faschistischen Terrors
Wer heute iiber die Misshandlungen der Juden und Kom-
munisten in Deutschland entsetzt ist, sollte sich daran erinnern,
dass physische und moralische Gewalt das Wesen des Faschis-
mus iiberhaupt ist. Der Faschismus ist nicht nur konterrevolu-
tionar. Er ist auch « konter-historisch ». Man muss seine ganze
Kraft anspannen, um gegen den Strom zu schwimmen, wie Hit-
ler es tut, und wie Mussolini es get an hat. Hitler muss seinen
Vorteil ziehen aus jedem Vorurteil, jeder in Erscheinung treten-
den Leidenschaft, um die naturlichen, die okonomischen Stro-
mungen einzudammen, welche dem Ende des kapitalistischen
Systems zustreben. Der Anti-Semitismus bedeutete eine Kraft
fiir ihn, die er sich zu Nutze machen musste.
In jeder verzweifelten Situation benutzt und entfacht der
faschistische Fiihrer alle Leidenschaften, alle Vorurteile. So trieb
die Fi'ihrerschaft Hitlers zu den groben Exzessen, welche
die iibrige Welt gegen ihn aufbrnchten. Aber die Welt sollte,
367
j-etat mehr denn je. begreifen, dass cut Faschismus immer diesen
Weg gehen v/ird und gchen muss. Die Faschisten haben die Ge-
schichle gegen sich — die Geschichte und die menschliche Ein-
sicht
Audi der Kommunismus in Russland stiess aui Anti-Se-
mitismus, und zwar auf sehr starken, sehr verbreiteten Anti-
Semitismus. Die zaristischen Pogrome sind bekannt. Aber die
russischen Ffihrer wolllen alle Volker um .sich sammeln, die
am Auf ban j-enes measchlichen und verstandlichen Systems
mitarbeiten und mit helfen konntcn, das man Kommunismus
nennt. Der Kommunismus hat die Pogromc abgeschaft't. Der
Anli-Semilismus isl irn Aussterben.
Ich frcue mich sehr, dass in Madison Square Garden ein
Massen-Meeting stattfinden soil, und ich hoffe, dass hier die
Bedeutung des Faschismus klargelegt wird. Es wiirde schade
sein, sich bloss in Entrfistung — wenn auch gerechter — zu ver-
lieren, statt sich von den Ereignissen in Deutschland erne Lektion
erteilen zu lassen. Diesc Lektion lehrt, dass der Faschismus alle
auf hoher Wirtschaftsstufe stehenden Volker, ob Judcn, Deut-
sche, Italiener oder Amerikaner, rait seinem Hass verfolgt, und
zwar am heftigsten jenc Minderheiten, die in der Vergangenheit
am wenigsten in der Lage waren, sich zu verteidigen, Ich habe
von vornherein angenommen, dass den Angriffen auf die Juden
Angriffe auf die Rechte folgen wiirden, (lie sich Frauen, Kinder,
die x\rbeiterklasse, die Neger in unserer Zeil erworben haben. Fol
gendes ist keine Uebertreibung: In elm iutscb( i Zeituni?, die
ich selbst gelesen babe, in d Nationalsozialistischen Monats-
hefien » wurde der Neger dargestellt als das wilde Tier, das
wedcr durch Sklaverei noeh durch Zivilisation gezahmt werden
kann. » Ferner wird angestrebt, dass die Frauen ihr Stimmrecht
verlieren und sich dem alien monarch istischen Ideal der deut-
schen Frau fur « Kuche, Kirche, Kinder » wieder angleichen
sollen.
Der Faschismus hat nicbt etwa erst vor einigen Wochen,
gleichzeitig mit dem Hitler-Terror, begonnen. Die heute geset?-
lich sanktionierten Methoden sind schon Jahre hindurch er-
probt worden. Jahre hindurch haben Juden und Liberale auf
Grund des wachsenden faschistischen Druckes ihre Stellungeu
verlorrn.
Es ist heute vor all em der Faschismus, auf den wir unsere
ganze Aufmerksamkeit konzentrieren mussen, der Faschismus
als Phase der Politik des Weltkapitals, das keinen anderen Aus-
weg findet aus seinen eigencn Widerspriichen uxid seinem
Kampf ums nackte Lebeiu Wir haben es hier mit vie! mehr zu
tun, als mit einer blossen Serie von Ereignissen innerhalb einei
ntionalistischen Terrorwelle. Es ist nicht Deulschland, sondern
! l [. xV mid eindeutig der Faschismus,, der die Juden und andere
Mi"nclerheiten unterdruckt.
Der Faschismus zielt — - ich wiederhole es — auf die Unter-
driickung aller wirtschat'tlich fortgeschrittenen Volker hin, die
sich einem koininunistischen System einpassen und sogar gliick-
lich unter ihin sein konnten. Wir Amerikaner konnten den Korn-
miuiisrous leichter als die Russen durchftthren. Wir sind reifer fur
den Komrnunismus als Russland. Und ebenso Deutschland; die
Deutschen wiirden sich ini Komrnunismus so schnell zurechtfin-
den wic junge En ten im Enienteich. Sie sind reif fur den Kom-
inunismus. Sogar nach der Unterdriickung durch Hitler haben
sie funf Millionen konimunistische Stimrnen gehabt.
Von alien Nachrichten aus Deutschland hat mich am mei-
sten die Nachricht erschiittert von dem organisierten Protest
einiger Juden (jiidischer Vetcranen, zum Beispiel), dass sie nicht
misshandelt worden sind. Man stelle sich den Terror vor, der
imstande war, die Juden so etwas sagen und so etwas unterzeich-
ncn zu lassen. Es kann nur die Angst um das nackte Leben
gewesen sein, die sie dazu gctricben hat.
Die amerikanische Arbeiterschal'i lufc ein grosses Werk und
kann aus dem Rassenelend in Deutschland einen Triumph
machen, wenn sie dicse Tatsachen begreift und in das richtige
Licht ruckt.
Lincoln Steffens
Offener Brief an ITemi Goebbela
Als am fiinften Mai die Werke deutscher Schriftsteller, Philo-
sophen und Forscher auf den Scheiterhaufen geworfen wurden.
haben Sie, Herr Goebbels. diesen barbarischen Akt beschutzt und
gut geheissen und in Hirer Rede die verbrannten Werke jener
Manner, die ein edleres Deutschland reprasentieren als Sie, «gei-
stigen Unflat* genannt.
Sie haben aus den deutschen Verlagen, Theatern, Buchhand-
lungen, Bibliotheken, Schulen unsre "Werke verbrannt, Sie ver-
folgen die Veifasser, sperren sie ein oder jagen sie aus dem Land.
Sie verlreiben von den deutschen Universitaten die besten
Lohrer.
Aus den Konzertsalen die Dirigenten und Komponisten.
Aus den Theatern horvorragende Schauspieler.
Von ihren Arbeitsstatten und aus den Akademien Maler.
Architekten, Bildhauer.
Es genfigi Ihnen nicht. die zu qualen, die Sie in Ihre Gefang-
gwse und Konzentrationslager kerkem, Sie verfolgen selbst die
-sugranten durch die mannigfachen Mittel Ihrer Gewalt. Sie
369
wollen sie (um in Hirer Sprache zu reden:) geistig und physisch
^brutal und rucksichtslos vernichten».
Und was ist dcr Grund so abgriindigen Hasses?
Diese Manner glauben an eine Welt der Freiheit, der Mensch
lichkeit t der sozialen Gerechtigkeit, diese Manner sind wahrhafte
Sozialisten, Kommunisten oder glaubige Christen, diese Manner
sind nicht gewillt, die Stimme der Wahrheit zu verleugnen und
der Macht sich zu beugen.
Die Verfolgungen und Aechtungen sind fur uns Verfolgte
eine grosse Ehrung, mancher von uns wird jetzt erst beweisen
mussen, dass er diese Ehrung verdient.
Sie geben vor, die deutsche Kultur zu retten, und Sie zer-
storen die edelste Arbeit der deutschen Kultur.
Sie geben vor, die deutsche Jugend zu erwecken, und Sie
blenden ihren Geist, ihre Augen, ihre Sinne.
Sie geben vor, die deutschen Kinder zu retten, und Sie ver-
giften ihre Herzen mit den schandlichen Phrasen eines stupiden
Nationalismus und Rassenhasses.
Sie geben vor, das werktatige Volk zu befreien, und Sie
Schmieden es in die Knechtsfesseln sozialer und geistiger Un-
freiheit.
Sie geben vor, Deutschland von seinen Sduildigen» zu rei-
nigen, und Sie verfolgen die Schwachsten, die Juden.
Sie geben vor, dass Sie und der deutsche Geist identisch sind,
aber Ihre Taten sind die Aechtung der Ideen Goethes und
Lessings, Herders und Schillers, Wielands und Rankes und alter
jener Manner, die um die reinsten Werte Deutschlands gerun-
gen haben und sie in die Welt trugen.
Ich las in diesen Tagen Ihre kiinstlerischen Werke und die
ihrer Pgs. Dass Sie ein schlechtes Deutsch schrciben. will ich
Ihnen nicht zum Vormirl machen, Gewalt verleiht noch kein
Talent, dass Sie aber die deutschen Theater zwingen, diese arm-
seligen Werke zu spielen, ist klaglich.
Sie sprechen soviel vom Heldentum, wo haben sie es be-
wiesen? Auch wir kennen ein Heldentum, das Heldentum der
Arbeit, des Charakters, des unbedingten Menschen. der zu seiner
Idee halt.
Sie sprechen soviel von der Feigheit Ihrer Gegner. Wir ver-
sprechen Ihnen, dass Ihre Verfolgungen uns barter. Ihr Hass uns
lifer, Ihr Kampf uns kampferischer machen werden.
Wir sind nicht schuldlos an unserem Schicksal, wir haben
viele Fehler begangen, der grossle war unsere Langmut.
Wir werden, dank der Lehre, die Sie uns gaben. unsere
>hler (iberwinden. Und das ist Ihr Verdienst.
E r n s t Toiler.
70
Einheitsfl-ont ge ff en den Paschismus am jeden Preis
, , ih < nince, gegen die man sich mil ganzer Seele auflen-
£ Die Welt hal seit August 1914 viel Grausamkeit ge-
ne " Hnd man sollte meinen, dass der uienschliche Gelsi teme
se 'r" , loren Oualon erf in den kann als die Schrecken nur ernes
s " Gas-Angriffs. Und dennoch ist eine Welt, die den Kneg
* lanee todesschwangere Jahre hindurch duldete, ja verherr-
i"mp entsetzt fiber das, was Hitler in drei Monaten getan hat.
n- iprdaen die fur Hitlers Angriffe auf die Sozialisten nur em
4 hsclzuckcn fibrig batten, die seine Schlage gegen den Kommu-
smus so^ar beifallig begriisst haben, sind emport fiber seine
Sanatische Kampagne gegen alle jene kulturellen Bestrebun-
11 g«gen die Biicher, Menschen. Forschungen, Ideen, die der
Villon Deutschland die Achtung der Welt eingetragen haben.
I,h habe mit einem Arbeiterffihrer im Ruhrgebiet ge-
sprochen. Sie verbrennen Biicher.* sagte er. und seine Stimme
y an g beschfimt. Biirher konnen neu gedruckt werden. Aber die
werlvollen Manner und Frauen, die die SA gelotet hat. konnen
■liclil wieder zum Leber /tiriickuerufen \\«erden. Die Gefahr des
Faschismus liegl in seiner erbarmungslosen Bekampfung von
allciti. was in die Zukunfl deutet in seinei Entschlossenheit
mis an alle Ideen zu ketten: Mililni ismns. Sklaventum. Unter-
ordnung der Frauen, Klein-Industrie sellschaftliche Formen,
welcbe die Menschheil schon iiberholl hat.
Hitler und die Faschisten haben sich sorgfaltig die Fuhrer
jeder Art von Fortschrttl berausgesuchl I'ml oichi nur Schrift-
sieiier. Dichter, Wissenschaftler, nichl qui die Fuhrer und Ver-
breiter forlschi illlirher politischer Meinung. Diese sogenannten
«Slurm-'-Trupps haben gerade jene Arbeiter ausgesucht, die den
Anschein erweckten, geistige Fuhrer Hirer Kameraden zu sein.
diejenigen Arbeiter, die schon eine kleine Bibliothek gesammelt
liatlcn. und die llilder besassen von Ludwig Renn. von Karl
Marx. Arbeiter haben gelitten, weil sie des Verbreehens verdachtig
waren, ernsthaft riachzudenken. Das ist unlcr dem Faschismus
ouenbar das grosste Verbrechen.
In Kngland und Amerika beginnt man schon zu sagen: «Das
■^mimmste ist vorbei. Deutschland wird sich jetzt beruhigen..
seiH.r kurzll,h - e,ade bei den Fliichtlingen in den Grenz-
SELS"*^ , m Saarbrfi <*en. Forbach. Strassburg und in den
' M-.uIen D6rfern. Jeden Tag kommen neue Fluchtlingc an:
e 1 ; K '/'' n Rechtsa «^ite aus ihren Villen. ' Jeder
n/l l '"' legl Zeugnis ab von d
.171
schrmb: dch wurde voj I«reude m die Bande klatschen ,,„.,
id, Fhegej sehen wurde, die gegen Hitlei faerfiberkomrnen war-
den. Selbsl wenrj ich getStet wurde, so warden doch die anderen
Deutsche von diesen Ungeheuern gerette! werden.* !•;„,<■ Frau
die nur nut aussersler Miihe vier Mark zusammenkratzen kann
um sie ihrem mittellosen Sohn ins Exil zu schicken, kann so
eiwas nur sehre.ben aus einer Erbilterung der Seele heraus die
von jemand, der iaschrstische Herrschaft noch nich! am eteenen
Leibe gespurt hal, cint'ach nicbt begriffen werden kann.
Jetzt. da sie Herren im Lande sincl. konuen die Nazis nut
ihren Oeiangenen machen, was sie wollen. Mil cinem iun-en
Fiuchtling, einem Menschen, der der Stolz seines Landes und
nicht ein Fiuchtling sein sollte, besuchte ich die Redaktion
emer Strassburger Zeitung. Der Rcdakleur war weder Soziaiisl
noch Kornmunist, er war ein ausgekochter Zeitungsmann. Er warl
uns fiber den SchreibLisch cine Liste von Namerl hcruber. «VieI-
leicht Bekannte dm nter? Es isl die letzte Liste der Tolen von
Dachau. » Mein Begleiter nahin das Papier, und wurde weiss
im Gesicht. «Den kannte ich,» sagte er niedergesehmelteri.
«Haben Sie irgendeine Nachricht dariiber, wie er geslorben
ist?» <Ja, schlechte Zeiten,» sagte der Redakleur in sachlichem
Ton. «Schwer gequalt. Im Delirium erschossen. Nalurlich wird
gesagl «auf der Flucht» erschossen. » «Woher haben Sie das er-
fahren?» fragte ich. Der Redaktcur lachelte. «Das mochten auch
die Nazis gerne wissen. Mcine Informationen sind genauer. als
sie es gern haben. »
12 1 1 e n Wilkinson.
372
Per heroische Kampf cler deutschen Arbciter
Bxemer Polizeidirektion: <Trotz der vor elnigen
Tagen veroffentlichten polizeilichen Warnung vor der Verbrel-
tung illegaler kommunistischer DruckschriHen und dem Hin-
weis auf die hohen Strafbestimmungen. wurde am Dienstag
Abend von kommunistischer &eite die illegale, 6 Seiten starke
<Arbeiter-Zeitong» zur Verteiiung gebradit....» (26. Mai 1933).
Berliner Polizei-Pressestelle: «Bei der Durch-
suchimg wurden erheblichee Druckschriftenmaterial und zahl-
reiche Matrizen zur Anfertigung von Mai-Flugblattern in Steg-
litz und Friedenau gefunden...» (28. April 1933).
Stuttgarter Polizei-Pressestelle: cObwohl die
Beschlagnahme und Einzienung samtlicher kommunistischer
Druckschriften sclion am 1. Marz 1933 angeordnet word en 1st,
warden immer noch kommunistische Flugblatter im Land ver-
breitet.,.* (21. April 1933).
Dieses Buch berichtet von den wahren Brandstiftern des
Reichstages und von dem barbarischen Hitler-Terror. Die deut-
schen Antifaschisten, die dieses Ruch in kollektiver Arbeit schrie-
ben, wollen aber audi der ganzen Welt freudig kiindcn: dass es
noch ein anderes, lebendiges Dcutschland gib I.
Es isl das Deutschland des unterirdischen, illegalen Freiheits-
kampfes der Antifaschisten. Es ist das Deutschland des wahren
Heldentums. Es ist das Deutschland derer, die mit dem Opfer ihres
Gliickes oder ihres Lebens heroisch die Ehre und die sozialisti-
sche Zukunft des deutschen Arbeitervolkes verteidigen.
Hitler wollte alle politischen Parteien zertrummern, Es gibt
aber eine Partei, die nicht zu zertrummern ist; die illegal
karapfende Kommunistische Partei Deutschlands. Die Nachrichten
der Hitler-Regierung selbst bezeugen taglich die Tatsache, dass
diese Partei eine unerschiitterliche aktive Gegenkrafl ist- Sie
setzt ihre Taligkeit fort, und aus ganz Deutschland kommen^ Nach-
richten, dass ganze Arbeitergruppen der Sozialdemokratie, des
Rcichsbanners, der Sozialistischen Arbeitcrjugend und der christ-
lichen Arbeiler sich mit den illegal arbeitenden Koxnmunisten im
praktischen Kampf gegen die Hitlerdiktatur zur bruderlichen Ein-
heitsfront zusammenfinden.
Schon in den Tagen des Reichstagsbrandes flatterten die
antifaschistiscehn Flugblatter der Kommunislcii in die Mnssen der
Arbeiter. Die ArbeUcrwohnungen, die Keller und Dachbodcn der
373
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374
Mietskasemen werden in Geheimdruekemen verwandelt Wenn
Hunderto ihrer Agitatoren verhaftet wurden, traten Tausende
neuer geschulter und uberzeugter Kampfer an ihre Stelle. Wenn
Folterungen und Misshandlungen sich hauften, erklane die
SLinime des antifaschistischen Freiheitskampfes noch kuhner und
auiriittelnder. Jede der illegalen Zeitungen der Kommunisten ist
Zeile fiir Zeile nut Arbeiterblut geschriebeii. Auf jede erschienene
Nummer antworten an ihrem Erscheinungsort neue grausame
Verfolgungsaktionen.
Der Organisator des Reichstagsbrandes Goring, musste der
antifaschistischen «Zersetzungsarbeil» der Kommunisten das
glanzendste Zeugnis ausstellen, als er bei der Auflosung des
Karnpfringes junger Deutschnationaler», Ende Juni 1933, in der
anitllchen Begriindung erklarte, der «Kampfring» sei vollig von
Kommunisten durchsetzt gewesen. Anfang Juli beweisen die
drohenden Erklarungen Hitlers und Fricks gegen eine «zweite
Revolution*, dass die Entlarvungsarbeit gegen das Hitlerregime
aueh in weiten Kreisen der SA und der NSBO -wirksam ist.
Die folgenden wenigen Seiten konnen nur einen kleinen Aus-
schnilt aus dem «unterirdischen» Deutschland geben:
Die illegal© „Rote Fahue"
Einer der wichtigsten antifaschistischen Kampfabschnitte ist
die Herausgabe und Verbreitung der illegalen Presse. Die «Rote
Fahne», das Zentralorgan der Komrnunistischen Parlei Deutsch-
lands, ist seit dem Reichstagsbrand in regelmassiger Folge er-
schienen. Polizeiaktionen, Razzien, Aufgebote von Tausenden von
Spitzeln, nachtliche Patrouillen der SA und SS durch die Drucke-
reien konnen das Erscheinen dieser Zeitung nicht verhindern.
Immer wieder findet das illegale Blatt. vier- oder zweiseitig,
seinen Weg in die Mietskasemen auf dem Wedding, in die Be-
triebsabteilungen der AEG und von Siemens, in die Strassen-
bahnhofe der Berliner Verkehrsgesellschaft. Mag die techmsche
Ausstattung der «Roten Fahne* schlechter als fruher sem, memals
hat jedes einzelne ihrer Exemplare mehr Leser gefunden als jetzt.
Die christlichsoziale Wiener «Reichspost» vom 27. Mai gibt
folgende interessante Schilderung:
<Die <Rote Fahne* erschien zuerat in einer illegal gedruckten Aus-
gabe, in einer Auflage von 300000 Exemplaren, der dann »*™*|
vervielfaltipte Auflagen folgten. Geheime Druckereien _ soaon
friiher fur solche Zwecke vorbereitet - Abzngsapparate und
Sctareibmaeehinen begannen ihr Werk. Bald ™" *J r «J^
te Teil de Orto-, Zellen- u*d BetxiebszeituBger ■ _ f ^J ™^
nur vervielfSltigt - wieder fan Umlaufe, und Hu^rtteusMde vot
Flugzetteln gingen in de D Betrieben und in den ArbeiteloeenSmten.
Ton Hand zu Hand.*
375
la *wanag Stadtteilea von Gross- Berlin warden - neben der
gedruck en Ro.cn Fa hne- ■- regelmassig WOChentilch, i„ man-
chen Gcbie en zweimal ,n der Woche, vervielfaltigte. von WaX-
- oder Metallplaaen ahgezogeae Zeitungen, verbreite . Sie 2,
alle den Kopi «Rote Fahne». Zahlreiche einiache Arbeiter sin
die Redakteure dieser Zeitungen.
liote Sprachrohi-e in ganz Deutschland
Die Hamburger Polizei leilt Anfang Mai mit:
<Trotz scMrfster behordlieher Gegenmassnahmen kommt ee immer
wieder vox dans hochverraterfeche Flugschriften der KPD. insbeson-
dere Hugblatter sowie die verbotene cHamburger Volkszeitune>
und sonetige marxistwche Schriften hergestellt und auf de r StraB-
se und in den Hausern vertrieben warden.*
Im Ruhrgebiet erschien das «Ruhr-Echo» mehri'ach in grosser
Auflage. Die 1. Mai-Nummer des Blattes der Ruhrarbeiler hatte
sogar Doppellarbendruck. In den Stadtteilen von Essen erschie-
nen obwohl ganze Stadtvierlel von SA und Polizei durchsucht
wurden, obwohl die mutmasslichen Verteiler der Zeitungen in
grauenhaf tester V.'eise gefolterl wurden, immer wieder verviet-
faltigte Ausgaben des *Ruhr-Echo».
Aus Miinchen berichtct ein Arbeiterbrief, dass jede Woche
erne hektographierle Zeitung in einer Auflage von 3000 Exem-
plaren erscheint. Scchs Reichsbannerkameradschaften helfen bei
der Verteilung der Zeitung.
Die Bremer Polizeidirektion erliisst am 23. Mai Aufrufe °e-
S | n jj' e il,esa!e ' sechs Seiten slarke «Arbeiter-Zeitung». Die
«Suddeutsche Arbeiter-Zeitung» in Stuttgart erscheint gedruckt.
ebenso die illegalen Organe in Leipzig und Frankfurt am Main.
Am rsiederrbcm kamen im April und Mai mehrere Nummera der
Dusseldorfer «Freiheit» zur Verteilung. In Mannheim erhebt
immer wieder die «Rote Fahne Badens» ihre Stimme. In Erfurt
erscheint das «Thiiringer Volksblatt». ')
Die Stimme der Antifaschisten in den Betrieben
Die Kommunislische Parlei hatte sich als einzige Partei seit
Jahren m den Betrieben auf eine illegale Tatigkeit -vorbereilet.
ihre Partermitglieder wurden schon vor Errichtung der Hitler-
dikiatur in der geheimen Herstellung und Verbreitung von Be-
triebszeitungen geschull. So erscheinen jetzt zahlreiche soldier
clatter, die mit unerhortem Opfermut verbreitet werden.
1.) Ini Juli wurde eine Erfurter Geheimdruckerei entdeckt. Drei Funk-
Honare wurden auf der Stelle von SA erschossen.
376
"»
_
Fememord
an Heinz Bassler
Heinz Bassler wurde im April
19B3 in Dusseldorf von einei
SA-Tmppe durch acht Schilsse
auf ofi'ener Strasse ermordet.
Die Behorden versuchten die-
sen Fememord ato cErschies-
sung auf der Flucht> hinzustel-
len. Heinz Bassler war bei der
Diisseldorfer SA besondera ver-
hasst, weil er im Dezember 1931
aus der SA ausgetreten und
Mitglied der Kommunistischen
Partei geworden war. r>ns
obere Bild zeifft inn als
Sturmfiihrer der SA. das un-
tere Bild stammt vom Tage
seines Etatritts in die KPD.
r^'
Si
Heinz Bassler mil dem Totenbetl
Drei Einschusse, voo vorn ira Gesicht: «Auf der Plu-eht erschossen.*
Arbdtwfrau Grete Messing auf dem Totenbett
«ui aci btiasse hc^on unci verbluten.
[n dcr Berliner AEG erscheinen illegale Betriebszeitungen. Lm
Hamburger Hafen erscheinen die Zeiiungen «Hafentelegrarnme>.
runkspriiche* und «Der Sturm*.
Ein AEG-Arbeiter bericfatet ( •Anliiasrhishsclu? Fronts vom
2 Juli 1933) uber die Melhoden der illegalen Betriebsarbeit:
tUuser letztes Flugblatt erschien in einer Grosse von 10X20 cm.
\\ir stellten es folffendermassen her: Erst habeu wir die Parolen
ausgearbeitet und sie in Linoleum geschnitten, dann baben wir den
Linoleumstreifen auf einen TintenJo6cher angenagelt und so, StUck
urn StiiC-kj gedruckt. In der Nacht haben wir eine ganze Anzahl vor
den Betriebsloren angeklebt und die iibrigen als Streuzettel auf dia
Slrasse gelegt. Die Kollegen, die direkt verhungert 6ind nach Aut'-
klarungsraaterial. haben, als sie morgens zur Arbeit kamen, die
Zettel begeistert aufgenommen und jeder einzelne ging durcb
Dutzende von H&iden.»
Aus einem Hamburger AngestellLenbetrieb wird berichlel,
dass dort hn Klosell beim Zieben der Papierroile jedes Mai ein
winziges Flugblatt oder ein AusschniU aus einer illegalen Zeitung
herausfiel. 1m Berlin-Spandauer Belrieb von Siemens gelaiu-; es
den antifaschistischen Jungarbeitern, ihre Betriebszeitung bis
zur letzlen Numrner regelmassig zu verteilen. Die selbst hergc-
sleilte -Eote Wacht» der Betriebe Bielefelds wird gemeinsam von
konrmunistischen, sozialdemokralischen und Reichsbannerarbei-
tern verkaufl.
„Blitz-Aktiouett"
In den vergangeaen Monaten kam es in vielen Hunderten
von Orten zu grosseren und kleineren Demonslrationen der Anti-
faschisten, die sich meist in der Form sogenannter «BIite-
Demonstrationen* abspielten. «Blitz-Demonstralionen» oder «flie-
gende Demonslrationen)) gehen meist in folgender Form vor sich:
Die Arbeiter sammeln sich auf ein bestimmtes Signal an einem
veraoredcten Punkt, demonstrieren mehrere Minuten mit Rufen
gegendieliitler-Diktatur und mit Gesang anlifaschistischer Lieder.
25! ■ Dena ^ a A strat,0ne n l»sen sich oft wieder auf, bevor noch
h T u ge ^ cn SIC ein 8 r eii*en kann. Diese bewegliche Me-
thode soil eine grossere Zahl von Verhaftungen verhindern
Whe^n^V^^" c 1 .' a ' SOlche Demonslrationen aus
S l,Jr p^ld Siegen, Stettin, Worms. Osterode.
uusseldorf und Linden bei Hannover gemeldet.
koini?i.S T ird t ^kfSS Harabur 8 berichtet, dass dort die
-^ Flugblatter verteilt, 30
^t^isti^v^ te gek, 5 l Und m alIen Stadtteilen eifrir;
Vicr I > n± , r °, en an Maucrn und SSulen gemalf hat
scnnituich je 300 junge Anhfaschislen beteiligten.
377
Ein danischer Antifaschist berichtet iihfr di« m„.i
aulilaschistischen Agitation die er hi; • C A Me c Ul °den der
Sprechchor auf. Es erschallt ^ ! ? T ' P 15tzIich ei «
Mann des Sprechchors verschwunden P d ' e Vler
Die «Vossische Zeitung» vom 3. Mai meldet:
<In Bernau ^war, wie das WTB meldet, in der Nacht zum 1 Mai an
del j Spite des Turms , der Marienkirche eine rote Fahne mij Harn^
und SicheS angehracht Borden, Sie wurde in der Friihe des 1 Mai
von SA-Leuten unter Lebensgefabr heruntergeholt. AIs man am Rathaus.
am Feiertag der nationalen Arbeit die Hakenkreuzfahne aulzieheo
wollte, musste man feststellen, dass sie in der Nacht gestohlen wor-
den war. D ie Aufregung in Bernau iiber die doppelte Herausfor-
derung war unbeschreiblich. In der Nacht vom 1. zum 2 Mai wuraen
dann durch die SA im Verein mit der Polizei 40 verdachtige Perso-
nen festgenommen und in das Konzentrationslager Oranienbure *e-
bracht.>
Vor dem 1. Mai setzten die blitzartigen Agitationsmethoden
der Antifaschisten verslarkt ein. Am 29. April abends 9 Uhr flat-
terten von den Hausern der Frankfurter Allee, Ecke Konigsber-
gerstrasse Tausende von Flugblatter unter die Passanten. Im Kauf-
haus des Westens und in den Warenhausern von Tietz wurden
im Lichthof von den Galerien und Treppen aus die Flugblatter
abgeworfen. Am 1. Mai demonstrierten nachmittags 300 Arbeiter
im Berliner Osten auf dem Marsch zum Petersburger Platz.
Im Monat Mai steigert sich die neue Welle der antifaschisti-
schen Aktivitat. Am 12. Mai berichtet das Berliner «12-Uhr-Blatt»
uber die Sprengung eines kommunistischen Demonstrationszuges
in Spandau, wobei zehn Verhaftungen vorgenommen werden. In
Stultgart-Ost in der Kolonie «Reitelsberg» demonstrieren die
Jungarbeiter gegen die Hitlerdiktatur. Auch die neue Verhaftungs-
welle im Juni konnte nicht die tapferen Aktionen der Anti-
faschisten verhindern:
<Ara 9. Juni fand im Osten Berlins am Zentralviehhof eine Demon-
stration statt, an der sich ;>00 bis 600 Arbeiter beteilijrten. Kurz vor
7 Uhr abends sammelten sich auf ein Hornsignal die Arbeiter, aus
den Nebenstrassen kommend, in der Eldenacherstrnsse. Unter star-
ker Beteiligung auch der SchlUchtergesellen vom Zentralviehhof
und der umliegenden SchlHchtergeschSfte setzte sich die Demon-
378
Btratloo ""'t dem Geaang der 'Internationales in Sewogung, Uater
jioobrofen auf die KPI) mid NM-.irrnir--n gugeii die Hitlerreglerung
zop die Demonstration durch die KWlcnadief Hamburg und Thaer
......... bis kurss vor di<- Frankfurter Alice Faachiatiacaen Sturmlrup-
pon auB (ici. innin').'<Mir,i SlurmloUalen gelang e nichi, die Demon
gtration dei Arbeiter zu eprengen. Die alaraiiertfl Polizel oahm nach
BeenrlitfunL'' der Demonstration wahllos Verhartum>en vor
Ant(1a8eMiH8Che Zeiiunyen aut Deutschland.
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Helden des Antifaschismus
Mil gTausamer Hart, verioigen die aationalsozialistischeu
Fuhrer die AnUfasch.sien die illegal in Deutschland weite
kampfen. Fallen sie m die Hande der SA, dam* bedeuiet es oft
Folter und lod. Die Bremer Pohzeidirektion hat am l. Juli 1933
die Marterung der verhafteten Antifaschisten, als Vorbereitun*
der polizeihchen Vernehiming offentlich angekundi*!:
Die Bremer Polizeidirektion gib t bekannt : <I«n An-
schluss an die Plakatienuig <Letzte Wamung> hat der Polizeiherr die
Anordnung gelrotfen, dass samlliche Personen die trotz aller War-
nungen in Zukunft noeh wegen marxietischer Propaganda oder an-
derweitiger Btaatsfeindlicher Betatigung in Haft genommen werden
zunachst einem nationalen Verband zugefiihrt werden sollen (■) Der
nationale Verband hat die Aufgabe, zur Unterstiitzaing der poiitischon
Polizei die Festgenommenen eingehend Uber ihre Straftat vorberei-
fend zu vernehinen und sie dann mit dem Ermittelungsergebnis der
Geheimen Staatspolizei zuzufiihren.>
Zu Folter und Mord tritt die Aushungerung als Waffe
der Hillerregierung gegen die Antifaschisten.
Kassel, 8. Juli: <Im Kreise Schmalkalden, der zum Regierungsbezirk
Kassel gebSrt, hat sich in den letzten Tgaen eine verstarkte
kommunistische Pi*opaganda unter den Erwerbslosen bemerkbar ge-
macht. Es wurdeu verschiedentlich kommunistische Flugblatter ver-
breitet, deren Urheber und Verbreiter noch nacht erraittelt sind. In
der Stadt Schmalkalden hat der Btirgermeister darauf angeordnet,
dass alien links eingestellten Unterstutzungsempfangern des Wohl-
fahrtsamtes die Unterstutzung so lange geaperrt werden soil, bis die
later ermittelt 6ind.> (Frankfurter Zeitung, 10. Jidi 33.)
Vor dem Sondergericht stehen die angeklagten Antifaschisten,
ohne Verteidigung, ohne Zeugen, ohne die geringste Verteidi-
gungsmoglichkeit. Der Richter ist Henker. Bevor noch die An-
klage erhoben ist, weiss er, welches drakonische UrteH er zu
fallen hat. Heldenhaft stehen viele Angeklagten der faschistischen
Gewalt gegeniiber. So wird am 2. Juni 1933 aus Altona uber einen
Prozess gegen 20 antifaschistische Arbeiter berichtet:
cDer kommunistische Arbeiter Liitgens, gegen den der Staatsanwalt
die Todeestrafe beantragt hatte, erklarte, dass ihm der A filing dor
Staatsanwaltschaft zur Eh re gereiche, denn Kir einen Revolutionar
sei die Todessrafe vor dem Klassengericht die hSchste Auszeichnung,
die er erhalten konne, und die Zuchthauskleidung em Ehrenkleid.
Et erklSrte auch, dass er es als eine Schande empfinde, dass em zum
Scheine mitangeklagter Polizeiepitzel mil ihm in einem Zueliui.ui.
sitze. und forderte zum Schluss, dass ihm die eventuelle Strafe die-
ses Polizelspitzels mit zudiktiert werde, damit er mcht nut mesem
liu i Im gleichen Zuchthaus sitzen rausse.*
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l\\i-gale Betriebszeilmigen, Flugbltitter, StreuzeUel.
Mille Mai stand die Stenolypistin Jto vor Gerichj und
wurde zu 1% Jabren Zuchthaus verurteilt, well sie Flugblattei
weilergegeben hatte. Der Berliner «Tag» berichtete:
*Die Angeklagtn nrkiarte vor Oerioht, Ble Btehfl 8UCh Jetzt norh /.urn
IcommunistiBchen rjr..i:mk.!n, woranf -lor Anldagevertretei enrtderHs:
*Ha muse hi.-.- eternal Ln aller OeffentHchkelt erklHrt warden, m«
welcher Dreistigkeil uud in welch unversohiimter Weise die Kom-
munisten es wagen, noch hier vor dem Sondergericht aufzutreten.t
Aehnliches ereignet sich taglich vor deutschen Sondergerich-
ten. Nur iiber einen Bruchteil der Prozesse erscheinen Nachrich-
ten in der Presse. Die Weltoffentlichkeit wurde Ende Mai alar-
miert durch die Todesurteile gegen die antifaschistischen
Arbeiter B a r t h e 1 und Winkler in Chemnitz, sowie gegen die
Arbeiter Liitgens, Tesch, Wolff und Moller in Altona.
Seitdem steigert sich die Zahl der terroristischen Todesurteile von
Woche zu Woche: in Dessau, in Koln, in Harburg-Wilheimsburg.
in Berlin, in Hamburg wild in Serien die Todesstrafe gegen anti-
faschistische Arbeiter ausgesprochen wegen Taten, die z. T. langst
amnestiert waren, die in Notwehr geschahen, an dencn sie oft
iiherhaupt nicht beteiligt waren. Sie werden verurteilt nicht we-
gen ihrer Taten sondern wegen ihrer Gesinnung.
Der Umfang dieses Buches gestattet nur, einige Ausschnitte
aus dem illegalen antifaschistischen Kampf zu geben. Auf diesen
Seiten konnte nicht geschildert werden: die Organisierung von
politischen und wirtschaftlichen Streiks durch Antifaschisten, die
Hunderte von Bewegungen in den Betrieben, die Rebellionen in
den Arbeitsdienstpflichtlagern unter der Fiihrung von jungen
Antifaschisten. Von diesen Aktionen wird im zweiten Band des
«Braunbuches» berichtet werden.
Das Heldenlied des illegalen antifaschistischen Freiheitskampies
in Deutschland muss noch geschrieben werden: Kampf er, die der
drohenden Ermordung ins Auge blickten und dem braunen An-
sturm standhielten. Verhaftete, die auf die Todesankiindigung mit
dem stolzen Bekenntnis zum Sozialismus antworteten. Misshan-
delte, die unter den Schlagen der Stahlrulen und Knuppel die
■< International sangen, Helden wie jener Lehrer Wilhelni Ha-
mann in Hessen, der die Hakenkreuzfahne tragen und rufen
sollte «Es lebe der Fiihrer des deutschen Volkes, Adolf Hitler!*,
der aber die Hakenkreuzfahne zu Boden warf und unter den
Schlagen der SA rief: «Es lebe die Revolution und der Genosse
ThalmannU
Zehntausende namenloser Kampf er sind im «Dritten Reich*
am Werk, Deutschland und die Welt von der schmachvollen
braunen Barbarei zu befreien. Galgen und Sondergerichte, Fol-
terungen und Konzcntrationslager bedrohen sie. Ihre Standhaftig-
keit, ihr Mut sind nicht zu brechen. Sie stehen ein fur das kom-
mende freie SOzialistische Deutschland. Sie entfachen in uner-
schrockener Tatigkeit immer aufs Neue die Funken. aus denen
die Flam me der sozialistischen Freiheit schla-
gen wird.
382
I N H A L T
Der Weg zur Macht <j
Der Reichstag muss brennen! 35
Das Werkzeug van der Lubbe 44
Die wahren Brandstifter 63
Zerstorung der legalen Arbeiterorganisationen 130
Der Vernichtungsfeldzug gegen die Kultur 146
Misshandlungen und Folterungen 182
«Juda verreckel* 222
Vierzigtausend Manner und Frauen in Konzentrationslagern 270
Mord 307
Die Welt lasst sich nicht beliigen 355
Der heroische Kampf der deulschen Axbeiter 3 ?3
Das tBrounbuch, tonrde gegen Ende Juni ^M J^X
kapilel gourde «ock ein F«U ~ A ^ jTZZ'Jm^rt.
Ermordeten urn* wUhreni der Drucklegung de> B»<*'
HEIUCHTIGUNG :
Aur Sette 149 wurde Prof. Hensel veraehentlich als Mathematiker bezeich
net. Prof. Hensel ist Jurist.
Imprimerif 5, Plact du Corb«au - Strasbourg,