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Schweizer Aerzte
Herausgegeben *
von
Dr. Alb. Bnrckhardt-Merian und Dr. Arnold Baader
Priratdocent in Basel. in Gelterkinden.
BASEL.
Benno Schwabe , Verlagsbuchhan
Digitized by
1877.
I
i
(clö.S
'M-'S
Register.
I. Sachregister.
(O = Originalarbeit.)
A.blmpflinge, Ausw. der 297.
Abwehr 030.
Acidum catbartinic. 46.
— sclerotin. 40.
— thymic. 535.
Acute gelbe Leberatroph. 582.
Aerztecommise., Schweiz., Sitzung 684.
— frequenz, Bern 497, England 721.
— Heidelbergs, öff. Erkl. 181.
— Unterstatzungscassen 632.
— weibliche 659.
— -licher Centralv., v. Vereinsw.
— -liches Vereinsblatt Deutschlands 241.
— — Vereinswesen Russlands 329.
Aether, subcut. 369.
Aetiol. des Erysip. 0 70, 97, 136.
— — Typ* 1 - abdom. 117, 857.
Album, bei Schwängern 244.
Alcobolism. 596.
— bei Geisteskrankh. 6S1.
— -verband 501.
Allantiasis 628.
^yJAllgem. Krankenpfl. 124.
- yAn®mie der Bergwerkarbeiter 680.
JAnatom. Piöcen, Conservirg. 624.
^Aneurysm. aort» 670.
'*V — subcl. dextr. 706.
Ankfindigg. v. Geheimm. s. Geheimmittelunwesen.
i Antagonism. in der Therap. 079.
'PAnticip. climax, künstl. 568.
^Antisept. Behdl. d. Puerp. O 637, 672.
— Wundbehdlg. 297, 318, 631, 637, 672.
•^'Antivivisect bill 501.
.jAnus imperforat. 199.
PnApothekerverein, Jabresf. 498, 533, 566.
' 'Aq. lauroc. subcut. 628.
JiArcana, Beitrag z. Ref. der med. Tber. 361.
JArmspindelbruchheilungsvers., Gedicht 244.
^Atheromcysten am Ilals 91.
sr^&tresia ut. als Geburtshindern. O 43.
^Atropin gegen Schweisse 721.
. — und Calabar, Indicat. 520.
^Auf nach Olten 637.
JAugenheilanstalt, neue, Basel 590.
£Augenkrankh. bei Diab. mell. 556.
^Augenlids, 2 Fälle von Elephantiasis des 737.
Ausmusterung, sanitär. 566.
Aussergew. Bll dg. v. Vogeleiern 435.
Ausstellg. medic. Instrum. Genf 022.
Badarmencommiss., Schinznach 231.
— und Curorte, Frequenz einer Anzahl schwei¬
zerischer 747.
Bäder, v. electr.
Bäschlin’s unsichtb. Respirat 296.
Bandwurm 90.
-cur, Prof. Mosler’s O 106, 207.
— bei einem Säugling 369.
— in Basel 707.
Basel, neue Augenheilanstalt 590.
Batterien, const., neuere 583.
Befähigungsausw., eidg. 356.
Befruchtung 679.
Behandlung unheilb. Blasenscheidenfisteln 702.
Berechtigung zur ärztl. Praxis in Frankreich 601,
Italien 501.
Berichtigung 472.
Bericht Ober eine III. Ser. v. Ovariot. O 6.
— d. sanit. Unters, d. Recr.-Mannschaft 626.
Bestattung8weise, neue 503.
Bibliogr. in jeder Nummer.
Bienenstich 27.
Blätter f. Gesundheitspfl. 268, 528.
Blasenspalte, angeborene 484, 580, 582.
Blasenscheidenfistel, Behandl. unheilb. O 702.
| Blasenspr. b. Plac. prrov. 634.
! Bleiintoxicat., Aetiol. 368.
I — durch Gemüse 309.
| Blut, Erk. in for. Hins. 181.
j — -körp., Grösse 028.
Bordighera als Wintercurort O 605.
Brechweinstein, Vergift. 120.
Brillenkasten nach Metersystem 737.
Bromdämpfe bei Croup O 445.
| —- -kalium 534.
I-natrium 534.
I Bronchus, Durchreissg. 653.
Brucheinklemmung, Mech. und Therap. O 149,
394, 599.
Bulbus, Melanosarcom des 737.
Oalabar und Atropin, Indicat 520.
Camph. Phenol. 646.
Canalis. Basel 140.
Carbunkel 721.
Carcer, Kiel 182.
Casnistik d. Fremdk. 609.
Catarrh. Pneum. 624.
Cerebrale Localisat. 655.
Chem. Untersucbg. bei Giftm. Scherer 560.
| Chin. sulf. 530.
Chirurg, d. Schwangersch. *619.
Ü7i£40 Digitized by Google
IV —
Chlornatrium 584.
Chloroform, l’empl. dans l’accouch. 396.
-tod 148.
Chorea mit Hirnerecheinungen 200.
Climax, antic., ktinstl. 568.
Concord. v. Medicinalconc.
Congr. vide intern. C.
-tractanden 606.
Coiyunctivaltumoren 139.
Conserv. anat. PiAcen 624.
Constant Batterien, neuere 383.
Cornea, fein. vorg. d. Wundheilg. 171.
Corps Atrang. du globe de 1’oail O 81, 112.
Cotoin 070.
Creotins. und creot Natron 20.
Crotoncbloralhydr. 534.
Croup 677.
Curpfuscherei 62, 147.
— -process 493.
Daltonistenfamilie 318.
Darminfection O 33, 74.
Daumen, Dorsallux. 148.
Dermatom , Notiz aus d. Geb. der O 381.
Der Monobromcampher u. s. ther. Verw. O 061.
Deutsche Gesellsch. f. Gynäcol., v. Gynäcol.
Deutscher Ver. f. öff. Gesundhcitspfl. 403.
Diab. mellit. 149.
•— Äugenerkr. bei 555.
Diarrh., bartnäck. 502.
Die allgem. Schuhausstellg. in Bern O 11, 39.
Diensttauglichkeit 126, 720.
Dilat colli Uteri 628.
Diphtherit 314, 592.
— , Croup und Tracheot. 677.
— Epidemie in Frankreich 750.
Dissert v. Facult. medic.
Doctortitel, falsche 686.
Doppelhörrohr, das O 159.
Dyspepsie 149.
Einathmung zerstäubter Flüssigk. 554.
Eine Gastrotomie O 098.
Einwanderung d. Landbevölkerung in die Städte
080.
Eisen, Anwendung 720.
Eisenbahn, Hygieine 241, 398.
Electr. Bäder ohne Einschi. etc. O 413.
Eleph. arab. 706.
Ems, alc. mur. Thermen 469.
Enterotomie 630.
Epilepsiemittel 182.
Epilept Psychosen 140.
Erlenmeyer’s Anstalt, Bendorf 568.
Erysip., zur Aetlol. des O 70, 97, 136.
Extension, perman. bei Fract 651.
Extr. fll. mar. teth. 90.
Fabrikarb., Morbllitätsstat 358.
-gesetz 277.
Facultäten, med., Dissert. 212.
Fall von acut, hämorrh. Pancreat. O 606.
Farrenlymphe 308, 045, 709.
Feriencolon, f. Schulkinder 400.
Ferrum, Anwendung 720.
Feuille8 d’hygiAne 868.
Feuilleton 92, 244, 434, 462, 087.
Fibrokystoma uteri, exstirp. O 693, 707.
Filzzelte 886.
Finger, kOnstl. 621.
— Missbildung 679, 722.
Fleiscbpepton 53, 147.
— -Vergiftung 028.
Forensisches 61.
Fract., angeb. 810.
— , costar. compL 658.
— , humeri compl. 653.
Frauenstudium 181. 472.
Freizügigkeit d. Mediclnalpers. 355, 402, 085.
Fremdkörper im Auge 81, 112.
— Casuiat 609.
— Im Magen- und Darmcanal O 720.
— im Oesoph. 602.
Freq. der Bäder 277.
— v. Universitätsfreq.
Furunculosis 497.
Oalvanocaustik 621.
Gastrotomie 27, 030, 0 698.
Gaumenspalte, Operat 621.
Gebärmuttervorfall, Operation und ßehandl. 486,
O 511.
Gebirgsklima, Einfl. a. Lungenschw. 390.
— , praxis 237.
Geburt bei ut et vag. dupl. 499.
— , missgest Früchte 499.
— nach dem Tode 504.
— und Sterbeziffer 230.
Gedichte 244, 434, 462.
Gegensach verständige 108.
Geheimmittelpolizei 249, 358, 498, 499.
-Unwesen 61, 182, 249, O 420, 682, 719,
741, 742.
Gehirn, Beweg, des 404.
— , multiple Sclerose 45.
-purpur 297.
— , Reizvers. am Pavian 488.
Geisteszust. einer Brandstift. O 573.
Gelenkresect., Endresult. 619.
Genf, v. intern. Congr.
— , neue med. Facult. 207, 232, 294, 360, 533.
Genu valg., Therap. 832.
Gersau und Umgeb. als Curort 235, 295.
Geschlechtsbest vor der Geb. 244.
Gesundheitsamt, v. Reichsges.
— -pflege, deutsch. Ver. f. 403.
-verhältn. der Schneider 680.
Giftmord Scherer, chem. Unters. 556.
Glion als Curort 562.
Glycerin 28.
-lymphe 27.
Goldaderärzte, reis, und ihr Geheimn. 627.
Graubünden, Diphtherit. 592.
Grosshirn, heutiger Stand d. Localis. O 153, 190.
Gutachten über d. Geisteszustand einer Brandstift.
O 573.
GynäcoL, deutsche Ges. für 370, 569, 028.
Htemoglobinbestimmung, Appar. 704.
Häuser von Papier 659.
Hallerfeier, Bern 683, 719, 746.
Harnröhrenstrict., über Recid. bei O 309.
Haut, Physiologie 28.
Heilkunde ln Zahlen 750.
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Heileinrichtung, ne ne 629.
Hern, incarc., Taxi» 149, 894, 699.
Herzkrankh., Sec. corn. 646.
Hintere Scheiteleinstellung 647.
Hirnersch. bei Chorea 200.
Hirnpräp., Darstellung 66.
Höhenklima und Mittelmeer 681.
Höllensteinstift, fester 869.
Hornhaut, Wundheilung 171.
HQhueraugenoperat., Berlin 92.
Hydroceph. chron. 314.
— congen., rupt. ut. 653.
Hydrotherap. 362.
Hygleine im Eisenbahnw. 241, 398.
— in der Schule 399.
— , motion Guillaume 684.
— , öffentl. 471.
— , Prof, ln Bern 60.
Hysterot. wegen Fibrokyst. O 698.
Jahresschluss, zum 726.
Janusroste 629.
Impfcommiss., Schweiz. 26, 357, 685.
Impffrage, wissensch.U ntersuchungsmeth. 0185,221.
Impfung, Alter 502.
— , Auswahl der Abimpfl. 297.
— , Entscheide 211.
— in Italien 237.
— , Petitionen 181, 210.
— , Polemik 625, 715.
— , Recruten 24.
— , Reflexionen 673.
— , Result bei Farrenlymphe 368, 645, 709.
— , syphil. Räubergesch. 674.
— , Todesfall Marti 20.
— , Zürich O 253, 305, 341, 885, 410.
— , Zusammenstellg. d. Vot. d. Schweiz. Aerzto
O 65, 102, 706.
— Zuverlässigk. d. Stat. O 293, 324, 325.
-wesen 326, 357, 626.
Infectionskrankh. in Basel in jeder Nummer.
Inhalation 555.
-appar., neuer 61.
Instrnmentenausstellg., Genf 622.
Insufl. bei Ileus 370.
Internat, v. Freizügigkeit.
— Coagr. f. Abschaffg. d. Prostit 470.
— — Gesundheitspfl. u. Rettungsw. 568.
— — med. Wissensch. in Genf 125, 275,
358, 368, 438, 510, 585, 619, 655, 676.
— med. Einheit 680.
— PharmacopoS 680.
Interrupteur k mouv. d’horl. 427.
Invagination 706.
Irrenpflege, Erweiterung der, im Cant. Bern 742.
TCaltwaaserheilmeth. 362.
Klnderernährnngsanstalt 471.
-mittel 316.
-schütz 501.
-Sterblichkeit, Preussen 150.
KnieankyL, oper. 139.
-gelenk resect 197.
Knochenbrüche, v. Fract
— , z. Behdlg. d. offen. O 541.
-regenerat 502.
Körpermaasse 148.
Kohlenoxyd, Zimmerluft 371.
-säurebalt. Getränke, Wirkg. 471.
Krippen in Vlvis 438.
Kropfasthma und -exstirp. 669.
-kranke, tot. Exstirp. 317.
Künstl. Karlsbad 402.
Hjachgasvergiftg. 328.
Landärzte, Selbstdispensatlon der 742.
Lebensdauer 404.
— -mittelfäUcbung 28, 747—760.
Leber, parencbym. Degener. 582.
Leichenverbrenng. 242.
Lenk gegen Furuncul. 497.
Leukerbad, Abwehr 330.
Lister, v. antisept Wundbeh.
Lithium bromat 62.
Luft, Anwendg. compr. u. verd. 678.
—• -heizung 370.
— -röhre, Vereng. 526.
Lunge, Neublldg. glatter Muskelfas. 486.
Lungenschwinds., Einfl. d. Gebirgsklima 396.
Luzern, Mortalit 25.
Magenexstirpat. 630, 631.
-geschw., einf., chron. 657.
-pumpe 497.
— -resect., partielle 242.
Malaria, Aetiolog. 26.
Mädecine usuelle, la 471.
Mcdicinalconcord. 213, 533.
— -polizei 404.
Medlcin. Facult, v. Universitätsfreq.
— — , neue, Genf 207, 232, 294, 366.
Mening. cerebrospin. 654.
Menstruat präc. 404.
Metersystem Im Brillenkasten 737.
Mlcrocephalie 503.
Milchsecret., Verhütg. 29.
Militärsanitätswesen 24.
— im Truppenzusammenz. 013.
— u. die Bundesversamml. s. Beil. z. Nr. 24.
Milzbrandinfect 359.
— , Exstirp. 721.
— , Functionen 666.
Mlssbildg. d. Hand 679, 722.
Monobromcampher u. s. ther. Verw. O 661.
Montreux als Curort 662.
Morbilitätsstatistik 595.
— d. Fabrikarb. 356.
Mortalitätsstatistik 1876 24, O 599, 600, 627 und
Beilage zu Nr. 18.
— Luzern 25.
— Nidwalden 366.
— , Nomenclatur 672.
Moslers Bandwurmcur 165, O 207.
Mumps, bösartiger 177.
Muskelatr., progr. 705.
Muth der Aerzte 687.
Nadel Im Kehlkopf 371.
Nähmaschinenarbeiterinnen, Gesundh. d. 504.
Natr. lactlc. 47.
— salicyl. 405.
— — im Kindesalter O 449.
Necrologe Schweiz. Aerzte: Dr. Benz-Schoch 264,
Bodenheimer 181, Breiter 264, Cartier 532, De
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VI
la Harpe 438, Fischer 645, Gambert 264, Heus-
ser 264, ImThum 214, Mönch 140, Lanson 16,
SocinB. 179, Vouga 16, Zehnder 565, Züblin 468.
Nervensystem, Einfluss d. auf Blutbewegung 738.
Netzhaut- und Gehirnpurpur 297.
Neujahrsbetrachtgn. eines Arztes O 2.
Neurotomie 620.
Neuwahl d. Aerzteaussch. d. ärztl. Centralv. 683.
Nidwalden, Mortalit 366.
Nierenexstirp. 567.
Normalmilch f. Säugl. 686.
Oeffentl. Gesundheitspfl. 471.
Oeil, corps dtrang. 81, 112.
Oesophagotomie 630.
— , Fremdk. 502.
Off. Schreiben v. Prag 436-
Operationswiederholungscurs, Zürich 327.
— , neue, von Czerny ausgef. 747.
Opiumvergiftung 434.
Opodeldocvergiftg. 721.
Orthopädie 599.
Osteitis des Schädels 424, 485, 486.
Osteom des Felsenbeines 485.
Ovarialcyste, Inhalt 61.
-otomien, Bericht über O 6.
— — , geh. durch ElectrolyBe 92.
Ozffina, Therapie 620.
Pachymening. btemorrh. 488.
Panaritium 502.
Pancreatitis, acute, hiemorrh. O 666.
Papier als Baustoff 659.
Paracotoln 671.
Paras. microsc., nat et valeur O 341, 390, 436.
Path. und Ther. d. Neural, d. Trig. O 217.
Personals 60, 62, 91, 241, 328, 405, 438, 471,
472, 500, 504, 533, 629, 659.
Pfuscher, v. Curpfuscher.
Pharmac. univers. 680.
Pbenolcamphor. 646.
Physiol. d. Haut 28.
Pilocarp. muriat 318, 536, 670.
Pisa als Curort 21, 57, 121.
Pilze als Krankheitserreger 616.
Placenta prsev., Blasensprung 534.
Pneum. catarrh. 524.
Pockenimpfg. u. Lady Montague 326.
-Statistik, die zürch. O 253, 305, 341, 385,
416 .
Polymyelit. ant subac. 581.
Preus8en, Heilpers. 125.
Proc. xypboid., Luxat. 328.
Proph. bei Puerperalfieber 498.
Prosit Neujahr 1.
Prostitnt., int, Congr. z. Abschaffg. 470.
Psychiatrie, München 55.
— , Unterricht 438.
— , Vortrag z. Eröffn, d. Klin. in Basel O 477.
— , Wien 54.
Psychosen, allgem. Grundsätze b. Behdlg. d. 734.
— , epllept 140.
Puerp., antisept. Behdlg. O 637, 672.
Quecksilberalb., subc. 53.
Quelques mots s. 1. nat. et 1. val. d. paras. micr.
O 341, 390, 436.
Reblaus, Vertilgg. 125, 457.
Rechnung des Aerztevereins 684.
Redactionsartikel 1, 281, 509, 598, 637.
Rede von Droz 459, 589, Piachaud 458, Sonder¬
egger 351, Verneuil 587, Vogt, C. 588, 589.
Reflex, a. d. Impfgeb. 673.
Regl. d. ger. med. Coli., Bern 109.
Reichsgesundheitsamt 214.
Reismehl, Vergiftg. 120.
Reisebriefe v. Süden etc. 53.
Reizvers. am Geh. e. Pavians 488.
Resect. d. Kniegelenkes 197, 619.
— v. Gelenkreaect
Revacc., Reflex. 672.
Rückblicke, sanltätarätbl., St. Gallen O 129, 166.
Rupt. bronchi 653.
— sämmtl. Hüllen e. Hernie O 133.
— uteri 653.
Säuglingsmilch 569.
Samencysten 138-
— -flecke, Nachweis 630.
Sanitätsausmusterung, Bern über 626.
-räthl. Rückbl., Ct St. Gallen O 129, 166.
— die, in der Bundeaversamml. Beil. z. Nr. 24.
- Vorschriften z. Truppenzusammenzuge 561.
-wesen Basel 91.
— — Glarus 717.
— — Preussen 125, 182.
— — Winterthur 398.
— — Zürich 203, 283, 313, 519.
Sarcome des Auges 139.
Schädel, v. Osteitis.
-dach, hypertr. 486.
-verletzg., schwere 554.
Scharlachepid., Unterwalden 144.
Scheiteleinst., hint 647.
Schinznach, Badarmencommiss. 231, 293, 330.
Schneider, Gesundheitsverhältn. 630.
Schnelligkeit der Sprache 404.
Schuhaus8tellg., allgem. in Bern O II, 39.
Schule, Hyg. 399, 400.
Schweins, ther. bei Interm. 367.
Schweiz, naturf. Ges. 328, 595.
Sec. corn. 62, 646.
Sehnennaht 620.
Selbstdisp. d. Aerzte 533, 566, 682.
— -morde, Frankr. 600.
Signalpfeifen, grelle 398, 684.
Soc. m6d. de la Suisse rom., v. ärztl. Centralv.
sub Vereinswesen.
Soc. mdd. neuch., Gründg. 14.
Sonntagsruhe der Apoth. 29.
Speichelfluss, Schwefel 369.
Spitalwesen 399, 471, 501, 720.
Splenotomie 721.
Spongiosa d. Knochen 645.
Stand. Aussch. d. ärztl. Centralv. 683.
Standesinter., ärztl. 181.
Stat Dat z. Impffr. 237, v. Zürich.
— d. antis. Wundbeh. 631.
— d. Mort v. Riehen 647.
— Schweiz. Spitäler 685.
Steinschnitt 600.
Stichw. des Obersch. 173.
Strassburg, Universitätsbauten 150.
Studirende, weibl. 181, 472.
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Vit
Snbcut Aetherinject 369.
Süden, ReUebriefe über den 21, 57, 121, 718.
Syphil. cong. 404.
— and nie. varlc. 366.
Taxis incarc. Hern. 149.
Thermocautire Paqnelin 48.
Thromb. d. ven. cav. 646.
Thymol 535, 582.
TinctionsfL f. hist. Zw. 405.
Tonsillotomie 721.
TonrUtenweisheit 366.
Tracheotomie 314, 677.
Transfusion mit Milch 91.
-plantat, Schicks, der 678.
Trigeminus, Path. u. Ther. der Neur. d. 0 217.
Trinkw., Untersuchung 403.
Truppenzueammenz., Militäreanitätsw. im 613.
— sanit. Vorschr. 561.
Tuberc., Beh. d. Höhend, u. Küste 681.
Tumoren d. Conj. 139.
Typhus 314.
— , Aetiologie 117.
— , Antipyr. 678.
TJeber Darminfect O 33.
— d. heut St d. Local, im Grossh. 0 153, 190.
— d. Anwendg. v. natr. salicyl. im Kindesalter
O 449.
— d. operat Behdlg. d. Gebärmuttervorf. O 511.
— Inhalat, v. Bromdärapfen b. Croup O 446.
— Recid. bei Harnröhrenstrict. 0 309.
— d. Zürcher Pocken- und Impfstat O 309.
Ulc. varlc. n. Syph. 366.
Universitätsbanten, Strassburg 150.
Universitltsfrequenz 28, 61, 40?, 500, 596, 597.
Uns. wissenseb. Untersuchungsmetb. bei d. Imnff
O 185, 221. * '
Unterstützungscassen f. Aerite 632.
Uterusdruck 610.
-exstirp. O 693.
— -fibrocyste 707.
— jungfräul. 61.
-myome, Enudeat. 646.
Vena cava, thromb. 646.
Vereinsblatt, ärztL, Deutschland 241.
— -haus, ärztl., Dresden 685.
-wesen, v. ärztl. Verelnsw.
Vereng, d. Luftröhre 526.
Vergiftg. durch Chlorof. 148, Lachgas 328, Mor¬
phium 556, Opium 434, Opodeldoc 721, Reismehl
120.
Vemickelg. chir. Instr. 179.
Verrücktheit, prim. 708.
Versamml. des ärztl. Centralv. vide'Centralv.
— deutscher Naturf. u. Aerzte 503.
Verwundg. d. vas. fern. prof. 173.
Vogeleier, aussergew. Bildg. 435.
Vortrag, geh. zur Eröffn, d. psych. Klin. in Basel
O 477.
Watteverband 329.
Wechselfieber, Sch weise 367.
Weibl.\Aerzte 659.
— Studirende 181, 472.
Wirkung kohlens.f Getränke 471.
Wunder d. Wissensch. 27.
Kabncaries Schwerkr. 181.
Zeugnisszwang 27, 404.
Zürcher Pocken- und Impfstat. O 253, 305, 341,
385, 416.
— , Reorg. d. Sanitätswes. 263, 283, 313, 519.
' — , Universitätefreq. 596.
| Zum Jahresschluss 725.
1 — 19. Mai 281.
j Zur Behdlg. d. off. Knochenbr. O 541.
; Zusmstellg. d. Vot d. sämmtl. Schweiz. Aerzte, Im¬
pfung betr. O 65, 102.
i Zuverlässigkeit gew. Impfstat. O 2^3, 324. ^
Illustrationen S. 207, I. und II., 382,^512,1 51V
51^5177518vJ
II. Namenregister.
A-msler 93, 232, 293, 330.
B. 714.
Baader, A. 70, 97, 136, 237, 297, 367, 400, 466,
468, 560, 561, 565, 566, 676, 719, 742.
Baader, J. J. 655.
Baas 57.
Banga 117, 118.
Baumann 673.
Bernonlli, D. 435.
Bion 400.
Bischoff 646.
Borei 341, 390.
Brunner 331.
Burckhardt-Heusler, G. 584, 715.
Burckhardt-Merian, Alb. 65, 102,359,434,585, 590.
Cattani 147.
Christeller 605.
Cloötta 46, 532, 670.
Conrad 610.
Courvoisier 328, 647, 698.
r>. i80.
Demme, R. 292, 609, 726.
deWette 91, 120, 585, 709.
Droz 459, 589, 741.
Dunand 675.
Eberth 485.
Egli-Sinclair 511, 637.
Emmert, C. 108.
Erlach, K. v. 381.
Fankhauser 465, 661.
Favarger 117.
Fehr, A. 529, 531.
Flechter 646.
Frey 133.
Gelpke 33, 74.
Glatz 362.
Goll 595.
Goudet 18.
HL 361.
Haab 318.
Hägler 533.
Hagenbach 294, 326, 449, 625, 645.
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— vm
Haltenhoff 207, 235, 295.
Hartmann 57.
Hartmann, O. 185, 221.
Hemmann 2G9.
Heuberger 210.
Hllty 666.
Hitzig 153, 190, 186, 488.
HSchner 361.
Hoffmann, C. E. E. 11, 39, 178, 436.
Horner 318, 520. '
Hoech 90, 119, 120.
Huguenin 45, 747.
•Jäger 445.
Immermann 705.
Iaenachmid 181, 309.
Juillard 366.
Kleba 438.
Kocher 6, 394, 580, 693.
Kottmann 541.
Lang 217.
Lang, E. 207, 6(1, 612.
Lange 165, 470.
Laakowaky 624.
Lotz 231.
Ludwig 366.
M. 492.
Maaaini 52, 433, 616.
Meyer-Hüni, R. 159, 206, 432.
Mieacher 738.
Munzinger 561.
Müller, Apotheker 420.
Müller, E. 491.
Mnralt, W. v. 52, 197, 199, 484.
Wäger 554.
Nicati 595.
Odier 396.
Päachel 497.
Pflüger 555.
Piachaud 458.
Quincke 581.
Konus 706.
Roae 173, 177, 317, 526, 669, 702.
Roth 138, 705.
Ronlet 81, 112.
Schärer 742.
Scbiesa 139, 737.
Schneider 582, 683.
Schnyder 21, 60, 124, 424, 652.
Schüler 204.
Seitz 17, 19, 53, 120, 324.
Sonderegger 129, 167, 354, 398, 457, 469, 682.
Socin 139.
Steger, Ad. 43.
Steiger, A. 25, 554.
Stierlin 556.
Surry 56, 147, 573.
Trechsel 466, 493, 612, 613.
"Valentin 583.
Verneuil 587.
Vogt, Ad. 2, 253, 325, 396, 716.
Vogt, C. 588, 589.
W eiaaflog 413.
Wiel 90.
Wille 140, 477, 708, 734.
Wyaa, H. v. 171, 622.
Wyaa, Oec. 200, 314, 524.
Zehnder 144, 305, 313, 341, 385, 416, 519.
Zenna 368.
Ziegler 20.
Zuber 387.
Zürcher 497.
III. Acten der Aerztecommission etc.
Antwort an den eidg. Apothekerverein 682.
Eidg. Befähigungaauaweiae 355.
Geheimmittelpolizei 249, 358.
Impfweaen 357.
Internat ärztl. Congresa 358.
Morbilität8- u. Mortalit&tsatat d. Fabrikarb. 356.
Schreiben d. Geaellsch. d. Aerzte des Ct. Zürich
a. d. Groaarathacommisa. 288.
IY. Yerelnswesen.
V. Internat Congreaa der medic. Wiaaenacb., vide
Sachregister: intern. Congr. in Genf. Featbe-
achreibung 588 u. ff.
Schweiz, ärztl. Centralverein 274, 354, 626, 702,
734.
— und aoc. mödic. de la Sniaae rom. 274, 354,
394, 420, 456, 599.
Schweiz, naturf. Gesellach. 328, 595.
Aerztl. Verein d. Centralschweiz 554.
Baael, med. Gesellach. 138, 645, 705, 737.
Bern, cbir.-med. Cantonalgeaellach. 107.
— , medlc.-pharm. Bezirkaverein 580, 609.
Neucbätel, Sociötä m4d. de 14, 81, 112.
Zürich, Cantonalgeaellach. 263, 283, 519, 669.
— , Geaellsch. der Aerzte in 45, 171, 197, 313,
484.
Y. Correspondenzen.
Schweiz.
Aargau 231, 293, 330, 493.
Appenzell I. R. 359.
Baael 90, 120, 179, 207, 293, 325, 359, 433, 434,
435, 590, 625, 741.
Baaelland 652.
Bern 21, 324, 683, 715.
Das Militäraanität8weaen im Truppenzuaammenzug
d. V. Armeediv. 613.
Geheimmittelunweeen, Conferenz, intercant. in Bern
22. Nov. 741.
Genf 207, 232, 294, 362, 366, 624.
Glarus 717.
Graubünden 366, 592.
Nidwalden 366.
Ostachweiz 361.
Schwyz 235, 295.
Solothnrn 561.
St Gallen 57, 147, 326, 468.
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IX —
Tessin 367.
Unterwalden 144.
Waadt 562, 595.
Wallis 330.
Ausland.
Ajacdo 718, 744.
Baden, Grossberzogthum 417.
Ems 469.
MQnchen 180.
Neapel 237.
Prag 436.
Süden, Reisebriefe 21, 57, 121, 718.
Wien 53.
Worms 56. _
TI. Literatur.
(Referate und Kritiken.)
Baginsky, Dr. Ad., Handb. d. Schulhygiene 467.
Beck, Almanach der ärztl. Polytechnik 741.
Birch-Hirschfeld, Dr. F., Lehrt), d. pathol. Anat.
178.
Brunner, A., Das leuker Bad 270.
Brehm’s Thierleben, 9. Band 493.
Burow, Laryngoscopischer Atlas 740.
Buss, vide Treichler.
Claude Bernard, Vorlesg. über thierische Wärme,
Obers, v. Dr. A. ßchuster 710.
Conrad, Dr. M., Refract v. 3036 Augen etc. 120.
Cossy, v. Lebert
Dock, Dr. W., Haematocele retrouterina 611.
Dorfdoctor, 8 Steine des Anstosses 463.
Ellinger, der ärztL Landschulinapectoj- 739.
Eepine, A. d’, Prof. Dr. und Dr. C. Picot, Man.
prat des maladies de l’enf. 18.
Eulenburg, Nothnagel etc., Krankh. d. Nervensyst.
in v. Ziemssen XII, II. 2.
Feierabend, Dr. A., Die climat'Curorte d. Schweiz
466.
Geber, E., Prof. Dr., Zur Anatom, d. Lup. ery-
them. 17.
Gerhardt, C., Der hesmorrh. Infarct (Volkm. 91) 52.
Kausamann , Dr. A., Retentionsgeschw. schlim.
Inh. in den weibl. Genlt. 118.
Hirschfeld & Pichler, Die Bäder, Quellen u. Cur-
orte Europa’s 492.
Hofmann, Prof. Dr. F. u. Prof. Dr. G. Schwalbe,
Jahresb. ü. d. Fortschr. d. Anat u. Phys. 178.
Husemann, Prof. Dr. A., Der Curort St Moritz u.
s. Eisensäuerl. 271.
Jäger, Dr. E., Behdlg. d. Fibromyome d. Uterus
mit subc. Ergotlninject. 117.
Josephson, Wirkungslos, und Nachth. des transp.
pneum. Apparat 651.
Journal, ärztl., für Stadt- und Landärzte 739.
JOrgensen, Prof. Dr. Th., Die wissenschaftl. Heil¬
kunde und ihre Widersacher (Volkm.) 466.
— Ueber d. leichten Formen d. Abdominaltyph.
(Volkm. 61) 613.
Kill las, Dr. E., Heilq. u. Bäder v. Tarasp 269.
Killias, val Sinestra, arsenhalt. Eisensäuerl. 270.
— , Vetan im Unterengadin 270.
Kohn, Dr. E., Die Syph. währ. d. Periode ihrer
Initialf. 19.
Krahmer, Prof. L., Handb. der Staatsarzneikunde
531.
Kraus, B., Diagn. u. Tber. d. Krankh. deB Men¬
schen 465.
Kunze, Dr. C. F., Comp. d. pract Medicin 468.
Lebert, Prof. Dr. H., Bex, Cant, de Vaud, trad.
firan$. par Cossy 273.
Leube, Prof. Dr., Krankh. des Magens 87.
Lombard, Dr. H. C., Trait4 de climatologie m6d.
675.
Ludwig, Dr. J. M., Das Oberengadin in s. Einfl.
etc. 675.
Marx, Prof. C. F. H., GrundzQge der Arznei¬
mittel 52.
Michel, Dr. C. D, Krankh. d. Nasenhöhle 429.
Maller, Dr. A., Stat Beitr. z. Beleuchtg. d. Hered.
etc. 490.
— , Dr. F., Bericht z. d. Gesetzesentw. betreff.
Freizüg. d. Medicinalpers. 141.
IVagel, Die Seekrankh. 740.
Niemeyer, Dr. P., med. Hausbuch, Hustenkrankh.
204.
— , — , Die Lungenschwinds. 612. *
Nussbaum, Prof. Dr. v., Die Chirurg. Klinik zu
Manchen 49.
Oesterlen, Dr., Die Kindersterblichkeit 613.
Fetereen, Dr. Jul., Hauptmom. in d. Entwicklungs-
gesch. d. med. Ther. 559.
Pfeifer, Dr. L., HOlfs- u. SchreibkaL t Hebammen
u. Krankenpfl. 584.
Pichler, vide Hirschfeld.
Picot, 6., v. d’Espine.
Planta-Reichenau, A. v., Die Soda- u. Sauerquel¬
len Passug 271.
Reich, Dr. E., Die Ursachen d. Krankh. 201.
Reicbenbach, Dr. E., Th6or. physiol. des eures
d’eau therm. ä Loöche etc. 270.
Reymond, M., Das Buch v. ges. u. krank. Herrn
Meyer 560.
— , Das neue Laienbrevier d. Häckelismus 492.
Riefenstah], Dr., Die künstl. Ernährg. des Kindes
292.
Riegel, Fr., Ueber respir. Paralysen (Volkm. 95)
119.
Rothmund, Prof. A., Behdlg. d. Homhautgeachwü-
res 120.
Schauenburg, Dr. C. H., Handb. der öffentl. und
priv. GesundheitspfL 201.
Schinzinger, Prof. Dr., Bericht ü. d. chir. Privat¬
klinik 49.
Schnitzler, Joh., Krit. Streifzüge a. dem Geb. der
Laryng. 427.
8chnyder, Dr. H., Weissenburg, s. Heilanz. u. s.
Curmittel 433.
Schulze, J., Die klimat. Curorte d. Riviera 532.
Schwalbe, v. Hoffmann.
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X
Schweig, Dr., Schwär* u. Zülzer, Beitr. z. medic.
Statistik 227.
Seggel, Bestimmg. d. Sehschärfe 119.
— , Object Bestimmg. d. Kurzsichtigkeit 119.
Spiegelberg, Prof. O., Ueber Plac. pr®v. (Volkm.
99) 611.
Störk, Prof. Dr. C., Klin. d. Krankh. d. Kehlkpf.
etc. 427.
Stader, B., Auszug d. Schweiz. Pharmac. 470.
Sturm, Dr., Nachr. über Bad Cöstritz 272.
Treichler, Dr. A., Die Verhötg. d. Kurzsichtigk.
etc. 90.
— , — und Buss, Pfarrer, Bad u. Curort Lenk
397.
Ulrich, Prof. Dr. A. S., 18. Jahresb. d. schwed.
heilgymn. Instit. 49.
"Vogel, Dr. A., Mittheilungen über 50 Typhus-
f&lle 529.
"Weil, Dr. A., Die Auscult d. Art u. Yen. 321.
Wilbrand, Dr. J., Von den Lebensaltern d. Men¬
schen 612.
Winkel, Prof. Dr., Ueber Myome d. Uterus (Volkm.
98) 206.
Wyttenbach, Dr. A., Ber. d. Sanitätscommiss. d.
Stadt Bern ü. d. Typhusepid. 529.
Ziemssen, y. Eulenburg.
Zülzer, Dr., v. Schweig.
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CORRESPONDENZ-BLATT
Am 1. and 15. jeden
Monats erscheint eine Nr.
1V»—2 Bogen stark;
am Schloss des Jahrgangs
Titeln.Inhaltsverzeichniss.
für
schweizer Aerzte.
Herausgegeben von
Preis des Jahrgangs
Fr. 10. — für die Schwei«;
der Inserate
25 Cts. die zweisp. Zeile.
Die Posthnreanz nehmen
Bestellungen entgegen.
Sr. Alb. Barekhardt-Hlerian und
Priratdocrat in Baael.
Sr. A. Baader
ln Gelter kindan.
N” 1. VII. Jahrg. 1877. 1. Januar.
Inhalt: Pronit Neujahr! — 1) Original arbeiten: Neujahrs betrach tan gen eine* Ante*. Prot Dr. Kocher: Bericht
Ober «ine dritte Serie von 5 Orariotomien. Prot Dr. C. E. B. Hoffman i»? Die allgemeine Schohaoaetellnng in Bern, im Sommer
187*. — 2 ) Vereiniberiohte: Soddtd mddicale nench&teloiae. — 8) Beferate and Kritiken: Dr. Eduard Geber: Zar
Anatomie dee Lnpoa erythematodes. Prof. Dr. A. D'Etptne et Dr. C. Picot: Manuel pratiqne des maladlee de l'enfanoe. Dr.
i t m amm ii Kokn: Die Syphilis wihrend der Periode ihrer Initial* and FrOhformen and deren Be handlang auf Grand von Fonrnier's
.Leconi »ar la eyphilia* — 4)Kantonale Correspondensen: Bern. l.Beisebrief aus dem Süden. — 6) Wochenbericht.
— 0) Bibliographiechea. — 7) Briefkasten.
Prosit Neujahr!
Sapere andel
Wieder liegt Weihnachten hinter uns, aber, wie wir fUr alle unsere Leser hof¬
fen. in jenem lieben Andenken, das uns immer als köstliches Gut zur Erinne¬
rung an die so seltenen Stunden zurückbleibt, in welchen wir, frei aller Sorgen,
ungetheilt uns dem Genüsse rein menschlichen Glückes hingeben.
Ob wir gläubiger Christ, ob wir willensstarker Rationalist seien — für alle ist
Weihnachten der heilige Tag, an dem wir Einkehr halten in uns selbst, uns sam¬
meln, dann aber auch uns freuen, dass wir leben! Bist du inmitten des blühenden
Lebens deiner Familie, so sei doppelt glücklich I Stehst du allein, so vergiss es
für die kurze Spanne Zeit und sei auch glücklich. Du kannst es, wenn du willst.
Und lastet manch’ Einem das Kreuz verflossener Tage sorgenschwer im Nacken,
heute fasse er frischen Muth und vergesse nicht, dass:
„Nil sine magno
Vita labore dedit mortalibus.“
Allen darum unsern herzlichen Glückwunsch zum neuen Jahre. Mögt Ihr es
Alle verstehen, das Glück des Augenblickes froh zu gemessen und nie verlernen,
in trüben Stunden den standhaften Sinn zu bewahren.
Wenn es uns heute leicht wird, in theilnehmender Freude der einzelnen Col-
legen zu gedenken, so wird es uns schwerer, mit freudigem Auge in die Zukunft
unserer ganzen Corporation aufzublicken.
Der Kampf hat begonnen. Gegen die Autorität der Fahne, um welche seit alten
Tagen die Aerzte sich sammelten, hat sich allerorts ein revolutionärer Geist er¬
hoben. „Nieder mit ihr1“ Das ist die Losung. Der in unserer Zeit sich so mächtig
und ungestüm nach allen Seiten ausdehnende Freiheitsdrang des einzelnen Indivi¬
duums hat auch den einen falschen Weg eingeschlagen, welcher die auf wissen¬
schaftlichen Grundlagen ruhende Kunst des Heilens zu Grabe geleiten soll. Wir
müssen erwarten, dass immer mehr der speculative Charlatanismus, die blindeste
l
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Empirie und die roheste Arroganz mit der legalen Medicin in Concurrenz treten
und dass sie, vom Publicum anerkannt, unter einfachem Wechsel der aus-
Sern Form die sociale Stellung des Praktikers Schritt fiir Schritt zu erschüttern
suchen.
Da heisst es, mit fester Hand und ungebeugtem Muth zum alten Panner Auf¬
sehen und nicht vergessen, dass eben doch sapientia est potentia und es auch
bleiben wird trotz aller Anfechtungen.
Retten wir aus dem beginnenden Kampfe vor Allem aber jenen integrirenden
Theil unserer Berufsehre, dem die erste Gefahr droht: die Reinheit der Moral.
Die Ziele der Humanität, die Förderung des Glückes der leidenden Menschheit
seien auch iernerhin unser Stolz. '
Und dann nehmen wir mit Muth und Ausdauer den Kampf auf! Wohl führt
er uns auf ein Feld, das nur zum kleinern Theil das Gebiet unserer bisherigen
Thätigkeit war. Die Zukunft der legalen Medicin besteht nicht
mehr allein in dem Heilen des erkrankten Individuums; sie
liegt in weit höherem Grade in der Prophylaxis, der Ver¬
hütung und Bekämpfung der krank machenden Factoren, als
in der Ausgleichung ihrer schädlichen Effecte.
Diese Umwälzung wird uns schwer werden. Sie führt uns auf ein weites und
hartes und noch vielfach unbebautes Arbeitsfeld. Wir wollen aber arbeiten; wir
können es, und so rufen wir denn auch der ärztlichen Wissenschaft und der ge-
sammten Corporation ihrer Träger unverzagt und frohen Muthes zu:
Glück auf! Prosit Neujahr!
Or iginal--Ajrl>ei ten.
Neujahrsbetrachtungen eines Arztes.
Die Jahreswenden sind Meilensteine, welche in unserm Lebenslauf am Wege
stehen, um uns anzuzeigen, dass wir im Tretrad des alltäglichen Lebens wieder
eine Maasseinheit unserer Lebensdauer hinter uns haben. Wie die Garnwinderin
beim Knacken ihrer Spule, wenn diese ihre tausend Umwendungen gemacht hat,
jeweilen ein Momentchen wie erschreckt innehält, um dann wieder ruhig weiter
zu spulen, so stehen auch wir bei unserm Meilensteine einen Augenblick still,
schauen erst zurück nach dem abgewundenen Faden und dann vorwärts nach der
Scheere der Parze. Aber nicht Alle von uns verweilen bei der Rückschau auf
das Vergangene gleich lang, wie bei dem Ausblick in die Zukunft Je nach seiner
Geistesverfassung gefällt sich der Eine mehr in der Recapitulation des Vollbrach¬
ten oder Versäumten und pflastert die Zukunft mit guten Vorsätzen, während der
Andere schneller den Schleier des Vergessene über die Vergangenheit zieht und,
erfüllt von seinen Zielen, prophetisch vor sich die Verwirklichung derselben an¬
schaut. Der Ueberbringer des Neujahrgrusses an seine Collegen gehört zu den
letzteren. Er verweilt weniger gern bei den vielen Enttäuschungen, welche ihm
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8
sein ärztliches Wissen und Wirken bereitet haben, als bei seinen Zukunftsplänen:
er ertrankt das Bittere der Vergangenheit nicht im Sylvesterrausche, um das neue
Jahr ohne Katzenjammer mit nüchternem Kopfe und warmem Herzen antreten zu
können. Und in diesem Sinne will er sich hier ein Paar Worte erlauben.
Der ärztliche Stand in unserm Vaterlande hat in den letzten Jahren grössere
Wandlungen durchgemacht, als je in früherer Zeit. Nur zu sehr hatte ein Jeder
von uns seit langem gefühlt, dass die egoistische Absonderung ihn mehr und mehr
dem Volke entfremdet und die Zerfahrenheit des Standes sein öffentliches Ansehen
entwerthet... Wir standen so ziemlich ausserhalb des Getriebes der Zeit. Der Eine
machte sich Namen, der Andre Geld, Manche Beides. Wir waren Heilkünstler
und Ausbeuter unserer Standesvorrechte, aber nicht Aerzte und Helfer in der Noth
in dem höheren Sinne des Wortes. Da hob uns das Bewusstsein, dass wir in un¬
serer Wissenschaft noch so manche ungehobene Schätze für das Gemeinwohl tra¬
gen und dass dem Arzte in der Zukunft eine grosse, früher kaum geahnte Kultur¬
mission warte, glücklich hinüber über die alte Zeit und wir schlossen uns aus allen
Gauen enger und immer enger zusammen, um mit vereinten Kräften jenem Rufe
der Zeit zu folgen und den Allgemeininteressen der menschlichen Gesellschaft zu
dienen. So eröffneten 'fair in unserm Correspondenzblatt den freien Sprechsaal
zu gegenseitiger Verständigung, traten zu unserm schweizerischen Centralverein
zusammen, zogen unsere romanischen Brüder zu unserm Aerzte-Ausschuss heran
und schlugen sofort den Ton an, welcher unter patriotischen Männern nicht sobald
verklingt, nämlich die Verfolgung der vaterländischen Interessen in unserer Wis¬
senschaft und unserer praktischen Bethätigung. Wir können also mit einem fröh¬
lichen „Glückauf!“ für das neue Jahr das alte beschliessen.
Doch — ich wollte ja nicht in Sylvesterbetrachtungen schwärmen, sondern
einige Luftschlösser in’s neue Jahr hineinbauen: und da schwebten mir vor Allem
unsere ärztlichen Bildungsstätten vor, welche gegenwärtig ähnlichen Krisen ent¬
gegengehn, wie sie früher den ärztlichen Stand bedrohten. Die einzelnen Gebiete
unserer Wissenschaft haben so weitgehende Dimensionen angenommen, dass ihr
Studium durch zu grosse Ausbreitung in die Fläche an Tiefe zu verlieren droht
und dass es geboten scheint, der Tendenz der Zersplitterung mit dem Streben
nach einheitlicherem Zusammenfassen und nach gemeinnützlicheren Zielen anzu¬
kämpfen. Der einzelne Vertreter einer Doktrin steckt sich seinen eigenen Weid¬
platz ab und sucht Jeden, der sich ihm beigcsellen will, als unbefugten Eindring¬
ling hinaus zu beissen. Und gerade da, wo wir im Studium schliesslich an das
wirkliche Leben und Gemeinwesen anschliessen sollten, vermeiden wir sorgsam die
praktischen Anforderungen, welche die menschliche Gesellschaft heutzutage an uns
stellt, und verdecken diesen Mangel mit dem Grundsätze, dass man die Wissen¬
schaft der Wissenschaft zu Liebe betreiben solle, indem wir dieselbe in abstrakter
Weise von dem praktischen Leben loslösen und dadurch jene ursprünglich richtige
Maximo in einen werthlosen Gemeinplatz umwandeln. Wir stimmen daher auch
vollkommen Pettenkofer bei, wenn er es für unverantwortlich erklärt*), alles Heil
*) Deutsche Vierteljahre ehr: fßr Öffentl. Gesundheitspflege. 1871. Bd. HL 8. 269.
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zunächst nur in iaolirten Specialuntersuchungen zu erblicken, welche sich an ein¬
zelne Fälle anknüpfen und die ihren Mittelpunkt doch immer erst in einer Gesammt-
doktrin zu suchen und zu finden haben, von welcher auch stets die richtigste und
schärfste Fragestellung für Einzeluntersuchungen ausgehen wird.
So entfernen sich unsere medicinischen Schulen langsam, aber stetig immer
mehr von ihrem eigentlichen Ziele, Bewahrer der Gesundheit und Helfer in der
Krankheit heranzubilden. Die Kliniker wachsen zu sehr zu physiologischen und
pathologischen Versuchsstationen aus, und schon die blosse Mahnung an diese ver¬
fehlte Richtung wird vornehm als Unbekanntschaft mit den Grundbedingungen des
medicinischen Studiums abgelehnt. In engem Zusammenhänge damit steht auch
die Erscheinung, dass die Polikliniker vielfach zu Anmeldebureau’s der klinischen
Spitalabtheilungen herabzusinken und mehr zur Auswahl sogenannter „interessan¬
ter“ Fälle zu dienen drohen. Und die allseitig anerkannte Einseitigkeit, welche
die Spitalpraxis involvirt, dient fast mehr zur Motivirung einer einträglichen Pri¬
vatpraxis der Lehrer, als dass sie zu einer sorgsameren Kultur der poliklinischen
Anstalten thindrängte. Gerade die Bedingungen des Krankwerdens können ja am
wenigsten in den Krankenkasernen studirt werden, wo sie nur sehr mangelhaft
aus den vorurtheilsvollen Relationen Unverständiger erschlossen werden müssen.
Während die Neuzeit, sogar manchmal im geistlosen Uebermaass vom Anschau¬
ungsunterricht im Fröbel 'sehen Kindergarten bis hinauf zum Eintritt in’s praktische
Leben, die direkte Beobachtung in den Naturwissenschaften in den Vordergrund
stellt, begnügt man sich hier bald mit vollständigem Ignoriren der Krankheitsur¬
sachen, bald mit der Vorführung vager Hypothesen, deren Werth selbstständig
zu beurtheilen, bei der Abwesenheit des faktischen Thatbestandes, dem Schüler
nicht gegeben ist. Gar nicht zu reden von den Vortheilen, welche dem Schüler
das Vertraut werden mit all' den Schwierigkeiten der Praxis bringt, wenn ihm die
Instrumenten- und Bandagensammlungen des Spitals nicht mehr zur Verfügung
stehen, ihm geübte Assistenten und Wärter keine hülfreiche Hand mehr bieten und
ihm das ganze Heer landläufiger Vorurtheile hindernd in den Weg treten. Wo soll
er Geistesgegenwart, praktischen Blick und Takt und Menschenkenntniss sich er¬
werben ?
Eines unserer Luftschlösser bestünde also darin, dass eine jede unserer me¬
dicinischen Schulen, wenn sie praktische Aerzte bilden will, in einer oder meh¬
reren poliklinischen Stellen, losgelöst von der Spitalklinik, gipfle; dass
nicht nur Assistenten und Schüler mit mehr oder weniger praktischer Erfahrung
an das häusliche Bett des Kranken treten, sondern dass der gereifte Meister selber
dem Schüler den Boden zeige, auf welchem das menschliche Elend gezüchtet wird,
dass er ihn anweise, sich mit den primitivsten Hülfsmitteln zu behelfen, und ihn
lehre, wie der Arzt in seiner späteren praktischen Thätigkeit oft mehr Belehrer,
Tröster und sogar Seelsorger ist als Techniker. Das Alles lernt der Schüler nicht
im Krankenhaus mit seinen nummerirten Zimmern und Betten, wo ihm der Lei¬
dende, entfernt von den krankmachenden Influenzen, bloss noch als Träger irgend
einer mehr oder weniger interessanten Krankheitsform entgegen tritt. Die Spital¬
kliniken sind im Grunde nur Vorbereitungen zur eigentlichen Klinik, und diese
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kann nur unter dem Dache des Erkrankten selbst, inmitten aller Schädlichkeiten,
welche ihn zn Falle gebracht haben, abgehalten werden.
Eine eingehendere Pflege der Hy gi eine bildet ein weiteres Luftschloss,
welches der Neujahrsgratulant in unsere Zukunft hinausbaut. Wenn der geist¬
reiche Benle sein Handbuch der rationellen Pathologie *) mit den Worten beginnt:
„Die Aufgabe des Arztes ist, Krankheiten zu verhüten und zu heilen“, so fragt
man sich billig, wie weit wir es denn jetzt, nachdem wir seither an den Meilen¬
steinen von weiteren 30 Jahren vorübergegangen sind, mit der ersten Hälfte jenes
Programmes, nämlich mit der Verhütung von Krankheiten gebracht haben? Be¬
schämend müssen wir da wohl zugestehen, dass wir auf den Schulen viel expe-
rimentirt, anatomirt, mikroskopirt und analysirt haben, ohne es in praxi viel weiter
über den Standpunkt eines Commis-voyageurs für die Apotheken hinausgebracht zu
haben. Bis zu einer „Klinik des gesunden Menschen“, wie Michel Levy metapho¬
risch die Hygieine nennt, haben wir uns leider noch nicht erhoben, da uns die¬
selbe wegen ihrer mangelhaften Berücksichtigung an den Schulen mehr noch als
ein unbestimmtes Sammelsurium aller möglichen Doktrinen erscheint, in welchem
sich, wie im Prittley'schen Urschleim, noch keine lebenskräftigen Individuen diffe-
renziren konnten.
Gebieterisch verlangt der Ruf der Zeit und vor Allem unsere demokratischen
Institutionen, dass auf unseren schweizerischen Medicinschulen der Lehrstuhl für
Gesundheitspflege gleichwerthig und gleichberechtigt in die Reihe der klinischen
Institute eingefügt werde, wie dies England und Frankreich schon längst gethan
haben.
„Aber wohin führst du uns, schwärmerischer Gratulant?“ wird der Leser aus-
rufen. — Auf jeder unserer kleinen Hochschulen mit ihren so bescheidenen
finanziellen Hülfsmitteln ein paar Professuren der Poliklinik, eine Professur für
Hygieine und wer weise noch was Alles?! — Nun, der Gratulant denkt, dass,
wenn Jesus Sirach in seinen Sprüchen sagt, Alles habe seine Zeit, diess nichts
anders heisse, als dass Manches seine Zeit gehabt habe und Anderes seine
Zeit haben werde. Und so hofft er denn, dass die ausschliessliche Herrschaft
der Krankheitsdiagnostik, der therapeutischen Technik und des Spitalcultus im
Studium der praktischen Medicin bald ihre Zeit werde gehabt haben, und dass
diese Doktrinen, auf die Gefahr hin selbst etwas beschnitten zu werden, der Ge¬
sundheitsdiagnose, der präventiven Technik und der Poliklinik einen erweiterten
Spielraum auf ihrem Weidplatz werden gestatten müssen. Allein damit wäre noch
nicht einmal so viel geholfen. Die Budgets unserer Hochschulen sind nicht in dem
Maasse gestiegen, wie die Preise der heutigen Lehrkräfte und wir müssen bereits
im Niveau derselben etwas tiefer greifen als früher. Auf der einen Seite können
wir in der schönen Idee einer eidgenössischen Hochschule für die nächste Zukunft
keine Hülfe erblicken, da sie uns in immer weitere Entfernung entrückt wird;
und auf der anderen Seite widerstrebt es dem patriotischen Gefühle, Institute
langsam verkümmern zu sehen, an welche sich alle unsere Hoffnungen des geisti-
*) Braunschweig. 1846.
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gen Fortschritts knüpfen. Auch hier wäre wohl eine Lösung der Schwierigkeit
im Sinne des Fortschritts zu finden, wenn wir der Entwicklung einer Idee folgen,
welche sieb gegenwärtig bei uns auf andern Gebieten des höherea Schulwesens
langsam zu verwirklichen scheint: es wäre dies die Vertheilung der
einzelnen natürlichen Abschnitte in unserem medicini-
sehen Studiengange auf die verschiedenen schweizerischen
Universitäten. Bereits schafft Basel in seinem Bernoullianum eine Central¬
station für Astrophysik, die übrigen Zweige der Astronomie den andern schwei¬
zerischen Sternwarten überlassend; Bern lässt sein astronomisches Observatorium
eingehen, errichtet eine meteorologische Centralstation und lässt die astronomischen
Zeitbestimmungen für seine Chronometerfabrikation durch Neuenburg besorgen.
In gleicher Weise werden auch unsere übrigen Sternwarten in Zürich und Genf
sich vorwiegend bestimmten Zweigen der betreffenden Wissenschaft zuwenden, um
nicht mit unzureichenden Mitteln Unzureichendes leisten zu müssen, sondern im
Vereine mit den andern vaterländischen Anstalten sich die Ebenbürtigkeit mit den
reicher aasgestatteten Instituten der Grossstaaten zu erkämpfen. Ebenso unter¬
handelt Bern bereits mit Zürich wegen der Vereinigung der beiden Veterinärschu¬
len in Bern und wegen der Ueberlassung der Anstalt für Sekundarlehrerbildung
an Zürich als Kompensation. Wenn nun in ähnlicher Weise z. B. die medicinische
Schule in Bern mit ihrem reichen klinischen Material und guten Ausstattung mit
Leichen ihre ganze Kraft in den klinischen und operativen Fächern suchen, Zürich
seine grossen Hülfsmittel in den Naturwissenschaften für den propädeutischen me-
dicinischen Unterricht in die Wagschale werfen, und in gleicher Art Basel und
Genf sich ah einzelne Glieder in ein grosses Ganzes einreihen würden, so könnten
uns die Mittel nicht mehr fehlen, um auf dem kleinen Gebiete der Eidgenossen¬
schaft verhältnissmässig Grösseres zu leisten, als irgend ein nachbarlicher Staaten¬
koloss. Es bliebe dabei das bildende Zusammenleben der Mediciner mit ihren Com-
militonen der andern Fakultäten erhalten, die studirende Jugend würde bei dem
jeweiligen Umzug auf eine andere Hochschule etwas mehr über die engen Kanto¬
nalgrenzen hinausschauen lernen und sich für das spätere Leben in grösseren Kreisen
an einander schliessen, um ihren Horizont zu erweitern und höheren gemeinsamen
Zielen zuzustreben.
Bericht über eine dritte Serie von 5 Ovariotomien
von Prof. Dr. Kocher in Bern.
Nachdem die ersten 10 Fälle unserer Ovariotomien im „Correspondenz-Blatt
für schweizer Aerzte“ veröffentlicht sind, *) halten wir uns für verpflichtet, auch
über die weitern Erfolge dieser Operation in der Heimath Auskunft zu geben.
•Ebenso wie bei der 2. Serie wurde bei dieser 3. die Litler 'sehe Behandlung in
Anwendung gezogen, sie hat sich ebenso vorzüglich bewährt, wie bei jener. Aller¬
dings blieben wir bei der Anwendung einer entgegen Lister 's Vorschriften
zu sehr verdünnten Carbollösung für den Spray, nämlich 1 :100. Nicht nur er-
*)Die Litter 'sehe Behandlung bei der Ovarlotomie. 1875, Nr. 14.
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scheint uns für die Ovariotomie diese Concentration so vollständig genügend, dass
wir ohne das geringste Bedenken unter seinem Schutze im Inselspital selbst ope-
rirt haben, sondern wir fürchteten auch die zu ergiebige Resorption von Carbo! -
säure bei stärkerer Anwendung. Schon bei der gebrauchten Lösung haben unsere
Patienten ausnahmslos leichte Carbolintoxication — freilich stets ohne üble Folgen
— dargeboten, welche sich namentlich in hartnäckigem Erbrechen äusserte. Es
erschwerte dies die Ernährung in hohem Maasse, so dass wir in der Regel von
jeder Nahrung auf gewöhnlichem Wege absehen und die ersten Tage uns auf
ernährende Klystiere beschränken mussten.
Mit einer Ausnahme wurde die Klammer angewandt, um den Stiel zu fixiren,
als immerhin speditivste, einfachste und sicherste Methode. Nur bei Fall 13 (Pri¬
vatpatientin) legten wir den Köberle'sehen Serre-nceud an und versenkten den Stiel bis
in das Niveau der Rückfläche der vordem Bauchwand. Es soll diese Behandlung
im Gegensatz zur Klammer den Eintritt des sonst so gewöhnlichen Bauchbruchs
später hindern helfen. Jedenfalls aber wurde durch diese Modification die Heilungs¬
dauer in keiner Weise abgekürzt. Wie gewöhnlich am Stumpfe des Stiels eine
etwas länger dauernde Eiterung eintritt, so geschah es auch hier und die Vernar¬
bung war erst nach circa 5 Wochen eine vollständige. Der von der Klammer ab¬
geschnürte Rest des Stiels wurde in allen Fällen mit konz. Carbolsäure geätzt,
welche einen guten trockenen Schorf gibt
Die Fälle bieten nach verschiedenen Seiten einiges Interesse:
Fall 11, der einzige Todesfall, betraf eine 50jährige Frau, welche mir Dr.
Jakob in Dieterswyl zusandte. Binnen ca. 3 Monaten hatte sich bei ihr, unter leb¬
haften Schmerzen von Anfang an, der kopfgrosse Tumor entwickelt. Die völlige
Unabhängigkeit desselben vom Uterus und eine ziemlich ergiebige Beweglichkeit
nach beiden Seiten hin Hessen sich leicht constatiren. Wegen des raschen und
schmerzhaften Wachsthums, vorzügHch aber, weil der Tumor stellenweise sehr
harte Knollen durchfühlen liess, wurde derselbe als maligner Natur diagnostizirt,
aber bei Mangel einer sonstigen Contraindikation die Operation am 3. JuU 1875 im
Inselspital ausgeführt Uterus und oberer Umfang des Tumor zeigten sich frei, da¬
gegen sass derselbe dem Raum zwischen Uterus und Symphyse breit auf und musste
hier unter Anlegung sehr zahlreicher Ligaturen mit dem Messer abgelöst werden.
Trotz aller Sorgfalt in Ablösung der oberen und hintern Blasenwand wurde die
Blase angeschnitten, weil das Carcinom in die Blasenwand hineingewachsen war,
was die fernere Ablösung wesentlich erleichterte. Es wurde mit Catgut eine sehr
exakte Blasennaht angelegt und zeigte auch die Autopsie die Wunde gut verklebt.
Im Leben hatte die Patientin gar keine Störungen der Blasenfunction dargeboten.
Nach mühsamer Entwicklung der ersten Geschwulst und Anlegung einer Klam¬
mer an den isoHrten Stiel zeigte sich auch das andere Ovarium zu einer hühnerei¬
grossen Geschwulst entartet und wurde nach Anlegung einer Klammer ebenfalls
abgetragen. Es handelte sich, wie die Untersuchung der Geschwülste durch Prof.
Langham ergab, beiderseits um exquisite Dermoidkystome mit Haarbüscheln, Zäh¬
nen, Talgdrüsen. Das linke Ovarium war an der Stelle der Verwachsung mit
Blase und Becken zu einer markigen Carcinom-Masse entartet.
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Schon am Abende nach der Operation traten die Erscheinungen der Perito¬
nitis auf mit Collaps in der Nacht und Patientin starb nach 24 Stunden- Es zeigte
sich eitrige Infiltration der Subserosa ois zu den Leisten und der hintern Bauchwand
bis zu den Nieren, von der Ablösungsstelle des linken Ovarium von Blase und
Becken ausgegangen.
Ich würde mich in einem fernem ähnlichen Falle nicht scheuen, eine so aus¬
gedehnte, mit dem Peritoneum in Contakt kommende Wundfläche mit einer star¬
ken Zinkchloridlösung zu cauterisiren.
Bei Fall 12, ebenfalls im Inselspital operirt am 28. Juli 1875, wurde das rechte
Ovarium entfernt und eine Cyste des linken incidirt, das Ovarium aber wieder ver¬
senkt. Trotz guten Aussehens der Wunde traten schon am folgenden Tage unter
geringer Spannung der Bauchdecken leichte Fiebererscheinungen auf. Nach 8 Tagen
constatirte man eine Infiltration zwischen Uterus und Blase und nach 14 Tagen
erfolgte eine spontane Perforation in die Scheide, aus welcher der Ausfluss nach
14 Tagen versiegt war. Fünf Wochen nach der Operation wurde die Patientin
entlassen.
Als sie am 6. November 1875 sich wieder vorstellte, hatte sie zweimal ihre
Menses — unter Schmerzen — gehabt. Uterus beweglich, nichts von Geschwulst
oder Härte im Abdomen mehr zu fühlen.
Fall 13, eine Patientin von Dr. von Erlach , am 31. Januar 1876 im Privatspital
operirt. Die 22jährige Jungfrau hatte erst seit 3 Monaten eine auffällige Zunahme
ihres Leibes bemerkt. Vor 14 Tagen warDr. v. E. zum ersten Male wegen plötzlicher
heftiger Schmerzen zu der Patientin gerufen worden und hatte eine circumscripte Peri¬
tonitis constatirt. Das Interesse des Falles liegt vorzüglich darin, dass der Grund
dieser Peritonitis bei der Operation nachgewiesen werden konnte.
Dieselbe wurde am 31. Januar 1876 ausgeführt. Bei Eröffnung der Bauchhöhle
flieset gelbliche Ascites-Flüssigkeit ab. Die weissliche, pralle Cystenwand ist
durch frische, fibrinöse Adhärenzen in */* ihres obern, vorderen und seitlichen Um¬
fanges mit der Bauchwand verklebt, leicht loslösbar. Gerade neben der Incisions-
stelle erscheint die weissliche Cystenwand geborsten und durch den scharfrandi-
gen, etwa ein Fünffrankenstück grossen Defekt tritt eine hernienartige, dunkel¬
blaue Vorstülpung zu Tage, ebenfalls dem Bersten nahe. Die spätere, genauere
Untersuchung zeigte, dass die herniös vorgestülpte Wand der Hauptcyste ange¬
hörte, auf welcher eine kleinere, in der äusseren Wand geplatzte Tochtercyste aufsass.
Es liegt also hier eine sehr schöne Illustration zu der Angabe vor, dass die
adhäsiven Peritoniten, welche in späteren Stadien die Ovariotomie so sehr com-
pliciren, in einzelnen, meiner Ansicht nach sehr häufigen Fällen, auf Platzen kleiner,
vorragender und besonders gespannter Cysten zurückzuführen sind und auf den
Erguss ihres Inhaltes in die Bauchhöhle. Wir werden bei Fall 15 zeigen, dass die
Punction einen ganz gleichen Effekt hat und sehen, was desshalb von letzterer
vom Standpunkt der Radikaloperation aus zu halten ist.
Es ist schon oben erwähnt, dass hier statt der Klammer der Köherle 'sehe
Serre-noeud angewandt wurde. Veranlassung dazu gab die Kürze des Stiels.
Abgesehen von dem Erbrechen am ersten Nachmittag und Nachts bot die
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Patientin während der Heilnngsdaner nicht die geringste KrankWtserscheinung
dar. Die Eiterung vom Stumpfe des Stiels her dauerte dagegen eher länger als
in den Fällen, wo die Klammer angelegt wurde. Patientin wurde nach 6 Wochen
entlassen und erfreut sich seither der besten Gesundheit
Die 14. Ovariotomie, in Anwesenheit der H.H. Prof. Müller , Dr. Reynier von
Neuenburg und Dr. MörgeUn von Biel im Inselspital ausgefiihrt am 2. Nov. 1876,
war eine vollständige Normaloperation. Es war schon vor der Operation diagno-
stizirt worden, dass es sich um ein multiples Kystom handle mit langem Stiel,
ohne Adhärenzen, und dass das andere Ovarium gesund sei. Die Operation be¬
stätigte diese Annahmen. Patientin heilte, ohne einen Tag Fieber zu haben, und
konnte vor Ablauf von 4 Wochen das Bett verlassen.
Der 15. Fall, die Schwester eines Collegon betreffend, wurde mir von letzte¬
rem in einem etwas bedenklichen Zustande zugewiesen. Die Patientin hatte bei
ihren Menses unter zwei Malen heftige peritonitische Anfalle überstanden mit so
intensiven Schmerzen, dass sie um jeden Preis von ihrem Uebel befreit sein wollte.
Durch den letzten Anfall war sie, vorher schon anämisch, hochgradig herunterge¬
kommen und bot ausser der Anämie ein lautes, sägendes systol. Blasen an der
Herzspitze dar. Die Punction war nie gemacht worden.
Um hier bei der schlaffen Muskulatur nicht eine zu plötzliche Druckänderung
im Abdomen zu bekommen, anderseits um über die Ausdehnung der Adhäsionen
ein Urtheil zu erhalten, wurde am 28. Nov. 1876 eine Punction mit dem Saugtro¬
kar (von ca. 1 ctm. Durchmesser) in der linea alba vorgenommen in der Mitte
zwischen Nabel und Symphyse und 11 Schoppen einer an Paralbumin reichen Flüs¬
sigkeit entleert. Am 1. December, also 3 Tage nachher, wurde zur Ovariotomie
geschritten, welcher ausser Prof. Müller auch Dr. Koller von Thun beiwohnte. Hier
bot sich nun schöne Gelegenheit, die Folgen der Punction zu beobachten. Die
Geschwulst war nach der letzteren nur bis auf die Nabelhöbe zurückgegangen,
wo die obere Grenze nicht durch Palpation, sondern bloss durch Percussion zu
bestimmen war. Es mussten also ausgiebige Verwachsungen bestehen. Diese fan¬
den sich denn auch oberhalb des Nabels in Form sehr fester, ffächenhafter Ad¬
häsionen mit der Bauchwand, welche mit Gewalt gelöst werden mussten unter
ziemlicher Blutung. Ausserdem aber fand sich nach Incision von Haut und Fascie,
dass die Stichöffnung in der Cyste noch vollständig klaffte, so dass sofort Flüs¬
sigkeit auszuflie8sen begann. Dieselbe hatte sich nach der Punction in die tieferen
Schichten der Bauchwand und in die Bauchhöhle selbst ergossen, so dass namentlich
nach oben hin ausser den alten und festen Verwachsungen in grosser Ausdehnung
frische Verklebungen bestanden, welche leicht gelöst werden konnten.
Wenn hier ein solcher Erguss des Inhalts nach der Punction zu Stande kam
mit adhäsiver Peritonitis, wo doch eine Verschiebung der Cyste durch alte Adhä¬
renzen theilweise verhindert war und obschon die Patientin 24 Stunden lang voll¬
ständig ruhig auf dem Rücken gelegen hatte; wenn ferner die Oeffnung der Cyste
am dritten Tage noch nicht verklebt war, so wird man zugeben, dass nach Punc-
tionen so gut, wie nach spontanem Platzen von kleinen Cysten adhäsive Perito¬
nitis — in Form fibrinöser Verklebungen, die später zu Verwachsungen führen
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— als Regel zu betrachten ist. Bedenkt man aber, wie sehr eine Ovariotomie durch
das Bestehen von Adhäsionen complizirt wird, durch Verlängerung der Operation
mit ihren Consequenzen, durch Blutungen bei gewaltsamer Losreissung etc., so
wird man den Ausspruch gerechtfertigt finden, dass bei den gegenwärtigen Resul¬
taten der Radikaloperation ein Arzt, der ein Kystoma ovarii in Behandlung be¬
kommt , sich von vorneherein zu entscheiden hat, ob er die Behand¬
lung mit Punctionen anfangen und bei dieser Behandlung bleiben oder ob er unter
Vermeidung jeder Punction sich der Radikaloperation zu wenden will. Ich halte
in der Mehrzahl der Fälle die Punction auch in diagnostischem Interesse nicht in-
dizirt — es sei denn, dass sie kurz vor der Operation gemacht wird —, da durch
die hohe Rectumuntersuchung Zweifel über den Ausgangspunkt des Tumor in der
Regel beseitigt werden können.
Grosse Statistiken über den Nutzen der Lfoter’schen Behandlung bei der Ova¬
riotomie existiren gegenwärtig noch nicht. Im Einzelnen hat man dagegen schon
beweisende Erfahrungen gemacht.
Auch aus den Ergebnissen unserer 15 Ovariotomien dürfen wir unbedingt den
Schluss ziehen, dass zwischen Reinlichkeit und Litler scher Behandlung eine er¬
hebliche Kluft besteht. Bei unseren 5 ersten Fällen (s. Bericht darüber) wurde
ebenfalls die minutiöseste Reinlichkeit beobachtet, sowohl was Patientin selber,
ihr Bett und Umgebung, Hände von assistirendem und operirendem Personal an¬
belangt, es wurden auch 3 der Fälle in Privatpflege, einer auf der Privatabthei¬
lung des Inselspitales und nur einer in der Insel selber operirt und doch starben
von diesen 5 Fällen 3 und genasen nur 2.
Bei den 10 letzten Fällen dagegen wurde nur 4mal im Privatspital, 6mal in
der Insel operirt; es wurde aber ausser genauester Reinlichkeit für gehörige Des-
iniection aller mit der äussern Luft in Berührung gekommenen Theile der Wundfläche
und Peritonealoberfläche gesorgt, vorzüglich durch die permanente Carbolwasser-Be-
stäubung. Bei diesen 10 Fällen stellt sich nun das Mortalitätsverhältniss so, dass nur 2
Patientinnen starben, 8 genasen. Nimmt man dazu, dass von den 2 Todesfällen der
eine eine bereits in acuter Verjauchung befindliche Cyste betraf bei beginnender
septischer Intoxikation, wo die sofortige Operation durch die wegen progressiver
Auftreibung des Leibes zunehmende Dyspnoe indizirt war; während der andere
Todesfall bei einem 50jährigen Individuum mit Carcinoma ovarii vorkam, welches
Carcinom mit der ganzen oberen Blasenwand zusammengewachsen war *) — so
wird man mir Recht geben, wenn ich behaupte, die Ovariotomie ist durch
die Litt er' sehe Wundbehandlung zu einerOperation geworden,
welche um nichts gefährlicher ist — zumal in früheren Stadien
— als die Exstirpation irgend einer gutartigen, grösseren
Geschwulst auf der Körperoberfläche.**)
*) In beiden Fällen, welche mit Tod abgingen, mussten beiläufig beide Ovarien entfernt werden.
••) Es sei nur bemerkt, dass, wenn ich den Fall iß schon nach 8 Tagen su den Heilungen säble,
dlees darin begründet ist, dass Patientin vollständig fieberlos war seit der Operation und das Waoha-
taffet, das die Wunde bedeckt, noch gar nicht geändert su werden brauchte.
Uebrigens ist jetzt (23. Dec.) Pat bereits im Falle, das Bett zu verlassen.
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Die allgemeine Schuhausstellung in Bern, im Sommer 1876.
Von Professor Dr. C. E. E. Hoffmann in Basel.
Vergebens habe ich seither auf den officiellen Bericht des Organisationscomite’s
über obengenannte Ausstellung an die einzelnen dabei betheiligten Cantone ge¬
wartet. Da derselbe bis jetzt nicht erschienen ist und kaum mehr erwartet werden
kann, halte ich es der Wichtigkeit der Angelegenheit wegen für angemessen, das
Ergebniss meiner eigenen Beobachtungen hier mitzutheilen.
Die Klagen über die Unzweckmässigkeit unserer Fussbekleidung datiren schon
aus ziemlich alter Zeit, obgleich die Form derselben einem häufigen Wechsel un¬
terworfen war. Allein so sehr auch die Form wechselte, ob der Schuh schmal,
lang und spitz war, ob er breit und kurz wurde, ein Umstand blieb sich meist
gleich; meist waren die Schuhe für beide Füsse von identischer Form, sie waren
nicht der Verschiedenheit der beiden Füsse angepasst. Manchmal wurde allerdings
dieser Forderung Rechnung getragen. Die Sandalen passten sich häufig der Form
des Fusses an und im Mittelalter war bei dem gemeinen Manne der sogenannte
„Kuhfuss“ im Gebrauch, ein Schuh, der in etwas roher Weise die Form des FussSs
wieder gab. Allein der vornehme Mann und die Frau profitirten von dieser Wohl-
that nicht, bei ihnen kam nicht die Form des Fusses in Betracht, bei ihnen musste
sich der Fuss nach dem Schuh und dem Stiefel richten und nicht diese nach dem
Fusse. Des Stiefels wegen erduldete die Mehrzahl der Menschen unsägliche Lei¬
den und mit einer gewissen Indolenz nahm man, wie auch heutzutage noch die
Hühneraugen, eingewachsene Nägel, Frostbeulen und dergl. als ein nothwendiges
Uebel hin, dem man sich nicht zur Wehre setzt
Zwar hat es zu allen Zeiten Einzelne gegeben, welche dem allgemeinen Schlen¬
drian nicht folgten und sich eine Fussbekleidung zu verschaffen suchten, die
ihren Füssen angepasst war; allein sie hatten meist mit grossen Schwierigkeiten
zu kämpfen, da die Handwerker nicht aus dem gewohnten Geleise zu bringen
waren, und nur Wenige hatten die Energie eines mir bekannten Professors, der
auf allen seinen Reisen seine beiden Leisten mit sich führte, um niemals in Ver¬
legenheit zu kommen, seine Schuhe einem anderen Leisten anvertrauen zu müssen.
Von Zeit zu Zeit suchte wohl ein Arzt oder ein Professor die Aufmerksamkeit
auf diesen Uebelstand zu lenken, wie am Ende des vorigen Jahrhunderts der be¬
rühmte Anatom und Chirurg Peter Camper , -damals in Amsterdam, wie zu Anfang
der fünfziger Jahre der Anatom Ludwig Fick in Marburg, allein meist liessen ihre
Bemühungen nur geringe Spuren zurück; sie weckten die Menge nicht aus ihrer
Indolenz.
Erst allmählig entwickelte sich bei Männern der Gebrauch, die Stiefel nicht
mehr für beide Füsse gleich zu machen, sondern sie wenigstens einigermassen der
Form jedes einzelnen Fusses anzupassen, allein noch immer fehlte das richtige
Verständniss für deren Verschiedenheit und der Hauptsache nach war dem Uebel-
s tan de damit noch nicht abgeholfen; die Frauen und Kinder seufzten unter dem
alten Elend der gleichmässigen Form beider Stiefel.
Da nahm im Jahre 1858 B■ Meyer in Zürich von Neuem den Kampf gegen die
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Unsitte unserer jetzigen Schuhmode durch öffentlichen Vortrag und durch den
Druck auf. Er schilderte in eingehender Weise die Form der Füsse, wies die
Bedingungen nach, welche zu ihrer Entwicklung und Erhaltung nothwendig sind,
und zeigte, wie weit die jetzige Form unserer Fussbekleidung noch von den An¬
forderungen entfernt ist, welche eine gedeihliche Entwicklung der Füsse er¬
möglichen.
Als Hauptforderungen an eine naturgemässe Construktion stellte H. Meyer die
folgenden auf:
1) Form der Sohle so beschaffen, dass die Fusssohle und sämmtliche Zehen,
namentlich auch die grosse Zehe, unbehindert auf derselben aufruhen können.
2) Oberleder gleichfalls der Form des Fusses angepasst, d. h. an der inneren
Fussseite, entsprechend der grösseren Höhe der grossen Zehe, höher, damit sämmt¬
liche Zehen bei ihrer Bewegung hinreichend Raum haben.
3) Fester Schluss in der Gegend des oberen Sprungbeingelenkes, vom Rist
zur Ferse.
Dazu noch mässiger, aber breiter Absatz mit unbedeutender Erhöhung an der
inneren Fussseite, um den Auftritt ein wenig nach aussen zu lenken.
Allein auch B. Meyer 's Agitation war lange Zeit nur von geringem Einfluss;
er fand viele Hörer, doch nur wenige Gläubige. Die Schuhmacher in ihrer sou¬
veränen Ueberzeugung, dass nur sie etwas von den Schuhen verständen, beachte¬
ten die Mahnungen grösstentheils nicht und benutzen nach wie vor die alten
Schablonen. Das Publikum, sonst durch jede Kleinigkeit aufgeregt, blieb gleich¬
gültig und sah theilnabmlos zu, wie es von einem ganzen Handwerkerstande,
wenn auch unabsichtlich, misshandelt wurde. Ja selbst diejenigen, welche die
Zweckmässigkeit der Meyer 'sehen Ausführungen und Bestrebungen anerkannten,
ergaben sich in angeborner Indolenz ihrem Schicksale, um nicht durch etwaige
Weitläufigkeiten belästigt zu werden, welche durch die neue Einrichtung hätten
bedingt sein können. Doch nicht ganz fruchtlos war Meyer 's Kampf gewesen.
In kleineren Kreisen wurden seine Ideen gepflegt und zur Ausführung gebracht und
denselben dadurch immer mehr Eingang verschafft. Namentlich aber nahm ein
Volk, die Engländer, die Idee lebhafter auf und bald erfüllte der englische Schuh
fast alle Forderungen, welche Meyer aufgestellt hatte. Jetzt vollzog sich, was bei
anderen Dingen schon oft vorgekommen ist: der ursprünglich schweizerische Schuh
bürgerte sich allmählig durch die Engländer in der Schweiz ein.
Jedoch auch diese Erfolge genügten nicht, der Idee allgemeine Anerkennung
zu verschaffen; es bedurfte dazu ernsthafterer Mahnungen. Die Kriegsereignisse
des Jahres 1870/71 lenkten von Neuem die Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand.
Die zahlreichen Fusskranken, welche bei den streitenden Heeren vorkamen und
welche die Zahl der waffenfähigen Mannschaft bedeutend herabsetzten, mahnten
dringend daran, dem Uebel zu begegnen und die Calamität, welche durch das¬
selbe herbeigeführt wurde, möglichst zu beseitigen; kurz auf Mittel zu sinnen, wo¬
durch die Streitbarkeit des Volkes auch nach dieser Richtung hin erhöht werde.
Die verschiedenen Militärbehörden veranlassten erneute Prüfungen und auch
in der Schweiz nahmen sowohl kantonale Verwaltungen, wie eidgenössische Be-
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hörden die Frage von Neuem auf. Bei diesen Prüfungen trat die Meyer'sehe Lö¬
sung mehr und mehr in den Vordergrund, wenn sie auch noch nicht alle Verle¬
genheiten beseitigte, da für die Militärbeschuhung auch noch andere Fragen hin¬
zukamen. Es waren namentlich noch zwei Wünsche der Militärbehörden, welche
der Lösung harrten; nämlich die Vereinigung eines guten Schlusses mit möglich¬
ster Dauerhaftigkeit der Fussbekleidung und der Möglichkeit einer raschen Anle¬
gung derselben und zweitens möglichster Schutz gegen Nässe.
Je mehr man sich mit dieser Frage beschäftigte, um so mehr drängte sich der
Wunsch auf, auf dem Wege der Concurrenz die Lösung zu versuchen und zu¬
gleich dadurch für die naturgemässe Form unserer Fussbekleidung Propaganda zu
machen.
Der Verwaltung des Cantons Bern gebührt die Ehre, den ersten Anstoss für
die Veranstaltung einer allgemeinen Schuhaustellung gegeben zu haben. Bei einer
grösseren Anzahl von Cantonen fand die Idee lebhaften Anklang und freudige Zu¬
stimmung, während andere Cantone, wie z. B. Solothurn, sich direkt dagegen er¬
klärten und wieder andere, wie Anfangs auch Zürich, ihre Betheiligung ablehnten,
da die ganze Sache nur eine Militärangelegonheit sei und daher lediglich den Bund
angehe.
Trotzdem wurde durch die Mitwirkung einer Anzahl von Cantonen und der
eidgenössischen Militärdirektion ein solider Kern gewonnen und das Unternehmen
Ende 1875 in Gang gesetzt. Da schienen neue Hindernisse dasselbe in Frago zu
stellen. Es erhob sich eine Agitation der Schuhmacher gegen die Ausstellung,
und der gleiche Ort, der den ersten Anstoss gegeben hatte, barg auch den
Heerd der Agitation in seinen Mauern. Die Berner Schuhmacher, beleidigt dar¬
über, dass Professoren sich anmassten, eine andere Ansicht über die zweckmäs-
sigste Schuhform zu haben, wie sie, und dass man sie nicht zuerst über ihre An¬
sicht befragt hatte, erklärten nicht nur, dass sie sich an dem Unternehmen nicht
betheiligen würden, sondern sie suchten auch durch ihr Organ, die „Schweizerische
Schuhmacherzeitung“, die sämmtlichen Schuhmacher der Schweiz von einer Be¬
theiligung abzuhalten. Dabei war es komisch, dass der Hauptagitator, während
er öffentlich gegen die empfohlene Form schmähte, Schuhe der gleichen Form für
einige seiner Kunden anfertigte.
Glücklicherweise wurde durch diese Agitation das Zustandekommen der Aus¬
stellung nicht verhindert. Dank der lebhaften Betheiligung zahlreicher auswärtiger
Meister und Fabrikanten gewann dieselbe eine solche Ausdehnung, dass alle zur
Verfügung stehenden Räume der im Bau begriffenen Entbindungsanstalt auf der
grossen Schanze in Bern angefüllt waren.
Welches hohe Interesse von den verschiedensten Seiten .an der Ausstellung
genommen wurde, bezeugt am besten der Umstand, dass sich die Kriegsministe¬
rien von Bayern, Italien, Preussen, Russland und Spanien, das Marineministerium
von Schweden, das schweizerische Militärdepartement und das Kriegskommissariat
des Cantons Bern durch Einsendung von Assortimenten von Militärschuhen an
derselben betheiligten und dass ausserdem die gleichen Behörden Commissäre zur
Besichtigung und Berichterstattung nach Bern gesandt haben. Durch die circa
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14 —
400 privaten Aussteller waren alle Cantone der Schweiz mit Ausnahme von Schwyz,
Solothurn und Unterwalden und ausserdem folgende ausserschweizerische Staaten
vertreten: Belgien, fast alle Einzelstaaten Deutschlands, England, Frankreich,
Italien, Russland, Schweden und Spanien.
Die Ausstellung gliederte sich in sechs Abtheilungen.
Die erste Gruppe umfasste Fussabgüsse, Fussmodelle und Präparate zur
Darstellung der normalen und der durch schlechte Fussbekleidung verunstalteten
Form der Füsse;
die zweite Gruppe enthielt Leistenmodelle und Leisten;
die dritte Gruppe bestand aus den zur Schuhbereitung benützten Stoffen;
in der vierten Gruppe waren die Werkzeuge und Maschinen aufge¬
nommen ;
die fünfte Gruppe enthielt das Schuhwerk und in
der sechsten Gruppe vereinigten sich getragenes Schuhwerk, historische
Darstellungen der verschiedenen Schuhformen, Darstellungen von Versuchen zur
Herstellung zweckmässig gebildeter Schuhe.
(Schlu&B folgt)
*V ereinsberichte.
Sociftl mädicale neuchäteloise.
Säance du 12 Fävrier 1876. Präsidence du Dr. Ladame.
Le präsident ouvre la säance par la lecture du rapport suivant sur la
marche de la sociötä pendant l’annäe äcouläe:
„Messieurs et chers confröres!
A la suite de la dissolution prämaturäe de l’ancienne sociätö neuchäteloise des
Sciences mädicales, notre canton fut un certain temps sans que les mödecins de
Bes diffärentes localitäs se räunissent entre eux. Cet 4tat de choses ne pouvait
durer bien longtemps et le 8 Octobre 1874, quelques confröres prirent l’initiative d’une
circulaire convoquant k Auvernier les mädecins du canton k une räunion amicale
pour discuter la question de l’opportunitä de la fondation d’une sociötö. — Getto
circulaire räpondait si bien k un besoin gänäral que la nouvelle sociätö vit aussi-
töt le nombre de ses membres fondateurs atteindre le joli chiffire de 22. — Peu
aprös ncuf autres mödecins patentäs ätaient re$us membres actifs de la jeune 80 -
ciätä qui prit däs lors le nom de sociätä mädicale neuchäteloise et se
rattacha bientöt comme section k la sociätä centrale suisse de mädicine qui l’ac-
cueillit avec joie dans son sein.
Ce fut dans la löre räunion, le 11 Octobre 1874, aprös un däbat contradictoire
animä, que la majoritä de l’assembläe se prononga pour l’enträe dans le „Central-
Verein“ plutöt que dans la sociätä mädicale de la Suisse romande.
L’enträe de la sociätä mädicale neuchäteloise comme section de la sociätä cen¬
trale suisse des mädecins, dit le procös-verbal de cette säance, aura sans doute
pour effet de pousser k l’union gönörale de toutes les sociätäs mädicales suisses,
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15 —
et n’entraine aucune Intention hostile vis-ä-vis de la soci4t4 romande dont la plu-
part des mödecins neuchätelois präsente k la s4ance sont du reste membres per¬
sonnellement.
Vous savez combien le discours de votre präsident a 4t4 mal interprätä k
Olten par le däläguä de la sociätä romande. Et cependant, Messieurs, je n’ai 4t4-
que votre fidäle interpräte en däclarant que les Neuchätelois ne voulaient pas ren-
forcer l’äläment de Separation existant entre Suisses allemands et Suisses romands
et que c’ätait 1& la raison dominante qui leur avait fait choisir le „Central-Verein“.
Je tiens k le räpäter ici, Messieurs et chers collägues, afin de dissiper tout
malentendu, ce n’est point pour monter sur le dos des nos amis les Vaudois,
comme le bulletin de la Suisse romande n’a pas craint de nous en accuser , ce
n’est pas pour jeter un bläme sur nos confr&res des cantons confädäräs de langue
fran$aise, que Neuchätel est entrö dans la sociätä centrale des cantons allemands,
mais bien pour affirmer d’une mani&re toute particuliöre la solidaritä intime qui
doit unir les mädecins de tous les cantons de la Suisse-
Saluons avec joie le grand pas qui a 4t4 accompli depuis lors dans ce sens
par la nomination d’un comitä central permanent qui reprösente les intäröts du
corps mädical suisse tout entier.
Depuis sa fondation notre sociätä a eu 5 söances bien remplies de divers tra-
vaux dont je vais vous donner une rapide indication. — Le 19 Däcembre 1874 votre
President vous a präsentä un code medical professionnel calquä sur celui qui est
adoptä par diverses associations mädicales amäricaines. — Tout röcemment le
„Correspondenz-Blatt“ a publik une fine critique, dirigäe contre ce code professionnel
par un des mädecins les plus autorisäs de la Suisse allemande. Sans doute il est
fächeux que les rapports des mädecins entre eux et vis-ä-vis du public ne soient
pas toujours ce qu’ils devraient 4tre; il est däplorable, k la väritä, que les devoirs
professionnels soient si peu observäs, mais il ne taut pas s’en prendre par cela k
la libre pratique de la mädecine et k d’autres chim&res et condamner däfinitive-
ment les codes professionnels.
Ne voyons-nous pas aussi de temps k autre dans nos meilleurs journaux de m4de-
cine, dans le „Correspondenz-Blatt“ par ex., sur la rubrique „petite correspon-
dance“ poindre des räclamations contre des procädäs peu confraternels entre m4-
decins qu'il serait peut-ötre dangereux pour l’avenir de notre profession de vou-
loir ignorer. — Tant que l’homme ne sera pas parfait, les mädecins, comme tout le
monde, n’en däplaise k Mr. le Dr. S., auront besoin d’un code prossionnel qui rappelle
toujours k leur mämoire, parfois trop facilement oublieuse dans ce domaine, les
importants devoirs de leur noble profession.
La säance de 26 Mars 1875 a marquä parmi les plus importantes de l’annäe
passäe- Le Dr. de MontmoUin nous präsenta un malade fort interessant atteint
d’une läsion grave du cervelet, suivie de l’atrophie des Organes et des fonctions
de la reproduction, ainsi que de la chute des poils du pubis et de la barbe. —
Le Dr. Anker donna lecture d’un mämoire tr&s ötendu sur la trachäotomie oü abon-
daient les observations pratiques sur les indications de cette Operation capitale et
la maniöre d’y procäder loin des ressources ordinaires que l’on rencontre en ville
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16
ou dans les höpitaux. Dans cette möme s4ance le Dr. Bovet nous fit part aussi de
ses observations sur l’effet tb4rapeutique du Jaborandi.
Le 2 Octobre 1875 la soci4t4 se trouvait de nouveau r4unio. Le Dr. Dardel
qui devait präsenter un travail sur les tumeurs du larynx se trouvant empöch4,
une discussion g4n4rale s’ouvrit sur l’^clampsie des femmes en couche k propos
d’un cas communiqu4 par le Dr. Garol. — Les divers confröres pr4sents k la s4-
ance apportörent tour k tour le r4sultat de leurs exp4riences sur cette redoutable
maladie. Les avis 4taient divis4s quant au traitement de l’4clampsie et vous per-
mettrez & votre pr4sident d’4mettre le voeu que ce sujet palpitant soit bientöt re-
pris par l’un d’entre nous et trait4 avec les döveloppements que son importance
rdclame.
Le 18 D4cembre 1875 fut la derniöre röunion de l’ann4e. Mr. Frd.Gacon, ser-
rurier & Neuchätel, fit la d&nonstralion d’un appareil de son invention destinö k
soulever les malades de leurs lits sans secousses ni douleurs. Cet appareil fut trouv4
tr4s ing4nieux par tous les m4decins pr4sents. — Le Dr. Trecheel lut dans cette s4ance
un travail sur le morphinisme qui fut suivi d’une discussion tr4s nourrie. Diverses
Communications interessantes des Drs. Roulet, Zürcher et Amez Droz termin&rent la
s4ance.
Toutes les s4ances ont eu un court second acte. Un modeste et joyeux ban-
quet r4unissait pour quelques instants les confröres arriv4s des divers districts du
pays pour fraterniser ensemble par une coll4gialit4 de bon aloi.
Vous pouvez voir, Messieurs, par ce bref aperqu des travaux de notre soci4t4
que le cöt4 scientifique a 4t4 cultiv4 avec z41e pendant l’ann4e qui vient de s’4-
couler et tout ce que je souhaite aujourd’hui, c’est que ce z41e continue et se
d&veloppe de plus en plus.
II n’y a rien de particulier k signaler sur les rapports de la soci4t4 mödicale
neuchäteloise avec le „Central-Verein“.
Les r4unions g4n4rales d’Olten et de Berne ont toujours 4t6 fr4quent4es par
plusieurs membres de notre soci4t4.
Vous savez aussi que nous avons souscrit pour 35 exemplaires du remar-
quable rapport du Dr. Müller de Winterthur, secr4taire de la Commission de la tu-
berculose pulmonaire nomm4e par la soci4t4 helv4tique des Sciences naturelles,
dans le but d’4tablir une statistique de cette maladie dans tous les cantons de la
Suisse.
Le comit4 central ayant d4sir4 connaitre l’opinion de toutes les sections sur
la 14gielation m4dicale que le conseil föderal a l’intention d’41aborer pour toute la
conf4d4ration, notre soci4t4 a 4t4 appel4e k donner aussi son avis dans cette impor¬
tante question; nous avons appuy4 fortement dans leur ensemble les 14gitimes re-
vendications de notro comit4 central surtout pour ce qui concorne les examens
d’Etat et r4tablissement dans tous les cantons des m4decins patent4s.
II me reste enfin, Messieurs, un p4nible devoir k remplir. — Nous avons eu
la douleur de perdre l’ann4e pass4e deux de nos confröres, membres de la soci4t4,
le docteur Lanton de la Chaux-de-Fonds et le docteur Vouga de Chan41az. Vous
avez entendu d4j& dans la derni&re s4ance une notice biographique du docteur
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Vouga präsentäe par le Dr. Botet. — Je ne suis pas k möme anjourd’hui, comme
je l'aurais däsirä, de vous donner une notice sur la vie du Dr. Lanton qui a ätä
mddecin et pbarmacien de 1. Classe dans l’arm^e frangaise en Algärie avant de
s’ätablir k la Chaux-de-Fonds il y a peu d’annäes. J’espäre cependant pouvoir
vous präsenter dans notre prochaine räunion une notice plus compläte ainsi qu’une
biographie dätailläe du docteur Vouga.
Qu’il me soit permis, en terminant, de däplorer avec vous cette double perte
et de däposer sur ces tombes k peine fermäes le tämoignage de nos justes regrets
et de nos communes sympathies.“
Apräa avoir procädä k la räception de plusieurs nouveaux membres, la sociätä
passe k la nomination du Comitä pour 1876, et approuve les comptes präsentäs
par le Caissier. (Schluss folgt.)
Referate und Kritiken.
Zur Anatomie des Lupus erythematodes.
Von Prof. Dr. Eduard Geber in Klausenburg.
Vierteljahrsschrift für Dermatologie und Syphilis. 1876. Separatabdruck.
Die von Hebra zuerst als Seborrhoea congestiva beschriebene , von Cazenave später
dem Lupus angereihte Krankheit, die jetzt ziemlich allgemein als Lupus erythematodes
bezeichnet wird, wurde neulich von Geber zum Gegenstände genauer anatomischer Unter¬
suchungen gemacht, die den Krankheitsprocess wesentlich aufklären.
Die Veränderungen erfolgen vorwiegend in der obersten CutiBschichte und zwar sind
die Capillaren der Dis Ausgangspunkt der Erkrankung und Anhäufung von Blutkörperchen,
in denselben, stärkere Reibung, Schwellung der Wandelemente, Vermehrung der Kerne,
der Kernkörperchen und Bildung von Fortsätzen an den langen spindelförmigen Zellen.
Entlang den Capillaren sammeln sich lymphzellenähnliohe Gebilde an, die weiter im Ge¬
webe draussen immer spärlicher werden; sie nehmen schubweise bis zu dem Maasse zu,
dass am Ende vom Grundgewebe selber nur zarte Bindegewebezttge Zurückbleiben. Die
Papillen werden dabei breiter und länger, verschmächtigen dadurch die sie seitlich be¬
grenzenden Retezapfen oder vertiefen oder verschieben die Follikel in der Cutis oder
stellen auf der Basis der Efflorescenz eine drüsige Wucherung dar. Die Retezellen
wuchern, gehen aber sehr bald wieder zu Grunde, so dass im stratum coroeum nur noch
verhornte lamellöse, borstig zerfaserte Epithelstreifen vorhanden sind. Den Gefässen ent¬
lang erstreckt sich der gleiche Process in die Tiefe und man kann an gelungenen
Schnitten sehen, wie an den tieferen Gefäss-Stämmchen die Proliferationsvorgänge erst
im Beginne sind , während sie in den Endverzweigungen schon weit vorgeschritten sind.
So auch die Einlagerung der Granulationszellen ins Bindegewebe, an der, das kann mit
ziemlicher Sicherheit behauptet werden, auch die Zellen des Bindegewebes durch eigene
Proliferation sich betheiligen. Das Ergriffensein der Haar- Talg - und Schweissdrüsen
hängt ab vom Verhalten der sie umspinnenden Capillarnetze; eine besondere Neigung ins¬
besondere der Talgdrüsen zur Erkrankung besteht nicht; nur weil in der Umgebung der
Follikel eine grössere Anzahl Papillen stehen, diese aber ja immer ein reichliches Ge-
fässnets besitzen, entstehen die meisten Effloresoenzen um die Follikel herum.
An Haarbälgen erfolgt Wucherung, Verfettung und Verhornung der Zellen der
änssern Wurzelscheide, Erfüllung des Lumens mit Epidermismassen, ausnahmsweise
SprossenbUdung als Anlage neuer Haarbälge. An den Talgdrüsen wuchern die Zellen
ebenfalls , erfüllen die Follikelhöhle und zerfallen; von aussen dringen die wuchernden
Granulationszellen des Bindegewebes heran, greifen die membrana propria an und indem
sie selber auch zerfallen, kommt es so schliesslich zum Untergang fast aller Talgdrüsen,
dass nur noch Reste derselben an den alten Stellen zu finden sind.
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An den SchweiBsdrüsen besteht etwa Vergrösserung der Enchymzellen des Ganges
durch die Wucherungen in der Umgebung aber können auch diese Gebilde zerstört
werden.
Den gesammten Neubildungsvorgängen folgt die regressive Metamorphose ; man kann
an günstigen Bildern auch hier wieder sehen, wie der Bezirk der capillaren Endver¬
zweigungen im ganzen Process den Vorsprung hat, die tieferen Partien erst nachkommen.
Bindegewebsfasern, Zellen und Kerne verfallen und werden resorbirt; es bleibt, aus ge¬
körnten Fasern gebildet, und mit wenigen noch erhaltenen Rundzellen und Kernen ver¬
sehen, ein zartes Bindegewebsnetz, in welchem, durch Schwund auch eines grossen Theils
der Fasern mehr und mehr vielgestaltige Bäumchen entstehen, die nur noch spärliche
Kernüberreste enthalten. Die Gefässe treten in dem rareficirten Gewebe besonders deut¬
lich hervor, die feinsten mit starren glänzenden Wandungen, stellen weisen Verengungen
und Ausbauchungen , die grösseren mit gelockerter, zerfaserter, spaltiger Membran. Die
Epidermis ist zerklüftet, verschmälert, die Zellen verfettet und glasig gequellt; Haar-,
Talg- und Schweissdrüsen sind mehr oder weniger nur trümmerweise vorhanden.
So ist also auch anatomisch, wie klinisch, der Lupus erythematodes ein Process der
atrophischen Narbenbildung. Seitz.
Manuel pratique des maladies de l’enfance.
Par A. D'Espine, prof. de Pathologie interne k l'Universitd de Gendve, ancien interne des
höpitaux de Paris ; C. Picot, Mddecin de l'lnfirmerie du Prieurd k Gendve, ancien interne
des höpitaux de Paris. Paris, Librairie Baillidre & flls, 1877.
Bien qu’un manuel soit rarement d’une lecture attrayante, c’est avec un vif intdröt
et un rdel plaisir que nous avons lu celui que viennent de publier nos savants compatrio-
tes, M. M. D’Espine et Picot. Pour eux en effet, manuel n’est point synonyme de Compi¬
lation plus ou moins compldte et plus ou moins indigeste destinde k faciliter aux dldves
la prdparation d’un examen sur teile ou teile branche de la Science. Ils ont compris leur
täche dans une acception plus large, et leur livre, rdsumd intelligent des traitds classiques
comme des travaux les plus rdeents, est une lecture aussi intdressante pour le praticien
qu'utile k l’dldve en mddedne.
Depuis la publication du grand et excellent traitd de Rilliet et Barthez , il a paru en
France plusieurs ouvrages importants sur les maladies de l’enfance. ( Bouchut , Roger etc.)
Toutefois un travail complet et entiörement au courant de la Science raanquait k la littd-
rature mddicale de langue franqaise.
Personne n'dtait mieux k möme de combler cette lacune que M. M. D'Espine et Picot.
Internes des höpitaux, ils ont trouvd dans les deux höpitaux de Paris consacrds k l’en-
fance, l’Höpital 8t. Eugdnie et l’Höpital des Enfants de la Rue de Sdvres, un vaste champ
d’dtudes et les conseils de mattres expdrimentds, les Barthez , les Roger etc.
Maltres de trois langues, ils ont pu en outre s’approprier les importante travaux
publids cos demiöres anndes en Angleterre, en France et en Allemagne.
Nous allons maintenant examiner rapidement le plan gdndral de l’ouvrage et quel-
ques-unes de ses parties.
Le cadre que s’dtaient proposd les auteurs ne leur a pas permis d’aborder les mala¬
dies chirurgicaleB de l’enfance.
Dans une introduction trds bien faite, nous trouvons, prdsentdes avec concision et
prdeision, quelques notions gdndrales qu’il est indispensable de connaltre avant d’aborder
l’dtude thdorique et pratique des maladies chez les enfante. Ce sont:
1. Quelques cousiddrations physiologiques sur la taille, le poids, la tempdrature, l’ali-
mentation, la dentition, etc.
2. L’examen des enfants; la manidre dont on doit proedder k cet examen en gdndral,
et pour chaque Organe en particulier.
8. Quelques lignes sur la thdrapeutique.
Le chapitre I est consacrd aux maladieB gdndrales: fidvres druptives, diphthdrie,
rachitisme, scrofule, tuberculose, Syphilis etc.
Les chapitres suivants aux maladies des diffdrents systdmes ou appareils de l’orga-
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nleme: m&ladies du Systeme nerveux, de l'appareil digestif, des Organes reBpiratoires,
gönito-urinaires, maladies du cceur, malad ies de la peau.
Toub les chapitres n’ont pas 6t6 traitds avec un dgal ddveloppement; comme les
auteurs le disent dans leur prdface, ils se sont attachös k l’dtude des maladies surtout
frequentes dans le jeune äge ou qui prdsentent dans l’enfance une physionomie spöciale,
et n'oDt que brtevement mentionnä les affections qui prdsentent les mömes caract6res chez
l'enfant et chez l'adulte.
Citons parmi les articles principaux: la fi^vre typhoide, le rhumatisme, la Syphilis,
les mdningites et les paralyties infantiles.
Un chapitre tout particuliörement interessant est celui de la diphthdrie et du croup.
Ici nos auteurs se sont donnös libre carriöre et Bont entrds dans des ddtails dont l'im-
portance pratique nächappera k personne. Apr6s un court historique oü ils constatent
l’existence d’anciennes äpidämies de diphthdrie, dissimuldes sous des noms divers, et
dtablissent l’indentitd de l'angine pseudo-membraneuse avec le croup laryngien, ils ex-
posent l'dtiologie et l’anatomie pathologique de la diphthdrie. Puis viennent, avec leB
symptömes, la description de l'angine diphthdritique et du croup (les deux expressions
diniques les plus frdquentes de la diphtbdrie) et ceUe des complications, diphthdritiques,
visodrales et paralytiqueB, qui si souvent aggravent le pronostic.
Partisans ddclards de la trachdotoroie, aprds avoir dtabli qu’il n’existe pas de mddi-
cation vdritablement spdcifique de la diphthdrie, et exposd les meilleurs modes de traite-
ment gdndral, ils entrent dans les ddtails les plus prdcis sur les indications, le mode
opdratoire et les accidents de la trachdotomie.
Ils recommandent de ne pas retarder inutilement le moment de l’opdration, et de la
pratiquer si possible au ddbut de la 8&me pdriode, ou pdriode asphyctique, tout en disaqt
avec Trotuseau qu'ii n’est jamais trop tard pour opdrer, tant que l’enfant a encore un
Bouffle de vie.
L’opdration doit dtre faite rapidement, mais sans prdcipitation. Une lente dissection
dee tißsus couche par couche sur la sonde cannelde, mode opdrafoire prdconisd par quel¬
ques praticiens surtout en Allemagne, n’a pas leur approbation, pas plus que l'emploi
du chloroforme. Nous ne pouvons que mentionner encore les conseils pratiques sur les
soins consdcutifs k la trachdotomie, ses complications, etc. Faire plus serait ddpasser nos
limites: Que chacun prenne le livre en main et le lise, certain d'y trouver sinon un
eneeignement nouveau, du moins une excellente occasion de rafraichir Bes Souvenirs.
Dr. Goudet
Die Syphilis während der Periode ihrer Initial- und Frllhformen und deren Behandlung
auf Grund von Fournier’s „Legons sur la Syphilis.“
Dargestellt von Dr. Emanuel Hohn, Docent für Syphilidologie an der Wiener Universität,
Wien, Seidel & Sohn. 1875. 296 8.
Der Autor wollte von Fovmier'a „Legons sur la Syphilis dtudide plus particulidre-
ment chez la femme a eine deutsche Bearbeitung veröffentlichen, das Buch aber weder
ganz übersetzen noch bloss eine Auswahl aue dem Werke veranstalten, sondern er hielt
es für zweckmässiger „dasselbe als Ganzes zu bearbeiten“, dabei gegnerische Ansichten
auch reden zu lassen und hauptsächlich die Lehren der Wienerschule zu reproduoiren.
Er sagt, dass er immer jenes Ziel: „Darstellung der Syphilis, wie sie sich insbesondere
beim Weibe präsentirt, vor allem berücksichtigt“ und zugleich den Doppelzweck ange¬
strebt habe, dem der Universität längst entronnenen älteren practischen ärztlichen Collegen
ein Bild des für ihn weitaus wichtigsten Theiles der Disciplin zu bieten, und dem stu-
direnden Jünger einen alles Wesentliche umfassenden Grundriss der Lehre von der
luetischen Diathese, mit dem für die Klinik nothwendigen Detail ausgerüstet, in die
Hand zu geben.
Mau kann diese Vermengung von eigener Arbeit und Uebersetzung, von Verbindung,
von Monographie und Lehrbuch für etwas sonderbar halten und allerdings empfindet man
beim Lesen deutlich den Mangel der Vorzüge einer Monographie: Schilderung aller Ver¬
hältnisse nach einer bestimmten grossen Zahl sorgfältig geführter Krankengeschichten.
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Iadess haben sowohl Fournler wie der Uebersetzer auf Grund ao reichlioher Erfah¬
rung gearbeitet und ist Verschiedenes so viel einlässlicher beschrieben, als gewöhnlich der
Fall, dass Kohn'a Buch den Studirenden zu empfehlen ist. Seitz.
Kantonal© Correspondenzen.
Bern. Meinem frühem Versprechen zufolge theile ich Ihren Lesern in Folgendem
die bisherigen Hauptergebnisse meiner Nachforschungen über den angeblichen Impf¬
todesfall Marty mit (s. Gorr.-Blatt 1876 Nr. 18 und 19):
1. Der Seiler Balz Marty, geb. 1885, war niemals Schütze, sondern ursprünglich
Infanterist, aber als einziger Sohn einer Wittwe viele Jahre lang kraft kantonaler Vor¬
schriften der persönlichen Dienstleistung enthoben, also kein „eidgenössischer Wehr¬
mann.“ (Bericht des Militärdepartements Schwyz vom 17. October und des Pfarramts
Ingenbohl.)
2. Derselbe war von jeher kränklicher Natur, wie auch seine Eltern waren (Bericht
von Dr. Uniemährer in Brunnen vom 27. September).
3. Wegen herrschender Blattern liess sich derselbe ganz fr e i w il 1 i g am 27. April
18 7 0 revacciniren. Mit Stoff aus der gleichen Quelle wurden gleichzeitig 7 andere
Personen mit meist gutem Erfolg und sämmtlich ohne den mindesten Nachtheil revac-
cinirt. (Bericht des gleichen Arztes vom 27. September, 4. und 27. Oktober.)
4. Am 3. und 4. Mai liess er sich von Dr. Schönbächler berathen; dieser fand ledig¬
lich ziemliche Anschwellung und Böthung infolge der Revaccination , jedoch nichts Be¬
unruhigendes (Bericht von Dr. Schönbächler vom 21. October).
5. Am 5. Mai liess derselbe Herrn Dr. Bettschart in Schwyz rufen. Dieser constatirte
starke Anschwellung und Entzündung beider Oberarme und zum Theil der Ober- und
Unterachselgegend, bedeutendes Fieber, Aengstlichkeit des Patienten. Am 16. Mai war
die Sache wieder nahezu geheilt, letzte Ordination (Bericht von Dr. Bettschart vom 21. Oktober).
6. Am 21. August 1870 consultirte Marty denselben Arzt, lediglich wegen Ver¬
stopfung, und erhielt Aloepillen (gleicher Bericht).
7. Von da an scheint Marty während nahezu anderthalb Jahren ab und zu die Aerzte
Schiller und Elmiger gebraucht zu haben. Erst am 2. Januar 18 7 2 kam er in Behand¬
lung des Dr. Fassbind in Gersau. Dieser giebt wörtlich folgende Schilderung: „Patient,
circa 45—46 Jahre alt, zeigte das Bild eines tief heruntergekommenen, kachektischen
Menschen, einer perniciösen Anämie. Blasse, gedunsene Gesichtsfarbe, Schleimhäute
sämmtlich oligämisch, schwache Herzthätigkeit, Dyspnoe bei kleinster Anstrengung,
Appetitlosigkeit, träger Stuhl, Urin klar, hell, starke physische Depression, Mangel aller
Fiebererscheinungen und Fehlen irgend einer bestimmten Organerkrankung. Seine Klagen
koncentrirten sich aber mehr auf ein Eczema scroti et femoris, das ihn nächtlich beun¬
ruhigte, und dem er die meiste Schuld zuschrieb, wesswegen er mich auch rufen liess.“
An den Armen ausser den Narben nichts zu bemerken. (Bericht von Dr. Fassbind vom
12. Oktober.)
8. Unter der Behandlung des Hrn. Dr. Fassbind trat keine Besserung ein. Der Kranke
verliess ihn, brauchte verschiedene Quacksalber und starb am 20. Mai 1872. (Ob. Bericht
und Mittheilung des Pfarramts Ingenbohl.)
Die Aerzte Fassbind und Bettschart verwahren sich des Bestimmtesten dagegen, dass
sie die Ansicht gehabt oder dem Patienten gegenüber ausgesprochen, sein späteres Leiden
rühre von der Impfung her.
Von Herrn Dr. Schiller , welcher den Patienten in der Zwischenzeit zwischen August
1870 und Januar 1872 behandelt haben soll, habe ich keine Mittheilung erhalten; Herr Dr.
Elmiger, welcher den Patienten ebenfalls gesehen haben soll, ist verstorben, ebenso blieb
ein zweimaliges Ansuchen an das Präsidium des Sanitätsrathes von Schwyz um Ueber-
sendung des hinter ihm liegenden Todtenscheines erfolglos.
Immerhin geht wohl aus Obigem für jeden Arzt hervor, dass die Krankheit, welche
im Mai 1872 den Tod des Marty herbeiführte, mit der Revaccination desselben im April
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1870 in durchaas keinem urBlchliohen Zusammenhang steht, möge
dieselbe eine perniciöse Anämie gewesen sein oder was sie wolle. Direkte Folge der
Revaccination war lediglioh eine bei diesem von vorneherein kränklichen Subject heftiger
als sonst sich entwickelnde Impfreaktion, welche mit der Vernarbung der Impfstellen
binnen 20 Tagen abgelaufen war. Hätte der Impfstoff den Keim zu irgend welcher
constitutioneller Krankheit enthalten, ähnlich derjenigen, welcher Marty erlegen ist, so wäre
es denn doch gar zu merkwürdig, wenn bei keinem der 8 mit demselben Stoff Geimpften
dieser Keim gehaftet hätte, als gerade nur bei Marty. Dass eine perniciöse Anämie duroh
Impfung übertragen werden könne, hat übrigens meines Wissens auch der unverfrorenste
Impfprotestler noch nicht zu behaupten gewagt, und würde er es behaupten, so wäre
es an ihm, den Beweis für seine Behauptung zu leisten.
Wenn schon das Aktenmaterial an Vollständigkeit noch einiges zu wünschen übrig
lässt, so dürfte dasselbe doch genügen, um den einzigen Fall, welchen Herr Oberstlieute¬
nant Estermann als Argument gegen den Impfzwang bei unsern Wehrmännern in’s Feld
zu führen im Fall war, in sein rechtes Licht zu stellen. Nach wie vor werden wohl in
den Augen jedes Vernünftigen die Dutzende von Pensionen an Hinterlassene von an
Blattern verstorbenen Wehrmännern schwerer wiegen, welche das Bundesbudget all¬
jährlich mit mehreren Tausenden von Franken belasten. Diese Wehrmänner, recht¬
zeitig und richtig revaccinirt, wären ihren Familien erhalten geblieben!
Die Akten können Übrigens im Original auf meinem Bureau eingesehen werden.
Achtungsvollst! Der eidgenössische Oberfeldarzt:
11. December 1876. Dr. Ziegler.
1. Reisebrief ans dem Süden.
„Was nützt mir der Mantel, wenn er nicht gerollt ist!“
Hochgeehrte Redaction! „Den Ausschlag für den höhern klimatischen Werth (einer
Station) wird immer die Stetigkeit der wichtigsten Elemente geben: Wärme,
Feuchtigkeit, Windstille und in Verbindung damit erst der Luftdruck. Wenn es sich aber
um den Werth des Gurorts für Heilzwecke handelt, so wird auch darauf hin der Arzt
zugleich noch immer fragen, welche Einrichtungen dem Curgaste gesichert
sind, um dieser Einflüsse lange und zweckmässig theilhaft zu
werden. Unterkunft, Nahrung, Beschäftigung, gesellschaftliche
Verhältnisse und ärztliche Pflege im Curorte bilden deshalb die eigent¬
lichen Factoren der practischen Abschätzung derselben; denn was nützen die besten
klimatischen .Elemente, wenn eie nicht mit der passenden Pflege der Gesundheit Überhaupt
verbunden sind?“
Diese Zeilen aus Sigmunde „Südliche klimatische Curorte“ (3. Auflage, Wien, 1875)
sind nicht weniger zutreffend, als jene geflügelten Worte Billroth’s : „Was nützt uns nach
geschlagener Schlacht die Chirurgie , so lange wir nicht wissen, wo wir unsere Ver¬
wundeten unterbringen, wie wir sie betten, und so lange es uns zweifelhaft bleibt, ob
wir für dieselben auch die nöthige Verpflegung zu beschaffen im Stande sind.“ (Chirurgische
Briefe.) Beiden Auslassungen, so entfernte Verhältnisse dieselben auch betreffen, liegt
dieselbe Wahrheit zu Grunde, die sich kürzer noch durch das Vorgesetzte Paradoxon
ausgedrückt findet. Und in der That, was nützt dem Soldaten Nachts der Mantel als
Reservekleid, wenn er denselben den Tag über schon entfaltet und durchregnen liess?
% Von diesem Standpunkte ausgehend, müssen Sie mir es erlauben, Sie zuerst mit
mehr oder weniger Hindernissen reisen zu lassen, Sie dann in die Wohnstätten südlicher
Curorte einzuführen, um daselbst Unterkunft zu suchen, auch müssen Sie mir gestatten,
dass ich Ihnen von StrohBäcken, vielleicht auch von Aborten und andern subsidiären
„Abführmitteln“ spreche, dass ich Ihnen ferner vorführe, was wir hier essen und trinken
und wie wir schlafen, alles dieses bevor ich Ihnen von weicher Luft und Feuchtigkeitspro-
centen spreche, denn von jenen Externa und Domestica hängt das Wohl oder Weh der
in den Süden geschickten Kranken so unendlich viel ,ab. das*» > dieselben bei .Besprechung;''
südlicher Curorte in die erste Linie zu stellen sind. *•' • * ;• ' :
Vor Allem aber möchte ich es jedem Collegen aufs' GeVrissbh binden," die zur Reise
’ Digitkebby Google
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drängenden Kranken ja -vor den überschwenglichen Erwartungen su warnen, welche ge¬
wöhnlich an eine Reise in den Büden geknüpft werden* Auch im Lande „wo die Citronen
blühen“ giebts ja einen Winter, wenn auch einen kürzern und weniger strengen; wer zu
Hause, im Norden, im Falle war, sich in wohleingerichteter Häuslichkeit vor jeder Un¬
bilde des Wetters schütxen zu können, der wird im Büden sich dazu verstehen müssen,
„frieren zu lernen.“ .... Gilt die Reise einem der Curorte des südlichen Frankreichs
oder desjenigen Theils der Riviera di Ponente, dessen Mittelpunkt das üppige Nizza ist,
so reist man von Genf aus über Lyon, das Rbonethal herunter nach Tarascon, wo sich
der Eisenstrang nach rechts abzweigt, nach Montpellier und Pau, währenddem der Schnell¬
zug ohne Wagenwechsel nach links Marseille zu sich wendet und der Mittelmeerküste
entlang Nizza zueilt. Wer dagegen in San Remo, Nervi, Spezia, Pisa, oder noch weiter
südlich zu überwintern gedenkt, thut am besten, von Genf aus die Mont-Cenis-Route
einzuschlagen, um dann von Turin über Savona, die Stationen Sanremo oder Bordighera,
das palmenreiche, oder über Genua die Riviera di Levante zu erreichen. Kranke und
Schonungsbedürftige dürfen es nicht wagen, in Frankreich und Italien anders als
erster Klasse zu reisen; die Wagen zweiter Klasse sind auch gar zu schlecht Auch
lasse man sich keines Falls dazu verleiten, die Effecten als Eilgut vorauszuschicken und
nur das sog. Handgepäck mit auf die Reise zu nehmen. Einmal sind die Kosten bei der
Eilgutsexpedition, zumal nach Italien, wesentlich grösser, als wenn man alle
seine Habseligkeiten als Passagiergut mitnimmt, und andrerseits erspart man sich auch
die Douanenplackereien nicht damit. Einige meiner Kranken und auch ich selbst, die wir
unsere Effecten zum voraus spediren Hessen, hatten das höchst zweifelhafte Vergnügen,
circa 10 Tage lang in Pisa warten zu müssen, bis wir endlich avisirt wurden, dass
unsere Siebensachen in der Dogana centrale von Bologna lägen; zugleich erhielten wir
die höfliche Einladung unsere Kofferschlüssel dorthin zu senden, damit nachgesehen
werden könne, ob wir Schmuggler oder ehrliche Leute wären. Das sind Dinge , die
einen Gesunden einigermassen aufzuregen im Stande sind, Kranken aber entschieden
wenigstens eine schlaflose Nacht bereiten, daher es besser ist, denselben auszuweichen.
An seinem Bestimmungsorte angelangt, thut man am besten, in einem guten „be¬
sternten“ Gasthof abzusteigen, um dann selbst Quartier zu suchen. Solches zum voraus
durch Andere bestellen zu lassen, ist desshalb nicht räthlich, weil diese Andern selten
die Bedürfnisse des Curgastes und dessen Anspruch an Comfort kennen. Die betreffenden
Recognoscirungsreisen von Gasse zu Gasse, von Haus zu Haus, Treppen auf, Treppen
ab, sind allerdings sehr ermüdend und aufregend, letzteres besonders, wenn man, aus
einem ordentlichen schweizerisch-bürgerlichen Haushalte kommend, zum ersten Male Bich
durch sUdfranzösische und italienische Hausgänge durchzuwinden hat und zum ersten
Male „südliche“ Wohnräume betritt. Ich erinnere mich noch lebhaft des Grauens, welches
mich in Montpellier beim Betreten der ersten Miethwohnungen überfiel; zwar fehlte die
„Armoire k glace“ nirgends, so wenig als 8ammtmöbel, daneben aber machte sich boden¬
loser Schmutz breit und Spinnengewebe hingen als schwere Gardinen aus allen Ecken
herunter: „Lasciate ogni speranza voi ch’entrate!“ Es ist räthlich , diese Entdeckungs¬
reisen nicht ohne Kompass zu unternehmen, sonst schwätzen einem die Vermiether die
Nordfronte für Südfronte auf.
In Pisa sind die Miethwohnungen unendlich besser , als ich dieselben in Montpellier
getroffen, dagegen ist es schwer, gutgelegene kleinere Wohnungen, z. B. von nur zwei
Zimmern zu finden und fast unmöglich ist es, Privatwohnungen nur monatweise zu bekommen.
Die Pisaner hängen noch alten Gewohnheiten an und haben die Zeiten noch nicht ver¬
gessen , wo nur sehr reiche Leute über die Alpen kamen, dann aber auch gerade die
ganze Familie mitbrachten. Daher wollen auch heute noch die Hausbesitzer am Lungarno
nur für die ganze 8aison und auch nur gerade eine ganze Etage abgeben, d. h. eines
oder zweier gut und sonnig gelegener Zimmer wegen, wollen sie einem gleich auch noch
6 und 10 obeure Hinterzimmer anhängen. Sie begreifen gar nicht, dass heute, Dank den
verbesserten Verkehrsmitteln, auch „mindere“ Leute den Süden aufsuchen, die keinen
Hofstaat unterzubringen haben, Leute, die sich auch nicht für die ganze Zeit binden,
soodßsa.ihr bis£h,ep Frpjheit bewahren wollen, für den Fall, dass sie mit dem „Servizio“
•des Tr£ausje$/nJcjbrlr' feufriednrt ^e\n ;sdl]ten. Die Aborte sind in Pisa wenigstens nahbar; es
giebt hbbV- auch* Wohnungen*'' «fc • der Nachtstuhl als Suppleant in Anspruch genommen
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werden muss. Letzteres ist in Palermo z. 6. ziemlich allgemein der Fall. Gelegentlich
wird dann der Inhalt desselben in die Etlche getragen und dort in die „für Alles“ be¬
stimmte Abzugsrohre gegossen.
Der einzelne Kranke thut indessen am besten, gar nicht auf Privatwohnungen zu
reflectiren, sondern sioh in einer Pension oder im Hotel einzulogiren. Wer Privatwohnung
nimmt, steht allein, gleichsam von allem Verkehr mit Menschen abgeschnitten, zumal
wenn er der Landessprache nicht mächtig ist, während man in den Pensionen wenigstens
die Gesellschaft der daselbst wohnenden Leidensgenossen hat. Es ist das nicht zu unter¬
schätzen, denn die gesellschaftlichen Verhältnisse der südlichen Curorte lassen sehr,
sehr viel zu wünschen übrig.
Die Betten sind nach unseren Begriffen mangelhaft ausgestattet Vielerorts, selbst
in guten Hotels habe ich noch den Maisstrohsack als Piöce de räsistance angetroffen.
Maisstrohsäcke kommen mir aber immer sehr verdächtig vor, seitdem in Montpellier ein
Vermiether mir begreiflich machte, dass man eben hie und da in den Fall komme, diese
Bettetücke einem Purificationsprocess in Feuer unterwerfen zu müssen. Abgesehen aber
davon, dass der Gedanke an die „bauernfängerische“ Aufgabe der Maisstrohunterlage
keineswegs zur Erheiterung eines Kranken beitragen dürfte, rauscht nnd raschelt es bei
jeder Bewegung, die man auf seinem Lager macht. Man sehe also wohl darauf, dass
die Betten mit Bpringfedermatratzen ausgestattet seien. Ein fernerer, besonders in der
kälteren Jahreszeit sehr fühlbarer Mangel südlicher Betten ist das Fehlen der Flaum¬
decken (Duvets). Die 8 und 4 Wolldecken, die man dafür bekommt, halten lange nicht
so warm, wie das leichte, sich anBchmiegende Duvet, und drücken auf höchst unan¬
genehme Weise. Die Kopfkissen sind hart, als kämen sie aus den Marmorbrüchen
Carrara’s, so dass die „Strohkopfkissen“ der eidgenössischen Sanitätsmagazine weiche
Pfühle dagegen sind. Nie würde ich einen Kranken in den Süden schicken, ohne dem¬
selben speciell anzuempfehlen, sich sein Duvet und sein Kopfkissen miteinzupacken.
Schwere Attentate gegen die Nachtruhe vollführen die Mücken und die Krakeelsucht der
Italiener, erstere eine unleidliche Plage, so lange die warme Herbstwitterung anhält,
letztere ganze Nächte hindurch in Gepfiffe, Gesang, Guitarrengeklimper und anderen mehr
oder weniger mnsikalisch sein sollenden Productionen sich äussernd. Es wird Strassen
auf, Strassen ab mit einem Pathos geheult, der den Quaimauem des Arno gefährlich
werden könnte, wenn Steine überhaupt zu erweichen wären. Von Polizei in unserm spiess-
bürgerlichen Sinne keine Spur!
Die Heizvorrichtungän sind im Süden überall höchst unvollkommen, immerhin sind
dieselben hier besser, als ich sie an der Riviera getroffen. Es ist merkwürdig, mit welcher
Zähigkeit die alten Ueberlieferangen im Volksleben Italien’s haften; so wie der Kopfputz
der Italienerin heute noch genau sich aufthürmt, wie zur Zeit als Pompeji „überrascht“ >
wurde, so findet man auch heute noch dieselben Oefen, wie die Römer sie vor zwei/
Jahrtausenden modellirten. Das Brennmaterial ist nicht theuer. In 8üdf%nkreich brennen
sie jetzt die Wurzelstöcke ihrer durch die Phylloxera heimgesuchten Weinreben, an der
Riviera heizt man mit Olivenholz, hier mit Eichen- und Pinienholz ; die Gikfeßwälder,
welche die Pisanerberge bedecken, werden sorgfältig geschont >
Bezüglich der Beköstigung machen sich überall im Süden zwei grosse Uebelfctände
geltend: die fast ausschliessliche Fleischkost und die modernem Geschäftsleben und dem
Higlife entnommene Gewohnheit die Hauptabfütterung, das Diner, Abends stattfinden
zu lassen. Dass ein richtiger „Chef“ nie ein ordentliches Gemüse auf die Tafel schickt,
ist weltbekannt; der Grund davon liegt in der Bequemlichkeit dieser Hoheiten; eine
Fleischspeise ist ja zehnmal eher bereit, als ein Gericht Gemüse, dessen Zubereitung
auch mehr Sorgfalt erheischt. Ich weise nun zwar sehr wohl, dass die Apostel des
Beefsteaks und des Alcohols, wie wir sie ja auch in der Medicin haben, gegen die
Fleischabfütterung nichts einzuwenden haben, um so eifriger glaube ich überall, wo ich
hinkomme, im Interesse der Curgäste für eine vegetabilienreiche Kost eintreten zu sollen
und glücklicherweise geschieht es nicht immer ohne Erfolg. Die Herren Curärzte auf
den südlichen Stationen haben entweder über besagte Uebehtände nie „physiologisch“
nachgedacht, oder müssen wenig Energie und keinen Einfluss besitzen, sonst hätten die¬
selben gewiss schon längst eine naturgemässere Beköstigung der Curgäste durchgesetzt.
Sie sehen, der Schattenseiten finden sich genug im Süden, Wer nicht über viel Ge-
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duld und genügend Geld verfügt, womit eich schliesslich vieles überwinden liest, thut
entschieden besser im lieben Vaterlande ein ländliches Asyl zu beziehen, und da seine
Winter-Luftkur zu gebrauchen. Und solcher Asyle giebts ja eigentlich mehr, als man
auf den ersten Blick glaubt. Werfe man doch einmal seine Augen auf dis zahlreichen,
meist gut und Bonnig gelegenen Pfarrhäuser auf dem Lande; sowohl zuträgliche Kost,
als allenfalls nöthig werdende Pflege werden da nie fehlen, ebensowenig als genügendes
Pfrundholz zum Einheizen und in der Wohnstube des Herrn Pfarrers, es möge da eine
Frau Pfarrerin oder eine Köohin katholischen Styls das Regiment führen, wird sich
der Curgast immer heimischer und behaglicher fühlen, als im schönsten Prunkzimmer des
Südens. Gesellschaftlich würde man wahrscheinlich gegenseitig gewinnen.
Damit schliesse ich meine Epistel über einige Kehrseiten südlicher Curorte. Ueber
die Glanzseiten derselben und speciell über die wunderbar weiche Luft Pisa’s werde ich
Ihnen später einmal schreiben.*) Schnyder.
Pisa, den 9. December 1876.
W ochenbericht.
Schweiz.
Schwelieriache» nilltärsanltätsweaen. Dem unB gütigst mitge-
theilten summarischen Rapporte über die sanitarische Untersuchung der Wehr¬
pflichtigen des IV. Divisionskreises entnehmen wir folgende Data :
•3
Recruten
Total Eingeth. Mannschaft Total Total
53
i
Bern
£
640
^ CR
zurückgestellt
92 46
t=
228
3
906
49
pH 2
dispensirt
27 98
(Emmenthal)
Luzern
634
127
42
284
1037
32
20
108
Obwalden
62
10
2
16
90
7
8
25
Nidwalden
66
9
1
16
90
2
1
6
Zug
129
26
8
60
222
8
4
14
1430
263
99
663
2345
93
65
261
Total
i*4
iti
Total
il
jfj
*■31
•6 ■
CBi
174
1180
68
16
160
1197
69
16
85
125
68
18
9
99
72
11
21
243
68
14
399 2744
Die kleinste Zahl der tauglichen Recruten hatten die Kreise Summiswald und Schüpf-
heim mit 49°/ 0 , die grösste Nidwalden mit 72% (Stadt Luzern 69%).
Es waren also Untaugliche und Zurückgestellte 1221, taugliche Recruten 1480, ab-
gewieeene Eingetheilte 98. Von den Erstem hatten Krankheiten am Kopfe 96 (Augen¬
leiden 63), Krögfe 269, Krankheiten der Athmungsorgane 66, des Herzens 69 Hernien
Krankheiten des Verdauungscanals 17, der Knochen 10, obern Gliedmassen 87, untern
Glisdmaaasen'' 85 , Plattfüsse 47, geistige Beschränktheit 36, Geisteskranke 10, übrige
Nervenkfiden 18 , zurückgebliebene körperliche Entwicklung, Schwäche 384 , Scrophu-
lose li etc.
Die Untersuchungen über die Impfverhältnisse ergeben :
Geimpft Revaccinirt
Bern
Oepockt
Ja
Nein
Wegfell**)
Nein
mit
ohne
Wegfall**) Total
1
833
73
299
419
Erfolg
115
78
906
(Emmenthal)
Luzern
11
1024
10
3
280
600
264
3
1087
Obwalden
1
88
—
2
66
15
9
90
Nidwalden
1
90
_
—
21
25
44
_
90
Zug
2
215
4
3
198
6
16
3
222
14
2250
14
81
864
964
438
79
2345
*) Wäre uns sehr erwünscht Red.
••) Der Wegfall bezieht sich auf jene Recruten, die entweder nicht persönlich erscheinen konnten,
oder wegen auffallender Gebrechen nicht speciell puncto Vacoinatlon untersucht wurden.
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Im III. Divisionskreise erwiesen sich von 3137 Rekruten 1627 oder 51,9% dienst¬
tauglich, 1610 oder 48,1% zeitweise oder bleibend untauglich.
Von 393 Mann bereits eingetheilter Mannschaft waren 96 oder 24,2% diensttauglich,
298 oder 76,8% zeitweise oder bleibend untauglich.
Lasern. Ueber die Sterblichkeit in der Stadt Luzern macht
Dr. A. Steiger im „Tagblatt“ interessante Mittheilungen, denen wir Einzelnes entnehmen :
Die Sterblichkeit erreichte in den 3 ersten Monaten dieses Jahres 32,2 pro Tausend,
während Genf blos 18,8, Locle 21,4, Chauxdefonds 22,4, Zürich 23,7 und Basel 27,2
haben. London zeigte im gleichen Zeiträume 24,7, Paris 28,1, die viel verschrieene Fabrik-
stadt Manchester nicht mehr als 34,1.
Würde z. B. in London unsere hiesige Sterblichkeit auftreten, die sanitarischen und
politischen Behörden des Landes würden die eingehendsten Untersuchungen veranstalten
über die Ursache derselben. Es müsste nämlich in London schon zu schweren Epidemien
gekommen sein, bevor die genannte Zahl längere Zeit durch hätte bestehen können. Bei
uns ist man mit solchen Untersuchungen nicht so rasch bei der Hand.
In Luzern hätte man überdiess Ursache, solchen Dingen auf die Spur zu kommen,
nicht allein der hiesigen Bevölkerung wegen, sondern auch der vielen Touristen willen.
Als Gründe der höhern Sterblichkeitsziffer sind hauptsächlich viere zu nennen.
1. Ein Hauptgrund unserer hohen Sterblichkeitsziffer liegt in dem Umstande, dass
die Bevölkerungssah}, welche im eidgenössischen statistischen Bureau zu Grunde gelegt
wird, viel niedriger ist, als die Wirklichkeit sie bietet.
In den ersten 9 Monaten 1876 hatte
Luzern
mit circa 17,000 Seelen (berechnet) 469 Geburten oder 39 % 0
St Gallen
a
a 18,000 „
» 42 »
a
a 32 „
Zürich
a
> 22,000 „
» 414
a
» 26,, „
Lausanne
a
» 29,000 „
„ 670
a
„ 30 „
Genf
a
„ 60,000 „
„ 1012
a
„ 27,, „
Bringen nun diese Thatsachen die Annahme nicht nahe, dass Luzern eben eine
zahlreichere Bevölkerung habe als berechnet wird? Ich führe noch einen positiven Be¬
weis dafür an. Seit 1870 hat die Zahl der Schulkinder in Lueern um circa 800 zuge¬
nommen , so dass der Zuwachs der Bevölkerung seit 1870 auf 6—7000 Seelen veran-
schlagt werden muss, also etwa um 7» mehr als das statistische Bureau berechnet. Da J
wir nun in den ersten 9 Monaten 1876 eine Sterblichkeitsziffer von 83% 0 haben, so T
müsste dieselbe auf die thatsächliche Bevölkerung angewendet um */,, d. h. auf 26,6%y
zurückgesetzt werden.
2. Ein fernerer erheblicher Grund für die grosse Sterblichkeitsziffer in Luzern-wt
die Anwesenheit des Bürgerspitals in unserm Weichbilde, der allein in den ersteiy'tfeun
Monaten dieses Jahres von der Gesammtzahl von 396 Todesfällen nicht weniger ajls 111,
d. h. 28%, lieferte, eine auffällig hohe Zahl, da in jener Anstalt weder -lünder noch Ge¬
bärende noch frisch Entbundene aufgenommen werden. Die 111 Gestorbenfe^rom ßpitale
her stellen ungefähr 14% aller dort eintretender Kranken dar, ebenfalls ein gkhz ausser¬
ordentlich hohes Verhältnis. So hatte der Kantonsspital in St. Gallen letztes Jahr bloss
67,% Todesfälle von seinen Aufnahmen; er konnte sich unter anderm rühmen, von 36
Typhusfällen, die er im Laufe des Jahres 1876 behandelt hatte, keinen einzigen verloren
zu haben. Bei Abgang jeder Kontrole und jeden Berichtes über die behandelten Krank¬
heiten in unserm Spitale haben wir keinen Anhaltspunkt zur 8pecialvergleichung.
3. Unter der grossen Zahl der neuen Einwanderer nach Luzern befanden sich, wie
natürlich, eine Menge armer Leute.In Folge dessen entstand eine grössere Sterb¬
lichkeit der Kinder, namentlich der ganz kleinen. Diese Sterblichkeit streifte hie und da,
wie einst Jemand witzig sich äusserte, hart an den Kindermord zu Bethlehem. So z. B.
kamen 1876 in der Gemeinde Littau, deren untere Hälfte an der raschen Bevölkerungs-
sunahme der Stadt Luzern ebenfalls Theil hatte und wo überdieBS die allerärmsten Leute
sich niederliessen, nicht weniger als 60% der Sterbefälle auf das Alter von 1—5 Jahren.
Während in der Stadt Luzern die Ziffer noch 287o beträgt, sinkt sie in der grossen
Landgemeinde Ruswyl auf 19% herunter.
Das laufende Jahr brachte sehr zahlreiche und heftige Krankheiten, das sog. Kind¬
bettfieber, das eine Mpege Frauen im blühendsten Alter wegraffte, zahlreiche Typhus-
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falle. (Seit bald 20 Jahren habe ich beobachtet, dass, so oft länger dauernde Grab»
arbeiten in Lusern vorgenommen wurden, die dabei entweichenden Ausdünstungen jedes»
mal in den benachbarten Häusern Typhusfalle hervorgerufen haben. Typhus wird eben
viel häufiger durch schlechte Bodengase, als schlechtes Trinkwasser oder Ansteckung
von Menschen hervorgerufen.) Berechnen wir die 8terblichkeitszi£fer auf die thatsächliche
Bevölkerung und denken wir uns den Spital ausserhalb der Gemeinde, so stellt sich unsere
Sterblichkeit nicht höher als 17,5%«, gerade wie bei Genf, das fQr die gesündeste Stadt
in Europa gilt. ....
Olten. Die Impfcommission hielt den 10. Dezember in Olten ihre erste Sitzung
ab. Es waren anwesend die Herren Dr. de Wette, Basel, Präsident; A. Vogl, Bern, Referent;
Hellstab , Brienz; Wegelin, St. Gallen ; Kitlias, Chur; Reiffer, Frauenfeld; Fisch, Herisau ; Rahm,
Schaffhausen; Bossard, Zug; Bircher , Aarau ; W. Bemoulli, Basel; de Ctrenviüe, Lausanne;
de Purri, Neuchätel; A. Baader, Gelterkinden; ferner die Mitglieder des Aerzteausschusses
Präsident Dr. Sonderegger, 8t. Gallen; Schriftführer Dr. Burckhardt-Merian , Basel, und Dr.
Zehnder , Zürich. Nach sehr eingehender Besprechung des unterdessen versandten Impf»
circulars wurde noch die Möglichkeit und die Form einer schweizerischen Impfstatistik
discutirt und beschlossen, eine solche anzubahnen, sowie das Material Uber die in der
Schweiz beobachtete Einwirkung der Vaccination und Revaccination zu sammeln.
Es wurde hiebei hervorgehoben , wie äusserst ungleich in den einzelnen Cantonen
die Ausübung der Mediciualpolizei ist und wie nothwendig eine oentrale Ueberwaehung
durch den Bund wäre.
CreHotlnHänre und ereaotinsanrei Natron hat Dr. C. F. Buss (Basel)
auf ihre antipyretische Wirkung versucht Die Voraussetzung, dass die Cresotinsäure als
eine der Salicylsäure homologe Verbindung auch ähnliche Wirkungen haben müsse, ver-
anlasste die therapeutische Prüfung.
Die klinischen Beobachtungen an Fieberkranken, bemerkt Dr. Buss, lassen keinen
Zweifel übrig, dass die Cresotinsäure ein dem Chinin und der Salicylsäure ebenbürtiges
Antipyreticum iBt (Berl. klin. Wochenschr.). Das cresotinsäure Natron wurde zu 6,0—8,0
gegeben. Nach dem Einnehmen klagte der Kranke zuweilen über schlechten Geschmack,
nie über unangenehme Sensation, meist stellte sich aber Ohrensausen, selten Schwer¬
hörigkeit uach einigen Stunden ein.
Die Cresotinsäure (C 8 H,0,) entsteht aus dem Cresol oder Cressylalkohol (C,H # 0)
wie die Salicylsäure (C 4 H 7 0,) aus dem Phenol oder Phenylalkohol (C e H # 0) beim Ein-
hiten von Kohlensäure in Cresol oder Phenol, während sich darin Natrium löst. Die
ürisotinsäure kristallisirt aus der heissen Lösung in Wasser in farblosen Prismen. Sie ist
in ’jaltem Wasser wenig, leicht in Aether, Weingeist, ammoniakalischem oder Natron-
caAhJJat, haltigem Wasser löslich. Mit Eisenchlorid färbt sie sich ebenso violett wie die
Salicjaätjare.
>ie VFraigfe, ob die Cresotinsäure in der antipyretischen Wirkung die Salicylsäure
überflüeltjl✓««den weitere Experimente des Dr. Buss beantworten.
\ (Schw. pharm. Z. u. ph. Centralh.)
\ Ausland.
Aetlalygie der Malaria. Das an der Themse gelegene Fort Tilbury war
bis zum März 1876 als eine Garnison für Malaria bekannt, von da ab bis zu Ende des
Jahres hörten plötzlich die Fälle auf und „jene Leute, die alle das Aussehen der Mala»
riacachexie trugen , erschienen nun verhältnissmässig gesund und robust“. Im Februar
1876 hatte man jedoch den Gebrauch des Wassers aus zwei Reservoiren eingestellt und
bei der in Neatley vorgenommenen chemischen und microscopischen Analyse derselben
hatte sich ergeben, dass dasselbe oxydirbare organische Substanz in erheblicher Masse
enthielt, dieses aufgefangene „Regen wasser“ also offenbar durch von aussen in die Re¬
servoire eingedrungene Stoffe aus dom Boden verunreinigt war. Zugleich enthielten diese
beiden Wasserproben miaroscopische Pilze, die in einer andern Probe aus einem Brunnen,
der seither benutzt ist, fehlten.
(Army Medical Departement Report for the year 1874.)
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Bienenstich. Um fast augenblicklich den durch Bienenstich hervorgerufenen
Schmers au stillen und zugleich die nachfolgende Schwellung zu verhindern, soll es genügen,
die 8tichpunkte mit einer Cigarre zu berühren, die man vorher im Munde hielt und einen
Augenblick kaute. (Rev. de thdr. m6d. chir. Nr. 20, 1876.)
Deutschland. Glycerinlymphe. Kreisphysikus Dr. Nath sammelt den Impf¬
stoff mit einem neuen Tuschpinsel mittlerer Stärke, den er vor dem Ge¬
brauche mit ein klein wenig ehern, reinem Glycerin angefeuchtet hatte, direct in
ein ganz gewöhnliches Arzneifläschchen von 4—6 Gramm Inhalt. Nachdem so der Stoff
gesammelt ist, folgt auch sogleich im Gläschen die weitere Mischung mit Glycerin und
zwar mit Nath nur Lymphe und chemisch reines Glycerin zu gleichen
T h e i 1 e n. Die Mischung wird nach dem Augenmaass abgeschätzt, das Fläschen mit
einem gewöhnlichen Korke gut verschlossen, nachdem sie von allen heterogenen Bei¬
mischungen gesäubert worden.
Diese Mischung von Lymphe und Glycerin zu gleichen Theilen ist von hinlänglicher,
sehr flüssiger Consistenz und zur Weiterimpfung durchaus practicabel. Sie lässt sich
unbegrenzte Zeit lang aufbewahren und der Erfolg ist so sicher wie bei der Impfung von
Arm zu Arm. (Viertelj. f. ger. Medicin u. öffentl. Sanitätswesen. B. 26. H. 2.)
Deutschland. Zeugnisszwang. Der deutsche Reichstag hat in zweiter
Lesung seines Gesetzes über 8trafprocessordnung als §48 folgendes beschlossen :
„Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt:
1. Geistliche in Ansehung desjenigen, was ihnen bei Ausübung der Seelsorge an¬
vertraut ist
2. Vertheidiger der Beschuldigten in Ansehung desjenigen, was ihnen in dieser ihrer
Eigenschaft anvertraut ist
8. Rechtsanwälte und Aerztein Ansehung desjenigen, was ihnen bei Ausübung
ihres Berufes anvertraut ist.
Die unter Nr. 2 und 3 bezeichneten Personen dürfen das Zeugniss nicht verweigern,
wenn sie von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden sind. tf
Wie naiv erscheinen diesem Paragraphen gegenüber viele cantonale Gesetzgebungen
— und vollends die Lebensversicherungs-Gesellschaften!
England. Wunder der Wissenschaft. Sir William Thompson,
Präsident der physicalischen Section der Royal-Britannic-Association, machte letzthin in
Glasgow einem ausgewählten Publicum über die wissenschaftlichen Wunder, wie er sie
auf seiner letzten Reise in America erlebt hatte, höchst interessante Mittheiluugen. Es
waren vor Allem die Fortschritte in der Telegraphie, die an das Wunderbare streifen.
So kann durch eine geistreiche Combination von Elise Gray derselbe Draht
gleichzeitig vier Depeschen befördern; der automatische Telegraph von Edison expedirt^
1016 Worte in 67 Secunden; aber das Wunder aller Wunder ist sicherlich der Telegraph,,
welcher spricht, welcher an einem Ende des Drahtes klar und deutlich alles das mit¬
theilt, was am andern gesprochen wird. „Ich habe“, sagte der gelehrte Physiker, „ijnit
meinen eignen Ohren und in der intelligentesten Art diese kleine runde Scheibe V^ort
für Wort mir wiederholen hören, die mein College Watson am anderen Ende aussp^ach.
Er hielt seinen Mund nahe an eine gut gespannte Membran, welche eine leichte #unge
von weichem Stahl trug, die so eingefügt war, dass sie auf ein electromagne# 8C hes
Öystem die der sonoren Erschütterung der Luft proportioneilen Schwingungen üj® r ] e iten
konnte. Diese letztem werden am andern Ende des Drahtes der kleinen Scheib^mitge-
theilt, die dann, wie ich es constatiren konnte, alle Worte sehr getreu wiederhij^.“
(Rev. de Thdr. med. chir. Nr. 2?Ci876.)
Fraikrelch. Gastrotomi e. Verneint theilte der Acadämie 4b mödecin©
einen Fall von Gastrotomie mit, die er an einem 17j. Jünglinge ausführte, .'welcher sich
durch den Genuss von einer Pottaschelösung eine nach und nach undurchgängig 8 e ~
wordene Strictur des Oesophagus zugezogen hatte. Da sich die Verengerung 18 Ctm*
hinter den Schneidezähnen befand, konnte von einer äussera Oesophagou>mie keine Red 0
sein. Die Operation wurde am 20. Juli ausgeführt; am Tage der Mitteilung, dem 24.
October, befand sich der Operirte gut: ein Monat nach der Operation hatte er 84 Kilo¬
gramme gewogen, jetzt 42. Der Operirte hat einen sehr guten Appetit und stillt ihn
/
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28
reichlich. Merkwürdiger Weise macht der Mand, wenn 8peisen in den Magen gegossen
werden, Kaubeweguogen und der Kranke nimmt, um seinen Geschmacksregungen ge¬
recht zu werden, einen Theil der Speisen in den Mund: nach gehöriger Durchkostung
spuckt er sie wieder aus.
Die Operation, welche bisher ca. 16 Male erfolglos versucht wurde, ist also voll¬
ständig gelungen. (Rev. de thdr. möd. chir. Nr. 22, 1876).
Frankreich. Lebensmittelfälschung. Wie weit es mit der Weinvor-
fälschung gekommen, zeigen am eindringlichsten die Untersuchungen, die kürzlich in
Besan$on gemacht worden sind.
98 Muster von bei den Händlern der Stadt und umgebenden Dörfern genommenen
Weinen wurden der Analyse eines Präparators an der wissenschaftlichen Fakultät, Hrn.
Serres , unterworfen, und folgende Resultate finden sich in seinem Berichte aufgezeichnet:
Unter den 98 Mustern fanden sich natürliche Weine 80, mit Fuchsin gefärbte 88 ;
mit Mischungen von Cochenille, Indigo-Purpur, Pbytolacca, Runkelrüben, Caramel 14;
durch Hinzuthun von fremden Substanzen, wie Alaun, WeinBteinsäure, gefälschte 10;
mit 26 Perc. Wasser vermischte 0; im Ganzen also 68 gefälschte gegen 80 natürliche
Weine.
Man sieht, wie nöthig es ist, dass man diesen Betrügereien, welche nioht selten in
Giftmischerei ausarten, durch eine rationelle Lebensmitteicontrolle entgegentrete.
Frequenz der FnlverMttftten. Im Sommersemester 1876 betrug die Zahl
der Medicin Studireoden an den Universitäten der Reihe nach wie folgt: Wien 780,
Pest 641, Würzburg 627, Leipzig 378, Dorpat 353, München 847, Berlin 260, Greifs¬
wald 285, Graz 194, Zürich 193, Tübingen 179, 8trassburg 178, Breslau 105, Bern 147 ,
Erlangen 141, Königsberg 139, Freiburg 128, Bonn 127, Marburg 126, Göttingen 112 ,
Halle 108 , Heidelberg 101, Giessen 96 , Jena 82 , Innsbruck 81, Basel 76, Kiel 78 ,
Rostock 18. (W T . M. P.)
Glycerin gegen das lästige Anlaufen der Spiegel, wie sie nament¬
lich zur Laryngoscopie verwendet werden. Es wird empfohlen, die polirte Oberfläche ganz
einfach mit einem in Glycerin getauchten Läppchen zu überfahren. Der in der ausgeath-
meten Luft enthaltene Wasserdampf löst sich vollständig im Glycerin auf und es bildet
sich kein Beschlag. Es ist dieses einfache Verfahren, das keinerlei Uebelstände erzeugt,
jedenfalls besser als das Erwärmen des Spiegels, da es leicht entweder ein zu heiesea
oder ein rasch wieder erkaltetes Instrument erzeugt
Es ist klar, dass man das Vetfahren auch zu andern Zwecken mit Erfolg anwenden
kann: zum Schutze gegen den Thau, der sich auf die Linsen astronomischer Instru¬
mente niederschlägt, für Brillenträger im Nebel oder Regen, für Kurzsichtige, die beim
Selbstrasiren ihre Nase am Spiegel reiben u. s. w. (Union mödic.)
Physiologie der Haut* Durch experimentelle Versuche kommt Dr. A. Röhrig
zu folgenden Resultaten: Kohlensäure und Wasser werden durch die Haut ununterbro¬
chen ausgeschieden. Während der Verdauung und bei erhöhter Temperatur steigen diese
Ausacheidungen, während sie im nüchternen Zustande und bei erniedrigter Temperatur
sinken. Bei Hautreizen ist die Perspiration erhöht proportional ihrer Dauer und 8tärke.
Bei Gatarrh der Respirationsorgane und Beeinträchtigung der Lungenathmung zeigt sich
eine Steigerung der Perspirationsgrösse. Die Kohlensäuremenge hält stets gleichen
Schritt mit dem perspirirten Wasserdunste. — Durch die Schweisssecretion sollen eine
Anzahl Schädlicher Stoffe aus dem Körper entfernt werden, deren Ausscheidung durch
die vika^jende Thätigkeit der Nieren nicht mit übernommen wird, während ihre Reten¬
tion delet\ wirkt und daher die Schädlichkeit einer plötzlichen Unterdrückung profuser
Schweisse.\— Luftgase (O und N) werden, wenn überhaupt, in nur äusserst geringen
Mengen voiNder Haut absorbirt. Fremdartige Gase jedoch, wie Schwefelwasserstoff,
Chloroform, he\chtgas und Kohlensäure mit Sicherheit absorbirt werden, ebenso Schwe¬
felwasserstoff vjch im schwefelwasserstoffhaltigen Bade. — Resorption von Wasser oder
Salzen im Bade ftndet niemals statt, ebenso wenig von medicamentösen Stoffen in Salben¬
form. — Schwache Hautreize bewirken eine Verengerung der peripheren Gefässe, Be¬
schleunigung der Herzthätigkeit, Verminderung der Athemfrequenz und Erhöhung der
Körpertemperatur, starke Reize eine Erschlaffung der Gefässe und Verminderung der
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Herzthätigkeit, Athemfrequenz und Körpertemperatur und können in ihren höchsten Gra¬
den selbst Tod durch Vagus-Reizung zur Folge haben. Reize mittleren Grades schlies-
sen sich in ihrem Effect den intensiven Reizen an, nur geht ihnen der Symptomencom-
plex der schwachen Reize voraus. (Berl. klin. Wochenschr. 76, Nr. 37.)
§oimtegirilhe der Apotheker. Die Apotheker von Orleans haben den
vernünftigen Beschluss gefasst, dass in regelmässiger Kehrordnung zukünftig alle Bonn¬
tage die Hälfte derselben geschlossen sein wird. Um dem Publicum das Suchen der
geöffneten zu erleichtern , werden die Namen derselben jeweilen aa den ThUren der ge¬
schlossenen publicirt sein.
Verhütung der Hileheeeretton. Zur Verhütung der Milchsecretion bei
Wöchnerinnen, die aus irgend einem Grunde nicht stillen können, empfiehlt „Med. Press
and Circular“ folgendes Verfahren: Ein ca. 10 Quadratzoll grosses Stück Diachylon-
pflaster, dessen Ecken vergrössert, dessen Mitte für die Warze rund ausgeschnitten und
bei dem endlich an jeder Ecke bis zu 2 Zoll gegen das Centrum zu ein Einschnitt
gemacht wurde, wird gehörig erwärmt und der auf dem Rücken liegenden Frau so um
die Brust applicirt, dass die runde Oeffnung die Warze auf nimmt und zuerst ein unterer
Winkel mit mässigem Zuge von oben nach unten, dann der entgegengesetzte obere mit
Zug von unten nach oben exact angelegt wird. Hierauf wird ein ca. 16 Zoll langer und
3 Zoll breiter Diachylonstreifen so aufgelegt, dass das eine Ende unten und aussen von
der Brust, das andere Uber der Clavicula und die Mitte dicht an der innern Seite der
Brust liegt. Wenn nöthig kann man einen zweiten Streifen in entgegengesetzter Richtung
(ßternum-ßchulter) umlegen. (Rev. de Thör. möd. chir. Nr. 22, 1876.)
Stand der Inffectlons-Krankhelten ln Basel.
v.
Vom 11. bis 25. December 1876.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen. die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
ßcharlach 35 neue Fälle (17, 21), welche sich, wie früher, auf die ganze Stadt
mit Ausnahme des Birsthales vertheilen: Nordwestplateau 9, Birsigthal 6, Südostplateau
10, Klein-Basel 9, von auswärts ein Fall.
Im Gegensatz zum Scharlach zeigen die Masern eine bedeutende Abnahme; es
Bind nur 8 Fälle gemeldet (10, 21), wovon 5 aus Klein-Base).
Rubeolae sind gleichfalls weniger angezeigt worden: 21 (gegen 31), die aus der
ganzen Stadt mit Ausnahme des Birsthales stammen , die meisten (9) vom Nordwest¬
plateau.
Keuchhusten herrscht in allgemeinster Verbreitung, angezeigt sind 75 neue
Fälle (38, 65): NWplateau 34, Birsigthal 17, SOplateau 8, Birsthal 6, Klein-Basel 10, j
die Anzeigen entsprechen jedenfalls noch lange nicht der wirklichen Frequenz der f
Krankheit. /
Erysipelas häuft sich auffallend; angezeigt sind 13 Fälle (7, 6): 2 NW, 5 Birsig,
2 80, 4 Klein-Basel. t
Typhus (die letzten Male 7, 0) diesmal 3 Fälle. (
Diphtherie und Croup 8 Fälle (7, 7) wovon 4 im Birsigthal. ä
Puerperalfieber 1 FalL Varicellen 11 Fälle, wovon 7 vom NWpljfteau.
/
/
Bibliographisches.
1) Bericht der Direction des Innern an den hohen Regierungsrath des Cantons Bern
über die Erweiterung der Krankenpflege. 73 Seiten.
2) Boginsky , Handbuch der Schul - Hygieine. Mit 36 Holzschnitten. Ölö Seiten.
Berlin, Denicke's Verlag.
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80
8) Löhlein, Ueber das Verhalten des Herzens bei Schwangeren und Wöchnerinnen
nach Beobachtungen in der geburtshilflichen Klinik der Berliner Universität.
40 Seiten. Stuttgart, Verlag von F. Enke.
4) Vogel, Lehrbuch dor Kinderkrankheiten. Mit 6 lithogr. Tafeln. 7. Auflage. 644 S.
Stuttgart, Verlag von F. Enke.
6) Reich, Zur Ernährung der Magenkranken. Eine diätetische Studie. 16 Seiten. Stutt¬
gart, Verlag von F. Enke.
6) Marx, Aerztlicher Catechismus. Ueber die Anforderungen an die Aerzte. 80 Seit.
Stuttgart, Verlag von F. Enke.
7) Kunze , Compendium der practischen Medicin. 6. verbesserte Auflage. 626 Seiten.
Stuttgart, Verlag von F. Enke.
8) Emmel, Risse des Cervix uteri als eine häufige, nicht erkannte Krankheitsursache.
Uebersetzt von Vogel. Mit 8 Holzschnitten. 29 Seiten. Berlin. Denicke’s Verlag.
9) Brand, Die Wasserbehandlung der typhösen Fieber (Abdominal- und Flecktyphus).
26. gänzlich umgearbeitete Auflage. Mit 8 Holzschnitten und 2 lithogr. Tafeln.
376 Seiten. Stuttgart, Verlag von Laupp.
10) Steiger , Montreux am Genfer See als klimatischer Winteraufenthalt und Trauben -
kurort. 124 Seiten. Stuttgart, Verlag von F. Enke.
11) Reich, Bibliothek für Wissenschaft und Literatur. Med. Abth. Band 2. Die Ur¬
sachen der Krankheiten. 2. völlig umgearbeitete und vermehrte Auflage. 8.
Schlusslieferung. Berlin, Verlag von Th. Grieben.
12) Dengler, Bericht über die Verwaltung des Bades Reinerz in den 10 Jahren 1867
bis 1876. Druck von Schirmer in Glaz.
13) Volkmann, Sammlung klinischer Vorträge: Nr. 106. Jürgensen, Die wissenschaft¬
liche Heilkunde und ihre Widersacher; Nr. 107. Fritsch , Ueber das Puerperal¬
fieber und dessen locale Behandlung. Leipzig, Breitkopf und Härtel.
14) Goldschmidl, Ueber intrauterine unblutige Behandlung. 116 Seiten. Berlin, Verlag
von G. Reimer.
16) Medizinische Hausbücher, Heft 28 und 29. Baas, Die Krankheiten des Herzens.
56 Seiten. Berlin, Denicke’s Verlag.
16) Medicinal-Kalender für die Schweiz pro 1877. Bern, Max Fiala’s Buchhandlung.
17) Oeri, Die Thoracocentese durch Hohlnadelstioh und Aspiration bei seröser und
eitriger Pleuritis. 187 Seiten.
18) Wiener Klinik Heft 11 und 12: Klein , Der Augenspiegel und seine Anwendung.
Wien, Urban & Schwarzenberg.
Briefkasten.
Berichtigung. In der Nr. 24 des Corr.-Blattes findet sich mein Votum in Olten (pag. 717)
entstellt gegeben. Ich habe nicht gesagt, dass 90% von den Fabrikarbeitern, welche in die Stadt
kommen, die Schwindsucht mitbringen, sondern: „Von den Fabrikarbeitern, welche in die Stadt ge¬
kommen und daselbst an Schwindsucht gestorben Bind, haben diese 90% Bchon mitgebracht.
Achtungsvollst Dr. F. Müller.
Herrn Dr. J. Kuhn , St. Gallen; von Erlach, Bern; Prof. Dr. Demme, Bern; Dr. Hemmann und
Dr. 'Amtier, 8chinznach, Hartmann, Degersheim; Prof. Aeby , Bern; mit Dank erhalten. — Herrn
Prof. 'O. W. in Z. Wir bitten um die bewussten Correspondenzen. — Herrn Dr. Koller in Herisau.
Erhalhn wird per Brief beantwortet
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Inhalt: 1) Originalarboiten: Otto Oelpke: Ueber Danninfectlon. Prof. Dr. C. E. E. Hoffmann: Die allgemeine
Behnhanaetellnng in Bern, im Sommer 1876. (Schloss.) Dr. Ad. Sieger, senior: Atresia nteri als Geburtahindernies. —
2) Vere insberi ohte: Gesellschaft der Aerete in Zürich. — 8) Referate nnd Kritiken: Prof. Dr. Axel Siegfried
Ulrich: 18. Jahresbericht des schwedischen heilgymnastischen Institutes in Bremen. Prof. Dr. Schintinger : Bericht über die
eUrargisehe Priratkiinik in dem Matterhause der barmherzigen 8chwestern zu Freibarg rora Januar 1872 bis Juli 1875. Prof.
Dr. «. Xuetbavtn: Die chirurgische Klinik zu München im Jahre 1875. Prof. Dr. Carl Friedrich Heinrich Marx: Grundzüge der
ArensimitteDehre. C. Oerhardt: Der hämorrhagische Infarct. — 4) Kantonale Correspondenaen: Wien. Worms a. Rh.
IL Reisebrief ans dem Süden. — 5) Wochenbericht. — 6) Bibliographisches. — 7) Briefkasten.
Original-Arbeiten.
lieber Darminfection.
Von Otto Gelpke.
Wenn wir die Section eines an Typhus abdominalis Verstorbenen machen, sind
wir in sehr vielen Fallen überrascht, die pathologisch-anatomischen Veränderun¬
gen der Schwere des Krankheitsbildes keineswegs entsprechend zu finden. Es feh¬
len zwar die charakteristischen Befunde der Darmschleimhaut und ebenso die An¬
schwellungen der Mesenterialdrüsen in keinem Falle; aber sie sind oft so unbe¬
deutend, dass man sich gezwungen fühlt, da die allgemeine Erkrankung durch die
pathologisch-anatomischen Veränderungen nicht erklärt werden kann, eine allge¬
meine typhöse Infection der Säfte anzunehmen.
Die Infectionszeit bei Typhus abdominalis wird von verschiedenen Autoren
verschieden angegeben. Während die Einen eine Incubationszeit von blos 3—5
Tagen beobachten, haben Andere eine solche von 14 Tagen, ja bis zu 3 und 4
Wochen gefunden. Während dieser ganzen Zeit sind die Krankheitserscheinungen
sehr gering. Es macht sich in den meisten Fällen nur eine gewisse Unbehaglich¬
keit geltend. Vor dem Ausbruch der eigentlichen Krankheit im Status prodromo*
rum werden die Beschwerden auffallender: Grosse Ermattung, Schwindel urd
Kopfschmerz sind die charakteristischen Erscheinungen. Fieber wird in diesen)
Vorstadium der Krankheit selten beobachtet •
Diese Eigenthümlichkeit des Typhus-Giftes, längere Zeit im Körper z^ ver¬
weilen, ohne schwere Erscheinungen und ohne Fieber zu erzeugen, steht fjfeadezu
in einem direkten Widerspruch mit der Annahme, dass nur Durchseuchung der
Säfte mit Typhus-Gift die schweren Erscheinungen erklären könua«* Aehnliche
Befunde kommen bei andern Darmkrankheiten, Dysenterie und Ciyolera asiatica
nicht vor. In diesen Fällen genügen die pathologisch-anatomischen Veränderun¬
gen vollständig zur Erklärung der Schwere der Erscheinungen.
8
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Am nächsten liegt es wohl, eine spezifische Infection des erkrankten Darms
durch die Darmgase und den Darminhalt anzunehmen und einen Theil des Fiebers
bei Typhus abdominalis auf die gleiche Stufe zu stellen mit den Temperaturer¬
höhungen schlecht gepflegter Wunden. Die Schwellung der Solitärfollikel und
/Vyar’scben Plaques sind zwar keine Wunden, aber wie leicht können durch die
massenhaften Insulte der Fsekalstoffe bei vermehrter peristaltischer Thätigkeit des
Darmes frühzeitig kleinere und grössere Ulcera auf der Darmschleimhaut ent¬
stehen !
Ebenso wenig wie die Leichenvergiftung, von der Grösse der Wunde abhängig
ist und ebenso gut wie die kleinste Verletzung der Cutis zu einer perniciösen In¬
fection führen kann, können auch die Geschwüre der Darmschleimhaut bei Ty¬
phus abdominalis bei massenhafter Anwesenheit putrider Stoffe, Wundfieber ver¬
ursachen.
Bei schweren Fällen, wo die geschwellten Theile nekrotisirt werden, haben
wir vollständige Geschwüre und zwar an einer Für die Wundbehandlung unzu¬
gänglichen Stelle. In den meisten Fällen dieser tiefem Zerstörungen und je weiter
verbreitet sie im Darme sitzen, um so schwerer werden in der Regel die Sym¬
ptome sein, eine nothwendige Folge braucht es indessen nicht zu sein. Es kann
die Gelegenheit zur lokalen Infection der Wunden fehlen und wir haben einen
Typhus, der ohne Fieber verläuft!
Nimmt die Anschwellung der Drüsenschicht ab und überzieht sich die Wund- ■
fläche mit Epithel, so ist die lokale Infection mit Darmgasen nicht mehr möglich;
es geschieht dies gegen das Ende der dritten Woche, und auf diese Zeit fällt auch
der spontane Temperaturabfall.
Es gilt als anerkannte Thatsache, dass ein einmal überstandener Typhus gegen
künftige Anfälle immun mache. Thatsächlich ist dies nicht richtig. Wiederholun¬
gen des Typhus bei demselben Individuum kommen vor, gehören aber zu den Sel¬
tenheiten und es muss angenommen werden, dass nach einem überstandenen Typhus
ein gewisser Schutz gegen künftige Erkrankungen besteht Es wäre also der
menschliche Körper unmittelbar nach dem Fieberabfall, also in einer Periode, in
der sich das Typhus-Gift ausgetobt hat, gegen ein Recidiv am besten gesichert;
und doch sind nach geringen Diätfehlcrn, nach zu frühem Aufstehen u. s. w. Re-
\ cidive sehr häufig.
Nehmen wir an, dass durch mechanische Insulte die frischbedeckte Wunde
aqfgerissen wurde und sich von Neuem mit Darmluft inficirt, so haben wir damit
Rezidive erklärt
Wan wird entgegnen, wie ich mir das sofortige Auftreten der Roseola erklä¬
ren Knne. Ich halte die Roseola nicht für ein charakteristisches Typhuszeichen
und vs*de im Verlaufe meiner Arbeit bei einer nicht typhösen Darminfection zei¬
gen, d*A Roseola in der fünften Woche ebenfalls eingetreten ist Ebenso, wie
nach überwundenem Typhus schon nach kurzer Zeit noch einmal Typhus entstehen
kann, eben&\ wie nach Scharlach und Pocken in seltenen Fällen eine zweite Er¬
krankung auttritt, halte ich auch ein Recidiv im eigentlichen Sinne des Wortes
für möglich; aber ich glaube, dass eine nochmalige typhöse Infection dazu nöthig ist
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Es gibt Typhusfalle, wo unter sehr schweren Allgemeinerscheinungen und bei
sehr hoben Temperatur-Curven der Fieberabfall schon nach wenigen Tagen eintritt.
Liebermeüter hat Fälle beobachtet, bei welchen die Temperatur in der Achselhöhle
auf 41* und höher stieg und doch die Gesammtdauer des Fiebers nur — 12 Tage
dauerte. Ich selbst erinnere mich an einen Fall im basier Spital, der mit Schüt¬
telfrost und mit Milzvergrösserung 40,5° Fieber hatte und bei dem schon am fol¬
genden Tage eine vollständige Remission eingetreten war. Liegt bei solchen Fällen
die Vermuthung nicht nahe, dass im ersten Falle die Darmwunden nur kurze Zeit,
im zweiten Falle überhaupt nur einmal Gelegenheit hatten, sich durch den Darm-
inhalt zu inficiren?
Das Typhusgift braucht in der Regel 3—4 Wochen, um seine Rolle im mensch¬
lichen Organismus auszuspielen, seine Variationen aber sind von der mannigfaltig¬
sten Art. Mir scheint es, dass gerade in den Abortivfällen, wo die Krankheit mit
solcher Heftigkeit auftritt und wo sich der Arzt schon bei der ersten Untersuchung
auf eine schwere Erkrankung und auf eine lange Krankheitsdauer gefasst macht,
es besonders gerechtfertigt ist, nach andern Fieberursachen zu forschen, als nach
denjenigen, die durch die einmalige Typhusinfection und durch die Ausbildung des
Typhusgiftes im Körper gegeben sind.
Kommen im Verlauf der Erkrankung durch Complicationen Furunkel, Abscesse,
Vereiterungen von Lymphdrüsen oder Decubitus frische Fiebererscheinungen
vor, so stehen wir nicht an, diese Factoren für die Teraperatursteigerung verant¬
wortlich zu machen.
Es kommen während Typhus-Epidemien Fälle vor, wo Individuen sich wochen¬
lang sehr unbehaglich fühlen, ohne je eine merkliche Temperatursteigerung gehabt
zu haben. Es kann in einem solchen Falle plötzlich durch Darmperforation der
Tod eintreten und bei der Obduction wird das typhöse Darmgeschwür constatirt.
Ich glaube nicht, dass bei diesen Kranken das Darmgeschwür längere Zeit existirt
hat, sondern bin geneigt, anzunehmen, dass der betreffende Follikel seine Hyper-
semie unter dem Schutze der epithelialen Decke durchgemacht hat. Geht dieser
epitheliale Schutz durch ungünstige Verhältnisse verloren, so ist der geschwellte
Follikel plötzlich der Darminfection ausgesetzt. Der erweichte Follikel widersteht
dem neuen Angriffe nur unvollkommen, er wird nekrotisch, abgestossen, die Ent¬
zündung greift auf die umgebende Darmschicht über, bis schliesslich auch diese
nekrotisch abstirbt und der Tod durch Darmperforation eintritt.
Betrachten wir die anatomischen Veränderungen bei Abdominal-Typhus, so
finden wir auch dort manche Vorgänge, die sich am besten durch die Annahme
einer Darminfection erklären lassen.
Die Erscheinungen im Darmrohr bestehen in einer Infiltration der Peyer’ sqfien
Plaques und Solitärfollikel, am ausgebildetsten finden wir diese Anschwellungen
an der Bauhinischen Klappe, sie gehen aber auch über das Ccecum hinaus in den
Dickdarm hinunter.
In den Lymphdrüsen des Mesenterium findet eine analoge Erkrankung statt,
die zu auffallender Anschwellung der Drüsen führt. Das Balkengewebe der Drüse
nimmt ebenfalls an der Schwellung Theil.
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86
Nach Liebermeister besteht ein inniger Zusammenhang zwischen den geschwell¬
ten Drüsen und der Darmaffection und zwar so, dass die bedeutendsten Drüsen¬
anschwellungen immer den stärksten Darminfiltrationen entsprechen. Die Mehr¬
zahl der Drüsen erreicht etwa Bohnen- bis Haselnussgrösse, einzelne können bis
zur Grösse eines Taubeneies, ja selbst eines Hühnereies anschwellen. Liebermeister
glaubt, dass diese Drüsenanschwellungen gleichzeitig mit der Darmentzündung auf-
treten.
Ob diese Drüsenschwellungen rein typhöser Natur sind, oder ob und wie
weit die Darminfection bei denselben eine Rolle spielt, ist vor der Hand nicht zu
entscheiden. Der Umstand, dass die grössten Drüsenschwellungen den am stärk¬
sten afficirten Darmpartien entsprechen, lässt einen solchen Einfluss vermuthen,
ist indessen nicht entscheidend.
Die Schwellung der Axillardrüsen nach Vaccination ist jedenfalls rein die
Folge der eingeimpften Lymphe. Wenn aber die Blasen frühzeitig abgekratzt,
mit allen möglichen unreinen Stoffen in Berührung kommen, kurz, wenn die Wunde,
sei es mit Eiter, sei es mit andern Stoffen inficirt wird, und wir die Drüsen¬
schwellung in einem solchen Falle viel länger dauern und grössere Dimensionen
annehmen sehen, so stehen wir jedenfalls nicht an, diese misslichen Zustände kei¬
neswegs blos als Folge der eingeimpften Lymphe zu erklären.
Ebenso ist es höchst wahrscheinlich, dass die Schwellung der Mesenterialdrü¬
sen als ein Product der Typhusinfection und abnormen Darminfection aufgefasst
werden muss. Wir finden zwar die betreffenden Drüsenanschwellungen auch bei
andern Krankheiten (z. B. Dysenterie, Cholera asiatica), so bedeutend wie bei
Typhus abdominalis kommen sie aber nicht vor.
Bei der Dysenterie-Epidemie in Allschwyl im Jahre 1871 habe ich dreimal
Gelegenheit gehabt, Sectionen zu machen, und habe die Drüsenanschwellungen nicht
gefunden. Während der ganzen Zeit der Epidemie habe ich nur ausnahmsweise
and in geringem Grade Fieber nachweisen können, während abnorm niedrige Tem¬
peraturen häufig waren. Es wäre wohl möglich, dass man gerade bei dieser
Krankheit, die je nach Art der Epidemie oft mit sehr hohen, oft mit abnorm nie¬
drigen Temperaturen auftritt, einen gewissen Zusammenhang zwischen den ge¬
schwellten Drüsen und der Höhe und Dauer des Fiebers constatiren könnte.
Was die Vergrösserung der Milz anbetriffit, so bin ich auch hier geneigt,
einen grossen Theil der Ursachen der abnormen Darminfection zur Last zu
legen.
Diejenigen Aerzte, welche, wie ich, in einer von Typbus verschonten Gegend
iliren Beruf ausübten, werden sich wohl jener Fälle erinnern, die mit Typhus ab¬
dominalis levis die sprechendste Aehnlichkeit haben. Es werden dann die wenig
bezeichnenden Diagnosen „Schleim-“ oder „Schleichfieber“ gestellt. Wir haben
hier Mil^vergrösserung un( J namentlich intensive Schmerzhaftigkeit der Milz, Diar-
rhoeen sind .yf der Regel vorhanden, aber bei weitem nicht so hartnäckig, wie beim
wirklichen Typhus und häufig wechseln sie mit mehrtägiger Stuhlverstopfung. Die
Abgeschlagenheit und Mattigkeit, belegte Zunge sind constante Symptome, sogar
Roseola kommt in seltenen Fällen vor, nur Coecalschmerz habe ich nie beobachtet
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Die Temperaturen sind namentlich Abends ziemlich hoch und sehr oft über 39°;
die Morgenremissionen sind aber viel vollständiger als bei Typhus. Der Puls ist
immer klein und beschleunigt.
Sehr charakteristisch findet man in solchen Fällen, dass nach grossen Chinin-
Dosen keine oder nur eine geringe Remission eintritt, während man mit leichten
Abführmitteln sehr oft das Fieber vollständig entfernen, ja sogar die Krankheit
coupiren kann. Ich glaube bestimmt, dass solche Fälle in Städten und Gegenden,
in denen Typhus eine häufige Erscheinung ist, einfach mit Typhus verwechselt
und als Typhus behandelt werden.
Ich für meinen Theilbin sehr geneigt, b e i s o 1 c h e n Fäl¬
len ähnliche, aber weniger intensive und bei der Section
vielleicht nicht einmal nachweisbare pathologische Ver¬
änderungen anzunehmen, die mi t T y p h usg i f t n i c ht s z u t h u n
haben, sondern durch ab n o r me D ar m i n f e c t i o n t yp h o id e Er¬
scheinungen bieten.
Einen sehr ausgezeichneten Fall dieser Art habe ich letzten Winter während
drei Monaten zu beobachten Gelegenheit gehabt Ich habe hiebei zuerst die Dia¬
gnose Typhus, nachher Malaria gestellt, bis ich endlich durch meine erfolglose The¬
rapie auf die richtige Fährte geleitet wurde.
Ein Herr S. O. in W-, Ct. Zürich, war schon seit drei Wochen krank und von
seinem Arzte behandelt worden, als ich zur Consultation gerufen wurde. Patient
hatte damals einen Puls von 120 — 125, eine Fieberkurve von Morgens 38°, Abends
39—39,5°. Die Milz war sehr vergrössert, deutlich als derbe Geschwulst palpir-
bar und bewirkte eine sehr ausgeprägte Hervortreibung des linken Hypochon-
driums; dabei war dieser Tumor in eminentem Grade schmerzhaft und raubte dem
Patienten die Nachtruhe. Die Zunge stark belegt und die Esslust fehlte fast voll¬
ständig. Der Stuhl war unregelmässig, in der Regel Neigung zur Verstopfung.
Erst in der fünften Woche unter beständig hohen Abendtemperaturen, jedoch
nahezu vollständigen Morgenremissionen trat Roseola auf; dadurch glaubte ich
mich berechtigt, auf ein Recidiv zu schliessen. So blieb auch die folgenden vier
Wochen das Krankheitsbild; wir glaubten dabei, in der Fieberkurve eine gewisse
periodische Regelmässigkeit zu entdecken, und da wir genöthigt waren, unsere
Diagnose zu ändern, so dachten wir an Malaria. Es fiel mir dabei auf, dass Chi¬
nin und Salicylsäure nicht den geringsten Einfluss auf die Fieberkurven hatten,
wohl aber hatte ich von Anfang nach Calomel-Verabreichung deutliche Remis¬
sionen bemerkt Der Kranke selbst hatte ausser einigen Besuchen in Zürich keine
weitern Reisen unternommen und war namentlich nie in einer Malaria-Gegend ge¬
wesen. W. selbst ist ein Bergdorf, das eher als Kurort für Malariakranke dietaen
konnte, als dass an einen Krankheitsherd in diesem Sinne zu denken wäre.'
Auf Lunge und Herz war trotz oft wiederholter genauer Untersuchung nicht
das geringste abnorme Anzeichen zu bemerken. Die stark belegte Zunge, die voll¬
ständige Appetitlosigkeit deutete auf eine Magen- und Darmerkrankung.
Ich verordnete nun im dritten Monat der Erkrankung eine Kumys-Kur, liess
jeden Morgen */a Glas Hunjady-Jänos trinken und hatte die Freude, bei dieser
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38
Behandlung die Temperatur fallen zu sehen. Gleichzeitig fand ich, dass der so
heftige Milzschmerz geringer wurde, die Milz selbst sich allmählig verkleinerte.
Patient genas vollständig; ich selbst war genöthigt nach Zofingen zurückzu¬
kehren und hatte nicht mehr Gelegenheit gehabt, die Milz des Betreffenden in
spätem Perioden zu untersuchen, um constatiren zu können, ob der damalige co-
lossale Tumor bis zur Norm zurückgegangen. Es war in diesem Fall, wo ich
zum ersten Male die Diagnose stellte: Darmkatarrh mit Infection durch die ver¬
letzten Stellen.
Ich möchte gerade mit diesem Falle, wo bei einem nicht Typhuskranken in
Folge eines Darmkatarrhs eine so enorme Vergrösserung der Milz so lange Zeit
gedauert hatte, zeigen, dass Milzvergrösserungen nicht nothwendig eine vom Typhus¬
gift abhängige Erscheinung ist; sie kann ebenso gut durch abnorme Darminfection
erklärt werden.
Milzvergrösserung nach Verletzungen der äussern Haut ist jedenfalls sehr
selten; aber es erklärt sich das dadurch, dass die Lymphbahnen in sehr indirekter
Verbindung mit der Milz stehen.
Bei Puerperalfieber, das ja heutzutage nur als Wundinfektion betrachtet
wird, ist die Milzvergrösserung nach längerer Krankheitsdauer eine constante Er¬
scheinung.
Ich schreibe die Milzvergrösserung ebenso wenig wie die Schwellung der Me¬
senterialdrüsen dem specifischen Typhusgifte zu, sondern möchte sie eher von der
abnormen Darminfection ableiten. Wie weit ich darin recht habe, kann natürlich
vor der Hand nicht entschieden werden.
Was die übrigen patholog.-anatom. Veränderungen bei Typhus abdominalis
betrifft, wie sie von Professor Hoff mann genau untersucht worden sind, die soge¬
nannten parenchymatösen Degenerationen, so sind sie eine Folge des lange dau¬
ernden Fiebers und für nicht charakteristisch zu halten.
Vergleichen wir das Schicksal der hyperplastischen Neubildungen im Darm¬
rohr mit den entsprechenden Mesenterialdrüsen, so sehen wir, dass die Infiltra¬
tion der Peyer'schen Plaques und Solitterfollikel nach kurzem, aber raschem Wachs¬
thum fast immer nekrotisch zu Grunde gehen und dann mit Gallenfarbstoff im-
prägnirt mit dem Stuhl abgehen. Es greift auch in den meisten Fällen die Ent¬
zündung auf die Nachbarschaft über, so dass das zurückbleibende Geschwür, sei
es von einem Solitserfollikel, sei es von einem Peyer 'sehen Plaque herrührend, in
den meisten Fällen grösser ist, als die frühere Drüse. Liegen zwei Peyer 'sehe
Plaques nahe bei einander, so confluiren sie oft und lassen bei ihrer Nekrose eine
A nge Darm wunde zurück.
Die gleichzeitig geschwellten Mesenterialdrüsen schwellen im Stadium der
Rüdküldung einfach ab und kehren zur Norm zurück. Kleinere Erweichungsherde
können ebenfalls resorbirt werden. Da die Schwellung der Darmdrüsenelemente
mit den Drosenhyperplasien des Mesenteriums einen homologen Process bildet, so
kann die Ursache des Zerfalls der einen Anschwellung und die stetige Rückbil¬
dung des andern Processes nur durch die Ungunst der Verhältnisse erklärt wer¬
den. Die Mesenterialdrüsen machen ihren Process von der Luft abgeschlossen
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durch und ihre Rückbildung ist das Gewöhnliche; die Drüsenelemente des Darm-
rohrs dagegen sind den Insulten der Faecalmassen und der Infection durch die
Darmgase ausgesetzt. Aus den gleichen Gründen bleibt der Process der Mesen¬
terialdrüsen auf die Drüse localisirt und greift nicht auf die Umgebung über.
(Schluss folgt.)
Die allgemeine Schuhausstellung in. Bern, im Sommer 1876.
Von Professor Dr. C. E. E. Hoffmann in Basel.
(Schluss.)
Die erste Gruppe war durch eine grosse Anzahl von Gypsabgüssen von
meist durch Schuhwerk veränderten Füssen vertreten. In ihrer Gesammtheit boten
sie ein übersichtliches Bild aller möglichen Verkrümmungen und Uebereinander-
schiebungen der Zehen, sowie der Verkrüppelungen der Nägel. Neben den weni¬
gen Abgüssen normaler Füsse waren sie an und für sich auch für den Laien ein
dringender Mahnruf gegen das Ueberhandnehmen dieser selbstverschuldeten Ver¬
unstaltungen. Eine grössere Suite von Abgüssen der Strafanstalt Neuenburg wurde
diplomirt.
Bei der zweiten Gruppe trat in erfreulicher Weise das Bestreben einer
grösseren Zahl von Leistenfabrikanten hervor, die Einführung naturgemässer Schuhe
durch Anfertigung rationeller Formen zu fördern. Es waren dabei nicht nur Lei¬
sten für Männer, sondern auch solche für Frauen und Kinder aller Altersstufen
Vertretern Sechs Aussteller erhielten Diplome.
Ueber die d r i 11 o und vierte Gruppe erlaube ich mir kein selbstständiges
Urtheil; auch haben dieselben für die Leser Ihres Blattes ein geringeres Inter¬
esse. Doch bezeugen die dreiunddreissig Diplorairungen, dass auch hier Tüchtiges
geleistet wurde.
Die fünfte Gruppe bot neben der ersten und zweiten Gruppe für uns das
grösste Interesse dar. Sie war naturgemäss bei Weitem am reichlichsten
beschickt. Hier versammelten sich Schuhe und Stiefel aus aller Herren Länder,
neben dem einfachen Mannsschuh und Schaftstiefel war der Bergschuh, der Militär-
und der Reiterstiefel in der verschiedensten Ausstattung vertreten; auch der Holz¬
schuh und der Filzstiefel fehlte nicht. Dann erschienen der feine Salonstiefel,
feine Damenschuhe und Stiefeletten und auch die Kinderschuhe bis zu den klein¬
sten Grössen herab waren da. Elegant und grob, dauerhaft und fein, Alles war.
zu sehen, aber nicht Alles entsprach den Anforderungen, Manches erreichte sy
vollständig, Manches nur zum Theil. /
Was von Männerschuhen und Stiefeln ausgestellt war, genügte zum grössten
Theile wenigstens der einen Anforderung, dass die Form der Sohlen richtig war,
und nur Weniges wich in dieser Beziehung von den Anforderungen ab. Aber vie¬
len Schuhen und Stiefeln mit richtigen Sohlen fehlte das zweite Erforderniss, eine
hinreichende Höhe des Oberleders auf der Innenseite für die Aufnahme der gros¬
sen Zehe. Der richtige Schluss liess sich nur annähernd bestimmen. Weniger gut
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fiel die Umschau bei den Damen- und Kinderschuhen aus. Hier war in erster
Linie auf die sogenannte Eleganz (wenn man Stelzenstiefel so nennen darf) gesehen
und darüber war häufig die richtige Form vergessen, als wenn Beides nicht mit
einander vereinbar wäre, nämlich wirkliche Eleganz und richtige Form. Am mei¬
sten hatten in dieser Beziehung die Wiener gesündigt; sie hatten für ihre Aus¬
stellung einen ganzen Saal occupirt und ihre Schuhe und Stiefel mit grossem Ge¬
schick zur Anschauung gebracht. Die Arbeit war durchweg fein, meist sehr ele¬
gant, ja kostbar und für den ersten Augenblick bestechend, allein in der gesamm-
ten Ausstellung von Hunderten von Schuhen nur ein Paar Stiefel, welches sich
ein wenig der richtigen Form annäherte, sie aber nicht erreichte. Dass aber Ele¬
ganz und vollständig richtige Form auch bei Frauen- und Kinderstiefeln ver¬
einbar sind, das zeigten vor allen Dingen die Ausstellungen der Herren Rouge-
Fumeau aus Aigle, Stadler aus Genf, KupU aus Chur und Ammann aus Win¬
terthur.
Im Allgemeinen bekam man den Eindruck, dass die neue Form sich bereits
in weiten Kreisen wenigstens für die Fussbekleidung der Männer und insbesondere
für diejenige des Militärs Eingang verschafft hat. In letzterer Beziehung waren die
der sechsten Gruppe angehörigen Ausstellungen von getragenen Mili¬
tärschuhen interessant, welche von den Militärbehörden der Schweiz, Italiens
und Preussens in grösserem Maassstabe vertreten waren, während, wie oben er¬
wähnt, auch Russland, Spanien, Bayern und Schweden sich an diesem Theile der
Ausstellung betheiligt hatten. Die Schube des Schweizer- und des italienischen
Militärs zeigten die gleichmässigste Abnützung und dokumentirten so die Gleich-
mässigkeit des Trittes, welcher mit ihnen ausgeführt wird. Sie gehören zugleich
denjenigen Staaten an, in welchen das neue System am vollständigsten durchge¬
führt ist; bei den Schuhen der anderen Staaten trat eine viel grössere Ungleich-
mässigkeit in der Abnützung hervor. Namentlich zeigte sich Italien, das auch eine
Suite von Militärleisten ausstellte, auf der Höhe der Situation; ausser diesen beiden
Staaten haben jetzt auch Preussen und Russland die neue Form für das Militär
cingeführt. Für die Ausbreitung der rationellen Form sind in der Schweiz ausser
kleineren Meistern und Fabrikanten, auch die Strafanstalten in Bern, Lugano und
Neuenburg thätig; nur dürfte letztere Anstalt, deren verdienstvoller Direktor Dr.
Guillaume sich so sehr für die Verbreitung der rationellen Form bemüht, etwas ele¬
gantere Arbeit liefern.
Nicht unerwähnt dürfen wir lassen, dass auch in der Branche der Holz-
jS c h u h e, die ja für die ärmere Bevölkerung von so grosser Wichtigkeit sind,
tich die neue Form Bahn gebrochen hat. Wirklich Vorzügliches leistete darin
Gaillard-Clavel in Lausanne, welcher dafür auch mit einem ersten Preise bedacht
wurth^. Auch bei Strohschuhen und namentlich bei Gesundheitssohlen versuchte
man sichjpjfier naturgemässen Form. Im Ganzen wurden in der fünften Gruppe
42 Aussteller diplomirt. und von diesen erhielten 4 erste, 7 zweite und 17 dritte
Prämien.
Ausser den schon erwähnten getragenen Schuhen waren in der sechsten
Gruppe einige kleinere ethnographische Sammlungen, eine Anzahl von Abbildun-
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gen über die Entwicklung der Schuhform in den verschiedenen Zeiten und nament¬
lich Darstellungen von Versuchen zur weiteren Entwicklung der naturgemässen
Schuhform vertreten. Nur über die letzteren, welche uns hier am meisten inter-
essiren, ein paar Worte.
Von diesen Versuchen schlossen sich zwei unmittelbar an die von H. Meyer
ausgesprochenen Grundsätze an. Der Versuch von R. Knöfel in Wien kann
mehr als eine Bemühung gelten, der naturgemässen Form in Oesterreich Eingang
zu verschaffen, indem er eigentlich nichts Neues brachte; die einzige Eigentüm¬
lichkeit bestand darin, dass er für die Sesambeine der grossen Zehe eine Vertie¬
fung in der Sohle anbrachte und dadurch den Schutz, den diese ihrer Nachbar¬
schaft gewähren, illusorisch machte. Der Versuch, den der mittlererweile verstor¬
bene College Fischer-Dietschy in Gemeinschaft mit Herrn Bildhauer Meiti vor¬
legte, kann auch darum als kein Fortschritt betrachtet werden, weil er von der
irrigen Meinung ausgeht, dass H• Meyer die ursprüngliche Form des Fusses nicht
richtig aufgefasst habe, indem die grosse Zehe stets ein wenig nach aussen ge¬
wendet sei. Als vollständig selbstständige, von H. Meyer unabhängige Arbeit stellte
sich die Entwicklung einer rationellen Schuhform von Seite des Oberamtsarztes
Dr. Vötsch in Brackenheim (Württemberg) dar, welcher aber zu Resultaten kommt,
die mit denjenigen von H. Meyer fast vollständig iibereinstimmen.
Nachdem ich so eine allgemeine Uebersicht über den Inhalt und die Leistun¬
gen der Ausstellung gegeben habe, muss ich noch zusammen fassen, was wir als
Gesammtergebniss ansehen können, und untersuchen, in wie weit die Erwartungen,
welche namentlich auch von Seiten der Militärbehörden an dieselbe geknüpft wur¬
den, in Erfüllung gegangen sind. Zunächst wurde durch die Ausstellung der Nach¬
weis geliefert, dass sich die von H. Meyer vorgeschlagene Form der Fussbekleidung
als wirklich naturgemäss erwiesen hat, wie das namentlich aus der Betrachtung
einer Zahl von getragenen Schuhen, welche Vorlagen, hervorging. Dann aber zeigte
sich weiter, dass diese Schuhform sich in neuerer Zeit einer sehr weiten Verbrei¬
tung erfreut und dass diese durch die Einführung bei dem Militär vieler grosser
Staaten binnen kurzer Zeit noch viel grössere Dimensionen annehmen wird. So
ausgebreitet diese Schuhform jedoch bereits bei den Männern zur Anwendung
kommt, so gering ist ihre Benützung noch bei Frauen und Rindern. Und doch,
was nützt der rationelle Schuh dem Erwachsenen, wenn diesem als Kind bereits
die Fü8se verdorben sind ? Ganz nutzlos sind sie ihm zwar nicht, allein nur wenn
darauf geachtet wird, dass bei den Rändern schon die richtige Schuhform zur An¬
wendung kommt, wenn man ferner darauf achtet, dass dem Wachsthum der Füsse -
gehörig Rechnung getragen wird, dann wird die neue Schuhform erst wahrhaft
ihre wohlthätige Wirkung zeigen. Und die Frauen? Nun diejenigen, welche mit
grösster Zähigkeit an der Nachahmungssucht festhalten, wenn das Vorbild auch'noch
so lächerlich ist; sie werden allmählig auch zur Einsicht kommen, wenn sie nur ein¬
mal merken, dass ein Schuh, der Hühneraugen und Frostbeulen verhütet, dabei
elegant sein kann. Doch hier ist das Feld der Aerzte, die ihren Einfluss in der
Familie geltend machen können und auch müssen.
Wenn wir nun noch auf die Forderungen der Militärbehörden eingehen, so
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müssen wir zunächst bemerken, dass alle bisherigen Constructionen den Anforde¬
rungen nicht vollständig genügten. Die Schnürschuhe mit Gamaschen
hatten mehrere Uebelstände. Sie erfordern ziemlich viel Zeit zum Anlegen, die
Schnüre zerreisscn bei anhaltendem Gebrauche leicht und dieses System bietet
keinen Schutz gegen die Nässe, wenn es sich um das Durchschreiten von
Bächen und dergl. handelt. Anderseits lässt sich der Schuh genau dem Fusse
anbequemen; er lässt die Ausdünstung zu und gestattet freie Bewegung; er ist
daher ja auch als Bergschuh vorzugsweise im Gebrauch. Wollte man an seine
Stelle den Schuh mit Elastiqueeinlage setzen und ihn mit der Gamasche combi-
niren, so erreichte man allerdings eine raschere Bereitschaft; allein der Schutz
gegen die Nässe wäre nicht grösser und auch die Elastiqueeinlage leidet, namentlich
am oberen freien Rande, rasch Noth. Anderseits zeigt der Schaft st ie fe 1,
wie er bei dem deutschen Militär im Gebrauche ist, einen anderen Uebel-
stand. Da er in der Gegend des Riestes stets so weit sein muss, dass die Ferse
gut einschlüpfen kann, so ist ein guter Schluss bei dem jetzigen System eine Un¬
möglichkeit und eine grosse Zahl von Fusskranken beim Militär verdanken diesem
Umstande ihre Leiden; während der Schaftstiefel rasch anlegbar ist und besser
gegen die Nässe schützt.
Man war nun gespannt, was die Ausstellung gerade in dieser Beziehung Neues
bringen würde. Wir können zwei Versuche nach dieser Richtung hin melden. Der
eine Versuch von schweizerischen Fabrikanten ausgehend bestand darin, dass man
an Schaftstiefeln den Schaft in eine hintere und eine vordere Abtheilung trennte
und die hintere Abtheilung so gross machte, dass sie beim Anlegen die vordere
Abtheilung umfasste ; durch mehrere Schnallen wurde sie dann um diese herum zu¬
sammengehalten. Dieses System gestattet eine rasche Anlegung, einen guten Schluss
und giebt einen ziemlichen Schutz gegen Nässe, doch ist das Eindringen dersel¬
ben nicht vollständig verhindert und die Herstellungskosten sind erhöht; auch sind
die Schnallen leicht der Zerstörung ausgesetzt.
Der zweite Versuch rührte von einem Wiener her. Er bestand darin, dass ein
sehr weiter Schaft zum Einfalten in einer Weise eingerichtet war, dass die vor¬
deren Ränder der Falten sich neben einander legten und so einen Druck auf den
Fu8s verhinderten, während in dem Lederstück, welches vor resp. ausserhalb der
Falten lag, sich eine eigenthümliche Zugvorrichtung fand, bei welcher mittelst eines
einzigen Zuges an den soliden Schnüren der Schaft vollständig um das Bein
schloss. Diese Vorrichtung erlaubte eine sehr rasche Anlegung, gab guten Schluss
und vollständigen Schutz gegen die Nässe. Allein ihre Herstellung ist ziemlich
*Jieuer und ihre Einrichtung von so complicirter Construktion, dass eine häufige
Sprung sehr wahrscheinlich ist.
"So bleibt dieses Problem noch immer zu lösen. Am wahrscheinlichsten wird
eine Wrißdigeziäe Lösung sich auf dem Wege der Combinirung der Einrichtung
unserer Stiefeletten und der Schaftstiefeln finden lassen und erlaube ich mir in
dieser Beziehung den Militärbehörden folgendes System zur Prüfung vorzu¬
schlagen.
Man schneide die seitlichen Nähte der Schaftstiefel bis etwa 4—5
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Centimeter oberhalb der Sohle auf eine Höhe von 15 — 18 Centimeter so aus, dass
eine ovale Lücke von etwa 6 Cm. Breite zwischen den beiden Blättern des Schaftes
entsteht und lasse dabei den Schaft wie gewöhnlich nach oben hin weiter werden.
Die Lücke fülle man durch Einfügen eines starken Elastiquegewebes aus und über¬
ziehe dieses von aussen mit einer Cautschouklösung. Dadurch, dass das Elastique-
stück ringsum befestigt ist, wird es wesentlich dauerhafter und ein solcher Stiefel
muss meiner Meinung nach für das Militär alle Vortheile des Schaftstiefels be¬
sitzen und den noch fehlenden Schluss diesen Vortheilen hinzufügen. Jedenfalls
wird der Vorschlag des Versuches werth sein.
Basel, im November 1876.
Kleinere Mittheilungen.
Atresia uteri als Geburtshinderniss.
Von Dr. Ad. Steger senior in Lichtensteig.
Der von Dr. Courvoirier in Nr. 18, 1874 des „Corr.-Blattes f. schweizer Aerzte“
erzählte Fall von Geburtshinderniss durch narbige Atresie des Muttermundes und
der Umstand, dass derselbe als rarissima avis bezeichnet wird und nach der dort
aufgetührten Statistik diesen Namen wirklich auch verdient, veranlasst mich, einen
ähnlichen Fall aus meiner Erfahrung mitzutheilen.
Atresia uteri als Geburtshinderniss ist mir in meiner 30jährigen geburtshülf-
lichen Praxis überhaupt zweimal vorgekommen. Der eine Fall betraf eine Erst¬
gebärende in den Vierzigerjahren und war von den leichtern der beiden von Dr. Cour-
voisier angeführten Arten. Der Muttermund war durch eine feste Membran etwa
von der Dicke einer cornea verschlossen. Es gelang mir, dieselbe mit dem Nagel
des Zeigefingers durchzukratzen und die Geburt verlief dann zwar langsam, wie
in diesem Alter gewöhnlich, sonst aber normal.
Der andere Fall war bedeutend schwieriger, und ich erinnere mich noch wohl,
wie er mir beinahe eine Woche lang Körper und Geist in Anspruch nahm, nach
so langer Zeit aber doch noch glücklich endigte. Am Dienstag Morgen, den
15. Juli 1862, machte ich der betreffenden Kindbetterin, einer Frau in Grunholz, *)
einer etwa 20jährigen primipara, den ersten Besuch und Samstag Morgens früh
etwa um 1 Uhr kam ich wieder nach Hause, nachdem ich während dieser Zeit
viermal hinauf gewandert und zweimal droben übernachtet war. Die Geburt
dauerte volle acht Tage, indem die Frau Freitags den 11. die ersten dolores prse*
sagientes spürte und das Kind Freitags den 18. Nachts 10 Uhr durch mich ,jnit
der Zange zur Welt befördert wurde. Als ich den ersten Untersuch machte ,^war
ich so klug wie die Hebamme, und ich fand so wenig als sie einen Muttermund.
Der Kopf war schon ziemlich tief in das kleine Becken hinunter gepresst und da
die Frau einen ziemlichen Hängebauch hatte, so glaubte ich, der Muttermund sei
*) Berggegend in der toggenburgischen Gemeinde Wattwyl, circa 3000 Fuss Ober Meer, 2 Stunden
von meinem Wohnort entfernt.
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einfach noch so weit hinten und oben, dass er mit dem zu untersuchenden Finger
nicht zu erreichen sei. Ich liess daher den Bauch in die Höhe binden, verordnet©
Dämpfe und ein Opiat gegen die krampfhaften Wehen und empfahl mich, um des¬
selben Abends die Reise auf den Berg wieder anzutreten. Der nun wieder vor¬
genommene Untersuch liess mich eine zwar immer noch schwer zu erreichende,
unbedeutende Grube finden, welche ich als das fest verwachsene Orificum uteri
erkannte. Die Haut, welche die Grube bildete, war eben so dick anzufüblen, wie
die Uteruswandung, der Wall um dieselbe, also eigentlich die Muttermundslippen,
kaum merklich über ihre Umgebung erhaben.
Was war nun zu thun? Es fiel mir allerdings nicht ein, wie dem Lörracher
Collegen des Herrn Courvotiier , die Zange über den Uterus anzulegen ; denn es war
klar genug, dass ich es vorläufig mit dem Uterus und nicht mit dem Kindskopf
zu thun habe- Es musste also gleichsam eine Art Kaiserschnitt per vaginam vorge¬
nommen werden, denn eine Durchbohrung der Verwachsung mit dem Finger oder
einem andern stumpfen Instrument warwegen ihrer Dicke unmöglich. Ich machte nun mit
einem geknöpften Bistouri, welches ich bis in der Nähe der Spitze mit Leinwand dicht
umhüllt hatte, 3- 4 Einschnitte an der Stelle, wo der Muttermund sein sollte, was
wegen des hohen Standes derselben und des eben schon ziemlich tief stehenden
Kindskopfes nicht ohne Schwierigkeit war. Die Schnitte waren auch nicht tief
genug um die Verwachsung ganz zu trennen und den Weg in die Uterushöhle zu
bahnen. Doch hoffte ich, dass durch die Wehenkraft selbst und den anpressenden
Kindskopf von innen her werde nachgeholfen werden. Das war am Mittwoch
Morgen.
Donnerstag Abends hatte ich wenigstens die Befriedigung, dass die Ver¬
wachsung bedeutend dünner geworden und der Kopf durch eine der Schnittwun¬
den hindurch viel leichter zu fühlen war. An dieser Stelle konnte ich denn auch
die Verwachsung ganz durchschneiden. Aber die Erweiterung dieses künstlichen
Muttermundes theils mit dem Messer, theils mit dem Finger, zum grössten Theil
aber durch die Naturkräfte war doch erst etwa in der Mittagsstunde am Freitag
so weit gediehen, dass die Blase sprang, und endlich Abends 10 Uhr konnte ich
das Kind ohne besonders grosse Schwierigkeit mit der Zange entwickeln. Das
Kind lebte, die Frau war zwar aufs Höchste erschöpft, jedoch verlief das Wochen¬
bett ohne weitere Störung.
Die Ursache dieser Verwachsung des äussern Muttermundes wird wohl ein
chronischer Entzündungszustand der Vaginalportion gewesen sein. Die Frau stund
zwar während der Schwangerschaft nicht in ärztlicher Behandlung, gab aber auf
befragen an, während jener Zeit an starkem Fluor albus gelitten zu haben.
* Als für unsere Gegend seltene Merkwürdigkeit resp. Rarität, die zwar nicht
gerat»^ zu dieser Geburtsgeschichte gehört, muss ich noch mittheilen, dass
die ScVwesiÄr der Kindbetterin, welche ab und zu während dieser schweren
Woche gegenwärtig war, ein 17jähriges, bereits zum dritten Mal schwangeres
f rauenzimmer war.
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45 —
V ereinsberichte.
Gesellschaft der Aerzte in Zürich.
1. Sitzung, den 11. November 1876.
Nach den einleitenden Worten des Präsidenten folgt ein Vortrag von
Professor Hu gvenin über multiple Sclerose des Gehirns und
Rückenmarkes. Hu gvenin hat in neuester Zeit drei Fälle von multipler Scle¬
rose beobachtet.
L Patient, der schon sieben Jahre lang vor seinem Spitaleintritt in Embrach
wegen Lähmung zu Bett gelegen oder seine Tage auf einem Lehnstuhl zuge¬
bracht hatte, zeigte im Krankenhaus folgende Befunde: Hocbgewachsener Mann;
sclerotische Verdickung der Haut der untern Extremitäten ohne Atrophie der¬
selben; Abschwächung der Intelligenz, beständig unmotivirt heitere Stimmung,
etwas Abnahme des Gedächtnisses; nie Kopfweh oder Schwindel ; Papillen
gleich; etwas Parese von abducens und internus, sonst normale Augenbewegung;
Willkürbewegungen im Facialisgebiet ungestört; Zunge normal, Uvula und Velum
gerade; Gesichtsmuskeln reagiren gut auf den Inductionsstrom. An den Armen
die tabetische Störung, grobe Kraft erhalten, die feinen Bewegungen sehr ge¬
stört, ungeschickt; Schrift ganz schlecht. Bauchmuskeln entschieden paretisch,
kräftige Hustenstösse fast unmöglich. Beine nahezu vollständig paraplegisch, nur
noch ganz kleine Flexionen und Extensionen möglich im Hüft- und Kniegelenk,
etwas mehr im Fussgelenk; die Zehenbewegungen noch am besten erhalten; Stehen und
Gehen unmöglich. Beim Versuch zu stehen erst heftiger Tremor, dann allgemeine Mus¬
kelspannung. Faraday’sche Contractilität am Oberschenkel sehr schwach, vorn am Un¬
terschenkel null, an den peronseis erhalten; Reflexcontractilität erhöht. Kraft der
Blase vermindert, keine Urinretention, keine Incontinenz; Hypertrophie der Pro¬
stata. Sehr charakteristisch war die Sprache, verlangsamt, nicht aphasisch, sin¬
gend ; Patient brauchte etwa sechsmal mehr Zeit zum Aussprechen eines kurzen
Satzes als normal. Die Sensibilität der Beine und Arme war in geringem Grade
herabgesetzt; die Empfindungskreise vergrössert, besonders an den Unter¬
schenkeln.
Vor 8 Jahren hatte Patient Schmerzen in Rücken und Kreuz und vorüber¬
gehend ein Gefühl von Lähmung in den Beinen. Nach und nach nahm die Läh¬
mung zu, die Zeiten verminderter Parese wurden kürzer. Aehnlich ging es mit den
Armen, doch wurde die Lähmung nie so hochgradig wie in den Beinen; während
sie hier fast total wurde, hörte sie in den Armen wieder auf und die tabetische
Storung trat an deren Stelle. Im Mai 1873 machte Patient während 23 Wochen die
Sckroth'&che Kur durch mit beträchtlicher Verschlimmerung seines Zustandes. Doch
kam von selbst wieder etwas Besserung und später blieb der Zustand statio^lr.
Patient starb an einem Blasenleiden. Jr
Die Diagnose war im Leben gestellt worden auf Sclerose des Rückeij&iarkes
und der medulla oblongata. Die Section ergab auch Sclerose im Grosshirn. Fs
waren Herde vorhanden in der Roland sehen Spalte, an Pedunculus, Pons, Me-
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dulla oblongata, Oliven; im Balken waren Herde, die besonders in der Mitte den¬
selben ganz lederartig machten. Am Rückenmark sassen herd- und fleckweise
sclerotische Veränderungen.
H. Ein 24jähriger Mann ist seit 7 Jahren an den Erscheinungen der multiplen
Sclerose krank, aber noch im Stande herumzugehen. Die Sprache ist sehr ver¬
langsamt, Gedächtniss und Urteilskraft verloren, Patient ist blödsinnig.
III. In der Irrenanstalt war eine Melancholische, welche später etwas blöd¬
sinnig wurde und an multipler Sclerose litt. Die Sprache war ganz normal, es be¬
stand keine Aphasie und kein Scandiren; Pupillen normal, keine Ptosis, keine
Zungenaffection , bedeutende Störung in den Armen und Beinen, starkes Zittern
der Arme bei jeder Willkürbewegung. Das Gehen mit geschlossenen Augen war
möglich. Der linke Arm zeigte stärkere tabetische Erscheinungen als der rechte.
Die coordinirten Bewegungen erfolgten ziemlich gut. Beine halb paretisch. Re¬
flexerregbarkeit normal. Sensibilität der untern Extremitäten herabgesetzt. Seh¬
vermögen normal. Im Allgemeinen zunehmende Abschwächung, Atrophie der Mus¬
keln ; Decubitus; Tod in Folge einer Pneumonie. Die Section ergab multiple Scle¬
rose des Rückenmarkes, während die Medulla frei blieb.
Die betreffenden Präparate werden der Versammlung vorgelegt
Bei der obligatorischen Statutenrevision wird ein Vicepräsident, der zugleich
Quästor sein soll, als nothwendig erkannt, die Rechnung genehmigt und Neuwah¬
len getroffen: Präsident Prof. Cloätta , Vicepräsident und Quästor Prof. 0. Wyss ,
Actuar Docent Dr. Seitz.
2. Sitzung, den 25. November 1876.
Vortrag von Professor Cloetta über einige neuere Arzneistoffe.
I. Acidum cathartinicum. Man war lange im Zweifel, welcher Be-
standtheil der Sennablätter die abführende Wirkung hervorbringe. Bouchut präpa-
rirte aus denselben eine Substanz, Cathartin genannt, welche aber nur ein Ge¬
menge ist von Chrysophansäure, Glycose und Chrysophanin, und sich auch prak¬
tisch nicht als Ersatz der Sennablätter bewährte; man musste zu grosse Dosen
geben und hatte Nausea und starke Leibschmerzen als Nebenwirkung. Dragendorf
in Dorpat hat nun in den Sennablättem eine organische, stickstoffhaltige Säure
nachgewiesen, Cathartinsäure, ebenso in Radix Rhei und Cortex Frangulte. Diese
Säure wird jetzt von Witte in Rostock in den Handel gebracht Sie ist bis auf 4
Procent Aschenbestandtheile von Kalk- und Magnesiasalzen rein, ein Pulver,
sehr leicht in Wasser mit brauner Farbe löslich, neutral reagirend, hat keinen un¬
angenehmen Geschmack und wirkt ohne stärkere Kolikschmerzen abführend. Beim
Erwachsenen bewirken 0,5 grammes 2—3mal im Tage wiederholt 2—3 Auslee-
- rungen; für Kinder genügen 0,5 bis 0,8 grs. im Tage. Besonders für die Kinder-
pcaxis bieten das geringe Volumen, die leichte Löslichkeit und Geschmacklosigkeit
Vottheile. Der Preis wird sich nicht hoch stellen.
li^A cidum sclerotinicum nennt Dragendorf eine Säure, welche er aus dem
frische» Mutterkorn gewinnt und für deren wirksamen Bestandteil hält Die bis¬
her aus dem aecale cornutum hergestellten Extracte, Ergotin genannt, sind Ge¬
menge verschiedener Stoffe, wechselnd je nach der Darstellungsmethode. Schon
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Werrdch bat im wässerigen Auszuge des secale cornutum eine Säure gefunden,
Zweifel ebenfalls und er erklärt sie auch für das wirksame Princip. Zweifel gewinnt
die Säure, indem er sie aus dem wässerigen Auszuge vom Mutterkorn durch Blei-
essig bei Gegenwart von Ammoniak fällt, den Bleiniederschlag mit Schwefelwas¬
serstoff zerlegt und den Stoff mit Alkohol ausfällt. Vielleicht auf ähnliche Weise,
vielleicht anders, das ist unbekannt, lässt nun Dragendorf die Sclerotinsäure durch
Wille'& chemische Fabrik herstellen. Von ihr erhält man eine Substanz, die ganz
übereinstimmt mit der von Zweifel letzten Frühling uns vorgewiesenen, ein Pulver,
weisslichgrau, sehr leicht in Wasser löslich, entschieden sauer reagirend. Die Lö¬
sung ist aber nicht haltbar, da sie schon nach ein paar Tagen schimmelt. Zu sub-
cutanen lnjectionen ist sie leicht verwendbar, da sie trotz der sauren Reaction
sehr wenig Reactionserscheinungen macht. Ob nun diese Sclerotinsäure wirklich
der wirksame Bestandteil des Mutterkorns ist, ist erst zu ermitteln, ob sie wehen¬
treibend oder lähmend oder hämostatisch eingreife. Vorsichtige Untersuchungen
sind notwendig, denn beim Ergotin sind die Resultate bisher gar widersprechend
gewesen.
III. Natron lacticum wurde vor einiger Zeit von Preyer als Hypnoti-
cum empfohlen auf Grund folgenden Gedankenganges: Preyer nimmt als fest¬
stehend an, dass unter den sogenannten Ermüdungsstoffen des Muskels die Milch¬
säure eine Hauptrolle spiele. Was er nun für den Muskel als feststehend annimmt,
dasselbe sieht er auch in den Arbeitsleistungen der Ganglienzellen des Grosshirns,
er nimmt an, dass auch in ihnen ähnliche Producte, ohne Zweifel Milchsäure, sich
bilden, anhäufen und dadurch einschläfernd wirken, dass sie den Sauerstoff für
sich zur Oxydation in Anspruch nehmen und denselben so von den Ganglienzellen
abhalten. Wenn also eine Ueberladung durch milchsaure Salze im Allgemeinen
im Organismus und speciell in der Gewebeflüssigkeit der Ganglienzellen eintrete,
so entstehe Schlafbedürfniss und Schlaf; sobald aber diese Ermüdungsstoffe oxy-
dirt seien, so trete der Sauerstoff wieder um die Ganglienzellen und man erwache.
Preyer muss nun zugeben, dass nicht bewiesen ist die Steigerung chemischer
Processe bei gesteigerter psychischer Thätigkeit, die grössere Säurebildung in den
Ganglienzellen im Schlafe, die ermüdende Wirkung der Ermüdungsstoffe aufs Ge¬
hirn durch Abhaltung des Sauerstoffs von den Ganglienzellen. Er wagt nur die
Wahrscheinlichkeit dieser Sätze zu behaupten. Dennoch lehrt Preyer: Bei Tag
muss der Sauerstoff die sauerstoffarmen Verbindungen in dem Gehirn-Parenchym
oxydiren und hilft zur Bereitung der Ermüdungsstoffe, bei Nacht absorbiren ihn
diese Ermüdungsstoffe, um oxydirt zu werden. Bei Tage kommen immer neue
Roize hinzu und verhindern die Verbrennung der Ermüdungsstoffe; fehlen die Reize
beim Nichtsthun, so kann man auch leicht einschlafen, da jederzeit ein gewisses
Quantum Ermüdungsstoffe im Körper sich angebäuft findet, die, wenn der Reiz
ausbleibt, den Sauerstoff für sich in Anspruch nehmen. Enthält die Nahrung viele
Substanzen, aus denen sich leicht oxydirbare Stoffe ähnlich den Ermüdungsstoffen
bilden können, so werden sich diese im Gehirn ablagern und dort viel Sauerstoff
absorbiren, derart kommt es zum Mittagsschlaf.
Das ist nun nichts weiteres als eine Kette von Hypothesen, so zu sagen ohne
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f&ctische Grundlage. Andere Ermüdungsstoffe des Muskels könnten ja mit gleichem
Rechte als schlaferregend bezeichnet werden.
Was nun die Verwendung von Natron lacticum zur Schlaferzeugung betrifft,
so hat Cloetta nur negative Resultate gehabt und auch von anderer Seite nur solche
gefunden. Das Präparat ist ein Syrup, ähnlich aussehend wie Ricinusöl, schmeckt
schrecklich schlecht, macht Erbrechen, erregt Widerstand von Seite des Kranken
und kostet viel Geld, da man zur angeblichen Wirkung 20—30 grammes verbrau¬
chen muss vom Präparat* dessen 100 gr. 5 Frcs. kosten. Die Erfindung hat wohl
keine Zukunft.
Hermann pflichtet dem Vortragenden bei in der Verurtheilung der Preyer 'sehen
Hypothesen. Ranke hat Milchsäure auf Nerven einwirken lassen, aber keine ermü¬
dende Wirkung gefunden; für eine solche Wirkung des milchsauren Natrons ist
nun gar kein Nachweis geliefert. Dass Milchsäure im lebenden Muskel ein Er¬
müdungsstoff sei, ist auch nicht so sicher. Und wenn das wäre, so könnten an¬
dere Stoffe neben ihr gerade eben so wichtige sein als Ermüdungsstoffe. Mangel
an weitern zu verbrauchenden Substanzen ist höchst wahrscheinlich nach längerer
Muskelthätigkeit ebenso wichtig als Ermüdungsursache wie ein bestimmtes Pro¬
duct des Stoffwechsels. Gar schlimm ist nun die directe Uebertragung dessen,
was im Muskel geschehen soll, auf die Nerven und das Gehirn. Solche Gedan¬
kensprünge sind doch nicht gestattet. Ganz verfehlt ist auch die Gleichstellung
von Schlaf und Ermüdung; das ist doch zweierlei. Warum arbeiten die me-
dulla, die Nerven für Herz und Athmung weiter im Schlafe? warum schla¬
fen nicht auch diese ein? warum kann sie die Milchsäure im Blute nicht
eben so gut des Sauerstoffs berauben wie andere Himtheile? Abhaltung
von Sinneseindrücken ist schlaffördernd; aber das kann sein eben so gut
auf dem Wege einfacher Leitungsunterbrechungen wie auf dem der Milch-
säurewirkung. Ein solches theoretisches Hypnoticum hätten wir schon in der Tri-
chloressigsäure, bloss haben Versuche hinlänglich klar gelegt, dass sie keinen
Schlaf bewirkt, und die Ausreden mit schlechten Präparaten und dergleichen ver¬
fangen nicht mehr. Diese Theorie ist glücklicherweise bloss in wissenschaftlichen
Kreisen bekannt geworden, während zu bedauern ist, dass Preyer 's Schlaftheorie,
so schlecht begründet, schon in der populären Form über die Welt ausgebreitet
wird und bereits die Spalten der Tageszeitungen zu füllen beginnt, so in ihrer Un¬
erwiesenheit das Ansehen der Wissenschaft gefährdend.
Vorweisung des Thermocaut&re von Paquelin durch Dr.
* G ie8 k er.
K Das Instrument ist von Dr. Paquelin construirt, verfertigt von Collin & Comp.,
maison Charri&re, und wurde zuerst der Acadümie des Sciences am 1. Mai 1876
vorgelegt Ein Platinkolben oder ein Platinmesser, befestigt an nichtwärme¬
leitendem Stiele, wird über einer Spiritusfiamme leicht erwärmt, dann mit
einem Strom von Luft, die durch Neolin geleitet worden, durch einen mit dem In¬
strument verbundenen Kautschukballon-Schlauch angeblasen und kommt so in’s
schönste Glühen, so dass der ausserordentlichen Einfachheit und Eleganz des Ap¬
parates allgemeiner Beifall gezollt wird.
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Hermann glaubt das Gebeimniss des Apparates sei darauf zurückzuführen, dass
im Innern des Platinkolbens Platinmoor oder eine Platinspirale sich befinden,
welche einmal erwärmt, in sauerstoffreicher Luft fortglühen.
Als neue Mitglieder werden aufgenommen die Herren Dr. Egli-Sinclair und
Dr. Joseph Wiel in Zürich.
Referate und Kritiken.
1) 18. Jahresbericht des schwedischen heilgymnastischen Institutes in Bremen,
von Prof. Dr. Axel Siegfried Ulrich. Bremen bei Ed. Müller 1876. 20 Seiten.
2) Bericht Uber die chirurgische Privatklinik in dem Mutterhause der barmherzigen
Schwestern zu Freiburg vom Januar 1872 bis Juli 1875.
Mitgetheilt von Prof. Dr. Schinzinger. Freiburg i. B., Herder 1876. 63 Seiten.
3) Die chirurgische Klinik zu München im Jahre 1875.
Ein Andenken für seine Schüler von Prof. Dr. v. Nussbaum. Stuttgart, F. Enke 1876.
60 Seiten.
1) Eine werthlose, rein tabellarische Zusammenstellung der während des Bericht-
jahres behandelten Patienten. Die Diagnosen sind sehr vag (sehr oft nur: nervöse Be¬
schwerden) und oft stehen in der Rubrik „Krankheiten“ anstatt der Diagnose nur ein¬
zelne Symptome, z. B. kalte Füsse. Dafür sind aber in den Heilresultaten um so feinere
und präcisere Distinctionen: „geheilt, bedeutend verbessert, verbessert und unverbessert,“
welch' letztem Rubrik noch eine zu Hilfe kommt mit „Kur zu früh abgebrochen oder
unordentlich benutzt.“ Von 174 aufgenommenen Patienten wurden nur 4 „unverbessert“
entlassen, die sich in der „allgemeinen Uebersicht“ aus unbekannter Ursache auf 8
reduziren.
2) Das Spital ist erst 1872 eröffnet, in einem grossem Garten gelegen, und scheint
sehr zweckmässig construirt und trefflich geleitet zu sein. Aufgefallen ist uns nur die
„im Garten gelegene Badeeinrichtung“. Die Resultate sind ausserordentlich günstig, denn
bei einer Gesammtzahl von 636 aufgenommenen Patienten, von denen an 190 grössere
Operationen vorgenommen wurden, kam kein einziger Todesfall vor. (NB.
im Spital selbst. Manche, namentlich Recidive von bösartigen Tumoren sind nachher zu
Hause gestorben.) — Die Wunden wurden mit einfachen Wasserumschlägen oder
trockenem Watteverband behandelt und thut sich Verf. mit Recht etwas darauf zu gut,
dass er so schöne Resultate erzielt habe. Er meint, die Verhältnisse seien bei ihm so
günstig, dass man auch mit Lwter’schem Verbände keine besseren Erfolge erzielen könnte.
Wir möchten dazu doch bemerken, dass unter Anderem dem jungen Manne mit pene¬
trierender Kniegelenkswunde, den er mit Amputation des Oberschenkels heilte, unter
antiseptischer Drainage sein Bein wohl hätte erhalten werden können.
Der Bericht bietet sehr viel Lehrreiches, namentlich in operativer Beziehung. Wir
müssen aber hier uns darauf beschränken, nur einzelne besonders instructive Fälle her¬
auszuheben, ungünstige sowohl wie günstige. Von 2 Cataractextractionen mit
unterem Lappenschnitt endigte die eine mit Pupillarverschluss durch Iritis, die
andere mit Phthisis bulbi nach Hornhautvereiterung. Eine Balggeschwulst in der
Orbita (10 Mon. altes Kind), die den bulbus vorgedrängt hatte, wurde mit Erfolg durch
Punction entleert. Bei einem Knaben war auf dem Lande in Folge unzweckmässiger
Aetzung eines Nasenpolypen mit Kal. caust. Verwachsung des einen Nasen¬
lochs eingetreten, und musste dasselbe operativ wieder geöffnet und erweitert werden.
Die Hasenscharten operirt Sch. nach Rose „am hängenden Kopfe“, eine Methode,
die wir unsern Collegen bestens empfehlen möchten. Wir haben sie im Z ü r i c h e r
Kinderspital ebenfalls angewandt und vorzüglich gefunden. Die Ausführung der
Operation ist zwar eher etwas erschwert, indessen sind die Vortheile für den Pat. sehr
bedeutende: Abgesehen von der bessern Narcose und der Unmöglichkeit des Blutein-
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dringens in den Kehlkopf werden dadurch die argen Verdauungsstörungen vermieden, die
bei der gewöhnlich üblichen Operationsmethode in Folge des Blutschluckens auf-
treten und oft genug den Tod des Kindes herbeiführen, an dem die Operationswunde
schon ganz geheilt ist. — Dagegen halten wir dip Keilexcision, die Sch. zur
Reposition des stark vorstehenden Zwischenkiefers ausführt, nicht für nöthig. Wir er¬
reichen bessere Fixation, indem wir das Septum subperiostal durch einen vertical ge¬
führten Scheerenschnitt durchtrennen und die beiden so entstandenen Platten an einander
verschiebend, das Zwischenkieferstück zurückdrängen. Dabei gelingt die Reposition immer
und es ist daher nicht zu rechtfertigen, wenn man dasselbe ganz wegschneidet, wie
dies zuweilen geschieht — Interessant ist ein Fall von intrauterin geheilter
Hasenscharte desswegen , weil nach einer Zusammenstellung von Bruns nur 14 Fälle in
der Literatur Vorkommen. Indessen scheinen doch dem Ref. diese Fälle nicht so selten
zu sein, da er dieses Jahr deren zwei beobachtet hat: Parallel dem Filtrum vom Nasen¬
loch zum rothen Lippensaume verläuft eine weisse narbenähnliche Linie. Das betreffende Na¬
senloch ist bedeutend breiter als das andere, die Nasenspitze steht etwas schief, und der
rothe Lippensaum, in welchem die weisse Linie auch noch nachweisbar ist, zeigt eine
leichte Einkerbung. — Für die Tracheotomie gibt Sch. ein vereinfachtes Verfahren an,
das bei uns auch schon empfohlen wurde, ein Verfahren, das man in den Pariser
Spitälern, namentlich in Ste. Eugdnie, fast täglich sehen kann, und welches darin besteht,
dass der erste Schnitt in einem Zuge alles bis auf die Trachea durchtrennt In diese
Wunde wird, unbekümmert um alle venöse Blutung, der Finger eingeführt, dessen
N agel auf die Trachea aufgesetzt und unter dessen Führung incidirt Ein Verfahren,
das wir als durchaus unchirurgisch verwerfen müssen, und dem wir nur allenfalls für
den äuBsersten Nothfall einige Berechtigung zuerkennen dürfen, wo absolut keine
Assistenz da ist. Es wäre aber dann ein Versuch aufs Gerathewohl, wobei man sich
darüber klar sein muss , dass einem das Kind todt unter dem Messer bleibt, wie dies
grossen Chirurgen allerdings dabei schon passirt ist — Eine weitere Methode, die wir
nicht zur Nachahmung empfehlen können, ist die gewaltsame Dilatation von nicht passier¬
baren Stricturen der Harnröhre, also der forcirte Catheterismus, obschon die
freilich weniger gefährliche plötzliche Dilatation von passirbaren Stricturen in England
und Frankreich gegenwärtig angesehene Verfechter hat. Sch. beschreibt 2 geheilte Fälle.
— Dagegen sind wir ganz einverstanden mit Sch.'s Erfahrung, dass Aerzte bei offenen
Fracturen der Finger sich allzuleicht zur Hinwegnahme derselben veranlasst
fühlen. Man darf bei sorgfältiger Lagerung und Reinigung. namentlich unter Behandlung
im permanenten Wasserbad, bei Hand- und Fingerverletzungen an kräftigen, sonst ge¬
sunden Leuten Alles wagen. Man bedenke dabei immer, wie die Finger der arbeitenden
Klasse zum Lebenserwerbe wichtig sind. — Esmarch 's hämostatischen Apparat zur blut¬
losen Operation hat Sch. seit 1873 bei allen grössern Operationen immer mit Vor¬
theil angewandt und nie einen Nachtheil davon gesehen. — Neu dürfte es manchen
Collegen sein, dass der B e r u f eines Schusters Knieresection contra¬
in d i c i r t: 8chustermeister H. litt an Vereiterung des Kniegelenks und eignete sich
sehr gut zur Resection, lehnte dieselbe aber entschieden ab, weil ein steifes Bein ihn in
seiner Berufsarbeit nur hindern würde. Amputation des Oberschenkels im mittlere Drittel
heilte ihn. — Von den Einspritzungen von Carbolsäurelösungen in’s Gelenk bei fungösen
Gelenkentzündungen, Lymphdrüsengeschwülsten, periarticulären Abscessen u. s. f. nach
Hüter hatte Sch. günstige Erfolge und fordert zu weiteren Versuchen auf. — Höchst
interessant sind 8 geheilte Fälle von Amputation beider Oberschenkel,
welche zwar nicht in 5cA.’s Spital, aber in seinem Beobachtungskreise vorkamen. —
Bemerkens werth ist, dass Sch. mit Erfolg Hauttransplantationen ausführte,
obschon er immer Tags zuvor die Wunde mit Lapis ätzte.
3) Ref. hat schon letztes Jahr in diesen Blättern eines Vortrages von Prof. v. Nuss ¬
baum, betitelt „ Lister'a grosse Erfindung“, erwähnt, worin dieser uns Mittheilung macht
von dem vollständigen Umschwünge, der seit Einführung des Lwter’schen Verfahrens auf
der chirurgischen Klinik in München stattgefunden hat Am Ende des Studienjahres stellt
er nun diese Ergebnisse, freilich noch nicht mit numerischen Belegen, zusammen und
vergleicht sie mit den frühere. Im Jahre 1872 wurden von den Operirten, Wunden und
Geschwüren 26°/ 0 vom Hospitalbrand befallen, im Jahre 1873 60% und 1874 sogar 80%.
izedbyG00gl(
51
Daneben war durch Pyämie und Erysipel die Mortalität auf eine erschreckende Höhe
angestiegen. Jetzt sagt er: „In meiner ganzen Abtheilung finden Sie keine Pyämie, keinen
Hospitalbrand, kein Erysipelas mehr. Die Aufenthaltszeit der Kranken ist erstaunlich kurz
geworden, daher haben wir nie mehr Mangel an Kaum. Schwere Verletzungen,
Amputationswunden etc. heilen per primam, was ich in den 16 Jahren meiner Thätig-
keit in diesem Hause nie erlebt habe.“ Er schildert ausführlich in den lebhaftesten
Farben die Schrecken von früher, denen er fast machtlos gegenüberstand, trotzdem er
die verschiedensten Methoden der Wundbehandlung durchprobirte, und malt dann den
Segen des Lister’schen Verbandes in einem Lichte, das uns fast etwas zu rosig erscheint.
— In einem 2. Abschnitt entwickelt er die Principien des Verfahrens, die trotz viel¬
fachen WiederholenB immer noch nicht bekannt genug sind oder nicht verstanden werden.
Der oberste Grundsatz ist: Die Wunde ist „to be let alone,“ soll sich selbst
überlassen, also auch nicht mit Carbolsäure tractirt werden. Alles
was die Wunde verunreinigt, was sie reizt, soll fern gehalten
werden. Das Wundsecret soll gut abfliessen- können, vom Verband
rasch aufgesogen werden und vor jeder Zersetzung bewahrt bleiben.
— Daran schliesst sich eine detaillirte Beschreibung des Materials, dessen man zum
Lwter’schen Verband oder zu dem von Thier sch modificirten antiseptischen Verband bedarf.
— Der 3. Abschnitt zeigt an Beispielen, wie nach Lisfer’schen Principien operirt und
verbunden werden soll, wo gewöhnlich Fehler gemacht werden und wie dieselben zu
vermeiden sind. Es sind 8 ausgewählte Fälle, deren Krankengeschichten zugleich unge¬
wöhnliches Interesse bieten: 1) Reflexepilepsie durch Dehnung des nervus
tibialis geheilt. 2) Fussgelenkresektion wegen ankylosirtem Klumpfuss (NB.
operirt auch stets nach Esmarch' s blutleerer Methode), 3) eitrige Kniegelenk¬
entzündung durch Drainage nach 7 Wochen geheilt entlassen mit Erhaltung
der Beweglichkeit Mit Recht wird uns von Gegnern Lisler’s bemerkt, dass eitrige
Kniegelenkentzündungen auch bei offner und andern Wundbehandlungsmethoden ausheilen,
können. Ref. selbst kennt einen solchen Fall, der freilich mit starrer Ankylose heilte.
Indessen ist es immer noch ein sehr grosser Unterschied, ob bei einer Methode ausnahms¬
weise einmal nach langer Zeit Heilung eintritt, oder ob diese fast in der Regel und zwar
in kurzer Zeit unter geringen oder ganz ohne Fiebererscheinungen mit Erhaltung der
Gelenkfunction erfolgt 4) Ovariotomie, complicirt durch so tiefen Collaps, dass
über 3 Stunden künstliche Respiration und Belebungsversuche fortgesetzt werden mussten.
Nachdem Pat auch noch eine heftige Nachblutung durchgemacht, wurde sie schliesslich
doch noch geheilt. N. ist fest überzeugt, dass sie ohne das Lwter'sche Verfahren gestorben
wäre. — Lehrreich ist dabei noch, dass N. die Drainirung der Bauchhöhle (worüber
Ref. letztes Jahr berichtet hat) mit Perforation des hintern Scheidengewölbes aufgegeben
hat, weil das Vaginalstück der Röhre nicht functionirte, und dass er sich jetzt mit Ein¬
legen von Drainröhren in den untern Wundwinkel begnügt — 5) Complicirte Unter-
schenkelfractur, Pseudarthrose mit 20 Ctm. Verkürzung. Heilung durch
Evidement, Gewichtextension und schliessliches Zusammennageln mit verzinnten Eisen-
nägeln. Restirende Verkürzung 6 Ctm. — 6) Complicirte Unterschenkel-
fr a c t u r mit ausgedehnten Zerreissungen, geheilt 7) Exstirpation eines Lipoms auf
der Schulter und 8) eines Sarcoms unter dem Pectoralis.
Wir empfehlen die Schrift Jedem, der sich für die Lisler' sehe Methode interessirt
und dieselbe erlernen will. Mancher meint, ob genüge, die antiseptisohen Stoffe anzu-
sebaffen und dieselben um den verletzten Theil herumzuwickeln. Entweder gar nichts
oder ganz! Wer Lister’s grosse Erfolge erzielen will, muss seine Vorschriften genau be¬
folgen und sich die Mühe nehmen, die Methode zu erlernen, und so lange er keine
günstigen Erfolge hat, kann er annehmen , der Fehler liege an der unrichtigen Ausfüh¬
rung. Man weiss, dass Volkmann 40 complicirte Fracturen behandelt und 27 Amputationen
gemacht hat ohne Todesfall und dass von 6 nach einander ausgeführten Oberschenkel¬
amputationen und 1 Exartic. femoris keiner starb. Nussbaum machte jetzt mit Anwen¬
dung des Lüter’schen Verfahrens 8 Ovariotomieen nach einander, von denen keine ge¬
storben ist —
"Was die oft gerügte Ko stsp ieligkeit des Liiler’schen Verfahrens
betrifft, so weist N. mit Zahlen nach, dass im Münchner Spital seit Einführung desselben
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Tausende erspart werden, weil die Aufenthaltszeit der Operirten und Verwun¬
deten so bedeutend verkürzt worden ist. Wie gross ausserdem der Nutzen für
die Betreffenden selbst ist, ist dabei noch nicht berücksichtigt. Selbstverständlich steigt
durch die (auch von den Gegnern Lister' s anerkannte) Abkürzung der Heilungsdauer die
Leistungsfähigkeit des Spitals upd ist den Klagen über Platzmangel abgeholfen.
Schliesslich macht iV. noch eingehende Angaben darüber, wie der Lister’sche und
namentlich der vereinfachte Thier sch' sehe Verband für die Kriegschirurgie nutzbar gemacht
werden könnte. Muralt.
Grundzüge der Arzneimittellehre
von Dr. Carl Friedrich Heinrich Marx, Professor in Göttingen. Stuttgart 1876. Verlag von
F. Enke, Stuttgart
Unter diesem Titel veröffentlicht der greise Gelehrte in einer Brochure von 71 Octav-
seiten un|«r der Form von Aphorismen seine Anschauungen über die Therapie, indem er
theils Winke allgemeinster Natur gibt, theils aber eine kurze Uebersicht der Arzneimittel
vorfuhrt, die er in stärkende, in schwächende und in ausgleichende
eintheilt.
Bei aller Hochachtung und Verehrung, die wir vor dem Silberhaare des 80jährigen
Verfassers haben, müssen wir doch gestehen, dass die allgemeinen Grundsätze und die
Eintheilung der Arzneimittel sowohl als die speciellen Gebrauchsindicationen so sehr von
den uns geläufigen Ansichten abweichen, dass wir dem kleinen Werkchen nur einen
historischen Werth beimessen können. Weun z. B. die stärkenden Arzneimittel
weiter abgetheilt werden in erregende, zertheilende, reizende u. s. w., so
sehen wir nicht ein, was Jodkalisalbe und Ung. cinereum mit Stärkung des Organismus
zu thun hat, die wiederum mit Recht unter der Rubrik der zertheilenden figuriren. Eben¬
sowenig was „feuchterhaltende Mittel“, wie Glycerin- und Traubenpommade, unter den
schwächenden zu thun haben.
Im Speciellen finden wir dann manche Angaben, die wir fast nur als Lapsus
memoriffi aut calami auffassen können, z. B. wenn die Yallel’ sehen Pillen unter den er¬
öffnenden erwähnt werden , oder wenn wir Sätze lesen wie den Schluss des § 38 und
des § 60. Auch die Dosirung der Mittel ist, wo sie überhaupt angegeben ist, häufig
mangelhaft, z. B. heisst es in § 88 „Zur subcutanen Injection (von Morphium) genügen
20 Tropfen einer wässerigen Lösung“ (wie stark ?) oder § 118 „von solchen Trochiscis
Santonini gibt man 7 Milligr.“ (doch wohl kaum von den Trochiscis). In den ersten
Capitcln fehlt die Dosirung meist ganz , in den letzten Abschnitten ist sie fast durch¬
gehende nur angedeutet. Wir heben noch hervor, dass das kleine Werk Herrn Dr. Heinrich
Rohlfs zugeeignet ist. Massini.
Der hämorrhagische Infarct
von C. Gerhardt. Samml. klin. Vorträge. Nr. 91. Leipzig, Breitkopf & Härtel. 1875.
18 Seiten.
Die meisten Hämorrhagischen Infarcte entstehen, indem ein Embolus in eine Arterie
die Blutzufuhr in’s zugehörige Gebiet abschliesst; dann bricht aus den Venen eine rück¬
läufige Hyperämie herein; das Blut durchtränkt und lockert das Gewebe und verwandelt
es in eine angeschwollene, gekörnte, schwarzrothe Masse. Es kann aber auch ohne Em¬
bolie ein Infarct entstehen, namentlich bei den Infectionskrankheiten , oder eine Embolie
nicht von Infarcirung des Gewebes gefolgt sein.
Der Embolus kommt aus Thrombosen in den Venen der unteren Extremitäten , des
Uterus, der Prostata, der Nieren, aus Gerinnselbildungen, in den Hirnsinus oder dem
rechten Herzen; er tritt ein ganz oder fast symptomlos oder unter den Erscheinungen
von Ohnmacht, Stickanfall und Frost, bald einzelner, bald zu mehreren nacheinander mehr
oder weniger hochgradig bis zu den Erscheinungen eines convulsiven Anfalles oder plötz¬
lichen Todes. Blutspeien, knatterndes Rasseln, Seitenstechen, Reiben, Dämpfung mit
Tympanie, besonders entsprechend dem häufigsten Sitze im Unterlappen einer Lunge,
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verkünden die Infarcirung. Icterus, vielleicht hämatogener, tritt hie und da, pleuritischer
Erguss uugemein oft hinzu.
An der Stelle des Infarctes stellt sich mit der Zeit rostbraune Verfärbung ein,
Lockerung, Aufsaugung des Blutes mit Zurückbleiben von Pigment in den Geweben oder
Entfärbung und Schrumpfung zu einer gelbweissen oder graupigmentirten Schwiele; oder
Zerfliessen, Entleerung eines Breies mit Hämatoidinkrystallen, elastischen Fasern und
grossen, Blutkörperchen und Blutfarbstoff haltigen, Zellen, Höhlenbildung oder Schrumpfung,
oder eitriger.oder'fjbrandiger Zerfall , welche zu Lungengangrän in weiterem Umfange,
Pneumothorax, eitrigem oder jauchigem Pleuraexsudat, Lungenblutung führen können.
Die Diagnose ist zu stellen gegen vielfache Ecchymosenbildung auf (1er Schleimhaut
der Bronchien; gegen Lungencarcinom, dessen Pleuraexsudat mit Verengerung der kranken
Seite einhergeht; gegen Ecchinococcus der Lunge, gegen Pneumonie.
Verhütung und Behandlung der hämorrhagischen Infarcte geschehe durch antisep¬
tische Wundbehandlung, Eisbehandlung bei Furunkulose, Immobilisirung thrombotischer
Theile, Venaesection, künstliche Inspiration, Morphium. Aufsaugung der Pleuraexsudate
nach Infarct wird nicht angerathen und über die Anwendung der Digitalis die beherzi-
genswerthe Lehre ausgesprochen : „Man soll Digitalis, ein wahres Remedium anceps, nie
wegen geringer Beschwerden, am wenigsten aber desshalb anwenden, weil Jemand herz¬
krank ist.“ „Ist aber die Indication für den Gebrauch des Mittels einmal gegeben , dann
muss die anzuwendende Dose gross genug sein, um nach kurzer Zeit, etwa 1—2 Tagen,
eine volle Wirkung hervorzubringen. Dann muss wieder auf längere Zeit von allem Digi-
talisgobrauche Abstand genommen werden.“ „Man soll drittens den erstmaligen Digitalis -
gebrauch bei einem Herzkranken sorgfältig überwachen.“ Seitz.
Kantonale Correspondenzen.
Wien. Verehrteste Herren Collegen 1 Für meine heutige wiener Correspondenz, für
welche 8ie so freundlich waren, mir zum Voraus Aufnahme zuzusichern, hatte ich aus¬
schliesslich „Psychiatrica“ bestimmt, doch kann ich es nicht unterlassen, auch diesmal
wieder etwas aus dem Gebiete der Syphilis vorauszuschicken. Wie Sie schon früher
(Seite 213, Jahrgang 1876) im „Corresp.-Blatt“ Ihren Lesern mittheilten, hat Prof.
Bamberger die Therapie der constitutioneilen Syphilis um ein Grosses bereichert und zwar
durch die subcutane Anwendung des Quecksilberalbuminats. Be¬
kanntermassen hat man die Methode der subcutanen Application (unserer Ueberzeugung
nach überhaupt eine wahre Zukunftsmethode der gesammten Medication) auch beim
Quecksilber schon längst angewendet; aber bei dem betreffenden Präparat (Sublimat)
wurden die guten Seiten durch die grossen Nachtheile (starke Schmerzen und häufige
Abscedierung) weit aufgehoben. Die neue Bamberger 'sehe Methode jedoch zeigt nur die
Vortheile mit Vermeidung der eben genannten üblen Folgen. Ich hatte hier namentlich
auf der Benedict sehen Poliklinik mehrmals Gelegenheit, diese neue Behandlungsweise der
secundären Lues (besonders der specif. Exantheme) kennen zu lernen, und ich möchte
sie allen H. H. Collegen aufs dringlichste anempfehlen; es ist dies gewiss eine epoche¬
machende Bereicherung unserer Therapeutik; die Erfolge sind zauberhaft (namentlich bei
Psoriasis palmaris) und die Applicationsweise ist ja so einfach, fast schmerzlos und
selten oder nie (bei gehöriger Reinhaltung der Spritze und des Präparats) von Abscessen
gefolgt, und zudem ist auf diese Weise eine ambulatorische Behandlung dieser sonst so
unangenehmen Leiden ganz gut möglich. Diese Lösung des Quecksilberalbuminats hat
aber zwei Uebelstände ; erstens ist ihre Bereitung nicht ganz ohne Schwierigkeiten und
zweitens zersetzt sie sich leicht. Aus diesen Gründen suchte Bamberger nach einem gün¬
stigeren Präparate und fand ein solches im Fleischpepton, das aber einstweilen
noch aus London bezogen werden muss. Die sehr einfache Bereitung des Peptonqueck-
nilbers ist nach Bamberger folgende : „Man löst 1 Gr. Fleischpepton, welches eine gelb¬
liche , beinahe krystallinisch aussehende Masse darstellt, in ca. 50 Cctm. Wasser auf,
setzt dann 20 Cctm. einer fünfprocentigen Sublimatlösung hinzu, wodurch ein reichlicher
Niederschlag von Quecksilberpepton entsteht, und dann so viel zwanzigprocentige Koch-
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ealzlösung, bis der Niederschlag vollständig aufgelöst ist Man giebt das Ganze in einen
Mischcylinder und fUgt so viel Wasser hinzu, bis die Gesammtmenge der Flüssigkeit
100 Cctm. beträgt. In dieser Weise hat man sich eine Lösung bereitet, in welcher jeder
Cctm. 1 Ctgrm. Sublimat enthält.
Diese Lösung hält sich viele Monate lang vollkommen klar; nur hie und da scheidet
sich in geringer Menge ein weisslicher (wahrscheinlich ein Eiweiss-) Körper aus , was
jedoch die Brauchbarkeit der darüber stehenden klaren Lösung nicht beeinträchtigt.
(Hier ist vielleicht noch beizufügen, dass Bamberger bei Gelegenheit dieser Mittheilungen
in der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien das genannte Fleischpepton auch als Nähr¬
mittel bei Magenkranken und bei Beconvalescenten warm empfiehlt). Das betreffende
Präparat kann leicht von jedem Arzt oder Apotheker hergestellt werden.
Doch nun zu speciell Psychiatrischem. Natürlich verbietet mir der beschränkte
Raum weitläufiger über meine Besuche in verschiedenen Anstalten zu referieren; es wäre
dies auch ein zu fachmännisches Thema für Ihren Leserkreis; ich möchte nur einige
wenige Punkte von mehr allgemeinerem Interesse berühren.
Hier in Wien hat man Gelegenheit, auf meinem Specialgebiete viel zu sehen und
zu lernen; die grosse, schöne Anstalt mit ihren 3 Abtheilungen, von denen eine Prof.
Leidesdorf zu clinischen Zwecken unterstellt ist, und dann namentlich die erst vor kurzer
Zeit errichtete, eigentliche psychiatrische Clinik im „allgemeinen Krankenhaus“ mit Prof.
Meynert an der Spitze, bieten dem. Irrenarzte reichliche Ausbeute, nur ist es Schade, d&sn
Prof. Meynert gegenwärtig an einer Unterschenkelfrnctur darniederliegt, doch hatte ich
trotzdem die angenehme Gelegenheit, mit ihm persönlich bekannt zu werden; seine
Clinik soll sehr grossen Anklang finden; dort werden die in Vielem vom Altherge¬
brachten abweichenden Ansichten, die er in einer Brochure „Ueber Umfang und Methode
der clinischen Psychiatrie“ niedergelegt hat, in die Praxis übersetzt.
Ferner verdanke ich Prof. Benedict viele werthvolle Ergebnisse meines wiener Auf¬
enthalts ; ich habe an ihm einen wahrhaft genialen Denker von enormer Arbeitskraft und
Vielseitigkeit kennen gelernt; schon sein bekanntes Lehrbuch der Electrotherapie ent¬
hält ja Vieles, was weit über den Titel hinausgeht und dann seine zahlreichen kleineren
Journalartikel über Lyssa, entzündliche Kern Wucherung, Lymphorrhagie , Anatomie und
Physiologie der Pyramiden etc. und ganz besonders seine Arbeiten über Verbrecher¬
psychologie, Verbrecher-Schädel und Gehirne eröffnen die bedeutungsvollsten Ausblicke
auf den verschiedendsten Gebieten, neuerdings namentlich auch in der anatomischen
Definition des bisher so vagen Erblichkeitsbegriffs der Psychopathien.
Prof. Benedict war so freundlich, mir seine schönen microscopischen Präparate zu
demonstrieren, namentlich über Lyssa und Bulbärparalyse; höchst interessant, ja wohl
einzig in ihrer Art ist seine Sammlung von Verbrecher-Schädeln und Gehirnen, die in
nicht zu ferner Zeit in einem bereits vorbereiteten Atlas mit Text ihre Verarbeitung
finden werden. Iu Benedict s Policlinik, sowie in seinem Privatverkehr habe ich hier die
interessantesten und auch lehrreichsten Stunden verlebt. Es ist ganz unbegreiflich und
förmlich schmerzlich, wenn man sieht, welchem Widerstand und welchen, oft wahrhaft
gemeinen, Missdeutungen dieser bedeutende Mann in den hiesigen Fachkreisen ausgesetzt
ist; solches ist eben nur hier in Wien möglich, anderswo ist man so gebildet, auch
einen Gegner anständig zu behandeln, namentlich einen Gegner von solcher Bedeutung
und solchem Rufe, mit dem zusammen zu arbeiten ja grösste Ehre sein sollte; dies
gilt aber leider nicht von Wien, hier verläumdet und beschimpft fast Jeder den Andern, hier
„irrt“ man sich nicht, sondern man „lügt“, wenn man sich erlaubt, eine andere Meinung
zu äussera. Diese Art von Collegialität ist abscheulicb und doppelt unangenehm für
einen Fremden, der gerne mit Allen bekannt werden möchte und dann von Einzelnen
so edle Biographien der Andern hören muss. —
Ich habe oben schon die wirklich schöne wiener Anstalt erwähnt; ihre Besichtigung
möchte ich allen H. H. Collegen, die nach Wien gehen, empfehlen, man wird dort sehr
freundlich aufgenommen, und ich bin speciell den dortigen H. H. Collegen sehr ver¬
pflichtet , indem ich mehrere Wochen in dieser Anstalt arbeitete, auf die liberalste
und zuvorkommendste Weise von der verehrten Direction (Prof. Schlager ) sowie von den
andern Aerzten unterstützt. Die Anstalt besitzt an dem Primararzt der Frauenabtheilung
Dr. Holler, einen sehr tüchtigen Microscopiker und Hirnanatomen , der die Güte hatte,
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mich in seine eigene Methode der Herstellung von Hirnpräparaten
einzuführen. Diese Methode , die Dr. Holler seit einigen Jahren betreibt und in deren
technischer Vollendung er es zu einer merkwürdigen Vollkommenheit gebracht hat,
wurde vor ca. 1 Jahr auf Verfügung des niederösterreichischen Landtags im Jahres¬
bericht der Irrenanstalt Ibbs mit einem reichen Atlas publicirt; dieser Atlas fand aber
begreiflicher Weise nur beschränkte Verbreitung und andrerseits ist die Methode so
originell und werthvoll, dass sie wohl verdient, recht weit bekannt und geübt zu werden.
Sie werden mir gewiss erlauben, Ihnen in möglichster Kürze über die betreffende Technik
zu berichten ; vielleicht leiste ich damit dem einen oder andern meiner H. H. Collegen
einen kleinen Dienst, und es ist zugleich ein Tribut meiner aufrichtigen Dankbarkeit
gegenüber Dr. Holler , wenn ich seine schöne Methode zu verbreiten suche.
Die Härtung geschieht in Müller' scher Flüssigkeit; dann werden aus freier Hand
ziemlich dicke Schnitte (bis 8 Millim. dick) hergestellt, die 12—24 Stunden lang in
Aq. dest. eingelegt und nachher während 8—14 Tagen in einer Lösung von carmin-
saurem Ammoniak (Acid. Carmin. 4,0: Liq. Ammon, caust. 140,0) gefärbt werden. Wenn
sie „die einer gesättigten Carminlösung möglichst nahe kommende dunkle Färbung“
angenommen haben, wird der überschüssige Carmin in Aq. dest. ausgewaschen; dann
werden die Schnitte 12—24 Stunden lang in absoL Alcohol entwässert und nachher
nach Verdunstung des auf den Oberflächen haftenden Alcohols auf dem reinen Object¬
träger in eine chloroformige Lösung von Canadabalsam eingebettet, und werden so lange
successive mit Balsam übergossen , bis das Präparat davon ganz durchtränkt ist; dabei
ist es sehr wichtig, genau darauf zu achten, dass die dem Objectträger aufliegende
Präparatfläche genau in eine Ebene zu liegen kommt und dass keine Luftblasen zwischen
ihr und dem Glas Zurückbleiben. Das so in Balsam eingebettete Präparat wird nun zum
Trocknen auf die Seite gelegt; dieser Trocknungsprocess nimmt je nach der Dicke des
Präparats 4—8 Wochen in Anspruch; erst wenn dasselbe durch und durch glasartig und
spröde ist, darf mit der weiteren Präparation fortgefahren werden, und diese besteht
in einfachster Weise darin, dass man mit scharfen convexen Scalpellen das Präparat
schabt, bis es die erwünschte Durchsichtigkeit erhalten hat. Aber gerade dieses schein¬
bar so einfache Schaben ist sehr schwierig; es braucht grosse Uebung, das Messer
immer so zu führen , dass man stets gleichmässig verdünnt und das Präparat nicht be¬
schädigt, aber Jeder kann sich durch Fleiss diese mechanische Fertigkeit aneignen und
der dazu erforderliche Zeitaufwand wird reichlich belohnt durch die wirklich überraschen¬
den Resultate. Man kann bei Geduld und Uebung fabelhafte Dünnheiten erreichen, und
zwar nicht nur auf kleinen Schnitten, sondern auch auf solchen von unbegrenzter Aus¬
dehnung ; natürlich wachsen mit letzteren auch die technischen Schwierigkeiten, doch
Durchschnitte vom Rückenmark, von der Med. oblong., vom Pons etc. sind sehr leicht
ausführbar. So viel ist sicher, dass weder aus freier Hand, noch mit irgend einer andern,
bisher bekannten Methode Schnitte von gleicher Feinheit können hergestellt werden;
den besten Beweis dafür liefern die Bilder des obenerwähnten Holler’acheji Atlas , von
denen viele bei einer Vergrösserung von ca. 2500 gezeichnet sind und zwar nach Prä¬
paraten , die als geringer röthlicher Hauch auf dem Objectträger imponieren und durch
welche man die allerfeinste Schrift lesen kann; ich selbst habe die Holler’ sehen Präparate
oft mit Hartnack Immersion XI. und Ocular 6 untersucht und wirklich prächtige Bilder
mit überraschender Klarheit gesehen; die Möglichkeit, mit solchen enormen Vergrösse-
rungen zu arbeiten, ist gewiss beweisend für die Feinheit der Präparate.
Um die Skizzierung des technischen Theils dieser Methode zu vervollständigen, muss
ich noch hinzufügen, dass man nach der höchst möglichen Verdünnung das Präparat
mit 01. terebinth. aufhellt, dann neuerdings mit Canadabalsam übergiesst und mit dem
Deckgläschen abschliesst.
Ich konnte natürlich hier nur das Allernöthigste aufführen ; den H. H. Collegen, die sich
darum interessieren, bin ich gerne bereit, nähere wünschbare Aufschlüsse über die Methode
zu geben. —
So viel über das wiener psychiatrische Leben und Treiben, jetzt nun noch ein paar
Worte von München: in der dortigen grossen Anstalt, die gegenwärtig im Umbau
begriffen ist, habe ich auf der Durchreise ebenfalls viel Schönes gesehen, besonders daB
microscopische Arbeitszimmer ist in den letzte® Jahren ein wahrer Wallfahrtsort ge-
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worden. Die Erfolge von Prof. Gudden mit Beinern Miorotom sind ja weltbekannt; doch
muss man das Wunder selbst gesehen haben, besonders die ununterbrochenen Serien
von einigen Tausenden Frontalschnitten durch das ganze menschliche Gehirn. Prof.
Gudden und Dr. Forel waren so gütig, mir eine grosse Anzahl dieser Präparate zu
demonstrieren und mir die Details dieser Methode ausführlich mitzutheilen; auch diese
Präparate sind von höchster technischer Vollendung.
Aber nun genug geplaudert, nicht wahr, verehrteste Herren Collegen, sonst kommt
die Scheere des Redactors zum Vorschein; herzlichen Dank für die Aufnahme meiner
beiden Briefe. Mit freundlichem Grusse
4. December 1876. Ihr ergebener College Dr . 8ury . Bienz
Woran a» Rh. Geehrter Herr Collega und Redacteur ! ln Nr. 16 Ihres „Cor-
respondenz-BIattes für Schweizer Aer^te“ findet sich ein Referat über meinen Grundriss
der Geschichte der Medicin und des heilenden Standes, dessen, wie ich gerne anerkenne,
wohlwollende Haltung mich abhalten würde, einige Vorwürfe, die mir darin gemacht
werden, richtig zu stellen, wenn ich diese nicht bei dem grossen Leserkreise Ihres
Blattes für wichtig und diesem schuldig zu sein glaubte, die ich (resp. mein Buch) meine
Ueberzeugung nach nicht verschuldet habe.
Der Hauptvorwurf, der mir gemacht wird, ist der, dass ich Rademacher , der als
Praktiker beurtheilt sein wolle, „mit absolutem Unverständnis behandelt“ habe. Die
Ueberschrift des Kapitels, in welchem ich den Rademacherianismus abhandle, heisst:
„Systeme, Theorien und Schulen des 19. Jahrhunderts.“ Dieser gemäss habe ich logischer-
weise das System Rademacher'B in's Auge fassen und scizziren müssen, von dem der
Herr Referent selbst sagt: „Mit dem Rademacher' sehen Systeme kann sich natürlich
heute kein Arzt mehr einverstanden erklären.“ Darin stimmt derselbe also mit mir über¬
ein. Um den Einfluss der Rademacher’Bchen praktischen Bestrebungen aber doch nicht
ganz zu übergehen, adoptirte ich ein Urtheil von Prof. Phöbus , weil ich diesen für com-
petenter hielt, ein Urtheil über jene abzugeben, als mich selbst, der ich nie nach Rade¬
macher prakticirt habe. Die betreffende Stelle lautet: „Auch Prof. Phöbus , der Giessener
Pharmakologe etc. erkannte wenigstens an , dass Rademacher , „der leider nicht genug
wissenschaftliche Bildung besessen, den Nutzen gebracht habe, den Aerzten das Heilen
wieder wichtiger zu machen, als das blosse Diagnosticiren,“ worin, die Sache geschicht¬
lich betrachtet, ein sehr grosses Lob liegt. Ob ich also trotz Adoption dieses Urtheils
über Rademacher' s praktische Anleitung jenen harten Vorwurf verdiene, mag der Leser
entscheiden.
Weiter heisst es: „der Mangel dieser in vielfacher Beziehung äusserst interessanten
Kapitel thut dem Werke ganz entschieden Eintrag und wir hätten dafür gerne die ganz
unnöthigen Bildnisse einzelner Götzen und sogenannter (!) gelehrter Häupter, welche das
Buch nur vertheuern, dran gegeben.“ Ich musste für das 19. Jahrhundert die ausser
den Hauptdisciplinen sonst abgehandelten Fächer weglassen, weil der in Aussicht ge¬
nommene Raum bereits weit überschritten war, und andernfalls ein mehr als bibeldicker
Band entstanden wäre. Eine Theilung in 2 Bände war nicht mehr möglich. Ausser
diesem rein äusserlichen Grunde glaubte ich die fehlenden Kapitel aber besonders dess-
halb weglassen zu können und zu sollen, weil in einem Buche, das vorzugsweise sich an
Praktiker wenden wollte, die theoretischen Fächer entbehrt werden konnten, zumal diese
von der Studienzeit her noch den Meisten ohne Zweifel bekannt sind, was bezüglich der
Systeme, Theorien etc., die nicht vorgetragen zu werden pflegen, nicht der Fall sein
dürfte. — Die Bildnisse sind bei dem culturhistorischen Standpunkte des Buches zulässig,
ganz abgesehen davon, dass es immerhin die meisten Leser interessiren dürfte, „soge¬
nannte Gelehrte“, wie Hippokrates, Vesal, Harwey , Haller, Scoda, Helmholtz etc. vor Angesicht
zu sehen, ohne dass sie sich einer bloss müssigen Neugierde schuldig machen.
Ich habe den Pragmatiker Sprengel u. A. als Vorgänger darin. Willkürlich aufge¬
zählt sind sie aber nicht, da die Genannten wohl a 11 e als epochemachend, resp. dör Folge¬
zeit die Richtung gebend, allgemein angesehen zu werden pflegen. Was die mit Recht
als ein Vortheil bezeichnete Bürgschaft des H. Rohlfs für die grössere Correktheit des
Buches betrifft (insofern jener die Güte hatte, die letzten Correkturbogen auf etwaige
Fehler zu prüfen), so ist auf diese Weise die Vermeidung von etwa einem Dutzend
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falscher Angaben, bez. Jahreszahlen, Namenschreibung, Lebensstellung Einzelner u. dgl.
gelungen, was ich bei einem geschichtlichen Werke für wichtig genug hielt und halte,
am dafür in der Vorrede Dank zu sagen. Wenn der geehrte Herr Referent sagt, die
dargestellten Lehren eines Plato, Paracelsus etc. etc. seien der Art, dass „uns glauben
machen zu wollen, es hätten diese Herkulesse des Geistes in der That an solchen Un¬
sinn geglaubt, das denn doch den Unsinn auf die Spitze treiben Messe,“ so glaube ich,
dass diesen eigentümlichen Vorwurf alle, die Geschichte schreiben, sich gefallen
lassen müssen, weil sie durchaus nicht das Recht haben, jene Herkulesse des Geistes als
Herkulesse des Humbugs hinzustellen.
Mit der höflichen Bitte um gefällige Aufnahme vorstehender Zeilen in Ihr geschätztes
Blatt, habe die Ehre, in der Erwartung, dass Sie jener zu willfahren geneigt sind, zu
zeichnen in collegialer Hochachtung ergebenst
Worms, 5. Dezember 1876. Dr. Baas.
Wenn Herr Dr. Baas ein Buch herausgibt, so muss er sich gefallen lassen, dass
jeder Leser sich über dieses Buch ein Urtheil bildet, und wenn Hr. Dr. B. nun die
Passion hat, über ein Urtheil, welches mit dem seinigen nicht harmonirt, auf den Fuss
getreten zu sein, so hätte er das Buch ungeschrieben lassen sollen.
Mein Urtheil Uber Bademacher halte ich aufrecht. Hm. Dr. B. gefällt es, Phöbus für
sich heranzuziehen. Das ist seine Sache. Hätte er Andere herangezogen, dann würde
etwas ganz anderes herauskommen. Wir haben es mit Rademacher als Rademacher zu thun,
nicht aber mit Rademacher wie Phöbus sich ihn zuschnitzelt Hr. Dr. B. sagt ja ausdrück¬
lich , dass er nie nach Rademacher practicirt habe, das heisst also, er kennt die
Radenacher’ sehen Mittel nicht ex praxi. Wie kann er denn da auf den Fuss getreten
sein, wenn einer ihm sagt, er habe Rademacher mit absolutem Unverständnis behandelt ?
Versteht denn einer den, der reinweg als Praktiker zu fassen ist, dessen Mittel er nie
versucht hat?
Ich sagte, dass Hr. Dr. B. die Bilder hätte fallen lassen können, und statt dessen
sein W T erk bis auf die neueste Zeit vollständig ausführen. Dr. B. meint nun, dass wenn
er auf das eingegangen wäre, das Buch zu voluminös geworden wäre. Ist ja ganz
meine Ansicht, und eben desshalb, dass das Buch nicht zu voluminös werden sollte,
sagte ich ja, statt das fallen zu lassen, was ich im Auge habe, hätte er lieber etwas
anderes fallen lassen sollen. Hr. Dr. B. nennt nun das, was ich in’s Auge fasse, Theorie,
das, was er in’s Auge fasst, Praxis. Das ist seine Ansicht, ich meine gerade umge¬
kehrt. So sind eben die Ansichten in der Welt verschieden.
Wie ferner meine Aeusserung über Hm. Dr. Rohlfs auch den geringsten Anstoss
erregen kann, sehe ich gar nicht ein, Hm. Dr. B. ist dadurch auch nicht im Mindesten zu
nahe getreten, und wenn er das meint, so liest er sich, was reine Willkür ist, etwas
zwischen den Zeilen.
Platon und Paracelsus betreffend, stellt Hr. Dr. B. nun in prägnanter Weise meinem
Herkules des Geistes den Herkules des Humbugs gegenüber. Indessen ist sein
Schluss denn doch ein verfehlter. Es gibt nämlich eine Reihe von Schriftstellern, und Platon
(Tunaus) und Paracelsus gehören zu ihnen, die das, was sie schreiben, in ganz anderer Weise
geben und schreiben, wie sie es meinen. Das ist, im Lichte der Jetztzeit betrachtet, ein
gar auffallendes Ding. Heute wird Jeder Bagen: weisst du was und hast du Lust, es
mitzutheilen, nun so schreibe es; hast du aber keine Lust es mitzutheilen, nun so lasse
es ungeschrieben. Aber nicht Lust haben, es mitzutheilen und nun doch schreiben, so
schreiben, dass es unter 10 nicht 9, am Ende unter 100 nicht 90 verstehen können, das
ist H u m b u g. Ja, das nennen wir heute Humbug; es ist aber noch lange nicht
Humbug im Geiste derer, die diesen eigenthümlichen Weg eingeschlagen haben. Jede
Zeit hat ihre Sitten und eine Sitte der Vorzeit, die zu unsern heutigen 8itten nicht mehr
passt, ist dämm noch nicht kurzweg Humbug. Noch lange nicht! Der Referent
II. Reisebrief ans dem Süden.
Geehrte Redaction! Wohl nur Engländern ist es gegeben, Jahre lang ein Land zu
bewohnen oder dasselbe wiederholt zu bereisen, ohne im geringsten um die staatlichen
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Einrichtungen oder um das Wohl und Wehe der Bewohner desselben sich au kümmern.
Uns andere Menschenkinder drängt es zu vernehmen, wie es mit dem Volksleben im
fremden Lande steht, und namentlich wird es einen Arzt immer interessiren, die Stellung
kennen zu lernen, welche unsere Collegen in der Gesellschaft einnehmen.
Italien ist äusserst reich an Aerzten, wohl in dieser Beziehung das reichste Land
der Erde, weit reicher als die Cantone St. Gallen und Luzern. Es mag das wohl mit
daher kommen, dass man hier zu Lande ohne sonderlich grosse Mühe Doktor wird,
wetteifern doch einige zwanzig Universitäten miteinander, Doktorhüte an Mann zu bringen.
Und da der Besitz der von einer italienischen Universität verleihten Doktorwürde ge¬
nügt, um im ganzen Königreiche praktiziren zu dürfen, so erklärt das zugleich das sonst
ziemlich unverständliche Fortexistiren so vieler kleiner, an sich BOnst ganz unbedeutender
Universitäten. Staatsminister Bonghi hatte einen Anlauf genommen, diese Universitäta-
wirthschafterei durch Einfuhren des Staatsexamens abzuthun, aber sein Streben, das
Niveau wissenschaftlicher Bildung in Italien zu heben, scheiterte an dem Widerstande
der Professoren der kleinen Universitäten, die in Folge der Ausserkurserklärung der
Doktordiplome alle und jede Bedeutung verloren hätten.
Die gesellschaftliche Stellung der italienischen Aerzte ist im Allgemeinen eine sehr
wenig beneidenswerte; ein mit den italienischen Verhältnissen sehr vertrauter Lands¬
mann Bagte mir, sie (die Aerzte) rangirten unmittelbar hinter den Strassenkehrern. Das
ist nun gewiss arge Uebertreibung, doch steckt ein recht grosses Korn Wahrheit darin.
Die übergrosse Mehrzahl der Aerzte auf dem Lande und in den kleinern Städten vegetirt
kümmerlich in der Stellung von Gemeindeärzten (medici condotti) ; sie erhalteu im Mittel
2000 und 2500 Frs. jährliche Besoldung „für Alles“, d. h. für Gratisbehandlung aller
sich meldenden Gemeinde- und Thalangehörigen, Besuche und Operationen inbegriffen.
Begreiflich ist es , dass die Ansprüche des lieben Publicums an diese festangestellten
und von der Gemeinde besoldeten Aerzte keine geringen sind und daher letztere sich
so ziemlich in der Stellung von Prügeljungen befinden. Einzelne Aerzte , die glücklicher
situirten, empfangen nur Wartgeld, „damit sie an dem bestimmten Orte wohnen“, und
stellen für ihre Bemühungen Rechnungen, die hie und da wirklich auch bezahlt werden.
Das Alles hat für uns Schweizer auch insofern Interesse , als im Tessin ähnliche Ver¬
hältnisse existiren und viele Tessiner Aerzte als medici condotti in Italien leben.
Vor 3 Wochen bekam hier einer meiner Weissenburger Patienten eine heftige
Lungenblutung, die sich mehrmals wiederholte. Die Quelle dieser sich hie und da ein¬
stellenden Blutungen ist eine genau bekannte und sozusagen wandständige, und ich wollte
dieselben durch Application einiger blutiger Schröpfköpfe bekämpfen, wie das auch
früher schon mit raschem Erfolg geschah. Freilich, da war guter Rath theuer! Schrö¬
pfende Barbiere und Hebammen giebt es in Italien nicht mehr, seitdem die edle Kunst
des Schröpfens und des Aderlassens durch gesetzlichen Erlass ausschliesslich in die
Hände der Aerzte Ubergegangen ist, und ich selbst hatte früher weder je selbst geschröpft,
noch besass ich den dazu nöthigen Apparat. Ich wagte es also, einen Collegen an’s
Krankenbett zu rufen, der denn auch kam und bereitwilliger als geschickt die Operation
vornahm. Um aber in Zukunft auch in Beziehung auf allenfalls nöthig werdendes Schröpfen
unabhängig dazustehen, gedachte ich mir einen Schröpfapparat zu kaufen , hatte aber
leider auch hierin meine Rechnung ohne Italien gemacht. Können Sie es sich denken,
dass in der Universitätsstadt Pisa kein Schröpfstock (scarificator), ja kein ordentliches
chirurgisches Instrument überhaupt zu kaufen ist? Es ist das freilich arg, aber so recht
bezeichnend, weshalb ich es mir erlaubte, Ihnen diese kleine Episode zu erzählen.
Der hiesige Spital ist uralt und klösterlichen Ursprungs und entspricht daher den
Anforderungen , die wir heute an Spitalanstalten stellen, nur unvollkommen. Die Sääle
und Betten sind zwar reinlich gehalten, dagegen ist die Ventilation der Räume trotz den
fast beständig offenstehenden Fenstern und Thüren ungenügend, weil die Fenster wie
in Kirchen hoch oben in den Wänden stehen , und so der eigentliche Belegraum der
Sääle stagnierende Luft enthält. Daran scheint man sich nicht zu stossen; wie wenig
überhaupt die Italiener noch Luftfanatiker sind, lehrt die Thatsache, dass selbst Profes¬
soren mit dem landesüblichen Kohlenbecken (als Handwärmer) von Bett zu Bett gehen
und sich durchaus nichts daraus machen, das giftexhalirende Becken neben die Nase
der Kranken zu stellen. Ein rühmlicher Anlauf zum Bessern ist beim Bau der neuen
izedbyGoOgle
Die
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Entbindungsanstalt gemacht worden. Die Anstalt wurde den 12. Dezember mit grosser
Feierlichkeit eingeweiht oder eröffnet Der Bau ist ein sehr zweckmässiger, die Zimmer
sind geräumig, hell und gut ventilirt; dagegen sind leider auch hier architektonischer
Harmonie zu Liebe die Abtritte im Innern des Hauses angebracht, und werden bei der
bekannten Fürsorge(?), welcher sich dieselben hier zu Lande zu erfreuen haben, trotz
aller Spühlung nur zu bald die Aufgabe der Ventilationsvorrichtungen wesentlich er¬
schweren. Ein grosser Uebelstand scheint mir auch darin zu liegen, dass die neue An¬
stalt unmittelbar an die Abtheilung für Syphilitische angebaut ist und mit derselben
communicirt; ob damit vielleicht nach italienischer Auffassung eine innere Verwandschaft
beider Abtheilungen dokumentirt werden soll, ist mir aus der Eröffnungsrede nicht klar
geworden.
Von der hiesigen medicinischen Fakultät werden Sie hoffentlich recht bald Bericht
aus einer andern Feder erhalten. Vorläufig nur so viel, dass in jüngster Zeit manches
geschehen ist, um mit der Zeit Schritt halten zu können; wenigstens an neuen, sehr
schönen Gebäulichkeiten und ziemlich köstlichen Einrichtungen ist kein Mangel.
Gegen fremde Aerzte ist Italien äusserst coulant. Unter der Bedingung, dass kein
italienischer Staatsbürger in die Gur genommen werde, darf ein Jeder, der im Besitze
eines „Diploma di qualche universitä, scuola o collegio di medicina all estero“ sich be¬
findet , ohne weiters in ganz Italien die Fremdenpraxis frei ausüben. (Regolamento per
l’esecutione della legge sulla sanita publico, 20. Marzo 1865, Art. 94—96.)
Ich kann das Kapitel über die medicinischen Verhältnisse Italiens nicht schliessen,
ohne den Herren Apothekern einen kleinen Denkzettel anzuhängen. Die Apotheker sind
hier zu Lande, in noch höherem Grade als in Frankreich, Apotheker, Droguisten und
quasi Specereihänder zugleich. Wie es unter solchen Umständen in einer gewöhnlichen
Medicamentenbrauerei aussehen muss, ist so ziemlich selbstverständlich. Von den besser
gehaltenen und besonders von den auf den „Fremdenfang“ berechneten sind die meisten,
besonders aber die sich „English Dispensary“ und „Farmacia inglese“ nennenden Apo¬
theken die reinsten Diebshöhlen. Das gilt im Speciellen weniger von Pisa , als von den
Curorten an der Riviera. In Nizza z. B. wurden einem Fräulein für 4 Medicamente
(20 Stück Pillen c. Sulfur, aurat. und Narcein, ein Senegainfus, ca. 2 Unzen Jodkalisalbe
und ein kleines Fläschchen Jodtinktur) 28, sage achtundzwanzig Francs berechnet und ab¬
genommen. Das eine Beispiel mag genügen.
Endlich Einiges Uber Pisa als Curort.
Es heisst Pisa schwer verläumden, wenn man von ihm sagt, es stecke in einem
Sumpfe. Die grosse Arnoebene, welche sich von den Pisanerbergen bis zum Meere aus¬
dehnt, ist im Gegentheile eine äusserst wohl bebaute und fruchtbare; Acker- und Wiesen-
culturen folgen sich abwechselnd in schmalen, gartenähnlichen Parzellen, so weit das
Auge reicht; rings um jede Parzelle schlingen sich an in regelmässigen Abständen ge¬
pflanzten Bäumen Üppige Weinrebenranken. Leider sieht der Winterkurgast von all
dieeen Herrlichkeiten nichts als das blätterlose Geäste. Die Pisanerberge tragen reiche
Oliven- und Kastanienwaldungen , liegen aber zu weit (ca. 1Stunden) entfernt, um
von Kranken besucht werden zu können. Mit der mehr afrikanischen als italienischen
Vegetation der Riviera di Ponente lässt sich allerdings die Vegetation der Umgebung
Pisa s im entferntesten nicht vergleichen; keine Palmen, keine mächtigen Agaven über¬
raschen hier das Auge des Nordländers, nicht einmal Eucalyptusbäume haben die Pisaner
gepflanzt, um der Gegend einen südlichen Anstrich zu geben. Dafür aber beengen uns
hier keine Mauern und der Blick schweift ungehemmt Uber die ganze Landschaft.
Bekanntlich liegt die Stadt an einer grossen, gerade nach Süden offenen Biegung
des Arno; der rechte oder nördliche Quai ist in seiner ganzen, circa eine halbe Stunde
betragenden Länge von hohen Palästen eingerahmt und bildet so einen Sonnenfang Nr. 1,
wie es in ganz Italien keinen zweiten giebt. Es ist daher der Lung’arno nicht nur der
beliebteste und belebteste Aufenthaltsort für die hiesigen Curgäste und die Pisaner Welt
überhaupt, sondern es ist auch fast ausschliesslich an diesem Quai, wo sich Kranke
einquartiren sollten; am Lung’arno heizt die Sonne.
Das Klima Pisa’s ist ein gleichmässig mildes, die Luft ist feuchtwarm und daher
ausnehmend weich. Die Sonne brennt hier nicht wie an der Riviera, dafür friert man
aber hier auch im Schatten nicht, wie das dort der Fall ist. Die Atmosphäre ist meist
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60
still und wäre, im Gegensätze zu Cannes und Nizza, staubfrei zu nennen, wenn die
Frauen Pisa’s nicht so sehr der Schleppe huldigen würden. Hier „schleppt“ Alles, von
der Marchesa bis zum Fahrikmädchen herunter. Die Grandezza, mit welcher letztere ein¬
hergehen, ist wirklich einzig in ihrer Art: die Füsse in zierlichen Soccoli (Holzsandalen
mit buntgesticktem Oberleder), vorn hochgeschürzt, hinten die ellenlange Schleppe, die
Haltung siegesgewiss , „ein jeder Zoll eine Königin!“ Es wäre zum Lachen, wenn man
dabei nicht an den Staub dächte. Nebel Bind zu Pisa äusserst selten, dagegen regnet es
hier oft und viel; da aber die Strassen der Stadt und namentlich der Lung'arno ganz
vorzüglich gepflastert und überhaupt sehr reinlich gehalten sind, so geht man auch beim
Regen aus, oder wenigstens sofort nach dem Regenfall. Der Genuss der freien Luft ist
daher in Pisa ein durch meteorische Erscheinungen sehr wenig beeinträchtigter. Ebenso
wenig wird derselbe durch die Zeit des Sonnenuntergangs verkürzt, denn der Sonnen¬
untergang bringt keinen kühlen Luftzug und die Luft bleibt mild bis in die späte Nacht.
Es sind das nicht hoch genug zu werthende Vorzüge, die Pisa vor den meisten süd¬
lichen Stationen voraus hat. Nicht verschwiegen darf dagegen werden, dass hie und da
eine auf dem linken Arnoquai liegende Gerberei einen pestilenzialischen Duft aushaucht,
so dass einem darob der Appetit zum Athmen vergeht. Da die Pisaner Aerzte aber be¬
haupten, der Gerbereigestank sei „gesund“, so wird diesem Uebelstande schwerlich ab¬
geholfen werden.
Die 8tadt Pisa hat in den letzten Jahren unendlich viel durch die schönen und
mächtigen Quaibauten und durch die schöne Pflasterung der Strassen gewonnen; auch
die Restauration der prächtigen Dombauten hat die Pisaner ein schönes Stück Geld ge¬
kostet ; dann ist flussaufwärts als Verlängerung des Lung'arno eine lange, sehr schön
unterhaltene Promenade angelegt worden. Damit aber glauben die Pisaner für alles
Nöthige gesorgt zu haben, währenddem doch der Kranke und Schonungsbedürftige nir¬
gends auch nur die einfachste hölzerne Bank, oder überhaupt eine Bank mit einer Rttck-
lehne findet, auf der er ein Weilchen ausruhen könnte. Ebenso wenig wie für die Be¬
quemlichkeit der Kurgäste wird für deren Unterhaltung etwas gethan. Musik' bekömmt
man keine andere zu hören, als die der Nachtschwärmer, und im neuen, sehr schönen und
luftigen Opernhause beginnen die Vorstellungen erst um 8 Uhr, um bis Mitternacht zu
dauern, und fallen daher für Kranke ausser Reohnung. So ist Pisa für den Kurgast
eine höchst langweilige, an Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten sehr arme Winter¬
station.
Trotz alledem nimmt Pisa unter den luftfeuchten und windstillen Stationen eine der
ersten Stellen ein und wird als Winterluftcurort mit Venedig, Pau, Ajaccio, Nervi
und Specia bei eretischen Formen der Phthise, bei trocknen Catarrben und grosser Nei¬
gung zu Fieber und Htemoptoö den Heilanzeigen immer am besten entsprechen. Pisa ist
auch Zufluchtsstation für Viele, welche durch die Frühlingsstürme (den Mistral) von der
staubreichen Riviera di Ponente vertrieben werden. In neuerer Zeit wird als gleichwerthige
Winterstation auch Rom oft genannt. Meinen nächsten Brief werden Sie wahrscheinlich
von dort aus erhalten.
Pisa, den 3. Januar 1877. Schnyder.
W ochenl>ei*iclit.
Schweiz.
Bern. Vom Regierungsrathe ist, entgegen den Anträgen der medizinischen Facultät,
Hr. Dr. Ad. Vogt in Bern zum Professor der Hygieine ernannt worden. Die Facultät
hatte in ersters Linie Hrn. Dr. Förster, in zweiter Hm. Dr. Wolfhügel , beide zur Zeit in
München, vorgechlagen.
Wir gratuliren dem Freund und thätigen Mitarbeiter von Herzen zu dem neuen
Wirkungskreis, der sich ihm nun erschliesst, und sind überzeugt, dass das Fach der Hy¬
gieine in ihm einen rastlos fleissigen Förderer finden wird. Diese Ueberzeugung wird
freilich von der Berner medizinischen Facultät nicht getheilt. — Die Zeit mag lehren, wer
Recht hattet
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61
Bern. Geheimmittelunwesen. Die Direction des Innern hat den öffent¬
lichen Vortrag des Hrn. Apotheker Dr. Müller über das Geheimmittelunwesen drucken
und in angemessener Weise im Kanton verbreiten lassen. Hoffentlich werden die Herren
Zeitungsverleger den Inhalt beherzigen.
Universitäten. Frequenz der medicinis c h e n Facult ät e n imWinter-
semester 1876/1877.
Aus
dem
Aus andern
Canton
Cantonen
Ausländer
Summa
Total
M.
W.
M.
W.
M.
W.
M.
W.
Basel
20
—
47
—
3
—
70
—
70
Sommer 1876
19
—
52
—
5
—
76
—
76
Winter 1876/76
19
—
60
—
3
—
82
—
82
Sommer 1876
18
—
49
—
6
—
73
—
73
Bern
55
—
56
—
12
26
123
26
149
Sommer 1876
53
—
57
—
13
24
123
24
147
Winter 1875/76
47
—
67
—
12
25
126
25
161
Sommer 1875
59
—
67
—
13
24
189
24
168
Genf
24
—
24
—
20
2
68
2
76
ZUrich
35
—
101
1
40
19
176
20
196
Sommer 1876
31
1
89
1
49
22
169
24
193
Winter 1875/76
38
1
96
—
39
23
173
24
197
Sommer 1875
84
1
87
—
45
17
166
18
184
Ausland.
Deutschland. Ein neuer Inhalations-undZärst&ubungsapparat
für medizinische und chirurgische Zwecke. Alle die bis jetzt in den Handel gebrachten
Zerstäubungsapparate leiden an dem Missstande, dass sie den an das Krankenbett ge¬
fesselten Patienten nur in umständlichster Weise und mit den grössten Schwierigkeiten
zugänglich zu machen sind. Der von den Gebr. Weil zu Frankfurt a. M. construirte
Apparat beseitigt gründlich alle Missstände, die in pract Beziehung an den seitherigen
Inhalationsapparaten zu tadeln waren.
Das Grundprincip des neuen Apparates besteht darin, dass der Dampfkessel und
der Behälter, welcher das zu zerstäubende Medicament enthält, vollkommen getrennt sind,
sowie dass durch die geeignete Füllung des Kessels und durch das Vorhandensein eines
sehr practischen Sicherheitsventils jede Explosionsgefahr bei Benutzung des Apparates
vermieden wird.
Der elegant ausgestattete Apparat kostet nur 8 Reichsmark.
(D. M. W. 76, Nr. 25.)
England. Forensisches. Braxton Hicks regt folgende forensisch wichtige
Untersuchungen in Anknüpfung an einen Fall an. 1) Wie verhält sich der Uterus in
seinen Dimensionsverhältnissen, wenn er getrocknet und nachträglich wieder in Wasser
aufgeweicht worden ist ? 2) Kann der Uterus einer Jungfrau jedesmal von einem solchen,
der einmal geschwängert gewesen ist, unterschieden werden ?
Seine eigenen Untersuchungen an 6 Gebärmüttern ergaben, ad 1) eine Erweiterung
der Dimensionsverhältnisse, während die Gestalt unverändert blieb, ad 2) glaubt ff. con-
ntatirt zu haben, dass der jungfräul. Uterus trotz Neubildungen etc. stets gewölbter ist
im Fundus, als einer, der je geschwängert gewesen.
(Brit. med. Journ. Febr. 5. 1876. — D. M. W. 76. 28.)
England. Inhalt einer Ovariencyste. In der Sitzung der patholog.
Gesellschaft demonstrirte Thomton den Inhalt einer Ovariencyste. Die 49j. Patientin wurde
1866 punctirt, wobei nach dem Abfluss von 11 Gallonen Verstopfung der Canäle ein¬
trat. Dasselbe geschah bei der im Januar 1876 vorgenommenen Punction. Tod an Bron¬
chitis. Die ganze Abdominalhöhle war von einer enormen Dermoidcyste eingenommen,
die mit degenerirten Epithelconglomeraten und kurzen rothen Haaren erfüllt war.
(Lancet Apr. 8. 76. — D. M. W. 76. 28.)
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62
Frankreich. Nach Roubaud nimmt das Lithium bromatum unter den
eteinauflösenden und sedativen Mitteln den ersten Rang ein, so wie es ausserdem noch
vorzugsweise bei der durch harnsaure Diathese veranlassten Dysurie und den gleichfalls
dadurch so häufig bedingten Neurosen die herrlichsten Dienste leistet.
(Arch. gän. de mäd. Mai 76. — D. M. W. 70. 27.)
Freiburg 1 . B. Die durch Prof. Czerny' s Abgang nach Heidelberg (an Stelle
des verstorbenen Prof. Simon) erledigte ordentliche Professur und das Directorat der
chirurgischen Klinik ist Prof. H. Maas (Breslau) übertragen worden, der auf Ostern seine
Stelle antreten wird.
Leipzig. Curpfuscherei-Controlle. In der letzten Versammlung des
ärztL Vereins stellte Dr. Riemer folgenden zeitgemässen Antrag : „Jedes Mitglied des
ärztlichen Bezirks-Vereins betrachtet es als seine Ehrenpflicht, jeden zu seiner Kenntniss
und genauern Beobachtung gelangten Fall von Curpfuscherei dem ärztlichen Bezirks-Vereine
mitzutheilen, und letzterer übernimmt sodann nach einer genauen Prüfung aller Um¬
stände die etwaige Publication.“
Italien. Secale cornutum. Dieses soll nach Experimenten des Dr. G.
JLevi in Pisa seine bekannte Wirkung nur seinem Gehalte an Phosphorsäure verdanken
und zwar ist diese Wirkung proportional der Menge im Präparate enthaltener Phosphor¬
säure. Acid. phosphoric. wirkt eben so schnell und intensiv wie Secale.
(Gaz. möd. d.. Par. 70. Nr. 3. — D. med. Wochenschr. 70. Nr. 22.)
Stand der Infeetions-Krankheiten in Basel.
Vom 20. December 1870 bis 10. Januar 1877.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Beim Sch arl a c h zeigt sich eine geringe Abnahme: 28 neue Fälle (gegen 17, 21,
36) Dieselben sind, wie in den letzten halben Monaten vertheilt auf die ganze Stadt mit
Ausnahme des Birsthales. Nordwestplateau 0, Birsigthal und Südostplateau je 8, Klein-
Basel 6, von auswärts 1 Fall.
Rubeolae sind auch weniger zur Anzeige gelangt: 18 Fälle (31, 21), wovon je
0 vom NWplateau und Birsigthal, 4 SOplateau, je 1 Birsthal und Klein-Basel.
Masern nur 4 neue Fälle (10, 21, 8).
Keuchhusten herrscht imverändert in grösster Verbreitung; angemeldet sind
08 neue Fälle (38, 06, 78), NWplateau 23, Birsigthal 10, Klein-Basel 10, etc.
ErysipelaB im letzten halben Monat auffallend häufig (13) kam weniger zur
Beobachtung: 0 Fälle.
Typhus sind 2 neue Fälle angezeigt (7, 0, 3).
Diphtherie und Croup zusammen 10 Fälle (7, 7, 8), wovon je 3 in Klein-
Basel und Birsigthal.
Varicellen 8 Fälle, wovon 0 im Birsigthal. Kein Puerperalfieber.
Bibliographisches.
19) Herrmann, Die Vivisectionsfrage. Für das grosse Publicum beleuchtet 04 Seiten.
Leipzig, F. C. W. Vogel.
20) Ranvier’s Technisches Lehrbuch der Histologie. Uebersetzt von Dr. Nicati und Dr.
H. v. Wyss. I. Lieferung mit 41 Holzschnitten im Text. Leipzig, F. C. W. Vogel.
21) Zietnssen, Handbuch der spec. Pathologie und Therapie. XII. Band. Anhang : Kussmaul,
Die Störungen der Sprache. 300 S. Leipzig, F. C. W'. VogeL
22) Kraus, Diagnose und Therapie der Krankheiten des Menschen mit Zugrundelegung
der Lehren und Recepturen der ersten medicinisch-chirurgischen Autoritäten und
Anführung von 1600 Receptformeln im metrischen Gewichte. Nebst einem Anhang
über Balneologie. 980 Seiten. Wien, Verlag von Moriz Perles.
23) Emmert , Ueber functioneile Störungen des menschlichen Auges im Allgemeinen, so¬
wie speciell nach Schuluntersuchungen in den Cantonen Bern, Solothurn und Neuen¬
burg nebst Angabe der Hülfsmittel dagegen. Bern, Verlag von B. F. Haller.
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63
24) Lüning, Ueber die Blutung bei der Exarticulation des Oberschenkels und deren Ver¬
meidung. Inauguraldissertation. ZUricb. Druck von F. Schulthess.
26) Wiener Klinik. Heft I. Schnitzler , Zar Diagnose und Therapie der Laryngo- und Tra-
cheostenosen. Wien, Urban & Schwarzenberg.
26) Mock, Das Stuhlbad Imnau in Hohenzollern. Imnau, Verlag von Frey.
27) G. Burckhardt, Die Lehre von den functioneilen Centren des Gehirns und ihre Bezie¬
hung zur Psychologie und Psychiatrie. (Sep.-Abd. d. Zeitschr. f. Psychiatrie) Berlin,
Verlag von G. Reimer.
28) Frankel, Bibliotheca medicinae militaris et navalis. Beiträge zur Literatur der Militär-
und Schiffsheilkunde. I. Inauguralabhandlungen. Thesen. Programme. Preis 1 Mark.
Berlin, Verlag von Enslin.
29) Albert Ed., Lehrbuch der Chirurgie und Operationslehre. Vorlesungen für praktische
Aerzte und Studirende, Gr. 8°, mit zahlreichen Holzschnitten. In Lieferungen. Wien,
1876, Urban & Schwarzenberg. 2 M.
30) Winlemitz Wilh., Die Hydrotherapie auf physiologischer und klinischer Grundlage. Vor¬
träge für praktische Aerzte und Studirende. I. Bd. Der Einfluss der Hydrotherapie
auf Innervation und Circulation. Mit 20 Holzschnitten, gr. 8°, 238 S. Wien, 1876.
Urban & Schwarzenberg. 9 M.
31) Schnitzler Joh , Die pneumatische Behandlung der Lungen- und Herzkrankheiten.
Zweite durch einen Nachtrag vermehrte Auflage. Mit 4 Holzschnitten. Gr. 8°. 40 S.
Wien, 1877. Urban & Schwarzenberg. Fr. 2,50.
Briefkasten.
An sämmtliche Herren Collegen. Diejenigen Herren Collegen, die die „Ueberaicht der
Trauungen, Geburten und Sterbefälle in der Schweiz 1876“ zum Jahrgang 1876 des „Correspondenz-
Blattes“ binden lassen wollen, ersuchen wir um ein wenig Geduld, das noch fehlende 4. Quartalheft
ist uns vom statistischen Bureau noch nicht zugestellt Die Voten in Sachen Impfung haben wir
mit dem 12. Januar abgeschlossen, nachdem 84.8 % der Karten beantwortet eingelaufen waren. Die
nähere Statistik folgt in Nr. 3. Herrn Dr. Schnyder: Nehmen Sie unsern besten Dank für Ihre in¬
teressanten Briefe und bewahren Sie uns auch in Rom das freundliche Interesse an unserm Blatte.
Herren Dr. Sonderegger,. St Gallen; Prof. 0. Wyss, Zürich; Dr. Gelpke, Haag; Dr. Müller , Apo¬
theker, Bern; Dr. Cattani, Engelberg; Dr. F. Borei, Neuchätel: mit bestem Danke erhalten.
Für Militärärzte.
Für den Unterricht des Sanitätspersonals bedürfen wir noch wenigstens 2 Sanitäts-
instrnktoren I. Klasse.
Bewerber um diese Stellen werden vorläufig als Instruktor-Aspiranten verwendet
(Taggeld Fr. 10) und haben zunächst die Sanitäts-Instruktorenschule in Zürich vom
26. Februar bis 10. März mitzumachen. Die definitive Anstellung mit einer jährlichen
Minimalbesoldung von Fr. 4000 erfolgt bei befriedigenden Leistungen voraussichtlich in
der zweiten Jahreshälfte.
Jüngere Militärärzte, welche wenigstens zweier Landessprachen mächtig sind und sich
dieser Laufbahn zu widmen gedenken, haben sich bis spätestens den 10. Februar beim
Unterzeichneten schriftlich anzumelden. [H-158-Q]
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PriTitdocaat ln Basel.
Dr. A. Baader
ln Gelterkinden.
N? 3. "VII. Jahrg. 1877. 1. Februar.
iHfcalt: 1> Original »Tb*iten: Dr. Alb. BurckharcU-Meria*: Zusammenstellung der Voten der simmtlicben legitimen
Scbweizer-Aerxte Impfung betreffend. — A. Baader: Zur Aetiologie des Erysipele. — Otto Otlpke: Deber Darminfection. (Schluss.)
— 2) Verein«berichte: Society mddicale neuch&teloise. — 3) Referate und Kritiken: Ltubt: Krankheiten des
lfagens. — Dr. A. Trtichler: Die Verhütung der Kurzsichtigkeit durch Reform der Schulen im Geiste Pestalozzi’«. — 4) Kan¬
tonale Correspondensen: Basel. — 5) Wochenbericht. — 6) Feuilleton. — 7) Bibliographisches. —
8) Briefkasten.
Original-Arbeiten.
Zusammenstellung der Voten der sämmtlichen legitimen Schweizer-Aerzte
Impfung betreffend,
. mitgetheilt von Dr. Alb. Burckhardt-Merian.
Unter den socialen Tagesfragen, die in neuerer Zeit in der Schweiz in immer
weiteren Kreisen die Gemüther bewegen, drängt sich die über den Nutzen der
obligatorischen Impfung in den Vordergrund. Wenn auch bisher, von
Zeit zu Zeit, eine numerisch sehr minimale Opposition mit einem „Caveant!“ sich
Luft gemacht; eine Organisation der Impfgegner fehlte bisher. Erst die vielbe¬
sprochenen Erlasse des Herrn Oberfeldarztes in Sachen Revaccination der
Militärs, die mit Strenge diese letztere durchsetzen wollten, riefen einer Oppo¬
sition, die in vielen Cantonen ein günstiges Terrain vorfand, und die Gelegenheit
zu einer Organisation aller mit der Impfung unzufriedenen Elemente darbot.
Unter diesen Verhältnissen fühlte sich die schweizerische Aerzte-Commission
veranlasst, als Vertreter der schweizer Aerzte gegenüber Publicum und Behörden,
in dieser Frage Stellung zu nehmen, und beschloss, eine Stimmabgabe aller legitimen
schweizer Aerzte Impfung betreffend zu veranlassen.
Die betreffenden Fragen wurden in Olten der, behufs statistischer Erhebun¬
gen in Sachen Impfang niedergesetzten, Commission (Präs. Dr. de Welle , Physicus in
Basel) vorgelegt und von derselben gutgeheissen.
Das erste, was nun beschafft werden musste, war ein richtiges Verzeich¬
niss der Adressen der sämmtlichen legitimen Schweizer-
Aerzte. Da bei uns ein officieller Medicinal-Schematismus fehlt, und das dem
Fta/a’schen Medicinal-Kalender beigelegte Aerzte-Verzeichniss zahlreiche Lücken
auf weist, so wendeten wir uns direct an Collegen in den verschiedenen Can-
5
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60 —
tonen, und erhielten in wenigen Tagen die gewünschten Adressen. Einzig von
Genf waren dieselben trotz mehrfacher Bemühungen des Herrn Prof. Dunant nicht
erhältlich, hingegen besorgte schliesslich das dortige Polizei-Departement die Ver¬
sendung der eingesandten Karten an die Aerzte dieses Cantons. Wir waren somit
bestrebt, nach bestem Wissen sämmtliche Aerzte zu dieser Stimmabgabe heran
zu ziehen.
Eine Uebersetzung des Circulars und der Stimmkarten in’s Französische be¬
sorgte mit verdankenswerther Bereitwilligkeit Herr Dr. Ladame in Locle, von einer
italienischen Uebersetzung nahmen wir aus finanziellen Gründen Umgang und sand¬
ten in’8 Tessin französische Karten.
In der zweiten Woche Decembers wurden an sämmtliche Aerzte Correspon-
denzkarten versandt, denen die folgende Einladung beigelegt war:
„Verehrter Herr Collega 1 Wir haben zu gewärtigen, dass in nächster Zeit vor
unsern Eidgenöss. Behörden die Frage der Schutzpockenimpfung und der Antrag,
den Impfzwang aufzuheben, zur Discussion gelangen wird.
Selbstverständlich dürfen und wollen wir in einer so tief in die öffentliche
Gesundheitspflege eingreifenden und so leidenschaftlich besprochenen Angelegenheit
nicht eine Aerzte-Commission noch auch eine Aerzte-Versammlung als Sprecher
für alle Schweizerärzte betrachten; wir müssen vielmehr auf dem Wege schrift¬
licher Votation eine grosse und allgemeine Schweizerische Aerztegemeinde abhalten
und bitten Sie desswegen angelegentlich, die beigelegten Fragen durch Ihre Er¬
klärung : ja oder nein, und durch Ihre Unterschrift zu beantworten.
In hochachtungsvoller Begrüssung für die Schweizerische Aerzte-Commission
der Präsident: Dr. Sonderegger. Der Schriftführer: Dr. Burckhardt-Merian .“
Folgende Fragen waren auf die Rückseite der, mit gedruckter Adresse und
Francatur versehenen Karten angebracht:
1. Sind Sie nach Ihren Erfahrungen der Ansicht, dass eine erfolgreich aus -
geführte Vaccination vor ächten Pocken oder wenigstens vor den schwerem For¬
men derselben auf eine längere Reihe von Jahren schützt ?
2. Werden Sie daher die Impfung gesunder Kinder empfehlen?
3. Werden Sie auch die Re vaccination empfehlen?
4. Halten Sie dafür, dass die Impfung mit retrovaccinirter Kuh- oder Farren-
lymphe solche Vortheile bietet, dass ihre Anwendung möglichst allgemein anzu¬
streben wäre ?
5. Sind Sie für Aufrechterhaltung der obligatorischen Impfung?
Vier Wochen später (den 12. Januar) wurde mit der Annahme der Antwor¬
ten abgeschlossen.
Von den 1376 versandten Stimmkarten kamen nun bis 12. Januar 1168 oder
84.8% beantwortet zurück, oder von 1000 Aerzten haben 848 uns eine Antwort
gemacht. Die eingelaufenen Antworten sind nun in folgender Tabelle *) zusam¬
mengestellt :
*) Diese tabellarische Zusammenstellung haben wir gemeinsam mit Herrn Alt-Rathsherr Dr.
F. Müller in Basel ausgeführt und controllirt, für dessen freundliche Unterstützung wir hiemit
demselben unsern besten Dank sagen.
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der Impfung.
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Vortheile der
Farrenlymphe.
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Zwangsweise
Impfung.
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—
—
7
Baselstadt . . .
59
51
48
1
2
49
47
2
2
37
2
12
mw
7
4
51
Baselland . . .
23
Kt
—
—
20
19
1
—
19
—
1
17
3
—
20
Bern.
180
147
137
4
6
137
9
1
135
2
95
27
25
127
19
1
147
Freiburg ....
31
29
29
—
*™
29
—
1
—
17
m
4
25
3
1
29
Genf.
82
58
58
—
_
58
—
—
52
6
—
18
28
12
43
15
—
58
Glarus.
28
23
21
2
—
21
2
—
21
2
—
16
3
4
19
4
—
23
Graubünden . .
54
44
44
—
—
Kl
1
—
41
2
1
31
5
8
KTi]
2
2
44
Luzern.
72
63
61
1
1
61
—
2
1
2
44
6
13
55
8
—
63
Neuenburg. . .
51
47
42
2
3
43
2
2
42
3
2
23
12
12
41
5
1
47
St. Gallen . . .
118
103
98
1
4
98
1
4
92
8
3
ES
16
17
89
12
2
103
Schaffhausen .
26
23
22
1
—
23
—
—
23
—
—
16
4
3
22
1
—
23
Schwyz ....
26
24
24
—
—
24
—
—
22
2
—
14
3
7
4
—
2-4
Solothurn . . .
26
24
21
1
2
21
1
2
21
1
2
19
2
3
2
2
24
Tessin.
58
40
38
1
1
38
1
1
37
2
1
28
9
3
34
5
1
40
Thurgau ....
Obwalden . . .
m
46
42
2
2
44
2
—
44
2
—
35
5
6
KT»
5
1
46
8
8
8
—
—
8
—
—
8
H
S
8
—
—
7
1
—
8
Nidwalden. . .
8
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6
1
—
6
1
—
6
■
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4
2
1
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1
—
7
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7
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6
—
—
6
—
—
5
■
■
4
1
1
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1
1
6
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99
89
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1
—
88
1
—
32
46
11
74
12
2
89
Wallis.
25
22
21
—
1
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—
—
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12
6
4
19
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—
22
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mi
EE
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4
1
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23
27
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m
2
176
Zu «.
16
15
15
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15
—
—
13
2
—
10
1
4
13
i
1
15
TOTAL . .
1376
1168
1122
1128
25
15
1083
60
Eg
EET1
213
184
133
25
1168
oder in % • •
oder auf 1000
i
96. 0
jj
96. B
2-,
92. 7
5-t
1
m
m
11 4
2-,
84.«
Aerzte circa
E
848
960
19
21
965
21
13
927
51
21
660
182
157
864
114] 21
848
Eine grosse Reihe von Karten kam mit Bemerkungen und Anmerkungen ver¬
sehen in unsere Hände zurück, ebenso begleiteten 13 Collegen ihre Stimmkarten
mit kürzeren oder längeren Zuschriften, so dass eine genauere Durchsicht uns sehr
interessanten Aufschluss über die Ansichten pro und contra eröffnete.
Wir wollen nun versuchen, ein kurzes R6sum6 dieser Bemerkungen hier zu-
s&mmenzustellen.
Das Fragenschema selbst wurde von einigen Collegen getadelt, die noch die
beobachteten Nachtheile der Impfung gerne darin gesehen hätten. Es schien uns
aber gerade diese Frage hieher nicht zu passen, indem eine Gegenüberstellung
der „Ja“ und „Nein“ unrichtig erscheint, wenn nicht die betreffenden Aerzte über
ein annähernd gleich grosses Quantum von Impfungen verfügten. Ebenso lassen
sich diese Fragen nicht einfach mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten, sondern eine
Beschreibung und Aufzählung der beobachteten Fälle wäre zur Verwerthung des
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Materials durchaus unerlässlich gewesen. Zudem fallt diese Frage gerade in den
Rayon der Thätigkeit der Impfcommission, so dass die Collegen Gelegenheit fin¬
den werden, ihre diesfallsigen Beobachtungen an massgebender Stelle bekannt zu
machen. Ein anderer College schreibt: „Ich halte diese Abstimmung für inoppor¬
tun, da man die Stimmen in solchen Fragen wägen, nicht zählen soll.“
Herrn Dr. Ebersold in Interlaken gebührt das zweifelhafte Verdienst, der Ein¬
zige zu sein, der seinen Collegen den Vorwurf in’s Gesicht schleudert, dass
Mancher aus öconomischen Gründen gegen seine Ueberzeugung die Impfung em¬
pfehle !
Werfen wir nun einen Blick auf die, die fünf Voten begleitenden Bemer¬
kungen.
Frage I. (Nutzen der Impfung.)
Diese Frage ist von 22 Aerzten verneint und von 24 unentschieden gelassen
worden, während 1122 sie bejaht haben. — Unter den directen Gegnern heben wir
vor allen zwei hervor, Dr. Zopfy in Schwanden, der schreibt: „Ich habe eine 47jäh-
rige Erfahrung, die mir den Beweis leistet, dass die Impfung schädlich und ver¬
unreinigend auf den Menschen wirkt; kenne aber Arzneistoffe, die die beginnende
Pockenkrankheit in 48 Stunden sicher curirt, und so ist diese Krankheit keine ge¬
fährliche mehr.“ Hoffentlich rückt Herr Dr. Zopfy mit diesen Mitteln heraus, denn
wenn er kein Freund der Impfung, so wird er um so mehr ein Freund der Aus¬
rottung der Pocken sein. — Ferner schreibt Jost Wyss , Arzt in Breitenbach (Solo¬
thurn) : „Nach meiner 50jährigen Praxis bin ich zur Ueberzeugung gelangt, dass
der gegenwärtige Impfzwang mehr Schaden als Nutzen für die Menschheit hat“,
und er verneint die sämmtlichen Fragen.
Dem gegenüber citiren wir den hochverdienten Nestor der Schweizer-Aerzte
Dr. J. R. Schneider (Bern), der schreibt: „Ich habe die Fragen 1, 2, 3 und 5 im
Jahre 1824 in einer gekrönten Preisschrift bejaht und bestätige sie heute nach
52jähriger Erfahrung. Dr. Steiner (Winterthur) stützt sein „Ja“ auf 28,000 in amt¬
licher Stellung ausgeführte Impfungen, Dr. Nicati (Aubonne) auf 55jährige Impf-
thätigkeit, Dr. Rapin (Grandson) auf 52jährige. Dr. Rickenback (Arth) stützt sein
„Ja“ auf 50jährige, Dr. Wyberl (Basel) auf 47jährige, Dr. Walker (Rodersdorf) auf
44jährige, Dr. Hunkeler (Altishofen) und Dr. Grob (Cham) auf 40jährige, Dr. Gerig
(Weggis) auf 39jährige, Dr. Gaudart (Riggisberg) auf 30jährige Praxis, Dr. Weber
(Dombresson) auf 29jährige Praxis und skeptische Beobachtung an über 2000 Ge¬
impften und Revaccinirten etc. etc.
Die Unentschiedenen nun Hessen zum Theil einfach „Ja“ und „Nein“ stehen,
ohne specielle Gründe hiefür anzugeben, Andere stützten die Nichtbeantwortung
auf die Bemerkung, dass ihnen hierin persönliche Erfahrung mangle, und
Andere wieder bemerken: „Keine eigene Erfahrung, daher einstweilen zweifel¬
haft“, oder: „Ich halte diesen Schluss für sehr zweifelhaft, die Frage noch fer¬
nerer grösserer Untersuchungen bedürftig“ (Dr. Schddler , Bern) und „Schutz nicht
sicher, Impfung nicht ohne Gefahr“ (Dr. Bruckner , Basel).
Vollständig unklar ist uns das Votum von Dr. Jf. in Vivis, der sämmtliche
Fragen verneinend die folgende Bemerkung beifügt: „Le grand avantage de la vac-
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69
cin&tion c’est la dömocratisation du sang (sic); il faut que pas un citoyen n’ait un
meilleur sang qu’un Stämpfli, Schenk, Philippin ou Scherer et tutti quanti.“
Einige Collegen haben nun die Gelegenheit benutzt, Erfahrungen mitzutheilen,
von denen wir folgende zur Kenntnies bringen.
Dr. Weber in Alveneu schreibt: „Der Bezirk Albula (Graubünden) umfasst
eine Einwohnerzahl von 6434 Seelen. Seit einigen Jahren Physicus und Bezirks¬
arzt resp. Impfarzt dieses Kreises konnte ich bis zur Evidenz constatiren, dass die
hier vorgekommenen Blatternfälle sämmtlich bei Nichtgeimpften auftraten
oder bei solchen, wo in den Tabellen die Impfung ohne Frfolg angegeben
war. Bei Geimpften traten höchstens Varioloiden auf. Von einer strengen Abson¬
derung nnd Sperrung kann in den meisten Fällen keine Rede sein, da eben be¬
sonders im Winter geeignete Locale fehlen. — Beschaffung guter Lymphe sollte
man sich angelegen sein lassen, und dürfte ich Schaffhausen empfehlen.“
Dr. OHcel in Genf bemerkt Folgendes: „Dans une grave 6pid6mie de variole,
rägnant k Gen&ve en 1858—69 j’ai traitö k l’Höpital cantonal 253 cas, et proba-
blement, k peu pr&s autant dans ma client&le particuli&re. — J’ai not6 dans mon
rapport (Rapport de l’Höpital cantonal 1858) qu’un grand nombre de ceux qui ont
succombö n’avaient pas 4t4 vaccinds, et que parmi nos malades il n’y en avait
pas de revaccin^s.
D’autre part j’ai op6rö en 1858—59, soit pour le public, soit dans ma clien-
t&le particuliäre 1200 vaccinations ou revaccinations (environ 200 vaccinations et
1000 revaccinations) et je n’ai pas appris que parmi ces 1200 cas, il y ait eu des
cas de variole pendant cette 4pid4mie. —
Moi-möme, vaccinä dans ma premi&re ann4e, j’ai pris k 21 ans la variole dans
un höpital de varioleux de Paris, pendant une forte öpiddmie (1842 —43) et j’ai 6tö
t r k s peu atteint“
Dr. Budberg in Montreux macht auf die folgende englische Beobachtung auf¬
merksam: „Nach den officfellen Berichten starben in einer Woche an Pocken
Kinder von 1—5 Jahren in London: von 31,360 ungeimpften: 35, von 317,081 ge¬
impften : 1. Das einzige an Pocken gestorbene geimpfte Kind war am 3. Novem¬
ber d. J. geimpft worden, mit Erfolg; aber schon am 11. November brachen die
Pocken an dem Kinde aus, so dass selbst dieser Fall wahrscheinlich zu den un-
geimpft inficirten gehört, und wohl einige Tage vor dem Impfact schon inficirt
worden war. (Medical Times & Gazette 9. XIL 1876 pag. 659.)
Frage II. (Kinderimpfang.)
Diese Frage wurde von 25 Aerzten verneint, von 15 unentschieden gelassen,
von 1128 bejaht
Es ist natürlich, dass die Gegner der Impfung consequenter Weise auch die
Kinderimpfung nicht empfehlen; dass wir hier auf drei „Nein“ mehr stossen, wie
bei Frage I, findet soine Erklärung in den Bemerkungen: „Nutzen der Impfung
fraglich, daher vorderhand bei Frage II nein“. Umgekehrt haben 6 Stimmende
den Nutzen der Impfung noch in suspenso gelassen und trotzdem die Kinderimpfung
empfohlen.
Von gefallenen Bemerkungen heben wir die folgenden hervor: „Die Kinder-
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70
lymphe muss sorgfältiger, wie bisher, ausgewählt werden“ (Dr. Dula , Luzern). „Die
Lymphe muss von durchaus gesunden Kindern genommen werden, was bisher bei
dem üblichen Vorgehen der amtlichen Impfungen nicht der Fall war“ (Dr. Reiser ,
Zürich). Die Kinderimpfung nur mit Kuhlymphe wünscht Dr. Goldschtnid in Fehr-
altdorf.
Betreffs des Zeitpuncts der Kinderimpfung warnt Dr. Rauch (Romont) vor den
zu frühen Impfungen; Dr. Ineichen (Eglisau) will erst nach der ersten Dentition,
Dr. Thut (Ob. Entfelden) nach dem dritten Altersjahre impfen.
Beachtenswerth und uns neu ist die Bemerkung von Dr. Beck in Heiden: „Es
gibt Kinderkrankheiten, so z. B. Scropheln, wo in Folge der Impfreaction Hei¬
lurig erfolgt.“
Frage III. (Revaccination.)
Diese Frage wurde von 60 Aerzten verneint, von 25 unentschieden gelassen,
von 1083 bejaht.
Mehrere, vielleicht die meisten der Gollegen, die mit „Nein“ votirten, wollten
damit ihre Abneigung gegen die obligatorischen Militär-Revaccinationen ausdrücken.
Die Bemerkung: „Sans abus militaires, qui fatiguent et discrdditent la vaccination“
(ßwma«, Freiburg) dürfte diesen in ähnlicher Weise von mehreren Votanten ein¬
genommenen Standpunct am besten kennzeichnen.
Zwei Collegen wollen nur bei Epidemien revacciniren (Dr. Thut , Ob. Entfel¬
den und Dr. Boner , Reichenau), einer nur einmal in der Pubertätsperiode (zwischen
dem 15. und 18. Jahre) Dr. Wälder , Wängi), einer alle 10 Jahre (Dr. Archoff\ Bern).
Nur von Arm zu Arm wollen vier, nur mit Kuhlymphe zwei Collegen die Revac-
cinationen ausgeführt wissen.
Mehrere schlagen vor, dass die Revaccinationen staatlich und gratis ausgeführt
werden. Dr. Hdnggi (Thun) macht die Bemerkung: „Der Staat soll, um schlimmen
Folgen der Impfung vorzubeugen, den Impfärzten jeweilen den Impfstoff von Kuh¬
oder Farrenlymphe verabfolgen. Wer Pflichten schafft hierin, soll auch die Ver¬
antwortlichkeit übernehmen.“ (Schluss folgt.)
Zur Aetiologie des Erysipels.
Vortrag, gehalten in der Sitzung der medic. Section der Schweiz, naturf. Versamm¬
lung zu Basel von A. Baader.
Das Studium des cumulativen Vorkommens derselben Krankheitsform, sei sie
nun eine epidemische, sei sie eine sporadische, ist in mancher Hinsicht nirgends
so lohnend, als in der Landpraxis; denn hier sind die Verhältnisse so gegeben,
dass sich die vielfachen Communicationen des lebenden und des todten Materiales
mit überzeugender Sicherheit controliren .lassen. Der Arzt kennt die Oertlichkeit
genau und ebenso das gesammte agirende Personal; er kann zudem alle Muta¬
tionen, die hier eben doch seltener, einfacher und ostensibler sind als in der Stadt,
besser überwachen und ermitteln.
Rechnen wir noch hinzu, dass der Landarzt in der Regel einzelne Districte
allein besorgt, so wird auch dadurch wieder sein Beweismaterial completer.
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71
Ich erlaube mir hier nebenbei die Bemerkung, dass man sich bei der Erui-
rung derartiger Verhältnisse davor hüten muss, nach und nach in die Leute hin¬
ein zu fragen, was man gerne als Antwort heraus tönen hört. Das geschieht
leichter, als man a priori glaubt.
Was ist nun eine Epidemie ? Wenn der Name „Epidemie“ für jedes cumu-
lirte Auftreten derselben Krankheitsform in einem gewissen Zeiträume gebraucht
wird, so kann unter dem Einflüsse aussergewohnlicher Verhältnisse schliesslich
fast jede Krankheit zu den epidemischen gezählt werden: auch die traumatischen
Verletzungen — in Hellicon erkrankten durch den Einsturz des Treppenhauses der
Schule am Weihnachtsabend 1875 in 1 Stunde mindestens 5% der Bevölkerung „epide¬
misch“ anFracturen. Durch dieses bizarre Beispiel möchte ich daraufhinweisen, dass
dem cumulirten Vorkommen sporadischer Krankheiten der Name „Epidemie“
nicht zukommt. Zum characteristischen Wesen der Epidemie gehört die Tendenz der
betreffenden Krankheitsform, in der Regel zu gleicher Zeit oder doch iu kürzerer
Frist eine mehr oder weniger zahlreiche Reihe von Individuen zu ergreifen, so
zwar, dass das vereinzelte Vorkommen die seltenere Ausnahme bildet und das
Product prophylactischer Vorkehrungen oder aber des zufälligen Mangels an dis¬
positionsfähigem Personale ist. Die Weiterverbreitung erfolgt durch directe Con-
tagion oder Verschleppung im weitesten Sinne des Wortes auf die Weise, dass
specifische, wahrscheinlich lebende Krankheitsbildner, die immer nur dieselbe Krank¬
heit erzeugen, die Infection bewirken.
Das ausnahmsweise gehäufte Vorkommen jener Krankheiten dagegen, die in der
Regel nur vereinzelt auftreten und weder direct durch Ansteckung noch durch Ver¬
schleppung sich weiterverbreiten, hängt von denselben, uns theilweise unbekannten,
tellurischen und anderweitigen Einflüssen ab, die sie überhaupt erzeugen, nur dass
eben bei dem cumulativen Auftreten diese schädlichen Factoren in erhöhter Po¬
tenz auf eine Anzahl dispositionsfähiger Individuen eingewirkt haben.
Ich erinnere hier an die schon oft constatirte rasche Ausbreitung der Pneu¬
monie, des catarrhalischen Icterus, der Angina u. s. w. Es ist möglich, aber
zur Zeit nicht nachgewiesen, dass auch diese Krankheiten durch das Eindringen
lebender Krankheitsbildner in den menschlichen Organismus entstehen; doch kann
ihre Einwirkung keine so specifisch ausgeprägte sein, wie es jene ist, welche die
Epidemien erzeugt.
Das zahlreichere Vorkommen des Erysipels in beschränkter Zeit und auf en¬
gerem Raume reiht also nach meiner Meinung den Rothlauf noch nicht zu den
epidemischen Krankheiten ein, so wenig als das oft genug beobachtete gehäufte
Auftreten syphilitischer Krankheiten nach Kriegszügen, Festlichkeiten u. s. w. die
Syphilis, also eine direct übertragbare Erkrankung, zu einer epidemischen Krank¬
heitsform stempelt. '
Es handelt sich nun vor Allem darum, festzustellen, was überhaupt Erysipel
sei. Auch da herrscht grosse Meinungsdifferenz. Während die Franzosen ein Ery¬
sipele chirurgicale et mädicale unterscheiden und zu jenem die Formen rechnen,
welche nach Wunden jeder Art auftreten, zu diesem dagegen das sogenannte ex-
anthematische, das legitime ( Velpeau ), scheinbar ohne nachweisbare äussere
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Verletzung entstandene eintheilen, zählt die grosse Mehrzahl der englischen und
amerikanischen Schriftsteller unter dem Namen „Erysipelas“ alle rasch von einer
Stelle aus über grössere oder kleinere Strecken der äussern Decken sich ausbrei¬
tenden Entzündungen der Haut und des Unterhautzellgewebes zusammen, so dass also
hier von unserm Erythem bis zur diffusen Phlegmone und dem acutpurulenten
Oedem ( Pirogoff\ der gangr&ne foudroyante Maisonneuve' s) Alles zusammen gerech¬
net wird. Virchow und Waldeyer nennen zudem jede Eiterung eine erysipela-
töse, „wenn sie rasch nach Art der Ausbreitung des Erysipels vorschreitet“, so
dass also die meisten Fälle von Puerperalfieber nichts wären, als ein von kleinen
Verletzungen der Geburtswege entstandenes, auf das Peritonseum und das retro-
peritonäale Zellgewebe fortgewandertes Erysipel. Erichten geht noch weiter und
hat beispielsweise die Panaritien einfach für Erysipele der Finger, die meisten An¬
ginen für Erysipele des Rachens erklärt.
Ein solches Vorgehen öffnet nur einem ebenso zwecklosen, als völlig unberech¬
tigten Wirrwarr die Pforten.
Nach den sehr schönen pathologisch-anatomischen Untersuchungen VolkmamC s,
dessen hervorragende Abhandlung über das Erysipel mir zur besten Quelle diente,
und Sieudener 's tritt „neben der starken Dilatation und Füllung der Blutgefässe und
der starken Aufquellung der Cutis noch eine acute massenhafte Auswanderung
weisser Blutkörperchen ein, so dass Cutis und subcutanes Zellgewebe eine exqui¬
site kleinzellige (plastische) Infiltration erfahren“ und zwar namentlich in den tief¬
sten Schichten der Cutis. Die Charakterzüge des klinischen Bildes sind (Volkmann) :
die rapide Ausbreitung in die Fläche, das begleitende Infectionsfieber und der
Ausgang in Zertheilung id est der schnellen Heilung ohne bleibende Störung. Das
Erysipel kann natürlich unter ungünstigen Verhältnissen auch zu Eiterung und zu
Gangrän führen. Es ist das aber die seltenere Ausnahme zum Unterschiede von
den Phlegmonen etc.
In der Regel tritt nun der Rothlauf, welcher Name viel bezeichnender ist als
der nichtssagende „Rose“, sporadisch auf, allein nicht in der exclusiven Weise,
wie wir das beispielsweise bei Perityphlitis, Pericarditis, Meningitis simplex etc.
beobachten; sondern es lassen sich doch in der Regel auf einem zerstreuten Be¬
obachtungsbezirke nach langer Pause einige beinahe gleichzeitig vorkommende
Fälle constatireu, ohne dass jedoch die Häufigkeit irgendwie im Verhältnisse zur
übrigen Morbilität auffällt Es weist das darauf hin, dass irgend ein specieller,
virulenter Factor die geeigneten Individuen traf. Noch mehr geht das hervor aus
dem äusserst heftigen, rapid auftretenden und in keinem Verhältnisse zur localen
Erkrankung stehenden Ergriffensein des Allgemeinbefindens. Das in der Regel zu
beobachtende, sofort äusserst energisch sich einstellende und rapid steigende hohe
Fieber steht mit dem Grade seiner Heftigkeit weder in directem Verhältnisse zur
jeweiligen Ausbreitung der Localisation, noch überhaupt in richtigem Rapporte zur
örtlichen Erkrankung. Es muss also ein Gift, sei es nun eine Pilzform, seien es an¬
derweitige Einflüsse, in jedem speciellen Falle auf den Organismus ein wirken. Es
entsteht dadurch eine Infection, allein ( Volkmann) zunächst nur eine locale,
von der aus dann ungemein rasch die allgemeine Störung, die Infection der ge-
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73
sammten Blutmasse, fortschreitet. Wäre das Verhältniss umgekehrt, so dass
(Schönlein) der Rothlauf our die secundär aufgetretene Localisation der primären
Blutinfection bildete, so bliebe der Grund unerklärt, warum das Erysipel in einer
so grossen Zahl von Fällen (wenn nicht in allen) zu Wunden hinzutritt.
Gerade dieser Umstand war es, der viele Autoren bewog, ein chirurgisches
Erysipel mit Infection durch die Wunde, localer Erkrankung (Rothlauf) und se-
cundärer Alteration des Allgemeinbefindens und ein medicinisches oder spontanes,
legitimes mit primärer Bluterkrankung und secundärer Localisation anzunehmen.
Die kleine Beobachtungsreihe, die ich Ihnen gleich vorführen werde, scheint
mir die Unhaltbarkeit dieser gekünstelten Scheidung, die sich weder theoretisch
begründen, noch in der Praxis aufrecht erhalten lässt, zu beweisen. Es traten alle
meine Erkrankungen bei vorher relativ gesunden, ungeschwächten, also vor Allem
nicht schon fiebernden Individuen ein: der Verlauf war bei allen, denjenigen mit
Wunden nicht ausgeschlossen, ein typisch gleicher.
Der Versuch, den Rothlauf nach Analogie der acuten Exantheme entstehen
zu lassen oder gar den letztem einzureihen ( Schönlein ), musste auch misslingen.
Die Rose unterscheidet sich ja schon durch die grosse Disposition zu Recidiven,
sodann abermals durch ihr Abhängigkeitsverhältniss von äussern Verletzungen und
namentlich auch durch ihr gewöhnlich mehr vereinzeltes Auftreten wesentlich von
jener Krankheitsgruppe.
Welcher Natur die äussern Einflüsse oder die giftigen Stoffe seien, die das
Erysipel hervorrufen, ist noch nicht sicher entschieden. Erst in neuerer Zeit haben
0. Recklinghausen und namentlich Dr. Wladimir Lukomsky den endgültigen Nachweis der
infectiösen Natur der Pathogenese des Erysipeles gefunden zu haben geglaubt.
Vor ihnen war es hauptsächlich Hüter , der wiederholt die durch Einwanderung von
Monaden in die Gewebe bedingte septische Entstehung des Rothlaufes betonte.
Auch Billroth nahm später als Ursache animalische oder vegetabilische Keime an.
Von Recklinghausen fand zuerst bei acut verlaufender Rose „Lymphgefässe und Saft-
kanälchen der Haut an der Grenze der erysipelatösen Affection mit Micrococcen ge¬
füllt“, während mehrere Fälle von älterem Rothlaufe kein Resultat ergaben. Lu¬
komsky setzte nicht nur die pathologisch-anatomischen Untersuchungen specieller
fort, sondern versuchte auch, an exact rasirten Kaninchen Erysipelas (nicht Phleg¬
mone) zu erzeugen und seine Verbreitungswege zu erforschen. Er constatirte:
„erstens, wo der erysipelatöse Process ganz frisch und noch im Vorschreiten
war, fanden sich Micrococcen in grosser Anzahl in den Lymphgefässen und in den
Saftcanälchen; zweitens, wo der Process bereits im Rückgänge . . . sich befand,
waren keine Microooccen anzutreffen. Eine Ausnahme machte das subcutane Ge¬
webe, indem wir in zwei Fällen, wo der Process bereits einige Tage bestanden
batte,.dennoch grosse Mengen von Micrococcen fanden.“ (Das Verschwinden
der Pilze ist wahrscheinlich durch ihre Aufnahme in die Blutbahn, welche sie aus
dem Organismus entfernt und dadurch die Krankheit zum Erlöschen bringt, zu
erklären.) Legte Lukomsky auf Wundflächen faulende, pilzhaltige Stoffe, so ent¬
stand zuerst locale Entzündung, die dann rasch in der Haut sich ausbreitete (Ery¬
sipel). Die Pilze drangen durch die Saftkanäle und Lymphgefässe in das Hautge-
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74
webe ein, wandern auf diesen Bahnen weiter und fanden sich vorzugsweise an den
peripherischen Theilen des Entzündungsherdes, besonders da, wo der entzündliche
Process rasch weiter griff. Im Gegensatz hiezu brachte wohl subcutane Injection
von pilzhaltigen Flüssigkeiten Phlegmone, solche von Leichenfliissigkeit ohne Mi-
crococcen und Bacterien dagegen nur locale Entzündung ohne Tendenz der Wei¬
terverbreitung hervor.
Diese Untersuchungen sind nun allerdings sehr wichtig: fänden sich dieselben
Resultate bei Sectionen von Gesichtserysipel, dem scheinbar keine intra vitam be¬
obachtete Verletzung der Haut vorausging, so wäre dadurch bewiesen, dass eben
doch eine Ljesion der Decken (äussere Haut, Conjunctiva, Nasen- oder Rachen-
Schleimhaut) existirte, da wir nicht annehmen könnten, die Einwanderung habe
durch die unverletzte Haut (oder gar auf dem Wege des Digestions- oder Respi¬
rationsapparates) stattgefunden.
Aber auch dann bleiben der Räthsel viele! Wie macht sich die Infection aus¬
serhalb geschlossener Räume, unter den verschiedenartigsten, oft scheinbar hygiei-
nisch ausgezeichnetsten Verhältnissen der Privatpraxis? Woher kamen die Pilze?
Welchen Weg schlug sie in der später beschriebenen „Epidemie“ (s. v. v.) ein, wo
mit Sicherheit sowohl die Contagion, als die Verschleppung konnte ausgeschlossen
werden, die Krankheit eine in den normalen Verhältnissen lebende Dorfbevölkerung
ergriff und sich scheinbar ganz willkürlich verbreitete?
Ich notiro hier, dass Dr. E. Tiegel durch exacte Untersu¬
chungen an ganz frischen Leichen absolut gesunder Säuge¬
thier e das Vorhandensein der von Billroth Coccobacteria sep-
tica genannten Alge constatirte- Er fand sie (sowie Pilze) in der
Leber, dem Pancreas, der Milz, der Musculatur etc. Diese Pilze und Algen
sollen sich im Blute des lebenden Thieres nicht weiter entwickeln (resp. nicht
Krankheit erregen), weil sie in demselben nicht leben können. Tiegel acceptirt hier¬
über die Erklärung Billroth's : „Die Coccobacteriasporen sind nicht im Stande, die
Eiweisskörper in der Form, in welcher sie sich im lebenden Organismus befinden,
zu assimiliren.“
Wir müssen uns einstweilen hiemit begnügen. (Schluss folgt.)
lieber Darminfection.
Von Otto Gelpke.
(Schluss.)
Die Therapie vermag unsern Fortschritten in der Erkenntniss des Wesens
der Krankheit in der Regel nur langsamer zu folgen. Nehmen wir an, dass eine
abnorme Infection vom Darm aus eine Theilursache des Fiebers beim Typhus ab¬
dominalis ist, so wird uns vor Allem obliegen, dieser abnormen Infection nach
Kräften entgegen zu arbeiten.
Als specifische Mittel, die gegen Typhus abdominalis angewandt werden, an¬
erkennt Liebermeister nur Jod und Calomel als wirklich berechtigt.
Uebermeisler hat über 200 Fälle mit Jod behandelt. Er wandte dabei eine Lö-
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sung von 1 Th. Jod, 2 Th. Jodkalium auf 10 Th. Wasser an und gab alle 2 Stun¬
den 3—4 Tropfen. Jodkalium allein gab er in Dosen von einem Scrupel bis zu
einer Drachme pro die. Es ist dabei keine Steigerung der Diarrhceen und Darm¬
erscheinungen vorgekommen. Jodschnupfen und Jodexantheme wurden dabei keine
beobachtet. Die Temperatur zeigte bei dieser Behandlung keine Abweichung von
der Regel; indessen hat Liebermeister gefunden, dass bei dieser Behandlung in der
Gesammtzahl der Fälle die Mortalität bei gleicher übriger Behandlung eine etwas
geringere war. Freilich ist die Zahl der Fälle eine etwas geringe, um mit Sicher¬
heit entscheiden zu können, ob dem Jod der Rang eines Specificum gegen Typhus
abdominalis mit Recht gebührt. Nachweisbarer momentaner Einfluss auf die ty¬
phöse Erkrankung ist bei der Jodbehandlung nicht zu constatiren.
Der kürzere Verlauf der ganzen Erkrankung spricht dafür, dass durch Jod der
Typhus-Process moderirt wird.
Den gediegensten Ruf in der Behandlung des Abdominal-Typhus hat jeden¬
falls das Calomel. — Liebermeister hat dasselbe in Dosen von 1 Gramm und zwar
so, dass gewöhnlich 3—4 solcher Dosen in 24 Stunden verabreicht wurden, ange¬
wandt. Es steigerte sich dabei anfänglich die Diarrhoe, nach einiger Zeit aber
schien sie geringer zu werden. Wundaffection kam nur dann vor, wenn auch in
den folgenden Tagen noch weitere Dosen gegeben wurden, und nie in dem Grade,
dass dadurch Unannehmlichkeiten entstanden. In den meisten Fällen hat Liebermeister
nach den ersten Dosen ein deutliches, aber vorübergehendes Sinken der Tempera¬
tur nachgewiesen.
Aus einer Zusammenstellung und Vergleichung von mehr als 200 in dieser
Weise behandelten Fällen, die ohne Calomel, aber sonst in gleicher Weise behan¬
delt wurden, hat Liebermeister gefunden, dass bei Calomelbehandlung die Mortali¬
tät eine bedeutend geringere war. Namentlich hat sich herausgestellt, dass
bei frühzeitiger Anwendung auffallend viele Fälle einen abgekürzten Verlauf an-
nahmen.
Fassen wir die Erscheinung bei Calomelbehandlung in Kürze zusammen, so
haben wir zuerst eine Vermehrung und später eine Verminderung der Durchfälle,
zweitens ein constantes, aber vorübergehendes Sinken der Temperatur; des fernem
in sehr vielen Fällen einen abortiven Verlauf; endlich ein seltenes Auftreten der
Salivation.
Am erklärlichsten ist die erste Erscheinung. Calomel als exquisites Laxans
wird den Darminhalt schnell fortschaffen und die darauf folgende Verminderung
der Ausleerungen ist die natürliche Folge der Leere des Darms.
Das Sinken der Temperatur nach Anwendung von Calomel könnte uns in
erster Linie darauf führen, Calomel als specifisches Antipyreticum zu taxiren, und
wir würden in der Folge erlauben, dasselbe auch bei andern fieberhaften Krank¬
heiten, z. B. Pneumonie, anzuwenden. Ich selbst habe die Anwendung des Calomel
bei Pneumonie des öftern versucht, indessen im Verhalten der Temperatur keine
Aenderung wahrgenommen. Ebenso erfolglos habe ich bei Scharlach und Masern
Calomel versucht. Es scheint also die Temperaturverminderung des Calomel bei
Typhus abdominalis nahezu specifisch zu sein.
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Am besten erklärlich scheint mir diese Calomelwirkung, wenn wir an die Mög¬
lichkeit einer abnormen Darminfection denken. Durch die sorgfältige Reinigung
des Darmes durch Calomel werden die vorhandenen Darmgeschwüre desinficirt
und die Resorption von putriden Stoffen momentan unterbrochen. Bei der darauf¬
folgenden zweiten Verunreinigung steigt das Fieber wieder auf die alte Höhe.
Gerade das rasche Wiederansteigen der Temperatur scheint mir ein Beweis für
die Annahme einer blos vorübergehenden mechanischen Wirkung des Calomel
zu sein.
Den so oft beobachteten abortiven Verlauf nach frühzeitiger Verabreichung
von Calomel glaube ich darauf zurückführen zu müssen, dass ein Theil der der
Resorption zugänglichen Stellen Gelegenheit gefunden hat, sich in dieser Zeit
mit Epithel zu überdecken und künftige Resorption unmöglich zu machen.
Salivation nach nicht zu oft wiederholter Anwendung grosser Dosen Calomel
tritt nur selten ein. Die Ursache liegt meines Erachtens darin, dass die Calomel-
Wirkung als Laxans eben eine sehr präcise ist und dass das Mittel gar nicht oder
nur in minimen Quantitäten resorbirt wird. Hätten wir es darauf abgesehen, Ca¬
lomel resorbiren zu lassen, und läge darin die spezifische Wirkung desselben, so
würden wir dasselbe in kleinen Dosen anwenden. Es ist eine oft beobachtete That-
sache, dass nach Anwendung kleiner Dosen wir eher Salivation eintreten sehen,
als umgekehrt. Darin wieder liegt mir der Beweis, dass Calomel nur als reini¬
gendes d. h. desinficirendes Mittel wirkt.
Liebermeister , der sich die Calomel-Wirkung nicht erklären kann, hat darauf
hingewiesen, dass vielleicht der Weg, auf welchem das Typhus-Gift in den Körper
aufgenommen werde, von Einfluss sein könnte; indessen hat er einen Fall beob¬
achtet, wo ein Patient, der wegen Syphilis jeden Morgen und Abend */* Gramm
Calomel erhielt, während der Dauer der Behandlung von einem schweren Typhus
befallen wurde.
Sollten auch andere Mittel den gleichen Dienst zu leisten im Stande sein?
Wenn man eine Darminfection als combinirende Ursache des Fiebers für möglich
hält, glaube ich diese Frage entschieden bejahen zu müssen. Da aber einmal die
Thatsache der günstigen Wirkung des Calomel unleugbar ist, wird es eine Mass-
regel der Klugheit sein, an der Anwendung dieses Mittels fcstzuhalten.
Leidet hat die Anwendung des Calomel ihre strenggezogenen Grenzen, und
wenn uns auch das Auftreten einer geringen Salivation nicht in grosse Verlegen¬
heit bringen kann, so ist dieselbe doch immer eine unerwünschte Zugabe. Wir sind
dadurch genöthigt, die Calomel-Behandlung sofort zu unterbrechen und unsere Auf¬
merksamkeit auf die Salivation zu richten.
Die Wirkung des Calomel ist, wie bereits bemerkt, eine nur vorübergehende.
Wenn aber doch dabei mancher Typhus abortiv verläuft, der bei anderer Behand¬
lung vielleicht zu schweren Erscheinungen, ja zum Tode geführt hätte, so dürfen
wir auf die Calomel-Behandlung mit Recht stolz sein.
Die Möglichkeit, dass Typhusgeschwüre von der Darmluft inficirt werden kön¬
nen, wird mir, obgleich ich den Beweis nicht vollständig zu liefern vermag, wohl
Niemand bestreiten und die Wahrscheinlichkeit, dass wir noch günstigere thera-
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peutische Erfolge erzielen können, liegt nahe genug, um den Versuch zu wagen,
mit andern Abführmitteln die Wirkung des Calomel zu unterstützen und zu ver¬
vollständigen.
Die Auswahl der Abführmittel ist eine grosse; am zweckentsprechendsten schien
mir das in neuerer Zeit mit Recht so beliebt gewordene Hunjadi-Jänos-Wasser. Wenn
wir bis zum neunten oder zwölften Tage getrost Calomel geben können, so darf
man mit einem gewissen Recht annehmen, dass Hunjadi-Jänos ebenso gefahrlos
verabreicht werden kann. Die Gefahr der Darmperforation wird erst in spätem
Krankheitstagen ihre nicht zu unterschätzende Berücksichtigung verdienen, auch
ist es wohl möglich, dass gerade durch die sorgfältige Reinigung des Darmkanals
das Fortschreiten der Entzündung auf die Umgebung und in die Tiefe verhindert
wird. Wenn wir auch durch unsere Therapie gleichsam die Gefahr der Perfora¬
tion provociren, so verhindern wir anderseits das Fortschreiten der Entzündung
in die Tiefe. Da übrigens die Diarrhosen nach Calomel-Gebrauch nnr kurze Zeit
gesteigert sind, so glaube ich, ist die Gefahr der Perforation ein zu sehr gefürch¬
tetes Gespenst.
Sollten nach Gebrauch von Hunjadi-Jänos oder auch andern Abführmitteln
ähnliche Temperaturerniedrigungen Vorkommen, sollte auch da eine grosse Anzahl
von Fällen abortiv verlaufen, so wäre das ein wichtiger Fingerzeig, an der An¬
nahme einer Darminfection festzuhalten.
Es wird nun die Frage in den Vordergrund treten: Können wir mit unsern
antiseptischen Mitteln einen wesentlichen Einfluss auf den Verlauf der Krankheit
erzielen? Die Beantwortung dieser wichtigen Frage ist vor der Hand unmöglich;
die Versuche mit Carbolsäure scheinen eher dagegen zu sprechen.
Vor Allem werden wir unsere Aufmerksamkeit auf möglichste Ruhe und Rein¬
haltung des Darms zu richten haben.
Ich möchte den früher angewandten Entziehungskuren keineswegs das Wort
reden, halte aber auch die jetzige Sitte, dem Kranken so oft als möglich Nahrung
zu reichen, für verwerflich. Dass ein Fieberkranker, der noch dazu gebadet wird,
mehr als ein Anderer Nahrung bedarf, ist leicht begreiflich. Wir werden daher
trachten, die Ernährung des Kranken in Mahlzeiten einzutheilen. Als Getränk
reichen wir dazu einige Tropfen Salzsäure in einem halben Glase Wasser, um
die möglicher Weise sehr geschwächte Verdauung zu unterstützen. Nach einigen
Stunden aber zögern wir nicht länger, das Unresorbirte rasch und vollständig zu
entfernen.
Dass ein solches Verfahren nicht in allen Fällen möglich ist, bin ich vollstän¬
dig überzeugt, und wir werden froh sein, wenn wir einem Typhuskranken, der im
tiefsten Coma darniederliegt, überhaupt etwas beibringen.
Ich bin auch ferne davon, der bisherigen antipyretischen Behandlung ihren
Werth abzusprechen; nur glaube ich, dass eine Dosis Salicylsäure oder Chinin in
der durch die Calomelwirkung hervorgerufenen Diarrhceruhe eine bessere und voll¬
ständigere Wirkung haben wird, als wenn wir dieselben Mittel bei vollem Darm
anwenden.
Es wird uns dieser Vortheil vielleicht so weit bringen, dass wir zur Anwen-
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düng der kalten Vollbäder in seltenen Fällen schreiten müssen. Die kalten Bäder
sind den meisten Kranken äusserst lästig. In der Privatpraxis, im Kriege ist ihre
Anwendung in vielen Fällen unmöglich. Das Publicum hat immer noch, wenn
auch im geringen Grade, einen Widerwillen dagegen. Ieh glaube nicht, dass wir
vor der Hand so weit kommen, dass wir die kalten Bäder entbehren könnten; es
ist schon ein grosser Vortheil, wenn wir ohne Gefahr ihre Zahl vermindern.
Wie jener Weingärtner, der, um den Ertrag seiner Ernte zu schätzen, die¬
jenigen Weinstöcke zählte, die keine Früchte trugen, und dadurch zu einem rich¬
tigen Resultate kam, habe ich mir meine Anschauungen über Typhus bei nicht
eigentlich Typhuskranken gebildet. Man ist zwar heutzutage ziemlich allgemein
von den Diagnosen: Typhoid, Schleim-, Schleichfieber zurückgekommen und hat
diese Art Krankheiten mit dem plausibleren Namen: febriler Magen- und Darm¬
katarrh bezeichnet.
Es ist aus naheliegenden Gründen überaus wichtig, die Diagnose Typhus mög¬
lichst rasch stellen zu können; aber es ist auch viel schwieriger als man bisher
angenommen hat. Aerzte in Typhus-Gegenden kommen leicht in den Fall, jeden
Darmkatarrh, der mit andauerndem Fieber und Milztumor sich äussert, als Typhus
zu taxiren und zu behandeln, und ich bin fest überzeugt, dass sich unter Abortiv¬
typhus und Typhus levissimus eine Menge nicht typhöser Erkrankungen in die
Statistik eingeschlichen hat.
Landärzte, die Typhus mit Wahrscheinlichkeit ausschliessen können, kommen
in Verlegenheit und bleiben die Diagnose sehr oft schuldig.
Die Epidemie in Andelfingen im Ct. Zürich, wo im Jahre 1839 über 500 Per¬
sonen in Folge Genusses von faulem Fleisch an Typhus erkrankt sein sollen, hat
sich nach Liebermeister nicht als Typhusepidemie erwiesen. Eine Trichinenvergiftung,
auf die namentlich Küchenmeister aufmerksam machte, war ebenfalls nicht nachweis¬
bar ; die Annahme einer Fleischvergiftung, wie sie von Lebert und R.. Köhler gemacht
wurde, kann ich natürlich nicht widerlegen; aber gerade die grosse Aehnlichkeit
der Erkrankung mit Typhus abdominalis bringt mich auf die Vermuthung, dass es
sich möglicherweise auch in diesen Fällen um Lsesionen des Darmrohrs mit Darm-
infection gehandelt hat, Ltesionen, die der Beobachtung bei der Obduction leicht
entgangen sein können.
Wie ich schon früher bemerkt, habe ich in meiner fünfjährigen Praxis keine
Gelegenheit gehabt, Typhus zu beobachten, noch weniger Sectionen zu machen.
Jene Fälle nicht typhöser Erkrankungen aber mit Darminfection kommen nicht
zur Section.
Ebenso wenig, wie ich nun die Darminfection allein als Fieberursache bei Ab¬
dominaltyphus hinstellte, ebenso wenig glaube ich, dass nach dieser Infection jedes¬
mal nothwendig Fieber eintreten muss, sondern ich glaube vielmehr, dass als Folge
derselben zuweilen auffallende Antenne (die sogenannten Schleim- und Schleich¬
fieber) und als höchste Potenz ihrer Wirkung theilweise die schweren Erschei¬
nungen bei spezifischer Typhusinfection aufzufassen seien.
Bei einem Kinde von sechswöchentlichem Alter, das von einem ganz gesunden
Vater und einer nicht weniger kräftig gebauten Mutter abstammte, habe ich kürzlich
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Gelegenheit gehabt, in Frage stehende Darminfection nachzuweisen. Nach einer sehi
beschwerlichen Reise aus dem Traverstbale nach Basel gebar die Mutter das be¬
treffende Kind vier Wochen zu früh und nährte es mit Kuhmilch, die mit etwas
Wasser und Zucker vermischt wurde. Während die ältern Geschwister sehr wohl
genährt waren und von Anfang an sehr kräftig gediehen, nahm das jüngste an
Körpergewicht stetig ab, hatte beständig Diarrhoeen, zuweilen auch Erbrechen.
Da die Leute keinen Arzt consultirten, so konnte dabei nicht nachgewiesen wer¬
den, ob je Fieber vorhanden war. Ich selbst bekam das Kind zum erstenmal zu
Gesicht, als es bereits in der Agonie lag. Die Section, welche eine Stunde nach
dem Tode von mir ausgeführt wurde, hatte folgendes Resultat:
Die kleine Leiche ist im höchsten Grade abgemagert. Panniculus fehlt. Mus-
culatur schwach entwickelt, grauroth. Abdomen tympanitisch gespannt. Haut blass,
runzelig. In der Bauchhöhle keine Flüssigkeit. Gedärme stark mit Gas gefüllt.
Sämmtliche Mesenterialdrüsen, sowie die Retropcritonealdrüsen vergrössert ,
variirend zwischen Hirsekorn- und Erbsengrösse. Sämmtliche Mesenterialgefässe,
sowie die Darmgefässe stark injicirt, deutlich durchscheinend. Die Milz ist ver¬
grössert, 5,7 cm. lang und 4,3 cm. breit; die grösste Dicke derselben beträgt
2,1 cm. Milz sehr blutreich, Durchschnitt gleichmässig dunkel-kirschroth. Leber
ziemlich stark vergrössert, ebenfalls sehr blutreich, auf dem Durchschnitt dunkel-
braunroth.
Der Darm ist nur wenig gefüllt. Die Schleimhaut blass, etwas oedematös, an
vielen Stellen deutliche hremorrhagische Erosionen sichtbar. Die spärlichen Fce-
calmassen haften an sehr vielen Stellen in kleinen Partien so fest an der Darm¬
wand, dass sie durch Wasser nicht weggespült werden können. Beim Abkratzen
derselben mit dem Nagel wird das gelockerte Darmepithel ebenfalls mit entfernt.
Beide Lungen in allen Partien lufthaltig, nirgends atelectatisch. Der Herz¬
muskel stark contrahirt; in den Pleurahöhlen und im Pericard keine Flüssigkeit.
Mediastinaldrüsen nicht vergrössert.
Versuchen wir nun eine Erklärung des anatomischen Befundes durch die vor¬
angegangene Erkrankung, so scheint mir in erster Linie wichtig, dass die Eltern
des bezüglichen Kindes sehr robuste, gesunde Leute sind, dass ferner die beiden
ältern Kinder wohlgenährt und kräftig sind und nicht die geringsten Spuren von
Scrophulose zeigen.
Die beschwerliche Reise der Mutter aus dem Traversthale nach Basel ist als
die Ursache der Frühgeburt anzusehen. Hierauf kam das Kind sofort in sehr
schlechte Ernährungsverhältnisse. Die Kuhmilch mit etwas Wasser und Zucker
vermischt konnte von dem kindlichen Magen nicht gehörig für die Darmverdauung
vorbereitet werden. Es entstand in Folge davon Magen- und Darmkatarrh, letz¬
terer gedieh so weit, dass die Intima des Darms, von ihrer Epithelschicht theilweise
beraubt, eine abnorme Resorption möglich machte. Die entzündliche Reizung der
nächsten Lymphbahnen, die Injection der Darmgefässe, die Vergrösserung und
Blutüberfüllung der Milz und Leber glaube ich von den secundären Veränderungen
abhängig machen zu müssen. Betrachten wir die Intima des Darmes mit ihren
Drüsengebilden als den ersten Filter, den sämmtliche Nahrungsmittel, die in den
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Körper gelangen, mit einem bestimmten Grade der Vorbereitung passiren müssen,
so kann bei Erkrankung dieser Gebilde die Resorption vollständig aufgehoben sein,
wir werden daher bei einer etwaigen Section bloss Abmagerung, aber keine Schwel¬
lung der Mesenterialdrüsen, keine Blutüberfüllung der Milz und Leber constatiren
können. Es sind das jene Sectionsresultate, wo nach lange dauernden und nicht
zu stillenden Diarrhceen Abmagerung und Siechthum des betreffenden Individuums
folgt, bei der Obduction indessen eine genügende Erklärung für diese Erscheinun¬
gen nicht zu finden ist. Es ist in diesen Fällen das Resorptionsvermögen ganz
oder theilweise zu Grunde gegangen.
Es kann zuweilen ein noch ausgebildeterer Zustand existiren, wo nicht nur
nicht mehr resorbirt wird, sondern wo das Blut durch die Intima durch in das
Darmlumen transsudirt. Verhältnisse, wie sie bei Cholera nostras und Cholera
asiatica' zu constatiren sind. Wir haben in diesen Fällen höchste Abmagerung
und Wassermangel des Körpers.
Es kann in dritter Linie durch Darmerkrankung die Resorption qualitativ und
quantitativ vermehrt sein. Wir werden bei solchen Sectionen Schwellung der
Mesenterialdrüsen, Injection der Gefässe, hypereemische Zustände in Milz und
Leber finden.
Dass diese drei schematischen Zustände in mannigfaltiger Abwechselung neben
einander und bei der nämlichen Erkrankung existiren können, ist selbstverständ¬
lich. Wir werden also, um den ausgesprochenen Fall anzunehmen, bei Cholera
asiatica Darmpartien haben, die normal, solche, die qualitativ abnorm resorbiren,
und wiederum solche, die Blutserum in das Darmlumen transsudiren.
Um wieder auf meinen Sectionsfall zurückzukommen, habe ich bereits bemerkt,
dass der kleine Patient während des Lebens von keinem Arzte untersucht wurde
und dass somit nicht constatirt ist, ob derselbe je Fieber gehabt, oder nicht.
Betrachten wir die leichten Fieber bei Eiterresorption nach Operationen, die wir
mit unsern antiseptischen Verbänden verhindern können, bis hinauf zu den gewal¬
tigen Fieberattaquen der Septiccemie, Pysemie und des Puerperalfiebers, so sehen
wir: je grösser der Zersetzungsgrad des inficirten Stoffes ist, je schwerer werden
die Fiebererscheinungen; es kann uns diese Thatsache wohl zu dem Schlüsse be¬
wegen, dass auch Stoffe unsern Körper inficiren können, die die Regulirung der
Körpertemperatur nicht mehr beeinflussen können, möglicherweise sich aber bei
einer lange andauernden Wirkung als Ansemie und Chlorose geltend machen.
Was wird nun bei einem Ueberlebenden das fernere Schicksal dieser geschwell¬
ten Mesenterialdrüsen, die man jedenfalls nicht als hereditäre Scrophulose bezeich¬
nen kann, sein? Hat die abnorme Darminfection nur kurze Zeit gedauert und ist
durch eine zweckmässige Diät und eine passende Medication der normale Darm¬
zustand wieder hergestellt, so ist wohl kein Grund vorhanden, eine baldige Rück¬
bildung dieser Drüsen nicht anzunehmen. Treten aber diese günstigen Verhält¬
nisse nicht ein, leben die Kranken noch dazu in geschlossenen Kammern und
schlechter Luft, so wird, wie in unserm Falle, der Tod oder dauerndes Siechthum
folgen. Man hat sich in neuerer Zeit mehr und mehr überzeugt, dass weniger
hereditäre Anlage, sondern mehr unsere Erziehung und Lebensweise die Ursache
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der Scrophulose ist, dass wir also unter günstigen Verhältnissen auch den Nach¬
kommen eines Schwindsüchtigen zu einem gesunden, kräftigen Menschen erziehen
können. Ich halte dafür, dass die Darminfection in vielen Fällen als ein wichtiges,
bedingendes Moment zur Entstehung dieser Krankheit angesehen werden muss.
Auch hier wieder begegnen wir dem Calomel als einem Mittel, das durch seine
präcise darmreinigende Wirkung am raschesten und zuverlässigsten wirkt.
V ereinsberieh te.
Soci6t6 mödicale neuchäteloise.
Söance du 12 Fdvrier 1876. Prösidence du Dr. Ladatne.
(Fortaetmng.)
Le Dr. Rouiet prösente le travail suivant sur les corps etrangers du
globe de l’oeil:
„Messieurs! Parmi les affections diverses dont le globe de l’oeil peut 6tre at-
teint, il n’en est peut-ötre aucune oü l’intervention instantanöe, active et raisonnöe
du medecin soit aussi indispensable que celles qui r4sultent d’un traumatisme, sur-
tout lorsque l’agent du traumatisme est restö, en tout ou en partie, dans l’organe
de la vision. C'est pourquoi il m’a paru qu’il serait interessant de venir vous ex-
poser les quelques exp£riences que j’ai pu faire sur ce sujet pendant une pratique
de 8 ann£es, tout en complötant par les observations d’autrui ce que les miennes
peuvent avoir d’imparfait.
Et d’abord, pour limiter notre sujet, je ne m’occuperai ici que des corps 4tran-
gers ayant pöndtrö de l’ext4rieur, soit dans le cul de sac conjonctival, soit dans
la sclörotique ou dans la cornöe, soit dans l’interieur möme du globe oculaire. Je
ne parlerai donc pas d’un corps ötranger tr4s interessant qui arrive dans l’oeil de-
puis l’interieur du corps, h savoir le cysticerque de l’oeil: cet entozoaire n’existe
guöre chez nous, depuis que je pratique k Neuchätel j’en ai observe un seul cas,
et le malade n’a pu se decider ä une Operation. Je laisserai donc absolument de
cöte ce corps etranger lä. — On peut aussi assimiler aux accidents produits par
les corps etrangers du corps vitrö ceux qui sont determines par le cristallin lux4
par une contusion ou par l’operation de l’abai9sement de la cataracte. Cependant,
pour ne pas etendre outre mesure ce travail, je ne m’occuperai pas non plus de
ces cas, moins frequents depuis que la m4thode d’operation de la cataracte par
abaissement a generalement fait place k l’extraction.
Les corps etrangers qui, projetes du dehors, se fixent sur le globe oculaire ou
p4netrent dans sa cavite se rencontrent:
1® sur la conjonctive ou dans la conjonctive,
2° dans la Scierotique,
8° dans la cornde,
4° dans la chambre anterieure ou dans Tiris,
5° dans le cristallin,
6° dans le corps vitrd.
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Nous nous occuperon9 succeasivement de cea diffkrents sikges oü peut Ätre
logk le corps ktranger: en effet les indications du traitement sont foumies avant
tout par ce sikge comme aussi les symptömes varient d’aprks les membranes en
contact avec le corps ktranger.
I. Corps ktrangers de la conjonctive. Ce sont ordinairement des
petits morceaux de charbon, des poussikres minerales ou mktalliques, des petites
graines, des klytres d’insectes, des fktus de paille qui ont ktk projetks entre les
paupikres par le vent ou par un courant d’air. Nous connaissons tous la Sensation
que fait kprouver un moucheron p. ex. qui pknktre dans la fente palpkbrale, jus-
qu’k ce que les larmes l’aient amenk sur la caroncule; figurez-vous cette Sensa¬
tion prolongke pendant un long temps, et vous aurez une idke des symptömes sub-
jectifs que ressent celui qui a un corps ktranger fixk dans le cul de sac conjonc-
tival. Je dis cul de sac conjonctival, ce n’est pas absolument exact: en effet les
poussikres, parcelles de charbon etc. qui pknktrent entre les paupikres vont trks
gknkralement s’arrkter sous la paupikre supkrieure, vers le bord supkrieur du car-
tilage tarse, et non dans le cul de sac mime. Se fichant par leurs angles dans la
conjonctive qui revkt la face postkrieure du cartilage tarse, les mouvements des
paupikres ne les font pas remuer, les larmes ne les entratnent pas et les frot-
tements des mains du malade ne font que les introduire plus profondkment dans
la conjonctive.
Quant aux eignes objectifs, ce sont l’injection kpisclkrale, le larmoiement, par-
fois möme un lkger gonflement de la paupikre. L’injection pkricornkenne est sou-
vent assez intense pour faire croire que le corps ktranger a pknktrk dans la corn4e ;
l’examen k l’4clairage lat4ral d4montre seul qu’il n’en est rien. Si le corps ktran-
ger s4journe trop longtemps dans la conjonctive, il finit par y d4terminer une
inflammation catarrhale plus ou moins aigue.
Pour enlever le corps 4tranger, le plus simple est de se servir d’une petite
curette qui- aide en mime temps k retourner la paupikre supkrieure. Pour cette
petite opkration on saisit de la main gauche les cils de la paupikre supkrieure, on
l’kcarte lkgkrement du globe et on fait basculer le cartilage tarse sur la curette
tenue de la main droite. La face muqueuse de la paupikre ktant ainsi dkcouverte,
le corps ktranger est facilement enlevk par la curette et le malade immkdiatement
soulagk.
Unq pratique populaire consiste k introduire entre les paupikres un o ei 1 d’k —
crevisse qui en passant sous la paupikre supkrieure enlkve quelquefois le corps
ktranger. Malheureusement l’oeil d’kcrevisse ne peut souvent pas ressortir et j’ai
eu dkjk plusieurs fois l’occasion de devoir enlever k la fois et le mal et le prk—
tendu remkde.
Les corps plus allongks qui pknktrent entre les paupikres, tels que brins de
paille, cils etc. vont par contre se loger dans le cul de sac conjonctival supkrieur
oü ils sont bientöt entourks d’une skcrktion muqueuse; s’ils y skjournent plus long¬
temps, la conjonctive se boursoufle k leur pourtour, il se fait möme une prolifk-
ration de cette muqueuse qui se replie plus ou moins pour les enkyster. On a
quelquefois de la peine k les retirer de ces tissus gonflks lorsqu’ils sont dkjk de-
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puis longtemps en place. Dans ce cas il est ndcessaire d’employer de fines pinces
pour les saisir.
II arrive quelquefois d’observer des döcbirures de la conjonctive oculaire par des
esquilles de bois; en g4ndral la corn4e est aussi plus ou moins draillde. Souvent
l'esquille a 4t4 enlev4e, mais il est toujours ndcessaire de s’assurer qu’il n’en est
pas rest4 de d4bris dans la plaie. Cela fait, il est toujours bon, surtout si la scl4-
rotique est quelque peu d4nud4e, de suturer avec un fil de soie les deux lam-
beaux de conjonctive oculaire. Avec une aiguille courbe et des pinces, la petite
Operation se fait trös facilement, mais il faut un aide qui maintienne les paupiöres
4cart4es. — Dans ce cas, un bandage qui protöge l’oeil et maintienne les pau-
piöres au repos est utile pour les premiers jours. A cet effet on applique sur l’oeil
un morceau de linge fin, on remplit l’orbite de petits morceaux de coton card4 ou
de petits plumasseaux de charpie bien 4tag4s, de fa^on k ce que l’oeil soit com-
primö d’une maniöre 4gale. Une fois qu’entre le front et la pommette on ne sent
plus aucun vide, on applique la bande. Celle-ci, en flanelle, de 1,20 m. de long sur
0,05 m. de large doit faire un oblique sur l’oeil et un circulaire autour de la töte.
Pour cela le plein se place sur l’oeil, en biais, de fa$on k ce qu’un chef passe sous
l’oreille du cöt4 malade et l’autre en biais sur le front; les deux chefs ramen6s
sous l’occiput s’y croisent et viennent se fixer en avant sur le front. J’ai cru utile
de ddcrire ici ce bandage si simple et si utile en nombre d’occasions, parce que
j’ai pu m’assurer k mainte reprise que bien des confröres ne l’appliquaient pas
avec touto la möthode ddsirable. C’est le bandage protecteur, le Schutzver¬
band, des oculistes de l’dcole de Graefe.
II. Corps ötrangers de la Scldrotique. Le corps dtranger peut
traverser la conjonctive oculaire et aller se ficher dans la Scldrotique sans la tra-
verser. L’extraction de ces corps n’est pas difficile, et je ne vous en parlerais
que pour mdmoire si je n’avais k vous en donner un exemple qui, je crois, vous in-
töressera:
En Janvier 1869 vint me consulter M. B., äg4 de 78 ans. Il portait k l’angle
interne de l’oeil droit, k 2 millimötres de la corn4e une petite tumeur arrondie,
prösentant au centre un point noirätre et paraissant formte par une prolifdration
de la conjonctive. Des vaisseaux conjonctivaux se ramifiaient sur cette tumeur.
Au dire du malade de temps k autre les vaisseaux devenaicnt plus nombreux, la
tumeur s’enflammait et devenait douleureuse. Jusqu’alors son mödecin lui cautöri-
sait lögörement le petit bouton, comme il l’appelait, avec du nitrate d’ar-
gent. D’aprös le malade, la tumeur datait de 7 ans et il ne pouvait se souvenir
comment eile avait ddbutd. Son mödecin 4tant mort, il venait me prier de pas-
serlapierre sur son bouton. Je lui proposai d’enlever la petite tumeur,
me doutant quelque peu qu’elle renfermait un corps dtranger. En effet, l’ayant
saisie avec des pinces et la coupant avec des ciseaux, ceux-ci furent arrötds par
un corps dur, et je retirai la paillette de fer que je vous präsente. Cette paillette,
de prös de 3 millim. de long sur Va millim. de large ätait fichäe par sa moitiä in-
färieure dans la sclärotique; la moitiä supärieure 4tait libre k l’intärieur d’un petit
kyste formä par une prolifäration de la conjonctive.
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Vous voyez par lk qu’un corp8 dtranger peut s’implanter dans un oeil et y sd-
journer 7 ans sans que le malade s’en doute et sans lui causer de grands incon-
vdnients. Suppo9ez un instant qu’un coup portd sur l’oeil eüt fait pdndtrer ce petit
morceau de fer dan9 le corps ciliaire au-dessus duquel il dtait implantd, l’oeil au-
rait dtd de suite atteint d’accidents graves dont la cause rdelle aurait peut-dtre dtd
mdconnue.
III. Corps dtrangers de la cornde. Ceux-ci sont de beaucoup les
plus nombreux. Ce sont surtout des paillettes de fer, d’acier, de mdtaux divers
que les ouvriers forgerons, serruriers, tourneurs en mdtaux, horlogers etc. regoivent
projetds dans l’oeil pendant leurs travaux. Ce sont encore des dclats de pierre que
re^oivent les tailleurs de pierres, les repiqueurs de meules etc. pendant leur travail.
H est k regretter que l’usage de porter des lunettes k verres plans, ou des lu-
nettes en mica ne soit pas plus rdpandu parmi les ouvriers que leur profession
expose k recevoir des corps dtrangers dans les yeux. Nombreux sont le9 acci-
dents qui proviennent de cette cause, nombreux sont les yeux perdus ou tout au
moins obscurcis par les taies succddant k des Idsions de cette nature. II n’est
presque pas de semaine que des horlogers, ou des serruriers, ou des tailleurs de
pierres ne viennent s’adresser k moi pour des corps dtrangers de la cornde.
Les symptömes provoquds par la prdsence d’un corps dtranger dans la cornde
sont assez analogues k ceux produits par un corps dtranger de la conjonctive,
mais plus intenses. Ndvralgie ciliaire, photophobie, larmoiement, voilk ce dont se
plaignent les malades. Quel que soit le sidge du corps dtranger, vous leur verrez
indiquer du doigt le centre de leur paupidre supdrieure en disant: „C’est 1k qu’il
est, je le sens“. C’est qu’en effet le point douloureux special de la növralgie ci¬
liaire a son si^ge en cet endroit. Les signes objectifs sont l’injection pd —
rikdratique, le corps dtranger lui-m§me et l’dtat de lacor-
nde au voisinage immddiat.
1° Injection pdrikdratique. Celle-ci, surtout lorsque la ldsion est rd-
cente, est plus prononcde dans le voisinage du segment de cornde qui recdle le
corps dtranger. Ceci peut faciliter les recherches lorsque celui-ci est de petite
dimension ou que sa couleur ne fait pas contraste avec la couleur de l’oeil.
2° Le corps dtranger lui-mdme. Souvent on l’aperqoit k premiere
vue, plus souvent encore il faut une certaine recherche pour le trouver. Si l’on
veut avoir des renseignements certains sur sa nature, sa grosseur, sa position et
surtout, chose importante, sur la profondeur ä laquelle il a pdndtrd dans la cornde,
il est absolument ndcessaire d’examiner l’oeil k l’dclairage oblique.
3° L’dtat de la cornde avoisinante. C’est encore l’dclairage oblique
qui nous donnera ici les renseignements les plus certains. Il sera mdme quelque-
fois bon de combiner l’dclairage oblique avec l’examen k la loupe; de petits ddtails
qui auraient dchappd k l’oeil nu se rdvdlent alors k l’examen. Un corps dtranger
ddtcrmine dans la cornde le meme travail pathologique que dans tout autre tissu:
partout les corps dtrangers sont ou dliminds, ou enkystds. Dans la cornde l’dli-
mination est la rdgle: les parties voisines de la blessure et du corps dtranger s’in-
filtrent, les jeunes cellules et les leucocytes y abondent, le tissu de la cornde se
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ramollit et il se forme un petit abc4s autour du corps 4tranger, lequel disparait
entrain4 par le tissu alt4r4; k la place reste un ulc&re de la corn4e d’autant plus
6tendu que l’infiltration aura 4t4 considörable; une fois cicatris4, l’ulc&re a fait
place & une taie ind414bile. Ce processus naturel d’dlimination est plus ou moins
long, plus ou moins accompagn4 d’accidents inflammatoires suivant la nature, la
grosseur et la position du corps 4tranger, suivant aussi la Constitution du malade
et les conditions hygidniques Jans lesquelles il se trouve. Expliquons-nous. Si
le corps dtranger est volumineux, k pointes nombreuses, surtout s’il 4tait tr4s chaud
lorsqu’il a p4n4tr4 dans la corn4e, il aura d4sorganis4 une plus grande masse de
tissus et la r4action qu’il provoquera sera plus intense. Il en sera de m£me s’il
a p4n4tr4 profond4ment; dans ce cas il pourra se produire cons4cutivement une
Perforation de la corn4e: j’en ai observö derni4rement un cas dans lequel derri&re
une petite pierre laissöo depuis un mois dans la corn4e je trouvai une Perforation
& travers laquelle l’iris fit imnVdiatement hernie. Je dus plus tard par une irido-
tomie s4parer l’iris de la corn4e, cette syndchie anVrieure devenant une cause per¬
manente d’irritation pour l’oeil. J’ai dit que la Constitution du malade et les con¬
ditions bygiäniques dans lesquelles il se trouve ne sont pas sans influence sur
l’intensiV de la k4ratite 41iminatrice dont nous parlons ici. En effet, si le malade
est faible, sujet k des troubles digestifs, si tout particuliörement il est atteint de
catarrhe des voies lacrymales, l’infiltration de la cornöe acqudrera de suite une in¬
tensiv et une 4tendue plus consid4rable. Il en est de möme si le malade est dans
de mauvaises conditions hygi4niques quant k la propreV, quant a l’alimentation,
quant au logement. Les plaies de la corn4e, comme toute autre plaie, peuvent
s’infecter par la p4n4tration d’organismes inf4rieurs de la classe des ferments.
C’est ce que les recherches 'microscopiques modernes, celles du Professeur Horner
en particulier, d4montrent sans r4plique. Or nous savons tous que de mauvaises
conditions hygi4niques favorisent singuli4rement l’infection des plaies et le d4ve-
loppement des organismes parasitaires inf4rieurs. C’est donc 1& une cause d’ag-
gravation des plaies corn4ennes, surtout de celles dont un corps 4tranger empäche
la cicatrisation.
Lorsqu’on est en pr4sence d’un corps 4tranger de la corn4e, la premi4re in-
dication k remplir c’est de l’enlever, et de l’enlever compl4tement. Le corps 4tran-
ger une fois loin, plus d’inflammation 41irainatrice, il n’y a plus qu’k plaCer la plaie
dans des conditions favorables pour que la cicatrisation ait lieu immddiatement.
Je vais donc indiquer le proc4d4 que j’emploie pour cette extraction. Lorsque le
corps dtranger est tr4s superficiel et le malade tr4s docile, peu sensible k la dou-
leur, t,r4s maitre de lui, on peut op4rer sans fixation, en tenant les paupi4res 4car-
t4es de la main gauche et en allant ddgager, soulever et enlever le corps dtranger
avec une aiguille k cataracte ou k paracenVse, une grattoir, une petite gouge con-
struite ad hoc ou tel autre instrument auquel on est accoutumd. Ces conditions ne
se rencontrent que dans des cas exceptionnels. Le mieux est de fixer l’oeil du ma¬
lade. Pour cela les pinces de Waldau sont le meilleur instrument. Un aide, ou k
d4faut d’aide, un 4carteur k ressort tiendra les paupi&res 4cart4es. La töte du
malade sera appuyde et maintenue; le malade lui-mlme sera plac4 de fa^on k ce
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que l’oeil atteint regoive le jour de c6t6, afin que l’op&ratear ne soit pas gSn6 par
le reflet de la corn6e. Parfois, aurtout 8i le corp8 6tranger 68t profond et que l’on
puisse craindre l’indocilitö du malade, il sera ndcessaire d’employer le chloroforme.
Quoiqu’il en soit, si la fixation est douloureuse pour le malade, l’opäration en est
considörablement raccourcie par la s6curit6 qu’acquiert l’opdrateur de ne plus voir
l’oeil fuir devant son instrumeut. Si le corps 6lrangcr est profondöment implan t6,
il faut chercher ä le pousser depuia derrtere, pour 6viter de l’enfoncer davan-
tage, peut-ötre meme de le faire p4n4trer dans la chambre ant&rieure. J’ai dit
qu’il failait enlever compUtement le corps dtranger; cela doit 6tre aurtout
observ6 k propos des parcelles de fer qui sont toujours entouröes de rouille. Souvent
on croit avoir tout fait en sortant triomphalement la paillete de fer, mais la rouille
est rest^e et continue ä irriter la corn6e, k empöcher la gu6rison de la plaie. Il
faut cn effet gratter le fond de la plaie avec l’aiguille ou la gouge pour la net-
toyer complötement C’est k cause de cette particularitd que l’&oignement ä l’aido
d’un aimant puissant de parcelles de fer implantöes suporficiellement dans la corn6e,
moyen souvent proposd et meme employ4, n’a pas acquis droit de citd dans la
Chirurgie oculaire. L’Operation une fois termin6e, on s’assurera par l’examen k
l’äclairage oblique, que tout est bien enlevä.
Quant aux cas oü le corps 4tranger, quoiqu’encore implantä dans la corn^e,
a p6n6tr6 par une de ses extrömit^s dans la chambre ant^rieure, ils r^claraent un
procdd6 op^ratoire plus compliqud. L’indication principale ä remplir est d’empöcher
que le corps 4tranger n’aille se perdre dans la chambre antärieure. Pour cela, il
faut avec une aiguille k paracent&se, ou m£me avec une curette introduite k tra¬
vers une ponction de la corn6e, aller se placer derriöre le corps ötranger avant
toute tentative d’extraction. C’est dire qu’il faut disposer d’un aide exercd, soit k
fixer l’oeil, soit k tenir l’aiguille ou la curette.
Quoiqu’il en soit, l’extraction terminäe, le traitement cons^cutif est fort simple.
Si la plaie est superficielle, il suffit de la mettre ä l’abri des influences nuisibles
en recommandant de tenir l’oeil propre, loin de la poussiere et de la fumde, pro-
t6gd k l’aide d’un bandeau flottant. S’il existe un catarrhe des voies lacrymales,
on usera largement de lotions chlordes, on nettoyera möme une ou deux fois par
jour le fond’de la plaie avec de l’eau chlorte pure, et on traitera soigneusement
le dit catarrhe. On s’inqui&tera naturellement de l’gtat g6n£ral du malade et de
ses habitudes pour lui faire quitter tout ce qui pourrait nuire k la guärison de
son oeil.
Si la plaie est plus profonde, il est nöcessaire d’employer, ne füt ce que par
pröcaution, l’atropine en instillations, pour calmer la ndvralgie ciliaire, et surtout
pour mettre au repos les muscles intörieurs de l’oeil (iris et muscle de l’accom-
modation), enfin pour diminuer la pression intraoeulaire et placer ainsi la corn^e
dans des conditions de nutrition plus stables. La guärison de plaies un peu pro-
fondes de la corn^e est aussi assur4e et acc616r6e par l’emploi du bandage pro-
tecteur que j’ai däcrit, il sera bon d’en user toutes les fois que la plaie n’est pas
tout k fait superficielle. Lorsqu’on a dü pdndtrer dans la chambre antärieure, l’em-
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ploi de l’atropiae et du bandage est absolument ndcessaire. Lee deux yeux, dans
ce cas, devront 6tre mis pour quelques jours au repos absolu.
Lorsque j’ai enlevö des paillettes de fer j’emploie volontiers comme^bain ocu-
laire une solution de bicarbonate de soude au 7i 5 ; je fais baigner l’oeil toutes les
heures pendant quelques minutes dans cette solution; je prdtends ainsi dissoudre
les quelques ddbris de rouille qui peuvent avoir 6chapp6 au curage de la plaie:
c’est du moins ma thöorie chimique; en tous cas je n’en ai eu que de bons rdsul-
tats et jamais d’inconvönients. (Schluss folgt)
Referate und Kritiken.
Krankheiten des Magens.
Von Laibe. (Im VII. Baude des Handbuches von Ziemssen) 1876. Verlag von Vogel, Leipzig.
Bisher konnte man in der deutschen Literatur lange nicht eine solch' genügende
Aufklärung über die Krankheiten des Magens finden, wie in der fremden, namentlich in
der englischen. Nun scheint es aber anders zu werden, und sicherlich tragen auch einige
Capitel des uns vorliegenden Buches von Leube das Ihrige hiezu bei. — Nach dem Vor¬
bilde der so geschätzten Monographieen von Brinton, Wilson Fox o. A. beginnt dasselbe
auch mit anatomischen und physiologischen Vorbemerkungen. Vor Allem ist durch das
Citat von Luschka (8. 4.) die immer noch gedankenlos und nahezu allerorts fortgeleierte,
für die Diagnose (namentlich in Betreff des Sitzes der Neubildungen) nichts weniger als
zuträgliche Tradition, es liege der Magenausgang genau in der Medianlinie, endlich
einmal gründlich absolvirt worden. Da die Kenntniss der Physiologie der Verdauung
den besten Blick zu verleihen vermag in das Wesen der Störungen in der Verdauung
sowie über die Mittel zu deren Beseitigung, so sind die S. 10—21 folgenden physiolo¬
gischen Vorbemerkungen als eine wichtige, practisch sehr wohl zu verwerthende Partie
des Buches zu bezeichnen. Man soll ja nicht glauben, so etwas sei übeiflüsBig, weil ja
die Werke über Physiologie zu Gebote stehen; die Auffassung der physiologischen That-
sachen mit dem Auge eines Klinikers hat immer etwas Eigenartiges, sie sind sozusagen
uns practischen Aerzten mundgerechter. Geschweige also, dass ich mir diese Einleitung
rauben liesse, hätte ich sogar gerne gesehen, wenn dieselbe in einer Richtung noch
weiter gegangen wäre, ich meine die Lehre von den Nahrungs- und Genussmitteln,
welche in neuester Zeit durch Voit so grosse Fortschritte gemacht hat. Ohne eine Kennt¬
niss dieses Gegenstandes, welche selbst bis zu der Kochkunst hinaufragt, gibt es heut¬
zutage gar keine genügende Behandlung der Magenkrankheiten mehr. Und wenn ein¬
mal mit dem neuen Fall von Magenfistel (Wiener medic. Wochenschr. 1876. S. 694)
exactere Versuche gemacht werden, dann dürfte es in der diätetischen Richtung
der Magentherapie abermals einen mächtigen Schritt vorwärts gehen, namentlich dürfte
dann sicherlich eine zeitgemässe Renovation der Verdauungsscala von Beaumonl die erste,
längst ersehnte Bescherung sein.
Auf die anatomisch-physiologischen Vorbemerkungen folgt nun in dem Buche un¬
mittelbar die Beschreibung der einzelnen Magenkrankheiten nach ihrem ontologischen
Charakter. Dies überrascht! Man war bisher gewöhnt, zuerst eine Beschreibung der
Symptome entgegen zu nehmen, was schon desshalb nicht ohne Werth ist, weil die
Symptomatologie bei den Magenkrankheiten mehr als bei andern den besten, oft den ein¬
zigen Schlüssel zur Diagnose abzugeben vermag. Das Buch wäre für den practischen
Arzt viel mehr werth gewesen, wenn es vorher die wichtigsten Symptome abge¬
handelt hätte: die Fehler im Appetit, die Magensohmerzen, die Flatulenz, die Stuhl¬
anomalien , das Erbrechen (ist hier bei der Physiologie der Verdauung beschrieben; die
Physiologie hat es doch mehr mit den normalen Vorgängen zu thun und zu diesen ge¬
hört das Erbrechen doch gewiss nicht I). Und namentlich hätte das allerhäufigste Symp¬
tom, die Dyspepsie, eine Besprechung im allgemeinen, einleitenden Theile um so mehr
verdient, da dieselbe ein Symptom verschiedener Krankheiten, nicht bloss des chronischen
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Magenkatarrhs, wo dieselbe nun hingestellt ist, ausmacht. Der Verfasser sagt auch S. 87
selbst: „Dieselbe ist, im weiten Sinne genommen, ein auf alle Magenkrankheiten ausge¬
dehnter Symptomencomplex.“ Wenn also der Verfasser dieser Ueberzeugung gemäss eine
Abhandlung Uber die Dyspepsie in der Einleitung gebracht hätte, so wOrde ihm auch
Gelegenheit geworden sein, die Thatsache einmal in’s verdiente Licht zu setzen, dass die
Dyspepsie nicht immer allein im Magen spielt, dass es vielmehr auch eine Darmdys-
p e p s i e gibt. Es wäre um so verdienstlicher gewesen, auf diesen Gegenstand aufmerk¬
sam zu machen, weil derselbe in der Literatur, namentlich in der vaterländischen, kaum
berührt wird. Mich z. B. machte erstmals im Jahre 1864 ein Aufsatz von Bachelet in der
Union mddic. Nr. 116 darauf aufmerksam. Bachelet nennt dort diese Fälle „Ileo-coecal-
Dyßpepsien“. Und wenn man also die Dyspepsie fUr sich $bhandeln will, so sollte man
dieselbe nicht, wie vor Altem, allein in ihren Molesten beschreiben, sondern es sollte
dieselbe mehr vom chemisch-physiologischen 8tandpuncte aufgefasst, es sollte gezeigt
werden, was Alles vor sich geht, wenn die Verdauung der Ei weisskörper mangelhaft ist,
und was die Folgen sind, wenn es bei den Kohlenhydraten happert 1 Hier also wären
die sehr schönen physiologischen Betrachtungen an ihrem Platze gewesen, welche nun 8.
57—64 unter der Firma des chronischen Magenkatarrhs reisen.
Seite 22 beginnt die eigentliche specielle Pathologie von dem wichtigen, vielge¬
plagten und vielplagenden Organe unseres Leibes. Zuerst natürlich der Magenkatarrh. Die
Nomenclatur anlangend, ist der Ausdruck „Gastritis“ nicht geeignet; unter „Gastritis“
versteht man eine Magenkrankheit, welche mehr oder weniger alle Schichten des Magens
erfasst; einer alleinigen Erkrankung der Schleimhaut gehört hier, wie auch überall
Üblich, der sehr bezeichnende Name „Katarrh“. — Sehr verdienstlich ist, dass der Ver¬
fasser S. 20 die allgemein verbreitete Gedankenlosigkeit zUchtiget, mit welcher man ohne
weiteres jede ganz unbedeutende Verdauungsstörung als Magenkatarrh zu bezeichnen
pflegt. Es muss vor Allem dasjenige Symptom, welches eben in dem griechischen Worte
„Katarrh“ so richtig ausgedrückt ist, vorhanden sein, bevor man an eine derartige Dia¬
gnose denken darf.
Was die Aetiologie anlangt, so will es mich dUnken, als ob das S. 26 Ange¬
gebene schon aus dem Gebiete des chronischen Magenkatarrhs käme. Auch die
Symptomatologie (S. 20) macht einen ähnlichen Eindruck. Die Therapie an¬
langend , so wird, wie man es bisher immer gehalten, mit Recht zuerst an die Entfer¬
nung des bösen Feindes gedacht. Man hätte hiebei erwarten dürfen, dass von den nach
oben ausleerenden Mitteln die Magenpumpe zuerst und eindringlicher, und von den Brech¬
mitteln nur das mechanische genannt worden wäre. Letzteres (Reizung des Gaumens)
schädigt den Magen nicht, wie dies die innerlich dargereichten Brechmittel oft in einem
hohen Grade thun und ist auch immer allein ausreichend ; denn, wo es eines stärkeren
Reizes bedarf, ist überhaupt ein Brechmittel nicht mehr am Platze. — Da in dieser
Krankheit die richtige Diät meistens hinreicht, so sollte man sich mehr über diese Art
der Therapie ausbreiten, man sollte sich nicht damit begnügen, (S. 33) die passenden
Speisen einfach zu nennen, man sollte auch Vorschriften geben über die für solche Fälle
besonders geeignete Art der Zubereitung, über die Quantitäten und über die Intervalle
zwischen den einzelnen Mahlzeiten.
Die Cholera nostras, Ch. neonatorum, Brechruhr (S. 36) sucht gewiss Mancher nicht
unter den Magenkrankheiten, denn obgleich allerdings der Magen dabei mitbetheiligt ist,
so spielt doch sicherlich die Hauptsache im Darmkanal.
Für die phlegmonöse Magenentzündung (8. 43) passt nun der Name „Gastritis“
ebenso gut wie er für den Magenkatarrh nicht passte. Diese äusserst selten vorkora-
mende Krankheit ist hier fast ausführlicher beschrieben als der alltäglich vorkommende
acute Katarrh. Auch die Gastritis toxica wird hier vergeblich gesucht; es ist hierwegen
auf die Werke Uber Toxicologie verwiesen.
Eine der wichtigsten Magenkrankheiten ist bekanntlich der chronische Ka¬
tarrh. Seine Beschreibung beginnt S. 53. 8ehr verdienstlich ißt es, wenn der Verfasser
darauf hinweist, dass man mit der Diagnose des chronischen Magenkatarrhs, dieses
Ueberallundnirgends, dieses Proteus in seinen Erscheinungen, zu freigebig sei. Der wichtigste
Haltpunct für die Diagnose dürfte auch hier (wie beim akuten Katarrh) wieder in Dem¬
jenigen zu suchen sein, was man als besonders bezeichnend für die Erkrankungen der
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Schleimhäute anaieht und was eben den Namen „Katarrh“ so bezeichnend maobt. Das
„Schleimerbrechen“, wie ea der Laie nennt, ist also auch hier wieder das Haupt-Symp¬
tom. Trotzdem und ungeachtet der Verfasser S. 68 selbst sagt, dass dasselbe „ein spe-
ciellea Attribut des chronischen Magenkatarrhs darstellt“, muss man zuerst alle anderen,
minder wichtigen Symptome durchlesen bis dasselbe schliesslich noch kurz abgemacht
wird. Der erste Theil des hier unter Symptomatologie zu Lesenden würde also, wie schon
oben näher dargethan wurde, zu einer im Eingänge verwendbaren Beschreibung der
Dyspepsie besser passen als hicher. Erst der zweite Theil der Symptomatologie, wie er
S. 64 beginnt, erinnert so recht eigentlich an den chronischen Magenkatarrh. Die erste
Hälfte der Therapie (8. 69) spricht von verschiedenen, zum Theil ziemlich altmodischen
Arzneimitteln und verhält sich überhaupt zur zweiten, rein diätetischen, also modern-wissen¬
schaftlichen Hälfte wie ein Frachtfuhrwerk zu einer Eisenbahn.
Die Abhandlung über die Magengeschwüre (8. 81—117) ist mit sichtlicher Vorliebe
geschrieben und in der That, trotz ihrer Kürze, wahrscheinlich das Beste, was die neuere
Literatur über diesen Gegenstand geliefert hat. Man darf wohl sagen, dass diese Ab¬
handlung der berühmten Monographie von Müller und der vortrefflichen Schilderung in
Brinton mindestens ebenbürtig zur Seite steht. Ueber die Therapie dieser Krankheit
hat der Verfasser bereits schon früher einige sehr werthvolle Arbeiten veröffentlicht,
welche nun hier im Zusammenhänge erscheinen.
Die Schilderung des Magenkrebses (8. 120—144) benützt mit Recht vor Allem
die treffliche Arbeit von Waldeyer und die reichen statistischen Aufzeichnungen von Brinton ,
welch 1 Letzterer bekanntlich den Magenkrebs mit Vorliebe studirt hat. Wenn auch nicht
bestritten werden kann , dass der Magenkrebs bei weitem in den meisten Fällen eine
Krankheit des höhern Alters ist, so dürfte doch die Annahme, als komme derselbe in
der Jugend gar nie vor, mit grosser Vorsicht aufzunehmen sein ; ich erinnere mich noch
auB meiner Studienzeit (vor 25 Jahren), wie ein berühmter Kliniker eine Geschwulst in
der Pylorusgegend bei einem 6jährigen Kinde lediglich in Anbetracht des jugendlichen
Alters nicht als Magenkrebs diagnosticirt hat, dio sich dann schliesslich auf dem Leichen¬
tische als ein solcher entpuppte. ULd jetzt könnte ich aus meiner eigenen Praxis manche
Fälle von Magenkrebs erwähnen bei Individuen unter 20 Jahren. Ja ich habe gerade
gegenwärtig leider wieder ein paar derartige jugendliche Magenkrebse in Behandlung,
Fälle, bei welchen die Diagnose bereits eben so sicher gestellt werden kann, wie bei
einer Schwangerschaft, wo man schon den Kindskopf in Händen hat. — Auch ich muss
dem Verfasser beistimraen, wenn er von der Cordurango gar nichts erwartet. Ich habe,
gleich nachdem Friedreich dieses Mittel so warm empfohlen, damit angefarigen zu experi-
mentiren (was thut man nicht Alles in einer solchen Krankheitl) und auch nicht ein
einziges Mal eine Heilwirkung zu beobachten das Glück gehabt; kann nicht einmal die
von Riegel citirte (3. 114) wohlthätige Wirkung auf den Verdauungsprocess bestätigen.
Die M ag e n e r w e ichu n g (8. 144) will hier nun wieder als eine Gasteromalacia
ante mortem aufmarschieren, nachdem sie jahrelang als Leichenphänomen dagestanden ist.
Das wird einen heissen Kampf absetzen mit den pathologischen Anatomen; ich hab’s
schon bei einem gemerkt!
Der Aufsatz über die Magenblutungen (S. 167—180) zeichnet sich durch eine
besonders naturgetreue Art der Darstellung aus, namentlich ist die Aetiologie vortrefflich
aufgefasst. Für’s practische Leben hat die Unterscheidung zwischen Hämoptoe und Hä-
matemesis, wie sie S. 172—173 zu lesen ist, ganz besonderen W r erth.
Bei der Gasteralgia (8. 182—195) ist mir aufgefallen, dass da keine Silbe zu finden
ist von den höchst interessanten und practdsch sehr werthvollen Untersuchungen von Dr.
Chapman , welche doch schon 1863 in der Medic. Times, Septbr. 8th, Nr. 10 mit einem
Artikel über die Seekrankheit in die Oeffentlichkeit gelangt sind. Das grössere Werk
Chapman'B über Neuralgie ist 1873 in London erschienen.
Der Glanzpunct der ganzen Monographie bildet unstreitig die Abhandlung über die
Magenerweiterung. (8. 195 u. f.) Schon die Brochure vom Assistenten des Ver¬
fassers ( Penzoldt , Magenerweiterung, Erlangen 1875) führte in diese Anschauungen ein
und erwarb die allgemeinste Anerkennung. Nur wenn man die S. 71 dieser Brochure
liest, fällt einem immer wieder die Geschichte von den „Novum inventum“ des alten
Wiener Arztes ein. Es war allerdings Auenbrvgger , der die Percussion erfand, allein am
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Die
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Eade hat dooh erst Latnnec dieselbe zu verwerthen verstandeu und erst Skoda hat die
neue Lehre in die alte Heimath verpflanzt. Gerade so verhält es eich nun mit der
Magenpumpe. Es mag der X oder der Y die erste und beste Magenpumpe erfunden
haben — immer bleibt es das Verdienst von Kussmaul, dieselbe in die Magen-Praxis ein-
geführt zu haben. Vor seinem Vortrage in der Naturforscher-Versammlung zu Frankfurt
a. M. (im Jahre 1862) war die Bache Doch so gut wie brachliegend; erst dieser Vortrag
hat der Magenpumpe die ihr gebührende Geltung verschafft — Auch ioh kann nun aus
eigener Erfahrung bestätigen , dass „das regelmässige Auftreten eines laut klatschenden
BchUttelgeräusches bei rasch ausgeführten Rumpfbewegungen“ ein constantes Symptom
der Magenerweiterung ist; ioh führe diese desshnlb hier an, weil dieser Punct bekannt¬
lich von verschiedenen Seiten angezweifelt werden möchte. Dagegen will mir die Ge¬
schichte mit der Sondirung des Magens wegen der damit verbundenen Gefahren noch
immer nicht recht einleuchten. — Zu 8. 215. Auch ich ziehe die Magenpumpe von
Kussmaul den Hebervorrichtungen vor, weil mich letztere manchmal im Stiche gelassen
haben. Ich bemerke dabei gelegentlich auch, dass mir bei den vielen Magenauspumpun¬
gen, welche ich nun seit dem Jahre 1864 vorgenommen habe, die grässliche Geschichte
mit dem „Abreissen eines Stückes Magenschleimhaut“ niemals passirt ist und ich bin
doch gerade so ungeschickt wie andere Menschen. — Die Bemerkung über die Sonden
(S. 218) ist practisch so wichtig, dass man Bie hätte gesperrt drucken sollen ; nur zu
oft werden die Zuwiderhandelnden mit erfolglosen Pumpversuchen gestraft.
Fasse ich nun schliesslich Alles zusammen, was ich bei dem Studium dieses Buches
empfunden, so muss ich gestehen, dass verschiedene Üapitel mir ungemein gefallen haben :
so die Vorbemerkungen aus der Anatomie und Physiologie, die Abhandlungen über die
Magengeschwüre, die Magenblutungen und ganz besonders die Magenerweiterung. Durch
diese Capitel wird das Buch in der That eine sehr werthvolle Bereicherung der Literatur
über die Magenkrankheiten und vermag in manchen Fällen die bekannten Werke von
Bamberger, Henoch, Niemeyer u. A. durch Neuigkeiten zu ergänzen. Wiel.
Die Verhütung der Kurzsichtigkeit durch Reform der Schulen im Geiste Pestalozzi’s
von Dr. A. Treichler. Zürich, C. Schmidt. 2. Aufl. 44 8.
Dasselbe, in 1. Auflage zur Vertheilung an die Lehrer des Kantons Zürich bestimmt,
schildert in gemeinverständlicher, anschaulicher Weise, wie schon in den ersten Classen
der Volksschule durch allzugrosse Anforderungen an den Accommodationsmuskel, durch
schlechte Haltuug, sohlechte Beleuchtung, zu kleine Schrift, unpassende Subsellien, schäd¬
liches Schreibmaterial der Grund zur Kurzsichtigkeit gelegt wird. Alle diese Schädlich¬
keiten müssen so viel möglich gehoben werden, denn „es ist Pflicht der Schulbehörden
dafür zu sorgen, dass der gesund in die Schule eintretende Schüler auch wieder gesund
austrete, soweit dies von der Schule abhängt.“
In den höhern Schulen sind die Anforderungen noch weit grösser. „Es ist darum
für die Bildung des Schulplanes durchaus nöthig, die Alleinherrschaft der Schulmänner
zu brechen und die Eltern und Aerzte als gleichberechtigt anzuei kennen. Es sollen dio
Eltern oder ihre Stellvertreter jährlich einige Male um ihr schriftliches Urtheil Über die
Arbeitsmenge und die ungefähre Stundenzahl, welche die Hausaufgaben erfordern, ersucht
werden. Auf Grundlage dieser Erhebungen ist der Lehrplan von Fachmännern unter Zu¬
zug einiger Aerzte und begabter Lehrer der Volksschule festzustellen.“
Schliesslich betont Verf. noch dio Wichtigkeit der Beleuchtung und Ventilation der
Schulzimmer, des Turnens und der Excursionen. Hosch.
Kantonale Correspondenzen.
Basel. Seit 1867 wende ich gegen Bandwurm beinahe ausschliesslich ein aus
London bezogenes Ext. Filicis maris reth. au und kann dieses Präparat allen Collegen
bestens empfehleu. Mit Fracht und Zoll stellt sich das Mittel ziemlich hooh und Gaben
von Ö—7 gmm., wie dieselben nothwendig sind, kosten 4—5 Fr. Die Vorschriften für
die Verabreichung des Mittels sind höchst einfach, besondere diätetische Vorkehrungen
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sind nicht nothwendig, am Abend nimmt der Kranke 16 gmm. 01. Ricini, am folgenden
Morgen 7 Uhr nüchtern daa Wurmmittel und 2 Stunden später eine zweite Dose 01. Ricini
von 85 gram.
In den letzten 4 Wochen haben mich 6 Bandwurmkranke consultirt, denen allen ich
obiges Mittel in Dosen von 6—7 gmm. verordnete.
Zwei Kranke brachten mir den abgegangenen Wurm, bei welchem Prof. Roth den
Kopf constatirte. In beiden Fällen handelte es sich um Tsnia mediocanellata. Von den
8 andern Kranken habe ich nichts Näheres erfahren.
Das Mittel ist in London nur in einer Apotheke zu beziehen, deren Adresse Apo¬
theker Schneider , Engel-Apotheke in Basel, hat und der dasselbe übrigens immer selbst
vorräthig hält
Basel, den 28. Januar 1877. deWotte.
W oohentoerioliLt.
Schweiz.
Basel. Universität. Die Regierung hat Herrn Dr. R. Meusim zum ausserordentl.
Professor ernannt.
Basel, ßanitätswesen. Naoh dem soeben veröffentlichten Verzeichniss der
Medioinalpersonen hat Baselstadt (Bevölkerung 49,168) 62 zur Praxis berechtigte Aerzte,
14 Apotheker, 12 Zahnärzte, 8 Thierärzte, 29 Hebammen, 8 Chirurgen, 3 Krankenwärter
und 16 Kranken Wärterinnen. An den Krankenhäusern sind 8 Chefärzte, 7 Assistenzärzte,
4 Hülfsassistenten und 1 Apotheker thätig.
Vorsteher des Sanitätsdepartement ist Hr. Regierungsrath K. Sarasin , der zugleich
Präsident des Sanitätscollegium und des Sacitätsausschusses ist Ausser diesen beiden
letztem Behörden bestehen noch folgende Sanitätsbehörden und -Beamtungen: das Colle¬
gium medicum, die Wundschau, zwei Physici, der öffentliche Chemiker, der Cantons-
thierarzt, der Schlachthausverwalter, der Sanitätscommissär.
Ausland.
Amerika* Transfusion mit Milch. Dr. Gaillard Thoman in Newyork hat
diese Operation kürzlich mit bestem Erfolge bei einer sehr schwachen und abgemager¬
ten Kranken gemacht, bei der beide Ovarien wegen fester Geschwülste entfernt wurden.
Die Kranke war die ersten 36 Stunden nach der Operation ganz wohl. Am 3. Tage
trat eine profuse Metrorrhagie auf , die durch Scheidentamponade gestillt wurde. Jede
Nahrung, sowohl per os als auch per anum beigebracht, wurde nun zurückgegeben. Am
Abend des 4. Tages war die Kranke bei einer Temperatur von 101° F. und einem Puls
von 150 Schlägen in der Minute dem Tode nahe. Jetzt wurde eine Transfusion mit Milch
beschlossen und gemacht Acht und eine halbe Unze frisch gemolkener warmer Kuh¬
milch wurden in die V. med. basilica gespritzt Als 3 Unzen injicirt waren , war der
Puls noch kaum zu fühlen. Die Kranke klagte sehr über eingenommenen Kopf, als wenn
er bersten wolle. */, Stunde nach der Operation hatte die Kranke Frost, der Puls stieg
auf 160, die Temperatur auf 104° F. Gegen Mitternacht wurde die Temperatur niedriger
und die Kranke fiel in einen tiefen Schlaf, der bis gegen Morgen anhielt Von jetzt an
besserte sich die Kranke und war nach 20 Tagen vollkommen genesen.
(Laucet, Juni 24. 76. — D. M. W. 76. 28.)
Deutschland. Tiefe Atheromcysten des Halses. Esmarch will die
Exstirpation dieser Cysten als zu gefährlich (Zusammenhang mit der Scheide der Vena
jugularis) verworfen wissen und plaidirt für die Jodinjection. Sein Verfahren ist folgen¬
des : Function des Sackes. Möglichste Entfernung der Epidermisschollen durch lange fort¬
gesetztes AusspOlen mit Carbollösung, bis letztere aus der Canüle klar zurückfliesst. In-
jection von 10—20 Gramm einer Lugol 'sehen Lösung (Jod und Jodkali ää 1,26 auf 30,0
Wasser), Kneten des Sackes und Herauslassen der Jodlösung nach einigen Minuten.
Wiederholung dieser Procedur nach 6 Wochen. — Nach */, Jahr pflegen die Cysten
dauernd geschrumpft zu sein.
Langeiibeck s Archiv, XIX. 2. — D. med. Wochenschr. 76. Nr. 22.)
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Oesterreich. Keine Ovariotomie mehr. Auf Grund dreier electro-
lytisch behandelter und dadurch geheilter Ovarialcysten hofft Semeleder die Ovariotomie
überflüssig zu machen. Er hält ein- und mehrkammerige Cysten für die electrolytische
Behandlung gleich geeignet Die einzelnen Sitzungen waren von kurzer Dauer, eine kau¬
stische Wirkung war nicht immer zu vermeiden. (W. M. P. 76. Nr. 62.)
Stand der IufectIons-Krankheiten in Basel.
Vom 10. bis 25. Januar 1877.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Es zeigt sich diesmal bei der Mehrzahl der Krankheiten eine mehr oder weniger
bedeutende Abnahme in der Zahl neuer Fälle. Eine Ausnahme machen nur Erysipelas
und Typhus.
Scharlach (17, 21, 85, 28) weist 25 neue Fälle auf, diesmal auch 2 in dem bis¬
her freien Birsthal, im übrigen 5 vom Nordwestplateau, je 6 vom Birsigthal, Südostpla¬
teau und Klein-Basel.
Rubeolae 11 neue Fälle meist vom 80plateau (81, 21, 18).
M*asern (10, 21, 8, 4) diesmal 3 Fälle.
Keuchhusten scheint seinen Höhepunkt überschritten zu haben, neue Fälle sind
33 gemeldet (38, 65, 78, 68), die sich über die ganze Stadt verbreiten.
Erysipelas ist wieder häufiger: 11 Fälle, wovon 6 im Birsigthal (18, 6).
Typhus (0, 3, 2) diesmal 6 Fälle, wovon 3 im Birsigthal.
Diphtherie und Croup zusammen 7 Fälle (7, 7, 8, 10J, wovon 4 im Bir¬
sigthal.
Varicellen 5 Fälle. Puerperalfieber 1 (importirter) Fall.
Feuilleton.
Eine Htthnerangen-Operatenrin in Berlin.
Es war in den wärmeren Tagen vorigen Jahres , als ich mit einem Bekannten an
der Schillerstatue, vor dem Schauspielhause in Berlin vorübergehend, über den unidealen,
aber sehr energischen Kopf einer der drei, den 8ockel zierenden weiblichen Figuren
sprach. „Wissen Sie,“ fragte mein Begleiter, „wie man diese Dame hier getauft hat ?“
— „Marianne Grimmert.“ „„Marianne Grimmert, wer ist das?““ Auf diese Frage
grosses Erstaunen: „Marianne Grimmert, das stadtbekannte Talent, die glückliche Hühner-
augenoperateurin nicht kennen, das ist nur einem Fremdlinge nachzusehen !“ —
Da ich seit Wochen an abscheulichen Hühneraugen litt, so dass mir die endlosen
Strassen Berlins oft zur Qual wurden, fing ich an, mich für die genannte Persönlichkeit
zu interessiren, und so erfuhr ich denn, dass besagte Dame in ungewöhnlichem Grade
das Zutrauen der fussleidenden Menschheit geniesse und seit Jahren von den ersten
Aerzten Berlins, sogar von einem Langenbeck empfohlen werde. Ich beschloss, mich
Frau Grimmert anzuvertrauen, urd suchte sie in ihrer Wohnung, Charlottenstrasse Nr. 4,
auf. Eingeführt in ein comfortabel eingerichtetes Vorzimmer, worin ein mit den besten
Werken der deutschen und englischen Belletristik ausgestatteter Bücherschrank mir einen
Schluss auf die weitverbreitete Bildung der neuen Kaiserstadt erlaubte, harrte ich der
Dinge, die da kommen sollten.
Nach einer Weile öffnete sich die Thüre des Nebenzimmers und eine Dame war
entlassen, ohne dass jedoch die berühmte 8pecialistin sichtbar wurde. Als ich einige
Secunden zögerte, ertönte plötzlich ihre Stimme ziemlich ungeduldig: „Bitte, wollen 8ie
nur eintreten!“ Ich gehorchte und näherte mich der Pythia , welche auf ihrem Dreifuss
sitzen blieb und mich einlud, ihr gegenüber im Fauteuil Platz zu nehmen und mich des
Schuhwerks zu entledigen. Frau Grimmert war eine dicke , resolut blickende und noch
resoluter coiffirte Matrone von stark jüdischem Typus. Angethan mit einer grossen, roth
umsäumten Lederschürze , sass sie auf niederem Sitze, neben ihr eine grosse geöffnete
Tasche mit ihrem Handwerkszeug und ringsum auf Boden und Teppich zerstreut ein
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wahres Schlachtfeld von Abschnitzeln von Pflastern, Läppchen , Papierstreifen, Nägeln
und — Hühneraugen. Als ich dann mein schon so lang stumm ertragenes Leid klagte,
frag sie kurz und energisch: „Warum sind Sie nicht früher zu mir gekommen?" Mich
mit Unkenntniss ihres Namens entschuldigend, erhielt ich die sanftere Antwort: „Ach, Sic
sind noch nicht lange hier“ und in ihrem Lächeln lag volle Nachsicht mit der Unwissen¬
heit des Fremdlings.
Nun begann die Besichtigung der Schmerzensstellen, die eine wurde als schnell heil¬
bar, andere für schwieriger erklärt, aber für alle radikale Hülfe trostvoll verheissen.
„Es sind nur Fehler des Blutes , die die Hühneraugen erzeugen“, liess eich die Specia-
listin vernehmen , indem sie in die Tiefen der Werkzeugs-Tasche griff und leicht und
schmerzlos, wie ich’s bei der heftigen Empfindlichkeit nicht für möglich gehalten hätte,
die Hühneraugen operirte. Sie stach, schabte, feilte, schnitt, legte ein nach Schaffett
riechendes Pflästerchen auf, umwickelte die Zehe mit in Fett getränktem Stoffe und —
war fertig.
Zugleich unterrichtete mich Frau Grimraert von der Bedeutsamkeit ihrer irdischen
Mission, von der Sicherheit ihres Erfolges, von der Gunst der Aerzte und der Gnade
des Hofes, deren sie sich erfreue; wie sie vornehme Häuser habe, wo sie allwöchentlich
den erlauchten Kindern — die Fussnägel zu schneiden berufen sei etc. ln langwierigen
Fällen, liess Frau Grimmert durchblicken, wie der meines einen Hühnerauges, sei sie ge¬
wohnt Abonnements zu ertheilen, welche zu sechsmaligem Besuche berechtigen oder zu
dem Ansprache auf eben so viele Pflaster, als Nummern der Abonnements-Karte unbe-
nützt bleiben sollten. Da ich noch einige Zeit die Berliner Strassen zu messen vorhatte,
so griff ich natürlich zu und legte den Betrag von 2 1 /, Thalern auf den Tisch des Orakels
nieder. Nur die Auslieferung der Karte veranlasste Frau Grimmert zur Erhebung von
ihrem Sitze, bei allen folgenden Besuchen sah ich sie nie aufstehen, sitzend empfängt
und sitzend entlässt die Operateurin, mit ganz amerikanischer Zeit-Oeconomie. Zu den
verschiedensten Stunden des Nachmittags (Audienz 2—6 Uhr) sprach ich vor und immer
waren Herren und Damen da, welche ihre Behandlung in Anspruch nahmen. Morgens
besucht Frau Grimmert ihre Patienten in ihren Wohnungen. Bei meinem vorletzten Be¬
suche verfehlte ich sie. „Mama ist telegraphisch nach Coblenz zur Kaiserin berufen
worden“, meldete feierlich die Tochter, „den und den Tag empfängt sie wieder.“ —
Nun aber das Entscheidende meiner Mittheilung über die originelle Frau: sie hat
mich geheilt; der Fortgebrauch ihrer Pflaster scheint, wie sie es verheissen, die Hei¬
lung zu befestigen. So sicherer Erfolg hebt das Selbstgefühl; als ich sie für den Fall
eines Wohnungswechsels um die Adresse fragte, damit ich etwa von den heilsamen
Pflastern fortbeziehen könnte, antwortete sie: „Ach, Sie schreiben einfach: Marianne
Grimmert in Berlin.“ Dr. A.
Bibliographisches.
32) Drei Steine des Anstosses, von einem Dorfdoctor. 75 8. Zürich, Verlag von Cäsar
Schmidt.
83) Hirschberg, Centralblatt für practische Augenheilkunde. Monatlich 1 Nr. Per Jahrg.
8 Mark. Leipzig, Veit & Cie.
84) Erlenmeyer , Uebersicht der schweizerischen Irren- und Idiotenanstalten, 4. Ausgabe.
16 Seiten. (Sep.-Abdr.) Neuwied, Heusser’sche Buchhandl.
36) Volkmann, Sammlung klinischer Vorträge:
Nr. 108 Hecker, Die Ursachen und Anfangssymptome der psychischen Krankheiten.
„ 109 Hegar, Zur Ovariotomie.
„ 110 Liebermeister, lieber Wahrscheinlichkeitsrechnung in Anwendung auf thera¬
peutische Statistik.
„ 111 Olshausen , Ueber Ovariotomie. Leipzig, Breitkopf & Härtel.
36) Beck’ s therapeutischer Almanach (Fortsetzung des Recept-Almanach), enthaltend ein
Verzeichniss der neuesten Heilmittel und Heilmethoden etc. etc. für pract Aerzte.
Jahrgang 1877. 64 Seiten. Zürich, Selbstverlag des Herausgebers. (Druck und
Expedition von Zürcher & Furrer.)
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Briefkasten.
Anonymus S. in Ragas. Nicht verwendbar, da die ganze Sache su unbestimmt gehalten,
der Schluss daher voreilig wäre. Wahrscheinlich eine Apotheker-Geschichte?? Herrn Dr. Sury in
St. Pirminsberg: Referat mit Dank erhalten. Herrn Dr. Koller in Herisau: Besten Dankl Herrn
Dr. Zehnder in Zürich: das Versprochene soll uns willkommen sein! Herrn Dr. B. Meyer in Zürich:
Mit vielem Dank erhalten.
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Vorstehers des Anssenkrankenhanses bei Bern wird zur Wiederbesetzung ausgeschrieben.
Anmeldungen erfolgen im Büreau des Unterzeichneten bis 15. Februar nächstkünftig.
Bern, 22. Januar 1877. Aus Auftrag der Inseldirektion:
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Docent der Ophthalmologie an der Universität Bern,
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die Resultate der Untersuchung an 4296 Augen enthalten, vervollständigt und erhöht wird.
Diese wissenschaftliche Arbeit ist nur in einer kleinen Auflage erschienen und musste
der Verkaufspreis in Anbetracht der sehr bedeutenden Herstellungskosten auf Fr. 30. —
festgesetzt werden.
Über funktionelle Störungen des menschlichen Auges
im Allgemeinen, sowie speziell nach Schuluntersuchungen in den Kantonen Bern,
Solothurn und Neuenburg, nebst Angabe der HUIfsmittel dagegen.
Von Dr. Emil Emmert,
Dozent der Ophthalmologie an der Universität Bern.
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Der Reinertrag ist für wohlthätige Zwecke bestimmt.
Diese Schrift sei den Schulbehörden, den Lehrern und den Eltern in erster Linie
empfohlen; dann aber auch allen Denen, welchen an der Pflege des edelsten unserer
Sinnesorgane etwas gelegen ist.
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gen 1860.
Michaelis, Das enge Becken, herausgegeben von
Lizmann. 2te Auflage. Leipzig 1865.
8piegelbrrg 0., Geburtshülfe. Lahr 1858.
Oesterlen, Handbuch der Heilmittellehre. Tübin¬
gen 1861.
Lebert, Handbuch der prakt Medizin. 2 Bände.
Tübingen 1860.
Meyer-Ahrens, Heilquellen nnd Kurorte d. Schweiz.
1867.
Meyer Herrin., Lehrbuch der physiologisch. Ana¬
tomie. Leipzig 1856.
Knebusch, Taschenbuch bewährter Heilmethoden
und Heilformeln. Erlangen 1871.
Wühler, Grandriss der Chemie. Berlin 1858.
Dr. Schroff, Lehrbuch d. Pharmakologie. Wien 1856.
0. Leeder, Lehrbuch der Physiologie d. Menschen.
Leipzig und Heidelberg 1856.
Meyer Herrin., Anleitung zu <L Präparir-Uebungen.
1848.
Vogt C.. Zoologische Briefe. Frankfurt 1851.
Hülder Herrm., Lehrbuch der venerischen Krank¬
heiten. Stuttgart 1851.
Dr. Ziegler, Uroscopie am Krankenbette. 1861.
Wiel, Tisch für Magenkranke. 1875.
Husemann Aug., Kurort St. Moritz und seine Eisen¬
säuerlinge. 1874.
8treker-RegnauN , Kurzes Lehrbuch der Chemie.
1858. 2 Bände.
Dr. Penzoldt, Die Magenerweiterung. Eine klin.
Studie. Erlangen 1876.
Gesellius, Thierblut-Transfusion. Leipzig 1874.
Mordhorst, Ursachen, Vorbeugung und Behand¬
lung der Lungenschwindsucht. Berlin 1874.
Dr. Husse, Lammblut. Transfusion b. Menschen.
Leipzig 1874.
Dr. Stropp, Vaccination und Mikrokokken. Ber¬
lin 1874.
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instrnktoren I. Klasse.
Bewerber um diese Stellen werden vorläufig als Instruktor-Aspiranten verwendet
(Taggeld Fr. 10) nnd haben zunächst die Sanitäts-Inetruktorenschule in Zürich vom
26. Februar bis 10. März mitzumachen. Die definitive Anstellung mit einer jährlichen
Minimalbesoldung von Fr. 4000 erfolgt bei befriedigenden Leistungen voraussichtlich in
der zweiten Jahreshälfte.
Jüngere Militärärzte, welche wenigstens zweier Landessprachen mächtig sind und sich
dieser Laufbahn zu widmen gedenken, haben sich bis spätestens den 10. Februhr beim
Unterzeichneten schriftlich anzumelden. [H-158-Q]
Bern, den 13. Januar 1877.
Der eidgenössische Oberfeldarzt:
Dr. Ziegler.
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N? 4. VII. Jahrg. 1877. 15. Februar.
Inhalt: 1) Original arbeiten: A. Baader: Zur Aetiologie dee Erysipels (Fortsetzung). — Dr. AH. Burckhardl-Merian:
Zusammenstellung der Voten der s&mmtlichen legitimen Scbweizer-Aerete Impfang betreffend. (Schlau.) — 2) Vereinsbe-
rlebte: Ordentliche Winterrenammlung der modiciniach-chirargischen Gesellschaft des Caatons Bern. — Soeiätä mddlcale
nench&teloise. (Schlau.) — 8) Referate und Kritiken: Dr. Bugen Jäger: Ueber die Behandlang der Fibrorayome des
Uterus mit subcutanea Ergotininjectionen. — Dr. A. Hausamann: Ueber Retentionkgeechwhlsto schleimigen Inhaltes in den
weiblichen Genitalien. — Frans Siegel: Ueber respiratorische Paralysen. — Dr. Seggel: 1. Die ohjeetiye Bestimmung der Kurz¬
sichtigkeit und 2. die Bestimmung der Sehschärfe bei dem MiliUrereaUgeschAfle. — Prof. A. Rothmund: Ueber Behandlung des
HornbautgMchwfirea. — Dr. Max Conrad: Die Befraction von 3036 Augen von Schulkindern. — 4) Kantonale Correspon¬
densen: Basel. — HI. Reisebrief ans dem Süden. — 5) Wochenbericht. — 6) Briefkasten.
Zur Aetiologie des Erysipels.
Vortrag, gehalten in der Sitzung der medic. Section der Schweiz, naturf. Versamm¬
lung zu Basel von A. Baader.
(Fortsetzung.)
Eine andere Art der Erklärung der Aetiologie des Erysipels lag in dem Be¬
streben, seinen Ursprung auf pyaemischen Boden zu verlegen.
Nachdem Trouaaeau jeden Rothlauf für einen traumatischen erklärt und Volk -
mann ihm beigestimmt hatte, lag es nahe, die früher schon für das chirurgische
Erysipel aufgestellte Annahme, die Wundrose sei nur eine Theilerscheinung der
pyaemischen Krankheiten, für die Aetiologie des Erysipelas überhaupt zu ver-
werthen. Das halte ich nun aber nicht für wahrscheinlich. Wir wissen, dass „die
Entstehung der Pyaemie unter gewissen bekannten Verhältnissen eine Nothwendig-
keit ist; diejenige des Erysipeles dagegen bleibt vielmehr ein (bis dahin imaufge¬
klärter) Zufall“ (Volkmann).
Das Erysipel kann bei grosser Anhäufung von Verwundeten, ungünstigen Ver¬
hältnissen jeder Art, ja sogar bei gleichzeitig wüthender Pyaemie fehlen. So sahen
die Engländer in der Krim fast keine Erysipele, Volkmann bei Trautenau unter mehr
als 1000, Schede in Weissenfels unter mehr als 1500 Schwerverwundeten bei län¬
gerer Beobachtungszeit keinen einzigen Fall von Erysipelas, obgleich Pyaemie nicht
fehlte. Dagegen scheint sich die Aussage Lücke' s nicht zu bewähren, dass sich
bei vorsichtiger Administration und Organisation auch in Spitälern die Entstehung
und Ausbreitung des Erysipels verhüten lasse. Trotz grosser Sorgfalt und später
bei einmal aufgetretenem Rothlaufe scrupulösester Prophylaxe sah Volkmann in
seinem Spitale ein Endemischwerden der Wundrose entstehen, allen Mitteln trotzen
und dann plötzlich unvorhergesehen und aus unbekannten Gründen erlöschen.
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Auch hier ist die Landpraxis ein günstiges Beobachtungsfeld. Nehme ich meine
Heimat, so erfordert unsere, im ganzen obern Cantonstheile ungemein verbreitete
Hausindustrie, die Bandweberei, zur Aufstellung der Webstühle hohe, weite und
belle Zimmer. Die Bevölkerung hat zudem daneben immer noch den Landbau
cultivirt, so dass sie im Ganzen eine gesunde und kräftige blieb. Wir kennen nun,
wie wohl überall auf dem Lande, die pytemischen Processe jeder Art fast gar nicht.
Frische Wunden, auf welche Spinnweben mit Allem, was drum und drin hängt,
oder faulendes Holz aufgepresst und möglichst lang liegen gelassen wird; offene
Abscesse, die mit Kuhkoth cataplasmirt werden; pustulöse Erysipele, auf die noch
ungereinigte Schafwolle, deren Heilkraft durch Einweichen in Menschenurin ge¬
steigert wird, gebunden wurde — das macht Alles keine Septiccemie, zu der eben
eine specifische Infection gehört, sondern höchstens locale Reize.
Characteristisch war wohl folgender Fall: Ein kräftiger 28jähriger Mann wird
von einem Fragment eines zersprungenen eisernen Mörsers getroffen und erleidet eine
complicirte hohe Fractur des rechten Oberschenkels mit Durchquetschung der Nerven
und Gefässe. Die ganze Extremität, ein Theil des Scrotums und der Haut der Sa-
cralgegend wird gangränös. Patient liegt auf einem Federbette; unter die Hinter¬
backe wird ein flacher Teller geschoben, in den theil weise die Jauche abfliesst;
auf der Wunde, im Teller, am Scrotum sind Stücke eines zerschnittenen Pferde¬
schwammes: so lag Patient längere Zeit in fürchterlich verpesteter Luft. Mit Col¬
lege Dr. Metlauer habe ich bei meinem ersten Besuche die Abtragung der gangrä¬
nösen Extremität durch die Fracturstelle mit meinem Taschenbistouri ohne einen
Tropfen Blutung ausgeführt. Septicsemie war nicht eingetreten. Patient genas.
Und doch kommt auch auf dem Lande etwa einmal zur Seltenheit ein Erysipel
zu einer Wunde xca i£o%r}v ; pyämischer Einfluss ist aber da ganz auszuschliessen.
Die Art der Wunde influencirt die Möglichkeit der Entstehung der Wundrose
nicht: zu jeder Art und in jedem Stadium kann Erysipel hinzutreten, namentlich
wenn ein sogenannter Genius epidemicus stationarius ( Niemeyer ) herrscht Ueber
sein Wesen sind wir ebenso sehr im Unklaren, als über die Ursache des cumula-
tiven Vorkommens der Pneumonie etc. Ich sah in den Monaten Januar, Februar und
März dieses Jahres in Gelterkinden mit ca. 1800 (Zählung von 1870) Einwohnern 17
Fälle von Icterus catarrhalis, einer hier sonst seltenen Krankheit, auftreten, wobei in
einem Hause 6, in einem andern 4 Fälle, die übrigen vereinzelt vorkamen; die
Patienten wohnten über das Dorf zerstreut und gehörten den verschiedensten Le¬
bensaltern und socialen Schichten an; die ringsum liegenden, unter denselben tel-
lurischen Verhältnissen stehenden Nachbardörfer blieben ganz verschont. Dass der
Genius epidemicus dann auf geschwächte Individuen stärker einwirkt (resp. die
persönliche Disposition durch vorhergegangene äussere Schädigungen, wie unge¬
nügende Ernährung, schlechte Wohnungen, Krankheit, schwere psychische Ein¬
flüsse etc. vermehrt wird), bewies der Umstand, dass vier Schwerkranke, die im
Dorfe zerstreut lagen, und von welchen nur bei zweien auch andere Hausbewohner
icterisch erkrankten, nun zudem noch Icterus acquirirten. Es waren je ein Patient
mit chronischer Peritonitis, Erysipelas faciei, Pericarditis und linksseitiger Spitzen-
pneumonie.
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Es braucht also, wie schon gesagt, wenn die äussem Bedingungen gegeben
sind, eine nur ganz unbedeutende Wunde zu sein und zwar nicht blos der äussern
Haut: eine kleine Excoriation, eine aufgekratzte Pustel, aber auch die kranke
Schleimhaut der Nase, die entzündete Conjunctiva, kleine Eiterungen im Ohre,
eine Angina können die Ausgangspunkte des Erysipeles bilden.
Der gütigen Mittheilung eines ehemaligen Hörers von Prof. Traube in Berlin
entnehme ich, dass dieser eminente Kliniker schon im Jahre 1865 in seinen Vor¬
lesungen die Ansicht vertrat, das Erysipel habe immer seinen Ursprung in einer
derartigen Lsesion.
Leider kommen wir oft erst zur Inspection, wenn die Dermatitis schon auf der
Höhe steht, und es hält dann zuweilen schwer, zu entscheiden, ob die Angina, die
Conjunctivitis vorausgegangen ist und ob — namentlich bei pustulösem Erysipel.
— eine kleine Abschürfung oder dergleichen vor dem Ausbruche da war.
Untersucht man aber frühzeitig und genau, so wird man erstaunt sein, wie oft
sich für die Aussage Trousseau'B, der sich auch, wie gesagt, Traube und Volkmann
zuneigen, jedes Erysipel sei ein traumatisches, practische Belege finden. Allerdings
darf nicht übersehen werden, dass — analog der Erkältung — das Auffinden klein¬
ster Verletzungen der Haut und catarrhalischer Reizzustände in Nase, Augen und
Rachen an den meisten Individuen möglich ist.
Es gehört also nach meiner Ansicht ein specifisches, zur Zeit noch nicht sicher
bekanntes, wahrscheinlich aber in einer Pilzform zu suchendes Agens dazu, wenn
Erysipel entstehen soll; allein der Weg, auf welchem dann die Infection stattfindet,
ist immer eine Lsesion der äussern Haut, oder der benachbarten Schleimhäute.
Hat einmal Erysipel bestanden, so bleibt oft die Neigung zu Recidiven und es kann
dann die Empfänglichkeit für Rothlauf so gross sein, dass es nicht immer gelingt,
die fraglichen Lsesionen nachzuweisen. Die Ursache dieser habituell gewordenen
Disposition ist öfters nicht zu eruiren ; zuweilen sind es aber gerade die ungeheil-
ten Rachen- und Nasencatarrhe etc., welche, wenig mehr beachtet, die neuen Er¬
krankungen einleiten.
Man hat auch behauptet, in seltenen, aber constatirten und jeweilen sehr per-
nieiös verlaufenden Fällen sei das Erysipelas contagiös aufgetreten, und schon
neigen sich in Frankreich und England die Mehrzahl der Aerzte dieser Auffassung
zu. Volkmann entnehme ich folgende Casuistik:
Pujos sah ein Erysipel bei einer Frau, die daran stirbt; der behandelnde Arzt
und zwei Wärter erkranken und sterben und nur das gleichfalls von Rothlauf er¬
griffene Dienstmädchen wird gerettet. — Noch schlagender war die Beobachtung
des Dn Btin. Dr. Painelvin , Secundärarzt in der Lariboisi&re, hatte zwei Erysipelas-
kranke und erkrankt selbst daran. Dr. Testart aus Guise, wo damals kein einziger
Erysipelasfall war, besucht ihn, wird drei Tage nach seiner Rückkehr vom Roth¬
lauf befallen und stirbt am 13. Tage; sein Bedienter wird auch ergriffen und ebenso
ein Verwandter aus der Nachbarschaft zwei Tage nach seiner Rückkehr. Dadurch
fand die II. Verschleppung statt, indem nun die Frau dieses Verwandten und die
sie besuchende Familie Lefranc erkrankten, ebenso ein Vetter, der auf Besuch kam,
und die zwei sie pflegenden barmherzigen Schwestern, durch welche die HL Ver-
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100
schleppung in ihr Mutterhaus stattfand. Der Arzt, der die letzteren Patientinnen
behandelte, fiel der Rose gleichfalls zum Opfer, während seiue Tochter von einem
Erysipele genas.
Solche Mittheilungen sind rein unerklärlich; denn einmal ist die Rose in der
Regel nicht contagiös, sodann ist sie es selbst dann nicht, wenn sie cumulirt auftritt.
Ein derartiges gehäuftes Auftreten ist wiederholt beobachtet worden, in der
Regel dann verbunden mit einem höchst perniciösen Verlaufe; so fand Pujos für
die „Epidemie“ in Bordeaux eine Mortalität von 34 °/ 0 . Bei dem Auftreten einer
erysipelatösen Krankheit, die ganz Nordamerica decimirte, handelte es sich wahr¬
scheinlich gar nicht um Rothlauf, sondern um einen diphtheritischen Process, der
vom Munde aus auf die Gesichtshaut Übergriff: der exitus lethalis erfolgte aber
durch die primäre Diphtherie.
Im Gegensätze hiezu blieb in der von mir beobachteten Epidemie der typische
Character des Erysipeles gewahrt.
In den zerrissenen Schluchten des Jura liegt das Dorf Buus, eine im Durch¬
schnitte ökonomisch gut situirte Gemeinde, mit Hausindustrie, Landwirtschaft und
Weinbau. Fabriken fehlen. Die Bevölkerung (647 Seelen) ist gesund und wohl¬
habend, Scrophulose sehr selten.
Buus liegt behäbig breit in einem fast vollständigen, weiten Trichter; nur nach
Nord-Westen haben sich die Abwasser eine tiefe Rinne gegraben. Das ganze Dorf
hat reichliches, gutes Quellwasser, das von den verschiedenen Abhängen niederfliesst,
und einen trockenen Untergrund: auch bei länger andauernden profusen atmosphä¬
rischen Niederschlägen bleiben die Keller trocken, weil die Thalsohlc eine starke
Neigung hat, so dass ein rasches, unbehindertes Abfliessen stattfindet. Es scheint
zudem die Lagerung der unterirdischen Schichten eine sehr gleichmässige zu sein,
so dass sich keinerlei subterrestre Stauungsmulden bilden.
Seit 20 Jahren werden in Buus exacte meteorologische Beobachtungen ge¬
macht: ich übergehe hier eine Anführung der Zahlenreihen und sage Ihnen nur,
dass die Temperatur der Beobachtungszeit weder in den Monatsdurchschnitten,
noch in den täglichen Schwankungen wesentlich von derjenigen früherer Jahre ab¬
wich ; es kann ihr desshalb auch kein bestimmender Einfluss zugeschrieben wer¬
det». Man nimmt in der Regel an, dass in der wärmern Jahreszeit mehr Erysipele
Vorkommen: unsere Fälle traten im Winter auf.
Der November (1875) überstieg den zehnjährigen Monatsdurchschnitt und hatte
keinen Krankheitsfall, während der Februar bei einem Uebersteigen des Mittels um
0,3 Grad die drittgrösste Morbilität hat; December und März blieben mit - 1 - 0,5
und — 0,8 Grad unter dem Durchschnitte und hatten die grössten Frequenzen mit
je 5 und 8 Fällen, während in den Januar, für den das Mittel -f 2,6° C. beträgt,
1876 aber nur — 2,6° aufweist, also die erhebliche Differenz von — 4° zeigt, nur
2 Fälle einrangiren.
Es hatte also die Lufttemperatur keinen Einfluss, ebenso wenig die Barometer¬
stände und die atmosphärischen Niederschläge, deren Zusammenstellung ebenfalls
in keiner Weise mit dem Steigen und Fallen der Krankheitsfrequenz coincidirt;
auch die Luftströmungen ergeben kein erklärendes Moment.
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101
Es erkrankte *) am 25. October 1875 der erste Patient (Weib); der November
blieb frei, im December 5, im Januar 1876 2, Februar 3, März 8, April 2, Mai 1,
im August 4, im September 1, im October 3 und im November 1 Patient, also zu¬
sammen 31 Erkrankungen oder 4,53 Procent der Bevölkerung. Davon waren 15 bei
Frauen und 16 bei Männern. Die menstrualen Vorgänge hatten keinerlei Einfluss.
Doch zeigte sich die bekannte Prädisposition der Frauen fiir Erysipelas faciei
ziemlich prägnant, da die 7 zuerst erkrankten lauter Weiber waren und erst später
die Erkrankungen bei den Männern sich häuften und das erst noch so, dass von
den 16 Erysipelen bei Männern llmal Rotblauf an den Extremitäten auftrat, 9mal
mit leicht nachweisbarem Trauma; Frauen zeigten nur zweimal Erysipele der Ex¬
tremitäten, beidemal von offenkundigen Lmsionen der Haut ausgehend.
Es fanden sich bei den 13 Rosen der Extremitäten: Schnitt am Finger, Haut¬
abschürfung, Furunkel, Contusion und chemischer Reiz je einmal, Hundsbiss, offene
Frostbeulen je 2mal und Ulc. invet. 4mal. Nur in zwei Fällen (bei demselben Pa¬
tienten) war eine Laesion nicht zu constatiren, vielleicht aber doch vorhanden. Der
Patient hatte seinen Bruder, der an Erysipel des ganzen Kopfes starb, verpflegt
und zwar so, dass der Verstorbene Stunden lang mit seinem infiltrirten Nacken
auf des Pflegers oft entblösstem rechtem Arme lag, an dem dann später das Ery¬
sipel ausbrach. Als ich es sah, war der ganze Arm mit einem bullösen, stark öde-
matösen Rothlauf bedeckt, so dass eine Untersuchung um so unmöglicher war,
als zahllose Mehlpartikelchen eine zusammenhängende Kruste fast über die ganze
Oberfläche bildeten.
Die citirten Verletzungen waren grossentheils vernachlässigte, kaum verbun¬
dene, also durch das Reiben der Kleidungsstücke gereizte, wunde Stellen. Doch
war auch eine frische, gut verbundene und gereinigte Quetschwunde der Kopf-
sebwarte dabei.
Bei den 15 Gesichtsrosen liess sich der Beginn evident nachweisen von 1 Pa¬
rolis, Zahnextractionen, Excoriationen, Eczem, Keratitis pustulosa und offener
Wunde je einmal, vorausgehender acuter Angina tonsillaris 2mal und chronischer
Coryza 3mal, also in 11 Fällen: bei den übrigen 4 Fällen wage ich nichts zu be¬
haupten, da ich die Patienten erst am dritten und vierten Krankheitstage sah.
Zwei davon hatten früher schon wiederholt Erysipelas faciei, so dass nur 2 Fälle
übrig bleiben.
Sie sehen aber auch hier wieder, wie leicht sich bei exactem Nachsehen Trau¬
mata finden lassen. Die 31 Fälle von Rothlauf kamen an 25 Individuen vor (M. 19,
W. 12); hievon waren erstmals erkrankt M. 12, W. 10 und von diesen erlitten
wieder im Laufe der Epidemie Rückfälle M. 2 (1 zweimal, 1 einmal, beidemal Ex¬
tremitäten), W. 2 (1 zweimal, 1 einmal, bei beiden im Gesicht). Früher hatten schon
Erysipel W. 2 (Gesicht), M. 1 (Ulcus pedis).
_ (Schluss folgt.)
*) Bis Ende November nachgetragen. Seither sind wieder zwei Fälle vorgekommen: Erysipelas
faciei bei einer Frau, welche seit einem halben Jahre an einem rechtsseitigen eitrigen Mittelohrcatarrh
litt; es schwoll zuerst nur das rechte Ohr und von hier aus wanderte das Erysipel über das Gesiebt
und Erysipelas gangraenosum des linken Unterschenkels eines Mannes mit altem Ulcus am linken Innern
Knöchel.
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Zusammenstellung der Voten der sämmtlichen legitimen Schweizer-Aerzte
Impfung- betreffend,
mitgetheilt von Dr. Alb. BurckhardbMerian.
(Schluss.)
Frage IV (Vortheile der Farrenlymphe).
Diese Vortheile wurden von 213 Aerzten bestritten, von 184 unentschieden ge¬
lassen, von 771 anerkannt. Unter den letztem sind eine Anzahl, die die Erklärung
abgeben, nur sofern diese Art der Impfung Vorurtheilen Rechnung trägt, dieselbe
zu empfehlen, ohne deswegen ihr den Vorzug vor der Impfung von Arm zu Arm
vindiciren zu wollen, wieder Andere knüpfen die Bedingung an , dass der Staat
die Farrenlymphe gratis liefere, ein Berner College schlägt sogar ein Centralimpf¬
institut durch den Bund vor.
Eine Reihe von Collegen spricht sich ferner im Sinne des folgenden Votums
aus: »Für Städte und grössere Verkehrscentren mag die directe Farrenimpfung gut
sein, für Land und Gebirge halte ich sie unmöglich, Farrenlymphe in Röhrchen ist
theuer und unzuverlässig“ (Prof. 0. TFy«, Zürich).
Werfen wir nun einen Blick auf die Bemerkungen der Gegner der Farren¬
lymphe, so gruppiren sich dieselben in verschiedene Parteien. Die Einen erklären
keine eigene Erfahrung zu besitzen und deshalb von einer Empfehlung dieses
Impfmodus Umgang nehmen zu wollen. Hieher rechnen wir auch einen Collegen,
der die Kuhlymphe empfiehlt, von der Farrenlymphe aber nichts wissen will. An¬
dere haben schlechte Erfahrungen gemacht, so schreibt Dr. Boechat , Fribourg: „Les
nombreuses revaccinations, que j’ai eu l’occasion de faire en 1870, comme interne
des höpitaux de Paris, de la gönisse k l’homme, m’ont persuad4 de l’incertitude et
du peu de r^ussite de ce mode de röinocculation.“ Prof. D'Espine, Genf, schreibt:
„Resultats beaucoup plus inconstants que de la vaccine ou de bras k bras — In-
occulation possible de pus ou d’autres matteres phlogogenes par l’expression for-
QÖe de la lymphe et letraitement industriel du vacciniterel“ Andere Col-
legen klagen bitter über die erfolglose Verwendung in Röhrchen verschickten theu-
ren Farren-Impfstoffes.
Verschiedene Aerzte machen aufmerksam auf die Vorzüge des an Kühen spon¬
tan sich entwickelnden originären Vaccinestoffes. Wenn dieser sich nur nicht so
selten präsentirte 1
Erwähnen wir schliesslich noch 2 Gruppen von Aerzten, die ebenfalls von
dem Vortheil der Farrenlymphe sich nicht überzeugt haben. Die eine Gruppe sind,
den Bemerkungen nach zu schliessen, erfahrene Praktiker, die mit der Impfung von
Arm zu Arm zufrieden sind. So schreibt z. B. Dr. Willener , Kreisimpfarzt in Hutt-
wil: „Nach meinen Erfahrungen ist die Impfung vom Arm des Kindes ein so leich¬
tes, einfaches und ungefährliches Verfahren, dass wenigstens auf dem Lande die¬
ser Modus gegenüber der beantragten Impfung mit retrovaccinirter Kuh- oder
Farrenlymphe beibehalten werden sollte! — Ich habe bei 250 Impfungen pr. Jahr
Uebertragung von Syphilis nie beobachtet. Lymphangitis und nachfolgende Drü-
senaffection wurde selten beobachtet; dann nicht als Uebertragung, sondern als
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fortgeleitete Localisation im locus minoris resist. bei disponirten Kindern. Seltene
Falle von allgemeinem Impfexanthem sind vorgekommen. — Im Uebrigen ist die
Impfung ungefährlich und es glaubt hier zu Lande Niemand an die von den Impf¬
gegnern aufgestellten Behauptungen übet die Nachtheile des Impfens. Dagegen
ist die Revaccination bei Erwachsenen sehr unpopulär.“ Dr. Rheiner , Physicus in
St Gallen: „In der Voraussetzung, dass nur gesunde Individuen zur Abimpfung
benützt werden, gebe ich der humanisirten Vaccine entschieden den Vorzug vor
der oft unzuverlässigen Retrovaccine“, u. A. m.
Die andere Gruppe, die die Frage ebenfalls unentschieden gelassen, schliesst
sich der folgenden Bemerkung von Prof. Mietcher sen., Basel an. „Ueber den
Grad der Schutzkraft der retrovaccinirten Kuhlymphe hat die Erfahrung noch nicht
entschieden. Ich halte es aber für sehr wünschenswert^ dass weiter experimen-
tirt werde, und zwar auf breitester Basis. Ein günstiges Resultat wäre von unbe¬
rechenbarem Werth.“
Es mag auffallen, dass gerade in Basel, der Heimath der Farrenimpfung, 12
von 51 Aerzten die Frage der Wünschbarkeit der allgemeinen Einführung der
Impfung mit Farren- (resp. Kuh-) Lymphe in suspenso gelassen haben. Wenn
auch die directe Impfung vom Farren wohl nur in den seltensten Ausnahmsfällen
nicht gelingt, so scheint doch die Versendbarkeit dieses Stoffes (besonders viel¬
leicht wenn derselbe mit Glycerin gemischt ist) eine unsichere zu sein und viel
noch zu wünschen übrig zu lassen. Jedenfalls haben diese Erfahrungen eine Reihe
von Collegen bei der Reflexion über diese Frage schwankend gemacht, während
den Andern vielleicht leichte Zweifel an der Schutzkräft der Farrenlymphe mögen
aufgestiegen sein.
Unsere persönliche Meinung ist, dass diese beiden Fragen zuerst endgültig
entschieden sein müssen, bevor die allgemeine Einführung der Farrenlymphe-
Impfung an die Hand genommen werden kann.
Citiren wir zum Schluss noch die folgenden Bemerkungen von Dr. Beck in
Monthey:
„Je suis absolument partisan de la rägünüration du virus vaccin par le cow-
pox et la transmission aux günisses de ce virus; afin d’en multiplier les sources.
Je ne crois pas seulement ä la transmission de la Syphilis, mais encore k celle
de plusieurs autres affections cachectiques par la vaccine humanisüe. Je regarde
comme un danger public le commerce intdressü de la vaccination avec des virus
provenant d’enfants herpdtiques, scrophuleux, rachitiques etc. etc.“
Fügen wir noch bei, dass der Beobachter uns aufmerksam macht, dass er, ein
Schüler Bahnemann's , glaubt, dass die Experimente mit natürlichen Stoffen uns
einfes Tages siegende Potenzen gegen alle Krankheiten liefern werden. Zu diesem
Zwecke hatte er Impflymphe von kranken Kindern gesammelt, um Experimente
an sich und seinen Freunden damit anzustellen; ein Missverständniss beraubte ihn
dieser Lymphe, bevor die Experimente noch begonnen.
Frage V (Impfzwang oder nicht?).
Diese Frage wurde von 133 Aerzten mit nein, von 1010 mit ja beantwortet,
von 25 unentschieden gelassen.
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Bei dieser Frage speciell sind am meisten Bemerkungen den Stimmkarten bei¬
gefügt worden, welche in beredter Weise die Verschiedenheit des individuellen
Standpunctes bei Beantwortung derselben illustriren.
Die Einen sind nur für Zwangsimpfung, wenn dieselbe unter strenger Verant¬
wortlichkeit geübt wird, sonst würden sie „Nein“ stimmen, oder „wenn sorgfälti¬
ger wie bisher die Beschaffung reinen Stoffes ins Auge gefasst wird.“ Sehr viele
Collegen wollen den Staat heranziehen zur Lieferung reiner Lymphe So schreibt
Dr. G ui tan (Vevey): „Je ne puis ötre partisan d’une vaccination obligatoire , sans
que les autoritäs sanitaires de notre canton ne mettent pas k la disposition des
m^decins vaccinateurs du vaccin pur. J’ai eu l’occasion de voir quelques fois,
depuis 19 ans, de tristes rüsultats de vaccinations et surtout de revaccinations,
faites avec de la lymphe prise sur des enfants malades, et je crois, qu’il y aurait
de la part des soci4t4s müdicales suisses beaucoup k faire, pour arriver k forcer
les cantons, k fournir du bon vaccin en £tablissant, comme cela se fait ailleurs des
instituts de vaccination, on Ton trouve toujours du vaccin de vache frais et bien
cultivA Aussi longtemps que cette garantie n’est pas donn<$e au public, il me
serait impossible, de me joindre k ceux, qui voudraient imposer officiellement la
vaccination.“ — Von weiteren Bemerkungen fügen wir bei: „Für Impfzwang bin
ich nur in so weit Impfung mit Farrenlymphe möglich ist“ (Dr. Sury-Bienz , Pfäfers,
Dr. Pfyffer-Segesser , Luzern). „Wenn der Staat für genügende Mengen Impfstoffs
sorgt“ (Dr. Bodenheimer , Pruntrut). „Wenn der Staat Kuh- oder Farrenlymphe un¬
entgeltlich liefert“ ( Burckhalter , Langenthal, Dr. Meschlin , Basel). „Wenn der Staat
die Lieferung der Farrenlymphe und die Kosten der Impfung“ übernimmt (Dr.
Löliger , Dornachbruck). „Ja — nur wenn auf Kosten des Staates; beim Militär auf
Kosten der Eidgenossenschaft“ (Dr. Haag , Bern). „Nur wenn auf Staatskosten“
(Dr. Henzd, Bern). „Non — jusqu’ä l’abolition de la vaccination de bras k bras“
(Dr. Casella , Faido). Im Gegentheil nur von Arm zu Arm will Dr. Ärchoff in Bern
die Impfung obligatorisch aufrecht erhalten wissen.
Zwei Collegen wünschen nur beim Eintritt in die Schulen und in den Militär¬
dienst obligatorische Impfung (Dr. Duval, Genf, Dr. Lardalli , Sins), während Dr. Näff
in Altstätten auf das Militär die obligatorische Impfung nicht anwenden will. Dr.
Reiser , Zürich bemerkt: „Was ist hier der Begriff obligatorisch? Wäre mit einer
leichten Pression einverstanden, aber nicht, wie gewisse Enragirte Vorgehen“. Meh¬
rere Collegen, die sich als warme Freunde der Impfung bekannt haben, sind aus
Opportunitätsgründen gegen die obligatorische Impfung. Dieser Standpunct wird
durch die folgenden Voten am besten gezeichnet: „Nein , weil ich glaube, dass
dadurch das Obligatorium für die Zukunft entbehrlich werde“ (Dr. Näf , Gross¬
wangen). „Was den Impfzwang anbetrifft, so halte ich dafür, dass man am besten
die Narren durch Schaden wieder zum Verstand kommen lasse“ (Dr. Heusser , Rif-
fersweil). „Angesichts der masslosen Agitation, die schliesslich doch obsiegen
wird, halte ich dafür, das 1. Publicum durch die Erfahrung klug werden zu lassen“
(Dr. Koller, Herisau). Wieder Andere schreiben: „Habeant sibil“ und stimmen mit
„Nein“.
Eine grössere Zahl von Gegnern der obligatorischen Impfung erklärt ihren
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Standpunct mit der Abneigung, in Sachen individueller Ueberzeugung Zwang wal¬
ten zu lassen. So schreibt Dr. Pillichody in Worb: „Ich stimme gegen Aufrecht¬
haltung der obligatorischen Impfung, weil ich der Ansicht bin, dass in un¬
serem republikanischen Staatswesen die Anwendung von Zwangsmassregeln über¬
haupt der persönlichen Freiheit zu nahe tritt. Ich würde viel eher für Belehrung
unseres Volkes in diesem Capitel meine Stimme abgeben, als auf der bisher be¬
tretenen Bahn der Zwangsimpfung bleiben. Sollte der Sturm gegen den Impf¬
zwang seinen Zweck erreichen und in Zukunft das Impfen entweder als facultativ
erklärt oder gar abgeschafft werden, dann würde ich mich auch fügen, aber in der
festen Ueberzeugung, dass unser Volk durch Schaden erst klug werden muss, und
dass vor Ablauf von 10 oder 15 Jahren das Impfen doch freiwillig obli¬
gatorisch wieder eingeführt würde.“
Dr. Züit (Rheineck): „Bei dem überhandnehmenden Misstrauen gegen das
Impfen von Seite des Publicums und bei dem grossen Mangel an achtem Kuh¬
pockenstoff beantrage ich: 1) Freistellung des Impfens, 2) Aufhebung des Impf¬
zwangs ; die Zukunft wird dann nach wenigen Jahren lehren, ob das Impfen über¬
flüssig, oder aber Bedürfniss sei! Viele Leute müssen durch Schaden klug wer¬
den , deshalb verzichte ich auf den Impfzwang und das obligatorische Impfen.“
Dr. Prevosl , Genf, bemerkt; „Je pr6f6re et je mets au-dessus de cette Obligation
la libert^ individuelle.“ Dr. Bumier , Lausanne: „Non! Par respect pour la libertä
individuelle.“ Dr. Thut, Ober- Entfelden : „Nein! Die individuelle Freiheit gestattet
keinen ähnlichen Eingriff auf den menschlichen Organismus.“
Wir fügen hier noch aus dem längeren Votum von Dr. Sidler in Egerkingen
die folgenden Bemerkungen bei: „Der Gründe, die mich bewogen, dio 4 ersten
Fragen mit voller Ueberzeugung zu bejahen, die Aufrechterhaltung obligatorischer
Impfung aber mit „Nein“ zu beantworten, sind es hauptsächlich zwei: Für’s Erste
finde ich es mit der persönlichen Freiheit nicht vereinbar, dass der Staat in irgend
Etwas über unsem Körper verfüge, ohne dazu durch zwingenden Grund genöthigt
zu sein. Man komme mir nicht mit dem Einwande des allgemeinen Wohles. Der
Staat sorge wie bis anhin (oder eigentlich noch besser als bis anhin) für Gelegen¬
heit, sich unentgeltlich und ohne Gefahr seiner Gesundheit impfen und wieder¬
impfen zu lassen. Jeder Einsichtige wird unzweifelhaft die Gelegenheit benützen,
ebenso gut als er sich den schmerzenden Zahn plombiren oder ziehen und das
Hühnerauge ausschneiden lässt Jemanden aber zur Impfung zwingen, der Furcht
oder Abneigung dagegen hat und lieber die Gefahr der Pockenerkrankung riskirt,
dazu hat der Staat meiner Ansicht nach die Berechtigung nicht. . . .
„Ein Anderes freilich ist es mit dem Militär. Hier halte ich die obligatorische
Impfung aus militärischen Gründen, im Hinblick auf ein möglichst gesundes, kräf¬
tiges Heer für durchaus berechtigt und geboten.
„Der zweite Grund liegt in den factischen Verhältnissen. Die Erfahrung hat
gelehrt und lehrt es noch alltäglich, dass die ausübende Heilkunde um so grossem
Widerstand findet, je mehr sie zu ihren Anordnungen den Schutz der Gesetze be¬
darf. Es ist dies erklärlich aus dem jedem Menschen innewohnenden und gegen¬
wärtig durch die Entwicklung der Volksrechte so mächtig gehobenen Drange nach
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möglichst vollständiger Freiheit. Die Erfolge, welche die sogenannten Impfgegner
bei dem Publicum zeitweilig errungen haben, schreiben wir — nicht zum gering¬
sten Theile — dem Impfzwange zu. Man beseitige denselben, das Urtheil wird
sofort ein objectives werden und dann ist es bald ausgemacht, welche Ansicht
durchdringen wird. Wir erinnern nur an den so ähnlichen und dem gegenwärti¬
gen vielfach verwandten H e y e r sturm im Canton Aargau!
„Wir sind überzeugt, dass die Aufhebung des Impfzwanges gerade die Impf¬
frage rascher und energischer in unserm Sinne lösen wird, als es hundert Ge¬
setzesparagraphen, Verordnungen und gelehrte Abhandlungen über die Nothwendig-
keit desselben thun würden. Wir huldigen hier ganz der Drtrtcm’schen Lehre vom
Kampf um’s Dasein und glauben, die Impfgegner werden von selbst verschwinden,
so oder anders. Und es ist auch gut so.“
Citiren wir hier schliesslich noch 3 Voten von Collegen, die mit Entschieden¬
heit die Bestrebungen der Impfgegner verurtheilen: „Unverantwortliches Gebahren
gegen ein bewährtes Schutzmittel“ (Dr. Kottmann sen., Solothurn). „Ich halte die
Agitation gegen die Impfung für den grössten Frevel, der je an der Menschheit
begangen worden ist“ (Dr. Slreiff , Glarus). „Die Impfung ist das schönste Ge¬
schenk, welches von der Medicin der Menschheit gemacht wurde“ (Dr. Barth , Baden).
Zum Schlüsse tbeilen wir den Collegen noch die Resolutionen mit, die die
Section Sursee des ärztlichen Vereins der Centralschweiz, in Sachen Impfung, an¬
schliessend an die Abstimmung, gefasst hat.
„Die Section Sursee des ärztlichen Vereins der Centralschweiz, gegenüber der in un-
serm engern und weitern Vaterlande sich geltend machenden Agitation gegen das Impf¬
wesen und namentlich auch in Hinsicht auf die bevorstehende Reform desselben im Can¬
ton Luzern Stellung nehmend, hat heute den 28. December 1870 mit Einstimmig¬
keit und mit voller Ueberzeugung folgende Resolutionen gefasst:
1. Sie anerkeunt in Sachen das auf die gründlichste und einlässlichste Untersuchung
und auf ein umfassendes Aktenmaterial sich fussende Gutachten des niederösterreichischeil
Laudessanitätsrathes vom Jahre 1872, publicirt in der Wiener medicin. Wochenschrift
vom Jahre 1873 Nr. 1 — 8 als auch noch heute in allen wesentlichen Punk¬
ten der Wahrheit entsprechend.
2. Folgerichtig befürwortet sie unter Verweisung auf dieses Gutachten für das neu
zu erlassende Impfregulativ des Ct. Luzern:
a. Entschiedenes Festhalten am Zwange für die erste Impfung mit
Nachimpfung bei mangelndem oder ungenügendem Erfolge.
b. Verbindlichkeit der Wiederimpfung nicht nur für die Recruten, son¬
dern auch für die gesammte Schuljugend nach dem Beispiele des Impfgesetzes des Cts.
Freiburg und des deutschen Reiohs , eventuell wenigstens obligatorische Wiederimpfung
aller Bewohner eines Pockenhauses.
c. Errichtung eines cantonalen I mp f i n s ti t u t s zu Producirung genüg-
licher Kuhpocken- resp. Farrenlymphe für die Vorimpfung in sämmtlichen Impfkreisen.
d. Massenimpfung mit frisch humanisirter Lymphe von Arm zu Arm, aber mit
den strengsten Vorschriften für die Auswahl der Stammimpflinge, für welche zur Ver¬
hütung der Uebertragung von 8yphilis ein Altersminimum von ’/, Jahr aufzustelleu und
die bisher übliche Gratification zu erhöhen ist.
e. Offenlassen der Frage betreffend Verwendung der Glycerin-Lymphe.
f. Ausschliessung jeder Luft, Blut, Flocken oder Gewebtheile haltenden Röhren -
Lymphe.
g. Beibehaltung der Vereinigung der Kinder- und Recrutenimpfung, damit letztere
von Arm zu Arm stattflnden kann.
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h. Feststellung der Impfsaison auf die mildere Jahreszeit, sofern nicht Erysipele
oder andere ansteckende Kinderkrankheiten herrschen, während welchen das Impfgeschäft
einsustellen istj zur Zeit des Pockenausbruchs in einer Gemeinde sofortige Impfung
im ganzen Kreise.
i. Verschärfung des Gontrollew esens zur bessern Durchführung des
Impfzwangs, zur leichtern Ueberwachung betreffend Uebertragung von Krankheiten, sowie
zur Aufstellung einer sichern Statistik; daher Einführung stehender Impfprotokolle nach
dem Vorschläge des Wiener Gutachtens und genauere Impfzeugnisse mit Angabe des
Erfolges (ob gut, mittelmässig oder gering) und Beibehaltung der Schulvisitationen von
3 zu 3 Jahren. Dem Impfarzt ist ein öffentlicher Beamter als Actuar beizuordnen.
k. Einheitliche Vorschrift bezüglich Impftechnik ; Schnitt oder Stich wenigstens an
6 Stellen an beiden Armen zugleich, aber zur Verhütung von Confluiren und heftiger Ent¬
zündung, wenigstens 1 */ 2 Cm. auseinander.
3. Angesichts des fanatischen Treibens der Impfgegner wäre ein längeres Indifferent¬
bleiben des ärztlichen Standes, der sich die Pflege der Gesundheit des Volkes als Devise
auf die Fahne geschrieben, eine unmoralische Handlungsweise. Es ist daher von der
Section Sursee an den Centralvorstand des Schweiz, ärztlichen Vereins das Begehren zu
stellen, dass die Impffrage auf die Tractanden der nächsten Hauptversammlung in Bern
gesetzt werde; auch sollen die andern Sectionen des Cantons in der Sache wachgerufen
und ihnen die heutigen Beschlüsse mitgetheilt werden, namentlich in Hinsicht auf die
ltnpfreform des Cantons.
4. Gegenwärtige Resolutionen sollen auch dem Sanitätsrath des Cantons übermittelt
und demselben der Wunsch ausgesprochen werden, dass der Entwurf des neuen Impf-
regulativs, sowie überhaupt in Zukunft wichtigere sanitarische Gesetze und Verordnungen
nach dem Beispiele des Cts. Bern der ärztlichen Gesellschaft zur Vernehmlassung zur
Kenntniss gebracht werden.
Hiemit schliessen wir diese Zusammenstellung der Voten der Schweizer Aerzte
Impfung betreffend. Die eingelaufenen Stimmkarten selbst werden wir den Prä¬
sidenten der Impfcommission übermitteln und danken Namens der schweizerischen
Aerzte-Commission den Herren Collegen für den Ernst, mit dem sie unsere Fragen
beantwortet haben.
Wir enthalten uns , einige subjective Eindrücke und Bemerkungen über das
Gesammtresultat der Abstimmung hier beizufügen. Mag der strenge Kritiker an
dieser Arbeit — die übrigens eine ziemlich zeitraubende gewesen — Verschiedenes
tadeln und aussetzen, ein Vorwurf kann uns nicht treffen, nämlich der, mit vorge¬
fasster Meinung und parteiisch das eingelaufene Material gesichtet und verwerthet
zu haben.
"V" ereinertberiolite.
Ordentliche Winterversammlung der medicinisch- chirurgischen Gesellschaft
des Cantons Bern.
Samstag den 2. December 1876 in der neuen Entbindungsanstalt in Bern.
Präsident: Dr. J. R. Schneider , Sekretär: Prof. Dr. Kocher.
Anwesende Mitglieder 60.
Ehrengäste: Herren Regierungsrath Bodenhemer , Dr. A. Archoff.
Eröffnung 11 */« Uhr.
Verhandlungen:
Indem das Präsidium die zahlreiche Versammlung freundlich begrüsst, deutet
dasselbe darauf hin, dass die Herstellung des Gebäudes, in welchem dieselbe zu-
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sammengetreten, insofern theilweise das Werk unserer Gesellschaft ist, als dioselbo
in einer Reihe von Jahren wiederholt bei den Behörden darauf aufmerksam ge¬
macht hat, dass die Errichtung desselben bestehenden grossen Uebelständen ab¬
helfen und dem Canton zur Ehre und Nutzen gereichen werde. Gerne will er
auch das diesortige Entgegenkommen der Behörden als ein gegebenes Pfand be¬
trachten für die Erfüllung anderer ähnlicher Wünsche, welche die Gesellschaft
bereits bei den Behörden anhängig gemacht hat.
Prof. Dr. Müller spricht als Vorsteher der Anstalt der Gesellschaft den Dank
aus, dass sie sich so oft und lebhaft dafür verwendet hat, eine neue solche An¬
stalt ins Leben zu rufen, indem sie wiederholt auf die sanitären Missstände der
alten Anstalt aufmerksam gemacht hat. Er ladet die Versammlung ein zu einem
Rundgang durch die neue Anstalt nach Schluss der Verhandlungen.
Zu den Tractanden übergehend folgt:
1. Genehmigung des Protocolls. Von der Verlesung desselben wurde abstra-
hirt, weil dasselbe bereits durch den Druck veröffentlicht wurde.
Von Seite des Herrn Prbf. Emmert wurden die nachfolgenden Redactionsver¬
änderungen verlangt:
Auf pag. 650 linca 27: „was er (Emmert) an der Hand der Schrift des Herrn
Dr. Schwarz , Reiseerinnerungen 1876, nach weist“, worauf Dr. Vogt erwiderte: „dass
er seine bezüglichen Kenntnisse aus den englischen Gesetzen selbst und nicht nur
aus Relationen von Schriftstellern geschöpft habe“. Pag. 655 linea 15 statt: „dass
die practischen Aerzte — haben würden“ setze: „dass es auf die streng geprüften
und patentirten Aerzte einen deprimirenden Eindruck machen würde, wenn sie
wohl zu erstinstanzlichen Untersuchungen , nicht aber zur Beurtheilung derselben
als befähigt beigezogen würden. Es könnte auch eher als berechtigt erscheinen,
Specialisten für gerichtliche Medicin, Toxicologie und pathologische Anatomie zu
verlangen, als für die practischen Fächer, welche jeder Arzt übt.
Ad pag. 656 verwahrt sich Prof. Emmert dagegen, dass er der Commission die
Absicht zugemuthet, nur Professoren ins Collegium zu wählen. Er habe nur dar¬
auf hingewiesen , dass dieses die nothwendige Consequenz ihrer Vorschläge sein
müsste. Auch habe er nicht den Professor der gerichtlichen Medicin, sondern die
gerichtliche Medicin als solche in den Behörden vertreten wollen.
Mit diesen vom Präsidium zugegebenen Rectificationen war das Protocoll von
der Versammlung genehmigt
2. Vortrag von Prof. C. Emmert: Ueber Gegensachverständige.
Wir bringen denselben in kurzem Auszuge:
Bei den Gegensachverständigen handelt es sich sehr oft um einen missbräuch¬
lichen Vorgang, über welchen sich schon die bedeutendsten gerichtsärztlichen Au¬
toritäten missbilligend ausgesprochen haben und dessen ungeachtet hat die Gesetz¬
gebung bis jetzt diesem Vorgang keine Aufmerksamkeit geschenkt und auch das
ärztliche Publicum verhält sich hier in einer eigenthümlichen Art von Indifferenz.
Gegensachverständige sind die Aerzte, welche von dem Angeklagten nur zur
Hauptverhandlung mit Erlaubnis des Präsidenten des Gerichtes berufen werden,
bei den vorausgegangenen Untersuchungen aber in keiner Weise betheiligt waren
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und keine schriftlichen Berichte bei den Acten haben, die vom Angeklagten bezahlt
werden und so gleichsam als Entlastungszeugen im Dienste des Angeklagten resp.
der Vertheidigung stehen, daher sie auch Defentional-Sachverständige genannt
werden. Es ist ihnen nicht darum zu thun, Fehler und falsche Schlüsse in den
Berichten zu corrigiren, zweifelhafte Verhältnisse aufzuklären u. s. w., sie haben
keinen andern Zweck, als die Vertheidigung zu unterstützen, indem sie die Schlüsse
zweifelhaft zu machen suchen und dadurch auf das Urthcil der Geschwornen ein¬
wirken. Die Gegensachverständigen können nicht aus eigener Anschauung urthei-
len, lassen sich daher auf Erörterung theoretischer Fragen und wissenschaftliche
Streitigkeiten ein und schliesslich bleibt den Geschwornen der Eindruck, die Me-
dicin sei hier nicht im Stande Aufschluss zu ertheilen. Die bedeutendsten Auto¬
ritäten haben sich daher gegen diese Gegensachverständigen ausgesprochen , so
Taylor , Casper , Mossillo. Dem Uebelstand kann nun abgeholfen werden auf 2 Wegen.
Entweder wird die Zulassung von Gegensachverständigen völlig untersagt, was
aber bei dem jetzigen schonenden Gerichtsverfahren unmöglich sein wird. Daher
kann man sich nur auf den Standpunct stellen, dass die Beiziehung von Defen-
tional-Sachverständigen an gewisse Bedingungen geknüpft werde und zwar:
1. Soll das Gericht angewiesen werden, dass in diesem Falle sämratliche rich¬
terliche Experten ebenfalls beigezogen werden, nicht dass der Gegensachverstän¬
dige einzig ist.
2. Die Defentional-Sachverständigen sind gehalten, ihre oppositionellen An¬
gaben, die sie zu machen im Falle sind, vor der Hauptverhandlung schriftlich dem
Präsidenten einzugeben, damit die richterlichen Experten davon Kenntnis» nehmen
können.
(Der Vortrag soll in extenso im Correspondenz-Blatt veröffentlicht werden.)
Da die eröffnete Discussion nicht benutzt wird, verdankt das Präsidium Namens
der Versammlung den Vortrag und zeigt an, dass die medic. Facultät
der Gesellschaft die letzten D o c t o r - D i s s e r t a t io n e n als
Ge schenk Übermacht hat, nämlich:
Berlinerblau , Frln. , Ueber den directen Uebergang von Arterien in Venen.
Decker , Charles , K^ratite növropalytique. Dübelt, Peter , Ueber Entstehung des Bla-
sencatarrhs. Gerster, Rudolf\ Ueber die Lymphgefässe der Hoden. Hafdimann , G., Zur
Kenntniss des Ergotins und des Ecbolins. Hasse, Sophie , Septiceemie und ihre Ur¬
sachen. von Ins , A .. Ueber Staub-Inhalation. Lachenal , Gust., Ueber Case'ine und
Stickstoffgehalt der Milch. Müller, A., Hereditätsverhältniss bei der Lungenschwind¬
sucht. Pütz, B. , Zur Anatomie und Physiologie des Sprunggelenks. Rapin , Oscar ,
Etüde sur l’engagement lateral de la töte ä l’entrde du Bassin. Reichenbach , Ed.,
Etüde historique de l’expert mödico-lögal. Secretan , Al fr ., Sur la putrefaction de
l’Albumine. Stoff, Olga , Ueber die Wirkung des Anilin’s. Swiatlowsky , Ueber die
Wirkung des Chloralhydrats. Vögtli , Carl , Zur Physiologie der Nachgeburtsperiode.
Endlich von Herrn Prof. Quincke , Abhandlung über Glycosurie.
3. Fortsetzung der Verhandlungen über den Entwurf eines Reglementes für
das gerichtlich-mediciniBche Collegium. Berichterstatter: Prof. Dr. Müller. Man
beginnt mit III.
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Präsidium beantragt folgende Redaction von § 15:
„Berichte, Gutachten und Entwürfe von geringerer Bedeutung können vom
Präsidenten direct dem Collegium zur Berathung vorgelegt werden. Wichtigere
Actenstücke sind bei den Mitgliedern in Circulation zu setzen und jedesmal ein
Mitglied eventuell Ersatzmann mit der Berichterstattung zu beauftragen. In Fäl¬
len , wo die Angelegenheit Eile hat, hat der Präsident nach eigener Kenntniss-
nahme der Acten dieselben einem Mitglied zu sofortiger Berichterstattung und
Antragstellung zu übermachen.“
Wird ohne Einsprache angenommen.
Ad § 17. Präsidium will statt die Hälfte der eingeladenen setzen: „Gültige
Beschlüsse können nur in Anwesenheit von wenigstens 4 Mitgliedern gefasst wer¬
den.“ Angenommen. Ferner beantragt es, den § 19 zu streichen und zu § 18
hinzuzufügen: „Bei offener Abstimmung und gleicher Stimmenzahl gibt er den
Stichentscheid. Bei geheimer Abstimmung (Wahlen) ist er stimmberechtigt, wie
jedes andere Mitglied.“
Referent will dem Präsidenten den Stichentscheid ganz nehmen.
Prof. C. Emmerl glaubt hingegen, letzteres könnte zu Inconvenienzen führen.
Wenn zwei gegensätzliche Parteien sind, ist es absolut nothwendig, dass der Prä¬
sident Stichentscheid hat. Referent will dies zugeben für rein geschäftliche Dinge.
Allein es kommen Fälle vor, wo eine Hälfte sagt, diese Ansicht haben wir in
wissenschaftlichen Dingen, die andere hat eine andere, und da wollte er dem Prä¬
sidium keine solche Stellung geben in wissenschaftlicher Beziehung.
In offener Abstimmung wird beschlossen, dem Präsidenten den Stichentscheid
zu belassen.
Ad § 21. Prof C. Emmert beantragt, die Bestimmung wegen der Repräsenta¬
tion vor Gericht fallen zu lassen, da die Aufforderung dazu vom Gerichte aus
kommt. Wird angenommen.
In § 26 wird statt Special- „technische Untersuchungen“ gesetzt.
Ad § 29. Prof. C. Emmert will diesen „wahren Arnims-Artikel“, der speciell
gegen ihn gerichtet sei, fallen lassen. Er habe schon seit längerer Zeit die Er¬
laubnis erhalten, die Acten des Sanitäts-Collegiums zu Lehrzwecken zu benützen.
Hach diesem Paragraphen wäre dies nicht mehr möglich, da, wenn der Fall ab-
geurtheilt ist, man nicht mehr in den Besitz der Acten kommen kann.
Referent: Herr Prof. Emmert sieht in jedem Paragraphen einen Dolch, der
gegen ihn gerichtet ist. Es ist dies gar nicht der Fall. Mir kam es so vor, dass
von Seite der Gerichte diese Benützung der Acten zu Lehrzwecken nicht mehr
gewünscht werde. Ich vom Standpuncte des academischen Lehrers würde es be-
grüssen, wenn ein Modus geschaffen würde, dass den Studirenden frische Fälle
zur Beobachtung kommen können.
Der Antrag von Prof. Emmert wird mit grossem Mehr angenommen und auf
Wunsch des Präsidiums wird § 28 noch genauer redigirt werden, da er nicht Alles
umfasst. Es können z. B. Fälle Vorkommen, wo Mitglieder mit den in der Unter¬
suchung liegenden Personen aus Gründen der Verwandtschaft den Austritt zu neh¬
men haben.
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Schluss und Eingang des Entwurfes werden ohne Einsprache genehmigt und
einige dem Präsidium noch wünschbar erscheinende Redactions-Abänderungen von
§ 1—15 den Redactoren überlassen.
Durch das Präsidium wird schliesslich Namens der Versammlung die Arbeit
des Redactionscomitü’s bestens verdankt.
4. Vortrag von Prof. Dr. Müller: „Bei verschleppter Querlage
Wendung oder Embryotomie?“ (Erscheint im Correspondenz - Blatt
vollständig abgedruckt)
Die Discussion benützt blos Dr. Salchli (Aarberg). Das Verfahren der Embryo¬
tomie und Decapitation hat er schon geübt, ersteres ein- , letzteres viermal. —
Gegen das Verfahren ist absolut nichts zu haben, weil die Mutter weniger darun¬
ter leidet als bei der Wendung. Fälle verschleppter Querlagen kommen besonders
oft auf dem Lande vor, weil man hier häufig zu spät, nach 3—6 Stunden beru¬
fen wird.
Prof. Müller bemerkt, dass gerade die verzweifelten Fälle zur Decapitation und
Embryotomie geeignet sind, und glaubt, wenn diese Operationen mehr ins ärztliche
Publicum kommen, werde die Mortalität bei solchen verschleppten Querlagen eine
viel geringere sein.
Präsidium zeigt nach Schluss der Discussion an, dass der Rapport über die
Spitalfrage durch die inzwischen erfolgte Austheilung des interessanten Be¬
richts des Herrn Regierungsraths Bodenheimer überflüssig geworden, wenn es aber
verlangt werde, noch während der Mahlzeit erfolgen könne. Es beantragt Namens
des Coznitö, folgendes Telegramm abzusenden:
„Herrn Prof. Breisky in Prag!
Die medicinisch-chirurgische Gesellschaft des Cantons Bern, zum ersten Mal
in der neuen Entbindungsanstalt versammelt, gedenkt dankbar Ihrer glücklichen
Initiative zur Herstellung dieses Institutes, wie überhaupt Ihrer erfolgreichen Wirk¬
samkeit in unserer Mitte, insbesondere an unserer Hochschule und sendet Ihnen
einmüthig ein dreifach donnerndes Lebehoch. Im Namen Aller, das Comitü:
Dr. Schneider, Wyllenbach , Ziegler, Prof. Kocher > Quincke , Müller .“
Mit Einstimmigkeit wird das Telegramm genehmigt und sofort abgeschickt.
Nachdem die ganze Gesellschaft, geführt durch Herrn Director und Professor
Müller und die Herren Assistenten, von den Einrichtungen der neuen Anstalt mit
Befriedigung Kenntniss genommen, begab sich dieselbe nach dem Casino zum
Mittagsmahl.
Während demselben erstattete Herr Prof. Kocher über die III. Serie sei¬
ner ausgeführten Ovariotomien*) einen kurz gefassten Bericht, nach
welchem er auch hier gleich günstige Resultate erzielte, wie bei den frühem Se¬
rien, nämlich 4 Heilungen und nur einen Todesfall. Er betonte besonders , wie
nach seinen Erfahrungen vorausgegangene Punctionen die Operation schwieriger
und gefährlicher machen können.
Auf Antrag des Dr. Dutoit wurde beschlossen, dem Secretär des Comitös, der
*) Vide in extenso im Correspondeni-Blett 1877, Nr. 1.
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ohnehin mit Geschäften überhäuft ist, in einem jungem Mitglied einen Gehülfen
beizuordnen.
Unter gewohntem Ceremoniell wurden als neue Mitglieder aufgenommen: die
Herren Aerzte Konstantin Kaufmann , Emil Lanz und Robert Vogt.
Dem Comit6 wurde es überlassen, für die Sommersitzung Zeit und Ort
zu bestimmen.
Es fehlte auch nicht an Toasten und Gesängen. Von den erstem galt ein
vom Präsidium dargebrachter der Uebereinstimmung und Harmonie in Lösung der
Fragen über Herstellung und Erweiterung unserer Krankenanstalten zwischen un¬
serer Gesellschaft und den betreffenden Behörden unter diesen selbst und endlich
dem Volke, das endgültig darüber entscheiden wird. Von Prof. Müller auf das
einträchtige Verhältnis zwischen Chirurgie und Geburtshülfe. Vom Präsidium auf
die Hoffnung, dass Herr Bodenheimer der Regierung und dem Medicinalwesen er¬
halten bleibe. Von Herrn Regierungsrath Bodenheimer auf baldige und glückliche
Erledigung der Fragen in Sachen der Krankenanstalten und des Sanitätsgesetzes.
Einem humoristischen Duell zwischen den Herren Professoren Kocher und
Müller über die Grenzen zwischen Chirurgie und Geburtshülfe und bei welchen
mehr Humanität geübt werde, folgt eine Controverse zwischen Herrn Dr. Lehmann
und Herrn Regierungsrath Bodenheimer über die Grenzen der Selbstständigkeit der
Inselcorporation.
Ein heiterer Gesang der jüngera Mitglieder der Gesellschaft ertönte noch, als
bereits der grössere Theil der Gesellschaft vom Dampfross geführt nach den ver¬
schiedenen Gegenden in ihre Heimath abgegangen waren.
Soctötö m6dicale neuchäteloise.
S4ance du 12 F^vrier 1876. Pr^sidence du Dr. Ladame.
(Schluss.)
IV. Corps ötrangers de la chambre ant^rieure et de l’iris.
II est quelquefois difficile de reconnaitre si un corps ätranger a p6n6tr6 dans
la chambre antärieure et s’il n’a pas ultärieurement bless4 le cristallin. Pour cela
il faut examiner la corn6e ä l’öclairage oblique, on trouvera avec un peu d’atten-
tion la plaie d’entr£e; puis en examinant de möme le cristallin, la pupille 6tant
dilat^e par Tatropine, on rcconnatt facilement toute döchirure de la capsule.
On a des exemples de corps 6trangers qui ont 6t6 parfaitement Supportes pen-
dant des ann6es dans la chambre ant^rieure, libres, devenus adhärents h l’iris ou en-
kyst^s. Cependant la plupart provoquent des iritis et des iridocyclites tr&s graves.
Aussi est-il dans tous les cas indiqu6 de les dloigner. Le plus souvent il n’est pas
possible de les enlever sans enlever aussi la partie de l’iris sur laquelle ils re-
posent. On peut arriver ä faire sortir le corps 6tranger s’il est mobile par le pro-
c6d6 suivant: on fait une incision linöaire pas trop pdriph^rique, on prend garde
de ne pas laisser s’6couler l’humeur aqueuse et pour cela on retire le couteau lan-
c^olaire brusquement; puis on change la position de l’op£r6, on le place de f«$on
ä ce que l’incision röponde ä la partie la plus d4clive de la chambre antärieure,
et seulement alors on laisse dcouler l’humeur aqueuse en ouvrant la plaie cornö-
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enne avec une curette. C’est ainsi qu’on peut retirer de petits corps flottants dans la
chambre antörieure. Quant aux plus gros, que l’on peut saisir avec des pinces, il
est plus ais6 de les amener au dehors, mais il est rare que l’opgration ne soit pas
suivie d’iritis, si cette inflammation n’a pas du reste d6jk d6but<$ avant l’opäration.
V. Corps tUrangers du cristallin. Ici nous devons distinguer entre
les corps 6trangers qui ont p£n4tr6 directement dans le cristallin k travers la pu-
pille, sans 16ser d’autres membranes que la corn^e, et entre les corps 6trangers
qui ont en passant d^chirö l’iris. Dans le preraier cas, le corps 6tranger d^termine
une ddchirure de la capsule, l’humeur aqueuse infiltre, opacifie et finit par dis-
soudre le cristallin. Ce processus sera d’autant plus simple, d’autant moins irritant
pour l’oeil que le sujet sera plus jeune. Si on a soin dks les premiers jours d’em-
ployer l’atropine de fa$on k dilaler convenablement la pupille, il est rare qu’il se pro-
duise une Iritis. Que devient le corps 4tranger pendant et aprks la rösorption du
cristallin? 11 peut rester enclav4 dans des döbris de ce corps formant une ca-
taracte secondaire: j’ai vu un fragment de capsule ötre ainsi tol6r4 pendant 27 ans
sans qu’il eüt produit d’iridocyclite; il est vrai de dire que dans ces cas la vision
est fort imparfaite. D’autres fois le corps 4tranger tombe dans la cbambre ant&rieure
enchassä dans un fragment de cristallin qui vient s’y dissoudre. De Graefe a pro-
fit4 de ce fait, dans un cas qu’il eite (A. f. O. II. a. 229) pour sortir le corps 6tranger
au milieu des döbris de cristallin k travers une simple incision lin6aire, en ayant
soin de faire passer la lame du couteau lanc^olaire en arrikre du dit corps Pran¬
ger. Le plus souvent il sera cependant plus prudent de ne pas attendre, pour en-
lever le cristallin et le corps 6tranger, que ce dernier ait p6n6tr6 dans la chambre
ant4rieure; il peut en effet y d^terminer de graves accidents inflammatoires. Pour
Stre sür de ne pas laisser 4chapper le corps 6tranger pendant l’op£ration, il faut
attendre pour la pratiquer que le cristallin ait, par l’imbibition progressive de ses
couches, acquit une consistance teile qu’il puisse &tre facilement enlev6 en entier;
la temporisation est ici utile, et n’est contre-indiquöe que lorsque des accidents d’iritis
ou une augmentation de pression intraoculaire (accidents glaucomateux) rendent
n^cessaire une Intervention chirurgicale imm6diate. Derni6rement encore j’ai attendu
pr6s d’un mois avant d’extraire un cristallin rec&ant un fragment de laiton chez
un homme d’une trentaine d’ann^es; mais l’oeil £tait sans aucune r£action. Lors-
qu’on op6re une cataracte pareille, il vaut mieux aller chercher le cristallin avec
une curette (curette de Critchett ou de Waldau ) que de risquer de voir le corps
4tranger s’4chapper pendant le glissement de la cataracte entre les lövres de
l’incision; ce n’est que lorsque le corps est tout k fait au centre du cristallin et
que celui-ci est d’une consistance ferme que Ton peut se passer de cette pr6-
caution.
Lorsque le corps £tranger a dans son passage d4chir6 l’iris, les symptömes
inflammatoires sont beaucoup plus prononc£s que lorsque le cristallin seul a 6t6
touch6; il y a dans ces cas constamment iritis plus ou moins violente et un trai-
lemefit par la dikte, le repos, les calmants, au däbut quelques sangsues devant
l’oreille est indiquä. Mais ce qu’il faut faire avant tout dans ces cas compliqu4s,
malgrä l’inflammation concomitante, c’est d’dloigner le corps 6tranger et de r6gu-
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lariser la blessure de l’iris, en enlevant toutes les partles qui viennent s’enclaver
dans la plaie cornEenne et en substituant aux dEchirures une section francbe. En
enlevant le cristallin gonflE et le corps Etranger, on place l’oeil dans les condi-
tions oii il est aprEs une Operation de cataracte compliquEe d’iritis. Or nous savons
que dans ces cas l’oeil peut recouvrer, immEdiatement ou k la suite d’opErations
complEmentaires, une vue trEs passable. Vous comprenez facilement qu’un morceau
de capsule tel que celui que je vous präsente ne puisse sEjourner impunEment
dans l’oeil mElE k des dEbris de cristallin, k des lambeaux d’iris, k du sang Epan-
chE. Ce morceau a EtE enlevE d’un cristallin, trois jours aprEs l'accident, lorsqu’il
y avait dEjü iritis. AprEs une Operation complEmentaire (iridotomie), deux mois et
demi aprEs l’accident, cet oeil avait recouvrE une vision de '/, et lisait Sn. 3'/ 2
avec un verre appropriE.
VI. Corps Etrangers dans le corps vitrE.
L’ouverture d’entrEe par oü le corps Etranger a pEnEtrE en arriEre du cristal¬
lin peut Etre dans la sclErotique, tout particuliErement k travers le corps ciliaire,
ou bien dans la cornEe. Dans le premier cas, le cristallin n’est pas nEces-
sairement touchE; dans le second il l’est infailliblement. Nous distingueron9
entre ces deux alternatives. Souvent la sclErotique et la cornEe sont frappEes en-
semble, alors le cristallin est aussi lEsE.
1° Corps Etranger dans le corps vitrE avec cataracte trau-
m atiqu e.
La rEaction immEdiate est beaucoup plus vive que lorsque le cristallin est in-
tact. Le gonflement du cristallin au contact de l’humeur aqueuse et du corps vitrE
ouvert dEtermine promptement une iridochoroi'dite avec hyalitis et souvent cyclite.
Il n’est pas rare de voir une panophthalmie conduire ä la perte totale de l’oeil.
A nos yeux l’intervention chirurgicale, quelqu’ingrate qu’elle soit souvent, se jus-
tifie dans ces cas, parcequ’elle ne place en tous cas pas l'oeil dans des conditions
plus mauvaises que celle oü il se trouve avant 1’opEration. On conduira donc
l’incision linEaire pEriphErique de faQon k pouvoir rEgulariser les dEchirures de
l’iris, on enlEvera le cristallin, puis on cherchera, et par la position donnEe au ma¬
lade, et par des manoouvres avec des pinces, des curettes, des crochets mousses,
k amener 1« corps Etranger dans la plaie sans ceper.dant provoquer une perte trop
considErable de corps vitrE. Si les tentatives ne conduisent k rien, il ne faut pas
se dEpiter trop töt, voire mEme recourir ü 1’EnuclEation pour prEvenir une Oph¬
thalmie sympathique Eventuelle. Le cas suivant montrera que le corps Etranger
peut encore sortir de l’oeil sans autre manoeuvre opEratoire.
Le 5 Juin 1873 au soir me fut amenE un enfant de 8 ans qui avait re^u l’a-
vant veille un Eclat de capsule dans l’oeil gauche. La cornEe Etait perforEe en haut
et en dehors, l’iris dEchirEe en face de cette plaie; le cristallin Etait opaque et
gonflE, fragmentE par le passage du corps Etranger. Il y avait iritis. On n’aperce-
vait pas trace du fragment de capsule. Le 6 au matin j'enlevai le cristallin par une
plaie pEriphErique linEaire supErieure, je rEgularisai la plaie de l’iris, mais aucune
manoeuvre ne put amener au dehors le corps Etranger. Le corps vitrE a re£u des
Fragments de cristallin et est trop rempli d’opacitEs pour qu’on puisse y discerner
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le morceau de capsule. Jusqu’au 11 Juin, les douleurs cessörent malgrö la persis-
tance de l’iritis; la plaie de l’opöration et la plaie faite par le corps ötranger s’ö-
taient refermöes. Le 11 Juin les douleurs reviennent, la plaie de l’opöration s’est
rouverte et ses bords sont infiltrös; il y a hypopyon. On continue l’atropine et
le bandage compressif. Je prescris ä l’intörieur du calomel k dose röfractöe, et fais
appliquer sur l’oeil toutes les deux heures un cataplasme chaud que Ton öte dös
qu’il est froid pour remettre le bandage. Le 22 Juin, il n’y a plus de douleur ni
d’hypopyon, les membranes plastiques qui existent dans la pupille se vascularisent.
La plaie de l’opöration est toujours ouverte et il en sort de temps k autre quel¬
ques matiöres purulentes. On continue le bandage, mais on eupprime les cataplasmes.
Le 27 Juin au matin, en nettoyant la plaie de la cornöe, j’y döcouvre le mor¬
ceau de capsule qui avait ötö ainsi chassö dans l'endroit de moindre rösis-
tance, soit oü le globe de l’oeil avait ötö ouvert. Le morceau, que je vous prösente,
a 3 millim. de long, et 2 millim. dans sa plus grande largeur: il s’effile en pointe aux
deux extrömitös; il a J/, millim. d’öpaisseur. La guörison de l’oeil s’opöra dös lors
normalement, mais avec occlusion pupillaire complöte. Malheureusement, l’enfant,
fils de pauvres manoeuvres, fut nögligö et on ne me le ramena pas au moment que
j’avais dösignö comme propice k une Operation complömentaire. A son döpart de
l’höpital, une lampe k faible flamme ötait vue k 6 mötres et l’enfant indiquait nette-
ment la position de la flamme dans les difförentes directions k 50 centimötres de-
vant l’oeil. La rötine ötait donc encore normale, et il y avait tout espoir d’obtenir
par une iridotomie un rösultat visuel passable.
2° Corps ötrangers dans le corps vitr4 sans cataracte trau>
m a t i q u e. Les phönomönes inflammatoires qui suivent la pönötration de corps
ötrangers dans l’oeil en arriöre de l’öquateur sont moins intenses au döbut que ceux
qui accompagnent une cataracte traumatique compliquöe. Le corps vitrö devient
opaque, de fausses membranes se forment autour du corps ötranger et l’enkystent
plus ou moins; gräce k son poids celui-ci gagne les partics döclives du globe de
l’oeil et vient se loger k l’angle entre la choroide, le corps ciliaire et les procös
ciliaire8. Arrivö k cet endroit, il y devient une cause permanente d’irritation;
meme aprös avoir laissö l’oeil tranquille pendant plusieurs annöes, une cause occa-
sionnelle quelconque peut ramener l’inflammation qu’il provoque, iridocyclite si sou-
vent suivie d’ophthalmie sympathique de l’oeil sain. Aussi est-il absolument indiquö
de chercher möme dans ces cas k öloigner le corps ötranger; et en cas d’insuccös,
ä önuclöer l’oeil dös qu’il reste douloureux. ArU conseille d’opörer comme suit:
Faire entre les muacles droit interne et droit införieur une incision perpendicu-
laire k l’öquateur de l’ooil, öcarter les lövres de cette incision avec des crochets
mousses et laisser s’öchapper le corps ötranger ou möme aller le chercher avec des
pinces. Graefe faisait une incision öquatoriale, comprenant la moitiö de deux muscles
droits. Mais ces opörations n’offrent quelque chance de succös que lorsque la bles-
sure est encore röcente et que le corps ötranger n’est pas entourö de fausses mem¬
branes öpaisses.
Il faut aussi se rendre compte d’un fait, c’est que le corps ötranger peut 3tre
ressorti de l’oeil en arriöre de Töquateur. En Fövrier 1874 j’önuclöais un oeil droit
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qui quelques mois aupar/ivant avait 4t6 blessö par un grain de grenaille; il exis-
tait une iridochoro'idite sympathique de l’oeil gauche. Je m’attendais ä trouver la
grenaille dans l’oeil. En place, je trouvai une cicatrice de sortie; le grain de gre¬
naille avait 6t6 se loger dans la voüte orbitaire au voisinage du canal sus-orbi-
taire. Je fus m§me obligä plus tard, k cause des douleurs qu’il provoquait, d’aller
l’enlever ainsi que deux petites esquilles osseuses d6tach£es du frontal. Ainsi dans
ce cas, l’ophthalmie sympathique avait 4t£ d6termin6e non par le corps ötranger
lui-meme, mais par le retrait cicatriciel des produits plastiques, r6sultat de l’in-
flammation provoquee par son passage. C’est ainsi que nous observons le dävelop-
pement des ophthalmies sympathiques aprfes une simple blessure de la scl4rotique
et du corps ciliaire, et cela ordinairement de 6 semaines k 3 mois apr&s la 14sion,
alors que le retrait des tissus cicatriciels, tiraillant et irritant l’iris et le corps ci-
liaire, dötermine une cyclite. C’est donc surtout k cette p6riode, lorsque l’oeil bless6
semble 6tre gu6ri, que nous devons surveiller tr6s attentivement l’oeil sain de nos
malades, pour ötre pr6ts k pratiquer l’6nucl6ation au moindre symptöme suspect.
Vous voyez, M.M., que le chapitre des corps ötrangers de l’oeil nous präsente
nombre de faits intäressants. C’est en prdsence de ces accidents lk surtout qu’il
faut avoir de la pr^sence d’esprit et raisonner froidement les indications du traite¬
ment. II faut souvent lütter contre les malades ou leur famille, qui reculent devant
une Operation et voudraient temporiser, alors que la temporisation diminue les
chances de r6tablissement. Quant k moi, j’en suis arriv6 k cette conviction qu’une
intervention chirurgicale raisonn^e dans les affections traumatiques de l’oeil avec
corps ^tranger, est pr6f6rable ä l’expectation, voire möme k l’arsenal antiphlogis-
tique oü tant de mödecins vont encore s’armer contre des accidents qu’une petite
Operation aurait conjur&s.“ *)
II s’ensuit une discussion k laquelle prennent part les Drs. de Montmollin, Fa—
varger , Bovet , Ladame , Roulet et Borei.
Le Dr. Favarger präsente quelques remarques sur l’6pid6mie de fi6vre ty¬
phoide qui vient de sövir k Neuchätel, et dont il attribue l’origine principale-
ment k l’eau, ainsi qu’il l’a expos4 dans une causerie mädicale publi6e en
Janvier dans „l’Union liberale“.
Le Dr. Schcerer donne des dötails sur l’4piddmie de fidvre typhoide de
Fontaines (Val-de-Ruz) en 1875. — Il s’engage une discussion assez anim6e au
sujet de la g6n&se de la fifcvre typhoide; le8 avis sont assez partagös, et vu
l’heure avanc6e, la suite de la discussion est renvoy£e k la prochaine söance. *
Seance du 2 Septembre 1876. Pr4sidence du Dr. Ladame.
Le Dr. Ladame lit une notice biographique sur le Dr. Lan t o n
mort k la Chaux-de-Fonds le 6 Döcembre 1875.
*) Depuis que ce travail a 4t6 communiqud & la soci6t4 mddicale neuchiteloise il a paru dass
„Klinische Monatsblätter f. Augenheilkunde“ Mare—Avril 1876, un article de Dr. Waldhauer de Riga sur
les ldsions traumatiques de l’oeil: parmi les observations relatdes s’en trouvent plusieurs qui offrent
une grande analogie avec les quelques cas de corps dtrangers des parties profondea de l’oeil que nous
avons citös. Le traitement employä par Dr. Waldhauer danB ces cas est dirigö d’apiäs les m&mes
principes que j’al indiquds sommairement dans mon travail; lui aussi est partisan de l’intervention
chirurgicale, et il eite ögalement deux cas dans lesquels le corps ätranger, impossible k saisir pendant
1’Operation, est sorti plus tard spontandment de l’oeil pendant le traitement cons6cuti£
joogle
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Le Dr. Fararger presente un travail interessant et trös ätendu sur le role
de l’eau dans la gänäse de la fiävre typhoide. En Consultant la
littärature späciale, et son expärience personnelle, il se trouve en präsence de deux
ordres de faits: d’un cötd un nombre considärable d’epidämies typhoides, locales
ou gänärales, oü la propagation de la fi&vre est dfte certainement ä l’eau d’alimen-
tation; d’un autre cötä, un nombre relativemont restreint de cas oü cette origine
n’est que peu ou pas probable. H pense qu’une analyse plus attentive et särieuse
des cas rentrant dans cette seconde catägorie, permettra de les reporter dans la
premiäre. II admet que l’eau pulvärisäe, ou mime vaporisäe, se Charge plus sou-
vent qu’on ne le croit gänäralement de la transmission des germes typheux; il ne
pense pas, enfin, que ces germes soient transportäs par l’air athmosphärique normal,
ni introduits dans l’organisme par la respiration, mais que la muqueuse de l’appa-
reil digestif est la väritable et unique voie d’introduction. Conclusion pratique:
Rechercher attentivcment et sans parti pris, les causes qui ont pu däterminer des
cas isoläs ou des äpidämies de fiävre typhoide, et porter surtout son attention sur
l’eau d’alimentation, non seulement sur celle qui aura ätö prise habituellement par
les malades, mais aussi sur celle qui aurait ätä bue accidentellement.
Une discussion longue et animäe suit la lecture de ce travail; la plupart des
merabres präsents y prennent part. Les avis sont träs partagäs, mais la plupart
des confräres n’admettent pas la doctrine de l'unicitä et sont partisans de l’ä-
clectisme.
Le Dr. Ladame lit une observation träs dätailläe d’un cas de Pleuräsie
purulente aigue. (Voir le „Corresp.-Blatt“ 1876, page 594.)
Les Drs- de Montmollin , Favarger et Jeanneret citent chacun des cas remar-
quables de guärison d’empyäme chez des malades de leur pratique priväe.
Referate und Kjritiken.
lieber die Behandlung der Fibromyome des Uterus mit subcutanen Ergotininjektionen
von Dr. Eugen Jäger. 8°. 38 8. u. 3 Tabellen. Berlin.
Der Verf. spricht (in wenig übersichtlicher Weise) zuerst im Allgemeinen über
Uterusmyome und zwar in Bezug auf ihre Häufigkeit, ihre Entstehungsweise , Alter der
Patientinnen u. s. w., gedenkt dann der trostlosen Heilmittel, über welche die Wissen¬
schaft bislang dagegen verfügte und setzt durch diesen Hinweis die Hildebrandfache Methode
der subcutanen Ergotininjectionen gegen Uterusmyome, im Falle sie sich bewähren sollte, in
das hellste Licht. Es folgen dann genauere Angaben, wie die Injectionen gemacht werden,
über Mischungsverhältnisse der Injectionsflüssigkeit, über Reizvorgängc an der Stichstelle
u. s. w., kurz lauter bekannte Dinge, wesshalb der Werth der in Frage stehenden Arbeit
einzig in den beigefügten statistischen Angaben, die auf pag. 18 beginnen und allerdings
wichtig genug lauten, um uns eine Weile dabei aufhalten zu dürfen, gesucht werden muss.
Geheilt:
Gebessert:
Unverändert:
Von 26 Patientinnen Hitdebrandt’s wurden:
20%
64%
16%
„ 20 „ andrer Autoren ( Scanzoni.
Chrobaek, Beugelsdorf u. s. w.) wurden:
Von 12 Patientinnen ans der Martin’ sehen Klinik
o%
45%
55%
wurden:
0%
«%
92%
Von 5 Patientinnen von Dr. Marlin wurden:
0%
o%
100%
Woher der so auffallende Widerspruch, den diese Zahlen ausdrücken? Jäger selber
bleibt die Antwort hierauf schuldig, wesshalb sich jeder seine Glossen darüber machen
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mag. Und da scheint nur Folgendes möglich: entweder waren Hildebrandt' s Angaben von
vorneherein unrichtig oder seine Versuche wurden unrichtig nachgemacht; Hildebrandf s
„Heilungen“ könnten spontane Rückbildungen sein, deren ja genugsam beobachtet
werden, da hingegen der Misserfolg seiner Gegner einem schlechten Präparate ‘— und
wie widersprechend lauten nicht die Urtheile über den Effect des Ergotins! — oder
falsch gewählten Fällen zur Last zu legen wäre. Die ganze Frage über die
Heilbarkeit der Uterusmyome durch Ergotininjectionen kann da¬
her noch als unentschieden angesehen werden, um so mehr, als
Winkel sich neuerdings (Kl. Vortr. v. Volkmann , Nr. 98) lebhaft zu Gunsten von Hildebrandt
äussert Uebrigens, und das deutet schliesslich auch Jäger an, verliert das Injectionsver-
fahren in etwas seine Bedeutung, insofern ja in neuester Zeit die Fälle von kühner und
glücklicher Exstirpation interstitieller (denn von diesen war hier ausschliess¬
lich die Rede) Myome sich täglich mehren. Dr. H. Banga.
lieber Retentionsgeschwlllste schleimigen Inhaltes in den weiblichen Genitalien
von Dr. A. Hausamann, 8°, 88 Seiten, 1 Tafel, Zürich.
Wenn der Verf. gleich in der Einleitung erklärt, dass „seine Abhandlung, die einen
diagnostischen Zweok verfolge, hauptsächlich den Hydrops tubae besprechen und die
Differenzirung zwischen Schleimansammlung in der Tuba und in einer atresirten Uterus¬
oder Vaginalhälfte festzustellen suchen werde,“ so fragt man sich billig, warum er denn
seiner Arbeit jenen allgemeinen Titel vorangestellt; ist man dann mit dem Durchlesen
der Schrift zu Ende gekommen , so wundert man sich hinwiederum , wie breit er die
Grundmaasse zu seinem kritischen Gebäude genommen. In der That, so fleissig er die
Literatur durchgearbeitet hat —; die zahlreichen Citationen zeugen dafür — und stati¬
stische Beziehungen über die 31 darin nicdergelegten Fälle von Hydrops tubae von jedem
nur denkbaren Gesichtspunkte aus beleuchtet hat, so mochte das zur eignen Orientirung
unerlässlich, der Abhandlung selber aber nur schädlich sein, da eben dadurch zu viel alt
Bekanntes „nur mit ein bischen andern Worten“ gesagt, ja der Verfasser selber zu
eignen Wiederholungen gezwungen wurde. Die Bedeutung der Dissertation liegt daher
vorzüglich in der genauen Beschreibung von 2 Fällen von Hydrops tubae aus der Zürcher
Klinik. In dem einen Fall, wo nach Einlegen von Pressschwämmen zu diagnostischen
Zwecken Fieber und tödtlicbe Peritonitis durch Perforation und Austritt des eitrigen
Tubeninhaltes in die Bauchhöhle erfolgte, bestätigte die Autopsie die an der Lebenden
gestellte Diagnose eines doppelseitigen Hydr. tub. aufs glänzendste. Im 2. Fall gelang
cs anfänglich, durch Compression des faustgrossen, im linken Scheidengewölbe befindlichen
Tumors 2 Mal je öö Gr. einer serösen stark blutig gefärbten Flüssigkeit (in den Uterus
hinein) auszudrücken, wodurch die Diagnose Hydrops tubae sich äusserst plausibel dar—
stellte. Später gelang dieses Auepressen nicht mehr, auch 8ondirung vom Ostium uterinum
aus missrieth, es stellte sich Fieber ein und die Punction vom 1. Bcheidengewölbe aus
förderte schliesslich wiederholt grosse Eitermengen heraus. Nach circa 1 ‘/ 2 Jähren konnte
Pat. mit völlig geschrumpftem Tumor aus der Behandlung entlassen werden. —
Uebrigens zeigen die beiden Fälle von H. , was schon a priori anzunehmen, dass
nämlich die Diagnose relativ leicht ist, wenn man. wie im 1. Fall, den Uterus gegen die
(hier beidseitig) wurstförmigen oder höckerigen Tuben abgränzen kann, dass sie aber um¬
gekehrt, wo der Tumor unmerklich sich dem Uterus anlehnt, ausserordentliche Schwierig¬
keiten darbietet, wesshalb denn auch bei seinem 2. Fall H. selber an die Möglichkeit einer
Hydrometra lateralis, einer Flüssigkeitsansammlung in einem rudimentär entwickelten und
atresirten Uterus duplex, ähnlich dem von Breisky veröffentlichten Fall, denkt und desshalb
die Diagnose Hydrops tub® nur mit, allerdings grosser, Wahrscheinlichkeit ab-
giebt. Der Practicus mag sich jedoch bei diesen diagnostischen Subtilitäten nicht zu sehr
aufhalten; er wird zum Besten seiner Kranken solche Tumoren, wenn sie keine Erschei¬
nungen machen, unberührt lassen, sonst aber nach allgemeinen Regeln, welche bei Behand¬
lung von Cysten und Abscessen in dieser Gegend gelten, handeln. Nur ein Verfahren, wo¬
rauf H. mit Recht besonders hinweist, wäre bei wahrscheinlichem Vorhandensein von
Hydrops tub® immer zuerst zu versuchen, nämlich die Katheterisirung vom Ostium uteri—
num tub® aus, um so mehr, da ja merkwürdigerweise bei Hydr. tub. öfters nur das
Fimbrienende verschlossen ist. Dr. H. Banga.
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lieber respiratorische Paralysen.
Von Franz Riegel. VoOananri s Sammlung klinischer Vorträge Nr. 95. Leipzig,
Breitkopf & Härtel.
Die vollständigen Lähmungen der beiden m. crico-arytaenoidei posteriores — das
sind Riegel?, respiratorische Paralysen — schleichen meist allmählig ein unter Anfangs
sehr geringgradigen, leicht übersehbaren Erscheinungen, die mit Zunahme der Paralyse
sich steigern. Auf der Höhe der Krankheit besteht: hochgradige inspiratorische Dyspnoe,
intacte Stimme , starke Auf- und Abwärtsbewegung des Kehlkopfs, Uebertönung des
vesiculären Lungengeräusches durch keuchendes Athmen aus (fern Larynx. Annäherung
der Stimmbänder bis zum Offenbleiben nur einer schmalen Spalte schon bei ruhiger
Respiration, zunehmende Annäherung bis zu völligem Olottisschluss bei der Inspiration,
Auseinandertreten bei der Ausathmung, Unmöglichkeit vollständiger Glottiserweiterung,
normale Bewegung und Schwingung der Stimmbänder bei lauter Stimmgebung. In dem
Maasse, als sich die secundäre antagonistische Muskel-Contractur der Verengerer der
Glottis mehr und mehr ausbildet, wird auch die Stimmritze immer enger. Durch heftige
Athemanstrengungen oder durch Complication mit Catarrhen können dann die höchst-
gradigen Erstickungsanfälle herbeigeführt werden.
Eine Ursache der Lähmung beider Glottiserweiterer war in manchen Fällen nicht
auffindbar ; häufig liegt Hysterie zu Grunde, nach Diphtheritis, Erysipel, einfachem Catarrh
ist sie schon beobachtet worden, besonders aber bei Leitungsstörung im Bereiche der
n. recurrentes oder n. vagi durch Mediastinaltumors, Aortenaneurysma, Pericardialerguss,
narbige Affection der Lungenspitzen, Leiden des nervösen Centralapparates, z. B. pro¬
gressive Bulbärparalyse.
Bei der Diagnose einer Paralyse der Glottisöffner sind auszuschliessen: Lähmung
des gesammten Recurrensstammes durch die Störung auch der bei der Stimmbildung
betheiligten Kehlkopfmuskeln; Glottisstenose durch das plötzliche Eintreten der stenoti-
echen Erscheinungen und durch die spätere ungestörte Glottiserweiterung; Perichondritis
oder Narbenbilducg, welche die Thätigkeit der m. crico-arytaenoidei post, hemmen.
Wo nicht die ganz ungünstigen veranlassenden Momente Heilung unmöglich machen,
bei Katarrh, Hysterie oder Diphtheritis als Ursache, ist vom electrischen Strome Gün¬
stiges zu hoffen. Catheterisation des Kehlkopfs kann vorübergehend nützen, Tracheotomie,
eher bei Ausführung vor Eintritt der indicatio vitalis, den Tod abwehren. Seitz.
1. Die objective Bestimmung der Kurzsichtigkeit und 2. die Bestimmung der Sehschärfe
bei dem Militärersatzgeschäfte.
Von Dr. Seggel , München, J. A. Finsterlin. 38 Seiten.
1. Als passendstes Verfahren zur objectiven Bestimmung des Myopiegrades, der
Jemand untauglich zum Militärdienste macht, empfiehlt Verf. das in der bayerischen
Armee gebräuchliche Steinheil’ sehe. Dasselbe beruht darauf, dass ein angeblich Kurz¬
sichtiger, auf jedem Auge für sich, dahin geprüft wird, ob er mit einem Goncavglase von
4" Brennweite, 1 cm. vor das Auge gehalten, Druckproben von 0,5 Par. Linien Höhe
auf 6" Abstand zu lesen vermag. Das untersuchte Auge leistet diese Probe, wenn es —
die entsprechende Sehschärfe vorausgesetzt — eine Myopie von */s oder höher hat.
Da nun aber die neue deutsche Recrutirungsordnung nicht mehr einen Fernpunktab¬
stand von 8", sondern einen solchen von ö*/^' (15 cm.) als Grenze festsetzt, so schlägt
5. vor, das Concavglas 4 des Apparates durch ein solches von 3'/," (9 cm.) Brenn¬
weite zu ersetzen. Der Versuch bleibt sich dann im Uebrigen gleich.
Für Bestimmung von Hypermetropie ist dem Apparate Convex 10 beigegeben.
2. Im zweiten Aufsatze schildert Verf. nach einer einleitenden allgemeinen Betrach¬
tung die Art und Weise, in welcher er seine Schüler die Sehschärfeprüfungen vornehmen
lässt. Als Grundlage dient ihm dabei die „ebenso präcise als eingehende officielle Schweiz.
Instruction für die Recrutenuntersuchung“ , die denn auch mit wenigen Zusätzen (bes.
Über Astigmatismus und Simulation) ziemlich imverändert reproducirt wird. Hierauf folgen
einige die deutsche Recrutirungsordnung speciell betreffende Angaben und schliesslich
noch eine Darstellung der Vortheile des Metersystems für die ganze Brillenlehre.
Zur genaueren Bestimmung des Grades der Myopie verlangt 5. ausser Concav 3*/,
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noch Concav 40, 20, 13‘/i , 10 und 8, deren Combination unter einander und mit dem
vorhandenen Convex 10 die wichtigsten Brennweiten, resp. Brechungsgrade herstellt
Hosch.
Ueber Behandlung des HornhautgeschwUres
von Prof. A. Rolhmund, Vortrag gehalten im ärztl. Bezirksverein München. München,
J. A. FinBterlin. 14 Seiten.
Verf. schildert zunächst in Kürze die verschiedenen Entstehungsweisen des Horn¬
hautgeschwüres und referirt dann Uber die jetzt gebräuchlichen therapeutischen Methoden
(Anhangsweise sind noch die Vorschläge der bekanntesten ältern Autoren beigefügt).
Neu ist in dem Vortrage nur die Empfehlung von dünnen Setaceen an der Schläfe bei
langdauernden Ulcerationsproceseen der Hornhaut.
Oie Refraction von 3036 Augen von Schulkindern.
Von Dr. Max Conrad. Leipzig, H. Kessler, 2. Aufl. 47 Seiten.
Die in den 3 Gymnasien von Königsberg vorgenommene Untersuchung weiset vor
Allem unzweideutig die Umwandlung der weitsichtigen Augen in kurzsichtige von Gasse
zu Classe nach. Während in der untersten Gasse 4,3% Myopen auf 70,0% Hypermetropen
vorgefunden wurden, ergab die oberste Gasse bereits 61,7% Myopen auf 22,9% Hyper¬
metropen. Ferner ergiebt sich aus den Tabellen, dass mit dem Grade der Kurzsichtigkeit
sich auch die Sehschärfe verschlechtert.
Verf. glaubt aus dem Umstande, dass die Myopen in den höheren Gassen fast in
demselben Verhältnisse zunehmen, als die Hypermetropen verschwinden, schliessen zu
dürfen, dass die mit dem Schulunterrichte verbundenen Anstrengungen der Augen die Um¬
wandlung der H. in M. durch das Durchgangsstadium der E. hindurch fördern. Doch
wird maii daneben für gewisse Fälle immer wieder auf die Annahme einer angebornen
Anlage zurückkommen müssen.
Die Therapie hat vor Allem die Schädlichkeiten zu bekämpfen, unter deren Einfluss
sich das Uebel am schnellsten ausbildet: gebückte Kopfstellung, zu starke Convergenz-
stellung der Augen , anhaltende Fixation auf nahe Objecte, Tragen zu scharfer Gläser.
Schreitet trotzdem die M. fort, so iBt eine mebrwöchentliche , von Zeit zu Zeit wieder¬
holte Atropincur indicirt. Prophylactisch muss der Uebergang von H. in M. durch früh¬
zeitiges Tragen von Convexgläsern verhütet werden.
Dass der hypermetropische der eigentlich normale Brechungszustand des kindlichen
Auges ist und durch andauernde Accommodationsanstrengungen in E. oder M. übergehen
kann, ist schon durch die Massenuntersuchungen von Cohn t Erismann, Hoffmann, Pflüger und
A. nachgewiesen und nun durch die vorliegende Arbeit neuerdings dargethan worden. Je
mehr solche Beweise sich häufen, um so lebhafter müssen wir alle Bestrebungen be-
grüssen, welche darauf ausgehen, durch Anbahnung einer vernünftigen Schulhygieiue
dem Umsichgreifen der M. entgegenzuarbeiten.
Kantonale CoiTespondenzen.
Basel. Vergiftung durch mit Brechweinstein verunreinig¬
tes Reismehl. Welche Gefahren das Mahlen von Reis in Farbmühlen mit sich
bringen kann, davon haben wir in Basel im Laufe des Herbstes Gelegenheit gehabt, Er¬
fahrungen zu machen. Bereits im Juli 1876 fanden bei einem hiesigen Farbmüller Ver¬
mischungen von Reis mit Brechweinstein statt, die zum Glück bei einem Detaillanten,
der Apotheker war, bald entdeckt wurden. Leider erhielt die Behörde hiervon keine An¬
zeige; der Farbmüller musste das vergiftete Mehl von Seite der Materialhandlung zurück¬
nehmen, ob dasselbe aber, wie der Farbmüller behauptet, vernichtet worden ist, bleibt
in Frage.
Im December. 1875 erhielt derselbe Farbmüller von einem andern Hause 180 fif
Reis zum Mahlen, welches zur Zufriedenheit ausfiel und zu keinen Klagen Anlass gab.
Dagegen zeigte sich bei einer zweiten Partie Reis, die im Mai 1870 von demselben
Farbmüller gemahlen wurde und im 8eptember 1876 in Verkauf kam, wieder Verfälschung
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durch Brechweinstein. Die ereten Vergiftungsfälle wurden von 8eiten des Arztes nur zur
Kenntniss des Handelshauses, nicht zur Kenntniss der Behörde gebracht, und so dauerte
der Verkauf dieses vergifteten Reismehles fort bis Mitte October, wo die betreffende Hand¬
lung, durch neue Erkrankungen aufmerksam gemacht, alles verdächtige Reismehl aus dem
Verkehr zurückzog, ehe nur die chemische Untersuchung stattgefunden hatte. Die Be¬
hörde erhielt leider erst durch den Staatschemiker von dem Vorfall Kenntniss. Das ver¬
dächtige Reismehl wurde von Seiten der Handlung vernichtet und nicht wie bei dem
ersten Vorfall dem Farbmüller zur Disposition gestellt
Wenn in demselben Locale, möglicherweise auf demselben Steine am 2. Juli Brech¬
weinstein, am 4. Juli Reis gemahlen wird, so lässt sich eine Vermischung denken, wenn
aber bei demselben Farbmüller ein Päckchen zu Händen genommen wird, wie dies im
November 1876 der Fall war, das die Aufschrift tragt: „Reiaausmahloten“ und bestimmt
war, einer zukünftigen Partie Reis beigemengt zu werden und zum grössten Theil aus
Brechweinstein bestand, so muss man eine strafbare Nachlässigkeit annehmen.
Der betreffende Farbmüller wurde daher auch vom Strafgericht zu 6 Wochen Frei¬
heitsstrafe verurtheilt und das Urtheil vom Obergericht bestätigt
Gestützt auf diese 2 Fälle hat das Sanitäts-Departement den Farbmlillern untersagt,
Cerealien zu mahlen und die Grosshändler angewiesen, Reis u. s. w. bei den Mehlmüllern
mahlen zu lassen.
Diese kurze Notiz mag vielleicht für Sanitätsbehörden von Interesse sein.
Basel, 6. Februar 1877. Dr. deWette.
III. Reisebrief aas dem Süden.
Geehrte Redaction I Statt in Rom zu sein, weile ich immer noch in Pisa. Je weiter
nämlich meine Bücherweisheit über die ewige Stadt gedeiht, je weniger vermag
ich einzusehen, dass Rom in Wirklichkeit eine Winterstation für Kranke oder Er¬
holungsbedürftige sein oder werden dürfte. Ein Gewirre enger, schattiger Gassen, den
einzigen kleinen Monte Pincio als nächstliegenden Spaziergang, wo einigermassen gute
Luft zu Anden ist, dann das ermüdende Rennen nach all’ den Sehenswürdigkeiten der
Siebenbügelstadt: das ist für den Fremden die Signatur Rom’s. Ein Gesunder muss aus
diesen Mauern, in denen das Alterthum durch seine gewaltigen Ruinen, das Mittelalter
durch die Prachtbauten eines prunkenden Priesterthumes zu ihm sprechen, an Leib und
Seele gequetscht zurückkehren. Wie würde es erst Kranken ergehen , die den Reigen
vom Quirinal über’s Capitol, durch die Ausgrabungen des Forum und des Palatin's, nach
dem Lateran , nach St. Peter und durch die ungeheizten Sääle des Vatican’s mittanzen?
Die Verführung, das Alles mitzumachen, liegt ja auch so nahe. Wer wollte auch
in Rom sein, ohne das Colosseum zu ersteigen und ohne in das Haus der Livia hinunter
zu kriechen, wer sollte das Pantheon, wer die TrajansBäule, wer die capitolinische Venus
nicht bewundern, wer die Aussicht von St Pietro in Montorio nicht gemessen wollen ?!
Es hiesse das schliesslich in Rom gewesen zu sein, ohne den Papst gesehen zu haben!
Mein Urtheil 4 distance über Rom als Wintercurort kann vielleicht irrthümlich sein, auch
will ich es Niemanden aufdrängen. Hoffen wir, dass der Herr College Neukomm , der
diesen Winter dort zubringt, uns das Richtige darüber nicht vorenthalten wird.
Man wird kaum ein die climatischen Curorte abhandelndes Buch zu Gesicht bekom¬
men, ohne darin speciell die Gesundheitsverhältnisse der ständigen Einwohner eines jeden
derselben besprochen zu finden, immer mehr oder weniger in der Absicht, daraus Schluss¬
folgerungen bezüglich der Wirkungsweise des betreffenden Clima’s zu ziehen. Bekannt¬
lich ist auf diese Weise die „Immunität“ gewisser Gegenden zu Stande gekommen. Man
hatte dabei vergessen, dass die Climate jener Hochtbäler nichts weniger als geeignet
sind, schwächlich geborne Menschen überhaupt aufkommen zu lassen, und dass somit die
Erwachsenen daselbst so recht eigentlich eine Auswahl der besten und kräftigsten Con¬
stitutionen darstellt, an welche hier Phthise überdies noch um so weniger herantritt, als
die Bergbewohner im Allgemeinen viel im Freien sich bewegen und weit entfernt davon
sind, ein Stubenhockerleben zu führen. Mit dem Vordringen der Industrie in die Hoch-
thhler hinkt freilich auch die Phthise nach, wie dieses deutlich genug aus Dr. Emil
Mütter 's fleissiger Arbeit „über Verbreitung der Lungenschwindsuoht in der Schweiz“ her-»
vorgeht
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Dasselbe Raieonnement, welchem zufolge z. B. das Hochthal Jauja in Peru „immun“
und daher Curort für Schwindsüchtige wurde, würde, auf die südlichen Curorte und spe-
ciell auf Pisa angewandt, diese insgesammt nie haben als Curorte aufkommen lassen.
Die Bevölkerung derselben ist meistens schlecht aussehend, die Kinderwelt scrophulös;
noch nirgends habe ich relativ so viele rachitisch verkrümmte Beincheo, so viele licht¬
scheue Augen gesehen, wie hier in Pisa, und dass hier auch die Phthisisfälle unter den
Einheimischen nicht selten sind, lehrt ein simpler Gang durch den grossen Männersaal
des Spitals. Aber ebenso wenig, als die glücklichen Gesundheitsverhältnisse der Bewoh¬
ner Jauja’s, des Engadin’s und der Landschaft Davos dem Clima als solchem, d. h. dem
verminderten Luftdruck, deu Wärme- und Feuchtigkeitsverhältnissen, den besondern Wind¬
richtungen etc. direct zugeschrieben werden dürfen, ebenso wenig kann das Clima Pisa’s,
respective der südlichen Curorte überhaupt, für die krummen Beinchen und die grosse
Sterblichkeit der Kinderwelt so ohne Weiteres verantwortlich gemacht werden.
Ein Gang durch die engeu , schmutzigen Gassen und Gässchen eines italienischen
Städtchens wird uns die betreffenden Verhältnisse klar legen. Die Atmosphäre, welche
da herrscht, der Duft, der uns da aus den Hausgängen und den selten offenen Fenstern
entgegenströmt, sind unbeschreiblich. Wenn wir in den Lauben der Bundesstadt Bern
vor den Ausmündungen der kleinen Nebengässchen vorübergehen, so belehrt uns unsere
Nase sofort aufs Deutlichste, welche Art philantropisciier Anstalten da drinnen versteckt
liegen, und — in der Erkenntniss liegt ja bekanntlich immer ein gutes 8tück Beruhigung.
Selbst wenn zu diesem perennirenden Dufte noch die periodisch jeden Herbst den Kel¬
lern entströmenden Gährungsproducte einer schwunghaft betriebenen Sauerkrautfabrication
kommen, ist unser Riechorgan noch im Stande, das Mixtum analytisch zu beherrschen,
man weise immer noch was man riecht, in ächt italienischen Gassen aber findet sich auch
der geübteste Olfactorius in dem Sammelsurium aller möglichen Gestänke nicht mehr zu¬
recht. Wer da glauben sollte, es liege Uebertreibung in dem Gesagten, möge den Gang
selbst antreten und sich in den Gassen und Gässchen der Altstadt Nizzn, in Alt-Mentone,
Bordighera, Sanremo davon Überzeugen, dass die Wirklichkeit selbst meiner Beschreibung
spottet. In Pisa sind die Gassen verhältnissmässig breit, reinlich gehalten und daher
auch anständig gelüftet, dafür findet sich aber jener Ekel erregende Schmutzduft nicht
weniger prägnant in den Wohnungen und besonders in den Erdgeschossen. Die grosse
Ueberschwemmung, von welcher im Jahre 1869, in Folge eines Bruchs der Quaimauern,
der linksufrige Stadttheil schwer heimgesucht wurde — das Wasser stund an die 3 Me¬
ter hoch in den Pianterreni — hat schliesslich die elendesten Wohnungsverhältnisse auf¬
gedeckt, die sich nur denken lassen. Unventilirbare Schlafhöhlen, welche das eine Bett
für die ganze Familie und zugleich den ständigen Abtrittkübel enthielten, wurden von der
nur Gonstatirung des verursachten Schadens eingesetzten Commission viele gefunden. Es
wurde bereits gesagt v dass der Italiener noch lange nicht Luftfanatiker sein werde; er
ist aber auch ebenso wasserscheu, als er luftscheu ist. Am besten beweisen das die
Fenster, die fast beständig geschlossen und gewöhnlich so schmutzig sind, dass, wenn
sie ausserordentlicher Weise einmal gewaschen werden, die Kptzen durch die Scheiben
springen.
Und in diesen Gängen, auf diesen Fluren, welche alle der „Sommerfrische“ zu Liebe
gegen die Sonne möglichst abgeschlossen sind, sitzen die Kinder der gemeinen Leute ihre
ersten Lebensjahre ab. Die Kinder der reichern Leute sitzen in dem zu allem Möglichen
dienenden schattigen, kühlen Hintergemach, einer Art Rumpelkammer, wo auch die Damen
des Hauses in unaussprechlichstem Nägligö die Promenadenzeit ab warten. Wer die Kin¬
derchen und die Mütter in diesen Räumen gesehen, hat seine liebo Noth, Abends auf
der Promenade in den aufs Höchste „aufgedonnerten“ und auf’s Feinste geschminKten
Damen und in den elegant herausgeputzten Kleinen jene vom Morgen wieder zu er¬
kennen,
W r er wird sich da noch verwundern, wenn einem unter der Bevölkerung der mise¬
rabel gebauten italienischen Städte auf jedem Schritte Scrophulose und Rachitis entgegen
treten ? Man braucht darüber hin gar nicht einmal zu wissen, wie elend im Allgemeinen
die italienische Volksküche ist, um Alles zu begreifen, was sich da an chronischem Siech¬
thum zusamm entludet.
Wenn man sich fragt, wie ss möglich ist, dass ein sonst so sehr intelligentes und
ized by Google
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vielfach auch Hebens würdiges Volk, wie die Italiener es unzweifelhaft sind, in solch un¬
gesunden WobnungBverhältnissen bleiben kann und nicht längst die nöthigen Verbesse¬
rungen vorgenommen hat, so mag die Antwort darauf nicht allzu schwer fallen. Alter-
thum und Mittelalter haben den Italienern so viele Ruinen und, der öffentlichen Unsicher¬
heit wegen, so eng zusammengedrängte Häuserknäuel hinterlassen, und ist überdies die
Volksgewohnheit so innig mit diesen Wohnhöhlen verwachsen, dass es eines sehr inten¬
siven Lichtes von Beite der Wissenschaft und sehr grosser Kapitalien bedürfte, um Ab¬
hülfe zu schaffen. Vorläufig ist man aber meines Wissens in Italien noch nicht einmal
so weit gekommen, sich Uber die Frage der Creirung eines speciellen Lehrstuhls für
Hygieine in die Haare zu gerathen, und was die Millionen anbelangt, so bildet der Curs
der italienischen Valuta dazu die beste Illustration.
Von all’ den berührten gesundheitsschädlichen Einflüssen bleibt nun aber der Fremde,
der Curgast, unberührt. In Cannes und Nizza nehmen die weit und luftig angelegten
Fremdenquartiere die vier- und fünffache Bodenfläche der alten gedrängten Wohnstätten
ein, und sowohl in 8anremo, als in Mentone sind die Fremdenpensionen an die geschütz¬
testen, von allen Reizen einer wundervollen Natur umgebenen Stellen hingebaut. Die zwei
Curhötels Bordighera’s liegen vom alten Bergneste weit abseits im schönsten Oliveu- und
Palmenbaine und Pisa hat ja seinen von Leopardi besungenen Lung’arno. Aehnliche, für
den Fremden günstigere Verhältnisse finden sich mehr oder weniger auch an den andern
WinterBtationen , nur in Venedig scheint der „eigentümliche Geruch* der Atmosphäre
auch für den Curgast unvermeidlich zu sein, sowie letzterer sich dort auch darein finden
muss, möglicherweise etwas Cloakeninhalt im Trinkwasser einzunehmen (Sigmund). Es
ergibt sich aus dem Gesagten, dass der allgemeine Gesundheitszustand der Einheimischen
absolut keine Folgerung bezüglich der Wirkungsweise des CHma’s der südlichen Curorte
auf die fremden Gäste gestattet
Pisa nimmt nach H. Reimer (CUmatische Wintercurorte) in der Scala der bekanntem,
als luftfeucht geltenden Stationen mit Venedig die oberste Stufe ein. Beide Stationen
flguriren mit 80%, Pau und Madeira mit 77%, Ajaccio mit 76% relativer Luftfeuchtig¬
keit für die Wintermonate; die relative Feuchtigkeit von Spezia gibt Dr. Thomas zu 77%
an, der luftfeuchteste Ort der Riviera di Levante soll aber Nervi sein. Leider sind in
Nervi ausser einem schmalen Küstenfusswege absolut keine Promenaden vorhanden; wer
nicht die Erlaubniss erhält, einige der allerdings sehr schönen Privatparkanlagen za be¬
suchen, kann stundenlang zwischen hohen Mauern im Staube geben.
Der hohe Wassergehalt der Luft ist für den Curzweck von grosser Bedeutung. Ein¬
mal hängt von demselben grossentheils die gleichmässige Temperatur der Atmosphäre ab,
indem feuchte Luft bekanntlich die Wärme der Sonnenstrahlen absorbirt; daher hier nicht
die grellen Temperaturunterschiede zwischen sonnigen und schattigen Stellen, welche
Sigmund für das relativ lufttrockene Nizza bis zu 23'* C. angibt. Dann ist in feuchter
Luft die Wasserabgabe des Körpers durch Respiration und Perspiration vermindert und
in demselben Verhältnisse auch die W’ärmeabgabe unseres Organismus an die Luft herab¬
gesetzt, was für Kranke und Schonungsbedürftige nicht hoch genug veranschlagt werden
kann. Dabei wird der Körper wasserreicher, die Expectoration wird leichter, die Diurese
reichlicher, die Stühle gewöhnlich weicher. Zugleich macht sich aber auch leicht eine
allgemeine Schlaffheit und Abgeschlagenheit geltend, was Naturen, deren Nervensystem
einer gewissen Summe von Reizen bedarf, um im Gleichgewicht, „bei Stimmung“ zu
bleiben, recht trübe Tage bereiten kann.
Kranke, die an activer Phthise laboriren, befinden sich in feuchtwarmer Luft wohl;
trockene Spitzencatarrho kommen langsam zur Lösung und ebenso sind nach und nach
in inflltrirten Lungenpartien Resolutionssymptome zu beobachten. Dieser Durchfeuchtungs-
process geht zweifelsohne nicht ohne einen gewissen Grad localer Hypertemie vor sich,
wodurch vorübergehend blutgestreifter Auswurf auftreten kann, ein Symptom, das bei
richtiger Würdigung und bei gehöriger Ueberwachung des Kranken eher zu begrüssen,
als zu fürchten ist, letzteres um so weniger, als dabei nur selten merkliches Fieber sich
einstellt Kurz, ich habe hier in chronisch-entzündlich afficirten Lungenpartien sehr lang¬
sam einen ähnHchen Resolutions- und Resorptionsprocess eintreten sehen, wie er in dem
luftfeuchten Gebirgskessel von Weiseenburg (ca. 90% mittlere relative Feuchtigkeit) unter
dem Einfluss einer richtig geleiteten Trinkcur gewöhnlich sehr rasch (acut) erfolgt. Die-
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124
ser Lösungsprocess geht hier besonders während der Regenzeit und bei vorherrschend
warmer Luftströmung vor sich; bei hellem, wolkenlosem Himmel ist derselbe weniger
deutlich zu beobachten und die Tramontana (Nord- und Nordostwind) scheint ihn zu
sistiren.
So rathsam es nun auch ist, active Phthisenfälle in vornehmlich luftfeuchten Statio¬
nen überwintern zu lassen, so wenig ist es angezeigt, ßcrophulöse, Rachitische und
Ansemische diesen Curorten zuzuweisen. Scrophulöse und Rachitische , torpide Phthisen¬
fälle , durch geistige und körperliche Anstrengungen oder durch Blutverluste Erschöpfte,
Diabetiker, Eiweissharner, Tabetiker und Verlebte jeglicher Art gehören an die Riviera di
Ponente. Das gedrückteste Gemüth wird dort in der scenisch belebten und daher an¬
regenden Natur bald wieder aufleben und Hoffnung schöpfen, Athmungs- und Verdauungs-
process werden sich, wenn immer noch möglich, rasch heben und beruhigender Schlaf
den Müden erquicken. Schade, dass der schönste und günstigst gelegene aller schönen
Orte der Riviera, das kleine Beaulicu (l 1 /, Stunde östlich von Nizza) noch nicht für Cur-
gäste benutzbar gemacht worden ist.
Selbstverständlich sind die südlichen Winterstationen alle als Luftcurorte aufzufassen
und auszunutzen. Wer nach dem Süden reist, um sich da beim ersten frischen Luftzuge
in sein Zimmer einzuschliessen, oder, was auch vorkommt, sich durch einen unverständi¬
gen Rathgeber einschliessen zu lassen, dessen Reise wird eine verfehlte sein. Er hätte
besser gethan, die Heizperiode im Norden über sich ergehen zu lassen, wo wenigstens
die Nachtheile des Zimmerhütens durch den sonstigen Comfort der Heimath einigermassen
ausgeglichen werden.
Diejenigen Ihrer Leser, welche bei ihren Verordnungen die öconomischen Verhält¬
nisse ihrer Patienten zu berücksichtigen pflegen, wird es zu vernehmen interessiren, wie
hoch ein Winteraufenthalt im Süden zu stehen kommt. Das ist nun begreiflich je nach
den Ansprüchen, die ein Kranker macht, oder in Hinsicht seines Gesundheitszustandes
machen muss, sehr verschieden, verschieden auch je nach den einzelnen Stationen. Im
Allgemeinen aber können folgende Angaben als zuverlässig hingenommen werden. In
Pisa gehen die Pensionspreise von 7 bis 12 Fr. per Tag; billiger kommt durch, wer ein
Privatzimmer miethet; er zahlt dafür ca. 50 Fr. monatlich und findet für 105 Fr. aus-
reichliche Kost (Gabelfrühstück und Diner, Wein inbegriffen) in einem guten Restaurant.
In Spezia und Nervi ist’s theurer ; unter 10 Fr. ist da keine Pension zu finden. In Nizza
gibts Pensionen von 6 Fr. an bis zu 20 Fr. täglich und darüber. Mentone und Sanremo
gelten als die theuersten Plätze; unter II Fr. täglich gibt es da wohl keine Pensionen.
In diesen Preisen sind inbegriffen die Beköstigung — erstes Frühstück, Gabelfrühstück
und Diner — und ein nach Süden gelegenes Zimmer; dagegen sind Wein, Licht, Hei¬
zung und Service besonders zu bezahlen, was die Pensionsrechnungen nicht unbedeutend
anBchwellen macht. Die Reise selbst von Bern bis hieher, oder an die Riviera kann
ganz gut mit 120 ä 160 Fr. bestritten werden, je nachdem man in einem Zuge durch¬
fährt, oder unterwegs übernachtet.
Iliemit schliesse ich meine Plaudereien aus dem Süden. In wenigen Tagen roise ich
nach dem kunstsinnigen Florenz und dann geht’s über Venedig nach Wien, wo ich altes
Wissen aufzufrischen, neues zu gewinnen hoffe,
Pisa, den 5. Februar 1877. Schnyder.
W odienl>ei*ielit.
• Schweiz.
Allgemeine Krankenpflege. Bekanntlich wurde seiner Zeit in Basel der
Entwurf zu einer allgemeinen Krankenpflege auf möglichst breiter Basis ausgearbeitet.
Als leitender Grundsatz galt dabei in richtiger Weise das Princip der aus dem nützlichen
Rechte erwachsenden Pflicht: der zur Unterstützung Berechtigte erwirbt sich seine An¬
sprüche durch seine Leistungen, seine regelmässig zu entrichtenden Beiträge. Auf einen
gnnz andern Boden stellt sich der am 28. Jan. in Horgen abgehaltene Arbeitertag, welcher
die un entg eltl i ch e Krankenpflege in sein Programm aufgenommen hat. Es ward
einstimmig beschlossen, auf dem Wege der Initiative den Gedanken in’s Volk hinaus-
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125
und womöglich einen Gesetzesvorschlag durchzubringen. Als „Grundzüge“ dieses Initia¬
tivvorschlages worden folgende Puncte festgestellt:
1) Die Verpflegung der Kranken in den öffentlichen Heilanstalten des Cantons ist
für Alle, welche auf dem Boden des Cantons erkranken, unentgeltlich. Die Verpflegung
ist für Alle gleich und gilt kein Classenunterschied. 2) Um allen Landestheilen mehr
gerecht zu werden, erbaut der Canton noch vier weitere Krankenasyle. Mit jedem Spital
soll eine Apotheke verbunden sein, welche die Arzneien unentgeltlich zu verabreichen hat.
3) Zum unentgeltlichen Heildienst für solche Kranke, die wegen Mangel an Platz oder
Familienverhältnisse halber sich nicht in den öffentlichen Heilanstalten verpflegen lassen
können, stellt der Canton in den verschiedenen Landestheilen Aerzte an mit einer fixen
Besoldung. Die von diesen Aerzten verschriebenen Heilmittel werden den Kranken un¬
entgeltlich verabfolgt. 4) Die vom Canton angestellten Aerzte haben ein genaues Tage¬
buch zu führen und alljährlich nach einem von der Sanitätsdirection vorzuschreibenden
Schema derselben Uber ihre Thätigkeit Bericht zu erstatten.
Die Geltendmachung solcher Postulate wäre nach unsern Begriffen zwar ideal schön,
in praxi aber der Ruin des Staates, dem auch nicht mit einer Sylbe eine Gegenleistung
versprochen wird. Nur gemessen — auch die guten Institutionen und Institute —, das
heisst nicht mehr Democratie, sondern Communismus. Wir sind für möglichste Erleich¬
terung in der privaten, wie in der Spitalkrankenpflege, halten aber den eingeschlagenen
Weg für falsch und für verwerflich.
Diensttailglicllkeift. Nach all' dem Sturme, der seiner Zeit gegen den vom
eidg. Oberfeldarzt Dr. Schnyder eingefUhrten Modus der sanitarischen Untersuchung der
Wehrpflichtigen war eingeführt worden, berührt es eigenthUmlich, unter den Verhand¬
lungen der letzten Session des Nationalrathes zu lesen: „Bezüglich eines weitern Postu¬
lats betreffend die Heraufsetzung des Minimums der für die Recruten geforderten Körper¬
länge von 165 auf 166 Cm. regt Herr Bundesrath Scherer an, es solle überhaupt unter¬
sucht werden, ob nicht auf die einzelnen Bestimmungen im Sinne der Verschärfung der
Anforderungen an die Diensttauglichkeit der Wehrpflichtigen zurückzukommen sei.“ Das
Postulat wurde in diesem Sinne mit 46 gegen 26 Stimmen angenommen.
Die „allzu strengen“ Vorschriften, die nur als Maske zu Ersparnissen durch Röck-
weisung möglichst vieler (angeblich dienstfähiger) Recruten dienen sollten, wie damals
behauptet wurde, genügen also jetzt schon nicht mehrl
Genf. Internat. Co ngress der medic. Wissenschaften. Die Schweiz.
Aerzte-Commission hatte s. Z. den h. Bundesrath ersucht, an die Kosten des Congresses
Fr. 10,000 beizutragen; diese Summe ist soeben bewilligt worden und wir sehen nun mit
Interesse den Veröffentlichungen des genfer Organisations-Comitd entgegen.
Ausland.
Frankreich. Vertilgung der Reblaus. Ein von Gachez erprobtes, ein¬
faches , dabei sehr erfolgreiches Mittel zur Vertilgung der Reblaus besteht darin, dass
zwischen den Reihen der inficirten Rebstöcke rother Mais gesäet wird. Die Rebläuse
verlassen nun den Weinstock und stürzen sich in Masse auf die Maiswurzeln. Im ver¬
gangenen Jahre, selbst noch in diesem Frühjahr, waren bei dem Säen des Mais die
Stöcke noch vollkommen mit Rebläusen bedeckt. Gegenwärtig habe ich, sagt Gachez in
einem Brief an Dumas , trotz der sorgfältigsten Nachsuchungen nicht ein einziges Insect
auf den Rebstöcken vorfinden können, dagegen waren die Wurzeln des neben den Stöcken
gesäeten Mais Uber und über von der Phylloxera befallen, während die Wurzeln des auf
einem an den Weinberg stossenden Grundstück gesäeten Mais kein einziges Insect auf¬
wiesen. (Schw. Z. f. Pharm. 1877, 8.)
Preuftien. Das Heilpersonal in Preussen am 1. April 1876. Ueber das Heil¬
personal, die Apotheken und Heilanstalten, sowie über die wissenschaftlichen, ärztlichen
und pharinaceutischen Vereine sind auf Anordnung des Bundesraths am 1. April ds. Js.
im Deutschen Reiche Nachrichten eingezogen worden. Danach gibt es in Preussen 7952
approbirte Aerzte, darunter 791 Militärärzte. In Städten mit mehr als 6000 Einwohnern,
deren Zahl 856 beträgt, wohnen 4758, in allen übrigen Städten und Landgemeinden 3199
Aerzte.
Von grossem Interesse erschien es zu erfahren, wie viel nicht approbirte Personen
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sich notorisch mit der Behandlung kranker Menschen befassen, da nach der Gewerbe¬
ordnung vom 21. Juni 1869 ein Jeder practiciren kann, wenn er auch eine Approbation
als Arzt nicht aufzuweisen vermag; nur darf er in diesem Falle nicht den Titel „Arzt“
fuhren. Die Ermittelung dieser Personen stösst aber auf unüberwindliche Schwierigkeiten,
da die meisten derselben die ärztliche Thätigkeit nur neben ihrem eigentlichen Beruf
ausUben, die Anmeldung ihres ärztlichen Gewerbes also gewöhnlich unterlassen. Selbst
wenn diese Personen nur von dem Ertrage ihrer ärztlichen Pfuscherei leben, gibt es kein
Mittel, ihre Zahl amtlich festzustellen. So sind für viele Orte , leider auch für Berlin,
keine Angaben zu erlangen gewesen. Aus allen übrigen Nachrichten für Preussen ergab
sich aber, dass die Zahl dieser Personen männlichen Geschlechts 232 betrug; davon leb¬
ten in Städten mit mehr als 5000 Einwohnern 105. Frauen dieser Categorie wurden 37
ermittelt, davon in den bezeichneten Städten 23. Offenbar bleiben diese Zahlen weit
hinter der "Wirklichkeit zurück.
Wichtig erscheint es, das Verhältniss des vorhandenen Heilpersonals zu der Gesammt-
bevölkerung kennen zu lernen. Es kommen auf 100 □ Kilometer überhaupt 2,29 appro-
birte Aerzte und — nach Ausschluss der Militärärzte und der nur für Anstalten beschäf¬
tigten — 2,02 frei practicirende Aerzte, endlich 4,88 Hebammen. Auf je 10,000 Be¬
wohner fallen: approbirte Aerzte überhaupt 8,09 , frei practicirende Aerzte 2,73, Heb¬
ammen 6,59. Auf je 10,000 Bewohner der Städte mit 5000 und mehr Bewohnern kom¬
men : approbirte Aerzte überhaupt 7,39, frei practicirende Aerzte 6,13, Hebammen 4,94.
Es kamen auf einen Arzt:
1861. 1867. 1871. 1876.
In Einw. □ Kilom. Einw. □ Kilom. Einw. □ Kilom. Einw. □ Kilom.
Berlin
876
0,09
913
0,11
1100
0,08
1154
0,07
(am dichtesten)
Gumbinnen
7727
182
9194
202
10047
214
9802
206
(am wenigsten dicht)
Staat
3067
47
2971
43
3230
45
3044
41
Das Reichskanzleramt veröffentlicht das Verzeichniss der im Prüfungsjahre 1875/76
im Deutschen Reiche approbirten Aerzte, Zahnärzte und Apotheker. Danach wurden
Aerzte approbirt: in Preussen 293, in Bayern 182, im Königreich Sachsen 57, in Würt¬
temberg 15, in Baden 41, in Hessen 22, in Mecklenburg-Schwerin 11, im Grossherzog—
thum Sachsen und in den sächsischen Herzogtümern 8, und in Elsass-Lothringen 24.
Von Seiten des Reichs-Gesundheitsamtes wird augenblicklich eine umfassende wö¬
chentliche Gesundheitsstatisti k organisirt, welche alle deutschen 8tädte von min¬
destens 15,000 Bewohnern einschliessen und ausserdem regelmässige Berichte aus allen
grossem Städten des Auslandes , speciell aus den für die Verbreitung iweise grösserer
Epidemien bedeutungsvollem des Orients und America's gewähren wird. Die Ergebnisse
dieser Berichterstattungen, zu deren Vermittelung die auswärtigen Consulate in Mitwir¬
kung gezogen sind, werden wöchentlich einmal in einem besonderen Blatte durch das
Reichs-Gesundheitsamt veröffentlicht. (Aerztl. Intelligenzbl. 1876, 47.)
Stand der Infections-Krankheiten in Basel.
Vom 26. Januar 1876 bis 10. Februar 1877.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemcldeten Fälle an.)
Es sind im Ganzen keine wesentlichen Aenderungen gegenüber dem letzten Berichte
zu notiren.
Scharlach steht fast gleich mit 23 neuen Fällen (21, 35, 28, 25); es fallen von
denselben je 6 auf Birsigthal, Südostplateau und Klein-Basel, 3 auf das Nordwestplateau,
2 auf das Birsthal, so dass wie im letzten Berichte alle Districte betroffen sind.
Rubeolae 4, Morbilli 3 neue Fälle; von letztem 2 importirt.
Keuchhusten weist wieder 52 neue Anmeldungen auf, hauptsächlich vom Nord¬
westplateau, Birsigthal und Kleinbasel (78, 68, 33).
Erysipelas (13, 6, 11) zeigt wie im letzten Bericht 11 neue Fälle, wovon 4 im
Birsigthale, 3 im Spitale.
Typhus zeigt ebenfalls denselben Stand wie im letzten Bericht, nämlich 6 Fälle (3, 2, 6).
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127
Diphtherie und Croup zusammen 14 Fälle (7, 8, 10, 7j, wovon 7 auf dem
Nordwestplateau. Im ganzen Jahre 1876: 118 angezeigte Erkrankungen mit 44 Todesfällen.
Puerperalfieber 2 Fälle. Varicellen 3 Fälle.
Briefkasten.
Herrn Dr. St. in Montreux. Ihr Brief kam nach Abschluss unseres Impfberichtes, so dass er
leider darin nicht berücksichtigt werden konnte. Wir haben denselben mit der Tabelle dem Präsi¬
denten der Impf-Commisaion, Herrn Physicus de Wette, zugestellt, dem er als Material für die Publi-
cationen dieser CommissioD willkommen sein wird. Besten Dank! — Herrn Dr. Lange in Montreux:
Besten Dank. Erscheint in nächster Nr. — Herrn Dr. Schnyder in Pisa: Wir sandten den 10. einen
Brief: Poste restante Florenz an Sie ab. Glückliche Reise! — Herrn Dr. Bühler in Cervigo: Ihren
Brief haben wir dem Präsidenten des Verwaltungsrathes des zoologischen Gartens, Ihrem ehemaligen
„Leibburseben" übermittelt — Herrn Dr. H— e in St. P.: Nicht verwendbar, da wir die Sache
schon gebracht haben (S. 580 Jahrg. 1876) und Ihre Quelle die Geschichte wohl uns nachgedrnckt hat.
Uebrigens besten Dankl — Herrn Dr. Wy$t in L.: Was macht der Patient mit dem submastoidealen
Senkungsabscess? — Herrn Dr. Frey in Muri und Dr. Cattani: Erscheint in nächster Nr. — Herrn
G. B — ff in Pisa: Das Gewünschte sandten wir Ihnen heute zu. Herzliche Grüssel
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103. Ueber Neuritis in diagnostischer und patho¬
logischer Beziehung. Von H. Nothnagel,
Prof, in Jena.
104. Die pneumatische Methode und der trans¬
portable pneumatische Apparat. Von Dr.
Philipp Biedert in Worms.
105. Zur gynäkologischen Diagnostik. Die com-
binirte Untersuchung. Von Alfred Hegar,
Prof, in Freiburg i. Br.
106. Die wissenschaftliche Heilkunde und ihre
Widersacher. Von Th. Jürgensen, Prof,
in Tübingen.
107. Ueber das Puerperalfieber und dessen locale
Behandlung. Von Dr. Heinrich Fritsch
in Halle.
108. Die Ursachen und Anfangssymptome der
psychischen Krankheiten. Von Dr. Ewald
Hecker in Plagwitz bei Löwenberg.
109. Zur Ovariotomie. Die intraperitoneale Ver¬
sorgung des Stiels der Ovarientumoren.
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turen, abgeschnürter Gewebsstücke, Brand¬
schorfe, vollständig getrennter Massen oder
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höhle. Von Alfred Hegar, Professor in
Freiburg L Br.
110. Ueber Wahrscheinlichkeitsrechnung in An¬
wendung auf therapeutische Statistik. Von
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111. Ueber Ovariotomie. Die Schutzmittel gegen
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in Qelterkindan.
N: 5. VII. Jahrg. 1877. 1. März.
Inhalt: 1) Original arbeiten: Dr. Sonderegger: Sanitätsr&thliche Rückblicke in die vergangene Zeit des Cantons
St. Gallon. — Dr. Frey: Raptor »kenntlicher Hallen einer Hernie. — A. Baader: Znr Aetiologie des Erysipels (Schloss.) — 2)
Ter e i n■ bericht e: Medicinische Gesellschaft in Basel. — 8) Referate nnd Kritiken: Dr. Friedrich Müller: Bericht
so dem Geaetzeaentwurf betreffend Freizügigkeit der Medicinalpereonen. — 4) Kantonale Correspondenzen: Unterwal¬
den, St. Gallen. — 5) Wochenbericht. — 6) Briefkasten.
Original-^Lrl>eiteii.
Sanitätsräthliche Rückblicke in die vergangene Zeit des Cantons
St. Gallen.
Vorgetragen beim cantonal. ärztl. Verein zu Weesen, Oct 1876, von Dr. Sonderegger.
Es ist ein gross Ergetzen,
Sich in den Geist der Zeiten zn versetzen,
Zn schauen wie vor uns ein weiser Mann gedacht,
Und wie wir’s dann zuletzt so herrlich weit gebracht.“
(Faust.)
Unter den leeren Redensarten, welche wir der Jugend znr Erziehung eintrich¬
tern, gehört vor Allem die Behauptung, dass die Geschichte die grosse Lehrerin
der Völker sei, sowie auch das goldene Sprichwort: Durch Schaden werde man
klug. Die grosse Mehrzahl der Menschen ist mit dem Kampfe um's tägliche Brod,
mit Kummer und Genusssucht, mit kirchlichem Gezanke und ganz animaler Rauf¬
last so vollauf beschäftigt, dass sie wenig Zeit und Lust übrig behält, an Ver¬
gangenes zu denken und es vielmehr bequemer findet, als richtiges Heerdenthier
auf der grossen Heerstrasse der Tagesmeinung dahinzutrotten, wenn auch in Grup¬
pen gesondert und von Leithämmeln verschiedenster Farbe nnd Zeichnung auf dem
naturgemässen Entwicklungsgänge weiter geführt.
Wir nehmen als ganz selbstverständlich an, dass wir weiser seien als unsere
Herren Väter und nicht einmal der Dorfbach, der uns ertränkt, die Variola, die
uns erwürgt, nicht Kriege noch Seuchen stören uns in unserm naiven Bildungs¬
wahne.
Darum mag es gestattet sein, dass wir einen kurzen Rückblick auf die Sani¬
tätsverhältnisse ganz alter Zeiten werfen. Doch nein, ich bin böse genug, die
ersten zwei Jahrzehnde unsere Jahrhunderts als alte Zeiten zu behandeln, und
ehrlich genug, zn sagen, dass Alles was wir heute als grosse Errungenschaften
preisen, von unsern Vätern ebenfalls mit Eifer und Einsicht angestrebt wurde.
9
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130
Indem ich Ihnen hiemit eine fragmentarische Bevölkerungs- und Mortalitäts-
atatistik aus den Jahren 1805—23 vorlege, lade ich Sie zu einem kleinen Spazier¬
gange durch die betreffenden sanitätsräthlichen Jahresberichte ein. Sie fangen im
helvetischen Canton Linth an und gehen dann bald in administrative Verhältnisse
über, welche von den jetzigen sehr wenig verschieden sind. Die Berichte sind
meistens würdevoll, schwungvoll und furchtbar höflich geschrieben, anfangs mit
wenigen, bald aber mit mehreren Zahlenangaben versehen. Es ziehen sich, ausser
den statistischen Fragen und ausser der Schilderung des alljährlichen Krankheits¬
genius mehrere Themata stetig durch alle Berichte: 1. öffentliche Gesundheits¬
pflege, 2. Cantonsspital, 3. Implung und Pockenpolizei, 4. Hundepolizei und endlich
5. auch Pfuscherpolizei.
Das Sanitätscollegium, welches aus allen Bezirksärzten, Adjuncten und spe-
ciellen Beauftragten, wie Hebammenlehrer und Impfärzte, bestand, versammelte
sich alljährlich unter dem Vorsitze eines Regierungsraths-Mitgliedes, liess sich
Berichte vorlegen, gab öffentliche und unentgeltliche Consultationen für Kranke
(meist chirurgische und Augenkranke) und entwarf Vorschläge zu Händen der
Regierung wie auch Weisungen für die amtlichen und privaten Aerzte im Lande,
ebenso examinirte das Collegium Aerzte und Wundärzte und verificirte es die Heb¬
ammenpatente ; auch war es die Instanz für Obergutachten in allen gcrichtlich-
medicinischen Fällen.
Die Regierung über die Aerzte war noch sehr patriarchalisch, es wurden Lob -
Sprüche und Geldprämien, aber auch reichliche Rüffel, Patentbeschränkungen und
Kürzungen beschlossen und ganz besonders machten die beschränkten Patente viel
Verdruss, wenn z. B. Einer, welcher nur für „leichte Operationen“ patentirt war,
schwere machte, wenn ein Chirurg innere Medicin trieb oder ein beschränkt Pa-
tentirter Geburtshülfe u. s. w.
Sehr anmuthig ist das Verhältniss zwischen Regierung und Sanitätscollegium
zu lesen. Sie überschütten sich gegenseitig mit Lob und von der modernen tiefen
Abneigung, welche so manche unserer grossen Juristen, von Windhorst bis Obenaus ,
gegen alle Medicinerei beweisen, war damals noch nichts zu spüren.
Die Seuchenpolizei und öffentliche Gesundheitspflege erfreute sich vieler Auf¬
merksamkeit, es liegen eine Menge kerngesunder Ansichten in den betreffenden
Berichten, und die gesundeste war wohl die, dass derartige Massregeln überhaupt
auszuführen und die Vollziehung durch Medicinalbeamte zu überwachen sei. So
treffen wir die Sanitäts-Räthe DDr. f/i/ty, ftäf, Aepli öfter auf Inspectionsreisen.
Sogar das Verbot schädlicher und übelriechender Gewerbe wurde mancher¬
orts mit weniger Hamlet’scher Charakterlosigkeit durchgeführt als heutzutage.
Wenn Se. Excellenz der Herr Landammann der Schweiz an die Cantone von
Seuchen berichtete, welche an den Schweizergrenzen oder im fernen Auslande
wütheten, so wurden auch im Canton St. Gallen Aufsichten, ja Contumazhäuser
eingerichtet.
Die Impfung hatte auch damals ihre warmen Freunde und ihre kühlen Ver-
läumder, welche übrigens weniger schadeten als „liederliche Impfärzte“.
Wasserscheu kam unter Hunden häufig vor und ab und zu kostete die furcht -
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bare Krankheit auch Menschenleben. Das böse Gewissen der Gesellschaft, welche
Hunde hätschelt und Menschen verachtet, spiegelt sich in einer Reihe von Berich¬
ten und Verordnungen.
Die Pfascherfrage endlich war 1805 schon so grün und saftig wie heutzutage,
die moralische Entrüstung und das Selbstverschulden der Aerzte war dasselbe,
die Ohnmacht der Polizei war damals so gross wie jetzt, trotzdem Landesverwei¬
sung und Zuchthaus oft genug zu den Accidentien des allezeit einträglichen Ge¬
werbes gehörten.
Zu Einzelnheiten übergehend notire ich als getreuer und lückenhafter Chronist
Folgendes:
1799—1801 wird berichtet, dass im Rheinthale die Pocken heftig gewüthet und
deshalb Inokulation dringend empfohlen worden sei. Die Sanitätsbehörde empfing
mehrere Manuscripte über Krankenbehandlung und liess einige drucken und ver¬
theilen, so namentlich Abhandlungen über Onanie mit eindringlichen Warnungen,
ferner Dr. Oberleuffer's »medicinisch-diätetischen Unterricht“ und einschlagende
Vorträge »würdiger Seelsorger“. Es ist wohlthuend zu sehen, wie einträchtig
Theologen und Aerzte an der Statistik und Gesundheitspolizei zu arbeiten anfingen
und wie Geistliche und Aerzte da und dort in den Gemeinden Vorträge darüber
hielten. Aus dieser Zeit datiren auch eine Reihe von Verfügungen über Lebens-
mittelcontrole, und die St Gallische Behörde notirt mit Genugtbuung, dass meh¬
rere ihrer Vorschriften vom helvetischen Ministerium adoptirt worden seien.
Der neue Canton St Gallen gibt 1805—1806 die erste Kunde seines amtsärzt¬
lichen Lebens und der »Uebersicht der Verhandlungen der Sanitäts-Commission“,
wo die lange Jahre wiederkehrende Anrede bemerkenswerth ist: »Hochgeachteter
Herr Regierungsrath! hochgelehrte, hochzuehrende Herren Sanitätsräthe und As¬
sessoren! Sehr vertraute Freunde und Collegen!“
Das neue Collegium untersuchte und classificirte alle Aerzte - Diplome und
Nichtdiplome, erhob eine Statistik der Hebammen, deren 384 »schlechte und un-
gelehrte“ waren, und errichtete Lehrcurse, Prüfungen und Patente für diese zarten
Geschöpfe. Zwei »freche Hebammen“ wurden feierlich abgesetzt, obschon sie nie¬
mals amtlich eingesetzt, sondern nur geduldet gewesen.
Es wurden Sperrmassregeln gegen das gelbe Fieber, welche 1804 eingeführt
worden, wieder aufgehoben.
Die Hundepolizei wurde als sehr dringlich behandelt und verschärft Die
Pfuscherpolizei strenge gehandhabt, aber mit unverhohlenen Klagen über Nicht¬
erfolg.
In Rorschach und im Toggenburg rafften die Pocken viele Kinder weg. Im¬
pfung wurde vielfach versucht und vielfach bewährt und oftmals angeklagt. Zahl¬
reiche amtliche Untersuchungen ergaben, dass häufig mit Unkenntniss und Nach¬
lässigkeit geimpft worden, und ebenso, dass Schafpocken, Wasserpocken und alle
möglichen Krankheiten, nicht ausgenommen die gemeine Krätze, mit den Pocken
verwechselt wurden und die Impfung, welche vor diesem Allem nicht schützte, in
Misscredit brachten.
Im Jahre 1806 gab das Sanitätscollegium die ersten gutachtlichen Vorschläge
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zur Errichtung eines Cantonsspitales, die Motivirung, in allen Culturstaaten und
unter allen anständigen Leuten dieselbe! war warm und edel. Die Regierung ging
freundlich darauf ein und versprach „Erdauerung“.
Viele Geistliche wurden wegen ihres Eifers in der Führung der Mortalitäts¬
tabellen , sowie auch wegen Empfehlung der Impfung feierlich belobt und er¬
muntert.
Die Zahl der Pockentodesfälle war gross, 1383 auf 5200 Todesfälle, also über
ein Viertheil der ganzen Mortalität fiel auf diese, wie unsere Dilettanten behaup¬
ten „gutartige“ Krankheit. In dieses Jahr fällt die Gründung des Cantonal-Impf-
stoffdöpöts und die Gründung der medicinisch-cbirurgischen Gesellschaft von St.
Gallen, welche ihre Statuten an Sanitätsrath und Regierung zur Begutachtung
einreichte!
Die Sanitätscommission hatte im Aufträge des Regierungsrathes: den „Ent¬
wurf eines allgemeinen Systemes von Gesundheitspolizei-Anstalten in der Schweiz.
Eidgenossenschaft“ auszuarbeiten, um damit den Tagsatzungsgesandten zu instrui-
ren. — So gingen im Sturm der Zeiten Ideen und Pläne verloren, welche schon
von der nächsten Generation als „Liebhabereien unbeschäftigter junger Aerzte“
verhöhnt und erst von der übernächsten wieder als wichtig anerkannt und zu Hän¬
den genommen wurden.
Herr Dr. Aepli verfasste einen Leitfaden für die Hebammen, der unentgeltlich
vertheilt und auch im Canton Thurgau eingeführt wurde. Zum Ueberflusse gab
es auch schon damals Weigerungen vieler Gemeinden gegen die Bezahlung des
Hebammenwartgeldes.
Das Jahr 1807 bringt uns eine sehr grosse und feierliche Sitzung des Sani-
tätscollegiums, bei deren Eröffnung Herr Regierungsrath Reulhy erklärte: „dass
unter den verschiedenen Vorsorgen einer Landesregierung diejenige für das all¬
gemeine Gesundheitswohl zu den wichtigsten gehöre, dass Handel und Landbau
nur Wohlstand gewähren, wenn sie von einem gesunden Volke betrieben werden
und dass die Gesundheit eines Volkes auch die Vorbedingung jeder brauchbaren
Schulbildung sei und endlich, dass der Redner von seiner Regierung beauftragt
worden, der Sanitätsbehörde ihre Arbeiten zu verdanken und die Unterstützung
der Obrigkeit zuzusichern. — Es gab später Zeiten, in welchen das Medicinalwesen
etwas weniger galt!
Damals und noch für mehrere Jahre bezahlte die Regierung Stipendien an un¬
bemittelte Studenten der Medicin.
Pocken und Kindbettfieber blieben dieses Jahr endemisch und die Pfuscherei
wurde eifrig verfolgt.
Leider kamen auch manche Fälle von Wasserscheu vor und gebissene Men¬
schen versäumten häufig alle Desinfection der Wunde und gingen dafür nach
Hohen-Ems, wo ein St. Hubertus-Schlüssel wundertätigen Schutz gewähren sollte.
Die Sanitätscommission klagte darüber bei der zuständigen k. bayrischen Behörde
und diese liess den irrationellen Schlüssel — entfernen 1 Ein Verfahren, welches
heutzutage wohl nicht mehr möglich wäre.
Bemerkenswert ist die Rede, welche Regierungsrath Reuthy 1808 vor dem
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versammelten Sanitätscollegium gehalten. Er sagt da: „Lassen Sie den Muth
nicht sinken, wenn die Regierung manche Ihrer wohlgemeinten Vorschläge noch
nicht au8gefuhrt, weil die vorhandenen Hülfsquellen aufgetrocknet waren. Einst
werden doch die Staatseinnahmen nicht einzig zu Militärausgaben oder zu Anstal¬
ten gegen die Gefährdung öffentlicher Sicherheit, oder zu Verkehrswegen verwen¬
det werden, sondern ruhigere und bessere Zeiten werden auch einem Cantonsspi-
tale, einem Gebärhause u. s. w. eine Rubrik eröffnen. Der Kleine Rath beauftragt
mich, Ihnen sein Wohlgefallen für Ihren Eifer und Ihre Verdienste auszusprechen
und Sie seiner geneigten Unterstützung zu versichern.“
In diesem Jahre herrschte in Flawyl eine schwere Ruhr-Epidemie unter den
Kindern, weshalb eine sanitätsräthliche Abordnung dort Inspection hielt und
eine Reihe sehr guter hygieinischer Verordnungen erliess. Ebenso wurde eine
populäre Abhandlung im Volke vertheilt, welche von der üblichen Purgirmethode
abmahnte, und ein Circular an die Aerzte erlassen, welches sich über die damalige
diätetische und medicamentöse Behandlung der Ruhr verbreitete.
Wir erhalten Bericht über Auffindung und Anwendung von originärer Kuh¬
pockenlymphe, vernehmen die Mittheilung über Staatsstipendien für Studirende der
Medicin und schliesslich auch den stereotypen Jammer über Quacksalberei und
Geheimmittelschwindel.
(Schloss folgt.)
Ruptur sämmtlicher Hüllen einer Hernie.
Von Dr. Frey in Muri.
Am 31. Oct v. J. wurde ich Nachts '/all Uhr Z u einer Person gerufen, weil sie
sehi starke Schmerzen in einem Bruch habe. Selbstverständlich dachte ich an eine
Einklemmung, nahm das Nöthige mit und machte mich auf den Weg zu der etwa
10 Minuten entfernt wohnenden Patientin.
Jgfr. Barb. B-, 47 Jahre alt, klagte bei meiner Ankunft, sie habe starke Schmer¬
zen in einer rechtseitigen Hernie. Dieselbe bestehe schon seit vielen Jahren; sie
habe Krüsi-Altherr’sches Pflaster gebraucht, worauf der Bruch „fast ganz“ geheilt
sei. Seither habe sie sich nie mehr um den Bruch gekümmert und kein Bruch¬
band getragen, weil ihr eben versprochen worden sei, das Pflaster heile unbedingt
alle Brüche.
Einen Arzt habe sie nie consultirt, weil sie sich genirt habe. Heute Nach¬
mittag nun habe sie geholfen, einen Boden fegen, und nachher habe sie genäht.
Im Laufe des Nachmittages seien dann starke „Krämpfe“ im Unterleib aufgetreten,
sie habe aber weiters gearbeitet, und erst am Abend, als sie heimgekommen sei,
seien die Schmerzen sehr stark geworden.
Als ich das Bett abdeckte, fand ich zu meinem übergrossen Erstaunen ein
grosses Convolut dampfender Gedärme in den blutigen und schmutzigen Betttü¬
chern liegen.
Bei äusserst mangelhafter Beleuchtung durch einen erst nach vieler Mühe zur
Stelle gebrachten Nachbarn konnte ich die Situation etwas überblicken.
In der rechten Inguinalgegend sah man einen wohl 2 Faust grossen Bruch, das
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durch Krüsi’s Pflaster „fast ganz“ geheilte Bröchlein der Patientin. Der ganze
Bruchsack war mit Gedärmen angefüllt Auf der Innenseite desselben quollen aus
einem etwa 5 cm. langen Riss mit zackigen Rändern, der durch die äussere Haut
und den eigentlichen Bruchsack hindurchging, die Eingeweide heraus. Netz war
nicht dabei.
Sofort machte ich mich daran, die Därme sammt Gekröse von den Verunrei¬
nigungen, Brosamen, Flaum etc. zu reinigen, wozu ich mir etwas laues Wasser
geben Hess. Dann erweiterte ich die Oeffnung in der äussern Haut und im Bruch¬
sacke. Ich musste dieses thun , sowohl um eine Taschenbildung zu vermeiden,
wodurch der Eiterabfluss gehindert worden wäre, als auch um direct zur Bruch¬
pforte zu gelangen. Letztere war für 2 Finger durchgängig. Nun ging ich an
die Reduction. Patientin war nicht chloroformirt; sie gab es nicht zu und äus-
serte auch wenig Schmerzen. Die Eingeweide, die vorgefallen waren, bestanden
in ca. 4 Fuss Dünndarm, Coecum, Wurmfortsatz und etwa 1 Fuss Dickdarm mit
etwas Mesenterium. Die Reposition des Dünndarmes ging verhältnissmässig rasch
von Statten, dagegen leistete das Coecum lange Widerstand. Es war prall mit
Luft gefüllt, und ich musste, um weder Darm noch Valvul. Bauhini zu verletzen, sehr
vorsichtig die Gase zurückzudrängen suchen.
Während der Operation begannen schon peritonitische Erscheinungen. Patien¬
tin bekam einige Male starke Brechbewegungen, was mich natürlich stets veran-
lasste, mit Reponiren aufzuhören und die Bruchpforte zu verschliessen, damit die
eingepackten Gedärme nicht wieder herausgepresst würden. Nach etwa 2 Stunden
war die Operation beendigt, ohne dass Patientin sehr über Schmerzen geklagt
hätte. Nun legte ich beide Lappen des Bruchsackes zusammen; denn der ganze
Bruchsack sammt äusserer Haut war der Quere nach vollständig gespalten, so
dass man einen obern und einen untern Lappen hatte. Die Wunde umhüllte ich
mit einem in Carbolöl (5%) getauchten Leinwandlappen und Carbolcharpie. Ueber
die Bruchpforte legte ich eine vierfache Compresse und machte darüber sorgfältig
einige Bindentouren, damit die etwas stupide Patientin nicht bei Husten und Er¬
brechen die Gedärme wieder herausdränge. Alsdann verordnete ich absolute Ruhe,
Eisumschläge auf den Bauch und nur kalte und flüssige Nahrung (Wasser, Wein
und etwas Milch für die folgenden Tage). Ausserdem verschrieb ich Opii puri
0,01, 1—2stündlich ein Pulver. Bevor ich aber die Patientin verliess, wollte ich
wissen, woher das Ereigniss gekommen sei. Ein Trauma wurde absolut in Abrede
gestellt und alle möglichen Fragen in dieser Richtung verneint. Husten und Er¬
brechen will sie nicht gehabt, auch keine Lasten getragen haben, kurz man hätte
fast mit der Person die Meinung haben können, die Sache sei von selbst gekom¬
men. Bei der Untersuchung, die ich machte, ehe ich die Erweiterung des Bruch -
sackes und seiner Hüllen vornahm, fand ich von einem Abscess oder einer Ver¬
wachsung des eigentlichen Bruchsackes mit der äussern Haut keine Spur. Nicht
einmal Röthung oder Verdünnung der Haut war sichtbar. Es ist jedoch ganz
wohl möglich, dass mir bei der schlechten Beleuchtung, die ich hatte, das Eine
oder Andere mag entgangen sein. Denn auf meine vielen Fragen, die ich später
fast täglich an die Kranke richtete, gestand sie mir, dass sie vor etwa 14 Tagen
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etwas Blut und Eiter am Hemd gehabt habe; aber sie habe nicht gewusst, woher
das komme (Vagina?), da sie nirgends Schmerzen gefühlt habe. Es bleibt also
neben der Vermuthung, dass trotz des Läugnens der Kranken ein Unberufener
sich einen folgenschweren Eingriff erlaubte, keine andere Annahme übrig als die:
durch irgend eine Veranlassung (vielleicht Krüsi’s Pflaster) hat sich ein ganz klei¬
ner Abscess gebildet, wobei der Bruchsack mit der Haut verlöthet worden ist.
Jedenfalls aber kann dieser Process nicht ausgedehnt gewesen sein, denn ich be¬
merkte nichts hievon, und einen grossem Abscess oder sonstige Entzündungs¬
erscheinungen hätte ich doch sehen müssen. Durch einen Hustenstoss, eine rasche
Bewegung etc. kamen nun die Darmhüllen zum Bersten, wahrscheinlich ohne dass
die stupide Person es merkte. Denn diese gab an, es sei ihr schon beim Heim¬
gehen am Abend (sie arbeitete nämlich bei ihrem etwa '/* Stunde entfernten Bru¬
der) „Wasser“ über das Bein heruntergelaufen und „es sei etwas am Bein herum-
geplarapet“; aber sie habe nicht gewusst, was es sei. Es ist also anzunehmen,
dass die Ruptur beim Arbeiten stattfand, als Patientin „Krämpfe" bekam, und dass
die Gedärme beim Heimgehen durch ihr eigenes Gewicht herausßelen und ausser¬
halb des Bauches waren, bis die Schmerzen ärztliche Hülfe nöthig erscheinen
üessen. —
Am andern Tage Morgens war der Bauch mässig aufgetrieben, überall tym-
panitischer Ton. Die Eisblase wurde ganz gut ertragen, kein Erbrechen, verbält-
nissmässig gutes Befinden. Puls 90, Temp. 37,8. Abends Puls 100, Temp. 38,2.
Andern Tags dasselbe. Am dritten Tag sank der Puls Abends auf 86 und 37,7
Temp. Am vierten Tag verlor sich der Meteorismus fast ganz, so dass ich nur
noch Umschläge von kaltem Wasser machen liess, und bis zum fünften Tage war
der Bauch eingefallen. Puls und Temperatur kehrten allmälig bis zum siebenten
Tag in die normalen Grenzen zurück. Die Opiumpulver wurden bis zum dritten
Tage fortgegeben. Erst am zwölften Tage erfolgte ein Stuhl, nachdem vorher
ein laues Klystier applicirt worden war, am dreizehnten wieder 2 feste Stühle, und
von nun an alle oder jeden andern Tag.
Und nun die Wunde.
Am Tage nach der Reposition wurde der angelegte Verband entfernt. Da so¬
wohl beide Lappen, als auch die Gegend der Bruchpforte stark geschwollen waren,
so glaubte ich, die Schwellung verschliesse die Wunde und behandelte sie ganz
offen, d. h. ich wickelte die zusammengeklebten Lappen in mit Carbolöl getränkte
Leinwand ein und deckte etwas in Carbolöl getauchte Charpie darüber; über diese
ein Wachspapier, um das Bett etwas vor dem Oel zu schützen. Starke Eiterung
trat nie ein. Die Anschwellung nahm nach und nach ab, die Wundränder heilten
auf den Seiten sehr schnell zusammen, und nur vom 7.—11. Tage konnte ich durch
Streichen von oben nach unten etwa 1 Kaffeelöffel voll guten und gesunden Eiter
herausdrücken. Bis zum 15. Tage war die Wunde gänzlich geheilt, und wenn’s
jetzt nicht besser hält als vorher, so kann die Jungfer, die von einem Bruchband
nichts wissen will, wieder ein Krüsi’sches Pflaster aufkleben.
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Zur Aetiologie des Erysipels.
Vortrag, gehalten in der Sitzung der medic. Section'der Schweiz, naturf. Versamm¬
lung zu Basel von A. Baader.
(Schluss.)
Wie energisch und bestimmend dann bei einmal cumulirt aufgetretener Krank¬
heit der sogenannte „Genius epidemicus“ wirkt, zeigen uns sehr hübsch folgende
3 Fälle:
1) ein 64jähriger Mann litt seit ca. 25 Jahren an einem immer gröblich vernach¬
lässigten Ulcus pedis, das noch nie Rothlauf bewirkte. Ich machte ihn, da seine
Tochter an Erys. faciei erkrankt war, auf die Gefahr aufmerksam; er lachte dazu
und acquirirte nicht nur eine Wundrose der ganzen betreffendenJExtremität, son¬
dern als er nachher im alten Schlendrian fortfuhr, | 3 und ^5 ^Monate später. Re-
cidive. Er blieb hierauf bis zur Heilung des „Leibflusses“ im Bett und seither von
Recidiven verschont.
2) ein 19jähriger Knabe hatte rechts in Folge eines cariösen Backzahnes schon
wiederholt Parulis gehabt; die Zahnrose bleibt bekanntlich in der Regel stationär.
Ich entleerte die stinkende Tasche, fand aber bereits ein Uebergreifen auf die
andere Nasenhälfte und einen circumscripten Fleck auf* der linken Wange; der
Kranke machte eine Gesichtsrose durch, welche das ganze Gesicht inclusive beider
Ohren ergriff 1 .
3) einer 74jährigen Frau wurden an der rechten Schulter Einreibungen mit
Lin. vol. c. oleo tereb. gemacht; wie so oft entstand ein Erythem, das der Kran¬
ken ein lästiges Jucken und Brennen verursachte, aber das Allgemeinbefinden
absolut nicht alterirte. Das Kratzen wurde zwar verboten, aber nicht verhindert,
so dass viele kleine Excoriationen entstanden; am dritten Tage hatte die Frau
mehrere kleine Fröste, und es bildete sich nun unter heftigem Fieber eine Rose
aus, welche die Grenzen des Erythemes nach allen Seiten überschritt.
Die beiden Frauen mit Recidiven im Gesichte hatten Coryzza zurückbehalten:
nach Heilung derselben sistirten auch die Recidive. Bei einer Frau begann das
Erysipel im Nacken und wanderte auf das Gesicht; sie hatte am behaarten Hin¬
terkopf ein altes, beim Kämmen oft aufgekratztes Eczem.
Die Entstehung des ersten Falles wurde nur in soweit aufgeklärt, als die Frau
früher schon zweimal Erys. fac. gehabt hatte, sich nun wiederholt Zähne! auszie-
hen liess und selbst ihr bald darauf eingetretenes Leiden daher datirte. Rose war
damals sonst weit und breit keine; doch ist ihr Mann Metzger, verkehrte zu¬
dem viel mit Basel, Rheinfelden etc. Sie selbst hält einen Krämerladen, so dass
eine nachherige Controle des besuchenden Publicums unmöglich wurde. Bis zum
zweiten Falle vergingen dann 5 Wochen; die weitere Verbreitung schien eine ab¬
solut willkürliche zu sein. Im ganzen Dorfe herum traten Fälle auf, auch bei
jenen furchtsamen Familien, die sich sorgfältig zu isoliren suchten. Das abwar¬
tende und besuchende Personal blieb grösstentheils verschont. In einer Familie
erkrankten von 7 Hausgenossen 3 (scrophulöse, oft kranke Kinder), in einer andern
von 7 zwei, in einer dritten von 5 ebenfalls 2 — alles evidente Wundrosen. Con-
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tagion Hess sich, den obenerwähnten Fall vielleicht ausgeschlossen, nicht nach-
woisen.
Kein Alter blieb verschont: auch die Immunität der kleinen Kinder bewährte
sich bei einer frühem Beobachtung nicht. Ich sah zwei Kinder von 6 und 8 Wochen
an wandernder Wundrose der Brust und des Stammes erkranken.
Noch erwähne ich den Todesfall. Der 46jährige kräftige Mann erkrankte unter
hohem und äusserst hartnäckigem Fieber mit einem Erysipel des linken Ohres; die
Rose wanderte über das Gesicht zum Nacken, dem behaarten Kopfe wieder zum
Ausgangspunkte und schlug denselben Weg zum zweiten Male ein, bis Patient
am 13. Tage, als das linke Ohr zum dritten Male zu schwellen begann, dem hohen
Fieber durch Herzparalyse erlag. Der Fall war in sofern interessant, als er drei
längst bekannte Thatsachen eclatant bestätigte:
1) das gewöhnlich vorkommende, unerklärliche Freibleiben des Kinnes, das
nicht ergriffen wurde;
2) das seltene Ueberwandern vom Kopfe auf den Rumpf und
3) das ebenso seltene Eintreten einer wirklichen Meningitis.
Zweimal hatte der Patient wild delirirt und nachher soporös dagelogcn; allein
auf das Sinken der Körpertemperatur und kalte Begiessungen waren die Cerebral¬
symptome jeweilen vollständig geschwunden und der Tod trat bei completem Feh¬
len aller Gehirnsymptome erst ein, als Patient die antipyretischen und die Reiz¬
mittel brach und die letztem bei subcutaner Anwendung wie gewöhnlich bald den
Dienst versagten.
Ich führe noch an, dass während der Beobachtungszeit leichte Anginen viel
häufiger vorkamen, als sonst, unter Anderm in der gleichen Woche an drei Per¬
sonen in einem Hause mit einem Erysipele. In den Monaten Januar bis März kamen
in den benachbarten Gemeinden Ormalingen 1, Rickenbach 3, Wenslingen 2, und
Gelterkinden 8 Gesichtsrosen in meine Behandlung (alle mit glücklichem Aus¬
gange), wobei nur in 2 Fällen keine Lsesion zu constatiren war. Dagegen befand
sich dabei ein Mann, der seit Jahren an habituellem, äusserst frequentem Erysipel
der Nase litt, nun aber seit Februar verschont blieb, nachdem energisch und con-
sequent applicirte Nasendouchen seine Borken und Blutkrusten aus der Nase ent¬
fernt und deren Neubildung verhindert hatten.
Rechne ich Alles zusammen, so waren es für die kurze Zeit 44 Erysipele.
Verschweigen will ich nicht, dass ich zu gleicher Zeit in Buus 10 geburtshülflichc
und chirurgische Eingriffe ausführte, ohne dass eine Rose nachfolgte: doch wurde
überall consequent Carbolöl in nicht reizender 2—5% Lösung angewandt und die
Wunden überhaupt sorgfältig behandelt.
Die therapeutische Ausbeute war eher negativ: die Behandlung nach den ver¬
schiedensten Formen ergab, um kurz zu bleiben, nur eines, dass nämlich die ur- *
alte Methode des Bestreichens mit Lin. calc. oder Oel und bei vielen kleinen Riss-
chen das Bepudern mit Mehl und das Bedecken mit Watte am einfachsten und
für den Patienten am angenehmsten ist, sowie dass hiebei die Rose ebenso oft
rasch und ebenso oft langsam abblasst oder sich ausbreitet, wie bei den verschie¬
densten energischeren Eingriffen. Eis auf den Kopf nur, sobald es nöthig erscheint.
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Anfangs statt des unangenehmen Emeticums, das ich nicht an wandte, ein sali-
nisches Laxans, nachher säuerliche Getränke, Acid. mur. und bei hohem Fieber
5-8 Gramme salicylsaures Natron: besseres habe ich nicht gefunden.
Während einer 40jährigen Praxis hat mein 1. Vater bei dieser Behandlung nur
2 Patienten an Erysipel verloren (einmal Erys. migr. am Stamme bei einer bejahr¬
ten Frau, das zweite Mal Erys. fac. mit Meningitis in potatore).
Recapitulire ich kurz, so geht meine Ansicht dahin,
dass der Rothlauf eine sporadische Krankheit ist. die
jedoch unter uns unbekannten Umständen sowohl in geschlos¬
senen Räumen als in zerstreuten Localen auch cumulirt auf-
treten kann;
dass er sich als eine locale, wahrscheinlich durch das
Ein wandern von Micrococcen bedingte Erkrankung docu-
mentirt, von welcher ungemein rasch die schwere Infection
des Blut'es ausgeht, und
dass immer eine Ltesion der Haut oder der benachbarten
Schleimhäute der Weg ist, auf welchem der Infectionsstoff
in die Blutmasse dringt, so dass also eine Trennung in chi¬
rurgisches und me dicinisches Erysipel als wesenlos dahin¬
fällt.
Nach einmal überstandener Rose bleibt eine Prädisposition zu Recidiven zu¬
rück, die jedoch in der Regel (wenn nicht immer) durch Bekämpfung der Grund-
leiden (chronischer Rachencatarrh, Coryzza etc.) getilgt wird.
Ich stelle meine Ansicht nicht als undiscutirbare Wahrheit hin; noch fehlt für
manches Zwischenglied die exactere Kenntniss. Es ist ja eben vita brevis, ars
longa. Ich habe, vielleicht unberechtigter Weise, versucht, an der so schwierigen
Erforschung der Krankheitsursachen in bescheidenem Grade mitzuhelfen. Habe
ich geirrt, so möchte auch manchem Andern die nachfolgende belehrende Discus-
sion durch erfahrenere Forscher und begabteren Mund nicht unerwünscht sein.
"V ereinsberiehte.
Medicinische Gesellschaft in Basel.
4. Sitzung, den 6. April 1876.
• Anwesend 28 Mitglieder und 2 Gäste.
Prof. Roth demon8trirt und erläutert verschiedene pathologisch-anatomische
Präparate. 1. 2 Präparate von Glioma retinae, 2. eine kirschengrosse Cyste
vom linken obern Stimmband ausgehend, 3. 2 Nasenrachenpolypen, wovon
* der eine fibrös durch Operation entfernt, der andere sarcomatöser Natur.
Ref. geht hierauf speciell auf die Samencysten ein und bespricht unter
Demonstration von Präparaten und Zeichnungen ihre Lage und Entstehung. Den
Sitz betreffend, sind sie entweder intravaginal: in der Aforpa^ni’schcn Hyd&tide
oder vom Kopf des Nebenhodens aus, oder extravaginal: am untern Theil des
Nebenhodens aus dem gewöhnlichen Vas aberrans hervorgehend oder an der Rück-
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fläche des Hodens vom Rete testis aus in der Nähe des Giraide*'sehen Organs.
Ihre Entstehung lässt sich wohl immer auf Retention in einem Vas aberrans zu¬
rückführen. Während aus dem mittlern Theil des Wolff "sehen Körpers die Vasa
efferentia hervorgohen, gehen die übrigen Theile desselben zu Grunde; einzelne
Gänge aber können sich erhalten, zu Vasa aberrantia und später zu Cysten werden.
Ref. weist das Vorkommen solcher Vasa aberrantia an allen den Stellen, wo Cy¬
sten Vorkommen, nach. Die Cysten sind denn auch mit Flimmerepithel ausgeklei¬
det; der Inhalt kann, wenn vollständige Abschnürung des Vas aberrans das Ein¬
dringen frischen Samens verhindert, serös oder käsig werden.
Prof. Socm legt das Präparat einer operirten mehr als rechtwink¬
lig gebogenen Kniegelenksankylose vor; dieselbe war vor 2 Jahren
durch traumatische Gelenkvereiterung entstanden. Durch Absprengung der Patella
und Excision eines Keiles wurde am 4. März die Biegung beseitigt. Unter Litter-
schem Verband, Drainage und Extension heilte die Operationswunde per primam,
es zeigten sich aber Symptome von Morbus Brightii und durch meningeale Blutung
aus einem kleinen Aneurysma trat plötzlicher Tod ein.
Die Knochenflächen zeigen sich als gut granulirend ohne dass im Leben Eite¬
rung vorhanden war.
5. Sitzung, den 4. Mai 1876.
Anwesend 17 Mitglieder.
Prof. Schiet* demonstrirt die Ziegler 'sehen unter Leitung von Prof. Manz ent¬
standenen Wachspräparate, betreffend die Entwicklungsgeschichte
des Augos. Hierauf zeigt er den rechten Bulbus einer 55jährigen Dame, welche
bei stark kurzsichtigem Bau zuerst an Glaskörperblutungen, 2 Jahre darauf
an Iridocyclitis mit consecutiver Netzhautablösung und fortwäh¬
rendem leichtem Reizzustand litt. Ausser intensiver Schwartenbildung in der vor¬
dem Glaskörperregion fand sich im subretinalen Raum eine höchst auffallende, mas¬
senhafte Ansammlung der prachtvollsten Cholestearinkrystalle vor. Nach¬
dem ein Fall von intraoeulärem Gliom bei einem 3jährigen Kinde, wobei die
Geschwulst noch rein auf die Netzhaut beschränkt war, und bei welchem über 1
Jahr kein Recidiv aufgetreten, vorgezeigt wurde, folgte Demonstration von 3 con-
junctivalen Tumoren. Fall 1. Geschwulst seit 4 Monaten entstanden bei einem
60jährigen Mann, erstreckt sich bis hart an den Hornhautrand, lässt sich rein von
der Sclera abpräpariren, Epithelüberzug vollständig intact. Tumor ist ein Rund-
zellensarcom mit bereits beginnender fettiger Degeneration.
Fall 2. Seit */» Jahr bei einem 55jährigen Mann entstanden; seit 5 Wochen
ist das Sehvermögen vollständig aufgehoben. Der oberflächlich leicht gelappte
Tumor verdeckt die Hornhaut, mit der er innig verwachsen ist, vollständig. Das
Auge wurde enucleirt, der Tumor erwies sich in seinen tiefem Partieen als ein
kleinzelliges, pigmentloses Sarcom, aus dem bindegewebige, pal-
lisadenförmig angeordnete Sprossen in die oberflächlichen, gelappten Theile der
Geschwulst hineinstreben, welche aus massenhaften epitheloiden Elementen
bestehen.
Fall 3. Kleine Geschwulst bei einem 56jährigen Mann, nach einem unbedeiv*
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tenden Trauma in 5 Monaten entstanden. Erstreckt sich von der Carunkel bis zum
innern Hornhautrand. Die Geschwulst erweist sich als exquisites zierliches Fib¬
roma papillare, fibröse Basis mit zierlichen Zotten, in welche Gefässe hin¬
eingehen.
Schliesslich wird ein kleines Melanosarcom des Ciliarkörpers und
der Iris von einer 55jährigen Frau demonstrirt. Der Tumor hat die Linse com-
primirt und etwas nach hinten gedrängt, bei noch ziemlich gutem Sehvermögen,
bei welchem Anlass Prof. Schiess kurz über 3 andere Fälle von Iristumoren aus
seiner Beobachtung referirt.
Prof. Socin demonstrirt einen neuen von Herrn Gacon in Neuenburg construir-
ten Apparat, welcher das Aufheben bettlägeriger und schwer beweglicher Kranker
auf leichte und schonende Weise ermöglicht. Der Apparat ist leicht transportabel,
handlich und nicht zu theuer.
6. Sitzung, den 18. Mai 1876.
Anwesend 12 Mitglieder.
Das Präsidium erinnert an den Verlust, den die Gesellschaft durch den Hin¬
schied von Herrn Dr. Münch erlitten hat, welcher seit der Stiftung Mitglied und
häufiger Theilnehmer an den ersten Acten war.
Präsident Dr. F. Müller geht sodann auf das Tractandum des Tages über: die
Canalisation, resp. die Schritte, welche die Aerzte Basels thun könnten im
Hinblick auf die kommende Referendumsabstimmung. Nach einlässlicher Discus-
sion, an der sich ausser Dr. F. Müller die Herren de Welte , Haagen , August Burckhardl,
Lichfenhahn , Lotz , W. Bernoulli, Hdgler und Hagenbach betheiligen, wird einstimmig
beschlossen: da das Fallen des Canalisationsprojectes ein Unglück für die sani-
tarische Entwicklung der Stadt wäre, so sei es Pflicht der Aerzte, durch einen
Aufruf an das Publicum für die Annahme des Canalisationsgesetzes, wie es vorliege,
zu wirken.
7. Sitzung, den 1. Juni 1876.
Anwesend 19 Mitglieder.
Der Secretär theilt mit, dass der Canalisationsaufruf 42 Unterzeichner gefun¬
den habe; es wird beschlossen, denselben durch Beilage an sämmtliche hiesige
Zeitungen kurz vor der Abstimmung in das Publicum zu bringen.
Prof. Wille bespricht eingehend die epileptischen Psychosen. Der
Zusammenhang der Epilepsie mit Geistesstörung war schon den Aerzten der classi-
schen Zeit bekannt. Schon Hippocrates erwähnt seiner. Areteeus kannte genau
den Einfluss der Epilepsie auf die geistigen Functionen der davon Befallenen. In
hohem Grade interessant sind die Bemerkungen, die man bei Cffilius Aurelianus
über diesen Gegenstand findet. In der Neuzeit verdankt man wor Allem die kli¬
nische Beschreibung der Formen epileptischer Psychosen den Franzosen Falret und
Morel und unter den Deutschen Samrnt, durch die wir wahrhaft plastische Bilder
dieser Zustände erhielten.
Ref. schildert zunächst die „psychisch-epileptische Constitution“, die sich äus-
sert durch eine Hysterie ähnliche Sucht zu klagen, Dinge vorzutäuschen, phan-
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tastische Schwärmerei, Hang zum Raisonniren, perverse Gemiithsrichtung und
Mangel an Selbsterkenntnis.
Die eigentlichen geistigen Störungen zeigen sich vor den Anfällen, oder
in Folge derselben nach ihnen, oder endlich statt ihrer.
Die vorepileptischen Siörungen sind acute, transitorische Zustände, von
psychischem Schmerz, hallucinatorisch-traumartige Bewusstseinstöruugen, die meist
mit schwerem Anfall enden.
Häufiger sind die postepileptischen, es sind entweder transitorische
Störungen wie die vorepileptischen, oder acute ängstliche Delirien mit heftiger
Reaction, so dass die Pat. sehr aggressiv werden; plötzlicher Uebergang in Stupor
wechselnd mit ebenso plötzlichen Thätlichkeitcn. Oder es tritt ein moriaartiges
oder raisonnirendes Irresein auf, das bis zu 3 Wochen dauern kann mit plötzlichem
Uebergang in Genesung; bisweilen treten aber nach einigen Wochen Recidive auf.'
Eine fernere Form des postepileptischen Irreseins ist der Schwachsinn.
Die 81 a 11 der Epilepsie auftretende geistige Störung, das sog. epileptische
Aequivalent findet sich mehr bei leichten oder nur seltenen schweren Atta¬
quen , auch bei solchen, die nie an epileptischen Anfällen litten. Es sind acute,
einige Tage bis Wochen dauernde Formen, oder es entwickeln sich durch Recidive
der acuten oft ohne rechte Remission chronische Formen, die in Schwächezustände
übergehen können.
Die Prognose der acuten postepileptischen Störung ist für den einzelnen An¬
fall nicht übel, indem oft jahrelange Pausen cintrcten; die chronischen Formen
können ebenfalls nach Monaten in lange Genesungsperioden übergehen; auch bei
Wiederkehr des Anfalles kehrt die Störung oft nicht wieder. Ungünstiger ist die
Prognose beim epileptischen Aequivalent, besonders den chronischen Formen.
Das epileptische Irresein trifft zumeist das jugendliche Alter von 10 bis 25
Jahren. Ref. verspürt die forensische und therapeutische Seite dieser Krankheits¬
form auf eine spätere Gelegenheit.
Dr. Ronus bittet mit Hinweis auf Fälle von Exanthemen bei Impfung
mit Farrenlympheum Mittheilung einschlägiger Beobachtungen der Herren
Collegen. _
Referate und Kritiken.
Bericht zu dem Gesetzesentwurf betreffend Freizügigkeit der Medicinalpersonen.
Im Aufträge des eidgenössischen Departements des Innern erstattet von
Dr. Friedrich Müller in Basel. Bern, Druckerei von A. Weingart
Der Ausbau des Art 33 unserer Bundesverfassung will endlich in Fluss gerathen.
Vor uns liegt der Gesetzesentwurf, der die ärztliche Freizügigkeit reguliren soll, und wir
haben um so mehr Grund, uns zu der glücklichen Wahl, die das eidgenössische Depar¬
tement des Innern in dem Bedactor desselben getroffen hat, zu gratuliren, als so ziemlich
alle Postulate, die der ärztliche Centralverein in seiner in der Herbstsitzung 1876 bera-
thenen Eingabe geltend machen zu dürfen glaubte, volle Berücksichtigung gefunden haben.
Das Project lautet:
„Art. 1. Zur freien Ausübung ihres Berufes im Gebiete der ganzen Eidgenossenschaft
sind befugt:
a) diejenigen Aerzte, Apotheker und Thierärzte, welche nach Massgabo des nach¬
stehenden Gesetzes ein eidgenössisches Diplom erworben haben;
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142
b) diejenigen Personen der genannten Berufsarten, welche vor dem Zeitpunct des In¬
krafttretens dieses Gesetzes ein Concordatediplom oder auf eine cantonale Prüfung
hin ein für Ausübung der Praxis in dem betreffenden Canton gültiges Patent erwor¬
ben haben ;
c) diejenigen Personen der genannten Berufsarten, welche in ausländischen Staaten auf
Grund einer abgelegten Prüfung ein Patent oder Diplom zur unbedingten Ausübung
der Praxis im Gebiet der betreffenden 8taaten erworben haben , insofern nicht die
mit der Prüfung der Ausweise zu beauftragende Aufsichtsbehörde auf Grund des
Befundes eine ganee oder theilweise Prüfung für angemessen erachtet; •)
d) alle an schweizerischen Hochschulen oder an den betreffenden Fachschulen angestell-
ten Lehrer der genannten Berufsarten.
Art. 2. Zur Prüfung wird kein Bewerber zugelassen, der nicht das Zeugniss der Be¬
fähigung für den ganzen Umfang des Berufes erlangt.
Art. 8. Die Leitung und Verwaltung des Prüfungswesens steht unter Aufsicht des
eidg. Departements des Innern. Dasselbe ernennt die Prüfungscommissionen auf Antrag
des leitenden Ausschusses und lässt sich von letzterm jährlich Bericht und Rechnung
erstatten.
Art. 4. Eine vom Bundesrath ernannte Aufsichtsbehörde (leitender Ausschuss) prüft
die Ausweise der sich Anmeldenden, überwacht die Prüfungen und sorgt für Einheit des
Verfahrens.
Art. 5. Aus den Lehrern der höheren schweizerischen Lehranstalten und aus geprüf¬
ten Practikern sind die Prüfungscommissiouen zu bestellen, deren je eine an den vier
schweizerischen Hochschulen ihren Sitz hat. Sie werden jeweilen von einem Mitgliede
der Aufsichtsbehörde präsidirt.
Art 6. Eine vom Bundesrath zu erlassende Ausführungsverordnung (Prüfungsregula¬
tiv) regelt:
a) die Organisation und die Entschädigung der Prüfungsbehörden und den Gang der
' Prüfungen;
b) die Anforderungen an die Bewerber; dieselben sollen im Wesentlichen nicht ge¬
ringer sein, als die des bisherigen Medicinalconcordates;
c) die Prüfungsgebühren; dieselben sollen die Kosten möglichst decken. Einen anfälli¬
gen KostenUberschu88 übernimmt der Bund.“
Sehen wir uns nun an der Hand des höchst interessanten begleitenden Berich¬
tes das kurze Gesetz noch etwas näher an, so finden wir darin vor Allem unserem
Wunsche, dass der Befähigungsausweis zur Ausübung der ärztlichen Praxis in der gan¬
zen Eidgenossenschaft von Prüfungscommissionen auszugehen habe, die aus den Lehrern
der höheren schweizerischen Lehranstalten und aus wissenschaftlich gebildeten Practikern
zu bestellen seien, in Art 5 volle Rechnung getragen. Von diesen Prüfungscommissionon
soll je eine an den vier schweizerischen Hochschulen ihren 8itz haben und es steht somit
den Candidaten frei, in deutscher oder französischer Sprache geprüft zu werden. Von
hohem Worthe war uns ferner das Postulat, dass die Anforderungen an die Bewerber
im Wesentlichen nicht geringer sein dürfen, als die des bisherigen Medicinalconcordates.
Auch dieses hat in Art. 6 L. b des Gesetzes Eingang gefunden. Ebenso das fünfte un¬
serer Postulate, dass „zur Prüfung als Arzt kein Bewerber zugelassen werde, der nicht
das Zeugniss der Befähigung für den ganzen Umfang des Berufes erlangt“, in Art. 2.
Die übrigen Artikel beschlagen mehr das Formelle der Ausführung und schliessen sich
ziemlich genau an das bisherige Medicinalcuncordat an. Es soll das Prüfungswesen unter
Aufsicht des Departements des Innern stehen, das auf Antrag des leitenden Ausschusses
die Prüfungscommissionen ernennt (Art. 3); der leitende Ausschuss mit seinen bisherigen
Attributen und Aufgaben ist beibehalten (Art. 4). Eine besondere Regulative, vom Bun¬
desrath zu erlassen, wird die Organisation, den Gang der Prüfungen und die Prüfungs¬
gebühren regeln (Art 6 a—c).
Nur in einem Puncte weicht im Grunde der Entwurf von unseren Wünschen ab und
*) Eine nicht unwesentliche Lücke — „Vorbehalt des Gegenrechts“ nach Art. 68
der Bundes-Verfassung — wurde nachträglich vom Verfasser des Gesetzes noch ausgefüllt und ent¬
spricht vollständig unseren Wünschen. Red.
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143
nimmt — wir geben das zu — einen freieren Standpunct ein: in den Bedingungen näm¬
lich, welche behufs freier Ausübung der ärztlichen Praxis an diejenigen Aerzte gestellt
werden, welche schon vor dem Zeitpunct des Inkrafttretens irgendwo in der Schweiz auf
eine cantonale Prüfung hin ein Patent erworben haben. Wir legten einigen Werth dar¬
auf, dass zur Geltendmachung solcher Prüfungsausweise noch eine zweijährige Praxis
hinzukommen sollte, und glaubten uns zu dieser Forderung berechtigt gerade durch die
Erfahrungen des bisherigen Inten egnums, das es mehr als einem höchst zweifelhaften
„Arzte* möglich gemacht hat, mit Hülfe eines auf die leichteste Art erworbenen cauto-
nalen Patentes sich auch in denjenigen Cantonen niederzulassen, die an ihre eigenen An¬
gehörigen weit strengere Anforderungen stellen. Obgleich indessen der Redactor des
Gesetzes die Berechtigung unserer Forderung anerkennt, hat er sich dennoch gescheut,
dieselbe geltend zu machen aus Furcht, es möchten die Vortheile, die man davon erhoffe,
in keinem Verhältnisse stehen zu den Umständlichkeiten , die sich voraussichtlich daraus
ergeben würden. Wir unserseits können freilich grosse Umständlichkeiten darin nicht
erblicken , wenn man diejenigen Leute, die sich mit Hülfe des Provisoriums so einge¬
schmuggelt haben, einfach wieder nach Hause schickt, d. h. dahin, wo man ihre Befähi¬
gung für genügend erachtete. Allein ein Unglück mag es ja schon nicht sein , ob man
auch neben den vielen unprivilegirten Pfuschern allenfalls noch ein paar privilegirte mit
in den Kauf zu nehmen habe.
Mit der Besprechung des Gesetzes nun wären wir für einmal damit zu Ende, noch
keineswegs aber mit dem dasselbe begleitenden Bericht, über den uns ja im Grunde zu
referiren obliegt.
Hier nun heben wir vor Allem heraus, was der geehrte Herr Verfasser zu unseren
weiteren Postulaten betr. Rechte und Pflichten der eidgenössisch diplomirten Aerzte sagt.
Dass dieselben in dem entworfenen Gesetze nicht figuriren konnten, weil eie offenbar
dahin auch nicht gepasst hätten, versteht sich von selbst. Allein auch im Berichte selbst
finden sie deshalb keine Gnade, weil der Verfasser desselben „noch nie hat einsehen
können, was gedruckte Vorrechte den Aerzten helfen sollen“. Wer unsere Eingabe s. Z.
gelesen, erinnert sich vielleicht, was wir mit diesen Vorrechten wollten. Der Wortlaut
des Art. 33 der Bundesverfassung flösste uns die Besorgniss ein, dass wir neben den
Pfuschern und Quacksalbern in denjenigen Cantonen, die die Praxis freigegeben, noch
Aerzte haben werden, die die eidgenössische Prüfung nicht zu bestehen wagen, allein
sich hinlänglich stark fühlen, um eine leichtere cantonale Prüfung zu bestehen. Diese
Besorgniss, dass wir damit allmälig drei Categorien von Heilbeflissenen bekommen werden
— Pfuscher, cantonale und eidgenössische Aerzte — legte uns das Auskunftsmittel nahe,
die Letzteren mit gewissen Vorrechten auszustatten. Wir hofften damit jeden Candidaten
anzuspornen, sich zur Ablegung der eidgenössischen Prüfung zu befähigen. Der Verfasser
hält dagegen diese Gefahr nicht ftlr so gross, ja er gibt sich der Hoffnung hin, dass die
meisten Cantone durch besonderen Beschluss auf das ihnen noch zustehende Recht, an
ihren cantonalen Prüfungen neben den eidgenössischen festzuhalten, von vorneherein ver¬
zichten und von ihren Angehörigen ausdrücklich das Bestehen der eidgenössischen Prü¬
fung verlangen werden, wie dies Baselstadt s. Z. gegenüber dem Medicinalconcordat ge-
than habe. Von diesem Standpunct aus mögen allerdings die verlangten Privilegien un¬
statthaft erscheinen, allein wir hegen einige Zweifel, ob Uri, ob Unterwalden, ob Appen¬
zell und wiederum Wallis nicht mit der Zeit sogar genöthigt sein werden, der Cen-
tripetalbewegung des ärztlichen Standes nach den wissenschaftlichen und Verkehrscentren
hin durch Ermässigung der Anforderungen an ihre Befähigung Einhalt zu thun und da¬
durch für ihre eigene Bevölkerung die nöthige ärztliche Hülfe zu gewinnen. Wer einmal
eine Prüfung bestanden hat, die ihn berechtigt, sich in Basel, in Bern, in Zürich oder in
irgend einer anderen Stadt niederzulassen und da meist mit leichterer Mühe sein Brod
zu verdienen, der wird kaum Lust haben , sich in den Walliser- oder Hündnerbergen
niederzulassen. Nur in einem Falle werden die Folgen dieser ungleichen Vertheiluug der
ärztlichen Hülfe in unserem Vfiterlande nicht zu besorgen sein, wenn nämlich der Zudrang
zum Studium der Medicin, den der Verfasser im letzten Jahrzehnde als einen „wahrhaft
pathologischen“ signalisirt, auch in Zukunft derselbe bleiben sollte. Dass übrigens der
Redactor des Gesetzes auch bei seiner freieren Anschauung da doch eine gewisse Lücke
fühlt, beweist uns die Bemerkung (pag. 11), dass es sich „vielleicht schon der Armee
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wegen empfehlen dürfte, für die restirenden Cantonalprüfungen Minimalforderungen auf—
zustellen.“
So haben wir denn immerhin noch allen Grund, an jenen Postulaten, die den eid¬
genössisch diplomirten Aerzten gewisse Vorrechte gegenüber cantonalen Aerzten einräu—
men wollten, festzuhalten, nicht um der Vorrechte Belbst willen, vielmehr im volkswirt¬
schaftlichen Interesse: allein das geben wir ja schon zu und haben es auch von vorne—
herein vorausgesetzt, dass jene Postulate nicht in dem vorliegenden Gesetze, sondern in
anderen für die Zukunft vorausgesehenen gesetzgeberischen Arbeiten — im Seuchegesetz
und in der Gerichtsorganisation — ihre Berücksichtigung finden werden. Nur das sehen
wir nicht recht ein, warum unser 8. Postulat, dass „das Verzeichniss der eidgenössisch
diplomirten Aerzte alljährlich von Bundeswegen in den amtlichen Blättern sämmtlicher
Cantone veröffentlicht werde“, nicht etwas mehr Berücksichtigung gefunden hat. Es will
uns scheinen, als letzter Artikel des Gesetzes hätte es dasselbe kaum verunstaltet, da¬
gegen jedem der so privilegirten Aerzte wenigstens eine gewisse Handhabe geboten, sich
in den Cantonen mit freier Praxis der Gleichstellung mit eingewanderten Pfuschern zu
erwehren. #
Damit wäre nun freilich die reiche Fundgrube von feinen practischen Winken und
namentlich oiner ächt wissenschaftlichen Begründung des Werthes tüchtiger Vorbildung,
mit deren in ihrer Eingabe zur Schau getragenen Geringschätzung die zürcherische Re¬
gierung — wir wollen doch lieber glauben, die Sanitätsdirection auf eigene Faust — un¬
seren Faebgenossen leider nicht sehr imponiren wird, noch lange nicht erschöpft Allein
wir wollen das auch nicht; wir wünschen vielmehr, dass jeder College den Bericht selbst
in die Hand nehme und sich mit uns freue, dass die Wahrung der Würde des ärztlichen
Standes und der sunitarischen Interessen unseres Volkes in eine so tüchtige Hand gelegt
worden ist.
Möge der Gesetzesentwurf im Schoosse der eidgenössischen Räthe möglichst wenig
Aenderungcn erfahren; dann dürfen wir auch hoffen, dass der ärztliche Stand in unserem
Vaterlande jedem andern ausserhalb seiner Grenzen immer ebenbürtig dasteht Z.
Kantonale Coirespondenzen.
Unterwaldeu. Reminiscenzen aus einer Scharlach-E pid emie.
Der Scharlach, dieser Schrecken besorgter Familienmütter, scheint dies Jahr hauptsächlich *)
unser schönes Unterwaldnerländli mit Beinern Besuch haben beehren zu wollen. Nachdem
schon im Frühjahr eine nicht unbedeutende Scharlach-Epidemie den obern Theil des Ob-
waldner Thaies, hauptsächlich die Gemeinde Giswyl, heimgesucht hatte, entwickelte sich
dann im Laufe des Sommers, von Ende August bis zum Schlüsse des eben abgefiossenen
Jahres, eine sehr verbreitete und theilweise sehr mörderische Scharlach-Epidemie im Engel—
bergerthale, und nun, da sie dort bedeutend im Abnehmen ist, vernehme ich von befreun¬
deten Collegen, dass selbe in der Gegend um Stans auftaucht
Wenn ich nun hier einige Mittheilungen von derselben mache, so muss ich von vorne-
herein bemerken , dass ich leider nicht mit statistischen Angaben aufrücken kann , aus
nahe liegenden Gründen, die jeder Arzt, der die Verhältnisse und die Praxis auf dem
Lande kennt, leicht zu würdigen weiss , da ja bei derartigen Epidemien oft von kaum
der Hälfte der Erkrankten ärztliche Hülfe in Anspruch genommen wird oder wenigstens
erst in einem Stadium, wo dem Arzt nicht viel anderes zu thun übrig bleibt, als den
Todtenschein auszufüllen. Nur sei von vorneherein bemerkt, dass die Zahl der Erkran¬
kungen, leichtere und schwerere, sich jedenfalls auf mehr als 300 belaufen hat, worunter
bis jetzt 38 Sterbefälle, gewiss eine erschreckend grosse Zahl auf eine Bevölkerung von
nicht ganz 1800 Einwohner und in einem Zeitraum von kaum 4 Monaten. Die Ursachen
dieser so sehr grossen Sterblichkeit sind sehr mannigfaltiger Natur. Vorerst muss be¬
merkt werden, dass unsere Thalbevölkerung im Allgemeinen eine wenig wohlhabende,
eher arme zu nennen ist, und ferner, dass in unserm Thale ein Kindersegen herrscht, wie
vielleicht kaum anderswo, 9—12 kleine Kinder in aufsteigender Tonleiter gehören gar
*) Fast ln der ganzen Schweiz. Red,
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nicht zu den Seltenheiten und zwar gewöhnlich gerade bei den dürftigsten Familien, so
dass als Folge davon mangelhafte Pflege und Vernachlässigung bei vorkommenden Er¬
krankungen in vielen Fällen nichts Seltenes ist. Und wie wäre unter solchen Verhält¬
nissen auch eine rationelle Pflege nur möglich, wenn die primitivsten Erfordernisse für
dieselbe, wenn gehöriger Raum, saubere Wäsche für Bett und für die Kranken selbst
eben absolut fehlen, wenn die so wie so schon zu beschränkten Räumlichkeiten anstatt
fleisBig gelüftet, noch möglichst hermetisch abgeschlossen werden?
Dass es mit der Reinlichkeit, deren minutiöseste Handhabung gewiss bei derartigen
Epidemien am dringendsten nöthig ist, nicht besser aussieht, braucht wohl kaum erwähnt
tu werden. Wie oft fügt es sich, dass die erste Aufgabe des Arztes beim Besuch in
einem solchen Krankenhaus die sein muss, die Fenster öffnen und Excremente jeglicher
Natur entfernen zu lassen oder einem überaus zärtlichen Familienvater die qualmende
Tabakspfeife aus dem Munde wegzudccretiren; Anordnungen, die oft genug gerade so
lange beachtet werden , als die Anwesenheit des Arztes bei den Kranken dauert und
nicht selten, wenn auch gerade nicht mit offenem Hohn und Spott, doch mit einem mit¬
leidigen Lächeln aufgenommen werden. Dies sind in Kürze angedeutet sociale Uebel-
stände, wie sie hier und wohl auch anderwärts überall bestehen , wo man es mit einer
sehr armen und wenig aufgeklärten Bevölkerung zu thun hat. Dass sich da nicht ex
abrupto abhelfen lässt, versteht sich wohl von selbst. In den meisten Fällen wird sich
die persönliche Leistung des Arztes darauf concentriren müssen, dahin zu wirken, dass
wenigstens nicht den allernöthigsten hygieinischen Anforderungen an eine rationelle Kran¬
kenpflege geradezu zuwider gehandelt wird. Und es ist unter gegenwärtigen Verhält¬
nissen wohl auch von den Behörden in dieser Beziehung nicht viel Erspriessliches zu
hoffen oder zu erwarten. Nicht durch gelegenheitlich von Furcht und Angst vor Bedro¬
hung der Existenz des eigenen lieben „Ichs“ decretirten Anordnungen werden Verhält¬
nisse geschaffen, welche es ermöglichen, der Ausbreitung einer Epidemie wirksamen Ein¬
halt zu thun, sondern nur durch allmälige Verbesserung der oben angedeuteten und noch
anderer zahlreicher Uebelstände wird in Zukunft der Entstehung und Verbreitung ähnli¬
cher MenBcheDplagen mit einigem Erfolg können entgegen gewirkt werden. Dazu möchte
sich wohl am besten eignen das Institut der Gesundheitsämter oder Käthe , wie sie in
den Cantonen Bt. Gallen , Zürich und Neuenburg bereits eingeführt sind. Nur müssten
dieselben eine absolut allgemeine Verbreitung auch bis in die entlegensten Bergthäler ge¬
messen , denn gerade diese Population bedarf wohl nicht am wenigsten einer allgemeinen
Belehrung über Gesundheitspflege und in specie im Artikel über rationelle Kinderaufer-
ziehung. Selbstverständlich müssten diese Behörden dann auch mit den nöthigen Com-
petenzen ausgestattet sein, um vorkommenden Falls selbstständig wirksam eingreifen zu
können.
Nach diesen allgemeinen Betrachtungen erlaube ich mir, noch einige specielle Be¬
merkungen über die 8charlach-Epidemie im Engelbergerthale hinzuzufügen. In ätiologi¬
scher Beziehung ist vor Allem zu erwähnen, dass jedenfalls seit mehr als 20 Jahren dies
die erste derartige Epidemie in unserm Thale ist. Der letzte Grund zum Entstehen ge¬
genwärtiger Epidemie ist uns wohl unbekannt; es liessen sich allerdings einige Momente
anführen, welche auf directe Einschleppung hinweisen würden, indessen würde uns dies
auf das Gebiet der Hypothesen führen, deren Ausführung keinen Werth haben würde.
8peciell die Ausbreitung im Thale betreffend, so ist es für Jeden, der die Verhältnisse
auf dem Lande kennt, einleuchtend, dass da, wo oft 8—10 Personen in einem Raume
zusammen wohnen, der nach unsern hygieinischen Begriffen kaum für 2—3 genügend
wäre, wo die Kinder, auch die kranken, in der Regel zu 2 in einem kleinen Bett schlafen
müssen, dass da in erster Linie der Ausbreitung in den Familien selbst und dann aber
auch durch den Verkehr mit andern Familien der Weiterverbreitung im Thale schwer
beizukommen ist, trotz Desinfections-Anordnungen. Wenn dann noch, wie es hier der
Fall war, der Arzt erst Kenntniss von den ersten Fällen erhält, wenh sich sogen. Nach¬
krankheiten einstellen, indem die Krankheit anfangs für Rötheln, ein Uebel, bei dem die
Hülfe des Arztes selten in Anspruch genommen wird, angesehen wurde, so ist es be¬
greiflich, dass sich unter solchen Verhältnissen eine Epidemie entwickeln resp. ausbreiten
kann, bevor man so recht zum Bewusstsein derselben kommt. Was das Alter anbetrifft,
so erkrankten am meisten Kinder im Alter von 8—8 Jahren und war der Verlauf in
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diesem Alter unvergleichlich viel schwerer als bei jüngeren oder älteren Kindern; das
jüngste Kind, welches mit ganz ausgesprochenem 8charlach-Exanthem erkrankte, war
kaum ’/j Jahr alt, im Alter von 17—23 Jahren erkrankten 4, dagegen traten bei Er¬
wachsenen zu gleicher Zeit auffallend viele Anginen auf.
Den Verlauf der Epidemie anbelangend, so muss derselbe im Allgemeinen als ein
ziemlich maligner bezeichnet werden; allerdings hat die Confluenz der oben angedeuteten
socialen Uebelstände der Epidemie gewiss einen viel bösartigem Character gegeben ; in¬
dessen habe ich denn doch auch bei hygieinisch günstig situirten Familien einige recht
schwere Fälle beobachtet. Hauptsächlich häufig traten in Folge des hohen Fiebers sehr
schwere Gehirnaffectionen auf mit heftigen Convulsionen , Stertor und soporösem Zu¬
stand und habe die meisten derartigen Fälle lethal endigen sehen. Von Nachkrankheiten
kam hauptsächlich häufig zur Beobachtung schwere Nephritis mit allgemeinem oder, was
meistens der Fall war, mit auf das Gesicht und die obern Extremitäten beschränktem
Hydrops; dann auch sehr häufig eitrige Ohrenentzündungen und Abscedirungen am Halse;
in einer verhältnissmässig nicht geringen Zahl bildete sich eine sich nur langsam zurück¬
bildende Paralyse der unteren Extremitäten aus, wohl herrührend von einem wässerigen
Erguss der Rückenmarkshäute.
Schwere Diphtheritis fehlte.
Doch ich verzichte darauf, eine weitläufigere Schilderung unserer Scharlachepidemie
und speciell der Complicationen und Nachkrankheiten zu geben; sind ja dieselben so
zahlreich und mannigfaltiger Natur, dass es den Raum dieses Blattes zu sehr in Anspruch
nehmen würde, wollte man sie alle aufzählen und nur halbwegs beschreiben und zudem
allgemein bekannt. Nur sei mir noch vergönnt, kurz einige Bemerkungen über die Be¬
handlung einzuschalten. Ich erwähne hier in erster Linie, dass dieselbe gerade nicht zu
den Annehmlichkeiten eines Landarztes gehört. Denn wie oft steht da der Arzt den
kleinen Leidenden macht- und hülflos gegenüber, was nützen ihm Chinin, Salicylsäure
und auch das in jüngster Zeit gegen Scharlach so sehr gerühmte Nat. sulfo-carbolic.,
wenn diese Mittel, wie das wohl jedem Arzt in der Privatpraxis begegnen wird, von den
kranken Kindern entweder gar nicht oder doch nur unregelmässig genommen werden.
Wie froh muss dann der Arzt sein, wenn ihm noch ein anderes Mittel zu Gebote steht,
das eine unleugbar ganz entschieden günstige Einwirkung auf den Verlauf dieser Krank¬
heit hat. Dieses Mittel ist das frische Wasser, angewandt entweder in der Form von
methodischen Abwaschungen, mit nachfolgender trockener Abreibung oder, wie es mir
schien, noch besser mit consequent durchgeführten Einwicklungen in nasskalte Tücher.
Allerdings darf man sich in dieser Beziehung keiner Illusion hingeben, dass diese Be¬
handlungsmethode so sehr leicht sei. Wenn da der Arzt nicht immer und immer wieder
aufmunternd und belehrend dasteht, so wird eben die Behandlung bei dem geringsten
unangenehmen Zufall wieder ausgesetzt und muss man froh sein, wenn man nicht gerade
direct beschuldigt wird, denselben durch unsere Behandlung hervorgerufen zu haben; auf
der anderon Seite erzielt man denn doch mit Kaltwasserbehandlung oft so schöne Resul¬
tate, dass ein Arzt darüber nur erfreut sein kann, und bin ich fest überzeugt, dass spä¬
ter einmal, wenn unsere Population vor einer gesunden reinen Luft und einem ausge¬
zeichneten frischen Quellwasser, welche ihr nämlich hier, wie vielleicht selten anderwärts,
in ausserordentlicher Reinheit und Fülle zur Verfügung stehen, weniger Horror haben
wird, diese Behandlungsmethode bei derartigen Fieberkrankheiten zu allgemeinem Durch¬
bruch kommen werde. Denn das lässt sich denn doch nicht läugnen, dass bei dieser Be¬
handlung hauptsächlich zweierlei erreicht wird und das ist: 1. verliert sich das so lästige
Brennen und Jucken der Haut durch kalte Waschungen mit naebheriger trockener Ab¬
reibung oder durch rationell und consequent gemachte nasse Einwicklungen merkwürdig
rasch und jedenfalls viel rascher als durch Einschmieren von Oel oder Speck, und 2. er¬
zielt man denn doch dadurch eine Temperaturherabsetzung resp. Wärmeentziehung , wie
sie besser gewiss weder Salicylsäure noch Chinin leistet, speciell bei Kindern. Ein wei¬
terer nicht zu unterschätzender Vorthoil ist gewiss der, dass man zum schon vorhandenen
Schmutz nicht noch mehr hinzufügt, wie dies bei Speck- und Oeleinreibungen bei einer
in Reinlichkeitsbegriffen nicht sehr subtilen Bevölkerung leicht der Fall ist Es wäre
wirklich interessant und theilweise auch amüsant, eine Zusammenstellung zu machen, mit
was für allerlei Ingredienzen bei solchen Krankheiten oft geschmiert und cataplasmirt
zedbyGoOQle
o
Die
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wird und was für Erfindungen Aberglaube und Dummheit in dieser Beziehung erzeugt
Angefangen wird mit Einreibungen von gesegnetem Baumöl, dann folgt nasser Lein und
Stoffe, die aller Beschreibung spotten, und wo es dem Arzte lieb ist, wenn er eine recht
concentrirte Carbollösnng in der Westentasche mit sich führt. Auf ein näheres Eingehen
der Behandlung der vielfachen Complicationen dieser Krankheit verzichte ich um so eher,
als der Zweck vorliegender Zeilen ja hauptsächlich der ist, die Gollegen auf dem Lande
zu ermuntern, die Kaltwasserbehandlung bei fieberhaften speziell bei Kinderkrankheiten
zu versuchen; diese Methode ist bis jetzt noch auf dem Lande *) wenig populär, verdient
es aber doch, hauptsächlich in den Fällen, wo wir aus diversen Gründen mit unserem
Arzneikram nicht recht ausreichen, in allgemeinere Anwendung zu kommen.
Dr. E. Cattani.
8t. «allen. Fleischpepton. Im Bin weis auf meine zweite Wiener Corre-
spondens (s. Corr.-Bl. 1877, Seite 68) erlaube ich mir, meine Herren Gollegen darauf
aufmerksam su machen, dass ich auf freundliche Mittheilungen des Herrn Prof. Bamberger
hin das betreffende Londoner Präparat „Fleischpepton* bezogen und dasselbe dem
Herrn Apotheker Altherr in Ragaz übergeben habe. Dieser letztere hat nun unter
meiner Aufsicht nach den genauen Bamberger' sehen Vorschriften das „Peptonqueck¬
silber* dargestellt und bringt dieses Präparat von jetzt an in den Handel. Ich kann
meinen Herren Collegen dieses Präparat nur empfehlen und glaube nicht mehr nöthig zu
haben, auf die ganz enormen Vortheile einer solchen antisyphilitischen Behandlung auf¬
merksam zu machen.
8t. Pirminsberg, 17. Februar 1877. Dr. Sury-Bienz.
W oclieiit>ericlit.
Ausland.
Bayern* Pfuschercontrol e. In dem Augenblick, wo die Aerztekammer
von Oberbayern Bich einstimmig dahin ausgesprochen hat, dass die Aufmerksamkeit der
k. Regierung auf die drohende Ueberhandnahme der Curpfuscherei zu leiten sei, wird
eine Zusammenstellung derjenigen Personen bekannt, welche im Laufe der diesjährigen
Saison das Bad Mariabrunn bei München besucht, d. h. die bekannte Doctor-Bäuerin
Amalie Hohenester , in deren Besitz sich dieses sogenannte „Bad* befindet, consultirt und
beziehungsweise sich deren Behandlung unterworfen hatten. Die Zahl derselben ist nicht
blos beträchtlich der Ziffer nach, sondern auch interessant mit Rücksicht auf die in der¬
selben vertretenen Rangclassen und Nationalitäten. Unter den 1200 Gurgästen — so
hoch beläuft sich nämlich die Zahl der Patienten — befindet sich eine österreichische
Erzherzogin nebst Prinzessin Tochter, wohl in Folge des Vertrauens, welches die angeb¬
lich glückliche Gur einer noch höher gestellten Persönlichkeit des österreichischen Kaiser¬
hauses eingeflösst hat. Ausserdem figuriren noch 16 Fürsten und 7 Grafen und Barone
unter den Gurgästen der berühmten Räuberhauptmannstochter. Nach Nationalitäten ver¬
theilt, hat Russland das grösste Gontingent gestellt und zwar mehr als die Hälfte der
ganzen Curliste, nämlich 702 Personen, worunter 136 Polen. Es erklärt sich diese hohe
Ziffer, neben welcher sogar die in Bayern selbst wohnenden Gurgäste sogleioh auf 212
fällt, ohne Zweifel daraus, dass AmaBe Hohenester vor einigen Jahren an einer längere Zeit
und wiederholt dort gewesenen russischen Grossfürstin eine glückliche Gur gemacht haben
soll; exempla trahunt, und gar das Beispiel, welches eine Prinzessin ihren Russen gibt!
Mit der Uebersiedlung derselben nach Württemberg übertrug sich die Anziehungskraft
für Mariabrunn auch dahin, denn das kleine Württemberg schickte 94 Patienten, wovon
36 allein aus Stuttgart, also 13 mehr als ganz Norddeutschland, welches nur 81, wovon
12 aus Preussen, dahin ziehen sah, und mehr als noch einmal soviel denn Oesterreich,
welches nur 44 aufweist Unter den 212 Bayern befinden sich nur 27 Münchener, was
mit den 36 Stuttgartern verglichen und an sich verhältnissmässig sehr wenig ist und be¬
weist, dass Amaliens Stern dort bereits stark erblasst ist
(Aerztl. Intelligenzbl. 1876, 47.)
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*) Das gilt nicht in dieser Allgemeinheit Red.
148
Deutschland* Zur Doraalluxation des Daumens. In der Emarch—
sehen Klinik zu Kiel beobachtete Dr. H. Waitz zwei Fälle von Dorsalluxationen des Dau¬
mens, die der Reposition hartnäckigen Widerstand entgegensetzten.
Im ersten Falle war die Luxation mit einer Zerreissung der Haut complicirt, die
jedoch nicht genügenden Einblick gestattete, um das Repositionshindorniss zu übersehen.
Deshalb wurde diese Hautwunde erweitert und nun constatirt, dass die Kapsel von der
Volarseite des Metacarpelknochens abgerissen war und sich um das Köpfchen desselben
wie ein enges Knopfloch herumgelegt hatte. Sie wurde beidseitig eingeschnitten und
durch zwei Schieihaken der Schlitz auseinander gezogen, uod nun gelang die Reposition
ohne Schwierigkeit.
In einem zweiten Falle wurde, da die Repositionshindernisse sonst nicht wegzuräu¬
men waren, das Gelenk ei öffnet und dabei gefunden, dass die Sohne des M. flexor hallu—
eis longus mit luxirt und ulnarwärts Uber das Köpfchen des Metacarpusknochens hinweg—
geglitten war, dieses von hinten her umschlungen hatte und zwischen beiden Knochen
fest eingebettet lag. Sie wurde mit dem Schieihaken gefasst, herausgezogen und nun
gelang die Reposition leicht
Beide Fälle wurden nach Lister behandelt und das Gelenk heilte ohne wesentliche
Zwischenfälle. Sie haben ein grosses Interesse deshalb, weil hier zum ersten Mal eine
Behandlung eingeschlagen wurde, durch die die Schwierigkeiten der Reposition mit Sicher¬
heit überwunden werden, ohne das Gelenk zu gefährden, und zweitens, weil sie einen
sicheren Einblick in die Repositionshinderuisse gestatteten. Es werden sich wohl der¬
artige Fälle bald mehren und dadurch mehr Licht in die bis jetzt nur viel discutirten und
noch wenig bekannten Verhältnisse bei Dorsalluxationen des Daumens kommen.
(D. Z. f. pract. Med. 1876, 49.)
Deutschland* Ueber Körpermaasse. Die Bestimmungen der Normal -
maasse des menschlichen erwachsenen Körpers hat von jeher das Interesse der Aerzte
nach verschiedenen Richtungen hin in Anspruch genommen und dieselben zu eingehenden
Untersuchungen, Messungen und Berechnungen angespornt. Praktisches Interesse bieten
solche Untersuchungen besonders für den Militärarzt, sowie für den Vertrauensarzt von
Lebensversicherungsgesellscbaften. Aus der Summe von 3331 solcher Untersuchungen
zieht Dr. Krug in Chemnitz folgendes Resultat:
Alter
Grösse
Schulterbreite
Thoraxumfang bei
Exspiration Inspiration
Differenz
31,5
166,3
43,3
82,26
92,74
9,0
32,4
168,86
42,61
80,95
89,83
8,85
34,0
166,58
44,4
81,8
89,46
9,34
31,6
164,3
39,7
82,9
89,40
8,67
30,5
167,3
43,9
83,3
93,31
8,93
Mittelzahl: 31,89 166,27 42,78 82,29 90,75 8,96
Aus vorstehender Tabelle zieht K. folgendes Resultat: 1. Die Untersuchungen hatten
im Durchschnitte ein Alter von nahe an 32 Jahren, standen also grosseotheils im Alter
vollster Manneskraft und vollendeter Körperentwicklung, so dass die an ihnen beobachte¬
ten Durchschnittsmaasse wohl als Normalmaass eines gesunden, ausgewachsenen Körpers
gelten können. 2. Die durchschnittliche Grösse eines solchen beträgt 166,27 Ctm. 3. Diese
als Durchschnittsgrösse eines erwachsenen Mannes angenommen, muss ein solcher eine
Schulterbreite — von einem Acromion zum andern — von 42,78 Ctm. aufweisen, wenn
sein Thorax für genügend breit erklärt werden boII. 4, Er muss aber auch einen Brust¬
umfang besitzen, welcher in der Ruhe 86,37 Ctm. Umfang hat und sich bei tiefer In¬
spiration bis auf durchschnittlich 90,75 Ctm. expendiren, bei voller Exspiration bis auf
82,29 Ctm. contrahiren kann, wenn sein Brustkorb für genügend tief gelten soll. Es wird
daher auch 5. die Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass dieser genügend breite und tiefe
Brustkorb gesunde Lungen in sich schliesst, wenn letztere im Mittel eine Capacität oder
Athmungsdifferenz von 8,96 Ctm. nachweisen. (D. M. W. 76. Nr. 29.)
England. Tod unter Chloroform. Ker erklärt die allgemeine An¬
nahme, dass Coma häufig die Todesursache abgebe, für falsch und wenn dies besonders
bei Epileptischen und Uraemischen vorkomme, so folgt nach ihm daraus nur die Noth-
wendigkeit, derartigen Kranken kein Chloroform zu geben. Viel häufiger ist Asphyxie
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149
Sobald am letalen Ausgang und zwar einmal, falls dem zu chloroformirenden nicht hin¬
reichend genug Luft zugeführt wird, zweitens falls ein spasmodischer Abschluss der
untern Larynxpartie eintritt. Bei gehöriger Aufmerksamkeit ist der Tod durch Asphyxie
in jedem Falle zu vermeiden. Wahrscheinlich der häufigste Factor ist endlich Syncope;
gewiss aber werden viele Todesfälle gebucht, die in Wirklichkeit anderen Ursachen zu¬
zuschreiben sind. (Med. Times and Gaz. 16. Apr. 76.)
England. Gegen Dyspepsie und Magenschwäohe wird neuerdings
sehr lebhaft eine im Uebrigen längst erprobte veränderte Milch- und Weissbrodcur em¬
pfohlen, indem man einem Glase Milch einen Esslöffel Kalkwasser zuzusetzen räth. Dadurch
soll die oft eintretende Unverdaulichkeit der Milch aufgehoben und in ganz verzweifelten
Fällen noch ein Erfolg erzielt werden. (D. M. W. 76. Nr. 87.)
Eraakrafteb. Diabetes mellitus. Htdoum, der den Diabetes mellitus
aus der Glycosurie und diese aus Verdauungsstörungen herleitet, verwirft alle gegen
erstere Affection angewiesenen Mittel und redet, früher selbst Diabetiker, auf Grund
eigener, an sioh gemachter Erfahrungen nur dem Aufenthalte an der See und Seebädern
das Wort: „denn“, sagt er, „die Hitze ist häufig die Ursache jener Leiden und der Grund,
dass dieselben der Therapie so hartnäckig trotzen, wesshalb die bewegte Seeluft als
solche schon einen wichtigen Heilfactor bildet.“ (Gaz. des hdp. 76. Nr. 77.)
Mardier glaubt, nachdem er nämlich zufällig die Beobachtung gemacht hatte, dass
Fliegen, die sonst den Urin nicht lieben, in grosser Menge in dieser Flüssigkeit schwam¬
men, die, wie hernach die Untersuchung ergab, Zucker enthielt, die practischen Aerzte
auf diesen kleinen Handgriff aufmerksam machen zu müssen.
(Gaz. des hdp. 76. Nr. 118.)
ITeoei Verfahren bei der Reposition eingeklemmter Hernien.
Sanitätsrath Dr. Panihel (Bad Ems) empfiehlt in der D. med. Wochenschr. (1877, Nr. 7)
ein neues Verfahren zur Reposition eingeklemmter Hernien, das wir den Coliegen zu ge¬
eigneten Versuchen empfehlen möchten. Er sagt: „Das bis jetzt übliche Verfahren, ein¬
geklemmte Brüche zurückzubringen, die sog. Taxis, hat bekanntlich mancherlei Mängel
und nicht zu vermeidende schädliche Nebenwirkungen. Sie gehört nicht zu den Glanz-
puncten der chirurgischen Therapie. Man drückt auf die vorgefallene Masse, ohne zu
wissen, ob man die zuletzt oder früher eingedrungenen Theile trifft, man übt einen
schmerzhaften und gefährlichen Druck auf die duroh die Einklemmung ohnehin bald lei¬
denden Eingeweide, bekannte Hindernisse mannigfacher Art zwingen zur Anwendung be¬
deutender Kraft, um schliesslich nicht selten den gewünschten Erfolg zu versagen und
nichts übrig zu lassen, als die Herniotomie bei vielfach zweifelhaftem oder schlechtem
Zustande der eingeklemmten Theile. Alles dies gestaltet sich wesentlich anders, wenn
man den Bruch nicht zurückdrückt, sondern von der Bauchhöhle aus zurückzieht, wie es
ja physicalisch einzig richtig und mir seit zwei Jahren in sieben Fällen (8 Leisten- und
4 Schenkelbrüche) mit Leichtigkeit gelungen ist.“
Es werden nun einige der Fälle selbst ausführlicher beschrieben.
Ueber die Ausführungsmethode dieser Taxis bemerkt Dr. Panihel: „Das Verfahren
ist sehr einfach und leicht. Die Blase wird geleert, das Becken hoch gelegt, die Bauch¬
haut möglichst erschlafft, die beweglichen Eingeweide durch tiefen Druck zweier Hände
nach oben geschoben. Dann setzt man die Spitzen der drei Mittelfinger einer Hand etwa
zwei Querfinger breit oberhalb der Stelle, wo daB Bauchfell sich tutenförmig einengt, um
als Bruchsack in die Bruchpforte einzutreten, also bei den häufigsten Fällen oberhalb
Bauch- oder Schenkelring, auf die Bauchhaut und schiebt diese bis zu der Eintrittsstelle
des Bruchsackes herunter. Hier angekommen üben die Finger einen tiefen Druck nach
der Beckenhöhle zu, indem man die vor den Fingerspitzen befindlichen Theile nach der
hinteren Fläche des Ram. horiz. ossis pubis zu schiebt und andrückt Dies wird stets
von derselben Stelle ausgehend wiederholt, bis der Bruch schwindet Die Stelle der Ein¬
wirkung ist also da, wo das Bauchfell als Bruchsack austritt. Ein hier wie oben be¬
schrieben geübter Druck, der bei der Nachgiebigkeit der Theile recht ausgiebig geübt
werden kann, schiebt Haut, Zellgewebe, Bauchmuskeln und Bauchfell nach unten und
findet nichts Bewegliches als den Bruchsack mit Inhalt, der dem nach unten geschobenen
Bauchfelle, dessen Anhang er ist, mit Nothwendigkeit folgen und so in kleinen Abthei¬
lungen zurückweichen muss. Die hierzu nöthige Druckkraft ist sehr mässig, der Schmerz
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160
nicht eu rechnen. Das höhere Aufsetzen der Finger im ersten Acte und die Mitnahme
eines Stückes Haut ist zweckmässig, weil man so tiefer drücken kann, in der Regel aber
nicht nöthig.“
„Dass das diesem Verfahren zu Grundo liegende Princip, den Bruch nicht zurück zu
drücken, sondern von der Bauchhöhle aus zurück zu ziehen, das physicalisch und ana¬
tomisch richtige ist und der Taxis gegenüber eminente Vorzüge besitzt, wird kein Sach¬
verständiger leugnen.“
Prenaien» Kindersterblichkeit. Im Jahre 1876 starben in Preussen
überhaupt 724,804 Personen, von denen 388,161 männlichen und 841,643 weiblichen Ge¬
schlechts waren. 411,215, nämlich 222,096 männliche und 189,120 weibliche Personen,
mithin 66,73% aller Verstorbenen, starben vor Vollendung ihres 16. Lebensjahres. Die
Sterblichkeit der Kinder verläuft keineswegs gleichmässig; sie ist am grössten in und
unmittelbar nach der Geburt und nimmt allmälig ab, bis der Körper soweit gekräftigt
ist, dass er den inneren und äusseren Todesursachen besser widerstehen kann. Auch
macht es einen bedeutenden Unterschied, ob die Kinder in oder ausser der Ehe geboren
sind derart, dass die Sterblichkeit der unehelichen Kinder im 2. bis 5. Lebensmonat ihre
höchste Höhe erreicht und bis zum 5. Lebensjahre unter die der ehelichen sinkt.
(Stal Corresp.)
UDiTeriitfitabanfcn in Straiabarg. Die Nr. 44 (22. Febr. 1877) der
„Strassburger Zeitung“ enthält die öffentliche Ausschreibung folgender Bauten; wobei
nicht in den Bausummen inbegriffen sind die Kosten der Bauplätze, sowie sämmtlicher
Erdarbeiten, Gas- und Wassereinrichtungen etc.:
Kostenanschlag Kostenanschlag
Reichsmark Reichsmark
Physicalisches Institut 660,000 Chirurgische Klinik 650,000
Chemisches Laboratorium Psychiatrische Klinik 450,000
incl. Directorwohnung 610,000 Ophthalmologische Klinik 290,000
Botanisches Institut 600,000 Geburtshülflich-gynäcologische
Pharmaceutisches Institut 150,000 Klinik 600,000
Zoologisches Institut 500,000 Physiologisches Institut 270,000
Chemisch-physiologisches Institut 320,000
Im Ganzen genommen, incl. Erdarbeiten etc. beträgt die Bausumme 10,200,000 Mark,
wobei noch inbegriffen sind die Kosten für das hier nicht näher aufgezeichnete astrono¬
mische Institut, dagegen nicht inbegriffen die bereits früher erbaute neue Anatomie und
das eigentliche Hauptgebäude der Universität. Die Höhe dieser Zahlen, die die Kosten
der Neubauten nur eines Theils der neuen medicinischen Facultät in sich fassen, dürfte
wohl etwas abkühlend auf nach einer eidgenössischen Universität sich sehnende Enthu¬
siasten einwirken.
Stand der Infectiona-Kranükheiten ln Basel.
Vom 11. bis 25. Februar 1877,
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Es ist diesmal eine allgemeine Abnahme der Infectionskrankheiten zu constatiren.
Die Gesammtzahl der neu angemeldeten Fälle, im vorigen Berichte 118, beträgt diesmal
nur 65; der Rückgang betrifft sämmtliche Krankheiten.
Scharlach 13 Fälle (35, 28, 25, 23), wovon 6 im Birsigthal, die übrigen zerstreut,
das Südostplateau frei.
Morbilli und Rubeolae je 2 Fälle.
Keuchhusten 82 neue Anmeldungen (68, 33, 62), wovon 17 vom Nordwest¬
plateau.
Ery sipelas 7 Fälle (6, 11, 11), wovon 8 in Klein-Basel.
Diphtherie und Croup zusammen 2 Fälle (10, 7, 14J.
Typhus 3 Fälle, wovon 2 in Kleinbasel (2, 6, 6).
Endlich einige Fälle von Varicellen und neu: 2 Fälle von Dysenterie.
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- 151 -
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hof, Genf, Dr. Langt, Clärens: mit bestem Dank erhalten. — Herrn Dr. Schnyd.tr , Wien: Ihre Karte
kam leider sn spät, am berücksichtigt zu werden; entschuldigen Sie die Errata! Viel Vergnügen an
der blanen Donau! — Herrn Dr. Bius: mit Dank erhalten. — Herrn Dr. M., 8. B—g: Besten Dank
für das Eingesandte. — Herrn Dr. B. M.\ Nachtrag erhalten. Beides erscheint in nächster Nummer.
— Herrn Dr. J. B—dt: mit vielem Dank Ihre Bemerkungen erhalten. Herzliche Grüsse.
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io Gelterkind*n.
N! 6. YII. Jahrg. 1877. 15. März.
lahalt: 1) Original arbeiten: Prof. Dr. Eduard Billig: üeber den hantigen Stand der Frage von der Localisation
in Gronhim. — Dr. Rud. Meyer-H&ni: Das Doppelhörrohr. — Dr. Lange: Professor Moslems Bandwürmern. — Dr . Sondereggtr:
SaniUtarithUche Böckblicke in die vergangene Zeit des Cantons St. Gallen. (Schloss.) — 2) Vereinsberichte: Gesell¬
schaft der Aerate in Zürich. — S) Beferate nnd Kritiken: Prof. Dr. F. Hofmann und Prof. Dr. 0. Schwalbe: Jahres¬
bericht Ober die Fortschritte der Anatomie nnd Physiologie. — Dr. F. V. Birch-HirscMtld: Lehrbuch der pathologischen Ana¬
tomie. - 4) K an tonale Correspondensen: Basel, Bern, Zürich, München. — 5) Wochenbericht. — #) Briefkasten.
Orig-inal--A^rl>eiteii.
V
üeber den heutigen Stand der Frage von der Localisation im Grosshim.
Vortrag *) gehalten in der Gesellschaft der Aerzte zu Zürich den 9. Dec. 1876
von Dr. Eduard Hitzig, Professor in Zürich.
Meine Herren! Wenn eine Frage einmal Gegenstand so vielseitiger Unter¬
suchungen geworden ist, wie die Frage nach der Localisation im Grosshirn, so
erscheint ein Rückblick auf das bisher Geleistete nicht überflüssig. Wir werden
im Laufe dieses Vortrages sehen, wie selbst berufene Forscher durch Verschiebung
der Fragestellung oder durch unrichtige Auffassung früher hingestellter Sätze Irr-
thümern anheimfielen. Um so mehr dürfte der diesen Untersuchungen Ferner¬
stehende wünschen, von Zeit zu Zeit einmal zu erfahren, was denn nun wirklich
gewonnen ist.
Aber auch mir, einem der am meisten Betheiligten, kann es nur willkommen
sein, einige der mir besonders wichtig erscheinenden Thatsachen einem grösseren
Kreise von Fachgenossen zu demonstriren.
Allerdings werde ich mich sowohl mit Rücksicht auf die zu Gebote stehende
Zeit, als auch zu Gunsten der Uebersichtlichkeit in der Behandlung des aufge¬
sammelten Materiales zu beschränken haben, und setze mir deshalb vor, vornehm¬
lich von den hierher gehörigen experimentellen Arbeiten über die Rinde
des Grosshirns zu sprechen. Vielleicht findet sich bald eine Gelegenheit,
; ich die klinische Seite der Frage, sowie die physiologischen Versuche über die
. *os8en Ganglien in ähnlicher Weise zu behandeln.
Jedesmal wenn man sich meinem heutigen Thema nähert, liegt die Gefahr
or, dass man sich über den abstracten Ausdruck dessen, was die Thatsachen er¬
geben oder vielmehr selbst schon sind, in das Gebiet der hier sofort in das Gebiet
*) Dieter Vortrmg erscheint gleichzeitig in Vollcmanri* Samml. klin. VortrSge als Nr. 112. (Red.)
V 11
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154
der Psychologie hinein- und darüber hinausragenden Hypothese verirre. Ich bin
der Ansicht, dass damit vor der Hand sehr wenig auszurichten ist und werde mich
heute soweit irgend möglich davon fernzuhalten suchen, wenn ich mich auch gele¬
gentlich durch Angriffe von Aussen her um etwas aus dieser von Anfang an ein¬
genommenen Position drängen lassen musste.
Meine Herren! Man hat von jeher den Sitz der psychischen, der höheren Seelen-
thätigkeiten in das grosse Gehirn verlegt. Indessen hat die Zeit wesentliche Ver¬
änderungen in den Meinungen über die Art herbeigeführt, wie das Geistige mit
dem Körperlichen zusammenhinge.
Es existiren hier zwei Möglichkeiten, von denen jede ihre Anhänger gefunden
hat. Entweder könnte das grosse Gehirn in einer ähnlichen Weise functioniren,
wie z. B. die Leber, nämlich derart, dass jeder kleinste Theil Gehirn je nach seiner
Grösse in gleichartiger Weise seinen Theil habe ander Production dessen,
was man höhere Seelenthätigkeiten nennt, wie jedes Läppchen der Leber in gleich¬
artiger Weise zur Gallenproduction mitwirkt; oder das Gehirn wäre vielmehr als
ein Complex functionell verschiedener Apparate zu betrachten.
In dem ersten Falle würden wir also mit jedem beliebigen Felde Gehirn alle
sinnlichen Wahrnehmungen appercipiren, sowie alle Vorstellungen und Willens¬
impulse produciren können. Nur würde das Product, je nach der Grösse der ver¬
wendbaren Substanz im Gegensatz zur Gesammtmasse des Grosshirns verhältniss-
mässig klein ausfallen.
In dem andern Falle würden wir hingegen mit gewissen Feldern appercipiren,
mit andern bewegen, und nebenher wäre natürlich die Existenz von beliebig vielen
Feldern von, ihrer besondern Art nach ganz unbekannter Function nicht ausge¬
schlossen.
Ich habe kaum nöthig an diesem Orte darauf hinzuweisen, wie wichtig die
Entscheidung der aufgeworfenen Frage nicht nur für die rein medicinischen Wis¬
senschaften, sondern auch darüber hinaus für die Psychologie war. Die Frage
selbst musste behufs ihrer experimentellen Beantwortung folgendermassen formu-
lirt werden:
„Lässt sich durch den V ersuch feststellen, dass irgend ein
Feld des Grosshirns mit and ern Eig en schaften b egabt ist, a 1 s
die andern Felder, oder crgiebt sich vielmehr das Gegentheil.“
Durch den zweifellosen Nachweis eines einzigen abweichend functionirenden Feldes
musste die Lehre von der Allgegenwärtigkeit aller seelischen Functionen in allen
Theilen des Grosshirns ein unheilbares Loch bekommen.
Diese Lehre schien aber durch eine Reihe von Versuchen, die Flourens
und nach ihm Herltcig , sowie andere Forscher angestellt hatten, vollkommen ge¬
sichert. Bei diesen Versuchen wurde das grosse Gehirn scheibenweise und zwar
einmal von vorn nach hinten, ein anderes Mal von hinten nach vorn, ein drittes
Mal von aussen nach innen abgetragen. Man hätte annehmen sollen, dass die ein¬
zelnen Sinnesfunctionen und die Muskelbewegungen bei dieser Methode nach
einander zerstört oder geschmälert worden wären, wenn nämlich jede einzelne
derselben auf einen bestimmten Hirntheil localisirt wäre. Dies war aber, wie
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155
Flourens berichtet, keineswegs der Fall, sondern er bemerkte vielmehr, dass die
Operation, wenn er wenig fortnahm, wirkungslos blieb, nahm er aber mehr fort,
so wurden die Sinnesfunctionen wie die Bewegungen gleichmässig schwächer.
Der Effect war derselbe, gleichviel wo er operirte, wenn nur die ausgeschaltete
Masse gleich gross war.
Hatte er eine gewisse Grenze überschritten, so verschwand plötzlich der ge-
sammte Rest der früher nur beeinträchtigten Functionen, aber Alles konnte in weni¬
gen Tagen wieder vorhanden sein, wenn nur ein immerhin kleiner Theil Grosshirn
erhalten blieb.
Wir werden später Gelegenheit haben, auf analoge Versuche näher einzugehen.
Vor der Hand genüge es, darauf aufmerksam zu machen, dass diesen Versuchen
eins fehlt, nämlich die genaue Prüfung aller Functionen nach localisirten Ver¬
letzungen des Grosshirns höher organisirter Thiere.
Meine eigenen zum Theil gemeinschaftlich mit Fritsch und zwar vornehmlich
an Hunden angestellten Versuche ergaben nun Resultate, welche den früheren
Forschern entgangen waren. Wenn ich bestimmte Theile des Grosshirns mit
elektrischen Strömen reizte, so bewegten sich die Muskeln der gegenüberliegenden
Körper- und Gesichtshälfte des Thieres. Reizte ich aber alle andern Theile des
Grosshirns mit Strömen derselben Intensität, so bewegte sich nichts.
Die erhaltenen Reizeffecte Hessen sich innerhalb einer gewissen Zone weiter
localisiren.
Beim Affen liegen die Reizpunkte sämmtlich in einem Gyrus, welcher dem
Gyrus prrocentralis des Menschen entspricht, beim Hunde und der Katze finden
sie sich in zwei Gyris des Vorderhirns.
Bringt man nun Verletzungen von geringer Ausdehnung und Tiefe in dem
einen dieser beiden Gyri, nämlich demjenigen, welcher die Reizpunkte für die Ex¬
tremitäten enthält, an, so entstehen Störungen in der MuskeHnnervation der gegen¬
überliegenden Körperhälfte. Verletzt man aber irgend einen anderen Theil der
Oberfläche des Grosshirns in genau gleicher Weise, so kann man keine Störungen
der Muskelinnervation nachweisen.
Eine Anzahl von negativen Versuchen, welche die nicht erregbare Spitze des
Vorderhims betrafen, habe ich bereits veröffentlicht, eine Anzahl anderer, das
Hinterhirn angehender, ergaben dieselben negativen Resultate.
Diese Ihnen soeben vorgetragenen Thatsachen sind nun in dieser ihnen gege¬
benen allgemeinen Fassung bisher von keiner Seite bestritten worden. Damit
scheint mir aber die vorhin aufgewörfene Frage und z^ar gegen Flourens ent¬
schieden zu sein. Denn wir haben hier in der That das gestellte Postulat erfüllt.
Wir haben den Nachweis geliefert, dass gewisse Felder des
Hirns gegen Eingriffe reizender oder lähmender Art anders
reagiren, als alle anderen Felder des Organs.
Das bedeutet also, wie ich mich früher ausdrückte, „dass keineswegs, wie
Flourens meinte, die Seele eine Art Gesammtfunction des Grosshirns ist, sondern
dass vielmehr sicher einzelne seelische Functionen, wahrscheinUch alle, zu ihrem
Eintritt in die Materie oder zur Entstehung aus derselben auf circumscripta Centra
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156
der Grosshirnrinde angewiesen sind.“ Mit einem Worte: es gibt eine Loca-
lisation im Grosshirn.
Nachdem diese Thatsache einmal festgestellt war, mehrten sich die Arbeiten,
welche den Gegenstand von den verschiedensten Seiten aus behandelten.
Nothnagel , Schiff, Braun , Eckhard , Ferner , Camille und Dur et, Sollmann , L. Hermann ,
Fürslner , Go/te und viele andere Forscher nahmen theils Reiz-, theils Lähmungs¬
versuche vor. Wir werden uns zunächst mit dem beschäftigen, was durch die
Reizversuche ferner festgestellt worden ist.
Meine eigenen Versuche hatten zunächst nur diejenigen Stellen ermittelt, von
denen aus man mit schwachen Strömen die Extremitäten, den Facialis und die
Augenmuskeln in Bewegung setzen kann. Ausserdem zeigte sich, dass die Mus¬
keln des Rumpfes und des Schwanzes sich von anderen Punkten aus in ziemlich
inconstanter Weise reizen lassen.
Ferner machte nun darauf aufmerksam, dass durch starke elektrische Ströme
von den vorderen und basalen Hirnpartien des Hundes und der Katze aus Fress¬
bewegungen hervorzubringen sind. Es bewegen sich nämlich, wenn man die Elek¬
troden, namentlich des Inductionsstromes hier applicirt, die den Mund umgebenden
Theile des Facialis, die Portio masticatoria des Trigeminus, sowie die Zunge und
die zwischen Kinn und Sternum liegenden Muskeln. Ferner' s Versuche waren sehr
wenig zahlreich und überdiess mit so starken Strömen angestellt, dass von einer
genaueren Localisation keine Rede sein konnte. So hatte ich denn bei weiterer
Verfolgung der Sache noch Mühe genug, Genaueres über die verschiedenen, hier
in Betracht kommenden Reizpunkte festzustellen. Dabei fand sich, dass von diesen
Theilen aus fast jeder wirksame elektrische Reiz mit doppelseitigen Bewe¬
gungen beantwortet wird. Es ist nicht unmöglich, dass die Seltenheit cerebraler
masticatorischer Lähmungen durch diese bilaterale Innervation ihre Erklärung findet.
Ferner ist es von Interesse, dass die Stelle, welche zu den Zungen-Mundbe-
wegungen in Beziehung steht, beim Affen ganz benachbart jenem Theil der dritten,
resp. ersten (wenn man von der Fossa Sylvii aus zählt) Stirn Windung liegt, dessen
Ltesion beim Menschen so häufig von Aphasie gefolgt ist.
Eine durch Zahl und Art der Versuchsobjecte sowie durch ihre Resultate un-
gemein interessante Versuchsreihe stellte Soltmann an. Er operirte nämlich vor¬
zugsweise an neugeborenen Thieren und fand, dass bei diesen die sämmtlichen
Reizeffecte von de r Ob erfläche des Gr osshi rn s aus fo r tfa 11 e n.
Erst am 10. Lebenstage erscheinen Zuckungen in der Vorderpfote und erst mit
dem 16. Tage sind die Centren — wenn dieser Ausdruck gestattet ist — so ent¬
wickelt, wie beim Erwachsenen. Die Ausstrahlung des Hirnschenkels hingegen,
die innere Kapsel, fand Soltmann schon beim Neugeborenen reizbar.
Aehnliche Resultate, das nehme ich hier vorweg, ergaben Soltmann's, Lähmungs¬
versuche. Selbst grosse Exstirpationen schädigten die Bewegungen des Neuge¬
borenen in keiner Weise.
Wenn nun Neugeborene bekanntlich keineswegs bewegungslos, aber bewegungs—
arm sind, so bringt Soltmann diese Thatsachen in eine, wie mir scheint, sehr an¬
sprechende Beziehung zu den anatomischen Forschungen Ueynerl' s. Nach Meyneri
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sind nämlich die Bewegungen der gesammten Musculatur auf zweifache Art im
Hirnschenkel vertreten. Eine dieser Bahnen kommt von der Rinde durch Sehhügel
oder Vierhügel zur Haube herab und steht von den grossen Ganglien aus durch
eine Seitenbahn mit den Sinnesnerven in Verbindung. Sie ist demnach als eine
Reflexbahn aufzufassen, und in der Haube beim Neugeborenen bereits reich ent¬
wickelt Die andere Bahn aber passirt Linsenkern und Streifenhügel resp. die
innere Kapsel und tritt in den Hirnschenkelfuss ein. Sie gilt als die Bahn der
Willkürbewegungen und ist beim Neugeborenen im Fuss des Hirnschenkels noch
sehr schmächtig repräsentirt. So sind die bei und bald nach der Geburt vorhan¬
denen Bewegungen lediglich als Reflexbewegungen zu betrachten und man kann
sich nach Sollmann vorstellen, dass der Fortfall der elektrischen Reaction, sowie
die Wirkungslosigkeit der Abtragungen daher rührt, dass die Bahnen für die Lei¬
tung irgend welcher Impulse vom Stirn-Scheitelhirn nach dem Hirnschenkel hin
noch nicht vollständig ausgebildet sind, also das Object für die Bethätigung wie
für die Ausschaltung der Function noch fehlt
In der That lehren denn nun auch in neuerer Zeit namentlich von Jastroioitz und
Flechsig geförderte Untersuchungen, dass die Markscheide der Faserung des Cen¬
tralnervensystems zu jener Zeit noch in der Entwickelung begriffen ist Die weisse
Substanz hat sich bei der Geburt nur erst höchst unvollkommen von der grauen
gesondert. Viele später weisse Theile des Centralnervensystems erscheinen zu
dieser Zeit noch grau.
Soltmann meint, dass das Ausbleiben der Zuckung vielleicht am letzten Ende
dadurch bedingt sein könne, dass der Reiz wegen des Fehlens der Markscheide
nicht genügend isolirt bleibe. Hierin kann ich ihm nun nicht beistimmen. Mir
scheint das Wesentliche nicht in einem Mangel der Leitung, sondern vielmehr in
einem Mangel der Anspruchsfähigkeit zu liegen. Wissen wir ja doch aus den
vielfachen an regenerirenden Nerven gewonnenen Resultaten — ich erwähne nur
die schönen Untersuchungen von Erb — dass sonst markhaltige Nerven zu einer
Zeit, zu der sie an bestimmten Stellen ihres Verlaufes nur aus marklosen Axen-
cylindern bestehen, an diesen Stellen absolut keine Aufnahmsfähigkeit besitzen.
Uebrigens wäre die Wiederholung der Untersuchungen Flechsig 1 s an Embryo¬
nen des Hundes eine sehr dankenswerthe Aufgabe. Es muss erst noch direct be¬
wiesen werden, dass der Beginn der Erregbarkeit der inneren Kapsel mit dem
Auftreten der Markscheide an ihren Nervenfasern, und dass der Beginn der Er¬
regbarkeit der Windungen mit dem Auftreten der Markscheide an den dort liegen¬
den Fasern zeitlich zusammenfällt. Nach Flechsig scheint die Markscheide inner¬
halb eines gegebenen Systems sich an dessen einzelnen Abschnitten annähernd
gleichzeitig zu zeigen. Wir haben aber alle Veranlassung — und auch Sollmann
geht von dieser Voraussetzung aus — die erregbaren Fasern der Gyri und der
inneren Kapsel als Bestandtheile ein und desselben Systems zu betrachten.
Andere Forscher verfolgten die Reizeffecte mehr in die Tiefe des Gehirns.
Ich selbst hatte bereits nachgewiesen, dass man Zuckungen erhält, wenn man
innerhalb der von mir sogenannten erregbaren Zone nadelförmige Elektroden tiefer
und tiefer in das Gehirn einsenkt, und dass man keine Zuckungen erhält, wenn man
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das gleiche Experiment ausserhalb der erregbaren Zone vornimmt. Dieselben Er¬
folge erzielte ich, wenn ich mit einem kleinen Löffel Löcher in verschiedene Stellen
des Gehirns grub, und an den Wänden der Höhle reizte. Auch bei diesen Ver¬
suchen erhielt ich nur Zuckungen, wenn die Höhle innerhalb der erregbaren Zone
lag. Lag sie an einer Grenze der erregbaren Zone, so traten die Zuckungen nur
dann ein, wenn die Elektroden den Boden oder die der erregbaren Zone zuge¬
kehrte Wand der Höhle berührten.
Eckhard, Braun und Sollmann gaben nun mit grösserer Bestimmtheit an, dass
die reizbaren Stellen der Tiefe nicht dem Corpus striatum nebst Linsenkern, son¬
dern den wei88en Massen der inneren Kapsel und ihrer Ausstrahlungen angehörten.
Es gelang z. B. Eckhard , den Zug der motorischen Fasern für die vordere Extre¬
mität auf eine grosse Strecke des Gehirns zu verfolgen.
Darnach wird es denn sehr wahrscheinlich, dass auch bei den von der Ober¬
fläche aus vorgenommenen Reizversuchen nicht die graue Substanz im
engeren Sinne, sondern die in sie einstrahlenden Leitungsfasern den erregten
Theil abgeben.
Die letzt angeführten Versuche haben auch in anderer Beziehung einen gewis¬
sen Werth für die Localisation der von der Oberfläche des Gehirns aus erzielten
elektrischen Reizeffecte.
Man wirft den elektrischen Reizversuchen mit einem gewissen Rechte vor,
dass der Reiz bei ihnen nicht zu begrenzen sei, dass man mit anderen Worten
von vornherein nicht wissen könne, wie weit die wirksamen Stromschleifen in die
Tiefe dringen. Es wäre deshalb sehr erwünscht gewesen, wenn die cerebrale
gleich der peripheren Nervensubstanz mit Regelmässigkeit auch auf die gewöhn¬
lichen mechanischen und chemischen Reize geantwortet hätte, was nicht der
Fall ist.
Hierauf haben mehrere Forscher den Einwand basirt, die elektrischen Reize
könnten von entfernten, aber nicht näher bezeiebneten Theilen aus wirksam werden.
Freilich war eine den Eigenschaften der peripheren Nerven analoge mecha¬
nische, chemische und thermische Erregbarkeit von vornherein schwer anzuneh¬
men. Denn die elektrischen Reizeffecte entstehen unzweifelhaft in der Art, dass
eine unendliche Menge feiner Formelemente gleichzeitig in den thätigen Zu¬
stand versetzt wird. Bringt man aber Verletzungen der oberflächlichen Schichten
an, so wird man meistens den einen Theil dieser Elemente schon zerstört haben,
bevor die Reizung des anderen Theiles auch nur begonnen hat. Den gleichen ne¬
gativen Erfolg constatirt man jedoch auch bei Angriffen auf die tieferen, überhaupt
auf alle Schichten und Theile der Hemisphären, zu denen Stromschleifen gelangen
können, so dass schon aus diesem Grunde der angeführte Einwand nicht ins Ge¬
wicht fällt. Immerhin habe ich in ganz seltenen Ausnahmefällen bei Auslöffelungen
eine einmalige intensive Zuckung einer Extremität eintreten sehen. *) Ferner ge¬
lingt es gleichfalls in Ausnahmefallen wiederholte tonische und klonische Zuckun¬
gen in der Vorderextremität hervorzubringen, wenn man auf der frisch verletzten
*)Eine bisher noch nicht publicirte Thatsache. ■
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Stelle ein Stück Feuerschwamm eintrocknen lässt. Es scheint so, als ob hierbei
in der That grössere Gruppen von Fasern gleichzeitig gereizt werden können.
Aehnliche Reizeffecte gewahrt man, wenn man Essigsäure und dann Liq. ferri
sesquichlor. vorsichtig vermittelst kleiner Schwammstückchen auf die Pia appli-
cirt. In neuester Zeit hat Eulenburg ähnliche Erfolge von der Application von Koch¬
salz in Substanz gesehen.
Immerhin sind, soweit meine Erfahrungen reichen, mechanische und chemische
Reizeffecte nicht nach Belieben reproducirbar und so ward es erforderlich, die
Resultate der elektrischen Reizung weiteren Versuchen und Betrachtungen zu
unterziehen. Zunächst war klar, dass der Reiz in den vorderen Theilen des Hirns
angreifen musste. Denn nadelförmige Elektroden konnten gleichstarke Ströme bis
in die Tiefen des Hinterlappens tragen, ohne dass Zuckungen eintraten.
Für den Vorderlappen kamen nun die grossen Ganglien mit ihrer inneren
Kapsel und die eigentliche Hemisphäre in Betracht. Die erstangeführten basalen
Provinzen fallen eigentlich schon wegen ihrer tiefen Lage aus der Betrachtung.
Denn man kann sich dem reizbaren Hirnschenkel im Hinterlappen ja auf viel ge¬
ringere Distanzen nähern ohne dass Zuckungen erscheinen. Zu dem gleichen
Schlüsse führen die Reizversuche Sollmann’s an Neugebornen, welche negativ aus¬
fielen, obwohl die fraglichen Theile hier viel kleiner sind, die reizbar gefun¬
dene innere Kapsel also viel näher der Rindo liegt als beim Erwachsenen.
Lässt man endlich die analogen Versuche von Eckhard und Braun gelten, so
werden die grossen Ganglien überhaupt ausgeschlossen. Die zwischen ihnen ge¬
lagerte, reizbar sein sollende innere Kapsel nimmt aber, wie anatomisch leicht
nachzuweisen ist, mindestens zu einem grossen Theile ihren Ursprung in den
Windungen der Hemisphäre. Ihre Fasern werden also dort oben kaum andere
Eigenschaften haben, als an einer tieferen Stelle ihres Verlaufes.
Ausserdem beweisen diese Versuche, dass der Reiz sich selbst bei so kleinen
und dicht bei einander liegenden Theilen, wie die Ganglien mit ihrer inneren
Kapsel sind, noch auf den einen oder den anderen Theil localisiren lässt. Des¬
halb ist es nicht wahrscheinlich, dass das Gleiche für die oberflächlichen Theile
unmöglich sein sollte.
Will man aber dennoch den Reizversuchen keine volle Beweiskraft für
die Localisation der motorischen Function in den fraglichen Windungen der He¬
misphäre zugestehen, so gibt es einen anderen Weg zur definitiven Entscheidung
dieser Frage — das sind die Lähmungsversuche.
(Schloss folgt.)
Das Doppelhörrohr.
Von Dr. Rud. Meyer-HUni, Priv.-Doc. in Zürich.
(N. e. i. d. Gesellsch. der zürcher Aerzte am 30. Dec. 1876 gehaltenen Vortrage.)
Meine Herren! Gestatten Sie mir, Ihre Aufmerksamkeit heute auf ein schein¬
bar unbedeutendes Thema zu lenken, nämlich auf die Auscultation mit dem Dop¬
pelhörrohr. Schon im Jahre 1873 versuchte ich die Methode der Otoscopie auf
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160
die Untersuchung mit dem Hörrohr zu übertragen und liess mir damals von Dreher¬
meister Weltin in Zürich das hier vorliegende einfache Schlauchstethoscop an¬
fertigen, das aus einem kurzen hölzernen Trichter mit einem zwei Fuss langen
Cautchukrohr und einem Einsatz in’s Ohr besteht. Bekanntlich hat im letzten
oder vorletzten Jahre auch Herr Prof. Voltolini in Breslau ein solches Schlauchhör¬
rohr construirt und in der berl. klin. Wochenschrift empfohlen. Namentlich für
Collegen mit gestörtem Hörvermögen sollte dieses Hörrohr mit dem Einsatz in
den Gehörgang dem Holzstethoscop mit der Platte für die Ohrmuschel vorzuziehen
sein und eine kurz nach Voltolini & Veröffentlichung in der gleichen Zeitschrift *)
erschienene Danksagung von einem nicht ganz vollhörenden Arzte bestätigte auch
den Werth des empfohlenen Instrumentes. Die Bequemlichkeit der Handhabung,
die grössere Entfernung des Untersuchers vom Untersuchten sind nicht ganz zu
unterschätzende weitere Vorzüge des Schlauchstethoscopes.
Immerhin befriedigten mich die Resultate dieses nur für ein Ohr berechneten
Instrumentes nicht ganz, da das unbeschäftigte andere Ohr für fremde störende
Eindrücke offen bleibt und jedenfalls die gesammte Hörfähigkeit des Untersuchers
auf diese Weise nicht ausgenützt wird.
Ich liess mir daher von Dreher Weltin ein binaurales Schlauchstethoscop *•)
anfertigen, welches, wie Sie sehen, aus einem kurzen hölzernen Rohr besteht mit
einer kleineren Schallöffnung auf der einen, einer grösseren auf der andern Seite.
In die eine wie die andere Mündung passt eine kürzere Röhre, welche aussen in
zwei gabelig getheilte Mündungen endet, den Ansätzen für je einen Cautchuk-
schlauch von circa 1‘/a Fuss Länge, jeder mit einem Einsatz in den äussern Gehör-
gang. In die Lichtung des hölzernen Rohres passt auch dieses beinerne Röhrchen,
welches eine gewöhnliche Platte für die Ohrmuschel trägt. Wollen Sie das bin¬
aurale Stethoscop anwenden, so fügen Sie den Ansatz mit den Schläuchen in das
hölzerne Rohr, die Schläuche werden durch die Einsätze in die äussern Gehör¬
gänge ohne fernere Beihülfe gehalten, und je nach dem Raum der zu untersuchen¬
den Körper- — speciell Thoraxregion verwenden Sie die weitere oder engere
Rohrmündung. Ein ähnlich, doch weniger bequem construirtes Hörrohr fand ich
zu meiner Ueberraschung im neuesten Catalog des Instrumentenfabrikanten Leiter
in Wien bereits abgebildet. Wollen Sie eine fremdartig erscheinende Wahrneh¬
mung durch das binaurale Hörrohr mittelst des gewöhnlichen Stethoscopes control-
liren, so ersetzen Sie bloss den Ansatz mit beiden Schläuchen durch die Ohr¬
platte.
Seit Anfang des Jahres 1876 habe ich nun mit diesem Doppelhörrohr eine
ziemliche Anzahl von Fällen untersucht, allerdings namentlich anfangs gerne mit
der Controle durch die gewöhnliche Auscultationsmethode. Die Resultate waren
in dieser kurzen Versuchszcit so befriedigend, dass ich das neue Instrument nicht
mehr entbehren möchte. Ja ich muss mich verwundern, dass die binaurale Aus-
•) Jahrgang 1876 Seite 343. (Red.)
**) Herr Drebermeiater Weltin, MOnetergaese, Zürich, liefert das Instrument samtnt Ohrplatte
aua Elfbnbein zu 10 Fr., ohne letztere zu 7 Fr.
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cultation, so nahe sie liegt, in der Privatpraxis wie auf den Kliniken nicht allge¬
meiner in Aufnahme gekommen ist. Zwar in England, Irland und in Nordamerica
scheint das Doppelhörrohr in Spitälern und in der Privatpraxis vielfach verwendet
su werden, wie ich aus der Aufzählung von bezüglichen Aufsätzen in medicinischen
Zeitungen schliessen muss; dass es aber auf den Kliniken der Schweiz, in Wien,
Berlin, Paris, kurz auf dem Continent gebraucht würde, glaube ich nach meinen
eigenen Beobachtungen verneinen zu können. Ja sogar erwähnen dasselbe nicht
einmal alle Autoren über physic. Diagnostik, wie z. B. Wintrich (Virchoxc& Handb.
d. spec. Path. u. Therap. V 1. Abth. 1854) und Guttmann (Lehrb. der klin. Unter-
such.-Meth., Berlin 1872), während dagegen Gerhard (Lehrb. d. Auscult u. Percuss.
etc. 1866) die binaurale Auscultation für die einzig zweckmässige Modification der
Stethoscopie erklärt Walthe (a practical treatise on the diseases of the lungs,
London 1860) hinwieder hält das Doppelhörrohr für unzweckmässig, weil es die
Qualität der Geräusche für das Ohr verändere und somit auch für Schwach¬
hörende keine Quelle grösserer Genauigkeit, sondern der Täuschung sei. P. Nie¬
meyer beschreibt die verschiedenen Modificationen im Gebrauche des Hörrohres
und bedauert, durch einen einseitigen Gehörfehler an der Prüfung der binauralen
Auscultation verhindert zu sein. (Handb. der theoret. u. klin. Ausc. u. Perc. 1870 )
Trotz dieser Missachtung von Seiten der continentalen Kliniker und trotzdem,
dass das Instrumentarium selbst der mit Chirurgie nicht speciell sich befassenden
Aerzte bereits ansehnlich genug ist, erlaube ich mir, Ihnen die Anschaffung des
Doppelhörrohres zu empfehlen. Gestatten Sie mir zur Begründung Ihnen in Kur¬
zem die Vorzüge und Nachtheile der binauralen Auscultation zu schildern und
zwar, da mir eben anderweitige Mittheilungen darüber nicht zugänglich waren,
nach meinen eigenen Wahrnehmungen.
In erster Linie ist die bedeutend vermehrte Intensität hervorzuheben,
womit die auscultatorischen Wahrnehmungen dem Untersucher vermittelt werden.
Es kommt dabei nicht bloss in Betracht, dass das gleiche Geräusch zu gleicher
Zeit von beiden Ohren gehört wird, sondern auch, dass dabei anderweitige Gehörs¬
eindrücke wegen der Verstopfung beider Gehörgänge sich wenig einmischen. So¬
wohl die Wahrnehmungen mit dem gewöhlichen Stethoscop als mittelst des direct
aufgelegten Ohres stehen an Stärke hinter den Befunden des Doppelhörrohres zurück.
Immerhin kommt es kaum zu einem so ungewohnt intensiven Gehörseindrucke, dass
daraus eine Art Blendung oder eine Störung in der Beurtheilung der Gehörsempfindung
resultiren würde, sondern es gewinnt dadurch bloss die Deutlichkeit des Gehörten
und das Urtheil über den auscultatorischen Eindruck.
Das vesiculäre Athmen erscheint nicht mehr wie ein leises Schlürfen von Luft,
sondern wie tiefes Brausen. Die Abstufungen in seiner Deutlichkeit und Stärke,
deren Bestimmung z. B. bei emphysematischen Lungen von Wichtigkeit ist, sind
bei binauraler Auscultation viel sinnfälliger, als bei der gewöhnlichen Untersuchungs¬
weise. Das „unbestimmte“ Athmen, das oft nichts anderes als abgeschwächtes
vesiculäres Inspirium und schwach bronchial hauchendes Exspirium ist, wird leicht
in seine Componenten zerlegt Bei Laryngostenosis, welche sowohl die Lungen¬
ventilation verlangsamt und damit die Athmungsgeräusche schwächt als auch diese
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durch das stenotische Geräusch überdeckt, gestattet das Doppelhörrohr noch immer
eine Scheidung des Lungengeräusches von dem fortgeleiteten Blasen. Die Lun¬
gengrenzen sind schon durch diese Auscultation so sicher zu bestimmen, wie durch
die Percussion. Das Bronchialathmen erscheint von fast musicalischem Klang,
dessen Höhe nicht unschwer zu bestimmen ist.
Ein Uebergang des viel tieferen vesiculären Athmens zum bronchialen Cha¬
rakter ist immer mit einer nachweisbaren Zunahme seiner Tonhöhe verbunden und
es fallen dadurch schon geringe pathologische Veränderungen des vesiculären Ge¬
räusches leicht auf.
Die Rasselgeräusche, welche sich hie und da über schwach, aber vesiculär
athmenden Lungenstellen, besonders im Apex, kaum vom Athmungsgeräusch unter¬
scheiden lassen, sind mit dem Doppelhörrohr weniger zu überhören und gerade
in solchen suspecten Fällen hat mir das Instrument schon wirkliche Dienste ge¬
leistet. Der Klangcharakter der Rasselgeräusche ist so markirt, dass er auch vom
Anfänger in der Auscultation leicht beurtheilt wird und z. B. Verwechselungen
mit pleuritischem Reiben nicht Vorkommen können.
Namentlich bei der Auscultation des Herzens treten die Vorzüge der binau¬
ralen Methode in’s Licht, indem die Kraft der Herzaction ebenso gut wie der
Klappenschluss in’s Gehör fällt Die Herztöne erscheinen bei Ventrikelhypertrophie
wie das Stampfen eines Pumpwerkes, und der Unterschied ihrer Intensität gegen¬
über normaler oder geschwächter Herzcontraction ist bei etwelcher Erfahrung
leicht bemerkbar. Blasende Geräusche sind leicht zu erkennen, der Untersucher
wird aber daran gewöhnt, nicht bloss in ihrem Auftreten, sondern auch in der
Stärke oder Schwäche des Herztones auscultatorische Anhaltspuncte für seine ße-
urtheilung des Herzzustandes zu finden. Jedenfalls rührt der erste Ton über der
Mitralis oder Tricuspidalis zur Hauptsache von der Muskelcontraction her, der
zweite Ton ist von viel hellerem klappenderem Charakter. Vielleicht täusche ich
mich, wenn mir functionelle Geräusche Chlorotischer viel mehr hinter der lauten
Herzsystole zurückzutreten schienen, als ein endocarditisches systolisches Mitralge¬
räusch. Jedenfalls aber gestattet die leicht zu beurtheilende Zu- oder Abnahme
der Schallintensität, den Ausgangspunct eines Herzgeräusches sicherer zu bestim¬
men, als mit der gewöhnlichen Auscultation.
Ausserordentlich wichtig erscheint mir — und es führt diess zur Hervorhe¬
bung des zweiten Vorzuges des Instrumentes, nämlich seiner bequemen Hand¬
habung —, dass neben der Auscultation einer Körperregion zugleich ihre In-
spection ermöglicht ist. Patienten, wolcho z. B. nur schwach und unregelmässig
athmen, kommen dadurch weniger in den Fall, uns „vermindertes Vesiculärathmen“
vorzutäuschen. Gleichzeitig mit der Auscultation können wir ferner den Spitzen-
stoss palpatorisch untersuchen oder eine des Metallklanges verdächtige Thorax¬
gegend während der Percussion auscultiren. Anfänger in der Stethoscopie werden
das Doppelstethoscop viel weniger auf die Rippen andrücken, als diess mit dem
gewöhnlichen Stethoscop oft in schmerzerregender Weise vorkommt. Die Leich¬
tigkeit, das Ende des Doppelhörrohres überall am Körper aufzusetzen, ohne mit
dem Kopfe knapp nachfolgen zu müssen, kommt der Gründlichkeit der Un-
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tersuchung besonders zu statten. Die Achselhöhle, die Schlüsselbeingruben können
rascher und müheloser als mit dem einfachen Stethoscop untersucht werden und
werden daher weniger ausser Acht gelassen. Von grossem Werth ist die Erleich¬
terung der Untersuchung bei infectiösen Patienten oder bei solchen, die schwer
im Bette beweglich, vielleicht moribund, dem kurzen Stethoscop ganz unerreich¬
bar sind. Auch zur Selbstuntersuchung ist das biegsame Schlauchhörrohr voll¬
kommen geeignet und für Curse in der Auscultation dürfte es sich desswegen be¬
sonders bewähren, weil es dem Docenten und einem Practicanten die gleichzeitige
Untersuchung einer Region resp. die Demonstration eines Schallphänomenes be¬
quem gestattet. Wie schon P. Niemeyer (1. c.) bemerkt, könnte man auch nach
Landouey ein Polystethoscop für eine beliebige Zahl gleichzeitiger Untersucher
construiren, indem einem Hörrohr die betreffende Anzahl Schläuche angefügt
würden. •
Sollten Ihnen, meine Herren, diese vielen Vorzüge des Doppelhörrohres nicht
genügen, so erlauben Sie mir schliesslich noch eine Anwendungsweise des Instru¬
mentes anzuführen, nämlich als Ohrtrompete für übelbörende Patienten, wobei Sie
denselben die Obreinsätze der Schläuche in den äussern Gehörgang stecken und
in das Ende des Hörrohres hinein sprechen. So habe ich das Instrument erst
kürzlich bei einer sehr schwer hörenden alten Frau, die an Hydrops in Folge von
Emphysem und Herzdilatation litt, in doppelter Weise verwendet; das Hörrohr
kam mir zur Aufnahme der objectiven und subjectiven Symptome in gleicher Weise
zu Statten.
Gestatten Sie mir nun, noch kurz die Nachtheile und Unannehmlichkeiten,
welche die Anwendung des Doppelbörrohres haben soll, zu erörtern, so kann ich
Sie versichern, dass eine Veränderung in der Geräusch Wahrnehmung d. h. eine
Täuschung des Untersuchers dem Instrumente nicht zur Last fällt, wie Walehe be¬
hauptet. Uebrigens gestattet Ihnen ja die leicht anfügbare Ohrplatte, das Instru¬
ment zum gewöhnlichen Hörrohr zu machen und damit eine suspecte Wahrneh¬
mung zu controlliren. Dagegen sind allerdings Nebengeräusche leicht möglich und
treten bei dem sehr empfindlichen Instrumente laut zu Tage, auch darf es nur un¬
mittelbar auf die Hautdecken oder höchstens auf eine glatte dünne Zwischenlage
aufgesetzt werden, da die Intensität der Wahrnehmung sonst abnimmt oder Rei-
bung8geräusche unwillkürlich hinzutreten. Es bedarf jedoch nui kurzer Uebung,
um dieser Uebelstände Herr zu werden. Haben Sie sich an das Doppelhörrohr
gewöhnt, so werden Sie es dem gewöhnlichen Stethoscop gerade so vorziehen,
wie beim Laryngoscopiren den Sonnenstrahl der Petroleumlampe.
Nachtrag. Soeben kommt mir durch die Güte der Redaction des „Corresp-
Blattes f. schweizer Aerzte“ die neueste Nummer der „Wiener mediz. Presse“ vom
18. Februar 1877 zu, welche eine kurze Kritik des Voliolini' sehen Schlauohstetho-
scopes aus der Feder des Herrn Dr. Baas in Worms enthält.
Da die Einwürfe dieses Autors gegen den Gebrauch und die Zweckmässigkeit
des einfachen Schlauchstethoscopes auch auf das vou mir empfohlene binaurale
Hörrohr bezogen werden können, so halte ich mich verpflichtet, den Werth der¬
selben hier zu erörtern.
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Mit dem ersten Einwand, dass das VoltoHm 'sehe Stethoscop nichts Neues biete
und enthalte, wird wohl auch VoltoUni insoweit einverstanden sein, als die Con-
struction eines solchen SchlauchhÖrrohrcs gewiss schon manchem Collegen vor
Voltolini ’s Veröffentlichung eingefallen ist. Doch bleibt es Voltolini 's Verdienst, die
Zweckmässigkeit des Instrumentes für schwerhörende Collegen hervorgehoben und
die Aufmerksamkeit der Aerzte überhaupt auf das wenig beachtete Instrument ge¬
lenkt zu haben.
Zweitens wendet Herr Dr. Baas ein, dass es ein Nachtheil des Instrumentes
sei, wenn dabei ein Zapfen in den Gehörgang hineingeschoben werde; „denn der
eingeschobene Zapfen schädige bei häufigem Gebrauch, wie ihn die tägliche Praxis
verlange, alsbald den Gehörgang, so dass er sich entzünde, und wecke dazu bei
der geringsten seitlichen Bewegung, wie sie schon das Athmen des Auscultirenden
und des Auscultirten bewirken müsse und bewirke, reibende Nebengeräusche.“
Dagegen muss ich des Bestimmtesten versichern, dass ich von einer solchen trau¬
matischen Gehörgangsentzündung bis heute nichts gespürt habe, obwohl ich sogar
zwei Schläuche mit Ansätzen in beide Gehötrgänge einsetze, wodurch sie allein
ohne weitere Beihülfe festgehalten werden, ferner das Instrument seit einem Jahre
täglich verwende, gerade wie es die tägliche Praxis mit sich bringt, ja selbst aus¬
schliesslich an Stelle sonstiger immediater Auscultation oder des Holzstethosco-
pes. Auch ist es mir nicht bekannt, dass je ein Ohrenarzt bei der so frequenten
Anwendung des Othoscopes, das ja ganz wie das Schlauchstethoscop in den Ge¬
hörgang des Untersuchers eingeschoben wird, eine Reizung des äussern Gehör¬
ganges erlitten habe.
Ebenso werthlos wie diese Behauptung einer Gehörgangsschädigung ist die
Angabe von Dr. Baas betreffs der Nebengeräusche, „welche das Instrument denn
auch laut Erfahrung nahezu unanwendbar machen“. Vorerst entstehen überhaupt
durch Bewegung des Einsatzes im Ohre des Untersuchers keinerlei Nebengeräusche,
welche durch Athmungsbewegungen des Untersuchers oder des Untersuchten be¬
dingt würden. Der Einsatz liegt fest, oder fallt einfach heraus, und die gegen¬
teilige Behauptung von Dr. Baas lässt seine „Erfahrung“ in einem seltsamen
Lichte erscheinen. Alle Nebengeräusche entstehen bloss durch Unruhe der den
Trichter des Instrumentes aufsetzenden Hand des Arztes oder durch Reiben des¬
selben an einem Kleidungsstücke etc. des Patienten und lassen sich leicht als
Nebengeräusche erkennen und vermeiden. Dabei darf sogar, wie schon erwähnt,
eine dünne Stofflage z. B. Flanell zwischen Hautdecke und Hörrohr liegen, ohne
den Höreffect zu beeinträchtigen.
Wenn schliesslich Herr Dr. Baas ein doppeltes Halten des Zapfens in den Ge¬
höreingang und des Brusttrichters für nöthig hält, „so dass man am besten einen
Assistenten zum Halten des letzteren benützt“, so macht er nicht das Schlauch¬
stethoscop, sei es für eines oder zwei Ohren, sondern seine eigene Unbeholfenheit
lächerlich. Jedenfalls hat Herr Dr. Baas noch nie in einem otiatrischen Curse die
einfache Manipulation versucht, einem Patienten Luft in eine Tuba Eust. zu blasen
und zugleich mittelst des Otoscopes den gleichseitigen Gehörgang zu auscultiren.
Und dabei will er schon vor Jahren ein dem Fo/to/ini’schen ganz ähnliches Instru-
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ment construirt und „lange geprüft“ haben! Bei meinem Schlauchstethoscop für
ein und dem für beide Ohren halten die Zapfen, wie schon erwähnt, sehr sicher
und fest im Gehörgang. Gerade die Bequemlichkeit in der Handhabung, nicht
bloss die Intensität und Deutlichkeit der Wahrnehmung bei gleichzeitiger Entfer¬
nung vom Untersuchten sind ja die Vorzüge der Schlauchstethoscope, unter denen
ich allerdings meinem binauralen den Vorzug geben würde.
Professor Mosler’s Bandwurmcur
mitgetheilt von Dr. Lange, Brunnen- und Badearzt in Ems.
In Nr. 3 dieses Blattes empfiehlt Dr. deWelle ein aus London bezogenes Extr.
Filicis maris seth. als Bandwurmmittel und stützt seine Empfehlung auf zwei mit
Erfolg ausgeführte Curen, welche doch wohl nicht genügen, um das Mittel beson¬
ders zu empfehlen. Ich erlaube mir deshalb auf die Bandwurmcur des Professor
Votier aufmerksam zu machen, welche sein Assistenzarzt Dr. Tillessen in der deut¬
schen medic. Wochenschrift veröffentlicht hat. Professor Votier hat eine grosse
Zahl von Bandwurmmitteln mit besonderer Sorgfalt geprüft und dabei die Wahr¬
nehmung gemacht, dass die dynamische Wirkung keines einzigen derselben so
sicher ist, dass unter allen Umständen die Expulsion des Wurmes dadurch er¬
wartet werden darf. Fast sämmtliche nach Bandwnrmmitteln abgegangene Tsenien,
auch wenn sie völlig leblos zu sein schienen, bewegten sich wieder, sobald 6ie in
eine Mischung von warmem Wasser und Milch gebracht wurden, so dass die Wir¬
kung nur eine betäubende zu sein scheint.
Die besten Resultate wurden erzielt, wenn die dynamische Wirkung des Band¬
wurmmittels auf mechanische Weise unterstützt wurde, nämlich durch Eingiessen
reichlicher Mengen warmen Wassers in den Dickdarm, nachdem in Folge inner¬
lich dargereichter Mittel der Bandwurm in betäubtem Zustande bis in das Colon
nach abwärts getreten ist, und derselbe in toto nach aussen gespült werden kann.
Innerlich werden folgende Pillen gegeben:
Rp. Extracti Granati spirituosi Bataviensis 7,5
Pulveris radicis Althe» 1,0
Extracti Gentianee 2,5
M. f. Pili. Nr. 30.
Das Granatwurzelextract ist in Batavia aus der frischen Wurzelrinde nach
einer bestimmten Vorschrift bereitet.
Die von Professor Votier eingeführte Methode ist nun folgende:
Nachdem man sich von dem Vorhandensein des Bandwurms durch leichte Ab¬
führmittel (Morgens und Abends 1 Esslöffel Ol. Ricini) und durch Einfuhren von
l*/a Liter lauwarmen Wassers per rectum Früh und Abends überzeugt hat, werden
Speisen gegeben, die der Bandwurm scheut (Blaubeerensuppe, Häringe, saure Gurken,
gesalzene Bouillon). Ist nun der Darm durch die Laxantien und Ausspülungen mög¬
lichst entleert, so wird das oben erwähnte Antelminthicum gegeben und mit den
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Einführungen grosserer Mengen Flüssigkeit mittelst des Hegar 'sehen Trichterappa¬
rates in der Rückenlage fortgefahren. Die letzteren nehmen den in den Dickdarm
herabgestiegenen Warm auf, hindern ihn am Anheften an die Darmschleimhaut
und spülen ihn beim Rückfluss aus dem After mit sich fort.
Dr. Tillessen sagt: „Gelingt es, diese sämmtlichen Bedingungen prompt zu er¬
füllen, so kann man eines Erfolges sicher sein, und hat in der That der stets gün¬
stige Erfolg, welcher bei Ausführung obiger Methode in hiesiger Klinik die Cur
begleitete, diese Behauptung vollständig gerechtfertigt; denn bei sämmtlichen in
obiger Weise behandelten Patienten wurde der Bandwurm mit dem Kopfe entfernt.“
Es folgen nun 12 Krankengeschichten (llmal Tsenia mediocanellata, lmal Tsenia
solium) mit vollständiger Abtreibung des Wurmes.
Ich will nun zur besseren Erläuterung eine der Krankengeschichten mit¬
theilen.
Patient H., Steinsetzer, 35 Jahre alt, litt seit 5 Jahren an einem Bandwurm,
den er reichlichem Genuss von geschabtem Rindfleisch zuschreibt. Die Symptome
bestanden in langsamem Verfall der Kräfte, starkem Heisshunger und Uebelsein
in der Nüchternheit. Die Aufnahme erfolgte am 11. Februar Mittags 12 Uhr.
Zur Reinigung des Darmcanals erhielt Patient 12 Uhr Mittags 2 Esslöffel Ol.
Ricini in Branntwein; 2 Uhr Nachmittags eine Darmausspülung von 1 Liter lau¬
warmen Wassers, 4 Uhr 1 Esslöffel Ol. Ricini, 6 und 8 Uhr eine Darmausspülung.
Eine halbe Stunde nach jeder Ausspülung erfolgte eine reichliche Darmentleerung,
in welcher zahlreiche Proglottidcn enthalten waren.
Die Diät bestand Mittags */i Liter gesalzener Bouillon, Nachmittags in einem
gesalzenen Häring, einer sauren Gurke, Abends in Blaubeerensuppe. In der folgenden
Nacht erfolgten zwei Stuhlgänge mit vielen Proglottiden, Morgens um 7 Uhr trank
Patient schwarzen Kaffee und nahm um 9, 10 und 11 Uhr je 10 Pillen von Granat -
wurzelextract. Um 12 Uhr 1 Esslöffel Ol. Ricini, um 1 und 2 Uhr wurden l‘/i Liter
lauwarmen Wassers in den Darm eingegossen. Eine Viertelstunde nach der letzten
Ausspülung verspürte Patient heftigen Stuhlandrang. Die eingeführte Flüssigkeit er¬
goss sich aus dem After und gleichzeitig mit ihr etwa 6 Meter des Bandwurms,
jedoch befand sich das Kopfende noch im Rectum. Um nun das Abreissen des
Wurmes zu verhüten, musste Patient auf dem Stechbecken verbleiben, und wurde
demselben hierauf in der linken Seitenlage vorsichtig und mit Zurückdrängung
der Afterwandung die Canüle des Ausspülungsapparates am Bandwurm vorbei
etwa 3 Zoll tief in den After eingeführt und sodann 2 Liter lauwarmen mit Zucker
versetzten Wassers in das Rectum eingegossen. Kurz darauf entleerten sich */>
der eingeführten Flüssigkeit und mit ihr wiederum etwa '/, Meter der Trema. Die¬
selbe hing nunmehr nur noch in der Dicke eines Bindfadens aus dem After und
bewegte sich sehr lebhaft. Mit besonderer Vorsicht wurde abermals 1 Liter Wassers
auf obige Weise eingeführt, und mit dem rückströmenden Wasser entleerte sich
der vollständige, lebende Bandwurm, eine Tsenia mediocanellata. Das Vorhanden¬
sein des Kopfes wurde macroscopisch und microscopisch festgestellt. In lauwar¬
mem, mit Zucker und Eiweiss versetztem Wasser wurde der Bandwurm noch eine
Stunde lebend erhalten.
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Ich habe diese Krankengeschichte ausgewählt, weil hier die Herausbeförderung
des Wurmes etwas umständlich war; in allen übrigen Fällen wurde er mit dem
Wasser in toto herausgespült.
Schliesslich wäre noch zu erwähnen, dass von sämmtlichen Patienten die Cur
verhältnissmässig ohne besondere Beschwerden vertragen wurde und besonders
lobten solche Patienten, welche bereits frühere und dazu noch erfolglose Curen
durchgemacht hatten, diese Art der Behandlung als viel weniger angreifend. Die
Pillenform, in welcher das Extract der Granatwurzelrinde gereicht wurde, erregte
niemals Uebelkeit oder gar Erbrechen. Herr Apotheker Kunslmann in Greifswalde
liefert die oben angeführte Dosis von 30 Pillen verpackt zum Preise von 4 Mark
50 Pf. = 5 Franken 60 Cent
Sanitätsräthliche Rückblicke in die vergangene Zeit des Cantons
St. Gallen.
Vorgetragen beim cantonal. ärztl. Verein zu Weesen, Oct. 1876, von Dr. Sonderegger.
(Schluss.)
Im Jahresberichte 1811 ist ein düsteres Gemälde entrollt über die Hülflosigkeit
und Rathlosigkeit so vieler armer Kranken, und die Hoffnung lebendig ausgespro¬
chen, dass der dringend nothwendige Cantonsspital bald erstellt werden möchte.
Niemand ahnte damals, dass nach ’/ a Jahrhundert noch gar nichts ausgeführt, ja
sogar die Wünschbarkeit einer solchen Anstalt wieder aufs Neue discutirt würde!
Auf die Nachricht, dass an einzelnen Mittelmeerstationen die Pest eingeschleppt
worden sei, traf die Regierung Vorkehrungen für Contumazanstalten, welche dann
glücklicher Weise nicht nöthig waren. Aus Bündten wurde eine Petechialtyphus-
Epidemie eingeschleppt, welche 113 Personen ergriff und 14 tödtete. Diese sowie
einzelne locale Pockenepidemien veranlassten sanitätsräthliche Inspectionen und
Vorkehrungen.
Absperrungen, Specialwärter, Verbot aller Besuche, Desinfection der Kleider
und Betten durch starke Chlorräucherungen wurden von Sanitätsrath Dr. Hilty ge¬
leitet und überwacht. In Weesen war Tinea unter den Schulkindern ausgebrochen,
überhaupt seien dort Grind, Krätze und Sero fein endemisch gewesen, weshalb der
Gemeinderath mit eingreifenden Vorschriften und Aufträgen angegangen wurde.
Der Hebammenunterricht wurde von mehreren einzelnen Aerzten in 5 Bezirken
ertheilt, auch kam das seither Unerhörte vor, dass einmal 2 Hebammen im Examen
durchgefallen.
Im Jahre 1812 beschäftigte man sich mit der Entfernung ungesunder Gewerbe
aus dem Innern der Ortschaften, so besonders der Fellhängen, Seifensiedereien,
Darmsaitenfabrikation und Färberei.
Flecktyphus in Norddeutschland und in Chiavenna und Pest auf Malta veran¬
lassten vorläufige Vorkehrungen, und im Impfwesen wurde beschlossen:
1. Erhebung einer Statistik aller Geimpften und Geblätterten im Canton,
2. Impfung durch Amtsärzte, unentgeltlich für Alle, welche es wünschen! —
So weit haben wir es heutzutage noch nicht gebracht.
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168
Ferner wird über Todesfälle durch Wasserscheu und über die unsinnige Menge
von Hunden geklagt, ganz wie heutzutage.
1812 wurde geklagt, dass Geimpfte dennoch an Pocken erkrankt seien, und
. bei sehr strengen Untersuchungen gefunden, dass
1. oft gar nicht oder erst bei schon ausbrechenden Pocken geimpft worden,
2. dass Schafpocken (Varicellen), selbst Krätze 1 mit Pocken verwechselt
wurden,
3. dass einfache Lügen Vorlagen.
1813 brachte schon wieder Contumazhäuser für Petechialtyphus, ebenso amt¬
liche Controle aller zureisenden Fremden und regelmässige Berichterstattungen der
Bezirksärzte.
1813 wurde ein Quacksalber, Schneider Gemperle , zu 3 Jahren Zuchthaus ver-
urtheilt und ein Appenzeller, welcher mit Aconitwurzeln purgirte, mit Gefängniss
und Geld gebüsst.
Der Jahresbericht von 1817 gibt eine ergreifende Schilderung des Hungertodes.
Der Berichterstatter sagt:
„Zuerst zeigt sich gründliches Schwinden der Muskeln, Schwäche der Glied¬
massen, besonders der Kniee, Schwindel, Heiserkeit, alterndes, greisenartiges Aus¬
sehen, scharfer, süsslicher Geruch des Athems, Geschwulst der Füsse, Ausbleiben
der Menses; dabei aber immer helle glänzende Augen. Dann kommt regelmässig
der Heisshunger, welcher den Kranken bis an sein Ende peinigt
Mit dem Fortgang der Krankheit treten abwechselnd schneidende Schmerzen
in Magen und Unterleib auf. Dieser wird bei Erwachsenen dünn und eingeschnürt,
bei Kindern aber gross und tympanitisch. Der Stuhlgang ist selten, trocken, aas¬
haft riechend, Urin spärlich und farblos; kein Schweiss.
Wenn nun keine Nahrungsmittel gereicht werden, so nehmen die Kräfte ab,
der Puls wird klein, schwach, 50 per Minute, die Gliedmassen erkalten und werden
steif. Bei Einigen stellt sich vor dem Tode Kinnbackenkrampf ein, bei Anderen
heftige Convulsionen, auch Erbrechen des etwa Genossenen, oft auch spärliches
Blutbrechen. Die Lebensthätigkeit hört in den äusseren Theilen auf, die Sinne
schwinden, nur der Geschmack hält sich am längsten. Nahe am Tode noch seuf¬
zen die Unglücklichen nach Brod; schon sprachlos, belecken sie die Lippen, wie
ein Säugling, der die Mutterbrust sucht Die Kranken behalten ihr Bewusstsein
oder seufzen in einem schwachen Delirium und der Tod schreitet von der Peri¬
pherie zum Mittelpuncte. Die Agonie dauert ungewöhnlich lange und selbst wenn
der Puls schon ausbleibt und . der Athem stockt, erholt sich der Sterbende für
kurze Zeit wieder und täuscht die das Ende erwartenden Umstehenden.
Wenn auch der Mangel oder die schlechten unnatürlichen Nahrungsmittel nicht
immer diesen Ausgang herbeiführten, so veranlassten sie doch oft Bauch- und
Haut Wassersucht und böse Geschwüre.
Diese Uebel gingen dann später in den Tod über, besonders als mit Anfang
des Frühlings (1817) beim Genuss von Gras und Kräutern noch gefährliche Diar-
rhoeen entstanden.
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169
Solche, welche im äussersten Mangel Zuflucht zu gebrannten Wassern nahmen,
starben schnell darauf.
Im Allgemeinen ertrugen die Männer den Hunger länger als die Weiber und
Erwachsene länger als Kinder.“
Zoltikofer schätzt in seinem an Zahlenangaben und persönlichen Beobachtungen
reichhaltigen Berichte „Das Hungerjahr 1817“*) für den Canton St. Gallen mit
135,000 Einwohnern, und für Appenzell mit 48,000 Einwohnern, zusammen über
5000 Fälle von Hungertod und es kam sehr oft vor, dass die Ausgemergelten an
Strassen und Hecken liegen blieben und starben. Appenzell Inner-Rhoden verlor
fast 7 m seiner Bevölkerung und manche Gemeinde noch mehr durch den Hunger¬
tod. Der Canton St. Gallen machte einen Bevölkerungsrückschlag von 4162 See¬
len, welcher ausser den Verhungerten auch eine grosse Zahl Schwindsüchtiger und
Typhöser enthält.
Wir kehren von diesem ernsten Zeitbilde zur Sanitätspolizei zurück.
Bei den Ueberschwemmungen des Rhein’s und des Bodensee’s beantragte der
Sanitätsrath Polizei Verfügungen gegen zu frühes Beziehen feuchter Wohnungen,
gegen Vernachlässigung ausgetretener Kloaken und stagnirende Wasser, und die
Regierung setzte Alles in Vollzug, so dass keine bemerkenswerthen Gesundheits¬
schädigungen entstanden.
Wie armselig erscheint dagegen die sanitätspolizeiliche Thätigkeit bei den
Rheinüberschwemmungen von 18681 Wie viel lässiger war man 50 Jahre später!
1818 brachte eine schwere Typhus-Epidemie, welche im Werdenbergischen
durch Zusammenpferchung und Unreinlichkeit, im Reinthal auch noch durch augen¬
fällige Ansteckung verbreitet wurde. Die Katholiken erkrankten häufiger, weil das
gemeinsame Gebet bei der Leiche nicht abgestellt werden konnte.
Die Pocken traten sehr bösartig auf, in St. Gallen, Rorschach, Rheinthal und
Rapperschwyl, am verheerendsten in Sargans und Untertoggenburg. Die „grauen¬
erregenden Pockenfälle“ trieben die sorglos gewordene Bevölkerung wieder mas¬
senhaft zur Impfung, in welcher sich besonders die Pbysicatsärzte Stoll und Mullis
hervortbaten, es wurden 1010 Kinder, fast 7a aller am Leben gebliebenen Neuge-
boraen, vaccinirt und die Opposition verstummte bis auf gelegenere Zeiten. Aus
dem Jahre 1820 werden zahlreiche Fälle gemeldet, wo Geimpfte mitten unter Blat-
ternkranken frei geblieben.
Auffallend ist, dass eine Hebamme wegen Verbrühung eines gebadeten Kindes
eingeklagt und gestraft wurde.
Dagegen wurde zu jener Zeit auch beschlossen, dass bei jedem Geburtsfalle
eine Hebamme zugezogen oder wenigstens bezahlt werden müsse, damit sie nicht
von den ärztlichen Geburtshelfern verdrängt und nur auf Armenpraxis beschränkt
werde (Nov. 1819).
Auf Einladung des Abtes von Pfäfers untersuchten die Sanitätsräthe Zoltikofer
und Meyer , Apotheker, die Quellen und Badeeinrichtungen von Pfäfers und sie
rühmten die humane Vorsorge, welche der menschenfreundliche Priester den Kran¬
ken, besonders den Armen zugewendet hatte.
*) Zollikofcr, Das Hangeijahr 1817. St Gallen 1818, 2 Bde. (pag. 51 and 801).
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170
Bezeichnend für den damaligen Stand des Veterinärwesens ist das Anerbieten
des Thierarztes Hobt in Flums, innert 2 ’/j Jahren einen vollständigen Curs der
Thierarzneikunde zu geben.
Die Regierung und der katholische Administrationsrath setzten einem der Zög¬
linge ein Stipendium aus. Bald aber starb der unternehmende Lehrer und die
Veterinär-Academie Flums kam nicht zu Stande.
18 21 gab der Stadtarzt Nwf in St. Gallen einen Krankenwärtercurs, an wel¬
chem sich Viele betheiligten.
In der Gemeinde Tablat hob der Sanitätsrath Leimsiedereien und Maccrations -
teiche als gesundheitsgefährlich auf.
In Sargans wurde Inspection eines schlechten Schullocales gemacht und Ver¬
legung desselben durchgesetzt.
Zu Bronschhofen assen 18 2 2 15 Personen Oelkuchen, welche Stechapfel¬
samen enthielten, der damals zur Essölbereitung empfohlen war. Es erfolg¬
ten schwere Erkrankungen ohne Todesfälle. Die Sanitätsbehörde erliess ernstliche
Warnungen. Gegenwärtig isst wohl der Aermste keine Oelkuchen mehr.
Die Jahre 1822 und 1823 brachten viele tolle Hunde und Todesfälle bei Men¬
schen in Folge der Wasserscheu. Man war jeweilen im Einsperren aller Hunde
und in Beseitigung verdächtiger sehr energisch und dämpfte dann das Unglück
wieder für einige Zeit. Gebissene Kinder wurden auf Staatskosten ärztlich über¬
wacht und behandelt.
Bei Pocken, welche 1823 im Vorarlberg ausgebrochen und ins Rheinthal über¬
tragen worden, wurde nicht blos Absperrung der Menschen, sondern auch der aus
Pockenhäusern kommenden Waaren und Desinfection derselben durchgeführt.
Das Ergebniss dieser Betrachtungen scheint zu sein, dass trotz der geringeren
wissenschaftlichen und technischen Hülfsmittel unsere Väter bessere Gesundheits¬
polizei gehandhabt haben als wir, die wir uns durch Dilettanten und entschlossene
Schwätzer allzu sehr imponiren lassen.
Die mittlere Kindersterblichkeit der Jahre 1806—1823 betrug, trotz Pocken,
Masern und Scharlach, nur 21,4%-. während sie 1870—1875 auf 30/„ ansteigt. Da
die Ziffer der Todtgebornen jeweilen nicht mitberechnet ist, haben obige Angaben
Anspruch auf Wahrheit, und diese heisst, von Zahlen in Worte übersetzt^ dass
unsere socialen Verhältnisse sich seit jener Zeit überhaupt
verschlechtert haben und dass insbesondere die jetzige Generation ihren
Kindern weniger Pflege und Sorgfalt angedeihen lassen kann oder will, als es
unsere Väter gethan.
Die Regierungskunst unserer Zeit läuft allzu oft darauf hinaus, feige Alles zu
gewähren, was Jeglichem einfällt, und man lässt ruhig die gepriesene Freiheit zur
Tyrannei der Schwindler herabsinken.
Wir müssen uns ganz ernsthaft anstrengen, in den Fragen der öffentlichen
Gesundheitspflege unserer Väter nicht unwürdig zu sein. Unsere Arbeit muss
allerdings anders sein als die ihrige, aber sie darf doch nicht geringer sein, wenn
wir nicht trotz alles Selbstlobes sociale Rückschritte machen wollen.
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171
Zur 8t. Gallischen Bevölkerungs statistik von 1805—1823.
Jahr.
Todt-
gebor.
Gestor¬
ben.
Kinder
unter J1.
*/•
circa.
Pocken.
Vaccin.
Schar¬
lach.
Masern
und
Keuchh
Tuberc.
pulm.
Typhus.
Febr.
puer-
per.
1805
4851
334
4152
—
_
_
_
—
—
—
_
—
1806
4748
205
5255
2222 J ,
42
1383
—
—
178
453 >)
—
—
1807
4787
393
4283
863
20
465 8 )
652
—
295
602
—
—
1808
5003
470
3834
1558
40
16
853
24
397
521
145
98
1809
5092
435
3514
1196
34
4
849
25
254
403
108
62
1810
4870
477
4342
1829
42
33
1258
75
266
524
108
73
1811
1 5023
262
4645
1160
24
16
893
87
468
600
258
64
1812
i 5068
247
3858
722
18
1
2213
100
234
614
208
71
1813
1 4785
215
4254
1050
24
222
?
56
372
611
210
47
1814
4798
227
4438
918
21
91
332
148
315
701
294
75
1815
, 5087»)
176
3907
794
20
5
515
166
201
639
180
59
1816
1 5125
154
4543
1070
24
7
1054
183
317
786
195
75
1817
3905
84
8067
1040
13
16
879
28
260
2024
668
83
1818
! 3036
109
5762
569»)
10
90
1010
48
179
1045
1820
41
1819
5000
179
3904
712
18
177
1404
126
296
737
173
54
1820
i 5096
214
3612
777
21
61
560
60
216
744
122
56
1821
i 4976
167
3591
869
24
4
1351
59
247
725
112
47
1822
5139
203
3478
851
22
2
1044
28
213
696
97
58
1823
! 5273
221
3688
855
23
4
1106
51
240
704
109
55
Die mittlere Kindersterblichkeit war trotz Poe
ten 24,4%»
während sie
1873
30% betrug.
') Ueber 100 Tub. pulm. allein im Rheinthal.
*) Dennoch weniger als jetzt in vielen Gemeinden mit BreifQtternng (Ö2°/o'.
*) Uznach allein hatte 231 Pocken-f-Kinder.
4 ) Bevölkernng8ziffer des Cantons St Gallen 134,794.
6 ) Wenige Gebarten nach den Hangeijahren, aber gesunde Kinder im voUen Jahre 1
"V ereinsl>eriolite.
Gesellschaft der Aerzte in Zürich.
3. Sitzung*), den 9. December 1876.
Vortrag von Prof. Hitzig über den gegenwärtigen Stand der
Frage von der Localisation im Grosshirn. (S S. 153 in dieser Nummer.)
4. Sitzung, den 30. December 1876.
Vortrag von Dr. Hans v. Wyss über die feineren Vorgänge bei
der Wundheilung der Hornhaut.
Die Cornea wird schon Unge benützt zu Untersuchungen über Wundheilung.
*) Berichtigung zum letzten Sitzungsberichte: pag. 48 Zeile 4 oben soll es heissen: «auch
von anderer Seite meistentheils nur solche“, und pag. 49 Zeile 3 oben: „welche einmal erwärmt in
einem Gemisch von Luft und brennbaren Dämpfen fortglühen.“ Auch ist zu bemerken, dass Aeusse-
rangen des Herrn Prof. Hermann über die Preyer 'sehe Schlaftheorie im Sitzungsbericht nicht genau
wiedergegeben worden sind.
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172
Schon früh hat Donders gesehen, dass nach Substanzverlusten der Hornhaut das
Gewebe sich schichtweise regenerirte und dass lebhafte Proliferation des Epithels
eintrat nach Hornhautverletzungen. BiUrolh sah am ersten Tage nach einer Ver¬
letzung Zellen in der Wundspalte, welche er früher als gewucherte Hornhautkör¬
perchen, jetzt als weisse Blutkörperchen deutet. Thtersch hat an gefässhaltigen
Theilen die Wundheilung studirt und gefunden, nicht die Abscheidung einer die
Wundlippen verbindenden Zwischensubstanz sei das Wichtige, sondern gerade das
Fehlen einer solchen, indem die Wundränder einfach quellen und sich unmittelbar
aneinander legen. Gussenbauer lehrt von den Hornhautverletzungen, dass erst eine
feine, streifige, homogene Substanz zwischen den Wundrändern sichtbar werde,
nachher Zellen und endlich eine Narbe. Güterbock fand, am ersten Tage schon sei
die Spalte der Wunde mit Epithel ausgefüllt und dieses Epithel stamme daher, dass
das scharfe Instrument die Epithelzellen mitreisse und in die Wunde eintreibe, wo
sie festgehalten werden.
Die Untersuchungen von Wyss haben nun folgende Verhältnisse ergeben:
Unmittelbar nach einem linearen Hornhautschnitte ist nur eine Spalte zu sehen,
nichts von Einstülpung des Epithels. Ging der Schnitt blos in die Hälfte der
Cornea, so ist nach 2 Tagen an Stelle der Spalte ein Kolben von Epithelzellen,
unten verdickt, flaschenförmig, es ist die tiefe Schicht des Hornhautepithels, welche
in 48 Stunden die Wundspalte so ausgefüllt hat Nach weiteren 48 Stunden ist
der Befund gleich, nur ist dazu noch eine Verdickung und Vergrösserung der be¬
nachbarten Hornhautzellen hinzu getreten. Nach 8 Tagen ist der Befund noch
gleich. Penetrirt die Schnittwunde, so fliesst das Kammerwasser ab und die
Wunde klafft mehr. Nach 48 Stunden ist das Epithel bis in 2 /i—*/* der Dicke der
Corneawunde eingedrungen. Im hintersten Theil aber ist eine trichterförmige
Spalte, deren grösste Breite hinten liegt; die membrana Descemetii ist wie gerollt,
ein Fibrinpfropfen verbindet die beiden Ränder; das Epithel der Descemetischen
Haut ist aber am ganzen Processe nicht im geringsten betheiligt. Der Fibrin-
pfropfen wird mit der Zeit resorbirt, der Epithelzapfen resistenter, hie und da ist
nur noch eine weisse Linie da, wo die Hornhautränder sich aneinander legten.
Der Fibrinpfropf entsteht, indem die fibrinogene Substanz des restituirten Kammer¬
wassers durch die fibrinoplastische Substanz der biosliegenden Hornhautwunde zum
Gerinnen gebracht? wird.
Wenn das Epithel vor Anlegung des Schnittes entfernt worden, so sieht man
nach 24—48 Stunden eine lebhafte Regeneration des Epithels an dessen Rändern.
Am Schnitt aber ist keine Vereinigung. Wenn die Cornea von hinten durchtrennt
wurde ohne Verletzung des Epithels an der Vorderfläche dieser Stelle, so entsteht
auch keine Vereinigung oder blos eine Verbindung durch einen homogenen Saum
ohne Zellenthätigkeit. Wird das vordere Epithel beijn Schnitt von hinten her auch
durchtrennt, so wuchert es durch die ganze Wundspalte.
Das Hornhautgewebe bleibt, wenn es nicht gereizt, die Lider durch Naht
verschlossen werden, in den ersten Tagen vollkommen passiv; keine Zellenwucherung,
keine Eiterung, keine Vermehrung der Hornhautkörper ist nachzuweisen. Blos
wenn der Schnitt zu gross gewesen, die Lider nicht vernäht waren, Secrete und
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173
Staub reizen, dann wird die Umgebung des Schnittes von Eiterzellen durchsetzt,
die vom Hornhautsaum her einwandern. Also blos Reizung bringt Eiterzellen. Die
Hornhautkörper sind die ersten acht Tage passiv. Bei einem grossen Schnitte
werden sie in dessen Nähe jedoch atrophisch , unsichtbar, indem sie schliesslich
zu Grunde gehen. Erst später sind die ferneren Hornhautkörper vergrössert zu
sehen; Fortsätze verlaufen parallel der Wundspalte; in derselben sind statt schöner
Epithelzellen blosse Kerne und ein feines Fasernetz zu erkennen. Ob dieses nun
von den Ausläufern der Hornhautzellen hereingewuchert ist, ist noch nicht sicher.
Jedenfalls haben aber die Fasern die Epithelien erdrückt, so dass blos noch Kerne
vorhanden sind. Nach 4 Wochen ist so eine gewöhnliche Narbe entstanden, die
nach etwa 1—2 Monaten in ein etwas strafferes Bindegewebe sich umwandelt
An der Peripherie der Hornhaut ist das Epithel weniger thätig für den Wund¬
schluss.
Diese Untersuchungen gestatten folgende Hauptschlussfolgerungen:
1. Die Erscheinungen bei Wundheilung an der Hornhaut lassen nicht sogleich
schliessen auf die Wundheilungsvorgänge an anderen Stellen; die bedeutende
Thätigkeit des Epithels ist der Hornhaut eigentümlich und findet sich z. B. nicht
so schön bei Zungenverletzungen.
2. Die Entzündung als solche hat keinen Theil an der Heilung einfacher Wun¬
den. Die Regeneration ist qualitativ etwas Anderes als die Entzündung. Wie
diese microscopischen Untersuchungen beweist dies auch der antiseptische Ver¬
band, unter dem die Wundheilung auch erfolgen kann ohne alle Röthung, Eite¬
rung, Blutung und Gewebezerstörung. Wenn eine prima intentio neben Entzün¬
dungserscheinungen zu Stande kommt, ist diese Heilung nicht wegen, sondern
eben trotz der Entzündung doch noch gerathen.
Herr Prof. Rose wies zunächst einen geheilten Fall von Ver¬
wundung der Vasa femoralia profunda vor.
Rudolph Linsi, 27 Jahre alt, Metzger in Fischenthal, beschäftigte sich am Mor¬
gen des letzten Septembers 1876 damit, von einer „Laffe“, welche vor ihm auf
dem Fleischstock lag, das Fleisch abzupräpariren. Das ziemlich grosse Metzger -
messer war einseitig haarscharf geschärft und trug statt seiner Spitze eine zweite
schräge Schneide von etwa 4 cm. Länge. Mit dieser wurde das Fleisch abge¬
stemmt , während das Heft mit voller Faust geführt wurde. Plötzlich glitt das
Messer ab und traf den rechten Oberschenkel, so dass sofort durch beide Hosen¬
beine das Blut strömte. Um Hülfe rufend ging er 20 Schritt zum nächsten Brun¬
nen, an dem angelangt er ohnmächtig hintenüber hinschlug. Beim Erwachen (nach
'/j Stunde) aus der Ohnmacht quoll noch immer das Blut aus der Wunde und
wurde schliesslich durch Aufdrücken der Finger zurückgehalten. Die Verletzung
geschah etwa um 9 Uhr und hatte mehrmaliges Erbrechen zur Folge. Um 11 Uhr
versuchte man den Verwundeten mittelst Krankenwagen aus dem Bergthal in das
Spital zu transportiren, musste jedoch wegen neuer Blutung davon abstehen. Te¬
legraphisch berufen langte Herr Prof. Rose mit Assistenz am Abend dort an. Pa¬
tient lag noch auf der Bahre ohne Verband, schläfrig, theilnahmslos, mit einem
Puls von 120.
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Ara rechten Oberschenkel, 4 Finger breit unterm Ligamentum Poupartii, ge¬
rade auf dem Musculus Sartorius fand sich eine 3 cm. lange, ‘/» cm. klaffende,
mit einem Blut-Coagulum verstopfte Längswunde. Da ein Tourniquet, ganz oben
angelegt, gerade die Wunde deckte, musste von ihm abgesehen werden, und statt
dessen der Assistent die Compression der Arteria femoralis am Becken überneh¬
men. In der Chloroformnarcose wurde die Wunde, nachdem das Coagulum durch
den linken Zeigefinger ersetzt, von Prof. Rote zunächst auf 3 Zoll erweitert Der
Stich ging mitten durch den Sartorius, welcher bei dem sehr musculösen Menschen
4 Finger breit war. Nachdem derselbe umgangen, kam man in dem überall
schwarz blutig infiltrirten Gewebe in eine Masse von Blutklumpen, bei deren Ent¬
fernung der Operateur vergeblich nach einem Loch in der Femoralis tastete. Es
schien, als ob das hervorströmende Blut von ihrer Rückseite käme. Es wurde
am oberen Ende der Wunde die Arteria femoralis superficialis blosgelegt und ein
Unterbindungsfaden darunter entlang geführt. Wenn man ihn anspannte, hörte
zwar der Puls darunter in der Art. femoralis superf. auf, nicht aber die Blutung,
welche aus der Tiefe der Wunde sichtlich arteriell und venös hervorkam. Der
Faden wurde deshalb wieder entfernt, und da keine Aussicht war, ohne Assistenz
mit der Blutung fertig zu werdep, ein Schwamm in die Höhle gepresst. Der chlo-
roformirende Assistent meldete, dass der Puls schlecht wurde. In der Meinung,
dass die Compression am Schambein doch etwas nützen könne, wurde der Schnitt
bis zum comprimirenden Finger des zweiten Assistenten hinauf geführt, und um
ihn disponibel zu machen, die Art. fern, communis ohne die Vene bloszulegcn un¬
mittelbar unter dem Powpar/’schen Bande unterbunden, woboi sogar einige Fasern
von der Aponeurose des musc. obliquus externus eingeschnitten wurden. Der Puls
unter der Unterbindungsstelle hörte auf, leider aber war beim Lüften des Schwam¬
mes gar kein Einfluss auf die Blutung zu bemerken. Nachdem darauf die Haut-
wuude nach unten mit vorsichtiger Vermeidung der Vena saphena verlängert,
wurde dicht am Adductorenring die innen und vorn eingeschnittene Art. profunda
femoris doppelt unterbunden. Nichtsdestoweniger blutete es so bedrohlich schwarz
weiter, dass unter Schwammtamponade '/* Stunde lang abgewartet werden musste,
bis der Puls wieder fühlbarer wurde. Nachdem jetzt ein kräftiger Mann mit bei¬
den Händen in der Wunde die Muskeln Quadriceps und Sartorius nach aussen ge¬
zogen, ein anderer die Adductoren mit den Vasa femoralia superficialis an der
innern Wundfläche nach innen, gelang es endlich nach vieler Mühe, die Quelle
der Blutung in einer Wunde der Vena femoralis profunda zu entdecken, welche
längs durch und durch getroffen etwa 4 cm. lang klaffte. Indem so blos die Sei¬
tenwände die Verbindung beider Enden des Gefässes aufrecht erhielten, wurde es
einerseits am Zusammenfallen gehindert, andrerseits in dem schwarzen Blutstrom
und der schwarz infiltrirten Wundfläche so leicht übersehen. Nachdem die Vene
in der über 10 cm. tiefen Wunde doppelt unterbunden, hörte zwar die Gefahr der
Blutung sofort auf, allein es rieselte immer noch schwarz aus der Wunde, mehr
als bei der Pulsschwäche zu dulden war.
Es ergab sich, dass sowohl oben als auch unten auf der Rückseite des abge¬
bundenen Venenstückes oben von aussen, unten von innen je eine ziemlich be-
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trächtliche Vene einmündete, welche beide die Blutung unterhielten, bis auch sie
extra unterbunden waren. Diese beiden Venen waren etwa gänsekieldick, während
die Vena prof. femoris an der Unterbindungsstelle die Dicke eines kleinen Fingers
hatte. Die Compression der Vasa poplitea durch die Hand eines kräftigen Laien
hat bei dieser Venenblutung keinen sichtlichen Nutzen geschaffen.
Vorsichthalber wurde die Wunde tamponirt und das Bein eingewickelt; der
Kranke nach einer nicht ganz schlaflosen Nacht in unser Cantonsspital mittelst
Fuhrwerk geschafft, wo er am Abend um 5 Uhr anlangte.
Nur in der ersten Nacht hatte der Palient Reissen und Eingeschlafensein am
Bein.
Am 3. October wurde der Verband entfernt und von da ab die Wunde in
einer Schiene offen behandelt, indem nur zur Vermeidung oberflächlicher Verkle¬
bung ein Oelläppchen in die grosse Tiefe der Wunde geschoben wurde. Die
Extremität war warm und zeigte, wenn sie auch pulslos war, keine nervöse Stö¬
rung. Links dagegen liess sich schon wieder deutlich der Puls der Art. Tibialis
postica fühlen. Puls war immer noch 110. In der folgenden Nacht bricht bereits
das Delirium tremens aus, der Kranke glaubt sich bei der Arbeit, er müsse heim,
setzt sich mit der Schiene auf den Bettrand etc. Zunge und Finger zittern stark.
Wegen Schlaflosigkeit bekommt der Kranke täglich 2 Gran Morphium, 5 Schoppen
Wein, vom 6. October an durch Kirschwasser verstärkt, daneben kräftige Nahrung
(Eierbouillon, Milch, gehacktes Fleisch). Noch am 9. versucht Pat. aufzustehen.
Es gehen 2 Ligaturen ab.
Am 16. Morgens ist Patient zuerst fieberfrei, Puls 98. Abermals gehen 4 Li¬
gaturen ab. Patient delirirt weiter und ist fortwährend mit Metzgerei beschäftigt.
Auch am Abend steigt die Temperatur nur auf 38. Ueber 39 ist sie bei dem
Kranken überhaupt nie gestiegen. Von jetzt an blieb der Kranke fieberlos, nur
am 11. und 13. erhob sich Abends die Temperatur ein wenig über 38.
Am 11. gehen wiederum 2 Ligaturen ab. Heute Nacht hat Patient zum ersten
Mal ordentlich geschlafen und ist so schlummersüchtig, dass er sogar während des
Abspritzens einschläft.
Am 12. gehen 2 Ligaturen, am 13. eine, am 14. 3 Ligaturen ab, so dass nur
noch die der Femoralis communis haftet. Die Wunde ist 19 cm. lang und 9 breit,
während der Kranke behauptet, dass sie nach der Operation 36 cm. lang gewesen
sei. Delirien und Träumen sind vorbei, jedoch bekommt der Kranke Vorsicht
halber Morgens und Abends noch '/, Grau Morphium. Die Wunde sah immer
sehr schön aus.
Am 16. beginnt an der Extremität eine grosse Neigung zum Durchliegen, ohne
dass bei erhöhter Vorsicht mit der Lagerung es zu einem Wundsein kam.
Vom 19. bekommt er nur noch Abends Morphium und 2 Schoppen Wein
pro die.
Am 20. wird die Schiene fortgelassen.
Am 30. ging die Ligatur der Femoralis ab. Die Granulationsfläche ist 16 cm.
lang und 6 breit. Das Allgemeinbefinden wird von jetzt ab durch Chinadecocte
unterstützt.
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Am 10. November gingen eine Reihe Bandwurmglieder ab. Die Länge der
Wunde betrug 10, die Breite 4 cm.
Am 20. December ist die Wunde bohnengross und oberflächlich. Es zeigt sich
jetzt, dass der Musculus Extensor hallucis longus, und zwar auch gegen den In-
ductionsstrom gelähmt, ohne dass auch jetzt eine sonstige nervöse Storung nach¬
gewiesen werden kann.
Jetzt ist die Narbe 14 cm. lang und 4 cm. breit. Das Bein ein wenig abge¬
magert, nach längerem Herumgehen etwas blau. Sie können deutlich fühlen, wie
die Art. Poplitcea in der Kniekehle beiderseits fast gleichmässig pulsirt.
Die Schamhaare sind durch die Faltung der Haut rechts gegen die Narbe
hinabgezogen. Die isolirte Muskellähmung ist der einzige Nachtheil, den der
Kranke von der so schweren Verletzung davon getragen hat. Ein Erfolg, über
den ich mich um so mehr freue, wenn ich mich der grossen Schwierigkeiten er¬
innere, welche diese Operation in der 7 Fuss hohen Dorfstube bei Kerzenlicht und
unter fortwährendem Drängen und Stossen des rauchenden und hin und her wo¬
genden Dorfpublicums mit sich führte.
Dies ist die Geschichte dieses Kranken, welche mir in verschiedener Beziehung
Beachtung zu verdienen scheint I
Von Neuem lehrt uns dieser Fall, welch’ ungeheure Gefahren die Blutungen
aus den grossen Oberschenkelvenen unter Umständen mit sich bringen. Habe ich
doch erst neulich, *) als ich Ihre Aufmerksamkeit auf diese Gefahren lenkte, aus
den Acten 3 Fälle Ihnen mittheilen können, bei denen sich hier Leute aus Stich¬
wunden am Oberschenkel verblutet haben, ehe noch ein Arzt ihnen zu Hülfe
kommen konnte, und doch war in allen 3 Fällen die Hauptarterie am Oberschenkel
unverletzt. Ich habe Ihnen damals meine Erfahrungen mitgetheilt, wonach bei den
Venenstichen am Poupart 'sehen Bande die Unterbindung des entsprechenden Arte¬
rienstammes sich ganz nutzlos erweist und die einzige Rettung in der doppelten
Unterbindung der verletzten Vene bestand.
Hier handelte es sich vor Allem um eine durch ihre besondere Art ausserge-
wöhnlich gefährliche Verwundung der Vena profunda femoris in der untern Hälfte
des Oberschenkels. Die Gefahr war gross wegen der unbequemen äusseren Ver¬
hältnisse, des grossen Blutverlustes vor der Operation und der ungemeinen Dicke
der Muskulatur des Mannes, die bei ihrer Tiefe so entfernt vom ursprünglichen
Hautstich Orientirung und Hülfe so sehr erschwerte! In der Hoffnung, doch
einige Erleichterung davon zu haben, wurde die Art fern, communis unterbunden.
Die Unterbindung scheint nicht gerade geschadet zu haben, obgleich es bei der
doppelten Unterbindung der Vasa femoralia profunda sehr zu befürchten war;
allein einen Nutzen hat sie nicht im Entferntesten gewährt. Die Venenwunde
allein unterhielt in Folge ihrer Lage und Ausdehnung die ganze Gefahr. Auch
hier musste eine doppelte Unterbindung eintreten und Nebenäste berücksichtigt
*) Vergleiche im Correspondenzblatt (Jahrgang 1876 Seite 18) den Bericht Ober den cantonalen
Verein Zürcher Aerate am 9. November 1874, sowie Voilemann 'a 8ammlung klinischer Vortr&ge Nr. 92:
„lieber Stichwunden der Oberschenkelgefäsae und ihre sicherste Behandlung.“
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werden, gerade wie wir bei den Arterien und Venenstichen unter dem PouparCsehen
Bande es Ihnen schon früher an’s Herz gelegt haben.
Wer sich also denken mochte, dass meine Empfehlung der doppelten Unter¬
bindung aller Gefässstiche am Ort zwar wohl unter dem PouparC sehen Bande sich
ausführen lasse und auch angebracht sein möge, am Adductorenring aber doch an
den Schwierigkeiten scheitern würde, dem zeigt dieser Fall, dass auch für diese
schwierige Gegend dieselben Grundsätze gelten. Auch hier erwies sich die Unter¬
bindung des zuführenden Arterienstammes als nutzlos und nur die doppelte locale
Unterbindung als lebensrettend.
Bei der nachfolgenden Rundfrage über den herrschenden Krankheitszustand
kam die Sprache auf die augenblickliche Epidemie von Mumps, bei welcher Ge¬
legenheit Prof. Rose folgenden Fall von besonders bösartigem Mumps
mittheilte, welchen er als consultirter Arzt beobachtet hat.
Der Fall betraf einen jungen Maler von 20 Jahren, der seinem Vater im Ge¬
schäft zu helfen pflegte. Er wohnte bei seinen Eltern, die ein eigenes ziemlich
isolirtes Haus oberhalb Oberstrass, hoch am Zürcher Berg allein bewohnten. Der
Kranke war bis zum 27. November stets gesund gewesen und nur beim Anstreichen
eines Hauses dem ganzen Wechsel der Witterung ausgesetzt Als Prof. Rose am
2. December zugezogen wurde, fand er nach überstandener doppelseitiger Parotitis
als Rest auf der linken Backe einen 2 Finger grossen Abscess, der ohne Haut-
röthe tympanitisch klang und bei der Eröffnung in einer schwarzen Höhle fast nur
stinkende Gase enthielt. Die Temperatur war am Abend vorher zum ersten Mal
fieberhaft und zwar 39 gewesen. Nirgends war in dieser Höhle der Knochen ent-
blösst, während sie allerdings im Gewebe der Parotis lag. Die Kiefer konnten
so gut wie gar nicht geöffnet werden, so dass man über den innern Theil der Pa¬
rotis nicht sicher war. Bei Carbolsäureein- und -abspritzungen stiessen sich in
den nächsten Tagen aus der Tiefe der Schnittwunde viele Gewebsmassen ab, so
dass eine haselnussgrosse Stelle des Kieferasts von der Beinhaut entblösst wurde
und eine weitere Dilatation am 4. December nützlich erschien. Mit dem Gurgeln
wurden aus dem Rachen schleimig-eitrige, zuletzt blutig gefärbte Massen entleert!
Eine Perforation im Rachen mochte wohl der Grund sein, warum zuletzt oberhalb
des 1. Jochbeins Emphysem bis zum Scheitel sich entwickelte. Dabei war der
Kranke Vormittags stets fieberfrei und auch des Abends stieg die Temperatur bis
wenig über 38. Zu den Schluckbeschwerden gesellte sich die letzte Zeit Dyspnoe
mit Stechen auf der Brust ohne Laryngostenose. Der Kranke starb am Morgen
des 6. December. Die Section zeigte, während der Kiefer, abgesehen von der
kleinen Entblössung, ebenso wie die rechte Parotitis ganz frei war, dass eine
Jaucheinfiltration von der Wunde unter der unveränderten Haut zum Halse und
von da zum Herzbeutel hinabging. Die flache Schilddrüse, grösser als eine halbe
Hand und daumendick, war in eine schwarze stinkende Masse verwandelt. Auf
der Pleura fanden sich leichte Fibrinbeschläge. Als Todesursache musste man
wohl mehrere apfelgrosse Herde von beginnender Lungengangrän ansehen, deren
Genese sich durch den jauchigen Inhalt der Luftröhre und des Kehlkopfs wohl
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von der Rachenperforation durch Herabflicssen erklärte. Dieser bösartige Verlauf
ist um so auffallender, als im Spital schon monatelang kein tödtlichcr Fall von
Wundkrankheiten vorgekommen, und für diese Heftigkeit sich durchaus kein Grund
hat auffindeu lassen.
Vortrag von DocentDr. Rudolf Meyer über das Doppel¬
hörrohr.
(Siehe Seite 159 dieser Nummer.)
Cassier Prof. 0. Wyss berichtet, dass der Cassastand ein Plus von Fr. 165. 34
aufweist.
Dr. Dietrich in Itiesbach wird als Mitglied aufgenommen, Herr Maienfisch, Arzt
in Enge, angemeldet.
‘Referate und Kritiken.
Jahresbericht Uber die Fortschritte der Anatomie und Physiologie.
Herausgegeben von Prof. Dr. F. llofmann urd Prof Dr. G. Schwalbe. Literatur vou 1875.
Leipzig, Verlag von F. C. W. Vogel, 1876.
Zum vierten Male erscheinen jetzt diese Jahresberichte, welche die durch das Auf-
höreu der Heule 'sehen Jahresberichte entstandene fühlbare Lücke ausfüllen. Bei der an¬
erkannten Tüchtigkeit der Mitarbeiter und Herausgeber ist es nicht nöthig, der Anzeige
irgend eine Empfehlung beizufügen. Die Ausstattung entspricht den übrigen Publicationen
der rühmlichst bekannten Verlagshandlung. H.
Lehrbuch der pathologischen Anatomie.
Von Dr. F. V. Birch-Hirschfeld. Erste Hälfte. Leipzig, F. C. W. Vogel, 1876.
Das vorliegende Lehrbuch hilft einem wirklichen Bedürfnisse ab, indem es das ge-
sammtc Gebiet der pathologischen Anatomie, sowohl den allgemeinen wie den speciellen
Theil, in gedrängter Darstellung vorfübrt.
Der bis jetzt vorliegende erste Abschnitt enthält die Besprechung der allgemeinen
pathologischen Anutomie mit Einschluss der Parasiten und der Missbildungen, sowie die
Da'stellung der Veränderungen an den Knochen, Gelenken, Muskeln und an dem Gefäss-
systeme.
Es ist dem Verfasser fast überall gelungen, das Bild der Veränderungen und Vor¬
gänge in klaren und anschaulichen Zügen zu entwerfen und so dem Leser den gegen¬
wärtigen Stand der pathologischen Anatomie vorzuführen. Er hat bei der Darstellung im
Allgemeinen die richtige Mitte zwischen allzu grosser Ausführlichkeit und Lückenhaftig¬
keit eingehalten, so dass bei den meisten Capiteli vorzugsweise die wichtigeren That-
sachen berücksichtigt werden und die unwichtigeren nur eine kürzere Auseinandersetzung
erfahren, ohne dass die Kürze der Mittheilung zur Unverständlichkeit herabsinkt. An
verschiedenen Stellen wird der Leser mitten in die Discussion Uber die offenen und strei¬
tigen Fragen versetzt und ihm so Gelegenheit zur Besichtigung des Arbeitsfeldes gege¬
ben, auf dem sich gegenwärtig die Forscher bewegen. — Es mag streitig sein, ob ein
zu tiefes Eingehen in die Streitfragen den Studirenden gegenüber zweckmässig ist oder
nicht; allein an fast allen Stellen sind die Grenzen für diese Discussionen so scharf ge¬
zogen, dass der Anfänger nicht iu Unsicherheit geräth. An einzelnen Stellen, wie e. B.
bei der Besprechung des Knocheuwachsthums und der Knochenneubildung, hätte die Dar¬
stellung sogar an Deutlichkeit gewonnen, wenn die Ausführung etwas umfassender aus¬
gefallen wäre. Allein diese kleinen Mängel treten gegenüber den Vorzügen der Gesammt-
Darstellung so sehr in den Hintergrund, dass wir das Buch nicht nur den Studirenden
zur Einführung in das Gebiet der pathologischen Anatomie, sondern auch den practischen
Aeiztcn zur Orientirung über den gegenwärtigen Stand dieser Wissenschaft bestens em¬
pfehlen können. H.
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Kantonale Coi*respondeiizeu.
Band. Dr. Bernhard Socin f. In der Reihe der Jüngern Aerztc hat der Tod cino
schmerzliche Lücke gerissen. Dr. Bernhard Sonn ist unerwartet an acuter Milartubercu-
lose der Lungen erkrankt und nach sechswöcheutlichem Krankenlager gestorben. Uner¬
wartet — denn wenn auch der Verstorbene phthisischen Habitus hatte und hereditär
etwas belastet war, so hatte er nie in dieser Richtung gekräukelt, rühmte sich einer
hoben Lungencapacität und war in stetiger Gesundheit in die stabilere Altersperiode ge¬
langt, wo hereditäre Anlagen nicht mehr so leicht ohne besonderes Motiv urplötzlich und
so verderblich' sich zu äussern pflegen. Noch im Decomber, als die mediciuische Gesell¬
schaft ihn zum Actuar wählte, ahnte weder er selbst, noch einer der Collagen, wie bald
er jeglicher Thätigkeit würde entrissen werden. Wenn sonst bei einem Todesfall der
Rückblick auf eine in Wissenschaft oder Praxis thätigo Vergangenheit ehiigcn Trost
bietet, so fehlt uns derselbe hier. Der Verstorbene stand im Beginne und der ersten
Entwicklung seiner Thätigkeit. Geboren 1845 trat er 1865 nach einem Semester theo¬
logischen Studiums zu dem medicinisclien über und widmete sich demselben in Basel
und Tübingen; 1870 bestand er die Concordatsprüfung; seine Doctordissertation über
„Typhus, Regenmenge und Grundwasscr in Basel“ bildet einen Beitrag von bleibendem
Werthe für die Aetiologie des Typhus in unserer Stadt Nachdem er daun beinahe vier
Jahre lang als Assistenzarzt zuerst in der Augenheilanstalt, dann auf der mcdicinischen
Abtheilung des Spitales thätig gew'csen war, vollendete er seine Studien mit einer Reise
nach Paris, London, Berlin und Wien und kehrte im Frühjahre 1875 zu dauerndem Auf¬
enthalte in seine Vaterstadt zurück. Es fügte sich glücklich, dass als der verdiente Be¬
gründer der Elektrotherapie in Basel nach Bern übet siedelte, Dr. Socin diese 8pecialität
übernahm, welche mehr als andere von ihren Vertretern Kritik vcilangt. Der Vtrstor-
bene war eine kritisch angelegte Natur, in seinem wissenschaftlichen Denken wahrheits¬
liebend bis zur absoluten Skepsis gegen alles nicht sicher Bewiesene. Seine stille An¬
spruchslosigkeit, sein leiser, nie verletzender, Humor im persönlichen Verkehr sichern ihm
ein freundliches Andenken bei Allen, die mit ihm in Berühruug gekommen sind. Kri¬
tisch, wie immer, gab er sich auch in seiner Krankheit keinen Illusionen hin; klaren
Geistes sah er das Zweifelhafte, das von Tag zu Tag mehr Hoffnungslose seines Zu¬
standes ein, und ruhig, wie in gesunden Tagen, vermochte er ohne Klage seiner Thätig¬
keit und Allem, was ihm lieb war, zu entsagen.
Es fehlt nicht an medicinischem Nachwuchs, dessen frisches Grün entstehende Lücken
rasch überwächst; dauernd und empfindlich aber bleibt, nicht nur für die Nächststehen¬
den, sondern für Allo der Verlust eines Collegeu, dessen ganzes Denken kritischer Ernst
beherrschte, der an seinem Handeln nie an seii.o eigene Person, sondern nur au die
Sache dachte. So hofftet, wir den Verstorbenen noch Jahrzehnte unter uns wirksam zu
sehen; so wird er, nachdem diese Hoffnungen zu Grabe getragen sind, in unserer Erin¬
nerung fortlcben.
Zürich. Verniklung chirurgischer Instrumente. Ich hatte letzthin
Gelegenheit, die Verniklungsatcliers des Herrn Dr. Müller-Jacobs im Seefeld zu
besuchen und sah dott so viel Schönes und Practisches, dass ich mich sogar verleiten
liese, als Probe vorläufig ein paar meiner Instrumente zum Vernikcln zu geben: es waren
eine Geburtszange und einige Piucetten und 8cheeren. Der Erfolg war günstig und so
erlaube ich mir, dieses Verfahren als für uns practisch weiter zu empfehlen.
Die Instrumente werden nämlich zuerst fein polirt und kommen dann in ein Nikcl-
bad: sie erhalten dabei ein schön gelb* weiss glänzendes Aussehen, das sich ein paar
Jahre behält. Ich habe solche vernikelte Instrumente Tage und Nächte der Witterung
ausgesetzt: von Oxydation war keine Rede und nach einer Reibung mit irgend einem
Lappen waren sie wieder wie als sie aus dem Bade kamen. Ich habe so vernikelte
Schlüssel gesehen, die waren seit einem Jahre herumgetragen worden, dem 8chweiss,
Nässe und allen andern oxydirenden oder angreifenden Stoffen der Luft eines Laborato¬
riums ausgesetzt und hatten doch noch ein ganz schönes Aussehen; nach einer Reibung
waren sie wieder glänzend.
Wie oft kommt es nun nicht vor, sei es aus Nachlässigkeit, Ungeschicklichkeit oder
auch aus andern Gründen, dass unsere Instrumente von Eiter, Blut oder Wasser nicht
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ganz und überall befreit werden und eben verrohten und verderben. Die Instrumente
werden wieder gebraucht, und so mögen dieser Rostfleck oder verfressene Vertiefung
der Träger giftiger Keime werden und die Ursacho des schlimmen Verlaufes einer für
sich ganz ungefährlichen Operation!
Mit dem Yeruikeln, das, beiläufig gesagt, sehr wenig kostet, hat man eben mit Leich¬
tigkeit immer glatte, reine Instrumente; die lassen sich ohne Schwierigkeit bis in die
kleinsten Winkel putzen. Manche, die früher ihre Instrumente nicht pflegten, weil es
eben viel zu thun gibt, werden dann ihre Etuis ohne Erröthen öffnen können.
Ich habe die Ueberzeuguug, dass das Vernikeln chirurgischer Instrumente (schnei¬
dende wie andere) nur Vortheile hat und wirklich höchst practisch ist
Wenn Sie glauben, dass durch Veröffentlichen dieser Zeilen den Herren Collegen
gedient werden kann, so ist mein Zweck erreicht. D.
Sittlichen. Laparotomie bei Ileus. „ Lister for ever I“ Ucber die im
Münchner allgemeinen Krankenhaus so glänzenden Operationsresultate seit Einführung
des Ldster'sehen Verfahrens hat Ihr Blatt bereits mehrmals berichtet und es heisst wahr¬
lich „Eulen nach Athen tragen 1 *, wenn man nach Dr. LindpairUner’ s interessanter Statistik
in der deutschen Zeitschrift für Chirurgie und Dr. Champoniire's kritischer Schrift „Prin-
cipes, modes d’application et rdsultats du pansement de Lister “ noch ferner dessen Lob¬
lied singt
Seit mehr als einem Jahr täglicher Besucher der höchst lehrreichen Klinik von Prof.
Nussbaum kann ich Uber die Gegner der Lister'sehen Antiseptica nur zu dem Schlusssatz
kommen „oculos habent et non videbunt“, oder was noch weit richtiger sein mag, die¬
selben wissen nicht zu listern, sie listern fehlerhaft.
Ausser den durch Lister ’s Verfahren gefahrlos gewordenen Gelenkseröfifnungen müssen
sicherlich die an’s Wunderbare grenzenden Resultate der traumatischen Eingriffe auf das
Peritoneum am meisten unsre Aufmerksamkeit auf sich lenken, jene Ovariotomien, die
ohne Eiterung, ohne Fieber und Temperaturvermehrung genesen.
ln einer Ihrer letzten Nummern hat Prof. Kocher eine Zusammenstellung von lö Ova¬
riotomien mitgetheilt, wovon 10 mit Lister, 6 ohne Lister aufgeführt wurden ; von den
ersten 10 starben 2, von den letzten 5 hingegen 3. Es sind dies dieselben numerischen
Verhältnisse im Kleinen, welche die Münchner Klinik im Grossen für das Liater’sche Ver¬
fahren aufzuweisen hat.
Solche gefahrlos verlaufende traumatische Eingriffe auf das Peritoneum näher zu be¬
leuchten, will ich hier einen Fall mittheilen, der mir belehrend scheint.
Herr N. N., ein schwächlich und zart gebauter JüngÜDg von 19 Jahren, wird in den
Spital gebracht mit einem doppelten Leistenbruch, wovon der eine (rechterseits) alle Zei¬
chen der Einklemmung zeigt. Die unblutige Taxis gelingt glücklich, allein die Einklem¬
mungssymptome dauern fort Hochdruckklystiere und alle angewandten Mittel helfen
nichts, es tritt Kothbrcchen ein; Versuche, durch HuBten und Gehen den Bruch wieder
vortreten zu machen, sind fruchtlos; es bleibt nur noch ein letztes Hülfsmittel zur Ret¬
tung, die Laparotomie.
Unter Iwfer’schem Spray wird diese vollzogen, eiue das Peritoneum durchbohrende
und ringförmig von diesem eingeklemmte Darmschlinge wird aufgefunden, • die Einklem¬
mung durch das Messer gehoben, die Bauchwunde wieder zugenäht. Eine Stunde nach
der Operation erfolgt Kothentleerung auf natürlichem Wege, 6 Tage nach derselben ist
die Bauchwunde zugeheilt.
Nun aber traten Einklemroungssymptome auf der linken Seite ein, und es muss hier
zur Herniotomie geschritten werden; allein hier hat man es mit einem Bfuchsack zu thun,
der keine Darmschlinge, wohl aber einige Kaffeelöffel voll Eiter enthaltet, aber alle Sym¬
ptome der Einklemmung erzeugt hat.
(Dergleichen Herniotomien erzählt bereits Chasscdgnac , Revue mddicale , Mai 1855,
Daniel, Chirurgische Erfahrungen, 1867, Pitha , Prager Vierteljahrsschrift 1864, Ch. Heath ,
Medical Times, 8ept 1861, ferner Holme , Weikert, Flauerl, Ravoth.)
Auch diese Wunde heilte binnen wenigen Tagen. Wir haben es hier somit mit
einer dreifachen Verletzung des Peritoneums zu thun, Laparotomie, Trennung einer ring¬
förmigen Einklemmung, Eröffnung eines Bruchsackes; alle 3 Wunden heilten unter dem
Lister’echen Verfahren in kürzester Zeit, der Kranke ist als genesen anzusehen und wird
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heute (Dach 8 Wochen) nur noch durch eine Angina mit Catarrh im Bette zurück-
gehalten.
Den Gegnern Lister’e erzähle ich diesen Fall mit dem Beifügen „Machte nach!“
Den Anhängern Lister'a wird derselbe eine Aufmunterung sein, iu ähnlichen Fällen
von Ileus nicht vor der Laparotomie zurückzuBchrecken.
NB. Dieser hier nur in Kürze erzählte Fall wird ohne Zweifel Gegenstand einer
eiugehenden Arbeit werden Dr. Isenschmied.
W ochenbericht.
Schweiz.
Bern. In Pruntrut starb den 2. März der in weiteren Kreisen bekannte Dr, Karl
Bodenheimer in einem Alter von 89 Jahren.
Petitionen in Sachen Impfling. Unser rastlos thätiger Präsident Dr. Sonderegger
hat in Erwiderung der Petition der Impfgegner den eidgen. Räthen Namens der schweizer
Aerzte-Gommission soeben eine Potition der Impffreunde überreicht, die in der bekannten
markigen und treffenden Sprache des Verfassers den Standpunct der Letzteren der Agi¬
tation gegenüber kennzeichnet. Diese Petition schliesst mit folgenden Vorschlägen:
1) Abweisung der Petitiou der Impfgegner,
2) Maassregeln zur Verbesserung der Impfung, insbesondere der Militärimpfungen,
3) Ausarbeitung eines eidgen. Seuchegesetzes.
Ausland.
Amerika. Hodson in Newyork empfiehlt bei Schwerkranken durch Ausspülen der
Mundhöhle mit alkalischen Mundwässern und durch den Gebrauch alkalischen Zahnpulvers
der so oft im Verlaufe schwerer Krankheiten eintretenden Verdcrbniss der Zähne
entgegenzutreten. H. ist der Ansicht, dass in Folge des Fiebers eine stark saure Reac-
tion der Mundflüssigkeit resultire, dass eine schnelle Entwicklung von Gährungs- und
Zersetzungsprocessen vor sich gehe, und dass hierin die Ursache für die Zerstörung der
Zähne hege. (D. M. W. 76. 28.)
Deutschland. Ueber das Erkennen des menschlichen und thie-
rischen Bluts in t r o c k n en F 1 e ck e n in g c r i chtli ch - m e di c i n i 8 ch e r
Beziehung. Matinin empfieht eine 32procentige Auflösung von Kali causticum. Beträgt
der Durchmesser der Blutkörperchen nach Einwirkung dieses Reagens weniger als
0,0060 Mm., so kann man entscheiden, dass es kein Menschenblut ist. Bei 0,0070 Mm.
oder mehr ist’s wahrscheinlich Menschenblut Zwischen 0,0060 und 0,0070 Mm. ist es
möglicherweise Hunde-, Schweine-, oder Menschenblut, nicht aber Ziegen-, Haramel-
oder Ochsenblut. ( Virch . Arch. LXV. 8. 528.)
England. Weibliche Studierende. Der Senat der medicinischen Facul-
tät der Universität London hat mit 14 gegen 8 Stimmen die Zulassung weiblicher Stu¬
dierender zu der medicinischen Staatsprüfung beschlossen. Die Bahn, auf der seiner Zeit
die Universitäten Zürich und Bern vorangingen, wird von immer weitern Kreisen betre¬
ten. Es wäre hoch interessant, von einem der betreffenden klinischen Lehrer seine Er¬
fahrungen über die Licht- und Schattenseiten des gemeinsamen Studierens, sowie des
Studiums der Medicin durch Damen überhaupt zu vernehmen.
Heidelberg« Oeffentliche Erklärung der heidelberger Aerzte.
Sämmtliche heidelberger Aerzte sehen sich veranlasst, wie dies in ähnlicher Weise 1878
in Betreff der ärztlichen Forderungen bei Behandlung von Kranken in der Stadt geschah,
mit Beziehung auf die Landorte des Umkreises folgendes Uebereinkommen zu ver¬
öffentlichen.
1) Als geringste Anforderung für den ärztlichen Besuch in einem Landorte ist am
Tage mit oder ohne Reccpt eine Mark festgesetzt.
2) Del: Zeitverlust, welcher dem Arzte erwächst, wird derart berechnet, dass
für jedes Kilometer Entfernung von der Stadt zum Mindesten eine Mark weiter be¬
rechnet wird.
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3) Die Entschädigung für diesen Zeitverlust vertheilt der Arzt, falls er mehrere
Kranke zu derselben Zeit zu besuchen hat, unter die betreffenden Kranken.
4) Für Nachtbi suche wird die aus 1) und 2) sich ergebende Gesammtsumme ver¬
doppelt.
6) Fahrkosten, aussergewöhnlichc Mühewaltungen und durch solche bedingte ausser¬
gewohnliche Zeitverluste werden besonders vergütet
l*reusi»«u* Sanitätsverhältnisse des Heeres. Im Jahre 1872 starben
vom Tausend der Kopfstärke der Armee in Folge von Krankheiten 6,16, durch Verun¬
glückung 0,42, Selbstmord 0,62, also überhaupt 7,19. In Folge von Krankheiten starben
vom Tausend der überhaupt Kranken 5,07, der Lazarethkranken 15,87.
Während des ganzen Jahres erkrankten durchschnittlich vom Tausend 1213,9 Mann,
wovon 32,25 Procent in’s Lazareth kamen. Durchschnittlich * waren von 1000 Mann
stets 42 krank und zwar 15,4 im Revier, die übrigen im Lazareth. Auf 23,8 Dienst¬
tage kam durchschnittlich 1 Krankentag, so dass jeder Mann während des ganzen Jahres
durchschnittlich 15,3 Tage hindurch dem Dienste durch Krankheit entzogen wurde. Von
je 1000 Mann der Durchschnittsstärke erkrankten an äussern Krankb. 530,3, an Krankh.
der Ernähruugsorgano 239,0, an Brustkrankh. 118,7, an zymot. Krankh. 69,2, an Augeu-
krankh. 68,8, an Rheumatismus 69.2, an audern innern Krankh. 45,2, an Venerie 45,1
und an Krätze 37,4.
Unter den Zymosen veranlasste Wecbeelfieber 36,5, Typhus 13,1, acute Exantheme
13,0, Ruhr 7,1 und Cholera 0,6 Procent der vorgekommenen Fälle.
Die Typhusmortalität war 16.6 Proc., die der Dysenterie 6,1, der echten Pocken
6,6, der modificirten 1,1.
(Nach A. v. Fircks im Beiheft z Milit Wochenbl. 1877, I Heft.)
Preusfteu. Kiel. Bei den vielen Reden, die während der kieler Universitäts¬
feierlichkeiten gehalten wurden, ist einer höchst bemerkenswerthen Thatsache nicht ge¬
dacht worden Alle Welt ist darüber einig, dass schon die Schönheit der Räume und
ihr classischer Schmuck, abgesehen von den in ihnen ertönenden Lehren der Weisheit,
unbedingt besänftigend und veredelnd auf die Gemüther der academischen Jugend ein¬
wirken müsse. In wie hohem Maasse dies vorausgesetzt wird (und gewiss ohne dass
man sich dabei einer Täuschung hingibt), beweist das Fehlen einer Institution in dem
Neubau, welche unsere Altvordereu für unumgänglich nothwendig erachteten, um in un¬
gestörter Einsamkeit ein etwas zu lebhaft gewordenes Temperament sich beruhigen zu
lassen. Kiel ist die erste deutsche Universität ohne Carcer. Bei uns in der Öchweiz lebt
der Carcer längst nur noch im poetischen Liedergewande.
Sachsen. Epilepsiemittel. Das auch bei uns beständig angepriesene Uni¬
versalmittel gegen Epilepsie wird in der prager medic. Wochenschrift (1876, Nr. 48) fol-
gendermassen illustrirt: „Neuestens wird wieder in Provinzblätteru, besonders in denen
Oest.-Schlesiens, ein Epilepsiemittel ausposaunt und der armen Landbevölkerung ange¬
priesen. Es ist dies das Geheimmittel gegen Epilepsie von Dr. Killisch (Neustadt Dres¬
den), mit welchem angeblich über 8000 Fälle behandelt worden sind. Der „Erfolg“ (für
Dr Killisch und Consorten) ist kaum zu bezweifeln, wenn man erwägt, dass das Mittel
nur in Partien von 6 Flaschen zum Preise von 16 fl. 50 kr. abgegeben wird. Die Bc-
standtheile dieses Mittels sind Bromkalium und schwefelsaures Atropin, in Wasser ge¬
löst und schwach mit Indigolösung gefärbt; in dem von Dr. Killisch abgegebenen Quan¬
tum für weniger als 1 fl. herstellbar. Ein schlesischer Apotheker hat sich zum Mitschul¬
digen dieses Schwindels gemacht; er ist der Fabrikant des Mittels und Verfasser der
Annoncen , und versendet bedeutende Quantitäten mittelst Nordbahn an das Hauptdepdt
zu Tetschen in Böhmen u. a ; Dr. Killisch , Fabrikant und Hauptniedorlags-Inhaber befin¬
den sich offenbar ganz wohl bei dem Schwiudel und lachen sich ins Fäustchen ob des
schönen Gewinnes.“
Das ehern tech. Repert. 1868, I. theilt 8. 130 über Dr. Killisch , & Geheimmittel gegen
Epilepsie Folgendes mit: „Besteht aus 200 Gramm Wasser, 7,6 Gramm Rromkaliura, 3
Centigramm schwefclsaurem Atropin. Der ehrenwerthe Dr. Killisch (Berlin) fand ursprüng¬
lich in seiner Wirthin, der verehelichten Marie Plaumann , eine Gehülfin bei der Bereitung
seines Gcheimmittels, bis später letztere mit seinem Secretär das Heilgeschäft auf eigene
Faust fortsetzten.“
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183
Stand der Infectlong-Kranbhelten In Basel.
Vom 26. Februar bis 10. März 1877.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in frühere i halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
8charlach, von dem in den f-ühcrn Berichten eine stetige Abnahme konnte ge¬
meldet werden (Sö, 28, 25, 13), zeigt wieder eine Zunahme auf das Doppelte, 26
neue Fälle, wovon je 8 auf dem Südostplateau und in Kleinbascl , Nordwcstplateau 5,
Birsigthal. 4, Birsthal frei.
Sonst ist keine Aenderung von Belang zu notiren.
Varicellen herrschen verbreitet; angemeldet sind 17 Fälle.
Rubeola 4, Morbilli 1 Fall.
Erysipelas 7 Fälle, wovon 4 im Birsigthal (11, 11, 7).
Keuchhusten nur 11 neue Anmeldungen, meist aus Klein-Basel (52, 32).
Diphtherie und Croup 2 Fälle (7, 14, 2).
Typhus 7 Fälle, wovon 3 aus Kitinbasel (6, 6, 3).
Puerperalfieber 2 Fälle (2, 0).
Briefkasten.
Herrn Dr. J—d ln MOuchen: Unsere Briefe kreuzten sich Ich erwarte Ihre Antwort — Herrn
Dr. Jäger , Ragaz; Prof. Acby, Bern; Dr. t>. Muralt , Zürich; Dr Jsenschmid , München: Mit Dank
erhalten. — Herrn Dr. v. Erlach , Bern; Dr. 0. Hartmann, Bern; D{. Hüchner, Walzenhausen: Mit
Dank erhalten. — Herrn Prof F. in Z: Das Gewünschte boII besorgt werden ; ist übrigens noch nicht
eingelangt. — Herrn Dr. J.: Med. Klatscherei erscheint eben im Feuilleton der „Basler Nachrichten“;
die letzt gesandte Arbeit scheint uns sehr geeignet für die unter der Redaction von Prof. O. Wgss
von der ärstl. Gesellschaft des Cantons Zürich herausgegebenen Blätter für Gesundheits¬
pflege. 8ollen wir dieselbe dorthin absenden? — Herrn Dr. St. in Sch—m: Wir haben nach Würt¬
temberg geschrieben und hoffen Ihnen bald die gewünschte Auskunft geben zu können. — Herrn Dr.
Rahm: Mit Dank erhalten, wird benützt. — Herrn Dr. r. Erlach: Haben Sie etwas Geduld mit der
Antwort, bin mit Arbeiten überladen.
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wendung auf die Impffroge. — Prof. Dr. Eduard Billig: Ueber den heutigen Stand der Frage ron der LoealUation im Grouhirn.
(Schlnee.) — 2) Yere i ns beri cht e: Gesellschaft der Aerste in Zürich. — 8) Referate and Kritiken: D t. C. H.
Schauenburg: Handbuch der öffentlichen and privaten Geenndheitepflege, und Dr. K. Reich: Die Ursachen der Krankheiten. —
Dr. Paul Niemeg er: Medidnische Hausbücher: Die Hustenkrankheiten. Ihre Entstehung, Behandlung und Verhütung. — Winkel:
Ueber Myome dee Uterus in Ätiologischer, symptomatischer und therapeutischer Beziehung. Tolhnann'a klinische Vortrtge Nr.
M. — 4) Kantonale Correspondensen: Basel, Genf. — 6) Wochenb erlebt. — 6) B i bliographisohes. —
7) Briefkasten.
Unsere wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden in ihrer Anwendung auf.
die Impffrage.
Von Dr. 0. Hartmann, Secretär des Sanitätscollegiums in Bern.
Motto:
Bei den Untersuchungen, welche sich anf die verwickelten Erscheinun¬
gen des menschlichen Organismus besiehen, ist die Verschiedenheit zwischen
den Meinungen kenntnissreicher Männer und die gleiche Zuversicht, mit der
sie entgegengesetzte Anschauungen verfechten, ein Beweis nicht blos, dass
man die richtigen Forschungsweisen über diese Gegenstände noch nicht
allgemein angenommen hat, sondern auch, dass man ganz falsche ange¬
nommen hat, dass sogar die gebildetsten Menschen noch nicht gelernt haben,
keine Schlüsse zu ziehen, die nicht durch Beweise gestützt sind.
Stuart MiU, Logik V. Buch, Cap. I, § 1.
Gegenwärtig wird von Fachmännern und Laien vielfach gegen die Impfung
Opposition gemacht, so dass wir annehmen müssen, dass für einige Aerzte und für
die zahlreichen Impfgegner unter dem Publicum diejenigen Voraussetzungen und
Schlüsse, auf welche gestützt das Impfen empfohlen wurde und noch empfohlen
wird, nicht eine genügende Beweiskraft besitzen, und da die Fehde zwischen den
Impffreunden und Impffeinden schon längere Zeit hartnäckig geführt wird, müssen
wir ferner voraussetzen, dass einer definitiven Entscheidung der Impffirage wesent¬
liche Hindernisse im Wege stehen.
Unter solchen Umständen halte ich es für interessant genug zu untersuchen,
welche Mittel einer rationellen Forschung uns zu Gebote stehen, um über den
Werth oder Unwerth der Impfung in’s Klare zu kommen.
Eine derartige Untersuchung gewährt ein um so grösseres Interesse« weil eine
nicht geringe Anzahl streitiger Puncte der medicinischen Wissenschaften sich in
vielen Beziehungen in einer ganz ähnlichen Stellung befinden wie die Impffrage,
13
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so dass was über diese zu sagen ist, mutatis mutandis auch auf jene Anwendung
findet.
Bei der Impffrage nun wünschen wir zu wissen, ob in Folge der Impfung ein
mit Erfolg Geimpfter für eine Ansteckung durch das Pockencontagium unempfäng¬
lich geworden ist oder nicht.
Könnten wir eine solche Unempfänglichkeit nachweisen, so bliebe für prac-
tische Zwecke noch übrig zu ermitteln, ob dieselbe eine vollständige sei oder nicht,
ob ihre Dauer eine beschränkte und eine wie weit beschränkte oder eine unbe¬
schränkte, ob sie blos die Intensität der Erkrankungen herabselze und die Sterb¬
lichkeit der Erkrankten vermindere, oder ob sie noch in .anderer Weise sich gel¬
tend mache ; endlich wären auch die etwaigen schädlichen Einflüsse der Impfung
zu erforschen und mit den nützlichen zu vergleichen.
Wir wollen also im angegebenen Sinne zunächst die Hauptfrage erörtern, wo¬
bei ich bemerke, dass die bei dieser Untersuchung angewendeten Grundsätze jenem
System der Logik entnommen sind, welches Stuart Mill mit so bewunderungswür¬
digem Scharfsinn entwickelt hat
Die Bedingungen einer Naturerscheinung können wir auf deductivem oder auf
inductivem Wege erforschen.
Den ersteren schlagen wir dann ein, wenn wir von bereits bekannten Gesetzen
aus (a priori) die unbekannte Erscheinung zu erklären versuchen , den letzteren,
wenn wir von der Erfahrung ausgehend (a posteriori) durch eine Vergleichung der
einzelnen Fälle die Ursache der Naturerscheinung finden wollen.
Die inductive Methode, die wir zuerst anzuwenden gedenken , zerfällt aber
wiederum in zwei verschiedene Methoden, je nachdem wir von den Ursachen auf
die Wirkungen oder umgekehrt schliessen. Jenes geschieht, wenn wir künstlich
hervorgebrachte oder in der Natur sich bereits vorfindende Combinationen von
Agentien direct auf ihre Wirkung untersuchen, dieses, indem wir blos die Fälle
von Wirkungen mit einander vergleichen und daraus indirect auf die Ursachen zu-
rückschliessen.
Die erstere heisst die empirische oder experimentelle, die letztere die Methode
der reinen Beobachtung.
Die empirische Methode stellön wir voran, sie gibt uns, wenn wir sie anwen¬
den können, immer die zuverlässigsten Resultate, da es einfacher ist, die Wirkung
einer Ursache als die Ursache einer Wirkung zu erforschen.
Können wir jedoch unsere Frage, ob das Impfen das Bestreben habe, vor einer
Ansteckung mit dem Pockencontagium zu schützen oder nicht, experimentell lösen ?
Wir wollen sehen.
Die erste Bedingung dazu wäre, nur unter Verhältnissen und Umständen zu
impfen, die uns alle genau bekannt sind. Die zweite, alle Umstände, deren Wir¬
kungen mit jenen der Impfung verwechselt werden könnten, entweder zu eliminiren
oder wenigstens so herzustellen, dass wir ihren Einfluss berechnen und von der
Gesammtwirkung abziehen könnten, wobei der Rest sich als ausschliessliche Wir¬
kung des Impfens herausstellen würde.
Gerade diese Bedingungen nun können wir in unserem Falle nicht erfüllen;
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187
wir müssen das Impfen in Gegenwart einer unbekannten Menge unbekannt wirken¬
der Umstände einführen, deren Einflüsse uns dessen eigentliche Wirkung mehr
oder weniger verdecken, so dass wir nicht wissen können, welcher oder ein wie
grosser Theil der Gesammtwirkung als Folge der Impfung und welcher andere als
Folge der übrigen Umstände aufzufassen ist.
Als einen solchen in gleichem Sinne wie das Impfen wirkenden Einfluss müs¬
sen wir z. B. auch eine einmal überstandene Pockenerkrankung auflassen, so dass
wir das Verhalten des menschlichen Organismus gegenüber dem Pockencontagium
vor und nach der Impfung schon deshalb an einem und demselben Individuum
nicht untersuchen könnten; aber ebenso wenig können wir zwei dem Einfluss des
Pockencontagiums ausgesetzte Individuen beobachten, die in allen anderen Eigen¬
schaften gleich sind und blos dadurch von einander abweichen, dass das eine ge¬
impft worden ist, das andere aber nicht, denn zwei so ähnliche Fälle kommen in
der Natur wahrscheinlich nicht vor und auch wenn sie Vorkommen sollten, so hät¬
ten wir doch keine Mittel, um das Vorhandensein ihrer Aehnlichkeit zu con-
statiren.
Sie sehen, dass bei diesen Verhältnissen von einer Anwendung der empirischen
Methode keine Rede sein kann, und dass, wenn es überhaupt auf inductivem Wege
möglich ist, unsere Frage endgiltig zu entscheiden, dieses durch die Methode der
reinen Beobachtung geschehen müsste.
Dieser Methode folgend dürften wir mit Sicherheit schliessen, dass es wirklich
das Impfen sei, welches die Geimpften für eine Ansteckung durch das Pocken¬
contagium unempfänglich gemacht habe, wenn wir nachweisen könnten, dass alle
Fälle, in denen keine Ansteckung erfolgte, Fälle waren, in denen geimpft worden
ist. Dieser Nachweis kann aber nicht geleistet werden, da es zahlreiche Fälle
gibt, wo während einer Pockenepidemie auch nicht geimpfte Personen von dem
Contagium nicht ergriffen werden und sogar sehr viele Fälle bekannt sind von
Geimpften, die trotz der Impfung dem Einfluss des Contagiums erliegen. Es müs¬
sen demnach noch andere Ursachen vorhanden sein, welche dieselbe Wirkung her¬
vorzurufen streben, die wir dem Impfen zuschreiben, und deshalb können wir nicht
mit Sicherheit, sondern blos mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit behaupten,
auch das Impfen sei eine solche Ursache, aber auch dieses erst dann, wenn wir
aus vielen und genau beobachteten Fällen schliessen dürfen, dass mehr Fälle von
Nichtansteckung und weniger von Ansteckung Vorkommen, wenn geimpft wird,
als wenn nicht geimpft wird.
Wir müssen also die Statistik zu Hülfe nehmen und durch eine Vergleichung
einer sehr grossen Anzahl einzelner Fälle zu erfahren suchen, nicht mehr ob alle,
sondern höchstens ob die meisten der Geimpften für eine Ansteckung unempfäng¬
lich geworden sind oder nicht. Hätten wir Grund genug zu einem solchen blos
annähernden Generalisationsschluss, so könnte dies für practische Zwecke immer¬
hin von Bedeutung sein und dürfte uns vielleicht auch in wissenschaftlicher Hin¬
sicht einen Anhaltspunct für ein weiteres Vorgehen gewähren. Sich mehr von
einem solchen Verfahren zu versprechen wäre eine Täuschung.
Bevor wir jedoch das statistische Material sammeln, müssen wir wissen, zu
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was und auf welche Weise wir dasselbe gebrauchen wollen; dann erst können wir
bestimmen, welche Umstände der einzelnen Fälle, aus denen die Statistik bestehen
soll, wir kennen lernen müssen. Leider aber pflegt man häufig genug umgekehrt
zu verfahren, man macht zuerst die Statistik und legt sie dann je nach Bedürf-
niss aus.
In unserem Falle müssten wir, um zu erfahren, ob während einer Epidemie
relativ mehr Ungeimpfte als Geimpfte an den Pocken erkrankt sind, kennen:
. 1) Die Anzahl aller mit dem Pockencontagium in Berührung gekommener ge¬
impfter und ungeimpfter Individuen.
2) Die Anzahl der Erkrankten, sowohl der Geimpften als auch der Nicht¬
geimpften.
Könnten wir diese Angaben erhalten und wären ferner diese beiden Reihen
wirklich vergleichbar oder durch Berücksichtigung aller jener Umstände, welche
das zu suchende Resultat wesentlich beeinflussen könnten, vergleichbar zu machen,
so würde das Verhältniss zwischen den zu Gunsten der Impfung sprechenden und
allen überhaupt vorkommenden Fällen den Ausdruck der Wahrscheinlichkeit dar¬
stellen, mit welcher wir berechtigt wären anzunehmen, die Impfung habe die ihr
zugeschriebene Wirkung.
Nun können wir aber auf diese Weise nicht Vorgehen, da wir abgesehen von
allem Andern die Grösse der ersten Reihe, d. h. die Anzahl aller mit dem Pocken¬
contagium während einer Epidemie in Berührung gekommener Individuen nicht zu
ermitteln im Stande sind. Aus diesem Grunde müssen wir darauf verzichten, den
Einfluss der Impfung auf die Pockenmorbilität direct zu bestimmen. Derselbe
Hesse sich jedoch indirect wenigstens annähernd ermitteln , wenn wir feststellen
könnten, in welchem Grade die Intensität der Erkrankung oder auch die Mortali¬
tät der Erkrankten durch die Impfung beeinflusst wird, und wenn wir dann aus
diesen Angaben den Einfluss der Impfung auf die Morbilität im Allgemeinen er-
schliessen würden.
Die Pockenkranken lassen sich nun allerdings zählen, es lässt sich auch ziem¬
lich genau ausfindig machen, wie viele derselben geimpft sind und wie viele nicht,
ebenso kennen wir die Anzahl der Krankheitstage eines Individuums, sowie den
Ausgang der Krankheit in Tod oder Genesung.
Wir können also bestimmen, ob die Ungeimpften durchschnittlich schwerer und
länger krank sind und ob sie in einem grösseren Procentsatz an den Pocken zu
Grunde gehen als die Geimpften oder nicht.
Wir können dieses allerdings thun und es wurde auch schon vielfach gethan,
nur wurde den aus solchen Zusammenstellungen gezogenen Schlüssen ein grösse¬
rer Werth beigelegt, als ihnen in Wirklichkeit zukommt.
Dieses geschah entweder weil man nicht berücksichtigte, dass einige das Re¬
sultat wesentlich beeinflussende Umstände nicht in Rechnung gezogen worden seien,
oder weil man glaubte, es würden sich unter einer sehr grossen Anzahl von Fäl¬
len die Wirkungen derartiger Umstände in so weit ausgleichen, dass dadurch das
Endresultat nicht allzu sehr beeinträchtigt werden könne.
Letzteres ist nun allerdings bei einigen Umständen der Fall, so brauchen z. B.
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jene verschiedenen Einflüsse, welche zuweilen Kranke körperlich oder geistig so
sehr deprimiren, dass sie in Folge davon zu Grunde gehen, bei unserer Mortali-
tätsetatistik nicht in Rechnung gebracht zu werden, da wir keinen Grund haben
anzunehmen, ihr Vorkommen sei bei den Ungeimpften ein häufigeres oder selteneres
als bei den Geimpften.
Anders verhält es sich mit jenen Umständen, von denen wir annehmen müssen,
nicht blos, dass sie in gleichem oder auch in entgegengesetztem Sinne wirken wie
die Impfung, sondern auch, dass sie ausschliesslich oder doch zum grössten Theil
mit dem Umstande der Impfung oder dem der Nichtimpfung verbunden sind.
Dahin gehört z. B. das Alter. Die Impfung wird gewöhnlich nicht vor dem
ersten Lebensjahre vorgenommen. Nicht ein Jahr alt und nicht geimpft sein sind
daher zwei Umstände, welche fast immer verbunden sind. Nun wissen wir aber,
dass der Umstand, noch nicht ein Jahr alt zu sein, für alle Krankheiten (und ins¬
besondere für die Pocken oder Kinderblattern) die Gefahr eines tödtlichen Aus¬
ganges wesentlich vermehrt, eine Eigenschaft, die wir auch dem Umstande des
Nichtgeimpftseins zuschrieben. — Deshalb dürften wir, wenn uns z. B. bekannt
wäre, dass alle während einer Epidemie an den Pocken gestorbenen Ungeimpften
noch nicht ein Jahr alt gewesen seien, uns nicht erlauben, sämmtliche Todesfälle
auf Rechnung des Nichtgeimpftseins zu schieben, sondern wir müssten so gut als
möglich zuerst zu bestimmen suchen, wie viele Todesfälle wahrscheinlicher Weise
dem jugendlichen Alter der Gestorbenen zuzuschreiben seien, und hierauf diese
Anzahl von der Gesammtanzahl abziehen, wobei der Rest allein auf Rechnung der
Nichtimpfung zu stehen kommen würde.
Ebenso müssen die beiden Factoren, Constitution und Lebensverhältnisse be¬
rücksichtigt werden. Denn es kann Vorkommen, dass eine in’s Gewicht fallende
Anzahl der Ungeimpften deshalb nicht geimpft wurde, weil sie schwächlich und
kränklich waren, wenn nun diese bei einer Pockenepidemie zu Grunde gehen, so
wissen wir wiederum nicht, ob ihr Nichtgeimpftsein oder ihre Kränklichkeit, welche
beide in gleicher Richtung wirken können, ihren Tod herbeigeführt haben.
Ferner ist es bekannt, dass in Ländern, wo die Impfung noch nicht zwangs¬
weise eingeführt ist, weitaus mehr Wohlhabende und Gebildete sich impfen lassen,
als Arme; wenn nun wiederum ein grösserer Procentsatz der Ungeimpften als der
Geimpften an den Pocken erkrankt und stirbt, so sind wir in gleicher Ungewiss¬
heit, ob das Impfen oder ob die besseren Lebensverhältnisse die Geimpften vor
den Pocken bewahrt haben.
Wie sehr eine Berücksichtigung aller dieser Umstände Schlussfolgerungen,
die wir aus der Impfstatistik ziehen ^ abzuändern im Stande ist, ersehen wir am
besten, wenn wir uns den nicht unmöglichen Fall veranschaulichen, wo alle diese
drei Factoren zusammenfallen, wo die grösste Zahl der Ungeimpften, welche den
Pocken erliegen, aus den schwächlichsten jener kleinen Kinder besteht, die in ärm¬
lichen, in hygieinischer Beziehung so ungünstig gestellten Quartieren wohnen.
Bei einer Kenntniss dieser Umstände dürften wir gewiss erst, nachdem wir
den Einfluss derselben berechnet und in Abzug gebracht hätten, aus der Thatsache,
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190
dass relativ mehr Ungeimpfte als Geimpfte den Pocken erlegen sind, einen Schluss
zu Gunsten der Impfung ziehen.
Nun können wir zwar die genannten Factoren, Alter, Constitution und Lebens¬
verhältnisse , die beiden letztem allerdings blos mit einer annähernden Zuverläs¬
sigkeit mit unter die Statistik aufnehmen, dagegen ist es uns bis jetzt unmöglich,
den Einfluss derselben auf die Mortalität der Erkrankten mit einer für unseren
Zweck genügenden Sicherheit zu ermitteln; es bliebe uns daher blos noch übrig,
alle Fälle, bei welchen einer dieser Factoren nachweisbar vorkommt, von vorne-
herein vollständig fallen zu lassen. Durch ein solches Vorgehen jedoch müssten
wir fürchten, die ohnedies schon allzu kleinen Zahlen der Impfstatistiken derart
zum Zusammenschmelzen zu bringen, dass gar nichts mehr damit anzufangen wäre-
Bis jetzt haben wir ausser Acht gelassen, in wie weit die grössere oder ge¬
ringere Zuverlässigkeit der einzelnen Beobachter die Impfstatistik und dadurch in-
direct die aus derselben gezogenen Schlüsse beeinflussen könnte. — Es ist nicht
ganz unbedenklich, dass die meisten Beobachter für das Impfen voreingenommene
Aerzte sind, so dass möglicherweise falsche oder unvollständige Angaben in sol¬
chen Fällen gemacht werden, die zu Ungunsten der Impfung sprechen würden,
doch glauben wir nicht, dass dieser Umstand bei unserer Statistik sehr viel mehr
in’s Gewicht fällt, als dieses bei mancher andern auch zu erwarten ist und wollen
deshalb von dieser Fehlerquelle ganz absehen.
Es bleiben uns ja, wie wir gesehen haben, noch genug Schwierigkeiten übrig,
die bei allen bis jetzt bekannten Impfstatistiken und daraus gezogenen Folgerungen
nicht nur nicht überwunden, sondern zum grössten Theil nicht einmal erkannt
worden sind.
Wenn wir bedenken, einen wie geringen Werth für unsere Kenntniss der
Impffrage sogar unter Beobachtung aller angeführten Umstände und aus ebenso
vollständigen als zuverlässigen Statistiken abgeleitete impfgünstige Resultate haben
könnten, und wenn wir ferner bedenken, dass es nahezu unmöglich ist, solche auch
nur annähernd begründete Folgerungen aus impfstatistischen Angaben zu ziehen,
so müssen wir uns fragen, ob es nicht vielleicht klüger wäre, unsere Bemühungen
nach dieser Richtung hin nicht weiter fortzusetzen und auf eine Lösung unserer
Frage auf diesem Wege ganz zu verzichten.
Ich enthalte mich einer Antwort hierauf; meine Absicht war blos zu zeigen,
auf welche Weise wir vorgehen müssten, um durch die Statistik Aufschluss über
unsere Frage zu erhalten und hiermit bin ich mit demjenigen Theil meiner Auf¬
gabe zu Ende, der sich mit den sog. inductiven Forschungsmethoden und ihrer
Anwendung auf die Impffrage zu beschäftigen hatte. (Schluss folgt.)
Ueber den heutigen Stand der Frage von der Localisation im Grosshirn.
Vortrag gehalten in der Gesellschaft der Aerzte zu Zürich den 9. Dec. 1876
von Dr. Eduard Hitzig, Professor in Zürich.
(Schluss.)
Stellen wir zunächst die uns hier interessirenden thatsächlichen Ergebnisse zu¬
sammen.
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191
Schon bei meinen ersten Versuchen hatte ich gezeigt, dass Verletzungen des
Centrums für die Extremitäten eigenthümliche Motilitätsstörungen zur Folge haben.
Spätere Versuche bewiesen, dass der Erfolg an und für sich von der Verletzung
der Markstrahlung unabhängig ist, und schon bei geringfügigen Eingriffen
in die Rinde eintritt.
Geht man aber mehr in die Tiefe, so sind die Erscheinungen intensiver und
mannigfaltiger.
Kleine Zerstörungen der Rinde bewirken einen Zustand, den ich Störung des
Muskelbewusstseins genannt habe, und der darin besteht, dass die Thiere activ
ihre Beine in ganz ungewöhnliche Stellungen bringen, z. B. mit dem Fussrücken
auftreten, und dass sie die Glieder auch passiv in diese Stellungen bringen lassen,
ohne die active Reposition vorzunehmen, Erscheinungen, welche ich Ihnen sofort
an einem gestern operirten Hunde demonstriren werde.
Hebt man solche Hunde an der Rückenhaut auf, so zeigt sich ausserdem, dass
entweder nur die contralateralen Glieder oder auch die anderen Extremitäten de-
viiren, und zwar die vorderen nach der Seite der Verletzung.
Nothnagel gelang es an Kaninchen, denen er mit Injectionen von Chromsäure
kleine Herde der Rinde beibrachte, beide Reihen von Erscheinungen von zwei nicht
weit von einander liegenden Stellen aus isolirfc zu produciren. Bei Hunden ge¬
wahrt man oft die Störung des Muskelbewusstseins ohne die Deviation, das Um¬
gekehrte aber nie. Ausserdem deviiren die Beine der Kaninchen schon beim
Sitzen, während bei den Hunden die Erscheinung, wie angeführt nur eintritt, wenn
man sie vom Boden aufhebt.
Dringt man nun tiefer in die Hemisphäre ein, so kommt es auch zu Sensi¬
bilitätsstörungen, auf die zuerst Schiff , und Hermann aufmerksam gemacht
haben und die Goltz neuerdings eingehender studirte.
Aehnliches beobachteten aber auch Veyssieres , Carville und Duret nach Verletzun¬
gen des hinteren Abschnittes der inneren Kapsel. Diese Frage ist jedenfalls
mit Rücksicht auf die Localisation des Symptoms bisher noch so wenig be¬
arbeitet, dass sich so gut wie. nichts darüber sagen lässt.
Hingegen ist sie mit Rücksicht auf die Deutung der Erscheinungen nach einer
von Schiff aufgestellten Hypothese Gegenstand unserer Betrachtungen. Schiff will
nämlich wegen jener Concurrenz der Sensibilität die Reizerscheinungen als Re¬
flexe und die Lähmungserscheinungen als secundäre Folgen von Sensibilitätsstö¬
rungen aufgefasst wissen.
Folgendes sind in Kurzem seine Gründe:
Er wies nach, dass zwischen Reiz und Reizeffect relativ lange Zeit verfliesst,
ähnlich wie das bei Reflexbewegungen der Fall ist. Dieser Grund ist aber hin¬
fällig, denn die längere Latenz des Reizeffectes beruht offenbar auf Eigenschaften,
die der grauen Substanz durchgehende zukommen und ist keine den Reflexcentren
allein innewohnende Eigenthümlichkeit.
Er rief ferner den Umstand an, dass die motorischen Himcentren in zwar
nicht gleicher, aber doch ähnlicher Weise durch Chloroform und Aether temporär
ihrer Reizbarkeit beraubt werden können, wie die Reflexcentren, während gleich*
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192
zeitig die peripheren Nerven nicht beeinträchtigt werden Dagegen ist das Gleiche
zu erwidern. Viele Gifte wirken annähernd gleichmässig auf Centralorgane und
afficiren die peripheren Nerven erst viel später. Ob die fraglichen Centralorgane
nun Reflex oder andere Centren sind, das kommt nicht in Betracht. Schiff geht
hierbei von einer nicht nur nicht bewiesenen, sondern sogar ganz unwahrschein¬
lichen Voraussetzung aus, der dass die peripheren und centralen Fasern durchge¬
hende identische Eigenschaften besitzen müssen.
Ferner muss ich gegen Schiff vor der Hand noch bestreiten, dass ganz gering¬
fügige Läsionen der Rinde überhaupt zu Sensibilitätsstörungen führen, während
sie gleichwohl von Störungen des Muskelbewusstseins gefolgt sind. Ebenso sind
die letzteren Störungen noch zu einer Zeit nachweisbar, wo anfänglich vorhandene
Sensibilitätsstörungen längst geschwunden sind. Sodann können die eben erwähn¬
ten an den Versuchsthieren zu beobachtenden Deviationen der Beine mit der Sen¬
sibilität absolut nichts zu thun haben, sondern müssen direct auf die Motilität be¬
zogen werden.
Endlich hat Braun sehr richtig die Angabe des Ortes der angeblichen reflecto-
rischen Uebertragung bei Schiff vermisst. Da die Reizeffecte nach Abtragung der
Rinde nicht aufhören, kann er in der Rinde nicht sitzen, während Schiff ihn doch
dahin zu verlegen scheint Uebrigens werden wir anlässlich der Versuche von
Goltz auf die Rolle der Sensibilität bei den beobachteten Erscheinungen noch zu¬
rückzukommen haben.
Auf die ungemein zahlreichen und interessanten, die grossen Ganglien betref¬
fenden Versuche NothnageCs einzugehen, muss ich mir gemäss der mir Eingangs
auferlegten Beschränkung versagen und wende mich vielmehr sofort den im Früh¬
ling dieses Jahres publicirten Lähmungsversuchen von Goltz zu.
Durch diese Versuche schien wieder Alles, was bisher für die Lehre von der
Localisation gewonnen war, gänzlich in Frage gestellt. Denn nach Goltz soll es
gleichgültig sein, wo man operirt, vom oder hinten, die Effecte sind überall gleich
und sie betreffen immer eine Reihe von Functionen, die Empfindung, die Bewe¬
gung , das Sehvermögen. Damit wären wir denn wieder auf dem Standpuncte
Flourens ’ angekommen.
Ich muss nun vorweg bemerken, dass mir die Versuche von Goltz zwar in
mancher Beziehung als höchst werthvolle Bereicherungen unseres Wissens gelten,
dass sie aber mit der Frage der Localisation gar nichts zu thun haben.
Wenn man Studien über Localisation anstellen will, so ist die erste Bedin¬
gung, dass man engbegrenzte Veränderungen producirt und das hat Goltz geradezu
absichtlich vermieden. Denn er sagt selbst, dass er „bei jeder Operation immer
eine erhebliche Ausrottung von Hirnmasse beabsichtigte“. Derartige Versuche haben
ja gewiss grossen Werth, und es ist ein Verdienst, dass Goltz eine Methode an¬
gab, nach der so arg verstümmelte Thiere beliebig lange am Leben erhalten wer¬
den können, aber niemals wird dadurch das erschüttert werden können, was ich
schon Eingangs als zweifellos bewiesen hinstellte.
Goltz bediente sich zu seinen Versuchen einer Druckpumpe, einer Clysopompe,
mit der er unter Verwendung verschieden geformter Canülen beliebige, aber immer
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grosse Mengen Gehirn durch ein oder mehrere Trepanlöcher herausspülte. Diese
Methode giebt nun überhaupt andere Resultate als der Masse nach gleichwerthige
Auslöffelung des Gehirns.
Goltz' Trepan hatte 17 Mm. Durchmesser. Ich habe durch zwei Trepanlöcher
von je 11 Mm. Durchmesser Auslöffelungen im Hinterlappen von über 30 Mm. Aus¬
dehnung vorgenommen, ohne die Störungen eintreten zu sehen, die Goltz bei der
Circumferenz nach viel kleineren Ausspülungen sah. Indessen ist es mir nach der
von Goltz gegebenen Beschreibung seiner Methode wahrscheinlich, dass er sich
nicht auf die Fortnahme der Rinde und der unvermeidlich dem Untergang verfal¬
lenen obersten Markschichte beschränkte, sondern dass er mit seinen Canülen tief
in den Markkörper einging und vielleicht sogar die erste Ausstrahlung des Hirn¬
schenkels beleidigte. Sodann giebt er selbst an, dass seine Hunde in Folge von
Druck auf das verlängerte Mark plötzlichen Stillstand der Athmung und des Herz¬
schlages erfuhren. Dies spricht für eine indirecte Verbreitung des Eingriffes, und
ich kann es demnach nur billigen, wenn Goltz auf die unmittelbaren Effecte
seiner Operationen keinen Werth legt, und nur deren bleibende Folgen berück¬
sichtigen will, ohne dass ich deswegen doch zu seiner später zu erwähnenden Er¬
klärung der Ersteren meine Zuflucht nehmen möchte.
Uebrigens legte Goltz , seinem Versuchsplane entsprechend, meistens mehrere
Trepanlöcher an und durchfurchte von ihnen aus mit dem Wasserstrahlc die Hemi¬
sphäre mit einer grösseren oder geringeren Zahl von Kanälen.
Die Sensibilität zeigte sich dann nachher in verschiedener Art ge¬
stört.
Unmittelbar nach der Operation war sie auf der gegenüberliegenden Seite
gänzlich aufgehoben. Aber schon am nächsten Tage ist die Schmerzempfindung
grösstentheils wieder da und nur die Reaction auf Druck scheint noch merklich
geschädigt. Legt man nämlich verschieden schwere Gewichte auf die Pfoten,
so soll der Hund die nicht afficirte Pfote viel früher wieder fortziehen als die
afficirte.
Ich habe übrigens eine Methode gefunden, durch die sich nachweisen lässt,
dass auch der reine Tastsinn bei solchen Hunden eine Einbusse erlitten hat. Hebt
man sio nämlich an der Rückenhaut in die Höhe und berührt nach einander die Vor¬
derpfoten, so wird die gesunde Pfote meistens fortgezogen, die kranke aber nicht.
Diese Anomalie hält wochenlang an. Auch die -von Goltz angeführte Beobachtung,
dass die Thiere mit der kranken Pfote gelegentlich in einen Napf mit Wasser treten,
ohne darauf zu reagiren, ist in gleicher Weise auszulegen.
Störungen des Sehvermögens wies Goltz in mannigfaltiger Weise nach.
Ich hatte in dieser Gesellschaft bereits im vorigen Winter das charakteristische
Benehmen von Hunden geschildert, die nach grossen Verletzungen des Hinterhirns
auf dem gegenüberliegenden Augo erblindet waren. Diese Thiere lieben es, mit
der sehenden Seite an der Wand entlang zu laufen und stossen mit der Nase auf
der blinden Seite an Tischbeine etc. an. Goltz zeigt nun, dass die Hunde auch
nach Fleisch, das ihnen von der blinden Seite her genähert wird, nicht schnappen
und leuchtenden Gegenständen nicht in der gewohnten Weise ausweichen.
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Auf andere, in der Goltz eigenen anmuthigen Weise vorgetragene Beobach¬
tungen können wir nicht näher eingehen.
Rücksichtlich der Bewegungsstörungen berichtet er endlich in
Ergänzung zu dem von uns bereits Gefundenen, dass die Hunde die Fähigkeit ver¬
loren, die Pfote als Hand zu gebrauchen. Sie reichten sie nicht mehr auf Com-
mando, griffen nicht mehr mit ihr nach der Speise etc. und benutzten zu diesen
Verrichtungen vielmehr die gesunde Pfote.
Goltz kommt nun hauptsächlich auf Grund dieser Resultate zu dem Schlüsse,
dass die von mir angenommene Localisation im Grosshirn nicht
existire,ja dass die von mir geschilderten Bewegungsstörun¬
gen überhaupt nicht auf das Grosshirn zu beziehen und über¬
haupt nicht als Ausfalls-Lähmungserscheinungen aufzufassen
seien. Man müsse sie vielmehr als Reizerscheinungen betrach¬
te n. Der Operationsreiz wirke nämlich hemmend auf die eigentlichen, im Klein¬
hirn gelegenen Bewegungscentren.
Er benutzt zum Beweise hauptsächlich zwei Argumente: 1) den von ihm ge¬
lieferten Nachweis, dass Eingriffe in die verschiedensten Theile des Grosshirns ganz
gleichen Effect haben und 2) die Thatsache, dass die geschilderten Bewegungs¬
störungen sich allmählig wieder ausgleichen.
Das erste Argument hat nun darum, wie ich schon anführte, absolut keinen
Werth, weil Goltz die von den maximalen total verschiedene Wirkung kleiner nnd
mittelgrosser Zerstörung der einzelnen Provinzen nicht berücksichtigte. Richtet
man aber so grosse Zerstörungen ohne jede Rücksicht auf Constatirung dessen,
was eigentlich alles mit vernichtet wurde, an, so muss man sich den Einwand ge¬
fallen lassen, dass der Eingriff überhaupt keine einzelnen Provinzen, sondern die
ganze Hemisphäre oder mindestens sehr viele Provinzen in Mitleidenschaft gezo¬
gen hat. Man darf ausserdem nicht vergessen, dass die einzelnen Hirncentren
sicherlich nicht in der Art von einander unabhängiger Mechanismen functioniren.
Vielmehr müssen sie in der innigsten Verbindung unter einander stehen. Zerreisst
man diese Verbindungen durch weitreichende Eingriffe, so erhält man Störungen,
die mindestens momentan den Werth des wirklich ausser Function Gesetzten weit
überragen.
Die vielbesprochene Restitution der anfänglich gestörten Functionen bedarf
auch heute einer näheren Erörterung. Zunächst muss ich betonen, dass die
wirklich vorhandenen Thatsachen von sämmtlichen Autoren
ohne Ausnahme nicht vollständig erkannt worden sind. Nach
einigen Autoren sollen in dem motorischen Gyrus erheblich verstümmelte Hunde
schon am 4. Tage, nach anderen 14 Tage nach der Operation wieder ganz normal
sein und Aehnliches mehr. Diese Angaben sind nun ganz unrichtig und beruhen
auf imvollkommenen Explorationsmethoden. Auch Autoren, die wie Soltmann , län¬
ger und genauer beobachteten, haben nicht alles Vorhandene aufgedeckt. Aller¬
dings verschwinden die auffälligsten Störungen, das Ausrutschen, das Gehen auf
dem Fussrücken und Aehnliches manchmal überraschend schnell, aber andere Stö¬
rungen bleiben — soviel ich übersehen kann — permanent.
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Ich werde Ihnen einen Hund zeigen, dem ich vor 7 Monaten eine oberfläch¬
liche linksseitige Verletzung in dem motorischen Gyrus beigebracht habe und der
noch heute bei passender Untersuchungsmethode die rechte Vorderpfote mit dem
Dorsum aufsetzen und sie mit ihren Gelenken in abnorme Stellungen bringen lässt
Hebt man ihn an der Rückenhaut auf und lässt ihn dann langsam auf den
Tisch herab, so berühren die Zehen der rechten Pfote den Tisch mit der Spitze,
während links die Plantarfläche aufgesetzt wird. Auch giebt er den Gelenken dieser
Extremität spontan allerlei ungewöhnliche und von dem Verhalten der linken Ex¬
tremität abweichende Stellungen. Hingegen ist die Sensibilität gegenwärtig voll¬
kommen intact.
Demselben Hunde brachte ich vor 7 Wochen in dem rechten Hinterlappen eine
mindestens dreimal so grosse Verletzung bei, und doch hat er zu keiner Zeit in
den linken Extremitäten hierauf bezügliche Motilitätsstörungen gezeigt. Hingegen
war er eine Zeit lang auf dem linken Auge blind.
Aehnliche Beobachtungen habe ich in Menge gesammelt und wenn diese That-
sachen anderen Autoren entgangen sind, so rührt das daher, dass sie nicht genau
untersuchten, dass sie nicht abwarteten, bis die zur Untersuchung herangeholten
Thiere sich gehörig beruhigt hatten, oder dass sie deren Aufmerksamkeit von dem,
was mit ihnen vorgenommen wurde, nicht gehörig ablenkten.
Wir müssen also festhalten, dass die durch die Läsion hervorgebrachten
Störungen sich zwar grösstentheils, aber in vielen Fällen nicht vollständig ver¬
lieren.
Goltz hat hier einen Unterschied machen wollen zwischen permanenten
und nicht permanenten Störungen. Er hat als permanente Störungen
den Verlust der Fähigkeit die Pfote als Hand zu gebrauchen und die Neigung
mit ihr auszugleiten bezeichnet. Aber er selbst gesteht zu, dass auch diese Stö¬
rungen möglicherweise vergänglich sein können, bringt Beispiele dafür bei, dass
sie bei nicht zu grosser Ausdehnung der Verletzung vergänglich sind, und ich
kann ihre Vergänglichkeit eben nur bestätigen. Ebenso verhält es sich mit den
Störungen des Sehvermögens und der Sensibilität. Alles kann sich mehr oder
weniger vollkommen ausgleichen, ohne dass man die hierzu nothwendigen Bedin¬
gungen bereits vollkommen erkannt hätte. Wahrscheinlich spielt neben der Loca-
lität der Verletzung ihre Ausdehnung und das Alter der Versuchsthiere eine we¬
sentliche Rolle.
Wie nun die Thatsache der partiellen oder totalen Restitution überhaupt zu
erklären sei, darüber [möchte ich mich nicht mit Bestimmtheit auslassen. Früher
bereits hatte ich als eine von vielen die Möglichkeit angedeutet, dass die betref¬
fenden Centren nicht vollständig zerstört würden, dass sie überhaupt nur Sammel¬
plätze seien für die auf weite Strecken vertheilten Geburtsstätten der Willensim¬
pulse. Sodann hatte ich den Beweis geliefert, dass man von den Tiefen jeder
Hemisphäre aus beide Körperhälften erregen kann. Auch hierin mag eine Mög¬
lichkeit der Erklärung liegen. Aber ich stellte und stelle nicht in Abrede, dass
noch andere Möglichkeiten existiren. Ja selbst eine partielle Regeneration der zer¬
störten Rinde scheint mir nach den bei meinen Autopsien gewonnenen Eindrücken
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noch keineswegs so ganz ausserhalb des Bereiches der Möglichkeit zu liegen, als
Goltz das anzunehmen scheint.
In keinem Falle ist es nöthig, dass man hierzu oder zur Entstehung der Be¬
wegungsstörungen überhaupt auf die Goltz' sehe Hemmungstheorie recurrirt, denn
aus den Localisationsversuchen lässt sich nachweisen, dass Bewegungscentren im
Grosshirn selbst existiren.
Setzen wir nämlich mit Goltz voraus, dass die Lähmungserscheinungen, wenn
sie entstehen, durch Fortpflanzung eines Reizes nach dem Kleinhirn bedingt werden,
so folgt, dass der Reiz an denjenigen Stellen, wo durch kleine Eingriffe Lähmungs¬
erscheinungen zu erzeugen sind, Bahnen findet, auf denen er sich nach dem Klein¬
hirn fortpflanzen kann, und dass er an den anderen Stellen keine solche Bahnen
findet Die betreffenden Bahnen gehören aber zu Centren der grauen Rinde, deren
Function sie fortleiten, gleichviel wohin.
Folglich müssen an diesen Stellen Centren Hegen, die etwas mit der Bewe¬
gung zu thun haben, an anderen Stellen können genau identische Centren jedenfalls
nicht liegen.
Wenn man das aber zugeben muss, so erscheint die Annahme einer Passage
durch das Kleinhirn künstHch und darum überflüssig. Goltz vermag sie nur durch
Erfahrungen über die Restitution zu stützen, und was von diesen zu halten ist,
das habe ich schon gezeigt.
Eine Menge von Dingen spricht aber noch gegen diese Hypothese. Man kennt
keinen pathologischen Nervenreiz, der monatelang continuirHch derartige Wirkun¬
gen hervorbrächte. Elektrische Reizung führt nicht zu Hemmungen, sondern zu
Bewegungen und Nachbewegungen. Und wie soll man sich endüch den Um¬
stand erklären, dass auch die Störungen der Sensibilität und des Sehvermö¬
gens sich wieder ausgleichen, wenn die angerichteten Zerstörungen nicht zu
massenhaft waren? Sollen auch diese Functionen ihr eigentliches Centrum im
Kleinhirn haben, und das Grosshirn nur zur Hemmung jener Perceptionen
dienen ?
Doch genug hiervon. Noch eine Frage ist kurz zu berühren, die Frage, wie
die beschriebenen Bewegungsstörungen aufzufassen sind.
Eigentliche Paralysen sind es nicht, denn die Hunde können ihre GUeder noch
bewegen. Das erklärt sich auch ganz leicht daraus, dass die niederen Bewegungs¬
centren intact geblieben sind.
Um die Consequenzen von Sensibilitätsstörungen kann es sich auch nicht allein
handeln; denn ich habe gezeigt, dass das Bestehen oder nicht Bestehen von Anäs¬
thesien unwesentlich ist, und einzelne Störungen können ihrer Art nach überhaupt
nicht in Beziehung zur Sensibilität gebracht werden.
Bereits in meiner ersten hierher gehörigen Abhandlung hatte ich den frag¬
lichen Zustand als einen solchen charakterisirt, „in dem die Thiere nur ein man¬
gelhaftes Bewusstsein von den Zuständen des Gliedes besassen, und die Fähig¬
keit sich vollkommene Vorstellungen über dasselbe zu bilden ihnen abhanden ge¬
kommen war“.
Von vorn herein erschien es wahrscheinlich, dass ein Elingriff in die graue
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Rinde, das Organ des Vorstellens, Störungen im Vorstellen hervorbringen würde.
Die Ihnen vorgeführten Erscheinungen lassen eine analoge Deutung zu. Aber die
neuere Zeit hat mich noch andere krankhafte Lebensäusserungen des verstümmel¬
ten Hundes kennen gelehrt, die das bereits Bekannte, wie mir scheint, nicht nur
weiter erhellen, sondern es an Interesse noch übertreffen. Wenn der im Centrum
für die Extremitäten verstümmelte Hund auf dem Tische spaziert, so tritt er mit
dem kranken Beine in’s Leere und fällt vom Tische, obwohl er nachweislich nicht
blind ist. Wenn er vor einer horizontalen Leiste herumläuft, so stösst er sich mit
dem kranken Beine daran, obwohl er sie sieht.
Als ich einen abstracten Ausdruck für diese Erfahrungen suchte, meinte ich
keinen zutreffenderen finden zu können, als wenn ich sagte: die Hunde benehmen
sich mit ihrer kranken Pfote so, als wenn alle äusserlichen Zustände, einmal die
der Muskeln, dann die der Objecte des Raumes vom Sensorium für die Be¬
wegungen des kranken Gliedes, aber nur für diese nicht in Rechnung gestellt
werden.
"V" ereinsberich te.
Gesellschaft der Aerzte in Zürich.
5. Sitzung, den 13. Januar 1877.
Casuistische Mittheilungen von Dr. Wilh.v. Muralt:
I. Eine Resection des Kniegelenkes.
Durch die Erfahrungen der Chirurgie mit der antiseptischen Wundbehandlung
lässt sich der Satz bestätigen, welchen in der letzten Sitzung Dr. Hans v. Wyss auf
Grund mikroskopischer Untersuchungen ausgesprochen hat: dass Entzündung und
Wundheilung als zwei durchaus verschiedene Processe auseinandergehalten werden
müssen; dass Entzündung nach einfachen Schnittwunden nicht auftritt, wenn nicht
noch ein accidenteller Reiz dazu kommt; und dass Entzündung nicht nur zum Zu¬
standekommen der Wundheilung nicht nothwendig ist, sondern dieselbe im Gegen-
theil immer verzögert — Als Beleg weist Muralt heute ein Mädchen vor, das durch
Lister 'sehe Wundbehandlung nach einer Kniegelenkresection wegen Ankylose ge¬
heilt wurde ohne alle und jede Entzündungserscheinungen der Operationsstelle.
Katharina Russi, ein jetzt 12 Jahre altes Mädchen, war vor 5 Jahren etwa fünf
Fass hoch aus dem Fenster heruntergefallen aufs rechte Knie, bekam dabei eine
äusserliche Wunde, deren Narbe beim Spitaleintritt noch sichtbar war. Am Knie¬
gelenk entwickelte sich eine unscheinbare Periostitis und Ostitis mit Schwellung
des Gelenkes. Vor drei Jahren war die Anschwellung so bedeutend, dass von
dem behandelnden Arzte (Ct. Glarus) eine Incision gemacht wurde, nachdem vor¬
her Gewichtsextension erfolglos war angewandt worden. Die Eiterung dauerte
zwei Jahre lang fort bis zum Herbste 1875. Der Allgemeinzustand war immer
gut; die Fistel heilte vollständig aus; aber der Unterschenkel hatte eine Stellung
angenommen, welche das Bein zu seinen Functionen unbrauchbar machte. Der
Unterschenkel stand zum Oberschenkel in einer Winkelstellung von 137° in der
Flexionsrichtung, von 123° in der Abductionsrichtung; die Beweglichkeit im Knie-
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gelenke war ohne Narkose vollkommen null; die Tibia war auf den Condylen des
Oberschenkels stark nach hinten gerutscht; das rechte Bein war durch Nichtge¬
brauch atrophisch, die rechte Fusssohle 18,5 cm. lang gegenüber 21,5 cm. Länge
der linken Fusssohle. Der Versuch, das Knie zu strecken durch Gowichtsextension
bis auf 5—6 kgr., blieb ohne Erfolg. In der Chloroformnarkose liess sich nur eine
minime Bewegung von höchstens 10-12° erzielen durch Streckung der fibrösen
Adhärenzen.
Es musste der Gedanke an eine Resection immer lebhafter rege werden, um
so mehr, da ein ganz ähnlicher Fall von Wildberger einfach orthopädisch behandelt
drei Jahre lang sich hinschleppte und doch nur mit einem complicirten Stützappa¬
rate konnte entlassen werden.
Am 31. October 1876 wurde die Resection ausgeführt; heute vor 14 Tagen
konnte das Mädchen geheilt entlassen werden.
Die Operation und Nachbehandlung geschahen strenge nach Luter 1 sehen Grund¬
sätzen; die EsmarcK sehe Blutleere fand selbstverständlich ihre Verwendung. Ein
Lappen mit abgerundeten Ecken wurde gebildet, die Patella ausgeschält. Es
zeigte sich ein vollkommen ankylotisches Gelenk, der Meniscus verschwunden; die
Adhsesionen trennten sich unter dem Messer mit Knirschen. Aus dem Knochen
wurde nun ein Keil ausgesägt, mit der Basis nach innen, mehr au3 dem Femur,
möglichst wenig aus der Tibia. Die Basis orwies sich als etwas zu gross; dess-
halb musste noch eine kleine Scheibe nachträglich abgesägt werden. Der erste
Schnitt ging schief durch die Epiphyse. Durch die nachträgliche Abtragung ver¬
läuft er jetzt ganz innerhalb der Diaphyse. Am Innenrande der Tibia fand sich
ein alter eingedickter Abscess und ein ähnlicher im condyl. int. femor. Brisement
forcü hätte also leicht einen acuten Entzündungsschub anregen können. Dank der
Esmarch'sehen Einwickelung bei der Operation war kein Blut verloren gegangen;
10—12 Catgut-'Ligaturen verhinderten auch nachträgliche Blutung vollständig. So
konnte die Wunde zugenäht werden bis auf die Winkel, wo Kautschukröhrchen
eingelegt wurden zur Ableitung des Wundsecrets. Ein Gypsverband mit einge¬
legtem Blechstreifen oben und unten und grossem Kniefenster schloss die Ope¬
ration.
Der Eingriff wurde ausgezeichnet vertragen; Patientin fühlte nach der Re¬
section gar keine Schmerzen, war ohne Bewusstsein ihrer Wunde, fühlte sich ganz
munter, hatte Abends Temperatur von bloss 36,5°, schlief in der Nacht ganz gut
und war am folgenden Tage wie ein völlig gesundes Kind, spielte und saug. Am
zweitfolgenden Tage zeigte sich der Verband feucht durch nachgesickertes Serum
und wurde desshalb erneuert. Aber es bestand keine Schwellung, Röthung oder
Schmerzhaftigkeit der Haut, nur etwas Quellung der Wundränder, aber sogar ohne
Verstreichung der Hautfalten.
Die Temperatur war Abends am Tage der Resection 36,5; am nächsten Tage
betrug das Maximum 38,2°; am zweiten Tage nach der Operation 38,3, am dritten
38,6°, von da an erreichte sie n i e mehr 38°. Es wurde gerechnet, dass wie bei einer
complicirten Fractur in 5 Wochen die Heilung erfolgt, der Gypsverband entfern¬
bar sein werde. Nur 8 Male im Ganzen ward ein Wundverband angelegt; am 1.
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und 3. Tage, dann in 2—4—8tägigen Zwischenräumen. Die Verbandstoffe waren
jeweilen nur mit farblosem, anfangs blutigem Serum getränkt. Eiterung zeigte sich
nie als an einer Stelle durch einen besonderen Zufall. Es war nämlich am untern
Rand des Lappens eine kleine Gangrän entstanden, 0,5 cm. breit, 3 cm. lang. Diese
Stelle löste sich natürlich unter geringer Eiterung ab; eines Morgens lag der
Schorf trocken im Verbände; die Abtrennungsstelle heilte durch Granulation.
Am 4. December 1876, fünf Wochen nach der Resection, wurde der Gyps-
verband abgenommen. Die Knochen waren vereinigt, jedoch noch eine Bewegung
von ca. 5° Excursion ausführbar, ohne Schmerzen. Am 15. December stand die
Kranke zum ersten Male auf und ging herum; am 20. war sie schon von 10 bis 5
Uhr ausser Bett, bewegte sich mit einer Krücke flink, unter Benützung der Fuss-
spitze des resecirten Beines als Stütze. Nie hatte die Kranke Schmerzen vom
Gehen.
Ohne jeglichen Stützapparat kann das Mädchen bei aufgehobenem linkem Bein
ein Weilchen auf dem rechten stehen; nur zum Schutz trägt sie einen Kappeier 'sehen
abnehmbaren Wasserglasverband, sie geht mit erhöhter Sohle , schon 14 Tage
ausser dem Spitale, herum und wird so, als ein werthvoller Zeuge der Bedeutung
der antiseptischen Wundbehandlung der Gesellschaft vorgestellt.
II. Eine ungewöhnliche Form von Anus imperforatus.
Mit Herrn Dr. Rahn-Meyer kam Muralt zu einem neugebornen Mädchen, das,
zwei Tage alt, noch keinen Stuhl gehabt hatte. Es fand sich keine Afteröffnung,
sondern die Haut glatt über dem Anus verstrichen. Bei starkem Drängen wölbte
sich dieselbe vor, aber es war kein bläuliches Durchschimmem des Meconiums
bemerkbar. Eine Sonde, in die Scheide eingeführt, vermochte keine Verbindung
derselben mit dem Mastdarme nachzuweisen. Dicht hinter der Comissura poste¬
rior der Vulva war eine kleine Oeffnung, die in einen ganz engen, blind endigen¬
den Gang führte in der Richtung gegen den Mastdarm. Das Kind war etwas cya-
notisch, bedeutend collabirt und erbrach Meconium. Ein Einschnitt längs der Vor¬
wölbungsstelle führte durch einen kräftigen Sphincter auf den prallgefüllten Mast¬
darm. Dieser wurde mit einem Häckchen gefasst, sanft heruntergezogen und mit
je drei Suturen auf jeder Seite an den Hautwundrand genäht; durch einen festen
Silberdraht wurde der hintere Wundwinkel mit dem Rectum vereinigt. Nach dem
Anstechen des Mastdarms entleerten sich grosse Mengen von Meconium und Flatus.
Der Erfolg war sehr befriedigend. Nach 6 Wochen ist jetzt die Schleimhaut schön
verwachsen mit dem Hautwundrand; die Oeffnung ist genügend, nur der Sphincter
internus war etwas verengt und wurde nachträglich durch Mastdarmbougies ge¬
dehnt.
Der kleine Fistelgang hinter der Vulva wurde nachträglich auch gespalten
und verlor seinen Schleimhautcharacter so vollständig, dass man jetzt kaum noch
seine Spur findet Die Entstehung dieses Anus imperforatus ist so aufzufassen:
die Abschnürung der Allantoisblase vom Enddarm hat nicht in normaler Weise
stattgefunden, sondern es bestand wohl zu einer gewissen Zeit ein Anus perinealis.
Durch kräftige Entwicklung des Dammes fand dann eine Abschnürung statt, und
es blieb als Resultat das immer enger werdende am Perinmum sich öffnende End-
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stlick und der Blindsack des Mastdarms, dem von aussen keine Einstülpung ent¬
gegen kam.
Vorweisung eines Kindes mit interessanten Hirnerschei¬
nungen durch Prof. Oscar Wyss.
Adolf Scheit, 2 Jahre alt, normal geboren, war gesund bis vor einem Jahre.
Beim Zahnen bekam er Fieber, Furunkel auf der Brust und angeblich eine Hirn-
entzündung. Nachher war er wieder ganz gesund bis 6 Wochen vor seiner Auf¬
nahme ins Kinderspital, welche am 15. December 1876 erfolgte.
Anfangs November 1876 begann das Kind immerwährend zu schreien, hielt
die Augen geschlossen, zeigte aber keine allgemeinen Convulsionen, nur mit dem
linken Bein und Arm machte es fast den ganzen Tag zuckende Bewegungen. Es
wechselten Tage mit Unruhe, Schlaf, Fieber und solche, wo das Kind munterer
war. Allgemach kamen Paresen; es konnte nicht mehr allein gehen und sitzen:
der Stuhl war regelmässig, das Schlucken gut, es bestand keine Diarrhoe.
Am 16. December 1876 bestand folgender Status: Ansemie, schlechte Ernäh¬
rung. Beidseitige nicht ganz vollständige Ptosis. An den Lidrändern Eczem. Auf
Conjunctiva und Cornea rechts Phlyctsenen. Pupillen gleich, gutbeweglich. Rechts
die Cornea bis jetzt normal; nur die Conjunctiva etwas zu stark secernirend. Die
linke Cornea steht immer etwas tiefer als die rechte. Wahrscheinlich besteht eine
leichte Lähmung des rectus superior links. Eine Lähmung des rectus superior rechts
ist nicht anzunehmen, da alle Bewegungen rechts normal sind. Häufig tritt Stra¬
bismus ein, wenn der Blick stark zur Seite gerichtet wird; die Bulbi bewegen sich
nach aussen gut; aber in der Mitte der Lidspalte bleiben sie stehen und kommen
nicht recht nach innen; also ist eine Lähmung des rectus internus rechts und links
vorhanden. Im Bette macht das Kind Bewegungen mit Armen und Beinen, aber
tappend, unbeholfen, ähnlich wie bei Chorea; besonders ist das links ausgesprochen.
Auch die Bewegungen des Rumpfes sind gestört. Bei Aufregung kommt mehr und mehr
der Leib ins Schwanken nach vorn und hinten, bis er nach vorn oder hinten aufs
Bett fällt Dann bleibt das Kind längere Zeit so liegen, ruhig und ohne krank¬
hafte Bewegungen. Die Beine, schon im Bett nur ruckweise, tappend bewegt, sind
noch unbeholfener ausser Bett beim Stehen und Gehen. Es entstehen so starke
Zuckungen, dass die Beine ganz hoch gezogen werden, sd dass das Kind nur sorg¬
fältig gehalten geben kann und dabei seine Beine herumwirft wie eine hochgra¬
dige Chorea.
Es sind also hier die Erscheinungen vorhanden einer sehr hochgradigen Chorea
nebst den Zeichen einer tieferen Erkrankung des Schädelinhalts. Das ist der erste
derartige Fall in der Erfahrung von Prof. Wyss; die Literatur allerdings birgt
schon mehrere solche Beobachtungen. Ausser den Nervenerscheinungen ist noch
hochgradige Coryza vorhanden, links auf der Lunge etwas Dämpfung und Rasseln;
Herz, Unterleib, Harn u. s. w. sind normal.
Am Tage des Eintritts hatte die Wärterin das Kind angebunden. Da kam
es in solche Aufregung, dass die hochgradigsten Zuckungen entstanden und
noch die folgenden Tage sehr leicht eintraten. Nachher wurden die Zuckun¬
gen geringer, das Kind bekam Tinct. Fowleri. Es besserte bedeutend; die
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Zuckungen nahmen wesentlich ab; Tinct. ferri pomata brachte DiarrhoB und wie¬
der schlimme Tage. Das Kind wurde bösartig, schlief wieder lang und bekam
mehr Zuckungen. Zeitweise wurde es wieder besser. Aber seit dem 5. Januar
1877 konnte es nie mehr ordentlich stehen und ist meist in sitzender Stellung im
Bett. Die Hirnerscheinungen blieben dieselben, nur ist eine Spur Facialisparalyse
links hinzugetreten, nur bei vollkommener Ruhe als etwas Schlaffheit der Gesichts-
musculatur erkennbar.
Die Sensibilität war immer vollkommen intact, eher bestand etwas Hyper¬
ästhesie. Temperatur, Anfangs normal, öfters bloss 36,5°, stieg später bis 38,5°,
40,3°, 39,2° und ist in letzter Zeit fast immer bis auf 38,4—38,6° gestiegen.
Die Haupterscheinungen sind:
1. Chorea, Anfangs mehr links, jetzt eher etwas mehr rechts.
2. Unvollständige Oculomotoriuslähmung.
3. Spur von Parese im linken Facialis.
4. Fieber, Anschwellung einzelner Lymph-Drüsen am Halse, Coryza, Abnahme
des Gewichtes von 8500 gr. auf 7950 in drei Wochen.
Eine Diagnose ist nicht mit aller Bestimmtheit zu stellen. Einfache basale
AfFectionen in der Nähe der Oculomotorii, Heerde in den Vierhügeln, Periostitis an
der Schädelbasis, Erkrankung an Hirnschenkel, Pons oder Medulla oblongata sind
nicht anzunehmen, da immer nothwendige Symptome zur Diagnose fehlen. Am
wahrscheinlichsten ist ein Kleinhirnleiden und zwar ein Tuberkel, da die Sym¬
ptomengruppe auf ein solches Leiden passt. Letztes Jahr hat z. B. ein ganz ähnlicher
Fall bei der Section sich als Kleinhirntuberkel erwiesen. Allerdings ist die Ocu-
lomotoriusstörung durch Annahme eines Kleinhirnleidens nicht erklärt; aber sie
wurde in einer Zahl Beobachtungen constatirt, obschon ebenfalls keine weitere Ge¬
schwulst als ein Kleinhirntuberkel sich finden liess. —
Herr Maienfisch , Arzt in Enge, wird als Mitglied der Gesellschaft aufgenommen.
Referate und Kritiken.
Handbuch der öffentlichen und privaten Gesundheitspflege.
Von Dr. C. H. Schauenburg, und
Die Ursachen der Krankheiten.
Von Dr. E . Reich. Berlin, Verlag yon Th. Grieben.
8o lautet der Titel der 2 ersten Bände der medicinischen Abtheilung der im Verlag
von Th. Grieben in Berlin erscheinenden „Bibliothek für Wissenschaft und Literatur“,
Die Bearbeitung dieser Themata, deren Besprechung in allen möglichen Tonarten, für
alle Classen mundgerecht gemacht, nachgerade zu einem wahren Modeartikel geworden
ist, haben zwei Männer Übernommen, welche seit Jahrzehnten mit Begeisterung die Auf¬
gabe verfolgt, hygieinische Kenntnisse im Volke zu verbreiten. Sie wenden sich an die
Gebildeten desselben — was soll beim jetzigen Stand der naturwissenschaftlichen Kennt¬
nisse unter den ungebildeten Schichten alle Milhe für Popularisirung der Hygieine fruch¬
ten? — „an die Männer vorzüglich, die in Aemtern irgend welcher Art dem Dienst der
Hygieine obliegen,“
Beide Autoren zeigen eine grosse Aehnlichkeit in der Behandlung ihrer Aufgaben
8ie suchen durch drastische Darstellungsweise zu fesseln, sie lieben gelegentliches Schel¬
ten und 8eitenhiebe auf ihnen antipathische Personen, Stände, Dinge, besonders auf Pfaffen¬
thum und Bureaukratie, auf die „gebildete Todtschl&gerei“ und dergleichen mehr.
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Beide lassen sich durch ihr besonderes Interesse für das eine oder andere Capitel
zu einer sehr ungleich eingehenden Behandlung des Stoffes verleiten und lieben es gar
sehr, ihre persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse in extenso mitzutheilen. Mit Feuer¬
eifer verfechten sie allerlei Verbesserungsprojecte und Forderungen, die gar oft in der
Theorie recht schön sich ausnehmen, aber bei Jedem Kopfschütteln erregen, der das prac-
tische Leben kennen gelernt.
Schauenburg betrachtet sein Buch nur als „den Entwurf einer Einleitung in die Ge¬
sundheitspflege und bezweckt besonders die Gesichtspuncte für Erkenntniss und Beurthei—
lung der hygieinischen Mängel, Bedürfnisse und Abhülfsmittel klar und»sicher aufzustellen,
deren Berücksichtigung im öffentlichen und privaten Leben unumgänglich erforderlich ist.“
Wenn von 100 Geborenen nur 6 an Altersschwäche, die andern an Krankheiten •
Bterben, wenn die Heilkunst dies Verhältniss nicht zu ändern vermag, so sollen Staats¬
und Verwaltungskunst die Aufgabe zu lösen versuchen.
Nur durch die private Hygieine erreichen wir nichts, weit mehr muss die öffent¬
liche mitwirken, der 8taat muss eingreifen. Seine gute oder schlechte Verwaltung, die
Bildung, der Wohlstand seiner Bürger spiegeln sich ab in den Zahlen der Mortalitäts¬
und Morbilitätstabellen. Durch eine Reihe vergleichender statistischer Notizen thut Verf.
dar, wie hygieinische Maassregeln in den letzten Jahreehnten eine erfreuliche Verlänge¬
rung der Lebensdauer mancherorts herbeigeführt, aber eine Normalsterblichkeit, als welche
er l°/ 0 betrachtet, da 100 Jahre, die normale Lebensdauer, noch nirgends erreicht sei.
Der Staat sollte bei allen MaasBregeln der Gesetzgebung und Politik bedenken, dass
sie im allgemeinsten Sinn direct oder indirect zugleich hygieinisch sind — aber fürchtend,
aus den Vertretern der Naturwissenschaft und Hygieine erwachsen Leute, welche auch
der Volks- und Staatswirthschaft sich bemächtigen, will man nicht den Rath hygieinischer
Beamter, die zudem — kosten 1
Nachdem Sch. so seinen Standpunct klar gelegt, bespricht er Luft und Licht
und mit ganz besonderer Vorliebe die Bedeutung des Ozons. Etwas sonderbar klingt es,
wenn er u. a. die hohe Temperatur der Schlafzimmer deshalb für schädlich erklärt, „weil
dabei die Luft verdünnt und damit ihr 8auerstoffgehalt vermindert wird“ (was sagen die
Davoser dazu?). — Im Abschnitt vom Erdboden spricht Verf. von natürlichen und
künstlichen Sümpfen, unter welch’ letzteren er die Verunreinigung des Untergrundes un¬
serer Wohnorte versteht und die ihm Veranlassung zu einer schauerlichen Schilderung
deB Lebens der Proletarier gibt. Es folgen: Maassregeln gegen Epidemien und sodann
Capitel IH Hautpflege, nach dem Motto: „Putzen ist die halbe Fütterung.“ Trotz
der eindringlichen Besprechung seines Thema’s wird kaum der Wunsch in Erfüllung
gehen, dass obligatorisches Baden der Fabrikarbeiter eingeführt werde. Dass
in Capitel IV, Bekleidung, das selbst jedes einzelne Kleidungsstück einlässlich be¬
trachtet, auf die neuesten Bestrebungen zur Herstellung rationellem Schuhwerks keine
Rücksicht genommen worden, ist auffallend.
Im V. Capitel, Wohnung, betont Verf. mit Recht ganz besonders die Feuch¬
tigkeit der Wohnungen. „Statt den Puls zu fühlen, befühle man nur die Wände, an
denen die armen Kranken leben.“ Nachdem er sehr wenig über Heizung und Ventilation
beigebracht, verbreitet er sich sehr ausführlich über Capitel VI, Ernährung, und
zwar zuerst Über Milch und im Anschluss hieran über lünderernährung. Er behauptet,
die grösste Gefahr für die Päppelkinder sei, besonders in Grossstädten, das schlechte
WaBser im Brei. Als Ersatz für Mutter- oder andere gute Milch empfiehlt er eifrigst
condensirte Milch und Nestle's Kinderpulver. Auf die mitverschluckte Luft und
deren Reinheit legt Verf. ein besonders grosses Gewicht und meint: „die bleiche Farbe
und welke Haut, die Muskelschwäche und das zurückgebliebene Wachsthum der Fabrik¬
arbeiter rühren weniger von der eingeathmeten als vielmehr und vorzugsweise von der
eingeschluckten schlechten Luft her, die ihre Verdauungsorgane insultirt.“ (?!) Das
Trinkwasser will Verf. sehr gut haben, vielleicht nur zu kalt, wenn es blos eine
Temperatur von 4—6° C. haben soll. Er bespricht deshalb ausführlich die Wege der
Verunreinigung und lässt sich besonders lebhaft aus über das Verpesten der Wasserläufe
durch die Abgänge der Fabriken. Schliesslich gibt er eine kurze Anleitung zur Wasser-
untersuchung.
Der Abschnitt vom B r o d wäre viel zweckmässiger mit der zu spät erst nachfolgen-
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den Analyse der Körnerfrüchte eingeleitet worden. Verf. wendet sich mit Vorliebe gegen
die Brodverfälschungen, wozu er auch das Uebig’ache Brod, dessen Klebergehalt doch
unverdaut abgehe, zu rechnen scheint. Uebertrieben ist die Darstellung der unzähligen
mineralischen Brodverfälschungen und wohl allzu weit gehend die Verdammung der Ge¬
treidesurrogate in Nothzeiten. Die JiUlsenfrüchte glaubt Verf. bezüglich ihres Nah-
rungswerthes weit überschätzt und unterlässt es, deren Verwerthung in Mischung mit
andern Nahrungsmitteln zu betonen. Unter der Rubrik Fleischkost wird ein Lieb¬
lingsthema allzu breit besprochen, die Trichinose, woran sich der Vorschlag knüpft, die
Trichinenschau durch den Zwang zur Führung „genauer Schweinebestandsregister“ zu
verschärfen 1 Ueber die geistigen Getränke lässt er meistens Geigel das Wort,
ergänzt ihn aber sehr ausführlich im Capitel vom Bier, indem er über Bierverfälscher
handelt, die er „decapitiren lassen 11 will und das Recept zu einem „Hausmuff 1 , einem
leichten, selbstgebrauten Biere gibt Die aromatischen Getränke und Gewürze
bilden den Schluss des Ernährungscapitels. *
Unter dem Titel „öffentliche Anstalten“ folgt nun die Luftversorgung,
Beseitigung der sie verunreinigenden Stoffe und speciell der Leichenbestattung
— sodann die Wasserversorgung und vor Allem aus die „Städtereinigungs¬
frage“. Verf. gibt zu, dass sich Eines nicht für Alle schicke, dass wir uns noch im
Stadium der Versuche befinden — um so auffallender ist aber seine Verurtheilung der
Canalisation oder vielmehr der Ueberrieselung, „besser gesagt, der Ueberschmutzung“, die
hintenher zum Unheil führe, zu Sümpfen und Sumpfmiasmen , wobei mit zweifelhaften
Beweismitteln, dem Fall von Genevilliers bei Paris, zu Felde gezogen wird. Nachdem
Verf. Uernur 's 8ystem empfohlen, schildert und preist er auf 9 Seiten das Tonnensystem
von Mittermayer , vergisst aber über den unzweifelhaften Vorzügen desselben die Schwie¬
rigkeiten, die sich demselben bei practisoher Ausführung in grossem Maassstab entgegen-
stellen.
Nachdem Verf. noch eine Seite für Besprechung der Ventilation und Fleischschau
und ein kurzes letztes Capitel über Schulhygieine, Regeln für Schwangere etc. beige¬
bracht und damit seine eigentliche Aufgabe abgeschlossen, bringt er als Anhang noch
seine von der Sociötd suisse pour la sanctification du Dimanche mit einem Preis ausge¬
zeichneten hygieinischen Studien über die Sonntagsruhe, worin er den Nachweis führt,
wie der Sonntag nothwendig sei als Tag der Ruhe, geistiger Sammlung, zur Ermögli¬
chung idealen Aufschwungs, frohen Genusses in Gemeinsamkeit mit Andern , auch als
Veranlassung zur Reinhaltung von Leib und Wohnung, wie aber bei den veränderten
Verhältnissen und Anschauungen unserer Tage der wünschbare und passende Inhalt ihm
fehle, wie der Kirchenbesuch nicht oder doch nicht allein befriedigen könne, sondern der
Bonntag Bad und Spiel, Tanz und Fahrt, Turnen und Waffen Übung, Gesänge und Vor¬
träge anregenden Inhalts bieten müsste , um der jetzigen Sonntags-Entheiligung einen
wirksamen Damm entgegenzusetzen.
Von Reich ’s ziemlich umfangreich angelegtem Werk, das bereits in 2. Auflage er¬
scheint, ist erst eine der 3 Lieferungen erschienen.*) Verf. gibt einleitend eine Definition
von Gesundheit und Krankheit und verbreitet sich dann im Allgemeinen über die Ursa¬
chen der Krankheiten, „die im Organismus und ausserhalb desselben liegen, in der sog.
physischen und der sog. moralischen Welt, deren Wurzeln den ganzen Erdball und seine
Geschichte, Sonnen und Planeten umfassen.“ Als Ziel steckt er für die allgemeine Aero¬
logie , die allein Gegenstand seiner Schrift sein soll, die Erforschung und Tilgung der
entferntem Krankheitsursachen, während der eigentliche Krankheitsvorgang, die Wirkung
der nächsten Ursachen, Gegenstand der Pathogenie ist Die Prophylaxis gründet sich
auf diese allgemeine Aetiologie, mit der sie sich entwickelt und emporwächst zum Baume
der Hygieine. *
Uebergehend zum eigentlichen Thema werden zuerst die Krankheitsursachen aufge¬
sucht, die im Organismus gelegen sind. Es werden die „zwei Urtriebe, der Nabrungs-
und Zeugungstrieb“, sowie einige andere Triebe besprochen; dann der Einfluss des Al¬
ters ins Auge gefasst, unter Beibringung zahlreicher statistischer Daten. Mit dem
FcBtusalter, der Besprechung der Fehl- und Todtgeburten, den Anlagen zur Erkrankung
•) Ist unterd es s e n complet erschienen. Red.
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der Frucht beginnend, bei Behandlung des Kindesalters besonders die Krankheitsursachen
hervorhebend , die sich aus der einseitigen Pflege des Verstandes ergehen , werden die
spätem Altersperioden in Kürze betrachtet, sowie Einiges über die Bedeutung des Ge -
schlechtes für die Aetiologie angeführt. Sodann folgen die Capitel über Idiosynkra¬
sie, Gewohnheit, Erblichkeit, über Rasse und Classe, wobei Verf. mit Nachdruck auf¬
merksam macht, wie schwierig auseinander zu halten sei, was dem Rassenmoment, was
der Eigenthümlichkeit in Lebensweise, Erziehung, Verfassung, Religion zuzuschreiben sei.
Endlich wird die Wirkung des socialen Elends besprochen und sodann speciell Profes¬
sion und Lebensstellung als Krankheitsursache ins Auge gefasst.
In buntester Reihenfolge werden alle Berufsarten durchgenommen und ihre Bedeu¬
tung für den körperlichen wie den intellectuellen und moralischen ZuBtand an der Hand
überaus reichlich zusammengetragenen literarischen Materials behandelt. Der Verfasser
dürfte wohl im Streben nach Vollständigkeit Dinge mit hereingezogen haben, die den Be¬
ruf als solchen gar nichts angehen, so z. B. wenn er anführt, wie die Ziegler in der Mark
Brandenburg beim Transport von Lehm auf stagnirenden Wassern an Wechselflebern
leiden oder wenn die Läusesucht als besonders häufig bei Bäckern und Müllem vorkom—
mend erwähnt wird. Es treten ferner bei der vom Verf. beliebten Behandlungsweise aus
all’ dem Vielerlei der aufgezählten krankmachenden Einflüsse des Berufs die vorwiegend¬
sten derselben zu wenig klar hervor, ein Nachtheil, der vorzüglich bei Vergleichung mit
dem bekannten Hirt 1 sehen Werk über Gewerbekrankheiten in die Augen springt.
Doppelt verdienstlich hingegen gerade bei einer für die weitesten, nicht nur ärzt¬
lichen Kreise bestimmten Schrift ist das Bestreben, die Erfolge gehöriger Schutzvorrich¬
tung gegen die vorhandenen Schädlichkeiten, der Einfluss guter Löhnung und Ernährung
auf die Verminderung des nachtheiligen Einflusses der Berufsart etc. ins hellste Licht zu
Betzen und durch das stete Bestreben, auch Geistesverwirrung und Verbrechen, moralische
Ungesundheit jeder Art in ihrer directen Abhängigkeit von dem Einfluss des Berufs, der
socialen Stellung u. s. f. nachzuweisen.
Mit den nun folgenden Capiteln über Bewegung der Muskeln — Athmung, Stimme,
Sprache — Wachen und Schlaf, Gemütsbewegung und Leidenschaft, GeisteBthätigkeit,
schliesst die vorliegende Lieferung. Die Schreibweise des gelehrten Verfassers ist die
aus seinen frühem zahlreichen Schriften bekannte — die Arbeit, mit Hunderten von Ci—
taten durchsetzt, macht mehr den Eindruck einer Mosaik, als den eines aus einem Guss
hervorgegangenen Ganzen; ist aber nichtsdestoweniger sehr geeignet, auch ein weiteres
Publicum zum Nachdenken über die Ursachen anzuregen, denen unsere Krankheiten ent¬
springen. _ Sch.
Medicinische Hausbücher: Die Hustenkrankheiten, ihre Entstehung, Behandlung und
Verhütung.
Ein Rathgeber für Jedermann. Von Dr. Paul Niemeyer. 2. Auflage. Denike's Verlag,
Georg Reineke, Berlin.
Mit wirklicher Spannung nahmen wir das populär-medicinische Werkchen des be¬
kannten und belesenen Bearbeiters der „Auscultation und Percussion“ zur Hand, schon
weil es ein so ausserordentlich wichtiges Capitel in seinen Hauptgesichtspuncten zu be¬
handeln versprach, und weil wir aus dem prätendirten „Rathgeber für Jedermann“ auch
für Aerzte neue Auffassungen zu schöpfen hofften. Obwohl Paul Niemeyer nicht zu jenen
populär-medicinischen Schriftstellern zählt, welche blos die für jede allgemeine Bildung
zugänglichen Fragen öffentlicher Hygieine, der Krankenpflege und dergl. erörtern, auch
nicht zu denen, welche sich rein autoritär Uber gewisse Erkrankungen und ihre Behand¬
lung aussprechen, ohne weitere physiologische und pathologische Begründung, sondern
die dankbarere Methode verfolgt, dem Leser duroh Auseinandersetzung Uber Entstehung
und Wesen einer Krankheit auch seine Behandlungsweise plausibler zu machen — so
durften wir doch von dem renommirten Schriftsteller und nunmehrigen Docenten der phy-
sicalischen Diagnostik in Leipzig erwarten, dass er die Gefahren dieser populär-medici¬
nischen Methode vermieden habe.
Durch diese anscheinend inductive Behandlung specieller ärztlicher Fragen wird näm¬
lich der nichtärztliche Leser leicht in die schmeichelhafte Einbildung versetzt, er habe
durch die gelesenen Auseinandersetzungen nun eine gründliche Einsicht in das Wesen
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der behandelten Frage gewonnen und eei nun competent, Ober die zweckmässige The¬
rapie mitzuurtheilen und diese Einbildung erstreckt sich dann bald über die ganze Patho¬
logie und Therapie. Der Schriftsteller dagegen läuft Gefahr, wegen der Leichtigkeit, die
Unwissenden zu seiner Ansicht zu ziehen, die Thatsachen einseitig zu verwerthen, ferner,
da er auch Ober Puncte • Auskunft geben soll, worüber die Gelehrten selbst noch nicht
einig sind, seine Hypothesen für Errungenschaften auszugeben und schliesslich auf seine
populär-medicinische Demagogie gestützt unfehlbar zu werden.
Paul Niemeyer theilt sein in 68 Octavseiten erörtertes Thema in zwei Hauptab¬
theilungen :
1. Die Hustenkrankheiten und ihre Behandlung,
2. Gesundheitsleh're für Hustenleidende und Solche, die es nicht werden wollen.
Im ersten Theil schickt er der Besprechung der Hustenkrankheiten erstens der Kin¬
der, zweitens der Erwachsenen ein» Einleitung voraus, worin er das Wesen des Husten¬
actes zu deflniren sucht. Schon hier treffen wir auf eine Einseitigkeit des Autors, indem
er den Hustenact blos als unwillkürliche Unterbrechung des Athmens bezeichnet, den
willkürlichen Husten also übersieht und ferner als Ausgangspunct des Hustens in der
Regel die Lungen angibt, so dass er der Bezeichnung „Hustenkrankheiten“ den Namen
„Brustkrankheiten“ zu substituiren für erlaubt hält. Als Ursache des Hustenreizes erwähnt
er blos die Einathmung von „Dingen, welche die Lunge nicht brauchen kann“, und in
der „Vernachlässigung des Hustens“ findet er den Grund der so verbreiteten Hustenplage.
Um diesen fundamentalen Satz zu beweisen, durchgeht nun der Autor die Husten¬
krankheiten, zuerst die der Kinder. — An der Bronchitis der Kinder, „der Verschleimung
und Brustbräune“, sei ungenügender Aufenthalt in frischer Luft, unrichtige Nahrung, Ein¬
stellen der Bäder, Nachts Ueberheizung, und im Schlafe Ueberdeckung des Mundes durch
ein Tuch schuld. Der Group sei der nämliche Vorgang in der Luftröhre, wie er bei
Brustbräune in der Lunge vorkomme, und stelle „im Uebrigen ein Strafgericht dar für
Verweichlichung und Vernachlässigung richtiger Lungenpflege“!-
Der bellende Hustenton bei Pseudocroup komme von der dem Kindesalter eigen-
thümlichen Enge des KehlkopfeB! Der Pseudocroup komme überhaupt nicht von Erkäl¬
tung 1 Alles Behauptungen von Paul Niemeyer , welche von seinem Publicum wie ein Evan¬
gelium geglaubt werden, während sie zur Hauptsache ganz unrichtig sind. Gewiss dis-
ponirt Verweichlichung zu allen möglichen Erkrankungen, doch das absichtliche Ueber-
sehen der Infection bei den gegenwärtigen Croupepidemien, die Negation der Thatsache,
dass selbst gut genährte und fleissig gebadete Kinder bei plötzlichen Witterungsumschlägen
durch nasse Füsse etc. an Bronchitis oder Laryngitis catarrhalis erkranken, sowie die
gründliche Erklärung des bellenden Huetentones streifen an's „Naturärztliche“ ! Noch ober¬
flächlicher ist Niemeyer'* Angabe, der Keuchhusten komme beim Erwachsenen nicht vor
und seine Ursache müsse somit im kindlichen Bau der Kehle gesucht werden! Ueberdies
„müsse er in der Summe von Schädlichkeiten und Unterlassungssünden begründet sein,
denen unsere Kinderwelt sowohl daheim als in der Schule ausgesetzt sei. Dafür spreche
die Thatsache, dass er in Ländern, wo kein Schutzzwang herrscht, die Kinder mehr im
Freien verweilen, wo drinnen nicht mit eisernen Oefen geheizt wird, nicht vorkomme.“
Wie ein Niemeyer solches aufzutischen wagen kann, ist fast unbegreiflich! Eine hier
angehängte Krankengeschichte soll die Theorie, der Keuchhusten sei nichts als Verwun¬
dung der Kehlkopfschleimhaut durch staubartige Fremdkörper, erhärten.
Fast verging uns die Lust, nach solchen Proben populärer Medicin noch die weitern
Capitei dieses „Rathgebers für Jedermann“ zu durchgehen. Doch hofften wir in der Be¬
sprechung der „Hustenkrankheiten der Erwachsenen“ vielleicht einige Goldkörner zu fin¬
den. Zuerst kommt eine äusserst flüchtige Skizze über den Schnupfen , allerdings „ein
bekannter Zufall“, wie N. sagt. Die Definition des „trockenen Schnupfens“ gibt unser
Autor damit: er sei „gar kein Schnupfen, sondern die Folge von allerhand diätetischen
Unterlassungssünden, welche eine mangelhafte Blutbildung zur Folge haben, oft auch von
fortwährendem Athmen in Staubluft.“ Dann folgt „der Magenhusten“, den N. besser
Trinkerhusten nennen sollte, um nicht die alte populäre Meinung, dass der Husten vom
verdorbenen Magen komme, zu unterstützen. Gegen dieses Capitei, sowie gegen die Be¬
merkungen über Predigerhusten, Staubhusten, Bluthusten lässt sich weniger einwenden,
doch würde Niemand hinter dem nach Form und Inhalt unbedeutenden Geplauder einen
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Niemeyer suchen, wenn er nicht ausdrQcklich als Autor genannt wäre und „sich alle Rechte
Vorbehalten hätte“.
Bildeten die erwähnten Hustenformen der Erwachsenen JV.’s „einfache Hustenleiden“,
so finden wir unter Nr. 2 die „tieferen (organischen) Hustenleiden“. Offenbar findet es
N. für populär, diese chronischen Laryngitiden als impalpable unorganische Erkrankungen
zu betrachten. Die„ tieferen Hustenleiden“ umfassen den Lungenblutsturz und das Asthma.
Als bestes Mittel gegen den ersteren empfiehlt JV., den Kranken aufzurtltteln! die Ath-
mung durch Drücken etc. in Gang zu bringen, „denn das einmal ausgetretene Blut müsse
auch zum Munde hinaus“. Salzwasser, löffelweise innerlich gegeben, sei eine Pferdecur,
Eis auf die Brust eine Misshandlung! die Lungenwunde schliesse sich am ehesten durch
recht tiefes Athemholen, rasches Auaathmen! Ob wohl N. viele Heemoptoiker zu Patien¬
ten behält?
Unter Nr. 3 „entzündliche Hustenkrankheiten“ oder Brustentzündungen bespricht N.
die Pneumonie, von welcher er auch alte Leute binnen 14 Tagen wieder auf die Beine
brachte 1 ferner die Pleuritis, den Brustfellrheumatismus und die Phthisis.
Neue Anschauungen oder gediegene populär-verständliche Schilderung zeichnen diese
Capitel gerade nicht aus, höchstens ist iV.’s Erklärung der Aetiologie des Brustrheumatis¬
mus nett. Dieser kommt nicht von Erkältung, sondern „von Anstrengung der Lunge,
während der Brustkorb durch eine Last oder einseitige Hantirung verhindert wird, sich
so weit auszudehnen, wie die Lunge es verlangt. Das Brustfell wird hierbei gewisser-
maassen geknautscht“.
Die Schwindsucht theilt N. in 1) schleimige Abzehrung (Catarrh mit Emphysem),
2) trockene oder Lungenspitzenschwindsucht Erstere Krankheit verlangt ausser lösender
Diät Inhalationen mit Gerbstoff — nach unserer Meinung sind diese geradezu unpassend.
— ferner eröffnende Diät etc. Der „trockene Schwindsüchtige“ (so schreibt N. z. B. auf
pag 34) hat, wenn er Heredität nachweisen will, die Krankheit blos durch Uebernahme
schlechter Lebensgewohnheiten geerbt. Eine andere Vererbung durch das Blut gibt’s
nicht! Recht hat aber N ., wenn er es rügt, dass die Phthisiker meist zu spät Hülfe
suchen! Hoffentlich wird die Belehrung, die nun Jedermann in diesem Werke findet,
diesem Uebel abhelfen! Die Behandlung der Phthise erfordert keine Medicamente, frische
Luft, Bewegung, Besserung der Culturzustände. — Soviel im ersten Hauptabschnitt.
Der zweite Hauptabschnitt behandelt „die Gesundheitslehre für Hustenleidende und
Solche, die es nicht werden wollen“. Hier steht der Verfasser auf einem weniger ab¬
schüssigen Boden als die populäre Pathologie war, seine populäre allgemeine Therapie
lässt sich weniger anfechten.
N. empfiehlt, kräftig und voll zu athmen, durch die Nase, und verwirft natürlich auch
den blos den Mund schützenden Jeffrey 'sehen Respirator. Mit Recht verurtheilt er hem¬
mende Kleidung. Auf die Qualität der Athemluft legt er wie jeder Arzt volles Gewicht,
warnt vor Alkoven etc., vor Plätteisen mit Selbstheizung, vor tat teuhafter Aengstlichkoit
etc. Hautpflege, richtiges Essen und Trinken, Massigkeit selbst bis zum Vegetarianismus
finden an ihm einen warmen Vertreter. Wenn er aber dem Hustenkranken Fleisch, Bier
und Wein verbietet, so schiesst er wohl etwas über das Ziel hinaus. Gegen Hustenreiz
empfiehlt er unschuldige Hausmittel und zur Lösung des Hustens möchte er die Husten¬
den in verschiedenen Stellungen mit Armhebung tief athmen lassen. Schliesslich anem¬
pfiehlt er wärm8tens Inhalationen mit einem kleinen Siegle 'sehen Apparat, der „erst vor
Kurzem erfunden worden sei“.
Schade, dass in diesem „Rathgeber für Jedermann“ das Gute nicht neu und das
Neue nicht gut ist, wird der Leser sagen, ja noch mehr schade, dass ein Schriftsteller
wie Paul Niemeyer solche Arbeit nicht Andern überlässt. Dr. Rud. Meyer-Hüni.
Winkel, Uber Myome des Uterus in ätiologischer, symptomatischer und therapeutischer
Beziehung.
(Volkmann’s klinische Vorträge Nr. 98.) Leipzig, Breitkopf & Härtel.
Die vorliegende Monographie erstreckt sich auf mehrere Hundert von Winkel und
Anderen zusammengestellteu Fälle. Myom, Myofibrom, Fibrom nennt man scharfbegrenzte
Hyperplasien des Uterusgewobes ; sie bestehen aus glatten Muskelfasern, Bindegewebe,
.
207
Gefaaaen ; Nerven sind darin noch nicht gefunden worden. Es gibt wie bekannt intra¬
parietale, submucöse, subseröse Myome; die hintere Wand des Uterus ist prädispo-
nirt dazu.
Aus der Zusammenstellung ergibt sich: Der Beginn der Myome findet durchschnitt¬
lich statt im Acfang der dreissiger Jahre; dieselben sind viel häufiger bei verheiratheten
Frauen und bilden ein Hinderniss für die Conception. Sie kommen vor der Pubertätszeit
auch vor, aber seltener.
Bezüglich der Aetiologie glaubt Verf., dass folgende Momente in Betracht kommen:
1) „Reize, die den Uterus direct treffen“ : Coitus, Traumen, Aborten mit ihren Folgen,
erhöhte Congestionen, Catarrhe etc. 2) „Reize, bei denen der Uterus indirect betheiligt
ist.“ Hieher gehören Fälle, wo Metrorrhagien in Folge Ueberanstrengen der Bauchpresse
oder anderweitigen Congestionen auftreten. 3) Allgemeine Krankheiten, bei welchen die
Circulatiou des Uterus alterirt wird.
Diese mannigfachen Störungen bedingen erst Circulationsstörungen, Stasen, Wand¬
schwellungen , Auswandern von Blutkörperchen und führen endlich, namentlich bei Zu¬
sammentreffen verschiedener schädlicher Momente, die wiederholt dieselbe Stelle des Or¬
gans afflciren, zu einer partiellen Hyperplasie seiner Wandungen.
Zu den Symptomen gehören: Lage- und Gestaltveränderungen des Uterus, Functions¬
störungen desselben, als gefährlichstes die an Intensität steigenden Blutungen. Eigen-
thümlich sind die hin und wieder wahrnehmbaren Contractionen bei grösseren Geschwül¬
sten, bei kleineren der an hysterische Beschwerden erinnernde sogen. „Gebärmutter¬
schmers“.
Verblutung, Pyromie und Septicmmie sind die häufigsten Ursachen eines lethalen
Ausgangs in den 40er Jahren. Gewöhnlich tritt mit der Menopause allgemeiner Nachlass
der Beschwerden, besonders der Blutungen, ein. Verf. hat einen Fall von spontanem
Schwund des Myoms, wahrscheinlich eine Analogie der puerperalen Involution des Uterus,
beobachtet.
Neben der künstlichen Entfernung, zu der die Erfahrungen aufmuntern, kommt thera-
peutisoherseits in Betracht die Stillung der Blutungen. Je nach der Art und der Inten¬
sität derselben leisten gute Dienste Ergotin (subcutan und innerlich) oder Liquor ferri.
HUdebrandt hat nach Injectionen von Ergotin (subcutan 0,00 2—3 Mal wöchentlich) so¬
wohl Sistirung der Blutungen als Verkleinerung des Tumors deutlich constatirt.
E. L.
Kantonale Correspondenzen.
Baiei. Zu Prof. Moste r ’s Bandwurmcur. (8. Corr.-Bl, 1877 S. 16ö.)
Das Extr. Granati spirit. Bataviense ist gegenwärtig vollständig vom deutschen Droguen-
markte verschwunden ; Anfragen darum bei den ersten Häusern waren vergebens. Herr
Apoth. Kunstmann in Greifswalde selbst schreibt darüber in Nr. 17 der pharm. Zeitung:
Der vorhandene Vorrath war bald vergriffen; die Nachbestellung ist schon im Frühjahr
1876 in Batavia gemacht worden, doch ist bis heute noch kein neues Präparat ein-
getroffen.
Es erhellt hieraus, dass es vor der Hand unmöglich ist, mit Extr. Granati Batav.
weitere Versuche zu machen. 8.
Genf. Die neue med. Facultät in Genf. (S. d. beigelegte Tafel.) Das
lebhafte Interesse, welches das auch bei uns viel gelesene „Correspondenz-Blatt für
schweizer Aerzte“ von Anfang an unserer neuen med. 8chule zugewendet, ermuntert mich
zu einem ausführlicheren Bericht Uber deren Gründung und HülfsmitteL Die Ergänzung
unserer alten schon längst in den Naturwissenschaften hervorragenden Academie zu einer
vollständigen Universität wurde durch Beschluss des Grossen Raths vom 13. September
1873 zum Gesetz erhoben, nachdem die Vorarbeiten einer vom Unterrichtsdepartement
eingesetzten Berathungscommission von Aerzten und die Berichte der Hospital-Aerzte
erwiesen hatten, dass es am nöthigen Material (freiverfügbare Leichen, Operationen, Kran¬
kenzahl) nicht fehlen würde. Die Anregung zur Gründung einer medicinischen Facultät
war von einem Kreise jüngerer Aerzte und auch einigen älteren Collegen, wie nament-
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lieh dem verstorbenen Alt-Regierungsrath Dr. Duchosal ausgegangen und hatte in einer
von vielen Aerzten des Cantons Unterzeichneten Petition an den Grossen Rath öffentlichen
Ausdruck gefunden. Stemmten sich auch Anfangs einige Sonderinteressen und nament¬
lich flnancielle Bedenken gegen den Plan der Regierung, die schon in den letzten Jahren
so viel für die Entwicklung des öffentlichen Unterrichts in allen Graden geleistet hatte,
so siegte doch gerade dieser Eifer und diese Opferfreudigkeit über alle zum Theil reel¬
len , zum Theil mehr eingebildeten Hindernisse. Der alte wissenschaftliche Ruf unserer
Stadt, zu dem grosse Aerzte wie ein Coindet , ein Rittet, ein Chossat u. A. nicht zum we¬
nigsten beigetragen hatten, schien Gewähr dafür zu leisten, dass unter den Genfer Aerz-
ten selbst ein guter Theil fähiger Lehrer und unter dem Genfer Volke ein genügendes
Interesse an der neuen Schöpfung zu finden sein würde. Der weitere Hergang bewies,
dass diese Erwartungen nicht auf Täuschung beruhten. Uuserer jetzigen Regierung, vor
Allem ihrem Haupte, dem Unterrichtsp'räsidenten Herrn Carteret , welchem der Rector der
Academie, Prof. Carl Vogt , der Chef des öffentlichen Baudepartements und die Verwal-
tungscommission des Cantonsspitals tapfer zur Seite standen, gebührt unstreitig das Ver¬
dienst, sowohl die Vorarbeiten als die Ausführung des Gesetzes vom 19. September 1873
mit einem Eifer und einer Energie betrieben zu haben, welche allein, es möglich mach¬
ten, die medicinischen Vorlesungen schon im October 1876 unter relativ sehr günstigen
Auspicien zu eröffnen. Es wäre jetzt nicht mehr zeitgemäss und auch völlig nutzlos,
retrospective Kritik zu üben an Manchem, was auf andere Weise vielleicht zweckmässi¬
ger , jedenfalls wohlfeiler hätte gethan werden können, worüber z. B. Referent andere
Ansichten hatte als die zur Geltung gekommenen. Das Gesetz hatte dem Regierungsrath
absolute Vollmacht in der Wahl der Lehrkörper übertragen.
Solche, denen die gespannten Verhältnisse unserer cantonalen Politik und der Ein¬
fluss des Parteigeistes auf alle, auch die unpolitischsten Dinge, bekannt sind, müssen
rühmend anerkennen, dass die Regierung den Gefahren einer solchen Bestimmung zum
grössten Theil entgangen ist und sich in der Eintheilung und Besetzung der Lehrstühle
im Allgemeinen durch competente Urtheile und Rathschläge und das wahre Wohl der
jungen Facultät leiten liess. W r enn eineelne Einrichtungen, wie z. B. die Gleichstellung
sämmtlicher angestellten Docenten im Professoren-Collegium trotz Unterschiede der Be¬
soldungen (von 12,000 zu 1000 Franken) und der Lehrstunden (bis auf Eine wöchentlich
herab), die l'rennung resp. doppelte Besetzung des practischen und des theoretischen
Lehrstuhls für innere und äussere Pathologie und Anderes mehr, dem Anhänger deutscher
Universitätseinrichtungen befremdlich erscheinen mögen, so liegt dies hauptsächlich daran,
dass die Aerzte aus französischer Schule, wie in Genf überhaupt, so auch in den vorbe-
rathenden Commissionen die Mehrzahl bildeten. Die 13 Ernennungen (12 ordentliche
Professoren und 1 chargö de cours) wurden 9 hier practicirenden Aerzten, 1 hiesigen
Apotheker und 3 auswärtigen Gelehrten zu Theil. Von den ersteren sind 4 gewesene,
2 jetzt fungirende Chef-Aerzte des Cantons-Hospitals, welche die äussere und innere
Klinik, die Geburtshülfe mit Klinik, die chirurgische Pathologie und Operationslehre, die
Therapeutik und die Psychiatrie innehaben. Die anderen Inländern übertragenen Fächer
sind Poliklinik, Hygieine, innere Puthologie, Pharmacologie. Die gerichtliche Medicin
blieb vor der Hand der juristischen Facultät zugetheilt, wie der naturwissenschaftlichen
die medicinische Physik und Chemie, die vergleichende Anatomie, Zoologie und Entwick¬
lungsgeschichte.
Es erhellte von vornherein, dass die Besetzung der Physiologie, Anatomie, Histologie
und pathologischen Anatomie, als der wahren Grundpfeiler der heutigen Medicin, für das
Aufblühen der jungen Facultät von der allergrössten Wichtigkeit sein müsse, und wir
betrachten es als ein Glück, resp. als gutes Omen für die Zukunft, dass es der Regie¬
rung gelang, so tüchtige und bewährte Kräfte aus Florenz, Strassburg und PariB für den
neuen Wirkungskreis zu gewinnen. Nicht wenig mögen diese Berufungen erleichtert
worden sein durch die grossartigen, allen neueren Anforderungen entsprechenden Räum¬
lichkeiten, welche diesen Lehrfächern zur Verfügung gestellt wurden und deren Einrich¬
tung für Unterricht und Forschung gleich förderlich erscheint. In der That wurden keine
Kosten gescheut, um ein anatomisch-physiologisches Institut zu schaffen, das sich würdig
an die Seite der schönsten derartigen Anstalten im Auslande stellen darf und nm welches
manche ältere schon berühmte medicinische Schule unsere junge Universität beneiden
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kann. In dieser Besiehong bietet die Entstehungsgeschichte der Genfer medicinischen
Facultät einen charakteristischen Unterschied von der anderer, in specie der drei älteren
Schweiz. Facultäten. Wurde dort mit geringen Kosten ein bescheidener Anfang gemacht,
das Hauptgewicht für den Beginn auf einen kleinen Kern tüchtiger Lehrer gelegt, welche
sich Jahre lang für Vorträge, Experimente und Kliniken mit alten, zum Theil sehr un¬
genügenden Räumen begnügen mussten, und die Herstellung neuer Gebäulichkeiten auf
spätere Zeiten verschoben, so schien hier letzteres mehr äusserliche Element in den
Vordergrund zu treten, ja der Eröffnungstermin des Unterrichts wurde geradezu von Fer¬
tigstellung der neuen Bauten abhängig gemacht
Dass ein kleiner 8taat von nicht 100,000 Einwohnern auf eigene Faust eine medi-
cinische Facultät gründe und sie mit solcher Liberalität ausstatte, ist wohl ein seltenes
Vorkommniss. Von Genf, dem fast ganz in Frankreich eingeschlossenen Grenzeanton,
konnte es fast ein Wagniss genannt sein, um so mehr, als von diesem Nachbarstaats
keinerlei Zuzug an Studirenden, ebenso wenig wie von den andern Cantonen der fran¬
zösischen Schweiz eine directe Betheiligung an der neuen Schöpfung zu erwarten stand.
Auf die schweizerischen Medicin-Studirenden, selbst aus diesen Cantonen, mussten die
drei viel besuchten und wissenschaftlich so hoch stehenden Facultäten in Basel, Bern und
Zürich, neben Paris und den deutschen Universitäten fortdauernd ihre Anziehungskraft
üben. Es ist daher begreiflich, dass die Genfer Regierung kein Opfer zu gross fand,
damit die materielle Ausstattung der neuen Schule zum mindesten hinter den anderen
kleinen und mittleren Facultäten Deutschlands und der Schweiz nicht zurückstand, ja
selbst vor manchen derselben in dieser Beziehung eine präponderirende Stellung behaupte.
Auch ist nicht zu leugnen, dass die Erfordernisse namentlich der experimentellen Wissen¬
schaften seit einer Reihe von Jahren bedeutend gestiegen sind und überall in der Errich¬
tung zeitgemässer Anstalten gewetteifert wird.
Das Gebäude der Ecole de mödecine in elegantem und einfachem Style aus sehr
solidem Material (hauptsächlich Jurakalk-Quadern) ausgeführt, erhebt sich am neuen Quai
der Arve, neben den neuen demnächst zu beziehenden Militärgebäuden, in der Vorstadt¬
gemeinde Plainpalais, etwa 10 Minuten vom Cantons-Spital, 5 —0 Minuten von Universi¬
tät, Stadtbibliothek und naturhistorischem Museum entfernt Beigegebene Grundrisse und
Frontansicht entbinden mich der genauem Beschreibung. Das Gebäude misst 60 Meter
Front und ist das Werk drei junger Architecten, der Herren Gampert, Gouy und Reverdin ,
deren Pläne bei der Bewerbung als die besten ausgezeichnet wurden. *)
Es wurde im November 1874 mit den Erdarbeiten angefangen und in der relativ
sehr kurzen Zeit von l*/4 Jahren war der Bau innen und aussen vollendet. Der Grosse
Rath hatte dafür 420,000 Fr. votirt. Mit den hinzugefügten Döpendances (42,000 Fr.)
und dem Honorar der Architecten (31,000 Fr.) kam es jedoch auf 583,000 Fr. zu stehen,
wozu noch etwas über 70000 Fr. für innere Einrichtungen und Mobiliar kamen. Summa
Fr. 653,000 (in runder Zahl).
Es versteht sich bei solchen Ziffern wohl von selbst, dass für Wasser, Licht, Luft
und Wärme (Gas, Luftheizung, Ventilation etc.), für mechanische Leichen-Aufzüge, Stal¬
lungen und Käfige für Versuchstiere jeder Art, reichlich Sorge getragen ist
Der grosse als eigener Pavillonanbau in 1 den Hofraum vorspringende amphitheatra¬
lische Hörsaal fasst bequem 100 Sitzplätze, der kleine, wo Physiologie und die meisten
theoretischen Coilegien gelesen werden, deren 50.
Die ganze südliche Hälfte des untern Stocks ist der Physiologie, der nördliche Flügel
der normalen Anatomie gewidmet Die Präparirsäle (mit 10 Leichentischen) sind sehr
comfortabel eingerichtet. Zu bemerken ist, dass der asphaltirte Fussboden der Präparir-
sääle und des chemischen Laboratoriums ganz von Eisenconstruction getragen ist und aus
einem Gemisch von Kies und hydraulischem Kalk (Böton) besteht, wodurch die Vortheile
der Trockenheit, des leichten Aufwaschens, der Verhütung von fauligen Infiltrationen und
Zersetzungen und der Dauerhaftigkeit erzielt werden. Alle anderen Sääle sind parquettirt.
Im obern Stock nehmen Histologie und pathologische Anatomie den Frontraum ein, wäh¬
rend in den Flügeln die noch im Entstehen begriffenen anatomischen Sammlungen unter-
*) An dieser Bewerbung, welche im Juni 1874 stattfand, betheiligten sich ungefähr ein Dutzend
Architecten.
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gebracht werden sollen. Das viele schätzbare, bei Sectionen und Operationen den Colle-
gcn zugängliche Material, das bisher aus Mangel an passender Unterkunft meist verloren
ging, wird nunmehr dem Museum der Ecole de mädecine zufliessen können, für welches
allmälig eine regere Theiluahme bei den Aerzten des Cantons und der Umgegend nicht
ausbleiben wird. Ursprünglich lag es auch in der Absicht der Unterrichts-Direction, in
einem der obern Sääle eine medicinische Bibliothek auzulegen, nach dem Beispiel der¬
jenigen der Facultä de mädecine in Paris, die allen Studirenden mit grösster Liberalität
geöffnet, ihnen unstreitig grössere Dienste leistet als zerstreute oder nur mit Umständen
zugängliche Büchersammlungen, wie ich sie an mancher nicht französischen Universität
kennen lernte. Dieser Plan wurde jedoch, wahrscheinlich als unpraktisch oder zu gross-
artig, verlassen, wohl mit Recht, da sowohl die Socidtä mödicale als die öffentliche 8tadt-
bibliothek bereits viele medicinische Werke und Zeitschriften besitzen. Erstere beschloss
schon, jedem Studirenden der medic. Facultät täglich freien Zutritt zu ihrem Lesezimmer
(Uber 20 periodische Publicationen) und ihrer ttüchersammlung (Uber 6000 Bände) zu
gestatten. Die Bibliothöque publique hat sich bereit erklärt, die medicinische Literatur
(zu welcher erst kürzlich Uber 1200 Bände als Legat des Dr. Coindet seL hinzugekommen)
mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der Facultät nach Kräften zu vervollständigen, nament¬
lich durch neuere Werke, und wurde ihr zu diesem Zweck ein besonderer Credit (6000
Franken, wenn ich gut unterrichtet bin) vom Stadtrathe bewilligt. Mit dor Zeit wird also
auch diesem Puncte gehörig genUgt sein.*) (Schluss folgt)
W ochenbericht
Schweiz.
Impfwesen. Wie wir in letzter Nummer mittheilten , lag der Bundesversamm¬
lung eine „Petition des schweizerischen Vereines gegen Impfzwang“ (Zürich im Selbst¬
verlag) zur Behandlung vor. Sie trägt das Motto „Die Schutzpockenimpfung ist in der
Thierwelt bereits ein überwundener Standpunct“ (Verb. d. preuss. Landtages vom 4. Juni
1875. Dr. Virchow) und ist unterschrieben von Dr. Th. Bruckner , Dr. Zopfi , Schuster , Arzt,
und 6 Laien. Die Petenten stellen an die Bundesversammlung die Bitte: „Sie möchten
jedem Schweizerbürger das VerfUgungsrecht Uber sein eigen Fleisch und Blut zurück¬
geben und den Impfzwang aufheben!“ Gleich am Beginn wird die Abstimmung der
schweizerischen Aerzte verdächtigt, weil „man von Oben das Ansinnen stellte, dass jeder
Stimmzettel mit Namensunterschrift versehen sein müsse. Wir Impfgegner protestiren
jedoch gegen diese Art und Weise, durch Druck von Oben und blosse Mehrheitsbe¬
schlüsse wissenschaftliche Fragen erledigen.zu wollen“. Das ist charakteristisch
genug — das Haschen nach der Märtyrerkrone der unschuldig verfolgten Dulder einer¬
seits und die sofort anmassende Unbescheidenheit, die sich (sogar die Laien) selbstver¬
ständlich über das Urtheil und über die Moral der lOlOAerzto stellt; denn gleich weiter
heisst es : „die Wahrheit Wird ja meistens zuerst nur von Wenigen erkannt und begrif¬
fen und die wichtigsten Reformen und Entdeckungen verdanken ihren Ursprung oft einem
Einzelnen, ja sogar Laienhirn.“ Es kommen dann die bekannten Behauptungen Uber die
Unzuverlässigkeit der Statistik der Impffreunde und die Zuverlässigkeit derjenigen der
Impfgegner, die Gefährlichkeit der Impfung, so dass z. B. „der Impfschutzglaube (ähn¬
lich den lateinischen Recepten) auch einen nicht unbeträchtlichen indirecten Schaden ver¬
ursache, weil dadurch die Massen des Volkes in eine falsche Sicherheit eingewiegt wer¬
den, in Folge dessen die allernothwendigsten Gesundheitsregeln und Seuchevorbeugungs-
mittel auf geradezu unverantwortliche Weise vernachlässigt zu werden pflegen“. Das ist
das einzige Neue in der Brochure, dass also nämlich das Impfen und die lateinischen
Recepte, die selbst Herr Dr. Bruckner Jahre lang in Basel schrieb, an der Ausbreitung von
Typhus, Masern, Puerperalfieber, kurzum der Seuchen durch ihren schädlichen Einfluss
auf die Moral des Volkes einzig und allein schuld sind.
*) Ausserdem sei der Vollständigkeit halber bemerkt, dass die Sociätö de Lectnre, eine
Privatgesellschaft, die Uber 60,000 Bände oatalogirt und in welcher auch Aerzte gehören, manche
medicinische Werke und namentlich Journalsammlungen besitzt.
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Es folgt dann die fettgedruckte „lebhafteste Ueberzeugung, dass die Pocken heut¬
zutage noch viel weniger unter uns herrschen würden, wenn wir nicht durch beständige
künstliche Pockenstoffverbreitung (Impfung) die Krankheitskeime stets vermehrten“. (!)
Jeder Secundarschüler kann aus eigener Erfahrung „mit seinem Laienhim“ hierauf
antworten und ebenso auf die Verkehrtheit der Phrase (p. 13): „Sollte man es überhaupt
glauben, dass im 19. Jahrhundert (letztes Viertel) herrscht noch der Wahn, dass Pocken¬
stoff, in's gesunde Blut gebracht, vor den Pocken schütze“ ....
Die schweizerische Aerztecommission (in ihrem Namen Dr. Sonderegger als Präsident
und Dr. A. BurckAardl-Merian als Schriftführer) antwortete sofort durch die „Petition der
Impffreunde“ (8t. Gallen, Zollikofer).
Schon das Motto stellt die oppositionelle Petition und ihre Tendenz in das richtige
Licht Es heisst: „Ich verwahre mich ausdrücklich gegen den Versuch, mich in den
Augen einer bethörten Menge zu einem Freunde der meiner Meinung nach gänzlich sinn¬
losen Agitation gegen die Schutzpockenimpfung der Menschen zu stempeln.“ ( Virchow ,
Verhdl. des deutschen Reichstages, 26. Jan. 1876.) Die Petition enthält folgende Haupt-
puncte: die eingeleitete Vaccinations- und Variolastatistik und ihre Schwierigkeiten, die
Resultate der Aerzteabstimmung ; Vorfragen ^[Competenz der Aerzte, Statistik, „Druck
von Oben“, Impfung); Pocken (Schweiz, Preussen, Folgen, Vorbeugung, Contagium);
Impfung (Inoculation von Menschenblattern, Jenner ), Schafe und Menschen, Pockenstatistik
mit und ohne Vaccination, Syphilis, andere Krankheiten und Gefahren, Freigebung —
„England und Deutschland halten die obligatorische Impfung fest, Frankreich arbeitet mit
allen Kräften für dieselbe“ —); Vorschläge („I. Abweisung der Petition der Impfgegner,
II. Maassregeln zur Verbesserung der Impfung, insbesondere der Militärimpfungen, III. Aus¬
arbeitung eines eidgenössischen Seuchengesetzes.
Die Petition der Impffreunde ist im Gegensätze zu derjenigen der Impfgegner voll¬
kommen ruhig, ohne alle Uebertreibungen und leidenschaftlichen Declamationen, aber fest
und sicher geschrieben.
Der gut organisirte Krieg gegen das Impfen macht eB uns zur Pflicht, die begonnene
Statistik möglichst exact und mit kritisohem Auge durchzuführen. Die Jahre 1870/71
haben uns schlagend genug bewiesen, dass die Phrase von der modernen Gutartigkeit
der Pocken eitel Lüg und Trug ist. Lassen wir uns also nicht von der Bahn abdrängen,
die unsere Heimath vor dem Unglücke bewahren soll, das Probirfeld eines launenhaften
und unabgeklärten Dilettantismus zu werden.
Entscheide in Impffeachen« Die Petition der Officiersgesellsohaft
des Cantons Luzern gegen die obligatorischen Militär-Revaccinationen wurde den 2. März
vom h. Bundesrath folgendermaassen beantwortet:
„Hochgeehrte Herren! Auf Ihre Eingabe vom 23. v. M., die Impffrage betreffend,
sollen wir zu erwidern die Ehre haben, der Bundesrath habe diesen Gegenstand uioht
aus dem Auge verloren; er habe sich aber bis zur Stunde nicht überzeugen können, dass
seine Anordnungen in Bezug auf die Wiederimpfung der Wehrpflichtigen nutzlos oder
gar schädlich seien, sofern die aufgestellten Vorschriften gewissenhaft befolgt werden.
Nichtsdestoweniger werde der Bundesrath nicht ermangeln, die von Ihrem Vereine ge-
äusserten Wünsche in gebührende Berücksichtigung zu ziehen. Mit vollkommener Hoch¬
achtung , im Namen der Schweiz. Bundeskanzlei, der Kanzler der Eidgenossenschaft:
(gez.) Schiets .“
Die Regierung des Cantons Zürich hat die Petition der Impfgegner dahin beant¬
wortet, sie sehe sich nicht veranlasst einzuschreiten, werde sich aber einem allfälligen
Entscheide der Bundesbehörden fügen.
Der Regierungsrath von Baselstadt hat die mit 802 Unterschriften bedeckte Pe¬
tition gegen den Impfzwang auf Antrag des Sanitätscollegiums mit folgender Motivirung
gleichfalls abgelehnt: „In Betracht, dass die Vortheile der Impfung mittelst Kuhpocken
durch genügende Erfahrungen als erprobt angesehen werden müssen, dasB ferner der als
Epidemie auftretenden Blatternkrankheit nur durch den bereits eingeführten Impfzwang
vorgebeugt werden kann, wird im Hinblick auf § 81 des Polizeistrafgesetzes und in
Aufrechthaltung der Impfordnung vom 10. Februar 1875 auf die vorliegende Petition nicht
eingetreten. Der Bericht des Sanitätsdepartements ist den Petenten schriftlich mitzu-
theilen.“
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ln der Sitzung vom 17. März kamen im Nationalrathe zur Sprache die Petitio¬
nen hinsichtlich des Impfzwanges; es lagen eine Petition vor fUr Aufhebung des Impf¬
zwanges und eine solche für das Festhalten am• gegenwärtigen Zustande, beide von uns
oben besprochen. Beide Petitionen wurden auf den Antrag der Petitionscommission zur
gutfindenden Berücksichtigung an den Bundesrath gewiesen. Dr. Segesser stellte die Mo¬
tion: „Die zwangsweise Revaccination beim Militär hat zu unterbleiben, bis die Bundes¬
versammlung sich über die Gesetzmässigkeit der Massregel ausgesprochen hat“
In der Sitzung vom 20. März hat der Nationalrath diese Motion behandelt In seiner
Begründung ging Dr. Segesser davon aus, dass nur ein Gesetz, nicht aber eine blosse
Administrativverordnung den Bürger in der Verfügung über seinen Körper beschränken
könne. Dr. Tschudy , Arnold und Bundesrath Droz befürworteten die Äufrechthaltung des
Status quo und wollten daher die Motion nicht erheblich erklären. Dr. Sckeuchzer unter¬
stützte dagegen die Motion, indem er auf den Unwillen hinwies, den der Impfzwang in
der Armee erzeugt habe und stetsfort neu erzeuge. In der Abstimmung wurde die Mo¬
tion Segesser als nicht erheblich erklärt.
Schweizerische medic. Facaltäten. Dissertationen der medic. Doctor-
promotionen unserer medicinischen Facultät|p im Jahre 1876
a. B a s e 1. 1. Th. Egli , Zur Entwicklung des Urogenitalsystems beim Kaninchen.
2. R. Oeri } Thoracentese durch Hohlnadelstich und Aspiration bei seröser und eifriger
Pleuritis.
b. Bern. 1. Raissa Swiatlowsky aus Petersburg, über die Wirkung des Chloralhydrata
in der Eröffnungs- und Austreibungsperiode und dessen Folgen im Wochenbett. 2. Moritz
Wilzinger aus Laibach, die Stirnfontanelle und der horizontale Umfang des Kopfes bei
Neugeborenen. 3. Michel Ravenei von Neuenburg, die Maassverhältnisse der Wirbelsäule
und des Rückenmarkes beim Menschen. 4. Hermann Chappuis aus Chexbres, die morpho¬
logische Bedeutung der kleinen hintern Kopfmuskeln. Ö. Charles Decker aus Yverdon, Con-
tribution k l’ätude de la Köratite növroparalytique. 6. Hermann Albrecht von Aarau, zur
Anatomie des Kniegelenkes. 7. Hermann Putz aus Rheinpreussen, Beiträge zur Anatomie
und Physiologie des Sprunggelenkes. 8. Albert Müller von Weissenburg, Beiträge zur Be¬
leuchtung der Hereditätsverhältnisse bei Lungenschwindsucht. 9. Carl VögtR von Hoch¬
wald, Beiträge zur Physiologie der Nachgeburtsperiode. 10. Annette Setebrenni aus Peters¬
burg, Uber den Einfluss der Hautreize auf die Sensibilität der Haut. 11. Virginie Schhkoff
aus Moskau, Uber die locale Wirkung der Kälte. 12. George Haidtmann aus Locle , Bei¬
träge zur Kenntniss der Wirkungen des Ergotins und des Ekbolins. 13. Sophie Hasse aus
Petersburg, Septicsemie und ihre Ursachen. 14. Raissa Putiala aus Moskau, über Sarcome
der Lymphdrüsen. 16. Lübow Hörner aus der Krimm, über die Wirkung des Fliegenpilzes
■und des künstlich dargestellten Muscarin's auf den Thierkörper. 16. Seraphine Schachotca
aus Jekaterinoslaw, Untersuchungen über die Nieren. 17. Emest Regmond aus Voulion,
du dddoublement de l’amygdaline par l’ömulsine dans le corps vivant. 18. Hans Strasser
aus Wangen, Uber die Luftsäcke der Vögel. 19. Arthur Frey von Goutenschwyl, über die
Vertheilung der Kröpfe mit Rücksicht auf die geologischen Verhältnisse im Canton Aar¬
gau. 20. Mathilde Eisner aus Odessa, zur Lehre der septischen Infection der Neu¬
geborenen. 21. Betty Frohnstein aus Petersburg, Studien über die Wirkungen des Santonin.
22. Rodolphe Godet aus Neuenburg, Recherches sur la structure intime du placenta chez le
lapin. 23. Hugo Burtscher aus St. Gallen, das Wachsthum der Extremitäten beim Menschen
und bei Säugethieren vor der Geburt.
c. Zürich. 1. Georg Töl aus Nordamerika, die itonvier’schen Schnürringe markhalti¬
ger Nervenfasern. 2. Franziska Tiburtius aus Preussen, die Extensorenlähmung bei Blei¬
vergiftung. Epilepsia saturnina, 8 . Arnold Günther aus Rheinfelden, leucämische Media-
8tinaltumoren. 4. Fritz Schmuziger aus Aarau, Leuctemie. 6 . Julie Sinclair aus Russland,
Genese der erworbenen Capsel-Cataracte. 6. Josef Janser aus Preussen, Eclampsia infan¬
tum. 7. Wilhelm Dock aus dem Elsass, Haamatocele retrouterina. 8. Adrien Rogivue aus
der Waadt, du Sarcome de l’uterus. 9. Alfred Hausammann aus Männedorf, Retentions-
geschWülste schleimigen Inhaltes der weiblichen Genitalien. 10. Moses Levenianer aus
Russland, Microcephalie. 11. Penajot Selviü aus der Türkei, Dementia paralytica. 12. Lud¬
wig Secretan aus Lausanne, Paralysies laryngdes. 13. Eugen de la Harpe aus Rolle, des
dcarts föbriles paseagöres chez la femme en couches. 14. Theophil Mende aus Winterthur,
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Beiträge zur Lehre von der Aufsaugung and Absonderung. 15. August Lüning aus RUsoh-
likon, Blutung bei der Exarticulation des Oberschenkels und deren Verhütung. 16. Max
Basler aus Stäfa, Dauer der Schwangerschaft. 17. Wilhelm Heeming aus Marburg, Einfluss
der Wehen auf die Herzthätigkeit der Mutter und Frucht.
Hedicinalconcordat, Dem Jahresberichte des leitenden Ausschusses Uber
seine Verrichtungen im Jahre 1876 entnehmen wir Uber die Prüfungen folgende
Dätails:
Es fanden im Ganzen 198 medicinische, pharmaceutische und thierärztliche (letztere
nur in Zürich und Bern) Vor-, proptedeutische und FachprUfungen statt, von welchen 42
(21,2%, durchschnittlich seit dem Bestehen des Concordates 17,8%) ungenügend waren.
— Von den medicinischen Prüfungen fielen auf Zürich 47,2, Bern 88,6 und Basel
14,27o-
Werden die Categorien der Prüfungen und die Prüfungsorte auseinander gehalten,
so erhalten wir folgende Verhältnisse für die Gesammtzahl der Jahre 1870—76:
Es fielen durch in Zürich Bern Basel
In den medic.
In den pharm.
In den thierärztl.
Im Ganzen ungenügend 15,2 „ 22,2 „ 28,8 „
1876 waren von 198 Prüfungen medicinische 127 (72 prop., 55 Fachpr.), 33 phar¬
maceutische (8 Vorprüfungen, d. h. Maturitätsprüfungen, 11 prop. und 8 Fachpr.) und
38 thierärztliche (24 und 12).
8tellen wir die examinirten Mediciner nach den Heimathcantonen, Prüfungsort, Fach
und Erfolg zusammen, so finden wir aus dem Canton A a r g a u: P. (Propred.) in Z.
(Zürich) 6 g (genügend), Be. (Bern) 1 u. (ungenügend); F. (Facbprüfung) Z. 2 g., 1 u.;
Be. 3 g., 1 u., Summa 14. Appenzell a. Rh.: P. in Ba. (Basel) 2 g., S. 2. Basel¬
land: P. in Ba. 1 g., 2 u., S. 8. Baselstadt: P. in Ba. 3 g.; F. in Ba. 3 g., 8. 6.
Bern: P. in Z. 1 g. (III. Prüfung), Be. 10 g. 2 u.; F. in Z. 1 g. (III. Prüfung) 1 u.,
Be. 5 g., 1 u., 8. 21. 8t. Gallen: P. in Z. 2 g., 2 u., Be. 2 g., Ba. 1 g., 1 u.; F.
Z. 8 g., Be. 4 g., 1 u., Ba. 1 g., 8. 17. Glarus: P. in Z. 2 g., F. in Z. 2 g, 8. 4.
Graubünden: P. in Z. lg., Be. 1 g., 1 u., 8. 3. Luzern: P. in Z. 6 g., 1 u.,
Be. 2 g., 1 u., F. Z. 1 g., Ba. 1 g., 8. 12. N euen bürg: P. in Be. 1 g., 1 u., F. in
B. 2 g., 8. 4. Schaffhausen: P. in Z. 2 g., 8. 2. Schwyz: P. in Z. 1 g., 1 u.,
8. 2. Solothurn: P. in Z. 1 u., Be. 2 g., Ba. 1 u.; F. in Z. 1 g., Be. 2 g., Ba. 1 g.,
8. 8. Thurgau: P. in Z. 2 g., 1 u., Be. 1 u.; F. in Z. 2 g., in B. 1 g., 8. 7. Uri:
P. in Z. 1 g., 8. 1. Zug: P. in Z. 1 g., 8. 1. Zürich: P. in Z. 2 g., 1 u.; F. 5 g.,
4 u., 8. 12. Aus nicht concordirenden Cantonen: Waadt: P. in Z. 1 g.; F. in
Be. 1 g., 8. 2. Ausländer: 8erbien: P. in Z. 1 g., Mecklenburg: Be. 1 g., Holland:
Ba. 1 g., Eisass: Z. 1 u., 8erbien und Nordamerika je 1 Be. u. 8ale. — Bei Zürich ist
die zweite Dame, die das Goncordatsdiplora erworben hat, Fräulein Carotine Famer von
Stammheim.
Im Ganzen haben nach Ablegung reglementarischer Prüfungen Diplome erhalten 43
Aerzte, 8 Apotheker und 11 Thierärzte.
Wie man sieht, hatten sowohl die Examinatoren als auch der leitende Ausschuss
(die Herren eidg. Oberfeldarzt Dr. A. Ziegler in Bern, Präsident, Sanitätsratb L. Meyer in
Zürich, Vicepräsident, und Dr. Fr. Müller in Basel, Actuar) auch das letzte Jahr eine grosse
Arbeitslast zu bewältigen; wir Collegen sind ihnen für die excellente Lösung der so er¬
müdenden und oft genug auch schwierigen Aufgabe zu Dank verpflichtet.
Es freut uns, dass die Einigung der Aerzte nicht ohne Früchte bleibt: das Concor-
dat einerseits, in den einzelnen Cantonen doch zum grössten Theile durch die Aerzte an-
empfohlen, war der leitende Weg zur Freizügigkeit der wissenschaftlichen Berufsarten
überhaupt in der Bchweiz und jetzt wird es bei der Ausführung des Principes die sichere
Basis sein, die vor Abwegen schützt; der Ausschuss der beiden schweizerischen Aerzte-
vereine anderseits, die schweizerische Aerztecommission .hat soeben bei der Beantwortung
proptedeut. Prüfungen
13,6
%
24,7 %
27,9
FachprUfungen
18,6
D
IM „
24,4
proptedeut. Prüfungen
10,0
n
28,5 „
0,0
Fachprüfungen
12,1
V
14,2 „
16,6
proptedeut. Prüfungen
23,6
»
30,0 „
—
Fachprüfungen
14,2
28,2 „
—
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der Antiimpfpetition durch ihr entschlossenes, thatkräftigea und so schlagfertiges Handeln
bewiesen, dass Uber den sanitären Interessen unseres Volkes und der Ehre unseres Be-
rufes einsichtige und treue Augen wachen.
Sehaffltaiiaeil. Dr. Ed. ImThum f. In Schaffhausen starb, 64 Jahre alt, Herr
Dr. Ed. ImThum an einem Herzleiden. In seiner Jugend Officier eines Schweizerregimen -
tes in Frankreich, studirte er nach der Auflösung jener Truppe Medicin und practicirte
in Bargen, später in Thayngen und Schaffhausen, 1872 Übernahm er die Direction der
Strafanstalt — In den weitesten Kreisen des schweizerischen Vaterlandes wurde ImThum
bekannt durch seine literarisch-historischen Arbeiten, die theilweise als selbstständige
Werke, zum Theil in verschiedenen Zeitschriften erschienen und seinem Namen unter
den schweizerischen Literaturfreunden einen guten Klang verliehen. Ehre dem Andenken
des Mannes, der neben den Mühseligkeiten des Amtes noch die Lust zu wissenschaftlicher
Forschung auf fremdem Gebiete wachhielt.
Ausland.
Deutschland. Gesundheitsamt. Das Reichsgesundheitsamt entwickelt sich
immer mehr. Der Reichstag hat kürzlich auf die warme Empfehlung Bismarck 's hin die
Mittel zur Errichtung chemischer Laboratorien für die Untersuchungen des Reichsgesund¬
heitsamtes bewilligt. Bismarck theilte bei dieser Gelegenheit mit, dass sich das Institut
auf seinen Wunsch seit einigen Monaten mit der Untersuchung der wichtigsten Lebens¬
mittel (vorab des Trinkwassers der grössern Städte, sodann des Weines und Bieres, „so
wie sie unter dem Namen dieser beiden Getränke gegenwärtig gemeinhin verstanden
werden“) befasse und bereits zu überraschenden Resultaten gelangt sei.
Wir machen aber auch in der Schweiz Fortschritte. Mit Vergnügen notiren wir,
dass in der neuesten Zeit neben den regelmässig erscheinenden Bulletins Uber den Stand
der Viehseuchen in den Laboratorien des Folytechnicums eine Controlstation zur exacten
Untersuchung der Samen — für Viehfutter ist errichtet worden.
Stand der Infections-Krankheiten ln Basel.
Vom 11. bis 26. März 1877.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
ängemeldeten Fälle an.)
Variola 1 aus Frankreich zugereister leichter Fall, nach Sicherung der Diagnose
sofort in’s Absonderungshaus des Spitales verbracht
Scharlach dauert fort, obgleich eher wieder etwas abnehmend. 21 neue Fälle
(28, 26, 18, 26), Nordwestplateau 4, Birsigthal 2, Südostplateau 9, Kleinbasel 6.
Varicellen 7 Fälle angemeldet. Rubeolae und Morbilli nur je 1 Fall.
Ery sipelas ziemlich häufig; von 10 angemeldeten Fällen (11, 11, 7, 7) sind 6
auf dem Nordwestplateau, davon 1 traumatisches und 2 Gesichtserysipele im Spital; die
übrigen Fälle zerstreut
Keuchhusten nur 8 neue Anmeldungen (62, 32, 11), aber aus allen Stadttheilen
stammend.
Diphtherie und Croup zeigen eine bedeutende Zunahme; 10 neue Fälle (7,
14, 2, 2), davon 8 auf dem Nordwestplateau, 2 Birsigthal, 1 Südostplateau.
Puerperalfieber 4 Erkrankungen (2, 0, 2), sämmtlich in Kleinbasel; eine der¬
selben nachträglich vom Anfang Februar gemeldet; die 3 übrigen bei verschiedenen
Hebammen.
Typhus 4 Fälle, zerstreut aus allen Stadttheilen ausser dem Birsthale (6, 6, 3, 7).
Bibliographisches.
37) H. Schnyder , Weissenburg, seine Heilanzeigen und seine Curmittel, zugleich ein Führer
für den Curgast. 69 Seiten. Luzern, FreH’schc Buchhandlung.
88) Lunge , Zur Frage der Ventilation mit Beschreibung des minimetrischen Apparates zur
Bestimmung der Luftverunreinigung. Vortrag, gehalten in Zürich. 47 Seiten. Zürich,
Verlag von Cäsar Schmidt.
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215
39) Ribot , Die Erblichkeit, eine psychologische Untersuchung ihrer Erscheinungen, Ge¬
setze, Ursachen und Folgen in’s Deutsche übersetzt von Hotzen. 425 Seiten. Leipzig,
Veit & Cie.
40) Kirchner ; Lehrbuch der Militärhygieine, mit in den Text gedruckten Holzschnitten und
lithogr. Tafeln. 2. gänzlich umgearbeitete Auflage. 1. Hälfte. 296 Seiten. Stutt¬
gart, Verlag von F. Enke.
41) Preyer, Ueber die Ursache des Schlafes. Ein Vortrag, gehalten in der ersten allge¬
meinen Sitzung der 49. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Hamburg
18. Sept 1876. 83 Seiten. Stuttgart, Verlag von F. Enke.
42) Zeitschrift für Geburtshülfe und Gynäkologie , unter Mitwirkung der Gesellschaft für Ge-
burtshülfe und Gynäkologie, herausgegeben von C. Schröder , L. Mayer und H. Fass¬
bender. I. Bd. I. Heft Mit 17 Holzschnitten und 3 lithogr. Tafeln. Stuttgart, Ver¬
lag von F. Enke. _
Briefkasten.
Herrn Dr. ff artmann, Degershelm, Bern; Seitz , Zürich; Dr. Amtier: Mit Dank erhalten I Dr.
ffaltenhoff, G.: Ihre Correctur kam nicht zurück, entschuldigen Sie allfällige Errata.
Empfehle mich den Tit. Herren Aerzten bei
Vorkommen als Fabrikant speziell künstlicher
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wirkendes Resolvens (kleine Dosen) bestens
empfehlen, erlauben wir uns, darauf aufmerk¬
sam zu machen, dass unsere Quelle nicht ihrem
absoluten Salzgehalte, sondern ihrer eigenthDm*
liehen chemischen Compositlon — Verbindung
von Chlor- und Brom-Salzen mit Sulfaten —
den hohen Ruf verdankt, den sie in der me-
dicinischen Welt geniesst. Sie verdient un¬
streitig den Vorzug vor ähnlichen Wässern, wenn
es sich um einen lange fortgesetzten Gebrauch
handelt — „Die schwefelsauren Salze bewirken
zwar eine stärkere Ansammlung von Flüssig¬
keit im Darmkanal, da sie aber wegen ihres
geringen Diffusionsvermögens nur in geringer
Menge vom Blute aufgenommen werden und
keinen Bestandtheil desselben bilden, so be¬
schränkt sich ihre therapeutische Wirkung auf
die Entleerung der im Darm angesammelten
Fäcalstoffe, und ein längerer Gebrauch stört
die Verdauung. Das Kochsalz dagegen, wel¬
ches einen integrirenden Bestandtheil des Blutes
ausmacht, gelangt auch wegen seines stärkeren
Diffusionsvermögens in das Blut, vermehrt
dessen Kochsalzgehalt, was für die Bildung
und Rückbildung von normalen und abnormen
transsudatorischen Verhältnissen im Körper,
überhaupt für den Stoffwechsel nach allen
Richtungen hin von bedeutendem Einflüsse ist
Wir sehen, dass der Kochsalzgehalt im Urin
bedeutend vermehrt wird und alle Schleim¬
häute zu einer gesteigerten Secretion angeregt
werden. — Die nachtneiligen Folgen der ein¬
seitigen Wirkung des Kochsalzes werden aber
durch die verhältnissmässige Mischung der
Chlorsalze mit den schwefelsauren aufgehoben,
so dass also das Friedrichshaller Wasser Monate
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N! 8. VII. Jahrg. 1877. 15. April.
lafcalt: 1) Original arbeiten: Dr. Lang: Znr Pathologie and Therapie der Neuralgien dee Trigeminua. — Dr. 0.
Bartmann: Unsere wiüenschaftlichen Untersuehungsinethoden in ihrer Anwendung auf die Impffrage. (Schluss.) — 2) Refe¬
rate und Kritiken: Dr. BcXtotig, Dr. 8ck*oars, Dr. Zülrer: Beitrftge *ur Medlcinal-Statistik. — 3) Kantonale Cor¬
respondensen: Aargan, Genf (Schlun), Schwjrc, Neapel. — 4) Wochenbericht. — 5) Feuilleton. — 8) Biblio¬
graphisches.
Original-Arbeiten.
Zur Pathologie und Therapie der Neuralgien des Trigeminus.
Von Dr. Lang in Schaff bansen.
Von den Endigungen des Trigeminus im Gesicht sah ich den Nervus supra-
orbitalis am öftersten befallen werden (etliche 20mal), während mir Neuralgien
des lnfraorbitalis nur zweimal, solche des Inframaxillaris allein gar nie, und jene
gämmtlicher Endigungen einer Seite zusammen, dreimal vorkamen. Die Frontalneu¬
ralgie allein befiel immer nur Männer, niemals Weiber, und hatte zudem noch das
Eigentümliche, dass sie in allen Fällen offenbar unter Malariaeinwirkung ent¬
standen war, indem sie sämmtlich immer intermittirten, mit vollständig freien In¬
tervallen, was für hiesige Gegend um so auffallender ist, als im Canton Schaff¬
hausen Intermittens sonst nicht angetroffen wird, sie sei denn von Aussen her ein¬
geschleppt (Holland, Italien). Indessen auch der therapeutische Erfolg sprach für
eine solche Ursache, indem fast ausnahmslos einer richtig geführten Chininbehand-
lung sämmtliche Fälle erlagen. Einige nur gaben erst auf einen ganz localen Ein¬
griff, auf den Nerven selber nach, was allerdings scheinbar nicht sehr malaria-
mässig aussieht; aber nur scheinbar und eine ganz natürliche Erklärung hat, wie
wir weiter unten sehen werden.
Die übrigen Endigungen alle, jede allein für sich, oder sämmtliche mit einan¬
der, fanden sich immer dauernd afficirt, ohne Intervalle; sie betrafen meistens
Weiber, chlorotische oder tuberculöse Individuen und standen selbst in entschie¬
denem Zusammenhang mit gewöhnlichen Uterusleiden, wie schon John FothergiU
bemerkte (Medical observations and Enqniries of London Vol V. 1776). In keinem
Falle konnte ich eine centrale Ursache nach weisen, ebenso keine solche im Ver¬
lauf des Nerven durch einen der betreffenden Canäle am Schädel.
Unter den Schädlichkeiten, welche die Krankheit hervorrofen können, steht
15
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— 218
obenan das Malariagift, das also auch in Gegenden Vorkommen kann, in denen
sonst die gemeine Intermittens autochthon nicht vorzukommen pflegt. — Jene
atmosphärischen Einflüsse, welche wir in ihrem Gesammteffect unter dem Namen
„Erkältung“ zusammenfassen, bilden sodann wohl die meist häufigen Ursachen
dieses Leidens, mag diese letztere nun bestehen in plötzlichem Wechsel von Wärme
und Kälte oder ebensolchen Schwankungen in der Feuchtigkeit der Luft, oder zu
plötzlichem Unterschied in der electrischen Spannung der Atmosphäre, oder viel¬
leicht in allem zusammen genommen. — Das Eigentümliche haben die Endigungen
des Trigeminus auf jeden Fall vor anderen Nerven, dass ihre äusserst zahlreichen
Verästelungen in einem Hautbezirk unserer Körperoberfläche Vorkommen, welcher
so unausgesetzt allen jenen Veränderungen der Atmosphäre blosgestellt ist, wie
sonst kein anderer. Dass der eigentliche Krankheitsprocess allein und we¬
sentlich in den letzten peripheren Endigungen des Tri¬
geminus in den äusseren Bedeckungen liegen muss und nicht im
Verlauf des Nerven oder dessen centralem Ursprung, beweist der augenblickliche
Erfolg der Neurotomie oder des blossen starken Drucks auf den Nerven an der
Austrittsstelle desselben aus seinem Canale- — Die wenigen Ausnahmen, wo nicht
periphere Ursachen wirkten, sollte man nicht hieher rechnen. Sie waren eben
Hirn- oder Knochenleiden, welche unter anderen Symptomen auch neuralgische
Erregung des Nerven, der dort entspringt, oder zufällig in dem Canal verlief, auf¬
wiesen. Diese Fälle werden auch noch andere Symptome gestellt haben, welche
auf die richtige Quelle hinlenken konnten. Es ist diese Sichtung therapeutisch
wichtig, wie wir noch sehen werden. In allen Fällen, welche hieher gehören, liegt
also kein materielles Substrat als Ursache vor, soweit uns unsere Untersuchungs¬
mittel bis jetzt belehren können. — Die Malaria oder jene atmosphärischen Ein¬
flüsse bewirken im Nerven, soweit er innerhalb der Haut jenen Einwirkungen aus¬
gesetzt ist, Veränderungen, welche sich äussera durch Alteration der Energie des
Nerven, welche Gefühlsalteration als Schmerz dem Centrum zum Bewusstsein
kommt. — Dieser Schmerz kann behoben werden durch Aufhebung der Leitung
im Nerv, sei dies nun nur momentan durch Druck, oder dauernd durch Aufhebung
seiner Continuität durch Schnitt oder dynamisch durch Narcose des Nerven oder
seines Centrums. (Morphium, Chloroform, Chloral.) Die Definition der Neuralgie
wäre also :Eine Veränderung in den Nervenendigungen in der
Haut durch Malaria oder „Erkältung“, welche sich, con-
form der Energie des Trigeminus als Gefühlsnerv, im
Gehirn als Schmerz äussert, w e 1 c h ’ 1 e t z t er e r durch Druck
oder Schnitt herwärts von dem Centrum mit sammt der
Leitung aufgehoben werden kann.
Druck und Narcose wirken zu sehr vorübergehend, um einen dauernden Er¬
folg zu liefern, während Trennung der Fasern die Leitung für mehrere Tage lahm
legt, welche Zeit genügt, um entweder nebenbei noch künstlich oder von sich aus
die Nervenalteration zu beheben, so dass der indessen wieder verwachsene Nerv
den Zustand von ehedem wieder antrifft.
Wirkt die Schädlichkeit längere Zeit ein, aus diesem oder jenem Grunde, sei
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sie raalariöser oder atmosphärischer Natur, 60 wird diese momentane Aenderung im
Molecularzustande der Nerven nach und nach bleibend; dauernde Structurstörungen
treten ein im Neurilem oder Nerven selber, wie Verdichtungen des Bindegewebes
und Verfettung der Faser, wo dann selbstverständlich Chinin nicht mehr wirkt,
oder wenigstens nicht anfänglich gleich so schnell, wie in ganz frischen Fällen.
Dies sind jene Ausnahmen, wo trotz Malaria die Neurotomie am Platze ist und das
Chinin erst zur Wirkung kommt, wenn die Nervenleitung für einige Zeit gleichsam
abgestellt ist; möglich, dass der operative Eingriff selber anf den Zustand des
Nerven als therapeutisches Agens einwirkt.
Wir können also diese kleine Operation als diagnostisches Hülfsmittel be¬
nützen, indem dieser harmlose Eingriff uns durch seinen etwa mangelnden Erfolg
einfach anzeigt, dass wir keine Prosopalgie in unserem Sinne vor uns haben, son¬
dern ein Knochen- oder Hirnleiden, an dem wir dann nicht Monate lang die ganze
Stufenleiter unserer hergebrachten therapeutischen Eingriffe durchprobiren.
Symptomatisch boten die Neuralgien, des Inframaxillaris oder Infraorbitalis, nichts
besonderes dar, während diejenige des Frontalastes in ihrem Auftreten einiges be¬
sonders Erwähnenswerthes zeigte, wie ich auch an diesem Nerven die für alle Fälle
feststehende Vorschrift daraus für die Neurotomie geben werde.
Diese Form betraf immer nur Leute im mittleren Alter von 25—40 Jahren.
Ganz Alte oder Kinder sah ich niemals von dieser Krankheit befallen, ebenso
wenig also wie schon erwähnt das weibliche Geschlecht. Was noch den Stand
der Patienten anbelangt, so waren es immer Arbeiter oder Landleute, niemals Per¬
sonen aus der sog. bessern Gesellschaft. — Die gewöhnliche Zeit eines Anfalls
fiel auf den Morgen, etwa von 7 Uhr an bis Mittags um 11 Uhr, zu welcher Zeit
die Remission eintrat, welche imgestört fortdauerte, bis wieder auf den andern
Morgen um 7 Uhr. In seltenen Fällen fand ich den Anfall auch Nachmittags,
niemals aber während der Nacht; ebenso in keinem Falle 2 Attaquen an einem
Tage. — In allen Fällen wurde der Schmerz allgemein als sehr heftig geschildert;
das Auge der betreffenden Seite ist meist stark geröthet und thränt. Leichter
Druck erhöht den Schmerz, während starker Druck an richtiger Stelle ihn momen¬
tan aufbebt — Wie der Verlauf weiter geht, wenn Patient die Sache sich selbst
überlässt, weiss ich nicht, da alle Fälle, welche sich mir präsentirten, wegen der
Heftigkeit des Schmerzes und dem plötzlichen Auftreten desselben, immer sehr
bald auf Abhülfe bedacht waren und stets alsogleich bedient wurden. — Die an¬
dern Neuralgien kamen meist mehr nach und nach und trieben deshalb einen oft
gleichgiltigen und indolenten Patienten nicht so dringend zum Arzte. — Dass die
Malaria hauptsächlich oder ganz ausschliesslich immer nur den Frontalast betraf,
mag wohl darin seinen Grund haben, dass das Gift in diesem Falle den freiesten
Zutritt hat, durch die Nasenschleimhaut bis in die Stirnhöhlen,• die Conjunctiva
Bulb! etc.
Was nun meine Therapie anbelangt, so gab ich immer zu allererst eine Mor-
phiuminjection als vorläufige Beruhigung. — Sodann, in der anfallsfreien
Zeit, die richtige Dosis Chinin auf ein- oder zweimal (2,0) oder Salicylsäure
(4,0 in 2 Portionen genommen). Da die Morphiuminjection das dringendste Be-
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dürfmss vorläufig stillt, so können wir oft vorher den Magen, wenn nöthig, capabel
machen für diese bisweilen etwas starke Zumuthung, um nicht durch solche Ne¬
bendinge, wie Magencatarrh, unverdaute Ingesta etc. in unserem Hauptmanöver
erfolglos zu bleiben, was immer einen schlechten Eindruck macht — In einzelnen
nicht ganz frischen Fällen besonders bleibt die Wirkung aus, und es wird die Zeit
des nächsten Anfalls höchstens um einige Stunden hinausgerückt oder derselbe ist
um einiges schwächer oder weniger lange andauernd. Hier kann man das Chinin
noch einmal repetiren oder gleich zum Messer schreiten. — Arme Arbeiter in der
Fabrik z. B. sassen gleich hin zur Operation, „anstatt viel Geld auszugeben für
das bittere Zeug“. — Der Arzt wird in jedem Fall zu entscheiden haben, ob er
erst Chinin anwenden soll, oder die Neurotomie! — Bestimmtes vorschreiben lässt
sich hier nichts. — Die kleine, niedliche und sehr dankbare Operation aber ist sehr
einfach, immer von augenblicklichem Erfolg und gleich vorbei.
Während Patient auf einem Stuhle sitzt, fixiren wir mit der linken Hand (die
Affection sei links wie gewöhnlich) den Nerv in der Art, dass der Daumen auf
die Incisura supraorbitalis drückt, während der Zeigefinger obendran, etwas gegen
die Nase zu, die Haut gegen die Schläfe schiebt, dem Messer eine Hauterhebung
entgegendrängend. Nim führen wir ein schmales spitzes Messer mit der Schneide
nach abwärts gegen das Gesicht gekehrt, in die Erhebung ein und schieben es
so weit unter dem Zeigefinger gegen die Glabella vor, dass wir sicher sind, den
Nerv unter der Klinge zu haben. Indem wir nun das Messer mit der Schneide
gegen den Stirnknochen kehren, ziehen wir dasselbe mit genügendem Drucke wie¬
der zurück, alle Theile, Nerv und Blutgefässe, bis auf die Unterlage durchschnei¬
dend. Der Zeigefinger rückt nun sogleich auf die kleine Stichwunde vor, den
ganzen Stichcanal comprimirend, während die rechte Hand einen
Ballen Watte auf die Wunde drückt, welcher mit einer Binde gut befestigt wird.
Dieser Verband bleibt bis am andern Morgen, also circa 20—24 Stunden liegen,
worauf man ihn abnimmt und die Wunde immer schon geschlossen finden wird.
Damit ist Alles vorbei und der Schmerz kehrt nicht wieder.
Etwa 8 Tage ist das Gefühl in der Stirn und in der behaarten Kopfhaut, so
weit der Nerv etwas zu sagen hat, vollständig aufgehoben, kehrt aber immer wie¬
der vollständig zurück. (Eine Untersuchung eines so durchschnittenen Nerven mit
dem Microscope war mir bis jetzt noch nicht möglich.) — Sog. üble Folgen nach
der Operation sah ich niemals eintreten, *) wohl aber ein paar kleine Unannehm¬
lichkeiten, die aber leicht zu heben sind. — Erstens: der Patient bekommt ein
sog. blaues Auge wegen Blutunterlaufung in dem laxen Bindegewebe des Augen¬
lides, wenn nämlich der Charpieballen nicht rasch genug auf die Wunde gedrückt
wird, und zwar in der ganzen Länge des Stichcanals. - Das betreffende
Publicum ist indessen an die blauen Augen meist gewöhnt, und diese weichen rasch
der bekannten Therapie. Zweitens: der Schmerz ist bei Abnahme des Verbandes
mehr oder weniger nicht völlig ausgeblieben. Dies beruht darauf, dass in diesem Falle
*) Einem Patienten wurde von seinem Hausärzte von der Operation abgeratben, weil das Mes¬
ser, wie schon vorgekommen, im Schädel stecken bleiben und abbrechen könne II — (Es brach aber
nicht)
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der Nerv ausnahmsweise nicht in einem Strange durch die Incisur verläuft, sondern
in mehreren Partien an der Stirn hinauf zieht. — Hier geht man einfach am andern
Tage von der andern Seite wieder ein und durchschneidet die übrigen Stränge
ebenfalls.
In ähnlicher Weise im Wesentlichen wird operirt am Nerv, infraorbitalis, indem
ich dort das Messer vorschiebe, bis es am Nasenknochen anstösst; ebenso beim
Mentalis.
In den Fällen, welche die ganze Seite des Gesichts betrafen, habe ich immer
in 3 Sitzungen operirt, je einen Nerv auf einmal, schon wegen dem Verband. Der
Erfolg war immer der nämliche und die Wundheilung anstandslos. — In einem
Falle kam das Uebel auf der anderen Seite im nächsten Jahr. Die imbemittelte
Nähterin Hess sich sogleich „schneiden“, ohne wieder Chinin zu nehmen. Der Er¬
folg war der nämliche und Recidiven sind ausgeblieben bis heute, seit etwa acht
Jahren.
Wo Morphium, Chinin nebst einer Neurotomie nichts nützen, da liegt die Ursache
tiefer, und man verschone dann den Patienten mit den gewöhnlichen Quälereien.
Wer ein Aneurisma im Schädel diagnosticirt, der mache die Unterbindung der
Carotis auf beiden Seiten, wo Syphilis im Spiele ( Masius ), gebe man Jodkali (5,0
pr. die), bei Gichtanlage (Leidenfr ost) Lithion etc. Fothergill fand nur die Cicuta
wirksam, weshalb er als Ursache ein verborgenes Krebsgift unterschob.*)
P. S. Da mir die geehrte Redaction und später ein College mitgetheilt haben,
dass sie mit der Sache nicht ganz einverstanden sind, so werde ich später, wenn
ich Zeit habe, Antwort geben. Lang.
Unsere wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden in ihrer Anwendung auf
die impffrage.
Von Dr. 0. Hartmann, Secretär des Sanitätscollegiums in Bern.
(Schluss.)
Auf deductivem Wege werden wir Aufschluss über die Impffrage erhalten,
wenn wir, von bereits bekannten Gesetzen ausgehend, die Wirkung des Impfens
erklären können, d. h. wenn wir das Verhalten des menschlichen Organismus nach
der Einwirkung der Impflymphe gegenüber dem Pockencontagium als einen spe-
ciellen Fall eines oder mehrerer anderer bereits bekannter Gesetze darstellen
können, so dass derselbe in diese allgemeineren Gesetze sich auflösen lässt.
Demnach würden wir versuchen zu erklären, entweder, warum das Impfen die
ihm zugeschriebene Wirkung haben könne, oder warum es sie nicht haben könne.
Diese Frage nach dem Warum des Vorganges nöthigt uns tiefer in das Wesen
und die Gesetze der dabei mitwirkenden Agentien einzudringen, um das aus ihrer
Zusammenwirkung erfolgende Resultat zu berechnen.
Hierbei stossen wir auf bedeutende Schwierigkeiten, denn wir kennen den
Werth und selbst die Anzahl unserer Rechnungsfactoren nur höchst ungenau , da
•) ln Richter** Chirurg. Bibliothek heisst der Mann Forthergitt nicht Fothergill.
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ja die Gesetze der Ursachen in der Physiologie noch sehr unvollkommen erforscht
sind; und sogar wenn wir diese Kenntnisse hätten, wären wir doch noch bestän¬
digen Irrthiimern in unseren Schlussfolgerungen ausgesetzt, da das gegenwärtige
Maass unserer Verstandeskräfte nicht ausreichen würde, mathematische Formeln
zu einer genauen Berechnung dieser so sehr complicirten Verhältnisse aufzustellen.
Deshalb bedürfen alle Resultate, die wir auf diese Weise erhalten, einer Be¬
stätigung durch die Erfahrung und sind nur, insoferne sie mit derselben nachweis¬
bar übereinstimmen, als gesichert zu betrachten; weitergehende Folgerungen haben
einen blos hypothetischen Charakter und Werth.
Um nun eine Naturerscheinung zu erklären, d. h. in schon bekannte Gesetze
zu zerlegen, können wir drei verschiedene Wege einschlagen.
Auf dem ersten lösen wir die complexe Wirkung in die verschiedenen Be¬
streben, welche sie hervorgebracht haben, mit anderen Worten in die besonderen
Gesetze der Ursachen auf.
In unserem Falle hätten wir demnach den Zustand des menschlichen Organis¬
mus nach einer erfolgreichen Impfung zu erklären als das Resultat uns bekannter
Eigenschaften und Bestrebungen einerseits der Impflymphe und andererseits des
Organismus vor der Impfung.
Das nachstehende Beispiel möge uns zur Erläuterung dienen:
Ein Arzt*) stellte folgende Ansicht auf: Die Pocken sind eine parasitäre
Krankheit, alle Blatternarben gehören nur einer einzigen Form an; die Kuhpocke
kann wie die Blatternkrankheit verlaufen und umgekehrt. Der Parasit (das Pocken-
bacterium) erzeugt an einer Stelle der Haut local eine Pustel, sind mehrere der¬
selben durch Weiterimpfung (Kratzen) entstanden, und wird dadurch die Haut in
ihren Functionen beeinträchtigt, so treten als Folgezustand Störungen des Nerven¬
systems und der inneren Organe hinzu und wir erhalten das Bild einer Pocken¬
erkrankung. Das beste Präservativ ist Reinlichkeit, das Impfen dagegen kann ab¬
solut nichts helfen.
Es wird also hier der Zustand des menschlichen Organismus bei einer Pocken¬
erkrankung sowohl als auch bei der Impfung aufgefasst als das Resultat zweier
bekannter, oder gls bekannt angenommener Reihen von Umständen; die eine der¬
selben fasst die Eigenschaften der Pockenlymphe in sich, welche mit bekannten
Eigenschaften der Parasiten (sich auf einem günstigen Nährboden zu entwickeln
und zu vermehren) identificirt werden, die andere Reihe von Umständen enthält
die ebenfalls als bekannt angenommenen Eigenschaften des menschlichen Organis¬
mus in seinem Verhalten gegenüber den parasitären Hautkrankheiten. Auf diese
Weise wird die complexe Wirkung wirklich aufgelöst iu bekannte Gesetze der Ur¬
sachen und wir dürften diese Erklärung als richtig annehmen, wenn wir die Prä¬
missen oder den Schluss der Deduction nicht angreifen könnten, oder auch wenn
das Endresultat durch die Erfahrung bestätigt würde.
Diese Voraussetzungen treffen hier nicht ganz zu, denn wenn wir sogar die
eine Prämisse zugeben und anerkennen würden, die Pockenlymphe folge den glei-
*) Drei Steine des Anstosses, von einem Dorfdoctor (A. Ebersold). Zürich, Cäsar Schmidt, 1877.
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chen Gesetzen wie die eigentlichen Parasiten, so dürften wir doch die andere Prä¬
misse , der Organismus richte sich nach allgemeinen, als bekannt angenommenen
Gesetzen in seinem Verhalten gegenüber der Einwirkung der Parasiten, nicht gel¬
ten lassen, denn auch angenommen, es gebe solche allgemeine Gesetze, so würden
wir dennoch in diesem speeiellen Falle keine Anwendung davon machen können,
da wir dieselben eben nicht kennen.
Deshalb bleibt, auch wenn wir einen Parasiten als Krankheitsurheber anneh¬
men, es immer noch unentschieden, welche Veränderungen der Organismus in Folge
der Einwirkung dieses besonderen Parasiten eingebt, und durchaus nicht ausge¬
schlossen, dass diese Veränderung eine solche ist, wie sie bisher von den Aerzten
angenommen wurde.
Uebrigens dürften wir auch, abgesehen davon, jenem Erklärungsversuch nur
dann beistimmen, wenn er sich durch die Erfahrung bestätigen liesse, wenn jeder
Geimpfte und jeder Geblätterte (ebenso wie ein Krätziger nach einer erfolgreichen
Heilung wieder krätzig werden kann) sofort, nachdem die Folgen der Einwirkung
der Pockenlymphe verschwunden sind, wieder durch die Lymphe angesteckt wer¬
den könnte und denselben Krankheitsprocess aufs Neue durchzumachen im Stande
wäre.
So lange ein derartiges Verhalten nicht wirklich nachgewiesen ist, müssen wir
diese als Beispiel angeführte Erklärung als eine ungenügende bezeichnen und an¬
nehmen , es seien einige der bei diesem so complicirten Vorgänge mitwirkenden
Agentien nicht in Rechnung gezogen worden; „ein Irrthum“, welcher, um mit
Stuart ttill zu reden, „besonders die unterrichteten Geister trifft und bei dem Ver¬
suche begangen wird, verwickelte Phänomene durch einfachere Theorien zu erklä¬
ren, als ihre Natur zulässt.“
Den zweiten Weg, eine Naturerscheinung zu erklären, schlagen wir dann ein,
wenn wir versuchen, zwischen der Ursache und der Wirkung ein Zwischenglied
zu entdecken, wenn wir in unserem Falle nachweisen würden, dass unter dem
Einfluss der Impflymphe im Organismus eine Veränderung irgend welcher Art zu
Stande kommt, und dass erst diese Veränderung dessen Unempfänglichkeit gegen
das Pockencontagium bedingt.
Das Zustandekommen einer solchen Veränderung müssen wir mit Bestimmtheit
annehmen, sobald wir der Ansicht sind, der Organismus trage, nach Ablauf des
durch die Lymphe unmittelbar hervorgerufenen Krankheitsprocesses, noch für eine
gewisse Zeit die Fähigkeit in sich, dem Einfluss des Pockencontagiums zu wider¬
stehen; deshalb darf es uns nicht wundern, wenn, trotzdem unsere wissenschaft¬
lichen Hülfsmittel weder einen anatomischen noch einen chemischen Unterschied
zwischen den Geweben der Geimpften und denjenigen der Ungeimpften aufzu¬
decken vermochten, der Versuch gemacht worden ist, die als bestehend angenom¬
mene physiologische Veränderung (die Unempfänglichkeit gegen das Pockencon¬
tagium) auf gewisse uns bereits bekannte materielle Veränderungen und Vorgänge
zurückzuführen.
Als Beispiel eines derartigen Versuches möge uns die Ansicht dienen, die vor
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224
einiger Zeit in einem öffentlichen Vortrag *) in Bern ausgesprochen wurde und die
im Wesentlichen auf Folgendes herausläuft:
Die Lymphe wirkt wie ein Ferment, sie erregt eine Gährung im Blut und
führt dasselbe dadurch in einen Zustand über, in welchem es untauglich ist, den¬
selben Gährungsprocess noch einmal durchzumachen; deshalb kann das Impfen
allerdings für einige Zeit schützen, indem der durch die Impflymphe hervorge¬
brachte Umänderungsvorgang im Blute nicht zum zweiten Mal durch das analog
wirkende Pockencontagium in Scene gesetzt werden kann. Aber es dauert diese
Schutzkraft nur so lange, bis das alte umgeänderte Blut durch neugebildetcs er¬
setzt ist.
Hier wird also wirklich zwischen der Ursache, dem Impfen, und der Wirkung,
der Unempfänglichkeit gegen das Pockencontagium, ein Zwischenglied eingescho¬
ben durch die Behauptung, die Lymphe errege zunächst eine Gährung und erst
das dadurch veränderte Blut bedinge jene Immunität des Organismus.**)
Diese Erklärung wäre richtig, wenn sich die uns bekannten Gesetze des Gäh-
rungsvorganges übertragen Hessen auf den durch die Lymphe im Organismus her¬
vorgerufenen Krankheitsprocess, wenn letzterer nichts anderes wäre als ein spe-
cieller Fall von Gährung.
Nach unseren gegenwärtigen Kenntnissen scheint nun allerdings das Zustande¬
kommen einer Gährung oder Fäulniss in einem Körper bedingt zu sein durch die
Anwesenheit gewisser niederer Organismen, die sich auch in der Lymphe massen¬
haft nachweisen lassen, ein Umstand, der zu Gunsten jener Erklärung sprechen
würde; dagegen wissen wir, dass jede Gährung eine durchgreifende Umänderung
in der chemischen Zusammensetzung der betreffenden Substanzen hervorbringt, so
dass ein solcher Vorgang in einem lebenden Gewebe, unter Erhaltung seiner Func¬
tionen, uns von vorneherein als eine Unmöglichkeit erscheint, ganz abgesehen da¬
von, dass uns kein derartiger Fall bekannt ist und am allerwenigsten jemals nach¬
gewiesen wurde, dass bei der Blatternkrankheit das Blut einen Gährungsprocess
durchmache.
Der dritte Weg, eine Naturerscheinung zu erklären, besteht darin, dass wir
dieselbe unter ein allgemeines Gesetz subsummiren, welches eine Reibe von be¬
sonderen Gesetzen (darunter auch das zu erklärende) in sich schliesst.
Es ist mir nicht bekannt, ob jemals der Versuch gemacht worden ist, diese
Methode bei unserem Gegenstand in Anwendung zu ziehen, deshalb sehe ich mich
genöthigt, da ich nicht darauf verzichten möchte, auch hier ein zur Erläuterung
dienendes Beispiel anzuführen, eine eigene Theorie aufzustellen.
Zuerst also wäre das allgemeine Gesetz zu entdecken und hierauf das beson-
*) Von Prof. Schwarzenbach.
**) Eine ähnliche Ansicht findet sich schon in einem unserer ältesten Bfirher über die Pocken,
welches vor ungefähr tausend Jahren geschrieben wurde und zum Verfasser den Araber Abu Bekr
Mohammed ben Jakarya Errasi hat, dasselbe handelt in seinem ersten Capitel von den Ursachen der
Pocken und dort ist zu lesen: Die Pockenkrankheit trete hauptsächlich in jener Altersperiode auf, in
welcher das Blut der Kinder, das dem Zucker vergleichbar sei, in dasjenige der Erwachsenen, welches
dem vollendeten Wein entspreche, übergehe und sei der dabei stattfindenden Gährung und Gasentwick¬
lung zu vergleichen.
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225
dere Gesetz (das Impfen mache den menschlichen Organismus gegen die Pocken¬
krankheit immun) demselben unterzuordnen.
Da sich nun allgemeine Gesetze nur aus Eigenschaften, welche verschiedenen
besonderen Gesetzen gemeinsam sind, ableiten lassen, so müssen wir zunächst
einige besondere Gesetze und zwar solche, die mit dem zu erklärenden in gewis¬
sen Beziehungen übereinstimmen, nach dieser Richtung hin untersuchen.
Das erste der hierhergehörenden Gesetze heisst: Ein einmaliges Ueberstehen
gewisser contagiöser Krankheiten*) sichert den Organismus vor neuen Ansteckun¬
gen derselben Art, ohne dass wir im Stande wären, eine Veränderung in dessen
Geweben nachzuweisen.
Dieses Gesetz hat schon einen etwas allgemeineren Charakter, obschon es für
uns noch ebenso dunkel und unverständlich ist als jenes ihm untergeordnete, die
Impfung allein betreffende, doch könnte immerhin der Glauben an die Wirkung
des Impfens gestärkt werden durch die Wahrnehmung, dass dieses Phänomen nicht
ganz vereinzelt dasteht, da analoge Fälle beobachtet worden sind, die allerdings
auch keinen sehr grossen Anspruch auf Glaubwürdigkeit machen dürfen.
Wir müssen deshalb ein noch allgemeineres Gesetz auffinden, unter welches
jenes erste sich subsummiren lässt, indem wir in den allzu engen Kreis unserer
Betrachtung noch eine Reihe angrenzender Naturerscheinungen hereinziehen.
Wir wissen z. B., dass nicht nur Contagien, sondern auch verschiedene andere
krankmachende Substanzen, wenn sie eine Zeit lang mit dem Organismus in Be¬
rührung gekommen sind, denselben so verändern, dass er nun nicht mehr auf ihre
Einwirkung hin reagirt, d. h. unempfänglich gegen den Einfluss dieser Substanzen
geworden ist, ohne dass wir bis jetzt im Stande waren, eine Veränderung in den
Körpergeweben nachzuweisen. In dieser Weise wirken verschiedene Gifte, Arsenik,
Opium, Tabak etc. '
Dieses letztere und das andere, die contagiöseu Krankheiten betreffende, Ge¬
setz lassen sich nun in das folgende allgemeinere zusammenfassen: Organische
Wesen besitzen die Fähigkeit, wenn sie eine Zeit lang gewissen, oft nur sehr un¬
bedeutenden Einflüssen ausgesetzt werden, 6ich in einer diesen Einflüssen entspre¬
chenden besonderen Weise bleibend zu verändern.
In dieser Form hat das Gesetz eine viel breitere Basis und umfasst eine Reihe
anderer bekannter Erscheinungen, von denen ich einige der prägnantesten hier an-
fiihren will.
Waüace**) theilt folgenden Fall mit: „Die Indianer von Südamerika besitzen eine merk¬
würdige Konst, durch welche sie die Farben der Federn vieler Vögel verändern. Sie
rupfen diejenigen von den Theilen, diö sie zu färben wünschen, aus und impfen in die
frische Wunde die milchige 8ecretion der Haut einer kleinen Kröte. Die Federn wach¬
sen nun mit einer brillanten gelben Farbe und werden sie ausgerupft, so wachsen sie
von derselben Farbe wieder, ohne irgend einen frischen Eingriff.
*) Pocken, Masern, Scharlach, Keuchhusten, Gelbfieber etc. Nach Panum wurde auf den Fä¬
röern unter 6000 Kranken nicht ein Mensch das zweite Mal von Masern ergriffen; 08 alte Leute,
welche in der Jugend die Masern gehabt hatten, blieben von ihnen verschont. — In der Gelbfleber-
epidemie von Gibraltar 1828) kam auf je 9000 Kranke blos ein wirklich erwiesener Fall eines zwei¬
maligen Erkrankens. Uhle & Wagner, Handbuch der allgemeinen Pathologie. Leipzig 1872. S. 151.
**) Wallace Travels on the Amazon and the Rio Negro.
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22C
Reissek *) beschreibt ein Thesium, welches in Folge einer Affection mit einem Acci-
dium bedeutend modificirt wurde, indem die ursprünglich durch den parasitischen Pilz
verursachten Zustände im Laufe der Zeit constant wurden, so das3 die Pflanze einige
charakteristische Züge gewisser verwandter Species annahm.
Die chemischen Eigenschaften, Gerüche und Gewebe der Pflanzen werden oft durch
eine uns unbedeutend scheinende Veränderung modificirt. Der 8chierling soll in Schott¬
land kein Coniin enthalten, die Wurzel des Aconitum napellus wird in kalten Climaten
unschädlich, die arzneilichen Eigenschaften der Digitalis werden durch Cultur leicht affl-
cirt, der Rhabarber gedeiht in England, aber producirt nicht jene Arzneisubstanz, welche
die Pflanze in der chinesischen Tartarei so werthvoll macht**) etc. etc.
Für uns von hohem Interesse ist ferner die Thatsache, dass, wenn auch der Mensch
an Pflanzen oder Thieren, die verschiedenen äusseren Einflüssen ausgesetzt worden sind,
kciue Veränderung wahrnehmen kann, Insecten zuweilen eine auffallende Veränderung be¬
merken.
Dieselbe Species von Cactus ist nach Indien von Canton, Manilla, Mauritius und den
Gewächshäusern von Kew gebracht worden, und es fand sich auch eine sogenannte ein¬
geborene Art dort vor, die aber früher aus Südamerika eingeführt worden ist. Alle diese
Pflanzen sind im Ansehen gleich; aber das Cochenilleinsect gedeiht nur auf der eingebor-
nen Sorte, auf welcher es in ungeheurer Zahl fortkömmt. ***)
A. v. Humboldt führt zuerst an und Andere haben es bestätigt, dass Weisse, die unter
den Tropen geboren sind, ungestraft baarfuss an demselben Ort gehen können, wo ein
vor Kurzem angekommener Europäer den Angriffen des Pulex penetrans ausgesetzt ist.
Dieses Insect, das bekannte Chigoe, muss daher im Stande sein, das zu unterscheiden,
was die sorgfältigste chemische Analyse nicht zu unterscheiden vermag, nämlich eine
Verschiedenheit zwischen dem Blut oder den Geweben eines Europäers und denen eines
Weissen, der im Lande geboren ist.f)
Gehen wir noch einen Schritt weiter in der Verallgemeinerung unseres Ge¬
setzes , so lautet dasselbe: Organische Individuen erleiden unter der Einwirkung
äusserer Einflüsse eine eigent.hümliche Umbildung in der Art, dass sie sich diesen
Einflüssen anpassen.
Dieses Gesetz ist uns wohl bekannt, es bildet eine Grundlage der Dortpw’schen
Theorie von der Entstehung der Arten und ist aus einer sehr grossen Anzahl ge¬
nauer und zuverlässiger Beobachtungen abgeleitet worden.
Wenn wir daher unser partielles Gesetz von der Wirkung des Impfens unter
dieses allgemeine Gesetz subsummiren, so haben wir dasselbe erklärt; wir fassen
dabei die Wirkung des Impfens in der Weise auf, dass wir sagen: Impflymphe
und Pockencontagium wirken analog; unter dem Einfluss der Lymphe erfahrt der
menschliche Organismus eine Umbildung in dem Sinne, dass er sich diesem Ein¬
fluss anpasst, d. h. dass er, wenn ihn ein ähnlicher Einfluss (Pockencontagium)
trifft, nun gar nicht mehr oder doch nur in einem geringeren Grade auf denselben
reagirt.
Diese Erklärung eines Naturgesetzes durch ein anderes ist aber, wie Stuart Mill
sich ausdrückt, nichts anderes, als die Vertretung eines Räthsels durch ein ande¬
res und macht den allgemeinen Gang der Natur nicht weniger geheimnissvoll; wir
*) Linnaa Vol. XVII, 1$43.
**) Engel , sur les propriötäs m6dic. des plantes 1800.
***) Royle, Productive Resources of India.
f) Charles Darwin , Das Variiren der Pflanzen und Thiere im Zustande der Domestication. —
Diesem Werk sind alle angeführten Beispiele entnommen und finden sich daselbst noch weit mehr
citirt. —
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227
können für die allgemeineren Gesetze nicht mehr als für die partiellen ein Warum
angeben, obschon uns der Nachweis einer allgemeinen Naturerscheinung, wovon
die zu erklärende ein specieller Fall ist, der Beantwortung der Cardinalfrage der
Naturforschnng: Welches sind die wenigsten Annahmen, aus denen, wenn sie zu¬
gegeben werden, die existirende Ordnung der Natur resultiren würde, um einen
Schritt näher bringt
Dass wir mit unserer Erklärung einen solchen Schritt vorwärts gethan haben,
indem wir die dunkle und räthselhafte Naturerscheinung der Wirkung des Impfens
an das hellere Licht eines allgemeineren uns viel bekannteren Gesetzes gezogen,
können wir erst dann mit Bestimmtheit behaupten, wenn diese Erklärung eine Be¬
stätigung durch die Erfahrung erhalten hat, wenn wirklich nachgewiesen werden
kann, dass das Verhalten des menschlichen Organismus nach der Einwirkung der
Impflymphe gegenüber dem Pockencoutagium nichts anderes ist, als ein specieller
Fall von Anpassung der organischen Individuen an äussere Einflüsse.
Erst eine solche Bestätigung unserer Erklärung würde uns lehren, dass das
Impfen die ihm zugeschriebene Wirkung haben müsse, hier haben wir blos ge¬
zeigt, dass es dieselbe haben könnte. Die Frage aber nach dem Vorhandensein
der Impfwirkung selbst muss zuletzt immer auf inductivem Wege gelöst werden.
Wenn wir, am Ende unserer Untersuchung angelangt, zurückblicken auf die
verschiedenen Methoden, nach denen wir die Wirkung des Impfens beweisen oder
erklären können, so müssen wir eingesteheri, dass unser Glauben an diese Wirkung
sich auf blosse Wahrscheinlichkeitsbeweise und Analogieschlüsse stützt und dass wir
bis jetzt wenigstens nicht im Stande sind, das Vorhandensein derselben streng wis¬
senschaftlich nachzuweisen.
Trotz dieses Mangels an strengen Beweisen dürfen wir nicht mit der gegen¬
wärtigen Opposition insofern übereinstimmen, dass wir das Impfen für absolut
wirkungslos erklären; denn unsere Gründe des Unglaubens wie des Glaubens an
die Wirkung des Impfens sind gleich unzureichend, auch steht die bisherige An¬
sicht der Aerzte, um noch einmal die Worte Sluart Milt s zu gebrauchen, durchaus
nicht im Widerspruch mit allgemeineren Naturgesetzen und würde, wenn sie zuge¬
lassen wird, nur auf die Existenz einer unbekannten Ursache herauslaufen und
zwar unter Umständen, die noch nicht durchaus erforscht sind und es glaublich
erscheinen lassen, dass bisher unbekannte Dinge noch an’a Licht gebracht werden
könuen, deshalb wird der Vorsichtige weder die Ansicht verwerfen noch zulassen,
sondern die Bestätigung von einer anderen Zeit und einer anderen Seite her ab-
warten.
Referate und Kritiken..
Beiträge zur Medicinal-Statistik.
Herausgegeben vom deutschen Verein für Medicinal-Statistik durch Dr. Schweig , Dr. Schwarz ,
Dr. Zülzer. Heft I. 1875. Heft II. 1876. Stuttgart, Enke.
Bei dem mächtigen Aufschwünge, den neben andern Zweigen des medicinischen
Wissens gerade auch die medicinale Statistik nimmt, ist es mit Freude zu begrüssen,
dass ftlr einschlägige Arbeiten ein literarischer Sammelpunct, ein besonderes Organ ge-
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228
gründet worden ist Es ist damit im Gegensatz zu manchen andern Zeitschriften einem
wirklichen Bedürfnisse abgeholfen und da diese Publicationen zeitlich nicht gebunden sind,
sondern nach Maassgabe des vorhandenen Stoffes erfolgen, statistische Früchte überdies
ihrer Natur nach langsam reifen, so ist zu hoffen, dass ebenfalls im Gegensätze zu man¬
chen andern Zeitschriften nicht eine baldige kritiklose Verflachung des Inhaltes eintrete,
sondern dass auch die Fortsetzung des vielversprechenden Anfanges würdig sein werde,
welchen die vorliegenden Hefte bringen.
Den Inhalt dieser Hefte bilden ausser einer Uebersicht der neueren medicinisch-
statistischen Literatur in jedem Hefte und einem Referat in Heft I über den Antrag Zirm
im deutschen Reichstage (betreffend obligatorische Leichenschau) 5 oder eigentlich 3 grös¬
sere Originalarbeiten:
1. Ueber den Einfluss der Grösse der Geburtsziffer auf die Grösse der Sterbeziffer
von Obermedicinalrath Dr. Srkweig in Carlsruhe in Heft I und Heft IL
2. Die Sterblichkeit am Typhus in Bayern und insbesondere in München während
der Jahre 1868 bis 1873 von Dr. Carl Mojer in Heft'I.
• 3. Ueber statistische Grundlagen für die Hygieine und die specielle Aetiologie in
Heft I und als weitere Ausführung davon: Studien zur vergleichenden Sanitätsstatistik in
Heft II von Dr. Zülzer.
Wir müssen für daB reiche Detail in diesen Aufsätzen den Leser auf die Originale
verweisen, da mit dem Herausreissen einiger Zahlenangaben kaum viel genützt wäre, wir
auch die Lectüre der „Beiträge“ keineswegs überflüssig machen, sondern im Gegentheil
auf’s Wärmste empfehlen möchten. Dagegen erlauben wir unB einen Punct zu berühren,
der von allgemeinerer und principieller Bedeutung ist.
Die Mittheilung von Angaben Uber sanitarische Dinge, insbesondere von Mortalitäts¬
ziffern fängt an sogar in Tagesblättern Mode zu werden; aber mit der grössern Verbrei¬
tung solcher Angaben wächst die Gedankenlosigkeit, mit welcher dieselben zu oft ganz
ungerechtfertigten Schlüssen verwerthet werden. Man pflegt die Mortalitätsziffer schlecht¬
weg als Maassstab für den Zustand einer Bevölkerungsgruppe in sanitarischer Beziehung
zu nehmen , wobei dann allerdings unter sanitarischen Factoren im weitesten Sinne alle
äussern Einwirkungen verstanden sind, die eine Bevölkerung treffen und deren Leben und
Sterben beeinflussen, also: Klima, Ernährung, öconomische Lage, vorherrschende Be¬
schäftigung, Wohnungsverhältnisse, Art und Grad der Verunreinigung des Untergrundes
und wie sonst die Verhältnisse alle heissen, unter denen Bich die Grundbedingungen Luft,
Licht etc. für eine Bevölkerung darbieten. Als letzten und untrüglichen Maassstab für
den Einfluss, den die Summe dieser Factoren auf die Gesundheit und somit das Leben
einer Bevölkerung ausübt, finden wir die Mortalitätsziffer, wie gesagt, schlechtweg ver¬
werthet und zwar nicht nur in Tagesblättern, in Brochuren Uber klimatische Curorte,
sondern auch in ernsterer medicinischer Literatur; aus einer kleinem Sterbeziffer wird
auf bessere, aus einer grössern auf schlimmere Zustände geschlossen; bei der Verglei¬
chung verschiedener Orte erhält derjenige mit niedrigerer Mortalitätsziffer den bessern
Rang und für denselben Ort wird es als Zeichen besserer Zustände begrüsst, wenn im
Laufe der Jahre die Sterbeziffer eine geringere wird. Das englische Gesetz, wonach der
General Board of Health zu einer Untersuchung verpflichtet ist, wenn an einem Orte die
amtlichen statistischen Erhebungen ergeben, dass die Mortalität der betreffenden Bevöl¬
kerung im Durchschcitt der letzten 7 Jahre 28% 0 überschritten habe, scheint einer ähn¬
lichen Auflassung Raum zu geben; 23% 0 stellt so zu sagen das „Veränderlich“ des sa¬
nitarischen Barometers dar, unterhalb dieser „Normalsterblichkeit“ sind die Zustände eo
ipso mehr oder weniger gute, darüber aber eo ipso mehr oder weniger verdächtige. So
wird Mancher, der im wöchentlichen Bulletin des eidgenössischen statistischen Bureaus
die Jahresresultate der 20 grössten schweizerischen Ortschaften von 1876 zu Gesicht
bekommen und die verschiedenen Sterbeziffern verglichen hat, kaum im Zweifel sein, dass
z. B. Chur mit einer Sterbeziffer von 24,3°/ 00 viel günstiger dastehe als Einsiedeln mit
29,2°/ 00 und in der fast um 6°/oo böhern Mortalität den vollkommenen Beweis erblicken,
dass in Einsiedeln viel ungesundere Zustände herrschen.
Und doch ist dieser Schluss unrichtig und alle in analoger Weise einseitig aus
der Sterbeziffer gezogenen Schlüsse laufen ebenfalls Gefahr unrichtig zu sein. Es wird
dabei immer übersehen, dass neben den im weitesten Sinn sanitarischen Bedingungen
oogle
229
noch ein weiterer Factor von hervorragendem Einfluss auf die Sterbeziffer ist, so dass
erst nach dessen Eliminirung man aus der Sterbeziffer wieder Rückschlüsse machen kann
auf sanitarische Zustände. Dieser so oft ignorirte Factor ist die Zusammensetzung
der Bevölkerung nach Altersclaesen. Schon jeder Laie weise, dass von 1000
Lebenden zwischen 20 und 30 Jahren am Ende eines Jahres weniger gestorben seiu
werden als von 1000 Lebenden zwischen 60 und 60 Jahren (in Basel war 1870 die Mor¬
talität von 20—30 Jahren 6,4°/ 00 , von 60—60 Jahren 25% 0 ), und der Arzt weise noch
viel genauer, dass für verschiedene Altersclaesen 1) die Disposition zu erkranken ver¬
schieden ist, somit auch ceteribus paribus das Verhältnis zwischen Zahl der Erkrankten
und Zahl der Lebenden, die Morbidität, 2) dass in verschiedenen Altersclassen der
Ausgang der Krankheit, somit das Verhältniss zwischen Zahl der Gestorbenen und Zahl
der Erkrankten, die Lethalität verschieden ist, und damit natürlich auch 3) das Ver¬
hältniss zwischen Zahl der Gestorbenen und Zahl der Lebenden, die Mortalität: das
alles natürlich sowohl für eine specielle Krankheit als für die Summe aller zusammen.
Es ist klar, dass diejenige Bevölkerungsgruppe (sei es eine geographische oder eine
berufliche etc.), in welcher die Altersclaesen von stärkerer Mortalität stärker vertreten
sind, ceteribus paribus eine stärkere Mortalität zeigen muss; wollte man diesen Fehler
vermeiden, so dürften nur gleiche Altersclassen verglichen werden, oder Bevölkerungs¬
gruppen, die nach Altersclassen gleich zusammengesetzt sind. In Wirklichkeit herrschen
aber starke Unterschiede, die am stärksten an zwei Puncten zu Tage treten. Der eine
kommt besonders in Betracht bei industriellen Bezirken, im Allgemeinen also : Städten
gegenüber ländlichen Bezirken oder ganzen Ländern. Während naturgemässer Weise in
einer Bevölkerung vom ersten bis zum letzten Altersjahre jedes folgende Jahr immer
weniger Vertreter aufweisen muss, als das vorhergehende, weniger um soviel, als eben
während dieses vorhergehenden zu sterben pflegen , zeigen sich in Städten die arbeits¬
kräftigen Altersclassen durch Einwanderung bedeutend vermehrt, am stärksten von 15
bis 80 Jahren. Es gehört also ein unverhältnissmässig grosser Bruchtheil der Bevölke¬
rung den Altersclassen an, welche die geringste Moitalität haben; eino Stadt muss also
ceteris paribus eine geringere Mortalität zeigen, als ein Landbezirk oder ein ganzes
Land. Das ist nicht ausser Acht zu lassen bei den oft wunderbar massigen Mortalitäts-
ziffern einiger Grossstädte.
Noch wichtiger und überall wirksam ist das zweite Moment: die stärkere oder
schwächere Vertretung der niedrigsten Altereclasse, der unter 1 Jahre Lebenden, welche
ja bekanntlich die stärkste Mortalität zeigen und jeweilen */, bis % sämmtlicher Todes¬
fälle liefern. Dass demnach mit der Zahl der unter 1 Jahre Lebenden, resp. der Ge¬
burtsziffer auch die 8terblichkeitsziffer wachsen müsse, war im Allgemeinen bekannt; es
fehlte aber jeglicher genauere Nachweis in Zahlen über das Verhältniss von Geburts- und
ßterbeziffer. Es ist das bleibende Verdienst Sckweig'a in den oben genannten Aufsätzen
auf Grund umfassenden Materials aus Baden und Frankreich dieses Verhältniss genauer
präcisirt zu haben.
Schweig verwerthete 1377 badische Oberamtsberichte aus den Jahren 1862—72 und
1041 den Annuaires par le bureau de longitude entnommene Berichte Uber französische
Departements derart, dass er nach Berechnung der Geburtsziffern jeweilen die Berichte
mit gleicher Geburtsziffer zusammenstellte und das Mittel aus den verschiedenen Sterbe¬
ziffern berechnete, welche die Bezirke mit gleicher Geburtsziffer aufwiesen. So gelangte
er auf breiter Basis zu Mittelwerthen, welche ihm erlaubten, über das Verhältniss von
Geburtsziffer und Sterbeziffer eine sehr einfache theoretische Progression aufzustellen;
dieselbe gestaltet sich folgendermaassen: bei der niedrigen Geburtsziffer 1,9%, ist die
Sterbeziffer der Geburtsziffer gleich, der Geburtsüberachuss 0 ; ist die Geburtsziffer grös¬
ser als 1,9, so ist es auch die Sterbeziffer und zwar wächst letztere um die Hälfte der
Zunahme der Geburtsziffer; die andere Hälfte wird Geburtsüberschuss. Die Schweig’achen
Reihen lauten also: •)
*) AD gemein ausgedrflokt würde es lauten:
Geburtajriffer 1,9 + x, Sterbeziffer 1,9 -f- Geburtsüberschuss
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230
Geburtsziffer.
Theoretische
Sterbeziffer.
Geburtsüberschuss.
1.9
1,9
0,0
2,0
1,9
0,1
2,1
2,0
0,1
2,2
2,0
0,2
2,8
2,1
0,2
4,1
U. 8. W.
8,0
1,1
4.2
5.3
3,0
1,2
8,6
1,7
Damit lassen sich nun unter Mitberücksichtigung der Geburtsziffern Sterbeziffern ver¬
gleichen Als Beispiel seien die Angaben über die 20 grössten schweizerischen 8tädte
vom Jahre 1876 verwerthet; dabei ist zuerst noch nachzutragen, dass die 5cAu;«iy’schen
Zahlen inclusive Todtgeborene gerechnet sind, weil sonst die Resultate protestantischer
und katholischer Bezirke sich nicht vergleichen lassen; letztere rechnen bekanntlich mög¬
lichst viel zu den Lebendgeborenen resp. wieder Gestorbenen (in majorem Dei gloriam).
Rechnet man deshalb zu den Angaben des eidgenössischen Bulletins bei Geburts¬
und Sterbeziffer noch die Werthe für die Todtgeborenen hinzu, so ergibt sioh:
Geburts¬
ziffer.
Sterbe¬
ziffer.
Geburts¬
überschuss.
Theoretisch
nach Schweig.
Differenz,
Biel
41,0
27,7
13,8
11
-f 2,8
Einsiedeln
40,5
29,7
10,8
11
+ 0,2
Luzern
89,3
33,7
5,6
10
~ 4,4
— 4,0
Bern
39,1
33,1
6,0
10
Basel
39,0
27,3
11,7
10
+ 1,7
Herisau
37,1
30,1
7,0
9
- 2,0
-f 8,0
Winterthnr
36,7
24,7
12,0
9
Zürich
36,6
29,3
24,7
7,3
9
- 1,7
Chauxdefonds
85,0
10,3
8
+ 2,3
Freiburg
33,1
30,2
2,9
7
- 4,1
Loele
32,0
23,2
9,7
7
+ 2,7
St Gallen
82,8
31,8
27,0
6,8
7
— 1,2
Schaffhausen
29,4
1,9
6
— 4,1
Neuch&tel
31,0
28,6
4,5
6
_ 1,6
Lausanne
80,7
25,1
5,6
6
— 0,4
Genf
f‘ 80,4
28,6
304
6,8
6
+ 0,8
Altstätten
29,6
- 0,5!
6
— 6,6
Vevey
29,1
24,9
4,2
5
- 0,8
Qhur
27,6
26,0
1,6
5
- 3,4
Solothurn
25,4
31,7
— 6,8!
3
— 9,3
Ordnet man nun die Städte nach diesen Ergebuissen, so stellen sich:
Günstiger als das Ungünstiger als das
theoretische Mittel: theoretische Mittel:
Winterthur
+ 3 o/
Vevey
- 0,8 % 0
Locle
+ 2,7 „
St Gallen
— 1,2 n
Biel
+ 2,8 ,
NeuchAtol
— 1,6 ,
Chauxdefonds
+ 2,8 „
Zürich
- 1,7 „
Basel
+ 1,7 ,
Herisau
- 2,0 ,
Genf
+ 0,8 .
Chur
- 8,4 „
ungefähr im Mittel:
Bern
- 4,0 ,
Einsiedeln
+ 0,2% 0
Freiburg
- 4,1,
Lausanne
— 0,4 „
Schaffhausen
- 4,1 ,
Luzern
- 4,4 „
Altstätten
- 6,5 „
8olothurn
- 9,8 ,
Ueberblickt man die nach der Höhe der Geburtsziffer angeordnete Liste, worin die
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231
-7 günstigsten Orte durch Fettscbrift des Namons, die 7 ungünstigsten durch Fettschrift
der Sterbeziffer hervorgehoben sind, so zeigt sich, dass günstige Resultate aufweiBen die
Orte mit den höchsten Geburtsziffern bis herab zu ziemlich niedrigen (Genf); ungünstige
anderseits die Orte mit den niedrigsten Geburtsziffern bis hinauf zu Städten mit sehr hohen
(Bern, Luzern).
Ordnet man die Städte nach der Höhe der Sterblichkeitsziffer und hebt in gleicher
Weise durch Fettschrift der Namen die 7 günstigsten, durch Fettschrift der Ziffern die
7 ungünstigsten hervor,
Luzern
33,7
Basel
27,3
Bern
33,1
St Gallen
27
8olothurn
3LV
Neuchätel
26,6
Freiburg
30,2
Chur
26
Altstätten
30,1
Lausanne
25,1
Herisau
30,1
Vevey
24,9
Ein siedeln
29,7
Winterthur
24,7
Schaffhausen
29,4
Chauxdefonds
24,7
Zürich
29,3
Genf
23,6
Biel
27,7
Locle
28,2
so finden Bich allerdings unter den 7 ungünstigsten die 5 absolut höchsten Ziffern, unter
den 7 günstigsten die 4 absolut niedrigsten; anderseits aber steht Einsiedeln trotz höhe¬
rer Sterbeziffer weit günstiger als Chur, Biel weit günstiger als Vevey u. s. w. und es
ist auf einen Blick ersichtlich, wie sehr eine einseitige Betrachtung der Sterbeziffer zu
falschen Schlüssen verleiten kann.*)
Es ist hier nicht der Ort, diese Resultate, besonders die ungünstigen, näher zu dis-
cutiren; es wird das auch erst möglich sein, wenn man Uber die Kindersterblichkeit der
verschiedenen Orte genauer unterrichtet ist Nur darauf sei noch aufmerksam gemacht,
dass bei dieser Art der Vergleichung unter Berücksichtigung des von Schweig präcisirten
Einflusses der Geburtsziffer£auf die Sterbeziffer der Fehler, den eine falsche Bevölkerungs¬
zahl bildet, zur Hälfte corrigirt wird. Bei zu niedrig angenommener Einwohnerzahl er¬
gibt sich neben einer zu hohen Sterbeziffer auch eine zu hohe Geburtenziffer, und letztere
entschuldigt eben zur Hälfte die erstere. Nach der neuesten Volkszählung hatte Luzern
in Wirklichkeit auf Mitte des Jahres 1876 etwa 17,780 Einwohner statt der angenomme¬
nen 16,157; danach ergibt sich:
Theoretisch
Geburtsziffer. Sterbeziffer. Ueberschuss. nach Schweig. Differenz,
statt: 39,8 83,7 5,6 10 — 4,4
35,8 30,8 5 9 — 4
und Luzern bleibt immer noch unter den ungünstigsten Orten, obgleich eher günstiger
als Bern, Freiburg und 8chaffhausen, denen es bei der ersten Berechnung nachstand.
Wir betonen zum Schluss mit den Worten Schweig ’s die Nothwendigkeit, „dass An¬
gaben von Mortalitätsgrössen ohne gleichzeitige Namhaftmachung der Einwohner und
Geborenen vermieden werden, da solche Zahlen nur unter sehr eingeschränkten Bedingun¬
gen beweiskräftig sind und darum fast werthlos erscheinen.“ Lotz.
Kantonale Correspondenzen.
AargülL Aus dem Jahresberichte der Badarmencommission
des Bades Schinznach 1876: In der Badarmenanstalt, Vrelche den 8. Mai er¬
öffnet und den 19. September geschlossen wurde, fanden 151 Kranke Aufnahme, nämlich:
32 Aargauer mit 672 Verpflegungstagen
119 Nichtaargau er mit 3029 „
151 zusammen 8701 Verpflegungstagen.
*) Vergl. auch den soeben erschienenen Aufeatz von Dr. Georg Mayr „Zur Kritik der soge¬
nannten allgemeinen Sterblicbkeitsziffer u in Allg. Augsb. Ztg. Beilage Nr. 79.
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282
Von diesen Kranken waren 81 männliche und 70 weibliche und gehören folgenden
Staaten an:
Aargau 32, Baselland 2, Baselstadt 4, Bern (aus dem Inselspitale 39) 48, Genf 4,
Glarus 1, Luzern 11, Neuenburg 0, 8t. Gallen 6, Schaffhausen 8, Schwyz 2, Solothurn 4,
Thurgau 2, Waadt 2, Zürich 9, Baden 3, Eisass 4, Frankreich 3, Oesterreich 1.
Die Krankheitsfälle und deren Heilresultate waren laut den Tagebüchern der Bad-
armenärzte folgende:
Geheilt
Gebessert.
Nicht gebessert.
Hautkrankheiten
6
17
5
Knochenkrankheiten
2
88
27
Sorophelkrankheiten
—
15
9
Geschwüre
2
12
5
Schleimhautkrankheiten
—
1
—
Rheumatismen
—
2
2
Einzelfälle
—
8
5
10
83
63
Der Anstaltscasse floss im Berichtsjahre an Sonntagscollecteu die Summe von
Fr. 1941, 62 zu. Der Badarmenfond erhielt ein Legat vqn Fr. 100 und aus der An¬
staltscasse zur Amortisirung der Bauschuld Fr. 780, so dass die letztere gegenwärtig noch
beträgt Fr. 4871. 83. A.
Genf. Die neue medic. Facultät in Genf. (Schluss.) Für Errichtung
der Kliniken bot das Anfangs der 50er Jahre nach den besten (damaligen) Grundsätzen
erbaute stattliche Höpital cantonal passende Räume und auch genügendes Material, dem
nur noch ein Zuwachs an operativen Fällen zu wünschen ist, auch in Folge des Bestehens
einer chirurgischen Klinik wohl nicht ausbleiben wird. Diese Anstalt wird manchem Leser
des „Correspondcnz-Blattes“ schon bekannt Bein. Sie besteht aus einem von Ost nach
West verlaufenden Hauptgebäude, von dem vier Flügelanhänge nach Süden gegen den
Gartenraum vorspringen; in diesen liegen unstreitig die schönsten, wohl auch gesün¬
desten Krankensääle. Das Spital umfasst drei Stockwerke lind ein vollständiges Souterrain
mit Küche, Wasch- und Trockenräumen, Keller, Caloriföre und Ventilationsdampfmaschine,
welche die im Winter erwärmte Luft durch Wandcanäle in die Sääle treibt. In dem Haupt¬
körper des Gebäudes liegen auffälliger Weise die Krankenzimmer zum grössten Theil
nach Norden, während die geräumigen Fenstercorridors als sonnenbeschienenes Fromenoir
nach Süden ausblicken. *) Einige bauliche Veränderungen zur Anpassung an die Bedürf¬
nisse der Klinik erheischte nur der Operationssaal (mit seitlichem, aber sehr reichlichem
Seitenlicht). .Ausser dem bisherigen Leichenhause (Morgue), woselbst die klinischen Sec-
tionen, nach der löblichen Sitte der deutschen Hochschulen stets vom Professor der patho¬
logischen Anatomie, gemacht werden, boII nächstens auch ein Leichenhaus zu gerichtlichen
Zwecken (Morgue judiciaire) neben dem Spital errichtet werden, da ersteres schon längst
nicht mehr genügt.
Nachdem der dritte Stock nun auch vollständig (für einen Theil der nicht-klinischen
Patienten) eingerichtet worden, zählt das Höpital cantonal folgende Belegräume:
1. Klinische Abtheilungen.
Chirurgie.
Männer: Weiber:
58 82 Betten.
Summa 90 Betten.
2. Nicht klinische Abteilungen.
Chirurgie.
Männer: Weiber:
32 82 Betten.
Innere Medicin.
Männer: Weiber:
* 88 82 Betten.
Summa 70 Betten.
Innere Medicin.
Männer: Weiber:
59 14 Betten.
Kindersääle und Hautkranke: 36 Betten.
Summa 178 Betten.
Total-Summa 333 Betten.
*) Siehe die Beschreibung des Spitals und auch den interessanten Vergleich mit dem Züricher
neuen Cantons-Spital in Notice sur l’Hdpital cantonal de GenÄve par le Dr. Julliard
(jetzt Professor der Chirurg. Klinik), Lausanne 1870, mit 8 lith. Tafeln. — Aus dem BulL möd. de la
Baisse romande.
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233
Für die chirurgischen Kranken wurden seit einigen Jahren im südlichsten Theile des
Gartens Zeltbaracken (freierhabener Fussboden, Wände nur aus Pfosten und Zelttuch, Rei¬
terdach) mit je 11 Betten, id est 8 Baracken fUr Männer, 2 für Weiber, errichtet (Summa
65 Betten), welche gewöhnlich von April bis October belegt bleiben. Während der Hälfte
des Jahres stehen also die meisten chirurgischen Zimmer leer und allen Winden geöffnet.
Auch von hier ist die erfreuliche Thatsache au melden, dass seit Einführung sunächst
dieses Barackensystems, weiterhin auch der antiseptischen Verbände alle Wundcomplica-
tionen viel seltener geworden Bind.
8eit Kurzem ist das frühere Höpital catholique (Spital der barmherzigen Schwestern)
in Plainpalais, welches der 8taat nach Ausweisung der Inhaberinnen sich durch Gross¬
rathsbeschluss im Jahre 1876 annectirte, zu einer Gebäranstalt (Matemitö) umgewandelt
worden. Ein solider, ursprünglich als Villa benutzter, dreistöokiger Sandsteinbau, von
eigenem Garten umgeben, nur wenige Minuten vom Spital entfernt. Hier soll die ge-
burtahülflich-gynftcologische Klinik abgehalten werden, sobald sich Gebärlustige und —
Studenten dazu einfinden. *)
Auch die Poliklinik hat sich in ein passendes, ja sogar brillantes Local eingenistet,
in dem früher die barmherzigen Schwestern von Sanct-Vincenz 4 Paola ihr fortan von
unseren Gesetzgebern verpöntes Wesen trieben (Kleinkinderschule, Krankenbesuch, Armen¬
apotheke sogar I). Im Ceutrum der alten Stadt gelegen, erfreut sich die Poliklinik, wie
bei der grossen Bevölkerung Genfs zu erwarten stand, eines sehr beträchtlichen Zulaufs
(durchschnittlich circa 20 Consultanten täglich), so dass der einzige Assistent schon über
förmliche Ueberbürdung klagt. Es ist sehr zu wünschen, dass in Zukunft eine grössere
Zahl Studirender in vorgerückten Semestern von diesem zahl- und lehrreichen Beobach¬
tungsmaterial profitire. Die theilweise Unentgeltlichkeit der Medicamente erhöht wohl
noch die Anziehungskraft der poliklinischen Ordination für das ärmere Publicum, zu wel¬
chem die hier ansässigen deutsch-schweizerischen Eidgenossen, vorab die Berner, ein er¬
staunliches Contingent liefern.
ln dem gegenüber der Ecole de Mddecine auf dem linken Arvenufer gelegenen Asile
des Vernaies, der cantonalen Irrenanstalt, soll vom dirigirenden Arzte auch Psychiatrie
vorgetragen werden.
Für bauliche Verbesserungen dieser länget nicht mehr zeitgemässen Anstalt wurde
kürzlich der Regierung ein bedeutender Credit bewilligt. Wohl auch eine Frucht der
neuen durch die Gründung der Facultät geschaffenen Bedürfnisse.
Die Kinderheilkunde flgurirt bis jetzt nicht besonders im Programm der Vorlesungen.
8päter dürfte vielleicht das hübsche kleine Privatspital „Maison des Enfants malades" zur
Einrichtung einer Klinik passen.
Manchem Leser wird eB auffallend erscheinen, dasB bei Organisation der Genfer me-
dicinischen Facultät ein Fach, welches jetzt an den Universitäten Deutschlands, Oester¬
reich-Ungarns und Italiens meist von ordentlichen Professoren gelehrt und als obligato¬
risch in die Prüfungsprogramme aufgenommen ist, die Augenheilkunde nämlioh, total über¬
gangen, resp. dem Privatdocententhum überlassen wurde. Es ist nicht zu leugnen, dass
diese stiefmütterliche Behandlung, die ihren Grund wohl in rein localen Verhältnissen
haben muss, einen Punct der Inferiorität gegenüber den anderen schweizerischen Facul-
täten bildet
Die neue Schule wurde am 26. October 1876 mit grosser academischer Feierlichkeit
eröffnet Zug der Professoren, Regierungsmänner und Studenten aller Facultäten vom
Rathhause nach der Aula der Universität, Festreden des Präsidenten des Unterrichts-
Departements und des derzeitigen Rectors, Einweihung der Ecole de Mödecine mit Fest¬
rede des Decans der neuen Facultät, grosses Banket im Hdtel national, Fackelzug mit
Militärmusik und endlich Commers im Treiber'sehen Bierlocale — dies der Hergang des
denkwürdigen Festes. Die Acaddmies in Lausanne und Neuenburg waren an demselben
durch Delegirte vertreten. Leider vermisste man Abgesandte der Universitäten Basel,
•) Dem ordentlichen Co 11 eg über theoretische Gebnrtskunde scheint es, wie wir anderwärts er¬
fahren, Im Eröffnung*-Semester nicht besser als der betreffenden Klinik zu ergehen, während ein Priv'at-
Docent, der dasselbe Fach vorträgt, sich einer hübschen Zahl regelmässiger Zuhörer erfreuen soll.
Anm. d. Redact.
16
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234
Bern und Zürich, wohin, wie es scheint, auch Einladungen ergangen Waren, aber zu spät.
Dieses Versäumuiss wird hoffentlich die freundschaftlichen Beziehungen zu den drei
Schwesterfacultäten nicht schädigen. Wird doch der im nächsten September hier tagende
internationale medicinische Congress den Aerzten und Docenten der übrigen Schweiz Ge¬
legenheit bieten, mit Dingen und Leuten der Genfer Facultät nähere Bekanntschaft an¬
zuknüpfen.
Die Frequenz derselben in ihrem ersten Semester konnte nur eine bescheidene sein,
übertrifft jedoch die gehegten Erwartungen. Die in diesem Blatte gegebenen Zahlen be¬
dürfen insofern einer Berichtigung, als die Zahl der regelmässigen Studenten nur 47 be¬
trägt (15 Genfer, 20 Schweizer anderer Cantone, 12 Ausländer), ln der officiell ange¬
gebenen Zahl der Hörer (76) ffgurirt eine Schaar angehender Hebammen, die eigentlich
gar nicht hieher gehören. Ueber die Hälfte der Studirenden stehen in den ersten Seme¬
stern, ein fast ebenso grosser Theil steht dem Abschluss der Studien nahe, Manche wohl
um hier zu doctoriren.
• Bei Ausarbeitung der Prüfungsnormen war der Grundsatz massgebend, dass der me¬
dicinische Doctortitel nicht wie in Deutschland und der deutschen Schweiz eine blosse
academische Würde darstelle, sondern zugleich den Staats- resp. Concordatsprüfungen
und dem französischen Doctorat mehr gleichwerthig sei. Eef. kann nicht umhin , diesen
Grundsatz für den einzig richtigen und zeitgemässen zu halten. Das deutsche Doctor-
diplom, bei dessen Ertheilung die Universitäten bekanntlich nur zu oft, besonders gegen
Ausländer, eine allzu grosse Nachsicht üben, kam nicht ganz unverschuldet in Misscredit
im Auslande; unter diesem allgemeinen Misscredit leiden auch diejenigen Facultäten,
welche die Sache ernst zu nehmen pflegen, wie z. B. die der deutschen Schweiz.
Dies Diplom bescheinigt blos eine Art theoretischer Befähigung und gibt selbst im eige¬
nen Lande oder Canton kein Recht zur Praxis, noch zu öffentlichen ärztlichen Aemtern.
Die Medicin aber ist angewendete Wissenschaft xca i£oxrp> und die grosse Mehrzahl der
diesem Fach sich Widmenden haben die practische Verwendung des Gelernten, die Aus¬
übung des ärztlichen Berufs im Auge. Wozu also doppelte Examina, doppelte Kosten,
doppeltes Diplom?
Die Prüfungsordnung der Genfer Facultät richtete sich daher mehr nach dem fran¬
zösischen Beispiel, wobei jedoch die rein wissenschaftlichen Dieciplinen keineswegs zu
kurz kamen. Welche Aenderungen hierin die bevorstehende eidgenössische Prüfungs¬
ordnung mit sich bringen wird, steht noch dahin. Hoffentlich sind wir auf dem Wege
einer einheitlichen Umänderung des ganzen ärztlichen Prüfungswesens im angedeuteten
Sinne, durch Uebereinkommen des Staates und der vier medicinischen Facultäten der
8chweiz.
Das practische Interesse dieser Frage für alle schweizer Aerzte mag diese Abschwei¬
fung entschuldigen.
Zum Schluss sei mir erlaubt, noch einer kleinen Thierschutzepisode zu erwähnen, zu
welcher eine nach Eröffnung der Facultät im „Journal de Genöve“ erschienene Beschrei¬
bung der Localitäten Veranlassung gab. Ein früherer Professor der literarischen Facul¬
tät griff in demselben Blatte die Träger der Wissenschaften in heftiger Weise als Thier—
quäler, Grausamkeitsapostel etc. an. Diese Stimme wäre vielleicht nicht vereinzelt ge¬
blieben, da in einem Theile unseres Publicums schon längst eine latente Feindseligkeit
gegen die Physiologen bestand; der Handschuh wurde aber sofort aufgehoben und zwar
gleichzeitig vom Ref. und, was wichtiger war, vom Herrn Prof. Schiff selbst; es wurde
in sachgemässer beruhigender Weise dem feurigen Angreifer geantwortet, namentlich im
Hinweis auf die Fortschritte der Methoden, die Anästhesirung der Versuchstiere etc.
Auch fand seitdem Prof. Schiff Gelegenheit, im Genfer Thierschutzvercine selbst seine
Grundsätze und Methoden auseinander zu setzen.*)
So wurde denn eine längere aufregende Polemik Uber diesen delicaten Punct ver¬
hütet, und es steht nicht zu fürchten, dass sich hier das Schauspiel jener hässlichen Flo¬
rentiner Agitation wiederhole, welcher zum Theil England sein absurdes Vivisections-law,
wir Genfer aber den Besitz des ausgezeichneten Lehrers und Forschers verdanken.
*) Eine französische Uebersetzung des ausgezeichneten Schriftchens von Prof. L. Hermann über
die Vivisectionsfrage wäre sehr wünschenswert!].
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235
Die junge Facultät ist also nun in voller Thätigkeit. Räumlichkeiten and Material
sind noch, wie begreiflich, in Überreicher Fülle vorhanden, in Präparirsäälen und Labo¬
ratorien wird es den neuen Ankömmlingen, die wir recht zahlreich wünschen möchten,
an Arbeitsplätzen gewiss nicht fehlen.
Der Leser dieser Zeilen wird hoffentlich daraus die Ueberzeugung geschöpft haben,
dass Vieles geschehen ist, um die Entwicklungsfähigkeit der neuen Schule zu sichern.
Qui vivra verra. „Ihr ruhen noch im Zeitenschoosse — Die heitern und die schwarzen
l^oose1“ G. H.
Anhang: Das Budget der medicinischen Facultät für 1877 beträgt Fr. 106,640.
Als einzelne Posten heben wir hervor: Fixe Besoldungen der Professoren Fr. 47,800, der
Assistenten Fr. 7400, der Gehülfen, Abwarte und Hausmeister Fr. 5300 , Kosten von
Experimenten und Vorlesungen Fr. 11,600, diverse Installationen (jährlicher Credit)
Fr. 18,640.
Das Gesammtbudget der Universität beträgt Fr. 296,202. Im Ganzen kostet der
öffentliche Unterricht im Canton Genf circa Fr. 1,210,000 , worin auch Leistungen der
Gemeinden inbegriffen sind.
Schwyx. Ger sau. Mit den Schnepfen bin auch ich gestrichen und zwar unge¬
fähr mit demselben Schwung, der ihre Flügel hebt, wenn sie — mit halbgelähmten
Schwingen — die endlose Meeresfläche hinter sich haben. Kommen sie dann zu uns, so ist
alle Müdigkeit weg und den abendlichen Strich belebt der schönste Schwung: auf den
Flügeln der Liebe streicht sich's leicht und lieblich im traulichen Halbdunkel der Däm¬
merung.
So elegisch streiche ich nun (leider) nicht: der kleine Gott, der den Glücklichen mit
seinen Pfeilen Flügel gibt, zielt nicht gern nach alten Knaben. Sie sind ihm zu zäh und
zu struppig.
Aber doch streiche ich leichter und wohlgemuth. Die Fessel der „psychischen De¬
pression 11 ist gebrochen „und das hat mit ihrem Singen die holde Gersau gethan“.
Der Vierwaldstättersee ist bisher als Frühlingsstation noch wenig benützt worden.
Wer nicht ganz in den Süden wollte, wählte doch Lugano oder den Genfersee und seine
Umgebung, um endlich der Gefangenschaft des Krankenzimmers oder der 8chneeschmelze
der Hochthäler (Davos etc.) zu entrinnen. Die vom Collegen Dr. Fassbind vortrefflich
redigirte Brochure „klimatischer Gurort Gersau am Vierwaldstättersee“, herausgegeben
vom Hötel und Pension Müller , bringt uns nun zu einer richtigen Beurtheilung die nöthi-
gen exacten Daten. Gersau ist nämlich seit längerer Zeit eidgenössische meteorologische
Station. Ich habe mich überzeugt, dass die Instrumente so placirt sind, wie es die wis¬
senschaftliche Anordnung verlangt und nicht etwa nach willkürlicher Tendenz zur Specu-
lation nach möglichst günstigen Resultaten. Da ergibt sich nun für den Frühling folgen¬
des Resultat: Gersau (460 M. über dem Meeresspiegel) 1867, 68, 69 März: Morgens 7
Uhr 2,87 (Montreux 380 M. 2,81), Mittags 1 Uhr 6,18 (7,68), Abends 9 Uhr 8,19 (4,29);
April: 7,63 (7,69), 12,69 (13,72), 9,48 (9,78); Mai: 14,18 (14,33), 19,85 (19,62), 16,16
(10,15). Gersau und Montreux, dessen Thermometer der schweizerischen Station nach
dem Berichte „Klima von Montreux“ von Dr. Steiger physicalisch unrichtig situirt sein
soll (der Sonne ausgesetzt und nach Norden zu geschützt), haben in einer Reihe von Be-
obacbtungsstationen, unter welehen sich auch Bex, Genf, Lugano, Interlaken befinden, die
minimalsten Temperaturschwankungen, ein nicht genug zu schätzender Vortheil. Die
mittlere tägliche Temperaturschwankung der Beobachtungsperiode betrug für Gersau im
Winter 4,18 (Bex 6,24), Frühling 6,06 (9,52), Sommer 5,88 (10,32), Herbst 5,97 (9,98);
die relative Feuchtigkeit für Gersau 85,90; 79,0; 76,1; 84,1; für Montreux 81,2; 77,0;
75,0; 81,8; Regentage (Mittel von 10 Jahren) Gersau 70,1, Montreux 70,0, Madeira 94,
Pan 140, London 178.
Aus diesen Zahlen geht hervor, dass sich Gersau als eine sehr günstige Frühlings-
station empfiehlt — als Herbstaufenthalt ist es längst rühmlichst bekannt, während es im
Frühling noch zu wenig benützt wird. Ein Hauptvorzug ist der Schutz vor kalten Win¬
den. Die Bucht von Gersau wird voa der HoQhfluh und dem VitzDauerstock sehr gut
geschützt, so dass wir oft die See bewegt sehen, ohne viel vom Winde zu spüren. Da¬
mit will ich nicht sagen, dass der Föhn in seiner ganzen Wildheit nicht auoh über Gersau
wüthen könne. Wir haben das schon erfahren; allein das Thermometer zeigte dabei am
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Schatten -f- 12° R., so dass die heftige Luftströmung wenigstens nicht kalt war. Es
möchte dieser relative Schutz vor kalten Winden und bedingungsweise Oberhaupt vor
Winden einer der Hauptgründe sein, warum Gersau den fibrigen klimatischen Uferstatio -
nen des Vierwaldstättersee’s vorausiehen ist. Wir sind in Gersau gegenwärtig (Ende
März, Anfang April) ca. 26 Personen, die sich hier jedoch täglich mehren, während W T eggia,
Brunnen und Vitznau noch wenige Curgäste zählen.
Der rasende Föhn brachte, wie das zu dieser Jahreszeit immer einzutreten pflegt, auf
den Höhen Schnee. An den Voralpen des Schwalmie, die bei meiner Ankunft nur eine
weisBe Fläche zeigten, war beim ersten wärmern Sonnenschein das breite Dach einer
grossen Sennhütte erschienen. Heute früh, am Tage nach dem Föhn, haben wir am
Morgen um */ 2 7 Uhr nur -f- 6 # R. am Schatten und meine heimelige Sennhütte hatte
sich wieder ihren blendend weissen Shawl umgelegt. Jetzt, am Nachmittage, brennt dio
Sonne, und ich sehe mit meinem Feldstecher nicht nur von Neuem die Steine des Holz-
daches, sondern noch einige zerstreute weitere schwarze Flecke: das Bind die „Depen¬
dancen“ der Sennerei, und auch am breiten Rücken des Buochserhornes sind schon wieder
breite schmutziggelbe Schneeschmelzflecke. Die Ureinwohner sind hemdärmlig auf dem See,
auf den steilen Wiesen, und der Curgast trägt wenigstens den Strohhut
Die Vegetation ist schon weit vorgerückt, und die „reconvalescirende“ Dame mit dem
„Spitzencatarrh“ strahlt vor Wonne Uber die hübsche Auswahl von Frühlingsblumen, die
sie auf ihrem Spaziergange über den Schönbül eigenhändig sich sammeln konnte. Das
ist eben ein weiterer Hauptvorzug dieser unfreiwilligen Ferien, die wir hier geniessen.
Der wunderschöne See mit seinem grandiosen Hintergründe hebt unsern Lebensmuth
wieder — Geist und Körper gewinnen an Elasticität
Für Solche, die nicht gut steigen können, hat Gersau selbst wenig geeignete Spazier¬
wege. Das Gelände ist eben zu schmal, die Berge streben zu steil vom See empor.
Doch ist der Weg nach Brunnen sehr gut unterhalten, ganz eben und landschaftlich wun¬
derschön. Auch nach Vitznau zu lässt sich eine Strecke weit bequem und nachher unter
sanftem Ansteigen gehen. Wer nicht gerne denselben Weg öfters geht, kann sich jedoch
leicht helfen. Die Dampfschiffverbindung ist eine so frequente, dass es leicht möglich
ist, nach den einzelnen Stationen der Ufer zu gelangen und so seinen Ausflügen die
schönste Abwechslung zu geben. Man fährt nach Weggis, geht zu Fuss nach Vitznau
und ist mit dem Schiff rechtzeitig und richtig vorbereitet an der Mittagstafel. Ebenso
leicht besucht man das andere Ufer (Beggenried, Buochs, Stanz) oder begeht man die
Axenstrasse (Sisicon-Flüelen). Nur muss der Curant, der das Verdeck und seine präch¬
tige caleidoscopische Rundsicht geniessen will, mit dicken Ueberkleidern, die er, der
warmen Sonne vertrauend, gerne sorglos daheim lässt, versehen sein, da über der Fläohe
des vielarmigen See’s eine sehr variable Stimmung herrscht.
Eine bekanntlich ganz wesentliche Hauptsache ist für jeden längern Aufenthalt die
neue Heimath: der Gasthof, die Pension, ln dieser Beziehung sind wir nun in Gersau
ganz ausgezeichnet gehalten oder vielmehr im besten Sinne des Wortes versorgt. Hötel
und Pension Müller , erbaut und eingerichtet vom frühem, rühmlichst bekannten Besitzer
der Rigischeideck, erfüllt alle vernünftigen Ansprüche. Vom See nur durch seine An¬
lagen getrennt, ist das Haus sehr gut gelegen, rationell und mit allem- Comfort erbaut.
Die Zimmer sind alle, auch die abgelegeneren, hoch und luftig, sehr gut möblirt (da ist
kein Nizzaer Maisstrohsack und kein steinhartes Kopfkissen), mit guten Boden und die
meisten heizbar. Salons, Billard- und Rauchzimmer für die Regentage und vor Allem
angenehm trefflich eingerichtete Badezimmer für kalte und warme Bäder in einem Flügel
des Hauses, sowie 2 Pavillons mit guten Einrichtungen zu Seebädern und Douchen. Die
Küche ist richtig isolirt, die Abtritte durch reichliche continuirliehe Spülung und directe
Ableitung in den See mustergültig.
Die Kost ist in Auswahl und Zubereitung ganz vortrefflich. Der Pensionspreis be¬
trägt inclusive Zimmer je nach der Auswahl des letzteren 7 — 10 Fr. per Tag.
Zur Pension Müller gehören zwei Dependancen, deren eine, die Villa Flora, äusserst
comfortabel eingerichtet und mit schönen Anlagen geschmückt ist.
Die Pension Müller wird erst Mitte März eröffnet, während kleinere Etablissements,
die ebenfalls empfehlenswerth sind, den ganzen Winter offenstehen, so namentlich im Hof
Gersau, wo man ebenfalls gut gehalten ist und Pension und Zimmer von Fr. 5 an haben kann.
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Es intereesirt vielleicht einseine Co 11 egen, zu vernehmen, dass der bisherige Besitzer
der Higiseheideck den in letzter Zeit etwas verwahrlosten „8toos“ gekauft hat und ihn
ohne Zweifel zu Aller Zufriedenheit restauriren wird.
Am See herum habe ich die Herren Collegen kennen gelernt. Wenn die Landpraxis
Oberhaupt an den Arzt seinem Berufe und seiner socialen Stellung nach vermehrte An¬
forderungen stellt, und der still und unbemerkt ausgeübte Heroismus so manches unserer
Berufsgenossen unsere volle Anerkennung verdient und eines bessern „irdischen Erfolges“
werth wäre, so gilt das Alles in doppeltem Maasse für die Aerzte der Hochgebirgs¬
gegenden.
Die Bevölkerung arm, die Terrainschwierigkeiten in jeder Beziehung sehr vermehrt,
der Kampf mit der Gewalt der Elemente gesteigert und vor Allem der Contact mit den
übrigen Collegen und mit den Centren der Wissenschaft so sehr reducirt — Respect vor
den Männern, die unter solchen Verhältnissen unsern Stand ehrenhaft vertreten und im
Kampfe mit all’ diesen Schwierigkeiten sich dooh noch die Kraft zur wissenschaftlichen
Fortbildung erringen und erkämpfen.
Ich möchte einen mir gegenüber geäusserten Wunsch dem Vorstande des ärztlichen
Centralvereines nicht vorenthalten. Da der Sonntag-Vormittag für alle Landärzte der
durchschnittlich weitaus am meisten frequentirte Vormittag (Sprechstunde) der ganzen
Woche ist, wird es den seitab Wohnenden Aerzten fast unmöglich, an unsern Sitzungen
des Centralvereinee tbeilsunehmen. Sie müssen so wie so Uber Nacht bloiben und ver-
sänmen dann noch den 8onntag Vormittag. Unser Ausschuss, der schon um so manche
difflctle Ecke glücklich herumkam, findet vielleicht auch hier ein Mittel zur Aushülfe,
wenn auch nicht für jedes Mal, so doch zur Abwechslung.
Einstweilen conferiren diese Collegen mit den übrigen Confratres auf dem Umwege
des Correspondens-Blattes, das unter ihnen wohl seine wärmsten Freunde zählt Es
bringt ihnen, denen die Zeit zum Studium so knapp zugemessen ist, in gedrängter Form
das Wünschens- und Wissenswertbe über die mediciniscben Vorgänge in der Heimath
und im Auslande, einen kritischen Ueberblick über die neuere Literatur und die andern
wissenschaftlichen Vorgänge unserer Doctrin und Originalarbeiten aus den verschiedenen
Gebieten der gesammten Medicin.
Unter Berücksichtigung der soeben besprochenen Verhältnisse
möchte ich nun den verehrten Mitgliedern de r medicinischen Fa«
cultäten unserer Landeshochschulen die Frage an’s Herz legen, ob
es für sie nicht ein verdienstliches Unternehmen (vielleicht sogar eine
freiwillige moralische Pflicht) wäre, neben ihrer anerkennens werthen Theil-
nahme an den Verhandlungen des Centralvereinee in gesteigerter
Weise durch das Organ des Correspondonz-Blattes zu den schwei¬
zerischen Aerzten zu reden. Sie würden gewiss dankbare Hörer finden — und
hätten mehr und bessern Anlass dazu, als ich zu dieser langathmigen und weitschichtigen
Correspondenz.
Ich habe den richtigen Zeitpunct zum Avisiren des Endes längst verpasst und hoffe,
trotzdem nicht für unbescheiden zu gelten, wenn ich zuletzt, wo dieses Mal nicht das
Beste steht, zu gutem Ende als gewissenhafter Patient noch meine Beichte ablege. loh
glaube, den Befehlen meiner medicinischen Obern gerecht geworden zu sein, habe mich
in der Kunst der anständigen Unthätigkeit mit unthätigem Anstand geübt und massenhaft
Luft gekneipt Nur einmal habe ich in abusu excedirt — das war, als ich nach uralter
Propulsionsmethode a posteriori oder vielmehr a tergo vom Föhn ventilirt wurde. Glück¬
licherweise lief ich aber zwischen zwei Professoren der Medicin: Prophete rechts, Pro-
phete' links — dem Weltkind in der Mitte konnte praeaentibua medicis nihil nocere, und
so hoffe ich, dass sich bei meiner Heimkehr die Hände der Collegen über meinem Haupte
kreuzen und unisono collegialiter der Trost erklingt: „absolvo te“. Baader.
9e*p«L Einige statistische Daten zur Lösung der Impf¬
frage. Da wir gerade in der Schweiz eine sehr starke Agitation gegen das Impfwesen
resp. gegen den Impfzwang haben, so mag es vielleicht nicht ungerechtfertigt erscheinen,
einige statistische Daten bekannt zu geben, welche ich auf Ansuchen an das Schweiz.
General-Consulat in Neapel und durch Vermittlung der Schweiz. Legation in Rom erhielt,
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238
die Vaccination und Revaccination in der italienischen Armee
betreffend.
Bevor ich die Zahlen selbst gebe, sei es mir gestattet, einige Pnncte aus dem Regle¬
ment des Kriegsministeriums vom 81. Mai 1874, betreffend die Vaccination der Soldaten
vorauszuschicken, indem mir einige derselben von ganz besonderer Wichtigkeit zu sein
scheinen.
Die Vacoination und Revaccination wird jedes Jahr zur Zeit der Ankunft der Re¬
kruten in allen Corps, Districten, Spitälern, Instituten, Stabilimenteil des Heeres ausge¬
übt und es sind derselben unterworfen:
1. Die Eingeschriebenen;
2. die nach der Vaccination des vergangenen Jahres eingereihten Militärs;
8. Diejenigen, bei welchen die vorhergegangenen Vaccinationen ein negatives Resul¬
tat hatten;
4. die Personen, welche in Militärquartieren wohnen, oder daselbst eine feste An¬
stellung haben; die Säuglinge und Kinder der Militärs oder der Familien, welche in den
Quartieren Wohnung haben, werden wo möglich zuerst geimpft und zu rechter
Zeit, damit sie Lymphe für die Soldaten abgeben können.
Die jeweiligen Corps-Commandanten etc. verschaffen sich Röhrchen mit Lymphe von
den Conservatoren des betreffenden Districts oder lymphetragende Kinder. Dem Militär¬
arzt ist es freigestellt, je nach seiner Erfahrung und Ueberzeugung mit thierischer
oder menschlicher Lymphe zu impfen. Im Falle einer drohenden oder schon vor¬
handenen Variola-Epidemie und überhaupt zu jeder Zeit, wo die Nothwendigkeit vor¬
handen ist, erscheint es gerathen die Vaccination vorzunehmen (con frutto — mit Erfolg
— fügt das Reglement hier bei).
Eine neue Ministerialverordnung vom 25. December 1876, betreffend Vaccination mit
thierischer oder menschlicher Lymphe (vaccino umanizzato), theile ich hier ebenfalls im
Auszuge mit. ,
Indem sich das Ministerium des Innern einem Votum des Cousiglio superiore di sanitä
anschloss, liess es an alle Präfecten des Königreichs Italien die Einladung ergehen, dass
sie alle diejenigen Personen, welche das Impfgeschäft betreiben, besonders darauf auf¬
merksam machen, ob die Resultate der Vaccination mit thierischer oder humanisirter
Lymphe erzielt wurden; der Grund, weshalb das Ministerium eine differente Impfung ein-
führt, liegt darin, im Verlaufe einiger Jahre, je nach den erhaltenen Resultaten , die bis
jetzt noch sehr controverse Frage zu lösen, welcher von beiden Impfstoffen die grössere
Immunität gewähre.
Dem oben citirten Vorschläge schloss sich das Kriegsministerium sofort an und er-
liess folgende Verordnung, welche mit 1. Januar 1877 in Kraft trat.
1. Wenn der Arzt die animalische Lymphe vorzieht, muss er die Inocula-
tion immer auf dem rechten Arme des zu Impfenden vornehmen; zieht er hingegen
die hu m a n i s i r t e Lymphe vor, so muss er die Inoculation auf dem linken Arme
machen.
2. Die Militärärzte dürfen keine Mittel vernachlässigen, um sich Uber die Herkunft
und die vollkommene Qualität der thierischen Lymphe Gewissheit zu verschaffen.
8. Ferner muss der Militärarzt in das Dienstbuch jedes Soldaten Datum der Impfung,
Erfolg derselben und 8pecies des Impfstoffes einschreiben.
Ebenso sollen dieselben Anmerkungen in den Namen- und Zahlenregistern figuriren.
Der Colonello Medico Capo dell’ Ufficio Statistico Sigr. Madüavelli liess den statisti¬
schen Daten über die Zahl der von Variola befallenen Soldaten folgende Notizen voraus¬
gehen, welche ich in der Uebersetzung hier wiedergebe.
Die Vaccination und Revaccination der Soldaten ist eine Einrichtung, welche den
Ursprung der italienischen Armee selbst begleitete, als sie im Jahre 1869 bis 1860 durch
Fusion aller einzelnen Heere der frühem Staaten Italiens zusammengesetzt wurde. Das
piemontesische Militärgesetz, welches dem italienischen Militärgesetz zur Basis diente,
hatte die obligatorische Vaccination und Revaccination aller Rekruten seit 1858 vorge-
sebrieben. Vor dieser Epoche war im subalpinen Heere schon seit 1888 die Vaccination
derjenigen Rekruten obligatorisch, welche nie die Blattern gehabt hatten, oder nie mit Er¬
folg vaccinirt waren.
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239
Es exiatiren keine statistischen Publicationen über die Sterblichkeit durch Blattern
aus Zeiten vor der Ausübung der Vaccination. Die Zahl der Vaccinationen, der Erfolg
der Vaccination und Revaccination, die Zahl der Fälle von ausgebrochenen Blattern und
die Zahl der an den Blattern gestorbenen 8oldaten sind in dem beiliegenden Tableau
möglichst statistisch gesammelt als Resultat der officiellen Publicationen der Sanitäts-
statistik des Heeres für die letzten 5 Jahre.
Italienische Armee.
Statistische Zusammenstellung über die bei der Armee vollzogenen Impfungen und
Blattemkrankheiten vom Jahre 1871 bis und mit 1875.
Jahr¬
gang-
Präsente Stärke
unter den
Waffen.
Zahl der ge¬
impften und
nachgeimpften
Soldaten.
1871
189291
73890
1872
183829
121869
1873
191684
104389
1874
193663
86048
1875
200624
97647
Zahl der in
den Militär-
Hospitälern
Zahl der in
Resultate der voll¬
verpflegten
den Spitälern
zogenen Impfungen.
Soldaten,
welche an
an Blattern¬
krankheiten
TTt,-
Variola, Va-
gestorbenen
Sichere, sichere. Nichts.
riolois u. Va¬
ricellen er¬
Soldaten.
krankt waren.
27274
14848
81768
1168
116
41038
20360
69961
778
71
36998
17610
49786
89»
17
26541
15528
42979
209
17
32954
17718
46976
271
18
Totale 481833 164800 85564 231469 . 2820 239
Ich gebe obige Daten ohne weiteren Commentar.
Hier will ich blos noch einige Bemerkungen anfügen, welche ich den Herren Colle-
gen empfehlen möchte.
Dass die italienischen Aerste vom Nutzen der Vaccination und Revaccination voll¬
ständig überzeugt sind, brauche ich wohl nicht zu sagen: Das ist hier zu Lande eine
ausgemachte Sache. Dies kann man von jedem älteren Arzte hören, welcher die frühe¬
ren Verheerungen der Variola miterlebt hat; (mau'impft nämlich speciell in Neapel so zu
sagen gar nicht mehr mit humanisirter Lymphe, indem man mit den Resultaten der ani¬
malischen sehr wohl zufrieden ist.')
Nun aber ist man hier einen Schritt weiter gegangen, was nach meiner Ansicht auch
in der Schweiz Nachahmung *) verdiente. Man hat Impfstationen eingerichtet, welche als
Bezugsquellen von frischer Lymphe für ganze Provinzen dienen. Auf diesen Stationen
wird eine grosse Anzahl jähriger, gesunder Farren gehalten, welche in gewissen Zeit¬
abschnitten geimpft werden, um für den approximativen Bedarf stets genügend Lymphe
zu bieten. (Ueber das specielle Verfahren dabei werde ich mich in einer nächsten Cor-
respondenz weiter ausBprechen.) Wäre nun in der Schweiz nicht auch ein ähnliches
Verfahren indicirt, um den Herren Impfgegnern eines ihrer hauptsächlichsten Motive zu
nehmen, gewisse ansteckende Krankheiten mit zu übertragen? Könnte nicht der Staat
als solcher, zumal nach der eclatanten Zustimmung fast sämmtlicher Aerzte, welche sich
in bejahendem Sinne für den Nutzen der Vaccination und Revaccination ausspraohen,
ebenfalls solche Lymphe producirende Stationen einrichten und zwar unter seiner (Garan¬
tie? Solche Stationen könnten entweder mit den Thierarzneischulen verbunden werden
und der Vorsteher derselben würde zugleich die Oberaufsicht führen. Oder vielleicht,
um eine grössere Anzahl zu haben, würde das physiologische Institut einer jeden unserer
Universitäten verpflichtet, dafür zu sorgen, dass zu jeder Zeit Farrenlymphe in genügen-
*) Wir haben in der Schweiz in Basel und Schaffhausen (nun auch in Zürich und wohl an an¬
dern Orten noch) staatliche Institute, wo Impfhtoff vom Farren cultivirt und gegen Bezahlung auch nach
auswärts abgegeben wird. Ueber die Haltbarkeit desselben bei weiterem Transport und über den Ein¬
fluss hiebei einer Glycerinbeimischung sind die Acten noch nicht geschlossen, und es wäre sehr zu wün¬
schen, dass exacte Beobachtungen in dieser Richtung angestrebt würden. Jedes abgegebene Röhrchen sollte
nummerirt sein und vom Abnehmer an die Bezugsquelle über den Erfolg der Impfung jeweilen refsrirt
werden, so gelänge es gewiss, den Ursachen so häufiger Misserfolge endlich auf die Spur zu kommen.
Prof. Klebt in Prag arbeitet seit einiger Zeit sohon in dieser Richtung. Red.
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240
der Menge vorhanden wäre ; das betreffende Institut würde natürlich unter Oberaufsicht
des jeweiligen Professors stehen.
Die betreffenden Auslagen würden sich nachgerade, nachdem einmal die Institute ge¬
schaffen, nicht hoch belaufen, da die Farren nach der Abimpfung wieder verkauft werden
können und sich kurze Zeit nachher wieder für jeden andern Zweck eignen. (Hier zu
Lande ist diese Anstalt ein ganz lucratives Geschäft 1)
Zum Schlüsse erübrigt mir, nooh einmal öffentiioh den Eingangs erwähnten Herren
meinen besten Dank für ihr freundliches Entgegenkommen auszusprechen.
Ende März 1877. Dr. Heuberger.
W oohent>erioIrt.
Schweiz.
Die vereinigte Versammlung des ärztlichen Central Vereins und
der SocI6t6 m^dieale de la Baisse romande findet statt in Bern den
19. Mal Als Tractanden theilen wir vorläufig mit: 1) Mechanismus und Therapie der
Brucheinklemmung. Ref. Piof. Kocher (Bern); 2) L'emploi du chloroforme dans l’accou-
chement physiologique. Bef. Dr. Ocher (Genf); 8) Höhenclima und Tuberculose. Bef.
Prof. Vogt (Bern); 4) Geheimmittelschwindel und Vorschläge zu dessen Abhülfe. 5) Osteitis
des Schädels mit Demonstrationen. Bef. alt Oberfeldarzt Dr. Schnyder. Das definitive
Programm wird, sobald es endgültig flxirt ist, verschickt werden.
Hortal it ätsstatlstik. Unter den verdienstlichen Arbeiten des eidgenössischen
statistischen Bureau müssen wir die aus den Mittheilungen der Civilstandsämter regel¬
mässig extrahirten Publicationen der Mortalitätstabellen von Ortschaften mit Über 7000
Einwohnern besonders hervorheben. Wir reproduciren daraus die Procentverhältnisse der
Jahreiremltate von 1876:
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Aerztlich
bescheinigte Todesursachen.
Ortschaften mit
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Genf
Genf, Plainpalais
49806
26,6
4,8
17,4
—
—
—
2,8
—
2,8
—
12,8
19,2
24,i
0,4
99
u. Eaux-Vives
66865
29,,
4,8
22,3
—
—
—
5,6
0,4
4,0
0,9
—
14,!
20,8
36*
0*
98
Zürich
Zürich mit neun
21726
24,d
5„
17,6
0,5
—
0,5
ll«
0,9
0,3
17,5
21,8
23,9
0,4
100
Ausgemeinden
64469
34,7
5,i
27,*
0,5
1,4
1,1
5,0
2,3
7,3
0,5
29,3
35,4
33,8
0,7
99
Basel
48497
37,5
3,5
25,8
—
2,7
9,3
4,5
41,6
26,e
35,s
0,5
100
Bern
39782
37,4
4,4
31,4
—
0,»
8,,
7,o
1,3
8,5
—
21,4
43,o
1,0
99
Lausanne
29891
29,6
3,8
23,9
—
—
0,7
0,7
11,7
5,0
14,7
24 s
28,i
0,8
98
Chauxdefonds
21648
32, 9
7,o
22,3
—
0,9
0,5
9,*
6,5
_
25,4
32,s
30,s
0,1
98
St. Gallen
17823
30,8
6,2
25,o
—
0,6
1,1
l,i
1,1
4,5
—
12,9
22,4
29,
0,3
89
Luzern
16157
38,6
1,9
33^i
—
8,1
0,7
|4,s
3,i
9,9
—
24,1
26* 43,8
1,3
98
Neuchätel
14946
29,3
6,4
24,8
—
—
2,7
2,o
12,7
—
28,7
26.i
26,7
98
Schaffbausen
11217
29,9
4,6
28,o
—
—
8,9
10,7
5,4
4,5
—
0,6
100
Fribourg
11176
31,9
3,5
29,o
—
—
—
—
7,3
—
25,9
37,6 31,3
91
Locle
10925
31,4
4,5
21,7
—
3,7
—
2,7
0,3
8,9
—
21,0
17,4
26*
—
99
Winterthur
11010
34,6
5,7
22,6
—
—
3,6
1,8
0,9
4,5
—
18,2
30,9
22,7
I*
99
Herisau
9833
35,6
4,1
28, 8
—
—
—
2,o
2,0
4„
—
26,4
47,8
32,5
0*
87
Biel
9283
38,8
5,3
25,6
—
1,1
2,»
l,i
12,9
2,2
28,o
29,,
32,8
0,5
92
Vevey
8671
27,6
5,9
23,4
—
—
—
5,8
2,3
8,1
3l,i
32,s
27,7
_
92
Chur
7864
25,9
6,0
24,8
—
—
—
1,8
2.5
—
8,9
22,9
28,o
1,4
99
Einsiedeln
7852
40,o
1,8
29,a
—
—
—
1,3
—
7,8
—
59,9
44, 6
22,9
0,6
97
Altstädten
7736
28,6
3,5
29,i
—
—
—
1,3
1,8
2,8
—
19,4
23,8
25,.
75
Solothurn
7682
24,5
3,6
30,s
—
—
—
2,e
3,9
11,7
—
7,9
28,«
50,,
1,0
92
Durchschnitt
33,o
4,5
20,i
0,1
0,7
2,6
5,.
1,8
6,9
0,5
24*
29,7
33,4
0,8
97
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241
Es versteht eich, dass da, wo die ärztliche Bescheinigung der Todesursache weniger
fleiasig beigebracht wurde (siehe die letzte Kolonne: Altstädten, Herisau etc.), die obigen
Angaben aber die einzeln aufgefflhrten Todesursachen hinter der Wirklichkeit mehr oder
weniger zurückstehen mögen.
Bern« Herr Oberstlieut. Ruepp von Sarmenstorf, der allbekannte und langjährige
Oberinstructor der Sanität, ist zum Oberst im Sanitätsstabe avanciri
Herr Prof. Bemme , Chefarzt am berner Kinderspital, ist vom Regierungsrath zum
Prof, extraordin. ernannt worden. Für Fernerstehende notiren wir, dass in Bern die
Honorarprofessoren nur Titularprofessoren sind, während die ausserordentlichen Profes¬
soren ganz dieselben Rechte gemessen, wie die ordentlichen, und sich von den letztem
ihrer Stellung nach nur durch eine viel kleinere Besoldung unterscheiden.
Hygieiaische Beatpebau gen Im Eisenbahnwesen« Die ärztliche
Gesellschaft in Winterthur, in welches acht Bahnen einmünden, verlangt in einepi Gesuch
an die Eisenbahngesellschaften: 1) dass die Dampfpfeifen auf einen viel tieferen Ton ge¬
stimmt werden, wodurch der schädliche Einfluss auf das Ohr vermindert wird, ohne dass
d^s Signal an Deutlichkeit das Mindeste einbüsst; 2) dass die Signale, vor Allem aus
im ganzen Bereich des Bahnhofs und seiner Zufahrtslinien, nicht so übermässig laut und
lange anhaltend gegeben und überhaupt jedes unnöthige Signalgeben vermieden werde.
Wir begrflBsen im Interesse der Integrität eines unserer nöthigsten Sinnesorgane
diese sehr indicirte Anregung und wünschen, die ärztl. Gesellschaft in Winterthur möge
sich an die Aerzte-Commission wenden, damit diese gleichfalls mit dieser Frage sich be¬
schäftige.
Ausland.
.peutschland. Das ärztliche Vereinsblatt für Deutschland, Organ
des deutschen Aerztevereinsbundes, erscheint nun nach dem Tode seines verdienstvollen
Begründers und Redactors, Prof. Dr. H. E. Richter , unter der vom Geschäftsausschusse
des Aerztevereinsbundes ernannten Redactionscommission Dr. Graf (München oder Elber¬
feld?), Dr. Pfeiffer (Wiesbaden) und Dr. Heinze (Leipzig), welch' letzterer als verant¬
wortlicher Redacteur functionirt. Es liegt eine grosse Genugthuung in den Worten,
welche die neue Redactionscommission „an die deutschen Aerzte“ zu richten berechtigt
iat. Wir entnehmen ihnen folgende Stelle Insonderheit ist es von Anfang an
eine treue Stütze gewesen für den deutschen Aerztevereinsbund, bat ihm von seiner kaum
beachteten Wiege, der leipziger Naturforscherversammlung, an, unermüdlich und unver¬
drossen, beratbend und Material sammelnd, neuwerbend und anspornend zur Seite ge¬
standen bis zum constituirenden Wiesbadener Aerztetage und seinen drei Nachfolgern, und
hat sicher keinen geringen Antheil daran gehabt, dasB dem deutschen Aerztevereinsbunde
gegenwärtig, von 163 bekannten Vereinen überhaupt, 184 mit ca. 7000 Mitgliedern an¬
gehören und dass dieser Verband hiermit zu einer Macht herangewachsen ist, die nicht
mehr übersehen werden kann, und die, wenn auch langsam nur, doch sicher in die Stel¬
lung eines Factors einzurücken beginnt, mit dem von allen denen gerechnet werden muss,
welche sich der Unterstütung des ärztlichen Standes zu irgend welchem Zwecke ver¬
sichern wollen. 0 Wir vernehmen ferner, dass die Einigung der Aerzte in Sachsen, Baiern,
Württemberg, Hessen und Baden bereits zu einer staatlich anerkannten Vertretung des
ärztlichen Standes geführt hat. „Ausserhalb Preussens ist man schon so weit, dass man
nicht nur bei Taxangelegenheiten, sondern auch bei solchen Fragen, die Gesundheit und
Volkswohl betreffen, den Beirath der practischen Aerzte und deren Delegirten uicht mehr
entbehren zu können glaubt. 0 .... (Das gilt leider nur für das monarchische Deutsch¬
land.) Rechnen wir hinzu, dass ein deutsches Reichsgesundheitsamt mit erfreulicher
Thätigkeit existirt, Wie aus seinen regelmässigen Publioationen hervorgeht, so wird sich
Niemand mehr gross darüber wundern, wenn wir Schweizerärzte uns einerseits Uber das
immerhin bescheidene Maass von Anerkennunpspflicht freuen, wie Bie unser einsichtiger
und leistungsfähiger Aerzteausschuss den eidgenössischen Behörden und Räthen abgekämpft
hat, anderseits aber doch den leitenden politischen Häuptern im Unrauthe über das, was
so nöthig wäre und doch noch fehlt, surufen: „Quousque tandem!“
Eine eidgenössische civile Sanitätscentralstelle, vielleicht, wie wir früher schon be¬
tont haben, in rationeller Verbindung mit der schon bestehenden militärischen, sollte doch
bei onserm republikanischen Staatsorganismus kein Ding der Unmöglichkeit sein.
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242
OeftterrMch. Partielle Magenreseotion. Gussenbauer und Winiwarter
halten sich für berechtigt, die operative Ausrottung von Magenkrebsen beim Menschen
in Vorschlag zu bringen. Die Gefahr der Eröffnung der Bauchhöhle dürfte heutzutage
einem Leiden, wie dem Magenkrebs gegenüber, nicht in Betracht gezogen werden. Die
Casuistik der Magenverletzungen liefert zahlreiche Beispiele von Heilungen und unter
6 Fällen von Gastrotomie behufs Fremdkörperextraction zeichnet Gvenlher 6 erfolgreiche
Operationen auf. Da der Magenkrebs seinen Bitz am häufigsten am Pylorus hat, so han¬
delt es sich wesentlich um die Frage: würde die ringförmige Excision des Pylorus mit
einem mehr oder weniger grossen Stück Magen und Duodenum das Leben direct oder
indirect gefährden, a) durch den gesetzten partiellen Organverlust, b) durch etwa nach¬
folgende 8törung der Magenfunction (Geschwürsbildung oder Narbenstenose an der Ope¬
rationsstelle), c) durch die Schwierigkeit, das Einfliessen von Mageninhalt in die Bauch¬
höhle zu vermeiden — ? Durch eine Reihe von Operationsversuchen an Hunden über¬
zeugten sich G. und Ff., dass die partielle Magenresection sehr wohl
ohne allen Nachtheil Uberstanden werden kann! Allerdings gingen 6 von
7 operirten Hunden an Peritonitis zu Grunde. Einer starb 8 Monate nach der glücklich
überstandenen Operation an einem Duodenalgeschwür, welches der Abstossung eines
seidenen Suturfadens seine Entstehung verdankte. Einer aber, welcher fast ohne jede
Reaction von dem Eingriffe genesen war, zeigte bei seiner Tödtung nach 5 Monaten an
der Operationsstelle weder Ulceration noch Stenose, sondern eine von normaler Schleim¬
haut begrenzte glatte Narbe. In allen Versuchen wurde eine imerwartete Tendenz der
aneinander genähten Wundränder des Magens und Duodenums constatirt, prima intentione
mit einander zu verkleben und in den 6 tödtlich abgelaufenen Fällen hätte die Perito¬
nitis sehr wohl vermieden Werden können.*). »Der Gesammteindruck, den die operirten
Thiere unmittelbar nach der Operation machten, war ein überraschend günstiger. Be¬
denkt man noch, dass die primäre Reaction in 5 Fällen schon nach 24 und 48 Stunden
kaum mehr wahrzunehmen, und die Stichkanaleiterung an der Bauchwunde die einzige
unangenehme Erscheinung war, Eiterung an der Magendarmwunde auch nicht ein Mal in
den Fällen septischer Peritonitis beobachtet wurde, so dürfte aus all dem wohl mit Sicher¬
heit gefolgert werden können, dass nicht in der partiellen Magenresection als solcher
ihre Gefährlichkeit gelegen sein könne 1 Diese am Hunde gewonnene Erfahrung auf den
Menschen übertragen, so würden frühzeitig erkannte und mit Glück operirte Fälle von
Pyloruskrebs anderen Carcinomexstirpationen gegenüber desshalb grössere Chancen einer
dauernden Heilung bieten, weil nach Rokitansky die Pyloruskrebse entweder gar nicht oder
erst relativ spät Metastasen erzeugen.
(Langenbeck's Arch. XIX. 8. — D. M. W. 76. Nr. 33.)
IieichenTerbrennang. Bericht, erstattet im Namen des Conseil d'hygiöne
et de salubritä des Seine-Departements an den Polizeipräfecten über die Leichenverbren¬
nung (Commissäre: Raube , Bouchardat, BoussingauU und Troost , Berichterstatter.**)
»Sie haben, Herr Präfect, am 17. December 1875 dem Conseil de salubritd verschie¬
dene Documente, betreffend die Leichenverbrennung, übersandt Der Brief, welcher die¬
selben begleitete, enthielt keine in’s Einzelne gehenden Fragen, und die Commission glaubte
daher folgende Puncte nach einander prüfen zu sollen:
1. die Möglichkeit, die Einäscherung der Leichen zu bewirken, ohne Erzeugung von
Geruch, von Rauch oder von schädlichen Gasen;
2. die Vortheile, welche die Einäscherung in Rücksicht auf die Salubrität darbieten
könnte;
3. die Unzuträglichkeiten, welche sie im Gefolge haben könnte mit Bezug auf die
gerichtlichen Untersuchungen bei Nachforschung nach Verbrechen.
*) Ein Mal wurde im verpesteten Raume mit schmutzigen Instrumenten operirt, zwei Mal rissen
die Hunde sich selbst nachträglich ihre Bauchwunde auf, ein Mal beging der Hund nach bereits ab-
gelaufeoer primärer Reaction einen Diätfehler und zerplatzte sich die bereits verklebte Magenwunde,
ein Mal endlich war nicht dicht genug genäht worden und trat Mageninhalt in die Bauchhöhle.
**) Die lärmenden Verhandlungen über Leichenverbrennung sind verstummt; wir glauben aber
doch, den obigen Bericht dem Augustheft 1876 der „Annales de Chimie* entnehmen zu sollen, da er
von berufenen Autoritäten abgefasst und, so viel wir wissen, das erste veröffentlichte Gutachten ist,
welches die Frage ruhig und im vollen Bewusstsein der Verantwortlichkeit behandelt
)og!e
Digi-
243
Die Commission hatte sich nicht mit der Rücksicht auf die religiösen Ceremonien
so befassen. Diese Rücksicht wurde von dem Conseil municipal und von der Commis*
sion administrative anerkannt, indem die letztere das Programm aufstellte für einen Con-
curs wegen der besten Methode der Einäscherung der Leichen oder irgend eines andern
su ähnlichem Ziele führenden Systems.
Es versteht sich indess von selbst, dass die Einäscherung in keiner Weise obliga¬
torisch, sondern einfach facultativ wäre, und zwar unter den Bedingungen, welche ein
besonderes Gesetz festzustellen hätte.
1. Ueber die erste Frage, welche von Ihrer Commission geprüft wurde, kann sich
der Bericht sehr kurz fassen. Es lässt sich nicht bezweifeln, dass man eine schnelle
Einäscherung erhalten würde, wenn man sich ähnlicher Gasöfen bediente, wie sie in der
Metallurgie angewendet werden. Es wäre möglich, die Asche der verbrannten Leiche
ohne irgend eine Beimischung fremdartiger Substanzen zu erhalten. Es würde sich über¬
dies kein widriger Geruch und kein Rauch verbreiten, denn diese Oefen sind wesentlich
rauchverzehrend. Man hätte hiebei also keine Unzuträglichkeiten in Bezug auf die öffent¬
liche Salubrität zu befürchten.
Die Bedingungen des Programms, welches dem Conseil municipal vorgelegt wurde,
werden sich also leicht erfüllen lassen, vielleicht mit Ausnahme der Bedingung der Oeco-
nomie; denn die Leichenverbrennung würde mit Hülfe dieser Oefen erst dann wohlfeil
werden, wenn, was wohl auf lange Zeit nicht möglich sein wird, der Ofen in ununter¬
brochener Weise arbeiten könnte.
2. Die Leichenverbrennung würde Vortheile darbieten gegenüber der Beerdigung in
gemeinsamen Begräbnissplätzen (fosse commune), wo für jede Leiche ein ungenügender
Raum Vorbehalten ist. In der That können sich hier Übelriechende Stoffe entwickeln und
die Wasser des Grundes verunreinigt werden, wenn der Boden mit organischen, in Zer¬
setzung begriffenen Substanzen gesättigt ist und die Luft nicht in genügender Menge zu¬
treten kann, um eine vollständige Verbrennung zu bewirken. Aber die schwersten Un¬
zuträglichkeiten der gegenwärtigen Kirchhöfe würden verschwinden, sobald der gemein¬
same Begräbnissplatz auf einem Boden von genügender Durchlässigkeit nur eine be¬
schränkte Zahl von räumlich gehörig getrennten Leichen enthalten würde und dem Acker¬
bau, nachdem er eine gewisse Zahl von Jahren geschlossen gewesen wäre, wieder zurück¬
gegeben werden könnte. Denn die Leichen, welche in einem durchlässigen Boden be¬
graben werden, unterliegen endlich einer langsamen und mittelbaren Verbrennung, welche
keine Unzuträglichkeiten darbietet, sofern die gefährlichen intermediären Zersetzungspro-
ducte nicht an die Oberfläche des Bodens gelangen.
3. Die Beerdigung bietet der Gesellschaft gewisse Garantien, welche der Leichen¬
verbrennung nicht zukommen, wenn man die Frage mit Rücksicht auf die Aufsuchung
und den Nachweis der Gifte betrachtet, deren Vorhandensein oft erst längere Zeit nach
dem Tode vermuthet wird.
Man kann die Gifte unter dem Gesichtspunct, der uns beschäftigt, in zwei Classen
theilen:
a. die Gifte, welche durch die Verbrennung verschwinden würden,
b. die Gifte, welche die Verbrennung nicht vollständig zerstören würde.
In die erste Classe gehören alle giftigen Substanzen organischen Ursprungs und
ausserdem Arsenik, Phosphor und Sublimat, d. h. die am meisten angewandten Gifte.
In allen Fällen von Vergiftung durch einen dieser Stoffe würde durch die Leichen Ver¬
brennung jede 8pur des Verbrechens verschwinden; sie würde die Straflosigkeit dessel¬
ben sichern und dadurch zur Wiederholung desselben aufmuntern.
In der zweiten Classe der Gifte stehen die Verbindungen von Kupfer und Blei. Das
Metall könnte in der Asohe wieder gefunden werden; aber es ist klar, dass den’Bethei-
ligten immer freistünde, die Asche zu verstreuen, oder durch andere zu ersetzen, so dass
es auch bei dem zweiten Falle im Allgemeinen ebenso leicht wie bei dem ersten wäre,
die Spuren eines Verbrechens zu verwischen.
Demnach könnten die Verbrecher in der Leichenverbrennung eine Sicherheit finden,
welche ihnen die gegenwärtige Weise der Beerdigung nicht gewährt, und welche man
ihnen durchaus nioht zugestehen darf; denn diese Sicherheit würde für die Bevölkerun-
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244 —
gen eine Quelle von Gefahren, die viel grösser wären, als die gesundheitswidrigen Ein¬
flüsse, die man den Kirchhöfen vorwirft.
Die Einwendungen, welche man der Leichenverbrennung machen kann, würden ge¬
hoben, wenn das Gesetz verlangte, dass vor jeder Verbrennung cur Oeffnung des Leich¬
nams und zur chemischen Untersuchung der wichtigsten Organe geschritten würde, um
festzustellen, ob irgend ein Gift vorhanden sei oder nicht.
Aber diese Untersuchungen, welche nur dann Werth haben, wenn sie wie ein wahr¬
haft wissenschaftlicher Versuch ausgeführt werden, sind immer delicat, selbst dann, wenn
das Feld der Nachforschung durch eine Instruction des Richters begrenzt ist; sie würden
äusserst langwierig und peinlich, wenn jede vorläufige Anweisung fehlte. Gibt man zu,
dass es möglich wäre, sie mit der Klugheit und dem Talent, welche sie von dem unter¬
suchenden Chemiker verlangen, auszuführen, so lange nur eine kleine Zahl von Leichen¬
verbrennungen vorkommt, so ist es sehr sohwer, zu behaupten, dass sie noch ernstlich
gemacht werden könnten, sobald einmal das Verlangen nach Leichenverbrennungen all¬
gemeiner würde.
Im Vorhergehenden hat die Commission die Möglichkeit constatirt, die Einäscherung
der Leichen ohne die Entwicklung schädlicher Gase zu bewirken; sie hat den Vorzug
anerkannt, welcher dieser Einäscherung gegenüber von der Beerdigung in den allgemeinen
Begräbnissplätzen in hygieinischer Beziehung zukommt; aber sie hat bei der Leichen¬
verbrennung sehr ernste Unzuträgliohkeiten gefunden in Bezug auf die gerichtliche Me-
dicin und ebendamit in Bezug auf die öffentliche Sicherheit
Die Commission hat im Uebrigen alle Fragen des Gefühls und der Moral vollständig
unberührt gelassen. (Med. Corr.-Bl. d. württemb. ärztL V. 1870, 81.)
Die Albuminurie der Schwangeren gilt Tarnier von der Maternitä als
hauptsächlichster Grund der Eclampsia gravidarum. Er rühmt den eminenten Erfolg der
Milchdiät bei dieser Albuminurie und glaubt an ihre Prophylaxis mit Bezug auf die
Eclampsie. Er gibt am ersten Tage 1 Liter Milch mit 2 Portionen anderer Nahrung, am
zweiten Tage 2 Liter Milch mit 1 Portion, am dritten Tage 3 Liter mit */, Portion, am
vierten und den folgenden Tagen 4 Liter oder noch mehr Milch ohne andere Nahrung
und Getränk. In den schwereren Fällen nnd wenn schon Vorboten der Eclampsie vor¬
handen sind, bekommen die Kranken sofort 8—4 Liter Milch pro Tag.
(Gaz. des höp. 70. Nr. 8. — D. med. Wochenschr. 70. Nr. 18.)
Oesehlechtsbestimmung vor der Geburt. Dr. Mattei will wieder
einmal mit Sicherheit beobachtet haben, dass man aus der Zahl der Pulsscbläge des
Fötus das Geschlecht desselben während der Schwangerschaft fast ganz sicher erkennen
könne, bei 180—185 Herzschlägen soll man einen Knaben, bei 160—100 ein Mädchen an¬
nehmen dürfen.
Feuilleton.
Ein ArmspindelbrnchiieilnngSTersneli.
(Eine wahre Geschichte, erzählt in Knittelversen im IL Act der medio. Gesellaoh. zu B.)
So höret denn die grause Mähr 1
Von einem Falle arg nnd schwer.
Es fiel ja unser Physions
Auf seinen rechten Radius.
Er dauert uns, es schmerzt uns sehr,
Doch ihn, ihn schmerzte es nooh mehr.
Sorglos wandelt das Physlcat
Im Wintermonat Abends spat,
Zwischen Spital and Soein vorbei,
8chaut ob bei Socin Licht noch sei,
Und denkt: ob der wohl noch Stadler 1 ,
Oder in Träumen sich verlier’?
Der Spittelgeist darob erbost,
Ihn unsanft mit der Krücke stosst,
Da fiel er um, da fiel er hin,
Dass ihm verging Gehör und Sinn.
Ventricnlo prsevio lag er da
Und nirgends keine Hülfe sah.
Doch schnell besonnen wie er war
In dieser Lage voll Gefahr,
Griff er wohin der Schmerz ihn hiess,
An’s Handgelenk, das arg ihn biss.
Ah! ’s Handgelenk ist ganz zum Glück,
Und auch am Aertnel fehlt kein Stück,
Ruft er und hebt trotz heft’gem Schmerz
MR stillem Stöhnen und Gebärz
Sich auf die Füss’ und schwemmt den Schreck
In einem Blerhaos munter weg.
Zn Hause aber und lm Bett
Bekam der Pbyslcns sein Fett,
Wir meinen nicht ’s cinereum.
Du er zieh rieb tun’a Handg’lank nun;
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846
Nein! er, der sonst was trinken kann,
Bah mm das CHas von ferne an,
Er, der die Esslast freudig stillt,
Wurde nichts zu essen nan gewillt,
Er, der sonst schnarcht, trompetengleich,
Könnt’ nun nicht schlafen, einen Streich.
Verzweifelt griff snm Morphium
Er Morgens früh um 2 Uhr rum,
Und lindernd sprang als wie ein Blita
Gott Morphium aus der Pravassprits.
Dass herrlich schlief der Radius
Zur Seite seines Physicus.
Doch roseafingrig M jrgenroth,
Du brachtest wieder neue Noth,
Benommen war das Cerebrum,
Beklommen das Precardium.
Heutf ging er nicht in leichtem Trapp,
Wie sonst des Hauses 8 tieg’ hinab,
Heut’ setst er sich mit einem ach;
Und nicht wie sonst als wie im „Schach“,
ln seine Droschk, die Zeitung auch
Die las er nicht wie sonst sein Brauch.
Doch angebor’ne Zähigkeit
Hilft ihm bis nm die Mittagsseit
Die Praxis ordentlich verseh’n,
Thät’s ihm auch schlimm dabei ergeh’n.
Denn jeder Kranke, der ihn sah
Der rief tum Voraus ach I und ah I
„Was hend 8 ie au, Herr Physicus,
8 ie sehnd jo ganz erb&rmlig us.“
80 ging ihm Tag und Nacht herum,
Mit Praxis nnd mit Morphium,
Bis er einmal auf seiner Fahrt
Den rechten Aesculap gewahrt,
Der legte ihm nach Künstler Art
Emplastrum mercuriale zart
Zur höchllchsten Erleichterung
Um'* kranke Handgelenk herum*
Dann ward’ der Jodanstrich versucht,
Der biss ihn aber ganz verflucht,
Und seugete sehr unbequem,
Ein purpurrothes Erythem.
Als man die vierte Woche zählt,
Und er sich g’nugsam abgequält,
Der Physicus zu Soein ging
Und hielt den Radius ihm hin.
Jal sagt der Herr Professor dann,
Die Sache steht sich misslich an,
Es scheint mir fast der Radius
Brach nah am styloideus,
Da wo er sonst am liebsten bricht,
81e können’s glauben oder nicht.
Hier eignet sich ein Gypsverband,
Den leg’ ich an mit eig’ner Hand.
Haiti denkt Herr Physicus, gemach,
So schnell versteh’ ich nicht die Sach’;
Am besten stelle ich mich taub,
Und thu’ verduften wie ich glaub'.
Er mache mir die Hölle warm,
Doch frevl’ er nicht an meinem Arm!
Man sucht, man fragt, wohin er sei,
Es hiess auf d’Wasenmeisterei,
Dort consultir’ Socin zum Trotz
Er mit dem Thierarst über Rotz.
Doch ach, wie ganz entsetzlich schlecht,
Hat das Entlaufen sich gerächt,
Ein Gichtanfall kam Ober ihn,
Der streckt ihn viele Tage bin,
Dem konnte er dann nicht entflieh’n,
Trotz Morphium und trotz Chinin.
Da kam ein guter Freund vom Land,
Als Dr. Löffier wohlbekannt,
Der sagt: bei uns, hätt’ Einer Lust,
So säh’ er Brüche so verpfuscht
Wie Deiner, zur Genüge wohl,
Dass mich der Knkuk holen soll,
ln diesem Fall hilft nur allein
Ein Dötzedli Blutegelein.
Den Physicus der Rath ergetzt.
Die Egel werden gleich gesetzt.
Allein auch der Versuch schlug fehl
Und bracht’ ein Wunderysipel,
Das dauert gleich ägypt’scber Plag*
Auch wieder seine 14 Tag
Nun ward es aus mit jedem CPnuss,
Bel unserem Herrn Physicus.
Er dacht’ an seinen Lebenslauf,
Die Kats’ stieg ihm den Buckel n’auf.
Doch heilt die Zelt ja manche Wund’
Und manchen Bruch; sitzt doch zur Stund*
Der Physicus in unserm Bund
Behäbig da und ganz gesund.
Er möge blühen und gedeih’n
Und uns die Ironie verzelh’n.
Du aber Publicum zumal
Hör 1 von dem Falle die Moral:
Brichst Du einst wie der Physicus
Dir Deinen rechten Radius,
So laufe ja nicht aus der Cur,
Sonst wird die Sache schlimmer nur.
Stand der Infeetiona-Krankbeiten in Basel«
Vom 26. März bis 10. April 1877.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
ßcharlach 24 neue Fälle (26, 18, 26, 21), Nordwestplateau 5, Birsigthal 3, Süd-
ostplateau 2, Spital 2, Kleinbasel 8, von aussen 8.
Varicellen 9 Fälle zerstreut.
Rubeolae und Morbilli keine Fälle.
Erysipelas 8 Fälle (11, 7, 7, 10), Nordwestplateau 4, Birsigthal 2, Südostpla¬
teau 1 ( eingebracht 1.
Diphtherie und Croup 6Fälle, Nordwestplateau 1, Birsigthal 1, Südostplateau
2, Kleinbasel 1 (2, 2, 10, 6).
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Typhus 81 Erkrankungen (8, 7, 4), Nordwestplateau 5, Birsigthal 8, Südostplateau
8, Kleinbasel 13, zugereist 2.
Keuchhusten wurde nicht angemeldet.
Bibliographisches.
43) Müller, F. W., Der Arzneischatz des pract. Arztes. Charakteristik, Dosirung, Anwen¬
dungsweise und At wendungsfall aller wichtigen Arzneimittel, unter Berficksichtigung
der einschlägigen Indicationen und Methoden. Mit 840 Receptformeln. 140. Seiten.
Stuttgart, Verlag von F. Enke.
44) Fischer, Statistik der in dem Kriege 1870/71 im preussischen Heere und in den mit
demselben im engeren Verbände gestandenen norddeutschen Bundescontingenten vor¬
gekommenen Verwundungen und Tödtungen. 64 Seiten. Berlin, Verlag der königl.
Geh. Ober-Hof-Druckerei (R. v. Decker).
45) Verhandlungen der berliner tnedic. Gesellschaft aus dem Gesellschaftsjahre 1875/76, her¬
ausgegeben von dem Vorstande der Gesellschaft, Band VII. Berlin, gedruckt bei
Sittenfeld.
46) Klelke, Die Medicinal-Gesetzgebung des deutschen Reichs und seiner Einzelstaaten
aus dem amtlichen Material fQr den pract Gebrauch zusammengestellt, sowie mit
chronologischem und alphabetischem Sachregister versehen. Bd. II. Gesetze und
Verordnungen des Jahres 1876. 334 Seiten. Berlin, Verlag von E. Grosser.
47) Wiener Klinik , 2. und 3. Heft. Grünfeld, der Harnröhrenspiegel (Endoscop), seine dia¬
gnostische und therapeutische Anwendung. 104 Seiten. Wien, Urban & Schwar¬
zenberg.
48) Vogt, Paul, Die Nervendehnung als Operation in der chirurgischen Praxis. Eine ex¬
perimentelle und klinische Studie. Mit 10 Holzschnitten und 1 Tafel. 80 Seiten.
Leipzig, Verlag von F. C. W. Vogel.
49) Vffelmann, Die Diät in den acut-fieberhaften Krankheiten, mit 3 Holzschnitten. 132 8.
Leipzig, Verlag von F. C. W. Vogel.
60) Josephson , Wirkungslosigkeit und Nachtheile der transportablep pneumatischen Appa¬
rate von und nach Waldenburg gegeu Respiration8- und Circulationskrankheiten. Nach
physicaliach-physiologischen Untersuchungen. Mit Abbildungen. 46 Seiten. Hamburg,
Verlag von E. Nolte.
61) Ranvier's technisches Lehrbuch der Histologie, übersetzt von Nicol: und H. v. Wyss.
2. Lieferung mit 66 Holzschnitten im Text. Leipzig, F. C. W. Vogel.
52) Eltinger, Der ärztliche Landesschulinspector, ein 8achwalter unserer misshandelten
Schuljugend. 70 Seiten. Stuttgart, Verlag von K. Schober.
53) Müller, Die progressive pernieiöse Anämie nach Beobachtungen auf d. med. Klinik
in Zürich. 250 Seiten. Zürich, Verlag von C. Schmidt.
Instrumente zu Augen-Operationen,
„ zur Tracheotomie,
„ zur Laryngoscopie und Rhinoscopie,
„ zur Paracentese und Drainage,
„ zu Operationen der Blasen-, Schei¬
den- und Mastdarm-Fisteln,
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wieder zurückgekehrt.
Baden den 15. April 1877. [H-1138-Q]
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24 ?
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anstalt KOuigsfelden wird ein junger Arzt oder
Candidat der Medicin gesucht. . Demselben wäre
Gelegenheit geboten, seine Studien fortzusetzen
und sich praktisch in die Psychiatrie einznführen.
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freier Station. Reflectanten wollen sich beför¬
derlich an die Direction der Anstalt wenden,
welche über die Anstellungsbedingungen nähere
Auskunft ertheilt. [H-1685-Z]
Friedrichshaller Bitterwasser,
Indem wir den Herren Aerzten unsere alt¬
bewährte Bitterquelle sowohl als purgans (grosse
Dosen), wie als mild eröffnendes, aber kräftig
wirkendes Resolvens (kleine Dosen) bestens
empfehlen, erlauben wir uns, darauf aufmerk¬
sam zu machen, dass unsere Quelle nicht ihrem
absoluten Salzgehalte, sondern ihrer eigenttiüm-
liehen chemischen Composition — Verbindung
von Chlor- und Brom-Salzen mit Sulfaten —
den hohen Ruf verdankt, den sie in der me-
dicinischen Welt geniesst. Sie verdient un¬
streitig den Vorzug vor ähnlichen Wässern, wenn
es sich um einen lange fortgesetzten Gebrauch
handelt — „Die schwefelsauren Salze bewirken
»war eine stärkere Ansammlung von Flüssig¬
keit im Darmkanal, da sie aber wegen ihres
geringen Diffusionsvermögens nur in geringer
Menge vom Blute aufgenommen werden und
keinen Bestandtheil desselben bilden, so be¬
schränkt sich ihre therapeutische Wirkung auf
die Entleerung der im Darm angesammelten
Fäcalstoffe, und ein längerer Gebrauch stört
die Verdauung. Das Kochsalz dagegen, wel¬
ches einen integrirenden Bestandtheil des Blutes
ausmacht, gelangt auch wegen seines stärkeren
Diffusionsvermögens in das Blut, vermehrt
dessen Kochsalzgehalt, was für die Bildung
und Rückbildung von normalen und abnormen
transsudatorischen Verhältnissen im Körper,
überhaupt für den Stoffwechsel nach allen
Richtungen hin von bedeutendem Einflüsse ist
Wir sehen, dass der Kochsalzgehalt im Urin
bedeutend vermehrt wird und alle Schleim¬
häute zu einer gesteigerten Secretion angeregt
werden. — Die nachtneiligen f olgen der ein¬
seitigen Wirkung des Kochsalzes werden aber
durch die verhältnisemässige Mischung der
Chlorsalze mit den schwefelsauren aufgehoben,
•o dass also das Friedrichshaller Wasser Monate
hindurch ohne Nachtheil getrunken werden kann.“
Profi Helfft’s Balneologie, VIII., von Dr.
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Printdoeaoi ia BueL
Br. A. Baader
ln GelUxkindan.
Nr 9. VII. Jahrg. 1877. 1. Mai.
Inhalt: 1) Orlginalarbeitan: Geheimmlttel-Polizei. (Au den Acten der Aerate-Commleeion.) — Dr. Adolf Vogt:
üeber die Züricher Pocken- und Impfrtatiatik. — 2) Vereinsberichte: Verhandlungen der ärztlichen Gesellschaft des Can-
toas Zürich über Reorganisation des Sanitätswesens. — 3) Referats und Kritiken: Dr. A. Hemma nn: Besprechung einiger
halneologischer Arbeiten. — 4) Wochenbericht. — 5) Briefkasten.
Original-Arbeiten.
Geheimmittel-Polizei.
(Ans den Acten der Aerzte-Commission.)
Die brennende Frage des erlaubten Betrages und Diebstahls, wie er bei der
Pseudo-Industrie der Geheimmittel vielfach zu Tage tritt, greift so tief nicht nur
in den Geldbeutel, sondern auch in die Gesundheit des Volkes ein, dass der ärzt¬
liche Centralverein das Thema „Ankündigung und Verkauf von Geheimmitteln“ auf
die Tagesordnung seiner Versammlung zu Olten (September 1876) setzte und in
Herrn Dr. Chr. Müller einen ebenso erfahrenen, wie wissenschaftlich anerkannten
Referenten gewonnen hatte. Es wurde der Frühlingsversammlung Vorbehalten, die
endgültigen Resolutionen zu fassen und unterdessen versuchte die Aerzte-Commis¬
sion den Entwurf eines Schreibens an die Cantonsregierungen, welches auf dem
Circnlationswege von sämmtlichen Mitgliedern geprüft und unterzeichnet als Grund¬
lage für fernere Verhandlungen dienen sollte.
Zu gleicher Zeit beschäftigten sich aber auch die Regierungen mit dieser An¬
gelegenheit und im März wurde das Bureau der schweizer Aerzte-Commission
durch das eidg. Departement des Innern zur Mcinungsabgabe in dieser Frage auf¬
gefordert, welche dort vom Regierungsrathe des Cantons Aargau aufs neue ange¬
regt und bereits durch ein Gutachten des Herrn Oberfeldarztes bearbeitet wor¬
den war.
Unter gebührender Verdankung der regen Theilnahme, welche die eidg. Ober¬
behorde auch dieser socialen Frage zugewendet, erklärten wir uns gerne bereit,
ein Votum der schweizerischen Aerzte zu erheben und vorzulegen, und reichten
einstweilen den hier vorliegenden Entwurf ein, als Zeichen unserer bisherigen Be¬
mühungen and unserer Absichten.
Mit Schreiben vom 20. März erklärte sich Herr Bandesrath Droz „mit der Art
und Weise unseres Vorgehens einverstanden und bereit, erwünschten Falles die
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Betreibung dieser Angelegenheit an die Hand zu nehmen und für deren Regulirung
ein Concordat zwischen den Cantonen anzustreben“.
Damit ist unserer Berathung kräftig vorgearbeitet und wir bringen unseren
Herren Collegen hiemit den vorläufigen Entwurf zur Kenntniss:
Die schweizerische Aerzte-Commission an die Tit. Regierungen sämmtlicher
Schweizer-Cantone.
Hochverehrte Herren Regierungsräthe!
Wenn eine Privatgesellschaft den Muth hat, Sie Tit ! der Reihe nach am Ihr freund»
liches Gehör zu bitten, so kann sie es nur im Bewusstsein einer gemeinnützigen Absicht
und unter der Voraussetzung, dass in der vielgestaltigen Culturbewegung unserer Zeit
die Theilung der Arbeit unvermeidlich ist und die Angehörigen eines Berufes nicht blos
das Recht, sondern die strenge Verpflichtung haben, von ihrem Standpuncte aus für das
gemeinsame Wohl zu arbeiten.
Wir sind in der wenig beneidenswerthen Lage, Sie um nichts Geringeres zu bitten
als um eine polizeiliche Einschränkung der Presse, in wiefern sie sich mit der Anzeige
und Anpreisung von Heil- und Geheimmitteln befasst.
Da jede Regierung ebensowohl eine Beschränkung als auch eine Garantie der per¬
sönlichen Freiheit darstellt, ersparen wir Ihnen unsere Widerlegung des alltäglichen Ein¬
wurfes, als wäre dieses Ansuchen ein Angriff auf die persönliche Freiheit
Wir gehen von der alten Wahrheit aus: „Salus publica lex suprema“ und versuchen
hiemit, Ihnen nachzuweisen, wo für das Gemeinwohl in der vorliegenden Frage die
Grenze zwischen Freiheit und Betrug, zwischen Gewerbe und Diebstahl, liegen möchte;
auch nehmen wir uns die Freiheit, Ihnen einen Vortrag des durch seine Arbeiten über
Milchuntersuchungen wohlempfohlenen Herrn Dr. Müller beizulegen, welchem wir wichtige
Aufschlüsse und Zahlenangaben verdanken.
I. Wie die Tagespresse überhaupt eine Macht ist, so ist es ganz besonders auch der
Inseratentheil derselben." Er besteht zu einem erheblichen Maasse auB Anzeigen von Ge¬
heimmitteln. Diese sind an sich selber kein ßedürfniss, sondern werden nur von der
Annonce dazu gemacht, und genau in dem Grade verbraucht, als sie annoncirt werden,
weshalb Unterdrückung der Anzeige der Unterdrückung des Mittels fast gänzlich gleich¬
kommt.
Bekanntlich ist bei dieser Pseudo-Industrie die Hauptsache niemals der Artikel sel¬
ber, sondern die Frage, ob der Verkäufer hinlänglich geschickt annoncirt und ob er das
Capital besitzt, lange genug damit fortzufahren. Da die Methode und Macht der Annonce
vom Zeitungsleser wenig gekannt 'und beachtet ist, erreicht sie auch wirklich ihren
Zweck.
Ein Blick in englische, französische, deutsche und sehr viele schweizerische Zeitun¬
gen gibt uns eine Idee vom Umfange der Geheimmittel-Industrie. Frankreich schätzt
seinen Verkauf solcher „Specialitäten“ auf jährlich 105 Millionen Franken. Die englische
Staatsoassa bezieht jährlich 60—70,000 Pfund Sterling für Gewerbescheine dieser Indu¬
strie. Die Stadt Berlin allein besitzt 100 Geheimmittelfabricanten; Thüringen überschüttet
seit Jahr und Tag Deutschland (und zum Theil die Schweiz) mit seinen Olitäten und
der Verbrauch von Quecksilber, Arsenik, Opium und Aloö ist dort bekanntlich ein gross-
artiger. Ein einziger Fabricant liefert z. B. jährlich 4—5 Centner opiumhaltiger „Kinder¬
pillen“.
Was wir in der Schweiz diesfalls leisten, weiss Jedermann oberflächlich und Nie¬
mand genau: nur scheint sicher zu sein, dass wir noch hinter unsern Nachbarn zurück-
stehen. Jedenfalls handelt es sich um grosse Geldwerthe und um eine wichtige sanitäre
Frage.
II. Die Zusammensetzung aller dieser Stoffe ist nun allerdings kein Geheimniss; Tau¬
sende sind von den zuverlässigsten Chemikern aualysirt und ganze Bücher mit den fort¬
laufenden Enthüllungen angefüllt; aber ohne entsprechenden Nutzen, weil eben weder die
betreffenden Chemiker noch auch die Landesregierungen geneigt sind, ebenso grosse und
grössere Summen für die aufklärenden Gegenanzeigen zu verwenden, wie die Verkäufer
für ihre Empfehlungen.
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251
Nach Richter ’s Zusammenstellung von 938 analysirten Geheimmitteln erwiesen sich:
1. als starkwirkend, beziehungsweise Gifte enthaltend 22%,
2. als minder bedenklich, jedoch arzneilich und gar nicht unnräftig 25%,
3. als unbedenklich und völlig unschädlich 52%.
Unter Nr. 1 fallen besonders eine grosse Menge scharfgiftiger Haut- und Haarmittel,
die opiumhaltigen Kindermittel, welche chronische Gehirnleiden und Todesfälle veranlas¬
sen, ferner Arsenik und Quecksilber enthaltende „blutreinigende !“ Mittel, und endlich eine
Legion scharfer Purganzon, welche bei Magenkranken, Nervenschwachen und Schwind¬
süchtigen, ebenso bei Solchen, welche am Anfänge einer acuten Krankheit (Unterleibs¬
entzündung, Typhus u. s. w.) stehen, grossen Schaden anrichten und oft aus einer heil¬
baren Krankheit eine unheilbare machen.
Unter Nr. 3 treffen wir Präparate, welche mit den sub 1 und 2 bezeichneten keiner¬
lei giftige noch eingreifende Wirkungen, sondern blos den Umstand gemein haben, daBS
sie 5 bis 100 Mal theurer verkauft werden, als sie werth sind und deswegen in das Ge¬
biet der gemeinen Prellerei gehören, wie solche z. B. auf dem Lebensmittelmarkte nir¬
gends geduldet wird. Im Geheimmittelhandel aber werden Gesundheitsschädigung und
öconomischer Betrug in grossem Maassstabe und unter den Augen der Behörden be¬
trieben.
III. Die Sache hat aber auch ihre moralisch schlimme Seite.
Während bei der regelrechten Industrie das Fabricationsgeheimniss s6ine volle Be¬
rechtigung hat, wird es in der legalen Medicin, wo es sich vor Allem um Leben und
Gesundheit und dann erst um den Gelderwerb handeln soll, grundsätzlich verpönt, und
alle wirklichen Errungenschaften der Medicin, Chirurgie, Augenheilkunde u. s. w. sind
von den Entdeckern sofort zum Gemeingut bekannt gegeben worden. Auf dem Verferti¬
ger eines so wundervollen Mittels, wie es die Annonce preist, müsste zum Voraus -wegen
der Geheimhaltung der Verdacht ruhen, dass er ein schlechter Mensch sei. Die che¬
mische Analyse berichtigt aber diesen Verdacht, indem sie meistens das Fabricat als
schlecht herausstellt.
Wichtiger ist der Umstand, dasB der massenhafte Verkauf von Medicamenten die
öffentliche Meinung verwirrt, und den Glauben nährt, dass irgend ein Stoff oder eine
Mischung an und für sich dem Kranken nützlich oder schädlich sei, während doch überall
nur die richtige Auswahl und die Methode der Anwendung massgebend ist.
Schliesslich nährt die gesundheitsschädliche und betrügerische Geheimmittelindustrie
im bedenklichsten Maasse die Sucht der Leute, viele Medicamente zu schlucken, die mit¬
telalterliche arabische Apothekenwirthschaft, welche dem classischen Alterthum unbekannt
war und von welcher die moderne naturwissenschaftliche Medicin sich grundsätzlich ab¬
wendet, um sich, mit besseren Erfolgen, der privaten und öffentlichen Gesundheitspflege
zu widmen. Für diese aber gibt es kein grösseres Hinderniss in der öffentlichen Mei¬
nung, als die täglichen und tausendfältigen Wundermittel, welche Hülfe für Alles ver¬
sprechen und jede Prophylaxis überflüssig, wenn nicht geradezu lächerlich erscheinen
lassen.
IV. Die hier entwickelten Anschauungen haben von jeher zweierlei Entgegnungen
erlebt, welche wir auch hier zu berühren für nöthig finden.
Die erete kommt vom Publicum und heisst: persönliche Freiheit.
Der oft ausgesprochene Grundsatz: „Es boII Jeder seine Haut gerben lassen wo und
wie er gern will“ ist nicht nur cynisch in seiner Form, sondern er ist auch ein Ausdruck
der Menschenverachtung, welche nirgends minder gestattet ist als in einer Republik, die
nur gleichberechtigte Bürger und keine Heloten kennt, die man jeglichem Schwindel
preis gibt
Hieher gehört auch das Sprichwort: „Mundus vult decipi“, ein Grundsatz, welchen
unsere schweizerischen Behörden bisher nur gekannt haben, um ihn zu bekämpfen, nicht
aber, um ihn gewähren zu lassen. Die zweite Entgegnung kommt von den Geheimmittel¬
verkäufern und wirft den Aerzten nichts Geringeres als Brodneid vor. Wir beantworten
ihn folgendermaassen:
1. Wenn von zwei gleich guten Menschen der eine seine ganze Jugendzeit und eine
grosse Summe Geldes an seine Ausbildung wendet, der andere aber wenig oder gar nichts,
so hat vorläufig der erstere eine grössere Glaubwürdigkeit und moralische Empfehlung zu
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252
beanspruchen. Diese Empfehlung ist um so berechtigter, als wirklich Aerzte nur sehr
ausnahmsweise so weit herunterkommen, Verfertiger und Verkäufer von Geheimmitteln
zu werden.
2. Sähen wir aber von diesen moralischen Voraussetzungen wirklich ganz ab, und
stellten wir die Aerzte auf den Staudpunct eines rücksichtslosen Erwerbes, so müssten
diese die Freigebung des Geheimmittelhandels dringend empfehlen, denn er macht viel
mehr Leute krank als gesund und macht aus manchem kleinen Unwohlsein einen „interes¬
santen“ Krankheitsfall.
Darum schämen wir Aerzte uns des Kampfes gegen die Geheimmittel nicht, denn
wir stehen dabei auf dem Boden der Wissenschaft und der Pflicht und nicht auf dem
Boden des Eigennutzes.
V. Dass unsere Anschauungsweise weder neu noch ungebührlich ist, beweisen eine
grosse Zahl längst bestehender Gesetze in vielen Cantonen; Zürich und St. Gallen *) haben
angefangen, sie mit Erfolg (und ohne Bürgerkrieg I) zu handhaben; andere Cantone räu¬
men zur Stunde noch dem notorischen Schwindler und Betrüger das Recht ein, in dieser
Frage den Begriff der persönlichen Freiheit zu definiren, aber sie thun es mit Widerstreben
und im Gefühle eines öffentlichen Unrechtes. Schon im Juni und December 1807 fand
beim eidg. Departement des Innern eine Conferenz statt!, welche beschickt wurde von
den Cantonen: Zürich, Bern, Luzern, Obwalden, Nidwalden, Glarus, Freiburg, 8olothurn,
Baselstadt und -Land, Schaffhausen, Appenzell A. Rh. und I. Rh., St. Gallen, Bünden,
Aargau, Thurgau, Tessin, Waadt und Neuenburg.
Die Verhandlungen wurden getragen von der Ueberzeugung, dass die Einschränkung
einer geradezu unleidlichen Geheimmittelprellerei durchaus nothwendig sei, aber auch zer¬
splittert durch eine Menge rein theoretischer Betrachtungen, welche über dem Besten das
Gute, über dem Ideale das Mögliche verloren und zu keinem Resultate führten.
Die schweizerische Presse verfügt über zu kleine Gebiete und ist zu sehr zersplit¬
tert, alB dass sie sich in dieser Angelegenheit zu einheitlichen Maassregeln erhoben und
sich auf die Seite des geprellten Volkes gestellt hätte : dennoch wird sie bei der gering¬
sten amtlichen Ermuthigung zeigen, dass sie der bessern ausländischen Presse ebenbürtig
ist. In England sind über 200 der angesehensten Blätter übereingekommen, keine An¬
noncen von Geheimmitteln oder hieher gehörigen Schriften in ihre Spalten aufzunehmen.
Diesem Beispiele gedenkt, nach dem Beschlüsse des VIII. deutschen Journalisten¬
tages , auch die deutsche Presse zu folgen und alle Annoncen zu verweigern, „welche
dem offenbaren Schwindel auf medicinischem, gewerblichem, industriellem und commerciel-
lem Gebiete Vorschub leisten“.
VI. Wenn Sie nun, Tit.! uns fragen, wie wir uns denn die Ordnung dieser Annon¬
cenpolizei vorstellen, so lautet unsere Rechenschaft folgendermaassen:
1. Es ist selbstverständlich, dass zweideutige und unsittliche, der Venus vulgivaga,
dem Abortus und ähnlichen Auswüchsen der „persönlichen Freiheit“ gewidmete Inserate
nach wie vor unterdrückt bleiben, beziehungsweise auch einer sorgfältigeren Fahndung
unterstellt werden, alB bisher mancherorts der Fall gewesen.
2. Die Cantone verbinden sich zu einem Concordate , welches in derselben Weise
vorgeht, wie es gegenwärtig in Zürich und St. Gallen der Fall ist und zunächst nur die
Annonce, als den Lebensnerv des ganzen betrügerischen Geschäftes, in Angriff nimmt.
Die betreffenden Medicinal- und Polizeibehörden stützen sich bei ihren Beurteilun¬
gen auf anerkannte chemische und pharmaceutische Fachschriften, wie diejenigen von
Hager , Wittstein, oder auf selbstständige Untersuchungen ihrer Amtschemiker, und setzen
auf dem Correspondenzwege fest, was zu verbieten und was als unschädlich und halb¬
wegs prei8würdig zu gewähren sei.
3. Förmliche Patentirung einzelner Präparate erscheint uns (von formell rechtlichen
Gründen abgesehen 1) ganz unstatthaft, weil die Zusammensetzung von Geheimmitteln be-
kanntermaassen vielfach wechselt und vom ursprünglichen Muster abweicht; (wir erinnern
nur an die Jformon’schen Pillen) und weil es aller naturwissenschaftlichen Aufklärung und
Bildung widerspricht, einen dem Zufall preisgegebenen und uncontrolirten Medicamenten-
verkauf obrigkeitlich zu unterstützen.
*) Hieher gehört auch der Canton Luzern. 8. Corr.-Bl. 1876, Seite 200 u. ff. Red.
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Tit.! Wir befürworten also die polizeiliche Beschränkung des Geheimmittelverkaufes
aus dem Grunde, weil wir ihn als gesundheitsgefährlich und als einen wohlorganisirten
Diebstahl, ebenbürtig dem Lotto , betrachten. Dabei sind wir uns wohl bewusst, mit
diesen Vorschlägen das Uebel, welches wir bekämpfen, nicht ganz ausrotten zu können,
weil wir über die ausländische Presse keine Macht haben; aber wir können es doch in
hohem Grade vermindern, können manche Gesundheitsschädigungen abhalten und dem
Volke üunderttausende von Franken ersparen, um welche bisher Kranke und Arme auf
unverantwortliche Weise geprellt worden. Wir müssen auf diesem Gebiete einmal we¬
nigstens anfangen Ordnung zu schaffen und das Weitere dem Entwicklungsgänge unseres
Volkes und seiner Behörden vertrauensvoll überlassen.
Zum Schlüsse bitten wir Sie, Tit ! die Leitung dieser Angelegenheit entweder einer
von Ihnen bezeichneten cantonalen Medicinalbehörde oder dem eidg. Departements des
Innern übertragen zu wollen, dessen Wirkungskreis auch die Befähigungsausweise für
wissenschaftliche Berufsarten und die eidg. Seuchenpolizei umfassen wird; wir begnügen
uns mit dieser, durch unseren Beruf gebotenen Anregung und benutzen den Anlass, Herr
Präsident, Herren Regierungsräthe! Sie unserer ausgezeichneten Hochachtung und Erge¬
benheit bestens zu versichern!
(Eventuell) Im Namen und Aufträge der ärztlichen Centralvereine der Schweiz:
II. Versammlung des ärztlichen Centralvereins und der Socidtö mödicale de la Suisse
romande zu Bern den 19. Mai 1877:
Die schweizerische A erzte-Commission:
Dr. Sonderegger, Präsident, St. Gallen. Dr. Steiger , Luzern.
Dr. Burckhardt-Merian, Schriftführer, Basel. Prof. Dr. Vogt , Bern.
Dr. de la Harpe, Lausanne. Dr. Zehnder, Zürich.
Prof. Dr. Dunant , Genf.
Ueber die Züricher Pocken- und Impfstatistik. *)
Von Dr. Adolf Vogt.
Die Nr. 3 der Züricher „Blätter für Gesundheitspflege“ vom laufenden Jahr¬
gang bringt einen Artikel „Zur Impffrage“, in welchem es heisst: „Im C^nton
Zürich dürfte die Impffrage bereits so ziemlich gelöst sein: liefert doch die vor 4
Jahren erschienene, auf amtliches Actenmaterial sich stützende Schrift von Dr.
Brunner in Winterthur über die Pocken im Canton Zürich eine Menge der schla¬
gendsten Beweise dafür, dass die Impfung für eine lange Reihe von Jahren vor
Pockenerkrankung und noch weiter hinaus vor tödtlicher Erkrankung schützt,
wie umgekehrt, dass ungeimpfte Kinder, die an Pocken erkranken, der grössten
Lebensgefahr ausgesetzt sind.“ Diesen Ausspruch zu widerlegen, sollen die folgen¬
den Zeilen versuchen.
Wie wir in neuerer Zeit enorm viel sehen , untersuchen und experimentiren,
aber erschreckend wenig denken, so hegen wir neben der Anhäufung grossartigster
wissenschaftlicher Materialien vielfach ein gedankenloses Fortschleppen hergebrachter
Irrthümer und unbegründeter Ueberzeugungen. Und wie jede vorgefasste Meinung,
wenn sie im Kampfe den soliden Grund der Logik unter sich wanken fühlt, den
Träger unwillkürlich zum Fanatismus und zur Vergewaltigung des Gegners drängt,
so hat auch gegenwärtig die Impffrage diesen bedauerlichen Charakter angenom¬
men. Schon der Zweifel an der herrschenden Ansicht, dass der Nutzen der Vac-
cination unwiderleglich dargethan sei, genügt, den Zweifler zu den Gegnern des
*) Selbstverständlich öffnen wir die Spalten unseres Blattes auch dieser Arbeit unseres geehr¬
ten Mitarbeiters, obgleich wir, trotz der im Einzelnen vielfach berechtigten Kritik der bisherigen Impf-
statistiken, mit deren Schlüssen nicht einverstanden sind. Redact.
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Impfens zu werfen und ihn als unruhigen Kopf oder Krakehler anzusehen oder
wenigstens das Verlangen nach nochmaliger Untersuchung der Acten oder gar nach
Sammlung besseren Materiales aus der Neuzeit und aus unserem eigenen Vater¬
lande schon zum Voraus als „kaum lohnend“ oder nur „massige Ausbeute ver¬
sprechend“ hinzustellen. In diese Kategorie muss ich leider auch die letzthin unter
den Schweizerärzten in Scene gesetzte Urabstimmung in Betreff des rechtmässigen
Glaubens über das Impfdogma rechnen. Wir befinden uns bereits auf der scharfen
Grenzlinie zwischen Wissen und Glauben und haben schon in das Lager des letz¬
teren den einen Fuss gesetzt: sorgen wir dafür, dass wir den andern nicht auch
nachziehen und damit den Bpden der Wissenschaft ganz verlassen!
Unsere Pockenstatistik datirt zum grössten Theile aus einer Zeit, wo man die
statistische Methode noch gar nicht recht zu handhaben wusste: und in diesem
primitiven Zustande hat sie sich auch noch heutzutage auf unsern medicinischen
Schulen und bei dor grossen Mehrzahl von deren Schülern fortlebend erhalten.
In diesem Stillstand dürfen wir aber nicht verharren, wenn wir nicht der regres¬
siven Metamorphose anheimfallen und zu unserm Ursprünge, dem Priesterthume,
wieder zurückkehren wollen, um das Schicksal der alten Scholastik zu theilen. Wir
müssen, um mit dem Juristen zu reden, die Reform des ganzen Impfprocesses er¬
klären, wenn wir mit der heutigen Wissenschaft und deren Methoden Schritt hal¬
ten und nicht zum alten Eisen geworfen werden wollen. Untersuchen wir daher
auch einmal, ob das amtliche Material über die Pocken im Canton Zürich, welches
uns Dr. Brunner mit sehr anerkennenswertem Fleisse in seiner Schrift gesammelt
hat, wirklich auch zu dem oben angeführten Ausspruche der „Blätter für Gesund¬
heitspflege“ wissenschaftlich berechtigt
Brunner beginnt den Abschnitt über die Pocken von 1801 — 1820 mit den Wor¬
ten: „In gleichem Maasse wie das Impfwesen Fortschritte machte, trat die Pocken¬
seuche zurück“, und stützt die Annahme eines solchen ursächlichen Zusammen¬
hanges zwischen Impfung und Pocken darauf, dass im Canton Zürich in dem
Triennium von 1804—1806, in welchem 4018 Kinder geimpft worden waren, 2171
Personen an Pocken erkrankt und 455 gestorben seien, während im folgenden
Triennium von 1807 —1809, in welchem 8018 Kinder geimpft worden waren, nur
noch 219 Personen ergriffen worden seien: also mit der Verdopplung derVaccina-'
tionen ein Rückgang der Pockenkranken auf den 10. Theil der Zahl. Schon ein
Blick auf die alte schwedische Blatternstatistik, welche seit ihrem Erscheinen im
englischen Blaubuche kritiklos oft den impffreundlichen Schriften als Schaustück
beigegeben zu werden pflegt, wird Jeden überzeugen, dass lange bevor man an
Impfung dachte, die Pockenseuche schon solche Sprünge machte und dass dieselben
also recht eigentlich zu ihrem Wesen gehören. Oder kann man überhaupt an einen
solchen ursächlichen Zusammenhang auch nur denken, wenn man sich vergegen¬
wärtigt, dass die verdoppelte Zahl der Impfungen im zweiten Triennium doch nur
die hier verschwindend kleine Zahl von 7 pro mille der Bevölkerung ausmachte ?
Bei dieser geringen Verbreitung der Impfung damals im Canton Zürich müsste
man derselben eine vom Geimpften auf je 140 ungeimpfte Nachbarn ausstrahlende
Schutzkraft zuschreiben, wie man sie etwa einem Blitzableiter auf seine Umgebung
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zuschreibt, und welcher man, nach physicalischem Brauche etwa noch eine mit dem
Quadrate der Entfernung abnehmende Einwirkung beilegen könnte.
Wie gestaltete sich nun im Canton Zürich später, von 1838, d. h. von der
Einführung des allgemeinen Impfzwanges an, das Verhältniss der Geimpften zu
den Nichtgeimpften? Durchschnittlich wird um das vollendete erste Altersjahr herum
geimpft, bald einige Monate darüber, bald daruntßr, so dass wir nicht fehlgehen,
wenn wir im Durchschnitt die Kinder des ersten Altersjahres als ungeimpft an-
sehen: diese machen aber (nach der Volkszählung vom 1. December 1871) 2,31% der
Bevölkerung aus. Zürich hat ferner allgemeine obligatorische Primarschulen und
daran anschliessende Secundarscbulen und höhere Mittelschulen, welche alle Kinder
vom vollendeten 6. Altersjahr bis zum zurückgelegten 15. in sich schliessen: 1870
zählten die ersteren 43,599 Kinder*), die letzteren 3405; also zusammen 47,004
Kinder, deren Eintritt in die Schule an die Bedingung der bescheinigten Impfung
geknüpft ist. Da nun der Canton Zürich 1870 im Ganzen 47,774 Einwohner in
jenem schulpflichtigen Alter zählte, so dass nur 47,774 — 47,004 = 770 Kinder
dieses Alters in den Schulen fehlten, welche 0,27% der Bevölkerung ausmachen,
so kann der Canton in Maximo nur 2,31 -f- 0,27 = 2,58% Ungeimpfte gehabt
haben, welchen in Minimo 97,4% der Bevölkerung als mit Sicherheit geimpft ge¬
genüberstehen. Gegenüber diesen 97,4% Geimpften unter der Bevölkerung seit
1838 bilden die früher erwähnten 0,73 und 1,43% Geimpfter aus den Triennien
1804—1806 und 1807—1809 wohl nur verschwindend kleine Grössen.
Und wie verhielten sich nun die Pocken in den Zeitläufen, in welchen man
nahezu alle Bewohner des Cantons, nach Ausschluss der Kinder im ersten Lebens¬
jahre, als Geimpfte hinstellen kann?
Das Schrifteben von Dr. Brunner , • welches uns die Zahl der Blatternfälle von
1821—1872 gibt, zählt seit dem Jahr 1838 Jahre auf mit 3, 9, .11 Blatternfällen,
sowie solche mit 150, 183, 213 und 354 Fällen, also bei gleichbleibenden Impf¬
verhältnissen Schwankungen in der Zahl der Ergriffenen, welche sich bis auf das
50- bis 120fache belaufen. Diesen Schwankungen der Seuche gegenüber, welche
unabhängig von der Impfung sind, müssen Schwankungen bis auf das lOfache, wie
sie die beiden Triennien 1804—1806 und 1807—1809 darboten, als ganz irrelevant
bezeichnet werden.
Aus dem Gesagten geht klar hervor:
1) dass die Verdoppelung der Impfung in jenen beiden Triennien noch keinen
merkbaren Einfluss auf die Pockenseuchen unter einer Population von 200,000
Menschen kann ausgeübt haben, auch wenn wir der Impfung eine ganz unbedingte
Schutzkraft auf Lebenszeit zusebreiben wollten; und
2) dass bei vollständig unveränderten Impfverhältnissen die Seuche ganz andere
Sprünge aufzuweisen hat, als sie damals machte; dass also gar keine Berechtigung
vorhanden ist, jene früheren geringeren Schwankungen irgend andern Einflüssen
zuzuschreiben, als sie ohne Mitwirkung der Impfung später in viel höherem Maasse
stattgefunden haben.
•) Wirth, Statistik der Schwei*. Bd. HI (1875) Seite 170—209.
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256
Da somit beide Vordersätze des Brunner 'sehen Raisonnements nicht richtig
und logisch nicht zulässig sind, so fällt auch der daraus gezogene Schluss, dass
die Abnahme der Pockenseuche in jenen früheren Zeiten der Impfung dem Einfluss
dieser letzteren zuzuschreiben, als nichtig dahin.
Ich bin auf diesen Passus der Ärwmcr’schen Schrift näher eingetreten, obgleich
er selber kein besonderes Gewicht auf denselben zu legen scheint, weil das darauf
angewandte Raisonnement auf alle impflreundlichen Schriften anzuwenden ist,
welche die ersten Decennien nach der Jenner'sehen Entdeckung besprechen und
sich hiezu der schwedischen Pockenstatistik bedienen. Auch die Angaben von
Kustmaul *) über Deutschland, welche jedenfalls nicht unter der Wahrheit geblieben
sind, geben aus jener Zeit per Jahr durchschnittlich für Deutschland nur etwa 3,4
Impfungen auf 1000 Einwohner und für Baden speciell 2,4 an. Es wäre daher
wohl hohe Zeit, dass man den blinden und lahmen alten Paradegaul der schwedi¬
schen Blatternstatistik vor einem wissenschaftlichen Publicum nicht mehr auf die
Scene fuhren würde.
Nachdem Brunner von 1821—1872 Jahr für Jahr die Zahl der an Blattern Er¬
krankten und bisweilen auch die Zahl der an Blattern Gestorbenen aufgezählt hat,
stellt er die Blatternfälle decennienweise zusammen und erschrickt dabei selbst
darüber, dass im grossen Ganzen daraus eine Zunahme der Blattern resultirt, was
mit der enormen Ueberhandnahme der Impfung allerdings seit den 20er Jahren
schlecht harmonirt. Er versucht daher folgende Erklärung:
„Wir haben nämlich“, sagt er auf Seite 15, „diese Vermehrung der Mortalität
auf Rechnung folgender Factoren zu bringen:
„1. Der Zunahme der Bevölkerung. Von 1812—1870 hat die Bevölkerung des
Cantons Zürich um 95,410 Einwohner zugenommen.
„2» Des erleichterten und bedeutend vermehrten Verkehrs sowohl innerhalb
des Cantons, als mit auswärts, namentlich der zunehmenden Raschheit der Ver¬
kehrsmittel, wodurch Einschleppungen aus Nachbarstaaten viel häufiger, und auch
aus fernen Ländern möglich gemacht worden sind.
„3. Einer aus unbekannten (telluriscben?) Gründen gesteigerten Intensität des
Contagiums oder erhöhten Receptibilität der Individuen.“
Man sieht schon dieser Auseinandersetzung an,- dass bei ihr der Grundsatz:
reim’ dich oder ich fress’ dich, der leitende war. Der Nutzen der Impfung, wel¬
chen man beweisen will, wird schon als bewiesen vorausgesetzt und die wider¬
sprechenden Thatsachen in die Zwangsjacke unzureichender Erklärungen gesteckt.
Dass die oben angeführten Erklärungen vollständig unzureichend sind, um die Zu¬
nahme der Blattern nur als scheinbare hinzustellen, geht deutlich aus Folgendem
hervor. Freilich muss dabei etwas mehr gerechnet und weniger behauptet
werden.
Ich will, wie Brunner , ebenfalls nach Decennien rechnen, dieselben aber von
1872 an rückwärts zählen, da er auch von diesem Jahr noch die Zahl der Blattern¬
kranken im Canton Zürich angibt. Unter^die Rubrik B stelle ich die Zahl der an
*) Zwanzig Briefe über Menschenpocken- and Kuhpockenimpfung. Freiburg i. Breisg. 1870,
Seite 35 und 37.
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Blattern Erkrankten, nach Brvnner'a Angaben; unter die Rubrik t die Zahl der an
Blattern Verstorbenen: dieselben sind aus den lückenhaften Angaben, welche sich
bei einzelnen Jahren in den betreffenden Decennien vorfinden, für die Gesammt-
zahl der Befallenen berechnet. Unter m gebe ich die hieraus resultirende Morta¬
lität auf je 100 Befallene. Die angegebenen Bevölkerungszahlen geben die Durch¬
schnittsbevölkerungen der betreffenden Decennien, aus den letzten Volkszählungen
berechnet
Canton Zürich.
Decennien.
Bevölkerung.
B
t
m
I.
1823-32
: 204,996
235
46
19,49 %
n.
1833-42
: 223,563
1046
132
12,65 *
iii.
1843-52
: 242,129
1009
46
4,61 „
IV.
1853-62
: 260,695
864
44
5,05 „
V.
1863-72
: 279,261
2517
257
10,21 *
Summa
5671
525
9,26%
Reducirt
man sowohl die B als die t auf je 1000
, so ergibt dies folgendes
Bild:
B,
t»
I.
Decennium
42
88
H.
79
184
251
HL
79
178
88
IV.
79
152
84
V.
19
444
489
Summa 1000
1000
woraus in der That im Allgemeinen eine
Zunahme im
Laufe der Decennien resul-
tirt Um nun abzumessen, in wie weit hier die Bevölkerungszunahme miteinwirkt,
will ich annehmen, die Bevölkerung des ersten Decenniums sei durch alle folgen¬
den stationär geblieben, wodurch der Einfluss der Bevölkerungszunahme eliminirt
wird. Es resultirt daraus folgende Tabelle:
I.
Decennium
B = 235
t = 46
II.
•n
959
121
HI.
y>
854
39
IV.
»
679
35
V.
»
1848
189
Summa 4575
430
Und wenn wir wieder, wie oben, jene Reduction auf je 1000 vornehmen:
t 3
I.
Decennium
51
107
II.
210
182
HI.
187
91
IV.
148
81
V.
n
404
439
Summa
1000
1000
Wenn also gar keine Populationsvermehrung stattgefunden hatte, wäre immer
noch eine bedeutende Zunahme der Blatternfälle im Ganzen zu constatiren, die wie
in der ersten unrectificirten Tabelle vom I. auf das II. Decennium um das 4fache
steigt, dann im III. und IV. etwas sinkt und vom IV. auf das V. sich wieder auf
das 3fache erhebt Die absolute Zunahme vom I. Decennium bis zum V. wäre
eine lOfache, die richtigere relative jedoch, bei welcher die Zunahme der Bevölkerung
ausfällt, eine 8fache, — trotz der Zunahme der Impfungen von 7,3 pro mille der
Bevölkerung auf 974 pro mille, d. h. auf das 133fache!
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258
Wollte ich aus diesen unleugbaren Thatsachen nach Art der Gläubigen des
Impfdogma’s schliessen und in ungerechtfertigter Weise beide Erscheinungen zu
einander in ein direct causales Verhältniss setzen, so hätte ich ,a8 /s Mal oder genau
16,625 Mal mehr Recht zu schliessen, dass die Impfung die Pocken in gefährlich¬
ster Weise vermehre, als mit den Impfanhängern zu folgern, dass die Seuche durch
die Impfung beschränkt oder gar ausgerottet werde, wenn sich Alle impfen und
immer wieder revacciniren lassen. Nachdem wir in der Bliithezeit des Impfzwan¬
ges die Blatternepidemie von 1871 durchgemacht haben, muss der Jubel, in wel¬
chen 1802 Prof. Hecker in Erfurt ausbrach, als er seinem Handbuch über die
Impfung, wie uns Kussmaul*) mittheilt, den bezeichnenden Titel: „Die Pocken sind
ausgerottet!“ gab, allerdings etwas voreilig erscheinen.
Ich komme auf den 2. Brunner 'sehen Satz, dass die erleichterten und bedeutend
vermehrten Verkehrs Verhältnisse ebenfalls als Factor zu bezeichnen seien, welcher
das Resultat der Impfung trübe. Am 9. August 1847 wurde unser erstes Eisen¬
bahnstück Zürich-Baden eröffnet und in der That waren gerade die Jahre 1847,
1848 und 1849 für den Canton Zürich Pockenepidemiejahre: allein die Eisenbahn
stellte ihren Betrieb nicht ein, wurde immer mehr und mehr frequentirt und doch
nahm in den 2 folgenden Jahren die Seuche ab: 1848 zählte man 354 Blatternfälle
und 1851 nur noch 34, oder den zehnten Theil. Doch noch mehr: den 18. August
1859 wird die Nordostbahn eröffnet und damit auch der Beginn einer der pocken¬
ärmsten Perioden (1860 : 5 Fälle, 1861: 23, 1862: 15 und 1863: 18 Fälle). Im Juni
1864 wird die Linie Zürich-Zug-Luzern, im Mai 1865 Bülach-Regensberg dem Be¬
trieb übergeben: die Blattern zählten im gleichen Jahre noch 533 Erkrankungsfalle
und feierten dann den neuen vermehrten Verkehr mit einem Rückgang auf 142
(1866) und 99 (1867). Sollte man nun nicht vielmehr zur Behauptung sich ver¬
sucht fühlen, dass ein noch mehr vermehrter Verkehr endlich die ganze Seuche
vernichten werde ? Allein man würde sich vergeblich abmühen, wenn man aus dem
vorliegenden Pockenmaterial des Cantons Zürich versuchen wollte zu entscheiden,
ob die An- oder Abwesenheit von Eisenbahnen oder von Fabrikindustrie und
Aehnlicbem irgend einen haltbaren Unterschied in der Frequenz der Pockenerkran¬
kungen nach Ortschaften oder Bezirken ergebe: dazu ist das Material viel zu
lücken- und mangelhaft, wie ich mich bei einem solchen Versuche überzeugte.
Nun blieben also noch unter den Brunner 'sehen Erklärungen der wachsenden
Seuche bei immer vollendeterer Impfung die „unbekannten (tellurischen ?) Gründe“.
Hier finde ich mich mit ihm — freilich unter Weglassung der etwas verdächtigen
Parenthese — in voller Uebereinstimmung. Wir wissen nicht, was die Pocken¬
seuche in der Neuzeit wieder zu frischem Aufleben anfacht: wir wissen nur, dass
die Impfung sie daran nicht verhindert hat. Wir sind hierin noch
Ignoranten und werden es bleiben, wenn wir 'nicht von Neuem an die Untersuchung
gehen und von Neuem das vorhandene Material, soweit es brauchbar, nach rich¬
tigeren statistischen Grundsätzen bearbeiten. Von vorneherein diese Aufgabe als
eine „kaum zu einem lohnenden Resultate führende“ bezeichnen und dennoch dem
*) L. c. Seite 38.
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Laienpublicum durch die Presse mittbeilen, dass das „massenhafte Material aus
andern Ländern für den Werth der Impfung spreche, und dass für den Canton
Zürich die Frage so ziemlich gelöst sei“ u. s. w., heisst daher nichts anderes, als
die Impffrage wie ein Mysterium in das Allerheiligste einschliessen und das Volk
zum Knieen davor einladen. Da hört wohl die Wissenschaft auf und wir Aerzte
legen auf diesem Wege die glänzende Rüstung der Wissenschaftlichkeit ab, um
die Soutane anzuziehen. Wir vermehren aber auch auf diese Weise erst recht „das
im Volke wachgerufene Misstrauen gegen die Impfung“, und ich hoffe nicht, dass
meine warnende Stimme zu einer Kassandrastimme werde, wenn ich dem ärztlichen
Stande den Untergang in der menschlichen Gesellschaft prophezeihe, sofern er auf
diesen Wegen fortwandelt
Doch — ich habe noch nicht alle Belege Brunner' s für den Nutzen der Impfung
besprochen. Man könnte mir vorwerfen, dass ich nur die schwachen derselben
angegriffen, die starken aber diplomatisch umgangen habe, wenn ich sie nicht alle
berühren würde. Ich fahre also in dem Texte exegetisch-kritisch fort.
„Als wichtigstes Factum seiner Zusammenstellung und als glänzenden Erfolg
der Impfung“ hebt Brunner (S. 43) hervor, dass unter 923 Pockenerkrankungen nur
52 Kinder unter 15 Jahren gewesen seien. „Das grosse Heer der Kinder unseres
Cantons hat also nur 52 oder 5,6°/ 0 aller Erkrankungen geliefert. Der Triumph
der Impfung wird noch erhöht, wenn wir bemerken, dass die 16 Kinder unter 1
Jahr, sowie sämmtliche 15 gestorbene Kinder ohne Ausnahme ungeimpft sind.“
Warum muss das Heer der Kinder unter 15 Jahren sogleich ohne Zahlenangabe
ein grosses genannt werden, da es in der That doch nicht den dritten Theil der
Bevölkerung ausmacht und daher seine Erkrankungsfälle doch erst mehr als ver¬
dreifacht werden müssten, wenn man ihre Zahl mit derjenigen der Erwachsenen
in Vergleichung setzen will? Brunner theilt uns ferner mit, dass unter jenen 923
Erkrankungen 16 Kinder unter einem Jahre gewesen seien, von welchen 13 gestor¬
ben seien und zwar ungeimpft, welches die schöne Mortalität von 81,25% ergibt.
Diese Mortalitätsrechnung leidet aber an folgenden statistischen Gewährsmängeln:
1. Die aufeinander bezogenen Zahlen 16 und 13 sind so klein, dass der reinste
Zufall eine Mortalität von 0 und eine solche von 100% hätte ergeben können. In
der That hatte auch nach Brunner (S. 43) das Absonderungshaus 8 Fälle aus die¬
ser Altersclasse mit 7 Todten; Steffansburg 6 Fälle mit 6 Todten und das Win-
terthurer Spital 2 Fälle mit 0 Todten: also in Winterthur Mortalität = 0 und in
Steffansburg = 100%.
2. In der ersteren Spitalanstalt sind die Fälle von 1870 auf 1871, in Steffans¬
burg von 1871 auf 1872 und in Winterthur von 1871 aufgeführt und als gleichzei¬
tige behandelt, während es bekannt ist, dass die Seuche zu verschiedenen Zeiten
gerade im ersten Kindesalter die grössten Sprünge in der Frequenz der Fälle
macht.
3. Brunner nimmt unbekümmert seine aus verschiedenen Zeiten zusammengele¬
senen Spitalpatienten und behandelt sie wiederholt bei seinen Berechnungen und
Vergleichen (z. B. mit Leipzig) als Gesammtzahl aller Erkrankten im Canton. Des¬
halb stimmt die Summe auch nicht mit der S. 15 angegebenen: das Wirrsal bei
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260
der Aufstellung der Zahlen ist aber zu gross, als dass man das Fehlende aus den
Angaben restituiren könnte. Einige hundert Fälle ausserhalb der Spitäler sind
dabei ausgefallen. Ob unter diesen Ausgefallenen und unter den Verheimlichten
nicht gerade die leichteren Fälle, welche die Mortalitätszahl herabdrücken, figuri-
ren und zwar vorwiegend die aus dem ersten Altersjahre (!) — das Alles entzieht
sich jeder Beurtheilung. Wir haben aber einzelne, obwohl nur äusserst seltene
Angaben unter dem „massenhaften Material aus andern Ländern“ oder unter dem
„Wust von Impfstatistik“ der Schule, welche uns einstweilen einigen Anhaltspunct
in dieser Frage gewähren können: nämlich die Pockenlisten Berlins für 1871 vom
Impffreunde Dr. E. H . Müller*) und diejenigen der Bediensteten der k. k. privil.
österr. Staatseisenbahn-Gesellschaft pro 1872, 1873 und 1874 vom Impfgegner Dr.
L. Jos. Keller.**) Wir wollen sie hier beide als vollständig zuverlässige Docu-
mente in gleicher Bearbeitung folgen lassen. Die Müller 'sehen Angaben und daraus
berechneten Procente für Berlin sind mit M, diejenigen von Keller für die österr.
Bahn mit K bezeichnet; unter b folgen die Erkrankungsfälle an Blattern, unter f
die Zahl der daran Verstorbenen und unter m die Zahl der auf je 100 Erkrankte
Verstorbenen.
Geimpfte._ _Nichtgeimpfte.
M
K
M
K
b
f
m
’ b
f
m
b
f
m
b
t
m
°/
/o
°/o
0/
/o
°/
0— 1 Jahr
179
99
55,3
74
36
48,7
723
437
60,4
293
134
45,7
1- 2
298
127
42,6
56
26
46,4
502
226
45,0
107
44
41,1
2- 3
295
111
37,6
64
20
31,3
338
128
37,9
90
17
18,9
3- 4
244
78
32,0
91
20
22,0
223
86
38,6
101
17
16,8
4— 5
175
69
39,4
70
14
20,0
151
51
33,8
91
13
14,3
5-10
651
150
23,0
276
52
18,8
224
66
29,5
146
13
8,9
10—15
556
35
6,3
223
14
6,3
38
2
5,3
58
7
12,1
15-20
1600
67
4,2
332
19
5,7
84
5
6,0
62
4
6,5
20—30
4336
386
8,9
447
31
6,9
203
38
18,7
75
7
9,1
30-40
2990
448
15,0
270
38
14,1
127
37
29,1
44
6
13,6
40—50
1622
412
25,4
104
19
18,3
60
20
33,3
10
2
20,0
50—60
886
271
30,6
46
17
37,0
32
19
59,4
10
4
40,0
60-70
394
140
35,5
15
10
66,7
20
8
40,0
8
3
37,5
70 u.mehr„
61
17
27,9
1
1
100,0
8
3
37,5
—
—
—
Summa
14327 2410
16,9 2069 317
15,3
2733 1126
41,2 1095
271
24,7
Ich empfehle <Jie obige Tabelle meinen Collegen zum eingehenden Studium,
da die älteren statistischen Arbeiten, auf welche sich unsere moderne Schulweis¬
heit noch stützt, kein Document besitzt, welches derselben irgendwie an die Seite
könnte gestellt werden. Ich will dieselbe für den Moment nicht benutzen, um
daran den groben statistischen Schnitzer, der noch durch alle unsere Handbücher
hindurch und von allen unsern Cathetern herabfliesst, nämlich aus der Gegenüber¬
stellung der Gesammt-Pockensterblichkeit bei Geimpften und bei Nichtgeimpften
auf den Nutzen der Impfung zu schliessen, hier zum 101. Male vorzudemonstriren,
*) Dr. E. E. Müller, die Pockenepidemie zu Berlin 1871; in der Vierteljahres ehr. f. gerichtL
Medic. Neue Folge, Bd. XVII, p. 314.
**) Dr. L. Jos. Keller, die Ergebnisse der Blatternepidemie 1872, 1878 und 1874, in d. Wiener
med. Wochenschrift 1876, Nr. 83, 34 und 86.
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261 —
— ich werde dazu eine andere Gelegenheit ergreifen *) —, sondern ich will aus der¬
selben einstweilen nur constatiren, dasä die Pockenfälle unter den Geimpften des
ersten Altersjahres bei Müller 55,3% Todte und bei Keller 48,7% zählen und dass
daher der Rückschluss von Brunner , die grössere Mortalität dieser Kinder in Leip¬
zig auf Rechnung einer mangelhafteren Impfung als im Canton Zürich zu setzen,
ebenfalls auf thönernen Füssen steht. Meine Collegen werden auch aus jener Ta¬
belle noch manche Antwort auf einzelne Aussprüche Brunner' s zu Gunsten des
Impfschutzes, wie z. B. die Dauer desselben und Aehnliche9, selber herauslesen.
Wa9 ich so selbst, beim Abstauben der Schulbänke und -Tische, über den
Nutzen der Impfung denke, lässt sich am besten wiedergeben durch den bekann¬
ten deutschen Volksausdruck : „Ich bin noch nicht meiner Meinung, sagt der Wirth
zu Ellfeld“. Ich weiss nur, dass ich wenig davon weiss und daher sehr befähigt
bin, etwas noch darin zu lernen. Ueber die Frucht meiner Studien in dieser Frage
mit meinen Collegen in Verhandlung zu treten, werde ich nächstens die Gelegen¬
heit ergreifen, wenn sie mit mir die Ansicht theilen, dass unsere angebahnte schwei¬
zerische Pocken- und Impfstatistik mit allem Eifer und allem Ernste an die Hand
zu nehmen ist, um nicht immer blos an alten und fremden Krücken herumhinken
zu müssen. Ich kann dabei die Bemerkung nicht unterdrücken, dass jede stati¬
stische Aufnahme, welche nicht mindestens das erste Altersjahr von den übrigen
Altersclassen ausscheidet und nicht sorgfältig Geimpfte und Ungeimpfte, besonders
aber die zweifelhaften Fälle nach Altersclassen von einander trennt, nur zu unse¬
rer wissenschaftlichen Makulatur einen weiteren Beitrag liefern kann. Man stütze
sich dabei nur nicht blos auf eine 50- und mehrjährige Impfthätigkeit, da der Irr¬
thum im Menschengeschlecht länger zu haften pflegt als die Wahrheit, und ebenso
wenig auf viele Tausende ausgeführter Impfungen, da der Nagelschmied noch viel
mehr Nägeln den Kopf breit schlägt, ohne zu wissen, was nachher mit denselben
genagelt wird. Es macht doch Keiner mehr von uns so viele Impfungen, wie der
Mailänder Arzt Luigi Sacco im Anfänge dieses Jahrhunderts, welcher nach der Ver¬
sicherung unserer besten medicinischen Schriftsteller alle Pockenseuchen rundum
mit der Vaccine vernichtet und eigenhändig in 8 Jahren 500,000 Impfungen ge¬
macht haben soll: also nach Abrechnung der Sonntage und bei 8stündigem Ar¬
beitstage Tag für Tag 200 Impfungen oder in je 30 Minuten 13 Impfungen (!).
Also in der Mortalitätsfrage bei den Blattern zieht unser altes Impf¬
dogma heutzutage den Kürzeren. Damit ist aber „Polen nicht verloren“, weil die
Hauptfrage doch wohl in der Schutzkraft der Vaccination gegen das Erkranken
an Pocken gesucht werden muss. Wenn durch die Impfung die Zahl der Er¬
krankten herabgesetzt wird, so wird damit begreiflicherweise auch die Zahl der
an der Seuche Sterbenden vermindert. Hier ist daher die Achillesferse der Frage:
bic Rhodus, hic salta!
Nachdem wir nun 7 Decennien lang Millionen und Millionen geimpft haben,
was wissen wir denn nun eigentlich von dem Schutze der Vaccination gegen
Pockenansfceckung ? Die Versuche mit der Inoculation der Variola vera bei Vac-
*) Siehe Zeitschr. för Schweiz. Statistik, 1877, Jahrgang XIII, Heft i.
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262
cinirten, welche alle noch aus der Zeit Jenner's stammen, und die seitherigen Be¬
obachtungen bei Blatternepidemien haben uns gelehrt, dass die Vaccination erst
nach Ablauf von etwa 8—9 Tagen nach der Operation ihre Schutzkraft bewährt, und
dass dieselbe hier unwiderleglich eine grosse, wenn auch nicht absolute ist. Wie
lange diese Schutzkraft dauert, davon wissen wir aber soviel als nichts. Wenn in
Berlin (siehe die Tabelle auf Seite 260) schon nach Ablauf des 3. Altersjahres
mehr Blatternerkrankungen unter den Geimpften auftreten als unter den Nicht¬
geimpften, so drückt das doch nur die nie bezweifelte Thatsache aus, dass eben
auch Geimpfte von der Seuche ergriffen werden können : nicht mehr und nicht
weniger. Ob die Geimpften aber verhältnissmassig öfter oder seltener be¬
fallen werden, — das erfahren wir dabei nicht, weil wir ganz im Dunkeln darüber
sind, wie viel mehr oder weniger Geimpfte unter der durchseuchten Bevölkerung
und deren einzelnen Altersstufen überhaupt vorhanden sind. So z. B. wurden in
der Altersclasse von 30—40 Jahren 23‘/j Mal mehr Geimpfte ergriffen und in der¬
jenigen von 40 - 50 Jahren sogar 27 Mal mehr; waren nun wirklich auch über
23‘/a» resp. 27 Mal so viel mehr Geimpfte als Ungeimpftc unter jenen Populationen
vorhanden, oder nicht, um sagen zu können, es seien mehr oder weniger Procent
Erkrankungen unter den Geimpften oder Nichtgeimpften aufgetreten? Weil aber
ein solches Verhältniss von vorneherein als unwahrscheinlich erschien, nahm man
an, dass die Schutzkraft der Impfung in jenen Altersjahren erloschen sei. Alsdann
fragen wir wieder: wann erlischt sie denn durchschnittlich? — und man antwortet
abermals, wie Hieronymi Jobsens Examinatoren, mit einem bedeutsamen Schütteln
des Kopfes, weil wir bei unsern statistischen Aufnahmen nicht die Zeit berück¬
sichtigt haben, welche zwischen der Vaccination und der Pockenerkrankung in den
einzelnen Fällen verflossen ist
Wir können also gar keine Durchschnittsangabe über die Dauer der Schutz¬
kraft machen, welche irgend Solidität beanspruchen oder gar einer Impfzwangs-
Gesetzgebung zu Grunde gelegt werden könnte, bis wir bessere Aufnahmen über
den Thatbestand gemacht und deren Ergebnisse richtiger verarbeitet haben, als
bis jetzt im ln- und Auslande geschehen ist. Wenn es sich alsdann heraussteilen
sollte, dass jene Schutzkraft, wie es mir sehr wahrscheinlich ist, eine weit kurz¬
lebigere ist, als man seither angenommen hat, so müsste dies unsere bestehende
Impfgesetzgebung in ganz gründlicher Weise umgestalten. Allein durch das Fest¬
halten an einem unmotivirten Impfzwange erzwingt man einfach die gänzliche Be¬
seitigung eines werthvollen Schutzmittels durch die Bevölkerung , denn der Stein
ist gegenwärtig im Rollen und nimmt eine immer beschleunigtere Bewegung an.
Ich Bchliesse mich daher sofort jedem Vorgehen zur Beseitigung jenes gesetzlichen
Zwanges an, ohne Impfgegner zu sein, und verwechsle Dicht den Gegner
des Impfzwanges mit dem Gegner des Impfens, wie es der Vorstand der
Schweiz. Aerzte-Commission in seiner „Petition der Impffreunde an die eidg. und
cantonalen Behörden“ thut.*) Auf der andern Seite werde ich mich aber auch die
*) Es scheint dem Verfasser entgangen zu sein, dass die Petition des Schweiz. Vereins
gegen Impfzwang denn doch bedeutend weiter gegangen, wie er selbst, und es ist deshalb dieser
Vorwurf gegen den Vorstand der Aerzte-Commission nicht motivirt Die betreffende Petition sagt am
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Mühe nicht verdriessen lassen, um die Frage über den Grad und die Dauer des
Schutzes vor Blatternansteckung durch die Vaccination bei uns einer Lösung ent¬
gegenzuführen, und habe deshalb in der Schweiz. Aerzte-Commission seiner Zeit
nicht nur den motivirten Antrag auf Ausarbeitung einer schweizerischen Pocken-
und Impfstatistik gestellt, sondern auch ausführliche Vorschläge zu deren Durch¬
führung vorgelegt, damit das berechtigte Misstrauen der Bevölkerung nicht schliess¬
lich dazu führe, dass bei uns das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werde, bevor
wir Aerzte uns nur auf den soliden Boden der Thatsachen stützen können. Ich
hege dabei die zuversichtliche Hoffnung, dass meine inländischen Collegen, welche
im Falle waren, positive Beiträge zu jener statistischen Aufnahme zu liefern, den
Ernst der Sachlage erkannt und darnach gehandelt haben. Dass die eingesetzte
Impfcommission jede einschlagende Beobachtung, welche vielleicht in den ausge-
theilten Tabellen keinen Platz fand, auch nachträglich noch mit vielem Dank ent-
gegennehmen und verwerthen wird, ist wohl selbstverständlich-
V ereinsberichte.
Verhandlungen der ärztlichen Gesellschaft des Cantons Zürich Uber
Reorganisation des Sanitätswesens.
Sitzung der ärztlichen Cantonal-Gesellschaft den 22. November 1875, Vormittags
10 Uhr im Rüden in Zürich.
Der Präsident eröffnet die Sitzung mit einer Rede, worin er die Collegen will¬
kommen heisst und sie einladet, an dem Haupttractandum, der Reorganisation des
Gesundheitswesens, in der Discussion recht lebhaften Antheil zu nehmen, immerhin
ohne sich dabei allzu sehr in alle möglichen Detailverhältnisse einzulassen. Bei
unseren Berathungen werden wir vor Allem mit den veränderten socialen Anschau¬
ungen zu rechnen haben. Dem Polizeistaat ist zu Grabe geläutet Das Volk will
auf eigenen Füssen stehen, allenfalls auch straucheln können. Auch der Arme be¬
gnügt sich nicht mehr in fatalistischer Resignation mit einer Anweisung an’s Jen¬
seits und fängt, an, sich etwas mehr um seine Gesundheit und das, was sie ihm
erhält, zu kümmern. Diesem Erwachen des Bewusstseins der Existenzberechtigung
in allen Schichten des Volkes, nicht allein den Fortschritten der Wissenschaft und
nicht allein den tief bedeutungsvollen Ziffern der Statistik verdankt die Hygieine
ihren Aufschwung und ihren Einfluss auf das wirthschaftliche Leben.
Der Präsident meldet hierauf, dass die Müller 1 sehe Tuberculosenstatistik finan-
dell gesichert sei, indem 14 cantonale Gesellschaften 785 Exemplare übernommen
haben.
Schlösse ganz offen: „Sie (d. h. die Bundesbebörden) werden daraus die Ueberzeugung schöpfen, dass
ein sofortiges Verbot des Impfens heute noch viel eher gerechtfertigt wäre, als ein Impfzwang-
gesetz . . . Bedenken 8ie, wie bitter es einer grossen Anzahl Ihrer Staatsangehörigen sein muss,
welche von der Nichtsnutzigkeit und Gefährlichkeit des Impfens vollständig Üborzeugt sind, und doch
Ihr eigen Fleisch und Blut oder das ihrer Kinder dazu hergeben müssen, um es mit einem thierischen
Aaswurfstoff, der nun einmal nicht ins gesunde Blut gehört, zu verunreinigen etc. etc.“ Freund Vogt
— der Nicht-Impfgegner — dürfte als einfacher Gegner der Zwangsimpfung das wohl kaum unter¬
schrieben haben. Redact.
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Gestorben sind im letzten Halbjahr:
Herr Dr. Breiter in Andelfingen, Benz-Schoch in Siebnen, Schwyz, Hausheer in
Wollishofen, Heusser in Hombrcchtikon und Bezirksarzt Dr. Gampert in Ottenbach.
Herr Dr. Breiter Sohn gibt einen Necrolog seines sei. Vaters. Ueber Dr. Benz
verliest der Präsident kurze biographische Notizen aus dem Marchboten. Herr Dr.
Treichler schildert das Leben und Wirken von Dr. Heusser in einem kurzen Ne¬
crolog.
Vortrag von Dr. Rud. Meyer „über Husten“ (vide Correspondenz-Blatt 1876
S. 8). An denselben knüpft Herr Dr. Rahn-Escher einige kurze Bemerkungen.
In Folge eines Schreibens von Herrn Prof. Dr. Oscar Wyss wird derselbe auf
besondere Verwendung von Herrn Prof. Homer in Berücksichtigung seiner Gesund¬
heitsverhältnisse und seiner anderweitigen vielen Geschäfte unter bester Verdan-
kung der mehrjährigen vortrefflichen Dienste entlassen und zu dessen Nachfolger
im 2. Scrutinium Dr. Wilh. v. Mur alt mit 39 von 55 Stimmen gewählt. Er tritt sein
Amt sofort an.
Zur Aufnahme haben sich gemeldet: Dr. Esslinger und Dr. Kreis in Zürich, Dr.
Bitter in Uster, Dr. Dubs in Wiedikon, Dr. Bindschädler in Illnau und Dr. Weller ,
Secundararzt im Burghölzli. Sie werden sämmtlich aufgenommen.
Es folgt nun die Berathung der Vorschläge betreffend die Organisa¬
tion des Gesundheitswesens und zwar zunächst Abschnitt A der Vor¬
schläge.
A. Betreffend öffentliche Gesundheitspflege und Sanitätspolizei.
1. Die öffentliche Gesundheitspflege und 8anitätspolizei haben die gemeinsame Aufgabe,
das Gesundheitswohl der Bevölkerung zu fördern und vor 8chaden zu bewahren.
Zu diesem Zwecke fällt ihnen insbesondere zu:
a. Die Aufsicht Uber Gewässer, Brunnen, Sodbrunnen etc., wie namentlich auch die
Sorge für gesundes Trinkwasser.
b. Die Aufsicht über den Verkauf von Lebensmitteln und Getränken mit Rücksicht
auf ihre ächte und gesunde Beschaffenheit, sowie auf allfällige Verfälschungen.
c. Die Aufsicht über Strassen und öffentliche Plätze rücksichtlich deren Reinhaltung
und Beseitigung gesundheitsschädlicher Einflüsse.
d. Die Aufsicht über Wohnungen, Arbeitslocale und Stallungen.
e. Die Aufsicht über Abtritte und Abzugscanäle, Jauchetröge etc.
f. Die Aufsicht über Gewerbe und Fabriken mit Rücksicht auf die Beschäftigung in
denselben wie auf ihren Einfluss auf die Umgebung.
g. Die Aufsicht über Schulen, Waisenhäuser, Armenhäuser, Gefängnisse und andere
öffentliche Anstalten.
h. Die Aufsicht über Schlachthäuser, Fleischhallen, Wurstereien etc.
i. Die Aufsicht über Kirchhöfe und BegräbniBswesen.
k. Die Aufsicht Uber Anpreisung und Verkauf von Geheimmitteln, über Cur-
pfuscherei etc.
l. Die Aufsicht über Kinderpflege und Kindernahrung (Kinderbewahranstalten, Kost¬
kinder).
m. Verhütung und Beschränkung von Seuchen und ansteckenden Krankheiten der
Menschen und Thiere.
n. Oeffentliche Krankenpflege, Krankenanstalten, Kranken Wartung, Transportmittel etc.
o. Aufsicht über Giftverkauf, Apotheken etc.
p. Feststellung der Mortalitäts- und Morbilitätsverhältnisse mit Rücksicht namentlich
auf ansteckende und endemische Krankheiten und abnorme Sterblichkeit.
2. Die öffentliche Gesundheitspflege , sowie die Handhabung der Sanitätspolizei ist zu¬
nächst Sache der Gemeinden.
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263
з. Die Förderung der Zwecke der öffentlichen Gesundheitspflege, die Organisation der¬
selben und die Aufsicht und Controls Uber ihre Ausführung ist Staatssache.
4 An solche Unternehmungen der Gemeinden, welche die Constatirung und Beseitigung
gesundheitsgefährlicher Zustände zum Zwecke haben uud die verhältnissmässig grös¬
sere Opfer erfordern , leistet der Staat, je nach den Verhältnissen der Gemeinden,
einen angemessenen Beitrag.
6. Er bestimmt Überdies die Strafcompetenzen filr Nichtachtung behördlicher Anord¬
nungen in Sachen der öffentlichen Hygieine und Sanitätspolizei, soweit diese Compe-
tenzen der Gemeinde-Gesundheitscommission, resp. dem Gemeinderathe und soweit
sie der 8anitätsdirection, resp. dem Sanitätsrathe zufallen.“
Präsident fragt an, ob man einen allgemeinen Rathschlag wünsche.
Prof. Homer findet dies nicht nöthig.
Dr. Begner aber fragt, ob er nicht zuerst die Eingabe, welche die Gesellschaft
von Winterthur-Andelfingen an die Sanitätsdirection gemacht habe, vorlegen solle,
weil sie nicht ganz in das Schema hineinpasse. Sie verlangten: 1) Regulirung der
Armenarzttaxen, 2) Gründung eines Impflymphinstituts, 3) Errichtung einer Anzahl
Absonderungsbaracken für den Fall des Ausbruchs von Epidemien (wurde vor
einigen Jahren vom Regierungsrath berathen, blieb aber dann liegen), 4) Besetzung
des Secretariats des Sanitätswesens durch einen Fachmann (man habe jetzt 6 Jahre
lang keinen Jahresbericht mehr bekommen, und Alles werde vernachlässigt), 5)
Wiedererscheinen der Jahresberichte. (Dies ist gerade bei der neuen Organisation
sehr wichtig. Damit würden auch die nöthigen und für die Controle der Literatur
für pract. Aerzte so wichtigen Spitalberichte wieder erscheinen. Der Staat ist dazu
verpflichtet.)
Discussion: A.
Bezirksarzt Frey: er sei nicht gegen diese Vorschläge, möchte aber nur an
Beispielen zeigen, wie wenig dabei herauskomme: ln Hottingen habe sich z. B. in
Folge der Bürkli-Freiiag-Geschichte eine Gesundheitscommission gebildet, die nicht
immer den richtigen Tact entwickle. In Zürich selbst habe man trotz Sanitäts-
Commission noch nicht einmal einen Krankenwagen, keine genügende Controle der
Nahrungsmittel, unreifen Früchte u. dgl., das Bordellwesen sei jetzt schlechter wie
zuvor. Er meint, die Hygieine sei nur vermittelst der Schule durchzuführen und
verlangt, dass die Gesundheitslehro als obligatorisches Unterrichtsfach in den Volks¬
schulen eingeführt werde.
Dr. Rahn-Etcher nimmt die städtische Gesundheitscommission in Schutz. Sie
habe eben deswegen bis jetzt nichts leisten können, weil sie keine Initiative ge¬
habt. Ein Transportwagen sei übrigens im Polizeilocal. Das Bordellwesen sei
von den obern Instanzen nicht energisch genug an Hand genommen worden. Der
vorgescblagene Unterricht wäre nur in den obern Classen möglich; und sollen wir
warten, bis der Erfolg von da käme?
Dr. Kummer ist entschieden gegen den Antrag Frey , ein Unterricht in der Hy¬
gieine wäre nur in einer Fortbildungsschule möglich, Elemente von Anatomie
и. s. f. müssten gegeben werden und zwar von einem Arzt, nicht von einem
Lehrer.
Dr. Jenny dagegen unterstützt den Antrag wegen der krassesten Unwissenheit
in den allerelementarsten Dingen.
18
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Bürgermeister Zehnder spricht in gleichem Sinne. Es sei dies schon angeregt
worden in dem Gesetzesentwurf, der vor zwei Jahren vom Volk zurückgewiesen
wurde. Wird bei einer Revision wieder aufgenommen werden, ohne einer Anre¬
gung zu bedürfen. Wir wollen uns nicht zu sehr ins Detail verlieren. Schlägt
vor, in A 3 nach Gesundheitspflege „durch Unterricht“ einzuschieben.
Abstimmung. 1. a—p angenommen, 2. angenommen, 3. angenommen in
der von Bürgermeister Zehnder vorgeschlagenen Fassung: . . . Gesundheitspflege
durch Unterricht, durch Organisation derselben und durch Aufsicht und Controle
. . ., 4. angenommen, 5. angenommen.
„B. Betreffend Organisation der Sanitätsbehörden und Beamten.
1. Der an der Spitze des Sanitätswesens stehende Director hat, sofern er nicht Fach¬
mann ist, die Erledigung solcher in seine Competenz fallenden Geschäfte, welche
Fachkenntnisse erheischen, dem Vicepräsidenten des Sanitätsrathes, welcher Fach¬
mann sein muss, zu Uberlassen oder doch dessen Gutachten oder das Gutachten des¬
jenigen Mitgliedes des Sanitätsrathes, das das betreffende Specialfach in der Behörde
vertritt, oder des Sanitätsrathes selbst einzuholen.
2. Dem Director und Sanitätsrath fallt die Leitung und Controle der Thätigkeit der
Gemeinde-Gesundheitscommission zu, und es hat Letzterer die Berechtigung, sach—
bezügliche Maassregeln und Verordnungen bei der Sanitätsdirection, resp. dem Re-
gierungsrathe in Anregung zu bringen.
3. Jede Gemeinde bestellt eine Gesundheitscommission, die vom Präsidenten des Ge-
meinderathes oder von demjenigen Mitgliede desselben, welchem die Besorgung der
Ortspolizei zufällt, präsidirt wird.
4. Zur Beaufsichtigung und Leitung der localen Gesundheitscommissionen, sowie zur
Besorgung aller derjenigen sanitätspolizeilichen Verrichtungen, welche Fachkenntnisse
erfordern, wird für jeden Bezirk ein Bezirks-(Polizei-)Arzt bestellt und jedem der¬
selben ein Adjunct beigegeben.
Die Bezirksärzte haben die Aufgabe, die Ursachen solcher Erscheinungen, welche
locale schädliche Einflüsse auf die Gesundheit der Bewohner voraussetzen lassen, in
Verbindung mit der Gesundheitscommission der Gemeinde möglichst zu ermitteln, zu
deren Beseitigung, so weit nöthig, mitzuwirken, und den Oberbehörden davon Kennt-
niss zu geben.
5. Zur Besorgung derjenigen chemisch-technischen Verrichtungen, welche ihnen von der
Sanitätsdirection, beziehungsweise dem Sanitätsrathe zugewiesen werden, oder für
welche dieselben von den localen Gesundheitscommissionen in Anspruch genommen
werden, bestellt der 8taat einen oder mehrere amtliche Chemiker.
6. Zur Besorgung der medicinisch-forensischen Verrichtungen werden für den ganzen
Umfang des Cantons 3 Gerichtsärzte bestellt und jedem derselben ein Adjunct bei¬
gegeben.
Als Gerichtsarzt kann nur derjenige Arzt gewählt werden, der, abgesehen von
der von Bundes wegen festgesetzten Prüfung, ein Physicatsexamen bestanden hat.“
Dr. Meyer-Hoffmeister referirt Namens der Commission. Wir geben nicht Ge¬
setzesvorschläge, sondern nur Postulate für eine Revision der betreffenden Gesetze,
daher möge man auf die Redaction nicht zu viel Gewicht legen, und die Details
den Verordnungen überlassen. Die Gemeinden sollen die Grundlagen sein für die
Ausführung dieser Vorschriften, in sie soll der Schwerpunct der öffentlichen Ge¬
sundheitspflege verlegt werden; der Staat soll pecuniäre Unterstützung gewähren,
die Oberaufsicht führen und den Gemeinden gewisse Strafcompetenzen ertheilen. *)
*) Die Commission hatte zuvor in mehreren Sitzungen die Postulate berathen, und die daratis
hervorgegangenen Vorschläge mehrere Wochen vor der Versammlung sämmtlichen Mitgliedern gedruckt
zugestellt.
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267
Bieber hatte der Sanitätsrath keine Initiative, konnte nichts in Berathung zie¬
hen, das ihm nicht vom Director vorgelegt wurde, und dies muss geändert werden.
Wir wünschen ferner Sanitätspolizeiärzte in jedem Bezirke zu forensischen
Zwecken, dagegen nur 3 Gerichtsärzte für den ganzen Canton. Denselben würden
nur die wichtigem Fälle übergeben, und die, wo die Parteien es verlangen, wäh¬
rend die unbedeutenden Fälle von Körperverletzung von jedem patentirten Arzte
erledigt werden könnten. Die Bezirksärzte als Sanitätspolizeiärzte wären auch die
Experten für die Gemeindecommissionen.
Dr. Zweifel bemerkt ad 6: 3 Aerzte können die Zahl der Fälle kaum bewälti¬
gen. Man solle lieber gar keine Gerichtsärzte bestimmen und jedem Gerichte
überlassen, wen es zuziehen will. Will 6 streichen und bei 4 das Postulat eines
jährlichen Berichts beifügen.
Bezirksarzt Werdmüller. Die Befähigung der Bezirksärzte werde in Frage ge¬
zogen, er aber glaube, sie seien ihren Pflichten gewachsen, und wenn nicht, könne
man sie ja nach 3 Jahren erneuern. Für schwierigere Fälle können ja noch Spe-
dalisten beigezogen werden. Die 3 vorgeschlagenen Aerzte müssten auch* tüchtig
besoldet sein. Die Handhabung der Sanitätspolizei sei sehr schwierig und undank¬
bar und viele Bezirksärzte würden zurücktreten, wenn ihnen die lohnende und in¬
teressante forensische Thätigkeit entzogen würde. Beantragt Streichung von 6
and Beibehaltung der Bezirksärzte mit Erweiterung ihrer Competenzen.
Dr. Hegner siebt diametral gegenüber der Commission. Sie will Vermehrung
der Beamten und der Ausgaben. Man wird sehr viel Widerstand finden und Mühe
haben, unabhängige Leute zu bekommen. Er möchte für die Ueberwachung der
Hygieine einige Staatsärzte bestellen, die so honorirt werden müssten, dass sie zum
grössten Theil auf Privatpraxis verzichten könnten.
Hegner sucht nachzuweisen, dass die Vorschläge der Commission eine solche
Vermehrung der Ausgaben zur Folge hätten, dass daraus der Staat 3—4 Aerzte
besolden könnte, die dann rein amtliche Thätigkeit hätten.
Dr. Kammer. Das Statthalteramt soll darüber wachen, dass die Gesundheits-
Commissionen ihre Pflicht tbun. Bei Kleinigkeiten soll jeder patentirte Arzt als
forensischer Arzt auftreten können, wie jeder andere Experte. Die Bezirksärzte
soll man nicht aufheben, aber nicht als forensische Aerzte überall hin berufen.
Schlägt vor für 6: als forensische Aerzte können nur patentirte Aerzte fungiren.
Das Uebrige soll dem Gesetz überlassen werden.
Bürgermeister Zehnder. Der Commissionsantrag wird auf grosse Schwierig¬
keiten stossen. Man sollte die Bezirksärzte belasten mit denselben Aufgaben, aber
nicht zu jeder Kleinigkeit sie rufen. Ueber ihnen stünde ein cantonaler Gerichts¬
arzt, der den Bezirksärzten oft sehr erwünscht sein müsste.
Dr. Jenny. Noch mehr als die gerichtliche Medicin hat sich die Hygieine ent¬
wickelt, daher will er viel lieber anstatt 3 forensischen 3 Polizeiärzte aufstellen,
wobei auch woblthätig, dass sie unabhängig von Persönlichkeiten und Verhältnissen
gestellt werden könnten.
Prof. Homer freut sich der Discussion und resumirt als Resultat derselben:
Aufstellung von Inspectoren der Hygieine, die gerichtliche Medicin wird in die
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Hände der pract. Aerzte gelegt, und für Extrafälle werden Experten zugezogen.
Die Commission wollte Bestehendes erhalten, während nach den Voten die Bezirks -
ärzte fallen würden. Für Beaufsichtigung der Hygieine wäre es von grossem Vor¬
theil, unabhängige Leute zu haben. Entweder Sanitätsinspectoren und gar keine
Bezirksärzte, oder wie bisher.
Ab stim mung:
Begner: anstatt 4 und 6 ein neuer Paragraph, lautend:
„Zur Beaufsichtigung der localen Gesundheitscommissionen, zur Besorgung
aller derjenigen sanitätspolizeilichen Verrichtungen, welche Fachkenntnisse erfor¬
dern, so wie zur Besorgung der wichtigem medicinisch-forensischen Verrichtungen in
Extrafällen werden für den ganzen Canton 3 Staatsärzte bestellt und jedem der¬
selben ein Adjunct beigegeben.“
Werdmüller lässt 6 wegfallen und beantragt, es sollen die Bezirksärzte stehen
bleiben und für wichtigere Fälle ein besonderer Cantons-Gerichtsarzt bestellt
werden.
Art. 1—3 werden angenommen.
Dann wird zuerst abgestimmt, ob die bisherige Stellung der Bezirksärzte blei¬
ben soll oder nicht.
14 Mitglieder stimmen für Bleiben der bisherigen Stellung der Bezirksärzte,
die Mehrheit für Aufheben derselben.
Für den Commissionsantrag 13, für Antrag Hegner mit Beibehalten der Physi-
catsbestimmung die Mehrheit.
Prof. Homer frägt an, ob man nicht für Fortsetzung der Berathung eine Extra¬
sitzung, etwa Anfangs Februar, anberaumen wolle.
Dr. Kämmer möchte dieselbe im Interesse des Besuchs auf April oder Mai
ansetzen.
Der Präsident wendet ein, dass wegen der Maiversammlung des Centralvereins
dieselbe jedenfalls früher stattfinden müsste. Er schlage Anfang März vor und
zwar nur eine Nachmittagssitzung. Angenommen.
Es folgt nun die Abstimmung über die in Erneuerungswahl fallenden Commis¬
sionsmitglieder Billeier, Goll , Cloetla , Huguenin und Rahn-Escher , welche mit 34 Stim¬
men wiedergewählt werden.
Dr. Meyer-Hoffmeister erstattet Bericht über die „Blätter für Gesundheitspflege“.
Es wurden per Post versandt: nach Basel 26, Baden 4, Bern 13, Chauxdefonds 6,
Locle 8, Chur 6, St. Gallen 34, Glarus 6, Luzern 3, zusammen 106, ins Ausland
14, Summa 120.
Abonnenten im Canton Zürich (in 38 Gemeinden) 1006, Summa der Abonnen¬
ten 1126, d. h. etwa 50 Abonnenten mehr als im Vorjahr, davon Pfarrer 66, Lehrer
117, Aerzte 182.
Einnahme von Abonnenten Fr. 2751. 80
Ausgaben „ 2041. 80
Somit Guthabe n Fr. 710. —
Gratisexemplare 21. 22 frühere Jahrgänge ä Fr. 3. Tausch fand statt: mit
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Bureau d’hygi&ne in Brüssel, Feuilles d’hygiöne in Neuenburg, Kölner Zeitschrift
für Gesundheitspflege, Dresdner ärztl. Hausfreund.
Antrag des Comitd an die Gesellschaft: die Herausgabe der Blätter für Ge¬
sundheitspflege für das Jahr 1876 (V. Jahrgang) im Namen der ärztl. Cantonal-
gesellschaft fortzusetzen, um so mehr, da der gegenwärtige Redactor des Blattes,
Herr Prof. 0 . Wyss, sich bereit erklärt hat, die Redaction auch für den nächsten
Jahrgang übernehmen zu wollen, wofür demselben der verdiente Dank der Gesell¬
schaft ausgesprochen wird.
Das Redaction8-Comit4 besteht aus den Herren: Prof. Oscar Wyss , Dr. Zehnder
jun., Dr. Gott, Dr. Rahn-Meyer, Dr. Meyer-Hoffmeister, Dr. Hans v- Wyss, Dr. Wilhelm
v. Muralt, Ingenieur Bürktt, Prof. Schär, Apotheker.
Sehr zu wünschen ist es, dass sich auch die verehrten Collegen in den ver¬
schiedenen Theilen des Cantons durch Mittheilungen aus ihrem Beobachtungskreise
an den Blättern betheiligen möchten.
Der Antrag des Comitö wird angenommen.
Herr Dr. Billeter, Quästor, möchte die Gesellschaft einladen, dem Vorstand
einen Credit bis anf Fr. 300 zu eröffnen für den Empfang der Gäste des Central¬
vereins-
Wird bewilligt
An dem darauf folgenden Bankett, an welchem etwa 55 Mitglieder und als
Gäste die Herren Dr. Blumer von Glarus, Dr. Wyler von Baden und Dr. Doch von
St. Gallen theilnahmen, gedenkt der Präsident in warmer Ansprache der ältern
Mitglieder der Gesellschaft, und es wird auf seine Einladung hin sofort eine tele¬
graphische Gratulationsadresse an Herrn Dr. Treichler in Maschwanden geschickt,
der seit 50 Jahren als Mitglied der Gesellschaft angehört.
(Schluss folgt.)
Referate und Kritiken.
Besprechung einiger baineologischer Arbeiten.
Von A. Hemmann in Bad Schinznach.
Evayyekoi ylvoia&e npa|avrt£ xakws.
Eurip.
Dem berühmten „ungelesenen Winkel“ jeden ärztlichen Consultationszimmers entheben
wir zu kurzer Besprechung:
I. Die Heilquellen, und Bäder von Tarasp-Schuls
von Dr. E. Killias, Badearzt. 7. Auflage etc.
Es ist dies in der That eine „gedrängte Uebersicht“ (42 Seiten) jenes merkwürdigen
Quellengebietes im untern Engadin, welches noch nicht sehr lange die Touristen und
HeilsbedUrftigen anzieht. Wir stimmen also der Notiz des Titelblattes vollständig bei,
weil Allgemeines, Lage, Klima, Curhaus und die Quellen selbst, sammt Analysen von
A. Busemann, endlich Indicationen und Contraindicationen wirklich kurz und gut geschildert
sind. In Tarasp-Schuls sind nicht weniger als 7 Quellen, welche sich zu 4 in Natron¬
säuerlinge und zu 3 in Eisensäuerlinge theilen. Bei diesem embarras de richesse wird
es für jeden Kranken nutzbringend sein, den Arzt zu befragen, was zu thun oder zu
lassen sei. Herr Kiltias ist guter Diagnostiker und kennt seine 7 Sachen; also vertraue
Jedermann seinem Ausspruche.
Unserem 8chriftchen ist eine Uebersicht von 1909 Krankheitsfällen beigefügt; wirk¬
lich eine schöne Anzahl, zu der wir nur die Bemerkung zu machen haben, dass wir ein-
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mal tubercul. pulm. lieber gar nicht za Tarasp behandelt wissen möchten, Syphilis und
bösartige Tumoren einfach in Spitäler weisen würden.
Ein geographischer Situationsplan zeigt dem Reisenden Eisenbahn- und Postverbin¬
dungen, die ihn sicher nach Tarasp bringen.
II. Vetan im Unter-Engadin, 6490' ü. M., als Luftcurort,
von Dr. E. KiUias.
III. Die arsenhaltigen Eisensäuerlinge von Val Sinestra
bei Sine, Unter-Engadin, analysirt von Prof. A. Husemann nebst Bemerkung
von Dr. E. KiUias.
Diese beiden kleinen Schriften möchte ich kurzweg „patriotische“ nennen. Mit der
ersteren soll ein neuer Luftcurort empfohlen werden, und in der That sind alle Verhält¬
nisse so günstig als möglich; wünschen wir also dem Hßtel & Pension „Victoria“ bal¬
diges und freundliches Aufblühen. — Beim Lesen der zweiten 8chrift haben wir, offen
gestanden, ein kleines Schaudergefühl in den Fingern bekommen. Ich weise wohl, welche
hochtherapeutischen Wirkungen dem Arsen zugeschrieben werden, ich weise auch, dass
die Franzosen gar so gerne Arsen überall, selbst im Blute finden wollen, dennoch bin ich
kein Verehrer von Arsen, auch nicht in homceopathischen Dosen. Ob Gonradins-, ob
Ulrichsquelle, gleichviel, die Sache macht nur noch allzu sehr theoretischen Eindruck.
Wir haben in Neurosen und Exanthemformen jeder Art den Arsen (Tinct FowL") gar
zu häufig ohne alle und jede Wirkung auf das Leiden angewandt gefunden. Mögen da¬
her erprobte Kräfte von physiologischem und pathologischem Standpuncte aus Val Sinestra
(omen absit) vorerst genaue Aufmerksamkeit schenken, erst dann vorwärts, Gemeinde
8 ins.
IV. Das Leuker-Bad im Canton Wallis,
seine warmen Quellen und seine Umgebungen, von Badearzt A. Brunner von Riedmatten.
Biel 1876.
Der Sonne Strahl
Erleuchte dieses Thal!
Beim Durchgehen dieser Schrift mussten wir unwillkürlich das Jahr des Druckes
nachsehen! Zum Erstaunen wirklich 18761 Wie lange wird es noch anstehen, bis ge¬
wisse Badeärzte die Glacehandschuhe weglegen und den Schlendrian verlassen.! ?
Wir begreifen am Ende den ersten Theil dieser Oratio pro domo, welche für das
Publicum eine Art Unterhaltung bildet, und allenfalls für Gasthöfe und Spaziergänge einige
nützliche Winke enthält. Indessen der zweite oder medicinische Theil wäre fllr den
„Dorfdoctor“ gar nicht Übel. Er lässt sich kurz zusammenfassen: „So haben es einst
unsere Urgrossväter gemacht, baden wir also auch so.“ Kommt da die ergötzliche Ge¬
schichte vom Badeausschlag, wobei uns die Wundermähre aufgetischt wird, dass ein
Kammermädchen den Ausschlag bekommen, nachdem sie der löblichen Gebieterin draussen
im Gang den Rock ausgestaubt hatte. Zur Ehre des Verfassers will ich glauben, dass
er solches Zeug selbst nicht glaubt. Allein dann wird (horribile dictu) das Schröpfbad
herzinniglich gerühmt, und Regeln vor, in und nach dem Bade angegeben ; endlich folgt
die ganze Reihe der Krankheiten, gegen welche Leuk Anwendung findet. Für Alles,
Alles ist die Quelle gut. Schliesslich folgen eine Anzahl Krankengesehichten, deren
Quintessenz beständig so lautet: N. N. litt an x, y; kam nach Leuk, gebrauchte die Cur,
und verreiste wieder, gänzlich und total gesund.
Interessant ist ein Paragraph der Badarmenverordnung: der Badarme soll jeden
Montag um 1 Uhr Nachmittags in der Wohnung des Herrn Pfarrers erscheinen. Wozu ?
V. Theorie physiologique des eures d’eau thermale k Loöche-
les-Bains par E. Reichenbach , docteur en möd. I. Partie (la seconde nous est promise
dös que les circonstances le permettront). Paris, G. Masson, 1876.
Cette brochure contient 4 chapitres:
1. Position göographique, sources thermales, analyses chimiques , ötablissements de
bains.
2. Bains prolongös, poussöe, tempörature, duröe des bains, absorption cutanöe, climat
3. Cure dite hygiÖDique.
4. Indications thörapeutiques, appendice, renseignements.
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Nous nous bornons 4 signaler cette table de matiäre. Qu’il nous Boit permis d’attirer
l’attention de l'honorable auteur sur 2 pointa seulement. La poussde, comparez l’Echo
mädical, NeuchÄtel 1861, pag. 26.
Les assertions prononcdes dans ce petit travail ne tardörent pas k se vdrifier 4
8chinznach par les circonstances. A l’heure qu’il est personne ne parle plus de la pous-
sde 4 Schinznach simplement parce qu’elle ne se fait plus observer. Dans le temps la
locomotive nous a emmend une teile quantitd de baigneurs, que Mess, les propridtaires et
les mddecins dtaient vdritablement forcds de quitter le systdme des bains prolongds. Au
Heu de laisser un baigneur 8—4 beures dans son cabinet de bains, on ne laissait qu’un
baigneur l'un aprds l’autre 1 heure dans le baignoire. Ainsi on s’habituait 4 des bains
beaucoup moins longs, la poussde y a parfaitement disparu, pendant que la proportion des
gudrisons et des amdliords reste exactement la mdme.
L’action physiologique de bains. Je m’dtonne 4 bon droit que Mr.
Reichenbark a laissd de cötd toute thermomdtrie, en revanche l’absorption cutande est pour
lui un fait reconnu d'une faqon gdndrale. Nous disons que l’absorption de la peau est
empdchde par plusieurs causes; nous n'en parlerons que de la matidre sdbacde enduisant
et protdgeant toute la surface du corps d’une couche graisseuse. J’engage Mr. Reichenbach
de faire l’expdrience suivante. Prenez un verre 4 vin bien propre, versez-y de l’eau
ordinaire, faites-y tomber avec un dpingle quelques petites lamelles de camphre bien pur
(ne touchez pas ni le camphre, ni l’dpingle par vos doigts, mais appUquez pour cela un
peu de papier). Dds que le camphre est sur l’eau il s’y dtablit un mouvement giratoire,
ce qui est attribud 4 une action d’dvaporation du camphre. Si l’on prend maintenant une
baguette en verre, ou une aiguille 4 tricoter peu frottde sur une partie quelconque de la
peau, p. ex. au nez, aux tempes; si l’on plonge le bout de l’aiguille dans l’eau, on voit
4 l’instant s’arrdter le dit mouvement giratoire, ce qui est attribud 4 la diffusion rapide
de la matidre graisseuse et son interposition entre le camphre et l’eau. Cette expdrience
est trds intdressante; ce qui se passe 4 l’dgard du camphre se produit dgalement lorsque
le corps de l’homme est dans l’eau, la graisse l’isole, eile empdche le contact et rend l’ab¬
sorption impossible.
Voici quelque chose digne d’dtre dtudide aussi dans les montagnes, aux bains de
Lodche, j’aime 4 cröire que les mddecins y trouveront de plaisir et d’encouragement
VI. Die Soda- und.Sauerquellen von PaBSUg bei Chur.
Auf rothem grossfoUo Papier finden wir die chemischen Analysen
von A. v. Planta-Reichenau.
1. Der Ulricusquelle, auch Passugger Salzquelle,
2. Der Theophilquelle, auch Passugger Sauerquelle,
nebst den vergleichenden Angaben über mehrere europäisch berühmte Quellen, Selters,
Spaa, Vichy, Ems, Schwalbach, dazu die Reihe allgemeiner und specieller Indicationen
von Medidnalrath Dr. A. Martin. BeigefUgt sind endlich von der Quellenverwaltung J. P.
Balzer in Chur eine Anzahl Zeugnisse von practischen Aerzten. Wir wünschen sehr, dass
auch andere Aerzte von diesen Wässern Gebrauch machen, sie eignen sich sehr zum
Transport, sofern die Verwaltung die nöthigen Cautelen beim Einfassen in die Flaschen
obwalten lässt. Zu einem ausgedehnten Gebrauche sollen diese Notizen aufmuntern, zumal
nicht nur eigentUche Mineralwassercuren damit gemacht werden können, sondern auch
beide Quellen mit Vortheil über Tisch Anwendung finden dürften.
VII. Der Curort St. Moritz und seine Eisensäuerlinge
von Dr. A. Husemann , Prof. Zürich, Orell, Füssli & Cie. 1874.
Ev yäg xcüvde xh}ao/ucu n/pi.
Vorerst begrüssen wir diese Arbeit ganz besonders, weil dieselbe von einem Nicht-
Curarzte geschrieben ist, und wir bedauern aufrichtig, mit unserer Besprechung etwas
spät zu kommen; indessen mieux tard que jamais.
Diese Arbeit ist fügUch auf die gleiche Linie zu stellen, wie diejenige von Prof.
Rambert über Bex et ses environs; wir sagen daher auch kurz: jedes Blatt, jede Seite
macht dem Leser Vergnügen. Eine neue chemische Analyse der St. Moritzer neuen und
alten Quelle gab Veranlassung zur Abfassung dieser Schrift, welche in der That Aerzten
und Curgästen Über Alles zuverlässige Auskunft gibt, dabei aber allen jenen Quik und
Quak vermeidet, welchen man in ähnlichen Schriften zu finden gewohnt ist Wir fühlen
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des Verfassers Liebe zu seinen Bergen, Thälern, Seen, Alpen und Gletschern, zu seinen
Kirchen und Dörfern im trauten Engadin. Es liest sich das alles so leicht, so anmnthig,
und nichts ist vergessen, auch nicht die freundlichen Blumen und Pflanzen an felsiger
Mooswand, am steinigen Alpweg; der üppige Wiesengrund, der duftige Lerchenwald und
der herrliche Arvenforst, sie laden udb ein aus dem kalten Norden, aus dem heiseen
Africa, Freude und Stärkung, Kraft und Gesundheit zu holen unter Graubündens italieni¬
schem Himmel. Ueber allen jenen Göttersitzen Cristalta, St. Johann, Samaden, Pontre-
sina, Madulein und Albula leuchtet St Moritz und seine Quellen. Ei! wie das strudelt
und rauscht! Aber auf einmal kühl bis an’s Herz hinan wird unser Chenliker an seiner
Retorte. Weg poetischer Schwung, weg italienischer Himmel, Felswand und Gletscher,
hoch allein die Wissenschaft, die nüchterne! Bis auf die Hunderttausendtheile sind die
Bestandtheile der alten und der neuen Quelle untersucht und berechnet. Wenn uns dabei
irgend etwas befremden könnte, so wäre es die Grundlage in 10,000 gmm. Wasser, da
sonst Bolley, Bimsen, Löwig, Liebig uns meist in 1000 gmm. zu lesen gewöhnt haben. Eine
Vergleichung mit den ältern Analysen zeigt das erfreuliche Resultat, dass in der Haupt¬
sache die Quellen seit vielen Jahren unverändert geblieben sind, wenn auch neue Be¬
standtheile Lithion, Strontian, Baryt, Cesium gefunden wurden, so liegt der Grund we¬
sentlich in den neuen Fortschritten der chemischen Wissenschaft.
Endlich der medicinische Theil der Arbeit ist in etwa 20 Seiten abgehandelt. Zu¬
nächst unterstützen wir den allgemeinen 8atz, dass genaue chemische Analysen ganz ohne
Zweifel eine der wichtigsten Grundlagen jeder rationellen Balneologie sind, aber dennoch
wäre es einseitig, wenn man den physiologischen und therapeutischen Effect der Mineral¬
wässer lediglich aus ihrer chemischen Constitution ableiten wollte.
Dann finden wir, ich sage gottlob, dem Clima, der Höhenlage, den Luftdruckver¬
hältnissen den gebührenden Antheil zugesprochen, nicht aber lesen wir eine stümperhafte
Pathologie und Heilungsgeschichten. Die Resorption d6r Haut findet bescheidene Er¬
wähnung, bei Indicationen und Contraindicationen wird dem denkenden Arzte Spielraum
genug gelassen, wenn auch der chronische Rheumatismus und chronische Gioht nicht
wegbleiben durften. Bei Chlorose und Ansemie vermissen wir wenigstens Untersuchung
des Blutes, Angaben über Milzvergrösserung und weisse Blutkörperchen. Sollte sich
wirklich Leucesmie noch niemals nach 8t. Moritz verirrt haben?
Schliesslich erwähnen wir unter ausdrücklicher Anerkennung guter Leistung die bei¬
gegebene Karte des Engadins, und des kernhaften Papiers, mit welchem die Verlags¬
handlung das Werk geschmückt hat.
VIII. Nachrichten Uber Bad Köstritz und seine Curmittel
von Medicinalrath Dr. Sturm. Köstritz 1876. Selbstverlag des Verfassers.
Neben den vielfältigen Bädern, als indifferente, 8chwefel-, Sool-, Eisen- und Stahl¬
bädern, zu den hunderten von Curmethoden und Curorten aller Art — so dass zu fürch¬
ten ist, man sehe bald vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr, — hat der berühmte
Gartenlauben-Professor Dr. Bock die Ideen gegeben, ein neues Curmittel in Anwendung
zu bringen, nämlich erhitzten 8and; nicht etwa solchen, den man aus der Wüste Sahara
kommen Hesse, sondern solchen, den die Mutter Erde in Köstritz, wie es scheint in Hülle
und Fülle, birgt Also hat Gott die Welt geliebet, dass 186ö in Köstritz im Fürstenthum
Reuse eine wahre, wirkliche Sandbad-Anstalt errichtet wurde, nicht etwa in der Absicht,
die Zahl der Luxusbäder zu vermehren, sondern eine Anstalt in’s Leben zu rufen, in der
wirklich Leidende entfernt vom Geräusche der Welt ihre Gesundheit wieder erlangen, in
ländlicher Stille und inmitten einer liebUchen, an Schönheiten reichen Natur sich zu neuer
Arbeit stärken und kräftigen können.
Ich muss es dem Leser der kleinen Brochure überlassen, sich Kenntniss zu ver¬
schaffen, wie der 8and auf 38—42° R. erhitzt wird, wie der Kranke von Nr. 1 auf Nr. 2
gefahren und dort mit warmem Sand bedeckt wird ; dann seiner in Nr. 3 ein warmes
30° R. Wasserbad wartet; endlich in Nr. 4 in eine wollene Decke gewickelt nachschwitzen
kann. Für locale Leiden sind besondere Apparate vorhanden, in welchen die kranken
Theile mit Sand, der bis zu 60° R. erwärmt ist, umgeben werden. Dsb Alles ist recht
hübsch zu lesen, und ich will gerne glauben, dass diese Art Bäder in rheumatischen
Leiden jeder Art wirklich gute Dienste leisten, aber nicht der 8and ist das wirksame
Agens, sondern dessen hohe Temperatur, wie übrigens der Verfasser ganz richtig betont.
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Daher rathe ioh nicht nur die Temperatur der Sandes, sondern recht genau und oft die
Körpertemperatur der Badenden vor, während und nach dem Bade zu messen, darin allein
wird die Wirkung der Sandbäder zu finden sein. Die Temperaturscbwankungen bedingen
nothwendig gesteigerte Blutcirculation und gesteigerten Stoffumsatz, daher ganz bestimmt
die öftere Warnung des Verfassers bei Herzleiden, bei arteriellen Störungen, nach Apo¬
plexien Vorsicht zu Oben.
Doch in Köstritz gibt es nicht nur Sandbäder, sondern es werden auch Soolbäder
aus der Saline Heinricbshall verabreicht; weiter auch Bäder, in welchen künstlich Koh¬
lensäure erzeugt wird, sogenannte moussirende Bäder; ferner auch Fichtennadel-, Malz-,
Kleien- und künstliche Schwefelbäder; endlich, Herr Gott halt ein mit deinem Segen —
russische Dampfbäder.
IX. Bex, Canton de Vaud (Suisse).
Sdjour d’dtd et d’hiver (Bains salds , hydrothdrapie) par Mr. le Dr. H. Lebert, traduit de
l’ollemand, suivi de notes sur quelques points de la mdthode balndaire de Box par
Mr. Coasy, mddecin-inspecteur. Lausanne 1876.
On dirait que c’est de l’audace d’un simple mddecin de se faire entendre sur l’ouvrage
d’nn officier de la ldgion dlionneur, du cdldbre professeur Dr. H. Lebert. Eh bien I la rd-
publique perraet la parole 4 tout le monde, surtoat si l’on ne cherohe que le bon, le beau
et le vraL
B y a quelques anndes*) que je ne pouvais me lasser d’admirer cette nature gran¬
diose de Bex, cette valide magniflque, ces cimes gigantesques,. cos rochers et ces chütes
d’eau. J’dprouvais une vdritable jouissance patriotique, et cette jouissance ne fit que
s’accrottre lorsque j’entrevis 4 travers les vergöre luxuriants et les fordts de chataigners,
le romantique village de Bex, qui, modeste comme une beautd des champs, cache derridre
ses grands arbres le grand hötel des Salines. L’industrie, l’architecture et l’art de la
mddecine se sont rdunis ici pour accomplir un vrai chef-d’ceuvre de comfort et de bon-
gofil Je ne sais ce qui me sdduisit davantage, du gdnie pratique qui avait prdsidd 4
l'dtabliesement des bains, des douches et de la salle d’inhalations, ou de rharmouie qui
rdgne entre les diverses constructions et fait du tout un ensemble ddlicieux. Ajoutez-y
un emplacement splendide en face de la Dent du Midi, et vous conviendrez qu’il serait
diffieüe de trouver un coin de terre plus privildgid, vrai paradis, qui semble sorti des
mains du Crdateur pour le plaisir des yeux. Allez-y vous-mdme, ami lecteur, la socidtd
belvdtique des Sciences naturelles vous y invite pour la rdunion de 1877 I Allez-y vous-
rndme et vous serez de mon aviB. J’en suis sür ni notre professeur ni son successeur et
ami ne me ddmentiront pas. Le premier nous fait connattre en quelques pages les pro-
pridtds physiques et chimiques des eaux, de l’eau-mdre et des autres moyens de l’hydro-
thdrapie de Bex, suivi de quelques mots des indications, auxquelles les agents thdra-
peutiques concentrds 4 Bex sont en dtat de satisfaire. Cependant Mr. Lebert discute de
prdfdrence Bex comme Station climatdrique, la mettant 4 cötd de Nervi, Rapallo, Pegli
et Meran. Le changement de climat peut devenir ndeessaire pour le c&tarrhe chronique,
pour la bronchidctasie et l’emphysdme pulmonaire, pour l’asthme. Bex est une Station
favorable et fort utile, maia un mddecin expdrimentd n’oubliera jamais qu’il n’y a aucun
climat qui ait une vertu spdcifique contre les maladies de poitrine. Cela est surtout vrai
dans la phthisie pulmonaire se manifestant quelques fois par une pneumorrhagie inatten-
due. Je fdlicite notre eher professeur qu’il n’ait pas comme colldgue, Mr. le Dr. Ch. Amtier ,
actionnaire de Schinznach, qui savait trouver moyens de mettre sur mon dos un proeds
d’injure de presse, parce que j’ai critiqud, en observant pareilles cas d’hdmorrhagie pul¬
monaire, le fait qu’on traite 4 Schinznach des malades atteints de la phthisie pulmonaire.
Et cela 4 tous temps de la saison, pendant qu’4 Bex Mr. Lebert ne veut commencer le
sdjour d’hiver qu’en Septembre.
Je passe aux notes de Mr. Coasy. La premidre traite le moment favorable de la
eure balndaire 4 Bex dans le lymphatisme et les scrofules; sans hdsitation l'auteur y ddsigne
les mois de Juin, Juillet et Aoüt, puisque une bonne tempdrature chaude et dgale servira
de puisBant auxihaire au traitemenl La seconde note s’occupe de la combinaison des
bains salds tempdrds avec l’hydrothdrapie, la troisidme de la douche rdsolutive, non mi-
*) Voir: Compte rendu de la saison 1871 k Schinznach-lea-Bains, par A. Hemmtmn. Brugg 1872.
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ndralisde dans le traitement du gottre hypertrophique. Enfin la quatri&me note discute
une queBtion fort interessante et souvent räpötde , la question de l’idiosyncrasie contre
certains mödicaments. Oui, c’est un beau mot, que cette idiosyncrasie, qui au fond n’ex-
plique absolument rien. Je crois que Mr. Cossy a bien raison de mettre 1’attention du
lecteur sur l’absorption gastro-intestinale, qui eet quelquefois trop active, quelquefois trop
faible pour l’action curative deB mödicaments. Un traitement balndaire quelconque amd-
liore ou guärit l’dtat anormal des Organes digestifs; en consdquence les mddicaments peu-
vent agir de nouveau 4 leur maniöre ordinaire; ainsi l’idiosyncrasie n’existe plus. N’est-
ce pas l’explication de l’action curative des eaux sulfuröes dans le traitement de la
Chlorose ?
En somme cette brochure mörite bien l’attention de tous les mädecins, 4 qui je la
recommande tout particuliArement.
Dr. A. Hemmann, mddecin 4 Schinznach-les-Bains.
W oelientoericlit.
Schweiz.
Einladung zur II. vereinigten Versammlnng des ärztlichen Cen¬
tralvereins und der S.oei£t£ m&licale de Itt Baisse romande, Samstags
den 1 9. Mai in Bern.
Die Verhandlungen beginnen diesmals Morgens 10 Uhr und haben Statt im Hörsa&l
der neuen Entbindungsanstalt
Tractanden.
(Für jeden Vortrag sind statutengemäss 20 Minuten eingeräumt.)
1) Mechanismus und Therapie der Brucheinklemmung. Ref. Herr Prof. Kocher (Bern).
2) L’emploi du chloroforme dans l’aceouchement physiologique. Ref. Herr Dr. Odier, Chirur¬
gien en chef (Genf). 3) Ueber den Einfluss des Gebirgsclima’s auf die Lungenschwind¬
sucht. (Fortsetzung.) Ref. Herr Prof. Ad. Vogt (Bern).
Thesen: 1) Das Höhendima Qbt bei der Lungenschwindsucht einen ganz bestimmten präven¬
tiven und curativen Einfluss aus, aber nur, wenn den hygieinischen Anforderungen im Uebrigen Genüge
geleistet wird.
2) Die Hochgebirgsländer bilden die natürlichen Sanatorien für die Schwindsüchtigen der Tief¬
länder. Es liegt daher in ihrem nationalöconomischen Interesse, die Höhencurorte nach Kräften zu
cultiviren, d. h. ihre Lage richtig zu wählen und sie im Bau und Betrieb allen Anforderungen der
Hygieine genau anzupassen.
4) Ueber die Ankündigung und den Verkauf von Geheimmitteln. (Fortsetzung.) Ref.
Herr Dr. Müller , Apotheker (Bern).
Berathung der Anfrage des eidgen. Departement des Innern über Anbahnung eines Concordates
gegen den Geheimmittelschwindel mit Zugrundelegung der betreffenden im Correspondenz-Blatt ver¬
öffentlichten Beantwortung dieser Anfrage durch die Aerzte-CommlBsion. (S. d. Spitze dieser Nummer.)
5) Osteitis des Schädels mit Demonstrationen. Ref. Herr Dr. Schnyder , alt Oberfeld¬
arzt (Weissenburg).
Das gemeinsame Mittagessen findet präcis 2 Uhr im Casino statt; eine freie Zu¬
sammenkunft auf dem Schänzli soll dann den Schluss des Tages bilden. Freitag den
18. Mai, Abends von 8 Uhr an, Begrüssung der eintreffenden Collegen durch die Mit¬
glieder des Berner med.-pharmac. Bezirks Vereins im Casino.
Samstag Morgens 7'/, Uhr werden die Herren Collegen von Bern ihre Gäste vom
Casino aus nach dem Insel-, dem Ziegler-, dem Augenspital oder nach der neuen Ent¬
bindungsanstalt begleiten oder dieselben in die Waldau, in's chemisch-physiologische and
pathologisch-anatomische Institut, die Anatomie oder in andere den Naturwissenschaften
gewidmete Anstalten führen.
Die Samstag Morgens erst einlangenden Aerzte werden am Bahnhof in Empfang ge¬
nommen und in das Versammlungslocal begleitet werden.
Wir laden hiemit alle Schweizer Collegen auf das Herzlichste ein, an dieser Ver¬
sammlung Theil zu nehmen und hoffen, dass auch Diejenigen, die bisher noch keiner
ärztlichen Gesellschaft sich angeschlossen haben, sich zu uns gesellen werden. Die zahl-
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reiche Theilnahme unserer verehrten Freunde und Collegen wird auoh diesen schweizeri¬
schen Aerztetag genussreich und anregend gestalten.
Olten, den 18. April 1877. Im Namen der Schweizer Aerzte-Commission:
Sonderegger , Präsident.
Burckhardt-Merian , Schriftführer.
Wie uns mitgetheilt wird, beabsichtigt die Internationale Verbandstoff-Fabrik in
Schaffhausen (vorm. H. Th. Baschün) bei diesem Anlass im Casino eine kleine Ausstellung
ihrer Producte zu veranstalten, auf deren Besuch wir hiemit die Herren Collegen auf¬
merksam machen möchten.
Gent Internat. Congreu der medie. Wissen schäften. Das
Organisations-Comitö, bestehend aus Prof. C. Vogt , Präsident, Dr. H. CI Lombard , Vice-
Präaident, Dr. Prevost ; Secretär, DDr. D’Espine und J. L. Reverdin , Schriftführer, DDr. Du-
»and, Piguiire, , Julliard , Odier, ReviUiod, Mitglieder, hat soeben die Statuten und Regiemente
der V. Session dieses Congresses herausgegeben, die wir hiemit mittheilen.
Das Programm der 8itzung und die Thesen der eingeschickten Arbeiten werden im
Juni dieses Jahres publicirt und den Mitgliedern des Brüsseler Congresses (IV. Session),
sowie allen Aerzten zugesandt werden, die sich als Theilnehmer der V. Session in Genf
melden werden.
Statuten:
a L Artikel Der periodische internationale Congress der medicinischen Wissenschaf¬
ten (V. Session 1877) wird in Genf Sonntag den 9. September um 1 Uhr, unter den
Auspizien des hohen Schweizerischen Bundesrathes, sowie der Behörden des Cantons und
der Stadt Genf eröffnet werden.
H. Art. Der Congress wird ausschliesslich ein wissenschaftlicher sein und eine Woche
dauern (vom 9. bis zum 16. September inclusive).
IIL Art. Der Congress besteht aus den fremden und einheimischen Aerzten, die
sich als Mitglieder haben einschreiben lassen und zu diesem Zwecke eine Karte gelöst
haben. Die Mitglieder allein haben das Recht, an den Discussionen Theil zu nehmen.
8ie sind verpflichtet 20 Franken zu bezahlen, wogegen ihnen ein Exemplar des Berichtes
über die Arbeiten des Congresses zugeschickt werden wird. Dieser Beitrag ist zu be¬
zahlen bei Anmeldung der Mitgliedschaft oder für die Ankommenden bei Einlösung ihrer
Karte. Die Anmeldungen und die Austheilung der Mitgliederkarten werden den 8. Sep¬
tember von Mittag bis 6 Uhr, den 9. September von 9 Uhr Morgens bis Mittag und die
anderen Tage von 8 bis 9 Uhr Morgens in den Localen des Congresses stattflnden.
IV. Art. Die Arbeiten des Congresses werden in sieben Sectionen vertheilt.
V. Art. Bei Lösung ihrer Karten werden die Herren Mitglieder sich in die Section
einschreiben lassen, der sie angehören wollen. Das Comitö ernennt provisorisch die Bu-
reaux der verschiedenen 8ectionen (einen Präsidenten und zwei Secretäre).. Die 8ectionen
werden selbst ihr definitives Bureau wählen.
VL Art. Der Congress versammelt sich zweimal des Tages, einmal für die Arbeiten
der Sectionen und einmal für die der Generalversammlung.
VIL Art. Berichterstatter, die vorher vom Comitö ernannt sind, werden in den Sec¬
tionen die Fragen vortragen, die ihnen zugetheilt worden sind. Jeder Bericht wird mög¬
lichst durch provisorische Schlusssätze enden, über welche von den Sectionen nach der
angenommenen Reihenfolge discutirt werden wird.
Die übrigbleibende Zeit benutzen die Sectionen für Mittheilungen in dem Bereich
ihrer Specialität, die nicht im Programme stehen. Die durch die Sectionen angenom¬
menen Schlusssätze werden jeweilen der Generalversammlung mitgetheilt.
VUI. Art Die Sitzungen der Generalversammlung sind bestimmt:
I. Zur Mittheilung der Protocolle und Berichte der Sectionen und der Discussion über
dieselben, wenn nöthig.
2. Zu Vorträgen oder Mittheilungen von allgemeinerem Interesse.
IX. Art Die Mitglieder, welche eine Mittheilung zu machen wünschen über eine
Frage, die nicht im Programm steht, müssen wenigstens 14 Tage vor Eröffnung des Con¬
gresses dem Comitä davon Anzeige machen. Das Comitö beschliesst über die Zulässig¬
keit dieser Mittheilungen und über die Reihenfolge, in der sie verhandelt werden sollen.
Die für jeden Redner bestimmte Zeit ist auf 20 Minuten höchstens festgestellt, mit Aus-
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276
nähme der Berichterstatter, welche aber dringend gebeten werden, in diesen Grenzen zu
bleiben.
X. Art. ln der ersten Sitzung ernennt der Congress sein definitives Bureau, beste¬
hend aus einem Präsidenten, einem Vicepräsidenten und einer unbestimmten Anzahl Ho¬
norarpräsidenten, einem Secretär und zwei Schriftführern für die Sitzungen.
XI. Art. Alle im Congresse vorgelesenen Arbeiten, sei es in den Sectionen, sei es
in der Generalversammlung, sind auf dem Bureau niederzulegen. Das Organisations-
Comitd, das gleich mach dem Congress sein Amt wieder aufnimmt, um die Veröffentlichung
der Verhandlungen des Congresses vorzubereiten, wird allein über die partielle oder totale
Aufnahme oder Nichtaufnahme jeder dieser Arbeiten in diesen Berioht entscheiden.
XIL Art. Obgleich die französische Sprache für die Leitung der Verhandlungen als
Regel angenommen ist, so sind doch die Hitflieder auch berechtigt sich in andern
Sprachen anszndrflcken. In solchem Falle wird, auf Verlangen, der 8inn ihrer Worte
von einem der anwesenden Mitglieder kurz wiedergegeben werden.
XIIL Art. Die Statuten, Programme und die Schlussfolgerungen der Berichte werden
in französischer nnd deutscher Sprache publlcirt werden.
XIV. Art. Der Präsident leitet die Versammlungen und Debatten nach den Regeln,
die allgemein in berathenden Versammlungen angenommen sind. Im Verein mit dem Bu¬
reau bestimmt er die Tagesordnung.
XV. Art Die Studenten der Medicin können Freikarten erhalten, welche sie zur
Theilnahme an den Sitzungen, aber nicht an der Discussion berechtigen.
Die vom Comitd bestimmten Sectionen sind:
I. Innere Medicin. 1) Prof. Lebert (Vivis), Magengeschwüre. 2) Prof. Hardt/
(Paris), Parasit Hautkrankheiten. 8) Prof. Bouchard (Paris), Aetiologie des Typhus. 4)
Dr. Cerenville (Lausanne), Behandlung des Fiebers durch Bäder. 5) Prof. Zahn (Genf),
über Implantationen von Gewebe und dessen Schicksal im Organismus. 6) Prof. Revilüod ,
Indication und therapeutischer Werth der Tracheotomie bei Croup. 7) Prof. GiUe (Brüssel),
Universal- Pharmacopoö.
II. Chirurgie. 1) Prof. Esmarch (Kiel), die blutleere Operationsmethode des Vor¬
tragenden. 2) Prof. Vemeuil (Paris), Wechselbeziehungen zwischen Traumen und Gravi¬
dität. 3) Dr. Rouge (Lausanne), Behandlung der Ozaena 4) Dr. Ollier (Lyon), Endresul¬
tate der Gelenkresectionen. 6) Prof. Julliard (Genf), GalvanocauBtik. 6) Baracken und
Blessirtentransport. 7) Prof. J. L. Reverdin (Genf), Fisteln des Penis.
IH. Geburtshalf e. 1) Dr. Rapin (Lausanne), Placentargeräusche. 2) Prof. Zweifel
(Erlangen), künstliche Ernährung der Kinder im 1. Lebensjahre. 8) Dr. Piachaud (Genf),
Anästhesie bei der Geburt. 4) Dr. Odier (Genf), Wachsthumsgesetz des Kindes im 1.
Lebensjahre und seine physiologischen und pathologischen Abweichungen. 5) Dr. Gauäer
(Genf), Dysmenorrhöen membranacea.
IV. Hygieine. 1) Dr. Magnan (Paris), Einfluss des Alcoholismus auf die Geistes¬
krankheiten. 2) Dr. Guilloume (Neuchätel), Einfluss der Verfälschung der alcoholischen
Getränke auf die Gesundheit Derjenigen, welche sie fabriciren, und Derer, die sie consu-
miren. 3) Dr. H. CI. Lombard (Genf), medicinisch-geographische Fragen. 4) Prof. Dr.
Dvnant (Genf), Einfluss der Einwanderung der Landbevölkerung in die Städte.
V. Biologie. 1) Prof. Dr. Marey (Paris), physische Charactere der electrischen
Entladung des Zitteraales; physiologische Analogieen derselben mit der Muskelcontraotion.
2) Prof. Broadbent (London), cerebrale Localisationen. 8) Prof. Preyer (Jena), Ursachen
des 8chlafes. 4) Prof. C. Vogt (Genf), Entozoen des Menschen. 5) Prof. Schiff (Genf),
Functionen der Milz. 6) Dr. H. Pol (Genf), Histologie des Eies und Rolle des Zoosper¬
mas bei der Befruchtung. 7) Prof. Prevost (Genf), physiologischer Antagonismus.
VI. Ophthalmologie u. s. w. 1) Dr. Warlomont (Brüssel), Indicationen der
Enucleation des Augapfels in Bezug auf die Ophthalmia sympathica. 2) Dr. Haltenhoff
(Genf), Aetiologie und Prophylaxis der Myopie. 3) Dr. H. Fol (Genf), welches siud die
besten Methoden, um die Grenzen der hauptsächlichsten Functionen des Sehorganes zu
bestimmen: a) Sehschärfe, b) Wahrnehmung der Farben, c) Refraction und Accommoda-
tion, d) Gesichtsfeld, o) Beweglichkeit des Auges; 4) Dr. Colladon (Genf), Tenotomie des
Tensor Tympani.
VIL Ausstellungssection. Eine Ausstellung von medicinischen, chirurgischen,
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277
sowie physiologischen neuen Apparaten und Instrumenten wird während des Congresses
stattflnden. Die Gegenstände müssen zoll- und portofrei an Herrn Dr. J. L. Reverdin ,
place du Lac, Genöve, Direction der Ausstellung des medicinischen Congresses, versendet
werden und vor dem 1. September bei der Direction ein treffen. Die Herren Exponenten
sind gebeten, baldigst, jedenfalls vor dem 15. August, der Direction anzumelden, wie viel
Platz sie für ihre Ausstellung brauchen werden. Die Kosten der Ausstellung gehen auf
die Rechnung der Exponenten."
Die Zahl der Sectionen scheint uns etwas knapp zugemessen, um so mehr, als einer
zu weit gehenden Zersplitterung durch die jeweilige Mittheilung der Thesen der einzelnen
Sectionen in den täglichen Hauptversammlungen (Art. VIII) genügend vorgebeugt ist.
Gerade solche internationale Congresse sollten neben den gemeinsamen Hauptversamm¬
lungen eine vielseitige Gliederung in Sectionen ins Auge fassen, um einen internationalen
Meinungsaustausch der Specialcollegen möglich zu machen. Wir vermissen eine Section
für Psychiatrie und Nervenkrankheiten, eine für Otiatrik, eine für Paediatrik.
Auch unter den Fragen des Programmes sähen wir gerne die Erfahrungen Uber die
Haftbarkeit und die Schutzkraft der Farrenlymphe, eine Frage, deren allseitige Bespre¬
chung entschieden von grossem Werthe wäre, in der Otiatrik dürfte die Besprechung der
Annahme eines internationalen Hörmessers sehr indicirt sein.
Wir anerkennen in hohem Maasse die bei der Schwierigkeit der Aufgabe höchst
verdienstlichen Leistungen des Organisationscomitd, und sollen diese Bemerkungen nicht
ein Tadel sein, sondern die offen ausgesprochene Meinung der mit der Idee des Con-
gresses befreundeten Redaction dieser Blätter. Hoffen wir, dass der im Osten sich ent¬
wickelnde Brand keine Schatten werfe in das harmonische Bild internationaler Arbeit für
Gesundheit und Wohlfahrt der Menschheit, das Genf uns zeigen wird.
Bern« In der Dalp’schen Buchhandlung in Bern erscheint, wie wir eben hören,
dieser Tage ein Schriftchen von Prof. Dr. Adolf Vogt, „die Pocken- und Impffrage im Kampfe
mit der Statistik".
Zürich. Fabrikges etz. Der „schweizeiische Spinnerverein“, d. h der Ver¬
ein schweizerischer Spinnereibesitzer, hat seine Stellung zum Fabrikgesetze besprochen,
eine Commission bestellt und ihr den Auftrag gegeben, die Initiative zur Sammlung der
nöthigen Unterschriften zu ergreifen, um die Referendumsabstimmung über das Gesetz,
also wo möglich seine Verwerfung zu bewirken. Demnächst soll eine allgemeine Ver¬
sammlung schweizerischer Industrieller zur Besprechung dieser Frage einberufen werden.
Wir hoffen, diese Agitation gegen ein Gesetz, welches dem Arbeitgeber und dem
Arbeiter gerecht zu werden sucht, werde erfolglos bleiben.
Ausland.
Frequenz der Rüder« In der Nr. 1, 1877, des „Cursalon, Zeitschrift für
Balneologie, Klimatologie und Hydrotherapie“, findet sich eine Zusammenstellung über die
Frequenz der Curgäste von 150 Bädern und anderweitigen Curorten Europa’s während
der Jahre 1875 und 1876. Aus der Schweiz sind leider nur 4 Angaben und. zwar von
Stationen, die in Folge ihrer Lage nur eine beschränkte Zahl von Gästen beherbergen
können.
Wir lassen diejenigen Bäder folgen, die über 10,000 Curgäste hatten, und zwar so,
dass die erste Zahl die Frequenz des Jahres 1875, die zweite diejenige von 1876 notirt:
Scarborough 160,000; 170,000, Wiesbaden 69,288; 64,926, Marseille 64,000; 65,000,
Baden-Baden 38,004; 42,190, Teplitz-Schönau 31,469; 28,967, Bagnöre de Bigorre 19,700;
23,000, Bagnöre de Luchon 18,582; 23,647, Carlsbad 21,370; 20,701, Ems 15,998 ; 14,779,
Aix les Bains 14,074; 14,164, Cauterets 14,066; 16,000, Cherbourg 12,000; 16,000,
Pyrmont 12,909; 12,960, Kissingen 10,790; 10,792, Marienbad 10,724; 10,089. Es fol¬
gen dann Baden bei Wien, Gmunden, Franzensbad, Norderney, Obersalzbrunn etc.
Die Badeärzte Dt. Pichler in Carlsbad und Hirschfeld in Ischl haben dem internationa¬
len statistischen Congresse in Budapest eine sachbezügliche Arbeit vorgelegt und der
Congress beschloss, internationale Daten zu sammeln.
Es wäre für einen der schweizerischen Badeärzte eine verdienstliche Aufgabe, über
die Frequenz der zahllosen schweizerischen Curorte jeder Art eine exacte Statistik an¬
zulegen. Die Daten wären gewiss ohne allzu grosse Mühe erhältlich.
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278
Stand der I nfections-KrankJhei te n ln Basel.
Vom 11. bis 25. April 1877.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Die mit einem Male im vorigen halben Monat zahlreich auftretenden Erkrankungen
an Typhuß dauern in gleichem Maasse fort; angemeldet sind 29 neue Fälle (8, 7, 4, 30),
wovon Nordweatplateau 9 (2), Birsigthal 7 (6), Südostplateau 7 (8), Birsthal 0 (1), Klein¬
basel 6 (12), zugereist 0 (2); das plötzliche zahlreiche Auftreten dieser Krankheit betrifft
also ziemlich gleichmässig die ganze Stadt — Die Fälle von 8charlach sind etwas
weniger zahlreich: 16 (26, 21, 24), wovon8 in Kleinbasel, 6 auf dem Nordwestplateau,
die übrigen zerstreut — Hals- und Rachenbräune 10 Fälle (2, 10, 6), Ö Nordwest¬
plateau, je 1 Birsigthal, Südostplateau und Birsthal, 2 Kleinbasel (einmal liegt Verdacht
auf Scarlatina sine exanthemate vor). — Keuchhusten 4 zerstreute Fälle (11, 8, 2).
— Varicellen 4 Fälle. — Ery sipelas 6 Fälle (7, 10, 9), wovon 4 im Birsigthale.
— Puerperalfieber 2 Fälle. — Masern und Rötheln sind im verflossenen
halben Monat keine mehr angezeigt worden.
Briefkasten.
Dr. Niederhauser , Barcelona: Schicke uns doch einen Bericht über die Erfolge Deiner von
Herrn Phyeicus Dr. de Wette ans Basel bezogenen Lymphe, damit der Einfluss des Transportes contro-
lirt wird. Besten Ornss. — Herrn Dr. Prevost in Genf: Besten Dank für Ihren Brief, entschuldigen
Sie unsere etwas abgeänderte Uebersetzung. — Herrn Dr. v. Muralt in Z.: Die mit Ungeduld zurück¬
erwartete Correctur ist uns bis zur Stunde nicht zugekommen ; entschuldigen Sie die etwaigen errata,
da eine Correctur ohne Manuscript immer ein heikles Geschäft — Herrn Dr. Regner in W.: Beeten
Dank. Wird per Brief beantwortet, sobald ich einen freien Moment hiezu finde. — Herrn Dr. Zuber
in Wyl: Merci. Kommt in nächster Nummer. — Herrn Dr. Kottmann: Mit Dank erhalten.
Bad Schinznach, Schweiz.
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3. Hämorrhoidal-Krankheiten, Ihr Wesen und Verlauf . . . „ „ 7. 50
4. Das Scharlachfieber und die Masern . . . „ „3. —
5. Der Croup oder die häutige Bräune . . . . . . „ „ 2. 60
6. Asthma, Fettherz, Corpulenz . . . . . . „ „ 1. 20
7. Handbuch der Frauenkrankheiten . . . . . „ „6. —
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schaftsbericht, Hausordnung, Preise etc. enthalten sind, versendet gratis-franko
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279
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Zur Notiz an die Herren Collegen.
Nachdem ich 24 Jahre die Stelle eines ersten
Arztes und Directors des äussern Krankenhauses
bei Bern, d. h. der Abtheilungen der bernischen
Kantonsspitäler für Syphilis und Hautkrankheiten
inne gehabt, trete ich nunmehr ins Privatleben
zurück mit der Absicht, die in jenem Zeitraum
gesammelten klinischen Erfahrungen und durch¬
geführten wissenschaftlichen Studien in der Privat¬
praxis zn verwerthen.
Demzufolge beabsichtige ich, mit Anfangs Juni
nach Baden (im Aargan) überzusiedeln, dessen
Thermen in Zusammensetzung und Temperatur
denen Aachens sehr ähnlich, wo seit Jahrzehnten
mit dem grössten Erfolge eine Combination von
Thermal- mit den antispecifischen Heilmethoden
in sehr ausgedehnter Weise in Gebrauch gezogen
wird: auch dürfte bei einer grossen Zahl von
Hautkrankheiten eine Verbindung der Lokal¬
therapie mit den Thermen Badens aen gewünsch¬
ten Erfolg versprechen.
Indem ich die Herren Collegen davon benach¬
richtige, erlaube ich mir darauf zu verweisen,
dass eine genaue Anamnese in pathologischer und
therapeutischer Richtung, ganz besonders bei ver¬
schleppten Leiden specifischen Ursprungs, zur
Sicherung der Kurerfolge von grosser Wichtigkeit
Bein muss. [H-1148-Q]
Bern, im Mai 1877.
Er. Karl von Erlach.
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N“ 10. VII. Jahrg. 1877. 15. Mai
Inhalt: 1) Origin.Urbeiten: Zum 19. Mai. — 2) Vereinsberichte: Verhandlungen der Ärztlichen Gesellschaft
de* Oantons Zürich über Reorganisation des Sanitätswesens. (Schluss.) — 8) Referate und Kritiken: Dr. Riefenstahl: Die
künstliche Ernährung des Kindes im ersten Lehensjahr. — 4)Kantonale Correspondenzen: Aargau, Basel, Genf, Schwyz.
— 5) Wochenbericht. — 6) Bibliographisches. — 7) Briefkasten.
Oi*iginal--Aj*l>eitenLe
Zum 19. Mai.
„Wohlgebohrne, hocherfahrne, vortrefliche Herrn, wertheste
Freunde und Brüder!
Ja wohl ist dieser Tag einer der gesegnetesten und glüklichsten meines Le¬
bens — träume ich — oder sehe ich würklich in Ihnen, verehrungswürdigste Män¬
ner! heute eine auserlesene Anzahl der würdigsten schweizerischen Aerzte und
Wundärzte zu einer längst gewünschten Zusammenkunft besammelt! — Nein, ich
träume nicht — Sind Sie mir willkommen und herzlich begrüsset, theureste Brü¬
der, theureste Aerzte und Wundärzte aus allen Gegenden unserer lieben Schweiz,
die ich heute zum erstenmale in diesem trauten Zirkul umarme! Nun, so ist es
wahr geworden, was wir nicht träumen durften vor wenigen Jahren —
Dass Aerzte und Wundärzte aus allen Gegenden der Schweiz einmal an einem
gewälten Tag sich sehen, sich umarmen, sich gemessen sollten! —
Dass Aerzte und Wundärzte, die sich seit vielen Jahren einander nicht wieder
gesehen haben — sich wiederum sehen, und aufs neue fest zu knüpfen kommen
das heilige Band der Freundschaft, das vor mehrem Jahren die gleich gestimmten
Herzen mit einander verbunden hatte —
Dass Aerzte und Wundärzte, die bisdahin sich nie kannten, und nur durch ein
sympathetisches Gefühl in einander Brüder verehrten, welche gemeinschaftliches
Interesse für das Besste des Vaterlandes belebt —
Dass Aerzte und Wundärzte, die bisdahin nur durch den Ruff ihrer Recht¬
schaffenheit, ihrer Treu, ihres vortreflichen Herzens, ihrer Erfahrung und Wissen¬
schaft einander kannten, sich itzt persönlich Ihre Achtung, Ihre Freundschaft, Ihre
Liebe zusichern —
Dass Aerzte und Wundärzte, von denen das Schiksal manche in entfernte, von
aller gelehrten Communication, von allem Genuss wohlthätigen vertraulichen Um-
19
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gangs mit erfahrnen Mitärzten ausgeschlossene Gegenden versezt hat, jetzo sich
Zusammentreffen, ihre Herzen einander eröffnen, in einander ergiessen, Ihre Ge¬
danken und geheimsten Wünsche einander mittheilen, sich einer dem andern bekannt
machen, Freundschaft für die übrigen Lebenstage hinstiften, und sich in ihrem vol¬
len Genuss einige Stunden sättigen können —
Dass Aerzte und Wundärzte, ältere und jüngere, aus grossem und kleinem
Städten und Dörfern, aus entfernten und nähern Gegenden, die nur Zufall biswei¬
len mit einander vereinigt, nun an einem bestimmten Tag sich bey einander ver¬
sammeln, sich einander anvertrauen, und mit Beyseitesezung alles Zwanges einan¬
der einen herzlichen Handschlag und feurigen Bruderkuss geben —
Dass Aerzte und Wundärzte, von ungleichem Alter, von ungleicher Abstam¬
mung, von ungleichen Kenntnissen und Wissenschaften -- von ungleichen, wohl
gar in manchem einander wiedersprechenden Grundsäzen, Denkungs- und Hand¬
lungsart — beseelt durch gemeinschaftliches Interesse für alles, was des Vater¬
landes Wohl directe und indirecte befördern kann — sich da mit Fleiss und ver¬
abredet einander treffen, sich einander nähern, sich einander anvertrauen, sich ein¬
ander von der besten Seite zu erkennen geben, sich gegen einander freundschaft¬
lich erklären, jeden Missverstand aufheben, die Saiten ihres für jedes Gute ge¬
stimmten Herzens aufs neue harmonisch stimmen — aufs neue mit einander einen
Bund, einer von allem Vorurtheil, von allem Eifer, von aller Jalousie, von jeden
niedrigen Affekten gereinigten Freundschaft stiften, und jedes Jahr ihn zu erneuern,
sich heilig beym Vaterlande versprechen. —
Dass so der Wunsch, den so mancher patriotische Arzt in und ausser unserer
Schweiz nur in geheim nähren durfte, dass etwa von Zeit zu Zeit in jedem gros¬
sem Distrikt eines Landes, so wie die Geistlichen, die für das Wohl der Seelen
sorgen, so auch die Aerzte, denen das physische Wohl der Bewohner eines Landes
anvertraut ist, nicht nach Gewohnheit zwar und nach ceremoniellen Landesgesetzen,
sondern ungezwungen und freywillig, nur durch freundschaftliches Gefühl für ein¬
ander, und durch das Gefühl für das gemeine Beste getrieben, zusammen tretten
— sich, bey noch so ungleichen übrigen Grundsäzen, unter einen Hut versammeln,
ihre Wünsche und Gesinnungen für sich und fürs Vaterland Zusammentragen, sich
mit einander darüber berathschlagen, gemeinschaftliche Entschlüsse fassen — und
mit zusammengesezten Kräften durchzusetzen und auszuführen sich entschliessen
— Dass ein so edler, ein so gemeinnüziger Wunsch, in uuserm lieben freyen Hel-
vetien zuerst, ohne höhere Veranstaltung, ohne Zwang und Noth, so von sich selbst,
und durch sich selbst, durch das eigene Interesse das er mit sich führt, durch das
Vergnügen, dessen er zum voraus gewähren muss, zu Stande kommt — Dass das
alles kein Traum, sondern würkliche Erfüllung eines gemeinschaftlichen, von uns
allen gehegten Wunsches, die Vollendung unsers durchgedachten Plans, für das
physische Wohl unserer Schweiz, und für die Anzettlung einer unter den schwei¬
zerischen Aerzten zu stiftenden vertraulichen, und durch ihre Vertraulichkeit und
Uneigennüzigkeit sie auf das engste an einander anfesselnden medizinisch-helveti¬
schen Gesellschaft seyn soll, und würklich ist — dieses Vergnügen bezaubert mich
ganz und hemmt mein Herz, sein Gefühl so lebhaft, so innigst ausdrüken zu kön-
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nen, als es wollte — und erstikt in mir alle Worte, Sie so herzlich, so freund
schaftlich zu bogrüssen, als ich wünschte.
Ja seyt von mir begrüsset, und bewillkommet und verehrt, und gesegnet ver¬
ehrungswürdige Brüder der verehrungswürdigsten Gesellschaft!
Ehrwürdig — ja ehrwürdig sey mir diese Versammlung, von Männeren von
den tiefsten Einsichten und Gelehrsamkeit, von der ausgebreitetesten Erfahrung,
von so treflichen Eigenschaften des Geistes und des Herzens! Die so grossmüthig
sich losreissend von allen Geschäften, deren Druk nur die Waagschale der Ver¬
dienste fürs Vaterland überwägen kann, Müsse und Bequemlichkeit, so sparsam sie
für Sie ausgetheilt seyn mag, aufopferten dem gemeinen Besten, und der Freund¬
schaft helvetischer Brüder, die es sich zur Pflicht machten, unbeschadet jeder guten
Sache, einmal einige Tage aufzuopfern einem Geschäfte, das nicht anders als fürs
Vaterland, — wenigstens für unser ganzes medizinisches Corps — wenigstens für
mehrere Individuen desselben — den wichtigsten Erfolg haben muss.“
Volle 85 Jahre sind verflossen, seit mit diesen begeisterten Worten Canonicus
und Prof. Joh. Beinr. Rahn in Zürich als Präsident der corresp. Gesellschaft schwei¬
zerischer Aerzte und Wundärzte seine Begrüssungsrede an die Theilnehmer des
ersten Congresses eröffnete, der den 10. Juni 1792 in Zürich auf dem chirurgischen
Gesellschaftshause (zum schwarzen Garten) zusammentrat. Wie hoch und warm
hat nicht dies Herz geschlagen, das mit dem — jener Zeit eigenen —, so über¬
schwänglichen Enthusiasmus seinen und den Gefühlen der damaligen Versammlung
beredten Ausdruck zu geben sucht!
Gar Manches, was damals von den Collegen ersehnt, erstrebt und erreicht
worden war, ruht längst vergessen unter dem Staube verflossener Jahrzehnte; diese
Gedanken aber, die Rahn ausgesprochen und die trotz der Ungunst der damaligen
politischen und Verkehrsverhältnisse die Aerzte der Schweiz aus allen Gegenden
zusammengeführt, sie sind nicht veraltet und gelten heute noch in ihrem Kerne,
wenn auch unter etwas veränderter Gestalt, so voll und wahr wie damals!
1792, 1877! Wie Vieles ist unterdessen anders geworden 1 — Die Genera¬
tion, die damals zur Sammlung gerufen, sie ruht längst aus von ihrer Arbeit, und
nur Wenige der darauf folgenden weilen noch in unserer Mitte; eine dritte Gene¬
ration steht jetzt da und arbeitet mit Ernst und Eifer, das mit „zusammengesetzten
Kräften durchzusetzen und auszuführen“, was unsere Vorgänger erstrebten.
Deshalb sei der 19. Mai 1877 ein Mahnruf an alle Collegen von Stadt und
Land, der deutschen und der romanischen Schweiz, nicht zu fehlen an der Zu¬
sammenkunft schweizerischer Aerzte in der Bundesstadt. Darum: Auf nach Bern I
Vereineberichte.
Verhandlungen der ärztlichen Gesellschaft des Cantons Zürich Uber
Reorganisation des Sanitätswesens.
(Schluss.)
Extrasitzung den 8. März 1876, Nachmittags 2 Uhr, im Rüden in Zürich.
Anwesend 40 Mitglieder.
Um 2*/ a Uhr eröffnet der Präsident die Sitzung: Seit unserer letzten Berathung
ist ein Entwurf über Organisation der öffentlichen Gesundheitspflege dazwischen
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geworfen worden auf Veranlassung des Regierungsrathes. Die Frage hatte dem
Sanitätsrath Vorgelegen, dessen Entwurf dann erheblich beschnitten und keines¬
wegs verbessert dem Cantonsrath vorgelegt wurde. Von Zehnder wurde Rück¬
weisung an den Regierungsrath beantragt, worauf eine Commission von 9 Mitglie¬
dern gewählt wurde. In der Commission haben Zehnder und Kämmer im Sinne,
nicht ablehnend vorzugehen, werden indessen auf Abänderung und Ergänzung des
Entwurfes entsprechend den Wünschen der Gesellschaft hinzuwirken suchen.
Die Commission schlägt vor, sich an den bestehenden Gesetzesentwurf anzu¬
lehnen. Man soll nicht eine vollständige Organisation des gesammten Sanitäts¬
wesens verlangen, sondern sich mit dem jetzt Erreichbaren begnügen.
Es ist eine Anzeige des Ablebens von Prof. Dr. Wilhelm Beeck in Christiania
eingegangen, welche mit einem Condolenzschreiben erwidert wird.
Der Präses macht noch Anzeige vom Stattfinden des Internationalen
medic. Congresses in Genf Anfang September 1877 während einer Woche.
Die Frühlingssitzung wird wegen der Versammlung des ärztl. Central Vereins
diesmal ausfallen.
Es folgt nun die Fortsetzung der Berathun^ über Reorganisation des Sanitäts¬
wesens.
Die Commission proponirt Wiedererwägung von Abschnitt B und legt als
Basis folgende die früheren Beschlüsse aufnehmende Abänderungsanträge vor:
„B. Betreffend Organisation der Sanitätsbehörden und Beamten.
1. Für den Geschäftskreis der öffentlichen Gesundheitspflege wird dem Director des
Sanitätswesens ein ärztlicher Referent beigegeben, der den Titel Gantonsarzt führt und
als solcher Mitglied des Sanitätsrathes ist
Der Cantonsarzt ist Referent über alle an die Sanitätsdirection eingehenden Berichte
der Statthalterämter, der Bezirks- und Sanitätsärzte und der Gemeinde-Sanitätscommis¬
sionen soweit dieselben die öffentliche Hygieine betreffen, er begutachtet dieselben und
stellt darauf bezügliche Anträge an den Sanitätsdirector und den Sanitätsrath. — Er er¬
ledigt die ihm vom Sanitätsdirector im Bereiche der öffentlichen Gesundheitspflege über¬
lassenen oder überwiesenen Geschäfte und hat namentlich die Aufsicht Uber die Thätig-
keit der Bezirks- und Gemeinde-Sanitätsärzte sowie der Gemeinde-Gesundheitscommis¬
sionen.
Der Cantonsarzt erhält eine jährliche Besoldung sowie Entschädigung für Reise-
auslagen.
2. Dem Director und Sanitätsrath fällt die Leitung der Thätigkeit der Gemeinde-
Gesundheitscommissionen zu. Dieselben stehen zunächst in Verbindung mit dem Cantona-
arzte, dem sie jederzeit über gesundheitliche Verhältnisse der Gemeinde Aufschluss zu
ertheilen verpflichtet sind. Ausserdem haben dieselben alljährlich Bericht über ihre Thä¬
tigkeit an die Sanitätsdirection zu ertheilen.
8. Wie angenommen — mit Zusatz: Wo es die Ortsinteressen erfordern, können sich
auch mehrere Gemeinden auf eine gemeinsame Gesundheitscommission vereinigen.
4. Die Bezirksärzte und ihre Adjuncten stehen als Aufseher und Pfleger des öffent¬
lichen Gesundheitswesens ihres Bezirkes zunächst mit dem Cantonsarzte in Verbindung,
und erstatten demselben zu Händen der Sanitätsdirection Bericht. Uber beobachtete gesund¬
heitsschädliche Verhältnisse in ihrem Bezirke, sowie Uber die von den Gemeindecommis¬
sionen zur Beseitigung derselben getroffenen Maassnahmen.
In grössern Gemeinden oder wo die Verhältnisse derselben dem Bezirksarzte die Er¬
füllung seiner Aufgabe als Sanitätsarzt nicht ermöglichen, ist es wünschbar, dass die
Gemeinde einen ärztlichen Referenten, Gemeinde- oder Stadtarzt bestelle, der alsdann an
des erstem Stelle in unmittelbaren Verkehr mit dem Cantonsarzte tritt, und in der Ge—
meinde-Sanitätscommission die Stelle des ärztlichen Referenten übernimmt.
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5. Wie bis dahin.
6. Die Stellung der Bezirksärzte und Adjuncten als Gerichtsärzte bleibt die bisherige.
Nur ist zu wdnsohen, dass mit Rücksicht auf die denselben in höherem Grad zukommen¬
den hygieinischen Aufgaben, die Untersuchung und Begutachtung der grossen Zahl von
leichtern körperlichen Verletzungen soweit abgenommen werde, dass für solche Fälle die
Zeugnisse und Gutachten eines patentirten Arztes von den Gerichten als genügend aner¬
kannt werden, insofern nicht die eine oder andere Partei oder das Gericht selbst aus¬
drücklich das Gutachten des Bezirksarztes verlangen sollten.“
Der Referent Dr. Meyer-Hoffmeister: Man sollte eine Revision des gesammten
Sanitätswesens anstreben, aber wenn dies nicht möglich, muss man sich begnügen
mit einer Organisation der Gesundheitspflege. Den Artikel B. 2. findet Ref. durch¬
aus nöthig, weil Director und Secretär nicht Aerzte sind.
Nachdem Ref. im Weitern über jeden einzelnen Artikel referirt, spricht Dr.
Lüning im Namen des Vereins der beiden Seeufer. Sie sind mit der Organisation
der Gerichtsärzte nicht einverstanden. Den Einwänden, dass die jetzigen Bezirks¬
ärzte mit psychiatrischen und pathologisch-anatomischen Kenntnissen oft nicht ge¬
nügend ausgerüstet seien, steht gegenüber, dass die vorgeschlagenen Polizeiärzte
kaum zu bekommen und die Auslagen viel zu bedeutend wären. Es handelt sich
hauptsächlich um Unparteilichkeit, und die ist nicht möglich, wo man über den
eigenen Patienten oder den des Concurrenten urtheilen soll. Die Stellung der Be¬
zirksärzte ermunterte sie bisher sehr zur Theilnahme an den Fortschritten der
Medicin, mehr als es wohl ohne diesen Stimulus der Fall gewesen wäre.
Vom Präses aufgefordert, erklärt Bezirksarzt Müller , dass die Aerzte von Win¬
terthur bei ihrem frühem Antrag verharren.
Rahn-Escher. Sehr wünschbar wäre es immerhin, wenn auch der Secretär ein
Fachmann wäre.
Referent meint dagegen, wir sollten uns zufrieden geben, wenn wir den Refe¬
renten erreichen, und wollen nicht näher auf die Organisation der Beamten eingehen.
Präsident Es hätte der Antrag den Vortheil, dass man doch den Secretär
hätte, wenn auch der Referent nicht bewilligt würde.
Antrag Rahn angenommen als Zusatz zu 1.
2. Präses macht aufmerksam, dass der Verkehr zwischen Gesundheitscommis¬
sion und Cantonsarzt ein directer, aber nicht nothwendig directer sein sollte.
Brunner glaubt, wir sollten dem Cantonsarzt nicht allzuviel aufbürden.
Rahn-Escher. Die Commission macht diesen Vorschlag im Interesse der rasche¬
ren Erledigung der Geschäfte.
Kdtnmer würde keine bindenden Vorschriften geben. Man soll sich ebenso gut
an den Bezirksarzt, wie an den Cantonsarzt wenden können. Von den Gesund¬
heitscommissionen kann man nicht viel erwarten-
Nachdem der Referent noch einmal für den Vorschlag eingetreten, wird bei
der nunmehr folgenden Abstimmung Art. 2—4 angenommen, 5 angenommen mit
Abänderung Kämmer: die nöthigen amtlichen Chemiker.
6. Kämmer: a /» sind ja ganz leichte Fälle, und diese möchte er dem Privatarzt
überlassen. Zwischen leichten und schweren Fällen ist gewöhnlich sehr leicht zu
unterscheiden. Es würden damit auch viele Kosten erspart.
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Zweifel-, anstatt „von den Gerichten“ soll es heissen „von den Statthalter¬
ämtern“, weil sie es sind, die das erste Gutachten verlangen.
Präsident will anstatt „patentirt“ „des behandelnden Arztes“ sagen, und trägt,
ob es nicht passend wäre, betreffend die Besoldung etwas zu sagen, welche An¬
regung der Ref. als Antrag aufnimmt:
„Erhöhung der fixen Besoldung der Bezirksärzte ist absolut nothwendig.“
6. angenommen.
„C. Betreffend die Ausübung der Heilkunde.
1. Als Arzt wird nur derjenige vom Staate anerkannt, welcher der Sanitätsdirection den
von Bundes wegen ihm zugestellten Befähigungsausweis vorgelegt hat
2. Niemand darf sich den Titel eines Arztes oder einen ähnlichen Titel, welcher ge¬
eignet wäre, das Publicum glauben zu machen , dass er die nöthigen theoretischen
und practischen Kenntnisse besitze und als solcher vom Staate anerkannt sei,
beilegen.
Ein einfacher Ehrentitel genügt nicht zur staatlichen Anerkennung, noch um sich
öffentlich als Arzt auszuschreiben.
3. Nur der patentirte Arzt hat das Hecht
a. Zeugnisse und Gutachten auszustellen, welche auf officielle Gültigkeit Anspruch
haben.
Seine Zeugnisse sollen auch in forensischen Fällen genügen, wenn nicht von der
einen oder andern Partei oder von den Gerichten ein Gutachten des Gerichtsarztes
ausdrücklich verlangt wird.
b. auf Anstellungen an Krankenanstalten, Waisenhäusern, Gefängnissen und andern
öffentlichen Anstalten;
c. irgendwelche öffentliche Functionen, die seinen Beruf beschlagen, im Gemeinde¬
oder Staatswesen zu verrichten;
d. in Concursfällen ein Privilegium zu beanspruchen.
4. Nur der patentirte Arzt darf im Interesse seines Clienten sein Zeugniss vor Gericht,
resp. die Mittheilung von Geheimnissen, welche ihm in seiner Berufsstellung anver¬
traut worden sind, verweigern.
5. Dem patentirten Arzte kann das Patent nur durch gerichtliches Urtheil, sei es für
immer oder auf eine gewisse Zeit, entzogen werden.
6. Wer sich mit der Heilung Kranker befasst, ohne hiefür ein Patent zu besitzen, hat
davon dem Statthalteramte zu Händen der Sanitätsdirection Kenntniss zu geben.
Er ist überdies verpflichtet, über seine Kranken und die dabei vorkommenden
Todesfälle genaue Verzeichnisse zu führen, die auf Verlangen dem Bezirksarzte oder
den Gerichten vorzulegen sind.
7. In Seuchefallen haben sich auch nicht patentirte Personen, welche sich mit der Hei¬
lung von Kranken befassen, den Anordnungen der Sanitätspolizei zu unterwerfen und
sind für Unterlassung von Anzeigen, Vorsichtsmaassregeln etc. ebenso verantwortlich
wie der patentirte Arzt.
8. Die Ankündigung von Geheimmitteln , für welche nicht vorher von einem staatlich
bestellten Chemiker ein Zeugniss ihrer Unschädlichkeit erwirkt ist, ist untersagt.
9. Der Verkauf von giftigen Stoffen steht unter staatlicher Controle.“
Ref. wünscht, dass 2 erst nach 6 behandelt werde.
1. Dr. Müller: „von der Concordatsprüfungscommission ausgestellt“.
3. Referent: Anfang von a. weglassen. Wird so angenommen,
b. und c. angenommen.
Schoch will d. streichen, weil es meist nichts nützt und immer einen odiosen
Anstrich hat.
Ref. zieht Lemma d. zurück.
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Jenny beantragt, dass , sofern die vorgeschlagenen Grundsätze zur Geltung
kommen, der Eid in seiner bisherigen Bedeutung dahinfalle.
Seilz findet auffallend, dass dieser Specialberathung nicht ein allgemeiner Rath-
schlag voranging.
Nachdem sich darüber der Präsident und mehrere Votanten ausgesprochen,
bedauert Schoch die Ordnungsmotion. Er möchte fortfahren ünd beantragt, 6 und 7
zu streichen. Durch 6 wird das Statthalteramt privilegirt, Patente auszustellen.
Das Publicum wird die Concession als Patent betrachten.
Kämmer möchte auch bei der Sache bleiben. Man soll nur die Stellung der
patentirten Aerzte normiren und das Uebrige bei Seite lassen. § 1 sei: Als Arzt
wird nur Derjenige vom Staate anerkannt, welcher sich vor der Sanitätsdirection
über seine Befähigung ausgewiesen hat. Hiezu genügt ein Concordatsdiplom.
Seite. Man wolle sich dem Strome der Zeit auf Freigebung nicht widersetzen.
Präsident ladet den Votanten ein, seine Postulate bei den einzelnen Paragra¬
phen zu bringen.
Homer : Als.anerkannt, welcher das Concordatsdiplom als Befähigungs¬
ausweis vorgelegt hat
Seite will vorausschicken: die Ausübung der ärztlichen Praxis ist freizugeben.
Kämmer dagegen: die Gesellschaft hält die Freigebung der ärztlichen Praxis
nicht für zweckmässig.
Homer. Wir haben nur die Form der Durchführung in einer uns passend
scheinenden Weise vorzulegen und gar nicht die principielle Frage zu ent¬
scheiden.
In der Abstimmung darüber, ob die principielle Frage erledigt werden soll
oder nicht, entscheidet sich die Mehrheit für’s Letztere.
Homer findet, man soll 2 j e t z t besprechen und zugleich damit 6 und 7.
Zweifel streicht 2 und 6, und setzt in 7: „in Seuchefällen . . . alle Personen“.
— „Ebenso . . . wie jeder pat. Arzt“ soll wegfallen.
Rahn will 2 behalten, damit die Gesundheit geschützt sei, und würde 6 und 7
streichen, dies dem Staate überlassend.
Homer unterstützt 2 und möchte hinzusetzen: die Namen der amtlich patentir¬
ten Aerzte sollen regelmässig im amtlichen Publicationsorgan veröffentlicht werden.
6 soll gestrichen werden, weil dadurch gleichsam die Pfuscher patentirt werden,
7 aufrecht erhalten, nicht aus Standesinteresse, sondern es ist dies ein Rath, den
wir als Bürger den Behörden geben. Er würde ihn so fassen : „in ... haben sich
Personen . . .“
Kämmer wünscht in 7: Heilung und Besorgung.
Jenny will 2 streichen, weil nicht nur odios, sondern kleinlich.
In der Abstimmung wird 2 litt. 1 und 2 mit grosser Mehrheit angenommen,
ebenso der Zusatz Horner.
Der Ref. zieht im Namen der Commission Art. 6 zurück.
7. Vorschlag von Homer und Zweifel: . . . haben sich Personen, welche sich
mit Pflege und Besorgung . . .
Grimm will 7 streichen.
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Jenny unterstützt 7 als sehr wichtigen Paragraphen, analog der Kriegsverordnung
über Johanniter u. s. f.
Präsident: Der Paragraph gehört in eine Seucheordnung. Wenn „Heilung“
weggolassen wird, passt er nicht mehr.
In der Abstimmung sind 16 gegen 16 Stimmen und der Präsident entscheidet
für Streichung.
3. Sein möchte weniger auf die Privilegien hinweisen.
a., b., c. werden angenommen, d. fallen gelassen.
4. auf Antrag von Sein und Zweifel gestrichen.
5. Irminger sen. beantragt Streichung, aber Horner will ihn beibehalten, weil
das Medicinalgesetz, in dem der Paragraph steht, ja umgeändert wird.
5. angenommen-
Als n e u e 8 6. beantragt Jenny: das ärztliche Handgelübde ist abgeschafft.
Wird angenommen.
8. Präsident. wünscht einen Attest, nicht dafür, dass sie etwas nützen, sondern
dafür, dass sie nichts schaden.
Sein für Streichung.
Rahn für Beibehaltung.
Mit starker Mehrheit angenommen.
9. wird fallen gelassen, weil unter A. o. schon aufgefdhrt.
Der Vorstand wird beauftragt, den Entwurf redactionell auszufertigen, und in
autographischer Vervielfältigung den Mitgliedern der Cantonsraths-Commission zu¬
zustellen.
Er führte diesen Auftrag in folgender Weise aus:
Die Gesellschaft der Aerzte des Cantons Zürich an die geehrte Cantonsrathscommis-
sion zur Vorberathung des Gesetzesentwurfes betreffend die öffentliche Gesundheitspflege.
Herr Präsident, hochgeehrte Herren!
Die ärztliche Gesellschaft das Cantons Zürich, in welcher sämmtliche Aerzte des
Cantons Sitz und .Stimme haben, hat in den letzten Jahren zu verschiedenen Malen Ge¬
legenheit gehabt, Fragen die öffentliche Gesundheitspflege betreffend zu behandeln. Hierzu
gaben namentlich die häufig auftretendeu Epidemien der Pocken, des Typhus, der asia¬
tischen Cholera, der Diphtherie und des Puerperalfiebers Veranlassung. Dabei kamen
uns grosse sanitarische Uebelstände in vielen Gemeinden des Cantons zur Kenntniss.
Zugleich aber wurde wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass das am 2. October 1854
erlassene Gesetz betreffend das Medicinalwesen nicht mehr im Einklang stehe mit den
Forderungen der gegenwärtigen Zeit und dass die an das Gesetz sich anschliessenden
Verordnungen theils manche Lücke bieten, theils gegenwärtig in manchen Bestimmungen
nicht mehr ausführbar seien.
Die ärztliche Cantonalgesellschaft hält es daher für ihre Pflicht, eine Totalrevision
der Medicinalgesetze und Verordnungen als zeitgemäss und dringlich zu befürworten, und
erlaubt sich die Tit. Grossrathscommission zu ersuchen, dem h. Cantonsrathe den Antrag
zu stellen, derselbe möchte den hohen Regierungsrath veranlassen, eine Totalrevision der
Medicinalgesetze beförderlichst an die Hand nehmen zu wollen.
Zu Begründung dieses Gesuches erlauben wir uns nun folgende Momente besonders
zu bezeichnen:
1) Der moderne Staat erkennt es als seine Pflicht, für das Gesundheitswohl seiner
Bürger durch die Förderung der wissenschaftlichen Bildung des ärztlichen Standes zu
sorgen. Seit langer Zeit hat der Canton Zürich in der Eidgenossenschaft durch seine
wissenschaftlichen Anstalten einen hohen Rang eingenommen, und ist vor keinen noch so
bedeutenden öconoroischen Opfern zurückgeschreckt, um die medicinische Facultät der
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Hoohschale auf der Höhe der wissenschaftlichen Forderungen der Zeit zu erhalten, deren
ausgezeichnete Kräfte auch im Auslande allgemein Anerkennung erlangten. — Bedeu¬
tend waren dessnahen auch die Forderungen, welche der Staat an
die wies enschaftliche Bildung der Aerzte gestellt hat und nur nach
strenger Prüfung und gegenwärtig nach Erlangung eines Concor-
datsdiploms wurde dem jungen Arzte die Erlaubniss der Ausübung
der ärztlichen Praxis ertheilt.
Und nun finden wir diesem gegenüber im Verzeichniss der Medicinalpersonen des
Cantons Zürich vom Jahre 1875 auf pag. 79 die unter dem Namen „Naturärzte“ ohne
Patent practicirenden Personen sammt ihren Krankenanstalten aufgenommen. Wir müssen
dieses Verfahren als einen ungerechtfertigten Eingriff in das Mediciaalgesetz erklären,
der um so verderblicher zu wirken droht, als durch den hochtrabenden Namen „Natur¬
ärzte“ diese Afterärzte sich auf die gleiche Linie mit den Aerzten zu setzen suchen,
und damit der leichtgläubigen Menge die Annahme nahe gelegt wird, dass diesen Halb¬
wissern das Recht der Krankenbehandlung von der staatlichen Behörde zuerkannt wor¬
den sei.
2) Diesem Unwesen entsprechend nimmt das öffentliche Anpreisen von sogen. Ge¬
heimmitteln, der Verkauf von oft die heftigsten Gifte enthaltenden Elixiren, Pillen,
Salben etc. immer grössere Dimensionen an und scheint gegenwärtig jeder polizeilichen
Controls entzogen zu sein. — "Wie reimt sich die Verordnung über die Visitation der
öffentlichen und Privatapotheken und die sorgfältigste Untersuchung über die Beschaffen¬
heit der Arzneistoffe in denselben mit dem in den Droguerien, 8pezereiladen u. s. w.
öffentlich und mit schwindelhafter Reclame stattfindenden Verkaufe sogenannter Geheim¬
mittel.
3) Das häufige Auftreten des Kindbettflebers hat die Aufmerksamkeit der Aerzte
auch auf das Hebammenwesen gelenkt und den Sanitätsrath veranlasst, eine Re¬
vision der Pflichtordnung für die Hebammen vorzunehmen. Aber ebenso ist das Bedürf-
niss hervorgetreten, dem Unterricht derselben grössere Aufmerksamkeit zu schenken, die
zum Unterrichte bestimmte Zeit zu verlängern und ihnen insbe¬
sondere genügende Gelegenheit zu practischer Hebung bei Lei¬
tung der Geburten und bei Besorgung und Pflege der Wöchnerin¬
nen und derNeugebornen zu bieten. Die Verordnung für den Unterricht
sowie die Pflichtordnung für die Hebammen ist daher einer Revision dringend bedürftig
geworden.
4. Das in den letzten Jahren häufigere Wiedererscheinen der Pockenkrankheit
beweist ebenso die Dringlichkeit einer Revision der Verordnung
ü b e r d i e S c h u t z p o c k e n i m p f u n g und der Maaseregeln gegen die
Mengchenpocken. — Dahin gehört insbesondere die amtliche Sorge für Beschaffung
eines vollkräftigen Impfstoffes und die Aufsicht über richtige und vollkommene Durch¬
führung der Impfung, sowie die Anordnung einer obligatorischen Wiederimpfung, welche
nach unzweideutigen Erfahrungen im zwölften bis fünfzehnten Altersjahre sowie im mili¬
tärpflichtigen Alter als zweckmässig und nothwendig sich erweist.
6) Einer völligen Umarbeitung aber bedürfen vor Allem die gesetzlichen Bestimmun¬
gen über die öffentliche Gesundheitspflege. Dieser Revision rufen gebie¬
terisch theils die grossartigen Entwickelungen auf dem socialen Gebiet der Industrie, der
Fabrik Verhältnisse etc., theils die Zunahme der Bevölkerung in einzelnen Centralpuncten
und die dadurch veranlassten sanitarischen Uebelstände, während die grossen Fortschritte
der Naturwissenschaften, vor Allem aber die der Erforschung der Krankheitsursachen sich
mit einer gewissen Vorliebe zuwendende medicinische Wissenschaft, der Mittel immer
mehr zu bieten versprechen, um den nachtheiligen und gesundheitsschädlichen Einflüssen
jener socialen Erscheinungen vorzubeugen und abzuhelfen.
Damit aber die öffentliche Gesundheitspflege wirksam in’s Leben treten könne, ist
es nothwendig, die Cantonsbürger von der Nützlichkeit derselben für das Gesundheits¬
wohl des Volkes zu überzeugen und dadurch ihre Mithülfe zu gewinnen. Die ärztliche
Gesellschaft hält es daher für zweckdienlich, ja nothwendig, dass in jeder Gemeinde des
Cantons ein Organ für Gesundheitspflege , eine Gemeinde-Gesundheitscom¬
mission geschaffen werde. — Diese muss mit der Medicinaldirectiou und dem Sani-
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tätsrath als der cantonalen Oberbehörde in Verbindung stehen , von welcher die oberste
Leitung, Beaufsichtigung und Beihülfe ausgehen. Einem Mitgliede des Sanitätsrathes,
das den Namen Cantonsarzt erhält, sollte aber die specielle Aufgabe der öffent¬
lichen Gesundheitspflege übertragen werden. An ihn haben die Gemeindecommissionen
ihre sanitarischen Berichte und Anfragen unmittelbar zu richten und von demselben
gehen die Anordnungen betreffend die öffentliche Gesundheitspflege im Namen der can¬
tonalen Behörde aus. Die Bezirksärzte, sowie die Gemeindeärzte, wo das Bedürfniss
ihre Creirung erheischt, würden mit Bezug auf öffentliche Gesundheitspflege ebenfalls mit
dem Cantonsarzte in immittelbarer Verbindung stehen.
Schon sind uns mehrere Cantone der Schweiz, namentlich St. Gallen, Neuenburg,
Luzern und Basel in dieser Hinsicht vorangegangen, und so will denn die ärztliche Ge¬
sellschaft nicht versäumen, die von ihr geprüften Postulate der zu diesem Ende hin von
dem Cantonsrathe niedergesetzten Commission vorzulegen und dieselbe zu ersuchen, bei
ihren Berathungen die Postulate der Aerzte in Berücksichtigung zu ziehen. Wir erlauben
uns zugleich noch die Bemerkung beizufügen, dass, wenn wir auch anerkennen, dass der
vorliegende regierungsräthliche Gesetzesentwurf, betreffend die öffentliche Gesundheits¬
pflege, das Bestreben kundgibt, dem dringendsten Bedürfniss der Medicinalgesetzgebung
abzuhelfen, dennoch die darin enthaltenen Bestimmungen erst dann zu
völliger Wirksamkeit gelangen können, wenn dieser Einen
B r a n c h e d e s c a n t o n al e n S a n i t ä t s w e s e n s eine Revision des Me-
d i ci n a 1 g e s e t z e s i n seinem ganzen Umfange unmittelbar folgen
wird.
Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer aus¬
gezeichneten Hochachtung,
Im Namen der ärztlichen Cantonalgesellschaft:
Der Präsident: Für denselben der Referent: Dr. Meyer-Hoffmeister.
Der Actuar: Dr. Wilh. v. Muralt.
Zürich, den 31. März 1876.
Postulate der ärztlichen Gesellschäft des Cantons Zürich
betreffend die Revision des Sanitätswesens mit Einschluss der Organi¬
sation der öffentlichen Gesundheitspflege.
A. Betreffend öffentliche Gesundheitspflege und Sanitätspolizei.
1—5 vide Project A, pag. 264.
B. Betreffend Organisation der Sanitätsbehörden und Beamten.
1. Für den Geschäftskreis der öffentlichen Gesundheitspflege wird dem Director des
Sanitätswesens ein ärztlicher Referent beigegeben, der den Titel Cantonsarzt führt und als
solcher Mitglied des Sanitätsrathes ist
Der Cantonsarzt ist Referent über alle an die Sanitätsdirection eingehenden Berichte
der Statthalterämter, der Bezirks- und Sanitätsärzte und der Gemeinde-Sanitätscommissio¬
nen, soweit dieselben die öffentliche Hygieine betreffen, er begutachtet dieselben und stellt
darauf bezügliche Anträge an den Sanitätsdirector und den Sanitätsrath. — Er erledigt
die ihm vom Sanitätsdirector im Bereiche der öffentlichen Gesundheitspflege überlassenen
oder überwiesenen Geschäfte und hat namentlich die Aufsicht über die Thätigkeit der
Bezirks- und Gemeinde-Sanitätsärzte sowie der Gemeinde-Gesundheitscommissionen.
Der Cantonsarzt erhält eine jährliche Besoldung, sowie Entschädigung für Reise¬
auslagen.
Sehr wünschenswerth wäre es, dass der Secretär des Sanitätsrathes dem Stande der
Aerzte angehören würde.
2. Dem Director und Sanitätsrath fällt die Leitung der Thätigkeit der Gemeinde-
Gesundheitscommissionen zu. Dieselben stehen zunächst in Verbindung mit dem Cantons¬
arzte, dem sie jederzeit Uber gesundheitliche Verhältnisse der Gemeinde Aufschluss zu
ertheilen verpflichtet sind. Ausserdem haben dieselben alljährlich Bericht über ihre Thä¬
tigkeit an die Sanitätsdirection zu ertheilen.
3. Jede Gemeinde bestellt eine Gesundheitscommission, die vom Präsidenten des Ge-
meinderathes oder von demjenigen Mitgliede desselben, welchem die Besorgung der Orta-
polizei zufällt, präsidirt wird. Wo es die Ortsinteressen erfordern, können sich auch
mehrere Gemeinden auf eine gemeinsame Gesundheitscommission vereinigen.
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4. Die Bezirksärzte und ihre Adjuncten stehen als Aufseher und Pfleger des öffent¬
lichen Gesundheitswesens ihres Bezirkes zunächst mit dem Cantonsarzte in Verbindung
und erstatten demselben zu Händen der Sanitätsdirection Bericht über beobachtete ge¬
sundheitsschädliche Verhältnisse in ihrem Bezirke, sowie über die von den Gemeinde¬
commissionen zur Beseitigung derselben getroffenen Maassnahmen.
In grössern Gemeinden oder wo die Verhältnisse derselben dem Bezirksarzte die Er¬
füllung seiner Aufgabe als Sanitätsarzt nicht ermöglichen, ist es wQnschbar, dass die Ge¬
meinde einen ärztlichen Referenten, Gemeinde- oder Stadtarzt bestelle, der alsdann an des
erstem 8telle in unmittelbaren Verkehr mit dem Cantonsarzt tritt, und in der Gemeinde-
Sanitätscommission die Stelle des ärztlichen Referenten übernimmt.
5. Zur Besorgung derjenigen chemisch-technischen Verrichtungen, welche ihnen von
der Sanitätsdirection, beziehungsweise dem Sanitätarathe zugewiesen werden, oder für
welche dieselben von den localen Gesundheitscommissionen in Anspruch genommen werden,
bestellt der Staat die nöthigen amtlichen Chemiker.
6. Die Stellung der Bezirksärzte und Adjuncten als Gerichtsärzte bleibt die bisherige.
Nur ist zu wünschen, dass mit Rücksicht auf die denselben in höherem Grad zukommen¬
den hygieinischen Aufgaben die Untersuchung und Begutachtung der grossen Zahl von
leichtern körperlichen Verletzungen ihnen soweit abgenommen werde, dass für solche Fälle
die Zeugnisse und Gutachten eines patentirten Arztes von den Statthalterämtern als ge¬
nügend anerkannt werden, insofern nicht die eine oder andere Partei oder das Gericht selbst
ausdrücklich das Gutachten des Bezirksarztes verlangen sollten.
Eine Erhöhung der fixen Besoldung der Bezirksärzte ist dringend wünschbar.
C. Betreffend die Ausübung der Heilkunde.
1. Als Arzt wird nur derjenige vom Staate anerkannt, welcher der Sanitätsdirection
das Concordatediplom als Befähigungsausweis vorgelegt hat.
Die gegenwärtig noch gebräuchliche Gelobungsformel für die Aerzte ist abzu-
Bchaffen.
2. Niemand anders darf sich den Titel eines Arztes oder einen ähnlichen Titel,
welcher geeignet wäre, das Publicum glauben zu machen, dass er die nöthigen theoreti¬
schen und practischen Kenntnisse besitze und als solcher vom Staate anerkannt sei,
beilegen.
Ein einfacher Ehrentitel genügt nicht zur staatlichen Anerkennung, noch um sich
öffentlich als Arzt auszuschreiben.
Die Namen der neu patentirten Aerzte sollen jeweilen im amtlichen Publicationsorgan
veröffentlicht werden.
3. Nur der Arzt ist befugt:
a) Zeugnisse und Gutachten auszustellen, welche auf officielle Gültigkeit Anspruch
machen;
b) an Krankenanstalten, Waisenhäusern, Gefängnissen und andern öffentlichen An¬
stalten zu ärztlichen Functionen angestellt zu werden;
c) irgend welche öffentliche Functionen, die seinen Beruf beschlagen, im Gemeinde¬
oder Staats wesen zu verrichten.
4. Dem Arzte kann das Patent nur durch gerichtliches Urtheil, sei es für immer, sei
es für eine gewisse Zeit, entzogen werden.
6. Die Ankündigung von Geheimmitteln, für welche nicht vorher von einem staat¬
lich bestellten Chemiker ein Zeugniss ihrer Unschädlichkeit erwirkt ist, ist untersagt.
Die übrigen Tractanden werden auf Antrag von Zweifel verschoben und nur
noch die Aufnahmsgesuche der Herren DDr. Grimm in Wollishofen, Heinr. Ziegler
in Winterthur, Brunner in Winterthur behandelt. Sie werden einstimmig aufge¬
nommen und vom Präsidenten begriisst.
Rahn-Etcher möchte den Wunsch aussprechen, dass man die Herbstsitzung wie¬
der einmal auf dem Land abbielte.
Dr. Brunner schlägt Meilen vor und es wird dies angenommen.
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292
Nachher findet kein Bankett, sondern ein freies, aber nichtsdestoweniger ge-
müthliches Zusammensein auf der Meise statt.*)
Referate und Kritiken.
Die künstliche Ernährung des Kindes im ersten Lebensjahr.
Von Dr. Riefenstahl, Elberfeld, Comm.-Verlag von Hering, 1870.
Die grosse Zahl der jährlich erscheinenden, bald mehr populär, bald strenger wissen¬
schaftlich gehaltenen Abhandlungen Uber die erste Kindernahrung gibt uns wohl den
besten Beweis dafür, dass diese Frage in allen ihren Einzelnheiten noch lange nicht zu¬
treffend gelöst ist. Am wenigsten tragen hierzu jene Schriften bei, welche von einseiti¬
gem, meist materiell dabei interessirtem Standpunkte aus, bald dieses, bald jenes soge¬
nannte Surrogat der Muttermilch als Panacee der künstlichen AuffUtterung des Kindes
preisen. Welchen Schaden bringt nicht nach dieser Richtung die allzu frühe und reich¬
liche Darreichung der wie Pilze äua dem Boden schiessenden Kindermehle, der mit den
mannigfachsten Zusätzen versehenen Milchpulver!
Der Verfasser der kleinen hier angekündigten Schrift gehört nipht zu der Schaar
dieser Kinder-Ernährungs-Commis voyageurs. Es ist ihm warm und aufrichtig daran
gelegen, durch unparteiische wissenschaftliche Prüfung der zu allen Zeiten anerkannten
Vorzüge der natürlichen Ernährung des Kindes durch Mutter- oder Ammenmilch,
dem Volke die Methode an die Hand zu geben, seine Kinder unter gegebenen Umständen
zweckentsprechend künstlich aufzuziehen. Nur wo Mutter- oder Ammenmilch nicht
dargereicht werden können, soll zur künstlichen Ernährungsweise gegriffen werden.
Das Verfahren, welches Dr. Riefenstahl für die künstliche Kinderernährung empfiehlt,
besteht im Wesentlichen darin: dass Morgens und Abends die frisch gemolkene, durch
ein Drahtsieb gelassene Kuhmilch, nach Zusatz der für die Altersstufe erforderlichen
Menge gekochten Wassers, ferner nach Beimengung von Milchzucker (20 gmm. auf 1
Liter dieses Gemisches) und doppelt aohlcnsaurem Natron (0,5 gmm. auf 1 Liter) mit
Arrowroot (2 Theelöffel auf 1 Liter) sorgfältig gekocht werden. Siedend heiss wird das
betreffende Quantum dieses Getränkes in die bereit stehenden Portionsflaschen gegossen.
Dieselben sollen hierauf durch luftdicht eingeschliffene Glasstöpsel verschlossen und in
einem mit Filz abgeschlagenen, mit besonderen Fächern versehenen Warmhaltkasten bis
zum jedesmaligen Gebrauche aufbewahrt werden. (Vergl. p. 36 u. ff. deB Schriftchens.)
Dass dieses, für die künstliche Ernährung auch der Grossstadt-Kinder entsprechend
modificirte Verfahren (p. 58 u. ff.) manchen Nachtheilen der gewöhnlich üblichen Milch-
darrcichung vorbeugt, leuchtet von selbst ein. Einer allgemeineren Anwendung desselben
steht jedoch, für die Arbeiter- und Armenbevölkerung, die immerhin kostbare Beschaffung
des hiefür nothweudigen Apparates (Glasflaschen, Wärmekasten u. s. w.) im Wege. Vom
wissenschaftlichen Standpunkte aus erscheint die frühe Arrowroot-Beimischung für die
erste Ernährung des Säuglinges nicht gerechtfertigt, ergeben doch die hier einschla¬
genden Untersuchungen von Zweifel , Korowin u. A.,**) dass während der ersten Lebenswochen
das Secret der Mund-Speicheldrüsen und ebenso des Pancreas, noch nicht die Eigenschaft
besitzt, Stärkemehl in Dextrin überzufUhren, somit eine regelmässige und zunehmende Ver¬
dauung der Farinosen (Amylacea) zu dieser Zeit überhaupt noch nicht möglich ist.
Die dem Schriftchen beigegebenen allgemeinen diätetischen Rathschläge für die erste
Kindererziehung sind practisch empfehlenswerth, und gibt überhaupt das kleine Bttchel-
chen in seiner anspruchslosen Form sowohl dem practischen Arzte als der sorgenden
Mutter manchen werthvollen Rath. D.
*) Was den Erfolg der mitgetheilten Petitionen anbetrifft, so hat uns eine kundige Feder die
Aussicht eröffnet, uns darüber im Zusammenhänge mit den Übrigen sanitarischen Vorgängen und spe-
oiell den Errungenschaften auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege im Canton Zürich bal¬
digst eingehenden Bericht zu erstatten. Wir wissen, dass wir damit unsern Collegen eine willkommene
Gabe von wesentlichem Interesse bieten werden. Die Redact.
**) Vergl. Demme, Jahresbericht des Berner Klnderspitales pro 1874.
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293
Kantonal© Correspondenzen.
AJMTgail. Bad Schinznach. Es sind in letzter Zeit von verschiedenen Aerz-
ten, welche Kranke nach Schinznach zu senden pflegen, confidentielle Anfragen Ober das
Bad und seine Einrichtungen an mich ergangen. Da Aufklärung auch andern Collegen
erwttnscht sein dürfte, so erlaube ich mir, mit nachstehenden Thatsachen in unserem
Correspondenzblatte zu antworten:
1. Seit 40 Jahren wurden an der Quelle keinerlei bauliche Veränderungen vorge¬
nommen.
2. Von jeher setzte sich in derselben ein flockiges Depot ob.
8. Quelle und Trinkbrunnen stehen ausser aller Berührung mit Eisen.
4. Zu den Bädern führen eiserne Leitungen. Dieselben wurden anno 1826 von einer
technischen Commission als zweckmässig erklärt und sodann grösstentheils, anno 1872
ausschliesslich eingeführt.
5. Diese Leitungen werden inwendig nicht angegriffen, sondern mit erdiger Masse
incrustirt
6. Bei umsichtiger Bereitung haben die Bäder gegenwärtig vollkommen dieselbe Ei¬
genschaft wie früher
7. Die Armenbäder erhalten ihr Mineralwasser, erwärmt und geleitet, wie die übrigen
Bäder.
8. Es ist in der Heilwirkung des Mineralwassers, weder von Dr. Zurkowski noch von
dem Unterzeichneten, irgend welche Abweichung beobachtet worden.
Wildegg, den 26. April 1877. Dr. C. Amsler.
Basel. Zuverlässigkeit (?) gewisser Impfstatistiken. Zur Porträ-
tirung des Gewährsmannes, dessen Statistiken von Herrn Prof. A. Vogl*) als vollstän¬
dig zuverlässige Documente hingestellt werden, nachdem alle möglichen anderen
Statistiken den Fusstritt erhalten haben, möge folgendes Votum dienen, das Dr. Zinn bei
Anlass der Debatte über das Iropfgesetz im Reichstag im Jahre 1874 abgegeben hat:
„Ee liegt von dem Chefarzt der Österreich. Staats-Eisenbahnen Dr. Keller eine Bro-
chure vor, die Bich über eine kleine Zahl von Fällen verbreitet und auf Grund dieser Zahl
beweisen will, dass die Impfung nichts nütze, vielleicht auch nichts schade. Diese Sta¬
tistik bekümmert sich nur um die Familien der Beamten der österreichischen Staatseisen-
bahnen, nimmt aber keine Notiz von der dazu gehörigen Bevölkerung. Aber, und das
ist vielleicht dem Herrn Abgeordneten für Crefeld (Reichensperger) nicht bekannt, es
gehört der Verfasser dieser Brochure zu Denen, die auch die Existenz der Hundswuth
und der Syphilis leugnen. Er unterscheidet sich dadurch wesentlich von seinen anderen
Freunden, welche die Syphilis als Folge der Impfung betrachten. Die 8yphilis ist nach
demselben weiter nichts als ein Mercurialismus, eine Quecksilberkrankheit. Und welches
Vertrauen diese Angaben verdienen, werden Sie aus folgender Thatsache erfahren, die
ich ungerne hier anführe, die ich aber anführen muss, nachdem man sich einmal hier auf
diese Autorität berufen hat Ich sagte, dieser Chefarzt der österreichischen Staatseisen-
bahnen leugnet die Existenz der Syphilis, er erklärt, sie ist eine Folge von Quecksilber¬
gebrauch. Er hat vor einigen Jahren eine Brochure veröffentlicht, in der er angibt, er
habe verschiedene Spiegelfabriken io Böhmen besucht und er berichtet nun bis in’s Ein¬
zelne hinein über die verschiedenen Symptome, die er bei der dortigen Bevölkerung ge¬
funden hat, Symptome, die in der That vollkommen identisch mit den in Folge der Sy¬
philis auftretenden sind. Nun die Medicin ist nicht so leichtgläubig, sie nimmt keine An¬
gabe uncontrolirt hin, und so fand sich ein äusserst gewissenhafter Beobachter nnd For¬
scher, Prof. Bdumler in Erlangen. — Dieser reiste in jene entlegenen, dem Verkehre ent¬
zogenen Gegenden hin, um die Angaben des ersten Forschers zu controliren, und fand,
dass diese Angaben beinahe ohne Ausnahme in unverantwortlicher Weise theils ober¬
flächlich, theils unrichtig waren; er fand, dass nicht einmal die Ortsnamen und die Ent¬
fernungen der Orte, von denen der Chefarzt angibt, dass er sie besucht habe, richtig an¬
gegeben sind.“
Um unserer Sache sicher zu sein und nicht etwa unexact Berichtetes hier wieder
*) In seinem Artikel über die Züricher Pocken- und Impfstatistik. (S. 8. 260.)
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294
zu geben, haben wir uns an Herrn Prof. Bdumler , jetzt in Freiburg i. B., gewandt mit
der Bitte um Auskunft. Derselbe antwortet uns: „Die Sache verhält sich so, wie Dr. Zinn
angegeben hat, nur mit dem Unterschied, dass ich jene Reise nicht als Professor in Er¬
langen, sondern als Assistenzarzt an der dortigen Poliklinik in den Osterferien 1861 auf
Veranlassung meines damaligen Chefs, Prof. Ktissmaul, gemacht habe. Mein Bericht ist
in KussmauC s Buch: Untersuchungen Uber den constitutionellen Mercurialismus, Würzburg
1861, S. 128 abgedruckV“ — Der Brief enthält ausserdem eine sehr wenig schmeichelhafte
Schilderung dieser von Vogt so hochgeschätzten statistischen Autorität; wir enthalten uns
bis auf Weiteres näherer Mittheilungen, da wir die specielle Erlaubniss zur Veröffentli¬
chung des Briefes beim Herrn Verfasser noch nicht eingeholt haben.
Da aber nach unserer Ansicht gerade in der Statistik der Werth einer Arbeit steigt
und fällt mit dem Werth des Verfassers einer solchen, hielten wir diese Mittheilung für
passend. Hagenbach.
Genf. Als Nachtrag zu dem Bericht in Nr. 7 und 8 d. Bl. sei Ihrem Ref. erlaubt,
in Kürze der Bestimmungen zu erwähnen, von welchen die Immatriculation an unserer
medicini8chon Facultät gegenwärtig abhängt. Ref. wurde von competenter Seite mit Recht
aufmerksam gemacht, dass in Folge dieser Bestimmungen die Zahlenverhältnisse der Fre¬
quenz (Studenten und Hörer) sich anders gestalten müssen als an anderen, speciell als
an den 8 deutsch-schweizerischen Facultäten.
Als Bedingung zur Immatriculation verlangt nämlich das Regulativ der Facultd de
Mddecine den Nachweis entweder abBolvirter Gymnasialstudien (Abgangs-Zeugniss, Bacca-
laurdat-ds-lettres) oder bestandener Prüfungen in den exacten und Naturwissenschaften
(Baccalaurdat-ds-sciences, zweijähriges 8tudium und Examina an der philosophischen Fa¬
cultät), oder endlich vorangegangene Immatriculation und einjähriges Studium an einer
anderen mediciniBchen Schule. Wer nicht die eine oder andere dieser Bedingungen er¬
füllt, kann weder als dtudiant regulier aufgenommen noch zu den medicinischen Prüfun¬
gen zugelassen werden und figurirt nothwendig unter der Rubrik der Hörer (assistants),
auch wenn er noch so viele Vorlesungen belegte. Unter den im vorigen Semester offi-
ciell angegebenen 46 Hörern (nicht 76, wie mich ein Druckfehler sagen liess) befinden
sich daher eine Anzahl Mediciner, die an jeder anderen Universität in Deutschland und
der Schweiz zu den Studirenden zählen würden, zum Theil auch bereits ein Semester an
einer andern medicinischen Facultät immatriculirt waren. Daher der scheinbare Wider¬
spruch zwischen der vom Ref. angegebenen Zahl 47 (regelmässig Studirender) und der
Zahl 70 in der Frequenztabelle des Corresp.-Bl. (vide Nr. 2, wo auch ein Druckfehler,
76 statt 70, sich eingeschlichen). Die Rubricirung in Etudiants und Assistants blieb bei
letzterer Zahl weg, weil es sich um den Vergleich mit den drei anderen schweizerischen
Facultäten handelte, an denen die Immatriculation nicht durch so strenge Bestimmungen
geregelt ist Hoffen wir, dass auch hierin bald Einigung der Grundsätze und Regiemente
zwischen allen unseren Hochschulen erzielt werden wird.
Ref. benutzt diese Gelegenheit zu einigen Ergänzungen und Berichtigungen. Ausser
dem Bohon seit langer Zeit bestehenden Lehrstuhl für gerichtliche Medicin an der juri¬
stischen Medicin trat an der medicinischen Facultät auch ein solcher in’s Leben. Die
entgegengesetzte irrige Angabe in Nr. 7 des Corresp.-Bl. rührte daher, dass im Winter¬
semester noch dieses Fach nur für Juristen gelesen wurde.
Als Ref. seinen Bericht über die Genfer Facultät schrieb (im Februar) , war die
Matemitd (Gebäranstalt mit Klinik) erst vor Kurzem eröffnet. Die neue Anstalt hat seit¬
dem ihre Proben abgelegt, die Zahl der Geburten ist seit der Eröffnung stets in erfreu¬
lichem Wachsthum begriffen, und voraussichtlich wird auch diese neue Schöpfung den
anderen im Cantonsspital eingerichteten Kliniken an Lehrmaterial und Studentenfrequenz
nicht nachstehen.
Die Zahl der Privat-Docenten der medicinischen Facultät beträgt in diesem Semester
bereits 9, von denen 2 Gynäcologie, 2 Geburtskunde, 1 Balneotherapie, 1 Zahnheilkunde,
1 Pathologie der Harnorgane und 2 Ophthalmologie dociren, letztere mit Verwendung des
Materials je einer Augenheilanstalt (des schön eingerichteten Rothschild?sehen Hospitals und
einer Privatklinik).
In Betreff der academischen Feierlichkeit zur Einweihung der medicinischen Facultät
am 26. October muss Ref. nach näherer Erkundigung nachtragen, dass dieses schöne Fest
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nur sehr kurze Zeit vorher beschlossen und die Einladungen an die verschiedenen schwei¬
zer Hochschulen sofort von der Unterrichtsdirection verschickt worden siod, letztere also
kein Vorwurf trifft, wenn die entfernteren Universitäten der deutschen Schweiz keine De-
legirten mehr senden konnten.
Zu den in Nr. 8 d. BL angeführten Leistlingen unseres kleinen CantonB für den hö¬
heren Unterricht kommt nun noch der vor Kurzem beschlossene Bau eines chemischen
Universitäts-Laboratoriums, für welches der Grosse Rath einen Credit von nahezu einer
Million Francs bewilligt hat
27. April. G. H.
Schwyz. G e r 8 a u H. Wir haben den Frühling gesehen und haben die Blumen
gegrüsst, doch bald hat ein eisiges Wehen die Luftcuranten geküsst. Eb hat geschneit,
wirklich und wahrhaftig, so dasö wir über die Heizbarkeit unserer Zimmer froh sind und
uns in den warmen Räumen Uber die Launenhaftigkeit des April trösten, id est über die
Eventualität freuen, am nächsten Morgen möglicherweise von der lachenden Frühlingssonne
geweckt werden zu können.
Einstweilen zeigt es sich so recht wörtlich, wie sehr in solchen Lagen solamen
miseris, socios habere malorum. Man kann doch die verschiedenen Salons heizen lassen
und seine alten Domino-, Nünistei- und andern schönen Künste wieder auffrischen. Wenn
dann gar ein Fräulein da ist, das geigt, eines das Klavier spielt und eines das singt —
dann wird es den witzigen Herren leichter, sich nicht durch die Langeweile zu unvor¬
sichtigen Schädlichkeiten (Ausgehen bei schlechtem Wetter, Tabakrauch, zu frequenten
Bacchushuldigungen) verleiten zu lassen. Für Frühlingscuren ist also, wie ich in der
letzten Correspondenz schon hervorhob, der grossen Mehrzahl der Reconvalescenten, über¬
haupt den Erholungsbedürftigen jeder Art Gesellschaft nothwendig. Nur darf der Haus¬
arzt nicht versäumen, seinem Patienten exacte Vorschriften über den modus in rebus
mitzugeben und auch auf deren Halten zu dringen.
In einem grössern Etablissement ist es möglich, gut abzuschliessende Corridore und
Vorhallen (beim Föhn für Alle, bei Regen als Spielplatz für die Kinder), separirte Salons
für die Raucher und 8olche, welchen das Einathmen des Tabakrauches nicht schadet,
8piel- und Conversationszimmer für Damen und Herren, welche reiner und warmer, aber
nicht mit Tabakrauch geschwängerter Luft bedürfen, einrichten zu lassen, Alles heizbar.
Der Arzt sollte nicht versäumen, seinen Patienten dringend auf alle diese „Kleinigkeiten“,
die der letztere so gerne vergisst, wenn er sich schon „fast ganz“ geheilt glaubt, auf¬
merksam zu machen. 8onst kann es kommen, wie ich es in einem der Nachbarorte bei
einem reconvaiescirenden Brustkranken sah: durch den Schneefall und den nachfolgenden
Regen in das Zimmer gebannt, blieb ihm, da er in dem grossen Etablissement noch ganz
allein wohnte, nur die überheizte, beständig mit ab- und zugehenden Passanten gefüllte und
mit den Düften der verschiedensten Stinkadores „ventilirten“ Gaststube übrig, wo er wenig¬
stens Unterhaltung fand, bis er Nachts bei einer äussern Temperatur von -f- 1 — 2° R. in
sein unheizbares Zimmer zurückkehrte, um sich darüber zu wundern, dass trotz seiner
Luftcur Dyspnoe und Husten Zunahmen und sogar das Seitenstechen wieder kam.
Natürlich muss der Curant auch wissen, wie weit die Unterhaltung (das viele Plau¬
dern , Schifflifahren etc.) gehen darf. Ob er es dann halten will — das ist seine
Sache.
So ist’s auch mit dem Schwitzen. Beim Publicum ist für jeden Husten das Schwitzen
probat, namentlich der Schweiss, der nicht im Bett erzwungen wird, obgleich der auch
vorzüglich den Unrath aus den Lungen durch die Poren der Haut ableitet, sondern quasi
spontan im Freien kommt Der Curant freut sich also, wenn er beim Gehen, beim Stei¬
gen schwitzt. Darüber sollten die Lungenkranken aufgeklärt sein, wie auch über die Be¬
schwerlichkeiten, welche zu enge Corsets, lange Schleppen, hohe und schmale Absätze
etc. etc. dem abgeschwächten Kranken und Reconvalescenten beim Spazieren bereiten.
Ausgeflogen sind wir nun, so lange das Wetter gut war, und haben dabei oft genug
constatirt, wie glücklich unser Gersau liegt. Es macht schliesslich bis zu einer gewissen
Grenze keinen grossen Unterschied , ob die äussere Luft 1—2 Grad wärmer oder kälter
sei; aber dass die kalten Winde uns möglichst verschonen, das ist viel werth. Der
Cargast mit empfindlicher Lunge hat sich in Acht zu nehmen, wenn er um diese Jahres¬
zeit im Vertrauen auf den Sonnenschein vom Ufer Gersau-Weggis zum prächtig gelege-
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nen ßeelisberg aufsteigt oder nach Schwyz wandert. Da bläst der Nordost viel empfind¬
licher.
Ich habe Versuche mit dem sogenannten unsichtbaren Respirator Bäschlin ’s gemacht:
es ist das eine der Configuration des Ober- und Unterkiefers angepasste Guttapercha-
platte, die nur den Namen eines Mundabschliessers verdient. Unter die Lippen gescho¬
ben, ist sie leicht zu entfernen, unsichtbar und ganz ohne Beschwerden zu tragen. Sie
hat nur den einen Vortheil, den Patienten zu zwingen, durch die Nase zu athmen und
im Gehen nicht zu sprechen. Das ist aber viel werth, da man sich so leicht vergisst,
unterwegs plaudert, beim Steigen, um rascher gehen zu können, den Mund öffnet, d. h.
sich erhitzt und dabei in vollem Strome kalte Luft den Lungen zufQhrt. Das kleine und
wohlfeile Instrument dürfte sich auch für Arbeiter, die Staubinhalationen ausgesetzt sind,
empfehlen. Dagegen glaube ich nicht, dass es gegen das Schnarchen im Schlafe könne
angewendet werden. Das Instrument würde allerdings dem gewünschten Zwecke, zu
dem es empfohlen wird, vollkommen genügen ; allein die Möglichkeit liegt nahe, dass es
bei weit geöffnetem Munde in den Rachen fällt.
Wie gross die Gefahr ist, bei plötzlich eingetretenen rauhen Tagen sich Recidive
seines Catarrhes zuzuziehen, sobald man zu weit in die entferntere Umgebung (Schwyz,
Flüelen etc.) vordringt, habe ich selbst erfahren. Eher geht eB noch nach Stans, dessen
mit so vieler Pietät angelegter und unterhaltener Kirchhof übrigens eine eigenthümliche
Mortalitätsstatistik aufweist. Es fällt nämlich sofort auf, wie ausserordentlich viele jün¬
gere Leute, oft aus derselben Familie, begraben liegen. Zuweilen sind es gut situirte,
angesehene Geschlechter, von welchen während relativ kurzer Zeit (einigen Jahren) meh¬
rere Individuen in noch jugendlichem Alter starben und überhaupt keines in’s Greisenalter
gelangte. Es wäre interessant, von einem Arzte Mittheilungen über die Ursache dieser
geringen Resistenzkraft zu erfahren, da ja hier die schädlichen Einflüsse einer Fabrik¬
industrie ganz ausser Betracht fallen.
Bemühend war es für mich (man entschuldige die Abschweifung), auf dem luxuriös
ausgestatteten Friedhofe einen abgeschiedenen, verwahrlosten Winkel zu finden, in welchem
die protestantischen Miteidgenossen ruhen. Kennt man den friedlichen und alles Religions¬
hasses baaren Verkehr zwischen Protestanten und Katholiken bei uns zu Hause, so wird
man durch die Entdeckung solch’ liebloser und unpatriotischer Unchristlichkeit schmerzlich
bewegt.
ln letzter Zeit hatten sich nach und nach auch die Stationen Hertenstein, Weggis
und Vitznau bevölkert Freund und College Dr. B. hat mit mir (ein „egales Paar“, un¬
gefähr wie weiland David und Goliath) die meisten Etablissements besucht und besich¬
tigt, vom prächtig gelegenen Hertenstein (Pension von Fr. 6 an) nach Weggis*), wo
College Dr. H. Dietrich-Schenk und sein Associö Herr Strässle soeben in der Nähe ihrer
rühmlichst bekannten Pension Belle-vue ein grösseres, in Anlage und Bau rationell und
comfortabel errichtetes Hötel vollenden (Fr. 7 und mehr) und dieses Jahr schon eröffnen
und noch ein zweiter College, Dr. Gehrig , eine stark frequentirte Pension (Fr. 5 und mehr)
hält Weggis ist ebenfalls gut vor Winden geschützt und trägt bekanntlich nicht ohne
Grund den Namen „Garten Luzerns“. An der landschaftlich wundervollen Strasse nach
Vitznau steht an schöner Lage die Lützelau (Fr. 6) mit hübschen Anlagen, aber etwas
kleinen Zimmern. Vitznau hat wieder eine ganze Reihe von Pensionen (Fr. 6*/j und
mehr), die auch ganz empfehlenswerth sind. Noch habe ich nachzuholen, dass im Hof
Gersau, dessen GäBte recht wohl zufrieden sind, Pension (Bedienung und Beleuchtung in¬
begriffen) von 4 Fr. an zu haben ist, was für unbemittelte Patienten wissenswerth sein
dürfte.
Zum Schlüsse möchte ich nochmals die climatischen Stationen Gersau, Vitznau, Weg¬
gis und Umgebung als Frühlings- und Herbstaufenthaltsorte empfehlen. Ich begreife
nicht, warum beispielsweise in letzter Zeit eine relativ so kleine Zahl Curanten aus Davos
an den Vierwaldstättersee, das Hauptcorps dagegen nach Baden-Baden und Badenweiler
gesandt wird. Die vielleicht nur zu üppigen gesellschaftlichen Vorzüge allein sollten doch
nicht entscheidend sein, und die Grossartigkeit und Lieblichkeit der Landschaft des Vier-
*) Vergleiche auch „klimatischer Lnftcurort Weggis am Vierwaldstättersee von H. Dietrich-
Bchenk u etc.
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waldstättersee’s darf als belebendes, psychotherapeutisches Agens nicht unterschätzt wer¬
den. Regenfrei ist ja keine Landschaft
Ala ich durch die fruchtbaren Gelände des Zugersee’s in die Ostschweiz fuhr und
den grossen Unterschied in der Vegetation sah, bedauerte ich, nicht eine grössere Zahl
von Heilungs- und Erholungsbedürftigen an den sonnigen Buchten des Vierwaldstättersee's
vor dem rauhen Hauche des Frühlingsnordostes geschützt zu wissen. Hoffen wir, dass
der Genfersee sich bessern Besuches erfreut, da ja für so Manchen die Alpen eine un¬
überwindliche Scheidewand bilden, die ihn von den linden Lüften und der warmen Sonne
des Südens trennt. A. B.
W ochenbericht.
Schweiz.
Die III. vereinigte Versammlung des ärztlichen Centralvereftns
und der Soei£t4 mädieale de la ünisse romande, findet Samstags den 19. Mai
in Bern statt Die Verhandlungen beginnen Morgens 10 Uhr im grossen Saale der
Einwohner-Töchterschule. Die Erwartung eines sehr zahlreichen Besuches
machte die Benutzung eines grösseren Versammlungslocales wünschenswerth. Ueber die
Tractanden siehe letzte Nummer.
Herr C. Walter-Biondetti aus Basel theilt unB mit, dass er eine Anzahl chirurgischer
Instrumente und Apparate, worunter diverse Novitäten, im Casino von Morgens 7 ] / s
Uhr an ausstellen wird. — Er ersucht diejenigen Herren Collegen, welche am Freitag
Abend oder Sonntag früh speciell Rücksprache mit ihm zu nehmen wünschen, es gefäl¬
ligst der Casino-Wirthin, Frau Böhler , anzuzeigen.
Ausland.
Antlseptizche Wundbehandlung. Das vornehmste und hervorragendste
Ergebniss des fünften Congresses der deutschen Chirurgen, ein Resultat von höchster
Bedeutung, ist, dass die antiseptische Methode fast einstimmig für geradezu obligatorisch
erklärt worden ist. Es ist dies einer der wichtigsten Fortschritte, den die Chirurgie
überhaupt gemacht hat
Deutschland. Dr. Leonhard Voigt , Oberimpfarzt der hamburger Impfanstalt,
gibt folgende Vorschriften Uber die Auswahl derAbimpflinge: 1) Der Abimpfling
darf nicht jünger als 6 Monate und nicht älter als 12 Jahre sein ; 2) er darf kein der
hereditären oder acquirirten Syphilis verdächtiges Symptom zeigen, er muss überhaupt
eine von Ausschlag und Geschwüren freie Haut haben und frei von Drüsenanschwellung
sein; 3) er muss gut genährt sein; 4) die Pusteln müssen gut entwickelt sein und dürfen
keinen eitrigen oder sanguinolenten Inhalt zeigen.
(Deutsche Viertelj. f. öffentl. Gesundheitspflege 76. 3. H.)
Wien. Netzhaut- und Gehirnpurpur. In der Wiener medicinischen Presse
macht Prof. E. v. Jäger darauf aufmerksam, dass er schon im Jahre 1866 und seither
wiederholt den in jüngster Zeit von verschiedenen Beiten her als eine neue Entdeckung
mitgetheilten Sehpurpur oder Purpur der Retina beschrieben ünd sowohl in normaler als
auch in pathologischer Richtung eingehend gewürdigt hat. v. Jäger sagt in der oben
citirten Mittheilung u. A.: „Die Imbibitionsröthe oder der Purpur der Netzbaut ist im
menschlichen Auge während des Lebens unter physiologischen wie pathologischen Ver¬
hältnissen in unterschiedlicher Intensität und Verbreitung wahrzunehmen. Dieselbe ist in
jedem gesunden und functionirenden Auge mittelst des Augenspiegels zu sehen.“ Bei
functioneller Unthätigkeit des Auges ist die Röthung schwach, bei angestrengter Arbeit
des Auges dagegen intensiv ; doch kommt es auch vor, dass bei gesunden, aber in der
Function eingestellten Augen die Röthung eine äusserst ausgesprochene ist; setzt man
ein solches Auge in anhaltende Function, so nimmt der Purpur progressiv ab. Diesen
scheinbaren Widerspruch erklärt v. Jäger so: „Es ergibt sich hieraus, dass der Blut-
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farbestoff beim Sehacte verwerthet wird, dass er zur Function des Auges nothwendig ist
Es ergibt sich aber auch ferner hieraus, dass die beträchtliche Anhäufung desselben in
dem functionsfähigen, aber nicht functionirenden Auge dadurch veranlasst ist, dass bei
quantitativ normaler oder selbst verminderter Aufnahme desselben in das Netzhautgewebe
immer noch weniger von demselben verbraucht, als aufgenommen wird: dass aber da¬
gegen die Anhäufung in dem angestrengt functionirenden Auge dadurch bedingt ist, dass
in Folge des gesteigerten Stoffwechsels trotz des erhöhten Verbrauches mehr Farbstoff
in das Gewebe Übertritt, als in demselben verbraucht wird.“
Diese parenchymatöse Netzhautröthung findet sich aber auch bei pathologischen Zu¬
ständen, namentlich des Gehirnes.
Wichtig ist ferner die C erebralröthung des Sehnerven. „Dieselbe ent¬
wickelt sich in den tieferen Schichten des intraoculären Sehnervenendes und manifestirt
sich durch eine zarte, gleichförmige Färbung sämmtlicher Gewebstheile des Sehnerven
bei Aufrechterhaltung der vollen Diaphanität und Beleuchtungsintensität desselben, woraus
ein eigenthümlicher, höchst characteristischer Gesammtausdruck resultirt“ Sie wird am
constantesten bei Individuen mit anstrengender geistiger Thätigkeit beobachtet, dann aber
auch bei Gehirnleiden mit vermehrtem Stoffwechsel: Gehirnreiz und Gehirnentzündung.
v. J. hält deshalb diese Ergebnisse der Untersuchung durch den Augenspiegel für ein
wichtiges diagnostisches HUlfsmittel im Initialstadium verschiedener Cerebralkrankheiten
und psychischer Leidenszustände.
Er glaubt, es sei der Blutfarbstoff, welcher die Röthe bedingt, indem er bei physio¬
logischen und pathologischen Vorgängen direct in das Gewebe Übertritt und dort ver¬
braucht wird.
Im Uebrigen weisen wir auf das Original und heben nur noch den Schlussatz her¬
vor, der betont, dass der Arzt „in den im Auge hervortretenden Erscheinungen nicht
blos den Ausdruck von Localleiden erkennt, sondern wenn der Augenarzt als Mediciner,
insbesondere aber, wenn der Mediciner selbst den Augenspiegel zur Hand nehmen und
im Auge jene Erscheinungen zu erfassen und zu würdigen bestrebt sein wird, welche
der örtliche Ausdruck der Ernährungsverhältnisse des Gesammtorganismus sind.“
Stand der Iufections-Krankheiten in Basel.
Vom 26. April bis 10. Mai 1877.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Die Zahl der neu angemeldeten Typhus fälle hat wieder abgenommen auf 16 (4,
30, 29), dieselben betreffen das Nordwestplateau 3 (2, 9), Birsigthal 4 (Ö, 7), Südostpla-
teau 0 (8, 7), Birsthal 0 (1, 0), Kleinbasel 7 (12, 6), 2 stammen von auswärts.
Scharlach dauert in gleicher Menge fort: 16 neue Fälle (24, 16), wovon 8 in
Kleinbasel, 4 auf dem Nordwestplateau.
Hals- und Rachenbräune 8 Fälle (5, 10), 5 im Birsigthal, 2 Nordwestplateau,
1 Birsthal.
Puerperalfieber 4 Fälle (2, 4, fi, 2).
Ery sipelas 4 Fälle; vereinzelte Fälle von Pertussis, Rubeolae und Va¬
ricellen.
Masern sind seit einem Monat nicht mehr angezeigt worden.
Bibliographisches.
54) Billroth, Handbuch der Frauenkrankheiten, unter Mitwirkung von Bandl (Wien), Billroth
(Wien), Breisky (Prag), Chrobak (Wien), Gusserow (Strassburg), Hildebrandt (Königs¬
berg), Mayrhofer (Wien), Olshausen (Halle), B. Schnitze (Jena), Winckel (Dresden). Mit
zahlreichen in den Text gedruckten Holzschnitten. (Erscheint in 10 Lieferungen.)
9. Abschnitt: Winckel, Die Krankheiten der weiblichen Harnröhre und Blase mit 69
Holzschnitten. Stuttgart, Verlag von F. Enke.
55) Stilling, Beiträge zur Lehre von den Farbenempfindungen, mit 6 Oeldrucktafeln. Stutt¬
gart, Verlag von F. Enke.
Digitized by LjOoq le
299
56) Rippmg , Die Geistesstörungen der Schwangeren, Wöchnerinnen und Säugenden, mo¬
nographisch bearbeitet. 140 Seiten. Stuttgart, Verlag von F. Enke.
67) Engesser, Daa Pancreas. Seine Bedeutung als Verdauungsorgan und seine Verwer-
thung als diätetisches Heilmittel. 64 S. Stuttgart, Verlag von F. Enke.
68) Rostoadoicski , Eine Studie über die Natur und das Wesen der Wassersucht und des
• Diabetes mellitus sowie deren Behandlung. 88 S. Wien, Verlag von C. Gräser.
69) Kölüker , Th ., Ueber die Behandlung der Syphilis mit subcutanen Calomelinjectionen.
82 S. (Sep.-Abdr.) Würzburg, Stahel’sche Buchh.
60) Schüller , Ueber die Localbehandlung des chronischen Blasencatarrhs, ein Beitrag zur
Chirurgie der Harnorgane. Mit 7 Holzschnitten. 52 Seiten. Berlin, Verlag von
G. Reimer.
61) Baud , Contrexöville, source du pavillon, goutte, graveile urinaire, graveile biliaire, ma-
ladies des voies urinaires, leur description, traitement et hygiöne. 416 pag. Paris,
chez Trinquesse.
62) Leboucq , Description anatomique d’un acardiaque humain (Paracdphalien Geoffr.) 26 p.
Gand, chez Vanderhmghen, imprimeur.
68) Emmert , Der Gesetzesentwurf betreffend Freizügigkeit der Medicinalpersonen in der
schweizerischen Eidgenossenschaft. 42 Seiten. Bern, Max Fiala's Buchhandl.
Briefkasten.
Herrn Prof. Wille, Basel, Prof. Quincke , Bern, Dr. Funkhäuser , Burgdorf, Dr. Courvoisier,
Riehen, Dr. Sury-Bienz, St Pinninsberg, Dr. Kottmann jun., Solothurn, Amsler, Schinznach: dankend
erhalten. — Herrn Dr. H—ff: War zu spät fOr die letzte Nummer. — Herrn Dr. Zuber: Erscheint in
nächster Nummer. — Herrn Dr. 8.: Die Bahn ist frei, lassen Sie Ihren Gefühlen freien Lauf! —
Herrn Dr. Brun: Besten Dank für das Uebersandte, will überlegen, was damit zu machen ist
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klinische Chirurgie.
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Dr. B. von Langenbock,
Geheimer Ofcer-Medicinal-Rath und Profeesor.
redigirt von
Dr. Blllroth, und Dr. Gnrlt,
Professor in Wien. Professor in Berlin.
XXI. Band. 1. Heft.
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302
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vergiftungen und besonders Mercurialleiden. — Badehäuser fUr alle Stände; Douchen,
Dampfbäder, Inhalationen, Molken. — Reizende Umgebung. — Oper und Coneerte. —
Versendung des Thermalwassers durch die städtische Brunnenverwaltung. Niederlage in allen
grösseren Städten. [H-41049]
Saxlehner’s Bitterquelle
Hunyadi Jänos.
Dieses natürliche Mineralwasser, durch Lieblg (1870) und Bunsen (1876) analysirt,
ist laut Gutachten der ersten ärztlichen Autoritäten das
vorzüglichste & wirksamste aller Bitterwasser,
ein schon bei kleinen Quantitäten sicher und schmerzlos wirkendes, eröffnendes Mittel,
milde im Geschmack und dem Magen unschädlich selbst bei fortgesetztem Gebrauche. Seit
Jahren bewährt als besonders wirksam:
bei habitueller Verstopfung und daraus sich entwickelnden Folgeübeln;
bei habituellen Congestionen nach dem Gehirne, den Lungen n. s. w.;
bei Blutstauungen in den Unterleibs-Organen, und den sogenannten Hämorrhoidalleiden;
bei Krankheiten der weiblichen Gesehlechts-Organe;
bei allgemeiner Fettleibigkeit wie bei fettiger Entartung des Herzens und der Leber;
die Übeln Folg en einer Ueberladung des Magens werden rasch behoben.
MT Niederlagen in allen Mineralwasser-Ddpöts.
Um nachtheilige Verwechslungen zu verhüten wird gebeten, ausdrücklich
„Hunyadi Jänos Bitterwasser“ oder einfach „Saxlehner 5 « Bitterwasser“ zu ver¬
langen.
Andreas Saxlehner, Budapest.
Eigenthümer der „Hunyadi Jänos-Bitterquelle.“
Hauptdäpöt bei £. Ramsperger, Basel.
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Blutegel-Colonie
Schönholzersweilen (Thurgau).
Der Ausfang aus den Teichen hat wieder be¬
gonnen. — Gesunde sauglustige und frische Waare
empfehlen wir bestens. [H-1198-Q]
Ein Gesundheitshaus
in wunderschöner Lage, vorzüglich für Nerven-
und Verdauungs-Leidende, ist für einen Arzt oder
Pensionshalter zu miethen oder zu kaufen und diess
zu ungewöhnlich billigen Bedingungen. Adresse
gibt me Expedition dieses Blattes. [H-1223-Q]
Sommerkuren in Brügg
(bei Biel),
Gasthof und Pension zur Brücke,
gehalten von
Heinrich Vienot-Thahnann,
Eigenthümer.
Pension Fr. 4 per Tag.
Dieses neu aufgebaute Hotel, hübsch und comfortabel eingerichtet, bietet sowohl
Aufenthaltern als Logirenden einen höchst angenehmen und freundlichen Aufenthaltsort.
Brögg, welches von Jahr zu Jahr im Zunehmen begriffen ist, liegt eine kleine
halbe Stunde von Biel entfernt, an der Landstrasse nach Büren, und findet die Eisen¬
bahnverbindung nach allen Richtungen statt.
Nahe am Bahnhof gelegen, ohne jedoch im Geringsten durch den eventuellen Lärm
des Verkehrs belästigt zu sein, liegt der Gasthof am linken Ufer der Ziehl, getrennt von
letzterer durch einen prachtvollen Garten, das „kleine Paradies“ genannt.
Kurze angenehme Spaziergänge in die Umgebung bieten dem Besucher den grössten
Genuss bezüglich Lage und Aussicht, und grossere Touren führen in die schönsten Gegen¬
den. Brügg ist ferner rühmlichst bekannt wegen seiner gesunden und hübschen Lage.
Uebrigens weist uns die Statistik im Verhältnisse die geringste Zahl von Sterblichkeit in
Brügg auf. Kranken, besonders innerlich Leidenden, ist jedenfalls ein längerer Aufenthalt
bestens zu empfehlen, und stehen auch sehr gute und als ausgezeichnet bekannte Aerzte
in nächster Nähe stets zur Verfügung. [H1441Q]
Musikalische Unterhaltung.
Auch alles Fernere, was zum angenehmen Aufenthalt dienen kann, weisen wir auf.
Herr Vienot-Thalmann wird es sich im übrigen stets angelegen sein lassen,
seinen Gönnern und Gästen einen bequemen und angenehmen Aufenthalt zu verschaffen,
und hat er Fürsorge getragen, dass für alle Eventualitäten promptestem und bestens ge¬
sorgt ist.
Herr Vienot empfiehlt somit sein neu gegründetes Pensionshaus, sowohl Einheimi¬
schen als Fremden, anfs Beste und wird sich Jeder überzeugen können, dass im Vor¬
liegenden nicht die geringste Uebertreibung liegt, im Gegentheil!
Ausflüge in die Umgebung: Nach Orpund', Gottstadt, Mett, Bözingen, Biel,
Nidau, Magglingen.
Aussichtspunkte: 10 Minuten obenher Brügg, von wo eine prachtvolle Aussicht
auf die Alpen des Oberlands, des Jura’s und der wunderschönen See- und Thalgegenden.
— Die Terrasse auf dem Hotel selbst, von wo in gemüthlicher Ruhe eine Aussicht sich
gemessen lässt, die gewiss Jeden, der sie geniesst, höchlichst entzückt.
Badekuren: Sool-, Gas- und andere warme Bäder im Hause, und in der Nähe
des berühmten Worbenbad. — Pferde und Fuhrwerke stets zur Verfügung.
Hotelpreise sehr gemässigt. Gute und reelle Bedienung. Garantirt gute Weine.
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r@i
304
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Station Thun. Berner Oberland.
Saison 15. Mai bis Ende September.
Es empfehlen sich bestens:
Kurarzt: Die Besitzer:
H. Schnyder, Gebrüder Hcvuser.
gew. Oberfeldarzt der eidg. Armee. [512Y]
Schweighauserische Buchdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
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CORRESPOITOMZ-BIATT
Am 1. und lö. jeden
Monats erscheint eine Nr.
I 1 /*—2 Bogen stark;
am Schluss des Jahrgangs
Titel o-Inhaltsverzeichniss.
für
schweizer Aerzte.
Herausgegeben von
Preis des Jahrgangs
Pr. 10. — für die Schweii}
der Inserate
25 Cts. die zweisp. Zeile.
Die Postbureaux nehmen
Bestellungen entgegen.
Br. Uh. Barekhardt-Klerlan and
Pitaidoewt ln BaseL
Dr. A. Baader
is Galterkindan.
N: 11. VII. Jahrg. 1877. 1. Juni.
Inhalt: 1) Originalarbeiten: Dr. C. Zeknder: Die zürcherische Pockenstatistik. — Dr. Istntchmid: Ueber die Beci-
dlre bei Bararührenstrictnr. — 2) Vereinsberichte: Oeeellschaft der Aente in Zürich. — 8) Referate nnd Kritiken:
Dr. Adolf Wert: Die Acicoltation der Arterien nnd Venen. — 4)Kantonale Correspondensen: Bern, Basel, St Gallen,
Zürich. — 5) Wochenbericht. — 8) Bibliographisches. — 7) Oeffentliche Correspondens: Aargan, Wallis. —
8) Briefkasten.
Origrta&l--Aj*t>eiten.
Die zürcherische Pockenstatistik.
Eine Antikritik von Dr. C. Zehnder in Zürich.
Der Canton Zürich muss den Impfgegnern oder Impfzwangsgegnern, da eie
sich doch lieber so nennen, schwer im Magen liegen. Schon im Jahr 1867 be¬
merkte Prof. Hammemih in einer Brochure gegen die Impfung:*)
„Im Canton Zürich ist die Kuhpockenimpfung ganz und gar durchgeführt. Da
jedoch die Pocken dennoch Vorkommen, sogar in den letzten Jahren an Häufigkeit
und Bösartigkeit zunehmen, so erklären dies die betreffenden ärztlichen Collegien
als Folge der Einschleppung der Pocken durch Handwerksburschen, Arbeiter,
Reisende etc., nnd die aufgeklärten betreffenden Behörden lassen sich von so
schlecht unterrichteten Menschen irre führen, unternehmen gegen arme Arbeiter,
Handwerksharsche, Reisende verschiedene Vexationen und lassen das Kuhpocken-
impfen weiter treiben.“ In der That wurden auch seit jener Zeit die „Vexatio-
nen“, wie Uammernik sie nennt, nicht unterlassen, wo immer man es nöthig fand,
die Bevölkerung vor Pockeninfection zu schützen, und ebenso dauert der Impf¬
zwang heute noch wie damals fort.
Dass er ein Recht hat fortzudauern, das sollten, so wollte es mir scheinen,
die Erfahrungen, die wir bezüglich Pockenverbreitung und Einfluss der Impfung
auf dieselbe in unserem Canton seit Jahrzehnten za machen Gelegenheit hatten
nnd die zu einem grossen Theile in der Brunner 'sehen Schrift •*) niedergelegt sind,
hinlänglich beweisen; ja ich wagte sogar in einem die bayrische Pockenstatistik
der Jahre 1871—1874 besprechenden Artikel in Nr. 3 unserer „Blätter für Gesund¬
heitspflege“ zu behaupten, dass für unseren Canton gerade zufolge jener Erfah-
•) „Contagiam, Epidemie und Vaccinatlon“. Prag 1867, pag. 24.
**) Die Pocken im Canton Zürich. Statistische and klinische Bearbeitung der Epidemie von
1370 —1872 von Dr. Ä. Brunner. Zürich 1878.
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21
808
rangen die Impffrage so ziemlich gelöst sein dürfte. Dieser Meinung ist nun aber
Herr Dr. Ad. Vogt , Professor der Hygieine in Bern, nicht nur nicht; er nimmt viel¬
mehr von jener Behauptung und von der im Weitern ausgesprochenen Vermuthung,
dass der von der bestellten schweizerischen Commission beschlossene Versuch, mit
Hülfe einer in unserem Vaterlande aufgenommenen Statistik der verschiedenen
Pockenepidemien die Impffrage selbstständig zu lösen, kaum lohnende Resultate
verspreche, Anlass, über Fanatismus und Vergewaltigung des Gegners sich zu be¬
klagen und mich als einen Derjenigen zu denunciren, die „die Impffrage wie ein
Mysterium in das Allerheiligste einschliessen und das Volk zum Knieen davor ein-
laden“ möchten. Dabei vergisst freilich Herr Prof. Vogt zu sagen , weshalb ich
jene Vermuthung äusserte. Ich hegte nämlich einige Zweifel, dass es mit dieser
Art von Statistik wie mit dem Sanitätswesen überhaupt in verschiedenen Cantonen
besser bestellt sei als bei uns, und dass Herrn Prof. Vogt die unsrige — aus leicht
begreiflichen Gründen — nicht behagt, darüber hat er sich deutlich genug ausge¬
sprochen.
Es ist nun freilich für den Schreiber dieser Zeilen, dem von vorneherein alle
Wissenschaftlichkeit abgesprochen wird, der in den Augen Vogl'a ja ohne Zweifel
zu Denjenigen gehört, die die statistische Methode „noch gar nicht recht zu hand¬
haben“ verstehen, ein gefährliches Unterfangen, einem Professor gegenüber zu
treten, der diese Methode seine Schüler ex cathedra zu lehren neuestens berufen
wurde: um so gefährlicher, als er sich in der That nicht einbildet, Statistiker zu
sein. Wenn er etwa Statistik getrieben, z. B. eine zürcherische Typhusepidemie
vom Jahre 1865 nach ihren ätiologischen Verhältnissen verfolgt und die Resultate
seiner Untersuchungen in Zahlen niedergelegt hat, wenn er Aehnliches bezüglich
der Choleraepidemie von 1867 anstrebte, so bildete er sich wohl etwa ein, im
Dienste der Wissenschaft zu stehen und etwas geleistet zu haben; allein zu solchen
statistischen Kreuz- und Quersprüngen, wie Herr Prof. Vogt sie vor den erstaunten
Augen der Leser dieses Blattes producirt, hatte er nie den Muth : ihm waren die
Zahlen selbst immer das Wichtigste, ihre Zuverlässigkeit zu prüfen Gewissens¬
sache ; sie hübsch zu gruppiren, ohne sich stark um ihren inneren Werth zu küm¬
mern, und dann Schlüsse von weittragendster Bedeutung daraus zu ziehen, um sie
allenfalls Collegen, die „erschreckend wenig denken“, als untrügliche Axiome vor
die Füsse zu werfen: „da habt Ihr sie 1“ — dazu hat er es allerdings nie gebracht
So gedenkt er denn auch jetzt, indem er es wagt, für die zürcherische Pocken¬
statistik , zu der er ein erhebliches Stück geliefert zu haben glaubt, und für die
Brunner' sehe Schrift eine Lanze zu brechen, vor Allem Thatsachen sprechen zu
lassen, Thatsachen, die zu prüfen einem Jeden heute noch möglich ist; das Uebrige
wird sich von selbst finden.
Glücklicherweise war ich nämlich als amtlicher Arzt in der Lage, ein ziemlich
reiches Material aus den Pockenepidemien, die ich im Bezirk Zürich selbst zu be¬
obachten Gelegenheit hatte, aufspeichern zu können, das nun heute geordnet vor
mir liegt. Bevor ich indessen näher darauf eintrete, sei es mir erlaubt, meine
schweizerischen Collegen etwas über die Art und Weise aufzuklären, wie man
bei Pockenerkrankungen nun seit Jahrzehnten — die bezügliche Verordnung datirt
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- 807 —
vom 5. Februar 1857 — im Cantou Zürich zu Werke geht: denn darin liegt im
Grunde der Prüfstein für den Werth und die Bedeutung der Zahlen, die ich brin¬
gen werde.
Pockenfälle müssen bei uns sofort angezeigt werden und zwar vom behandeln¬
den Arzte an den Bezirksarzt, von der betreffenden Familie an die Ortsvorsteher-
Bchaft; überdies sind die zahlreich auf dem Lande stationirten Polizeisoldaten an¬
gewiesen, von irgendwie verdächtigen Fällen, die ihnen zu Ohren kommen, dem
Statthalteramte Anzeige zu machen. Diese Anzeigepflicht wird verschärft und ihre
Nichtbeachtung bestraft, sobald Pocken irgendwo epidemisch herrschen. So kann
es denn allerdings Vorkommen, dass einzelne zerstreute, meist importirte Pocken-
fälle, zumal wenn sie leichterer Natur sind, und dann namentlich, wenn längere
Zeit keine Pockenfälle mehr vorkamen, der Aufmerksamkeit der Behörde entgehen,
sei es, dass der Arzt dieselben nicht erkennt oder dass sie nicht einmal ärztlich
behandelt werden. Allein wenn einmal eine Epidemie im Lande ist, dann ist eine
Verheimlichung fast unmöglich und Aerzte, Behörden, Hausbesitzer, Nachbarn, kurz
Alles reicht sich die Hände, um sich den gefährlichen Feind vom Leibe zu halten.
Es ist darum die Forsche Vermuthung, es könnte die Zahl der „Verheimlichten“
die Gesammtzahl der Pockenfälle in irgend erheblicher Weise alteriren, eine sehr
gewagte und wenn derselbe nun gar den Verdacht äussert, es könnte ja wohl eine
grössere Zahl von leichteren Fällen „vorwiegend aus dem ersten Altersjahre“ ver¬
heimlicht worden sein, so hat er wohl selbst selten Gelegenheit gehabt, solche
Fälle zu beobachten und sich zu überzeugen, dass ein pockenkrankes Kind dieses
Alters immer krank genug ist, um selbst den rohesten Eltern den Ruf nach ärzt¬
licher Hülfe nahe zu legen. Und überdies: was ist wohl mehr geeignet, den In-
fectionsatoff zu verbreiten und dadurch eine allfällig versuchte Verheimlichung an’s
Tageslicht zu bringen, als gerade die Wäsche dieser Kleinen, die selbst in der
weit weniger infectiösen Cholera eine so bedenkliche Rolle zu spielen pflegt?
Doch nun beginnt? die Aufgabe des amtlichen Arztes, der von jedem neu auf¬
tretenden Falle Kenntniss erhält und verpflichtet ist, an Ort und Stelle zu eilen
und das Nöthige gegen Weiter Verbreitung der Seuche anzuordnen. Er erkundigt
sich dabei nach dem Alter des Kranken, nach seiner Beschäftigung, ferner nach
dem Datum der Erkrankung, der Eruption, forscht nach der Art der Infection und
ist, wenn er sich etwas aufs Inquiriren versteht, dadurch gar oft in den Stand
gesetzt, allfälligen Verheimlichungen auf die Spur zu kommen. Hier kommt es
denn nicht selten vor, dass Indicien auf längst abgelaufene Fälle zurückführen, die
sich nachträglich als die, meist importirte, Quelle einer Localepidemie heraussteilen
und Licht auf die Verbreitung der Seuche von Generation zu Generation werfen.
Das Alles aber wird notirt, registrirt und der Direction des Sanitätswesens ge¬
meldet, die so ein jedenfalls ziemlich vollständiges Bild von der Epidemie erhält.
Es mag auffallen, dass hier von der Frage des Geimpft- oder Nichtgeimpft-
seins nicht die Rede ist, die doch bei der statistischen Behandlung der Pocken¬
epidemien fast überall eine so bedeutende Rolle spielt. Ich gebe zu, dass dies eine
wesentliche Lücke ist, die sich euerseits daraus erklären mag, dass sich in den
Sechzigerjahren wohl kaum erwarten Hess, es würde die Impffrage jemals wieder
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von wissenschaftlich gebildeten Aerzten aufgeworfen werden, anderseits — in spä¬
tem Epidemien — aus der an sicherer Quelle erlangten Gewissheit, dass nach
diesem Momente bei jedem Spitalgänger dort geforscht wurde. Die Ergebnisse
dieser Controle würden sich also allenfalls noch in den Krankenjournalen des Can-
tonsspitales finden lassen. Abgesehen davon aber verzichtete ich namentlich auch
deshalb auf eigene Erhebungen mit Rücksicht auf diese Frage, weil die Unter¬
suchung der zur Impfung gewöhnlich benützten Körperstelle bei einem Pocken¬
kranken lange nicht immer zum Ziele führt und wiederum die Erfahrung mich oft
genug gelehrt hat, auf blosse Versicherungen des Kranken so wenig als möglich
zu vertrauen. Auch dieses Moment will berücksichtigt werden, wenn es sich dämm
handelt, irgend eine Pockenstatistik, die Geimpfte und Ungeimpfte aus einander
hält, nach ihrem wahren Werthe zu beurtheilen.
Immerhin finde ich in meinen Tabellen eine ganze Reihe von Aufzeichnungen,
die sich auf diese Frage beziehen und die in eine kleine Arbeit über die Pocken¬
epidemie von 1865, welche auf meine Veranlassung 1867 als Dissertation in Bern
erschienen ist (von Dr. G. Seiler ), aufgenommen wurden. Beiläufig mag hieraus ent¬
nommen werden, dass unter 32 Pockenfällen 12 figurirten, bei denen eine Revac-
cination mit Erfolg notirt wurde, dann 14 ohne Erfolg Revaccinirte; bei 6 andern
blieb die Wirkung der Revaccination imbekannt. Die Erkrankungen der mit Er¬
folg Revaccinirten fielen indessen immer innerhalb die zwei ersten Wochen nach
der Revaccination, wo somit die Infection bereits stattgefunden hatte.
Jene statistischen Erhebungen nun des amtlichen Arztes sind allerdings eine
mühsame und zeitraubende Arbeit, allein zugleich eine lohnende; denn wenn ich
nun heute das nicht unansehnliche Heer von 739 Pockenkranken überblicke, die
ich in 4 grösseren und kleineren Epidemien der Jahre 1864—1865, 1868, 1870 bis
1871 und 1872 fast ausnahmsweise alle selbst gesehen, an deren Krankenbett ich
meine zahlreichen statistischen Notizen gesammelt habe, so ist mir doch ganz an¬
ders dabei zu Muthe, als wenn mir das Zehnfache dieser Zahl von irgend einem
fremden, mir unbekannten Collegen zur statistischen Verarbeitung geboten würde.
Hier sind es nicht mehr die Zahleinheiten allein, die zu grnppiren und zu ver¬
werten ich die Aufgabe haben soll; jede Zahl bedeutet vielmehr ein Individuum,
das ich kenne, das ich gesehen, in dessen Schicksal ich einzugreifen in der Lage
war, denn mit dieser Aufnahme statistischer Notizen ist die Aufgabe des amtlichen
Arztes noch keineswegs beendigt. Ihm liegt nun vor Allem zu entscheiden ob,
ob der Kranke in seiner Wohnung verbleiben darf, ob er darin hinlänglich abge¬
sondert werden kann, um Schutz vor Weiterverbreitung der Seuche zu gewähren,
oder ob er in’s Spital zu dislociren ist. Die grosse Zahl der Spitalgänger (circa
87% meiner Kranken) mag beweisen, dass der Bezirksarzt von Zürich es auch mit
dieser Aufgabe nicht leicht genommen hat, dass er eine gewisse Garantie ver¬
langte, bevor er sich entschloss, die Verpflegung bei Hause zu gestatten; allein
diese Zahl bürgt auch zugleich für die Richtigkeit der Diagnose bei denjenigen
Kranken, die in’s Spital, abgeliefert wurden. Es war ja keine Seltenheit, dass ihm
vom behandelnden Arzte Varicellen als Pocken verzeigt wurden; ebenso wander-
ten Typhen, Masern, Erysipele, Urticaria, ja selbst Eczeme, Acne, Scabies, Pso-
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309
riasis unter der Firma Variola oder Variolois an seine Adresse. Sie von den
wirklichen Pockenkranken auszuscheiden und nicht der Gefahr auszusetzen, im
Pockonspitale erst noch angesteckt zu werden, und ebenso als Masern, Syphiliden
lind namentlich als Varicellen behandelte Pocken dem Spitale zuzuweisen, das war
seine Sache; der strengsten wissenschaftlichen Controle musste er gewärtig sein.
Endlich fiel ihm auch die Aufgabe zu, die Umgebung des Erkrankten durch
sofortige Vaccination und Revaccination vor Ansteckung zu schützen. Im Canton
Zürich herrscht nicht nur Impfzwang, es herrscht auch Revaccinationszwang in
Pockenfällen für die Bewohner des Hauses, in dem die Erkrankung vorgekommen,
ja selbst für die nächste Umgebung des inficirten Hauses; und treten die Pocken
in einer Gemeinde zahlreicher auf, so ist die Sanitätsdirection befugt, eine allge¬
meine Revaccination sämmtlicher Bewohner derselben vom 12. bis zum 60. Jahre
anzuordnen. Es haben sich derselben alle Personen zu unterziehen, „die nicht
die ächten Pocken überstanden haben oder innert Jahresfrist schon revaccinirt
worden sind“.
Was nun die Zwangsimpfung betrifft, so ist es wohl begreiflich, dass ein dog¬
mengläubiger Bezirksarzt, der nicht hoher schwört als auf Jenner's unsterbliche
Entdeckung, in erster Linie seine Aufmerksamkeit den ungeimpften Kindern im
Pockenhause oder in der Nachbarschaft zuwendet. Diesen Zündstoff schlimmster
Art der ausbrechenden Flamme zu entziehen, wird ihm Gewissenssache sein. Ge¬
winnen die Pocken weitere Verbreitung, dann schreitet auch er mit seinen Schutz¬
maassregeln vor: er impft die Kinder der ganzen Strasse, der ganzen Ortschaft
und verschafft sich zugleich damit die Möglichkeit, eine grosse Zahl Erwachsener
in nächster Zeit von Arm zu Arm revacciniren zu können. Leider gelang es trotz¬
dem nicht immer, jene Impfung noch rechtzeitig vorzunehmen, so namentlich nicht
bei 3 Kindern in Hirslanden, die im Jahre 1870 ihre erste Pflege von einer Heb¬
amme erhielten, die kurz zuvor eine Pockentodte in den Sarg legen half. Sämmt-
liche 3 Kinder im Alter von 4, 5 und 6 Wochen finden wir wieder in den Todten-
listen.
Glücklicher lief die Sache ab, als 1865 die Seuche im alten Spital losbrach
und den Neugeborenen in der Gebäranstalt Verderben drohte. Sie wurden sofort,
vom zweiten Tage der Geburt an schon, sämmtlich geimpft und blieben verschont.
(Fortsetzung folgt)
lieber die Recidive bei Harnröhrenstrictur.
Von Dr. Isenschmid in München.
#
Die Meinungsverschiedenheiten über die Heilung der Harnröhrenstrictur lassen
sich auf drei reduciren; die einen Chirurgen halten eine Heilung ohne Recidive für
unmöglich; die andern, unter denen der vielerfahrene Civiale steht, sagen „man
verspreche nie einem Patienten eine Radicalheilung, denn eine solche ist selten“;
eine dritte Ansicht ist die, dass Heilung ohne Recidive keineswegs eine Unmög¬
lichkeit ist, sondern sogar bei ältern Stricturen erreicht werden kann. Diese letz¬
tere Anschauung vertritt in neuester Zeit besonders Dittel , dem in Wien im allge¬
meinen Krankenhaus sowohl als in seinem Privatspital ein bedeutendes Material
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zu Gebot steht Im anatomischen Theile seines Werkes über die Stricturen finden
wir sogar den aus Sectionsbefunden entnommenen Hergang der Gewebeumwand¬
lung beschrieben, den die Strictur im Heilungsprocesse durchmacht
Zweck dieser Zeilen ist, durch ein flagrantes Beispiel Dittel's Ansicht zu un¬
terstützen, zugleich aber darauf hinzuweisen, warum in so vielen Fällen Reoidive
eintritt und eine Heilung ohne diese sogar bezweifelt wird.
Dass die Stricturen nicht leicht zu heilen, dafür spricht schon die grosse Zahl
der angegebenen Methoden, es scheint sich auch hier der Satz zu bewähren, „je
mehr Heilverfahren, desto schwieriger die Heilung selbst“. Die Ursachen des so
oft nicht befriedigenden Curerfolgs sind daher sicherlich anderswo zu suchen als
in den mangelnden Hülfsmitteln und Operationsmethoden. Diese kritisch zu durch¬
gehen, kann nicht die Absicht dieser Zeilen sein, ich erwähne nur beiläufig, dass,
was die Dilatation auf blutigem Wege betrifft, als Scarification, Urethrotomie von
innen, forcirter Cathetrismus, diese Methoden seit ihrer Einführung in die Chi¬
rurgie viele Anhänger verloren haben, der forcirte Cathetrismus, der in neuester
Zeit in England und Frankreich wieder Vertheidiger gefunden, war in der Schweiz
schon vor 50 Jahren besonders durch Major in Lausanne vertreten, hat aber meines
Wissens dort keine Verehrer mehr. Ebenso wird die einst in Frankreich sehr
verbreitete Methode der Dilatation durch Aetzmittel jetzt weit weniger ausgeübt.
Um so mehr hat sich die Chirurgie mit der Dilatation auf unblutigem Wege be¬
schäftigt und zahllos sind die Verfahren, welche je nach anatomischer Beschaffen¬
heit und Lage der Strictur angepriesen werden, als: Bougies, einfache oder bau¬
chige, Darmsaiten, Laminaria, Metallsonden , Dilatatoren von Amotl, Detruelles ,
Perreve, Thompson, Holte , Rigauld , Dittel.
Statt aller Kritik will ich an die Erfahrungen Civiale' 8 erinnern, der stets als
einer der ersten Gewährsmänner gelten kann, der viele Jahre hindurch sich aus¬
schliesslich mit den Krankheiten der Urethra beschäftigt, die Erweiterung dersel¬
ben mit den verschiedensten Methoden versuchte und dem ein Material zu Gebote
stand, wie kaum einem andern Chirurgen.
Es gab kein Verfahren, das Civiale zur Erweiterung der Harnröhre nicht gründ- *
lieh durchprobirte, wie sich Jeder erinnern wird, der seine Klinik besuchte, denn
vor Allem handelte es sich darum, seine Lithotriben, die anfänglich ziemlich plump
mit einem Durchmesser von 9—10 Millimeter und mehr construirt waren, in die
Blase zu bringen; bei den Franzosen gelang dies meist ohne Schwierigkeit, als
aber diese Lithotriben nach England und Deutschland kamen, machte man plötz¬
lich die Entdeckung, dass die französische Nation das Vorrecht hat, Harnröhren
von weiterem Caliber zu besitzen, als ihre Nachbarn. Ich erinnere mich, wie vor
35 Jahren Civiale in seiner Klinik diese Erscheinung öfters erzählte.
Die Lithotriben wurden nun zierlicher und dünner construirt, allein eine vor¬
bereitende Ausdehnung der Urethra musste in den meisten Fällen dennoch statt¬
finden. Civiale kam, nachdem er alle möglichen Dilatationsmethoden durchge¬
prüft, zu dem Schluss, dass allmälige, mit der grössten Geduld durch conische
Metallsonden ausgeführte Dilatation auch bei Stricturen am besten und sicher¬
sten zum Ziele führe; „denn“, sagte er, „ob wir scarificiren oder Aetzmittel an-
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wenden, so müssen wir nachher stets noch mit Metallsonden erweitern und mit
diesen die Cur vollenden und den Erfolg sicherstellen; die Rückbildung des in-
durirtcn Gewobes der Strictur wird am besten durch den anhaltenden Druck mit
Metallsonden erzielt Aber“, vergass or nie beizufügen, „begnügen Sie sich nie mit
einem kleinen Resultate und versprechen Sie dem Patienten nie Heilung ohne
Recidive.“
Unter den deutschen Chirurgen der Jetztzeit spricht auch Prof. Leopold Dittel
in Wien in seinem trefflichen Werke über Stricturen sich entschieden günstig für
die Erweiterung durch Metallsonden aus, obschon er, um bei kurzen Stricturen
schneller zum Ziele zu gelangen, einen von ihm construirten Schraubendilatator
empfiehlt. Auch Viüel wie Civiale macht aufmerksam, dass man sich nicht mit klei¬
nen Resultaten begnüge.
Das Fehlen gegen diese Vorschrift ist es hauptsächlich, dem man so viele
misslungene Curen zuzuschreiben hat, cs ist unglaublich, wie schnell der Patient
in der Regel befriedigt ist und in seiner Beharrlichkeit, die Dilatation fortzusetzen,
nachlässt; sobald der Strahl des Urins wieder kräftiger und dicker ist, haltet er
sich für geheilt, ist vollkommen zufriedengestellt und will nichts mehr von der
langweiligen Sondirung hören. Bekennen wir aber freimüthig, nicht grösser ist oft
die Geduld und Beharrlichkeit beim Arzte, und dieser wird hiedurch zum Mit¬
schuldigen an der Recidive, denn dass diese wieder eintritt, darauf können wir
mit Sicherheit zählen, sobald die Dilatation eine ungenügende war. So haben
Arzt und Patient sich die Schuld beizumessen, wenn, was nicht selten der Fall
ist, durch die Jahre lang hindurch stets sich wiederholende Sondirung endlich
Prostatadegenerationen oder Blasenkrankheiten eintreten , als Folge der fortwäh¬
renden Reizung dieser Theile.
Die Recidive, die dem Patienten oft sein ganzes Leben lang bleibt und ihm
dieses verbittert, ist nur durch Geduld und Beharrlichkeit zu heilen, zwei Tugen¬
den, die leider nicht jedes Menschenkind mit auf die Welt bringt.
Zur Unterstützung dieses Ausspruchs theile ich hier in möglichster Kürze die
Erlebnisse eines Patienten mit.
Patient, 30 Jahre alt, behandelt seine Gonorrhoe mit Höllensteineinspritzungen
und bekommt in Folge dessen eine Strictur mit Harnverhaltung. Der herbeige¬
rufene Arzt findet vor dem Bulbus urethrae eine circa 1 Zoll lange Verengerung,
durch welche er unter Schmerz und Blutung eine etwa stricknadeldicke (nach
Anssage des Patienten) elastische Bougie mit Mandrin durchführt. Der Kranke
wird nun unterrichtet Bleisonden einzuführen, und nach einer zweimonatlichen Son-
dirungscur kann eine solche von circa 4 Millimeter ohne Schmerz und leicht ein¬
geführt werden. Patient und Arzt, erfreut über dieses Resultat, sistiren mit der
Behandlung. Nach einigen Monaten gewahrt der Kranke, dass der Strahl des
Urins wieder dünner wird, er macht den Versuch, seine dickste Sonde einzuführen,
was aber nicht gelingt und muss seine Sondirungen wieder mit den dünnem Num¬
mern beginnen. So ergeht es dem Kranken während 12 Jahren, 3 bis 4 Mal inner¬
halb Jahresfrist muss er seine Sondirungen wiederholen, wenn er nicht Harnver¬
haltung riskiren will.
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^ 43 Mi DI mit. 1»
Der Rath Civiale's, den auch Dittel besonders betont, war offenbar hier nicht
befolgt worden, denn eine Erweiterung bis auf 4 Millimeter ist ein kleines Resul¬
tat zu nennen, wenn man bedenkt, dass die gesunde Harnröhre eines Erwachsenen
leicht auf 7 bis 8 Millimeter und darüber auszudehnen ist. Dem höchst melan¬
cholischen und lebenssatten Patienten rieth ich nun, seine Sondirungen bis zur
grösstmöglichen Dilatation fortzusetzen, liess ihm sorgfältig polirte, nach vorn co-
nische Sonden aus Zinn von 4 bis 7 Millimeter (stets um V« Millimeter zunehmend)
machen und zeichnete ihm das Krümmungsschema Nr. 2 nach DiUel auf eine Karte,
damit er im Falle die Metallsonde sich verbogen, dieselbe stets wieder rectificiren
könne- Ich füge bei, dass Dittel 3 verschiedene Krümmungen angibt, unter denen
man zu wählen hat; die mittlere, Nr. 2, construirt sich in folgender Weise: con-
struire ein Quadrat a, b, c, d mit 42 Millimetern
Seitenlange; ziehe die Diagonale a d und verlän¬
gere sie beliebig bis zu e; ziehe ferner von b aus
auf die verlängerte Diagonale a, d, e eine 54 Milli¬
meter lange Linie f, welche die Diagonale zwischen
d und e schneidet und die wir b f nennen, so gibt,
die Linie b f als Radius und f als Mittelpunct be¬
nützt, das Kreissegment zwischen b und c die
gewünschte äussere (convexe) Krümmungslinie
(Schnabel) für die Sonde, während ihr gerader Theil in seiner äussern Fläche mit
der Fortsetzung der Linie a b zusammenfällt.
Das täglich wiederholte Einführen und Liegenlassen der Sonden dauerte 2
Stunden. Nach jeder solchen Sondirung wurde ein laues Sitzbad, 2 Mal die Woche
ein ganzes Bad genommen. Nachts eine nasse ausgewundene Compresse mit T-
Binde von Guttapercha am Perineum getragen. (Dittel ordnet diese Compresse
selbst in der ambulatorischen Klinik an.) Nahrung kräftig, Reizmittel, Wein und
Bier, ausgeschlossen.
Zweimal während dieser Behandlung trat grosse Reizbarkeit und Muthlosigkeit
ein und der Patient war auf dem Puncte, das Sondiren aufzugeben, denn seine
Geduld ging zu Ende. Ich wendete mich daher an Prof. Dittel mit der Frage, ob
nicht der Dilatator schneller zum Ziele führen würde. Die Antwort lautete j a;
wenn die Strictur eine kurze ist.
Abermals auf die Geduld angewiesen, harrte Patient aus, nach 37s Monat
täglicher Sondirung konnte die 7 Millimetersonde eingeführt werden, eine Dilata¬
tion, die mir in diesem Falle genügend schien. Nun wurden die Sondirungen alle
2, dann alle 4 Tage, dann alle 8 und 14 Tage einmal wiederholt und zuletzt nur
einmal im Monat mit der dicksten Sonde geprüft, ob sich Tendenz zur Recidive
zeige; eine solche ist aber gänzlich ausgeblieben und hat sich selbst nach Jahren
nicht wieder gezeigt.
Die Frage, ob Harnröhrenstricturen ohne Recidive zu heilen sind, kann ich
daher aus obiger Erfahrung mit Ja beantworten, fuge aber die Bedingung bei, dass
Arzt und Patient sich mit der nöthigen Geduld versehen und nicht mit geringen
Dilatationsresultaten begnügen. _
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“V ereinsberiolite.
Gesellschaft der Aerzte in Zürich.
6. Sitzung, den 27. Januar 1877.
Besprechung über Organisation der städtischen Gesund¬
heitspflege-
Die Redactionscommission der „Blätter für Gesundheitspflege“ hatte beim Prä¬
sidenten den Wunsch ausgesprochen, es möchte in der Gesellschaft der Aerzte
diese Angelegenheit behandelt werden, und sie hatte Dr. Zehnder beauftragt, mit
Herrn Stadt-Ingenieur Bilrhli eine Petition an den Stadtrath zu entwerfen, in wel¬
cher dieser ersucht wird, die Neuordnung der städtischen Sanitätsverhältnisse nicht
vorzunehmen ohne Anhörung eines Gutachtens unserer Gesellschaft. Der heutige
Abend ward daher zu Verhandlungen über diese Angelegenheit bestimmt.
Der Präsident eröffnet dieselben mit Hinweis auf das Obige und ersucht Herrn
Dr. Zehnder um seine Meinungsäusserung.
Zehnder beleuchtet die bisherigen Bemühungen, die städtische SanitätsOrdnung
den Anforderungen der Gegenwart entsprechend zu gestalten, verweist ausführlich
auf den Inhalt des Gutachtens, welches vor fünf Vierteljahren über diese Sache
abgegeben wurde, bisher aber von den Behörden keine Berücksichtigung erfahren
hatte. Jetzt hat das cantonale Gesetz über Gesundheitspflege und Lebensmittel¬
polizei den Stadtrath zum Handeln angeregt; er liess durch den Polizeipräsidenten
einen Vorschlag ausarbeiten, der aber kein Gefallen fand, und gedenkt jetzt der
Gemeinde vorzuschlagen: es solle der Stadtrath als solcher sammt einem Ausschuss
von 7 frei aus der Einwohnerschaft zu wählenden Mitgliedern die Gesundheits¬
pflege besorgen. Eine derartige Regelung kann allerlei Bedenken wecken; deshalb
ist eine sorgfältige Besprechung in unserm Kreise am Platze, und angezeigt, den
Stadtrath zu ersuchen, erst nach Anhörung der Ergebnisse derselben definitive
Schlussnahmen zu treffen. Der Petitionsentwurf von Zehnder und Bürkti wird
schliesslich mitgetheilt
Die Gesellschaft zeigt sich ganz damit einverstanden, dass eine eingehende
Discussion stattfinde und die Voten von Meyer-Hofmeister und Rahn-Escher unter¬
stützen lebhaft den Antrag Zehnder. . Da aber Prof. Homer mittheilt, dass gerade
heute Abend die Einladungen an die Mitglieder des grossen Stadtrathes ergangen
seien, schon am 1. Februar über den Vorschlag des kleinen Stadtrathes abzustimmen,
bis dahin eine gründliche Verhandlung über eine neue städtische Sanitätsordnung
aber ein Ding der Unmöglichkeit ist, wird beschlossen: es solle an den Stadtrath
beförderlichst eine Eingabe gemacht werden des Inhalts: der Stadtrath möge unter
Beihülfe der bisherigen Sanitätscommission provisorisch die Besorgung der städti¬
schen Gesundheitspflege übernehmen; und vor der definitiven Regelung der städti¬
schen Sanitätsordnung die Ansichten und Wünsche der Gesellschaft der Aerzte
von Zürich und Umgebung entgegennehmen.
Dr. Zehnder zeigt sich auf den Wunsch der Gesellschaft bereit, die Eingabe
zu verfassen und Prof. Clodlta, sie jedenfalls noch vor der Sitzung des grossen
Stadtrathes an ihre Adresse zu befördern.
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314
7. Sitzung, den 10. Februar 1877.
Mittheilungen von Prof. Dr. Oscar Wyss.
Gegenwärtig mit der Abfassung des Jahresberichtes über dasKinder-
s p i t a 1 beschäftigt, theilt Prof. Wyss einige der wichtigeren Erfahrungen des
letzten Jahres uns mit.
Dio Zahl der Aufnahmen betrug im Jahr 1876: 194; war etwas grösser als
im Vorjahre; auf diese kamen etwas weniger Verpflegungstage, da mehr Infec-
tiöse unter den Kranken waren und Freistehen oft mehrerer Betten nothwendig
machten.
Diphtheritisfälle waren 14 im Spitale, bei9 wurden Trachootomieen aus¬
geführt, eine Tracheotomie ausserdem bei einem Croupkranken.
T y p h e n waren 9 in Behandlung , einige davon sehr schwere. Es hat sich
herausgestellt, dass auch beim Typhus der Kinder die Bäder den hydropathischen
Einwickelungen vorzuziehen sind, denn sie bewirken eine viel grössere und anhal¬
tendere Temperaturherabsetzung. Hervorzuheben sind Typhusfälle bei Kindern mit
colossal heftigen Delirien, die bis zu tobsuchtähnlichen Anfällen sich steigern.
Unter den Hirnfällen waren besonders der acute und der chronische Hydro-
cephalus vertreten. Mit dem Namen chronischer Hydrocephalus werden eine Reihe
ganz verschiedener Krankheiten bezeichnet, deren Verständniss erst allmälig mög¬
lich wird. Sehr merkwürdig ist folgender Fall von chronischem Hydro¬
cephalus.
Ein 34 Wochen altes Kind wurde am 2. Juli 1876 aufgenommen und starb am
25. Juli 1876; die Eltern sind gesund, haben 4 gesunde Kinder.
Pat. wurde nach der Geburt 5 Wochen lang gestillt und bekam dann Kuh¬
milch. Die erste Nacht nach der Geburt schrie das Kind die ganze Nacht, gedieh
dann aber gut bis zur 26. Woche. Da stellten sich Zuckungen ein in den Armen,
besonders in Flexionsstellung derselben, Krämpfe im Rücken, so dass der Rücken
und Kopf nach rechts verzogen wurde oder so heftiger Opisthotonus eintrat, dass
nur noch Kopf und Füsse das Bett berührten. Solche Anfälle kamen 8—9 im Tage
bis zur 28. Woche. Sie dauerten etwa V* Stunde, waren von heftigem Geschrei
begleitet; der Daumen wurde eingeschlagen; Anfangs war das Gesicht roth; nach¬
her stellte sich Cyanose ein.
Vor dem Anfalle stellte sich Aufregung des Kindes ein, nachher während meh¬
rerer Stunden Schlaf; kein Erbrechen; die Anfälle kamen Tags wie Nachts. Sie
veränderten sich in der 30— 34. Alterswoche. Der Rumpf wurde auch häufig nach
vorne gekrümmt, die Füsse nicht angezogen; im Gesicht waren wenig Zuckungen.
Die Anfälle kamen besonders häufig vor dem Aufnehmen. An schönen Tagen
sollen sie weniger, an Regentagen häufiger gewesen sein; das liess sich im Spitale
nicht bestätigen.
Beim Eintritt war das Kind mangelhaft genährt, lag im Bette mit stark nach
hinten gezogenem Kopfe. Am Kopfe liess sich nichts Besonderes entdecken, keine
abnorme Ausdehnung, Umfang 39 cm., Brustumfang 40 cm., kleine Fontanelle ge¬
schlossen, grosse normal gespannt; Schädelknochen gut gebildet. Gesicht, Pupillen
normal; keine Zähne, keine starken Zahnbuckel. Stomatitis. An der hintern Pha-
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rynxwand keine Geschwulst, kein Abscess. Brust- und Unterleibsorgane nichts
Besonderes.
In der ersten Hälfte März kamen nur alle paar Tage conyulsive Anfälle,
Zuckungen im Gesicht, den Bulbis, dem Facialis und besonders stark in den
Nackenmuskeln. Noch Mitte März wurden sie häufiger und heftiger. Zwischen den
Anfällen lag das Kind ruhig, apathisch, reagirte aber auf Berührung. Die Tem¬
peratur war erst normal, erreichte Mitte März hie und da 39 und 40° Abends,
Morgens 38* oder war normal. Später lag das Kind immer auf der linken Seite,
weil der Rücken in Opisthotonusstellung nach hinten gekrümmt war und in den
Anfällen der Opisthotonus sich steigerte. Die rechte Schulter war mehr zurück¬
gezogen, der rechte Arm mehr gestreckt. In den Anfallen kein Schreien, Strap-
peln mit den Beinen und auch mit den Armen; also waren die Streckkrämpfe nicht
mehr vorhanden wie im Anfang. Der Bauch war in dieser Stellung nur scheinbar
vorgetrieben. Bewegungen mit dem Munde, Lecken mit der Zunge wurden in
diesen Anfällen auch häufig ausgeführt, die Augen waren fest geschlossen. Halb¬
seitige Erscheinungen fehlten.
Ausgeschlossen wurde eine Herderkrankung, Encephalitis, Tuberkel, tubercu-
löse Meningitis, Epilepsie und gewöhnlicher Hydrocephalus. Diagnosticirt wurde:
ein Process an der Basis, in der Gegend vom vierten Ventrikel, eine chronische
Entzündung, wahrscheinlich mit Hydrops des vierten Ventrikels; Ganglien und
Medulla wurden als frei angenommen.
In den letzten Tagen kamen weniger Anfälle. Das Kind wurde apathisch, so¬
porös und stärb am 25. März 1876.
Section. Kopfumfang 39 cm. Schädel nichts Besonderes. Auf der Innen¬
fläche der Dura vorn rechts einige sulzige Auflagerungen mit Hämatoidin, geringe
Reste eines alten Blutergusses. In der Pia nichts Abnormes ausser zwei kleinen
frischen Blutergüssen. Das linke Vorderhirn von der Mitte der Hemisphäre an in
jeder Beziehung kleiner, die Sulci tiefer und breiter, die Gyri schmaler und dünner,
scheinbar zahlreicher und gewundener; der Umfang beträgt etwa zwei Dritttheile
vom Umfange des rechten Vorderhirnes. Die Consistenz des ganzen Gehirnes nor¬
mal und nirgends in der Substanz eine Veränderung. Pons und Medulla asymme¬
trisch, die linke Hälfte des Pons dicker und breiter, die linke Hälfte der Medulla
und die linke Olive kleiner. Das Vorderhorn des linken Seiten Ventrikels viel mehr
ausgedehnt als der rechte, gefüllt mit klarem Serum. Rechter Seitenventrikel nor¬
mal; Ganglien rechts und links normal. In der linken Ventrikel wand ist die Sub¬
stanz stellenweise bis auf die Rinde hinaus geschwunden, bis zur Durchscheinheit
derselben. Arterien, Basis, Kleinhirn normal, Herz normal. Lungen Atelectasen
und Schleim in den Bronchien.
Die sorgfältige microscopische Untersuchung ergab auffallend geringes Resul¬
tat. Links eine entschieden stärkere Infiltration der Pia mit Lymphzellen als
rechts, und rechts ein stärkerer Lymphzellengehalt der Pia als bei einem gesunden
Gehirn. Ein Nachweis von Auswanderung war nicht möglich. Die Hirnsubstanz
im atrophischen Gebiete zeigte keine Wucherung des Bindegewebes, keine Atro¬
phie, keinen Untergang der Ganglienzellen. Nur eine geringere Zahl von Ganglien-
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zellen und eine geringere Breite aller Rindenschichten liess sich nachweisen. Pons
und Medulla oblongata ohne Atrophie. Es war die rechte Olive stärker unter dem
Pons gelagert und dadurch entstand eine Asymmetrie.
Der ganze Fall kann also nur so aufgefasst werden: aus unbekannten Gründen
stellte sich eine Entzündung der Pia ein über dem linken Vorderlappen, und in
Folge davon blieb die linke Hemisphäre in ihrer Entwicklung zurück auf einer
niedrigem Entwicklungsstufe, und es entstand secundär der Hydrocephalus vorn im
linken Seitenventrikel.
Ein zweiter Fall von chronischem Hydrocephalus war ana¬
tomisch ganz analog, nur der Hydrocephalus nicht so ansschliesslich einseitig.
Ein dritter Fall von chronischem Hydrocephalus hatte den
gewöhnlichen colossalen Kopf auf kleinem Rumpfe. Die Aspiration wurde fünf
Male gemacht, immer mit sehr geringer Reaction, nur einige Male stellte sich Er¬
brechen ein. Der Kopf fiel zuweilen wie ein Sack zusammen. Der Tod erfolgte
durch Decubitus, der allenthalben am Kopfe sich einstellte, wo derselbe auflag,
und stellenweise zu KnocheDnecrose führte. Die erste Punctionsstelle liess sich
als kleiner grauer Punct ohne alle Reactionserscheinungen erkennen; an der
Stelle der beiden letzten Punctionen war eine kleine Necrose, etwa 1 mm.
breit, entstanden. Die Nutzlosigkeit der Punctionen ist auch durch diesen Fall
illustrirt.
Tuberkelknoten im Kleinhirn und im Oculomotoriusgebiete
wurden gefunden beim Kinde, welches in der Sitzung vom 13- Januar 1877 war
der Gesellschaft vorgestellt worden, dem Kinde mit der Chorea oder vielmehr den
Ataxiebewegungen. Der Kleinhirntuberkel wird vorgewiesen, der andere soll spä¬
ter microscopisch untersucht werden.
Ueber Kindernahrungsmittel sind im verflossenen Jahre im Kinder¬
spital eine Reihe Erfahrungen gesammelt und microscopische Untersuchungen an¬
gestellt worden, die zu folgenden Urtheilen berechtigen.
Nestle - M e h 1; Weizenamylumkörner, stark zerschlagen, Amylumkömer, Fett-
Tropfen, Dextrin sind microscopisch nachweisbar.
Gerber -Mehl von Thun. Dem Nestlemehl gleich. Zwei Kinder behielten ihr
Gewicht, andere bekamen Diarrhoe und Gewichtsabnahme.
Gerber -Milch, Widerwille, Diarrhoe, Grauwerden; nicht empfehlens-
werth.
Soupe lactöe von Durieu-Oellli in Vevey. Viel Stärke, viel Zucker, viele
Phosphate und Kali. Gut zu kochen mit Wasser, 1:10. Passt nicht für ganz kleine
Kinder. Widersprechende Resultate.
Farine lactöe von Blumisberg, ganz entsprechend dem Nestlemehl.
Anscheinend gut.
Farine lactöe von Charles Lapp, wie Nestlemehl, etwas grob, wird aber
leicht ranzig, während das Nestlemehl sehr haltbar ist.
Farine dextrine von Sambuc, aus einem stark gerösteten Backwerk aus
feinstem Mehl, fein gemahlen; muss mit Kuhmilch angemacht werden; Werth noch
unbekannt.
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Zealenta von Durieu-Oettli, für grössere Kinder und erwachsene Reconvales-
centen, gibt eine Suppe, ähnlich der Mehlsuppe* Weizen, Mais, Kochsalz. Wider¬
stand. Ohne besondem Vortheil.
Im Kinderspital hat sich bisher erwiesen:
Kuhmilch als bestes Kindernährmittel;
Chamermilch als ein guter Ersatz;
Linsenmehl von Dr. Sigg in Andelfingen, als ein ausserordentlich
günstiges Mehl für nicht ganz kleine Kinder; es darf nur nicht zu dickem Brei
verbraucht werden und muss sehr sorgfältig 20 Minuten lang und mehr gekocht
werden. Es ist haltbar, wohlfeil. Wird von Prof. Wyss besonders für Khachitische
empfohlen.
Die Hauptsache ist: einzelne Mehle wie das Nestle sehe und verwandte können
für kurze Zeit am Platze sein; Monate lang als ausschliessliches Nahrungsmittel
dürfen sie nicht gebraucht werden, weil ihr Eiweiss- und wohl auch ihr Fettgehalt
zu klein ist; alle Kinder, die ausschliesslich mit Nestle aufgefüttert werden , wer¬
den hochgradig rhachitisch, obwohl sie meist gut genährt aussehen. Ganz ebenso
dürfte es sich mit allen andern farines lactöes verhalten: sie ersetzen bei weitem
nicht die Muttermilch und ebenso wenig Kuhmilch oder die Chamermilch. Als
temporäre Nahrungsmittel sind sie aber immerhin werthvoll.
Die Liebtg ’sehe Suppe, welche Zehnder, wenn gut bereitet, für ganz ausser¬
ordentlich gut hält, hat Wyss früher in Breslau häufig angewandt, im Kinderspital
aber noch nicht, da zu wenig ganz kleine Kinder aufgenommen werden, man froh
ist, mit dem von den Eltern mit Erfolg verwandten Ersatzmittel gut weiter zu
kommen. Wenn der Brechdurchfall sich einstellt, so kann wieder nicht Liebig’i sehe
Suppe gebraucht werden, sondern muss mit Reis-, Gerstenschleim und Eiweisswasser
gekämpft werden.
Zehnder regt an, es möchte der Sanitätsdirector darauf aufmerksam gemacht
werden, es sei jetzt der Umbau des Schlachthauses im Gange und somit die
beste Gelegenheit geboten, die Einrichtung eines Impfinstitutes auszuführen, wie
ein solches in Basel besteht. Er wird von der damit einverstandenen Gesell¬
schaft ersucht, in diesem Sinne eine Eingabe an die Sanitätsdirection zu ver¬
fassen.
8. Sitzung, den 24. Februar 1877.
Wegen Krankheit von Prof. Cloitla leitet Vicepräsident Prof. Dr. Oscar Wyss
die Verhandlungen.
Prof. Rose stellt zwei Kropfkranke vor, welche von ihren Erstickungs¬
anfällen durch den Luftröhrenschnitt und die totale Exstirpation geheilt
waren.
Beide Kröpfe wurden total exstirpirt auf blutlosem Wege am hängenden Kopf
und offen nachbehandelt
Bertha Ehrensperger, Fabrikarbeiterin aus Ober-Winterthur, 14 Jahre alt,
wurde wegen Erstickungsanfallen in das Spital geschickt, und als sich dieselben
auch hier trotz vorsichtigster Behandlung in hohem Grade wieder einstellten, am
27. September 1876 operirt Auf der linken Seite war die Struma apfelgross, auf
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der rechten Seite htihnereigross. Die Luftröhre war säbelscheidenartig und post¬
papierdünn. Dauer der Operation 1 */* Stunden, 27 Ligaturen, offene Behandlung.
Die Temperatur erreichte nie 38° danach. Am 13. Januar wurde die Canüle ent¬
fernt, am 20. war die Wunde vollständig geschlossen.
Der zweite Fall betrifft einen Knaben aus dem Waisenhaus in Uznach, Johann
Wäger, 13 Jahre alt, hat seine Eltern und eine Schwester an der Schwindsucht
verloren, leidet seit 3 Jahren an Kropf, welcher in seiner mütterlichen Familie
erblich zu sein scheint. Die Athemnoth nahm zuletzt so zu, dass der Kranke in
einer Nacht 5 Erstickungsanfälle hatte, die Schule nicht mehr besuchen konnte
und ständig zu Hause bleiben musste. Die Operation wurde am 14. December
vorgenommen, die apfelgrosse multiloculrere Hauptgeschwulst hatte die weiche,
säbelscheidenförmige Luftröhre 3 Finger breit nach rechts verschoben. Rechts
ragte die Struma bis zum Processus Styloides und unter den Truncus thyreocer-
vicalis. Indurative Peristrumitis. Dauer der Operation 4 Stunden, 87 Unterbin¬
dungen, Puls nach der Operation 80. Höchste Temperatur nach der Operation 38,4.
Vom 20- an keine Spur von Fieber. Am 9. Februar wurde die Canüle entfernt,
worauf sich die Wunde schnell schloss. Am 5. März ging der Junge ganz geheilt
nach Hause.
Prof. Horner legt den Stammbaum einer Daltonistenfamilie vor. Fünf
Generationen leiden an Rothblindheit
(Ausführliche Mittheilung erfolgt in einem ophthalmol. Journale.)
Er lenkt im Ferneren die Aufmerksamkeit der Versammlung auf das salz-
saure Pilocarpin, das Alcaloid des Jaborandi, welches der Mutterdrogue voll¬
ständig vorzuziehen ist. Eine Dose von 1 ccm. einer 2procentigen Lösung erzielt
die volle Wirkung wie ein 5,0 Infus, reichliche Schweiss- und Speichelabsonderung
ohne unangenehme Nebenerscheinungen. Speichel wurde bis auf 180 ccm. durch
eine einzige Injection ausgesebieden. In der Augenheilkunde verdien! das Pilocar¬
pin bei Glaskörpertrübungen, in der innern Medicin bei pleuritischen Ergüssen ge¬
prüft zu werden.
Vortrag von Dr. Haab über die Lister 'sehe Wundbehandlung
in Halle und Edinburgh.
Nachdem Haab die Lister 'sehe Methode zuerst bei Billroth in Wien gesehen,
studirte er dieselbe dann längere Zeit bei Volkmann in Halle, wo ein grosses chi¬
rurgisches Material dank der vielen Eisenbahnen und grosser Industrie in dem
leider unzulänglichen schlechten Spital zusammenfliesst. Das Operationstheater,
ein an das Spital angebautes Glashaus, hat ausgezeichnetes Licht. Der Aspbalt-
boden desselben erlaubt verschwenderischen Gebrauch von Carboisäurelösung (3°/©).
Haab sah sowohl eine Menge interessanter Fälle während ihres immer auffallend
günstigen Heilungsverlaufes als auch die mannigfachen Verbandarten bei frischen
Kranken. Er schildert eingehend den Operationsverlauf, sowie den Verband bei
Exstirpatio mammee mit Ausräumung der Achselhöhle: reichliches Uebergiessen
der Wunde mit Carbollösung auch während der Operation, sorgfältige, massenhafte
Unterbindungen mit Catgut, Vereinigung der Achselhöhlen wunde mit carbolisirter
Seide, Verkleinern der Brustwunde durch eben solche Spannnähte, reichliche Zu-
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819 —
hülfenahme von Benzoß-Watte beim Anlegen des Verbandes behufs Ausstopfen
aller Lücken und Ritzen, so dass derselbe möglichst hermetisch wird. Hauptsache
sei immer, mit dem Verbandmaterial nicht zu sparen, namentlich das Stück acht¬
facher Schicht nicht zu klein zu nehmen, dagegen darf das Protective nicht zu
gross sein, blos die Wunde decken. Die Drainröhren werden bei jedem Verband¬
wechsel gereinigt, verkürzt und dürfen nur so lange in der Wunde bleiben, als
sich aus ihnen noch Secret entleert. — Wo der antiseptische Verband mit Gyps-
verband combinirt werden soll (z. B. bei Osteotomie), wird zunächst ein typischer
Listerverband angelegt, dann darüber der Gypsverband. Unter Spray wird dann
das Fenster ausgeschnitten, der erste Verband durch das Fenster heraus wieder
entfernt, ringsum die Ränder des Fensters mit Benzoewatte gut unterpqlstert und
ausgestopft, dann über die Wunde und den Gypsverband weg der definitive Listor-
verband angelegt. — Wie gross das Material Volkmann 's und wie schön die Er¬
folge, zeigen folgende, z. B. am 10. Februar 1876 vorgestellte Fälle: eine 3 Tage
alte Kniegelenksresection. Hautwunde prima geheilt, kein Secret aus der Tiefe;
beidseitige Oberarmamputation, vor 12 Tagen gemacht, geht schon seit mehreren
Tagen herum, hatte nie Fieber; eine amputatio metatarsea, 8 Tage alt, fast voll¬
ständig geheilt; Fibromexstirpation aus den Bauchdecken, wobei eine beträchtliche
Peritonealwunde gesetzt worden, die mit Catgutsuturen geschlossen wurde, schmerz-
und fieberloser Verlauf; eine Schultergelenkresection vom 8. Tag. Die Patientin
kann schon geringe Bewegungen ausführen , Druck verursacht keinen Schmerz,
Hautwunde geheilt, Patientin wird ambulatorisch behandelt und stehend verbunden.
Fernerer interessanter Fall: Amputation des Oberarms wegen Gangrän und furcht¬
barer phlegmonöser Vereiterung der Muskeln am Unterarm und daheriger (vor
Spitaleintritt entstandener) Pycemie mit Schüttelfrösten etc. Patient wird gerettet,
befindet sich am 6. Tag schon sehr gut; die WunJüe heilt hier aber nicht rein
aseptisch. — Volkmann hat in den letzten 3 Jahren (bis Frühling 1876) 47 compli-
cirte Fracturen nach einander ohne Todesfall durchgebracht.
In Edinburgh fand Haab eine ausgezeichnete Ergänzung des in Halle Gesehenen.-
Lister imponirt durch riesigen Fleiss und strengste Kritik gegenüber seinen Lei¬
stungen. Er wechselt alle Verbände selbst und verwendet 3—4 Stunden täglich
auf diese mühsame Arbeit Alles Verdächtige wird zu Hause microscopisch unter¬
sucht und über alles Geschehene und Experimentirte sorgfältig Buch geführt. Ge¬
genwärtig widmet er sich besonders der Aufgabe, Catgut herzustellen, das , zu
Bündeln zusammengelegt, die Drainröhren ersetzen soll. Um diesen Zweck zu
erfüllen, muss es bald 3, bald 6 und mehr Tage der Resorption widerstehen kön¬
nen, d. h. die Resorption eines solchen Catgut-Drains muss möglichst genau mit
der Heilung der betreffenden Wunde Schritt halten. Diese schwierige, aber, wie
Haab sich überzeugte, ausgezeichnet ihren Zweck erfüllende Neuerung zeigt, wie
emsig und erfolgreich Lister immer noch an seiner tief durchdachten Methode
weiter arbeitet, die ihn schon so ungeheure, Jahre lange Mühe gekostet hat. —
Zum Unterschied von Volkmann benützt Lister stärkere (5%) Carbollösung zu Wasch¬
wasser und Spray, überschwemmt die Wunde damit aber weniger stark; sein
Dampfspray ist wirksamer und zugleich weniger reizend. Dank der ausgezeich-
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- 820
neten Qualität seiner Carbolsäure *) hat Lister trotz der stärkeren Conceutration
nie üble, reizende Wirkung derselben (Erythem, Eczem etc.). Wenn der Verband
längere Zeit liegen bleiben soll, bestreicht er das Protective mit einem wässrigen
Salicylsäurebrei, um eine hiebei gern eintretende (chemische) Veränderung des
Protective zu verhindern, welche die Wunde reizt.
Die Resultate sind analog denen in Halle: seit Jahren keine Pyaemie mehr,
absolut keine Eiterung , sehr rasche Heilung. Die Spitalverhältnisse sind nicht
günstig. Oft hat Lister 70 Patienten und nur 55 Betten. Beständiges Kaminteuer
und Oeffnen von Fenster und Thiir sorgen für gute Luft. Man darf übrigens nicht
glauben, dass Lister nur in seiner antiseptischen Methode Grosses leiste, darin auf¬
gehe. M$n darf ihn nur beim Dilatiren einer schwierigen Strictur oder am Ope¬
rationstisch z. B. bei einer Lithotomie, die er ausserordentlich rasch und schon
ausführt, sehen, um sich von seiner ganzen chirurgischen Meisterschaft zu über¬
zeugen. Beim Chloroformiren hatte er während seiner ganzen Thätigkeit noch
nie einen Unfall. Er lässt blos, aber mit grösster Aufmerksamkeit, die Respira¬
tion controliren, den Puls darf der betreffende Assistent gar nicht in die Hand
nehmen. **)
Der Vorwurf, dass der Lister'sehe Verband zu theuer sei, ist nicht gerecht¬
fertigt. Spence in Edinburgh, der die Lister 'sehe Methode nicht anwendet, bat,
bei gleichem Krankenmaterial, grössere Ausgaben als Lister und die andern Chi¬
rurgen , welche antiseptisch behandeln. Die grossen Verbandstücke werden von
Lister , nachdem sie gekocht und neu imprägnirt, wieder gebraucht (beim selben
Patienten). Die stark durchtränkten Stücke wandern beim Verbandwechsel sogleich
ins nahe Kaminfeuer.
Die ausserordentliche Bedeutung der antiseptischen Methode beruht einerseits
darin, dass die besten Resultate anderer Wundbehandlungsraethoden dort beinahe
Regel sind, namentlich die ungemein rasche, fieberlose Heilung, anderseits aber
darin, dass gewisse wichtige Operationen ohne Lister gar nicht gewagt werden
dürfen, z. B. Punction und Drainage von Gelenken, Osteotomie, Sehnennaht, Hy-
drocelenschnitt etc.
Die gefährlichsten Feinde der antiseptischen Methode sind Diejenigen, welche
sie zwar acceptiren, aber, bevor sie dieselbe ganz und gar beherrschen, an’s Ver¬
einfachen und Modificiren gehen.
Haab schliesst mit dem Citat des von Langenbeck am vorjährigen Chirurgen-
congress geäusserten, höchst anerkennenden Urtheils über die Lister 'sehe Methode
und des Ausspruches von Busch ebendaselbst: in wenigen Jahren wird unsere ganze
bisherige chirurgische Statistik Heu und Herbarium sein.
Frankenhoeuser will nur darauf hinweisen, dass bei der Ovariotomie sehr gute
Erfolge auch ohne Lister erzielt werden und dass eine Reihe glücklicher Fälle oft
von einer Folge unglücklicher abgelöst wird. So hat Wells in neuerer Zeit nach
*) Absolutes Phenol bezogen von Bowdler & BickerdyJce. Church near Manchester.
**) Das ausgezeichnete englische Chloroform ist natürlich ein wichtiger Factor. Lister bezieht
dasselbe aus der ehemaligen &'mp«<m’Bohen Fabrik (deren Adresse: Duncan Flockhart & Comp. 52
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C. Ehrenzeller, Apotheker.
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werden, steht eine sichere lukrative Praxis in
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321
oinander 7 Fälle verloren, Olshausen 8 nach einander geheilt. Hegar mit seinen
sehr guten Erfolgen hat nicht gelistert. Kocher hat gute Erfolge theils mit, theils
ohne Listera. Frankenhceuser selbst hat schon vor Jahren 7 Fälle nach einander
operirt, die mit Genesung endeten; später mit wechselndem Erfolg. In der Ge¬
burtshülfe wird fälschlicher Weise auch als eine Art fisler’ sehe Behandlung die
Carboisäurewaschung des Uterus empfohlen. Eigentlich ist es aber gar kein Lä¬
stern , sondern eher das Gegentheil. Dieses Verfahren hat nun in der hiesigen
Gebäranstalt so schlechte Resultate ergeben, dass man in volle Verzweiflung hätte
kommen können. Metritis, Parametritis, Temperaturen von 39 —40° wurden, als
man angefangen hatte, die Wöchnerinnen mit der Carbolsäurelösung auszuspülen,
gewöhnliche tagtägliche Erkrankungen. Häufig war der dunkle Urin und die Neph¬
ritis das Zeichen der Aufsaugung des Giftes von der Uterusschleimhaut. Also mit
der directen Anwendung von Carbolsäurelösungen auf wunde Genitalien, besonders
auf die Uterusschleimhaut der Wöchnerinnen, heisst es ausserordentlich vorsichtig
sein. Als diese Neuerung hier wieder abgestellt wurde, besserten sich alle Ver¬
hältnisse wie auf einen Schlag.
Frankenhceuser wagt deshalb noch nicht zu sagen, ob der Carbolregen für das
Peritoneum ein gleichgültiges Agens ist, wenn die Operationen lange dauern, ab¬
gesehen von der immerhin starken Abkühlung, die blossliegende Darmschlingen
dabei erfahren werden.
Die durch ein privates Schreiben des Stadt-Polizeipräsidenten an Prof. Cloetla
in Anregung gekommene Frage: ob die Gesellschaft der Aerzte Vorschläge zu
machen wünsche für die zu wählende städtische Gesundheitscommission, wird in
verneinendem Sinne erledigt.
Herr Prof. Dr. Heinrich Frey wird als Mitglied aufgenommen.
Referate und Kritiken.
Die Auscultation der Arterien und Venen.
Von Dr. Adolf Weil, Assistenzarzt an der medic. Klinik und Privatdocent in Heidelberg.
Leipzig, F. C. W. Vogel, 1876. 140 Seiten.
Weil hat bei 600 gesunden und kranken Individuen die Krankheiteerscheinungen an
Arterien und Venen in sehr sorgfältiger Weise untersucht, und liefert mit seiner schö¬
nen Arbeit, welche auch die bisherigen Leistungen gehörig berücksichtigt, einen recht
schätzenswerthen Beitrag zur Symptomatologie. Die wichtigsten Ergebnisse sind folgende.
An der Arteria carotis sind auf jede Herzaction weitaus am häufigsten, 81%, beider¬
seits zwei Töne zu hören, seltener, 4°/ 0 , nur ein Ton, am seltensten, 1%, gar kein Ton,
sondern nur ein einziges langgezogenes Geräusch; gefässdiastolisches Geräusch neben
gefässsystolischem Tone war in 13% vorhanden; in 1% der Fälle endlich war der Be¬
fund an beiden Carotiden ein verschiedener, zwei Töne auf einer, Geräusch und Ton auf
der andern Seite — oder zwei Töne auf einer und blos ein Ton auf der andern Seite.
Kranke mit ^therom, Emphysem oder chronischen Pncumonieen hatten noch mit grös¬
serer Regelmässigkeit zwei Töne als die Gesunden, während die Amemischen, Herzkran¬
ken und Fiebernden dieselben häufiger vermissen Hessen.. Auch das höhere Alter ergab
häufiger zwei Carotistöne als die Jahre unter dem dreissigsten. Bei Individuen höheren
Alters, Atheromatösen, Potatoren und Emphysematosen waren in der Regel die Töne
besonders laut und prononcirt. Der gcfässdiastolische Ton war in der überwiegenden
Mehrzahl der Fälle viel schwächer und dumpfer als der gefässsystolische, nur nicht bei
Erkrankungen des Herzens und der grossen Gefässe.
22
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Das Fehlen eines Tones betraf ausnahmslos die Gefässdiastole und zeigte sich bei
Gesunden nicht seltener als bei Kranken. Die Träger des einzigen langgezogenen Ge¬
räusches waren hochgradig anämisch oder litten an Aortainsufficienz oder Aortastenose
oder Pulmonalstenose. Gefässdiastolisches Geräusch neben gefässsystolischem Ton war
seltener bei Gesunden, häufiger bei Kranken, besonders Herzkranken, Anämischen und
Fiebernden.
Was die Entstehung der Carotistöne anbetrifft, so ist auch der erste Ton an der
Carotis, wie nach der allgemeinen Annahme der zweite, blos vom Herzen heraufgeleitet.
Die Gründe dafür sind folgende: Der erste Ton über der Carotis steht entweder im
gleichen Intensitätsverhältniss zum zweiten Carotiston, wie der erste Ton an der Basis
des Herzens zum zweiten Ton daselbst oder er ist noch dumpfer und klangloser; die In¬
tensität des ersten Carotidentones ist von der Stärke des ersten Tones an der Herzbasis
völlig abhängig; wo der erste Ton über der CarotiB lauter war als der zweite, zeigte
sich das Gleiche an der Herzbasis; in sämmtlichen 26 Fällen (7 Herzfehler, 19 sogen,
accidentelle Geräusche), bei denen an der Basis des Herzens statt des ersten Tones
ein Geräusch war, hörte man auch an der Carotis statt des ersten Tones ein Geräusch;
nur in vier Ausnahmefällen bei Emphysem, und gerade wegen des Emphysems, wurde
der erste Ton an der Carotis laut und deutlich gehört, während er an der Basis des
Herzens schwach war oder fehlte; in einigen Fällen mit besonders klangvollen Tönen
war die Höhendifferenz zwischen erstem und zweitem Tone gleich sowohl an Herzbasis
wie an der Carotis; auch an Cruralis und Brachialis wird unter normalen Verhältnissen
autochthon kein Ton gebildet. Die Geräusche über der Carotis sind vom Herzen herauf
fortgeleitet oder in der Carotis selber entstanden. Die in der Carotis selber entstandenen
Geräusche sind Flüssigkeitsgeräusche, bedingt durch wirbelförmige Bewegungen. Die
Wirbel entstehen in den Fällen, wo nicht örtliche Verengerungen oder Erweiterungen
den Grund bilden, wie bei Aneurysma, dann, wenn die Arterie auf der Höhe ihrer Sy¬
stole nur sehr wenig gespannt ist — niedriger absoluter Werth des Spannungsminimums
—, ein Spannungszuwachs durch die Pulswelle sehr rasch hinzutritt und bis zur Höhe
der Arteriendiastole einen bedeutenden Grad erreicht, so dass die Differenz zwischen
Spannungsminimum und Spannungsmaximum rasch eine bedeutende wird. Deshalb findet
man die Carotisgeräusche nicht bei Atherom der Arterien und bei Granularatrophie der
Nieren, wo Spannungsminimum und mittlere Spannung ungewöhnlich gross sind; dagegen
sind die Carotisgeräusche häufig bei Ansemischen und Fiebernden mit geringer Anfangs-
Spannung der Arterien.
An der Subclavia über und unter dem Schlüsselbein werden etwas seltener, um 6°/o*
zwei Töne gehört als an der Carotis; statt der in Wegfall gekommenen zwei Töne wird
am häufigsten gehört über dem Schlüsselbein diastolisches Geräusch mit systolischem Ton,
unter dem Schlüsselbein nichts. In einem einzigen Falle fehlte Uber und unter dem
Schlüsselbeine jede Schallerscheinung; es handelte sich um ein ausgeprägtes Emphysem;
an der Carotis waren dabei zwei Töne zu hören und zwar lauter als an der Basis des
Herzens.
Auch die über und unter dem Schlüsselbeine zu hörenden reinen Töne sind nur vom
Herzen fortgeleitet, und zwar nicht einmal ausschliesslich auf dem Wege der Blutbahn;
denn Compression der Arterie über dem Schlüsselbein lässt sie kaum weniger laut wer¬
den, dagegen ist bo häufig bei Emphysem unter dem Schlüsselbeine, während über ihm
und an der Carotis laute Töne bestehen, nichts zu hören, eben weil die Fortleitung vom
Herzen in gerader Linie zu der Stelle, wo wir das Stethoscop aufsetzen, durch da¬
zwischen liegende dickere Schichten von emphysematosem Lungengewebe erschwert ist.
Wahrscheinlich kommen die Töne in der rechten Subclavia mehr von der Aorta, die in
der linken mehr von der Pulmonalis her.
Auch die Geräusche sind vom Herzen fortgeleitet oder in der Subclavia autochthon
entstanden, ganz so wie für die Carotis ausgeführt worden; nur sind gefässdiastolische
Geräusche über der Subclavia sowohl bei jugendlichen ganz gesunden Individuen als bei
Fiebernden und Anämischen noch häufiger beobachtet als an den Carotiden.
Von einem Subclaviculargeräusch im engeren Sinne, welches gemäss verschiedenen
Autoren mit einer gewissen klinischen Bedeutung für die Diagnose beginnender Lungen-
phthisis ausgestattet werden könnte, möchte Weil nur dann etwas wissen, wenn man dar-
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328
unter verstehen will ein Geräusch, das nur unter dem Schlüsselbein zu hören ist, oder
unter demselben wenigstens lauter als über demselben, das einen rauhen Character hat
nnd durch Athembewegungen modificirt wird. Ein solches Geräusch hat er nur 6 Mal
bei 600 Individuen beobachtet; eines war schwanger, eines syphilitisch ohne Zeichen einer
Lungenerkrankung, die andern litten an chronischer Pneumonie und chronischem Bron¬
chiales tarrh. In allen Fällen waren über der Clavicula derselben Seite sowie Uber und
unter dem Schlüsselbein der andern Seite zwei Töne zu hören. In drei Fällen, den zwei
Pneumonieen und der Schwangerschaft, fielen am Radialpuls auf der Seite des Subclavi-
culargeräusches auf der Höhe der Inspiration mehrere Schläge aus, einseitig paradoxer
Puls. All dies berechtigt, dieses 8ubclaviculargeräusch als ein Stenosengeräusch aufzu¬
fassen, entstanden dadurch, dass oberhalb der Hörstelle desselben die Arterie gezerrt und
geknickt worden, besonders durch Verwachsungen der Pleurablätter ; für die Diagnose
einer Lungenspitzenerkrankung gibt es keine Sicherheit, aber Wahrscheinlichkeit.
In der grossen Mehrzahl der Fälle, 86°/ 0 , nimmt man über der Art cruralis weder
einen Ton noch ein Geräusch wahr, falls man das Stethoscop ohne Druck aufsetzt.
Nur sehr selten, nur in 7°/ 0 dieser Fälle, ist bei gesunden oder mit den verschie¬
densten Krankheiten behafteten Menschen ein Ton zu hören; es waren ausnahmslos ju¬
gendliche Individuen. Dagegen bieten Fiebernde, Anämische und Herzkranke sehr häu¬
fig, nämlich 38°/ 0 derselben, einen Ton. Unter den Herzkranken waren nicht blos solche,
wie man bisher anzunehmen gewohnt war, mit Aorteninsufficienz, sondern Pulmonalste-
nose, Mitralinsufflcienz, Mitralstenose, Hypertrophie ohne klare Aetiologie und Fettherz
waren ebenso wohl vertreten. Nur in zwei Fällen waren Ton und Cruralispulsation nicht
gleichzeitig, der Ton also, wie schon Conrad als möglich gezeigt, vom Herzen fortgeleitet.
In allen andern Fällen konnte der mit dem Cruralpuls isochrone Cruralton nur an Ort
und Stelle entstanden sein und zwar indem bei der Pulsation durch plötzlich eintretende
Spannungszunahmo der Arterienmembran dieselbe zum Tönen kam. Die gleiche Ursache
macht an der Carotis und Subclavia ein Geräusch; der Grund ist die in der Carotis schon
von vornherein geringere Spannung. Nimmt der Druck im Arteriensystem ab, bei Fieber,
Antenne, Herzfehler, Jugend, so ist, früher als in der stärker gespannten Cruralis, in der
zuvor bereits schlafferen Carotis schon eine Grenze erreicht, wo die Anspannung der Ar¬
terienwand nicht mehr zu Tonbildung , sondern blos zu Geräuschbildung zu führen ver¬
mag. Deshalb wird in der Regel, wenn die CruraliB tönt, in Carotis und Subclavia ein
Geräusch gehört.
Spontanes Geräusch in der Cruralis hat Weil ein einziges Mal gehört bei einer Frau
mit Eczem, die sich gerade im Momente der Untersuchung in der höchsten Aufregung
befand; er fürchtet, die Autoren möchten meist nur Druckgeräusche erzeugt haben.
Denn ein Geräusch in der Cruralis kann durch Druck in jedwedem Falle erzeugt
werden. Immer tritt das Geräusch nur im Moment des Arterienpulses auf, niemals
konnte Weil es als ein continuirliches hervorbringen, denn Verstärkung des Druckes
machte das Geräusch erst nur länger, rauher und lauter, dann wieder schwächer und
kürzer und hob es endlich bei nahezu vollständigem Verschluss des Arterienlumens voll¬
ständig auf.
Comprimirt man zuerst die Arterie vollständig und lässt dann um ein Minimum mit
dem Drucke nach, so hört man einen meistens sehr lauten, klangvollen, dem Pulse syn¬
chronen Tön. Weil, obschon er diesen Druckton der Cruralis von keinem Autor erwähnt
finden konnte, hat ihn nur in 2,5% seiner Fälle vermisst bei enorm gespannten Arterien
und ausserordentlich starkem Fettpolster.
Ein Doppelgeräusch an der Cruralis, das heisst zwei durch eine wenn auch noch so
kurze Paase deutlich getrennte Geräusche, waren nur in 7 Fällen vorhanden, bei Aorten¬
insufficienz, Atherom und Typhus. Das double souffle ist stets ein Kunstproduct. Zur
Hervorbringung desselben war ein Druck nothwendig, der etwas geringer war als der¬
jenige zur Hervorrufung des Drucktones. Weil ist geneigt, das Doppelgeräusch bei der
Aorteninsufficienz der retrograden Bewegung des Blutes nach dem Herzen hin zuzuschrei-
ben, bei den Typhen aber als Ausdruck des katadicrofen, bei den Atheromatöeen des
anadicroten Pulses aufzufassen.
In zwei Fällen von Mitralstenose war ein spontaner Doppelton zu hören, der bisher
ausschliesslich bei Aorteninsufficienz beobachtet wurde. Der erste gefässdiaetoliaohe Ton
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ist aus der plötzlichen Anspannung, der systolische aus der plötzlichen Abspannung der
Arterienmembran zu erklären.
Wesentlich die gleichen Schallerscheinungen wie bei der Cruralis begegnet man über
der Art. brachialis. Der Hauptunterschied beruht darin, dass an der Brachialis der Spon¬
tanton noch viel seltener gefunden wird, dass das Druckgeräusch mitunter fehlt, dass der
Druckton dagegen fast ausnahmslos, das Doppelgeräusch etwas häufiger getroffen wird.
Hadialis, dorsalis pedis und andere kleinere Arterien geben nur höchst selten
Schallerscheinungen, Spontanton, Druckgeräusch und Druckton.
Das Ergebniss der fTeifschen Untersuchungen an den Venen gipfelt in dem Satze,
dass weder das Vorkommen des Nonnengeräusches an sich, noch die Intensität oder der
Rhythmus desselben, nooh endlich das Auftreten eines solchen schon in der Rückenlage
des Untersuchten mit einer besonderen Erkrankungsform in bestimmtem Zusammenhang
steht. Der Zahlennachweis für diese Behauptungen ist im Buche geliefert. Das Nonnen¬
geräusch entsteht dutch das Einfliessen des Blutes aus dem engeren Stück der Vena
jugularis interna in den relativ weiteren Bulbus über der Verbindungsstelle mit der
Subclavia. Es ist in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ein continuirliches, seltener
ein intermittirendes und zwar mit etwa gleicher Häufigkeit entweder ein inspiratorisches
oder ein herzdiastolisches Geräusch. Niemals waren continuirliche Geräusche beim Em¬
physem zu hören, bei Aneemie und Chlorose dagegen die Geräusche relativ häufiger con¬
tinuirliche als selbst bei jugendlichen gesunden Individuen.
Exspiratorisches oder herzsystolisches Jugularklappengeräusch kann durch das rück-
strömende Blut entstehen, wenn die Klappen an der Einmilndungsstelle der Vene in die
Vena anonyma insufficient werden. Weil beobachtete dies fünfmal, bei Mitralstenose und
Tricuspidalinsufficienz, Emphysem, Atherom, Magencatarrh, Chlorose. Einmal fehlte Venen¬
puls trotz Anwesenheit des exspiratorischen Geräusches.
Bamberger hat zuerst den Klappenton der Jugularvene gehört, einen deutlichen dum¬
pfen, herzsystolischen Ton in Folge der plötzlichen und energischen Anspannung, in welche
die sufficienten Klappen durch das andringende Blut versetzt werden. Einmal beobach¬
tete Weil dieses Phänomen bei Tricuspidalinsufficienz gleich andern Autoren. Zwei Ge¬
sunde, ein Ansemischer und zwei Fiebernde hatten über der Subclavia ein nicht von der
jugularis her fortgeleitetes Nonnengeräusch.
In einem einzigen Falle, wahrscheinlich von beginnendem Morbus Basedowii, sauste ein
continuirliches Nonnengeräusch in den vense thyreoidese, bei einem acuten Darmcatarrh ein
solches in der vena facialis communis. Nonnengeräusch in den vense anonym* und der
cava superior boten 5 Fälle, Gesunde, Chlorotische und Strumabehaftete. Selten, ausser
künstlich durch Druck erzeugt, nur in 12 Fällen, gleich 2%, kam ein Nonnengeräusch in
der vena cruralis zur Wahrnehmung ; auch dieses war nicht ausschliesslich von ansemischen
Zuständen begleitet. Häufiger dagegen, in 13% j besonders bei chronischer Pneumonie
und Emphysem, erregte kurzer Husten oder rasche drängende Thätigkeit der Bauchpresse
ein exspiratorisches Gruralvenengeräusch, das meist mit Schwirren vergesellschaftet ist
Es beruht auf Insufficienz der am PouparCschen Bande gelegenen Klappen oder Fehlen
dieser Klappen, wobei das Blut bei plötzlich verstärktem Exspirationsdruck in wirbelnder
Bewegung bis zu den 9—12 cm. weiter unten gelegenen Klappenapparaten zurückgewor¬
fen wird. Seitz.
Kantonale Correspondenzen.
Bern. Die Zuverlässigkeit der Impfstatistiken. Die k. k. privil.
österr. Staatseisenbahn beschäftigt circa 37,000 Angestellte und Arbeiter, welche .mit
ihren Angehörigen eine Seelenzahl von 55—60,000 repräsentiren. Unter dieser registrir-
ten Bevölkerung practiciren 80 angestellte Aerzte, welche die Bediensteten der Bahn¬
gesellschaft sammt deren Angehörigen ärztlich zu besorgen und über die Vorkommnisse
in dieser Praxis monatlich einen statistischen Bericht sowie alljährlich einen ausführlichen
Gesammtbericht an die Generaldirection der Bahn einzureichen haben. Wenn nun College
Hagenbach in der letzten Nummer des Correspondenz-Blattes (S. 293) diese Berichte von
80 über eine grosse Landstrecke zerstreuten Aerzten von verschiedenen Schulen dadurch
zu entwcrthen sucht, dass der Chefarzt jener Bahn, Dr. Jos. Keller , in einem ganz andern
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325
Gebiete der Medicin, nach der Aussage von Zinn und Bäumler , „oberflächliche und unrich¬
tige Angaben“ gemacht habe, so ist mir diese Schlussfolgerung unverständlich. Ange¬
nommen es sei dies der Fall, was ich aus Unkenntniss der Acten nicht beurtheilen kann,
so muss ich den verehrten Collegen um Belehrung bitten, wie so jene 80 Aerzte, welche
unabhängig von einander ihre statistischen Berichte einsenden, deshalb auch kein Zutrauen
verdienen sollten? Und wenn er allfällig annimmt, dass Keller beim Zusammenstellen der
Zahlenangaben Anderer sich tendenziöse Abänderungen derselben hätte zu Schulden kom¬
men' lassen, so müsste ich ferner um Aufklärung bitten, wie der Angeschuldigte dazu
kommen sollte, jene Zahlen in selbstmörderischer Absicht zu entstellen? Keller gehörte
nämlich vor seiner ersten Zusammenstellung noch zu den Anhängern des Impf-Dogma’s
und sah bei dieser Arbeit die Zahlen seiner Collegen sich so offenbar gegen seine impf¬
freundliche Ansicht kehren, dass diese bei ihm, tödtlich getroffen, auf dem Schlachtfelde
blieb. Wollte ich nun auch annehmen, dass Keller hiebei in einen Irrthum oder eine Falle
gerathen sei, so müsste ich es als einen Fingerzeig der göttlichen Vorsicht ansehen, wie
sie seine Zusammenstellungen trotz aller Irrthümer oder gar Fälschungen so glücklich
lenkte, dass dieselben dann doch so wunderbar nahe mit den Resultaten übereinstimmen,
welche aus den Aufnahmen des impffreundlichen Medicinalcorps der deutschen Reichs¬
hauptstadt hervorgehen, und welche ich Seite 260 des Correspondenzblattes getreulich
der Bearbeitung des warmen Anhängers der Vaccination, des Geheimen Medicinal- und
Regierungsraths Dr. E. H. Müller in Berlin, abgeschrieben und neben die Keller' sehen An¬
gaben gestellt habe. — Es kann mir daher nur zur Genugthuung dienen, wenn College
H. wenigstens die Zuverlässigkeit des letzteren Autors nicht wie diejenige Keller ’s in
Zweifel zieht, weil das Material von Jenem glücklicherweise 5*/s Mal so gross ist als
dasjenige von diesem und daher mit einer 6% Mal grösseren Sicherheit zu den Schlüssen
führt, zu welchen Keller mit seinem kleineren Material gelangte. Aber noch mehr: die
bayrische Impfstatistik, welche ich in einem soeben erschienenen Schriftchen, „diePocken-
und Impffrage im Kampfe mit der Statistik“ bearbeitet habe, ist von mehr als 2000
Aerzten, die sicherlich noch zu mehr als 90% zum alten Impfdogma schwören, binnen
6% Jahren (1. October 1868 bis Ende 1874) aufgenommen und von einem sehr eifrigen
Anhänger der Vaccination zusammengestellt worden, und gibt — fast identische Verhält¬
nisse, wie die oben bereits genannten Arbeiten. Ich flüstere sogar meinem verehrten
Herrn Collegen noch leise zu, dass er gar kein statistisches Material über diese Frage,
welches die Altersclassen und Geimpfte von Ungeimpften unterscheidet, besitzt noch
kennt, welches wesentlich ein anderes Resultat ergäbe. Wofür also den offenen Kampf
um eine grosse sociale Frage in die engen Seitengässchen der Persönlichkeiten und die
dunkeln Hinterhöfchen der Syphilis und Quecksilbervergiftung hineinziehen? Hat man die
Tageshelle auf der freien Wahlstatt der Wissenschaft zu scheuen?
Während ich mich in meinem Aufsatze in Nr. 9 dieser Blätter wesentlich an die
Bntnner’ sehen Angaben halte und das berliner Material ex aequo neben das Keller'acho
stelle, und während ich in der bereits erwähnten grösseren Arbeit sogar mit ausgespro¬
chener Absicht ganz ausschliesslich nur Material aus impffreundlicher Feder verwerthe,
begrüsst mich College Kogenbach mit dem unzarten Vorwurf, dass ich „allen möglichen an¬
dern Statistiken den Fusstritt gegeben habe“. Vous vous fächez, donc.
Adolf Vogt.
Basel. Die Redaction war so freundlich, mir obige Entgegnung von Herrn Col-
lega Vogt im Manuscript mitzutheilen, mit der Anfrage, ob ich demselben einige Bemer¬
kungen beizufügen hätte. Ich mache in aller Kürze von dieser Offerte Gebrauch. Ich
war mir sehr wohl bewusst, dass ich mit meiner Correspondenz in der letzten Nummer
mich als Zielscheibe einem gefährlichen Schutzen hinstelle, dessen Geschosse mir, offen
gestanden, schon manchen vergnügten Moment verschafft hatten, wenn sie das Object am
richtigen Fleck trafen; doch die Pfeile sind diesmal vorbei geflogen.
Meine Schlussfolgerung ist Herrn Vogt unverständlich. Wäre die Zahl der Aerzte
auch eine noch viel grössere, die das Material zur Keller’ sehen Statistik Zusammentragen
und die Bevölkerung noch viel zahlreicher, die zu Grunde gelegt ist, ich müsste auf
meinem Schluss bestehen, dass ein Mann, der auf einem anderen Gebiet der Medicin mit
so wenig Kritik gearbeitet, fehle demselben nun der Fleiss, genau nachzusehen, oder die
Fähigkeit, objectiv vorzugehen oder irgend eine andere nothwendige Eigenschaft für solche
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326
statistischen Arbeiten, mir durch seine Zusammenstellungen kein Vertrauen einflösst. Mein
Magen könnte solche Früchte mm und nimmermehr verdauen und wären dieselben auch
nach der neuesten Anforderung der medicinischen Statistik präparirt und servirt Und
fast muss ich trotz der Bcharfen Entgegnung annehmen, dass die „engen Seitengässchen
der Persönlichkeiten und die dunklen Hinterhöfchen der Syphilis und Quecksilbervergif-
tung“ dem Hygieiniker durch den schlechten Geruch, den sie über eine von ihm als
werthvoll erklärte Statistik verbreiten, nicht ganz bequem liegen.
Wenn ich übrigens Herrn Vogt durch meinen Ausdruck, er habe allen möglichen
Statistiken den Fusstritt gegeben, in seinem Zartgefühl verletzt habe, so bitte ich
dafür höflichst um Entschuldigung; ich habe wirklich nicht gewusst, dass er mit so
feinen Handschuhen angerührt sein will, während er gar oft Bioh des viel solideren Fecht-
stulpens bedient, wenn er dem Gegner seine Hiebe beibringt.
Wenn mir schliesslich vorgeworfen wird, ich hätte mit Unrecht behauptet, Herr Vogt
habe mit allen möglichen Statistiken aufgeräumt, so habe ich nach abermaligem
Lesen seines Artikels denselben Eindruck, dass er nämlich nur die Müller' sehe und Keller -
sehe Statistik gelten lässt, alle übrigen aber für unrichtig hält. —
Dass er übrigens Statistiken von früher und jetzt unter sein kritisches Messer nimmt,
darüber freue ich mich aufrichtig, scheue mich aber auoh nicht das, was mir an seinen
„zuverlässigen Documenten“ nicht gefällt, an die Tageshelle zu ziehen. Hagenbach.
8t» Gallen. Pocken impfung und Lady Montagu e. Die Impfgeg¬
ner machen sich in ihren Schriften auch mit historischen Kenntnissen gross: es stamme
die Pockenimpfung aus Indien, daselbst habe Lady Wortley selbige kennen gelernt und
nach England verpflanzt, und sie stellen dann diese Lady und die ersten Impfförderer so
einfältig dar, als hätten letztere es in dem Glauben gethan, jeder Mensch müsse einmal
die Pocken haben, um gesund zu sein, es sei dies eine Art Reinigungsprocess des Blutes.
Dieser breiten Unkenntniss und böswilligen Entstellung gegenüber ist es vielleicht nicht
ohne Interesse, eine Uebersetzung des Originals zu geben. — Lady Mary Wortley Mon-
tague war die Gemahlin deB einstigen englischen Gesandten in der Türkei, und ging als
solche in den Jahren 1716 — 18 über Wien nach Belgrad, Adrianopel und Konstantinopel,
und dann über Tunis und Genua zurück, und sie gab als eine Art Reisebeschreibung ihre
Beobachtungen in Briefform heraus, die vermöge ihrer schönen Sprache und feinen Be¬
merkungen so grosses Ansehen erlangten, dass noch im siebenten Jahr der französischen
Republik bei Didot in Paris eine Stereotypausgabe (englisch) herauskam. Von Indien
steht darin nirgends ein Wort.
Im 31. Briefe, datirt: Adrianopel, 1. April 1717 (alter Kalender), berichtet Lady M.
zuerst von der Pest, dass sie nicht so fürchterlich sei, als man gewöhnlich erzähle. Sie
habe zwei bis drei von derselben stark inficirte Städte passirt, und im nächsten Hause,
wo sie logirte, seien zwei Personen daran gestorben, was sie freilich glücklicherweise
nicht gewusst habe. Aber ihr Koch sei daran erkrankt, und habe sie ihren Doctor bei
ihm zurückgelassen, und beide seien gestern in bester Gesundheit zurückgekehrt Sie
fährt dann fort:
„Da ich von Krankheiten spreche, so will ich Ihnen etwas erzählen, dass Sie wün¬
schen möchten, selbst hier zu sein. Die Pocken, so schlimm und so allgemein bei uns,
sind hier vollständig harmlos, durch die Erfindung des Einpfropfens (engrafting), wie man
es heisst. Es gibt hier alte Frauen, die sich ein Geschäft daraus machen, die Operation
auszuführen, jeden Herbst im September, wenn die grosse Hitze nachgelassen. Die Leute
senden zu einander, um zu wissen, ob einer ihrer Familie Willens sei, die Pocken zu ha¬
ben, und wenn sie sich partieweise (gewöhnlich 15—16 zusammen) gesammelt, kommt
die alte Frau mit einer Nussschale voll Stoff der besten Pockensorte und frägt, welche
Ader sie geöffnet wünschen. Alsbald ritzt sie mit einer breiten Nadel die dargebotene
Stelle (was nicht mehr Schmerz macht, als ein gewöhnlicher Kratz) und bringt in die
Ader so viel Stoff, als auf ihrem Nadelkopf Platz hat, und alsdann verbindet sie die kleine
Wunde mit einem hohlen Stückchen Muschel und auf diese Art öffnet Bie eine oder fünf
Adern. Die Griechen haben gewöhnlich den Aberglauben, eine in der Mitte des Vorder¬
kopfes, eine an jedem Arm und eine auf der Brust zu öffnen, um das Kreuzzeichen zu
erwirken. Aber dies hat einen üblen Effect, indem diese Wunden kleine Narben hinter¬
lassen, während die, welche nicht abergläubisch sind, dieselben an den Beinen oder an
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oogle
327
einem Theile des Armes wählen, die verborgen sind. Kinder oder junge Leute spielen
den Best des Tages mit einander und bleiben vollkommen gesund, bis zum achten Tage,
dann beginnt das Fieber sie zu ergreifen, und sie hüten das Bett zwei, selten drei Tage.
Sie haben selten mehr als zwanzig oder drcissig in ihrem Oesichte, die sich niemals mar-
kiren, und .in Zeit von acht Tagen sind sie wieder so wohl als vorher. Wo sie ver¬
wundet wurden, bleiben fliessende Geschwttrchen während ihrer Erkrankung, zu grosser
Erleichterung, wie ich nicht zweifle. Jedes Jahr unterziehen sich Tausende dieser Ope¬
ration, und der französische Gesandte sagt scherzweise, dass sie hier die Pocken nehmen
zum Zeitvertreib, wie man in unsern Gegenden die (— gebrannten! —) Wässer nimmt
Es ist ohne Beispiel, dass Einer deshalb gestorben wäre, und Sie mögen glauben, dass
ich Über die Sicherheit des Experiments getrost bin, da ich im Sinne habe, meinen lieben
kleinen Sohn demselben zu unterziehen. Ich bin Patriotin genug, mir Mühe zu geben,
diese nützliche Erfindung in England in Aufnahme zu bringen, und ich will nicht erman¬
geln, einem unserer Doctores speciell darüber zu schreiben, sobald mir einer bekannt ist,
von dem ich glaube, er sei so uneigennützig, solch’ einen beträchtlichen Theil des Ein¬
kommens zu vernichten zum Wohle der Menschheit Aber diese Krankheit ist für die¬
selben zu einträglich, um zu all’ ihrer Einbusse noch die kühne That zu unternehmen,
derselben ein Ende zu machen. Vielleicht, wenn ich wohl erhalten zurückkehre, mag ich
den Muth haben, dafür zu kämpfen. Bei dieser Gelegenheit mögen Sie den Heroismus
bewundern im Herzen Ihrer Freundin-“
Die Impfgegner behaupten, die Aerzte seien für’s Impfen, weil es ihnen viel ein¬
trage, und Lady M. meint, die Pockenbehandlung wäre den Aerzten denn doch viel ein¬
träglicher. Wer hat wohl Recht? J. Zuber.
Zürich. Sonntag den 8. April sah Limmathathen wieder einmal eine kleine
Schaar von „Kornblumenblauen“ zum Op er ati o n s - Wied er h olungs cur s ein¬
rücken. — Wir waren unser 14, alle zwar als „ältere Aerzte“, gereift in langjähriger (?)
Praxis, alle aber doch voll Begier, mit dem letzten Rest jugendlichen Feuers und jugend¬
licher Kraft, die uns etwa noch innewohnten, uns aufzuraffen zu dem grossen Werk, wozu
das Vaterland uns rief.
Zu diesem Wettlauf nach hohem Ziel wusste denn auch unser thatkräftiger Schul-
commandant, Herr Major Dr. E. Rahn , mit kluger Berechnung uns dadurch anzuspornen,
dass er uns gleich am ersten Sonntag Nachmittag zu einem Ausmarsch auf den Uetliberg
commandirte und uns dort oben alle Herrlichkeiten unsrer Alpenwelt vorführte, zugleich
aber auch auf das schwarze Gewölk wies, das mahnend und drohend vom Orient her
aufstieg.
So vorbereitet gingen wir denn am Montag in aller Frühe an die Arbeit. Das über¬
raschend reiche Leichenmaterial gestattete uns bei täglich ÖstUndiger Thätigkeit schon
am Donnerstag unsern eigentlichen Operationscurs zu beenden, aus welchem gewiss ein
Jeder von uns — mag er der practischen Chirurgie ferner stehen, mag er vielleicht selbst
operativ thätig sein — bleibenden Nutzen gezogen hat Es war für uns namentlich sehr
anregend, auf dem Gebiete der Resectionen von dem liebenswürdigen Leiter des Curses,
Herrn Prof. Rose, mit mehreren für uns neuen Verfahren bekannt gemacht zu werden.
Die übrigen 8 Vormittage füllten die von demselben gehaltenen Vorlesungen über
Kriegschirurgie , die von Herrn Prof. Homer mit gewohnter Klarheit ertheilten Vorträge
über Augenuntersuchungen bei Militärpflichtigen aus; ferner der von Herrn Assistenzarzt
Dr. Schläpfer gegebene Verbandcurs, worin uns derselbe hauptsächlich mancherlei neue
Contentivverbände demonstrirte.
Hatten wir in den kriegschirurgischen Vorlesungen Gelegenheit, die reichen Erfah¬
rungen und die feine Beobachtungsgabe des Docenten zu bewundern, so zeigte sich dieser
in mehreren schwierigen Fällen auch als gewandter und kühner Operateur.
Bei den öfters in corpore gemachten Besuchen der Krankensäle waren wir einiger-
maassen enttäuscht, die consequente Dnrohführung der offenen Wundbehandlung, als deren
Hort man die Zürcher Klinik anzusehen sich gewöhnt hatte, nicht mehr beobachten zu
können. Sollte vielleicht aus dem bis jetzt unbestimmbaren Uebergangszustand, in wel¬
chem sich letztere offenbar befindet, schliesslich noch irgend eine Form der Antisepsis
herauscrystallisiren ?
Die Nachmittagsstunden waren dem Studium der Sanitätseinrichtungen und des Am-
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bulancewesens unsrer Armee, sowie den trefflichen Vorträgen gewidmet, die unser Schul-
commandant Uber Militärhygieine hielt.
Was nun das ausserdienstlicbe Leben, die social-amicale Soite des Curses betrifft,
so wäre auch darüber viel zu berichten. War auch die Witterung ungünstig, Schnee
bis an die Knöchel und Regen bis auf die Haut, so war dafür um eo günstiger , was
nach wohl vollbrachtem Tagewerk Cantine und „Cafd Helvetia“ boten. Zu unsern schön¬
sten Erinnerungen aber rechnen wir den täglichen Sonnenaufgang in Nr. 97 der Caserne,
den gemüthlichen „Kreuzjass“ auf der „Meise“, den glarner Sonntagsbummel und den
flotten Salamander, den wir beim Commers am letzten Abend auf unsere Professoren und
auf unsern Major rieben. Sie leben hoch! C.
W ochenbericht.
Schweiz.
Bern. Der III. Schweizer -Aerzte. tag war ausserordentlich zahlreich be¬
sucht und nahm einen höchst gelungenen Verlauf. Ueber die Verhandlungen berichten
wir in nächster Nummer.
Bern. An Stelle des demissionirendeH Chefarztes des äusseren Krankenhauses,
Herrn Dr. K. v. Erlach , wurde von der Inseldirection Herr Dr. Hans Weber (gewesener Cur-
arzt in Bad Heustrich) berufen.
Bex. Schweizerische naturforschendo Gesellschaft. Von der
letztjährigen Versammlung der Schweiz, naturf. Gesellschaft in Basel wurde beschlossen,
dass die sechzigste Jahresversammlung in Bex (Waadt) stattfinden soll. Der Jahres¬
vorstand (Prof. J. B. Schnelzler, Vicepräsident für den erkrankten Präs. Prof. Dr. L. Dufour ,
beide in Lausanne und der Actuar Prof. Dr. A. Forel in Morges) ersucht nun durch Cir¬
culare, dieser Versammlung beizuwohnen, welche vom 19. bis am 22. August 1877 nach
folgendem Programm stattfinden wird :
Sonntag den 19. August, um 4 Uhr, Sitzung der vorberathenden Commission im
Cercle de Bex. Im Bahnhof von Bex werden die Festkarten gelöst. Um 8 Uhr gesel¬
lige Vereinigung.
Montag den 20. August, Morgens 8*/ a Uhr erste allgemeine Sitzung in der Kirche von
Bex. Um 1 Uhr officielles Mittagessen, um 8'/, Uhr Ausflug in die Salzbergwerke von Bex.
Dienstag den 21. August, Morgens 8 Uhr Sectionssitzungen. Um 3 Uhr Ausflug
nach le Montet und den erratischen Blöcken Pierre-Bessaz und Bloc-Monstre von Char-
pentier.
Mittwoch den 22. August um 8 Uhr zweite allgemeine Sitzung. Schluss der Jahres¬
versammlung. Nachmittag Ausflug in den Canton Wallis.
Die Mitglieder der Gesellschaft werden eingeladen, bei gutem Wetter nach dem
Abschluss des Festes in den Alpen von Waadt und Wallis verschiedene Ausflüge unter
der Leitung einiger Glieder der waadtländischen naturforschenden Gesellschaft zu machen.
Da Bex nur ein kleiner, wenn auch durch seine natürliche Lage und die Salzwerke
doppelt anziehender Ort ist, ersucht der Vorstand um rechtzeitige Anmeldung (bis zum
1. August). Wir hoffen und wünschen zahlreiche Betheiligung.
Ausland.
England. Tod durch Lachgas. Dr. Harrison , Arzt in Manchester, ca. 30
Jahre alt, Hess sich nach 2tägigen heftigen Zahnschmerzen bei einem benachbarten Zahn¬
arzt 2 Zähne ausziehen. Vor der Operation bat er letztem, ihn gründHch durch Stick¬
oxidulgas zu narcotisiren; diesem Wunsche wurde entsprochen und zwar ohne weitere
Assistenz. Nach vollführter Operation erwachte Mr. Harrison nicht mehr, trotz verschie¬
dener Belebungsversuche. Bei der Section wurde starke Blutüberfüllung der Lungen und
des rechten Herzens gefunden, „am Herzen einiges Fett“ ; — das Verdict lautet auf Tod
durch Syncope. Bis jetzt sind ausser diesem nicht mehr als 1 oder 2 Todesfälle durch
Lachgas bekannt geworden. (St. Petersb. med. W. 1877, 16.)
Frankreich. Luxation des Processus xyphoideus bei Schwangerschaft
wurde von Dr. Folaillon bei einer Frau beobachtet, welche ihre Schwangerschaft durch enges
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Schnüren dee Corsets zu verheimlichen suchte. Sie fühlte im 7. Monate einen heftigen
Schmerz im Epigastrium; es entstand eine kleine Geschwulst. Die Schmerzen steigerten
sich bei Arbeit und endlich bei der Geburt, die mit der Zange vollendet werden musste.
In der Gegend des unteren Sternalendes zeigte sich eine quere Erhöhung mit hartem
Rande, das vorspringende Stück war von vorne nach rückwärts beweglich; vollständige
Luxation des Proc. xyphoid. nach hinten. Die Reduction war ohne Erfolg, der Schwert¬
fortsatz heilte in der abnormen Stellung fest; der Schmerz verschwand. Zwei trauma¬
tische Luxationen hat Malgaigne beschrieben, es ist dies also der dritte beobachtete Fall.
(Aerztl. Intell.-Bl. 1877, 16.)
Frankreich. W atteverband. Desormeaux hat am 22. März der Acadömie
de mödecine in Paris die neueren Resultate seines Watteverbandes vorgelegt und als
seine Hauptvorzüge den Vortheil der unmittelbaren Vereinigung sowie der ganz bedeutend
verminderten Gefahr der purulenten Infection hervorgehoben, so dass auf seiner Abthei¬
lung überall da, wo der Verband regelrecht konnte angelegt werden, die purulente Infec¬
tion sozusagen unterdrückt wurde und das bei jedem sanitarischen Zustande des Spitales.
Desormeaux entfernt bei Amputirten seinen ersten Verband nach 12—14 Tagen, be¬
seitigt die Ligaturen und Nähte, sowie den Drain und lässt den zweiten Verband abermals
ungefähr 12 Tage liegen. Bei der Abnahme ist die Vernarbung vollendet und solid.
Der Erfolg soll sehr constant sein. (Rev. de thör. m£d. chir. 1877, 8.)
Russland. Aerztliches Vereinswesen. Die kaiserliche wilna’sche
medicinische Gesellschaft gehört zu den ältesten Einrichtungen dieser Art in Russland.
Sie ist von Kaiser Alexander I. gegründet, der dieselbe seiner besonderen Aufmerksam¬
keit würdigte und ihr den kaiserlichen Titel verlieh. Das verflossene Jahr war, wie aus
dem betr. Rechenschaftsbericht ersichtlich, das 71. Jahr des Bestehens der Gesellschaft,
welche gegenwärtig 290 Mitglieder, darunter 18 Ehrenmitglieder, zählt Die Gesellschaft
besitzt eine Bibliothek, ein Archiv und verschiedene Cabinete, die alljährlich nach Mög¬
lichkeit vervollständigt werden. An 2 Tagen in der Woche wird im Local der Gesell¬
schaft unbemittelten Kranken unentgeltlich ärztlicher Rath ertheilt, welcher im verflosse¬
nen Jahre von 1953 Personen in Anspruch genommen worden ist.
— Nach dem letztjährigen Jahresbericht der warschauer medicinischen Gesellschaft
besteht dieselbe aus 18 Ehren-, 80 wirklichen und 124 correspondirenden Mitgliedern.
Die Einnahmen aus den Mitgliedsbeiträgen etc. betrugen 2505 Rbl. (zu 4 Fr.) 83 Vj Kop.,
die Ausgaben 2318 Rbl. 49 *\ Kop. Die Gesellschaft besitzt Capitalien im Betrage von
15,166 RbL 67 Kop., welche ihr von verschiedenen Personen zu speciellen Zwecken, als
zu Prämien, Unterstützungen etc. geschenkt worden sind. Auch besitzt sie ein eigenes
Haus, welches sie im Jahre 1872 für das von Dr. Banzewitsch ihr vermachte Capital von
27,333 RbL 5 Kop. gekauft hat. Bei der Gesellschaft existirt eine Hülfscasse für ver¬
armte Aerzte und deren Wittwen und Waisen. Die Mitglieder dieser C&sse zahlen Bei¬
träge von 30 Kop. bis 1 RbL monatlich. Die Casse besitzt bereits ein aus Schenkungen
und Mitgliedsbeiträgen gebildetes Capital von 33,522 Rbl. 15 Kop. und im verflossenen
Jahre haben aus dieser Casse 78 Personen Unterstützungen im Gesammt-Betrage von
3215 RbL erhalten. (St. Petersb. med. W. 1877, 15, 16.)
Stand der Infeetions-Krankheiten ln Basel.
Vom 11. bis 25. Mai 1877.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Typhus ist wieder in vermehrter Zahl angemeldet worden: 23 neue Fälle (30, 29,
16), wovon auf dem Nordwestplateau 9 (2, 9, 3), Birsigthal 5 (5, 7, 4), Südostplateau 3
(8, 7, 0), Birsthal 1, Kleinbasel 5 (12, 6, 7). Abgesehen davon, dass einzelne Häuser
durch 2 Erkrankungen vertreten sind, lassen sich keine erheblichem örtlichen Anhäufungen
constatiren.
Von Scharlach sind nur 7 Fälle angemeldet (24, 16, 16), während er seit dem
August 1876 stets zahlreichere Erkrankungen geliefert hatte; die diesmal angezeigten
Fälle stammen aus dem Birsigthale 3, Südostplateau, Kleinbasel, Spital und Kinder-
spital je 1.
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Von Masern ist wieder 1 Fall angemeldct (Freiestrasse) nach 7wöchentlicher
Pause, welche ein völliges Erlöschen der Epidemie zu bedeuten schien; der zuletzt an¬
gezeigte Fall vom 2 April war aus Basel-Augst importirt; der Ursprung des jetzt ge¬
meldeten ist unbekannt.
Diphtherie und Croup ist sehr zahlreich: 17 Fälle (6, 10, 8), wovon 8 auf
dem Nordwestplateau, 4 im Birsigthal, je 2 Südostplateau und Birsthal, 1 Kleinbasel.
Erysipelas 10 Fälle (10, 9, 6, 4), wovon je 3 vom Nordwestplateau und Birsig¬
thal, 3 aus den Spitälern, 1 aus Kleinbasel.
Puerperalfieber 2 Fälle, beide Nordwestplateau (2, 4).
Einzelne Keuchhustenfälle (im Ganzen 7) sind aus allen Stadttheilen gemeldet
Varicellen und Bubeolae je 1 Fall.
Bibliographisches.
64) Thompson , Henry , Die Chirurg. Krankheiten der Harnorgane. Eine Reihe klinischer
Vorlesungen, gehalten im University College Hospital. Nach der 4. Auflage über¬
setzt von Dr. Dupuis. 320 Seiten. Berlin, Verlag von G. Reimer.
65) Denglet , Der V. schlesische Bädertag und seine Verhandlungen am 15. December
1876 nebst dem medic. Generalbericht über die schlesischen Bäder für die Saison
1876. 66 Seiten. Reinerz Selbstverlag.
66) Genlis Post , Nederlandsch Militair Geneeskundig Archief van de Landmacht, Zee-
macht, het Oost- en West-Indisch Leger. 1. Jaarg&ng. 1. Aflevering 1877. Ut¬
recht, Dannenfelser & Cie.
Oeffentliehe Correspondenz.
Aargan. Abwehr. Anlässlich einer Besprechung der Schrift des Herrn Prof.
Lebert über Bex im Schweiz. Correspondenzblatt erlaubt sich Herr Dr. Hermann folgenden
Passus einzuflechten: „je fölicite notre eher professeur qu’il n’ait pas comme collögue Mr.
le Dr. Ch. Avisier, actionnaire de Schinznach, qui savait trouver moyens de mettre sur mon
dos un procös d’injure de presse, parce que j'ai critiqud, en observant pareils cas dhd-
morrhagie pulmonaire, le fait qu’on traite k Schinznach des malades atteints de la phthisie
pulmonaire.“
Statt aller Rechtfertigung theile ich meinen Freunden und Collegen über diesen Pro-
cess folgende, den Acten enthobene Einzelheiten mit: Nachdem Herr Hermann seit meh¬
reren Jahren das „Bad Schinznach“ in den verschiedensten Organen der Publicistik auf
höchst leidenschaftliche Weise befehdet und unter der Devise wissenschaftlicher Kritik
sogar grobe Unwahrheiten wissentlich publicirt hatte, liess ihn der Verwaltungsrath (nicht
der Unterzeichnete, welcher längst nicht mehr Actionär von Schinznach ist) endlich ge¬
richtlich belangen wegen „verläumderischer Ausstreuung unwahrer, den
Credit der Badcans-talt von Schinznach beeinträchtigender That-
Sachen.“
Herr Heinmann wurde hierauf vom Bezirksgerichte verurtheilt und bestraft. Er re-
currirte an daB Obergericht, welches neulich nicht nur das untergerichtliche Urtheil be¬
stätigte, sondern sogar die Strafe verdoppelte.
Wildegg. Dr. C. Amsler,
Curarzt in Bad Schinznach.
Wallis« Leukerbad. An Herrn Dr. Hemtnann in Birrenlauf. Ich fühle mich ver¬
anlasst, Ihnen noch öffentlich auf Ihre Besprechung über meine Badschrift von Leuk zu
antworten und muss Ihnen gleich Anfangs bemerken, dass, wenn der Sonnenstrahl, den
Sie un8erm Thale wünschten, Sie erleuchtet hätte, Sie gewiss nicht der Art Uber meine
Brochure losgefahren wären Dennoch wollte ich stille dazu sein, wenn nicht andere
Collegen mich zu dieser Antwort aufgefordert hätten, und die ich wirklich meinen Bekann¬
ten und Freunden schuldig bin.
Gleich Anfangs in Ihrer schroffen Besprechung werfen Sie gewissen Aerzten das
Wort „Schlendrian“ nach; es ist das nicht sehr collegialisch gehandelt.
Dass wir noch nach alter Mode baden und viel, sehr viel auf verlängerte Bäder,
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besondere bei Rheumatismus und Hautkrankheiten, halten, dafür haben wir unsere guten
Gründe und die ersten Autoritäten für uns ; z. 6. lesen Sie, was Hebra in jüngster Zeit
sagt in der allg. med. Centralzeitung vom 20. Januar 1877, Seite 63 unten links unter
Nr. 5. — „Wenn gegen Hautkrankheiten Bäder mit Nutzen in Anwendung gebracht wer¬
den sollen, so müssen dieselben stets von langer Dauer sein und zwar nie unter einer
Stunde.“ — Nun haben wir aber auch Bäder von l / 3 —1 Stunde im Tag, je nach der
Krankheit und dem Befinden des Kranken; übrigens brauchen wir mit unserm 40° R.
warmen Wasser, das zu mehr als 10 Millionen Liter in 24 Stunden aus der Erde spru¬
delt, nicht zu geizen; wo immer heute noch der Fall geboten ist, wenden wir darum
verlängerte Bäder an und haben von diesen seit zwanzig Jahren nur besten Erfolg
gehabt
Auch den Badeausschlag verdammen wir nicht, aber dass man einen solchen schon
durch Berührung von Kleidungsstücken eines Badenden bekommen könne, ist in meiner
Brochure einfach geläugnet.
Für alle Krankheiten, für die ich Leuck empfohlen, und wenn sie nicht zu weit voran¬
geschritten sind, haben sich unsere Thermen als wohlthätige erwiesen, natürlich ohne dass
immer Heilung erfolgte, was ich übrigens nirgends behauptete.
Auch für alle meine Curen stehe ich ein und kann sagen, dass alle gewissenhaft
aufgezeichnet und constatirt sind.
Gerne wäre ich bereit, jedem Collegen meine Badschrift franco zuzusenden, damit
sich jeder selbst sein Urtheil darüber fällen könnte; eine collegialische Zurechtweisung
würde ich mit allem Dank annehmen.
Schliesslich bekümmern Sie sich, was die Armen beim Herrn Pfarrer zu thun haben ?
Nun, diese bringen ihm ihre Anliegen vor, weil er eben Präsident der Armencommis¬
sion ist . Ad. Brunner,
LeuckerBkd, den 22. Mai 1877. Arzt im Bad Leuck.
Anm. d. Redaction. Hiemit schliessen wir im Interesse unserer Leser die Acten
über diesen Zwischenfall; es gibt ja Gelegenheiten genug, persönliche Differenzen zum
Ausgleich zu bringen. Wir haben Besseres zu thun, als den Boden darzubieten, auf dem
diese Federkriege sich abspielen.
Briefkasten.
Dr. Niederhauser, Barcelona: Brief erhalten, besten Dank. — Dr. H. Banga, Chicago: Ich horche
auf den II. Vers. — Dr. I—d, München: Ihre Arbeit über Kindersterblichkeit in Bayern ist in Nr. 8
der „Blätter für Gesundheitspflege“ erschienen. — Dr. C. Walliser, Highland, Illinois: Es freut uns zu
vernehmen, dass das „Corr.-BL“ auch über den Ocean das geistige Bindeglied zwischen alter und
neuer Hetmath bUdet Wir hoffen, von Ihnen weitere Nachrichten zu erhalten. Gruss zurück! —
College, Nidwalden: Hat mich sehr gefreut, Antwort brieflich. — Prof. Dr. A. Vogt, Bern; Quincke,
Bern; Dr. Treiehler , Lenk: Dankend erhalten. — Dr. Jaequeli H.: Das Gewünschte wird besorgt.
— Dr. v. Muralt: Das in Aussicht Gestellte soll willkommen sein. — Dr. Einiger , Reiden: Mit Dank
erhalten. — Dr. Höchner: Erscheint in nächster Nummer und zwar, da viele Originalarbeiten drängen,
als cantonale Correspondenz. — Dr. Hosch: Dankend erhalten. — Dr. Fiechter: Die beiden Referate
mit Dank erhalten. — Dr. Trechsel: Mit Dank erhalten. — Facultä de mödecine de Genöve: Trop
tard pour le Numäro du 1 Juin. — Dr. C. in E.: Das Präparat war ein dendritisches Gerinnsel, be¬
stehend aus Fibrin und Eiterkörperchen, wie solche bei bronchitis crouposa als Abgüsse der Bronchien
expectorirt werden.
Ein Arzt offerirt den Herren Collegen zu thera¬
peutischen Yersuchen: Pilocarpin und Pulv.
1 Instrumenten-Tasche mit vor-
züglichst gearbeitetem Inhalt, ganz neu, wurde
h«: TZ fÄ' 1 ÄS Täo™ 6
thedttn Dom. tWL.Anfragen Wördrt .ab i„t,rn. VertnodStofl-Fabrlk In Sd.am.an.en,
Chiffre K. 8. 1491 die Annoncen - Expedition
Haassmtsin k Vogler in Bern. [H-561-Y]
[H-1669-Q]
Ragaz, Schweiz
Dr. Dormann, Badearzt.
332
Lenzburg oder Wasserheilanstalt Brestenberg Telegraphen-
Wi,de 9fl- am Hallwylerseo, Schweiz, — Seebüder.
Seit 33 Jahren unter der nämlichen ärztlichen Leitung. Das ganze Jahr besucht. Empfiehlt
sich Kranken und Solchen, die Erholung und Stärke suchen. Prospecte und nähere Auskunft ertheilt
[H-4024-X] Dr. A. Erismcmn.
Sommerkuren in Brügg
(bei Biel).
Gasthof und Pension zur Brücke,
gehalten von
Heinrich Vienot-Thalmann,
Eigenthümer.
Pension Fr. 4 per Tag.
Dieses neu aufgebaute Hotel, hübsch und comfortabel eingerichtet, bietet sowohl
Aufenthaltern als Logirenden einen höchst angenehmen und freundlichen Aufenthaltsort.
Brugg, welches von Jahr zu Jahr im Zunehmen begriffen ist, liegt eine kleine
halbe Stunde von Biel entfernt, an der Landstrasse nach Büren, und findet die Eisen¬
bahnverbindung nach allen Richtungen statt.
Nahe am Bahnhof gelegen, ohne jedoch im Geringsten durch den eventuellen Lärm
des Verkehrs belästigt zu sein, liegt der Gasthof am linken Ufer der Ziehl, getrennt von
letzterer durch einen prachtvollen Garten, das „kleine Paradies“ genannt.
Kurze angenehme Spaziergänge in die Umgebung bieten dem Besucher den grössten
Genuss bezüglich Lago und Aussicht, und grössere Touren führen in die schönsten Gegen¬
den. Brügg ist ferner rühmlichst bekannt wegen seiner gesunden und hübschen Lage.
Uebrigens weist uns die Statistik im Verhältnisse die geringste Zahl von Sterblichkeit in
Brügg auf. Kranken, besonders innerlich Leidenden, ist jedenfalls ein längerer Aufenthalt
bestens zu empfehlen, und stehen auch sehr gute und als ausgezeichnet bekannte Aerzte
in nächster Nähe stets zur Verfügung. [Hl44 IQ]
Musikalische Unterhaltung.
Auch alles Fernere, was zum angenehmen Aufenthalt dienen kann, weisen wir auf.
Herr Vienot-Thalmann wird es sich im übrigen stets angelegen sein lassen,
seinen Gönnern und Gästen einen bequemen und angenehmen Aufenthalt zu verschaffen,
und hat er Fürsorge getragen, dass für alle Eventualitäten promptestens und bestens ge¬
sorgt ist.
Herr Vienot empfiehlt somit sein neu gegründetes Pensionshaus, sowohl Einheimi¬
schen als Fremden, aufs Beste und wird sich Jeder überzeugen könnon, dass im Vor¬
liegenden nicht die geringste Uebertreibung liegt, im Gegentheil!
Ausflüge in die Umgebung: Nach Orpund, Gottstadt, Mett, Bözingen, Biel,
Nidau, Magglingen.
Aussichtspunkte: 10 Minuten obonher Brügg, von wo eine prachtvolle Aussicht
auf die Alpen des Oberlands, des Jura’s und der wunderschönen See- und Thalgegenden.
— Die Terrasse auf dem Hotel selbst, von wo in gemüthlicher Ruhe eine Aussicht sich
gemessen lässt, die gewiss Jeden, der sie geniesst, höchlichst entzückt.
Badekuren: Sool-, Gas- und andere warme Bäder im Hause, und in der Nähe
des berühmten Worbenbad. — Pferde und Fuhrwerke stets zur Verfügung.
Hotelpreise sehr gemässigt. Gute und reelle Bedienung. Garantirt gute Weine.
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x : x; ,-v. : s S:S::-S: ~ ;S ~2: •' >::X-S:X^S::S::X:S:.:S;S:S;S: -
Klimatischer Kurort Schwarzenberg.
Kt Luzern, Pension zum weissen Kreuz und Pfisterhaus
sind mit Mitte Hai wieder eröffnet.
Bis Mitte Jnli Pensionspreis 3 Fr. 50 Cts., hernach 4 Fr., Zimmer inbegriffen.
Eisenbahnstation Malters; Telegraphenbureau Schwarzenberg.
Sich einem resp. Publikum bestens empfehlend.
[H-1573-Q] Der Eigentliümer: J, Scherer .
"hl 0 m!“ Das Kurhaus St. Beatenberg °U“ OT ~
ist vom 20. Mai an wieder eröffnet. — St. Beatenberg besitzt im Frühjahr so zu sagen
die Milde der Seeufer und darf daher von Künsten weit früher bezogen werden als seine
Höhenlage es erwarten Hesse. Für ausnahmsweise vorkommende kühlere Tage ist durch
Heizbarkeit sammtlicher öosellschaftsräume, sowie der Mehrzahl der Schlafzimmer gesorgt.
Bader und sehr vollkommene Doucheeinrichtungen im Hause. Frisch gemolkene Kuh-
und Ziegenmilch in unmittelbarer Nähe. Das Kurhaus besitzt den speziellen Vortheil un¬
mittelbar anstossender Anlagen in Tannenwaldungen und eines eigenen Telegraphenbureau.
Es empfiehlt «ich
[H-1371-Q] Dr. Alb. Müller.
• 2 TSS 5 . Kanton Luzern.
Berühmte Natron- und leichtere Eisenquelle in reiner Alpenluft, 4750' über
Meer. Bei Catarrh des Schlundes, Kehlkopfes, Magens, der Lunge, Blase und der
Genitalien und deren consecutivo Leiden, Husten, Leberanschwellung, Magenschmerzen,
Gries, Hypochondrie etc., sowie bei Blutarmuth und Bleichsucht, Hautkrankheiten und
Hämorrhoiden von überraschendem Erfolg. — HerrHche Kundsicht, Bäder, Douchen,
Inhalationen, Milch- und Molkenkuren, Wasserversendung. — Bedeutend vergrössert
und verschönert, Billard, Telegraph. — Pensionspreis mit Bedienung und Beleuchtung
Fr. 5. 50. Zimmer von Fr. 1 an. — Juni und September ermässigte Preise.
Eisenbahnstation Entlebuch.
Dr. A. Schiffmann,
[649-K] Arzt und Eigenthümer der Anstalt.
Brehms Thierleben
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und erscheint in 100tcSche>itlichen Lieferungen zum Preisvon 1 Mark» m
Verlag des Bibliographischen Instituts in Leipzig, t
Krschienen ist Band I
und durch jede Buchhandlung zu beziehen.
Die
Basler Nachrichten
erscheinen wöchentlich
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halbjährlich Fr. 8. —
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franco durch die Post in
der ganzen Schweiz. —
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Anfang jedes Vierteljahres
alle Postbureaux entgegen.
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834 —
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Vorzügliches Tafelwasser, von namhaften Aerzten sowohl als diätetisches, wie als
angenehmes, erfrischendes Getränk sehr empfohlen.
Taannsbrnnnen, Station Grosskarben bei Frankfurt a. M.
F. Friedrich,
Hof-Lieferant Sr. königl. Hoheit des Grossherzogs von Hessen,
[H-1899-Q] „ * „ „ „ Prinzen von Wales.
= BADEN =
im Aargau.
Berühmte Schwefeltherme von 45—47,5° C.
Gegen: Arthritis und Rheumatismus chron.; pleurit und peritoneal. Exsudate; hart¬
näckige Catarrhe der Schleimhäute; Schwächezustände nach erschöpfenden
Krankheiten und traumatischen Verletzungen; Erkrankungen der weiblichen
Sexualorgane; chron. exsudative Dermatosen; Syphilis und Metalldyscrasien.
Das Thermalwasser wird angewandt zu Trinkkuren; Wasser- und Dampf¬
bädern; Douche; Inhalationen der Quellgase und des fein zerstäubten Quellwassers.
[H-1773-Q] Dr, A, Barth, Badearzt.
Bad Schinznach, Schweiz.
Eisenbahnstation, Telegraphenbureau,
Dauer der Saison vom 15. Mai bis 15. September.
Therme mit reichem Gehalt an Kalk, Kochsalz, Schwefelwasserstoff und Kohlensäure,
berühmt durch ihre Heilwirkung bei Scrofeln (Drüsen), Haut-, Knochen- und Schleimhaut-
krankhciten, chronischem Catarrhe, Emphysem, Asthma und allgemeiner Schwäche.
Treffliche Bade-, Inhalations- undDoucheneinrichtungen. Mildes Klima, Wald, Milchcuren.
Pension I. Classe Fr. 7 per Tag,
» II* » v 4 „ „
Zimmerpreise von Fr. 1. 50 bis Fr. 8. —.
Für nähere Erkundigungen beliebe man sich zu wenden an
[OF-176] R. Stsehly-Forrer, Director.
S^MaKimaa fett
(Schweiz).
Wasserheilanstalt und klimatischer Kurort.
Römisch-irische und Kiefernadel-Bäder.
Geschützte romantische Gebirgsgegend, 2327 Fuss über Meer. — Telegraph.
Eröffnung den 14. Mai.
Nähere Auskunft ertheilt Dr. H E G 6 LI N.
[602-R]
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885
Fideris im Kanton Graubünden.
Eröffnung- den 1. Juni 1877.
Natron-Eisensäuerling ersten Banges.
Milde Alpengegend, 3400 Fuss über Meer. Geschützte Lage. Buheplätze nnd
Spaziergänge in die nahen Tannenwaldungen. Ziegen- und Kuhmilch. Neue Mineral¬
bäder mit Dampfheizung. Neubau mit elegant möblirten Einzel-Zimmern. Damen-Salon.
Billard-Saal mit neuem Billard. Telegraph im Hause. Täglich zweimalige Postverbin-
dung von der Station Landquart bis Fiderisau, und auf besonderes Verlangen können die
Kurgäste an beiden Orten abgeholt und dahingeführt werden. Badarme werden zum
Zwecke ihres Eintrittes auf die gewohnten Bedingungen aufmerksam gemacht. — Das
Mineralwasser ist in frischer FUllung und in Kisten zu 30 und 15 ganzen Flaschen und
30 halben Flaschen von unserm Hauptdepot bei Herrn Apotheker Helbling in Rappers-
wyl zu beziehen. [707-R]
Badearzt: Herr Dr. "Veragnth. von Chur, Spezialist fUr Kehlkopf¬
krankheiten.
Fideris, im Mai 1877.
Die Baddirektion: Engen Senti.
pr- Schwefelbad Alvesen, -mi
3150 Fuss über Meer. GraubUnden. 5 Stunden von Chur.
Saison 15. Juni — 15. September.
Die ganze Bade-Einrichtung, dabei auch Inhalationen, Douche- und Dampfbäder,
wurden nach neuestem Dampfheizungssystem umgeändert, wodurch der Kurerfolg ungleich
sicherer ist.
Ausgedehnte Fichtenwälder mit Anlagen in nächster Nähe.
Nebst dem Tiefenkastner Eisen- und dem Soliser Jod-Säuerling, die zur Anstalt
gehören, wird jedes andere Mineralwasser besorgt.
Nähere Auskunft und Prospecte franco-gratis beim Kurarzt Herrn Dr. V. Weber und
bei der Direction. [H1463Q]
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886
Une»n.
Saison: 1. Juni bis 15. Oktober.
Neues, mit allem Comfort erstelltes Etablissement, l Stunde ob Biel, am Fusse des
Chasseral, 3000 Fuss über Meer.
Klimatischer Luftkurort. Fichten-Waldungen. Molken und Ziegenmilch. Auswahl
in Mineralwasser. Bäder und Douchen. Kurarzt. Alpenpanorama: Montblanc bis Säntis.
Grossartige ausgedehnte Park-Anlagen und mannigfaltige Spaziergänge. Post- und Tele¬
graphenbureau. Fuhrwerke am Bahnhof. Pensionspreis Fr. 5 bis Fr. 8, je nach Lage
der Zimmer. Der Eigenthümer:
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[TUE] Kuranstalt Fridau.
Eröffnung
am 1. Juni.
bei Egerkingen (Solothurn).
700 Meter über Meer.
Schluss
Mitte October.
Luftkurort für Lungenleidende, Reconvalescentcn und Schwächliche. — Pracht¬
volle Lage auf dem Jura, mit ausgedehnten "Waldungen, herrlicher Rundsicht.
Transportabler pneumatischer Apparat nach Waldenburg, Bäder, Douchen, Milch
und Molken, alle Mineralwasser. — Pensionspreis mit Bedienung und Beleuchtung
Fr. 4.50, Zimmer jo nach Auswahl Fr. 1—2. — Eisenbahnstation Egerkingen,
Telegraphenbureau Egerkingen (*/4 Stunde). Qj g Verwaltung.
Bad Heustrich
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Alkalisch-salinische Schwefelquelle.
Krankheiten: Chronische Catarrhe aller Schleimhäute. Inhalations-Cabinet. Douchen.
Bäder. Milch- und Molken-Anstalt. Telegraphenbureau. Omnibus Bahnhof Thun. Ste¬
hendes Kurorchester. Grosse Speise- und Gesellschaftssääle. [H-1745-Q]
Pensionspreise s
I. Klasse, Tisch per Tag, Bedienung und Licht inbegriffen, Fr. 6. — Zimmer von Fr. 1. 50 an.
II. Klasse, Tisch per Tag, Bedienung und Licht inbegriffen, Fr. 3. 50. — Zimmer Fr. 1 bis Fr. 1. 50.
Es empfehlen sich bestens
Der Kurarzt: Dr . Dardel. Der Eigenthümer: Hans Hofstetter .
Vierwaldstättersee.
= Schöneck =
bei Beckenried.
W&ffQiiiail&mai<,,
Pneumatische Bäder.
Eröffnung-: 1. Mai.
Kurarzt: [584-R] Besitzer:
Dr. Neukomm. C. Borsinger.
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COKEESPOKDENZ-BLATT
Am 1. und 15. jeden
Monate encheint eine Nr.
1*/«—2 Bogen »tark;
4 m Schluss des Jahrgangs
Titeln.Inhaltevcrzeichnisa.
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schweizer Aerzte.
Herausgegeben von
Preis des Jahrgangs
Fr. 10. — für die Schwei*;
der Inserate
25 Cts. die sweisp. Zeile.
Die Postbureaux nehmen
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Printdoesat in BnseL
Br. A. Baader
ln GelterUndsn.
N! 12. VII. Jahrg. 1877. 15. Juni.
lahnlft: 1) Originalnrboiten: Dr. F. Bortl: Quelques raota aur ln nature et ln vnleur de* perarites microscopiques.
— Dr. C. Zehnter: Die iBrtheriaehe Pockenstatistik. (Fortsetzung.) — 2) Vereinsberichte: III. Vereinigte Versammlung des
intliehen Centralvmins und der Socidtd mddicale de ln SuiaBe romande. — 3)Kantouals Corrsspondentem Basel, Ap¬
penzell I.BL, Aus der Ostschweis, Genf, Genf, Graubhnden, Nidwalden, Tessin. —4) Wochenbericht. —5) Briefkasten.
Original-Arbeiten.
Quelques mots sur la nature et la valeur des parasites microscopiques
(lu dans la söance 2 Döcembre)
par le Dr. F. Borei k Neuchätel.
Messieurs! Le travail tr&8 interessant que notre confröre Mr. le Dr. Facarger
a lu dans la derni&re s£ance, sur la fi£vre typhoide et particulierement sur les germes
qui doivent ütre la cause de cette maladie, m'a engagö k exposer devant vous quel¬
ques points de vue qui me sont tout k fait personnels k ce sujet.
Pour donner plus d’autorite ä ma mani^re de voir et la recommander davan-
tage aupr&s de vous, je vous dirai, Messieurs, que c’est k l’ücole d’un des grands
Champions des theories nouvelles que je me suis forme.
J’ai ete longtempB l’eiöve de Klebt ; apr6s mes examens academiques j’ai rempli
les fonctions d’assistant & l’Institut pathologique de Prague, oü Klebt est actuelle-
ment professeur. — C’est lä surlout que je me suis convaincu combien la theorie
parasitaire laissait k desirer. Si je viens donc vous exposer, Messieurs, des idees
contraires k celles de mon ancieu maltre Mr. le prof. Klebt, je vous prie de les
accueillir comme l’expression d’une profonde conviction; j’ajoute toutefois que je
suis heureux de pouvoir exprimer ici toute ma reconnaissance k Mr. Klebt auquel
jo suis redevable en grande partie de mon developpement medical.
Je ne crois pas necessaire d’entrer dans des details bien speciaux sur les
differentes formes d’organismes microscopiques qui jouent aujourd’hui un si grand
röle dans l’etiologie des maladies les plus diverses, et qu’on les appelle vibrions,
monades, monadines, bacteries, cocobacteries ou micrococcus, pour le moment cela
n’a pas d’importance, qu’il me suffise de dire que pour moi l’existence de tous ces
corps comme ötrea organises n’est pas prouvee; bien plus je crois que ces ötres que
nous voyons sous le microscope dont nous pouvons meme suivre les phases de de¬
veloppement ne sont pas jusqu’h plus ample informe les causes des maladies dites
24
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342
infectieuses. Lespreuves sur lesquelles je m’appuie sont purement th4oriques quoique
x bien des donn4es experimentales leur servent de base.
D’abord je dirai que la vraie nature organique des microzymas n’est pas encore
bien 4tablie par les d4fenseurs de la th4orie : ainsi les uns les moins nombreux
les consid4rent comme des animaux, ou dans tous les cas comme des zoophytes,
pendant que la grande majorit4 pense les ranger plutöt dans la classe des algues.
Je ne sache pas que des zoologues aient jamais pris la question au s4rieux,
mais ce que je sais, c’est que Hallier qui en avait fait la classificatiort les regardant
comme des plantes n’est plus autoris4 meine par les defenseurs de la th4orie;
tandis que Sachs , professeur h Würzbourg, s’est en 1871 dans une seance de la soci4t4
physico-m4dicale cat4goriquement oppos4 ä ce qu’on accepte ces impuretes (sic.)
dans le r4gne v4g4tal.
Mais que ces corps soient des animaux, des plantes ou qu’ils appartiennent ä
un degr4 interm4diaire, ceci n’a aucune iraportance pour nous; la question est de
savoir sur quel raisonnement les micrographcs infectionnistes s’appuient pour
prouver que ces corps sont organis4s.
Ils disent: Si ce ne sont pas des organismes que serait-ce ? Qa ne pourrait
4tre que du d4tritus de protoplasma et de tissus; mais l’cxp4rience prouve que ce
n’est pas du d4tritus: d’abord parce que les formes en sont trop r4guli4res; ensuite
parce que les r4actions chimiques qu’ils offrent n'ont leurs semblables dans aucune autre
forme de tissus vivants; ensuite parce que ces corps sont dou4s de mouvements qu’on
pourrait presque consid4rer comme volontaires; et enfin nous les avons vu se multiplier.
Reprenons ces arguments l’un apres l’autrc et voyons quelle est leur valeur
r4elle. Comme je l’ai dit, des botanistes distingu4s tels que Sachs n’en veulent pas
dans leur r4gne v4g4tal; ensuite n’a-t-on jamais vu du d4tritus avoir des formes
r4guli4res? qu’il me suffise de citer les granulations de protoplasma malade des cor-
puscules blancs lorsqu’ils forment le pus et la forme sous laquelle nous avons
appris & connaitre le pigment de l’homme; et puis chacun sait quelles sont les pr4-
parations n4cessit4es pour constater que ces petits points noirs que nous voyons
sont ou du d4tritus ou des micrococcus. A ce sujet je veux citer quelques obser-
vations personnelles. Pendant une 4pid4mie de fi4vre puerperale oü j’eus l’occation
de faire nombre d’autopsies, j’ai observ4 que dans l’exsudat de la p4ritonite plus
il y avait de corpuscules blancs, moins il y avait de chapelets de micrococcus et
que leur nombre augmentait k mesure que lc protoplasma des corpuscules s’obs-
curcissait, devenait plus granuleux, en un mot plus le protoplasma prenait
l’aspect d’un amas de micrococcus. C’est une chose curieuse que de voir combien
ces corps sont peu nombreux dans un pus abondant tandis qu’ils augmentent lorsque
la suppuration n’est pas franche et que les corpuscules blancs tombent en d4tritus,
en un mot lorsque le pus devient de la sanie et de l’ichor. Ceci explique aussi
pourquoi il est si rare de les trouver dans les vaisseaux oü les corpuscules blancs
se t.rouvcnt toujours dans les conditions n4cessaires h leur 4tat normal.
Les reactions chimiques pourraient ötre le seul argument en faveur des mi-
crozymas, quoiqu’il ne soit pas non plus inattacable; ainsi parce qu’ils r4sistent h
l’action de l’acide ac4tique cela no prouve rien, nous avons des tissus dans le corps
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543
qul resistent k des r^actions encore plus 6nergiques: chacun de nous s’est amus6
k cuire un cheveu dans la potasse caustique et sait ce qu’il faut de temps pour seule-
ment 1’ainollir. Enfin a-t-on bien le droit de parier de r^actions chimiques sp6-
ciales k des corpuscules qui proviennent ou du moins qui peuvent se d6velopper
dans notre organisme? II me semble que la premi^re condition dans ce cas
c’est de s’assurer que les meines röactions ne se pr£sentent dans aucune de nos
tissus, que le Systeme nerveux et le sang ne contiennent aucun 616ment capable
d’en faire aut&nt; c’est pr6cis6ment ce qui manque, nous devrions au moins con-
naifcre la composition du sang!
„Les microzymas bougent, se meuvent d’apr&s un plan donn4 probablement sous
„l’influence d’une impulsion volontaire.“ Ceci est pour le moins exag6r6; leurs
mouvements ne sont pas plus volontaires que ceux du pigment ou des parcelles
d’indigo triturä, et leurs mouvements quoiqu’on en dise ne cessent pas par l’effet
de substances particuli&res telles que l’acide hydrochlorique. A ce sujet on peut faire
une exp&rieure trös interessante. Une pr4paration anatomique est durcie dans
l’alcool pendant 5 ou 6 mois; lorsqu’elle ne forme plus qu’une rnasse dure et
compacte on en fait avec le rasoir des coupes tr&s fines semblables & celles qu’on utilise
pour le microscope et on les lance brusquement dans un vase contenant de l’eau
distiliee; on voit alors les morceaux en question se livrer h des mouvements tr6s
vari4s ayant toute l’apparence de la volonte; ainsi les petits morceaux de chair
commencent par plonger, reparaissent & la surface, arrivent au bord, s’y arrötent, vas-
cillent un instant et repartent comme une fieche pour un point oppose. Ces mouve¬
ments durent, il est vrai, peu de temps, une minute ou deux, jusqu’ä ce que probable-
raent la densite du liquide eontenu dans le tissu animal soit devenu egale k Celle
de l’eau, mais l’illusion est compiete et on se demande par moments si reellement
une volonte ne preside pas k ces mouvements. Enfin disons que des mouvements
particuliers se rencontrent dans maint tissu sans que pour cela il ne vienne plus
ä l’idee de personne de les considerer comme volontaires; citons ici les mouve¬
ments des corpuscules blancs, des cellules migrantes du tissu conjonctif, des sperma-
tozoYdes etc.
„Nous les avons vu se multiplier“ disent les micrologues. C’est vrai, tres vrai!
et je ne nierai jamais ce fait, je les ai vu se multiplier moi-möme, mais qu’est-ce
que cela prouve ? presque toutes les cellules se sont d4jä multipli4es sous nos yeux,
et cependant ce ne sont que les 614ments de plantes ou d’animaux, le d^tritus
aussi nous l’avons vu augmenter! — Toute prolifäration de microzymas n’a 6t6
observ^e jusquä präsent que partout oü il y avait cies microzymas pröexistants.
Il n’y a que Oscar Grimm *) qui ait pr^tendu les avoir vu se d&velopper des cor¬
puscules blancs, au reste nous reviendrons sur le travail de Grimm. — Je dis pour
le momcnt que tous les micrologues n’importe lequel conviennent d’un point c’est
que le d6veloppement de ces organismes ne s’est jamais observö que des organismes
prdexistants. Les cultures qu’on en a faites et qu’on fait encore aujourd’hui n’ont
pas rdussi k prouver le contraire. Cela n’empöche pas les ddfenseurs de la thdorie
*) Naturgeschichte der Vibrionen. Archiv für Anatomie Vlli. 4. p. 64.
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de parier des germes, que personne n’a jamais vus, comme si c’etait un fait Stabil.
Nous ne savons pas quelles formes ces germes doivent avoir, quelles soni leurs
propri6t6s physiques et pourtant on specule sur leur existence! II parattrait au
premier abord facile de räpondre ä cette objection en disant, comme du reste, cela
se dit, que nos moyens d’investigation sont trop faibles pour pouvoir distinguer les
geraies d’ötres tellement petits et qu’il faut pour le quart d’heure les supposer: on
les verra plus tard, et se contenter de dire que si Ton n’a pas encore vu une
bact^rie sortir de son oeuf, c’est que l’oeuf est trop petit pour nos verres grossis-
sants. Je le veux bien; moi, alors pourquoi n’a-t-on pas möme observö cette
bact4rie se d^velopper de rien en supposant que le germe soit trop petit pour nos
microscopes ? — C’est h dessein que je passe sous silence les exp^riences du plus
haut interöt de Damaine sur la fermentation, parce qu’il est convenu que l’infection
n’est pas un produit de fermentation.
('SchloBB folgt)
Die zürcherische Pockenstatistik.
Eine Antikritik von Dr. C. Zehnder in Zürich.
(Fortsetzung.)
Bevor wir zur letzten Aufgabe des amtlichen Arztes im Pockenhause, zu den
Revaccinationen, übergehen, thun wir vielleicht besser, das Capitel der Impfung
überhaupt noch völlig abzuwandeln.
Si duo faciunt idem non est idem I Dieser Grundsatz auf die Impfung über¬
tragen ist es indessen nicht nur nicht dasselbe, ob Dieser oder Jener impft, auch
in derselben Hand kann die Lanzette bald Impfpusteln erzeugen, bald wiederum
nicht. Wenn ich bei meinen jährlich wiederkehrenden amtlichen Impfungen das
erste Mal Lymphe vom vorigen Jahr benutzte, so betrug der Erfolg vielleicht 60%
und 40% der Kinder mussten nochmals geimpft werden : diesmal mit sicherer Aus¬
sicht auf Erfolg, denn nun liess sich die Lymphe von Arm zu Arm übertragen.
Auch da jedoch ist es wieder nicht gleichgültig, ob am 8., am gleichnamigen Wo¬
chentage, oder am 9. Tage abgeimpft wird. Sehr oft schlägt die Impfung im letz¬
tem Falle fehl, und noch sicherer ist dieser Misserfolg, wenn die Lymphe erst am
9. Tage in Haarröhrchen aufgenommen wird. Das Alles ist dem Impfarzte nicht
neu und ebenso wenig neu der Einfluss von Luft, Licht, Wärme auf die Erhaltung
der gegen dieso Agentien ausserordentlich empfindlichen Lymphe, ebenso wenig
neu die Differenz in der Haltbarkeit und Uebertragbarkeit der Kuhlymphe, der
Farrenlymphe und wiederum der humanisirten Lymphe.
Den Grund jener Wandelbarkeit, die Natur des Zersetzungsprocesses, zu dem
der Impfstoff, je älter er wird, um so mehr tendirt, kennen wir noch nicht. Wie
so Vieles auf dem Gebiete des Impfwesens ist auch diese Beobachtung eine rein
empirische; allein die Thatsache steht fest, und wenn Prof. Vogt in seinem Auf¬
sätze „die Pocken- und Impffrage im Kampfe mit der Statistik“*) die Vermuthung
äussert, es werde noch viel Kopfzerbrechen kosten, bis man dahin gelangt sei, „in
*) Zeitschrift für schweizerische Statistik 1877, L pag. 31. Nun auch als besondere Brochure
erschienen.
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345
seucbefreien Zeiten die Vaccine zu erhalten and zu züchten und bei Herannahen
der Gefahr den massenhaften Anforderungen zu genügen“, so habe ich dagegen
jedenfalls Nichts einzuwenden. Ich fürchte sogar, man wird überhaupt kaum je
dazu gelangen; denn nach den bisherigen Erfahrungen wenigstens steht alter Impf¬
stoff in seinem Werthe so ziemlich im umgekehrten Verhältnisse zum Werthe alten
Weins und lässt sich nicht so wie dieser auf Lager legen. Das Experiment ist
auch etwas gefährlicher. Hier ärgert sich vielleicht eine durstige Kehle, wenn der
Wein abgestanden : dort können Tausende darüber zu Grunde gehen.
Trotz dieser ausserordentlichen Empfindlichkeit der anscheinend besten Lymphe
gegen äussere Einflüsse erfahren wir nun doch in weitaus den meisten Impfstati¬
stiken, sei es, dass sie zum Beweise der Schutzkraft der Impfung oder umgekehrt
zum Beweise ihrer Nutzlosigkeit aufgeführt werden, Nichts oder doch nichts Siche¬
res über den Erfolg. Wenn deshalb Prof. Vogt für die Zukunft diejenige Impf¬
statistik unter die „wissenschaftliche Maculatur“ verweisen zu sollen glaubt, welche
nicht „sorgfältig Geimpfte und Ungeimpfte, besonders aber die zweifelhaften Fälle
nach Altersclassen von einander trennt“, so geht er meiner Ansicht nach viel zu
wenig weit; denn mit derselben Berechtigung verdient auch diejenige dazu gezählt
zu werden, die uns über den Erfolg der Impfung irgendwie im Zweifel lässt.
So weit, auch diese als werthlos quszuscheiden, darf nun Prof. Vogt allerdings nicht
gehen, wenn nicht sein ganzes mit so viel Mühe aufgerichtetes Zahlengebäude
wieder zusammenbrechen soll; denn auf ihr allein ruht ja dasselbe. Nehmen wir
z. B. an, die 80 Bahn- und Werkärzte der k. k. privil. österr. Staats-Eisenbahn-
Gesellschaft, welche dem Chefarzt Dr. Keller das „trefflich bearbeitete“ Material
lieferten, das ihn aus einem Anhänger der Impfung in einen Gegner derselben um¬
gewandelt haben soll, hätten den Impfstoff für die Impfung ihrer 1659 später
pockenkrank Gewordenen aus einem und demselben Impfdepot erhalten, es habe
derselbe jedoch nicht oder doch nur ausnahmsweise gehaftet und diese 80 Aerzte
haben, anderweitig beschäftigt — denn jene 55—60,000 Individuen können doch
nicht ihre volle Thätigkeit in Anspruch nehmen! — den Erfolg der Impfung nicht
weiter controlirt, so würde ohne Zweifel das Material, das als Beweis gegen die
Impfung dienen sollte, all’ seinen Werth verlieren. Doch auf jene Keller sehe Sta¬
tistik werden wir später noch zu sprechen kommen: halten wir uns für einmal nur
an den Bericht von Dr. Müller „über die Pockenepidemie zu Berlin im Jahre
1871“.*) Auch dieser Bericht ist nach Prof. Vogt ein „vollständig zuverlässiges
Document“ und auf die in demselben enthaltenen Tabellen der „Geimpften und
Nichtgeimpften“ vorzugsweise stützen sich seine Berechnungen, deren Resultat
darauf hinausläuft, dass „in der Mortalitätsfrage bei den Blattern unser altes Impf¬
dogma heutzutage den Kürzeren ziehe.“
Lassen wir hierüber Herrn Dr. Müller selbst urtheilen: „Die in den amtlichen
Listen enthaltenen Angaben über die Impfverhältnisse sind jedoch für vollkommen
richtig nicht zu erachten. Es steht fest, dass nicht selten die Angehörigen erkrank¬
ter Kinder diese für geimpft ausgeben, während sie nicht mit Erfolg, oder zu spät,
*) Viertelj&hrschrifl für gerichtliche Medicin und öffentl. Sanitätswesen. Bd. XVII. Berlin 1872.
pag. 314.
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346
oder vielleicht überhaupt gar nicht geimpft waren. Ebenso ist rücksichtlich der
Revaccination nicht ausser Acht zu lassen, dass vielfach zu spät oder auch mit un¬
wirksamer Lymphe, welche in Apotheken oder von Händlern gekauft war, revac-
cinirt worden ist.“ •) Auf solches Material baut Prof. Vogt seine Schlüsse, mit
solchen „Documenten“ will er das „Impfdogma“ über den Haufen werfen!
Wer nur mit Hülfe der statistischen Methode die Impffrage zu lösen sich an¬
heischig macht, von dem sollten wir vor Allem doch verlangen dürfen, dass er
sie exact und gewissenhaft an wendet und den Werth der Zahlen prüft, die seinen
Berechnungen zur Grundlage dienen. Wenn er aber Geimpfte und Ungeimpfte
einander gegenüberstellt, unbekümmert darum, wie und mit was geimpft worden
und mit welchem Erfolg, wenn er nicht einmal weiss, was bei der Impfung als
„Erfolg“ betrachtet wurde: ob Eine Pustel dazu genügte, ob 2, oder ob immer *
6—8 hiefür gefordert wurden, dann hat er mit Zahlen gearbeitet, die er nicht
kennt, und ist nicht berechtigt, gestützt auf diese Zahlen, sein Verdict über den
Werth der Impfung zu fällen.
Was nun unsere Impfcontrole betrifft, so darf sich dieselbe sehen lassen; sie
gewinnt schon dadurch Anspruch auf volles Vertrauen, weil sie von amtlichen
Aerzten horrührt, die sämmtlich noch vom „Impfdogma“, der Schutzkraft der Im¬
pfung, überzeugt sind und die schon deshalb wider besseros Wissen und Gewissen
handeln würden, wenn sie nicht die Erfolge ihrer Impfungen der sorgfältigsten
Controle unterwürfen. Wenn also in den Jahren 1864—69 allein im Bezirk Zürich
8197 Kinder geimpft wurden, darf Jedermann sich dessen versichert halten, dass
sie auch wirklich geimpft und mit Erfolg geimpft worden sind und dass von dieser
Anzahl nicht einmal 1% sich immun gegen die Impfung erwies.
Bevor wir dieses Thema verlassen, sei es mir gestattet, noch einen Blick auf
das durchschnittliche Alter der Impflinge zu werfen. Auch da werden wir sehen,
dass Vogt mit imaginären Zahlen rechnet und sich „grober statistischer Verstösse“,
deren er Andere so leichten Herzens zeiht, selbst schuldig macht. Vogt nimmt von
vorneherein an, dass im Durchschnitt die Kinder des ersten Altersjahres als unge-
impft zu taxiren seien, und weist, gestützt auf diese Annahme, den Ausspruch,
dass die verhältnissmässig geringere Mortalität unter den Pockenkranken des ersten
Jahres im Vergleich zur allgemeinen Sterblichkeit dieser Altersclasse nur in der
vorzeitigen Impfung zu suchen sei, als einen „unbegründeten“ zurück.
Folgende Zahlen aus meiner eigenen Impfpraxis, die ich eben zur Hand habe,
beweisen
wenigstens für
unsere
Verhältnisse
so ziemlich das Gegentheil.
Impfungen:
Lebensjahr
Lebensjahr
Lebensjahr
über
I.
%
IL
%
III.
V.
3 Jahr
%
Summa.
1867
507
65
88
28
14
4
9
3
318
1868
304
69
96
22
33
8
5
1
438
1869
235
62
92
25
29
8
22
5
378
1870
272
61
110
25
36
8
27
6
445
1871
271
65
88
21
31
7
29
7
419
1289
64
474
24
143
7
92
5
1998
•) Pag: 818.
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347
„Durchschnittlich wird um das vollendete erste Altersjahr herum, bald einige
Monate darüber, bald darunter geimpft“: so meint Prof. Vogt. Sehen wir deshalb
zu, ob jene aufs erste Lebensjahr entfallenden 64% der Impflinge nicht doch dem
Schlüsse desselben nahe waren. Auch darüber geben meine statistischen Tabellen
Aufschluss-
Impfungen im 1. Lebensjahre.
I. Quartal.
IL Quartal.
III. Quartal.
IV. Quartal.
Summa.
%
%
%
%
1867
36
18
82
40
51
24
38
18
207
1868
60
20
113
37
66
22
65
21
304
1869
64
27
84
36
48
20
39
17
235
1870
89
33
75
27
64
23
44
17
272
1871
86
32
69 ’
25
67
25
49
18
271
335
26
423
33
296
23
235
18
1289
Auch diese Voraussetzung erweist sich somit als unrichtig und es sind von
sämmtlichen Impflingen des ersten Lebensjahres 59% in den 6 ersten Monaten
desselben und blos 41% in den 6 letzten Monaten geimpft worden.
Prof. Vogt wird nun vielleicht dagegen einwenden, meine Zahlen seien zu klein,
um irgendwie in’s Gewicht zu fallen. Allein es handelt sich in erster Linie um
unsere Statistik, Pockenstatistik und Impfstatistik, und um die Zurückweisung des
Vorwurfes, dass wir nicht berechtigt seien, gestützt auf unsere Statistik am
„Impfdogma“ festzuhalten. Und überdies: wer diese Zahlen unbefangen prüft, sich
überzeugt, dass sich in jedem Jahr für jedes Quartal, noch mehr aber für jedes
halbe Jahr nahezu dasselbe Procentverhältniss wiederholt, dem bietet gerade diese
Regelmässigkeit eine gewisse Gewähr dafür, dass auch in diesen kleinen Zahlen
die Sitte des Volkes sich ausprägt, gesunde Kinder frühzeitig impfen zu lassen.
So zuverlässige Resultate uns nun aber die Impfstatistik jener Jahre auch mit
Rücksicht auf den Erfolg der Impfung bietet, so schlimm steht es umgekehrt mit
der Statistik der Revaccinationen, die in Pockenzeiten zu massenhaft vorge¬
nommen werden, als dass der Impfarzt im Stande wäre, genaue Controle über den
Erfolg derselben zu führen; kaum aber wird es hierin anderswo besser als bei uns
bestellt sein. Wenn es darum schon wenig Werth hat, mit Rücksicht auf Pocken -
Mortalität und -Morbilität Geimpfte und Ungeimpfte aus einander zu halten, wo
der Erfolg der Impfung nicht genau controlirt wird, so können wir vollends dem
Versuche, mit Hülfe der Statistik den Einfluss der Revaccination auf die Pocken¬
verbreitung constatiren zu wollen, noch viel weniger Werth beilegen. Zu allen
berechtigten und unberechtigten Zweifeln an der jeweiligen Tadellosigkeit der
Impf-Lymphe kommt hier noch hinzu die verschiedene Empfänglichkeit der Re-
vaccinirten für dieselbe und ebenso die Möglichkeit einer der Revaccination bereits
vorausgegangenen Infection mit Pockengift. Diese Fehlerquellen alle auszuschei¬
den ist bei massenhaften Revaccinationen geradezu unmöglich und schon dieser
Umstand rechtfertigt den Wunsch, es möchte die Revaccination in einem bestimm¬
ten Lebensalter ebenso zwangsweise durchgeführt werden, wie die Impfung selbst.
Dann erst haben wir die Möglichkeit einer genauem Controle; dann erst hat auch
jeder Revaccinirte eine gewisäe Garantie für den Erfolg, zumal er sich bei einer
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348
Gelegenheits-Revaccination von hent auf morgen lange nicht so sicher auf die Qua¬
lität des Impfstoffs verlassen kann, den man im Falle der Noth eben auch „nimmt,
wo man ihn findet“
Die Aussicht auf solche Fehlerquellen dürfte es denn auch rechtfertigen, dass
ich dem Projecte, mit Hülfe einer in unserem Vaterlande aufgenommenen Statistik
über Pockenseuchen, Impfung und Revaccination die Impffrage lösen zu wollen,
von Anfang an mich entgegenstemmte. Was können wir davon erwarten? Viel¬
leicht eine etwelche Bereicherung der Pockenstatistik, daneben eine zweifelhafte
Impfstatistik und eine mit Rücksicht auf den Erfolg noch zweifelhaftere Statistik
der Revaccinationen. Da bedarf es denn nur derselben Nonchalance in Wcrthung
und Behandlung der gewonnenen Ziffern, um zu den absonderlichsten Schlüssen
zu gelangen und den Werth der Impfung in den Augen des Laien vollends in
Frage zu stellen.
Wenn aber diese Art von statistischen Aufnahmen unserer Frage gegenüber
stumm bleibt oder uns irre zu führen droht, so haben die gewissenhafte Beobach¬
tung des Einzelfalles, die Erfahrungen, die Jeder von uns im practischen Leben
oder in amtlicher Thätigkeit zu sammeln Gelegenheit hatte, um so mehr ein Recht,
gehört zu werden, und diese Erfahrungen sind es wohl, die in der von der schwei¬
zerischen Aerztecommission eingeleiteten Urabstimmung über den Werth der Im¬
pfung und des Impfzwangs ihren Ausdruck gefunden haben. In nicht eben pietät¬
voller Weise macht sich Prof. Vogt über die Erfahrungen aus einer „50- und mehr¬
jährigen Impfthätigkeit“ lustig; ihm blickt der überzeugungstreue Impfarzt, der
sein Ja in die Urne gelegt, nicht weiter als allenfalls „der Nagelschmied, der
noch viel mehr Nägeln den Kopf breit schlägt, ohne zu wissen, was nachher mit
denselben genagelt wird“. Indessen entschuldigen lässt sich diese Geringschätzung
ja schon, denn er selbst agirt mit den von ihm aus verschiedenen Impfstatistiken
herausgehobenen Ziffern ja wirklich wie mit einem Haufen Schuhnägel und küm¬
mert sich darum nur wenig, dass jeder Impfling eine Individualität ist, die für sich
behandelt, deren Geschichte so viel als möglich studirt sein will, wenn nicht auch
diese Statistik das werden soll, wovor er sie bewahren zu wollen erklärt — „le men-
songe mis en chiffres“.
Solcher Erfahrungen nun auf dem Gebiete der Revaccination habe auch ich
im Laufe der Jahre eine ganze Reihe gesammelt; der Raum dieser Blätter gestat¬
tet mir indessen nicht, sie alle hier aufzuführen. Wenn es nur gälte, Vogt's Stel¬
lung zur Impffrage zu beleuchten, so bedürfte es ja auch dessen nicht, denn eine
sehr kurzlebige Schutzkraft der Impfung gibt er wenigstens als möglich zu; allein
zu Vogt stehen Andere, die von der Impfung überhaupt nichts wissen wollen, und
freuen sich, doch Einen Mann der Wissenschaft in ihrem Bunde zu haben. Schon
reibt ja der „Dorfdoctor“ (Nr. 21) über diese Hülfstruppe vergnüglich die Hände
und „wittert“ wie der Geist von Hamlet’s Vater „Morgenluft“.
Führen wir darum wenigstens einige dieser Erfahrungen auf.
1. Ich habe früher bemerkt, dass bei uns von Gesetzes wegen sämmtliche Be¬
wohner eines Pockenhauses revaccinirt werden müssen. Dass sich hie und da
Einer dieser Verpflichtung entzog, konnte nicht ausbleiben. Die Folge war nicht
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349
selten, dass er allein von allen Bewohnern des Hauses nachträglich noch er¬
krankte.
2. In allen grösseren Localepidemien — in Anstalten, Weilern, Dörfern —
wurde die Seuche entweder unmittelbar oder rasch nach der Durchführung einer
allgemeinen Revaccination getilgt. So :
1864 beim Ausbruch der Pocken im Spital. Vorher — 18—24. August —
20 Erkrankungen, nachher noch „wenige vereinzelte Fälle“ bei Neueingetretenen.
1864 Landikon-Birmenstorf (11 Wohnhäuser, 110 Einwohner). Vom 20. Juni
bis 27. Juli 11 Erkrankungen. Allgemeine Revaccination am 27. Juli. Neue Er¬
krankungen am 6. und 16. August und 8. September (2 nicht, 1 ohne Erfolg re-
vaccinirt).
1865 Birmenstorf (32 Wohnhäuser, 344 Einwohner). Vom 1. Januar bis 29.
April 22 Erkrankungen. Allgemeine Revaccination am 11. Mai. Kein neuer Fall.
1865 Strafanstalt. 4 Erkrankungen am 1., 15., 22. und 30. Mai. Revaccina¬
tion theils am 15., theils am 29. Mai (circa 142 Sträflinge). Kein neuer Fall mehr.
1870 Ober-Urdorf (64 Wohnhäuser, 541 Einwohner). Vom 16. Juni bis 21.
Juli 9 Erkrankungen. Revaccination am 24. Juli. Kein neuer Fall.
In dem kaum eine Stunde entfernten 1864 und 1865 durchgeimpften Birmen¬
storf und Landikon, mit denen lebhafter Verkehr, keine Einschleppung; dagegen
in den ebenso nahen Dörfern Uitikon und Dietikon mehrere Fälle.
1870 Sennhof-Zollikon (9 Wohnhäuser, 37 Einwohner). 1 Erkrankung am 16.
November. Revaccination am 22. November. Am 2., 12. und 14. Januar 1871 3 neue
Erkrankungen bei den 3 einzigen Erwachsenen, die sich der Impfung zu entziehen
gewusst hatten.
1871 Wylhof-Zollikon (13 Wohnhäuser, 79 Einwohner). Vom 14.—16. Februar
3 Erkrankungen. Revaccination am 18. Februar. Kein neuer Fall.
Diese Zwangsrevaccinationen nun einer grösseren Zahl von mit Ansteckung
bedrohten Personen sind, abgesehen von den zahlreichen Wohnhäusern der Stadt
und Umgebung, in denen Alles von unten bis oben durchgeimpft wurde, lange
nicht die einzigen. Eine Reihe von Fabriken und grösseren Etablissements gehö¬
ren hieher, in denen dieselben Erfahrungen sich geltend machten: bei 50— 60%
Erfolgen der Revaccination, wenn von Arm zu Arm geimpft werden konnte, rasches
Abnehmen und Verschwinden der Seuche.
Werfen wir nun kurz einen Blick auf die einzelnen Epidemien oder Epidemien¬
jahre, die ich zu beobachten Gelegenheit hatte, um nur das, was für unsere Frage
ins Gewicht fallt, davon herauszuheben.
1864 —1865 20. Juni bis 25. Juli 333 Erkrankungen. In Zürich (108), Bir¬
menstorf (42), Aussersihi (26), Oberstrass (20), Unterstrass (19), Fluntern (18),
Riesbach (17), Enge (16), Hottingen (14), Schwamendingen-Oerlikon (11), Hirs-
landen (9), Wiedikon (9), Wipkingen (7), Seebach (6), Zollikon und Dietikon (je 3),
Wytikon (2), Nieder-Urdorf, Weiningen und Uitikon (je 1).
1867 —1868 13. December bis 2. Mai 55 Erkrankungen. In Zürich (25),
Aussersihi (8), Riesbach (7), Unterstrass (5), Oberstrass (3), Hottingen (2), Flun¬
tern, Wiedikon, Wipkingen, Albisrieden und Zollikon (je 1).
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1870 — 1871 28. Juni bis 26. August 308 Erkrankungen (149 französ. Inter-
nirte nicht eingerechnet). In Zürich (81), Riesbach (28), Aussersihl (27), Hirs-
landen (22), Unterstrass (16), Hottingen (16), Fluntcrn (15), Dietikon (11), Ober-
Urdorf (10), Enge, Höngg, Wiedikon, Zollikon (je 9), Oberstrass und Schwamen¬
dingen (je 7), Wollishofcn (6) , Aesch-Birmenstorf, Seebach und Uitikon (je 4),
Engstringen und Wytikon (3), Niedcr-Urdorf (2), Wipkingen (1), dazu von aus¬
wärts in’s Spital eingebracht 5.
187 2 1. Januar bis 18. Juni 71 Erkrankungen. Hottingcn und Riesbach (je 14),
Zürich (13), Unterstrass (10), Enge (8), Hirslanden und Oberstrass (je 2), Ausser¬
sihl, Albisrieden, Fluntern, Ober-Urdorf, Schlieren, Wiedikon, Wipkingen und
Wollishofen (je 1).
Altersverhältnisse der Erkrankten.
Von den 767 hier aufgeführten Kranken ist bei 42 das Altersjahr nicht genau
bekannt und zwar bei 14 im Jahre 1868 und bei 28, die zu den Jahren 1870—1871
gehören. Indessen lässt sich noch constatiren, dass jene 14 dem Kindesalter nicht
und von den 28 demselben höchstens 3 Kranke angehörten.
auf 1000 auf1000*) auf 1000*) auf1000 auf 1000
1864-65 Er- 1867-68 Er- 1870-71 Er- 1872 Er- Summa Er-
0- lJahr
5
kran-
kungen
• 15
3
kran-
kuDgen
73
6
kran-
kungen
21
2
kran-
kuugen
28
16
kran-
kungen
22
2- 5 „
7
21
5
122
2
7
2
28
16
22
6-10 „
1
3
1
24
—
—
2
28
4
6
10-20 „
35
105
1
24
29
103
8
113
73
101
20-30 „
105
316
11
268
84
300
18
253
218
301
30-40 „
85
255
9
220
56
203
20
282
170
235
40-50 „
59
177
9
220
59
210
9
127
136
187
50-60 „
32
96
2
49
31
110
9
127
74
102
60-70 „
3
9
—
—
13
46
1
14
17
23
70-80 -
1
3
—
—
_
—
—
—
1
1
Erwachsene
unbest. Alters—
14
25
39
Kinder un¬
best. Alters
_
_
_
3
_
_
_
3
_
333
—
55
—
308
—
71
—
767
—
Vor Allem constatiren wir hier, dass während der beiden hier vorzugsweise
hervortretenden Epidemienjahre 1864-1865 und 1870-1871 — den pockenreichsten
seit 1821! — im Bezirk Zürich mit einer Bevölkerungszahl von dort 66,331, hier
73,646 Einwohnern je eine Pockenerkrankung auf 200 resp. 239 Einwohner gefal¬
len ist. In Berlin kam dagegen im Jahr 1871 1 Erkrankungsfall auf 48 Einwohner
und 1 Todesfall auf 232 Einwohner; an der österr. Staatseisenbahn in den Jahren
1872 und 1873 sogar 1 Erkrankungsfall auf 23 und 1 Todesfall auf 128.
Die Zahl der pockenkranken Kinder des ersten Lebensjahres im Verhältniss
zur Einwohnerzahl desselben Alters ist eine zwölf- bis fünfzehn Mal kleinere als
in Berlin, von den ffe//cr’schen Verhältnisszahlen nicht zu sprechen.
Die Pockenkrankheit, sonst vorzugsweise eine Erkrankung des frühesten Kin-
') Die Kranken unbestimmten Alters ausgeschieden.
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351
desalters, ist in diesem selbst zur Zeit von Epidemien eine Seltenheit geworden
und befällt nun vorzugsweise das Alter von 20-40 Jahren, um allmäiig von Jahr-
zehnd zu Jahrzehnd, dann vom 60. Altersjahr an mit raschem Sprunge zurückzu¬
gehen.
Zur Illustration der Frequenzverhältnisse in unseren beiden Hauptepidemien
und in derjenigen von
Berlin je
nach
den Altersclassen diene übrigens
folgende
Tabelle:
Zürich.
Zürich.
Berlin.
Zürich.
Zürich.
Berlin.
1864-65
1870-71
' 1871
1864-65
1870-71
1871
0- 1 Jahr
1:308
1:278
1:20
15-20 Jahr
1:225
1:244
1:48
1- 2 „
1:285
0:1452
1:23
20-30 „
1:126
1:172
1 :47
2- 3 „
1:1242
1:1423
1:28
30-40 „
1:128
1:219
1:45
3- 4 „
0:1189
1:1406
1:35
40-50 „
1:137
1:157
1:49
4- 5 „
1:1205
0:1375
1:47
50-60 „
1:176
1:198
1:57
5-10 „
1:6136
0:6640
1:81
60-70 „
1:1045
1:281
1:61
10-15 „
1:726
1:2874
1:106
70-80 „
1:1086
0:1175
1:161
Es fällt hier auf, dass die Altersjahre von 0-10 bei uns nahezu immun sind
und diese Immunität steigt vom 2. bis zum 10. Jahre, um von da an von Jahr zu
Jahr abzunehmen. Erheblich anders sind diese Verhältnisse in Berlin, wo die
Pockenzahl allerdings ebenfalls von Jahr zu Jahr abnimmt und diese Abnahme
sogar bis zum 15. Jahre fortdauert; allein dieselbe ist im 2. Jahre gegenüber dem
1. lange nicht so gross wie bei uns und schreitet auch von da an ganz allmäiig
fort Während nun aber in den Altersjahren von 0 — 10 unsere Zahlen gegenüber
denjenigen Berlins 11—70 Mal niedriger sind, wird die Differenz in den spätem
Altersclassen vom 10. Jahre an eine viel kleinere. Wir haben gesehen, dass die
Berliner Epidemie im Verhältniss zur Bevölkerungszahl eine 4 Mal grössere war
als bei uns, in den Altersclassen von 20-60 ist dagegen die Erkrankungsfrequenz
durchschnittlich nur 3 Mal grösser. Bei uns zeigen also die Kinderjahre eine sehr
bedeutend geringere Empfänglichkeit für Erkrankung als in Berlin und häuft sich
das im Verhältniss zu dort grössere Contingent der Kranken auf das Lebensalter
zwischen 20 und 60 Jahren. Vogt ist nun zwar der Meinung, dass die Impfung
Ursache jener vom 2. Altersjahre ansteigenden Immunität nicht sein könne, weil
diese sich mit der abnehmenden Schutzkraft derselben umgekehrt von Jahr zu Jahr
vermindern sollte. Ich sehe das logisch Zwingende dieses Schlusses nicht ein, so
lange er uns nicht ein all maliges Abnehmen dieser Schutzkraft im einzelnen
Individuum beweist. Warum soll dieselbe nicht von einem Jahr aufs andere rasch
erlöschen? Warum sollen wir nicht annehmen, dass die geimpften Kinder vom 5.
bis 10. Altersjahre fast ausnahmslos immun sind und dass von da an die Zahl
Derjenigen von Jahr zu Jahr grösser wird, bei denen die Immunität aufhört? Auch
das soll dem „Dogma“ widersprechen,*) dass vom 61. Altersjahr an die Blattern-
zahl.stetig wieder herabsinkt — eine Erscheinung, die wir auch in unseren klei¬
neren Verhältnissen beobachten — denn von einer zunehmenden Zahl von Impfun¬
gen resp. Revaccinationen in diesem Alter könne nicht die Rede sein. Auch die¬
sen Schluss kann ich nicht gelten lassen* Liegt die Möglichkeit nicht ebenso nahe,
•) Statistische Zeitschrift pag. 21.
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352
dass der Impfstoff, mit dem vor 60 und noch mehr Jahren geimpft wurde, noch
ein kräftigerer war und meist Immunität für’s ganze Lebon sicherte, als der durch
Hunderte von Generationen gewanderte?
Doch greifen wir der Logik der Thatsachen nicht weiter vor; constatiren wir
vielmehr nur, dass eine Krankheit, die vor 100 Jahren noch das Kindesalter vor¬
zugsweise decimirte, in einem Kreise, in dem die Impfung seit Jahrzehnden mit
Cousequenz und Sorgfalt durchgefiihrt wird, in diesem Alter fast verschwunden
ist, dass sie dagegen ein Altersjahrzehnd mit besonderer Vorliebe ergreift, das
sich dieser vermeintlichen (?) Schutzmaassregel schon vor 20 und noch mehr Jah¬
ren unterworfen hat.
Vergleichen wir nun weiter unsere Erkrankungscurve auf 1000 reducirt mit
denjenigen der als zuverlässig bezeichneten Berichte von Müller und Keller .
Zürcher Zürcher
Müller
Keller
Epidemien
Müller
Keller
Epidemien
0- 1 Jahr
53
95
22
41-50 Jahr 99
42
187
2- 5 „
131
186
22
51-60 „ 55
17
102
6-10 „
51
145
6
61-70 „ 24
6
23
11-20 „
134
221
101
71-80 „ 3,8
—
1
21-30 „
266
177
301
81-90 „ 0,2
—
—
31-40 „
183
111
235
1000
1000
1000
Die Differenz in diesen Curven ist eine zu enorme, als dass wir nicht gezwun¬
gen wären, gegenüber unsern, wie ich früher nachgewiesen habe, auf’s Genaueste
controlirten Aufnahmen eine bedeutende Menge von Fehlerquellen in der Müller -
sehen und mehr noch in der Keller' sehen Statistik zu vermuthen oder anzunehmen,
dass in diesen beiden letztem noch ein Moment mitspielt, das namentlich die hohen
Erkrankung8ziffera des ersten urfd auch des zweiten Jahrzehnds in Berlin wie an
der österr. Staatseisenbahn erklärt.
Was nun die Müller' sehe Statistik betrifft, so kann sie auf dieselbe Zuverläs¬
sigkeit schon deshalb keinen Anspruch machen, weil in einem Bevölkerungsrayon
von 800,000 Seelen eine polizeiliche Ueberwachung und Controle des Ganges und
der Verbreitung der Epidemie geradezu unmöglich ist. Eine Menge von leichtern
Pockenfällen namentlich unter. den Erwachsenen entgehen nothwendiger Weise
jeder ärztlichen Beobachtung und fallen deshalb aus, und eine vielleicht ebenso
grosse Zahl von nicht an den Pocken, sondern an Varicellen und anderen Exan¬
themen im jugendlichen Alter Erkrankten vermehrt umgekehrt als „pockenkrank“
das statistische Material, das schon deshalb von entscheidender Bedeutung nicht
sein kann.
Anders noch verhält es sich mit den Keller' sehen Zahlen. Wie wenig dieselben
schon um der Quelle willen Vertrauen verdienen, darüber hat sich bereits ein An¬
derer ausgesprochen. In der That tragen dieselben denn auch so sehr den Stem¬
pel der Tendenz auf der Stirne, dass sie schon deshalb zu einer vergleichenden
Statistik unmöglich verwerthet werden können. Dazu kommt, dass das jede Pocken¬
statistik verwirrende Hebra' sehe Dogma der Identität der Varicellen und Pocken
offenbar auch hier seine Rolle spielt. Allein auch abgesehen davon ist es mir
völlig unbegreiflich, wie Vogt einen so hohen Werth auf diese Statistik legen kann,
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während ihm so wenig wie mir entgehen konnte, dass die derselben zu Grunde
gelegte Bevölkerung eine mitten aus anderen Kreisen herausgerissene und darum
nach Altersclassen nicht auszuscheidende ist
Unter normalen Verhältnissen leben 57,000 Individuen durchschnittlich in 11,700
Haushaltungen mit circa 85,000 Kindern. Hier fallen auf 55— 60,000 Individuen
37,000 Beamte, Arbeiter etc., für Frauen und Kinder bleibt somit ungefähr die
Zahl von 20,000. Nehmen wir an, es sei von diesen Beamten auch nur der vierte
Theil verheiratbet, so bliebe auf diese 9250 Ehen eine Kinderzahl von 13,750 zu
vertheilen. Davon wären im Alter von 0-10 Jahren 1108 Individuen, also nahezu
je das 10. Kind, erkrankt und zwar trotzdem, dass ungefähr die Hälfte der Kinder
geimpft worden sein soll. Und trotz der relativ viel zu grossen Zahl Erwachsener
eine so enorme Pockenfrequenz im ersten Lebensjahre! »Die Botschaft hör’ ich
wohl, allein mir fehlt der Glaube.“
Gegen unsere Statistik wird man nun freilich einwenden, dass dieselbe zu
kleine Zahlen biete und ich gebe dies gerne zu. Allein wir freuen uns dieser
Zahlen und sind es sehr wohl zufrieden, dass unsere beiden Epidemien, die seit
Einführung der obligatorischen Impfung überhaupt Erwähnung verdienen, einen um
das 4fache kleineren Bruchtheil der Bevölkerung in Mitleidenschaft gezogen haben,
als dies entsprechend der Erkrankungsfrequenz der Berliner Epidemie geschehen
wäre. Dort ist namentlich die Sterblichkeit in den ersten 5 Lebensjahren im
Verhältniss zur Gesammtzahl der Erkrankungen nahezu noch einmal so gross
wie bei uns die Zahl der Erkrankungen dieses Alters — 76% dort, 44% hier
— und wenn wir nur etwas Werth auf jene Statistik legen, die, abgesehen von
den möglichen Fehlerquellen, jedenfalls weit mehr Vertrauen verdient, als die
Keller' sehe, so muss sich uns sofort die Ueberzeugung aufdrängen, dass diese enor¬
men Differenzen nicht allein durch das so viel grossartigere Verkehrsleben in der
Hauptstadt des deutschen Reiches, nicht allein durch die Ungleichheit der socialen
Verhältnisse, nicht allein durch die grössere Dichtigkeit der Bevölkerung und nicht
allein dadurch sich erklären, dass alle übrigen sanitätspolizeilichen Maassregeln ge¬
gen die Verbreitung der Seuche dort nicht mit derselben Strenge sich durchführen
lassen wie bei uns. So viel wir auch einer consequenten Isolirung der Pockenkran¬
ken verdanken zu müssen glauben, auch sie erklärt jene Differenzen nicht, denn alle
diese Momente beeinflussen ebenso sehr die Erkrankungsziffer auch der übrigen
Altersclassen, nicht nur diejenigen der ersten Lebensjahre. Nur Ein Moment ver¬
mag sie vielmehr zu erklären und das ist die Schutzkraft der Impfung, die
jedenfalls bei uns weit regelmässiger und strenger und auch frühzeitiger durchge¬
führt wird, als dies 1870 in Berlin unter dem Regulativ vom Jahr 1835 geschehen
sein kann. Vogt wird nun freilich diesen Schluss als logisch zwingenden nicht
gelten lassen, allein so viel wird er nun schon zugeben müssen, dass wir unser
Vertrauen auf den »Segen“ der Jenner 'sehen Entdeckung auf Thatsachen und nicht
auf’s Dogma stützen.
(Schluss folgt)
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354
V ereinsberiehte.
III. Vereinigte Versammlung des ärztlichen Central-Vereins und der
Socidte mddicale de la Suisse romande
Samstag den 19. Mai 1877 in Bern.
Präsident: Dr. Sonderegger, Schriftführer: Dr. Kaufmann.
Schon am Freitag Abend trafen zahlreiche Collegen von nah’ und fern’ ein
und vereinigten sich mit den Mitgliedern des Berner medic.-pharmac. Bezirksver¬
eins im Casino. Eine Serie interessanter Demonstrationen der Herren Prof. Müller ,
Quincke und Demme fesselte zunächst die Aufmerksamkeit der Anwesenden. Be¬
sonders die leider schon alcoholisirten Vierlinge aus der Entbindungsanstalt er¬
freuten sich allgemeiner Theilnahme und bildeten den Uebergang zu des Abends
zweitem Theil, der gemüthlichen Unterhaltung. Sehr bald gerieth denn auch letz¬
tere in gehörigen Fluss und erst die Mitternachtsglocke bedingte allmälige Lich¬
tung der fröhlichen Gesellschaft.
Den Samstag Morgen benützten die meisten auswärtigen Collegen zum Be¬
suche der klinischen Anstalten, vor Allem des Inselspitals und der neuen Entbin¬
dungsanstalt
Hatte auch der Morgen des 19. Mai mit seinem düster bewölkten Himmel und
der darin zu lesenden melancholischen Wetter-Stimmung Manchen in Versuchung
gebracht, ein gehöriges Fragezeichen zu dem in Aussicht stehenden zahlreichen
Besuche zu machen, so wurden Aller Erwartungen übertroffen, wie so zahlreich
die schweizerischen Aerzte in der Bundesstadt eintrafen, so dass das Versamm¬
lungslocal, der geräumige Saal der Einwohner-Mädchenschule, eine Zeit lang we- .
nigstens eher noch zu klein war. Die Gesammtzahl der Anwesenden hat gewiss
die Zahl 300 überstiegen. Leider haben aber nur 169 ihre Anwesenheit schriftlich
bezeugt. Sie vertheilen sich auf die einzelnen Cantone wie folgt: Bern 80, Waadt
18, Neuenburg 15, Baselstadt und Luzern je 10, Genf 9, Freiburg 7, Aargau 6,
Solothurn 4, Zürich 3, St. Gallen 2, Appenzell, Baselland, Graubünden, Schaff¬
hausen, Unterwalden je 1. Als Ehrengäste nahmen an den Verhandlungen Theil
Herr Bundesrath N. Droz , Herr Kummer, Director des eidg. statistischen Bureau,
Herr Prof. Schär , Präsident des Schweiz. Apothekervereins.
Um 10V» Uhr wird die Versammlung eröffnet durch den Präsidenten Dr. Sonder¬
egger mit folgender Ansprache:
„Wir wollen uns heute in Bern begrüssen mit dem Wahrspruche Haller' s: „Der
Dinge Werth ist das, was wir davon erkennen“ oder mit dem ebenbürtigen Worte
Gölhe's : „Du gleichst dem Geist, den du begreifst“.
Die Medicin ist das, was die Aerzte aus ihr machen, und wo sie keine Ach¬
tung geniesst, keine Liebe findet und keine sociale Kraft entwickelt, da sind die
Aerzte selber Schuld daran. Es gibt in der Physik kein Unrecht, sondern nur
Gesetzmässigkeit und ebenso kann in dem geschichtlichen Verlaufe des Völker¬
lebens nur das einzelne Atom, der einzelne Mensch, zuweilen unschuldig leiden,
den grossen Massen, den Völkern, Ständen und Berufsclassen geschieht niemals
Unrecht.
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355
Wir sind hier zusammengekommen, uns zu erheben über die Bedrängniss des
alltäglichen Lebens, und als Studenten im besten Sinne des Wortes die Physiolo¬
gie unser8 ärztlichen Daseins zu studiren. die Pathologie unsers Berufslebens zu
betrachten und die Hygieine der Medicin zu betreiben: diese ist zugleich auch die
Gesundheitspflege der Aerzte und des Volkes.
Wenn der Einzelne allzu oft im Kampfe um sein wissenschaftliches und so¬
ciales Dasein unterliegen möchte, so schwebt über einer grossen Versammlung der
erhebende Gedanke der Zusammengehörigkeit, das Gefühl, für unsere Geschicke
selber verantwortlich zu sein und der Wille, das gefahrvolle, rollende Leben
frisch und thatkräftig anzugreifen.
Tit. 1 Sie haben in einer Reihe von Berathungen und Beschlüssen Ihrer Com¬
mission Arbeiten aufgegeben, über deren jetzigen Stand ich Ihnen Folgendes be¬
richten möchte:
I.
Die Frage über die Eidg. Befähigungsausweise wurde, wie von den ein¬
zelnen Acrzten und Vereinen, so auch vom Eidg. Departemente des Innern als
eine dringende erkannt, weil die Wirkungen der bekannten Uebergangsbestimmun-
gen nachgerade schlimmer werden, als die grundsätzliche Freigebung des Medici-
nalweßcns.
Im Aufträge des Herrn Bundesrath Droz (d. d. Oct. 1876) bearbeitete unser
College, Herr Dr. Friedr. Müller von Basel, die bezügliche Gesetzesvorlage und gab
in seinem bekannten Memorandum eine Reihe vortrefflicher Beobachtungen über
die Vorbildung zur Medicin sowie über das Studium und die Praxis derselben.
Diese Arbeit wurde allen Cantonsregierungen zur Begutachtung mitgetheilt, circu-
lirte ebenso bei den Mitgliedern der Schweiz. Aerzte-Commission und bildete die
Grundlage einer Conferenz, welche Herr Bundesrath Droz am 5. April nach Bern
zusammenberufen und deren Mitglieder folgende waren,
Herren Prof. Bulin, Neuchätel, Prof. Dr. Cloelia , Zürich, Dr. Fr. Müller, Basel,
Dr. Recordon , Lausanne, Director Dr. Schaufelbühl , Königsfeldcn, Prof. Schcer , Zürich,
Dr. Sonderegger , St. Gallen, Prof. Dr. C. Vogt , Genf, Oberfeldarzt Dr. Ziegler , Bern
und Prof. Zangger , Zürich.
Die lange und animirte Berathung stützte sich gleich Anfangs auf den Müller -
sehen Gesetzesentwurf und hielt in allen wesentlichen Puncten und in Ueberein-
stimmung mit den vorliegenden Gutachten von Cantonen, an demselben fest. Es
stellte sich heraus:
1. Dass nach dem Wortlaute des Art. 33 der Bundesverfassung es den einzel¬
nen Cantonen nicht verwehrt werden kann und soll, cantonale Prüfungen abzuneh¬
men und Patente zu ertheilen; dass aber diese Ausweise jeweilen nur für den be¬
treffenden Canton Gültigkeit haben können, während die Eidg. Befähigungsausweise
für die ganze Schweiz gelten müssen.
2. Ausländischen Aerzten, Apothekern und Thierärzten gegenüber ist die Be¬
dingung des Gegenrechtes bereits gesetzlich festgestellt und wird ferner beschlos¬
sen, den Curärzten und Specialisten ganz gleiche Rechte und Pflichten zuzuweisen
wie den regulären.
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3. Die Eidg. Befähigungsausweise auch auf die Hebammen und die Vertreter
der niederen Chirurgie auszadehnen, erschien als unstatthaft und zum wenigsten
unzeitgemäss. Schwieriger war die Frage der Zahnärzte, deren Qualität durch die
Forderung eidg. Befähigungsausweise wesentlich gewinnen könnte. Man entschloss
sich, deren Herbeiziehung einer späteren Zeit zu überlassen, um nicht dem ganzen
Gesetze Schwierigkeiten zu bereiten.
4. Die Bestimmung, dass die Prüfungs-Commissionen aus academischen Leh¬
rern und geprüften Practikern zusammenzusetzen seien, fand allgemeine Unter¬
stützung.
5. Auch darüber war man ohne Mühe einverstanden, dass die Anforderungen
des bisherigen Concordates mit ihren entsprechenden Forderungen und Graden der
Universität Genf als Maassstab für die Befähigungsausweise festzuhalten seien.
6. Die eingehendste Discussion veranlasste die Frage der Maturität. Man war
allgemein daj-über einig, dass diese Forderung durchaus nöthig sei, wenn nicht der
ganze ärztliche Beruf herunterkommen und ein ärztliches Proletariat geschaffen
werden soll, für welches einzelne hervorragende Grössen dem Volke keine genüg-
liche Entschädigung leisten. Dagegen schien es unbedingt unmöglich, nur die
philologisch-humanistische Vorbildung als Maturitätsausweis *zu anerkennen, und
wurde beschlossen, auch dem Realgymnasium gleiche Rechte einzuräumen, wie dem
Litterargymnasium.
Die Commission schied in der frohen Ueberzeugung, dass die ärztlichen An¬
gelegenheiten im eidg. Departement des Innern nicht nur einen kräftigen und wohl¬
wollenden , sondern auch einen vortrefflich orientirtcn Fürsprecher gefunden, und
seither erfahren wir, dass der Entwurf gute Aussicht hat, vom hohen Bundesrathe
angenommen zu werden.
H.
Die Commission für Morbilitäts- und Mortalitätsstatistik der
Fabrikarbeiter wurde bestellt in den Herren Dr. Schüler, Mollis, als Präsident,
Prof. Dunanl , Genf, Dr. Guillaume, Neuchätel, Dr. Lotz, Basel, Dr. Müller, Winter¬
thur , Prof. Vogt, Bern, Dr. Zehnder, Zürich — und hatte* Sitzungen zu Olten den
28. October 1876 und den 14. Januar 1877.
Beim Entwürfe des Programmes, an welchem sich in verdankenswerther Weise
auch der eidg. Statistiker, Herr Director Kummer , betheiligte, zeigte es sich klar,
dass die Aufgabe beschränkt und vereinfacht werden müsse, wenn sie überhaupt
gelöst werden soll, und es wurden Hauptabschnitte einzelnen Referenten zugetheilt,
welche ihrerseits wieder jeden Industriezweig in seine wesentlichen Arbeitsgattun¬
gen zerlegen, dann Fachleute und Vertrauensmänner herbeiziehen und die Listen
und Formulare entwerfen sollen, welche man dann dem Oberfeldärzte, den Spital-
directionen, Krankencassenverwaltungen und Civilstandsbeamten zur Berücksichti¬
gung vorzulegen gedenkt. Insbesondere sind Todtenscheinformulare in Aussicht
genommen, welche nicht blos den Beruf, sondern auch die specielle Arbeit des
Verstorbenen genau angeben, und für die Nomenclatur der Todesursachen wurde
das Basler Schema, als das beste der bisher gebrauchten, festgehalten.
Die zu untersuchenden Gruppen sind folgende:
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1. Baumwollspinnerei und Weberei; 2. Zeugdruck; 3. Stickerei; 4 Appretur
und Bleicherei; 5. Buchdruckerei, Lithographie und Verwandtes; 6. Uhrenfabrica-
tion; 7. Zündholzfabrication; 8. chemische Fabriken verschiedener Art; 9. Seiden¬
weberei.
So stehen wir vor den ersten Vorarbeiten zu einem sanitären eidg. Fabrik¬
gesetz und blicken sorgenvoll in den chaotischen Wirrwarr unserer socialen Ver¬
hältnisse, welche bisher nur die Blüthe einer guten Statistik der Hausthiere und
ihrer Seuchen getrieben haben, aber den Menschen unter dem Vorwände der per¬
sönlichen Freiheit nahezu für vogelfrei erklären, im Leben und im Tode dem Zu¬
fall preisgegeben, ungekannt, ungenannt, in der Theorie geschmeichelt, in der That
aber geringgeschätzt.
III.
Die Specialcommission für das Impfwesen besteht aus den Herren Dr.
de Weite, Basel, Präsident, Dr. DelaHarpe , Lausanne, Dr. Ladame , Locle, Dr. Reiffer ,
Frauenfeld, Dr. Schnyder , alt Oberfeldarzt j Prof. Vogt , Bern, Dr. Zehnder , Zürich,
zu welchen an die Versammlung in Olten den 28. October 1876 auch Vertreter aus
allen einzelnen Cantogen eingeladen waren. Da die Impffrage sowohl in die pri¬
vate wie in die Öffentliche Gesundheitspflege und ganz besonders auch in die
Schlagfertigkeit der Armee tief einschneidet, und da sowohl die Erkrankungen und
Todesfälle durch Pocken als auch die Impfung und ihre Resultate bei der admini¬
strativen Zerfahrenheit der einzelnen Cantone noch sehr ungenüglich controlirt und
wir noch allzu sehr auf ausländisches statistisches Material angewiesen sind, wurde
die Erhebung einer möglichst genauen Pocken- und Impfstatistik aller Cantone
eingeleitet.
Das Bedürfniss, die Impfung und die Impfstatistik zu verbessern, war allge¬
mein anerkannt
Während diese schwierige Arbeit noch kaum begonnen, wurde die Frage von
dem Impfgegnerverein vor die Eidg. Behörden gebracht, welcher zwar über eine
weit kleinere Anzahl feststehender Thatsachen verfügte, als die Aerzte bereits be¬
sitzen und sich in seiner Petition weder durch Gründlichkeit noch durch Maass¬
halten aüszeichnete, aber die leichte Aufgabe bitteren Tadels energisch erfasst
hatte. — Unter diesen Umständen schien der Appell an alle einzelnen Aerzte der
Schweiz geboten. Beobachtungstalent und Wahrheitsliebe ist nicht das Vorrecht
Einzelner. Die Geschichte der Medicin lehrt uns überdies, dass auch begabte
Mathematiker, wie Poisson , der Schüler von Laplace , wie Louis , Bouillaud und Ga-
tarreti bei redlicher Arbeit und grosser Schärfe des Urtheils dennoch in eine schon
nach wenigen Jahrzehnden ungeniessbare Scholastik verfielen und dass wir zur
Stande noch einer medicinischen Morbilitätsstatistik harren, deren Ansätze nicht
subjectiv gefärbt, sondern wirklich objectiv wären.
Nur die Statistik mit constanten Grössen ist unanfechtbar, insofern sie nämlich
vollständig ist; diejenige Statistik aber, welche mit wandelbaren Grössen (mit phy¬
siologischen und pathologischen Vorgängen) rechnet, hat Vorfragen und Beobach¬
tungen zu überwinden, welche weitaus maassgebender sind, als die darauf gebaute
Rechnung. — Ebenso ist nicht zu übersehen, dass wir gar nicht berechtigt sind,
25
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858 —
den Begriff der mathematischen Wahrscheinlichkeit im alltäglichen Leben zu ver¬
wenden, ohne in leere Paradoxien zu verfallen.
Zur Stunde erscheint die Meinung eines erfahrenen und ehrlichen Mannes
immer noch werthvoller als eine lückenhafte oder tendenziöse Statistik. Aus die¬
sen Gründen muss das Ergebniss der schweizerischen Aerzte-Votation bis auf
Weiteres als ein wissenschaftlich berechtigtes angesehen werden und nachdem von
1168 Aerzten sich 1122 für die Impfung und 1010 für die obligatorische Impfung
ausgesprochen, und nur 133 sich dagegen erklärt hatten, war die Stellung der
schweizerischen Aerztecommission klar vorgezeichnet.
IV.
Einen ferneren wichtigen Verhandlungsgegenstand bildete der internatio¬
nale ärztliche Congress, welcher sich nächsten September in Genf ver¬
sammeln wird. Die ärztliche und die naturforschende Gesellschaft dieser schwei¬
zerischen Universitätsstadt hatten es in grossmüthigster Weise übernommen, die
der Schweiz im Allgemeinen zugedachte,Versammlung bei sich zu empfangen, aber
nur im Namen der Eidgenossenschaft und mit ihrer Unterstützung.
Wenn wir auch bei solchen grossen, glänzenden Versammlungen das Wort
Schillerte nicht überhören: „Es bildet ein Talent sich in der Stille, und ein Cha¬
rakter auf dem Markt der Welt“, so können wir doch dem persönlichen Verkehr
wissenschaftlicher Grössen seine hohe Bedeutung für alle Fragen der öffentlichen
Medicin nicht absprochen. — Unsere verehrten Berufsgenossen der Westschweiz
hatten ihre grosse Arbeit und ihre Ehre darein gesetzt, die Aufgabe zu lösen, und
es war ein selbstverständlicher Act der Collegialität, dass wir sie dabei unter¬
stützten und dass die schweizerische Aerztecommission den hohen Bundesrath er¬
suchte, dieser medicinischen Versammlung ebenfalls die Gastfreundschaft zu ge¬
währen, w T elche so viele Vertreter anderer Künste und Wissenschaften, ja sogar ein
kleiner asiatischer Machthaber schon genossen. Die ausgeworfene Subvention von
Fr. 10,000 wurde dann aber auch in sorgfältigster Weise nutzbar gemacht und ge¬
rechtfertigt durch die bundesräthliche Verfügung, dass dieselbe ausschliesslich für
den Druck und die Verbreitung des Berichtes und der gehaltenen Vorträge ver¬
wendet werden müsse.
V.
Ueber das, was in der Frage über Geheimmittelpolizei geschehen ist,
hat Ihnen das Correspondenz-Blatt bereits einlässlich berichtet Nicht nur die
Aerzte, sondern ebenso sehr auch die Regierungen empfinden lebhaft das Unrecht
und die Immoralität, welche durch die Pseudo-Industrie der Geheimmittel begangen
wird; wir freuen uns, auch in dieser Frage bei dem eidg. Departement des Innern
eine sehr wohlwollende Aufnahme gefunden zu haben, und hoffen, dass auch un¬
sere heutigen Verhandlungen zur Errichtung eines Concordates und zur Anbahnung
besserer Zustände beitragen werden. Wir sprechen von Anbahnung; wenn wir die
Frage schön und vollendet, wie Minerva aus dem Haupte des Zeus, darstellen
wollen, werden wir allerdings gar nichts erreichen; insofern wir uns aber mit dem
heute Möglichen begnügen, werden wir ein gutes, wenn auch schweres Werk be¬
gründen. Wir dürfen nicht vergessen, dass nicht nur die Knochen einen lang-
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s&meren Stoffwechsel haben als die übrigen organischen Systeme, sondern dass
auch der staatenstützende Rechtsbegriff, die politischen und socialen Anschauungen
der Völker, sich in normalen Zeiten nur langsam fortentwickeln. Die grossartigen
Fortschritte der Mechanik, der Physik und Chemie haben in Handel und Industrie
Schatze über uns ausgeschüttet, — aber auch Zustände geschaffen, vor welchen
das öffentliche Bewusstsein noch ganz verblüfft stille steht. Wie unsere Zeit ge¬
genüber den anonymen Gesellschaften nach Mitteln tastet, welche den Unterneh¬
mungsgeist schützen, aber den Massendiebstahl verhindern sollten, so sucht sie
auch auf dem Markte der Lebensmittel und der Medicamente nach der Formel,
vermittelst welcher sie don Betrug von der Gewerbsfreiheit unterscheiden und die
grossartig erweiterten Kräfte und Rechte des Individuums mit den Rechten der
Gesellschaft in Einklang bringen könnte.
Wir wollen geduldig und beharrlich den Theil der Aufgabe übernehmen, wel¬
cher uns zufallt, und vor Allem darauf hinarbeiten, dass die vielgerühmte natur¬
wissenschaftliche Erkenntniss auch im Volksleben eine Wahrheit werde und dass
unsere Hochschulen viel mehr und ernsthafter als bisher Hygieine betreiben und
die jungen Aerzte auch mit dem Bewusstsein ihrer socialen Aufgabe in die Praxis
hinaus schicken I
Tit. 1 So sehen wir, wohin wir schauen, ein weites unbebautes Feld, das un¬
serer Arbeit harrt und unsere Aufopferung verlangt. Wir sind zum Säen berufen
und erst spätere Generationen werden erndten; unsere Erndte wird höchstens in
dem Bewusstsein bestehen, redlich gearbeitet zu haben.
Also rüstig vorwärts auf dieser Bahn und immer eingedenk der Mahnung des
Hippokrates: „Glück haben, heisst richtig handeln!“
(Fortsetzung folgt)
Kantonale Correspondenzen.
Basel. Mit schwerem Herzen theile ich den Herren Collegen mit, dass mein
Mitredactor Dr. A. Baader, nachdem er seit circa 3 Monaten an Hämoptoe leidet,
für die er in Gersau Heilung gesucht hatte, in den letzten Tagen in Glion (Hötel
du Midi) von erneuten und sich rasch wiederholenden Lungenblutungen befallen
worden ist, so dass sein Zustand Verwandte und Freunde aufs Höchste beunruhigt.
Hoffen wir, dass die so kräftige Natur des Freundes diesen vehementen An¬
griffen widerstehe und er uns und den Seinen erhalten bleibe!
Dr. A. Bdt.-M.
Appenzell I. B. IJall von Milzbrandinfection. Herr C. E., Particular in
B. (Gemeinde Oberegg, Appenzell I Rh.) half aus Gefälligkeit seinem Nachbarn ein Rind
zerlegen, das im Verdacht stand, an Milzbrand erkrankt gewesen zu sein. Der hinzuge-
rufene Thierarzt bestätigte denn auch sofort die Diagnose und das Thier wurde ver¬
scharrt Ein anderes Rind desselben Besitzers, das einen Tag früher schon im Stalle
todt gefunden wurde und sehr wahrscheinlich der gleichen Krankheit erlegen war, wurde,
weil die Krankheit vom Fleischschauer nicht erkannt, lege artis zertheilt und sein Fleisch
verspiesen. Die Section fand den 27. November 1876 statt. E., der weiter mit dem Thiere
sich nicht abgab, nachdem er dasselbe geöffnet (er ekelte und hatte vollkommen genug an
dem pestilenzialischen Geruch, der ihm dabei in die Nase gestiegen), war zur Zeit voll-
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360
kommen gesund, 40 Jahre alt und ohne irgend welche äussere Verletzung weder vor,
noch nach der Section. Er gedachte dieser kaum mehr, ging seinen Geschäften wie frü¬
her nach. Er hatte nicht von dem Fleische des zuerst crepirten Rindes genossen und
fühlte sich wohl, als nach 8 Tagen , ganz unverhofft, Über Nacht sein rechtes oberes
Augenlid geschwollen wurde. Gegen Abend konnte E. das Auge, das bei der Section
und vor derselben ganz normal gewesen war, nicht mehr öffnen. Den 5. December sandte
man nach mir mit der Bitte, ihn möglichst bald zu bosuchen. Ich fand E. angekleidet
in der Stube, relativ munter. Er befinde sich wohl, habe nirgends Schmerzen , nur sei
es lästig, das Auge nicht öffnen zu können.
Bereits war auch schon das untere Augenlid ergriffen und, wie das obere, stark öde-
matös infiltrirt. Zunge etwas belegt, Puls 80. Temperatur nicht erhöht. Man glaubte,
cs mit beginnendem Erysipelas faciei zu thun zu haben.
Den 6. December waren die Lider beider Augen ödematös geschlossen ; die Infil¬
tration hatte sich ferner über Stirne, Wange, Lippen ausgebreitet. Puls 90 — 100. Tem-~
peratur 38,1. Vollkommen freies 8ensorium. Auf beiden obern und untern Augenlidern
bildeten sich Blasen mit serösem Inhalt, wie sie öfter auch bei Erysipelas faciei Vor¬
kommen. Von einer eigentlichen pustula maligna, wie man vermuthen könnte, war nie
eine Spur. Der Urin hochroth, mit starkem Sediment. Stuhl angehalten. Zunge dick
belegt.
Den 7. starke Zunahme der Geschwulst des ganzen Gesichtes und Halses und Härter -
werden derselben. Patient ist total in seiner Physiognomie verändert, ja geradezu un¬
kenntlich geworden. Während er früher mager und graciler Gesichtsbildung, ist er jetzt
unförmlich aufgedunsen. Stirne, Nase und Wangen breit, hart und glänzend vor Prall-
heit, Augenlider wie Kissen gewölbt, fest an einander gepresst und keinen Schimmer von
Licht dem Patienten gewährend, zerstreute Brandblasen aufweisend; die Lippen, hoch
aufgewulstet und hart infiltrirt, schliessen den Mund nur theilweise, aus dem mit Mühe
die dickbelegte Zunge hervorgestreckt werden kann. Weithin bemerkbarer penetranter
Feetor ex ore. Puls klein, 120, kaum zu fühlen. Keine Delirien. Patient ist vollkommen
bei Sinnen. Gegen Abend stellten sich Schlingbeschwerden und bei Zunahme der harten
Infiltration am Halse bedenkliche Athemnoth ein. Angesichts der Aetiologie und der
raschen Zunahme gefahrdrohender Symptome war die prognosis infaustissima.
Während bis jetzt in therapeutischer Beziehung vorzüglich Mineralsäuren verabfolgt
wurden, trat jetzt vor Allem die Indication in den Vordergrund, der drohenden Herzpa¬
ralyse vorzubeugen. Nach stattgehabter Consultation mit College Dr. Cusler von Rheineck
entschlossen wir uns auch rasch zur Verabreichung von Excitantien und zwar dreister
Gaben von Spirituosa: Rhum, Cognac, nebefibei Chinin.
Der Erfolg entsprach den Erwartungen vollkommen. Nicht blos fiel der Puls ande¬
ren Tages von 120 auf 110 und verlor seine Kleinheit, auch die Temperatur sank von
39,2 auf 38,4. Die Geschwulst blieb sich gleich und hatte am Hals nicht zugenommen.
Foetor ex ore beinahe weg, Zunge weniger belegt Nach mehrtägiger Obstipation
trat heute von selbst Stuhl ein. Das Befinden war im Ganzen sehr befriedigend. Es
wurde die eingeschlagene Therapie mit etwelcher Reduction beibehalten, örtlich auf die
Augenlider, die immer noch Blasen mit serösem Inhalt (Brandblasen) warfen, Ueberschläge
von Carbolwasser mit Glycerin gemacht.
Den 9. stieg die Temperatur wieder auf 39,2. Der Puls jedoch sank auf 104. In¬
filtration des Gesichts und Halses dieselbe. Erysipelatöse Röthe und leichtes Oedem Uber
den ganzen Oberleib und rechts bis zur Hüfte. Die Erscheinungen von Trachcalbeengung
verschwunden. Urin heller. Anhaltende Schlaflosigkeit. Weder Appetit noch Durst. •
Während in den folgenden Tagen die allgemeinen Symptome sich besserten, begann
an den Augenlidern, zuerst rechts, dann links, Anfangs kleine, dann schnell grösser wer¬
dende, schwarze, gangränescirende Stellen bei merkbarer Temperaturerhöhung (von 37,3
bis 39,1) sich zu bilden. Die beiden obern Augenlider waren beinahe vollständig, die
untern zur Hälfte von Gangrän ergriffen. Die Augen selbst, die immer noch fest ge¬
schlossen und keinen Blick in’s Innere gestatten, fangen an ein reichliches catarrhalisches
Secret abzusondern. Der Urin wird im Verlauf wieder röther, Stuhl retardirt, Zunge be¬
legter, zum ersten Mal sogar in der Nacht vom 12. zum 13. leichte Phantasien. Dann
aber rasch nach Bildung von Demarcationslinien Abnahme aller drohenden Symptome.
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Den 14. konnte zum ersten Mal seit der Erkrankung das rechte Auge, 8 Tage spä¬
ter das linke geöffnet werden und zeigten beide eine hochroth injicirte Conjunctiva. Die
Secretion dauerte ununterbrochen fort und steigerte sich zu oigeutlicher Blennorrhoe. Die
peinlichste Reinlichkeit und zuverlässigste Pflege nur konnten hier einen schlimmen Aus¬
gang für die Augen verhüten und Patient war glücklich genug, in seiner Frau eine vor¬
treffliche und ausdauernde Krankenwärterin gefunden zu haben.
Ganz allmälig erst begann die harte Infiltration des Gesichts und Halses weicher
und kleiner zu werden. Die gangränescirenden Schorfe wurden abgestossou und kam
schöne Granulation zum Vorschein. Die Blennorrhoe minderte sich; Schlaf und Appetit
stellten sich endlich ein und schliesslich konnte Patient, vollkommen genesen, nach 10-
wöchentlichcr Krankheitsdauer Mitte Februar aus ärztlicher Behandlung entlassen werden.
Das Einzige, was E. als Erinnerung seiner einstigen Krankheit wahrscheinlich noch län¬
gere Zeit behalten wird, ist ein leichtes Ectropium des rechten untern Augenlides infolge
narbiger Contraction gangränösen Substanzverlustes. An allen übrigen Stellen hat sich
normale Haut und Epidermis wieder gebildet
Dass hier lnfection durch Milzbrandgift stattgefunden, ist wohl ausser Zweifel; was
diesen Fall aber speciell vor andern unterscheidet und ihn zu den seltenem Formen zäh¬
len läset, ist erstens: die directe Uebertragung des inficirenden Stoffes durch Einathmung,
zweitens : wahrscheinlich in Folge davon das Fehlen der sogenannten pustula maligna,
da keine äussere Hautstelle primär inficirt wurde, d. h. kein localer Ansteckungsherd vor¬
handen war. Ferner ist bei der raschen und relativ grossen Ausdehnung der Infiltration
und bei der gefahrdrohenden Höhe der Krankheit das vollkommene Fehlen eigentlicher
Delirien, sowie der Ausgang in Genesung, ungewöhnlich nach Allom, was in der spär¬
lichen sachbezüglichen Literatur darüber ersichtlich.
Als ein fernerer Beweis directer Uebertragung kann ich nicht unterlassen, die That-
sache zu erwähnen, dass ein Kind des Nachbars im Alter von 5 Jahren, das bei der
8ection anwesend war und derselben zuschaute, ohne im Geringsten mit dem Thier etwas
zu thun zu haben, und auch nicht vom Fleische des ersten Rindes genossen hatte, zu
gleicher Zeit und unter den gleichen, nur mildern Symptomen wie E. erkrankte. Oedem
der Augenlider (hier zuerst des linken), Infiltration des Gesichtes und Halses, jedoch
ohne nur annähernd die Härte und Geschwulst wie bei E. zu erreichen, Fieber, ödema-
töso Röthe des ganzen Körpers (scarlatinaähnlich), schliesslich Gangrän des linken obern
Augenlides in grossem Umfang und heftiger Conjunctivalcatarrh (zu Blennorrhoe kam es
hier glücklicherweise nicht).
Von den zwei weitern, bei der Section direct Betheiligten erhielt der Eine eine
Phlegmone am Vorderarm, der Andere eine leichtere am Fusse.
Diejenigen, die das Fleisch des erstgeschlachteten milzbrandigen Thieres gegessen,
kamen mit heiler Haut davon, da wahrscheinlich durch anhaltendes Kochen der Giftstoff
(Bacterien?) zerstört oder wirkungslos im Magen wurde.
Walzenhausen, den 3. März 1877. J. Höchner.
Ana der Oatschwelx. Die Arcana, ein Beitrag zur Reform der medi-
cinischen Therapie. (Emsiges Ringen führt *zum Gelingen.) Die Medicin ist eine
Kunst, in der es sich hauptsächlich darum handelt, kranke Menschen gesund zu machen.
Mit dieser Kirnst sieht es aber noch sehr dürftig aus, man mag da sagen, was man will.
Allgemeine Unzufriedenheit in medicinischen Kreisen über die zu Gebote stehenden Heil¬
mittel und Heilmethoden, nirgends etwas Bestimmtes, etwas Positives. Ein Heilmittel
um das andere wird empfohlen und wieder bei Seite gelegt, als den Anforderungen nicht
entsprechend; eine Heilmethode um die andere wird als unzureichend, unzuverlässig ver¬
lassen, um gleich wieder neuen Enttäuschungen entgegen zu gehen. So kreisen wir in
in einem beständigen Circulus vitiosus, und das Ziel, nach dem wir streben, bleibt stets
in gleiche Ferne‘gerückt.
Das ist eine recht widerliche Situation, aus der ein Jeder herauszukommen sucht,
der sich nicht blos hinter Diagnose und Prognose versteckt, dom es ernsthaft darum zu
thun ist, seine Kranken nicht blos zu behandeln, sondern auch wirklich zu heilen. Aus
dieser widerlichen Situation kommen wir heraus mittelst der Arcana. Diese lernen wir
kennen in dem Buche: Die Alchemie, das ist die Lehre von den grossen Gcheim-
Mitteln der alten Alchemisten und den Speculationen , welche man an sie knüpfte, von
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362
Dr. med. GottKeb Latz , Bonn 1869; — wir lernen eie am Krankenbette richtig anwenden
durch: Die Anwendung der Arcana am Krankenbette, von Dr. med. Gotttieb Latz ,
Bonn 1870. (Beide Werke sind im Selbstverläge des Verfassers erschienen.)
Wie Latz lehrt, gibt es sieben Arcana, mit denen man allen Situationen des internen
Krankenbettes entgegentritt. Diese sieben Arcana sind aber nichts anderes, als die Ar¬
cana der Alchemisten, als die Remedia divina der Alten, welche, verloren gegangen, von
ihm wieder aufgefunden, entdeckt worden sind.
Was verspricht uns nun Latz durch seine Mittel und deron Anwendungsmethode?
Er schreibt in der Vorrede zur „Alchemie“ :
„Wie, in den Arcanis hat man Mittel gegen Pocken, Scharlach, bösartige Masern,
Typhus, Cholera, Ruhr etc.? Ja! — Das wäre doch colossal und ist ja kaum zu glauben.
Ja, es ist colossal und kaum zu glauben. Und wie ich bereits oben gesagt, Ihr sollt
auch gar nioht glauben. Der Glaube ist gut in der Religion, die Erfahrung am Kran¬
kenbette hat nichts mit dem Glauben zu thun. Glaubt mir nicht, aber wendet die Arcana
am Krankenbette an, und Ihr werdet sehen, was ich gesehen, heilen, was ich geheilt
Aber Du stehst so isolirt da! Ach nein. Es ist gerade mit der Hauptzweck dieses Bu¬
ches , Euch zu zeigen, dass ich nicht isolirt dastehe, dass die grössesten Männer auf
meiner Seite stehen, dass sie die Arcana kannten, die ich wieder aufgefunden. Ihr werdet
sehen, wie sie diese Arcana für würdig hielten, als das Substrat der Entwickelung ihrer
oft Staunen erregenden geistigen Thätigkeit zu dienen. Glaubt nur nicht, dass jene gros¬
sen Männer ihre geistreichen Arbeiten auf die Arcana basirt, an die Arcana geknüpft
haben würden, wenn diese nicht etwas absolut Grossartiges wären, wenn sie keine Re¬
media divina wären!“
So schrieb Latz im Jahre 1869. Damals appellirte er noch an die Vergangenheit,
heute kann er an die Gegenwart appelliren. Eine Reihe von Collegen hat durch ihn die
Arcana kennen gelernt und segnet den Tag, an dem sie mit ihm in Correspondenz ge¬
treten. So schreibt Dr. Ladurner in Mariazell in Nr. 4 des in Wien erscheinenden medi-
cinisch-chinirgischen Centralblattes u. A. Folgendes: „Wer die Arcana am Krankenbette
richtig anwendet, der sieht Erfolge, wie die Schultherapie sie nie sieht, und der Erfolg
ist so glatt und sicher .... so leicht; daher der, welcher die Sache nicht aus Erfah¬
rung kennt, gar keine Vorstellung darüber hat Ich agire schon längere Zeit mit den
Arcanen und muss gestehen, dass ich Erfolge gesehen habe, die ich nicht einmal für
möglich gehalten haben würde, wenn ich sie nicht selbst erfahren hätte. Seit ich durch
die Güte des Dr. Latz zur Kenntniss der Arcana und zu deren richtiger Anwendung am
Krankenbette gelangt bin, kenne ich den grossen Unterschied zwischen Behandeln und
Heilen der Krankheiten. Mit der Schultherapie bohandle ich, mit den Arcanen heile ich
den Kranken .... Ich war lange genug Schularzt und weiss, was die Schultherapie
leistet oder nicht leistet, um den grossen Unterschied zu kenneu, was ich mit der Schul¬
therapie und was ich mit den Arcanen zu leisten vermag.“
Eine mehrjährige Prüfung und Erfahrung in der Anwendung der Arcana am Kran¬
kenbette hat mir gezeigt, dass Latz in seinen Versprechungen durchaus nicht zu weit ge¬
gangen ist und dass die Worte Ladufner' s ihre vollste Berechtigung haben. Deshalb
habe ioh es auch in meiner Pflicht erachtet, im Interesse der leidenden Menschheit meine
Herren Collegen auf die Arcana aufmerksam zu machen.*) H.
Genf. Gestatten Sie, verehrte Redaction, mir einige Worte über eine Krankheit,
welche, obwohl alt, doch immer neu ist, Dank ihres beständigen Auftretens und der zahl¬
reichen, wenngleich öfter erfolglosen Behandlungsweisen, die man gegen sie aufgestellt
hat. Welches Leiden kann sich rühmen, auf jeder vierten Seite der Journale behandelt
zu werden, ausser dem Nervenleiden, dieser Krankheit, welche neben der Blutarmuth die
Pathologie der chronischen Krankheiten unserer Zeit beherrscht? Darup will ich Ihnen
•) Auf wiederholt und dringend ausgesprochenen Wunsch von College Dr. H. publiciren wir
diesmal seine Mittheilung, jedoch einzig und allein, um dem Drauge desselben, die Collegen in den
Vorhof der Arcana einzufahren, nicht länger dieselben Bedenken und dasselbe Kopfschütteln entgegen¬
zuhalten. Was wir uns davon versprechen, dass es Dr. Latz gelungen, die verschneiten Pfade des
Weges zu den „Arcana“ wieder zu entdecken und zu ebnen und dankbare Schüler um sich zu grup-
piren, mag der geneigte Leser aus dieser Anmerkung ersehen. Redact.
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über den nervösen Zustand und seine Behandlung durch die Hydrotherapie Einiges
mittheilen.
Ich glaube, wir Alle sind über die Wichtigkeit der Hydrotherapie in Bezug auf die
Behandlung der Nervenleiden einverstanden. Aber sind wir es auch in Bezug auf die
Mittel? Ich hoffe zu beweisen, dass sich nicht alle hydrotherapeutischen Anwendungen
für die nervöse Ueberreizung eignen, und dass man, je nachdem man das Wasser an¬
wendet, nützen oder schaden kann. Jeder Badearzt hat oft Gelegenheit, hysterische, hy¬
pochondrische, kurz nervöse Personen zu behandeln. Diese Patienten finden sich überall,
indem sie ihre Nerven und ihren Missmuth mit sich herumschleppen. Welche Arznei
haben sie nicht versucht? Von der Valeriana bis zum Brom haben sie alle Mittel gegen
Nervenleiden durchgekostet, haben es manchmal gemildert, oft aber keinen oder nur einen
zeitweiligen Erfolg erzielt; das Uebel, für den Augenblick unterdrückt, kam bald im Ga¬
lopp zurück; abgesehen von andern Unannehmlichkeiten war oft eine hartnäckige Dys¬
pepsie das einzige Resultat des langen Gebrauchs von Baldrianthoe.
Empirisch, oft auch um sich dergleichen Patienten vom Halse zu schaffen, empfiehlt
der Arzt eine Wassercur, indem er — und das mit Recht — die Hydrotherapie anräth.
Die hydrotherapeutische Bebandlungsweise des Nervenleidens ist ganz eigentümlich und
hat mit der Douche und speciell mit der kalten Douche zunächst nichts zu thun, wie
sich das Publicum und nicht wenig Aerzte, zum grossen Nachtheile des Patienten, ein¬
bilden. Ich habe mehrere Nervenleidende gesehen, denen man einfach Douchen verord¬
net batte, ohne auf die Temperatur oder den Druck des Wassers zu achten. Einige
Patienten nahmen, um schneller zum Ziele zu kommen, sogleich die kalte Douche mit
Druck, und nach einigen Tagen befanden sie sich so überreizt, dass sie die Behandlung
aufgaben in der Ueberzeugung, die Hydrotherapie sage ihnen nicht zu, und dennoch hät¬
ten andere, einfachere Anwendungen die Krankheit heilen können. Die Erfahrung hat
uns gelehrt, dass die beste hydrotherapeutische Gur für Nervenleiden folgende ist: Da
die nervösen Personen sehr empfindlich sind, ja die aussergewöhnliche Empfindlichkeit
das eigentliche Wesen des Uebels ist, so muss man natürlich vor Allem die grösste Vor¬
sicht und Mässigung in der ärztlichen Behandlung anwenden, man muss diese Empfind¬
lichkeit beseitigen, ohne sie — so zu sagen — anzufassen, man muss das Uebel mit
kleinen 8chlägen tödten, ohne dass der Patient es gewahr wird; denn man darf nicht
erwarten, dass ein Nervenleidender aus eigenem Antriebe etwas dazu beiträgt, den Erfolg
der Cur zu unterstützen.
Die geringste Ueberstürzung, die leichteste Uebertreibung in der Behandlung können
die traurigsten Folgen haben; es bedarf einer Kleinigkeit und der entmuthigte Patient
packt seine Koffer und reist ab; ich kenne keine Krankheit und besonders keine Patien¬
ten, welche schwieriger und peinlicher zu behandeln wären; die Erfolge sind glücklicher¬
weise oft glänzend, aber die Geduld, welche der Arzt zeigen muss, ist — man darf es
wohl behaupten — der grössten Anerkennung werth.
Wir fangen die Cur des Nervenleidens immer mit milden Anwendungen und ohne
Pression an; ich habe Patienten geheilt gesehen, bei denen das angewandte Wasser
nie 22° C. überstiegen hatte. Wir beginnen im Allgemeinen mit einer Einhüllung in ein
durchnässtes, ein wenig oder gar nicht ausgerungenes Tuch (Wasser = 26° C.), das ist
die „Beruhigungs-EinWickelung“ (maillot calmant). Der Bademeister hat die Anweisung,
keine Reibung vorzunehmen, um eine aufregende Wirkung zu vermeiden. Sobald das
Tuch warm wird, entfernt man es, der Patient wird abgetrocknet und kleidet sich an.
Erträgt der Patient die Einwickelung mit Leichtigkeit, so lasse ich ihr (maillot cal¬
mant), je nach der Beschaffenheit des Subjectes, bis vier Aufgüsse (Affusions) von Was¬
ser zu 16—24° C. folgen. Erwärmt sich die Hülle zu schnell, so wird der ersten eine
zweite und selbst eine dritte hinzugefügt, um eine zu schnelle Reaction zu verhindern.
Im Allgemeinen gewöhnt sich der Patient schnell an diese leichten, sehr beruhigenden
und doch nicht schwächenden Anwendungen; die Nerven werden nach Aussage der Pa¬
tienten ruhiger, und vor Allem verschwindet die Schlaflosigkeit; gerade das Sichwieder-
eins teilen des stärkenden Schlafes verursacht dem Kranken die grösste Freude. Wieder
schlafen können ohne Chloral oder Opium I Unmerklich gelangt der Patient zu dem tem-
perirten Wellenbad (piscine), (Anfangs 25, später 18° C.), in welchem er 5—20 Minuten
bleibt Am Ende der Our geht er in das kalte Bad 4 9° C. auf höchstens 3 Minuten.
364
Diese einfache Car genügt fast immer, um ein selbst sehr veraltetes Nervenleiden zu
heilen; nur bedarf es der Zeit, der Ausdauer und vor Allem der Geduld von Seiten des
Arztes sowie des Patienten; wenig Leidende lehnen sich so sehr gegen die best gelei¬
teten Curen auf, wie diese; eine einzige Geringfügigkeit — und man muss Alles von
vorn anfangen; oft braucht man mehrere Monate und wiederholte Curen, um zu einem
Resultate zu gelangen, aber diese Behandlung ist so einfach, dass man sie ohne Schwie¬
rigkeit im eigenen Hause vornehmen kann. Ich würde ganz besonders die Beruhigungs-
Einwickelung und die milden Aufgüsse empfehlen; ausserdem ist die Cur nicht lästig,
und die Resultate sind — was man wohl in Anschlag bringen muss — fast immer aus¬
gezeichnete. Diese Behandlung beruhigt das ganze Nervensystem und ermüdet es nicht:
sie hat den grossen Vortheil, die Functionen der Haut zu befördern. Ist der Patient —
was sehr oft der Fall ist — blutarm, so kann man ihm Doucheu verordnen, jedoch nie
früher, als bis das Nervenleiden gehoben ist; ja noch mehr (und das ist so, obgleich es
paradox klingt) die Douche, welche auf so wunderbare Art die Blutarmuth hebt, darf
nie von vornherein angewandt werden, selbst wenn die Anremie die Ursache des Nerven¬
leidens wäre. Auf diese Weise beruhigt man nicht, indem man tonisirt; in der Hydro¬
therapie muss man zuerst beruhigen und dann stärken, mit einem Wort: jeder Arzt, der
die Behandlung des Nervenleidens mit Douchen anfängt, kann versichert sein, dass er in
80 Fällen von 100 nicht nur seinen Zweck verfehlt, sondern sogar die Krankheit, welche
er heilen will, noch verschlimmert.
Diese Betrachtungen führen mich darauf, von den reizenden und aufregenden, sowie
von den beruhigenden Behandlungsweisen der Hydrotherapie zu sprechen. Als Trousseau
behauptete, dass die Kälte das Beruhigungs-Mittel par excellence sei, täuschte er
sich auf eine befremdende Weise; die Kälte regt immer auf, weil sie stets eine auf¬
regende Reaction zur Folge hat. Derjenige, welcher die Gewohnheit hat, sich der Was-
sercur zu bedienen, ist bald zu der Ueberzeugung gekommen, dass es gerade am schwer¬
sten ist, eine beruhigende Wirkung durch das Wasser zu erzielen; dies ist so wahr,
dass wir der anregenden Wirkung des kalten Wassers, der kalten Douche, unsere schön¬
sten und leichtesten Erfolge verdanken.
Wie aber die kalte Douche aufregend, die temperirten Begiessungen dagegen beru¬
higend wirken etc., das will ich jetzt zu erklären versuchen:
1. Die kalte Douche, der Regen, die Colonne (Strahl) etc. finden ihre ganz eigent¬
liche Anwendung in der Hydrotherapie als Anregungs- und Wiederherstellungsmittel; sie
haben nur den einen.Fehler, dass sie fast immer, wenn stärkend, auch aufregend wirken.
Ich stelle mir die Wirkung der tonisirenden Douche auf folgende Weise vor: Nimmt man
an, daBs der Blutarmuth eine Verminderung des Eisens im Blute zu Grunde liegt, so ist
klar, dass die Douche mit reinem Wasser in diesem Falle nur indirect wirken kann. Sind
die Blutarmen bleich, so kommt das nicht daher , dasB sie weniger Eisen oder andere
Nahrungsmittel gemessen, welche rothe Blutkörperchen produciren, als andere Personen.
Nein, die Blutarmen sind krank, weil sie die Nahrungsmittel nicht in physiologisch nor¬
maler Weise assimiliren; werden die eisenhaltigen Arzneien besser assimilirt, als die
Fleischspeisen? Die Erfahrung beweist uns leider oft das Gegentheil!
In der Douche haben wir ein Mittel, welches dem Patienten die Kraft verleiht, zu
verdauen und vor Allem die Kraft der Assimilation. So kämpft die kalte Douche indirect
oft besser gegen die Chlorose als das Eisen; aus demselben Grunde kann Hydrotherapie,
verbunden mit einer wohlgeordneten Diät, als prophylactisches Mittel gegen die Scrophu-
lose und ihre Schwester, die Phthise, betrachtet werden. Die Douche wirkt wie ein
Belebungsmittel, sie greift ebenso in das Rückennerven- wie in das Gangliensystem ein,
sic beschleunigt uod regelt die Circulation, erleichtert den Stoffwechsel, gibt Appetit und
Kräfte, und vor Allem erleichtert sie die Verdauung, und hierdurch eben gestaltet sich
die Assimilation aufs Neue regelmässig; die Hautfunctionen, die Regelmässigkeit und
Beschleunigung des Blutumlaufs haben eine vollständigere Ernährung, eine bessere Ver¬
dauung, einen grössern Appetit zur Folge, oder, wie die Patienten sagen : die Nahrungs¬
mittel machen ihnen wieder Vergnügen. Der Speisesaft ist absorbirt, er dringt in das
Blut ein, was man sehr bald bei den Chlorotiscben bemerkt, welche ihr bleiches und farb¬
loses Aussehen verlieren und es durch eine rosige Farbe ersetzen. Indem wir bei einem
Kinde, bei einem jungen Mädchen , die Anlage zur Blutarmuth unterdrücken , entfernen
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wir hierdurch aus der menschlichen Gesellschaft ebenso viele zukünftige Hysterische und
Nervcnleidendc. Es ist die Pflicht des Arztes, einem Familienvater an’s Herz
zu legen, dass das kalte Wasser und das Turnen für eine wohlverstandene
Erziehung unentbehrlich sind.
2. Während die anregende Douche kaltes Wasser, einen sehr kurzen Gebrauch und
eine starke Erschütterung erfordert, erreicht man die beruhigenden Folgen der Hydro¬
therapie im Gegentheil durch die gerade entgegengesetzten Mittet: mildes Wasser, wenig
oder gar keinen Druck, langes Verweilen im Wasser. Die beruhigenden Wirkungen er¬
fordern Wasser in einer Temperatur von 15—25° C., das Bad eine Dauer von 6—30
Minuten, wobei das Wasser ruhig bleiben muss; langdauernde Bäder, durchnässte und
wenig ausgerungene Tücher, welche nach Angabe oft erneuert werden, Aufgüsse von 20.
bis 25° C., bekommen den empfindlichen und leicht reizbaren nervösen Personen sehr gut.
Die Ueberreizung des Gehirns , eine Folge von Nachtwachen oder zu langer Ver-
slandesarbeit, finden hierdurch Beschwichtigung und Ruhe. Die rein beruhigende Wir¬
kung darf nur in verhältnissmässig wenig Fällen, besonders in Augenblicken eines ner¬
vösen Paroxismus, hervorgesucht werden. Ich habe behauptet, dass das Nervenleiden
gewöhnlich von einer allgemeinen Schwäche begleitet ist und dass sehr oft die Schwäche
die Ursache des Uebels sei; deshalb muss man, sobald die beruhigende Wirkung er¬
zielt ist, die anregende Wirkung hervorsuchen, sofern der Zustand deB Patienten es ge¬
stattet; das Ideal der Behandlung ist die Vereinigung der Beruhigungs- mit der Anre-
gungscur.
Um dies Ziel zu erreichen, müssen wir zum kalten Bade unsere Zuflucht nehmen,
und gerade dem Vollbad verdankt die Hydrotherapie die bedeutendsten Erfolge; Fälle
von chronischer Schlaflosigkeit, von sehr hartnäckiger Nervenüberreizung sind durch dies
eine und einfache Mittel geheilt worden. Die einzige Vorsicht, die man anwenden muss,
besteht darin, dass man das Vollbad nicht zu Anfang der Cur verordnet, man gewöhne
den Organismus allmälig an kaltes Wasser durch die Behandlung mit temperirtem Was¬
ser, und man wird auf diese Weise selbst bei den empfindlichsten und kleinmüthigsten
Patienten Erfolge erzielen. Hat der Patient leicht Frost an den Extremitäten oder leidet
er an Kopfweh, so lasse ich dem Vollbad eine warme Douche auf die Füsse bis zum
Rothwerden der Haut vorangehen, während eine kalte Compresse auf dem Kopfe liegt.
Bei solcher Behutsamkeit gewöhnen sich die Personen, welche Anfangs unfähig zu sein
schienen, die leichteste Badecur zu ertragen, sehr bald an das kalte Wasser der piscine,
sie erwarten mit Vergnügen den Augenblick, wo sie ihr Bad nehmen, und bleiben leicht
bis 3 Minuten darin, während das Wasser eine Temperatur von 9 —11° C. hat.
Das Wasser, als BeruhigungBmittel angewandt, wirkt durch die Erschöpfung des Ner¬
vensystems, welches man durch die Aufeinanderfolge der Applicationen oder durch Ver¬
längerung des Eindrucks der Kälte so zu sagen ermüdet; man gibt sich alle Mühe, eine
zn schnelle, folglich aufregende Reaction zu verhindern; der Einfluss des Wassers auf die
Reflexbewegung wird aufgehoben, der Körper verspürt eine allgemeine Erstarrung, cs
gibt Fälle von Sideration des Nervensystems , besonders der Reflexnerven; es ist klar,
dass eine solche Behandlung, lange Zeit fortgesetzt, nicht ohne Gefahr sein wird.
Die Beruhigungs-Einhüllungen, die Affusions, die piscine müssen immer bei der Be¬
handlung des Nervenleidens, wenigstens während einiger Zeit (dies zu bestimmen, ist
Sache des Arztes) der tonisirenden Douche vorangehen, mit denen allein man es —■ ich
wiederhole es — in drei Viertel der Fälle zu nichts bringt
Ich hielt es für meine Pflicht, diese wenigen Bemerkungen über die hydrotherapeu¬
tische Behandlung des Nervenleidens mitzutheilen, denn ich bin überzeugt, dass man in
dieser Beziehung viele Fehler macht, und dass jene unheilvolle Idee, als ob die Hydro¬
therapie gleichbedeutend wäre mit der kalten Douche, noch viel zu viel Glauben findet,
zum grossen Nachtheile der Patienten und des Ansehens der Hydrotherapie.
Wenn 8ie erlauben, werde ich Sie in einem nächsten Briefe von zwei anderen sehr
wichtigen hydrotherapeutischen Heilungsmcthoden unterhalten, die auf der Vereinigung der
Kälte und Wärme beruhen, nämlich von der diaphoretischen und revulsiven oder deriva¬
tiven Methode.
Oenäve, Jü Mai 1877, Dr. Paul Glatz.
Medecin aux Bains de Champel.
3 oogIe
Digitiz
366
Genf. Rectification.*) Messieurs les Rödacteurs du „Correspondenz-Blatt“. Votre
Numdro du lö Mai renferme une Correspondance de Gendve dans laquelle il est dit que:
„le uombre des accouchements k la Maternitö a augmentö d’uue manidre satisfäisanto, et
qu’il est k prövoir (voraussichtlich) que cette nouvelle crdation ne restera pas
en arrfere des autres cliniques sous le point de vue du materiel et du nombre des
ötudiants“.
La vöritd est que depuis le jour de l’ouverture de la Maternitd (1er Janvier 1877),
il s’y est fait 67 accouchements, et que depuis le commencement du semestre d’ötd
(26 Mars) la Clinique obstötricale est suivie comme les autres Cliniques par 15
ötudiants.
En vous demandant au nom de la Facultö de vouloir bien insörcr la präsente recti-
flcation dans votre prochain Numdro, je vous prie MM. les Rddacteurs d’agrder l’assu-
rance de ma considdration trds distingude.
29. Mai. Le Doyen de la Facultd: G. Jultiard , Prof.
Granbünden. Ulcera varicosa, mit Hautsyphilis combinirt. Am 7. Ja¬
nuar 1876 bekam ich eine 60jährige Patientin in Behandlung. Sie litt seit ca. 15 Jah¬
ren an GeschwUren des linken Beins. Ich fand den betreffenden Unterschenkel varicOs
und in seiner grössten Ausdehnung von ganz gewöhnlichen varicösen GeschwUren be¬
deckt. Unter der bekannten Therapie waren innert der verhältnissmässig kurzen Zeit
von 8 Wochen sämmtliche Geschwüre schön vernarbt, auch die durch die Transplantation
verursachten Hautdefecte des Oberschenkels geheilt. Ich entliess nun die Patientin mit
einem Gummistrumpf. Nach ca. 14 Tagen kam sie wieder: auf der Haut der Knie¬
scheibe und auf dem FussrUcken hatten sich kleine Ulcera gebildet, die trotz constanter
Ruhe, erhöhter Lage u. s. w. nicht heilen wollten, sondern sogar noch grösser wurden.
Ein volles halbes Jahr wandte ich nun alle möglichen in der Literatur empfohlenen Mittel
an — ohne den geringsten Erfolg. Hatte sich ein Geschwür geschlossen, so bildete sich
in der Nähe ein stecknadelkopfgrosses Hautabscesschen, das bald missförbigen Eiter ent¬
leerte, unterminirte Hautränder zeigte und sich zum GeschwUr vergrösserte. Endlich fiel
es mir auf, dass einzelne Geschwüre in der Mitte mittelst einer weissen sclerotischen
Narbe verheilten, dagegen am Rande weiter frassen. Meine dadurch veranlassten Nach¬
stellungen nach früherer Syphilis blieben erfolglos. Trotzdem Hess ich nun die alte
* Jungfer“ eine ächte Sigmund sehe Schmiercur durchmachen und siehe da — in 4—6
Wochen war Alles soUde vernarbt und ist Patientin nun über ‘/, Jahr geheilt ge-
bUeben.
Dieser Fall ist beachtenswerth 1. weil Pat., als sie in Behandlung kam, wenigstens
dem Aussehen nach rein varicöse Unterschenkelgeschwüre hatte, die verhältnissmässig
rasch zuheilten; 2. weil die spätem syphiUtischen Geschwüre nicht auf den Narben der
varicösen, sondern auf früher gesunden Hautstellen auftraten; 3. weil es sonst Regel sein
soll, dass chronische Hautgeschwüre des Oberschenkels fast immer, solche des Unter¬
schenkels fast nie syphilitisch sind, während hier nicht nur das Gegontheil statt hatte,
sondern auch die Gelegenheit zu ulceriren, wie ich sie durch Herausschneiden von Haut-
stilcken aus dem Oberschenkel gegeben hatte, von der syphiUtischen Gonstitutionserkran-
kung unbenützt gelassen wurde.
Mir persönlich fiel der Fall noch deshalb auf, weil es die einzigen varicösen Unter-
schenkelgeschwüre waren, die ich in den 7 Jahren meiner hiesigen Praxis bei einem ein-
gebornen Oberengadiner gesehen.
Pontresina, 11. Mai 1877. J. M. Ludwig.
Nidwalden. Touristenweisheit. In liebenswürdiger Weise hat sich ein
werther Herr College aus Nidwalden die Mühe nicht reuen lassen, die mannigfaltigen
Lücken meiner höchst fragmentarischen Touristenweisheit auszufüllen. Da er aber die
PubUcation seiner Briefe nicht wünscht, halte ich es für eine publicistische Pflicht, selbst
Einiges daraus zur Beleuchtung der sanitarischen Situation im Lande Winkelried’s mit-
zutheilen.
*) Es ist udb nicht ganz klar, warum diese Mitteilung über Geburtenzahl und Studentenfre- ■
quenz der geburtehülflichen Klinik in Genf den Titel Rectification trägt; ausserhalb Genfs ist jeden¬
falls der citirte Satz unseres Correspondenten nirgends missverstanden worden. Redaction.
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Im Decennium 1861 —1870 starben in Nidwalden mit 11,526 Seelen nach einer seiner
Zeit der medicinischen Gesellschaft Nidwaldens vorgelegten Zusammenstellung von Dr. Gut
in 8tan8 2988 oder 25,7 pro mille bei 31,6 Geburten auf tausend Einwohner. Die Todes¬
fälle vertheilen sich auf die Altersclaesen so:
Zahl der
Todesfälle
Auf 1000
Alter.
Lebenden.
jährlich.
reducirt.
10—20
2261
10
4,4
20—30
1956
16,5
8,4
80-40
1673
17,7
10,6
40-60
1256
22
17,5
Diese Zahlen sind nicht ungünstig; allein die relativ grosse Zahl von Grabdenkmälern
von in der BlQthe der Jahre verstorbenen Menschen erklärt sich noch einfacher.
„Der Friedhof wurde erst im Frühjahre 1866 eröffnet, zu einer Zeit, wo Variola und
Typhus besonders unter der jüngern Bevölkerung Opfer forderten. Die ersten Reihen
der Gräber werden daher viele jüngere Altersclassen aufweisen. Besonders aber ist hier
1871 maassgebend. Damals hatten wir auch hier Variola in ausgebreitetem und bösarti¬
gem Grade; so dass in jenem Jahre 81 Personen im Alter zwischen 20—40 starben. —
Der Durchst&nitt in 10 Jahren betrug sonst 34 in diesen Altersclassen. Haben Sie nun
zufällig die Reihen dieser Jahrgänge durchwandert, so mag Ihnen allerdings der Eindruck
geworden sein, der Nidwaldner habe geringe Resistenzkraft.
Zur Ergänzung füge ich bei, dass die Mortalität per mille 1871 = 34,4, 1872 nur
noch 20,2 betrug. Im Alter von 20—40 Jahren starben 1872 28 Personen.“
In Normaljahren bilden die häufigsten Krankheitsursachen wie überall die Ernährungs¬
störungen im däuglingsalter; es treten dann in zweiter Linie die Bronchitis und die Pneu¬
monie der höhern Altersclassen (namentlich jeweilen vom März-Mai). „Die Pneumonie
ist auch bei uns wiederholt epidemisch aufgetreten und dann in der Regel in bösartiger
Weise, so namentlich in den 80er Jahren, dann 1863—1866 und Ende 1873 bis August
1874. Von andern Epidemien waren von Bedeutung: 'Masern 1869 und 1870; Variola
1866 und besonders 1871 und Scharlach 1876 bis heute noch. Ich füge jedoch bei, dass
seit Anfang meiner Praxis (1859) Masern nur einmal auftraten; Scharlach vom Anfang der
30er Jahre bis 1876 nie.
Typhus taucht wohl hie und da auf; Epidemien hatten wir jedoch nur 1860, 1861,
1865 -1866.
Zur Lungentuberculose stellen wir kein grosses Contingent.“
Auch die zahlreiche Vertretung einzelner Familien erklärt sich sehr einfach so, dass
es in Nidwalden grosse Geschlechter gibt, die sehr weit verbreitet sind, ohne unter sich
verwandt zu sein, sowie durch den Umstand, dass eben einzelne Familien auf den Cultus
ihrer Verstorbenen hohen W T erth legen und dass endlich andere wirklich eine relativ
grosse Zahl in der Blüthe der Jahre verlieren, wie das ja überall vorkommt
Die kleine Bemerkung Uber die nach Religionen getroffene Ausscheidung nach dem
Ende aller irdischen Mühsale und Freuden hat sehr gegen meine Absicht ihren Weg in
viele politische Blätter gefunden: es freut mich, constatiren zu können, dass Niemand auf
den unrichtigen Verdacht kam, es sei meine Absicht gewesen, hiedurch Leidenschaften
wuchzurufen, die Niemand ferner sein sollen als dem Arzte, dem nach meiner Auffassung
die Ziele seines Berufes und die Liebe zum Gesammtvaterlande ganz andere Wege vor¬
zeichnen. A. Baader.
TeMln«*) Der Schweiss, ein souveränes Mittel gegen die periodischen
Pyrexien besonders bei Behandlung des Wechselfiebers, (dem Chiningebrauch
mit grösstem Nutzen vorzuziehen).
Man legt den Kranken zu Bett, gibt ihm womöglich ein Laxans von Lcinsamenöl
oder Ricinusöl und lässt ihn eine wässerige Diät beobachten. Später, am Tage des An¬
falles, wenige Stunden vor demselben, wird man dem Kranken kleine Tassen warmen
Thee’s zu trinken geben in der Absicht, einen allgemeinen Schweiss hervorzurufen, wel¬
chen man nicht unterbrechen wird. Um sicher den Schweiss zu haben — wenn es noth-
•) Wir verdanken die deutsche Uebersetznng der uns italienisch übermittelten Mittheilung der
Freundlichkeit von Herrn 8tänderath Dr. Reali.
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wendig ist, wird man irgend ein äuaserliehes diaphoretisches Mittel gebrauchen, und vor
Allem Sinapismen.
Hat man vor dem Anfälle den Sch woiss erzielt, so endigt das Fiober mit dem¬
selben um nie mehr aufzutreten.
Die Reconvalescenz dauert wenige Tage.
Diese Behandlungsmethode, welche ich seit 1869 erdacht uud mit Erfolg gegen ein
Wechselfieber, welches hartnäckig dem Chinin widerstand, angewandt habe, gab
mir immer das gleiche Resultat, nämlich das angeführte Aufhören des Fiebers
in allen Wechselficbern, welche ich seither behandelte.
Locarno, 19. Mai 1877. Arzt Zeuna.
W ochenbericht.
Schweiz.
Basel. Farrenl ympho. Die Transportfähigkeit der Farrenlymphe ist
bekanntlich noch nicht ganz abgeklärt. Das Fehlschlagen einzelner Impfversuche mit aus
weiter Ferne bezogener Lymphe wird bekanntlich unter Andcrm auch dem durch den
Transport (Ternperaturdifferenz, Schütteln) bewirkten Verderben zugeschrieben.
Durch die gütige Vermittlung des Herrn Physicus Dr. deWelte erhielt Herr Dr. Nieder¬
hauser in Barcelona aus dem basier Impfdepöt reine, auf der Luftpumpe getrocknete
Farrenlymphe. Die Versendung geschah zu Anfang dieses Jahres in einer offenen Schach¬
tel, da das die Postvorechriften so verlangen. Dr. N. löste mit Wasser auf, impfte ein
Kind und revaccinirte verschiedene Erwachsene. Bei dem Kinde bildete sich nur eine
gute Blase; die Revaccinationen hafteten nicht, woran, wie Dr. N. meint, vielleicht zum
Theil auoh eine etwas zu starke Verdünnung mit 8chuld war.
Ein zweites Kind, das mit Lymphe aus der oben erwähnten Pustel geimpft wurde,
erhielt sehr schöne Vaccinepusteln«
Der eine Versuch berechtigt natürlich zu keinem eingehenden Schlüsse, beweist aber
doch die Möglichkeit eines weiten Transportes mit naebgehendem gutem Erfolge.
Genf. Eine Ausstellung neuer chirurgischer Instrumente und Apparate wird unter
der Direction von Dr. J. L. Reverdin (place du lac) während der Dauer des internationalen
Congresses stattfinden. Die Aussteller müssen vor dem lö. August Mittheilung machen,
wie viel Platz dieselben beanspruchen ; die Gegenstände selbst müssen mit genauer No-
menclatur versehen vor dem 1. September in Genf eintreffen. Die Kosten der Ausstel¬
lung werden von den Ausstellern getragen. Die während des Congresses nicht verkauf¬
ten Instrumente haben zollfreie Einfuhr.
lYenemblirg. Feuilles d’hygi^ne et de police sanitaire, Neuenburg, (2‘/2 Fr.
jährlich) monatlich eine Nummer. Mit grossem Interesse haben wir den II. Jahrgang der
Feuilles d’hygiine, redigirt und herausgegeben von Dr. Guillaume , gelesen. Die äusserst
originelle, mit vielen Zeichnungen geschmückte Zeitschrift versteht es in trefflicher Weise,
dem Publicum gediegenen Inhalt in angenehmer Form zu bieten und so in amüsanter
Weise das Interesse für das weite Gebiet der Hygieine zu erwecken. Dio nützlichste
Belehrung über die verschiedensten sanitarischeu Fragen findet eine gefällige, nicht er¬
müdende Darstellung.
Wir wünschen dieser Zwillingsschwester der „Blätter für Gesundheitspflege“ fröh¬
liches Gedeihen und herzliche Aufnahme in jeder einsichtigen Familie.
Ausland.
Jletiologle der Bleiintoxicationen. W. Leyendecker , Fabricant von Blei-
productcn in Cöln, sieht einen Hauptfactor in der Aetiologie der Bleikrankheiton- in der
Unachtsamkeit und Schmutzigkeit der Arbeiter, die u. A. auch mit ungewaschenen Hän¬
den ihre Nahrungsmittel bereiten und zu sich nehmen. Einreibungen der Haut mit Oel
oder Fett haben sich als wirksames Schutzmittel gegen die Aufnahme des Bleies von
der Haut aus erwiesen. Obligatorisch muss jeder Arbeiter vor Empfang seines Wochen¬
lohnes eine grosse Tasse Aufguss aus 3 — 4 gmm. Fol. Senn» und Ö—6 gmm. Natr. sulf.
pro Tasse trinken. Auf grösste Reinlichkeit wird streng geachtet Was ein rationelles
Verfahren leisten kann, beweisen die 5 Fabrikmeister, von denen 2 seit 20, die anderen
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369
seit 16, 10 und 6 Jahren in den Fabriken, ohne jemals bleikrank gewesen, beschäftigt
sind. Wie so häufig, so sind es auch hier gerade die Arbeiter selbst, welche den sani¬
tären Bemühungen die meiste Opposition entgegensetzen.
(Corr.-BL d. niederrh. Ver. f. öffentl. Gesundheitspfl. 1876. Nr. 10—12.
B. K. W. 1877, Nr. 11.)
Bandwurm bei einem Säugling. Dr. Dawosky in Celle trieb bei einem 6 Mo¬
nate alten Säuglinge durch wiederholte Gaben von Ricinusöl eine Taenia sol. ab. D. gibt
an, dass das Kind bisher nur die Mutterbrust erhielt. Der Genuss von rohem Fleisch,
wie es Kindern mit Diarrhoe etwa verordnet wird, konnte vollkommen ausgeschlossen
werden. (Betz, Memorab.)
Bleivergiftung durch Gemüse. Dr. Loos (Leyden) publicirt folgende
eigentümliche Vergiftung durch grüne Gemüse. Sämmtliche Glieder einer Familie boten
die Symptome der Bleivergiftung, deren Ursache nur in dem Genüsse von Gemüse konnte
gefunden werden, das in einem Garten wuchs, auf dessen Boden 12 Jahre vorher eine
Bleiweissfabrik gestanden hatte. Die qualitative Analyse von Feldfrüchten dieses Gartens
ergäbe nicht messbare Spuren von Kupfer, wohl aber auch quantitativ sehr gut zu be¬
stimmende Mengen Blei. Eine weisse Rübe von 650 Grammen enthielt 0,01, eine zweite
von derselben Schwere 0,0186, sechs gelbe Rüben, zusammen 272 Gr. schwer, 0,0173 und
endlich 4 Endivien 0,13 metallisches Blei, so dass also die gebräuchlichsten Gemüse
durch Aufnahme von Bleisalzen aus ihrem Standorte giftige Eigenschaften acquiriren
können. Die Vergiftung kann übrigens keine irgendwie erhebliche gewesen sein.
Relata ferro: schaue Jeder, wie er’s — glaube.
(Rev. de thär. mäd.-chir. 1877, p. 213.)
Deutschland. Ein fester Höllensteinstift. Dr. Schuster in Aachen
schreibt der B. K. W. 1877, Nr. 10: Ich glaube nun den Herren Collegen einen Dienst
zu erweisen, mit der Angabe, dass eine Mischung aus 1 Theil Chlorsilber und etwa 10
Theüen Argentum nitricum zusammengeschmolzen einen ganz besonders festen Stift lie¬
fert Man bereitet ihn wie den gewöhnlichen Stift, nur muss man die Formen nach dem
Gusse vorsichtig reinigen. Dieser neue Stift verträgt einen bedeutenden Druck, er wird
nicht leicht brechen; man kann dreist mit demselben in der Nasen- und Mundhöhle
herumarbeiteu. Er lässt sich leicht und zwar nadelscharf zuspitzen, man braucht ihn nur
mit einem feuchten Läppchen bis zum Spitzwerden abzudrehen, da die Oberfläche leicht
schmilzt, ohne dass die Feuchtigkeit der Dicke des Stiftes sich leicht mittheilt. So zu-
gespitzt kann man ihn bequem z. B. in einzeln stehende Lupusknötchen oder andere pa¬
thologische festweiche Gewnbe einbohren. Er wird hierbei zugespitzt erhalten. Die
ätzende Eigenschaft dieses wirklich festen Lapisstiftes steht der des officinellen bröckeln¬
den Stiftes nicht nach.
England. Ein Specificum gegen den Speichelfluss. Jukes Stynap
empfiehlt als ein ausgezeichnetes Mittel gegen mercuriellen Speichelfluss, welches sich ihm
in seiner 25jährigen Praxis bewährt hat, den Schwefel, welcher in kleinen und häufigen
Dosen so lange gegeben werden soll, bis Diarrhoe eintritt; gut ist, da es darauf ankömmt,
dass der Schwefel nicht nur den Darm passire, Opium oder Morphium zuzusetzen. Die
Formel lautet: Sulf. prsecip. 1,5—8,0, Kali chloric. 3,0—4,0, Morph, raur. 0,1 , Emuls.
amygdal 280,0. 8. Schüttelmixtur, alle 3 — 4 Stunden einen Esslöffel voll zu nehmen.
(The Bril med. Joum. 831. — W. M. W. 1877, Nr. 6.)
Frankreich. Subcutane Aetherinjectionen. Bei Gollaps jeder Art,
namentlich aber nach heftigen Blutungen bei Operationen, Geburten fite, empfiehlt Vemeuil
die subcutanen Injectionen von Aether, die er mit bestem Erfolge angewendet hat. Er
misst zuerst die Temperatur und spritzt so lange stündlich 15 Tropfen reinen Aethers
unter die Haut, bis die Normaltemperatur erreicht ist Sinkt sie wieder nach einiger
Zeit, so werden die Injectionen wiederholt, was ohne Gefahr während einigen Tagen kann
wiederholt werden. In der Revue de thörap. mäd.-chir. vom 15. April 1877 werden zwei
Fälle mit günstigem Ausgange mitgetheilt Einem Knaben entfernte V. einen Nasen¬
rachenpolypen. Der Blutverlust war so stark, dass die Temperatur auf 85* C. sank. Vor
der projectirten Transfusion wurden die subcutanen Aetherinjectionen versucht; sie waren
nach mehrtägiger Anwendung vom besten Erfolg begleitet. — Der zweite Fall betraf
einen Patienten, der mit incarcerirter Hernie im Zustande des äussersten Collapses mit
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870
85° Temperatur eintrat, weshalb V. von der Operation abstrahiren wollte. Auf Aether-
injectionen erholte eich aber der Patient so, dass dio Hemiotomie schliesslich doch noch
auageführt wurde und vom besten Erfolge begleitet war.
Wir vervollständigen diese Daten mit der Angabe, dass gleich günstige Resultate
schon längst in der medic. Literatur Deutschlands publicirt sind. Auf die erste Empfeh¬
lung Hecker'* hin bestätigte Frilsch die von ersterem constatirten guteu Erfolge und maohte
namentlich auch auf die rasche Belebung nach Chloroformnarcosen aufmerksam ; die
Aetherinjectionen wecken oft sofort und machen so einem in der Privatpraxis lästigen
Zustande ein Ende.
Auch Macan (Dublin) spritzte bei Collaps in Folge acuter Anämie mit sehr günstigem
Erfolge Aether subcutan ein und zwar dreimal 2,0 in kurzen Pausen.
Im Basler Spital wird seit längerer Zeit eiue Lösung von Campher in Aether (1:10)
'/,—1 Morphiumspritze voll pro dosi eventuell rasch successive wiederholt mit grösstem
Erfolge bei Collaps angewandt.
InHUfflation bei Ileus. Garnier (Lyon) behandelte eine Patientin mit Kolik,
hartnäckiger Obstipation, Kothbrechen, (Fieber?) etc., jedoch ohne PeritonitiB und Hernie.
Er nahm Invagination an; nachdem alle therapeutischen Versuche (ein weit hinauf geführ¬
tes Darmrohr wurde nicht versucht) fehlgeschlagen hatten, führte G. eine gewöhnliche
Clystiercanule ein, an welcher ein 60 cm. langer Cautschukschlauch sass, dessen anderes
Ende er an dem Hahn eines gewöhnlichen, 1 Liter haltenden 8odawassersyphons gut
fixirte. Während die Patientin gut festgehalten wurde, liess G. die kohlensäurehaltige
Flüssigkeit, die im Syphon unter dem Drucke von 2—8 Atmosphären steht, einströmen.
Das Clystier wurde sofort unter grossem Geräusch wieder ausgeworfen. Augenblicklich
waren alle ßcbmerzen, die Angst, der Druck „wie auf Zauborschlag“ verschwunden und
die Patientin konnte 3 Tage später aufstehen.
In ähnlicher Weise waren früher schon Wood (1886), Traslour (1873), die durch einen
gewöhnlichen Blasebalg Luft einpressten und Taliafera (1867), welcher Clystiere aus
Potio Rivieri applicirte, vorgegangen. (Rcv. de thdr. möd.-chir. 1877, 8.)
Die Luftheizung. Der medicinisch-pädagogische Verein in 8achsen hat in
seiner Sitzung vom 17. Juni 1876 nachfolgende Petitionen an den Magistrat, die Stadt¬
verordneten-Versammlung und an das Reichsgesundheitsamt abzusenden beschlossen:
„8eit Einführung der Luftheizung haben sich die Klagen der Lehrer und Schüler über
verschiedene gesundheitsgefährliche Uebelstände, wie Kopfschmerz, Uebelkeit, die sich bis
zum Erbrechen steigert, Flimmern vor den Augen, Trockenheit und Brennen im Halse,
Heiserkeit und Athmungsbeschwerden etc. in beunruhigender Weise vermehrt. Auf
Grund dieser Klagen hat der medicinisch-pädagogische Verein sich eingehend mit der
Frage der Luftheizungs-Einrichtung beschäftigt, und es sind ihm aus vielen Städten, wie
München, Nürnberg, Chemnitz Paris und besonders auch aus Berlin viele Mittheilungen
über die Wirkung der Lufthdpung, sowie technische und wissenschaftliche Gutachten zu¬
gegangen, auch Bind von den ' zu den Sitzungen zugezogeneu Technikern die obengenannten
Uebelstände nicht in Abrede gestellt, sondern nur den bis jetzt noch unvollkommenen
Einrichtungen zugeschrieben Worden. In Anbetracht, dass hier Leben und Gesundheit
von Tausenden gefährdet ist, und in Erwägung, dass die genannten Uebelstände durch
technische Abänderungen für den Augenblick nicht zu entfernen sind, beantragt der me¬
dicinisch-pädagogische Vereio, dass die Luftheizung so lange beseitigt werde, bis bessere
Garantien für ihre Unschä djp hkeit gewonnen sind.
(Corr.-BL d. ärz^fW pharm. Ver. Sachsens Nr. 6. — Pr. Arzt 1877, Nr. 2.)
litt neben. Einigung zur Gründung einer deutschen Gesellschaft für
Gynäcolegie. Eine grössere Anzahl deutscher Geburtshelfer und Frauenärzte hat be¬
schlossen, eine Gesellschaft für Gynäcologie zu gründen. — Die Unterzeichneten wurden
beauftragt, die Statuten zu entwerfen und die Vorbereitungen für die erste constituirende
Versammlung der Gesellschaft, welche am 16. und 16. September in München tagen wird
und in deren erster Sitzung die Statuten festgestellt werden sollen, zu treffen. Wir laden
diejenigen Herren Fachgenossen, welche der neuen Gesellschaft als Mitglieder beizutreten
wünschen, ein, sich 8onnabcnd den 16. September, Vormittags 10 Uhr im Münchener
Polytechnicum einzufinden.
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871
Eine Anzahl wissenschaftlicher Vorträge ist bereits angektlndlgt, weitere Anmeldun¬
gen von Vorträgen werden erbeten. CredS v. Hecker Hegar
in Leipzig. in München, in Freiburg i. B.
Nachweis von Kohlenoxyd in der Zimmerlnft. Ein gutes Reagens
auf Kohlenoxyd und auf Kohlenwasserstoffe ist die Lheung des Palladiumchlorids. Halb-
feuchte Streifen von Leinwand oder Baumwolle, welche mit einer concentrirten, möglichst
säurefreien Lösung jenes Reagens getränkt sind , färben sich in Berührung mit den ge¬
nannten Oasen nach Prof. Böttcher intensiv schwarz. (Pr. Arzt 1877, Nr. 2.)
BTodel im Kehlkopf. Die Drs. Mitchell und Malhew» machten bei einer jungen Toch¬
ter in Bloomington die Tracheotomie wegen einer verschluckten Nähnadel Die Laryn-
goscopie war immöglich, dagegen fühlte man am untern Rande der Cartilago cricoidea
rechts von der Mittellinie eine leichte Hervorragung. Hier wollte auch die Patientin die
Nadel fühlen. In der Narcose wurde die Tracheotomie ausgeführt; eine in den Kehlkopf
eingeführte Sonde fand sofort die Nadel, die sich ohne Schwierigkeit mit einer gewöhn¬
lichen Pincette extrahiren liess. Die Genesung erfolgte rasoh. • —■ Mitchell fand in der Li¬
teratur nur 3 analoge Fälle, in welchen aus der gleichen Ursache die Tracheotomie ge¬
macht und zweimal der Fremdkörper entfernt, wurde. Im dritten Falle fand man ihn
nicht, die Patientin genas aber gleichwohl vollkommen.
Stand der Infeetiona-Krankheiten in Basel.
Vom 26. Mai bis 10. Juni 1877.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Die Zahl der angezeigten Fälle von Typhus ist eher noch im Zunehmen: 26 neue
Fälle (30, 29, 16, 23), wovon je 7 vom Nordwestplateau und Kleinbasel, 9 aus dem
Birsigthale, 1 vom Südostplateau und 2 von auswärts stammen.
Scharlach nur 2 Fälle (16, 7), 1 aus dem Spitale, 1 aus Kleinbasel.
Masern wieder 2 Fälle (1), wovon einer importirt, der Ursprung des andern un¬
bekannt.
Diphtherie und Group je 1 Fall (im letzten Berichte zusammen 17).
Ery sipelas 4 Fälle (6, 4, 10).
Puerperalfieber 1 Fall vom Nordwestplateau.
Keuchhusten wird fast aus der ganzen Stadt in einzelnen Fällen gemeldet, zu-
sammmen 7 (7).
Varicellen 3 Fälle aus dem BirBigthale.
Briefkasten.
Herrn Dr L. ln C.: Ihr Begehren um Impfbtoff haben wir dem Sanit&tscommiBB&r Entmann
in Basel zugestellt, der die betreffende Versendung an die Collegen besorgt. — Herrn Dr. Kaufmann
in Bern; Herrn Dr. Hotch in Basel; Herrn Dr. Hxlty in St Gallen; Herrn Dr. Kaufmann in Bern:
Dankend erhalten. — Herrn Dr. r. Erlach: Die Tafeln sind eingetroffen. Beste Grüese. — Herrn Dr
Sonderegger: Zu spät eingetroffen. Beste Grüsse. — Dr. Prof. Juillard: Ihre Mittheilung dankend erhalten.
P. P.
Med. llr. Otto ä Porta, pract. Arzt, erlaubt sich hiemit Ihnen zur Eeantni9s zu bringen,
dass er auch diess Jahr sein vor zwei Jahren dem Betriebe übergebenes
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unter seiner persönlichen Leitung fortführen wird.
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queme Verbindung mit dem nur 15 Minuten entfernten Curbaus Tarasp, sowie besonders die den
Tit. Gästen gebotene Gelegenheit, zu jeder Zeit ärztlichen Rath im Hause selbst (gut eingerichtete Privat¬
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Dieses neu aufgebaute Hotel, hübsch und comfortabel eingorichtet, bietet sowohl
Aufenthaltern als Logirenden einen höchst angenehmen und freundlichen Aufenthaltsort.
Brugg, welches von Jahr zu Jahr im Zunehmen begriffen ist, liegt eine kleine
halbe Stunde von Biel entfernt, an der Landstrasse nach Büren, und findet die Eisen¬
bahnverbindung nach allen Eichtungen statt.
Nahe am Bahnhof gelegen, ohne jedoch im Geringsten durch den eventuellen Lärm
des Verkehrs belästigt zu sein, liegt der Gasthof am linken Ufer der Ziehl, getrennt von
letzterer durch einen prachtvollen Garten, das „kleine Paradies“ genannt.
Kurze angenehme Spaziergänge in die Umgebung bieten dem Besucher den grössten
Genuss bezüglich Lage und Aussicht, und grössere Touren führen in die schönsten Gegen¬
den. Brügg ist ferner rühmlichst bekannt wegen seiner gesunden und hübschen Lage.
Uebrigens weist uns die Statistik im Verhältnisse die geringste Zahl von Sterblichkeit in
Brügg auf. Kranken, besonders innerlich Leidenden, ist jedenfalls ein längerer Aufenthalt
bestens zu empfehlen, und stehen auch sehr gute und als ausgezeichnet bekannte Aerzte
in nächster Nähe stets zur Verfügung. [H1441Q]
Musikalische Unterhaltung.
Auch alles Fernere, was zum angenehmen Aufenthalt dienen kann, weisen wir auf.
Herr Vienot-Thalmann wird es sich im übrigen stets angelegen sein lassen,
seinen Gönnern und Gästen einen bequemen und angenehmen Aufenthalt zu verschaffen,
und hat er Fürsorge getragen, dass für alle Eventualitäten promptestens und bestens ge¬
sorgt ist.
Herr Vienot empfiehlt somit sein neu gegründetes Pensionshaus, sowohl Einheimi¬
schen als Fremden, aufs Beste und wird sich Jeder überzeugen können, dass im Vor¬
liegenden nicht die geringste Uebertreibung liegt, im Gegentheil!
Ausflüge in die Umgebung : Nach Orpund, Gottstadt, Mett, Bözingen, Biel,
Nidau, Magglingen.
Aussichtspunkte: 10 Minuten obenher Brügg, von wo eine prachtvolle Aussicht
auf die Alpen des Oberlands, des Jura’s und der wunderschönen See- und Thalgegenden.
— Die Terrasse auf dem Hotel selbst, von wo in gemüthlicher Ruhe eine Aussicht sich
gemessen lässt, die gewiss Jeden, der sie geniesst, höchlichst entzüokt.
Badekuren: Sool-, Gas- und andere warme Bäder im Hause, und in der Nähe
des berühmten Worbenbad. — Pferde und Fuhrwerke stets zur Verfügung.
Hotelpreise sehr gemässigt. Gute und reelle Bedienung. Garantirt gute Weine.
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S sind mit Mitte Mai wieder eröffnet. a
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Nr 13. VII. Jahrg. 1877. 1. Juli.
Inhalt: 1) Orlginalarbelten; Dr. Karl ton Erlach: Notizen ans dem Gebiete der Dermatomyooaen. — Dr. C. Zehnder:
Die zttreherieehe Pockenetatiatik. (Fortsetzung.) — Dr. F. Borei: Qnelqnea raote eur la nature et la valeur des paraeites micro-
scopique.. (Sehlnaa.) — 2) Vereinsberichte: III. Vereinigte Versammlung des Ärztlichen Centralvereins nnd der Socidtä md-
dioale de la Snieae romande. (Fortaetxnng.) — 8) Referate nnd Kritiken: Treichler dt Bus»: Bad und Cnrort Lenk im
Berner Oberland. — 4) Kantonale Correapondenzen: Zürich. — 5) Wochenbericht. — 6) Briefkasten.
Original-Arbeiten.
Notizen aus dem Gebiete der Dermatomycosen.
Von Dr. Karl von Erlach in Baden.
(Siehe die beiliegende Tafel.)
Die Aufnahme zweier Fälle (eines 13jährigen Knaben und seiner 7jährigen
Schwester) exquisiter Dermatomycose (Herpes tonsurans) auf die betreffende Ab¬
theilung des äussern Krankenhauses und besonders die Resultate der nähern Unter¬
suchung derselben und eine bei Gelegenheit derselben gemachte hergehörige Beob¬
achtung scheinen mir genügende Veranlassung, um auf zwei frühere kleine Publi-
cationen über eineu nächstverwandten Gegenstand zurückzukommen und dieselben
im Folgenden nach zwei Seiten hin zu vervollständigen. •
Der erste jener frühem Aufsätze findet sich in der Schweiz. Zeitsch. f. Heilkunde
von Biermer , R. Bemme und Ziegler , III. Heft, 2. Bd. 1863 Pag. 266—278 und liefert
die Beschreibung einer an einzelnen, dem Umkreis von durch Area Celsi kahl ge¬
wordenen, Stellen des behaarten Kopfes wahrgenommenen Erscheinung, die mög¬
licher Weise als »Varietät von Microspor. Andrini, oder als besondere Species von
Microsporon oder eines anderen Pilzes“ zu deuten sei.
Prof. Frei in Zürich bezeichnete später meine einschlägigen Beobachtungen
als irrthümliche Auffassung der Rngositäten und epidermidalen Haarscheide, wie
sie bei Haaren, die bei der Entfernung vom Kopf eine Zerrung erlitten, wenn sie
in gewisse Flüssigkeiten getaucht mikroskopisch untersucht werden, regelmässig Vor¬
kommen und auch mir, nicht nur Hrn. Frei, längst bekannt und von den von mir
beschriebenen in anastomoßirenden Schraubenlinien das Haar umgebenden Fila¬
menten leicht zu unterscheiden waren. Die nächste Gelegenheit, ein meine Ansicht
Frei gegenüber stützendes Experiment bekannt zu machen, bot sich erst fünf Jahre
später, als ich durch Prof. Lücke, damals Chirurg. Kliniker in Bern, veranlasst wurde, ge-
•) VId. 1. c. Pag. 271 Lin. 16 u. ff. v. oben.
27
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882
meinschaftlich mit ihm meine Beobachtungen über die Wirkung des Terpentinöls
meinerseits auf Dermatophyten, seinerseits bei Erysipel, traumat. zu veröffentlichen.
(Berlin, klin. Wochenschrift 1868 Nr. 44 ff.), wo auf 8er dritten Seite angegeben
ist, dass die früher beschriebenen das Haar umgebenden Filamente dem Einfluss
einer Aetzkali-Lösung widerstehen, welche die Haarsubstanz gänzlich aufzulösen
im Stande ist, ein Experiment, welches meinen damaligen Zuhörern auf meiner
Klinik wiederholt vorgezeigt wurde.
Einer der bei uns in der Regel durch Ansteckung von Hausthieren vermittelten
Fälle von Herpes tonsurans, wo die Krankheit am behaarten Kopfe in ausgezeich¬
neter Sycosisform neben der durch die nämliche Infection erzeugten eczem-
ähnlichen Erkrankung der Gesichtshaut sich in schönster Entwicklung vorfand,
bewog mich nicht nur zur Untersuchung einer Reihe von Haarexemplaren und von
Schuppen der erkrankten Epidermis aus den befallenen Hautstellen, sondern zur
Abbildung der zwei Geschwister in Oel, die sich mehrern frühem würdig
anreihte unter andern demjenigen einer Bauernmagd, die in Folge Anlehnens
der Stirne an eine hautkranke Ziege beim Melken ihre Sycosis in der Mitte des
obern Stirnrandes erworben, und eines Jungen, bei dem, eigentümlich genug, auch
am behaarten Kopf der vom Haushund des Meisters ererbte Herp. tons. bei der
blossen Kleienabschuppung stehen geblieben war. Bei der mikroskopischen Unter¬
suchung der erkrankten Haare der zwei Geschwister und der Epidermisschuppen
von den erkrankten Hautstellen des Gesichtes und Halses, welche das Trichophyton
tonsurans in schönerer Entwicklung vorführte, als ich es je bisher gesehen (vide
I, II und IV) bekam ich ein älteres Favus-Präparat in die Hände, das im letzt¬
vergangenen Frühsommer (Juni 1876) von meinem Assistenten zur Demonstration in
der Klinik hergestellt worden, aber unbenutzt geblieben war. Das mit Achorion
Schcenleini durchsetzte Haar war in Glycerin getauc ht und zwischen Objectträger
und Deckgläschen gelagert liegen geblieben und das Glycerin zum grössten Theil
vertrocknet. — Mit reinem Wasser neuerdings angefeuohtet, wurde es unter 400-
fache Linear-Vergrösserung gebracht und zeigte das unter III wiedergegebene Bild,
nämlich 12—15 von einem am Haar anliegenden Sporenhaufen aus nach allen Rich¬
tungen strahlig auslaufende Filamente, von denen manche sich gablig theilten, wohl
auch anastomosirten, die einzelnen Filamente lang gestreckt, ohne Zellenwände
oder Abschnürungen, ungofähr vom nämlichen Durchmesser, welchen die Filamente
eines gewöhnlichen Favus-Myceliums zeigen.
Das Haar selbst war, wohl unter der Einwirkung des vertrocknenden Glycerins
theilweise eingeschrumpft, an andern Stellen knollig aufgetrieben und zeigte eine
rauhe Oberfläche, die durch abstehende Schüppchen hergestellt schien. An 1—2
Stellen schienen die Filamente transversal über die Haarkörper zu verlaufen.
Trotz der total andern Richtung der Filamente, die augenscheinlich in den
äusserst niedrigen Flächenraum zwischen beiden Gläsern sich nur der Fläche nach
hatten entwickeln können, erinnerte mich dennoch das ganze Bild lebhaft an das
bei Area Celsi früher oft und wiederholt beobachtete mit dem schon angedeuteten
Unterschied, dass dort die Filamente in Schraubenlinien rund um das Ilaar, hier
aber nur der Fläche nach in mehr oder minder gerader Richtung längs dem Haar
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883
oder vom Haar weg in den zwei durch das Haar selbst geschiedenen niedrigen
Räumen zwischen den Gläsern sich entwickeln konnten. Die Dicke der einzelnen Fäden,
die Sporenhäufchen, kurz das ganze Bild bot, abgesehen von den durch äussere Um¬
stände der Entwicklung des Parasiten aufgedrungenen Verschiedenheiten so viele
Analogien dar, dass die Annahme sehr nahe lag, es möchte in beiden Fällen eine
bestimmte analoge Entwicklungsstufe eines und desselben Parasiten vorliegen.
Ich kann daher nicht anders als meine vor 14 Jahren mir gestellte Frage wieder¬
holen: Was für ein Gebilde lag vor? War es eine Entwicklung von Mycelfäden
aus den Gonidienhaufen von Favus, die am vertrockneten Haare zurückgeblieben
waren, oder irgend eines andern mit Favus in keinem directen Zusammenhang
stehenden parasitären Organismus. Für ersteres scheint mir die Uebereinstimmung
der einzelnen Fäden in ihrem Aussehen mit denjenigen, die bei jedem Favus in
den Lentillen freilich viel massenhafter vorkommenden Mycelfäden zu sprechen,
während die morphologisch gleichwerthigen Mycelfäden aller andern bisher von
mir gesehenen parasitären Gebilde sowohl in der Gliederung, als in den Dimen¬
sionen von dem hier beschriebenen sehr bedeutend abweichen. — Ich glaube daher
vorläufig zur Annahme berechtigt zu sein, dass es sich hier einfach mit dem Re¬
sultat einer zufälligen Züchtung von Favus in seiner charakteristischen Form
handelt.
An und für sich wäre nun dieser Befund etwas ganz Gewöhnliches, wenn nicht
die relative Uebereinstimmung mit dem von mir im Jahre 1863 bei Area Celsi
Vorgefundenen, damals schon als parasitär gedeuteten Gebilde wäre. Diese Ueber¬
einstimmung ist es, die mir zum Motiv Für die vorliegende Veröffentlichung vor¬
züglich als Rechtfertigung gegenüber Frei und seinem geringschätzigen Tone über
meinen Befund von 1863 geworden. Kaposi und Uebra nehmen einen genetischen
Zusammenhang zwischen Favus und Herp. tonsurans (Letzterer in Anlehnung an
Haitier sogar zwischen gewöhnlichem Schimmel und Favus) an. Stände mein
doppelter Befund nicht so sehr vereinzelt da, so Hesse sich, auf selbigen gestützt,
in diesen genetischen Zusammenhang vielleicht auch noch die Area Celsi in dem
Sinne hineinziehen, wie ich mich über das Vorkommen parasitärer Gebilde bei
derselben früher 1. c. ausgesprochen. Dort habe ich nämHch darauf hingewiesen,
dass die öftern negativen Resultate der Aufsuchung von Parasiten bei Area Celsi
einem einzigen positiven gegenüber deshalb noch nichts beweisen, weil dadurch
einem einzigen, geschweige denn wiederholten positiven Nachweisen gegenüber die
Möglichkeit nicht widerlegt sei, dass perioden weise bei Area Celsi die para¬
sitären Gebilde, nur nicht im Haarschaft, sondern vielleicht im Haarbulbus, also
nicht ohne Excision eines Hautstücks, nachweisbar seien.
Wenn für andere Spezialisten wie für mich meine freilich bisher vereinzelt
dastehenden Beobachtungen, aus denen sich durch Constatirung ihrer Richtigkeit einer¬
seits die parasitäre Natur der Area Celsi, anderseits deren genetischer Zusammenhang
mit Favus nachweisen Hesse, eine Anregung zu Controlversuchen und unermüd¬
lichen controlirenden Untersuchungen der Haare im Umkreis von Area Celsi Flecke
werden sollten, so wäre der Zweck dieser Zeilen erreicht.
Es erUbrigt mir nur noch, über Herpes tonsurans Einiges beizufügen, das sich
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aus der Beobachtung unseres einschlägigen klinischen Materials ergieht. Zunächst
gehört der von Kaposi in Virchows Handbuch der spec. Path. und Therap. als häufi¬
ges Vorkommmss geschilderte Herp. tonsur. vesicul. und maculos. hier zu Lande
nach unsern Erfahrungen unter die ziemlich seltenen Erscheinungen im Gebiete der
Dermatologie. *) Wie schon oben bemerkt, liess sich bei den meisten unserer Fälle
die Infection durch Hausthiere ohne grosse Mühe ausmitteln. Die Form der Er¬
krankung variirte aber in den einzelnen Fällen. So näherte sie sich im einen
(Infection vom Haushund), wo das Trichophyton tonsurans leicht aufzufinden, jedoch
nicht so massenhaft nachzuweisen war, wie im letzten Falle (der die Abbildung
I, n und IV lieferte) im äussern Bilde mehr der Area Celsi, unterschied sich von
dieser jedoch wiederum durch Röthung der kahlen Kopfstellen und feine kleien¬
artige Abschuppung.
Ein Einfluss auf die Veränderung des Aussehens der erkrankten Stellen seitens
des Infektionsherdes resp. des Thieres, von welchem der Pilz übertragen war,
scheint deshalb unwahrscheinlich, weil Letzterer in allen beobachteten Fällen con-
stant das gewöhnliche Bild des Trichophyton tonsurans darbot.
Bezüglich dieses Letztem habe ich mich nie mit Sicherheit davon überzeugen
können, dass die Pilzelemente auch in’s Innere des Haarschaftes resp. seines bul-
bcEsen weichen Theiles eindringen. Alle mir vorgekommenen Präparate, welche
dieses Vorkommen darzubieten schienen, liessen sich im mikroskopischen Bilde
auch in der Weise deuten, dass die Pilzelemente zwischen der Haarscheide und
der Haarsubstanz der letztem aufliegen. Wo die Haarscheide geplatzt war, traten
die Pilzelemente, Sporen-Gonidienketten etc. massenhaft und deutlich aus derselben
heraus und liessen den Haarschaft selbst frei von abnormen Gebilden
erblicken. So Fig. I und IL Auch Fig. IV lässt deutlich die mehr seitwärts von
der Haaraxe liegenden parasit Gebilde in der seitlichen Projection erblicken.
Bei beiden Geschwistern, die zur letzten Untersuchung Anlass gegeben haben,
war die Entwicklung der vollkommensten Sycosis, d. h. knotiger Vereiterung des
Coriums in seiner ganzen Dicke, ausgehend von den einzelnen Haarbälgen, sehr
schön zu beobachten, ja diese konnte bei der circa sechs Wochen später befallenen
Schwester Schritt für Schritt aus dem Stadium des Eczems heraus, das sich bei
ihrem Eintritt darbot, verfolgt werden, weil absichtlich die ersten 14 Tage von
jeder die Weiterentwicklung des Krankheitsbildes hemmenden Maassregel abstrahirt
worden war. Beim früher eingetretenen Knaben boten die vereiterten Corium-
stellen der Kopfschwarte nahezu das Bild von Carbunkeln oder Hautabscessen mit
deutlicher Fluctuation und siebförmiger Durchlöcherung dar, und erheischten sogar
die Eröffnung einzelner fluctuirender Stellen durch Punktion, da nach Zurückbil¬
dung der Hautentzündung dem unter dem Corium angesammelten Eiter die ge¬
nügenden Ausflussstellen verstopft waren.
*) Die von Kaposi ala einen der h&uflgsten Causalmomente angeführten kalten Waschungen etc.
haben wir niemals Herpes tonsurans erzeugen sehen. Wo Vervielfältigung des Herp. tons. unter
dem Einfluss der kalten Waschungen und Fomente auftrat, war immer der Ursprung auf einen früher
oder gleichzeitig auf der Abtheilung behandelten Kranken dieser Art nachzuweisen.
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Ich habe mich auch bei dieser neusten Gelegenheit überzeugt, dass es ausser
der Reinigung und eines zweckmässigen Druckverbandes nur einiger in 2—3tägigen
Intervallen zu wiederholender Bepinselungen mittels Jodtinctur, die nicht einmal
concentrirt sein muss, oder, nach Lücke'$ Angabe*) mittelst Ol. Terebintinse bedarf,
um die dermatophytischen Gebilde, welche das Uebel erzeugen, gründlich zu zer¬
stören, und somit binnen 10—14 Tagen den Normalzustand der Haut wieder her-
eustellen. Freilich kehrt erst nach längerer Zeit die Normalfarbe der Epidermis,
statt der intensivem rothen Färbung, und auf der Kopfschwarte der mit der übrigen
Haarfarbe analoge Ton der neuen Haare zurück. Bleibende Alopecie, entstanden
aus Zerstörung oder Verödung befallener Haarpapillen habe ich in keinem der mir
zu Gesicht gekommenen Fälle bemerkt — Bei dem zuletzt aufgenommenen Mädchen
habe ich nun auch neben Ol. Tereb. und der Jodtinctur auf einzelne der erkrankten
Hautstellen die Application von Salicylsäure in einer 2%igen Weingeistlösung ver¬
sucht und werde gelegentlich über die dadurch erhaltenen Resultate berichten.
Die zürcherische Pockenstatistik.
Eine Antikritik von Dr. C. Zehnder in Zürich.
(Fortsetioog.)
Alters Verhältnisse der Verstorbenen.
Ich habe indessen die Mortalitätsfrage ja noch nicht einmal berührt und diese
ist es im Grunde, die Vogt mit seiner Statistik gelöst haben will. Ihm ist es noch
„eine offene Frage, in welchem Maasse, auf wie lange und in welchem Alter die
Vaccination vor der Ansteckung durch Blattern schützt“; dass sie dagegen auf die
Sterblichkeit der Pockenkranken keinen Einfluss habe, dafür soll der Beweis be¬
reits geliefert sein.
Wenn ich deshalb auf die Mortalitätsfrage nun ebenfalls eintreten soll, so sehe
ich ja schon voraus, dass auch diese Zahlen um ihrer Kleinheit willen Herrn Vogt
nicht imponiren werden. Desto mehr musste mir daran liegen, sie auf ihre Zuver¬
lässigkeit selbst zu prüfen und möglichst alle Fehlerquellen auszuscheiden. So
liess ich mir denn die Mühe nicht verdriessen, aus den circa 35,000 Todtenscheinen
der Jahre 1868—1872 eine Blatternmortalitätsstatistik für Canton und Bezirk selbst
herzustellen. Für die Pockenepidemie der Jahre 1864—1865 musste leider von
einer solchen abgesehen werden, da die Todtenscheine aus diesen Jahren nicht
mehr vorhanden sind, und ebenso fehlen diejenigen einzelner Bezirke aus dem
Jahre 1868. Immerhin bleibt uns für den Bezirk Zürich die Blatternmortalität der
Jahre 1868, 1870—1871 und 1872, für den Canton diejenige der beiden letztem
Epidemien zu verwerthen, denen ich die Krankonstatistik der Jahre 1864 — 1865,
1870—1871 und 1872 gegenüberstelle. Hier fällt wiederum das Jahr 1868 mit
Rücksicht darauf aus, dass bei nahezu */< der Erkrankten das Alter nicht genau
bekannt ist. Dagegen wurden in der Tabelle von 1870—1871 die 28 Kranken un¬
bestimmten Alters, von denen wir wissen, dass höchstens 3 derselben im Alter von
*) 8. oben.
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0—10 Jahren sich befanden, bei der Berechnung der Procentverhältnisse, auf die
sie ohne wesentlichen Einfluss sind, eliminirt und ebenso die 2 Pockentodesfälle
aus der Epidemie von 1870-1871, die 2 Erwachsene unbekannten Alters betreffen
Dies vorausgeschickt stelle ich die Erkrankungen und Todesfälle im Bezirk Zürich
sowie die Blatterntodesfälle im Canton in folgenden 3 Tabellen neben einander.
Bezirk Zürich.
Blatternerkrankungen.
1864—1865 1870-1871 1872
Bevölke¬
rung nach
Altera-
classen.
a-
b.
c.
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rung nach
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claasen.
a.
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0- 1
1539
5
325
74,2
1668
6
359
103,2
1694
2
118
123,0
1-2
1290
5
351
80,2.
1452
—
—
—
1484
—
—
—
2— 3
1242
1
80
18,3
1423
1
70
20,1
1459
—
—
—
3- 4
1189
—
—
—
1406
1
71
20,4
1449
2
138
143,9
4- 5
1205
1
83
19,0
1375
—
—
—
1409
—
—
5-10
6136
1
16
3,7
6640
—
—
—
6741
2
29
30,2
10—15
5082
7
20
4,6
5748
2
35
10,1
5881
4
68
70,9
15-20
6316
28
444
101,4
6580
27
409
117,6
6633
4
60
62,6
20-30
13224
105
793
181,1
14467
84
581
167,0
14715
18
123
128,3
30-40
10918
85
781
178,4
12265
56
456
131,1
12534
20
159
165,8
40-50
8096
59
730
166,7
9287
59
637
183,1
9525
9
91
98,0
50-60
5647
32
568
129,7
6132
31
505
145,1
6229
9
144
150,2
60—70
3135
3
96
21,9
3663
13
356
102,3
3769
1
26
27,1
70-80
1086
1
92
21,0
1175
—
—
—
1193
—
—
—
80-90
165
—
—
—
199
—
—
—
206
—
—
—
333
4379
1000,2
280
3479
1000,0
1\
959
1000,0
Bezirk Zürich.
Blatterntodesfälle.
1868 1870-1871 1872
Bevölke¬
Bevölke¬
Bevölke¬
rung nach
rung nach
rung nach
Altere-
b.
Alters-
b.
Altera-
b.
daseen.
a.
c.
claesen.
a.
c.
classen.
a-
c.
0- 1
1616
1
61
328,0
1668
5
299
408,5
1694
2 118
776,3
1- 2
1388
1
72
387,1
1452
—
—
—
1484
—
—
—
2- 3
1351
—
—
—
1423
—
—
—
1459
—
—
—
3- 4
1320
—
—
—
1406
—
—
—
1449
—
—
—
4- 5
1307
—
—
—
1375
—
—
—
1409
—
—
—
5—10
6438
—
—
—
6640
—
—
—
6741
—
—
—
10-15'
5482
—
—
—
5748
—
—
—
5881
—
—
—
15-20
6474
—
—
—
6580
3
46
62,8
6633
—
—
—
20-30
13971
1
7
37,6
14467
5
35
47,8
14715
—
—
—
30-40
11727
2
17
91,4
12265
6
49
66,9
12534
1
8
52.6
40-50
8811
—
—
9287
12
129
176,2
9525
1
10
65,8
50-60
5938
—
—
—
6132
4
65
88,8
6229
1
16
105,3
60-70
3451
1
29
155,9
3663
4
109
148,9
3769
—
—
—
70-80
1139
—
—
—
1175
—
—
—
1193
—
—
—
80-90
185
—
—
—
199
—
—
—
206
—
—
—
6
186
1000,0
39
732
999,9
5 152
1000,0
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387
Canton Zürich.
Blatterntodesfälle.
1857/58 bis
1870-
■1871
1872
1869/70
Bevölkerung
Bevölkerung
Bayern.
nach
nach
b.
Altersclassen.
a.
b.
c.
Alteraclaseen.
a.
c.
C.
0- 1
6097
21
344
477,8
6029
6
99
647,1
409
2- 5
22924
4
17
23,6
23202
—
—
17
5-10
27969
1
4
5,6
28809
—
—
—
5
10-15
26474
—
—
—
27010
—
—
—
i 8
15-20
24497
7
29
40,3
24403
—
—
—
20-30
47742
12
25
34,7
47910
3
6
39,2
38
30-40
42298
24
56
77,8
42694
5
12
78,4
56
40-50
35814
34
95
131,9
36824
7
19
124,2
81
50-60
26345
24
91
126,4
26675
3
11
71,9
106
60-70
16780
10
59
81,9
17240
1
6
39,2
136
70-80
6118
—
—
—
6030
—
—
—
103
80-90
1090
—
—
—
1128
—
—
—
41
Erwachs.
unbek.
Alters
2
—
_
_
_
_
139
720
1000,0
25
153
1000,0
1000
a. zeigt die effecilve Zahl der Erkrankungen reep. Todesfälle;
b. die Zahl der Erkrankungen reap. Todesfälle jeweilen auf 100,000 Individuen derselben Al-
tersclasee berechnet;
c. gibt die Reduction dieser Verhältnisssahlen auf eine Gesammtsnmme von 1000 Erkrankungen
resp. Todesfälle.
Was lehren uns nun diese Tabellen, wenn wir sie etwas näher in’s Auge fassen ?
1. a. Die Blatternerkrankungen des ersten Lebensjahres betragen auf 1000
Erkrankungen aller Altersklassen 74—123, also durchschnittlich höchstens den
zehnten Theil.
In unsern beiden grössten Epidemien seit 1821 erkrankten von 1000 Kindern
im ersten Lebensjahre höchstens 3—4; 996 —997 blieben verschont.
b. Noch im zweiten Lebensjahre kann die Blatternerkrankung, allein da schon
lange nicht immer, eine ebenso grosse sein; sie beschränkt sich dagegen von da
an auf wenige vereinzelte Fälle und wird noch seltener vom fünften bis zehnten
Alters jahre. Vom zweiten bis zehnten Altersjahre erkrankt nicht einmal 1 von
1000 Kindern desselben Alters.
Erinnern wir uns unserer Impftabelle, so erklärt sich an der Hand des „Impf-
dogma’s“ die noch ziemlich grosse Erkrankungsziffer des ersten Lebensjahres, sowie
die allmälige Abnahme in den 10 ersten Jahren auf durchaus natürliche Weise;
denn immer seltner werden die nicht geimpften Kinder, die bis zum Eintritt in
die Schule nahezu vollzählig geimpft sein werden.
c. Noch im Alter von 10—15 Jahren ist die Erkrankung eine ausserordentliche
Seltenheit, steigt nun aber plötzlich von 15—20, vorzugsweise nach dem zwanzigsten
Altersjahr hin. Von da an variiren die Erkrankungszahlen der folgenden drei Jahr¬
zehnte: bald sind es die Zwanziger-, bald die Dreissiger-, bald die Vierzigerjahre,
die die höchste Erkrankungsziffer zeigen; doch bleibt sie da, wo sie schon in den
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388
Zwanzigerjahren das Maximum erreichte, durch alle drei Jahrzehnte so ziemlich
auf derselben Höhe.
Noch die Fünfzigerjahre zeigen eine ziemlich bedeutende Erkrankungsziffer, die
erst in den Sechzigerjahren rasch abfällt.
Der Schutz der Impfung gegen die Disposition zur Erkrankung nimmt vom
fünfzehnten Altersjahre an bei einer allmälig immer grösser werdenden Zahl von
Individuen ab. Die sichtbar grössere Immunität der Sechzigerjahre und des noch
höhern Alters habe ich in dem von Vogl angegriffenen Artikel „zur Impffrage“*)
damit erklärt, dass diese Altersklassen theil weise bereits durchseucht oder durch
eine ohne Zweifel mehr Schutz bietende Impfung zu Anfang des Jahrhunderts zum
grösseren Theil immun geblieben seien. Einigen Einfluss auf die Abnahme der
Sterblichkeitsziffer hat indessen wohl auch der immer mehr sich beschränkende
Verkehr derselben mit der Aussenwelt und die dadurch verminderte Gelegenheit
zur Infection: wie denn auch das weibliche Geschlecht, umgekehrt wie bei der
Cholera, seltner an Pocken erkrankt als das männliche.
2. a. Viel grösser als die Disposition zur Erkrankung erscheint im ersten
Lebensjahre die Mortalität und beträgt, wo wir sie mit der entsprechenden Er¬
krankungsziffer derselben Epidemienjabre vergleichen können, 83-100%.
Auch gegenüber der Sterblichkeitsziffer aller andern Altersklassen ist diejenige
des ersten Lebensjahres eine sehr bedeutende und beträgt 32—77% derselben.
Hier nun füge ich aus amtlichen Protokollen hinzu, dass von den 18 Kindern des
ersten und zweiten Lebensjahres, die als Erkrankte in obigen Tabellen figuriren,
12 ausdrücklich als „ungeimpft“ bezeichnet sind; bei den übrigen 6 ist darüber
nichts notirt. Von jenen 12 sind 9 gestorben, 3 wurden geheilt. Von den 3 letzteren
war Eines 4, ein Anderes 6 Tage vor der Erkrankung noch mit Erfolg geimpft
worden.
Die bedeutende Mortalität des ersten Lebensjahres entspricht durchaus der Perni-
ciosität, welche die Pocken von jeher im frühsten Kindesalter geltend gemacht haben.
Die Perniciosität ist dieselbe geblieben — das mögen sich die Impfgegner merken! —
allein die Disposition zur Erkrankung ist eine ausserordentlich viel kleinere ge¬
worden und Herr Vogl wird Mühe haben, diese Thatsache anders als durch die
Impfung zu erklären.
b. Im zweiten Lebensjahre finden wir unter den im Bezirke Zürich verstorbenen
Pockenkranken von 1868—72 ein einziges Kind, dann bis zu 15 Jahren keines
mehr. Im ganzen Kanton sind während dieser Zeit 4 Kinder von 2—5 Jahren an
den Pocken verstorben oder 17 auf 100,000 desselben Alters und im Alter von
5—10 Jahren nur 4 auf 100,000. 4.
c. Diese Immunität wird wo möglich noch grösser im Alter von 10—15 Jahren,
indem von 26—27,000 Kindern nicht ein einziges tödtlich erkrankte. Im Alter von
15—20 Jahren beträgt die Zahl der Todesfälle höchstens 6% der Gesammtmorta-
lität. Indessen sind in der pernieiösen Epidemie 1870—71 nun schon etwas mehr
als 10% der Erkrankten gestorben.
•) Blätter für Gesundheitspflege. 1877 Nr. 8.
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389
d. Nicht grösser ist die Zahl der Todesfälle im Alter von 20—30 Jahren,
während die Erkrankungszahlen nun theilweise schon ihren Höhepunkt erreicht
haben. Die Erkrankungen besonders dieser Altersklasse sind grösstentheils leichtere
und es beträgt die Sterblichkeit der Erkrankten nur etwa 6%. In den Dreissiger-
jahren steigt dieselbe auf etwa 11%, dann im Alter von 40—50 auf 20% der Er¬
krankten dieser Altersklasse und auf 12—17% der Blatterntodesfälle überhaupt.
Ungefahr auf der^lben Höhe bleibt die Mortalität im Alter von 50—60 Jahren,
um von da der geringeren Widerstandskraft dieses Alters entsprechend auf 30%
zu steigen, während hier die Erkrankungsziffer selbst eine bedeutend kleinere ge¬
worden ist.
Legen wir den Maassstab unserer Erfahrungen über die Schutzkraft der Impfung
auch an diese Tabelle an, so sehen wir jene ihre Wirksamkeit durch Milderung
der Erkrankungserscheinungen entfalten bis an's Ende der Dreissigerjahre. In den
Vierzigerjahren hat sie ihre Schutzkraft auch nach dieser Richtung hin bei einer
grossen Zahl von Erkrankten bereits eingebüsst. Dem entsprechend werden auf¬
steigend vou den Dreissigerjahren an die schweren Formen von Variola immer
häufiger bis Ende der Sechziger, während Variolois am häufigsten in den Zwan¬
zigerjahren vorkömmt. Nach Vogt freilich sollen die Varioloiden „keine nachweis¬
bare Veränderung der Todesfälle unter den Ergriffenen bewirken“.*) Anders in¬
dessen lauten die Resultate der klinischen Beobachtung. Nach dem amtlichen
Jahresbericht von 1865 sind laut Biermer von 490 im Spital behandelten Pocken¬
kranken 28 — 5,7% — an Variola vera gestorben, von 299 an Variolois Erkrankten
starb dagegen Keiner: ein Beweis mehr, dass sich am Studirpulte allein die Impf-
"rage nicht lösen lässt.
Und was lehrt uns nun schliesslich die Pockenmortalitäts-Tabelle aus Bayern,
lie Prof. Vogt anderswo die „goldene Pockentafel“ nennt? Hat er ein Recht, ge-
tützt auf dieselbe den Einfluss der Impfung auf die Blatternsterblichkeit zu läugnen ?
'r selbst gibt uns darauf schon genügend Antwort; denn nachdem er die Zuver-
issigkeit dieser Tabelle sogar mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung geprüft — mit
er er bekanntlich auch beweisen will, dass die Schwindsucht nicht hereditär sei —
elüstet es ihn doch, die Frage noch einmal aufzuwerfen, ob nicht die Impfung
nes Bild der Pockensterblichkeit getrübt, und hält er es für nöthig, das Gegen-
eii an der Hand der Müller 'sehen Tabellen der ungeimpften Pockentodten, über
ren. Zuverlässigkeit ich mich bereits ausgesprochen habe, nachzuweisen. Mir
d wohl jedem Unbefangenen ist dagegen jene Tabelle nur ein Beweis mehr, dass
: Pocken ihr altes mörderisches Treiben von neuem und zwar schon im ersten
bensalter wieder beginnen würden, wenn wir sie gewähren Hessen, dass aber
:h kein anderes Lebensalter von ihnen verschont bliebe, das nicht bereits durch-
cht ist. Denn mit jedem Altersjahrzehnd vom 20. Jahre an sehen wir der Seuche
ler mehr Opfer fallen, je weiter sie sich von demjenigen Alter entfernen, in dem
npffc za werden pflegt Prof. Vogt erblickt in diesem An- und Abschwellen
Sterblichkeit verschiedener Altersklassen nur „eine Eigenart der Pockenseuche
O a. a. O. pag. 28.
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390
in der Vernichtung der Menschen“, allein er bleibt uns auch dafür den Beweis
schuldig; denn aus den Müller 'sehen Tabellen der Geimpften und Ungeimpften her¬
geholt kann ich ihn als Beweis nicht anerkennen. Wenn er diese Eigenart er¬
forschen will, dann wäre es wohl des Versuches werth, eine solche „goldene
Pockentafel“ aus Zeiten oder Ländern herzustellen, die von der Impfung noch
nichts gewusst haben oder noch nichts wissen. Wenn diese dann mit jener zu¬
sammenstimmt, wenn auch dort die Pockenerkrankungen sick^ in den ersten Alters¬
klassen innerhalb der bescheidenen Grenzen halten wie bei uns, dann wollen wir
die Wallen strecken. Vielleicht steht ihm indessen das Material hiefür nicht zu
Gebote. Dann haben wir doch nur wenige Jahre Geduld! Bevor wir mit der
projectirten vaterländischen Statistik fertig sein werden, wird ja wohl — bekannt¬
lich dauert die Pause in Zürich wie in Calcutta und anderwärts in der Regel nur
etwa 9 Jahre! — eine neue Epidemie uns und die Nachbarländer heimsuchen: bis
dahin aber werden im ganzen deutschen Reiche die Kinder der ersten Lebensjahre
obligatorisch geimpft sein. Wenn dann die Forsche Statistik sich noch bewährt,
wenn er dann noch in jenen Altersklassen dieselbe Pockensterblichkeit nachzuweisen
vermag wie sie 1871 in Berlin herrschte, dann mag er seinen Triumph feiern und
die Reform der Impfgesetzgebung an die Hand nehmen. Das Impfdogma hat dann
seine Rolle ausgespielt und die „Soutane“ liegt zerfetzt am Boden.
(Schluss folgt)
Quelques mots sur la nature et la valeur des parasites microscopiques
(lu dans la säance 2 Decembre)
par le Dr. F. Borei, ä Neuchätel.
(Schluss.)
En m’appuyant sur ces differentes considörations j’arrive k cette alternative 1° ou
la throne n’est pas suffis&mment etablie sur des faits observds, ou bien 2° eile repose
sur des faits d’un ordre different, c’est k dire sur une comparaison entre les ph4no-
mänes microscopiques et ceux que nous observons macroscopiquement.
Si la theorie n’est pas suffisamment fond£e sur des faits observ£s, comme du
reste nous venons de le voir, eile n’a pour nos mddecins praticiens, et non
pathologistes, que l’intdröt d’une etude philosophique quelconque et ne doit plus
nous occuper; ou bien c’est la seconde döduction qui prend le dessus et nous
sommes obligös de la rejeter d’embl6e comme illogique.
En effet, Messieurs, je vous ai dit que le döveloppement d’un seul de tout de
ces petits corps n’a 6t6 observ6 que par scission d’un 6tre prdexistant, alors pour-
quoi admettre un germe? C’est qu’on a appliquö k ces Stres microscopiques la
Physiologie d’^tres plus complexes. C’est que sans l’hypothäse des germes la thdorie
serait anöantie, puisque la g£n4ration spontanöe n’est admise par aucun des infection-
nistes. Pourtant il serait bien facile de supposer ce que disent quelques micrologues,
k savoir que les microzymas se ddveloppent du protoplasma des tissus dans lesquels
on les observe. Le travail de Grimm cit4 plus haut n’a pas d’autre bat. Grimm
n’admet que deux esp^ces de microzymas, la monade et le vibrion, et dit les avoir
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391
vu 8e dövelopper des corpuscules blancs du sang de charboneux. Pour moi je
n’ai jamais 4t6 assez heureux malgrö de nombreux essais de faire une Observa¬
tion de ce genre, et je suis obligü de m’en remettre pour le moment k ces donnües
qui concordent parfaitement avec ma maniöre de voir. — Mais maintenant il fau-
drait sayoir pourquoi si l’existence de germes n’est pas prouv^e, pourquoi, dis-je, on
en parle? II paraitrait tout simple de dire, que les microzymas se döveloppent
par g^nöration spontanäe et tout serait dit; mais il n’en est pas ainsi: Un seul
bomme ä ma connaissance, Huizmga (Archiv für Biologie) a essayü par des procüdüs,
pour le moins aussi scientifiques que ceux des infectionnistes, de produire la bac-
t^rie de rien, et il prütend y &tre arrivü; le monde savant en a haussö les üpaules
et tous les micrologues ont düclarü unanimement que la günüration spontanüe ütait
une absurditö, que les vibrions se düveloppent de germes, et Huizinga qui apporte
encore maintenant des preuves k l’appui de sa th^se n’est pas seulement pris en
consid^ration.
Si Ton parle de germes c’est que, comme je l’ai dit plus haut, le raisonnement
qui sert de base k la thöorie parasitaire n’est qu’une simple comparaison, on a
admis que les micrococcus, les vibrions, les monades etc. sont des parasites, et sans
autres formes de proc&s, on les a comparüs aux parasites macroscopiques et na-
turellemcnt on a conclu: le pediculus pubis ou l’acarus scabiei se düveloppent
d’un ceuf, et il a fallu qu’il en soit de m§me pour la bactürie. Voilh k mon avis
le point le plus faible de toute cette construction. Avant mdme de prüciser la
nature de ces corps, de connaitre leurs qualitüs physiques et chimiques on en a
fait des organismes de toute ptöce, jouant un röle bien plus important que le t*nia
ou l’oidium albicans, et pour combler les lacunes on les a comparüs k ces derniers;
on a appliquü les faits positifs observüs chez ceux-ci aux qualit4s üquivoques de
ceux-lh. — Il m’est arrivö de faire observer ce que je viens de dire k des parti-
sants de la thäorie parasitaire, et ils me rüpondaient tous invariablement: mais la
gale et la trichinöse! Vous ne nierez pas leur essence parasitaire et cependant
il s’est passü bien du temps jusqu’h ce qu’elle ait 4tö admise par tout le monde.
Cette observation, tr&s juste d’ailleurs, indique suffisamment que le raisonnement
n’est que la comparaison entre des ph4nom£nes mal connus et d’autres parfaite¬
ment ötablis. Mais il se pourrait aussi que ces partisans eussent raison, et je veux
i’admettre pour l’instant: soit les micrococcus rüunis en grandes boules sont les
parasites qui produisent la septicümie (Kleb»), tandis que rüunis en chapelets ils
causent l’erysipöle (Kleb»), la bactürie longue et immobile est le virus du charbon
CBotUnger ), tandis que courte et mobile eile n’indique que la d6composition. Tout ceci
je l’admets donc pour le moment comme aussi juste et irrüfutable que les maladies
produites par l’oidium albicans, les differentes formes de teenia, ou l’acarus scabiei,
et je veux voir si cela est logique. — Il va sans dire que si la comparaison est
soatenable pour ce qui est des causes eile doit l’ötre quant aux effets.
Il n’est pas possible de nier l’acclimatation, ou pour mieux m’expliquer la dis-
position sp£ciale qu’acquterent les individus exposüs constamment aux mömes agents
infectienx, ainsi pr. ex. l’immunitü, relative sans doute, mais impossible k nier que
prot£ge toutes les personnes qui s’occupent de pathologie; lc public le sait
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392
bien lorsqu’il dit que les m4decins ont des moyens pour se garantir contre les
maladies.
Ainsi il est rare de voir un domestique de morgue ou d’anatomie Itre atteint
de lymphangite suppur4e ou d’autres formes d’infection aigue, et il n’est pas n4ces-
saire de rappeier ici avec quelle n4gligence pour leur sant4 ces hommes se livrent
k leurs occupations. Les ph4nom4nes infectieux, quand il y en &, se bornent chez
eux k la formation d’abcls lents trls localis4s, comme en ont tout aussi fr4quem-
ment les domestiques de laboratoires de chimie, ou bien il leur vient cette forme
de papillome qu’on est convenu d’appeler le tubercule anatomique. Prenez par contre
un jeune 4tudiant en m4decine et voyez la statistique en main combien de fois il est
plus probablement atteint que le vieil anatome, ou son ins4parable domestique,
d’infection cadavärique. Toutes choses 4gales d’ailleurs il meurt beaucoup plus
d’4tudiants en m4decine que d’autres, et la mortalit4 chez ceux-lä diminue k mesure
que les semestres s’additionnent De toute 4vidence il y a 14 un ph4nom4ne d’ac-
climatation. Mes deux amis, Messieurs les professeurs Kleinwächter et Jirus, m’assurent
avoir mainte fois observ4 pendant leur s4jour comme internes k la division des
varioleux de l’höpital de Prague que les infirmiers et garde-malades qui y faisaient
le Service depuis longtemps n’4taient jamais atteints de variole — sans qu’il y ait
eu vaccination artificielle pr4alable — ou bien que les ph4nom4nes infectieux se
bornaient chez eux k quelques pustules isol4es particulilrement sur les mains ou la
figure, les parties du corps les plus expos4es au contacte des malades.
Il n’en 4tait pas de mime des infirmiers fraichement entrles dans la division:
ceux-ci Itaient presque tous atteints ou bien ils rlsistaient assez longtemps pour
que la prldisposition k la maladie s’4teigntt chez eux.
Des faits analogues ont 4t4 enregistrls pour le typhus exanthlmatique, pr. ex.
en France pendant la Campagne de Crim4e, et pourtant la contagiositl de cette
maladie n’est mise en doute par personne. Enfin il est un fait digne de remarquer
c’est que malgrö l’äge relativement bas de leur vie moyenne les mldecins ne sont
que rarement atteints des maladies infectieuses. — Comment faire concorder ces faits
dont on pourrait citer des exemples en quantitl avec la thlorie parasitaire? 11 n’y
a Ividemment qu’une explication c’est que le contact souvent r4p4t4 avec des malades
ou des cadavres augmente la force de rlsistance de l’organisme l’acclimate et le
rend pour ainsi dire invulnlrable; il y a 1& une vaccination naturelle qui agit aussi
bien contre la variole que contre le typhus exanthlmatique et protlge tout autant contre
le typhus abdominal que contre l’infection cadavlrique. Je ne veux pas dire que l’accli-
matation soit toujours compllte, les lymphangites ne m’ont pas manqu4 par le nombre,
par contre elles n’ont 4t4 que rarement intenses; l’erysiplle m’a aussi fait l’honneur de
quatre visites et la dysenterie 4pid4mique ne m’a pas 4pargn4; mais ceci ne prouve rien
conti e l’observation parfaitement juste que les m4decins sont moins expos4s aux mala¬
dies dites infectieuses que le reste des hommes, et certes il y en a bien peu parmi
nous, qui sauf les soins de propret4 prennent des pr4cautions. D’un autre cöt4
a-t-on jamais vu un m4decin, füt-il äg4 de pass4 quatre-vingts ou un garde-malade
vaccin4s et revaccin4s contre toutes les formes d’infection 4viter par cela les effets
du tsenia ou d’un cysticerque de la pie-m4re.
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Qu'on demande plutöt aux pauvres habitants des bords de la Baltique s’ils
s'acciimatent au parasite du noma; on tout bonnement & une femme atteinte de
trichomonas vaginee si la premi&re invasion l’a prot4g6e contre une nouvelle. Et
enfin pourquoi tous les animaux sont-ils r^fractaires & presque toutes les inocu-
lations de soi-disant parasites microscopiques pendant qu’ils tombent promptement
malades sous l’influence de vrais parasites. *) Faut-il citer d’autres exemples? je
ne le crois pas et il me semble pour le moment suffisamment £tabli le fait que
s’il y a une comparaison possible entre les parasites microscopiques et les macros-
copiqoes, cette comparaison n’est plus valable quant aux effets attribu6s aux uns
et aatres.
Avant de conclure, je prendrai en considöration les nouvelles d^couvertes pa-
thologiques et thdrapeutiques basöes sur la thäorie- des parasites microscopiques. On
a considärä comme une grande preuve en faveur de l’infection la ddcouverte des spiro-
c&te8 dans le sang des gens atteints de typhus k recherches (Rückfallstyphus), et ce qui
est plus interessant, c’est que le nombre de ces organismes augmente peu de temps
avant l’acc&s de ftevre. Je n’ai jamais eu l’occasion de voir des spiroc£tes ou spirilles,
mais d’apr&s les descriptions que j’en ai lues, leurs formes et leurs rdactions les
dloignent beaucoup des autres formes parasitaires, lesquelles n’ont jamais £t£ obser-
vdes dans le sang des malades, sauf peut-ötre, d’apr&s Bollmger seul, pour la longue
bactdrie du charbon, et encore tr&s peu de temps avant la mort. Ceci est teile-
ment exact que Klebs a fondö tonte une longue explication fort complgxe et tr6s
peu claire, pour prouver que les parasites ne peuvent ötrc observds dans le sang
qu’au d4but de la maladie et qu’ils disparaissent d’abord aprfes en laissant cependant
derri^re eux les germes du mal qui feront le reste.**) Or comme il est impossible
d’avoir l’idde d’examiner le sang pendant la Periode d’incubation, et que d’un autre
cöt6 les parasites disparaissent aussitöt que le sujet se sent malade, il est de tonte
dvidence qu’on ne pourra rien voir de particulier k son sang. —■ Les bactdries ob- ,
servdes dans le liquide des bulles de l’erysipäle ne prouvent pas plus en faveur
de leurs qualitds pathogäniques que les bactdries trouvöes dans l’urine d6compos£e
apr&s un säjour de 48 h. k l’air, ou m£me dans la vessie qui, hermätiquement
fermde, ne prouvent l’existence d’une pyelondphrite. — Mais Uster , direz-vous, Mes¬
sieurs, voiKt pourtant qui prouve en faveur des bactdries! Non, Lisler prouve une
chose seulement, c’est qu’il peut empficher la ddcomposition chimique et l’oxidation
trop prompte des substances organiques qui ne sont pas protdgdes par les argu-
ments. Chacun sait que sous le pansement de Luter on trouve autant de bactdries,
micrococcus etc., que sur les plaies traitöes par le vieux syst&me; de plus je dirai
que j’ai fait moi-möme l’autopsie d’un amputd mort de pydmie malgrd le Lister.
Je 8ais que dans ces cas on dit que le Lister a öt£ mal fait! A ce compte toute
plaie d’opdration qui ne rdussit pas par le vieux syst&me a 4t6 aussi, k mon avis,
*) Je ne prends pas tci en considdration le travail s&ns valeur aclentlflqne de Damann „Die
Diphtherie der Kilber, eipe neue auf den Menschen übertragbare Zoonose.“ Deutsche Zeitschrift für
Thiermedicin etc. Bd. UL 1. 2.
•*) Klebi Vorlesungen für practische Aerzte „über die Fortschritte der neuen Pathologie 11 . Prag,
Dsterferlen 1875,
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mal pans^e. Vous conviendrez, Messieurs, que le raisonnement dans ce cas en faveur
du pansement de Lister n’est rien moins que scientifique.
Tiege dans l’archive de Virchow en 1875 prouve que le micrococcus existe dans
la chair saine d’un chien vivant, et Virchow lui-m@me, dit dans son discours d’ouver-
ture pour le jubilö de la fondation de l’acadämie de m^decine militaire de Berlin,
qu’apr&s de longues ötudes il avait fini par trouver un bon cöt6 k la thdorie: c’^taient,
pour le mödecin 14giste un point Capital, pour pouvoir faire le diagnostique dif-
f^rentiel entre un cas de chol^ra asiatique et un empoisonnement par l’arsänic,
les bact4ries qu’on trouve dans les d6jections des cholöriques, et qui drevraient manquer
dans le second cas, mais m§me ce mince espoir lui est £chapp£, les mömes bact^ries
8e trouvent aussi dans les selles des empoisonn4s par l’arsönic! — Ici il serait in¬
teressant, si le teraps le permettait, de citer quelques pages d’un ouvrage de Billroth qui
a paru, il y a tantöt deux ans, intituld Cocobacteria septica, dans lequel il
prouve par l’expörience et l’observation micrographique combien toutes ces formes
des soi-disant parasites sont loin de jouer le röle qu’on leur attribue.
Je conclue et dis: que th&mquement la nature organis£e des parasites micro-
scopiques, pas plus que leurs qualitös pathog^niques, ne sont des faits prouv£s et
capables pour le moment de rendre quelques Services ä la mädecine pratique.
V ereinsberichte.
* _
III. Vereinigte Versammlung des ärztlichen Central-Vereins und der
Socidte mddicale de la Suisse romande
Samstag den 19. Mai 1877 in Bern.
Präsident: Dr. Sonderegger, Schriftführer: Dr. Kaufmann.
(Fortsetzung.)
Die eigentlichen Verhandlungen beginnen mit dem Vortrag von
I. Prof. Dr. Kocher (Bern): Mechanismus und Therapie der Bruch¬
einklemmung.
Prof. K. gibt Mittheilung über neue Versuche und Beobachtungen über die
Brucheinklemmung. Nachdem er in einem Vortrag vor dem Cantonaiverein Bern vor
2 Jahren die durch den Autor gegebene Erklärung des Lossen sehen Versuchs zu¬
rückgewiesen , hält er noch jetzt an seiner damals gegebenen Auseinandersetzung
fest, ist aber zu der Ueberzeugung gelangt, dass die Form der Einklemmung, wie
der erwähnte Versuch sie illustrirt, am Lebenden sehr selten vorkommt und zwar
nur in der Form der Kothstauung, für welche er den Namen der Obturation
wählt Er hat dieselbe experimentell am Kaninchen herstcllen können dadurch,
dass er nach Eröffnung des Bauches eine kleine Darmschlinge durch ein relativ
weites Loch eines kleinen Brettchens zog. Die Thiere ' befanden sich so lange
wohl, bis ihnen junger Klee gdfüttert wurde: dann erfolgte nach 3 und 4 Tagen
der Tod. Die Section zeigte Verschluss des Darms nur am abführenden Schenkel,
Offenstehen des zuführenden Schenkels.
Zwei ähnliche Fälle hat K. am Lebenden beobachtet. Allein für diese Fälle
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ist es — und dasselbe gilt für die Kaninchen versuche — gerade charakteristisch,
dass der Inhalt der Hernie für Taxis wenigstens theilweise reponibel bleibt.
In allen Fällen dagegen, wo der Inhalt bei den Kaninchen-Experimenten und
am Menschen nicht durch einfachen Druck sich entleeren lässt, glaubt K. Beweise
zu haben, dass sowohl der zu- als abführende Schenkel der Bruchschlinge ver¬
schlossen seien.
Evidente Beweise hiefür bieten die Fälle, wo man den Darm incidirt wegen
Gangrän. Hier ist in keinem von Tif.'s Füllen eine Communication nach oben vor¬
handen gewesen, im Gegentheil war der abführende Schenkel zugänglicher als der
zufuhrende. Aber auch wo Herniotomia interna gemacht wurde ohne Darmeröff¬
nung, war niemals die Spannung des blosgelegton Darmes so hochgradig, dass
man nicht mit Leichtigkeit den Inhalt hätte hin und her quatschen können, also
konnte offenbar auch hier der zuführende Schenkel nicht offen stehen, sonst hätte
sich der Inhalt auch nach oben hineinpressen lassen.
Ueberhaupt kommt die Vorstellung von einer hochgradigen Spannung im ein¬
geklemmten Bruche nur von Fällen her, wo keine Operation nothwendig war und
K. hat sich überzeugt, dass in allen denjenigen Fällen, wo erhebliche Spannung
vorhanden war bei der Palpation, nachher bei der Eröffnung nur das Bruchwasser
an derselben schuld war, während sich der Darm oft leer oder gar nicht gespannt
zeigte.
K. zeigt ferner durch Berechnung und physicalisches Experiment, da9s der
intraviscerale Druck, welcher nöthig wäre, um eine Irreponibilität zu erklären, auch
mehr als genügen würde, um eine Gangrän der Darmwand herbeizuführen — und
doch gibt selbst Lossen an, dass seine Theorie nur für die gelinden Fälle sogen,
„chronischer“ Einklemmung Geltung habe.
K. setzt nun des Weiteren auseinander, dass auch die Scarpa-Busch,'ache Ab¬
knickungstheorie und die Aosar'sche Klappentheorie nicht genügen, um den Ver¬
schluss des zu- und abführenden Schenkels zu erklären. Es lässt sich die Unhalt¬
barkeit dieser Theorien experimentell darthun. Einige dieser Experimente werden
iurch Zeichnungen erläutert
Es lässt sich aber auch ferner jener Verschluss nicht einfach in der Weise
Luflfassen, als sei eben der Darm durch den einschnürenden Ring so enge umfasst,
lass deswegen kein Darminhalt mehr durchzupassiren vermöge. Denn durchaus
icht alle Hernien bieten bei Freilegung des Darmes die Zeichen einer irgend hoch-
radigen Constriction oder consecutiven Stase in den Gefässen dar. Ausserdem
si es zu auffällig, wie leicht man durch Taxis bei frischen Fällen, sobald es ge-
ngen sei, den Bauchinhalt zu entleeren, auch den Darm zurückschieben könne.
3 müsse hier noch ein Moment hinzukommen, welches bei ganz gelinder Con-
riction den Durchtritt des Darminhalts unmöglich mache.
Dieses Moment hat K. in der starken Dehnung resp. Blähung des Darms go¬
lden und er demonstrirt ein auf Grund eines Versuches von Busch construirtes
:periment, welches den schädlichen Einfluss dieser plötzlichen Blähung des Darms
r einer engen Stelle ad oculos zu beweisen geeignet ist.
Auf Grund dieses Experimentes, der Versuche an Thieren und der controli-
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renden Beobachtungen an Menschen stellt er den bisherigen Theorien über Bruch¬
einklemmung eine neue gegenüber, „die Dehnungstheorie“. Nach dieser ge¬
schieht der Verschluss beider Schenkel bei einem eingeklemmten Bruch in der
Weise, dass plötzlich ein grösseres Quantum Darminhalt in einen ausgetretenen
Bruch hinunterrückt und diesen bläht. Die Blähung hat einmal die Wirkung, die
Peristaltik erheblich abzuschwächen, wie K. experimentell dargethan hat und an¬
derseits macht sie die Verschiebung der Schleimhaut in dem stenosirten Abschnitt
des Darmes unmöglich und damit auch die Eröffnung des daselbst im Bereich des
einschnürenden Ringes verschlossenen Lumens. Deshalb lässt sich der einmal ab¬
gesperrte Inhalt weder durch die natürlichen Kräfte noch durch unmethodische
Taxisversuche durch die Stelle der Bruchpforte auf- oder abwärts befördern.
Soll dieses geschehen, so muss die fehlende Contraction der Darmwand in der
Schlinge nicht nur durch eine kräftige Compression ersetzt werden, sondern gleich¬
zeitig die Dehnung des Darms, zumal unmittelbar vor der engen Stelle vermieden
werden. Es soll demgemäss als Normalverfahren der Taxis die gleichmässige
Compression mit Druck auf den Bruchhals verbunden ausgefdhrt werden. Der
letztere Druck wird durch einen gleichzeitigen Zug an der Hernie einigermaassen
ersetzt und es hat deshalb die Compressionstaxis mit Zug, wie sie Streubel em¬
pfohlen hat, ebenfalls ihre gute Berechtigung. Auch die Seitenbewegung, welche
Lossen empfiehlt, hindert durch gleichzeitigen Zug und Anpressen des Bruchhalses
an die eine Seite der Bruchpforte und ihre Umgebung die Dehnung des Darms
und kann in dieser Beziehung günstig wirken.
Der Vortrag wird vom Präsidium bestens verdankt und da die Discussion nicht
benützt wird, ergreift das Wort:
IL Dr. Odier (Gent): L’emploi du chloroforme dans l’accouche-
ment physiologique.
Der Vortragende gibt zunächst einen kurzen historischen Ueberblick über die
Anwendung des Chloroforms bei Geburten und nachdem er die Zulässigkeit des
letztem auch für die gewöhnlichen Geburten begründet und die Contraindicationen
der Narcose überhaupt erwähnt, beschreibt er die Methode, mittelst welcher er
das Chloroform zu genanntem Zwecke applicirt. Zum Sohlusse gedenkt er noch
der üblen Zufälle bei der Darreichung des Chloroforms und berichtet über 2 Fälle,
wo die Suspension des Patienten an den Beinen mit gleichzeitigem Hervorziehen
der Zunge während eines hochgradigen Collaps noch lebensrettend wirkte.
Als drittes Tracfcandum folgte:
Prof. A. Vogt: Ueber den Einfluss des Gebirgsklima’s auf die
Lungenschwindsucht. (Fortsetzung.) (Der Vortrag folgt später in extenso.)
In der Discussion ergreift zunächst das Wort Dr. Wyler (Baden): Thatsache
ist, dass die Phthise vererbt und dass sie erworben werden kann. In ersterer Be¬
ziehung kann man sich zweierlei vorstellen, entweder: ein Jüngling phthisischer
Eltern muss phthisisch werden oder er hat eine Disposition zur Phthise, welche
durch geeignete hygieinische Maassregeln überwunden werden kann. Die erste
Auffassung ist nicht richtig, wohl aber die zweite. Was die Ursache der erwor¬
benen Phthise betrifft, so kann man sie so zusammenfassen, dass man sagt, die
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Lungenphthise entsteht durch eine chronische Indigestion der Athmungs-
organe. Ich habe hier die Therapie besonders im Auge und da komme ich zu
folgenden Schlüssen:
1. Es ist bei der Therapie immer nöthig, sein Augenmerk auf die möglichst
frühzeitige Diagnostik der Lungenphthise zu richten.
2. Die eigentliche Therapie muss darin bestehen, die chronische Indigestion
der Athmungsorgane zu beseitigen und dies geschieht durch die öffentliche Ge¬
sundheitspflege. In der Privatpraxis muss man zunächst die Leute aus ihren Ver¬
hältnissen herausreissen, sie an Orte schicken mit üppiger Vegetation. Daneben
muss die Abhärtung des Körpers cultivirt werden. Für die gewöhnlichen Leute
sind die Höhencurorte unmöglich, aber hier kann man die Schwierigkeiten auf
andere Weise überwinden. Man schickt z. B. die Leute in einen Tannenwald, wo
eine sauerstoffreichere Luft besteht und man kann unter solchen Verhältnissen fast
ebenso günstige Resultate erreichen, als mit den Höhencurorten, welche gewisser-
maassen eine — „Pharmakopcea elegantia“ (1) bilden.
Dr. Müller (Beatenberg) hat aus seinen eigenen Beobachtungen gesehen, dass
ein grosser Unterschied bestehe bei den verschiedenen Personen bezüglich der
Angewöhnung an die Höhe. Jeder Gesunde findet in der Höhe eine Differenz in
seinem Befinden. Er klagt z. B. über Müdigkeit, Abgeschlagenheit etc., welche
Beschwerden vielleicht auf veränderte Respirations-Verhältnisse zurückzuführen
sind. Viel bedeutender ist der Unterschied, wenn pathologische Zustände vorhan¬
den sind. Eine Pat. mit vorgerückter Phthise konnte sich z. B. absolut nicht an
die Höhe gewöhnen. Nebstdem glaubt der Redner, dass fiebernde Pat. nicht ge¬
eignet sind für die Höhencurorte. Vielleicht hat dies seinen Grund darin, dass
das Fieber an sich hindernd im Wege steht, die durch die pathologische Verän¬
derung in den Lungen bedingte Differenz der Athmung auszugleichen.
(Fortsetzung folgt.)
Referate and Kritiken.
Bad und Curort Lenk im Berner Oberland.
Von Treichler Buss. Bern. Druck von Rieder & Bimmen. 1877.
„Guter Gott lass’ nach mit Deinem Segen!“ rief der Glarner als er Drillinge bekam.
3o seufzt wohl auch der practische Arzt, dem es an jedem Frühlingsmorgen den Tisch
roll B*de-Brochuren und Mineralwasser-Anzeigen schneit, und es ist wohl schwer, in der
rrossen Fluth der Reclame das Gute herauszufischen.
Dieses Jahr scheint besonders das romantische Bimmenthal vortreffliche literarische
UQtben getrieben zu haben, welche weit über der Linie der Empfehlungsschriften stehend,
urch Klarheit und Reichthum ihres Inhaltes fesseln. Zuerst kam alt Oberfeldarzt Dr.
-hnyder'^ schöne Schrift über das altberühmte Weissenburg (seine Heilanzeigen und
urmittel. Luzern 1877), wo Klima, Verpflegung und sorgfältige Hygieine der Luft die
•ilkräftige Gips-Hypotherme unterstützt und eine sorgfältig individualisirende ärztliche
ebervvachung den Curgebrauch leitet. Dann kommt Dr. Treichler , der rühmlich bekannte
sbulbygieiniker, dessen vortreffliche Arbeit „über Verhütung der Kurzsichtigkeit“ nicht
38 gelesen, sondern mancherorts auch praktisch verwerthet wird. Seine ßadebrochüre
er Lenk, in Papier, Druck und purpurner Einrahmung coquett, ist eine gedrängte,
chhaltige, formell schöne und sehr beachtenswerthe Arbeit. Die Einleitung Uber Lage
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und KlimA führt uns in ein reizendes Hochthal, etwa von der Elevation von Grindelwald,
Fideris und Engelberg, vor Nordwinden geschützt und noch nicht ganz kahl geschlagen,
was die Lenk vor manchen sonst so schönen Berg-Curorten auszeichnet. Der Thalkessel
sei, nach dreijährigen Messungen, durchschnittlich 1,5° C. wärmer als andere Berg-Cur-
orte gleicher Höhe, und eine interessante Anmerkung Uber den Föhn belegt diese Be¬
obachtung von wissenschaftlicher Seite. Daun werden wir an die Quellen geführt. Nahe
am Bade sprudelt die „Hohliebequelle,“ ein leicht abführendes Schwefelwasser, und
l / 3 Stunde über dem Bade, passend herbeigeführt, die Balmquelle, das stärkste
Schwefelwasser Europa’s, stärker als die Herculesquelle in Ungarn, die duftige
Schwester des heil. Moritz, des stärksten Säuerlings! Wie mancher College weiss erst
seit Treichler , dass die Schweiz überhaupt ein solches schweres Positionsgeschütz von
Schwefelquelle besitzt. Sie wird denn auch zum Inhaliren, zum Trinken und zum Baden
verwendet und bestreitet Alles bequem, weil sie 40 Liter in der Minute liefert Bade-
cabinette und Doucheapparate sind in grösserer Anzahl vorhanden und eine Dampfmaschine
wärmt die Bäder ohne sie zu zersetzen. Wir kennen die traditionelle Lehre von der
Wirkung des Schwefelwasserstoffes und erfahren auch durch neuere Belege, dass er im
Reiche der Blutzellen und auf den Feldern der Schleimhäute Scheffet s Frühlingssturm
vergleichbar ist, „der was morsch darniederschmettert und was faul zusammenwettert, 8
was man auf balneologisch-physiologisch eine stark aufiösende, blutreinigende, mauserungs¬
förderliche Wirkung nennt Auch Gymnastik, speciell Stabturnen und Lungengymnastik
werden hier unter kundiger Leitung betrieben und die Anstalt lässt es nicht auf den
Exorcismus mittels ihres allerstärksten Schwefel Wassers allein ankommen, sondern sucht
alle Momente moderner Klimatologie und Diätetik zu verwerthen und die kulturkranken
Stubensitzer und Salonrutscher zu nomadisiren. Auch ein ganz respektables Eisen-
w a s 8 e r empfiehlt seine Dienste. Selbstverständlich werden zunächst folgende Gäste zur
Tafel des Schwefelwasserstoffes geladen: Der chronische Kehlkopf- und Lungenkatarrh,
die verdichtete Lunge, ob nach Virchow oder nach Buhl entstanden, ob nach Laeimek oder
nach Niemeyer , mit prädestinirter Nothwendigkeit oder aber aus Zufall schmelzend. Den¬
noch sind Weissenburg und die Lenk keine Goncurrenten und hat jeder Curort seine
eigene Clientöle. Hier finden wir das Bronchialasthma und den ewigen chronischen Gaumen¬
katarrh, mit und ohne RüAle’B phychischer Hyperästhesie, hier finden wir die böBe Leber mit
ihrem Katalog von Stockungen und Anschoppungen, den Urogenitalkatarrh, die gemeine
Scrophulose und die qualvolle Arthritis: alle häufig gebessert Dass die blinden Hämor¬
rhoiden sich nicht hieher wagen, daran ist nur der moderne Badearzt Schuld, und dass
auch hier manche alte desperate Ekzeme erst irritirt and dann für lange Zeiten abgeheilt
werden, das macht der Schwefelwasserstoff und die Gurmethode.
Die übrigen Zuthaten der Badeschrift sind in gewohnter Weise, aber ebenfalls kühl
und bescheiden abgehandelt, und wie die Weissenburger Badeschrift, so ist auch diese
angenehm zu lesen und hinterlässt den Eindruck, es sei eine wahre Wohlthat, dass wie
in der Thermotherapie, so auch in der übrigen Balneologie das Dilettantenthum zu Ende
geht und ernsthafte Männer von wissenschaftlicher Richtung in dem Sagenreichen Ge¬
biete Aufräumen. S.
Kantonale Correspondenzen.
Zürich. („Erzähl’ er immer weiter , Herr Urian.“) Winterthur und seine
sanitarisohen Bestrebungen. Wenn die Leser des Correspondenzblattes bisher nur
wenig über die sanitarischen Vorgänge der Stadt Winterthur zu hören bekamen, so wäre
die Meinung doch eine irrige, welche annehmen wollte, es geschehe daselbst nichts auf
dem weiten Felde des öffentlichen Gesundheitswesens.
Die Anregung des ärztlichen Stadtvereines über die Beseitigung der allzu schrillen
und zu oft wiederholten Locomotivsignale hat das Correspondenzblatt schon mitge-
theilt. Die von 10 Aerzten, der localen Gesundheitsbehörde und über 300 weitern Ein¬
wohnern unterschriebene Eingabe verlangte, „dasB die Dampfpfeifen auf einen viel tiefem
Ton gestimmt werden, wodurch der schädliche Einfluss auf das Ohr vermindert wird,
ohne dass das Signal an Deutlichkeit das Mindeste einbüsst, und dass die Signale, vor
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Allem aas im ganzen Bereich des Bahnhofes und seiner Zufahrtslinien, nicht mehr so
übermässig laut und lange anhaltend gegeben, und überhaupt jedes unnöthige Signalgeben
vermieden werde.“ Bekanntlich sind die Dampfpfeifen der Locomotiven Frankreichs und
Deutschlands viel tiefer gestimmt. Die Direction der Tössthalbahn hat denn auch sofort
bereitwilligst Versuche angestellt und eine Dampfpfeife construirt, welche viel tiefere und
mildere 8ignale gibt, ohne dass die Präcision darunter leidet
Neuerdings hat nun die Schulpflege auf die Initiative desselben Vereines hin die
Luft verschiedener Schulzimmer durch Herrn Apotheker Sulzer untersuchen lassen.
Bekanntlich bilden 10—15 Theile CO, auf 10,000 Theile Luft die Grenze zwischen
guter und schlechter Luft Beim Primarschulhaus neben dem Stadthaus ergab sich nun
folgendes Resultat:
Zimmer 1, Kubikinhalt von 816,5 Kubikmeter mit 52 Mädchen im Alter von 12—13
Jahren, zeigte auf 10,000 Theile Luft vor Beginn der Schule 4,11, nach der ersten Stunde
20,96, nach der zweiten 42,94 und nach der dritten 59,47 Theile Kohlensäure.
Bei Zimmer 2 Inhalt 254,7 Kubikmeter, mit 37 Schülern von 12—13 Jahren, wies
die Untersuchung auf 10,000 Lufttheile vor Beginn der Schule nach 7,35, nach der ersten
Stunde 26,96, nach der zweiten 49,26 und nach der dritten 63 Theile CO,.
Zimmer 3 endlich mit 244,2.Kubikmeter Inhalt, das zwei Stunden von 80 Schülern
im Alter von 8 Jahren benutzt wurde, eine dritte Stunde aber von 56 Mädchen im Alter
von 8 Jahren, und bei welchem während einer Unterrichtsstunde ein Zimmerfenster offen
stand, zeigte an Kohlensäuregehalt vor Beginn der Schule 9,07, nach der ersten Stunde
25,02, nach der zweiten 61,6 und nach der dritten 64 Theile.
Die Temperatur der untersuchten Schulzimmer stieg das eine Mal von 14,4 auf 19,8,
das zweite Mal von 16,6 auf 20 und das dritte Mal von 16,7 auf 22,8° C., eine sehr be¬
deutende Schwankung.
Im neuen Schulhaus in der Neuwiese, wo die Untersuchung am 22. März und 6.
April d. J. bei überall geschlossenen Fenstern ausgeführt und vor und theilweise wähl¬
end der ersten Untersuchung geheizt wurde, während das bei der zweiten Untersuchung
a Folge der warmen Witterung unnöthig war, ergaben sich viel günstigere Resultate :
Zimmer 1 mit 290 Kubikmeter, von 65 Schülern im Alter von 11—13 Jahren wäh-
2 ud 3 8tunden benutzt, zeigte auf 10,000 Lufttheile au Kohlensäure um 8 Uhr Morgens
,60, um 9 Uhr 13, um 10 Uhr 14,60 und um 11 Uhr 11,71 Theile.
Zimmer 2, von 288 Kubikmeter, war während der gleichen Stundenzahl von 68
ihülern ebenfalls von 11—13 Jahren benutzt. Um 8 Uhr zeigten sich an Kohlensäure
39 Theile, um 9 Uhr 14,77 Theile, um 10 Uhr 16,71 Theile und um 11 Uhr 11,70
heile.
Das Zurückgehen des Kohlensäuregehalts zwischen 10 und 11 Uhr findet seine Er-
irung in der viertelstündigen Pause, während welcher sämmtliche Schüler nach 10 Uhr
Freien sich aufhalten müssen.
Auch der Thermometerstand blieb viel gleichmässiger; er betrug an den genannten
mden den 22. März 15; 16,5; 17 und 17° C. und den 6. April 14; 14,5; 14,6 und
2° C.
I>er Feuchtigkeitsgehalt der Luft der Schulzimmer wurde nicht geprüft.
X>as günstige Facit der Untersuchungen im Schulhaus in der Neu wiese wird den
tiiationseinrichtungen, die beim Bau mit besonderer Aufmerksamkeit eingerichtet wur-
, zügeschrieben. Es ist im Hause eine Luftheizung mit künstlicher Ventilation (Pro-
fon) eingerichtet. Im alten Schulhause wird dagegen durch Oefen geheizt (Grunauer-
Föllöfen).
Das speciellere ärztliche Leben gipfelt in Winterthur in der sich alle 14 Tage
izzimelnden medicinischen Stadtgesellschaft und dem monatlich einmal zusammenkom-
\&zx ärztlichen Vereine der Bezirke Winterthur-Andelfingen. Es wäre sehr erwünscht,
Actuariate dieser beiden Gesellschaften Berichte über ihr Thun und Treiben zu er-
:» und das um so mehr, als in ihrem Schoosse zuweilen auch Mittheilungen aus dem
jaltigen Material des Stadtspitales erfolgen.
>ie Einwohnergemeinde Winterthur hat bekanntlich ein neues Spital erbaut und
weder Mühe noch Kosten gescheut. Der Neubau liegt mitten in einem grossen
3, «las ganz zu Anlagen mit Schattenplätzen verwendet wird und zwei freigehaltene
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Bäume mit besonders trocken gelegtem Untergründe eine später zu errichtende Baracke
und ein Zelt aufweist. Angrenzend, doch vom Spitale durch die Anlagen getrennt, liegt
ein Stttck Gartenland, welches dazu bestimmt ist, die Fsecalmassen (Kübelsystem), die in
einem abseits gelegenen, cementirten Sammler aufgenommen werden, auf volkswirthschaft-
lichem Wege zu desinficiren. Vor dem Hause ist ein Schattengang.
Das Spital ist für 80 Betten berechnet und nimmt interne und chirurgische Kranke
jeder Art, Geisteskranke vorübergehend und Gebärende nur ausnahmsweise auf.
Es ist nicht meine Absicht, eine irgendwie eingehende Beschreibung des 8pitales zu
versuchen, obwohl die Trefflichkeit der Einrichtungen hiezu auffordert. Hoffentlich findet
sich ein mit den Verhältnissen durch öftere Besichtigung vertrauter College, der das
Wesentliche der Einrichtungen hervorhebt. Die Spitalpflege (Präsident Dr. Hegner ), die
zugleich Baubehörde war, hat ihre mühevolle Aufgabe gut gelöst, so dass eine Besichti¬
gung der neuen Anstalt von hohem Interesse ist. Ich bin dem Chefarzt Dr. Koller und
seinem Assistenten Dr. Cumer für‘ihre liebenswürdige Bereitwilligkeit Behr zu Dank ver¬
pflichtet
Im Spital befindet sich auch das von der Hülfsgesellschaft, die unter Anderm
armen Kranken auch die Mittel zu Badecuren gibt, gegründete reichhaltige Magazin
von Krankenutensilien. Gegen eine sehr billige Taxe, die zur Anschaffung von
neuem Material mithelfen muss, können jeden Augenblick alle möglichen Krankenmobilien
(Badapparate, Betten und Bettstücke, Bettgeschirre, 8pritzen, Stühle, Krankenwagen, In¬
halationsapparate etc.) miethweise entlehnt werden. Diese Einrichtung verdient allent¬
halben Nachahmung.
Eine treffliche B ad ans t alt sacht den Mangel eines fliessenden oder stehenden
Wassers zu menschlichen Reinigungszwecken zu ersetzen. Das durch Dampf aus dem
Untergrund heraufgepumpte Wasser des grossen, cementirten Schwimmbassins wird
gehörig erwärmt, ehe es in den artificiellen See fliesst
Die relativ wasserame Eulach (bei uns Bach, in Winterthur schon mehr Fluss ge¬
heissen) wird gegenwärtig corrigirt. Man bezweckt und erreicht dadurch, wie die voll¬
endete Strecke beweist, dem Flüsschen (medio tutissimus ibis) unter Anderm ein stär¬
keres und gleichmässiges Gefälle, sowie ein glattes Rinnsal zu geben, damit die vielen
Verunreinigungen, wie sie des Menschen organische und anorganische Technik erzeugt,
nicht stagniren. Es ist das ein nicht zu unterschätzender Vortheil.
Winterthur besitzt aber auch eine ausgezeichnete Trinkwasserleitung und ver¬
dankt diese wässerigen Errungenschaften (sowie noch viele andere) der Einsicht und
Energie des jetzigen Stadtrathspräsidenten Dr. A. Weitmann.
Der Versuch, das Strassenpflaster zu entfernen und durch rationell angelegten
Macadam zu ersetzen und so das Rasseln zu vermindern, ist bisher geglückt, da das
verwendete Material sich gut bewährt und im Sommer das regelmässige Bespritzen, beim
Regen etc. eine Dampfwalze den Koth erfolgreich bekämpft.
Es soll statistisch festgestellt sein, dass sich in Folge der Unzahl von Dampfkaminen
zu Winterthur ein weisser Strohhut höchstens 6 Wochen tragen lässt: unter diesen Um¬
ständen bewundert man die weitsichtige Einsicht der winterthurer Stadtgründer, welche
die Stadt so anlegten, dass fast beständig ein „ erfrischend er 1 “ Nordost durchbläst und so
die Luft von allen überflüssigen Partikelchen reinigt, natürlich nur, um jede Stagnation
auf den Stroh—hüten zu verhindern.
Ende April. A. Baader.
Zürich. Feriencolonien von Stadtschulkindern. Durch das liebens¬
würdige Entgegenkommen des Herrn Pfarrer Bion in Zürich können wir über sein hygiei-
nisches Unternehmen, das für die Schuljugend der ärmern Klassen der Stadt Zürich von
hohem Werthe ist, einige gewiss allen Collegen erwünschte Mittheilungen machen. Herr
Pfarrer Bion wollte den Stadtkindern die Ferien zum körperlichen und geistigen Remedium
umgestalten und erreichte sein Ziel, ein für uns Aerzte hochwichtiges Factum. Auf die
Öffentliche Anfrage erfolgten über 200 Anmeldungen; es konnten aber nur 64 berück¬
sichtigt werden. Die 64 Kinder (30 Mädchen und 34 Knaben) wurden unter 5 Lehrern
und einer Anzahl Lehrerinnen, die unter anderm auch die Wäsche zu überwachen hatten,
in Neuschwendi bei Trogen, Bühler und auf dem Gäbris stationiert, wohin sie Herr Ffr. B.
selbst geleitete. Doch lassen wir ihn selbst reden:
401
„Auf einen die Sache erläuternden Aufruf, den ich im Tagblatt der Stadt Zürich
erliess, gingen mir in zahlreichen Beiträgen 2340 Fr. ein. Meine Auslagen für 68 Kinder,
die ich mitnahm, und 10 begleitende erwachsene Personen beliefen sich auf 2392 Fr.,
wovon 415 Fr. auf Reisespesen von Zürich in den Kt. Appenzell fallen. Das kleine
Deficit wurde unmittelbar nach Veröffentlichung der Rechnung von einem hiesigen Freunde
gedeckt.
Auf den Gedanken einer derartigen Ferienversorgung kam ich durch die Beobachtungen,
welche ich an meinen eignen Kindern machte. Ich sah, wie dieselben, welche doch ver-
hältnissmässig gesund wohnten und lebten, gegen den Schluss des Semesters körperlich
und geistig matt und erschöpft wurden und ein Ferienaufenthalt in gesunder Bergluft
sie wunderbar stärkte und erfrischte. Nim bin ich Pfarrer an der grössten und ärmsten
Gemeinde der Stadt Zürich, welche hauptsächlich aus dem Niederdorf (der sog. Türkei)
gebildet ist. In meiner Stellung habe ioh Gelegenheit, die oft wirklich schlimmen Wohnungs¬
verhältnisse und ungesunde Lebensweise vieler Bewohner keimen zu lernen, konnte auch
beobachten, wie die grosse Mehrzahl der Kinder der armen Familien in der Ferienzeit
in den schwülen Gassen der Stadt herumlungerte und nach den Ferien schier reducirter
war, als vordem. So kam ich denn zu meinem Entschluss, dessen Mittheilung mir reich¬
lich Lob und Tadel eintrug und dessen Ausführung mir manche Sorge, aber auch viele
Freude brachte. Ich hatte die Ueberzeugung, dass etwas zum Wohl der armen Kinder
geschehen müsse und so wagte ich es im Vertrauen, dass eine gute Sache schliesslich
gelingen werde, aber des ersten Erfolges doch ungewiss. Den Kt. Appenzell A./Rh. wählte
ich, weil seine Bodenverhältnisse wenig Gefahren für lebhafte Kinder in sich schliessen
(es sind keine Felsen und Wasserbecken da, sondern man darf die Kinder sorglos auf
den grünen Matten sich tummeln lassen) und dann hauptsächlich auch aus dem Grunde, weil die
Bevölkerung eine durchschnittlich brave ist, von der kein moralisch nachtheiliger Einfluss
auf die Kinder zu befürchten war. Zudem hatte ich den Vortheil, dass mir durch meinen
20jährigen Aufenthalt im Kt. Appenzell Land und Leute so bekannt und verbunden wurden,
dass meine Ferienkinder sehr freundlich aufgenommen wurden und sich bald wie zu Hause
fanden. — Die 14 Tage verflogen ihnen wie ein holder Traum, aber ihre Nachwirkung
war eine dauerhafte. Vom Tage ihrer Rückkehr an, so berichten mir bald diese, bald
jene Eltern meiner „Ferienkinder“, haben dieselben bessern Appetit und Schlaf gehabt und
sich bis zur Stunde wohler befunden. Das Aussehen der meisten derselben ist jetzt noch
ein auffallend besseres, als vordem. Die kurze Zeit hatte einen uns alle überraschenden
Einfluss auf ihr physisches Befinden. Nicht weniger günstig war der geistige, der mora¬
lische und pädagogische Erfolg. Einige Schüler, die früher zu den schwächern ihrer Klasse
gehörten, sind von Stund an tüchtiger geworden und gehören nun zu den ersten in Hin¬
sicht auf Fleiss und Leistungen. Das Verhalten fast aller ist seitdem ein klagloses. Sie
sind ihren Lehrern ungemein anhänglich geworden durch die gemeinsam genossene glück¬
liche Zeit und bemühen sich das empfangene Gute durch ihre gute Aufführung zu ver¬
gelten. Schon von ferne springen diese Kinder den betreffenden Lehrern oder mir ent¬
gegen, wenn sie uns sehen, und bezeigen uns ihre Anhänglichkeit. Mit einem Worte, das
Unternehmen ist vollkommen gelungen und sein Erfolg so nachhaltig, dass ich mich trotz
der nngünstigen Zeitverhältnisse zur Wiederholung derselben verpflichtet fühle. Bereits
sind auf einen vor drei Wochen erlassenen Aufruf mir wieder 1500 Fr. eingegangen und
werden mir fortwährend Beiträge zugesandt, so dass ich dieses Jahr ungefähr die gleiche
Zahl Kinder versorgen zu können hoffe. Es wird auch dasselbe Lehrerpersonal, dem ich
natürlich zu einem grossen Theil die gelungene Ausführung der Sache zu verdanken habe,
raitwirken und andere haben sich nötigenfalls zur Disposition gestellt. Die betreffenden
Lehrer und Frauen halte ich natürlich frei. Sie leben übrigens fast ganz so einfach wie
die Kinder selbst. Die Nahrung derselben bestand durchschnittlich in Folgendem: Morgens
früh warme Milch (mit etwas Kaffee für die, welche dies wünschten) und Brod, so viel sie
haben wollten, um 9 Uhr ein Stück Brod, Mittags Suppe, Fleisch (hie und da auch Milch
und Mehlspeise und Gemüse) und Brod, Nachmittags (Vesper) ein Stück Brod, und Nachts
Milch und Brod oder 8uppe und Brod. Die Kinder mussten ihr Lager rüsten, ihre Schuhe
putzen, sich selbst gehörig kämmen, das gebrauchte Essgeschirr reinigen und wurden zur
Ordnung, Pünktlichkeit und Reinlichkeit angehalten.
Voriges Jahr nahmen wir Kinder von 9—12 Jahren mit, dieses Jahr wahrscheinlich
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402
solche von 7—9 und 12—14 Jahren. Eine Menge Eltern melden sich fortwährend, welche
gerne die Auslagen für ihre Kinder bezahlen würden, wenn wir sie nur mitnähmen.
Natürlich können wir nur ausnahmsweise solchen Wünschen entsprechen, indem sich sonst
die Zahl unserer Ferienkinder auf mehrere Hundert steigerte, die Wr vorderhand noch nicht
zu bewältigen im Stande sind.“
Es hat uns gefreut, die Theologie und die Medicin auf dem so lohnenden und so
arbeitsreichen Gebiete der Hygieine des Kindesalters brasdessus, brasdessous einträchtig
bei einander zu finden. Mögen diese Berührungspunkte sich mehren! Vorläufig den
besten Dank für die Initiative, die uns Aerzten den Rang abgelaufen hat. Eine solche
Rivalität lassen wir uns gerne gefallen. Die Redaction.
W ochenbericht.
Schweiz.
Bern. Nachdem der Ständerath den Gesetzesentwurf über die Freizügigkeit
des Medicinalpersonals durchberathen, lehnte leider der Nationalrath es ab,
denselben in dieser Session noch zu behandeln und zog es vor, dafür die Eingabe der
Bierbrauer in sofortige Berathung zu ziehen, welche die Einführung von drei Decilitre-
Biergläsern eindringlich verlangten. Wir bedauern dieses Verschieben um so mehr, als
der jetzige modus vivendi sich längst als unhaltbar herausgestellt und eine endliche An-
diehandnahme des definitiven Gesetzes jedenfalls tausendmal dringender gewesen wäre,
wie die Bierglasfrage.
Giften. Der Zustand unseres Freundes Baader hat sich in der Beziehung gebessert,
dass seit 14 Tagen die Lungenblutungen sistirt und das Fieber, das oontinuirlich sehr
hoch gewesen, nunmehr namhafte Remissionen zeigt. Die zahlreichen Theilnahmebezeu-
gungen verdanke Namens des kranken Freundes auf das beste und hoffe bald noch bessere
Mittheilungen machen zu können.
Umiversftt&teii. Frequenz der medicinisch enFacultäten imSommer-
Semester 1877.
Aus dem
' Aus andern
Canton
M. W.
Cantonen
M. W.
Ausländer
M. W.
Summa.
M. W.
Total
Basel
14 —
44 —
4
—
62
—
62
Winter 1876/77
20 —
47 —
3
_
70
—
70
Sommer 1876
19 —
52 —
5
—
76
—
76
Winter 1876/76
19 —
60 —
3
—
82
—
82
Bern
44 —
57 —
6
17
107
17
126*)
Winter 1876/77
66 —
66 —
12
26
123
26
149
Sommer 1876
63 —
57 —
13
24
123
24
147
Winter 1876/76
47 —
• 67 —
12
25
126
25
151
Genf
24 —
24 —
17
1
65
1
66
Winter 1876/77
24 —
24 —
20
2
68
2
70
ZUrich
30 —
99 —
35
13
164
13
177
Winter 1876/77
35 —
101 1
40
19
176
20
196
Sommer 1876
31 1
89 1
49
22
169
24
193
Winter 1875/76
38 1
96 —
Ausland.
39
23
173
24
197
Balneologlaches. Künstliches Karlsbad. Prof. Quincke (Bern) regt in der
deutschen med. Wochenschr. (1877, 20) die Frage der Einrichtung eines künstlichen
Karlsbad an. Er macht darauf aufmerksam, dass den Gebrauch des Karlsbader Wassers
in Karlsbad selbst so oft ein weitaus besserer Erfolg begleite, als es bei der Anwendung
des versandten Karlsbader Wassers der Fall sei. Die Ursache liege in der viel ratio¬
nelleren Art des Gebrauches und des ganzen Verhaltens des Patienten an einem Curorte.
Die Reise nach und der Aufenthalt in Karlsbad sind aber für viele zu kostspielig.
„Es schiene mir daher einem Bedürfniss zu entsprechen“, schreibt Prof. Quincke , „wenn
Incl. 2 Auscultanten.
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403
fern von diesem Curorte (z. B. im Gebiet des Ober-Rheins) eich ein künstliches Karlsbad
schaffen liesse.
.Die Herstellung des künstlichen karlsbader Wassers hätte keine Schwierig¬
keiten ; sie würde sogär geringere Anlagen erfordern, als eine gewöhnliche Mineral¬
wasserfabrik , welche meist verschiedene Wässer fabricirt und dieselben auf Flaschen
füllt; letzteres würde (für den besagten Zweck wenigstens) fortfallen, da es genügt, das
Wasser in grösseren geschlossenen Behältern vorräthig zu halten, welche — entweder be¬
ständig oder nur für die Morgenstunden — auf der constanten Temperatur etwa der vier
gebräuchlichsten Quellen Karlsbads zu halten wären. Auf die Genauigkeit und Gleich-
mässigkeit dieser Temperaturen würde nach meiner Ansicht besonders Gewicht zu legen
sein, da gerade in diesem Punkte die sporadischen Curen mit versandtem oder künst¬
lichem Wasser gewiss sehr häufig gefehlt wird.
Die karlsbader Trinkquellen Hessen sich also auf diese Weise an jedem Orte künst¬
lich herstellen.Nach Lage, landschaftlichem und climatischem Charakter würde
mir ein Ort des südwestlichen Deutschlands oder der Schweiz am geeignetsten erscheinen.
.Das Vorhandensein einer natürlichen Therme, namentlich einer höher temperirten,
würde zugleich die constante Erwärmung des künstlich bereiteten karlsbader WaBsers
wesentlich erleichtern. Aus diesen Gründen könnte man etwa an Badenweiler (24° R),
Ragatz (28° R), Baden im Aargau (37°), oder Baden-Baden (54°) denken.
Für den Anfang wäre diese „künstliche karlsbader Quelle“ vielleicht mit einem
Pensionshause zu verbinden; eine Regelung der Lebensweise, eine Befolgung gewisser
diätetischer Vorschriften würde von selbst daraus folgen; die unter ärztlicher Leitung
stehenden sogenannten Kaltwasserheilanstalten bieten uns hinreichende Beispiele von dem
wohhhätigen Einfluss einer in dieser Weise geübten, ganz selbstverständlichen und doch
wirksamen Disciplin. tf
Deutschland« Deuts'cher Verein für öff entliehe Gesundheits¬
pflege. Programm der 6. Versammlung in Nürnberg, den 25., 26. und 27. Sep¬
tember 1877. 1. Die öffentliche Gesundheitspflege seit der letzten Versammlung des
Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege. Referent: Dr. P. Börner (Berlin).
II. Einfluss der heutigen Unterrichtsgrundsätze in den Schulen auf die Gesundheit des
Heranwachsenden Geschlechtes. Referenten: Geh. Reg.-Rath Dr. Finklenburg (Berlin),
8an.-Rath Dr. Märklin (Wiesbaden), Realschuldirector Dr. Ostendorf (Düsseldorf). IH. Ueber
Ernährung und Nahrungsmittel der Kiuder. Referent: Prof. Dr. Fr. Hofmann (Leipzig).
IV. Ueber Bier und seine Verfälschungen. Referenten: Prof. Dr. Linlner (Weihenstephan),
Prof. Dr. Seil (Berlin), Director Dr. Wentz (Weihenstephan). V. Ueber die praotisehe
Durchführung der Fabrikhygieine. Referenten: Reg— und Med.-Rath Dr. Beyer (Düssel¬
dorf), Bankier Fewtt (Bayreuth), Dr. Schüler (Mollis, Ct. Glarus).
Die vom Vereine an seiner letzten Versammlung in Düsseldorf ernannte Commission
zur Feststellung eines Untersuchungsplanes für das Trinkwasser
hat am 9. und 10. April in Leipzig Vor- und Nachmittags getagt. Anwesend waren die
Herren ReicAardt (Jena), F. Hofmann (Leipzig), Wiebel (Hamburg) und Tiemann (Berlin).
Dr. Port (München) war amtlich verhindert, Hr. Wolffhägel (München) hot sein Mandat
niedergelegt. Die Commission hat sich zunächst mit dem rein chemischen Theil ihrer
Aufgabe beschäftigt, indem sich ihre Berathungen nur auf die Bezeichnung der zu unter¬
suchenden Stoffe und auf die besten und einfachsten Untersuchungsmethoden bezogen.
Diese chemische Berathung wird ihre weitere Bearbeitung finden, indem bestimmte Punkte
an die einzelnen Herren vertheilt wurden, um von diesen nochmals im Laboratorium ge¬
prüft zu werden. Um Pfingsten soll diese Einzel-Ausarbeitung nochmals vorgelegt werden,
um die Gesammt-Besohlüsse zu erhalten. — Wichtig ist die Erklärung, dass die Com¬
mission die Aufstellung von allgemeinen Grenzwerthen für unmöglich hält, ferner, dass sie
betont: durch die chemische Untersuchung können als gesundheitsnachtheilig zu bezeich¬
nende Stoffe nicht ermittelt werden. (Einige Fälle ausgenommen.) Die Commission, deren
vier anwesende Mitglieder sich wesentlich als chemische Section ansahen, lehnt es nicht
nur ab, aus der Analyse einen Schluss auf die Qualität des Wassers, ob nachtheilig oder
nicht, zu ziehen, sondern überlässt die Beziehungen zwischen Analyse und eventueller
Schädlichkeit dem betreffenden Sachverständigen, dem Mediciner. Die Commission wünsoht
die Herren Cohn (Breslau) als specielle Autorität für die Bestimmung und Untersuchungen
404
methode der organisirten Gebilde im Wasser, Förster (München), Generalarzt Roth (Dresden),
Slrvck und Finkelnburg als raedicinische Mitglieder cooptiren zu dürfen, deren Arbeit wohl
nicht bis zur nächsten Sitzung erledigt sein dürfte. (Deutsche med. W. 1877, 17.)
Deutschland» Syphilis congenita. Dr. Keyfei sucht aus 43 Fällen,
in denen die Mütter gesund, die Kinder syphilitisch waren, und zwar vor allen Erkran¬
kungen innerer Organe zeigten, nachzuweisen, „dass in der grossen Mehrzahl der Fälle,
die Syphilis cougenita innerer Organe ihren Ursprung vom Vater ableite, ja dass auch
in den Fällen , in welchen die Mutter mit Syphilis behaftet war und Kinder mit Er¬
krankung innerer Organe geboren wurden, die Conception durch ein syphilitisches Sperma
virile erfolgte,“ (Aerztl. Intelligenzbl. Nr. 21.)
Frankreich. Medicinalpolizei. Im Rhonedepartement wurde der Dr. F.
wegen Abtreibung zu drei Jahren Zuchthaus verurtheilt; die Culpantin erhielt ein Jahr,
ihre Mutter zwei.
In Paris wurde der Generaldirector der Assistance publique, de Nervaus , in alle Kosten
und zu 1000 Fr. Entschädigung an die Eltern eines Kindes verurtheilt, welches in das
Kinderspital eingetreten war, um dort Dampfbäder zu erhalten. Das Kind war von der
Höhe der Gallerie des Saales, wo man es allein gelassen hatte, auf den Dampfrecipienten
herunter gefallen und hatte sich heftig verbrannt. Die Verurtheilung erfolgte, weil das
Gericht den Generaldirector für verantwortlich hielt und die mangelhafte Beaufsichtigung
des Kindes als Ursache des Unglücks annahm.
Dr. Beirut (Paris) verweigerte in einem Processe, bei dem er als Zeuge vorgeladen
war, den Zeugeneid. Es handelte sich um eine Abtreibung, bei welcher Beirut später als
Arzt war beigezogen worden. Er betonte, dass der Eid ihn zur nackten Darlegung aller
Thatsachen zwingen würde und dass seine Pflicht ihm die Wahrung des Amtsgeheim¬
nisses gebiete. Das Gericht verurtheilte ihn zu 100 Fr. Busse. Beirut hat appellirt. —
Er hatte unlängst einen ähnlichen Process, indem er den Maire des VII. pariser Arron¬
dissements einklagte, weil derselbe die Eintragung des Civilstandes eines von Dr. Berrut
ihm angemeldeten Kindes verweigerte, da unser Doctor weder den Namen der Mutter,
noch den Ort der Geburt angeben wollte. Das Gericht sprach Berrut das Recht zu und
wies den Maire an, die Eintragung nach den gesetzlichen Vorschriften auszuführen.
(Rev. de thörap. möd. chir. 1877, 9.)
Frankreich. Frühzeitige Menstruation beobachtete Bouchul bei einem
in London geborenen vier Jahre alten Mädchen, das einer englischen Familie mit sechs
Kindern angehört. Bei der kleinen Nelly stellte sich die Menstruation im 22. Lebens-
raonat zum ersten Male ein und wiederholte sich seither regelmässig alle vier Wochen.
Das Kind ist wohl dabei und zeigt nur eine weit über sein Alter vorgeschrittene Aus¬
bildung der Brüste und der Genitalien. (Gaz. de höp. 13ö, 1876.)
Italien« B ewegungen des menschlichen Gehirnes. Giacomini und
Mosso studirten durch die Oeffnung, welche bei einer 37jährigen Frau durch den Verlust
einer grossen Partie des Os frontale und der beiden Ossa parietalia in Folge von Syphilis
entstanden waren, mittels des Jfarey’schen Apparates die Gehirnbewegungen; die Resultate
werden im „Archive delle Science modiche“ veröffentlicht; sie beweisen drei verschiedene
Bewegungen am Gehirne des Menschen, selbst in absoluter körperlicher und geistiger
Ruhe; 1. Pulsationen, bei jeder Herzcontraction; 2. Oscillationen, entsprechend den
Athembewegungen; 3. Undulationen mit weiten Curven, veranlasst durch GefäsBbewegungen
bei Aufmerksamkeit, Gehirnthätigkeit, im Schlafe und bei aqderen Ursachen, die uns bis
jetzt unbekannt sind; man könnte sie als spontane Gefässbewegungen bezeichnen.
(Aerztl. Inteil. Bl. 1877, Nr. 16.)
Italien. Schnelligkeit der Sprache. Der Physiologe Mariotti hat über die
Schnelligkeit des Aussprechens von Worten Untersuchungen angestellt. Mit Hülfe der
stenographischen Berichte constatierte er, dass die Abgeordneten Foresta 60, Massimo
d'Azegtio 90, Ralazzi 150 und Cordova sogar 218 W’orte in der Minute machten. — Gibbon
hatte für einen englischen Redner mit geläufiger Zunge 120 Worte in der Minute ge¬
zählt. Allzu rasch gesprochen hört sich bei einem guten Redner ganz angenehm an;
dem Hörer bleibt aber nicht die genügende Zeit zur Möglichkeit der geistigen Assimila¬
tion des Gehörten.
(Rev. de thör. mdd. chir.)
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405
Iiebensdaner* Wenn es sich darum handelt, das Land zu finden, in welchem
wir am meisten Aussichten haben, die mittlere Lebensdauer zu überschreiten, so müssten
wir unsere Blicke nach Frankreich riohten. Auf 1 Million Menschon fallen Individuen
mit 60 Jahren in Italien 71602, England 72910, Holland 76982, Schweden 78187, Däne¬
mark 86667, Belgien 88432 und Frankreich 101495. Hundertjährige fanden sich auf
1 Million in England 16, Frankreich 7,3, Belgien 7, Schweden 2,6, Holland 1,3. Die
Frauen pr®valieren.
Perflonalia. Dr. Cramer, von der „Rosegg“ her bei uns noch im besten An¬
denken, ist zum ordentlichen Professor der Psychiatrie in Marburg ernannt worden.
An die Stelle des verstorbenen Fergusson wurde Prof. John Wood auf den Lehrstuhl für
klinische Chirurgie an King’s College Hospital berufen. Man vermuthete Lister würde in
Vorschlag kommen, was jedoch nicht geschah, wohl aber eine gereizte Polemik zur
Folge hatte.
In Paris starben die Doctoren Cintrat und L. Carrier e, beide an Croup, den sie sich
dadurch zugezogen hatten, dass sie nach Tracheotomieen die mit Psexfdomembranen ver¬
stopfte Canule durch Ansaugen mit dem Munde wegsam zu machen suchten. Die In-
fection manifestierte sich nach wenigen Tagen.
§«l(cj]M1ires Natron. Da die 8alicylsäure in solchen Dosen, wie sie zur
Erzielung entschiedener antipyretischer Wirkung nothwendig sind, auf den Magen ätzend
wirkt, daher nicht selten Magenschmerz und selbst Geschwürsbildung hervorruft, während
das salicyl&aure Natron diese unangenehme Nebenwirkung in grossen Gaben bis zu
10 Gramm nicht besitzt, so ist jetzt wohl von dem innern Gebrauch der Salicylsäure
abzusehen. Bei seinen therapeutischen Versuchen mit salicylsaurem Natron erzielte Dr.
Jusii in Idstein folgende Resultate:
Das salicylsaure Natron wirkt in Vielen, jedoch nicht in allen Fällen, in Dosen von
4-6 Gramm bei Kindern und 6—8 Gramm bei Erwachsenen, rasch die Temperatur
herabsetzend, so dass oft schon nach 2 8tunden ein Temperaturabfall von 1— 2° C. nach¬
weisbar ist; die maximale antifebrile Wirkung ist 6 Stunden nach der Einnahme des
Mittels erreicht und nimmt von da an ab. Beim akuten Gelenkrheumatismus trat nur
dann ein Nachlass der Schmerzen ein, wenn die Temperatur entschieden — in minimo
um 1° C. — abfiel. Wenn dieselbe bei weiterer Anwendung des Mittels immer näher
* der normalen kam, liessen in gleichem Maasse die Schmerzen und die Anschwellung der
Gelenke nach. Es sind somit Temperaturabfall und Nachlass der lokalen Erscheinungen
in den Gelenken beim Gebrauch des salicylsauren Natrons proportional.
(D. mäd. Wochenschr. 76. Nr. 22.)
Als eine nene Tinetioniflüuigkeit für histologiielie Zwecke em¬
pfiehlt Dr. Dreschfeld , Professor der pathologischen Anatomie Owens College, Manchester,
eine sehr verdünnte, wässrige Lösung des Eosins (1: 1000—1500). Die feinen Schnitte
werden in die sherrygelbe, grünfluorescirende Lösung gebracht, verbloiben darin 1—l 1 /,
Minuten, kommen dann auf einige Secunden in mit Essigsäure leicht augesäuertes Wasser
und können nun in Glycerin etc. oder in Balsam eingeschlossen werden. — Das Eosin
hat durch seine Fluorescenz, welche es in hohem Grade besitzt, die Eigenschaft, die Ge¬
webe anfzuhellen, so dass selbst dicke Schnitte die histologischen Details in sehr netter
Weise zeigen. (Centralbl. 1870, 40. — Pr. Arzt 1877, 2.)
Stand der Infeetions-Krankheiten in Basel.
Vom 11. bis 25. Juni 1877.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Typhus hält Bich auf ungefähr gleicher Höhe; die Zahl der angezeigten Fälle ist
24 (16, 23, 26), wovon 16 aus dem Kleinbasel, je 3 vom Nordwestplateau, Birsigthal
and Südostplateau; die zahlreichen neuen Erkrankungen Kleinbasels stammen mit Aus¬
nahme einer einzigen aus Häusern, in welchen in den letzten Monaten noch keine Typhus¬
fälle vorgekommen sind.
Scharlach 3 vereinzelte Fälle, je 1 aus dem Birsigthal, Kleinbasel und Kinder¬
spital. (10, 7, 2.)
Masern 6 Fälle, 2 vom Nordwestplateau, 3 aus dem Birsigthale; einer der erstem
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406
ist auf Infection von Ztlrich aus zurückzuführen; bei den andern ist der Ursprung un¬
bekannt. (1, 2.) Diphtherie 1 Fall. Erysipelaa 3 Fälle (4, 10, 3). Keuch¬
husten wird wieder zahlreicher angemeldet aus allen Stadttheilen; in den letzten Be¬
richten je 7, sind diesmal 23 neue Fälle angezeigt. Von Puerperalfieber ist kein
neuer Fall angezeigt. _
Briefkasten.
Herrn Dr. Kaufmann: Das Gewünschte mit Dank erhalten. Herrn Dr. Sch. in W.: Ueber das
übersandte „ovum in ovo u folgt Ausführlicheres in nächster Nummer. Hatte das betreffende Ei, dem das
zweite kleinere entstammt, einen Dotter? — Herrn Dr. Müller, Beatenberg: Mit Allem einverstanden.
Werde den 13. also eintreffen. — Herrn Dr. Trechtel: Mit Dank erhalten.
Herrn Dr. Seitz: Mit bestem Dank erhalten; wird in den betr. Vereinsbericht eingeschaltet wer¬
den. — Herrn Dr. J. B. Sch. in Bern: Bitte um gelegentliche Retoumirung des Verzeichnisses der
ärztl. Zeitschriften der Schweiz , nachdem Sie die Lücken gütigst ausgefüllt — Herrn Prot Klebt:
Mit vielem Dank erhalten, herzliche Grüsse. — Herrn Dr. S: Zermatt liegt über BOOO'l
Blutegel-Colonie
Scliönholzersweilen (Thurgau).
Der Ausfang aus den Teichen hat wieder be¬
gonnen. — Gesunde sauglustige und frische Waare
empfehlen wir bestens. [H-1198-Q]
Die Gesellschaft „Kurhaus Samaden“ schreibt
1 hiemit für ihr im Herbst dieses Jahres zu er¬
öffnendes Etablissement die Stelle des
Kurarztes
zu froier Bewerbung aus. Die Anmeldungen,
nebst Angabe der Referenzen u. s. w., sind der
Direction des Kurhauses Samaden in Samaden
einzusenden, welche über die näheren Beding-
ungen die nöthigen Auskünfte ertheilt. [865-R]
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Nr 14. VII. Jahrg. 1877. ' 15. Juli.
InJuIt: 1) Orijfinzlarbeiten: Dr. Gustav S. Weisflog: Eloctrische Bäder ohne Einschluss des Badenden in den
Kreis der Kette. — Dr .C.Zehnder: Die rörcherische Pockenstatistik. (Schluss.) — 2) Vereinsberichte: III. Vereinigte Ver¬
sammlung des ärztlichen Centralvereins und der Soci4W mtfdicale de la Suisse romande. (Fortsetzung.) — 3) Referate und
Kritiken: Dr. Carl Stork: 1. Klinik der Krankheiten des Kehlkopfes, der Nase und des Rachens. Joh. Schnitzler: 2. Kritische
Streifs&ge auf dem Gebiete der Daryngoscopie und Rhinoscopie. — H. Schnyder: Weissenburg, seine Ileilanzeigen und. seine
Curmittel, zugleich ein Fahrer für den Curgast. —4) Kantonale Correspondenzen: Basel, Prag. — 5) Wochenbericht.
— 6) Bibliographisches. — 7) Briefkasten.
Orig-inal-Arbeiten.
Electrische Bäder ohne Einschluss des Badenden in den Kreis der Kette.
Von Dr. Gustav E. Weisflog in Aussersihl.
Die nachfolgende Mittheilung habe ich vor einiger Zeit einem der hervor¬
ragendsten deutschen Pathologen vorgelegt. Da derselbe sich auf dem Gebiete
der Electrotherapie weniger bewegt, hat er sich an „zwei anerkannte Auto¬
ritäten“ gewandt, und diese sind, unabhängig von einander, eine jede zu dem
Urtheile gekommen, dass meine Beobachtungen ohne allen Zweifel auf Täuschung
beruhen. Da mir meine klinische Erfahrung sagt, dass es sich um eine für die
Physiologie und Therapie höchst wichtige Thatsache handelt, lege ich sie hiermit
auch andern Forschern zur Beurtheilung vor, überzeugt, dass sie die Richtigkeit
meiner Beobachtung bestätigen werden.
Während die Physiologie lehrt, dass der thierische Körper ein relativ schlech¬
ter Electricitätsleiter sei, ist man in der Praxis noch einen Schritt weiter gegan¬
gen, indem man angenommen hat, dass er auch von einem durch Wasser geleiteten
Strom, in dasselbe eingetaucht, nicht durchsetzt werde.
In Folge dessen bestehen die gegenwärtig in den grossen Heilanstalten ein¬
gerichteten electrischen Bäder in einer Wanne, welche mit dem einen Pole der
Electricitätsquelle in Verbindung steht und dem badenden Körper den Strom durch
das Wasser zuführt. Der Kettenschluss erfolgt jedoch so, dass der Badende seine
Arme und Hände auf eine Metallstange legt, die mit dem andern Pole in Verbin¬
dung steht, mit durchnässtem Stoffe bedeckt ist und natürlich weder die Wanne
noch ihren flüssigen Inhalt berührt Diese Art von electrischen Bädern schliesst
also den badenden Körper direct in den Kreis der Kette ein.
Es ist nun zunächst erklärlich, dass auf diese Weise von eigentlichen Voll¬
bädern keine Rede sein kann, da sich ja die den Kettenschluss vermittelnden
Arme ausserhalb der Badeflüssigkeit befinden müssen; dann aber ist dieser Schluss
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der Kette darum ein höchst lästiger, weil, wenn eine zum eingetauchten
Körpertheile im Yerhältniss stehende Stromstärke zur Verwendung kommen soll,
heftige Contractionen der Armmuskulatur gar nicht zu vermeiden sind. Aus die¬
sem Grunde haben denn auch diese Bäder bis jetzt wesentlich nur mit dem con-
8tanten Strome ihre Verwendung gefunden, wo blos die Schliessungs- und
Oeffnungszuckungen belästigen; für den faradischen Strom dagegen konnten
sie so gut wie gar nicht benutzt werden. Damit fällt aber ihr therapeutischer
Werth gerade für einen sehr wichtigen Theil der ärztlichen Praxis fort, nämlich
für die Behandlung der Kinder welt, in welcher Traumen, Verbrennungen, scro-
phulöse Affectionen der Knochen und Knochenhaut, kurz alle jene Leiden am häu¬
figsten auftreten, für welche sich die Faradisation als eines der wichtigsten Heil¬
mittel erweist.*)
Nun beruht aber jene Voraussetzung, dass der thierische Körper direct in die
Kette eingeschlossen werden müsse, auf einem sehr leicht nachweisbaren Irrthume,
denn ein in das Wasser geleiteter electrischer Strom durchsetzt
den thierischen Körper so vollkommen, als es für therapeutische Zwecke
erforderlich ist.
Der Beweis hierfür ist sehr leicht zu erbringen, gleichwohl muss ich, da die
Thatsache von „zwei Autoritäten“ auf dem Gebiete der Physiologie ange-
zweifelt worden, etwas elementar beginnen, wobei ich mir natürlich nicht verhehle,
dass dies für die Leser d. Bl. durchaus entbehrlich wäre.
Jeder in eine grössere Wassermenge geleitete selbst sehr intense — constante
oder faradische — electrische Strom, sofern er nur mit den Enden der einen
geringen Querschnitt darbietenden Leitungsdrähte , abgegeben wird, ist für unser
Gefühl nicht wahrnehmbar, wenn wir einen beliebigen Körpertheil in seinen Weg
bringen. Der Grund dafür kann wohl nur in zwei Umständen liegen: einmal be¬
wahrt der Strom beim Durchgänge durch das Wasser den Querschnitt der ihn
abgebenden Pole, so dass er also nur einen dünnen Faden darstellt; und
dann schätzen wir die Intensität eines electrischen Stromes nach der Zahl der vom
Strom erregten Nervenendfasern, die in diesem Falle zu gering ist, um eine zum
Bewusstsein gelangende Empfindung hervorzurufen.
Ganz anders gestaltet sich dagegen die Sache, wenn man denselben Strom
durch eine metallene Polfläche ins Wasser leitet, deren Querschnitt den des letz¬
teren deckt. Der electrische Strom wird sich auf der Polfläche, als der im Ver¬
gleich zum Wasser besser leitenden, bis zu seiner höchsten Spannung ausbreiten,
dann aber die Wassermasse in ihrem ganzen Querschnitte durchsetzen. Stellt sich
ihm auf diesem Wege ein thierischer Körper entgegen, so durchdringt er denselben
nicht nur, sondern er veranlasst auch die Erregung aller betroffenen Nervenfa¬
sern, d. h. er wird in seiner vollen Intensität empfunden. Dabei macht man mit
halbkreisförmigen Electroden die eigenthümliche Wahrnehmung, dass die Strom¬
stärke am geringsten ist in der unmittelbaren Nähe der metallenen Polflächen
*) Vgl. hierüber meine Arbeit: »Zur Casuistik der Faradisation“ im deutschen Ar¬
chive für klinische Medicin, Jahrgang 1876.
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und dass sie nach dem Aequator der Wassermasse hin wächst, um hier ihr Maxi¬
mum zu erreichen.
Ich bediente mich zu meinen Versuchen eines ovalen hölzernen Bade Wänn¬
chens, das im Lichten 60 cm. lang und 40 cm. broit ist. Die metallenen Polflächen,
nach den beiden Enden des Wännchens gebogen, haben eine Länge von 40 cm.
und sind so hoch , als das Wännchen selbst. Verbinde ich diese Polflächen mit
den Leitungsdrähten eines Dubois-Retjmond 'sehen Schlittenapparates und setze in
das mit Wasser gefüllte Wännchen einen Frosch, so lassen sich folgende Er¬
scheinungen beobachten:
1. So lange der Schlitten auf 0 steht, keinerlei Zeichen von Seiten des
Thieres, dass es den Strom verspürt.
2. Befindet sich das Thier in der unmittelbaren Nähe der Polflächen, keiner¬
lei Zeichen von seiner Seite, dass es vom Strome berührt wird, selbst wenn man
dem letzteren die ganze mögliche Stärke gibt.
3. Entfernt sich das Thier auch nur wenig von den Polflächen, so tritt bei
Strömen von mittlerer Stärke sofort Tetanus auf und zwar werden, wenn sich
das Thier so gestellt hatte, dass der Strom die Längsaxe seines Körpers nahezu
rechtwinkelig durchsetzen konnte, die Hinterbeine so gezogen, dass sie voll¬
kommen rechte Winkel zur Längsaxe des Körpers bilden; die Schwimmhäute
befinden sich dabei in voller Spannung. Gelangt dagegen das Thier in eine Stel¬
lung, welche dem Strome gestattet, es seiner Längsaxe nach zu durchdringen,
so erfolgt tetanische Streckung der Hinterbeine parallel dieser Axe und
straffe Spannung der Schwimmhäute; dabei sind die Vorderbeine an die Brust an¬
gezogen und gekreuzt.
4. Wird der Versuch längere Zeit fortgesetzt, so verliert das Thier sein
Gleichgewicht und sinkt mit dem Rücken nach unten.
5. Die Compression, welche durch Contraction der Brust- und Bauchmuskula¬
tur auf die Lungen ausgeübt wird, presst deren Inhalt an Luft in Eorm von Bla¬
sen aus.
Es schien mir von Interesse, den Versuch auch mit Fischen zu wiederholen,
deren mit einer Schleimschichte und mit Hornplatten bedeckter Körper, wie man
a priori annehmen könnte, dem Durchgänge der Electricität ganz besondere Wider¬
stände darbieten muss- Ich brachte zu diesem Zwecke eine Schleie von 1 Kilo¬
gramm Körpergewicht in das Wännchen und beobachtete:
1. Bei den niedrigsten Graden der Schlittenstellung gibt der Fisch kein deut¬
liches Zeichen, dass ihn der Strom berührt.
2. Bei langsamem Vorschieben des Schlittens auf höhere Grade lebhaftes
Arbeiten mit Schwanz und Flossen, ohno dass er seinen Ort verlässt.
3. Bei weiterer Steigerung der Stromstärke wird der Fisch auf die Seite
gezogen — Verlust des Gleichgewichts — und damit beginnt eine Serie von
Befreiungsversuchen, die damit endet, dass derselbe aus dem Wännchen
springt.
Nach den Versuchen zeigten sich die Thiere während kurzer Zeit sehr er¬
mattet.
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Prüfte ich dieselbe Stromstärke, welche die Schleie aus der Wanne trieb,
durch Eintauchen meiner Hand, so fühlte ich nur ein schwaches Prickeln, brachte
ich dagegen den ganzen Vorderarm hinein, so wurden nicht nur sofort die
Beuger der Hand und Finger krampfartig contrahirt, sondern der Strom verur¬
sachte auch eine so „gewaltig donnernde und tosende“ Empfindung, dass es mir
unmöglich war, sie länger als einige Augenblicke auszuhalten.
Da diese Versuche nur bewiesen, dass sich das electrische Bad für Kinder
herstellen lässt, ohne dass man ihren Körper in den Kreis der Kette einschliesst,
schritt ich nun auch zu solchen mit einer Wanne, in welcher Erwachsene be¬
quem zu baden vermögen. Hier erwies sich mein nur für pathologische Zwecke
berechneter Faradisationsapparat zu schwach, dagegen bewährte sich ein Ruhmkorff -
scher Condensationsinductor so vollkommen, dass ich beim Vorspannen von blos
zwei ffurwenschen Elementen nur die Hälfte seiner Leistungsfähigkeit zu ertragen
vermochte.
Die auf solche Weise bereiteten electrischen Vollbäder müssen, weil sie den
Körper in allen seinen einzelnen Elementen durchsetzen, der Lösung einer grossen
Anzahl physiologischer und pathologischer Fragen rufen. Wie verhält sich in den¬
selben die Herzthätigkeit ? wie die Oxydation des Blutes und die Kohlensäureaus¬
scheidung ? wie die Secretion von Urin und Galle ? Wird die Zuckerausscheidung
beim Diabetes mellitus, die Ausscheidung von Eiweis bei der Brighi sehen Nieren¬
entartung beeinflusst? Welche Indicationen ergeben sich überhaupt für die An¬
wendung der electrischen Bäder mit dem constanten wie mit dem faradisirenden
Strome ?
Wenn ich leider auch nicht im Stande bin , selbst nur auf eine einzige dieser
Fragen zu antworten, so vermag ich doch nicht daran zu zweifeln, dass, — bei
der grossen Bedeutung, welche heute der Electricität in der Heilkunde zukommt,
— sich bald gewiegtere Forscher als ich finden werden, um uns eine Einsicht in
die durch das. electrische Bad bedingten Veränderungen zu verschaffen, welche in
den Leistungen der organischen Functionen vor sich gehen.
Die zürcherische Pockenstatistik.
Eine Antikritik von Dr. C. Zehnder in Zürich.
(Schluss.)
Nach Erledigung dieser Hauptfrage hätte ich wohl Lust, die Angriffe Yogi 's
auf die Brunner 'sehe Schrift noch etwas näher zu beleuchten und die bedenklichen
Blossen, die er sich dabei gibt, zu enthüllen; allein ich darf den Raum dieser
Blätter nicht zu sehr in Anspruch nehmen, und dessen bedürfte es doch in unbe¬
schränktem Maasse, wenn ich den Winkelzügen einer statistischen Sophistik, die
klare Thatsachen mit ebenso gewandter als willkürlicher Zahlengruppirung zu wi¬
derlegen sich bemüht, allen folgen sollte. Glauben wird ja Herrn Vogt ohnehin
Niemand, dass eine Vermehrung der Pockenfrequenz nicht irgendwie mit der Be¬
völkerungszunahme eines Landes und ebenso mit dem erleichterten und dadurch
zugleich gesteigerten Verkehr innerhalb und ausserhalb desselben in nahem Zu¬
sammenhang stehe; und zu statistischen Spielereien ist die Sache auch zu ernst
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417
Obgleich nun aber Prof. Vogl erklärt, dass wir von Neuem wieder an die Un¬
tersuchung der Impffrage gehen und „von Neuem das vorhandene Material, soweit
cs brauchbar, nach richtigen statistischen Grundsätzen bearbeiten“ müssen, um zu
einem Urtheil über die Schutzkraft der Impfung zu gelangen$ trotzdem dass er
selbst das bescheidene Geständniss abzulegen sich entschliesst: „Ich weise nur,
dass ich wenig davon weiss und daher sehr befähigt bin, etwas noch darin zu
lernen“, ist er doch sofort bereit, sich jedem Vorgeben zur Beseitigung des Impf¬
zwanges anzuschliessen. Dann aber will er sich die Mühe nicht verdriessen
lassen, die Frage über den Grad und die Dauer der Schutzkraft der Impfung einer
Lösung entgegenzuführen. Vorerst beseitige man eine Institution, die uns unmittel¬
bar die Mittel in die Hand gäbe, die Frage auf statistischem Wege zu lösen; dann
gehe man an die Lösung derselben. In Deutschland freilich macht man’s anders.
Dort hat man den Impfzwang eingefdhrt und wird mit Hülfe einer consequenten
Durchführung desselben ohne Zweifel binnen wenigen Jahren dazu kommen, den
Impfgegnern allen durch die statistische Methode „Schach und Matt“ zu bieten.
Und doch führen beide Wege zum Ziele: der Forsche kann uns nur einige tausend
Menschenleben mehr kosten.
Vogl rechtfertigt seine oppositionelle Stellung zum Impfzwang damit, dass man
„durch Festhalten an demselben die gänzliche Beseitigung eines werthvollen Schutz¬
mittels durch die Bevölkerung einfach erzwinge“ : der Stein sei nun einmal im
Rollen und nehme eine immer beschleunigtere Bewegung an. Wie er auf einmal
dazu kommt, die Impfung ein „werthvolles Schutzmittel“ zu nennen, sehe ich nicht
recht ein. Er behält sich die Untersuchung ja erst vor, ob sie diesen Namen ver¬
diene. Wenn er sich nun aber den Anschein geben will, dass er den Impfzwang
nur bekämpfe, um die Impfung gegenüber dem „berechtigten Misstrauen der Be¬
völkerung“ zu retten, so haben wir wohl ein Recht, ihn zu fragen: wer ist es,
der den Credit der Impfung selbst am meisten zu untergraben droht? Ist es der
Dr. Oidlmann , „Arzt und Fabrikant in Linnich“ (bei Aachen), der „die wankenden
Grundpfeiler des Impfzwanggesetzes“ vollends umzustürzen droht ? Ist es der gut-
müthige Dr. Bruckner in Basel, der Grippe, Keuchhusten, Asthma, Typhus, Harn¬
ruhr. Kurzsichtigkeit, Taubheit, ja sogar alle möglichen moralischen Gebrechen
von der Impfung her leiten zu müssen glaubt? Ist es Freund Scheuchzer , der seine
etwas schadhaft gewordene Popularität mit Ammenmärchen auszubessern sich be¬
müht und Anti-Impfliedlein für seine Wochenzeitung dichtet? Ist es Dr. Meyner in
Chemnitz, der volle 251 Zeugnisse gesammelt und in einem „II. Hilferuf“ dem
„hohen deutschen Reichstag“ vorgelegt hat, um ihn zur Wiederabschaffung des
verhassten Impfzwangs zu bewegen — Zeugnisse, die freilich ein ganz bedenkliches
Licht auf den Stand seines ärztlichen Wissens werfen ? Ist es der Dr. Schalter , der
von Stuhlweissenburg aus „aus Mitleid für die Millionen an der criminellen In-
oculation und identischen Vaccination schon Verblichenen“ gegen die „furchtbare
Impfzwangsseuche“ Lärm schlägt? Oder gar der Dr. Ebersold, der in den Pocken
nichts Anderes erkennt, als Unreinigkeit der Haut, verwandt mit Krätze, Läusen
und anderem Ungeziefer — von Nitlinger , Zopfi , Nagel und anderen Veteranen der
würdigen Armee nicht zu sprechen?
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Sie Alle mögen wohl einen Bruchtheil der ungebildeten Masse in Harniseh zu
jagen im Stande sein ; nicht so die Gebildeten, denen die Phrasenhaftigkeit aller
dieser Leute, die Hohlheit ihrer Argumente nur ausnahmsweise zu imponiren ver¬
mag. Wer aber in der That auch unter Diesen Zwietracht säen, wer selbst jün¬
geren, unerfahrenem Collegen das „Dogma“ der Schutzkraft der Impfung verdäch¬
tigen, wer den jungen Nachwuchs des ärztlichen Standes in der Werthung dieses
Dogma’s allmälig irre machen und ihnen den verhängnissvollen Zweifel mit in die
Praxis geben kann, das ist der Mann, der von der Regierung von Bern vor kurzer
Zeit erst an den Lehrstuhl der Hygieine und Sanitätsstatistik berufen wurde — schon
allein vermöge der Autorität, die ihm diese Stellung gibt. Herr Vogl hat seine
„recht lieben Freunde und Collegen“ nicht hören wollen, als sie ihn davor warn¬
ten, seine doch offenbar noch nicht abgeschlossenen Ansichten über Impfung laut
kund zu geben; er hat es sehr eilig gehabt, der ungeheuren Mehrzahl der Aerzte
den Handschuh hinzuwerfen.
Wenn mir darum nicht einfallen kann, ihn oder irgend Einen jener fanatischen
Gegner der Impfung vom Werthe, ja von der NothWendigkeit des Impfzwanges
zu überzeugen, so kann ich doch nicht an dieser Frage Vorbeigehen, ohne der
ziemlich zahlreichen Collegen zu gedenken, die in jener Urabstimmung unter den
Schweizerärzten für die Impfung ihr entschiedenes „Ja“ in die Urne gelegt, da¬
gegen ebenso entschieden gegen den Impfzwang sich ausgesprochen haben. Ich
will den Motiven nicht nachfragen, die sie dazu bewogen — sie sind ja grössten-
theils bekannt 1 — ich will auch die constitutioneile Frage nicht erörtern, ob der
Impfzwang eine administrative Maassregel bleiben darf oder ob er nothwendiger
Weise als ein legislatorischer Act dem Entscheide durch das Volk unterworfen
werden sollte. Es würde mich das auch zu weit führen. Fragen wir uns hier viel¬
mehr nur, was die Folge der Aufhebung des Impfzwangs in denjenigen Cantonen
sein wird, in denen er vor Jahrzehnten schon eingeführt und seitdem festgehalten
worden ist. Wird das „werthvolle Schutzmittel“ der Impfung selbst, wie Vogt
glaubt, dadurch gerettet werden? Vielleicht für die Denkenden in unserm Volke,
die sich durch die immer eifriger geschürte Agitation allein nicht beirren lassen
werden. Die grosse Menge dagegen, welcher hygieinische Fragen überhaupt noch
neu sind, wird sich den Rückzug, den die Staatsgewalt damit antritt, nicht anders
reimen können, als indem sie annimmt, es müsse an all’ den nimmer ruhenden
Angriffen auf die Impfung eben doch was Wahres sein. Sie fängt an zu zweifeln
und wird in diesen Zweifeln bestärkt — durch das Schweigen der Impffreunde.
Oder glaubt man denn, ein Jeder von uns, er mag noch so warm und überzeu¬
gungstreu dem Impfdogma anhängen, werde es nicht schliesslich satt bekommen,
gegen den Fanatismus der Impfgegner anzukämpfen und sich in ihren Conventikeln
wie in öffentlichen Blättern den Vorwurf der „Vergiftung des Menschengeschlechts“,
der „Fälschung der Statistik“, ja der schmierigsten Gewinnsucht an den Kopf
werfen zu lassen? Glaubt man, es könnte nicht Mancher von uns endlich müde
werden, seine Ueberzeugung immer und immer wieder Denjenigen gegenüber gel¬
tend zu machen, die, sei es aus Gleichgültigkeit, sei es aus bewusster Abneigung,
ihre Kinder der Impfung entziehen, sobald einmal der Staat, der vor Allem auch
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die Unmündigen za schützen hat, durch Abolition des Impfzwangs das Misstrauen
gegen die Impfung selbst nährt und immer weiter sich verbreiten lässt? Und ist
das Impfgeschäft an sich nicht schon ein so überaus lästiges und zeitraubendes,
dass gar Viele froh sein werden, nicht länger damit behelligt zu sein?
So wird denn die Vaccination gar bald nur noch ein Privilegium der Gebildeten
und Reichen sein, bis eine neue Epidemie an unsere Thore klopft. Dann aber, wenn
einmal Scenen, wie ich sie selbst, Gott Lob! nur selten, allein eben doch gesehen,
Scenen, die sich tief in mein Gedächtniss eingeprägt haben, alltägliche werden, wo
die Mutter, die noch vor wenigen Tagen das engelgleiche Gesichtchen ihres ein¬
zigen Randes mit Küssen bedeckte, sich nun mit Ekel von dem durch Eiterpusteln
entstellten Jammerbilde abwendet, wo die treue Gattin händeringend uns anfleht:
um Gottes Willen nehmt meinen Mann ins Pockenhaus, ich halte es in diesem
Pestgeruche nicht mehr aus! — wenn die Krankenhäuser sich füllen und der Tod
in seiner hässlichsten Gestalt ein Opfer nach dem andern dahinmäht; dann werden
sie herbeieilen, sie Alle, die die Impfung für Überflüssig, ja für schädlich hielten;
sie werden uns beschwören: rettet uns, rettet unsere Kinder durch eure von uns
in trauriger Verblendung verschmähte Lancette! Gebe der Himmel, dass bis dahin
Herr Prof. Vogt mit seinen Züchtungsversuchen an’s Ziel gelangt sei, um uns aus
der Misere der Lage, in die uns seine Dialectik gebracht, dannzumal herauszu¬
helfen !
Zeit voller Widersprüche! Seit Kurzem erst reichen sich die Besten unter uns
die Hände, um, nicht mehr zufrieden mit den leider oft so precären Erfolgen ihrer
Thätigkeit am Krankenbette, das Volk und vor Allem den Armen und Gedrückten,
dem der Himmel nichts weiter als ein paar gesunde Glieder mit in’s Leben ge¬
geben, vor Schädigung doch dieses Angebindes mit allen Mitteln privater und
öffentlicher Gesundheitspflege zu bewahren; und eben schickt sich der Mann, der
vermöge seiner Stellung Einer ihrer Führer sein sollte im Kampfe gegen all’ die
feindlichen Mächte, die Gesundheit und Leben bedrohen, an, die Flinte in’s Korn
zu werfen, um jenen Mächten mit Nadelstichen auf den Leib zu rücken! Und
warum? Der Herr Professor der Gesundheitspflege ist zugleich auch Lehrer der
Sanitätsstatistik! Wie kann er es dulden, dass man in den medicinischen Schulen
so oberflächlich Statistik treibe? Vertrauend auf die Macht der Thatsachen haben
die Aerzte alle, die „nun 7 Decennien lang Millionen um Millionen geimpft haben“,
ohne eigentlich zu wissen, was sie thun ^?), zugleich versäumt zu rechnen statt
blos zu zählen. Dieses crimen lteste majestatis muss gesühnt werden! Was hat
es auf sich, wenn der Empiriker sagt: die Pocken sind dieselbe scheussliche Krank¬
heit geblieben; wir haben sie durch unsere Impfung nur eingedämmt ? Was, wenn
er dem Staate sagt: wenn du den Impfzwang aufheben willst, so erweitere vorher
doch deine Spitäler, deine Blindenanstalten, halte dich jedes Jahr einmal auf
Schliessung deiner Schulen gefasst und wenn du sie wieder öffnest, wirst du die
Reihen des zur Förderung deiner Ziele heranwachsenden Geschlechts gelichtet
finden, wie sie in früheren Jahrhunderten so oft durch mörderische Seuchen ge¬
lichtet worden sind? Was, wenn er an den deutsch-französischen Krieg erinnert,
wie schlimm da die Pocken in der französischen Armee gehaust, wie sorgfältig
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sie die revaccinirten deutschen Armeen verschont haben, und wie einst nach Wie¬
deraufhebung des Impfzwangs auch unsere Armee, für deren Kriegstüchtigkeit all¬
jährlich Millionen decretirt werden, dasselbe Schicksal ereilen kann ? Die moderne
Sanitätsstatistik weiss das Alles besser, nur stolpert sie dabei gelegentlich über
ihre eigenen Füsse. Doch! haben die Aerzte überhaupt ein Recht, in dieser Frage
noch gehört zu werden, sie, die ja offenbar Partei in Sachen sind ? Soll die Impf¬
frage ihrer Domäne nicht besser ganz entzogen werden? Was verstehen sie von
„Wirkungen fermentartiger Substanzen im Blute und deren Abänderungen“? So
frägt der Chemiker. Wie wollen sie die Impffrage zu lösen sich erkühnen, ohne
hiezu Stuart Milt s Logik als Leitfaden an die Hand zu nehmen ? — frägt der Scho¬
lastiker. Und wenn ich Diesem zu erwidern mir erlaube : wahrhaftig, lieber Mann!
„mehr Dinge gibt’s im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt“
— flugs erscheint eine neue Hülfstruppe auf dem Plan, Naturärzte ihres Zeichens,
Wasserdoctoren und Homöopathen. Sie wollen uns als die geschworenen Feinde
seiner Gesundheit allem Volke denunciren. Doch nür gemach 1 Prof. Vogl sagt
irgendwo in einer inedirten Epistel: „Das Volk pflegt sich schwer an den Ver¬
breitern verhängni88voller Irrthümer zu rächen!“ Lassen wir’s darauf ankommen,
wer einst unter uns die Wahrheit dieses Spruches an sich selbst erfahren wird! *)
V ereinsberichte.
III. Vereinigte Versammlung des ärztlichen Central-Vereins und der
Socidte mddicale de la Suisse romande
Samstag den 19. Mai 1877 in Bern.
Präsident: Dr. Sonderegger, Schriftführer: Dr. Kaufmann.
(Fortsetzung.)
IV. Dr. Müller , Apotheker (Bern): Ueber die Ankündigung und den
Verkauf von Geheimmitteln.
Dr. Müller bemerkt: „Als Referent über die Geheimmittelfrage glaube ich zu¬
nächst darauf aufmerksam machen zu sollen, dass ich wohl heute nicht mehr den
gleichen Standpunct einnehmen kann, der mir vor einem halben Jahre in der Ver¬
sammlung in Olten angewiesen war. Nachdem die schweizerische Aerzte-Commis¬
sion den Gegenstand aufgenommen, einlässlich berathen und die Zielpuncte der
für jene erste Berathung aufgestellten Thesen in einer förmlichen Eingabe an die
Cantonsregierungen, behufs Anregung eines Concordates zu gleichmässigem Vor¬
gehen in der Sache zusammengefasst hat, kann es sich nur mehr um die Berathung
respective Genehmigung dieses Entwurfes einer Eingabe an sämmtliche Cantons¬
regierungen handeln, welche im „Correspondenz-Blatt für schweizer Aerzte“ mit-
getheilt und damit zur Kenntniss eines jeden der Theilnehmer an der heutigen
Versammlung gelangt ist. '
Das erspriessliche, sehr verdankenswerthe Vorgehen der Aerzte-Commission
hat die Anerkennung der eidgen. Oberbehörde in einer Weise gefunden, dass an
•) Um die vielen vorliegenden Manuscripte nun unverzüglich zum Abdruck bringen zu können,
aehliessen wir biemit vorderhand die Acten in dieser Frage. Red.
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einem glücklichen Erfolg des beabsichtigten Schrittes nicht gezweifelt werden kann.
Ihr Referent betrachtet sein Mandat als erloschen. Nur glaubt er auf eine noth-
wendige Ergänzung der Anträge bezüglich des Verkaufes von Arzneiwaaren auf¬
merksam machen zu sollen, die nach seiner Ansicht mit dem Unterdrücken der
Annoncen Hand in Hand gehen sollten.
Mit vollem Rechte erwähnt unsere Project-Eingabe, dass die moderne natur¬
wissenschaftliche Medicin sich grundsätzlich abwende von der mittelalterlichen
arabischen Apothekenwirthschaft, welche dem classischen Alterthum unbekannt
war. An dieser Stelle liegt in dem Ausspruch eine Verurtheilung der heutigen
Pharmacie, und betrachten wir die thatsächlichen Verhältnisse, unter denen dieser
Zweig des Medicinalwesens täglich mehr seiner ursprünglichen Bestimmung entrückt
wird, so drängt sich dem unbefangenen Beobachter sofort die Ueberzeugung auf,
auch hier ist Reform eine Nothwendigkeit. Es drängt sich ihm alsbald die Frage
auf: Ist überhaupt die Pharmacie noch existenzberechtigt und fähig? Bedarf dio
heutige naturwissenschaftliche Medicin noch besonderen Studiums der Chemie,
Physik, Botanik und Naturgeschichte überhaupt, der Pharmacognosie und endlich
der Arzneibereitung von kunstgerechter Hand, oder kann sie dies dem Zufall an¬
heimstellen? Eine vielsagende Antwort auf diese Frage finden wir iu dem erfreu¬
lichen Bestreben, allerorts die Forderungen wissenschaftlicher Ausbildung der
Pharmaceuten zu erhöhen. Kein practicirender Arzt wird es verneinen, dass er
die gut geführte Apotheke als wesentliches Mittel zum Erreichen seiner Zwecke
bedarf. Der unterrichtete Apotheker, ausgerüstet mit den Hülfsmitteln seiner Wis¬
senschaft, soll dem wissenschaftlichen Arzte ermöglichen, unbesorgt in seiner rei¬
chen Materia medica zu schalten und zu walten. Hierin allein liegt genügende
Existenz-Berechtigung der Pharmacie. Geben wir diese zu, so . handelt es sich
darum, die Bedingungen dieser Existenz, die gegenwärtig vom Untergang bedroht
sind, Zeitgemäss zu ordnen und aufrecht zu erhalten. Zeit und Aufgabe der heu¬
tigen Berathungen gestatten nicht näher auf diesen Gegenstand einzugehen. Eine
dieser Bedingungen steht mit der Geheimraittel-Polizei im engsten Zusammenhang
und darf daher hier Erwähnung finden. Es ist die Verhinderung der alles Bedürf-
ni8S überschreitenden Errichtung neuer Apotheken an verschiedenen Orten, selbst
in solchen Cantonen, in welchen klare und deutliche Gesetzesbestimmungen bestehen,
unter welchen nur die Errichtung von Apotheken gestattet ist, ohne dass dieser
Bestimmung Rechnung getragen wird, gestützt auf § 31 der neuen Bundesverfas¬
sung, der den Grundsatz der Gewerbefreiheit proclamirt. Dieser Paragraph sollte
doch wohl nicht aussprechen, dass fortan ein Jeder treiben könne was er wolle,
sondern es wird nach wie vor einem Gewerbegesetz Vorbehalten bleiben, diejeni¬
gen Beschränkungen im Gewerbebetrieb eintreten zu lassen, die das öffentliche
Wohl gebieterisch fordert.
Die Gesetzesbestimmungen vieler Cantone, die Einrichtung und Betrieb der
Apotheken reguliren, müssen zuvor aufgehoben werden, bevor neue Apotheken
entstehen, die diesen Bestimmungen kein Genüge geleistet haben, sonst wäre die
Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz eine leere Phrase und Garantie durch die
Apotheker eine Illusion.
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Apotheken, deren Recepturgeschäfte nicht zum Unterhalt einer Familie in be¬
schränktester Weise genügen und denen durch Missachtung aller Gesetzesbestim¬
mungen über den sog. Handverkauf der Arzneiwaaren die öconomische Existenz
abgeschnitten ist, müssen naturgemäss zu den Schlupfwinkeln des Specialitäten-
und Geheimmittelhandels herabsinken. Es werden Zustände begünstigt, denen der
hochachtbare Stand der Aerzte, von Pflichtgefühl geleitet, ein Halt entgegenzu¬
rufen sich anschickt, Zustände, die im Mittelalter, nur in etwas veränderter Form,
das öffentliche Wohl gefährdeten und zur Errichtung der Apotheken führten. Der
Grundgedanke war damals so richtig als heute, nur vergesse man nicht, was der
Fortschritt in den Wissenschaften, in der Emancipation der Volksmassen und die
den Zeitverhältnissen sich anpassende moderne Staatsgewalt in diesem Falle for¬
dern müssen.
Gelingt es durch den beabsichtigten Schritt der Aerztecommission, dem An¬
noncenunwesen nach Möglichkeit zu steuern, so ist allerdings eine Hauptstütze des
Specialitäten- und Geheimmittelunwesens umgeworfen. Gelingt es ferner, die Phar-
macie dem Nothstand zu entreissen, in den sie nicht durch den Gesetzgeber, son¬
dern durch die Unterlassungssünde des Gesetzesvollstreckers verfallen ist, so wird
ein natürliches Vermittclungsglied zwischen den Bestrebungen der naturwissen¬
schaftlichen Medicin, der öffentlichen Gesundheitspflege, der Hygieine im Allge¬
meinen, mit dem Volke gewonnen und damit dem öffentlichen Wohle wirksam ge¬
dient sein.
Ich glaube mich nun nicht von dem Zweck und dem Sinn und Geiste der vor¬
liegenden Eingabe an die Cantonsregierungen zu entfernen, wenn ich mir erlaube,
an die hochverehrte Versammlung den Antrag zu bringen: Es möge im Falle
der Genehmigung der vorliegenden Eingabe an die Cantonsregierungen neben den
Maassregeln gegen die Ankündigungen der Geheimmittel auch auf die NothWen¬
digkeit hingewiesen werden, die bestehenden Gesetzesbestimmungen über Arznei¬
verkauf und das Apothekenwesen überhaupt mit der neuen Bundesverfassung in
Uebereinstimmung zu bringen.
In Deutschland, wo die Reichsverfassung der Gewerbefreiheit die breitesten
Grundlagen gewährt, wird wahrscheinlich in der nächsten Session des Reichstages
die Apothekerfrage im Sinne des Concessionssystems geregelt werden. Dort stehen
die Einzelstaaten in gesetzgeberischer Beziehung in ganz ähnlichem Verhältnisse zur
Reichsverfassung, wie hier die Cantono zur Bundesverfassung. In Elsass-Lothrin-
gen sind provisorische Maassregeln ganz in diesem Sinne zur Ausführung gekom¬
men und selbst in Frankreich erheben sich gewichtige Stimmen für Reformen des
Apothekenwesens nach deutschem Muster.
Keine Zeit könnte günstiger sein als die gegenwärtige für Anstrebung bezüg¬
licher Reformen. Mühevolle und vortreffliche Vorarbeiten sind gemacht Die ein¬
schlägigen Fragen sind gründlich und allseitig beantwortet und ist es wohl erreich¬
bar, bedauerlichen Zuständen ein Ende zu machen.
Wenn Sie finden sollten, mein Antrag sei heute inopportun, so begnüge ich
mich damit, mich dahin mit der Aerztecommission zu verständigen, dass Sie Notiz
nehmen von meinem Antrag in ihrem Protocoll.“
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Da die Eingabe der Aerztecommission an die einzelnen Cantonsregiernngen
bereits im Correspondenz-Blatt veröffentlicht worden, wird sie nicht mehr verlesen,
sondern sogleich die Discussion eröffnet.
Es verlangt zuerst Dr. Guillaume (Neuenburg) das Wort. Er betont, dass
das Concordat betreffs Geheimmittelschwindel auf viele Schwierigkeiten stossen
werde. Zunächst begegnet es Schwierigkeiten bei der Ausführung: die Presse,
welcher aus den Anzeigen von Geheimmitteln so bedeutende Einnahmen zufliessen,
möchte kaum geneigt sein, so ohne weiteres den hier vorgeschlagenen Anträgen
beizutreten. Die Hauptschwierigkeit aber besteht in den Vorurtheilen, welche in
der Oeffentlichkeit bestehen. Tief eingewurzelt ist im Volke der Aberglaube zu
den Geheimmitteln und dieser sollte vor Allem ausgerottet werden. Die einzige
Waffe hiefür ist die Bildung und Redner beantragt, durch geeignete Persönlich¬
keiten, ähnlich wie dies die wissenschaftlichen Gesellschaften England’s z. B. in’s
Werk gesetzt, populäre Wander-Vorträge halten zu lassen und so dem Volksaber¬
glauben zu begegnen.
Prof. Schär (Zürich): Es seien mir einige Worte gestattet als Vertreter des
schweizerischen Apothekervereins. Sie enthalten nur die wärmste und intensivste
Empfehlung des im Wurfe befindlichen Schreibens an die Cantone. Das Geheim¬
mittelwesen überhaupt betrifft das gesammte Medicinalpersonal der Schweiz und
berührt in besonders naher Weise die Pharmacie in verschiedener Richtung. Es
ist kein Zweifel dafür, dass der Geheimmittelschwindel der Gegenwart ein grosser
und unerlaubter ist, ein Krebsschaden genannt werden muss und dass wenn auf
einer Seite die neuere rationelle charakteristische Richtung der Medicin in der
Vergeistigung der alten Materia medica liegt, auf der andern Seite die unbedingte
Aufforderung besteht, gegen die Geheimmittel vorzugehen. Und nehmen Sie die
Versicherung hin, dass die schweizerische Pharmacie, d. h. alle einsichtigen, wohl¬
geschulten und das Interesse und die Stellung ihres Standes hochhaltenden Phar-
maceuten mit dem ärztlichen Centralverein einig darin gehen werden, zur Annul-
lirung dieses öffentlichen Unfuges Hand zu bieten.
Ich möchte aber auch beifügen, dass hier ein Punct gekommen ist, in welchem
das gemeinsame Vorgehen des gesammten ärztlichen Personales geboten ist. Wenn
irgend eine Frage ist, so ist es diese, wo Pharmacie und Medicin Hand bieten
müssen, jene gewaltigen Schwierigkeiten zu überwinden, welche nach dem Inkraft¬
treten des Concordates auftreten werden. Ich glaube Ihnen aber die Versicherung
geben zu müssen, dass die schweizerische Pharmacie die schweizerische Medicin
wirksam unterstützen wird und möchte Ihnen an’s Herz legen, die einleitenden
Schritte zu fördern und die Circulare an die Landesregierungen möglichst bald zu
erlassen.
In der Abstimmung werden folgende 2 Anträge einstimmig zu Beschlüssen
erhoben:
1. Die Motivirung und Forderungen des vorliegenden Entwurfes eines Concor¬
dates gegen Geheimmittelschwindel werden von der heutigen Versammlung ange¬
nommen.
2. Die Aerztecommission ist beauftragt, sich mit dem eidg. Departemente des
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Innern in’s Einverständniss zu setzen und dasselbe, soweit gewünscht wird, in Aus¬
führung des Concordates zu unterstützen.
Die Anregung des Herrn Dr. Guillaume bezüglich der Wandervorträge wird der
Aerztecommission überwiesen.
Auf Ersuchen des Präsidiums ergreift Herr Kummer , Director des eidg. stati¬
stischen Bureau, das Wort: Er verspricht, zunächst den Wunsch des Herrn Prof.
Vogl , dass bei Anführung der Todesfälle an Phthise auch auf die Höhe Rücksicht
genommen würde, bei den nächsten Publicationen soweit möglich zu berücksichti¬
gen. Da die Materialien für das statistische Bureau noch nicht in der Weise ein-
gehen, wie es wünschbar ist, um recht verwendbare Resultate zu liefern und na¬
mentlich einzelne der Bergeantone hinter den anderen zurückstehen, so möchte
Redner die ärztlichen Cantonaivereine auffordern, nach dieser Richtung hin ihr
Möglichstes zu thun, dass diesem Uebelstande abgeholfen wird.
Eine dritte Bemerkung betrifft die Jahrespublicationen des statistische» Bu-
reau’s, es werden diese einen stattlichen Band bilden. Sie können deshalb dem
Correspondenz-Blatt nicht einverleibt werden, und auch der Bund kann für Druck¬
arbeiten nicht so viel verwenden, dass sie gratis abgegeben werden könnten. Red¬
ner macht nochmals darauf aufmerksam, dass bei Bestellung noch im Laufe dieses
Monates diese so wichtigen Jahrespublicationen zu Fr. 2 bis 2. 50 durch das stati¬
stische Bureau abgegeben werden, während sie später im Buchhandel 9—10 Fr.
kosten werden.
Dr. Burchhardt-Merian hält dafür, es wäre besser die vierteljährlichen Bulletins
fallen zu lassen und nur Jahres-Bulletins zu veröffentlichen, da letztere viel werth¬
voller seien.
Herr Director Kummer spricht sich schliesslich dahin aus, dass, gestützt auf
die Ansicht seines Vorredners, dass man auf die Jahrespublicationen mehr Werth lege
als auf die vierteljährlichen, es zweckmässig sei, die vierteljährlichen Publicationen
zu reduciren, hingegen sollten die Bulletins der Seuchen doch wenigstens jeden
Monat veröffentlicht werden.
Es folgt jetzt das letzte Tractandum:
V. Osteitis des Schädels mit Demonstrationen von Dr. Schnyder ,
alt Oberfeldarzt (Weissenburg).
„Es war meine Absicht gewesen“, sagt der Vortragende, „Ihnen die zwei
Präparate schon im Herbste im Anschluss an den interessanten Vortrag des Herrn
Prof. Socin vorzuzeigen. Leider war mir dieses dadurch unmöglich gemacht wor¬
den , dass damals eines der Präparate in der pathol.-anatom. Sammlung in Bern,
wohin ich es s. Z. geschickt hatte, nicht aufzufinden gewesen war.
Was nun jenen Vortrag des Herrn Prof. Socin anbelangt, so werden wohl viele
unter Ihnen mit mir über die Kühnheit erstaunt gewesen sein, mit welcher der
Basler Chirurg in neuerer Zeit die Schädelfracturen behandelt. Und in der That,
wer immer in Sfromeyer’scher Schule aufgewachsen, der musste von der neuen, ein¬
greifenden Behandlungsweise um so mehr überrascht . werden, als die Maximen
Stromeyer 's doch eigentlich kürzlich noch durch die im nordamerikanischen Seces-
sionskriege gesammelten Erfahrungen eine glänzende Bestätigung erfahren hatten.
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- • 425
Freilich darf nicht vergessen werden, dass seitdem Lister erstanden, oder doch
wenigstens bei den Chirurgen populär geworden ist und dass unter dessen Schutze
heutzutage Eingriffe erlaubt sind, die vor einem Jahrzehnt noch zu den äusserst
gewagten gehört hätten.
Nun, in den beiden Fällen, deren Präparate ich Ihnen vorzeige, handelte es
sich nicht um sog. schwere Schädelverletzungen; im Gegentheile, es handelte sich
beide Male um anscheinend selbst leichte Schädelcontusionen, ohne jede macro-
scopische Fissur oder Depression, und in beiden Fällen trösteten sich sowohl die
betreffenden Verletzten als der in dem einten Fall berathene Arzt mit der sprich¬
wörtlichen Dicke des Schweizerschädels. In beiden Fällen aber zeigte es sich, wie
trügerisch dieser Trostgrund ist.
Der erste Fall betraf einen Thierarzt, der die Gewohnheit hatte, jeden Abend
angetrunken nach Hause zu wanken. Bei einem solchen Anlasse fiel er eines
Abends gegen eine Hausecke und schlug sich fast mitten in der Stirne eine bis
auf die Tabula externa eindringende kleine Wunde Der Verletzte achtete seiner
Verwundung nicht weiter; während 18 Tagen ging er nachher ungenirt seinen
vierbeinigen Patienten und seinen Schöppchen nach. Eines Abends aber kam er
mürrischer als gewöhnlich nach Hause, legte sich bald zu Bette und schlief dritt-
halb Tage durch, ohne zu erwachen. Dadurch beunruhigt, Hessen mich die An¬
gehörigen rufen. Die Stirnwunde war fast ganz vernarbt; die durch dieselbe mit
Mühe eingeführte Sonde Hess mich eine circa centimesstückgrosse necrotische Stelle
des Stirnbeins constatiren; der Demarcationsgrabcn war deutlich zu fühlen. Dia¬
gnose und Prognose waren bei diesem localen Befunde und dem tiefen Coma, in
dem Patient lag, bald gestellt. Tags darauf starb derselbe. Die Section erwies:
Necrose der contumdirten Stelle des Stirnbeins und eitrige Osteitis, welche die
ganze DiploÖ auf einen ziemlich weiten Umkreis hin durchsetzt und den Sequester
der äussern Tafel fast zur Lösung gebracht hatte. Auch die innere Tafel war
missfarbig. Zwei Vense diploi’cce, welche aus der mit stinkendem Eiter durch¬
tränkten und theilweise zerstörten Diploe in die Dura sich versenkten, enthielten
Eiter, und in den Gehirnhäuten selbst fand sich ein stellenweise 5 mm. dickes,
fibrinös eitriges Exsudat en nappe über die vordere und obere Fläche des Gehir¬
nes ausgebreitet.
Interessanter noch war der zweite Fall. Er betraf einen Landwirth von hü¬
nenhafter Gestalt und Kraft. Den 15. Februar 1868 wurde er von einigen Bur¬
schen, mit denen er in Streit gerathen war, mit Stöcken über den Kopf geschla¬
gen, so dass der starke Mann zusammensank. Tags darauf ging der Verletzte zum
nächsten Arzte, um sich verbinden und einen Befund ausstellen zu lassen. Letz¬
terer lautete dahin, dass die zahlreichen Schlagwunden der Kopfschwarte ohne
Anstand heilen werden, weiter aber keine Gefahr vorhanden sei.
In der Tbat heilten die Kopfwunden im Verlaufe weniger Tage. Dagegen
stellten sich nach und nach dumpfe Schmerzen im Schädeldache ein, um welche
freilich der Betreffende sich nicht weiter kehrte und die denselben auch nicht daran
hinderten, im Verlaufe des kommenden Sommers sein Heimwesen im Emmenthal
zu verkaufen und im Canton Freiburg sich anzusiedeln. Trotz fortdauernden Kopf-
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Schmerzes stund er den zahlreichen Installationsarbeiten vor und fühlte sich auch
um’s Neujahr noch arbeitsfähig, obwohl indessen die Scheitelhöhe auch auf Be¬
rührung sehr empfindlich geworden war. Endlich zeigte sich daselbst eine breite
Geschwulst Als ich den Kranken im Februar 1869 zum ersten Male sah — er
war zwei Stunden weit zu Fuss nach Freiburg gekommen — fand ich über das
ganze Schädeldach eine grosse, schwappende Geschwulst ausgebreitet, die ich
durch einen seitlichen Einstich eröffnete; weithin war der Schädel vom Pericra-
nium entblösst und die Sonde liess viele sehr rauhe Stellen erkennen. Von dem
Kranken erfuhr ich aber erst ca. 8 Tage später wieder etwas. Es war ihm nach
Eröffnung des Abscesses wieder ganz wohl geworden, so dass er an meine Vor¬
schriften sich nicht kehren zu sollen glaubte. Plötzlich aber kamen dann Convul-
sionen und bei meinem Besuche fand ich den Mann tief soporös und rechtseitig
gelähmt. Ca. 10 Tage später erwies die Obduction Folgendes: Schädeldach äus-
serst blutreich und schwer; noch heute fällt es durch sein grosses Gewicht auf.
Entsprechend der Stelle der grossen Fontanelle findet sich ein ca. frankenstück¬
grosser, unregelmässig gesackter vollkommen gelöster Sequester, welcher durch
die ganze Dicke des Schädels durchgeht. Ringsum fanden sich theilweiso rinnen¬
förmig ausstrahlende Resorbtionsdefecte sowohl auf der äussern als der innern
Tafel; stellenweise bilden dieselben förmliche Schädeldurchbrüche. Interessant
sind besonders zwei flache Resorptionsdefecte der innern Tafel, indem jeder der¬
selben in seiner Mitte auf einem Diploesäulchen einen ganz winzig kleinen Seque¬
ster innerer Tafelsubstanz trägt. Die Dura fand sich rings um die Stelle des ne-
crotischen Processes einerseits fest mit der innern Tafel, anderseits aber auch mit
den unterliegenden andern Hirnhäuten und mit der Gehirnoberfläche selbst ver¬
wachsen, wodurch jener Process gegen die Schädelhöhe hin fast abgegrenzt wurde.
In dieser Verwachsung verlief eine oberflächliche Gehirnvene; sie enthielt Eiter
und längs ihres weitern Verlaufs gegen den hintern linken Gehirnlappen zu fanden
sich einige kleine Abscesschen in den Gehirnhäuten eingeschlossen. Die Spitze
des linken hintern Grosshirnlappens selbst war in einen hühnereigrossen Abscess
verwandelt.
Der ganze Krankheitsverlauf hatte sich einige Tage über ein Jahr hingezogen.
Wenn wir uns nun fragen, wie es kommen kann, dass einfache Schädelcontu-
sionen solche Consequenzen nach sich ziehen können, so wird das nur durch die
Annahme erklärlich, dass stärkere Contusionen Infractionen in den Schädelknochen,
selbst kleine Absprengungen der innern Tafel — man sehe sich die kleinsten Se¬
quester auf den Diploesäulchen wohl an — zur Folge haben. Der Lebensprocess
im Knochen antwortet auf solche Verletzungen mit einer Osteitis , deren Verlauf
und Ausgang grossentheils vom Verhalten des Verletzten und den constitutionellen
Verhältnissen desselben bedingt sein werden.
Wir lernen aus den beiden Fällen von Neuem, dass bei Schädelcontusionen,
namentlich wenn das Pericranium durchschlagen ist, die Prognose immer mit gros¬
ser Vorsicht zu stellen ist, und die Behandlung nie leichtsinnig zu Werke gehen
darf.“
Am Schlüsse der Verhandlungen demonstrirte Dr. Reichenbach (Leuk) einen von
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Dr. OnimuB in Paris erfundenen und von Trouve verfertigten electrotherapöu-
tischen Apparat, einen sog. Interrupteur k mouvemcnt d’horloge-
rie. Die Hauptvortheile dieses ziemlich complicirten Apparates sind:
1. Vermeidung der Tetanisirung.
2. Wegen der vollständig regelmässigen Unterbrechungen (1—8° in der Secunde)
Verminderung der Schmerzen und als Folge davon Möglichkeit der Anwendung
stärkerer Ströme als gewöhnlich.
Hiemit wurde die Sitzung geschlossen, eine kleine Pause gemacht, da es noch
nicht völlig 2 Uhr war, um dann mit aller Energie das letzte Tractandum im Ca¬
sino in Angriff zu nehmen.
('Schluss folgt)
Referate und Kritiken.
1. Klinik der Krankheiten des Kehlkopfes, der Nase und des Rachens.
Von Dr. Carl St<erk , a. ö. Prof. etc. 1. Hälfte, LaryngOBeopie, Rhinoscopie, Krankheiten
der Nase und des Rachens. Stuttgart, bei Enke, 1876.
2. Kritische Streifzllge auf dem Gebiete der Laryngoscopie und Rhinoscopie.
Von Joh. Schnitzler. Wien, Urban & Schwarzenberg, 1876.
Wer zwischen 11 und 12 Uhr durch das Hauptthor des wiener allgemeinen Kranken«
hauses von der Alserstrasse aus in dessen ersten Hofraum eintritt, dann links nach der
ehemaligen Scoda’schen Klinik geht und in diesem einzeln stehenden Gebäude einige Trep¬
pen emporgestiegen ist, wird durch einen verworrenen Lärm überrascht, der aus einem
Saale linkerseits herausdringt Tritt man dort ein, so sitzen in einer Reibe von Bänken
zahlreiche männliche und weibliche „Halskranke“ ; vorne und im mittleren Hauptgange,
an verschiedenen Tischen mit Lampen, grossen Hohlspiegeln, Schusterkugeln armirt, da
„arbeiten“ junge Aerzte, laryngoscopiren die geduldigen Patienten, welche vom Einen
znm Andern gehen ur.d von diesen stammt der heillose Lärm, welcher bald ein ab, , bald
e, bald i durchtönen lässt. Zwischen Aerzten und Patienten durch, bald zu diesem, bald
zu jenem gerufen, dann wieder an der Schultafel zeichnend, eilt geschäftig ein noch jüngerer
lebhafter Mann mit krausem Haar und blondem Bart. Er untersucht, operirt mit bewun¬
derungswürdiger Behendigkeit und animirt die zu Untersuchenden und die Untersucher
mit scharfem hohem e und i zum Intoniren, einer der ersten Bedingungen, um in den
Larynx zu sehen.
Es ist Stärk und seine Kehlkopfklinik. Stärk war Secundararzt unter Türk, der das
Laryngoscop zuerst in Wien anwandte und soit dessen Tode ist er der Altmeister der
laryngoscopischen Zunft in Wien. Es war schwierig, neben seinem gemachten Namen
sich zum Rivalen emporzuschwingen, wie es Schnitzler und Schröller gelungen ist. Trotz
der Ungeheuern Disposition der wiener Bevölkerung zu „Catarrhen aller Schleimhäute“
und des mächtigen verdeckten Elendes , welches für alle medicicischen Disciplinen ein
enormes „Material“ schafft, gelang es dem ersteren, früherem Assistenten Oppolzer’ s, erst
dadurch, sich ein grosses Ambulatorium zu erwerben, dass er im Verein mit Monti u. A.
mitten in der Stadt eine selbstständige Poliklinik schuf, welohe bald eine Menge von
Kranken und auch von Studirenden anzog.
Mit Ausnahme Tobold' s hat seit dem Erscheinen von Türck' s classischer Klinik der
Krankheiten des Kehlkopfes kein deutscher Autor dieses Gebiet in einem zusammenhän¬
genden Werke bearbeitet.*) Begreiflich ist es, dass Störk'B „Klinik der Krankheiten des
Kehlkopfes etc.“, obwohl erst zur Hälfto erschienen, sofort von seinen nächsten Collegen
mit kritischer Schärfe geprüft wurde. Das Resultat der Piüfung hat Schnitzler in den
„kritischen Streifzügen auf dem Gebiete der Laryngoscopie und Rhinoscopie“ veröf¬
fentlicht.
*) Der betreffende Theil des ZiemMen'sehen Werkes ist nach Niederschreibung dieses Referates
erschienen.
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— 4‘28
Ucbeiblicken wir nun mit der Pietät, welche dem Schiller beider Autoren zukommt,
da? Werk Slörk'e und die Schnitzler 'sehe Kritik, so müssen wir vor Allem dem letzteren
beistimmen, wenn er die Klarheit lobt, mit welcher Störk die Hülfsmittel, die Methode
und Schwierigkeiten der Untersuchung darlegt. Wenn Störk dagegen in dem vorangehen¬
den Capitel „Zweck der Laryugoscopie“ die Behauptung begründet findet, dass die Tu-
berculoscnfrage dereinst mit Hülfe des Laryngoscopes ihre endgültige Entscheidung und
Erledigung finden werde,, so halten wir diese Hoffnung für zu sanguinisch. Nicht das
morphologische Studium, wozu allerdings die Beobachtung eines phthisisch werdenden
lebendigen Kehlkopfes viel beitragen kann, sondern der vergleichenden Pathologie und
Histochemie scheint uns der Entscheid in der Tuberculosenfrage Vorbehalten.
Sehr zweckmässig bringt Störk nach der Aufzählung der verschiedenen Lichtquellen
und Kehlkopfspiegel eine kurze Darstellung der Anatomie der Mundhöhle, des Gaumens,
Rachens, dor Nasen- und Kehlkopfhöhle und dann erst schildert er die Technik der Un¬
tersuchung und ihre Hindernisse. Wenn auch seine Schreibweise hie und da nicht ganz
classisch erscheint, so kann doch die Genauigkeit, mit der uns Störk in die Technik der
Laryngo- und Rhinoscopie rin führt, geradezu musterhaft genannt werden.
Dann folgt eine eingehende. Besprechung des physiologischen Verhaltens von Rachen
und Kehlkopf. Dabei allerdings wird Störk'a Schilderung oft umständlich und selbst un¬
deutlich, wie z. B. bei der Erwähnung der Epiglottissenkung in Folge entzündlicher An¬
schwellung der ligg. ary-epiglottic., für welche, beiläufig gesagt, Störk immer die Be¬
zeichnung ligamenta epiglottideo-arytsenoidea (horribile auditul) braucht. Wahr ist es
ferner, dass bei Zerstörung der Stimmbänder die Taschenbänder in unvollkommener Weise
den Ton geben können, doch muss Jeder mit Schnitzler es für einen Irrtbum Störk 's er¬
klären, dass normaler Weise die Bewegungen der falschen Stimmbänder nahezu dieselben
seien, wie die der wahren, und ferner, dass die coutrahirten Taschenbänder auf die
Stimmbänder drücken und durch diesen Druck die Fistelstimme bedingt sei 1 (pag. 56
unten.)
Gane curios ist Störk 's Auffassung der Bedeutung des ventriculus Morgagni. Derselbe
sei ein Schleirohautreservoir für die wahren Stimmbänder, welches denselben eine freiere
Beweglichkeit gestattet und ferner ein Ddpöt für Schleimdrüsen zu Gunsten der drüsen¬
losen wahren Stimmbänder. Wozu denn noch die reichlichen elastischen Fasern in dieser
Gegend! und wie kommt es, dass trotz dieser „Schmierbüchse“ Störk selbst betont, dass
das entzündete Stimmbaod bald wegen Secretmangel (!) oberflächlich ulcerire. Auch die
in dieses Capitel von den „Bewegungen der falschen Stimmbänder“ eingefügte Erklärung
des bellenden Hustens bei Pseudocroup durch entzündliche Stimmbandverdickung ist
kaum richtig, indem wir die Anschwellung der Interaryschleimhaut und die beim Husten-
stoss ungenügende Schlusskraft der entzündeten Stimmbänder für die Hauptfactoren
des bellenden Hustentones ansehen.
Auch das Capitel der Deglutition ist nicht erschöpfend behandelt, indem z. B. die
Bedingungen der Regurgitation von Speisen nach oben, ferner die Compensation des Ver¬
schlusses des Kehlkopfcinganges bei defecter Epiglottis nicht berücksichtigt werden.
Anerkennenswerth ist die Ausführlichkeit, mit welcher Störk auf Tonerzeugung,
Stimme, Stimmlagen und Stimmregister eingeht. Doch ist seine Ausdrucks weise hie und
da wieder schwerfällig und stellt er auch hier wieder die Lehre vom Schleimhautreser¬
voir im ventric. Morgagni auf. Auch lässt er es nicht gelten, dass bei der Fistelstimme
nur der innere Rand und ein angrenzender Streifen, nicht aber die ganze Breite des
Stimmba <des schwinge, sondern sie komme durch eine passive Längsspannung und Ver¬
dünnung desselben zu Stande. Die Richtigkeit der ersteren Erklärung lässt sich aber
jeden Tag nachweisen, wenn die Stimmbandschwingungen während eines hohen Brust¬
tones beobachtet werden; sowie hernach der gleiche Ton mit Fistel gesungen wird, fallen
die Vibrationen des Stimmbandes in ganzer Breite weg und vibrirt nur noch der innere
Rand allerdings in individuell verschiedener Breite. Ueberdies kommt Störk durch diese
Erklärung ganz in Widerspruch mit der früher erwähnten Theorie vom Druck der falschen
auf die wahren Stimmbänder.
Wenden wir uns von diesem physiologischen Abschnitte des Buches, der auch von
Schmlzler nach Inhalt und Form vielfach angegriffen wird, zu dem zweiten Theile , der
uns in die spociclle Pathologie und Therapie der Nase und des Rachens einführt und
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429
berücksichtigen wir dabei zugleich die eben erschienene Arbeit von Dr. Carl Michel in
Cöln über „die Krankheiten der Nasenhöhle und des Nasenrachenraumes“. (Berlin, bei
Hirsch wald, 1878.)
Zweckmässigerweise widmet Stärk der Untersuchung der Nase und ihrer Localthera¬
pie ein eigenes Capitel. Er bedient sich eines metallenen Ohrtrichters oder des Frankel -
sehen Dilatators. Michel zieht dem letzteren das Charriere 'sehe von Voltolini modifleirte
Speculum vor und allerdings lässt sich dieses mit geringerer Belästigung des Patienten
anbringen. Doch ist eine ganz ausreichende Inspection der Nasenhöhle von vorn bis
hinten auch hiedurch gewöhnlich nicht ermöglicht und die Rhinoscopie unerlässlich. Be¬
kanntlich ist bei dieser das Haupthinderniss in der gar zu leicht eintretenden reflectori-
schen Hebung des Gaumensegels nach oben und hbiten gelegen, wodurch dem vom Ra-
chenspiegel nach der Choane reflectirten Lichtstrahl der Weg verlegt wird. Um diese
Hebung unmöglich zu machen, hat man mit Schlingen, Hacken und ähnlichem die Uvula
zu fassen gesucht, ist aber von diesen Mitteln, weil sie gerade das Gegentheil zur Folge
hatten, längst zurllckgekommen. So wird es auch dem von Stärk construirten „Rhinoscop“
ergehen, welches Spatel, Uvulaheber und Spiegel vereint, nach Angabe des Erfinders
selbst jedoch für viele Fälle nicht ausreicht. Scheinbar zweckentsprechender ist Michetn
Nasenrachenspiegel, welcher durch einen Hebel die Neigung des Spiegels zum Stiel zu
verändern gestattet und flach, also ohne Winkelerhebung in den Rachen eingeführt wird.
Durch diese Einfflhrungsweise und die unveränderte Lage des Stieles soll weniger Be¬
rührung und Reflex veranlasst werden. Leider ist aber der Spiegel von polirtem Stahl
und erblindet bald, macht auch bei der ruhigsten Handhabung die Reflexaction des Gau¬
mensegels nicht unmöglich. Wir haben ihn deshalb wieder verlassen und ziehen einen
fast rechtwinklig gestellten Kehlkopfspiegel von Glas vor, geben dem Patienten den
TfcrcPschen Spatel in die Hand, um zwischen der niedergedrückten Zunge und dem hän¬
genden Velum Raum für das Licht zu gewinnen. Sollte alles Einüben fruchtlos sein, so
würden wir zu dem von Stärk versuchten Vorgehen greifen, nämlich durch einen Nasen¬
gang ein Band ein-, hinten um das Gaumensegel herum- und zum Munde herausführen,
und den Patienteh damit sein Velum selbst nach vorn ziehen lassen. Bis heute sind wir
immerhin mit Geduld und Ausdauer auch ohne dieses etwas gewaltthätige HUlfsmittel
zum Ziele gekommen.
Unter den Methoden der örtlichen Behandlung der Nase und des Nasenrachenraumes
gibt Stärk der Einführung von flüssigen Medicamenten vom Mundrachenraum nach den
Choanen, also von hinten nach vorn mittelst eines gebogenen Spritzenansatzes den Vorzug.
Bei Einspritzung von vorne befürchtet er Eindringen des Medicamentes in die Tuba
oder in den Ductus lacrymalis, ein nach unsern Erfahrungen ziemlich unbedeutendes Vor-
kommniss, wenn wenigstens nicht allzu reizende Medicamente angewandt wurden. Michel
befürwortet die Einspritzung von vorne, die ja dem Kranken selbst ohne Beihülfe weit
eher möglich ist, als die Injection vom Rachen aus, und empfiehlt dazu die „englische
Spritze“ mit Ballon und Schlauch, welche die Druckkraft des Strahles besser zu reguliren
gestatte UDd auch auf Reisen bequemer als die Weber 'sehe Douche sei. Wir ziehen diese
letztere wegen der Gleichmässigkeit des Stromes, einfachen Regulirung seines Druckes
mit der Fallhöhe und der Billigkeit halber vor, halten aber genaue Vorschriften für ihre
Handhabung, von welcher Stärk gär nichts sagt, für sehr wichtig. Dass dabei der hin¬
tere Nasenrachenraum abgesperrt und dieser Heilwirkung unzugänglich werde, ist eine
für uns geradezu unverständliche Behauptung von Stärk. Auch die Einbringung gepul¬
verter Medicamente von den Naseneingängen und von den Choanen aus erwähnt Stärk ,
die Pinselungen, Aetzungen mit reinem Höllenstein, wie Schrötter empfohlen hat, oder die
Anwendung der Galvanocaustik, für welche Michel energisch eintritt, bleiben dagegen un¬
berücksichtigt.
Der acute Nasencatarrh wird von Michel eingehender als von Stärk geschil¬
dert. Auffallend erscheint uns des letzteren Behauptung, dass „zuweilen der entzündliche
Reiz von der Choanalschleimhaut auf die des Gaumens sich übertrage und dadurch eine
vorübergehende Lähmung der Gaumenmuskeln bedinge, wodurch in den Bewegungen des
Schlundes und des Trachealrohres eine solche Coordinationsstörung eintrete, dass trotz
offener Glottis sich Erstickungsgefahr einstelle.“ Erstens ist beim Schnupfen die Gau¬
menschleimhaut in der Regel mit Entzündet, zweitens seine Musculatur dadurch kaum
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jemals gelähmt und schliesslich ist nicht einzusehen, wie selbst eine totale Gaumenläh¬
mung an sich Dyspnoe machen sollte! Die Therapie der Coryza, welche man nach diesen
Stärk’echea Erfahrungen für nicht unwichtig halten sollte, wird von ihm kurz und ohne
wesentliche Belehrung für den Leser abgehandelt. Michel ist sorgfältiger und empfiehlt
im Ablaufsstadium Einblasungen von Arg. nitr. 1 zu Talk 20, vom Mundrachenraume
aus. Wir selbst haben durch das Brand sehe Schnupfenmittel oft Coupirung der begin¬
nenden Coryza und im Ablauf die Nasendouche mit 2% Kal. chloric. als sehr nützlich
erfahren.
Ebenfalls sehr kurz wird von Slörk der chronische Nasencatarrh behandelt,
doch widmet er den so häufigen MiterkrankuDgen der communicirenden Höhlen zuvor
noch einen Blick. Und doch sind gerade diese Kranken, welche durch die Beschwerden
der chronischen Coryza zum Specialisten gewiesen werden, so zahlreich und noch zahl¬
reicher die Fälle, in welchen anderweitige „Halsbeschwerden“ auf dieses Leiden zurück-
zuführen sind. Slörk unterlässt es hervorzuheben, dass die meisten Fälle von Oziena auf
chronischem Catarrh der Nasenhöhle und namentlich ihrer Nebenhöhlen beruhen. Dem
ersteren sucht Michel durch Einspritzungen von Kali chlor.-Lösung, durch Aetzung der
hypertrophischen Muscheln mit Arg. nitr., Einblasungen mit Arg. nitr. vom Rachen aus
beizukommen, empfiehlt aber noch viel mehr die Abtragung von Prominenzen und Hyper¬
plasien der untern Muschel mittelst der galvanocaustischen Schlinge. Das Selbstvertrauen
Michel' 8 , jeden Stockschnupfen in wenigen Sitzungen hindurch zu beseitigen, können wir
jedoch nicht gewinnen.
Beiden Autoren gegenüber müssen wir betonen, dass wir gar oft nicht zu beseiti¬
gende constitutionelle oder alimentäre und berufliche Schädlichkeiten als Basis des chro¬
nischen Nasencatarrhes erkannten und damit auch ganz unbefriedigende Resultate der
ausschliesslich localen Behandlung erfuhren. Die Secretverhaltung im Antrum Highmori,
dessen Ausführungsgang am vorderen Ende der mittleren Nasenmuschel, oft auch noch
mitten im mittleren Nasengang mündet, wird nach Stärk in einzelnen Fällen durch Cathe-
trisirung dieses Ganges gehoben oder durch Punction von der Zahnhöhle des vorletzten
Mahlzahnes aus. Michel ist im Unrecht, wenD er diese Affection für „in der Regel bei
Ozeena unbetheiligt“ ansieht. Unsere eigenen Erfahrungen widersprechen dieser Meinung
und wir erzielten durch einfache Nasendouche hier schon sehr günstige Resultate. Auch
Trousseau führt in seiner „Clinique roödicale“ einen ganz exemplarischen Fall dieser Ent¬
stehung von Ozaena an. Auch die Stirnhöhlen, welche unter dem vorderen Ende der
mittleren Muschel in die Nase münden und die Siebbeinhöhlen, die Michel vom hintern
Ende dieser Muschel aus sondirte, dürften nicht nur bei acuter, sondern auch chronischer
und fostider Coryza betheiligt sein. Wenigstens sied Fälle von Hirnabscessen bekannt,
die ihren Ausgang von Entzündungen dieser Höhlen nahmen. Ganz besonders beschuldigt
Michel die Keilbeinhöhlen und Siebbeinzellen als Ausgangsorte von Ozaena, basirend auf
der Art der Verbreitung des Secretes in der Nasen rachenhöhle und der Persistenz des
Uebels auch bei normaler Nasenhöhlenschleimhaut Wir schliessen uns seinen Angaben
an, wenn auch in der Meinung, dass bald diese, bald jene Nebenhöhle als Heerd anzu-
aehen sei. Namentlich anerkennen wir die Richtigkeit der These Micher s, dass der Ozaena
in der Regel keine Ulceration, Knochennecrose etc. zu Grunde liegt
und einer chirurgischen Behandlungsweise nur ausnahmsweise günstige Chancen bietet.
Doch möchten wir constitutionelle Anomalien CTrousseau) als mögliche Factoren nicht ganz
ausschliessen. Die Unmöglichkeit, alle diese Nebenhöhlen ausreichend zu cathetrisiren,
macht die locale Behandlung sehr schwierig. Vergebens Buchen wir bei Stärk eine seiner
Erfahrung entsprechende Wegleitung. Michel betont, und wir schliessen uns an, die con-
sequente Einspritzung mit Sol. Kali chlor. Er lässt die Patienten nach geschehener Ein¬
füllung des Nasenrachenraumes mit dieser Lösung die Nasenlöcher zuhalten und den Kopf
stark nach vorne beugen, wodurch die Flüssigkeit in die Nebenhöhlen dringt, und sah
von dieser Methode günstige Erfolge. Wir fanden neben Kali chlor, eine Solut. von
Acid. salicyl. 1 auf 500 warmes Wasser von vorzüglichem Nutzen. Immerhin konnten
wir, wie Michel , nur langsame Curerfolge nach weisen , und waren — wir betonen dies
beiden Autoren gegenüber — oft zu allgemeiner Behandlung (Eisen, Fischthran) ge-
nöthigt.
Den Fremdkörpern, Rhinolithon in der Nasenhöhle, der Epistaxis, widmet Stärk kurze
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4SI
Capital, die nicht viel Neues bieten, Michel erwähnt, dass er in zwei Fällen den Galvano-
c&utar mit Erfolg als Stypticum angewandt habe.
Beide Autoren behandeln die Operation von Nasenpolypen sehr ausführlich und unter
Beifügung von Krankengeschichten. Michel wendet fast ausschliesslich die galvanocaustische
Schlinge und den Galvanocautcr an, Stärk gebraucht eine Polypenzauge , welche durch
Einfügung eines Gelenkes in den Balken jeder Branche eine Winkelerhebung des Griffes
und dadurch Fassen der Polypen vom Mundrachenraume aus gestattet, oder er behilft
sich mit Drähten, welche er mit der Belloc' sehen Röhre einführt, dann um den Tumor
anlegt und zum Ecrasement verwendet. Ueber die galvanolytische Methode stehen beiden
Autoren keine eigenen Erfahrungen zu Gebote.
Michel behandelt im zweiten Abschnitte seiner lesenswerthen Arbeit die Krankheiten
des Nasenrachenraumes, die Geschwüre, die Hypertrophie der Rachenmander, die Folgen
der Verstopfung der Nasenhöhle und des Nasenrachenraumes, die Veränderung der Stimme
durÄ Geschwülste daselbst, die nasale Sprache und das Verhältniss der Schwerhörigkeit
zu den geschilderten Zuständen. Die Trennung der Nasenhöhlen vom Nasenrachenräume
erscheint uns jedoch nach jeder Richtung für ungerechtfertigt, da pathologisch wie thera¬
peutisch so enge und zahlreiche Beziehungen zwischen beiden bestehen, dass wir Nasen¬
höhle und Nasenrachenraum zusammen als ein Territorium ansehen, wie auch wieder
Gaumen und Mundrachenraum etc.
Stärk wendet Bich nach den Krankheiten der Nase zu denen des Rachens, bringt aber
hier auch die Gaumenkrankheiten, ja sogar Croup, Diphtheritis und Pseudocroup unter¬
hält überhaupt auf genaue Definition dessen, was er z. B. unter „Pharyngitis“ oder
„Angina“ versteht, nicht viel und scheint überhaupt die früher z. B. im KircAotos’chen
Handbuch übliche Anordnung des Stoffes über Bord geworfen zu haben, allerdings zum
Nachtheil seiner Arbeit. Es würde zu weit führen, in jedem Capitel das Zusammen¬
geworfene auseinander zu lesen. Ueberall finden wir einzelne gute eigene Ideen, aber
auch wieder viel Barockes, die classische Harmonie z. B. einer Griesinger' sehen Bearbei¬
tung des Typhus finden wir nirgends. Auch therapeutisch lernen wir für die Behand¬
lung der Gaumen- und Rachenkrankheiten wenig Neues, namentlich ist von einer Berück¬
sichtigung auch der constitutioneilen Behandlung, der Berechtigung der climatischen und
baineotherapeutischen HUlfsmittel nirgends die Rede. Ganz neu iBt Stärk' s Ansicht Uber
das Wesen der Pharyngitis granulosa, welche er als ein Gemisch stellenweiser
Epithelverdickungen und oberflächlicher Erosionen ansieht. Cauterisation mit Lapis, Ab¬
tragung einzelner Prominenzen mit der H'tnlricA’schen schneidenden Kugelzange, frequente
Ausspühlungen mit warmer Milch etc. sind seine Verfahrungsweisen. Eine eigene folli-
culäre Schwellung anerkennt Stärk merkwürdiger Weise nicht, erwähnt aber die adenoiden
Wucherungen am Rachendach, die doch wieder nichts anderes als Lymphfollikelhyper-
plasien sind. Ueber die Mandelschwellung und Entfernung derselben finden wir bei Stärk
sehr wenig. Im Capitel von „Croup und Diphtheritis“ will Stärk y von der Un¬
möglichkeit einer anatomischen Scheidung ausgehend, auch keinen essentiellen Unterschied
zugeben zwischen dem sporadischen nicht infectiösen Croup und der epidemischen con-
tagiös nach aussen und septisch nach innen wirksamen Diphtheritis. Er ist ein entschie¬
dener Freund der Aetzung in loco, aber nicht an bereits necrotisirenden Stellen, sondern
in Fällen, die unter günstigen Umstäuden auch spontan zur Heilung führen. Begreiflich!
Statt reinem Höllenstein empfiehlt er auch Carbolsäure 4—8 grammes auf 15,0 Spir. vini.
Schade,' dass diese Aetzungen gerade in den schwersten Fällen, bei Kindern unter 3 Jah¬
ren, diffusen Exsudaten nicht ausreichend durchführbar sind, ja sogar, dass auch bei iso-
lirten Belägen weder die Ausbreitung der Exsudation auf den Kehlkopf noch ihr Wieder-
wachsthum nach der Cauterisation gehindert wird. Dagegen müssen wir Stärk beipflichten,
wenn er dem lösenden Einflüsse der in so geringer Menge in den Kehlkopf gelangenden
Aq. calcis kein grosses Zutrauen entgegenbringt, ohne dass wir in der Anwendung von In¬
halationen — deren Wasserdampf schon wirksam sein kann — eine nur scheinbar wirk¬
same Behandlungsweise sehen möchten, deren Befolgung „für den Denkenden etwas Ein¬
schläferndes und Abspannendes hat“. Bei croupöser Laryngitis verwendet Stärk äusserlich
kalte Compressen und local Argent. nitr. in starken Lösungen (12% !) oder in Pul Ver¬
mischungen von 1 : 4 Vehikel. Den überschüssigen Höllenstein „neutralisirt“ er durch
Einspritzung von Kochsalzlösung in den Larynx. Eine umständliche Procedur, deren
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Nutzen ausserdem höchst problematisch ist! Von wiederholten Pinselungen des Kehlkopf-
innern mit ganz schwachen Lösungen sahen wir selbst gute Erfolge, welche jedoch we¬
sentlich der mechanisch directen und reflectorisch indirecten Herausbeförderung von
Auflagerungen durch Würgbewegungen zuzuschreiben sind.
So wenig Förderung wir in Störes wichtigstem und ausführlichst gehaltenem Capitel
fanden, so gering ist sie wieder in dem Abschnitte über Pseudocroup. Auffallend ist die
Ansicht dieses Autors über die Wichtigkeit der Tracheotomie auch bei dieser Erkrankung,
eine Operation, die wohl hier zu Lande bei Pseudocroup selten nothwendig erachtet wird.
Ueber Diagnose, Prognose, Unterscheidung febriler catarrhalischer Laryngitis von
Larynxcroup, über die Complicationen bringt Slörk so zu sagen gar nichts. Er stellt sich
in seinen Schilderungen ganz blos auf den „Standpunct des Laryngoscopikers“, wie er
gelegentlich selbst sagt , ein Standpunct von so schmaler Basis, dass sich nach unserer
Meinung auch nicht ein einziges, der laryngoscopischen Verfolgung zugängliches Krank¬
heitsbild blos darauf stützen lässt. Gräfe wäre als Ophthalmologe nicht so hoch gestaiften,
wenn er nicht noch viel mehr Pathologe als „Ophthalmoscopiker“ gewesen wäre.
Auch im Capitel über Syphilis des Rachens und der Nase fehlt die Er¬
wähnung täuschend ähnlicher tuberculöser Geschwüre, die allerdings selten, doch hie und
da isolirt an der hintern Rachenwand oder an der Zunge Vorkommen und, wie wir in
zwei Fällen sahen, dor Lungenphthise vorangehen können. Die Schilderung Slörk 's ist
übrigens in diesem Capitel treffend, seine Ansichten klarer dargelegt. Merkwürdig ist
seine Behauptung, dass alle Geschwüre bei Rachen- etc. Syphilis aus der erodirenden
Papel hervorgehen und doch sind die Fälle nicht selten, in welchen ohne superflcielle
Veränderung aus tuberösen Schwellungen, z. B. der hintern Rachenwand Ulcera „aufbre¬
chen“ , somit aus dem gummösen Knoten entstehen. Nebenbei gesagt, vergass unser Autor
im Capitel der Behandlung spät syphilitischer Zerstörungen das oft brillant wirkende
Decoct Zittmanni zu erwähnen.
Nach der Oztena syphilitica stossen wir auf eine cursorische Besprechung der Ozsena
scrophulosa, welche am ehesten dem Capitel Uber chronischen Nasenrachencatarrh ange¬
fügt würde.
Den eigentlichen Schluss des vorliegenden Bandes der Nasenrachenkrankheiten —
von Angina gangrsnosa, von Tumoren des Gaumens, Neurosen desselben war nirgends
die Rede — bringt Slörk in der Schilderung der chronischen Blennorrhoe, der
Nasen-, Kehlkopf- und Luftrölirensohleimhaut in ihrem Vor¬
kommen in Galizien, Polen undBessarabien. Eine nicht syphilitische,
doch in elenden verwahrlosten Bevölkerungsschichten endemisch herrschende Blennorrhm,
welche bei wenig geschwollener, anssmischer und nicht ulcerirender Schleimhaut beobach¬
tet wird und oft zu tieferen Perichondritiden, Verwachsungen der Stimmbänder führt, fer¬
ner zu Bronchoblennorrboe und Phthisis ähnlichen Zuständen. Die zur Erläuterung bei-
gefügten Krankheitsgeschichten sind sehr belehrend und, wenn es sich auch vielleicht
herausstellen sollte, dass blos endemische entartete Syphilis der Krankheit zu Grunde
läge, so ist es doch ein unbestreitbares Verdienst Slörk’ s, auf diese Volkskrankheit hin¬
gewiesen zu haben.
Die letzten Capitel seines Erstlingswerkes widmet Slörk den Anomalien der Stimme,
der Diphthonie durch halbseitige Lähmung der Stimmbänder etc., ein Gebiet, welches eher
unter die allgemeine Symptomatologie der Kehlkopfkrankheiten als unter die speciellen
Nasenrachenkrankheiten gehört.
Werfen wir, indem wir hier die Besprechung schliessen, noch einen Blick auf
Schnitzler ’s Kritik, so müssen wir leider gestehen, dass dieser zwar scharf und mehr
in’s Einzelne den formellen und sachlichen Schwächen der SWrA’schen Arbeit zu Leibe
geht, dass er aber doch nicht ganz Unrecht hat, wenn er das Buch als hinter seinen Er¬
wartungen zurückgeblieben bezeichnet. Es ist ein werthvoller Beitrag zur Pathologie und
Therapie der Nasenrachenkrankheiten, den wir gerne beratben. Für den Studenten ist
es aber zu lückenhaft, zu sehr „laryngoscopisch“ und zu wenig „medicinisch-klinisch“
gehalten. Hoffen wir auf eine mehr abgerundete und auch stylvollere Bearbeitung des
folgenden Bandes über die Krankheiten des Kehlkopfes und der Luftröhre, in welchem
uns die reichen Erfahrungen und das grosse technische Geschick des vorzüglichen Prac-
tikers viel Neues UDd Gediegenes bringen mögen. Dr. Rud. Meyer-Hüni.
e
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Weissenburg, seine Heilanzeigen und seine Curmittel, zugleich ein FUhrer für den Curgast.
Von H. Schnyder , gew. Oberfeldarzt der schweizerischen Armee, z. Z. Gurarzt
in Weissenburg.
Unter obigem Titel hat der Verfasser in der ansprechendsten Form einen Leitfaden
für Aerzte und Laien herausgegeben, in dem er bestrebt ist, die Indicationen für Weissen¬
burg festzustellen und die vielfach verbreiteten falschen Vorstellungen über das renommirte
Bad zu bekämpfen.
In der Einleitung wird die Topographie Weissenburg’s besprochen; an dieselbe fügt
sich eine ausführliche Geschichte des Bades von den sagenhaften Anfängen, die in ge¬
bundener Rede besungen werden, durch alle Wandelungen und Erweiterungen hindurch bis
auf unsere Tage.
Im dritten Gapitel sodann kommt Verfasser auf die Curmittel zu sprechen, die be¬
stehen 1. in der ca. 25° C. warmen Gypstherme ; 2. in der milden, weichen, staubfreien,
relativ sehr feuchten Gebirgs- und Waldluft, auf welche er als ein natürliches Inhalato¬
rium besonderes Gewicht legt
Milch wird in Weissenburg als Vespertrunk ausgeschenkt, weniger dagegen syste¬
matisch zur Cur verwendet. Molken werden perhorrescirt, da sie die Verdauung oft
stören. Die Bäder unterstützen durch Anregung der Hautrespiration die Behandlung der
Lungenaffectionen. Kalte Abwaschungen und Douchen tragen zur Abhärtung der Kran¬
ken bei. In Bezug auf die Diät tritt Verfasser energisch für eine gemischto Kost ein
und verwirft die vorzugsweise animalische Nahrung der meisten Curanstalten.
Am Schlüsse des III. Abschnittes wird dann noch der gesellschaftlichen Verhältnisse
gedacht und eine Uebersicht der wichtigsten Spaziergänge gegeben, die Weissenburg’s
Umgebung bietet.
Einer ausführlichen Besprechung werden die Heilanzeigen der Weissenburger Cur
und deren Wirkungen im IV. Abschnitt unterzogen; es sind namentlich die subacuten
und chronischen Catarrhe der Respirationsorgane, Lungenemphysem und Asthma, ferner die
zahlreichen Enteündungsvorgänge der Lungen, welche wir unter dem Namen Phthisis zu¬
sammenfassen , besonders jene Formen, welche sich als chronische Verdichtungen des
Lungengewebes darstellen, dann die exsudativen Pleuritiden und Pericarditiden, die Stau¬
ungen im Pfortadersystem, sofern sie auf Behinderung des Kreislaufs in den Lungen be¬
ruhen , endlich die chronischen Catarrhe der Nierenbecken und der Blase, welche in
Weissenburg Heilung finden; contraindicirt ist Weissenburg bei Hydrops und bei Darm¬
phthise.
Die folgenden Seiten legen die Principien der Curmethode in Weissenburg dar und
geben eine Beschreibung der häufigsten Erscheinungen, welche im Verlauf der Cur aufzu¬
treten pflegen.
Der V. Abschnitt endlich gibt einige bemerkenswerthe Andeutungen über den Zeit-
punct und die Dauer der Cur, über Wiederholung derselben und über die Nachcuren.
Das ganze Schriftchen, bei dem auch die äussere Ausstattung alle Anerkennung ver¬
dient (wir heben nur die trefflichen Holzschnitte hervor), unterscheidet sich wohlthuend
von manchen Badeschriften durch den wissenschaftlichen Ernst, mit dem die verschiede¬
nen Seiten der Cur geprüft und dargelegt sind, durch die freimüthige und offene Sprache,
mit welcher der Verfasser seine Grundsätze den Collegen auseinandersetzt, sowie durch
die elegante und fliessende Schreibart, welche das Lesen desselben Aerzten und Laien
gleich genussreich macht. Wenn wir aufs Innigste bedauern, Herrn Dr. Schnyder als Ober¬
feldarzt der schweizerischen Armee verloren zu haben, so finden wir eine kleine Ent¬
schädigung und freuen wir uns für Weissenburg, dass das so wichtige Bad einen so
tüohtigen und energischen Arzt gewonnen hat. Massini.
Kantonale Correspondenzen.
Basel. Von allen Seiten angefragt, wie es Freund Baader gehe, freue ich mich, den
zahlreichen Freunden und Bekannten desselben heute die Mittheilung machen zu können,
dass HämoptcB und Fieber nun ganz aufgehört, und dass der Appetit vortrefflich, hingegen
scheinen die körperlichen Kräfte des Eiranken, wie es nach dem, was vorhergegangen,
nicht anders zu erwarten stand, nur sehr langsam sich wieder einzustellen,
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Dass trete aller Stürme sein Geist frisch geblieben, davon spricht die Mitarbeit an
der Redaction des Correspondenzblattes, die Freund Baader wieder aufgenommen. Ich hoffe
gegen denselben keine Indiscretion zu begehen, wenn ich einige mir übersandte Verse und
einen Theil eines Privatbriefes hiemit den Collegen mittheile:
Noch immer seh’ ich nur vom Pfühl Doch unverzagt! Noch einmal möcht’
Zum Nussbaum hin in’s Gras so grün; Ich in des Lebens Lust und Müh'n
Noch ist’s so oft um’s Herz mir schwül Hinaus zum Kampf um Licht und Recht —
Und doch — wie schön die Rosen bllih’n! Und seh’n am Hag die Rosen blüh’n.
Wie tobt’ der Sturm auf Berg und Flut!
Wie düster ward’s im Kämmerlein!
Vorbei! Auf Flur und Welle ruht
Schon wieder goldner Sonnenschein.
Der 8änger singt’s mit heiserm Schrei —
Er bringt es nur zum Schnattern,
Wie wenn ein alter Papagei
Der Sonne zu will flattern!
Noch bin ich krank; doch in mir regt Man thut wohl so, als war’ man’s noch
Sich wieder leis’ des Lebens Lust. Und stellt sich recht bockbeinig —
Dem neuen Tag zu hastig schlägt Doch unter’m Aermel ist ein Loch,
Mein Herz, und mühsam wogt die Brust Und Alles fadenscheinig.
.Ich bin also noch im Bett, habe aber meinen Hitzen (die können einem so
schon vergehen!) abgeschworen, lebe genügsam von sehr viel Milch, gutem Braten und
anderem Gemüse. Kurzum, ich hoffe — und harre.
Im Ganzen genommen fühle ich mich viel wohler, strafe aber leider den „Dorfdoctor“,
welcher die „drei Steine des Anstosses“ schrieb und behauptete, die Anämie sei Irrthum
und nur eine verkappte Dyspepsie, und trotz Blutleere seien die kräftigsten Bewegungen
möglich, nach allen Dimensionen hin glänzend Lüge.
Meine neueste Sehnsucht geht dahin, einmal unter den prächtigen Nussbaum sitzen
zu können, den ich nun seit 6 Wochen vor meinen körperlichen und den Stubenfenstern
habe, um hinabzusehen auf See und Gelände und hinaus in die Zukunft, die hinter so
schroffen Felswänden liegt.
Du siehst: ich gedeihe körperlich langsam, aber relativ doch rasch und bestrebe mich,
den Kopf hoch zu halten — er will aber nicht immer .... A. B—dt.-M.
Basel. Folgender Fall von Opium vergiftung dürfte wohl einer kurzen Skizze
werth sein: interessant ist die sehr spät eingetrotene Wirkung der subcutanen lujection
des Emeticum, sodann das Cessiren der Vergiftungssymptome lange bevor das Gift neu-
tralisirt oder aus dem Körper entfernt worden war. Ein 33jähriger, kräftiger, wissen¬
schaftlich gebildeter Mann, litt schon seit einiger Zeit an geringen körperlichen Beschwer¬
den, gegen welche ihm ein Arzt, mit dem er gelegentlich einer Fusstour Bekanntschaft
machte, 30 gmm. Tinctura opii simplex verschrieb. Von diesen Tropfen hatte Patient
nur ganz wenige Male genommen; das Fläschchen sei — wie sich nachher herausstellte
— noch sozusagen voll gewesen. Patient pflegte dem Gotte Bacchus reichlich Libationen
zu widmen, führte ein unregelmässiges Leben und kam oft betrunken nach Hause; der
Appetit war demgemäss unbedeutend. — Abends 9 Uhr des 9. Juni rief der junge Mann
einen gegenüberwohnenden Freund, der gerade im Garten stand, vom Fenster aus zu
sich herauf, er wolle doch noch Abschied von ihm nehmen. Der Freund kam ins Zimmer,
bemerkte ihm, er solle sich zur Ruhe begeben, er sei ja betrunken, worauf dieser auf
ein auf dem Nachttischchen stehendes 30 Gramm-Fläschchen wies und aussagte, dasselbe
sei mit Opiumtinctur gefüllt gewesen, und er habe es soeben ausgetrunken, da er seinem
Leben ein Ziel setzen wolle. Etwa */ a Stunde später war ich bei dem Vergifteten: er
war am Einschlafen, erwachte jedoch sofort und war dann aufgeregt, sein Benehmen
glich durchaus dem eines mässig Betrunkenen. (Indessen behauptete Pat. späterhin nur
wenig Wein getrunken zu haben, die starke Aufregung habe ihn vielmehr in diesen Zu¬
stand gebracht) Er schwitzte stark; weitere Symptome von Opiumvergiftung waren
nicht wahrzunehmen. Pat. setzte sich leicht im Bette auf. Er nahm um 10 Uhr das
erste Pulver mit Tart. stibiat. 0,05, das mittlerweile angelangt war, in Heidelbeerschnaps
ein. Oefteres Schlucken; — mit dem zweiten und dritten Pulver, von 7 zu 7 Minuten
gegeben, hatte man schon mehr Mühe, da die Vergiftungserscheinungen nun auftraten
und sich rasch verstärkten; Patient schluckte nur mit Mühe im Schlafe. Die Pupillen
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contrahirten eich sehr und wurden reactionsunfähig, die Schweisse wurden profus, die
Athemzüge immer seltener, das Coma absolut. Da die Wirkung des Tart. stib. ausblieb,
injicirte ich etwa um 11 Uhr 0,5 einer l°/„ Apomorphinlösung. Ein herbeigerufener
College rieth zu Eisblasen auf Kopf und Herzgegend, welche dann auch sogleich besorgt
wurden. Um */ a 12 Uhr verfügte ich mich nach Hause: der Körper des Kranken war in
6chweiss gebadet, die Myosis extrem, Athemzüge 3—4—5 per Minute, Puls 100—120,
voll, das Coma durch Schütteln und Stiche nicht zu brechen. Die Brechmittel waren
ohne Erfolg geblieben.
Um 3 Uhr des nächsten Morgens, 6 Stunden nach dem Genüsse des Giftes, fiel die
Eisblase herunter, Patient erwachte und meinte, das Opium habe noch nicht gewirkt, er
sei doch eigentlich kaum todt, er sei ja noch in seinem Zimmer, u. dgl. Er erbrach sich
3 Male und erzählte dem Wärter, den er in der Dunkelheit für einen Freund hielt, die
Thatsachen des vergangenen Abends. Das Erbrochene war eine braune, wässrige, ziem¬
lich geruchlose Flüssigkeit.
Um 7 Uhr kann sich Pal rasch aufsetzen und gibt ganz vernünftig Aufschluss; kein
Appetit; Puls 92, klein. Längeres Reden ruft Erbrechen galliger Massen hervor. Ordi-
nution: Natr. sulfur. — Um 10 Uhr wird etwas Zeitung gelesen, doch nur ein kleiner
Abschnitl Kein Schlaf. Patient fühlt sich so wohl wie noch nie. Mittags 2 Uhr er¬
folgten mehrere dünne Stühle; die Zunge wird noch unter Zittern herausgestreckt; Pat.
isst etwas Fleisch. Nachmittags beschliesst ein Spaziergang in den zoologischen Garten
(ohne Ermüdungsgefühl) mit den herbeigeeilten Verwandten das Drama.
' Dr. Daniel Bernoulli.
Basel. Ausserg ewöhnliche Bildungen von Vogeleiern. Im ver¬
gangenen Jahre erhielt ich durch einen hiesigen Collegen ein hartgesottenes Hühnerei
zugesandt, welches er als Frühstück hatte gemessen wollen, dem aber der Dotter
fehlte, weshalb er es verschmäht hatte. Vor einigen Wochen wurde mir von einem
Taubenzüchter ein Taubenei gebracht, an welchem die Taube vergebliche Brütversuche
gemacht hatte. Endlich erhielt ich vor einigen Tagen durch Vermittlung des Redacteurs
dieser Zeitschrift von Herrn Dr. Schnyder in Weissenburg einen kugeligen Körper
von etwa 2,5 cm. im Durchmesser, welcher in einem mit Dotter und Eiweiss versehenen
Hühnerei eingeschlossen enthalten gewesen war. So verschieden die einzelnen Sendungen
von einander waren, so beruht bei allen die Entstehung doch auf den Veränderungen,
welche das Vogelei während seiner Wanderung durch Eileiter und Uterus erfährt. Diese
Veränderungen sind bekanntlich folgende: Der in dem Eierstocke gebildete und von der
Dotterhaut umschlossene Dotter gelangt in den Eileiter, während seines Durchganges
durch die oberen zwei Dritttheile desselben wird er von den Wänden desselben mit einer
Eiweiss schichte umgeben; im unteren Dritttheile empfängt das Ei einen häutigen
Ueberzug, die Schalenhaut; dann tritt es in den Uterus ein, dessen Wände es mit
der Kalkschale belegen. Alle diese Absonderungen werden durch den mechanischen
Reiz angeregt, den das durchwandernde Ei auf die betreffenden Wände ausübt
Das dotterlose erste Ei besass in der Mitte einen ziemlich scharf abgegrenz¬
ten etwa 2 cm. im Durchmesser haltenden Kern von Eiweiss. der von dem übrigen Ei¬
weiss umgeben war; Schalenhaut und Schale waren gut gebildet. Es ist wahrscheinlich
dadurch entstanden, dass sich während des Durchganges eines Eies durch die oberen
zwei Dritttheile des Eileiters in Folge der drehenden Bewegungen, welche hierbei das
Ei macht, eine Quantität Eiweiss von dem das Ei umgebenden Eiweisse abge&chnürt hat.
Diese abgeschnürte Masse wirkte nun als Reiz auf die Wandungen; es sonderte sich
eine weitere Schichte von Eiweiss darum ab; das unvollkommene Ei erhielt dann in den
unteren Abschnitten Schalenhaut und 8chale.
Der kugelige Körper, welcher aus dem Ei des Herrn Collegen S. herausge¬
fallen war, erwies sich als ein Min ia tu re i. Es enthielt einen Dotter von 7 mm.
Durchmesser, darum eine Eiweisslage und diese war umgeben von einer Schalenhaut;
die Kalkschale fehlte. Es war in einem ausgebildeten Ei eingeschlossen gewesen. — Der
Eierstock der Vögel enthält neben ausgebildeten Dottern unentwickelte Dotter in allen
Stadien der Ausbildung und Grösse; dieselben liegen dicht neben einander. — Wahr¬
scheinlich wurde in diesem Falle mit einem ausgebildeten Dotter ein unentwickelter los¬
gerissen. Während der ausgebildete Dotter in gewöhnlicher Weise bei seinem Wege
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durch die Eigänge seine Umwandlung erfuhr, blieb der unentwickelte Dotter etwas zurück;
er wurde im oberen Theil von Eiweiss umhüllt, empfing im unteren Abschnitte des Ei¬
leiters seine Schalenhaut und wurde hier von einem nachfolgenden Ei überrascht, dessen
Eiweiss sich um diese Miniaturbildung herumlegte, beide empfingen nun gemeinschaftlich
eine 8chalenhaut und eine Kalkschale.
Die merkwürdigste Bildung der drei war das Taubenei. Bei der Eröffnung
der Schale zeigte sich, dass in dem eingeschlossenen Eiweiss ein vollständig ausgebilde¬
tes Ei mit Kalkschale eingebettet war. Ein fertiges Ei in einem EL Das gut
gebildete innere Ei war etwas kleiner als gewöhnlich und war also umgeben von Eiweiss,
Schalenhaut und Schale. Diese Bildung lässt sich meiner Meinung nach nur auf eine
Weise erklären. Nachdem das innere Ei bereits in dem Uterus seine Kalkschale erhalten
hatte, gelangte es durch antiperistaltische Bewegungen, deren Veranlassung kaum zu er¬
gründen sein dürfte, zurück in den Eileiter, empfing dort abermals einen Eiweissüberzug,
rückte dann wieder nach unten vor, bedeckte sich mit Schalenhaut und Kalkschale und
wurde so gelegt.
Basel, den 5. Juli 1877. Carl Ernst Emil Hoffmann.
Pf««. Offenes Schreiben an die Tii Redaction des Schweiz. Corres-
pondenz-Blattes. Mein sehr lieber Dr. Redacteur und Freundl Wenn ich die Feder
ergreife, oder richtiger gesagt, mich an RemingtoriB Type-Writer *) setze, um Ihnen ein paar
Zeilen über die soeben erhaltene Nummer 12 des Correspondenz-Blattes zu schreiben, so
erfülle ich damit nur einen schon längst meinerseits gehegten Wunsch, denn es ist mir
immer traurig erschienen, alles das hinter mir liegen zu lassen, was doch einstmals der
Gegenstand eifrigsten Sinnens und Trachtens des damals freilich jüngeren Mannes war.
8o lassen Sie mich eine , wenn auch unfreudige Gelegenheit ergreifen, mich mit Ihnen
und unseren Freunden im alten Schweizerland wieder in Verbindung zu setzen. Zunächst
Baader 's Krankheit; ich vermag Ihnen kaum auszudrücken, wie seine Correspondenzen
vom Vierwaldstättersee mich sympathisch berührten; ein zugleich practischer und idealer
Mensch, gewiss eine seltene Combination in unserer Zeit. Ich wollte, ich könnte ihm
helfen, und wär’s mit einem Arcanum. Da ich aber von allem Geheimen kein Freund bin,
so rufe ich ihm hier nur ein: „Wohlauf, muthiger Streiter 1“ zu; „Du hast für dein Vater¬
land und deine Wissenschaft wacker und unentwegt gearbeitet, sei gewiss des Dankes der
Genossen und der fruchtbaren Wirkung für die Zukunft. — Uebrigens bist Du keine ver¬
einzelte Erscheinung in deiner Heimath, vielmehr wissen wir hier draussen wahrlich die
frische Begeisterung und den ernsten Frohmuth zu schätzen, der aus offlcicllen und nicht-
officiellen Reden, so am Central verein, hervorleuchtet und vom frischen Leben des Volkes
ein untrügliches Zeugniss ablegt. Wohl euch!“
Der zweite Punct ist schwieriger zu berühren, da es sich hierbei um die Nothwen-
digkeit handelt, einige Bitterkeiten zu sagen. Herr F. Borei aus Neuenburg beruft sich,
indem er seine persönlichen Meinungen über die parasitäre Natur der Infectionskraukhei-
ten kund gibt, auf die in meinem Institut von ihm gewonnene Einsicht in diese Sache,
als er daselbst als Assistent fungirte. Damit wird seiner Mittheilung eine Folie gegeben,
welche ich im Interesse dez Sache auf ihren wahren Werth und Gehalt an achtem Metall
zurückführen muss.
Es ist wahr, ich selbst habe den Herrn, trotzdem er in Würzburg sich mehr mit
anderen Dingen, als mit Medicin beschäftigte, mit mir nach Prag genommen und ihm,
vor Ablegung seiner Doctorprüfung, eine Stellung verschafft, worin er wissenschaftlicher
Arbeit sich hingeben konnte, und noch mehreres Andere, wovon hier nicht nöthig ist, zu
reden. Gewiss war Herr Borei völlig in der Lage, meine Ansichten genau kennen zu
lernen; dass er aber nur diese Resultate aus seiner Beschäftigung gewonnen hat, das
kann freilich Diejenigen, welche seine hiesige Wirksamkeit kennen, nicht überraschen.
Mir selbst wäre dieses ziemlich gleichgültig, wenn er sich nicht gerade hinter diesen
Nimbus verschanzen und den Anschein erwecken wollte, als wenn bei uns die von ihm
*) Es ist das eine klavierartig gebaute Schreibmaschine, mit der beinahe bo rasch wie mit der
Feder, aber natürlich viel weniger ermüdend, geschrieben resp. gedruckt wird.
Redact.
437
berührte Frage in ebenso oberflächlicher Weise behandelt würde, als dies seinerseits ge¬
schieht Wäre dies der Fall, so wäre ich allerdings würdig, als ein Verführer der un¬
schuldigen Jugend vou meinem Posten entfernt su werden. Es ist demnach nothwendig,
auf einige Behauptungen des betreffenden Vortrags einzugehen, zumal Sie demselben in
dem Blatte eine Stelle eingeräumt haben, dessen Gründung bewirkt zu haben eine meiner
freudigsten Erinnerungen ist
Zuerst stellt Herr Borei die verwunderliche These auf, dass die organisirte Natur der
pathogenen'8chistomyceten nicht nachgewiesen wäre, und zeigt damit, dass er die betref¬
fende und von ihm citirte Discussion in der Würzburger phys.-med. Gesellschaft gar
nicht verstanden hat Es ist noch von keinem Botaniker bezweifelt worden, dass die
lebhaft und nicht blos vorübergehend bewegten Formen der Schistomyceten, welche im
Körper des Menschen Vorkommen, Organismen seien. Ich will, um die entgegenstehende
Behauptung Borete, welche nur Solchen imponiren kann, die mit dem Gegenstände gänz¬
lich unvertraut sind, nur an die schlangenartig beweglichen Spirillen des Typhus recur¬
rens erinnern. Aber auch für die bewegungslosen oder nur zeitweilig beweglichen For¬
men gilt dasselbe, insofern das Criterium der Vermehrung geführt wurde, wie dieses der
Fall ist für eine grosse Anzahl derselben; die Namen der Botaniker Ferd. Kohn und Nägele
werden wohl Herrn Borei oder wenigstens die Leser dieses Blattes überzeugen, dass jene
Behauptung: „Des botanistes distinguös tels que Sachs n’en veulent pas dans leur rCgne“
eine mindestens unrichtige ist. Ich ziehe daraus nur den Schluss, dass Herr Borei von
der ihm zugänglichen Gelegenheit zur Belehrung keinen Gebrauch gemacht hat. Wer
aber Andere belehren will, ist verpflichtet, sich zuerst in den vollen Besitz der That-
sachen zu setzen.
„Lee räaetions chimiques“, sagt Herr Borei weiter, „pourraient @tre le seul argument
en faveur des microzymas a , aber er gedenkt nur der allerdings bemerkenswerthen Wider¬
standsfähigkeit dieser Körper gegen Säuren und Alcalien und amüsirt sich mit der
Schwerlöslichkeit der Hornsubstanzen in kochendem Alcali. Nun, ich denke, dass wenn
diese Unterhaltung‘länger fortgesetzt wäre, auch Herr Borei sich von der nicht absoluten
Unlöslichkeit dieser Gewebe überzeugt hätte; er hätte übrigens bessere Beispiele anfüh-
ren können, so die elastischen Fasern; aber hierum handelt es sich gar nicht, sondern
um die Löslichkeit gewisser körniger Massen, welche ihre Zusammensetzung aus Albu-
minaten oder Fetten beweisen soll. Diese Eigenschaft fehlt allerdings den Micrococcen
und kann den Nachweis derselben erleichtern, genügt aber an und für sich auch nicht
dazu. Dagegen ist der Nachweis bestimmter morphologischer Verhältnisse nothwendig,
die ich hier freilich nicht auseinander setzen kann, ohne einen Lehrvortrag zu schreiben.
Aber Herr Borei hätte diese Thatsachen kennen und berücksichtigen müssen, wenn er
sich erlaubt, in die Discussion so schwerwiegender Fragen einzutreten und seinen frühe¬
ren Lehrer mit einigen banalen Phrasen der grössten Oberflächlichkeit zu zeihen.
Um nicht die Geduld Ihres Leserkreises zu lange in Anspruch zu nehmen, sei zur
Begründung nur eines angeführt, nämlich die, eine in vielen Fällen überaus deutliche Dif-
ferenzirung zwischen sogen. Detritus und Micrococcen gestattende Hämatoxylinfärbung;
auch von dieser scheint Herr Borei nichts zu wissen; An Gelegenheit, sich diese Kennt-
niss zu erwerben, aber fehlte es ihm nicht in seiner Assistentenstellung, indem ich alle
Jahre mehrmals diese Verhältnisse demonstrire.
Ich verlasse hiemit Herrn Borei , indem ich nur beiläufig den literarischen Lapsus
berühre, dass er von den höchst wichtigen Untersuchungen von Davaine Uber die Gäh-
rung spricht, während dieser verdiente Forscher zwar eine grundlegende Arbeit über die
Milzbrand-Bacterien gemacht, meines Wissens aber niemals mit der Gährungsirage sich
beschäftigt hat. Vielleicht meint Herr Borei Pasteur?
Auch ferner gedenke ich, ein Feind aller Polemik, nicht, auf die Kritik dieses Vor¬
trages einzugehen, nur soviel musste ich leider anführen, um meinen früheren Landes¬
und Standesgenoasen zu zeigen, dass ich noch nicht so degenerirt bin, als dieses nach
den Mittheilungen meines früheren Schülers Manchem scheinen könnte.
Nur ein Wort für Diejenigen, welche nicht in der Lage sind, durch eigene An¬
schauung sich eine Einsicht von dem Sachverhalt zu verschaffen. Ich bin gern bereit,
den Collegen, welche diese Einsicht zu erlangen wünschen, nach meinen Kräften hiebei
behülflich zu sein und werde zu dem Zwecke, wenn eine hinreichende Anzahl derselben
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438
sich zusammcnflndet, Curse über die Ursachen der Inf ectio nsk rankheiten
abhalten. Die ersten derselben können im August und Anfang September abgehalten
werden. Auch zu der münchener Naturforscher-Versammlung werde ich Einiges mit¬
bringen und in einer allgemeinen Versammlung einen Vortrag Uber diesen Gegenstand
halten. Leider musste ich es mir versagen, einer freundlichen Aufforderung, auf der
genfer Versammlung über dieses Thema zu sprechen, nachzukommen, da ich bereits für
München zugesagt hatte. Indess wird sich vielleicht im nächsten Jahr die Gelegenheit
finden, auch in der Schweiz, woran mir besonders gelegen, einen solchen Vortrag mit
Demonstrationen abzuhalten.
Ich schliesBe hiemit dieses nur zu lang gewordene Schreiben, indem ich nochmals
hervorhebe, dass nur die hohe Achtung vor meinen mir stets werth bleibenden schweizer
Collegen mich veranlasst hat, in dieser, was die persönliche Seite betrifft, peinlichen An¬
gelegenheit das Wort zu ergreifen.
Ein herzlicher Gruss Ihnen und allen alten Freunden in der Schweiz!
22. Juni 1877. E. Klebs.
_ %
W oclienl>ei*ielit.
Schweiz.
Genf. Das Programm des internationalen Congresses ist erschienen und
wird allen Collegen zugestellt, die dem Generalsecretär des Congresses, Herrn Prof. Prevosl,
ihre Adresse mittheilen wollen.
Todesfälle. In Lausanne starb den 25. Juni Herr Dr. J. J. Ch. de la Harpe , ein
Vertreter unseres Standes, dessen Arbeiten und Leistungen, weit über die cantonalen
Grenzen hinausragend, demselben einen Namen und Berühmtheit verschafft, dessen nur
wenige Aerzte sich rühmen können. Er starb in seinem 75. Lebensjahre, nachdem er
seine Kräfte im Dienste des Vaterlandes, der Humanität und Wissenschaft wohl ausgenützt.
In St. Gallen wurde in der Blüthe der Jahre mitten in der vollen Entfaltung seiner aus¬
gezeichneten Arbeitskräfte Herr Spitalarzt Dr. Züblin durch eine Peritonitis Verwandten
und Freunden entrissen, ein Verlust, der allerorts sehr schmerzlich empfunden wird. Sit
iJlis terra levis!
Krippe ln Fivis. Die Krippe in Vivis, welche Kinder bis zu 3 Jahre alt auf¬
nimmt, hat soeben ihren Jahresbericht veröffentlicht, welcher das Gedeihen der Anstalt
constatirt, aber zu gleicher Zeit auch betont, dass viele Kinder aus verschiedenen Grün¬
den nicht konnten aufgenommen werden.
Ausland.
Frankreich. Personalia. Unser Landsmann, Herr Dr. Edmund Landoll von
Aarau, aber seit längerer Zeit in Paris, ist vom Minister des Erziehungswesens zum Ad-
juncten des Directors der neugegründeten Augenheilanstalt erwählt worden.
München. Dr. Erismann, der rühmlichst bekannte Schüler Pettenkofer'e, ist von der
russischen Regierung auf den Kriegsschauplatz geschickt worden, um die Schlachtfelder
zu desinficiren. *
Paris. Psychiatrischer Unterricht. In Paris war vor 2 Jahren die
Abhaltung von Kliniken für Geisteskranke in den Asilen Ste. Anne und Salpetrtere von
den Präfecten verboten worden, ein Ereigniss, das mit Recht nicht nur in Frankreich,
sondern auch bei uns grosses Aufsehen erregte, weil hierdurch der psychiatrische Unter¬
richt an der pariser Facultät vollständig brach gelegt wurde. Dieser Befehl ist nun durch
Decret vom 15. November 1876 durch den Minister des Innern wieder zurückgenommen
und der Unterricht freigegeben worden; nur müssen die zuhörenden Studirenden erst
eine gewisse Zeit das Ötudium mit Erfolg zurückgelegt haben. (B. Kl. W.) *
Stand der InfectIons-Krankheiten in Basel.
Vom 26. Juni bis 10. Juli 1877.
(Die Zahlen in Klammern geben je weilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Der Typhus zeigt eine sehr starke und plötzliche Zunahme. In den letzten Be¬
richten 16, 23, 26, 24, sind diesmal 94 neue Erkrankungen angezeigt, davon 73 (15)
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439
aus Kleinbasel. Am stärksten ist dabei die obere Rheingasse betbeiligt, aber auch die
meisten übrigen Strassen Kleinbasels sind mit Erkrankungen vertreten. Gegenüber die¬
sem epidemischen Aufschwung der Krankheit in Kleinbasel bleiben die verschiedenen
Bezirke der grössern Stadt ziemlich auf dem alten Niveau; immerhin zeigen auch sie
mehr Erkrankungen als in der entsprechenden Zeit des letzten Jahres, wie das am besten
die nachfolgende Zusammenstellung zeigt, wobei die Fälle auf den Beginn der Erkran-
kung verrechnet sind. Es
März
1877 1-10 11-20 21-31
erkrankten an
April
1-10 11-20
Typhus
21-30
1-10
Mai
11-20
21-31 1-10
Juni
11-20
21-30
Gr.B&sel 3
_
12
18
11
3
13
15
11 5
8
9
Kl.Basel 2
—
7
9
4
3
6
6
7 3
23
52
6
—
19
27
16
6
18
21
18 8
31
61
Summe
24
48
57
100
1876
16
9
15
13
Die übrigen Krankheiten sind
schwach vertreten
: Masern 3 Fälle (5),
wovon
einer eingeschleppt, Scharlach 2 (3), Keuchhusten 7 (7, 23), Hals- und
Rachenbräune 4 (1), Erysipelas 3 (10, 3, 3), Puerperalfieber 2 Fälle.
Einzelne Varicellen.
Bibliographisches.
67) Michels , Die Fibromyome des Uterus. 62 8. Stuttgart, Verlag von F. Enke.
68) Höring , Mittheilungen aus der Augenheilkunde für den pract. Arzt. 32 S. Stuttgart,
Verlag von F. Enke.
69) Liebermann , Anleitung zu chemischen Untersuchungen auf dem Gebiete der Mediciual-
polizei, Hygieine und forens. Praxis für Aerzte, Medicinalbeamte und Physicatscan-
didaten. 274 S. Stuttgart, Verlag von F. Enke.
70) Baas, Medicinische Diagnostik mit besonderer Berücksichtigung der Differential¬
diagnostik. Mit 40 Abbildungen in Holzschnitt. 176 Seiten. Stuttgart, Verlag von
F. Enke.
71) Zuckerkandl, Zur Morphologie des Gesichtsschädels. 136 S. Stuttgart, Verlag von
F. Enke.
72) Wiener Klinik , in. Jahrg. Heft 5. Heiller : Die Behandlung der Pleuritis und ihrer
Producte. Wien, Urban & Schwarzenberg.
Briefkasten.
Zur !Notiz.
Ich befinde mich bis gegen Mitte August auf dem St Beatenberg (Kurhaus) und
bitte die Zuschriften gefälligst hieher zu richten. Expeditionsangelegenheiten und An¬
noncen sind selbstverständlich wie immer direct an den Verleger, Herrn Benno Schwabe,
zu adressiren.
Beatenberg 14. Juli A. Burckhardt-Merian.
Herrn Dr. Neukomm in S.: Wir erwarten das in Aussicht Gestellte auf nächsten Herbst. —
Herrn Dr. F. in G.: Mit Dank erhalten. Nr. 1 "wird benützt Nr. 2 als zu unbedeutend ad acta ge¬
legt. Cantonalea soll willkommen sein! — Herrn Dr. S. in Weissenburg: Natürlich werde ich Sie vom
B. aus einmal besuchen. — Herrn Dr. v. Muralt: Brief I—IH erhalten. Ihre Wünsche sollen erfüllt
werden. — Herrn Dr. Lange in Ems; Herrn Dr. Schüler in Mollis; Herrn Dr. Daniel Bemoulli in
Basel; Herrn Dr. Funkhäuser in Burgdorf: Dankend erhalten. — Herrn Prof. Pütz in Halle: Wir
gratuliren zum neuen Aufschwünge Ihrer Zeitschrift — Herrn Dr. W—r in Albisbrunn: Vollkommen
einverstanden, warten somit dann aber „fest dahinter“. Herzliche Grüsse. — Herrn Dr. J. Rütli in
Pfaffnau: Auf Ihren Wunsch theilen wir den Herren Collegen mit dass nicht Sie das vielbesprochene
Gutachten in Sachen 8ectionsbefund von Frau Schärli von Hergiswyl (Ct Luzern) mitverfasst, sondern
ein College gleichen Namens, der unterdessen (den 1. Februar 1877) gestorben. — Herrn Dr. H. in
W.: Besten Dank für Ihre Mittheilung, dass in der Zeitschrift für Ethnologie von Bastian und Hart-
mann, III. Heft, 1876, sich zwei noch eclatantere Fälle frühreifer sexueller Entwicklung vorfinden.
Vom Abdruck der Mittheilung abstrahiren wir. — Herrn Prof. Klebs: Besten Dank für Ihren fr. Brief
und die mir interessante Mitteilung.
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440
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■ — Eröffnet seit 15. Juni. -—
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Se trouve k Bale, pour la vente du gros et detail, chez M.
C. Walter-Biondetti, Freiestrasse 73.
Verlag von F. C. W. VOGEL in Leipzig. *
- Für Aerzte. -:
Soeben erschien:
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Zweite Hälfte. Mit 5 Tafeln, gr. 8. 17 M. 50 Pf.
_ Preis des completen Werkes 25 M. _
Geigel, Prof. Dr. A. und Dr. A. Mayr (in Würzburg). Das Schöpfradgebläse an¬
gewendet auf Pneumatotherapie. Mit 14 Holzschn. gr. 8. 2 M. 40 Pf.
Weil, Dr. Adolf (Prof, in Heidelberg). Handbuch und Atlas der topographischen Per¬
cussion. Mit 3 Holzschnitten und 26 Tafeln, gr. 8. 10 M.
y. Ziemssen’s Handbuch. Zweite Auflage.
H. BAND. Acute Infectionskrankheiten. Zweite Hälfte. Yon Prof. L. Thomas in
Freiburg, Dr. H. Curschmann in Berlin, Prof. H. y. Ziemssen in München, Dr.
W. Zuelzer in Berlin, Prof. H. Hertz in Amsterdam. Mit 17 Holzschn. gr. 8. 15 M.
V. BAND. Krankheiten des Respirationsapparates I. Von Prof. Th. Jürgensen in
Tübingen, Prof. H. Hertz in Amsterdam, Prof. H. Rühle in Bonn, Prof. E.
Rindfleisch in Würzburg. Mit 24 Holzschnitten, gr. 8. 15 M.
Von zweiten Auflagen erschienen bereits Band I. II. 1. III. X. XII. 1. [H-2345-Q]
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444
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Heinrich Viönot-Thalmann,
Eigenthftmer.
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wollen, um mir nach meinem erlittenen Brandunglück vorigen Jahres, wo mir mein Ver¬
mögen, und die Früchte rastlosen Strebens zu Grunde gingen, wieder aufzuhelfen. Werde
Jedem, der mir die Hand im Unglück reicht, innigst dankbar sein. [H-2B30-Q]
FRANZENSBAI)
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Die Versendung der Eger-Franzensbader Mineralwässer
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Sprudel) für die Saison 1877 hat begonnen und werden
dieselben nur in Glasbonteillen versendet. Bestellungen
hierauf, sowio för Franzeusbader Mineralnioor und
Moorsalz werden sowohl direkt bei der gefertigten Di-
rection als auch bei den Depots natürlicher Mineralwässer
in allen grösseren Städten des Continents angenommen
und prompt effectuirt. Brochuren über die eminenten
Heilwirkungen der weltberühmten Eger-Franzensbader
Mineralwässer werden gratis verabfolgt. [H-32-W]
Da« Stadt Egerer ltadehaus
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Dr. A. Baader
in Gelterkindan.
N; 15. VII. Jalirg. 1877. 1. August.
Inhalt: 1) Originaiarbeiten: Dr. Jager: Deber Inhalation von Bromdärapfen bei Behandlung des Cronp. —
Prot. E. Hagtnbach: Deber die Anwendung des Natron salicylieum in fieberhaften Krankheiten des kindlichen Altere. —
2) Vereinsberichte: III. Vereinigte Versammlung des Ärztlichen Centralvereins und der SocieW m&licale de la Snisse ro-
mande. (Schluss.) — 8) Referate und Kritiken: Von einem Dorfdoctor : Drei Steine des Anstossee. — Bfrn<trd Kraus:
Diagnose und Therapie der Krankheiten des Menschen. — Prof. Th. Jürgenscn: Die wissenschaftliche Heilkunde und ihre
Widersacher. — Dr. A. Feierabend: Die klimatischen Cnrorte der Schweiz. — Dr. Ad. Baginsky : Handbuch der 8chulhygieine.
Dr. C. F. Kunst: Compendium der practischen Medicin. — 4) Kantonale Corrospondenzen: St. Gallen, Ems. — 5) Wo¬
chenbericht. — 6) Briefkasten.
Original-Arbeiten.
Ueber Inhalation von Bromdämpfen bei Behandlung des Croup.
Von Dr. Jseger, Ragaz.
Nach einem in der Aerzteversammlung des Cantons St. Gallen im Herbst ge¬
haltenen Vortrag.
Die Inhalation von Bromdämpfen bei Behandlung des Croup wird seit unge¬
fähr 6 Jahren empfohlen. Da ich Grund habe, mit dieser Beliandlungsweisc gegen¬
über den bis jetzt befolgten zufrieden zu sein, so erlaube ich mir, auf diese kurz
einzutreten. Vorerst habe ich mich aber zu entschuldigen, dass ich über die ein¬
schlägige Litteratur *) nur Ungenügendes berichten kann, da mir das benöthigte
Material fehlt. Nur so viel erinnere ich mich, dass über diese Behandlungsweise
glückliche Erfolge in der W. med. Wochenschrift (von Schütz ) notirt waren und
dass in Kunze's Zeitschrift im letzten Jahr über 2 Fälle von Bronchitis crouposa
bei Erwachsenen Referate erschienen, welche die Sectionsresultate genau mittheil¬
ten, über die getroffene Behandlungsweise aber nahezu Stillschweigen beobachte¬
ten. Der Fall, welcher Anlass zu diesem Vortrag gab, betraf ebenfalls eine Bron¬
chitis crouposa bei einer Erwachsenen; eine ausgeworfene in Weingeist auf be¬
wahrte Croupmembran wurde vorgezeigt zum Beweise, dass kein Irrthum in der
Diagnose vorlag. Diese Membran ist ein Abdruck von Bronchien 1. und 2. Gra¬
des, mit einem gemeinschaftlichen Stamm und 13 Verästelungen, deren Endigun¬
gen ampoulenartig angeschwollen sind. Im frischen Zustande maass der Stamm
‘/a cm. Durchmesser, in der Länge 8'/, cm. Der Stamm ist hohl, das Ganze im
Weingeist auf % seines frühem Umfanges zusammengeschrumpft.
Der Fall, von dem diese Croupmembran herrührt, betrifft eine Frau von 29
*) S. Verhandlungen der Naturforscher-Versammlung in Leipzig 1872 und Aerztliches Intelli¬
genz-Blatt 1871 Nr. 40 (Dr. Leopacher) und 1873 Nr. 4 (Dr. Bapp), Wiener med. Wochenschr. 1871,
Nr. 31—33 (Dr. Schütz). Red.
31
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Jahren, welche 4 Jahre verheirathet, aber ohne Kinder geblieben ist. Sie war
immer gut menstruirt und hat mit Ausnahme eines Typhus vor Jahren keine Krank¬
heiten durchgemacht. Die Frau ist mittlerer Statur, gracil gebaut, blond.
Freitag den 4. Februar (1876) wird Patientin bei einem Gang durch’s Dorf
von Husten, Frösteln und darauf folgender Hitze befallen. Frösteln und Husten
mit Auswurf weniger schleimiger Massen erfolgen nun Tag für Tag, doch kann
Patientin ihren Geschäften, Besorgung eines Ladens, vorstehen. Freitag den 11.,
also 8 Tage nach dem ersten Anfall, treten zu rechter Zeit die Perioden ein und
dauern bis Montag den 14. Folgenden Tags nimmt Pat. Birmensdorfer Wasser,
um sich von einem Botriocephalus latus zu befreien, von dessen Anwesenheit sie
wusste. Es sollen grosse Stücke des Schmarotzers abgegangen sein.
Mittwoch, 23., sehe ich Patientin zum ersten Mal. Sie klagt über kurzen
Athem, zeitweise Beängstigung, wirft spärlich zähe Massen aus. Puls normal, Tem¬
peratur 37,1. Es werden Infus, ipecacuanha c. Kali carb. und Dower. Pulv. ver¬
ordnet.
Donnerstag, 24. Patientin hat eine sehr unruhige Nacht durchgemacht, das
Asthma liess erst Morgens nach 7 Uhr nach, nachdem zähe verzweigte Croup¬
membranen ausgeworfen wurden.
Puls 88, Respiration 41, Temperatur 37,4. Die Haut der Hände ist kühl und
feucht, Patientin schwitzt leicht am ganzen Körper. Zunge dick gelb belegt, Con-
stipation. Die Respiration ist sehr erschwert, die Intercostal- Wie die Bauchmus¬
keln sind dabei in starker Thätigkeit, die Inspiration ist ziehend, von sägendem
Geräusch begleitet. Patientin ist gezwungen, immer sitzende, zeitweise vom über
gebeugte Stellung im Bett beizubehalten.
Durch Percussion ist keine Dämpfung der Lungen nachzuweisen, dagegen
durch Auscultation rechterseits über die ganze Lunge starkes, links hinten schwa¬
ches Knarren, vornen links aber reines vesiculäres Athmen, in der Mitte Bronchial¬
rasseln zu hören.
Herz in seiner Dimension wie Action normal. Der Urin ist stark sedimenti-
rend, dagegen albuminfrei; von Morgens 10 Uhr an bis gegen Abend starke Be¬
klemmung, mit etwelchem Nachlass nach Auswurf blutiger, schaumiger Massen.
Abends wird mit den Inhalationen der Bromdämpfe begonnen und mit diesen bis
zu nahezu völliger Genesung fortgesetzt und zwar alle Stunden in einer Dauer von
15-20 Minuten, bei Asthmaanfällen aber bis Nachlass derselben.
Freitag, 25. Die Nacht war leidlich, heute morgen Auswurf zweier Aeste
von Croupmembranen, welche ziemlich dick, hart und an der Peripherie zottig
sind. Urin ganz hell, albuminfrei, Puls 100, Temperatur 37,4; Abends Puls und
Temperatur gleich. Den Tag über werden noch mehrere Croupmembranen aus¬
geworfen, darunter die oben beschriebene. (Nach Angabe der Patientin wurde die
grösste Membran oder Verästelung fatalerweise vor meiner Ankunft entfernt.)
2 6. Die Nacht verlief gut, Puls 100, Temperatur 37,2, Abends Puls und Tem¬
peratur gleich ; Zunge immer weissgelb, dick belegt. Mittags etwas Asthma, Aus¬
wurf kleiner, kurzer, oft mit blutigem Schleim untermischter Croupmembranen.
Patientin ist oft in Schweiss gebadet.
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2 7. Der Gesammtzustand ist ungefähr derselbe wie am 26., die Asthma-
anfalle haben sich indess entschieden quantitativ und qualitativ vermindert. Mit
den Inhalationen wird gleicherweise fortgesetzt, nebstdem von heute an Pulv. secal.
comut. gereicht.
März 5. Die vorausgegangenen 2 Nächte befand sich Patientin sehr gut,
ebenso heute, Puls und Temperatur normal, auf der rechten Brusthälfte ist immer
noch Rasseln hörbar, links ist es verschwunden.
6. Morgens früh leichtes Asthma, Auswurf kleiner Membranen.
9. Pat. verlässt das Bett. Den 21. wirft Pat. ein 3 cm. langes Stück Croup¬
membran aus, das wie eine Schnur gedreht, ohne Aeste und nicht hohl ist, wie
früher ausgeworfene, Macaroni ähnlichen Stücke. Bei immerhin andauerndem, oft
noch mit Auswurf weicher, schleimiger Massen begleitetem Husten hat sich Pa¬
tientin Ende März ganz erholt und befindet sich noch heute ganz wohl. Die Krank¬
heit hat also nahezu 2 Monate gedauert.
In der zweiten Hälfte der Krankheit war das beunruhigendste Symptom die
erschöpfenden Schweisse, gegen welche Waschungen mit Essig und Wasser mit
zweifelhaftem Erfolge angewendet wurden. Die Beförderung des Stuhls wurde
durch Lavements erzweckt. Die Diät bestand in kräftiger Fleischbrühe, Milch,
Eiern und viel Cognac, auf der Höhe der Krankheit bis zu */* Schoppen auf 24
Standen. Als durststillendes Mittel diente Mandelmilch oder Cognac mit Wasser
verdünnt.
Zu den Inhalationen wurde nach Angabe von Schütz eine Lösung verwendet
von: Bromii }od., Kali bromat. ää 0,3 (bis 0,5), Aq. destill. 150,0, von welcher Lö¬
sung immer ‘/i— 1 Theelöffel voll auf den Schwamm der Düte geleert und dann
die Dämpfe eingeathmet wurden. Die Empfindlichkeit und der Hustenreiz bei den
Einathmungen Hessen nach 2—3 Versuchen nach und konnte Patientin von da an
die Bromdämpfe gleich der reinsten Luft einathmen. Es mag übrigens hier gleich
bemerkt werden, dass namentHch bei Croup diese Inhalationen auch von Kindern
sehr gut vertragen werden, bei vielen mit sichtlichem Behagen. Patientin hat dann,
wie schon angedeutet, die Brominhalationen stündlich gemacht, von der Dauer von
15—20 Minuten, oft aber auch halbstündlich. Die Lösung wie der einfache Ap¬
parat waren denn auch immer an Seite des Krankenbettes in Bereitschaft, um
jeden Augenblick benützt werden zu können. Patientin gab an, dass sie immer
kurze Zeit nach Beginn der Inhalationen leichter athmen und Schleim auswerfen
könne, dass das Brennen im Halse dadurch verschwinde und der Schmerz auf der
Brust sich mindere. Objectiv konnte ich oft selbst constatiren, wie bei sehr er¬
schwerter, trockener Respiration solche sehr rasch bei Anwendung der Bromdämpfe
leichter, langsamer und feuchter wurde ; statt der pfeifenden Inspiration stellte sich
ein im ganzen Zimmer hörbares, feucht rasselndes Geräusch (Sagen) ein, auf wel¬
ches bald Auswurf von zähem Schleim und Croupmembranen und dadurch mit¬
unter vollständige Erleichterung erfolgte. Der Einfluss der Bromdämpfe war da¬
her ein auf den Gang der Krankheit entschieden günstiger und zwar in erster
Linie auf das subjective Befinden dor Patientin selbst und in zweiter namentlich
in Rücksicht auf Verflüssigung der Secrete und leichterer Expectoration derselben.
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Durch letztem Umstand wird aber die Möglichkeit des Eintritts der Luft in die
kleinem Bronchien, der Oxydation des Blutes gegeben; den Beweis der Einwir¬
kung der Bromdämpfe in genannter Weise glaubte ich bei diesem Fall auch aus
dem Umstande folgern zu dürfen, dass vom Tage der Einathmungen an die aus¬
geworfenen Croupmembranen nie mehr die gleiche zähe Consistenz boten und in
so grossen Stücken abgingen wie die am Tage vorher ausgehusteten. Die Ein¬
wirkung des Broms auf die ausgeworfenen Membranen kann man sich durch Ein¬
legen eines Stücks in die bereits erwähnte Bromlösung veranschaulichen, man kann
dann beobachten, wie die eingetauchte Membran vorerst etwas anschwillt, allmä-
lig, namentlich an der Peripherie, durchsichtiger wird und schliesslich an Volumen
abnimmt Dabei ist aber nöthig, die Bromlösung von Zeit zu Zeit zu erneuern,
wenn das Experiment in einem offenen Gefäss versucht wird, da durch die Ver¬
flüchtigung der Dämpfe die Wirkung bedeutend nachlässt. Immerhin wollte mir
diese Wirkung des Broms den günstigen Einfluss der Inhalation nicht genügend
erklären, da die Auflösung der Membranen in der Bromlösung nicht entsprechend
schnell genug vor sich geht. Es wird daher wohl erlaubt sein, bis auf weiteres
die Hypothese aufzustellen, dass der günstige Einfluss der Inhalation der Brom¬
dämpfe sich nicht allein auf Lockerung und Lösung der Croupmembranen erstrecke,
sondern sich namentlich darin zeige, dass er eine Umstimmung der Bronchial¬
schleimhaut, namentlich der eben von den Croupmembranen befreiten, zu Stande
bringe, in Folge welcher solche reconstructionsfahiger und zur Ausschwitzung des
Fibrins weniger geeignet gemacht werde.
Einen ebenfalls günstigen Einfluss glaube ich auch bemerkt zu haben bei An¬
wendung der Bromdämpfe bei Croup der Kinder; die Anwendungsweise ist die
früher beschriebene, nur mit dem Unterschied, dass die Dämpfe alle halbe Stunden
im Schlaf so gut wie im wachenden Zustand eingeathmet werden müssen. Zu
gleicher Zeit wird der Hals energisch mit Eiscompressen behandelt. Von 5 so
behandelten Croupkindern wurden 2 geheilt, 3 starben. Von diesen letztem lagen
indess 2 bei meiner Ankunft bereits in den letzten Zügen; beim dritten wurde die
gleiche Behandlung eingeleitet, von den Eltern aber, weil nicht von momentanem,
sehr sichtlichem Erfolg gleich begleitet, wieder aufgegeben. Bei den geretteten
zwei Kindern konnte man bemerken, wie bei der Inhalation die vorher mühsame,
pfeifende Inspiration allmälig leichter vor sich ging, wie sich ein feuchtes Rasseln
im Hals einstellte, worauf gewöhnlich feste schleimige Massen ausgeworfen wur¬
den. Die Auspinselung des Rachens mit der gleichen Lösung dürfte ebenfalls
günstig wirken in den Fällen, in welchen sie überhaupt ausführbar ist Entschliesst
man sich zur Anwendung von Eis und Brom, dann genügt es aber nicht, deren
Anwendungsweise der Umgebung mitgetheilt und auseinander gesetzt zu haben
und es dann dem Verständniss dieser zu überlassen, wie die Sache ausgeführt
wird; der Arzt hat dann diese Behandlung selbst einzuleiten und so lange fortzu¬
führen, bis sich einerseits das Kind daran gewöhnt, was gewöhnlich nicht lange
ansteht, und andererseits die Abwart sich mit den Manipulationen völlig vertraut
gemacht hat. Kann anfänglich schon eine Erleichterung im Zustande des Kranken
erzielt werden, dann braucht es bei den Eltern für diese Methode keine Empfeh-
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449
lung mehr, um sie Tag und Nacht ohne Unterbruch fortgesetzt zu sehen. Ent¬
weder gar nicht oder dann energisch mit Eiscompressen auf den Hals, mit Brom¬
inhalationen vorgegangen, nur keine Spielerei. Gerade in Hinsicht der Application
von Eiscompressen wird noch oft gefehlt, daher auch die mangelhaften Resultate.
Vorab sehe man darauf, dass das Kind richtig gelagert ist, dass es einestheils
möglichst den Hals entblösst, Kopf etwas rückwärts gebogen hält, anderntheils
aber auch wieder so erhöht liege, dass die Inhalationen bequem applicirt werden
können. Die Compressen müssen wenigstens 3 Finger breit, 4 - 6fach zusammen¬
gelegt sein und den Hals umgebend von einem Process. mastoid! bis zum andern
reichen. Die ersten mögen auch nur nach Einlegen in kaltes Wasser aufgelegt
werden, um die Haut für die folgende intensivere Kälteanwendung vorzubereiten.
Während eine Compresse über dem Hals liegt, wird eine zweite über das Eis aus¬
gebreitet und solche nun alle 5—10 Minuten gewechselt; vor dem Auflegen auf
den Hals ist der Umschlag tüchtig auszudrücken. Die besten Eiscompressen sind
zu erhalten, wenn die Compressen auf eine Steinplatte ausgebreitet und mit einem
möglichst dünnwandigen, blechernen Gefäss bedeckt werden, in welch’ letzterem
sich das Eis befindet (so die Blechkistchen, in welchen Huntley & Balmer’s Bon¬
bons aufbewahrt werden). Nach wenigen Minuten ist dann der Umschlag gefroren,
ist starr geworden.
Angestellte Versuche mit Brominhalationen bei Keuchhusten blieben ohne irgend
welchen günstigen Erfolg. _
Ueber die Anwendung des Natron salicylicum in fieberhaften Krankheiten
des kindlichen Alters.
Von Prof. E. Hagenbach in Basel.
Seitdem die Salicylsäure und das salicylsaure Natron bei der Behandlung fie¬
berhafter Krankheiten das Chinin zum grossen Theil verdrängt haben, sind auch
im kindlichen Alter diese Mittel sehr häufig angewandt worden; doch existiren
noch so wenig Veröffentlichungen über eine grössere Zahl von Beobachtungen,
dass es wohl am Platze ist, über die Anwendung dieser Mittel im kindlichen Alter
Bericht zu erstatten.
Die Salicylsäure, die anfänglich häufiger angewandt wurde als jetzt, hat
bei den Erwachsenen durch Reizung der Schleimhaut des Vercfauungstractus, durch
Erzeugen von Diarrhceen und dann durch häufiges Hervorrufen von collapsusarti-
gen Zuständen, welche auf eine theilweise Zerstörung rother Blutkörperchen be¬
zogen wurden, Nachtheile gebracht und hat darum auch im kindlichen Alter der
Anwendung des salicylsauren Natrons weichen müssen.
Nach allen Beobachtungen erreichen wir bei Erwachsenen mit salicyl-
saurem Natron einen rascheren Fieberabfall, als auf Chinin; vielleicht ist die
Dauer der Wirkung dagegen bei letzterem etwas länger. — Wo das Fieber sehr
heftig ist, da ist die Wirkung des Natr. salic. kürzer, als wo die Temperaturen
weniger hoch gestellt sind, wie z. B. im Ablauf einer fieberhaften Krankheit; hie
und da werden wir aber auch überrascht durch ganz bedeutende Temperaturab¬
fälle, auf kleinere Dosen. Selbst bei Verabreichung von Natr. salic. in refracta dosi,
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welche Art der Ordination beim Chinin wegen Unwirksamkeit ist verlassen wor¬
den , bekommen wir hie und da ganz ergiebige Wirkungen. Nicht zu unter¬
schätzende Vortheile des Natr. salic. gegenüber dem Chinin sind die Billigkeit und
für viele Patienten der nicht so unangenehme Geschmack; Andere ziehen freilich
das Chinin mit oder ohne Oblaten dem Natr. salic. vor. Beide hier verglichenen
Antipyretica haben in grossem Dosen ihre unangenehmen Nebenwirkungen; die
Schwerhörigkeit und das Ohrensausen kommen auch bei unserem Mittel vor, wenn
auch meist weniger stark; der Schweiss ist bei dem stärkeren und rascheren Ab¬
fall auf Salicyl meist ein profuserer. Vorübergehende nervöse Aufregung, Bangig¬
keit, Angstgefühl kommt auch bei Natr. salic. hie und da vor; doch ohne spätere
schlimme Folgen.
Wie verhält sich nun das Kind in fieberhaften Krankheiten diesem Mittel ge¬
genüber? Diese Frage möchte ich hier kurz beantworten, gestützt auf 72 Krank¬
heitsfälle und 296 Einzelbeobachtungen aus dem Kinderspital. Unter diesen 72
Krankheitsfällen befanden sich 21 Typhen, 11 Scharlach; die übrigen vertheilen
sich auf die verschiedenen Formen von Pneumonie, auf Croup, Diphtherie, Pleu¬
ritis, Erysipelas und auf mehrere andere zeitweise mit Fieber verbundene, meist
chronische Gelenkaffectionen.*)
Obschon fast jeder Arzt gegenwärtig sich eigene Erfahrungen gesammelt hat
über die Anwendung dieses Mittels im kindlichen Alter, so sind mir doch nur fol¬
gende Beobachtungen aus der Litteratur bekannt geworden, von denen keine auch
nur annähernd über eine so grosse Zahl von Fällen sich erstrecken.
Binz (Allgemeine Therapie der Krankheiten des kindlichen Alters in dem
Handbuch der Kinderkrankheiten von Gerhardt ) hebt hervor als Vortheile des Natr.
salicyl. gegenüber dem Chinin 1) die bestimmtere Wirkung gegenüber einzelnen
Fieberformen, 2) den besseren Geschmack, 3) den geringeren Preis. Bemme (Jah¬
resbericht des Kinderspitals in Bern 1875) hat zuerst die Salicylsäure angewandt;
er ist davon zurückgekommen wegen des Widerwillens der Patienten und wegen
der nicht selten auf ihren Gebrauch folgenden Reizungserscheinungen des Magen-
und Darmtractus. Beim Natr. salicyl. fielen solche Nachtheile weg. Er wandte
das Mittel zunächst an in 5 Fällen von Polyarthritis acuta, in 2 Fällen von catar-
rhalischer Pneumonie und in einem septischen Fieber. Kindern über 7 Jahren gab
er bis 5 gmm., von 3—6 Jahren zwischen 2,0 und 3,0 und solchen von unter 3
Jahren zwischen 1,0 und 1,5. Die Dosen wurden meist innerhalb 1—2 Stunden
verabreicht. Der Temperaturabfall erfolgte sehr prompt, meist innerhalb 2—3
Stunden nach Anwendung des Mittels; er betrug 1,0, 1,5—2,0°, mitunter mehr, in
den Fällen von Polyarthritis war die Wirkung eine noch ausgiebigere. In 3 der
beobachteten Fälle folgten auf die Anwendung von mittleren Gaben von salicyl-
saurem Natron momentan beängstigende Collapsuserscheinungen. So fiel bei einem
7jährigen an catarrh. Pneumonie mit Pleuritis erkrankten Knaben auf eine inner¬
halb einer Stunde gereichte Gabe von 5,0 gmm. binnen 2 Stunden die Temperatur
*) Diese Zusammenstellungen habe ich vor etwa einem halben Jahre gemacht; seitdem kam
noch eine grössere Anzahl, namentlich von Typhus und Scharlach, zur Behandlung, die Erfahrungen,
die wir dabei machten, ergaben im Wesentlichen dieselben Resultate,
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unter dem Ausbruche kalten Schweisses und Erbrechen von 40,0° auf 36,2°, doch
ohne weitere schlimme Folgen.
Stoffen berichtete über die Behandlung des Typhus abdominalis mit Natron
salicylicum auf der Naturforscherversammlung in Hamburg 1876.
Er hat 30 Fälle aus dem Stettiner Kinderspital zusammengestellt, 16 Knaben,
14 Mädchen, deren 8 im Alter von 3—7, die übrigen von 7—14 Jahren. Die Symp¬
tome des Typhus entschieden ausgeprägt. Mit Ausnahme von 4 Fällen nur Natr.
salicyl. angewandt. Die im einzelnen Fall gegebene Menge variirte zwischen 2,0
und 36,0. Die geringere Menge kam durchschnittlich dem jüngeren Alter zu. In
der Regel betrug dieselbe 10,0 bis 11,0. Es wurde meist in Dosen zu 1,0, seltener
2,0 gereicht, anfangs stündlich, in späteren Fällen, sobald die Temperatur 39° über¬
schritten hatte. Das Mittel verursachte ein Sinken der Temperatur um 1—3, sogar
bis 4 Grade. Die Frequenz des Pulses und der Respiration hielt damit gleichen
Schritt. Die Diurese wurde in der Regel vermehrt, die Diaphorese mehr bei äl¬
teren Kindern. Mit dem Sinken des Fiebers Nachlass der gesammten Krankheits¬
erscheinungen. An vorgezeigten Curen wird demonstrirt, dass das Sinken des
Fiebers entschiedener und dauernder durch Natr. salicyl. bewirkt wird als durch
die Behandlung mit kaltem Wasser.' Das Fieber war, vom Tage der Aufnahme
in das Spital qpd damit von einer Zeit gerechnet, in welcher die Krankheit nah
auf der Höhe stand, vollkommen verschwunden in 17 Fällen nach 2—5 Tagen, in
8 nach 6—10 Tagen. Die längere Dauer desselben war von Complicationen ab-
hängig. Geschlecht und Alter ohne Einfluss auf die Schnelligkeit des Ablaufs.
Collapserscheinungen nicht beobachtet, aber öfter ein Sinken der Pulsfrequenz
unter die Norm, bis auf 54—46. Die Entlassung der vollkommen genesenen Kin¬
der fand in 13 Fällen 11—20 Tage, in 8 anderen 20 — 30 Tage nach der Aufnahme
statt. Ungünstige Nebenwirkungen des Natr. salicyl. sind: Reizung der Mund-
und Rachenschleimhaut, Schwindel, Ohrensausen, selten furibunde Delirien. Nicht
selten traten ziemlich acut Transsudate mit und ohne Nephritis auf. Meist haben
diese ihren Sitz nur im Unterhautzellgewebe, doch ist ein Fall mit Erguss in den
Bauchfellsack und die Pleurasäcke beobachtet worden, jedoch günstig abgelaufen.
Mit dem Auftreten der Transsudate sinkt die vorhin gesteigerte Urinmenge, um
nach Beseitigung derselben wieder zu steigen. Von diesen 30 Fällen endete einer
tödtlich durch perforative Peritonitis. Dieselbe war veranlasst durch ein im An¬
fang des Ileum befindliches Divertikel, in welchem nicht durch den Typhusprocess,
sondern in Folge von Necrose durch Kothstauung-Perforation am freien Ende ent¬
standen war.
Die Behandlung mit Natr. salicyl. zeichnet sich vor anderen und namentlich
der mit Wasser durch den schnelleren Ablauf, den minderen Verbrauch der Kräfte,
den rascheren Eintritt der vollkommenen Genesung aus.
Riese (berl. klin. Wochenschr. 50 und 51, 1875) beobachtete bei Kindern von
6—12 Jahren auf Dosen von 2,5 gmm. Salicylsäure Abfälle bis zu 3—4°. Die Ein¬
wirkung dauerte bisweilen 24 Stunden; hie und da zeigte sich Eingenommenheit
des Kopfes, mässiger Schweiss, vorübergehendes Ohrensausen, wenige Male kurz-
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dauernde psychische Aufregungszustände. Erwähnenswerth ist das Verschwinden
der Dichrotie des Pulses.
Nathan (kieler Dissertation 1875: Ueber die Bedeutung des Natron salicylicum
als Antipyreticum) fand bei Kindern die Abnahme der Pulsfrequenz so bedeutend,
dass er glaubt, das Mittel liesse sich anwenden bei Klappenfehlern des Herzens;
auch die Abnahme der Respirationsfrequenz ist auffallend. Er räth Salzsäure
an bei Erbrechen auf Natr. salicyl. und hält die Bäder bei regelmässiger Anwen¬
dung des Mittels für entbehrlich.
Benoch thut in seiner Arbeit über den Typhus abdom. des Kindcsalters (Cha-
ritü-Annalen 2. Jahrg.) der Salicylsäure Erwähnung. Er wandte dieselbe in einer
Verbindung mit Natron phosphoricum an und erhielt darauf starken Schweiss; bei
2 Kindern constant Brechen. — Er hält es in seiner Wirkung dem Chinin gleich-
werthig.
Unsere 72 Fälle, die wir einer näheren Betrachtung unterziehen wollen, ver¬
theilen sich dem Alter nach folgendermaassen:
10 Fälle von 0— 2 Jahren
25 n „ 3— 5 „
26 „ „ 6-10 „
11 * „ 11-15 „
Indem wir nach der für jedes Alter wirksamen antipyretischen Dosis gesucht
haben, sind wir auf grössere Schwierigkeit gestossen, als beim Chinin. Man erhält
auf Natr. salicyl. häufiger als auf Chinin unerwartete Effecte; es kommt eher vor,
dass wir einerseits auf ziemlich grosse Dosen nicht die gewünschte Wirkung er¬
halten, aber auch, dass auf der andern Seite schon kleinere Gaben unverhältniss-
mä8sig starke Wirkungen ausüben.
Wenn wir das Mittel, ähnlich wie das Chinin, innerhalb kurzer Zeit, meist
innerhalb ’/ a —1 Stunde, gewöhnlich in 2 Abtheilungen, verabreichten, so erhielten
wir in weitaus der Mehrzahl der Fälle auf folgende Dosirungen die gewünschte
Wirkung mit Vermeidung von schwereren ungünstigen Nebenwirkungen:
Unter 1 Jahr schwankte die Dosis zwischen 1,0 und 1,5 gmm.
Von 1— 2 Jahren „ „ „ „ 1,0 „ 2,5 „
»3 — 5 „ „ » 7> « 2,0 „ 4,0 „
„ 6-10 „ „ „ „ „ 3,0 „ 5,0 „
» 15 n r> n » » 3,5 „ 7,0 ,,
Wir können als mittlere Dosen für die verschiedenen Altersstufen ansehen: *
für Kinder unter 1 Jahr 1,0 gmm.
„ „ von 1— 2 Jahren 1,5—2,0 gmm.
n » »3—5 „ 2,5-3,0 „
„ a „ 6-10 „ 3,5-4,0 „
an r> H 15 „ 4,0—5,5
Es wird also bei Kindern ungefähr das 2fache der wirksamen Chinindosis
nöthig sein, um den gewünschten antipyretischen Effect zu erreichen.
Ausser dem Alter, welches für die Bestimmung der Stärke der Dosis am maass-
gebendsten ist, sind noch eine Anzahl weiterer Factoren von Einfluss. Wir werden
uns bestimmen lassen von dem Charakter der Krankheit, von dem Stadium derselben,
von der Tageszeit und von der Individualität des Kindes. Im Beginn einer Schar¬
lacherkrankung mit hohem Fieber werden wir zur Erzielung einer gehörigen Re-
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mission eine recht grosse Dosis nöthig haben und selbst dann werden wir hie und
da von dem Mittel im Stiche gelassen; denn die Wirkung ist nur eine sehr kurz
dauernde, so dass der wohlthätige Effect für den Arzt kaum merkbar ist; auch in
schweren Typhen z. B. werden wir häufig, namentlich in den ersten Wochen, auf
relativ grosse Dosen nur wenig Wirkung beobachten. Bei einem massigen Typhus
dagegen werden wir gewöhnlich mit den oben angegebenen mittleren Dosen aus-
kommen und im Ablauf desselben genügen oft schon kleinere Dosen. Ueberhaupt
werden wir in dieser Krankheit im kindlichen Alter weniger versucht, die grossen
Dosen mit Energie anzuwenden; da ein schlimmer Ausgang bei einigermaassen
zweckmässiger Behandlung zu den Seltenheiten gehört. Es können im Kinder¬
spital , wo wir jährlich 10—20 Typhusfälle behandeln, Jahre vergehen ohne
Todesfall. — Auch in den verschiedenen Formen, wie Pneumonie, im Erysipel, im
Rheum. art. acut, genügen, wenn nicht besonders schwere Formen vorliegen, die
mittleren Dosen, und wo die Krankheit an sich schon einen remittirenden Fieber¬
charakter hat, kommen wir meist schon mit kleinen Dosen aus. — Wir geben be¬
kanntlich das Chinin mit Vorliebe in den frühen Abendstunden, wo die Tempera¬
tur am meisten Tendenz zum Abfall zeigt, bis gegen Morgen. Dieselbe Regel hat
auch Geltung für die Anwendung des Natr. salicyl. Wir haben darum auch das
Mittel am häufigsten um 5 Uhr Abends verabreicht und gewöhnlich nur, wenn die
Temperatur 39,5 in der Achselhöhle überschritten hatte; selten wandten wir das
Mittel häufiger als 1 Mal in 24 Stunden an. — Um die Wirkung des Mittels zu
prüfen, haben wir das Mittel übrigens auch zu jeder anderen Tageszeit verabreicht
und dabei hat sich herausgestellt, dass um 11 Uhr Vormittags ceteris paribus die
Wirkung am geringsten ausfiel (Nebenbei gesagt, haben wir in allen diesen Fällen
zur Controlirung der Wirkung 3stündliche Temperaturmessungen vorgenommen.)
Ausser den angeführten Momenten ist jedenfalls auch die Individualität von
Einfluss auf die Wirkung. Bei reizbaren, nervösen Individuen bekamen wir auf
kleine Dosen schon sehr starke Remissionen; von den unangenehmen Nebenwir¬
kungen , die bei solchen Kindern ein treten, haben wir unten noch ein Wort zu
sagen. —
Wir glauben dann ferner die Beobachtung gemacht zu haben, dass eine ge¬
wisse Abstumpfung dem Mittel gegenüber eintritt, dass also die ersten Dosen in
einer Krankheit mit continuirlichem Fieber eine stärkere Remission bewirken, als
die späteren.
Auf die mitgetheilten Dosen erhielten wir Remissionen meist zwischen 1,5 und
4,0°. Der Temperaturabfall erfolgt schon innerhalb der ersten 3 Stunden in der
grossen Zahl der Fälle; nach 6 Stunden haben wir in den meisten Fällen die
grösste Remission. Im Allgemeinen lässt sich dann weiter sagen, dass ein deut¬
licher Effect zu bemerken war noch nach 12 Stunden, in vielen Fällen konnte so¬
gar noch nach 24—36 Stunden die antipyretische Wirkung nachgewiesen werden;
in anderen auch nicht seltenen Fällen konnte freilich die Temperatur schon nach
3 Stunden wieder steil in die Höhe gehen. — Diese Unterschiede werden ausser
gewissen oft nicht näher definirbaren individuellen Eigenthümlichkeiten bedingt
durch die bereits erwähnten Factoren, nach denen wir uns bei der Bestimmung
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454
der Dosis zu richten haben, durch die Zeit der Darreichung des Mittels, die Art
und das Stadium der Krankheit.
Mit dem Temperaturabfall beobachten wir regelmässig auch eine Abnahme der
Pulsfrequenz. Bald nach dem Verschlucken des Medicaments sehen wir sehr
oft für kurze Zeit eine Zunahme und zugleich ein Unregelmässigwerden des Pul¬
ses; es fällt diese Erscheinung zusammen mit der nicht selten eintretenden psy¬
chischen Erregung. Dieses Stadium der Pulssteigerung lässt mit dem Abfall der
Temperatur nach und dann ist der Nachlass namentlich bei kleinen Kindern oft
ein enormer, bei welchen ja überhaupt der Wechsel des Pulses schon auf gering¬
fügige Ursachen ein bedeutender ist. In Krankheiten, wo die Pulsfrequenz eine
sehr bedeutende ist, wie im Beginn eines Scharlach, ist die Abnahme auf Natr.
salicyl. ebenfalls eine sehr ausgiebige.
Mit der Abnahme der Temperatur und des Pulses beobachten wir auch eine
solche der Respirationsfrequenz.
Am meisten Verlegenheit bereiten uns alle antipyretischen Mittel in der Kin¬
derpraxis durch ihre unangenehme Wirkung auf die Verdauungsorgane. Es
wird mir jeder Praktiker zugestehen, dass er hie und da im kindlichen Alter ein
Antipyreticum, das er wegen des Fiebers für indicirt hielt, aus Rücksicht auf die
Verdauung weggelassen hat, und ich denke, ein solches Raisonnement ist nur lo-
benswerth. Von gewissen Antipyreticis, wie z. B. Veratrin, aber auch Digitalis
habe ich schon aus diesem Grunde im frühen Kindesalter von jeher abstrahirt; da¬
gegen habe ich vom Chinin einen sehr ausgedehnten Gebrauch gemacht. Aber
auch mit diesem Mittel stossen wir auf Schwierigkeiten, die bei Erwachsenen viel
leichter zu besiegen sind.
Zunächst können wir nicht einmal die jetzt so beliebten Oblaten und andere
den Geschmack verdeckende Mittel bei Kindern unter einem gewissen Alter an¬
wenden; das Mittel wird in manchen Fällen nicht genommen oder sogleich wieder
herausbefördert; in anderen Fällen müssen wir von der Anwendung abstehen, weil
der Appetit dadurch gestört wird oder weil Diarrhceeu auftreten. Aus diesen
Gründen müssen wir für jedes antipyretische Mittel, das den Verdauungscanal we¬
niger afficirt, besonders dankbar sein. Der Tausch des Chinin gegen die Salicyl-
säure war kein glücklicher; doch mit der Einführung des Salicylsalzes in der Be¬
handlung des Fiebers glaube ich, ist ein Schritt vorwärts gemacht worden. Bei
einer Anzahl von Kindern treffen wir freilich auch Ekel vor dem Mittel; doch
können wir den Geschmack mit Süssigkeit eher verdecken und die Kinder nehmen
das Mittel entschieden lieber, als das Chinin. — Brechen beobachtet man bekannt¬
lich auf Natr. salicyl. nicht selten und zwar hie und da sogleich nach dessen Ver¬
abreichung, öfter erst nach V*—'/a Stunde; das Brechen tritt im Allgemeinen um
so leichter ein, je jünger die Kinder sind. Soll man die Häufigkeit des Brechens
in Zahlen angeben, so würde nach unseren Notizen unter 5 Malen etwa einmal
Brechen eintreten. Abgesehen von der nachtheiligen Wirkung auf die Magenver¬
dauung hat das Brechen des Natr. salicyl. nicht die Bedeutung, wie beim Chinin.
— Wenn bei letzterem Mittel V*—*/* Stunde nach dessen Verabreichung gebrochen
wird, so ist eine Wirkung auf das Fieber nicht mehr zu erwarten, während, wenn
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durch das Natr. salicyl. V* oder ’/a Stunde nach dessen Aufnahme in den Magen
Brechen bewirkt wird, häufig trotzdem eine volle Remission eintritt, ein Beweis
der viel rascheren Resorption dieses Mittels. Wir haben ferner wiederholt die
Beobachtung gemacht, dass die zweite Hälfte eher bleibt als die erste, eine halbe
Stunde vorher gegebene. Mit der ersten Portion wird der Mageninhalt ausgebro¬
chen , kommt dann die zweite in den leeren Magen, so wird sie behalten. Ich
habe mir in Folge dieser Beobachtung zur Regel gemacht, das Mittel immer dem
leeren Magen womöglich einzuverleiben.
Wir beobachten ferner hie und da Diarrhceen auf das Natr. salicyl., auch wie¬
der häufiger bei kleineren als bei älteren Kindern; doch glaube ich mit Sicherheit
constatiren zu können, dass wenn auch auf unser Mittel nicht selten Brechen und
Diarrhoe eintritt, diese krankhaften Symptome schneller Vorbeigehen und dass wir
nicht die länger dauernde Appetitlosigkeit, das Darniederliegen der Magen- und
Darmverdauung beobachton, wie hie und da beim Chinin.
Von Seiten des Nervensystems bekommen wir auch bei Kindern hie und
da unangenehme Nebenwirkungen. Bei manchen besonders reizbaren Individuen
tritt auf mittlere Gaben bereits und bald nach der Verabreichung Unruhe auf, die
sich kund gibt bald in vermehrtem Reden, bald in ängstlichen Aeusserungen, die
sich steigern bis zu dem Versuche aus dem Bett zu gehen oder es treten kurz
dauernde Delirien ein; mit der Remission des Fiebers lassen diese Symptome eben¬
falls nach und es tritt unter Ausbruch von Schweiss Ruhe und Schlaf ein. — In
einem Fall von besonderer Aufregung, wo es zu furibunden Delirien gekommen
war, zeigte sich der Knabe auch während der Reconvalescenz besonders reizbar;
doch erfuhren wir von den Eltern, dass dies schon vor der Krankheit dem Knaben
eigentümlich war. Schlimme Wirkungen für später konnten wir keine nachwei-
sen; in mehreren Fällen waren allerdings die Kinder an denjenigen Tagen ruhiger,
wo unser Antipyreticum nicht verabreicht worden war. — Die auf Salicylsäure
und auch auf sehr grosse Dosen von Natr. salic. hie und da auftretenden Collap-
sussymptome, haben wir mit unseren Dosen nur äusserst selten hervorgerufen. Ich
glaube deshalb auch nicht, dass bei unserer Art der Anwendung auf die Blutmasse
ein nachtheiliger Einfluss ausgefibt werde. — Es ist mir auch nicht aufgefallen,
dass durch besondere Ancemie die Reconvalescenz eine längere geworden sei, als
in anderen nicht mit unserem Mittel behandelten Fällen. — Zu den nervösen Symp¬
tomen im Gefolge des Natr. salic. gehört das Ohrensausen, das von den Kindern
meist nur auf Ausfragen angegeben wird und nicht so stark ist, wie bei den ent¬
sprechenden Chinindosen; auch ist die Schwerhörigkeit nicht sehr ausgesprochen.
Die constanteste Begleiterscheinung der Fieberremission auf Natr. salic. war der
Schweiss, den wir in etwa Zweidrittel der Fälle beobachtet. Der Schweiss tritt
häufiger auf bei älteren Kindern, häufiger bei schwächlichen als bei kräftigen und
starker bei einem ausgiebigeren Temperaturabfall. Doch ist derselbe durchaus
nicht nothwendig mit Schweiss verbunden;, in einem Drittel der Fälle vielleicht
bekamen wir gute Remissionen ohne nennenswerthe Schweisssecretion.
Zur Verbesserung des Geschmackes bedienten wir uns gewöhnlich des
Syr. cinnamomi oder des Succus liquiritiee. Wir können nach unseren Erfahrungen
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nicht einem der Mittel bestimmt den Vorzug geben vor dem andern; die Ge¬
schmäcker sind auch hier verschieden. Wenn das Mittel nur süss schmeckt, so
überwindet ein Kind leicht den unangenehmen Nebengeschmack, bei dem der Er¬
wachsene sich so gerne schüttelt. Alle diese Beobachtungen sind übrigens mit
einem sehr reinen Präparate gemacht worden , das wir aus der hiesigen Spital¬
apotheke bezogen, wo Herr Dr. Buss seine ausgedehnten Beobachtungen an Er¬
wachsenen vorgenommen hat.
Wenn wir nun unsere Erfahrungen über Natr. salicyl. und über Chinin
mit einander vergleichen , so kommen wir für das kindliche Alter zu folgendem
Schluss :
Mit den oben mitgetheilten Dosen von Natr. salic. bekommen wir stärkere
Remissionen und einen rascheren Abfall, als auf diejenigen Chinindosen, die bei
mir gebräuchlich waren und über die ich früher einmal Mittheilung gemacht habe. *)
Ferner bekommen wir weniger anhaltende und weniger intensive unangenehme
Nebenwirkungen im Verdauungstractus auf Natr. salicyl. Dass dieses Mittel lieber
genommen wird und trotz den grösseren Dosen, die man geben muss, viel billiger
zu stehen kommt, als das Chinin, ist ebenfalls nicht gering anzuschlagen.
Und fassen wir schliesslich die gesammte Fieberbehandlung in’6
Auge, so wird dieselbe durch Einführung dieses Mittels wesentlich vereinfacht und
gewiss auch dem Patienten angenehmer, als die frühere. Während wir früher bei
Behandlung fieberhafter Krankheiten der Kinder von der Anwendung des Wassers
in Form von Bädern, Einwicklungen und Eisblasen einen ausgedehnten Gebrauch
machten neben der energischen Anwendung des Chinin, können gegenwärtig Wo¬
chen vergehen, ohne dass im Kinderspital ein Bad verabreicht wird zum Zweck
der Herabsetzung des Fiebers. Kommen schwere Scharlach- oder Typhuserkran¬
kungen dazwischen, so greifen wir freilich gleich von Anfang zur Kältebehandlung;
für die leichteren Fälle begnügen wir uns jedoch mit der Anwendung des salicyl-
sauren Natron. — Ebenfalls sind wir nur selten veranlasst, durch unabweisbares
Ekelgefühl oder durch wiederholtes Brechen auf Natr. salic. statt dessen Chinin
anfeuwenden.
V ereinstoeriobte.
III. Vereinigte Versammlung des ärztlichen Central-Vereins und der
SocidtC mddicale de la Suisse romande.
Samstag den 19. Mai 1877 in Bern.
Präsident: Dr. Sonderegger, Schriftführer: Dr. Kaufmann.
(Schluss.)
Unter Begleitung des bemer Orchesters begann das Mittagessen im grossen
Casinosaale, der ganz gefüllt war. Wie alle Theilnehmer sich etwas erholt hatten
*) Jahrb. f. Kinderheilkunde 1872 p. 181 u. f.:
Im Alter von 1— 2 Jahren schwankte die Dosis zwischen 0,3 und 1,0 gmm;
b n b 3— 6 „ n b b b 0,5 „ 1,0 „
n n b 6 — 10 „ „ „ „ b 0,6 „ 1,3 „
„ „ „ 11—15 „ „ B B b 0,6 „ 2,0 „
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von den Strapazen des Vormittags erscholl das präsidialische Silentium. Gerne
hielten Alle ihre digestiven Mechanismen im Zaume, um den classischen Worten
unseres Präsidiums zu lauschen:
„Sag’ an, Helvetia, du Heldenvaterland,
Wie ist dein altes Volk dem jetzigen verwandt?“
so rief Haller, dessen 100jährigen Gedächtnisstag die Stadt Bern bald begehen wird.
Tit.! Wir wollen nicht prahlen mit den Heldenthat^n unserer Väter, aber in
hohen Ehren halten wollen wir ihr Andenken und uns emporarbeiten an ihrem
Vorbilde.
Insbesondere für uns Aerzte ist Haller ein hohes und reines Vorbild.
Wenn der Geist des gewaltigen Mannes heute durch unsere Versammlung
schreitet, kann er sich freuen, dass sein altes Bern grösser geworden ist,, dass
Genfer und Graubündner, Basler und Glarner heute allzumal Berner sind, anhäng¬
lichere als ehemals die Waadtländer und Aargauer;
er grösst achtungsvoll den hohen eidg. Rathsherrn, den Ehrengast unserer
Versammlung, der klar, wohlwollend und stark für die sociale Medicin einsteht;
er grüsst uns Alle freundlich als seine Collegen und findet unter den Lehren¬
den und den Lernenden, in der Eidgenossenschaft und in dieser Versammlung,
manche treue Jünger, die seinem Namen und seinem Vaterlande Ehre machen.
Den unverwelklichen Lorbeerkranz, welchen die Wissenschaft um seine Schlä¬
fen gewunden, hat er nur in vieljährigem, rastlosem, unverdrossenem Arbeiten ver¬
dient: haben wir es ihm nachgethan, ein Jeglicher nach seinem Vermögen?
Seine Macht hat er begründet durch die harmonische Ausbildung seiner Kräfte:
haben wir uns auch wenigstens bestrebt, nicht blosse Techniker in unserem Fache,
sondern ganze gebildete Männer zu sein?
Seine wissenschaftliche Grösse wurde getragen von einem bescheidenen, in
tausendfachen Leiden und Widerwärtigkeiten standhaften und liebenswürdigen
Charakter; können wir uns auch dieser classischen Humanität rühmen, deren Reiz
nie veraltet, die zugleich entflammt und beruhigt und die allein den Gelehrten
zum Arzte und den Arzt zum Freunde seiner Kranken — und seiner Collegen
erhebt!
Wenn nach einem Jahrhundert die schweizerischen Aerzte sich versammeln,
wie werden sie von uns sprechen, und welches Erbtheil werden sie uns ver¬
danken?
Tit.! Ich hoffe jedenfalls das Erbtheil redlicher Gesinnung und eines warmen
Patriotismus; sie sollen uns — so Gott will — nachrühmen, dass wir nicht mit
kleinlichem Gezänke unsere Kräfte zersplittert, sondern unsere sociale Aufgabe fest
im Auge behalten, dass wir nicht niedergerissen, sondern aufgebaut und der Me¬
dicin sowohl die Achtung als auch die Liebe des Volkes erworben haben.
Tit-! Unser Hoch gilt der ärztlichen Arbeit im Geiste Haller s, gilt der Ver¬
einigung aller wissenschaftlichen und humanen Kräfte zum Wohle des Vaterlandes.
— Dem Vaterland sei unser Hoch gebracht 1
Ueberwältigend war der Eindruck dieser herrlichen Worte und mit Begeiste¬
rung erscholl das donnernde Hoch.
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408
Den zweiten Toast brachte Prof. Kocher (Bern) auf die schweizerische Aerzte-
Commission.
Dr. Burckhardl-Merian (Basel) verdankte zunächst Namens der Aerzte-Commis-
sion das ihr heute gegebene Zutrauensvotum. Sein Hoch gilt den Collegen aus
der romanischen Schweiz, welche zu dem schweizerischen Centralverein in so in¬
nigem Zusammenhang stehen, dem letztem in seinem Kindesalter zum Vorbilde
dienten in seinem Jünglingsalter dem Rufe der Vereinigung folgten und den ersten
schweizerischen Aerztetag feiern halfen, und welche auch in seinem Mannesalter so
treulich zu ihm stehen.
Prof. Dr. Prevost (Genf) verliest das folgende Schreiben von Dr. Piachaud , Prä¬
sident der Sociätä mädicale de la Suisse romande:
„Messieurs et träs-honoräs confräres! Permettez au präsident de la Sociätä
mädicale de la Suisse romande, de vous adresser quelques paroles en vous ex-
primant ses sincäres regrets de ne pouvoir ätre präsent h cette belle räunion k la-
quelle les mädecins de la Suisse entiäre ont ätä convoquäs. Mon devoir comme
Präsident, et mon däsir comme mädecin me sollicitaient vivement de me rendre au
milieu de vous, mais les devoirs professionnels m’en empächent, et je le regrette
sincärement.
Les mädecins de toutes les rägions de la Suisse soit allemande, soit italienne,
soit romande, se connaissent sans doute plus ou moins par la correspondance, par
les Services militaires, par les äcoles auxquelles ils sont appeläs, par la lecture
de leurs äcrits respectifs; mais la diffärence de langage rend malheureusement leurs
rapports souvent difficiles.
II en räsulte que les mädecins de ces deux parties de la Suisse sont en quel-
que sorte assez ätrangers les uns aux autres, et cependant tous leurs intäräts sont
communs: ils habitent la mäme patrie, le mäme pays, ils exercent la möme pro-
fession. Un seul äläment les tient äloignäs les uns des autres, c’est la diffärence
du langage, ce qui suffit pour les empächer de se communiquer leurs sentiments rä-
ciproques d’estime et de confraternitä; aussi devons nous däsirer avec ardeur que
les deux langues soient enseignäes partout dans nos äcoles de fa$on k devenir
de plus en plus familiäres k chacun. Alors il n’y aura plus aucune barriäre qui
nous säpare; nous pourrons, dans nos räunions, discuter facilement sur toutes les
questions scientifiques et professionnelles, et nous verrons encore mieux que nous
ne pourrons le faire aujourd’hui, que si sur certains points de dätail nous pouvons
divergcr d’opinion, nous sommes tous d’accord quand il s’agit d’affirmer notre pro-
fond respect pour l’honorabilitä de la profession mädicale et notre däsir commun
de faire tous nos efforts pour la maintenir au rang des professions les plus dignes
et les plus äleväes.
L'idäe de räunir en un jour, fixä k l’avance, tous les mädecins suisses, est des
plus heureuses et Berne ätait bien la ville la mieux choisie pour cette convocation.
Nous aurions voulu nous y rendre tous, nous mädecins de la Suisse romande pour
serrer la main de nos chers et honoräs confräres de la Suisse allemande, auxquels
nous sommes unis par les liens intimes et sacräs de la confraternitä et de la patrie;
nous aurions voulu pouvoir leur exprimer nos sentiments id’estime et de bonne
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amitiä d’une mani&re directe, mais malheureusement les devoirs de la profession
ne Tont pas permis ä la plupart d’entre nous.
Au mois de Septembre de cette ann6e se r^unira k Gen&ve, charg4e de repr6-
senter la Suisse enti&re, le congrös medical international. Nous osons compter sur
un nombre considörable de nos confr&res de la Suisse allemande, pour nous aider
k recevoir cordialement les mädecins de tous les pays, et pour leur montrer la par-
faite Union qui r&gne entre tous les membres du corps mödical suisse. Rappelez-
vous en effet que ce n’est pas Gen&ve seule qui re^oit le congr&s, mais bien la
Suisse toute enti&re qui a 6t6 d6sign6e pour si&ge de sa cinquteme session. II est
donc de toute importance que le corps medical suisse soit reprösentd par le plus
grand nombre possible de ses membres.
II ne pouvait pas s’ofiVir une meilleure occasion que celle-ci pour vous faire
une semblable demande, et dans la pensäe que vous l’accueillerez favorablement, je
dfoire en terminant vous fäliciter de la r^ussite de la belle r6union de ce jour et
boire k l’union toujours plus intime des mädecins de la Suisse allemande et de la
Suisse romande.“
Prof. Prävost bringt zum Schlüsse ein Hoch auf die Union m6dicale suisse.
Es ergreift jetzt das Wort unser Ehrengast, Herr Bundesrath Droz , dessen mit
grossem Beifall aufgenommenen Toast wir hiemit mitzutheilen in der angenehmen
Lage sind:
„Messieurs! Votre honorable pr^sident, Mr. le Dr. Sonderegger, et le comitä de
la ville de Berne, m’ont fait le plus grand plaisir en voulant bien m’inviter k assis-
ter k vos d41ib6rations de ce matin et k votre banquet. Le cours impr6vu des
choses, en m’envoyant au d6partement föderal de l’intärieur, m’a fourni l’occasion
de m’occuper d’un certain nombre de questions qui intäressent tout spöcialement
le personnel medical suisse. Je m’en trouve, Messieurs, extrömement honor4 et
je puis vous assurer que si j’apporte fort peu de comp6tence dans de semblables
questions, j’y mets du moins le d6sir le plus complet de les regier k votre satis-
faction et pour le mieux des int4r§ts si 61ev6s et si consid6rables que vous repr6-
sentez dans la nation.
La p4riode dans laquelle nous sommes est une des plus interessantes, et aussi
des plus importantes, de l’histoire des questions mödicales en Suisse. Le döve-
loppement des nouvelles institutions föderales doit faire subir k l’ancienne Organi¬
sation sanitaire une transformation gtinörale. Les efforts isoläs des cantons et des
mädecins, des autorit^s sanitaires dans chaque canton, doivent faire place k une
action commune, seule capable, par la röunion de toutes les forces, d’amener des
r&ultats positifs. Ainsi, Messieurs, dans le domaine de la statistique, — de la
statistique, si indispensable pour l'ötablissement d’une bonne police sanitaire et
d’une bonne hygiöne publique, — nous sommes maintenant bien mieux en mesure
qu’auparavant de r^aliser des progr&s s^rieux. D6jä, gräce k l’institution de
l’6tat civil, nous sommes arriv6s k fournir sur le mouvement de la population, en
particulier sur les naissances et les d6c&s, des donnäes hebdomadaires et trimestriel-
les qu’ii eüt 4t4 absolument impossible de se procurer dans l’ancien ordre de cho¬
ses. Ce Service doit Ötre am61ior6 et d6velopp6 afin qu’ii puisse d^ployer toute son
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460
utilit^ pour los mEdecins et qu’il arrive k ouvrir sErieusement les yeux de tous les
Odiles municipaux de la Suisse sur tant de causes de mortalitE qu’il serait possible
de prEvenir et d’Ecarter.
Messieurs, les travaux de la statistique ont EtE souvent critiquEs et ridiculisEs
parce qu’on les a, souvent aussi. lancEs dans la voie des exagErations et des
excentricitEs. On a voulu lui faire dire toute espEce de cboses, k cette pauvre
statistique, et la fameuse question, aujourd’hui pendante devant vous, de la vaccina-
tion et de la revaccination obligatoires, en fournit la preuve. Or, Messieurs, il
faut que la Suisse, en matiere mEdicale corarae en toute autre, s’attache k faire
de la statistique sErieuse, et pour cela la premiEre condition est de bien poser les
questions, sans Equivoque et sans dEtails utiles. La seconde condition pour avoir
une statistique bien faite , c’est que ceux aux bons Offices desquels on s'adresse,
veuillent bien seconder ä cet effet les eflforts de radministration. Messieurs, je me
permets de vous recommandet, dans 1'intErEt de la science mEdicale, les demandes
de renseignements que le dEpartement fEdEral de l’intErieur est appelE k vous adres-
ser, et j’ose croire que nous pourrons toujours compter de plus en plus sur votre
concours EclairE autant que dEvouE.
Messieurs, la confEdEration a une autre tache k remplir k l’Egard du person-
nel medical. Avec la nouvelle Constitution, les frontieres cantonales se sont abais-
sEes devant vous, et vous pouvez aujourd’hui vous Etablir oü bon vous semble sans
avoir k subir les vexations dont on se plaignait auparavant. DEsormais, vous avez
le droit de donner vos soins k tout citoyen suisse dans la vie civile aussi bien
qu’on vous y oblige depuis longtemps dans la vie militaire. Mais ce progrEs si
simple et si naturel a EtE accompagnE d’une circonstance fäcbeuse; il a fallu, et
je reconnais que cela Etait nEcessaire, crEer une Situation transitoire qui a laissE
place it beaucoup d’abus. Le devoir des autoritEs fEdErales est d’y mettre fin
le plus töt possible. Il faut que 1’EgalitE qu’on a Etablie entre les mEdecins des
divers cantons existe non seulcment quant aux droits, mais aussi quant aux obli-
gations; il faut qu’au point de vue de la science et des connaissances pratiques,
tous les mEdecins dcviennent Egaux, et cela non point dans le sens du nivellement
par en bas, mais dans le sens de 1’ElEvation continue des Etudes mEdicales.
J’ai le plaisir de vous annoncer que le conseil fEdEral a terminE hier la dis-
cussion du projet de loi, si souvent rEclamE, sur le libre Etablissement du person-
nel medical. Ce projet sera soumis k 1’assemblEe pour la session qui s’ouvre dans
quinze jours, et dans laquelle j’espEre qu’il pourra ötre complEtement discutE. Ce
projet est l’ceuvre d’experts, au nombre desquels je dois noramer en toute pre¬
miEre ligne Mr. le Dr. Frcderic Müller de Bälc; il a EtE gEnEralement bien accueilli,
par les uns comme un vEritable progrEs sur l’ancien Etat de cboses, et par d’autres,
il faut le dire aussi, comme un mal nEcessaire. Il peut se faire en rEalitE que
quelques cantons n’y trouvent pas leur compte et eussent prcfErE conserver leur
ancienne Organisation. Mais, Messieurs, ces sentiments particularistes doivent Etre
dominEs par un sentiment plus ElevE, plus gEnEral, plus gEnEreux: appelEs k servir
sous le möme drapeau et au m£me titre pour la dEfense de la patrie, les mEdecins
suisses doivent tenir k honneur de former ensemble un corps dont tous les mem*
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461
bres ayant k remplir les mömes fonctions, doivent avoir les mflmes droits et les
meines aptitudes. Cette croix fEdErale, que vous portez sur votre brassard mili-
taire et qui est devenue le signe de ralliement de 1’humanitE dans le monde entier,
nous devons l’arborer joyeusement aussi en matiEre de lEgislation föderale- Quand
on l’a choisie, cette croix, comme l’emblEme de la patrie suisse, toutes les arraoi-
ries cantonales auraient pu concourir et chacune demander d’Etre prEfErEes. Mais
S’aurait EtE des rivalitEs mesquines. Les armoiries cantonales, c’est-k-dire les pre-
rogatives des cantons, la loi fEdErale les respecte en plein, attendu qu’elle laisse
aux cantons la libre Organisation et la libre administration de leur pölice sanitaire.
Mais la croix föderale, qui flotte au-dessus de toutes ces diversitEs cantonales, c’est
le principe du libre Etablissement des personnes douEcs k la pratique mEdicale, c’est
la Constitution d’un corps mEdical suisse offrant quant k ses Etudes les garanties
les plus sErieuses dans tous les cantons. Messieurs, je n’ai pas l’honneur d’appar-
tenir k votre noble profession, mais il me semble qui si j’Etais l’un de vous, je
serais fier et heureux de sentir que dorEnavant tous les mEdecins suisses seront
plus prEs les uns des autres , auront une Egale estime les uns par les autres, et
pourront travailler tous ensemble, de plus en plus efficacement, dans un grand
mouvement d’Emulation patriotique, k l’accomplissement de votre belle mission hu-
manitaire.
Messieurs, je bois au corps mEdical suisse, devenant l’un des piliers les plus
solides de l’Edifice de la patrie 1“
Dr. Schneider (Bern) verdankt Namens der deutschen Schweiz die freundschaft¬
liche Einladung der SociEtE mEdicale de la Suisse romande zum internationalen
medicinischen Congress und wünscht, es möchten recht viele der Unsrigen der
Einladung Folge leisten. Er möchte zugleich unserm Central-ComitE an’s Herz
legen, die Herbst-Versammlung in Olten so zu richten, dass man von Olten un¬
mittelbar nach Genf reisen könne. Er trinkt auf ein glückliches Resultat dieses
Congresses.
Das Präsidium gedenkt des leider von uns fernen Freundes, der jede Woche
in unserer Mitte erscheint und uns über medicinische Neuigkeiten berichtet. Er
stosst an auf sein Wohl. Freudigen Wiederhall finden die präsidialischen Worte
und aus Aller Mund schallt es: „Es lebe unser Freund A. B .!“
Zum Schlüsse brachte noch Dr. Müller (Apotheker, Bern) ein Pereat auf die
alte Pharmacie; er appellirte in seinem Toaste an die Mithülfe der schweizerischen
Aerzte, wenn auch für die Pharmacie das Streben nach zeitgemässer Reform zum
Ausdruck gelangen wird. Er bringt ein Pereat allem unlautern modernen Arznei¬
kram, bo gut wie der mittelalterlich arabischen Apotheker-Wirthschaft; ein Vivat
der naturwissenschaftlichen Medicin und an ihrer Seite einer wissenschaftlichen
Pharmacie, rein ihren ursprünglichen und schönen Zwecken dienend.
Dr. Prevoet bringt ein Hoch auf unsern hochverdienten Nestor Dr. J. R. Schneider.
Doch der Redestrom floss nicht unaufhörlich. In angenehmster Weise hatte
ihn zunächst Frau Musika durch die Productionen des berner Orchesters unter¬
brochen, dann erfreute sich das Mediciner-Quartett allgemeinen Beifalls. Wieder
war es ein Solo-Gesang von Dr. Zbinden (Bern), der ein wohlthuendes Intermezzo
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bildete. Auch die Poesie trug das ihrige zur Unterhaltung bei, indem unser Ehren¬
gast, Herr Director J. V. Widmann als Homo inductus eine gelehrte Abhandlung in
Form des folgenden Ghasels brachte:
*Aqtaxov [*kv vöioq.
Das Wasser sei das beste, sprach einst Pindar;
Doch — hoff ich — sprach er’s, als er noch ein Kind war.
Denn später, als ihn Manneskraft durchglühte,
Da nahm er seinen Vortheil wohl geschwind wahr
Und zapfte sich in seinem Felsenkeller
Vom Chios, Cyprer — was just im Gebind war.
In unsern Tagen kommt die böse Reblaus;
Da heisst es nächstens: „Gute Tropfen sind rar!“
Und spätere Geschlechter, nolens volens,
Sie halten es aus Noth zuletzt mit Pindar.
Nur einem Wasser ist bei allen Trinkern
Das kleinste Lob, so glaub’ ich, unerfindbar.
Das Hunyadi mein’ ich. Ach, noch spür’ ich,
Wie, als ich’s trank, mir im Gemüth so lind war.
Kaum wusst ich mehr, ob ich ein homo sapiens,
Nicht eher ein grünfutterkäuend Rind war.
Verschreiben freilich kann es jeder Doctor,
Doch tränk’ er’s, würd’ ihm seine That geschwind klar.
Von bösen Stürmen kann doch wahrlich sprechen.
Nur wer schon selbst im Kampf mit Well’ und Wind war.
Drum bitt’ ich Euch, ihr Herren! reicht dies Wasser
Dem armen Leidenden nicht so geschwind dar.
Gelobt es hier! und trinkt darauf was Besseres:
Denn — dieser Wein vor uns, er ist verschwindbar. —
Zum Schlüsse folgte noch eine theatralisch-mimische Production des „Zahn¬
ausziehers und seines gediegenen Patienten“, die mit grossem Beifall aufgenommen
wurde.
Allmälig nahte das Stadium decrementi: die Reihen lichteten sich, und so weh-
müthig es auch viele ankam, es schlug ihnen die Stunde der Trennung, die sie
wieder zurückrief in ihren Wirkungskreis. Indess fand sich doch noch eine schöne
Zahl, die beschloss den Tag in würdiger Weise zu schliessen. Zunächst ging’s
auf8 Schänzli, das zwar diesmal nicht gerade grosse Anziehungskraft bezüglich
der Aussicht entwickeln konnte: dafür aber gedieh die gemüthliche Unterhaltung
in um so besserer Weise. Die altehrwürdigen Burschenlieder ertönten wieder und
mit ihnen wurden die vielen Erinnerungen an die für die meisten leider schon
längst entschwundene Studienzeit wieder wachgerufen. Zu früh machte sich leider
ein separatives Princip geltend, und viele verdufteten spurlos, andere drückten
sich in annehmbarer Weise. Doch die Elite fand sich nochmals zusammen im
Caf6 national, und man verlebte hier noch urgemüthliche Stunden; erst der grauende
Morgen trennte die fröhlichen Genossen.
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So schloss der dritte schweizerische Aerzte-Tag. Er ist in der That in vielen
Beziehungen ein denkwürdiger Tag: Was zunächst das Organisatorische betrifft,
so wurde zum ersten Mal der Versuch gemacht, die Verhandlungen schon am
Vormittag zu beginnen, was den Vortheil hat, dass auch die entfernter wohnenden
Collegen das Mittagessen mitmachen können, während sie sonst auf dasselbe ganz
verzichten oder sich doch sehr früh entfernen mussten, um noch zu ihren Penaten
zu gelangen. Allerdings involvirt dieser Vortheil auch den Nachtheil für die Be¬
treffenden, dass sie sich entschliessen müssen, 2 Tage zu opfern, was, wie wir uns
überzeugten, die meisten um so lieber thaten, als sie früher von einer blos ephe¬
meren Abwesenheit doch in keiner Weise befriedigt waren.
Was die Versammlung selber betrifft, so ist ihr zahlreicher Besuch ein glän¬
zendes Zeugniss dafür, dass der Geist der Einigung immer allgemeiner in den
Aerzten erwacht und dass namentlich das französische und deutsche Element im
Gefühle der Einheit ihrer Bestrebungen sich immer inniger mit einander verbinden.
Hoffen wir, dasB wir in Zukunft auch unsere tessiner Collegen in unserer Mitte
begrüssen können: sie sollen hochwillkommen sein!
Vor Allem aber ist der dritte schweizerische Aerzte-Tag dadurch wichtig, dass
jetzt der schweizerische Centralverein aus seiner bisherigen, mehr passiven Stel¬
lung in eine active übergetreten ist, im Gefühle seines Zweckes und seiner Pflich¬
ten vor die obersten Landesbehörden tritt und von denselben auch bereits die ge¬
hörige Anerkennung erntet.
Referate und Kritiken.
Drei Steine des Anstosses.
Von einem Dorfdoctor. Zürich, bei Cäsar Schmidt, 1876.
1. Die Blattern. Der Verf. hält dieselben für eine blosse Hautaffection , die auf
den am meisten betasteten Stellen der Haut hauptsächlich auftritt, ähnlich wie die Maul¬
und Klauenseuche. Er erzählt einen Fall, der beweisen soll, dass die letztere Krankheit
auch Menschen befallen könne, woiin ihm wohl Wenige beistimmen möchten. — Bei den
Blattern findet nach dem Verf. eine schubweise*) Selbstinfection und daherige Weiter¬
verbreitung der Krankheit auf demselben Individuum statt. Die Blattern treten deshalb
besonders im Gesicht, an den Händen, Füssen und Genitalien auf, weil an diesen Stellen
die meiste Gelegenheit für 8elbstinfection geboten ist.
Ihr Auftreten ist um so bösartiger, je mehr die Theile gereizt (gekratzt u. s. w.)
werden. Die Behandlung hat daher hauptsächlich dieses zu verhüten. Geschehe dies,
so seien „die Blattern im Grunde eine lächerliche Krankheit“. Der Verf. nimmt nur eine
Art von Blattern an und zählt dazu auch die Varicellen und die Vaccine. In letzterer
Beziehung möchte er wohl ziemlich isolirt dastehen. Er glaubt, dass die schlimmen Fol¬
gen des Impfens hauptsächlich daher kommen, dass das Kind nicht verhindert wird, die
Pusteln zu zerkratzen u. s. w. An eine Schutzkraft der Impfung glaubt er aber nicht.
„Das Impfen ist einfach ein Unsinn“. Dass seit seiner Einführung die Blattern im All¬
gemeinen weniger bösartig verliefen, erklärt er aus der vernünftigeren Behandlung.
2. Radicalcur der Unterleibsbrüche. Der Verf. empfiehlt als solche die
Operation des widernatürlichen Afters, die verhältnissmässig wenig gefähr¬
lich sei und gründlich hilft (?) Auch kann der widernatürliche After nachher fast mit Si¬
cherheit geheilt werden. Der Hauptvortheil dieser Operation für den Bruch ist der, dass
der Bruchsack obliterirt und dass der Leistencanal durch die Vernarbung zunächst ge¬
schlossen wird und dadurch Zeit bekommt, seine normale schiefe Stellung anzunehmen;
*) Die jungen Pusteln werden eben erst nach einer gewissen Zeit impffähig.
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denn der Verf. glaubt, der Bruch entstehe nicht sowohl durch den Druck der Eingeweide
als durch die Nachgiebigkeit der Oeffnung des Bruchcanals. Die Übeln Folgen der Her¬
nien hat er jedenfalls in zu düstern Farben geschildert, um den Vortheil der empfohlenen
Operation desto einleuchtender zu machen.
Die Hauptgefahren derselben sind:
1. Entzündung, die in Peritonitis übergehen kann,
2. die gehinderte Peristaltik, welche Adhäsionen trennen kann
und besonders 3. die verminderte Ernährung.
Die erste Gefahr wird bedeutend vermindert durch weniger barbarische Art, die
Darmscheidewand, den Bpom, zu trennen. Der Verf. empfiehlt zu diesem Zweck, den
Darm zuerst vorzuziehen, dann einen Druck anzuwenden, der die Circulation nicht auf¬
hebt. Es lässt sich das am besten machen mit einer platten, zungenförmigen Pincette
oder Doppelscheere, deren gefensterte Branchen mit Drainröhrchen so besetzt sind, dass
das eine der einen Seite in den Zwischenraum zwischen den zweien der andern eingreift.
Das Fenster erlaubt, die Trennung vorzunehmen, während die Darmschlinge noch ausser¬
halb der Bauchhöhle liegt. Der Verf. hat zwar selbst dieses Verfahren noch nicht ge¬
übt, hofft aber, dass die Chirurgen dasselbe, wenn auch vielleicht nicht so bald bei einer
Hernie ohne Einklemmung, so doch bei den eingeklemmten Brüchen ausfUhren werden.
Die Peristaltik wird viel weniger gehindert durch eine tief in die Bauchhöhle gehende
Trennung der Därme. Die Ernährung wird geradezu vermehrt, nicht nur nicht vermin¬
dert , wenn man den aus dem obern Darmrohr herausfliessenden Öpeisebrei mit frischer,
leicht verdaulicher Nahrung, wie fein gepulvertem Fleisch, dem man passend etwas ge¬
hacktes Pancreas beifügt (das bequemste wäre wohl Pepton, Ref.), vermengt, hinreichend
warm gehalten, in das untere Darmrohr einspritzt. Dadurch hat man es in der Hand,
die Widerstandskraft des Individuums zu vermehren und die Prognose zu verbessern.
„Der Darm nimmt auf, so viel man will (?)“, der Magen nicht. Der Blinddarm soll als
eine Art Vicemagen functioniren (?). — Die Obliteration des Bruchsackes erfolgt durch
die wohl nur bei Anfeinischen nicht eintretende entzündliche Verklebung des Darmstückes
mit demselben. — Zur Bekräftigung der Empfehlung der genannten Radicalcur erzählt
der Verf. 2 Fälle, 1 aus der Klinik von Prof. Demme sei. und 1 aus seiner eigenen Pra¬
xis; doch ist der letztere, obwohl an sich interessant, nur theilweise hieher zu rechnen.
3. Einige Gedanken Uber Verdauung und Lebensprincip.
In diesem 3. Steine des Anstosses entwickelt der Verf. manche originelle Gedanken.
Die Basis des Lebensprincipee findet er in der Verdauung, die or als modiflcirte Fäulniss
betrachtet. Es producirt dieselbe, wie immer, eine grosse Menge Wärme, welche sich
aber zum geringsten Theil als solche fühlbar macht, zum grössten Theile dagegen „in
Electricität, id est Nervenfluidum umgewandelt wird“. Die letztere muss im Ueberschuss
producirt werden, da wegen mangelhafter iBolirung stets eine Menge ausströrat, resp. sich
wieder ausgleicht. Während der Verdauung .geht die electrische Strömung in der Regel
von den Verdauungsorganen zu den Nervencentren. Es übt so die Verdauung einen di-
recten Einfluss auf den Körper aus. Die N. vagisplanchnici sind gewissermaassen Wur¬
zeln des Gehirns und Rückenmarks; es erklärt auch der Verf. die grössere Frequenz der
Herzschläge nach Trennung des Vagus vom Gehirn aus der Innervation desselben vom
Magen aus. — Im Blut findet ebenfalls eine Art Fäulniss statt und wird dadurch Elec¬
tricität freigemacht. — Je grösser die Quantität, - resp. die Spannung der Electricität ist,
desto grösser die Vitalität Bei anstrengender Arbeit ist daher eine grosse Menge Nah¬
rung, bei Ruhe nur eine sehr geringe nöthig. — Die Entstehung von Electricität durch
die Verdauung erklärt, warum auch bei fast absoluter Blutleere bei Thieren noch längere
Zeit kräftige Bewegungen möglich sind.*) Heisse Getränke wirken so rasch belebend,
dass diese Wirkung nicht erst nach der Aufnahme in’s Blut erfolgen kann, sondern es
wirkt ihre Wärme, in Electricität umgesetzt,**) direct belebend auf die Nerven mit Um¬
gehung des BluteB. Die Magenverdauung soll besonders die Sinnesfunctionen und die
Intelligenz, die Darmverdauung die Locomotion anregen. — Ternäre (stickstofilose) Nah-
*) Interessantes Beispiel von einem Haifisch, der fast kein Blut hatte, weil die Kiemen durch
Parasiten angefressen waren, und doch beim Einfangen sich so kräftig bewegte wie ein gesunder. (?)
**) Falls nicht beide ein und dasselbe sind, eine Hypothese, der auch der Verf. beistimmt.
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rungsmittel können in viel grösserer Quantität eingeftlhrt werden, als quaternäre (stick¬
stoffhaltige), da der Magen viel mehr an ein gewisses Quantum der letztem gebunden ist
als der Darm an ein solches der erstem. Kohlenhydrate sind so gut im Stande, Arbeits¬
kraft zu erzeugen wie Eiweisskörper, leben doch viele Menschen, ja ganze Völkerschaften
fast ausschliesslich von Pflanzenkost und arbeiten doch. Die Wichtigkeit der ternären
Nahrungsmittel ist der Grund, warum die Raubthiere mit Vorliebe die Eingeweide ihrer
Opfer verzehren (?), es enthalten dieselben eben viel Pflanzennahrung, die nicht erst gekaut
zu werden braucht. — Der Verf. glaubt, dass die Haupterscheinungnn des Fiebers sich
aus der Störung der Verdauung erklären lassen, und dass ferner die Ansemiß ein diagno¬
stischer Irrthum sei; die Schwäche beruhe eben auch auf mangelhafter Verdauung. Die
Hauptsache ist daher, auch bei Fieber die Verdauung anzuregen, sie nicht zu schwächen.
Wenn ich schliesslich noch den Gesammteindruck der drei Steine des Anstosses
wiedergeben soll, so muss ich erklären, dass der erste mich nicht befriedigt hat. Der
zweite hat etwas mehr Gutes, wird aber vielleicht kaum grossen practischen Erfolg sich
erringen. Der dritte ist unstreitig der beste und auch am klarsten geschrieben, während
die zwei ersten, besonders der erste, in dieser Beziehung um bo mehr zu wttnschen übrig
lassen, als trotz des langen Verzeichnisses von Druckfehlern deren noch eine Menge stehen
geblieben sind. _ F.
Diagnose und Therapie der Krankheiten des Menschen.
Von Bemard Kraus (Chefredacteur der „Allg. Wiener medic. Zeitung“). 980 Seiten
klein Octav. Wien 1877.
Der Verfasser ist, ausser durch seine bedeutende Stellung als Redactor einer unserer
geachtetsten Fachzeitschriften, hauptsächlich bekannt als Autor des „Compendium der
neuem medicinischen Wissenschaften“, eines Werkes, daB mit Recht eine sehr günstige
Aufnahme gefunden hat als werthvolle Anleitung* zu den diagnostischen Methoden auf den
verschiedensten Gebieten der Heilkunde. Ob das vorliegende Werk demselben Beifall
begegnen wird, muss sich noch zeigen; dooh möchte es wohl schwerlich in gleichem
Maasse der Fall sein.
Von vornherein muss die Idee eine fast betäubende Wirkung machen, die Diagnose
und Therapie, wobei natürlicher Weise die Aetiologie nicht bei Seite gelassen werden
konnte, der sämmtlicheu Krankheiten des Menschen in einem einzigen Bande kleinen For¬
mats abhandeln zu wollen, und dabei doch,' wie der Verfasser ira Vorwort sagt, den
Fehler der Unvollkommenheit zu vermeiden. Die Geisteskrankheiten sind nun freilich
gleichwohl weggeblieben, was den Autor wohl bewogen hat, im Eingang von seinem
Werk als von „Diagnose und Therapie des menschlichen Körpers“ zu sprechen.
Wir machen ihm aus dieser Beschränkung des Gegenstandes keinen Vorwurf; die
Psychiatrie lag dem bedeutenden physicalischen Diagnostiker auch imbedingt am fernsten.
Wir fragen uns aber, welchem Zwecke das Werk eigentlich dienen soll und kann. Dem
Studirenden gibt es allerdings einen Leitfaden zum Repetiren an die Hand, der an Reich¬
haltigkeit und — Wohlfeilheit alle bisher erschienenen Compendien weit übertrifft. Das
ist aber gewiss seine Hauptbestimmung nicht Es soll vielmehr dem practischen Arzt
zum Nachschlagen dienen, und zu diesem Zwecke halten wir es für entschieden zu kurz
gefasst Wir finden darin nicht mehr als das, was jeder Arzt, der geprüft ist und prac-
tisch mit Erfolg seinen Beruf ausüben will, sich völlig zu eigen gemacht und in jedem
Augenblick gegenwärtig haben muss; in schwierigen Fällen aber, und diese sind es ja
gerade, welche auch für den besten und erfahrensten Arzt die Beiziehung der fachwissen¬
schaftlichen Literatur erfordern, wird es häufig sich, als unzureichend erweisen und im
Stiche lassen. „Eine genaue Beschreibung der Operationen, welche von dem Arzte nur
irgendwie selbstständig ausgeführt werden können“ , in einem Buche zu gaben, wo die
ganze Chirurgie auf 157 kleinen Seiten abgehandelt wird, dürfte wohl manches Kopf-
schütteln hervorrufen und ist auch in Wirklichkeit gar nicht zu verlangen.
Die einzelnen Capitel sind nun übrigens, wie uns scheint, von wesentlich verschie¬
denem Werthe. So ist die Dermatologie für ein Werk, das auf so geringem Raum ein
so ungeheure« Gebiet behandelt, mit wirklich grosser Genauigkeit berücksichtigt (111 Sei¬
ten) ; auch die Kinderkrankheiten zeichnen sich durch eingehende Besprechung aus, die
fast 100 Seiten umfasst. 8chätzenswerth für den Practiker ist die reichhaltige Samm-
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lung von Recepten, worunter eich in grosser Zahl Verordnungen der bekanntesten Klini¬
ker der Gegenwart und Vergangenheit vorfinden, wobei bemerkt zu werden verdient, dass
veraltete Behandlungsweisen nach Kräften weggelaseen werden. — Zum Schluss folgt
eine kurze Skizze der Balneologie.
Sollten wir über das Ganze ein Urtheil fällen, so würde es dahin lauten, dass der
Verfasser sich eine Aufgabe gestellt, der wir als solcher unsern Beifall versagen müssen,
dass er sio aber in anerkennenswerther Weise gelöst. Das Buch wird jedenfalls als be¬
quemes Lehrmittel gekauft und gelesen werden. Trechsel.
Die wissenschaftliche Heilkunde und ihre Widersacher.
Von Prof. Th. Jürgensen. Volkmann'& Sammlung klinischer Vorträge Nr. 106.
Leipzig, Breitkopf & Härtel. 38 S.
Mit einer Belesenheit, wie wir sie gewiss nur bei ganz Wenigen, und mit einer Ob-
jectivität und kritischen Sicherheit, wie wir sie bei keinem Homöopathen finden, bespricht
Jürgensen die Lehren von Hahnemann , Mesmer und Rademacher und die hauptsächlichsten
Modificationen derselben. Er weiset vor Allem darauf hin, wie sehr die äussere Stellung
des Arztes es erfordert, dass er mit diesen Doctrinen vertraut ist. „Mit vornehmem Lä¬
cheln darüber hinwegzugleiten, ist wenig verständig.“ Jeder Arzt sollte deshalb wenig¬
stens diesen Vortrag lesen, der in ausgezeichneter Weise die Quintessenz einer weit¬
schichtigen Speciallitteratur bietet. Die gedrängte Darstellung gestattet keinen Auszug.
Sie zeigt uns unter Anderm auch, wie weit die Ansichten selbst der Grossmeister der
Homöopathie schon auf dem Gebiete der streng wissenschaftlichen Fächer von den uns-
rigen abweichen. „Will man seine Kenntnisse darin (in der Anatomie) recht erweitern,
so sehe man einem Fleischer beim Schlachten eines Schweines zu. "Wer glaubt, dass er
mehr Anatomie brauche, um heilen zu können, der irrt . . . .“ — (Arthur Lutze). Sie
zeigt uns weiter die mannigfaltigen W T under der Psora und der Wirkuugssymptome ein¬
zelner Arzneimittel (Phosphorus 1025, Sepia 1242 Einzelerscheinungen), aber auch die
schmutzige Pfütze, bis in welche der Missbrauch soi-disant ärztlichen Handelns führt
(Mittheilungen des Dr. v. Guttceit ).
Nur in einem Puncte möchten wir widersprechen, in dem Verlangen nach längerer
Studienzeit für die Studenten der Medicin nämlich. Allerdings ist eine allseitige und
gründliche Bildung, sowie die Fähigkeit des selbstständigen Denkens das beste Mittel
zur W T ahrung des Berufes nach aussen und innen, und wer kann, der soll keinerlei Opfer
scheuen. Allein zur Zeit gestaltet sich die Lage so, dass eine längere Ausdehnung der
Studienzeit bei manchem fähigen Kopfe die Lust und bei Andern die Möglichkeit zum
8tudium der Medicin beseitigt. Man hat hiebei eben auch mit dem spätem Kampfe um’s
Dasein, vielleicht mit der Möglichkeit zur Tilgung der Studiensohulden zu rechnen. Nicht
jeder Student der Medicin ist reich. Wer bleibt aber im schwach bevölkerten, unweg¬
samen Gebirge als Arzt? Wer in den weiten und armen Arbeiterdistricten des Flach¬
landes ? Nur das Landeskind, das die Scholle liebt, auf der es geboren. Machen wir
ihm das Studium zu schwer, so fehlt der Arzt, und der Curpfuscher tritt an seine Stelle.
Wir wünschen also mit dem geehrten Verfasser wahre wissenschaftliche Bildung
und Selbstständigkeit des Denkens (resp. Handelns) für den angehenden Arzt — aber
ohne die Schranke einer durch gesetzliche Vorschriften verlängerten Studienzeit.
A. Baader.
Die klimatischen Curorte der Schweiz.
Von Dr. A. Feierabend. Neue Ausgabe 1876. Wien, Braumüller.
Wenn ich mir heute erlaube, Ihnen aus dem Büchermärkte ein Curiosum mitzu-
theilen, geschieht es nicht deswegen, dasselbe in seinem ganzen Umfange zu recensiren
— dafür wäre die Zeit zu kostbar, sondern um zu zeigen, wie man da und dort Bücher
fabricirt. Die bekannte wiener Buchhandlung Braumüller hat eine Badebibliothek heraus¬
gegeben und Nr. 15 ist betitelt: „Die climatischen Curorte der Schweiz vou Dr. A. Feier¬
abend etc. etc. Neue Ausgabe 1876.“ Dieses mit Bchöncr Toilette und Vignette aufge¬
putzte Buch hat nach dem Verfasser den Zweck, als Leitfaden zu einer richtigen Auswahl
der Curorte zu dienen, wozu ihn langjähriges Quellenstudium und eine 35jährige ärztliche
Wirksamkeit berechtigen!
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Ich bin noch im Besitze der ersten Auflage dieses Buches von 1865 und ist dieselbe
mit Werber'% „Schweizer-Alpenluft“ zusammengebunden, weil es gleichsam als Stiefkind
derselben zu betrachten ist Heute aber lese ich des gelehrten Feierabend ’s neue Auflage und
finde wortgetreu das alte Stiefkind wieder, wie es vor 12 Jahren leibte und lebte, auch
kein Haar hat sich demselben gekrümmt. Von der Wiege der schweizerischen Freiheit
aus fängt er an eine poetische historisch-sagenhafte und mercantile Reise nach den Cur-
orten zu machen und kommt endlich zu der Sonne in Beckenried, welche jetzt noch im
glücklichen Besitze des J. Dürrer ist; nach Schwendi-Kaltbad, wo man mit Hilfe des an
katholischen Festtagen aufgetischten Käskuchens Fettleber und speckige Entartungen gänz¬
lich gehoben hat; bald kommt er nach Rigi-Scheideck, wo der gemüthliche Wirth Müller *)
mit seiner Frau bei Guitarre und Gesang seine Gäste unterhält und diese sich einer ur¬
wüchsigen Bummelei hingeben; dann kommt es diesem Müller sogar in Sinn, nächstens aus
Gersau einen Curort**) zu machen, der Nizza ähnlich werden soll, auch soll später dieser
Ort eine Strasse nach Brunnen**) bekommen. Vitznau lebt noch mit seinem Erdmännchen -
und Gnomenspuck; Davos hat fischreiche Seen, Kartoffel- und Erbsenbau und dient zu
Luftcuren für scrophulöse Kinder etc. etc.
In einem kleinen Nachtrage von 60 Seiten büsst er die Sünden ab, die er mit dem
unveränderten Abklatsch der ersten Ausgabe an dem badelitteratursüchtigen Publicum
begangen hat, aber wieder ohne alle Gewissenserforschung und so oberflächlich als mög¬
lich. Zum Schlüsse kommt, wie in erster Auflage, ein Verzeichniss von Krankheiten mit
den Curortindicationen, z. B. Darrsucht der Greise: Pfeffere und Ragaz; Gebärmuttervor¬
fall: Reussbad in Luzern; Herzvergrösserung: Gersau, Brunnen, Weggis, Vitznau etc.
(wahr ist es, ein grosses Herz ist hier Rarität); Kitzelhusten: Beckenried ; Magenkrebs:
Milch und Molke auf Felseneck u. s. w.
Damit glaubt die Hof- und Universitätsbuchhandlung und der gelahrte Herr Verfasser
einen Baustein zu liefern zu einem zeitgemässen und vernünftigen Aufbau einer Klimato¬
logie, die der Forderung der Wissenschaft entsprechen und zum Heile der leidenden
Menschheit werden soll 11
O Braumüller, o Feierabend , wie gross sind eure Zumuthnngen; verschont uns mit
Elaboraten, die mehr zum Hohne der Wissenschaft und eine Schmach für die Verlags¬
handlung sind. (Aus der Urschweiz.)
Handbuch der Schulhygieine.
Von Dr. Ad. Baginsky. Mit 36 in den Text gedruckten Holzschnitten. Berlin, 1877.
Denicke’s Verlag. 615 S.
Ee verstund sich von selbst, dass sich die Augen der Hygieiniker vor Allem auf
das Leben des Kindes richteten. Principiis obsta, sero medicina paratur! Vor Allem sind
ee nun die Schulen, welche die Aufmerksamkeit jedes Menschenfreundes und speciell des
Arztes verdienen, weil ja ihre Einrichtung und Leitung einerseits jeweilen über das Wohl
einer grössern Gruppe von Kindern entscheidet, und anderseits der Staat die Macht hat,
ihren Uebelständen zu steuern, was bekanntlich in den Privathäusern nur zu oft nicht
der Fall ist Württemberg war der erste Staat, welcher die Schulen in ihrem Baue und
ihrem Betriebe der ärztlichen Controle unterstellte (vide die ausgezeichnete Verordnung
über die Einrichtung der Schulen und die Gesundheitspflege in denselben, 1870). Seither
sind nun viele nachgefolgt, und vollends bei uns gibt es eiue sehr grosse Zahl von Aers¬
ten, die in officieller und privater Stellung über die Schule und ihre Verhältnisse mitzu¬
reden haben.
Baginsky hat in seinem Handbuche das Wünschenswerthe mit grosser Sachkenntniss
und kritischem Urtheile zusammengestellt. Er behandelt sein Thema in folgenden Haupt-
capiteln: Schulgebäude und seine Einrichtung, bei welcher namentlich die 8ubsellienfrage
eingehend erörtert wird, Hygieine des Unterrichtes, Schulkrankheiten, hygieinische Ueber-
wachung der Sohulen.
Wir finden also das gesammte Gebiet der Schulhygieine erschöpfend besprochen, so
*) Längst nicht mehr dort Red.
**) Längst ausgeführt Red.
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dass der Arzt wie der Schulmann zum Stadium UDd zum Nachschlagen das Wissens-
werthe ohne allzu grossen Zeitverlust sich aneiguen kann.
Wir wünschen dem Buche viele Leser, die es nicht ohne Befriedigung aus der Hand
legen werden. A. Baader.
Compendium der practischen Medicin.
Von I)r. C. F. Kunze. VI. verbesserte Auflage. Stuttgart, Verlag von Ferd. Enke, 1876.
610 Seiten.
Ohne auch bei der neuen Auflage eine eingehende Besprechung (vide Corresp.-Blatt
1873 pag. 479 und 1876 pag. 86) zu bringen, mache ich nur darauf aufmerksam, dass
Kunze sein Compendium in vielen wesentlichen Puncten nach dem dermaligen Standpuncte
der wissenschaftlichen Forschung umgearbeitet, sowie mit den wirklichen Errungenschaf¬
ten neuem Datums bereichert hat.
Selbstverständlich ist das metrische Oewichtssystem gewählt.
Das Compendium darf recht wohl empfohlen werden. A. Baader.
Kantonale CoiTespondenzen.
St. Gallen. Dr. Albert Züblin f. (Ein Wort dankbarer Erinnerung.) Dr. Albert
Züblin starb den 4. Juli, nach einer Krankheit weniger Tage, erst 35 Jahre alt. Selten
scheidet ein Mensch aus diesem Leben so unerwartet und so unersetzlich. Seine Familie
hat einen liebenswürdigen Vater, die Stadt St. Gallen einen hochgeachteten Arzt und der
Canton einen Spitalvorstand und Chirurgen verloren, wie er ihn wohl für längere Zeit
nicht wieder finden wird.
Albert Züblin wurde geboren zu Mogelsherg, 2. April 1842, war der Sohn eines Mül¬
lers und gemeinnützigen angesehenen Gemeindevorstandes, der Benjamin einer grossen
Familie, und verlor schon im zehnten Jahre seinen lieben Vater, dessen Andenken ihn
oft wehmüthig stimmte und dessen Vorbild ihn bleibend erwärmte; der Knabe nahm sich
heilig vor, auch ein recht brauchbarer und braver Mann zu werden — und er hat seinen
Vorsatz aus geführt!
Das Wigef sehe Institut zu Wattwyl zählte ihn zu Beinen besten Zöglingen und die
neu errichtete Cantonsschule zu St. Gallen freute sich des vortrefflichen Jünglings , der
mit ausdauerndem Fleisse sowohl in litterarisch-historischer als in naturwissenschaftlicher
Richtung an seiner Vorbildung arbeitete, dabei auch ein guter Musiker, Zeichner und Tur¬
ner war und dann mit einer Maturität, wie sie leider allzu selten verstanden, gesucht
und erreicht wird, die Universität bezog. Auch da vermied er grundsätzlich das acade-
mische Nomadenthum; er setzte sich in Zürich fest und arbeitete seinen ganzen Curaus
gewissenhaft durch, war Assistent bei Homer, dann bei BiUroth , und als dieser 1867 nach
Wien berufen wurde, hatte der junge Schweizer die Ehre, seinen berühmten Lehrer und
Freund als erster Assistent dorthin zu begleiten.
Ehe er ging, sich in Wien zum völligen Chirurgen auszubilden, besuchte er noch
Prag und Paris und legte er in St. Gallen sein Staatsexamen mit Glanz ab. Leider hatte
er zwischendurch auch einen Typhus zu bestehen.
Von Wien zurückgekehrt und nach wissenschaftlichen Reisen in Norddeutsohlaud,
liess er sich 1868 zu St. Gallen nieder. Im Jahre 1872 mit Fräulein S. Billwiller vereh-
licht, erfreute er eich eines gemüthlich glücklichen,* aber von manchen ärztlichen Sorgen
getrübten Familienlebens und seine drei Kinder gediehen vortrefflich.
Wie bescheiden und liebenswürdig war Züblin'B Auftreten in St. Gallen, wie bereit¬
willig unterzog er sich jeder gemeinnützigen ärztlichen Arbeit! Er war Hebammenlehrer,
stellvertretender Arzt am Gemeindekrankenhause für seinen schwerkranken Freund SteinHn,
dann Arzt am Cantonsspitale, der Chirurg und Operateur für ganz St. Gallen, und sein
Ruf zog Kranke aus manchen andern Cantonen und vom Auslande herbei. Es wurden
im Jahre durchschnittlich 80 grössere Operationen gemacht. Ein Meister in der erhalten¬
den Chirurgie, kühn und ruhig im Operiren und äusserst ge'au und sorgfältig in der
Nachbehandlung, übte er Lisler, später auch offene Wundbehandlung und handhabte er die
Spitalhygieine mit grosser Energie.
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Der städtische and der cantonale ärztliche Verein erfreuten sich sehr oft seiner De¬
moostrationen und seiner kurzen, plastischen, wahrheitsliebenden Berichte und es stand
ihm, im Spitale wie in der weit ausgedehnten Privatpraxis, eine fast unzerstörbare Ar¬
beitskraft zu Gebote. Er war eine blühende Erscheinung, stark nach Leib und Seele,
reich an Wissen und klug im Handeln, gedankenvoll und sparsam im Reden, ein Freund
der That ond ein Verächter des Lobes.
Der Tod überfiel ihn „mitten in seiner Laufbahn und riss ihn aus dem vollen Leben“.
Am 24. Juni begann eine Peritonitis, gleich Anfangs mit dem ominösen Charakter der
Perforation. Ungeheurer Schmerz und Meteorismus. Delirien durch die plötzlich gestörte
Blutvertheilung. Ein kleiner Nachlass den 3. Juli, dann ein furchtbarer Rückfall, aber
mit vollständiger Wiederkehr des Bewusstseins. Es war ihm beschieden, in allen Schmer¬
zen und aller Erstickungsnoth seinen Charakter zu behaupten ; er nahm Abschied von
seiner Familie, von seinen Aerzten und grüsste alle seine Collegen und liess sie bitten,
standhaft fortzuarbeiten am guten Werke des Cantonsspitales ! Dann verschied er.
Die Section ergab: ganz ausserordentlichen Meteorismus; wenig Exsudat; im Jeju¬
num ein kleines querstehendes, scharfrandiges Geschwür, mit stecknadelkopfgrossem Durch¬
bruch der dünnen Serosa und hervorquellendem Darminhalt. Ferner zeigten sich in dem
losen, verdickten, schiefergrauen, areolirten Processus vermiformis drei Durchbrüche, */ a
bis 1 cm. lang, zum Theil mit anhängenden sphacelösen Fetzen.
Wer in den wenigen Tagen, da Züblin auf seinem Todbette lag, durch die Sääle des
Cantonsspitales ging, der konnte es fühlen und inne werden, wie theuer dieser Arzt seinen
Kranken gewesen. Die ganze Stadt lebte und litt mit der bekümmerten Familie und die
Aerzte trauern um einen Collegen, den sie hochachteten und liebten; er hatte keinen
Neider und keinen Rivalen, aber viele aufrichtige Freunde; er hat weise gelebt, ist
standhaft gestorben und sein Andenken lebt in tausend treuen Herzen.
Dr. Sonderegger.
Erna« Die alcalisch -muriatischen Thermen in Bad Ems. Es wird
für die Leser Ihres Blattes nicht ohno Interesse sein, etwas über die Veränderungen zu
erfahren, welche sich in Bezug auf die Quellenverhältnisse in Ems ereignet haben.
Die meisten Aerzte kennen nur die uralten Trinkquellen „Krähnchen“ und „Kessel¬
brunnen“ und allenfalls noch „Fürstenbrunnen“.
Nun haben aber nicht nur diese Quellen während der letzten Decennien sich ver¬
ändert, sondern es sind auch einige neue Quellen aufgefunden worden.
Vergleicht man die neue Analyse der drei genannten dem Fiscus gehörenden Quellen
von 1871 mit derjenigen vom Jahre 1851, so wird man finden, dass dieselben nicht ganz
übereinsthnmen. Es ist nämlioh durch Erbauung eines Wehres der Spiegel des Lahn¬
flusses erhöht und damit ein stärkerer Druck auf die in das Lahnbett ausmündenden, mit
den anderen communicirenden Quellen gelegt worden. Seitdem fliessen die letzteren etwas
reichlicher und haben in Bezug auf Temperatur und Gehalt an freier Kohlensäure sich
verändert. Da nun die vergleichende Analyse ergibt, dass die festen Bestandteile der
sämmtlichen Quellen so wenig differiren, dass daraus eine Anzeige für den Gebrauch der
einen oder anderen Quelle nicht hervorgeht, so kann nur die Temperatur und der Gehalt
an freier Kohlensäure bestimmend auf die Verordnung einwirken.
Nun hat die fireie Kohlensäure im Krähnchen ab-, im Fürstenbrunnen und Kessel¬
brunnen etwas zugenommen. Die Temperatur der drei Quellen ist gestiegen:
im Krähnchen von 29,5° auf 35,86° C.
„ Kesselbrunnen „ 46,26° „ 46,64® „
„ Fürstenbrunnen „ 35,25° „ 39,42° „
Wenn nun auch im Fürsten- und Kesselbrunnen die Temperatur und der Gehalt an
freier Kohlensäure etwas zugenommen hat, so ist dies doch zu unerheblich, um den beiden
Quellen ihre alte Geltung zu beeinträchtigen.
Anders liegt aber die Bache in Betreff des Krähnchenbrunnens, dessen Temperatur
sich um mehr als 6° C. erhöht und dessen Kohlensäuregehalt sich vermindert hat Diese
Veränderung war eine recht unerwünschte, da man die Quelle in den Fällen zu verord¬
nen pflegte, in welchen eine höhere Temperatur des Trinkwassers nicht zuträglich ist,
ferner in solchen, für welche ein höherer Gehalt an Kohlensäure der leichteren Verdau-
Digitizec
.oogle
470
lichkeit wegen erwünscht ist. Ausserdem war noch der höhere Kohlensäuregehalt für die
Versendung wichtig, da sich erfahrungsgemäss ein kohlensäurereichercs Wasser länger hält
Vor einigen Jahren sind nun zwei neue Quellen aufgefunden worden , von welchen
die eine „Augustaquclle“ sich in Betreff der Temperatur und der freien Kohlen¬
säure dem Fürstenbrunnen an die Seite stellt, die andere, die „Victoriaquelle“, mit
einer Temperatur von 27,9° C. und einem Gehalt an freier Kohlensäure von 1,200559,
also mit einer etwas niedrigeren Temperatur und einem etwas höheren Ge¬
halt an freier Kohlensäure, als das frühere Krähnchen besass; die Quelle
bietet daher einen vollständigen Ersatz für dasselbe und ist für den Ver¬
sandt ganz besonders geeignet
Eine in früherer Zeit bekannte, später verdeckte und in Vergessenheit gerathene,
auf einer alten Karte mit dem Namen „Wappenbrunnen“ bczeichnete Quello ist wieder
aufgefunden worden, wird aber bis jetzt weder zum Trinken, noch zum Versandt benutzt.
L.
W ochenbericht.
Schweiz.
Bern. Herr B. Studer jun., Apotheker in Bern, hat soeben bei Brodtmann in Schaff¬
hausen einen handlichen und äusserst practischen Auszug der schweizerischen
Pharmacopoe erscheinen lassen. Derselbe enthält in Taschenformat, auf 39 Seiten
zusammengedrängt, eine alphabetische Aufzählung aller in der II. Auflage und dem Supp¬
lemente enthaltenen pharmaceutischen und chemischen Präparate und deren Zusammen¬
setzung und erleichtert dem practischen Arzte das Nachschlagen und rasche Auffinden
des Gewünschten auf eine ausserordentlich bequeme Weise. W T ir sind überzeugt, dass
die Herren Collegen Herrn Apotheker Studer für dieses zeitgemässe Unternehmen mit uns
sehr dankbar sein werden.
Genf. Erster internationaler Congress des britischen continentalen
und allgemeinen Bundes für die Abschaffung der Prostitution als gesetzlich
geduldeter Einrichtung, abgehalten in Genf vom 17.—23. September 1877.
Die von England ausgehende Agitation zur Abschaffung der öffentlichen. gesetzlich
geduldeten Prostitution hat rasch und weitverbreitet Boden gefasst; sie erreichte die Or¬
ganisation zahlreicher, unter sich in Contact stehender Vereine. In der Schweiz bestehen
solche in Bern, Chaux-de-fonds, Lausanne, Neuch&tel, Zürich (und neuerdings wahrschein¬
lich auch in Genf). Der Verein gibt unter der Direction von Prof. Aime Humbert (Faubourg
de l’höpital 6, Neuchätel) monatlich das „Bulletin Continental“ heraus (Abonnementspreis
Fr. 3). Unter den Mitarbeitern bemerken wir im reichhaltigen Verzeichnisse der bisher
erschienenen Arbeiten auch eine Anzahl Schweizer, unter welchen Dr. Ladame in Locle, wel¬
cher in einem zu Chaux-de-fonds gehaltenen, sehr lesenswerthen Vortrage (les maisons de
toldrance au point de vue de l’hygiöne, Neuchätel, bureau du bulletin Continental) zu dem
Schlüsse kommt: „die öffentlichen Häuser (Bordelle) sind, weit entfernt davon, nothwen-
dig oder nur auch der Gesundheit zuträglich zu sein, .... nach allen Richtungen hin
unendlich schädlich. Ihre Existenz ist eine Schmach für die Gesellschaft und eine be¬
ständige Herausforderung gegenüber der öffentlichen Gesundheitspflege“ ....
Die Gesellschaft gibt solche wichtigere Arbeiten in separaten Heftchen heraus. Wir
erwähnen noch das Gutachten des Prof. Dr. M. J. Birkbeck-Nevins (Liverpool), der nach¬
weist, dass trotz der „Parlamentsacte Uber die ansteckenden Krankheiten bei den Armeen
Grossbritanniens zu Wasser und zu Land und den kraft dieser Gesetze eingeschriebenen
Prostituirten“ die Syphilis beständig zunahm, ja sogar die Procentverhältnisse vor der
Einführung jener Schutzmaassregeln überschritt.
Das Generalcomitö hat zum Präsidenten des Congresses ernannt Right Sion. James
Stansfeld , Parlamentsmitglied, und zum Generalcommissär Herrn Aime Humbert. Damen und
Herren werden durch Einschreibung und Bezahlung von Fr. 3, für die sie das Bulletin
erhalten, Mitglieder und erwerben sich so das Recht zur Theilnahrae am Congress even¬
tuell den Verhandlungen der 6 Sectionen (Moral, Volkswirthschaft, öffentliche Gesund¬
heitspflege, Gesetzgebung, Wohlthätigkeit).
Anfragen etc, an Herrn Aimi Humbert.
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471
Qenft La mddecine usuelle. Neben dem hübschen „Feuille d’hygtene“ be¬
sitzt die französische Schweiz noch ein zweites für das Volk geschriebenes, populär -
medicinisches Organ: „La mddecino usuelle ou la santö pour tous“ , populäre Zeitschrift
für volksthümliche Hygieine und Medicin; die Zeitschrift erscheint monatlich zweimal in
Genf beim Buchhändler Desrogis in Heften von einem Bogen in Quart und kostet 6 Fr.
jährlich und 30 Rpp. die einzelne Nummer.
Der Inhalt ist gut und vielgestaltig. So finden wir z. B. in einer Nummer den Ne-
crolog von Dr. Jean-Charles Coindet , Dr. Appia über die physiologischen Bedingungen einer
guten Ernährung im Kindesalter, Dr. Ladame (Loble): Die Geheimmittelfrage und die Ge¬
sellschaften für Hygieine; sodann eine Reihe kleinerer Mittheiluugen, unter welchen wir
herausfischen, dass der in Nimes verstorbene Homöopathe, Dr. Granier , dem homöopathi¬
schen Spital Saint-Jacques in Paris 30,000 Fr. testamentarisch vermachte. — Es folgen
dann eine Rundschau in der medicinischen Litteratur, wobei wir die enthusiastische Em¬
pfehlung der ^rovd’schen Chinapräparate lieber nicht gesehen hätten, Bibliographie und
Varia.
Die „Mödecine usuelle“ verfolgt einen guten Zweck auf gangbarem Wege und ist
deshalb empfehlenswerth.
Nenenbnrg. Oeffentliche Gesundheitspflege im weitern Sinne des
Wortes treibt Herr Ulysse Ducommun-Sandoz , welcher dem Stadtrathe 20,000 Fr. schenkte,
damit eine Volksküche mit passender Küche und Restaurationslocalen kann eingerich¬
tet werden. Dieser eine Weg, die Lebensmittclpolizeifrage practisch zu lösen, verdient
alle Beachtung.
Schweix« Spitalbauten. In demselben Monate fanden im Canton Waadt zwei
homogene Feierlichkeiten statt: Montreux weihte sein neues sehr hübsch eingerichtetes
Spital (20 Betten) ein, das nur aus freiwilligen Beiträgen (Fr. 90,000) war errichtet wor¬
den, und Vevey feiert die Vollendung des Umbaues und der dadurch erzielten bedeu¬
tenden Vergrösserung seines „hospice du Samaritain“.
In Liestal wurde, auch in diesem Monate, das neue Cantonsspital (80 Betten) be¬
zogen. Der Bau wird als in jeder Beziehung gelungen bezeichnet. Das bisherige Can¬
tonsspital wird nun zum Pfrundhause, sowie zur Aufnahme Unheilbarer jeder Art ver¬
wendet. Geisteskranke werden im neuen Spitale nicht aufgenommen.
Eine Versammlung von Abgeordneten des Bezirkes A a r b e r g (Bern) beschloss den
Bau eines Bezirksspitales. Durch wohlwollendes Entgegenkommen der Gemeinde Aarberg,
welche passende Gebäulichkeiten zur Disposition stellte, kann nun schon im Herbste das
Spital bezogen werden.
Schweix« Ueber die W'irkung kohlensäurehaltiger Getränke
kommt Prof. Dr. H. Quincke (Bern) durch seine Untersuchungen zu folgenden Schlüssen:
„Kohlensäurehaltiges Getränk wirkt diuretisch, insofern die Hamsecretion darnach
reichlicher ist, als nach gewöhnlichem Wasser. — Diese stärkere Diurese ist aus schnel¬
lerer Resorption zu erklären. — Die beschleunigte Resorption erklärt auch manche andeie
Erscheinungen nach kohlensäurehaltigem Getränke. — Der Blutdruck wird durch CO a
haltiges Getränke nicht, die Pulsfrequenz nur unbedeutend beeinflusst. — Die Respirations¬
bewegungen werden reflectorisch durch kohlensäurehaltiges Getränk tiefer und langsamer.
(Arch. f. experim. Path. und Pharmac. VH. Bd.)
Zürich. Die Universität Zürich hat soeben „viro doctissimo Henrico Theophilo Schnyder
archiatri helveticarum coplarum munere optime perfuncto de valetudiniB curatione in patria
prfficlare merito“ honoris causa das Diplom eines Doctors der Medicin, Chirurgie und
Geburtshülfe verliehen. Wir gratuliren dem verehrten Herrn Collegen, der es verstanden
hat, in der leider so kurzen Zeit seines Amtes als Oberfeldarzt die allgemeine Anerken¬
nung sich zu gewinnen, von Herzen zu der ihm zu Theil gewordenen Ehre.
Zürich. Kinderernährungsanstalt. In Winterthur haben die compe-
tenten Behörden die Errichtung einer Kinderernährungsanstalt angeregt, da sich leider die
von der vorsorglichen Allmutter Natur ad hoc vorgesehenen „Anstalten“ ihrem eigent¬
lichen Zwecke immer mehr entfremden.
Auf einen sachbezüglichen Vortrag von Dr. Mende, junior, hin hat sich ein Coroitö
gebildet, welches in nicht allzu weiter Entfernung von der Stadt eino Musterfarm errich¬
ten wird. Die Kühe sowie ihre Milch bleiben unter beständiger thierärztlicher Aufsicht
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Bekanntlich wird in solchen Anstalten, wie sie bereits in Deutschland organisirt sind,
nicht nur Milch pur, sondern dieselbe auch auf Wunsch im Saugfläschchen mit dem, dem
Alter des Säuglings zweckdienlichen, Quantum Wasser vermischt abgegeben.
Es wäre uns erwünscht, aus Winterthur nach der vollendeten Einrichtung oder auch
über das fertige Project weitere Mittheilungen zu erhalten.
Ausland.
Deutschland. Personalia. Dr. Julius Rosenbach, Privatdocent und Assistenz¬
arzt der chirurgischen Klinik (Baum) in Göttingen ist zum a. o. Professor ernannt worden.
In Giessen feierte der litterarisch allgemein bekannte Professor der Pharmacia, Dr.
mcd. et phil. Phil. Phöbus sein ÖOjähriges Doctorjubiläum.
Greifswald verlor durch Ableben den geheimen Medicinalrath Dr. Schullze, Professor
der Anatomie und Physiologie, 82 Jahre alt.
England. Frauenstudium. Der Senat der londoner Universität hat trotz
dem Drucke, welchen die Studenten auf ihn auszuüben versuchten, den Beschluss gefasst,
Frauen die Zulassung zum Studium in allen Facultäten zu gestatten. Der Beschluss er¬
folgte mit bedeutender Stimmenmehrheit Die medicinische Facultät war bekanntlich schon
vor einiger Zeit mit gutem Beispiele vorangegangen. Einen Schritt weiter hat eine
Pfarrgemeinde des Districtes New-York getban, indem sie die Miss Brona durch geheime
Abstimmung zum Pfarrer wählte. Wir gratuliren!
Stand der Iufections-Hranhhelte n ln Basel.
Vom 11. bis 26. Juli 1877.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Gegenüber der starken Zunahme der Typhuserkrankungen, welche der letzte Be¬
richt hervorhob, ist eine vorläufige Abnahme zu constatircn, indem nur 61 neue Fälle ge¬
meldet sind (gegen 94), wovon 43 in Kleiubasel (73), 18 in Grossbasel (21); von diesen
18 Fällen stammen 10 vom Nordwestplateau, je 4 vom Biraigthal und Südostplateau.
Wie die plötzliche Zunahme, so betrifft jetzt auch die Abnahme der Erkrankungen we¬
sentlich Kleinbasel. Auf den Beginn der Erkrankung verrechnet ergeben sich:
1-10
Juni
11-20
21-31
Juli
1-10
Grossbasel
6
8
11
10
Kleinbasel
4
23
60
30
9
31
71
40
Summe 1877
ui
„ 1876
13
Die übrigen Krankheiten sind nicht erheblich: Masern 7 Fälle (6, 3), von Nord¬
westplateau und Birsigthal; Scharlach 3 (3, 2), zerstreut; Hals- und Rachen¬
bräune 4 (1, 4), Erysipelas 6 (3, 3), Puerperalfieber 1 Fall (2). Ver¬
einzelte Fälle von Keuchhusten.
Bericlrtig-ixiig-.
In Nr. 13 des „Correspondenz-Blattes für schweizer Aerzte“, „Notizen aus dem
Gebiete der Dermatomycosen“, pag. 383, Zeile 13, soll das zweite Wort
Scutellen statt Leutillen heissen.
Briefkfisten.
Herrn Dr. Dubois: Protocolle mit Dank erhalten. Ihrem Wunsche soll nach unserer Rückkehr
entsprochen werden. — Herrn Prof. Privoat , Dr. Sonderegger ; Mit vielem Dank erhalten. — Herrn
Dr. Wyler, Baden: Wir haben das Protocoll veröffentlicht, wie wir dasselbe vom betr. Actuar eu ge¬
schickt erhielten. — Herrn Dr. J. R. Sch. in Bern: Leider kam das Programm Ihrer oant Sitzung
zu spät für die letzte Nummer. Herzliche Griisse, — Herrn Dr. Z —r im Haldenstein: Ueterwar also
Ente! 0 flög 5 ich mit ihr I — Herrn Dr. 0. Hartmann in Bern: Mit Dank erhalten. — Mirza Schaffy:
Den freundlichen Grass sandten wir nach Glion.
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478
Engadin. - KlirhaUS S a in a den. - Schweiz.
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Prell pro Halbjahr 6 Hark.
Alle Buchhandlungen und Postanstalten
nehmen Bestellungen darauf entgegen und
stehen Probe-Nummern und Prospecte un¬
entgeltlich zu Diensten.
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Basel einzig präntirten Systemen“.
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schiedener Vorliebe für ländliches Familienleben,
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eines grossem Hauswesens besitzt, wird unter
dem senr ehrenwerthen Stande der Herren Geist¬
lichen, Aerzte oder Landokonomen, eine ent¬
sprechende solide Verbindung zu schliessen ge¬
wünscht. [92-DJ
GefL Anfragen sub Chiffre 0. 0. 1381 besorgt
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hiemit für ihr im Herbst dieses Jahres zn er¬
öffnendes Etablissement die Stelle des
Kurarztes j
zu freier Bewerbung aus. Die Anmeldungen, j
| nebst Angabe der Referenzen u. s. w., sind der j
Direction des Kurhauses Samaden in Samaden j
einzusenden, welche über die näheren Beding¬
ungen die nöthigen Auskünfte erth eilt. [865- R] |
B a d E ixi
Hierdurch bringen wir den Herren Aerzten zur
Kenntniss, dass in nnserm Etablissement, neben
den bekannten Thermalwatser-Bädern, neuerdings
eine vollständige Einrichtung tllr
Kaltwasserbehandlung
besteht und empfehlen solche zu geneigter Be-
nutzung.
Gleichzeitig bringen wir unsere
Init3©p mt©rt®q;ö)©ijl)©*
als die kohlensäurereichste und daher für den Ver¬
sandt geeignetste aller Emser Quellen, sowie unsere
Emser Pastillen (mit Bleiplombe)
in empfehlende Erinnerung. [H-544G-X]
König Wilhelm’s Felsenquellen.
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476
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Acidum salicylic.,
sowie andere mediz. Präparate
liefert o-araniirt revi und vortheilhaft
, £ Ed. Siegwart,
[H-l„ '04J] • weizerhalle bei Basel.
Chininpräparate,
nicht bitter* schmeckend.
Empfehle den Herren Aerzten die rein sflss
und angenehm schmeckenden, von der Ver¬
sammlung ungarischer Aerzte und Natur¬
forscher in Fiume 1869 preisgekrönten bitter¬
losen Chininpräparate von M. Kozsnyay
in Arad:
Saccharola Chinini \ 100 stii k 4 pv 10
Pastilli Chinini c. Cacao f 1UU a 1U ’
wovon jedes Stück 0,2 neutrales Chinintannat
(entsprechend 0,08 Chinin snlfuricum) enthält.
Pastilli tannochinini fcrrati 100 Stück ä
Fr. 10, jedes Stück mit 0,15 neutralem
Chinintannat (entsprechend 0,05 Chinin sul-
furicum) und 0,05 löslichem Eisenoxyd¬
hydrat. — Ferner das in obigen Pastillen
enthaltene
Chininnm tannicnm neutrale Kozsnyay,
das völlig hitterlos und im Magen leicht
löslich ist, zum Tagescours. [H-1740-Q]
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Mediciner!
Im Verlag der N. G. Elwert’ichen Verlagsbuch¬
handlung In Marburg ist erschienen und durch jede
Buchhandlung zu beziehen:
zur
Pathologie und Therapie
der
constitutionellen Krankheiten
von
Dr. Fr. W. Beneke,
geh. Medicinalrath, ord. Professor der patholog. Anatomie und
allgemeinen Pathologie, Director des patholog. Institutes an
der Universit&t in Marburg etc. etc.
14’/4 Bogen, gr. 8. Brochirt Preis: 5 Mark.
„Ein Buch, welches allen nach dem Ideale
eines Arztes und seiner Wissenschaft sehnsüchtig
Ringenden wie aus dem Herzen geschrieben sein
muss. Auf jeder Seite gute Gedanken in treffen¬
der Form. Ich kenne keinen Lobspruch, welcher
einem Streben gegenüber, wie es aus diesem Buche
leuchtet, allzugross erschiene...“ (Deutsche Me¬
dicinische Wochenschrift) [H-2551-Q]
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Extremitäten und Bandagen werden ver¬
fertigt in der Werkstatte des Unterzeichneten.
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keit der genannten Apparate wird ga-
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Basel, Freiestrasse 73.
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Soeben erschien und ist durch alle Buchhand¬
lungen zu beziehen:
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med. Dr. J. M. Ludwig,
pract. Arzt in Pontreeina.
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Das Verhalten des Cervix uteri
während der letzten Schwangerschafts¬
monate.
Von
Dr. A. Martin,
Dozent an der Univereittt za Berlin.
Mit 2 lithogr. Tafeln,
gr. 8. Prela S Mark.
Die epidemischenKrankheiten,
ihre
Ursachen und Schutzmittel.
Vortrag, gehalten in Königsberg
von
Dr. S. Samnel,
Professor der Medizin,
gr. 8. Prell 1 Mark.
Zeitschrift
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Geburtshülfe und Gynäkologie.
Unter Mitwirkung der
Gesellschaft für Geburtshülfe und Gynäkologie
herausgegeben von
Carl Schröder, Louis Mayer und Heinrich Fashender.
1. Band. 2. Heft. [H-2552-Q]
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Dr. A. Baader
1b GelUikind.n-
N; 16. VII. Jahrg. 1877. 15. August.
Inhalt: 1) Originalarbeiten: Prof. Wille: Vortrag zur Eröffnung der psychiatrischen Klinik in Basel im Sommer¬
semester 1877. — 2) Vereinsberiohte: Gesellschaft der Aerzte in Zürich. — 8) Referate und Kritiken: Albert Müller:
Statistische Beitrige snr Beleuchtung der Heredit&tsverh<nisse bei der Lungenschwindsucht. — M. Reumond: Das neue Laien-
brerier des Bkckelumus. — Hirech/eld und Pichler: Die Bäder, Quellen und Curorte Europa'g. — E. Taschenberg: Brehm's
Thierleben 9. Band: Die Inseeten. — 4) Kantonale Correspondenten: Aarau, Baden. — 5) Wochenbericht. —
6) Bibliographisches. — 7) Briefkasten.
Original-Arbeiten.
Vortrag zur Eröffnung der psychiatrischen Klinik in Basel
im Sommersemester 1877.
Von Professor Wille.
Meine Herren! Wenn man ein neues, bürgerliches Jahr antritt, so ist es all¬
gemeine Sitte, dass man sich über die Verhältnisse des abgelaufenen Jahres in
Bezug auf die Förderung oder Benachtheiligung der eigenen Interessen Rechen¬
schaft gibt. Ich folge dieser allgemeinen Sitte in der Weise, dass ich bei Beginn
dieses neuen Studienjahres einen ganz allgemeinen Rückblick auf die jüngsten Lei¬
stungen der psychiatrischen Litteratur werfe und Ihnen mitzutheilen versuche, wie
weit durch sie die Psychiatrie einen fördernden Einfluss erfahren konnte.
Ich werde Ihnen nicht einmal die hervorragenden Leistungen auf diesem Ge¬
biete speciell anführen, sondern nur den allgemeinen Eindruck mittheilen, den ich
beim Studium derselben erhielt.
Es tritt uns dabei eine in hohem Grade auffallende Thatsache entgegen, dass,
während in den verschiedenen Gebieten der Medicin jedes Jahr ebensowohl neue
Hand- und Lehrbücher, als auch neue Auflagen bereits vorhandener Compendien
liefert, die Psychiatrie nur sparsame derartige Leistungen aufzuweisen hat. Die
Thatsache wird um so auffallender, wenn der psychiatrische Sachverständige mit
voller Begründung den Ausspruch wagen darf, dass keines der vorhandenen psy¬
chiatrischen Compendien ein wirkliches, klares Bild der Psychiatrie der Gegen¬
wart liefert, demgemäss auch den Ansprüchen, die die Wissenschaft machen muss,
Dicht genügen kann.
Fragen wir uns nach den Ursachen dieser Erscheinung, so dürften dieselben
weniger in den Vertretern dieser Disciplin, als in dieser selbst liegen. Sie liegen
hauptsächlich darin, dass die seitherige vorwaltend, ja fast ausschliesslich psycho-
logisch-phsenomenologische Grundlage derselben ein überlebter Standpunkt ist,
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dass dagegen die an Stelle derselben getretene neuropathologische Auffassung der
Psychiatrie, weder im Ganzen noch in ihren Einzelnheiten, diejenige Aus- und
Durchbildung gefunden hat, um als befriedigende und allgemein anerkannte Er¬
klärung der pathologischen Erscheinungen des Seelenlebens dienen zu können.
Die alten Bande, die das Denken der Irrenärzte mit den psychopathischen Beob¬
achtungen bisher verbanden, sind mehr und mehr gelöst, die neuen sind noch nicht
befestigt worden. Das ganze psychiatrische Gebiet ist in voller Bewegung begrif¬
fen, die sich mit einem noch unvollendeten Gährungsprocesse vergleichen lässt,
aus dem sich bereits manche werthvolle Producte abgelagert haben, die aber selbst
noch der Läuterung, um allgemeinen Anklang finden zu können, bedürfen. Die
psychopathische Theorie entbehrt noch der genügend gesicherten anatomischen
und physiologischen Grundlagen.
Wenn auch in letzter Zeit die Arbeiten im Gebiete der Anatomie und Physio¬
logie des Nervensystems eine Menge neuer Gesichtspunkte für die Auffassung der
. Pathologie der psychischen Erscheinungen lieferten, so sind auch diese Arbeiten
theils in ihren thatsächlichen Beziehungen noch nicht genügend allgemein anerkannt,
theils, soweit als anerkannt, noch einer derart verschiedenartigen Erklärunga-
weise zugänglich, dass sie nicht einmal als im wissenschaftlichen Sinne des Wortes
gesicherte Hypothesen uns für die Erklärung der von der Norm abweichenden psy¬
chischen Erscheinungen dienen können.
In diesen, ausserhalb des Kreises der Psychiatrie liegenden, Verhältnissen
haben wir die eigentliche Ursache zu suchen, dass die Ausbildung der Psychiatrie
noch nicht denjenigen Grad erreicht hat, um sie in einem allgemein befriedigenden
Systeme gegenwärtig schon darstellen zu können.
Wenn die neueste psychiatrische Litteratur in ihrer Zusammenfassung der
Psychiatrie als Ganzes arm ist, so ist sie dagegen um so ergiebiger in ihren De¬
tailarbeiten. Man bekommt die Ueberzeugung daraus, dass nicht nur viel gearbeitet
wird, sondern, was noch ein erfreulicherer Eindruck ist, dass alle diese psychia¬
trischen Detailarbeiten mehr weniger klar als Ziel ihres Strebens die Absicht zei¬
gen, das Gebiet der Psychiatrie mehr und mehr mit dem Gebiete der Neuropatho¬
logie zu vereinigen und der ersteren die richtige Stellung innerhalb der letzteren
zu verschaffen. Was nun das Gebiet der speciellen Krankheitslehre, also das eigent¬
liche klinische Gebiet der Psychosen, betrifft, so tritt uns vor Allem hier der Um¬
schwung entgegen, den die Anschauungen der Irrenärzte der Gegenwart gegen¬
über denen ihrer Vorgänger darbieten.
Es besteht dieser darin, dass sich die bisherige pheenomenologische Auffas¬
sung der Psychosen zu einer wahrhaft klinischen umzuwandeln beginnt. Während
bisher die psychischen Symptome fast ausschliesslich als Grundlage der Unter¬
scheidung der einzelnen Krankheitsformen dienen mussten, so werden gegenwärtig
zu diesem Zwecke alle klinischen Merkmale in Anwendung gezogen. Die Berück¬
sichtigung der Entwicklung, des Beginns, des Verlaufs und Ausgangs der Krank¬
heitsfälle, mit Hilfe ihrer aetiologischen und pathogenetischen Grundlagen, neben
den psychischen und somatischen Krankheitserscheinungen hat uns eine Reihe pla¬
stischer, lebenswahrer Krankheitsgruppen und Bilder verschafft, die in gleicher
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Weise eine wissenschaftliche Auffassung begünstigen, als auch zu rationellen In-
dicationen bezüglich eines practisch therapeutischen Vorgehens fuhren.
Es ist diess ein grosser Fortsfchritt in der Pathologie der Psychosen, den am
meisten der fühlt, der noch innerhalb der alten Anschauungen herangewachsen ist.
Wenn es nun auch keinem Zweifel unterliegen kann, dass die letzten Grundlagen
der verschiedenartigen Erscheinungsweise der einzelnen Krankheitsgruppen und
Krankheitsfälle organische, in specie anatomische Verhältnisse sind, so sind wir
doch gegenwärtig noch weit entfernt davon, letztere Verhältnisse den klinischen
in der Auflassung der Krankheiten substituiren zu können. Ich erlaube mir selbst
den bescheidenen Zweifel zu hegen, dass vor der Hand die Psychiatrie viel Ge¬
winn daraus ziehen wird, wenn wir statt der klinischen Krankheitsbegriffe mehr
weniger hypothetische anatomische Diagnosen den Einzelfällen unterlegen würden.
Es liegen den psychischen Krankheitsfällen, ausser den groben pathologisch-ana¬
tomischen Verhältnissen, noch verschiedenartige anderweitige wesentliche patho¬
logisch Momente für ihre Erscheinungsweise zu Grunde, die durch einfache ana¬
tomische Diagnosen im Sinne der speciellen Hirnpathologie nicht erschöpft werden
können. Ich glaube demnach noch nicht, dass die Psychiatrie als Wissenschaft
dadurch viel gewonnen hat, wenn wir die Bezeichnung psychische Störungen,
Psychosen, einfach mit der „der Krankheiten des Vorderhirns“ vertauschen; wenn
wir anämische, hypersemische Zustände des Hirns den allgemeinen Symptomen-
complexen der psychischen Exaltation und Depression zu Grunde legen; wenn
wir durch die Diagnosen Meningitis, Encephalitis Krankheitsprocesse, die noch
ganz andern, ebenso berechtigten Erklärungsweisen zugänglich sind, decken wol¬
len. Es zeichnen sich diese, übrigens ganz wohlgemeinten, Bestrebungen auch nicht
durch ihre Neuheit aus, wie ja jeder mit der psychiatrischen Litteratur einiger-
massen Vertraute hinlänglich weiss.
Halten wir vor der Hand einmal den Satz fest als über jeden Zweifel erhaben,
dass wir es bei den Psychosen mit Hirnkrankheiten zu thun haben. Es sind jene
Hirnkrankheiten, bei denen wir als wesentliche Symptome Veränderungen der psy¬
chischen und nervösen Reizbarkeit, subjective, gemüthliche Verstimmungen, Störun¬
gen im Ablauf und der Intensität der psychischen Processe, Störungen des Ge¬
dächtnisses, der Sprache, Wahnvorstellungen, Delirien, Hallucinationen und Illu¬
sionen vorzugsweise auftreten sehen. Daneben treffen wir ausnahmslos verschie¬
denartige centrale, nervöse Störungen auf motorischem, sensiblem und trophischem
Gebiete.
Nach dem Grundsätze „a potiori fit denominatio“ hat man nun, je nachdem
das eine oder das andere der obengenannten psychischen Krankheitssymptome vor-
wog, verschiedene Krankheitsformen aufgestellt. Schon die alten klassischen Aerzte
verfuhren in dieser Weise.
Dass diese Art Psychiatrie nur ihren Anfangsstadien entsprechen kann, dass
sich die meisten Krankheitsfälle nur zwangsweise in diese Rubriken hineinbringen
lassen, dass die darauf beruhende Symptomatologie nur allgemein pathologische
Schemen gibt, das wissen alle unbefangenen Beobachter schon längst. Trotzdem
gebraucht man die uralten darauf beruhenden Benennungen selbst jetzt noch, weil
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sich an dieselben bestimmte, gewohnte Begriffe knüpfen, die wir gegenwärtig noch
nicht mit besseren Benennungen decken können.
Uebrigens schon die alten Aerzte, ich meine die alten Griechen und Römer,
legten auf diese psychischen Symptomencomplexe kein allzugrosses Gewicht; sie
benutzten für ihre practischen Zwecke weit mehr die Art des Verlaufs, die Be¬
gleitung des Fiebers und die Beschaffenheit der allgemeinen, constitutionellen Ver¬
hältnisse, wie sie denn durchaus diese Art von Hirnstörungen in ihrem natürlichen
Zusammenhänge mit den übrigen Krankheiten auffassten.
Leider fanden durch die Ungunst der Zeit diese wissenschaftlichen Anschau¬
ungen keine weitere Entwicklung, gingen vielmehr bis in die neuere Zeit spurlos
verloren.
Sie wurden durch der ärztlichen Wissenschaft durchaus fremde theoretisch¬
philosophische Anschauungen ersetzt.
Als nach der Gründung zahlreicher Spitäler für Geisteskranke eine allseitige
und eingehende Beobachtung derselben ermöglicht war, konnte man erst wieder
einen Fortschritt in der Pathologie der Psychosen zu erwarten berechtigt sein.
Dieser Fortschritt blieb auch nicht aus«
Man fand bald, dass es Psychosen gibt, die sich auf schwere, organische Hirn¬
störungen, also anatomische Hirnkrankheiten, zurückführen liessen, während andere
zweifellos ohne tiefere Betheiligung des Hirns verliefen, wodurch selbstverständ¬
lich wieder ein weites, fruchtbares Feld für psychiatrische Forschungen eröffnet
war. Man hatte jetzt anatomische und functionelle Psychosen.
Sodann machte man die Beobachtung, dass ein Theil der Psychosen regel¬
mässig in Genesung ausging, während ein anderer Theil im kranken Zustande
verharrte, ohne aber in seinen Symptomen sich wesentlich zu verändern. Noch
andere Krankheitsfälle zeichneten sich aus, nach einem vorangegangenen acuten
Krankheitsstadium mehr weniger rasch in ein psychisches Schwächestadium über¬
zugehen und darin zu verbleiben. Es gab diese Veranlassung, primäre und secun-
däre psychische Krankheitszustände zu unterscheiden. Man stellte acut und chro¬
nisch verlaufende Psychosen auf, als man beobachtete, dass ein Theil derselben
rasch innerhalb Tagen und Wochen, ein anderer Theil erst nach langem Bestände
ablief.
Zur gleichen Zeit schon, als man diese Entdeckungen machte, fiel es auf, dass
viele Individuen geisteskrank wurden auf die geringfügigsten Veranlassungen hin,
ja andere ohne jede weitere äusserliche Ursache krank geworden waren. Während
die Einen lange Jahre ihres Lebens in irgend einer Weise naturwidrig, excessiv
leben konnten, dabei ihre geistige Gesundheit erhielten, litt dieselbe bei Anderen
durch seltene, ähnliche Excesse gründlichen Schaden.
Während die meisten Frauen Kinder gebären, ohne geistig zu erkranken, er¬
krankten andere in dieser Weise nach jeder Niederkunft. Während die meisten
Menschen alle möglichen körperlichen Erkrankungen durchmachen, oder daran zu
Grunde gehen, ohne dass dabei die psychischen Centren ihres Gehirns in schwerer
Weise mitbetheiligt werden, kommen andere bei oder nach geringfügigen körper¬
lichen pathologischen Zustandsveränderungen aus ihrem psychischen Gleichgewichte*
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Man musste aus diesen massenhaften, einschlägigen Beobachtungen auf den
Schluss kommen, dass nicht in diesen Schädigungen und körperlichen Vorgängen
die eigentlichen Quellen der Geisteskrankheiten liegen, sondern dass diese in in¬
dividuellen, ja wie die weitere Beobachtung ergab, in familiären Verhältnissen
liegen mussten. Noch mehr wurde diess klar, als man sah, dass die verschieden¬
artigsten directen Schädigungen des Hirns bei Vielen die psychischen Functionen
ganz unberührt Hessen, oder nur wenig afficirten, bei Andern leichtgradige Störun¬
gen schwere psychische Symptomencomplexe hervorriefen.
Es gab eine Zeit, in der man daraus den Schluss zog, dass die Geistesstörun¬
gen überhaupt mit den Hirnkrankheiten Nichts zu thun hätten. Die Beobachtung
zwang aber die Falschheit dieses Schlusses immer von Neuem auf und führte da¬
gegen zu der Erkenntniss der Krankheitsanlagen und der Ursachen derselben.
Diese Erweiterung unserer psychiatrischen Erkenntnisse war eine unendlich wich¬
tige und bedeutungsvolle. Die ihr zu Grunde liegenden Forschungen verdienen
durchaus die gleiche wissenschaftHche Berechtigung und Anerkennung, wie die
Forschungen nach andern Bichtungen.
Sie haben den Vorzug durch eine weit grössere Summe zwingender, empiri¬
scher Thatsachen gestützt zu sein, als eine Menge, anderer Theorien, die in letzter
Zeit aufgetaucht sind.
Man hatte dadurch die Ueberzeugung gewonnen, dass nicht diese oder jene
Schädlichkeit das Wesentliche in der Erzeugung einer Psychose, nicht diese oder
jene anatomische Hirnaffection die wesentliche Grundlage der abnormen psychi¬
schen Erscheinungen sei, sondern dass unter begünstigenden Umständen jede Art
von SchädUchkeit, jede Art von Hirnkrankheit eine Seelenstörung hervorrufen
könne. Die begünstigenden Verhältnisse nannte man die Krankheitsanlage, den
Ausdruck derselben in der individuellen Organisation die Krankheitsconstitution.
Wir wollen uns nicht an diesem Namen stossen desshalb, weil er eben nur einen
thatsächlichen Begriff ohne bestimmte nachweisbare organische Unterlage, ohne
anatomisches Substract gibt. Er gehört desshalb noch lange nicht in das Gebiet
der Mystik.
Wir werden uns möglicher Weise immer mit einem solchen allgemeinen Be¬
griffe verständigen müssen, da meiner Ansicht nach es mannigfaltige cerebrale Ver¬
hältnisse sein können, die die mangelnde Besistenzfähigkeit, die reizbare Schwäche,
die leichtere Erkrankbarkeit bedingen. Wie sie Amdl in gewissen histologischen
Verhältnissen des centralen Nervensystems vermuthete, glaubt Meynert , dass ein
Missverhältnis zwischen Gehirnarterien und Gehirnmasse, oder die offene oder
verwachsene Verlängerung des Hinterhornes der Seitenkammer mit Schwielen im
Hinterhaupthirne Ursachen derselben seien, während ich selbst mit noch vielen
andern Beobachtern den Störungen der Architektonik des Gehirns mit ihrem Aus¬
drucke m den Windungen als einem bedeutsamen Factor für diese Verhältnisse
seit Jahren meine Aufmerksamkeit zuwende. Wieder Andere legen in dieser Be¬
ziehung Gewicht auf die Beschaffenheit der Nähte des Schädels, noch Andere auf
die Beschaffenheit der Hirnarterienwandungen etc. etc. — Alle diese Bestrebungen
sind anerkennenswerth und werden mit der Zeit sicher viel werthvolles Material
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für eine anatomische Pathogenese unserer Krankheiten liefern. Vor der Hand aber
müssen wir uns mit dem bisher üblichen Namen beruhigen, zumal dieser Ausdruck
von einer solchen Fülle werthvoller Untersuchungen und Thatsachen gestützt ist,
wie sie wenigstens nach dieser Richtung hin keine andere medizinische Disciplin
aufweisen kann.
Ich betone es nochmals, in den bisher gewonnenen Untersuchungsresultaten
über ererbte und erworbene Anlage liegt weit werthvolleres Material für eine wis¬
senschaftliche, wesentliche Erkenntniss der Psychosen als in den Ausdrücken von
Fluxion, von Hirnansemie, von toxischen Ernährungsbedingungen und dergleichen.
Es kann hundert Mal dieselbe Fluxion, Ansemie etc. et.c. ein Hirn betreffen, und
es reagirt nicht in psychopathischer Richtung und das zu Psychosen disponirte
Hirn erkrankt unter ihrem einmaligen Einflüsse.
Aber auch die hervorragenden psychopathischen Symptome innerhalb der Psy¬
chosen halten sich nicht schematisch an diese Läsionen.
Bald sehen wir auf der gleichen anatomischen Grundlage ein Delirium, bald
eine heitere Erregung, bald einen Angstanfall oder Hallucinationen entstehen.
Ebenso sehen wir den gleichen psychischen Symptomencomplex auf hirnantemi schein,
hypersemischem oder dyskrasischem Boden auftreten. Da kann es nun doch keinem
Zweifel unterliegen, dass das eigentlich Wesentliche für die psychopathischen Er¬
scheinungen in anderen Momenten beruhen muss.
Ich sage desshalb nicht, dass die Verschmelzung des humoralpathologischen
Standpunkts mit der Auffassung psychopathischer Erscheinungen nicht berechtigt
ist, aber sein Werth ist ein bedingter, seine Anwendung keine allgemeine. Ich
habe ebenso die feste Ueberzeugung, dass eine Reihe psychischer Krankheitsfälle
auf rein solidarpathologischem Boden entstehen, dass wir es bei ihnen mit reinen
nervösen Störungen d. h. mit Störungen in der Leitung centraler nervöser Vor¬
gänge zu thun haben. Ich sehe manche Form von Melancholie, oder Manie oder
Stupor als den Ausdruck pathologischer Spannungs- und Entladungsverhältnisse
innerhalb der psychischen Centren an, die direct auf äussere Reize zu Stande
kommen können, ohne dass sie durch humoralpathologische Vorgänge irgend einer
Art hätten vermittelt zu werden brauchen.
Ferners sehen wir Psychosen auftreten durch Fortpflanzung eines abnormen
Reizzustandes in peripheren, sensiblen Nervenbahnen auf dem Wege der Irradia¬
tion auf andere nervöse und schliesslich auf psychische Centren. Wieder andere
Psychosen entstehen auf Grundlage von Störungen der Innervationscentren der
Gefässe, die peripher oder central eingeleitet sein können. Doch auch durch diese
Vorgänge sind die Erscheinungen der Sympathie und des Reflexes, die in unsern
nervösen Centren eine so grosse Rolle spielen, noch lange nicht erschöpft.
Es wird uns die fortgesetzte Beobachtung noch mannigfaltige Vermittlungen
kennen lehren mit Hilfe der fortschreitenden Hirnanatomie und Physiologie, durch
die ein dazu disponirtes Hirn psychopathisch erkranken kann. Ich erinnere in
diesem Betreffe an die Theorie des Prof. v. d. Goltz über centrale Hemmungsvor¬
gänge nach vorangegangenen Reizungen des centralen Nervensystems.
Viel später als die bisherigen Beobachtungen entstanden diejenigen, dass sich
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auf Grundlage bestimmter ätiologischer Momente ganz specifische Einwirkungen
auf die Erscheinungsweise und den Verlauf von Psychosen geltend machen, dass
dadurch also ganz wohl charakterisirte und von einander leicht differencirbare
Krankheitsbilder entstehen können. Es haben insbesondere französische Beobachter
das ganz eminente Verdienst, diese Seite der klinischen Erforschung der Psychosen
begründet zu haben. Wir kennen solche unter dem Einflüsse der Alcoholintoxi-
cation, der Epilepsie, der Hysterie, der Chorea, der Pubertät, der Syphilis, der
Heredität. Mit der Zeit werden wir bei exacterer Untersuchungs- und Beobach¬
tungsmethode zweifellos noch weitere, ebenso differenzirbare Krankheitsgruppen
anfugen können. Nur gehe man auch darin nicht zu weit. Auch dieser Weg der
Forschung hat seine natürlichen Grenzen.
Was folgt nun aus unsern bisherigen Betrachtungen?
Vor Allem, dass auch im Gebiete der Psychiatrie ein ganz reges wissenschaft¬
liches Streben besteht. Sodann dass es bei dem gegenwärtigen Standpunkt der
Disciplin nicht statthaft ist, mit Hypothesen, seien sie auch noch so verführerisch
anatomisch oder physiologisch eingekleidet, an die Auflassung der Krankheitsfälle
zu gehen, sondern dass wir ihnen gegenüber die ganz und gar unbefangene indi-
vidualisirende Untersuchungsmethode in Anwendung bringen, die mit Recht, da
sie den speciellen Fall nach allen Richtungen und Seiten seiner Natur untersucht,
seiner Zeit von Samt die naturwissenschaftliche Methode genannt wurde. Dadurch
werden wir zu immer zahlreicheren, natürlichen Krankheitsbildern und Gruppen
gelangen können, die hinwiederum der Diagnose keine Schwierigkeit bieten werden.
Wir werden uns mit diesen klinischen Diagnosen nicht begnügen, sondern für
jeden Fall den Versuch machen, die klinischen Momente desselben auf pathologisch¬
anatomischem Wege zu erklären, unserm medicinisohen Verständnisse näher zu
bringen.
ln dieser Richtung sind in der Psychiatrie noch grosse, lohnende Schätze zu
heben. Ich habe die Ueberzeugung, dass erst dann, wenn das Material nach die¬
sen klinischen Merkmalen geordnet und gesichtet ist, wozu erst bis jetzt der An¬
fang gemacht ist, der Versuch an der Zeit sein wird, den klinischen Standpunkt
mit Aussicht auf Erfolg mit dem pathologisch-anatomischen für das ganze Gebiet
der Psychiatrie zu vertauschen. Dass der letztere für Erforschung der anatomi¬
schen Psychosen d. h. der auf nachweisbaren schwereren Hirnlsesionen beruhenden
der berechtigte ist, ist selbstverständlich.
Und das Gebiet der fortschreitenden Paralyse bietet dem Liebhaber noc4i ein
weites Feld der Bebauung nach dieser Richtung.
Welches von den klinischen Merkmalen vorzugsweise geeignet sein dürfte, den
Krankheitsgruppen den Namen zu geben, darüber ist eine verschiedenartige An¬
schauungsweise durchaus berechtigt. Ich meine nur, dass die Verlaufsweise der
Krankheit am wenigsten für diesen Zweck geeignet sein dürfte.
Wir müssten zu Verschiedenartiges in die gleiche Gruppe vereinigen und Zu¬
sammengehöriges unnatürlich trennen. Dagegen dürften entweder der psychische
Symptomencomplex oder die ätiologische Grundlage die Rahmen sein, in die sich
die einzelnen Krankheitsfälle am natürlichsten hineinbringen lassen.
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Nehmen wir z. ß. eines der am meisten charakteristischen psychischen Sym-
ptomenbilder, die primäre Verrücktheit. Es ist dies ein Bild so typisch und na¬
türlich, wie im verwandten Gebiete das Bild der Epilepsie, der Chorea minor. Der
Name bezeichnet auch so schlagend das hervorstechendste Moment des Zustands,
dass kaum eine bessere Bezeichnung gefunden werden dürfte. Bei der klinischen
Behandlung gestaltet sich dieses Krankheitsbild nun äusserst mannigfaltig. Be¬
rücksichtigen wir vorzüglich die Verlaufsweise, so haben wir intervalläre, perio¬
dische und continuirliche Formen. Wir haben ferners acute und chronische For¬
men, ja selbst in transitorischer Weise kann diese Form auftreten. Legen wir das
Hauptgewicht auf die aetiologisch-pathogenetische Seite, so kennen wir originäre
(wozu wohl meistens die abortive Form auch gehört), aus Hypochondrie transfor-
mirte, auf epileptischer, hysterischer, alcoholischer Basis, durch Onanie veranlasste,
im Climacterium und in der Einzelhaft auftretende Formen.
Alle diese einzelnen Formen haben genug Charakteristisches in ihrer Ent¬
wicklung, ihrer Erscheinung, wie in ihrem Verlaufe und in ihrem Ausgange, um
sie klinisch differenziren zu können. Ich glaube daher, dass die primäre Verrückt¬
heit eine ganz vorzügliche klinische Krankheitsgruppe vertritt.
Wenn nun ein Anderer das setiologische Moment an die Spitze stellt und eine
alcoholische Krankheitsgruppe aufstellt, so wird er innerhalb dieser Gruppe, je
nach Berücksichtigung des Verlaufs und dor Erscheinungsweise, eine ganz acute
transitorische Form, den alcoholischen Stupor, sodann das Delirium tremens, fer¬
ners die acute und chronische alcoholische primäre Verrücktheit, den paroxysmell
verlaufenden und den durchaus chronisch verlaufenden chronischen Alcoholismus
annehmen können. Auch diese Formen repräsentiren durchaus charakteristische
Krankheitstypen und es lässt sich gewiss Nichts gegen die Berechtigung der Auf¬
stellung einer solchen klinischen Krankheitsgruppe anrühren.
Ich habe wenigstens die Ueberzeugung, dass nach diesen beiden Arten des
Verfahrens den natürlichen Thatsachen kein Zwang angethan wird.
Weniger möchte ich diess von einem andern Versuche in dieser Richtung be¬
haupten, wenn Zustände einfachen Stupors, stuporöser Melancholie, von Verrückt¬
heit auf epileptischer, onanistischer und hysterischer Basis, cyclische Psychosen,
wie sie im Puerperium auftreten, unter dem Krankheitsbegriff der Katatonie zu¬
sammengefasst werden. Statt auf diese Weise die psychiatrische Nomenclatur zu
bereichern, wollen wir lieber, wenn der eine und andere Fall uns nicht hinreichende
Momente liefert, um ihn in eine bestimmte setiologische Gruppe zu versetzen, ihn
in eines der vorhandenen psychischen Symptomenschemen einreihen. Es ist wohl
das richtigere Princip in der Naturforschung, sich den einmal vorhandenen That¬
sachen anzubequemen, sich von ihnen leiten zu lassen, als die Thatsachen mangel¬
haften Theorien anzupassen. _
, V ereinsberichte.
Gesellschaft der Aerzte in Zürich.
9. Sitzung, den 10. März 1877.
Dr. Wilhelm v. Mur alt weist ein Mädchen von 4 Jahren vor mit angeborner
Blasenspalte, das er operativ behandelt hatte. Beim Eintritt der Kranken in’s
Kinderspital zeigte sich der gewöhnliche Befund, Mangel der vordem Blasenwand
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und der Bauch decken vor derselben, anstatt der knöchernen Symphyse nur ein fibrö¬
ses Band; die hintere Blasenwand war stark vorgedrängt, die Umgebung stets nass,
geschwollen, geröthet, wund und mit Incrustationen von harnsauren Salzen bedeckt
Der Gedanke, nach Sydney Jones durch allmäliges Herabziehen der Ureteren-
öffnungen eine Ureterenmastdarmfistel anzulegen, musste aufgegeben werden, weil
bei Mädchen die Methode sich nicht anwenden lässt Also wurde versucht, einen
Verschluss zu erzielen durch die gewöhnliche Methode der Doppellappenbildung:
von zwei seitlichen Lappen kommt die Hautfläche des einen nach der Blasen¬
schleimhaut, die des andern nach aussen gekehrt, während die Wundflächen der
beiden Lappen sich decken- Dieser Doppellappen, der den Defect reichlich deckte,
wurde nach oben an’s Abdomen, nach unten an die angefrischten kleinen Labien
uigenäht Durch sehr unruhiges Verhalten der Pat., namentlich heftiges Pressen,
wurde zwar die prima intentio vollständig vereitelt; es gelang aber doch, mit Hülfe
einiger kleiner Nachoperationen, eine breite solide Brücke zu bilden, die den De¬
fect vollständig deckt, den Prolapsus vesicae kräftig zurückhält und bewirkt, dass
aller Urin unten zwischen den kleinen Labien ausfliesst, obschon der obere Rand
der Brücke noch nicht an die Bauchdecken angeheilt ist, die Blase also nach oben
noch offen ist Da mehrere Fälle bekannt sind, wo wegen hartnäckigen Incrusta¬
tionen die mühsam gebildete künstliche Blase wieder geöffnet werden musste, so
lässt tt. absichtlich einige Monate die Blase nach oben noch offen, um die Function
derselben beobachten und um nötigenfalls jederzeit leicht reinigen zu können.
Später wird dann eine Vereinigung des obern Randes der Brücke mit dem Abdo¬
men bei sorgfältiger Vermeidung des Peritonaeum keine Schwierigkeiten bieten.
Die Excoriationen sind alle sehr schön geheilt und Pat wird mit einem Kautschuk-
Receptaculum entlassen. Selbstverständlich waren zur schnellem Ueberhäutung
der grossen Defecte öftere Epidermispfropfungen vorgenommen worden.
Prof. Eberlh spricht über die Neubildung der glatten Muskeln der
Lunge bei chronisch-entzündlichen Processen, insbesondere bei der verminösen
und chronisch desquamativen Pneumonie der Katze, wo diese Neubildung einen
sehr hohen Grad erreicht.
Ferner referirt derselbe über die in Gemeinschaft mit Davis unternommenen
Studien über becherförmige Organe im Kehlkopf. Diese sind durchaus nicht allein
auf die Hinterfläcbe der Epiglottis beschränkt, sondern finden sich viel verbreite¬
ter im Kehlkopf des Menschen und der Haussäugethiere. Der Bau dieser Becher
ist ziemlich übereinstimmend mit dem der Geschmacksknospen.
Eberth demonstrirt ein grosses von dem Felsenbein ausgehendes Osteom der
Ziege, welches den grössten Theil der Schädelhöhle einnahm, eine Lunge der
Katze mit lobulärer Desquamativpneumonie, ein Myxosarcom des unteren Augen¬
lides einer Henne.
Dr. Baab in Zürich meldet sich zum Eintritt.
10. Sitzung, den 24. März 1877.
Vortrag von Dr. Egli-Sinclair über die operative Behandlung des Gebär¬
muttervorfalles.
Erscheint ausführlich in nächster Nummer des Correspondenz-Blattes,
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Prof. Frankenhmiser bemerkt, dass er nach allen 3 Methoden, von Simon , Begar
und Bischoff, operirt habe, findet aber keinen wesentlichen Unterschied in den Re¬
sultaten. Wo ein fester, dicker Damm erzielbar ist, sind alle diese Methoden eine
Zeit lang wirksam, sobald die Erweiterung des Scheidenausganges das letzte Hin¬
derniss war, welches sich dem entstehenden Prolaps entgegen stellte. Wenn aber,
wie bei angeborenem Prolapsus, die Beckenfascien schlecht entwickelt und sehr
dünn sind, hilft weder das eine noch das andere Verfahren dauernd. Im letzten
operirten derartigen Falle war schon nach einem halben Jahre die Senkung wieder
da. Entstehungsursachen und die Complicationen des Gebärmuttervorfalles sind
überhaupt so mannigfaltig, dass ausserordentlich sorgfältig individualisirt werden
muss. Wenn Tumoren, hochgradige Blasen- und Mastdarm Veränderungen vorlie¬
gen, ist überhaupt wenig zu hoffen. Frankenhauser's, Ueberzeugung geht dahin,
dass auch durch Bischofs Methode ein gutes Contingent von Gebärmuttervorfällen
nicht heilbar ist, während allerdings viele andere mit demselben Nutzen noch operirt
werden, wie nach der Simon-Hegar 'sehen Methode. Für ihn liegt überdiess die Wir¬
kung der Bischoff *sehen Methode nicht in der Abknickung der Scheide, sondern in
der Herstellung eines festen Dammes, einer Narbe, die sich auch in der Mastdarm¬
scheidenwand hinauf fortsetzt und den Prolaps in soweit zurückhält, dass nur eine
intravaginale Senkung hergestellt wird.
Dr. Haab wird als Mitglied aufgenommen.
11. Sitzung, den 7. April 1877.
Vortrag von Dr. Emst über einen Fall von totaler Osteosclerose des
Schädels.
Wird in diesen Blättern ausführlich veröffentlicht.
12. Sitzung, den 21. April 1877.
Prof. Hitzig theilt bei Anlass der Demonstration eines hypertrophischen
Schädeldaches Folgendes mit:
„Meine Herren! Die erste kurze Mittheilung, welche ich Ihnen zu machen
wünsche, schliesst sich an die in der vorigen Sitzung gehörten Vorträge der Her¬
ren Ernst und Eberlh an und beansprucht keinen über die Demonstration eines aller¬
dings ganz interessanten Schädeldaches hinausreichenden Werth.
Dieses Schädeldach gehörte zu einer 66 Jahre alten Dame, welche uns durch
exceptionelle Unlicbenswürdigkeit einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Im
Uebrigen bietet ihre Krankengeschichte nicht eben viel Merkwürdiges dar.
Sie war im Anfang August 1871 plötzlich an einem Schlagflusse erkrankt,
durch den die ganze rechte Seite gelähmt wurde und gelähmt blieb. Allem An¬
schein nach waren diesem Anfalle schon leichtere prmmonitorische Symptome vor¬
hergegangen und auch noch kleinere Anfälle gefolgt. Näheres darüber haben wir
nicht mit Sicherheit in Erfahrung bringen können.
Vier Jahre nach dem Anfalle etwa und ein Jahr vor ihrem Eintritt in unsere
Anstalt fing sie an höchst unangenehm zu werden. Sie hatte Tag und Nacht neben
berechtigten auch viele unberechtigte und widersinnige Wünsche; wurde maasslos
heftig, sobald nicht Alles nach ihrem Sinne ging und überschüttete dann ihre Um¬
gebung mit den rohesten Schimpfworten. Niemand konnte es bei ihr aushalten,
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so dass für sie selbst wie für ihre Umgebung der Eintritt in das Burghölzli eine
wahre Erlösung schien.
Bei ihrer Aufnahme constatirten wir neben hochgradiger Abmagerung und
allgemeiner Schwäche rigide Arterien und die gewöhnlichen Zeichen einer rechts¬
seitigen Hemiplegie mit Betheiligung des Facialis und der Zunge. Damit will ich
Sie nicht lange aufhalten und bemerke nur, dass auch die linke Seite leicht pare-
tisch schien.
In psychischer Beziehung entsprach die Kranke vollkommen der von ihr ge¬
gebenen Beschreibung. Sie brachte der Reihe nach die Hälfte unserer Wärterin¬
nen zur Verzweiflung und vertrieb sogar zwei von ihnen aus der Anstalt. Der
Grund für ihr Gebahren lag zum Theil in körperlichen Leiden, zum Theil in ab¬
normer psychischer Reizbarkeit gepaart mit Einsichtslosigkeit. Sie war fast ganz
schlaflos, hatte in Folge eines Catarrhes mit concomitirender Schwäche der Res¬
pirationsmuskeln asthmatische Beschwerden und ausserdem noch die bei intensi¬
veren Hemiplegien so häufigen Gelenkschmerzen.
Sie glaubte durch immerwährendes Umlegenlassen — denn selbst konnte sie
sich nicht helfen — ihre Beschwerden los zu werden, und wenn das nichts nutzte,
so schob sie die Schuld auf die Wärterinnen und es gab eine Explosion.
Am 22. Februar 1876 starb sie unter den Erscheinungen einer Pneumonia ul¬
tima. Die Section ergab neben den gewöhnlichen Lungen Veränderungen leichte
Hypertrophie des linken Ventrikels, keinen Klappenfehler, hochgradiges Atherom
der Arterien, sehr viele kleine Erweichungsherde in beiden Hemisphären, nament¬
lich aber in der linken und hier auch einen bohnengrossen Herd, der halb im
Schwanz des Corpus striatum, halb in der inneren Capsel sass und aller Wahr¬
scheinlichkeit nach die Hemiplegie verursacht hatte. Ferner hämorrhagische Pachy-
meningitis.
Ausserdem der Schädel. Dieser Schädel ist nun wie Sie sehen sehr dick, äus-
8er8t schwer und keineswegs so weich, wie die Ihnen neulich vorgezeigten Prä¬
parate.
Betrachten wir ihn näher, so bemerken wir zuerst eine leichte Asymmetrie,
und zwar ist die linke Schädelbälfte im Allgemeinen etwas geräumiger als die
rechte. Auch weicht der Sulcus longitudinalis hinten stark nach rechts ab.
Betrachten wir die Innenfläche des Schädels, so bomerken wir äusserst zahl¬
reiche Gefässlöcher, einige aber spärliche linsengrosse und kleinere periostitische
Auflagerungen, endlich eine sehr beträchtliche hyperostotische Verdickung der
Stirnbeine- Diese zeigt keinerlei scharfe Grenzen gegen die Umgebung und ist
sicherlich nicht als Product einer von dem Periosteum internum, der Dura aus¬
gehenden Auflagerung aufzufassen, sondern von dem Knochen selbst ausgegangen.
Die Sägefläche zeigt Durchmesser, welche zwischen 27 mm. an der Protub.
occip. int. und 5 mm. am linken Scheitelbein variiren. Die correspondirende Stelle
des rechten Scheitelbeines ist doppelt so dick. In der Mitte des Stirnbeines mes¬
sen wir 17 mm.
An einzelnen Stellon bemerken wir ziemlich viele und grosse Markräume der
Diploe, an anderen wenige.
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Die Diploe ist verhältnissmässig sehr reichlich entwickelt. Sie nimmt ungefähr
*/« des Durchmessers ein. Dem entsprechend verhält sich auch die Consistenz.
Die äussere und innere Tafel schneiden sich sehr hart, die Diplce wie gewöhnlich
leicht.
Wenn Sie nun nach der Entstehung dieser Hypertrophie des Knochens fragen,
so bin ich um eine Antwort verlegen. Möglicherweise können die pathologischen
Anatomen hier mehr Auskunft geben, als bei den neulich demonstrirten Präpara¬
ten. Jedenfalls kann man soviel sagen, dass der Vorgang im Hirn selbst, die klei¬
nen Erweicbungsherde, mit der Sache nichts zu thun hat.
Eher könnte man noch an die hasmorrhagische Pachymeningitis denken. Es
kommen ja manchmal knocbenbildende Processe, namentlich Osteome, bei dieser
Entzündungsform vor. Indessen fehlen diese, abgesehen von den kaum nennens-
werthen Auflagerungen, im gegebenen Falle; und wie unendlich oft findet man
allerlei chronisch pacbymeningitische Zustände, ohne die Spur einer Einwirkung
auf das Knochenwachsthum.
Unter diesen Umständen wird man die Erklärung der Genese des Krankheits-
processes am besten in suspenso lassen.“
II. Demonstration einer Dura mit leichter h aemorrha gi s c h er
Pachymeningitis und mehreren grossen und kleineren Osteomen
d er Fal.
Das Präparat stammt von einer älteren Dame, die an den Folgen embolischer
Erweichungsherde litt. Durch die Osteome wurden wie gewöhnlich keine Symp¬
tome veranlasst.
III. Prof. Hitzig berichtet über Reizversuche am Gehirn eines Pavians
Folgendes:
„Sie werden sich erinnern, dass ich in meinem am 9. December v. J. hier ge¬
haltenen Vortrage kurz erwähnte, wio ich die durch sehr zahlreiche Versuche an
Hunden und Katzen festgestellten motorischen Reizpuncte auch am Affengehirn auf¬
zufinden versucht hatte.
Nun betrafen diese Versuche nur 1 Exemplar von Inuus Rhesus, einer noch
ziemlich niedrigen Affenart, indem mir von zwei anderen kranken Exemplaren der
eine vor Beginn und der andere im Anfänge der Operation starb. Gleichwohl war
die Wiederholung dieser Versuche für die Uebertragung der an niederen Thieren
gewonnenen Resultate auf den Menschen vom allergrössten Interesse. Denn ein¬
mal besitzt das Hirn der meisten Affen eine deutliche Centralfurche und nähert
sich dadurch dem Menschenhirn mehr als das Gehirn irgend einer andern Species,
sodann konnte man immerhin einwenden, dass ein einziger Versuch nicht hinrei¬
chend beweiskräftig sei.
Dazu kam noch, dass ein englischer Forscher die fraglichen Centren bei Affen
über fast das ganze Gehirn vertheilt gefunden haben wollte und endlich dass Mey -
nert auf Grund vergleichend anatomischer Untersuchungen andere Ansichten über
die Centralfurche und die vordere Centralwindung bei Raubthieren äusserte, als
ich mir auf Grund meiner Experimente gebildet hatte.
Ich war, wie das bei physiologischen Versuchen selbstverständlich ist, nicht
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von den Furchen, sondern von den Windungen ausgegangen und hatte folgen der-
maassen argumentirt.
Sämmtliche beim Hund und der Katze nachweisbaren Centren liegen beim
Affen in einer Windung, der vorderen Centralwindung. Folglich wird das ent¬
sprechende Gebiet bei den erstgenannten Thieren wohl dieser Windung beim Affen
äquivalent sein und demgemäss werden auch die hinter demselben liegenden Ein¬
schnitte der vorderen Centralwindung entsprechen.
Meynert hat nun das, was ich damals sagte, nicht ganz richtig aufgefasst. Er
meint nämlich, ich spreche nur die vordere Hälfte der zweiten die Sylvi-
sche Grube umkreisenden Furche als Centralfurche an, während er der Ansicht
ist, es sei die vordere Hälfte der dritten Furche. Sie können sich nun
aus der Tafel überzeugen, dass ich mich dahin äusserte, jene beiden Furchen¬
stücke, welche häufig in eine Furche verschmelzen, dürften der Centralspalte äqui¬
valent sein.
Immerhin blieb noch eine Meinungsdifferenz, welche eine Verbreiterung der
thatsächlichen Basis auch in dieser Beziehung sehr wünschenswerth machte. Hierzu
gab mir die Vivisection eines kleinen Pavians, in dessen Besitz ich durch Ver¬
mittelung des Herrn Collegen Huguenin gelangte, eine erwünschte Gelegenheit.
Bei diesem Versuche wurden nun die Resultate jenes ersten Versuches voll¬
kommen bestätigt und um etwas erweitert. Die sämmtlichen früher in der vorde¬
ren Centralwindung gefundenen Centren wurden in derselben und in der gleichen
Anordnung, wie bei dem ersten Versuche, wieder gefunden. Zunächst der grossen
Längsspalte lag der Reizpunct für die hintere Extremität, dann folgte der für die
vordere Extremität, dann der für die Innervation des Facialis, endlich ganz ba-
salwärts gegen die Sylvische Grube ein zu den Kiefer- und Zungenbewegungen
in Beziehung stehendes Gebiet.
Im Bereich des Facialis wurden die Reizpuncte der einzelnen Muskeln etwas
näher bestimmt. Zu oberst kam der Orbic palp., dann die Zygomatici, mehr ba-
aalwärts der Masseter und endlich die übrigen den Kiefer bewegenden Muskeln
und die Zungenmuskeln. Die zuletzt angeführten Muskeln contrahirten sich wie¬
derum bei einseitiger Reizung auf beiden Seiten gleich stark.
Ausserdem drehte sich bei Reizung (linke Stirnhälfte) mit stärkeren Strömen
in dem Winkel, den der Sulc. prsecentralis bildet, der Kopf um seine Längsaxe von
rechts nach links und endlich erhielt man gleichfalls auf stärkere Ströme Ohrbe¬
wegungen , die am intensivsten an einem unmittelbar vor dem basalen Ende des
Sulc. prsecentr. belegenen Puncte ausfielen.
Alle in der vorderen Centralwindung gelegeneh Puncte reagirten wieder auf
minimale Ströme schon bei 120—125 mm. R. A., bei einem Strom, den man kaum
auf der Zunge empfand. Die beiden Reizpuncte vor dem Sulc. preecentr. erforder¬
ten wieder stärkere Ströme und bei Reizung hinter der Centralfurche gab es Zuck¬
ungen erst bei Strömen, welche vor dieser Furche sofort einen epileptischen An¬
fall herbeiführten.
Der Hinterlappen reagirte auch bei Strömen von colossaler Intensität absolut
nicht
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Ich bin nun selbstverständlich nicht berechtigt auf Grund dieser Versuche die
Ergebnisse morphologischer Forschungen anzuzweifeln. Indessen möchte ich doch
darauf Jiinweisen, dass auch die Anatomen über die Bedeutung der Furchen keines¬
wegs einer Meinung sind. In der That kommen auch namentlich bei den höher
organisirten Species so bedeutende Varianten in der Furchenbildung vor, dass die
Henle-ReicherC sehe Ansicht nicht so ganz unwahrscheinlich erscheint. Nach dieser
Ansicht würde die verschiedene Configuration der Windungen einerseits durch die
Configuration der Schädelcapsel, andererseits durch das Ernährungsbedürfniss des
Gehirns bedingt. Die Furchen hätten wesentlich die Bedeutung, Gefässe ins Innere
des Centralorganes zu tragen.
Dann wäre es vielleicht am richtigsten, wenn man auf die Aufsuchung der
Centralfurche am Hunde- und Katzenhirn überhaupt Verzicht leistete und sich vor
der Hand vielmehr darauf beschränkte, einfach das Lagerungsverhältniss und seine
Beziehungen zur Sylvischen Grube und der grossen Längsspalte festzustellen.“
Dr. Dubs in Wiedikon berichtet über einen Fall von Blasensteinen; er wird
seinen Vortrag im Correspondenzblatt veröffentlichen.
Im Anschluss an diese Mittheilung erzählt Frankenhteuser einen Fall von Blasen¬
blutung, bei welchem sich als Ursache der Blutungen nur eine lockere, sammet¬
artige Beschaffenheit der Schleimhaut des Blaseneinganges nachweisen liess.
Neuwahlen: Wiederwahl des bisherigen Vorstandes.
Schluss der Sitzungen 1876/77.
Referate und Kritiken.
Statistische Beiträge zur Beleuchtung der Hereditätsverhältnisse bei der
Lungenschwindsucht
Inauguraldissertation von Albert Müller von Weissenburg, pract. Arzt auf St. Beatenberg.
Bern, Buohdruckerei von Mch. Körber, 1876.
Der Verfasser, vieljähriger Badearzt in Weissenburg, bespricht in der kleinen Schrift
die Erblichkeitsverhältnisse bei der Lungenschwindsucht auf Grund seiner eigenen zahl -
reichen Beobachtungen und Aufzeichnungen in Weissenburg, der in dem „Berichte über
die Verbreitung der Lungenschwindsucht in der Schweiz“ niedergelegten statistischen
Angaben und verschiedener anderer in der Litteratur eich findender, jedoph im Ganzen
weniger Ausbeute bietenden Daten. Unter Lungenschwindsucht werden die verschiedenen
Formen der zu diesem Ausgang führenden Lungenerkrankungen zusammengefasst, als
ererbt aber die Krankheit dann nur betrachtet, wenn sie in gleicher Weise bei den An-'
tecedenten aufgetreten war. Es werden nun auf den vorhandenen statistischen Grund¬
lagen eine Reihe von Fragen aufgestellt und beantwortet, die wir kurz skizziren.
I. Wie verhalten sich der Häufigkeit nach die hereditären Fälle von
Phthise zu der Zahl der nicht hereditären? — Die statistischen Daten einer Reihe
von Autoren differiren bedeutend und bewegen 6ich in den weiten Grenzen von 10—83 # / 0
Hereditätsvorfälle. Legt man jedoch der Berechnung mehr nur die auf grösseren Zahlen¬
reihen beruhenden Angaben zu Grunde, so ergibt sich als annäherndes Resultat derselben,
dass ein gutes Dritttheil sämmtlicher Schwindsüchtiger von Vorfahren stammt, welche
an der nämlichen Krankheit gelitten haben. — II. Sind männliche und weibliche
Nachkommen eines Schwindsüchtigen der ‘Heredität gleichmässig unter¬
worfen? — Zur Beantwortung dieser Frage liegen nur wenige etwas grössere Zahlen¬
reihen vor, wonach beim weiblichen Geschlecht der Einfluss der Erblichkeit der phthisi-
schen Prädispositionen stärker als beim männlichen sich geltend macht. — HI. In wel¬
chem Verhältniss steht bei Abstammung von schwindsüchtigen Vorfahren
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die Zahl der ebenfalls daran erkrankenden Nachkommen zu derjenigen der
verschont bleibenden? — Directe Untersuchungen hierüber finden sich nur sehr we¬
nige und sind schwierig durchzuführen. Einige in der Litteratur aufgezeichnete Angaben
lassen von einer gewissen Anzahl von phthisischen Eltern herstammender Kinder 40 bis
76% von derselben Krankheit befallen werden. Verfasser schlug einen andern Weg ein:
er untersuchte bei einer Zahl von Familien mit hereditären Dispositionen und ohne die¬
selben , wie die Zahl der schwindsüchtigen Geschwister in denselben sich belief, und
fand, dass Familien, in denen Phthise bei einer Mehrzahl von Gliedern verbreitet ist, fast
um das Doppelte zahlreicher sind, wo Heredität vorliegt, als wo diese in Abrede gestellt
wird, und dass bei Gegenwart von Heredität je beim 4.—5., bei Abwesenheit derselben
jedoch nur beim 19.— 20. Fall die Krankheit bei mehreren Familiengliedern aufgetreten
ist. — IV. Macht sich nicht blos bezüglich der Häufigkeit der erblichen
Uebertragung, sondern auch im Verlaufe der Krankheit und in der Art und
Weise ihres Auftretens ein Unterschied geltend zwischen den hereditären
und nicht hereditären Fällen? — Es ist vielfach behauptet worden, dass unter dem
Einflüsse der Heredität die Erkrankung an Phthise in einem früheren Lebensalter beginne,
und dass, je länger sich die tuberculöse Dyskraaie durch die Generationen einer Familie
fortpflanzt, in einem um so frühzeitigeren Lebensalter sich die Erscheinungen derselben
entwickeln. Hinreichende statistische Angaben für Aufstellung eines solchen Gesetzes
finden sich jedoch nicht; auf jeden Fall finden sich Ausnahmen, wie der Verfasser selbst
beobachtete. Auch fand derselbe keinen erheblichen Unterschied in Bezug auf Bösartig¬
keit des Verlaufes zwischen hereditären und nicht hereditären Fällen. — V. Sind beide
Geschlechter, das männliche wie das weibliche, in gleichem Grade
befähigt und geneigt, die Phthise auf ihre Nachkommen zu über¬
tragen? — Die Angaben hierüber zeigen ziemlich unbedeutende Differenzen, ebenso
oft zu Gunsten des einen wie des andern Geschlechtes, so dass es den Anschein ge¬
winnt, dass für die Vererbung der Phthise kein in’s Gewicht fallender Unterschied zwi¬
schen der Abstammung von weiblicher oder von männlicher Seite besteht. Ebenso ver¬
hält es sich mit einigen weiteren Behauptungen: die Uebertragung geschehe kreuzweise,
d. h. vom Vater auf die Töchter und von der Mutter auf die Söhne; hinwiederum : sie
mache sich häufiger vom gleichen auf das gleiche Geschlecht; ferner: die Uebererbung
geschehe von beiden Geschlechtern auf beide ungefähr gleich häufig. — VI. Uebt die
Erkrankung beider Eltern an Phthise auf die Nachkommen einen gar
viel übleren Einfluss aus, als wenn blos das Eine der Gatten daran
leidet? — Auch dies wird von Einigen behauptet, während Andere, so auch der Ver¬
fasser, keine Bestätigung dafür finden konnten. — Hieran schliesst der Verfasser noch
eine Untersuchung über die Vertretung der hereditären Fälle bei städtischer, resp. indu¬
strieller gegenüber agricoler Bevölkerung, woraus sich ergibt, dass, wie die Phthise über¬
haupt bei letzterer bedeutend seltener, es auch die hereditäre ist, jedoch nicht in der
gleichen Proportion, indem die nicht hereditären Fälle die hereditären bei den städtischen
und industriellen Bewohnern um ein Bedeutendes mehr übersteigen, als dies beim Land¬
volk der Fall ist; es repräsentiren die erblichen Fälle bei jenen 21,5%, bei diesen 26,7%
sämmtlicher Fälle von Schwindsucht. Es spielen somit unter den Ursachen, welche bei
der agricolen Bevölkerung die Entstehung der Schwindsucht begünstigen, die hereditären
Einflüsse eine häufigere Rolle, als bei den Städtern und Industriellen, was Verf. auch
durch seine eigenen Beobachtungen stützt. — VH. Kann der Nachweis der He¬
re d i tät i m s p e ci e Ile n Fall e bestimmend auf das ärztliche Handeln
und Verhalten einwirken, und gibt es Maassregeln, welche die
Forterbung der Lungenschwindsucht zu verhindern oder zu be¬
schränken vermögen? — Verf. verzichtet hier wohl mit Recht auf eine eingehende
Beantwortung dieser Fragen, zeigt in kurzen Zügen das Missliche der Forderung, die
Schwindsüchtigen von der Betheiligung an der Fortpflanzung des Menschengeschlechtes
fern zu halten, und schliesst seine anregende Untersuchung, die in knappem Rahmen
zahlreiche interessante, der definitiven Lösung noch harrende Fragen zusammenfasst, mit
dem Satze, dass im grossen Gaozen mit der Verfolgung des Einen Ziels auch der Here¬
ditätsfrage zu begegnen sei, nämlich mit der allgemeinen Bekämpfung aller die Entstehung
der Schwindsucht begünstigenden Momente überhaupt. Dr. E. Müller.
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Das neue Laienbrevier des Häckelismus.
Genesis oder die Entwicklung des Menschengeschlechts. Nach Häcker s Anthropogenie in
zierliche Reimlein gebracht von M. Reymond. Bern, G. Frobeen & Cie., 1877.
2. Auflage. Fr. 8. BO.
Die Keimhüllen und der erste Blutkreislauf.
Melodie: „Die Husslten zogen vor Naumburg*.
Eh’ der Mensch auf Erden bummelt,
Ist er gänzlich eingemummclt;
Wohl besackt und wohl verpackt,
Nicht so elend splitternackt,
Wie er dann zur Welt kommt.
Trägt den Schnappsack auf dem Ranzen,
Wie der Studio in Vakanzen,
Wenn zur Alma mater er
Wiederkehret beuteschwer
Vom Papa Philister.
Doch der Sack mit seinem Dotter
Gleicht dem Wechsel, den ein flotter
Bursch’ in kurzer Zeit verlumpt,
Und sodann aufs Neue pumpt
Reuevoll bei Muttern.
Um hierbei zu reussiren,
Muss von nun an functioniren
Die Allantois als Organ;
An die Eihaut wächst sie an
Und wird zur Placenta.
Mit des Dottersackes Bürde
Fällt die selbstbewusste Würde,
Die den Keim erfüllt bislang
Und der freie Bildungsdrang;
’s wird ein Muttersöhnchen 1
Ei, wie war so flott der Racker,
Als noch aus dem Dottersack er
Den Humor des Lebens sog,
Und des Blutes Kreislauf zog
Seine eigenen Wege!
In der Schafhaut wohl geborgen,
Lässt er die Mama nun sorgen
Für des Leibes Unterhalt,
Und des Blutes Kreislauf wallt
Nun durch die Allantois.
Schliesslich, wenn die Zeit erschienen,
Selbst das Leben zu verdienen,
Steht er ganz erbärmlich da,
Jammert nach der Frau Mama,
Dass es einem leid thutl
Bedarf es nach dieser Probe noch einer Empfehlung? Selten mag ein feinerer Schalk
in vollendeterer Form zum Publicum gesprochen haben. Ueber wen lacht'man eigentlich?
Ueber Bis? Uber Höckel? über sich selbst und seinen eigenen Aufklärungsdogmatismus ?
Dieses Räthsel geben wir dem Leser zu lösen auf und bedauern von Herzen jeden un¬
serer Collegen, der es bis jetzt versäumt hat, mit dem „Laienbrevier“ Bekanntschaft zu
machen, dessen zierliche und leicht fliessende Reime uns, obschon wir seit manchen Mo¬
naten das Büchlein aus der Hand gelegt, immer wieder in verdriesslichen Stunden als
neckische Kobolde erheiternd umgaukeln.
Ganz unter uns gesagt, werthe Collegen, überschlagen Sie doch ja den ganzen phi¬
listerhaften Krimskrams von Vorrede, wissenschaftlich belehrender Introductionen: — lesen
Sie sich gleich in die flotten Verse hinein, und wer dann, nachdem er sich erst am Dich¬
ter gefreut, und dann am Spassvogel müde gelacht, durchaus noch verstimmt sein will,
der suche nachträglich noch mit Hülfe der Einleitung in die Absichten einzudringen, die
der Autor mit seinem belehrenden Gedichte wohl zu unserem Nutz und Frommen mag
gehabt haben. M.
Die Bäder, Quellen und Curorte Europa’*.
Von Hirschfeld und Pichler. 2. Band. 652 Seiten. Stuttgart, Enke, 1876.
In Nr. 17 des vorigen Jahrgangs dieser Zeitschrift ist bereits die Haltung und Be¬
stimmung dieses Werkes im Allgemeinen besprochen worden. Mit dem vorliegenden
zweiten Bande ist dasselbe zum Abschluss gelangt und es mögen hier noch ein kurzer
Ueberblick über das Ganze und einige specicllere Bemerkungen zu der kürzlich erschie¬
nenen 2. Hälfte ihren Platz finden.
Was früher in Bezug auf Reichhaltigkeit von dem ersten Bande gesagt worden, gilt
in gleichem Maasse von dem noch stärkern zweiten. Die Zahl der besprochenen Curorte
(im weitesten Sinne) beträgt nicht minder als 1760; es versteht sich von selber, dass in
einem Werke von im Ganzen 1200 Seiten viele derselben nur mit den allerwesentlichsten
Angaben (Art der Cur, resp der Quelle, geographische Lage) bedacht werden konnten.
Die bedeutendem Curorte sind indessen regelmässig auf mehreren Seiten (gross Octav)
relativ ausführlich besprochen.
Wie in der Vorrede des 2. Bandes roitgetheilt wird, sind einzelne von der im Gan-
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een beifälligen Kritik gerügte Mängel oder Unrichtigkeiten so weit thunlich corrigirt
(Dies ist auch der Fall von Weissenbnrg, dessen richtige Analyse und Indicationen den
bei „Buntschibad“ im 1. Band angegebenen nun freilich nicht entsprechen.) Es ist zu¬
gleich eine Uebersicht der hauptsächlich benützten Litteratur beigefügt.
Die Schweiz speciell hat sich einer rühmlichen Berücksichtigung zu erfreuen. Von
den 17Ö0 Namen kommen auf unser Ländchen 157, ziemlich genau 9°/ 0 , was im Verhält¬
nis zu seiner räumlichen Ausdehnung ein beträchtliches Üontingent zu nennen ist. Ver¬
treten sind in reichlichstem Maasse die Eisen- und Schwefelquellen, die meisten andern
durch eioe grössere oder geringere Zahl von Repräsentanten, am spärlichsten die alcali-
schen Säuerlinge , die fast nur Fideris und Tarasp aufzuweisen haben , und auch diese
nur bedingt, da sie mit gleichem Rechte zu den alcalischen Eisensäuerlingen zu zäh¬
len sind.
Verschiedene unserer Curorte sind ziemlich detaillirt besprochen, besonders Schuls-
Tarasp. Bei „Schönbrunn“ im Ct. Zug ist eine ausführlichere Beschreibung der römisch-
irischen Bäder zu finden.
Eine Eroberung, wie an Evian, hat die Schweiz auch an Bormio gemacht (wenigstens
im Register).
Dagegen sind einzelne Mängel auch diesmal nicht ausgeblieben. Der treffliche Cur-
ort (Kaltwasserheilanstalt, mit pneumatischen Apparaten ausgestattet) Schöneck bei Becken¬
ried am Vierwaldstättersee iet ausgelassen; ebenso, was uns noch mehr wundert, der
Curort „An der Lenk“ im Simmenthal, früher „Hohliebebad“ genannt Gewiss hätten
viele unserer kleinern Badeorte ohne den geringsten Schaden unerwähnt bleiben können ;
aber eine Anstalt, welche durch ihre ausgezeichnete Lage und eine an Gehalt derjenigen
von Schinznach (seit der neuen Fassung) mindestens ebenbürtige Quelle sich jetzt schon
zu unsern besuchtesten und wirksamsten zählt und ohne Zweifel eine bedeutende Zu¬
kunft hat, vermissen wir um so weniger gern, als das besprochene Werk seiner sonsti¬
gen Vorzüge halber die verdiente Verbreitung in einem grössern Publicum finden wird
und wohl auch schon gefunden hat. Trechsel.
Brehm’s Thierleben 9. Band: Die Insecten.
Von E. Taschenberg.
Auch in dieser Abtheilung hat die neue Auflage die namhaftesten Verbesserungen
und Bereicherungen aufzuweisen, die Frucht langjähriger vorbereitender Arbeit und sorg¬
fältigster Beobachtungen, welche dem Verfasser dieses Bandes (Herrn Prof. Dr. Taschenberg
in Halle) einen so geachteten Namen erworben hat.
In hervorragender Weise ist die Hand des Zeichners (.Emil Schmidt) thätig gewesen,
der das Leben dieses eigenthümlichen Thierkreises durch eine Fülle neuer charakteristi¬
scher Darstellungen, unter besonderer Berücksichtigung der heimischen Formen (Feinde
des Landbaues, Waldverderber etc.) — fast ausnahmslos nach dem Leben — dem allge¬
meinen Verständniss näher zu bringen gewusst hat.
Die glückliche Vereinigung des beschreibenden Entomologen mit dem in eigenen Na¬
turstudien erprobten Zeichner und einem naturkundigen und beobachtenden Xylographen
ermöglichte die einheitliche und verständnissvolle Durchführung, welche diesem Buche
einen ganz eigenartigen Werth verleiht. 8.
Kantonale Correspondenzen.
Aarau. Ein Curpfuschereiprocess. Am 19. Mai und 21. JuH hatte das
hiesige Bezirksgericht einen zur Klage gebrachten Fall von Curpfuscherei zu beur-
theilen, der auch weitere fachliche Kreise interessiren dürfte. Frau Rey-Ringger , Gattin
des Rectors der Knabenbezirksschule in hier, betreibt, seit Baron Heger , der homöopa-
tische Mystiker und nunmehrige Sectenprediger in Zürich, die Flagge Hahnetnann'e in
Aarau einziehen und dem Gesetze weichen musste, ganz offen die homöopathische Praxis.
Den Antrieb dazu fühlte sie theils in ihrer humanern Hälfte des Gemüths, welche den
armen Leidenden die Wohlthat ärztlicher Behandlung namentlich mit Rücksicht auf die
theure Behandlung der Allopathen erleichtern will, theils in dem Anspruch des Publicums
an ihre bewährten Erfahrungen auf dem Heilgebiete, da es natürlich auch bekannt ge-
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worden ist, wie viele und schwere ungeheilte Fälle der Allopathen sie curirt hat (eigene
Deposition vor Gericht). Und da die Thätigkeit der Frau Rey bereits über alle Gemeinde¬
schranken hinweggesetzt hat, so reist sie auch eines Tages in ärztlichen Geschäften nach
Zofingen und trifft unterwegs eine ihr bekannte Frau von Küttigen mit dem nämlichen
Reiseziel. Diese will ihre von einer schweren Augehkrankheit befallene Tochter, Jgfr.
ßolliger , nach Hause holen. Da hat es unsere HeilkGnstlerin gleich herausbekommen,
dass die Kranke fälschlicher Weise vom behandelnden Arzte Eisilberschläge bekommen
hat und Gefahr läuft, „dass sich die. Entzündung in den Kopf hinein verschlage“. Die
Mutter Bolliger findet diese Behauptung plausibel und lässt ihre Consulentin in Zofingen
rufen , um wenigstens die Sache anzusehen und ihre Meinung darüber abzugeben. Die
Vermuthung, dass Wärme und nicht Kälte das richtige Mittel — Teufel durch Beelzebub
— wurde Gewissheit. Der Jgfr. Bolliger wurden die Augen mit Watte zugebunden und
zu Hause die Erwärmung der „erkälteten“ Augen fortgesetzt; der Lebenswecker trat in
sein Recht und das homöopathische Mittel blieb nicht unvergessen. Nach 3tägiger Be¬
handlung indess nahmen Schwellung und Entzündung der Lider, Schmerz und Lichtscheu
so zu, dass das Vertrauen auf die versprochene Heilung innert 8 Tagen bei den Leuten
Bolliger zu wanken begann und ein Arzt zugezogen wurde. Zum Unglück der Frau Rey
war es nicht derjenige, den sie eventuell empfohlen hatte. Dieser constatirte, dass sich
Elise Bolliger bei Besorgung eines blennorrhoekranken Kindes das rechte Auge inficirt
hatte und seit dem Transport von Zofingen auch das linke, das laut Zeugniss des dorti¬
gen behandelnden Arztes am Tage der Abreise blos leicht geröthet war. Nun aber Btellte
das rechte Auge dem Untersuchenden ein Bild hochgradiger Blennorrhoe mit diphtheriti-
schen Auflagerungen am Oberlide und den verderblichsten Einflüssen des im Bindehaut¬
sacke siagnirenden eitrigen Secrets auf die Hornhaut dar. Es scheint das Eiterinfiltrat
derselben im Momente der Untersuchung so bedeutend und der Zustand der entzündlich
geschwellten Lider und Schleimhäute und ihrer eitrigen Absonderung ein solcher gewesen
zu sein, dass der gänzliche Ruin des Auges in Aussicht genommen wurde, eine Prognose,
die auch ein Consiliarius bestätigte. Das linke Auge war ebenfalls chemotisch und eine
Menge gelblichen Eiters drang nach Abnahme des Verbandes aus der Lidspalte, gleich
wie am rechten. Die Hornhaut, die nicht ganz zur Ansicht gebracht werden konnte, er¬
schien trübe. Eine energische Kältebehandlung brachte die Heftigkeit der entzündlichen
Schwellung und Infiltration zum Stehen und die erleichterte Oeffnung der Lider ergab
jetzt auch rechts ein wandständigos Hornhautgeschwür und Iriseinfall in dasselbe.
Mit Rücksicht auf die durch eine absurde Behandlung provocirte Verschlimmerung
des Augenleidens, das in Zofingen bereits einen Anfang zur Besserung genommen, klagte
der behandelnde Arzt die Frau Rey wegen unbefugten Practicirens bei der Direction des
Innern an und machte sie verantwortlich für den aus ihrer Behandlung der Jgfr. Bolliger
erwachsenen Schaden. Der Staatsanwalt überwies die Angelegenheit dem Bezirksamt
zur Voruntersuchung und dem Bezirksgerichte zur Beurtheilung. Nach dem gerichtsärzt¬
lichen Gutachten, das nun zunächst erhoben wurde, waren 8 Wochen nach Entlassung
der Frau Rey die Conjunctiva beider Augen und namentlich der untern Lider stark ge¬
röthet, saftig und geschwellt, diejenigen der Bulbi dunkler geröthet. von mehr venöser
Injection. Es bestand noch Schwellung der Lider, die spontan nicht geöffnet wurden,
und Lichtscheu. Die Hornhaut des rechten Auges ist in ihrem obern innern Quadran¬
ten durchbrochen und die geschwürige Stelle durch einen vorgefallenen Theil der Iris,
der sich blasenförmig 3 — 4 Millimeter über das Niveau der Cornea erhebt und nahezu
den vierten Theil ihrer Fläche emnimmt, ausgefttllt (Staphyloma Iridis). Im Pupillar-
bezirk ist die Hornhaut trübe. Am linken Auge befindet sich am obern Scleralrande
ein 4—6 Millimeter grosses, bereits in Reparation befindliches Ringgeschwür, nach dessen
Richtung hin die Pupille verzogen und erweitert (Atropinwirkung) und in dessen Ecken
die Iris eingefallen und verlöthet ist (vordere Synechien). Die Prüfung des Sehvermögens
konnte bei dem starken Reizzustande beider Augen nicht vorgenommen werden, war auch
mit Bezug auf seine Veränderung bis zur definitiven Abheilung nicht geradezu nothwen-
dig. Die Prognose wird für das rechte Auge ungünstig gestellt, indem es im günstigsten
Falle nur für gröbere Gesichts Wahrnehmungen, eventuell mit künstlicher Pupille, tauglich
bleiben werde; für das liuke wird der Synechien und verzogenen Pupille wegen eine ver¬
minderte S. und beschränkte Gebrauchsfähigkeit desselben in Aussicht gestellt. Auf die
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zweite den Experten gestellte Frage, ob die von unberufener Hand geleitete Behandlung
oder die während ihrer Dauer erfolgte Unterlassung einer rationellen Behandlung an dem
schlimmen Verlaufe der Krankheit schuld sei, wird ungefähr Folgendes geantwortet:
Blem orrhceen und Diphtheritis der Augen können auch bei bester Behandlung gefährliche
Affectionen der Hornhaut veranlassen, ja selbst den Ruin der Augen herbeifuhren. Allein
es betrifft dieses weniger sporadische als epidemisch in grossen Städten und Anstalten
auftretende Fälle. Bei rechtzeitiger ärztlicher Hülfe, energischer örtlicher Antiphlogose
und fleissiger Reinigung des Bindehautsackes von den Entzündungsproducten lassen sich
Complicationen von Seite der Hornhaut bei sonst gesunden Individuen in der Regel ver¬
meiden oder schon bestehende einschränken. Dagegen musste sich die Krankheit der
Jgfr. Bolliger durch die in Frage stehende Behandlungsweise der Frau Rey naturnoth-
wendig verschlimmern. Durch das Verbinden der Augen mit Watte und wollenen Tü¬
chern musste das eitrige Conjunctivalsecret im Bindehautsacke stagniren und die corro-
dirende Wirkung desselben auf die Hornhaut konnte sich ungehindert entfalten. Durch
die angeführte Wärme steigerten sinh die Entzündungsvorgänge, die Oefässinjection, die
Lidschwellung, die Absonderung der Schleimhaut. In diese Zeit fällt denn auch das Auf¬
treten des eitrigen Hornhautinfiltrats und der Irisvorfall rechtcrseits. Zur Verhütung der
Erkrankung des linken Auges wurde prophylactisch Alles unterlassen und zugleich einer
schnell eintretenden Antiphlogose der Weg versperrt, weshalb der Krankheitsprocess
rasch zu einer floriden Höhe gedieh und gefährliche Complicationen mit sich brachte,
die andernfalls wahrscheinlich hätten verhütet werden können. Es liegt hier ebenso wohl
eine Unterlassungs- wie eine Begehungssünde an einem Patienten von Seite einer un¬
wissenschaftlichen (homöopathischen) Laiin vor. Das Gutachten schliesst: „Die Ange¬
klagte wird sich von ihrem Unrecht, eine Sache berührt zu haben, die unendlich weit
über ihrem Horizonte liegt, gestützt auf ihre homöopathische Berufung als Heilkünstlerin,
kaum überzeugen lassen, denn wie oft hat sie die patentirten Aerzte durch ihre Curen
an unheilbar Erklärten zu Schanden werden lassen? Allein ihr Eifer darf in der Werbung
um Jünger und Glänbige für ihre Kunst nicht zum Verderben der sich ihr vertrauensvoll
zuwendenden Kranken ausfallen und den Leichtgläubigen in gefährlichen Momenten seines
Lebens zum Krüppel schlagen helfen.“
Die drei vor dem Gericht als Zeugen einvernommenen behandelnden Aerzte (die
Herren Suier , Bircher und Stähetih) deponirten über den Stand der Augenkrankhdit, der
erstere bei seinem letzten, die andern bei ihrem ersten Besuche und Uber die angewen¬
dete Behandlung. Alle sprechen die Ansicht aus, dass bei Fortsetzung der im Anfänge
eingeleiteten Behandlung die nun eingetretenen gefährlichen Complicationea vermieden oder
rechtzeitig eingeschränkt worden wären.
Frau Re y bestreitet diese Ansichten und erkennt in dem gerichtsärztlichen Gutachten
blos eine Parteischrift zu ihren Ungunsten; sie weise „beim lieben Gott“, dass sie an
der Unglückskatastrophe im Rombach unschuldig ist. Der Gemahl, Herr Rector Äey, se-
cundirt seiner bedrängten Frau nach Möglichkeit, allein Gewährsmänner für die Richtigkeit
der 3tägigen Behandlung weise das ganze Paar nicht aufzutreiben.
Das Gericht fand in der Beurtheilung der Entschädigungsfrage noch nicht genügende
Anhaltepuncte bei den Acten und bei der Wichtigkeit der Sache eine Oberexpertise durch
Specialisten am Platze. Als Experten wurden bezeichnet die Herren Professoren Homer
und Pflüger in Zürich und Bern. Das Obergutachten hatte zunächst festzustellen den ge¬
genwärtigen Zustand der Kranken (Jgfr. B. befand sich damals in der Augenheilanstalt des
Herrn Prof. Homer ) und dann die Fragen zu beantworten: a. ob die Verschlimmerung
der Krankheit in der Zeit vom 2.— 5. März auf die Behandlung der Angeklagten, resp.
auf ihre Unterlassung derjenigen ärztlichen Maassregeln, welche jeder gebildete Arzt an¬
gezeigt gehalten haben würde, zurückgeführt werden könne oder müsse; b. ob und
welche Nachtheile der Kranken aus der Behandlungsweise der Beklagten erwachsen sind
und noch erwachsen werden und c. ob nicht diese Nachtheile der Ueberführung der Kran¬
ken von Zoflngen nach Küttigen zugeschrieben werden können.
In der Hauptsache sind die Ansichten der Herren Experten durchaus identisch. Der
8tand des Sehvermögens am rechten Auge ermöglicht nach Homer am 11. Juni Finger¬
zählen auf 6—7 Fuss, nach Pflüger auf 3—4. Projection gut. Auf der Cornea grosse
centrale Trübung, nach innen oben vernarbte Perforationsstelle mit vorderer Synechie.
aoogle
496
Vordere Kammer noch niedrig. Normale Spannung des Auges. Am 7. Mai war die
vordere Kammer noch nicht hergestellt, der Bulbus ganz weich, die Keratocele stark her¬
vorragend. Eine nach unten auszu führende Iridectomie wird das Sehvermögen nur mässig
bessern. Das rechte Auge kann als nahezu blind und bleibend entstellt betrachtet wer¬
den. Für das linke Auge wird die S. von Homer auf ‘/ 4 geschätzt und Pflüger bestä¬
tigt dies, aber nur mit Hülfe von Kunstmitteln; ohne Kunsthülfe beträgt sie blos */,. Die
Pupille dieses Auges ist unregelmässig verzogen durch Einheilung in mehret e Durch-
brucbsstellen eines obern Ringgeschwürs. Die Gebrauchsfähigkeit durch die Verwach¬
sungen des Pupillarrandes herabgesetzt.
Zu a. sagt Horner: Die Krankheit der Jgfr. Bolliger war eine durch Ansteckung ent¬
standene Blennorrhoe mit diphtheritischem Charakter .... Die Behandlung der Aerzte
war absolut richtig .... Es unterliege keinem Zweifel, dass die sog. Behandlung der
Frau Rey eine Verschlimmerung der Krankheit in dem Stadium, in welchem sich dieselbe
befand, zur Folge haben musste. Die Verschlimmerung des Leidens am rechten, erst
erkrankten Auge vom Tage der Entlassung der Patientin durch Herrn Suter bis zum Tage
des Besuches der Herren ßircher und StdheUn wurde mit durch den Watteverband ver¬
schuldet und ein Theil der Sehstörung dieses Auges kann darauf bezogen werden. Pflüger
stimmt dieser Ansicht durchaus bei, macht jedoch mit Rücksicht darauf, dass auch die
zweckmässigste aller Behandlungen bei dieser gefährlichsten äussern Augenentzündung oft
nicht jedes Auge ad integrum restituire, die Bemerkung, der Zustand des rechten Auges
hätte sich auch unter den günstigsten Umständen noch etwas schlimmer gestalten können,
als er zur Zeit des letzten Besuches von Dr. Suter befunden wurde ; aber jedenfalls hätte
die Verschlimmerung bei guter Behandlung nie einen so hohen Grad erreicht, als es unter
der Fürsorge einer Frau Rey der Fall gewesen ist. Namentlich die Erhaltung des linken
Auges berechtige zu der Annahme, dass auch das rechte unter zweckmässiger Behand¬
lung und Pflege höchst wahrscheinlich erhalten worden wäre, um so mehr, als gleich von
Anfang an die richtige Behandlung eingeleitet worden war.
Zu b. Als bleibende Nachtheile werden eine stärkere Sehstörung des rechten
und eine Schonung fordernde Gebrauchshemmung des linken Auges angegeben.
Zu c. wird bemerkt, dass der kurze Transport von Zofingen nach Küttigen unter den
richtigen Vorsichtsmaassregeln schadlos verlaufen wäre: hermetischer Deckverband des
noch nicht erkrankten linken Auges bis zur ersten Visite eines Arztes und fortgesetzte
Reinigung und Kältebehandlung des rechten Auges. Da schon auf diesem Wege die
Wattebedeckung, welche das ätzende Secret zurückhielt und es wohl auch wesentlich auf
das linke übertrug, angewendet wurde, so war eben dadurch der Transport schädlich.
Diese Gutachten kamen in der 2. Gerichtssitzung vom 21. Juli zur Vorlesung. Ob
zur Entlastung der Angeklagten oder Blendung der Richter, wir können nicht einsehen,
aus welchem Grunde, wurden acht Zeugnisse zu den Acten gelegt und verlesen, laut
welchen Frau Rey verschiedene Gelenksentzündungen, „einen trotzigen Knocheufrass“, eine
Augenkrankheit, ein fallendes Weh und einige Muskelrheumatismen theils durch homöo¬
pathische Mittel, theils durch den Baunscheidt' sehen Lebenswecker in kurzer Zeit und zur
Schande der patentirten Herren der Zunft geheilt hat. Mit Orthographie und Styl dieser
Zeugnisse steht es freilich so, dass der Rector einer Bezirksschule zu andern Schlüssen
gelangen sollte, als zu dem, dass nur eine eingerostete Bureaukratie die Ausübung des
ärztlichen Berufes an bestimmte Bedingungen knüpfen könne, die dem Publicum den
Schutz sichert gegen Ausbeutung und körperliche Schädigungen.
Das Gericht fand die Frau Rey der Uebertretung des Sanitätspolizeigesetzes vom
23. Mai 1804 schuldig, das in § 1 lautet: „W'er sich, ohne nach der gesetzlichen Vor¬
schrift hiezu berechtigt zu sein, mit der Behandlung innerlicher oder äusserlicher Krank¬
heiten abgibt, soll das 1. Mal mit 10—20 Fr., das 2. Mal mit 20—50, zum 3. Mal des
Vergehens mit einer 14tägigen Gefangenschaftsstrafe belegt und nebstdem noch zur Er¬
setzung des entstandenen Schadens, der dadurch verursacht wird, angehalten werden.“
Da die Angeklagte weder den Nachweis versucht noch geleistet habe, dasB sie nach ge¬
setzlicher Vorschrift mit der Behandlung von Krankheiten sich abzugeben das Recht habe,
so müsse sie des Vergehens gegen § 1 benannten Gesetzes als schuldig erklärt und zwar
mit Bezug auf den im vorwürfigen Falle entstandenen Schaden mit dem Maxiraum der
gesetzlich zulässigen Strafe bedacht werden.
Digil
497
Zur Beurtheilung des Schadenersatzes wird das von den Oberexperten abgegebene
Gutachten als Maassstab angelegt. In Uebereinstimmung mit dem gerichtsärztlichen Pa-
rere wird die Wattebehandlung von denselben als den Zustand der Krankheit nothwendig
verschlimmernd angesehen und ein Theil der rasultirten Sehstörung des rechten Auges
auf Rechnung derselben gesetzt. Dagegen sei es anderseits nach den Experten nicht
gewiss, sondern nur höchst wahrscheinlich, dass bei zweckmässiger Behandlung die volle
Integrität des Sehvermögens beider Augen hergestellt worden wäre. Das Urtheil nimmt
an, da^s nicht die ganze Schuld des gegenwärtigen Zustandes auf Rechnung der un¬
richtigen Behandlung zu setzen sei und erklärt deshalb die Beklagte nicht für den Bämmt-
lichen Schaden, sondern nur für einen Theil desselben haftbar und zwar mit besonderer
Rücksicht auf den Umstand, dass Frau Rey nur auf erhaltene Aufforderung hin die Jgfr.
Bolliger in Behandlung genommen habe.
Das Urtheil erkennt:
1. Die Angeklagte habe sich des Vergehens gegen § 1 des (oben citirten) Sanitäts-
polizeigesetzes schuldig gemacht und sei zu einer Busse von 30 Fr., im Falle der Zah¬
lungsunfähigkeit zu einer Gefangenschaftsstrafe von 7 1 /, Tagen verurtheilt.
2. Sie habe der Geschädigten die Hälfte des ihr erwachsenen Schadens (wozu
selbstverständlich auch die Kosten der ärztlichen Behandlung zu rechnen sind), dessen
Au8mittelung einem besondern Verfahren Vorbehalten bleibe, zu ersetzen und
3. Sämmtliche dieser Sache wegen ergangenen Kosten der amtlichen Untersuchung,
der stattgefundenen Expertisen und der gerichtlichen Verhandlungen, incl. einer Spruch-
gebühr von 20 Fr. zu bezahlen.
Mit Bezug auf den grossen bleibenden Nachtheil des rechten Auges , der dem
Verluste desselben beinahe gleichkommt, und im Urtheil nicht gewürdigt wird, ein für
die Beschädigte nicht ganz tröstliches Urtheil! Z.
Groilh* Baden. Der Unterzeichnete wendet seit einem Jahr eine Magen-
puxnpe an, die er den Collegen wegen ihrer soliden Wirkung und Billigkeit empfehlen
kann.
Der Apparat besteht in Magensonde mit elastischem Schlauch zur Hebevorrichtung,
in dessen Mitte ein elastischer ventilloser Ballon eingeschraubt ist, wie er bei Clystieren
verwendet wird. Oben am Heberohr ist eine Glasröhre eingefügt. Die einzelnen Theile
des Apparats sind verschraubt.
Es ist sehr darauf zu sehen, dass die Zusammenfügung luftdicht ist.
Der Theil der Schlundsonde, der zwischen die Zähne zu liegen kommt, ist geschützt
durch darüber gezogene Gummirohre.
Gut ist es, mit der Handhabung des Apparats sich vertraut zu machen, indem man
denselben in einen gefüllten Wasserkrug stellt: die Ventile ersetzt man durch Zudrücken
des Schlauches mit der Hand unterhalb des Magengrundes des Patienten ; sobald durch
den in Thätigkeit gesetzten Ballon das Wasser an die Druckstelle kommt, muss man den
Druck aufheben. Das Eingiessen von Flüssigkeit in den Magen geschieht am besten
durch den ganz elastischen Schlauch, auf den man einen Trichter setzt.
Staut sich nämlich die einzugiessende Flüssigkeit, so presst man mit dem Ballon die
Speisereste, welche die Oeffnungen der Schlundsonde versohliessen, in den Magen.
Der angegebene Apparat wird bei Herrn Bandagist Angst in Basel nach meinen An¬
gaben gut und billig gefertigt.
Schwetzingen, den 30. Juli. Dr. Poeschel.
W ochenl>ei*iclit.
Schweiz.
Bern. Aerztefrequenz. Von 1850 bis 1876 meldeten sich im Canton Bern
194 Cand. med. zum Staatsexamen; hievon wurden 166 als Aerzte patentirt.
Lenk. Furunculosis. Prof. Bardeleben bespricht die Lenk sehr günstig und
schreibt unter Anderem: „Meine eigenen Erfahrungen beziehen sich auf die Erfolge der
Bäder bei Eczem und bei Furunculosis. In Betreff der Heilung des Eczema durch Schwe¬
felbäder liegeu bereits so viele Beobachtungen von verschiedenen Seiten vor, dass es einer
eingehenden Schilderung nicht bedarf ; jedoch musB ich hervorheben, dass selbst invete-
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498
rirte Fälle in der Lenk ungewöhnlich schnell geheilt werden. Ebenso neu wie über¬
raschend war mir die Wirkung der Lenker Bäder bei Furunculosis. Ich kam mit mehr
als 100 Blutschwären behaftet dort an ; fast alle hatten an den untern Extremitäten ihren
Sitz, mehrere waren am Rande der Fuaesohle zu beiden Seiten eben in der Entstehung
begriffen, so dass ich auch niqht einen Schritt ohne die heftigsten Schmerzen zu gehen
vermochte. Schon am 3. Tage (nach 8 Bädern) war es mir möglich, stundenlang Spazier¬
gänge zu machen; von da ab entstanden neue Furunkel nicht mehr, und am 11. Tage
meiner Anwesenheit in Lenk (nach 12 Bädern) konnte ich mich als vollkommen geheilt
ansehen. Dass ich 14 Tage darauf den nicht ganz bequemen Weg über mer de glace
und mauvais pas nach dem Chapeau (im Chamounix-Thale) machen konnte, dürfte für
die Solidität der Heilung sprechen. Das Interessanteste war mir die unmittelbare Ein¬
wirkung des Schwefelwassers. Die intensiv roth gefärbten Beulen wurden im Bade
dunkelblau, verloren an Volumen und waren für 5 bis 6 Stunden fast ganz schmorzlos;
die Lösung des Pfropfs erfolgte um mehrere Tage schneller, als bei irgend einer andern
Behandlungsweise ; auch die Vernarbung wurde, wie obige Zeitangaben beweisen, in auf¬
fallender Weise beschleunigt.“ (Deutsche med. Wochenschr. 1877, 21.)
Lenzburg« Der schweizerische Apothekerverein hält den 16. und 17. August
seine 33. Jahresversammlung in Lenzburg mit Spaziergang auf das Schloss Lenzburg und
den Römerstein am ersten und auf die Habsburg und nach Schinznaoh am zweiten Tage.
Aus den reichhaltigen Tractanden heben wir besonders die „Disoussion und eventuelle
Anträge bezüglich des vom eidgen. Departement des Innern an die Hand genommenen
Concordates der Cantone gegen den Geheimmittel vertrieb“ hervor.
In der Schweiz. Wochenschr. für Pharm. (1877, 29) bespricht ein Apotheker diese
Frage in ablehnendem Sinne. Er macht darauf aufmerksam, dass es in der Schweiz
Gegenden gebe, wo zwei und drei Aerzte in einem Städtchen selbst dispensiren. „Was
ist hier die Stellung des Apothekers ? Er ist Materialhändler mit Apothekerpatent, welches
ihn dazu berechtigt, ein Recopt zu verfertigen, wenn der Arzt in angenehmer Gesellschaft
im Wirthshaus sitzt, oder wenn er weiss, dass er von dem Patienten für die Medioin
nichts bekommt. Der Apotheker muss es ja verfertigen, indem er dazu verpflichtet ist.“
Die letztere Behauptung ist unrichtig für den weitaus grössten Theil der Schweiz, wenn
nicht für die ganze. Dagegen ist klar, dass durch die Selbstdispensation der Aerzte, die
möglicherweise erst noch ihre Droguen aus einer Materialwaarenhandlung beziehen, dem
Apotheker die fachgemässe Ausübung seines Berufes unmöglich gemacht wird. Er rächt
sich dann und wird — auch 8elbstdispensirer, producirt eigene und verkauft fremde „Ge¬
heimmittel“. Wir wünschen, es möchte die Frage so gelöst werden, dass da, wo eine
öffentliche, nicht von einem Arzte gehaltene Apotheke existirt, die Selbstdispensation der
Aerzte nicht zulässig ist Die Geheimmittel dagegen sind zu bekämpfen: von einer Ent¬
schädigung an die Apotheker, wie der Einsender meint, kann doch wahrlich bei der Be¬
seitigung einer betrügerischen Schädigung des Volkes, wie sie bei der weitaus grössten
Zahl der Geheimmittel der Fall ist, keine Rede sein.
Ausland.
Bayern. Prophylaxis bei Puerperalfieber. In zwei bemerkenswerthen
Aufsätzen (ärztliches Intelligenzblatt Nr. 52, 1876 und Nr. 13, 1877) bespricht Dr. Crou
(Kaiserlautern) einen ministeriellen Erlass, der im Königreich Bayern seit dem 15. Dec.
1875 in Wirksamkeit getreten ist; durch denselben wird den Hebammen die Pflicht auf¬
erlegt, vor Untersuchung von Wöchnerinnen und Gebärenden ihre Hände in 3°/« Carbol-
säurelösung zu waschen , und die Bezirzsärzte angewiesen , durch die Ortspolizei einer
Hebamme für einen entsprechenden Zeitraum die Ausübung ihres Berufes zu untersagen,
wenn trotz aller Reinlichkeit mehrere der von ihr behandelten Wöchnerinnen an Puer-
peralaffection erkrankt sind. Der Verf. weist auf die sehr klar liegende Unzulänglichkeit
des Erlasses hin, wenn damit wirklich eine Prophylaxe der Puerperalerkrankungen erzielt
werden soll, und schlägt dafür einen Erlass in folgender Form vor: 1) Die Hebammen
sind verpflichtet, zu jeder Entbindung das offlcinelle Desinfectionsmittel jedesmal mitzu¬
nehmen , und damit vor jeglicher Berührung der Kreissenden und der Wöchnerin ihre
Hände und Vorderarme, ihre Instrumente und die Genitalien der Wöchnerin durch Wa¬
schung und Einspritzung zu desinfleiren und dasselbe auch eventuell dem Arzte zur Be¬
nutzung zu überlassen. 2) Dass die k. Staatsregierung dafür Sorge tragen möge, dass
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Die
499
den Hebammen in deren Schulen obige Maaasregel gelehrt und anerzogen würde. Die
eventuelle Interdiction einer Hebamme hält Verf. für nicht durchführbar und für nicht
zweckmässig — eine Ansicht, der wir entschieden widersprechen müssen ; deno dass
Hebammen (und Aerzte), welche inficirte Krauke behandeln, von gesunden Wöchnerinnen
und Kreissenden gänzlich fern bleiben, halten wir für das dringlichste Erforderniss, wie
Bchwer diese Maassregel in praxi auch durchzuführen sein möge. Als offlcinelles Des-
infectionsmittel würde sich nach Cron entweder Carbolsäurelösung oder entsprechend Sal-
kowskCa Versuchen Benzoelösung empfehlen. (BerL kl. W.)
Referent hat bei einer herrschenden Epidemie mit sehr gutem Erfolge die s. Z. (v.
Correspondenz-Blatt pag. 641 Jahrg. 1875) von Prof. Bischoff (Basel) dem Schweiz, ärztl.
Centralverein vorgelegte Methode befolgt.
Deutschland« Geburt bei doppelter Gebärmutter und Scheide. Dr. Fritz
Berücke (Berlin) fand bei einer 28jährigen Erstgebärenden ganz normale äussere Ge-
schlechtstheile, dagegen den Introitus vagin» durch ein von oben nach unten gehende^
Öeptum in zwei Oeffnungen (die rechte etwas enger) getheilt; das Septum läuft ununter¬
brochen bis zum Ende der Scheide: links steht in dem fast völlig erweiterten Muttermund
der kindliche Schädel mit mässiger Kopfgeschwulst, rechts eine stark aufgelockerte, ge¬
schwollene Portio vaginalis mit geschlossenem Muttermund, durch welchen die Sonde
11 cm. weit in den zweiten, ganz hinter dem schwängern liegenden Uterus führt. Er
war deshalb durch die äussere Untersuchung absolut nicht wahrnehmbar gewesen. In
Chloroformnarcose wurde ohne vorausgehende Durchtrennung des Septums durch die Zange
ein lebender Knabe entwickelt und die Placenta manuell entfernt. Der zweite Uterus
war jetzt nach reohts getreten, und es liess sich sehr klar und deutlich nachweisen, dass
beide Uteri in ihren Körpern und Hälsen bis herab zur Scheideninsertion völlig getrennt
waren, ein Befund, der später auch durch eine Untersuchung in der Entbindungsanstalt
bestätigt wurde. Es war also kein Uterus bicornis duplex, sondern ein Uterus didelphys
(uterus duplex separatus cum vagina duplici), eine bei Erwachsenen äusserst selten be¬
obachtete Abweichung. (Zeitschr. f. Geb. u. Gyn. I, 2.)
Deutschland. Geburtserschwerung durch missgestaltete Früchte.
Dr. A. Martin (Berlin) theilt in der Zeitschr. für Geb. und Gyn. folgende Fälle von Ge-
burtshinderniss durch die Gestalt des Kindes mit: I. Eine 28jährige Zweitschwangere
trägt ihr Kind wahrscheinlich 4 Wochen Uber die Zeit (? R.), verzögerte Geburt, Per¬
foration des todten Kindes (III. Schädelstellung), Wendung auf beide Füsse; das Kind
wiegt ohne Gehirn und Blut 7470,0, also mit Zurechnung letzterer ca. 8 Kilo! ! Die Mut¬
ter starb. II. Zwillinge, gesunder Knabe geht voran, 3600,0 schwerer Acardiacus folgt
nach zwei Tagen in relativ rasch beendigter Geburt (da kann die Missgestaltung doch
nicht als Geburtshinderniss qualiflcirt werden, so wenig wie im nachfolgenden Falle. Red.).
HL Zwillinge; 1. leicht in Steisslage; Blasensprung der zweiten Frucht, hierauf stellt
sich ein elastischer Sack ein, darüber Rumpf, Hüften, untere Extremitäten; Entwicklung
an den Beinen; der 8ack war Hydrorachis. IV. Enormes Fruchtwasser (das gewiss die
Ursache der Verzögerung war, Ref); frühreifes Mädchen am Bein entwickelt. Das Kind
hatte in der Haut des rechten Beines, der Schamgegend und der rechten Rückenhälfte
zahlreiche unter einander zusammenhängende cystöse Räume, die geronnenes Blut ent¬
hielten. Einen ähnlichen s. Z. von Prof. Martin (Vater) beschriebenen Fall erklärte da¬
mals v. Recklinghausen für multiple Cystenbildung im Bindegewebe zugleich mit Ectasie
der venösen und capillaren Blutgefässe“. (CentralbL für Gyn. I. 1.)
DentlcMsHd. Geheimmittelpolizei. Der ärztliche Kreisverein Carlsruhe hat
über einen den Verkauf von Arznei- und Geheimmitteln in den Apotheken betr. Erlass
des grossherz. Ministeriums folgende Sätze nach dem Aerzte-Vereinsblatt vom Mai als
Ausdruck der Anschauung des Kreisvereins Carlsruhe dem Ausschüsse vorgelegt:
B a) Auf Anordnung eines approbirten Arztes sollen vom Apotheker alle zu Heil¬
zwecken dienenden Stoffe, Präparate, Arzneimischungen (sog. Geheimmittel, Patentmedi-
cinen, Specialitäten) abgegeben werden.
Der Apotheker übernimmt die Verantwortung für richtige Abgabe des vom Arzte
verlangten Stoffes, Präparates u. s, f.
b) Geheimmittel, Patentmedicinen etc., welche die in der grossh. Verordnung vom
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6. Nov. 1874 unter A. und B. verzeichneten Stoffe enthalten, dürfen im Handverkaufe
nicht abgegeben werden.
c) Alle 8 Monate sollen die Apotheker gehalten sein, den staatlichen Behörden ein
Verzeichniss der von ihnen gehaltenen und abgegebenen sog. Geheimmittel u. s. f. mit-
zutheilen.
(Hierdurch könnte vielleicht auch ein Anhalt zu einer Besteuerung dieser Dinge, wie
in England und Frankreich, gewonnen werden.)
d) Ein Verbot einzelner sog. Geheimmittel kann jederzeit von den Staatsbehörden
erlassen werden.
e) Hinsichtlich der Repetitionen stark wirkender Mittel, besonders der Opiumpräpa-
rate, hält die Versammlung es für uuzweckmässig, weil undurchführbar, für jede Repe¬
tition ein neues Recept zu verlangen. Bei Ueberschreiten der Maximaldosis pro die soll
der Arzt gehalten sein, auf dem Recept zu bemerken, in welchen Zwischenräumon das¬
selbe repetirt werden solle. Auf mehr als 3 Monate alte Ordinationen stark wirkender
Präparate soll keine Abgabe erfolgen.“
Die Versammlung war durchaus nicht der Ansicht, damit die ganze schwierige Frage
vollständig zur Zufriedenheit regeln zu können, glaubte aber bei dem heutigen Stande der
Dinge, bei den Gewohnheiten der Aerzte und des Publicums nicht mehr verlangen, nicht
schärfer Vorgehen zu dürfen. Zugleich wurde dem Ausschüsse anheimgegeben, bei grossh.
Ministerium zu beantragen, es möchten die nöthigen Schritte gethan werden (etwa durch
Instruction der 8taatsanwälte), damit die allzu laxe Handhabung der kaiserlichen Ver¬
ordnung vom 4. Januar 1874 geändert werde.
(Deutsche Zeitschr. für pr. Med. 1877, 26.)
Wir begreifen dieses unentschlossene Vorgehen nicht, da die Annonce, die in der
deutschen Tagespresse so üppig wuchernde Reclame unangefochten bleibt und so einfach
der Bezug aus andern Quellen (namentlich der directe Bezug) an die Stelle des Kaufes
in den Apotheken tritt. Warum nicht die Frage auf jenem viel einfacheren Wege zu
lösen suchen, der sagt, dass nur die durch eine staatliche Controle als in Preis und Wir¬
kung annehmbar erklärten Geheimmittel verkauft und annoncirt werden dürfen ?
Deutschland. Universitäten. Eine dem „deutschen Uuiversitätskalender“
entnommene vergleichende Statistik Uber die Frequenz der deutschen und schweizerischen
Hochschulen sowie der Universität Wien zeigt folgende, uns specieller interessirende
Zahlen: die Gesammtzahl der academischen Lehrer an den 22 deutschen, den 3 schwei¬
zerischen Hochschulen und in Wien betrug im Wintersemester 1873/74: 2264 bei 20471
immatriculirten Studenten (1 Lehrer auf 9,08 Studenten durchschnittlich) und im Sommer¬
semester 1877: 2457 bei 22,461 (1 : 9,15).
Facultäten: evangelisch-theologische 1878/74 (a): 2083, 1877 (b): 1697 ; katholisch¬
theologische a 988, b 836; Total a 3071, b 2533, absolute Abnahme 17,52%, Procentsatz
am Total der Studenten b 11,33. Juristen: a 5773, b 6774, absolute Zunahme 17,34%,
Procentsatz am Total der Studirenden b 30,16. Philosophen: a 5906, b 7912, Vermeh¬
rung 34%, Procentsatz am Total b 86,22. Mediciner: a 5721, b 5242, Verminderung
8,37%, Procentsatz am Total 28,38.
An der absoluten Vermehrung der 26 Universitäten participiren 20, worunter Bern
mit 50,73% (darüber nur Berlin mit 66,60 und Strassburg mit 51,39%), während 6 eine
Verminderung zeigen, unter ihnen Zürich mit 28,31% (unter ihm steht nur Heidelberg
mit 62,30%).
Die Procentsätze der 26 Universitäten im Vergleiche zur Gesammtzahl der Studiren¬
den aller Hochschulen zeigen pro Sommer 1877 folgende Reihenfolge: Wien 15,11, Leip¬
zig 13,25, Berlin 11,09, München 6,66, Breslau 6,43, Würzburg 4,58, Göttingen 4,41,
Tübingen 3,99, Dorpat 3,82, Halle 3,80, Bonn 3,53, Strassburg 3,15, Königsberg 2,69,
Erlangen 2,11, Greifswald 2,08, Jena 1,95, Bern 1,82, Heidelberg 1,70, Marburg 1,70,
Zürich, Giessen und Münster 1,39, Freiburg 1,86, Kiel 0,98, Basel 0,78, Rostock 0,69.
Die übrigen Hochschulen Oesterreichs fielen weg, weil das Material über sie in den
beiden Kalendern nicht gleichmässig vorhanden war.
England. Für Lister ist zur Beschämung für alle Verkleinerer dieses grossen
Chirurgen nun doch am Kings College in London ein zweiter Lehrstuhl für klinische
Chirurgie, neben dem Wood" s, des Nachfolgers Fergusson'z , errichtet worden. Jeder von
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ihnen erhält zwei Krankensäle zu seiner Disposition, so dass fttr einen freundschaftlichen
Wettstreit der beiden Wnndbehandlnngsmethoden hinlänglich Sorge getragen ist. Als
Luter' s Nachfolger in Edinburgh wird Henry Smith genannt.
Das grösste Spital Englands ist das in der östlichen Vorstadt London’s (WhitchÄ-
pel) gelegene „Hospital medical College“, welches 1876 in 800 Betten 6000 Patienten
aufhahm und „tiber 40,000 Personen unterstützte“ (poliklinisch?). Aus den naheliegen¬
den Docks gingen ihm 2400 schwerere Verletzungen zu.
Dr. Richardson will bei Courtland in der Näbe des Seebades Worthing (Sussex) eine
nach allen Regeln der Hygieine angelegte Stadt („Hygiopolis“) bauen und lässt von
Architecten und Ingenieuren sachbezügliche Pläne ausarbeiten.
Die neue Antivivisectionsbill, durch welche jedes Experiment an Wirbelthieren
straffällig werden sollte, ist im englischen Unterhause mit 222 gegen 83 Stimmen abge¬
lehnt worden.
In Edinburgh wurde das broncene Standbild James Simpson' s enthüllt.
England. Kinderschutz? Im Plumstead starb vor Kurzem ein 4 Monate
altes Kind, das von seinem Vater einer Frau in Pflege gegeben worden war. Der Arzt
fand das Kind bei der nach dem Tode stattfindenden Untersuchung bis zum Skelett abge¬
magert und erfuhr auf Befragen, dass das Kind nur mit Wasser und Roggenmehl
aufgefüttert worden war. Der Arzt nahm hierauf keinen Anstand, zu erklären, dass das
Kind den Tod des Verhungerns gestorben sei, da kein Kind von stärkemehlhaltiger
Kost allein leben könne. Das Schwurgericht schloss sich diesem Ausspruche an und
ertheilte der Pflegerin-eine Rüge, dass sie es unternehme, Kinder aufzuziehen,
ohne die erforderlichen Kenntnisse dazu zu besitzen; sie schien dem Kinde während der
ganzen Zeit keinen Tropfen Kuhmilch gereicht zu haben.
(8. R. 1876, Nr. 1347. — Gesundheit 1877, Nr. 16.)
Frankreich. DerAlcoholverband. In der pariser Socidtd de Chirurgie
wurde am 4. April der in Paris immer noch übliche Alcoholverband besprochen. Dr.
Delens gibt ein Exposö der Resultate, die er mit dem Alcoholverbande erzielt hat, welchen
er allgemein, wenn nicht ausschliesslich, anwendet. Keine Verbandweise, auch die Lister -
sehe nicht ausgenommen, gewähre mehr Schutz und mässige mehr das Wundfieber als
der in Rede stehende. Er benützt den 8piritus camphoratus. Wenn der Alcohol vor-
schriftsmässig präparirt ist, so ruft er an den Wundrändern niemals eine Schwellung her¬
vor ; er erhält vielmehr alle Theile in einer Art anatomischer Conservirung. Es darf dem
Spiritus kein Wasser hinzugefügt werden. Für die ersten Tage wird der Verband im¬
mobil gemacht. Der Alcoholverband ist nur anfänglich schmerzhaft, der 8chmerz jedoch
bei reinem Alcohol geringer als bei mit Wasser versetztem. Auf die Charpie soll kein
gummirter Taflet, der die Verdunstung hindert, gelegt werden. Dr. Despris hat diese
Verband weise auch geprüft Bei 91 Amput mammee hatte er nur einen Todesfall und
ein Erysipel. Er lässt den Cbarpiebausch, bis er durch die Eiterung abgehoben wird,
liegen und befeuchtet ihn nur täglich mit Wasser und Spir camph. ää. Nach Dr. Guyon
sind die Heilerfolge mit dem Alcoholverbande ausgezeichnete. Er hält ihn für eminent
antiphlogistisch. Die Haut bleibt blass, ansemisch; die Muskel am Grunde der Wunde
bleiben lange retrahirt Guyon rangirt den Alcohol vom physiologischen Standpuncte auch
neben der continuirlichen Irrigation. Der Alcohol verhindert nicht inflammatorische Zu¬
stände, retardirt sie aber. Den 8chmerz, den der Verband erregt, kann man leicht duroh
Kälte mildern. Alle Theile der Wunde — er behandelt auch accidentelle Traumen nach
derselben Methode — müssen mit dem Topicum in Berührung kommen. Er benützt den
reinen 80—90* Alcohol in der ersten Zeit, später, um die Vernarbung zu beschleunigen,
den mit Wasser versetzten. Dr. Duplay tadelt an dem Alcoholverband die Schmerzhaftig¬
keit, die, wie er gesehen, bis zur Syncope führen kann. Die Heilungsdauer sei bei dem
Lister'Bchen Verbände bedeutend kürzer. (Allg. Wiener med. Zeit. 1877, 22.)
Die Wundbehandlung ist, wie man sieht, noch ein sehr streitiges Terrain: offen,
antiseptisch, spirituös etc. etc.! Entschieden ist aber in Frankreich der exacte Lister'sehe
Verband noch zu wenig genau bekannt
Frankreich. Berechtigung rar ärztlichen Praxi«. In der fran¬
zösischen Nationalversammlung ist duroh Dr. Marvaise ein Gesetzesentwurf eingebracht
Google
Di.
502
worden, nach welchem zur Ausübung der ärztlichen Praxis in Frankreich, zu welcher
bisher der Ressortminister auch Fremden die Erlaubnis geben durfte — nur 8olche zu¬
gelassen werden sollen, welche die sämmtlichen Prüfungen zur Erlangung des Doctorats
in Frankreich selbst absolvirt haben. Der Entwurf, welcher von den ärztlichen Mitglie¬
dern der Nationalversammlung, die sich unter Vorsitz von Herrn Laussedat zu einem be¬
sonderen Comitö conßtituirt haben, ausgeht, hat in England grosses Aufsehen erregt und
zu mannigfachen Erörterungen in den Blättern und sogar zu diplomatischen Verhandlungen
geführt. Denn bei Annahme der Vorlage müssten die zahlreichen, in den südfranzösischen
klimatischen Curorten weilenden Engländer auf die HUlfeleistung durch englische Aerzte
verzichten und wären allein auf die französischen Aerzte angewiesen, da die Ablegung
jener Examina für Fremde kaum zu überwältigende Schwierigkeiten bieten würde. Die
diplomatischen Verhandlungen haben zu dem Resultate geführt, dass die französische Re¬
gierung sich entschlossen hat, bei der Discussion des Entwurfes demselben zu opponiren.
Auch deutsche Aerzte würden — wenn auch nicht in erheblicher Anzahl — von einer
solchen Neuerung betroffen werden, ln England wünscht man die Angelegenheit durch
ein internationales Comitä geregelt zu sehen. (B. K. W. 1877, Nr. 8.)
Frankreich. Fremdkörper aus dem Oesophagus von Kindern nach
dem „Bulletin de thdrapeutique“ am einfachsten so, dass das Kind sofort platt auf den
Bauch gelegt wird: es liegt auf einem Tisch, der von einer zweiten Person gehaltene
Kopf hängt weit über den Tischrand herunter. Der Operateur (Arzt, Mutter, Wärterin)
führt den Zeigfinger weit in den Rachen und presst die Zunge energisch herunter. Hiebei
falle gewöhnlich der Fremdkörper leicht heraus.
Frankreich. Panaritium. Vemeuil gibt (Rev. de thdr. m6d.-chir., XXXXIV,
18) den Rath, die (tiefe) Incision bei den Panaritien unter allen Umständen nur in der
Mittellinie zu machen, da nur dadurch gefahrlose, aber sichere Hülfe gebracht werde,
während durch seitliche Einschnitte leicht Nerven und Arterien durchschnitten würden,
während nur selten andauernde Erleichterung erfolge.
Hartnftckige Diarrhoeen. R. Zinci oxyd. 3,5; Natr. bic. 0,5. M. D. in p.
®q. Nr. 4. D. S. dreistündlich ein Pulver, nur am Tage; einige Tage fortzusetzen.
Dr. Bonamy (Nantes).
Alter der Impfhng. Dr. Huillet (Pondichery) studirte die Litteratur Indiens,
um zu erforschen, ob wirklich die Inoculation und die Vaccination schon den alten In¬
diern bekannt gewesen sei und fand auch in einer Handschrift, deren Autorschaft dem
Vater der indischen Medicin, Dhanwantari , welcher mehrere 1000 Jahre vor Hippocrates ge¬
lebt haben soll, zugeschrieben wird, ganz exacte Regeln über beide Proceduren. „Nehmt“,
übersetzt Huillet, „das Fluidum der Variola auf dem Euter einer Kuh oder vom Oberarm
eines Menschen mit der 8pitze einer Lancette und ritzet den Arm zwischen Schulter und
Ellbogen bis Blut erscheint, dann mischt das Fluidum mit dem Blut, und das Pocken¬
fieber wird sich zeigen. Die durch das Fluidum vom Euter einer Kuh erzeugte Krank¬
heit wird ganz gleicher Natur, wie die Variola sein, nur mit dem Unterschiede, dass sie
keinerlei Besorgniss erregt und kein Medicament erfordert“.Gelingt die Impfung,
„so hat man für die ganze Zeit seines Lebens die Variola nicht mehr zu fürchten.“ Der
ganze Symptomencomplex der Vaccination wird nun sehr exact beschrieben.
Von den Indern aus verbreitete sich die Kenntniss der Vaccination. So schrieb 1819
William Bruce , Consul in Bushire an Erskine (Bombay), dass die Vaccination schon sehr
lange in Persien angewendet werde und Humboldt constatirte dasselbe bei den Bewoh¬
nern der Gordilleren der Anden.
(Rev. de thdr. mdd.-chir. 1877, 18 und Nice raöd.)
Knochenregenerstion. Am letzten Chirurgencongress legte v. Langenbeck
der Versammlung den ihm von James Wood (New-York) ad hoc zugesandten Schädel eines
16jährigen Mädchens vor, welches sich durch Arbeiten in Zündholzfabriken Phosphor-
necrose zugezogen hatte. Drei Jahre vor dem durch Hirnabscess erfolgten Tode hatte
Wood die rechte und 4 Wochen später die linke Kieferhälfte subperiostal entfernt. Der
Unterkiefer hatte sich in toto gleichmässig und symmetrisch regenerirt, war sehr fest,
aber dünner und kleiner, daher weniger hervortretend als ein normaler Unterkiefer. —
Zum Vergleichen hatte Wood auch die beiden Hälften des resecirten necrotischen Kiefers
• beigelegt. (Deutsche Zeitschr. f. pr. Med. 1877, 26.)
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503
Mferocephalie. Dr. Bertelsmann (Bielefeld) berichtet Ober einen Fall exquisiter
Microcephalie. Anna Klein, geb. 1858, von gesunden nicht blutsverwandten Eltern, hat
keine Geschwister. Sie entwickelte sich körperlich kräftig, blieb aber klein; die geistige
Entwicklung blieb zurück, so dass das Kind erst mit dem 5. Jahre 8prechversuche machte
und vollkommen bildungsunfähig wurde. Im 9. Jahre trat Epilepsie auf und blieb. Jetzt,
also im 19. Jahre, ist A. K. 133 cm. gross, kräftig, Stirn niedrig, Nase dick, Lippen
wulstig, Kiefer stark entwickelt, Kopf immer zur Erde geneigt, GesichtsKUsdruck blöd¬
sinnig. Gesicht und Gehör normal, Gang schleppend, alle körperlichen Functionen nor¬
mal Die exacten Maasse des Kopfes (vide berl. klin. Woch. 1877, 19, wo auch eine
Abbildung des Kopfes) ergeben, dass die Schädelkapsel in ihrer Totalität nicht über die
Grösse des Schädels eines 1 —2jährigen Kindes hinauskommt Psychische Entwicklung
kaum auf der Höhe derjenigen eines normal entwickelten 2jährigen Kindes; Sprache un¬
deutlich, lallend; das Mädchen ist in keiner Weise unterrichtsfähig, kann keine Fragen be¬
antworten, keine Sätze bilden; (Gedäohtniss minim); kann sich nicht selbst anziehen und
waschen, dagegen isst und trinkt sie selbstständig, hält sich rein und macht gern thieri-
sche Geberden und Grimassen nach.
Hänchen* Die 5 0. Versammlung deutscher Naturforscher und
Aerzte wird vom 18. bis 22. September d. J. abgehalten. Dem soeben versandten
Programme entnehmen wir Folgendes: „Nichtdeutschen Gelehrten ist die Theilnahme an
der Versammlung gestattet und deren Betheiligung sehr erwünscht Die Versammlung
besteht aus Mitgliedern und aus Theilnehmern. Mitglied mit Stimmrecht ist nur der
Schriftsteller im naturwissenschaftlichen und ärztlichen Fache; eine Inauguraldissertation
allein berechtigt noch nicht zur Mitgliedschaft Theilnehraer ohne Stimmrecht können alle
Freunde der Naturwissenschaften sein. Für die Mitglieder und Theilnehmer werden Auf¬
nahmekarten gegen Entrichtung von 12 Mark ausgegeben. Mitglieder- und Theilnehmer-
karten berechtigen zum unentgeltlichen Bezug je einer Damenkarte. Für jede Damen¬
karte mehr sind 12 Mark zu entrichten. Fahrpreisermässigungen für die Eisenbahnen
finden nur gegen Vorweis einer Mitglieder- oder Theilnehmerkarte statt. Wer Fahr-
preisermässigung erlangen oder sich einer Wohnung im Voraus versichern will, wird ge¬
beten, den Betrag für die Aufnahmekarte, vom lö. August bis 8. September portofrei an
„das Anmeldebureau der Naturforscher-Versammlung im Polytechnicum, München“ zu
schicken und anzugeben, ob er die Versammlung als Mitglied oder als Theilnehmer zu
besuchen gedenkt. Gleichzeitig mit der Aufnahmekarte wird ein wissenschaftlicher Führer
durch München übersendet. Im Falle der Vorausbestellung der Wohnung wird um Be¬
zeichnung der desfallsigen Ansprüche gebeten, worauf das Anmeldebureau unter möglich¬
ster Berücksichtigung der geäusserten Wünsche die Anweisung auf die Wohnung mit
Angabe des Preises zustellen wird. Vom 15.—18. September befindet sich das Anmelde¬
bureau (zugleich Wohnungs- und Auskunfts-Bureau) im Central-Babnhof. Zuvor und
darnach im Polytechnicum (Nr. 57). Anfragen oder Mittheilungen in wissenschaftlichen
Angelegenheiten wolle man an einen der Unterzeichneten Geschäftsführer richten. Die
allgemeinen Sitzungen werden im grossen Saale des Odeon, Wittelsbacher-Platz, abge¬
halten werden. Der Eintritt zu denselben ist nur gegen Vorweisung der Legitimationa-
karte gestattet. Die Sectionssitzungen finden im Polytechnicum, Arcisstrasse 11, statt
Die Bildung der folgenden 25 Sectionen wird vorgeschlagen: Mathemetik und Astronomie
Prof. Dr. Seidel. Physik Prof. Dr. v. Beelz. Meteorologie Prof. Dr. v. Bezold. Geogra¬
phie Prot Dr. v. Joliy. Chemie Prof. Dr. Bayer. Mineralogie Prot Dr. v. Kobell. Geo¬
logie und Paläontologie Oberbergrath Prof Dr. Gümbel. Zoologie Prof. Dr. v. Siebold. En¬
tomologie Dr. Kriechbaumer. Botanik Prof. Dr. v. NageU. Landwirtschaftliches Versuchs¬
wesen Prof. Dr. WoUny. Anatomie Prof. Dr. v. Bischoff. Physiologie Prof. Dr. Voü. An¬
thropologie Prof. Dr. Kolhnann. Pathologische Anatomie Prof. Dr. v. Buhl. Innere Medi-
cin Prof. Dr. v. Ziemssen. Kinder-Krankheiten Prof. Dr. H. Ranke. Chirurgie Prof. Dr.
v. Nussbaum. Gynäcologie Prof. Dr. v. Hecker. Psychiatrie Prof. Dr. v. Gudden. Ophthal¬
mologie Prof. Dr. v. Rothmund. Otiatrie und Laryngologie Prof. Dr. Rüdinger. Gesund¬
heitspflege Med.-Rath Dr. Kerschensteiner. Militär-Sanitätswesen Oberstabsarzt Dr. Friedrich.
Naturwissenschaftliche Pädagogik Prof. Dr. Kurz.
Heue Beatattungaweiie. Du Mesml empfiehlt die Bestattungsweise des Dr.
Homemann in Kopenhagen. Sie besteht in der Bettung des in ein Laken eingeschlagenen
*oogle
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Cadavers auf, in und unter grobgepulverte Holzkohle, welche einen gewöhnlichen, nur mit
flacherem Deckel versehenen Sarg somit fast ausfüllt. Nach Homemann hatte sich eiue
Kinderleiche nach 11 Monaten unter Ausschwitzung von wenig theerartiger Flüssigkeit
in eine schwarze, bröcklige, platte Masse ohne jedeD Fäulnissgeruch verändert.
Die gesnndheitliclien Verhältnis«« der Nähmaschinen-Arbei¬
terinnen bespricht G&rardin an der Hand eines Berichtes, welchen Dr. Nichols dem
8tate Board of health in Massachusetts jüngst erstattete. Aus den Angaben und Beob¬
achtungen vieler amerikanischer Aerzte ergeben sich folgende Thatsachen : eine mittel¬
starke gesunde Frau, welche nicht gewerbsmässig mit der Nähmaschine arbeitet, kann
dieselbe täglich 3 — 4 Stunden bewegen, ohne eine besondere Müdigkeit und Gesundheits¬
schädigung zu acqniriren. Bei den professionellen Arbeiterinnen zeigen sich meist Dys¬
pepsie als Folge der sitzenden Lebensweise und schlechten Luft Verhältnisse , Schmerzen
in den Muskeln des Stammes und den untern Gliedmaassen, weil sie beständig in Thä-
tigkeit Bind, Hyperiemien der Beckenorgane, Schwäche, Abgespanntheit, in seltenen Fällen
Neuralgien der Beine und Spinalirritationen. Anzurathen ist den Besitzern der Werk¬
stätten, welche NähmaBchinen-Arbeiterinnen beschäftigen, ausser einer ergiebigen Venti¬
lation, kürzerer Arbeitszeit mit grösseren Ruhepausen, die Einführung einer andern mo¬
torischen Kraft als die der Füsse, und dürfte die Dampfkraft in der Zukunft heranzuziehen
sein. (Viertelj. f. ger. Med. B. 26, H. 2.)
Partus post mortem. Die viel bezweifelten Geburten nach dem Tode der
Mutter (eventuell im Sarge) bespricht Reimann (im Arch. f. Gyn. XI, 2) und stellt aus
der Litteratur 64 Fälle zusammen; in 6 verbürgten Fällen seien lebende Kinder geboren
worden (wie lange nach dem Tode? war der Tod vor der Geburt sicher constatirt? Red.).
9 Reimann nimmt an, dass zum Theil die Fäulnissgase, zum Theil aber postmortale Uterus-
contractionen, wie experimentell an Thieren, aber von einzelnen Autoren auch am Men¬
schen beobachtet wurden, die auBtreibende Kraft waren.
Personal!*. Zum Director und Professor der neucreirten psychiatrischen Klinik
in Breslau wurde ernannt der bisherige Primärarzt Dr. H. Neumann, zum Professor der
systematischen Anatomie am King’s College (London) Henry Smith.
Stand der Iufectlons-Krankheiten in Basel.
Vom 26. Juli bis 10. August 1877.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Die Typhus erkrankungen, in den letzten Berichten 94, 61, haben eine fernere Ab¬
nahme erfahren , indem nur 53 neue Erkrankungen gemeldet sind, wovon in Grossbasel
33 (21, 18), in Kleinbasel 17 (73, 43), 3 von auswärts stammend. Während die Zahl
der Erkrankungen in Grossbasel jene Vermeh r uog zeigt, welche am Ende des Sommers
in der Regel eintritt, ist die ungewöhnliche Ausbreitung des Typhus in Kleinbasel, welche
im zweiten Dritttheil des Juni begonnen hatte, wieder soweit zurückgegangen, dass die
Zahl der neuen Erkrankungen in Kleinbasel ungefähr in demselben Verbältniss zur leben¬
den Bevölkerung steht, wie in Grossbasel. Auf den Beginn der Erkrankung verrechnet
ergeben sich :
Juni Juli
1-10
11-20
21-31
1-10
11-20
21-30
Grossbasel
5
8
11
10
16
19
Kleinbasel
4
23
60
30
12
13
9
81
71
40
28
32
Summe 1877
„ 1876
•
111
13
100
16
Die übrigen Krankheiten weisen nur geringe Zahlen auf: Masern 5 Fälle (5, 3, 7),
wovon 4 vom Südostplateau; Scharlach 6 (3, 2, 3), ebenfalls 4 vom Südostplateau;
Hals- und Rachenbräune 3 (4, 4), Erysipelas 3 (3, ö), Puerperal¬
fieber 1 Fall. Vereinzelte Fälle von Keuchhusten und Varicellen.
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Bibliographisches.
73) Frey , Die pathologischen Lungen Veränderungen nach Lähmung der nervi vagi. Eine
von der medic. Facultät der Universität Zürich gekrönte Preisschrift. 192 8. Leipzig,
Verlag von W. Engelmann.
74) Barde , Rapport sur l’höpital ophthalmique k Gen6ve (1 Janvier au 31 Döcembre 1876).
20 Seiten mit einem Plan. Genf, bei Ramboz & Schuchart.
75) Beck , Zur Casuistik der 8chädelvcrletzungen. 96 S. Leipzig, Verlag von Hirschfeld.
76) Cantcmi , Der Diabetes mellitus, klinische Vorträge. Aus dem Italienischen übersetzt
von Dr. S. Hahn. 432 8. Berlin, Denicke’s Verlag.
77) Kunze, Lehrbuch der practischen Medicin mit besonderer Rücksicht auf pathologische
Anatomie und Histologie. 3. umgearbeitete und vermehrte Auflage. I. Bd. 1. Hälfte.
320 8. Leipzig, Verlag von Veit & Cie.
78) Vogt , Adolf , Die Pocken- und Impffrage im Kampf mit der Statistik. Bern, Verlag
von Dalp.
79) Erlenmeyer jun, Bericht über die Heilanstalt für Nervenkranke zu Bendorf am Rhein
während der 10 ersten Jahre ihres Bestehens vom 1. Oct. 1866 bis 80. Sept. 1876.
Mit einer lithogr. Tafel. 80 8. Neuwied, Heuser’sche Buchhandl.
80) Beck, Almanach der ärztlichen Polytechnik. Eine Uebersicht der neuesten der ärzt¬
lichen Therapie und Diagnostik dienenden Instrumente, Apparate und Vorrichtungen.
Mit 90 Holzschnitten im Text. L Jahrgang. Leipzig, Verldfe von Carl Hilde¬
brandt & Cie.
81) Levinstein , Die Morphiumsucht. Eine Monographie nach eigenen Beobachtungen. 160 8.
Berlin, Verlag von Hirschwald.
82) Ulrich, XX. Jahresbericht des schwedischen heilgymnastischen Instituts in Bremen.
23 8. Bremen, bei Ed. Müller.
83) Kühne, Untersuchungen aus dem physiologischen Institute der Universität Heidelberg.
Bd. I. Heft 1. I. Zur Pbotochemie der Netzhaut. II. Ueber den Sehpurpur. 104 8.
Mit einer Tafel. Heidelberg, Winter’sche Verlagsbuchhandl.
84) Weil, Handbuch und Atlas der topographischen Percussion. 184 3. mit 8 Holzschnit¬
ten und 26 Tafeln. Leipzig, Verlag von F. C. W. Vogel
85) Pick, Muskelbefund nach alter Lähmung. 8 Seiten. (Sep.-Abdruck Archiv f. Psy¬
chiatrie.)
86) Kleinwächter, Grundriss der Geburtshülfe für practische Aerzte und Studirende. 484 8.
Wien, Verlag von Urban & Schwarzenberg.
87) Arquint, Der Curort Tarasp-Schuls und seine Umgebung. Eine topographisch-histo¬
rische und balneologische Skizze. Mit einer Karte des Unterengadins. Chur, Verlag
von Hitz-HaiL
88) Birch-Hirschfeld , Lehrbuch der pathologischen Anatomie, II. Hälfte. Mit 5 Tafeln.
Leipzig, F. C. W. Vogel.
Briefkasten.
Herrn Dr. Courvoisier, Herrn Dr. Trcchsel, Herrn Dr. Zürcher, Herrn Dr. PSschel in Schwetzin¬
gen, Herrn Dr. Oottl. Burckhardt, Herrn Dr. Albr. Burckhardt: Mit vielem Danke erhalten.
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keit der genannten Apparate wird ga-
rantirt;
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an der Weltausstellung in Wien 1873,
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XII. Band. 2. Hälfte.
Handbuch der Krankheiten
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Nervensystems IX.
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nagel in Jena, Prof. Jos. Bauer in München,
Prof. H. t. Ziemssen in München, Prof. F. Jolly
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pathologische Anatomie und Histologie.
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Dr. C. F. Kunze,
praktischer Arat in Halle a.S.
Dritte omgearbeitete and Tennehrte Anflage. M
- Erster Band. = •
48 Bogen gr. 8. Preis geh. 13 Mark.
Der zweite (Schluss-) Band zum Preise von
12 Mark erscheint im October d. J.
Leipzig, im Juli 1877. [H-2686-Q]
Veit & Comp.
Verlag von F. C. W. VOGEL in Leipzig.
Soeben erschien:
Zur
Entwickelung des Auges
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W irt>eltliiei*e
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Dr. Leonhard Kessler,
Doeent in Dorpat.
Mit 6 Tafeln und 9 Holzschnitten.
[H-2727-Q] 4. Preis 28 Mark.
Schweighause rieche Buchdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in BaseL
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Titel u.Inhaltsverzeichuiss.
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schweizer Aerzte.
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Preis des Jahrgangs
Fr. 10. — für die Schweiz;
der Inserate
25 Cts. die zweisp. Zeile.
Die Posthnreaux nehme*
Bestellungen entgegen.
Dr. Alb« Bnrekhardt-lUerian und Dr. A. Baader
Privatdoorat io Basel. io GeHerkinden.
N? 17. VII. Jahrg. 1877. 1. September.
lakalt: 1) Originalarbeiten: Der internationale Congress der medicinischen Wissenschaften in Genf. — Dr. Egli-
Sindair: Ueber die operative Behandlung des Geb&rmuttervorfalles. — 2) Vereinsberichte: Ordentliche Herbetsitznng der
iretl. Gesellschaft des Ct. Zürich. — 3) Referate and Kritiken: Dr. A. Vogel: Mittheilnngen über 50 Typhus fülle. - Dr.
A. Wgttenbach: Bericht der Sanitfitscommiseion des Gemeinderathes der 8tadt Bern über die Typhusepidemie im Winter 1873,74.
— L. Krahmtr: Handbuch der 8taatsarzneikande für Aerzto, Hedicinalbeamte and Gesetzgeber. — J. Schlüte: Die klimatischen
Carorte der Riviera, Mittel- and Unteritaliens. — 4) Wochenbericht. — 5) Bibliographisches. — fl) Briefkasten.
Original-Arbeiten.
Der internationale Congress der medicinischen Wissenschaften in Genf.
Während im Osten Europa’s, unter dem eisernen Tritte eines durch wilde Roh¬
heit und unerhörte Blutgier einzig dastehenden Krieges, Tausende und Tausende
von Menschenleben zerstampft werden, während dort die armen Verwundeten statt
ärztliche Hülfe und Unterstützung zu finden, vielfach auf eine Weise misshandelt
und verstümmelt werden, dass jede militärärztliche Thätigkeit lahmgelegt wird,
sehen wir in wenigen Tagen in Genf eine internationale Versammlung von Aerz-
ten und Professoren der Medicin zusammentreten, deren einziger Zweck ist, den
Ausbau der medicinischen Wissenschaften zu fördern und so¬
mit nach Kräften einzustehen für den Schutz menschlichen
Lebens.
Vom 9.—15. September wird in Genf die V. Session des internationalen medi¬
cinischen Congressea tagen, zu welcher voraussichtlich 400—500 Vertreter des ärzt¬
lichen Standes und Repräsentanten der ärztlichen Gesellschaften des In- und Aus¬
landes , sowie Delegirte der vom h. Bundesrath eingeladenen Regierungen aller
grösseren Staaten sich einfinden werden.
Nachdem die IV. Session 1875 in Brüssel den Beschluss gefasst, 1877 in der
Schweiz wieder zusammen zu treten, nachdem dann das bei solchen Anlässen immer
so bereitwillig sich zur Verfügung stellende Genf sich geneigt erklärt, den Con¬
gress zu übernehmen, begrüssen wir es lebhaft, dass dos Organisationscomitä auf
den Wunsch der Aerztecommission den Beschluss gefasst hat, nicht nur bei den
Verhandlungen selbst alle Sprachen zuzulassen, sondern die Discussionsthesen•)
sowohl wie die später zu veröffentlichenden wissenschaftlichen Resultate des Con-
*) Diejenigen Herren Collegen, denen diese nicht sugekommen sind, erhalten dieselben auf
Reclamation hin zugesandt durch Herrn Generalaecretär Dr. Prtvott in Genf. Ueber das Detail der
Organisation des Congressea siehe Corr.-Bl. 1877, S. 275.
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gresses (Compte-rendu) in deutscher und französischer Sprache zu
veröffentlichen.
Durch diesen Beschluss wurde nach unserer Auffassung dem Congress erst
recht der Stempel eines internationalen aufgeprägt; denn wenn auch für die meisten
Staaten die französische Sprache eine wohlbekannte Umgangssprache ist, so ist doch
für eine zahlreiche Betheiligung Deutschlands die officielle Zulassung der deutschen
Sprache um so unerlässlicher, als dort die französische Sprache weniger Boden hat,
wie in vielen andern Ländern. Wir sind überzeugt, dass nunmehr auf dem neutra¬
len Boden Genfs, im Verein mit den andern Staaten, unsere beiden mächtigen Nach¬
barn Deutschland und Frankreich würdig vertreten sein werden, gilt es doch an
den grossen Tagesfragen der Medicin geistige Kraft zu messen und durch gemein¬
samen Austausch persönlicher Erfahrungen, der Wahrheit auf diesem Gebiete näher
zu kommen.
Auch die Schweiz wird zum Congresse ein grosses Contingent von Tbeilneh-
mern stellen, sie wird dadurch in practischer Weise dem Gefühle Ausdruck geben,
dass wir Schweizer Alle, jeder nach Kräften, das unsrige dazu beitragen wollen,
diesen unsern Congress zu einem möglichst gelungenen zu gestalten, sie wird aber
dadurch auch den Collegen anderer Staaten und Lander zeigen, welch’ reges In¬
teresse die schweizer Aerzte den Bestrebungen entgegenbringen, denen diese Con¬
gresse ihre Entstehung verdanken.
Die der Discussion vorzulegenden Fragen, sowie die kleineren Mittheilungen
sollen in 7 Sectionen vertheilt behandelt, und jeweilen die Resultate derselben der
täglich einmal stattfindenden allgemeinen Versammlung vorgelegt werden. Von
den wichtigeren Fragen heben wir die folgenden hervor: Aetiologie des Typhus
(Ref. Bouchard , Paris), Pharmacopoea universalis (Ref. Gille, Brüssel), künstliche
Blutleere (Ref. Esmarch ), Einfluss der Traumen auf Schwangerschaft (Ref. Verneuil ),
künstliche Ernährung der Kinder im zartesten Alter (Ref. Zweifel ), Einfluss des
Alcoholismus auf Geisteskrankheiten (Ref. Magnan ), Localisationen im Gehirn (Ref.
Broadbenl ), physiologischer Antagonismus (Ref. Prevost), Indicationen zur Enuclea-
tion des Bulbus mit Bezug auf sympathische Ophthalmie (Ref. Warlomont ), Aetio¬
logie und Prophylaxe der Myopie (Ref. Hallenhoff). Ausserdem wird eine Ausstel¬
lung neuer medicinischer, chirurgischer und physiologischer Apparate gleichzeitig
stattfinden.
Das Organisationscomitd hat mit Umsicht und Geschick die übernommene Auf¬
gabe gelöst, es wird an den Theilnehmern sein, das ihrige zu thun und so mitzu¬
wirken, dass der Erfolg die Arbeit kröne.
Es sind jetzt 13 Jahre, seitdem von Genf aus der edle Gedanke der Humani¬
tät im Kriege sich Bahn gebrochen und Genfs Namen in monumentaler Weise ein¬
gegraben hat in die Geschichte culturhistorischer Leistungen, möge über dem jetzi¬
gen Congresse derselbe glückliche Stern leuchten zur Ehre Genfs und der Eid¬
genossenschaft , zum Nutzen ärztlicher Kunst und Wissenschaft, zum Wohle der
Menschheit!
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'lieber die operative Behandlung des Gebärmuttervorfalles.
Vortrag, gehalten in d. Gesellsch. d. Aerzte in Zürich den 24. März 1877
von Dr. Egli-Sinclair in Zürich.
„Meine Herren! Gestatten Sie mir, Sie heute auf das in unserer Gesellschaft
sonst so selten betretene Gebiet der Gynaecologie zu führen, indem ich Ihnen in
gedrängter Form eine Darstellung gebe von der operativen Behandlung des Pro¬
lapsus uteri überhaupt, in Besonderem von einem Operationsverfahren, das so un¬
zweifelhaft günstige Resultate aufweisl, dass es wohl weiterer Verbreitung von
dessen Kenntniss und Anwendung würdig ist.
Wie unbefriedigend die palliative Behandlung des Gebärmuttervorfalles mit
Pessarien ist, hat wohl ein Jeder von Ihnen schon erfahren müssen. Man mag
anwenden, was man will, vom primitiven Wattebausch oder Badeschwamm an bis
zum Hysterophor, nie wird man einer Patientin einen wesentlichen, dauernden
Dienst damit geleistet haben. Man gebe sich darüber keiner Täuschung hin —
erscheint die Patientin nicht wieder bei Ihnen mit den alten oder neuen Klagen,
so war sie inzwischen bei einem oder mehreren andern Aerzten, oder hat sich von
jeder ärztlichen Behandlung zurückgezogen, ist den Pfuschern verfallen, welche in
dieser Specialität grosse Ausbeute haben, behilft sich mit einer selbst construirten
Bandage, oder lässt endlich — und im vielleicht nicht schlechtesten Falle — den
Vorfall Vorfall sein. — Dies Alles erfahrt am besten ein eben in die Praxis getre¬
tener Specialist. Auch diesen will doch die arme Prolapsus-Kranke noch versu¬
chen. Sie kommt zu ihm mit einer Tasche oder einem Körbchen am Arme, in der
sie eine Sammlung der Corpora delicti, genannt Pessarien, vorweist, an jedem der¬
selben, wollte man es gestatten, sie die Sünden eines Collegen hersagen würde.
Das Pes8arium ist entweder zu klein, dann fällt es heraus, oder es ist zu gross,
dann schmerzt es; besteht es in einem einfachen Ringe, so dreht es sich um seine
Axe und fällt ebenfalls heraus; ist das Pessarium gestielt, so ist der Stiel im
Sitzen sehr beschwerlich, oder verletzt durch Reibung die hintere Commissura
vulvae; Flügel und Charnier des Zwanck'schen Pessarium verletzen leicht die inne¬
ren Theile; kann das Pessarium nicht von der Patientin entfernt werden, so legt
der Ehemann bald energischen Protest gegen dessen Anwesenheit ein; kann es
aber von derselben entfernt werden, so kommt sie häufig in Verlegenheit, dasselbe
richtig wieder einzufdhren; der Hysterophor mit seinen Platten und Riemen und
häufig nothwendiger Reparatur erinnert die Patientin aber bei Enuresis und De-
faecation, Morgens und Abends, dass sie mit einem schweren Leiden behaftet ist.
Alle Apparate aber machen, selbst bei grösster Reinlichkeit, mehr oder weniger
übelriechenden Ausfluss, von Incrustation derselben, Rectovaginalfisteln und Peri-
nealabscessen gar nicht zu sprechen.
Wie aber soll nun der Prolapsus uteri erfolgreich behandelt werden ? Ich ziehe
hier nicht in Betracht die ganz frischen Fälle, wo eine rationelle Behandlung, be¬
stehend in horizontaler Lagerung, Sorge für tägliche Stuhlentleerung und örtlicher
Application von Jod fast immer zu einem erfreulichen Resultate führt. Auch nicht
die Fälle von irreponiblem Prolapsus, wegen Raumbeschränkung im kleinen Becken
durch Tumoren oder wegen Adhierenz der vorgefallenen Gebilde ; hier muss sich
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der Erfindungsgeist des Arztes bewähren, um im einzelnen Falle Erleichterung zu
verschaffen. Auch gehören hieher nicht die Fälle von reiner Elongation der Portio
vaginalis, von der Huguier in übertriebener Weise behauptet hat, dass der Prolap¬
sus uteri fast immer mit ihr verwechselt werde. — Wir wollen nur behandeln die
Fälle von veraltetem reponiblem Prolapsus uteri, wie sie sich weitaus am häufig¬
sten darbieten, mögen sie übrigens mit Cystocele, Rectocele oder Hypertrophie der
Cervicalportion complicirt sein oder nicht.
Die oben erwähnten Nachtheile der palliativen Behandlung des Prolapsus uteri
führten schon frühe auf den naheliegenden Gedanken, auf operativem Wege Hei¬
lung dieses hartnäckigen Uebels zu versuchen. Von vorneherein sind dem opera¬
tiven Verfahren nur Vulva und Vagina als zugänglich erachtet worden; nicht un¬
möglich ist es aber, dass die raschen Fortschritte, welche in der intraabdominellen
Operationstechnik gemacht werden, dazu führen, auch den prolabirtcn Uterus von
der Peritonealhöhle aus in Angriff zu nehmen.
Der erste Vorschlag, den Gebärmuttervorfall operativ zu behandeln, ging im
Anfang der 30er Jahre von Mende aus; er schlug die Bildung einer Hymenora-
phia, eines künstlichen Hymens zur Zurückhaltung des Uterus in der Vagina vor.
Dieser Vorschlag wurde aber nicht zur That Die erste Operation zur Heilung
des Vorfalls wurde ziemlich zu derselben Zeit vou Fricke ausgeführt in Gestalt
einer einfachen Schamspaltenverengerung, der Episioraphie. Nach Fricke 's
Methode werden die grossen Schamlippen mit Einschluss ihrer hintern Commissur
etwa bis zum vordem Drittel angefrischt. In der Frontalansicht hat die Anfrischungs¬
fläche Hufeisenform. Nach geschehener Vereinigung läge im medianen Sagittal-
schnitt der Fehler der Methode sofort zu Tage: zwischen der neugebildeten Ver¬
engerung der Rima und der hintern Vaginalwand wird ein Recessus gebildet, in
Fig. 1.
welchen der Uterus hineinsinkt. (Fig. 1) Die Narbe ver¬
mag dann dem Drucke desselben nicht lange zu widerste¬
hen, sie dehnt sich und bricht endlich auf. Es half nichts,
dass der grosse Dieffenbach sein Wort für die Fricke sehe
Episioraphie einlegte, sie konnte sich nicht dauernd
in der Chirurgie einbürgern. Malgaigne verbesserte einige
Jahre später das Fricke’sche Verfahren, indem er beson¬
ders an der hintern Commissur tiefer gegen den Introi¬
tus vaginse hin anfrischte, also jene gefährliche Taschen¬
bildung zu vermeiden suchte Crede , Baker-Broten und Linhart folgten Malgaigne's
Verfahren. Küchler brachte noch die als einen Fortschritt zu bezeichnende Modi-
fication an, Schleimhaut und Damm gesondert zu nähen , wodurch eher auf erste
Vereinigung gerechnet werden konnte. Seine Vorgänger hatten nur die Keulen¬
oder Knopfnaht am Damme angewandt. Aber hatten auch diese verbesserten Me¬
thoden dauernde Erfolge aufzuweisen? Nur ausnahmsweise; und mit Recht hält
West demjenigen Operateur, der am häufigsten nach der erwähnten Methode ope-
rirt hat, Baker-Brown entgegen, dass er nur in 3 von seinen nahezu 50 Fällen noch
über deren Zustand nach der Entlassung aus dem Hospital eine Mittheilung machte.
Was sollen wir schliesslich von dem Verfahren von Dommes halten, silberne und
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goldene Ringe durch die Schamlippen zu ziehen, die einheilen und Letztere Zu¬
sammenhalten sollten?
Gleichzeitig mit der Episioraphia ist ein anderes Verfahren der operati¬
ven Behandlung des Gebärmuttcrvorfalles einhergegangen: die C o 1 p o - oder
Ely tror aphi a. Dasselbe versucht die Zurückhaltung des Uterus durch Ver¬
engerung der Scheide per se, oder Verengerung und zugleich festere Verwachsung
derselben mit der Umgebung — die sog. Colpodesmoraphia. Letztere In¬
tention lag eigentlich nur in den Verfahren von Bellini (1835) und Blasius , welche
halbmondförmige Nähte unter der Vaginalschleimhaut durchführten, dieselben fest
schnürten und durchschneiden liessen. Aber auch die meisten anderen Methoden
der Colporaphia haben mehr oder weniger die Nebenwirkung entzündlicher
Adhaerenz der Vagina mit der Umgebung, ganz besonders die nach heutigen chi¬
rurgischen Grundsätzen verwerflichen Verfahren, Verengerung der Vagina zu erzie¬
len durch Vernarbung von Aetzwunden, welche theils in der Längs-, theils in der
Querrichtung der Vagina angelegt wurden. Laugier und Kennedy verwandten zu
dem Zwecke den Höllenstein und das Ferrum candens, Velpeau , Dieffenbach , Jobert ,
Colles und Simon ebenfalls das cauterium actuale, Phillips die rauchende Salpeter¬
säure. Desgranges cauterisirte mit Chlorzink, oder er besetzte Vaginalfalten mit
zahlreichen serres fines , um diese zur Mortification und narbigen Retraction zu
bringen. Ueber den zu gleichem Zwecke von Chipendale gemachten Vorschlag, die
Vaginalschleimhaut mit Trippergift zu inficiren, können wir doch wohl nur mitlei¬
dig die Achsel zucken. — Alle diese rohen Methoden erwiesen sich in ihrer Aus¬
führung und in ihren secundären Erscheinungen gefährlich und als Heilverfahren
auf die Dauer erfolglos. — Von vornherein günstiger muss die schon früher von
Gerardin angegebene, aber erst lange nachher zuerst von Marschall-Eall ausgeführte,
mehr kunstgerechte eigentliche Elytroraphia beurtheilt werden. Es werden
verschieden gestaltete Lappen aus der Vaginalwand ausgeschnitten und die Wund¬
ränder durch theils tiefe, theils oberflächliche Sutur vereinigt.
Marschall-Hall frischte die vordere Vaginalwand an. Dieffenbach, Velpeau , Baker-
Brown u. A. schnitten mehrere Lappen aus verschiedenen Seiten der Vaginalwand
aus. Sims glaubte eine wesentliche Verbesserueg der Colporaphia anterior
in seiner hufeisenförmigen Anfrischung gegeben zu haben, die dann wieder von
Emmet modificirt wurde. Die besten Resultate bat noch immer die ausgiebige An¬
frischung der vorderen Vaginalwand in elliptischer Form ergeben. — Aber wie
von der Episioraphia, musste auch von der Elytroraphie die Erfahrung
gemacht werden, dass sie keinen dauernden Erfolg aufzuweisen im Stande sei, inso¬
fern wenigstens mit ihr die Heilung des Gebärmuttervorfalles bezweckt werden sollte.
Das operative Heilverfahren gegen den prolapsus uteri drohte nun ganz in
Verfall zu gerathen, als von Huguier in seiner bekannten Amputatio colli uteri ein
frischer Anstoss zu demselben gegeben wurde. Ich habe aber schon darauf hin¬
gewiesen, wie Huguier in viel zu einseitiger Weise die Hypertrophie der Vaginal¬
portion als das Primäre und Wesentliche des Gebärmuttervorfalls hinstellte, wes¬
halb sein operatives Verfahren gegen dieses Leiden ebenso wenig von dauerndem
Erfolg gekrönt sein konnte, wie die Episio- und Elytroraphie.
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Wir wenden uns deshalb von der Episioraphie ganz ab und werden in der
Elytroraphie und Amputatio colli uteri nur Hülfsmethoden zur Radicalheilung des
Gebärmuttervorfalles anerkennen.
Wie aber ist endlich diese Radicalheilung zu erzielen? Angenommen, die Be¬
dingung zum Zustandekommen des Gebärmuttervorfalles, nämlich Herabsetzung
des natürlichen Tonus sämmtlicher, nicht nur einzelner, mit dem Uterus in
Verbindung stehenden Gebilde sei gegeben, so müssen wir zur Beantwortung die¬
ser Frage uns nur klar darüber sein, wie der Vorfall physicalisch wirklich sich
dann vollziehe. Fassen wir hiezu in’s Auge , dass im Weibe mit normalen Geni¬
talien der Uterus in Anteversion, d. h. in einem nach vorn offenen, nahezu rechten
Winkel zur Axe der Vagina steht und dass wir einen primär antevertirten oder
retrovertirten Uterus niemals prolabirt finden werden, so ergibt sich ohne Weite¬
res, dass, ehe der Uterus sich senken und vorfallen kann, seine Axe und die Axe
der Vagina zusammenfallen müssen. Der Uterus muss in den 1. Grad der Retro-
version gestellt, die hintere Vaginalwand' durch Erschlaffung oder Defect des
Dammes gerado gestreckt sein. Beide Momente coincidiren in weitaus den meisten
Fällen als Folge gleicher Ursache, überstandener Geburten. Wir können nun den
Vorfall heilen, wenn es uns gelingt, eines der beiden Momente zu eliminiren. Aber
wie sollen wir das erste, die Retroversion, aufheben bei Vorhandensein des zwei¬
ten Momentes? Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als der Axe der Vagina
einen solchen Verlauf zu geben, dass die Axe des Uterus an einem Puncte mit
jener in entschiedene Winkelstellung geräth und diesen Punct durch Herbeiziehung
vielen und derben Gewebes unnachgiebig zu machen.
Es sind nun in den letzten Jahren 3 Verfahren in Aufnahme gekommen, bei
welchen das genannte Princip mehr oder weniger in Anwendung kommt, obwohl
es nur einem derselben von vornherein als Grundlage diente: die Colporaphia
posterior von Simon, die Perinoauxesis von Hegar und die Colpoperineo-
plastik von Bischo/f.
Alle drei Methoden stellen eine Combination der Episioraphie mit der
Colporaphie dar, alle drei haben mehr oder weniger gute
Resultate aufzuweisen. Ich glaube aber, dass es mir nicht
schwer fallen wird. Ihnen meine Ueberzeugung beizubringen,
dass die Colpoperineoplastik nach Bischoff nicht nur
das beste der drei Verfahren ist, sondern auch wirklich Ge¬
währ einer sichern, dauernden Heilung des Prolapsus uteri
dar bietet.
Simon nennt sein Verfahren Colporaphia posterior,
weil er dessen Heilerfolg hauptsächlich in der Verengerung
der Vagina findet. Der hintere Abschnitt der Vulva und die
hintere Vaginal wand werden in der grössten Breite von 5—6
cm. am Damm und in eben solcher Ausdehnung aufwärts gegen
den reponirten Uterus hin angefrischt in Form eines sich nach
oben etwas verjüngenden Fünfecks und die Wundränder sowohl
von der Vagina als vom Damm’aus vereinigt
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Es wird dadurch die Bildung eines hohen Narbenwulstes und etwelche Ver¬
längerung des Dammes nach vorn erzielt. (Fig. 2.) Die Vaginalportion setzt sich
meist am obern Ende des Narbenwulstes fest und Simon rühmt seinem Verfahren
auf Jahre hinaus dauernden Erfolg nach.
Nach tiegar 's Perineauxesis wird ebenfalls der hintere
Abschnitt der Vulva und die hintere Vaginal wand angefrischt,
jedoch in Form eines einfachen mehr oder weniger hohen
Dreiecks oder Kreisausschnittes; die Sutur geschieht ebenfalls
von der Vagina und vom Damme aus. Im Sagittalschnitt stellt
sich das Resultat in einer Verengerung, wesentlich aber in
einer Abbiegung der Vaginalaxe nach vorn dar. (Fig. 3.) Auch
Hegar will zahlreiche dauernde Erfolge damit in der Heilung des
Gebärmuttervorfalles erzielt haben.
Beide Verfahren lassen zu wünschen übrig, besonders das
von Simon; es ist wegen der so hoch hinaufreichenden Anfri- Fi*. 8.
schung sehr schwierig in der technischen Ausführung, in der Regel von starker
Blutung begleitet und entschieden gefährlich, da ja bekanntlich der Douglas 'sehe
Raum bis zur Mitte der hinteren Vaginal wand herabreichen kann; die Spannung der
Nähte ist eine sehr grosse, so dass sie häufig vor erreichter prima intentio durch-
schneiden. — Auch nach Hegar 's Methode muss öfter hoch hinauf angefrischt wer¬
den ; wenn ihr aber die übrigen erwähnten Nachtheile der Simon’schen Colpora-
p h i e in geringerem Maasse zukommen, so scheint sie auch in ihren Erfolgen ge¬
ringere Sicherheit zu bieten.
Beide Methoden aber knicken die Vaginalaxe nicht genügend nach vorn um,
sie wirken mehr durch blosse Verengerung der Vagina, von der wir uns nie ab¬
solute Verlässlichkeit versprechen dürfen und beide Verfahren haben den Fehler,
dass sie die Narbenlinie in die Mediane verlegen, d. h. dem Drucke der herab¬
drängenden Gebärmutter directe aussetzen.
Es erschien Prof. Bischoff in Basel daher wünschenswert!^ ein vollkommeneres
Verfahren der operativen Behandlung des Vorfalls ausfindig zu machen und dass
es ihm gelungen, diese Aufgabe in vorzüglichster Weise zu lösen, habe ich aus¬
giebige Gelegenheit gehabt, mich zu überzeugen. Durch die Bischoff 'sehe Colpo-
perineoplastik wird die untere Hälfte der Vaginalaxe bedeutend nach vorn
umgeknickt, die Knickungsstelle, an welcher die Vaginalportion des gesenkten
Uterus ihren Stützpunct finden soll, wird durch Herbeiziehung reichlichen, derben
Gewebes vollständig unnachgiebig gemacht, die Operation bietet weder grosse
Schwierigkeiten in der Ausführung, noch ist sie gefährlich. Sie gewährt sichere,
dauernde Heilung des Gebärmuttervorfalls, und ebenso nicht nur des einfachen
veralteten Dammrisses , sondern auch, und das ist sehr wichtig, des veralteten
Dammrisses mit Incontinentia alvi.
Ehe ich die Methode genauer beschreibe, will ich eine kurze Statistik über
die Erfolge derselben vorausschicken; ich entnehme dieselbe theils der Dissertation
von Dr. Banga , welche die Bischoff sehe Colpoperineoplastik zum Vorwurf
hat, theils ergänze ich sie aus meinem Gedächtnisse- Selbstverständlich können
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als Belege für die Zuverlässigkeit der Methode nur diejenigen Fälle gelten, welche
den günstigen Erfolg noch nach Jahr und Tag aufweisen. Bis im Frühjahr 1875
hat Bischoff 23 Mal operirt. 1 Fall verlief unglücklich mit tödtlichem Ausgang,
welch’ letzterer aber auf die der Colpoperineoplastik vorausgeschickte Amputatio
colli zurückgeführt werden muss. In einem zweiten Fall musste 2 Mal operirt
werden, weil die Pat durch unzweckmässiges Verhalten den Erfolg der ersten Ope¬
ration vereitelt hatte.
In allen andern Fällen heilte die Dammwunde per primara. 12 Operationen
fielen in eine solche Zeit vor Frühjahr 1875, dass damals der Erfolg nach Jahr
und Tag constatirt werden konnte. Die Untersuchung fiel in 1 Fall auf 1 Jahr,
in 1 Fall auf l 1 /*, in 2 Fällen auf l'/ a , in 4 Fällen auf 2, in 1 Fall auf 2'/ a , in 1
Fall auf 4 und in 1 Fall auf 5 Jahre nach der Operation. In allen diesen Fällen
war nach dieser Zeit der Erfolg noch ein completer, in keinem - derselben wurde
das Vorfällen des Uterus auch nur drohend gefunden. Ein Fall war mit inconti-
nentia alvi complicirt, er blieb vollständig geheilt Von Frühjahr 1875 bis Anfang
1876 ist theib in der Spital-, theils in der Privatpraxis von Prof. Bischoff noch
13 Mal die Colpoperineoplastik ausgeführt worden, darunter 2 Mal von
mir, die uncomplicirten Fälle sämmtlich mit Heilung per primam in 14—18 Tagen.
3 dieser Fälle waren mit Incontinentia alvi complicirt. Inzwischen wird eine wohl
ebenso grosse Zahl mit gleich gutem Erfolge noch hinzugekommen sein.*) — Im
October vorigen Jahres führte ich hier in Zürich die Bischoff 'sehe Colpoperineo¬
plastik bei einer 42 Jahre alten Frau aus. Sie litt schon seit längerer Zeit an
Prolapsus uteri und konnte deswegen die letzten 2 Jahre ihren sonst leichten Be¬
ruf nicht mehr ausüben. Die Heilung verlief ohne Störung, am 14. Tage entfernte
ich die Suturen und fand complete prima intentio, am 15. Tag stand die Pat. auf,
nahm nach 2 Wochen ihren Beruf wieder auf, und ist seither von allen früheren
Beschwerden verschont geblieben. Welches ist nun diese so günstige Resultate
liefernde Methode?
Dieselbe hat am meisten Aehnlichkeit mit der Perineosynthese von
Langenbeck , wonach bekanntlich aus dem in die Dammrissnarbe herabgezogenen
Schleimhautwulste der hintern Vaginalwand ein kurzer Lappen gebildet und dieser
als schützende Decke des neu zu bildenden Dammes mit den obern Rändern der
Anfrischungsfläche vereinigt wird.
Angenommei* wir haben es mit einem einfachen, uncomplicirten Fall von Pro¬
laps zu thun. Als Vorbereitung der Kranken ist nur nöthig die Entleerung von
Blase und Mastdarm. Assistenten genügen 4, einer für die Narcose, 2 die Beine
zu fixiren und auf dem Operationsfelde mitzuhelfen, und einer die Instrumente zu
reichen. Die Patientin wird in Steinschnittlage gehalten.
Das Operationsfeld wird freigelegt, indem die beiden direct helfenden Assi-
*) Nachträglicher Mittheilung verdanke ich noch folgende Angaben: Von Februar 1876 bis
Januar 1877 hat Prof. Bischoff 24 Mal operirt, 18 Mal in der Spital-, 6 Mal in der Privatpraxis, in
23 Fällen mit Heilung per primam mit vollständigem Erfolge; viele derselben waren mit Rectocele etc.
complicirt, ein Fall besonders mit grosser Rectovaginalflstel (letztere auf einer Schweizerklinik 2 Mal,
an 2 Badeorten je 1 Mal, also 4 Mal erfolglos operirt). In einem Falle handelte es sich um völligen
Defect des ganzen untern Drittels des Septum rectovaginale; es blieb nach der Plastik eine Recto¬
vaginalflstel übrig, welche durch eine zweite Operation geschlossen werden soll.
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stenten die Schamlippen am besten nur mit den Fingern möglichst nach auswärts
umstülpen. Es wird nun zunächst mit dem Scalpel die innere, vaginale Be¬
grenzung der Anfrischungsfläche mit Einschluss
aus der hintern Vnginalwand zu bildenden zungenfx
gen Lappens vorgezeichnet. Hiezu muss vor Allee
Grösse dieses Lappens in’s Auge gefasst werden, d<
Basis man etwa 5 cm. oberhalb der hintern Comm
der Vulva verlegt, nicht zu hoch hinauf, um wenig
mit einiger Bequemlichkeit dieselbe zu erreichen,
der Lappen vorgezeichnet, so fuhrt man von desser
sis aus beiderseits einen Schnitt bis in die Höhe
Mitte der kleinen Labien. (Fig. 4.) Gestaltung von L
und Dicke des Dammes hat man völlig in seiner Ge
Erstcre indem man die Anfrischung mehr oder wei
weit nach vorn verlegt, Letztere indem man den W
zwischen Lappen und kleinen Labien mehr oder weniger % Fi«. 4.
stumpf macht Jetzt kommt die Anlage der Wundfläche. Man beginnt mit der
schwierigsten Stelle, in dem Winkel zwischen der Basis des Lappens und dem
gegen die Labia minora geführten Schnitte. Man sei hier recht vorsichtig, nicht
etwa kleine Schleimhautinseln zurückzulassen, was man am besten vermeidet, indem
man den 1. Index in das Rectum einfuhrt, um die Gegend jenes Winkels vorzu¬
drängen. Von da an wird die Anfrischung bis in die Nahe der grossen Labien
und deren hinteren Commissur weiter geführt, immer unter möglichster Vermeidung
der Anwendung des Messers. Dann muss der Lappen von der Unterlage abge¬
hoben und nach oben geschlagen werden. Mit ein paar flachen Messerzügen wird
dessen Spitze gelöst, derselbe im Uebrigen aber nur mit dem Fingernagel oder
Scalpelstiele weiter getrennt. Dies hat gar keine Schwierigkeit, da man dabei
immer in das schlaffe, submucöse Gewebe der Rectalschleimhaut geräth; bei der
so vollzogenen Lösung des Lappens kommt
es nur selten zu einer Blutung aus den hier
so reichlichen Venenplexus, ein Hauptvorzug,
den das Bifschoff "sehe Verfahren vor denjeni¬
gen von Simon und Hegar voraus hat. Wer¬
den aber trotz Allem Venen getroffen, so
lege man sie temporär in Malthieu 'sehe pinces
art&res. Der Lappen besteht nicht etwa nur
aus Vaginalschleimhaut, sondern dazu noch
aus einer dicken Lage submucösen Zellge¬
webes, was selbstverständlich seine Festig¬
keit wesentlich erhöht. Nun sind nur noch
die grossen Labien und deren hintere Com¬
missur anzufrischen. Zu diesem Zwecke hat
Büchoff ein rasch zum Ziele führendes Ver- Fi«. 5.
fahren erfunden.
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Die Labien, zuerst die rechte, dann die linke, werden zwischen den Branchen
einer Klammer, die ich Ihnen hier vorzeige, eingehackt und mit wenigen dicht den
Branchen entlang geführten sägeförmigen Messerzügen abgetragen. Mit seltenen
Ausnahmen blutet es bis zur Anfrischung der grossen Labien nur capillar. Erst
nach Anfrischung der Letztem spritzen meist einige kleine Arterien.
Nunmehr wird die Wundfläche gründlich gereinigt und mit 10% Carbolöl des-
inficirt und sodann zur Naht geschritten. Durch diese (Fig. 5) sollen die Seitenränder
des zungenförmigen Lappens mit den von dessen Basis gegen die kleinen Labien
zielenden Wundrändern in Contact gebracht werden. Hiezu verwende man Catgut;
6-8 Suturen jederseits genügen. Die Verengerung und die Umbiegung der Vagina
ist nun bereits gegeben, es fehlt nur noch, derselben eine feste Stütze zu schaffen.
Dies geschieht mit der schliesslichen Vereinigung der jetzt tief trichterförmigen
Damm wunde durch 5—6, in Abständen von 1 cm. möglichst tief durchgeführte und
recht fest geschnürte Silber-Suturen. Damit ist die Operation vollendet.
Der Verband ist einfach und bleibt nur während der ersten 24 Stunden liegen;
er besteht aus einem kleinen, in die Vagina zu legenden Carbolöltampon und einer
T Binde, Beides zum Zwecke der Compression gegen Blutung. Ist diese stärker,
so verwende man noch einige Zeit die Manualcompression. Eine Nachbehandlung
gibt es eigentlich gar nicht: die Pat. soll 14 Tage ruhig liegen, flüssige Kost be¬
kommen und der erste Stuhlgang durch Clysmata erleichtert werden. Man ver¬
meide so lange als möglich das Nachsehen nach den Suturen. Am 10.—14. Tage
werden die Suturen entfernt; ich habe nach dieser Zeit, wie gesagt, selten etwas
anderes als Heilung per primam gesehen.
Das Ergebniss der Operation ist folgendes (Fig. 6): ein
Damm 5—6 cm. lang, vorn 1 cm. und hinten 4—5 cm.
dick; das untere Ende der Vagina ist stark nach vorn
umgebogen, bedeutend verengt; hinter dem Urethral¬
wulst stösst man auf eine quere wallartige Verdickung
des septum recto-vaginale und, auf dieser Verdickung
sich aufstemmend, die Vaginalportion des Uterus. Diese
Verhältnisse finden sich z. B. bei meiner Operirten vom
vorigen Jahre heute noch ebenso gut, wie nach der Ope¬
ration.
Bei Complication des Vorfalles mit Elongation der
Cervicalportion wird der Colpoperineoplastik die Amputatio colli, bei Complication
mit hochgradiger Cystocele die Elytroraphia anterior vorausgeschickt. Um allfäl¬
lige Rectocele bekümmert man sich nicht, dieselbe wird durch die Methode ohne
Weiteres gehoben.
Bei Complication mit Incontinentia alvi verfährt man zunächst wie bei un-
complicirten Fällen. Vor der Sutur aber excidirt man noch ein mehr oder weni¬
ger grosses Stück aus der Rectalschleimhaut am Septum recto-vaginale, vereinigt
zunächst die so gebildete Rectumwunde und schreitet erst dann zur Sutur der Va¬
gina und des Dammes.
Ist eine Rectovaginalfistel vorhanden, so ist der zungenförmige Lappsn mehr
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seitlich zu entnehmen, das Septum recto-vaginale bis zur Fistel hinauf zu spalten,
die Ränder der Letztem anzufrischen, und dann wie eben erwähnt zu nähen.
Der Cohabitation und somit auch der Conception ist in der gegebenen Ver¬
änderung in Richtung und Weite der Vagina kein Hinderniss gesetzt.
Auch ein Geburtshinderniss ist in dem Bischoff 'sehen Verfahren nicht gegeben.
Mir sind bis jetzt 5 Fälle bekannt, wo nachträglich eine Geburt stattfand, in 3
derselben ging es ganz ohne Verletzung des Dammes ab, in 1 Fall fand ein Riss
2. Grades und in 1 Fall ein Centralriss des Dammes statt. In diesen beiden Fällen
wurde aber durch primäre Silbersutur in wenigen Tagen die Heilung der Risse
herbeigeführt.“ _
"V ereinsberichte..
Ordentliche Herbstsitzung der ärztl. Gesellschaft des Cantons Zürich.
Den 13. November 1876 um 10 Uhr im Kappelerhof in Zürich.
In seiner Eröffnungsrede erinnert der Präsident daran, wie es gekommen sei,
dass so lange keine Sitzung abgehalten werden konnte: im Frühjahr versammelte
sich der Centralverein in unsern Mauern, und jetzt mussten wir die Sitzung mög¬
lichst hinausschieben, um der Oltener Versammlung keinen Eintrag zu thun. — In
einem Rückblick auf unsere Petition für Reorganisation des Sanitätswesens spricht
er seine Befriedigung aus über deren Erfolg, soweit sie die öffentliche Gesund¬
heitspflege betriflt. Dass die Umarbeitung des gesammten Sanitätswesens jetzt
noch nicht angenommen wurde, ist wohl nicht zu bedauern, da die Zeitumstände
und die Stimmung unseres Volkes gegenwärtig nicht günstig sind. Zur bessern
Gestaltung dieser Verhältnisse können und sollen die Aerzte bei der Durchführung
der Gesetze mitwirken.
Auf das Gesetz näher eintretend, führt der Präsident aus, wie wichtig die Be¬
stimmungen desselben über Reinhaltung der Strassen und Plätze, des Baugrundes
und der Gewässer, über Erstellung, Einrichtung und Bezug von Wohnungen und
Stallungen, über Ankündigung und Verkauf von Geheimmitteln seien, wenn sich
auch diese letztem kaum auf die Dauer in der vorgeschlagenen Weise werden
durchführen lassen. Es werde schliesslich nur übrig bleiben, die Geheimmittel in
schädliche und unschädliche zu rubriciren und nur den Verkauf jener zu verbieten.
Als grossen Fortschritt gegenüber dem ursprünglichen Entwurf zeichnet er den
Artikel, der nicht nur die Seuchen, sondern die Krankheiten überhaupt der Con-
trole des Staates unterstellt, was hoffentlich auch einer Regelung des Prostitutions¬
wesens rufen wird. Ueber die Impfung wurde absichtlich nichts in’s Gesetz auf¬
genommen , um nicht dadurch das Ganze bei der Volksabstimmung in Gefahr zu
bringen. Sehr werthvoll sind ferner die Artikel über die Krankenpflege, und es
werden auch die Kinderbewahranstalten, Kostkinder u. s. f. der staatlichen Con-
trole unterstellt, und soll für Nacht- und Sonntagsruhe gesorgt werden.
Von den ausführenden Organen fand der vorgeschlagene Cantonsarzt keine
Gnade, aber es ist jetzt doch der Sanitätsdirector gesetzlich verpflichtet, „in Fra¬
gen, deren Erledigung Fachkenntnisse erheischen“, Sachverständige zuzuziehen,
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und die Aufgaben werden bald genug sich so anhäufen, dass ein ständiger Sach¬
verständiger wird beigezogen werden müssen.
Die Gemeindegesundheits-Commissionen wurden einstweilen nur facultativ an¬
genommen. Wenn aber der Regierungsrath findet, das Bedürfniss erheische die
Aufstellung einer besondern Behörde, so kann er die Gemeinde dazu anhalten, und
so wird schliesslich unser Wunsch für obligatorische Gesundheitscommissionen doch
in Erfüllung gehen.
Fernere Errungenschaften des neuen Gesetzes sind die Creirung eines öffent¬
lichen Chemikers, die Bestimmung, dass dem Fache der Gesundheitspflege an den
Lehranstalten die erforderliche Aufmerksamkeit geschenkt werde; dass Wärter-
curse in Aussicht genommen sind, ferner wird dem Regierungsrath „die Begrün¬
dung und Beförderung eines rationellen Krankenversicherungswesens“ übertragen,
und dem Staate „die Gründung und Unterhaltung von Anstalten für die Kranken¬
pflege“ zur Pflicht gemacht.
Welche Pflichten uns Aerzten aus dem neuen Gesetze erwachsen , führt er
uns schliesslich noch in lebendigen Zügen vor Augen: das Wirken für Annahme
und nachher für energische und richtige Durchführung des Gesetzes, in Privat¬
kreisen sowohl als in der Presse und die Unterstützung der dazu aufgestellten
Organe, und wenn wir auch daraus keinen materiellen Gewinn ziehen, so werden
wir doch die Achtung vor der Wissenschaft, die unsere Antipoden , Naturärzte
und Quacksalber, zu untergraben so sehr sich bemühen, durch unser Wirken im
Volke und für das Volk befestigen und erhöhen, und das soll und darf uns ge¬
nug sein.
Vortrag von Prof. Homer*) über Indicationen und Contraindicatio-
n e n von Atropin und C a 1 a b a r.
„Als ich unserm verehrten Präsidium, seinem Rufe folgend, vorschlug, über die
Indicationen und Contraindicationen des Atropin und Calabar zu sprechen, dachte
ich nicht daran, dass es in diesem Monat 20 Jahre sind, seit ich in dem Verein
jüngerer Aerzte in Zürich über Atropin und seine Anwendung in der Augenheil¬
kunde sprach. Zufällig kam mir beim Durchsuchen meiner Notizen jener Aufsatz
wieder zur Hand und ich hatte nun einen Maassstab, um zu beurtheilen, ob es mir
möglich sei, etwas Neues zu bringen. In zwei Richtungen schien es mir möglich.
Einerseits in der genauen Präcisirung der Indicationen und Contraindicationen des
Atropins, anderseits besonders in der Lehre von der Anwendung des Calabar. Ich
werde dabei völlig absehen von der physiologischen Streitfrage über die Angriffs-
puncte dieser Mittel und, die klinische Seite in den Vordergrund drängend, nur
den ophthalmologischen Gebrauch besprechen.
Die Indicationen des Atropins — ich spreche immer vom neutralen schwe¬
felsauren Salz — lassen sich am besten cintheilen in:
1. Die narcotis che.
a) Gegen Schmerz in allen Fällen, wo die subepithelialen Trigeminus-
*) Der Vortragende hatte die Freundlichkeit, mir seine ausführlichen Notizen zur Verfügung
zu stellen, und war es mir dadurch ermöglicht, diesen auch für jeden practischen Arzt so wichtigen
Vortrag ziemlich vollständig wiederzugeben. Der Actuar.
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endigungen lädirt sind, also nach Entfernung von Fremdkörpern, bei Pusteln der
Cornea (Eczem der Kinder) und nach oberflächlichen Traumen.
b) Gegen Reflexkrämpfe, welche hervorgerufen durch Verletzung der
Trigeminusenden auf den Facialis übertragen werden. Es gibt keinen Blepharo¬
spasmus, keine Photophobie der eczematösen Kinder mehr, wenn die Fälle frisch
in richtige Behandlung kommen, nur wenn sie monatelang im dunklen Zimmer ge¬
halten werden.
2. Die mydriatisebe.
a) Diagnostische Mydriasis: zur ophthalmoscopischen Untersuchung des
Augenhintergrundes, zur Feststellung der Details einer Cataract, und sehr werth¬
voll bei beginnender Iritis für die Frage, ob schon Synechien bestehen, und damit
prophylactisch von grosser Bedeutung.
b) Therapeutische Mydriasis. Bei Iritis und zur Prophylaxis der Iritis,
namentlich bei Traumen der Linse, wenn durch Linsenblähung die Iris in Gefahr
kömmt, ferner zur Verhütung von Prolapsus iridis, nach Verletzungen sowohl als
centralen Hornhautgeschwüren, die dem Durchbruch nahe sind.
3. Die accommodationsläbmende.
a) Diagnostisches Hülfsmittel zur Feststellung der Refractionsanomalie,
um das Plus zu eliminiren , das durch die Accommodation addirt wird mit dem
Refractionszu8tand des Auges.
b) Therapeutisch zur Behandlung der progressiven Myopie der Kinder:
Bei vielen Kindern erscheint die Myopie, durch Gläser geprüft, grösser, als sie
objectiv untersucht sich herausstellt, und es kann diese Differenz sogar von —8
bis —24 betragen, weil die Linse bleibend mehr gekrümmt ist In diesen
Fällen ist die Atropinanwendung vorzüglich, ganz unnütz aber, wenn sie schab-
lonenmässig über alle Fälle von Myopie ausgedehnt wird.
Auch bei Iritis ist die accommodationslähmende Wirkung von Bedeutung.
Vielen von Ihnen wird auffallen, dass ich die sog. druckvermindernde
Wirkung des Atropins nicht auch als specielle Indication erwähnte. Seit v. Grafe
in seiner classischen Abhandlung über die Diphtheritis conj. (Arch. f. O. I. 1, pag.
223, 1854) den Satz ausgesprochen hatte: „um den Gesammtdruck, den die Con-
tenta bulbi auf das Continens üben, möglichst zu beschränken, wende ich bei der
Hornhautaflfection Einträufelungen von Atropinum sulfuricum an, weil ich mich
durch Beobachtungen an Menschen und durch Experimente an Thieren überzeugt
zu haben glaube, dass dieses Mittel nicht blos auf die Pupille, sondern gleich¬
zeitig auf den Spannungsgrad der Muskelkräfte wirkt“, wurde es als ein Axiom
angesehen, dass Atropin den intraoeulären Druck herabsetze. Ich gestehe, dass
ich nie ein sehr gläubiger Anhänger dieser Lehre war. Die experimentelle Prü¬
fung derselben forderte sehr verschiedene Resultate zu Tage: Schneller (1857) wollte
Erweiterung der Chorioidealgefässe im Auge weisser Kaninchen nach Atropinein¬
träufelung constatiren, und dadurch die ‘Abnahme des intraoeulären Drucks erklä¬
ren. Doch war seine Messung keineswegs Ein würfen gewachsen. Wegner (1864),
der auf meine Veranlassung nach Donders die ersten genauen Experimente über
die Abhängigkeit des intraoeulären Drucks von Nerven ausführte, constatirte ma-
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nometrisch die Druckabnahme nach örtlicher und allgemeiner Atropinanwendung
und schloss sich der spätem Ausdrucksweise c. Gräfes , dass „das Atropin einen
beruhigenden Einfluss auf die Secretionsnerven des Auges ausübe“, an. Während
et* die „Lähmung der Gefässmuskulatur“ als Ursache der Druckabnahme beschul¬
digt, erklärte Adamük die von ihm ebenfalls constatirte Druckabnahme aus der rei¬
zenden Wirkung auf die Gefässwände und die Verengerung der Gefässeü Hippel
und Grünhagen konnten dagegen keine Druckmodification durch Atropin nachweisen.
Auch die tonometrischen Resultate stehen sich entgegen: Monnik hatte kein positi¬
ves Resultat, wohl aber Dor.
Die Experimente an Thieren widersprechen sich, die Messungen am Lebenden
ebenso, und bei der mangelnden Zuverlässigkeit der tonometrischen Instrumente
war die Beweisführung keineswegs leicht.
ln diese Zerfahrenheit traten nun die Erfahrungen von Wharlon Jones, v. Grafe
und Hasket Derby , seither vielfach vermehrt, dass in einem zu Glaucom disponirten
Auge Atropin einen acuten Anfall von Glaucom bedingen kann. Hier treten wir
unmittelbar ins Gebiet der Contrain dicationen ein :
1. Absolute Contraindication: bei den glaucomatösen Erkrankungen
in allen Fällen, wo der intraoeuläre Druck erhöht ist. — Hat man bei einer Nadel¬
verletzung der Linse Atropin angewendet, um die Iris vor der Linsenblähung
zu schützen, so kann ein Fortfahren mit Atropin ohne genaue Ueberwachung der
Druckverhältnisse zum Glaucom führen. — Bei Glaucoma simplex und chronicum
soll man die Schmerzen durch Morphiuminjectionen oder Calabar bekämpfen, nie
durch Atropin. — Ebenso hüte man sich bei Pannus corneie wegen Neigung zu
Glaucom.
2. Relative Contraindication: a) es gibt eine individuelle Idiosynkrasie bei
der Atropinerythem und Sättigungsconjunctivitis, letztere spät, ersteres früh, ein-
treten, namentlich bei Anwendung der 4gränigen Lösung ; b) bei maximaler Con-
junctivalinjection und Pannus; c) bei cyclitischen Processen mit Weichheit des
Bulbus, mit' Pupillarabschluss und -Verschluss (hier verwende man Morphium sub-
cutan) ; d) bei Kindern erfordert die Atropinanwendung besondere Vorsicht. Es
entwickelt sich oft ein chronischer Intoxicationszustand mit starker Herabsetzung
der Kräfte, der gefährlich werden kann.
Calabar ( Fraser 1862, Argyll Robertson 1863) ist erst allgemeiner brauchbar
seit Herstellung des Physostigmin und Eserin (sulfate neutre d’ös^rine d’apr&s lc
proc6d6 de Vee par Dusquesnel). Man verwendet eine wässerige Lösung von */ s
bis */»%• Auch vom Merk' sehen Präparat braucht man 0,05 auf 10,0. — Die Indi-
cationen sind jetzt sehr ausgedehnt:
1. Myotische Indication: bei natürlicher und künstlicher Mydriasis, nach
Atropinwirkung zur Aufhebung derselben, vor Glaucomiridectomie zur Verengerung.
Bei peripheren Hornhautgeschwüren und namentlich bei Irisvorfällen behufs Her¬
ausziehen der Iris. Auch bei Staaroperationen [Wecker), nach welchen Vorfälle
der Irisecken ganz reponirt werden können durch rechtzeitige, kräftige Anwendung
von Eserin, wie ich selbst constatirt habe.
2. Die Accommodation dynamisch ergänzend (Manz ); bei Accommodations-
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lähmung. namentlich nach Diphtheritis faucium erzielt man dadurch eine Beschleu¬
nigung der Aufnahme der accommodativen Thätigkeit.
3. Herabsetzung des intraoculären Drucks. An gesunden Augen ist dies zwar
nicht nachzuweisen, sondern cs wurde nur versucht, nach den Erfahrungen betref¬
fend Atropin bei Glaucom und nach denjenigen vor der Iridectomie bei Glaucom
CLaqueur , Ad. Weber'). Eserin hat specielle Wirkung als gefässverengerndes Mittel
und ist bei glaucomatösen Processen zu verwenden. —
Eigene Erfahrungen lehren mich, dass die Wirkung rascher eintritt, als Laqueur
angibt. Sie erstrecken sich über 1) Fälle von Glaucoma simplex, 2) Glaucom nach
Iridectomie, welche nidht genügend wirkte :
Anna R. von E., 59 Jahre alt (Glaucoma simplex, beiderseits Iridectomie).
18 7 4 vor der Iridectomie :
L H »/*. S
R H V.o S *% 0
3 Monate nach der Operation:
L II 7» S ’%o
R H 730 S J0 / 10 bis «/,.
5 Tage nachher L S ,0 /, 0 i R S ’%o*
18 7 6 den 14. October wieder vorgestellt:
L S ‘Vjoo, R S IO /.oo.
Gläser bessern nicht, T + 1—2 beiderseits. 10 Tropfen Eserin täglich (5 Tropfen
in jedes Auge).
16. October R T — 1
L T normal.
18. October T beiderseits normal.
L H 7.o S «/,»
R H 7,o S »•/,..
Wird entlassen mit Eserin 0,05/10,0 2 gtt. p. die in jedes Auge.
4. November. Beide Bulbi resistent, aber nicht hart.
L H 7,o S «7,o
R H «/, 0 S «7to-
Pat. gibt spontan an, dass sie heute Morgen nicht ganz so deutlich sehe, wie
gewöhnlich, da sie heute noch keine Tropfen in die Augen gethan. NB. Die Ver¬
engerung der Pupille kommt wegen der grossen Iridectomie und der weit bleiben¬
den Pupille für das Sehvermögen nicht in Betracht.
3. Secundäres Glaucom ohne Synechien:
U. R., 23 Jahre alt, , kam am 5. August 1876 mit völlig erblindetem steinhar¬
tem Bulbus und maximaler Pupillenerweiterung (Glaucom durch traumatische Lin¬
senluxation) und furchtbarer Schmerzhaftigkeit, die seit Wochen trotz Atropin und
Morphium Pat. schlaflos gemacht hatte, in die Anstalt Nach 4 Tropfen Eserin
nimmt der Druck ab und die Schmerzhaftigkeit so sehr, dass zum ersten Mal er¬
quickender Schlaf folgt durch die ganze Nacht (NB. ohne Chloral oder Morphium).
Finger werden unsicher in grösster Nähe wahrgenommen. — Am 9. August Iri—
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dectomie nach oben. Verbleiben der Spannung bedingt weitere Anwendung von
Eserin. —
Es ist Aussicht vorhanden auf weitere Anwendung des Eserin. Im Muscarin
und Jaborandi-Alcaloid Pilocarpin haben wir neue Myotica. Für die Lehre vom
Glaucom sind die Erfahrungen über Eserin sehr instructiv; die Theorie des Glau-
coms ist noch zu schaffen.“
Vortrag von Prof. 0. Wysa über catarrhalische Pneumonie:
„Die Lehre darüber ist noch ziemlich neu (obschon Andeutungen schon von
Morgagni u. A.), in den 30er Jahren wurde sie von Rilliet und Barlhez characterisirt
und scharf von der croupösen abgetrennt. Sie stellen 2 Formen auf (die Jürgensen
festhält), zwischen denen sich aber keine scharfe Grenze ziehen lässt. Der Typus
der acut verlaufenden istdieMasern-Pneumonie, der chronisch ver¬
laufenden die Keuch husten-Pneumonie. Die erste schliesst sich oft an
Catarrhe an, stellt sich ausnahmsweise schon im Vorläufer- oder Beginn des Erup¬
tionsstadiums der Masern ein.
Die physicalischen Symptome lassen oft im Stich. Wichtig sind die sehr
feinblasigen Rasselgeräusche, das Knisterrasseln, das klingende Rasseln. Per-
cutorisch findet man häufig keine Differenzen, weil die Affection oft symmetrisch
auftritt. Die circuläre Percussion ist dabei von grösserem Werth, als die in der
Richtung von oben hach unten. Auf den veränderten Respirationstypus muss man
nicht zu viel Gewicht legen. Die Fieberverhältnisse sind wichtig: hohe Tempe¬
raturen, längeres Verbleiben auf der Höhe und dann Remission.
Diagnose in der acuten Form hie und da zweifelhaft, aber viel zweifelhaf¬
ter oft in der chronischen Form, weil die Infiltration oft nur ganz gering. Nach
einem Stadium der Latenz zeigt sich oft hohes Fieber und heftige Erscheinungen.
Dauer der acuten Form 8—14 Tage, der chronischen 6—8 Wochen. Das
Alter ist für die Prognose von grosser Bedeutung. Mortalität ist 30—50% und
mehr.
Die anatomischen Veränderungen der catarrhalischen Pneunomie: sie
hat ihren Sitz an zahlreichen Stellen der Lunge, die croupöso an einer circum-
scripten Stelle. Dass ein croupöses Exsudat gesetzt sei, ist nicht entscheidend,
denn dies kommt auch bei Masernpneumonie vor. Deshalb ist vielleicht die fran¬
zösische Bezeichnung vorzuziehen: Pneumonie fianche und Pneumonie mammelonße.
Die Verbreitung geschieht 1) durch Propagation von den gröbern auf die feinem
Bronchien bis in die endständigen Alveolen und 2) durch Peribronchitis (von den
Bronchien auf das umliegende Gewebe). Meist spielen beide zusammen ; es werden
so immer grössere Partien infiltrirt, meist von hinten und unten nach vorn und
oben. So entstehen die eigentlich lobären, generalisirten Pneumonieen, die sich
anatomisch von den croupösen immer doch sehr deutlich unterscheiden lassen. Das
Aussehen der Lungen ist buntscheckig, granitartig, weissgelblich roth, oft ver¬
zweigte Heerde mit rothen Partien dazwischen; lufthaltige und atelektatische Stel¬
len abwechselnd, letztere blauroth, unter der Schnittfläche zurückbleibend, Volumen
der Stelle bedeutend reducirt, lässt sich aber aufblasen zu normalem Gewebe. Die
Atelektasen kommen nach Traube durch Verstopfung der Bronchien zu Stande (sie
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kommen aber schon in den ersten Stadien vor, wo gar nicht so viel Schleim da
ist); Bartela erklärt sie aus Krampf der Bronchialmusculatur (warum wäre aber
nur circumscripter und doch continuirlicher , Tage lang dauernder Krampf da).
(Die Wirkung der Emetica wurde auch so erklärt, durch Behebung des Spasmus.)
Wichtiger ist wohl die Schwellung der Bronchialschleimhaut; das Lumen des
Bronchus ist in Falten gelegt. Die Lungenalveolen spielen dabei folgende Rolle:
bei der croupösen Pneumonie finden wir lymphatische Zellen und das zierliche
Faserstoffnetz, das später verschwindet. Diese Netze sehen wir bei der catarrha-
lischen Pneumonie nur äusserst selten, dagegen im Anfang constant grosse ovale
Zellen mit einem schönen Kern, die in manchen Fällen die Alveolen vollständig
ausfüllen. Die Einen hielten sie für Alveolarepithelien, die Andern für von aussen
eingewandert (BuhC s Desquamativpneumonie). Friedländer konnte diese Zellen, bei
nicht entzündlichem Process, auf künstlichem Wege durch Einbringung von Wasser,
Leim u. s. f. in die Alveolen in normalen Lungen hervorbringen. Es sind also die
normalen Epithelien, nur durch Befeuchtung gequollen.
Aetiologisch wird auch der Schluckpneumonie Erwähnung gethan , die
entsteht, wenn Speisen in die feinen Bronchien hineingerathen. Ob parasitäre
Vorkommnisse für sich allein catarrhalische Pneumonie anzuregen im Stande sind,
ist noch nicht festgestellt; diphtheritische Pneumonie kommt dagegen ohne Zwei¬
fel vor.
Ausgang in Lungengangrän selten, auch nicht häufig in die diffuse oder in¬
terstitielle Pneumonie. Dabei wird das Exsudat chronisch, es bildet sich Binde¬
gewebe zwischen den Alveolen, den Gefassen entlang und die Bronchien werden
dadurch ausgeweitet. Sehr häufig ist der Ausgang in Verkäsung, wenn man Ge¬
legenheit hat, die Fälle über Monate und Jahre hinaus zu verfolgen, ein Ausgang,
der gewiss oft vermieden werden könnte, wenn die Pat. frühzeitig in Behandlung
kämen, sorgfältig verfolgt und gepflegt und gegen schädliche Einflüsse geschützt
würden.
Therapie. Blutentziehungen hat W. noch nie gemacht, und verlässt sie ganz,
weil Blutverlust für nachher, namentlich bei der chronischen Form, nur nachthei¬
lig sein kann. Vesicantien (Frankreich) sind kaum im Stande, die Entzündung zu
beschränken, die Wunden werden bisweilen diphtheritisch und nehmen immer durch
Eiterung die Kräfte in Anspruch. Die Prophylaxe ist ziemlich geklärt. Sehr
wichtig ist die sorgfältige Behandlung der Bronchitis catarrhalis. Die locale Anti-
phlogose ist wichtiger als die allgemeine, weil das Fieber nicht sehr hoch und
immer remittirend ist. Von grosser Bedeutung ist die Hebung der Kräfte. Be¬
handlung der Bronchitis: Calomel und Brechmittel sind als Mittel gegen die aus¬
gebildete Cat Pneumonie zu omittiren, dagegen sind im Beginn und gegen weitere
Ausbreitung Brechmittel zuweilen indicirt und von gutem Erfolg. Inhaliren von
warmen Dämpfen, Aufenthalt im gleichmässig gewärmten Raum, aber doch gut
ventiliren. Lieber ein Fenster einschlagen, als den Kranken in verpesteter Luft
lassen {Jürgenteriz Dampfzelt). Ipecacuanha ist als Expectorans in kleinen Dosen
empfehlenswertb, dann kohlensaure Alcalien und reizende Expectorantien: Infus.
Senegse, kohlensaures Ammon, und Excitantien. Hydropathische Einwicklungen
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(von Bartels eingeführt) sind das sicherste Mittel gegen die Ausbreitung des Infil¬
trates, vermindern die Hyperaemie der Lungen und setzen die Temperatur herab,
wirken einerseits beruhigend, und andererseits, weil die Kinder beim Einwickeln
oft schreien, regen sie kräftige Inspirationen an und wirken als Expectorans. Steffen
sagt, die Eisblase sei einfacher und zweckmässiger. Man findet aber oft grossen
Widerstand und kann bei kleinen Kindern leicht Collapsus bekommen. Jürgensen
gibt Bäder von 25° mit kalten Begiessungen auf die Medulla; es ist dies aber eine
barsche Procedur und jedenfalls nur für äusserste Fälle zu reserviren. Digitalis
ist im Kindesalter gefährlich und soll als reguläres Mittel ausgeschlossen sein.
Vorzuziehen ist Chinin, das namentlich bei den Keuchhustenpneumonien vorzügliche
Dienste leistet, besonders bei abendlichen Exacerbationen. Salicylsäure und ihre
Salze haben keine Vorzüge, machen aber leicht Diarrhoe.“
Dr. Rahn-Escher empfiehlt Apomorphin als sehr prompt wirkend.
Prof. Wyss zieht Ipecac mit Tart. stib. vor, weil Apomorphin sehr gefährlichen
und sogar tödtlichen Collaps herbeiführen kann.
Vortrag von Prof. Rose über Verengerung der Luftröhre (mit De¬
monstrationen). Der Vortragende lenkt die Aufmerksamkeit auf die Kropfkrank¬
heit, welche ihm selbst am meisten eine neue war. Während er vor seiner Her¬
kunft ausser dem bejammernswerthen Anblick Schönleiris in seiner letzten Zeit nie
davon etwas gesehen, nie einen Kropf unter den Fingern gehabt hat, hat er ja
schon bei einer andern Gelegenheit die grossen Hindernisse, auf welche die Ein¬
bürgerung der Tracheotomie in Zürich so lange gestossen ist, durch die Thatsache
erklärt, dass die Schilddrüse eines jeden gebornen Zürchers bedeutend grösser ist
als anderwärts.
Eine Ausnahme davon ist ihm bis jetzt nicht vorgekommen. Diese grosse
Verbreitung des Kropfs mag es erklären, dass man seinen Gefahren gegenüber viel
zu gleichgültig ist, mehr als es sich rechtfertigen lässt. Das mannigfache Unglück,
von dem er Zeuge gewesen, veranlasst ihn, die Sache zur Sprache zu bringen, um
die Collegen vor ähnlichen bösen Ueberraschungen zu schützen. Nachdem er eine
Reihe von doch sehr zweifelhaften Puncten aus den herrschenden Ansichten über
den Kropf hervorgehoben, und erwähnt wie Billroth und Lücke besonders zur Ex¬
stirpation Kropfknoten empfehlen, welche gestielt sind und keine Dyspnoe machen,
sucht er auseinander zu setzen, dass die Kropfexstirpation bei ihrer Gefahr nicht
aus cosmetischen Gründen gemacht werden solle, sondern umgekehrt als lebens¬
rettende Operation Menschenpflicht sei.
Rose hat am Operations- und Sectionstisch folgende Erfahrungen gemacht.
Das erste Stadium ist die Compression der Trachea, mit oder ohne Dis¬
location derselben. Im kindlichen Alter lässt sich das Lumen der normalen Trachea
auf Null reduciren, beim Erwachsenen ist dies nicht möglich ohne Fractur. (Der
Vortragende weist eine Trachea vor, an der bei diesem Versuch zahlreiche Frac-
turen entstanden sind. Casper sagt zwar, alle Fracturen der Trachealringe seien
antemortah postmortal sei es unmöglich.) Ferner findet man schon in diesem Sta¬
dium in der Regel Dilatation des rechten Herzens und rechten Vorhofes (ohne
Klappenfehler und ohne Emphysem) und die Trachealstenose ist Ursache davon.
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Eine arterielle und venöse Form gibt es nicht, Druck auf die Halsgefässe finden
in der Regel nicht statt. Eine aneurysmatische Form des Kropfes gibt es wohl
und besteht er dann fast allein aus dilatirt fühlbaren Arterien. Jeder Kropf ist
venös, und die Venen werden immer ausgedehnter, je mehr die Luftröhre leidet,
einfach in Folge der Aspiration des Blutes. Es findet eine übermässige Einziehung
des Blutes in die Herzgef&sse statt und dadurch wird der rechte Ventrikel ausge¬
dehnt. Es wird immer gewaltsam inspirirt, weil die Trachea zu eng ist R. zeigt
ein Herz vor von einem mit Kropf behafteten Individuum, der im Leben nie Be¬
schwerden von Seite des Herzens geäussert hatte, der sich aber durch Ueberar-
beitung des Herzdhs eine enorme Dilatation des rechten Ventrikels und Vorhofs
erworben hatte: mit hochgradiger Atrophie der Wandungen. — Hat die Compres-
sion eine Zeit lang eingewirkt, so gibt es eine weiche Stelle an der Luftröhre, die
leicht eingedrückt wird. Es sind dies die Fälle von Kniekstenose, wo man
bei der Section oft* gar keine Stenose findet. R. macht hier aufmerksam nuf eine
zweckmässige Abänderung in der gewöhnlichen Sectionstechnik. Man sollte immer
Kehlkopf sammt Trachea bis zur Bifurcation herausnehmen. Hält man nun den
Larynx, so dass die Trachea senkrecht nach oben steht, so wird eine normale
Trachea nie umknicken, während bei einer Kniekstenose die Trachea sofort durch
Einsinken an der schwachen Stelle umklappt, weil sie keinen Halt hat. Solchen
Leuten kann man mit einem Schieihacken die Trachea auf Null reduciren. Schon
bei solchen Knickstenosen kommt es vor, dass die Leute einem in der Narcose
plötzlich sterben. R. machte eine kleine Operation am Hals und als sie schon voll¬
endet war, wurde Pai umgedreht und starb momentan, weil er einen dilatirten und
atrophirten rechte» Ventrikel hatte. Schon nach einer Secunde sah er schwarz aus
wie Tusch. Noch gefährlicher sind die Fälle, wo die Erweichung sich auf die
ganze Trachea fortgesetzt hat, sie wird schlapp wie ein Band und R. bezeichnet
sie deswegen als Bandstenosen. Demme’s starre Säbelscheidenstenosen existi-
ren wohl, machen aber ohne diese Erweichung oft gar keine Beschwerden. Diese
Leute athmen nur noch musculär, und klagen deswegen Abends immer über Engig¬
keit, wenn die Muskelthätigkeit herabgesetzt ist, aus demselben Grunde auch Re-
convalescenten von schweren Krankheiten, namentlich nach Typhus. Und wenn
sie einem bei einer Operation plötzlich sterben, so geschieht dies nicht wegen ca-
tarrhalischer Schwellung der Partien und nicht wegen venöser Fluxion (Virchow),
sondern es liegt eben daran, dass man den Leuten den Hals umdreht. Klopf und
Hals müssen immer in einem gedreht werden, so dass noch ein Lumen in der
Trachea bestehen bleibt Diese Leute athmen willkürlich mit abnormer Muskel¬
anstrengung, um die weiche Stelle auszugleichen, und es kann dies so weit gehen,
dass sie nur noch eine „letzte Stellung“ haben, in der sie athmen können.
Nachträglich können die weichen Knorpel noch eburniren (ähnlich wie bei
Rhachitis), und dann bekommt der Patient eine feste Strictur. Es ist dies aber
selten.
Der Vortragende weist ein Präparat vor von einer substernalen Struma, wo
die musc. sterno-thyreoid. tiefe Furchen in die Struma eingedrückt hatten.
R. hält die totale Kropfexstirpation für ebenso nothwendig als die Tracheoto-
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mie beim Croup. Sowie es sich um junge Leute mit den Erscheinungen der Band¬
stenose handelt, so führt er zuerst die Tracheotomie aus und zwar die Tracheo-
tomia externa (analog der Urethrotomia externa) und legt die Canüle in die enge
Stelle ein. Dieselbe muss so lange getragen werden, bis die Orthopädie der Tra¬
chea ihren Zweck erfüllt hat. Bei Erwachsenen muss in diesen Fällen die Total¬
exstirpation ausgeführt werden. Allerdings ist die Mortalität bis jetzt 40%, doch
ist die Statistik schon bedeutend besser wie früher. Die Pat sterben meist an
acut-purulentem Oedem in der Form der Mediastinitis, weil der Eiter aspirirt
wird. Auch deshalb sollte vor der Exstirpation immer die Tracheotomie ausge-
fdhrt werden.“
Es folgen die Wahlen des Bureau, und es werden mit Einmuth wiedergewählt:
Dr. C. Zehnder als Präsident, Dr. Wilh. o. Muralt als Actuar und Dr. H. J. Billeter als
Quästor.
Dr. Meyer-Hoffmeiiter referirt über die von der Gesellschaft herausgegebenen
Blätter für Gesundheitspflege und legt ihr im Namen des Comitü folgen¬
den Antrag vor:
1) Die Gesellschaft der Aerzte des Cantons Zürich bevollmächtigt das Redac-
tions-Comitü der Blätter für Gesundheitspflege, die Herausgabe des 6. Jahrgangs
für das Jahr 1877 auch ferner im Namen der Gesellschaft zu übernehmen.
2) Die allenfalls jährlich sich ergebende die Ausgaben für das Unternehmen
übersteigende Mehreinnahme soll nicht mit dem allgemeinen Gesellschaftsfond ver¬
mischt werden, vielmehr als eine zur Förderung des Unternehmens dienende Re-
servecasse von dem Redactionscomitä besonders verwaltet werden. Bei der jähr¬
lichen Vorlegung der Gesellschaftsrechnung soll der Gesellschaft zu gleicher Zeit
Bericht über den Fortgang des Unternehmens, sowie Rechenschaft über die finan-
ciellen Verhältnisse desselben ertheilt werden.
Diese besondere Rechnung wird der allgemeinen Gesellschaftsrechnung als
Anhang beigefügt
3) Die für die Redaction der Blätter nothwendigen litterarischen Hülfsmittel,
für deren Anschaffung die Einnahmen jener verwendet werden, sind Eigenthum der
Gesellschaft. — Ein Verzeichniss dieser Schriften wird im Archiv der Gesellschaft
niedergelegt.
Ohne Discussion werden diese Vorschläge angenommen.
Dr. R. Bleuler berichtet über die Jahresrechnung, und die Gesellschaft stimmt
seinem Antrag bei, dieselbe dem Quästor mit bestem Dank abzunehmen.
Wegen vorgerückter Zeit (3 Uhr) können die übrigen Tractanden nicht mehr
behandelt werden. Es wird nur noch auf Bestimmung des nächsten Versamm¬
lungsortes eingetreten und als solcher auf Antrag von Dr. Rahn-Escher Meilen
erwählt.
An dem darauf folgenden Bankett auf der „Meise“ nahmen circa 50 Mitglieder
Theil.
Der Actuar:
Dr. Wilh. v. Muralt
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Referate und Kritiken.
Mittheilungen Uber 50 Typhusfälle.
Von Dr. A. Vogel, Stabsarzt in München. München, Verlag von Finsterlin, 1876.
In einer kleinen Brochure theilt Verf., Stabsarzt in München , die Resultate seiner
sorgfältigen an Ö0, im münchener Garnisonslazareth verpflegten Typhuskranken angestell-
ten Beobachtungen mit Die Temperaturverhältnisse, auf welche Verf. sein Hauptaugen¬
merk richtet, wurden durch zweistündlich vorgenommene Messungen in ano festgestellt
und sofort bei erreichter Temperatur von 39,5° C. ein kaltes Bad gereicht. In einer
Curventafel veranschaulicht er die Temperaturschwankungen, indem er Tagesdurchschnitts¬
temperaturen aus 12 Messungen in 24 Stunden berechnet. Bei dieser Berechnungsweise
und Aufzeichnung ergibt sich eine von den gewöhnlichen Temperaturcurven abweichende
Form, indem die mit in Rechnung gezogenen kleinern oder grössern Thäler der vorzugs¬
weise durch Bad Wirkung erzeugten zwei- oder dreigipfligen Wellen je eine an- oder ab¬
steigende Linie des Gesammtganges der Temperatur des einzelnen Krankheitsfalles bedin¬
gen, während die exclusive Beachtung der oft längere Zeit stationär bleibenden Exacer-
bations-Höhen oder Remissions-Tiefen die prognostisch wichtige Figuration der an- oder
absteigenden Curve im Gesammtverlaufe unbeachtet lässt.
Die Temperaturtafel enthält nun in 4 Reihen (Serie 1 —4) ebenso viele Gruppen von
Typhen, welche in den Temperaturverhältnissen, der Dauer des Höhenstadiums, der ge¬
ringem oder höhern Intensität der Cerebral-, Bronchial- und Iotestinalerscheinungen un¬
tereinander graduell differiren.
Dabei Anden sich sehr zweckmässige Zusammenstellungen, welche enthalten:
1. Die berechnete Durchschnittstemperatur, in welcher jeder einzelne Fall i. e. sein
Stadium der Acme verlaufen ist: Medium des Gesammtverlaufs.
2. Die Durchschnittstemperatur sämmtlicher Exacerbationen jedes einzelnen Falles:
Medium der Exacerbationen.
3. Die Durchschnittsiemperatur sämmtlicher Remissionen des einzelnen Falles: Me¬
dium der Remissionen.
4. Die Gesammtzahl der Diarrhoeen des einzelnen Falles.
5. Die durchschnittliche tägliche Urinmenge des einzelnen Falles.
Die ganze 8chrift zeugt von grossem Fleiss und Genauigkeit in der Beobachtung des
Krankheiteverlaufes sämmtlicher Fälle und dürfte namentlich die sehr compendiöse und
übersichtliche Form, in welche die einzelnen Krankengeschichten zusammengedrängt sind,
ohne dass dem Wesentlichsten und Wissenswerthesten irgend Eintrag gethan wird, als
nachahmungswerth empfohlen werden. Auch die Berechnungsweise von Tagesdurch¬
schnitts temperaturen gibt über den Verlauf jedes einzelnen Falles ein anschauliches und
übersichtliches Bild. Dr. A. Fehr.
Bericht der Sanitäts-Commission des Gemeinderathes der Stadt Bern Uber die Typhus-
Epidemie im Winter 1873/74.
Von Dr. A. Wyttenbach.
Wie Verfasser gleich Anfangs seines Berichtes bemerkt, so befasst sich derselbe bei¬
nahe ausschliesslich mit der Besprechung der Aetiologie und Veibreitungsweise der be¬
treffenden Typhusepidemie. Die in diesen Fragen herrschenden wissenschaftlichen Con-
troversen sind in keiner Weise berührt und die aus einer sorgfältigen Untersuchung sich
ergebenden Resultate ganz objectiv niedergelegt.
Zuerst verbreitet sich der Bericht ausführlich über die Ausdehnung der Epidemie.
Aus den Mortalitätstabellen von den Jahren 1855—1873 wird nachgewiesen, dass Bern
in den letzten 2 Decennien alljährlich eine nioht geringe Zahl von Erkrankungen an Ty¬
phus hatte, doch hatte sich mit Ausnahme des Winters 1866/67 während dieses Zeit¬
raums nie ein eigentlich epidemisches Auftreten dieser Krankheit gezeigt.
Im October 1873 dagegen verhielt sich dasselbe ganz anders, indem vom 13. October
weg, welcher Tag als der eigentliche Beginn der Epidemie angesehen werden muss, bis
den 7. Januar 1874 als Schlusstag bei einer annähernden Bevölkerung von 38,000 Ein¬
wohnern nicht weniger als 355 Erkrankungen (oder 9,34°/o 0 ) vorgekommen sind, also auf
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107 Einwohner je ein Fall. Die Mortalität betrug 36 Fälle, also beinahe ein Todesfall
auf 10 Erkrankungen.
Obschon viele Kinder erkrankt waren, sind doch blos wenige der Seuche erlegen.
Männer und Weiber wurden ziemlich gleichmässig befallen. Auch in Bezug auf die so¬
cialen Verhältnisse liess sich kein Einfluss auf die Empfänglichkeit für das Contagium
nachweisen; ebenso wenig liess sich herausfinden, dass einzelne Berufsarten besondere
Empfänglichkeit oder Immunität gegen die Seuche geboten hätten. Der Typhus trat fer¬
ner annähernd gleichmässig in guten und schlechten Wohnungen auf. Directe Contagion
liess sich von sämmtlichen Fällen blos in 75 nachweisen.
Von Neuem bestätigte sich bei dieser Epidemie die Erfahrung, dass unordentliche
Lebensweise, speciell Trunksucht, die Krankheitserscheinungen um Vieles intensiver auf-
treten und die Prognose ungünstiger werden liess.
Alle diese Verhältnisse, sowohl in Bezug auf die Daten der einzelnen Erkrankungen
als auf Alter, Geschlecht und Wohnung der Erkrankten sind am Schluss in sorgfältig
ausgeführten Tafeln (I a. und I b., II., III, 1 und 2) sehr übersichtlich zusammengestellt
Auch ein Stadtplan, in dem alle inficirten Häuser angemerkt sind, ist beigefügt
Im zweiten Abschnitt unterzieht der Verf. die vor und während der Epidemie in
Bern herrschenden meteorologischen Verhältnisse einer sorgfältigen Untersuchung. Das
Ergebniss derselben ist, dass von Ende September bis 18. October keine sehr auffälligen
Barometerschwankungen beobachtet, dagegen aber bis Ende December dann diese bedeu¬
tender wurden (grösste Schwankung den 30. November, 9,1 mm.); dass aber, obschon
diese Differenzen im atmosphärischen Druck zu den bedeutenderen gehören, dieselben
für Bern nicht als seltene oder ausserordentliche angesehen werden können. Während
der Zeit der grossen Barometerschwankungen vom 24.-28. October herrschte nach den
Aufzeichnungen der Sternwarte durchaus nicht etwa Windstille; der Luftwechsel wurde
durch den vornehmlich herrschenden Westwind wesentlich begünstigt, dagegen war das
Barometer hoch bis zum 2. October, sank dann aber stetig bis zum 30. October. In
diesen Tagen war somit allerdings der sinkende Barometerstand einem Austritt der Boden¬
gase günstig und die ebenfalls abnehmende Windstärke förderten die Entfernung der aus¬
getretenen Luftarten wenig. Als aber am 28 October das Barometer von Neuem zu
sinken begann, trat ein kräftiger N, NO und OWind ein und entfernte leicht die hei ver¬
mindertem Luftdruck aufsteigenden Gase.
Da sich der Verf., ohne nähere Gründe dafür anzugeben, überzeugt hat, dass weder
die Temperatur der Luft, noch die atmosphärischen Niederschläge, noch die Schwankun¬
gen des Grundwassers in einem cauBalen Momente zu dieser Typhusepidemie stehen, so
geht er nicht näher auf die Besprechung dieser Verhältnisse ein. Ein weiterer Beweis
für diese Ansicht scheint dem Verf. auch in der örtlichen eigenthümlichen Verbreitungs¬
weise zu liegen, indem einzelne Stadttheile, welche mit den mehr oder weniger schwer
heimgesuchten hinsichtlich des Grundes, des Grundwassers der Wohnungen etc. ganz ana¬
loge Verhältnisse zeigen, von der Epidemie gänzlich verschont blieben, während doch die
Schwankungen des Atmosphärendruckes für alle diese Quartiere gleiche sein und auf die
Qualität der Athmungsluft den nämlichen Einfluss ausüben mussten.
Unter diesen Umständen schien es dringend geboten, nachzuforschen, ob nicht viel¬
leicht im TrinkwaBser die Ursache des Typhus zu finden sei, und dieses Untersuchungs-
ergebniss nimmt den dritten Theil des Berichtes ein. Gleich von Anfang der Epidemie
an war die Beobachtung gemacht worden, dass namentlich in Häusern, in welchen aus
der Gasei-Schlieren-Leitung stammendes Wasser benutzt wurde, Typhusfälle vorkamen,
sowie dass Quartiere, welche ausschliesslich oder fast ausschliesslich auf anderes Trink¬
wasser als dasjenige von Gasei und Schlieren angewiesen waren, von der Epidomie ver¬
schont blieben. In Tabelle Nr. 3 sind diese Verhältnisse veranschaulicht. Tabelle 5 und
6 wurden construirt, um zu zeigen, dass in den ersten Wochen der Epidemie die Gasel-
wasserhäuser vcrhältuissmässig zu den übrigen noch mehr Erkrankungsfälle hatten , als
in den spätem Wochen, wo dieser Unterschied mehr und mehr verschwindet und allmälig
ganz aufhört.
Angestellte Berechnungen ergaben, dass unter den Erkrankten Anfangs 50%) später
76% und darauf wieder 79% Gaselwaaser-Consumenten sind, mithin über %, während
kaum % sämmtlicher Bewohner der Gemeinde Gaseiwasscr als Trink wasser benützen.
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Auch die Aussengemeinden zeigten ganz gleiche Verhältnisse, indem fast ohne Aus¬
nahme sämmtliche Typhusfälle in Quartieren sich zeigten, welche vorzugsweise auf Gasel-
wasser angewiesen sind, wie die Lorraine, die Länggaase, die Villette und das Stadt¬
bachquartier.
Am 6. November fand daher eine Begehung des Quellengebietes dieser Leitung von
Seiten der Sanitätscommission statt. Die Mehrzahl der Brunnenstuben und das grosse
Reservoir wurden in Augenschein genommen und den im Quellengehiete vorkommenden
Terrain-, Cultur- und BewohnungsVerhältnissen die nöthige Aufmerksamkeit gewidmet;
schliesslich wurden auch an 6 verschiedenen Puncten der Leitung Wasserproben zum
Behufe chemischer Untersuchung entnommen.
Die Untersuchung ergab, dass es allerdings sehr wahrscheinlich sei, dass an einer
Stelle das Wasser einer Nebenleitung beim Durchgang durch ein Torfmoos und an zwei
andern Stellen in schlecht gelegenen Brunnenstuben durch Jauche verunreinigt worden
sei, dass dagegen das Reservoir auf dem Könitzberge und alle andern Brunnenstuben sich
in einem ganz mustergültigen Zustande befinden. Auch die chemische Untersuchung be¬
stätigte, dass im Herbst 1873 an einzelnen Orten des Quellengebietes wirklich Verunrei¬
nigungen vorgekommen seien, dass dagegen dieses Wasser im Allgemeinen, bei sorgfäl¬
tiger Ueberwachung der Leitung, ein gutes Trinkwasser genannt werden dürfe. Dieser
letztere Satz wurde namentlich durch eine zweite im Januar 1874 vorgenommene Ergän-
zungsuntersuchung bestätigt. In Tabelle Nr. 10 sind die Resultate sämmtlicher chemischer
Untersuchungen zusammengestellt.
Bei dieser Typhusepidemie konnte also allerdings constatirt werden, dass Verunrei¬
nigungen der Zuleitungen mit organischen Abfallstoffen eingetreten waren, dagegen konnte
nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden, dass eigentliche Typhus-Contagiums-Stoffe in
das Wasser gelangt seien. Dessenungeachtet wird bei unparteiischer Prüfung aller That-
sachen das Causalverhältniss zwischen Typhusepidemie und Gaseiwasser kaum bestritten
werden können.
Zum Schlüsse spricht sich der Bericht noch über die Wasserverhältnisse der Stadt
Bern im Allgemeinen aus und empfiehlt namentlich den Grundsatz zur Beherzigung, der
mit goldenen Buchstaben un vielen Thüren von Gemeindehäusern geschrieben werden
sollte, den Wald zu schonen, mehr Waldculturen in der Nähe der Städte anzulegen und
besonders das Trinkwasser, wenn immer möglich, nur aus Quellengebieten zu beziehen,
welche fern von allen landwirtschaftlichen Einflüssen im frischen grünen Wald entsprin¬
gen und denen das herrliche Nass hell und klar, wie es Mutter Natur uns schenkt, ent¬
quillt. Dr. A. Fehr.
Handbuch der Staatsarznei künde für Aerzte, Medicinalbeamte und Gesetzgeber.
Bearbeitet von L. Krahmer , Kreisphysicus und Professor. Zweiter Theil, Hygieine.
Halle a. 8., Lippert’sche Buchhandl. 1876.
Die Hygieine ist rasch ein Lieblingsthema geworden für Besprechungen in ärztlichen
und nicht ärztlichen Kreisen und für medicinisch-litterarische Bestrebungen. Es fühlen
sich sehr viele Leute berufen, in dieser Materie thätig zu sein, ein Beweis, dass es mit
den tatsächlichen Verhältnissen in derselben noch schlecht stehen muss. Gerade dieses
736 Seiten umfassende Werk bringt uns wieder so recht zur Erkenntniss, wie wenig auf
diesem Gebiete feststeht und wie viel noch zu leisten übrig bleibt.
Dass der Verfasser, der eine laugjährige Erfahrung als Arzt, Physicus und Profes¬
sor hinter sich hat, sich veranlasst sah, ein solches Werk zu schreiben, ist begreiflich;
es trägt aber auch dasselbe ganz das Gepräge einer selbstständigen Anschauung und
Ueberzeugung, die vielfach mit den currenten Ansichten in Widerspruch stehen. Es ist
dieses auch der Grund, warum das Volumen so angewachsen ist und etwas im Wider¬
spruch steht mit dem, was als feststehend geboten wird. Auf der andern Seite müssen
wir anerkennen, dass der Verfasser als erfahrener Arzt sich erweist, wenn er in einzel¬
nen Capiteln mit wenigen Worten die unreifen modernen hygieinischen Theorien abfertigt
Das Buch zerfällt in zwei Abtheilungen:
L Die allgemeine Gesundheitslehre oder Theorie des medicinischen Wohllebens.
IL Die allgemeine Gesundheitspflege oder die Lehre von der Verwendung medicini-
scher Mittel zur Verwirklichung des öffentlichen Wohllebens.
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Ia der ersten Abtheilung wird das Leben des Kindes und des Erwachsenen nach
allen Richtungen besprochen und auch der Schulhygieine die gebührende Berücksichtigung
gewidmet Verfasser glaubt, die so häufig vorkommende schiefe Haltung der Mädchen
rühre weniger von fehlerhaften Schultischen und Bänken her als vielmehr von schlecht
gemachten die Brust beengenden Kleidern und vom Anhängen schwerer Schulmappen
am Arme. Bei dem Capitel Ernährung stimmen wir dem Verfasser vollkommen bei,
wenn er den kindlichen Neigungen und Abneigungen in dieser Richtung ihre Rechte ein-
räumt; das kindliche Leben soll nicht zum Versuchsthier-Dasein werden, sondern das
Kind soll sich seinen N, C u. s. w. in der ihm gefälligen Form wählen. Bei Bespre¬
chung der einzelnen Nahrungsmittel geht Verfasser im Artikel „Milch“ etwas zu leicht
über die Gefahren hinweg, welche den Menschen von Seiten kranker Kühe drohen kön¬
nen, da hat man doch sehr unangenehme Erfahrungen gemacht
In Bezug auf Schutzmittel gegen Volkskrankheiten bekennt sich der Verfasser als
Ungläubiger, so sagt er an einer 8telle: „Für Zeiten der Aufregung durch gegenwärtige
Noth wirkt Rath und Belehrung viel zu langsam. Dem Andrängen einer unverständigen
Menge ist meistens kein Widerstand zu leisten. Man muss also Sorge tragen , zur Be¬
ruhigung der öffentlichen Meinung gewisse hygieinische Schwindeleien und Schein-Schutz¬
maassregeln ins Werk zu setzen. Bessere Einsicht soll aber weder die öffentlichen
Wahnvorstellungen bogünstigen, noch den öffentlichen Wohlstand schädigen. Schwindel
darf nur Nothbehelf bleiben, darf nie zum Principe werden.“
Zur zweiten Abtheilung, in welcher die Mittel zur Verwirklichung des Öffentlichen
Wohllebens (Luft, Wohnung, Verkehrsleben u. s. w.) besprochen werden, haben wir keine
Bemerkung zu machen; wir erwähnen nur, dass im deutschen Reiche gegenwärtig fac-
tische Widersprüche bestehen zwischen der Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869, den
M.-R. vom 21. 8eptember 1872 und 4. Januar 1875 und den §§ 867 und 469 des Straf¬
gesetzbuchs. Was die eine Verordnung oder Gesetz zulässt, wird nach einem Paragraph
oder Passus des andern bestraft Diese unklaren Puncte müssen jedenfalls bald beseitigt
werden. C.
Die klimatischen Curorte der Riviera, Mittel- und Unteritaliens.
Empirisch dargestellt von J. Schulze. Ein Katechismus für Brustleidende. Frankfurt a. M.,
J. D. Sauerländers Verlag, 1875. 84 S. mit 4 meteorologischen Tabellen.
Beim Beginne der klimatischen Wintersaison dürfte es am Platze sein, die den nor¬
dischen Winter fliehenden Brustleidenden auf diese Schrift aufmerksam zu machen , in
welcher ihnen ein — wie es scheint — selbst kranker, aber gut beobachtender Laie für
die Vorbereitungen zu ihrem Winteraufenthalte, für die Reise, die Wühl des Curortes
und der Wohnung daselbst und für die ganze Lebensweise im Süden, ferner Uber die
materielle Unterkunft und den Kostenpunct eine Reihe von Rathschlägen und Winken
gibt, wie sie in solcher Ausführlichkeit und Genauigkeit bis in’s kleinste Dötail hinein
der heimische Hausarzt kaum zu geben im Stande ist. Und doch hängt gar oft der Er¬
folg oder Misserfolg der Cur von der Beobachtung solcher hygieinischer Verhaltungs-
maassregeln ab. — Für Aerzte freilich ist das Büchlein, das sich „Katechismus für Brust¬
leidende vom empirischen Standpuncte aus“ nennt, weniger berechnet. Wie ja auch
sonst Curgaste für die Orte und Pensionen, die ihnen durch eigenen längern Aufenthalt
heimisch geworden, einseitig Partei zu ergreifen pflegen und über deren Concurrenzorte
vieles Ungünstige zu berichten wissen, so schwärmt auch Verf. für einen sehr beschränk¬
ten, den mehr von seinen Landsleuten bevorzugten Süden. So werden unter den „war¬
men, trockenen, vorherrschend irritant“ wirkenden Curorten vorzugsweise nur Mentone und
8. Remo eingehender behandelt, unter den „mässig warmen, feuchten, vorherrschend nie¬
derschlagend“ wirkenden nur Venedig, Pisa und Rom und als „sehr warme, mässig
feuchte“ Orte nur Nervi, Catania. Palermo und Syracus besprochen, dafür aber Meran
und Davos die Berechtigung als Wintercurorte bestritten, auch Pau und Cannes als zu
kalt für Kranke bezeichnet, Nizza als ein reiner Vergnügungsboulevard abgethan (freilich
nicht ganz ohne Recht), Ajaccio ignorirt und auch Cairo, Algier, Malaga und Madeira
als unerreichbar übergangen. — Auch die Tabellen, welche die Temperaturschwankungen
je eines nördlichen und eines südlichen Ortes hübsch und übersichtlich zusammenstellen,
können auf Genauigkeit nicht Anspruch machen. Sind ja darin Temperaturen verschie-
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dener Orte mit einander verglichen, die zu verschiedenen Stunden und nach ganz ver¬
schiedenen Methoden beobachtet waren, z. 6. die Aufzeichnungen von S. Remo früh 9
und Mittags 8 Uhr zusammengestellt mit denjenigen von Frankfurt a. M. früh 6 und
Mittags 2 Uhr! — Immerhin ist für den nichtmedicinischen Leser viel Interessantes und
Belehrendes in dem Büchlein enthalten und darf dasselbe schon wegen seiner auf Er-
fahrung beruhenden exacten Verhaltungsvorschriften Wintercurgästen im Süden bestens
empfohlen werden. _ Dr. Hägler.
W ochenbericht.
Schweiz.
Basel. Es freut mich, den Herren Collegen hiermit mittheilen zu können, dass
College Baader sich soweit wieder erholt hat, dass derselbe dermalen zur Cur in Weissen-
burg sich befindet. Hoffen wir, dass es dessen berühmten Heilmitteln gelingen möge,
den bewährten Freund und Collegen der Heilung entgegenzufUhren und diese ausgezeich¬
nete Kraft uns Allen zurückzugeben.
Basel. Den 18. August verstarb hier nach langem Krankenlager Dr. Oscar Cartier ,
Privatdocent und Prosector au der Universität, im Alter von 29 Jahren. Der Verstorbene
war stets ernster Natur und gehörte zu jenen Jüngern der Wissenschaft, die mit eiser¬
nem Fleisse ihren Aufgaben sich hingeben, und für die nur innerhalb des stillen Arbeits¬
zimmers die Freuden des Lebens blühen. Möge ihm die Erde leicht sein!
Bern. Herr Dr. M. v. Nencki, bisher - ausserordentlicher Professor für physiologische
Chemie, hat einen Ruf nach Krakau abgelehnt und ist in Folge davon zum ordentlichen
Professor ernannt worden.
Hedietnaleoneordat. Im Anschlüsse an ihre Besprechung über den letzt¬
jährigen Bericht des leitenden Ausschusses theilt die Schweiz. Wochenschr. f. Pharmacie
in Nr. 7 .Folgendes mit: „Leider fehlen uns die Daten über diejenigen Prüfungen, welche
in nicht dem Concordate angehörigen Orten durchgemacht wurden. Nach Allem, was wir
indirecte darüber vernommen, ist die Zahl der Fachprüfungen in diesen Cantonen eher
grösser als obige Zahlen (über die pharmaceutischen Concordatsprüfungen).
Ein Factum, welches aber ernste Bedenken in Betreff des Werthes der Prüfungen
in einzelnen Cantonen wachrufen muss, und welches, ein sehr bedeutsames Zeichen der
Zeit, die hohe Wünschbarkeit der baldigen Regelung dieser Angelegenheit durch das in
der neuen Bundesverfassung vorgesehene Bundesgesetz (zum Art. 83) in’s rechte Licht
zu stellen geeignet ist, ist folgendes:
Im November vorigen Jahres präsentirten sich in Lausanne (Waadt steht bekannt¬
lich ausserhalb des Concordates, stellt aber demselben ziemlich gleiche Anforderungen)
zwei Herren Ch. und Sch. zum pharmaceutischen Staatsexamen mit anderen Candidaten.
Dieselben wurden aber abgewiesen. Statt nun daraus die Lehre zu ziehen, dass sie mehr
lernen müssen, wussten diese beiden Herren besseren Rath. Sie reisten nach Sion und
siehe da, wenige Tage nachher, bevor die Candidaten, welche mit ihnen das Examen
begonnen, mit demselben fertig waren, spazierten die gleichen Herren schon nach absol-
virtem Examen mit dem walliser Apotheker-Patent wieder in Lausanne herum.“
Der C an ton Waadt kann nun diesen Herren die Ausübung der Pharmacie nicht ver¬
weigern. — Das projectirte Bundesgesetz, entworfen von Dr. F. Müller , macht diesen
Monstruositäten ein Ende, wenn es endlich einmal in den eidgen. Rathen zur Behandlung
kommt
Die Militärmedicamententaxe ist abermals revidirt worden und erfährt nun
in obiger Zeitschrift eine ziemlich günstige Beurtheilung.
Sehveli. Apothekerverein. Dieser Verein beschloss auf seiner letzten
Jahresversammlung in Lenzburg bezüglich des Haupttractandums, die Geheimmittel¬
frage, Folgendes: 1) Der schweizerische Apothekerverein erklärt seine volle Zustim¬
mung zu den auf gesetzliche Unterdrückung des Geheimmittelunwesens gerichteten Maass¬
nahmen und begrüsst die vom eidg. Departement des Innern bei den Cantonsregierungen
gemachte Anregung zur Bildung eines bezüglichen Concordates. 2) Der Vorstand wird
eingeladen, beim Departement des Innern dahin zu wirken, dass nach Zustandekommen
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eines Coucordates der Apothekerstand in einer zur Prüfung der Geheimmittel niederge¬
setzten Commission angemessen vertreten sein möchte.
Ausland.
Deutschland. Bedeutung des Blasensprunges bei Placenta praevia
lateralis. Prof. C. Schröder hielt in einem Vortrage, gehalten in der berliner Gesellschaft
für Geburtshilfe und Gynäcologie, an seiner schon früher geäußerten Ansicht fest, dass
die wesentliche Ursache der so gefährlichen Blutung in der Verschiebung der Uterus¬
wand am Ei bestehe, „wie sie während der Geburt bei intuctem Ei der Regel nach er¬
folgt und bei Placenta praevia vor dem Blasensprung wohl ausnahmslos eintritt.
Die Eröffnung des Muttermundes besteht ja gerade darin, dass das untere Uterinsegment
sich am Ei nach oben zurückzieht“.Die speciellen Verhältnisse über die Art der
Loslösung der Eihäute vom Uterus werden eingehend besprochen und das Verhältniss
der Abtrennung des untern Placentarsegmentes bei Plac. preev. lat durch 3 sehr instruc-
tive Abbildungen (Ende der Schwangerschaft, erweiterter Muttermund vor und nach dem
Blasensprung) illustrirt. Schröder kommt zum Schlüsse, dass die Hauptindicationea bei
Plac. prsev. lat in möglichst frühzeitig eingeleitetem Blasensprunge bestehe, da dann die
Placenta sich mit dem untern Uterinsegment zurückziehen kanu, d. h. sich nicht loslöst,
und so die Blutung ausbleibt. Es ist ja auch eine allen erfahrenen PraQtikern bekannte
Thatsache, dass in der Regel nach dem Blasensprunge die Blutung aufhört Sch. warnt
dabei vor dem Bestreben, die Geburt möglichst rasch, d. h. vor der nöthigen Erweiterung
der Geburtstheile zu beendigen. Er hält es für das Beste, möglichst bald die Blase zu
sprengen, durch combinirte Handgriffe einen Fuss herabzuleiten, sodann abzuwarten und
erst später die Expulsion durch vorsichtige Tractionen zu unterstützen.
(Zeitschr. für Geburtsh. und Gyn. Bd. I, Heft 2.)
Einige neuere Arzneimittel. Crotonchloralhydrat. R. Schrater hat
das Crotonchloralhydrat in einer grossen Zahl von Fällen theils rein; theils mit Chloral-
hydrat gemischt angewandt und nur günstige Erfolge davon gesehen. So erfolgte z. B.
bei einem an Meningit. simpl. leidenden Kinde durch 0,4 gmm. ein Schlaf von 8stündiger
Dauer. Im Allgemeinen beobachtete Sch. eine grössere Raschheit neben geringerer Dauer
der Wirkung gegenüber der des Chlorals bei entsprechender Dosis. Irgend welche nach¬
theilige oder selbst unbequeme Nebenwirkungen hat derselbe nie beobachtet, vielmehr fiel
sogar stets die nach Chloralgebrauch noch längere Zeit persistireode Benommenheit voll¬
kommen fort. Dies mag auch der Grund sein, weshalb seine Patientinnen das Croton¬
chloralhydrat viel lieber als Chloralhydrat einnahmen.
Am besten verschreibt man das Crotonchloral in folgender Form:
Rp. Hydrat. Crotonchlor. 16,0
Glycerini 30,0
Spir. rectificat 10,0
Aq. destillat. 90,0
Syr. Cort aurant. 10,0
M. D. 8. 1-2 Esslöffel.
Bromkalium, Bromnatrium und Chlornatrium gegen Epilepsie. A. Otto
und C. Stark erzielten folgende Resultate:
0. führt 33 Epileptiker an, deren Krankheitsdauer vor der Bromkaliumbehandlung
zwischen 5 Monaten und 20 Jahren variirte, und von denen '/, tägliche Anfälle, die übri¬
gen in längeren Intervallen bis zu 14 Tagen hatten.
Der Erfolg der Bromkalibehandlung war, dass bei 14 Kranken vom Tage der Medi-
cation an sich kein Anfall mehr einstellte und zwar bei den meisten während einer Dauer
von durchschnittlich 8 Monaten, nur bei 2 trat nach monatelangem Aussetzen der Anfälle
je 1 Anfall auf, als mau mit dem Mittel aussetzte. Auch in Zuständen von Melancholie
und Manie beobachtete Verf. bei 14 Kranken durch Bromkalium Beseitigung dieser psy¬
chischen Störung, soweit sie paroxysmeller Natur waren.
Insofern steht er nicht an, das Bromkalium als das souveränste Mittel gegen Epi¬
lepsie zu erklären. Als geringste Dosis bei Erwachsenen, von der man sich Erfolg ver¬
sprechen kann, bezeichnet Verf. 8—12 gmm. pr. die; und zwar beginnt er mit einer
vollen Dosis von 10 gmm. p. d. auf vier gleiche Theile vertheilt.
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Er bespricht sodann die in neuerer Zeit aufgeworfene Frage, ob das Brom oder das
Kali im Organismus wirke? Der Ansicht von Binz, der behauptet, dass nur das Kalium
es sei, was mit greifbaren Erscheinungen der Depression von Muskeln und Nerven uns
entgegen tritt, sowie der Meinung von Sander, der dem Chlorkalium die gleiche Wirkung,
wie dem Bromk&lium zuschreibt, ferner den Deductionen Steinauer's , der nur das freie
Brom im Organismus als wirksam anerkennt, tritt Otto mit Controlversuchen entgegen, die
er mit Chlorkalium, Bromnatrium und Bromkalium anstellte. Das Resultat war das er¬
wartete. Bromnatrium wirkte wie Bromkalium, Chlorkalium war wirkungslos. Wie Brom¬
kalium wirkte auch Bromwasserstoffsäure.
Verf. resumirt demnach, dass das Bromkalium die Erregbarkeit der Centralganglien,
sowie der peripherischen Nerven herabsetzt, und so hierdurch unmittelbar die epileptischen
Anfälle beseitigt.
Stark hat Versuche mit Chlorkalium und Bromnatrium angestellt, und zwar bei 10
Epileptikern mit 2,6 grnm. Chlorkalium beginnend, und bis 10 gmm. pro die aufsteigend
und bei 12 anderen Epileptikern, mit den gleichen Dosen Bromnatrium.
Das Resultat der Versuche war folgendes:
Das Chlorkalium übte nur einen sehr geringen Einfluss auf die epileptischen Anfälle
aus, denn nur bei 3 von den 10 Kranken trat eine schwache Verminderung der Anfälle
ein, bei den übrigen 7 Kranken waren die Anfälle sogar vermehrt. Hierbei hatte Verf.
Gelegenheit zu constatiren , dass das Chlorkalium durchaus nicht, wie Sander behauptet,
ohne schädliche Nebenwirkung ist, indem als Intoxicationserscheinungen Benommenheit,
Torpidität, Herabsetzung der Motilität, Erschwerung der Sprache und Appetitmangel auf¬
traten. Anders verhielt sich der Einfluss des Bromnatrium. Bei 9 von den 12 damit
behandelten Epileptikern trat eine ausgesprochene Besserung ein, nur bei 3 fehlte sie.
Deswegen glaubt Verf. mit Bestimmtheit aussprechen zu können, dass bei der Bromkalium¬
wirkung dem Bromcomponenten der wesentlichste Antheil zufällt, dass jedoch einerseits
aus der schwächeren Wirkung des Bromnatrium im Vergleich zum Bromkalium, und der
Uebereinstimmung der physiologischen Wirkung des Brom und des Kali andererseits, der
Schluss erlaubt sei, dass das Kali im Bromkalium die Bromwirkung unterstützt.
(Nach der deutschen med. Woch. aus der Zeitschr. f. Psych.)
Das Thymol ein Antisepticum und Antifermentativum. Dr. L. Lewin theilt in Vir -
chow's Archiv über das Thymol Folgendes mit:
Das Thymianöl (Thymus vulgaris) besteht neben einer geringen Menge von Cymol
aus einem Kohlenwasserstoff, Thymen, und einem sauerstoffhaltigen Körper der aromati¬
schen Reihe, dem Thymol. Letzteres, eine weiss krystallisirende Substanz, ist in Wasser
schwer löslich; eine Lösung von 1:1000 ist schon vollkommen gesättigt.
Nachdem das Thymol schon von anderer 8eite mit Erfolg in der Mundtherapie ver¬
wendet, auch in Bezug auf seine gährungswidrigen Eigenschaften untersucht war, unter¬
nahm es £., durch eine Reihe exacter Experimente, diesem Körper die ihm zukommende
Stellung in der Scala der antiseptischen Mittel zuzuweisen. Er stellte zunächst Versuche
an Über den Einfluss des Thymol auf die Trauben- und Milchzuckergährung. Die In¬
tensität der letzteren wurde nach dem Quantum freier C0 2 , oder nach der Reaction und
event Gerinnung der dem Versuch ausgesetzten Milch bemessen. Es stellte sich heraus,
dass schon eine '/i 0 procentige Thymollösuug genügt, um jene beiden Arten von Gährung
zu hindern oder in ihrer Entwickelung aufzuhalten, während Lösungen von Carbol- und
Salicylsäure weder in der gleichen noch in stärkerer Concentration den nämlichen Effect
hatten. L. erklärt daher mit Recht das Thymol für das wirksamste der bisher bekannten
Antifermentativa.
Weniger beweiskräftig Bind die Fäulnissversuche. Hier vermisst man die in den
Gährungsvereuchen so consequent gehandhabte Vergleichung mit anderen Antisepticis.
Immerhin wird zur Evidenz nachgewiesen, dass Thymollösung von 1:1000 jede Art von
Fäulniss zu unterdrücken und die Entwicklung von Pilzen fast vollständig zu verhindern
fähig ist.
Weitere Versuche betreffen die Wirkung des Thymol auf den thierischen Organis¬
mus. L. resumirt sie in folgender Weise: „1) Bei äusserer Application des Thymol in
Lösung (1:1000) auf die Froschhaut erfolgt eine Lähmung der peripheren Endigungen
der sensiblen Hautnerven. 2) Diese Amesthesirung der Froschhaut geht nach geschehe*
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ner Resorption resp. Diffusion des Thymol mit einer je naoh der Dauer der Einwirkung
auch in der Intensität verschiedenen Affection der unter der Haut gelegenen Theile, also
der oberflächlichen Muskeln einher.“
Bei Warmblütern (Kaninchen) werden sehr grosse innerliche Gaben von Thymol
(2—6 gmm.) ohne Nachtheil ertragen; die Diurese erscheint vermehrt. Auf frische
Wundflächen lassen sich Lösungen von 2—3:1000 anwenden, ohne Schmerzgefühl zu
erzeugen; die Schleimhäute werden dadurch adstringirt.
Hinsichtlich der Therapie verspricht L. baldigst eigene Versuche folgen zu lassen.
Zunächst empfiehlt er das Thymol für die antiseptische Wundbehandlung, ferner, aus
theoretischen Gründen, für abnorme Gährung und Dilatation des Magens, für Diphtherie
und „ähnliche auf Einwirkung lebender Organismen beruhende Krankheiten“, endlich für
die Bekämpfung von Hypeisecretionen der Schleimhäute.
Für die innerliche Dosirung eignen sich im Beginne Lösungen von % gmm.: 1000
Wasser, später solche von 1:1000, täglich zu 2—3 und mehr Esslöffel gegeben z. B.:
Rp. Sol. acid. thymici 0,1:100,0
Aq. flor. naph. 60,0
M. D. S. Mehrmals täglich 1 Esslöffel,
oder in Form einer Emulsion:
Rp. 8em. amygd. dulc. 20,0
F. C.
SoL acid. thymici (1:1000) 120,0
Emulsio, colat. adde
Syrup. sacch. 26,0
M. D. S. 2stündlich 1 Esslöffel.
Für den chirurgischen Verband genügt die gesättigte wässrige Lösung (1. 1000);
zum Reinigen schlechter Wundhöhlen sind stärkere alcoholische Lösungen erforderlich.
(Deutsche medic. Wochenschr.)
PUocarplum mnriaticam. Die Herren Dr. A. Weber (CentralbL für med.
Wissensch. 44, 1876), Dr. Curschmann (Deutsche Zeitechr. für pracl Med. pag. 64) und
Dr. E. Bardenhewer (Berl. kL W. Nr. 1, 1877) besprechen das* von der MerPschen Fabrik
hergestellte Pilocarpium muriaticum. 100 Kilogr. Pernambuco Jaborandi geben 60 gmm.
des genannten Alcaloides, weisses, crystallinisches Salz , leicht bitter und adstringirend
schmeckend, in gleichen Theilen Wasser farblos löslich; 0,02 kosten 70 Rppn. Pilocar¬
pium ist der Repräsentant der silagogen und diaphoretischen Wirkung der genannten
Drogue. Bereits 3—6 Minuten nach Einverleibung (subcutaner) von 0,6 Ccm. '/jproc.
Lösung beginnt vermehrte Speichelsecretion, überdauert die Schweisssecretion , welche
nach der nämlichen Dosis nur selten ausbleibt und circa 6 Minuten später beginnt, meist
stundenlang oder schlieBst mit derselben ab. Dauer der Salivation und Menge des ab-
fliessenden Speichels nehmen der Grösse der Dosis gerade proportional zu. Der Gewichts¬
verlust durch Schweiss qnd Speichel beträgt nach 2—3stündiger Wirkung 2—4 Kilogr.
Riegel constatirte durch sphygmographische Versuche ein bedeutendes Sinken der Arterien -
spannung.
Das Mittel dürfte auch in der Ophthalmologie verwendet werden, wie Weber bemerkt,
da zwischen ihm und Atropin ein directer Antagonismus besteht, und es durch die mächtig
gesteigerten Ausscheidungen als wesentlich den Stoffwechsel anregendes Mittel wirkt und
so die Resorption von Infiltrationen und Exsudaten befördert.
Für Jaborandi fanden Dr. 0. Kahler und Dr. J. Soyka in Prag (Centrnlblatt für med.
Wissensch. 1876, pag. 541) bei Untersuchungen über die Frage, ob die dem Gebrauch
des Jaborandi folgende Vermehrung der Schweisssecretion von Gefässnerven oder eigenen
secretorischen Nerven abhängig sei, dass die Ursache dieser Erscheinungen mit Wahr¬
scheinlichkeit in Erregung der Vagusendigungen im Herzen liegt, weil sie nach beider¬
seitiger Vagusdiscision unverändert eintreten, nach zuyor bewirkter Lähmung der Vagus -
endigungen durch Atropin dagegen ausbleiben. Es folgt hieraus die thatsächliche Exi¬
stenz des bereits mehrfach betonten Antagonismus des Jaborandi und Atropins.
(Deutsche Zeitschr. f. pr. Med. 1877, Nr. 7.)
Chininiim inlf. kostete zu Anfang des Jahres en gros in Paris Fr. 300 per
Kilo und jetzt Fr. 800 in Folge bedeutender Ankäufe der Duellanten im Orient.
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537
Stand der Infeetlons-Kraiifelieiten in Basel.
Vom 11. bis 25. August 1877.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Von Typhus sind 63 neue Erkrankungsfälle angemeldet worden (94, 61$ 53), wo¬
von in Grossbasel 32 (21, 18, 33), in Kleiubasel 30 (73, 43, 17), 1 von auswärts. Die
eingetretene geringe Vermehrung trifft also ausschliesslich wieder Kleinbasel. Nach dem
Beginne der Erkrankung verrechnet ergeben sich:
Juli August
1-10
11-20
21-31
1-10
11-20
Grossbasel
10
17
21
14
15
Kleinbasel
30
12
16
19
7
40
29
37
33
22
Summe 1877 106
„ 1876 16
Von den übrigen Krankheiten kommt nur der Scharlach in Betracht, wovon 11
Fälle angezeigt sind (2, 3, 5), wovon 5 in 2 Häusern des SUdostplateaus, 3 in 2 Häusern
des Birsthals, 3 zerstreut in Kleinbasel, Masern 4 Fälle (3, 7, 6), Keuchhusten 4,
Erysipelas und Varicellen je 1 Fall.
Bibliographisches.
89) Schildbach , Orthopädische Klinik. Mittheilungen aus der Praxis der gymnastisch¬
orthopädischen Heilanstalt zu Leipzig. 64 S. Leipzig, Veit & Cie.
90) Ctifton E. Wing, The speciality of diseases of women. 8 S. Boston.
91) ArU f Des blessures de l’oeil au point de vue pratique et mödico-ldgal traduit par
Haltenhoff. 224 8. Paris, Germer Bailliöre.
Briefkasten.
Herrn Dr. Dunant, Oberfeldarzt Dr. Ziegler'. Die Berichte mit Dank erhalten, werden benützt.
— Herrn Dr. Münch: Mit Dank erhalten. — Herrn Dr. M — er in O.: Erscheint in nächster Nummer,
kam zu spät für diese.
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Dp. Alb. Burehhardt-Iflerlan und Dr. A. Baader
PrlntdooMt ia BueL la Ö^UrHndao.
N? 18. VII. Jahrg. 1877. 15. September.
Inhalt: 1) Original arbeiten: Dr. A. Kottmann : Zar Behandlung der offenen Knochenbrüche. — 2) Tereina-
bericbte: Sitznng der ftrztl. Gesellschaft der Centralscbweiz. — 3) Referate nnd Kritiken: Dr. Jul. Peterstn: Hanpt-
moraente in der geechichtlichen Entwicklung der medicinischen Therapie. — M. JUymond: Du Bach tom geaanden nnd kran¬
ken Herrn Hejer. — 4) Kantonale Correspondenzen: Olten, Waadt, Zürich. — 5) Wochenbericht. — S) Biblio-
grnp hieches. — 7) Briefkaaten.
Original-Arbeiten.
Zur Behandlung der offenen Knochenbrüche.
Von Dr. A. Kottmann, Spitalarzt.
Vortrag, gehalten in dem Vereine jüngerer Aerzte und Apotheker der Cantone
Bern und Solothurn in Burgdorf, den 21. März 1877.
Meine Herren 1 In unserer, zum Theil gemeinsam verlebten Studienzeit war
das Interesse von Allen durch die complicirten Fracturen gewiss sehr in Anspruch
genommen. Wir wunderten uns über die Mannigfaltigkeit der Formen, in welchen
sich diese Verletzungen darstellen können; wir staunten über die Schwierigkeit,
welche die richtige Beurtheilung der Verhältnisse bietet, fürchteten uns vor der
eminenten Gefahr und freuten uns über jeden günstigen Erfolg. Als ich meine
Laufbahn als Spitalarzt in Solothurn antrat, wurde ich überrascht durch die rela¬
tive Häufigkeit dieser Fälle, welche in dem ziemlich regen gewerblichen Leben
ihren Grund findet, und da ich im Anfänge auch nicht die besten Resultate zu
verzeichnen hatte, lenkte ich mein Studium und meine Aufmerksamkeit immer mehr
auf diese Verwundungen. Nach und nach bildeten sich bei mir Anschauungen und
Grundsätze für die Behandlung aus, die ich nun seit zwei Jahren immer strenger
befolge nnd welche ich Ihnen in Kürze auseinander Betzen will, da ich sie, zum
Theil wenigstens, für die Ursache meiner besseren Erfolge halte.
Die Gefährlichkeit der complicirten Fracturen beruht auf den progressiven
Eiterungen, welche sowohl in den Weichtheilen, als den Knochen auftreten. Die
Eiterbildung hängt in den meisten Fällen mit dem directen Zutritt der atmosphä¬
rischen Luft zu der Knochenwunde zusammen, was sich zur Evidenz aus dem dif¬
ferenten Verlaufe der einfachen nnd offenen Brüche ableiten lässt. Der eigentliche
zwingende Grund für die Snppnration muss aber in der Thätigkeit von Fäulniss-
erregern gesucht werden, welche mit der Luft zu der Verletzung gelangen, was
sich aus der zuweilen eintretenden Heilung von offenen Fracturen ohne Eiterbil-
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87
542
düng beweisen lässt. Auf diese Puncte werde ich im Verlaufe der Darstellung
noch zurückkommen müssen. Dass aber diese Suppurationen sich gerade von der
gefährlichsten Seite präsentiren, beruht auf der Eigenthümlichkeit, dem Charakter
der Verwundung, bei welcher die unregelmässigsten Verhältnisse, die man sich
nur denken kann, gebildet werden.
Stellen wir uns einmal das Aussehen eines offenen Bruches vor, so fällt uns
vor Allem die Mannigfaltigkeit der ergriffenen Gewebe, die Zerstörung so differen¬
ter Gebilde auf. Hier stossen wir auf Fetzen der Haut, der Fascien, der Muskeln,
des Periostes, dort sind ganz oder theilweise abgelöste Knochensplitter und die
mehr oder weniger weit abgedeckte Markhöhle; die Nerven und Gefässe sind zum
Theil zerrissen und Blutergüsse erstrecken sich oft weit in die Weichtheile und
die Markhöhle hinein. Die Wandungen der grossen Wunde sind aber auch nicht
regelmässig in ihrem Verlaufe gebildet, indem die Weichtheile je nach ihrer Re¬
sistenzfähigkeit, nach der Art des Trauma’s, an den einzelnen Puncten mehr oder
weniger stark abgelöst und zerrissen sind. Die Splitterung des Knochens bietet
auch an den verschiedenen Stellen seines Umfanges beträchtliche Unterschiede dar,
und weit in das Gesunde hinein ziehen sich oft noch bedeutende Fissuren. Da¬
durch entstehen überall Ausbuchtungen, Seitengänge, Höhlen, welche oft von Split¬
tern und Gewebsfetzen oder vielleicht auch durch nachträgliche Muskelcontractio-
nen ganz oder theilweise verlegt sind.
Im weitern Verlaufe manifestirt sich die Unregelmässigkeit noch nach einer
andern Richtung. Sobald sich die Folgen des Trauma’s äussern, stellt sich eine
Necrose der Gewebe in einem weitern oder geringem Umfange ein, welche sowohl
die Weichtheile als den Knochen zum partiellen Zerfalle führt, und die allmälige
Ablösung des Abgestorbenen vom Gesunden in Scene setzt. Die einzelnen Ge¬
webe demarkiren sich aber nach ihrer verschiedenen Vitalität in sehr differenten
Zeiträumen. Zuerst stossen sich Hauttheile ab, dann folgen je nach ihrer
Derbheit mit sehr grossen Unterschieden die bindegewebigen Partien, die Muskeln
und die Sehnen; lang hält es dann noch an , bis die Splitter des Knochens sich
gelockert haben und entfernt werden können.
Wenn wir von den allgemeinen Grundsätzen der Chirurgie ausgehen, welche
uns lehren, dass die Eiterung in denjenigen Wunden am leichtesten schlimme Fol¬
gen aufweisen kann, bei welchen sich Höhlen, Ausbuchtungen und Seitengänge
bilden, so haben wir bei der complicirten Fractur ein getreues Paradigma; wenn
wir annehmen, dass den Fäulnjssträgern erst dann der Eintritt, in die Blutmasse
verwehrt ist, wenn überall üppige, gesunde Granulationen aufgeschossen sind, so
erkennen wir die Schwierigkeit dieses Postulates bei unsern Fällen, wo die ein¬
zelnen Gewebe in so verschiedenen Zeiten mit ihren Fleischwärzchen ausrücken
können. Wir dürfen noch hinzufügen, dass Blutextravasate, gangränöse Gewebs¬
fetzen den besten und fettesten Humus für die folgenschwere Entwicklung der
Fäulnisskeime bieten und dass in denselben die bösartigsten Jauchungen sich eta-
bliren, um im Allgemeinen die Schwierigkeiten zu bezeichnen, mit welchen die
Therapie um ihre Erfolge kämpfen muss. Um den ganzen Zustand der Verletzung
mit einem prägnanten Bilde zu vergleichen, brauche ich nur auf den Unterschied
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543
hinzuweisen, welcher in dem Aussehen einer kunstgerechten Knochenresection und
einer complicirten Fractur besteht, bei welchen doch die gleichen Gewebe in Mit¬
leidenschaft gezogen sind. Bei der ersteren gilt als oberster Grundsatz die Schnitt-
und Sägeflächen so glatt und eben als möglich zu machen, um dadurch die ein¬
fachsten Wund Verhältnisse zu erhalten, während die rohe Gewalt, welche ein Glied
zertrümmert, das Gegentheil zu erzielen sucht.
Die Eiterung, welche bei dem gewöhnlichen Verlaufe der offenen Brüche zur
Abstossung des Necrotischen führt, beschränkt sich in ganz günstigen Fällen auf
die Oberfläche der Wunde, dehnt sich aber noch häufiger, den Spalträumen in den
Geweben folgend, nach der Tiefe aus und bringt durch dieses Umsichgreifen den
Patienten in eine bedeutende Gefahr. Diese progressive Eiterung stellt sich dar
unter dem Bilde der Phlegmone, der Periostitis und Osteomyelitis, welche keines¬
wegs als einfach traumatische, sondern unbedingt als septische Suppurationen an¬
gesprochen werden müssen. Nicht immer ist übrigens der Ausgangspunct der
fortschreitenden Eiterungsprocesse die oberflächliche Wunde selbst, sondern, was
sehr wichtig und interessant ist, diese stehen häufig in gar keinem Zusammenhänge
mit dieser, indem in den Ausbuchtungen und den Seitengängen, welche sich wie¬
der schlossen, am hintern Ende von Knochenfissuren, Zersetzungen sich ausbilden
und dadurch zu der Entwicklung von Abscessen führen. Wir müssen eben an-
nehmen, dass in dem Momente der Zertrümmerung in diese sich öffnenden Ge-
websspalten die Luft rasch eingesogen wurde und ihre Fäulnisserreger deponiren
konnte, deren Bösartigkeit sich gerade durch die baldige Abschliessung leicht und
rasch manifestiren musste. Natürlich bestehen bedeutende, prognostisch sehr wich¬
tige Gradunterschiede zwischen den einzelnen progressiven Suppurationen, welche
sich von der unbedeutenden Phlegmone bis zu dem acut-purulenten Oedeme, von
der abgesackten bis zu der diffusen Osteomyelitis erstrecken. Sehr häufig erscheint
als Schlusstableau die Septhcemia und die Pyohaemia multiplex, welche unter den
complicirten Fracturen gewiss ihre häufigsten und oft auch traurigsten Opfer sich
aussuchen.
Wenn wir uns über die Gefahren, welche einem offenen Knochenbruche bevor¬
stehen, klar geworden sind, können wir an die verschiedenen Behandlungsmetho¬
den auch bestimmt formulirte Fragen stellen und durch einfache Deduction auf
den richtigen Weg gelangen. Da wir als die Grundursache des schlimmen Ver¬
laufes die durch Fäulnisserreger bedingte Eiterbildung ansehen müssen, so würde
sich uns zunächst das ideale Postulat aufdrängen, dieselbe unter allen Umständen
nicht aufkommen zu lassen, sondern alle septischen Keime von vornherein zu zer¬
stören und unschädlich zu machen. Es lässt sich auch mit Leichtigkeit der Be¬
weis beibringen, dass complicirte Fracturen ohne Suppuration heilen können, indem
sie sich unter besonders günstigen Auspicien per primam intentionem schliessen
oder auch in eine tertia übergehen, bei welcher Bich reichlich Granulationen bil¬
den, die, ohne das Zwischenglied der eitrigen Verflüssigung durchzumachen, direct
mit einander verschmelzen. Diese Arten der Wundheilung lassen sich, wie wir
aus der neuesten Casuistik entnehmen können, durch eine meisterhafte Application
des Liiter-Y erbendes auch bei schweren und ausgedehnten Fracturen erzielen, bei
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544
relativ leichteren und dazu passenden Fällen veihilft uns zuweilen zu dem gleichen
Resultate die Behandlung unter dem Schorfe. Da ich über die Listerung von of¬
fenen Brüchen aus den letzten Jahren keine eigenen Erfahrungen besitze, indem
ich mit Ausnahme von zwei sogleich näher zu beschreibenden Fällen dem Prin¬
cipe der offenen Wundbehandlung consequent und strenge huldigte, so will ich
auch nur die Litteratur der Schorfheilung mit meinen einschlagenden Beobachtun¬
gen vermehren.
Erst in neuester Zeit wurde von Trendelenburg auf diese Art der Behandlung
wieder die Aufmerksamkeit gelenkt, nachdem dieselbe schon früher öfter mit Er¬
folg zur Anwendung gekommen war. Nach dem hier geltenden Principe soll die
offene Knochenwunde durch einen soliden, aus Blut, Gewebsflüssigkeit und Watte
oder Charpie rap£e gebildeten Schorf zu einer quasi subcutanen gemacht werden
und dieser Zweck wird besonders bei noch frischen, nicht zu sehr gequetschten
und mit kleiner Hautwunde versehenen Fracturen erreicht, bei welchen noch Blu¬
tung vorhanden ist, indem vor dem Auflegen des Charpiepfropfes die ganze Wund¬
höhle mit Blut gefüllt sein muss. Wenn der Schorf nach längerer Zeit sich gelöst
hat, zeigt sich unter demselben zuweilen noch eine Granulationsfläche, welche
durch den Zutritt der Luft nachträglich in Eiterung kömmt. Natürlich ist aber
die Hauptsache gewonnen, wenn nur die Bruchenden des Knochens sich ohne Sup-
puration vereinigt haben. Mir stehen zwei hier zu verwerthende Mittheilungen zu
Gebote, bei welchen das Verfahren mit Erfolg gekrönt war.
1. M. A., 24 Jahre alt, Erdarbeiter, erlitt den 20. Januar 1876, indem er von einem
Rollwagen getroffen und fortgeechleudert worden war^ eine complicirte Fractur des rech¬
ten Unterschenkels und wurde den 21. Januar in einem Nothverbände in das Spital ge¬
bracht. ln der Mitte des ziemlich geschwollenen Unterschenkels befand sich unter einem
mit Blut imbibirten Wattetampon eine circa zweifrankenstückgrosse Wunde über der
Crista tibi®, in welcher sich das obere ad axin verschobene Fragment präsentirte. Die
Haut war in Form eines kleinen, halbmondförmigen Lappens nach oben geschlagen, nicht
aber besonders verfärbt oder infiltrirt Die Fractur war eine quere, welche beide Kno¬
chen in fast gleicher Höhe betraf. Bei der Reposition erneuerte sich eine ziemlich leb¬
hafte Blutung. Nachdem die Wunde mit 2% Carbolwasser reichlich ausgeschwemmt
war, die Höhle sich mit Blut ganz gefüllt hatte, wurde der Hautlappen heruntergeschla¬
gen und auf denselben ein Ballen Salicylwatte gedrückt, um ihn in seiner Lage zu er¬
halten und mit dem ausfliessenden Blute einen Schorf zu bilden. 8ofort wurde dann ein
mit Watte tüchtig unterpolsterter Oypsverband angelegt Da dio Temperatur nie über
88,2° stieg, keine 8chwelluDg, kein Druck, keine Schmerzhaftigkeit sich zeigten, liess ich
den gleichen Verband volle Ö Wochen unberührt liegen. Bei der Entfernung desselben
präsentirte sich eine halbmondförmige Narbe über der Crista, der Callus war ziemlich be¬
deutend, federte aber noch ein wenig. Die Entlassung erfolgte am 25. April
2. S. J., 23 Jahre alter Knecht, erhielt den 1. Juli 1876 einen Hufschlag von einem
Pferde auf den rechten Unterschenkel. Bei der Aufnahme am 2. Juli zeigte sich, nach
Abnahme des mit Blut reichlich durchtränkten Gypsverbandes, an der obern Grenze des
untern Dritttheiles zwischen Tibiakante und Fibula eine frankenstückgrosse, rundliche,
stark gequetschte, bläulich verfärbte Wunde, welche mit der Querfractur der beiden Kno¬
chen in directer Communication stand. Die asphyctischen Hautränder wurden mit der
Scheere entfernt, die Wunde gereinigt und die Bruchenden reponirt. Bei diesen Mani¬
pulationen füllte sich die ganze Wundhöhle mit Blut und nun wurde ein Salicylwatte-
tampon aufgedrückt, welcher rasch verklebte und darüber ein Oypsverband angelegt Da
keine Reaction und kein Fieber eintraten, wurde er erst am 31. Tage aufgeschnitten,
trotzdem er sich stark mit Blut imbibirt hatte und bedeutend roch. Die Watte war noch
thcilweise «ngeklebt und es zeigte sich unter derselben eine reichlich wuchernde Granu-
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545
lationsfläche von der Grösse der ursprünglichen Wunde. Von eigentlicher Eiterbildung
liess sich aber Nichts constatirnn, diese stellte sich aber nachträglich noch für kurie
Zeit ein. Die Fractur war consolidirt und der Patient wurde am 2. September geheilt
entlassen.
Während in dem Falle Nr. 1 eine prima intentio im eigentlichen Sinne des
Wortes sich gebildet hatte, wird bei dem zweiten Patienten die Wundhöhle sich
allmälig mit Granulationen ausgefüllt haben, welche bei der Abgeschlossenheit von
der Luft und da sie keine Fäulnisserreger enthielten, keinen Eiter producirten und
einfach mit einander verklebten. Resultate, welche, in Betracht der recht schwe¬
ren Verletzungen, wir uns nicht besser wünschen könnten. Nur ist es Schade, dass
wir die Methode der Schorfheilung nur bei einer beschränkten Anzahl von offenen
Brüchen instituiren können.
Wir kommen nun zu dem Studium derjenigen complicirten Fracturen, bei wel¬
chen die Verhältnisse so sich gestaltet haben, dass die Eiterbildung nicht mehr
zu umgehen, oder wo sie bei der Uebernahme schon eingetreten ist. Hier gilt als
erstes und alleiniges Gesetz für die Behandlung, Alles aufzubieten, was in unsern
Kräften liegt, dass die Suppuration sich auf die Oberfläche der Wunde beschränkt
und nicht durch ihre Ausdehnung in d[e Spalträume der Gewebe progressiv und
deletär werde. Die Unregelmässigkeit der Wunde, die verschiedenartige Demar-
cation, die Blutextravasate sind im Allgemeinen unsere Feinde, welchen wir alle
Aufmerksamkeit schenken müssen. Wir dürfen die Sache nicht sich selbst über¬
lassen , sondern es muss unser principielles Streben sein, ausgehend von richtig
formulirten Grundsätzen, das Terrain so günstig als möglich uns zu gestalten, die
Verletzung zu einer viel einfachem und deshalb auch gefahrlosem zu machen. Wir
dürfen uns nicht mit der Anlegung eines noch so guten Verbandes begnügen und die
Heilung dem lieben Gotte anheimstellen, sondern müssen activ mit Messer, Scheere,
Meissei, Knochenzange eingreifen und die rohe Zertrümmerung einer kunstvollen
Knochenoperation so ähnlich als immer thunlich zu machen suchen. Dadurch wer¬
den wir die Heilungsdauer auch um ein Beträchtliches abkürzen können.
Das Verfahren, welches in den letzten zwei Jahren sich bei mir immer mehr
vervollkommnete und schliesslich sich als Methode ganz einbürgerte, beginnt mei¬
stens mit der Chloroformirung des Patienten. Zunächst wird die Extremität ge¬
hörig gereinigt, und, was ich von den Listerianern lernte, bei stärkerem Haar-
wuchse auch rasirt, indem sich besonders in den Haaren die Krusten und Borken
fixiren. Coagula werden aus der Wunde entfernt, eine allfällige Blutung cxact
gestillt. Nun richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Haut, bei welcher wir die
verschiedensten Verhältnisse treffen können. Oft haben sich Lappen gebildet,
welche wir so schonend als möglich in ihre ursprüngliche Lage zu bringen suchen,
was aber häufig nur mittelst Verlängerung der Wund winkel durch Schnitte zu be¬
werkstelligen ist. Zuweilen sind Substanzverluste der Haut vorhanden oder ihre
Ränder sind durchlöchert, festonirt, gequetscht, asphyctisch, kurz in einem Zu¬
stande, welcher eine gründliche Reinigung mit der Scheere schleunigst verlangt.
An der Innenfläche der Haut hangen zerrissene Venen- und Nervenstämmchen,
welche wir amputiren, dann gelangen wir zu den Fascien und Muskeln, bei wel¬
chen alle zerfetzten und stark verfärbten Partien mit möglichster Vorsicht abzu-
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trennen sind. Zerrissene Sehnen lösen wir ebenfalls ab, wenn wir nicht an den
Händen und Füssen eine Sehnennaht riskiren wollen, was ich aber bei dieser Art
der Verletzung selbst noch nicht Gelegenheit hatte zu versuchen. Gradatim ge¬
langen wir auf den Knochen, dessen Verhältnisse am schwierigsten zu beurtheilen
sind. Alle ganz abgelösten, die sogenannten primären Splitter werden natürlich
sofort entfernt, bei denjenigen aber, welche noch am Perioste hangen, den secun-
dären, richtet sich unser Reinigungswerk nach der Grösse der Knochenstücke und
nach dem Zustande der Knochenhaut.
Es ist eine bekannte Thatsache, dass Knochenpartien , welche eine Zeit lang
von ihrem Perioste entblÖsst waren, doch nicht necrotisch werden, wenn sich das¬
selbe nachträglich wieder an ihre Peripherie anlegt Diese Erfahrung machen wir
häufig bei Resectionen und besonders bei Keilexcisionen wegen Verkrümmungen,
wo wir weniger Knochen absägen, als wir blos zu legen genöthigt waren. Zu¬
weilen begnügen wir uns mit dem Abkneifen von Spitzen, wenn wir gesunde Kno¬
chenhaut wieder anpassen können, öfters müssen wir aber grössere Knochentheile
absägen oder durchmeisseln, wenn das Periost zu sehr gefetzt und zerrissen ist.
Nur dürfen wir in dieser Beziehung nicht zu weit gehen und, wenn immer mög¬
lich, uns mit der Entfernung von nicht zu grossen Splittern bescheiden, indem wir
eine Pseudarthrosis riskiren könnten. Einen Fall, welcher mir in dieser Richtung
zur Warnung gereichte, will ich hier kurz anführen:
8. H. J., 40 Jahre alt, Holzhacker, erlitt den 18. Mai 1876 durch einen fallenden
Baum eine Verletzung seines rechten Beines. Bei der Aufnahme in das 8pital am 10.
Mai zeigte sich circa in der Mitte der vordem Fläche des Unterschenkels eine bedeutende
Wunde, welche direct auf deu zertrümmerten Kuochen der Tibia und Fibula führte. Die
vordere Kante der Tibia war in einem 10 cm. langen, 1'/, cm. breiten, prismatischen
Stücke nur nooh im obern Theile an dem Perioste wenig adhsrirend und folgte einem
ganz leichten Zuge. Die Markhöhle der Tibia lag in weitem Umfange ganz offen. Wei¬
tere Reinigung. Fixation auf der Wafeo/t’schen Schiene mit Gypsbinden. Offene Wund¬
behandlung. Fieber im Anfänge nicht über 80,2° steigend, bald ganz normal. Anfangs
Juli schon ziemliche Consolidation, Allgemeinbefinden vorzüglich, gefensterter Oypsverband.
Ende August Endemie von Erysipelas traumaticum in dem Spital, am 1. September fing
es bei dem Patienten in seiner schön granulirenden kleinen Wunde, welche auf einen
tertiären Sequester führte, mit bedeutender Heftigkeit an. Sofort Vermehrung der Eite¬
rung, die Wunde gewinnt ein unreines, speckiges Aussehen, Phlegmone gegen das Fe¬
mur, Drainage.
Der Schluss der sich bis zu drei Wochen hinziehenden accidentellen Wundkrankheit
war eine vollständige Lösung des Callus. Am 1. October musste der Patient auf seinen
besondern Wunsch entlassen werden mit einer Pseudarthrosis, einem fühlbaren, nicht
ganz gelösten Sequester in der kleinen, aber sehr geschwürig aussehenden Wunde. Lei¬
der konnte ich über das weitere Schicksal des Kranken nichts mehr vernehmen.
Wenn in diesem Falle das phlegmonöse Erysipel zu dem Misserfolge beige¬
tragen haben mag, indem es die Eiterung in der Wunde evident vermehrt, so mag
doch auch die Entfernung eines so mächtigen Knochenstückes die Consolidation
verzögert und aufgehalten haben.
Von dem Perioste selbst habe ich nie etwas weggeoommen, ausser fast ganz
abgelösten Fransen. Von dem Knochenmarke spühlt sich beim Aufgiessen von
Wasser stets ein mit Blut und Knochenpartikelchen gemengter Theil ab.
Die Wände hat nun schon ein reineres und homogeneres Aussehen gewonnen,
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noch ist aber unsere Arbeit nicht beendet, indem uns noch die schwierige und
wohl zu überlegende Aufgabe bleibt, die Höhlenwunde nach allen Seiten, nach
allen Richtungen zu drainiren, alle ihre Ausbuchtungen und Seitengänge mit der
Oberfläche in Verbindung zu setzen. In alle Gewebsspalten und Lücken stecken
wir grössere oder kleinere, aber gut durchlöcherte Drainröhren und bringen die¬
selben auch soviel „als möglich“ dem Knochen entlang, um zu verhindern, dass
von den Fissuren aus, welche wir nicht sehen und nicht verfolgen konnten, Ver-
haltungsabscesse entstehen. Nicht alle Drains werden übrigens zu der von der
Natur gebildeten Wunde herausgenommen, sondern an den abhängigen Stellen
werden überall Incisionen gemacht, um dem Wundsecrete die vorteilhaftesten und
nächsten Wege zu eröffnen. Diese Einschnitte spielen übrigens noch eine andere
Rolle, indem sie die Haut nach allen Seiten entspannen und dadurch dem necroti-
schen Absterben derselben entschieden Vorbeugen.
So stehen wir endlich, allerdings unter Aufbietung von grosser Mühe und an¬
strengender Thätigkeit, vor dem Ziele, welches wir uns gesteckt hatten. Wir ha¬
ben die durch ihre Complicirtheit zur Heilung sehr ungünstige Wunde vereinfacht,
wir suchten der Verhaltung von Wundsecreten den Riegel zu stecken, die Gan-
gränescirung der Gewebe so viel als möglich zu beschränken. Wir strebten, wenn
der Ausdruck erlaubt ist, eine primäre Resection der complicirten Fractur an. Na¬
türlich werden wir bei den einzelnen Fällen auf grosse Verschiedenheiten und
Gradunterschiede bei unserem operativen Eingreifen stossen, wie auch die compli¬
cirten Fracturen je nach ihrem ätiologischen Momente die bedeutendsten Differen¬
zen zeigen. Oft wird auch ein einfaches D6bridement, eine Drainirung genügen,
wenn der Knochen nicht zersplittert, sondern einfach durchgebrochen ist Diese
Fälle gehören aber den Ausnahmen an.
Den gleichen therapeutischen Grundsätzen unterliegen bei mir auch die Kno¬
chenwunden der Hand und des Fusses , nur dass bei der Hand die Beurtheilung
dessen, was zu entfernen ist, eine viel schärfere und bedachtere sein muss, als bei
den grossen Knochen, um nicht etwa die Function der Finger zu beeinträchtigen.
Bei dem Fusse entschliessen wir uns im Gegentheil viel eher zu einer partiellen
Amputation oder Exarticulation, indem durch diese die Gebrauchsfähigkeit oft
besser gesichert wird, als durch eine zu strenge Conservirung, welcher Narben-
contractionen und Anchylosirung der kleinen Gelenke folgen.
Schwierig zu fassen ist die Stellung, welche wir den Fracturen der Gelenk¬
körper mit Eröffnung der Capsel gegenüber einnehmen sollen. Ziemlich allgemein
anerkannt mag wohl der Grundsatz der Resection bei diesen schweren Verletzun¬
gen sein, ob aber eine totale Resection der partiellen Wegnahme des Zerstörten
vorzuziehen sei, darüber sind die Acten noch nicht geschlossen, und es mögen,
wegen dem ungünstigen Verhalten der Knorpelflächen, unter den Chirurgen wohl
mehr Stimmen der ersteren das Wort reden. Ich folgte dem nämlichen Principe,
wie bei den offenen Knochenbrüchen und bestrebte mich durch die Entfernung von
allem Zertrümmerten die Wunde zu vereinfachen, das Intacte aber ruhig stehen
zu lassen, wodurch ich natürlich zu der Ausführung von ganz partiellen Resectio-
nen kam. Zwei Beobachtungen kann ich in dieser Beziehung verwerthen, von
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welchen ich bei einer das ausgezeichnete Resultat einer ganz freien activen Ge¬
lenkbeweglichkeit zu erhalten die Freude hatte, bei der andern eine Anchylose
eintrat, ein Erfolg, welcher bei dem Alter des Patienten und dem verspäteten Ein¬
tritte in die Behandlung gewiss günstig genug zu nennen ist
4. W. A., 27 Jahre alt, Fabrikarbeiterin, wurde den 9. Märe 1876 Abends mit ihrer
rechten Hand von zwei correspondirenden Kammrädern gefasst Bei der Untersuchung
am folgenden Morgen war die Gegend des Handgelenkes stark geschwollen, sowohl von
unten als auch von oben führten mehrere sehr gequetschte Wunden, deutlich den Zähnen
der Räder entsprechend, auf gesplitterten Knochen. Intacte Haut befand sich nur an den
Seitenwänden der Gelenkgegend. Trotz der desperaten Aussicht versuchte ich, da die
Bewegungen der Finger erhalten, der Arterienpuls an den Fingern noch schwach zu füh¬
len war, die Conscrvirung der Hand. Die asphyctischen Hautränder wurden weggeschnit¬
ten und dadurch Raum gewonnen, auf die Knochen zu gelangen. Die Gelenkenden des
Radius und der Ulna waren erheblich zersplittert und ich entfernte unter grösster Scho¬
nung des Periostes mit Elevatorium und Knochenzange 9 grössere oder kleinere Knochen-
stücke, welche den ganzen Gelenkkörper des Vorderarmes einschlossen. Die Handwurzel¬
knochen liess ich unberührt. Drainage. Handschiene. Im Anfang fast keine Reaction.
In der dritten Woche leichtes Erysipelas. In der vierten Woche Incision eines Absces-
ses über der Gegend des proc. styloideus radii. Schluss der Wunde am 69 Tage nach
der Verletzung. Entlassung den 18. Mai. Die Knochenneubildung erweist sich als com-
plet, alle Knochenfortsätze sind zu fühlen, nur sind die Knochenenden noch dicker als
auf der gesunden Seite. Passive Beweglichkeit bis fast zu den normalen Grenzen, active
Beweglichkeit sehr schwach, die Finger noch steif und angeschwollen. Bei der Unter¬
suchung nach einem Jahre ergab sich die active Beweglichkeit fast, die Motalität der
Finger ganz normal, die Hand zu allen Manipulationen vollständig tauglich und geschickt.
6. W. S., 62 Jahre alt, Landarbeiter, wurde den 20. Januar 1876 durch einen fal¬
lenden Baum verletzt. Bei der Aufnahme am 25. Januar zeigte sich das rechte Ellen¬
bogengelenk bedeutend geschwollen und schmerzhaft, eine breite mit Eiter gefüllte Wunde
führte von der äussern Fläche des obern Ulnarendes in das Gelenk. Splitterfractur des
Olecranon und Radiuskopfes. Erweiterung der Wunde, Entleerung von Eiter, Extraction
mehrerer Splitter von beiden Knochen, Gegenöffnungeu. Drainage. Winklige Draht¬
schiene. Anfangs ziemlich bedeutendes Fieber. In der sechsten Woche AbscesB über
dem Radius , Incision, Secundarextraction eines ziemlich grossen Splitters Schluss der
Wunden am 80. Tage. Entlassung den 23. April 1876. Die Untersuchung ergab ein auf¬
getriebenes Gelenk, die Gontouren des Olecranon nicht ganz deutlich, rechtwinklige An¬
chylose, passive Beweglichkeit gering, Pronation und 8upination ganz aufgehoben. Nach
einiger Zeit, das Datum ist nicht notirt, stellte sich der Pat wieder mit einer sehr stumpf¬
winkligen Beugung des Armes, welche sich mit Mühe passiv in die rechtwinklige bringen
liess, sonst Status idem. Mit consequenter Uebung wäre vielleicht auch hier noch ein
Resultat in activer Beweglichkeit zu erzielen gewesen.
Die complicirten Schädelbrüche führen uns wieder auf ein Terrain, wo unsere
Methode gewiss mit Erfolgen gekrönt sein wird, indem bei der bedeutenden Dig¬
nität derselben die grössten Vorsichtsmaassregeln zu treffen sind, um alle progres¬
siven Eiterungen von Anfang an soviel als möglich zu verhüten. Wir nähern uns
wieder der alten Lehre von der Trepanation, nur dass diese Operation eher mit
dem scharfen Meissei, als mit der Krone ausgeführt werden wird. Ein Fall steht mir
zur kurzen Skizzirung zu Gebote.
6. S. J., 26 Jahre alt, Eisenbahuarbeiter, ging den 11. April 1876 dem Spital zu,
nachdem er den Tag vorher von einem hohen Brückengerüste in der Trunkenheit auf den
Kopf gefallen war. Der soporöse Patient zeigt eine sternförmige Fractur mit Impression
von ca. 2 cm. Durchmesser des rechten Scheitelbeines, unmittelbar über dem Os tempo¬
rale. Die Haut darüber ist sehr gequetscht und zerrissen. Von der Fractur aus zieht
sich eine bogenförmige, mit der Convexität nach oben sehende, bis auf den Knochen rei-
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chende Wunde, welche Aber 12 cm. lang nach vorn und hinten streicht und einen hän¬
genden Lappen bildet. Bei Anwendung von starken Reizen erwacht der Verletzte und
lässt deutlich eine motorische und sensible Paralyse der linken Hand erkennen. Die
Sprache ist schwerfällig, sonst aber ohne Störungen. Chloroformnarcose. Gründliche Rei¬
nigung. Entfernung der Hautfetzen. Circa 1—2 mm. ausserhalb des Sternbruches wird
mit dem scharfen Meissel ein vollständiger Kreis ausgeschnitten und von da aus das
ganze eingedrückte Stück entfernt Die Dura war in der Ausdehnung eines Zweifranken¬
stückes biosgelegt und die Hirnpulsation deutlich wahrzunehmen. Nähen des grossen
Lappens mit Drainage nach allen Seiten. Eisblase. Ganz offene Wundbehandlung. Der
Sopor verschwindet sehr rasch. Geringe Reaction. Theilweise Verklebung der Hauträn¬
der, aber Eiterung unter dem Lappen. Die Motilität der linken Hand stellt sich wieder
ein, Taubheit der Finger bleibt aber noch lange, um doch allmälig ganz zu verschwinden.
Hirnpulsation bis Mitte Juli deutlich zu constatiren. Im August können einige minime
Randsplitter entfernt werden. Schluss der Wunde am 1Ö8. Tage. Bei der Entlassung
am 29. October zeigt sich eine eingezogene derbe Narbe, von der Grösse eines Zehn-
Centimesstückes in der Mitte einer grossen bogenförmigen lineären Narbe. Die Function
des Gehirnes und der linken Hand ungestört
Um mein Thema über die Behandlung der complicirten Fracturen vollständig
zu entwickeln, bleiben mir noch einige Worte über die Fixirung der Bruchenden
der grossen Röhrenknochen. Am häufigsten gebrauchte ich den Gypsverband und
zwar meist in der Form von Cataplasmen, indem dabei grössere Fenster viel leich¬
ter und solider herzustellen sind, als bei dem gewöhnlichen Gypsbindenverbande,
und auch die Verstärkungen mit Fournierholz etc., welche den Verband zu schwer¬
fällig machen, weggelassen werden können. Bei den Fracturen des Unterschenkels
bewies sich mir als besonders vortheilhaft die Watsorische Schwebe mit Gypsbin-
den befestigt, indem diese sehr rasch und leicht für jeden concreten Fall angefertigt
werden kann. Nur will ich bemerken, dass bei der Anfertigung der untern Holz¬
schiene darauf geachtet werden muss, dass diese schmäler als die untere Fläche
der Extremität sein muss, um einer Dislocatio ad latus vorzubeugen. Drahtschie¬
nen kamen nur ausnahmsweise bei den obern Extremitäten in Gebrauch. Für den
Oberschenkel huldigte ich der Ko/ftwiann’schen Extension mit dem schleifenden Fuss-
brette. Auch bei einer Humerusfractur musste ich wegen den schwierigen Ver¬
hältnissen zu dieser Behandlungsmethode meine Zuflucht nehmen.
7. W. J., 62 Jahre alt, Fuhrknecht, gelangte den 28. Deeember 1876 mit seinem
linken Arm unter einen Steinwagen. Im obern Theile des Humerus, der Insertion des
Deltoides entsprechend, befand sich eine sehr grosse, gequetschte Wunde mit einer Split—
terfractur des Knochens communicirend. Das obere kurze Fragment stand stark in die
Höhe. Reinigung der Wunde, primäre Splitterextraction , gefensterter Gypsverband mit
Thoraxgürtel. Am dritten Tage bedeutendes Delirium tremens, bei welchem bei Muskel-
contractionen das obere Fragment fast senkrecht in die Höhe kömmt. Nach gänzlichem
Ablauf des Deliriums zeigte sich der Verband als ganz ungenügend, indem in demselben
eine Reposition der Fragmente nicht zu erzielen war. Ich Hess mir deshalb eine lange,
etwas ausgehöhlte Schiene von Holz machen, welche an dem einen Ende gepolstert, an
dem andern eine einfache Rolle trug. Um den Vorderarm und die untere Hälfte des
Oberarmes wurden Heftpflasterstreifen mit einer Ansa gelegt Das gepolsterte Stück der
8chiene wurde in der Axilla mit einem Riemen, welcher um den Thorax ging, befestigt
und die Schiene auf einem Tische neben dem Bette fixirt. Die Gewichte, welche an der
Ansa befestigt waren, liefen natürlich über der Rolle. Um die Reposition der Fragmente
zu erhalten, war eine Elevation des extendirten Armes über die Horizontale nothwendig
bei der Anhängung von 6 Pfunden. Der Patient befand sich sehr gut und schmerzfrei,
klagte nie über Ermüdung. Geringe Hautgangrän. Eine starke Phlegmone, als Folge
der Reizung während des Deliriums erforderte mehrere Incisionen. Tertiäre Splitterex-
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traction. Consolidirung nach 8 Wochen. Schluss der Wunde am 94. Tage. Entlassung
den 28. April 1870. Heilung ohne jegliche Verkürzung oder anderweitige Difformität
mit vollständiger ungenirter Beweglichkeit des Humerus- und des Ellenbogengelenkes.
Nach der partiellen Resection der Bruchenden sind die Reposition und die
Fixirung der Fragmente meist leicht und dadurch wird dann auch die Circulation
des Blutes nach den peripherischen Theilen freier und ungehinderter und damit
einer möglichen Gangraenescirung auch wieder entgegengearbeitet. Die Nachbe¬
handlung, wenn sie streng offen gehandhabt wird, gestaltet sich zu einer äusserst
einfachen und sehr wenig Zeit in Anspruch nehmenden. Unter die Wunde wird
ein Eiterbecken gestellt, in welches die Secrete abtropfen, der Verband selbst wird
nach den gewöhnlichen Principien vor Beschmutzung mit Eiter bewahrt. Die
Wunde reinige ich immer mit feuchten Wattetampons und habe den Irrigator nur
in Ausnahmsfallen, bei sehr bedeutender Eiterbildung, zur Anwendung gezogen.
Bei grossen Höhlenwunden, wie bei den Gelenken, habe ich eine Ausspritzung ganz
vermieden, indem es mir schien, als ob nach dem Eingiessen von Wasser, auch
wenn dasselbe mit Carbol- oder Salicylsäure gemengt war, die Zersetzung in der
Wunde beträchtlicher werde. Ich nehme an, dass auch bei gehörig drainirten
Wunden das eingebrachte .Wasser doch nicht immer wieder vollständig ausfliesse
und dann zu Sepsis Veranlassung gebe. Das gleiche Princip der Fernhaltung von
allen Ausspritzungen befolge ich auch schon einige Zeit bei meinen Empyemope¬
rationen und habe ganz gute Resultate zu verzeichnen, worüber einmal später.
Mit der Application von Eis verfahre ich auch sehr sparsam, indem ich glaube,
dass bei gequetschten Wunden, wie die complicirten Fracturen alle sind, durch
eine zu starke Abkühlung der Necrotisirung nur Vorschub geleistet werde. Höch¬
stens lego ich in die Wunde selbst, bei andauernder parenchymatöser Blutung,
kleine Eisstückchen, entferne sie aber, sobald die Hsemorrhagie gestillt ist. Bei
grosser Schmerzhaftigkeit greife ich lieber zu einer Morphiuminjection.
Zur Kritik meines Verfahrens bringe ich die noch nicht beschriebenen Fälle
in folgender Uebersicht zur Veröffentlichung, wobei ich neben dem Allgemein¬
resultate besonders die Zeitdauer der Heilung zu beachten bitte, welche in Betracht
der Schwere der Verletzung meist eine mittlere ist. Bei einigen Patienten ver¬
längerte sie sich auch bedeutend, besonders wenn Sequester sich bildeten. Das
Ganze soll auch ein Beitrag zur brennenden Frage der offenen Wundbehandlung
sein und deshalb lasse ich kurz die durch Operation behandelten offenen Knochen¬
brüche folgen.
8. Jacob O., Eisenbahnarbeiter, 26 Jahre alt, aufgenommen 19. April 1875. — Aetio-
logie, Status bei der Aufnahme. Complioirte Splitterfractur Mntacarpi et phal. I pollic.
dextri durch einen Rollwagen. — Methode der Behandlung. Primäre Splitterextraction.
Handschiene. — Heilungsdauer 48 Tage. — Entlassung 26. Juni 1875.
9. Emil K , 14 Jahre alt, aufgenommen 6. August 1875. — Durchstechungsfractur
des rechten und linken Vorderarmes durch Fall aus grosser Höhe. — Am rechten Arm
zur Reposition primäre Abkneife von Spitze des Radius. Drainage. Am linken Arm
tertiäre Splitterextraction. Erysipel des linken Armes. Gefensterter Gypscataplasma-
verband. — Heilungsdauer rechter Arm 90 Tage, linker Arm 118 Tage. — Entlassung
31. December 1875.
10. Helena W., Fabrikarbeiterin, 25 Jahre alt, aufgenommen 27. November 1875. —
Splitterfractur des Unken Vorderarmes in Mitte durch Waise. — Primäre Spütterextrac-
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tion. Drainage. Gypscataplasmaverbaud. — Heilungsdauer 69 Tage. — Entlassung 80.
Januar 1876.
11. Conrad 8., Landarbeiter, 24 Jahre alt, aufgenommen 26. November 1876. —
Querfractur des rechten Vorderarmes durch Last — Drainage. Gypscataplasmaverband.
Tertiäre Splitterextraction. — Heilungsdauer 64 Tage. — Entlassung 29. Januar 1877.
12. Eduard A., Eisenbahnarbeiter, 24 Jahre alt, aufgenommen 5. December 1875. —
Fract. compL metatarsi pedis dextr. durch Last. Fract. simpl crur. sin. — Secundäre
Bplitterextract Drahtschiene. — Heilungsdauer 87 Tage. — Entlassung 10. April 1876.
13. Thomas E., Knecht, 43 Jahre alt, aufgenommen Ö. Juni 1876. — Fract. compl.
cruris dextri durch Last. — Primäre Splitterextraction etc. — Heilungsdauer —. — Ent¬
lassung 6. Juli 1876. Auf Wunech entlassen bei Consolidation mit kleiner Hautwunde
in Wasserglas verband.
14. Rudolf H., Knecht, 31 Jahre alt, aufgenommen 14. September 1874. — Splitter-
fractur des linken Unterschenkels im untern Dritttheil durch Hufschlag. — Prim. 8plitter-
extraction etc. Secundäre Haut- und Fasciengangrän, tertiäre 8plitterextract. Watson-
8chiene. — Heilungsdauer 180 Tage. — Entlassung 14. März 1875 geheilt mit leichter
Verschiebung ad latus.
15. Anton F., Landarbeiter, 46 Jahre alt, aufgenommen 28. Februar 1876. — Split—
terfractur des linken Unterschenkels durch Last. — Primäre Splitterextract. etc. Phleg¬
mone. Tertiäre Splitterextrack Watson-Schiene. — Heilungsdauer 90 Tage. — Ent¬
lassung 28. Mai 1876.
16. Johann D., Eisenbahnarbeiter, 29 Jahre alt, aufgenommen 8. August 1875. —
Fract. compl. nasi durch Lash — Heilungsdauer 22 Tage. — Entlassung 30. Aug. 1875.
17. Emil 8., 4 Jahre alt, aufgenommen 28. August 1875. — Fract. compl ossis fron-
tis rechterseita vor 4 Tagen durch Fall. Phlegmone. — Drainage. Tertiäre Splitterextr,
— Heilungsdauer 90 Tage. — Entlassung 8. December 1876.
18. Josef L., Fabrikarbeiter, 46 Jahre alt, aufgenommen 10. August 18% 5-. — Säge¬
wunde durch Metacarp. dig. V sin. — Drainage. Handschiene. — Heilungsdauer 15 Tage.
— Entlassung 5. 8eptember 1875 geheilt, fast per primam.
19. Josef B., Eieenbahnarbeiter, 22 Jahre alt, aufgenommen 14., August 1875. —
Zertrümmerung des linken Fusses durch Rollwagen. — Primäre Exarticulation nach Lis-
franc. Grösstentheils per primam. — Heilungsdauer 22 Tage. — Entlassung 3. December
1875.
20. Carl G., Eisenbahnarbeiter, 18 Jahre alt, aufgenommen 18. 8eptember 1875. —
ZertrQmmerung des linken Fusses durch Rollwagen. — Wegen Gangrren Amputation nach
Piroqoff am 11. Tage (29. IX). Drainage. Gefensterter Gypsverband. Heilung per
primam. — Heilungsdauer 32 Tage. — Pat. blieb nach seiner Heilung noch im Spital we¬
gen allgemeiner Schwäche. — Entlassung 4. März 1876.
21. Georg V., Vagabund, 60 Jahre alt, aufgenommen 26. October 1875. — Fract.
compl. crur. dextri im obern Dritttheil (Aetiologie unbekannt). — Prim. Amputak crur.
mit Cirkelschnitt. Delirium tremens. Secundäre Extract. einer periph. Necrose. — Hei¬
lungsdauer 120 Tage. — Entlassung 14. August 1876.
22. Josef 8., Knecht, 36 Jahre alt, aufgenommen 31. Januar 1875. — Fract. compl.
cruris dextri durch Eisenbahnwaggon. — Prim. Amputat. in Mitte mit Cirkelschnitt. —
Heilungsdauer 95 Tage. — Entlassung 28. 8eptember 1876.
23. Urs St., Steinhauer, 61 Jahre alt, aufgenommen 9. Juni 1876. — Frack compl.
crur. dextri durch Stein. — Prim. Amputat. in Mitte mit Cirkelschnitk Sec. Gangron
eines Thcils der Haut. Delirium tremens. — Heilungsdauer 62 Tage. — Entlassung 12.
August 1876.
24. Urs F. t Gerber, 16 Jahre alt, aufgenommen 20. Januar 1875. — Fract. compl.
manus sin. durch Maschine. — Prim. Amputak des Vorderarmes im vordem Dritttheil
mit Cirkelschnitt. — Heilungsdauer 41 Tage. — Entlassung 28. März. 1875.
25. Alexander M., Eisenbahnarbeiter, 44 Jahre alt, aufgenommen 11. Februar 1875.
— Fract. compl. antibrach, dextri durch Dynamit. — Prim. Amputat. im obern Dritttheil
mit Cirkelschnitk Delirium tremens. Sec. Gangren eines Theiles der Hauk ■— Heilungs¬
dauer 45 Tage. — Entlassung 28. März 1875.
26. Peter V., Eieenbahnarbeiter, 23 Jahre alt, aufgenommen 5. September 1876. —
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Zertrümmerung der rechten Hand durch Rollwagen. — Amputat. prim, antibrach, dextr.
in Mitte mit Cirkelschnitt. Delirium tremens. Phlegmone nach dem Humerus zu. Incision.
— Heilungsdauer 6.6 Tage. — Entlassung 28. December 1876.
27. Liberale D., Eisenbahnarbeiter, 27 Jahre alt, aufgenomraen 14. April 1876. —
Zertrümmerung des rechten Armes durch Rollwagen. — Exarticulatio Huraeri dextr. mit
vorderem grösserem und hinterem kleinerem Lappen. Drainröhre. Heiluag per primam
bis auf eine Fistel, welche dem Drain entspricht. Im August stösst sich ein abgebroche¬
nes Stück der elast. Röhre aus. — Heilungsdauer 138 Tage. — Entlassung 5. October
1876.
28. Anton H., Knecht, 44 Jahre alt, aufgenomroen 18. October 1876. — Zertrümme¬
rung des rechten Armes durch Mühlstein. — Amputat. prim. Huraeri d. im obern Dritt-
theil mit Cirkelschnitt. — Heilungsdauer 60 Tage. — Entlassung 29. December 1876.
29. Luigi S., Eisenbahnarbeiter, 27 Jahre alt, aufgenommen 2. August 1875. — Zer¬
trümmerung des linken Oberschenkels durch Rollwagen. — Prim. Amputat. in der Mitte
mit vorderem Lappen. Geringe Gangrsn der Haut. — Heilungsdauer 80 Tage. — Ent¬
lassung 6. Januar 1876.
80. Isaac A., Eisenbahnarbeiter, 17 Jahre alt, aufgenommen 14. April 1875. — Fract.
compl. cruris et femoris sin. durch Rollwagen. — Sec. Amputatio femoris über der Mitte
wegen Gangraen des Fusses mit äusserem und innerem Lappen. Geringe Hautgangrsn.
Abstossung eines periph. Sequesters. — Heilungsdauer 136 Tage. — Entlassung 4. Dec.
1876.
31. Fritz F., Eisenbahnarbeiter, 17 Jahre alt, aufgenommen 15. Januar 1875. —
Fract. compl. digit. II. et III. dextr. durch Rollwagen. — Exarticulat. dig. II. et III. —
Heilungsdauer 25 Ta-je. — Entlassung 2. März 1875.
32. Johann B., Eisenbahnarbeiter, 32 Jahre alt, aufgenommen 26. Mai 1875. — Fract.
compl. pollic. et indic. sin. — Exarticulat pollicis. — Heilungsdauer 21 Tage. — Ent¬
lassung 27. Juni 1876.
33. Marie M., Fabrikarbeiterin, 34 Jahre alt, aufgenommen 28. December 1875. —
Fract. compl. indic. dextr, durch Maschine. — Exarticulat indic. — Heilungsdauer 16
Tage. — Entlassung 24. Januar 1876.
Gestatten Sie mir, meine Herren, dass ich Ihnen anhangsweise noch über einen
Patienten aus meiner Privatpraxis referire, dessen Krankengeschichte' in mehrfacher
Hinsicht erwähnenswerth ist und mit unserem Thema wenigstens in indirectem Zu¬
sammenhänge steht
34. Bei dem 7 Jahre alten Knaben, welcher den 14. August 1876 in eineu Keller
hinunter gefallen war und sich dabei einen offenen 8chädelbruch und eine subcutane Frac-
tur des linken Oberschenkels zugezogen hatte, wurde der erstere offen behandelt, die letz¬
tere in einen Gyps-Wasserglas verband mit Beckengürtel gelegt. Den 9. September con-
statirte ich Folgendes: Der schwächliche, gracil gebaute, sehr schlecht aussehende Pa¬
tient, welcher schon mehrere Tage bedeutende Temperatursteigerungen dargeboten, zeigt
einen oircumscripten Abscess über der Glabella, unter welchem die äussere Wand des
Sinus frontalis gebrochen und eingedrückt ist 1 cm, darüber beginnt eine breite klaf¬
fende, 7 cm. lange, eiternde Wunde, welche linkerseits über dem Tuber frontale begin¬
nend von vorn und unten nach hinten und oben bis in das Os parietale streicht, deren
Grund eine totale Impression mit oberflächlicher Splitterung zeigt Von Seiten des Ge¬
hirns keine Symptome, Wegen bedeutender Schmerzhaftigkeit der linken untern Extre¬
mität wird der Verband entfernt. Auf dem dorsum pedis befindet sich eine ausgebrei¬
tete, schlecht aussehende Druckgangrten. Der Oberschenkel ist unförmlich angeschwollen
mit erweiterten Hautvenen, besonders die Kniegegend sehr schmerzhaft. Eine Querfrac-
tur in der Mitte des Femur mit bedeutender Verschiebung des obern Fragmentes ad latus
ist noch sehr beweglich. Wegen der Wunde am Fuss Lagerung in einer über das
Becken hinaufreichenden Blrchschiene. Am 9. September Eröffnung eines Abscesses in
der Inguinalfalte, welcher eine bedeutende Menge eines jauchig riechenden chocoladefar-
bigen Eiters ergibt. Abfall des Fiebers, aber noch häufige Exacerbationen. 15. Sept.
Gypsverband, über dem Fusse gefenstert, indem die Blechrinne zu wenig Halt bot, immer
noch bedeutende Eiterung der Inguinalfistel und des Fusses,
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18. October. Fuss grössten theils vernarbt, Frsctur noch ganz beweglich. Decubitus
am Rücken. Extension mit Flanellbinden auf dem schleifenden Fussbrette. Erst jetzt
gänzlicher Abfall des Fiebers, Abschwellung des Femur, Mässigung der Eitersecretion,
Scheinbar fortschreitende Consolidation. Der Pst. erholt sich zusehends, fängt an im Bette
aufzueitzen, ist fröhlich und hat guten Appetit.
12. December. Entfernung des Verbandes und Constatirung einer noch ganz beweg¬
lichen Pseudarthrosis. Da die Inguinalfistel stets noch, wiewohl wenig Eiter secernirte,
die Fractur also eigentlich eine complicirte geworden war, entschloss ich mich kurz zu
einer Resection der Bruchenden und führte sie am 18. December aus.
Chloroformnarcose. 7 cm. lange Incision auf der äussern Seite des Femur bis auf
den Knochen, deren Mitte der Fractur gerade entsprach. Statt eines Gallus zeigten sich
nur wenige dünne, tertiäre Knochensplitter, von einer geringen Menge guten Eiters um-
spühlt. Das obere Fragment, welches sich zuerst präsentirt, ist gegen sein unteres Ende
verjüngt, wie zernagt, und in der Ausdehnung von über 1'/, cm. seines Periostes und
des Knochenmarkes beraubt. Das untere Fragment liegt mit seinem obern Rande noch
weit unter dem untern Rande des obern Bruchstückes und zeigt den gleichen cariösen
Zustand, nur in geringerem Umfange. Irgend eine Verbindung beider durch eine Gewebs-
masse existirt absolut nicht Von dem obern Fragmente entfernte ich mit der fctichsäge
etwas weniger als 2 cm., mich an die Grenze der gesunden Beinhaut haltend, von dem
untern meisselte ich nur '/, cm* ab. Wegen der grossen Diastase und der schweren Be¬
weglichkeit des untern Bruchendes schritt ich zur Anlegung einer Knochennaht, zu wel¬
chem Zwecke ich mit einem Drillbohrer zuerst das obere Fragment von der Peripherie
zur Mitte des Markes und dann ebenso das untere durchstach Mit krummen Nadeln
führte ich zuerst Silberdraht durch, welcher aber zerriss, und dann einen dicken Seiden-
faden, welchen ich knotete und ein Ende kurz abschnitt, das andere zur Wunde heraus
leitete. Eine solche Sutur genügte vollkommen. Keine Wundnaht. Ganz offene Be¬
handlung in dem frühem Extensionsverbande mit nur 8 Kilo Gewichten. Die Operation
hatte wegen der mühsamen Knochentrennung und der sehr zeitraubenden Knochennaht
über l 1 /} Stunden gedauert. Collaps des Kranken und 2 Tage andauerndes Erbrechen.
Dann aber, da kein Fieber eintritt, rasche Erholung Eiterung im Anfang bedeutend, de¬
finitiver Schluss der Inguinalfistel den 28 December. Schon 8 Wochen nach der Opera¬
tion kann Consolidation durch eine bedeutende Callusmasse nachgewiesen werden. Die
Eiterung wird gering, die Wunde verkleinert sich Nach 6 Wochen Entfernung des Ver¬
bandes. In der sechsten Woche lässt sich der Seidenfaden mit einem kleinen Stücke
Corticalis entfernen. Ende Januar dauernder Verschluss der Wunde. Der Patient
steht auf.
Eine Untersuchung ergibt starke Callusbildung. Das Femur ist ganz gerade, 1 cm.
verkürzt. Knie- und Fussgelenk anchylotisch. Mitte März geht der Knabe ohne Krücken,
die beiden Gelenke zeigen aber nur noch geringe Bewegungsexcursionen.
Ein grosses Interesse bietet dieser Fall wegen der Aetiologie der Vereiterung
einer subcutanen Knochenfractur. Ich nehme an, dass die Hautgangrsen am Fusse
den Grund derselben bildete, indem septische Stoffe von ihr aus durch die Lymph-
wege zu dem bedeutenden Blutextravasate gelangten und in demselben die Infec-
tion erzeugten, eine Anschauung, welche sich auf Verjauchungen von zufälligen,
local getrennten Hsematomen bei septischen Processen irgend welcher Körperstel¬
len stützt. Bemerkenswerth ist auch die rapide Heilung des bedeutenden Ein¬
griffes bei offener Wundbehandlung.
Die Seidennaht hatte sich auch sehr gut bewährt und ersetzte eine treppen¬
förmige Resection der Bruchenden, welche ich ursprünglich planirt, aber wegen
der schwierigen Beweglichkeit und dem cariösen Zustande der Fragmente wieder
aufgegeben hatte. Da die Verkürzung der Extremität nach der Ausheilung ein
geringeres Maass ergab, als die entfernten Knochenpartien hätten erwarten lassen,
so darf man vielleicht an ein gesteigertes Knochenwachsthum durch die Reizung
des Periostes in der Nähe des untern Epiphysenknorpels denken.
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V ereinsberich t e.
Sitzung der ärztlichen Gesellschaft der Centralschweiz.
Den 18. September 1876, im Hötel du Lac in Luzern.
Präsidium: Dr. Fr. Bücher , Luzern; Actuar: Dr. Fritz Elmiger, Reiden.
I. Anwesend sind 43 und zwar aus dem Canton Luzern 40, Schwyz 1, als Gäste
Herr Dr. Reali aus Lugano und ein College aus Zug.
H. Der Präsident eröffnet die Verhandlungen mit einem übersichtlichen Be¬
richte über die Thätigkeit der einzelnen Vereinssectionen, de¬
ren die Gesellschaft sechs zählt, nämlich Uri, Schwyz, Willisau-Entlebuch, Hoch¬
dorf, Luzern und Sursee. Eines allzu rührigen Vereinslebens konnte sich keine
Section rühmen. Einzig Luzern hielt während des laufenden Jahres regelmässige
Sitzungen (6) und veröffentlichte die wichtigsten Verhandlungen durch ihren Re¬
ferenten im Correspondenz-Blatt.
III. Hierauf stellte Dr. Steiger von Luzern zwei Personen vor, welche s. Z.
schwere Schädelverletzungen erlitten hatten, nun aber vollständig geheilt
sind. Der eine Fall betrifft eine Frau, welche durch einen Holzspahn am einen
Processus mastoideus eine tief gehende Wunde erhalten hatte. Ref. erweiterte die
Wunde durch Schnitt und extrahirte 2 Holzsplitter. Wegen bald eingetretener
tetanischer Spannung erhielt Patientin grosse Dosen Chloralhydrat mit Morphium,
sechs Wochen lang; nebstdem wurden hydropathische Einwickelungen angewen¬
det. Sobald das Chloral ausgesetzt wurde, erfolgten wieder tetanische Con-
tracturen.
Vom Vortragenden werden in ähnlichen Fällen überhaupt grosse Dosen Chlo¬
ralhydrat und starke Diaphorese empfohlen. Vollständige Heilung des genannten
Falles erfolgte nach 10 Wochen. Pat hatte im Ganzen bei 300 gmm. Chloralhy¬
drat genossen.
Die zweite Verletzung betrifft einen Dragoner, der durch Sturz vom Pferde
und Aufschlagen des Kopfes auf eine Trottoirkante eine Schädelfractur in der Ge¬
gend des linken Seitenwandbeines gegen das Stirnbein hin erlitten hatte. Die erste
Untersuchung ergab, dass auch die Dura mater eingerissen und Gehirnmasse aus¬
getreten war. Letztere wurde durch elastischen Druck allmälig wieder zurückge¬
bracht. Ara 5. Tage konnte ein Knochensplitter entfernt werden, später deren noch
zwei, welche der Versammlung vorgezeigt werden. Die Verletzung fand vor 11
Wochen statt. Seit 5 Wochen ist die Intelligenz des Verwundeten wieder gut und
mit Abrechnung einer Spur von Aphasie kann die Heilung als eine vollständige
betrachtet werden.
IV. Dr. G. Nager hält einen Vortrag über die Wirkungsweise und die z. Z.
möglichen Indicationen für die Behandlung der Rachen-, Kehlkopfs- und Lungen¬
krankheiten mittelst Einathmung zerstäubter Flüssigkeiten. — Er
durchgeht zuerst die Geschichte dieser eigentlich noch jungen Heilmethode, die
schon, bevor sie allgemeiner bekannt geworden, eine streng wissenschaftliche Prü¬
fung vor der franz. medic. Academie rühmlich bestand.
Als Vertreter der zwei für die allgemeine Praxis fast allein in Frage kommen-
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den Systeme an Inhalations-Apparaten wurden ein Zerstäuber nach Berggon und
ein verbesserter Siegle' scher vorgelegt und in Bezug auf ihre verschiedene Wir¬
kungsweise, ihre Vor- und Nachtheile mit einander verglichen.
Der erste der beiden Apparate, einfacher in seiner Anordnungsweise, gibt eine
gröbere, im Vergleich zur umgebenden Luft kühlere, viel schwieriger den tiefem
Theilen der Athmungsschleimhaut zuzuleitenden Nebel, passt also mehr für Krank¬
heiten der Rachenhöhle, besonders wenn sie mehr chronischen Charakter haben,
durch stärkere Schleimabsonderung oder gar Neigung zu Blutungen ausgezeichnet
sind, endlich auch da, wo sehr differente Mittel, z. B. Sublimat-Lösungen zur An¬
wendung kommen.
Mit dem Siey/e’schen Pulverisateur dagegen erhält man einen feinem, bedeu¬
tend warmem und mit dem eminent elastischen Wasserdampf stark gemischten
Nebel, von dem also überhaupt allein noch Wirkung unterhalb die Stimmritze
hinab zu erwarten ist, der ferner sich bei allen mehr frischen Krankheitsvorgängen,
bei den meisten im Allgemeinen empfindlichem Personen empfiehlt, sowie natürlich
überall da, wo schon die Anwendung des warmen Wassers angezeigt ist,
also bei Auflagerungen (Croup, Syphilis), bei Geschwürsbildungen, bei Abscedi-
rung etc.
Der Vortragende erwähnt noch kurz die zum Inhaliren empfehlenswerthesten
Lösungen und schliesst, indem er als ganz besonders wichtig für diese Behandlung
die Nothwendigkeit hervorhebt, dass dieselbe unter sorgfältigster und eingehend¬
ster Anleitung und Ueberwachung des Arztes selbst, mit pedantisch genauer Be¬
achtung der richtigen Kopf-, Mund- und Zungenstellung zu geschehen habe.
An der Discussion über diesen Gegenstand betheiligen sich besonders Dr. Steiger
und Dr. Pflüger. Ersterer macht darauf aufmerksam, dass er besonders bei Diph¬
therie die Membranen möglichst gut abschabt bis auf die blutende Schleimhaut
und diese stark bepinselt. Die Bepinselung solle man mehrmals wiederholen. Von
Inhalationen bei Diphtherie will er schlechte Erfolge gesehen haben.
Dr. Pflüger stimmt der örtlichen Behandlung vermittelst Bepinselung bei, und
empfiehlt besonders starke Lösungen von Argent» nitr.
V. Dr. Pflüger spricht über die Erkrankungen des Auges bei Dia¬
betes mellitus, gestützt auf die gediegene Arbeit von Prof. Th. Leber in
Göttingen über dieses Thema. Die Arbeit ist niedergelegt in von Grafe' s Archiv
für Ophthalmologie XXI, 3-
Aus dem längern Referat Pflüger' s sei hier nur angeführt, dass bei Diabetes
mellitus bisher beobachtet worden sind: Cataract, Netzhaut- und Glaskörperblu¬
tungen, Retinitis apoplectica mit und ohne weisse Degenerationsheerde, Amblyopie
ohne ophthalraoscopischen Befund mit freiem Gesichtsfeld und solche mit Gesichts¬
feldbeschränkung, Hemiopie, Sehnervenatrophie, Lähmung von Augenmuskeln, na¬
mentlich des Ciliarmuskels. In einem Fall von diabetischer Netzhauterkrankung
sah Leber guten Erfolg mit Bezug auf Local- und Allgemeinleiden von Acidum
carbol. innerlich genommen, 0,3 pro die.
In den fünf Jahren seines Aufenthalts in Luzern hat Pflüger beobachtet 1 Ca¬
taracta diabetica, 3 Fälle von hochgradiger Accommodationsparese, ferner 1 Reti-
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nitis apoplectica diabet. Mit dem ffiWe’schen Sacharimeter gemessen betrug der
Zuckergehalt das eine Mal 6,3%i einen Monat später 7,5%. Patient unterzog sich
keiner regelrechten Behandlung. — Ferner hat Pflüger mehrere Fälle von hochgra¬
diger nervöser Schwerhörigkeit mit lästigen Ohrengeräuschen, die von keiner Lo¬
calbehandlung, den constanten Strom nicht ausgenommen, sich beeinflussen Hessen,
beobachtet. Unter Anderm litt auch unser College, Dr. Imhof sei. in Aarau, an
diesem Folgeübel des Diabetes. Pflüger bringt noch einige statistische No¬
tizen über Cataracta diabetica, welche ihm von Dr. Ftügtistaüer in
Jonen, gewesenen Assistent an der Augenklinik in Bern, bereitwilligst zur Verfü¬
gung gestellt wurden, und die der Autor später in einer besondern Arbeit ausführ¬
licher behandeln wird.
Flüglistaller hat gefunden, dass unter 353 Cataracten (an 233 Individuen), die
vom Jahre 1867 bis Ende 1875 in der berner Klinik aufgenommeu worden sind, 18
diabetischer Natur an 9 Individuen sich fanden. Von den 18 Augen wurden 13
operirt, 8 mit gutem, 2 mit halbem, 1 mit geringem und 2 ohne Erfolg.
In einem Fall von Diabetes mit Glaskörperblutung hat Flüglistaller das Blut
mit dem Melasse^ sehen Apparat untersucht und die Zahl der Blutkörperchen über¬
haupt etwas geringer als normal, doch nur unbedeutend, die weissen Blutkörper¬
chen der Zahl nach normal, eher vermehrt, gefunden.
Referent schliesst mit der Bemerkung, dass fortan jede Amblyopie mit oder
ohne ophthalmoscopischen Befund, mit oder ohne Gesichtsfeldbeschränkung, jede
Netzhaut- und Glaskörperblutung, jede Augenmuskellähmung, jede nervöse Schwer¬
hörigkeit, deren Aetiologie nicht klar ist, an uns die Forderung stellt, den Harn
auf Zucker zu untersuchen; so wird sicher mancher Fall von Augen- und Ohren¬
leiden erst verständlich und der Behandlung zugänglich, so wird mancher Fall von
Diabetes, welcher sonst die längste Zeit latent verlaufen wäre, in einem frühem,
der Therapie zugänglichem Stadium entdeckt.
VI. In Abwesenheit des Herrn Cantonschemikers Dr. Sliertin in Luzern folgte
nun die Ablesung seiner Arbeit über die „chemische Untersuchung im
Giftmord Scherer“, durch den Präsidenten. Dieselbe lautet:
Im April dieses Jahres machte eine Vergiftung in unserm Canton Aufsehen,
welche, wohl die erste in ihrer Art, den Gerichtsarzt des betreffenden Kreises,
das Sanitätscollegium und die cantonale Untersuchungsbehörde nur zu sehr be¬
schäftigen sollte.
Herr Prof. Felder dahier und der Unterzeichnete waren vom Sanitätscollegium
bestimmt worden, den Untersuch zu vollführen und über diesen Untersuch, beson¬
ders über den Nachweis des Morphiums möge es mir heute vergönnt sein , Ihnen
eine kurze Darlegung zu unterbreiten. — Das gerichtsärztliche Gutachten, mit
Sachkenntniss abgefasst, hatte eine Vergiftung mit einem Narcoticum angedeutet
und dies musste nun durch den chemischen Untersuch nachgewiesen oder dessen
Abwesenheit resp. Anwesenheit anderer Gifte oder Narcotica bestimmt eruirt
werden.
Um nun auf allfällige spätere Einwendungen der Verteidigung, wie z. B., ob
nicht auf andere Gifte geprüft worden sei etc., vorkommenden Falls auch ant-
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Worten zu können, so hielten wir es für geboten, auf die leider schon öfters an¬
gewandten Gifte, wie Phosphor, Arsenik, Brechweinstein etc., welche wir seit 8
Jahren schon getroffen haben, Rücksicht zu nehmen; auch die Blausäure wurde in
Berücksichtigung gezogen.
Die meisten unter Ihnen, meine Herren, werden die interessanten Versuche,
wie man Phosphor im Mtltcherlieh'sehen Apparate mit den schönen blitzartig er¬
scheinenden glühenden Nebeln nachweist, oder wie man den Arsenik mit dem
Jfar*A’schen Apparate sich selbst schreibend auf einer kalten Porzellanplatte spie¬
gelnd ablagern lässt, noch von der Hochschule her im Gedächtniss haben, so dass
es unnöthig erscheinen mag, sie hier noch zu besprechen. Diese Versuche sind
nicht so schwierig, wie der Nachweis der Blausäure, der bei vorgeschrittener Ver¬
wesung unter Umständen zur Unmöglichkeit werden kann. Der Nachweis der
Blausäure lässt sich auf zwei sehr hübsche Arten machen. Die Blausäure ist sehr
flüchtig, sie lässt sich also abdestilliren und in dem Destillate absondern und dar¬
aus wird der Nachweis gewöhnlich so geleistet, dass man mit dem einen Theil
durch geeignetes Verfahren Berlinerblau, mit dem andern das in jüngster Zeit bei
Anlass des Blutschwitzens etwa genannte rothe Eisenrhodanit darstellt. Beide Me¬
thoden sind äusserst empfindlich, die kleinsten Mengen Blausäure lassen sich auf
diese Art nachweisen, falls sie nicht schon im Körper zersetzt wurde. Sie sehen
daraus, dass wenn man bei vorgeschrittener Verwesung keine Blausäure mehr
nachweisen kann, die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, dass sie nicht dennoch
hätte vorhanden, resp. verabreicht worden sein können. Je weniger die Verwe¬
sung vorgeschritten, um so sicherer ist der Nachweis und in unserm Falle hier
war die grösste Wahrscheinlichkeit, dass keine Blausäure vorhanden
gewesen.
Die Prüfung auf metallische Gifte geschah auf die gewöhnliche, Ihnen allen
wohlbekannte Art der Ausfällung mit Schwefelwasserstoff nach vorheriger mög¬
lichst vollständiger Zersetzung alles Organischen mit Hülfe von Salzsäure und
chlorsaurem Kali; wir erhielten da auch ein absolut negatives Resultat.
Mit diesen Versuchen war gleichzeitig die Prüfung auf Alkaloide in Angriff ge¬
nommen worden und zwar mit dem fünften Theil der Masse (*/• waren schon für
die soeben angeführten Nachweise verwendet worden, der letzte Fünftheil blieb
noch in Reserve); wir verfuhren dazu nach dem von Sonnenschein angegebenen
Gange, den wir hier kurz anführen wollen. Die Masse war gehörig zerkleinert,
zur Syrupsdicke eingedampft und mit 1 gmm. Weinsäure versetzt worden. Dieses
Gemisch wurde mit starkem Weingeist zu wiederholten Malen mehrere Stunden
lang behandelt, die Flüssigkeit abfiltrirt und zuletzt im Wasserbad mit Hülfe eines
wannen Luftstromes eingedampft. Der syrupdicke Rückstand wurde nochmals fil-
trirt, wobei sich fettartige Körper ausschieden, dann eingedampft und mit starkem
Alcohol angerieben, nochmals von ausgeschiedenen gummiartigen Stoffen abfiltrirt
und wieder eingedampft. Die erhaltene dickliche Flüssigkeit wurde nun wieder¬
holt mit reinem Aether ausgeschüttelt; die erste Portion hinterliess eine bräunliche
Masse, ohne irgend welche Spur eines krystallinischen Körpers; die 2., 3., 4. Probe
des Ausschüttelns mit Aether wurden vereint ebenfalls freiwillig langsam abdun-
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Bten gelassen; sie hinterliessen ebenfalls nichts, was auf die Anwesenheit eines
aus saurer Lösung durch Aether ausziehbaren Alkaloids hätte deuten können.
Hierauf wurde der zurückbleibende wässrige Rückstand mit Natronlauge alkalisch
gemacht und nochmals wiederholt mit Aether ausgeschüttelt. In diese ätherische
Lösung gehen die meisten Alkaloide, falls sie in der Masse vorhanden, mit Aus¬
nahme des Morphiums, welches in der alkalischen Lauge bleibt. Diese ätherische
Lösung hinterliess ebenfalls kein Alkaloid, auch kein „Narcotin“, was das Gut¬
achten in soweit beeinflusste, dass wir nach dem Auffinden des Morphiums
aus der Abwesenheit des Narcotins auf Verabreichung von Morphium
und nicht Opium schlossen. Auf Zusatz von etwas Salmiaklösung zu der mit
Aether ausgeschüttelten Lösung erhielten wir nach etwa 12stündigem Stehen einen
kryBtallinischen Niederschlag von feinen Nadeln, welche sorgfältig gesammelt und
nochmals aus heissem Alcohol umkrystallisirt in Summa 0,013 gram, wogen. Sie
erwiesen sich als Morphium, sowohl aus ihrer Krystallform unter dem Microscop
als auch durch ihr Verhalten zu den Reagentien Goldchlorid, Eisenchlorid, Salpe¬
tersäure und Phosphormolybdsensäure. Die Erscheinungen stimmten auch micro-
scopisch mit den Controlversuchen überein , so dass wir mit aller Sicherheit die
Erklärung abgeben konnten: es findet sich „Morphium“ in dem übersandten
Magen.
Meine Herren, wenn es sich um den Nachweis eines Verbrechens handelt, so
ist auch der ruhigste Mensch, selbst wenn er in der Chemie längst nicht mehr
ganz Neuling ist, in einer eigenthümlichen nervösen Spannung; man macht eben
keine wissenschaftliche Uebungsaufgabe, etwa um eine neue Methode zu finden,
sondern vom Ausspruch kann die schwerste Strafe für einen Nebenmenschen ab-
hängen. Bei solchen Arbeiten heisst es dann auch gewöhnlich im Begleitschrei¬
ben: „mit möglichster Beförderung“, weil eben der Verdächtige bereits in Verhaft
ist. Wir führen Ihnen dieses an, um uns zu entschuldigen, dass wir dem Gut¬
achten nicht auch „Substanz beigelegt“; sie war eben durch die Ver¬
suche und Controlversuche aufgebraucht worden. Heute nun sind wir im Falle,
Ihnen aus dem untersuchten letzten Fünftheil, aus der noch aufbewahrten Mutter¬
lauge, „Morphium“ in Substanz vorzulegen. Wir haben die angesäuerte Mutter¬
lauge wiederholt durch eine poröse Membran in destillirtem Wasser diffundiren
lassen, diese diffundirte Flüssigkeit etwas eingedampft, mit Phosphormolybdeensäure-
Lösung versetzt, so lange sich noch ein Niederschlag bildete, diesen Niederschlag
aufgesammelt, mit Kälicarbonat im Ueberschuss versetzt, eingetrocknet, mit star¬
kem Weingeist ausgezogen, diesen Auszug freiwillig verdunsten gelassen und diese
Kryställchen erhalten. Sie betragen nicht viel an Gewicht, nur noch 4,5 Milligm.,
macht mit den oben angeführten 0,013 in Summa 0,0175 gmm. Diese Quantität
war also im Fünftheil des Magens noch vorhanden, im Ganzen somit wenigstens
5 X 0,0175 = 0,0875, wobei es natürlich nicht zu ermessen, wie viel im Erbro¬
chenen (lt. den Acten) weggegangen war.
Das ist also die Art und Weise, wie der chemische Untersuch geführt worden
war. Wenn uns wieder ein solcher Fall Vorkommen sollte, was wir aus Nächsten¬
liebe doch nicht hoffen, so sehr die Arbeit auch des Interessanten bietet, so wer-
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den wir uns des Verfahrens der Dialyse mit Anwendung der Ausfällung der Phos-
phormolybdsensäure bedienen, da dieser Weg zwar etwas länger ist, aber dafür
auch ein quantitativ genaueres Resultat gibt
(Schluss folgt)
Referate und Kritiken.
Hauptmomente in der geschichtlichen Entwicklung der medicinischen Therapie.
Von Dr. Jul. Petersen. Kopenhagen, A. F Höst & Sohn, 1877. 400 S.
Nicht vergeblich halten wir die Geschichte för die beste Lehrmeisterin, und gerade
die hastig und rastlos vorwärtsstrebende Neuzeit nöthigt den denkenden Menschen, der
sich sein eigenes, selbstständiges und unparteiisches Urtheil wahren will, von Zeit zu
Zeit weit zurückzuschauen. So lernt er die Anfänge kennen, aus denen heraus sich, oft
genug auf mannigfaltig verschlungenen Wegen, so manche Gebilde der Gegenwart entwickelt
haben. Er sieht aber auch, wie so manches System, dem bei seinem ersten Auftreten
mit ostensiblem Gepränge der Stempel der Unfehlbarkeit und der Unvergänglichkeit auf
die stolz erhobene Stirne gedrückt wurde, nach kurzer Existenz sang- und klanglos und
ohne Früchte, ja ohne befruchtende Anregung wieder verschwunden ist.
Die medicinische Therapie (also nur die Therapie der innern Krankheiten ohne Chi¬
rurgie und Geburtshülfe), dieses Schmerzenskind der ärztlichen Wissenschaften, ist es
nun vor Allem, die ein Studium der ähnlichen Bestrebungen, des unermüdlichen Forschens
vergangener Zeiten erfordert, wenn wir kühlen Geistes den Werth so mancher schillern¬
den Eintagsfliege beurtheilen sollen. Heute nicht weniger als früher werden uns neue
Gesichtspuncte, neue Entdeckungen mit sanguinischem Optimismus empfohlen: der aus¬
übende Practiker greift mit dankbaren Gefühlen nach dem rettenden Tau und wird zum
Skeptiker, wenn er sieht, dass er nur einen Strohhalm erfasste. Zu oft nur verliert er
dann bei seinem weitern Vorgehen den Compass und läuft auf Sand auf.
Das Studium der Geschichte der Medicin war nun bisher freigegeben — es gehört
nicht zu den Examenfächern und wurde deshalb von der grossen Mehrzahl vernachläs¬
sigt. Im Drange der Praxis fand sich dann später nur für Wenige Zeit und Gelegen¬
heit, historische Studien zu machen. Wir müssen daher dem Manne dankbar sein, der
mit ruhigem, unparteiischem, aber äusserst klar sehendem Auge aus dem enormen Schatze
der medicinischen Litteratur über das so wichtige Fach der Therapie das Wissenswerthe
sammelte und es uns in übersichtlich und lichtvoll geordneter Weise und in ausgezeich¬
net schöner Sprache bietet. Ich nehme in der Armee der Jünger Aesculaps eine viel zu
untergeordnete Stelle ein, um mich dem Aussprüche BiUrtdh’n über das Werk Petersen’a
anschliessen zu dürfen, von dem er sagte, das Buch habe nur einen Fehler, nämlich den,
dass nicht er (BiUroth) selbst es geschrieben habe.
Petersen schreibt keine Geschichte der gesammten Medicin , wie es Sprengel , Hdser ,
Wunderlich, Bouchut , Daremberg u. A. gethan haben, sondern eben nur die Entwicklungs¬
geschichte der medicinischen Therapie. Er benützt hiebei die Arbeiten seiner Vorgänger,
setzt uns aber doch durch sein enormes Wissen, vor Allem durch das allseitige Beherr¬
schen der gesammten Litteratur der neuern Zeiten in gerechtes Erstaunen.
Noch der sehr lesenswerthen Einleitung theilt P. seinen Stoff in zwei Hauptclassen,
in die dogmatischen Richtungen in der Heilkuast (mit den Capiteln: mystische Richtun¬
gen, teleologische Physiatrie, Methodismus, Chemiatrie) und in die empirischen und em-
pirisoh-rationellen Richtungen in der Heilkunst (empirische Richtung, die Therapie unter
Einwirkung der pathologischen Anatomie, die Therapie unter Einwirkung der pathologi¬
schen Anatomie und Physiologie, Hauptmomente im therapeutischen Standpunct unserer
Zeit). Er behandelt also seinen Stoff nicht rein chronologisch, sondern sucht die Anfänge
der einzelnen Systeme auf, demonstrirt ihre Entwicklung, ihren Einfluss auf andere Sy¬
steme und ihren schliesslichen Ausgang. Daraus entsteht nun allerdings ein Uebelstand:
der Leser erhält zuweilen in den einzelnen Capiteln kein abgeschlossenes BUd der Wirk¬
samkeit des geschilderten Arztes, weü eben dessen Thätigkeit in andere Systeme hinüber-
greift. Wir müssen also das Buch studiren und nioht nur flüohtig lesen. Zudem ist denn
doch das System für uns wichtiger als sein Träger,
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Dfcn Schluss des Buches bildet die pr&chtige Darstellung der Entstehung und des
gegenwärtigen Zustandes der medicinischen Therapie unserer Zeit. Es hat uns dabei
gefreut, dass P. in so anerkennender und eingehender Weise der „Vorposten der Gesund¬
heitspflege“ unseres verdienten Sonderegger erwähnt.
Ich möchte jedem Arzte dringend rathen, sich dieses Buch zum Studium zu ver¬
schaffen. So oft sinkt uns der Muth gerade da, wo wir mit vollen Händen geben möch¬
ten, in der Therapie. Aus dem von Petersen so würdig aufgeschlagenen Buche der Ge¬
schichte lernen wir nun, wie vor uns so unendlich viel Talent, Fleiss und Aufopferung
uns den Weg zu bahnen bestrebt war. Sollen wir feig die Arme sinken, den unfrucht¬
baren Nihilismus unsere Kräfte lähmen lassen? Gewiss nicht; wir streben weiter!
A. Baader.
Das Buch vom gesunden und kranken Herrn Meyer.
Von M. Reymond. Mit 162 Illustr. von U. G. Sbröhl. Bern, G Frobeen & Cie, 1877.
232 8. Mk. 1. 80.
In trübseligen Stunden, in Momenten der Ermüdung, aber oft auch bei ganz norma¬
ler Stimmung nehmen wir gerne ein Geistesproduct zur Hand, aus dem uns nicht der
Ernst der Wissenschaft, sondern der lose Schalk Humor entgegenguckt.
Reymond gibt uns eine mit witziger Laune, zuweilen auch mit heissender Satyre ge¬
schriebene Darstellung der medicinischen Therapie, wie sie cum et sine lege artis, von
Eingeweihten und Uneingeweihten practicirt wird.
Wir begleiten Herrn Meyer nach einem Rückblick auf seine Ahnen („Stammge-
schichtliches“) von seiner Wiege an zu den Studentenjahren und sehen , wie schon dem
Säugling allerlei sanitarische Gefahren drohen. Sein Vater eilt in die Kanzlei und über¬
lässt Alles der Hebamme:
„Indessen aber ging daheim
Die Zucht und Ordnung aus dem Leim;
Denn oberwähnte Innungsdame
— (Frau Schmalz war ihr poet’scher Name) —
War durchaus keine „weise Frau“
Und ihr Gewissen äusserst lau. 8
Der angehende Referendar wird Hypochonder, weil er bei einer Untersuchung zum
Abschlüsse einer Lebensversicherung wegen seines Fettpolsters nur als „relativ gesund“
erklärt wurde. Es ist nun sehr ergötzlich, zu sehen, wie er mit Hanteln, Wassercuren,
zuerst Fleisch-, dann reiner Pflanzenkost, durch Landaufenthalt, Schroth , Baunscheidt und
Morrison’Bcbe Pillen sich glücklich dahin bringt, in Wirklichkeit der kranke Herr Meyer
zu werden. Nun sollte ihm die Homöopathie helfen, deren schöne Lehren ihm so sehr
imponiren, dass er sich gelobt:
„Darnach kurir’ ich mich zur Stund',
8obald ich wiederum gesund! 8
Allein die homöopathische Diät schlägt fehl:
„Drum wird aus unserm armen Meyer
Gar bald ein Lazarus, ein neuer,
Ein 8chatten, nahe der Zerrinnung:
Ein Mensch in dreissigster Verdünnung. 8
Jetzt kommt das Consilium medicum, bei dem — horribile dictu — Homöopathen
und Allopathen zusammen consultiren! Der Dichter sucht da auch den ärztlichen Beruf
zu geissein — es sitzt aber nicht! Denn was er schildert, ist entweder längst vorbei,
oder gar nie dagewesen. Das monströse Consilium gebiert aber doch und zwar eine
Badereise, die unser Leidensgenosse vom Golf von Trient, von Carlsbad und den Moor¬
bädern von Franzensbad aus seiner Braut schildert Aus dem Schlamm von Franzensbad
steigt endlich der rechte Arzt empor — der alte Humor, mit dem er als Student auf so
gutem Fusse gestanden, kommt wieder und curirt ihn complet.
„Und es lehrt uns dieses Büchlein:
Wie der Mensch zum Leid geboren,
Braucht er leider auch Doctoren;
Doch der beste heisst — Humor! 8
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Das Büchlein ist mit fliessender Diction und grosser Formengewandtheit geschrieben
— aber auch der Inhalt ist, wie gesagt, köstlich humoristisch. Die Zeichnungen in Sil¬
houettenmanier sind sehr gelungen ausgedacht und fein ausgefUhrt. Der Druck ist
hübsch.
Der Name Reymon&a ist übrigens schon durch seinen „Culturkampf in der Bronze“
und sein „Laienbrevier“ allen Feinden übler Laune rühmlichst bekannt A. Baader.
Kantonale Correspondenzen.
Olten. Zu dem diesjährigen Truppenzusammenzug sind von Herrn Divi¬
sionsarzt Oberstlt. Dt. Munzing er die folgenden s anitarischen Vorschriften den Trup¬
pen anempfohlen worden:
Bekleidung. Da der bevorstehende Truppenzusammenzug vermuthlich nicht geringe
Anforderungen an die Marschtüchtigkeit und Widerstandsfähigkeit der Truppen stellen
wird, so ist der Bekleidung und namentlich der Beschuhung der 8oldaten die grösste
Aufmerksamkeit zu schenken. Die Cantone werden daher ersucht, ihren Truppen zu em¬
pfehlen, sich mit guten Unterkleidern zu versehen. Das Tragen flanellener Leibbinden
ist für das Bivouak anzurathen, nicht aber während des Tages. 8chuhe und 8tiefel sol¬
len nicht neu, sondern angetragen, dem Fusse angepasst, aber von noch gutem Leder
sein. Bottinen empfehlen sich wegen der geringen Haltbarkeit der Elastiques nicht son¬
derlich. Gut gemachte Bundschuhe sind besser. Wollenen, nicht zu sehr geflickten
Strümpfen muss vor baumwollenen und leinenen der Vorzug gegeben werden. Die
Strümpfe sollen fleissig gewaschen werden. Soldaten mit Fussschweissen haben sich
rechtzeitig an die Aerzte und Krankenwärter zu wenden, die ihnen ein aus den Ambu-
lancen zu beziehendes Fusspulver aus einer Mischung von Talg und Tannin in erforder¬
licher Quantität abliefern. Solche Soldaten thun gut, ein hölzernes Schächtelchen zur Auf¬
nahme des Fusspulvers mitzutragen.
Nahrung und Getränke. Für gute und genügende Nahrung und etwa nöthig werdende
Extraverpflegung ist gesorgt, weshalb den 8oldaten dringend empfohlen wird, sich der
grössten Mässigung beim Genüsse anderweitiger Nahrungsmittel zu befleissen. Die Trup¬
pen- und Sanitäts-Officiere sind gehalten, die Marketender und die Wirtschaften zu
überwachen, damit der Verkauf verfälschter Nahrungsmittel und Getränke, wie fabricirten
Weines und jungen, sauren oder trüben Bieres u. s. w. verhütet werde. Vor dem Ge¬
nüsse unreifen und schädlichen Obstes und vor Unmässigkeit im Essen und Trinken soll
besonders gewarnt werden. Gegen Ausschreitungen dieser Art soll nötigenfalls disci-
plinarisch eingeschritten werden. Gefährliche Wirtschaften und Marketendereien sind von
den Aerzten dem Commando zur Ueberwachung beziehungsweise Schliessung für die
Truppen anzuzeigen.
Der Branntwein ist ein Erregungsmittel der zweifelhaftesten Art Auf momentane
Erregung folgt Erschlaffung. Reichlicher Genuss solchen Getränkes demoralisirt den Sol¬
daten, untergräbt sein Ehrgefühl, macht ihn pflichtvergessen und unfähig den an ihn ge¬
stellten Forderungen zu genügen. Branntwein betäubt das Gehirn, färbt die Stimmung
für den Augenblick, ohne sie auf die Länge zu verbessern. Die Kriegsgeschichte aller
Zeiten liefert den Beweis, dass Mässigkeit im Genuss geistiger Getränke eine Haupt¬
stütze guter Mannszucht ist. Die trefflichsten Heere des Alterthums und der Neuzeit tranken
keine alcoholischen Getränke. Uebertriebener Weingenuss ist ebenfalls schädlich und die
Unsitte, die gefüllte Feldflasche nicht allmälig, sondern auf einmal und schon beim Be¬
ginn der Märsche und der Uebungen zu leeren, soll von den Offleieren verhütet und ver¬
kommenden Falls unnachsichtlich bestraft werden. Das Füllen der Feldflaschen mit ge¬
zuckertem schwarzem Kaffee ist besonders empfehlenswerth; solcher kann von der Früh¬
stückration leicht erübrigt werden. Der Genuss dieses Getränkes hält Hunger- und
Durstgefühl in Schranken, belebt andauernd die Kräfte bei starken Märschen und Ma¬
növern und erhält den Geist anhaltend munter. Auch Wasser höherer Temperatur kann
mit schwarzem Kaffee, sogar auch in verdünnter Mischung nooh trinkbar gemacht
werden.
Reinlichkeit. Der Soldat — feldtüchtig in des Wortes weitester Bedeutung — soll
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reinlich sein. Ohne Reinlichkeit keine Gesundheit, ohne Gesundheit keine Widerstands¬
fähigkeit gegen krankmachende Einflüsse. Der 8oldat ist als einzelnes Glied des ganzen
militärischen Organismus nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Kameraden schuldig,
seinen Körper und seine Wäsche reinlich su halten, da seine Unreinlichkeit nicht nur die
eigene Gesundheit, sondern auch diejenige seiner Umgebung in ungünstigster Weise be¬
einflusst.
Die Truppenofficiere und Aerzte werden angewiesen, im wohlverstandenen Interesse
der Marschtflchtigkeit ihrer Truppen und in einträchtigem Zusammenwirken dahin zu
streben, dass keine Gelegenheit versäumt werde, die sich den Truppen zu Waschungen
der FUsse und der Zwischenschenkelflächen und auch hie und da bei günstiger Witterung
zu kühlen Vollbädern bietet Kalte Waschungen der Füsse und der innem Schenkelflä¬
chen sollten jeden Abend und vor jedem grössern Marsche oder Manöver vorgenommen
werden. Die Herren Corpscommandanten werden zudem den Soldaten Gelegenheit zum
Waschen ihrer Leibwäsche geben, und dasselbe nötigenfalls commandiren. Das Wech¬
seln der Leibwäsche geschehe nicht während des grössten Schweisses, sondern erst bei
beginnender Abkühlung.
Die Krankenpflege. Die Krankenpflege bei den Corps, in den Ambulancen und Spi¬
tälern hat nach den Bestimmungen des Reglements über den Sanitätsdienst (Medicinal-
abtheilung) bei der eidg. Armee (IV. und V. Abschnitt) vom 18. April 1876 zu gesche¬
hen. Die Spitäler, in welche die Kranken der Ambulancen zu evacuiren sind, werden in
einem spätem Divisionsbefehl bezeichnet werden. Beim Auftreten contagiöser Krankhei¬
ten, wie Blattorn, Typhus, Dyssenterie ist dem Divisionsarzt durch Telegraph oder durch
Expressen sofort Anzeige zu machen und für rasche Isolirung und nöthige Desinfection
zu sorgen.
Allgemeines. Alle Sanitätsofficiere haben sich vor Antritt ihres Dienstes mit ihren
Obliegenheiten genau vertraut zu machen. Besonders empfehlen wir ihnen das genaue
Studium des oben bezeichneten Reglements. Die Herren Aerzte werden ersucht, im
Rapportwesen sich der minutiösesten materiellen Genauigkeit und der grössten Pünkt¬
lichkeit in der Ablieferung der Rapporte zu befleissen. — Die organische Verbindung
zwischen den Corps, dem Feldlazareth und dem Divisionsarzt wird von Seite des letztem
möglichst gewahrt werden. Im Falle von momentaner Unterbrechung dieser Verbindung
wird den Ambulancen zur Pflicht gemacht, auch ihrerseits die Fühlung mit dem Divisions¬
arzt zu suchen. —
Die Inspection des Feldlazaretts Nr. 6 findet durch den Divisionsarzt den 12. Sept.
in Basel statt. — Die Herren CorpRärzte werden angewiesen, bei der Ausscheidung der
Ueberzähligen nicht nur Alter und körperlichen Zustand, sondern auch den Grad der In¬
telligenz mit in Betracht zu ziehen. Der bevorstehende Truppenzusaramenzug, der erste
seit dem Bestehen der neuen Militärorganisation, soll auch eine Schule für den Feldsani-
tätsdienst sein, weshalb sämmtliche Sanitätsofflciere ermahnt werden, nach besten Kräf¬
ten neben der Besorgung der Kranken ihr Augenmerk auf Einübung des speciell Militä¬
rischen ihres Dienstes nach Maassgabe der in Kraft bestehenden Regiemente und In¬
structionen zu richten. Die Aufmerksamkeit der Sanitätsofflciere unserer Armee ist auf
die bevorstehenden Uebungen gerichtet. Der Divisionsarzt der V. Armee-Division er¬
wartet von seinen Aerzten die genaueste Pflichterfüllung. Nur dann werden die Sanitäts¬
truppen mit Ehren bestehen, und nur dann werden wir uns ein sicheres Urtheil bilden
können über die Zweckmässigkeit oder Mangelhaftigkeit der bestehenden Regiemente und
Instructionen.
Waadt. G1 i o n. Dem grössten Theil der Aerzte der deutschen Schweiz sind
die Curorte des Genfersee's noch nicht so sehr bekannt, wie sie es verdienen. Es kommt
das hauptsächlich daher, dass diese Curorte jede Art litterarischer Mittheilung verschmä¬
hen. Im Gegensätze zu der Flutt von (übrigens theilweise sehr instructiven und deshalb
auch sehr erwünschten und opportunen) „Badebrochuren“, wie sie die deutsche Schweiz
mit Einschluss des romanischen Theiles von Bünden liefert, erfährt man vom Lac ldman
auch kein Sterbenswörtchen, nicht einmal im Annoncentheile des „Bulletin 11 und des
„Correspondenzblattes 2 , geschweige denn im Texte oder in separaten Publicatiouen. —
Und doch ist die Zahl der Heilstationen im Waadtlande eine grosse, ihre Einrichtung
mit Umsicht angelegt und ihre Frequenz eine erfreuliche.
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Wir alle kennen wenigstens einen vielgenannten Namen: Montrenx. Ueber diesen
Ort sind nun in letzter Zeit zwei neue Publicationnn erschienen, die das ärztliche und
das Laienpublicum aufklären: Dr. Steiger , Arzt in Montreux, Montreux am Genfersee als
klimatischer Winteraufenthalt und Traubencurort, 1876 und in den jüngsten Tagen : Mon¬
treux, texte par E. Rambert , Prof. Lebert , Ch. Dufour, F. A. Forel und S. Chavannes mit vielen
Illustrationen und Karten. (8 Fr.)
Ich glaubte, deu Genfersee zu kennen, aber erst seitdem ich selbst hier praotischen
Curstudien obliege, habe ich genauer kennen gelernt, in wie ausgiebiger Weise die ganze
Küste von Vivis bis Villeneuve Curzwecken dient. Ich komme hierauf zurück und be¬
merke nur, dass für den Hochsommer, dessen Gluthen aus Vivis und Montreux 'die Cur-
gäste wegscheuchen, auch das Rhonethal eine grosse Zahl Sommerfrischler aller Nuancen
beherbergt: Villard sur Ollon, les Ormonds (dessus et dessous), Chesiöre etc. waren die¬
sen Sommer beständig stark frequentirt
Ich habe mein seeuntüchtig gewordenes Schifllein in Glion landen lassen und alle
Ursache, hierüber zufrieden zu sein.
Von ViviB aus bis nach Montreux zieht sich die Küste nicht so Bchroff, wie am
gegenüberliegenden savoyischen Ufer, in die Höhe ; die Bergesrücken weichen vielmehr
bald mehr, bald weniger vom Ufer zurück und zeigen ein hier flach, dort steiler anstei¬
gendes Gelände, dessen Pracht ich täglich mit unermüdeter Bewunderung geniesse. Un¬
zählige Landzungen ragen in den See hinein, dem der Mensch, fast mehr noch uls am
Vierwaldstättersee, mit ausdauernder Hartnäckigkeit und allen erdenklichen Hülfsmitteln
jeden Quadratschuh irgendwie benützbaren Küstenlandes abzugewinnen sucht. Hart an
die unruhigen Wasser des 8ee's reichen die Mauern der fast ununterbrochenen Reihe von
Villen, Pensionen, Gasthöfen, wie sie sich von Vivis bis nach Vornex zieht, um weiter
oben, durch Chillon angenehm unterbrochen, in Villeneuve zu enden.
Am See Vevey, Tour de Peilz, Maladaire, au Basset, les villas Dubochet, Clärens,
la Rouvenaz, Vemex-Montreux, Collonge, Territet, Veytaux! Zwisoben diesem Häuser¬
meer, das überall durch Inseln des prächtigsten Grüns unterbrochen ist, und den Bergen
die Cöte, der Weinberg mit seiner sorgfältigen Cultur (an deren Product ich so schnöde
vorbeisehen muss). In ihm und an seiner obern Grenze wieder ein Kranz von Dörfern
und Dörfchen: St. Legier, la Chidsaz, Cojonnez, Blonay, Tercier, Chailly, Brent, Bangy,
Chaulin, Charnex, Vuarennes, Pertit, 8onzier! Alle in einem Wall üppiger Bäume, Ka¬
stanien, prächtige Nussbäume 1 Und all’ das auf so engem Raume und doch nicht ge¬
drängt — zwischen hinaus ragt hie und da eine Kirche, öfter noch ein guterhaltener
alter Thurm, ein schlossartiger Neubau, auf den Höhen die „Cbälets“ (in diesen „Hütten“
ist gut wohnen !). Mich wurmt nur Eines, dass es nämlich fast ausnahmslos Fremde
sind, die sich diese prächtigen „Sanatorien“ angekauft haben. Ich sähe gar zu gerne
Schweizer darin, und wenn es am Ende auch nur Baselbieter wären (worunter ich mir
aber nicht etwa einen ältern kinderlosen Onkel mit bedeutendem Prostatatumor und lei¬
der sehr weit vorgeschrittenem consecutivera Blasencatarrh vorstelle).
Und über dieser Herrlichkeit Bergeskette an Bergeskette: weit hinten jener dunkle,
langgestreckte 8treif, das ist unser Jura, einst mir mit seinen kreuz und quer zerrissenen
grünen Höckern eine übelzeitige Plage, jetzt das Ziel meiner Sehnsucht: Tempora mu-
tantur! Dann der behäbig breit ansteigende Mont Chardonne, überragt vom Pdlerin, les
Pleyades: kein ewiger Schnee, nicht einmal das Grau der Felsen. — Alles scheint grün
und lebt im lachenden Sonnenschein.
Gerade herunter liegt der viel besungene See; bei hellem Wetter dringt das Auge
bis zum Beginne des „Golfe de Genäve“! Wir haben also auch einen „Meerbusen“ —
wäre ich Nationalrath, so stimmte ich sofort zum Anschlüsse an die übrigen See¬
mächte.
Am linken Ufer steigen steil auf die oben kahlen, bäum- und schneelosen Höhen
der Dents d’Oche, des breiten Grammont, der Croix, Trevenensa. 8chon sind wir im
Rhonethal, das von der prächtigen Dent du Midi quer abgeschnitten zu sein scheint. Die
Dents, die man hier herum sieht, sind sehr solid, repräsentiren den Omnivoren Typus,
8chneide- und Mahlzähne: zum Ausfüllen einzelner Lücken möchte ich einige davon (en
miniature) haben — trotz des beständigen Abbröckelns der 8pitzen würden sie so ein
windiges Menschenalter noch recht gut aushalten.
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Von Montreux steigt die Küste sehr steil bergan nach Glion; doch führt eine gute
Fahrstrasse hinauf. Es liegt also Glion in horizontaler Distanz nahe, in verticaler da¬
gegen hoch über dem See, welcher nach Porti ca. 372 m. über dem Ocean steht, wäh¬
rend die Höhe von Glion von Bädeker , dem Allerweltsrathgeher, auf 91Ö m. angegeben
wird. Der Dufouratlas notirt ca. 100 Meter weniger. Das Dörfchen Glion selbst liegt
an Bteiler Bergesrampe und hat in und um „seine Mauern“ zahlreiche und schön ge¬
wachsene — Nuss- und Kastanienbäume. Gleich am Eingänge des Dorfes steht gegen¬
über der schönen Villa des Herrn Nestle , der sich vom Staube seines Kiodermehles auf
diese luftigen Höhen zurückgezogen hat, das Hötel et pension du Righi vaudois mit gros¬
ser Dependance, prächtigen Anlagen und Terrassen. Es ist ein Baus ersten Banges und
über den Continent hinaus rühmlichst bekannt. Ein zweites Etablissement grössern Sty-
les (ca. 100 Gäste) liegt oben im Dorf, die Pension Victoria, ebenfalls mit hübscher und
gut angelegter Umgebung und auch gut gehalten. — Für Leute mit bescheideneren An¬
sprüchen und dem Verlangen nach Ruhe und Sicherheit vor der „Gesellschaft“ und ihren
Aeusserlichkeiten und Aeusserungen haben wir das Hötel de Glion (ca. 20 Personen)
und das Hötel du midi (30 Personen). In letzterem bin ich und bin sehr wohl zufrieden.
Zimmer und Betten sind gut und reinlich gehalten, Abtritt mit Wasserspülung; die Kost
ist vortrefflich, die Bedienung freundlich und zuvorkommend. Dabei bezahlen wir für
Zimmer und Pension nur Fr. 6 per Tag. — Gelegenheit zum Spazieren ist auch für
Dyspnoiker da: ausser den Anlagen der einzelnen Hötels benützen wir namentlich die
Strasse aux Avants, an welcher zahlreiche Ruhebänke an Schattenplätzen angebracht sind.
Der einzelne Wanderer kann auch da und dort ein Plätzchen im Walde aufsuchen —
doch vermisse ich einen nicht allzu weit gelegenen, parkähnlich mit Wegen durchzogenen
Wald (Tannen 1).
Der Weg aux Avants, dem 1000 Meter hoch gelegenen Dörfchen mit grosser com-
fortabel eingerichteter Pension und enganliegendem Wald, ist sehr hübsch und auf eine
weite Strecke fast eben. Er führt hoch oben am linken Ufer der tief ausgefressenen,
wasserreichen und in ihrem mittlern Theile, der Gorge du Chaudron, romantisch schönen
Baie de Montreux bis zum Fusse der Dent de Jaman. Aus diesem Thale, das rechts
vom Mout Cubly, links von den schroffen Zacken der Rochers des Verraux begrenzt
wird, haben Lausanne und Montreux ihr Trinkwasser geholt und errichtet jetzt auch
Glion eine neue Wasserleitung. Beständig, namentlich aber Samstag Abends, sind diese
Bergesspitzen, besonders auch die meist über Glion bestiegenen Dent de Jaman und vor
Allem die Rochers de Naye, der eigentliche Righi vaudois, das Ziel zahlreicher Touristen¬
gruppen.
Glion ist also schön, sehr schön und dabei gesund: hohe, freie Lage und doch leicht
zu findender 8chutz vor dem Wind, Seeluft ohne Sumpf, keine Spur von 8taub, lachen¬
des Grün, Spaziergelegenheit und sodann, für die neuerdings mehr cultivirten psychischen
Eindrücke, die landschaftliche Schönheit.
Für den Brustkranken zeigt sich noch der Vortheil, dass er im kältern Vorfrühling
in Montreux sein, sich dann ohne weite und beschwerliche Reise nach Glion und nach
Wunsch im Hochsommer aux Avants zurückziehen kann, um auf denselben Etapen wie¬
der für den Spätherbst in die geschützte Lage am See zurückzukehren. Glion und les
Avants waren denn diesen ganzen Sommer auch beständig besetzt (*/ 4 Engländer).
Doch nicht nur das Land, auch seine Bewohner sind sehr anziehend, so z. B. Julie,
der Wirthin Töchterlein: welche liebenswürdige Gracie, welche frische und lebendige
Geiste&gewandtheit I Weil heute gerade Sonntag ist, flanirt sie mit grauiöser Eleganz in
ihrem hübschen weissen Kleide um mich herum. Es ist nicht verwerfliche Coquetterie,
bewahre 1 Julie ist ja sonst so bescheiden, so anspruchslos natürlich, so lieb, und grau¬
sam wäre es darum, den leise beabsichtigten Effect unerreicht zu lassen; so versuche ich
denn, galant zu sein.
„C’est beau, Julie, c’est möme magnifique.“ —
„„N’est-ce pas, monsieur le docteur? Ah, ouil Elle me va bien, cette robe.““ —
„Oui, eile est jolie.“ — „„Qui?““ — „Eh bien, la robe.“ — Ueber die Schulter
weg streift mich ein fataler Blick, und ich beeile mich, hinzuzufügen: „Mais toi-möme
encore bien plus, Julie, cela va sans dire! Et tu t’embeliis encore de jour en jour!“ —
„„J’accepte pour cette fois; xnieux vaut tard que jamais. — A-propos! Main an dit, que
Diqiti:
yyGoOgl«
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vous dies souvent si triste, monsieur?““ Sie ward doch ein klein wenig roth bei dieser
Tbeilnahme — man wird gleich merken, warum. „Oh!“ seufzte ich: das war das still¬
schweigend verabredete Signal. „„Je vous consolerai! Je vous aime tant!““ Und sie
setzte sich auf meinen Schooss, schlang beide Arme um meinen Hals und gab mir herz¬
inniglich links und rechts ein „SchmUtzü.“ „„N’est-ce pas, cela va däjä bien mieux?““
— „Oui, Julie! Comme je t’aime!“ Und der alte Knabe log nicht; ihm war wirklich
wohl. Richtig! das Glück ist rund: da hüpft sie schon fort, die kleine Julie, der Frau
Wirthin zehnjähriges liebes Töchterlein, meine Augenweide und mein Trost in einsamen
Stunden.
Welcher Unterschied im Benehmen zwischen diesem lieblichen BlUmlein Glions und
einem gleich alten und gleich lieben Kinde der Heimath!
Aber nicht nur das Studium des einzelnen Individuums ist hübsch, auch das der
Species und ihres Einflusses auf verbesserungsfähige verwandte Genera. Da wandert
z. B. ein Berner ein, ein richtiger Saanenbieter; der Sohn wird ein Zwitter; noch strei¬
ten sich die alte Heimath und das Acclimatisalionsland um ihn; aber der Grosssohn ist
schon der richtige Yaudois und hält es für inopportun, au seine hohe Abstammung erin¬
nert zu werden. Guter Eidgenosse ist er aber so wie so.
Für die zunehmende Frequenz vod Montreux und seinen nächsten Umgebungen zeugt
am besten der Umstand, dass es zur Zeit den Curgästen ca. 3000 Betten bietet und dass
1867 nur die Telegraphenbureaux Montreux mit jährlich 6650 und Clärens mit 882 De¬
peschen existierten, während 1876 im Cercle de Montreux 6 Bureaux (les Avants, Glion,
Clärens, Vernex, Montreux und Veytaux) 46,282 Depeschen zählten.
Für ärztliche Hülfe ist ausreichend gesorgt, da Montreux allein 7 Aerzte zählt, unter
denen ich liebe Collegen und treue Freunde fand.
Dem Curgast, der, wo es immer sei, eine Luftcur machen will, möchte ich den für
uns Schweizer immer noch zeitgemässen Rath geben, nicht in die erste beste Pension
einzufallen, sondern, wo es möglich ist, das Gepäck am Bahnhof (Post) zu lassen, in
einem Gasthof abzusteigen und sich erst ein wenig umzusehen, bis er findet, was seinen
Neigungen, seinem Zustande und seinem Geldbeutel conveniert Diese Harmonie gehört
mit zu den Factoren, welche zu einer guten Cur nöthig sind. Allerlei Saiten zu dishar¬
monischen Anklängen bringt man gewöhnlich schon mit — man suche also den Bogen zu
meiden, der darüber streichen könnte, und das ist an den meisten Curorten der Schweiz leicht
möglich, wenn man nur ernstlich will. A. B.
Zürich. Dr. U. Zehnder f. Der Trauerzug, welcher in Oberstrass (Zürich) am
14. Juli den Bürgermeister Dr. Ulrich Zehnder zur letzten Ruhe geleitete, folgte dem Sarge
eines Mannes, dessen Name in der ganzen Schweiz rtthmlichst bekannt war. Er war
ein Arzt, welcher die Grenzen seines Berufes weit gezogen und deshalb mit unermüdli¬
cher Ausdauer und grosser Leistungsfähigkeit alle Gebrechen des Volks Wohles zu lin¬
dern suchte.
Geboren den 20. Januar 1708 auf dem Lande, verlor Z. frühe seinen Vater und da¬
durch die Familie nicht nur ihren Leiter, sondern auch ihren Erzieher. Glücklicherweise
fand sich ein verständiger und opferwilliger Onkel, welcher dem strebsamen Knaben dazu
verhalf, die Stadtschulen besuchen zu können. Der weite, täglich zurückzulegende Weg,
die Unbill der Witterung hielten den lernbegierigen Schüler nicht ab, erfolgreich mit
seinen besser situirten städtischen Mitschülern zu wetteifern.
Allein 1818 hängten ihm politische Constellationen und sein Onkel das Schurzfell
um und Z. sollte Zimmergeselle werden, bis ihn der Rath befreundeter Aerzte erlöste, so
dass er Ende 1814 bei Bezirksarzt Ammann in Rüschlikon für 8 Jahre in die Lehre ging.
Das war eine geisttödtende und fast erfolglos verlorene Zeit. Die Erlösung kam:
im Herbst 1817 besuchte Z. das medicinisch-chirurgische Cantonalinstitut, erwarb sich
mehrere Preise und wurde später Gehülfe des Herrn Archiater Dr. Rahn. Zum Beschlüsse
seiner Studien besuchte er noch Würzburg, dessen Doctordiplom er sieb auch erwarb.
Wir haben diese Studienzeit, welche von der unerigen so sehr abweicht, eingehender
geschildert, um die Hindernisse hervorzuheben, die zu überwinden waren, bis das wohl
bestandene Staatsexamen ihn zum practischen Arzte stempelte. Er practicirte zuerst
kurze Zeit auf dem Lande und dann in der Stadt
Die gewaltigen politischen Umgestaltungen, wie sie mit 1880 begannen, Hessen Z.
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nicht passiv bleiben. Er wnrde Mitglied des Gesundheitsratbes, dann Grossrath and nun
rasch einer der Leiter dar liberalen Partei Er war vor Allem ein ebenso begabter wie
beliebter und geachteter Volksredner. Als Mitglied des Erziehungsrathes, Präsident der
Cantonalarmenpflege und des Regierungsrathes arbeitete er namentlich in gesetzgeberischer
Hinsicht energisch an der Reform des Sanitätswesens, der medic. Fncultät, der Thierarz¬
neischule, des Gantonsspitals, sowie des Armenwesens.
Er wurde bald Tagsatzungsabgeordneter, bis 1839 (Strausshandel) die politische Re-
action auch ihn aus dem Regierungsgebäude vertrieb. Doch blieb er ein thätiger Mit¬
arbeiter der Presse und schon 1843 wurde er wieder Mitglied des Regierungsrathes,
Grossrathspräsident und ein Jahr später Bürgermeister.
1846 finden wir Z. als Präsidenten des eidg. Staatsrathes, des Kriegsrathes und der
Tagsatzung mit dem Titel „Excellenz“. Die Stelle aus seiner Eröffnungsrede:
„Dessen bin ich gewiss, dass ungeachtet aller entgegengesetzten, mehr und minder
aufgeregten, selbst zuweilen verderblichen Strömungen unseres politischen Lebens dennoch
in der Tiefe des Volksgemflths das Gefühl der Verbrüderung unter den Eidgenossen, das
Bewusstsein der Nationalität, der Glaube an die Eidgenossenschaft bis jetzt noch unzer-
stört geblieben ist, allen Stürmen Trotz geboten hat und wie ein heller Stern in dunklem
Grunde freundlich leuchtet“, verdient auch heute wieder doppelte Beachtung.
Sein Verdienst ist es auch zum grössten Theil, dass nach langem Kampfe die neue
Irrenanstalt gebaut, das Kloster Rheinau aufgehoben und in die treffliche Pfleganstalt
Unheilbarer nmgewandelt wurde. 1866 demissionirte Zehnter nach 84jähriger amtlicher
Laufbahn.
Wir übergehen eine grosse Zahl seiner amtlichen und privaten Schöpfungen und be¬
merken nur noch, dass Z., wie uns Allen rühmlichst bekannt ist, in so erfolgreicher Weise
lange Zeit an der Spitze der Schweiz, gemeinnützigen Gesellschaft stand und bis 1871
auch Präsident der ärztlichen Concordatsprüfungscommission war.
Das Familienleben Zehnter 's zeigt reichlich Freud und Leid — es war ein glückliches.
Mit tiefer Ehrfurcht gedenke ich des Gollegen, der über all’ die Stürme des Berufs¬
und Familienlebens, sowie hochbewegter politischer Zeiten hinweg bis an sein Ende sei¬
nen Grundsätzen und Idealen treu blieb und seine Hand erst ruhen liess, als ihm der
Tod die Augen schloss. A. B.
W ochenbericht.
Schweiz.
Sanitariiehe Ausmusterung;. Es fanden sioh diensttaugliche Wehrpflich¬
tige 1876 in der Division I 67,6% (1876 67,0%), II 62,6 (48,6J, III 50,6 (52,0), IV
62,9 (61,0), V 63,7 (56,6), VI 49,5 (52,2), VII 52,4 (62,2), VIII 69,9 (68,9); Total im
Durchschnitt 1875 65,1 und 1876 67,0.
Selbstdlspensiren der Aerzte. Aus den Verhandlungen des Schweiz. Apotbe-
kervereius (Jahresversammlung in Lenzburg) uotiren wir zu den in letzter Nummer mit-
getheilten Beschlüssen noch folgenden, der viele Collegen näher berührt: Der Vorstand
wird beauftragt, gleichzeitig mit der Geheimmittel-Eingabe an das Departement des In¬
nern ein Schreiben zu richten, betreffend eine Regulirung des Selbstdispensirens der
Aerzte. Ein Schreiben im gleichen Sinne soll an den ärztlichen Centralverein gesandt
werden in Anbetracht, dass es gerade dieser war, welcher bei dem eidgen. Departement
des Innern die Conferenz wegen des Geheiromittelschwindels angeregt hat.
Die Tendenz der Versammlung zielte dahin, dass der Arzt überall da, wo sich eine
öffentliche Apotheke befindet, nicht selbstdispensiren darf.
Ausland.
CoDgreMtraetanden. Wir bringen unsern Lesern die nachfolgenden Trac-
tandenverzeichnisse zur Kenntniss, da sie uns als für grössere Gongresse mustergültige
erscheinen. In den einzelnen Sectionen werden natürlich speciellere Themata behandelt.
Aus der Tagesordnung der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in
München: Prof. Dr. Waldeyer aus Strassburg: C. E. v. Bar und seine Bedeutung für die
Entwicklungsgeschichte, Prof. Dr. E. Hackel aus Jena: Die heutige Entwicklungslehre im
Verhältniss zur Gesammtwissonschaft, Prof. Dr. G. Tschermak aus Wien: Die Jugendge-
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schichte des Erdballs, Prof. Dr. Kleba aus Prag: Ueber die Umgestaltung der medicini-
schen Anschauungen in den leteten Jahrzehnten, Dr. G. Neumayer , Director der deutschen
8eewarte in Hamburg: Die Witterungskunde im alltäglichen Leben, Prof. Dr. R. Virchow
aus Berlin: (Thema noch nicht festgestellt), Dr. R. Avd Lallemant aus Lübeck: Thierleben
am Amazonenstrom, Prof. Dr. S. Günther aus Ansbach: Die neuesten Forschungen auf
mathematisch-historischem Gebiete.
45. Versammlung der englischen Aerzte in Manchester. William
Roberts über die Lehre von dem Contagium vivum und ihre Anwendung auf die practische
Medicin; Spencer Wells über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der wissenschaftlichen
Chirurgie; Sir W. Jenner über die Ziele der Association in der medicinischen Praxis; F.
de Chaumont über die neuesten wissenschaftlichen Untersuchungen zur Förderung der Hy-
gieine; J. C. Buckmll Uber das Thema „Arzt und Priester“ eine „Confession“.
Deutschland. Nierenexstirpation. Seit der epochemachenden Publica-
tion des hochverdienten Prof. Simon über die Chirurgie der Nieren verdient jede Opera¬
tion, welche den Pfaden des verstorbenen Meisters folgt, unsere Beachtung.
Dr. C. Langenbuch, dirig. Arzt des Lasaruskrankenhauses in Berlin, hat eine Niere ex-
stirpirt, allerdings ohne vor der Operation den Tumor als Niere zu diagnosticiren (v. Berl.
klin. Woch. 1877, 24).
Eine 82 Jahre alte, gut genährte, kräftige (fieberfreie) Frau wird seit 1 */a Jahren
von heftigen Sohmerzen in der liuken Nierengegend geplagt, so dass in der letzten Zeit
das Leiden unerträglich wurde. Sie gibt an, in loco doloris einen Tumor zu fühlen und
wünscht Exstirpation desselben. Die Palpation constatirt in der linken Nierengegend einen
harten, kugelförmigen, beweglichen, bei Druck empfindlichen Tumor, der in oder diesseits
der Lumbalmuskel Schicht liegt, aber weit in die Tiefe geht. Von ihm aus gehen die
spontanen Schmerzen. Diagnose nach vierwöchentlicher Beobachtung: exstirpirbares Sar-
com, Fibrom oder Myosarcom, vom Bindegewebe zwischen und um die Muskeln, resp. von
diesen selbst ausgehend. — Operation 7. December 1875. Hautschnitt aus der Spitze
der 12. Rippe bis zur Crista ilei, parallel mit der Wirbelsäule. Präparation (Fingernägel)
durch die Muse, sacrolumb. und quadr. lumb. auf den Tumor, welcher in narbigem Ge¬
webe sehr weit in die Tiefe ging und in einem Strang endigte, welcher mit Mühe unter¬
bunden werden konnte. Blutung gering. Plötzlich glitt durch die Athembewegungen die
Ligatur ab; die „Hauptarterie" klaffte weit, blutete aber nicht. Eine mitteldicke Bougie
glitt leicht 15 cm. weit hinein. Die Operation war unter den Cautelen des Lister 'sehen
Verfahrens begonnen worden; unter dem antiseptischen Verbände heilte die tiefe Wunde
fast durch erste Verklebung sehr rasoh und ohne Fieber, so dass Pat. schon in den ersten
Tagen des Januar 1876 von allen Leiden befreit austrat, leider aber bald von Berlin ab¬
reiste und nicht mehr aufzufinden war, so dass die Anamnese nicht nach Wunsch ergänzt
werden konnte.
Die Geschwulst war die 8 cm. lange, 5 breite und 2,5 dicke, in ein Hohlgebilde um¬
gewandelte Niere, aus narbigem Gewebe bestehend, das klaffende „Gefäss“ der Ureter.
Sie wurde zur genauem microscopischen Untersuchung an das pathologische Institut ab¬
geliefert, ging aber dort, nachdem Virchow und der erste Assistent Dr. Orth die Capsel
untersucht hatten, durch Zufall verloren.
Eb war jedenfalls die Niere der Sitz eines indurativen Entzündungsprocesses gewe¬
sen und dann Peri- resp, Paranephritis, Vereiterung des umgebenden Bindegewebes und
der Musculatur aufgetreten, so dass nach der Resorption des Eiters die degenerirte Niere
in den anormalen Standort hineinrutschen konnte und durch die Zerrung die Schmerzen
bewirkte.
Langenbuch schliesst die Krankengeschichte eines geheilten Collegen an , der früher
sehr viel auf schlechten Strassen fuhr, mit der linken Nierengegend an eine niedere Lehne
liegend; lange Zeit Schmerzen in der Nierengegend, Schüttelfrost, 8 Tage Fieber, bluti¬
ger Urin. Ruhe bringt Besserung. Hierauf Schüttelfröste, grosse Dyspnoe (Embolie?),
Eiter im Urin, linker Ureter dick geschwellt zu fühlen; 2 Monate Liegen; noch Eiter
im Ham, heftiger Blasenschmerz und plötzlich entleeren sich ca. 800 gmm. dicken grünen
Eiters beim Uriniren; von jetzt an heller Urin, dom Eiter nachfolgt. Stromeyer diagnosti-
drt: eitrige Perinephritis, Durchbruch in das Nierenbecken, Senkung zwischen Blase und
Rectum, Durchbruch in die Blase. 8 Monate Liegen, dann Helgoland; Heilung bis an
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hartnäckige Obstipation ; plötzlich Involvulus durch 19 Tage, Abstossung zweier Darm-
stücke; Heilung nach 8 Monaten.
— Bendorf bei Coblenz. Den 9. August verstarb hier der um die Psychiatrie hoch¬
verdiente Herr Sanitätsrath Dr. Albrecht Erleruneyer , Gründer und Besitzer der dortigen
Privat-Heilanstalt für Gemüths- und Nervenkranke. Die Anstalt soll durch die beiden
Söhne, Dr. med. Albrecht Erlenmeyer (seit 1873 Arzt an der Anstalt) und Max Erlenmeyer
(seit 1875 öconomischer Leiter der Anstalt) sowie den Schwiegersohn, Dr. med. Hermann
Halbey (seit 1871 Arzt an der Anstalt), in unveränderter Weise unter dem Namen: D r.
Erl e n m ey er’sche Anstalt für Gemüths- und Nervenkranke zu Ben¬
dorf bei Coblenz fortgeführt werden.
— Künstlich herbeigeführter anticipirter Climax. Nach den Mit¬
theilungen des Assistenten, Dr. Carl Stahl, versuchte Hegar (Freiburg) in zwei Fällen von
seit langer Zeit dauernden, äusserst heftigen, durch grosse nicht operable Fibromyome
des Uterus hervorgerufenen Menorrhagien auf radicale Weise Abhülfe, indem er durch
die Exstirpation beider Ovarien, die ganz gesund waren, die vorzeitige Menopause her-
beizuführen strebte. Beide Operirte Uberstanden die Ovariotomien. Bei der einen Pa¬
tientin (Alter fehlt) trat noch einmal reichliche, das zweite Mal nur in einigen Tropfen
bestehende, das dritte und vierte Mal gar keine Menstruation mehr ein. Die zweite Ope¬
rirte, 41 Jahre alt, hatte nur einmal zur richtigen Zeit der Menstruation Abgang von
einigen Tropfen Blut, später nicht mehr. „Beide Operirte klagen seither über Erschei¬
nungen, wie sie sonst Frauen der climacterischen Periode eigen sind.“
(Centralbl. f. Gynäcol. I. 1.)
Internationaler Congreil über Gesundheitspflege, Rettungswesen und Volks¬
wohlfahrt. Prof. Dr. Dunant in Genf wurde seiner Zeit von der genfer gemeinnützigen
Gesellschaft an den im Jahre 1876 in Brüssel abgehaltenen internationalen CongresB über
Gesundheitspflege etc. als Delegirter abgesandt und hat nun seinen Deleganten einen in¬
teressanten Bericht erstattet. Leider war die Schweiz sehr schwach vertreten, sowohl
bei der mit dem Congresse verbundenen Ausstellung, als auch am CongresBe selbst. Doch
finden wir ausser D. noch die Herren Dr. Appia (Genöve), Guillaume und Prof. A. Humbert
(Neuchätel) als Redner notirt.
Die Ausstellungsgegenstände waren in 10 Classen eingetheilt, zusammen mit 1858
Ausstellern; die Gesundheitspflege zählte 1077, nämlich öffentliche Gesundheitspflege 341,
private 260, auf dem Gebiete der Industrie 182, der Landwirtschaft 118, Pbarmacie 176.
Von 1858 Ausstellern waren aus Belgien 492, Deutschland 308, Frankreich 301, England
254, Russland 155, Italien 97, Schweden und Norwegen 82, Oesterreich 81, Dänemark
56, Holland 25, Schweiz 7 (1).
Es werden vor Allem die belgische und besonders die deutsche Betheiligung gelobt;
unter der letztem glänzte eine grosse Zahl öffentlicher Verwaltungen. Aus der Schweiz
hatten ausgestellt Demaurex (Genf) ein von Dr. OcUer construirtes Geburtsbett, Dr. Roussel
einen Transfusor, der genfer Consumverein einen Bericht über seine Thätigkeit, die inter¬
nationale Verbandstofffabrik Schaffhausen ihre bekannten Präparate, Gerber (Thun) und
Nestle (Vivis) Kindermehle und Strähl (Zoflngeu) Gesundheitscrßpe.
Da der Congress in mehreren Sectionen gleichzeitig arbeitete, konnte Dunant natür¬
lich nur über einzelne Verhandlungen Bericht erstatten: In der 8ection für medicinische
Gesundheitspflege (Theilnehmer u. A. Virchow , Beneke , Crocq (Brüssel), Bertillon, Fauvel
(Paris), Mazzoni (Rom) wurden namentlich die Quarantänen besprochen: Stimmen pro et
contra; ferner die Prophylaxis der Epizootien: Resultat strenge Gesetzgebung wie in
England, Preussen, Schweiz; Sterblichkeit der Kinder im ersten Lebensjahre. Referent
Dr. Kubom (Brüssel) stellte folgende Tabelle auf: es sterben im ersten Lebensjahre (mit
oder ohne Todtgeborene ?) in Schweden 16,3%, Dänemark und Schottland 15,6, England
17, Belgien 18,6, Holland 21,1, Frankreich 21,6, Preussen 22, Spanien 22,6, Schweiz
2 0,2 (!), Italien 25,4, Oesterreich 30,3, Russland 31,1, Bayern 37,2%»
Dr. Devillers constatirte dabei, dass in Paris während der Belagerung von 1870/71,
wo die Mütter aus Mangel an Kuhmilch gezwungen waren, selbst zu stillen, die gewöhn¬
liche Sterblichkeit von 33% der Kinder im ersten Lebensjahre auf 17% herunter sank.
— Das Product der sehr interessanten Discussion, an der sich auch die Herren Dunant
und Guillaume betheiligten, war die auf den Antrag von Jansens (Bruxelles) und Bertillon (Paris)
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569
gewählte Commission (Jansens, Präsident, Belgien; Ber&Uon, Frankreich; Beneke , Deutsch¬
land ; Hardtrick, England; Palrubany, Oesterreich ; Schleisner , Dänemark; Mazzoni, Italien;
Froben, Russland ; Brock , Schweden und Norwegen; Dunant , Schweiz), welche über die
Ursachen der Sterblichkeit der Kinder im ersten Lebensjahre eine genaue Statistik für
jedes Land anbahnen soll. Die übrigen, weniger allgemein wichtigen Themata übergehen
wir. Die Ausstellung war im Ganzen von 295,821 Personen besucht worden und kostete
mit dem Congress zusammen 460,000 Fr., so dass die Actionäre 80,000 Fr. verlieren.
Der Congress wird — und wäre es auch nur in der angeregten Statistik — gute
Früchte tragen.
üflnclien. Einladung zur Gründung einer deutschen Gesellschaft
für Gynäcologie. Eine grössere Anzahl deutscher Geburtshelfer und Frauenärzte
hat beschlossen, eine Gesellschaft für Gynäcologie zu gründen. Die Unterzeichneten
wurden beauftragt, die Statuten zu entwerfen und die Vorbereitungen für die erste con-
stituirende Versammlung der Gesellschaft, welche am 15. und 16. September in München
tagen wird, und in deren erster Sitzung die Statuten festgestellt werden sollen, zu treffen.
Wir laden diejenigen Herren Fachgenossen, welche der neuen Gesellschaft als Mitglieder
beizutreten wünschen, ein, sich Sonnabend den 15. September, Vormittags 10 Uhr, im
münchener Polytechnicum einzufinden. Folgende Vorträge sind bis jetzt angekündigt
worden:
1) Amann (München): Ueber die mechanische Behandlung der Versionen und Flexio¬
nen des Uterus. 2) Credi (Leipzig): Ueber Kephalothrypter und Kranioklaster. 3) Fürst
(Leipzig): 1. Psycho-physisches über den Neugeborenen und jüngeren Säugling. 2. Zur
Frage des Dammschutzes, besonders bei älteren Erstgebärenden. 4) Hegar (Freibürg i. B.):
Ueber Exstirpation normaler Ovarien. 5) Kaltenbach (Freiburg i. B.): 1. Ueber Hyper¬
plasie der Decidua am Ende der Schwangerschaft. 2. Ueber tiefe Cervical- und Vagi¬
nalrisse bei der Geburt. 6) Leopold (Leipzig): Ueber die Schleimhaut des Uterus im
Wochenbette und ihre Regeneration. 7) Spiegelberg (Breslau): Ueber die Pathologie des
Puerperalfiebers. 8) J. Veit (Berlin): Ueber die Bedeutung der Erosionen der Portio va¬
ginalis. 9) Wermch (Jeddo): Ueber Becken- und Entbindungsverhältnisse ostasiatischer
Völker, mit Demonstrationen. 10) Winckel (Dresden): Ueber eine neue Methode zur Ver¬
vollständigung des Unterrichtes in der Gynäcologie, mit Demonstration von Präparaten
und Abbildungen.
Weitere Anmeldungen von Vorträgen werden erbeten.
Credi (Leipzig), von Hecker (München), Hegar (Freiburg L B.).
Sftuglingifldlch. Die deutsche Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege
zu Berlin beschloss, eine permanente Commission einzusetzen, die auf Grund vorgelegter
Bestimmungen eine Controls über Molkereien ausüben soll, die sich dieser unterwerfen
und Bäuglingsmilch produciren wollen. Durch diesen Beschluss wurde die Frage wegen
Beschaffung guter Milch, mit der sich die Gesellschaft wiederholt beschäftigt hatte, zum
vorläufigen Abschluss gebracht.
Stand der Iufections-Krankheiten in Basel.
Vom 26. August bis 10. September 1877.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Von Typhus Bind 57 neue Fälle angemeldet worden (94, 61, 68, 68), wovon in
Grossbasel 21 (18, 88, 82), in Kleinbasel 84 (43,17, 30), so dass immer noch Kleinbasel
einen unverhältnissmässig starken Beitrag zur Gesammtzahl der Fälle liefert; 2 Fälle
stammen von auswärts. Das speciell in den letzten Tagen spärlichere Eintreffen von
Anzeigen lässt auf eine fernere Abnahme hoffen.
Scharlach ist mit 9 frischen Erkrankungen vertreten (6, 11); davon stammen 2
aus einem Hause des Südostplateaus, 2 aus dem Kinderspitale, je 1 aus dem Birsigthale,
Birsthale und Kleinbasel; 2 endlich sind auf eine auswärts erfolgte Ansteckung zurück-
zufübren.
Masern 1 Fall; Varicellen und Pertussis vereinzelte Fälle.
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570
Bibliographisches.
92) Ranvier' s technisches Lehrbuch der Histologie, Übersetzt von Nicoli und H. v. Wyst.
8.—4. Lieferung. Leipzig, F. C. W. Vogel.
93) Samuel, Handbuch der allgemeinen Pathologie und pathologischen Physiologie. L Ab¬
theilung. Allgemeine Nosologie der Blutsäfte-Circulation. Stuttgart, Verlag von
F. Enke.
94) Müller, L., Placenta praevia. Die vorliegende Nachgeburt, ihre Entwicklung und Be¬
handlung. 344 S. Stuttgart, Verlag von F. Enke.
95) Hofmann, Lehrbuch der gerichtlichen Medicin. Mit besonderer Berücksichtigung der
österreichischen und deutschen Gesetzgebung. I. Hälfte. Wien, Urban & Schwar¬
zenberg.
96) Weiss, Werth und Bedeutung der Reformbestrebungen in der Classification der Psy¬
chosen. 27 S. Stuttgart, Verlag von F. Enke.
97) Samuel, Die epidemischen Krankheiten, ihre Ursachen und Schutzmittel. Vortrag. 40 S.
Stuttgart, Verlag von F. Enke.
98) Goppelsröder, Sur l'analyse des vins. Mdmoire prdsentd k la sooiötd industrielle. Mul¬
house, Vve. Bader.
99) Kirchner, Dr. W., Beiträge zur Kenntniss der Kuhmilch und ihrer Bestandtheile. Dres¬
den, G. Schönfeld’s Verlag. Preis Fr. 2. 70.
Briefkasten.
Herrn Dr. Michel, Malans; Dr. Butt, Basel; Dr. Fankhauter, Burgdorf; Dr. Hilty, St. Gallen;
Dr. Goll, Zürich: mit Dank erhalten. Anonymus: Universitätsfreqnenz folgt in nächster Nummer.
Herrn Prof. Dr. Kocher , Bern und Dr. Dufour, Lausanne: Besten Dank.
Vergleichungstabellen
zwischen dem alten Apotbekergewicht nnd dem neuen Grammgewicht.
Die Unterzeichnete, schon mehrmals darum angefragt, ist bereit, solche vergleichende
Tabellen zu drucken, sobald sich eine genügende Anzahl von Abnehmern findet. Die
Tabellen sind von einem Landarzt mit besonderer Rücksichtnahme auf die Be¬
dürfnisse der ärztlichen Praxis zusammengestellt und werden den Herren Aerzten von
grossem praktischem Nutzen sein. Wer also ein Exemplar einer solchen Doppeltabelle
wünscht, möge seine Adresse möglichst bald einsenden an die Verlagsbuchhandlung
Lang & Cie, in Bern. _ [H-1023-Y]
Die
WssserktiLsiistalt Kammern
am Untersee (Telegraphen-, Eisenbahn- und Dampfschiffstation) wird aus Gesundheits¬
rücksichten mit vollständigem Inventar zn verkaufen, eventuell zu verpachten gesucht.
In Folge der schönen Lage und Umgebung würde sich das Anwesen auch als Pension
und Vergnügungsort oder für Privatsitz eignen.
Nähere Auskunft ertheilt der Besitzer: [4498-Z]
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571
Engadin. — KurtaUS S S1 TTl H (1 (5 11. “ Schweiz.
Klimatische Winter- und Sommer-Kuranstalt
1707 Met. = 6600' ü. M.
mit Bädern und Douchen, mit Ventilations- und Heizungs-Vorrichtungen in allen Räum¬
lichkeiten und Corridoren etc., als Höhensanatorium für passende Krankheitsformen (Anlage
zur Lungenschwindsucht, Anfangsstadien derselben, Nervenkrankheiten etc.) aufs zweck-
massigste neu eingerichtet, wird
Mitte September dieses Jahres eröffnet.
Die anerkannte, weltberühmte landschaftliche Schönheit des Oberengadin’s. die centrale
Lage Samaden’s und seine mehr städtischen Verhältnisse bieten für den Winteraufenthalt
gegenüber andern Höhenkurorten grosse Vortheile. Freie, sehr aussichtsreiche Lage des
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Chasseral, 3000 Fuss über Meer.
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in Mineralwasser. Bäder und Douchen. Kurarzt. Alpenpanorama: Montblanc bis Säntis.
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inbegriffen) vom 1. October an 6 l /a—7 ‘/a Fr. Anfragen und Bestellungen werden
eventuell möglichst frühzeitig erbeten. [H-2970-Q]
Es empfiehlt sich der Kurarzt und Besitzer Dr. med. Alb , Müller,
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572
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Gemttths- u. Nervenkranke
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deten, nahezu 30 Jahre bestehenden Anstalten
und zwar:
I. Abtheilung für Gemüthskranke,
II. Abtheilung (Heilanstalt) für Nervenkranke.
III. Abtheilung für chron. Geisteskranke (land¬
wirtschaftliche Anstalt),
werden von heute an von den Unterzeichneten
(Söhne und Schwiegersohn), die seit 1871 resp.
1873 an den Anstalten thätig sind, in unver¬
änderter Weise unter obigem Namen fortgeführt.
Aufnahmen von Kranken können jederzeit statt¬
finden. Prospecte gratis.
Er. med. A. Erlenmeyer,
Max Erlenmeyer,
öconom. Leiter. [H-6493-X]
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Das Denken in der Medicin.
R e d e
gehalten zur Feier des Stiftungsfestes der militär¬
ärztlichen Bildungsanstalten am 2. August 1877
von
Dr- H. Helmholtz.
gr. 8. Preis: 1 M-
Verlag von F. C. W. VOGEL in Leipzig.
Soeben erschien:
fakzeehesielt«
über die Fortschritte
der
Anatomie und Physiologie.
Mit Anderen herausgegeben von
Prof. Fr. Hofmann nnd Prof. G. Schwalbe
in Leipzig. in Jena.
Fünfter Band.
Literatur 1876.
744 S. gr. 8. Preis 15 Mark.
Arzt gesackt.
Die drei Gemeinden des Sernftthalea im Kanton Glarus, Engi, Matt und Elm, mit
zusammen ca. 3000 Einwohnern, wünschen die Niederlassung eines tüchtigen patentirten
Arztes. Die Praxis kann als eine zwar etwas anstrengende, aber sowohl in ökonomischer,
wie in wissenschaftlicher Hinsicht lohnende betrachtet werden. Die obgenannten Ge¬
meinden sind überdiess bereit, dem sich hier mederlassenden Arzte jährlich Fr. 1000
Wartgeld anzubieten. Antrittszeit wird auf Anfang October dieses Jahres gewünscht.
Wünschenden Falls könnte eine gut eingerichtete Landapotheke am hiesigen Orte selbst
käuflich übernommen werden.
Um nähere Auskunft wolle man sich an Hrn. Dr. Ts Champion in Engi und
Präsident Bäbler in Matt wenden. [H-636-G1]
Matt, den 2. September 1877. Für die Gemeinden des Sernftthalea:
J. Bäbler, Präsident.
Schweighauserische Bachdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
Hiezu als Beilage: Uebersicht der Trauungen, Geburten und Sterbefälle im Jahr 1876.
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Am 1. und 15. jeden
Monats erscheint «ine Nr.
l‘/j—2 Bogen stark;
Herausgegeben von BMtdhmge- .„tgy.
Dr. Alb. Barekhardt-Merlan nnd Dr. A. Baader
PriratdoeMt in Buel. ln Gelterkinden.
N! 19. _ VII. Jahrg. 1877. _ 1. October.
Inhalt: 1) Original arbeiten: Dr. Bury-Bimt: Gutachten Ober den Qeisteaanitand einer Brandstifterin. — 8) Ver-
einaberichte: Verhandlungen des med.-pharm. Bexirksvereins Bern. — 8) Referate nnd Kritiken: Dr. L. Pfeifftr: Hüifs-
and 8chreibkaiender für Hebammen nnd Krankenpflegerinnen pro 1878. — 4) Kantonale Correspondensen: Der inter¬
nationale Congress der medlcinischen Wissenschaften in Genf; Basel; GranbOnden; Waadt; Zürich. — 6) Wochenbericht.
0) Briefkasten.
am Schluss des Jahrg&Dgs
Titelu.Inhsltsverzeichniss.
für
Preis des Jahr «in
schweizer Aerzte.
Fr. 10. — f&r die Schw
der Inserate
25 Cts. die rweisp. Zeile.
Die Postbureaux nehme«
Original-Arbeiten.
Gutachten Uber den Geisteszustand einer Brandstifterin.
Von Dr. Sury>Bienz in St. Pirminsberg.
Die Staatsanwaltschaft des Cantons St Gallen ladet mit Schreiben vom 5.
Januar 1877 die Aerzte von St. Pirminsberg ein, ihr Gutachten abzugehen über
die der Brandstiftung angeklagte und geständige Frau D. H. von R. und stellt zur
Beantwortung folgende Fragen auf:
1. Welches ist der gegenwärtige Geistes- und Gemüthszustand der Ange¬
klagten ?
2. Hat dieselbe sich zur Zeit der That (Brandstiftung) in einem geistig kran¬
ken Zustande befunden? — Insbesondere:
a) befand sich dieselbe damals in einem Zustande, in welchem sie der Urteils¬
kraft oder der Willensfreiheit gänzlich beraubt war? (d. h. im Zustande
vollständiger Unzurechnungsfähigkeit nach Art. 29 d. Strafges.-B.) oder
h) befand sie sich in einem Zustande, wo die Urteilskraft oder die Willens¬
freiheit nicht gänzlich aufgehoben, aber immerhin in bedeutendem Maasse
beschränkt waren? (d. h. im Zustande verminderter Zurechnungsfähigkeit
nach Art. 52 lit. a des Strafges.-B.)
Nach genauer Einsichtsnahme der Acten sowie nach mehr als zweimonatlicher
Beobachtung der Explor. gaben wir nunmehr unser Gutachten ah wie folgt:
ad Frage 1: Frau D. H. leidet gegenwärtig an einer Geistes¬
störung in der Form von Melancholie.
Die Untersuchung der Explor. gab uns kurz nach der Aufnahme folgenden
somatischen Befund:
Der Schädel ist abnorm gross, hat 59 cm. Umfang (wenigstens 3 cm. zu viel!),
ist namentlich sehr breit und ausserdem linksseitig deutlich abgeflacht, welche Ab¬
flachung sich auch über das Gesicht erstreckt. Die linke Pupille ist etwas erwei-
80
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674
tert, doch besteht beiderseitig gute Reaction. Die Zunge deviirt nach rechts,
zeigt kein Zittern; das Zäpfchen weicht ebenfalls nach rechts ab. Sämmtliche
Lappen der Kropfdrüse sind leicht vergrössert. Thorax sehr gut gebaut, kurz
aber breit. Die physicalische Untersuchung des Herzens ergibt einen Klappen¬
fehler der linken Herzhälfte (Insufficienz der Mitralis). Puls sehr klein, regel¬
mässig, 90 Schläge per Minute. Die übrigen Körperorgane bieten einen ganz nor¬
malen Befund. Es besteht eine ca. 20wöchentliche Schwangerschaft. — Die All¬
gemeinernährung der Explor. ist gut; es bestehen aber doch deutliche Anzeichen
von Blutarmuth. Pat. ist gross, stark gebaut mit schlaffer Haltung; die Gesichts¬
züge zeigen wenig Intelligenz, sind plump und tragen den gleichen depressiven
und matten Charakter wie die ganze Erscheinung, das Auftreten und Wesen der
Explorirten.
Pat. ist während der ganzen Zeit ihres bisherigen hiesigen Aufenthaltes voll¬
ständig ruhig und fleissig, hat sich allen Anforderungen der Hausordnung willig
unterzogen, ist aber sonst vollständig gleich geblieben. Ihr ganzes Wesen ist so
recht das exquisite Bild einer einfachen Melancholie; am besten lässt sich dasselbe
als eine allgemeine Depression mit hochgradiger Apathie definiren. Sie sitzt Tag
über stumm und still an ihrem Platz in der Nähstube und arbeitet fleissig, spricht
aber mit Niemandem ein Wort und gibt kaum auf Fragen kurze Antworten, ohne
auch nur recht aufzublicken. In den Zwischenzeiten sowie Abends sitzt sie, ganz
sich abschliessend von den übrigen Kranken, einsam in einem Winkel, staunt vor
sich hin oder liest etwas. Mit dem Essen geht es ordentlich, der Schlaf da¬
gegen ist oft mangelhaft; ihre Klagen sind hauptsächlich: Kopfweh (namentlich
ein Gefühl von Schwere, von Gebundensein um die Stirn), Schwindelanfälle, häu¬
fig wiederkehrende Beschwerden von Seite des Herzfehlers und dann hauptsäch¬
lich die sogenannte Prsecordialangst (d. h. ein dumpfes Druckgefühl auf Brust¬
bein und Magengegend), bekanntlich eine der allerhäufigsten Klagen bei Melan¬
cholien.
Ueber das Vergehen u. s. w. spricht sie sich auf Befragen offen aus; sie er¬
zählt ihr Vorleben und die Vorgänge ihrer That richtig, d. h. in Uebereinstim-
mung mit ihren vor der Staats-Anwaltschaft berichtigten Angaben in den Acten,
auf die wir noch später in unserem Gutachten zurückkommen werden.
Ihr Denken und Urtheilen scheint ein vollständig richtiges zu sein, wenn auch
die Intelligenz unter dem normalen Niveau steht; der Denkprocess ist ein ver¬
langsamter, und die Willenskraft ist geschwächt, theilweise sogar aufgehoben, so
dass Pat. wohl a priori ziemlich richtig urtheilen, dieses Urtheil aber im concreten
Fall nicht rectificirend einwirken lassen kann auf sich geltend machende Wünsche
und Triebe.
Diese Beobachtungen berechtigen uns:
1) auf Grundlage des stark vergrösserten Schädels und der Ergebnisse unse¬
rer Untersuchung einen gewissen Grad von angeborenem Schwachsinn anzuneh¬
men, und
2) die Explor. für geistesgestört und zwar für melancholisch zu erklären.
ad Frage 2: Frau H. befand sich zur Zeit der That (Brandstif-
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575 —
tnng) in einem geistig kranken Zustand; die für jetzt nachge¬
wiesene Melancholie hat damals schon bestanden.
Zum Beweise dieser unserer Behauptung müssen wir vor Allem die Lebens¬
geschichte der Pat. und dann die Vorgänge bei der That selbst ins Auge fassen.
Leider fehlt in den Acten jede Angabe über das Vorhandensein oder das Fehlen
einer allfälligen ererbten Anlage puncto Geistesstörungen oder anderer exquisiten
Nervenleiden wie Epilepsie, Trunksucht u. s. w.
Es möchte uns bei dieser Gelegenheit erlaubt sein, die Tit Staats-Anwalt¬
schaft auf einen Punct aufmerksam zu machen, für den wir nicht besser zu plai-
diren vermögen, als es der erfahrene und anerkannte Meister der gerichtlichen
Psychopathologie, Prof. v. Kraffl-Ebing in seinem neuen Lehrbuch thut:
„Angesichts der enormen Bedeutung, welche das Gesetz der Vererbung im
Gebiet der Hirn- und Nervenkrankheiten hat, wäre es eine billige und mancher un¬
gerechten Verurtheilung vorbeugende Maassregel, wenn neben der bisher aus¬
schliesslich gepflogenen Nachfrage nach vita ante acta, namentlich Leumund und
Vorbestrafungen, vom Richter danach gefragt würde, ob nicht des Inculpaten El¬
tern oder nächste Seitenverwandten an Seelenstörung oder schweren Nervenkrank¬
heiten gelitten haben.
„Häufig genug wird eine solche zwar in der Ascendenz ermitttelt, aber be¬
langlos sein, insofern der bisherige Lebensgang des Angeschuldigten nach keiner
Richtung hin eine Abnormität bot; noch häufiger aber wird es geschehen, dass
neben einer erblichen Anlage die Vorgeschichte des Inculpaten bedeutungsvolle,
belangreiche Anomalien der psycholog. Entwicklung, Excentyicitäten, krankhafte
Gemüthsreizbarkeit, abnorme Affecte, abnorme Reactionen auf Alcohol und andere
Zeichen einer neuropathischen Constitution ergibt, die von einem gewissenhaften
Untersuchungsrichter nicht ignorirt werden dürfen.
„Gegenüber der Häufigkeit, mit welcher eine solche krankhafte, erbliche Be¬
lastung sich bei vor den Schranken des Gerichts Stehenden findet, erscheint es
gerechtfertigt, zu fordern, dass der Untersuchungsrichter schon durch seine In¬
struction angewiesen wäre, die Frage nach den Gesundheitsverhältnissen der As-
eendenz zu stellen, und falls sich Geisteskrankheit, Trunksucht oder schwere Ner¬
venkrankheiten bei denselben finden, eine Expertise durch einen ärztlichen Sach¬
verständigen anstellen zu lassen, die sich auf psychischen Stammbaum, Vorleben
und gegenwärtigen Geisteszustand der Angeschuldigten zu erstrecken hätte.“ (1. c.
pag. 26.)
Möchte diese unsere Anregung ihre Früchte tragen I Wie gut wäre es gerade
in diesem Falle, darüber klar zu sein, ob bei der Angeklagten irgend welche er¬
erbte Anlage vorliegt oder nicht; denn der Nachweis einer hereditären Prädispo-
sition würde auf leichtestem Wege Vieles erklären.
Wenn wir uns auf Grundlage der Acten das Lebensbild_der Explorirten con-
struiren, so erhalten wir das ganz classische Bild eines durch und
durch psy chopathisch en Charakters auf angeborener schwach¬
sinniger Basis.
Alle Zeugen ohne Ausnahme stimmen in dem einen Puncte überein, dass Ex-
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plorirte nie war wie andere Leute, wenn auch' in Einzelheiten natürlich die De¬
positionen von einander ab weichen. Frau H. selbst qualificirt eich als stets ge¬
sund, nur gibt sie an, zuweilen an Kopfschmerz, mit Sausen verbunden, gelitten
zu haben. Ihre intellectuellen Anlagen waren nie besonders gut, nach einzelnen
Aussagen sogar schlecht; sie war von Jugend auf verschlossen, mürrisch, wortkarg
und im höchsten Grade launisch , sogar verschlagen und zanksüchtig, aber nie
eigentlich boshaft, dabei träge, besonders bei der Arbeit daheim, und namentlich
war ihr von jeher das Weben zuwider. — Schon in früheren Jahren musste ihr
die Mutter oft darüber Vorwürfe machen , dass sie einfach von ihrem Webstuhle
weglief, auf längere Zeit in ihre Kammer ging und sich dort Stundenlang ihrem
Nachsinnen überliess; auch bei der Arbeit selbst staunte sie viel. So galt sie stets
und überall als eine „curiose“ Person, deren Benehmen unberechenbar war; bald
konnte sie sich vorübergehend recht freundlich und gefällig erzeigen; dann kamen
auf einmal wieder Momente, in welchen sie sich von allen Leuten abwandte und
halb tiefsinnig vor sich hinbrütete. Nie war sie lebensfroh wie andere junge Mäd¬
chen; auch ihre allernächsten Angehörigen wussten nie klaren Bescheid über ihr
Fühlen und Wollen. Stets war es schwer, sich ihr verständlich zu machen, und
noch schwerer, deutliche und klare Antwort von ihr zu erhalten.
Vor einigen Jahren hatte sie ein Verhältniss mit einem Nachbarssohn; doch
zerschlug sich dieses Heirathsproject in Folge Widerstands der Eltern, theils wegen
des Charakters der Explor., theils auch aus confessionellen Gründen. Seither da-
tirt sich eine entschiedene Verschlimmerung ihres ganzen Zustandes. Wenn auch
Explor. selbst behauptet, sie habe dieses Verhältniss rasch verschmerzt, so scheint
dies doch nicht ganz richtig zu sein, denn hier vereinigen sich mehrere Zeugen¬
aussagen dahin, dass Explor. seit dieser Zeit bedeutend deprimirter, stiller und
apathischer war, als bisher; sie wurde noch schweigsamer und düsterer und es
war leicht wahrzunehmen, dass die Lösung dieses Verhältnisses ihr wehe gethan;
sie verarbeitete aber Alles innerlich und vertraute sich Niemandem an.
Die Bekanntschaft mit ihrem jetzigen Mann scheint schon ca. 1 */» Jahre vor
der Hochzeit (7. August 1876) bestanden zu haben. Alle Freunde des Verlobten,
sogar der eigene Bruder der Braut, riethen ihm von einer solchen Heirath ab, vor
Allem wegen des launischen, wortkargen Charakters der Betreffenden, die sich
trotz der nahen Hochzeit durchaus nicht besserte; im Gegentheil, je näher der
Hochzeitstag rückte, desto unzufriedener mit ihrem Schicksal schien sie zu sein;
ja kurz vor der Hochzeit soll sie sich sogar öfter in einem Zustande von Stumpf¬
sinn befunden haben, so dass ihre Angehörigen besorgten, sie könnte noch etwas
anstellen.
Am Abend nach den Sponsalien (24. Juli) war sie detart launisch und mürrisch,
dass der Bräutigam ihr sagte: „wenn Du es jetzt schon so hast, so kannst Du,
wenn Du willst, die Heirath zurückstellen.“
Dieses Unwetter verzog sich wieder, und die Hochzeit fand statt Ueber ihr
Benehmen an diesem für jeden Menschen so freudigen Tag herrscht in den Zeugen¬
aussagen nur eine Stimme: Sie war gar nicht in bräutlicher Stimmung, sondern
sogar sehr niedergeschlagen und gedrückt; sie schien durchaus nicht so glücklich
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zu sein, als es in solchen Momenten der Fall sein sollte; man sagte allgemein,
der Mann sei jedenfalls mehr in sie, als sie in ihn verliebt.
Mit dem Hochzeitstag wurde nun die äussere Lage der Explor. gänzlich ver¬
ändert. Aus einem Hause, wo sie keine Pflichten, dagegen Zeit genug gehabt,
nach Belieben sich abzusondern, kam sie nun als Hausfrau in ein eigenes Haus,
wo ihr im Verein mit ihrem Mann die normale Menschen beglückende Aufgabe
oblag, auf eigene Rechnung zu sorgen und zu wirken, es traten somit neue und
grosse Aufgaben an sie heran; was dieselben noch schwerer machte, war die neue
Umgebung und namentlich die neue Verwandtschaft, der sie von jetzt ab ange¬
hören sollte. Dass diese Verhältnisse aber nicht die allergünstigsten waren, ergibt
sich aus den Acten ganz unzweifelhaft.
Zwar ihr Mann scheint nach allen, auch nach ihren eigenen Aussagen, ein
braver, stiller und äusserst fleissiger Mensch zu sein, der aber einen schwachen
Charakter besitzt und dadurch unselbstständig ist. Um so selbstständiger scheinen
aber seine Angehörigen zu sein, die nächsten fast einzigen Nachbarn des jungen
Ehepaars; namentlich Mutter und Schwester geniessen den, wie es scheint, nur zu
berechtigten Ruf, böse und streitsüchtig zu sein. In solchen Verhältnissen sollte
sich nun die junge Frau zurechtfinden und dazu noch aus einem belebten Thal
hinaufversetzt auf den einsamen Berg.
Wenn schon von Anfang an bei der Frau die Liebe nicht gross war, so konnte
diese jetzt um so weniger zunehmen, als ihr Wesen sich gleich blieb und sie in
den neuen Verhältnissen nicht mehr die Nachsicht und Freiheit für ihre Launen
fand, wie daheim. Die Eintracht des jungen Ehepaars war denn auch bald ver¬
schwunden, namentlich in Folge der beständigen unheilvollen Beeinflussung des
Mannes von seinem elterlichen Hause aus; ihm fehlte eben leider die Charakter¬
stärke, sein Glück ohne fremde Beihülfe selbst aufzubauen, und es ging ihm trotz
seiner Liebe jedes innere Verständnis ab für das curiose Benehmen seiner Frau;
statt ihr mit Liebe und Vertrauen entgegenzukommen und ihrem schwankenden
Wesen eine feste Stütze zu bieten, stiess er sich täglich an dem ihm vor der
Hochzeit ja schon hinreichend bekannten Verhalten der Frau, entzog ihr alles
Vertrauen, machte ihr wegen jeder Kleinigkeit verletzende Vorwürfe und suchte
Trost und Rath in allen schwierigen Fragen, wie Viehankauf u. s. w., statt bei
ihr, der ihm Nächststehenden, bei Mutter und Schwester, die natürlich gar gerne
die Gelegenheit ergreifen, sich wichtig zu machen und dadurch die Herzen der
jungen Eheleute immer weiter von einander zu entfernen. Der schwache Mann
liess es die Frau mehr und mehr fühlen, dass sie ihre Pflicht nicht thue, dass sie
nichts verstehe u. s. w., ja er ging in seinem Unmuthe sogar so weit, die auf Be¬
such bei ihrer Tochter weilende Schwiegermutter nicht nur mit Vorwürfen zu
überhäufen, sondern sogar ihr nachzurufen, er gäbe gerne 1000 Fr. Reugeld, wenn
er die Heirath rückgängig machen könnte.
Seine Angehörigen beschränkten ihren unglückseligen Einfluss nicht nur auf
Intriguen hinter dem Rücken der Frau, sondern mischten sich auch persönlich in
die Streitigkeiten der Ehegatten, namentlich scheint die Schwester der Explor. wie
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auch deren Mutter 'wiederholt derartig grob gekommen zu sein, dass es einmal
sogar zu Thätlichkeiten kam.
Gegenüber all’ diesen auf sie einstürmenden Widerwärtigkeiten war die arme
junge Frau gänzlich machtlos. Wie sollte sie sich mit ihrem unglücklichen Wesen
überhaupt Liebe und Zutrauen erwerben oder gar verlorene Liebe sich wieder
erringen können! Es war dieses unmöglich. Sie hatte nirgends eine Stütze und
suchte keine, würde aber auch keine gefunden haben; ihre Mutter rieth stets zu
geduldigem Ausharren und damit war der scheuen Tochter auch die letzte Zu¬
flucht verschlossen; denn die Mutter wäre jedenfalls die einzige gewesen, der sie
sich hätte eröffnen können. Trost bei der Arbeit hatte sie auch nicht, denn Arbeit
auf dem Felde gab es wenig, da der Mann selbst meist als Tagelöhner für Andere
arbeitete, und das Weben, das ihr oblag, war ihr, wie schon oben erwähnt, stets
verhasst und unangenehm gewesen. Dazu war sie meist Tage laDg allein daheim,
sich und ihrem Nachsinnen überlassen.
Zu all’ diesem, was an und für sich schon genügend gewesen wäre, um sogar
einen gesunden Menschen krank zu machen, geschweige denn ein solches durch
und durch psychopathisches Individuum, kamen aber noch zwei andere ganz ge¬
waltige ätiologische Momente: ein chronisches Herzleiden und die Schwangerschaft.
Seit wann Pat den Herzfehler hat, können wir unmöglich mit Sicherheit con-
statiren; jedoch ist soviel sicher, dass er schon längere Zeit besteht, da die jetzt
nachweisbaren phys. Symptome unbedingt dafür sprechen.
Welch’ grossen Einfluss aber Herzfehler auf Entstehung von Geistesstörungen
ausüben, brauchen wir hier wohl kaum weiter auszuführen, es lässt sich ja schon
a priori erfassen, dass Störungen des gesammtcn Kreislaufs auch die Ernährung
des Gehirns, und damit die functionellen Vorgänge dieses Organs sehr erheblich
beeinflussen müssen, und auch die Erfahrungen unserer Psychiatrie beweisen die
Richtigkeit dieses Theorems.
Wenn nun ein Herzleiden an und für sich einen infausten Einfluss auf das
Gemüthsleben ausüben kann, so ist dies noch weit mehr der Fall, wenn dazu noch
Schwangerschaft tritt, welch’ letztere auch für sich allein Ursache von Geistes¬
störungen werden kann. Während der Schwangerschaft ist nach Erfahrung der
Wissenschaft das Blut abnorm wässrig. Wenn also die Ernährung des Gehirns
neben den durch Herzfehler bedingten Störungen noch ausserdem mit einem ge¬
haltloseren Blute geschehen muss, so ist leicht zu begreifen, dass unter solchen
doppelt ungünstigen Verhältnissen sich Störungen einfinden. Die Wichtigkeit der
Schwangerschaft als ätiolog. Moment der Psychosen hier noch ausführlich zu be¬
gründen, ist überflüssig.
All’ diesen Schädlichkeiten erlag denn auch die arme Frau. Wann die eigent¬
liche Geistesstörung begann, ist schwer zu sagen, hier brauchte es ja so unge¬
heuer wenig, bis zur Ueberschreitung der schon weit verschobenen physiol. Grenze.
Unter dem Einfluss der sich immer wiederholenden Unannehmlichkeiten bemächtigte
sich ihrer eine stets trauriger werdende Stimmung; sie mochte es nicht mehr aus-
halten, sie fühlte sich wie verlassen, das Heimweh, das eigentliche krankhafte Heim¬
weh ergriff sie; sie verlor den Appetit und jede Arbeitslust. Sie musste oft bei der
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Arbeit aussetzen, um laut aufzuschreien, was ihr natürlich wieder reichliche Vor¬
würfe von Seiten ihres Mannes und dessen Familie einbrachte; sie wäre gerne weit
fort vom Manne gegangen, sogar nach Amerika, wenn sie die Möglichkeit dazu
gehabt hätte.
In einer solchen Stimmung fand sie nun der Unglückstag (30. October 1876).
Am vorhergehenden Abend und am Morgen dieses Tages hatten die Eheleute
Streit Der Mann ging früh zur Arbeit auf Tagelohn und schied von ihr mit den
Worten: „sie sei ein schlechtes Weib, sie solle hingehen, wohin sie wolle; sie sei
keinen Batzen werth; es werde nicht lange gehen, so werde es eine Aenderung
geben.“
Nach einem solchen Abschiedsgruss war es ihr doppelt schwer und besonders,
da sie den ganzen Tag allein war und weben musste. Je mehr es Abend wurde,
um so unbehaglicher fühlte sie sich ; es war ihr nirgends wohl und sie mochte
nirgends sein. Gegen Abend kam ein altes Bettlermannli; darüber war sie ganz
glücklich, nur dass sie Jemanden bei sich gehabt. Nach dessen Fortgehen habe
sie sich wieder doppelt unglücklich gefühlt; es war ihr so eigenthümlich schwer
und unbehaglich, und um dieser Einsamkeit, vor der ihr bangte, zu entfliehen, lief
sie zweimal unter nichtigen Vorwänden zu der ihr sonst doch nicht so lieben
Schwiegermutter hinüber; aber immer, wenn sie wieder daheim war, empfing sie
die gleiche unheimliche Stille; ihr ward stets schwerer; sie meinte immer, ihr
Bruder sollte kommen und sie wegführen. Nur der eine Gedanke, hier fortzu¬
kommen, beherrschte sie ganz. Sie dachte, sie wolle etwas anfangen, aber eine
Vorstellung: „was“, hatte sie noch nicht. In dieser unbestimmten Angst lief sie
noch einmal hinüber in’s elterliche Haus und rief Schwager und Schwägerin hin¬
über, um nachzusehen, ob nicht Jemand im Hause sei; aber sie selbst wusste ganz
gut, dass nichts daran war; es habe ihr dabei nur dunkel die Idee vorgeschwebt:
„sie sei dann aus der Sache“. Als sie wieder fort waren, sei ihr plötzlich der Ge¬
danke aufgestiegen, anzuzünden; sie nahm ein Zündhölzchen und zündete vom Ab¬
tritt aus die an das Haus angelehnten „Bürdeli“ an; dabei habe sie nur den einen
Gedanken gehabt, „sie wolle etwas thun, damit sie heimkomme“. Dass sie sich
selbst und ihren Mann damit in Schaden bringe, habe sie nicht gedacht. Weite¬
res sei ihr nicht in den Sinn gekommen. Sie kann nicht sagen, warum sie diese
That begangen, sie habe es eben thun müssen, um ihrem gepressten Herzen Luft
zu schaffen — aus Heimweh. — Sobald der „Schutz“ über sie gekommen, habe
sie die Kellerstiege hinaufsteigen müssen, um sofort anzuzünden. Es habe unge¬
heuer rasch gebrannt. Sie lief dann vom Feuer fort, holte aber keine Hülfe her¬
bei — denn es sei ihr ganz gleichgültig gewesen, ob es brenne oder nicht; sie
löschte ihre Lampe sorgfältig aus, ging zu ihren Schwiegereltern hinüber und
trank dort ganz ruhig Kaffee. Bei der baldigen Entdeckung des Brandes sei sie
zuerst ganz ruhig geblieben; nachher sei aber doch theilweise Reue über sie
gekommen, und auch der Trieb der Selbsterhaltung habe sich sogleich gel¬
tend gemacht — deshalb ihr anfängliches Leugnen und ihr nur successives Ge¬
stehen. —
Wenn wir nun diesen Lebenslauf der Explorirten bis zur That und diese
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letztere selbst psychokritisch durchgehen, so finden wir ganz unzweifelhaft Fol¬
gendes :
1) Angeborene psychopathische Anlage bei nicht unerheblicher intellectueller
Schwäche.
2) Eine auf Grundlage dieser Prädispositionen durch die allerungiinstigsten
innerlichen und äusserlichen Verhältnisse erzeugte Melancholie vor und während
der That, die durch die bei den Acten liegenden Gutachten der beiden Gerichts¬
ärzte auch für die Untersuchungszeit nachgewiesen ist und jetzt noch besteht.
Da nun aber das Bestehen der Geistesstörung für die Zeit der That constatirt
ist, so ist damit nach dem jetzt allgemein anerkannten psychoforensischen Grund¬
satz : dass Geistesgestörte für jede während ihrer Krankheit begangene That gänz¬
lich unzurechnungsfähig sind, auch die lit. a der Frage 2 beantwortet, und zwar
dahin:
Die Angeschuldigte befand sich zur Zeit der That in einem
Zustande, in welchem sie der Urth eilskraft oder der Willens¬
freiheit gänzlich beraubt war ( d. h. im Zustande vollständiger
Unzurechnungsfähigkeit nach Art. 29 des Strafges.-B).
Einen Punct müssen wir noch kurz erwähnen: Es ist dies ihr beständiges
Leugnen und Lügen, das sich durch alle ihre Verhöre hindurchzieht. Es wäre ein
grosser und verhängnissvoller Irrthum, hierin einen Beweis gegen Geistesstörung
und gänzliche Unzurechnungsfähigkeit zu suchen. Kranke können eben ganz gleich
gut lügen und beschönigen, wie Gesunde, und es kommt dies auch häufig genug
vor, wenn auch gar oft gerade das rückhaltlose Bekennen einer That für Kranke
sehr charakteristisch ist Es kommen eben auch auf diesem Gebiete grosse Dif¬
ferenzen vor im Verhalten der Kranken, je nach der Genese der That, nach der
Krankheit, der Individualität des Betreffenden, den äussern Umständen u. s. w. —
man darf hier am allerwenigsten generalisiren.
Nach diesen Auseinandersetzungen fassen wir also unser wohlerwogenes, bei
Eidespflicht abgefasstes Gutachten in folgenden Schlusssatz zusammen:
„Frau D. H. leidet gegenwärtig an Geistesstörung (Melan¬
cholie); sie litt schon zur Zeit der That an dieser Krankheit
und hat die That in gänzlich unzurechnungsfähigem Zu¬
stande begangen.“
Nachtrag: Auf Grundlage vorstehenden Gutachtens wurde unterm 26.März
d. J. die Procedur gegen Frau D. H. aufgehoben. Patientin verblieb hier in Be¬
handlung und konnte am 27. Juni d. J., von ihrer Melancholie genesen, entlassen
werden, nachdem sie in der Anstalt ein kräftiges Kind glücklich geboren hatte.
V ereinsbericlite.
Verhandlungen des med.-pharm. Bezirksvereins Bern
im Sommersemester 1876.
1. Sitzung, Dienstag, 2. Mai */>8 Uhr bei Webern.
Anwesend 11 Mitglieder.
Prof. Kocher demonstrirt einen Fall von Blasenspalte bei
einem 6 1 /» Jahr alten Knaben. Die Oeflhung in der Bauchwand ist so,
dass man die Mündung der beiden Uretheren und den Austritt des Harns aus den-
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selben deutlich sehen kann. Die Symphyse ist nicht geschlossen. Die Schleim¬
haut der Blase drängt sich hervor, lässt sich aber zurückbringen. Die Urethra
verläuft als offener Canal auf der obern Seite des Penis.
Der Vortragende ist der Ansicht, die Blasenspalte beruhe auf dem Platzen
einer bereits gebildeten Blase. Man findet Rückwirkung der Stauung, die das
Platzen herbeiführte, an den Uretheren, die viel weiter sind als normal. Man fand
auch Prolapsus der geschlossenen Blase bei Bauchspalte. Dieses deutet darauf
hin, dass die Blase hervorgeschoben wurde, bevor die Bauchplatten geschlossen
waren. Das Primäre ist das Hervordringen und die Anomalie der Blase. Das
Entstehen der Epispadie beruht darauf, dass der Harnschlauch mit der Blase nach
vorn und oben geschoben wird, bevor die Symphyse geschlossen ist Das Platzen
der Blase kann zu Stande kommen durch Atresia urethrae. Die Blase platzt nicht
in Form einer scharfen Spalte, sondern mit Lappenbildung.
Die Operation der Blasenspalte ist sehr mühselig und langwierig. Zuerst
stellt man eine Urethra dar durch Deckung mit verschiedenen Lappen.
Im speciellen Falle denkt der Vortragende an Ablösung des mit Epidermis be¬
setzten obern Theiles der Bauchwand und Herabklappung und Befestigung dessel¬
ben. Die Lücke zwischen Penis und der neuen Blasenwand deckt er durch einen
Lappen, den er aus dem Hodensack schneidet, ebenso die Epispadie unter Beihülfe
des Prteputiums.
Dr. Vogt erwähnt eines Falles von Prof. Bemme , Vater, der als eine Haupt¬
schwierigkeit des Gelingens der Operation die mangelhafte Capacität der neuen
Blase bezeichnet. In dem betreffenden Falle sollten die Schambeine durch einen
Gurt vereinigt werden. Durch Heraufschlagen und Zurückhalten des Penis brachte
er es dazu, einen Schoppen in der Blase zu halten.
Prof. Kocher gibt zu, dass die operative Behandlung den Nachtheil der Incon-
tinenz habe. Dr. Schneider fragt, ob noch kein Fall von Platzen der Blase nach
hinten bekannt sei. Prof. Kocher glaubt, dass man vielleicht Fälle von Communi-
cation zwischen Blase und Rectum als solche betrachten könne.
2. Prof. Quincke , Demonstration eines Falles von Polymye¬
litis anterior subacuta.
Der Fall betrifft ein Mädchen von 14 Jahren. Die Patientin litt eines Tages
im August 1875 an Kopfschmerzen und Stechen im rechten Arm. Den folgenden
Morgen konnte sie denselben kaum bewegen; die Stiche waren verschwunden, die
Kopfschmerzen dauerten noch 2 Tage fort. Sie hütete 8 Tage das Bett. Beim
Aufstehen verspürte sie Schmerzen im Nacken, ebenso eine Schwäche und Schmerz¬
haftigkeit beim Gehen im linken Bein. Die Beweglichkeit des Armes besserte sich
allmälig etwas, hingegen zeigte sich ca. 4 Wochen nach Beginn der Erkrankung
eine deutliche Abmagerung der Muskeln der betreffenden Schulter und des Arms.
Gegenwärtig ist die Abmagerung noch sehr deutlich zu erkennen. Schmerzen
hat sie keine, sondern klagt nur über Schwäche des Arms. Abduction des Ober¬
arms bis zur horizontalen ist nicht möglich. Der Serratus wirkt gar nicht, der Del-
toideus sehr schwach. Rotation im Schultergelenk gut, aber schwächer als sonst
Die rechte Hand fühlt sich kühler an, als die linke. Beide sind auffallend blau.
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Ea handelt sich hier um eine Erkrankung der grauen Vorderhörner des Rücken¬
marks in der Höhe der untern Halswirbel, besonders rechts. Der Zustand ist jeden¬
falls als Folge einer acuten Erkrankung zu betrachten und zeigt viele Aehnlichkeit
mit essentieller Kinderlähmung.
Dr. Burckhardt erwähnt, dass Fälle von essent. Kinderlähmung auch in der 2.
Dentitionsperiode Vorkommen und auch bei Erwachsenen verschiedene Fälle beob¬
achtet wurden. Er hält dafür, dass die Polymyelitis die verschiedenen Gruppen
der Vorderhornzellen afficiren könne und dass je nach dem mehr die motortro-
phischen oder die vasomotorischen Functionen der abhängigen Muskelgruppen
leiden.
3. Dr. Schneider zeigt einen Gürtel mit Pelotte zur Festhaltung
der Wanderniere.
4. Dr. Burckhardt empfiehlt für Aufbewahrung von Präparaten 5%
Tymollösung. Prof. Quincke zu gleichem Zwecke die billigere 5°/ 0 Phenyl¬
lösung. Dr. Vogl Borsäurelösung mit Zusatz von etwas Nitrum , welche Lösung
zur Conservirung des rohen Fleisches in Amerika angewandt wird.
2. Sitzung, Dienstag, 30. Mai 1876, Abends '/ a 8 Uhr bei Webern.
Anwesend 16 Mitglieder.
1. Prof. Bemme berichtigt den in der letzten Sitzung erwähnten Fall von Be¬
handlung einer Blasenspalte durch seinen Vater dahin, dass die Blase vor
der Operation zur Continenz gezwungen wurde und nach der Operation bis auf 3
kleine Fisteln heilte. Patient hat sich seitdem verheirathet. Die eine der Fisteln
ist verschwunden und die andern belästigen ihn wenig.
2. Dr. Schneider theilt einen Fall mit von acut verlaufender parenchyma¬
töser Degeneration der Leber, welchen er und Prof. Quincke bei einer
18jährigen Weibsperson beobachteten und der in wenig Tagen unter den Erschei¬
nungen, welche bei Leben auch als Phosphorvergiftung hätten angesehen werden
können, lethal endete. Er glaubte aber schliesslich denselben der acuten Leber¬
atrophie in ihrem ersten Stadium subsummiren zu können, wobei freilich erst nur
ein kleiner Theil des verfetteten Gewebes resorbirt worden ist, das aber genügte,
als Infectionsstoff in Circulation gesetzt, auch Herz und Nieren in den Kreis der
Krankheit zu ziehen. Dabei macht er aufmerksam auf die Schwierigkeit der Dia¬
gnose in solchen Fällen und auf die heikle Stellung, in welche der Arzt gegenüber
der Polizei und den Gerichten gerathen kann.
Prof. Quincke kann sich nicht an die Atrophie der Leber erinnern bei der Sec-
tion. Eine Phosphorleber ist im Anfang immer vergrössert, und erst in 8—14 Ta¬
gen verkleinert. Dann fehlten bei der Section auch die andern Erscheinungen in
den Muskeln (Blutergüsse etc.). Er hält den Fall auch für eine acute Leberatro¬
phie im frühen Stadium, die vielleicht auf Infection beruht. Dr. Henzi fragt, ob
nicht an eine Chloralvergiftung gedacht werden könne, da solches gebraucht wurde.
Dr. Schneider schliesst diese ganz aus. Prof. P. Müller weiss nicht, was in diesem
Falle inficirt haben sollte. Dr. Schneider glaubt, dass vielleicht durch Uebertritt
von Gallensäuren in’s Blut der Tod erfolgte. Prof. Quincke. Die Symptome ent¬
sprechen dem Bilde einer Infection, woher? lässt er dahin gestellt. Es gibt viele
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Infectionskrankheiten, die man jetzt kennt und vor 20 Jahren nicht (Trichinen,
Erysipelas etc.); warum sollte es nicht noch andere geben, die wir noch nicht
kennen. Prof. P. Müller . In der Gynäcologie haben wir verhältnissmässig viele
Fälle von acuter Leberatrophie, aber nie unter dem Bilde der Phosphorvergiftung.
Dr. Schneider. Im Innern des Körpers können sich auch Stoffe bilden, die für ein¬
zelne Organe giftig wirken, z. B. Zersetzungsproducte des Blutes, der Galle, des
Urins. ' Prof. Demme. Bei Kindern kommt bei fieberhaften Zuständen acute Ver¬
fettung der Leber und des Herzens vor, ähnlich wie bei der phosph. Leber. Er
hält die acute Leberatrophie für eine autochthone Infection. Dr. Schneider. Bei
der chron. Leberatrophie ist die Leber verkleinert, bei der acuten vergrössert. Nun
gibt es aber Fälle, welche Uebergänge zwischen acuter und chronischer Leber¬
atrophie bilden und dem nach wird sich auch die Grösse der Leber verhalten.
3. Dr. Valentin. Ueber constante Batterien neuerer Construc-
tion und ihre medicinische Anwendung.
Die alten mehr oder weniger constanten Elemente , deren verschiedene Ent¬
wicklungsphasen in Exemplaren, die dem berner physicalischen Cabinet entnom¬
men sind, vorgezeigt werden, sind theilweise schwer zu behandeln, theilweise schon
nach kurzem Gebrauch functionsunfähig. Dit Remak-DanielC sehen Batterien und
deren Modifikationen von Siemens und Meidinger sind sehr brauchbar ihrer Constanz,
ihres innern Widerstandes und ihrer Billigkeit wegen, halten aber bei häufigem
Gebrauch kaum ein halbes Jahr ohne gründliche Reinigung aus, nehmen viel Platz
ein und geben in der sonst vorzüglichen Meidinger'sehen Form zu Unterbrechungen
in Folge metallischer Kupferablagerung Veranlassung. Das beste grössere Element
ist das zuerst in der französischen Telegraphie benutzte Element von Leclanche ,
welches nach wenigen Tagen constant wird, geringerer Unterhaltung als jedes an¬
dere bedarf und abgesehen von Störungen der ersten Tage der Benutzung (schwan¬
kende Stromintensität; Entwicklung freien Ammoniaks) Jahre lang gleichmässig
fortbenutzt werden kann. Redners Batterie fungirt gleichmässig seit 4 Jahren.
Ein Nachtheil ist seine Empfindlichkeit gegen längeren Schluss des Stromes ohne
genügenden Widerstand; es wird dann der Braunstein der Elemente rasch redu-
cirt und ihre Kraft bleibend geschwächt; indessen ist bei geringer Aufmerksam¬
keit dieses für den ärztlichen Gebrauch , bei dem ja Widerstände von Tausenden
Stemwu’scher Einheiten in Frage kommen, irrelevant. — Für transportable Batte¬
rien bewährt sich dasselbe Element in einer von Beelz angegebenen Modification;
sonst sind für diesen Zweck die nicht ganz constanten, aber kräftigen und billigen
Stöhrer'schen Zink-Kohlebatterien mit Recht am meisten in Gebrauch. Es werden
schliesslich einige Angaben über electromotorische Kraft und innern Widerstand
der betreffenden Elemente hinzugefügt. Endlich wird die Ansicht Benedikl' s und
anderer Electrotherapeuten, kleine Elemente wirken schmerzhafter und weniger
gut, als grosse, widerlegt. Die Constanz kleiner Elemente ist nicht, wie B. meint,
eine wegen polarisirender Gasblasen rasch wechselnde, da sie sonst in einer In-
ductionsspirale beständig Ströme auslösen müsste, was nicht der Fall ist.
Wenn Redner nämlich ein kleines Beetz-Leclanche' sches oder ein Zink-Kohlen¬
element mit der Spirale eines Dubois' sehen Inductionsapparates verband und an die
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Electrodendrähte des Inductionsapparates einem galvanischen Froschpräparat zu-
fdhrte, so zeigten sich selbst bei ziemlich lebhafter Gasentwicklung im Element
keine Zuckungen.
3. Sitzung, den 27. Juni 1876, Abends 7 Uhr in der Waldau.
Anwesend 16 Mitglieder.
1. Dr. Burckhardt demonstrirt die Aufnahme einer Nervenleitung
(Apparat und Procedere) und bespricht 3 Fälle, die ihm von berner Collegen zur
Untersuchung resp. zur Behandlung zugeschickt wurden. Der eine derselben wird
schon seiner Seltenheit wegen im „Corr.-Bl.“ veröffentlicht werden.
Ein von den Aerzten der Waldau in freundlichster Weise offerirtes Nacht¬
essen bildete den 2. Theil des Abends und es war Mitternacht, als man sich end¬
lich trennte.
Referate and. Kritiken.
HUIfs- und Schreibkalender fUr Hebammen und Krankenpflegerinnen pro 1878.
Im Auftrag des Geschäftsausschusses des deutschen Aerztevereinsbundes herausgegeben
von Medicinalrath Dr. L. Pfeiffer in Weimar. Weimar, Verlag von H. Böhlau.
Ueherall und allenthalben regen sich die Sanitätsbehörden, um mit Hülfe der Sach¬
verständigen den Erkrankungeu überhaupt und namentlich der Ausbreitung von anstecken¬
den Krankheiten Schranken zu setzen und im Felde der Geburtshülfe waren es nament¬
lich die Sterblichkeit der Neugeborenen und Säuglinge und das Kindbettfieber, welohe
dringend und mahnend zu Anstrengungen anspornten, Abhülfe zu treffen. Von verschie¬
dener Seite sind lobenswerthe Vorkehrungen getroffen worden und ich erwähne hier nur,
was mir aus Basel, Bern und Zürich hierüber bekannt geworden ist; aber es sollten na¬
mentlich in Bezug auf Ausbildung, Unterricht und Verständniss gegenüber den Hebammen
und dem Wartpersonal noch mehr geschehen, und in dieser Beziehung möchte ich die
Collegen und die mit dem Sanitätswesen in Verbindung stehenden Behörden auf obi¬
gen „Hülfs- und Schreibkalender für Hebammen und Krankenpflegerinnen“ aufmerksam
machen.
In diesem Kalender wird den Hebammen (ich lasse die Classe der Krankenpflegerin¬
nen zunächst aus dem 8piel) in verständlicher, kurzgefasster Weise Alles das in Erinne¬
rung gerufen, was sich auf die Pflege und Ernährung der Mutter und des Neugeborenen
bezieht.
Was den Inhalt des Kalenders betrifft, so gibt er ausser einem Kalender der Juden,
einem immerwährenden Schwangerschafts-Kalender, einem Kalender der beweglichen
Feste, ein Kalendarium mit Notizen und leerem Raum zum Einträgen der zu erwartenden
Geburt.
Der Text schliesst sich dem Kalender an und behandelt in ansprechender eingehen¬
der Weise nicht nur das Verhalten der Hebamme bei der regelmässigen Geburt, sondern
schärft denselben bei jeder Gelegenheit grösste Reinlichkeit ein, mahnt namentlich auch,
die unter den Nägeln sich etwa ansammelnde Unreinlichkeit mit Nagelbürsten zu
entfernen, hebt hervor, wie durch diese sorgfältige Pflege der Hände und Finger Ueber-
tragung von ansteckenden Krankheiten, von Kindbettfleber, könne verhütet werden.
Auch alle andern wichtigen Puncte, die sich auf die Mutter und das Kind beziehen,
werden behandelt und mit kurzen, bündigen Worten den Hebammen an’s Herz gelegt
Mit besonderer Sorgfalt, Ausführlichkeit und Genauigkeit wird die Ernährung des
Neugeborenen behandelt, auf die grosse Sterblichkeit in diesem Alter aufmerksam ge¬
macht und gezeigt, wie namentlich die Hebammen berufen seien, sich um die Erhaltung
der Säuglinge verdienstlich zu machen.
Etwas zu weitläufig scheinen mir die Küchenrecepte für Wöchnerinnen und Kranke
u. s. w. behandelt zu sein.
Ob das beigefügte Tagebuch in die Praxis sich Eingang verschaffen wird, lasse ich
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dahingestellt, die Angaben filr den Civilstand würden eine grössere Anzahl der Fragen
bereits erledigen. Von Interesse wäre jedenfalls die Beantwortung der Fragen 5 und 0:
Ernährung mit Mutter- oder Kuhmilch und
Gesundheit des Kindes am Ende der 4. Woche oder Alter beim Tode und Todes¬
ursache ?
Der Kalender ist vom deutschen Aerztetag angenommen worden , der thüringische
ärztliche Verein hat beschlossen, die thüringische Regierung um jährliche unentgelt¬
liche Vertheilung dieses Kalenders an die betreffenden Hebammen zu ersuchen, und ich
kann mich diesem empfehlenden Urtheile vollkommen anschliessen.
Der Vorstand des Sanitätsdepartements in Basel hat sich bereit erklärt, die unent¬
geltliche Vertheilung des Kalenders an die basier Hebammen auszuführen.
Dr. deWette.
Kantonale C orr espondenzen.
Der internationale Congress der medlcinlftciien Wissenschaften
in Genf.
(9.—15. September 1877.)
I.
Festbeschreibung.
Der Congress ist zu Ende; nach allen Seiten sind sie auseinander geflogen die Ver¬
treter der medio. Wissenschaften, die während 8 Tagen in Genf sich Rendez-vous ge¬
geben hatten, um gemeinsam in wichtigen medic. Fragen Erfahrungen und Beobachtungen
auszutauschen, aber auch um durch gegenseitiges Bekanntwerden mit einander sich aus-
zusprechen über eine Menge von Dingen, die brieflich nur schwer und auf Umwegen, ja
oft gar nicht, zu erledigen sind. Wir persönlich sind der Meinung, dass diese letztere
Seite des Zweckes internst. Congresse die bedeutend wichtigere ist, denn wir glauben,
dass die Specialisten-Congresse (Chirurgen-Congress, Versammlung der oph-
thalmologischen Gesellschaft, der Geburtshelfer und Frauenärzte, der Irrenärzte, der Ge¬
sellschaft für öffentliche Gesundheitspflege etc. etc.) weit mehr dazu geeignet sind, die
Wissenschaft zu fördern und auf neue noch undurchforschte Bahnen Studium und In¬
teresse zu lenken. Die internationalen Congresse hingegen führen die einzelnen
Zweige wieder zusammen auf den gemeinsamen Boden; hier treffen sich die die Gesammt-
medicin ausübenden Practiker, sowie die Vertreter der Specialzweige der Medicin, hier
die Repräsentanten der entferntesten Länder und Erdtheile, der verschiedensten ärztlichen
Schulen und so fällt gerade diesen Congressen das schöne Bestreben zu, Einigung her-
beizuführen und durch gegenseitiges Sichkennenlernen die Wege hiezu zu ebnen.
Bevor wir auf das Detail des Congresses selbst eingehen, wollen wir eine kurze
Schilderung des allgemeinen Verlaufes voranschicken.
Was zuerst den Besuch betrifft, so hatten bis 12. September (3. Liste) 341 Theil-
nehmer Karten gelöst. Dieselben vertheilen sich folgendermaassen: Frankreich 99 (Al¬
gier 4), Belgien 23, Italien 21 , Deutschland 10 (Eisass 3) , England 7 , Russland und
Vereinigte Staaten Nordamerika^ 4, Oesterreich 3, Luxemburg, Dänemark, Holland, Aegyp¬
ten und Brasilien je 2, Schweden 1, Schweiz 169 (Genf 101, Waadt 30, Neuenburg 8,
Zürich 6, Wallis 3, Frei bürg 2, Luzern, Aargau, Baselstadt, St. Gallen je 1. *)
Es hatten sich auf die Einladung des schweizerischen Bundesrathes hin durch Dele-
girte vertreten lassen: Frankreich, Italien, Belgien, Holland, Luxemburg, Mexico, Aegyp¬
ten, Schweden, Costa Rica, Argentinien und die Schweiz, ferner folgende wissenschaft¬
liche Gesellschaften: Association mödicale italienne, königliche Academic der medic. Wis¬
senschaften von Palermo, Guardia medico-chirurgica notturna (Mailand), Associazione
nationale dei medici condotti, Institut royal lombard des Sciences et des lettres (Mailand),
das Marine-Medicinaldepartement der Vereinigten Staaten Nordamerika^, American medical
Association (Philadelphia), der medic. Verein von Massachussets und der Schweiz, ärztl.
Centralverein.
*) Mittwochs sahen wir noch einige Collegen aus dem Canton Bern eintreffen, so den hochver¬
ehrten Nestor der deutschschweizerischen Aerzte , Dr. J. B. Schneider , sowie Herrn Pro t Valentin
und Sohn von Bern.
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Die äuseerst schwache Betheiligung aus Deutschland fiel etwas auf, von bekannteren
Aerzten waren da: Prof. Schnitzler (Wien), Prof. Vollolim (Breßlau), Prof .Halla (Prag), Dr. Weber -
Liel und Dr, Eulenburg sen. (Berlin). Prof. Preyer und Prof. Zweifel , die Vorträge ange¬
zeigt hatten, hatten sich vor dem Congresse noch wegen Nichterscheinen entschuldigen
lassen ; Prof. Esmarch , dessen angezeigter Vortrag eine grosse Zahl von Zuhörern in den
Saal der Chirurg. Section herbeigezogen hatte, erschien ebenfalls nicht Was aber am
meisten auffiel, das war, dass von sämmtlichen Professoren der medic. Facultäten von
Basel, Bern und Zürich nur zwei (Prof. Rose, Zürich und Prof. Valentin , Bern) eingetroffen
waren; freilich mögen Viele die Absicht gehabt haben zu erscheinen und sind in letzter
Stunde noch daran verhindert worden; auch hat dem Besuche aus der deutschen Schweiz
jedenfalls der zu gleicher Zeit abgehaltene Truppenzusammenzug, zu welchem viele Aerzte
einberufen waren, Abbruch gethan.
Wenn wir nun auf den Congress zurückkommen, so theilte sich dersolbe in die fol¬
genden Abtheilungen: Sectionssitzungen (täglich von 9—12 Uhr), Generalversammlungen
(von 3— , / a 6 Uhr), Conferenzen (von 2-3 Uhr), Instrumenten-Ausstellung und gesellige
Zusammenkünfte. Wir wollen diesen letzteren Theil vorausschicken; er hat durch die
hohe Gastfreundschaft und die herzliche Liebenswürdigkeit der genfer Collcgen in einer
Weise sich in unsere Erinnerung eingegraben, dass wir uns verpflichtet halten, unser Re¬
ferat damit zu beginnen.
Nachdem in glänzender Weise die Eröffnungssitzung stattgefunden, vereinigten sich
Sonntag Abends die Theilnehmer des Congresses sowie die Ehrengäste im Wahlgebäude.
Der grosse 8aal, in dem so oft schon tumultuarische Scenen erregten Wahlkampfes sich
abgespielt, hatte heute sein festliches Gewand angezogen, ein Flor der liebenswürdigsten
Damen mischte sich fiöhlich in die grosse Zahl der Jünger Aesculaps, die für heute die
Mühen und Sorgen des ernsten Berufs zu Hause gelassen und in heiterer Conversation
unter den Klängen des städtischen Orchesters sich umher bewegten. Eine reizende Fon¬
taine in Mitte des Saales, der auf das Glänzendste decorirt und illuminirt war, warf auf
einen Felsen , geschmückt mit, durch zahllose Gasflämmchen hergestellte, Blumen, ihre
crystallene Flüssigkeit. Reichbeladene Tische boten die gewünschten Erfrischungen und
in ungezwungener Weise wurden hier alte Freundschaften aufs Neue besiegelt und neue
Bekanntschaften angeknüpft.
Montags nach Schluss der Sectionssitzungen empfing Gustav Revilliod die Theilnehmer
in seinem zu einer förmlichen Schatzkammer verwandelten Hause und erklärte mit liebens¬
würdiger Geduld, imitier wieder von vorne anfangend, alle jene Kostbarkeiten, die ein
langes Leben eines eifrigen Sammlers hier zusammen gestapelt. Seltene Porcellange-
Bchirre, kostbare Gemälde, werthvolle Meubles aus dem 16. und 17. Jahrhundert, interes¬
sante Waffen, kurz von dem Besten, was die Kunst zu Stande gebracht, waren hier
höchst sehenswerthe Gegenstände in reichster Zahl unter einem Dache vereinigt. Aber
auch für die Bedürfnisse des Körpers war in glänzendster Weise gesorgt. Ein ausge-
wähltes Gabelfrühstück, im Garten dargeboten, führte die im Kunstgenuss Vertieften zurück
in die Prosa des Lebens. Nur ungern trennte man sich, als die Stunde der Generalver¬
sammlung schlug, von diesem gastlichen Hause. Abends empfingen Dr. Gautier und Ge¬
mahlin auf der grossartigen Gartenterrasse seines Hauses in liebenswürdigster Weise die
Theilnehmer und deren Damen.
Dienstag Abends empfingen Herr und Frau Dr. Alf. Binel die Gäste und deren Damen
in seiner Villa. Es war ein wundervoller Abend, vor dem Hause der reizende See, in dem
die Strahlen der untergehenden Sonne sich wiederspiegelten, gegenüber die groBsartigen
Formen des Montblanc, im schönsten Alpenglühen all’ ihren Zauber entfaltend. Der Garten
war durch zahllose Lampions beleuchtet, das ganze Haus, ein Muster von höchster Eleganz
und durchdachtem Kunstsinn, war von unten bis oben zum Empfang der Gäste eingerichtet.
Ein fein assortirtes Buffet, ein Spielzimmer, ein Musiksaal, in dem ausgezeichnete Künst¬
ler den Liebhabern von Kammermusik hohen Genuss boten, eine brillante Bibliothek, ein
Billardzimmer mit Balkon, kurz jedem Geschmack war Rechnung getragen. Wie die
Bienen sah man die Collegen in den festlich beleuchteten Räumen umherschweben, bald
Nahrung in sich einsaugend, bald an musicalischen Genüssen eich begeisternd, bald im
Garten sich zu neuem Thun wieder abkühlend.
Mittwoch nach Schluss der allgemeinen Sitzung entführte eine grosse Zahl von „Om-
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nlbus“ die Theilnehmer in die Campagne Du-Pan (Petit-Saconnex), wo Dr. Marlin nebet
Gemahlin, sowie deren Mutter, Mme. Dti~Pan , auf die herzlichste Weise die Gäste em¬
pfingen. Man glaubte sich plötzlich nach England versetzt, denn die colossalen Wiesen
und die grossartige Ausdehnung des Gartens erinnerte uns unwillkürlich an jene grünen
Parks, die gerade dort so sehr zum Charakter der Landschaft gehören.
Während das Stadtorchester durch wohl ausgewählte musicaliscbe Productionen stim¬
mend auf die Gemüther der Gäste ein wirkte, durchzogen diese, durch einen reichen Kreis
von Damen verstärkt, die reizenden Anlagen dieser herrlichen Besitzung. In einem reich
decorirten Gartensalon und im Freien an zahllosen Tischen wurde nun soupirt, unterdes¬
sen wurde wie durch einen Zauberschlag der ganze Garten durch Tausende von Lam¬
pions bis auf die höchsten Gipfel der Bäume hinauf hell beleuchtet, und als gegen 11 Uhr
die Wagen wieder vorfuhren, um die Gäste in die Stadt zu bringen, trennten sich Alle
mit dankerfülltem Herzen von dem gastlichen Hause, dessen liebenswürdige Besitzer uns
einen unvergesslich schönen Abend bereitet hatten.
Donnerstags unterbrach der Congress seine Arbeiten, um eine Fahrt auf dem See
auszuführen. Um 7,9 Uhr Verliese der mit zahllosen Flaggen geschmückte elegante Sa¬
londampfer „Montblanc“ mit ca. 300 Theilnehmern und deren Damen besetzt, den Quai
und fuhr dem savoyischen Ufer entlang gegen Villeneuve; an den schönsten Stellen wurde
angehalten , um so den landschaftlichen Genuss möglichst vollkommen zu machen. Es
war eine ganz reizende Fahrt: hier die mit dichten Wäldern bewachsenen mächtigen sa-
voyer Berge, gegenüber das sanfter ansteigende waadtländer Ufer mit seinen reichen
Weinbergen und den von Jahr zu Jahr in grösserer Zahl aus dem Boden wachsenden
Villen und Wohngebäuden, unter uns der majestätische 8ee, dessen herrliche Farbe Man¬
chen zu lauter Bewunderung hinriss. Unterdessen wurde mit bewunderungswürdiger Ruhe
und natürlich auch hier wieder in reichster Auswahl ein Diner servirt, während die in
grosser Uniform anwesende Stadtmusik ihre schönsten Pi&oen hören liess.
Um 12 Ubr wurde in Chillon gelandet und nun dieses classische Schloss in Augen¬
schein genommen ; während die einen in dem mächtigen unterirdischen Gefängniss sich
die Grausamkeit einer vergangenen Justiz vordemonstriren Hessen, ergötzten sich andere
an der ganz brillanten Aussicht dieses so einzig schön gelegenen Schlosses. Bald ent¬
deckte man im Rittersaale wohlgedeckte Tische mit Ehrenwein, den die waadtländ^r
medic. Gesellschaft, die hier Gastgeberin war, hatte aufstellen lassen. War es ein Wun¬
der, dass die Beredtsamkeit sich nicht mehr zurückhalten liess und dass von dem Tische
herab, auf den jeweilen der Redner hinaufgehohen wurde, Rede und Gegenrede sich
hören Hessen. Wir erwähnen hier nur den Toast des ausgezeichneten pariser Chirurgen
VcrnevU:
„Les congr&s internationaux rdunissent suwant le voeu du po&te l’utile k l'agrdable:
Utile dulci. Les membres du congr&s nous ont apportd tour k tour leurs travaux,
leurs mdmoires ou encore l’appui d’une savante discussion. Je ne sais comment se-
ront apprdcids plus tard noa efforts, l’avenir nous dira s’ils ont dtd fructueux: voilA
l’utile. — Mais l’agröable a ötö ddpassö au-delä de tout ce que l’on pouvait rdver.
On parle de l’hospitalitd dcossaise. Oui, feile est justement cdldbre; mais ce que l’on
ne dit pas assez, c’est la riche et gdndreuse hospitalitd de vos montagues, qui est Bans
rivales.
„En France, une devise nous rdunit tous. Elle a fait le tour du monde: Libertd,
EgaHtd; nous savions que c’dtait aussi votre devise, comme Libertd et Patrie, celle du
canton de Vaud, dont nous sommes en ce moment les hdtes. Vous nous avez montrd
que la Fraternitd a vraiment aussi sa place dans vos cobuts. C’est pour nous une vdri-
table joie de fouler votre sol comme celui d’une seconde patrie. Autre trait d’union: ee
vin qui fait parfois tont de mal, k cötd de tant de bien , qui est le soutien des cmurs
faibles, le Uen des ämes fortes, ce vin que l’esclave boit en silence, Bert aussi k rappro-
cher les hommes libres. Ce vin d’honneur que vous nous offrez, distinction rare dont
vous fites avare, rdservd aux grandes puissances, aux grandes souverainetds, aujourd’hui
vous l’accordez k la Science. C’est la puissance par excellence , la souverainetd univer¬
selle, supdrieure k tous les potentats; eile n’a jamais trompd personne, eile n’a jamais
voild ses serments. Buvons-le donc ce vin gdndreux en prdsentant nos remeroiements
les plus sincdres k la ville et au canton de Gendve et aux organisateurs de cette ffite.
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— 588
Au nom de la France, je bois ä l’attachement dternel qui l'unit 4 la eoeur atnde, la R6-
publique helvötique! “
Um ‘/,3 Uhr wurde wieder der Dampfer bestiegen , der durch die Entfernung der
Tische plötzlich ein ganz anderes Aussehen erhalten hatte. Langsam fuhren wir nun der,
in ärztlichen Kreisen mit Recht so berühmten, waadtländischen Küste entlang, überall
wurde der Congress mit lautem Zuruf und Tücherschwenken begrüsst Waren es die
Gesunden, die uns ein „Auf nach Kreta!“ entgegenriefen, waren es die Gesundgeworde-
nen, die ihre Lebensretter willkommen hiessen, oder war es ein „Cäsar! morituri te salu-
tant!“, wir wissen es nicht.
Bald bemerkte man, dass die Damen eine Verschwörung anzettelten; eine rasch
wachsende Bewegung unter ihnen machte sich geltend, und bald wurde es klar: tanzen
wollten sie.
Rasch wurden die Bänke deplacirt, das Orchester herbeigeholt und nun begann auf
dem schwankenden Boden ein internationaler Ball, Alt und Jung vou diesseits und jen¬
seits des Oceans, bunt durch einander wirbelten die Paare und erst die Ankunft in Genf
machte diesem Vergnügen ein Ende.
Unterdessen war es dunkel geworden, aber auf einmal erhellte sich die dominirend
gelegene Kirche 8t. Pierre durch harmonisch zusammengestellte bengalische Flammen, die
in der Kirche selbst waren angezündet worden. Man macht sich keine Idee von dem
grosBartigen Eindruck, den diese Beleuchtung hervorrief. Die Strahlen des Lichtes ver¬
längerten sich von den Kirchenfenstern hinweg bis weit in die See hinaus, eine glänzende
Wasserstrasse darstellend. Bald leuchtete es auch an den öffentlichen und Privatgebäu¬
den uns entgegen und unter dem überwältigenden Eindruck dieser unvergesslichen See¬
fahrt verliessen wir das gastliche Schiff.
Freitag Abends folgten die Congressmitglieder einer freundlichen Einladung der Di-
rection des hydrotherapeutischen Institutes Champel-sur-Arve. Samstag Abends fand im
Hötel Bellevue das AbBchiedsdiner statt, an dem 130 Aerzte theilnahmen. Unter den
zahllosen Toasten, die hier gehalten wurden und die, theils ernste, theils humoristische
Saiten anschlagend, wesentlich zum Gelingen des Abends beitrugen, erwähnen wir nur
den von Dr. Lombard auf das rothe Kreuz im weissen Feld, der sofort dieser humanen
Institution 400 Fr. als Resultat einer Collecte zuwarf.
Fügen wir noch bei, dass der nächste Gongress 1879 in Holland stattflnden soll, oder
falls sich Hindernisse einstellen sollten in Lyon.
Soviel über die gesellige Seite des Congresses! Nehmt unseren wärmsten Dank,
ihr Aerzte von Genf, die ihr auf eine so herzliche und glänzende Weise die Idee dieses
Congresses internationaler Collegen erfasst und verwirklicht habt. Allen, denen es ver¬
gönnt gewesen mitzumachen, wird die Erinnerung an eure liebenswürdige Gastfreundschaft
eine unvergessliche bleiben!
II.
Eröffnungssitzung des Congresses.
Sonntag den 9 September um 3 Uhr wurde in der Aula der Universität der Con¬
gress in feierlicher Sitzung eröffnet Den Präsidentenstuhl nimmt Prof. C. Vogt ein, ihm
zur Rechten sitzt Bundesrath Numa Droz, Delegirter der h. Bundesregierung, zur Linken
Regierungsrath Carteret , Delegirter der Regierung von Genf. Dann sind anwesend Stadt¬
rath Rivoire , Delegirter der städtischen Behörden von Genf, sowie das Organisationscomitd
des Congresses. Der Saal ist mit Congresstheilnehmern dicht gefüllt, die Tribünen wer¬
den von dem Publicum und einer grossen Zahl von Damen eingenommen.
Prof. Dr. C. Vogt eröflfnete den Congress mit einer Rede, welche wir im Auszuge
wiedergeben. Nachdem der Redner die gemeinsamen, alle Staats- und nationalen Schran¬
ken überschreitenden Interessen der Völker betont hatte, hob er den universalen Charak¬
ter der Wissenschaft hervor, wies aber zugleich darauf hin, dass die Wege zum Ziele,
der Erkennung der Wahrheit, bei den einzelnen Völkern je nach den Anlagen und Mei¬
nungen verschieden seien. Deshalb Vereinigung. Alle diese internationalen Congresse
sollen die Völker vereinigen, um gemeinsame Vortheile zu erringen, gemeinsame Feinde
zu bekämpfen.
Der internationale medic. Congress residirt heute nach Paris, Florenz, Wien und
Brüssel in einer bescheideneren Stätte, aber immer mit demselben Ziel, der Förderung
e
der Wissenschaft und speclell der mediciniachen: Genf empfängt den Congress mit offe¬
nen Armen, immerhin unterstützt von den schweizerischen Co liegen und thut das gerade
jetzt um so lieber, als das genfer Volk, den Nutzen und den Werth des höhern Unter¬
richtes hochschätzend, vor einem Jahr die medic. Facultät neu gründete uud so seine
Academie zu einer Universität erhob, so dass nun im Cyclus der schweizerischen Hoch¬
schulen auch die französische Sprache vertreten ist. — Er dankte hierauf dem Bundes-
rathe für seinen Beitrag, dem Staats- und Stadtrathe Genfs und hiess die Congressmit-
glieder herzlich willkommen.
Ihm folgte der Delegirte des schweizerischen Bundesrathe*, Herr Bundesrath Numa
Droz, dessen Bede warmen Beifall fand. Er begrüsste den Congress im Namen des Bun-
desrathes, dessen hohes Interesse für die Ziele der Versammlung er hervorhob, um dann
auch dem classischen und fruchtbaren Boden, auf welchem der Congress tagt, die ver¬
diente Anerkennung zu zollen. Er betonte das Interesse der ganzen Schweiz am Con-
gresse, weil sie darin eine weitere Gelegenheit der Annäherung zwischen den Reprä¬
sentanten der civilisirten Staaten sehe, um die grossen humanen Zwecke zu verfolgen,
welche nach des Redners Ueberzeugung dazu bestimmt sind, immer mehr die Mischung der
sich entgegenstehenden Sonderinteressen der Nationen und Racen zu beherrschen. Das sei
zur Zeit eine der Hauptaufgaben der Schweiz, welche zudem gerade den Fortschritt der
medic. Wissenschaften besonders begrüsse, sei ja doch von der Schweiz, von Genf die
Gründung der Gesellschaft des rothen Kreuzes ausgegangen, so dass alle Anwesenden
sich bei uns, dem grossen Vaterlande der Menschenbrüderlichkeit, heimisch fühlen müs¬
sen. Zudem hat sich auch die Medicin in der letzten Zeit vom blossen Handwerk,
der Kunst zu heilen, zu einer für Staat und Individuum nicht nur nützlichen Sache,
sondern za einer wirklichen socialen Wissenschaft aufgeschwungen. Ihre Aufgabe ist es,
die wichtigsten Fragen zu lösen, die unsere Epoche beschäftigen, und das Glück der
Familie zu begründen. Gross ist allerdings die Arbeit, aber auch gross die Anerkennung
und die Satisfaction. Möge der Wissenschaft aus dem Congresse neue Anregung, dem
Einzelnen neue Begeisterung, beiden reiche Früchte erwachsen.
Es sprachen noch die Herren Staatsrath Carterei, der namentlich die Freiheit der
Forschung, der Wissenschaft, die Lehrfreiheit und das Bestreben, die Errungenschaften
der Wissenschaft auch dem Volke zugänglich zu machen, hervorhob, und Stadtrathspräsi-
dent Rivoire, welcher speciell auf die wissenschaftlichen Schätze Genfs aufmerksam machte ;
beide Redner begrüssten den Congress im Namen von Staat und Stadt Genf.
Hierauf hielt Prof. Dr. C. Vogt seinen Vortrag. Er wies darauf hin, dass von An¬
beginn der Congress mehr die wissenschaftliche Seite der Medicin cultivirte, dass das
8tudium des gesunden und kranken Menschen und der Aufgaben der Medicin überhaupt
sehr schwierig sei. Welches ist der beste Weg hiezu? — Die Medicin hat sich nach
und nach aus der philosophischen, metaphysischen, religiösen und empirischen Epoche
zur exacten Wissenschaft emporgearbeitet. Die Masse begriff das aber noch nioht ganz.
— Allerdings sind die andern exacten Wissenschaften in ihren Forschungen weniger ein¬
geengt : durch die Natur des Objectes selbst, mit dem sich die Medicin beschäftigt, dem
Menschen nämlich, ist sie nur eine beobachtende Wissenschaft und nicht eine experimen-
tirende. Bei der Mehrzahl der positiven Wissenschaften kann aber nur das Experiment
Gewissheit geben, die Schlüsse, die wir aus Beobachtungen ziehen, können wir in der
Medicin nioht duroh Experimente verificiren. Ein Mensch bekommt ein böses Fieber:
können wir eine Anzahl Individuen derselben Schädigung, die wir als Ursache vermuthen,
aassetzen, um den Effect zu beobachten und so die Richtigkeit unserer Annahme nach-
weisen? Nein. Die analogen Fälle, die uns der Zufall bietet, sind aber immer nur ähn¬
lich, nie gleich. So sind auch die Errungenschaften der Physiologie zu */io dem Thier¬
experiment zuzuschreiben. Aber die Schlüsse aus Experimenten an Thieren sind nur mit
grösster Vorsicht auf den Menschen zu übertragen, da die Fuoctionen bei Mensch und
Thier nicht gleich, nur analog sind. Die Experimente am Thier sind äusserst schwierig,
das physiologische Laboratorium sehr complicirt, die Methoden sehr präcis geworden.
Welcher Mühe bedurfte es, bis Pasteur , Joubert, Davaine , Koch, Bert u. A. im Blute der
milzbrandkranken Thiere den Krankheitskeim gefunden und durch alle Stadien verfolgt
hatten 1 Beim Menschen wäre das unmöglich. Und doch ist man so rasch bereit, trotz
der ungenügenden Untersuchungsmethode sichere SohlUsse zu ziehen, denen nur zu bald
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die Enttäuschung folgt. Ist nicht die unrichtige Vorbildung (humanistische Richtung) die
Ursache dieser vorschnellen Unsicherheit? Der practische Arzt kann nicht experimenti-
render Forscher sein; aber er soll befähigt sein, die Principicn der Methode beurtheilen
zu können. Im Grunde genommen wissen wir zu wenig und glauben zu viel. Die Heil¬
kunde konnte in ihrer Entwicklung nicht unten beginnen, nicht erst die Entwicklung der
Anatomie und Physiologie abwarten : das that der Exactität Eintrag. Bis jetzt nehmen
die practischen Studien über Naturgeschichte, Chemie, Physik im Studieugange des jun¬
gen Mediciners noch nicht den Rang ein, den sie sollten. Es sollte deshalb bei einem
zukünftigen Congresse den Sectionen eine neue beigefügt werden,, nämlich eine über die
mediciDische Unterrichtsmethode (enseignement mddical). Die Zukunft würde sich der
Früchte der Arbeit dieser Section erfreuen.
Der Generalsecretär, Dr. J. L. Prevost , legte nun noch Bericht ab: über die Orga¬
nisation des Congresses, Wahl der Schweiz als Versammlungsort durch den brüsseler
Congress mit dem Wunsch, Genf möchte die Aufgabe übernehmen; Zustimmung der
medic. Gesellschaft und der wissenschaftlichen Section des genfer Nationalinstitutes, sowie
des schweizerischen ärztlichen Centralvereines und des schweizerischen Aerzteausschusses,
welch’ letzterer sich beim Bundesrathe für financielle Unterstützung verwendete und neben
der französischen Sprache auch die deutsche als offlciell gebraucht zu sehen wünschte;
Theilung des Congresses in 6 Sectionen, sowie eine 7. Ausstellungssection; Mittheilung
der verschiedenen Festlichkeiten u. s. w.
Hierauf bestätigte der Congress das provisorische Bureau : Prof. C. Vogt , Präsident;
Dr. H. CI. Lombard , Vicupräsident; Dr. Prevost , Generalsecretär; Drs. D'Espine und J. L.
Reverdin, Secretäre; Dra. Dunant , Figuiire , Julliard , Revilliod und Picot, Mitglieder, und ernannte
sodann zu Ehrenpräsidenten die Prof. Gosselin , Hardy , Boulliaud und Vemeuil (Paris), OUier
und Lethievant (Lyon), Esmarch (Deutschland), Schnitzler (Oesterreich), de Roubaix und War-
lomont (Belgien), Colucci Pascha (Aegypten), Seguin und Marion-Sims (Verein. Staaten),
Crilchett und Wilkinson (England), Palasciano und BacelH (Italien), Aschmann (Luxemburg),
Franc, de P. Chacon (Mexico), Van Capelle und B. Carsten (Holland), Bergmann (Schweden),
Novaro (Argentinien), Sonderegger (Schweiz).
Damit wurde die I. Sitzung geschlossen.
(Fortsetzung folgt)
Basel. Neue Augenheilanstalt. Mittwoch den 19. Sept. wurde die neue
Augenheilanstalt an der Mittleren Strasse mit einer kleinen Feier eingeweiht, welcher
Vertreter des hohen Regierungsrathes, der Curatel und des Spitalpflegeamts, sowie eine
Zahl von Freunden beiwohnten.
Ueber die Entstehungsgeschichte dieser Anstalt entnehmen wir den gehaltenen Vor¬
trägen, dass 1864 sechs Männer im Vereine mit Prof. Schiess einen ersten Aufruf erlies-
een, und hierauf in einer gemietheten Behausung das Spital mit sechs Betten und einer
Diaconissin eröffueten. Die Sache fand Anklang; schon im zweiten Jahre konnte eine
Poliklinik eröffnet werden, welche 202 Kranken unentgeltliche Hülfe gewährte, welche
Zahl bis zum letzten Jahre sich vervierfacht hat. Schon im dritten Jahre konnte die
junge Anstalt in das Haus an der Allschwyler Strasse verlegt werden , welches sie er¬
worben und in welchem sie bis zur letzten Woche geblieben ist. Zur gleichen Zeit be¬
gann Prof. Schiess dieselbe für den klinischen und theoretischen Unterricht der Studenten
in der Augenheilkunde zu benützen, und verknüpfte so die humanen Bestrebungen mit
den Interessen der Universität, wie denn auch die Academische Gesellschaft seit 1870
durch Bewilligung eines jährlichen Beitrages dieses Werk unterstützte. In dem damals
neu bezogenen Hause wurden zuerst 16 Betten, dann 20 eingerichtet, und schon 1870
war die Zahl der aufgenommenen Kranken 231, die der poliklinisch behandelten 794.
Bald machte sich das Bedürfniss geltend, eine eigene Kinderabtheilun^ einzurichten, was
1871 möglich wurde; die Bettenzahl stieg auf 28, und im folgenden Jahre auf 80, die
Zahl der Diaconissen auf 4. Einige Damen begannen denjenigen Kranken, die permanent
in einem finstern Zimmer sich aufhalten mussten , die Zeit durch Vorlesen zu ' beleben,
und bald bildete sich ein Damencomitd, um die nöthigen Anschaffungen von Wäsche und
dergl. auf sachverständige Weise zu besorgen.
Anfang 1873 erliess das Comitd einen Aufruf zu Beiträgen an den Bau einer neuen
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Anstalt, welcher nahezu Fr. 78,000 einbrachte, es wurde ein Bauplatz erworben, und auf
Grund der Besichtigung ähnlicher Anstalten von Herrn Reber allmälig der Bauplan fQr
ein Spital von 60 Betten entworfen. Unterdessen wurden mit der Universitätscuratel
und dem Spitalpflegeamt Über Betheiligung an Bau und Betrieb erfolgreiche Unterhand¬
lungen gepflogen. Gegen Ende 1876 begann der Bau, welcher heute vollendet ist, und
über dessen Detail erhalten wir von sachkundiger Seite folgende Mittheilung:
„Was die Lage betrifft, so ist die Hauptfront gegen Nordost, in Berücksichtigung
der Lichtverhältnisse, so dass nur während kurzer Zeit des Vormittags die Sonne direct
auf die Fenster der Krankenzimmer fällt. Das Gebäude nach allen Seiten frei, 80' von
der Strasse entfernt. Bausystem: Die Wahl des eigentlichen Bausysteras beschäftigte
uns lange. Soll sich der Bau mehr den SpitalbedUrfnissen der Gegenwart anschmiegen
oder soll er mehr nur den Charakter eines Pensionshauses tragen ? Für letztem Fall wäre
die Form des Grundrisses aus öconomischen Rücksichten mehr quadratisch gewählt wor¬
den, für ersteren war die Ausdehnung desselben in der Längenaxe vorgezeichnet. Nach¬
dem verschiedene Grundrissformen für beide Systeme planirt und studirt worden, ent¬
schloss man sich zur Grundrissform, welche den Spitalzwecken am ehesten entspricht:
Längenbau mit Flügelbauten. Hauptvorzug dieses Systems: Rationelle Lüftung , freies,
luftiges Treppenhaus, vom eigentlichen Hausbetrieb abgeschlossen, Licht und Luft im
Corridor. Gebäudedimensionen: 2 Seitenflügel, jeder 14,4 m. lang, 6,46 m. breit,
16,66 m. hoch. 1 Mittelbau: 15,9 m. lang, 11,7 m. breit, 14,88 m. hoch. Operations-
saal: 12,6 m. lang, 7,2 m. breit, 6,4 m. hoch. Aspirationsschacht: 1,66 m. lang, 1,26 m.'
breit, 18,0 m. hoch. Aufzug: Idem. Treppenhaus: 6,84 m. lang, 4,8 m. breit, 16,65 m.
hoch. Die Uchte Höhe der Souterrainräumlichkeiten beträgt durchschnittlich 3,0 m., die
lichten Höhen des Erdgeschosses und der Etagen 8,90 m.
Abtritte und Canalisation: Spülsystem, Syphons und Canalisation. Die
8pülung der Abtrittsyphons geschieht durch sogenannte Sparbüchsen, welche ein entspre¬
chendes Quantum Wasser in plötzlichem Erguss den Abtrittschüsseln zuführen. Hei¬
zung, Ventilation, Lichtabschlüsse: Die Beheizung der Räumlichkeiten des
Mittelbaues durch Calorifere, der Flügelbauten durch Kachelöfen mit innerer Feuerung.
Die durch Luftheizung erwärmten Krankensäle sind mit einem Aspirationsschacht in Ver¬
bindung gesetzt, wodurch die verdorbene Luft abgeführt wird. Die Erwärmung des
Aspirationsschachtes geschieht durch die Rauchrohre des Herdes und des Caloriferes. Von
grösstem Werth für eine Augenheilanstalt sind die Einrichtungen, welche einen voll¬
kommenen Lichtabschluss gestatten, ohne die Ventilation auszuschliessen. Sämmtliche
Krankenzimmer können in unserm Gebäude absolut gegen das Tageslicht abgeschlossen
werden, durch fest ineinander greifende innere Läden, die jedoch nicht auf der Fenster¬
fläche fest aufliegen. Der freie Raum zwischen Laden und Fenster ermöglicht das Oeff-
nen der Fensterflügel, der obern sowohl wie der untern; eine Oeffnung, durch eine Klappe
verschliessbar, im Fenstersimsen steht in Verbindung mit der hohlliegenden Fensterbrü-
stung, deren unterer Theil um 80 Centimeter vom Fussboden absteht. Innerhalb dieser
hohlen Fensterbrüstung liegt eine horizontale Goulisse, welche eine gleich grosse Oeff¬
nung hat, wie der Fenstersimsen, nur am entgegengesetzten Ende, so dass wohl Luft,
nicht aber directe Lichtstrahlen hindurchdringen können. Höhlung, Coulissen, unterer
Theil des Fensterbodens unter der Brüstung sind matt schwarz angestrichen, zur Ver¬
hütung von 8treustrahlen. Auf diese Weise kann die innere Zimmerluft in directe Ver¬
bindung mit der äuseern Luft gesetzt werden, bei absolutem Lichtabschluss.
Um für Halbdunkel zu sorgen, sind blaue Zwilchstorren angebracht, die von unten
sich aufrollend, in seitlichen Coulissen gleiten, so dass von den Seiten keine Liohtstrahlen
in die Zimmer fallen können.
Sämmtliche Räume sind mit Gas beleuchtet. Für die Krankenzimmer sind besondere
Schirme construirt, die ebenfalls jede beliebige Regulirung und Vertheilung des Lichtes
ermöglichen.
Zur Beschaffung des warmen Wassers für die Bäder und den Hausgebrauch ist ein
Reservoir auf dem Estrich aufgestellt, das durch Circulationsröhren in Verbindung steht
mit einer Kesselanlage im Kochherde.
8ämmtliche Krankenzimmer sind mit einem matten graublauen Oelfarbenanstrich
▼ersehen.“
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Dieae neue Leistung unseres genialen und besonders auch in Spitalanlagen so hoch-
geschätzten Architecten Reber fand allgemein die grösste Anerkennung.
Fügen wir noch bei, dass in den 13 Jahren des Betriebs bis Ende 1876 3142 Au¬
genkranke aufgenommen worden sind, wovon 2379 (75,7 w / 0 ) geheilt, 520 (16*/,°/*) gebes¬
sert entlassen wurden. Poliklinisch sind im Qanzen 8866 Kranke behandelt worden. Die
bis jetzt bezahlten Kostgelder betrugen Fr. 90,000, also ungefähr 60% der bis jetzt ge¬
habten Betriebskosten von ca. Fr. 150,000. Der Rest wurde durch Beiträge von Wohl-
thätern, Geschenke und Legate gedeckt.
Das wesentliche Verdienst an diesem schönen Spital hat das Comitd der Augenheil¬
anstalt und vor Allem Prof. Schiess , der nach 14jährigem erfolgreichem Wirken nunmehr
den Plan in so vollendeter Gestalt sich verwirklichen sieht.
Graubftnden. .Gewiss denken Sie hiebei, der Bündner mag das „Corresp.-
Blatt“ wohl gern lesen; aber selbst dabei thätig zu sein, ist er zu phlegmatisch. So oft
hätten wir ja reichlich Stoff, unsere Zusammengehörigkeit zu beweisen , die wir durch
Theilnahme bei ärztlichen Zusammenkünften so wenig errathen lassen. Es ist in der
That auffallend, wie zersplittert unter uns wir sind, so dass das eidg. Band uns auch nicht
re<jht zu ketten vermag. Es liegt in der Abgeschlossenheit, die uns, wie die Bauern,
sich selbst genügend macht. Diese Genügsamkeit zwar fühle ich in mir schon so lange
nicht mehr, als ich erfahren, wie ohnmächtig wir in der Behandlung der Diphtheritis
sind. Oft schon war ich entschlossen, Ihnen Schilderungen über unsere hartnäckige und
perniciöse Diphtheritisepidemie zu machen; aber die Sache mit richtigen Farben zu schil¬
dern und an die Oeffentlichkeit zu bringen, fürchtete ich, könnte unserro Fremdenverkehr
nur schaden. Ich wandte mich dann in meinem eigenen Interesse an PeUenkofer , haupt¬
sächlich deshalb, weil unser Regierungsrath auf Empfehlung unserer Sanitätsbehörde ganz
eigene Stellung zu nehmen begann, indem derselbe Haussperre mit Macht anordnete, ganz
natürlich von dem Gedanken ausgehend, wie allgemein angenommen, dass die Diphtheri¬
tis fast ausschliesslich nur durch Uebertragung entstehe. Ich selbst war Anfangs der
gleichen Ueberzeugung und war mit den vorgenommenen Sperrmaassregeln ganz ein¬
verstanden. Nachdem ich aber von der gänzlichen Werthlosigkeit derselben mich über¬
zeugte, die grosse Plackerei, di6 grossen Kosten und die Inhumanität, mit der man die
gesunden Kinder der Krankheit auslieferte, gesehen, hielt ich es in meiner Pflicht, Petten-
kofer um seine Erblichkeitsansichten über Diphtheritis anzugehen. Er antwortet mir: Wie
weit die Localität und das Contagium eine wesentliche Rolle in der Aetiologie und der
Verbreitung der Diphtheritis spiele, könne er nicht sagen; er hätte in dieser Frage noch
gar nicht Stellung genommen. Eine Anfrage an A. Vogt blieb unbeantwortet Ich blieb
also weiter im Zweifel, erhielt aber später im Verlauf der Epidemie die Ueberzeugung,
dass die Erblichkeit jedenfalls nicht in dem angenommenen Maasse eine Rolle spielte.
Ich inoculirte mich unfreiwilliger Weise selbst: Der Erfolg war glücklicher Weise ein
negativer; auch hatte ich oft Gelegenheit zu bemerken, dass Kinder, bei einem an Diph¬
theritis Erkrankten eingesperrt, davon verschont blieben, trotzdem die Verhältnisse für
Weiterverbreitung des Contagiums günstig waren. Zudem erkrankten unsere Patienten
nicht gleichmässig successive, sondern immer stossweiBe und zwar zu gleicher Zeit und
fast regelmässig an allen Ecken des Dorfes, wo keinerlei Berührung nachzuweisen mög¬
lich war. Ich machte alsdann unsere Regierung darauf aufmerksam, wie komisch es
sich ausnehme, wenn all’ unsere Nachbarn, die doch auch Diphtheritis hätten, ungenirt
verkehren, ja sogar der Usus, dass kranke Kinder von ihren Mitschülern besucht und
bei dem Tode ganze Schulen ihre Visiten im Sterbehaus abhielten, nicht einmal abgeschafft
(und trotzdem nicht grössere Morbilitäts- und Mortalitätsziffern aufweisen), während bei
uns gesperrt, geräuchert, sofort und ohne Leichengeleite an Diphtheritis Verstorbene bei¬
gesetzt werden. *) Die Vorstellungen nützten auch gar nichts und dies der Grund, warum
*) Wir halten diese unsinnigen Besuche im Leichenhause, das Küssen der Leiche, Geleite des
Sarges durch Kinder etc. für vollkommen verwerflich. In Basel, Baselland, Aargau, wo wir practlci-
ren, kommt diese Unsitte bei epidemischen Krankheiten auch nicht mehr vor. Sie unterbleibt ohne
officielles Verbot auf die R&the und Weisungen der Aerzte, Schulbehörden etc. Kinder aus inficirten
Häusern sollen die Schule nicht besuchen, wenn dieselbe nicht überhaupt eingestellt wurde. Die
Geschwister kranker Kinder aber ganz, eventuell mit den Kranken zusammen zu sperren, ist abso¬
lut verwerflich: auch sie haben ja ein Anrecht an propbylactische Maassregeln und den Genua« der
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593
nachfolgende Zeilen nach Ihrem Gutdünken in Ihrem „Correspondenz-Blatt“ verwendet
werden dürfen, wenn Sie wollen als Correspondenz, ein eigenes Stück medicinischer Cul-
turgeschichte in alt fry Rhätien darstellend.
Meines Wissens las ich in Ihrem werthen Blatte noch keine Arbeit über die beinahe
in der ganzen Schweiz herrschende Diphtheritis, Uber deren Verbreitung und über die
dagegen getroffenen Palliativ- und Polizeimaassregeln.*) Es wundert mioh in der That,
dass die Aerzte der Schweiz dieses Thema, über die in ätiologisches Dunkel **) gehüllte
Diphtheritis nicht schon lange in Angriff genommen, wenigstens so weit, dass wir über
die Schutzmaa8sregeln einig, die Cantonsbehörden auf dieselben hätten aufmerksam machen
und allerwärts in der Schweiz gleiche Verhaltungsmaassregeln bei Ausbruch einer Epi¬
demie hätten getroffen werden können,***) wie man es z. B. bei Viehseuchen schon lange
für zweckmässig und nöthig erachtet.
Soviel ich weiss, trat im Jahre 1868 in unserem Hochthale St. Antönien zum ersten
Male die Diphtheritis in eigentlich erschreckender Häufigkeit und Perniciosität auf, die die
damaligen Aerzte in hohem Grade interessirte.
Ein von unserem Sanitätsrath damals ernannter Commissär hatte das Vergnügen, bei
seinem Erscheinen auf dem Kampfplätze bei Eintritt trockener Witterung den gefürchte¬
ten Feind weichen zu sehen. Der damals abgefasste Bericht des Herrn Commissärs
scheint sich bei den Acten unseres sanitätsräthlichen Archivs verschlafen zu haben, we¬
nigstens hatten wir bis jetzt nicht das Vergnügen, denselben zu Gesicht zu bekommen
und auch die damals um die Krankheit sich interessirenden Aerzte kennen die damalige
Morbilitäts- und Mortalitätsstatistik in dem wenig bevölkerten Hochthale noch jetzt nicht.
Der Wunsch, den Feind los zu haben, war erfüllt und damit die Unruhe der Bevölkerung
genommen, jedoch ohne dass der Nachtheil für kommende Epidemien und für die Hygieine
insbesondere irgend welche Früchte eingetragen hätte. Von da an hörte man allerdings
öfters von sporadischen Diphtheritisfällen in der ganzen Schweiz, aber kaum wird jemals
frischen Luft, die Bewegung im Freien doppelt nöthig, weü für sie die Gefahr der Infection so nahe
liegt — Für die Gefährlichkeit der Besuche in epidemisch inflcirten Häusern mag folgende, dem
wflrttemberger med. Correspondensblatt entnommene neuere Beobachtung dienen:
Dr. Oottmann wurde am 23. November 1876 in Böchingen zu einem Scarlatina-Fall gerufen.
Da über ein Jahr hinaus in Böchingen kein ScarlatinafaU vorgekommen war, so war die Ermittelung
der Contagion in dem Falle interessant. Es ergab sich, dass am 13. November 1876 die Magd des
Hauses in Herrenzimmern der Beerdigung eines an Scarlatina verstorbenen Kindes beigewohnt hatte.
Am 14. gegen 12 Uhr kehrte sie zurück. Das Kind erkrankte am 20. November Abends gegen 5 Uhr.
Die Incubationsdauer war also 6 Tage und einige Stunden. Redact
*) v. Heusinger referirt über die Diphtherie in Marburg im Jahre 1876 (öl von ihm beobachtete
Fälle). Die Krankheit zeigte, nach seiner Meinung, da insbesondere im Anfänge der Epidemie (Mai)
jede Contagion ausgeschlossen werden konnte, miasmatischen Ursprung. Die Temperatur war ohne
Einfluss auf Entstehung und Verlauf, da der küble Mai und der kalte November (mittlere Tempe¬
ratur -f- 7,6° und -f- 2° R.) dieselbe Erkrankungsziffer erwies wie der Juli (mittlere Temperatur
10,26° R.); ebenso wenig Einfluss hatte die Luftfeuchtigkeit, während stärkere Regengüsse im Juni,
Beptember und December die Erkrankungsziffer herabzudrücken schienen; hoher Barometerstand er¬
schien mit häufigeren Krankheitsfällen. Befallen waren vorzugsweise Bewohner neuerbauter Häuser.
Die häufigsten Krankheitsfälle kamen im Alter von 9—12 Jahren vor. Der Verlauf der Krankheit
war ein sehr günstiger, da Verfasser keinen einzigen Fall verlor. Für die Behandlung verwirft der¬
selbe jedes Aetzmittel, ebenso jede mechanische Reizung der befallenen Stellen im Pharynx.
(Deutsche med. Woch.)
Indessen geschieht die Weiterverbreitung der Diphtheritis doch wohl nur durch Uebertragung
der Krankheitskeime; man muss nur nicht ausschliesslich an directe Contagion vom Individuum zum
Individuum denken und das noch unklare Capitel der persönlichen Disposition , sowie die oft grosse
Schwierigkeit des Nachweises der Infectionswege nicht vergessen. Wir sehen ja oft bei Scharlach ein
erkranktes Kind noch maligne Diphtheritis acquiriren und seine ebenfalls scarlatinösen Geschwister,
die vielleicht im gleichen Zimmer liegen, von der Complication verschont bleiben. Neuerdings wurde
in Frankreich das autochthone Entstehen der Diphtheritis behauptet Redact.
•*) Wir wiederholen, was wir schon oft gesagt haben: es wäre äusserst. wünsche nswerth , dass
uns aus den Cantonen über den Gang der sanitarischen Ereignisse sachbezügliche Mitthellungen ge¬
macht würden. Wir könnten dann die Ausbreitung so mancher Epidemie exact verfolgen; angren¬
zende Districte würden dadurch gewarnt Bisher haben wir solche Mittheilungen mit lobenswertber
Zuvorkommenheit nur von Basel erhalten. Redact
***) Das ist unmöglich, so lange wir nicht ein eidgenössisches Seuchengesetz für die leidende
Menschheit haben. Cantonale Flickereien sind Stückwerk. Redact
Ö
le
594
unsere Schweiz. Statistik so viel Erkrankungen aufweisen, als Ende 1876 und das Jahr
1877. Anfangs Octoher 1876 traf hauptsächlich auch Malans das Missgeschick eine nie
zu enden scheinende Diphtheritisepidemie entstehen zu sehen. Gleich beim ersten Auf¬
treten und Sicherstellung der Diagnose wurde sofort Haussperre angeordnet und zwar
mit Wache vor dem Hause. In benachbarten Orten wie Mastrils (Strilserberg) verloi
die Krankheit bald an ihrer Heftigkeit, trat aber sporadisch auoh da während des ganzen
Frühlings und Sommers auf. Hier musste die genaue DnrchfQhrnng der Sperre geholfen,
in Malans aber, wo die Erkrankung nach dem ersten 1'/,monatlichen Stillstände während
des Monats Decemher wieder Mitte Januar auftrat, musste die laxe Handhabung der
Sperrmaassregeln und die allzu oberflächliche Desinfection Schuld sein an dem Nicht¬
erlöschen der Diphtheritis. Es wurde alsdann vom Regierungsrathe von Graubünden der
Beschluss gefasst, es möchte das Physicat Unterlandquart zur bessern Durchführung aller
Sicherheitsmaasbregeln sein Domicil nach Malans verlegen und wurde, um der Handha¬
bung aller Anordnungen desselben mehr Nachdruck zu verschaffen, demselben ein Gens¬
darme zur Verfügung gestellt, unter dessen Aufsicht fortan die Räucherungen vorgenom¬
men wurden. Mehr konnte wohl staatlicherseits nicht geschehen, wenn schon, wie es
hiess, der Gemeinde Malans ein Cordon in Aussicht zu stellen beliebt schien. Trotzdem
aber wollten diese Maassregeln noch immer nicht genügen.
Meines Wissens hat keine andere Cantonsregierung Aehnliches verfügt und so war
denn bei der Werthlosigkeit unserer Sperre sehr natürlich, dass man in einer Eingabe
an die Regierung mit dem Gesuche gelangte, es möchte analog andern Cantonen die
Sperre aufgehoben, oder falls man sich nicht von der Nutzlosigkeit derselben überzeugen
könnte, eine Schweiz, medicinische Facultät darüber befragt, ihr Gutachten abgeben, um,
darauf gestützt, mit andern Cantonen über allfällige Sicherheitsmaassregeln gemeinsam
unterhandeln zu können.
Dass diesem Gesuche um Aufhebung der Sperre nicht entsprochen wurde, bedarf
wohl kaum eines längeren Commentars, wenn man bedenkt, wie rücksichtslos, ohne sich
von dem eigentlichen Werthe dieser Maassregel überzeugen zu wollen, dieselbe in’s Leben
gerufen, mit welchem Gleichmuthe und welcher Zähigkeit an der Idee festgehalten, dass
nicht die Sperre als solche, sondern die Art der Ausführung Sohuld sei an der Werth¬
losigkeit dieser Maassregel. Kurz, es wurde, nachdem die Frage nochmals der Sanitäts¬
behörde zur Begutachtung vorgelegt, darauf gar nicht weiter eingetreten und die Zweck¬
mässigkeit der einmal eingeführten Sperre aufrecht erhalten. Noch viel weniger fand
man von Nöthen, gar eine medicinische Facultät um ihren Rath anzugehen; man soll
wahrscheinlich von uns etwas lernen 1
Darüber wird natürlioh nicht herathen, wie human es sich ausnimmt, einen ganzen
Rudel Kinder der frischen Luft zu entziehen und in einem engen Zimmer eingepfercht
dem diphtheritischen Miasma (?) auszusetzen!
8oweit machte der Petent sich auf die Beschlüsse der hiesigen Cantonsregierung ge¬
fasst ; denn dass man eich nicht gern das Geständniss, eine Sache unrichtig angepackt
zu haben, maoht, ist leicht begreiflich.
Dass aber unsere Regierung, trotz Billigung und Empfehlung unseres Sanitätsrathes,
die Idee, auf dem Wege des Concordats mit andern Cantonen gemeinsame Schutzmaass-
regeln anzustreben, von der Hand weist, ist ebenso unerklärlich als eigenthümlich und
charakteristisch für die selbstständige Aiihandnahme so wichtiger polizeilicher Maass-
regeln; vielleicht aber in dem richtigen Gefühle, dass es uns andere Leute nicht nach-
maohen.
Sie ersehen hieraus, werthe Herren Collegen, dass ich nicht ein grosser Anhänger
der Erblichkeitstheorie bin und wenn ich auch dieselbe durchaus nicht ganz in Abrede
zu stellen wage, so hat mich doch mein Material, das ich früher oder später zu verwer¬
ten gedenke,*) zu der Ueberzeugung gebracht, dass die Ansteckung durch Leute und
Kleider nicht in dem Maasse als Aetiologie zur Verbreitung der Diphtheritis zur Geltung
gebracht werden kann, als das bis jetzt, soviel ich weise, alle Autoren behaupteten. Wie
natürlich es auch ist, dass das Volk für jede Erkrankung eine Ursache haben will und
die Erblichkeit dem Volke von jeher imponirte, so sehe ich zu meiner grossen Genug-
*) Mittheilungen über Morbidität und Mortalität wären sehr erwünscht. Redact.
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595
thuung, dass gerade bei ans nicht mehr durchschlagend an eine so leichte Uebertragung
durch Personen geglaubt wird, wenn sie sich auch gehörige Reinigung und Desinfection
gern zur Pflicht machen lassen.
Ein geradezu abgeschmackter Fanatismus herrschte hauptsächlich in unserer Residenz
und in den sog. höhern Kreisen, die davon natürlich nichts erfahren, als dass sie viel¬
leicht eine Stelle aus Trousseau von ihrem Hausarzte citiren hörten. So erzählt mir ein
Regierungsrnthsmitglied, dass ihm von Dr. L. durch Trousseau der Beweis der Erblichkeit
erbracht wurde. Es ist allerdings schwer, von sehr gewiegten Autoren abzusehen und
sich ganz auf einen negativen Standpunct zu stellen; doch glaube ich, um die nöthige
Objectivität zu behalten, ist das durchaus nothwendig. Ich weiss wohl, dass gegen ein¬
gefleischten Glauben sehr schwer anzukämpfen ist, aber würde es mir durch Veröffentli¬
chung meiner 60 Fälle nur gelingen, Jemand stutzig zu machen, so würde ich schon zu¬
frieden sein. Unsere Gemeinde zählt 900 Einwohner, davon sind ihrer mehr als 60 er¬
krankt und 38 gestorben 1
Ich selbst wurde leider vorige Woche durch den Verlust eines 8jährigen Mädchens
durch Diphtheritis in Trauer versetzt.
In jedem Falle wünsche ich, dass unsere Maassregeln allen schweizer Aerzten zur
Kenntniss gebracht werden. Die von der bündner Regierung ausnahmsweise eingeführte
Sperre hat wenigstens bei uns nicht nur nichts genützt, wohl aber die Leute sehr ge-
ängstigt, so dass diejenigen, die das Unglück hatten, ihre Lieben erkranken zu sehen,
beinahe mehr beschuldigt als bemitleidet wurden.
WMMlt. Von der Sitzung der medioinischen Section der schweizeri¬
schen naturforschenden Gesellschaft in Bes erfahren wir von Freundeshand
Folgendes :
„Von Bex ist leider wenig zu berichten. Der Festbummel und die Festfreude, bei
sehr heissem Wetter und Ueberfluss au Waadtländer-Wein trugen das ihrige dazu bei.
Es fehlte die kühle Ruhe und Sammlung.
„Am 21. August besammelte sich die medio. Section im Stadthause circa 16 Mit¬
glieder stark (die aber nicht ausharrten, sondern ab- und zugingen), meist der französi¬
schen Schweiz angehörend. Prof. Dr. Lebert war Präsident und hielt zum Schluss einen
Vortrag über Lungenphthise e causa traumatica, illustrirt mit 11 Kranken¬
geschichten.
Dr. Nicati aus Aubonne verificirte die unrichtigen Angaben in Dr. Müller ’s Statistik
der Lungentuberculose, Uber die Mortalität an Phthise von Aubonne.
Die Arbeit ist in extenso im „Bulletin de la sooidtd mödicale de la Suisse romande“
erschienen. Wir weisen hier nebenbei auf seine Bemerkungen Uber den verheerenden
Einfluss des Übermässigen Genusses spirituöser Getränke auf die Mor¬
talität
„Der Alcoholismus ist nicht nur die directe Ursache von 273 auf 10,000 Todesfälle,
sondern der gewohnheitsmässige und allzu oft unmässige Genuss des Weines und der
Liqueurs ist zudem nicht nur der Grund der zufälligen Tödtungen und der Selbstmorde,
sondern auch des fatalen Ausganges einer grossen Zahl acuter und chronischer Erkran¬
kungen. Ich glaube bei der Wahrheit zu bleiben, wenn ich die Zahl der, gewöhnlich
viel zu frühzeitigen, Todesfälle, welche zur Ursache die signalisirte und leider auch bei
den Frauen gar nicht ausnahmsweise vorkommende Gewohnheit haben, auf ca. 20 Proc.
(200 auf 951) angebe.“
Prof. Dor (Lyon) erwähnte eines interessanten Falles von hochgradiger Myopie bei
eigenthümlicher Beschaffenheit der Linse, herrührend und combinirt mit Colobom.
Prof. Forel (Morges) theilte Beobachtungen mit, die Dr. J. M. an sich selbst ange-
ßteilt hatte, um den Nichteinfluss der barometrischen Höhe auf Athmungs- und Pulsfre¬
quenz, und Blutwärme Kohlensäureexhalation etc. zu erweisen.
Schliesslich regte Dr. Goll (Zürich) die Frage an, ob nicht weitere Forschungen über
das Vorkommen von Erkrankungen in der Schweiz am Platze wären, anschliessend an
die Tuberculosenfrage, welche noch weitere Studien verdiente. So z. B. seien wir im
Gebiete der Rhonemündung in einer Malariagegend, nahe dem Wallis, wo Struma und
Cretinismus noch vor 20—25 Jahren sehr häufig waren. Ueber Intermittens, Struma,
Cretinismus u. A. m. seien nie genaue Erhebungen gemacht worden. Gebirge und Ge-
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birgsklima seien jetzt in der Mode und hier noch Mancherlei zu forschen. Beispielsweise
über die eigentümliche Form der Fleuropneumonia, wie sie als Alpenstich beschrieben
wird. Ein Aufenthalt im Ferrera-Avers-Thale in Oraubünden gab Veranlassung zu Mit¬
teilungen über die Erkrankungen der Hochgebirgsbewohner.
Besondere Beschlüsse wurden keine gefasst, da zum Schlüsse die Versammlung sich
lichtete.
Dies in Kürze die Verhandlung der medic. Section, die, wie Sie ganz wohl wissen,
in grösseren Städten jeweilen brillant ist, dagegen an kleineren Orten kaum vegetiren
kann. 0
Zürich. Universitätsstatistik. Sehr geehrte Redaction 1 Die Universitäts-
Statistik in Ihrer Nummer vom 16. August hat uns Zürcher nicht wenig in Erstaunen
versetzt Wir glaubten eine reoht blühende Universität und namentlich medicinische Fa-
cultät zu besitzen, und erfahren zu unserm Schrecken, dass wir in der entsetzlichsten
Decadence sind. Wir sollen nach Ihrem Statistiker seit Winter 1873/74 um mehr als
28% abgenommen haben, fast am meisten von allen deutschen Universitäten („darunter
nur Heidelberg 0 ), während Bern sich der höchsten Blüthe erfreut, denn es habe in der
gleichen Zeit um mehr als 50% zugenommen („darüber nur Berlin und Strassburg 0 )!
Erlauben Sie mir nun, dieser Behauptung die den amtlichen Gatalogen entnom¬
menen Zahlen der letzten 10 Jahre gegenüberzustellen.
Immatriculirte Studirende
(ohne Thierarzneischule) Darunter Mediciner.
Semester.
Bern.
Zürich.
Bern.
Zürich.
Sommer 1867
202
231
104
100
Winter 1867/68
219
209
108
88
Sommer 1868
218
217
108
97
Winter 1868/69
209
234
114
128
Sommer 1869
213
241
113
134
Winter 1869/70
242
264
133
138
Sommer 1870
248
267
129
139
Winter 1870/71
247
310
135
153
Sommer 1871
246
298
127
160
Winter 1871/72
248
313
135
170
Sommer 1872
249
355
138
209
Winter 1872/78
248
437*
142
271*
Sommer 1878
256
488*
154
280*
Winter 1873/74**
275**
316**
163**
188**
8ommer 1874
267
331
171
183
Winter 1874/76
285
340
166
190
Sommer 1875
311
324
163
184
Winter 1875/76
282
330
151
197
Sommer 1876
286
332
147
193
Winter 1876/77
311
314
149
196
Sommer 1877
272
324
124
180
Beim Anblick der vorstehenden Tabelle wird man erstaunt fragen, wie der Statisti¬
ker zu seinem ungeheuerlichen Resultat gelangen konnte, besonders für die von ihm ange¬
führten Semester (Winter 1873/74 und Sommer 1877). Vermuthlich hat der Herr über¬
sehen, dass nur seine beiden Kalender, nicht aber die darin mitgetheilten Zahlen (die
natürlich nur das vorige 8emester wiedergeben können), dem angegebenen Datum an¬
gehören. Bezieht sich aber seine Statistik auf Sommer 1873 und Winter 1876/77, so
wird zwar die 28procentige Abnahme von Zürich, aber dooh immer noch nicht die 60-
procentige Zunahme von Bern richtig. Aber jene Correctur legt wieder die Frage nahe:
warum ist gerade das Sommersemester 1873 zum Vergleich gewählt, mit dessen Schluss
* Diese beiden Semester sind abnorm frequent, weil über 100 weibliche Studirende, darunter
Uber 80 Mediclnerinnen, immatricnlirt waren.
•* Mit Beginn dieses Semesters verUessen 86 Russinnen (71 Mediclnerinnen) Zürich ln Folge des
bekannten Ukases. 26 davon wurden in Bern immatricnlirt.
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di« sahireichen Russinnen Zürich verliessen ? „Man fühlt die Absicht und man wird ver¬
stimmt" ; dehn unbefangene Statistiker vergleichen nicht ohne Noth ein Winter- mit einem
Sommereemester und nehmen 6- oder 10jährige u. dgl. Intervalle. Hatte der Herr nur
gerade diese swei Kalender, so kounte er das Statistiktreiben mit so kümmerlichem Ma¬
terial lieber bleiben lassen. Vor Allem aber möge er doch die Berner 60 Proceat auf¬
klären und ebenso, warum ln der Vergleichung aller Universitäten Bern in der Frequenz
vor Zürich rangirt!
Ueber die Decadence von Zürich wird wohl nach vorstehender Tabelle Jeder beru¬
higt sein. Wer Lust su vergleichender Statistik zwischen Bern und Zürich hat, findet
in vorstehender Tabelle Material genug. Ich für meinen Theil halte solche Vergleichungen
zwischen verwandten und befreundeten Universitäten, wie sie der Statistiker vom 16. Au¬
gust beliebt hat, weder für geschmackvoll noch für erspriesslich, wie ich überhaupt die
sogenannte Universitätsstatistik als höchst ledern und nutzlos gründlich verabscheue.
Wenn man sie aber einmal treiben will, so braucht sich Zürich wahrlich nicht zu ver¬
stecken 1 f—
An die verehrliche Redaction des „Gorrespondenz-Blattes für
schweizer Aerzte“.
ln der Voraussetzung, dass es ein Mediciner sei, der in vorstehender kritischer Epi¬
stel eine Lanze für die Universität Zürich einlegt und in Anbetracht, dass es gerade
diese Hochschule ist, für die Ihr Herr Correspondent als rettender Ritter auftritt, sowie
in Berücksichtigung des Umstandes endlich, dass das Zahlenheer unseres Gegners zwar
eine breite, aber keine tiefe Front hat und ausserdem aus höchst bedenklichem Material
besteht, so dass diese komische Infanteriemasse selbst die ihr beigegebene, vortreffliche
medicinische Artillerie nicht ernstlich unterstützen kann, — wollen wir auch den Angriff
unseres Gegners nicht so ernst nehmen und uns nur in ein Plänkelgefecht mit ihm ein-
laeeen. Beide, die Mediciner, wie die Universität Zürich, sind uns ja lieb und werth!
Aber Ihr Herr Correspondent freilich scheint nicht zu begreifen, dass man bei Publicirung
einer für eine Person oder ein Institut ungünstig lautenden Thatsache nur Bedauern, nicht
Absicht noch Schadenfreude haben kann. Ihr Herr Correspondent mag vielleicht ein gu¬
ter, objectiver Diagnostiker auf dem Felde der Medicin sein; in gegenwärtigem Falle hat
er entschieden zu pessimistisch gesehen. Wäre es uns darum zu thun gewesen, die zür¬
cherische Hochschule neben der bernischen in den 8chatten zu stellen, wahrhaftig, wir hät¬
ten uns nicht die Mühe genommen, sämmtliche deutsche und schweizerische Universitäten
nach ihrer absoluten Frequenz v er m ehrung, wie nach ihren relativen Frequenzen mit
einander zu vergleichen! Denn wir brauchen keinen „Um" und keinen „Krumm“, wenn
wir angreifen wollen.
Dass wir gerade das Wintersemester 1873/74, resp. das Sommersemester 1873 mit
dem Sommersemester 1877, resp. Wintersemester 1876/77 in Vergleich gezogen, ist ein
blosser Zufall. Wir haben nämlich vor drei Jahren in einem der ersten schweizerischen
Blätter eine statistische Zusammenstellung betr. die Frequenz der deutschen und schwei¬
zerischen Universitäten gebracht und da uns in der That für die ähnliche gegenwärtige
Arbeit keine Kalender frühem Datums gerade zur Verfügung standen, so bezogen wir
uns eben dabei auf jenes Sommersemester 1878 zurück. Auf das Decimalsystem glaub¬
ten wir nicht so rigoros Rücksicht nehmen zu müssen, wie es Ihr Herr Correspondent
postulirt, zumal ja auch auf die Decimaljahre solche ausserordentliche russische Zu- und
Unfälle fällen können, wie sie die zürcherische Hochschule am Schlüsse jenes unseligen
Semesters von 1873 betroffen. Für diesen Fall freilich verlangt Ihr Herr Correspondent
und mit Recht ein exceptionelles, vom Decimalsystem abweichendes Verfahren. Suchen
wir ihm nach beiden Seiten hin gerecht zu werden. Greifen wir auf das Sommerhalb¬
jahr 1872 zurück, das im Zahlenregister Ihres Herrn Correspondenten mit keinem Un¬
stern bezeichnet ist und zugleich dem postulirten System entspricht Da figurirt Born
mit 249, Zürich mit 856 immatriculirten Studirenden („ohne Thierarzneischule“!) ; heute,
resp. 8ommersemester 1877, zählt Bern deren 272, während Zürich 324 aufweist. Man
vergleiche, ob sich diese Zahlen in einer Weise zu einander verhalten, die für Zürich und
die Logik Ihres Herrn Correspondenten günstig spricht!
Betrachtet man aber die ganze Schlachtreihe unseres Gegners vom Sommer 1867 bis
Sommer 1877, so bemerkt jedes klare Auge, dass bei der Colonne Bern vom 1. bis zum
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I
598
10. Jahre eine langsame, aber sichere und stete Vermehrung stattfindet, die im Winter
1876/77 zum zweiten Mal ihr Maximum erreicht; während die Frequenz der zürcherischen
Universität von 1870 an rasch steigt, um schliesslich wieder unter den Etat vom Jahre
1872 (die Mitte der ganzen Scala) zu sinken. Das Unglück Zürichs von 1873/74 hat
Bern nicht viel Glück gebracht; denn wie unser Gegner selbst constatirt, wurden von den
86 damals Limmat-Athen verlassenden Russinnen nur 26 in Bern immatriculirt. Das
russische Glück hatte also von Anfang an seine Gaben unbillig, weil von vornherein zu
Gunsten Zürichs vertheilt, dessen Hochschulfrequenz dadurch im Winter 1872/78 von 350
auf 437 sich steigerte, während die durch den Ukas doroutirten Russinnen Bern nur mit
einem kleinen Rest von 26 beglückten und seine Universitätsfrequenz im Jahre 1873/74
von 256 blos auf 275 ansteigen Hessen.
Mit den Medicinern allein, die unser Gegner, allerdings nicht ohne Grund, dem Gros
seiner Infanterie zur Seite gegeben, können wir uns nicht schlagen. Uebrigens würde
auch hier bei einer Zusammenstellung von 1872 und 1877 der Kampf gleich bleiben; denn
138 verhält sich zu 209 wie 124:187 (Ihr Herr Correspond ent, resp. die Zürcher Univer¬
sität, hat blos 180).
Dies die Resultate, wie sie „aus den den amtlichen Catalogen entnommenen Zahlen“
hervorgehen. Wir danken unserm Gegner für dies treffliche statistische Material .und
müssen ihm durchaus Recht geben, wenn er die Universitätsstatistik weder für geschmack¬
voll noch für erspriesslich erachtet.
Noch eine letzte Batterie lässt unser Gegner spielen, nämlich gegen die von uns be¬
hauptete ÖOprocentige Zunahme der berner Hochschule. Nun, der Leser vergleiche und
übernehme die Rolle des Schiedsrichters! Im Sommer 1873 weist Bern 266, Zürich 438,
im Winter 1876/77 letzteres 314, Bern dagegen — nicht blos 311, wie Ihr Herr Corr.
will, sondern nach dem deutschen Universitätskalonder 4 0 9 immatricuiirte Studirendö
auf! Und an diesen ebenfalls „amtlichen“ Kalender haben wir uns von Anfang au hin¬
sichtlich aller Universitäten gehalten.
Wenn man diesem officiellen Organ nicht mehr glauben darf, wem soll man denn
in dieser 8ache überhaupt noch glauben? Und hat es in diesem Puncte gefehlt, nun so
kann uns kein Vorwurf treffen und bleibt die in dieser Frage entscheidende Thatsache
der Frequenzabnahme Zürichs um 28°/ 0 , wie unser Gegner selbst zugibt, eben doch un¬
widerleglich! Bern rangirt also allerdings und unter allen Umständen vor Zürich, soweit
es die absolute Frequenz- Z u n a h m e der deutschen und schweizerischen Hochschulen
von 1873 auf 1876/77 anlangt. Wenn unser kritischer Gegner aus „absoluter Vermeh¬
rung der Frequenz“, wie wir schreiben, einfach „absolute Frequenz“ macht, so ist das
seine Sache. Sine ira et studio.
V
Nachschrift der Redaction. Die Redaction hat wenig beizufügen. Wir
haben, ausser der hervorgehobenen Notiz vom 15. August, jeweilen den Stand der medic.
Facultäten der Schweiz am Anfänge der Semester, sowie zudem im Vergleiche mit an¬
dern Universitäten auf S. 28 dieses Jahrganges mitgetheilt, natürlich sine ira et studio,
wohl aber in selbstverständlicher Freude über das Gedeihen aller unserer medicinischen
Facultäten. Hätten wir, wie der Herr Verfasser in leicht einzusehendem Irrthume an-
niramt, durch die Aufnahme jener Mittheilung, welche weitaus mehr die Studentenbewe¬
gung überhaupt, als die der medicinischen Facultäten bespricht, die Schädigung des An¬
sehens einer unserer schweizerischen Hochschulen begünstigen wollen, so wäre das aller¬
dings tadelnswerth. Das hat uns aber Bicherlich ausser dem Herrn Einsender Niemand
zugemuthet, und wir weisen diese Zulage auch mit dem einfachen Hinweis auf unser
bisheriges Verhalten entschieden zurück. Wir betonen zugleich , um die Sache ein für
allemal beizulegen, dass ja Basel in Beziehung auf seine Frequenz noch unter Bern und
Zürich steht, ohne dass deshalb einer seiner Vertreter derartige Reclamationen erhob,
dass ferner der Verfasser jener Notizen weder Mediciner, noch Berner ist, noch auch im
Canton Bern wohnt, und dass endlich die Frequenz einer Universität bekanntlich nicht
nur durch diejenige der medicinischen Facultät bedingt wird.
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599
W ochentoeriolrt.
Schweiz.
Die XVI. Versammlung des ärztlichen Centralvereins in Olten
findet Samstags den 27. October statt. Sitzung im Schulbaus, Mittags um 12 Uhr.
Tractanden:
1) Neuwahl des ständigen Ausschusses des Centralvereins.
2) Vortrag von Herrn Prof. Wille (Basel): Ueber die allgemeine Therapie
der Psychosen.
8) Vortrag von Herrn Dr. Kottmann jun. (Solothurn): Ueber Sehnennaht.
4) Vortrag von Herrn Dr. GoUl. Burckhardt (Waldau): Aus der Neuropatho¬
logie.
5) Präliminarien zur Lebensmittelcontrole in der Schweiz. Discussions-
thema: Dr. Sonderegger.
6) Kleinere Mittheilungen aus der Praxis.
Nachher wie gewohnt Bankett in der Bahnhofrestauration Biehly.
Zur Jahresversammlung am Stiftungsorte Olten laden wir in herzlichster Weise: die
Mitglieder des ärztlichen Centralvereins, die Freunde von der Sociötd möJicale de la
8uisse romande, und alle andern lehensfrischen, arbeitsfreudigen Collegen! und grüssen
in Hochachtung: Im Namen des ständigen Ausschusses:
Olten, den 1. October 1877. Sonderegger, Präsident,
Burckhardt-Merian, Schriftführer.
Genf. Dr. Lombard, der berühmte Forscher im Gebiete der medic. Climatologie hat
soeben die beiden ersten Bände seines „Traitd de Climatologie mddicale“ herausgegeben.
Wir werden auf dieses epochemachende Werk zurückkommen.
Orthopädie. Es ist bekannt, dass die pariser Instrumentenmacher eindn gros¬
sen Theil ihros Ruhmes dem Umstande verdanken, dass sie neben der vollendeten tech¬
nischen Geschicklichkeit in ernsthafter Weise anatomischen und chirurgischen Studien
oblagen. In ähnlicher Weise arbeitet H. Weber-Moos , Bandagist und Orthopädist in Zü¬
rich. 8eine künstlichen Extremitäten sind längst rühmlich bekannt (nur etwas theuer);
das beste Zeugniss darüber legt der soeben erschienene neu illustrirte Catalog ab (46 S.
und 90 Abbildungen). Es bringt derselbe ausser dem eigentlichen Texte auch eine Reihe
äusserst anerkennender Certificate bekannter klinischer Lehrer und practischer Aerzte.
Wir entnehmen ihm die Notiz, dass Weber-Moos bis jetzt 462 künstliche Extremitäten,
sowie eine grosse Zahl von Stelzfüssen etc. angefertigt hat Der Catalog ist sehr in-
structiv.
Statistik. Das Heft: „Allgemeine Resultate nach Bezirken und Cantonen be¬
treffend die Trauungen, Geburten und Sterbefälle im Jahre 1876“, das wir
mit der letzten Nummer des „Correspondenz-Blattes“ den Collegen zusandten, verdanken
wir der Freundlichkeit von Herrn Director Kummer. Indem wir dem statistischen Bureau
hiemit unsern besten Dank abstatten für dieses schöne Geschenk, möchten wir die Col¬
legen dringend ersuchen, den höchst interessanten Zahlen, die in diesem Hefte enthalten
sind, besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Wir machen hier speciell auf die Seiten
14—16 aufmerksam , die jeder Arzt mit dem grössten Interesse durchlesen wird. Es
haben diese Jahreszusammenstellungen, besonders wenn dieselben einmal mit früheren
Jahrgängen verglichen werden können, einen enorm viel höheren Werth wie die Quartal-
eusammenstellungen, und sind wir Aerzte alle Herrn Director Kummer znm grössten Dank
verpflichtet für die ausgezeichnet practische Weise, mit der derselbe das eingelaufene
Material verwerthet hat. Vivat sequens!
Zar Lehre von der Brucheinklemmung. Prof. I)r. Kocher hat in der
deutschen Zeitschrift für Chirurgie eine experimentell-klinische Studie (119 8 ., viele Ab¬
bildungen) Uber die Lehre von der Brucheinklemmung veröffentlicht Bekanntlich hielt
der Verfasser über dasselbe Thema an der letzten Versammlung des ärztlichen Central¬
vereins und der Socidtd romande einen Vortrag (vide Corr.-Bl. Nr. 13), so dass wir hier
unter Hinweisung auf das Original nur einige Hauptpuncte herausgreifen. Zahlreiche Ex¬
perimente an todten Därmen und an lebenden Kaninchen, sowie Beobachtungen am Men¬
schen (incarcerirte Hernien, Taxis, Herniotomien, Gangrän der incarcerirten Darmschlingen)
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600
haben K. (wir übergehen die sehr klare Darlegung der Einklemmungstheorie) zu folgen¬
den therapeutischen Räthen geführt: „wenn bei Kothstauung die Taxis misslingt, so ist
. . . . das Augenmerk darauf zu richten: 1) die Füllung der Därme oberhalb und im
Bruche zu vermindern, 2) die Peristaltik im Bruche anzuregen“. Die Verabreichung von
Laxantien ist sowohl bei innern Einklemmungen, als auch hei incarcerirten Hernien ab¬
solut contraindicirt und direct schädlich; dagegen der Gebrauch des Opium sehr anzu-
rathen. „Das Opium setzt den Druck in den Därmen herab und wirkt in dieser Rich¬
tung für eine durch Dehnung gelähmte Dannpartie geradezu Peristaltik befördernd.“ Der
Patient soll innerlich nichts geniessen (nur etwa Eispillen); die Ernährung erfolge aus¬
schliesslich per Rectum durch Clystiere. Bei grossen Hernien kann die Peristaltik auch
durch eanftes Reiben und Kneten (Massage) augeregt werden. „Als das Normalverfah¬
ren der Taxis mussten wir die gleichmässige Compression des Bruches unter Verhütung
der Dehnung an der Einklemmungsstelle erklären.“ Der Druck darf kräftig und gleich-
mässig eine halbe Stunde angewandt werden, allein die sogenannte „forcirte Taxis“, d. h.
alle übermässige Gewalt ist absolut verwerflich.
Bei incarcerirten Hernien ohne Kothstauung erfolgt oft sehr rasch Gangrän.
K. weist auch das von Einzelnen noch bezweifelte Vorkommen der LiÄrd’schen Her¬
nien nach, bei welchen nicht eine Darmschlinge, sondern nur ein nach Art der Divertikel
vorgebauschtes Segment der untern Darmwand eingeklemmt ist, so dass der Darm für
dünne Stühle durchgängig bleiben kann
Ausland.
Deutschland* Mortalitätsstatistik. Nach den Publicationen des kai¬
serlich deutschen Gesundheitsamtes sind bis zu der am 30. Juni dieses Jahres beendeten
26. Jahreswoche von je 1000 Bewohnern, auf das Jahr berechnet, gestorben: in Bombay
67,9, Berlin 64,1, Athen 60,4, Breslau 43,3, Budapest 41,2, Augsburg 41,0, Alexandria
(Egypten) 40,9, Odessa 86,2, München 36,1, Braunschweig 86,0, Cöln 83,2, 8t Peters¬
burg 82,2, Turin 31,7, Königsberg 81,6, Dublin 81,0, Lissabon und Magdeburg 30,9, Prag
29,7, Neapel und Strassburg 29,1, Dresden 28,2, Hannover 28,0, Altona 27,8, Wien 27,4,
Haag 27,0, Stuttgart 26,9, Warschau 26,7, Amsterdam 26,3, Rotterdam und Stettin 26,2,
Karlsruhe 26,0, Liverpool 26,9, Leipzig 26,7, Stockholm 25,6, Brüssel 26,0, Calcutta 24,2,
Hamburg 22,7, Edinburg 22,6, Nürnberg 22,4, Paris und Basel 22,3, New-York 20,8,
Glasgow 20,7, Kopenhagen und Philadelphia 20,1, Boston 19,9, London 19,2, Christiania
19,0, Kassel 18,5, Frankfurt a. M. 17,6, Bukarest 17,0, San Francisco 16,2.
Frankreich. Selbstmorde. Im Jahre 1874 wurden in Frankreich constatirt
5,617 Selbstmorde, die höchste Zahl, welche hiB jetzt erreicht wurde. Es entfielen 4,436
auf die Männer (79%) und 1,182 (20%) auf die Weiber. Von 105 Personen konnte
das Alter nicht festgestellt werden, die übrigen 5,512 vertheilen sich in folgender Weise:
unter 16 Jahren 29, von 16-21 193, von 21-40 1,477, von 40-60 2,214, Uber 60
Jahre 1,599.
Es waren ledig 1,946 (36%) , verheirathet 2,645 (48%) , verwittwet 881 (16%).
Unter den beiden letzten Categorien befinden sich 2,259 oder beinahe %, welche Kinder
besassen. Bei 145 Individuen konnte der Civilstand nicht ermittelt werden. Strangulirt
waren 2,472, ertrunken waren 1,514. Die häufigsten Selbstmorde entfallen wie immer
auf den Frühling, 31 °/ r , 27% auf den Sommer, 23% auf den Winter und 19% auf den
Herbst. Es waren nach ihrer bürgerlichen Stellung Acker- und Landbauern 33% (1828),
Handwerker 30% (1689), Künstler 16% (927), Kaufleute 4% (241), Dienende 4% (228),
ohne oder unbekanntes Geschäft 13% (704) — Bei 481 Fällen war es nicht möglich,
die Motive des Selbstmordes zu ermitteln. Bei den übrigen stellte sich Folgendes her¬
aus : Unglück oder Geschäftsrückgang 652, Familienverdruss 701, Liebesnoth und Schwel¬
gerei aller Art 815, körperliche Leiden 798, verschiedene Leiden 489, Geisteskrankhei¬
ten 1,622, Capitalverbrecher 59.
(Corresp.-Bl. d. deutschen Gesellsch. f. Psych. 1877, 7.)
— Der Steinschnitt im Jahre 147 4. Man liest in der Chronik Ludwigs
des Elften: „Im Monat Januar des Jahres 1474 stellten die Aerzte und Chirurgen dem
Könige vor, dass mehrere Personen von Bedeutung am Steine, an Kolik und Seiten¬
schmerzen litten; dass es sehr nützlich sein würde die Stelle zu sehen, wo diese Krank¬
heiten sich erzeugten; dass man nicht besser sich darüber aufklären könne, als wenn
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601
man an einem lebenden Menschen operirte und dass sie deshalb um Ueberantwortung
eines Bogenschützen bäten, welcher eines Diebstahls wegen zum Galgen verurtheilt und
sehr häufig durch obengenannte Uebel gepeinigt worden war.“ Ludwig XI. willfahrte
ihrem Begehren und di« Operation wurde öffentlich auf dem Kirchhofe von St. Severin voll¬
zogen. „Nachdem man Einsicht genommen und genugsam gearbeitet hatte , that man“,
so setzt die Chronik hinzu, „die Eingeweide in den Leib des Bogenschützen zurück, wel¬
cher zugenäht und nach Befehl des Königs sehr gut verbunden wurde, so dass er nach
14 Tagen geheilt war und Nachlass seiner Verbrechen erhielt, kostenfrei, und wurde ihm
Geld gegeben.“ (Nach der Gaz. des höp. aus d. d. med. Woch.)
Stand der Iiiiection«-Krankheiten in Basel.
Vom 11. bis 25. September 1877.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Beim Typhus ist die schon im letzten Berichte erwartete fernere Abnahme einge¬
treten, indem nur 29 frische Fälle angemeldet worden sind (94, 61, 53, 63, 57), wovon
in Grossbasel 13 (33, 32, 21), in Kleinbasel 16 (17, 30, 34); letzteres ist also immer
noch unverhältnissmässig stark vertreten, während Grossbasel jetzt nicht erheblich mehr
Fälle liefert, als in gewöhnlichen Jahren.
Von Scharlach sind 6 neue Fälle angemeldet aus allen Stadttheilen, mit Aus¬
nahme des Birsigthales (5, 11, 9).
Ery si pela s 4 Fälle. Von Morbilli, Diphtherie, Pertussis, Puer¬
peralfieber, Dysenterie und Varicellen ist je 1 Fall angemeldet.
Briefkasten.
Herrn Dr. Asverus : Wir werden trachten Ihrem Wunsche nachzukommen. — Herrn Dr. W. in
B.: Das in Aussicht Gestellte soll willkommen sein. — Herrn Dr. Bänziger , St. Gallen: Wir haben
Ihren Wunsch dem Verleger übermittelt. — Herrn Dr. Spengler, Davos; Dr. Lote, Basel; Prof. Dr.
Massini , Basel; Dr. Hans v, Wyss, Zürich; Prof. Dr. Lasltowski, Genf: Mit bestem Danke erhalten.
— Herrn Dr. Steiger , Montreux: Soll uns willkommen sein.
Einwohnerspital Winterthur.
Die Stelle eines Assistenzarztes mit einer Baarbesoldung von Fr. 600—800
und freier Station im Spital ist auf 1. November vorläufig für die Dauer eines Jahres
neu zu besetzen.
Bewerber um dieselbe, welche das schweizerische Konkordatsexamen bestanden haben
oder Kandidaten für dasselbe sind, wollen ihre Anmeldungen unter Anschluss von Attesten
Ober ihre Befähigung spätestens bis zum 15. October dem Herrn Med. Dr. Hegner,
Präsidenten der Spitalpflege, einreichen. [H-4969-Z]
Winterthur, 21. September 1877. E>ie Spitalpfleg©.
FRANZ JOSEF’ Bltter^idle.
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602
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Inhalt: 1) Original arbeiten: Dr. A. Chritteller: Bordighera als Wintercarort. — 2) Vereinsberichte: Verhand¬
lungen des raed.-pharm. Bezirksvereins Bern. — 3) Referate nnd Kritiken: Otto Spiegelberg: üeber Placenta p ree via. —
Dr. W. Dock: (Jeher Hannatocete retrouterina in Zosaramenbang mit den Ovarialerkrankangen. — Dr. Paul h'iemeptr: Die Lun¬
genschwindsucht. — Dr. J. Wilbrand : Von den Lebensaltern des Manschen. — Dr. Oulerlen: Die Kindersterblichkeit. — Tk.
Jürgen een: (Jeher die leichteren Formen des Abdominaltyphus. — 4) Kantonale Correepondenzen: Das Militirsanitits-
wesen iu Troppenzusamraenzage der V. Anneodivision, September 1877. Der internationale Congress der medioinischen Wissen¬
schaften in Genf; Basel. — 5) Wochenbericht. — 6) Bibliographisches. — 7) Briefkasten.
Original-Arbeiten.
Bordighera als Wintercurort.
Eine klimatologische Skizze von Dr. A. Christeller, Curarzt.
Auf die noch offene und von der definitiven Lösung ziemlich weit entfernte
Streitfrage, ob der Aufenthalt in Höhencurorten oder in südlichen Klimaten dem
Lungenleidenden im Winter zuträglicher sei, soll hier nicht eingetreten werden.
In Beiden finden Kranke mit chronischem Spitzencatarrh, chronischer Pneu¬
monie und tuberculöser Infiltration relative Heilung, d. i. Stillstand des Processes
oder wenigstens Besserung. Leider erliegen aber auch in beiden Luftstationen
nicht wenige den genannten Lungenaffectionen. Wo der Procentsatz dieser letz¬
teren grösser ist, wird uns wohl keine Statistik lehren, da zu viele Factoren diese
trüben und werthlos machen.
Von dem Fundamentalsatz ausgehend, dass Luft und Licht dem Lungenkran¬
ken als erste Bedingung zu seiner Wiederherstellung nöthig sind, muss er sich im
Winter gewiss da am besten befinden, wo ihm diese Lebensquellen qualitativ und
quantitativ am reichsten zu Th eil werden. Wo wird aber diesen Anforderungen
besser Genüge geleistet, als an der sonnigen Riviera, sowohl Ponente wie Levante,
sofern die Verhältnisse dem Kranken eine Reise nach dem fernen Corsika, Madeira,
Sicilien oder Egypten nicht gestatten.
Diese Zeilen sind daher an diejenigen Aerzte gerichtet, die ihre Luft und
Licht bedürftigen Patienten zur rauhen Winterszeit nicht zu Hause behalten oder
nach einem Höhensanatorium senden, sondern dieselben in einer günstig gelegenen
südlichen Winterstation unterbringen wollen. Als eine' solche habe ich in den
zwei verflossenen Wintern das am mittelländischen Meer, an der Riviera di Ponente
gelegene Bordighera kennen gelernt.
Die berühmtesten Autoritäten auf dem Gebiete der Klimatologie, wie Sigmund ,
Bennel , Lebert u. A. m. haben die günstige Lage und die glücklichen meteorologi-
41
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600
sehen Verhältnisse des zwischen Nizza und Genua gelegenen Küstenstrichs des
Mittelmeers hervorgehoben. Besonders wurden bisher ihrer geschützten Position
und ihrer gleichmässigen Temperatur wegen Mentone auf französischem, Sanremo
auf italienischem Gebiete genannt. Diese beiden Orte sind es auch, die dem lei¬
denden Besucher der westlichen Riviera , mit Ausnahme natürlich der Welt- und
Luxusstadt Nizza, am meisten Annehmlichkeit und Comfort boten.
Zu ihnen gesellt sich nun in jüngster Zeit das zwischen beiden gelegene Bor-
dighera, das durch seine gute Luft, seine geringen Temperaturschwankungen, seine
ländliche und vor Winden geschützte waldige Umgebung einer Reihe von Kranken
wesentliche Vortheile bietet. Die Herren Collegen mit den Vorzügen dieses auf¬
blühenden Wintercurortes näher bekannt zu machen, habe ich mir hier zur Aufgabe
gestellt.
Das alte Bordighera (ca. 2000 Einw), wie viele Städtchen an der Riviera di
Ponente, zum Schutz gegen die Sarazenen auf einen Felsen , dem sog. Cap, ge¬
baut, ist den Winden von Osten und Westen exponirt. Das Fremdenquartier da¬
gegen, Hötel, Pensionen, Villen und Magazine am Borgo Marina und in den Oli¬
venwaldungen gelegen, ist im Osten durch das Cap St. Ampeglio, im Norden durch
die mit Pinien besetzten Hügelzüge, im Westen durch die Bergausläufer von Ven-
timiglia und Mentone vor Winden geschützt und nur nach Süden offen. In den
oben erwähnten Olivenwäldern, die vollständig wind- und staubfrei sind, wird ge¬
genwärtig eine neue Verkehrsader, die Strada romana parallel der Hauptstrasse
angelegt, so dass der Leidende selbst an stürmischen Tagen sich daselbst noch
ohne Nachtheil im Freien bewegen kann.
Die Luft von Bordighera hat den Charakter der mässig trocken-warmen
stimulirenden, tonisirenden, wie an der ganzen westlichen Riviera, doch ist sie
in den verschiedenen Lagen auch ungleich trocken. So findet man die Atmo¬
sphäre in den Oliven wärmer und feuchter als am Borgo Marina, ein Umstand,
auf den wir bei Besprechung der Indicationen für Bordighera zurückkommen
werden.
Was dem Leidenden den Aufenthalt an dieser Winterstation so nützlich und
angenehm macht, ist das Fehlen grosser Temperatursprünge und daher die Mög¬
lichkeit den grössten Theil des Tages in der Luft zuzubringen.
Folgende eigene Thermometerbeobachtungen während drei Monaten im Winter
1875/76 mögen als Beleg biefür dienen:
Mittel des ganzen Monats.
9 Uhr Morgens. 1 Uhr Nachmittags. 7 Uhr Abends.
December 7,8° C. 11,0° C. 7,8° C.
Januar 8,0° „ 11,2« „ 8,1« „
Februar 7,9° „ 12,2° „ 8,3« „
Es stimmen diese Beobachtungs-Resultate im Wesentlichen überein mit den¬
jenigen von Dr. Semeria , langjährigem Arzt in Bordighera, denen ich zur Vervoll¬
ständigung folgende Zahlen aus früheren Jahren entnehme:
Mittlere (1 Uhr) Tagestemperatur der Wintermonate 1866/67, 1867/68, 1868/69,
1869/70.
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November 12,4® C. Februar 11,0° C.
December 11,6° „ März 12,3° „
Januar 11,0° „ April 13,8° „
Die Zahl der Regentage ist eine sehr beschränkte, sie richtet sich nach
dem allgemeinen Witterungscharakter des Winters. Dr. Semeria nimmt deren nach
seiner Erfahrung 45 per Jahr au, gegenüber 80 in Mentone.
In meinen Tabellen habe ich in der Saison 1875—1876 aufgezeichnet:
December. Sonnentage:
20 ganze,
6 halbe,
5 ohne.
Regentage:
1 ,
3
V
27 »
Januar. Sonnentage:
13 „
8
J»
10 ,
Regentage:
1 „
9
n
21 „
Februar. Sonnentage:
18 „
6
y>
5 „
Regentage:
1 »
2
»
26 *
Schnee ist eine ganz ungewöhnliche Erscheinung, die erfabrungsgemäss alle
4 Jahre während 1—2 Stunden wiederkehrt, ohne aber eine bleibende Decke auf
dem Erdboden zu bilden. Dagegen kommen nicht selten während des Winters
Gewitter mit hagelförmigem Niederschlag vor.
Das Trinkwasser von ßordighera ist von ausgezeichneter Qualität, sowohl
dasjenige der alten Stadt aus dem Thale von Sasso durch einen Canal hergeleitet,
als das Quellwasser des Fremdenquartiers aus den nach Norden liegenden Hügeln
herbeigeführt und durch den sandigen Untergrund auf natürliche Weise filtrirt.
Der von der Natur so verschwenderisch ausgestattete Ort besitzt in geringer
Entfernung „alla Ruota“ eine reichhaltige Schwefelquelle, die vom Volke vielfach
als Heilmittel getrunken wird und auch dem Arzte eine willkommene Beigabe zum
Klima von Bordighera liefert.
Die Krankheiten, bei denen ein Winteraufenthalt in der trocken-warmen, toni-
sirenden Luft Bordighera’s indicirt erscheint, sind folgende:
1. Der chronisch e Laryngeal- und Bronchialcatarrh ohne tiefere
Gewebsveränderungen, wo nach Ablauf der entzündlichen Erscheinungen Auflocke¬
rung und Schwellung der Schleimhaut mit feuchtem Husten und vermehrter Secre-
tion zurückgeblieben sind.
2. Die chronische Pneumonie und tuberculöse Infiltration der
Lungen, wenn keine activen Congestionen und Neigung zu Lungenblutungen vor¬
handen. Fehlen diese letzteren, darf man ein günstiges Resultat von der Luftcur
in Bordighera erwarten, da eine bessere Circulation des Blutes in den Lungen an¬
geregt und dadurch auch eine richtigere Blutvertheilung herbeigeführt wird.
Solchen Kranken ist besonders der Aufenthalt in den Oliven anzuempfehlen,
wo die Luft, abgesehen von ihrem reicheren Sauerstoffgehalt, feuchter und weicher
ist, als an der Marine und dabei wind- und staubfrei.
3. Residuen pleuritischen Exsudats gelangen in vielen Fällen durch
einen Winteraufenthalt an der westlichen Riviera zur Resorption oder doch zu einer
wesentlichen Abnahme. Dieses Resultat ist ebenfalls der Bethätigung der Circu¬
lation, der Anregung des Stoffwechsels und nicht am wenigsten der den ganzen
Tag im Freien ermöglichten Lungengymnastik zuzuschreiben.
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4. Der chronische Catarrh des Ve rd auungstractus, der Magen-
und Darmschleimhaut mit seinem Gefolge von physischen und psychischen
Störungen bessert sich gewöhnlich rasch in der roborirenden Luft In Kurzem
mehrt sich die Esslust, die Beschwerden, nüchtern und nach den Mahlzeiten, schwin¬
den, die krankhaften Secretionen und Excretionen werden normal und eine rich¬
tige Ernährung kommt in Gang. Gewöhnlich überzeugt sich Patient recht bald
von dieser Besserung durch sein subjectivcs Wohlbefinden und die durch regel¬
mässige Wägungen constatirte Zunahme seines Körpergewichts.
5. Ueber das Verhalten von Bright' sehen und Di ab et' sehen Kranken
in diesem Klima besitze ich noch keine eigenen Erfahrungen. Es sprechen sich
aber sowohl Dr. R. Schmitz von Neuenahr (seit 4 Jahren in Bordighera) als Dr.
Semeria sehr günstig über die Wirkung der trocken-warmen Luft bei diesen Leiden aus.
6. Auch der an chronischem Rheumatismus und G i c ht Leidende
muss sich während des Winters in klimatischen Verhältnissen, wie sie Bordighera
bietet, wohl befinden und geringeren Insulten ausgesetzt sein, als in kältern und
besonders nebligen und feuchten Gegenden.
7. Ein Aufenthalt an der Riviera di Ponente wird endlich allen jenen Perso¬
nen nutzbringend sein, die an einer Alterirung der Blutmischung leiden,
also bei Chloro-Anämie. Sei diese idiopathisch oder Folge einer erschöpfen¬
den Krankheit und Dyskrasie wird die qualitative und quantitative Luftcur in Bor¬
dighera ihren tonisirenden Einfluss nicht verfehlen. Unterstützt und gefördert wird
dieser durch richtiges diätetisches Verhalten, kräftige Ernährung, sowie durch ra¬
tionell angewandte Hydrotherapie und Meerbäder.
Die Contraindicationen Pur die Luft von Bordighera lassen sich kurz
folgendermaassen feststellen:
Kranke mit grosser Erregbarkeit des G e f ä s s - und Nerven¬
systems passen nicht für das Klima dieses Theils der Riviera.
Zu Ersteren rechne ich besonders typisch fiebernde Lungenkranke mit trocke¬
nem Reizhusten und Neigung zu Hämoptoe, die leicht einen drohenden Charakter
annehmen kann. Vorgerückte Phthisiker mit hectischem Fieber, Bluthusten und
grossem Kräfteverfall sollten überhaupt nicht von Hause weggeschickt und den
Strapazen einer Reise nach dem Süden ausgesetzt werden. Sie erliegen gewöhn¬
lich rasch ihrem Leiden in Folge derselben und des rapiden Luftwechsels. Ge¬
radezu beelendend aber für den Arzt und die Umgebung solcher Schwerkranken
ist es, wenn dieser allein dasteht, ohne die nicht durch fremde Hände zu ersetzende
Pflege eines ihm lieben Familienmitgliedes.
Auch Patienten mit übermässig gesteigerter Reizbarkeit des Nervensystems in
seinen verschiedenen Bahnen befinden sich in der stimulirenden Luft Bordighera’s
nicht am richtigen Platz. Beiden wird ein Aufenthalt in feucht-warmer, weicher
Luft, wie sie die Riviera di Levante bietet, besser bekommen.
Für die materielle Verpflegung und den Comfort des Kranken ist in Bordi¬
ghera auf vortreffliche Weise gesorgt. Zwei grosse Hötels, Grand Hötel mit
prächtigem nach Süden und dem Meer gelegenen Palmengarten, guter Bad- und
Doucheeinrichtung und Hötel d’Angleterre, beide von Schweizern geführt,
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entsprechen zu massigen Preisen allen Anforderungen der Neuzeit. Einige kleinere
Pensionen, sowie einzelne Privathäuser bieten dem Minderbegüterten und Ruhe¬
suchenden freundliche Unterkunft.
Eine reiche Auswahl reizender Spaziergänge in die nähere und fernere Um¬
gebung Bordighera’s mit seiner üppigen Vegetation, sowie in die auf die liberalste
Weise geöffneten Privatgärten mit ihrer tropischen Flora bilden für den Leidenden
und Gesunden einen unerschöpflichen Quell von Naturgenüssen und unschädlichen
Zerstreuungen. Die zunächst gelegenen Winterstationen Mentone und Sanremo
können per Maulthier, Wagen oder Bahn, immer dem herrlichen Mittelmeer ent¬
lang, in kürzester Zeit erreicht werden, so dass auch diese Ausflüge zu den leich¬
ten zu zählen sind.
Die Dauer der Saison erstreckt sich vom 1. October (bester Reisemonat) bis
zum 15. Mai. Der an westlicheren Theilen der Küste so sehr gefürchtete Mistral
herrscht in Bordighera im März nur abgescbwächt und während wenigen Tagen.
Das palmenreiche sonnige Bordighera wird sich bald durch eine Reihe glück¬
licher Curresultate bei Kranken, die für sein Klima geeignet sind, die volle Be¬
deutung einer Winterstation erwerben und sich als solche ebenbürtig an die Seite
seiner Schwesterstädte Mentone und Sanremo stellen.
"V ereinsberichte.
Verhandlungen des med.-pharm. Bezirksvereins Bern
im Sommersemester 1876.
4. Sitzung, den 11. Juli 1876, Abends V a 8 Uhr, auf dem Schänzli.
Anwesende 15 Mitglieder.
1. Prof. Demme: Zur Casuistik der Fremdkörper im Magen
und Darmcanal (erscheint in extenso im „Corr-Bl.).
Dr. Vogt wünscht zu wissen, ob bei den angeführten Fällen auch angegeben
sei, in welcher Weise diese Körper verschluckt wurden und in welcher Weise die¬
selben aus den Abscessen heraus kamen. Prof. Demme . Bei den meisten ist dar¬
über nichts angegeben, bei andern wurden sie mit dem breiten Ende nach vorn
ausgestossen, was sich aus der Art der Einführung erklärt. Dr. Vogl erinnert, dass
auch sehr kleine Körper lange im Verdauungscanal bleiben können, so fand er
Traubenkerne im Stuhl, nachdem seit 6 Wochen keine Trauben genossen worden
waren. Dr. Schneider. Beim Austreten muss man die Form des Körpers in Be¬
tracht ziehen. Grössere Körper treten leichter mit dem breiten Ende aus, Nadeln
etc. hingegen mit der Spitze. Kleinere Körper bleiben oft längere Zeit im Coecum.
Auch er fand 2 Monate nach dem letzten Traubengenuss noch Traubenkerne im
Koth. Prof. Nencki ist der Ansicht, dass der Speisebrei nicht länger als 48 Stun¬
den im Körper bleibe. Dr. Dubois fand, dass bei Dilatation des Magens kleinere
Fremdkörper oft längere Zeit im Magen bleiben. So sali er nach 3 Monaten noch
Kirschkerne bei einem Fall von Dilatatio ventric. Dr. Schürer erwähnt einen Fall,
wo eine Bleikugel längere Zeit im Darm blieb. Ebenso brauchte ein verschluck¬
ter Trauring 4 Wochen, bis er wieder ausgestossen wurde.
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2. Dr. Conrad: Zur Wirkung des Uterusdruckes.
Der Vortragende theilt weitere Belege für seine in Nr. 6 des Jahrgangs 1875
dieses Journals ausgefübrte Ansicht über die Wirkung des Uterusdruckes auf die
Frucht während der Schwangerschaft mit.
Der erste Fall betrifft eine 5monatliche Frucht, welche von einer gesunden
Frau spontan ausgestossen wurde, nachdem sie, wie ärztlich constatirt wurde, wäh¬
rend 5 Wochen an Blut- und Wasserabgang aus der Gebärmutter und an öftern
heftigen wehenartigen Schmerzen gelitten batte (Hydrorhoea gravid, konnte, wie
näher begründet wurde, mit ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen werden).
Die sorgfältig aufgehobene Frucht glich, wie der Vortragende an von ihr ge¬
nommenen Abbildungen und Gypsabgüssen demonstrirt, an ihren verkrümmten und
geknickten Gliedern am meisten einem Fall von hochgradiger foetaler Rachitis;
wie sich aber bei der anatomischen Untersuchung, welche unter Leitung und Con-
trole von Prof. Langhaus vorgenommen wurde, herausstellte , waren keine Spuren
von Rachitis oder sonstiger Knochenerkrankung nachweisbar, wohl aber multiple,
nicht frische, Fracturen der Diaphysen der Extremitätenknochen, einzelner Rippen,
der mandibul. inferior.
Wie der Vortragende unter Beiziehung dor Literatur über angeborene multiple
Knochenfracturen für den vorliegenden Fall näher begründet, führt er die Vorge¬
fundenen multiplen Fracturen auf den intrauterinen Druck zurück, welcher sowohl
durch Raumbeschränkung in Folge frühzeitigen Wasserabflusses, als auch durch
Contractionen des Uterus, welche der Reiz des frühzeitigen Wasserabflusses her¬
vorgerufen hatte, entstanden war, und die Frucht dermassen zusammenpresste,
dass es bei den noch zarten, durch wenig Weichtheile geschützten Knochen zu
Fracturen derselben kam.
Es ist dieser Fall auch in gerichtlicher Beziehung wichtig, da er die Ansicht
Derjenigen widerlegt, welche die intrauterinen Fracturen stets auf Einwirkung äus¬
serer Gewalt zurückführen.
Zwei weitere hiehergehörige, durch Gypsabgüsse und Zeichnungen erläuterte
Fälle, die der Vortragende der Mittheilung des Herrn Dr. Rapin , Arzt der Entbin¬
dungsanstalt in Lausanne, verdankt, betreffen ein in der 27. Woche in Kopflage
todtgeborenes Kind mit in starker Flexion gekreuzten, an den Rumpf angepressten
untern Extremitäten mit beidseitigen Klumpfüssen, dessen gesunde Mutter in der
Schwangerschaft nur eine geringe Ausdehnung des Uterus, äusserst schmerzhafte
Kindsbewegungen , und bei der Geburt nur einige Esslöffel Fruchtwasser hatte,
und ein im Anfang des 7. Schwangerschaftsmonates lebend in Kopflage geborenen
Kindes ebenfalls mit in starker Flexion gekreuzten, an den Rumpf angepressten
untern Extremitäten, rechtseitigem Platt-, linkseitigem Klumpfuss, dessen gesunde
Mutter im 5. Monate der Schwangerschaft nach heftiger Gemüthsbewegung Wasser-
und Blutabgang aus der Scheide, und von dieser Zeit an öfters wässrigen, mit
blutigem Schleim vermischten Ausfluss gehabt hatte; während ihres Aufenthaltes
in der Entbindungsanstalt konnten in der Folge von Dr. Rapin durch die aufge¬
legte Hand öfters wiederholte Contractionen des Uterus wahrgenommen werden;
die Frau klagte über häufigen wehenartigen Schmerz, sehr schmerzhafte Kinds¬
bewegungen ; bei der Geburt konnte nur nach Austritt des Kindes der Abgang
einiger Esslöffel mit Blut vermischten Fruchtwassers bemerkt werden.
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— 1)11 —
Referate und Kritiken,
lieber Placenta praevia.
Klinischer Vortrag aus der Volkmann'sehen Sammlung. Nr. 99. Von Otto Spiegelberg. Leipzig.
Breitkopf & Härtel.
Die Placenta wird nach Verf. praevia, wenn sie ganz oder theilweise Uber das Seg¬
ment, circa 4 cm. höher als das os internum hinabragt, weil in diesem Falle, in Folge
der stärkern Dehnung der mehr rechtwinklig zur Uterusaxe, also näher dem os int ge¬
legenen Stellen, wohl die Loslösung der Placenta, nicht aber genügender Verschluss der
Gefässe erwirkt wird.
Als disponirende Ursachen sind vorausgegangene Aborten, mehrfache vorausgegan¬
gene oder schnell aufeinanderfolgende Geburten, mangelhafte Involution des Ut. bekannt.
Die Frequenz ist wie 1 : 1000. Placenta prsevia führt leicht zu Abortus und Frühgeburt,
weil bei den Erschütterungen, zu denen die untern Uterustheile, also in dem Falle die
Placentaranheftungsstelle, mehr als die anderen Theile disponirt sind, leicht Rupturen der
Gefässe zu Stande kommen. Diese haben successive Contractionen der Uterusmusculatur,
Lostrennung der Placenta, endlich, also secundär, Blutung aus derselben zur Folge. Die
Blutungen sind am stärksten in der Eröffnungszeit; es steht dies im Zusammenhang mit
der in dieser Periode bedeutenderen Dehnung des untern Uterusabschnittes. Die Schlaff¬
heit der Bauchdecken und der Uteruswandungen, wie sie bei Frauen mit Placenta provia
gewöhnlich sind, ferner die geringe Entwicklung der Uterusmusculatur an der Placentar-
stelle bedingen die so häufig vorkommenden abnormen Fruchtlagen, Wehenschwäche und
die Nachblutungen.
Die Prognose bei Placenta prsevia ist wegen der starken Blutungen sehr ungünstig.
Sp. schätzt die Mortalität auf 30'/o, für das Kind auf Ö0°/ o - (Athmungsinsufficienz, nicht
Verblutung aus der Placenta.) Riecht frühe Diagnose der Abnormität macht die Prognose
schon günstiger; erstere erleichtern die vorbereitenden Contractionen des Uterus, welche
das os internum für den Finger durchgängig machen.
Blutstillung ist erste lndication bei Placenta prsevia. „Diese ist nur durch die Ver¬
kleinerung des Uterus auf dem Wege der möglichst raschen Beendigung der Geburt zu
erzielen. Also in erster Linie Entbindung, eventuell Blasensprengen, in dritter Linie
Tamponade. Die innere Wendung ist bei der Schlaffheit und geringgradig entwickelten Mus-
culatur oft sehr früh möglich. Die Extraction braucht nicht übereilt zu werden; das Be¬
finden der Mutter ist hier maassgebend. Sp. hat bei früher Entbindung von 74 nur 4
Fälle durch acute Anssmie verloren. Ist der Cervix zu schnellem Einschreiten nicht vor¬
bereitet, so ist der einzige Ausweg die Tamponade. (Nach Sp. wird durch Wattebäusch-
chen besser ein wehenerregender Druck bewirkt, als durch den Cautschuktampon.) Sehr
schlimm ist der frühzeitige Wusserabgang; hier ist um so mehr sofortige Entbindung
indicirt. Sp. hat bei Wendung nach Braxton Heaks nicht günstige Erfolge gesehen. Das
Blasensprengen, um wo möglich eine spontane Geburt eintreten zu lassen, ist bei den
ohnehin schwachen Wehen contraindicirt (im Gegensätze zu Schröder) , ebenso die Me¬
thode , die Placenta ganz oder theilweise vor dem Austritt des Kindes abzutrennen.
Bei starker acuter Anämie lasse man die Frau sich zuerst etwas erholen; unter allen
Umständen muss die Nachgeburtszeit mit doppelter Sorgfalt überwacht werden. E. L.
Ueber Haematocele retrouterina in Zusammenhang mit den Ovarialerkrankungen.
Inaugural-Dissertation von Dr. W. Dock. Zürich. (Schabelitz 1876.)
„Die Heematocele extraperitonealis, sive retrouterina ist ein im Douglas' sehen Raume
gelegenes, durch secundäre Peritonitis abgekapselces , von den 8exualorganen geliefertes
Blutextravasat." Diese Form von innern Genitalblutungen ist wohl zu unterscheiden von
dem Hffimatoma extraperitoneale sive periuterinum, wie es Dr. J. Kuhn in seiner an der¬
selben Klinik erschienenen Dissertation (Blutergüsse in die breiten Mutterbänder) be¬
schrieben hat Bezüglich der Pathogenese der Hfematocele retrouterina glaubt Verf., aus
Fällen an der Zürcher gynescologischen Klinik und aus der Privatpraxis von Prof. Fran¬
kenhäuser scbliessen zu müssen, dass die „Hrem. r. in den meisten Fällen ein Product der
Ruptur eines Graa/’schen Follikels , bei einem erhöhten Congestionszustand der Ovarien,
oder bei einer vorausgegangenen oder noch bestehenden Erkrankung derselben sei“. Den
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Zusammenhang von Hsematocele mit Affeotionen der Ovarien haben schon Andere an der
Hand von Sectionen nachgewiesen; aus den klinischen Beobachtungen des Verf. und aus
mehreren aus der Litteratur citirten Fällen ergeben sich ebenfalls als Coroplicationen
Ovarialerkrankungen, und zwar meistens chronische Oophoritiden.
Pathologische Vorgänge in den Ovarien können nun auf folgende Weise die Grund¬
lage zu Blutungen in den Douglas ’schon Raum bilden: 1) durch übermässige ovarielle,
active Congestion während der Menstruation bei gesunden Ovarien; 2) bei kranken Ova¬
rien durch die gewöhnliche menstruelle Congestion (oBdematösc Schwellung, Cysten, Neu¬
bildungen).
In den übrigen, seltenem Fällen entsteht die Heßm. r. leicht bei abortiver Abdominal¬
schwangerschaft, möglicherweise durch passive Hypereemie, und im Zusammenhang mit
Pelvioperitonitis.
Die Symptome der Hiem. r. sind plötzlich auftretender Schmerz, Erscheinungen von
innerer Blutung, Uterinblutungen, Bildung eines Beckentumors, fehlendes Fieber, wenn
die Blutung das Primäre ist Nach Kuhn sind zur Unterscheidung von der Hsem. peri-
uterina für die Hsem. rotrouterina charakteristisch: Der in den ersten Stunden noch ver¬
schiebbare Bluterguss, das Heruntergedrängtsein des hintern Scheidengewölbes, die nach
unten glatte Begrenzung, rundliche Form, die Verdrängung des Ut. nach vorn, der Ver¬
lust der Beweglichkeit, der starke Meteorismus und die continuirlichen Schmerzen. Die
Differentialdiagnose der andern Erkrankungen im kleinen Becken sind bekannt, ebenso
Prognose und Therapie der H®m. r. Bezüglich der Therapie ist wichtig, dass bei der
Hsm. retrouterina das Verhalten ein rein exspectatives sein muss , während die Heem.
periut zur Hinderung eines Durchbruchs in’s Peritoneum meist operativ behandelt werden
soll, E. L.
Die Lungenschwindsucht
Eine „Geissei der civilisirten Gesellschaft“. Von Dr. Paul Niemeyer. (Neue Volksbibliothek,
II. 8erie, Heft 9 und 10.) Stuttgart, Verlag von Levy & Müller. 68 Seiten.
Preis 1 Mark.
In (zuweilen etwas gesucht) populärer Sprache führt Verfasser seinen Lesern zu
Gemüthe, dass die Lungenschwindsucht eine „Geissei der civilisirten Gesellschaft“ durch
eigenes Verschulden dieser letztem geworden sei. Die kritische Besprechung der ver¬
kehrten Lebensweise und Vorsichtsmaassregeln unserer Zeit führt naturgemäss auf den
richtigen Weg zur Verhütung der in Rede stehenden Krankheitsgruppe; dieselbe wird
als ihrem Wesen und Ursprung nach complicirt bezeichnet und auf die ursächlichen Mo¬
mente zurückgeführt. Vor Allem wird die Scheu vor dem Zutritt frischer Luft in die
Zimmer der Gesunden und Kranken streng verurtheilt und im Gegensatz zu ihr die auf
rationeller Diät in jeder Hinsicht beruhende bekannte „Hauscur“ des Verfassers zur Gel¬
tung gebracht. — Das Schriftchen kann aufrichtig willkommen geheissen werden als gut
geführter Streich gegen die Wurzel der tausendjährigen Eiche des Vorurtheils und der
Gedankenlosigkeit in Bezug auf das diätetische Verhalten zur Phthise.
Von den Lebensaltern des Menschen.
Von Dr. J. Wilbrand. (Neue Volksbibi. II., 7 und 8.) 66 Seiten. Preis 1 Mark.
Gegenüber der üblichen Eintheilung des Lehens in Kindheit, Jünglings-, Mannes¬
und Greisenalter macht Verf. die mannigfaltigen Momente geltend, welche auf die Dauer
desselben einen bestimmenden Einfluss üben. In den ersten 2—5 Lebensjahren ist die
Sterblichkeit am grössten, abhängig von dem noch wenig resistenzfähigen kindlichen Or¬
ganismus. Späterhin hängt sie von Klima, Beschäftigung, Culturverhältnissen, selbst vom
Geschlecht ab, indem die Wahrscheinlichkeit der längern Lebensdauer für Individuen
weiblichen Geschlechts auf 10 Jahre zu berechnen ist. Auch nach den Racen machen
sich Verschiedenheiten geltend; die kaukasische ist dabei am günstigsten gestellt Die
kleine Arbeit ist sehr instructiv und interessant, viele statistische Tabellen erläutern
und illustriren sprechend die Deductionen für die Hygieine; nur dürften leider dem nicht
höher gebildeten Publicum diese Zahlenbilder nicht allgemein und unmittelbar verständ¬
lich sein.
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Die Kindersterblichkeit.
Von Dr. Oeslerlen. (Neue illustrirte Jugend- und Volksbibliothek, I. Jahrg. 8. Heft.)
Stuttgart. Lewy & Müller. 31 Seiten. Preis 10 Pfennige.
Während es einerseits bei der Zartheit des Organismus und der Hülflosigkeit der
Kinder ira ersten Lebensjahre nicht als eigentlich naturwidrig erscheinen kana, dass die
Sterblichkeit eine grössere ist als in irgend einem andern Lebensalter, so ist doch un¬
zweifelhaft , dass dieses Missverhältnis? noch durch mancherlei Verkehrtheiten in der
Pflege gesteigert wird. Dahin gehört namentlich unzweckmässige Ernährung, wo die
Brust nicht zu Gebote steht; zu empfehlen sind in solchem Falle Kuhmilch, condensirte
Milch und Nestle' s Kindermehl Dem Kinde muss ferner nach Bedarf frische Luft gebo¬
ten werden; rascher Temperaturwechsel ist von ihm abzuhalten. — Die Details sind
sprechend gewählt und die verbreiteten Vorurtheile oft in sehr drastischer und humoristi¬
scher Weise ad absurdum geführt. Trechsel.
Ueber die leichteren Formen des Abdominaltyphus.
Von Th. Jvrgensen. {Volkmann' s Sammlung klinischer Vorträge Nr. 61.) Leipzig,
Breitkopf & Härtel.
Prof. Jürgensen in Tübingen weist in der ihm eigenen bündigen und doch anziehenden
Sprache die Existenz und verhältnissmässig grosse Verbreitung von Typhusfäilen leichte¬
sten Verlaufes nach. Dieselben werden, da ein einzelnes charakteristisches Symptom
fehlt, häufig verkannt und als Magencatarrhe, febrile Bronchitis etc. betrachtet. Dabei
legt er grossen Werth auf den Nachweis solcher leichter Fälle für die Lehre von den
acuten Infectionskrankheiten überhaupt, da aus gemeinsamer Ursache nothwendig ver¬
schieden intensive, nur graduell verschiedene AffectioneD entstehen müssen , je nach der
Intensität der Infection, Disposition des Individuums etc. Diese leichten Typhen haben
immer das gemeinsam, dass neben mehr oder minder ausgesprochenen Localsymptomen
(den bekannten) febrile Ersoheinungen und unverhältnissmässig grosse, dem Temperatur¬
grade nicht entsprechende Abgeschlagenheit (8tatus typhosus) auftreten. Was hauptsäch¬
lich den Typhus zu einem leichten macht, ist die kurze Dauer des Verlaufes bis zur
Fieberlosigkeit; die Convalescenz ist aber auch in diesen Fällen eine protrahirte.
Trechsel.
Kantonale Correspondenzen.
Da« MilUftrsanltätsweseii im Trappenzasammeniage der
V. Armeedivision, September 1877. Nicht ganz ohne Bangen sahen wir
dem Truppenzusamraenzuge der V. Division entgegen; mancherlei war es, das unsere
Bedenken hervorrief; in erster Linie jene etwas geschraubte Stimmung zwischen Offizie¬
ren und Aerzten. wie sie nach einem mit so unerhörter Heftigkeit geführten Federkampf
nur zu begreiflich war, und dann war es ja die erste grössere Truppenübung, in welcher
die neue Organisation des Sanitätsdienstes, wenn auch lückenhaft, zur Anschauung kam;
endlich stellt die neue Marsch- und Gefechtsordnung an jeden Offizier, so auch an jeden
Arzt, besonders an die Führer des Feldlazarethes und jeder einzelnen Ambulance ganz
andere Anforderungen in Bezug auf tactische Kenntnisse, als dies früher der Fall war,
eine Behauptung, die zwar in Bezug auf die Aerzte von den sogenannten combattanteu
Offleieren vielfach bestritten wird, auf die wir aber weiter unten zurückkommen werden.
Was die beiden ersten Bedenken anbelangt, haben wir uns, einen einzigen Zwischen¬
fall ausgenommen, vollständig getäuscht. Das Verhältniss zwischen Truppenleitung und
der Sanitätsbranche war, Dank der Einsicht und dem Entgegenkommen des Herrn Oberst-
Divisionärs Rothpletz und seines Stabschefs Colombi einerseits und der liebenswürdigen Per¬
sönlichkeit unseres Divisionsarztes Dr. Munzinger von vorneherein ein sehr gutes ; ver¬
gessen wir nicht zu sagen, dass Herr Oberst Rothpletz sich bei Reorganisation des Saüi-
tätswesens lebhaft betheiligte und stets ein warmes Interesse für Medicin und Militär¬
sanität gezeigt hat. In Bezug auf den zweiten Punct können wir mit Befriedigung con-
statiren, dass auch hier unsere Bedenken völlig unbegründet waren; wir hatten uns
nämlich gefragt, ob nicht die Stellung des Feldlazarethchefs dem Divisionsärzte gegenüber
zu Collisionen mancherlei Art führen könnte; von alledem keine Rede, gegentheils wurde
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die divisionsärztliche Leitung durch die energische uud tactvolle Unterstützung des Feld-
lazarethchefs Dr. Hirt in hohem Qrade erleichtert. Wir werden kaum je dazu kommen,
per Division ö Ambulancenchefs zu finden, welche genügende Einsicht in Tactik, genug
Energie in der Truppenführung, genug Selbstständigkeit der Handlung haben, um recht¬
zeitig allen Marsch- und Gefechtsverhältnissen Rechnung zu tragen, und da ist allerdings
eine feste Hand, welche diese Eigenschaften besitzt und welche zugleich den Verkehr
mit der Oberleitung vermittelt, in hohem Grade nothwendig; vergessen wir aber nicht,
dass gerade hier auf die Persönlichkeiten des Divisionsarztes und des Feldlazarethchefs
sehr viel ankommt und dass wir bei der V. Division in dieser Beziehung ungemein glück¬
lich bestellt waren.
Gehen wir nach diesen einleitenden Bemerkungen zum historischen Theile unserer
Relation Uber. Als Vorbereitung zum Truppenzusammenzug wurde von ärztlicher 8eite
der Divisionsbefehl Nr. 14 herausgegeben, bearbeitet von Herrn Oberstlieutenant Dr. Mun¬
zing er. Derselbe zeichnet sich vor den frühem durch grössere Präcision und Kürze aus;
allerdings war ein wichtiges Capitel, das der Marschdieciplin, uns entrissen und von rein
militärischer Seite bearbeitet worden, wir hätten gerade hier ein Zusammengehen der
militärischen und sanitarischen Anforderungen gewünscht. Als Spitäler wurden angewie¬
sen das Gemeindespital Aarau mit 20—25 Betten , unter der Leitung des Spitalarztes
Herrn Dr. Bircher, dem späterhin eidgenössische Krankenwärter, in den letzten Tagen
auch ein Assistenzarzt zur Hülfe beigegeben wurden, ferner die Bürgerspitäler von Solo¬
thurn und Basel und das Cantonsspital in Liestal; von Königsfelden musste abgesehen
werden, da es stets überfüllt ist; auch verzichtete man auf ein kleines aber alleiliebstes
Barackenspital, das die Fabrikbesitzer von Windisch für ihre kranken Fabrikarbeiter hatten
errichten lassen, weil es etwas zu abgelegen war.
Vom Divisionsarzt war an jedes Corps, sowie an die Ambulancen ein Vorrath von
Fusspulver zur Vertheilung an die fusskranke Mannschaft abgegeben worden.
Diese Maassregel wurde vom Herrn Oberfeldarzt als zur Verschwendung führend
beanstandet, dagegen von der grossen Mehrzahl der Aerzte sehr lebhaft begrüsst und wir
glauben des entschiedensten, dass der ausgedehnte, vielleicht auch verschwenderische Ge¬
brauch des Fusspulvers die relativ kleine Zahl der Fusskranken und die enorm rasche
Herstellung derselben bewirkt hat, so dass nach einem einzigen Ruhetag je weilen nahezu
die ganze Mannschaft wieder manövrirfähig war. Von einzelnen Aerzten wurde der
Wunsch nach Hebraealbe laut; es kann keinem Zweifel unterliegen, dass eine gute direct
aus 01. olivarum und Lithargyrum bereitete Hebrasalbe in manchen Fällen bessere Hülfe
leistet als das Fusspulver, dagegen lässt sich dieselbe, abgesehen vom hohen Preise, nicht
lange aufbewahren, so dass die nicht benutzten Vorräthe von einem Dienste zum andern
verderben. Auch von Seite der Officiere und Mannschaft wurde hie und da der Ruf
nach FussBalbe laut, und einer unserer tüchtigsten und beliebtesten Bataillonsärzte hat
seine stricte und durchaus correcte Befolgung der oberfeldärztlichen Vorschriften mit einer
in keiner Weise gerechtfertigten scharfen Polizeistrafe büssen müssen, eine Bestrafung,
die weit entfernt, seinem Ansehen zu schaden, gegentheils ihm nur erhöhte Sympathien
von Seite aller seiner Collegen, sowie, wir wissen dies aus sicherer Quelle, seiner Came-
raden, der Officiere seines Bataillons, erworben hat, um so mehr, als er, an einem schwe¬
ren und sehr schmerzhaften Panaritium leidend, mit grösster Hingebung und Gewissen¬
haftigkeit seinen Dienst versehen hat. Der betreffende Truppenofficier musste denn auch
seine Verletzung des militärischen Taotes mit Arrestatrafe büssen; wir hätten am liebsten
von diesem einzigen Confliot der Sanität mit den „combattanten“ Officieren gänzlich ge¬
schwiegen, um nicht in das sich wieder neu anknüpfende cameradscbaftliche Verhältniss
der Truppen- und der Sanitätsoffldere einen Spahn der Zwietracht zu werfen, wir haben
uns auch der Argumentation des Divisionscommandos, mit dem wir principiell nicht ganz
einverstanden sind, aus demselben Grunde unterworfen, wir glaubten aber doch unserm
gekränkten Collegen eine Erklärung unserer Zustimmung und unserer Sympathie schuldig
zu sein, um so mehr, als der Fall in weitern Kreisen bekannt geworden ist
Neben der Verabreichung von Fusspulver wurde Citronensäure an die verschiedenen
Corps abgegeben, um in Fällen von Sonnenstich Versuche zu machen; die kühle Witte¬
rung hat glücklicherweise keinen Anlass zu Verwendung derselben Vorkommen lassen;
doch glauben wir, dass bei Manövern zur Sommerszeit ein Mittel Berücksichtigung ver-
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dient, das neuerdings von militärärztlioher Beite so warm gegen jene gefürchtete Affection
empfohlen wurde.
Wie in den letzten Truppenzusammenzügen wurden auch diesmal die Bataillon Bärste,
sowie von jedem Artillerieregiment ein Arzt zu einem Vorcurs in Verbindung mit den
Aerzten des Feldlazarett», sowie diesmal auch ein Theil der Sanitätsmannschaft der Corps
in Basel unter dem Commando des Herrn Oberst Ruepp und des Herrn Major Hirt ver¬
einigt ; wir hoffen, über denselben von einem der Theilnehmer einen Specialbericht zu
bekommen. *)
Im Gunzen ist bei Aerzten und bei Truppenofficieren die Stimmung nicht gerade
günstig für Abcommandirung eines so erheblichen Theils des Sanitätspersonals ; jetzt wo
das Bataillon nur 2 Aerzte zählt, ist es dem einen, meist auch noch im Militärdienst
praotisch unerfahrenen Assistenzarzt kaum möglich, den Sanitätsdienst bei einem ganzen
Bataillon nur einigermaassen ordentlich zu versehen, so dass in dieser Hinsicht von allen
Seiten viele Klagen laut wurden ; andererseits scheint uns der Nutzen des Vorcurses für
die Bataillonsärzte sehr problematisch zu sein, manche Rapporte Messen durchaus nichts
von einer eben durchgemachten Instruction erkennen; uns erschiene eine kurze, etwa
halbtägige Vereinigung möglichst aller Aerzte der Division zu Beginn der Manöver unter
dem Vorsitze des Divisionsarztes, bei welcher kurze, die Einheit des Verfahrens be¬
zweckende Instruotionen könnten gegeben werden, rationeller zu sein; zudem sehnten sich
die Corpsärzte nach ihren Truppen, die im Vorcurse höchst anstrengende, aber auch in¬
teressante Manöver zu machen hatten.
Am 15. fand die Vereinigung der Division in engen Cantonnementen in der Umge¬
bung des Birrfeldes bei Brugg statt; das Feldlazareth hatte den Marsch von Basel nach
Brugg zu Fuss unternommen, mit Nachtrast in Stein. Genau zur festgestellten Stunde
passirte die Truppe in militärisch strammer Haltung Brugg, Offleiere und Mannschaft
wohlauf, vom besten Geiste beseelt; 3 Uhr 30 Minuten wurde die Reussbrücke bei Win-
disch passirt und in Reuss Nachtquartier genommen. Hat schon diese Exaotheit des
EinrUckens, die treffliche Marschdisciplin der Truppe einen sehr günstigen Eindruck ge¬
macht, so konnte die entschiedenste Anerkennung nicht ausbleiben bei der am folgenden
Tag stattfindenden Inspection der V. Armeedivision auf dem Birrfelde durch Herrn Bun¬
desrath Scherrer.
Waren von Seite des Stabschefs die Dispositionen für den Anmarsch und für die
Aufstellung der in 4 Colonnen anmarschirenden Division mit einer bewundernswerthen
Umsicht getroffen, so hat andererseits das Feldlazareth mit einer Ruhe und Sicherheit
seine Stellung auf dem weiten Felde gefunden und eingenommen, die andern Truppen-
theilen als Beispiel dienen konnte. Auch das Defiliren gelang sehr gut; unsere Officiere
und Mannschaft marschirten vorzüglich, die Fuhrwerke waren schön ausgerichtet; die
sonst so geläufigen Spottreden beim Auftreten der Ambul&ncen verstummten völlig und
mit Befriedigung konnte der Divisionsarzt sein Häuflein vorbeidefiliren sehen. Noch ein
Anderes haben wir bei dieser Gelegenheit mit grosser Freude bemerkt: die berittenen
Aerzte hatten durchschnittlich gute Pferde und es wurde von denselben mit wenigen
Ausnahmen recht gut geritten, ganz im Gegensatz zu frühem Zeiten.
Am Abend des 16. war der Stab des Feldlazarett» mit Ambulance 28 und 25 in
MülMngen, Ambulance 21 bei der Vorhut in Othmarsingen im Cantonnement. Die Divi¬
sion stellte Vorposten aus an die Büozlinie Möriken-Hendschikon.
Am 17. rückte die Vorhut bis zur Stellung sm Staufberg vor, mit ihr die Ambu¬
lance 21, welche in Staufen sich etablirte. Der Feind stand bei Schafisheim und es ent¬
spann sich sofort ein Artilleriekampf, welcher im Ernstfall der Ambulance manchen Ver¬
wundeten zugeführt hätte. Indessen war der Rest des Feldlazarett» in Braunegg am
Rendez-vous des Gros eingetroffen und über Mägenwyl nach Hendschikon vordirigirt
worden; dort sollte es nach Befehl des Commandanten des Gros weitere Weisung ab-
*) Wie wir mit Bedauern vernehmen, soll der diesen Vorcurs commandirende Oberinstructor
so sehr vergessen haben, dass er nicht russische Recruten, sondern gebUdete Officiere — wir sagen
absichtlich nicht Collegen — vor sich habe, dass 27 von den 80 Theilnehmern sich geswungen ge¬
sehen haben, eine Beschwerde dem Militärdepartement einzureichen. Wir unterdrücken hier einige
sehr naheUegende Bemerkungen und erwarten den Entscheid der seither erhobenen Untersuchung.
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warten; diese lautete, nach der Strasse Lenzburg-Seon vorzurüoken, der Befehl traf aber
nicht ein, ebenso wenig ein directer Befehl des Divisionsarztes, da der Aufenthalt des
Feldlazareths unbekannt war; der Cornmandant des Gros hatte nämlich einen andern
Weg eiDgescblagen, als von der Division aus war angenommen worden und aus der
hieraus folgenden Confusion war es bei dem äusserst coupirten Terrain leicht möglich,
einen so kleinen Truppentheil, wie die 2 Ambulancen, zu verlieren. Bei dem Ausbleiben
jeden Befehls ging der Lazarethchef bis Lenzburg vor und traf den Stab bereits vom
Gefechte zurückgekehrt daselbst, letzteres war nach dem ebenfalls verspäteten Eintreffen
des Gros ein sehr lebhaftes gewesen und hätte die Thätigkeit aller 3 Ambulaucen in
Anspruch genommen.
Bei dem Mangel an Reitern waren die dem Divisionsarzt laut Reglement zuzutheilen-
den Guiden nicht zu erhalten und die ganze Arbeit der Befehlstlberbringung lag dem
divisionsärztlichen Adjutanten ob, der mit dem einen ihm zustehen ien Pferde nicht ge¬
nügte, um die ganze Gegend abzusuchen; der Hauptfehler lag aber an einer unabsicht¬
lichen Divergenz zwischen Divisionsstab und Commando des Gros ; er zeigt uds aber, wie
oft gerade in einem solchen Falle die Ambulancen auf selbstständiges Handeln angewie¬
sen sind. Um die Verbindung mit der Befehlgebung der Division zu erleichtern, wurde
angeordnet, dass fürderhin die Adjutanten aller Abtheilungen jeweilen Morgens und
Abends an bestimmten Rendez-vous sich einzufinden hätten; diese Maassregel hat sich
in der Folge sehr bewährt. Da aber das Feldlazareth keinen Adjutanten hatte, so ging
der Chef desselben selbst hin oder sandte den Adjutanten des Divisionsarztes.
Am 18. sollte die Wina-Suhrlinie genommen werden, hinter welcher am Suhrerkopf
und bei Buchs der Feind starke Positionen eingenommen hatte. Das Feldlazareth, wäh¬
rend der Nacht in Ilunzenschwyl und Hendschikon cantJnnirt, rückte bis nach Brestenegg
in eine vorläufige Position vor und etablirte, alle 3 Ambulancen vereinigt, nach der Ein¬
nahme von Suhr in letzterem Dorfe; vielleicht hätte sich empfohlen, eine Ambulance an
das rechte Seitendetachement abzugeben und in Rohr etabliren zu lassen , um den im
heftigen Kampfe um Buchs Verwundeten Aufnahme zu gewähren.
Der Feind zog sich gegen Olten zurück , die Holzbrücke bei Gösgen verbrennend.
Ambulance 25 cantonnirte in Kölliken, die beiden übrigen in Aarau.
Am 19. grosser Angriff auf den Hauenstein. Früh Morgens wurde bei Gösgen eine
Pontonbrücke geschlagen ; hiebei ereignete sich das Unglück, dass 2 der bravsten Pon-
tonnierunterofficiere ertranken, indem ein Rettungsboot von einem Ponton überfahren wurde,
dessen Anker sich gelöst hatte. Von den 3 im Boote befindlichen Leuten rettete sich
einer, indem er sich am Ponton halten konnte.
Die Avantgarde, welcher Ambulance 25 zugetheilt war, sollte den linken Flügel der
Division und den Aareübergang bei Gösgen decken, späterhin auf Trimbach vorrücken;
das Gros marschirte auf steilen Bergwegen Uber Marren gegen die Frohburg vor, mit
ihm Ambulance 23; das rechte Beitendetachement sollte von Lostorf aus über Burg hin¬
ter dem Dottenberg hinauf, der Position des Feindes auf der Frohburg in die Flanke
fallen; ihm war Ambulance 21 zugetheilt. Bei der Steilheit der Wege wurde der ganze
Train zurückgelassen und über Gösgen nach Trimbach instradirt, sobald der Hauenstein
im Besitz der unsrigen war. Auch die Ambulancenfuhrwerke des Gros und des rechten
Seitendetachements hatten diese Weisung vom Divisionär bekommen, wie wir glauben,
mit Recht, da auf den Höhen des Jura schon am ersten Tag alles Geniessbare aufge-
gessen war, ein Lazarcth also dort kaum hätte etablirt werden können; allerdings hätte
bei äusserster Nothwendigkeit, wenn man Mannschaft, Pferde und Material auf’s Spiel
setzen wollte, die Partie forcirt werden können; für ein Friedensmanöver hatte dies kei¬
nen Zweck; man begnügte sich daher, den Colonnen die Mannschaft der Ambulancen
mit Brancards und Verbandtaechen folgen zu lassen zur Verstärkung des Corpssanitäts¬
personals. Glücklicherweise lief Alles ohne Unglück ab, was uns bei der Artillerie, die
unerhörte Anstrengungen machen musste, um herauf zu kommen, billig verwunderte. Am
Abend des 19. cantonnirte Ambulance 25 in Trimbach, 28 in Läufelfingen, 21 in Zeg-
lingen. Der hierauf folgende Ruhetag wurde benutzt, um Ambulance 23 nach Eptingen,
Ambulance 25 nach Läufelfingen zu instradiren, da die Division in 3 Colonnen 3 ver¬
schiedenen Tbälern folgen sollte, deren jeder eine Ambulance zugetheilt wurde.
Indessen hatte sich der Feind nach Sissach zurückgezogen und bei Itingen eine feste
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Stallung eingenommen, ein sehr heftiger Kampf entbrannte hier, so dass in aller Eile die
etwas weit zurückgebliebenen Ambulancen mussten herbeigeholt werden.
Auch diesmal wieder war voa den Brigaden aue den Ambulancen Halt geboten
worden, ohne sie später nachzuziehen, so dass sie hinter den ganzen Train der Colonne
kamen, was entschieden zu weit zurück ist, wenn nur 3 Ambulancen folgen; die 2 an¬
dern konnte man sich in Reserve denken. Das Schulhaus Sissach wuide als Feidlaz&reth
eingerichtet, im Ernstfall würde eine der Fabriken an der Ergolz, weil geschützter gele¬
gen, gewählt worden sein. Ambulance 23 war Uber Ramlinsburg dem linken Detache¬
ment gefolgt und cantonnirte in Liestal, Ambulance 21 und 25 io Sissach.
Der letzte Gefechtstag war der 22. September. Das Gefecht entspann sich in der
Gegend von Pratteln , wobei, nicht zu weit zurück , 2 Ambulancen in Frenkendorf und
Niederschönthal, 1 in Reserve in Liestal standen; bei Fortdauer des Gefechtes hätte nach
der Räumung der feindlichen Stellungen am Maienfels eine Ambulance nach Pratteln Vor¬
gehen müssen, es wurde aber Feuereinstellen geblasen uud damit die Manöver der V. Di¬
vision beendet. Alle 3 Ambulancen sollten nach Sissach zurück, um folgenden Tages
laut Befehl des Divisionärs ihr Material in Aarau abzugeben; es kam aber Contreordre
vom Herrn Oberfeldarzt, welcher die Abgabe in Basel befahl. Hieraus entstand etwelche
Confusion und mannigfaltiges Hin- und Herschreiben, da die Dislocatiou von nahezu
10,000 Mann keine kleine Sache ist und in alle Details hinein genau bestimmt
war. Ausserdem hatte Ambulance 23 zu spät den Befehl von der Brigade erhalten,
von Frenkendorf nach Sissach abzurücken; sie blieb daher die Nacht au obigem Orte
und fuhr am 23. Morgens nach Sissach, wo alle 3 Ambulancen ihre Pferde an das
Trainbataillon V abgaben, die Fuhrwerke und Mannschaften per Eisenbahn nach Basel
fuhren; daselbst fand dann nach Uebergabe des Materials am 24. Morgens die Entlas¬
sung statt
Nach dieser kurzen historischen Aufzählung der einzelnen Dislocationen und Gefechts¬
tage sei es uns noch gestattet, einige allgemeine Bemerkungen anzubringen. Vor Allem
constatiren wir mit Freuden, dass Ordnung und Disciplin bei Officieren und Soldaten des
Feldlazaretbs musterhaft gehondhabt wurde, uud dass Liebe zur Sache und Eifer im
Dienste, gute Cameradschaft und muntere Stimmung sich allgemein erkennen liessen, d i e
Sanität blieb hierin nicht hinter andern Truppen zurück. Hie und da
wurde über Abweisung von Kranken geklagt, die nicht von den Ambulancen seien auf¬
genommen worden; im einen Fall handelte es sich um 5 Marode in Wohlenschwyl vom
Bataillon 51, welche ohne Krankenpässe waren, im andern um einen simulirenden Kran¬
kenwärter von Batterie 28, welcher nachträglich von einer andern Ambulance aufgenom¬
men, aber schon am folgenden Tag wieder zum Corps entlassen wurde.
Den Ambulancen wurde vom dritten Gefechtstag an Verpflegung durch die Gemein¬
den vorgeschrieben, was bei den kleinen Truppenkörpern wohl anging und im Ganzen
befriedigte.
Zum Transport etwaiger Schwerkranker stand zur Verfügung des Divisionsarztes ein
Krankenwagen zum Eisenbahntransport in Brugg, welcher successive nach Rupperswyl
und Läufelfingen beordert, glücklicherweise aber nie benutzt wurde. Es war ein N.-O.-B.-
Wagen 3. Klasse, zur Hälfte mit Sitzplätzen , in der andern Hälfte mit 4 in Hanfgurten
hangenden Betten ausgerüstet. (Die obern Betten waren zu hoch angebracht und hätten
beim Ein- und Ausladen der Patienten grosse Schwierigkeit veranlasst.)
Auch die Corpsärzte haben ihren Dienst im Ganzen recht ordentlich versehen, ob¬
gleich es, trotz des VorcurBes, mit den Rapporten immer noch hapert; nicht allein, dass
dieselben meist imgemein verspätet einrückten, das war theilweise bei den vielen Dislo¬
cationen dem Postdienst zuzuschreiben, aber die Rapporte selbst waren oft flüchtig ge¬
macht, tbeils stimmten sie nicht mit den vorhergehenden, theils waren in der Specificirung
der Krankheiten alle Kranke aufgeführt, statt nur die neu hinzugekommenen, theils fehlte
hinten der Ausweis über die Evacuirten, nach Hause Entlassenen etc. Dass Kranke ohne
Krankenpass in Ambulancen geschickt wurden, wurde schon erwähnt; es muss aber auch
bemerkt werden, dass unsere Krankenpassformulare für den Gebrauch auf dem Marsche
viel zu complicirt sind und dass es besser .wäre, den Corpsärzten Ch6quebüchlein mit ab¬
reissbaren Zetteln zu geben, welche nur Name und Corps, Krankheit und Evacuations-
bestimmung des Kranken enthielten; das gleiche würde auf dem zu Händen des Arztes
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restlrenden StUok notirt und der vollständige Krankenpass Abends vom Fourier oder
Quartiermeister ausgefüllt und dem Kranken nachgesendet.
Ein entschiedener Fehler, nicht der Aerzte, sondern der Corpscommando’s war, dass
die Corpsärzte sehr häufig nioht wussten, wo die Ambulancen cantonnirten; die Ambu-
lancen selbst haben keine Organe, um ihre Existenz den Corpsärzten bekannt zu geben,
ebonso wenig ist der Divisionsarzt und dessen Adjutant selbst mit 2 Guiden im Stande,
bei den oft weiten Detachirungen allen 13 Bataillons-, 6 Batterieärzten, dem Arzt des
Dragonerregiments, demjenigen des Genie, der Parkcoionnen und der Verwaltungstruppen
speciell Anzeige zu machen, wo auf dem Marsche und jeweilen Abends die Ambulancen
sich befinden; wohl aber erhält jeder Chef eines Truppencorps die Marschbefehle und
die Dislocirungen für alle Truppen, auch der 3 Ambulancen; er kennt also die letstern
und könnte mit Leichtigkeit den sein Corps bildenden Truppeneinheiten zu Banden ihrer
Aerzte eine kleine Notiz hierüber geben, dies ist in unsern Augen der einzige Weg, auf
dem hier kann geholfen werden, er kam aber trotz mehrfacher Verwendung des Divisions¬
arztes nie zur Ausführung. Die Aerzte gehören zum Stab der Truppeneinheit und sollten
von dort aus ihre Renseignements erhalten.
Der Dienst des Divisionsarztes war gegen früher namentlich dadurch sehr erleichtert,
dass ihm ein Stabssecretär beigegeben war; derselbe hat sich durch Zuvorkommenheit,
Fleiss und Intelligenz gleich sehr ausgezeichnet und damit sich die Achtung des gan¬
zen Divisionsbureau erworben; auch die Verfügung des Oberstdivisionärs war höchst
zweckmässig, alle Branchen des Divisionsbureau möglichst local zu vereinigen, so dass
der gegenseitige Verkehr ungemein erleichtert und gefördert wurde und die Fühlung der
einzelnen Theile der Truppenleitung eine sehr intime war. Zu wünschen wäre noch
immer eine Bureaukiste zur Aufbewahrung von Tinte, Federn, Papier, Enveloppen, Rap¬
porten, Formularen, Stempel, Regiementen, Karten etc. Alle Abtheilungen des Stabs¬
bureau haben schon längst solche, nur der Divisionsarzt muss sich noch immer mit seinem
Privatkoffer behelfen; dasselbe Postulat wurde auch schon früher gemaoht. Für Quartier
von Mann und Pferden des Divisionsstabes, sowie für die Verpflegung der letztem wurde
vom Commissariat und von eigens commandirten Officieren viel besser, als dies früher
der Fall war, gesorgt.
Der Gesundheitszustand der Truppen war im Ganzen ein vortrefflicher, theils der
günstigen Witterung (meist kühl) wegen, theils deswegen, weil bei der grossen Zahl der
Ueberzähligen alle nicht ganz feldtüchtigen Leute konnten ausgemustert werden, theils
endlich, weil die Mannschaft der ganzen Division, vom besten Geiste beseelt, gute Ord¬
nung und Mannszucbt hielt
Die grösste Zahl der Krankheitsfälle nahmen die Fusskranken ein, besonders in den
ersten Tagen der Vorcurse, wo sehr nasse Witterung herrschte und das Schuhwerk, nicht
gehörig gefettet, hart und steif wurde. Diarrhosen und Bronchialcatarrhe lieferten auch
ein'ordentliches Contingent, was bei den kühlen Nächten nicht zu verwundern ist, um so
weniger, als Wolldecken, um den 8oldaten nicht zu sehr zu belasten, nicht waren mitge¬
nommen worden; schwerere Erkranxungen kamen nicht vor; von Verletzungen sind zu
nennen eine Fractura tibi® im untern einige Distorsiones pedis, meist durch Stürzen
von Pferden, endlich eine 8chussverletzuDg mit Verbrennung des Auges. Genauere An¬
gaben über die Kraukenzablen und die Krankheitsfälle werden später folgen.
Ueber die Verpflegung der Mannschaft wurden mancherlei Klagen laut, wie immer
bei grössern Truppenmanövern, namentlich wird dem Einzeln-Kochgeschirr immer noch
eine sehr kühle Aufnahme bereitet; die Inanspruchnahme so zahlreicher Mannschaft nach
dem Einrücken von anstrengenden Märschen und Manövern hindert ein Populärwerden
dieser Einrichtung.
Das Materielle der Verpflegung, Fleisch und Brod, waren gut, dagegen klappte der
Organismus der Proviantoolonnen noch nicht recht, so dass Truppen oft 86 Stunden von
einem Abkochen zum andern warten mussten, eine Frist, die entschieden zu lange ist.
So waren die Leute manchmal auf Verpflegung aue eigener Tasche angewiesen: „der
Dienst wäre wohl ganz recht“, meinten einige Aargauer, „aber er kostet gar viel Geld“.
Versuche mit Surrogaten und Conserven wurden, soviel uns bekannt, diesmal nicht ge¬
macht Die Truppen befinden sich bei uns mit einem guten „Spatz“ am besten.
Wir können unsere Relation nicht sohliessen, ohne nochmals zurückzuweisen auf die
Di:
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entschiedenen Fortschritte, welche seit der Einführung der neuen Militärorganisation in
allen Branchen des schweizerischen Militärwesens, namentlich aber auch in der Sanitäts¬
branche, sind gemacht worden, und die Hoffnung auszusprechen, dass, wenn einmal der
Most sich geklärt hat, wenn namentlich auch all’ das Trübe, das da und dort noch aus
alter und neuer Zeit in unserer Militärbureaukratie sich zeigt, eliminirt sein wird, auch
aufs Neuo das Volk erkennen werde, dass wir nicht allein in hominum confusionem et
invidiam uns verlassen, sondern durch die FeldtUchtigkeit unserer Armee dem Gegner
Respect, dem Verbündeten Vertrauen einflössen müssen, soll anders unsere Unabhängigkeit
bewahrt bleiben. - * *
Der internationale CengreM der medicinischen Wissensehaften
in Genf.
(9.—15. 8eptember 1877.)
III.
Chirurgische Sectio n.
Der für den ersten Tag angemeldete Redner, Prof. Verneuil aus Paris, erläuterte in
eingehender Weise das Verhalten, welches die Chirurgie der Schwangerschaft
gegenüber zu beobachten hat. Das Bestreben des Redners ging hauptsächlich dahin,
an der Hand des freilich noch recht spärlich vorhandenen Materials zu zeigen, wie es
heutzutage nicht mehr rationell ist, einfach in der Schwangerschaft eine absolute Contra-
indication gegen jeden chirurgischen Eingriff zu sehen, sondern womöglich die Indicatio-
nen zu präcisircn, die chirurgische Eingriffe auch während dieses Zustandes nicht nur ge¬
statten , sondern selbst dringend erfordern , anderseits aber auch die Contraindicationen
bestimmter zu formuliren. Da gegenwärtig schon eine ziemliche Anzahl von Fällen be¬
kannt ist, bei denen selbst schwere Eingriffe, wie Ovariotomien, während der Schwanger¬
schaft ganz ungestört glücklich verliefen, so räth V. bei Affectionen, welche das Leben
der Mutter direct gefährden oder Neigung haben, unheilbar zu werden, oder ein Geburts-
hinderniss bedingen, zu operiren, die Operationen dagegen zu verschieben in Fällen, wo
kein periculum in mora besteht oder nur minder wichtige Organe betroffen sind. Als ab¬
solute Contraindicatiou gegen operative Eingriffe betrachtet V. das Wochenbett.
Die Versammlung schloss sich nach kurzer Discussion, in der noch mehrere hieher
gehörige, glücklich abgelaufene Fälle erwähnt wurden, den Ansichten des Redners an.
Darauf besprach Prof. OUier von Lyon in längerem Vortrag die Endresultate der
Gelenkresectionen und machte namentlich auf den grossen Unterschied aufmerksam,
der mit Bezug auf diesen Punct zwischen der Kriegs- und Friedenspraxis besteht. Ver¬
mittelst seiner eigenen Methode erzielt 0. stets die besten Resultate, was die Function
betrifft, bei nicht zu weit vorgeschrittenen Fällen von Caries in noch jugendlichem Alter,
indem er die Knochenenden nicht zu ausgiebig resecirte, das Periost stets mit allen Seh¬
nen und Muskelansätzen dadurch erhält, dass er mit dem geraden scharfen Raspatorium
lieber einen kleinen Knochentheil an dem Sehnenende oder an dem Ligament sitzen lässt,
als die Fasern desselben zerreisst. So hat er nach der Schulterresection stets
den ganzen Deltoides ohne die gewöhnliche Depression erhalten, und es resultirte ein
Gelenk, in dem die Bewegung stetig erfolgte und durchaus kein Schlottern zeigte. Auch
bildete sich wieder ein kleiner neuer Humeruskopf auf kurzem Halse aus. Nach der
Ellenbogenresection war die Regeneration so vollständig, dass wieder eine Art
von Condylen am untern Humerusende sich bildete und die Ginglymusbewegung sich
wiederherstellte. Die Regeneration des Olecranons war öfter eher etwas störend für die
Bewegung, da dieses mitunter hackenförmig gekrümmt erschien. Für das Hand¬
gelenk stellt sich die functionelle Regeneration in allen Fällen weit ungünstiger und
nirgends sind die Recidiven der Caries häufiger als an diesem Gelenk. Für das Knie
hielt 0. eine Einschränkung der Resectionspraxis für das Kindesalter höchst angezeigt,
da das nachher eintretende Zurückbleiben des Wachsthums doch sehr störend wird und
die Caries dieses Gelenks im Kindesalter fast immer spontan heilt. Entgegen den andern
Gelenken ist hier die knöcherne Ankylose das anzustrebende Resultat Ist die Operation
indicirt, so ist das 14.-15. Lebensjahr die beste Zeit dafür. Auch die Hüftgelenk-
resection sollte eingeschränkt werden und 0. will sie im Kindesalter nur gelten lassen
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1. für ganz acute Fälle eitriger Coxitis , wo Pywmie droht, 2. für weit vorgeschrittene
Fälle von Carics.
Die Resultate der im letzten Kriege Resecirten haben nun gezeigt, dass sie den Er¬
wartungen neuerdings nicht entsprochen haben, wie dies die von deutscher Seite gegebe¬
nen Zusammenstellungen zeigen. 0. sieht den Unterschied zwischen den Resultaten im
Frieden und Krieg hauptsächlich darin begründet, dass 1. beim entzündeten Periost die Re-
generationsthätigkeit viel weiter geht al3 beim nicht entzündeten, dass 2. oft primär re-
Becirt werden muss ex iudicat. vitali, 3. eine so sorgfältig überwachte Nachbehandlung im
Kriege nicht stattfinden kann, wie in der Friedenspraxis, 4. die Operation selbst oft viel¬
leicht nicht schonend genug ausgeführt wurde. Von den partiellen Resectionen ist 0.
kein Freund, gegebenen Falls zieht er die R4s. semi-articulaire vor. Die Discussion, an
der sich u. A. Prof. Mazzoni aus Rom betheiligte, förderte keine wesentlich neuen Puncte
zu Tage.
Dr. Leüüdvant aus Lyon sprach über Neurotomie, welche er bei Neuralgien bei
einer grössern Anzahl von Fällen theils einmal, theils wiederholt an demselben Individuum
ausgelührt hat. Der Erfolg bestand in mehreren Fällen in vollständiger, d. h. über meh¬
rere Jahre sich erstreckender Heilung der Neuralgie, einige Male sprang nach der Dis-
section eines Nerven dieselbe auf einen andern Uber, heilte aber dennoch schliesslich, als
auch der letztere durchschnitten wurde.
Ferner stellte er der Versammlung einen nach Resection des Oberkiefers
wegen Tumor geheilten Patienten vor, der ausser dem Mangel einer äusserlich sichtbaren
Narbe auch kein Einsinken der betreffenden Wangenhälfte sehen liess, was L. dadurch
herbeigeführt hatte, dass er den prominentesten Theil des proc. alveolaris des Oberkiefers
erhalten hatte, um eine Stütze zu gewinnen.
An Stelle des angekündigten Vortrages über künstliche Blutleere von Prof.
Esmarch, der nicht am Congress erschienen war, las Prof. Dr. Reverdin eine von Prof. Es-
march eingesandte Abhandlung über dasselbe Thema, ohne dass jedoch Neues geboten
wurde. Eine Discussion fand nicht statt. Es folgte eine Demonstration eines neuen In¬
strumentes für den Steinschnitt, Cystocauter genannt, das die Eröffnung der Blase mittelst
galvanischen Feuers besorgt, durch Dr. Th. Anger von Paris, ferner eines orthopädi¬
schen Apparates für Coxitis, von demselben, welcher den Patienten das Gehen
gestattet, und doch eine constante und dauernde Extension bewirkt Derselbe umfasst
im Gegensatz zum Taylor ’sehen noch den Oberkörper zum Theil.
Dr. Le Dentu von Paris theilte sein Verfahren mit, das er zur Vereinigung ge¬
trennter Sehnen vermittelst der Naht befolgte. Das Verfahren ist ein verschiedenes
für verschiedene Formen der Sehnen. Während dünne und platte bandartige Sehnen ein¬
fach durch directe Naht vereint wieder zusammenheilen, ist dies nicht der Fall bei den
dickern cylindrischen 8ehnen. Le Dentu sticht zur Vereinigung der letztem eino mit Draht
armirte Nadel in einiger Entfernung von einem freien Ende durch die 8ehno durch, führt
den Draht längs der Sehne zum andern Stumpf in gleiche Entfernung vom andern Ende,
sticht dort wieder durch und führt den Draht längs der Sehne an der andern Seite wieder
zur ersten Einstichsstelle, bringt die beiden Drahtenden in ein Röhrchen , führt dieses
nach aussen und echliesst ihn ausserhalb durch Torsion. Damit findet eine Vereinigung
der beiden Sehnenstümpfe ohne jegliche Spannung an den Enden statt und eine beliebige
Anzahl directer Nähte besorgt die genaue Vereinigung.
Prof. Grotti von Mailand spricht über eine neue, von ihm erfundene Methode des
Steinschnitts, bei welcher er eine auf der concaven Seite gerinnte Sonde benutzt,
die am vordem Ende eine ziemlich scharfe Biegung besitzt. Das Steinmesser, welches
mit der Spitze der Rinne folgt, soll durch einfaches Senken des Griffes sicherer in die
Blase ohne die Möglichkeit eiuer Nebenverletzung gelangen.
Dr. Rouge von Lausanne behandelt in längerem Vortrag die Pathologie und
Therapie der Ozaena, ein von dem trefflichen Chirurgen schon lange mit Vorliebe
cultivirtes Gebiet. R. ist zur Ueberzeugung gekommen, dass nur die auf Knochenerkran¬
kung der den Nasenrachenraum und seine Anhängsel umschliessenden Theile berührenden
Eiterungen zur Ozmna führen, während dies die blossen Schleimhauterkrankungen nicht
thun, hiezu kommt noch als begünstigendes Moment die Stagnation des Eiters in den
Knochenhöhlen, aus denen er sich nur durch UeberfÜessen entleert. Ausser der für die
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Erkrankungen der Nasenhöhlen übliche Methode des Ausspülens, Cauterisirens u. s. w.
hat R. für die Fälle , welche diesen Mitteln trotzen und wo also gegründeter Verdacht
besteht, dass eine Knochenerkrankung vorliegt, ein Operationsverfahren ersonnen, welches,
ohne die mindeste Narbe zu hinterlassen, die sämmtlichen Räume und ihre Wandungen,
um die es sich hier handelt, frei zugängig macht. Es besteht darin , die Oberlippe mit
der Nase bis zur Apertura pyriformis abzutrennen und hinaufzuschlagen. Man kann dann
mit dem scharfen Löffel die erkrankten Stellen ausschaben, Sequester ausziehen, Cauteri-
siren etc. Die abgetrennte Nase und Oberlippe heilt ohne besondern Verband in kürze¬
ster Zeit wieder an. R. hat schon zahlreiche glänzende Erfolge von diesem Verfahren
beobachtet, auch englische Chirurgen haben die Operation schon wiederholt erfolgreich
ausgeführt. An der Discussion betheiligten sich Verneuil und Oltier, von denen der erste
das Verfahren ebeufalls empfiehlt, aber dabei anräth, die Choanen mit Schwämmen zu
tamponiren, um bei der immerhin oft bedeutenden Blutung Sicherheit gegen den Einfluss
des Bluts in die Luftwege zu haben , während Rouge sich schon in mehreren Fällen mit
Yortheil des Rose 'sehen Verfahrens, bei zurückgebeugtem Kopfe zu operiren, zu demselben
Zweck bedient hat.
Ueber die relativen Indicationen der Prothese und der plastischen Opera¬
tionen bei der Gaumenspalte spricht Prof. Trilal aus Paris. Leider hat Ref. nur
den Schluss des Vortrags gehört, der von den Vortheilen der Operation mit Bezug auf
die Sprache handelte. T. berichtet von mehreren, von ihm erst in einem spätem Alter
operirten Fällen, bei denen vorher Jahre lang Obturatoren getragen wurden ohne irgend
welchen Nutzen für die Sprache, und wo durch die Operation und nachherige methodische
Erlernung des Sprechens die Undeutlichkeit und der nasale Klang ganz wesentlich ge¬
bessert wurden. Als passendsten Zeitraum für die Operation, wenn man die Wahl hat,
bezeichnet T. das 2.—4. Altersjahr. Es soll womöglich vermieden werden, dass die Kin¬
der vor der Operation zu sprechen anfangen. Prof. Ehrmann aus Mülhausen schliesst sich
der Ansicht des Vorredners an. Auch er hielt nach langen und vielfältigen Erfahrungen
für grosse Spalten das bezeichnete Alter für das zweckmässigste zur Operation.
Prof. JuUiard von Genf stellt 2 Patienten vor (geheilte Fractur des Troch. min. und
geheiltes tuberculöses Geschwür der Zunge) und bespricht sodann die Technik und die
Indicationen der Galvanocaustik, besonders vom Standpunct der Vergleichung mit
dem Thermocauter des Dr. Paquelin , welcher vorher seine Apparate, die noch bedeutend
verbessert worden sind, der Versammlung in einer Extrasitzung demonstrirt hatte. Ob¬
schon der Thermocauter durch seine Einfachheit und leichte Handhabung in gewissen
Fällen vor der Galvanocaustik entschiedene Vortheile bietet, so bleibt doch der letztem
noch ein bedeutendes Terrain reservirt, da nur sie die glühende Schlinge besitzt, für viele
Fälle ein jetzt unentbehrliches Instrument. Ferner hat sie den Vortheil, das Instrument
an den Ort, wo es wirken soll, kalt hinbringen zu können, ein wesentlicher Vorzug für
die Operationen in Pharynx und Larynx. Auch sind die galvanocaustischen Instrumente
im Ganzen feiner, was wichtig ist, wenn es sich um genau zu localisirende Wirkungen
handelt. Endlich soll die glühende Kraft nachhaltiger sein bei Galvanocauter, die Aus¬
strahlung auf die Umgebung dagegen geringer. Prof. Verneuil schliesst sich der Ansicht
des Vortragenden an, auch er verwendet beide Apparate je nach den Indicationen und
will auch für bestimmte Fälle dem alten gewöhnlichen Glühkolben seinen Platz gesichert
wissen. Die Batterie, deren J. sich gegenwärtig bedient und die wegen ihrer Einfach¬
heit, Billigkeit und leichten Reinhaltung von allen andern den Vorzug verdient, iBt eine
Kohle-Zinkbatterie, die in chromsaures Kali und Schwefelsäure getaucht wird.
Im Anschluss an diesen Vortrag demonstrirt Prof. Voltotini von Breslau eine neue
galvanocauBtische Zange zum Abbrennen grosser Rachenpolypen, wo die Anle¬
gung einer Schlinge nicht möglich ist Ferner theilt er kurz sein neues Verfahren zur
Exstirpation von Kehlkopfpolypen mit, das einfach darin besteht, den Kehlkopf mit einem
an einem gebogenen nicht zu steifen Draht sitzenden Schwamm auszuwaschen. Bei Wie¬
derholung dieses Manövers soll es stets gelingen, nicht nur weiche Polypen zu entfernen,
sondern auch harte so zu maltraitiren, dass sie müssen necrotisch werden und sich ab-
stossen.
Zum Schluss fügen wir noch den Bericht über einige Demonstrationen bei. Es zeigt
Dr. Roussel von Genf ein von ihm als „künstlichen Finger“ bezeichnetes Instrument
42
Digi.izedbyt.OOgle
vor, das aus einem langen glattön Stab besteht, der etwa 3 cm. vom einen Ende eia
Scharnier trägt, durch welches das Endstück beweglich gemacht ist und hakenförmig
umgebogen werden kann. R. hat in mehreren Fällen an der Leiche theils mit dem Fin¬
ger, theils mit dem genannten Instrument von aussen irreducible Hernien per rectum durch
Zug reponirt und räth dies Verfahren in Fällen, wo die gewöhnlichen Methoden im Stich
lassen, bei Lebenden an.
Endlich möge noch die Demonstration eines Apparates durch MiUiot von Hyöres er¬
wähnt werden, vermittelst dessen die Auffindung und Extraction gusseiser¬
ner Projectile erleichtert werden soll. Der Apparat besteht aus einem kräftigen
Electromagneten, der es ermöglichen soll, solche Projectile subcutan zu dislociren und der
Oberfläche zu nähern.
Mit dem Bedauern, einer von Dr. Roussel ausgeführten Transfusion mit seinem Ap¬
parat und einem Vortrag von Dr. Reverdin über Fisteln des Penis nicht mehr haben bei¬
wohnen zu können, schliesse ich diesen kurzen Bericht, der freilich mehr eine Aufzählung
als eine Wiedergabe der vielfachen äusserst interessanten und so mannigfaltigen Vorträge
und Discussionen enthält. H. v. Wyss.
IV.
Die Ausstellung von Instrumenten, Bandagen etc. etc.
Während der Dauer des Congresses war in den Räumen der Nicole de mädecine eine
Ausstellung von Instrumenten, Bandagen etc. etc. arrangirt, die ihres grossen
Interesses wegen sehr besucht war, und die es wohl verdient, hier mit einigen Worten
noch erwähnt zu werden.
Schicken wir voraus. dass die neuerbaute Ecole de mddecine, über die in diesen
Blättern (s. S. 207) bereits ausführlich berichtet worden ist, nicht nur durch die einfache
und geschmackvolle Eleganz ihrer ganzen Einrichtung, sondern besonders durch die äus¬
serst practische Verwirklichung des Gewünschten und Kothwendigen allgemeine Aner¬
kennung, ja ich kann wohl sagen, Bewunderung gefunden hat. Herr Prof Zahn war so
liebenswürdig, den Berichterstatter auf die Details der Einrichtungen aufmerksam zu
machen, und es beschlich uns ein heimliches Bedauern, die Zeit so weit hinter uns zu
haben, in der wir selbst mit dem Secirbesteck unter’m Arm in die Geheimnisse der Ana¬
tomie eingedrungen sind. Mögen die Studirenden in stets wachsender Zahl die ausge¬
zeichneten Einrichtungen, die die Liberalität der Republik Genf denselben zur Verfügung
gestellt, benützen 1
Doch zurück zu der Ausstellung. Unter den Ausstellern erwähnen wir in erster
Linie Walter-Biondetä (Basel), der nicht nur weitaus die completteste Sammlung unter den
schweizerischen Instrumentenmachern, sondern überhaupt die grössten Anstrengungen ge¬
macht hatte, das Neueste in seiner Branche den Collegen vor Augen zu führen. Unter
der sehr reichhaltigen Sammlung gynäcologischer Instrumente bemerkten wir einen Ute¬
rusdilatator (von EUinger , modiflcirt von Walter ), der uns sehr practisch erschien, ferner
interessirte uns die „Couteau-Trousse“ (Esmarch), ein Sackmesser, allerdings in etwas
vergrös8erter Gestalt, mit dessen verschiedenen Klingen Amputationen vollständig voll-
führt werden können. Erwähnen wir noch die Paqvetir^ sehen Thermocauters mit
den neuesten Ansätzen (Fr. 120), sowie die 8pecula aus schwerzerbrechlichem
Hartglas.
Wir constatiren hier gerne, dass Walter weder Mühe noch Kosten gescheut hat, die
Schweiz, neben den gewiegten ausländischen Firmen, würdig zu repräsentiren.
Bei Favre (Paris) sahen wir neben vielen sehr sauber gearbeiteten Instrumenten ein
ausgezeichnetes Militär-Etui mit allem Nothwendigen in sehr eleganter Form; fer¬
ner den Transfusionsapparat von Roussel und dessen „ Har tg um m i fing er “ zur
Reduction incarcerirter Hernien vom Rectum aus.
Lüer (Paris) glänzte besonders mit einem hrillanten Tracheotomie-Etui, sowie
mit Amputations- und Resections-Instrumenten, deren ausgezeichneter Stahl ihm
längst die chirurgische Welt erobert hat.
Vergne <f Chose (Paris) sowie Binas (Paris) hatten ein ganz enorm reichhaltiges As¬
sortiment von Cautschouc-Bougies und Cathetern aller denkbaren Formen und
Dimensionen ausgestellt Die reichhaltigste Sammlung chirurgischer Instrumente hatte
Matthiev (Paris) zusammengestellt. Wir heben daraus hervor einen riesigen & craseur
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für Amputationen; bis auf den Knochen wird damit die gesammte Musculatur langsam
durch- und abgeschnürt, nach Absägung der Knochen die Haut k la Wurstzipfel unter
dem Stumpf vereinigt, Ligaturen seien unnöthig. Prof. Rose schien diese neue Operations-
methode, die uns Maühieu explicirte, in Bezug auf ihre Vortheile vor dem althergebrachten
Messer etwas sehr dubiös.
Ferner erwähnen wir einen neuen Fiaschenzug, eine niedliche Trephine (prac-
tische Modification des Osteotom’s von Heine), ein Dilatator des Muttermunds
(Marion-Sims), eine sehr leicht in allen Richtungen zu fixirende Resectionssäge, den
Transfusionsapparat (Collin), ein neue Sonde für im Oesophagus eingekeilte
Fremdkörper. Erwähnen wir der Curiosität halber noch den Telegraphenapparat gegen
Pollutionen (Memöre’ s Rövcil-errection): der Penis wird Abends beim Einschlafen in
einem hölzernen Ring fixirt, der bei eintretender Errection sich zwar leicht erweitert,
dagegen aber den electrischen Strom sofort schliesst und mit lautem Glockenton den
glücklichen Schläfer jählings aufweckt (Sehr empfehlenswerth für Knabenpensionate, auch
vom musicalisohen Standpuncte aus ! Das hat wirklich noch gefehlt in der Hygieine des
Schlafzimmers 1)
Sehr interessant war uns ein Phantom für den geburtshülflichen Unterricht,
das Maühieu constrnirt hat Das Gerüste ist von Holz, Uterus, Geschlechtstheile, Bauch¬
decken etc. etc. von Cautschuc. Wenn der Cautschuc, wie Herr Maühieu es verspricht,
sich als dauerhaft erweist, so sind diese Phantome entschieden als ein nicht zu untere
schätzendes Hülfsmittel für den geburtshülflichen Unterricht zu begrüssen. Der Preis
von Fr. 450 scheint uns in Anbetracht der Arbeit, die dazu verwendet worden, nicht
zu hoch.
Creles (Paris) hatte das neue ophthalmomötre, das perimötre und das am Congress
grosses Aufsehen erregende künstliche Auge unseres berühmten Landsmannes Landolt
in Paris ausgestellt, ebenso eine Serie zierlicher Ophthalmoscope. Auch das Specu-
lum von Devrient (Genf) fand vielseitige Anerkennung und hat grosse Vorzüge vor den
bisher gebrauchten Instrumenten.
R. Wasserlein (Berlin) hat das Ohrmicroscop und den Ohrenthermometer, Thamtn
(Berlin) die zierlichen Tenotome (für Durchschneidung der Sehne des M. Tensor tymp.)
ausgestellt; sämmtlich Instrumente, die die Wissenschaft den Studien von Weber-Liel
(Berlin) verdankt.
Höchst interessant war ferner die reichhaltige Ausstellung von Glaswaaren zum
Theil in Verbindung mit Cautschuc des genfer Hauses C. S. Penfold (Place Cornavin 17).
Wir sahen hier u. A. einen Inhalationsapparat mit Cautschukballon zum Preise von Fr.2*/i>
der uns sehr gefiel.
Limoussin (Paris) batte seine bekannten Oblatenmaschinen ausgestellt, die so rasoh
bei uns sich allerorts eingebürgert haben.
Ein sehr grosses Interesse bot ferner die complette Ausstellung der internationa¬
len Verbandstofffabrik in Schaffhausen (vorm. Bäschlin ), über deren ausgezeich¬
nete und sehr preiswürdige Products ein Wort beizufügen wir für Luxus halten; wir
kennen ja Alle längst die vollkommenen Leistungen dieses strebsamen Hauses.
Anatomen konnten ferner bei Favre (Paris) neue Injectionsapparate mit Dop-
pelgebläse, bei Nachet (Paris) Microtome, Loupen, Microscope, Camerae lu-
cidae etc. etc. in reicher Auswahl besichtigen.
In einem anderen Saale waren die orthopädischen Apparate etc. eto. exponirt.
Wir erwähnen hier in erster Linie Demaurex (16, place de la Fusterie, Genf), der eine
Reihe neuer, zum Theil höchst sinnreicher Krankenutensilien ausgestellt hatte. Ein Ge¬
burtsbett (nach den Angaben von Dr. L. Odier) , das durch einfaches Herunterklappen
und Einschieben des unteren Dritttheils, ohne irgend welche Dislocation der Patientin, ein
Querbett darstellt, einen Braucard-Goutti^re zum Transport von Fracturirten der un¬
tern Extremität, Bonnefa Gouttidren mit Urinrecipienten, ein Dummreicher' scher Eisen¬
bahnschlittenapparat für Unterschenkelfracturen, mit Einrichtung zur permanenten
Irrigation. Practisch schien uns ein kleiner Apparat zum Bindenaufwickein und
Imprägniren derselben mit Wasserglas oder Gypspulver (Fr. 35).
Rossier-Darier (3, Cours des Bastions, Genf) hatte verschiedene Polsterstühle mit
beweglichen Lehnen, Lippowsky (Heidelberg) einen Operationsstuhl ausgestellt.
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Erwähnen wir noch zum Schluss eine kleine Collection von Särgen und das Modell
eines hygieinischen Friedhofs.
Natürlich macht dieser kurze Bericht keinen Anspruch auf Vollständigkeit, die Genfer
haben uns so viel geboten, dass es nicht möglich war, die zu einem eingehenden Rap¬
porte über diese so sehenswerthe Ausstellung nöthige Zeit zur Verfügung zu haben. Auf¬
fallender Weise fehlte die Orthopädie fast vollständig und doch hätte gerade die Schweiz
hier viel Interessantes ausstellen können.
V.
Die Conservirung anatomischer Piäcen nach dem Verfahren von
Prof. Latkowski in Genf.
Beim Durchwandern der anatomischen Sammlung imponirteu uns ganz ungemein die
trockenen Präparate derselben, die nach dem Verfahren von Prof. Laskowski in Genf prä-
parirt worden waren. Wir Bähen da Muskelpräparate mit Gefässinjection so frisch aue-
sehend, als wären sie aus Wachs modellirt, ebenso Bänderpräparate, so sauber und
glänzend sich präsentirend, als wären sie erst gestern angefertigt worden. Wenn man
denkt, wie unbequem die in Weingeist aufbewahrten Präparate besonders bei der
Demonstration sind, wie verzerrt und unnatürlich die trockenen mit Firniss überzogenen
Muskelpräparate gewöhnlich aussehen, so muss man doppelt dankbar Herrn Prof. Lat-
kowski'B Entdeckung begrüssen, die eine neue Aera in den anatom. Sammlungen inaugurirt.
» Die Sache schien uns so interessant und wichtig, dass wir Herrn Prof. L. baten, uns
sein Verfahren kennen zu lehren, mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit kam er unseren
Wünschen entgegen und sandte uns den folgenden Brief:
Mon eher confräre et excellent amil
Vous m’avez demandä lors de votre visite dans notre ville de vous fournir quelques
äläments pour votre journal, au sujet de ma möthode de Conservation des cadavreB et
des piäces anatomiques. Je m’empresse de satisfaire k votre demande en vous envoyant
la note ci-dessous avec laquelle vous ferez ce que vous voudrez, j’estime cependant que
vos lecteurs vous sauront gräs en vulgarisant un proeädä qui räalise je crois un vöri-
table progräs en facilitant beaucoup l'ätude de l’anatomie.
Comme il est un peu dälicat de dävelopper les qualitäs d'une däcouverte dont je suis
l’auteur , pennettez-moi de vous donner textuellement quelques extraits de l’appräciation
portäs sur ce sujet par MM. le prof. Sappey et Sie, les hommes träs compätent dans ces matiäres.
„La Conservation des sujets destinäs aux dissections par le proeädä de Mr. le prof.
Leukowtki de Genöve, avec la glycärine-phäniquäe a ötä expärimentä pour la premiäre fois
k l’Eoole pratique de la facultä de Paris en 1864. Cette mäthode comparöe k tous les
autres moyens de Conservation a donnöe de beaucoup meilleurs rösultats et les avantages
considärables qu’elle präsente ont conduit la Facultä de Mädecine de Paris 4 adopter
comme le meilleur mode de Conservation des sujets.
Depuis 1867 les sujets destinäs aux dissections, aux cours et aux examens sont in-
jectä par la glycärine-phäniquäe, ils se conservent träs bien pendant un temps suffisamment
long pour permettre aux äläves de dissäquer convänablement et d’ätudier ensuite leurs
präparations. Les sujets ainsi conserväs gardent le volume, la couleur et la räsistanoe
primitive des tissus, ne dätäriorent pas les instruments et n’exhalent aucune odeur däs-
agräable, möme l’acide phänique en se volatilisant, produit la däsinfection des salles de
dissections. Gräce k ce proeädä de coDservation on peut garder les sujets pendant un
on deux mois au döpöt et les distribuer selon les besoins du Service en räalisant ainsi
une grande äconomie des cadavres.
II faut ajouter que depuis l’emploi de cette mäthode, les accidents des piqures ana¬
tomiques ont complätement disparus.
Les piäces anatomiques conservöes par le mäme proeädä Bont particuliärement re-
marquable. Ce qui les distingue de toutes les piöoes de nos musäes, c’est la couservation
de la couleur, du volume, de la souplesse et des rapports exacts des Organes.
Elle ne se dässäohent pas, gardent la flexibilitä des tissus et par ces avantages prö-
cieux, se rapprochent beaucoup des piäces fraichement dissäquäes, 4 ce titre elles sont
träs utiles aux äläves pour l'ätude de l’anatomie et pour les dämonstrations aux cours.
D'ailleurs elles n’exigent aucun soin particulier de conBervation et peuvent 6tre exposäes 4
l'air libre par toutes les tempöratures de l'annäe.
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625
Lee pröparatione de Mr. le prof. Laskowaki qui ont et6 mddailldes 4 l’Exposition de
Paris en 1867 et qui sont döposdes au Musde Orflla 4 Paris, se trouvent aujourd'hui aprds
10 aus absolument dans le möme dtat qu’au momeut du ddpdt, saus que l'on soit jamais
obligö de les rdtoucher.“
Telle est, mou eher confrdre, l'apprdciatiou des hommes trds compötents, d’ailleurs
vous avez eu l’occasion de voir vous-möme le commencement de mon musde anatomique
et vous avez pu vous rendre compte vous-roßme de ce proeddd, je termiue donc cette
note en vous dounant la formule de mon liquide, car je dösire autant que possible en vul-
garisant la mdthode la rendre utile aux anatomistes et aux dldves, et si j’arrive 4 rendre
quelques Services 4 la science, je me considdrerai pleinement satisfait.
Liquide pour l’injection des cadavres.
Injecter dans les artdres d’un cadavre adulte 5 litres de ce liquide. Glycerine du
commerce au 80° Beaumes 1000
Acide pbdnique (carbolique) cristallisd 100
Liquide pour la maedration des pidees anatomiques:
Glycerine blonde du commerce au 30° 1000
Acide phdnique cristallisd 50
Je termine donc cette note qui est ddj4 trop longue et je vous prie d’accepter l’as-
surance de mon estime et de ma considdration. Dr. Laskowski.
(Fortsetzung folgt)
Basel. Impfpolemik. Das neueste Heft der Zeitschrift für schweizerische
Statistik bringt einen offenen Brief von Dr. Lotz in Basel an Prof. A. Vogt in Bern unter
dem Titel : Die Impfung im Kampfe mit den kritisch-statistischen Studien des Herrn
Prof. Dr. A. Vogt. — Die letzten Artikel von Herrn Vogt über die Pocken- und Impfirage
haben allgemeine 'Wahrheiten der Art in Zweifel gezogen und zwar im Gewände streng¬
ster Wissenschaftlichkeit, dass sie nothwendiger Weise das Interesse von Freunden und
Feinden der Vaccination in gleich hohem Grade erregen mussten. Die Impfgegner, Ho¬
möopathen, Naturarzte jubelten dem Verfasser als einem der ihrigen zu und wir begrei¬
fen ihre Freude vollkommen, den ordentlichen Professor der Hygieine in Bern und zu¬
gleich einen schlagfertigen Kämpfer auf ihre Seite bekommen zu haben. Doch auch die
Freunde der Vaccination, wohl einsehend, was hier auf dem Spiele stehe, haben nicht
stille geschwiegen $ die eingehende Antikritik von Zehnder in Zürich hat gewiss den
meisten Lesern dieses Blattes aus der Seele gesprochen. Als ein besonders werthvolles
Actenstück in diesem Impfstreit erscheint die Arbeit von Dr. Lotz deshalb, weil sie Herrn
Vogt da angreift, wo er sich stark fühlt und wo er beliebt, auf Andere hinabzublicken.
Und gerade da muss man mit ansehen, wie dem Herrn Professor grobe Rechnungsfehler
aufgedeckt werden, die er mit keiner Dialectik wird zudecken können , nicht etwa blos
leichtfertige Schnitzer, die nur Nebensächliches berühren, Bondern ganze Ketten von Feh¬
lern, die den Verfasser die verkehrtesten Schlüsse ziehen lassen. „Die Grundlage für
Ihre Beweisführung“, sagt Lotz , „ist, wenn nicht tendenziös, doch kritiklos herausgegrif¬
fen, Ihre mathematische Beweisführung nicht frei von groben Fehlern und Ihre logische
nicht frei von ganz verkehrten Schlüssen.“
Wir sind recht begierig, was Herr Vogt darauf zu antworten hat. Einstweilen möch¬
ten wir aber Herrn Lotz von Herzen danken, dass er sich die Mühe genommen hat, nach¬
zurechnen und sich nicht blos mit allgemeinen Forschen Sentenzen hat abspeissen las¬
sen, wie es Viele zu thun pflegen und wie man auch leicht zu thun versucht ist, stati¬
stischen Arbeiten gegenüber. Herr Lotz ist für seine Mühe reichlioh belohnt und die so
wichtige Impftrage kann jetzt getrost über Herrn Vogte Arbeit hinwegschreiten; das wird
Jeder, der dieselbe nochmals ernstlich vornimmt, zugeben müssen. Mit weniger Mühe
und bedeutend grösserem Vergnügen wird der Leser, den Auseinandersetzungen von
Lotz folgend, die Bechnungsfehler und logischen VerstÖBse der Koyfschen Arbeit kennen
lernen. Wir empfehlen diesen offenen Brief,*) der nicht nur mit grosser 8chärfe, son¬
dern auch mit viel Humor abgefasst ist, jedem Mediciner zur Lectüre. H.
*) Dieser offene Brief von Dr. Lotz erscheint übrigens demnächst vereinigt mit dem Aufeat*
von Dr. Zehnder unter dem Titel; „Tendenzstatistik und 8chntzimpfnng u als besondere Brochure.
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W oelieiiberielrt.
Schweiz.
Die XVI. VerMmmlnng des ärztlichen CentralTereln« in Olten
findet Samstags den 27. October statt. Sitzung im Schulhaus, Mittags um 12 Uhr.
Tractanden:
1) Neuwahl des ständigen Ausschusses des Centralvereins.
2) Vortrag von Herrn Prof. Witte (Basel): Ueber die allgemeine Therapie
der Pb y chos en.
8) Vortrag von Herrn Dr. Kottmann jun. (Solothurn): Ueber Sehnennaht.
4) Vortrag von Herrn Dr. Gottl. Burckhardt (Waldau): Aus der Neuropatho¬
logie.
6) Präliminarien zur Lehensmittelcontrole in der 8chweiz. Discussions-
thema: Dr. Sonderegger.
6) Kleinere Mittheilungen aus der Praxis.
Nachher wie gewohnt Bankett in der Bahnhofrestauration Biehly.
Zur Jahresversammlung am 8tiftungsorte Olten laden wir in herzlichster Weise: die
Mitglieder des ärztlichen Centralvereins, die Freunde von der Sociätd mödicale de la
Suisse romande, und alle andern lebensfrischen, arbeitsfreudigen Collegen! und grfissen
in Hochachtung : Im Namen des ständigen Ausschusses:
Olten, den 1. October 1877. Sonderegger, Präsident,
Burckhardt-Mericm, Schriftführer.
Bericht über die sanitär lache Untersuchung der Recrutl-
rungamannschaft fttr 1876. Das eidgen. statistische Bureau hat unter obigem
Titel eine sonderbare Publication emittirt.
Bekanntlich hatte der frühere eidg. Oberfeldarzt Dr. Schnyder hei der Reorganisation
unseres MilitärsanitätsweBens unter Anderem auch die Aufgabe , die sanitarische Aus¬
musterung unserer Wehrpflichtigen umzugestalten. Aus den sachbezüglichen Untersuchun¬
gen musste sich nach und nach ein Material aneammeln, dessen Bearbeitung als Haupt¬
zweck ein Urtheil über die Wehrfähigkeit der schweizerischen Jugend ermöglichen sollte.
Es lässt eich aus diesen in der ganzen Schweiz nach einheitlicher Methode gemachten
Beobachtungen vor Allem feststellen, wie viele Procente unserer ins 20. Lebensjahr tre¬
tenden männlichen Jugend durchschnittlich dienstfähig sind, sodann aber auch, aus wel¬
chen Ursacheu die Dienstuntauglichen mussten zurückgestellt werden.
Dr. Schnyder konnte zu dieser Arbeit nur wenige der früher bei uns gemachten Er¬
fahrungen benützen: er hatte etwas Neues zu erstellen und ebenso war den Sanitäts-
officieren, welche fortan die Untersuchungen zu leiten und auszuführen hatten, die Auf¬
gabe eine ganz neue; sie traten wohl meist ohne genügende Erfahrung an die Arbeit —
Es liess Bich daher voraussehen, dass Bich nach einiger Zeit sowohl in dem Principe, der
angewandten Methode, als auch in der Art der Ausführung einzelne Lücken zeigen, ein¬
zelne Um- und Abänderungen nothwendig würden.
Diese festzustellen, war Zweck und ein Theil der Aufgabe der statistischen Verar¬
beitung des Robmateriales. Die Bundesversammlung fasste den dahin zielenden Beschluss:
„Der Bundesrath wird eingeladen, die Resultate der sanitarischen Untersuchung der Re-
cruten jährlich statistisch bearbeiten zu lassen.“
Als erste Frucht der Ausführung dieses Beschlusses liegt uns nun der „Bericht über
die sanitarische Untersuchung der Recrutirungsmannschaft für 1876“, erstattet von Herrn
Director Kummer , vor. Allein sie ist noch sehr unreif, mit rauher Schaale und deshalb
nngeniessbar.
K. beklagt sich vor Allem darüber, dass er das Material sehr schwer, zerstückelt
und erst Bpät erhalten konnte und es rasch wieder an die Cantone zurücksenden musste.
Dadurch war keine Gelegenheit geboten, Lücken auszufüllen, sowie das Urmaterial in
toto zu übersehen. K. hätte zudem gewünscht, dass von den 20,003 Recruten des Jahr¬
ganges 1856 Alle gleich genau und allseitig wären untersucht worden, damit die Erfül¬
lung des „schönen Pensums, eine physische Beschreibung unserer heranwachsenden männ¬
lichen Bevölkerung zu geben“, möglich gewesen wäre. Nun sind aber 633 Mann gar
nicht oder nur nach einer Richtung gemessen worden. Es sind das solche, die sich auf
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den ersten Blick schon als Militäruntaugliche repräsentirten. Wir begreifen sehr gut, dass
die untersuchenden Aerzte ihre Zeit nicht an geistig und körperlich Verkrüppelten ver¬
schwendeten, ist doch so schon die nothwendige Mühe und Zeit gross genug und ebenso
die Gefahr sehr naheliegend, der untersuchende Arzt möchte über all’ dem Messen Beine
Hauptaufgabe, die Qualiflcation der psychischen und physischen Constitution, vernach¬
lässigen.
Will man daher neben dem militärischen Hauptzweck noch andere Ziele verfolgen,
so müssen die Wege zur Ermöglichung erst noch gesucht und bezeichnet werden. Einst¬
weilen hätte man nach unserer Ansicht das vorhandene Material verwenden sollen, unge¬
fähr in der Weise, wie es vom statistischen Bureau mit Vorliebe und wohl auch mit
speciellerer Kenntniss mit den Resultaten der pädagogischen Untersuchungen (Prüfungen)
geschehen ist, obwohl ja dieses Material auch sehr incomplet war.
So hat jedoch das Bureau bei der sanitarischen Seite die Beantwortung der meisten
gestellten Fragen mit der einfachen Motivirung ungenügenden Urmateriales abgelehnt.
Beim Capitel „Sehschärfe“ stellt sich heraus, dass einzelne untersuchende Aerzte An¬
gaben machen, die nicht in die reglementsmässige Schablone passen, so dass dadurch
sehr störende Ungleichheiten entstehen. Das muss wegfallen. Die Aerzte sind eben
überhaupt keine grossen Comptabilitätshelden, und es ist jedenfalls für den Oberfeldarzt
schwierig, die Zügel des militärärztlichen Heeres so zu führen, dass die Sanitätscarosse
im richtigen Tempo und auf der rechten 8trasse vorwärts rollt, ohne dass über die
Stränge geschlagen wird und nicht hie und da das Knallen unangenehm in die Ohren
klingt.
Wir übergehen das Resultat der wenigen Tabellen, die angehängt sind, für diesmal.
Der Bundesrath hat zur Regelung der Angelegenheit eine Commission niedergesetzt,
bestehend aus den Herren Oberst Dr. Schnyder als Präsident, Oberst Dr. Ziegler , eidgen.
Oberfeldarzt und Director Dr. Kummer. Wir sind überzeugt, dass es dieser Commission
gelingen wird, die Aufgabe innerhalb der Schranken der Möglichkeit der Ausführung be¬
friedigend zu lösen.
Allerdings darf man dann nicht ausser Acht lassen, dass Kummer Recht hat, wenn
er sagt: „Wer aber eine ebenso grosse, als schwierige statistische Aufgabe gelöst haben
will, muss auch die Mittel wollen“ und, fügen wir bei, gerne den ausführenden Organen,
vor Allem den vielgeplagten und opferwilligen Divisionsärzten, die gerechte Anerkennung
und ein verdientes Entgegenkommen nicht versagen.
Hertal ltäts«tati«tlk. Wir haben in der letzten Nummer auf die hübsche
utd instructive Beilage deB eidg. statistischen Bureau (Herrn Director Dr. Kummer) auf¬
merksam gemacht. Allein noblesBe oblige: wir Aerzte müssen nun auch unsere Pflicht
thnn und zwar gegenüber dem statistischen Bureau sowohl, als auch gegenüber den Col-
legen, welche bisher ihre Pflicht gethan haben und deren Arbeit durch die Saumseligkeit
Anderer illusorisch gemacht wird. So figuriren z. B. im Wallis Bezirke mit 11 und 14%
der bescheinigten Todesursachen aller Todesfälle! Da kann nicht allein der Aerzte-
mangel schuld sein. Wo er aber factisch existirt, führe man Leichenschauer eiD. —
Aber auch andere Cantone sind nachlässig. 8o hat Solothurn nur 68%, Freiburg gar
nur 40. Da gilt keine Ausrede. Die Aerzte sollten es in ihrer Pflicht erachten, auf Ab¬
hülfe zu dringen.
Ausland.
Amerika. Die reisenden Goldaderärzte und ihr Geheimniss. ln
Illinois und den benachbarten Staaten treiben sich Leute herum, welche sich nur mit der
Gur von Hämorrhoidalknoten, angeblich ohne Operation, beschäftigen.
Nach E. Andrews besteht die Methode der meisten dieser Leute darin, dass sie eine
Lösung von 8 Theilen krystallisirter Carbolsäure in einem Theile oder in der gleichen
Menge eines nicht reizenden fetten Oeles oder auch in Glycerin mittelst der Pravatz'schen
Spritze in die Knoten injiciren; es wird immer nur ein Knoten auf einmal, und zwar der
höchst gelegene unter den noch zugänglichen, in Angriff genommen, indem 4—6 Tropfen
der öligen Carbollösung in sein Inneres eingespritzt werden, worauf der Knoten weiss
wird. Erst nach einiger Zeit wird ein zweiter Knoten in gleicher Weise behandelt.
Diese Methode soll in den meisten Fällen mit nur geringen Beschwerden verbunden
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sein and dem Patienten die Ausübung seines Berufes gestatten; zuweilen sollen ziemlich
heftige Schmerzen der Injection folgen.
Von anderen üblen Zufällen, die bei dieser Behandlung eingetreten wären, bat Ver¬
fasser keine Kenntniss erhalten.
(Chicago Med. Journ. and Exam. Oct. 76. — W. M. W. 77, 5.)
— Dilatatio colli uteri zur Heilung von Sterilität mit tödtlichem Aus¬
gange. Dr. Wiüard (Philadelphia) legte zur Erweiterung des Collum uteri einen
Pressschwamm ein, den er später durch einen dickem ersetzte, welcher jedoch heftige
8cbmerzen erzeugte, so dass W. wieder einen dünnem einführte. Es entstund rasch
Peritonitis mit tödtlichem Ausgange. Section: exsudative Peritonitis, Abscess links neben
dem Uterus.
— Grösse der Blutkörperchen verschiedener Völker. Richardion , Mi-
croscopiker des Pensylvania Hospital, hat bei Gelegenheit der Weltausstellung zu Phi¬
ladelphia die rothen Blutkörperchen von 14 Repräsentanten verschiedener Nationalitäten
und Racen (Spanier, Belgier, Schweizer, Türke, Russe, Däne, Norweger, Schwede, Italie¬
ner, Franzose, Japanese, Mulatte, Indianer, Angloamerikaner) gemessen. Er fand keine
erheblichen Differenzen und kommt somit zur Bestätigung des 8chriftwortes, dass „der
Herr alle Völker der Erde aus einem Blute machte 14 .
Deutschland. Fleischvergiftung, Allantiasis (Wurstvergiftung). Das
„Dresdener Journ.“ bringt einen Bericht über die Massenerkrankungen in Wurzen von dem
dortigen Bürgermeister Fiedler. Die Kuh, von der das Fleisch, welches die Erkrankungen
hervorrief, entnommen war, iBt sicher krank und vorher in thierärztlicher Behandlung ge¬
wesen. An welcher Krankheit sie gelitten, steht nicht fest: Milzbrand wird bestritten,
Verstopfung des Psalters dagegen behauptet. Die Kuh wurde am 10. Juli geschlachtet,
das Fleisch erst am 14. Abends verkauft. Das roh genossene Fleisch wirkte heftiger,
wie das gekochte. 206 Personen wurden ärztlich behandelt, 7 starben (2 M., 4 W., 1
Kind). 6 Leichen wurden geöffnet. Dieselben zeigten Gastro-Enteritis und starke
Schwellung der besonders dem Dünndarm eigenen Drüsen. Die eingeleitete Untersuchung
und wissenschaftliche Publicationen werden erst eine genauere Einsicht in das beklagens-
werthe Ereigniss gestatten, welches hoffentlich einen neuen Anstoss zu einer strengeren
sanitätspolizeilichen Ueberwachung des Fleischverkaufs geben wird.
(Deutsche Zeitschr. f. pract. Med.)
Die Vergiftungen durch Fleisch werden in der Schweiz sehr selten beobachtet, nicht
so anderwärts. So finden wir im Vereinsbericht des gunzenhauser Bezirksvereines
(Bayern) folgende sachbezüglichen Angaben:
Dr. Dörfler referirt über 2 Fälle von Wurstvergiftung mit tödtlichem Ausgange, Dr.
Then 4 Fälle (2 tödtlich) durch Leber Würste; Dr. Müller 14 Fälle (ohne Todesfall) durch
Presssack. In der Discussion wurde die subcutane Injection von Morphium und Calabar-
extract empfohlen. (Aerztl. Intell.-Bl. 1877, 29.)
Eine eingehende Abhandlung über dieses Capitel findet sich auch in Nr. 25 des
„ärztlichen Intelligenzblattes“ von Bezirksarzt Dr. Pürckhauer.
Bei uns sind solche Erscheinungen nicht so häufig, wei) viel weniger Würste roh
(geräuchert) gegessen werden und wir nur wenig lange aufzubewahrende Würste be¬
reiten: Leber- und Blutwürste werden bei uns ja nur frisch gegessen.
— Aqua laurocerasl als Lösung«mittel an subcutanea Injek¬
tionen. Sailer bat zahlreiche vergleichende Versuche angestellt, um die Haltbarkeit
einer Lösung von Morphium chloratum in destillirtem Wasser, Rosen-, Pfefferminz-,
Spiräa- und Kirschlorbeerwasser zu prüfen; immer hielt sich die Lösung mit letzterem
sehr lange Zeit, ohne Zersetzung zu erleiden, während die anderen Lösungen viel rascher
verdarben. Er wendet daher nur Aqua laurocerasi zur Lösung von Morphium an; nach¬
theilige Folgen wurden bei subcutanen Einspritzungen nicht beobachtet, auch sind die¬
selben nicht schmerzhafter als bei Verwendung von destillirtem Wasser. (Memorabilien.)
— Gynäcologencongress. Die Majorität der Theilnehmer am Gynäcologen-
congresse in München hat die Gründung eines speciellen Gynäcologenvereines abgelehnt,
um nicht die Zersplitterung der deutschen Aerzte noch weiter zu treiben. Dagegen soll
je weilen ein Comitd das Programm der Section für Gynäcologie an der deutschen Natur¬
forscher- und Aerzteversammlung zum Voraus berathen.
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629
— Personalia. Der Nachricht des Todes von Sanitätsrath Dr. A. Erlenmeyer fügen
wir die ebenso unerwartete als schmerzliche Kunde vom raschen Hinscheide von Prof.
Dr. v. Heine in Prag bei, welcher, erst 39 Jahre alt, der Diphtheritis erlag. Heine war
ein äusserBt strebsamer Chirurge, der sich unter seinen Fachgenossen bereits einen sehr
ehrenvollen Namen erworben hatte.
In Leipzig starb der Director der medicinischen Klinik Prof. C. A. Wunderlich , 62
Jahre alt. Wir haben gewiss keinen Leser, dem nicht der geistvolle Gründer des „Ar-
chives für physiologische Heilkunde“, der Verfasser des „Handbuches der Pathologie und
Therapie“, der „Geschichte der Medicin“, des epochemachenden Werkes über „das Ver¬
halten der Eigenwärme in Krankheiten“ u. s. w, u. s. w. rühmlichst bekannt wäre. Die
medicinische Welt hat in ihm eine ihrer besten Stützen verloren.
England. Eine neue Heizeinrichtung. In einem in London im Ja¬
nuar 1877 von Esq. Frank Thicke gehaltenen Vortrage über Ventilation im Allgemeinen
und Einrichtung der Arbeiter-Wohmmgen schilderte der Vortragende die von einem
seiner Freunde zuerst in Anwendung gebrachten „Janus-Roste“, mittelst welcher
man 2 Zimmer durch eine Feuerstätte zu erwärmen vermag. Man verfuhr bei der Ein¬
richtung, welche als sehr vortheilhaft und practisch geschildert wird, auf folgende Weise:
Man entfernte den Rost einer Feuerstätte, machte eine Oeflnung bis in die W T and eines
Nebenzimmers und setzte darauf den Rost wieder ein. Das Feuer brannte nun besser
als zuvor, da den Kohlen die doppelte Menge Sauerstoff zugeführt wurde, und man erhielt
in beiden Zimmern den angenehmen Anblick eines lodernden Feuers. Statt der Anfangs
verwendeten Kohlen benutzte man später Coak, welcher ebenfalls vortrefflich brannte und
natürlich bedeutend billiger zu stehen kam. Man fügte nun noch eine weitere Anordnung
hinzu, durch welche man bei geringem Kosten noch reichlichere Wärme erzeugte: Unter
dem Goakfeuer wurde ein gegitterter Behälter eingeführt zur Aufnahme von kleinstücki¬
ger oder Nuss-Kohle, welche bekanntlich von der besten Sorte und dabei bedeutend bil¬
liger als die grosse Stückkohle zu sein pflegt. Diese Nusskohlen wurden durch das dar¬
über befindliche Coakfeuer in Brand gesetzt und der von ihnen aufsteigende Rauch von
der in Weissglühhitze befindlichen Coak verzehrt. Nicht zufrieden mit diesem Erfolge
versuchte man auch noch zwei bis vier weitere darüber gelegene Zimmer zu erwärmen,
indem man zu jeder Seite des Rostes eine Heissluftkammer herstellto und von da aus
Röhren oder Canäle in die oberen Zimmer führte, welche mit einigen Klappen versehen
wurden, um die warme „feuchte“ Luft nach Wunsch einzulassen oder abzuschliessen,
so dass man etwa eine Stunde vor Schlafengehen irgend eines oder alle diese Zimmer
ohne Mühe oder Ausgaben angenehm erwärmen konnte.
Die Heissluftkammern haben eine etwas eigenthümliche Construction. Das Innere
derselben ist mit gusseisernen Platten und einer kurzen Querplatte versehen, um das Auf¬
steigen der reinen Luft zu verzögern, welche, im obern Theile des Raumes angelangt, so
warm ist, dass man Wasser auf 100° C. zu erwärmen vermag. Um der Luft die
nöthige Feuchtigkeit zuzuführen, wird am Boden der Kammer ein Wassergefäss aufge¬
stellt , aus welchem die wünschenswertste Menge Wasser verdampft. Durch Klappen
kann sowohl von dem untern als dem obern Zimmer der Zufluss warmer Luft abgestellt
werden.
Gegenwärtig wurden nur wenige „Janus-Roste“ gefertigt, immer aber haben sich die
bisher zur Verwendung gelangten glänzend bewährt. Von Kewwrd & Co. (London, Upper
Thames Street) ist ein solcher Rost eigens für die in Disnay Street errichteten Muster-
Arbeiterwohnungen angefertigt worden. Es besteht ferner eine Einrichtung in Kessel
und Luftkammern zur Erwärmung vou Küche und Wohnzimmer; andere Entwürfe zum
Heizen von Vorhalle und mehreren Zimmern zugleich sind in Vorbereitung. In Spalding
bedient man sich zum Erwärmen eines grossen Dampfdruck-Raumes nebst zwei Drucker¬
zimmern eines Janus-Rostes, in dessen Mitte ein kleiner Dampfkessel aufgestellt ist; der
Rauchfang ist mit Ventilatoren versehen, welche die verdorbene Luft abführen, sobald sie
die Decke erreicht, während die am Boden eindringende reine Luft zuvor durch das Feuer
erwärmt wird.
Um im Sommer die Wärme von den Wohnzimmern abzuhalten, werden gebrannte
Steine eingesetzt, welche den Rost zur Hälfte anfüllen und so die Wärme absperren, wäh¬
rend auf der Küchenseite das Feuer brennt.
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Abgesehen davon, dass der Janus-Rost weniger Raum einnimmt, als ein in das Zim¬
mer vorspringender Ofen, wird bei dieser Einrichtung beinahe sämmtliche erzeugte Wärme
verwerthet und durch die Rauchverzehrung reichliches Licht und vermehrte Hitze erzeugt,
während die durch das Kamin entweichende Luft gerade warm genug ist, um unreine
Gase mit fortzuführen. (Gesundheit.)
— Ueber die Ges undh eits verhältnis s e der Schneider gibt der
Jahresbericht der englischen Schneidergesellschaft einige lesenswerthe Mittheilungen.
Die Gesellschaft hat 14,352 Mitglieder in England, Wales und Irland. Seit dem 1. Mai
1869 wurden an Krankengeldern 20,036 L., an Begräbnissgeldern 8580 L. gezahlt. Die
Sterblichkeit war in dem abgelautenen Jahre eine sehr starke, da von je 55,3 Mitgliedern
1 starb. 3 Mitglieder starben geisteskrank im Durchschnittsalter von 34 Jahren, — 4
verunglückten im Alter von durchschnittlich 37 Jahren, — 129 starben an Schwindsucht
und anderen Brustkrankheiten, durchschnittlich 38 Jahre alt, — 18 im Alter von 41 Jah¬
ren an Fieberkrankheiten, — 6 im Alter von 58 Jahren an Lähmung, — und nur 21
an Altersschwäche und Erschöpfung im Alter von 60—82 Jahren. (Gesundheit)
Frankreich. Nachweis der Samen fl ecke. Die bisher üblichen Metho¬
den, Samenflecke als solche nachzuweisen, erscheinen Longuet nicht sicher genug. Von
der Erfahrung ausgehend, dass gewisse Farbstoffe eine besondere Beziehung zu bestimm¬
ten Geweben haben, dass jene in der Histologie und Histochemie jetzt vielfach benutzt
werden, experimentirte Longuet mit Farbstoffen, bei Sperma und Spermaflecken und er¬
kannte im Ammoniak-Carmin ein werthvolles Reagens. W T enn man nämlich mit letzterem
etwas frisches Sperma mischt, färben sich die Spermatozoiden nicht, gegenteilig die
Epithelialzellen, die Prodncte der verschiedenen Organe des Genitalsystems, lebhaft roth.
Im noch nicht eingetrockneten, mehrere Tage alten Sperma beginnen bei Carminzusatz
die Spermatozoiden bereits sich zu färben, im eingetrockneten Sperma erscheinen sie bei
gleicher Behandlung stark tingirt, aber merkwürdiger Weise nur am Kopfe, während der
Schwane blass bleibt. Experimentirt man mit samenbefleckter Leinwand, so treten die¬
selben Erscheinungen auf, selbstverständlich müssen alte Spermaflecken auf Leinenzeug
einige Minuten in einer Lösung von Ammoniak-Garrain (6 gtt. : 5 gmm. Wasser) erweicht
werden. — Die vegetabilischen Elemente der Leinwandfasern färben sich bei diesem Vor¬
gänge nie, so dass man dreist behaupten kann, alles, was weiss bleibt, ist pflanzlicher,
was roth geworden, thierischer Natur.
(Annales d’hyg. publ. et de mdd. läg. Juli 1876.)
Oeaophagotomie; IHagenexstirpatlon. Am letzten Chirurgencongress
kam unter Anderm auch die Oesophagotomie zur Sprache. Langenbeck führte sie mit
glücklichem Erfolge aus, um ein verschlucktes Gebiss zu extrahiren; BiUroth operirte
wegen tiefliegendem Care cesophagi, um letzteres von der Wunde aus auszulöffeln, rasche
Verjauchung, Tod.
Hieran schlossen sich Mittheilungen über
Gastronomie. Küster operirte auch wegen Care, msoph. Der Patient, 60 Jahre
alt, war jedoch sehr cachectisch. Seine Ernährungsverhältnisse hoben sich nicht. An
Inanition ging derselbe bald nach der Operation zu Grunde. Die Gefahren des Wund-
processes waren überstanden.
Von günstigstem Erfolge war dagegen eine Gastrotomie gewesen, welche Sckönbon
in derselben Indication ausgeführt hatte. Pat., 44 Jahre alt, lebte noch 3 Monate nach
der Operation. Von den 14 wegen Oesophagus-Carcinom unternommenen Gastrotomieen,
welche bislang publicirt sind, hat keiner der Patienten länger als 40 Tage gelebt.
Ueber einen Fall von Gastrotomie wegen Oesophagus-8trictur nach Schwefelsäure-
Vergiftung berichtete Trendelenburg. Die Operation ist erst vor acht Tagen gemacht.
Ueber die Gefahren des Wundprocesses ist Pat jedoch hinaus. Trendelenburg hofft später
vom Magen aus die 8trictur bougiren und dilatiren zu können. Vom Munde aus war
dieselbe auch in der Chlor oform-Narcose nicht passirbar.
In zwei Fällen von Oesophagus- und Pylorusstrictur nach Schwefelsäure-Vergiftung
hat Scheede die Enterotomie gemacht, auch in der Hoffnung, danach von der Intesti-
nal-Fistel die Pylorusstrictur dilatiren zu können. Beide Pat. gingen jedoch bald nach
der Operation zu Grunde, der eine an Blutungen (Magenulceratioqen), der andere, ein de-
orepides Individuum, an Inanition. An Peritonitis starb keiner von ihnen.
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Die Discussion über diese Fälle, im Anschluss an welche auch noch der bekannten,
jüngst von Vemetül ausgeführten Gastrotomie gedacht wurde, gewann noch ein ganz be¬
sonderes Interesse durch Mittbeilungen BilbroW s Uber weitere von seinen Assistenten un¬
ternommene Experimente, den Magen zu exstirpiren. Bekanntlich hat Winiwarter
für den Hund den experimentellen Beweis gebracht, dass der Pylorus-Theil des Magens
excidirt werden, bei sorgfältiger Naht prima intentio eintreten kann und aus dieser par¬
tiellen Resection des Magens kein Nachtheil für die Ernährung des Thieres erwächst.
Jüngst nun, berichtet BiHroth , ist einem Hunde der ganze Magen excidirt worden. Car-
dia und Pylorus wurden zusammengenäht Alle Wunden heilten per primatn. Das Be¬
finden des Thieres ist gut Die Ernährung scheint nicht zu leiden. Für die Magen-
Carcinome des Menschen kann eine Verwerthung dieser Erfahrungen natürlich nur in
Aussicht genommen werden, wenn unsere diagnostischen HUlfsmittel mehr leisten als zur
Zeit Auf das Erkennen des Carcinoma in seinen frühesten Entwicklungsstadien kommt
eben hier Alles an. ln späteren Stadien, wenn schon der Tumor durch die Bauchdecken
fühlbar ist, sind die Verklebungen des Magens mit den Nachbar-Organen gewöhnlich so
ausgedehnte, dass die Gefahren der Operation um Vieles steigen. Auf ein Verfahren zu
sinnen, welches die genaue, directe, inspectorische od,er palpatorische Untersuchung der
Innenwand des Magens gestattet, wird also zunächst unsere Aufgabe sein müssen ( [Btt^
roth). Ob zu diesem Behuf die Explorativ-Gastrotomie zu gestatten sei, darüber wurde
nicht discutirt (St. Petersb. med. Woch.)
Wer hätte sich noch vor wenigen Jahren auch nur die Möglichkeit des Versuches
der Exstirpation des Magens träumen lassen?! Doch auch noch andere staunenswerthe
chirurgische Errungenschaften wurden am Congresse mitgetheilt. So entnehmen wir einem
im Vereine deutscher Aerzte in Prag gehaltenen Referate Prof. v. Heine’a (präg, medic.
Woch. 1877, 27) die Erfolge Volkmann' s mit dem antiseptischen Verbände.
Volkmann ist nämlich einem schon im vorigen Jahr ausgesprochenen Wunsche nach¬
gekommen und hat ziffernmässige Zusammenstellungen geliefert Uber alle von ihm unter
antiseptischen Cautelen ausgeführten Operationen. Wae zunächst die Amputationen in
nicht complicirten Fällen betrifft, so hat Volkmann beispielsweise während drei Jahren 42
Oberschenkel-Amputationen gemacht, von diesen 42 Amputirten wurden 41 geheilt und
nur 1 starb. (In früherer Zeit war man gewohnt, bei Oberschenkel-Amputationen eine
Mortalität von 7ö—80% anzunehmen.) Das ist nun ein colossales Resultat, auf das denn
doch die Behandlungsweise einen wesentlichen Einfluss gehabt haben muss. Ferner hat
er bei 26 partiellen Fussaraputationen wegen verschiedener Ursachen keinen Kranken
verloren.
Von 25 Unterschenkelamputirten starb einer und wurden 24 geheilt Bei 0 Doppel-
amputationen (an beiden Füssen u. s. w.) kamen nur 2 Todesfälle vor. Unter 12 Am¬
putationen bei schweren multiplen Verletzungen befinden sich 6 Heilungen und 6mal tödt-
licher Ausgang. Amputationen bei septisch Eingebrachten wurden im Ganzen 15 gemacht
und von letzteren 8, also mehr als die Hälfte, geheilt Volkmann hat in 8 Jahren 48
Hüftgelenks-Resectionen vorgenommen und von diesen 48 Kranken nur 4 verloren, also
44 unter antiseptischen Cautelen durchgebracht; das ist wieder ein ganz aussergewöhn-
licher Erfolg; ferner bei 21 Kniegelenks-Resectionen einen Operirten verloren und 20
geheilt 4 Resectionen bei pyämisch Eingebrachten führten dagegen sämmtlich zu einem
lethalen Ende. Nach 50 Osteotomien (Durchsägung, Keilaussägung) trat nur einmal der
tödtliche Ausgang ein. 73 complicirte Fracturen wurden ohne jede Operation einfach der
antiseptischen Behandlungsweise unterzogen und von diesen Kranken ist keiner gestorben.
Von 21 Kranken mit penetrirenden Gelenkwunden starb gleichfalls keiner. Mammaexstir¬
pationen wurden 109 theils total, theils partiell gemacht mit nur 6 Todesfällen. Von Volk¬
mann wurde auf dem Congresse selbst ein Kranker vorgestellt, der durch einen Schuss
ins Kniegelenk verletzt worden war; sofort antiseptische Behandlung. Volkmann schnitt
auf die Bchussöffbung ein, erweiterte mit dem Meissei den Schusscanal im Knochen zu
einem weiten Trichter und fand in dessen Grunde die Kugel; er löste dieselbe aus und
koonte nun durch eine Spalte, aus welcher Synovia hervorsickerte , in das Kniegelenk
hineinsehen. Nachdem dies geschehen und so eine äussere Knochenwunde im Querdurch¬
messer von 3 Centimeter hergestellt worden war, wurde das Gelenk mit einer Öprocen-
tigen Carboisäurelösung gründlich gereinigt, ein antiseptischer Verband angelegt und der-
Dig
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selbe in längeren Zwischenräumen erneuert. Es trat vollständige Heilung ein, ohne Fie¬
ber und ohne Gelenkentzündung. Der Kranke stellte sich vor mit einem freibeweglichen
Kniegelenk, an dem man die eingezogene und an der Tibia festgewachsene Narbe noch
wahrnehmen konnte. Es lässt sich daraus entnehmen, was wir in einem künftigen Feld¬
züge, wenn wir uns dieser Methode bedienen und möglichst frische Fälle bekommen, zu
leisten im 8tande sein werden.
Von weiteren Knoehenoperationen sind von Interesse gewesen eine neue operative
Behandlungsmethode des Genu valgum, welche Ogston mittheilte. Nach An¬
legung einer subcutanen canalförmigen Wunde mittelst eines langen schmalen uud spitzen
Messers am vorderen Umfange des inneren Oberschenkelknorrens in schräg von oben
aussen nach innen und unten in das Kniegelenk hinein und zwar bis in die Fossa inter-
condylica sich erstreckenden Richtung wird in der gleichen Linie der Condylus int fern,
mit einer eigens geformten 8tichsäge von vorn nach hinten vom Oberschenkelknochen
abgesägt und nun durch Einstellung des Unterschenkels in die Fortsetzung der Längs-
axe des Oberschenkels der Condylus internus höher hinauf versetzt, wo er durch eine
Nachbehandlung auf einer Schiene neuerdings zur Anwachsung gebracht werden muss.
Selbstverständlich darf die eingreifende Operation nur unter strengster Antisepsis gemacht
werden, weil sonst eine Kniegelenksvereiterung zu erwarten stünde. In zwei Fällen ist
bisher auf diesem Wege eine vollständige Heilung trotz der Anfüllung deB Gelenkes mit
Blut und Sägespäbnen erzielt worden.
v. Zekender ist es gelungen , ein Stück ausgeschnittener Armhaut in einem Defecte
des oberen Augenlids einzuheilen; es ist dies der einzige bisher bekannte Fall die¬
ser Art.
UnterstütiongUMien für Aerzte. Die Selbsthülfe der Aerzte bei öco-
nomischen Unglücksfällen ist schon in mannigfaltiger Weise versucht worden. Sie kann
nur dann erspriesslich sein, wenn der Kreis, in dem sie wirken soll, ein weitgespannter
ist. Es wird auch bei uns die Frage kommen, ob wir nicht fneben der Einzellebensver¬
sicherung) eine schweizerische Aerzteunterstützungscasse giünden sollen. Hier einige
Proben, wie die Frage auswärts gelöst wird.
In Frankfurt gab ein kleines Legat zur Gründung eines Pensions- und Hülfsvereins
(v. präg. med. Woch. 1877, 3l) Anlass. Es hatte zwar schon früher ein solcher bestan¬
den, doch war in dem Annexionsjahr 1866 der 8chluss der Cassa für zweckmässig er¬
achtet worden, indem man den Vermögensbestand den frankfurter Aerzten sichern wollte.
Die Berechtigung hiezu kann nicht bestritten werden, immerhin ist die Wiederaufnahme
des Instituts mit Freuden zu begrüssen. Als Mitglieder können alle ordentlichen und
ausserordentlichen Mitglieder des frankfurter Aerztevereins Aufnahme finden; der jährliche
Beitrag ist ein mässiger — 20 Mark — (eine einmalige Zahlung von 500 Mark befreit
für immer von der Verpflichtung des Beitrags); es besteht, wie gewöhnlich, ein Capital-
und ein verwendbarer Fond, aus welch’ letzterem die durch Krankheit oder anderweites
unverschuldetes Unglück geschädigten Mitglieder oder nach dem Ableben derselben deren
hülfsbedürftige Familien einmalige oder jährliche Unterstützung erhalten. Es wäre gewiss
zu wünschen, dass überall die Aerzte in giösseren Verbänden zusammenträten, um der¬
gleichen Gegenseitigkeits-Versicherungen ins Leben zu rufen, welche mindestens momen¬
tane Noth lindern und immer unterstützend eingreifen können, wenn auch der Einzelne
in wirksamer Weise für sich und seine Familie (Einkauf in eine Alters- resp. Lebens¬
versicherung) bei Zeiten zu sorgen hat.
Die medicinischen Vereine von Padua und Turin haben auf den Antrag des Dr. Casaä
beschlossen, eine Erziehungsanstalt für verwaiste und arme Kinder italienischer Aerzte
zu gründen. Zur practischen Durchführung dieses Beschlusses hat sich in Turin ein Co-
mitd gebildet, welches unter Anderem an die Studenten der Universitäten einen Aufruf
zur Unterstützung mit Geldmitteln und weitern Verbreitung der Idee erlassen hat.
Bekanntlich ging von der ksl. Leop. CaroL deutschen Academie der Naturforscher
der Plan aus, einen Unterstützungsverein für Naturforscher zu gründen, und dieser Plan,
der Naturforscherversammlung zu Graz im Jahre 1875 unterbreitet, fand von Seiten der¬
selben die vollkommenste Billigung und Unterstützung. Auch die vorjährige Naturfor¬
scherversammlung in Hamburg unterstützte das Unternehmen. Nunmehr ist der Unter-
stützungsverein so weit gediehen, dass er ein Capital von gegen 9000 Mark besitzt, über
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eine gewisse Summe jährlicher Beiträge verfugt und in diesem Jahre die erste Unter¬
stützung im Betrage von 300 Mark zu gewähren in der Lage ist. Wir fordern alle
Freunde der Naturiorschung auf, durch den Beitritt zum Verein das höchst verdienstliche
Unternehmen zu fördern, damit der Verein bald nachhaltiger seine edlen Zwecke auszu¬
führen im Stande sein möge. Thue jeder das seine und werbe bei anderen!
(Berl. klin. Woch.)
Dasselbe Thema findet sich jeweilen in den Verhandlungen der verschiedenen deut¬
schen Landesärztevereine.
Stand der Infeetions-Krankiieifen in Basel.
Vom 26. September bis 10. October 1877.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Der Gesundheitszustand hat sich in letzter Zeit sehr günstig gestaltet; so weist die
Woohe vom 30. September bis 6. October 12 Todesfälle auf gegenüber von 46 Lebend¬
geborenen.
Diesem günstigen Zustande entspricht auch der Stand der Infectionskrankhoiten. Die
Zahl der neuen Typhus fälle ist auf 10 zurückgegangen (61, 53, 63, 57, 29), die nied¬
rigste Ziffer seit Mitte Mai; davon stammen 9 vom Nordwestplateau, 4 aus dem übrigen
Grossbasel, 5 aus Kleinbasel, 1 von auswärts.
Scharlach 10 neue Fälle (11, 9, 6), wovon 3 aus einem Dause Kleinbasels, 4
aus dem Birsthale (Ulmenweg), die übrigen zerstreut in Grossbasel.
Masern 3 Fälle vom obern und untern Heuberg.
Erysipelas 7 Fälle, wovon 2 im Spital. Diphtherie 4 Fälle, wovon 8 auf
dem Nordwestplateau.
Puerperalfieber 3 Fälle, je 1 in Grossbasel, Kleinbasel und von auswärts
importirt.
Keuchhusten 1 von auswärts (Strassburg) importirter Fall.
Bibliographisches.
100) Otis , 4., Report to the Surgeon General on the Transport of sick and Wounded by
Pack Animais. 32 8. Washington, Governement Printing.
101) Martin , Das Verhalten des cervix uteri während der letzten Schwaagerachaftsmonate.
Mit 2 lithogr. Tafeln. 79 S. Stuttgart, Verlag von F. Enke.
102) Ludwig , Das Oberengadin in seinem Einfluss auf Gesundheit und Lehen. Gekrönte
Preisschrift, 144 8. Stuttgart, Verlag von F. Enke.
108) Barth , Ein Beitrag zur Behandlung der perforirenden Wunden des Kniegelenkes.
Inaug.-Dissert. Basel, Druck von Bonfantini.
104) Küchler, Die Lehre von der Ernährung des Menschen. Populär zussmmengeätellt für
Haus und Schule. 88 S. Bern, Verlag von Haller.
105) Ziemssen , Pharmacopcea clinico-oeconomica. Eine Anleitung zur Ordination der wich¬
tigsten Arzneimittel mit besonderer Rücksicht auf die Armen- und Hospitalpraxis
für klinische Practicanten und angehende Armenärzte. 3. Aufl. 67 S. Erlangen,
Verlag von Besold.
106) Wiener Klinik , Heft 6 und 7: Fleischmann, Ueber Ernährung und Körperwägungen der
Neugeborenen und Säuglinge. 48 S. Wien, Verlag von Urban & Schwarzenberg.
107) Albert, Lehrbuch der Chirurgie und Opcrationslehre Vorlesungen für pract. Aerzte
und Studirende. 1. Bd. Heft 1—8 (die Chirurg. Krankh. d. Kopfes upd Halses mit
110 Holzschn.). Wien, Urban & Schwarzenberg.
108) Kormann , Das Buch von der gesunden und kranken Frau in den ersten Stadien des
ehelichen Lebens. 276 8. Erlangen, Verlag von Besold.
109) Volkmann , Sammlung klinischer Vorträge:
112 Hitzig, Ueber den heutigen 8tand der Localisation im Grosshirn,
118 Fischer , Ueber die Gefahren des Lufteintrittes in die Venen während
einer Operation.
114—115 Leyden, Ueber Lungencatarrh. Leipzig, Breitkopf & Hirtel.
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110) Ploss , Das Kind in Brauch und Sitte der Völker. Anthropologische Studien in 2
Bänden. Stuttgart, Verlag von Auerbach.
111) Geigel ff Mayr , Das Schöpfradgebläse angewendet auf Pneumatherapie, 14 Holzschn.
102 8. Leipzig, Verlag von F. C. W VogeL
112) Dietzsch, Die wichtigsten Nahrungsmittel und Getränke, deren Verunreinigungen und
Verfälschungen. Practischer Wegweiser zu deren Erkennung. Nebst einem An¬
hang : Untersuchung hausräthlicher Gegenstände in Bezug auf gesundheitsschädliche
Stoffe und Verfälschungen. 160 S. ZUrich, Verlag von Orell, Füssli & Cie.
Briefkasten.
Herrn Dr. Ladamt , Locle; Prof. Dr. Dunant , Genf; Dr. Wirth, Buchenthal; Dr. J. J. B. in G.:
Mit Dank erhalten. — Herrn Dr. Itenechmid: Das Versprochene soll uns willkommen sein. — Herrn
Dr. Haltenhoff, Genf: Freund Baader ist für diesen Winter nach Ajaccio abgereist
635
Dr. H. Schnyder, Kurarzt von
Weissenburg, hat für kommenden Winter die
Hausarztstelie im Grand Hötel am Pegli bei
Genua übernommen. [H-1160-Y]
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hänge die Hanptlehre von der Untersuchung mittelst des Ge¬
hörsinns auf nener Grundlage darznstellen versuchen
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des Pnbliknms.
Von
Dr. K. Fr. II. Marne,
Hofrath nnd ordentlichem Professor a. d. Universität Göttinnen
8 Bogen in Octav. Preis 2 Mk. 80 Pf.
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Geburtshülfe und Gynäkologie.
Unter Mitwirkung der
Gesellschaft für Geburtshülfe und Gynlkologle
herausgegeben von
Prof. Dr. C. Schröder, Docent Dr. L. Mayer
und Docent Dr. H. Fasbeuder.
II. Band. I. Heft.
Mit 7 Holzschnitten, 5 lithogr. Tafeln und Tabellen.
gr. Octav. Preis 8 Mark.
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m
Dr. Erlenmeyersche Anstalt
für
Gemiiths- u. Nervenkranke
zu Bendorf bei Coblenz.
Die von Sanitätsrath Dr. Erlenmeyer gegrün¬
deten, nahezu 30 Jahre bestehenden Anstalten
und zwar:
I. Abtheilung für Gemüthskranke,
H. Abtheilnng (Heilanstalt) für Nervenkranke.
III. Abtheilung für chron. Geisteskranke (land¬
wirtschaftliche Anstalt),
werden von heute an von den Unterzeichneten
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Hauptabtheilung des Kantonsspitals ist in Folge
Todesfall vakant geworden und wird hiemit zur
Wiederbesetzung öffentlich ausgeschrieben. Aerzte,
welche sich um dieselbe zu bewerben gedenken,
werden eingeladen, ihre Anmeldung bis Ende des
kommenden Monats November an das Polizei¬
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N* 21. VII. Jahrg. 1877. 1. November.
Inhalt: Auf nach Olten 1 — 1) Originalarbeiten : Dr. BgU-Sindair : Die antueptiacbe Behandlung der Pnerpez».
— 2) Vereinsberichte: Medicinische Gesellschaft in Basel. — 8) Referate and Kritiken: Dr. Jostpkson: Wirknngs-
kwigk.it und Nachtheile der transportabeln pneumatischen Apparate von nnd nach Waldtnburg gegen Reepirations- and Circu-
lationskrankheiten. — 4) Kantonale Correspondenzen: Baselland; Der internationale Congress der medlcinisehen Wissen¬
schaften in Genf. — 5) Wochenbericht.
Auf nach Olten!
Nächsten Samstag den 27. October versammeln sich zum 16. Male die Mit¬
glieder des ärztlichen Centralvereins in Olten; es ergeht darum auch heute wieder
unsere dringende Einladung an alle Collegen von Nah und Fern, an dieser Zu¬
sammenkunft theilnehmen zu wollen. Neben den wissenschaftlichen Vorträgen, die
eine Reihe interessanter Fragen betreffen, und der geselligen Erholung im frohen
Kreise der Freunde und Collegen, bietet vor Allem die Neuwahl unserer Aerzte-
Commission ein Tractandum von grosser Bedeutung.
So kommt denn ihr klinischen Lehrer in die Mitte Derer, die es nicht verlernt
haben, begeisterten Auges zu der Stätte, welche die exacte Wissenschaft cultivirt,
zn unserem ausgezeichneten academischen Lehrpersonal hinzuschauen! Kommt ihr
Practiker von Stadt und Land , geniesst einige wohlverdiente Stunden der unge-
störten Erholung und freut Euch Einer am Andern, um dann mit frischem
Schwünge wieder hinauszuziehen mit neugestählten Kräften in den altgewohnten
Kampf! _
Original-Arbeiten.
Die antiseptische Behandlung der Puerpera.
Vortrag, gehalten an der ordentlichen Frühjahrssitzung der ärztl. Gesellschaft des
Cantons Zürich von Dr. Egli-Sinclair in Zürich.
Noch ist die Frage vom antiseptischen Verbände nur von einem Bruchtheil
der Chirurgen von Fach in ernsthafte Erwägung gezogen, noch ist die Luter'sehe
Wundbehandlung der Mehrzahl der practischen Aerzte kaum mehr als dem Namen
nach bekannt, und schon tritt unserer Beurtheilung eine jener analoge, aus jener
hervorgegangene und ebenso wichtige Frage entgegen, die Frage von der antisep¬
tischen Behandlung der Puerpera.
Seit erkannt worden ist, wie vollständig begründet die Lehren des viel
48
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638
geschmähten Semmelweiss sind, ist jeder rechtschaffene Geburtshelfer bestrebt
gewesen, die minutiöseste Reinlichkeit in der Behandlung der Gebärenden und
Wöchnerinnen durch Lehre und Beispiel in Aufnahme zu bringen. Reinheit der
Hände, Instrumente, des Verbandes, der Linge und Luft, welche mit der Puerpera
in Berührung kommen, wird seit vielen Jahren als erste Grundbedingung eines
erfolgreichen Wirkens am Gebär- und Wochenbette gelehrt.
So sehr die Erfüllung dieser Bedingung Morbilität und Mortalität der Wöch¬
nerinnen sowohl in als ausserhalb der Gebärhäuser herabgesetzt hat, genügt sie
doch nicht, alle Schädlichkeiten, welche Ursache fieberhafter Erkrankung in der
Genitalsphäre der Wöchnerin, resp. des Puerperalfiebers werden können, mit Erfolg
zu bekämpfen.
Eine gegen die genannten Schädlichkeiten gerichtete methodische Prophylaxis
hat deshalb ihre volle Berechtigung. Es frägt sich nur, ob die Genitalverhältnisse
eine solche erfolgreiche Prophylaxis ermöglichen ? Darauf kann mit einem entschie¬
denen Ja geantwortet und die Bejahung der Frage begründet werden durch die
Darlegung der Anschauungen und Principien, von welchen die Methode ausgeht
und der Erfolge, welche durch sie bisher erreicht worden sind.
Die Methode geht zunächst von der Anschauung aus, dass unter Puerperal¬
fieber nicht ein specifischer Krankheitsprocess zu verstehen ist, sondern die Ge-
sammtheit fieberhafter Vorgänge, welche im Bereiche des Genitaltractus und seiner
Adnexa zur Zeit von Geburt und Wochenbett auftreten. Es entspricht diese An¬
schauung den Beobachtungen, welche in der Neuzeit vom Arzte am Krankenbette,
vom pathologischen Anatomen am Secir- und Microscopirtische gemacht wor¬
den sind.
„Die fieberhaften Erkrankungen der Wöchnerinnen“, sagt Fritsch , „sind acci-
dentelle Wundkrankheiten, denen der Ausgangspunct und der puerperale Zustand
der Genitalien specifischen Charakter verleiht.“ Der specifische Charakter ist aber
nicht einmal so sehr ausgesprochen. Oder welcher wesentliche Unterschied des
klinischen Verlaufes und des Sectionsbefundes besteht z. B. zwischen einem Fall
von Zerreissung des Scrotums, Fractur des Schambeines und Quetschung des
Beckenzellgewebes, welcher durch Pyämie zu Grunde geht, und einem Fall von
Puerperium mit folgender Parametritis, Peritonitis, lnfarcten in Lungen, Milz etc.?
Dort haben wir es mit Pyämie in einem chirurgischen, hier mit Pyämie in einem
puerperalen Falle zu thun. Und solche Analogien lassen sich unschwer für fast
jede einzelne Form von Puerperalerkrankung finden. Die Bezeichnung Puerperal¬
fieber dürfte, selbst für die lethal endigenden Fälle, fallen gelassen und statt der¬
selben die präciseren und mehr wissenschaftlichen Termini: Ulcera diphtheritica,
Endo-, Peri- und Parametritis etc., Peritonitis, Pyämie, Septicämie, Septicopyämie
in Puerperio eingeführt werden. — Also nichts specifisches haftet den fieberhaften
Erkrankungen der W’öchnerinnen an. Wir haben es dabei mit accidentellen Wund¬
krankheiten zu thun — Wundkrankheiten, denen nur dadurch ein etwas besonderes
Gepräge aufgedrückt wird, dass sie an Wunden sehr aufgelockerter und gefäss-
reicher Theile Vorkommen.
Ferner geht die Methode davon aus, dass die Erkrankung der Wunden durch
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G39
Uebertragung vonInfectionsstoffen auf dieselben veranlasst werde; und zwar durch
Uebertragung theils von aussen, theils von innen her. Die Infection von aussen
bezweifelt beute Niemand mehr; sie ist das weitaus häufigere Vorkommniss von
Beiden. Die Infection von innen her, die Selbstinfection, ist seltener, muss aber
nur zu oft als Thema einer tröstenden Rechtfertigung dienen in Fällen, wo uns
der Muth gebricht, eine Unterlassungssünde einzugestehen. Es ist indessen selbst¬
verständlich, dass faulendes Fruchtwasser, faulende Lochien, Coagula, Eihaut- und
Placentarreste die Quelle der Infection sein können. Ob das Lochialsecret, wie
neuestens Kehrer glaubt erwiesen zu haben, eo ipso der Träger eines Entzündungs¬
erregers sei, bleibt einstweilen dahingestellt. Dazu ist nämlich zu bemerken, dass
Kehrer zu seinen Versuchen Secret benutzte, welches mit einer Röhre dem oberen
Theile der Vagina entnommen wurde. Es ist aber fraglich, ob die ganz frischen
Lochien, wie sie eben der Uterusinnenfläcbe entquellen, die gleichen infectiösen
Wirkungen gehabt hätten.
Ueber das Wesen der übertragbaren infectiösen Stoffe hier eine Betrachtung
anzostellen, ist zur Beurtheilung unseres Gegenstandes nicht nothwendig. Ob sie
Pilze, ob Bacterien, ob Letztere selbst die deletären Körper oder nur die Träger
des Giftes seien u. s. w., trägt zum Werthe oder Unwerthe der antiseptischen Me¬
thode nichts bei.
Die Methode geht drittens noch davon aus, dass, nach den neuesten Erfah¬
rungen, die zuverlässigste Wundbehandlung die Lister ’sehe Carboibehandlung ist.
Letzteres wird nun noch von vielen Seiten bestritten. Wer aber die Lisler 'sehe
Wundbehandlung mit aller Genauigkeit auch ira kleinsten Detail entweder selbst
schon längere Zeit angewendet oder hat anwenden sehen, muss sich der Ueber-
zeugung unterwerfen, dass noch mit keiner anderen Wundbehandlungsmethode im
Allgemeinen so günstige Resultate erzielt worden sind. Gegner der Carbolbehand-
lung werfen unter Anderem ihr vor, dass die Carbolsäure die Entwickelung der
Krankheitserreger nicht einmal hemme, viel weniger dieselben tödte, und dass sie
die Wunden reize. Sei dem Ersteren wie ihm wolle, in der Therapie sind wir
doch vor Allem Practiker und nicht Theoretiker. Lehrt uns die nüchterne Beob¬
achtung, dass eine mit Carbolsäure antiseptisch behandelte Wunde sicherer und
schneller heilt, als eine nicht so behandelte, so kümmern wir uns wenig um die
Resultate von Versuchen, welche in Gläschen an faulenden Substanzen gemacht
worden sind. Es ist ferner schwer, sich davon zu überzeugen, dass die Carbol¬
säure reizend auf Wanden einwirke; die Beobachtung ist Jedem leicht zugänglich,
dass eine selbst mit concentrirter Carbolsäure betupfte Wunde kaum merkliche
Reaction darauf zeigt. Anders wird es sich allerdings zutragen, wenn wir verfah¬
ren würden wie Jemand, der vorgibt, nach Lister behandelt zu haben, indem er
die Wunde mit lOprocentiger CarbollösuDg auswaschte, bis die Weichtheile wie
gekocht aussahen.
Soweit die Principien, auf welche die Methode sich stützt. Zum bessern Ver-
standniss derselben ist noch die Frage zu berühren nach der Lage, Ausdehnung
und Beschaffenheit der Genitalwunden, welche also antiseptisch behandelt werden
sollen.
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640
Bei Erstgebärenden finden sich immer mehr oder weniger zahlreiche, meist
auch gequetschte Risswunden am introitus vaginse, besonders am hintern Umfange
desselben; selten fehlen Risse im Vorhofe und an der hintern Commissur der
Vulva- Auch wiederholen sich diese Risse bei Mehrgebärenden, wenn seit der
letzten Geburt einige Jahre verflossen sind. Das Mittelstück der Vagina ist selten,
das Scheidengewölbe fast nie betheiligt. Ausnahmslos erleidet bei Erstgebärenden
die Cervicalportion, namentlich der äussere Muttermund, Einrisse unter der Geburt
und auch Mehrgebärende entgehen einer Lsesion an dieser Stelle nur selten. Ein
ziemlich verbreiteter Irrthum dagegen ist es, die Uterusinnenfläche post partum
als eine grosse Wundfläche zu betrachten. Wir wissen durch die Untersuchungen
von Friedländer , Langhans u. A-, dass dieselbe vielmehr zum weitaus grössten Theile,
auch an der Placentarstelle, mit Epithel bedeckt bleibt, ein Punct, der bei Beur-
theilung einer intrauterinen Behandlung im Wochenbett von Wichtigkeit ist. Die
Uterusinnenfläche ist deshalb, wie Fritsch sagt, „nicht einfach einer resorptions-
fähigeu Wunde gleichzusetzen. Wäre dies der Fall, so müssten wir viel häufiger
Erkrankungen sehen. u Mit resorptionsfähigen Wunden in der Gebärmutterhöhle
haben wir es nur dann zu thun, wenn Verletzungen der Innenwand des Uterus
bei operativen Eingriffen, wie Placentar- und Eihautlösung, nicht zu vermei¬
den sind.
Der Ausgangspunct der Erkrankung im Wochenbette ist nun in der grossen
Mehrzahl der Fälle in den Rissen der portio vaginalis zu suchen. Der Grund
dieser Erscheinung liegt in dem constanten Vorkommen jener Risse, in der Suc-
culenz und Schlaffheit der Portio vaginalis, in ihrer Beziehung zu den zu- und ab¬
leitenden Blut- und Lymphbahnen, namentlich aber in ihrer Lage. In der Rücken¬
lage der Wöchnerin nämlich bildet der Genitaltractus einen mit seiner Spitze, dem
hintern Scheidengewölbe, nach unten gerichteten rechten Winkel, und in der Spitze
liegt die Vaginalportion. Die Folge davon ist, dass dieselbe besonders in den
ersten Tagen des Wochenbettes, wo die Scheide in Folge der erlittenen Dehnung
nicht im Stande ist, ihren Inhalt zu entleeren, vom Lochialsecret umspült, resp.
der Infection im Falle faulender Lochien fortwährend ausgesetzt bleibt. — Die
Wunden der Vagina und Vulva sind der Gefahr der Infection zwar ebenso unter¬
worfen , wie diejenigen des Cervix, indem die Lochien über sie wegfliessen und
sie zugleich vor Luftzutritt wenig geschützt sind; dass sie aber seltener die Zu¬
trittsstellen für allgemeine Erkrankung darstellen, liegt theils in der geringem
Resorptionskraft der genannten Gebilde, theils in der leichtern Zugänglichkeit der
Wunden für therapeutische Eingriffe. Ein Ursprung der Erkrankung nur von der
Placentarstelle aus, ohne gleichzeitige Mitbetheiligung der Vaginalportion ist mei¬
nes Wissens noch nicht nachgewiesen worden.
Damit sind die Angriffspuncte des Genitaltractes, gegen welche die antisep¬
tische Wundbehandlung, zugleich aber auch die Grenzen, bis zu welchen sie vor¬
zugehen hat, bezeichnet.
Nun zur Behandlungsmethode. Es liegt auf der Hand, dass eine streng Lister -
sehe Behandlung nicht durchführbar ist. Die Anwendung des Carbolspray hat
sich als unzweckmässig erwiesen, ein Occlusionsverband kann nicht angelegt wer-
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641
den. Indessen liegen die Verhältnisse doch so, dass das Grundprincip der Lister -
sehen Wundbehandlung: antiseptische Reinheit, mit seltenen Ausnahmen vollstän¬
dig zur Geltung gebracht werden kann.
Der Erfinder der Methode ist Prof. Bischoff in Basel. Er hat dieselbe schon
seit 9 Jahren, allerdings im Lauf der Zeit unter mehrfachen Verbesserungen, in
Anwendung gebracht, sie weitern Kreisen aber erst 1875. in der XII. Versammlung
des ärztlichen Centralvereins in Olten bekannt gegeben. Inzwischen hat Frilsch in
Halle in Nr. 107 der Volkmann sehen Sammlung klinischer Vorträge ein dem Bischoff-
schen sehr ähnliches Verfahren beschrieben und empfohlen. Als ehemaliger Assi¬
stenzarzt der Basler geburtshülflichen Klinik und da ich die Methode in meiner
Praxis an wende, fühle ich mich berechtigt, ein Wort in dieser Angelegenheit mit¬
zusprechen.
Die leitenden Gesichtspuncte der BischofT sehen Prophylaxis des Puerperalfie¬
bers sind in dessen eigenen Worten: „möglichst vollständiges Entfernen aller zer¬
setzungsfähigen Partikeln aus den Genitalien vor dem Eintritt der Verletzungen
und während des Bestehens der Wunden, Abschluss aller nicht durch Carbolsäure
desinficirten Luft von den verletzten Stellen, keine andere Berührung der Genita¬
lien mit Fingern und Instrumenten, als mit solchen, die nach vorheriger gründli¬
cher Reinigung mit starkem Carbolö! bestrichen sind.“
Die Bitchoff' sehe Behandlung beginnt wo möglich in den letzten Tagen der
Schwangerschaft und erstreckt sich ohne Ausnahme auf jede Gebärende und Wöch¬
nerin. Scrupulöse Reinheit der Luft, der Betten, aller Gegenstände, die mit der
Frau in Berührung kommen, ist selbstverständlich. Schwämme, Watte, Naht- und
Unterbindungsmaterial, Hände und Instrumente werden gründlich, bei länger dauern¬
den Eingriffen wiederholt mit 3% Carbollösung desinficirt und mit 10% Carbolöl
befettet. Die Gravida erhält ein reinigendes Vollbad und in den letzten Tagen
der Schwangerschaft täglich eine lauwarme Einspritzung in die Scheide von 2pro-
centiger wässriger Carbolsäurelösung.
Unter der Geburt wird diese Injection wenigstens einmal wiederholt. Bei
langer Dauer der Geburt jedoch, bei todter Frucht, bei frühzeitigem Blasensprunge,
bei Abgang übelriechenden Fruchtwassers, bei künstlicher Frühgeburt und bei öf¬
terem Touchiren wird die 2procentige Carbolinjection zweistündlich wiederholt, bei
sehr suspecten Fällen sogar die anhaltende Irrigation der Vagina eingeleitet. Nach
der Austreibung des Kindes wird der Scheideneingang sofort mit 10% Carbolöl
desinficirt und ein mit dem Oel getränkter Wattebausch bis zur Austreibung der
Placenta in denselben gelegt. Der Austreibung der Placenta folgt in allen Fällen
eine reichliche Irrigation der Vagina, und wo die Hand oder Instrumente in den
Uterus eingeführt werden mussten, ferner bei todter Frucht, bei übelriechendem
Liquor gleichzeitig eine Irrigation der Gebärmutterhöhle ebenfalls mit 2% Carbol¬
lösung. Dann werden Vorhof und Scheideneingang inspicirt und jeder, auch der
kleinste Riss sorgfältig genäht, und zwar Schleimhautrisse mit feinster Hamburger
Seide, Dammrisse mit Silberdraht. Schleimhauterrosionen werden mit concentrirter
Carbolsäure betupft. Zum Schluss wird ein Carbolöltampon in den Introitus ein-
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geführt und daselbst liegen gelassen und ein zweiter in Carbolöl getauchter Watte¬
bausch kommt zwischen die Schamlippen zu liegen.
Im Wochenbette erhält die Puerpera täglich 2 Mal eine Scheideninjection von
2% Carbollösung. So oft der Carboiöltampon aus dem Introitus herausfällt, also
bei den Injectionen und beim Harnlassen, muss er erneuert werden. Treten übel¬
riechende Lochien auf, so wird die Vaginaleinspritzung vierstündlich wiederholt
und bei Verdacht auf Eihaut- oder Placentarreste die Uterinhöhle 2 Mal täglich
mit 2 —Öprocentiger Lösung irrigirt. Ein irgendwie auf diphtheritiscben Belag
verdächtiger Fleck wird mit concentrirter Carbolsäure geätzt. Als Grundsatz gilt
übrigens, im Wochenbett jedes Touchiren möglichst zu vermeiden.
So die Bischoff sehe Prophylaxis. Aehnlich verfährt Fritsch .
Ich bin weit davon entfernt, die Methode als infallibel darstellen zu wollen,
wenn sie aber nur auf theoretische Betrachtungen gestützt schon empfehlenswert!!
erscheint, am meisten erscheint sie so Angesichts der Erfolge, welche Prof. Bischoff
auf seiner Klinik damit erzielt hat. Es ist hier nicht der Ort, ausführliche stati¬
stische Angaben darüber mitzutheilen. Ich erwähne nur kurz, dass seit Einführung
der antiseptischen Prophylaxis auf der Basler Klinik die puerperale Morbilität da¬
selbst vom Maximum von 44 ’/a% im Jahre 1868 auf 13*/o im Jahre 1876 und die
puerperale Mortalität von 6,4 auf 1,6% reducirt worden ist, ein Erfolg, welcher
den mit der Lister'schen Wundbehandlung auf chirurgischen Stationen erzielten
Resultaten wenig nachsteht. Zudem lehrt ein Vergleich mit den statistischen An
gaben anderer geburtshülflicher Kliniken, dass keine derselben so günstige Zahlen¬
verhältnisse aufzuweisen in den Stand gesetzt ist, wie die Basler Klinik.
Diese Resultate lassen die Forderung als gerechtfertigt erscheinen, es möch¬
ten die Aerzte in ihrer geburtshülflichen Praxis einen ernstlichen und ausdauern¬
den Versuch mit der antiseptischen Behandlung der Puerpera machen. Einmal
mit der Anwendung derselben vertraut, würden sie bald durch eigene Beobachtung
von deren Vorzügen sich überzeugen. Da ich die Methode in der Privatpraxis
schon erprobt habe, kann ich versichern, dass ihrer Anwendung grosse Hindernisse
nicht entgegen stehen. Das muss von vornherein selbstverständlich zugegeben
werden, dass, so lange die Hebammen nicht mit der Methode vertraut gemacht
und von Gesetzes wegen zu ihrer Anwendung gezwungen werden, ihre consequente
Durchführung eben nur in den Fällen möglich ist, wo der Arzt rechtzeitig zur Ge¬
burt gerufen wird.
Indem ich glaube, dadurch in etwas zur Verbreitung der Methode beizutra¬
gen, tbeile ich in Kürze das Verfahren mit, das ich selbst in der Praxis ein¬
schlage.
Zu jeder Geburt nehme ich vor allem anderen Folgendes mit: ein Fläschchen
lOprocentiges Carbolöl, ein Fläschchen Carbolsäure und Spiritus zu gleichen Thei-
len, ein kleines Paquet Bruns'&che Verbandwatte und einen Irrigator. Der Irrigator
fasst einen Liter Flüssigkeit, die Länge seines Schlauches beträgt nicht mehr als
drei Fuss, damit die Möglichkeit eines zu starken Wasserstrahles im voraus aus¬
geschlossen ist; ein Mutterrohr von Zinn vollendet den höchst einfachen Apparat.
Gewöhnlich halte ich noch ein doppelläufiges Mutterrohr in Reserve. Das Mutter-
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rohr soll für den ärztlichen Gebrauch von Metall sein, weil zur intrauterinen In-
jection nur ein starres Rohr mit Sicherheit geführt werden kann. — Kommt man
noch während der Eröffnungsperiode oder im Anfang der Austreibungsperiode zur
Kreissenden, so steht der Durchführung der ganzen Bitchoff 'sehen Prophylaxis
nichts im Wege. Zum Inhalte eines mit Wasser gefüllten Beckens füge ich meh¬
rere Esslöffel des öOprocentigen Carboispiritus. Die Hebamme wird angewiesen,
Hände und Vorderarme zunächst mit Seife zu waschen und dann mit dem Carbol-
wasser zu desinficiren- Da ich ihr mit gutem Beispiele vorangehe, so sieht sie
hierin nichts besonderes. Dann müssen die Haare von den Schamlippen der Kreis¬
senden abgetragen und eine Scbeideninjection gemacht werden, wozu dem lau¬
warmen Wasser, mit welchem der Irrigator gefüllt wird, 2 Esslöffel Carboispiritus
zugesetzt werden. Es ergibt das, je nach der Grösse des Löffels, eine 2—3pro-
centige wässrige Carbollösung. Ist die Hebamme mit der Anwendung des Irriga¬
tors noch nicht vertraut, so ertheile ich ihr die nötbige Anweisung dazu. Die
Butter oder das Schweinefett, mit dem sich die Hebamme den untersuchenden
Finger befettete, muss sie entfernen, sie darf nur noch das lOprocentige Carbol-
öl dazu verwenden- Komme ich erst zu einer Zeit zur Geburt, wo der grösste
Theil der Vagina bereits durch einen grossen vorliegenden Theil ausgefüllt ist, so
lasse ich an Stelle der Irrigation der Scheide den noch zugänglichen Raum der
letztem und die Vulva mit einem reichlich mit Carbolöl getränkten Wattebausch
ausreiben. Ist dann ferner ein operativer Eingriff angezeigt, so kommen die dazu
etwa nöthigen Instrumente vor ihrer Verwendung in das Becken mit Carbolwasser
zu liegen. Unmittelbar vor der Operation werden Hände und Vorderarme noch¬
mals gründlich desinficirt und, sowie die Instrumente, mit Carbolöl befettet. Nach
der Geburt des Kindes betupfe ich die Risse am Introitus vorläufig mit Carbolöl
und ist auch die Placenta zu Tage gefördert, so nähe ich die bis in das Unter¬
hautzellgewebe reichenden Risse theils mit Seide, theils mit Silberdraht, während
die Abhaltung von Infectionsstoffen von den oberflächlichen Rissen dem Carbolöl
überlassen bleibt. Im übrigen verfahre ich genau nach Bischof lasse also zunächst
noch eine Scheideninjection appliciren, oder vollziehe selbst nach vorausgegangener
Operation eine gründliche Ausspülung der Uterinhöhle. Zum Schlüsse receptire
ich lOprocentigee Carbolöl zur Erneuerung der für den Introitus und die Rima be¬
stimmten Wattebäusche und ÖOprocentigen Carboispiritus, wovon ich 2 Esslöffel
auf eine Injection ordinire.
Was die Behandlung im Wochenbette betrifft, so weiche ich in einem Puncte
von der Bitchoff 'sehen Methode ab, indem ich mich nicht so rasch zu Irrigationen
der Gebärmutterhöhle entschliessen kann. Ich glaube, dass die so bedeutende
Verbesserung der Statistik der Basler geburtshülflichen Klinik wesentlich dem pro-
phylactischen Theile der antiseptischen Behandlung, besonders unter der Geburt,
zuzuschreiben sei, während die intrauterine Injection im Wochenbette schon mehr
der Therapie der Puerperalorkrankung zufällt, für deren Erfolge noch mehr stati¬
stische Belege abzuwarten sind. Selbst für die Fälle von Placentarlösung, wo be¬
stimmt unlösbare Stücke zurückgeblieben sind, erachte ich die Irrigationen des
Uterus nicht im voraus indicirt, sofern nur unmittelbar nach der Operation gründ-
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lieh desinficirt worden ist. Solche unlösbare Stücke sind in so inniger Verwach¬
sung mit der Uterinwandung, dass sie gewiss selten durch Mortification zur Infec-
tion, als vielmehr im spätem Wochenbett zu Blutabgang Veranlassung geben und
alsdann andere therapeutische Eingriffe indiciren. Im weitem begründe ich meine
Zurückhaltung betreffs der Injectionen in die Uterinhöhle während des Wochen¬
bettes durch die schon erwähnte Beobachtung, dass die primäre Infection von der
Höhle des Gebärmutterkörpers aus selten ist, während die leicht inficirbaren Risse
der Vaginalportion genügend durch Injectionen in die Vagina desinficirt werden
können, besonders wenn man dabei den Steiss erhöht lagern lässt Endlich ist
auch bei grösster Sorgfalt die Möglichkeit einer Lsesion der bereits in Verheilung
begriffenen Wunden der Vaginalportion und einer Lockerang und Verschiebung
von Thromben nicht ganz ausgeschlossen.
Bei Auftreten übelriechender Lochien bin ich daher bisher so vorgegangen,
dass ich die vierstündliche Wiederholung der Scheidenirrigation örtlich und 1 gmm.
Ergotin pro die innerlich verordnete. Letzteres hat den Sinn, durch Contraction
der glatten Muskeln des Uterus Entleerung seiner Höhle und Compression seiner
Venen und Lymphgefässe zu erreichen, wodurch ein Uebertritt von Infectionsstof-
fen auf die Serosa oder in das Parametrium verhindert würde. Da ich bis jetzt
mit diesem Verfahren gut ausgekommen bin, so nehme ich keinen Anstand, das¬
selbe zu empfehlen. Ein ganz ungesuchtes Beispiel von dessen Wirksamkeit kann
ich aus den letzten Tagen beibringen. Am 5. Tage des Wochenbettes nach einer
durch Forceps vollendeten Geburt stellten sich übelriechende Lochien und eine
Temperatursteigerung auf 39,2° ein. Bei der Morgenvisite des folgenden Tages
verordnete ich Ergotin in starken Dosen und vierstündlich eine Scheidenirrigation.
Mit der dritten Einspritzung am Abend dieses Tages ging dann ein kleines, altes,
in Zersetzung begriffenes Blutgerinnsel ab, worauf die Temperatur wieder sich zur
Norm einstellte.
Hervorheben will ich jedoch, dass ich die Bedenken gegen die nicht zu häu¬
fige Irrigation der Uterushöhle im Wochenbette dann aber doch würde fallen lassen,
wenn das erwähnte Verfahren ohne baldigen Erfolg bliebe.
Zum Schlüsse noch ein Wort zur Behandlung der gefährlicheren sogenannten
Initialstadien des Puerperalfiebers, der Ulcera diphtheritica vulvro et vaginss, der
Endometritis diphtheritica und der Endometritis septica. — Gegen die Ulcera diph¬
theritica am Scheideneingang wird die von Bischoff angegebene rechtzeitige Cau-
terisation mit reiner Carbolsäure, und gegen die Endometritis diphtheritica die In-
jection von 1—2 gmm. reiner Carbolsäure in die Uterashöhle mit Erfolg angewen¬
det Beides lässt sich in der Privatpraxis leicht ausführen. Eine rationelle Be¬
handlung der septischen Endometritis kann nur in ausgiebiger Irrigation der Ute¬
rashöhle mit einer antiseptischen Lösung bestehen. In der Privatpraxis wäre das
Verfahren aber den Angehörigen der Kranken als letztes Refugium darzustellen,
da es nach den Beobachtungen, welche ich s. Z. als zweiter Assistent auf der ge-
burtshülflichen Klinik von Prof. Frankenhäuser, wo mir die Behandlung der Puer¬
peralkranken übertragen war, gemacht habe, trotz seiner Rationalität in diesen
verzweifelten Fällen jwenig oder gar nichts verspricht und nicht selten mit dem,
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in der Privatpraxis jedenfalls höchst peinlichen, Zufalle begleitet ist, dass während
oder unmittelbar nach der Injection ein Schüttelfrost auftritt
Gegenwärtig wird auf der geburtshülflichen Klinik zu Basel bei Endometritis
der Uterus mit doppelter Zinnröhre drainirt und alle 2 Stunden oder auch con-
tinuirlich mit Salicyllösung durchrieselt. Mittheilungen über die Erfolge dieser
Versuche sind jedoch für längere Zeit noch nicht zu erwarten.
V ereinsberichte.
Medicinische Gesellschaft in Basel.
8. Sitzung, 6. Juli 1876. Anwesend 20 Mitglieder.
Präsident erinnert an den im kräftigsten Alter rasch dahingeschiedenen Colle-
gen Fischer , der seit seinem Hiersein an der Thätigkeit der Gesellschaft durch
Besuch der Zusammenkünfte und durch Vorträge regen Antheil genommen und
neben der Praxis sein wissenschaftliches Streben sowohl als Docent an der Uni¬
versität , als insbesondere auf dem Gebiet des Militärsanitätswesens bethätigt
hatte-
Prof. Hoffmann referirt eingehend über den Bau der Spongiosa der
Knochen und die daran sich knüpfende Frage des Knochenwachsthums auf
Grund der Arbeiten von Kölliker , Schwalbe etc. Ref. weist nach, dass der constante
den Zug- und Druckrichtungen entsprechende Verlauf der Spongiosabälkchen
durchaus nicht ein interstitielles Knochenwacbsthum voraussetze, dass im Gegen-
theil auch hier oft Resorption resp. Apposition nöthig sei. Die Verschiebung ein¬
geschlagener Stifte wird, wie die nicht seltene Aenderung im Verlauf der Ernäh¬
rungscanäle bewirkt durch Zerrung des Periostes in der Richtung der stärker wach¬
senden Epiphyse.
Prof. Hagenbach regt eine Besprechung der Impfresultate mit Farren-
1 y m p h e an ; er beobachtete in letzter Zeit einen weniger sichern und weniger
ausgiebigen Erfolg, sowohl bei directer Impfung vom Farren, als insbesondere bei
Impfung aus Gläschen. Bisweilen ist der Erfolg null oder es gibt nur 1—2 Pu¬
steln ; letztere Fälle werden dadurch immerhin immun, aber es ist fraglich auf wie
lange; sie könnten später bei einer Variolaepidemie erkranken und dadurch den
Werth der Impfung discreditiren. Ref. glaubt, man sei dem Export zu liebe in
der Verdünnung zu weit gegangen; wo er selbst mit reichlichem Stoff vom Farren
direct impfte, hat er stets guten Erfolg gehabt. In der Discussion, an der sich
die Herren : Physicus deWelle , Dr. Hangen , Hdgler , Prof. Hoffmann, Massini , Dr. Hü¬
gel thof er, Schneider , Lotz und F. Müller betheiligen, wird das nicht seltene Auftreten
von Misserfolgen bestätigt und der Grund in flüchtiger Impfung, im zu weit ge¬
henden Auspressen der Pusteln, in der Verdünnung, in ungleichmässiger Mischung
mit Glycerin etc. gesucht.
Die Gesellschaft einigt sich schliesslich zu dem Wunsche, man möge mit dem
Handel nach aussen, der auf die eine oder andere Weise Schuld sei an diesen
Misserfolgen, aufhören.
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646
9. Sitzung, 7. September 1876. Anwesend 16 Mitglieder.
Prof. Mastini theilt seine Beobachtungen mit über die Anwendung der Präpa¬
rate des S e c a 1 e cornutum bei Herzkrankheiten. Auf Grund seiner
Erfahrungen empfiehlt er dasselbe besonders bei einfachen Herzbypertrophien und
Degenerationen, wenn nach längerem Gebrauch die Digitalis im Stiche lässt, als
Ersatz derselben und als Mittel , deren Anwendung wieder auf längere Pausen
hinauszuschieben. Weniger Wirkung sah Ref. bei eigentlichen Klappenfehlern.
Die Form der Anwendung war das Infus 6 — 12:200 und das Ergotin Bonjean;
noch mehr dürfte sich eine Maceration empfehlen. In Betreff der Ergotinliteratur
bemerkt Ref., dass einschlägige Beobachtungen mit Ausnahme einer Angabe über
Kräftigung der Herzbewegung bei scheintodten Kindern, noch ganz fehlen.
Dr. Schneider zeigt das camphorisirte Phenol vor; 2 Theile Acid.
carbolic. cristallisat. und 1 Theil Camphor lösen sich gemengt zu öliger Flüssig¬
keit, die nicht mehr ätzend wirkt, keinen Carbolgeruch hat und sich besonders
innerlich eignen soll; mit Oel mischt es sich in jedem Verhältniss.
10. Sitzung, 5. October 1876. Anwesend 19 Mitglieder und 1 Gast.
Dr. Fiechler spricht über die Pilze als Ursachen von Infections-
krankheiten. Nach einem Rückblicke auf die Anschauungen früherer Zeiten
referirt derselbe eingehend über die Entwicklung und den gegenwärtigen Zustand
unserer Kenntnisse auf diesem Gebiete. Specifische einer bestimmten Krankheit
zukommende Formen, wie die Spirillen bei Typhus recurrens und die für Mycosis
intestinalis und Milzbrand identische Bacterienform, bilden die Ausnahme. Sonst
kommen dieselben sich aus einander entwickelnden Pilzformen bei sehr verschie¬
denen Krankheiten vor, so dass aus der Form nicht über die Bedeutung kann ge¬
schlossen werden, während sie doch für verschiedene Krankheiten dem Wesen
nach nicht identisch sein können. Ref. durchgebt die einschlägigen Beobachtungen,
nach welchen nicht nur bei den altbekannten Infectionskrankbeiten, sondern auch
bei croupöser Pneumonie, interstitieller Nephritis etc. ein ätiologischer Zusammen¬
hang mit Pilz Wucherungen von namhaften Forschern behauptet wird; — legt eigene
Beobachtungen von Microsporonwucherungen bei Pertussis vor und betont zum
Schlüsse die Wünschbarkeit sicherer Erforschung dieser Verhältnisse bei derer
Wichtigkeit für Prophylaxe und Therapie.
11. Sitzung, 3. November 1876. Anwesend 19 Mitglieder.
Prof. Büchoff spricht über Thrombose der Vena cava im Wo¬
chenbett, welche, abgesehen von der Möglichkeit einer rasch tödtlichen Em¬
bolie, die Ursache langwierigen Krankseins werden kann. Die Hauptsymptome
sind die zahlreichen (einmal 52) Schüttelfröste mit sehr hohen (in einem Falle, der
mit Genesung endete, bis zu 42,3°) Temperaturen und profusen Schweissen, dabei
aber völliges Wohlsein, völlig reine Zunge, guter Appetit, normale Temperatur in
den Pausen und Mangel irgend welcher anderer Krankheitserscheinungen ausser
vorübergehendes Oedem der untern Extremitäten und vorübergehendes Sinken der
Urinmenge.
Derselbe theilt 3 weitere Fälle von Enucleation von grossem Uterus-
myomen mit, die alle günstig verliefen. Der eine verdient besonders Interesse,
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indem nach der Enucleatioo des bis unter das Peritoneum reichenden Tumors eine
Inversion jener aus nur noch dünner Schicht bestehenden Stelle eintrat; die
invertirte Partie bildete einen mehr als hühnereigrossen Tumor, der sich bis in
die Vagina vordrängte. Unter fortgesetzter Tamponade bildete sich die Inversion
völlig zurück.
Derselbe spricht endlich über hintere Scheitelbeinstellung, als
eine noch viel zu wenig gewürdigte Erscheinung der Geburt, die, wenn bei weitem
Becken auftretend, allerdings meist spontan sich rectificirt, bei engem Becken aber
meistens die Perforation nöthig macht. — In einem der raitgethcilten Fülle trat
Uterusruptur mit Austritt des Kindes in die Bauchhöhle ein. An dem durch La¬
parotomie entwickelten Kinde liess sich die bei der hintern Seheitelbeinstellung
regelmässig zu Stande kommende Configuration: Abflachung des vordem, starke
Krümmung des hintern Scheitelbeins, 'Ueberragen des hintern Scheitelbeins über
das vorn gelegene, gut demonstriren.
Betreffs der Ursache der abnormen Kopfhaltung muss gewiss das Verhältnis
der Uterusaxe zur Leeret ’sehen Axe von Einfluss sein, die ja, besonders bei stark
geneigtem Becken, wie schon Smellie wusste, mit letzterer einen nach vorn offenen
stumpfen Winkel bildet.
In einem der 4 mitgetheilten Fälle fand sich auch ein sehr stark geneigtes
Becken notirt.
Entgegen der Ansicht voa Michaelis, dass eine besondere Schlaffheit des untern
Uterussegmentes die abnorme Einstellung begünstige, fand sich in einem Falle ab¬
norme Rigidität des Cervix, dessen untere Partie den Kopf fest umschnürte und
die spontane Rectification hindern musste.
12. Sitzung, 7. December 1876. Anwesend 21 Mitglieder.
Dr. Courvoisier theilt eine
Statistik der Mortalität der Kirchgemeinde Riehcn-
Be tti n ge n
vom Jahre 1796 -1875 mit, deren hauptsächlichste Resultate im Folgenden ange¬
führt sind:
I. Todtgeburten. 187 auf 3629 Lebendgeborene.
legitim: 171 „ 3543 legitim Geborene = 4,8%
illegitim: 16 „ 273 illegitim.Geborene = 5,6%-
II. Sterbefälle: 3347 (M. 1488, W. 1843. ? 16)
(44,7%) (55,3%)
ohne Passanten im Diakonissenhaus: 3022 (M. 1449, W. 1557 V 16)
(48,2%) (51,8%)
Geschlecht und Alter bekannt in 3320 Fällen.
Geschlecht unbekannt in 16 „
Alter unbekannt in 11 „ (M. 6, W. 5).
Kinder unter 1 Jahr 791 (M. 389, W. 387 ? 15)
unter 1 Monat 291 (M. 142, W. 135 ? 14).
Todesfälle unter 1 Jahr = 67% aller gestorbenen Kinder,
24% » Gestorbenen überhaupt.
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Uebrigens finden sich grosse Unterschiede im Lauf der Zeit, z. B. im ersten
Jahrzehnd sind nur 14% i im fünften 17,5%i im sechsten 27%, im achten 31,5*/«
aller Lebendgeborenen wieder im ersten Lebensjahre gestorben. Also in den letz¬
ten Jahrzehnden bedeutende Zunahme.
. Uebrige Altersclassen.
1—6 Jahr 283 = 8,5% aller Gestorbenen.
6—15 „ 163 = v » »
Alle Kinder 1237 = 13,5% „
15-20 Jahr 83 = 2,5% » „
20-60 „ 941 = 28,5 „ „
60—? „ 1074 = 32,5» „
Alle Erwachsene n 2098 = 64,0% » „
Im Landarmenhaus starben 35 M., 37 W. = 72. Diese Todesfälle wur¬
den hier alle mitgerechnet, obwohl auch Kleinhüninger darunter sind.
Im Diaconissenspital (seit 1853) starben 411, worunter Einheimische 84,
Auswärtige 327, und zwar M. 39, W. 288. Diese auswärtigen Passanten sind bei
den nachfolgenden Berechnungen meist weggelassen.
Todesursachen.
Dieselben sind von 1796 an in den Pfarrbüchern der Kirchgemeinde angege¬
ben, aber zum Theil sehr lückenhaft. Mehrere 1000 Lücken wurden durch Nach¬
fragen bei noch lebenden Angehörigen ausgefüllt Trotzdem ist noch in 916 Fäl¬
len keine Ursache bekannt (27% aller Gestorbenen).
a) Lebensschwäche.
169. — 8% aller bekannten Todesfälle. M. 78, W. 77 ? 15.
Bei legitimen 4,5% »Her Lebendgeborenen.
„ illegitimen 8,0 „ „ „
b) Altersschwäche.
190. — 9% aller Gestorbenen. 85 M., 105 W.
Wahrscheinlich waren häufig Catarrhe die eigentliche Todesursache, was
schon der Umstand glaubwürdig macht, dass weitaus die meisten Altersschwachen
im Winter und Frühjahr gestorben sind (zusammen 64% derselben).
c) Gewaltsamer Tod.
2 9 Selbstmorde (28 M., 1 W.).
Bedeutende Zunahme im letzten Jahrzehnd, wo allein 16 Fälle. Am häufigsten
Erhängen und Ertränken.
5 Mal Mord und Todtschlag (4 M., 1 W.).
58 Mal accidenteller Tod (38 M., 19 W. ? 1)
d) Krankheiten der Respirationsorgane.
715. — Ohne Diaconissenhauspassanten: 586 (M. 244, W. 342) 29% — ohne Dia-
conissenhauspassanten 28% aller Gestorbenen.
Unter den 715 sind:
347 starben an Lungencatarrh u. dgl.
105 „ r> Pneumonie und Pleuritis.
263 „ „ Phthisis u. dgl
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Ueber alle diese Krankheitsgruppen werden ausführliche Detailsangaben ge*
macht.
e) Krankheiten der Circulations Organe.
53, lauter Herzkrankheiten.
Die ganze Gruppe ist zweifelhaft, weil wohl unter Rubrik „Wassersucht“ noch
manche Herzkrankheiten sein mögen.
f) Krankheiten der Digestionsorgane.
414 f — Ohne Diaconissenhauspassanten 383 (M. 191, W. 191 ? 1) 17% —
ohne Diaconissenhauspassanten 18% aller Gestorbenen.
Davon fallen: 62,5% auf Säuglinge,
72 „ „ Kinder überhaupt,
28 „ „ Erwachsene.
Am wichtigsten ist hier: Dyspepsie der Säuglinge.
247 f = 46% aller Säuglinge.
In längerer Auseinandersetzung und durch verschiedene Berechnungen wird
gezeigt, dass die Zahl der Dyspepsie-Todesfälle sich im Laufe der Zeit mehr als
verdoppelt habe, während die Zahl der Todesfälle überhaupt nicht einmal um die
Hälfte und die Bevölkerung nur um ca. die Hälfte zugenommen hat. Es wird die
Ursache jener Verdoppelung in constatirter Weise ausgedehnterer künstlicher Er¬
nährung gesucht
g) Krankheiten der Harnorgane.
14 f — Von ihnen gilt was von den Herzkrankheiten.
h) Krankheiten des Nervensystems.
170 f — Ohne Diaconissenhauspassanten 152 (M. 87, W. 65) 7% aller Gestor¬
benen (mit oder ohne Diaconissenhaus).
Besonders besprochen wird Apoplexie:
129 f (M. 72, W. 57).
i) Krankheiten der Bewegungsorgane.
23 f — Zu wenig, um sie zu verwertben.
k) Krankheiten der weiblichen Genitalien.
35 f — lauter Wochenbetterkrankungen. — 2,5% aller weiblichen Ge¬
storbenen.
Die meisten mit ungenauen Angaben. Doch hat eigentliches Puerperal¬
fieber offenbar nur 1 Mal epidemisch geherrscht (1874 4 Todesfälle).
1) Constitutionelle Krankheiten.
159 f — Ohne Diaconissenhauspassanten 114 (M. 51, W. 63) 6,5% ohne Dia¬
conissenhaus, 5,5% aller Gestorbenen.
Als wichtig werden von diesen eingehender besprochen:
37 Fälle maligner Neubildungen.
72 Fälle von Rhachitis, Scrofulose und Caries.
m) Infectionskrankheiten.
397 f, worunter 5 innere chronische (Syphilis) und 17 chirurgische
(Erysipelas, Pyämie, Hundswuth und Tetanus).
375 f an innern acuten Infectionskrankheiten (M. 156, W. 219), Ohne
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Diaconissenhauspassanten 322 (M. 153, W. 169), 15,5% aillcr Gestorbenen (mit oder
ohne Diaconissenhaus).
Schlimmere Mortalität als in Basel, wo 11%.
a) Typhus: 215 f — Ohne Diaconissenhaus: 165 (M. 78, W. 87) 9%, ohne
Diaconissenhaus 8% aller Gestorbenen. 1
Genauere Erörterung des Auftretens im Verlauf der 80 Jahre (mörderische
Epidemie 1814, starke auch 1866).
Riehen zeigt sich als ein schlimmerer Typhusheerd als Bettingen, wo. seit« 1814
überhaupt nur einzelne Fälle vorkamen. ' • > -
ß) Cholera: 2 Fälle 1855, gleichzeitig mit der basier Epidemie.
y) Acute Exantheme: 109 f (M. 49, W. 60) — 4,5% aller Gestorbenen.—
Mehr als doppelt so grosse Mortalität wie Basel (1824 — 1873 = 2%).
Es werden zuerst die einzelnen acuten Exantheme (Scharlach 48, Masern 27,
Varicellen 21, Pocken 13) und dann alle gemeinschaftlich nach verschiedenen Rich¬
tungen statistisch verwerthet.
ö) Keuchhusten: 21 *J* (M. 8, W. 13) = 2,5% aller Kinder.
f) Croup: 26 f (M. 19, VV. 7).
Besonders betont wird das auffallend häufige Zusammentreffen von Croup- und
Maserntodesfällen. Von 10 Croup- und von 9 Masernepidemien trafen 7 zusam¬
men ; nur 3 Mal trat Croup allein, nur 2 Mal Masern allein auf. Zwischen Keuch¬
husten und Masern dagegen ergab sich koin Zusammenhang.
Für sämmtliche Krankheiten wurde die Vertheilung auf die verschiedenen
Geschlechter, Altersclassen und Jahreszeiten durch Curven illustrirt.
Schliesslich folgten einige Angaben über das Verhältniss der Todesfälle zur
Bevölkerungszahl mit und ohne Infectionskrnnkheiten in den verschiedenen Jahren
und Jahrzehnden.
Ueber die Sterblichkeit in einzelnen Familien behält sich Ref. spätere Mit-
theilungcn vor.
In der folgenden Discussion bemerkt Prof. Immermann, dass die Typhusepidemie
von 1814 wohl als Typhus exanthematicus aufzufassen sei.
Prof. Hagenbach betont, dass Varicellen nicht können als Todesursachen auf¬
geführt werden, da sie nie tödtlich verlaufen; es seien diese Fälle der Variola zu¬
zurechnen, wogegen Ref. auf Grund eigener Beobachtungen an der Möglichkeit, an
Varicellen zu sterben, festhält..
Prof. Wille äussert sich in Betreff der vom Ref. nachgewiesenen und als «epi¬
demisch“ bezeichneten Zunahme der Selbstmorde , dass diese Bezeichnung nicht
zutreffend sei , dass aber allerdings die Zahl der Selbstmorde regelmässigen
Schwankungen unterliege, dass auf eine Zunahme in den letzten Jahren ein Still¬
stand eingetreten sei.
Dr. Milller bezweifelt, dass früher mehr gestillt worden sei als jetzt, resp. dass
die gegenwärtige Vermehrung der Dyspepsietodesfälle von vermindertem Stillen
herrühre.
13. Sitzung, 21. December 1876. Anwesend 18 Mitglieder und 2 Gäste*
Wahl der Commission für 1877. Zum Präsidenten wird gewählt: Prot Wille,
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— 6r>i —
zum Actuar: Dr. Bernhard Socm ; die übrigen Mitglieder werden auf ein weiteres
Jahr bestätigt.
Dr. Barth bespricht die Anwendung der permanenten Extension bei
Fracturen und Gelenkleiden der untern Ex tremi tat unter je¬
weiligem Rückblick auf die frühem Verbandarten. Speciell bei Oberscbenkelfrac-
turen leistet die Extension die verlangte Cooptation der Fragmente und Erschlaf¬
fung der Musculatur mit weniger Apparaten, rascherer Heilung und grösserem sub-
jectivem Wohlbefinden für den Patienten. Bei Kniegelenkaffectionen leistet sie
ausser Fixation und Correction von abnormer Stellung, Erhöhung des Druckes im
Gelenk und auch bei massiger Belastung Diastase der Gelenkenden, gestattet da¬
neben die Anwendung des antiseptischen Verbandes. Bei Hüftgelenkaffectionen
wird der grosse Vorzug der Taylor sehen Apparate, welche auch die Beckenstellung
corrigiren und die Bewegung ausser Bett gestatten, hervorgehoben.
Ref. illustrirt seine Besprechung durch zahlreiche Zeichnungen und durch an¬
gelegte Verbände am Lebenden und hebt mehrfache Vereinfachungen und Hülfs-
mittel für deren Anwendung in der Privatpraxis hervor.
Dr. Courvoisier möchte in letzterer Beziehung noch viel weiter gehen, empfiehlt
statt Fussbrett mit Querholz eine Drahtschiene, statt des durchbrochenen einen
undurchbrochenen Heftpflasterverband, die Taylor' sehen Apparate glaubt er durch
Kappeier' sehe Wasserglasverbände ersetzen zu können; ferner macht er darauf auf¬
merksam, dass der Nutzen der Extension bei Gelenkleiden noch nicht so durch¬
gängig anerkannt sei, sowie dass nur im geschlossenen Kniegelenk der Druck durch
Extension erhöht werde.
Referate und Kritiken.
Wirkungslosigkeit und Nachtheile der transportabel pneumatischen Apparate von und
nach Waldenburg gegen Respirations- und Circulationskrankheiten.
Von Dr. med. Josepheon , Dirigent einer pneumatischen Heilanstalt. Hamburg, G. E. Nolte.
1877. 40 Öeiten.
Auch in unserm , sich seiner Wissenschaftlichkeit und seines Skepticismus rühmen¬
den Jahrhundert werden bekanntlich neue Entdeckungen in der Medicin, neue Heilagen-
tien, immer noch nicht anders als unter obligater Begleitung von Posaunenstössen in die
Welt gesetzt und zwar gewöhnlich nicht, ohne dass das bisher im betreffenden Gebiete
Gebräuchliche und Bewährte sofort auch als überwundenen Standpunct bezeichnet würde.
So ging es beim Aufkommen der Gypsverbände den Schienenverbänden , so drohte die
neugeborene Salicylsäure das Chinin zu verdrängen und so schmolz das bisherige An¬
sehen unseres billigem Birmenstorferwassers wie Frühlingsschnee zusammen, als Hunyadi-
Janos als neue Laxirpoteoz im Osten aufging. Es versteht sich von seihst, dass beim
Auftaachen des transportabeln pneumatischen Apparats auch die Tabarie'«c\ie Erfindung
von demselben Schicksal ereilt wurde. An Posaunengeschmetter hatte man es bekannt¬
lich auch nicht fehlen lassen, doch mussten sowohl die rasch errungenen „ecclatanten Er¬
folge“ , deren sich das waldenburgische Verfahren in Phthisisfällen, bei syphilitischen
Laryngostenosen und Fällen von Mitralisinsufflcienz rühmte, als auch die Subtilitäten, aus
welchen die Theorie der Wirkungsweise des neuen Agens aufgebaut wurde, so recht
eigentlich die Kritik herausfordern.
Was Wunders , wenn ein in seinen Interessen gefährdeter Cabinets-Aerotherapeute
die Blösscn sich zu Nutzen machte, welche der Hauptträger der „neuen Erfindung“ sich
gegeben, um die transportabeln pneumatischen Apparate sammt und sonders als einem
„beklagenswertben Irrthume“ entsprungen, ja als schädliohe Dinger darzustellen, „deren
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einzige Tugend höchstens in der Billigkeit der Anschaffung besteht, da der Preis sich
nur auf einige 40 Thaler beläuft, deren Verlust als nutzlose Ausgabe von wohlhabenden
Kranken wohl verschmerzt werden kann“.
Doch sehen wir zu, wie Josephson den transportabel Apparaten auf den Leib rückt.
In erster Linie sucht derselbe durch sog exacte physicalische Versuche zu beweisen,
dass aus dem transportabel pneumatischen Apparate überhaupt keine comprimirte Luft,
sondern nur „Wind“ in die Lunge gelangen könne. Comprimirte Luft habe ja die Ei¬
genschaft, sich zu expandiren, und nun könne man des deutlichsten an in den Athmungs-
schlauch eingesetzten und von demselben senkrecht abgehenden Manometern beobachten,
dass eine Expansion der abströraenden Luft nicht stattfinde. Oeffne man nänllich die
Hähne, so durchziehe allerdings ein heftiger Luftstrom den Schlauch, die durchströmende
Luft bringe aber durch Seitenexpansion die Manometer nicht zum Steigen, so lange nicht
der Schlauch in seinem Verlaufe oder an seinem Ende zusammengedrückt und so der
Abfluss der Luft unterbrochen werde. Erst dann mache sich der Seitendruck geltend
und equilibriren sich die in den Schlauch eiogesetzten Manometer im Verhältnisse des
auf den Luftkessel wirkenden Druckes, Daraus wird dann eben gefolgert, dass durch
den Athmungsschlauch wohl reizender Wind in die Lunge gelange, aber keine der Ex¬
pansion weiter fähige, comprimirte Luft. Und das nennt Herr Dr. Josephson Elementar¬
physik treiben! Nahe liegende Vergleiche mit dem Vorgänge in dem Zerstäubungswinkel
eines Siegle' sehen Inhalationsapparates und dem Verhalten des Barometers bei Sturm hätten
ihn belehren können, warum in den dem Athmungsschlauche aufgesetzten Manometern
bei geöffneten Hähnen eigentlich eher ein Sinken als ein Steigen des Quecksilbers zu
erwarten gewesen wäre, so wie ihm auch durch die einfachste Windmühlenbeobachtung
hätte klar werden sollen, dass dem „Winde“ ja freilich eine stossende , expandirende
Kraft inne wohnt, konnte oder wollte er doch übersehen, dass die mit dem Athmungs¬
schlauche in luftdichte Verbindung gesetzten Lungenalveolen denselben endlichen Ab¬
schluss des Schlauches zu Stande bringen müssen, wie das Zusammendrücken desselben
mit den Fingern.
Wenigstens scheinbar glücklicher als mit seinem physicalischen Nachweise der Wir¬
kungslosigkeit des transportabeln pneumatischen Apparats ist Josephson mit seinem Be¬
weise der Nachtheile, der Schädlichkeit desselben. Verfasser benützt zu diesem Zwecke
zwei casuistische Reihen Waldenburg' s, von denen die eine der Vorzeit des transportabeln
Apparats, die andere aber der neuen Aera angehört. Er rechnet nun Waldenburg nach,
dass derselbe jedem nach seiner neusten pneumatischen Methode behandelten Kranken
durchschnittlich einen Schaden an Zeit und Kosten von ca. 26 Tagen zugefügt hat. Es
ist Waldenburg' s Sache, den Widerspruch zu lösen, der in den Angaben jener zwei casui-
sti8chen Reihen zu liegen scheint. Wir aber lernen neuerdings durch die Josephson' sehe
Zusammenstellung und Berechnung der Waldenburg’ sehen Fälle, was man bei einigem gu¬
ten Willen mit Statistik in der Medicin zu leisten im Stande ist.
Die Josephson' sehe Brochure erscheint uns nach dem Gesagten als eine einseitige
Streitschrift, aus welcher der über pneumatische Therapie Belehrung suchende Practiker
keinen Nutzen ziehen wird. Dem transportabeln pneumatischen Apparate selbst wird die
Josephson'sehe Arbeit kaum schaden; uns wenigstens hat derselbe die aus einiger Erfah¬
rung geschöpfte Ueberzeugung nicht geraubt, dass, was Atmungsgymnastik und Lungen¬
ventilation anbetrifft, der transportable pneumatische Apparat ein sehr wirksames Agens
ist und dadurch, wenn in geeigneten Fällen und im richtigen Momente angewandt, we¬
sentlichen Nutzen bringen kann. „Beschleunigung der Athmung“ fürchten wir nicht, am
wenigsten bei Patienten, welche am Studir- oder Schreibtisch, beim Nähen oder Sticken
das Atemholen so recht eigentlich verlernt haben, hauptsächlich in Folge desseu respira¬
tionskrank geworden sind.
Weissenburg. Schnyder.
Kantonale Correspondenzen.
Baselland* Den wiederholten Aufforderungen der Redaction des Correspondenz-
blattes, es möchten die practischen Aerzte zuweilen Mitteilungen aus dem Gebiete ihres
Arbeitsfeldes machen, komme ich mit einigen kurzen Notizen Uber Fälle von allgemeine-
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fiem Interesse nach. Wie es so geht, häuften sich in meiner Praxis in letzter Zeit wich¬
tigere Vorkommnisse aus dem ganzen Gebiete der Medicin, bo dass ich , unsere Praxis
seit längerer Zeit leider allein besorgend, constatiren konnte, dass der Spiritus noch nicht
verflogen und das Phlegma noch zu bemeistern ist.
Von den chirurgischen Fällen erwähne ich nur folgende:
Fract. humeri, bedeutende Blutung in das Ellenbogengelenk. E. V., 6 Jahre alt,
zeigte am 12. April nach einem Sturze auf ein scharfkantiges Eisen ein enorm geschwol¬
lenes linkes Ellenbogengelenk mit deutlicher Fluctuation; um den Condyl. int herum be¬
findet sich eine Sugillation, die mit dem Blutextravasate im Gelenk communicirt. Der
Humerus ist durch den Cond, intern, hindurch schräg von unten nach oben und aussen
gebrochen; starke Crepitation und Verschiebung seitwärts, so dass die scharfe innere
Kante die Haut zu perforiren droht.
Da das Gelenk äusserst prall gefüllt war, wird nach der Reposition der Fractur der
Arm in stumpfem Winkel hoch gelegt und gehörig fixirt, nachdem er mit einer Binde
comprimirend eingewickelt war. Unter fortwährender Application von Kälte und Com-
pression war das Blut-Extravasat nach 8 Tagen so weit resorbirt, dass nun nach noch¬
maliger genauer Reposition ein Natron wasserglasverband konnte angelegt werden. Derselbe
wurde nach 10 Tagen erneuert und dabei der Arm mehr gestreckt. Nach 4 Wochen
war der Callus fest und unter passiven und activen Bewegungen trat rasch die vollkom¬
men normale Function des Gelenkes wieder ein.
Verschiedene, andere Knochenbrüche heilten ebenfalls sehr gut in Wasserglasverbän¬
den, in welche ich, wenn nöthig, harte Einlagen mache.
Eine Durchschneidung der Art. radial, sin. (19. Juni) durch Sensenhieb heilte nach
der Unterbindung in 14 Tagen ohne alle schlimmen Folgen.
Dagegen endete der folgende Fall wie natürlich tödtlich. Fract. costar, Durch-
reissung des linken Bronchus. Herr H. R. wurde den 5. Juli von einem schweren
Wagen Überfahren. Es fand sich: Bewusstsein erhalten, Patient ist aber sehr collabirt,
hat hohe Athemnoth. Die linke Brustseite ist in der Gegend der Brustwarze eingedrückt;
die Rippen sind zersplittert; es besteht Emphysem der Haut. Die Percussion ergibt
rechts normale Verhältnisse, links dagegen unten Dämpfung (Blutextravasat), oben
Pneumothorax; die Auscultation zeigt linkB absolutes Aufhören jeder Athmung sowie des
Stimmfremitus von oben bis unten, dagegen ein eigentümliches Gurren und Flattern.
Puls klein, frequent, zuweilen aussetzend. — Der Patient erlag unter zunehmendem Col-
laps nach 8 Tagen und allen Anzeichen einer innerlichen Blutung.
Ich machte die Section und fand zahlreiche Splitterbrüche der linken Rippen (unge¬
fähr II—VI); in der linken Brusthöhle ist ein enormes Blutextravasat, welches die Lunge
nach oben verdrängt hatte. Die Lunge selbst ist collabirt, zeigt verschiedene oberfläch¬
liche Einrisse und mehrere parenchymatöse Blutinfiltrationen ; der linke Bronchus ist hart
unter der Bifurcationsstelle durch einen scharfen Splitter, welcher noch festgespiesst war,
unregelmässig zackig vollkommen durchgetrennt.
Dieses Vorkommen ist, so viel ich weise, noch sehr selten beobachtet worden und
erklärt den raschen Tod, während die gewöhnlich am Anfänge so bedrohlich scheinenden
Lungenverleteungen bei Rippenbrüchen und Hautemphysem in der Regel günstig verlau¬
fen, wie ich oft genug beobachten konnte.
Hydrocoph. c o n g e n., ruptura uteri. Am 22. Juni, 9 Uhr Morgens, wurde
ich zu der IV.-gebärenden, 81 Jahre alten Frau B. W, in Hemmiken gerufen; die frühem
Geburten verliefen gut (1 Mal Wendung). Die Frau war bisher vollkommen gesund ge¬
wesen und hatte am Tage vorher noch auf dem Felde gearbeitet. Ich fand die Frau
ruhig im Bett, ohne alle Wehen und auch sonst ohne Schmerzen.
Nach Aussage der Hebamme hatte die Frau die ganze Nacht hindurch regelmässige
und starke Wehen. Gegen Morgen wollte sie, um besser pressen zu können, aufstehen,
kehrte aber sofort in das Bett zurück, weil plötzlich eine, nicht sehr profuse, Blutung
eingetreten war. Von diesem Momente an hörten die Wehen vollständig auf und ebenso
wurden keine Kindesbewegungen mehr gespürt. Die Hebamme, die bisher den Kopf ge¬
fühlt hatte, fand nun keinen Kindestheil mehr vorliegend.
Ich fand den grossen Kopf links über dem Schoossbogen , durch die Vagina und
den ganz verstrichenen Muttermund war er nicht zu fühlen. Die Gebärende hatte keine
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Schmerlen, nur war der Bauch in seiner ganzen untern Hälfte beim Druck sehr empfind¬
lich. Puls klein und frequent.
Ich dachte nun an Gebärmutterruptur, trotzdem die Gebärende subjectiv nichts
fühlte. (In 2 frühem Fällen von Rupt. uteri spürten die Frauen den Riss mit plötzlich
eintretendem Schmerz ganz deutlich.) Das Aufhören der Wehen konnte auch der Er¬
schöpfung und dem Absterben der Frucht, die BlutuDg einer partiellen Loslösung der
Placenta zugeschrieben werden.
Als nach einigem Abwarten keine neuen Wehen eintraten und auch Secale com.
ganz erfolglos blieb, schritt ich in Chloroformnarcose zur Wendung. Die Füsse waren
bei der Schlaffheit des Uterus leicht herunter geholt und das Kind bald bis zum Kopfe
entwickelt. Nun zeigte sich aber, dass ein gewaltiger Wasserkopf da war, weshalb ich
den Collegen Dr. Rippmann , Vater, zur Assistenz kommen liees. Mit einem Levrel 'sehen
Perforatorium wurde das Hinterhaupt perforirt. Aber auch nach der Enthirnung konnte
der grösstentheils entleerte Kopf nur mit grosser Mühe entwickelt werden.
Als ich nun der eiugetretenen Blutung wegen die Placenta lösen wollte, zeigte sich
im Fundus uteri ein bedeutender Gebärmutterriss und zwar gerade am untern Rande der
Placenta, welche mit einem breit aufsitzenden kopfgrossen Fibroid verwachsen war, das
in die Wunde hineinragte. Zudem lag ein Darmstück vor. Das Fibroid liess sich nicht
herunterbringen und noch weniger ausschälen, so dass für die Frau wenig Hoffnung mehr
war. Sie starb am folgenden Morgen.
Die enormen Schwierigkeiten hatten sich nicht voraussehen lassen, da der Kopf bei
meiner Ankunft nicht mehr zu touchiren war und die Schmerzhaftigkeit des Bauches die
Untersuchung des Unterleibes erschwerte.
Jedenfalls war durch die lange Wehenthätigkeit, die wegen des Hydrocephalus con-
genitus erfolglos bleiben musste, die Uteruswand da, wo sie durch das interstitielle Fibroid
geschwächt war, geborsten.
In den zwei frühem Fällen von Rupt. uteri fühlten die Gebärenden während einer
Wehe einen schmerzhaften Riss und das sofortige Aufhören der Contraction der Gebär¬
mutter.
In einem vierten Falle jedoch, in welchem bei einer präcipitirten Geburt das ganze
hintere Scheidengewölbe eingerissen und Darm vorgefallen war, ehe mein Sohn und ich
ankamen, hatte die Frau auch keine Ahnung von ihrer schweren Verletzung.
Es läge mir nahe, hier einige Worte über die Ableitungen, namentlich diejeni¬
gen auf die Haut, beizufügen, da sie ja jetzt, nachdem sie vom höchsten Cultus herab
in Acht und Bann erklärt worden waren, neuerdings wieder zu ihrem Rechte gelangen.
Doch davon vielleicht später! Ich schliesse meine Casuistik mit der Mittheilung dreier
Fälle von Meningitis cerebrospinalis. Doch beschreibe ich nur einen, da die zwei
andern in gleicher Weise verliefen.
El. V., Fabrikarbeiterin, blutarm, schlecht genährt, nicht lungentuberculos, erkrankte
am 5. März, starb am 21. März.
J. B., kräftiger Schuhmacher aus ganz gesunder Familie, erkrankte am 20. März und
starb am 24. März.
12. Juli E. E., 29 Jahre alt, sehr kräftiger und bisher ganz gesunder Bauer aus
vollkommen gesunder Familie , hatte am 27. Juni wie gewohnt von Morgens 3 Uhr an
mit entblösstem Kopfe bei grosser Hitze gemäht; es trat Kopfweh ein, dann Schüttelfrost
und sofort heftiges Stechen und Reissen in der Stirne, dem Hinterhaupt und ausstrahlend
längs der Wirbelsäule bis tief ins Kreuz hinunter ; hohes Fieber, leichte Delirien. Tem¬
peratur 39,5—40,5, Puls 80—90. Diagnose: Mening. cerebro-spinalis. Sofort energische
Antiphlogose und Antipyresis: Kälte auf den Kopf, kühle Bäder mit kalten Begiessungen,
10 Blutegel hinter die Ohren, 10 an die Schläfengegenden. Wegen des anhaltenden
Brechens konnten anfänglich keine energischen Antipyretica zur Auwendung kommen;
später wurden Natr. salicyl. und Chin. sulf. in grossen Dosen mit bestem Erfolge verab¬
reicht, ebenso Calomel. Ueber den ganzen Nacken wurde ein Vesicans gelegt.
Nach lOtägiger Arbeit glaubte ich mich Herr der Krankheit. Die Schmerzen waren
verschwunden, Delirien weg, Sensorium frei; die bisher immer injicirten und trüben Au¬
gen wurden hell; Patient wollte aufstehen. In der dritten W r oche wurde er aus starkem
Schweisse in ein frisches Bett gelegt bei nasskalter Witterung ; in der Nacht darauf
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wurde er von sehr heftigem linksseitigem Stechen befallen. Unter heftigem Fieber ent¬
wickelte sich rasch eine Pleuropneumonie. Diesem neuen Angriffe erlag der kaum
reconvalescirende Patient am vierten Tage unter allgemeinem Collaps and rascher Lungenv
paralyse bei vollem Bewusstsein. Eisumschläge, grosse Chinindosen, daneben progressi-
Rhum, Campher, Champagner waren erfolglos gewesen. College Dr. Kunz von Liestal
hatte den Patienten mit mir gesehen und den beiden Diagnosen zugestimmt.
Es war das einer jener Fälle, gegen die wir erfolglos ankämpfen , ohne dass der
Misserfolg jedoch das Vertrauen in unser Handeln fUr die Zukunft erschüttern könnte.
Dr. J. J. Baader.
Der internationale Congresi der medicinischen Wissenschaften
in Genf.
(9.—15. September 1877.)
VI.
Allgemeine Sitzungen.
I. Sitzung den 10. September, Präsident: Prof. C. Vogt.
Prot. Dr. Broadbent, dirig. Arzt des Spitales St. Mary (London), hält einen Vortrag
Uber cerebrale Localisationen und schliesst mit folgenden Thesen:
I. Motorische Zone der Hirnrinde.
1. Die physiologischen Versuche, die sich theils auf electrische Reizung, theils auf die Zerstörung
oder Abtragung von Hlrntheilen gründen, und die von Hitzig , Ferner , Caroüle und Duret , Nothnagel
und Anderen ausgeführt wurden, stellten fest, dass es eine gewisse Zone des RandtheUes der Hirn-
Hemisphäre gibt, welche in enger Beziehung mit den Kernen der motorischen Nerven, der Medulla
oblongata und dem Rückenmarke steht.
Diese Zone liegt beim Affen und beim MenBchen um die i?o/ando’8che Spalte und hauptsächlich
in den zwei aufsteigenden oder Randwindungen, welche diese Spalte begrenzen.
In dieser Gegend sind mehr oder weniger bestimmt umschriebene Stellen vorhanden, die speciell
mit den Beinen, den Armen, dem Gesicht u. s. w. in Beziehung stehen.
2. Die Pathologie dieser Zone stimmt auffallend mit den Ergebnissen der physiologischen Versuche
überein.
Die partiellen, mit einer Reizung verbundenen Läsionen können partielle Epilepsie, mit oder ohne
transitorische oder bleibende Hemiplegie bedingen.
Die ausgedehnteren, mit mehr oder weniger vollständiger Zerstörung der gesunden Rindensubstanz
verbundenen Verletzungen können eine Monoplegie oder Hemiplegie verursachen.
3. Obwohl die Localisation einer motorischen Zone und motorischer Centren an der Oberfläche
der Hemisphäre anzunehmen ist, ist beizufügen, dass die Verbindung zwischeu den Zellen dieser Ge¬
gend und den Zellen der grauen Vorderhörner des Rückenmarkes unmöglich eine directe sein kann.
Der coordinirte Charakter und die Aufeinanderfolge der Bewegungen , welche durch die electrische
Reizung hervorgerufen werden, der Charakter der Lähmung, die durch die Abtragung eines Rinden-
Centrums bedingt wird, deren Intermission und kurze Dauer, die Neigung, welche die symptomatische
partielle Epilepsie zeigt, an der Hand zu beginnen, obwohl die Stelle der Läsion nicht dieselbe ist;
die Zeitdauer, welche zwischen der electrischen Reizung und ihrer Beantwortung verstreicht, sind eb en
so viele Gründe, um die Einschaltung eines Ganglions zwischen der Hirnrinde und den motorischen
Nervenwurzeln anzunehmen.
Die motorischen Rlndencentren sind die Ausgangspuncte der absteigenden 'Willensimpulse, der be¬
wusst motorischen Handlungen. Die Zellen der motorischen Zone (welche denen der Vorderhömer des
Markes ähnlich sind), bilden den Apparat, durch den die Willensvorstellungen für den Ausdruck oder
die Uebertragung nach Aussen formulirt werden.
Das beste Beispiel der Function eines motorischen Centrums der Rinde bildet das Spraehcentrum,
welches die erste und wichtigste der HirnlocaliBationen bildet. Die Aphasie ohne Paralyse der Lippen
und der Zunge bietet ein Beispiel dessen, was man Ersetzung oder functioneile Substitution genannt
hat, obschon diese Ersetzung unvollkommen ist.
4. Nach den Versuchen von Ferner und Hitzig ist in der Rindenschicht eine Gegend oder Zone,
die der Empfindung angehört, vorhanden.
Diese Zone erstreckt sich von derjenigen Windung, welche die Franzosen „pli courbe“ nennen
und welche das Perceptionscentrum für den Gesichtssinn darstellt, längs der subsylvischen Windung
des Lobus spheno-temporalis (in der sich das Centrum für den Gehörsinn befindet) bis zur Spitze die¬
ses Lappens.
Von da wendet sich diese Zone durch das Zwischenglied der Hakenwindung, deren inneren Rand
sie einnimmt, gegen den Lobus occipitalis hin, in welchem sie wahrscheinlich den gyrus calcarinus
beschlägt.
Die Pathologie hat noch keine bestimmten Anhaltspuncte für diese Frage geliefert Indessen
weiss man, dass die vollständige Zerstörung des Lobus occipitalis keinen Einfluss auf die Sensibilität
ausübt
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5. Die Windungen des Stirn- und Hinterhauptlappens, die der Insel, der inneren Fläche der He¬
misphären , des Lobulus supra-orbitalis, antworten nicht auf electrische Reizung. Die Verletzungen
dieser Theile der Rindensubstanz haben keine dauernden Folgen und bleiben meistens ohne Wirkung.
Die Abtragung der zwei Stirnlappen scheint die Willkürlichkeit und Thätigkeit der Intelligenz
zu beeinträchtigen, die Zerstörung des Hinterhaupt-Endes der beiden Hemisphären scheint Appetitver¬
lust zu bewirken, doch geben diese Wirkungen keine genfigende Vorstellung von der Function dieser
Lappen.
6. Es scheint kein besonderes vasomotorisches Centrum im Gehirn zu ezistiren; der vasomotorische
Apparat steht mit dem allgemeinen motorischen System in Verbindung, und wie dieses besitzt er Cen-
tren im Rückenmark, in den Central-Ganglien und in den Windungen; diese Centren sind einander
subordinirt
Ebenso ezistiren keine trophischen Centren, noch auch besondere trophische Nerven. Der tro-
phlsche Einfluss kommt dem gesammten Nervensystem zu.
II. Corpora opto- striata.
1. Das Corpus Striatum besitzt sicher eine motorische Function: eine grosse Zahl der motorischen
Fasern im Fuss des Hirnschenkels endet ln diesem Ganglion. Die faradlscba Reizung des Corpus
Striatum ruft eine allgemeine Contraction sämmtlicher Muskeln der entgegengesetzten Seite hervor;
seine Zerstörung, sowohl durch das Experiment als durch pathologische Vorgänge, bedingt He¬
miplegie.
Nach der Ansicht des Berichterstatters wäre es als Zwischenglied zwischen der Hemisphäre und
dem Mark zu betrachten. Seine durch sensorisch-motorische Erziehung gruppirten und combinirten
Zellen würden den Apparat bilden, dessen die motorischen Rindencentren sich bedienten, um ihre Be¬
fehle den Muskeln zukommen zu lassen.
2. Der Thalamus opticus würde ein intermediäres Ganglion darstellen für die Uebertragung sen¬
sibler Erregungen von den Kernen der sensiblen Nerven bis zu den Perceptionscentren der Hirnrinde.
Trotz zahlreicher noch zu erhebender Einwände hat diese Erklärung die Thatsachen des Experimentes
und der pathologischen Anatomie für sich. Wenn die Localisation der Perceptionscentren richtig ist,
so ist es anatomisch unmöglich, nach den Untersuchungen des Referenten, dass zwischen den sensibeln
Bündeln des Hirnschenkels und ihren Centren in der Hemisphäre ein anderer Verbindungsweg bestehe
als durch das Zwischenglied des Thalamus opticus. Die Erscheinungen der Hemianesthesie stehen mit
dieser Hypothese vollständig im Einklang.
Die Corpora opto-striata würden somit gleichzeitig ein Instrument der Hemisphäre und einen au¬
tomatischen Apparat darstellen. Als allgemeine Deutung der 8ymptome, die aus dieser Anschauung
folgt, kann man angeben:
a) Die Lähmung ist eine Ruptur entweder der Fasern oder der Zellen, die zum Mechanismus des
nervösen Bewegungsapparates gehören.
b) Die Anästhesie eine Ruptur in dem sensitiven Mechanismus.
c) Der Tremor ist die Wirkung einer Leitungshemmung der weissen Fasern.
d) Die Convulsion (inbegriffen die Convulsionen bei Chorea) ist die Folge einer Reizung der grauen
Substanz.
e) Die vorzeitige und vorübergehende Contraction ist das Resultat eines Druckes auf ein Ganglion.
Da das gesammte Nervensystem einen weitläufigen Mechanismus von Zellen und Fasern darstellt,
so sollte dessen Function als eine solche von Zellen und Fasern beschrieben werden können. Man
würde damit die Unklarheiten vermeiden, die den Fortschritt so sehr hindern und bekäme so eine
wirklich psychologische Localisation.
Der Ref. konnte beim gegenwärtigen Stande der Wissenschaft den Hirnmechanismus nur unvoll¬
kommen skizziren.
Prof. Schiff j Genf, betonte, dass die Physiologen nicht so begeistert seien für diese
cerebralen Localisationen, wie die Aerzte, und dass er selbst die Deductionen Broadbenf s
nicht für beweisend halte.
Dr. Lombard, Genf, machte noch eingehende Mittbeilungen über die geographische
Ausbreitung der Malaria.
II. Sitzung den 11. September, Präsident: Prof. Dr. C. Vogt.
Prof. Dr. Schiff, Genf, trägt über die Functionen der Milz vor und scblieset mit fol¬
genden Resolutionen:
1. Die Exstirpation der Milz ist ohne dauernden Einfluss auf die absolute oder relative Menge der
rothen oder weissen Blutkörperchen.
2. In den ersten Zeiten nach der Operation sieht man eine beträchtliche Vermehrung der weissen
Blutkörperchen mit oder ohne Verminderung der rothen. Diese Veränderungen hängen nicht von der
Abwesenheit der Milz ab, sondern nur von den operativen Eingriffen, welche für die Exetirpation er¬
fordert werden; diese Veränderungen bleiben dieselben, wenn man die vorbereitenden Operationen
allein vornimmt ohne Exstirpation der Milz.
8. Nach Milzexstirpation bilden sich nur sehr ausnahmsweise Anschwellungen in den Lymphdrü-
sen oder Vermehrung des Volums andrer Drüsen. Die Bildung sogenannter supplementärer Milzen
fehlt selbst mehr wie anderthalb Jahr nach der Exstirpation und selbst wenn letztere in den ersten
Wochen nach der Geburt vorgenommen worden ist.
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4. Die ausnahmsweise vorkommenden Anschwellungen der Mesenterialdrüsen scheinen von einer
partiellen Peritonitis berzurühren, die manchmal ln Folge der Operation auftritt
6. Von der vierten bis zur siebenten Stunde einer reichlichen Magenverdauung scheint die Milz an
Volumen ztuunebmen.
6. Während peptogene Stoffe aus dem Magen ausgesogen werden und der Magen sich ladet, be¬
reitet die Milz gleichzeitig ein Ferment, welches mit dem circulirenden Blut in’s Pancreas eintretend,
eine in demselben befindliche, wahrscheinlich eiweissartige Substanz in Pancreaspepsine oder Trypsin
umsetit, welches letztere energisch Eiweiss verdaut
7. Nach Milzexstirpation hat der pancreatiache Saft seinen Einfluss auf die Verdauung des Ei-
weisses gänzlich und dauernd verloren, während er seine übrigen verdauenden Eigenschaften bei¬
behält
8. Nach Milzexstirpation sammelt Bich die das Pancreaspepsin zu bilden bestimmte Substanz im
Pancreas theilweise an (wie während der Unthätigkeit des normalen Pancreas) und diese Substanz
wird noch nach dem Tode durch den Anfang der Fäulniss zu einem Pancreaeferment umgebildet
9. Die Milz erschlafft nach Zerstörung ihrer Nerven. Ihre Gefässe dehnen sich anfangs passiv
aus und sie wird bald atrophisch, wie alle erectilen Gebilde, deren Gefässnerven vollständig ge¬
lähmt sind.
Schiff stellte hierauf einen Hund vor, bei welchem vor einigen Monaten die Milz auf
operativem Wege in das Unterhautzellgewebe transplantirt und dort fixirt wurde, so dass
sich nun ihre Volumeusveränderuug bei der Verdauung sehr gut studiren lässt.
Noch sprach Prof. Dr. Hardy, Paris, über Aetiologie, Wesen und Behandlung einzel¬
ner parasitärer Hautkrankheiten, ohne jedoch neue, wesentliche Factoren zu
bringen.
in. Sitzung den 12. September, Präsident: Prof. Dr. Vogt.
Prof. Dr. Bouchard , Paris, kommt bei seinem Exposö über die Aetiologie des Abdo¬
minaltyphus zu den Schlüssen:
1. Da es an Thatsachen fehlt, welche eine dlrecte Uebertragung der Krankheit von Mensch zu
Mensch beweisen, wie man sie aus der Berührung, der Inoculation, der Ingestion oder Inspiration
von Stoffen herleiten könnte, die unmittelbar von Typhuskranken herstammen, so ersucht der Bericht¬
erstatter um Mittheilung neuer Fälle, welche die mittelbare Schädlichkeit jener Stoffe und besonders
der Dejectionen von Typhuskranken, sowie die Zeitdauer ihrer schädlichen Eigenschaft und die Be¬
dingungen der Entwickelung und Weiterverbreitung derselben feststellen könnten.
2. Welches auch die Lösung der Frage über den Ursprung des Krankheitsgiftes sein möge, so
bittet der Berichterstatter, alle Documente beizubringen, welche über die Art und Weise der Ueber¬
tragung und Weiterverbreitung jenes Giftes, über die Träger desselben (Luft, Wasser u. s. w.) und
über den Modus des Eindringens in den menschlichen Organismus Licht verbreiten könnten.
3. In Betreff der Vergiftung durch die Luft wäre es wünschenswerth, dass über die Schädlich¬
keit der Emanationen von Aborten, Cloaken und Mistablagerungen dlscutirt würde, und dass stati¬
stische Aufnahmen es ermöglichten, die Einwirkungen jener Emanationen auf die Gesundheit der be¬
treffenden Arbeiter in epidemiefreier Zeit, sowie während und nach den Epidemien zu beurtheilen.
4. In Betreff der Vergiftung durch das Wasser wäre es vortheilhaft, neue Belege zu sammeln,
welche für die Localisation partieller Epidemien in der Umgebung von Brunnen, die in dem betreffen¬
den Quartier benutzt werden , oder längs der Distribution von Trinkwasserleitungen sprechen. Kann
man in gleicher Weise den Zug der Epidemie von einem Dorf zum andern längs des Wasserlaufes
verfolgen, welcher Dejectionen aufnimmt und von den Uferbewohnern zum Trinken benutzt wird?
Welchen Einfluss muss man endlich dem Grundwasser, dessen Schwankungen und den in dasselbe
gelangenden Infiltraten zuschreiben?
An der Discussion betheiligten sich Prof. Lebert , Vevey, die Andelfinger Epidemie
sei nicht TyphuB gewesen, sondern eine Vergiftung durch verdorbenes Fleisch.
Bouvier frägt, ob die Contagiosität des Typhus absolut oder relativ sei.
Moudt, London, glaubt nicht an die Contagion, wohl aber an die Spontaneität des Ty¬
phus, welche er bei einer Epidemie in Calcutta constatirt habe.
Diclat vergleicht die Entwicklung des Typhus mit der alcoholischen Fermentation.
Cofticri-Paseha, Alexandrien, hat nie Contagion gesehen.
Bouchard hält fest, dass Contagion vorkomme, wenn auch ausnahmsweise, sowie dass
die Entstehung des Typhus (fidvre typhoide) durch andere Einflüsse als nur die Fäcal-
massen wissenschaftlich festgestellt sei.
IV. 8itzung den 14. 8eptember, Präsident: Prof. Dr. C. Vogt.
Prof. Dr. Lebert Uber das einfache chronische Magengeschwür.
Die Arbeit beruht auf der Analyse von 252 eigenen Beobachtungen, von denen 104 vollständig,
wovon 83 mit Leichenöffnung, die übrigen sind für Statistik verwerthet
Während das chronische Magengeschwür den HauptgegenBtand bildet, sind jedoch auch die aus
Eccbymosen hervorgegangenen Erosionen, die aphthösen und foliculären Geschwüre, sowie die tieferen
entzündlichen Geschwüre berücksichtigt.
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Die Häufigkeit des chronischen Geschwürs ist verschieden; sie betrügt im Mittleren 4%. In
Breslau war eie l°/o für die klinische nnd 2% (nicht gans) für die Leichenstatistik.
Oft Ist die Ursache unbekannt. Ein örtliches Kreislanfshinderniss, vielleicht unter vasomotorischem
Einfluss, führt zu umschriebenem Blutinflltrat, zu Schorfbildung, und nach Abfallen des Schorfs zum
Ulcus. Neurotische Diathese, besonders Anämie und Chlorose, begünstigen seine Entwickelung. Bei
jungen Mädchen hat übrigens scheinbare Chlorose nicht ganz selten im Magengeschwür seinen wahren
Grund.
Mannigfach sind die klinischen Formen: 1) In der acuten kann Magenperforation mit tödtlloher
Peritonitis ganz unerwartet auftreten; 2) Die hämorrhagische Form zeichnet sich durch copiöses Blut¬
brechen aus; 8) In der scorbutischen habe ich den Tod durch innere Blutung erfolgen sehen; 4) Die
dyspeptische gleicht einem schmerzhaften Magencatarrh; 6) In der gastralgischen Form herrschen die
Schmerzen vor; 0) Die vomitorische zeichnet sich durch häufiges und hartnäckiges Erbrechen aus; 7)
Die cachectische Form führt zum Marasmus und zur Erschöpfung; sie gleicht dem Magenkrebs. Hat
das Geschwür den Pylorus verengt und consecutiv den Magen erweitert, so hat der Verlauf Aehn-
lichkeit mit Pyloruskrebs.
Von den sehr sorgsam analysirten Erscheinungsgruppen gebe ich im Auszug folgende kurze Bruch¬
stücke: 1) Blutbrechen in grosser Menge, Melsena und schwarzes Erbrechen, Melanemese, bestehen in
*/t der Fälle. In 8°/o der klinischen Beobachtungen trat der Tod durch Blutbrechen ein. Viel höher
sind die Zahlen der exclusiven Mortalitätsstatistik; jedoch entsprechen sie gewöhnlich keiner ftestge-
Btellten klinischen Statistik der Morbilität; 2) Die Magenperforation war in 3 1 »°/o unserer Klinik tödt-
lich, eine ebenfalls viel geringere Zahl als die der ausschliesslichen Berücksichtigung der Leichen¬
öffnungen. Beim weiblichen Geschlecht tritt der Tod durch Perforation häufiger ein, beim männlichen
öfter nach dem 30. Jahre. — Chloro-Anämle begünstigt diesen schlimmen Ausgang.
Bei latentem Verlauf, sei cb, dass er mit Genesung, sei es, dass er mit dem Tode ende, fällt jede
Berechnung weg. Sonst ist selbst in ungünstigen Fällen die Dauer selten kurz, meist von 8-B Jah¬
ren, nicht selten von 10 Jahren und viel mehr. Hier nicht mitzurechnen sind die Fälle, in denen nach
langer guter Zwischenzeit sich ein neues Geschwür, mit seinen Erscheinungen, gebildet bat
Der nach meiner Mortalitätsstatistik so häufige, durch so mannigfache Alterationen bedingte tödt—
liebe Ausgang ist in unseren klinischen Beobachtungen nur in 8 u /o der Fälle eingetreten. 8elten im
ersten Jahre, wird er im zweiten und dritten häufiger und dann immer mehr, besonders bei mehr fort¬
dauerndem Verlauf.
Wiederholungen sind nicht selten. Entwickelt sich ein neues Geschwür, nach jahrelanger Gesund¬
heit, so neigt es später gewöhnlich zur Vernarbung, wie das frühere. Eine äussere Magenfistel ist
nicht gefährlich, während die gastro-pulmonären und die gastro-kollschen gewöhnlich tödtlich ver¬
laufen.
Magenkrebs ist nicht ganz seltene Folge des Magengeschwürs, in 9% meiner Fälle von Ulcus
mit Leichenöffnung, in 6,5 # /o der von Magenkrebs mit Obduction. Der Krebs kann das Geschwür,
oder seine Narbe, oder einen Theil derselben infiltriren oder sich in der Nähe localisiren. Es bandelt
sich hier um mehr als zufälliges Zusammentreffen. Die Behandluug sei vor Allem hygieinisch und
diätetisch. Sehr günstige Resultate hat mir nicht selten die absolute Milchdiät geliefert. Stets sei
man mit der Diät in Auswahl, wie in Menge äusserst vorsichtig und. gehe nur sehr langsam zu mehr
abwechselnder und nährender Kost Uber. Sonst ist die Behandlung symptomatisch; auch gebe man
nie ohne Noth Arznei: Aperientia, Aloö etc. gegen Verstopfung; Sedativa, Opium und Morphiumein¬
spritzungen gegen die Schmerzen; Eis, Kohlensäure etc. gegen das Erbrechen; Eis innerlich und äus-
serlich, Adstringentia gegen Hromatemese; Reizmittel, Moschus, feurige Weine gegen momentane Er¬
schöpfung; gegen Dyspepsie Bismuth, Alcalien, Argentum nitrlcum, oft auch kleine Mengen Salzsäure
etc. können nach Umständen sehr nützen. Nie vergesse man aber, dass es, trotz mancher Anpreisun¬
gen, keine specifische Methode gibt und dass Diätetik die Therapie ganz beherrscht, während Arznei¬
mittel nur hie und da ergänzend eintreten.
Es sprach noch Prof. Dr. Marey , Paris, Uber die physicalischen Charaktere der elec-
trischen Schläge des Zitteraales.
In der V. allgemeinen Sitzung kam die Wahl der Pharmacopoecommission (vide me-
dicinische Section) zur Sprache und hierauf hielt unter dem Präsidium von Warlomont ,
Brüssel, Prof. C. Vogt seinen Vortrag über die Parasiten des Menschen.
Die Schlusssitzung fand Nachmittags statt: Prof. Dr. Vogt sprach die Abschiedsrede,
worauf die Dr. Pacchiotti , Turin, den Organisatoren des CongreBses, und Prof. Bernhard ,
Paris, den eidgenössischen und cantonalen Behörden dankte.
(Fortsetzung folgt.)
W ochenbericht.
Schweiz.
Eidg. Penilonitominiiiiaii. An Stelle des alt Oberfeldarztes Dr. Scknyder,
der unter bester VerdankuDg für die geleisteten Dienste aus der Pensionscommission ent¬
lassen worden ist, wurde Prof. Dr. Kocher in Bern gewählt.
Di.
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Ausland.
Amerika« Häuser von Papier. In Amerika kommt jetzt auch Baupapier
als Material zum Bau von Häusern zur Anwendung. Eine Fabrik in Wisconsin fabricirt
davon täglich 16 Tonnen. Bereits im Jahre 1876 wurde die Fabrikation von Papier für
Bauzwecke begonnen, und um sich gegen Concurrenz zu schützen, verschafften sich die
Erfinder Patente. Das Baupapier besteht aus dickem und hartem Pappdeckel, welcher in
Rollen von 25—100 Pfund aufgewickelt wird und gewöhnlich 32 Zoll breit ist Bei der
Fabrikation wird das Baupapier einem Drucke von mehreren hundert Tonnen ausgesetzt,
welcher die Fasern zu einer festen Masse zusammenpresst und so einen absolut luftdich¬
ten Bogen herstellt. Da das Papier ein schlechter Wärmeleiter ist, so widersteht es
sowohl der Hitze als der Kälte; daher ist ein Gebäude , welches damit ausgelegt wird,
im Winter warm und im Sommer kühl. (Gesundheit 1877, Nr. 16.)
Weibliche Aerzte. Nach der pest. med.-chir. Presse hat sich eine von der
Universität Baltimore zum Doctor der Medicin promovirte Dame, Frl. Paula Böck , in Düs¬
seldorf behufs Ausübung der ärztlichen Praxis niedergelassen. — In der Schönhauser
Strasse in Berlin haben die beiden weiblichen Aerzte Dr. Franziska Tiburtius und Dr. Emilie
Lehmus eine Armenklinik für Frauen und Kinder eröffnet; man berichtet, dass die Ordi¬
nation der beiden Damen sich eines grossen Zuspruchs orfreut.
CONSULTER SON M^DECIN.
BIBERON-POMPE MONCHOVAUT
Fonctionnant aussi bien gue le sein de la mbre (Garanti)
LE SEUL oü le lait monte constamment sans jamais redescendre, et
avec lequel l’enfant boit sans aucun effort.
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von Bern, während des Sommers Kurarzt der Rigi-Hötels in der Schweiz). Das ganze
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fessoren Bernät und Ballo, enthält in 10,000 Gewichtstheilen 522.95 fixe Bestandteile; übertrifft
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bis 100% Mehrgehalt an wirksamen Salzen. — Bewährt als sicherstes Mittel zur Behebung ha¬
bitueller Stuhlverstopfung und Unterleibsbeschwerden verschiedenster Art, gegen Blntstocknngen
und Blntandrang zu edlen Organen, gegen Leberkrankheiten, gegen Hämorrhoiden, Hypochondrie,
Appetitlosigkeit etc. nnd wird besonders znm längeren Gebrauch empfohlen. — Engros-Lager in St.
Gallen: C. F. Hausmann. Vorräthig in sämmtlichen Apotheken und Mineralwasserhandlungen.
Brunnenschriften etc. gratis durch die Yersendnngs-Direction in Budapest.
[H-2G61-Q] ■■■ Als Normaldosis genügt ein halbes Weinglas voll.
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Pastilli Chinin! c. Cacao stuck a mr.iu,
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(entsprechend 0,08 Chinin sulfuricum) enthält.
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Fr. 10, jedes Stück mit 0,15 neutralem
Chinintannat (entsprechend 0,05 Chinin sul¬
furicum) und 0,05 löslichem Eisenoxyd¬
hydrat. — Ferner das in obigen Pastillen
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N? 22. _ YII. Jahrg. 1877. _ 15. November.
Inhalt: 1) Orlginalarbeiten: Dr. Funkhäuser: Der Monobromcampher und seine therapeutische Verwendung. —
Dr. Riliy: Ein Fall von acuter hämorrhagischer Pancrealitia. — 2) Vereinaberichte: Ordentliche FrObjahrssitzocg der
Jtntl. Gesellschaft des Cantone Zürich. — 8) Referate nnd Kritiken: Dr. H. C. Lombard: Traitd de climatologie mädicale.
— Dr. J. M. Ludwig: Das Obereugadin in seinem Einfluss auf Gesundheit und Leben. —4) Kantonale Correspondencen:
Der internationale Congrese der medicinischen Wissenschaften in Genf; Aus den Acten der Aentecomraiesion; Bern. - 5) Wo¬
chenbericht. — 6) Feuilleton. — 7) Bibliographisches. — 8) Briefkasten.
Orig*inal--Ajrl>eiteiie
Der Monobromcampher und seine therapeutische Verwendung.
Von Dr. Fankhauser in Burgdorf.
In Nr. 19 des Jahrgangs 1874 unseres „Correspondenzblattes“ brachte ich
(pag. 553) ein Referat über die Untersuchungen BoumeciUe's über den Monobrom¬
campher, welche im Practitioner (August 1874) mitgetheilt waren. Seither machte
ich in Fällen, die mir dazu geeignet schienen, therapeutische Versuche mit einem
Präparate, welches Herr Apotheker Fueter in Burgdorf auf meine Veranlassung
hin darstellte, ln letzter Zeit hatte derselbe die Güte, sich nochmals mit der Dar¬
stellung und den wichtigsten physicalischen und chemischen Eigenschaften des
Präparates eingehender zu befassen. Er theilte mir darüber Folgendes mit:
„Monobromcampher Ci 0 H, 8 BrO entsteht direct durch Einwirkung von Brom
bei 100 — 120° auf gewöhnlichen Campher (Japancampher Ci„Hi 8 0) , indem unter
Entwicklung von Brom Wasserstoff ein Atom H durch ein Atom Br ersetzt wird,
ferner aus dem Campherdibromid (C, 0 H u Br 2 O), wenn dasselbe in zugeschmol¬
zenen Röhren bis auf 100° erhitzt wird. Er crystallisirt aus Alcohol in dünnen,
farblosen Nadeln, aus Benzin in langen, harten, durchsichtigen Prismen. Geruch
und Geschmack sind camp herartig, etwas an Terpentinöl erinnernd, auf der Zunge
schwach brennend. — Er ist im Wasser fast ganz unlöslich, ertheilt jedoch dem¬
selben seinen eigenthümlichen Geruch. Dagegen ist er, namentlich beim Erwär¬
men, leicht löslich in Aether, Aetherweingeist (Hoffmannstropfen), Alcohol, Benzin
und in fetten Oelen. Bei gewöhnlicher Temperatur bedarf er zur Lösung circa
3 Theile Aether, 7 Theile Aetherweingeist und 9—10 Theile Alcohol. Er ist
schwerer als Wasser; wird er damit erwärmt, so schmilzt er zu gelben , öligen
Tropfen, die sich beim Sieden langsam verflüchtigen und im Halse der Retorte
wieder crystallisiren. Er schmilzt bei 76° C. und siedet anzersetzt bei 274°,
ist lu ftbeständig und im directen Sonnenlicht unveränderlich. —
4ü
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Mit salpetersaurem Silber in Salpetersäure gelöst und gekocht, wird er unter Ab¬
scheidung von Bromsilber zersetzt.“
Bevor ich meine eigenen Erfahrungen über den therapeutischen Werth des
zwar nicht mehr neuen, aber doch wenig bekannten Arzneimittels mittheile, will
ich noch kurz die Hauptpuncte anführen, welche sich aus den physiologischen
Versuchen Bourneville 's ergaben. Dosen von 0,25—0,6, welche kleinern Säugethieren
subcutan injicirt wurden, verminderten die Zahl der Pulsschläge und Athemzüge
beträchtlich und verengerten auch die Blutgefässe. Schon Dosen von 0,06 resp.
0,12 vermögen die Temperatur bei Meerschweinchen und Katzen um 0,5—2,8° C.
herabzusetzen. Die Pupillen werden erweitert. Im Stadium der Reaction treten
epileptiforme Krämpfe auf. Nach 0,12—0,18 fallen Meerschweinchen in einen tiefen
Schlaf.
Mit Erfolg wurde der M. angewandt*) bei Delirium tremens (stdL0,18),
Eclampsie kleiner Kinder (stdl. 0,06), Hysterie (zu 0,25), Hystero-
Epilepsie (0,12 4—5 X tgl., allmälig steigend), Epilepsie, Chorea, Kopf-
schm erzen in Folge geistiger Ueberreizung (1—3 Dosen von 0,25) und gegen
Schlaflosigkeit, besonders wenn diese auf Gehirnhyperämie beruhte (0,12
bis 0,50). Das Mittel wurde in gewöhnlichen oder in Zuckerpillen (dragäes) ver¬
abreicht oder subcutan injicirt (bei Epilepsie, Tetanus etc.).
Die Zahl meiner Beobachtungen, die ausschliesslich der hypnotischen
Wirkung galten, ist leider eine geringe , da mir kein Spital zur Verfügung stand
und man in der Privatpraxis nicht immer freie Hand hat. Ich wendete das Mittel
(bei Erwachsenen gewöhnlich zu 0,12 oder 0,15) im Verlauf von 2 Jahren im
Ganzen bei 24 Patienten an, bei einzelnen derselben aber zu wiederholten Malen
auf längere Intervalle. Aufzeichnungen über die Wirkung habe ich nur bei 23
Patienten gemacht.
Bei 2 Frauen (Nr. 1 u. 2, die eine am Ende der 30er Jahre, die andere 41jährig),
welche an Metritis chron. und Ansemie litten, war sonst kein Grund ihrer Schlaf¬
losigkeit nachzuweisen. Bei der einen (Nr. 1) wirkten 2 Gaben von je 0,12 hyp¬
notisch , in einer spätem Nacht auch eine einzelne von 0,15; doch war da der
Schlaf weniger ruhig. Ich setzte nun den M. nicht fort, sondern gab Chloralbydrat,
das sicherer wirkte. Ein Jahr darauf gab ich von jenem nochmals 2 Dosen von
0,15 in einer Nacht, doch ohne Erfolg, während Chloralhydrat sich wieder be¬
währte. Die andere Patientin (Nr. 2) schlief mehrere Nächte nach einander auf
je 0,12 bald ein, erwachte aber hie und da wieder. In der folgenden Woche
schlief sie gut auf 0,15, 8 Tage später aber auf 2 solche Dosen schlecht, worauf
Chloralhydrat mit gutem Erfolg verabreicht wurde.
In 4 Fällen war die Schlaflosigkeit ganz oder theilweise durch Schmerzen
bedingt, in einem derselben (71jährige Frau, Nr. 3) durch Carcinoma Uteri. Die
Wirkung von je 2 Gaben von 0,15 war dieselbe wie die von 2,0 Chloralhydrat,
nämlich ein Schlaf von nur wenigen Stunden. Nach 4 Tagen versuchte ich 0,20,
nun aber ohne Erfolg und gab deshalb eine Zeit lang Morph, ac. 0,01 — 0,0125, das
*) S. darüber mein Referat
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einen Schlaf von 4 Stunden und mehr herbeiführte. Die Wirkung desselben Hess
indessen schon nach 14 Tagen bedeutend nach, und nun schlief die Frau wieder
besser auf je ein Pulver von 0,12 M. c. Doch war der Erfolg nach wenigen Ta¬
gen neuerdings bedeutend geringer, auch Dosen von 0,15 nützten kaum mehr, und
nunmehr bewährte sich Morphium wieder besser. — Eine andere sehr ansemische
Patientin (Nr. 4), 29 Jahre alt, litt schon lange an sehr oft wiederkehrenden, hef¬
tigen Kopfschmerzen von unregelmässigem Typus. Das erste Mal bewirkten 2
Dosen von 0,12 M. c. einen guten Schlaf, nachdem sie auch die Kopfschmerzen
vertrieben hatten. Von da an genügte während beinahe 3 Wochen je eine Gabe
von 0,15, um einen ruhigen Schlaf herbeizuführen, während Chloralhydrat von dem
ungemein empfindlichen Magen nicht vertragen wurde, Extr. Belladonn® zu 0,04
nichts nützte, auch Morphium acet, das zur Beseitigung der heftigsten Schmerzan¬
fälle öfter subcutan gebraucht wurde, als Hypnoticum*) weniger leistete. Es trat
dann eine zeitweilige Besserung ein, und das Mittel wurde nicht mehr gebraucht.
— Bei einer ca. 65jährigen Frau (Nr. 5) mit neuralgischen Schmerzen in einem
Arm nützte M. c. in Gaben von 0,12 nichts. — Eine Patientin (Nr. 6), am Ende
der 30er Jahre, mit Cardialgie, unregelmässig wiederkehrenden Kopfschmerzen
und Metritis chron. schlief auf je 0,12 M. c. gut und 1 Monat später, als die Schlaf¬
losigkeit wiederkehrte, ebenfalls.
Bei 3 Patienten (mit Bronchitis) war die Schlaflosigkeit zum Theil durch
Husten, zu einem kleinern Theil wohl auch durch Dyspnoe verursacht. Bei einem
derselben, einem 66jährigen Mann (Nr. 7), w,ar Chloralhydrat ohne Nutzen, wäh¬
rend M. c. zu je 0,15 während 8 Tagen stets als Hypnoticum sich bewährte, her¬
nach freilich nicht mehr. — Eine Frau von 65 Jahren (Nr. 8) schlief, als Tr. Opii
croc. nicht mehr so viel leistete wie früher, nun auf 2 Pulver von 0,12 M. c., spä¬
ter auf je eines gut, und zwar konnte sie stets gleich darauf cinschlafen. Nach
18 Tagen aber war das Präparat wirkungslos. — Ein Mann in den 60er Jahren
(Nr. 9) hatte 10 Tage lang Erfolg von je 0,12; später wurde das Mittel wegen
Eintritt in ein Spital nicht mehr gebraucht.
In 3 Fällen war Angst (Dyspnoe) die Hauptursache der Schlaflosigkeit. Ein
Mann, am Ende der 40er Jahre (Nr. 10), schlief auf je 0,15 gut. — Eine Frau von
ca. 35 Jahren (Nr. 11), die am Ende ihrer Schwangerschaft war und eine sehr be¬
deutende Ausdehnung ihres Unterleibes hatte, schlief in der ersten Nacht nach
0,15 M. c., erwachte später, schlief aber auf eine zweite solcho Gabe wieder gut.
In der folgenden Nacht schlief sie erst auf 2 Dosen von 0,15 und in der dritten
auch auf 2 nicht. — Ein 60jähriger Mann (Nr. 12) hatte guten Erfolg von je 0,12;
später konnte er aber auch spontan ordentlich schlafen , was in den der Anwen¬
dung des M. c. vorhergehenden Nächten nicht der Fall gewesen war.
In 11 Fällen endlich war eine mehr oder weniger erhöhte Reizbarkeit
des Nervensystems Ursache der Schlaflosigkeit. In einem derselben (Nr. 13)
— Mädchen von 19 Jahren — beruhte sie auf Gehirncongestion. Das erste Mal
brachte 0,15 einen immerhin nicht besonders ruhigen Schlaf; das zweite Mal wirk-
•j Opium wurde wegen hartnäckiger Stuhlverstopfung nicht gegeben.
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ten 2 traben von 0,15 gar nicht mehr, und zuletzt blieb 0,30 pro dosi auch wir¬
kungslos. — In 3 andern Fällen bestand wohl ebenfalls eine Gehirncongestion.
Der eine betraf einen Knaben mit Erysipelas Capitis (Nr. 14). M. c. zu 0,06 be¬
ruhigte ihn, aber führte keinen Schlaf herbei. In der folgenden Nacht schlief er
auf 0,09 3 Stunden lang, war dann ca. 1 Stunde wach, nahm noch 0,06 und schlief
nun gleich wieder ein für fernere 3% Stunden. Später war das Medicament nicht
mehr nöthig. — In einem zweiten Falle (Nr. 15) — 13jähriges Mädchen mit In-
sufficienz der Mitralis und einem acuten Magencatarrh — erfolgte ein guter Schlaf
auf eine einmalige Gabe von 0,08; hernach brauchte das Mittel ebenfalls nicht
mehr angewendet zu werden. — In einem dritten Falle (Nr. 16) — 30jähriger
Mann, Potator, mit Pleuritis — hatten 5 Dosen von 0,15 in einer Nacht keine
Wirkung, während Chloralhydrat gute Dienste that.
Bei einer Frau von 64 Jahren (Nr. 17) war die nervöse Ueberreizung hervor¬
gerufen worden durch den Tod ihres Mannes. Nachdem in 2 aufeinander folgen¬
den Nächten je 2 Dosen von 0,15 gar keinen Erfolg gehabt hatten, wollte die
Pat. weder mit diesem noch mit einem andern Hypnoticum fortfahren. — Ein 19-
jähriges Mädchen, das von jeher ein leicht erregbares Nervensystem hatte, schlief
eine Zeit lang schlecht. Eine einzige Gabe von 0,15 M. c. hatte eine gute Nacht
zur Folge und brauchte später nicht mehr genommen zu werden.
In den 5 letzten Fällen von nervöser Reizbarkeit handelte es sich um Hy¬
sterie. Eine Frau von 45 Jahren (»Nr. 19) schlief auf 0,12 die ganze Nacht, spä¬
ter aber nicht mehr. Nach */ A Jahren jedoch bewirkte 0,15 wiederum gesunden
Schlaf und zwar nun zu wiederholten Malen. — Eine Jungfrau in den 30er Jahren
(Nr. 20) mit hochgradiger Hysterie und zeitweiligen kataleptischen Krämpfen schlief
auf 0,12 M. c. stets gut. — Bei einer 52jährigen Frau (Nr. 21) wirkte 0,12 in zwei
auf einander folgenden Nächten ebenfalls gut und brauchte nachher nicht mehr
angewendet zu werden. — Eine Frau im Anfang der 40er Jahre (Nr. 22) hatte
schon auf 0,10 eine gute Nacht; später war sie merkwürdiger Weise nicht mehr
zu bewegen, das Medicament zu gebrauchen. — Eine andere Frau von demselben
Alter (Nr. 23), welche behauptete, besonders in Folge von Herzklopfen unruhige
Nächte zu haben, schlief auf 0,12 stets gut
Stellen wir nun die Resultate zusammen. Nur in 3 Fällen (Nr. 5, 16 und 17)
trat gar kein Erfolg ein. Bei Nr. 13 war derselbe zweifelhaft. In 7 Fällen
(Nr. 1, 2, 3, 7, 8, 11 und 19) hatte das M. c. gute Wirkung, versagte aber nach
kürzerer oder längerer Zeit den Dienst. In 12 Fällen schliesslich (Nr. 4, 6, 9, 10,
12, 14,15, 18, 20—23) beobachtete ich nie einen Misserfolg, bei einigen, wie Nr. 4,
6, 20 und 23, selbst nach längerem Gebrauche nicht; bei andern dagegen, wo das
Mittel nur ein oder wenige Male verwendet wurde, kann man nicht wissen, ob bei
fernerem Gebrauche die Wirkung die gleiche geblieben wäre.
Der Monobromcampher hatte bei 3 Personen zeitweise unangenehme Ne¬
benwirkungen. Bei Nr. 1 war am Morgen, nachdem auf 2 Dosen von 0,12
Schlaf erfolgt war, der Kopf etwas schwer; später wurde das Mittel gut vertra¬
gen. Ein Jahr darauf war aber die Patientin auf 2 Gaben von 0,15 aufgeregt, in
einem rauschähnlichen Zustand, wie sie sich ausdrückte. Bei Nr. 19 folgte auf
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eine abendliche Dosis von 0,12 M. c. am Morgen Erbrechen, während er die vor¬
hergehenden, sowie auch die folgenden Tage gut vertragen wurde; */« Jahre spä¬
ter wurde er trotz bestehender Cardialgie und öfterem Erbrechen ebenfalls stets
gut vertragen Patientin Nr. 23 fühlte nur das erste Mal, nachdem sie am Abend
mit Erfolg 0,12 genommen hatte, Morgens Uebelkeit, nachher nie mehr. — In allen
andern Fällen machte der M. c. nie die geringsten unangenehmen Nebenerschei¬
nungen und wurde in manchen derselben trotz bestehendem Magencatarrh, Car¬
dialgie u. 8. w. vortrefflich vertragen. Als Vorzug gegenüber den eigentlich nar-
cotischen Mitteln verdient hervorgehoben zu werden, dass mit der einzigen schon
erwähnten Ausnahme ich vor dem Eintritt des Schlafes nie ein Aufregungsstadium
beobachtete, und dass die hypnotische Wirkung, wenn sie überhaupt eintrat, in der
Regel sehr rasch erfolgte.
Was den Preis des Medicamentes betrifft, so berechnet Hr. Apotheker Fueter
in Burgdorf bei der Receptur das Gramm zu 20 Cts-, *) während von Chloral-
hydrat 1,0 10 Cts., 5,0 30 Cts- kosten, von Morph, ac. 0,1 = 30 Cts., 1,0 = 2 Fr.,
von Opium 0,1 = 10 Cts., 1,0 = 40 Cts.
Fassen wir schliesslich die gemachten Erfahrungen kurz zusammen, so sehen
wir, dass der M. c. besonders in den Fällen, wo der Magen die eigentlichen Nar-
cotica nicht verträgt oder wo dieselben wegen längeren Gebrauches wenig oder
nicht mehr wirken, als Hypnoticum um so mehr Berücksichtigung verdient, als er
in den zur Erzielung eines Erfolges nöthigen Dosen durchaus unschädlich ist. In
manchen Fällen büsst er auch bei wiederholtem Gebrauch nichts von seiner Wirk¬
samkeit ein; in andern dagegen hält dieselbe verhältnissmässig nur kurze Zeit an.
Doch ist man oft froh, wenn man nur einige Tage die eigentlichen Narcotica durch
ein anderes, wenig oder gar nicht schädliches Mittel ersetzen kann. Uebrigens ist
es sehr wohl möglich, dass in der Mehrzahl der Fälle, wo die kleinern Dosen mir
den Dienst versagten, grössere, wie sie von Andern ohne Nachtheil gegeben wur¬
den , wieder zum gewünschten Ziele geführt haben würden. Dasselbe gilt wohl
auch von den wenigen Fällen, wo die verabreichten, verhältnissmässig kleinen
Gaben von Anfang an wirkungslos blieben.
Meine Beobachtungen sind zu spärlich, um die Erfahrungen der früher ge¬
nannten Aerzte über anderweitige günstige Wirkungen des M. c.
auf das Nervensystem zu unterstützen. Doch erwies sich derselbe in den
Fällen 3 und 6 und besonders 4 offenbar gleichzeitig als schmerzstillend und in
den Fällen 7, 8 und 9 wohl auch als hustenberuhigend. — Gegen Neuralgien, hy¬
sterische und epileptische Krämpfe, Delirium tremens und andere schwerere Stö¬
rungen des Nervensystems würde er offenbar besser in grossem (0,25 und mehr)
und öfter wiederholten Dosen zu geben sein, wie es von anderer Seite auch schon
geschah. Mir war eben nur daran gelegen, seine schlafbringende Wirkung zu
*) Bei der Darstellung einer grössern Menge würde er natürlich entsprechend billiger werden.
Aber schon bei dem genannten Preise kommt der M. c. wegen seiner geringem Dosirung erheblich
billiger als das Chloralhydrat sn stehen. Gleich viel wie dieses kostet das Bromkali, ist aber als
Hypnoticum theurer, weil es in noch grösserer Dosis gegeben werden muss.
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prüfen. — Am geeignetsten für die Verabreichung erscheint mir die von mir aus¬
schliesslich benützte Pulverform. *)
Interessant wäre es jedenfalls, in Spitälern zu untersuchen, ob die oben ange-
führten physiologischen Eigenschaften (Herabsetzung der Temperatur, der Puls-
und Respirationsfrequenz) bei Verabfolgung von grossem, aber doch noch unschäd¬
lichen Dosen •*) sich auch beim Menschen zeigen würden. Sollte sich dies erwah-
ren, so wäre auch seine Verabreichung bei Fieber am Platze.
Zum Schlüsse möchte ich nun noch die Hoffnung aussprechen, dass die mit-
getheilten Erfahrungen einige Collegen ermuntern mögen, ebenfalls Versuche mit
dem Medicamente anzustellen und später im „Correspondenzblatt“ mitzutheilen.
Ein Fall von acuter hämorrhagischer Pancreatitis.
Mitgetheilt von Dr. Hilty in St. Gallen.
Aus den wenigen bisher bekannten Fällen von acuter hiemorrhagischer Pan¬
creatitis lässt sich nach Friedreich — siehe dessen Abhandlung über Pancreaskrank-
heiten im Ziemseen’ sehen Handbuch der Pathologie und Therapie — folgender Symp-
tomencomplex zusammenstellen:
Beginn der Krankheit plötzlich, bald mit mehr kolikartigem, bald schon von
vorneherein fixem und andauernden Schmerze in der Tiefe der epigastrischen Ge¬
gend , welcher in die Hypochondrien, gegen den Rücken und die Schultern aus¬
strahlt , und in raschem Verlaufe bis zur höchsten Intensität sich steigert. Der
Schmerz ist begleitet von höchster Unruhe, prsecordialer Augst, Beklemmungsge¬
fühlen, Neigung zu Ohnmächten, Nausea, Würgen und Erbrechen, durch welches
dünne, schleimig-gallige Flüssigkeiten entleert werden, ohne dass die Entleerung
einen wesentlich und anhaltend lindernden Einfluss auf den Schmerz ausübte. Das
Epigastrium ist gespannt, der Stuhl angehalten, mehr oder minder Fieber mit
abendlicher Exacerbation. Icterus fehlt, trotz der auch den Kopf der Pancreas
betreffenden Schwellung, in den bisher beschriebenen Fällen. Nach kurzer Zeit
Steigerung der Krankheitssymptome bis zu einer extremen Höhe , der Puls wird
klein, unterdrückt, unregelmässig, die Extremitäten kühl, das Gesicht hippocratisch,
und der Tod erfolgt in acutem Collaps.
Aetiologisch ergibt sich Prädisposition des männlichen Geschlechtes —
die wenigen bisherigen Fälle betrafen alle Männer, meist jüngere Männer — ferner
disponiren Fettleibigkeit, Vorliebe und Missbrauch im Genuss von alcoholischen
Getränken, Hyperämie in Folge organischer Krankheiten des Herzens, der Lungen
und der Leber.
Das pathologisch-anatomische Bild zeigt Vergrösserung der Drüse bis aufs
Doppelte und Dreifache ihres normalen Volumens, pralle Consistenz derselben, hoch-
rothe Färbung des ganzen Organes. Die Maschen des interstitiellen Gewebes sind
von frischem oder schon verändertem Blute erfüllt, die acini mattgrau oder von
diffundirtem Blutfarbstoffe tingirt. Erstreckung des hämorrhagischen Vorganges
*) Ich Hess stets Wachspapier dasu geben.
**) Die höchste von Bourneville verordnete Dosis war 0,0; er glaubte aber, dass man dieselbe
ohne Schaden erheblich Überschreiten könnte.
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auch auf die Umgebung der Drüse, besonders auf das retroperitoneale Bindege¬
webe. Trotz alledem eine nur viel zu geringe Blutung, als dass nur aus diesem
Umstande allein der plötzliche Tod erklärt werden könnte.
Vergleichen wir mit dieser Schilderung, wie ich sie aus oben genanntem Werke
zusammengestellt habe, nun folgenden Fall:
Breny, August, 30 Jahre alt, Mechaniker von Beruf, ein ungewöhnlich kräfti¬
ger, hochgewachsener Mann, bisher niemals ernstlich kratok, nur in den letzten
Jahren öfters an Herzklopfen und zeitweiligen Beklemmungen leidend, verlangte
am 10. Juli gegen Mittag, wegen hochgradiger Bangigkeit und einem Gefühl von
Aufgetriebensein, das ihn „fast zu versprengen“ drohe, plötzlich Aufnahme in das
St. Gallische Cantonsspital. Er gibt an, in letzter Zeit sich recht wohl befunden
zu haben, so dass er ungestört seiner anstrengenden Arbeit nachgehen konnte.
Abends zuvor sass er mit einer Zahl Freunde zusammen und trank ziemlich viel
noch junges Bier. Trotzdem hatte er eine ganz gute ruhige Nacht, stand munter
auf und ging zum Frühstück. Da erkrankte er plötzlich mit einem Gefühl von
Völle und Spannung im Unterleibe, das von Stunde zu Stunde zunahm, mit allge¬
meinem Unwohlsein — keinen Frostanfall — sich verband und ihn schliesslich nö-
thigte. im Cantonsspitale Anfnahme zu suchen.
Status präsens. Stattlicher Mann mit sehr kräftiger Muskulatur und sehr stark
entwickeltem panniculus adiposus; normaler Hautfärbung, leicht gedunsenes Ge¬
sicht mit injicirter Conjunctiva und dem allgemeinen Habitus eines Mannes , der
geistige Getränke liebt. Sonst keine Oedeme, keine Cyanose, Temperatur eher
subnormal, kalte Extremitäten, kalter Schweiss auf der Stirne, Angst im Blick und
von einer Unruhe, die ihn nirgends ruhig stehen oder sitzen lässt und kaum eine
sorgfältige Untersuchung ermöglicht, dabei das Sensorium völlig frei. Kleiner,
kaum fühlbarer, beschleunigter Puls, Herzdämpfung vergrössert, Herztöne dumpf,
etwas entfernt, ohne Nebengeräusch, Herzaction rasch, verhältnissmässig schwach,
nicht unregelmässig. Heftige Präcordialangst. Respiration beschleunigt, mühsam
costal, mit Zuhülfenahme der Hülfsmuskulatur; Zwerchfell hochstehend. Auscul-
tation und Percussion der Lungen haben mit Ausnahme etwas verschärften Athmens
keine abnormen Ergebnisse. Oberbauchgegend stark aufgetrieben, später schmerz¬
haft, wesentlich erhöhtes Schmerzgefühl, kein Druck, Percussion tympanitisch, der
übrige Unterleib nicht besonders ballonirt. Wegen des sehr starken Fettpolsters
und der Schmerzhaftigkeit ist das Untersuchungsergebniss der Unterleibsorgane
etwas getrübt, namentlich lässt sich nicht sicher nachweisen, ob etwa ein Erguss
in der Bauchhöhle sei. Stuhl war Morgens zuletzt erfolgt, etwas hart, kein Er¬
brechen , nur stets Brechreiz bei immerwährender Nausea und Uebelsein, Zunge
catarrhalisch belegt, feucht. Urin-Se- und Excretion normal. Auch die chemische
und microscopi8che Untersuchung des Urins weisst nichts besonderes nach.
Diagnose: Acuter Gastricismus in Folge Indigestion, möglicherweise zufäl¬
lige Vergiftung.
Ordination: Massenclystier von lauwarmem Wasser, Priegsnitz’scher Umschlag;
und als dies keine Erleichterung brachte, Application der Magenpumpe. Sie för¬
derte nur eine unbedeutende Menge schleimig-wässriger, gelblich gefärbter, sauer
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reagirender Flüssigkeit heraus, deren Untersuch durchaus nichts Verdächtiges er¬
gab. Patient ertrug die Manipulationen ganz gut; aber Abnahme, oder auch nur
Verminderung der beängstigenden Symptome hatten sie keine zur Folge. Erst auf
Anwendung eines Emeticums am Abende des gleichen Tages, das reichliches Er¬
brechen einer schleimig-galligen Flüssigkeit mit wenig Speiseüberresten zu Tage
förderte, trat subjective Erleichterung ein, die dem Kranken gestattete, während
der Nacht zeitweilig zu ruhen.
Am 11. Juli Morgens erfolgte spontan eine weiche, reichliche, normal gefärbte
Stuhlentleerung. Die örtlichen und allgemeinen Krankheitserscheinungen waren
sich aber ganz gleich geblieben. Oberbauchgegend stets prall gespannt, hochtym-
panitisch, schmerzhaft, besonders heim Druck, steter Brechreiz, Angstgefühl, Ban¬
gigkeit, fadenförmiger , frequenter Puls, eiskalte Extremitäten. Temperatur nor¬
mal. Eine nochmalige vorsichtige Ausspülung des Magens führte zu keinem bes¬
sern Resultate und da ich nun doch die Möglichkeit einer perforativen Peritonitis
annehmen zu müssen glaubte, liess ich dem bisher unruhig bald herumgehenden,
bald im Bette sich herumwälzenden Kranken ein kräftiges Opiat reichen und eine
Eisblase auflegen.
Erst Abends gegen 7 Uhr trat subjective Erleichterung ein, allein der objec-
tive Befund war derselbe.
Gegen 9 Uhr plötzlich heftige erneuerte Unruhe, getrübtes Sonsorium, furi-
bunde Delirien, Fluchtversuche, plötzlicher Collapsus und Tod.
Section: 14 Stunden post mortem.
Massige Fettablagerungen nicht nur im Unterhautzellgewebe, sondern auch in
den Umgebungen der Eingeweide. In der Bauchhöhle kein freies Exsudat, über¬
haupt nirgends Erscheinungen einer frischen Peritonitis. Magen mässig, Gedärme,
besonders Colon ascendens und transversum hochgradig aufgetrieben. Zwerchfell
steht auf der Höhe der 4. Rippe. Nach Entfernung der Gedärme, an denen sich
keine pathologische Veränderung, auch keine vermehrte Ftecalansammlung oder
sonstiger abnormer Inhalt, z. B. Blut, zeigt, fällt sofort die starke blutige Infiltra¬
tion des das Pancreas umgehenden Zellgewebes auf. Das Pancreas selbst ist we¬
nigstens um das Zweifache seines normalen Volumens vergrössert, von fester Con-
sistenz und ganz dunkelvioletter Färbung. Beim Einschneiden entleert sich aus
den Zwischenräumen zwischen dem ebenfalls dunkel gefärbten Acinis viel blutiges
Serum und namentlich am Kopftheile der Drüse sind zwischen den einzelnen Drü¬
senläppchen sehr viele hirsekorn- bis kirschkerngrosse Blutextravasate eingelagert.
Ueberhaupt ist das ganze interacinöse Gewebe wie dessen Umgebung hämorrha¬
gisch infiltrirt. Der Ductus Wirsungianus ist nicht erweitert, dagegen die am un¬
tern Rande des Pancreas hinlaufende Vena renalis stark ausgedehnt und mit Blut¬
gerinnseln gefüllt. Die Milz blutreich, nicht vergrössert, die Nieren ebenso. Ma¬
gen mässig aufgetrieben, Magenschleimhaut etwas verdickt, gewulstet, graulich ge¬
färbt; im untern Theile des Oesophagus und um die Cardia herum einige Ecchymosen
und oberflächliche Erosionen. Leber vergrössert und hochgradig verfettet. Lungen
in den abhängigen Partien etwas cedematös und hypostatisch, sonst normal. Herz
gross, besonders seine linke Hälfte; starke Fettablagerung in den Sulcis, schlaffe,
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etwas fettig degenerirte Muskulatur, Klappenapparat gesund. Das Herz enthält
wie die grossen Gefässe viel flüssiges, kirschrothes Blut. Schädeldach ungewöhn¬
lich dick, ausgedehnte Verwachsungen der Dura mit demselben, viele pachionische
Granulationen, sonst nichts Abnormes auf der Oberfläche und Basis kenntlich,
mässige Injection der Piagefässe. Hirnsubstanz fest, von zahlreichen Blutpuncten
durchsetzt, nirgends ein Extravasat. In den Ventriceln wenig helles Serum.
Die auffallende Aehnlichkeit dieses Krankheitsfalles in Aetiologie, Symptomen-
gruppirung und pathologisch-anatomiscnem Befunde mit dem vorangestellten Bilde,
das Friedreich von der acuten und der hämorrhagischen Pancreatitis entwirft, lässt
wohl keinen Zweifel übrig, dass der vorliegende Fall eine Combination beider, eine
acute hämorrhagische Pancreatitis gewesen ist.
Am auffallendsten in diesem eigenthümlichen Krankheitsbilde scheint mir der
so schnell in diesem wie in analogen Fällen eintretende Collaps zu sein und Zenker
hebt wohl mit Recht hervor, dass man die Blutung bei ihrer verhältnissmässig ge¬
ringen Menge an sich unmöglich als die Ursache des plötzlichen Todes anschuldi¬
gen könne, sondern dass man wohl an Nervenwirkungen denken müsse; und am
wahrscheinlichsten scheint auch mir seine Annahme, dass durch das hämorrhagisch
acut anschwellende Pancreas eine Druckreizung auf das Ganglion semilunare und den
Plexus solaris veranlasst, und dadurch eine reflectorische Störung der Herzbewe¬
gung veranlasst werde, die in unserem Falle um so eher zum plötzlichen tödtlichen
Ausgange führen konnte, als das Herz sich vergrössert, seine Muskulatur er¬
schlafft und fettig degenerirt zeigte, ganz abgesehen von den Circulationsstörun-
gen, die die krankhaft veränderte Leber und die durch den bedeutenden Hoch¬
stand des Zwerchfells comprimirten Lungen hervorrufen mussten.
V ereinsl>ei*iclite.
Ordentliche Frühjahrssitzung der ärztl. Gesellschaft des Cantons Zürich.
Den 17. Mai 1877, um ’/ 2 12 Uhr im Löwen in Meilen.
Anwesend sind 29 Mitglieder.
An Stelle des durch Unwohlsein abgehaltenen Actuars fungirt als solcher der
Quästor Dr. J. Billeter. Als Gäste erschienen trotz des abscheulichen Wetters die
Collegen Schüler von Mollis, Müller von Näfels und Kläsi von Luchsingen.
Der Präsident begrüsst die Anwesenden, befreut sieh, dass kein Necrolog
nöthig sei, und schlägt folgende Tagesordnung vor: 1) Vorlage der Geschenke,
2) Demonstration von Prof. Rose , 3) Vortrag von Prof. Clodlla , 4) Antrag des Co-
mitö betreffend Nomenclatur, 5) Vortrag von Dr. Egli-Sinclair, 6) Vortrag von Be¬
zirksarzt Dr. Baumann, 7) Aufnahme neuer Mitglieder, 8) Abnahme der Jahres¬
rechnung. — Angenommen.
Als Geschenk ist eingegangen: Jahresbericht über die Verwaltung des Medi-
cinalwesens etc. der Stadt Frankfurt; vom ärztlichen Verein, Jahrgang 1875, über
den Prof. Homer referirt. Wird verdankt
Prof. Rose weist das Präparat eines operirten Kropfes und seiner
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Annexe vor von einem 56jährigen Potator ans dem Canton Aargau. Unterbindung
der Carotis. Tod.
Anschliessend an seinen Vortrag in der Wintersession über Kropfasthma und
Kropftod erwähnt der Vortragende, dass er den Gegenstand am chirurgischen
Congress in Berlin zur Sprache gebracht und im Wesentlichen bei Billrolh
vollständige Uebereinstimmung gefunden habe. Hauptquelle der operativen Rou¬
tine seien: 1) gänzliches Vermeiden des Anschneidens des strumösen Gewebes,
2) Beginn der Operation von unten, sternal, 3) sobald als möglich Tracheotomie
und zwar in der durch den Druck erweichten Stelle und Liegenlassen der Canüle
bis zur Wiederherstellung der Resistenz der Trachealknorpel.
Vortrag von Prof. Cloeita über die Wirkung des Pilocarpin und Co-
toin. Vor der Besprechung der eigentlichen Themata bezeichnet der Vortragende
mit einigen Worten den gegenwärtigen Standpunct der Pharmacologie. Wie in
andern Disciplinen, so wird auch in dieser das physiologische Experiment für die
nächste Zukunft die Hauptquelle des Wissens abgeben. Allerdings dürfen die an
Thieren gewonnenen Resultate nicht sofort auf den Menschen übertragen werden;
die Physiologie hat bei ihren Versuchen zunächst kein therapeutisches Interesse;
sie kann und will die Versuche nur eine Strecke weit führen, von da ab ist es
Sache der Aerzte, die Prüfung beim Menschen fortzusetzen. Wie in früheren Zei¬
ten, so wird auch in Zukunft eine Bereicherung der Therapie auch von anderer
Seite zu erwarten sein, vom glücklichen Zufall, vom planlosen Versuchen, von der
Empirie; in diesem Falle wird der therapeutische Erfolg das erste sein, die wis¬
senschaftliche Erklärung durch den physiologischen Versuch wird folgen, während
im oben genannten Falle der umgekehrte Weg eingeschlagen wird. Beide können
zur Förderung der Pharmacologie führen. Bei allen Versuchen ist es nothwendig,
dass das Präparat, welches wir anwenden, auch den Stoff repräsentirt, mit dem wir
unsere Beobachtungen an Menschen machen wollen. In dieser Beziehung wird
noch vielfach gefehlt und darin liegt gar oft eine Quelle von Täuschungen und
falschen Schlüssen und Deutungen gemachter Versuche. Der Vortragende citirt in
dieser Beziehung als Beispiel das Digitalin, welches nach den gegenwärtigen Dar¬
stellungsmethoden offenbar ein anderes Product ist, als der wirksame Bestandtheil
der Digitalispflanze.
Das Pilocarpin ist der wirksame Bestandtheil der Jaborandiblätter. Dieser
letztere Name ist eine generelle Bezeichnung für eine Reihe von Blättern, die von
in Brasilien wachsenden Piperaceen und Rutaceen abstammen, die sämmtlich als
schweiss- und speicheltreibend bekannt sind. Gegenwärtig wird das Pilocarpinum
muriaticum, von Merk aus Pilocarpus pinnatifolius dargestellt, am häufigsten ge¬
braucht und zwar subcutan. Versuche an gesunden Pferden (diese Thiere schwitzen
unter unsern Hausthieren am leichtesten) ergeben bei Injection von 0,5 salzsaurem
Pilocarpin: nach 3 Minuten starken Speichelfluss, nach 8 Minuten steigt die Puls¬
zahl von 40 auf 60, der Herzschlag wird schwächer, die peripheren Arterien voller
und reicher; nach 10 Minuten Schweiss, zuerst an der Injectionsstelle, von da an
sich verbreitend gegen die Kopfhaut und dann erst auf die übrige Haut, Ausdeh¬
nung sämmtlicher Venen an der Haut. Die Maetdarmtemperatur bleibt stets auf
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38° C., diejenige der Haut Anfangs 36,5°, nach IV» Stunden 35,2°. — Während
der Versuchszeit zeigt sich Drang auf Darm und Blase. Nach 7« Stunden zeigt
das Thier einen Gewichtsverlust, Koth und Harn abgerechnet, von 22 ff, also über
2 %. -
Bei einer Milchkuh brachte dieselbe Dosis (0,5) keinen Schweiss hervor, auch
keine Veränderung der Milchmenge. Beim Menschen genügen 0,01—0,02, um ähn¬
liche Erscheinungen hervorzubringen. Zuerst tritt Salivation auf, nachher Hitze-
gefübl im Kopf, Röthung der Gesichtshaut, Klopfen der Carotiden, und Schweiss¬
au sbruch am Kopfe beginnend, nach und nach sich ausbreitend. Die Pulsscliläge
nehmen um 20—40 per Minute zu, die Athmung wird beschleunigt. Eine diure-
tische Wirkung wurde nie beobachtet. Brechreiz bei 0,02, subcutan angewendet,
ist eine gewöhnliche Erscheinung. Die Dauer der Wirkung erstreckt sich auf
1—2 Stunden. Die Mastdarmtemperatur bleibt sich gleich, diejenige der Achsel¬
höhle kann nach IV» Stunden um 2° tiefer stehen , als vor dem Versuche. Nach
dem Versuche stellt sich Schlafbedürfniss ein. Ueber die therapeutische Bedeu¬
tung lässt sich gegenwärtig nichts sagen. Für die interne Medicin ergeben sich
noch keine speciellen Indicationen für die Anwendnng dieses Mittels, bei hydropi-
schen Zuständen in Folge von Herzfehlern oder chronischer Nephritis ergab sich
keine Besserung, auch nicht bei pleuritischen Exsudaten; in einem Falle von Fett¬
sucht ergab sich nach 10 Injectionen zu 0,03—0,05, innerhalb 20 Tagen ausgeführt,
keine Gewichtsabnahme.
Das C o t o i n ist ein in gelblichen rhombischen Prismen crystaliisirender Kör¬
per (CjiH 10 0 6 ), den Jobst in Stuttgart zuerst aus der Cotorinde, aus Bolivia stam¬
mend, dargestellt hat Derselbe ist in Wasser sehr schwer löslich, löst sich da¬
gegen in Alcohol. Er ist geruchlos und erzeugt auf der Zunge bei längerem Ver¬
weilen einen brennenden Geschmack. Neben dem Cotoin kömmt in derselben Rin¬
denart ein ähnlicher Körper, das Paracotoin, vor; die einen Rinden enthalten
mehr vom ersteren, andere mehr von letzterem. Die physiologischen Wirkungen
dieser Stoffe sind noch nicht bekannt Sie scheinen in dieser Beziehung ziemlich
indifferent zu sein. Dagegen ist ihre therapeutische Wirkung gegen Diarrhoeen
von Gietl in München , Burkhard in Stuttgart und vom Vortragenden wirksam be¬
funden worden. Namentlich bessern die catarrhalischen Diarrhoeen unter ihrem
Gebrauche in auffallend kurzer Zeit. Es wäre dieses wohl ein gutes Mittel, das
bei Sommerdiarrhceen der Kinder angewendet werden könnte. Erwachsene be¬
dürfen vom Cotoin 0,1 pro dosi, mehrmals täglich, vom Paracotoin, welches schwä¬
cher wirkt, 0,3 pro dosi. Da unangenehme Nebenerscheinungen bei dessen An¬
wendung fehlen, so schadet man nicht, wenn man die Dosis etwas höher nimmt.
Eine Erklärung der therapeutischen Wirkung lässt sich gegenwärtig noch nicht
geben. Der Preis des Stoffes steht gegenwärtig noch etwas hoch, 5 Fr. per 1 Gr.
Weitere Versuche wären erwünscht
Anschliessend an diesen Vortrag weist Prof. Schär ein getrocknetes Exemplar
der trockenen Jaborandipflanze vor, welche das ächte Pernambuco-Jaborandi lie¬
fert; es ist eine Rutacee, Pilocarpus pinnatifolius oder Pilocarpus Jaborandi. Die
ähnlichen aus den Piperaceen stammenden Pilocarpusarten sind nicht wirksam.
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Die Blätter des ächten Jaborandi zeigen alle an der Spitze eine eigenthümliche
Einkerbung, ferner eine grosse Anzahl von Oeldrüsen und eine eigenthümliche,
sehr regelmässig dichotomische Nervatur. Das pharmaceutische getrocknete Mate¬
rial zeigt die Blätter blassgraulichgrün von aromatischem, scharfbrennendem, an
Pyrethrum erinnerndem Geschmack. Die Rinde an den Stengelstücken springt sehr
leicht ab. — Ferner weist Sch. ein Stück der Rinde vor, aus welcher das schwä¬
chere Paracotoin gewonnen wird. Die Pflanze gehört nicht zu den Cinchonaceen,
zeigt nicht die den letztem eigenthümlichen Bastfaserzellen, sondern scheint mehr
den Magnoliaceen, eventuell Lauraceen oder Therebinthinaceen anzugehören.
Prof. Horner hat an 70 Injectionen von Pilocarpin gemacht, die Mehrzahl ohne
Nachtheile, besonders seitdem er die Anfangsdosis auf ‘/, Cgm. reducirt hat. Sein
Assistent, Dr. Haab, der während eines heftigen Nasencatarrhs sich eine Injection
applicirte, empfand Uebelkeit mit Erbrechen und ein höchst lästiges Gefühl von
Auseinandergetriebenwerden des Kopfes. Die Pulsfrequenz war gesteigert. Dann
folgte der Schweiss. Schlaf, und den folgenden Tag vollständige Herstellung mit
freiem Kopf und Appetit
Dr. Schock frägt, ob man von Jaborandi keinen günstigen Erfolg bei Albumi¬
nurie, durch Entlastung der Nieren, gesehen habe.
Prof. Cloetta '8 Versuche in dieser Beziehung waren negativ ausgefallen.
Nun folgt der Antrag des Comitö, betreffend Nomenclatur, begründet
und beleuchtet von Dr. Rahn-Escher: Nur unser Canton verlangt exclusiv die An¬
wendung der deutschen Sprache. Dieses aber schadet erstens der Schärfe und
Klarheit des wissenschaftlichen Ausdrucks und verletzt oft das Zartgefühl der Hin-
terlassenen. Es werden dafür zahlreiche Beispiele aufgeführt Mit Rücksicht auf
die Wichtigkeit der Sache beantragt daher das Comitö, bei unsern Behörden an¬
zustreben, dass bei Bezeichnung der Todesursachen auf den Todtenscheinen die
technischen Ausdrücke auch in fremder Sprache (griechisch, lateinisch) gewählt
werden dürfen. •
Bezirksarzt Dr. Sigg unterstützt den Antrag mit dem Zusatz, „die eidgenössische
Aerztecommission damit zu beauftragen, eine deutsche einheitliche Uebersetzung
zu erstellen.“
Präsident Zehnder erläutert, dass schon einschlägige Versuche gemacht worden
seien, aber man habe die Sache schwierig gefunden. Einstweilen habe das eidge¬
nössische statistische Bureau das basier Schema, das beides (deutsch und fremd)
zulasse, als das bis jetzt beste angenommen.
Dem Comit6 wird der Auftrag gegeben, in Sachen nach Antrag vorzugehen.
Vortrag von Dr. Egli-Sinclair: Die antiseptische Behandlung der Puerpera.
(S. Corresp-Bl. Nr. 21, pag. 637.)
Prof. Homer hat sich an Prof. Bischoff gewendet, um dessen Erfahrung über
den Einfluss der antiseptischen Behandlung der Wöchnerinnen auf das Vorkommen
von Blennorrhoea neonatorum kennen zu lernen, und war hocherfreut zu erfahren,
dass laut Statistik einer Reihe von Jahren in dieser Beziehung die jetzige Zahl
(genaue Angaben hat Prof. Homer im Augenblick nicht zur Hand) der Kinder-
blennorrhceen bedeutend unter die kleinste Zahl der Fälle früherer Jahre gesunken
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ist. Dieses Resultat allein würde H. schon bestimmen, auf dieser Bahn fortzu¬
schreiten.
Vortrag von Bezirksarzt Dr. Baumann: Reflexionen aus demlmpfge-
biete. — Er theilt nach humoristischer und launiger Einleitung seine seit mehr
als 10 Jahren gemachten Erfahrungen auf dem Gebiete des Impfwesens mit und
verbreitet sich weitläufig und eingehend über die vortheilhafteste Gewinnung und
Aufbewahrung des Impfstoffes, spricht der Beibehaltung und consequenten Durch¬
führung der Impfung und Wiederimpfung ein warmes Wort und lässt es auch an
gelegentlichen Ausfällen gegen die Impfgegner nicht fehlon.
Im Speciellen beklagt er sich darüber, dass der junge Arzt ganz ohne eigene
Erfahrung, meist ohne je eine Impfung gesehen zu haben, an’s Impfgeschäft gehen
müsse, und freut sich, dass ihnen jetzt namentlich in den Kinderspitälern Gelegen¬
heit geboten sei, Impfungen zu sehen und deren Verlauf zu beobachten. — Als
Instrument empfiehlt er eine gut schneidende Lancette, neue, nie gebrauchte, gleich-
mässig runde und nicht gebauchte Röhrchen, die man mit Siegellack verschliessen
und nicht zuschmelzen soll. Er bewahrt dieselben in einem Reagenzglas auf, das
er in eine Blechkapsel legt, welche hinwieder in einer mit Sägemehl gefüllten
Holzschachtel vor Temperatureinflüssen geschützt bleibt.
Mit Lymphe, die mit Glycerin vermischt war, bekam er immer viel unsicherere
Resultate, namentlich für Revaccination. Drei kleine Längsschnitte auf jeden Arm
genügen. Um guten und dauerhaften Stoff zu bekommen, nehme man denselben
am 7. Tage, d. h. aus der noch wachsenden Pustel. Diese Lymphe ist die reinste,
hellste und wirksamste. Auf oben erwähnte Art aufbewahrt, konnte sie selbst
noch nach 2 Jahren mit gutem Erfolg verwendet werden. — Unter durchschnitt¬
lich 250—300 Impflingen per Jahr pflegen 90Vo bei der ersten Impfung Pusteln zu
bekommen, von den andern 10% sind in den letzten 5 Jahren bloss 2 Kinder, die
auch beim 2. und 3. Impfen ohne Pusteln blieben. Unter allen circa 3000 Kindern,
die B. bisher impfte, bat er schwere Zufälle, die auf die Impfung zurückzuführen
gewesen wären, nie gesehen. — Auf der Revaccination als Ausbau der Kinder¬
impfung müssen wir mit aller Energie bestehen. Sie soll aber mit frischer Lymphe,
womöglich von Arm zu Arm, ausgeführt werden (reine unvermischte humanisirte
Lymphe zieht B. der regenerirten vor). Im Jahr 1876 konnte B. alle impfpflichti¬
gen Recruten des Bezirks auf diese Weise impfen und erhielt dabei folgende Re¬
sultate :
in Uetikon
von 12 Impflingen 12 volle Erfolge
„ Stäfa
» 32
i)
29
»
„ Hombrechtikon
. 19
»
18
»
„ Oetweil
» 6
n
6
»
„ Männedorf
» 25
21
»
„ Meilen
* 27
»
21
r>
7)
währenddem er bei Anwendung von aufbewahrtem Stoff froh sein muss, wenn die
Hälfte der Revaccinirten Pusteln bekommen.
Ergo: Revaccination, wenn dieselbe zuverlässig sein soll, nur mit ganz frischer
und unvermischter Lymphe im Frühjahr gleichzeitig mit den Kinderimpfungen aus-
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führen, mit andern Worten: die obligatorische Wiederimpfung in das letzte Schul¬
jahr der jungen Leute verlegen und sämmtliche herangewachsene junge Mannschaft
mit dem im Frühjahr vollauf vorhandenen frischen Stoff revacciniren, das wäre
nach B 's Ansicht die für unsere Verhältnisse erspriesslichste und einzig richtige
Art, die hoffnungsvolle Jugend sowohl für den Militärdienst als für das ganze
spätere Leben vor der Gefahr einer Blatternerkrankung nachhaltig zu bewahren.
Die Zahl der im Bezirk Meilen geimpften Kinder hat eher zu- als abgenom¬
men (bei annähernd gleichbleibender oder eher abnehmender Einwohnerzahl). Es
wurden nämlich geimpft:
1865
308 Kinder
1871
358 Kinder
1866
360
1872
386 „
1867
423
•n
1873
387 „
1868
386
n
1874
384 „
1869
376
y>
1875
406 „
1870
398
»
1876
404 „
In der Blatternepidemie im Jahr 1871 kamen im Bezirk Meilen vom 1. Januar
bis 3 November 50 Blatternfälle vor und starben 2, während im Anfang des Jahr¬
hunderts, also zu einer Zeit, wo noch nicht geimpft wurde, in der Gemeinde Stäfa
allein über 30 Menschen dieser Seuche zum Opfer gefallen sind; der Verunstaltung
der Davongekommenen nicht zu gedenken.
„Wenn wir“, so schliesst B. seinen Vortrag, „recht sorgfältig sind in der Aus¬
wahl der Kinder, die wir als Abimpflinge benützen, so können wir unser Gewissen
vollständig beruhigen, selbst wenn auf einige Tausend Impflinge einmal einer
irgend welchen Schaden nehmen sollte. Im Vergleich zu den Verwüstungen, die
eine Pockenepidemie unter einer gänzlich ungeimpften Bevölkerung erwiesener-
maassen anzurichten im Stande ist, sind solche Vorkommnisse wahre Lappalien.
Insbesondere aber lassen wir uns nicht bange machen von Leuten, die, Laien in
der Sache, in alle Gebiete hinein zu pfuschen sich berufen fühlen und sich an-
maassen, Alles aufs Beste zu wissen.
Wird die Impfung fortwährend mit gehöriger Vorsicht und Sorgfalt ausgeführt,
so wird sie in der Hand des erfahrenen Arztes zur segensreichsten Handlung, die
einer der verheerendsten und furchtbarsten Krankheiten ihre sichern Opfer entreisst
und Unglücksfällen vorbeugt, denen jedenfalls jene gehässigen Impfgegner am
allerwenigsten entgegenzutreten im Stande sein würden.“
Dr. Rahn-Escher verdankt auf’s wärmste die Darstellung und erwähnt, dass die
zu Gunsten der Impfgegner oft angeführten englischen statistischen Angaben mit
Vorsicht aufzunehmen seien, weil in England usus sei, nur an einem Arm mit 3
Schnitten zu impfen, daher oft unvollkommene Pustelbildung und unvollständige
Reaction.
Anschliessend erläutert Präsident Zehnder des Nähern noch die von Dr. Scheuch -
zer verwerthete syphilitische Räubergeschichte aus Bayern. Auf Anfrage von Dr.
Sonderegger antwortet Medicinalrath Dr. Rapp: Dr. Hübner in Oberfranken verwen¬
dete als Abimpfling ein hereditär-syphilitisches Kind einer Taglöhnerin, die in
seinem Haus arbeitete, um derselben ein Benefiz zuzuwenden. Das Kind starb
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nachträglich. Kinder wurden 8-10 geimpft und richtig syphilitisch, durch diese
hinwieder 3 Mütter angesteckt. Sämmtliche wurden geheilt. Hübner kriegte einige
Jahre Festung.
Prof. Dr. E. Schär , Apotheker in Zürich, und Med. Pr. Laufrer, Assistent an der
Irrenanstalt, werden einstimmig in die Gesellschaft aufgenommen.
Die Jahresrechnung wird auf Antrag von Dr. Hirzel-Hür Umarm genehmigt und
verdankt.
Am Mittagessen wird auf Antrag von Prof. Emst der zu gleicher Zeit in Hei¬
den tagende ärztliche Verein von Appenzell in poetischem Telegramm begrüsst,
und antwortet derselbe sofort in burschikosen Knitteln. Prof. Homer erinnert an
Prof. Hasse in Göttingen und ladet die Gesellschaft ein, ihm anlässlich seines Rück¬
tritts vom Lehramt einen herzlichen Gruss zu schicken, welchem Vorschlag Alle,
und namentlich seine zahlreich anwesenden Schüler, freudig beistimmen.
Referate und Kritiken.
Traitl de climatologie mldicale.
Par le Dr. H. C. Lombard de Genöve (2 vol. in 8°. Paria, Verlag von S. Bailliöre, 1877).
Monsieur le docteur Lombard de Genöve, le savant et distinguö praticien qui, depuis
un demi-siöcle, poursuit sans reläche avec une ardeur juvenile ses travaux sur les climats
et sur les end&nies, a entrepris de publier les rösultats de ses 6tudes de prddilection,
de ses patientes et laborieuses recberches parmi les documents climatologiques, topogra-
pbiques et mödicaux du monde entier.
Mr. Lombard ne nous donne aujourd’hui que les deux premiers volumes; mais un 3me
et un atlas, parattront dans peu de mois, et le 4me verra le jour en 1878. Ceux donc
qui d£sirent lire son traitö de climatologie, n’auront pas longtemps k attendre Nous les
engageons hardiment k ne pas hdsiter k se les procurer, et nous croyons pouvoir leur
promettre pleine satisfaction. L’ouvrage bien dcrit et bien classd, riebe de Science et
de faits, introduit dans l’esprit une instruction claire et solide. Voici comment il est
divisö.
Dans un pröambule sont rösumöes toutes les notions mötöorologiques qui sont ap¬
plicables k la mödecine, et avec lesquelles tous les m^decins devraient se familiariser.
La climatologie gdnörale vient ensuite , et Mr. Lombard en Signale les lois gön^rales et
particuliöres. II ötudie leurs influences pbysiologiques, puis leurs influences patho-
logiques et morbides, et enfln leurs influences sur la mortalitd. L'auteur, ölöve des Louis
et des Andral , accorde une importance primordiale au „ebiffre“, mais au Chiffre ätabli sur
des observations exactes, nombreuses et prolongdes.
Dans le 2rae et le 3me volumes, le lecteur pourra faire „un tour du monde patho-
logique“. Partant des TÖgions polaires, il parcourra tous les pays du globe, et se servira
trös utilement de l’atlas spöcial qui accompagnera le 3me volume. Get atlas formera
une des parties les plus neuves et les plus originales du traitd de climatologie du Dr.
Lombard.
Le 4me et demier volume de ce vaste travail, sera consacrä k l’iufluence prophylac-
tique et thärapeutique des diffdrents climats. Il pourra servir de guide aux mödecins,
appel^B fröquemmeut aujourd’hui k donner un conseil motivd, par le temps de voyages
d’^migrations et de döplacement qui court.
Nous remercions le Dr. Lombard pour l’oeuvre utile qu’il aura bientöt achevöe, et nous
ne doutons pas que les nombreux lecteurs que nous lui souhaitons, ne l’en remercient k
leur tour. _ Dr. D., prof.
Das Oberengadin in seinem Einfluss auf Gesundheit und Leben.
Von Dr. J. M. Ludwig , practischer Arzt in Pontresina. Gekrönte Preisschrift. Stuttgart,
Ferd. Enke, 1877. 143 S.
Gewichtigere Stimmen als die mcinige haben Uber die Brochure Ludwig ’s bereits ihre
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Meinung abgegeben. Das Urtheil des Preisgerichtes (Prof. Dr. Licbermeister, Tübingen,
Dr. H. C. Lombard , Gen6ve und Dr. Herrn, Weber , London) lautet:
„Die auf das Ausschreiben des oberengadiner Curvereines eingegangene Schrift
(Titel).ist als eine vorzügliche Leistung im Gebiete der Klimatologie und Klimato-
tberapie zu bezeichnen und steht in wissenschaftlicher Beziehung hoch über dem Niveau
der gewöhnlichen Bäder- und Curorte-Literatur. Sie enthält eine sorgfältige Darstellung
der klimatischen, der Mortalitäts- und Morbilitätsverhältnisse des Oberengadins und lie¬
fert unter Zugrundelegung fremde* und eigener Beobachtungen in bisher nicht erreichter
Reichhaltigkeit eine geschickt ausgeführte Zusammenstellung derjenigen Thatsachen,
welche für die Beurtheilung der Einwirkung des Klima's von Bedeutung sind. Der Ver¬
fasser hat ferner die Thatsachen in verständnissvoller Weise besprochen und durchaus
objectiv und meist vollkommen treffend die weitern Schlüsse gezogen, aus denen sich
endlich für die Therapie die lndicationen und Contraindicationen, sowie die spociellen
Curregeln ergeben. — Die Veröffentlichung der Schrift durch den Druck ist sowohl in
wissenschaftlicher Hinsicht als auch besonders im Interesse der Aerzte und der Kranken
dringend zu wünschen und wird sowohl dem Verfasser als auch dem oberengadiner Cur-
verein zur Ehre gereichen. — Die Schrift ist des ausgesetzten Preises in vollem Maasse
würdig.“
Von Rechteswegen hätte ich nun weiter nichts zu thun, als zu unterzeichnen. Ich
getraue mich aber nicht, meinen Namen in unbescheidener Weise so nahe beizufügen, da
sonst leicht die fälschliche Meinung entstehen könnte, ich wolle mich zum Beisitzer des
Preisgerichtes befördern. Ich suche also Raum zu gewinnen.
In der Brochure Ludwig ’s liegt ein grosses Stück Arbeit Es geht daraus hervor,
dass L. seine Notizen und Beobachtungen lange Zeit vor der Ausschreibung des Preises
begonnen, sowie dass er die sachbezügliche Literatur ausgiebig studirt hat. Beide Mo¬
mente wusste er mit kritischem und objectivem Urtheile zu verwerthen. Er scheute sich
nicht, auch an die schwer zu beantwortende Frage heranzutreten, welches die heilenden
Potenzen seien. Er kommt zum Schlüsse, dass neben der veränderten Lebensweise des
Curgastes und der durch das Aufheben der alltäglichen Sorgenlast bedingten gehobenen
Gemüthsstimmung das Höhenklima (Oberengadin) noch besondere Heilfactoren aufzuweisen
habe, die er speciell aufzählt (p. 134), und deren Quintessenz ist: „das Klima des Ober¬
engadins beschleunigt und vermehrt den Stoffwechsel, hebt somit die Ernährung und kräf¬
tigt das Nervensystem“.
Näheres — steht im Original, das jeder Arzt sich bei der interessanten Streitfrage
der Wirkungsweise des Höhenklima’s gerne wird zu verschaffen suchen.
A. Baader.
Kantonale Coi*re@pondenzen.
Der Internationale Congresa der medlclnlaehen Wissenschaften
in Genf.
(9.—15. September 1877.)
VII.
Medicinische Sectio n.
Präsident Dr. Ströhlin , Genf; Schreiber Dr. Vincent , Genf.
Um nicht allzu breit zu werden, resumiren wir die Arbeiten der übrigen Sectionen in
Kürze. Die Mittheilungen eröffnete Prof. Baccelli (Rom) in lateinischer Sprache durch
seine neue Methode der Behandlung gewisser Aneurysmen der Aorta, in welche
er durch einen Troicart eine Uhrfeder eintührt. Die Spirale rostet rasch, zerfällt, und
jedes Stück wird das Gentrum eines soliden Coagulums. B. sah weder am Menschen
noch an den Thierexperimenten secundäre schlimme Folgen und ebenso wenig beträcht¬
lichere Blutungen durch die Punctionsöffoung. Die Methode ist nur bei den ampullen-
förmigon Aneurysmen anwendbar, bei denen immer die Hypertrophie des Herzens fehlt.
Dr. Zawerthal (Rom) hat 2 nach Baccelli operirte Fälle beobachtet und lobt die
Methode.
Dujardin- Beaumetz operirte nach CiniselÜ vermittelst Electropunctur. Der Patient erlag
— dem Herzleiden.
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Dr. Proust (Paria) tbeilt einen gemeinsam mit Dr. Jeoffroy beobachteten Fall von
acuter Myelitis mit, deren Ursache ein 8turz soll gewesen seiu, was in der Dis-
cussion, an der sich Hardy , Bouchut, Hayem , Bondet und der Vortragende betheiligten, be¬
stritten wurde.
Proust verlas ferner eine Arbeit von Dr. Grancher über die Einheit der Phthise,
die in dem Satze gipfelt, dass die käsige und die granulirende Pneumonie nicht ohne
Tuberculose vorkomme.
Prof. Dr. Revilliod (Genf) kam in seinem Exposd über Diphtheritis, Croup und
Tracheotomie zu den Sätzen:
1. Die Diphtheritis ist eine allgemeine, acute, speciflsche und anatomisch durch die Erzeugung von
bischen Membranen in den Respirationswegen charakterisirte Krankheit; sie manifestirt sich durch
wechselnde Symptome und Krankheitszustände, indem sie bald unter gutartiger Form auftritt, bei wel¬
cher die augenscheinlichsten Symptome einzig und allein von der localen Läsion abhängen, bald da¬
gegen unter bösartiger Form, die dann eine allgemeine Intoxication documentirt.
2. Die nosologische , auf die pathologische Anatomie basirte Unterscheidung der croupösen und
diphtheritischen Affectionen stimmt mit den Resultaten der klinischen Beobachtung nicht Qbereln. Diese
zwei Formen hängen von einem einzigen und gleichen Principe ab, denn: a) Man bemerkt bei ihnen
alle Zwischenstufen und zwar sowohl in Beziehung auf die localen Läsionen, als auch auf die Allge¬
meinerscheinungen ; b) Sie entwickeln sich in der gleichen Epidemie, unter dem Einflüsse desselben
Contagium und folgen einander oft unmittelbar auf demselben Individuum.
3. Die Diphtherie ist, wie jede Infectionskrankheit, in den Städten endemisch und auf dem Lande
epidemisch.
Die Mortalität der Diphtheritis ist in den Städten stärker als auf dem Lande, in den Spitälern
stärker als in der Stadt und in den grossen Spitälern stärker als in den kleinen. Sie wechselt, wie
auch die Stärke der Contagion, je nach der Zeit und den Ländern.
Die Diphtheritis unterscheidet sich von andern virulenten und miasmatischen Krankheiten durch
die specielle Empfänglichkeit, wie sie bei gewissen Familien vorkommt, so dass unter dem Einflüsse
derselben oft successiv Brüder und Schwestern ergriffen werden und zwar unter Verhältnissen von
Zeit und Ort, die nicht erlauben die Contagion anzunehmen.
4. Es gibt kein Speciflcum gegen die Diphtheritis. Je nach den Formen und den verschiedenen
Erscheinungsarten der Krankheit können die sich widersprechendsten Behandlungsarten empfohlen wer¬
den. In der dritten Periode ist Croup nur noch durch die Tracheotomie heübar. In diesem Zeitpuncte
ist die Operation indicirt und soll ausgeführt werden ohne alle Rücksicht auf das Alter, die Constitu¬
tion, die Complicationen und den Grad der Asphyxie.
Sie soll */s Heilungen ergeben.
Die Chloroformnarcose ist unnütz und kann schädlich sein.
Da die sehr langsamen und die eehr beschleunigten Operationsmethoden der Tracheotomie gefähr*
licher sind wie das gemischte Verfahren (obere Tracheotomie in vier Tempo), so verdient letzteres den
Vorzug.
Der Erfolg hängt ab: a) Von der Nachbehandlung; b) Von der Intensität und dem Grade der
diphtheritischen Intoxicationserscbeinungen.
5. Eine der häufigsten Todesursachen der durch Tracheotomie Operirten ist eine Innervationsstö-
rung der Lungen; diese Störung ist nur eine Ausdehnung der Lähmungen, die in andern Regionen be¬
obachtet werden und sich durch die DyspnoB bei der Expiration, die Anästhesie der Trachea und die
Ernährungsstörungen der Lungen kund gibt.
Dr. Duval (Genf) theilt aus dem Kinderspital 62 Croupfalle mit, von denen er 48 (25
Heilungen) operirte.
Für Bouchut ist die These 1 nicht correct; die Diphtheritis kommt nicht allein in den
Respirationswegen, sondern auf allen Schleimhäuten und der äussern Haut vor. Sie ist
primär local und erst von der ergriffenen 8telle aus erfolgt die allgemeine Infection.
D’Espine. Sie ist primär allgemein, daher Reproduction der Membranen trotz der ener¬
gischesten localen Behandlung.
Hayem. Die Diphtheritis ist eine speciflsche, allgemeine, contagiöse Krankheit.
HaUa. Ursache ist ein Microphyt; doch ist ein empfänglicher Boden nöthig; primär
local.
Die erste These wird so angenommen, dass sie heisst, die Diphtheritis befalle haupt¬
sächlich die Respirationswege. (Nicht einverstanden ! Man denke an die Diphtheritis bei
Scharlach, die so nahe bei den Respirationswegen auftritt und so selten auf Larynx und
Trachea überwandert. Ref.)
Schnitzler unterscheidet in brillantem Vortrag (in deutscher Sprache) Croup und Diphthe¬
ritis sowohl vom pathologisch-anatomischen , als auch vom klinischen Standpuncte aus,
während RioilUod in beiden den Ausdruck desselben Krankheitsprocesses, nur an verschie¬
dener Stelle, erkennt.
46
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Annahme der I. These.
Dujardin-Beaumett. In Frankreich wird die locale Therapie mit Rocht mehr und mehr
verlassen und die allgemeine cultivirt. Unter 2 Jahren bietet jede Therapie wenig
Chancen.
Morax spricht sich für, Millard gegen die Chloroformnarcose aus. Annahme der übri¬
gen Thesen.
Prof. Dr. Schnitzler ("Wien) demonstrirt seinen pneumatischen Apparat und erklärt
seine Methode der Anwendung comprimirter und verdünnter Luft bei
verschiedenen Affectionen des Herzens und der Lunge.
Carville möchte für die Anwendung der comprimirten Luft engere^ Grenzen ziehen,
da sie bei der Alteration der Bronchialwanduogen und^des Lungenparenchyms gefähr¬
lich sei.
Zawerthal glaubt, der Apparat von Geigel und Mayer (Würzburg) sei besser, weil sich
der atmosphärische Druck viel leichter regliren lasse.
Hardy hält die comprimirte Luft namentlich von grosser Wirkung bei nervösen Affec¬
tionen: Asthma, Keuchhusten etc.
Schnitzler stimmt Carville bei, glaubt übrigens, dass verschiedene Redner seine Me¬
thode , die locale pneumatische Medication, mit dem Bade in comprimirter Luft ver¬
wechseln.
Die Arbeit Gmbert'e (Cannes) über die Behandlung der Phthise mit Creosot fand
keine Zustimmung.
De Valcourt und Zahn berichten über Fälle von Erstickung durch Druck oder Vereite¬
rung peribronchitischer Adenome.
Declal liest eine Arbeit über Behandlung des Intermittens mit Acid. phenyl.
Portefaix demonstrirt seinen neuen Pulverisateur.
Dr. de Cerenville spricht über die antipyretische Heilmethode (namentlich
die ßalicylsäure) bei Typhus abdominalis.
Declat hält die Schwere der Krankheit von der Höhe der Temperatur abhängig, weil
durch sie das Blut verändert werde, während de Cirenville meint, die hohen Temperaturen
seien durch sich selbst schädlich; sie seien nicht die Ursache der parenchymatösen De¬
generationen, welche Ansicht Rivilliod theilt, der zudem fürchtet, dass alle plötzlichen Per-
turbationen gefährlich seien, weil sie den Collaps herbeiführen.
In Folge des Stoffandranges wurde noch eine Ergänzungssitzung gehalten, in welcher
eine Arbeit von Dr. Vidal über die Nichtübertragbarkeit gewisser Hautaffectionen, eine
weitere von Dr. Sangalli über Darmperforation durch Ascariden verlesen, sowie die
Discussion über die Anwendung des Thermocauters bei der Tracheotomie abgehalten
wurde.
VIII.
Biologie.
I. Sitzung den 10. September. Präsident: Prof. Dr. Schiff.
Die Reihe der Vorträge eröffnet Dr. P. Frank (Paris) mit seinen Mittheiluugen über
die Veränderungen des Volumens des Herzens bei Menschen und Thieren.
Ihm folgte Prof. Merzejewsky (Petersburg) mit der Demonstration des Gehirnes
eines Idioten (3jähriges Kind, Gewicht des Gehirnes 222 gmm.); er hält als Ursache
eine Hemmung der normalen Entwicklung.
Broadbent stimmt ihm bei, nicht aber Beaunis und Carville , die als Ursache eine alte
Blutung annehmen.
Prof. Seguin (New-York) regt eine Statistik über die Ursachen des Idiotismus,
sowie die Gründung specieller Erziehungshäuser für die Idioten an.
Prof. Sonsino berichtet über von ihm in Egypten beim Menschen gefundene F i 1 a r i a
sanguinis hominis.
Die II. Sitzung den 11. September
eröffnet Prof. Zahn , Schicksal der Transplantationen, das er so resumirt:
Bert , Older , Fontana und Langenbeck haben nachgewiesen, dass Gewebe, auf gleicharti¬
ges Gewebe übertragen, fortleben kann; Zahn gelang cs jedoch, auf einem Kaninchen ein
Enchondrom zu reproduciren und frotalcs Knochengewebe zu transplantiren. Er weist
Nieren vor mit Knochenfragmenten, die schon lange in denselben lagerten und mit Ge-
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679
fässen versehen sind , welche aus dem Nierenparenchym stammen und in die Knochen¬
substanz eindringen.
Dejerinne (Paris) bespricht die Läsionen des Nervensystemes bei den diph-
theritischen Paralysieen, die er, gestützt auf Sectionsresultate, auf eine Affection
der Medulla zurückführt
Dr. Tripier demonstrirt an einem operirten Hunde einzelne Lsesionen des Gehirnes.
III. Sitzung den 12. 8eptember.
Dr. Boechat Freiburg) fand in einer Familie bei mehreren Kindern, den Eltern und
hinauf bis zur dritten Generation dieselbe seltene Anomalie der Hand: der Zeigfinger
ist länger als der Mittelfinger.
Es lasen hierauf Herr und Frau Drs. Hoggan eine Arbeit über die Lymphgefässe der
Haut und Franck die Beschreibung eines Falles von congenitaler Ectopie des Herzens.
In der letzten (IV.) SitzuDg vom 14. September hielt Prof. Dr. J. L. Prdvost (Genf) einen
sehr interessanten Vortrag über den Antagonismus in der Therapie, der mit
folgenden Resolutionen schloss:
1. Der physiologische oder dynamische Antagonismus der Medicamente und der Gifte ist, trotz
zahlreicher Bearbeitungen der letzten Jahre, stets noch eine Streitfrage der Physiologie, welche ans zu
neuen Untersuchungen auffordert.
2. Der physiologische oder dynamische Antagonismus der Medicamente und der Gifte muss in ähn¬
licher Weise aufgefasst werden, wie die Wechselwirkung, in welcher viele Medicamente zu der krank¬
haft veränderten Thätigkeit der Organe stehen. Damit wird aber diese Frage eine Grundlage aller
rationellen Therapie und Toxicologie.
3. Der physiologische oder dynamische Antagonismus verhält sich ähnlich, aber keineswegs gleich¬
artig wie die chemischen Gegensätze. Es ist nicht möglich, dass zwei giftige Stoffe von entgegenge¬
setzter Wirkung sich im lebenden Körper bei irgend welcher Dosirung rasch und gefahrlos neutraliai-
ren, wie es rein chemisch wirkende Stoffe thun würden.
In diesen beiden Fällen sind die Ursachen des Antagonismus und ebenso die Methoden der Beob¬
achtung und die zulässigen Schlussfolgerungen sehr verschiedenartige.
4. Dürfen wir Substanzen, welche, wie z. B. 8trychnin und Curare, verschiedenartige Elementar¬
gebilde angreifend, blos ihre Wirkung gegenseitig verdecken, aber nicht bekämpfen, als antagonistische
betrachten ? Keineswegs. Das physiologische Experiment an Fröschen lässt vielmehr die Wirkung
beider eben genannter Gifte gleichzeitig wahrnehmen: Falscher Antagonismus.
5. Andere Substanzen scheinen in der That antagonistische Eigenschaften in sich zu vereinigen,
auf verschiedene Organe oder Form-Elemente gleichzeitig erregend wie auch lähmend einzuwirken und
so sich selber zu neutralisiren. Im Ganzen aber werden die erregenden Substanzen durch die Zahl
der lähmenden weit aufgewogen.
6. Der physiologische Antagonismus kann die Wirkung eines physiologischen Gegengiftes entfalten,
d. h. manche Substanzen können auf physiologischem Wege die todbringende Wirkung anderer, in
sonst tödtenden Gaben angewandter Gifte, verhindern.
Dieser physiologische Antagonismus ist aber häufig, wenn nicht immer, ein blos indirecter, indem
die antagonistische Substanz auf irgend ein lebenswichtiges, aber nicht unmittelbar ergriffenes Organ
einwirkt und damit die tödtliche Wirkung abschwächt. So scheint es sich mit dem Chloral und den
betäubenden Mitteln überhaupt gegenüber dem Strychnin zu verhalten. Diese Mittel unterdrücken die
Krämpfe, sichern damit die Athmungsbewegungen und verhindern die Herzlähmung, welche bei allen
mit Strychnin vergifteten Warmblütern den Tod bedingt.
Eine grosse Zahl antagonistischer Wirkungen kommt auf Rechnung dieser indirecten Gegengifte.
7. Ob der mittelbare und der unmittelbare Antagonismus auch abwechselnd, neben und nach ein¬
ander auftreten können, ist für viele Autoren sehr zweifelhaft, dennoch scheint in einzelnen, mit gros¬
ser Vorsicht beobachteten Fällen auch dieses Verhältniss stattzuflnden.
So beweisen die Versuche, welche ich am Schlüsse meines Vortrages erwähnt habe, den gegen¬
seitigen Antagonismus zwischen der Muscarine und dem Atropin, während bis jetzt blos der Antago¬
nismus des Atropins zur Muscarine constatirt war.
8. Bei allen Untersuchungen Uber physiologischen Antagonismus und Gegengifte ist die genaue
Feststellung der Dosen von höchster Wichtigkeit und wahrscheinlich dreht sich um diesen Punct die
Meinungsverschiedenheit in der vorliegenden Frage.
Prof. Dr. Valentin betont die Richtigkeit der vom Vortragenden aufgestellten Thesen.
Prof. Schiff glaubt in therapeutischer Hinsicht nicht an einen wirklichen Antagonis¬
mus, weil er die giftigen Wirkungen beim Genüsse von Pilzen immer durch die Verab¬
reichung von Atropin verschlimmert sah.
Nach kleinern Mittheilungen von Dr. Long , Sonsiru » und Franck schliesst Dr. Foll in
Genf die Sitzung durch seine Arbeit über die Befruchtung, die in folgenden Relationen
gipfelt:
Im Tbierreiche findet die Eibefruchtung dadurch statt, dass das Samenkörpereben in das Innere
e
680
des Dotters eindringt Mit etwas Dotteronbst&nx vermengt} bildet derselbe einen Kern, nämlich den
männlichen Vorkern.
Im reifen, befruchtungsfähigen Ei befindet sich ansserdem bereits ein von der Befruchtung unab¬
hängig entstandener Kern, der weibliche Vorkern. Durch Verschmelzung dieser beiden Vorkerne ent¬
steht der Kern des befruchteten, entwickelungsfähigen Eies.
Normalerweise, wenigstens bei niederen Thieren, dringt in jede Dotter nur ein Spermatozoon ein.
Diejenigen Fälle, wo mehrere Samenkörperchen elndringen, sind auf pathologische Veränderungen des
Eies zurfickzuffibren und haben stets monströse Bildungen zur Folge.
Eine Discussion fand nicht statt
IX.
8 e c t i o n für Hygieine.
I. Sitzung den 10. September. Präsident: Dr. Lombard.
Dr. Manouvriers (Valenciennes) entwickelt seine Ansicht Uber die Anaemie der
B ergwerkarbeiter von Anzin, die übrigens auch in andern Gruben in Frankreich,
Belgien und Schweden beobachtet wurde, aber immer nur in Steinkohlenbergwerken.
Prophylactische Maassregeln, namentlich Vergrösserung der Gallerien und verbesserte
Ventilation, haben die Krankheitsziffer ganz bedeutend herabgesetzt. Die Ursache der
Erkrankung ist die Einathmung verschiedener Zersetzungsproducte der 8teinkoble, hervor¬
gerufen durch den Gontact der atmosphärischen Luft mit der blosgelegten Steinkohle.
II. Sitzung den 11. September.
In seiner Arbeit über den Einfluss der Einwanderung der Landbevöl¬
kerung in die Städte kommt Prof. Dr. Dunanl (Genf) zu folgenden Schlüssen:
1. Die Einwanderung der Landbevölkerung in die Städte erzeugt, mittelbar oder unmittelbar, Ver¬
änderungen in der Lebensfähigkeit und Gesundheit sowohl der Eingewanderten selbst, als der so ver¬
mehrten Stadtbevölkerung und auch der verlassenen Landbevölkerung.
2. Der Einfluss auf die Gesundheit der Einwandernden ist ein zusammengesetzter und hängt von
den neuen hygieinischen oder Krankheit erzeugenden Bedingungen ab, unter denen sie gestellt sind.
Einige dieser Bedingungen sind günstiger, eine grosse Anzahl sind schädlicher Art.
3. Die Lebensfähigkeit und Erkrankungsverhältnisse der Stadtbevölkerungen werden von den phy¬
sischen , psychischen und sittlichen Zuständen der Einwandernden beeinflusst. In Ermangelung des
fortwährenden Zuströmens neuer Einwohner würde In vielen Städten die Bevölkerungszahl mehr oder
minder rasch sinken.
4. Die Gesundheit des Landvolks kann in Folge der Auswanderung nach den Städten geschädigt
werden.
6. Die den Einfluss dieser Wanderung betreffenden Thatsachen müssen von Aerzten und Volks¬
statistikern im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege fleissig erforscht werden.
6. Für diese Erforschung ist es wünschenswerth, dass die ärztlichen und Spitalstatistiken, sowie
die Civilstandsregister Angaben über die in die Städte Eingewanderten enthalten.
Seguin (New-York) hebt hervor, dass Genf zu den Landschulen die Initiative gegeben
habe , durch deren Wohlthat die Landbevölkerung bewogen werde , auf dem Lande zu
bleiben und die Landarbeiten lieb gewinne. — Er motivirt hierauf seine schon am Con-
greBse in Philadelphia gestellt« Motion auf Einführung einer internationalen me-
dicinischen Einheit. Er geht dabei principiell mit Gille (Brüssel) einig, der über
die internationale Pharmacopoe referirt, ein Thema, das schon am internationalen
Congress in Wien behandelt, sodann zur Berichterstattung an den Apothekercongress in
Petersburg und später an die pariser pharraaceutische Gesellschaft gewiesen wurde. In
Brüssel wurde dann Prof. Gille zum Berichterstatter für Genf ernannt Die Section nahm
seine 14 Thesen an. Wir geben sie im Auszug wieder:
„Der internationale Codex soll in lateinischer Sprache erscheinen. — Für Gewichte
und Maasse ist daB metrische 8ystem anzunehmen. — Die Temperaturen sollen nach
Celsius gemessen werden. — Die Pharmacopce (Dispensarium) soll sich vorläufig nur auf
die differentem (dnergiques) Arzneimittel beschränken. — Die Namen der Composita
(chemische und andere) sollen so einfach als möglich sein. Das Minimum des activen
Princips, welches die hauptsächlichsten Droguen enthalten sollen , wird sehr präcis be¬
stimmt. — Das Maximum von unreinen Beimischungen, welche die chemischen Producte
haben dürfen, soll festgestellt werden. — Alle medicinischen und chemischen Instrumente
sollen in einheitlicher Weise numrherirt, calibrirt oder graduirt werden.
Die Generalversammlung ernannte hierauf eine Commission (WiUtinson , Manchester;
Marion Sims und Seguin, New-York; Gubler , Paris; Pacchiotti , Turin; Gille , Brüssel; Madsen ,
Copenhagen; Brun , Genf), welche bei einer oder mehreren Regierungen Schritte thun
soll, damit letztere auf diplomatischem Wege die angebahnte Saohe fördore und anatrebe,
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dass die Regierungen officielle Delegirte ernennen, welche dann endgültige Maasenahmen
au treffen hätten.
III. 8itzung den 14. September.
Auf den Vortrag von Magium (Paris) über den Einfluss des Alcoholismus auf
die Geisteskrankheiten mit folgenden Schlusssätzen:
„1. Der Alcoholismus bietet, je nach der Art der missbrauchten Getränke, verschiedene Eigentüm¬
lichkeiten dar.
2. Durch sich selbst erzeugt der Alcohol keine Epilepsie. Wenn diese Krankheit auftritt, hängt
sie entweder von einer individuellen Anlage oder von einer anderen schädlichen Substanz ab. Die
epileptiformen Anfälle des chronischen Alcoholismus sind nicht unmittelbar durch das eingeführte
Getränk, sondern durch bereits ausgebildete organische Veränderungen in den Nervencentren bedingt.
3. Nach besonderen Merkmalen lassen sich drei verschiedene Formen von Delirium tremens un¬
terscheiden : die erste erscheint als Symptom eines Trauma’s oder einer intercurrirenden Krankheit;
die zweite ist idiopathisch, fieberfrei und gutartig, die dritte idiopathisch, fieberhaft und schwer.
4. Der Alcoholismus kann unmittelbar zur „allgemeinen Paralyse“ führen, indem gewisse anato¬
mische Veränderungen am Ausgange des chronischen Alcoholismus von denen der allgemeinen Paralyse
nicht zu unterscheiden sind.
5. Die Geistesstörung der Säufer ist von allen anderen Formen von Geistesstörung unterschieden;
jedoch kann sie dieselben compliciren oder verdecken, deren Ausbruch und deren Gang beschleunigen;
sie kann endlich den Ausgangspunct eines partiellen Wahnsinnes mit Neigung zur Systematisirung und
zu chronischem Verlaufe bilden.“
bemerkt Perrin (Paris) , die zweite These sei zu absolut. Allerdings sei der im Wein
enthaltene Alcohol weniger schädlich als der andorer spirituöser Getränke, könne aber
doch auch bei Abusus Epilepsie erzeugen, obgleich das ein seltenes Vorkommen sei.
Fetscherin (St. Urban) hat nur selten Epilepsie, öfter epileptiforme Anfälle gesehen
und glaubt kaum, dass der Alcoholismus zur allgemeinen Paralyse führe.
Van Cappelle (Holland) betont, dass die Säufer die Irrenanstalten überfüllen, und dass
auf Java keine allgemeine Paralyse bei den Potatoren beobachtet werde.
Dr. Tkaon (Nizza) spricht über die Behandlung der Tuberculose durch Höhen-
curorte und die Küste des Mittelmeeres.
Ein gutes Winterclima:
1. bewahrt Diejenigen vor Lungenschwindsucht, welche durch Vererbung oder durch constitutioneile
Anlage prädisponirt sind;
2. verlängert die Lebensdauer der Phthisiker;
8. heilt dieselben.
Die Wirksamkeit der Cur an den Ufern des Mittelländischen Meeres gründet sich auf jahrhundert¬
lange, alle Winter erneute Erfahrungen.
Der Erfolg der Höhenourorte in der Phthisis datirt erst von kurzer Zeit und ist, obwohl schon
beachtenswert!!, noch nicht hinreichend statistisch festgestellt.
Die Indicationen und Contraindicationen jener zwei so verschiedenen Clima’s lassen sich in fol¬
gender Weise zusammenfassen :
1. Das Clima des Mittelländischen Meeres wirkt in allen Fällen prophylactisch; das Höhenclima
nur bei Individuen mit allgemeiner Atonie, Verkürzung des Durchmessers des Brustkorbes und torpi¬
den Catarrben der Lungenscbleimhaut.
2. Das Clima des Mittelländischen Meeres heilt die Schwindsüchtigen oder verlängert doch deren
Leben und hemmt selbst bisweilen den raschen Verlauf lm dritten Stadium der Krankheit; es passt
sowohl für alle Constitutionen und Temperamente, mit Ausnahme der zu erregbaren Individuen , als
auch für Kranke aus allen Gegenden der gemässigten, heissen, sowie kalten Zone. Das Höhenclima
ist ebenfalls in allen Stadien der Phthisis von Erfolg, aber man muss Kranke aus heissen Ländern,
wie Südamerika, davon fern halten; es wirkt weniger als die Seeluft, namentlich auf scrophulose In¬
dividuen, ist schädlich für die rheumatischen Phthisiker und gefährlich für die Schwindsüchtigen mit
Laryngitis, Diarrhce und Nierenkrankheit. — Die Indicationen für das Höhenclima sind daher viel be¬
schränkter.
3. Beide Arten von Clima können mit Erfolg bei ein und demselben Kranken angewendet wer¬
den, wenn man den Winteraufenthalt an der Riviera mit demjenigen in der Höhe abwechseln lässt.
4. Die vernünftigste Methode besteht darin, die Kranken im Sommer die belebende Gebirgsluft
athmen zu lassen, nachdem sie den Winter in der kräftigenden Seeluft zugebracht baben.
Die Drs. Giraud von Mentone und Niepce (Nizza) behandeln dasselbe Thema; der
erstere will alle acuten Formen und die mit Affectionen des Kehlkopfes von den 8tatio-
neu des Mittelmeeres ausschliessen, während Thaon den letztem alle, den montanen Sta¬
tionen dagegen nur die torpiden, mit Deformationen des Thorax einhergehenden Formen
zuweisen wilL Niepce glaubt, die Meerluft wirke specifiech, weil sie Jod, Brom und
Chlornatrium enthalte. Daremberg (Mentone) dagegen Btellt ihren spedflschen Effect in
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Abrede und ebenso ihren Gebalt an Jod und Brom, deren Dämpfe übrigens schädlich
wirken. D. sagt, die africanische Küste und besonders die Algiers sei dem Nordwind
ausgesetzt und sehr kalten Westwinden; zudem zeige sie enorme, an der französischen
Küste ganz unbekannte Schwankungen der Temperatur, des Luftdruckes und der Luft¬
feuchtigkeit, der Sirocco bewirke Dyspncß und Pneumorrhagien. Zudem sinke der Appe¬
tit. Texier (Algier) betont, dass zur Zeit die Indicationen der climatischen Stationen nicht
mit absoluter Sicherheit können gestellt werden , dass sich aber eine grosse Zahl von
Phthisikern in Algier sehr gut befinden.
Wir schliessen hiemit unser Referat Uber den V. internationalen Congress in Genf und
verweisen im Uebrigen auf den in Bälde erscheinenden officiellen Bericht der gesammten
Arbeiten des Gongresses.
Ans den Acten der Aerzte-Commisslon. Das Präsidium des ärztlichen
Centralvereins an das Präsidium de9 schweizerischen Apothefaerverelod. Verehrter
Herr Präsident! In Beantwortung Ihrer geehrten Zuschrift vom 2. October 1877 und allen
weiteren Verhandlungen vorgäDgig, habe ich die Ehre, Ihneu zu sagen , wie sehr dio
schweizerischen Aerzte die Theilnahme zu schätzen wissen, welche die Herren Pharma-
ceuten der Hebung unseres Mcdicinalwesens widmen.
Da die Mitglieder der Socidtd mddicale de la Suisse romai.de an der Commissions¬
sitzung zu Olten den 27. October nicht zugegen waren, sind wir nur berechtigt, im Na¬
men des ärztlichen Centralvereins Ihnen zu antworten und bitten wir Sie um freundliche
Beachtung folgender, einstimmig gefasster Erklärungen:
1. Die Hebung des Medicinalwesens und der Medicinalpersonen, sowie die Unter¬
drückung öffentlicher Schädlichkeiten, heissen sie Seuchen oder Quacksalbereien, muss in
erster Linie und durchaus ein volkstümliches Gepräge tragen und darf auch nicht den
blassen 8chein einer Schutzzöllnerei an sich tragen. Wir haben es deswegen grundsätz¬
lich vermieden, beim Eidg. Departement des Innern zu verlangen, dass in der Geheim¬
mittelcommission irgend ein Vertreter der Schweiz. Aerztecomraission sitze und sind mit
Ihnen der Ansicht, die Wahl jener Fachbehörde dem Eidg. Departement ruhig zu über¬
lassen.
2. Die sogenannten Specialitäton anlangend, sehen wir einen Theil derselben als
Medicamente an (wie Roob Laffecteur, Vin Bougeaud, Pilul. Bellostii, Blaucard, Blaud,
Heim, Ricord etc.) und betrachten wir sie selbstverständlich als der Apotheke zugehörig;
den andern Theil, die eigentlichen Schwindelmittel und Betrugsartikel (wie Kiltisch 'sches
Epilepsiemittel. Kruste Bruchpflaster) müssen wir selbstverständlich von jeder legalen, ehr¬
lichen Apotheke fernhalten. Auch hier möchten wir die Definition und Umgrenzung der
zulässigen Specialitäten gänzlich der Eidg. Commission überlassen.
3. Die Frage, ob die Landärzte ihre Medicamente selber dispensiren dürfen oder
nicht? möchten wir von der Frage des Geheimmittel-Concordates grundsätzlich trennen;
zunächst, weil sie gar nicht hieher gehört, dann weil eine Dorfapotheke nicht mehr Ge¬
währ bietet, als die Hausapotheke eines Arztes, endlich aber ganz besonders deswegen,
weil man den Bewohnern von Dörfern und Bergen nicht zumuthen kann, künftig zwei
Medicinalpersonen zu ernähren, während sie bisher den einzelnen legalen Arzt kärglicher
stellten als seinen illegitimen Berufsgenossen und weil es auch bei den allerbesten öcono-
mischen Verhältnissen als unerträglich empfunden würde, für jede Kleinigkeit 1—1'/*
Stunden weit (erst Uber dieser Grenze gestattet Ihr Vorschlag das Selbstdispensiren der
Aerzte!) in die Apotheke zu wandern.
Bei städtischen Verhältnissen erscheint uns die Receptur, bei ländlichen das Selbst¬
dispensiren als der Ausdruck der socialen Bedürfnisse und der öconomischen Leistungs¬
fähigkeiten.
Mit dem angenehmen Bewusstsein, in allen wesentlichen und maassgebenden Puncten
mit der Eingabe des Apothekervereines einverstanden und nur in den oben angedeuteten
Ausführungen anderer Ansicht zu sein, benütze ich den Anlass, Sie in steter Hochachtung
zu begrüssen!
Im Namen des Ausschusses des ärztlichen Centralvercins.
2. November 1877. Der Präses: Dr. Sonderegger.
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Bern. Ueber die projectirte Hallerfeier sind wir in der angenehmen
Lage, die folgenden ausführlichen Mittheilungen machen zu können:
„Geehrter Herr Collega! Gerne entspreche ich in Ergänzung meines letzten Briefes
Ihrem Wunsche, Ihnen über die projectirte Hallerfeier mitzutheilen, was mir davon als
sicher bekannt ist. Der Gedanke, das Andenken Haller' s auf seinen 100. Todestag,
den 12. December, zu feiern, tauchte zuerst in der Mitte unserer cantonalen naturfor—
sehenden Gesellschaft auf. Von ihr ergriffen, ist es ihr in Folge abseitigen Entgegen¬
kommens auch gelungen, ein Comitä zu gründen, bestehend aus Vertretern der Nach¬
kommenschaft Haller’e, der Regierung, des Stadt— und Burgerraths, der Zünfte, der öcono-
mischen Gesellschaft, der cantonalen medicinisch-chirurgischen Gesellschaft und der na¬
turforschenden Gesellschaft selbst Ein aus der Mitte dieser Vertreter gewähltes, engeres
Comitä hat nun in Sachen folgende Beschlüsse gefasst:
1. Es soll auf den Todestag Haller' s eine biographische Denkschrift her¬
ausgegeben werden. Die Abfassung derselben ist dem Herrn Dr. Emil Blösch , gewesenen
Pfarrer, übertragen. In besondern Beigaben werden HaUer'e Leistungen im Gebiete der
Naturwissenschaften von den Herren Professoren Bachtnann und Fischer; diejenigen aus
dem Gebiete der Anatomie, Physiologie und Medicin von Herrn Dr. A. Valentin jun. und
endlich die der Literatur (Poesie) von Herrn Prof. Hirzel speciell behandelt. Dieser Fest¬
schrift wird ein wohlgelungenes Porträt nebst facsimile beigegeben.
2. Soll eine Hallerausstellung im Saale der Stadtbibliothek angeordnet werden, in
welcher alle seine gedruckten Schriften, Manuscripte, Briefe, Porträt und andere Reliquien
gesammelt werden sollen. Dazu sendet Genf HaUer’ s Briefe an Bonnet, Lausanne (respective
Herr Dapples ) die Briefe an Tissot , Göttingen sein Herbarium und eine Anzahl Gutachten
in sanitarisch-polizeilichen und gerichtlichen Angelegenheiten. Auch von Leiden, Mailand
und Pavia sind verschiedenartige Gegenstände zugesichert.
3. Speciell zur Feier werden eingeladen oben genannte Behörden und Corporationen,
die Bundesbehörden, die Hochschulen von Basel, Zürich, Genf, Tübingen, Leiden, Göttin-
gen, Pavia, das Directorium der Brera von Mailand.
4. Den 12. December Morgens 9 Uhr Empfang der Deputationen im Casinosaal, fest¬
licher Zug nach dem Münster, Orgelspiel von Dr. Mendel, Gesang der Liedertafel, Fest¬
rede des Rectors Prof. König. Nachmittags: Spazierfahrt nach dem Monument der Waldeck,
wo Haller sein Alpengedicht entworfen. Abends Bankett.
Das Programm, das ich hier sehr unvollständig gegeben, verspricht schon viel, ge¬
nügte aber doch nicht in allen Richtungen des umfassenden Geistes dieses Mannes und
seiner Verehrer.
Die bernische Section des evangelisch-kirchlichen Vereins lässt seine Briefe über
die Offenbarung nebst einer populären Biographie nochmals herausgeben, und beabsichtigt
am Abend eine eigene Gedächtnisfeier in der französischen Kirche abzuhalten, „um
HaUer' s Bedeutung als „Christ“, als Bürger und als Dichter ins rechte Licht zu setzen“.
Im Kreise der Regierung wurde der Gedanke rege, HaUer’ s ausgedehntes Wirken
über die Stadt hinaus im ganzen Land zu feiern, und damit die Gründung einer Haller -
Stipendienstiftung zum Zwecke der Unterstützung von talentvollen, aber wenig bemittel¬
ten bernischen Studirenden der Naturwissenschaften zu verbinden. In diesem Sinne wirkt
ein besonderes Comitö, aus Männern des ganzen Cantons bestehend, unter dem Präsidium
des Herrn Regierungsrath und Erziehungsdirector Ritschard.
2. November 1877. In Hochschätzung Ihr ergebener Dr. J. R. Schneider.“
Schweiz.
Der st ändige Ausschuss des ärztlichen Central Vereins, der mit
den 2 Delegirten der ärztlichen Gesellschaft der romanischen Schweiz zusammen die
schweizer Aerzte-Commissiou bildet, ist Samstags den 27. October auf drei
Jahre neu gewählt worden. Nachdem in der Versammlung beschlossen worden war, die
Wahl durch geheimes Mehr vorzunehmen, das relative Mehr als entscheidend zu accep-
tiren und den auf den Stimmzetteln zuerst genannten Namen als den zum Präsidenten
designirten anzunehmen, ergab sich das folgende Resultat:
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Zahl der abgegebenen Stimmzettel: 94.
1) Dr. Sonderegger wurde gewählt als Präsident mit 93 Stimmen.
2) Dr. Bvrckhardt-Merian „92 „
3) Dr. Steiger » 86 »
4) Dr. Zehnder » 84 »
5) Dr. Kummer (Aarwangen) »83 „
Prof. Vogt hatte 27 Stimmen und ist somit nicht wieder gewählt worden.
Wir bedauern aufrichtig die Nichtwiederwahl von Prof. Vogt , die , wie wir hören,
im Zusammenhänge steht mit der Position, die derselbe in der Impfdiscussion eingenom¬
men, und die demselben nun bei der Wahl eine grosse Zahl von Stimmen entzogen hat.
Die Commission verliert in Vogt eines ihrer thätigsten Mitglieder und einen ihrer
fleissigsten Mitarbeiter, dessen entschiedenem Auftreten wir es zu verdanken haben, dass
wir verschiedene angestrebte Ziele auch erreicht haben.
Wenn jetzt Dank der Unterstützung von Herrn Director Kummer die so lange schon
herbeigesehnte Mortalitätsstatistik sich aufbaut, so werden wir nie vergessen, dass das
schliesslich angenommene, hiebei ganz unentbehrliche Postulat der ärztlich bezeug¬
ten Todesursachen ganz wesentlich das Verdienst des rastlos dafür wirkenden
Vogt war.
Wir sind überzeugt, dass Prof. Vogt , auch ausserhalb der Aerzte-Commission, mit
Kraft und Entschiedenheit deren Bestrebungen fördern und uns seine Unterstützung in
den kommenden Arbeiten und Geschäften nicht versagen wird; gerne ergreifen wir die¬
sen Anlass, ihm für seine während der verflossenen 8 Jahre in der Aerzte-Commission
geleistete ausgezeichnete Mithülfe Namens der Schweiz. Aerzte unsern aufrichtigsten Dank
abzustatten.
Olten. Sitzung der Aerzte-Commission. Samstags den 27. October,
Morgens */ a 9 Uhr hielt die Aerzte-Commission eine Sitzung, über die wir im Folgenden
in Kürze Bericht erstatten. Zuerst legte Dr. Steiger als Cassier die Rechnung vor,
welche genehmigt wurde; derselbe erhielt den Auftrag, die noch mit dem Jahresbeitrag
im Rückstände befindlichen ärztlichen Gesellschaften durch Zuschriften zu mahnen, damit
bei Veröffentlichung der Rechnung im Corr.-Bl. das Namhaftmachen dieser Vereine ver¬
mieden werden könne. Ferner erhielt Dr. Steiger den Auftrag, eine neue Zusammen¬
stellung der ärztlichen Gesellschaften der 8chweiz, ihrer Mitglieder¬
zahl, sowie der Namen der dermaligen Präsidenten und Actuare anzu¬
fertigen, als Vervollständigung der im Correspondenz-Blatt 1875, Seite 232 mitgetheilten
Tabelle.
Es wird hierauf die Motion GuiUaume behandelt, bezweckend, es möchte am Vor¬
abend der Zusammenkünfte des Centralvereins jeweilen ein öffent¬
licher Vortrag aus dem Gebiete der Hygieine für ein grösseres Pu¬
blicum gehalten werden.
Nach eingehender Discussion wird diese Motion Abgelehnt, hingegen beschlossen:
Die Aerzte-Commission erklärt sich bereit, unabhängig von den
Zusammenkünften, da wo es gewünscht wird, durch geeignete Per¬
sönlichkeiten über brennende Tagesfragen Vorträge halten zu las¬
sen, sie wird ferner durch Zuschriften die Universitäten Basel und Zürich
eirdaden, durch Creirung von Lehrstühlen und Laboratorien für Hygieine,
den Bedürfnissen des medic. Studiums gerecht zu werden. Die betr. Antwort an Herrn
Dr. GuiUaume soll im Corr.-Bl. veröffentlicht werden. Es wird hierauf eine Zusohrift
des Schweiz. ApothekervereinB verlesen, die das angestrebte Concordat gegen
den Geheimroittelschwindel lebhaft begrüssend, den Apothekerstand in der Commission
vertreten wissen möchte, welche s. Z. die eingesandten Geheimmittel zu prüfen haben
wird. Zugleich wünscht der Apothekerverein, dass das Selbstdispensiren der Aorzte da
möchte verboten werden, wo öffentliche Apotheken sich befinden; die Aerzte-Commission
lehnt dieses letztere Begehren einstimmig ab, und soll die betr. Antwort im Corr.- Blatt
veröffentlicht werden. (8. Seite 682.)
Die Zuschrift der ärztl. Gesellschaft in Winterthur betr. tiefere Stim¬
mung der E isenba hn sig nalpf eifen soll in der nächsten Sitzung behandelt wor¬
den und 8oll der Schriftführer über diese Frage referiren.
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Dr. Sonderegger beantragt eine Statistik der Schweiz. Spitäler an der Hand
eines kurz und präcis zusammengestellten Fragebachleins mit Hfllfe cantonaler Referenten
aufzunehmen. Dieser Antrag wird lebhaft begrQsst.
In Bezug auf die Arbeiten der Impfcommission theilt der Präsident Dr. deWette
Folgendes mit:
Obgleich die Tabellen sammt Begleitschreiben an alle Aerzte in der 8chweiz schon
im Januar 1877 verschickt worden sind und im Juli an die cantonalen Vertreter eine
Mahnung ergangen ist, haben bis jetzt nur spärliche Einsendungen stattgefunden.
Von den cantonalen Vertretern haben die Tabellen eingeschickt: Sch Alfhausen,
Aargau, Thurgau, St. Gallen, Schwyz, Bern (theilweise) und Nidwalden.
Es stehen noch Berichte aus von Appenzell (I. R. und A. R ), Baselstadt, Basel¬
land, Wallis, Solothurn, Freiburg, GraubQnden, Luzern, Neuenburg, Zug und Zürich.
Merkwürdiger Weise haben die cantonalen Vertreter von Genf, Glarus, Tessin (aus
sprachlichen Gründen), Uri, Obwalden und Waadt erklärt, dass sie von frühem Jahren
weder in Bezug auf Impf- noch Blatternstatistik etwas liefern können.
Einzelne Aerzte haben zum Theil sehr interessante Mittheilungen gemacht: Aus Ct.
Bern die Collegen Grütter und Leuenberger , aus Ct. 8t. Gallen Senn in Werdenberg, aus
Ct Thurgau Oswald in Fischingen, aus Ct. Neuenburg Morel in Fleurier , aus Freiburg
Stadt Cuony , aus Unterwalden Bücher, Deschwanden und Gut. Es wäre im höchsten Grad
wünschenswerth, dass sowohl von den cantonalen Vertretern als von einzelnen Aerzten
baldigst Einsendungen stattfinden
In seinem Referate drückte College deWette, namentlich den Wunsch aus, die Colle¬
gen möchten es sich zur Pflicht machen, für das laufende und die folgenden Jahre die
Vogt sehen Tabellen auszufüllen und an den Betreffenden einzuschicken.
Diesen Anträgen wurde beigestimmt und beschlossen, durch das Corr.-Bl. sowohl
als auch direct durch den Präsidenten der Impfcommission dringende Einladungen ergehen
zu lassen.
Ausland.
Deutschland. Prof. Dr. H. E. Richter hat vor seinem Tode dem ärztlichen Be¬
zirksverein Dresden testamentarisch sein Haus zur Errichtung eines Vereinshauses ver¬
macht und ebenso seine grosse Bibliothek. Nach gelungenem Umbau des Hauses wurde
dasselbe am 14. Juni feierlich eingeweiht; sein Werth wird auf 75,000 Mark geschätzt.
Der während seines Lebens unermüdliche Apostel der Medicinalreform hat so seinem
Wirken einen würdigen Schlussstein gesetzt.
(Corr.-Bl. d. ärztl Ver. Sachsens 1877.)
Internationale Freizügigkeit. Da gegenwärtig bei uns ein Gesetzesent¬
wurf über die Freizügigkeit des Medicinalpersonales bei den Behörden liegt, dürfte jener
Passus, welcher über die Reciprocität fremder Länder bandelt, besondere Aufmerksamkeit
verdienen, weil in letzter Zeit Frankreich auswärtige Aerzte äusserst unfreundlich behan¬
delt, wie wir schon in Nr. 10, pag. 601, hervorgehoben haben.
Die auf die Ausübung der Medicin in Frankreich bezüglichen Gesetze lauten nach
der deutschen Zeitsghr. f. pract. Medicin (1877, 29) also:
Art 86. . . . Jedes Individuum, welches fortgesetzt die Medicin oder Chirurgie aus¬
übt, ohne auf den Listen zu stehen . . . und ohne ein Diplom zu haben , wird verfolgt
und zu einer Geldstrafe verurtheilt. . . . Die Geldstrafe kann bis auf 1000 Fr. steigen
. . . wird im Wiederholungsfälle verdoppelt, und die Schuldigen können ausserdem zu
GefBugniss, aber nicht über sechs Monate, verurtheilt werden.
Art. 4. Die Regierung kann, wenn sie es für geeignet hält, einem fremden Arzt oder
Wundarzt, der auf fremden Universitäten die academischen Würden erhalten hat, die
Ausübung der Medicin oder Chirurgie für das Gebiet der Republik gestatten.
aDiese Erlaubnis war, wie unB ein befreundeter College mittheilt, in den letzten
Jahren zu erlangen möglich nur einem , durch besonders hohe Connexionen beglückten
deutschen Arzte. Dagegen hat man im letzten Winter — obgleich durch kein Gesetz
begründet — einem deutschen Arzte das französische Examen abverlangt. Derselbe hat
denn auch das Examen als officier de santd bestanden und auf Grund dessen die Erlaub¬
nis zur Praxis erhalten.“ (Ibidem.)
Auch andere medic. Journale discutireu die Angelegenheit; so bespricht nach def
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deutschen medic. Wochenschrift das englische Blatt „The Doctor“ in einem Leitartikel
den Vorschlag, der in Frankreich gemacht wurde, fremde Aerzte von der Praxis auszu-
schlieesen. Diese Maassregel, rigoros durchgeführt, würde nur dazu führen , dass die
Engländer, die der Hülfe ihrer heimischen Aerzte nicht entbehren wollen , statt nach
Frankreich, nach Italien gingen. Doch ist das Blatt einem Uebereinkommen nicht abge¬
neigt nach dem Grundsatz, „dass ein Diplom, das einen Mann nicht autorisirt, in seinem
eigenen Vaterlande zu practiciren, dies Privileg ihm auch nicht im fremden Lande ge¬
währen sollte“ und schlägt vor, dass durch Uebereinkunft die guten Diplome in beiden
Ländern zur Praxis berechtigen sollen. Dem Beispiel Englands und Frankreichs würden
bald die andern Länder folgen, und es sei nicht abzusehen, weshalb nicht internationale
Diplome, die zur . Praxis in der ganzen civilisirten Welt berechtigten, schwieriger für in¬
ternationale Vereinbarung sein sollten, wie die Vereinbarungen im Postcongress.
Die betreffenden Gesetzesbestimmungen lauten in Italien: Art. 94. Niemand darf
die Medicin oder Chirurgie ausüben, wenn er nicht auf einer Universität des Königreichs
ein darauf bezügliches Diplom erworben bat
Art. 96. Die Bestimmungen, von welchen in den beiden vorangehenden Artikeln die
Bede ist, sind nicht anwendbar auf die Aerzte oder Wundärzte, welche von irgend einer
auswärtigen medicinischen Universität, Schule oder Colleg ein Diplom besitzen und ihr
Gewerbe nur bei Fremden ausüben: sie sind dann gehalten, ihre Diplom der zuständigen
Behörde zu zeigen, so oft man sie darum ersucht
Da nun aber in letzter Zeit wieder der Schwindel mit käuflichen Dootordiplomcn
frisch aufblüht, so dürfte ein Diplom „von irgend einem auswärtigen Colleg“ und ein
wirklicher Fähigkeitsausweis denn doch zweierlei sein.
Man ist übrigens gegen diese Doctortitel nicht mehr so coulant, wie früher. So
wurde (württemb. med. Corr.-Bl, 1877, 18) in Berlin ein Zahnarzt, der ein Diplom als
Doctor medicin» von der Universität Philadelphia besitzt und auf seinen Schaukasten
schreiben liess: „Dr. ff., Atelier für künstliche Zähne“ etc., von der Unter- und Ober¬
instanz verurtheilt, weil er „sich einen Titel beigelegt habe, durch den der Glaube er¬
weckt wurde, er sei eine geprüfte Medicinalperson“.
Bei dieser Gelegenheit möchten wir darauf hinweisen, dass es im hohen Interesse
der schweizerischen medicinischen Facultäten läge, die Doctorfrage eingehend zu be¬
sprechen.
IVormalmllch für Säuglinge. Wir machen auf die in den „Correspondenzblät-
tern des allgem. ärztl. Vereins von Thüringen“ 1877, 7, enthaltenen Statuten des „Ver¬
eins für Beschaffung guter Milch in Nordhausen“ in dem Sinne aufmerksam, als sie den
Versuch zur Abhülfe eines allgemein fühlbaren Uebelstandes auch da bezeichnen, wo die
Mittel nicht ausreichen zur Errichtung specieller Musterfarmen, wie sie in letzter Zeit
Breslau, Stuttgart, Winterthur und Frankfurt eingerichtet haben. Ueber die letztere fin¬
den sich exacte Angaben in Nr. 31 der prager med. Wochenschrift.
Dae Vorgehen dieser Aerzte ist jedenfalls rationeller als das Ergebniss der Unter¬
suchungen von Erneal GciUoia über die Milch syphilitischer Ammen (1!), da er sich nach
einem Referat der „deutschen Zeitschr. f. pract Medicin“ (1877, 29) zu dem ungeheuer¬
lichen 8atze versteigt, eine gut überwachte syphilitische Amme sei der künstlichen Er¬
nährung vorzuziehen!
Raasland, Filzzelte für Verwundete. Nach einer Correspondenz der wiener
Presse weist das grosse russische Feldspital in Simnitza, wo Prof. Dr. Bergmann und
Prof. Dr. Korzenewski fungiren, eine Neuerung auf, die Beachtung verdient Der General-
Chefarzt des Corps , Dr. Piotrowski , liess zum ersten Male die Yourta oder Kibitka der
Tartaren als Spitalzelt in Verwendung bringen. Die Yourta gilt auch nach anderweitigen
Mittheilungen als das Ideal eines leicht beweglichen Zeltes. Die Kibitka kostet blos 40
Rubel, ist leicht transportabel, ungemein dauerhaft, gewährt gegen Sonne, Wind und
Regen den besten Schutz, ermöglicht eine ausgiebige Ventilation, bietet für acht Kranke
Raum und gibt nur zu einem Bedeuken Anlass, ob nicht die starke Filzdecke die Infec-
tion leichter, die Desinfection schwerer macht, als jedes andere Material. Versuchsweise
sind 60 Kibitken aufgestellt und es wird sich zeigen, ob die Vortheile, die man erhofft,
auch eintreten. Was die Kibitka so besonders bequem macht, ist die kreuzförmig ge¬
legte, zusammenschieb- und rollbare Gitterwand, die der Filzdecke als Basis für die Wand
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und die aus Holzstäben gebildete Kuppel, die als Dach dient. Die Filzdecke ist das
beste Material, das zum Schutze gegen Hitze und Nässe verwendet werden kann.
_ (Perl. kl. W.)
Feuilleton.
Der Math der Aerzte.
(Le courage ntedical.)
Wir übersetzen unsern Collegen einen Artikel der „Rev. de thär. nted.-chir.“ (1877,
14). Es schimmert ein matter Funken von Selbstlob daraus hervor, allein — soviel ver¬
dienen wir, verdient jeder von uns, und selten nur wird dieses Verdienst anerkannt. Le¬
sen wir also, ohne zu erröthen:
„Man liest im „8calpel“:
Welch’ prächtiger Beruf ist doch derjenige des Arztes ! ruft der grosse Haufen, und
Jeder möchte sich unter das Panner Aesculape anwerben lassen I Und wirklich rollt ein
Theil der practicirenden Aerzte im Wagen; aber auch die, welche ihre Besuche zu Fuss
machen, sind anständig gekleidet und scheinen auch ihr gutes Auskommen zu haben; im
Ganzen genommen sind alle geachtet und von ihrer Kundsame gut aufgenommen.
Mein Gott, lauter Blumen und Rosen ohne Dornen!
Ja nun, es liegt nicht in unserer Aufgabe, der sich täuschenden und wenig über¬
legenden Menge die Augen zu öffnen. Sie würde uns antworten: „Vous 6tes orfövre,
Mr. Josse.* *)
Nun hat sich aber grossmütbig ein Organ der grossen Tagespresse., der „Steele“,
unter der Aufschrift: „Militärischer Muth und bürgerlicher Muth“ dieser Aufgabe unter¬
zogen. Besten Dank, mein Herr, im Namen unserer Leser, welche Ihren Excurs mit
Andacht gemessen werden:
„Es war zur Zeit der Belagerung von Paris, damals, als schon der „psychologische
Moment“ gekommen war und Herr von Bismarck mit seiner herzlosen und kalten Hand
die letzten Blätter der düstern Episode umschlug. ... Da ich für ein Familienglied
einen Arzt berathen musste, welcher dem Spitale .... zugetheilt war, wandte ich meine
Schritte nach dieser Stätte des Elends; ich trat in den grossen Saal ein, dessen Abthei-
lungschef der Arzt war, den ich suchte — es war der mit Pockenkranken belegte Saal.
Beim Oeffnen der Thttre rang ich nach Athem und verlor fast das Bewusstsein : ein
ekelhafter Geruch schnürte mir die Kehle zu, eine verpestete Atmosphäre hüllte mich
plötzlich ein und liess mich unabsichtlich wieder zurückweichen.
Ich trat natürlich doch ein und ging in den kleinen Wartsaal, wo sich jedoch noch
Niemand vorfand, da die Visite noch nicht zu Ende war.
In diesem Augenblicke drang durch das trotz der grosser Kälte sperrweit geöffneto
Fenster der dumpfe Donner der Kanonen und das Knattern der Kartätschen zu mir her¬
auf. Man schlug sich da unten, schlug sich mit Wuth; es galt ein übermenschlicher
Versuch und ein letztes Opfer auf den Altar des sterbenden Vaterlandes, seiner Ehre,
die, Gott sei Dank, unbefleckt blieb.
Und einen Augenblick vergase ich, warum ich da war und war tief im Herzen ge¬
rührt und bekümmert um die, welche diese letzte Schlacht schlugen.
Da weckte mich das Geräusch von Schritten, die sich hinter mir hören Hessen, aus
diesen schmerzlichen Träumen. Ich wandte mich um: es waren die Aerzte, die von den
Besuchen ihrer Kranken, ihrer Pockenkranken, zurückkaraen.
Ihrer Pockenkranken! das heisst den unglücklichen Opfern, die nun ihrerseits Henker
geworden sind! unerbittliche Henker, die rings um sich Tod und Verderben ausathmen,
sie in einem Händedruck weitergeben, mit einem Worte, das von ihren verpesteten Lip¬
pen flieht, besiegeln.
Da Hess ich die Gedanken rückwärts schweifen, die mich soeben beim Hören des
Tosens der Schlacht beunruhigt hatten, und fragte mich, wer wohl bewunderungswürdi¬
ger sei, ob der, welcher sich da unten, oder der, welcher sich hier schlug.
Gewiss ist cs schön, aufrechten Hauptes, ruhig, ohne Zittern und Zagen, im Schritt
*) Aus Moliire sprichwörtlich geworden im Sinne von: eine oratio pro domo halten.
e
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gegen eine Batterie zu marechiren, welche unablässig Kartätschen ausspeit; schön ist es,
eine Festung zu. stürmen, ein Bataillon anzugreifen, das sich euch wie eine mit Eisen-
spitzen gespickte Mauer entgegenstellt, der Gefahr mit lächelndem Mund entgegen¬
zueilen.
Aber das ist die Gefahr unter freiem Himmel, vor den Augen Aller, getheilt mit
tausend Brüdern, begleitet vom schrillen Tone der Trompeten und dem zischenden Pfei¬
fen der Granaten, im berauschenden Pulverdampf und dem aufregenden Rachegedanken :
Vielleicht tödtet man mich, aber vor Allem werde ich tödten.
Die Wahlstatt des Arztes ist das stille, traurige Lager des Kranken: der Lärm, den
er hört, ist das Röcheln des Todeskampfes; die Luft, die er athmet, ist Ekel erregend.
Er weiss, dass sein Feind ihm nahe auflauert und sieht ihn doch nicht, weias kein Mittel,
ihn zu bekämpfen.
Er sagt seinerseits: Vielleicht werde ich getödtet, aber vielleicht auch werde ich
vom Tode erretten!
8tatt aufgeregt, berauscht zu werden, muss er ruhig, seiner selbst Herr, im Voll¬
besitze seiner ganzen Intelligenz bleiben; sein eigenes Ich vollkommen verläugnend, darf
er nur daran denken, denjenigen vom Tode zu erretten, der ihm selbst vielleicht die To¬
deswunde schlägt.
Der 8oldat braucht den physischen Muth, der Arzt dagegen die sittliche Macht !
Es ist noch nicht so gar lange her, dass man viel über den Tod von Francis Garnier *)
gesprochen hat. Die illustrirten Zeitungen haben das Bild des jungen Helden wieder¬
gegeben ; die „ Acadömie des Sciences“ hat in öffentlicher 8itzung sein Lob ausgesprochen
und das Abgeordnetenhaus endlich durch rechtsgültigen Beschluss seiner Wittwe eine
Pension verliehen.
Ich stimme — und sicherlich aus ganzem Herzen — diesen Lobreden bei; ich un¬
terzeichne mit beiden Händen das Lob der „Acadömie des Sciences“ und billige den Be¬
schluss des Abgeordnetenhauses, da ich, und gewiss mehr als so viele Andere, die letzte
Seite des Lebens von Garnier bewundere.
Aber nicht weniger bewundere ich die Handlungsweise des Doctor Laval , über den
ich früher hier Bericht erstattet habe: er zog aus, um sich inmitten der Pestkranken
des Orientes den Tod zu holen. Und von diesem armen Laval sprach man nur in einigen
wenigen Zeitungen, mit keiner 8ilbe in der „Acadömie de mddeoine“, geschweige denn
im Abgeordnetenhause. Und doch hat auch er eine Wittwe und ein Kind hinterlassen !
Bedenken wir dann, dass für den 8oldaten der Kampf glücklicherweise nicht ewig
dauert. Auf dem Schlachtfelde, das gestern noch Leichname bedeckten, treibt heute die
wieder zu ihren Rechten gekommene Natur Blumen.
Der Arzt dagegen liegt immer im Kampfe; für ihn gibt es keinen Waffenstillstand
und so oft keinen Dank. Fast täglich sucht sich die Ansteckung ein Opfer unter jenen,
die sie bekämpfen wollen.
Ich habe mir im letzten Monat während einer Woohe — einer einzigen Woche —
die auf dem Felde ihrer Ehre gestorbenen Aerzte aufgeschrieben und sechs Namen no-
tirt; sie sind:
Dr. Uugon , starb an Typhus, den er sich von einem seiner Kranken holte;
Dr. Mahier , gestorben in Folge der Behandlung eines diphtheritischen Kindes;
Dr. Reynatüd , der aus demselben Grunde unterlag, wie Dr. Mahier ;
Dr. Parot fand den Tod durch Infection während der Behandlung seines Collegen
Reynauld ;
de Molincr und Jordes , Studenten der Medicin, gestorben in der „Cbaritö“.
Und jeder Tag fügt der Leidensgeschichte der Aerzte einen neuen Namen bei. Ge¬
stern war es derjenige des Dr. Beauvais , der sich einen lethal verlaufenden Tjphus am
Krankenbette zuzog, heute ist es derjenige des Dr. E. Dubais , der auf gleiche Weise einen
brandigen Rothlauf acquirirte und starb!
*) Francis Garnier, wissenschaftlich hochgebildeter Marineofficier, bekannt durch seine Werke
über China, sowie durch seine übrigen Publicationen geographischen, nationalöconomisohen und ander¬
weitigen Inhaltes. Er legte das Commando eines Kriegsschiffes nieder, um an der Vertheidigung von
Paris Th eil nehmen in können und fand den Tod auf dem Schlachtfelde.
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Diese letzte traurige, mir soeben kundgewordene Nachricht hat mich bewogen, diese
allerdings ein wenig dUstere Chronik zu schreiben: sie soll aber zugleich eine achtungs¬
volle Huldigung und gewiss auch ein lehrreicher Beweis sein.“
Stand der Iufeetions-Krankheiten in Basel«
Vom 11. biB 2Ö. October 1877.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Die Zahl der neu augezeigten Typhus fälle ist auf 11 zurückgegangen (67, 29,
19), davon stammen 6 aus Kleinbasel, 8 vom Nordwestplateau, die übrigen sind zer¬
streut.
8charlach 6 neue Fälle (9, 6, 10), wovon 4 auf dem Nordwestplateau.
Masern fälle mehren sich; im letzten Berichte 8, sind es diesmal 10 neue Fälle,
sämmtlich vom Nordwestplateau (6) und Birsigthale (4).
Auch von Rubeola sind 2 Fälle angezeigt.
Hals- und Rachenbräune 7 Fälle zerstreut in Grossbasel.
Keuchhusten, in den letzten Monaten nur spärlich vertreten, weist 7 neue An¬
zeigen auf, wovon 6 aus Kleinbasel, der 7. Fall im Birsigthale auch von Kleinb&sel aus
inficirt,
Erysipelas 3 Fälle (7).
Puerperalfieber 1 Fall in Kleiubasel (8).
Varicellen 1 Fall.
Endlich wurde 1 Fall von Pustula maligna beobachtet beim Knecht der Wa¬
senmeisterei, der inzwischen quoad vitam günstig verlaufen ist. Die Infection fand statt
durch ein geschlachtetes, wegen hohem Verdacht auf Milzbrand der Wasenmeisterei über¬
gebenes Rind.
Vom 26. October bis 10. November 1877.
Von Typhus sind 18 frische Fälle angezeigt (57, 29, 19, 11), wovon je 3 vom
Nordwestplateau und Birsigthal, 2 vom Südostplateau, 6 aus Kleinbasel.
Scarlatina zeigt eine bedenkliche Zunahme; angezeigt sind 23 Fälle (11, 9, 6,
10, 6), davon 12 auf dem Nordwestplateau (im letzten Berichte 4); 2 derselben in einem
Hause, 4 sind Besucher der Kleinkinderschule an der Kohlenberggasse; 8 im Birsig¬
thale, wovon 2 in einem Hause, 1 Südostplateau, 2 im Birsthale in einem Hause, 4 in
Kleinbasel, wovon 3 in einem Hause; endlich 1 von auswärts auf das Südostplateau im-
portirter Fall.
Masern 11 Fälle (3, 10), wie im letzten Berichte beschränkt auf Nordwestplateau
2 und Birsigthal 9 in 6 Häusern.
Hals- und Rachenbräune 7 Fälle, sämmtlich in Grossbasel, wie im letzten
Bericht.
Erysipelas 6 Fälle (7, 8).
Varicellen 4 Fälle.
Von Keuchhusten sind keine neuen Erkrankungen angezeigt.
Bibliographisches.
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Thomkayn. 672 Seiten. Stuttgart, Verlag von F. Enke.
116) Die Grundlüge der Gesellschaftswissenschaft oder physische, geschlechtliche und natür¬
liche Religion. Eine Darstellung der wahren Ursache und der Heilung der 9 Grund-
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Übel der Gesellschaft, der Armuth, der Prostitution und der Ehelosigkeit. Von einem
Doctor der Medicin. 3. deutsche Aufl. Nach der 18. des engl. Originals. 624 S.
Preis Mk. 2. 50. Berlin, Verlag von Staude.
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lichen Körpers. Mit 127 Abbildungen in Holzschnitt 656 S. Stuttgart, Verlag
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Stuttgart, Verlag von F. Enke.
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Schwängern, Kreissenden und Wöchnerinnen. 101 Seiten. Giessen, Verlag von
E. Roth.
121) Schröder, Mayer und Fassbender , Zeitschrift für Geburtshülfe und Gynäcologie unter
Mitwirkung der Gesellschaft für Geburtshülfe und Gynäcologie. II. Band, 1. Heft.
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122) Bibliothek für Wissenschaft und Litteratur, Medic. Abthl. III. Bd.: Seilz , Diphtherie und
Croup, geschichtlich und klinisch dargestellt. Berlin, Verlag von Grieben.
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Erb , Krankheiten deB Rückenmarks. Mit 14 Holzschnitten. Leipzig, F. C. W.
Vogel.
124) Erdmann, Die Anwendung der Electricität in der practischen Medicin. 4. ganz um¬
gearbeitete Auflage mit 72 Holzschnitten. 312 Seiten. Leipzig , Verlag von J.
A. Barth.
126) Picard, Dr. H ., prof. libre, traitö des maladies de la prostate, avec 83 flgures dans
le texte ; 400 p. Paris, J. B. Bailltäre et Als, 1877.
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l’ötude deB influences physiologiques, pathologiques, prophylactiques et thdrapeuti-
ques du climat Bur la santd. Tome I et II. Paris, Bailliöre & Als.
180) Voit, Untersuchungen der Kost in einigen öffentlichen Anstalten. Für Aerzte und
Verwaltungsbeamte, in Verbindung mit Förster , Renk, Schuster. 216 S. München,
Verlag von Oldenbourg.
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Verlag von Staude.
184) Koch, Vom Bewusstsein in Zuständen sog. Bewusstlosigkeit. Vortrag. 28 Seiten.
Stuttgart, Verlag von F. Enke.
136) PerCa Lehrbuch der allgem. Pathologie für Studirende und Aerzte. I. Theil (allg.
pathologische Anatomie und Pathogenese). Mit 124 Holzschn. 508 S. Stuttgart,
Verlag von F. Enke.
136) Burow, Laryngoscopischer Atlas , enthaltend 61 Figuren auf 10 Tafeln in Farben¬
druck. Nach der Natur gemalt und erläutert. Stuttgart, Verlag von F. Enke.
137) Kunze , Lehrbuch der pract. Medicin mit besonderer Rücksicht auf pathologische Ana-
Digitized by LjOOQle
691 —
tomie und Histologie. 3., mehrfach veränderte und vermehrte Auflage. II. Band.
718 8. Leipzig, Verlag von Veit & Cie.
138) D’Espine ty Picot , Grundriss der Kinderkrankheiten für practische Aerzte und 8tudi-
rende. Aus dem Französischen übersetzt von Ehrenhaus. 521 Seiten. Leipzig,
Veit & Cie.
139) Köhler , Grundriss der Materia Medien für practische Aerzte und Studirende mit
besonderer Rücksicht auf die Pharmacopcea germanica. 492 Seiten. Leipzig,
Veit & Cie.
140) Hägler, Der Sonntag vom Standpuncte der Gesundheitspflege und der Socialpolitik.
Zwei öffentliche Vorträge, gehalten im Bernoullianum in Basel. 88 S. Basel,
Bahnmaiers Verlag.
141) Amtlicher Bericht über die Verwaltung des Medicinalwesens uud über die öffentlichen
Kranken- und Versorgungsanstalten des Cantons Zürich in den Jahren 1870-1875.
Zürich, Schweizerische Vereinsbuchdruckerei.
Briefkasten.
Herrn Dr. Bügler, Dr. Seitz, Regierungssecretär Schwarz: Mit bestem Dank erhalten. — Herrn
Dr. Sterki in Schleitheim: Der Abstecher war uns willkommen! — Herrn Prof. Rose: Mit bestem
Danke erhalten. — Anonymus in Niederösterreieh: Nous maintiendronsl Trotz all’ diesen
wehmuthsvollen GefÜblsexpectorationen. — Herrn Prof. Kocher: Mit Dank erhalten. — Herrn Dr.
Baltenhof: Baader befindet sich in Ajaceio (Hotel Germania); Sie werden in nächster Nummer von
ihm hören. Die Acten Ober d. G. C. werden hiemit geschlossen. — Herrn Dr. B. v. W.: Das Proto-
coll der Oltener Versammlung kam zu spät für diese Nummer. — Herrn Dr. A. B. in Ajaccio: Brief
erhalten. Herzliche Grllsse! — Herrn Apotheker St.: Erhalten! Wird benützt. — Herrn Prof. Demme:
Wird nach Wunsch besorgt!
(Da mir manchmal beinahe unleserliche Manuscripte zukommen, so bitte ich die verehrlichen
Autoren, mir künftig in dieser Hinsicht nicht zu viel zuzumuthen, indem ich meine Augen noch lange
zur Erhaltung meiner Familie zu gebrauchen hoffte. Der Setzer.)
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Vortrag,
gehalten in der psychiatrischen Section der 60. deutschen
Naturforscher-Versammlung zu München.
Von
Dr. J. L. A. KOCH,
Director der KönigL Pfleganstalt Zwiefalten.
8. Geheftet. Preis 1 Mark.
Lehrbuch
der
allgemeinen Pathologie.
Für Aerzte und Studirende.
Von
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PriT»tdoe*«t in Basel. in Gelterkind*n-
N“ 23. VII. Jahrg. 1877. 1. December.
Inhalt: 1) Originalarbeiten: Prof. Kocher: Hysterotomie wegen Fibrokystoma nteri mit glücklichem Ausgang. —
Dr. L. G. CourvoiHtr: Eine Gastrotomie. — 2) Vereinsberichte: XVI. Versammlung des ärztlichen Centralvereins in Olten.
— Medicinische Gesellschaft in Basel. — 8) Referate und Kritiken: Dr. A. Schuster: Claude Bernard's Vorlesungen Ober
thierische Wärme, die Wirkungen der Wärme nnd das Fieber. — H. ron Zitmssen: Handbuch der speciellen Pathologie und
Therapie des Nervensystems. — 4) Kantonale Correspondenzen: Bern; Glarus. — Briefe aus Ajacdo. — 5) Wochen¬
bericht. — 6) B i b 1 i og r aphi s che s. — 7) Briefkasten.
Oingin«l--Ajrbeiten.
Hysterotomie wegen Fibrokystoma uteri mit glücklichem Ausgang.
Von Prof. Kocher in Bern.
Obschon bereits eine ziemliche Zahl glücklicher Fälle nach Exstirpation des
erkrankten Uterus bekannt sind, so nimmt man doch gegenwärtig ganz allgemein
unter den Aerzten noch den Standpunct ein , welchen man vor 20 Jahren den
Ovarialcysten gegenüber beobachtete: Eher alle andern Mittel zu versuchen, als
durch eine Excision des erkrankten Organs die Heilung zu versuchen. Eine ge¬
wisse Berechtigung hiezu hat man in der Erfahrung, dass eine Zahl der Fälle von
Uterusfibromen sich spontan mit der Zeit zurückbilden, oder dass wenigstens —
zumal zur Zeit der Menopause die gefährlichsten Symptome, besonders die Blu¬
tungen, zurücktreten. *)
Ausserdem ist auf anderem als operativem Wege in einer gewissen Zahl von
Fällen wenigstens Besserung zu erzielen (in 17% von Winckel s Fällen). Dass man
bei submucösen Fibromen nicht Laparotomien ausführen wird, liegt auf der Hand;
dagegen bei den intramuralen schon darf sich die Laparotomie der Operation von
Scheide resp. Uterushöhle aus, der Enucleation, gegenüber stellen, seit man die
antiseptische Behandlung in die Wagschale legen kann. Denn während man bei
intrauterinen Operationen dieselbe nur unsicher in Ausführung bringen kann —
obschon auch hierin durch continuirliche Irrigationen in der Neuzeit grosse Fort¬
schritte gemacht sind —, lässt sich mit völliger Sicherheit die Antisepsis bei der
Laparotomie durchführen. Was letzteres aber für den Erfolg heissen will, das
kann Jeder aus dem jüngst erschienenen Vortrag von Volkmann über die Resultate
seiner Behandlung complicirter Fracturen herauslesen. Die bisherigen vergleichen-
*) Winkel , klin. Vorträge von Volkmann, Nr. 98, 1876, s&h unter 115 Fällen 2 Mal spontane
Rückbildung und in 13% der Fälle Verschwinden der Blutungen mit Eintritt in die Menopause, wobei
5 Mal gleichzeitig die Geschwulst sieb verkleinerte.
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den Statistiken der beiden Operationsweisen dürfen deshalb auch noch nicht maass¬
gebend sein. C. Braun berechnet nach Winckel auf 60 Fälle von Enucleation von
intraparietalen Fibromyomen des Uterus 68% Heilungen, von 29 Laparotomien
wegen subseröser Fibrome 60% Heilungen.
Noch anders als bei den gewöhnlichen Fibromen resp. Fibromyomen des Ute¬
rus stellt sich die Prognose bei den Fibrokystomen. Diese Geschwulstform,
die erst in der Neuzeit grössere Beachtung gefunden hat und sich als eine „ziem¬
lich häufige“ *) Krankheit erweist, ist in ihrer Pathogenese noch nicht genau auf¬
geklärt. Allein wenn sie auch von ursprünglich einfachen Fibromen ausgehen
mag, sei es durch einfache Oedeme, sei es durch Erweiterung von Lymphgefässen,
durch myxomatöse, colloide Entartung, durch Blutergüsse und ihre Metamorpho¬
sen, soviel ist sicher, dass die Geschwulst für den Kliniker ihre von den Fibromen
verschiedene Bedeutung hat. Dies gilt hinsichtlich der Prognose, Diagnose und
Therapie. Nach der vorzüglichen Dissertation von Osxcald Heer •*) unter Franken -
Häuser 's Leitung entwickeln sich die Fibrokystome verhältnissmässig in frühem
Alter, in 8 von 41 Fällen schon vor dem 30. Jahre und in 19 Fällen zwischen dem
30.—40. Jahre. Die Patientinnen erreichen kein hohes Alter. Dies beruht haupt¬
sächlich darauf, dass die Tumoren von einer gewissen Dauer ab sehr rapide wach¬
sen. Nach Heer betrug in 45 Fällen die Dauer des Leidens in 22 Fällen nicht
mehr als 3 Jahre, in 23 Fällen 4—10 Jahre, ausnahmsweise darüber.
Wenn es auch richtig sein mag, dass anfänglich die Beschwerden besonders
gering sind, geringer als bei Ovarialgeschwülsten, so sind später Angesichts der
raschen und bedeutenden Vergrösserung die Beschwerden um so intensiver.
Wer diese Patientinnen mit der colossalen Auftreibung des Abdomen, den
daherigen Druckerscheinungen Seitens der Bauch- und Brustorgane einige Zeit
vor ihrem Tode hat beobachten können, der wird es indicirt finden, in früherer
Zeit sich die Frage nach der Möglichkeit radicaler Entfernung durch Operation
vorzulegen. Es ist eine solche Beobachtung einer Patientin aus der letzten Zeit,
welche uns veranlasst hat, diese Publication schon jetzt zu machen.
Allein nicht nur ist bei der ungünstigen Prognose der Versuch einer Radical-
heilung noch eher indicirt, als bei einfachen Fibromen, sondern die Aussichten
einer andern Heilung als durch Laparotomie liegen hier fern und letztere verspricht
in gewissen Beziehungen mehr Erfolg als bei einfachen Fibromen. Es ist haupt¬
sächlich der Umstand, der hiebei ins Gewicht fallt, dass die grosse Mehrzahl der
Fibrokystome sich in den äussern Schichten des Uterus entwickeln. Wenn sie
auch nicht eigentlich als subperitoneal bezeichnet werden dürfen in den meisten
Fällen, wie Heer gegen Pean und Vrdy geltend macht, so macht sich doch das
Wachsthum der anfänglich interstitiellen Geschwulst so vorwiegend nach der pe¬
ritonealen Seite zu, dass dieselbe mehr oder weniger gestielt wird. Dieser Stiel
stellt allerdings oft eine breite Basis dar; aber doch fand Heer unter 70 Fällen
nur 5 interstitielle in engerem Sinne, und nur 2 intrauterine. Dazu kommt als ein
für die Operation günstiger Umstand das überwiegende Ausgehen der Geschwülste
*) 0. Heer (s. unteD) hat 70 Falle von Fibrocysten des Uterus gesammelt
**) Ueber Fibrocysten des Uterus, Zürich 1874.
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vom Fundus uteri (19 Fälle), endlich wie oben erwähnt, das häufige Vorkommen
in jüngeren Jahren und im kräftigsten Alter.
Die Statistik ist freilich zur Stunde noch nicht sehr ermuthigend: Nach Heer
wurden bis 1869 20 Gastrotomien wegen Fibrocystoid vorgenommen mit 6 Hei¬
lungen. Von 1869—1874 fand er aber schon unter 13 Gastrotomien 7 Heilungen.
Seither hat Keith *) 3, Kimball**') 1 Fall mit glücklichem Ausgange, Pean***) 6 Fälle
mit 4 Heilungen publicirt. f) Nehmen wir unsern Fall hinzu, so hätten wir auf
24 Fälle 16 Heilungen.
Und wer wollte daran zweifeln, dass es hier gehen wird, wie bei der Ovario-
tomie, dass bei grösserem Zutrauen der Aerzte zu der Operation, bei verbesserter
Diagnostik und Technik die Resultate sich noch ungleich verbessern lassen? Ge¬
rade mit der Diagnostik ist es nun noch nicht am besten bestellt. Auch uns ist
es gegangen wie Frankenhäuser in seinem Heilungsfalle und der Mehrzahl der Ope¬
rateure: Wir haben die Diagnose auf Ovarialtumor gestellt und die Operation als
Ovariotomie begonnen. Nach Heer wurde in 33 Fällen von Gastrotomie wegen
fibrocystischer Geschwülste blos 2 Mal bestimmt die Diagnose gestellt, 15 Mal
Ovarialgeschwülste diagnosticirt. Die beiden Haupthülfsmittel der Diagnose für
die wichtigste Unterscheidung gegenüber Ovarialkystomen sind die Simoa’sche hohe
Mastdarmuntersuchung und die Punction mit Untersuchung der Flüssigkeit. Per
rectum, falls sich diese Untersuchung in gehöriger Narcose ausführen lässt, sind
nicht nur die Beziehungen des Tumor zum Uterus bestimmt auszutasten bei bima-
nueller Untersuchung in den Fällen, wo der Tumor noch nicht zu gross ist, son¬
dern auch die intacten Ovarien öfter zu fühlen. Die Punction entleert eine lympha¬
tische Flüssigkeit, meistens durch Blutbeimischungen gefärbt, viel wässriger als
die Flüssigkeit der Ovarialkystome, zwar reichlich Eiweiss, aber kein Paralbumin
enthaltend. Dafür ist sie so reich an fibrinogenen Substanzen, dass sie spontan
gerinnt, oder sogar Fibrinflocken enthält, wie in einem unserer Fälle, und neben
rothcn auch weisse Blutkörperchen, keine epithelialen Elemente, wie die Ovarial¬
kystome Öfter darbieten. Denn dies gibt gerade den pathologischen Anatomen
theilweise Anstoss, die Geschwülste als Cystengeschwülste, resp. Fibrokystome
anzuerkennen, weil die Innenwand der Hohlräume kein eigentliches Epithel auf¬
weist.
In unserem Falle ist die Stellung einer richtigen Diagnose daran gescheitert,
dass bei Beginn der hohen Mastdarmuntersuchung ein schwerer Chloroform-Col-
lapsus eintrat und dass die Patientin sich weigerte, sich eine Punction machen zu
lassen, „wenn man doch nachher noch einmal operiren müsse“.
Fräulein M., 36 Jahre alt, stellte sich am 7. Mai 1877 zur Behandlung. Sie
hat stets einen etwas aufgetriebenen Leib gehabt, der aber seit 1 Jahr gewachsen
ist Sie wurde schon im Herbst 1876 untersucht und von einem sehr tüchtigen
Arzte in Lausanne die Diagnose auf Kystovariura gestellt. Ihr Allgemeinzustand
*) Keith (Lancet 1875, CentralbL f. Chir. Nr. 33).
**) Kimball Boston med. & surg. Journal 1870, CentralbL f. Cliir. 51.
***) Arcb. de Oyndcol. Apr. 1877.
f) Ob Hysterotomien, welche Schröder und Hegar ln den letzten Jahren mit Glück ausführten,
auf Fibrocystoid sieb beziehen, Ist uns nicht bekannt.
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war stets ein befriedigender. Die Menses hat sie seit dem 15. Jahre alle 4 Wochen
ohne jegliche Beschwerde, 2—3 Tage lang dauernd, bis zur gegenwärtigen Zeit
ohne Störung gehabt.
Der Status vom 8. Mai ergab eine kuglige Geschwulst des in die Unter¬
bauchgegend .vorgewölbten Abdomen, bis 2 Querfinger über den Nabel reichend,
genau umgrenzbar, seitlich und nach oben leicht verschieblich. Die beiden Hüft-'
beingruben sind frei palpirbar. Der Tumor bat eine ziemlich gleichmässig kuglige
Gestalt, ist prall, aber sehr deutlich fluctuirend.
Der Uterus erscheint klein, antevertirt, geht beim Emporscbieben des Tumors
mit in die Höhe und zeigt keine vom Tumor unabhängige Beweglichkeit. Doch
glaubt man die Rückfläche des Uterus, wenn auch unvollkommen, vom Tumor ab¬
grenzen zu können. Nur das rechte Ovarium ist im Fornix vaginae unverändert
durchzufühlen. Einen Stiel der Geschwulst kann man auch linkerseits nicht wahr-
nehraen. Leider wurde die Untersuchung in der Narcose durch eine plötzliche
Syncope unterbrochen und zu einer Punction konnte sich nachher Patientin nicht
mehr entschliessen. Die Diagnose wurde auf Kystoma ovarii sinistri gestellt und
die Ovariotomie beschlossen.
Acht Tage nach der Untersuchung, unmittelbar nach Verfluss der Menses,
stellten sich unter Fieber bis über 39° Erscheinungen von Peritonitis mit Auftrei¬
bung und hochgradiger Druckempfindlichkeit ein. Dabei wurde die Cyste so aus¬
serordentlich prall gespannt, dass jede Spur von Fluctuation verschwand. Erst
im Verlauf von 14 Tagen bildeten sich diese Erscheinungen wieder zurück.
Am 14. Juni 1877 wurde die Operation in Anwesenheit der Herren Dr.
Möhrlen aus Orbe, Dr. Niehans , unter Assistenz der Herren Kaufmann und Feurer aus¬
geführt.
Die Chloromethylnarcose verlief ohne Störung. Nach Eröffnung des Abdomen
zeigt sich der Tumor in ganzer Ausdehnung ziemlich derb verwachsen. Nach Los¬
lösung der Adhärenzen mit der Hand wird in den jetzt wieder deutlich fluctuiren-
den Tumor der Spencer- Wells 1 sehe Trokar eingestossen, der ziemlich reichlich Blut
entleert. Derselbe wird deshalb sofort zurückgezogen und die blutende Oeffnung
mit einer breiten Fasszange verschlossen.
Da gemäss diesem Ergebniss der Punction ein fester Tumor vorlag, so musste
die Incision, welche vom Nabel bis zur Symphyse reichte, durch den Nabel hin¬
durch aufwärts bis über die obere Grenze des Tumor hinauf verlängert werden.
Auch jetzt wollte zunächst das Herausheben des Tumor aus der Bauchhöhle nicht
gelingen. Das Einbohren der Finger von der Stichöffnung aus in den Tumor er¬
gab, dass derselbe sich durch Einbrechen seiner Substanz nur sehr mühselig ver¬
kleinern Hess. Deshalb wurde derselbe unter ziemlich gewaltsamer Traction
schliesslich zur Bauchwunde herausgezerrt. Nun fallt sofort die Dicke, Kürze und
fleischig-derbe Beschaffenheit des Stieles auf und die Untersuchung ergibt denn
auch, dass die beiden Ovarien ganz gesund sind, der Anfang beider Tuben in den
Stiel des Tumor übergeht und dass der letztere durch den Uterus selber gebildet
wird. Der Tumor erhebt sich breit aus dem Fundus uteri, von dem er sich nur
durch eine leichte Furche abgrenzt.
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Es wird deshalb ein Koeberle 'scher Draht-Ecraseur etwas über der Höhe des
innern Muttermundes um den Uterus geschnürt und ohne Blutung oberhalb abge¬
tragen. Der Durchschnitt entspricht ganz demjenigen des Uterus, nur erscheinen
gewaltige Lumina subseröser Gefässe.
Der Ecraseur wird im untern Wundwinkel befestigt und der Uterusstumpf zur
Vorsicht in denselben mit eingenäht. Die Operation wird sonst wie bei einer Ova-
riotomie vollendet, ebenso die Nachbehandlung geleitet
Der herausgenommene Tumor zeigt jetzt eine exquisit bimförmige Gestalt
Von dem Cavum uteri ist ein Theil in der Länge von 3,5 cm. nachweislich.' Der
Durchschnitt zeigt röthliche Knollen concentrisch angeordneter Bindegewebsmuskel-
bündel mit zahlreichen spalten- und kugelförmigen Hohlräumen, mit Serum erfüllt
Der Tumor verkleinerte sich nach der Herausnahme und besonders nach dem
Durchschnitte sehr stark.
Prof. Langhaus erklärte den Tumor gemäss seiner Auffassung als ein Fibroma
„cedematosum“.
Pat war nach der Operation wegen ziemlich reichlicher Blutung aus den
Adhäsionen etwas collabirt, klagte starke Schmerzen. Am nächsten Tage schon
hatte sich der Uterusstumpf aus der Wunde zurückgezogen; im untern Wund¬
winkel blutige Secretion, welche die erste Woche in dieser Weise fortdauerte.
Trotz vollständig aseptischen Wund Verlaufes und bei Fehlen jedes Zeichens
von Peritonitis trat schon am zweiten Abend etwas Fieber auf, welches am sie¬
benten Tage mit 39,0 des Morgens seinen Höhepunct erreichte, durch Natron sali-
cylicum nicht wesentlich beeinflusst wurde und am achten Tage spontan abfiel.
Am 18. Tage wurde der Schlingenschnürer entfernt, aber die Drahtschlinge
selbst zeigte sich so fest eingewachsen , dass sie mit erheblicher Gewalt selbst
nicht sich herauszerren Hess. Am gleichen Tage trat neuerdings Fieber auf und
3 Tage später zeigte sich eine Thrombose der rechten vena femoralis. Als das
Fieber nachgelassen hatte, wurde neuerdings versucht, die Drahtschlinge zu ent¬
fernen, mit demselben negativen Erfolg. Es wurde deshalb das eine Ende der¬
selben an einem elastischen Strang befestigt und an einem Galgen aufgehängt
Nach 2 X 24 Stunden liess sich die Drahtschlinge leicht herausheben.
Am Ende der 5. Woche war die Wunde geschlossen, am 30. Juli wurde Pat
in bestem Wohlsein entlassen; nur der rechte Unterschenkel ist noch etwas ge¬
schwollen und schmerzhaft
Ich habe die Patientin am 15. September wieder gesehen: Ihr Allgemeinzustand
ist sehr gut Ihre einzige Klage ist zeitweise Anschwellung des Beins, in welchem
die Venenthrombose stattgehabt hatte; objectiv ist auch hier nichts Abnormes zu
finden. Die Menses sind nicht eingetreten, auch keine dieselben andeutenden
Störungen. Die Bauchnarbe ist lineär, eine Bauchhernie nicht vorhanden (Pat
trägt einen elastischen Bauchgurt). Die Portio vaginalis uteri sehr deutlich aus¬
gebildet, beweglich, in normaler Höhe und Stellung; der Uterusstumpf ist nicht
mit der Narbe verwachsen.
Bekanntlich hat man empfohlen, bei Excision des Uterus auch gleich die Ova¬
rien mitzunehmen, um Hämatocelen etc. vorzubeugen.
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Wir haben in unserem Falle die Ovarien zurückgelassen und der Verlauf wird
lehren, ob wir darin gefehlt haben, das Individuum blos steril zu machen , ohne
ihm die Charaktere des Castraten aufzudrücken.
Eine Gastrotomie.
Von Dr. L G. Courvoisier, Hausarzt der Diaconissenanstalt in Riehen.
Die Gastrotomie oder Laparotomie mit Eröffnung des Magens ist eine der
selten ausgeführten Operationen. Sie ist zu zwei verschiedenen Zwecken gemacht
worden: der eine war die Extraction von Fremdkörpern. Von 3 solchen
glücklich abgelaufenen Operationen berichtet z. B. Fischer (Chir. vor 100 Jahren,
S. 500) schon aus den Jahren 1635, 1720 und 1786. Roser (Spec. Chir.) erwähnt
die gelungene Entfernung einer Gabel durch den Magenschnitt; und vor einigen
Jahren bildete der von Labbe operirte „homme h la fourchette“ das Tagesgespräch
der pariser Boulevards.
Eine zweite häufigere Indication für die Operation sind Stricturen des
Oesophagus (resp. der Cardia), die natürlich am häufigsten krebsig sind. Die
Gastrotomie wird aber in diesen Fällen zu einer Gastrostomie, zur Anlegung
einer bleibenden Magenfistel, eines Magenmundes („bouche stomachale“ nach Ver-
tieuil). Solcher Fälle habe ich in der Literatur 22 verzeichnet gefunden.
Von diesen 22 sind 21 innerhalb der ersten 2 — 15 Tage nach der Operation
gestorben. Durchgekommen ist nur der von Verneuil am 26. Juli 1876 wegen Kali-
lauge-Strictur des Oesophagus gastrotomirte Jüngling.
Ich erlaube mir jetzt einen von mir operirten Fall mitzutheilen.
Jac. Frdr. Becherer, 60 Jahre alt, Metzger, Potator und Lump im Allgemei¬
nen, in seiner Heimathgemeinde Egringen (Baden) unter Curatel gestellt; früher
gesund, begann im Herbst 1876 die ersten Schluckschmerzen in der Höhe des
Kehlkopfs zu spüren, zugleich ein Gefühl von Enge im Hals. Bissen gingen nicht
mehr gut hinunter, Getränk besser. Vor ca. 6 Wochen erste, seither noch 3 Mal
wiederholte, stets erfolglose Sondirung durch 2 Aerzte. Aufnahme ins Diaconissen-
Spital 6. Febr. 1877.
Status praesens: Kräftiger, musculöser, aber etwas magerer Mann. — Mäs-
siges Struma. — Am Hals beidseits längs des Oesophagus eine diffuse, druck¬
empfindliche , vom Larynx bis zum Sternum herabreichende Verhärtung und ein¬
zelne geschwollene härtliche Lymphdrüsen fühlbar. — Breiige Speisen und Ge¬
tränke werden in der bekannten mühsamen, unterbrochenen Weise unter häufigem
Regurgitiren geschluckt — Laryngoscopisch nur Hyperämie des Kehlkopfeingangs
zu sehen. — Sondirung unmöglich, gelingt auch später nie; in der Höhe des Ring¬
knorpels ein unüberwindliches Hinderniss, oberhalb Dilatation. Die Sondirung er¬
regt starken Schmerz und etwas Husten, mehrmals etwas Blutung und leichtes
Fieber.
Auf die sogleich vorgeschlagene Gastrotomie ging Patient vorläufig nicht ein.
Erst einige Wochen später, nachdem er indessen ziemlich mehr abgemagert war,
einen stets zunehmenden und besonders beim Schlucken quälenden Husten be¬
kommen hatte und in Folge der immer geringeren Schluckfähigkeit den sichern
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Hungertod vor Augen sah, Hess er sich von der Nothwendigkeit der Operation
überzeugen, ja verlangte die letztere schliesslich von mir. Am meisten beschleu¬
nigte aber seinen Entschluss der Umstand, dass er auf 18. Marz wegen eines Dieb¬
stahls vor Gericht geladen war. Und zu seinen Zimmergenossen äusserte er kurz
vor der Operation: „Er lasse sich jetzt operiren, dann werde es ja wohl mit ihm
zu Ende gehen“.
Die letzten Tage vor der Operation konnte er nur noch mühsam breiige, kaum
mehr flüssige und keine festen Speisen geniessen. Doch war sein Kräftezustand
noch der Art, dass er den ganzen Tag ausser Bett sein und noch am 13. März
seine Verwandten in einem nahen Dorf besuchen konnte.
Am 17. März, Nachmittags 3 Uhr, machte ich die Operation genau nach Ver-
neuil (Archiv. günür. de m6d. 1876, Vol. II, pag. 376 ). Pat. wurde chloroformirt,
consumirte aber so viel Chloroform, dass die Sache ängstlich wurde und endlich
ohne tiefe Narcose bei ziemlicher Unruhe des Pat. operirt werden musste.
Der Gang der Operation war folgender:
Schnitt 5 cm. lang, schräg von innen und oben nach aussen und unten, paral¬
lel dem linken Rippenbogen, 1—2 cm. davon entfernt. Der äussere Schnittwinkel
befindet sich an der Spitze des neunten Rippenknorpels. Trennung von Haut,
Zellgewebe und M. obliq. ext. durch freien Schnitt; 2 Catgutligaturen. — Eröff¬
nung des Bauchfells (nach stumpfer Trennung des subperitonealen Gewebes) durch
Aufheben einer Falte mit feiner Hakenpincette, Einschneiden derselben mit der
Scheere und Erweiterung des Schnitts auf der Hohlsonde. — Einsetzen von Wund¬
haken. — Eh liegt Netz und Colon transversum vor; der Leberrand wird im obern
Wundwinkel sichtbar, der Magen noch nicht. Daher Dilatation der ganzen Wunde
nach innen oben um V/ a cm.; eine Catgutligatur. Jetzt gelingt es mir die grosse
Curvatur des Magens zu sehen und mit zwei Fingern zu ergreifen. Durch Ver¬
schiebung der ergriffenen Falte suchte ich nun den Magen immer mehr gegen die
kleine Curvatur und nach links hin zu fassen, und glaubte auch an den Erfolg
dieser Manipulationen. (S. dagegen den Sectionsbericht.) — Endlich fixirte ich
die durch die Wunde herausgezogene Magenfalte dadurch, dass ich sie mit zwei
grossen Acupuncturnadeln durchstach, welche senkrecht zur Länge der Wunde auf
den Rändern der letztem auflagen. — Nun begann das sehr delicate Einnähen des
Magens in die Bauchwunde; ich nähte mit 13 Silberdrähten so, dass immer mit
einer Pincette das parietale Peritoneum etwas zwischen den Wundrand und den
Magen hineingezogen und mit durchstochen wurde (also beide Serosss sich breit
berührten). Die Drähte wurden über porcellanenen Hemdknöpfchen geschnürt, die
auf der Haut auflagen. — Nun erst wurde aus dem indessen etwas cyanotisch ge¬
wordenen Magen mit der Scheere ein 3 cm. langer und 1 cm. breiter Zwickel her-
ausgeschnitten und derselbe damit weit eröffnet; eine kleine Blutung aus mehreren
kleinen Gefassen erforderte hier 4 Catgutligaturen und Umstechungen. — Jetzt
wurden die Nadeln extrahirt. — Die ganze Operation, von Anfang an unter Car-
bolspray ausgeführt, dauerte ohne Narcose */« Stunden, wovon fast die Hälfte auf
die Naht kam.
Etwas Champagner wird dem schon während der Naht ganz wach gewordenen
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Pat-, der über ziemliche Schmerzen klagt, per Trichter in den Magenmund eingo-
gossen, flieset aber zum grössten Theil wieder aus.
Die Fistel wird mit 10% Salicylwatte geschützt, die durch breite Collodium-
streifen fixirt wird; der ganze Bauch noch mit Collodium dick bepinselt, was dem
Pat. sehr wohl thut. Eine Morphiuminjection krönt nach wohlgelungenem Trans¬
port ins Krankenzimmer das ganze Werk.
Verlauf nach der Operation: Pat. erholt sich relativ gut, klagt bei
Ruhe keinen, bei Husten viel Wundschmerz. Dagegen verweigert er vom Moment
der Operation an jede Nahrungsaufnahme, während ich mich die ersten 24 Stunden
hindurch noch nicht getraute, die Fistel durch Einstopfen von Speisen etc. zu be¬
unruhigen. Am Morgen des 18. März versuchte ich Champagner und Eier hinein
zu bringen; doch wurde das Meiste wieder nach einiger Zeit ausgestossen, wobei
sich die durch die Oeffnung sichtbaren Magenfalten lebhaft bewegten. Im Laufe
dieses Tages trank Pat. auch noch von mir aufgedrungene 5 Gläschen Champagner
mit Eigelb. — Temp. und Puls hielten sich etwa 24 Stunden auf gleicher Höhe
wie vor der Operation. Von 12 Uhr Mittags am 18. März an steigerte sich ersterc
allmälig bis 38,6, letzterer bis 130. Am. 19. März Morgens Extremitäten kühl,
Temperatur sinkend, Puls sehr schwach und frequent. Keine Auftreibung oder
Schmerzhaftigkeit des Bauchs. Tod um '/ a 12 Uhr Mittags, 44 Stunden nach der
Operation.
Sectionsbericht (im Auszug): Oesophagus vom ersten Trachealring
an bis zur Theilung der Trachea hinab in ein starres Carcinomrohr verwandelt,
dessen Innenfläche viele zum Theil ulcerirte, das Lumen beträchtlich verengernde
Vorsprünge zeigt. Eine kehldeckelähnliche Prominenz deckt klappenartig den obern
Eingang in dieses Rohr. Oberhalb mässige Dilatation des Oesophagus. — Trachea:
auf der hintern Wand mehrere kleine weisslich-gelbo Krebsknötchen; ein solches
im Eingang des 1. Bronchus. In der Höhe des zwölften Rings eine feine Perfora¬
tion gegen den Oesophagus. — Carcinomatöse Cervical- und Bronchialdrüsen. —
Verkalktes Struma parenchymatosum. — Lungenemphysem. — Leichtes Aorten¬
atherom. — Herz ohne Besonderheiten. — Ebenso die sämmtlichen Baucheinge¬
weide , Nieren und Blase. — Im 1. Leberlappen vorn ein prominenter nussgrosser
weisser Krebsknoten. — Magenfistel ganz schön. Bauch- und Magenwand mit
einander durch circumscripte Adhtesionen fest verlöthet. Keine Spur von Perito¬
nitis ; Netz normal über die Därme herabhängend, deren Serosa glatt und glänzend
ist, und die nirgends verklebt sind. — Die Magenfistel befindet sich nur
8 cm. vom Pylorus entfernt in der vordem Wand nahe der klei¬
nen Curvatur. Der Fundus enthält ’/a Liter bräunlicher, nach Wein riechen¬
der, mit Eierbröckelchen vermischter Flüssigkeit; das Duodenum galligen Schleim;
Jejunum und Ileum dünnschleimige, gelbliche Flüssigkeit, der Dickdarm kleine,
harte Scybala.
Einige Bemerkungen möchte ich noch an obigen Fall anknüpfen.
Es ist auffallend genug, dass bisher die Gastrostomie so wenig bei Krebs des
Oesophagus gemacht worden ist. Wohl kann sie ja kein radicales, sondern blos
ein für kürzere oder längere Zeit lebenfristendes Mittel sein. Aber sind die andern
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üblichen chirurgischen Behandlungsmethoden mehr? Sind sic auch als Palliativa
besser ?
Wir kennen 3 solche Mittel, welche bisher ausser der Gastrostomie entweder
angewendet oder vorgeschlagen wurden: Dilatation mit Bougies, Oesopha¬
go tomie und Resection des Oesophagus.
Was die Bougierung betrifft, so ist sie so häufig schon gemacht worden, dass
über ihre Wirkung genügend kann geurtheilt werden. Ihr Nutzen ist ja in einzel¬
nen Fällen eclatant; doch wohl nur da, wo es sich um härtere , nicht ulcerirte
Neubildungen handelt. Um so fraglicher wird derselbe, wo wir es mit weichen,
zerreisslichen, oder auch mit hartem, ulcerirten und leicht blutenden Krebsen zu
thun haben; bei letztem besonders, wenn schon bedeutende Verengerung besteht
und die Sondirung mit etwas Gewalt geschehen muss. Ja in manchen Fällen
bringt die Sonde directe Gefahr, indem sie Perforationen gegen Trachea, Mediasti¬
num etc. bedingt. Ein solcher Fall findet sich uotirt im Jahresbericht der Chirurg.
Abtheilung Basel, 1875, S. 30 ; ein anderer, wo der Tod 2 Tage nach einer Son¬
denperforation eintrat, ist mir durch mündliche Mittheilung bekannt. Und wie
viele ähnliche Fälle mögen schon vorgekommen, aber liebreich mit dem Schleier
der Verschwiegenheit bedeckt worden sein! Aber selbst abgesehen von solchen
schlimmen Zufällen kann die Sonde Schaden bringen durch die fortwährende Rei¬
zung der Neubildungen, welche bekanntlich auf solche Insulte oft durch rapideres
Wachsthum zu reagiren pflegen.
Die Oesophagotomie ist in ihren traurigen Resultaten neuerdings von
Kappeier durch 2 Fälle (Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1877) in einer Weise illustrirt
worden, dass wohl jedem Chirurgen fernerhin die Lust vergehen wird, sie zu
wagen. Musste doch Kappeier bei einem Fall selbst nach geschehener Operation
der Canule den Weg durch die Krebsmasse bahnen, in die er gerieth.
Die Resection endlich (Billroth-Cierny) steht beim Menschen vorläufig
noch auf dem Papier und wird es so lange bleiben, bis einmal ein Patient sich
im allerersten Stadium des Leidens derselben unterziehen wird.
Angesichts solcher Erfahrungen hat es mich immer befremdet, dass die Ga¬
strostomie so stiefmütterlich behandelt wird; dass man sich so selten entschliesst,
den Krebs ungestört und ruhig zu lassen und fern vom Sitz desselben eine neue
Ernährungsöffnung zu schaffen. Die Erwägung aller Umstände hat mich zur Ope¬
ration bestimmt Freilich konnte ich ja dabei eine Conditio sine qua non nicht
erfüllen: früh operiren; denn mein Patient ging zu lange nicht auf die Opera¬
tion ein. — Uebrigens gilt diese Bedingung für die andern chirurgischen Eingriffe
nicht minder; und aller palliative Erfolg wird von der Erfüllung jener Bedingung
abhangen. — Die Gefahr der Operation an sich ist, besonders wenn man sie unter
antiseptischen Cautelen ausführt, wahrscheinlich nicht grösser, als z. B. bei der
Ovariotomie, deren Mortalität bekanntlich geringer ist, als diejenige grosser Am¬
putationen. — Früh zu operiren würde namentlich den grossen Vortheil bieten,
dass man den Kranken noch einige Zeit per os ernähren und so namentlich die
durch Einflössen von Nahrung durch den Magenmund unvermeidliche Beunruhigung
des letztem in den ersten Tagen nach der Operation umgehen könnte.
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Die Operation selber habe ich mir viel schwieriger vorgestellt, als sie wirklich
war. Das Auffinden des schon etwas contrahirten Magens machte wohl Schwie¬
rigkeit ; aber auch dies wird bei früher Operation, besonders wenn man den Kran¬
ken kurz vorher reichlich Flüssigkeit geniessen lässt und so den Magen füllt, er¬
leichtert werden.
Jedenfalls würde ich in jedem folgenden Fall von Krebsstrictur mich nicht zu
lange mit Bougieren aufhalten , sondern früh die Gastrostomie vorschlagen und
vornehmen und dabei nur den Fehler zu vermeiden suchen, den ich bei dieser
meiner ersten derartigen Operation begangen. Man hat sich mit der Eröffnung des
Magens möglichst weit vom Pförtner weg und gegen die kleine Curvatur zu hal¬
ten. Ich glaubte dieser Anforderung genügt zu haben, fand aber bei der Section
die Fistel nur 8 cm. vom Pylorus entfernt.
Der Tod trat bei meinem Patienten ein in Folge combinirter Einwirkung der
schon vorgeschrittenen Inanition und der Operation, offenbar aber mehr in Folge
der erstem; denn weder Sepsis noch Peritonitis bedingten den letalen Ausgang.
"V ereinsberichte.
XVI. Versammlung des ärztlichen Centralvereins in Olten.
Den 27. October 1877, Mittags 12 Uhr.
Präsident: Dr. Sonderegger, Schriftführer ad hoc: Dr. H. v. Wyss, Zürich.
Ein prachtvoller Herbsttag lockte auch dieses Jahr eine zahlreiche Schaar ge¬
treuer Jünger Aesculaps nach ihrem alten, gastlichen Anziehungspunct zur Pflege
der Wissenschaft, gemeinsamer Stärkung für die Mühen des Berufs und Pflege
freundschaftlichen Gedankenaustausches.
Die Zahl der eingeschriebenen Theilnehmer betrug 95. Sie vertheilen sich wie
folgt: Aargau 22, Bern 21, Luzern 12, Baselstadt 11, Zürich 9, Solothurn 6, St.
Gallen, Unterwalden und Neuenburg je 3, Baselland 2, Thurgau und Appen¬
zell je 1.
Nach Eröffnung der Versammlung durch den Präsidenten wurde die Reihe der
angekündigten Vorträge begonnen durch
I. Prof. E. Rose von Zürich, über die Behandlung unheilbarer
Blasenscheidenfisteln. „M. H.! Trotz aller Fortschritte sind die Fälle
von unheilbaren Blasenscheidenfisteln nicht so selten. Es sind insbesondere die
Fälle, wo der Sphincter durch Ruptur, Gangrän, Syphilis, Diphtheritis gelitten oder
gar nicht gebildet ist. Eine Studie über die Behandlung dieser Fälle zeigt dies
nicht mehr neue, auch schon jüngst in München vorgewiesene Präparat, welches,
wenn Sie davon Kenntniss genommen, weiter zerschnitten werden soll. Die Krank¬
heitsgeschichte dieses Falles ist folgende:
Schon im Jahre 1869, kurze Zeit nachdem der Sphincter vesicce durch Diph¬
theritis zerstört war, hatte ich versucht, der Pat durch eine Art Urethroplastik
zu helfen- Der Zustand, in dem sie sich damals befand, war folgender: Durch
die Diphtheritis war der ganze obere Theil der Scheidewand zerstört, welche
Breslau und Billroth ihr mittelst der queren Obliteration der Scheide wegen einer
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Blasenscheidenfistel errichtet hatten, und somit fast die ganze untere Wand der
Harnröhre, so dass nur ein nutzloser Ring von der Breite eines halben Cm. vorn
an der Mündung von der obern Wand eine schmale Rinne erhalten war. Der Ein¬
gang war, von sonstigen Fistelchen abgesehen, einen Finger dick.
Ich hatte damals versucht, die Rinne seitwärts etwas abzulösen und zu ver¬
einigen, um einen feinen Catheter darin anzubringen. Daun hatte ich zum künfti¬
gen Schutz die Schleimhaut von dem Septum in einem Lappen abgelöst und frei
aufgeklappt und nun eine longitudinale Vereinigung vor der queren in starker
Tiefe hinzugefügt, welche dicke Wand, wenn die Harnröhrennähte durchgeschnit¬
ten , geheilt sein und in ganzer Tiefe die untere Wand der Harnröhre ersetzen
sollte.
Der Erfolg war, dass die Kranke bei ihrer Entlassung wenigstens im Liegen
den Harn halten konnte und auch behauptete, sie halte auch im Stehen den Urin
wohl eine Stunde; es war aber nicht sehr angenehm, dass, wenn man eine starko
Injection machte, sie nicht im Strahl herausschoss, sondern allmälig aus der Harn¬
röhre rieselte.
Was zeigte sich jetzt im Jahr 1872? Nicht die Narben der alten Verwüstun¬
gen im kleinen Becken, sondern die Längsobiiteration hatte nachgegeben. Wieder
konnte man einen Finger durch die Harnröhre stecken; die Person war zerfres¬
sen und heruntergekommen, denn nur im Liegen konnte sie 2 Stunden den Urin
halten.
Ich dachte nun daran, ob man nicht am Ende den Mastdarm als Blase be¬
nutzen könnte, und den After als Schliessmuskel.
Ich habe diese Operation der Obliteratio vulvae rectalis, wie man sie analog
wohl am besten nennen kann, am 19. December 1872 in einer Sitzung gemacht
und ist dieselbe prima intentione fast ohne Fieber geheilt, was ich zu einem gros¬
sen Theil dem Eifer meines damaligen Assistenten , des Herrn Dr. Eicher (jetzt
im Krankenhaus in Triest), verdanke. Ein paar unwesentliche Nahtfisteln heilte
ich noch später. Zunächst wollte ich sehen, ob die Kranke so leben könne. Das
zeigte sich in der That! Die Hauptschwierigkeit bestand die ersten Monate im
Offenhalten der Fistel und überhaupt in der hartnäckigen Obstipation.
Jedenfalls war die Kranke local vollständig und mit willkürlicher Continenz
geheilt, als sie 10 Monate nach der Operation starb. Etwa die letzten 14 Tage
stellten sich urämische Erscheinungen ein. Hängen dieselben von der Operation
ab? Wenn ich das für unwahrscheinlich halte, so berechtigt mich dazu die Anam¬
nese wie die Section.
Als die Kranke 1869 zum ersten Mal zu mir gebracht wurde, war sie schwer
betäubt, nichtsdestoweniger zuckte sie bei der leichtesten Berührung der Nieren¬
gegenden. Aus der queren Obliteration, welche rechts und links eine Fistel hatte,
drang Jauche. Im Harnraum war ein grosser Stein, welcher sich nicht bewegen
Hess Meine Diagnose war adhärenter Vesicovaginal-Stein um restirende Nähte,
welcher zur Blasendiphtheritis und Nierenabscedirung geführt hat. Die Kranke
sollte circa 19 Schüttelfröste gehabt haben.
Als die Kranke kam, wendete ich damals in leichter Narcose das schrauben-
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förmige Dilatatorium von Luer an, welches er für den Seitensteinschnitt, wie Sie
wissen, erfunden hat, um durch seine Hülse nach Entfernung des Führungskegels
einen Steinbrecher einzuführen, falls sich der Stein für die Extraction zu gross
zeigt, — dieses Dilatatorium führte ich sanft rotirend in die Harnröhre, soweit es
feicht ging, ein. Durch die Hülse ging ich dann mit dem Zeigefinger ein, um¬
kreiste ihn und kratzte ihn möglichst schonend mit dem Fingernagel von der hin¬
tern Wand der queren Obliteration ab. Dann zerbrach ich ihn mit dem Lithotrip¬
tor durch die Hülse und entfernte die Stücke nebst Jauche mit Hülfe eines con-
tinuirlichen Wasserstrahls. Bei der Gelegenheit kamen viele Fetzen von Geweben
heraus. Noch während der Arbeit wanderte der grösste, der eine halbe Hand
gross, einen halben Finger dick war, hinüber in die Anatomie und College Eberlh
fand in der That mit dem Microscop Blasenmusculatur darin.
Ich zeige Ihnen hier Steinstücke. Aus dem einen der zwei einen Zoll grossen
sehen Sie noch jetzt hier ein Stück einer halbeingewachsenen Seidennaht heraus¬
gucken, im Detritus fand sich daneben jene noch geknüpfto Metallnaht vor.
Ich war nach alledem natürlich froh, dass Patientin damals mit dem Leben
davonkam und sich ein halbes Jahr später nach einem Landaufenthalt für jene
ersterwähnte Urethroplastik vom Jahre 1869 hinlänglich erholt zu haben schien.
Allo ihre Narcosen blieben jedoch seitdem äusserst unangenehm, Anfangs furcht¬
bar schwatzhaft, später mit stetem Erbrechen verbunden und gefolgt, wie oft bei
Nierenleidenden. Magencatarrhe und Gelbsüchten wiederholten sich, ein etwas
wunderliches Wesen fiel auf. All’ das erinnerte uns stets an einen bleibenden De-
fect von Nierensubstanz. Das Resultat der Section war andererseits, dass, wie
Sie noch jetzt hier am Präparat sehen, der ganze Darmcanal, die Scheide und
Blase keine Spur von Belag oder Geschwürsbildung zeigt. Nicht einmal eine In-
jection fand sich vor, wohl aber eine schiefrige Färbung des Harnraums. Erstaun¬
lich ist das Fettpolster , das Sie hier bei der ehemals so abgemagerten Kranken
wieder finden. Die Nieren waren eher verkleinert, mit ausgekleideten Hohlcanä¬
len durchsetzt, welche neben Eiter auch einige erbsengrosse Steine enthielten, so
dass man nicht einmal mit Bestimmtheit den Nähten allein die Steinbildung zu¬
schreiben kann, um so weniger da in der Gegend von Schaffhausen sonst Steine
Vorkommen.
Daneben fanden sich käsige und kreidige Herde in den Lungenspitzen, Ecchy-
mosen auf der schiefrigen Magenschleimhaut, alte Verwachsungen der Brustfelle
und zwischen linkem Ovarium und Rectum, jedoch keine Spur einer frischen Pe¬
ritonitis, kurz, lauter Veränderungen, die mehr dem langen Leiden als der letzten
Operation zuzuschreiben waren. Acht Jahre datirt das Leiden zurück. Denn
schon im Jahre 1866 hatte die Kranke bei ihrer sechsten Entbindung die grosse
Blasenscheidenfistel davongetragen, deretwegen ihr Breslau und Billrolh ursprünglich
1866 die quere Obliteration der Scheide gemacht hatten “
Nachdem vom Vortragenden das bezügliche Präparat demonstrirt und der
Vortrag bestens verdankt worden, zeigt Prof. Quincke einen Apparat zur Hä¬
moglobinbestimmung. Derselbe besteht im Wesentlichen aus 20 gleich
weiten Capillarröhren mit Picrocarminlösung verschiedener Concentration, so dass
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eine fortlaufende Farbenscala entsteht. Mit dieser wird Blut (und liq. ammonii äs)
in einem Capillarröhrchen gleicher Weite verglichen. Man kann mit diesem Ap¬
parat bis auf Va% Hb. bestimmen und bedarf nur eines Tropfens Blut.
Auch diesem Vortrage folgte keine Discussion und es wird
III. zur Neuwahl des Ausschusses geschritten mit Listenscrutinium, wobei das
einfache Mehr der Stimmen entschied. Demnach sind gewählt: Sonderegger , Alb.
BurckhardU Steiger , Zehnder und Kummer (s. Corr.-Bl. S. 684).
(Fortsetzung folgt.)
Medicinische Gesellschaft in Basel.
1. Sitzung den 11. Januar 1877.
Präsidium: Prof. Wille ; Actuar: Dr. Bernhard Socin.
Anwesend 23 Mitglieder.
Vorlage des Jahresberichtes.
Prof. Immermann stellt 2 Fälle von progressiver Muskelatrophie vor:
2 Brüder aus Frick, von denen der jüngere hauptsächlich an beiderseitiger, rechts
stärkerer Atrophie des M. serratus ant. major und theilweiser des M. cucullaris
leidet, der ältere an beiderseitiger Atrophie des M. serratus und des M. cucullaris,
theilweiser Atrophie des rechten M. deltoideus und M. pectoralis major, fast voll¬
ständiger des M. biceps und M. triceps des 1. Oberarmes. Obschon zunächst an
eine peripherische Serratuslähmung in Folge Läsion des N. thoracicus lateralis
durch Tragen schwerer Säcke auf den Schultern gedacht werden muss , spricht
doch das Erkranktsein der 1. Seite, wo niemals Säcke getragen wurden, sowie das
Weitergreifen der Affection, dagegen. Die electr. Reaction, nämlich Erhaltensein
der Contractilität auf beide Stromesarten, ist ebenfalls nicht mit dieser Annahme
in Einklang. Es handelt sich vielmehr um progressive Muskelatrophie, wenn auch
nicht um die reguläre Form, welche mit Atrophie der Handmuskeln beginnt. Ref.
bespricht nun die beiden verschiedenen Ansichten über die Natur des Leidens,
nämlich die myopathische und die nouropathische Theorie. Letztere tritt, gestützt
auf anatom. Befunde im Rückenmark, in neuster Zeit wieder mehr in den Vorder¬
grund, und es ist in der That das Wahrscheinlichste, dass die progressive Muskel¬
atrophie zu den trophischen Neurosen gehört.
Bei der Discussion trägt B. Socin in anamnestischer Beziehung nach, dass in
der Familie, in welcher sich übrigens kein weiterer Anhaltspunct in Bezug auf
Heredität finde, noch ein vollständig gelähmter Bruder vorhanden sei.
Prof. Roth weist darauf hin, dass der Rückenmarksprocess, wie er bei.der pro¬
gressiven Muskelatrophie häufig gefunden wird, anatomisch demjenigen der spina¬
len Kinderlähmung nahe zu stehen scheint. Charcot aber irre, wenn er einen tro¬
phischen Einfluss der grossen Ganglienzellen der Vorderhörner annimmt; denn
diese seien oft nur secundär afficirt; bei der Kinderlähmung würden z. B. die
Ganglienzellen intact, die Vorderstränge dagegen erkrankt gefunden.
Fernerhin nehmen an der Discussion, bei der es sich namentlich um die Erb¬
lichkeit und um die myopathische Theorie handelt, Theil die Herren Prof. Wille,
Prof. Immermann , Bernh. Socin.
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706 ~
2. Sitzung den 1. Februar 1877.
Anwesend 18 Mitglieder und 1 Gast.
Vorlage der Jahresrechnung: Einnahme Fr. 321. 65, Ausgabe Fr. 283. 65;
Activsaldo Fr. 38. Im Lesezirkel Einnahme Fr. 1286. 35, Ausgabe Fr. 1122. 50.
Discussion über den Lesezirkel.
Dr. Ronus demonstrirt einen 49jährigen Mann mit exquisit ausgesprochener
Elephantiasis Arabum beider Hände, der Nase und der
Oberlippe. Die Verdickung der Hände besteht seit mehr als 20 Jahren und
lässt sich auf sehr häufig recidivirende Eczeme zurückführen. Der Ref. schliesst
daran einige kurze Bemerkungen über das Wesen der Elephantiasis Arabum im
Gegensatz zur eigentlichen Lepra, über das Vorkommen dieser Krankheit sowie
über die Therapie derselben. Letztere gipfelt sich in 2 Puncten: Unterbindung
der zum erkrankten Theil führenden Hauptarterie, Compression derselben.
Dr. Albert Burckhardl berichtet über das Resultat der Abstimmung
der schweizer Collegen über die Impffrage. (Vide Corr.-Blatt
Nr. 3 und 4 d. J.)
Bei der folgenden Discussion betont Rathsherr Müller , dass bei der grossen
Agitation gegen das Impfwesen und bei den vorhergegangenen unliebsamen Vor¬
fällen in Sachen der Militärrevaccination es vielen Aerzten opportun erschienen
habe, nicht auf dem Obligatorium zu beharren.
Dr. Schneider macht darauf aufmerksam, dass wohl noch manche Collegen, z. B.
auch in Basel, keine Gelegenheit hatten, sich genügende Erfahrungen über den
Erfolg der Impfung mit Farrenlymphe zu sammeln.
Dr. Lichtenhahn begreift den Standpunct des Staates gegenüber der Impffrage
sehr gut. Der Staat will sich durch obligatorische Impfung vor Blatternepidemien
und den damit verbundenen Kosten und Ungelegenheiten schützen.
Dr. Albert Burckhardl bezweifelt, dass der Staat das Recht habe, den Bürger
zur Impfung zu zwingen, und wünscht, dass über die Schutzkraft der Farrenlymphe
noch weitere Erfahrungen möchten gesammelt werden.
3. Sitzung den 15. Februar 1877.
Anwesend 24 Mitglieder und 1 Gast.
Dr. Wilhelm Bernovlli gibt Aufschluss über den Stand des Lesezirkels.
Prof. Roth zeigt vorerst ein Präparat von Aneurysma subclaviae
dextrae vor. Inhaber desselben klagte bei Lebzeiten über unvollkommene Läh¬
mung des rechten Arms; man fand die Geschwulst in Hühnereigrösse hinter der
Schilddrüse, dachte an Aneurysma, stellte aber die Diagnose auf Tumor. Es trat
Schwellung des Arms, schliesslich Gangrän am Ellenbogen auf. Das Aneurysma
sitzt an der Subclavia dextra, ist kopfgross, und besteht eigentlich aus zweien,
wovon das eine in die Halsgegend, das andere in den Thoraxraum prominirt.
Derselbe demonstrirt ein Präparat von Invagination. Der behandelnde
Arzt fand bei einer 26jährigen Frau die Symptome des Darmverschlusses, in der
rechten Bauchgegend eine darmfermige Geschwulst; nach einigen blutigen Stuhl¬
gängen trat Besserung auf, in 14 Tagen erfolgte jedoch der Tod. Die Section
zeigte, dass sich der oberste Theil des Jejunum in einen untern schob, während
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der einfach liegende Theil des Jejunum nur 1' betrug. Im invaginirten Stück be¬
findet sich ein submucöses Fibromyom von Haselnussgrösse, welches, da es nach
oben liegt, nach Prof. Roth einen zufälligen Befund bildet.
Derselbe weist noch vor eine Fibrocyste des Uterus, mannskopfgross,
am Fundus sitzend. Patientin zählte 44 Jahre und hatte seit 2 Jahren eine Ver-
grösserung des Unterleibs bemerkt. Man diagnosticirte mehrere Fibromyome,
welche nun auch neben der Cyste sich zeigen. Nach Aufheben eines Reisigbün¬
dels bekam Patientin peritonitische Erscheinungen, welche nach 3 Tagen den Tod
herbeiführten; dies geschah, wie die Section zeigte, durch Verdrehung der ganzen
Geschwulst: es war dies möglich wegen des langen Cervix uteri, der langen Bän¬
der und wegen Mangels an Adhärenzen. Diese Fibrocysten entstehen in der mus-
culären Substanz, es sind regressive Metamorphosen der Uterusmyome; sie neigen
sehr zu Blutungen, wie denn auch hier der Inhalt bluthaltig war.
Derselbe bespricht das Vorkommen der Bandwürmer in Basel,
nachdem er eine Uebersicht der Charakteristica der 3 am häufigsten vorkommen¬
den Arten gegeben, puncto Kopf und dessen Haftorganen, puncto Glied und Ge¬
schlechtsorgan und puncto Verbreitungsweise. Auf eine vor 2 Jahren in der med.
Gesellschaft erlassene Aufforderung hin haben die basier Aerzte 14 Bandwürmer
zugesandt, wovon 6 mit dem Kopf; überdies stammen aus dem Spitale 4 Finnen
und 4 Bandwürmer aus Sectionen. Von den 14 Privatexemplaren betreffen 12
Taenia mediocanellata, 1 Taenia solium (vielleicht von auswärts importirt), 1 ist
unsicher. Unter den 4 Spitalfällen befinden sich 2 Botriocephalus latus, wahr¬
scheinlich eingeschleppt von auswärts , und 2 Taenia mediocanellata. Die Finnen
gehörten der Taenia solium an und sassen im Gehirn, Pia und Dura mater: dreimal
ganz vereinzelt, einmal in grosser Zahl.
Dr. Uchtenhahn hat diese Woche eine Taenia solium abgetrieben mit Kopf; sie
stammt wohl von auswärts (Zürich).
Schlachthausverwalter Sigmund fand 1876 14 Schweine mit Finnen, alle fran¬
zösischen oder ungarischen Ursprungs mit Ausnahme Eines Falles (von WaldshutJ.
Auch die 1877er bis jetzt stammen von auswärts. Taenia mediocanellata-Finnen
fand derselbe hier noch nicht, wobei zu berücksichtigen ist, dass das geschlach¬
tete Vieh nur im Längsdurchschnitt gesehen und begutachtet wird. Ad Verbrei¬
tungsweise erwähnt er, dass man schon im Seeadler Botriocephalus-Eier gefun¬
den habe.
Prof. Miescher jun. meint, die geringe Ausbreitung des Cysticercus cellulosae
hänge einfach von der bessern Bereitungsweise des Schweinefleisches bei uns ab.
Warum dies bei Taenia mediocanellata nicht stattfindet, hänge wahrscheinlich von
den verschiedenen Lebensfähigkeiten bei verschiedenen Temperaturen ab.
Prof. Roth: in Deutschland wurde der Cysticercus der Taenia mediocanellata
noch nie ungezüchtet gefunden, während man ihn in Russland häufig antreffe. In
Indien seien 5% Rinder eigentlich damit gepfropft, namentlich im Psoas und Glu-
taeus. Sie überschreiten selten Hirsekorngrösse.
Physicus Dr. Lotz bespricht den Einfluss der Geburtsziffer auf die Sterbe¬
ziffer auf Grund der Arbeiten von Schweig und knüpft daran eine Betrachtung der
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Sterbeziffern der 20 grössten schweizerischen Ortschaften im Jahre 1876. (Das
Wesentliche ist mitgetheilt im Corr.-Bl. pag. 227—231 dieses Jahres, in dem Re¬
ferat über die „Beiträge zur Medicinalstatistik“.)
An der Discussion betheiligen sich Dr. Fritz Müller und Dr. Albert Burckhardt;
die Resultate sollen nach letzterra dem eidg. statistischen Bureau von der Gesell¬
schaft aus mitgetheilt werden , in der Art, dass auf jedem Bulletin die Angaben
der Gestorbenen unter 1 Jahr, sowie eine Addition der 20 Städte verzeichnet ist.
4. Sitzung, den 1. März 1877.
Anwesend 22 Mitglieder und 1 Gast.
Prof. Wille spricht über primäre Verrücktheit. Man versteht darunter
einen psychopathischen Zustand, der selbst unter den Specialisten bis vor Kurzem
unklar war: eine Störung der Intelligenz, wobei die Kranken über ihr persönliches
Verhältniss zur Umgebung mit sich im Widerspruche stehen, und welcher keine
gemüthliche Störung vorhergeht. Die Symptome sind Wahnvorstellungen, entweder
Verfolgungs- oder Grössenwahn. Sie machen sich oft ganz plötzlich geltend, zu¬
weilen nach sog. Innervationsstadien mit Hyperästhesie etc.; sie verschwinden und
erscheinen wieder, bis sie stabil werden. Daneben Hallucinationen und Illusionen,
welche jedoch nicht immer, doch meistens vorhanden sind. Gewöhnlich tritt zuerst
Verfolgungswahn, seltener Grössenwahn auf; beide können sich auch mischen. Die
eigentliche Intelligenz kann dabei ganz intact bleiben, auch der Wechsel der Stim¬
mung fehlt zuweilen (daher früher als partielle Störung aufgefasst).
Die acuten Formen verlaufen während Wochen oder Monaten, gehen auch in
andere Stadien über, indessen verlauft die Krankheit gewöhnlich chronisch. Die
acuten Formen sind gewöhnlich mit allgemeiner hochgradiger Erregung verbunden,
welche durch den Conflict des Individuums mit der Aussenwelt entsteht. — Die
chronischen Formen entstehen in folgender Weise: Das Organ der Selbstempfin¬
dung , das Sensorium commune , ist in seiner Thätigkeit gesteigert, und das be¬
wirkt, dass alle Vorstellungen von besonderer Art von Gefühlszuständen begleitet
sind, welche auf das Selbstbewusstsein zurückwirken. Alles wird deshalb als auf¬
fallend und ungewöhnlich angesehen, und wenn der Kranke die Ursache hiervon
erforschen will, strengt er sieh an und steigert dadurch nur den central-pathologi¬
schen Vorgang; er verlegt natürlich die Ursache nach aussen, was durch die Fre¬
quenz des Vorganges, durch die Aufregung u. s. w. dazu beiträgt, dass der Kranke
sich unter der Einwirkung feindlicher äusserer Einflüsse wähnt. Rasch geht’s nun
bis zum Verfolgungswahn, und auf dem Boden der Contrastvorstellung kann sich
der Grössenwahn ausbilden, oder auch auf dem Wege des Raisonnements. Zum
stationären Dasein verhelfen noch die Hallucinationen.
Sehr verschieden gestaltet sich das Krankheitsbild pathogenetisch und ätiolo¬
gisch. Erblichkeit, Alcoholismus, Hysterie, Hypochondrie, Epilepsie bilden gestal¬
tende Momente. Eine besondere Form ist die abortive, welche sich nicht voll
ousbildet und deshalb auch nur im öffentlichen Leben ablauft. Solche Kranke
zweifeln zuerst an allem Möglichen, namentlich aber an ihrem eigenen Handeln.
Dies Zweifeln tritt plötzlich auf und ist eine wahre Zwangsvorstellung. Andere
finden immer etwas nicht in Ordnung. Solche Zustände dauern oft Jahre lang,
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bis Steigerung in Intensität und Frequenz Auftritt und nun gerne Wahnvorstellun¬
gen sich hinzugesellen. Nun fühlen sich die Patienten wirklich krank, aber die
Krankheit bleibt jetzt stationär und wird deshalb abortive Verrücktheit genannt.
Bei der Therapie ist es von vornherein wichtig, dass der Kranke den Eindruck
bekommt, der Arzt sei mit der Art und Weise seines Leidens genau bekannt. Die
Prognose ist schlecht quoad valetudinem completam; dagegen können Besserungen
eintreten. Trost und guter Zuspruch sind eine Hauptsache ; die Kranken sollen
ihren Lebensberuf mit strenger Consequenz durchführen. Im Uebrigen finden sich
höchstens symptomatische Indicationen.
In Rücksichtnahme auf die Voten der schweizer Aerzte über den Werth
der Impfung berichtet Dr. de Welte seine Erfahrungen über Farrenlymphe.
Was erstens die Haftbarkeit anbelangt, an der oft gezweifelt wird, so sind eben
die ersten Impfungen ab dem Glase überhaupt oft fehlschlagend, sei’s Kinder-,
sei’s Farrenlymphe. Die directen Uebertragungen dagegen im Schlachthaus ge¬
lingen so sicher wie die von Kind zu Kind; von 498 Impfungen mit Farrenlymphe
schlugen blos 4 fehl. Die Lymphe hält sich besser zwischen Glasplatten als in
Röhrchen. In Zukunft soll der zur Versendung kommende Stoff eingetrocknet
werden. Ueber die Wirksamkeit nach kürzerer oder längerer Aufbewahrung des
Stoffes sollen weitere Versuche gemacht werdeü. Hiesige Collegen impfen jetzt
fast nur noch im Schlachthaus; sie hätten alle Erfolg mit diesem Stoffe. Zweitens
die Schutzkraft: andere Institute sollen sie beurtheilen, wo die Thierimpfung schon
sehr lange eingeführt sei, was eben hier noch nicht zutreffe. — Bei der Revac-
cination der Milizen habe er früher 36%, jetzt 56% Erfolge erzielt.
Dr. Courvomcr unternimmt seine Physicatsimpfungen nur noch mit Farren¬
lymphe. Mit solcher aus Röhrchen bekam er Anfangs oft schlechte oder keine
Haftung, keine oder geringe Pusteln, mit solchen ab Plättchen wurden später noch
schlechtere Resultate erzielt. Vergleichende Versuche an beiden Armen desselben
Kindes ergaben, dass der irischere Stoff besser haftete, selbst wenn es sich nur
um wenige Tage handelte.
Schlachthausverwalter Sigmund will diese Misserfolge zum Theil damit erklä¬
ren , dass die Sorglosigkeit beim Betreiben des Impfgeschäftes oft zu gross sei;
er hat dies durch seine Impfungen und ihre Resultate am Farrenscrotum erfahren.
Die schwere Haftbarkeit der aufbewahrten Lymphe beruhe wohl auf dem chemi¬
schen Verhalten derselben, da die Farrenlymphe viel gelatinöser sei. Mit destillir-
tem Wasser verrieben, halte sie gar nicht lange, weil die leicht zersetzende Luft
mit verrieben werde. Beim Verreiben mit Glycerin kommt das hygroscopische
Verhalten des letztem in Betracht, welche oft störend einwirke; oft werde zu
wenig, oft zu viel Glycerin beigegeben. Er habe jetzt schöne Resultate mit trocke¬
ner Lymphe erhalten ; das Trocknen müsse auf isolirten Plättchen geschehen, welche
erst später zusammengelegt werden dürfen, und beim Aufweichen müsse man sehr
sorgfältig zu Werke gehen. Das Trocknen der Lymphe geschah auf Chlorcal¬
cium ; in Zukunft wolle er es unter der Luftpumpe versuchen. Es sei eben das
Entscheidende beim Erfolge nicht die Farrenlymphe, sondern unsere Behandlung
derselben.
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Dr. Albert Burckhardl: Ueber Haftbarkeit und Schutzkraft der Farrenlyrapbe
müsse man sicherer sein, wenn man sie allgemein einführen wolle. Die alten frem¬
den Anstalten seien zum Theil wieder eingegangen, so dass die Schutzkraftcontrole
schwer fallen würde. Für das Eingehen der Anstalten wisse er keinen Grund.
Mit seiner Farrenimpfanstalt habe nun Basel wieder andern Städten als Vorbild
gedient. Er empfehle auch sehr die in Böhmen geübte Methode, wo über Her¬
kunft etc. der Lymphe genau Protocoll geführt werde, wonach also späterhin durch
Controle viel besser ein Resultat erzielt werden könne.
Prof. Hagenbach hält die Impfung mit Farrenlymphe geradewegs für eine Mode¬
sache. Man solle nur fortfahren Versuche zu machen, aber doch den eigentlichen
Nutzen nicht aus den Augen verlieren; mit der hiesigen Farrenlymphe aber habe
man viel Misstrauen erregt.
Dr. Courvoisier , Dr. Wilhelm Bernoulli und Sigmund betheiligen sich am Fortgang
der Discussion.
Referate und Kritiken.
Claude Bemard’s Vorlesungen Uber thierische Wärme, die Wirkungen der Wärme und
das Fieber.
Uebersetzt von Dr. A. Schuster , kgl. bayr. Assistenzarzt in München. Verlag von F. C.
W. Vogel in Leipzig.
Der bekannte Autor beginnt seine Vorlesungen mit einigen einleitenden Bemerkungen
über die Grundlagen exacter physiologischer Forschung, und frägt sodann nach den Ur¬
sachen der thierischen Wärme. Er theüt die Thiere in zwei Glassen, in solche mit con-
stanter und in solche mit variabler Eigentemperatur. In einem kurzen historischen Ab¬
riss nennt er Lavoisier , Priestley und Crawford als Begründer der chemischen Theorie der
thierischen Wärme, da sie zuerst auf die Verbrennung von Kohlenstoff und Wasserstoff
durch den mit der Respiration aufgenommenen Sauerstoff aufmerksam gemacht haben.
CI. Bernard anerkennt im Princip, dass die thierische Wärme uothwendig aus chemischen
Processen im Thierkörper entsteht, hält es aber nicht für bewiesen, dass ihr ein Vorgang
directer Verbrennung zu Grunde liege; wiewohl Dulong und Despretz eine vollständige
quantitative Uebereinstimmung zwischen der durch Verbrennung von Kohlenstoff und
Wasserstoff gebildeten Wärmemenge gefunden haben, sehen Andere in dieser Ueberein¬
stimmung nur eine zufällige Coincidenz der Resultate. Die Veränderungen in den Aggre¬
gatzuständen der Körper, die Experimente, dass Durchschneidung des Bympathicus ver¬
mehrte Wärmebüdung und locale Wärmezunahme unter gleichzeitiger Verminderung der
chemischen Umsetzungen im Blut der Umgebung zur Folge hat, dass Reizung der chorda
tympani die Secretion der Submaxillardrüse beschleunigt, ihre Temperatur erhöht, während
nur minimale Mengen Kohlensäure in den Venen der Drüse auftreten, weisen darauf hin,
dass die Grösse der Körperwärme nicht unmittelbar von den Verbrennungsprocessen ab¬
hängig ist, und die Theorie der directen Verbrennung manches unerklärt lässt; — und
doch ist die letztere, allgemein aufgefasst, unbestreitbar wahr. — Der Ort, wo die Ver-
brennungsprocesse vor sich gehen, ist nicht, wie früher angenommen wurde, in den Lun¬
gen, sondern im ganzen Körper, in der Peripherie des Kreislaufes zu suchen; hiefür
würde besonders sprechen, wenn das venöse Blut im Allgemeinen wärmer als das arte¬
rielle gefunden würde : Die Untersuchungen über die Temperatur des Blutes der rechten
Herzhälfte im Vergleich zu derjenigen der linken ergaben bis jetzt noch nicht überein¬
stimmende Ergebnisse. CI. Bernard neigt zu der Ansicht, dass das Blut der rechten Herz¬
hälfte wärmer sei, als das der linken, und schildert seine bezüglichen Versuche in ein¬
gehender Weise. Als Beruhigungsmittel der Versuchsthiere darf nur Curare, allenfalls
noch Chloroform angewendet werden. Führte er die sondenförmigen Enden des thermo-
electrischen Apparates bei einem curarisirten Hund durch Jugularis und Carotis in dio
entsprechenden Ventrikel des Herzens ein, so fand eine Ablenkung der Nadel des Gal¬
vanometers statt, so dass sich eine Differenz von 0,1—0,2° zu Gunsten des Blutes im
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rechten Ventrikel ergab. Das arterielle Blut, welches sich zwar im Ganzen überall fast
gleich verhält, zeigt mit der Entfernung vom Herzen nach der Peripherie eine thermo-
electrisch nachweisbar verminderte Temperatur. Dass das Blut der subcutanen Venen be¬
deutend kälter sein kann, als das der benachbarten Arterien, erklärt sich hinreichend durch
die Abkühlung in Folge der oberflächlichen Lage und der verlangsamten Circulation in
weiten Gefässen. Gegen das Centrum hin übertrifft allmälig das venöse Blut das arte¬
rielle an Wärme. Kleine Temperaturschwaukungen finden in letzterem selbst in Folge
der Respiration statt, welche die Circulation in den Venen beeinflusst, und zwar so, dass
in der Cava superior das Maximum unmittelbar vor, das Minimum nach der Inspiration
beobachtet wird. Die Abkühlung an der Peripherie des Körpers ist aber nur theilweise
ein physicalischer Vorgang, denn die vasomotorischen Nerven üben auf dieselbe einen
bedeutenden Einfluss aus.
Durchsohneidet man z. B. den Theil des Sympathicus, der die Gefässe des einen
Ohres bei einem Kaninchen iuneivirt, so sinkt in kalter Umgebung die Temperatur des
gesunden Ohres tiefer, als die des andern, weil in dem letztem Contraction der Gefäss-
capillaren sich einstellt, und dadurch eine bestimmte Quantität Blut nach innen verdrängt
wird. Die chemischen Vorgänge im Blut selbst sind unmöglich im Stande, die Wärme¬
mengen zu liefern , welche den Körper in seiner constanten Wärme zu erhalten vermö-
geu; die hauptsächlichsten Verbrennungsvorgänge finden in den Geweben desselben statt.
Die Muskeln, welche einen grossen Theil der gesammten Körpermasse auBmachen, erzeu¬
gen schon allein durch ihre Contraction, bei gänzlich aufgehobener Circulation, Wärme,
und auch das Blut des Muskels ist während seiner Thätigkeit bedeutenden Veränderungen
unterworfen. Das venöse Blut ist beim ruhenden Muskel bedeutend, beim Muskel im
Contractionszostande ganz intensiv dunkel gefärbt, während die Respiration des gelähm¬
ten Muskels beinahe gleich null ist, und das venöse Blut hellroth, ähnlich dem arteriellen,
austritt. Auch ist die Gesammtmenge des aus dem contrahirteu MuBkel ausfliessenden
Blutes viel grösser, als die während dem Zustand der Ruhe austretende, und seine Tem¬
peratur erhöht. Die Wärmeproduction der glatten Musculatur ist minimal im Vergleich
zu derjenigen der quer gestreiften; bedeutender ist diejenige der peripheren Nerven und
der Centralorgane während ihrer Thätigkeit. Das venöse Blut der Drüsen ist während
der Secretion derselben, da der secretorische Nerv Gefässdilatation erzeugt, hellroth und
wärmer als dus eintretende arterielle Blut, auch die Temperatur der Drüse selbst ist
erhöht.
Da mit der verminderten Verbrennung in der Drüse während der Secretion eine
Temperatursteigerung einhergeht, sei es nicht möglich aus der Verbrennung allein auf die
Wärmeproduction zu schliesseu; ausserdem gibt es neben der Oxydation noch andere
chemische Processe, bei welchen Wärme frei wird, so kanu z. B. die Wärmeproduction
des von der Circulation ausgeschlossenen Muskels nicht einfach durch Verlust an Kohlen¬
stoff und Aufnahme von Sauerstoff ausgedrückt werden.
Die Functionen aller Organe gehen mit Wärmeproduction einher, und für die letztere
ist die Lebhaftigkeit der Circulation maassgebend; überall im Körper, wenn auch in ver¬
schiedener Intensität, wird Wärme gebildet. Bei der durch mangelhafte Luftzufuhr ent¬
standenen Asphyxie kömmt eine vorübergehende Erhöhung der Temperatur in Folge der
Muskelthätigkeit während der Convulsionen zu Stande; bei der Asphyxie durch Kohlen¬
oxydgas ein 8inken der Temperatur, indem der normale Verbrennungsprocess durch Ver¬
drängung des an das Hämoglobin gebundenen Sauerstoffs gehindert ist.
Durchschneidet man den Grenzstrang des Sympathicus eines Kaninchens in der Mitte
des Halses, so entsteht rasch eine Zunahme der Wärme an der entsprechenden Seite des
Kopfes. Da derselbe aus motorischen zur Gefässmusculatur gehenden Fasern besteht, so
bewirkt seine Durchschneidung durch Lähmung der letztem Erweiterung des zugehörigen
Stromgebietes, und damit vermehrte Wärmezufuhr; die Function des 8ympathicus ist so¬
mit die einer AbkühlungsVorrichtung. Die Circulation ist demnach nicht einzig von der
Hereaction, sondern vom Widerstand der Gefässe abhängig. Es existiren auch gefdss-
erweiterade Nervenbahnen, was aus dem Verhalten der Submaxillardrüse bei Reizung der
chorda tympani hervorgeht; auch für die andern Körpertheile ist ein ähnlicher, vom ce¬
rebrospinalen Nervensystem herstammender Einfluss anzunehmen. Diese Gefässerweiterung
kann aber nicht durch besondere Faserzüge der Musculatur eingeleitet werden, sie findet
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somit statt durch eine Art nervöser Interferenz, indem die Thätigkeit der vasomotorischen
Centren aufgehoben wird. Die Circulationsverhältniese der einzelnen Organe werden durch
Verengerung oder Erweiterung im Caliber der Gefäsee regulirt, welche, je nachdem ge¬
gebenen Einfluss auf die peripheren vasomotorischen Centren , durch die von diesen zu
den Gefäs8en führenden feinen Nervenästchen ausgelöst werden. Die Druckveränderun¬
gen lassen sich leicht mit dem Kymographiou bestimmen. Bei Durchschneidung des Hals-
sympathicus ergibt das Differentialmanometer im Bereich der erweiterten Gefässe ein be¬
deutendes Steigen des Blutdrucks, während electrische Reizung des peripheren Endes eine
ebenso bedeutende Druckverminderung hervorruft. Dabei ist keine Veränderung in der
Herzthätigkeit nachweisbar, so dass die Wirkung eine locale ist. Auch in einem und
demselben Gefässbezirk finden fortwährende Schwankungen des Contractionszustandes
statt; diese sind während des Fiebers aufgehoben, da in domseiben entweder die geläss-
verengernden Nerven gelähmt, oder die gefässerweiternden in gesteigerter Thätigkeit be¬
griffen sind.
Die Innervationsverhältnisse der Venen sind denen der Arterien vollständig analog.
Sensible Reize an ganz entfernten Körperstellen bewirken Circulationsveränderungen,
welche aber in diesem Fall der reflectorisch verstärkten Herzaction zuzuschreiben sind.
Die örtliche Wärmezunahme nach Lähmung des Sympathicus erklärt sich nicht allein
durch die beschleunigte Circulation , es muss noch eine locale Vermehrung der Wärme-
production angenommen werden.
Die n. splanchnici sind gefässverengernde Nerven; da sie in der Medulla oblongata
entspringen, und erst im Brusttheil des Rückenmarks austreten, so bewirkt Durchschnei¬
dung des letztem in der Höhe des Atlas Lähmung derselben; es tritt Sinken des Blut¬
drucks und Verlangsamung der Herzbewegung ein, letzteres in Folge der Splanchnicus-
lähmung, indem der Effect derselbe ist, ob sämmtliche das Herz mit dem Rückenmark
verbindende Nerven durchschnitten oder erhalten sind; die Gefässerweiterung der Ein¬
geweide des Abdomens bewirkt eine Blutüberfüllung derselben und damit ein Sinken des
Drucks im arteriellen Gefässrohr, welcher indessen durch electrische Reizung des peri¬
pheren Theils des durchschnittenen Rückenmarks, resp. der n. splanchnici, wieder gestei¬
gert werden kann. Erweiterung der Capillaren in den Eingewciden bewirkt der nervus
depressuB, welcher sensibel ist, und wenn er im Herzen gereizt wird, reflectorisch auf
das vasomotorische Centrum im verlängerten Mark wirkt, wodurch Erweiterung, sowohl
der peripheren Capillaren, als derjenigen der Eingeweide herbeigeführt wird. Er lähmt
somit reflectorisch den Sympathicus, während z. B. die chorda tympani nur auf die Pe¬
ripherie wirkt. Das Herz selbst ist von verschiedenen Nerven abhängig, von denen die
einen beschleunigende, die andern Hemmungsnerven sind.
Es ist nicht nöthig, ein causales Verhältniss zwischen den localen Veränderungen in
der Circulation und der Wärmeproduction anzunehmen. Die Wärmeproduction findet
nicht im Blut, sondern in den Geweben statt, während deren Function allerdings von der
Ernährung durch das Blut abhängig ist Die locale Circulation dient somit der Wärme¬
production, während die allgemeine Circulation Vertheilung der producirten W’ärme und
Ausgleichung vorhandener Temperaturdifferenzen zu Stande bringt. Aber es ist nicht un¬
möglich, dass die Sympathicusdurchschneidung primär eine locale Temperaturzunahme be¬
wirkt, so dass die Gefässerweiterung erst in Folge dieser auftritt, indem letztere nicht
der einzige Grund der Temperaturzunahme sein kann. Lähmung des Sympathicus ruft
somit eine Vermehrung des localen Stoffumsatzes hervor, und dieser erzeugt dio grossen
Wärmemengen, während Reizung desselben den umgekehrten Effect hat CI. Bemard sieht
daher in der Wirkung des Sympathicus eine Hemmungswirkung auf diejenigen chemi¬
schen Processe , welche die Ernährung der Gewebe, resp. die Production von Wärme
vermitteln.
Die Thätigkeit des Sympathicus wird auf reflectorischem Weg eingeleitet, so wird
z. B. durch ReizuDg eines sensibeln Nerven, welche Schmerz hervorbringt, die Herab¬
setzung der Temperatur und der Kohlensäureausscheidung nur bei unverletztem Sympa¬
thicus beobachtet. Der Sitz des Reflexes ist somit im cerebrospinalen Nervensystem zu
suchen. Die vegetativen Vorgänge stehen unter dem Einfluss sensibler Nerven. Sind
gewisse sensible Nerven gelähmt, so verschwindet auch der Tonus der entsprechenden
Sphincteren, welcher dieselben im Zustande andauernder Contraction erhielt, Harn, Darm-
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inhalt treten au6. Die Thätigkeit oller Organe ist von der Sensibilität abhängig. Ob die
Reflexe olle bis zu cerebrospinalen Centren ansteigen, um von dort auf die Peripherie
reflectirt zu werden, ist zweifelhaft; es ist sogar in hohem Grade wahrscheinlich, dass
auch in den peripheren Centren Reflexe stattfinden.
Obschon sich die Warmblüter in wärmern und kältere Medien, als ihrer eigenen
Temperatur entspricht, aufhalten können, ist ihre Resistenz gegenüber erhöhter Umge¬
bungstemperatur eine sehr geringe; eine Zunahme der Eigenwärme von 4—5° absolut
tödtlich. Da das Thier selbst Wärme producirt und in Folge der Circulation nicht im
Stande ist, sein inneres Medium gegen die erhöhte Wärme des äussere Mediums zu
schützen, steigt seine Eigenwärme viel rascher, als unter gleichen Verhältnissen die Tem¬
peratur eines todten Thieres durch W’ärmeleitung von auBsen nach innen zunimmt. Auf
die organische Musculatur, im Gegensatz zur animalen, wirkt die Wärme als Reiz; ist
sie zu bedeutend, so wirkt sie auf dieselbe tödtlich; in ähnlicher Weise verhält sich das
Flimmerepithel.
Die rothen Blutkörperchen setzen unter dem Einfluss der Wärme den Sauerstoff viel
rascher in Kohlensäure um; das Blut wird sehr schnell venös; sie sind aber, wenn das
Thier den Folgen allzu hoher Eigenwärme erlegen ist, nicht abgestorben ; zur Vernichtung
ihrer vitalen Eigenschaften ist eine viel höhere Temperatur nothweudig. Auch die moto¬
rischen und sensibeln Nerven widerstehen der Wärme viel länger als die animalen Mus¬
keln. Auf letztere wirkt erhöhte Wärme im Allgemeinen lähmend, eine Temperatur von
43—44° tödtlich ein, so dass bei Temperatursteigerungen bis zu diesem Werthe der
Körper durch Zerstörung der Lebensthätigkeit dieser Muskeln abstirbt. Aehnlich der
Wärme wirken Kalium , Antiar, Digitalis etc. auf die Musculatur ein. Die vom Muskel
producirte Wärme ist weit grösser, als zur Erhaltung der Integrität desselben nothwen-
dig wäre, sie ermöglicht noch Arbeitsleistungen. Der nach den Gesetzen der Aequiva-
lcnz von Wärme und Arbeit durch letztere verschwindende Theil von Wärme ist klein
im Vergleich zur ganzen producirten Wärmemenge des Muskels.
Die Veränderungen in der Wärraeproduction und der Temperatur des Körpers sind
die hauptsächlichsten und wichtigsten Symptome des Fiebers. Die Traube’Bche Annahme,
dass das Fieber allein durch Verhinderung der Wärmeabgabe entstehe, ist zu exclusiv.
Calorimetrische Bestimmungen ergaben, dass im Fieber zwar die Wärmeabgabe bis zum
Doppelten der normalen betragen kann; dagegen ist die Ausscheidung von Kohlensäure,
sowohl durch die Athmung, als durch den Urin ausserordentlich vermehrt; auch ergaben
die Harnstoffbestimmungen einen vermehrten Zerfall der Ei weisskörper während des Fie¬
bers; der Körper selbst endlich nimmt bedeutend an Gewicht ab. Es ist unmöglich, dass
beim entzündlichen Fieber die allgemeine Temperaturzunahme durch die locale des Ent¬
zündungsherdes entstehen kann.
Dass bei allzu hoher Körperwärme die Muskelsubstanz functionsunfähig wird, lässt
sich auch microscopisch constatiren. Die Folgen des sogenannten Hitzschlages sind auf
analoge Verhältnisse zurückzuführen. — Der Zustand des Fiebers bewirkt keine so plötz¬
lichen Zufälle, die andauernd erhöhte Temperatur ruft aber eine allgemeine Degeneration
fast aller Gewebe hervor; die wesentlichste Gefahr des Fiebers, die Erhöhung der
Wärme, wird daher mit grösstem Erfolg durch die Kältebehandlung, speciell durch die
Kaltwasserbehandlung, bekämpft. CI. Bemard hält dafür, dass die Verbrennung und De¬
generation der Gewebe vorzugsweise unter dem Einfluss des cerebrospinalen, der Wieder¬
aufbau und die Regeneration derselben unter demjenigen des sympathischen Nervensystems
stehen. Das Fieber beruht demnach nicht auf einer Lähmung der vasomotorischen, son¬
dern auf gesteigerter Thätigkeit der cerebrospinalen Nerven, es ist somit nichts anderes
als ein Znstand, in welchem die normalen Vorgänge, der physiologische Verbrennungs-
process, durch vermehrte Thätigkeit derjenigen Nerven, welche diese Vorgänge reguliren,
gesteigert sind. Die im Ueberschuss producirte Wärme, welche durch Aufhören der
Thätigkeit der gefässverengernden und durch vermehrte Thätigkeit der gefässerweiternden
Nerven zu Stande kömmt, ist für den Organismus eine Quelle der Gefahr, welcher die
Therapie entgegenzutreten hat.
Die zum Theil eigenartigen Anschauungen des Verfassers, welche in dem vorliegen¬
den Werk vertreten werden, sind mit grosser Schärfe durchgeführt, die ganze Darstel¬
lung ist anziehend, ausserordentlich leicht verständlich und von seltener Klarheit; auch
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die Uebersetzung ist als eine sehr gelungene zu bezeichnen, und wird nicht wenig dazu
beitragen, dieselben auch bei deutschen Lesern mehr zur Geltung zu bringen. B.
Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie des Nervensystems.
Herausgegeben von H. von Ziemssen. Zwölfter Band. Krankheiten des Nervensystems II.
Zweite Hälfte. Leipzig, F. C. W. Vogel, 1875. 600 pag.
Der vorliegende Band des Ziemssen 1 sehen Sammelwerkes enthält die vasoraotorisch-
trophischen Neurosen, dio Epilepsie und Eclampsie, den Tetanus, die Katalepsie, Tremor
und Paralysis agitans, die Chorea und endlich die Hysterie, bearbeitet von A. Eulenburg ,
H. Nothnagel , J. Bauer , H. v. Ziemssen und F. Jolly.
Unter den vasomotorisch-trophischen Neurosen (A. Eulenburg ) werden die Hemicranie,
die Angina pectoris, die Hemiatrophia facialis progressiva, die Basedow' sehe Krankheit,
die progressive Muskelatrophie, endlich die wahre und falsche Muskelhypertrophie abge¬
handelt , der grösste Theil derjenigen Krankheitsformen , welche Eulenburg und Gullmann
gemeinschaftlich unter dem Titel „Pathologie des Sympathicus“ bearbeitet, und zuerst im
Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten, später als separate Monographie (Berlin
1873) herausgegeben haben.
Diese Aenderung deB Titels kündigt aber schon eine wesentliche Umwandlung der
pathologischen Ansichten an ; vasomotorisch-trophisch bedeutet etwas anderes als sym¬
pathische Erkrankung. Der Verfasser bricht somit dem Streite, ob sympathisch oder
nicht, von vorneherein die Spitze ab, er stellt die Discussion über die anatomische Grund¬
lage der in Frage stehenden Krankheiten auf einen andern Boden, gleichsam zwischen
die ältern Parteien hinein. Damit aber wächst das Interesse des behandelnden Arztes
wieder, jedem einzelnen Falle seine diagnostische Schärfe zuzukehren und wächst die
Möglichkeit, neue Handhaben für die Therapie zu gewinnen. So waren z. B. das Ver¬
ständnis und die Therapie der progressiven Muskelatrophie ins Stocken gerathen, als
der Pathologe nur zwischen positiven und negativen Befunden am Sympathicus oder den
vordem Spinalwurzeln wählen konnte. Seitdem aber durch Charcot, Clarke u. A. die Zel¬
len der Vorderhörner, und, im Gegensätze zu jenen Forschern, durch Friedreich die peri¬
pheren Muskel- und Nervenfasern als sedes morbi sind erklärt worden, gilt es in jedem
einzelnen Falle neu auszuschauen, und die Grundsätze der allgemeinen Therapie der vor¬
handenen Wahrscheinlichkeit anzupassen. Jedenfalls wird, wer im gegebenen Falle eine
Neuritis ascendens peripherica annimmt und anderweitige Läsionen des Nervensystems
aus8chlie8st, sich ebenso gut einer localen Therapie zu wenden , als wenn er die Krätze
nicht mehr für Psora, sondern für eine parasitäre Invasion hält.
Wie in diesem, so herrscht auch in den andern Capiteln das Bestreben, die Bande
einer beengenden Systematik zu lösen und dem ärztlichen Handeln weitern Spielraum zu
verschaffen. Das hat aber auch seine Kehrseite, und zwar darin, dass dem behandelnden
Arzte öfters die Wahl wehe thun könnte, was er vor sich hat So lange z. B. die Sym¬
ptome einer gangliösen und einer sympathischen Angina pectoris noch nicht zu differen-
ziren sind, hat es wohl kaum mehr als theoretisches Interesse, diese Formen neben einer
vagischen und vasomotorischen aufzustellen.
Der Verf. des Capitels Eclampsie trennt noch radicaler durch. Er lässt nur das als
Eclampsie gelten, was nachweislich von sensiblen Nerven aus angeregt wird, und nicht
auf constitutioneller Basis ruht, nämlich die Kindereclampsie und vereinzelte Vorkomm¬
nisse bei Erwachsenen. Die E. ureemica, die E. gravidarum et parturientium streicht
Verf. fast gänzlich.
Dem Ref. schiene es richtiger, den Begriff der Eclampsie als acute Epilepsie wenig¬
stens so lange stehen zu lassen, bis die Vorgänge der habituellen Epilepsie selbst noch
genauer bekannt sind.
Auch im Tetanus verzichtet Verf. (Bauer) auf die übliche ätiologische Eintheilung,
und v. Ziemssen streicht die Chorea magna geradezu als besondere Krankheitsform. Er
erklärt sie für Theilerscheinung von Psychosen, von Cerebralleiden, von Hysterie oder
als bewusste Simulation, wofür er mehrere eigene Beobachtungen anführt. Allerdings ist
das Symptomenbild der Chorea magna ein proteusartiges, und wegen seines seltenen Vor¬
kommens erst noch schwer zu flxiren. Aber zugegeben, die Ch. m. sei stets der Aus¬
fluss eines Cerebralleidens, so ist damit ihre Existenz nicht bedroht, insofern nur die or-
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ganische Läsion eine constante ist und mit den Symptomen in einem causalen Zusammen¬
hänge steht.
Die andern Capitel theilen den Stoff in bisher üblicher Weise ein. Neu ist die
Athetosis, eine Krampfform, von der Eulenburg vermuthet, sie möchte in Herderkrankungen
der Rinde wurzeln.
Dass die pathologische Anatomie der vorliegenden Neurosen ihrer weitern Aus¬
bildung erst noch harrt, ist eine bekannte Thatsache.
Dagegen haben zahlreiche Experimental Untersuchungen ein Material geliefert, das nun
von den Autoren mit maassvoller und objectiver Kritik gesichtet und für die Theorie
ganzer Complexe wie einzelner Symptome verwerthet erscheint Doch wird auch nicht
unterlassen , den Leser auf die Lücken und loci minoriB resistenti» unserer Kenntnisse
aufmerksam zu machen. So erklärt z. B. Nothnagel ganz unumwunden, dass trotz den
bahnbrechenden Arbeiten von Kussmaul und Tenner einer- und von Bruwn-Sequard, Goltz und
Westphal andererseits der tiefere Grund des epileptischen Insultes noch unbekannt sei.
Unserer modernen Richtung entsprechend werden die ätiologischen Verhält¬
nisse /jeweilen eingehend gewürdigt. Dass häufig mit erblicher Disposition und allge¬
meiner Diathese argumentirt wird, ohne dass diese Bezeichnungen eingehender erklärt
werden, wird Niemand wundern. Man weiss davon eben noch sehr wenig. Auffallender
ist es, dass in scheinbar einfachen Fragen der Thatbestand noch gar nicht feststeht, so
z. B. das Verhältniss der Chorea zur Polyarthritis rheumatica , und das der Hysterie zu
den organischen Geschlechtskrankheiten.
Zum Theil rührt dies daher, dass hysterisch und geschlechtskrank durchaus nicht
scharf begrenzte Gebiete bezeichnen. Ref. erinnert nur an den Streit, ob der Uterus
physiologisch antevertirt sei oder nicht. Zu einem andern Theil überblickt aber der ein¬
zelne Arzt doch nur einen kleinen Theil aller Fälle; seine Resultate, erhalten deswegen
eine locale Färbung, worauf Jollg mit Recht hin weist. Will man in solchen sehr wich¬
tigen Fragen vorwärts kommen, so müssen die Aerzte am ehesten durch Vermittlung der
Vereinsorgane ihre Beobachtungen sammeln und publiciren. Ref. erlaubt sich, an dieser
Stelle mitzutheilen, dass in den vierteljährlichen Sitzungen der Freiburger medic. Gesell¬
schaft jeweilen damit begonnen wird, dass die Mitglieder kurze Berichte ihrer practischen
Thätigkeit vorlesen. Ein energisches und geschicktes Präsidium kann da gewiss viel
dazu beitragen, um die Mittheilungen nutzbringend zu verwerthen.
In der Symptomatologie geht gewöhnlich ein übersichtliches Krankheitsbild
voraus, und dann folgt eine Analyse der einzelnen Symptome. Die Individualität der
Verfasser macht sich hier am meisten geltend, aber auch die der Leser.
Der Therapie wurde durchgehende von den Autoren besondere Aufmerksamkeit
geschenkt. Es ist nun bekanntlich eine schwierige 8ache, therapeutische Erfolge zu con-
troliren. Denn einestheils bedarf es eines bedeutenden Krankenmaterials, anderntheils
auch der nöthigen Controlmittel, was sich mehrestheils nur in Spitälern vereinigt findet.
Es muss aber ferner das zu prüfende Mittel methodisch angewandt werden , damit zu¬
gleich die A r t der Application präcisirt wird. Man begnügt sich heutzutage nicht mehr
damit, ein Mittel, auf blosse Empfehlung hin, blindlings anzuwenden. Man will wissen,
was es leistet, und wie man es geben muss, dass es dasselbe leiste.
Es genügt nicht mehr, Hydrotherapie, oder Electricität, oder Bromkalium etc. zu
empfehlen, denn jeder practische Arzt hat es erfahren, wie ungleichartig dasselbe Mittel
wirken kann, so nach Form, Zeit und Dosis. Genauere Indicationen sind uothwendig,
wenn das Vertrauen zu einer activen Therapie sich wieder heben soll. In dieser Rich¬
tung, in der therapeutischen Methodik, hätte mancherorts der Leser eingehendere Angaben
begrüsst.
Dass aber auch dieser Band des Ziemssen' sehen Werkes einen therapeutischen Fort¬
schritt bezeichnet, wird wohl allgemein gefühlt und anerkannt werden.
G. Burckhardt.
Kantonale Correspondenzen.
Bern. Zur Impfpolemik. Meine Arbeiten über die Impfstatistik haben in
diesem Organe, sowie in den Zürcher Blättern für öffentliche Gesundheitspflege und in
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der Zeitschrift für schweizerische Statistik zu Entgegnungen Anlass gegeben. Ich sagte
in diesen Blättern (8. 258 dieses Jahrgangs): „Wie jede vorgefasste Meinung, wenn sie
im Kampfe den soliden Grund der Logik unter sich wanken fühlt, den Träger unwill¬
kürlich zum Fanatismus und zur Vergewaltigung des Gegners drängt, so hat auch gegen¬
wärtig die Impffrage diesen bedauerlichen Charakter angenommen. Schon der Zweifel an
der herrschenden Ansicht, dass der Nutzen der Vaccination unwiderleglich dargethan sei,
genügt, den Zweifler zu den Gognern des Impfens zu werfen und ihn als unruhigen Kopf
oder Krakehler anzusehen oder wenigstens das Verlangen nach nochmaliger Untersuchung
der Acten oder gar nach Sammlung besseren Materiales aus der Neuzeit und aus unserm
eigenen Vaterlande schon zum Voraus als „kaum lohnend“ oder „nur mässige Ausbeute
versprechend“ hinzustellen.“ Ich glaubte, damit dem unvermeidlichen wissenschaftlichen
Streite die Wendung geben zu können, dass er sich nicht von dem sachlichen Boden
entferne, welchen ich betreten hatte. Ich sehe mich aber in dem bisher unerschütter¬
lichen Vertrauen, dass wenigstens unter gebildeten Aerzten heutzutage eine wissenschaft¬
liche Streitfrage noch ohne jede persönliche Polemik besprochen werden könne, arg ge¬
täuscht.
Es sind mir bis jetzt, neben Verdrehungen meiner Worte und Unterschiebungen fal¬
scher Motive, auch noch so fanatische WuthausbrUche entgegengekommen, dass ioh ge¬
zwungen bin, meine Feder in etwas Scheidewasser zu tauchen, um die hässlichen Flecken
wegzubeizen. Wenn ich dies nicht hier, in diesem der wissenschaftlichen Discussion ge¬
weihten Blatte, thue, so folge ich darin der Absicht, wenigstens meinerseits unserm ärzt¬
lichen Organe denjenigen Charakter makellos zu bewahren, welchen es bis jetzt mit so
vielem Tacte sich bewahren konnte, nämlich den Charakter, rücksichtslos der Wissen¬
schaft zu dienen und nicht einem „Systeme“. Eine Antwort an Herrn Dr. Loh ist be¬
reits in den Händen der Redaction von der Zeitschrift für Schweiz. Statistik; diejenige
an Herrn Prof. 0. Wyss , Redactor der Blätter für öffentliche Gesundheitspflege, und Herrn
Dr. Zehnder lag bereits druckbereit, bevor ich auf Reisen ging, und zwar in Form einer
eigenen Brochure, welche die Presse verlassen wird, sobald mir meine karge Zeit deren
Durchsicht gestattet hat. Sie bedarf auch noch einiger Zusätze, weil während meiner
Abwesenheit der H.-Correspondent von Basel in diesen Blättern (siehe S. 625) ge¬
funden hat, es könne bereits „die wichtige Impffrage jetzt getrost über Herrn VogC& Ar¬
beit hinwegschreiten“. Herr H. bedarf also zur Feststellung seines Urtheils in der
Streitfrage gar nicht meiner Antwort auf den „offenen Brief“ von Dr. Loh in der stati¬
stischen Zeitschrift. Das „audiatur et altera pars“ scheint ihm ein unbekannter Grund¬
satz zu sein. Basel hat cs leider schon einmal erfahren müssen, wohin diese tendenziöse
Einseitigkeit führt, als beim Referendum am 11. Juni 1876 mit 4019 Stimmen gegen
1193 das CanalisationBgesetz vom Volke verworfen wurde, von welchem der berühmte
Agriculturchemiker Prof. Alex. Müller im landwirtschaftlichen Centralblatt sagte: „Es ist
ganz unbegreiflich, mit welcher souveränen Geringschätzung , um nicht zu sagen leicht¬
fertigem Spott, das basier Canalisationsproject über diese Schwierigkeit (nämlich die
Ueberrieselung) hinweggeht.“ Es gibt eben immer Leute, welche durch keine Erfahrung
gewitzigt werden. Wenn Herr H. sagt, dass er „recht begierig auf meine Antwort“ sei,
so ist das blos eine Phrase, welche sich nur gedankenlos an den obigen Ausspruch an¬
fügen lässt: er kann sich also deren Lesung, als für ihn überflüssig, wohl ersparen.
Meine übrigen Gegner in der Impffrage werde ich nicht so lange auf Antwort warten
lassen, als ich auf den Nachweis der Impfdogmatiker werde warten müssen, dass die
von ihnen aufgestellten Sätze, welche in den Gesetzgebungen Ausdruck erhalten haben,
auch wissenschaftlich begründet sind.
Ich hoffe, dass meine Collegen, welche Bich ihre Objectivität in der Impffrage noch
bewahrt haben, meinen Erwiderungen einige Aufmerksamkeit schenken werden, wenn sie
auch für den Augenblick nothgedrungen dieses Organ umgehen müssen. Ich erwarte
dies von ihrer Unparteilichkeit und Ehrenhaftigkeit Diejenigen, welche so freundlich
waren, mir aufmunternde Briefe zugehen zu lassen, mögen mir nicht Übel nehmen, wenn
sie von mir aus Mangel an Zeit keine Rückantwort erhalten haben; sie mögen mir auch
nicht verdenken, wenn ich ihnen gestehe, dass ich als Einzelner wohl der Mitarbeit An¬
derer, aber keiner blossen Aufmunterung bedarf.
Dr. Adolf Vogt.
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CtlariUI« Im Sommer 1875 nahm der von den glarner Aerzten in Bezug auf Be¬
kleidung ärztlicher Beamtungon begonnene Strike ein Ende. Es fanden sich wieder Leute
für die Gerichtsarztstellen — unter der Bedingung, dass nur geprüfte Aerztc als ärztliche
Experten verwendet werden dürfen; die Sanitätscommission konnte wieder besetzt wer¬
den, nachdem den eintretenden Aerzten zugesagt war, dass sofort eine neue Sanitäts¬
ordnung ausgearbeitet und ihnen freigestellt werden solle, von ihren Beamtungen zurück-
zutreten, wenn die neue Ordnung der Dinge nicht wenigstens den wichtigsten Anforde¬
rungen der Aerzte entspreche.
Die Sanitätscommission machte sich an’s Werk. Bestrebt, dem Landsgemeindobc-
Schluss über Frcigebung der Praxis und Aufhebung des Impfzwangs zwar in vollstem
Maasse Rechnung zu tragen, im übrigen aber einen geordneten Zustand unseres Sanitäts¬
wesens herbeizuführen, brachte sie Vorschläge, die der Landrath adoptirte, namentlich
aber in soweit verschärfte, dass er einzelne der gefährlichsten Gifte nur geprüften Aerz¬
ten und Apothekern reserviren und blos mit solcher Einschränkung den freien Verkauf
der Mcdicamente gestatten wollte.
Die bedeutendsten Neuerungen des Entwurfes betrafen die öffentliche Gesundheits¬
pflege : Reinhaltung der Ortschaften , Sorge für reines Wasser, unverfälschte gesunde
Lebensmittel etc. Die seuchenpolizeilichcn Verordnungen waren zweckmässig umgestal¬
tet u.od — was bisher nicht der Fall gewesen — auch wirklich durchführbar gemacht
worden. Ortsgesundheitsräthe und Bezirksärzte sollten creirt werden. Letztere waren
seit Jahren für die Thierseuchenpolizei vorhanden ; wo es aber die Sorge für die Men¬
schen anbetraf, mochte die Sanitätscommissiou Zusehen, ob und wo sie ausführende Or¬
gane fand.
Ueber die Medicinalpersonen sagte der Entwurf kaum viel anderes , als dass der
Staat für seine Bedürfnisse sich nur geprüfter Aerzte zu bedienen habe.
Dieser Entwurf gelangte kürzlich an die Landsgemeinde. Obwohl vom Landrath
mit */* der Stimmen angenommen, von unserem Landammann Zweifel und Nationalrath
Dr. Tschndy eindringlich empfohlen, wurde er durch einige fade Witze der Gegner schmäh¬
lich zu Fall gebracht.
Nach solchem Entscheid sind selbstverständlich die ärztlichen Mitglieder aus der
Sanitätscommission ausgetreten, ein Chemiker hat ebenfalls demissionirt und sie besteht
heute nur noch aus Einem, dem sehr tüchtigen und goschäftsgewandten thierärztlichen
Mitglied. Auch für eine erledigte Gerichtsarztstelle fand sich kein glarner Arzt — ein
eingewanderter, geprüfter deutscher Arzt verstand sich endlich zur Uebernahmo. Nach¬
dem aber unser Untersuchungsrichter für passend gefunden, von einem, jeder Bildung —
ärztlicher wie anderer — entbehrenden, sogen. Arzt einen Befundbericht zu verlangen
und durch Vorlage dieses Actenstücks das löbl. Criminalgericht zu amüsiren, machen
unsere eämmtlichen Gerichtsärzte Miene, beim ersten derartigen Vorkommniss zurück-
sutreten.
Wird so jeder gebildete Arzt der Bethätigung in amtlicher Stellung überdrüssig, so
tkelt fast jeden die Privatpraxis noch mehr an. Examenscheue oder durchgefallene Stu¬
denten, heimathflUchtige Militärs, vormalige Apotkckerknechte otc. etc. annonciren sich in
insern Zeitungen, am öffentlichen Anschlagsbrett und bilden zur Zeit ein Medicinalcorps,
das alle Aussicht hat, in Kurzem an Zahl das der gebildeten Aerzte zu Ubertreffen. Das
Publicum, stets gläubig und nach allen Enttäuschungen um kein Haar gescheidter, als
zivor, jubelt jedem neu aufsteigenden Gestirn am Qucksalberhimmel zu und bis in die
tßchsten Kreise hinauf denkt man nicht mehr daran , auf Bildung und Charakter des
Mannes zu sehen, dem man Leib und Leben anvertraut.
Es ist begreiflich und entschuldbar, dass unter solchen Verhältnissen bei den wirk-
lchen Aerzten jede ideale Auffassung des ärztlichen Berufes schwindet, ihr wissenschaft-
lches Streben gelähmt wird. Wenn Zeiten kommen, wo das geängstigte Volk mit ban-
(cm Herzen nach Aerzten sich umschaut, die ihm muthig und selbstlos in SeucheDgefahr
leispringen, dann werden die Glarner vielleicht einsehen, wie sehr sie durch ihre Miss-
ichtung und Verhöhnung der Wissenschaft und ihrer Träger sich selbst den grössten
Schaden zugefügt.
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718
Briefe ans Ajaccio.
I. Einleitung. Mit „wenig Witz und viel Behagen“ habe ich bisher die Leser des
„Correspondenz-Blattes“ Uber meine sanitarischen Kreuz- und Querzüge unterhalten und
siehe da 1 das Behagen blieb — aber auch der Witz schwang sich nicht aus seiner Ma¬
gerkeit zu vermehrter Körperfülle und erhöhtem Spiritusgehalt empor.
Ich fahre also im alten Tone fort.
Das collegiale Verdict lautete, es sei meine Pflicht, durch einen passenden Wintcr-
aufcnthalt die Position, die ich mühselig wieder erklommen hatte, festzuhalten. Noch
mehr: die spcculative Phantasie sah sogar bereits hoffnungsvoll in eine rosige Zukunft,
voll blauer — Dünste, auf denen wohlig die wieder consolidirte Gesundheit und viel, viel
projcctirte Arbeit schwamm.
Es war bald entschieden, dass das Höhenclima „zur Zeit“ nicht für mich passe —
also in den Süden und zwar — guter Rath ist theuer — nach Corsica.
Nicht so leicht zu lösen ist jeweilen die Frage, ob der Patient überhaupt ohne Ge¬
fahr reisen kann und darf. Da habe ich nun leider eine, übrigens schon längst gerügte,
Erfahrung bestätigen können. So oft werden Kranke weggesendet, die unbedingt den
kurzen Rest ihrer Tage zu Hause verbringen sollten. Mit welcher berechtigten Bitterkeit
solche Unglückliche, die zur Einsicht gekommen sind, dass sie nicht mehr in die Heimath
zurückkehren können, vom Arzte reden, der ihnen die Reise empfahl, lässt sich errathen.
Auch der Patient, der noch innig an der Lust zu leben (und wäre es nur ein Scheinleben)
häDgt, wird jener Existenz schliesslich überdrüssig, die ihn jahrelang nur von einem Cur-
ort zum andern, von einem ihm fremdon gesellschaftlichen Kreise zu einem neuen führt.
Er ist ja nicht Vergnügungsreisender, und es thut so weh, beim Nachfragen nach frühem
Schicksalsgenossen so oft zu hören: der ist todt. jene ist gestorben. Da kommen dann
die psychischen Depressionen, und solche Patienten, denen sich der ganze Jammer ihrer
unglücklichen Situation immer und immer wieder aufdrängt, fühlen sich natürlich doppelt
unglücklich, wenn sie allein sind, unter Fremden, weit weg von der Heimath, am Ende
noch auf meerumspültem Eilande!
Es ist darum die Wahl des Curortes sehr wichtig und zwar nicht nur seiner clima-
tischen Verhältnisse wegen. Der Arzt hat auch die individuellen Bedürfnisse seines
Kranken und die Hülfsmittel des Curortes zu berücksichtigen und dann ist es seine
Pflicht, den Kranken über die allgemeinen Gründe , welche zur Cur an dem entlegenen
Curorte bestimmen, und auch über die speciellern Motive, die gerade die gewählte Sta¬
tion passend erscheinen lassen, genügend aufzuklären. Kommt der Curant zweifelnd in
seine neue Station, so wird jedes Unbehagen, jedes Unwohlsein auf Rechnung des „nicht
passenden Clima’s“ geschrieben, und der Unglückliche, von allen unberufenen Seiten mit
„guten Räthen“ bedrängt, irrt ruhelos umher, um im besten Falle schwer geschädigt, kör¬
perlich und geistig heruntergekommen, nach Hause zurückzukehren. Die grosse Zahl
„populärer“ Publicationen, sowie die Unterhaltung der Curanten, die sich ja naturgemäss
so oft um das eigene Leiden, die Erfolge und ihre vermeintlichen Ursachen, die Miss¬
erfolge und deren ganz bestimmte Quellen dreht, machen es nothwendig, dass dem Pa¬
tienten ein begründetes und nicht zu leicht erschüttertes Zutrauen mit auf den Weg gegeben
wird. Hat der Hausarzt selbst nicht Gelegenheit, die Curorte kennen zu lernen, so adres-
sire er seinen Kranken an einen Arzt, dessen Stellung es mit sich bringt, dass er oft
Patienten in Heilstationen zu dirigiren hat, also auch immer und immer wieder die Er¬
folge zu controliren gestattet. Ein solcher Arzt ist dann auch über die Aenderungen, die
etwa an Curorten Vorkommen, besser orientirt und zugleich am ehesten unterrichtet, ob
nicht vielleicht passende Gesellschaft in gleicher Absicht da oder dorthin reist. Vor einer
mündlichen oder schriftlichen Verständigung mit dem Hausarzte, der das Vorleben des
Patienten kennt, sollte aber auch der consultirte Arzt — gleichviel, in welcher Stellung
sich die beiden Collegen befinden — seinen Rath nicht ertheilen. Der dritte im Bunde
sei dann der Arzt des Curortes. Die auf die Reise mitgegebenen Rathschläge verlieren
bedeutend an Werth durch die weite Distanz: aus den Augen, aus dem Sinn! Und dann
kommt der Curant aus der nebligen kalten Heimath in den prächtigen Süden, in das er¬
sehnte Paradies. Wie wohl ist es ihm da, „ach wie so mild!“ Was soll man bei der
Hitze den Ueberzieher mitschleppen! Und die Orangen! zwei für einen Sou! und gold¬
gelb ! Auch der Wein ä discrötion auf dem Tisch! Man trinkt keinen Liter auf einmal
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719
— der Nachbar kneipt ja viel mehr! Plötzlich daun kommt heftige Kolik, wieder mehr
Husten, etwas Blut (aber nicht viel), der Patient weiss absolut nicht, warum. Er ist doch
im SQden!
Man sage ihm deshalb, er soll gleich bei seiner Ankunft den Curarzt um exacte
Verhaltungsmaassregeln befragen und diese dann auch befolgen. Von Zeit zu Zeit, in
langem Pausen, bann er dann „den Alten“ wieder consultiren (aber nicht auf der Pro¬
menade oder im Cafö — das ist auch den Curärzten mit Recht widerlich).
Und nun ist endlich Alles gepackt, wobei der Zugvogel natürlich nur zugesehen hat.
Ist es möglich, so sollte er in Gesellschaft ziehen. Sehr wünschbar ist ein gesunder
Reisebegleiter, der das Handgepäck (so wenig als möglich!) schleppt, das übrige Gepäck
besorgt, an den Bahnhöfen schreit und überall befiehlt. Der Curant bekömmt schon ge¬
nug vom vielen Rütteln, Aus- und Einsteigen. Das Reden, namentlich während des
Fahrens, ist deshalb absolut zu vermeiden.
Und nun, soll der Reisende in einem Expresszug Tag und Nacht durchfahren, um
möglichst ruhig sitzen bleiben zu können, das Ein- und Aussteigen , die Gasthofwageu
und -Treppen, das Anwärmen der feuchtkalten Betten zu vermeiden? Ich bin für grosse
Etappen, also Ruhepausen. Bestellt man jeweilen am Morgen in einem rechten Gasthof
sein Zimmer für den Abend telegraphisch voraus, so passt der Omnibusconducteur am
Bahnhof auf seinen Reisenden und erspart so vieles Reden und unnützes Herumsuchen
und ebenso findet man sein reservirtes (event. geheiztes) Zimmer hübsch parat. Ich
reiste den ersten Tag nach Genf (Ankunft Abends ca. 7 Uhr), den zweiten von */, 11 bis
5 Uhr nach Lyon, den dritten von 10—8 Uhr nach Marseille und den vierten von Abends
5 Uhr bis Morgens 9 Uhr nach Ajaccio. Das liess sich ertragen. Ich war jeweilen
am Abend recht müde und froh, nicht weiter fahren zu müssen, sondern bald ruhig liegen
zu können. Die Reise verursachte etwas mehr Husten und flüchtiges, rasch wechselndes
Stechen, aber weder schlimmen Auswurf, noch Fieberbewegung: ich hatte keine Tempe¬
ratursteigerung und jeweilen am Morgen dieselbe Pulsfrequenz, wie zu Hause. Am
schlimmsten schien mir in dieser Beziehung die Seekrankheit: doch habe ich bei keinem
einzigen der hieher gereisten Brustkranken (und es sind auch Schwerkranke dabei) schlimme
Folgen, specicll keine Blutungen beobachtet, wohl aber vorübergehende Exacerbation des
Fiebers, die jedoch sämmtlichen Betroffenen nichts Neues war.
Ich glaube daher, dass auch für solche Kranke, die heftige Lungenblutungen über¬
standen haben (bei einem Patienten nur 3 Wochen vor seiner Abreise), eine kurze See¬
reise (Marseille-Ajaccio 14—18, Livorno-Bastia 5—7 Stunden) in der Regel gefahr¬
los ist A. Baader.
W oohentoeriolit.
Schweiz.
Bern. Donnerstag den 22. November trat in Bern (Ständerathssaal) die i n t e r -
cantonale Gonferenz in Sachen Ankündigung und Verkauf von Geheim¬
mitt e 1 n zusammen, zu welcher die cantonalen Delegirten, sowie die Abgeordneten der
schweizer. Aerzte-Commission und des schweizer. Apothekervereins sich eingefunden
hatten.
Der schweizerische Apothekerverein hatte verlangt, dass man die Frage, wie weit
es dem Arzte gestattet sein solle, eine eigene Apotheke (ausser den unerlässlich noth-
wendigen Apothekerwaaren) zu halten und die Arzneimittel für seine Kunden selbst zu
bereiten, ebenfalls bei dieser Gelegenheit in Berathung ziehen möge.
Wir werden in nächster Nummer auf die Beschlüsse dieser Conferenz zurück-
kommen.
— Mit Rücksicht auf die Hallerfeier wird die medicinisch-chirurgi-
sche Cantonal-Gesellschaft ihre ordentliche Wintersitzung Tags
vorher, den 11. December, Abends 6 Uhr, im Casino zu Bern abhalten.
Die Tractanden sind: Protocoll. Mittheilungen des Comitö’s betreffend die Haller¬
feier u. a. m. Prof. Dr. Müller: Zur operativen Behandlung der Ovarien-Tumoren. An¬
frage des Schulvereins des Seelandes betreffend Schulhygieine. Berichterstatter: die
Herren Prof. Pflüger und Dr. Fanhhauser. Neuwahl des Gomitö’s. Wahl der Rechnungs-
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Examinatoren. Aufnahme neuer Mitglieder. Bestimmung des Versammlungsortes für die
Sommersitzung.
Abends 8 Uhr einfaches Bankett, dem wahrscheinlich auch Mitglieder des Comitä's
der Hallerfeier, sowie die auswärtigen Collegen und Abgeordneten der Hallerfeier bei¬
wohnen werden.
Dor schweizerische Centralverein und die Sociätä mödicale de la Suisse romande
werden sich bei der Hallerfeier ebenfalls durch eine Abordnung vertreten lassen und
dabei eine Abhandlung des Herrn Dr. GolUieb Burckkardt als Festschrift, mit entsprechen¬
der Widmung überreichen.
Der von den Frauen der Aerzte des Inselspitals für Gründung eines Baufonds
zu einem neuen Spital angeordnete Bazar, welcher eben eröffnet worden, hat un¬
erwartete Dimensionen angenommen, indem sich Reich und Arm, alle Stände, Stadt und
Land mit wahrem Wetteifer dabei betheiligten. Es gelang den Frauen besser als den
Männern, diese Baufrage populär zu machen und damit ist bei uns auch der Bau selbst
gesichert.
Solothurn. Die Bürgergemeinde Olten genehmigte einstimmig den Antrag des
Gcmeinderathcs, an den in Olten zu erbauenden Cantonsspital aus dem Spitalfouds einen
Beitrag von Fr. 80,000 zu bewilligen.
Ausland.
Deutschland. Diensttauglichkeit. Von 33,015 Recruten, die sich im
Jahre 1876 zur körperlichen Untersuchung in Berlin präsentirten, wurden nur 2748 dienst¬
tauglich erklärt (2681 zum Dienste mit der, 67 ohne die Waffejf 14,964 wurden zurück-
gestellt, 15,175 der Ersatzreserve überwiesen und 128 ganz befreit.
(Gesundheit, 1877, 20.)
Eisen. Ueber die Anwendung der Eisenpräparate bemerkt Dr. Albr. Erlentneyer
(Corresp.-Bl. d. deutschen Gesellsch. f. Psych., 1877, pug. 120j mit allem Recht: „Dass
Präparate, die geradezu unlöslich sind, oder durch ihre Schwerlöslichkeit der Einwirkung
des Magensaftes einen gewissen Widerstand entgegensetzen, nicht anzuwenden sind, liegt
wohl auf der Hand. Aber auch bei der Verordnung leicht löslicher Eisenpräparate wird
mitunter gleichzeitig durch eine chemisch geradezu widersinnige Diät die Wirkung der
Mittel vereitelt. Die Eigenschaft des Eisens, mit den meisten Säuren sowohl als Oxyd
als auch Oxydul leicht lösliche Verbindungen einzugehen (aus denen es durch Alcalien
wieder gefällt wird), lässt die Präparate des Oxyds als bevorzugt erscheinen, da die
Oxydulsalze binnen kurzer Zeit aus der Luft Sauerstoff anziehen und so von selbst in
Oxydsalze übergehen. Anderseits scliliesst sich eine Anzahl von Verbindungen mit Mi¬
neralsäuren theils wegen ihres Geschmackes, theils wegen der Eigenschaft dieser betr.
Säuren von der innerlichen Anwendung aus, so dass also die Classe der organischen
Oxydsalze immer als die empfehlenswertheste erscheint.
Vermag nun die Diät die Löslichkeit dieser Präparate zu erhöhen, so liegt doch kein
Grund vor, diese nicht danach einzurichten. Allein, statt dass Weisswein (namentlich
Moselwein), Obst, Compott, Fruchtlimonaden, selbst Salate verordnet werden, die dies
Lösungsvermögeu als Säureu in hohem Grade besitzen, werden diese Sachen stricte ver¬
boten, hört man immer und immer wieder nur von Rothwein und wieder von Rothwein,
und Thee und Caffee werden auch gestattet.
Jeder Körper hat das Bestreben, sich bei gebotener Gelegenheit aus seinen Lösungen
in gasförmiger oder fester Form zu befreien, und wenn der Base eines gelösten Salzes
für ihr chemisches Verbindungsbestreben die Wahl zwischen mehreren Säuren geboten
wird, so wird sie mit Vorliebe ihre Verwandtschaft zu derjenigen Säure an den Tag
legen, mit welcher sie eine unlösliche Verbindung, d. h. in den meisten Fällen einen
Niederschlag bilden kann. Eine solche Säure, die mit Eisenoxyd eine unlösliche Verbin¬
dung eingeht, ist vor Allem die Gerbsäure, die im Rothwein in erheblichen Mengen, nicht
minder in Caffee und Thee enthalten ist, namentlich wenn von beiden letzteren ein De-
coct, statt eines Infuses genossen wird. Kommt Gerbsäure mit Eisenoxyd zusammcu, so
bildet sich der bekannte schwarze Niederschlag, welcher der Tinte ihre charakteristische
Farbe verleiht; schüttet man in ein Glas eisenhaltiges Mineralwasser etwas Rothwein
oder Caffee oder Thee, so entsteht binnen Kurzem eine schwarze Färbung , und lässt
man bei irgend einer Eisencur den Patienten Rothwein und andere gerbsäurehaltige Stoffe
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gemessen, so etablirt man eben in dem Magen des Patienten eine Tintenfabrik und pa-
ralysirt vollständig die Wirkung der Eisenpräparate. Ein Blick auf des Patienten Ex¬
cremente , die von gerbsaurem Eisen schwarz gefärbt sind — nicht von Schwefeleisen,
da Schwefelwasserstoff Eisen nur in alcalischer Lösung ausfällt — wird sofort von der
Richtigkeit des Gesagten überzeugen.“
England. Nach Berechnungen von Dr. Farr kamen 1851 auf 100,000 Seelen in
England 97 Aerzte, 1861 noch 83 und 1871 nur 78. Es nimmt also die Zahl der Aerzte
nicht in gleichem Grade zu wie die Vermehrung der Bevölkerung.
Frankreich. OpodcldocVergiftung. Aus Versehen nahm ein 16jühriges
Mädchen 1 Esslöffel Opodeldoc, durch Hitze flüssig gemacht, ein und starb nach 14 Stun¬
den. Nach der französischen Pharmacopce enthält ein Esslöffel Opodeldoc Campher 0,07,
Ammoniak 0,3. Der Rest des übriggebliebenen Opodeldoc wurde nicht untersucht.
(Ann. d’hyg. p. 1877, Jan.)
Baasland. Carbunkel. Dr. Clever zertheilte einen an der Basis 8 Zoll im
Durchmesser haltenden Carbunkel (Sitz in der rechten Glutajalgegend einer 60jähri-
gen Dame) durch Einspritzungen einer zweiprocentigen Carbollösung: täglich einmal 4
Spritzen, 4 Tage nach einander. Fieber und Schmerz schwanden schon am zweiten
Tage der Behandlung; am sechsten konnte Patientin aufsteben
(St. Petersb. med. Wocb. 1877, 27.)
Splenotomle. Die Reihe der von QuiUenbaum , Roberte, Spencer Wells , Küchler und
Pean ausgeführten Exstirpationen kranker Milzen hat Billroth um einen weitern Fall ver¬
mehrt: Frau von 45 Jahren, colossaler Milztumor, Leucämie, Splenotomie, Tod nach we¬
nigen Stunden durch Verblutung aus einem kleinen Aste der Milzarterie. (Wien, medic.
W’och. 1877, 5.) — Auch Dr. Iw. Fuchs operirte nach der Mittheilung von Dr. Lad. Pollak
im biharer allgemeinen Krankenhause mit ungünstigem Ausgange bei einem Falle von
colossalem, durch Zellenhyperplusie bedingtem Milztumor.
(Pester med.-chir. Presse 1877, 28.)
Tonsillotomie. Prof. Emerich Navratil erwähnt in seinem Bericht Uber die chi¬
rurgische Abtheilung (pester medic.-chir. Presse, Juli 1877) unter Anderm auch über
seine Tonsillotomieen: während 12 Jahren machte er mit dem Charritre’ sehen Tonsillotom
727 erfolgreiche Excisionen. Er bevorzugt das Charriere'sehe Instrument und hat nur
sehr zerklüftete oder sehr schlaffe Mandeln mittelst doppelten Hackens und gekröpftem
Bistouri entfernt (39 Fälle).
Wien. Sch wefelsaures Atropin gegen die übermässige Schweiss-
Secretion Primär. Dr. Oetünger fasst die Resultate seiner diesbezüglichen neueren Un¬
tersuchungen im Folgenden zusammen: »Wir haben das Atropinum sulfuricum bei 45
(28 M., 17 W.) an Lungentuberculose Erkrankten’ gegen die übermässige Schweisssecre-
tion angewendet, und zwar in Dosen von 10—20 Tropfen einer Lösung von 0,05 Atrop.
sulf. zu 20,0 Aq. destill., dos ist ungefähr 1—2 Milligramm. Diese Dosis wurde nur
einmal des Tages und zwar vor Eintritt oder während der Schweisssecretion verabreicht.
Die Erfolge, die wir dabei beobachtet haben, sind folgende: In 12 Fällen hörte die pro¬
fuse Schweisssecretion schon nach der ersten Gabe gänzlich auf und trat, so lange der
Kranke in unserer Beobachtung blieb, nicht wieder auf. In 15 Fällen verminderte sich
nach der ersten Dosis die Schweisssecretion, aber verlor sich nicht ganz, so dass es noth-
wendig war, das Atropin durch 3—4 Tage fortzusetzen oder mit der Dosis von 1 auf 2
Milligramme zu steigen, bis die Schweisssecretion aufgehört hatte. In den übrigen 18
Fällen hörte die Schweisssecretion nach Darreichung der ersten oder zweiten Atropingabe
zwar auf, die Wirkung blieb aber nicht anhaltend, die Schweisse wiederholten sich nach
einigen Tagen und machten die Atropinanwendung in Pausen von 4—8 Tagen nothwen-
dig. Eigentliche Vergiftungserscheinungen traten in unseren Fällen nie ein , bei einem
einzigen Falle wurde dieses Medicament wegen leichtem Kratzen im Halso und Erweite¬
rung der Pupillen ausgesetzt. Auf die Temperatur hatte das Atropin bei Lungentubercu¬
lose keinen bemerkenswerthen Einfluss. Der Puls wurde bald nach Darreichung des Atro¬
pin um einige Schläge in der Minute seltener. Auf den Gang der Krankheit selbst hat
das Atropin wenig Einfluss, aber wir glauben dem Kranken jedenfalls einen Dienst damit
erwiesen zu haben, wenn wir seine subjectiven Beschwerden gemildert haben. Der Hu¬
sten wird nach dem Atropin nicht so quälend, der nächtliche Schweiss, worin der Kranke
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oft wie gebadet liegt, wird entweder gemindert oder hört ganz auf und es stellt sieh
eher der Schlaf ein. (Allg. w. med. Zeit)
Stand der Iufectiona-Krankheiten in Basel.
Vom 11. bis 26. November 1877.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angcmeldeten Fälle an.)
Typhus bleibt auf dem niedrigen Niveau, das er seit mehr als einem Monat einge¬
nommen hat; augezeigt sind 12 neue Fälle (29, 19, 11, 18), wovon 6 vom Nordwestpla-
tcau, 2 aus dem Birsigthale, 4 aus Kleinbasel.
Die rasche Zunahme des Scharlach, welche der letzte Bericht meldete, hat sich
nicht merklich gesteigert; 25 frische Fälle sind angezeigt (6. 10, 6, 23), wovon auf dem
Nordwestplateau 3 (12), ßirsigthal 9 (3), Südostplateau 2 (1), Birsthal 1 (2), Kleinbasel
10 (4); die Mehrzahl der Erkrankungen trifft also statt dem Nordwestplateau diesmal
Birsigthal und Kleinbasel.
Als bemerkenswerthes Novum ist das mit einem Schlag in epidemischer Massenhaf-
tigkeit erfolgende Auftreten der Masern zu notiren. Die letzte starke Epidemie begann
im October 1876 und erreichte rasch ihre Höhe mit 209 Erkrankungen im Januar 1876;
das Ende des Jahres brachte wieder eine kleine Zunahme der durch den 8ommer nur
vereinzelt auftretenden Erkrankungen. Sie sind auch seither nie ganz ausgestorben und
betrafen in den letzten Berichten mit 10 resp. 11 Fällen das Nord westplateau und Birsig¬
thal. Nun sind auf einmal 78 neue Fälle angemeldet, wovon auf dem Nordwestplateau
22. Birsigthal 47, Südostplateau 4, Kleinbasel 5. Bei 43 dieser Fälle lässt sich die An¬
steckung auf 2 Kleinkinderschulen zurückfUhren, am Gemsberg (19) und an der Koblcn-
berggasse (24), welche inzwischen geschlossen worden sind; wie plötzlich die Epidemie
ausbrach, mag das eine Beispiel zeigen, dass von den im Ganzen über 100 Besuchern
der Schule an der Kohlenberggasse am 17. November 9, am 18. 8 erkrankten.
Von Diphtherie sind 4 Fälle angemeldet (7, 7), sämmtlich im Grossbasel, wie in
den letzten Berichten.
Erysipelas 7 Fälle (7, 8, 5). Varicellen 7 (4). Pertussis 5 Fälle aus
Kleinbasel. Puerperalfieber 1 Fall in Kleinbasel (1, 0).
Bibliographisches.
142) Rose , Der Kropftod und die Radicalcur der Kröpfe. 71 Seiten. Berlin, Verlag von
Hirschfeld.
143) Sigmund v. Ilanor , Die wiener Klinik für Syphilis. Ein Rückblick auf ihr 2öjähriges
Bestehen. 53 Seiten. Wien, bei Braumüller.
144) Kanitz, Der Harnstein geheilt, resp. zersplittert und entfernt ohne Operation, nach
eigenen Erfahrungen. Stcinleidenden zum Trost, den Herren Aerzten zur Beachtung.
22 S. Gera, Verlag von Kanitz.
Briefkasten.
Berichtigung. Herr Dr. Boichat theilt uns mit, dass die Missbildung der Hand,
die derselbe am genfer Congress in Gypsmodellen demonstrirte, nicht den Zeigefinger (s. Seite 679),
sondern den Ringfinger beider Hände betraf, der also bei vier sich folgenden Gene¬
rationen den Mittelfinger an Länge übertraf.
Herrn Apotheker St. in S. G.: Wollen das „audiatur et altera pars“ erst abwarten, bevor wir
warnen. Erledigt ist die Frage jedenfalls noch lange nicht; berliner Spitalerfahrungen z. B. sprechen
gerade gegen diese Ansicht. — Herrn Dr. B., Ajaccio: Brief per Landpost eingetrofTen. Herzliche
Grüsse.
H. Bcecker’s Institut für Mikroskopie in Wetzlar
empfiehlt mikroskopische Präparate aller Art, sowie die zur Anfertigung dienenden Gegen¬
stände. Cataloge gratis. Liste der 150 pathologischen und gynäkologischen Präparate
für Aerzte und Pathologen erscheint in Kurzem. [H-3886-QJ
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723
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je nach Stärke und Form der zwei dazu gehöri¬
gen Platinbrenner k Fr. 85, Fr. 100, Fr. 120,
desgleichen extra Brenner dazu Fr. 30 bis 45,
Scheeren dazu (hei deren Gebrauch die eine Schneide
kalt bleibt, die andere (ans Platin] erwärmt wird),
wie sie von Hrn. Dr. Paquelin am Genfer Me-
dicinal-Congress vorgezeigt und experimentirt
wurden; liefert zum Preise von Fr. 65
C. Walter-BiondetU (Basel).
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Fr. 1.50
100 Sinapismes
n 6.-
tOO „ avac gaze
Tt 7.
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n 0.75
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Fallet
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k prix avantageux.
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j Pharmacie Golliez k Morat, |
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in Schaffhausen.
Sammtliche Artikel der Schaflhauser Verbandstoff-
Fabrik sind zu Originalpreisen zu beziehen von
C. Walter-Biondetti (Basel).
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nicht bitter* schmeckend.
Empfehle den Herren Aerzten die rein silss
und angenehm schmeckenden, von der Ver¬
sammlung ungarischer Aerzte und Natur¬
forscher in Fiume 1869 preisgekrönten bitter¬
losen Chininpräparate von M. Rozsnyay
in Arad: \
Sa.clmrolji Chinin! 1 100 stQ k 4 Fr 10
Pastilli Chinin! c. Cacao / ’
wovon jedes Stück 0,2 neutrales Chinintannat
(entsprechend 0,08 Chinin sulfuricum) enthält.
Pastilli tannochinini ferrati 100 Stück it
Fr. 10, jedes Stück mit 0,15 neutralem
Chinintannat (entsprechend 0,05 Chinin sul¬
furicum) und 0,05 löslichem Eisenoxvd-
hydrat. — Ferner das in obigen Pastillen
enthaltene j
Chininum tannicum neutrale Rozsnyay,
das völlig bitter los und im Magen leicht
löslich ist, zum Tagescours. [H-1740-Q]
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für die ganze Schweiz: Hecht-Apotheke
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FRANZ .lOSKF’ Bitterquelle,
das wirksamste aller Bitterwässer,
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Quantitäten wirksam und bei längerem Gebrauche von keinerlei Qblen Folgen begleitet ist.
Wien, 22. ApHi 1877. Prof. Dr. Max Leidesdorf.
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Magen- und Darmkatarrh, habituelle 8tuhlverstopfung, gegen Blutstockungen und Blutandrang zn edlen Organen, gegen
Haemorrhoiden, Appetitlosigkeit etc.
Dlrection des allg. Krankenhauses ln Ofen, 25. August 1877.
Verursacht selbst bei längerem Gebrauche keinerlei Nachtheile.
Wien, io. August 1877 . Hofrath Prof. Dr. v. Bamberger.
Die Wirkung ist ausnahmslos rasch, zuverlässig und schmerzlos.
Wörzburg, 26. Juli 1877. Gehelmrsth
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724
Offerire den Herren Aerzten franco gegen
Nachnahme. Packung frei.
Preissteigerung voroehalten.
Chinin sulfur. pur. 30 Grm. Fr. 17, 15 Gr. 9 Fr.
_ muriat. 30 Grm. Fr. 20, 15 Gr. IO 1 /'» Fr.
Morph, acet 30 Grm. Fr. 15, 15 Gr. 8 Fr.
„ muriat. 30 Grm. Fr. 16, 15 Gr. 8 1 /* Fr.
Natr. salicyl. aibis. (Schering) pulv. 100 Gr. Fr. 4.50.
„ salic. crystal. puriss. 100 Grm. Fr. 5. 50.
Acid. salicyl. cryst. 100 Grm Fr. 4.
Kalium jodat. pur. 250 Grm. Fr. IO 1 /»-
St. Gallen den 30. Nov. 1877.
[H-3899-Q] C. Ehreuzeller, Apotheker.
Für Aerzte.
Ein junger deutscher Arzt sucht bei einem
vielbeschäftigten prakt. Arzte eine Anstellung
als Assistent resp. Stellvertreter. Gell. Offerten
sub A. 1 Zürich poste-restante. _[ c-2595 -Z]
ln meinem Hause könnten noch einige ruhige
körperlich oder geistig Kranke Aufnahme linden.
Familiäre Verpflegung. Ländliche Stille. Gute
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Dr. F. Hess in Scliünenberg
[ H-3918-Q ] bei Wädensweil, Kt. Zürich.
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Die Arztstelle der Gemeinde Leuzigen, Amts
Büren, Kantons Bern, wird hiermit zur freien
Bewerbung ausgeschrieben. — Die Bahnverbin¬
dung, der ziemlich grosse und nicht beschwer¬
liche Wirkungskreis und das V artgeld der Ge¬
meinde, bestehend in sehr angenehmer, allen Ver¬
hältnissen entsprechender, freier Wohnung mit
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Pflanzland und in dem benöthigten Brennholz frei
zum Hause geliefert, lassen auf Zuspruch der
Herren Aerzte hoffen. Anmeldungen nimmt der
Unterzeichnete entgegen, welcher jeden wünsch¬
baren Aufschluss bereitwilligst ertheilt.
Leuzigen, den 16. November 1877.
Im gemeinderäthlichen Aufträge:
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[H-3948-Q] Gemeindeschreiber.
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Die v. Langenbeck’sche
Klinik undPoliklinik zuBerlin
(vom 1. Mai 1875 bis 31. Juli 1876).
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Dr. R. II. Krönlein.
1877. gr. 8. Mit 8 Tafeln. 10 Mark.
(Archiv für klinische Chirurgie. XXI. Bd. Suppl.)
Verlag von August Hirschwald in Berlin.
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der klinischen
Untersuchnngs -Methoden
für die Brust- und Unterleibs-Organe
mit Einschluss der Laryngoscopie
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Dr. Paul Guttmann.
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richts- und Medicinal-Angelegenheiten
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Die
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Dr. L. G. Courvoisier,
üansarzt der Diakonissen-Anstalt zu Rieben.
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Basel. Benno Schwabe,
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Schweighauseri8che Buchdruckere.i. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung ln Basel.
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CORRESPOKDENZ-BLATT
Am 1. und 15. jeden
Konats erscheint «ine Nr.
V/i —2 Bogen stark;
tm Schlnss des Jahrgangs
Titel n. Inhal tsvcrzeichniss.
für
schweizer Aerzte.
Herausgegeben von
Preis des Jahrgangs
Pr. 10. — für die Schwei*j
der Inserate
25 Cts. die zweisp. Zeile.
Die Postbnreaux nehme*
Bestellungen entgegen.
Sr. Alb. Burel&bardt-lVlerlsm und
PrintdooMt in Basel.
Dr. A. Baader
in OeHerkinden.
N? 24. VII. Jahrg. 1877. 15. December.
Inhalt: Zum Jahresechlnes. — 1) Originalarbeiten: Prof. Dr. R. Bemme: Zar Casnistik der Fremdkörper in Magen-
nnd Danncanal. — 2) Vereinsberichte: XVI. Versammlung des &rztlichen Centralrereins in Olten. — Medicinische Gesell¬
schaft in Basel. — 3) Referate nnd Kritiken: Aerztliches Journal für Stadt- und Landärzte. — Dr. L. EUinger: Der
ärztliche Landeaschulinspector. — Prof. Emil Nagel: Die Seekrankheit. — Dn Ernst Burow: LaryngoscopiBcher Atlas. — Dr.
0. Beck: Almanach der ärztlichen Polytechnik. — 4) Kantonale Correspondenzen: Basel, Bern. — Briefe ansAjaccio.—
5) Wochenbericht. — 6) Bibliographisches. — 7) Briefkasten.
Zum Jahresschluss.
Wir schliessen heute den VII. Jahrgang unseres Blattes und indem wir diese
letzte Jahresnummer hinaussenden, möchten wir derselben gerne ein kurzes Wort
an die Collegen mitgeben.
Es sei vor Allem ein Wort des Dankes an die zahlreichen ausgezeichneten
Mitarbeiter, die durch Einsendung von Originalarbeiten, Vereinsberichten, Refera¬
ten und cantonalen Correspondenzen uns unsere Aufgabe erleichtert haben, und
die — ohne Ausnahme — mit Nachsicht und Geduld den durch die Verhältnisse
gebotenen, oft so namhaft verzögerten Abdruck entschuldigt haben, ein Wort des
Dankes aber auch an die zahlreichen Abonnenten unseres Blattes, deren freund¬
liches Interesse allein Gedeihen und Fortbestand desselben ermöglicht.
Unser Ziel war, mit allem Eifer die Gefühle der Zusammengehörigkeit unter
den schweizer Collegen zu pflegen und zu kräftigen, und für alle Bestrebungen mit
Wärme einzustehen, die diesen Zweck verfolgen; wir wollten somit vor Allem
unserer Vertretung nach innen und nach aussen — der Aerzte-Commission
— als Organ dienen, ihr die übernommene Aufgabe erleichtern und, so viel uns
möglich, sie darin unterstützen, wir wollten aber auch die Brücke sein, auf wel¬
cher die neuern Erfahrungen ärztlicher Wissenschaft in die Feuerprobe der Praxis
hinaustreten, um hier, wenn sie sich bewähren, geläutert und gereinigt, zum Golde
zu werden, das den Schatz des Arztes bildet.
Dieses doppelte Ziel glauben wir nie aus dem Auge verloren zu haben und
werden auch, im kommenden Jahre unentwegt dasselbe verfolgen.
Wenn wir auf das scheidende Jahr zurückschauen, so müssen wir mit Befrie¬
digung constatiren, dass dasselbe denjenigen an die Seite gestellt werden darf, die
durch bleibende Leistungen auf ärztlichem Gebiete sich ausgezeichnet haben. Wir
erinnern an die Impfabstimmung, an die mit Ruhe und Sicherheit geführte
Abwehr der An griffe auf den Nutzen der Vaccination, an das Fa¬
brikgesetz, an dessen Zustandekommen die Aerzte nicht zum kleinsten Theil
49
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726
mitgewirkt haben, an unsern Feldzug gegen den ins Unerhörte überwuchernden
Geheimmittelschwindel, der Dank der ausgezeichneten Initiative des Herrn
Bundesrath Droz durch die Berner-Conferenz einen erfolgreichen Abschluss zu neh¬
men scheint, endlich an den Genfer Congress, der die internationalen Ver¬
treter der medicinischen Wissenschaften auf dem gastlichen Boden unseres Vater¬
landes vereinigte.
Um so mehr wollen wir uns vornehmen, jeder für seinen Theil, mit all’ dem
jugendlichen Feuer und all’ der unermüdlichen Zähigkeit, mit der unser verehrter
Präsident Dr. Sonderegger uns allen voranleuchtet, an die vielen Fragen heranzu¬
treten, die das kommende Jahr uns stellen wird, und sie ihrer Lösung entgegen¬
zuführen.
Möchten wir hiebei die thatkräftige Mitarbeit des Freundes nicht entbehren,
der zur Zeit in Corsica, fern der Heimath, seine angegriffene Gesundheit kräftigt
und dem wir Alle von Herzen wünschen, dass das kommende Jahr ihn gesund
und mit neuen Kräften ausgerüstet in seine gewohnte Thätigkeit zurückführen
werde.
So möge denn der Vorhang fallen, der so Vieles abschliesst, was an Freud
und Leid einem Jeden unter uns das scheidende Jahr gebracht hat!
Original-Arbei ten.
Zur Casuistik der Fremdkörper in Magen- und Darmcanal.
Von Prof. Dr. R. Demme.
(Referat nach einem in der IV. Sitzung des bern. med.-pharm. Bezirksvereins ge¬
haltenen freien Vortrage.)
Das Gebiet dieses Vortrages würde ein ausserordentlich umfangreiches sein,
wollte man ausser den von Aussen, durch Mund und After eingeführten Fremd¬
körpern auch die aus benachbarten Organen in die Verdauungswerke eingedrunge¬
nen Corpora aliena, wie Gallensteine etc., oder die im Digestionstractus zur Ent¬
wicklung gelangten Eingeweidewürmer etc., oder chemisch schädliche, giftig wir¬
kende Substanzen mit in den Bereich der Betrachtung ziehen. Es soll somit in
der durch besondere Umstände kürzer zugemessenen Zeit des heutigen Abends
nur jene Classe von Fremdkörpern besprochen werden, welche, absichtlich oder
unabsichtlich, durch den Mund in den Digestionstractus eingeführt, einen grossem
Theil oder die gesammte Ausdehnung des Verdauungsrohres durchlaufen haben.
Das dadurch bedingte klinische Bild mit seiner Prognose, der wirkliche Ausgang
der concreten Fälle, das mögliche operative oder innerlich medicinische, therapeu¬
tische Eingreifen bei denselben — soll uns im Gegenwärtigen vorzugsweise be¬
schäftigen.
Die Veranlassung zum gegenwärtigen Vortrage bot die durch den ebenso tüch¬
tigen als bescheidenen französischen Chirurgen Leon Labbe (an der PitiA in Paris)
an einem 18 Jahre alten Commis Namens Lausseur vorgenommene Extraction einer
unabsichtlich verschluckten Ruolzgabel auf operativem Wege, d. h. durch Anlage
einer die Extraction gestattenden, umfangreichen Magenfistel.
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727
Der Vortragende hatte Gelegenheit, ca. 21 Tage nach Vornahme dieser Ope¬
ration den betreffenden Patienten zu sehen und in Gegenwart des Dr. Labbe zu
beobachten.
Durch die Zeitungen und zwar meist auf feuilletonistischem Wege sind die
wesentlichsten, das Publicum als pikantes Abenteuer interessirenden Details
dieses Falles in die Oeffentlichkeit gedrungen. Von wissenschaftlicher Be¬
deutung dürften die hier beigefügten Bemerkungen sein: dass beim ersten Hinab¬
gleiten der Gabel am 30. März 1874 der sofort herbeigerufene Arzt, Dr. Lepere ,
einen beinahe von Erfolg gekrönten Versuch der Extraction der Gabel durch den
Mund gemacht hatte, jedoch durch eine brüske Bewegung des Patienten an der
glücklichen Vollendung der Extraction verhindert worden war, dass beim totalen
Hinabgleiten der Gabel in den Magen Lausseur sofort zu ersticken drohte, dass,
als die Gabel in den Magen gelangt war, für den Patienten ein Gefühl grossen
Wohlseins eintrat, das etwa 14 Tage anhielt. Erst nach diesen ersten 14 Tagen
stellten sich sehr heftige Schmerzanfälle ein, welche an dem Fundus ventriculi
ihren Ausgang nahmen und von einer beträchtlichen Gasauftreibung des Magens
jedes Mal gefolgt waren.
Labbe machte zu dieser Zeit wiederholte Explorationen mit einer durch eine
Elfenbeinolive armirten Fischbeinsonde und constatirte stets das Verbleiben der
Gabel im Fundus ventriculi.
Patient begab sich nunmehr zu seiner Erholung zu seiner Familie nach Bur¬
gund. Auch hier fanden wiederholte Krisen von heftigen Magenschmerzen, beglei¬
tet von Ohnmachtanfällen, statt Während eines Zeitraumes von 8—10 Tagen be¬
stand wiederholt vollkommenes Wohlsein. Zuweilen waren die Mahlzeiten von
schweren Schmerzausbrüchen gefolgt, zuweilen fehlten dieselben vollständig. Un¬
mittelbar nach der Nahrungseinfuhr in den Magen vermochte Patient durch An¬
stemmen seiner Finger gegen die Magenwandungen die Gabel gegen die Bauch¬
wandung zu drängen und durch dieselbe in der Gegend des Fundus ventriculi nach
Aussen fühlbar zu machen.
Nach vergeblichen Versuchen, durch Anwendung der Wiener Aetzpaste eine
Adhäsion der Bauchwandung und des Fundus ventriculi zu Stande zu bringen,
schritt Labbe am 9. April 1876, also l‘/j Jahre nachdem der verhängnisvolle Zu¬
fall stattgefunden, zur operativen Extraction der Gabel. Der Schnitt wurde 1 cm.
nach Innen von den linkseitigen falschen Rippen und parallel mit denselben aus-
gefdhrt Der Schnitt hatte eine Länge von 4 cm. Die untere Grenze desselben
bildete eine die Knorpel der linken und rechten 9. falschen Rippen verbindende
Transversallinie. Man fiel auf diese Weise auf die vordere Magenfläche und zwar
auf die Vereinigungsstelle zwischen Portio cardiaca und pylorica.
Auf diese Weise gelang es, den Magen zu eröffnen, die Magen Wandun¬
gen durch 8 Nähte an die Ränder des Hautschnittes zu fixiren und die Gabel
mit einer Polypenzange zu extrahiren. Die Zinken derselben waren etwas ver¬
bogen.
Unter einer sorgfältigen auf Eis und Champagner während der ersten Tage
beschränkten Diät stellte sich eine sehr günstige Granulirung der Incisionswunde
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728
ein. Zur Zeit besteht noch eine sehr kleine Fistelöffnung, durch welche Magen¬
flüssigkeit nach Aussen gepresst werden kann.
Das ausserordentliche Aufsehen, welches dieser Fall sowohl bei Aerzten als
Laien erregte, bewog den Vortragenden, sich in der Literatur nach dem hier ein¬
schlagenden Materiale umzusehen. Es fand sich dann, dass auch für unsern Ge¬
genstand das alte Wort Abucasem’s „Nihil novi sub sole“ seine Wahrheit behält
Es lassen sich aus den bekannteren älteren und neueren medicinischen Zeitschriften
10 unzweifelhafte Fälle zusammenstellen, bei denen es sich um das absichtliche
Verschlucken einer Gabel (durch Irren) oder um unabsichtliches, zufälliges Ver¬
schlucken einer solchen (durch Gesunde) handelt *)
Unter diesen Fällen sind besonders zu erwähnen:
1. Planque , Bibi, de mädecine, t. III, p. 560; Paris, 1750. Der Fall betrifft
einen 18jährigen Menschen. Die Gabel ging ohne weitere Zufälle wieder ab.
2. Chemin , Journ. de müdec. pratique, art. 3840. Der Fall betrifft einen 32jäh-
rigen Mann; die eiserne, stark verrostete Gabel ging 20 Monate später nach vor¬
hergegangenen wiederholten Anfällen von Kolik, Erbrechen, schliesslich bedeuten¬
der Abmagerung von selbst ab.
3. Ramon , Annal. mäd. psych. 1843 p. 481 u. ff., einen Irren betreffend; die
Gabel verweilte 5 oder 6 Jahre im Magen desselben und wurde erst später bei der
Autopsie gefunden.
4. Cayroches , Sedillol , Contrib. k la Chirurg., t. II, p. 457, eine 24jährige Dame
betreffend; die Gabel verweilte 229 Tage im Magen; nach vorhergegangenen An¬
fällen von heftigem Erbrechen, Schmerzen, Abmagerung etc. bildete sich in der
Magengegend eine Anschwellung und ging durch den sich frei von selbst öffnenden
Abscess die Gabel ab.
5. tan Andel , Gaz. h^bdom. de mäd. et de chir. 1866, p. 797, eine 64jährige
Dame betreffend; Verweilen der Gabel im Magen während 4'/ a Monaten; sponta¬
nes Abgehen derselben durch einen Abscess in der Magengegend wie im vorigen
Falle.
6. Velpeau , Zeitsohr. f. d. gesammte Medicin von Vieffenbach , 43. Bd., p. 535; die
von einem Manne verschluckte eiserne Gabel ging auch hier von selbst ab.
7. tan Andel , a. obig. Ort, Fall ohne ausführliche Angabe ; eine eiserne Gabel
wurde bei einer Frau durch die Gastrotomie entfernt. Tod.
8. Sonderland , Gaz. häbd. de müd. et de chir. 1866, p. 797; ein 19jähriges über¬
spanntes Mädchen hatte 2 eiserne Gabeln verschluckt; dieselben entleerten sich
ebenfalls durch einen Abscess in der Magengegend. Beide Gabeln waren 10 Mo¬
nate lang im Magen geblieben.
9. Fedeli , Gnz. h6bdom. de raüd. et de chir. 1866, p. 797; eine eiserne Gabel
war von einer 50jährigen Frau verschluckt und 2 Jahre im Magen verweilend er¬
tragen worden; Abgang der Gabel durch einen Abscess im rechten Ilypochon-
drium.
10. Labbe , der oben mitgetheilte Fall.
*) Diese Zusammenstellung macht selbstverständlich auf Vollständigkeit keinen Anspruch.
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Untar den hier mitgetheilten 10 Fällen fand also 8 Mal ein günstiger Aus¬
gang, 1 Mal der Tod statt; in 1 Falle wurde die Gabel erst nach zufällig einge¬
tretenem Tod bei der Autopsie entdeckt. Von den 8 mit Heilung endigenden Fäl¬
len hatte bei 7 Individuen eine spontane Expulsion der Gabel, bei 4 durch selbst¬
ständige Abscessbildung in der Magengegend, oder in einem Fall durch eine solche
im rechten Hypochondrium, bei 3 durch Abgang per anum stattgefunden. Nur in
dem von Labbö beobachteten Fall war eine und zwar von Heilung begleitete ope¬
rative Entfernung der Gabel vorgenommen worden, in einem frühem operativ be¬
endigten Fall war der Tod erfolgt.
Die Erfahrung dieser hier mitgetheilten 10 Fälle spricht neuerdings für die
ausserordentliche Toleranz der Verdauungswege gegen Fremdkörper.
Hierfür lassen sich übrigens ebenfalls sehr interessante Thatsachen aus der
Arbeit Camille Mignon' s: des corps ötrangers des voies digestives. Paris, Delahaye
1874, gewinnen. Wir finden hier ausser zahlreichen Fällen von verschluckten Geld¬
münzen, Kaffeelöffeln, Knochenfragmenten , Fischgräten , Hemdknöpfchen etc. als
Curiosa unter den ebenfalls bald absichtlich, bald unabsichtlich* verschluckten Ge¬
genständen :
eine 9 Zoll lange Degenklinge (Abgang ohne besondere Zufälle). Fall 21 der
Tabelle;
eine 4 Zoll lange Scheere (Abgang nach 9 Tagen ohne besondere Zufälle).
Fall 22 der Tabelle;
80 Stecknadeln (70 derselben nach einigen Tagen ohne vorhergehenden Zufall
im Stuhlgang nachgewiesen). Fall 31 d. Tab.;
ein 4 Zoll langes Biberon (bei einem Kinde nach 3 Tagen ohne Zufall abge¬
gangen). Fall 40 d. Tab.
eine 4 Zoll lange kleine Flageoletfiöte (nach heftigen Schmerzen von selbst
nach einigen Tagen abgegangen). Fall 66 d. Tab.;
ein nach und nach verschlucktes ganzes Dominospiel (nach 5 Tagen ohne Zu¬
fall abgegangen). Fall 46 d. Tab.;
eine Fledermaus (bei einem Kinde nach 48 Stunden nach heftigem Blutbre¬
chen, Schmerzanfällen etc. von selbst abgegangen). Fall 101 d. Tab.;
17 Messer, Glasstücke, Stecknadeln etc. (bei einem Soldaten nach 8 Monaten
nach heftigen Schmerzen etc. von selbst abgegangen). Fall 133 d. Tab.;
35 Messet, e. (von einem Matrosen nach und nach als Bravourstück verschluckt;
Tod nach 2 Jahren, Autopsie). Fall 134 d. Tab.;
eine thönerne Pfeife (heftige Schmerzen, spontanes Ausstossen der Pfeife,
Tod).
Unter den 163 von Mignon zusammengestellten Fällen waren:
bei 47 derselben keine,
„ 85 „ schwere,
„ 10 „ tödtliche Erscheinungen erfolgt,
bei 3 Fällen verblieben die Fremdkörper während des ganzen Lebens im
Darmcanal,
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730
bei 18 Fällen war die operative Entfernung, jedoch nur 5 Mal die wirkliche
Gastrotoinie vorgenommen worden.
Unter diesen 5 gastrotomirten Fällen finden sich 4 Heilungen, 1 Tod, was die
Operation der Gastrotomie als jedenfalls „eine auffallend günstige Prognose dar¬
bietend“ erscheinen lässt Die betreffenden Gastrotomieen waren
2 Mal wegen verschluckter Gabeln,
2 „ „ „ Messer,
1 „ „ eines verschluckten Bleistückes von 30 cm. Länge
vorgenommen worden.
Ein besonderes Interesse gewährt das häufige Verschlucken der sog. „Bast-
ringue“ durch Verbrecher. Es ist dies ein 11 cm. langes Stahletuis, ähnlich einem
Schwefelhölzchenschächtelchen, das alle Utensilien, wie Hammer, Schraubenzieher,
Sägen, Meisci etc. enthaltet, die einem Verbrecher zum Durchbrechen aus Gefäng¬
nissen dienen können. Der Verbrecher verschluckt dieses Etui häufig im Momente
seiner Gefangennahme. Es kommen in Frankreich jährlich 3—6 Fälle der Art zur
Beobachtung der betreffenden Gefängnissärzte.
Werfen wir schliesslich einen Blick auf die Art und Weise des Eindringens
resp. des Hinabgleitens grösserer Fremdkörper in den Verdauungstractus, sowie
auf das Verhalten der verschluckten Fremdkörper in den Digestions wegen im
Allgemeinen, so sehen wir zunächst, dass bei grösseren Gegenständen (Messern,
Gabeln etc.) das Eindringen in die Speiseröhre dadurch ermöglicht wird, dass im
Momente des Einführens derselben die horizontale Mund- und verticale Speise¬
röhrenebene durch starke Rückwärtsbiegung des Kopfes in eine einzige schiefe
Ebene umgewandelt werden.
Zuweilen gleiten selbst lange, rauhe und grössere Fremdkörper ohne bedeu¬
tendere, selbst ohne jegliche Beschwerden durch den Oesophagus in den Magen.
In anderen Fällen wird selbst bei kleinerem Umfange des eingeführten Gegen¬
standes zunächst die obere quergestreifte Kreis- und Längsfaser-Muskelschicht der
Speiseröhre zur Zusammenziehung angeregt, und pflanzt sich dieselbe ebenfalls
auf die untere, aus organischen glatten Muskelfasern bestehende Muscularis fort.
Das Steckenbleiben eingedrungener Fremdkörper findet meist unterhalb der Cartil.
cricoid., in der Höhe des 5. und 6. Halswirbels, der engsten Stelle des Oesopha¬
gus, statt.
Ist der Fremdkörper in den Magen gelangt, so ist durch die Conformation
desselben, namentlich bei einem bedeutendem Gewichte des eingedrungenen Gegen¬
standes hier zunächst die günstigste Bedingung für ein längeres, ja selbst, wie aus
den angeführten Beobachtungen hervorgeht, für ein dauerndes Verweilen da¬
selbst und zwar zunächst im Fundus ventriculi gegeben. Unterstützend wirkt hie-
für, dass der Fremdkörper behufs des Durchtrittes durch den Pylorus noch ein
kleines Ansteigen nach Oben auszuführen hat. Beim Kinde ist dieses Ansteigen in
weit geringerem Maasse nothwendig.
Die zweite Lieblingsstelle zum Verweilen, d. h. Steckenbleiben von Fremd¬
körpern, bildet das Cöcum. Die anatomischen Verhältnisse dieses Darmabschnit¬
tes, das eigenthümliche Verhalten des Proc. vermicularis erklären diese Tbatsache.
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Unter allen Darmtheilen, mit Ausnahme des Fundus ventric-, neigt die Ileocöcal-
gegend (resp. die Fossa iliaca dextra) am leichtesten zur Abscedirung mit spon¬
tanem Durchtritt der Fremdkörper nach Aussen.
Das letzte Hinderniss für den Durchtritt verschluckter grösserer Gegenstände
bildet der Anus resp. die Sphincteres ani. Wiederholt mussten verschluckte Glas-
fiolen zur Extraction im Rectum zerbrochen werden, oder Hessen sich nur in tiefer
Chloroformnarcose entfernen.
Die Symptomatologie der betreffenden Fälle richtet sich nach der Em¬
pfindlichkeit der in Frage kommenden Verdauungswege. nach der Natur, der
Grösse, Form, Rauhigkeit oder Glätte des eingeführten Gegenstandes (nach der
Art und Weise seines Ueberzuges) nach seiner metallischen, möglicher Weise
toxisch wirkenden Zusammensetzung etc. Auch hier veranlassen zuweilen kleine,
selbst glatte, abgerundete Objecte heftige Schmerzen, stürmische peristaltische oder
antiperistaltische Bewegungen, tiefe, zur Abmagerung führende Verdauungsstörun¬
gen, Blutentleerungen nach Oben und Unten, während zuweilen grössere, unregel¬
mässig gestaltete, spitze, schneidende oder durch ihre chemische Beschaffenheit
allein schon schädlich wirkende Objecte den ganzen Darincanal ohne irgend ern¬
stere Störungen durchlaufen können. — Auf welche Weise peritonitische Reizungen,
ja selbst Peritonitis zu Stande kommen kann, bedarf wohl keiner Auseinander¬
setzung.
Wechselnd wie die Symptomatologie dieser Fälle ist selbstverständlich auch
die pathologische Anatomie derselben. Bald finden wir keine anatomi¬
schen Veränderungen der Mucosa, bald tiefere mechanische Verletzungen derselben
an dieser oder jener Stelle des Darmrohrs; bald handelt es sich um catarrhalische
leichtere Reizungen des Schleimhautüberzuges, bald um ernstere Verschwärungen,
consecutive Entzündung des Peritonealüberzuges, Abscessbildung etc.
Nicht zu übergehen ist hier der Umstand, dass zuweilen bedeutendere mecha¬
nische Erweiterungen des Magenfundus oder anderer Darmabschnitte, Divertikel¬
bildung durch das Verweilen von Fremdkörpern daselbst veranlasst werden.
Die Diagnose unserer Fälle wird nur da eine schwierige sein, wo die That-
sache der Einführung eines Fremdkörpers nicht bekannt ist oder geläugnet wird.
Lässt sich, wie in dem Labbe' sehen Fall, das Corpus alienum durch die Bauch Wan¬
dung hindurchfühlen, 60 dürfte auch in diesen Fällen ohne Anamnese die Diagnose,
in andern Fällen zugleich die Bestimmung des Aufenthaltsortes des Fremdkörpers
im Darmrohre möglich sein.
Die Prognose concreter Fälle darf selbstverständlich auch für einfach
erscheinende Fälle nur mit Vorsicht gestellt werden. Immerhin ist auf den bereits
hervorgehobenen günstigen Verlauf der Mehrzahl dieser Fälle aufmerksam zu ma¬
chen. Aus der erwähnten Mignori&chen Tabelle lässt sich ein Sterblichkeitsverhält-
niss von 7,365% herausrechnen.
Für die Behandlung scheint sich hier entschieden die zuwartende, beob¬
achtende Methode zu empfehlen. Abgesehen von den bekannten Indicationen und
Methoden der Extraction, im Oesophagus stecken gebliebener Fremdkörper , ist
das operative Einschreiten (Gastrotomie etc.) erst als ultima ratio und erst beim
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andauernden Auftreten schwerster Erscheinungen, bei klarer anatomischer Bestim¬
mung der Lage, beziehungsweise des Aufenthaltsortes des Fremdkörpers im
Darme gestattet, aber in derartigen Fällen auch nicht zu verschieben oder zu un¬
terlassen.
Ob es zweckmässig ist, den Durchtritt verschluckter Fremdkörper durch das
Darmrohr, durch Laxantien etc. zu beschleunigen, oder, wie man sich vorstellt, zu
unterstützen, bedarf im betreffenden Falle sehr der Ueberlegung. In zahlreichen
Fällen dürfte dadurch eher eine schädliche künstliche Reizung des Schleimhaut¬
überzuges geschaffen und meist nur das „ut aliquid fecisse videamur“ erfüllt
werden.
Bei heftigen Schmerzanfällen, Erbrechen etc. und der ganzen übrigen Reihe
derartiger consecutiver Erscheinungen tritt selbstverständlich die bekannte sympto¬
matische Behandlung in ihre Rechte.
Zum Schluss weist der Vortragende noch mehrere Fremdkörper vor, die von
Beobachtungen bei Kindern stammen:
Der Erste, eine sog. Sicherheitsnadel, war von einem 3jährigen Mädchen, Emma
Schneider, beim Spielen verschluckt worden, ohne Beschwerden in den Magen ge¬
langt, hatte jedoch während 4 Monaten zu zeitweise auftretendem heftigen Erbre¬
chen, schweren, nur durch Morphiumeinspritzungen zu beschwichtigenden Schmerz¬
anfällen, schliesslich zu chronischer Diarrhoe mit allgemeiner Abmagerung Veran¬
lassung gegeben. Der Abgang der geöffneten Nadel erfolgte am Ende des 4.
Monates spontan, worauf alle krankhaften Symptome innerhalb weniger Tage
schwanden.
Der zweite vorgewieseno Fremdkörper ist ein messingener Hemdenknopf, der
von einem 6jährigen Knaben , Gottlieb Burger, verschluckt und nach 17 Tagen,
nach täglich wiederkehrendem Erbrechen, heftigen Schmerzen mit zeitweisen Fie¬
berregungen, spontan per anum ausgestossen worden war.
Hervorzuheben ist bei diesem zweiten Falle der meist anhaltende Meteoris¬
mus, eine bedeutende Empfindlichkeit des Epigastriums während der ersten 4 Tage
nach dem Zufall, sowie eine, zuweilen während 12—24 Stunden anhaltende, dann
wieder für ebenso lang oder länger verschwindende Pupillenerweiterung. Auch
dieses Symptom wie die directen Reizerscheinungen des Digestionstractus hörten
mit dem Abgänge des Fremdkörpers per anum vollständig auf.
Der dritte Fall betrifft einen Knaben, Peter Binggeli von Rohrbachgraben, 7 '/ 2
Jahre alt Derselbe hatte im Mai 1874 einen flachen Kieselstein von der Grösse
eines 20-Cehtimesstückes und der Gestalt eines regelmässigen gleichschenkligen
Dreiecks beim Spielen verschluckt Es erfolgte durchaus keine krankhafte Er¬
scheinung auf diesen Zufall und glaubten die Eltern, der Stein sei schon wäh¬
rend der ersten Tage abgegangen und im Topfe, beim Nachsuchen, überßehen
worden. Etwa 7 Wochen später, Ende Juni desselben Jahres, trat bei dem Kna¬
ben heftiges Fieber, Erbrechen und hartnäckige Stuhlverstopfung auf. Er wurde
vom Kinderspitale aus poliklinisch behandelt. Die Untersuchung ergab eine
schmerzhafte Anschwellung in der rechten Leistengegend , 1 Zoll oberhalb des
Povparf sehen Bandes. Unter Steigerung der fieberhaften Erscheinungen (bis auf
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733
40° C. Abendtemperatur), fast durch nichts zu bekämpfendem Erbrechen etc.
bildete sich bis zum 17. Tage nach dem Auftreten der ersten Schmerzerscheinun¬
gen, in der beschriebenen Gegend ein etwa hühnereigrosser Abscess aus. Durch
eine Incision entleerte sich jauchiger mit Koth vermischter Eiter und glitt zugleich
bei einem leichten Druck auf die obere Abscesswand der jetzt 8—9 Wochen frü¬
her verschluckte Stein über den unteren Wundrand nach Aussen. Die Ausheilung
des Abscesses und der dabei bestehenden Kothfistel machte sich innerhalb 33 Ta¬
gen ohne weitere Complication. Ob das zur Expulsion des Fremdkörpers Veran¬
lassung gebende, nun mit der Bauchwand verlöthete Darmstück dem Dünndarm,
Coecum, oder Proc. vermif. angehört, liess sich bei der Untersuchung nicht ent¬
scheiden.
Von besonderem practischen Interesse ist wohl der vierte, das 5‘/»jährige
Mädchen L. betreffende Fall. Es handelte sich um das Verschlucken eines 10 cm.
langen, silberner, ganz glatten, mit einem nur sehr kleinen Stückchen Argent. nitr.
fus. armirten Höllensteinträgers. Derselbe war dem etwas ängstlichen Collegen
beim Cauterisiren der Mandeln des Kindes entschlüpft und, ohne bedeutendere
Schlingbeschwerden oder Würgbewegungen zu erzeugen, in die Speiseröhre der
Patientin und wahrscheinlich sofort auch in den Magen geglitten. In der ersten
Angst über den unglücklichen Zufall wurden dem Kinde ziemlich grosse Quanti¬
täten Milch, Olivenöl und schliesslich selbst flüssig gemachtes Hundefett einge¬
schüttet Es erfolgte während der ersten 3 Tage kaum stillbares Erbrechen, zuerst
der eingegossenen Milch und Fettmassen. Später wurde mehrmals täglich bräun¬
lich gefärbter Schleim erbrochen. Patientin verweigerte hartnäckig die Aufnahme
festerer Nahrung und nahm nur zwangsweise etwas Milch und Fleischbrühe zu
sich. Die Stuhlgänge waren während der ganzen Zeit dünnflüssig und ekelhaft
faulig riechend. Da die Kräfte des Mädchens fortwährend abnahmen, wurde das¬
selbe nach Bern gebracht und dem Vortragenden zur Behandlung übergeben. Bei
der zu jener Zeit vorgenommenen genauen Untersuchung des Abdomens liess sich
nirgends eine bei Druck empfindlichere Stelle nachweisen, auch kein festerer Körper
durchfühlen. Die nun eingeleitete Therapie bestand in der sorgfältigen methodi¬
schen Ernährung des Kindes durch Milch, Fleischthee, Eier, sowie in der Dar¬
reichung grösserer Gaben Cognac. 33 Tage nach dem Verschlucken des Höllen¬
steinträgers fand sich derselbe eines Morgens bei einem etwas reichlicheren, fast
nur aus bräunlich gefärbten Schleimmassen bestehenden Stuhlgange im Topfe vor.
Er war mit dicken, zähen Schleimmassen überzogen und von schmutzig-grünlicher,
von der Oxydation der Kupferbeimischung herrührender Färbung. Mit dem Ab¬
gänge des Fremdkörpers trat in wenigen Tagen Wiederherstellung des Wohlbe¬
findens ein und nahmen die Kräfte sehr schnell zu. Als einzige Folge des Zu¬
falles bestand bei dem Mädchen noch mehrere Monate nachher eine Neigung zu
hartnäckiger Stuhlverstopfung.
Es sind diese 4 Fälle die einzigen bemerkenswertheren Beobachtungen von
Fremdkörpern im Digestionstractus, welche dem Vortragenden während jetzt 16
Jahren zur Beobachtung gelangten.
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V ereinsberichte.
XVI. Versammlung des ärztlichen Centralvereins in Olten.
Den 27. October 1877, Mittags 12 Uhr.
Präsident: Dr. Sonderegger, Schriftführer ad hoc: Dr. H. v. Wyss, Zürich.
(Fortsetzung.)
IV. Es folgt der Vortrag von Prof. Dr. Wille : Ueber allgemeine Grund¬
sätze bei Behandlung der Psychosen.
Mit dem Bestreben, die Wissenschaft im Ganzen allgemeiner zugänglich zu
machen, hat auch die Psychiatrie die Speculation des Studirzimmers verlassen und
sich auf die Beobachtung der realen Erscheinungen geworfen, ferner ist es an der
Zeit, dass sie auch aus den Anstalten heraustrete und mehr zum Gemeingut in
nächster Linie der Aerzte werde.
Wenn man annimmt, das Nervenleben beruhe auf einem System hemmender
und erregender Kräfte, wobei die psychischen Vorgänge mit inbegriffen sind, so
würden sich die Mehrzahl der Störungen desselben ableiten lassen aus einer ge¬
steigerten Wirkung theils der erregenden, theils der hemmenden Kräfte. Diese
abnorme Erregung kann die Folge sein übermässig starker oder häufiger Reize
oder einer hochgradig erregbaren nervösen Substanz. Die Zustände, welche in
frischen Fällen zur Behandlung kommen, lassen sich dann entweder auf directe
Aeusserungen von Ueberreizung des centralen Nervensystems oder auf deren Fol¬
gen, psychische Ermüdung, zurückführen. Schon unter gewöhnlichen Verhältnissen
normal wirkende Reize werden für das Gemüth eines Irren zu lebhaft erregenden,
schmerzhaft wirkenden Momenten, deshalb befinden sich solche Kranke meistens
am schlechtesten unter ihren gewohnten häuslichen Verhältnissen. Das Bedürfniss
nach besondern Anstalten für dieselben machte sich darum schon lange geltend,
und man bestrebte sich, die äussern Bedingungen für ihre zweckmässige Verpfle¬
gung möglichst vollkommen herzustellen.
Jedoch ist es unrichtig, wenn behauptet wird, dass Irre n u r in Anstalten ver¬
pflegt und geheilt werden können. Unter der Bedingung, dass der behandelnde
Arzt des Kranken mit Irren umgehen kann, und die häuslichen Verhältnisse die
richtige Pflege ermöglichen, kann wohl jeder Kranke eine Zeit lang zu Hause
verpflegt werden. Die Schweiz hat in dieser Beziehung den Vorzug, dass jeder
Mediciner Gelegenheit zu psychiatrischer Ausbildung hat Ein solcher Arzt wird
das Vertrauen der Patienten gewinnen, ihn leiten können und den Zcitpunct rich¬
tig erkennen, wenn die Uebersiedelung in eine Anstalt erfolgen soll. Wegen der
bekannten Gefahren, die der Zustand eines Irren für ihn selbst und seine Umge¬
bung oft darbietet, darf der Arzt erst dann die Verantwortung übernehmen, ihn
zu Hause zu behandeln, wenn er sicher ist, dass er gehörig und sachgemäss über¬
wacht wird. Ausserdem muss bei dieser Art der Verpflegung ein gewisser Grad
der Isolirung ermöglicht sein, ferner der Kranke zu jeder Zeit erregenden Mo¬
menten entzogen werden können, dann ist auch eine Einrichtung für Bäder drin¬
gend wünschbar. Als eigentliche Contraindicationen gegen häusliche Verpflegung
müssen dagegen gelten: 1. Wenn die Ursache der psychischen Erkrankung in den
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häuslichen Verhältnissen liegt, % bei hartnäckigen Selbstmordstrieben, Neigung za
sexuellen und alcoholischen Excessen, hartnäckiger Nahrungsverweigerung, 3. wenn
eine Behandlung ohne No-restraint nicht durchführbar ist, 4. bei anhaltendem Lär¬
men und Toben der Patienten, 5. wenn in der Umgebung der Pat. sich psychopa¬
thisch leicht erregbare Personen, besonders auch Schwangere in den ersten Mona¬
ten befinden, 6. wenn schon beim Beginn der Krankheit die Prognose infaust und
der Verlauf als ein schwerer angenommen werden muss.
Die Fälle psychischer Erkrankungen von ganz transitorischem Charakter, wie
sie entweder auf epileptischem oder hysterischem Boden entstehen, oder durch
Alcoholintoxication oder fieberhafte Erkrankungen veranlasst werden, sind besser
von der Transferirung auszuschliessen und zu Hause zu behandeln. Es eignen
sich dafür aber auch symptomatische acute Delirien, melancholische und maniaca-
lische Verstimmung, selbst primäre Verrücktheit und gorade in letztem Fällen
wirkt die Anstaltsbehandlung oft geradezu verschlechternd ein.
Was nun die eigentliche Behandlung der psychischen Krankheiten betrifft, so
ist zunächst zu warnen vor jedem schwächenden Verfahren, insbesondere Blutent¬
ziehung und strenger Diät bei Fällen, deren äussere Erscheinung das Vorhanden¬
sein heftiger Kopfcongestionen, bezw. beginnende Meningitis vermuthen lässt, da
zu leicht'durch ein Verfahren dieser Art aus acuten Erkrankungen chronische,
heilbare in unheilbare verwandelt werden. Ebenso schlimm wirken in gleichem
Sinn rohe Behandlung oder thätliche Misshandlungen auf die Kranken ein. Die
eigentliche Behandlung in positivem Sinn wurde früher in psychische und soma¬
tische unterschieden, ein Standpunct, der jetzt völlig unhaltbar ist. Die psychische
Behandlung besteht in nichts anderem als der Kunst, mit den Kranken in ihren
verschiedenen Zuständen umgehen zu können, in der Beobachtung des richtigen
Tacts, der nur durch längere Erfahrung erworben wird und dessen Hauptgrund¬
satz in der richtigen Individualisirung besteht. Viele Irrenärzte begnügen sich mit
guter Ernährung der Kranken und zeitweiligem Baden, ohne Medicamente je an¬
zuwenden. Dieser Nihilismus bildet eine Reaction gegen die frühere therapeutische
Geschäftigkeit, besonders gegen den Missbrauch der Narcotica. Der ausgezeich¬
nete Psychiater Meyer in Göttingen liess seine Kranken sämmtlich die Bettlage be¬
obachten, und hat dadurch in den meisten Fällen einen mildern Verlauf erzielt.
Doch passt dies Mittel nicht für alle Fälle, ja es kann positiv schädlich oder un¬
möglich werden. Die Theorie, dass, wie überhaupt die Kranken, so auch die
. psychisch Kranken sich nur im Bett erholen können, ist eine aus richtiger Einzel¬
beobachtung zu weit getriebene Verallgemeinerung, da die Bettlage, ein so sou¬
veränes und wichtiges Mittel sie für eine grosse Anzahl Krankheiten darstellt, doch
nicht überall passt. Man würde bei Irren schliesslich dahin kommen, die Kranken
in absolut leeren Zellen nackt auf einen Haufen Seegras zu isoliren und sie machen
zu lassen, was sie wollen. Doch dürfte ein solches Verfahren kaum ein für Kran¬
kenanstalten passendes sein.
Nachdem man von der Anwendung von Specificis, unter denen in alter Zeit
die Wurzel von Anoyra, eine oder mehrere Helleborusspecies die Hauptrolle spiel¬
ten, von den Abführmitteln, von der Tart. stibiat zurückgekommen ist, haben sich
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unter den Medicamenten nur noch die verschiedenen Narcotica ihren Platz behaup¬
tet Unter ihnen ist wohl dem Opium immer noch der erste Platz einzuräumen,
den es seit dem grauen Alterthum einnimmt. Bei Homer erwähnt, finden wir ge¬
naue Indicationen dafür von Alexander von Trolles 545 angegeben. Wenn auch
dieses Mittel als Specificum nicht angesehen werden kann, so ist es, sowie das
Morphium doch ausserordentlich wertbvoll bei erethischen, anämischen Kranken,
die oft von quälenden Sensationen und daher rührenden Angstgefühlen gepeinigt
werden, wo es dann stets Beruhigung bis zum Schlaf erzeugt. Die länger dauernde
Anwendung des Opiums ist nicht von denselben schlimmen Folgen begleitet, die
beim Morphium mit Recht so sehr gefürchtet werden. Ein sehr wichtiges Mittel
sind die allgemeinen Bäder, die nach speciellen Indicationen mannigfach zur Ver-
werthung kommen. Ausserdem die Mittel zur Herbeiführung des Schlafs neben
Einwicklungen in nasse Tücher, Chloral, Bier, Wein, Bromkalium. Letzteres Mit¬
tel leistet auch wichtige Dienste zur Bekämpfung der sexuellen Aufregung neben
Localbädern. Die übrigen speciellen Indicationen richten sich nach dem Vorhan¬
densein specieller körperlicher Störungen unter Berücksichtigung des vorhande¬
nen Schwächezustandes, wobei allgemein-medicinische Gesichtspuncte maassge¬
bend sind.
In der Discussion bemerkt Dr. Zehnder , es sei ihm auffällig erschienen, dass
der Vortragende sich dahin geäussert habe, dass eine grosse Anzahl von Irren
zu Hause verpflegt werden könne. Er kann diese Ansicht nicht theilen; denn es
sei statistisch erwiesen, dass die Aussichten auf rasche Genesung mit dem früh¬
zeitigen Eintritt der Kranken in die Anstalt wachsen. Ferner müsse doch das ge¬
ordnete Anstaltsleben und die strengere Disciplin von bedeutendem wohlthätigem
Einfluss sein. Eine Contraindication gegen die familiale Verpflegung sieht er da¬
rin, dass eben sehr oft die Ursachen der Krankheit in Familienverhältnissen liegen
und den Angehörigen fast immer die Einsicht fehlt, den Kranken richtig zu be¬
handeln. Endlich würde auch die Garantie, die der Arzt immer haben muss, dass
der Patient zu Hause keinen Schaden anrichtet, meistens sehr schwierig zu erlan¬
gen sein.
Dr. Gotll. Burckhardt glaubt, vom principiellen Standpunct müsse man daran fest-
halten, dass viele Kranke zu Hause geheilt werden können, trotzdem werde das
Bedürfniss für Anstalten nicht abnehmen, im Gegentheil noch wachsen, da die
Verpflegung zu Hause ausserordentlich viel verlangt und sehr kostspielig ist.
Dr. Steiger theilt diesen Standpunct ebenfalls.
Dr. Fetscherin weist auf die Nothwendigkeit der Anstalten für die psychiatrische
Bildung hin und ist entschieden der Ansicht, eine solche, wie sie zur practischen
Ausübung der Irrenheilkunde befähigt, könne stets nur durch langen Aufenthalt in
einer Anstalt, niemals aber durch das blosse Anhören einiger Vorlesungen und
Curse erworben werden.
V. Dr. Koltmann spricht hierauf über Sehnennaht (erscheint in extenso im
Correspondenz-Blatt).
Zur Discussion ergreift Dr. Steiger das Wort Er ist der Ansicht, dass bei
frischen Fällen von Sehnenverletzungen an der Hand die blosse Bandagirung in
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der erforderlichen Stellung ebenso gute Resultate gebe wie die Naht. In einem
Falle von vollständiger Zerreissung auf der Dorsalseite der Hand erfolgte den¬
noch Heilung sämmtlicher Sehnen und Erhaltung der Beweglichkeit bei blosser
Dorsalflexion.
(Schloss folgt.)
Medicinische Gesellschaft in Basel.
5. Sitzung, den 16. März 1877.
Anwesend 20 Mitglieder und 1 Gast.
Dr. Daniel Bernoulli wird an Stelle des kürzlich verstorbenen Dr. Bernhard Socin
zum Actuar für’s laufende Jahr gewählt.
Dr. Albert Burckhardt wünscht einen speciellen Berichterstatter über die Gesell¬
schaftssitzungen für’s „Corr.-Bl. f. schw. Aerzte“; nach gewalteter Discussion wird
eine Beschlussfassung auf die nächste Sitzung verschoben.
Prof. Schiess hält einen Vortrag über 2 Fälle von Elephantiasis des
obern Augenlids, wovon der zweite vorgestellt wird. Durch 2 Ausschnei¬
dungen keilförmiger Stücke ist das früher ganz herabhängende Lid soweit verkürzt,
dass der Patient das Auge öffnen kann. Es zeigt sich dabei die Eigenthümlich-
keit, dass das sonst normale Auge, das aber durch die Geschwulst von Geburt an
verdeckt gewesen, nur einen Lichtschein, aber weder Projection noch qualitatives
Sehvermögen zeigt.
Derselbe zeigt ein Präparat von Melanosarcom des Bulbus vor, das
bei einem 48jährigen Weibe nach Wespenstichen im Gesichte rechterseits im Ver¬
laufe von 3 Jahren entstanden war. Das Auge stellte einen melanotischen, vor¬
stehenden Tumor vor; von den normalen Gebilden konnte man blos ein kleines
Stückchen Sclera wahrnehmen. Die Operation geschah mit Spaltung des äussern
Lidwinkels und weitem Eingehen nach hinten. Die Kranke starb am 9. Tage
unter meningitischen Erscheinungen. — Das Präparat bestätigte die Diagnose auf
Melanosarcom; nach vorn ging die Geschwulst wenig, nach hinten jedoch viel über
die Bulbusgrenze hinaus.
Derselbe weist einen Brillenkasten nach Metersystem vor; er be¬
spricht die Gründe des Verlassens des alten Systems und die Vorzüge des neuen.
Die Auswahl der Nummern geht von 0,25 bis auf 20,0. Der Vortragende demon-
strirt die Umrechnungen der alten Brillengläser in die neuen und umgekehrt, fer¬
ner die Auswahl der verschiedenen Gläser für die verschiedenen Refractionsano-
malien.
Dr. Schneider , von Dr. Hägler unterstützt, möchte die medic. Gesellschaft für
den Wiederaufbau der hygieinisch so wichtigen, vom Rhein zerstörten und nun
wieder aufzubauenden Badeanstalt für Frauen interessiren, wobei jedoch von
einer directen Betheiligung der Gesellschaft abgesehen wird.
6. Sitzung, den 5. April 1877.
Anwesend 24 Mitglieder und 2 Gäste.
Die Gesellschaft beschliesst mit Mehrheit die Ernennung eines Specialreferen-
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ten für das „Corr.-Bl. f. schweizer Aerzte“; gewählt wird zu einem solchen Dr.
Albrechl E. Burckhardt.
Vortrag von Prof. Miescher, Sohn, über den Einfluss des Nerven¬
systems aut die Blutbewegung. Prof. Miescher bringt, bevor er auf den
jetzigen Stand der Frage eingeht, einige geschichtliche Notizen. John Bunter zeigte
die directe Arterienreizung, Legallois den Einfluss der Nerven, die Gebrüder Weber
den Hemmungseinfluss des Vagus mittelst der Ganglienzellen des Herzens, Bezold
zeigte den Einfluss des Hirns auf den Vagus und entdeckte den beschleunigenden
Herznerven des Rückenmarks (n. accelerans). Als letztes Glied der Herzinnerva¬
tion zeigt sich, wenigstens beim Kaninchen, der n. depressor, ein sensibler Vagus¬
zweig, dessen Erregung reflectorisch auf die hemmenden Vagusfasern wirkt. Schon
Claude Bernard machte 1851 Versuche mit Durchschneidung des Halssympathicus
und seiner Reizung über den Einfluss der Nerven auf die Gefässe; aber die selbst¬
ständige Bedeutung des Gefasstonus als Grundbedingung des Kreislaufs wurde erst
1864 von Goltz und Ludwig hervorgehoben.
Der Vortragende erläutert sodann die Veränderungen des arteriellen Blutdrucks
unter dem Einfluss des Nervensystems (bei Rückenmarksdurchschneidung und
Rückenmarksreizung); er macht besonders aufmerksam auf die wichtige Fähigkeit
des Herzens, eine mit den Widerständen im Pulmonal- und Aortensystem fast
proportional wachsende Arbeit zu leisten und so compensirend zu wirken.
7. Sitzung, den 19. April 1877.
Anwesend 19 Mitglieder und 3 Gäste.
Fortsetzung des Vortrags von Prof. Miescher , Sohn.
Der Vortragende bespricht zuerst die gefässverengernden Nerven; diese kom¬
men in sehr vielen Hirn- und Rückenmarksnerven vor und stammen wohl grossen-
theils aus dem Sympathicus; sie alle haben einen Tonus, d. h. sie sind in einem
continuirlichen Erregungszustand, aber nicht alle in dem gleichen Grade, am mei¬
sten die der Unterleibsorgane, am wenigsten die der Lunge.
Schiff entdeckte im Jahre 1858 auch gefässerweiternde Nerven, die
Chorda tympäni, der sich 1863 noch die Nervi erigentes zugosellten. Jedenfalls
sind auch die gefässerweiternden Nerven sehr im Körper verbreitet, wie es die
Versuche von Schiff und Luchsinger beweisen.
Den Sitz des Tonus der Gefässverengerer müssen wir in der Medulla oblon-
gata suchen; das Rückenmark in seinen verschiedenen Abschnitten hat jedoch auch
einen gewissen Antheil am Tonus, so zwar, dass es ihn reflectorisch vermehren
kann. Wahrscheinlich ist auch der Grenzstrang des Sympathicus nicht ohne Ein¬
fluss und vielleicht gibt es auch noch ganz peripher gelegene Centren.
Prof. Wille bittet um Auskunft über den Einfluss des Gehirns auf die Gefässe.
Prof. Miescher will diesen Punct zusammen mit der klinischen Verwerthung der
gegebenen Ansichten in einem folgenden Vortrage besprechen. Jedenfalls ist das
Gehirn nicht von fundamentaler Wichtigkeit in dieser Beziehung; seine Wirkung
ist am ehesten die eines sensiblen Nerven.
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Referate und Kritiken.
Aerztliches Journal.
Bern, Verlag von Max Fiala’s Buchhandlung (Otto Käser).
I. Für Stadtärzte.
Zeit ist Geld: — dieser Spruch hat doppelte Wichtigkeit für die practischen Aerzte,
da sie ihre Thätigkeit nicht wie andere Beruftreibende zum Theil auf andere Schultern
laden können. Bei der Buchführung möglichst Zeit zu ersparen und Uebersicht zu ge¬
währen : dazu soll uns das ärztliche Journal dienen.
Es besteht in der Hauptsache aus Krankeotabcllen, deren Ordnung nach Monaten
läuft. Jeder Patient erhält seine Linie zum Einträgen (48 auf jedem Bogen). Jedes
Datum hat seine senkrechte Colonne , wodurch einerseits eine grosse Uebersichtlichkeit
gewährt, andrerseits aber auch viel Raum verschwendet wird, so dass das Format des
Buches etwas gross erscheint (28 auf 42 cm.). Es liesse sich der Platz besser aus¬
nützen, wenn das Datum erst in sein Viereckchen, 10—13 auf jeden Patienten, einge¬
tragen würde, wie es bei den von uns seit 9 Jahren gebrauchten Tabellen der basier
„allgem Krankenpflege“ geschieht, welche in Folge hiervon viel handlicher sind. — Für
die vorgeschriebene Zeichenerklärung können wir uns nicht sehr begeistern; die Bezeich¬
nung mit den lateinischen Anfangsbuchstaben ist gewiss unverfänglicher und nicht zeit¬
raubender; der 8peciali8t wird für seine gebräuchlichen Operationen doch immer seine
eigenen Buchstaben finden müssen. — Fernere Colonnen sind: Summe der monatlichen
Consultationen und der Besuche, erhaltenes Honorar, Ausgang der Krankheit, Bemer¬
kungen. Wir vermissen eine Colonne Beruf.
Am Ende des Journals folgt das alphabetische Register, das durch FolioverWeisun¬
gen die Leistungen des Arztes an einzelnen Patienten und hinwiederum die pecuniären
Jahresleistungen des Patienten zusammenfasst, also als Jahresregister und Einnahme-
resp. Schuldverzeichnis8 dient. — Eingeschoben ist noch eiu „Ueberblick aller Einnah¬
men“ und eine „statistische Tabelle der Krankheiten“, letztere um den Genius epidemicus
nach Monaten und die Krankheitsausgänge zu constatiren; wir möchten sie noch für die
Feststellung der Berufskrankheiten benützen (vergl. oben). — Das Journal ist auf feines
Schreibpapier gedruckt und elegant und preiswürdig gebunden. Möge vielen Collegen
am Ende des bevorstehenden Jahres sowohl im Haupt- wie im Cassabuch ein Ueber¬
blick über lange Reihen dankbarer Patienten vergönnt sein. D. B.
II. Für Landärzte.
Unter den verschiedenen „Journalen“ , welche die ärztliche Buchführung zu erleich¬
tern bezwecken, zeichnet sich dasjenige der Fiala’schen Buchhandlung vortheilhaft aus.
— Die Einrichtung ist bei der Ausgabe „für Landärzte“ der Art getroffen, dass neben
den Colonnen für fortlaufende Nummer und Controlziffer, für Name, Alter und Wohnort
der Patienten, für Datum und Zahl der ärztlichen Verrichtungen, für bezahlte und aus¬
stehende Rechnungen auch noch genügender (in andern „Journalen“ meist fehlender)
Raum für Diagnose und Specificirung der ärztlichen Leistungen und
überdies noch eine Rubrik für „Bemerkungen“ vorhanden ist — Besondere hinten ein¬
gebundene Tabellen für eine Statistik der beobachteten Krankheiten sind ein
weiterer Vorzug dieses „Journals“, das Ref. als sehr practisch namentlich den Landärzten
empfehlen möchte. C.
Der ärztliche Landesschulinspector.
Von Dr. L. EUinger. Stuttgart, Verlag von V. Schober.
Nach des Verfassers Ansicht hat die Schulhygieine seit Jahrhunderten keine nennens-
werthen Fortschritte gemacht, weil die Pflege derselben den Unrechten Händen anver-
traut war und noch ist, Leuten, die kein Verständuiss dafür, keine Zeit oder keine Lust
dazu haben. Wo Verbesserungen angestrebt wurden, ist das Meiste auf dem Papier
geblieben. Mit seltenen Ausnahmen fehlte auch den Schriftstellern über Schulhygieine
eigene Anschauung, practische Erfahrung, das richtige Urtheil, worauf am meisten das
Augenmerk gerichtet werden sollte. Veutilation, Heizung, Beleuchtung, Subsellien sind
längst gerittene „Steckenpferde“.
Aber auch dem Herrn E. ergeht es kaum besser, als es bei seinen Vorgängern der
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Pall sein soll. An seinem Feuereifer für Verbesserung der Schreibstellung, der er aufs
Eingehendste seine Aufmerksamkeit widmet, die ihm die Pandorabüchse ist, aus der fast
alle Schulübel entspringen, ist er etwas blind geworden für die Würdigung der andern
Factoren, welche auf die Gesundheit der Schulkinder ein wirken.
Der Hauptzweck der Schrift ist übrigens der im Titel angedeutete: die Befürwortung
der Anstellung eines besondern ärztlichen Beamten, der, ausgerüstet mit den umfassend¬
sten Specialkenntnissen in schulhygieinischen Fragen, alle Schulen von Zeit zu Zeit zu
untersuchen und anregend und berathend den Landes- wie den Ortsschulbehörden zur
8eite zu stehen hätte. Viele Staaten haben zwar bereits Beamte bezeichnet, welche auch
dieser Aufgabe nebst vielen andern genügen sollen: sie haben ihre Physici oder wie sie
sonst heissen, damit betraut. Aber eben von diesen erwartet E. nichts, da sie ihre Zeit
für Anderes brauchen.
Es dürfte auch bei uns, wo schon mehrere Cantone die Schule ausdrücklich der ärzt¬
lichen Aufsicht unterstellt haben, keine müssige Frage sein, wie und von wem diese Auf¬
sicht am besten geübt werde. Ellinger 's Schrift enthält manches Anregende und Beher-
zigenswerthe für die, welchen dieser Gegenstand am Heizen liegt. Sch.
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Die Seekrankheit.
Von Prof. Emil Nagel. Berlin, Denicke’s Verlag, 1876. 89 Seiten.
Wenn es uns auch nicht vergönnt ist, der eigentlichen Seekrankheit im Bereiche un¬
serer Praxis zu begegnen, da Mangel an grösserem Gewässer die Personenschifffahrt bei
uns hindert, so mögen wir doch obige Brochure gerne zur Anzeige bringen, denn erstens
ist die Krankheit anderorts sehr verbreitet und bietet viel theoretisches Interesse, und
andrerseits ist sie mit dem überall vorkommenden Uebelbefinden beim Schaukeln, Reiten,
Herabblicken von grosser Höbe u. s. w. — der Schaukelkrankheit — zu identificiren.
Verfasser bringt eine neue Theorie der Aetiologie, indem er die Seekrankheit in der
Hauptsache als die Folge einer Reizentziehung auf das Gehirn ansieht, welche bei der
Schiffsbewegung ausgeübt wird: der Afficirte ist sich der Lage seines Schwerpuncts und
seiner Schwerlinie nicht mehr klar bewusst, er muss das verlorene Muskelgefühl wieder
herstellen und wirkt durch instinctive Anstrengung seines Willens auf die schwer be¬
troffene Gehirnpartie ein. Als solche ist der Pons anzueehen als das Centrum des primär
einwirkenden 5. und des reflectorisch wirkenden 10. und 11. Gehirnnervenpaares: es ent¬
steht Uebelkeit, Erbrechen und Diarrhoe, wobei Einbildungskraft, Ueberrascbung u. 8. w.
merklich mitwirkt Durch die directe Reizung des Körperhöhleninhalts (N. vagus) wird
die Reaction unterstützt. — Leider haben alle auf die Verbesserung der Schiflfahygieinc
abzielenden Bestrebungen (z. B. auch das neueste, allbekannte balancirende Salondampf-
schiff von Bessemer ) bis jetzt im Stiche gelassen , und der Seereisende ist lediglich auf
seine eigenen therapeutischen Bestrebungen angewiesen. Diese beruhen wesentlich nicht
auf dem Willen, sondern gerade auf der Entspannung des Willens , wozu der Verfasser
ausführliche Anleitung gibt. — Da die Diagnose der Seekrankheit leicht mit Sicherheit
gestellt werden kann, und da die meisten Kranken auf Selbsthülfe angewiesen sind, ist
die Behandlung des Thema’s in populär-wissenschaftlichem Tone ganz am Platze.
D. B.
Laryngoscopischer Atlas.
Enthaltend 61 Figuren auf 10 Tafeln, in Farbendruck, nach der Natur gemalt und
erläutert von Dr. Emst Burow, Privatdocent in Königsberg. Stuttgart,
Verlag von Ferdinand Enke, 1877. (180 Seiten Text Ladenpreis 16 Fr.)
Der Verfasser hat aus einer grösseren Anzahl von selbst gezeichneten Kehlkopf¬
spiegelbildern die besonders charakteristischen herausgehoben, die einzelnen Bilder mit
den zugehörigen Krankengeschichten versehen und dem Ganzen eine kurze Einleitung in
die laryngoscopische Technik vorangestellt. Er will damit einen Behelf bei laryngosco-
pischen Cursen geben, welcher dem Studirenden das Charakteristische der Fälle hervor¬
hebt und auch etwaige Lücken im vorhandenen Demonstrationsmaterial ausfüllt, keines¬
wegs aber ein umfassendes Lehrbuch der Kehlkopfkrankheiten schreiben. Die nicht
schematisch, sondern von concreten Fällen genommenen Bilder sind in farbiger Lithogra¬
phie vorzüglich ausgeführt und geben sehr getreue Anschauungen von fast allen im
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Larynx vorkommenden pathologischen und physiologischen Befunden. Es würde zu weit
führen, auf die einzelnen Fälle selbst einzutreten; heben wir blos hervor, dass dieser
Bvrow ’sehe Atlas gegenüber dem JürA'schen den Vortheil bietet, dass der ausführliche be¬
gleitende Text die Fälle in ihrer Entwickelung und Behandlung plastischer hinstellt. Den
». Fru/w’schen Atlas übertrifft er durch eine viel gleichmässigere Casuistik, welche fast
keinen pathologischen Process im Kehlkopf unberücksichtigt lässt. Seinen Zweck hat
der Autor wohl ziemlich erreicht, indem der Atlas in laryngoscopischen Cursen wie für
den Autodidacten in Laryngoscopie ein treffliches Lehrmittel bietet.
Rudolf Meyer-Hüni.
Almanach der ärztlichen Polytechnik.
Von Dr. G. Beck. Leipzig, Carl Hildebrandt & Cie, 1877. 96 pag.
Unter diesem Titel veröffentlicht der bekannte Verfasser des „kleinen Recept-Alma-
naches“ eine Uebersicht der neuesten, der ärztlichen Therapie und Diagnostik dienenden
Instrumente, Apparate und Vorrichtungen. Das alljährlich herauszugebende Werk soll
ein Supplement zu dem therapeutischen Alrnanache bilden und die jährlichen Fortschritte
des technischen Theiles der Medicin aus allen Ländern zur Anschauung bringen.
Im vorliegenden ersten Jahrgange behandelt der Verf. in 10 Abschnitten die wich¬
tigsten Erfindungen aus den Jahren 1873—1876. Wir finden da in 192 durch 90 Holz¬
schnitte illu8trirten Artikeln allerlei practische und viele unpractische und unnöthige Ap¬
parate mit grossem Fleisse zusammengestellt, wie solche in der medicinischen Literatur
der letzten Jahre veröffentlicht wurden. Zur genaueren Orientirung ist bei den meisten
Artikeln das betr. Journal angegeben, in welchem die Veröffentlichung erfolgte.
Ausser einer Vermehrung der Abbildungen, wie sie der Verf. für die nächsten Jahr¬
gänge in Aussicht stellt, wäre noch zu wünschen, dass überall die Bezugsquelle, der
Preis und, wenn möglich, einige Notizen über Brauchbarkeit und Wirkung der einzelnen
Apparate angegeben würde; der practis$he Werth des Büchleins würde dadurch unbe¬
dingt erhöht.
Das hübsch ausgestattete kleine Werk darf Allen, welche ein Interesse an den tech¬
nischen Fortschritten der Medicin haben, bestens empfohlen werden , da es auf kleinem
Raume sehr Mannigfaltiges, auch für den practischen Arzt Wichtiges, bietet. M.
Kantonale Coirespondenzen.
Basel. Ueber die intercantonale Conferenz, welche am 22. Novomber
über die Ankündigung und den Verkauf von Geheimmitteln in Bern im
fltänderathssaal stattfand, kann ich in Kurzem Folgendes mittheilen:
An der Sitzung beteiligten sich 15 Cantone: Bern, Zürich, Luzern, Zug, Freiburg,
Solothurn, Baselstadt, Baselland, St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Waadt,
Neuenburg, Genf, der schweizer Aerzteverein und der schweizerische Apothekerverein.
Die 10 übrigen Cantone hatten sich Mittheilung dee Acten erbeten.
Herr Bundesrath Droz begrüsste die Abgeordneten und gab in einer Einleitung eine
historische Uebersicht über die Geheimmittelfrage. Schon vor 10 Jahren hatte vom Can-
ton Thurgau ausgehend ein ähnlicher Versuch zu einem Concordat stattgefunden und der
damals ausgearbeitete Entwurf wurde mit dem Programm an alle Cantone versandt. Die
Anregung zur heutigen Versammlung ging vom Ct. Aargau aus.
Zunächst wurde die Frage besprochen, ob die Bekämpfung des Geheimmittelunwe¬
sens auf dem Wege des Concordats oder durch den Bund vorzuziehen sei und die mei¬
sten cantonalen Vertreter äusserten ihre Privatanschauungen und theilten die Ansichten
ihrer Behörden mit. Nach beinahe 2stündiger Besprechung wurde auf den Antrag des
Herrn Bundesrath Droz beschlossen, die Entscheidung über die Ausführungsweise, wie
dies gleich Anfangs der Vertreter von Baselstadt vorgeschlagen hatte, aufzuschieben bis
man sich Uber die Grundsätze dessen, was man thun will, geeinigt habe. Die cantonalen
Vertreter und die Vertreter des Aerzte- und Apothekervereins sprachen sich nun in kür¬
zeren und längeren Voten über die Nothwendigkeit und Dringlichkeit von gesetzlichen
Bestimmungen, um dem Unwesen des Geheimmittelschwindels, welche der Vertreter von
Bern als ein gefährliches Gewerbe bezeichnete, zu begegnen, aus. Schliesslich machte
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Herr Bundesrath Droz in klarem und bündigem Schlussvotum darauf aufmerksam, dass
der Bund das Recht habe, in Bezug auf die vorliegende Frage ein Gesetz zu erlassen
und ebenso gut, wie bei Fischerei-, Jagd-, Fabrikgesetz Strafbestimmungen beizufügen.
Bei der nun stattfindenden Abstimmung sprachen sich Freiburg , Baselstadt, Genf
und Aargau für ein Concordat, Zürich, Bern, Luzern, Solothurn, Baselland, St Gallen,
Graubünden, Thurgau. Waadt, Neuchätel und Zug für ein Bundesgesetz aus.
Es wurde nun darüber abgestimmt, ob nur gegen den V erkauf von Gebeimmitteln
oder zugleich gegen die Ankündigungen von Geheimmitteln sollte einge¬
schritten werden. Baselstadt allein wollte sich damit begnügen , den Verkauf der Ge¬
heimmittel zu regeln, alle andern Cantone wollten zugleich auch die Ankündigungen un¬
terdrücken. Im Laufe der Diecussion klärten sich mehr und mehr die Anschauungen ab,
in welcher Weise überhaupt in der Sache vorzugehen sei; es wurde betont, dass eine
Centralbehörde ins Leben gerufen werden müsse, sei es im Wege des Concordates oder
durch den Bund und dass es nothwendig sei, die Geheimmittel in mehrere Classen zu
theilen, von denen die einen nur in Bezug auf Preis und Werth zu beaufsichtigen Bein
werden, während eine Reihe von Geheimmitteln, die scharfe, selbst giftige Stoffe enthal¬
ten, nur in Apotheken zum Verkauf können zugelassen werden.
Auf den Abtrag von St. Gallen wurde das Bureau beauftragt, eine ököpfige Com¬
mission zu ernennen, die innert der nächsten 3 Monate einen Gesetzesentwurf ausarbei¬
ten solle, der dann zunächst einer intercautonalen Conferenz und später den Cantonsregie-
rungen zur Berathung vorgelegt werden könne.
Zum Schluss wurde abgelehnt, in den Antrag des schweizerischen
Apothekervereins, „betreffend das Selbstdispensiren der Landärzte“,
einzutreten und zwar aus dem Grunde, weil diese Frage mit dem Geheimmittelun¬
wesen ja gar nichts zu thun habe.
Alle Theilnehmenden waren einstimmig, der umsichtigen und unparteiischen Leitung
der Versammlung und der Discussion durch Herrn Bundesrath Droz die höchste Aner¬
kennung zu zollen. de Wette.
Bern. Der rastlosen Energie des Directors der Waldau, Dr. Schärer , ist es ge¬
lungen , nach langen Verhandlungen und Vorarbeiten die so brennende Frage der Er¬
weiterung der Irrenpflege des Cantons Bern zu einem Abschluss zu brin¬
gen, indem der Grosse Rath den 29. November mit allen gegen 2 Stimmen beschlossen
hat, das Gut Münsingen zu diesem Zwecke anzukaufen.
Ueber das Bedürft iss dieser Erweiterung und die beabsichtigten Pläne entnehmen
wir einer diesbezüglichen Eingabe der Direction der Waldau an den Grossen Rath die
folgenden sehr interessanten Details:
.Eine gut organisirte staatliche Irrenpflege rechnet auf je 600 Einwohner
einen zu versorgenden Irren, während unser Canton auf je 1870 Einwohner nur für einen
solchen Kranken Platz hat. Wir haben im Canton laut der 1871 vorgenommenen Irren¬
zählung 2804 Geisteskranke und Blödsinnige. Die Letztem, welche etwas über die Hälfte
dieser Zahl betragen, haben nun, wenn sie nicht gefährlich sind, allerdings gewöhnlich
keine Anstaltspflege nöthig; für die eigentlich Geisteskranken aber, deren Zahl 1292 be¬
trägt, sollten, wenn die Organisation des Irrenwesens einmal rationell durchgeführt sein
wird, 1000 Plätze Alles in Allem in unserem Lande eingerichtet werden. Nach diesem
Verhältuiss haben auch unsere Nachbarcantone Waadt, Neuenburg, Solothurn, Aargau,
Luzern und Freiburg ihre Anstalten eingerichtet. Sie stehen jedoch alle noch nicht so
hoch, als Zürich, welches auf 285,000 Einwohner in zwei vortrefflichen Anstalten füglich
860 Geisteskranke verpflegen kann.
Der Canton Bern aber kann mit seinen 606,000 Einwohnern in der Waldau und im
Neuhausgute zusammen (das alte Irrenhaus mit seinen 60 Kranken lassen wir hier ausser
Rechnung, da es, wie schon gesagt, nur ein vorübergehender trauriger Nothbehelf ist)
nur über 250—270 Plätze verfügen. Diese letztere Maximalzahl ist zwar fortwährend
überschritten und steigt sogar bis auf 300 Kranke, was aber eine Ueberfüllung nach sich
zieht, wie sie nach dem Urtheil aller besuchenden Aerzte in gar keiner andern Anstalt
nur annähernd angetroffen wird.
Jeder Laie wird bei diesem Anblick sagen müssen, dass durch die gegenwärtige
Ueberfüllung der Krankendienst namenlos erschwert sei, dass die Kranken selbst im
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743
höchsten Grade darunter leiden und die Heilungen nur au sehr in Frage gestellt werden;
jeder Irrenarzt aber sagt, dass das Regieren, die vernünftige Leitung der Anstalt, unter
solchen Missverhältnissen zur Unmöglichkeit wird und dass, wenn es sich ferner nicht um
eine blosse Einsperrung handeln solle, die Zahl der Patienten in der Waldau auf die Nor¬
malzahl zurückgeführt, d. h. um 30—50 vermindert werden müsse. Bis jetzt wurde der
Nothstaud eben immer noch ausgehalten, weil man glaubte, die Hülfe lasse nicht mehr
lange auf sich warten.
Ein ferneror empfindlicher Uebclstand, den die Ueberfüllung mit Unheilbaren mit
sich bringt, ist das vom Oeconomen so sehr beklagte Hinuntersinken der allgemeinen
Arbeitskraft der Anstalt. Die frischen heilbaren Fälle müssen nur zu oft abgewiesen
werden und wenden sich andern Anstalten zu. Das thatkräftigere, leistungsfähige Element
nahm deshalb schon seit Langem ab, während die nicht geheilten Fälle mehr und mehr
der Geistesschwäche verfallen und schliesslich eine stagnirende Masse bilden, die zum
vernünftigen Handeln nicht mehr befähigt, nur noch die Hülfe des Wartpersouals in An¬
spruch nimmt. Der Oeconom der Waldau aber betont stets mehr und mehr, dass der
Vortheil der Landwirtschaft, dieses grössten Heilmittels in der Psychiatrie, durch solche
Verminderung der Arbeitskraft allmälig dahiugehe und der fernere Betrieb geradezu in
Frage gestellt werde. — Die nützliche Beschaffung der Arbeitskräfte und die richtige
Strömung des Anstaltskreislaufes und Umsatzes kann aber einzig und allein durch eine
vernünftige Erweiterung der Irrenversorgung erzielt werden.
.Nach langen reiflichen Ueberlegungen, wobei die Inselbehörden und Beamten
der Waldau dem vernünftigen Fortschritte in der practischen Psychiatrie fortwährend
folgten und die Meinungen bewährter Irrenärzte des In- und Auslandes, wo eich Gele¬
genheit bot, mündlich zu Rathe zogen, kamen wir einstimmig zu folgenden Schlüssen:
Die Erweiterung der Irrenpflege geschieht am besten durch die Anlage einer neuen An¬
stalt nach Art des gesonderten Häuserbaues (Pavillon-System). Der Platz der Anlage
muss so ins Auge gefasst werden, dass der zu erwerbende Grund und Boden gross ge¬
nug ist, um spätem Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Ganz besonders muss das Grund¬
stück zur Betreibung der Landwirthschaft geeignet sein, denn ohne die damit verbundene
Arbeit und Beschäftigung lässt sich die sanitarische Aufgabe einer Anstalt nicht durch¬
führen. Fernere unerlässliche Bedingungen, welche bei der neuen Anlage eines Irren-
asyls, wie übrigens jedes andern Krankenhauses, in Betracht kommen, sind: gesundes
Clima, mittlere Temperatur, solider, von keinem Gruudwasser beeinträchtigter, eben ge¬
legener Baugrund, die Möglichkeit, die Gebäude nach Süden, oder noch besser nach Süd-
Osten zu stellen, genügendes, gutes und womöglich durch natürlichen Druck in die Höhe
zu leitendes Quellwasser und bequeme Zu- und Vonfahrt. Letztere Eigenschaft ist um
so unerlässlicher, als der Transport der Irren oft sehr beschwerlich ist und der grosse
Verkehr von Brennmaterial, Lebensmitteln u. s. w., den solche Anstalten mit sich brin¬
gen, grosse Kosten nach sich zieht, wenn er nicht auf kurzem und ebenem Wege be¬
werkstelligt werden kann.
Es wurde auch als fernere Nothwendigkeit für einen Bauplatz angenommen, dass der¬
selbe zwischen Jura und Alpen zu liegen komme, damit der nördliche und südliche Theil
des Cantons denselben mit ungefähr gleicher Mühe erreichen könnten. Als schliessliche
Bedingung wurde selbstverständlich festgr-halten, dass zudem der Preis einer Liegenschaft,
welche alle genannten günstigen Constellationen in sich vereinigt, ein annehmbarer sein
müsste. Dieses grundsätzliche Bauprogramm wurde lange Zeit, ehe wir von einer mög¬
lichen Acquisition vom Schlossgute von Münsingen etwas wussten, aufgestellt und sogar
in manchen Versammlungen, welche zum Zweck der Erweiterung der Irrenpflege in ver¬
schiedenen Amtsbezirken zusamraengekommen waren, weitläufig auseinandergesetzt und
besprochen. Die Erfahrung und Wissenschaft hatte übrigens bereits endgültig darüber
entschieden und die in Angriff genommenen Asyle in deutschen Staaten, sowie auch
einige jüngst vollendete Musteranstalten in diesem Lande und Ja Frankreich sind nach
dem Pavillon-System erstellt England strebt danach, die Colonialverpflegung, wo es
thunlich ist, einzuführen und America, welchem wir die erste Erstellung des gesonderten
Häuserbaues für Spitäler zu verdanken haben, ist in dieser Beziehung Europa vorange¬
gangen. Auch in der Schweiz begann in einzelnen Anstalten der Bau von Pavillons, voll¬
ständig durchgeführt ist er aber nur in Marsens, Ct Freiburg, dessen Plan an der Ver-
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— 744 -
Sammlung schweizerischer Irrenärzte in Basel als der zweckmässigste, den wir besitzen,
anerkannt worden ist.
Der Standpunct, den die Inselbehörden, die Aerzte und der Oeconom der Waldau
bei der Wahl von Bauplatz und Bauart einzunehmen hatten, war ihnen demnach schon
vor langer Zeit vorgezeichnet Der Ort, auf dem sich alle jene dazu erforderlichen Be¬
dingungen zusammengefunden hätten, war jedoch nirgends zu finden. Da wurde durch
den Tod seines bisherigen Inhabers, Herrn Lange seL, unerwartet das Schlossgut von
Milnsingen käuflich, eine Besitzung, hei welcher in geradezu seltener "Weise sich all' jene
Postulate, welche die Psychiatrie an einen Ort stellt, auf dem eine Anstalt zu errichten
ist, sich verwirklichen. Gesundes Clima, günstige Lage zwischen Jura und Alpen, leichte
Zu- und Vonfahrt, unmittelbare Nähe einer Eisenbahnstation, Bern und Thun je in einer
halben Stunde erreichbar, das schöne Dorf Münsingen in grössten Nähe und dennoch Ab¬
schluss von schädlichem Verkehr, guter Baugrund, ebenes leicht zu bearbeitendes Land
von verschiedenen Qualitäten , reichliches, billig zuleitbares Quellwasser , abgerundeter,
nicht zu verbauender Umschwung — dies Alles sind Vortheile, welche nicht leicht an
einem Orte bei einander zu treffen sind und welche noch durch die freundliche Umge¬
bung mit prachtvoller Aussicht auf die Eisgebirge wesentlich gehoben werden. Was
aber in Münsingen für uns am meisten ins Gewicht fällt, das ist die Ausdehnung der
Besitzung, welche für alle Zukunft die Bauplätze sichert und den successiven Bau unge¬
stört zulässt
Wir bilden uns nämlich nicht irgendwie ein, dass sofort weitläufige Bauten zu er¬
richten seien, sondern wir halten sogar dafür, dass in der jetzigen schwierigen Zeit ein
Zu warten von 2—3 Jahren bis zum Beginn des Baues geboten sei und dann mit 2 Pa¬
villons für je 80 Männer und Frauen, welche zu den gefährlichen Irren zählen und den
Gemeinden die grössten Verlegenheiten bereiten, angefangen werde. Je nach Bedürfniss
und dem Ermessen von Volk und Behörden würde dann das Werk weiter gefördert. So
würden sich die Kosten auf eine Reihe von Jahren vertheilen und der Ausbau fiele höchst
wahrscheinlich erst einer spätem Generation zu. Der anerkannt billige Preis des Gutes
(240 Jucharten Matt- und Ackerland, 46 Jucharten Wald, 11 Jucharten Staudland und
13 grössere und kleinere Gebäude) beträgt Fr. 430,000.“
Wir gratuliren dem Canton Bern zu diesem hochherzigen Beschluss, der auf die
schönste Weise die jahrelangen Vorarbeiten der dabei mitarbeitenden Männer krönt.
Briefe aas Ajaccio.
IL Reise. Nach diesen Präliminarien käme ich zur eigentlichen Reise. W’enn
man in angenehmer Gesellschaft reist und in das Exil gleich ein so liebenswürdiges Stück
Heimath mitnimmt, wie es bei mir der Fall war, so wird der Abschied — ich will nicht
sagen leichter, aber doch weniger schwer, und mit schwerem Herzen bin ich weggezogen.
Warum das verheimlichen?
Die Jurabahn hat äusserst bequeme Wagen I. Classe, und so sass ich denn trüb-
solig auf weichem Pfühl, bis nach und nach das rasch wechselnde landschaftliche Bild
mein Herz nochmals mit wohlthuender Freude über die Schönheit unseres Schweizerlandes
erfüllte. — Eine sehr lobenswerthe Einrichtung liess denselben Wagen von Basel bis Genf
laufen. Das Hötel des Bergues hat eine Hebetreppe, für müde Reisende eine äusserst
bequeme Einrichtung, die zugleich den Etagenunterschied weniger fühlbar macht Auch
sonst waren wir äusserst gut und billig gehalten, und ich will hier die Bemerkung nicht
unterdrücken, dass die von Zeit zu Zeit wieder zum Sturme im Glase Wasser aufgebla¬
senen tadelnden Bemerkungen über die angebliche Ueberforderung der schweizerischen
Gastwirthe im Durchschnitt absolut ungerecht und unbegründet sind. Das Urtheil der
hier verweilenden vielgereisten Ausländer ist denn auch namentlich über den Genfersee,
den Vierwaldstättersee uud einzelne Theile Bündens ein äusserst anerkennendes. Auch
im Oberland kann man zu mässigen Preisen recht gut logiren.
In Bellegarde wurde das bekannte Stück Chinesenthum mit Pass- und Gepäckrevision
in Scene gesetzt. Der Pass ist nicht nöthig, doch wird darnach gefragt, und ein dickes
Papier mit schönem Kopf, Siegel und einigen energischen Unterschriften ist „allweg“ rath-
sam. Wenn es dann auch nur ein Militärbrevet ist, so langt es doch. Die Gepäckkisten
mussten geöffnet und oberflächlich ausgepackt werden.
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Der Brustkranke muss in Frankreich I. Classe reisen. Er suche dabei in ein soge¬
nanntes Coupö-lit (4 Plätze neben einander) zu kommen und zwar womöglich vorn am
Wagen. Er hat dann einen ruhigen Sitz und hübsche Aussicht in die Landschaft, was
das Schweigen erträglicher macht — Das Gepäck haben wir in Genf und Lyon am
Bahnhof gelassen, das Handgepäck mit Kleider- und Mundvorrath dagegen jeweilen mit
in den Wagen genommen.
Von Genf bis Lyon wurde mir weh um’s Herz: die Landschaft war auch gar zu
traurig! Oedes Sumpfland mit kümmerlichen, vom Wind zerrissenen und schief gezerrten
Pappeln wechselte mit weiten 8teinfeldern. Auf niedrigen Hügelkämmen keine oder nur
kümmerliche Vegetation, Trümmerfeld an Trümmerfeld. Dazwischen hie und dort ein
einsames Häuschen und Alles — Häuser, Thiere, Pflanzen — Gott wie mager!
Im Hötel Collet in Lyon waren wir sehr gut und nicht zu theuer; unser schweizer
Häuflein war nun auf sechs angewachsen. Wunderbarer Weise hatte uns das Bulletin
des Journal de Genöve in Genf weitaus exactere und weitergehende Nachrichten über die
französischen Kammerwahlen ertheilt, als wir sie nun Abends in den lyoner Blättern
fanden.
Von Lyon nach Marseille war eine recht lange Strecke; allein das Landschaftsbild
blieb beständig fesselnd und eine auf allen möglichen Papierfetzen sich breit machende
Correspondenz übermittelte die gegenseitigen Gefühle an Stelle des nur an den Stationen
nicht verpönten gesprochenen Wortes.
Mit rasender Schnelligkeit durcheilten wir die historisch so hochinteressante Gegend
— Vienne, Tain (feiner Wein!), Valence, Montölimar, Orange (römischer Triumphbogen),
Avignon, Tarascon, Arles (grösstes von den Römern in Gallien errichtetes Amphitheater),
Marseille. Die Landschaft hat nun schon ganz südlichen Typus, die Vegetation ist eine
wesentlich andere. Der Maulbeerbaum und die Rehe dominiren, später kommen Oliven.
Verschwunden ist unser prächtiger Wald, verschwunden der saftgrüne Rasen. Die Dör¬
fer bestehen aus kleinen Häuschen mit winzigen Fenstern, das Dächlein eingedeckt mit
Hohlziegeln. Sieht man in der Ferne ein solches Dorf, an sonnverbranntem Hügel teras-
senförmig aufgebaut, mit einigen Kuppeln und Zinnen und einer Ringmauer, die Hügel
mit Reben bedeckt, im Thale die Oliven, so glaubt man sich in den Orient versetzt.
Die Details wissen Bddecker oder mehr noch Joanne weit besser als ich.
Marseille verlockte uns zu einer längern Droschkenfahrt, die uns seine wichtigsten
Plätze und seinen regen Verkehr zeigte. Die Schiffe zweier Gesellschaften fahren nach
Corsica: Mittwochs (Abends 6 Uhr) Valöry & Cie., Samstags die Sociötö Fraissinet Die
Schiffe der erstem Gesellschaft sind weitaus grösser und comfortabler, deshalb vorzu¬
ziehen. Bekanntlich hat Marseille viel von heftigen Winden zu leiden: trotz des sehr
starken Mistrals schifften wir uns doch ein, da ioh wusste, dass hier in der Regel der
Sturm auf einige Entfernung von der Küste bedeutend an Heftigkeit verliert und alle
Prophezeiungen (huc ubique) höchst dubiös sind. Die Ausfahrt aus dem schönen Hafen
war prächtig. Die Dämmerung verlieh der zaokigen Küste groteske Formen, nach und
nach schwanden die Leuohtthürme, und jetzt durchschneidet der Kiel die scheinbar end¬
lose Meeresfläche: unter dir das tiefblaue Meer, über dir der sternenhelle Himmel — fern,
immer ferner die Heimath.
Da, was ist das? Ganz munter fliegt um den Mast herum ein Vöglein, ein richtiges
cosmopolitisches Spätzlein, und das pfeift mir in seinen bekannten melodischen Tönen
zu: „Du, alter 8patz, geh’, leg’ deine Grillen schlafen.“
In der Cabine ruhte es sich nicht so übel. Eine Zeit lang fühlte ich im Magen
ein „imbekanntes 8ehnen; es war nicht Schmerz und war nicht Lust — das Auge füll¬
ten Thränen“ — beinahe nämlich, doch kam es nicht zum Ueberfliessen. Ich wurde
nicht seekrank; nur war mir kurze Zeit etwas schwapplig zu Muthe. In Marseille hatte
ich um 2 Uhr recht zu Mittag gegessen und nachher nichts mehr genossen. Andern
half diese Vertheidigungsmaassregel nichts — sie übergaben sich doch, während Dritte
auf dem Schiff ganz tapfer zu Nacht assen und auch nicht capitulirten. — Still liegen ist
das Beste und später, wenn die Capitulation eingeleitet, Auszug auf das Verdeck.
„Sidt Ihr’s scho g’wahn et?“ meinte theilnehmend der Schiffskellner, der natürlich
aus dem Berabiet stammt, während dagegen der Zimmerkellner nur ein Schaffhauser war.
Auch in Ajaccio präsentirte sich das „corsische“ Zimmermädchen im Hötel Dietz sofort
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als richtige Langenthalerin, und der Oberkellner parirte unser feines Französisch ruhig
im urchigsten luzerner Styl. Ueberall Landskraft!
Die Einfahrt in die weite Bucht von Ajaccio ist sehr schön. Kaum hatten wir die
Inseln Sanguinaires mit dem Leuchtthurm und dem Semaphore (Küstentelegraph) pas-
sirt, als wir schon am weit angelegten Gottesacker vorbeifuhren und bald darauf das
ersehnte Asyl auf einer Landzunge , ringsum vom Olivenwald umsäumt, vor uns liegen
sahen.
Nun nochmals Douane — allerdings nur flüchtig — und dann hinaus an den Cours
Grandval zum Hötel Germania (Dietz).
Ich schliesse meinen Reisebericht mit wenigen vorläufigen Angaben über unser Thun
und Treiben. Vorher noch ein Wort über die Reisekosten. Ich legte aus (Eisenbahn
etc. überall I. CI.): Basel-Genf Fr. 22, Hötel des bergues 13. 26 ; Genf-Lyon 22. 60,
Hötel Collet 16. 80; Lyon-Marseille 47. 70, Hötel du grand Louvre et de la paix 81 (I);
Marseille-Ajaccio 40, plus Gepäck, Trinkgelder etc. zusammen Fr. 200. Der grand Louvre
war sehr theuer.
Bis heute (19. Nov.) haben wir durchschnittlich sehr gute Witterung gehabt. Die
niedrigsten und höchsten Temperaturen waren (je 8 Uhr Morgens, 12 und 6 Uhr Abends)
12 und 16, 16 und 22, 14 und 18 Grad Celsius. Die niedere Temperatur trat bei Sturm
mit Regen ein. Wir können also, knapp gerechnet, durchschnittlich die Zeit von 9 bis
6 Uhr zum Curtag zählen resp. im Freien sein, und das ist viel. Weniger subtile Kranke
können aber auch schon Morgens um 8 Uhr am Strand und Abends noch nach 6 Uhr in
der Stadt (weiter Marktplatz gegen den Hafen) bummeln. Die Abende sind mild, schei¬
nen aber kühler zu sein, als sie sind, d, h. die brennende Mittagssonne macht uns em¬
pfindlicher gegen die kühlere Abendluft — Die Winde wehen erträglich und sind bis
dahin nicht lästig.
Im Hötel Dietz und dem Hötel de France (billiger, aber weniger gut) sind wir gut
aufgehoben. Je nach dem Zimmer bezahlen wir — den Tischwein inbegriffen — 9—15
Franken im Tag. Zu 9 Fr. kann man noch ein gutes, allerdings hochgelegenes Südzim¬
mer (plus Kost) haben. Zimmer in der Stadt (ganz in der Nähe des Rötels) kommen
billiger zu stehen und ebenso das Führen einer eigenen Haushaltung. Auch kocht eine
schweizer Familie selbst. — Die Fremdencolonie ist noch relativ schwach. Es mögen
ca. 70—80 Personen sein, von denen •/, Engländer, die Hälfte Deutsche und Schweizer
und ‘/ $ Holländer, Belgier etc., vielleicht gar kein Franzose.
Von uns Schweizern sind 3 aus Zürich, 4 aus Basel, 1 Luzern, 8 Aargau, 1 Schaff¬
hausen und einer aus dem ßaselbiet, im Ganzen 7 Damen und 6 Herren.
Wer noch kommen wollte, thut gut daran, die von Dr. Schnyder („Aus dem Süden“)
ertheilten Räthe zu befolgen : also u. A. Deckbett und Kissen mitnehmen. Ich füge noch
bei und ein Schaaffell, das bei Regenwetter den Füssen auf den kalten Steinplatten sehr
gut thut. Er bringe aber noch Allerlei mit, um Bich selbst angenehm und nützlich be¬
schäftigen zu können.
Gelegenheit zum 8pazieren bietet sich hübsch: der Strand mit prächtiger Fernsicht
auf Meer und Küste , über die sich die gigantische Centralbergkette hebt, sodann die
olivenbewachsenen Abhänge mit den vielen Capellen, zu denen bequem angelegte Strassen
führen.
So sitze ich jetzt hoch oben am offenen Fenster: die Dämmerung hat die prächtig
violetten Lichter, welche die Küste umstrahlten, gelöscht. Nur fern am Horizonte glänzt
das Abendroth und in seinem Wiederscheine ein heller Streifen des Meeres, dessen leicht
bewegte Masse tiefdunkel zu mir heraufleuchtet.
Wie schönt Um wie viel lieber aber doch du, herzlich gegrüsste Heimath!
A. Baader.
. W ochentoerielit.
Schweiz.
Bern. H aller -Fe st schrift. Die im Namen des ärztlichen Central Vereins
und der Socidtd roddicale de la Suisse romande bei Anlass der Hallerfeier abgegebene
Festschrift enthält zwei physiologisch-medicinische Abhandlungen von den Herren Dr.
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G. Burckhardi und Prof. Quincke nebst Vorwort von Dr. Sonderegger , und begleitet mit einem
photographischen Bild Haller' s in dessen 36. Altersjahre.
Dieselbe kann von sämmtlichen Mitgliedern der beiden Gesellschaften durch die Can-
tonal-Correspondenten zum Selbstkostenpreise (Fr. 1.25—1. 60j bezogen werden. Nachher
tritt der Ladenpreis ein. (In Commission Buchhandlung Dalp — Schmidt — in Bern.)
Frequenz einer Anzahl schweizerischer Bade- and Carerte
1877. Zusammengestellt nach schriftlichen Mittheilungen der Directionen, mündlichen
Angaben der Hotelbesitzer und öffentlichen Notizen.
1. Baden im Aargau Curgäste 12840
12. Gai8
Curgäste 225
2. Gurnigel
»
2100
18. Albiebrunn
7!
210
3. Weissenburg
V
1800
14. Interlaken, Hötel Victoria _
24500
4. St. Moritz (Graubünden)
*
1625
n
„ Jungfrau „
18400
5. Eheinfelden
n
1077
■n
„ Ritschard „
16300
6. Tarasp-Schuls
»
1060
15. Montreux
»
24000
7. Schinznach
n
780
16. Hötel Beaurivage-Ouchy
18800
8. Heustrich
»
720
17. Thun, Hötel
Bellevue „
11600
9. Fideris
M
650
Thunerhof „
5800
10. Lenk (Obersimmenthal)
»
400
18. Spiez „
Schönegg „
2200
11. Lostorf
300
Zürich. Prof. Huguenin ,
der leider
wegen Erkrankung seiner Respirationsorgane
schon letztes Frühjahr und Sommer Curen zu machen gezwungen war, hat von Anfang
November bis April Urlaub genommen, um in Algier seine Gesundheit wieder herzustel¬
len. Man beabsichtigte zuerst einen Lehrer für propädeutische Klinik herzube¬
rufen und es soll die Facultät hiezu Jürgensen, Eichhorst , Lichtheim , Riegel und Oscar Wyss
ins Auge gefasst haben. Da durch diesbezügliche Unterhandlungen die Stellvertretung
Hugveturia sich aber in die Länge gezogen hätte, so nahm der Erziehungsdirector von
diesem Vorschläge Umgang und betraute Prof. 0. Wyss mit der Stellvertretung der med.
Klinik; derselbe hält daneben noch propäd. Klinik, sowie die Vorlesungen über specielle
Pathologie und Therapie. Die Poliklinik wurde in reducirter Stundenzahl (3 Mal anstatt
6 Mal wöchentlich) vertretungsweise Privatdocent Dr. Goll übertragen.— Privatdocent Dr.
Luchsinger, der ausgezeichnete Forscher auf physiologischem Gebiete, wurde zum Professor
an der Thierarzneischule ernannt.
Ausland.
Beatzehland. Neue Operationen. Prof. Dr. Czerny in Heidelberg hat vor
einiger Zeit folgende, am lebenden Menschen noch nicht gemachte Operationen aus¬
geführt:
1. Resection des Oesophagus. Wegen eines ringförmigen Carcinoms, welches für
die Schlundsonde unpassirbar war, wurde am 2. Mai bei einer 51jährigen Frau ein Stück
von 6 cm. aus der ganzen Dicke des Oesophagus entfernt und das untere Ende des
Schlundrohres in die Halswunde eingenäht. Die Kranke wurde am 6. Juni geheilt ent¬
lassen.
2. Exstirpation eines retrocesopbagealen Kropfes. Seit 5 Jahren hatte sich bei einer
30jährigeu Frau eine Geschwulst im Oesophagus hinter dem Kehlkopfe entwickelt, welche
am 26. Mai wegen dringender Athemnoth die Tracheotomie nöthig machte. Mit dem für
die Oesophagotomie üblichen Schnitte drang Ci. (5. Juni) bis auf die Geschwulst, welche
zwischen Oesophagus und Wirbelsäule eingekeilt war. vor und schälte sie ohne Eröffnung
des 8chlundrohres aus ihrer Capsel. Die Halswunde ist jetzt nahezu geheilt, dagegen
muss noch die Kranke wegen der Verschiebung des Kehlkopfes die Canüle tragen.
8. Enterorhaphie wegen einer Kothflatel im Bruchsacke. Bei einem 47jährigen Manne,
der schon seit langen Jahren eine Kothfistel, wegen der er schon von verschiedenen Chi¬
rurgen behandelt worden war, in einem rechtsseitigen Scrotalbruche hatte, eröffnete Cz.
am 15. Juni den Bruchsack, löste die mit dem Bruchsacke verwachsene Darmschlinge
mit dem Messer ab, nähte die Oeffnung im Darme mit Catgut zu und reponirte dann den
Darm in die Bauchhöhle. Dann wurde die Radicaloperation der Hernie nach seiner Me¬
thode (vgl. wiener med Wochenschr. 1877, Nr. 21 —24) ausgeführt Nach 3 Verbänden
war Pat ohne Fieber vollkommen geheilt (Oentralbl. f. Chirurg., 28.)
— Lebensmittelcontrolstation in Berlin. Einer der durch seine Nütz-
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lichkeit dem weitern Publicum am klarsten in die Augen springenden Puncte der Hygieine
ist die Controle der Lebensmittel. Es ist dieselbe jedoch zum Theil eine sehr schwierige
und zeitraubende Aufgabe, weshalb es gerathener erscheint, die Kreise für solche Con-
trolstationen nicht zu eng zu ziehen, damit die nöthigen Kräfte an Personal und Material
können verwendet werden. In Deutschland besorgt das Reichsgesundheitsamt einen Theil
dieser Aufgabe. In neuester Zeit (Berl. klin. Woch. 1877, 33) hat nun der Club der
Landwirthe zu Berlin den städtischen Behörden und dem kgl. Polizeipräsidium eine Pe¬
tition um Errichtung einer Controlstation für Lebensmittel in Berlin eingereicht und in
der Denkschrift dazu ausgeführt, dass die Untersuchung auf folgende Gegenstände sich
zu erstrecken haben würde:
1. Das Wasser: regelmässig wiederkehrende Untersuchung desselben.
2. Die Milch, anerkanntermaassen das Lebensmittel, welches am meisten verfälscht
wird; zwar ist diese Fälschung gewöhnlich eine der Gesundheit nicht nachtheilige, indem
in der Mehrzahl der Fälle nur eine Verdünnung durch Wasser stattfindet; allein der
Zweck der Ernährung ist durch diesen Zusatz beeinträchtigt, ja öfter durch Zusatz von
inflcirtem Wasser die Gesundheit gefährdet und endlich wird durch dies Verfahren den
Käufern eine grosse Vermögensschädigung zugefügt. — Nach dem berliner städtischen
Jahrbuch (1877) betrug der Consum an Milch in Berlin 1875 : 754,900 Ctr. (oder circa
86,645,600 Liter), d. h. 79 Pfd. (oder etwa 38,3 Liter) pro Kopf. Nimmt man nun an,
dass im Durchschnitt sämmtliche Milch mit 10—15% Wasser versetzt ist — was im
Allgemeinen nicht zu hoch gegriffen sein möchte — so ergibt sich bei diesem Quantum
ein Wasserzusatz von mindestens 3,664,500 Liter, und da dieser, so gut wie die Milch,
im Durchschnitt mit 20 Pfennige pro Liter mitbezahlt wird, so erwächst den Bewohnern
Berlins allein durch die Milchverdünnung eine Vermögensschädigung von jährlich rund
733,000 bis über 1 Million Mark! — abgesehen von den etwaigen Störungen in der Er¬
nährung und in der Gesundheit.
3. Das Bier. Nach dem erwähnten städtischen Jahrbuch ergibt sich für 1875 in
Berlin ein ungefährer Verbrauch von 160 Liter pro Kopf, mithin bei einer Bevölkerung
von (damals) 966,858 Personen ca. 145,028,700 Liter. Producirt wurden in Berlin 1875
fast 200 Millionen Liter! Diese Zahlen rechtfertigen es auch, wenn das Publicum selber
mit grosser Aengstliclikeit auf die Reinheit des Bieres dringt. Zwar dürften solche grobe
Verfälschungen, wio sie an anderen Orten, namentlich in England Vorkommen sollen, hier
bei dem Grossbetriebe und bei der gegenseitigen Controle der Concurrenten kaum statt¬
haben, indessen ist die Verwendung von Kockeiskörnern, Weidenrinde und Sumpfporst
auch in Deutschland nachgewiesen und somit Wachsamkeit geboten. Allbekannt ist fer¬
ner, dass Malzsurrogate, namentlich Kartoffelzucker, sowie Glycerin massenhaft angewen¬
det werden. Man kann darüber nun freilich verschiedener Ansicht sein, ob der Gebrauch
von Malzsurrogaten, namentlich in Form von Kartoffelzucker oder Kartoffelayrup eine
Fälschung sei; Thatsache aber ist, dass das Bier dadurch an Gehalt verliert, und das
Beispiel Bayerns, wo die Anwendung von Surrogaten überhaupt verboten ist, verdiente
wohl auch bei uns Nachfolge. Ganz besonders ist noch zu berücksichtigen, dass die an¬
gewandten Surrogate oft sehr unrein sind, wie z. B. der Kartoffelzucker ausser 11—24%
Wasser noch 2—32% fremde Substanzen (häufig Schwefelsäure) enthalten kann.
4. Der Wein. Nach der erwähnten Quelle betrug er für Berlin 1875 etwa 11,200,000
Liter oder 11 Liter per Kopf. Nach den an einer anderen Stelle des Jahrbuches gege¬
benen Daten wird aber die Einführ an Wein in Berlin nur auf etwa 8,250,000 Liter ge¬
schätzt , und es scheint keinem Zweifel zu unterliegen, dass ein nicht unbeträchtlicher
Theil des mehr verbrauchten als eingegangenen Weins in Berlin künstlich, im besten
Falle durch Verdünnen mit Wasser und Versetzen mit Kartoffelzucker und Spiritus etc.
hergestellt ist. Dass ausserdem gerade in allerneuester Zeit das Färben des Weins, zum
Theil mit gesundheitsschädlichen Stoffen, wie Fuchsin, leider fast allgemein Platz gegrif¬
fen , ist nur zu bekannt. Auch Glycerin wird häufig — und leider immer im unreinen
Zustande wie zum Biere — verwendet. Auch der in so grossen Quantitäten verbrauchte
Himbeersaft ist erwiesenermaassen in Berlin häufig nicht aus Himbeeren bereitet und oft
mit arsenhaltigem Anilin gefärbt.
6. Kaffee, Thee und Chocolade. Beim Kaffee sind es leider die Hausfrauen zum
Theil selber, welche eine Fälschung begehen, indem sie den Kaffee mit Cichorien, Rog-
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genkaffee, Feigenkaffee u. 8. w. mengen; im grossartigsten Maasse findet aber diese Fäl¬
schung Seitens der Händler bei dem sogenannten Stampfkaffee statt, wo, abgesehen von
der schlechtesten Qualität des Kaffee’s, massenhaft die erwähnten Surrogate, wenn nicht
noch schlimmere , zugesetzt werden. Selbst diese Surrogate sind oft wieder gefälscht,
wie z. B. der Feigenkaffee mit Roggenkaffee, die Cichorien mit Runkelrüben und sogar,
was in Belgien im grossen Maassstabe constatirt ist, mit fein gemahlenem Torfabfall! —
Auch die rohen Kaffeebohnen unterliegen der Fälschung. Man färbt sie grün mit berliner
Blau und chromsaurem Bleioxyd, oder bereitet gar künstliche Bohnen aus Brod und Thon,
wie das bei den Sendungen für die Armee 1870/71 bemerkt wurde.
6. Chocoladepulver ist oft mit Kartoffelstärke, Dextrin, gemahlenen Eicheln, Mandel¬
schalen versetzt, der Stampfzucker mit Dextrin, Mehl, Kalk, Kartoffelzucker etc.
7. Gewürze. Aehnlich wie bei der Chocolade werden auch die Gewürze mit Stärke,
Maismehl, meistens aber mit gemahlenen Eicheln, Wicken, Mandelschalen, ja selbst an¬
geblich mit Sägespähnen u. 8. w. vermengt. Die Fälschung ist eine so im Grossen be¬
triebene, dass z. B. Pfeffer, Zimmt u. s. w. in ganzen Körnern resp. Rinden mehrfach
tbeurer sind als im gemahlenen Zustande.
Mit welcher Strenge in Deutschland gegen Geschäftsleute vorgegangen wird, welche
grosse Quantitäten gefälschter Nahrungsmittel in den Verkehr bringen, beweist folgender
Fall: ein berliner Fabricant, welcher gemahlenen Pfeffer und eben solchen Zimmt fabri-
cirte und in grossen Mengen an Detaillisten absetzte, war von einem entlassenen Arbei¬
ter denuncirt worden. Die Staatsanwaltschaft stellte sofort Ermittlungen an, welche die
Angabe des Arbeiters bestätigten. Eine Commission begab sich hierauf in die Geschäfts¬
räume des Fabricanten, versiegelte den ganzen Waarenvorrath , die Geschäftsbücher,
schloss das Geschäft und untersagte den Weiterbetrieb der Fabrication.
Und in der Schweiz? Da werden oft nicht einmal die Namen der Fälscher publicirt,
wie z. B. bei den Wurstverfälschungen in Basel.
8. Mehl und Brod: Fälschungen von Mehl und Brod bei uns bis jetzt nicht häufig ;
doch mahnen die Fälle, die erst vor Kurzem am Rhein das gerichtliche Einschreiten
wegen Vermengung des Mehles mit Gyps nöthig machten und die offene Anpreisung des
sogenannten Kunstmehls (Gyps und Schwerspath) aus Rotterdam zur grössten Vorsicht.
Es ist ausserdem erwiesen, dass von gewissenlosen deutschen Händlern den Mühlen-
Etablissements Schwerspath zum Vermengen mit Mehl angeboten ist. — Die häufigsten
Unredlichkeiten, die beim Handel mit Mehl Vorkommen, bestehen darin, dass schlechtes
Weizenmehl unter Roggenmehl, oder letzteres mit Gerstenmehl, Bohnenmehl, Kartoffel¬
mehl eto. gemischt wird. Ebenso ist der Feuchtigkeitsgehalt des Mehls öfter absichtlich
▼ergrössert.
Beim Brod scheint die Kunst der Verfälschung ausser auf Anwendung verschiedener
Mehlsorten im Gemenge meist darauf sich zu beschränken, dass man sucht, dem Teig
möglichst viel WaBser zuzuführen, um so ein schwerer wiegendes Brod zu erzeugen.
Es wäre daher sehr wünschenswerth, dass beim Brod die Trockensubstanz bestimmt und
durch Veröffentlichung der Resultate in geeigneter Weise das Publicum einen Anhalt zur
Beurtheilung des Nährwerthes erhielte. — ln England hat man auch eine sehr gefähr¬
liche Verfälschung des Brodes mit Alaun und mit Kupfer- und Zinkvitriol zur Erzeugung
einer schönen weissen Farbe resp. zur Erzeugung einer lockern Krume beobachtet, ebenso
in Belgien, wo neulich Dr. de Ridder von Wseroghera der medic. Gesellschaft von Gent
über die Fälschungen der Cerealien, des Brodes und Mehles eine interessante Arbeit vor¬
legte , nach welcher in ganz Belgien die Bäcker dem B^ode eine Lösung von Cuprum
sulfuricum beimengen, um mehr Wasser einback6n zu können und eine schönere Krume
zu erhalten (Annales et bulletin de la socidtö de mäd. de Gand, 1877, Juli).
9. Fleischwaaren: Untersuchung über den Gesundheitszustand des Schlachtviehes und
den Zustand des Fleisches selbst (namentlich des Wurstfioisches). Würste sind auf
fremde Beimengungen (Kartoffelmehl etc., Färbung von Cervelatwurst durch Anilin) con¬
statirt I
10. Butter. Hauptzusatzmittel das Wasser, und um dieses derselben besser einver¬
leiben zu können, das Salz, oder in neuerer Zeit das sog. Butterpulver. Ausserdem wer¬
den bekanntlich grosse Mengen von Schmalz und Talg u. s. w. als Zusatz zur billigen
Butter verwendet, ja auch die ganz aus Talg bereitete Kunstbutter öfter als ächte Butter
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verkauft. Andererseits ist es vom Rhein her bekannt, dass Fassbutter aus der Schweiz
von den Bauernfrauen mit Milch durchknetet und als frische Butter verkauft wird, nicht
zu gedenken der ganz groben Verfälschungen mit gekochten Kartoffeln u. s. w.
11. Conserven. Fast alle Untersuchungen der schönen grünen Farbe mancher Con-
serven (Erbsen, Pickles, Pfeffergurken, Reineclauden) haben Kupfer in denselben nacbge-
wiesen; es würde daher eine ständige Controle auch hierüber in Anbetracht des grossen
Verbrauchs an derartigen Gegenständen gehoten sein. Hat doch sogar Pasteur in Paris
vorgeschlagen, gesetzlich alle schön grün aussehenden eingemachten Erbsen, wenn nicht
zu verbieten, so doch bei ihnen auf der Etiquette die Bezeichnung „mit Kupfer gefärbt“
zu fordern I
Wir haben das Thema etwas eingehender erörtert, weil ihm zur Zeit Aerzte, Be¬
hörden und Publicum mit vollem Rechte ernstlich ihre Aufmerksamkeit zuwenden.
Die DiphiheriiiMepidemie In Frankreich Im Jahre 1875. Dem
an die Acadämie de mädecine erstatteten Berichte des Dr. Briquet entnehmen wir folgende
Daten: Im Jahre 1875 trat die Diphtheritis sporadisch, in kleineren Krankheitsgruppen,
epidemisch oder auch endemisch, in circa 180 Gemeinden auf, die sich auf 29 Departe¬
ments vertheilen. Die Ortschaften , in welchen sich die Krankheit zeigte, waren meist
in Tnälern gelegen, welche grössere Gewässer mit zahlreichen Zuflüssen durchfliessen.
Sonst sehr gesunde Landstriche wurden ergriffen; oft wüthete in einer Gemeinde die D.
sehr heftig, während die unmittelbar benachbarte frei ausging. Gemeinden, die von der
vorigen Epidemie heimgesucbt, sowie Gegenden, die von ihr verschont geblieben waren,
wurden in gleicher Weise heimgesucht. Die D. befällt unendlich häufiger das Land (im
Gegensatz zur Schweiz, Red.) als die Stadt, ausgenommen grosse Arbeiterstädte, wo sie
endemisch ist. (Bessere hygieinische Zustände der 8tädte, schlechtere der Arbeitervier¬
tel ) Einzige Ausnahme von der Regel bildet Lyon. Es scheint mit Lyon in Bezug auf
D. wie mit der Cholera zu stehen. Die Epidemien wüthen gewöhnlich in den drei letz¬
ten Monaten des Jahres, nach langen Regen oder nach Westwinden und niedriger Tem-
pe atur. Prädisponirt sind die armen Classen, schwache lymphatische Constitutionen.
Kinder unter 12 Jahren sind die zahlreichsten Opfer, doch werden in jeder Epidemie
auch Erwachsene, selbst Greise nicht verschont. Die Frauen leiden von der D. mehr
als die Männer. Das Verhältniss zwischen beiden stellt sich wie 10: 6. Ursache dessen
ist vielleicht, dass Frauen überhaupt schwächer und häufiger lymphatisch sind, mehr im
Hause des Kranken und bei dem Kranken sind als die Männer, die durch ihren Beruf
auswärts gezogen sind. Die Mütter kranker Kinder werden mehr als andere Personen
angesteckt Bei der Epidemie von Bar kommen auf 883 kranke Kinder 60 Sterbefälle;
in andern auf eine Bevölkerung von 6802 Menschen 68; in andern auf 569 Kranke 137.
In den Spitälern von Paris auf 573 Kranke sogar 406 Todte 1 Briquet schliesst seinen
Bericht mit der Behauptung, dass sich D. auch spontan entwickeln könne (?), sodann
wohl durch Contagien sich weiter fortpflanze, ersteres bei gewissen atmosphärischen, kli¬
matischen und anderen Einflüssen, wobei natürlich die Individualität der Kranken mit in
Betracht kommt; dass am Ende einer Epidemie wohl dass speciflschc Contagium nicht
an Kraft verliere, sondern die Epidemie vielleicht nur aufhöre, weil die prädisponirten
Individuen nicht mehr vorhanden sind. Auch die D. sei eine parasitäre Krankheit und
die Entwicklung der Pseudomembran durch Heranbildung eines Sporenkeimes erklärlich.
(Allg. wien. med. Zeitschr. 1877, 29.)
Wir haben, beiläufig bemerkt, diesen Bericht auch darum erwähnt, um zu zeigen,
was in andern, der Schweiz an Ausdehnung so ausserordentlich überlegenen Ländern
möglich ist. Wie hübsch, aber auch wie instructiv wäre es, wenn wir z. B. über die
Scharlachepidemie, die in den letzten Jahren nach und nach die ganze Schweiz heim¬
suchte, auch einen solchen Bericht ausarbeiteu könnten I Es würde sich da so mancher
wiobtige Fingerzeig Uber die Wege der Ausbreitung, die Ursachen der individuellen Dis¬
position und der relativen Immunität ganzer Bevölkerungsclassen vorfinden, dass die
Mühe reichlichen Lohn trüge. Arbeit genug für eine centrale Gesundheitsbehörde I
Frankreich. Heilkunde in Zahlen. Es ist bekannt, dass die Grosshäuser
der Arzneiwaarenbranche oft besser als medicinische Autoritäten hinsichtlich der zeitge¬
nössischen Therapie auf dem Laufenden sind, weil sie die Ab- und Zunahme des Ver-
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brauches jedes Medicarnentea aus ihren Büchern ziffermäasig featstellen können. Der
Gedanke lag daher nicht so fern, einmal auf Grundlage eines solchen Materials ein Stück
Geschichte der Medicin zu schreiben. Lasegue , Professor der medicinischen Klinik, und
Regnould , Professor der Pharmacologie und Director der Pharmacie centrale in Paris nah¬
men diesen Gedanken auf und machten den Versuch, aus dem Calcul der während einer
gegebenen Zeit verbrauchten Medicamente die Grundztige einer Geschichte der zeitgenös¬
sischen Therapie und ihrer Abweichungen zu entwerfen. Die Basis ihrer Berechnungen
war der Consum der von der Pharmacie centrale an die pariser Hospitäler in dem ange¬
gebenen Zeiträume gelieferten Medicamente, und zwar gingen sie dabei von der Idee
aus, dass die in dem Medicamentenverbrauche der einzelnen Hospitäler vorkommenden
Schwankungen in ihrer Gesammtheit die Schwankungen der Therapie überhaupt repräsen-
tiren. Die Elemente dieser Statistik lieferten die Register der Pharmacie centrale, wo
über den Eingang und Ausgang sämratlicher Medicamente sorgfältig Buch geführt wird.
Leider datiren dieselben nur bis zum Jahre 1855 zuiück und nur der Verbrauch der Blut¬
egel ist bis auf das Jahr 1820 herab bekannt.
Auf Grund dieser Bücher haben die Autoren nun den Consum sämmtlicher Medica¬
mente vom Jahre 1855—75 ziffermäasig festgestellt. An der Spitze der langen Aufzäh¬
lung stehen die anästhetischen Mittel, gleichsam um in dieser Statistik eine der neuesten
Thatsachen, die die moderne Therapie am meisten beschäftigt, zu repräsentiren. Es
wurde verbraucht: Chloroform 1855: 141 Kilo, 1875: 308, Chloral 1869 nur 5 Ko., 1875:
360, Jodoform 1869: •/, Ko., 1876: 28 Ko., Bromkalium 1855: 320 gmm., 1856: 7 Ko.,
darauf wieder Abnahme, schliesslich rapide Steigung bis zu 731 Ko (1875), Opium fast
unverändert mit 150—200 Ko. jährlich, Morphium steiet von 272 gmm. auf 10 / 8 Ko.,
Aconit fast null, Conium schwankt zwischen 1 und 200 Ko. jährlich, während Digitalis
constant blieb.
Viel stabiler blieb die Anwendung der Nervina: Valeriana schwankt zwischen 200
und 800 gmm., Aq lauroc. zwisohen 145 und 379 Ko., Asa foetida zwischen 3065 und
7470 gmm., Moschus zwischen 839 und 2610 gmm., Castoreum zwischen 2 und 6 Ko.
Geht man von den krampfstillenden Mitteln zu denjenigen Uber, welche gegen schärfer
begrenzte Affectionen, die verschiedenen Läsionen des Nervensystems, gebraucht werden,
so finden wir uns der in der Geschichte der Medicin mehr als einmal wiederholten That-
sache gegenüber, dass ein beträchtlicher Fortschritt in der Pathologie vorliegt, ohne ent¬
sprechenden Fortschritt in der Therapie. Man könnte selbst sagen, ^lass im Maasse, als
die Verletzungen des Nervensystems besser bekannt wurden, der Gebrauch der dagegen
angewandten Mittel sich vermindert hat. Ein Blick auf den Verbrauch von Nux vomica,
Strychnin, Brucin, Sabadilla, Veratrum etc. weist nach, dass die Verbrauchsziffer einiger
im gleichmässigen Mittel geblieben, anderer sogar sich erheblich vermindert hat. Nux
vomica figurirt von 1855—76 in sehr verschiedenen Mengen, von 250 gmm. bis zu 27,250
gmm,; die St. Ignaz-Bohne fehlt während sieben Jahren vollständig, um dann in einer
Schwankung von 200—4000 gmm. zu erscheinen. Strychnin erhält sich in ziemlich un¬
bedeutenden Schwankungen; seit 1869 verdrängen die Granules die ursprüngliche primi¬
tive Form. Brucin wird von 1856—69 in kleinen Mengen gebraucht und verschwindet
von da ab fast vollständig. Secale cornutum, dessen Verbrauch 1856 über 20 Hectogr.
betrug, steigt im Verbrauch bis 1874 (174,420 gmm.), um 1876 auf 68,125 gmm. zu
fallen Veratrin wird von 1855—69 in kleinen Mengen gebraucht, seit 1870, wo die
Granules aufkamen, hat der Gebrauch erheblich zugenommen.
Die Spirituosen, sei es nun, dass dieselben zu Zeiten grosser Fieberepidemien oder
als Stärkungsmittel gegeben würden, haben in dieser Periode ganz enorme Proportionen
angenommen. Für Alcohol betragen dieselben 1855: 1270 Litres, 1870: 40,499 Litres,
auf welcher Höhe er sich bis 1876 erhält. Branntwein, der von 1855 — 61 nicht vor¬
kommt, beginnt 1862 mit 4 Litern und steigt von da schrittweise bis zu 4108 Litern im
Jahre 1875. Eine fast gleiche Steigerung erfährt der Rhum; von 35 Litern im Jahre
1862 ist der Consum auf 6682 Liter im Jahre 1875 gestiegen. Ebenso der Consum des
rothen (Bordeaux) und des weiasen (Bagnol) Weines. Dieser enormeu Verbrauchsstei¬
gerung der Spirituosen gegenüber steht eine analoge Verbrauchsverminderuug der Blut¬
egel: die Pharmacie centrale verbrauchte 1820—23 jährlich ca. 180,000 Stück, 1824:
257,000, jährliche Zunahme bis zu 1,280,000 im Jahre 1836 (Höhepunct). Der Verbrauch
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fiel nun jährlich um 100,000—200,000 Stück, so dass er in den letzten 12 Jahren durch¬
schnittlich jährlich nur noch ca. 00,000 Stück betrug.
Die Vergleichung dieser beiden Zifferreihen, von denen die eine die bedeutende Ab¬
nahme des Blutegelverbrauches, die andere die grosse Steigerung des Gonsumes der Spi¬
rituosen beweist, zeigt in frappanter Weise die Umwälzung in den Heilprincipien der ent¬
zündlichen Krankheiten, bei welchen sie vorzugsweise angewandt wurden.
(Aerztl. Mittheil, aus Baden 1877, 14.)
Basel* Heute Morgen den 15. December verschied im kräftigsten Mannes¬
alter plötzlich Dr. Carl Ernst Emil Hoffmann , Professor der Anatomie. Derselbe wurde
mitten in der Arbeit im Secirsaale (wahrscheinlich durch eine Apoplexie) seiner Familie,
den zahlreichen Freunden und Schülern entrissen.
Stand der Infectlons-Krankhelten in Basel.
Vom 26. November bis 10. December 1877.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Die Masern, deren plötzlich epidemisches Auftreten der letzte Bericht gemeldet
hat, haben sich seither weiter ausgedehnt, sowohl in dem zuerst betroffenen Nordwest-
plateau und Birsigthal als auch, durch Vermittlung der Leonhardsprimarschule und der
Schule an der Theaterstrasse, auf das Südostplateau; auch das Kleinbasel zeigt eine Ver¬
mehrung der Erkrankungen.
Angezeigt sind im Ganzen 112 Fälle (10, 11, 78), davon auf dem Nordwestplateau
26 (22), Birsigthal 61 (47), Südostplateau 15 (4), Birsthal 1, Kleinbasel 9 (6); 16 dieser
Fälle lassen sich noch auf die Kleinkinderschulen am Gemsberg und an der Kohlenberg¬
gasse zurückführen, deren Schluss schon der letzte Bericht gemeldet hat.
8charlach zeigt eine geringe Abnahme; angemeldet sind 19 Fälle (6, 23, 25),
davon auf dem Nordwestplateau 2 (12, 3), Birsigthal 6 (8, 9), Südostplateau 8 (1, 2),
Birsthal 6 (2, 1), Kleii'basel 2 (4, 10), 1 von auswärts.
Von Typhus sind nur 10 frische Fälle angemeldet (11, 13, 12), vom Nordwestpla¬
teau 4, Birsigthal 3, Kleinbasel 2, auswärts 1.
Diphtherie 8 Fälle (7, 4), wovon 4 auf dem Nordwestplateau.
Erysipelas 7 Fälle (5, 7). Pertussis scheint in Kleiubasel wieder gehäufter
aufzutreten; angemeldet sind 14 Fälle (5), vorherrschend von der untern Klybeckstrasse
und deren Umgebung.
Puerperalfieber 1 Fall auf dem Nordwestplateau (1, 0, 1).
Varicellen treten gleichfalls zahlreicher auf; angemeldet sind 10 Fälle, zerstreut
aus Gross- und Kleinbasel.
Bibliographisches.
146) Wille, Göthe's Werthcr und seine Zeit. Eine psychiatrisch-literarische 8tudie. 30 8.
Basel, bei Hugo Richter.
146) Klinisches Recepl-Taschenbuch für pract. Aerzte, Sammlung der gebräuchlichen und be¬
währtesten Heilformeln an den wiener Kliniken. 169 S. Wien, Urban & Sohwar-
zenberg.
147) Albert, Beiträge zur Geschichte der Chirurgie. I. Blutstillungsmethoden im Mittel-
alter. H. Die ältere Chirurgie der Kopfverletzungen. 113 S. Wien, Urban &
Schwarzenberg.
148) Löbisch , Anleitung zur Harnanalyse für practische Aerzte, Apotheker und Studirende.
Mit 26 Holzschnitten. 238 S. Wien, Urban & Schwarzenberg.
149) Steiner, Ueber die modernen Wundbehandlungsmethoden und deren Technik. 92 S.
Mit 8 Holzschnitten. Wien, Urban & Schwarzenberg.
160) Albert, Beiträge zur operativen Chirurgie. L Heft 56 S. Wien, Urban & Schwar¬
zenberg.
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753
Briefkasten.
Herrn Dr. W. in W.: Besten Dank für die Direction; Pfeil in der Richtung lancirt. Das von
R. in Aussicht gestellte circulirende Protocoll noch nicht in Sicht. Herzliche GrQsse. — Herrn Dr. T.
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Soeben erschien und ist durch alle Buchhand¬
lungen zu beziehen:
Deutscher
Medicinal-Kalender,
herausgegeben
von
Dr. Carl Martins.
Fünfter Jahrgang.
1878 .
Preis in Leinwand M. 3.
„ in Lederband „ 4.
Verlagsbuchhandlung von Eduard Besold
[H-4003-Q] in Erlangen.
Im Auftrag der Sanitätscommission:
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756
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St. Gallen den 30. Nov. 1877.
[ H-3899-Q] C. Ehrenzeller, Apotheker.
Huber’sche Apotheke, Basel.
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coto. Cotoin. Kamalin. Koussin. Narcein. Pilo¬
carpin. Thymol. Tinct coto. Tinct. eucalypt.
Tinct. gelsemini etc. etc.
NB. Wir machen die Herren Aerzte darauf
aufmerksam, dass es stets Princip unserer Firma
war, alle neu auftauchenden Arzneimittel, mit
Ausnahme von Geheimmitteln u. dgl., sogleich
den Herren Aerzten zur Disposition vorräthig zu
halten. Jeder neue, reelle Arzneistoff ist daher,
sobald er in den Handel kommt, bei uns sofort
zu haben.
Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart.
Soeben erschien nnd ist durch jede Buebhandlnng tu be¬
ziehen :
Handbuch der Frauenkrankheiten
unter Redaction Ton Professor Dr. BILLROTH in Wien.
Sechster Abschnitt.
Professor Dr. Olshausen in Halle: Die Krank¬
heiten der Ovarien.
Mit 33 in den Text gedruckten Holzschnitten.
gr. 8. geheftet. Preis 12 Mark.
Lehrbuch der Militär-Hygiene
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Dr. C. Kirchner,
KSnigL Oberstaba- n. Regimentearzt des 1. Schles.
Dragoner-Keg. Nr. 4.
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Zweite gänzlich umgearbeitete Auflage,
gr. 8. Preis complet 14 M. 80 Pf.
Die erste Hälfte erschien im December 1876 zum Preise
von 7 M. 60 Pf., die zweite Hälfte soeben znm Preise von
7 M. 20 Pf.
Handbuch
der
Allgemeinen Pathologie
als pathologische Physiologie
von
Professor Dr. SAMUEL in Königsberg.
II. Abtheilung.
Allgemeine Hämo-Themo-Neuro-Pathologie.
gr. 8. geheftet. Preis 5 M. 20 Pf.
Die dritte Abtheilnng erscheint Ostern, die viert* Ab¬
theilung (Schluss) im Sommer 1878.
Die
Echinococcuscysteu der Nieren
und des perirenalen Bindegewebes
von
Dr. Gustav Simon,
weiland Profeesor der Chirurgie in Heidelberg.
Herausgegeben von
Dr. H. Braun,
Privatdocent n. Assistenzarzt an der Chirurg. Klinik in Heidelberg,
gr. 8. geheftet. Preis 2 Mark.
Physiologie der Seele.
Die seelischen Erscheinungen vom Standpunkte
der Physiologie und der Entwickelungsgeachichte
des Nervensystems aus wissenschaftlich und ge¬
meinverständlich dargestellt
von
Dr. Karl Spanier,
Privat-Docent an der Universität Qiowen.
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Die cerebralen Grundzustände der
Psychosen
Von [H-407S-Q]
Dr. J. Weis«,
Assistent an Professor Leideedorfs Klinik.
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Schweighaueerieche Buchdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
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COMESPOMZ-BLATT
für
Schweizer Aerzte.
Herausgegeben
von
Dr. Alb. Burckhardt-Merian und Dr. Arnold Baader
Priretdocent in Buel. in Gelterkinden.
Jahrgang VIII.
1878.
BASEL.
I
BENNO Sohwabe, Verlagsbuchhandlnng.
1878.
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Register.
I, Sachregister.
(O — Originalarbeit.)
Abort durch Pilocarp. muriat. 606 — der ersten
Wochen 679, 709.
Accident. Verbrennung d. Aether 157.
Acidum salicyl. 376.
Acid. sclerotinicum 506.
Aconitin geg. Tic doulour. 634.
Acten des internst. Congr. Genf 506.
Acut Gelenkrheum., ü. Aetiol. etc. O 587, 614,648.
Aerztecommission, Schweiz., Wirksamk. 365.
— , Fabrikges. 17, 92, 365.
— , Personalien 93.
Aerztl. Centralverein, Rechng. 185, Versammlg.
277, Protoc. 13, 363, 396, 423, 466, 677, 705.
Aerztl. Selbsthülfe 507.
Aerztestatistik der Schweiz 248, 278.
Aerztetag, oberrheinischer 497.
Aether-Spray zur Blutstillung 124.
Africa, Reisebrief 309.
Ajaccio, Reisebriefe 89, 216, 471, 505.
Alaunstein, geschlifT. 654.
Alcoholism., Amblyopie 396, 574, 639.
Ammoniac und Ammonium nitrit. 81.
Anatomie, Unterrichtsfrage 342.
Anbohrung <L Warzenfortsatzes 366.
Angina tons., Infect 661.
Annoncenpolizei 365.
Antagonism. v. Atropin u. Morph. 691.
Anthropolog. Ziele 711.
Antiimpfbewegung 250, 507.
Antikritik (Handb. d. Geisteskrank)!.) 722.
Antisepsis in d. Landpraxis 178, nach Volkmann
187, bei BUlroth 241, 339 — O 583, 669.
Antisept Mittel O 583, 6^9.
Anzeigepflicht ansteck. Krankh. 247.
Aorta, Arros. 743.
Apotheker, v. Versamml.
Arros. gross. Arterien bei Scharlach 743.
Araenikintoxic. 607.
Arznei-Exantheme, Beitrag z. O 135.
Arthrotomie nach Lister in d. Landpraxis 178.
Asthma, neue Therapie 313.
Atropin u. Morph., Antagonism. 691.
Auge, künstl., v. Landolt 687.
Augenspiegel, Landolt 687.
Ausschuss, leitend, d. Medlcinalprüfg. 280.
Auszeichnungen, med., an d. Weltausstellg. 692.
Avancement, militärärstl. 93, 220.
Azoospermie 680.
Bäcker, Erkrankungshäufigkeit 430.
Bad Ems 313.
Bad Weissenburg 117.
Baden, Zusammenkunft d. Sanitätsstabsofflc. 50.
Bandwürmer in Basel 743-
Barths Apparat zur Narc. mit Stickox. 205.
Basedow, Therapie 726.
Basel, Infectionskrankh., Stand 30 u. in allen fol¬
genden Nummern.
— , Verein f. künstl. Glieder 312.
Beckenorgane, weibl., Lage 327.
Bedeutung d. Kalks in Trink- u. Mineralwassern
O 391, 440, 599.
Befähigungsauswelse, eidgen. 365, 678, 688, 719,
724.
Bei verecbl. Querlage Wendg. oder Embryotomie
O 67.
Beitrag z. Frage d. Arznei-Exantheme O 135.
— z. Kenntn. d. antis. Mittel O 583, 669.
Beleidigung d. militärärztlichen Corps in Bosnien
725.
Bemerkungen z. Process Eulenburg O 385.
Berliner medic. Gesellschaft 640.
Bern, Krankenpflege 463.
_ , Spitalneubau 156, 187, 463, 493, 747.
Besoldung d. Militärärzte 405.
Beziehungen zw. Lungen u. Herz 462.
Bibliographisches am Schlüsse fast jeder Nummer.
Blatta orientalis 554, 743.
Blindgeborene, Heilung 251.
Borsäure O 5^3, 669.
Brand e. Spitales 249.
Bronchitis crouposa idiopath. 137.
Bruch, zurQckgeh. durch e. Hoden 605.
Bulbär-Paralyse 495.
Bundesgesetz v. Freizügigkeit.
Bursitis prsepatellaris lö6.
Oanalverbindungen u. Infectionskrankh. 605.
Cancroid v. Hand u. Auge 717.
Capacität d. Harnblase 48.
Carcin. d. Kropfes, Exstirp. 77.
Care. d. Uterus, Diagnose 174, Ther. 210, 243.
Carbolspray b. Uteruscarc. 211.
Carotis, Arros. 743.
Casuist. Mittheilgn. a. d. neuen Einwohnerspital in
Winterthur O 321.
Centralverein v. Aerztl. Centralverein.
Cerium oxydulaL oxalicum 716.
Chinin mit Milch 638.
— gegen Schrunden 638.
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— IV
Chlrurgen-Congresa 220.
Chloralhydrat ln Clyatieren 663.
Chloroform, Vergifrg. 251.
Chorea 638.
Chromatometer 688.
Chromophototherapie 606.
Chrysophansäure 340, 639.
Colpocystotomle 573.
Congenit Lymphangiome 625.
CongrÄs de GenÄve pour l’abolition de la Prosti¬
tution 24.
Congreas, Internat., f. Gesnndheitspfl. 281.
— , — , medicinlacher 251.
Conservirg. anaL Präp. nach Laakowakl 273.
Contag. Krankh., v. ansteck. Krankh.
Conatantine, Reiaebrief 309.
Croup. Bronchitis 137.
Croupmembranen, Kalkwasser u. Milche. 276.
Croup, Tracheot, secund. Polyp. 14t.
Curpfuacherei 572, 637.
Darmnaht nach Excis. d. brand. Schenkelbruchs
O 132.
Das pneum. Cab. u. d. transp. pneum Apparat
O 225, 265, 271, 290, 674.
Davoe, Unterrichtaanatalt 61.
Der tranap. pneum. App. u. d. Lungengymn. mit¬
telst Stockturnen O 674.
Deainlectlon b. Pocken 53, 86.
Dickdarmkrankh., Localtherap. O 353.
Die Lungenblutungen, ihr Verh. s. WeiSBenburg-
cur u. ihre Therapie O 129, 165. 197.
Die Sehnennaht an d. Hand O 513, 545, 631, 686.
Die aog. Endometr. fungoaa O 481, 522.
Die Sulzbrunner Jodquelle (Kemptener Wasser)
O 1 *3, 229.
Dienstdispena. d. Irrenärzte 441.
Diphtheritis 721.
— , Ther. durch Terpentin 248.
Diplome, v. medic. Prüfungen.
Diplometer 687.
Dipygus dipus 745.
Disciplin an d. med. Facult. in Paris 250.
Dispens, v. Selbatdispena.
Divisionsärztl. Avancement 93.
— Demissionen 61.
Doctorp?omotionen 1877 635.
Doctortitel 180, 691, 722.
— , käuflich 691, 722.
Doppelbildung 744.
Double rögle 686.
Duplicitas posterior 745.
Durchtritt d. Magens in d. Brusthöhle 573.
Ectopie der Harnblase 45.
Effleurage v. Massage 201.
Eidg. Fabrikinspectoren 541.
Ein Beitrag zur Physiologie der Grosshirnrinde
O 665.
Ein Lied vom Papa Stabil 562.
Eine IV. Serie v. Ovariot etc. O 72.
Einfluss d. Schweigens in Gefängn. 509.
Einfuhr pharmac. Prod. nach Frankreich 748.
Einige Bemerkungen über d. Typhusepidemie in
Kloten O 449.
Elephant. cruris mollis 625, 656.
Empyem v. Gallenblase.
Empyem d. Nierenbeckens m. Drainagebeh. O 161.
Ems 313.
Enchondroma myxom&t. 566.
Endometritis fung., die sogen., O 481, 522.
Entkröpfung, die, O 77, 79.
Entwicklungsgesetz d. Menschen 706.
Erblindung v. Alcoholism.
Erdkloset 721.
Erfahrungen, laryngosc. O 517.
Erkrankungshäuflgk. d. Wirthschaftspers. u. der
Bäcker 430.
Ernährung d. Fiebernden 28.
Erstickung, seltene 606.
Essigs, u. essigs. Thonerde O 669.
Eulenburg, Bemerk, z. Proc. O 385.
Excision d. brand. Darms b. eingekl. Schenkelbr,
u. Heilg. d. Darmnaht O 133.
Exstirp. bulbi 206.
— d’un gottre plongeant 563.
— d. Kehlkopfes 639.
— einer Struma retrocesophagea O 702.
— uteri 406, O 609, 642, d. Niere 625.
Fabrikation, v. Phosphorzündhölschen.
Fabrikgesetz, Gutachten d. Schweiz. Aerztecommis.
17, 365.
Fabrikinspectoren, eidg. 541.
Fälschung, v. Lebensmlttelcontr.
Fäulniss organ. Substanzen 172.
Farbenblindheit 281.
Ferienaufenthalt armer Kinder 212.
Ferri, v. Liquor ferri 28, 528.
Fieber, Ernährung 28.
Fractur d. Processus odontoideus 572.
Frauenstudium 574.
Freigebung d. ärztl. Praxis 151, 152.
Freizügigkeit d. Apotheker 636.
— d. medic. Pers., Internat 405, 437, 508, 678,
688. 719, 724
— , Anregung ». Concordat 152.
— , Internat 746, 748.
— d. Medicinalpers., Bundesgesetz 85.
Fremdenpraxis u. fremde Aerzte 719.
Frequenz v. Aerzteatatiatik.
— v. Universitäten.
Gallenblase, Empyem, mannskopfgr. O 577.
Gastrotomie 49.
Geburtshülfl. Casuistik O 358, 360, 437.
Gedanken eines alten Arztes 180.
Gedichte 1, 16, 116, 117, 178, 562.
Gegenreize bei SpinalIrrlt. 633.
Gegenseitigkeit v. Befähigungsausw.
Geheimmittelpolizei, Conferenz, Bern 93, 299, 678.
Geisteskr., Hülfsver. 442, 571.
Gelenkrheumatism., acut., AetioL u. Wesen, O 587,
614, 648.
Gelsemil radix 368.
GenÄve, CongrÄs pour l’abol. de la prostit 24.
Genu valgum, Operat. n. Ogston 186.
Geschichtl. Rückblicke in d. Leben d. Gesellsch.
d. Aerzte Appenzells 148.
Geschwüre, Therap. 221.
Gesellsch. f. Ohrenheilkunde 664.
Gesellschaften, med., v. Aerzte9tatlstik.
Gesetz über Apoth. u. Giftvorkauf 299.
— über d. Medicinalwesen, Basel 297.
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— V
Gesundheitspflege v. Congr. internst.
— v. Versammlg. deutsch.
Giftverkauf, Gesetz 299.
Glarus, Spitalneubau 156.
Glaucom 655.
Glieder, künstl., Verein £ Anschaffg. 312, 474.
Goae pulvis 554, 639.
Gottre plongeant, exstirp. O 563.
Grabrede an Prof. C. E. E. Hoffmann 19.
— an Dr. C. E. Buss 374.
Grossbirnrinde, Beltr. z. Physiol. O 665.
Grundsätze, homöop. 312.
Gymnastik und Stabturnen in d. Hand d. Arztes
O 97.
Hallerfest, Bern 29, 61, 466, 498, 748.
Hand v. Sehnennaht.
Harnblase v. Ectopie.
— , Messungen d. Capac. 48.
Hebra’s Klinik 340.
Heer, gold. Medaille, London 62.
Hemianopsie v. Sehnervenkreuzung.
Herbstphantasie, Toast 14.
Heredit Syphilis d. Knocb. d. Kinder 620.
Hernien, Radicaloperat 705.
Herzgegend, Scbussverletzg. 45, O 321.
Heuaer’s Chirurg. Nachlass 78.
Hoden, als Bruchband 605.
Homöop. Grundsätze 312.
HQlfsverein f. Geisteskranke 442, 571.
Hydrocele 425.
Hydrocepbalus acutus 501.
Hyglein. Unterricht 748.
Hygieinemuseum, London 62.
Hygiene oder Hygieine? 157, Intern. 639.
— d. Schule 89, 456, 487, 491.
Hygroma colli congenit. 625, genu 186.
Hyperemesie gravid., Tberap. 716.
Hypertropbia cerebri 207.
— muscul. lipom. 233.
Jahresschluss, «um 729.
Idealismus in d. Medic., Toast 13.
Illustrirte Vierteljahrsscbr. f. ärztl. Polytechn. 690.
Impetigo contagiosa 595.
Impfen v. Vaccination.
Impfsyphilis 749.
Impfzwang v. Vaccination.
Infectionskrankh. in Basel 30 u. in allen folgend.
Nummern.
Infect sporad. mening. 535.
Infectionskrankh. u. Canalverbindungen 605.
Infectionslebre, zur 661.
Inhalationsapparat d. Dr. Sigg 80.
Insel, v. Bern.
Internat med. Congress 251.
— , v. Freizügigkeit
— Gegenselt d. med. Befähigungsausw. 746, 748.
— Mortalitätsstatistik 614.
Intoxicat. amblyop. durch Alcohol 396.
Irrenärzte, Dienstdispens. 441.
Irrenhausfrage, Bünden 720.
Jubiläum v. Praxis.
Juncker's Inbalationsapp. z. Narcose 77.
Kaiserschnitt, Exstirp. d. Ut. 406.
Kalkplatten eines pleurit Exsud. 271.
Kalkwasser b. Croup 276.
Kal. jod. b. Asthma 313.
Kalk in Trink- u. Mineralwassern, Bedeutung O
391, 410, 599.
Karlsbadersalz 749.
Kehlkopfexstirpation 639.
Keuchhusten, Therapie 153.
Kinderlähmung, spinale, geheilt 533.
Kleiderläuse 572.
Klinikum, neues, München 94, 307.
Kloten, Typtusepid. 406, O 449.
Knie, Operat am 186.
Kniereaection, Heusser’s 78, — 329.
Knochensypbil., hered. d. Kinder 620.
Körperwachsthum 93.
Kost in Volksküchen 571.
Krankenutensilien, Vorrathsmagaz. 528, 529.
Kropf v. Kalk.
— , totale Exstirp. 77, 79.
— , carcinom., Exstirp. 77.
Künstl. Gliedor, Verein f. 312, 474.
Laryngoscop. Erfahrungen O 517.
Laparotomie 328.
Laskowaki’s Conserv. anat Präp. 273.
Lebensmittelcontr. in d. Schweiz O 65, 235, 257,
301, 366, 425, 511.
Lebensmittelpolizei 632, 636.
Leber- u. Nierenschuss 600.
Leberabsc. v. Gallenblase.
Lebert, Necrolog 568.
Lepra tuberosa 109, 623, 713-
Liquor ferri dialys. 528, 747.
Lister in d. Landpraxis 178, v. Antiseps.
Lugano, Clima etc. 18t.
Lungenblutungen, Verhalten zur Weissenburgcur
O 129, 165, 197.
Lungengymnastik O 96, 674.
Lymphangiome, congenit 625.
Hagen in d. Brusthöhle 573.
Magenpumpe, Anwendung 714.
Malzextract-Leberthran 442.
Mammm tumor. 566.
Mannskopfgr. Empyem d. Gallenblase O 577.
Massage 201.
Medicinalgesetz f. Baselstadt 296.
MedicinalPrüfungen, Schweiz. 279, 343, 376, 405,
437, 473, 501, 710, 724.
Medicin an d. Weltausstellung 538.
Medicin. Facultät v. Unlvers.-Frequenz.
Medicinalkalender, Schweiz. 749.
Medicinalprüfg., eidg. 570.
Medicinalstatistik, Schweiz 156.
Meningitis, Infect. sporad. 535.
— tubercul. 591.
— suppurat cerebri 621.
Metrorrhagie d. Aether-Spray gestillt 124.
Metzelsuppenlieder 116.
Migräne, Therap. 281.
Milchcurorto in d. Alpen O 2, 33.
Milchlieferungsanstalt Pasel 137, 369, 430.
Milchsäure b. Croup 276.
Militär-Aerzte ln Bosnien, Beleldigg. 725.
Militärärztl. Avancements 93, 220.
Militärorganls., Abänderung 405.
Milltärsanitätawesen 604, 633.
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VI —
Mineralwasser, kflnstl. 249.
Missgeburten an Tbieren 48.
Mittbeilungen a. d. Entwicklungsgesch. des Men¬
schen 706.
— Ober d. Wirkg. d. transp. pnenm. App. 0 105.
Morb. Basedowi, Therap. 726.
Morphin u. Atropin, Antag. 691.
Mortalität, Preussen 123, Schema 77, Schweis 156,
436, Zürich 220.
Mortalitätsstatistik 435, 470, internat. 634.
Manchen, neues Klinikum 94, 307.
Myopie u. Schule O 456, 487.
Wabelschnnrbruch 206.
Naht, neue .242.
Narcose m. Stickstoffozydulgas 205.
Natrium benzoicum 313.
Natron, salicyls. 48, 281, 606.
Necrologe Schweiz. Aerzte: G. Bernonlli 403,
Bider 439, Bücher 122, 177, Buss 373, Crousaz
498, Erismann 123, Hoffmann 19, 51, Huber
209, Lauterburg 276, Lebert 568, Thürlimann
565, Urech 279, Villiger 281, Wegelin 499.
Nephrotomie 625.
Nervi 214.
Neiyahrsgruss 1.
Nicotinvergiftung O 41.
Nieren- u. Leberschuss 600.
Nierenbeckenempyem mit Drainagebehandlung O
161.
Nomenclatur 74.
Oberrhein. Aerztetag 497.
Oesophagus- Geschwür, in Trach. perf. 272.
Ohrenheilkunde, Gesellsch. L 661.
Ophthalmomötre 6ö7.
Osteotomie, subcut. 423.
Ovariengeschw., operat Behandl. 494.
Ovarlotomie, IV. Serie v. 5 etc. O 72.
Paris, Reisebrief 21, 56.
— , v. Klinik Landolt
— , v. Weltausstellung.
Pegli bei Genua 154, 213, 244, 505.
Pemphigus 594.
Perimeter 687.
Peritonitis, adbäs., Genese d. O 72.
Perlsucht der Rinder 137.
Personalien, acad. 93, 123, 124, 313, 444, 474,
507, 509, 541, 570, 572, 637, 663, 725, 749. '
Pessar, macht Scheidenmastdarmflstel 600.
Pest, Reisebrief 21, 56.
Pfuscher v. Curpfuscher.
Phacometer 206.
Pharmaceutische Specialitäten 220.
Phosphorzündh., Verbot d. Fabrikation 331, 376,
441, 461.
Physiol. d. Grosshirnrinde, Beitr, O 665.
— d. Rückenmarkes 112.
Piloc. muriat 82.
-als Ecbollcum 606.
Plac. pr»via O 3 ; 8, centralis O 360, 437.
Pleuritis, Therap. durch Fixation 574.
Pneumat Apparate, transp., Wirkung O 105, 225,
265, 271, 290, 674.
Pocken u. Vaccination 53.
— im Tessin 53, 86.
Polyp, d. Trachea nach Tracheot 141.
Polytechn., illustr. Vierteljahrsschr., ärztl. 691.’ 1
Pr&llminar. z. Lebensmittelcontrole in d. Schweiz
O 65, 425.
Praxisjubiläum 562, 604.
Prazlsschacher 569.
Praziszwang der Med.-Pere. 297.
Proc. odont, Fractur 572.
Promot. d. med. Facultät 1877 635.
Prophylaxe v. Typhusrecidiven O 697, 710.
— bei Scarlatina 274, 331, 429, 432.
Proport d. Aerzte d. Schweiz z. Bevölk. 278.
Prostitution, congrös pour l’abolit., Genöve 24.
Prothese des Unterkiefers 48.
Prüfungen ▼. Medicinalp.
Prur. vulv. et vag. 619.
Pseudobypertrophia muscul. 233.
Pulvis Go» 554.
Purpura h»morrh. 593.
Querlage, verschleppte, Wendung oder Embryot
O 67.
Radicaloperatlon von Hernien 705.
Radix Gelsemii 368.
Rechnung des ärztl. Centr.-V. 185.
Rechtsstreit, medicin. 569.
Reclame, naive 406.
Recruten u. Eingetheilte, Unters. O 595.
Redact. Artikel 180, 275, 289, 332, 64i, 729.
Rede, vide Toast und 19, 364, 374, 678.
Regulat Einrichtungen im Organism. O 417.
Reisebriefe, Wien, Pest, Paris 21, 56, 241, 338.
— , Ajaccio 89, 216, 471, 504.
— a. d. Süden 154, 213, 244, 505.
— , Wien 241, 338.
— , Africa 309.
Revacc. v. Vaccinat
Revaccinat, Bünden 721.
Revolver v. Schuss.
Rheumatis. v. Gelenkrh.
Riesenwuchs 207.
Rokitansky, Necrol. 503.
Salbenconstit, Vaseline O 552.
Salicylsäure, fortg. Gebrauch 637.
Samaden, Curhaus 21.
Sanitas O 583.
Sanitätsdirector, Fachmann? 721.
Sanit. Statist. 441, 463.
-Stabsoff., Zusammenkunft 50.
— Unters, d. Reer. u. Eingeth. O 595.
Scharlach, Arrosion gross. Art 743.
— , Prophylaxe 274, 331, 429, 432.
Scheidenmastdarmflstel durch ein Pess. 600.
Schema d. Todesurs. v. Mortal.-Stat.
Schenkelbruch, Gangrän, Darmnaht O 133.
Schlafmittel, sehädl. Wirkung 554.
SchreibstelluDg 89.
Schule v. Hygieine.
— u. Myopie O 456, 487, 494. — Zahl d. St. 632.
Schweiz, naturf. Gesellschaft 474.
Schuss in d. Herzgegend 45, O 321, Leber 600.
Schweigen in d. Gefängnissen 509.
Sclerodermie 622.
Schnennaht an d. Hand, O 513, 545, 631, 686.
Sehnervenkreuzung u. Hemlan. 555.
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vn —
Seid mir gegrüsat, Toast 16.
Selbstdispens, d. Aerzte 636, 678.
Selbsthülfe, irztl. 507.
Sidimdcid 310.
Silvaplana im Oberengadin als Curort, 0 2, 33.
Soc. mddic. d. 1. Suisse rom. 604.
Sommerfrischen armer Kinder 211.'
Spinale Kinderl&hm. geheilt 533.
Spitalbrand 249-
Soragno, Clima etc. 185.
Sporad. infect Mening. 535.
Staaroperation, über eine Methode d., 0 730.
Stabtnrnen n. Gymnastik etc. O 96, O 674.
Statistik v. Aerzte.
Stickstoffozydnlgas 205.
Struma retrocesophagea, Esst. O 702.
Strychnin gegen spin. Kinderk. 533.
Snbcut. Osteotomie 423.
Süden, Reisebriefe ans dem, 154, 213, 241.
Snlzbrnnner Jodqnelle (Kemptener Wasser) etc.
O 193, 229.
Syphilis, Ezcision 375, der Knochen, heredit. 620.
— durch Impfen 749.
— cutan. orbicnl. 624.
Syrupe, Gihrnng verhindert 376.
SykosiB parasitaria 595.
Tabak, Intozicationsamblyopie 396.
Tannin, Bereitung 81.
Tapeten, gifthaltende 115.
Tapotement ▼. Massage.
Tayuyae tinct 554.
Teratolog. Mittheilungen 206.
Terpentinöl zu Inhalat 80, 153, 248, bei Blu¬
tungen 606.
Tessin, Pocken etc. 53, 86.
Toast, 13, 14, 16, 116, 117, 466, 467, 710, 711.
— v. Rede.
Tod esu re. v. Mort-Stat
Tracheotomie bei Croup, secund. Polyp. 141.
Transport pneum. Appar. O 105, 224, 265, 271,290.
Trichinen 442.
Trichinenepidemie 124.
Trinkwasser v. Kalk.
Tuberculoae d. Rinder 137.
Tumor mammn 566.
Typhusepid. in Kloten, 406,0 449, i. Kaukasus 664.
Typhusrecidiven, Propbylaze d., O 697, 710, 737.
lieber Aet u. Wesen d. acut Gelenkrheumatis¬
mus, O 587.
— Anwendung d. Magenpumpe 714.
— eine Methode d. Staaroperat. O 730.
— Zeraetsg. v. Proteinsubet d. geformte Pan-
creasferm. 178.
— Lebensmittelpolizei v. Lebensmittel.
— Localtherap. d. Dick dann kr kh. O 353.
—- Nicotinvergiftung, O 41.
— ProphyL v. Typhusrecidiven, O 697, 710,737.
— regulator. Einricht, im Organism. O 417.
Umtausch cant Pat gegen eidgen. 405, 437,473.
Universitüten-Freq. uns. med. Facult. 62, 442.
Unterkiefer, Prothese 48.
Unterrichtsfrage in d. Anatomie 342.
Untersuchung sanit d. Recruten etc. O 595.
Untersch.-Geschwüre, Therap. 221.
Urechweizer 711.
Uteruscarcin., Diagn. 174.
— , Ezstirp. u. Kaiserschnitt 406, O 609, 642.
Vaccinat. 53, 86, 149, 250, 507, 721.
Vagin. et Vulvae prurit. 619.
Vaseline als Salbenconstituens, O 552.
Verbrennung durch Aether 157.
Vereine, medic. d. Schweiz v. Aerztestat
Vergiftung durch Alcoh. 396, 574, Arsenik 607,
Chlorof. 251, Natr. salic. 506, Nicotin, O 41,
396, Tapeten 115.
Vereammlg. deutsch. Naturf. u. Aerzte 475, 507.
— d. deutsch. Vereins f. öffentl. GesundheitspfL
475, 632.
— oberrhein. Aerzte 497.
— d. Schweiz. Apoth. 636.
— d. Schweiz, naturf. Gesellscb. 474.
— d. Werthbüblla 501.
Vibrionen im Urin 208.
Volkmann v. Antisepsis.
Volksküchen, Kost in, 571.
Vorrathsmagaz. v. Krankenutens.
Wachsthum u. Gesundheit 93.
Warzenfortsatz, Anbobrung 366.
Was haben die Wasserheilanst. m. d. Psychiatrie
zu schaffen? O 7.
Wasserheilanst. u. Psychiatrie, O 7.
Weissenburg 117.
— Verhalten z. Lungenblutung, O 129, 165, 197.
Weltausstellung, Paris 509, 538, 602, 692.
Werthbühlia, Versammlung 501.
Wien, Reisebriefe 21, 56, 241, 338.
Wirthschaftspereonal, Morbilit 430.
Zahnweh 572.
Zum Jahresschluss 729.
— 18. Mai 289.
— 26. October 641.
Zündholz v. Phosph.
Zur Infectionslebre 661.
— Therapie d. Hyperemesis gravid. 716.
Zürich, Poliklinik 571, propädeutische Klinik 637.
— , Sommerferien für arme Kinder 211.
Zwang v. Vaccinat
II. Namenregister.
AJbrecht 153.
Altherr 148.
Amsler 391.
B. F. 116.
Baader 84, 89, 117, 216, 439, 471, 504, 530
629, 631, 661, 677, 705.
Baumann 50.
Bernoulli, Dan. 137, 373, 403.
Beck 602.
Bion 211.
Bircher 562, 600.
Bischoff 481, 522.
Bodehat 142.
Borei 563.
Bruggisser 135, 209.
Bücher 595.
Burckhardt, Albrecbt E. 373, 743.
Burckhardt-Heualer, G. 16,85,399, 561, 718,745.
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Burckbardt-Merian, Alb. 447, 297, 299, 331, 366,
496.
Buss 28.
Conrad 206, 619, 679, 716.
Cornila 181.
Courvoiaier 718.
!>®ttwyler 714.
Demme 233, 620.
De Wette v. Wette.
Diem 174.
Droa 719.
Dubois 353.
Ellinger, L. 89.
Emmert, E. 552, 654, 730.
Erlach, v. 177, 240.
Eahrner, Caroline 21, 56.
Fankhauaer 432.
Flechter 141, 274, 685.
Grangnlllet 538.
GlaBer 583, 669.
Goldachmid 360.
Goll 271.
Haab 109, 363, 396, 423, 466.
Hfifcler 429, 430.
Haffter, E. 193, 229, 239, 241, 338.
Haffter, W. 358, 501, 566.
Hagenbach 45, 82, 83, 114, 277, 332, 556.
Hartmann 49.
Hermann 399, 417.
Heuberger 533.
Hoffmann 48, 327.
Horner 396.
Hoach 17, 209, 403, 655, 686.
Huguenin 449, 665.
Jeanneret 172.
Imhof 180.
Immermann 374, 697, 737.
Iaenachmid 94, 136, 307, 405.
Kaufmann 461, 469, 717.
Killiaa 720.
Kleba 440.
Kocher 72, 133, 492, 577, 625, 702.
Kölliker, Th. 375.
Kollmann 342, 630, 706, 711.
Kottmann 513, 545.
Krönlein 686.
Kahn 680.
Ladame 24.
Lange 105.
Lebert 2, 33.
Lotz 332, 470.
Luchainger 112.
Ludwig 561, 719.
Maaalni 368, 528, 684.
Meyer-HQni, R. 517.
Mleacher 176, 300.
Mühlberg 599.
Müller, A. 683.
— , F. 332, 403, 437, 688, 746.
— , H. 587, 614, 648.
— , P. 67, 174, 494.
Münch 208, 609, 642.
Munach 201.
Muralt, v. 76, 78, 423.
IVauwerck 321, 600.
Neukomm 225, 265, 290.
Niehana 201.
Ott 178, 456, 487.
Fern lach 21.
Pflüger 206, 494, 529.
Quincke 14, 161, 462, 495.
R., E. 276.
ßeall 53, 86.
Ritter 535.
Rohrer 41, 501.
Ronua 528, 529, 554.
Rose 77.
Roth 209, 503, 743, 744.
Rüedy 144.
Rütimeyer 19.
Schür 81, 435.
Bchieaa 117, 309.
Schneider, J. R. 593.
Schnyder 129, 154, 165, 197, 213, 244, 674.
Schaler 531.
Seite 369.
Sidler 178.
Siegmund 137, 369.
Sigg 80, 276.
Socln 45, 43, 332.
Sonderegger 13, 19, 65, 235, 301, 331, 364, 466,
499, 677, 710.
Steiger 122, 185.
Sury-Bien* 115, 241, 554.
Trechael 682, 718.
Treichler 97.
■Vogelsang 278.
Vogt, A. 257.
Vollend 631.
"Wagner 210.
Walliser 634.
Weber 594, 622, 713.
Wette, de 332, 497, 632.
Widmann 1.
Wille 51, 83, 115, 140, 385, 559, 626, 657, 723.
Wirth 7.
Wyaa 493.
- , v., H. 13, 329.
— , Oscar 109.
Z. 746.
Zehnder 467.
Zoller 437.
Zürcher 562.
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— IX —
III. Acten der Aerztecommission
und gesetzliche Erlasse.
Cassarechnung 1877 185.
Eingabe gegen die Fabrikation der Phosphorzünd-
bölzchen 331.
Gutachten über das eidg. Fabrik gesetz 17.
Mortalitätsstatistik 435.
Graz 722.
München 94, 186, 307, 405.
Nordamerika 634.
Pegli (Reisebriefe aus dem Süden) 154, 213, 244.
Prag 440.
Stuttgart 89.
Wien 241.
Würzburg 375.
Bekanntmachung des Sanitätsdepartements v. Basel
betr. gifthaltende Tapeten 115.
Bundesgesetz betr. die Freizügigkeit der Medici-
nalpersonen in der Schweiz 85.
Bundesgesetz betr. SuBpend. einzelner Bestimmun¬
gen der Militärorganisation 405.
Internat Gegenseitigkeit der med. Befähigungsaus¬
weise 688.
Prophylaxe bei Scharlach, Basel 274, 332.
Regulativ über die Einrichtung der Eisenbahn¬
waggons zu milit Krankentransporten 604.
Schweiz. Medicinalprüfungen 279.
IY. Vereins wesen,
Statistik der ärztl. Gesellschaften d. Schweiz 248.
Schweiz, naturforsch. Gesellschaft 474.
Aerztlicber Centralverein, Einladung z. Versamml.
277, 311, 603, 635, Protoc. 13, 363, 396, 423,
466, 677, 705, Rechnung 185.
Appenzell, Gesellsch. d. Aerzte 148.
Basel, med. Gesellsch. 45, 137, 296, 327, 366,
429, 528, 554, 743.
Bern, medic.-chirurg. Cant.-Gesellsch. 461, 492.
— , medic.-pharmac. Bezirksverein des Mittel¬
landes 172, 201, 233, 593, 619, 654, 679, 713.
Graubünden, Cant. Gesellsch. 720.
Thurgau, Werthbühlla 501.
Zürich, medic.-chirurg. Cant-Gesellsch. 76.
— , Gesellsch. d. Aerzte d. Stadt Zürich 109,
271, 328.
Y. Correspondenzen.
Schweiz.
Aargau 50, 61, 209, 210, 533, 562, 599, 600.
Appenzell 148, 437.
Basel 19, 51, 115, 116, 274, 277, 373 , 403, 437,
470, 497, 503, 723, 746.
Baselland 439.
Bern 117, 276.
Glarus 86.
Graubünden 20, 631, 719, 720.
Luzern 122, 177.
Neuchätel 24, 153, 563.
St Gallen 17, 180, 301, 499, 565.
Solothurn 498.
Tessin 53, 86, 181.
Thurgau 501, 566.
Unterwalden 661.
Zürich 21, 56, 211, 276, 501, 535, 568, 569,
600, 721.
Ausland.
Africa 309.
Ajaccio 89, 216, 471, 504.
Berlin 686.
Dresden 632.
Frankreich (Paris) 538, 603, 686.
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Zech, Prof. Dr. P., Die Physik in der Electro-
therapie 718.
Ziemssen, Handb. d. Bpec. Path. u. Ther. XV. B.
Intoxic. (Böhm, Böcb, Naunyn) 49.
Ziemssen, XI. B. I. Hälfte Krankh. d. Nervensyst
(Heubner, Hitzig, Huguenin, Nothnagel, Ober-
nier) 399.
Ziemssen, XIL B., Anhang, Kussmaul, Prof. Dr. A.,
Die Störungen d. Sprache 561.
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CORRESPOMMZ-BLATT
Am 1. und 15. jeden
Monats erscheint eine Nr.
1V»—2 Bogen starb;
am Schluss des Jahrgangs
Titelu.Inhalt8verzeichnis8.
für
schweizer Aerzte.
Herausgegeben von
Preis des Jahrgangs
Fr. 10. — für die Schweiz;
der Inserate
35 Cts. die zweisp. Zeile.
Die Postbureaux nehmen
Bestellungen entgegen.
Dr. Alb. Burekhardt-HIerian und Dr. A. Baader
Printdocent in Basel. in Gelterkinden.
N" 1. VIII. Jahrg. 1878. 1. Januar.
Inlutlt: Nenjahragross. —1) Orlginalarbelten: Prof. Dr. Lebert: 8ilraplana im Ober-Engadin als Milch- und klima¬
tischer Curort. — Wtrth: Was haben die Wasserheilanstalten mit der Psychiatrie zu schaffen? — 2)Yereinsberichte:
XVI. Versammlung des ärztlichen Centralrereins in Olten. — 8) Referate und Kritiken: Hirschberg: Centralblatt für prac-
tlsche Augenheilkunde. — 4)CantonaleCorreepondenzen: Ans den Acten der Aerzte-Commission, Basel, GranbQnden,
Zürich, Congr&s de GenhTe. — 5) Wochenbericht. — 6) Briefkasten.
Neujahrsgruss.
Flieg’ aus, o Blatt, und bring’ in alle Gauen
Des lieben Schweizerlandes unsern Gruss.
Bring’ ihn den jungen Brüdern, den „vielblauen“,
Bring’ ihn den Alten, die, Gewehr bei Fuss,
Mit ernsterm Blicke still in’s Leben schauen,
Das freilich Manchem wirr erscheinen muss,
Hört überall er Kampfesruf erschallen
Und sieht so manch' ehrwürd’ge Satzung fallen.
Denn wie aus einer überreichen Quelle
Sich immer neue, frische Flut ergiesst,
So drängt im Wissensborn auch Well’ auf Welle
Sich sprudelnd vor, und, wo zu träge fliesst
Ein Wasser, wo vielleicht an sumpfger Stelle
Sogar manch’ giftig Kraut verderblich spriesst,
Da wächst, als wie geschwellt von Wetterzorn,
Zum Wildbach oft des Wissens heil’ger Born.
Doch wenn sich so gleich flücht’gen Wellen jagen
Die Dogmen, die uns schienen voll Bestand,
Wenn morgen wieder wird zu Grab getragen,
Was gestern erst ein heller Geist erfand,
Soll da das Herz am Ende nicht verzagen ?
Heisst unser Thun nicht: „Schreiben in den Sand“ ?
O, nein I wie auch die Wellen weiter gleiten,
Das ernst Gewollte bleibt für alle Zeiten.
Dass wir vielleicht in manchem Irrthum stehen,
Wer zweifelt? Doch ist’s zum Verzweifeln nicht.
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— 2 -
Wenn wir nur sicher uns’re Wege gehen
Und treulich lassen leuchten unser Licht,
So sagen Spät’re, die dann weiter sehen
Als wir: „Die Guten thaten ihre Pflicht“.
Trotz manchem Irrthum steht als Vorbild Aller
Vor uns bedeutsam unser grosser Haller.
Drum ehrt die Wissenschaft! auch Ihr, Genossen,
Die Ihr den Grenzdienst habt, Vorposten gleich,
Zwar nah’ den Höh’n, wo Alpenrosen sprossen,
Doch fern des Wissens stärkendem Bereich.
Des Tages Mühsal macht Euch leicht verdrossen ;
Da denkt, wie alma mater lieb und weich
Euch einst an ihre Brüste hat gezogen ;
Wie? hättet Ihr die Milch umsonst gesogen?
Nein! nährt auch künftig mitten in dem Drange
Des täglich neuen Kampfes Euern Geist.
Und sagt nicht, dass Ihr Euch von läst’gem Zwange
Befreit, wenn Ihr die Thür dem Wissen weist.
Den Freund stosst Ihr zurück und nehmt die Schlange
Dafür des Aberglaubens auf zumeist.
Im Bunde steht das Wissen mit dem Leben.
In Eure Hand ist dieser Bund gegeben.
Und Allen, die in Stadt und Land wir weilen,
Ruf Eines ich noch zu: Krank ist die Zeit.
Wir haben nicht mit Pillen nur zu heilen;
Zu manchem Wort auch ist Gelegenheit;
Zu frischen Thaten gilt es oft zu eilen;
O! seien wir im neuen Jahr bereit,
Die kranke Zeit mit Mitteln zu bedenken.
Sie einer guten Krisis zuzulenken. I
So wünsch’ ich Euch denn zu dem neuen Kreise
Von Monden, der dem Abgrund still entsteigt,
Ein volles Glück, das sich in jeder Weise
In wohlgelung’nen Mannesthaten zeigt,
So dass, wenn sich im nächsten Winter leise
Dies Jahr gleich einer vollen Aehre neigt,
Dann Jeder sprechen dtirf’: „Ich bin zufrieden;
Mir war ein gutes Jahr der That beschieden“. —
Original-Arbei ten.
Silvaplana im Ober-Engadin als Milch- und klimatischer Curort.
Von Geheimrath Professor Dr. Lebert in Nizza.
I. Milchcur orte in den Alpen.
Nach einer längeren Phase des übertriebenen Scepticismus ist unsere Zeit
wieder zu einer vernünftigen, sehr geläuterten Therapie zurückgekehrt. Viel
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Ballast ist über Bord geworfen worden. Aber was geblieben ist, ist einer streng
kritischen Prüfung unterworfen worden. So hat wirkliche Erfahrung die Tradition
ersetzt. Sehr wichtiges Neues ist an Arzneimitteln und Methoden hinzugekommen.
Die Glanzseite der heutigen ärztlichen Bemühungen aber bildet das gründliche
und allseitige Studium der Hygiene.
Bei chronischen Krankheiten, bei denen man sonst die Kranken so oft mit zu
vielen Arzneien geplagt und zur Grundkrankheit noch oft Arzneikrankheit hinzu¬
gefügt hat, hat die Hygiene, zu der wir auch die täglich sich vervollkommende
Klimatologie rechnen können, sich als ganz besonders nützlich erwiesen.
Sehr gut lassen sich auch die verschiedenen Hilfsmittel der Hygiene mit ein¬
ander combiniren, so namentlich die Milchcur mit dem Aufenthalt im Hochgebirge.
Bringen wir aber in Anschlag, dass die Milchcuren immer mehr Verwerthung
in der Behandlung der chronischen Krankheiten, der Athmungs-, der Verdauungs-,
der Harn-Organe finden, dass anderseits die Sommercuren in den Alpen eine An¬
erkennung und häufige Anwendung gefunden haben, wie nie zuvor, so müssen wir
mit Befremdung constatiren, wie wenig die Combination der Milchcur und der
klimatischen Gebirgscur bisher die Aufmerksamkeit der Aerzte auf sich gezogen hat.
Dass man in den schweizerischen Alpenstationen auch frisch gemolkene Milch
bekommen kann, constituirt noch nicht Milchcurorte. Sind doch im Sommer die
Kühe auf den höheren Alpen und behält man eben nur so viel für die Hotels, als
zum Bedarf nöthig ist. Ja nicht selten überzeugt man sich, dass auch schon in
den Bergen die Milch die grosse Elastizität gefunden hat, über welche wir uns in
der Ebene oft beklagen.
Zu einem wirklichen Milchcurorte gehören vor Allem die verschiedenen, auch
in ihrer Wirkung besonderen Indicationen entsprechenden Milcharten verschiedener
Thiere.
Die Eselinmilch ist die dünnste von Allen und enthält nur 9% fester Bestand¬
teile. Sie ist relativ arm an Casein, reicher dagegen an Milchzucker und Salzen.
Sie passt daher besonders, wo eine leichte Milch indicirt ist, und wird deshalb
auch gern bei chronisch-entzündlichen Zuständen der Athmungsorgane und des
Verdauungssystems verordnet. Ziegen- und Kuhmilch repräsentiren am besten den
Mittelwerth, Schafsmilch die reichlicheren und substantielleren Nährstoffe, Stuten¬
milch eine zwar an festen Bestandteilen, aber viel mehr an Kohlenhydraten als
an stickstoffhaltigen Substanzen reiche Milch.
Die Kuhmilch kann man überall, wenn man sich im Hochsommer darauf ein¬
richten will, leicht von bester Qualität beschaffen. Reich an festen Stoffen, über
14%, enthält sie nahezu 5% Casein, fast */*% Albumin, über 4% Butter, nur 4%
Milchzucker und */»% Salze. Kohlenhydrate und Albuminate sind also trefflich
combinirt Demgemäss ist der mittlere Nährwerth reiner, guter Kuhmilch ein sehr
bedeutender.
Die Ziegenmilch ist fast an festen Bestandteilen ebenso reich, wie die Kuh¬
milch. Auch sie ist überall leicht zu schaffen. Weniger reich, um über 1% an
Casein, enthält sie dagegen viel mehr Eiweiss, nahezu 1,3%. Im Uebrigen ist sie
der Kuhmilch ähnlich. Ziegenmilch ist in einer derartigen Kuranstalt unentbehr-
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lieh. Auf Darmkatarrh wirkt sie nach meiner Erfahrung besser als Kuhmilch,
während Eselinmilch eher den Stuhlgang fördert und bei trägen Darmfunctionen
am besten passt.
Schon vor 8 Jahren habe ich in meiner Schrift über Milch- und Molkencuren etc.
(Berlin 18G9) die Aufmerksamkeit der Aerzte ganz besonders auf die Schafsmilch
gelenkt, welche an solidem Nährwerth alle anderen Milcharten übertrifft und somit
bei den vielen anämischen Zuständen mit darniederliegender Ernährung passt. Nach
Gorup-Besanez enthält sie über 16% fester Bestandtheile und nach den Arbeiten
in meinem Breslauer Laboratorium kann sie 17—18% fester Stoffe erreichen. Sie
enthält fast 5‘/a % Casein und Albumin, ist also stickstoffreich und enthält bei un¬
gefähr 7 /, 0 % Salzen fast 10% Kohlenhydrate, Butter und Milchzucker. Es ist
wirklich sehr zu bedauern, dass man diese reichste, substantiellste, best zusammen¬
gesetzte Milch bisher fast gar nicht therapeutisch verwerthet hat. Die vielen von
mir in Schlesien gemachten Versuche haben mich von der überwiegenden Vortreff¬
lichkeit dieser Milch als hygienisch-therapeutisches Mittel überzeugt.
Die Stutenmilch, welche man sich auch überdies nur ausnahmsweise verschaffen
kann, enthält zwar über 17% fester Stoffe nach Gorup-Besanez, hievon kommen
aber nur 1,6% auf Casein und Albumin, dagegen über 15% auf Kohlenhydrate
und besonders auf Milchzucker. Deshalb ist sie auch zur Kumyssbereitung be¬
sonders geeignet, hat aber einen relativ geringeren Nährwerth. Kann .nun auch
die Stutenmilch wegfallen, so muss doch eine gute Milchcuranstalt Kuh-, Ziegen-,
Schafs- und Eselinmilch von bester Qualität bieten. Im Ober-Engadin ist die
sonst oft schwerer zu beschaffende Schafsmilch leicht von den in den nahen Bergen
grasenden Bergamasker Schafen zu erhalten.
Aber damit sind die Requisite einer Milchcuranstalt nicht erschöpft. Für gute
Wohnung und Kost ist in unseren meisten Alpencurorten gut gesorgt, dagegen
fehlt eine gedeckte und geschützte Trinkhalle, und ist diese nothwendig, sobald
irgend eine Trinkcur gemacht werden soll. Oft kommt der Arzt auch in den Fall,
mit der Milchcur das Trinken eines Mineralwassers zu combiniren. Ein Milchcur-
ort muss daher auch hierauf eingerichtet sein, einzelne der gebräuchlichsten Mineral¬
wässer vorräthig halten, andere leicht, schnell und von guter Qualität. schaffen
können.
Die Nothwendigkeit alpiner Milchcurorte ist mir nie so dringend erschienen,
wie letzten Sommer, während eines längeren Aufenthaltes in Silvaplana.
II. Klima von Silvaplana und des Ober-Engadins
überhaupt
Unter allen bewohnten Hochthälern Europa’s lässt sich wohl keines mit dem
Ober-Engadin, in Bezug auf Naturschönheit, Milde des Klima’s und Annehmlich¬
keit des Lebens vergleichen. Vorzügliche Kunststrassen, treffliche Hotels, Sorge
für alle Hilfsquellen der Geselligkeit machen den Aufenthalt in diesem zugleich
lieblichen und grossartigen Thale mit seinen spiegelnden Seen, den riesigen Bergen
mit dem kolossalen Gletschergebiet, den schattigen Wäldern, den sonnigen Wiesen,
zu einem sehr genussreichen und zugleich für die Gesundheit sehr heilsamen.
An landschaftlicher Schönheit steht wohl kein Ort des Thaies über Silvaplana,
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dessen Lage auch eine sehr geschützte und somit für Milch- und klimatische Curen
sehr geeignet ist.
Seit Jahrhunderten besitzt Silvaplana eine Mineralquelle, auf welche ich später
zurückkommen werde. Aber ganz besonders schien mir dieser Kreuzungspunct
grosser europäischer Strassen, mit seinen steten Verbindungen mit den höheren
Alpen, also einerseits sehr leicht zugänglich, anderseits Centrum vieler schöner
Ausflüge, zu einem alpinen klimatischen und Milch-Curort ganz besonders geeignet
und habe ich die Besitzer sehr ermuthigt, die Milchcuren, eventuell Trinken von
Mineralwässern, von dem auch von Silvaplana unterstützt, möglichst vollständig
cinzurichten.
Ich will nun nach einander kurz die klimatischen Verhältnisse Silvaplana’s,
die Indicationen der dortigen Milchcur besprechen und von der Quelle, welche jetzt
neu gefasst wird, die frühere Analyse mit einigen Bemerkungen mittheilen.
Silvaplana liegt 1810 Meter über dem Meere, also ungefähr auf der Höhe des
Rigi-Kulm. Die hohen Berge, welche den Julierpass einschliessen, schützen es gegen
die Nord- und Nordostwinde und ist es auch durch seine Lage vor den Thalwinden
viel geschützcr als eine Reihe bekannter Localitäten des Ober-Engadin. Ein ab¬
solut windgeschütztes Klima kenne ich überhaupt in den Alpen nicht und würde
ich ein solches nicht einmal für gut halten, da in mässigen, anfangs erträglichen,
später sogar angenehmen Luftströmungen zum Theil die stärkende Eigenschaft und
die Abhärtung durch Bergluft liegt.
Die Milde des Klima’s für ein so hoch gelegenes Thal geht schon daraus her¬
vor, dass einerseits die obere Grenze des Baum Wuchses und der Cultur-Vcgeta-
bilien, anderseits die Grenze des ewigen Schnee’s um mehr als 300 Meter höher
ist, als in dem grössten Theil der übrigen Schweiz.
Die meteorologischen Verhältnisse sind von Krakli , Chr. Brügger , Caviezel
und Anderen vortrefflich studirt worden und sind gründlich und übersichtlich in
den zahlreichen neueren Schriften über das Ober-Engadin auseinandergesetzt, am
besten in der sehr gründlichen und zugleich sehr übersichtlichen Arbeit von Ludwig.*)
Die meisten Ergebnisse für den nahen Curort St. Moritz finden auch für Silvaplana
ihre volle Anwendung.
Die Temperatur ist, sobald man 3ich in den ersten Tagen an den hohen Berg¬
aufenthalt gewöhnt hat, bei etwas wärmerer Kleidung Morgens und Abends als in
der Mitte des Tages, eine durchaus angenehme, im Schatten erfrischende, in der
Sonne nicht seiten fast zu warme, gewöhnlich aber durchaus behagliche. Ich gebe
hier die Chr. Brügger 1 sehe Tabelle (in Graden Celsius):
Jahreszeit.
Morgens
Mittags
Abends
Mittlere Tages¬
5 Uhr.
1 Uhr.
9 Uhr.
temperatur.
Juni
5,32
14,04
7,80
8,72
Juli
6,42
16,24
9,64
8,82
August
6,10
15,90
9,28
9,80
September
3,69
12,35
6,20
8,66
Saison (21, Juni bis 20. Septhr.)
5,73
15,24
8,71
9,51
*) Ludwig, das Ober-Engadin, gekrönte Preiaachrift, Stuttgart, bei F. Enke, 1877.
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Vor Allem ist zu bemerken, dass diese Beobachtungen mehr im physikalischen
als im ärztlichen Sinne gemacht worden, da für Patienten die Frühmessungen zu
früh, die Abendmessungen zu spät gemacht worden sind. Ueberall handelt es
sich nur um Scbattentemperaturen und doch ist das Ober-Engadin ein sehr sonnen¬
reiches Thal. Die Temperaturen der Mitte des Tages aber haben den überwiegen¬
den Werth. Zwischen 14®, 15° und 16° in den drei Hauptmonaten schwankend,
bietet sie noch 12,35° im September und die hohe Mittelzahl von über 15°.
Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, dass der ganze September noch sehr
schön ist und dass der relativ frühe Schluss der Saison nur die Routine für sich
hat, ein Aufenthalt aber bis Anfang October grosse Vortheile bietet Die täglichen
möglichen Temperatur - Schwankungen zwischen 6° und 9° erreichen meist diese
Höhe nicht und sind durch wärmere Kleidung und durch weder zu frühes noch zu
spätes Ausgehen leicht auszugleichen. Schon um 7 Uhr Morgens ist die Tem¬
peratur merklich wärmer als um 5 Uhr, der Messungsstunde, sowie Abends zwischen
6 und 7 Uhr noch merklich wärmer als um 9 Uhr. Der ärztliche Curtag, sowie
die Zeit für selbst grössere Excursionen sind also reichlich zugemessen. Von den
Cautelen des hohen Bergaufenthalts werde ich übrigens am Ende näher sprechen.
In keinem Hochalpenthal habe ich relativ so viele heitere und sonnenreiche
Tage gefunden, wie im Ober-Engadin, also auch in Silvaplana. Gebirgsklima ist
in unseren Alpen überhaupt wandelbar und darauf muss Jeder, der sich in den
Bergen längere Zeit aufhalten will, gefasst sein. Die mittleren Ergebnisse sind
aber für unser Hochthal relativ sehr befriedigend.
Die Saison vom 26. Juni bis zum 20. September bietet im Mittleren 63,9 heitere
Tage mit klarem Himmel, 28,1 mit bedecktem Himmel, 10,8 mit Nebel (eine relativ
sehr geringe Proportion), 21,4 Regentage, 1,57 mit Schneefall und 7,6 Gewitter.
Aber auch die Regentage stelle man sich nicht zu schlimm vor. An den
meisten Regentagen findet man noch Zeit zu Spaziergängen und zieht sich die
Feuchtigkeit bei dem durchgängigen Steingeröllboden rasch in die Tiefe, was die
Wege, selbst bei ungünstiger Witterung, noch sehr gangbar macht.
Von Winden hat man, den meist eher angenehmen leichten Tageswind der
Thalsohle abgerechnet, gaDz überwiegend Südostwind, während Südwest- und Nord¬
ostwind mehr zurücktreten. Gegen letzteren liegt Silvaplana geschützt.
Während am Morgen und Abend die Luftfeuchtigkeit eine eher mittlere ist,
kann man die Luft in der Mitte des Tages, von 10—5 Uhr im Sommer, als eine
durchaus trockene bezeichnen. Deshalb trocknen auch zum Theil die Strassen so
schnell; freilich muss man aber hier auch der Durchgängigkeit des Bodens Rech¬
nung tragen. Entschieden aber spricht für die Trockenheit der Luft das schnelle,
schon in frühen Vormittagsstunden vollständige Schwinden des Morgenthaus, sowie
auch die merkwürdige Durchsichtigkeit und Klarheit der Luft. Der mittlere Ba¬
rometerstand ist im Curhaus von St. Moritz 616 Millimeter, zwischen 599 und 627
Millimeter schwankend, also um ein Fünftel geringer als am Meere. Das Wasser
siedet bei 94° C. Um so verdienstvoller ist es, dass das Fleisch gewöhnlich weich
und gut durchgebraten in den besseren Hötels auf den Tisch kommt, was man in
anderen Hochthälern oft unangenehm vermisst. Die Verdunstung ist so Btark, dass
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man schon schwach gesalzenes, nicht geräuchertes Fleisch an der Luft trocknen
kann.
Das Klima von Silvaplana ist also, wie das des Ober-Engadins überhaupt,
ein sehr günstiges, nach wenigen Tagen der Gewöhnung für nicht zu sehr Ver¬
wöhnte und Vorsichtige als ein nicht nur heilsames, stärkendes, abhärtendes, son¬
dern anch als ein angenehmes zu bezeichnen.
III. Die Surlejquelle in Silvaplana.
Ich enthalte mich um so eher jeder eingehenden Besprechung der Surlejquelle,
als dieselbe in der nächsten Zeit neu gefasst und von Neuem analysirt werden
80ll.
Ich gebe um so lieber die frühere, sehr sorgsam gemachte Analyse des für
die Wissenschaft zu früh verstorbenen Husemann in Chur, als, wie beifolgender
Vergleich zeigt, diese Quelle viel Aehnlichkeit mit der berühmten Quelle von
Weissenburg bietet.
10,000 Gramm enthalten:
Silvapl
ana.
Weissenburg.
Chlornatrium
0,0237 gmm.
0,0690 gmm.
Schwefelsaures Kali
0,0495
»
0,1790 „
„ Natron
0,0756
n
0,3750 „
„ Kalk
14,7216
n
10,4880 „
„ Magnesia
1,8726
»
3,4630 „
Kohlensaurer Kalk
0,6073
0,5240 „
n Magnesia
0,3980 „
„ Protoxyd von Eisen
0,0867
»
Spuren.
Summa:
23,5025
gmm.
16,0970 gmm.
Freie Kohlensäure:
Bei 0° C. 2142,6 Cub. Ctm. 25,3 Cub. Ctm.
Temperatur der Quelle 5,6° C. 27,5° C.
Während Weissenburg eine Thermalquelle ist, hat die Surlejquelle eine auf¬
fallend niedrige Temperatur, was bei Magenatonie eher ein Vortbeil ist, während
dieselbe für Brustkranke, sowie für solche, die kaltes Mineralwasser nicht ver¬
tragen, durch warme Milch am besten erwärmt wird. Durch passende Dampf¬
heizung in metallenen Badewannen mit doppeltem Boden kann man übrigens daß
Wasser so erwärmen, dass ihm ein nicht geringer Theil der Kohlensäure erhalten
bleibt.
Unter die therapeutischen Indicationen dieser Quelle muss die spätere Er¬
fahrung entscheiden. Ich glaube aber nicht zu weit zu gehen, wenn ich mich
dahin ausspreche, dass sie zu schönen Hoffnungen vollkommen berechtigt
(Schl um folgt.)
Was haben die Wasserheilanstalten mit der Psychiatrie zu schaffen?
Von Wirth, bisher Dirigent der Wasserheilanstalt Buchenthal.
Noch immer werden von den Irrenärzten die Wasserheilanstalten bei der Laien¬
welt förmlich perhorrescirt und die Hydropathen als psychiatrische Pfuscher dar-
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gestellt Warum sich Niemand die Mühe nimmt, diese zuweilen drastische Beur¬
teilung vor dem ärztlichen Forum zu begründen, begreife ich nicht. Es unter¬
liegt keinem Zweifel, dass die Wassercuren, die überhaupt ein zweischneidiges
Schwert sind, bei Psychosen schon viel Unheil gestiftet haben und noch immer an-
richten können. Dennoch empfehlen immer noch sehr viele Aerzte die Wasser¬
heilanstalten als Surrogat der Irrenanstalten, wie ich zur Genüge erfahren habe.
Bei der Wichtigkeit der Sache scheint mir dies Grund genug zu sein, am gehöri¬
gen Orte die obige Frage zu discutiren, d. h. unter Aerzten sich darüber zu ver¬
ständigen. Es wird theoretisch und practisch hieraus mehr Nutzen erwachsen, als
aus den — wenn auch in bester Meinung — in’s Publicum geschleuderten Ver-
dammungsurtheilen.
Auf langjähriger Erfahrung fussend, darf ich mir erlauben, dabei ein Wort
mitzusprechen, und thue dies mit der Versicherung, dass es sich nicht um eine
directe oratio pro domo im engern Sinne, sondern lediglich um Feststellung der
Wahrheit handeln soll.
Es kann übrigens kaum vermuthet werden, dass ich Eroberungen auf dem
Gebiete der Psychiatrie zu machen beabsichtige, wenn ich daran erinnere, dass in
der Regel Geisteskranke in unserer Anstalt nicht aufgenommen wurden.*) So
lange aber nicht nur bei den Laien, sondern auch bei vielen Aerzten noch die
Neigung besteht, Irren in Wasserheilanstalten unterzubringen, werden wir Hydro¬
pathen nicht umhin können, uns öfter mit Psychosen zu beschäftigen. In welchen
Wasserheilanstalten man nach Belieben Geisteskranke unterbringen kann, weiss
ich nicht. Hier hängt djp Aufnahme allein von meiner Entscheidung ab und kann
ohne meine Einwilligung nicht stattfinden. Dass aber Ausnahmen von der Regel
der Ausschliessung Geisteskranker aus verschiedenen Gründen gerechtfertigt sind,
beweist die Erfahrung. Ich habe solche Ausnahmen gemacht:
1. Um durch Beobachtung eine richtige Diagnose zu sichern; 8 Fälle von
Dementia paralytica habe ich zuerst und frühzeitig erkannt und die richtige Be¬
handlung eingeleitet.
. 2. Um bei den Angehörigen der Kranken den Widerstand gegen die Versor¬
gung der letztem in einer Irrenanstalt zu bekämpfen; drei solche Kranke machten
nachher die vorausgesehenen Selbstmordversuche, die hier wahrscheinlich nicht
verhütet worden wären.
3. Um in sorgfältig ausgewählten Fällen, deren Verbringung in Irrenanstalten
nicht nur nicht absolut nothwendig , sondern sogar unzweckmässig erschien, mit
gehöriger Vorsicht und unter geeigneten Cautelen die Anwendung der Hydrothe¬
rapie zu versuchen. Ich habe 19 leichte und 8 schwere Fälle von Melancholie
wirklich behandelt, von denen 10 leichte und 3 schwere vollständig geheilt, 6
leichte und 3 schwere wesentlich, 4 wenig und 1 gar nicht gebessert worden sind.
Diese Zahlen sind zwar klein, aber immerhin gross genug, um zu beweisen, dass
für manche Psychosen Vortheil aus der Hydrotherapie gezogen werden kann. Von
7 Wahnsinnigen sind mir 4, denen ich von vorncherein nichts nützen zu können
*) In Mammern, das Ich nunmehr übernommen, werde ich selbstverständlich diese Regel
festhalten.
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erklärte, von angesehenen Irrenärzten zugewiesen worden, deren Empfehlung zu
ignoriren ich nicht competont zu sein glaubte. Die Empfehlung basirte selbstver¬
ständlich auf der Meinung, dass sorgfältige Wassercur nicht schaden könne. Was
ich für ungeeignet hielt und unzuträglich fand, war nicht die Wassorcur, sondern
waren die gesellschaftlichen Einflüsse des Curlebens.
Ein zugelaufener Wahnsinniger wurde in die Irrenanstalt gebracht, eine solche
Kranke übernahm ich aus Familienrücksichten, behandelte sie während ca. 2 Mo¬
naten und konnte sie reconvalescent in geeignete Verhältnisse entlassen.
2 Reconvalescenten von Manie sind aus der Irrenanstalt — in einem Falle
auf Verordnung des betreffenden Arztes — hierher gekommen und hier völlig
genesen.
Es dürfte aus dem Gesagten hervorgehen, dass wir Hydropathen (denn viele
Andere werden ganz Analoges berichten) nicht vermeiden können, häufig mit Gei¬
steskranken zu verkehren und ihnen Rath zu ertheilen; wir stehen folglich in der
Vorderreihe der Aerzte, welche der Psychiatrie das Feld. zu ebnen haben. Ich
schlage auch wirklich die glücklichen Erfolge in wenigen Fällen ernsterer Psy¬
chosen nicht hoch an gegen die Resultate meiner Bemühungen, der Psychiatrie
durch rechtzeitige Versetzung von Psychosen in die Irrenanstalten Vorschub zu
leisten. Nach meiner Ueberzeugung können und müssen verständige Hydropathen
Hauptpionire der Psychiatrie sein; verschiedene an Geisteskranken begangene
Sünden der Hydrotherapie berechtigen noch nicht, die Wassercuren bei Psychosen
zu verpönen; es führt vielmehr zur Verkehrtheit und durch diese zur Inhumanität,
wenn man die Hydropathen durchwegs discreditirt und dadurch zwingt, die Hand
gänzlich von der Psychiatrie ferne zu halten, d. h. Geisteskranken alle und jede
Zuflucht bei ihnen zu verweigern.
Ich resumire: es gibt erfahrungsgemäss Fälle von Psychosen, in weichen die
Wassercur nicht contraindicirt ist, sondern im Gegentheil angezeigt sein kann;
die frühzeitige Versorgung von Geisteskranken in den Irrenanstalten kann durch
verständige Wasserärzte vorzugsweise begünstigt und vermittelt werden.
Dies würde genügen, um eine gewisse Bedeutung der Wasserheilanstalten für
die Psychiatrie plausibel zu machen. Eine weitaus grössere Bedeutung hat aber
die Hydrotherapie durch ihr Verhältniss zu den Ursachen und Prodromen sämmt-
licher Psychosen; allen bezüglichen Warnungen vor den Wasserheilanstalten stelle
ich die Thatsache gegenüber, dass gerade auf diesem Felde die Hydrotherapie in
den Wasserheilanstalten ihre schönsten Leistungen aufzuweisen hat, und die Aner¬
kennung dieser letztem durch die bewährtesten Kliniker und practischen Aerzte,
die am deutlichsten aus der stets zunehmenden Zahl einschlägiger Fälle hervor¬
geht, steht in grellem Widerspruch zu dem Verlangen vieler Irrenärzte, doch ja die
Vorboten von Psychosen nicht in Wasserheilanstalten zu schicken.
Hysterie und Hypochondrie sind nicht nur häufig die Grundursache
von Irrsein, sondern meistens selbst schon leichtere Formen und sehr oft wenig¬
stens der Beginn des letztem. Mir ist kein einziger Fall dieser Neurosen vorge¬
kommen, in welchem das Seelenleben völlig normal gewesen wäre; bei der Mehr¬
zahl waren mehr oder weniger erhebliche Störungen desselben vorhanden, die zwar
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10
nicht immer als Einleitung einer Psychose, aber wenigstens als sehr dazu dispo-
nirende Momente betrachtet werden mussten, und viele der aufgeführten Fälle
schwerer Hysterie und Hypochondrie könnten füglich zur Melancholie gerechnet
werden. Meine Beobachtung erstreckt sich bezüglich der Hysterie auf 68 Fälle,
von denen 25 zu den leichtern, 43 zu den schwersten Formen (5 der letztem beim
männlichen Geschlecht) gehören. Ich brauche kaum zu bemerken, dass ich die
Mehrzahl der schwerem Fälle wiederholt und immer längere Zeit in Behandlung
hatte. Bei Hysteria levior sind 24 wesentliche Besserungen und nur 1 Heilung
verzeichnet, weil — wie überall — nur das Resultat der Cur am Ende derselben
und nicht in der weitern Folge berücksichtigt werden kann.
Von den 43 schwerer Kranken, wovon 2 epileptiforme Anfälle und 2 zeitweise
maniacalische Aufregung zeigten, sind 10 geheilt, 29 wesentlich, 3 wenig und 1
gar nicht gebessert worden.
Die günstigen Resultate der Hydrotherapie auoh in den schwersten Formen
von Hysterie sind auf die angedeuteten hysterischen Seelenstörungen mitzubezie-
hen. Ich habe nur eine Kranke zu verzeichnen, die nachträglich in eine Irrenan¬
stalt gebracht werden musste; dieselbe, hereditär schwer belastet, wurde während
der Pubertät hysterisch und mehrmals deshalb mit Erfolg hier behandelt, zuletzt
mit deutlichen Symptomen von Wahnsinn. Die Nothwendigkeit der Versetzung in
eine Irrenanstalt wurde mir noch ein volles Jahr lang vom Hausarzt bestritten und
die Kranke zu Hause behalten. Momentane Besserung wurde auch hier noch durch
die Wassercur erzielt; dessenungeachtet figurirt dieser Fall in der Rubrik „gar
nicht gebessert“.
Der häufige Connex der Hysterie mit Affectionen dos Genitalappa¬
rates berechtigt mich, hier anschliessend diese bekanntlich zuweilen directen Ur¬
sachen von Psychosen zu besprechen. Bei 32 meiner 68 Hysterischen waren Ge-
nitalaffectionen im Spiele. Diese wurden mir in allen möglichen Formen — doch
mehr wegen secundärer Leiden — zur Wassercur geschickt und zum Theil selbst
mit sehr günstigem Erfolge behandelt. Hervorzuheben ist namentlich der günstige
Einfluss der Wassercur auf Dysmenorrhoe in der Pubertät. Es ist hier der Ort,
noch einen andern, wichtigen Factor für die Entstehung von Neurosen und speciell
Psychosen, die Anämie zu berühren, um der noch bei vielen Aerzten herrschen¬
den Meinung entgegenzutreten, dass bei Anämie die Wassercur contraindicirt sei.
90% meiner weiblichen und die Hälfte meiner männlichen Curanten sind anämisch
und können von ihren verschiedenen Krankheiten nicht ohne Besserung der Anämie
geheilt werden. Dass diese Besserung nicht durch gewaltsame Eingriffe, sondern
nur durch behutsames Verfahren und gehörige Sorge für richtige Ernährung mög¬
lich ist, bedarf keiner Erklärung. Wie man aber bezügliche Erfolge einerseits be¬
zweifeln und andererseits doch die Leistungen der Hydrotherapie im Gebiete der
Neurosen zugeben könnte, wäre mir geradezu unbegreiflich.
Hypochondrie ist mir 12 Mal in leichter, 13 Mal in schwerer Form vor¬
gekommen; von der erstem wurden 1 geheilt, 11 wesentlich gebessert, von der
letztem 1 geheilt, 9 wesentlich gebessert, 1 nicht gebessert und 1 verschlimmert.
Dieser betrifft eine schwere Hypochondrie mit Melancholie aus der ersten Zeit
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meiner hiesigen Praxis. — Hämorrhoiden stehen mit der Hypochondrie inniger im
Connex, als man in neuerer Zeit anzunehmen geneigt ist, und sind für die Hydro¬
therapie ein günstigeres Object, als der ebenfalls bei Hypochondrie nicht seltene
ehronische Dickdarm-Catarrh. Durch diesen war der genannte schwere Fall aus¬
gezeichnet, den ich nach wenigen Wochen verschlimmert dahin schicken musste,
wo der Hausarzt ihn früher nicht hatte haben wollen.
Die schwerem Formen von Hypochondrie habe ich übrigens mehr von Sexual-
Krankheiten abhängig gefunden und dabei die Ueberzeugung gewonnen, dass
diese als Ursachen psychischer Störungen eine bedeutende Rolle spielen. 24 wegen
Impotenz, Pollutionen und Spermatorrhoe — meist in Folge von Ona¬
nie — Behandelte gehören eigentlich alle noch in die Rubrik Hypochondrie.
Sexuelle Excesse wirken Entschieden nachtheiliger noch aufs Gehirn, als aufs
Rückenmark, und ihre Folgen haben sehr oft schon nach kurzem Bestand nicht
nur Hypochondrie, sondern tiefere Gemüthsdepression in ihrem Begleite, was wohl
erklärlich ist, wenn man die moralische Wirkung der Onanie etc. mit in Rechnung
bringt. Die 24 hierher gehörigen Kranken sind alle, geheilt (8) und wesentlich ge¬
bessert (16), zum Theil, wie ich glaube, dadurch vor dem Irrenhause bewahrt
worden.
Epilepsie konnte aus äussera Gründen nur ausnahmsweise aufgenommen
werden; von 6 Fällen wurden 2 geheilt, 3 wesentlich und 1 nicht gebessert.
Chorea wurde 2 Mal geheilt.
Alcoholismus chronicus ist ein vorzügliches Object für die Wassercur
und wird damit auch in den schwerem Formen — mit Delirium tremens — erfolg¬
reich behandelt, wenn die Kranken nicht ausserhalb der Anstalt über die Schnur
hauen, was selbstverständlich nicht verhütet werden kann. Ich habe 10 Heilungen
(theilweise mehrmals wiederholt) und 4 wesentliche Besserungen zu verzeichnen,
daneben aber 2 wenig Gebesserte, die auch während der Cur sich des Ueber-
maasses nicht enthalten konnten.
Von den Spinal-Neurosen scheint mir die immernoch so räthselhafte Spinal¬
irritation die meiste Beziehung zu den Psychosen zu haben. Während sie als
Theilerscheinung der Hysterie namentlich im Gefolge von Genital-Affectionen sehr
häufig vorkam, habe ich nur 7 Fälle von idiopathischer Spinal-Irritation verzeich¬
net, bei denen theilweise auch Uterinleiden vermuthet werden konnten, aber nicht
nachgewiesen wurden.
Ausserdem glaube ich nur die Tabes dorsualis berücksichtigen zu sollen,
in deren Gefolge so oft leichte Melancholie, in deren Verlaufe aber auch zuweilen
der paralytische Blödsinn auftritt. Der Ruf, um welchen die Hydro- mit der
Electrotherapie bei Spinal-Neurosen überhaupt und speciell bei Tabes concurrirt,
ist ohne Zweifel der Grund, warum solche Kranke immer häufiger in den Wasser¬
heilanstalten getroffen werden. Von 23 Tabesfällen wurden 2 frische ganz geheilt,
14 wesentlich und 7 wenig gebessert Bei 8 zweifelhaften Spinalaffectionen konnte
ich, wie schon früher bemerkt, nach kurzer Beobachtung den Beginn der Dementia
paralytica diagnosticiren und mich dabei überzeugen, dass auch hier die Wasser¬
cur bei vorsichtiger Anwendung nicht nur nicht schadet, sondern zuweilen — na-
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türlich nur vorübergehend — nützen kann. Dcssonungeachtot behielt ich solche
Kranke nie lange in Behandlung, sondern suchte — mit und ohne Erfolg — oinö
zweckmässige Versorgung für sie einzuleiten.
Bei vorsichtigem Verfahren kann aber auch ein diagnostischer Irrthum für den
beginnenden Paralytiker nicht die tragischen Folgen haben, wie sie oft geschildert
werden. Ich getraue mir jeden solchen Kranken die „Wassercur“ gebrauchen zu
lassen, ohne im Mindesten den Verlauf seiner Krankheit zu beschleunigen. Warum
hier das nämliche Mittel so gefährlich sein soll, das bei einem wahrscheinlich
analogen Process, der Tabes, so nützlich sich erweist, kann- ich nicht einsehen,
In der Aetiologie der Psychosen spielen ferner Circulationsstörungen im Ge¬
hirn: active und passive Hyperämie und, soweit diese von Herzleiden
abhängig sind, auch letztere keine ganz unbedeutende Rolle. Der wohlthätigo
Einfluss der Wassercur auf Cerebralcongestionen ist allgemein bekannt und braucht
nicht weiter liervorgehoben zu worden. Beachtung verdient, dass hochgradige
Cerebralcongestionen, die von Fettherz herrühren, in der Regel überraschend
günstige Resultate liefern. Von nachhaltiger Verbesserung der Horzthätigkeit und
ganzen Circulation habe ich mich vielfach überzeugen können. Manche dieser
Kranken sind mehr oder weniger Trinker und bleiben selbstverständlich nur ge¬
sund, wenn sie bei geregelter Lebensweise verharren.
Bei vielen der schon rubricirten Kranken waren Kopfcongestionen im Spiele ;
speciell hiefür verzeichnet habe ich 32 Fälle, wovon 13 von Fettherz abhängig;
geheilt wurden 13, wesentlich gebessert 19, worunter auch die 13 Fctthiorzigcn.
An dio Congestionen reiht sich die blutige Apoplexie, deren Folgen 8 Mal
bei uns zur Behandlung kamen und 7 Mal wesentlich, 1 Mal wenig gebessert
wurden. Es ist weniger die Wirkung der Wassercur auf die zurückgebliebenen
Lähmungen, die ich an dieser Stelle hervorzuheben habe, als die oft auffallende
Restitution des psychischen Zustandes dieser Kranken, bei welchen tiefe Gemüths-
Deprcssion und bedeutende Verminderung der Intelligenz bekanntlich keine Selten¬
heit sind-
Ueber Gehirnsyphilis habe ich zu wenig erfahren, um sie in Betracht
ziehen zu können. Im Vorbeigehen will ich bemerken, dass mir bei Syphilis die
Wassercur allein so zu sagen nichts, in Verbindung mit Mercur und Jod dagegen
in einigen Fällen Rühmliches geleistet hat.
Nervöse Aufregung, sei sie nun Folge von Gemüthsbewegüng, geistiger
Ueberanstrengung oder somatischen Einflüssen, und Schlaflosigkeit werden
von der Psychiatrie als Haupt-Initialen der Seeienstörungen bezeichnet, und Hei¬
lung der erstem darf wohl mit Beziehung auf die bisher angeführten Ursachen der
Psychosen am ehesten als Verhütung dieser letztem betrachtet werden. Die bei¬
den genannten Prodromalerscheinungen habe ich — meistens beisammen — in 26
Fällen behandelt, von denen mehrere die Gefahr des Irrwerdens augenscheinlich
in sich trugen; geheilt wurden 10, wesentlich gebessert 16; bis jetzt weiss ich
von keinem, dass er später noch in’s Irrenhaus gekommen wäre.
Zum Schlüsse meiner Mittheilungen gelangt, unterlasse ich es, weitere Betrach¬
tungen daran zu knüpfen; es ergibt sich, wie ich glaube, ohne solche:
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13
dass die Hydrotherapie in den Wasserheilanstalten mit entwickelten Psychosen
wenig, mit deren Ursachen viel und folglich am meisten mit deren Verhütung
zu thun haben kann und soll.
Hiernach halte ich es für angezeigt, dass die Psychiatrie mit der Hydrothera¬
pie Frieden schliesse. _
V ereinsberieli te.
XVI. Versammlung des ärztlichen Centralvereins in Olten.
Den 27. October 1877, Mittags 12 Uhr.
Präsident: Dr. Sonderegger, Schriftführer ad hoc: Dr. H. t>. Wyss, Zürich.
(Schluss.)
VI. Dr. G. Burckhardt beschliesst die Reihe der Vorträge mit einer Mittheilung
über Sehnenreflexe (erschien seither in erweiterter Gestalt in der Festschrift
der Aerzte zur Hallerfeier).
Nachdem auf eine von Herrn Dr. Schneider aus Bern mitgetheilte telegraphische
Anfrage beschlossen worden war, den ärztlichen Central-Verein durch eine Ab¬
ordnung bei der nächstens dort stattfindenden Hallerfeier vertreten zu lassen, ver¬
einigte man sich in den altgewohnten gastlichen Räumen der /hiAft’schen Restau¬
ration zur fröhlichen Tafelrunde. Bei dem geeigneten Stoffe war das zu einer
erfreulichen menschlichen Existenz nothwendige Gleichgewicht zwischen geistiger
und materieller Nahrung bald hergestellt und willig schaajjte sich drum Jeder
um die Fahne, die unser hochverehrtes Präsidium von Neuem in seinetn feurigen
Toast hochhielt i ■
„Was der Student“, rief Sonderegger aus, „eine Retourchaisa nennt, das ist der unter
uns schon mehrfach vorgekommene Toast auf den Präsidenten! Gestatten Sie mir den
Versuch, diesen Toast zu überbieten und selber ein feuriges Hoch auszubringen auf den
Präsidenten dieser heutigen und aller gelungenen schweizerischen Aerzte-Versammlungen.
Sie verstehen mich recht, Titl dass ich damit nicht eine Person meine. Denn seit
wir wissen, dass selbst der Präsident von Frankreich kein Genie zu sein braucht — sind
alle andern Präsidenten vorläufig bescheiden gewordep, Regierunga-Präsidenten und Eisen¬
bahn-Präsidenten nicht ausgenommen.
Der wirkliche Präsident und Gründer, der lebendige Geist und Lenker unserer Ver¬
sammlungen, das ist ein feiner Alter, den unsere Zeit verachtet und verläugnet — und
im Stillen anbetet: der Idealismus. Er ist aber kein fahrender Ritter des Mittelalters,
und heisst nicht Gottfried v. Bouillon , sondern seine Gestalt gleicht derjenigen Winkelried' s,
Pestalozzi’ s, Tissot a und manches mühebeladenen Practikers.
War jene sohöne Zeit der ersten Liebe zum ärztlichen Berufe und die kühne Schwär¬
merei des Studenten Schwindel oder Idealismus?
Ist die Sorge und Arbeit des practischen Arztes das undankbare Ringen nach Er-
kenntniss und Fortbildung, ist die Selbstverläugnung im Dienste einer würdigen Collcgia-
lität, ist die Liebe zum Vaterlande und das glühende Streben, im Frieden wie im Kriege
für die Gesundheit des Volkes zu sorgen, ist der Glaube an die Wissenschaft und an die
Menschheit wohl nur ein Schwindel, oder ist es ein gesunder Idealismus?
Nehmen Sie diesen idealen Zug aus dem Leben eines Volkes hinweg und Sie können
die Geschichte vom Verfall und Untergang desselben schreiben, wie sie aus gleichem
Grund für Griechenland und Rom geschrieben worden.
Nehmen Sie den Idealismus aus der Wissenschaft und der Naturforscher wird zum
geistlosen Sammler, der Statistiker zum Grillenfänger und der Arzt zum bissigen Hand¬
werksmann.
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14
Tit I loh lobe mir die klammernden Organe, welche die Welt realistisch angreifen
und beurbeiten, aber ich preise auch das Sensorium, welches das Ergriffene begreift und
in ideale Währung umsetzt. In dieser Währung allein wird das Glück und das Unglück
unseres Lebens bezahlt.
Unser Ideal muss eine positive Grösse sein, keine blosse Negation, und unsere Ar¬
beit ein Aufbauen, kein Niederreissen I Niemand verliert leichter den Kopf als wer nie¬
mals ein Herz gewonnen, und Niemand wird leichter Phantast, als der rohe Realist.
Darum sei uns gepriesen, ideale Kraft der Menschenseele, Spiritus rector des Lebens I
präsidire unsere Versammlungen heute und immerdar I
Dem idealen Streben unser Hoch!
Dass die gleiche Fahne auch von unsern Abwesenden hoch gehalten wird, be¬
wiesen uns die Telegramme, die von verschiedenen Seiten anlangten, so von Dr.
Albrecht aus Neuchätel, Dr. Schnyder aus Pegli und Dr. Baader aus Ajaccio.
Kaum war der allgemeine Zuruf der Zustimmung für die vom Präsidenten
vorgeschlagene Antwort an Dr. Baader „Post tenebras lux I“ verklungen, als sich
Herr Prof. Quincke erhob und der Versammlung eine Herbstphantasie zum Besten
gab, welche also lautete:
Geehrte Collegen! Sie Alle wissen, dass unser Präsident wegen seiner ausgezeich¬
neten Leistungen im Vorpostendienst es schnell zum General der schweizerischen ärztli¬
chen Armee gebracht hat. Dass er auch als solcher in der vordersten Reihe steht, davon
überzeugen Sie sich jährlich 2 Mal durch den Augenschein, und heute haben Sie wieder
gesehen, mit welchem Feuer er das zweite Treffen eröffnet hat. Dem Rufe eines solchen
Führers folgen wir Alle gern — auch ich stehe hier nur auf dem, mir von ihm bestimm¬
ten Posten. — Als ich nachdenkend über meine Aufgabe in der verflossenen Woche,
einen der letzten Ferientage benutzend, auf den Gurten spazierte und die leuchtende Al¬
penkette betrachtete, war ich plötzlich von herannahenden Herbetwolken eingehüllt. A1 b
sie sich theilten, sah ich vor mir den Abhang der Jungfrau, an welchem die Abendsonne
in ungeheuren Schattenlinien das eidgenössische Kreuz zeichnete, und darunter in den
Nebeln eine Versammlung, die ich bald als eine ärztliche erkannte, denn neben den lan¬
gen, goldgeknöpften Stöcken und der Tabaksdose, welche viele der Herren führten, wur¬
den auch andere medioinische Instrumente, wie Stethoscope und Thermometer hie und da
in einer Rocktasche sichtbar. Bei einigen besonders' elegant gekleideten Herren waren
die Jabots aus Listergaze und die Perrüoken aus Salicylwatte gefertigt.
Man stand in Gruppen zusammen 1 Vor allem bemerkte ich Haller 's stattliche Gestalt,
mit sehpurpurfarbner Weste, neben Joh. Georg Zimmermann und seinem Freunde August Tissot
von Lausanne, der die Zürcher Blätter für Gesundheitspflege in der Hand hielt, und sich
bei Joh. MuraU von Zürich nach seinem Landsmann Zehender erkundigte.
Etwas abseits stand Conrad Gessner , der Botaniker und Gynäcologe, eine Ivablüthe
im Knopfloch, durch ein Speculum die Jungfrau betrachtend.
Auch Theophrastus Paracelsus bemerkte ich, der dem Rath zu Basel noch immer wegen
des Taxenstreites über die 8 Opiumpillen zu grollen sohien, und Bich lebhaft mit seinem
Nachfolger Thomas Erastus über die Wirkungsweise des Chlorais herumstritt. Seine Partei
nahm Leonhard Tkumeisser , der sich ziemlich breit maohte, übrigens neue Analysen der
Quellen von Pfäffers und 8t. Moritz mitbrachte, in welchen er nach einem, nur den Ein*
gebornen bekannten Verfahren beträchtliche Mengen Goldes naohgewiesen hatte. Doch
hörte ich flüstern, dass die grossen goldenen Knöpfe seines Frackes nicht ganz so echt
seien.
Aeusserlich eleganter als Paracelsus war Pabriz von Hilden , der, omnia sua secum por-
tans, statt der Uhrkette eine vernickelte Kettensäge trug und eine /Yooaz-Spritze als llre-
loque daran, die Manchettenknöpfe waren durch Augen- und Kehlkopfspiegel ersetzt, sein
Stock barg statt des Degens Amputationsmesser und einen Satz Catheter; er discutirte
mit Felix Plaler über die rationellste Schuhform.
Unter der übrigen, sehr zahlreichen Versammlung fiel mir Michel Schüpbach durch ein
grosses Uringlas und Stückelberger aus Basel durch seine goldgeränderte rothe Mütze auf.
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Er begann gerade die Geschichte von der Frau auf der Rheinbrücke zu erzählen, als
Baller die Präsidentenglocke erschallen liess und die Sitzung begann.
Ich versuchte nun einen kurzen Bericht für das Correspondenzblatt abzufassen; da
ich meine Feder aber nur in Abendroth tauchen konnte und statt des Papiers einen ge¬
rade vorbeischwebenden Nebelstreifen benutzen musste, sind meine Notizen etwas lücken¬
haft geworden, so dass ich mich mit den ordentlichen Referenten nicht hätte messen
können und es vorziehe, sie Ihnen hier auf der Stelle zu geben.
Zu meiner Freude bemerkte ich, dass unsre würdigen Vorgänger durchaus nicht auf
dem Standpunct ihrer Zeit Btehen geblieben waren, sondern, über die modernsten Fort¬
schritte unterrichtet, höchst zeitgemässe Themata der wissenschaftlichen und socialen Me-
dicin behandelten.
Die Tractanden waren:
1. Ueber die Retentionsgeschwülste im Sprachcentrum und deren auffällige Seltenheit
seit einigen Jahrzehnten.
2. Warum kommen Mouches volantes und Amblyopia transitoria so häufig bei Sani¬
tätsbehörden vor?
3. Ueber vitia prim® formationis, zu deutsch Bildungsfehler bei studirenden Medici-
nern beiderlei Geschlechts.
Die nach altem Herkommen für das letzte Jahr gestellte Preisfrage war nicht gelöst
worden und wurde deshalb erneuert Sie lautet: „Die Instrumente, um widerspänstigen
oder bewusstlosen Kranken den Mund zu öffnen, sind hinreichend zuverlässig, dagegen
soll noch ein Mittel gefunden werden, um gesunden Schreihälsen den Mund zu schliessen.“
Die zweite Preisaufgabe war: „Tisch für Nervus rerum-Kranke“.
Hierauf kam der Vorschlag einiger radicaler Mitglieder zur Verhandlung : „wie im
Fabrikgesetz, so auch für die Aerzte den llstündigen Arbeitstag mit Ausschluss der
Nachtarbeit einzuführen. Wegen vorüberziehender Wolken konnte ich Verlauf und Er-
gebniss der Discussion nicht verfolgen, dagegen hörte ich deutlich, wie auf einer der
hinteren Bänke dem alten Zimmermann sein Nachbar lebhaft zuredete, von seinem Buche
„Ueber die Erfahrung" eine neue unveränderte Auflage herauszugeben.
Zum Schluss der Sitzung verlas der Secretär einen Bericht des Ausschusses über
die brennendsten Tagesfragen, dessen Fassung merkwürdiger Weise an Coursberichte der
heutigen Zeit Anklänge hatte.
Genf Internationaler Congress. Grosse Vorräthe. Umsatz schwach, Tendenz zu¬
rückhaltend.
Basel Canalisationsactien flau, schliessen 75 1 /,. Frostwetter.
Bern Insel steigend, 106%.
Pilocarpin grosse Nachfrage.
Arni ca geschäftslos.
Dr. KiUisch Epilepsiemittel 333 bezahlt.
Carbolsäure feste Haltung 150, das Consortium behauptet sich trotz der lebhaf¬
ten 8peculation in Salicylsäure. In beiden für Raffinade höchste Notirungen, auch hell¬
gelbe Futterwaare stetig, ohne Fass 45 , / a .
KohfkopfcMtlp’.tion \ «“«et-oten; Käufer lustlos.
Offene Wundbehandlung gedrückt
Rationelle Schuhe loco vernachlässigt
Ovariotomie stetig.
Fremdkörper sehr gesucht
Farrenlymphe beliebt 110.
Glycerinlymphe nachgebend.
Luftcurorte angeboten, Regulirungspreis für Kündigungen 87'/ a .
Massage lebhaft 100—110, nach Qualität.
Für Schulkinder zu Refractionsbestimmungen Begehr in ungeschwächtem Maasee.
Micrococcen behaupten sich, doch fehlt es oft an greifbarer Waare. —
Auch in den Wolken schloss sich an diese Verhandlung bald ein gemeinschaftliches
Essen an. Ich weiss nicht, ob die Lebhaftigkeit der Unterhaltung oder der Donner der
nahen Lawinen daran Schuld war — von jetzt ab verstand ioh wenig mehr; es hätte
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mich besonders interessirt au erfahren, ob das Diner nach WieC% diätetischem Kochbuoh
verfertigt war! Dagegen sah ich, dass Gessner , der an ulcus ventriculi leiden soll, ein
Galaktometer neben sich liegen hatte und dass Haller seinen Beaujolais mit einem Ta-
schenspectroscop erst auf Fuchsinfärbung prüfte.
Die Sonne sank, Wolken und Weinnebel erhoben sich und verhüllten schnell die
Gesellschaft, nur zuletat hörte ich noch, wie ein Toast ausgebracht wurde auf die Fort¬
schritte in der Medicin, und diesem Beispiele der alten Herren fordere ich Sie auf zu
folgen und anzustossen auf die medicinische Wissenschaft, die uralte, ewig sich ver¬
jüngende.“
Hatte schon dieser Vortrag die Versammlung in’s Reich der Poesie entrückt,
so geschah dies vollends durch den folgenden in Versen dargebrachten Toast von
Dr. G. Burckhardl:
Seid mir gegrüsst, Ihr Herrn Collegen,
Gegrüsset all’, von nah und fern,
Aus Zürich, dem St. Gallerlande,
Aus Basel, Solothurn u;id Bern,
Vom Aaren- und vom Rhonenstraude,
Vom grünen Vierwaldstättersee,
Aus Berg und Thal, aus Stadt und Lande;
Wie freut’s mich, dass ich all’ Euch seh’l
Zum Feste seid Ihr hergekommen
Aus uns’res Vaterlandes Gau’n,
Um Euch aufs Neu’ die Hand zu reichen
Und Freundes Angesicht zu schau'n,
Und für des Volkes Wohl zu rathen,
Wär jeder Zoll doch Philantrop!
Zu drehen Euch aufs Neue wieder
Der Wissenschaft Caleidoscop.
Doch halt, was sag’ ichl Sie die ernste,
Die hohe, hehre Wissenschaft,
8ie sollten wir als Spielzeug drehen,
Das uns’rer Neugier G’nüge schafft V
Nein, sie ist uns’res Kampfes Rüstzeug,
Die Waffe in des Streiters Faust,
Wenn um ihn, Leid und Jammer spendend,
Der Kampf um Tod und Krankheit braust.
Und um die Waffe recht zu führen,
Was er bedarf, ein Jeder hat’s,
Drum braucht’s bei uns auch kein Gesetze,
Denn da gibt’s keinen Pflichtersatz;
Ein Jeder streite nach Vermögen,
Selbst ist der Manu! und leerer Wahn
Wär’s, wenn er erst erwarten wollte,
Was Andere für ihn gethan.
Und kämpfen wir nur mit dem Dämon
Der Krankheit, die den Nächsten drängt,
Sind wir nicht durch den Bruder wieder
Und durch uns selber eingeengt?
Um das Prästigium uns’res Standes,
Um uns'rer Arbeit runde Frucht
Bekümmert, schicken wir ihn weiter,
Den Bruder, der sein Plätzchen sucht 1
In der Familie angesessen,
Schon Jahre ringt er um’s Vertrau’n,
Der Hausarzt, und als Aufenthalter
Pflegt man den Neuling anzuschau’n.
Viel lieber theilt er seine Nutzung,
Der Bürgerzopf mit weisen Frau’n,
Mit Somnambulen, Wasserschmecketn,
Wenn sie ihn nur gehörig krau’n.
Doch sind wir da nicht selber schuldig
Und luden wir nicht dazu ein,
Wir setzten ja doch selbst die Schranken,
Cantone und Cantönelein.
Die Schranken ja, sie sind gefallen,
Doch nun daran! bis es entsteht,
Das Haus, worin wir stattlich wohnen,
Das Haus der Collegialität.
In diesem Hause lasst uns rathen,
Wie wir vereint der Seuche Macht
Und den Gefahren allen wehren,
Bevor sie uns in Leid gebracht
Ja, lasst uns laut die Stimm’ erheben
Zum Schutz der Kinder und der Frau'n,
Damit wir unserm Vaterlande
Ein blühendes Geschlecht erbau’n.
Wir wollen nicht als freie Männer
Aus Platz - und Brodangst stille sein,
Aus Furcht, es könnte etwa schaden
Der Tröckne unsere Schäfelein!
Nein, das ist nicht zu viel gefordert,
Dass wir ein Stündlein geben dar,
Nicht um den Bruder d’raus zu retten,
Nein, ihn befrei’n von der Gefahr.
So nehmt das Glas, Ihr Herrn Collegen
Und giesst es bis zum Rande voll,
Lasst hoch und dreimal hoch lasst leben,
Was unser Ideal sein soll!
Der Wissenschaft, in Kampf und Streben,
Dem Sinn, der aus des Leidens Nacht
Den Näohsten zieht, die Brüder einet,
Sei donnernd unser Hoch gebracht!
Unter so reicher Abwechslung konnte es nicht fehlen, dass die sonst kurz be-
mossene Zeit wie im Zauber dahinschwand. Schon machten sich Abschiedsgelüste
geltend, als Dr. Zehnder in herzlichen Worten die Versammlung aufs Frühjahr nach
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Zürich einlud und zugleich im Namen des Vereins seinen warmen Dank an die
Genfer Collegen aussprach, die in so glänzender Weise als Gastgeber unser Vater¬
land beim internationalen medicinischen Congress vertraten. Mit einem donnern¬
den Hoch auf Genfs Collegen schlug die Abschiedsstunde, Allen zu früh , doch
darum töne um so lauter der Ruf: auf WiedersehenI
Referate und Kritiken.
Centralblatt fUr practische Augenheilkunde.
Von Hirschberg. I. Jahrgang. Januar (Probenummer). Leipzig, Veit & Cie.
In dieser in Monatsheften erscheinenden Zeitschrift soll über die besten sowohl deut¬
schen als ausländischen Aufsätze aus dem Gebiete der Ophthalmologie in kurzer, aber
allgemein verständlicher Weise referirt werden. Dieselbe empfiehlt sich also weniger für
den Specialisten, welcher die betr. Arbeiten so viel möglich im Original lesen wird, als
vielmehr für den practischen Arzt, welchem in dieser bequemen Weise „ein klares Bild
des heutigen Zustandes der Augenheilkunde gezeichnet und jede Bereicherung des oph-
thalmiatrischen Wissens und Könnens zugänglich gemacht wird“.
Jedes Heft wird eingeleitet durch eine Original-Mittheilung. Hosch.
Cantonale Correspondenzen.
Ans den Acten der Aerzte-Commliilon. Gutachten über das
eidg. FabrikgesetzArt. Ö d, Art. 15 alinea 8 und Art. 16 alinea 4.
Die schweizerische Aerzte-Commission an das eidg. Eisenbahn- und Handelsdepar¬
tement in Bern, Herrn Bundesrath Schenk:
„Verehrter Herr Bundesrath! Ihrer Einladung vom 9. November folgend, habe ich
auf dem Circulationswege und in Ihnen bekannter Weise mich an sämmtliche Mitglieder
der schweizer. Aerzte-Commission, sowie an eine Anzahl von Vertrauensmännern gewen¬
det, um zu erfahren, wie meine Herren Collegen die Frage auffassen.
Es haben mir referirt: für den ärztl. Verein von Basel Dr. deWette, für Baselland Dr.
Baader sen., für Bern Oberfeldarzt Dr. Ziegler , Dr. Kummer (Aarwangen), für Neueuburg
Prof. Dr. Guillaume , für Genf Prof Dr. Dunant und Precost , für Lausanne Dr. De la Harpe und
Dr. Cerenville , für Luzern Dr. Alfred Steiger, für Zürich Prof. Dr. Homer und Dr. Zehnder ,
für Schaffhausen Dr. Rahm, für Glarus Dr. Schüler , für St. Gallen Dr. Alb. Custer und Dr.
Bämiger.
Wenn ich diese zum Theil sehr einlässlichen und werthvollen Berichte mit meinen
eigenen Anschauungen und mit den classischen Arbeiten von Hirt („Krankheiten der Ar¬
beiter“ 1876 und „Gewerbliche Thätigkeit der Frauen“ 1873) zusammenstelle, so erge¬
ben eich mit zwingender Nothwendigkeit und deshalb ganz übereinstimmend folgende
Grundsätze, welche ich, jeder weitern Erörterung vorgängig, Ihrer wohlwollenden Beach¬
tung angelegentlich empfehlen möchte.
L Bei allen naturhistorischen Untersuchungen, ganz besonders bei solchen über das
physiologische (und sociale) Leben und Treiben des Menschen ist die Fragestellung das
Schwierigste und Wichtigste. Wie befehlen schwerer ist als gehorchen, so ist auch das
Fragen viel schwerer als das Antworten.
II. Von ärztlichem Standpuncte aus erscheint es uns (Berichterstattern) als völlig
unzulässig, dem sanitären Werthe einzelner Industrien als solcher nachzufragen, wie es
Art. 6 d, Art. 16, 3 und Art. 16, 4 des Fabrikgesetzes thun:
a) weil fast jede sog. Industrie und jede Fabrication aus einer Reihe ganz verschie¬
denartiger Geschäfte besteht, von denen die einen sehr wohlthätig, die andern zulässig
und andere äusserst verderblich sein können;
b) weil die Art und Einrichtung des Betriebes, die jeweilige Fürsorge oder Nach¬
lässigkeit weit ausgiebiger einwirkt als die absolute Schädlichkeit eineB Industriezweiges;
c) weil ebenso wie von Seite des Fabrikanten auch von Seite der Arbeiter das
Maass der Sorgfalt und der persönlichen Aufmerksamkeit so sehr in Anbetracht kommt,
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dass man wohl meistens im concrcten Falle, aber selten in abstracto eine Industrie oder
eine industrielle Arbeit als schädlich oder unsbhädlich bezeichnen kann.
III. Die Schädlichkeiten, welche durch Haftpflicht ausgesöhnt und vor welchen Kin¬
der und schwangere Frauen überhaupt bewahrt werden sollen, erscheinen uns als:
a) mechanische: gemeine Verletzungen durch normal laufende Maschinen;
b) physicalische: durch abnorm wirkende Apparate: Explosionen, Verbrennun¬
gen etc. ;
c) chemische: durch Aetzungen und Gifte, welche zum Theil durch die Haut, öfter
durch ungewaschene Hände mit der Nahrung in deu Magen, am alleröftersten aber durch
die Athmung als Staub und Dampf iu den Körper der Arbeiter gelangen;
d) physiologische: durch angestrengte Haltungen und Bewegungen, sowie durch Rei¬
zung verschiedener Organe durch an sich ganz ungiftige Stoffe (Mehlstaub, Wollen¬
staub etc.).
Wie sehr man sich vor eiuer schematisirenden Behandlung der vorliegenden Frage
zn hüten hat und wie die gesundeste Berufsart grosse Gefahren in höherem Maasse mit
sich führen kann, als ein weit ungesunderes Geschäft eB thut, das illustrirt die Mitthei¬
lung des Herrn Prof. Dr. Horner , dass er vom November 1876 bis November 1877 unter
26 Personen, welche Fremdkörper in der Tiefe des Auges hatten , 17 Landarbeiter und
nur 9 Mechaniker zählte.
IV. Unter obigen Voraussetzungen, und nur unter diesen, versuche ich die Beantwor¬
tung der gestellten Fragen.
a) Industrien, die erwiesenermaassen und ausschliesslich ge¬
fährliche Krankheiten erzeugen und auf welche die Haftpflicht aus¬
zudehnen ist. Art. 5 d des eidg. Fabrikges.
1. Phosphorzündholzfabrication.
2. Pulvermüllerei: Scbiesspulver, 8chiessbaumwolle, Nitroglycerin und Dynamit. Cyan¬
quecksilber etc. Petroleum-Raffinade, Ligroin- etc. Fabrication,
3. 8chwefelkoblenstoffbercitung und Verwendung: Caoutchoukfabrication.
4. Phosphorbronzefabrication.
6. Vergoldung und Versilberung im Feuer (mit Amalgam).
6. Spiegelbelegerei.
7. Arsenik-, Quecksilber-, Blei- und Chromverurbeitung, wie weit sie nicht schon
in eine andere der hier angeführten Rubriken fällt.
8. Thonwaarenfabrication (trockene Glasur).
9. Farbwaarenfabrication und Verarbeitung.
10. Tapeten- und Buntpapierfabrication.
11. Wollenreisserei, Kämmerei, Seidenspinnereien (theilweise!).
12. Zeugdruckerei (theilweise).
Bei diesem Anlass die bemerkenswerthe MittheiluDg, dass Basclstadt, dessen Fabrik-
inspection durch technische Genauigkeit und tactvolle Kraftentwicklung unserm eidgenös¬
sischen Institute zum Vorbilde dienen kann, bei aller Anilinfarbenfabrication den sonst so
schwunghaft betriebenen Arsenikgebrauch gänzlich verboten und unterdrückt hat — ohne
dass die betreffenden Etablissements dabei Noth gelitten hätten.
b) Industrien, von welchen schwangere Frauen fernzuhalten sind
(Art. lö, 3)
Bo einfach und weise es ist, eine Neuentbundene möglichst lange bei Hause zu las¬
sen, zur persönlichen Wiederherstellung wie zur Ernährung und Pflege des Kindes, so
theoretisch, so schwer bestimmbar und so humoristisch wird die Begriffsbestimmung und
Zeitausrechnung für die Schwangeren in der Praxis des Fabrikgesetzes ausfallen.
1. Selbstverständlich sind Schwangeren alle oben genannten Beschäftigungen gänzlich
zu verbieten (IV. a. 1 — 12).
2. Ferner zu verbieten: allzu anstrengende Stellungen und Arbeiten überhaupt.
8. Wollenkarderei, Flachsmühle und Hechelei.
4. Wattefabrication (theilweise).
ß. Papierfabrication (Reisserei).
6. Glasschleiferei und Glasätzen.
7. Lithographie (Abfegen der Bronze).
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8. Schmirgelpapierfabrication.
9 Ziegelei und sog. Bergwerksarbeit.
10. Fabrikmäßiges Arbeiten an der Nähmaschine, an der Stickmaschine (Fädeln) und
im Wäschereischiff.
c) Industrien, in welchen Kinder Oberhaupt nicht beschäftigt
werden dürfen (Art 16, alinea 4).
1. Hieher gehören alle sub IV. a. 1—12 in Bezug auf Haftpflicht erwähnten Indu¬
strien, ganz oder theilweise ; ferner :
2. Buchdruckerei und Zeugdruckerei.
3. Färberei.
4. Anet eicherei („Malen“).
ö. Zinn- und Bleigiesserei, Verzinnen von Eisenblech.
6. Töpferei mit nasser Glasur.
7. Kürschnerei und Hutmacherei (Beizen der Fello und „Fachen* und Ausklopfen).
8. Thermometer- und Barometerfabrication.
9. Tabakfabrication.
10. Papierfabrication.
11. SchieferGfelfabrication (Rahmen).
12. Verbandstofffabrication (Carbol- und Salicylsäure-Präparate).
V. Je mehr wir einzelne Gewerbe nach ihrer Schädlichkeit betrachten und aufzäh¬
len, um so handgreiflicher tritt die alte medicinische Regel, hervor, dass man nicht Krank¬
heiten behandeln darf, sondern kranke Individuen behaudeln soll; und so muss auch die
Fabrikhygieiue, wenn sie keine leere Phrase und keine öffentliche Schädlichkeit sein soll,
nicht Industrien als solche, sondern einzelne Fabriken, einzelne Einrichtungen und Arbei¬
ten, einzelne Fabrikanten und Arbeiter beobachten und behandeln, und so gelange ich un¬
willkürlich und wie ich glaube ganz’ objectiv wieder zu der Forderung, welche die
schweizer. Aerzte-Commission in einer Berathung und Eingabe vom 29. Aug. 1875 auf¬
gestellt, dass nämlich Fragen über Gesundheitsschädlichkeit einzelner Gewerbe und Ar¬
beiten, sowie über die Zulässigkeit von Frauen- und Kinderarbeit in gegebenen Fällen
von den Fabrikiospectoren zu Händen des h. Bundesrathes begutachtet werden sollen.
Auch auf diesem Gebiete der socialen Mediciu muss dem Buchstaben des Gesetzes
möglichst wenig, der Einsicht und dem Eifer der ausführendeu Beamten aber möglichst
viel überlassen bleiben.
Möge Ihre hohe Behörde auch in der Wahl dieser Vollziehungsorganc glücklich sein!
Genehmigen 8ie etc. etc.
St Gallen, 29. November 1877. Sonderegger, Präsident “
Basel. Wir theilen hiemit den Collegen die ergreifende Grabrede mit, die Hr.
Prof. Rütimeyer auf den so plötzlich uns entrissenen Prof. C. E. E. Hoffmann gehalten hat,
und werden in der nächsten Nummer einen ausführlichen Necrolog des Dahingeschiede¬
nen bringen.
„Mitten aus kräftigem Leben, mitten aus Amt und Arbeit, mitten aus Verkehr und
Gesellschaft legen wir iu’s Grab einen Mann, dem Wenige unter uns nicht zu man¬
cherlei persönlichem Dank, Viele für aufrichtige Freundschaft, Alle ohne Ausnahme zu
Anerkennung und Hochachtung verpflichtet sind.
„Jäh und unAngckündigt, fast wie Drohung richtet sich vor uns von Neuem das Ge-
heimnise auf, das Uber uns und unserer Arbeit waltet. Ob es sich zieme, ihm hier, wo
die Erde bereit ist, sich über gestern der Unsem Einen, heute den ihrigen zu decken,
nachzuspüren ?
„Ich glaube nicht Wo sollte, bezüglich des Verhüllten, vor der Sprache des Grabes
der Lebenden Wort mehr verstummen, als an des Grabes Schwelle?
„Bis hieher und nicht weiter, ruft diese Stelle auch fremdem Urtheil zu. Genug ist’s,
dass der Tod, indem er dem sichtbaren Leben den Schutz der sichtbaren Persönlichkeit
entzieht, des Menschen Wandel und Handeln fremdem Urtheil Preis giebt, ob er gleich
das Wohl und Wehe nicht aufdeckt, das dem Handeln zur Richtschnur diente.
„Begnügen wir uns also , Commilitonen und Collegen, mit dem Sichtbaren. Selbst
von diesem wird es Bich ziemen , schon jetzt abzustreifen, was — mochte es uns ge¬
nehm oder ungenehm sein — äusserliche Zuthat war. Vor uns liegt der Sarg eines Leh-
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rers, eines Mitarbeiters, eines dem gemeinsamen Stamm mit allen seinen Würfeln tief
eingewachsenen Gliedes unsere Organismus.
„Du bist zu uns eingewandert; aber wer von uns Allen, Mitarbeiter oder Schüler,
empfände nicht, wie sehr Du der Unsrige geworden? Dafür vor Allem unser Dank. —
Leichnam bei den Leichnamen haben wir Dich gefunden. Auf dem Felde Deiner Arbeit
hast Du Dein Tagewerk beschlossen. Was Du arbeitetest, hast Du für uns gearbeitet.
Bis in Kleines war unser Wohl Dein Wohl. Wir tragen ein Kleines ab, wenn unsre
Erde Deine Ruhestätte bleibt.
„Euch, Commilitonen, die Ihr den Lehrer vor zwei Tagen noch auf dem Katheder
erwartetet, werde ich nicht zu sagen haben, was sein Grab Euch zuruft. Vor den Leich¬
nam des Lehrers an seiner Arbeitsstätte Euch zu führen, war nicht der Augenblick. Nicht
im Todeskampf solltet' Ihr den Lehrer sehen. Besser als das ist der Kern des Bildes,
den auch der Sarg nicht zudeckt. Er sagt Euch, dass es vor Allem Treue war, die sein
Wesen ausmachte, Treue, die er Euch, der Gcsammtheit wie dem Einzelnen, in Unter¬
richt und Sitte, in Freud und Leid, in Ernst und Scherz zuwendete. Seid inne, dass auf
dem Folde, auf dem wir Alle stehen, auf dem Felde der Erziehung zu Manuesehre und
Mannesleistung, der Arbeit nur Arbeit antworten soll, der Arbeit des Lehrers Arbeit des
Schülers, dem Streben Streben, dem Streben des Lehrers Streben des Schülers. Seid inne,
dass auf solchem Boden Erinnerung und Dankbarkeit nicht ausreicht, sondern dass Treue
Anrecht hat auf Erwiederung durch Treue, Aussaat auf Erwiederung durch Frucht.
„Für uns Mitarbeiter enthält der Anblick des Sarges des Collegen, warum sollten
wir dies verhehlen, vorwiegend Schmerz. Es sind Wenige unter uns, die nicht empfin¬
den , dass eine zu Allem bereite und zu Vielem geschickte Hand erkaltet ist. Es sind
vor Allem seine nähern Fachgenossen, die wohl am meisten gewahr sind, dass es nichts
Geringes ist, wenn in einem Organismus das Organ, in einer Lehranstalt der Lehrer, in
einem Gemeinwesen der Mann jederzeit wach auf seinem Posten steht Bei dem Ver¬
storbenen war daran nie zu zweifeln. Ja auch uns ziemt es wahrhaftig, so gut wie Deinen
Schülern, Dir vor Allem für Deine Treue Dank zu sagen. Dreizehn Jahre bist Du in
vollstem Maasse der Unsrige gewesen. Unablässig und aus freien Stücken hat er zu frü¬
hem Tflichten neue gefügt, und Wer ist unter uns, der sagen könnte, dass er übernom¬
mene Pflicht nicht jederzeit mit Ehren löste?
„Beziehungen der Freundschaft sind persönlich und sollen bei solchem Anlass nicht
laut werden. Um so mehr sollen sie mitwirken zu Gewinnung dessen, was das so jäh¬
lings blossgelegte Grab uns Allen, Schülern und Mitarbeitern , sofern es uns nicht zum
Raube werden soll, uns schenken kann: Mahnung, so lange die Frist noch offen, zu eigener
Reife und zu eigener Treue.
„Einen kräftigen Zweig am Baume unseres Organismus hat ein Blitz zerschmettert.
Raffen wir uns auf, wir sind Viele. Den Leichnam des Lehrers, der das Leben an dem
Todten lehrte, lasset uns der Erde wiedergeben. Dem Leben, das bis zum Tode in ihm
rege war, dem Leben voll Hingebung und voll Treue, lasset uns in uns selber neuen
Körper geben. Die Narbe wird bleiben. Raffen wir uns auf, an uns Allen liegt es,
ob aus dem Vorbild neue Kräfte, ob aus dem Stamme neue Zweige spriessen!“
Graubünden. Ihrer Einladung, über das neue Curhaus Samaden (1707
Meter über Meer) Ihnen einige Mittheilungen zu machen, komme ich hiemit gerne nach.
Die Lage des Curhauses ist eine derartige, daBS es mit einer seiner Längsfa$aden nach
SO. und mit einer seiner Querfagaden nach SW. gerichtet ist. Das Parterre enthält
hauptsächlich die Gesellschaftsräumlichkeiten, sls Cafd, Damensalon, Speisesaal, Rauch¬
zimmer, aus denen man auf der SO.-Front auf eine breite Veranda gelangt, die auf den
beiden Seiten durch hohe, theilweise aus Glaswandungen bestehende Brüstungen gegen
den Wind geschützt, vorne aber, den herrlichen Ausblick auf die imposante Bernina-Gruppe
voll bietend, völlig geöffnet ist. Auf der SW.-Front wurde mit Neuanlage von Seiten-
brüstuogen die alte Terrasse benutzt
Die Corridore sind alle heizbar, ebenso alle Gesellschaftsräumlichkeiten und die für
die Fremden benutzten Zimmer. Das Curhaus kann etwa 35 —40 Personen beherbergen;
im Notbfalle würden in den benachbarten Häusern noch einige Zimmer vermiethet wer¬
den können. — Die Fenster, alles Doppelfenster, sind fast alle (in grösseren Zimmern
mindestens zwei) mit geeigneten, nach Belieben stellbaren Ventilationsklappen versehen.
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Die
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Aub dem Souterrain des Hauses fahrt eine kurze, gedeckte Glaegallerie zu dem
neuen Anbau , in dem sich die Bäder und Douchen befinden. Sowohl die Badezellen
haben ihren Wärmeofen, als auch besitzt die für die Douchen bestimmte Abtheilung
einen eigenen Ofen. Der Druck der Wasserleitung ist ein ziemlich bedeutender. Die
Douchc-Einrichtungen, mit den durch den Arzt zu überwachenden nöthigen Regulir-
hähnen versehen, sind ganz nach dem Muster der im Curhause Davos befindlichen ge¬
troffen und bieten: eine breite Brause (Regendouche), einen Seiten-, einen auf- und
einen absteigenden 8trahl. — Die Bäder können in beliebiger Temperatur verabreicht
werden.
Die Pensionspreise stellen sich für diese Wintersaison je nach Lage des Zimmers
auf 5'/j—8 Fr. pro Tag. P.
Zürich. Gestatten 8ie mir, Ihnen einige Mittheilungen zu machen Uber die Er¬
fahrungen, die ich auf dem medicinischen Gebiet, im Laufe dieses Jahres, in Wien,
Pest und Paris gesammelt habe.
Es wurde mir vor einigen Jahren von einer College die Bemerkung gemacht , dass
eine Dame nur in der Schweiz mit Vortheil studieren könne, im Auslande dagegen wäre
keine Gelegenheit gegeben, weder practisch noch theoretisch die Studien fortzusetzen. —
Die Erlebnisse dieses Jahres haben mich eines Bessern überzeugt, und ich folge nur
meinem Pflichtgefühle, wenn ich meine aufrichtige Anerkennung für die grosse Freundlich¬
keit, mit der mich eine ganze Reihe von Professoren und Docenten des Auslandes auf¬
genommen, hiemit öffentlich ausspreche.
Wende ich mich vorerst nach Wien, so muss ich bekennen, dass ich keine andere
Schule gefunden, welche dem angehenden Praötiker von so viel Nutzen sein kann, wie diese,
und zwar speciell in der Schärfung der Beobachtung des klinischen Bildes, in der promp¬
ten Diagnose und in der Ausbildung der technischen Behandlung specieller Fälle. —
Das „Allgemeine Krankenhaus u mit seinem Belegraume für Uber 2000 Krankenbetten
und einem Ambulatorium von jährlich 30,000—35,000 Patienten; die Poliklinik, mit eben
so zahlreichen Ambulatorien, liefern für den Fremden ein Material, das er so gross und
lehrreich wohl nirgends mehr findet.
Besuchen wir die Klinik von Prof. Arlt, so finden wir hier den Schulmann im streng¬
sten Sinne des Wortes. In diesem Sommer-Semester trägt er die Krankheiten der Con-
junctiva und Cornea vor. Streng logisch verfahrend bringt er das normale anato¬
mische und physiologische Bild und lässt die pathologischen Veränderungen hierauf fol¬
gen; seinen theoretischen Vortrag unterstützt er durch die Demonstration der zahlreichen
vorhandenen Fälle, welche nun in Reihenfolge behandelt werden. Folgen wir ihm nun
in die Krankensäle, so frappirt uns die grosse Sorgfalt, mit der Prof. Arli seine Patienten
behandelt, die Ruhe, mit welcher er operirt, und besonders die von ihm consequent durch -
geführte Therapie der chronischen Blennorrhm mit Cupr. Sulfur. In der Tasche des Pro¬
fessors und auch bei seinen Assistenten findet sich immer der berühmte Blaustein. Ich
war begierig, die Resultate dieser von so vielen Ophthalmologen perhorrescirten Behand¬
lung zu sehen , und ich muss gestehen, während meiner sechsmonatlichen Beobachtung
so schöne Resultate an zahlreichen Fällen gesehen zu haben, das3 ich zur Ueberzeugung
gelangte, diese specielle Therapie sei doch meist durch die Masse der vorliegenden Krank¬
heitsfälle bedingt. — Wer Professor Arli bei seinen Cataract-Operationen beobachtet
hat, dem wird es unvergesslich sein, wie derselbe beständig denselben Platz am Opera-
tiousbette einnimmt und hier unbeweglich bleibt, bis der letzte Akt vollendet, sei die
Operation auf dem rechten oder linken Auge zu machen; denn wo ihm seine rechte
Hand versagt, ist die linke hinreichend geübt, den Dienst ebenso gut zu besorgen. Wäh¬
rend Arli bei der Staar-Operation mit etwas sägenden Zügen den Lappen bildet, wirft
er das Messer beim Ausschnitt, um einen leichter anheilenden Conjunctivallappen zu er¬
halten ; Wecker in Paris macht ebenfalls sägende Züge und wendet dann das Messer mehr
senkrecht beim Ausschneiden, um denselben Effect zu erreichen; am nächsten der Gräfe -
sehen Methode ist wohl das Verfahren von Pamasse , der den Lappen mit langen Zügen
und weniger kleinen sägenden Bewegungen bildet.
Verlassen wir die Arlf sehe Klinik, so können wir den Morgen noch benutzen, um
einigen reichlich besuchten Ordinationen an der Poliklinik beizuwohnen.
Prof. Benedict , der bekannte Neuropatholog, wird zu dieser Stunde unsere Aufmerk-
D.git,zedby GoOgle
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samkeit auf sich ziehen, der Mann, über den Jaccoud in Paris sich aasdrückte, „er sei
der grösste Electrotherapeut unserer Zeit“.
Material ist hier in Hülle und Fülle, sein Curs jedoch nur schwach von Medicinern
besucht. Um einen Vortheil, sowohl von den Vorträgen wie von den hier behandelten
Fällen zu ziehen, muss man sich ziemlich auf dem Gebiete der Hirn-Anatomie und der
Neuropathologie auskennen, denn auf solche Kenntnisse wird bereits basirt, auch mag
hierin ein Grund für den mangelhaften Besuch dieser Klinik zu suchen sein. — Von den
vielen Patienten, die hier zu treffen sind, erwecken ein besonderes Interesse jene Initial¬
stadien von Tabes und multipler Sclerose, welche in den Spitälern gar nicht zu treffen
sind, deren Diagnose indessen für den Practiker von um so grösserer Wichtigkeit ist, als
zu dieser Zeit die Therapie noch einen siegreichen Erfolg erlangen kann. — Der con-
stante Strom findet für die meisten Affectionen seine Anwendung. Es lautet die Ordi-
nation für einige der vorliegenden Fälle folgendermaassen:
Tabes dorsalis (mit Sehnerven-Atrophie); Rückenmarksnerven- und Rückenmarks¬
muskelströme.
Multiple Sclerose; Galvanisiren, mit Rückenmarksnervenströmen.
Tabes dors. incip.; Rückenmarksströme.
Progressive Muskelatrophie; const. Strom, Rückenmarksmuskelströme, sollen die Atro¬
phie zum Sistiren bringen, wenn auch nicht die Entztludung heben.
Tic douloureux; Galvanis. des Sympathicus, Electr. an Proc. mastoidei und Strom
duich den Kopf.
Tabes; atteetische Form mit Hemiplegie, 6 Jahre Dauer, Galvanisiren mit Strorn-
wendung.
Cephalalgio; Galvanisiren; Sympathie. Proc. Mastoid. und durch den Kopf (Stirn und
Occiput), günstiger Erfolg.
Paraplegie nach Typhus; Heilung durch den galvanischen Strom; Rüokenraarksue;-
venströme.
Cephalalgie ; Faradisiren, mit der Hand.
Ischias; farad. Strom.
Subperiton. Ut.-Fibroid; electrische Punction, Einstehen der Cathode, 3 Punctions-
s teilen.
Neuralgie in der untern Extremität; 5—8 points de feu beiderseits der Lenden-
wirbelsäule.
Arthralgie; subcut. Injection von Acid. Carbol. 2procentige Lösung in Nähe des Ge¬
lenkes. Heilung eines Falles nach 3 Injectionen.
Wer Prof. Benedict wiederholt in seiner Klinik gehört und die circa 30 Patienten,
welche täglich der electrischen Therapie mit guten Erfolgen unterworfen sind , gesehen,
der geht mit der Ueberzeugung von dannen, dass er in obigem Specialisten einen ebenso
grossen Neuropathologen als scharfsinnigen Diagnostiker kennen gelernt, und dass die
Electrotherapie, richtig angewendet und mit der für den speciellen Fall passenden Me¬
thode, eine oft sehr glückliche Heilmethode ist, trotz der vielen Antagonisten, denen sie
in der medicinischen Welt heute noch begegnet.
Noch eine halbe Stunde bei Herrn Prof. Auspilz zugebracht, mag uns aufklären über
dessen auf vielfache Erfahrung und microscopische Untersuchung gegründete Ansichten
Uber die Hautkrankheiten. — Eben wird ein nässendes Eczem deraonstrirt und
daran angeknüpft, dass die Eczeme eigentlich nur ein catarrhalischer Zustand der äussern
Haut seien, ganz zu vergleichen mit den Catarrhen der Schleimhäute; seröse Durchträn-
kung, Lockerung des Gewebes und Abschuppung der Epidermis bilden hier die Aualoga
der diversen Stadien der Schleimhautcatarrhe, daher die nässenden Ec'eme auch nur Fette
als Medicamente, quasi als 8chutzdecke ertragen (dieselben sollen nicht eingerieben, nur
aufgelegt werdeu), die squamÖBen dagegen den Theer, in sehr dünnen Schichten fest ein¬
gepinselt, zur Heilung verlangen.
Nun folgt in der Demonstration eine Acne disseminata in optima forma. Das beste
Mittel hiefür ist der scharfe Löffel mit dem Stachel nach Auspilz ; die stark infiltrirten
Knoten werden aufgestochen, das Uebrige geschabt, und in der That bemerkt man nach
einigen Sitzungen eine vollständige Heilung. — Eine überraschende Therapie bildet die
subcutane Injection von Sublimat Trotz der Berühmtheit der Bamberger’tschen Quecksil-
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beralbumiuate, findet dieses Mittel aut der Klinik von Auspilz keine Anwendung, übrigens
soll das Präparat vom Erfinder desselben injicirt nicht immer ohne unangenehme Neben¬
erscheinungen bleiben. Auspitz macht seine subcut Injectionen von Quecksilber stets mit
einer einfachen 3ublimatlösung und unter 100 Injectionen wird man kaum einmal eine
entzündliche Reaction des Sticbcanales finden, ob dies von seiner Methode abhängt, lasse
ich unentschieden, letztere besteht indessen in Folgendem :
Die Canüle der gefüllten Spritze wird bis gegen den Ansatz in Oel getaucht, dann
geschieht die Einspritzung nicht in eine aufgehobene Hautfalte, es wird vielmehr die Ca-
nüle beinahe in ihrer ganzen Länge in die Tiefe der Glutmalgegend eingestossen, entleert
und zurückgezogen. Beim Herausziehen erscheint keine Auftreibung der Haut, eB folgt
keine Reaction, und der Canülenstich verschwindet in kurzer Zeit. Die Injectionen alter-
niren rechts und links. Das Quecksilberalbuminat scheint nach Prof. Auspitz gar keinen
Vortheil vor dem Sublimat zu besitzen, im Gegentheil sollen die mit Letzterem erzielten
Resultate die mehr befriedigenden sein.
Schenken wir noch einige Nachmittagsstunden der wiener Poliklinik, so mögen wir
erstens die ausnehmend zahlreich besuchte K in d er k 1 i ni k ansehen, wir werden sicher¬
lich etwas profitiren, sowohl von den mannigfachen Fällen aller Arten von Kinderkrank¬
heiten, die hier Vorkommen , als von dem lehrreichen Vortrage von Dr. Fleischmann , Uber
die zweckmässige Ernährung der Säuglinge und die Constitution der Muttermilch , bei
welcher er besonders die darin vorkommenden Fettbcstandtheile berücksichtigt. Er theilt
z. B. die Butterkügelchen der Frauenmilch in drei Gruppen ; grosse, mittlere und kleine.
In einer guten Milch sollen die mittleren die zahlreichsten sein, das Vorwiegen der ersten
oder letzten Giuppe, oder die Verminderung aller zusammen zeigt eine krankhafte Ab¬
weichung in der Constitution der Milch, sowie der Mutter an, wodurch die Ernährung
des Säuglings beeinträchtigt wird. So sollen bei meist staubförmigen Butterkügelchen
der Muttermilch die Kinder leicht scrophulös und kachoctisch werden; bei Verminderung
aller Formen eine Neigung zu Rhnchitis und Anesmie bei den Säuglingen Vorkommen.
— Zum Schlüsse der heutigen Klinik stellt Fleischmann einen kleinen Patienten mit Infil¬
tration der r. Lungenspitze vor, und lenkt unsere Aufmerksamkeit dabei hauptsächlich
auf einige auf der entsprechenden Seite angeschwollene Halsdrüsen. Solche geschwollene
Drüsen stellt er quasi als pathognomonisches Zeichen für die Infiltration der kindlichen
Lungen hin, und glaubt, es brauche nur der Beobachtung, um in den meisten Fällen ein¬
zelne zu entdecken; ebenso will er gleichseitige Augenaffectionen bei scrophulösen Kin¬
dern in Zusammenhang mit Spitzeninfiltration bringen.
Eines der am meisten besuchten Ambulatorien hat eben begonnen, es ist die Ohren-
klinik von Dr. Urbantschitsch , der wir noch einige Momente widmen mögen. Wer an
dem Curse von Urbantschitsch sich längere Zeit betheiligt, und seinen Operationen beige¬
wohnt, muss sich sowohl auf dem theoretischen als practischen Gebiete der Ohrenheil¬
kunde einen ziemlichen Schatz von Kenntnissen geholt haben.
Ganz besonders werden zwei Fälle dem Gedächtnisse eingeprägt bleiben, an denen
die Durchschneidung der Sehne des Muse. Stapedius vollzogen wurde, eine bis jetzt we¬
nig gekannte, aber durch die erzielten Resultate bedeutender Gehörsverbesserung, in ge¬
wissen Fällen von veralteter chron. Otorrhoe, wohl nennenswerthe Operation. Bekannter¬
weise wurden in der Klinik von Urbantschitsch eine Reihe Versuche mit Amylnitrit ge¬
macht, welches Präparat besondere Dienste in Neuralgien und vasomotorischen Störungen
zu leisten scheint; für nähere Details hierüber verweiso ich auf die Arbeit des betreffen¬
den Docenten „über die therapeutische Wirkung des Amylnitrits“.
Reichlich kann dem beginnenden Practiker, sowie dem Provincialarzt die Zeit ausge¬
füllt werden durch einen Aufenthalt in Wien und besonders letzterer kann bedeutenden
Nutzen aus dem grossen Material ziehen, welches den diversen Abtheilungen der Poli¬
klinik zu Gebote steht. — Hiebei ist nicht zu vergessen die Klinik von Dr. Schnitzler
für Brust- und Halskranke, wo Derjenige, welcher bereits etwas Uebung in der
Untersuchung und Behandlung dieser Affectionen hat, in kurzer Zeit sich eine complete
Fertigkeit in der Laryugo- und Rhinoscopie, sowie in der speciellen technischen Thera¬
pie der betreffenden Krankheiten erwerben kann. Ein Fall von hysterischer Stimmband¬
lähmung von Dr Schnitzler curirt, verlangt hier noch der Erwähnung. Patientin war über
ein Jahr aphonisch, und hatte schon verschiedene Behandlungen erfolglos durchgemacht,
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ehe sie anf dieser Abtheilung erschien. Dr. Schnitzler wandte den Xnductionsapparat an,
die Electroden wurden zu beiden Seiten des Kehlkopfes angesetzt, und nun musste die
Patientin allmälig intoniren. Nach kurzer Zeit vernahm man die deutlich und laut zäh¬
lende Stimme, es war die Aphonie gehoben. Dieselbe soll zwar nach Schnitzler ’s Erfah¬
rungen im Laufe des Tages wiederkchren und erst nach einer Reihe von Sitzungen znm
vollständigen Verschwinden gebracht werden können. Dies war auch bei unserer Patien¬
tin der Fall.
Nach diesen Erläuterungen Ober einige Abtheilungen der wiener Poliklinik glaube
ich mich berechtigt annehmen zu dürfen, dass sich unter den fremden Aerzten, welche
dieselbe längere Zeit besuchten, noch viele Collegen finden werden, die mit mir überein-
stimmen in der Ansicht, dass diese Klinik, Dank der Aufopferung vieler begabter und
hochgeschulter Männer, die hier als Vorstände wirken, sowohl für Wiens arme Bevölke¬
rung, als auch fQr junge Mediciner und speciell practische Aerzte eine sehr segensreiche
Institution ist, deren glücklichen Fortbestand wir zum Wohle der Arbeitsclassen jener
Hauptstadt und zum Vortheile der Wissenschaft aufrichtig wünschen müssen. Möge die
wiener Poliklinik mit diesem Jahre den letzten Kampf um’s Dasein bestanden haben und
ihre Docenten alle in Zukunft die ihnen gebührende Anerkennung finden.
(Schluss folgt) Dr. Caroline Farner.
Congrii de Gen^ve
de la fdddration britannique, continentale et gdndrale
pour l’abolition de la Prostitution spdcialemeut envisagde comme institution ldgale et toldrde —
du 17 au 23 Septembre 1877.
A peine le congrds des Sciences mddicales venait-il de se terminer que se rdunis-
sait k Genöve un autre congrds dont les consdquences hygidniques auront une portde con-
siddrable.
Le probldme de la prophylaxie des maladies vdndriennes a dtd abordd bien des fois
ddjä devant des jurys composds uniquement de mddecins et jusqu'ici cette importante
question dTiygidne publique n’a dtd envisagde qu’au point de vue exclusif de la propa-
gation des maladies contagieuses et toujours rdsolue par les mddecins, sauf quelques pro-
testations isoldes, dans le sens dtroit de la rdgldmentation et de la visite des femmes
publiques.
Est-il posBible de proposer aux divers gouvernements des mesures efficaces pour
rostreindre la transmission des maladies vdndriennes? Telle dtait la question posde en
1867 au premier congrds mddical international de Paris. — D’importantes Communications
furent faites k ce sujet et donndrent lieu k une disoussion trds vive et trds nourrie. La
mfime question fut posde de nouveau en 1870 au congrds mddical international de Florence
et reprise en 1873 par le troisidme congrds rduni k Vienne qni donna son approbation
aux iddes dmises dans les congrds prdcddents et adopta les conclusions d’un rappoit fort
dtendu recommandant la gdndralisation et le renforcement des lois existantes dans diffd-
rents pays pour prdvenir les maladies vdndriennes. On prdpara möme au congrds de Vienne
un projet ddtailld de Convention internationale en vertu de laquelle les lois sur cettc ma-
tidre seraient rendues uniformes dans tous les pays.
Le congrds mddical international de Bruxelles en 1875 s’est occupd de nouveau de
la rdglementation de la prostitution par l’£tat et, dans le rapport qui a ouvert la ddlibd-
ration sur ce sujet, le secrdtaire gdndral a citd ces paroles empruntdes au livre du Dr.
Mireur de Marseille : „L’extincüon de la syphilis, bien que difficile, n’est pas un rdve
chimdrique; cela ne Berait certes pas au-desBUS des efforts de l’humanitd, si toutes les
nations parvenaient un jour k dtablir un systdme complet de prophylaxie internationale.“
Le rapporteur ajoute, en parlant du Systeme si periectionnd de la police des mosurs
adoptd en Belgique, que si les mömes mesures dtaient aussi adoptdes ailleurs, le seul
ennemi qu’il restät encore k combattre, l’importation, disparattrait k l’instant mdme.
Jusqu’en 1864 l’attitude de l’autoritd en Angleterre, vis-A-vis de la prostitution, a
dtd celle de la plus compldte indiffdrence. — Le 20 Juin 1864 k 2 heures du matin fut
prdsentd k la chambre des cornmunes le premier des Actes ldgalisant la prostitution qui
est connu sous le nom de Contagious Diseases Prevention Act. Aprds avoir dtd
renvoyd k une Commission fl dtait adoptd le 21 Juillet suivant s&ns un mot de dis-
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cnssion. En 1866, en 1868 et 1869 cet acte fut agrandi et complötö, mais ses partisans
ne parvinrent pas 4 en obtenir la gönöralisation. Lee actes sur lea maladies contagieuses
restörent en effet limitäs 4 un certain nombre de stations militaires et navales de la
Grande-Bretagne et de l’Irlande. — Cependant une Opposition önergique et toujours gran-
dissante ne tarda pas 4 se manifester en Angleterre contre ces lois nouvelles. Sous l’ini-
tiative de Mad. Butler de Liverpool se fonda „l’association nationale des dames anglaises
pour le retrait des actes a et en 1870 nne premiöre pätition fut adressäe dans ce sens
au Parlement. Bientöt convaincue que la question avait une portäe qui däpassait les
limites d’un pays isolä Mad. Butler se rendit sur le continent et rencontra partout, en
France, en Buisse, en Italie un accueil sympatbique et de nombreuses adhösions. Partout
des comitäs se formörent et la fädäration britannique et continentale pour l’abolition de
la Prostitution lägale ou toläräe fut ainsi fondöe. Les Amäricains adhörörent bientöt 4
cette grande ligue qui a tenu au mois de Septembre dernier 4 Genöve un congrös
important, oü le problöme a ötö posö tout entier et discutö hardiment sous toutes
ses faces.
Parmi les travaux qui ont ötö faits avant le congrös de Genöve nous ne pouvons
passer sous silence un mömoire instructif sur la prophylaxie des maladies conta¬
gieuses qui a ötö prösentö au congrös international d’hygiöne, de sauvetage et d'öcono-
mie sociale 4 Bruxelles en 1876 par Mr. Aimö Humbert, ancien conseiller d’lätat, 4 Neu-
ch&tel. Ce mömoire, dans une discussion trös serröe, dömontra par les rösultats des sta-
tistiques, le complet insuccös du rögime de la police des mceurs et la nöceBsitö d’une rö-
forme radicale dans les mesures prophylactiques qu'il faut prendre contre la propagation
de la Syphilis.
Le nombre des mömoires et des travaux dont le congrös de Genöve a ötö l'occasion
est immense. II nous sufflra de dire qu'il y avait plus de 200 mömoires annoncös. On
comprend dös lors que nous ne puissions donner ici qu’une idöe approximative trös incom-
plöte des travaux de cet important congrös qui s’est divisö en cinq grandes sections pour
aborder söparöment l’ötude de toutes les faces du problöme. — Cette ötude a 6t6 faite
d'une maniöre approfondie par chaque section indöpendamment l’une de l’autre et le rösul-
tat de tous ces travaux tömoigna 4 la flu de la session de l’accord remarquable des r6-
solutions definitives auxquelles ils ont abouti. Voici ces sections : 1. Hygiöne, Präsi¬
dent Mr. le Dr. De la Harpe de Lausanne; 2. Morale, prösident Mr. le Dr. Sautter de Blonay
(Vaud); 8. £conomie sociale, prösident Mr. le professeur Dameth de Genöve; 4. Bien-
faisance, Präsident Mr. le pasteur Borei, Genöve; 5. Lägislation, präsident Mr. le
professeur Hornung de Genöve. — Nous devons nous borner malheureusement 4 passer
rapidement en revue ce qui a ötö fait dans la section d’hygiöne qui intöresse spöciale-
ment les lecteurs du „Correspondenz-Blatt“.
Le discours d'ouverture du präsident du congrös, Mr. Stansfeld, ancien ministre du ca¬
binet Gladstone, a placä la question hygiänique de la Prostitution et des maladies conta¬
gieuses sur son väritable terrain. — L'honorable präsident a exposä d’une maniöre äleväe
le but du congrös et & signalä l’harmonie des conclusions gänärales qui rösultera nöcea-
sairement d’une ötude indöpendante des divers cötäs de la question. L’hygiöniste pas plus
que le moraliste ne doit aborder cette question 4 un point de vue exclusif et bornö. L’u-
nitö de la grande loi qui rögle la vie humaine ne peut öchapper 4 l’homme de Science.
Aveo le rägime de la police des moeurs cette loi est möconnue; le soin physique des pro-
stituäes destinäes au Service des hommes devient un sous-däpartement de l'ätat ou de
la municipalitö qui le repräsente, et le mödecin, qui a sa place dans cet engrenage, com-
promet par 14 la dignitö de sa noble profession. La visite sanitaire des Alles prostituöes ne
peut ötre autre chose vis-4-vis du public et surtout des jeunes gens qu’une sanction et une
garantie fournies par l’6tat. Nous ne pensons pas que les mödecins puissent, au nom de
l’hygiöne, accepter cette sanction et cette garantie. Or toute la question se rösume en dö-
finitive en ces termes, comme l’a trös bien fait observer Mr. Stansfeld — c’est la sanction
et la garantie de l’tätat dont la födöration demande l’abolition. Mais alors il faut aussi
pourvoir plus amplement que cela ne se fait au traitement des maladies vänöriennes et
les mädecins ont raison de se regarder comme ayant spöcialement le devoir de maintenir
ce point de vue. Qu’ils öpargnent 4 leur noble vocation l’injure d'en faire la servante
du vice le plus dögradö. Leur mission est d’amöliorer la santö publique, l’hygiöne gönö-
Dic
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rale, et qui sait mieux qu’eux-mdmes que la Stimulation de la ddbauche n'est paa propre
4 amdliorer la santd publique. Leur missiou est de gudrir et de prdvenir lea maladiea,
et ils peuvent faire beaucoup plus pour la gudrison des maladies qui proviennent du vice
s’ils demandent, au Heu de la visite et des eoina imposda aux fillea inscritea, (meaure ausai
illusoire qu’immorale), qu’on pourvoie partout aux plus amplcs moyenB de traitement des
maladiea vdndriennea sans y ajouter l’dldment d’une contrainte dangereuae et atdrile. En
agisaant ainsi lea raddecina auront pour associda dana leur rnuvre bienfaisante , non le
proxdnöte, l’agent de police et le libertio, mais lea hommea et lea feramea de toua pays
qui chercheront avec eux k sauver lea infortundes, k les gudrir et 4 lea rendre 4 une vie
paisible et honnöte. — Lea lois sur la police des mceurs ont dtd partout un insuccds hy-
giduique et elles seront toujours dluddes parce qu’elles offensent la nature humaine. N’eat-
il pas signiflcatif que la ville de Bruxelles qui possdde la rdglementation par excellence,
celle qu’on propose 4 l’imitation de toute l’Europe, nit dprouvd le besoin de rdviser cctte
ldgislation moddle et que la Be.lgique ne puisse ddj4 plus ee contenter de l’inatitution si
parfaite de sa police des mceurs. Aprda avoir paasd le compromia avec les maisons de to-
ldrance voici raaintenant qu’il faut rdglemeDter aussi la prostitution clandestiue. Lea nou-
veaux rdglementa reconnaissent l’existencc ldgale de la prostitution clandeatine et cher-
cbent 4 la soumettre 4 certaines prescriptions de police!
Mr. le Dr. Ph. De la Harpe , prdsident de la section d’hygidne, ouvrit la sdance gdnd-
rale de cette section par un discours remarquablc qui a compldtement atteint le but qu’il
s’dtait propoed de prouver que lerdgime de la Police des Mceurs repose sur une
erreur hygidnique. Aprda avoir rappeld en quelques mots l’historique et ddfini le röle
de l’hygiöne dans cette question l’orateur insiste sur lea dangera des maisons de toldrance
et ddclare que tous lea mddccins sont d’accord sur ce point, que les visites aanitaires les
mieux exdcutde3 ne peuvent empöcher lea caa d’it.fection d’dtre possiblea et frdquents.
Comme le dit Mireur (o. c. p. 362) „Aprda l’inapection, cette femme, mise en posaession
de eon permi8 de libre pratique, peut jusqu’4 la procbaine viaite, infecter officiel-
lemeut et soua le couvert de l’autoritd, pour ainai dire, toua les hommea qui auront
des rapports avec eile.“ Mr. De la Harpe pense que l’ataxie locomotrice et la paralyaie
gdndrale qui augmcntent si fort en extension de noa jours pourraient bien tenir aux faci-
litda accorddea bientöt partout aux ddbauchea sexuellea aoua la protection des loia et rd-
glemonta, Quoique lea matdriaux ne soient pas encore prdta pour donner uoe rdponae
8cientifique 4 cette question il n’en est paa moina vrai que l’opinion publique rend tout au
moins trda probable cette manidre de voir. Un fait est certain c’eat que la paralyaie gdndrale
est plus rdpandue dana lea paya de l’Europe o£l la jeunesae dorde a la rdputation d’dtre la
moina vertueuse. — Passant enauite 4 l’examen du rdsultat de la police dea moBura l’ora-
teur dtablit aat-a peine que ce rdaultat, de l’aveu mdme des partisana du aystdme, eat dd-
plorable. — „On fiuit par ae convaincre que toute notre prophylaxie n’est que palliative
et qu’elle est radicalement inpuiasante, parce qu’elle n’attaque pas le mal 4 sa sourcc.“
Voil4 le cri qui dchappe 4 un des plus ardents ddfenaeura dea visites sanitairea, le doc-
teur Jeannel dont le livre irhportart sur la prostitution vient d’dtre traduit en allemand.
Un fait eat frappant c’eat que, dea trois maladies vdndriennea, c’eat la plus bdnigne, le
cbancre mou, qui paratt dtre partout en voie de ddcroissance, tandis que la plus grave,
celle qui porte avec eile un venin subtil et pernicieux pour la vie, la syphilis constitution-
nelle eat partout en voie d’extension. En somme, Mr. De la Harpe conclut qu’avec la raeil-
leure intention du monde la police dea moeura favorise la prostitution aux ddpens
de la santd publique tandis que toua lea vrais hygidniatea demandent qu’on favo-
riae la santd publique en rdprimant la prostitution.
„Supposona un instant l’impoasible“, dit l’orateur en terminant-, „auppoaona qu’4 force
de peine, de propretd, de visites, on parvienne 4 ddtruire la syphilis par la police dea
mceurs, qu’y aura-t-on gagnd? La mort fera-t-elle moina de victime3 prdraaturdea ? La
aantd et la vigueur dea hommea et des peuplea seront-ellea amdliordes? — Non, Messieurs;
quand on aura partout toldrd le vice; quand on aura banni tout danger de contagion, et
par 14 sufflaamment favoriad la ddbauche, on verra noa salons, noa ateliers et noa mai-
aona peuplds d’ötrea plus malaaina au moral et au physique que si la ayphilia courait lea
ruea. — La vigueur dea individus ddpend de leur force 4 vaincre leurs penchanta, et la
vigueur d’un peuple ddpend de aa moralitd.“
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Le docteur Canon , ancien mddecin hono’aire des höpitaux de Liverpool, traita daos un
mdmoire fort applaudi de la prdtendue ndcessitd du vice. Ce sujet e3t exaraind au
poiut de vue de la physiologie et l’orateur commence par poser le principe que si la
Prostitution est une chose utile et mdme ndcesaaire dans la socidtd, la prostitude a le
droit d’occuper alors une position honorable et respectde dans les rangs des travailleurs
honndtes. Sinon la Prostitution est un reste de l’dtat sauvage et n’existe que par la vo-
lontd de l’homme et parce que la position sociale de la ferame la force 4 s’y soumettre.
— A cötd de la physiologie individuelle il y a la physiologie du corps social. L'union
des sexes consacrdo par ramour et la fiddlitd est une des bases fondamentales de la so¬
cidtd. La Prostitution c’est le cdlibat de l’äme et la ddpravation de l’esprit et du corps.
L’homme n’est pas seulement un enfant arrivd k maturitd k force de manger et de boire,
c’est un membre intelligent de la socidtd qui a le dcvoir de maintenir ses passions de-
structives de l’dtat social. — Quelle raison donne- t-on de la r.dcessitd du vice? La culture
sociale a triomphd de passions plus brutales et non moins fortes que celle qui nous oc-
cupe. Le sauvage violent, sans foi, vindicatif, cruel, ne Consultant que l’impulsion du mo-
ment est devenu 1’homme civilisd, honndte, cldment, loyal, capable dans raille circon-
stances de Commander aux mouvements les plus impdtueux de ses passions et de les
eoumettre aux rdgles sociales dtablies pour le bien de tous. La ddbauche ne consiste pas
dans la relation purement physique, qui en soi n’est ni bien ni mal, raais bien dans les
circonstances morales et sociales qui l’accompagnent et qui font raitre des maladies par-
ticulidres. — La rdglementation et la toldrance de la Prostitution aggravent ces circon¬
stances d’une fagon effrayante. La sauvagerie sexuelle et l’ii justice sociale qui permet
k l’homme d’abuser de la femme, reculeront k l’avenir devant les progrds ultdrieurs de la
socidtd; car il n’existe aucune ndcessitd mystdrieuse qui puisse entraver le ddveloppeinent
dternel des lois physiologiquea de la socidtd huraaine.
Parmi les travaux qui intdressent plus directement les ppdcialistes nous citerons sur-
tout ceux du Dr. Nevins de Liverpool qui a recueilli dans tous les pays uno foule de raa-
tdriaux statistiques qui dtablissent d’aprds les donndes officielles que les maladies conta-
gieuses ont augmentd partout sous le rdgime de la police des moBurs. Plusieurs autres tra¬
vaux sur les maladies spdcifiques k Paris et k Londres, sur l’extension de la Syphilis et sur
le diagnoetic des maladies vdndriennes etc. ont dtd prdsentds par les Drs. Drysdale , Carter,
houlh, Bell Taylor et Worth. Ces derniers ont prouvd que la gonorrhde et la syphilis sont sou-
vent difficiles, parfois mdme impossibles 4 ddcouvrir chez la femme. Le Dr. Taylor en
particulier eite des cas oü la maladie contagieuse a dtd commuriiqude par le spdculum qui
servait 4 la visite. Ce qui est plus grave encore c’est que l’expdrience enaeigne qu’une
personne en apparence parfaitement gudrie peut cependant transmettre la coutagion. Ce
fait est vrai pour les deux sexes. La garantie de la visite est donc absolument illusoire.
Nous ne pouvons donner ici un extrait mdme succint de ces importants travaux qui
mdriteraient 4 eux seuls de faire l’objet d’un compte-rendu spdcial. 11 est clair qu’4 l’a-
venir tous les mddecins qui s’intdressent 4 la grave question de la prophylaxie des ma¬
ladies vdndriennes devront tenir grand compte des rccherches et des observations si dd-
cisives des auteurs que nous venons de citer. — Tous ces mdmoires seront du reste
publids in extenso dans les Actes du Congrds qui parattront vraisemblableraent dans
le courant de 1878.
Mentionnons encore le discours drau de Mad. Butler qui vint protester au nom de la
pudeur outragde contre la violence exerede sur les femrnes par la visite qui est un acte
de tyrannie et une torture honteuse. Le droit de souverainetd de la femme sur sa propre
personne est aussi inalindnable que tout autre droit naturel. C’est une souverainetd ab-
solue qu’il n'est pas permis de violer. route loi, toute ordonnance, toute rdglementation
de police et toute pratique rnddicale qui sanctionne cetto violation ne peut dtre que mo-
ralement criminelle.
En nommant la communication du Dr. Armand Despres , ancien mddecin de l’hdpital de
Lourcine 4 Paris, sur l’influence de la Prostitution sur la ddpopulation
des^ltats, un mdmoire du Dr. Ladame du Locle sur les remddes secrets et
les annonces i in morales dans leurs rapports avecla Prostitution,
un travail de Mad. White Mario , inspectrice d’ambulauce, lu dans la sdance gdndrale de la
section d’hygidne sur la Misdre et la Prostitution 4 Naples, et enfin un md-
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moire anglais dont la traduction fran^aiae n’a pas encore dtd faite, exprimant l’opinion des
femmes-mddecins en Amdrique aur la rdglementation de la Prostitution par Mad. Dr.
Winslow de Washington, nous aurons donnd quelque idde de la multitude de questions et
de l’abondance des travaux prdsentds dan* la seule section hygidnique du congrds.
Mais 14 ne s’est pas fcornöe l’activitd de cette section. — II s’agissait de fournir 4 la
discussion gdndrale qui devait rdsumer les travaux du congrds, une sdrie de proposi-
tions reprdsentaut l’opinion de la section d'hygidne. Tous les jours de cette semaine
si laborieuse furent remplis soit par les mdmoires dont nous venons de donner un ra¬
pide aperqu qui n’est presque qu’une nomenclature, soit par des discussions approfondies
d’oü sortirent les rdsolutions ddftnitives prdsentdes par la section d’hygidne comme l'ex-
pression gdndrale du rdsultat de ses travaux. Voici ces rdsolutions votdes par la section
d’hygidne:
La section d’hygidne affirme:
I. Que l’empire sur soi-m&me dans les relations sexuelles est une des^bases indis¬
pensables de la santd des individus et des peuples.
II. Que la Prostitution est une violation fondamentale des lois de l’hygidne.
III. Considdrant que le röle de l’hygidue publique ne doit pas se borner 4 la sur-
veillance et 4 la prophylaxie deB maladies qui peuvent affecter les populations, nous dd-
clarons que sa vraie fonction est de ddvelopper toutes les conditions favorables 4 la santd,
qui a sa plus haute expression dans la moralitd publique.
IV. La section d’hygidne constate le complet insuccds de tous les systdmes de po-
lice des moBurs ayant pour but. de rdglementer la Prostitution.
Elle les repousse en s’appuyant entr’autres motifs sur les suivants : — que la visite
chirurgicale obligatoire des femmes est rdvoltante pour la nature humaine, — qu'elle ne
peut d’ailleurs atteindre qu’un nombre restreint de prostitudes, — qu’on ne peut pas se
fler 4 cette visite pour ddcouvrir la forme constitutionelle la plus grave des maladies vd-
ndriennes et en empdcher les progrds, et que, par consdquent, eile donne une fausse sd-
curitd sur la santd des femmes visitdes.
V. La section d’hygidne ddsire instamment que l’on dcarte tous les obstacles qui
empdchent aujourd’hui que les maladies vdndriennes soient soigndes aussi largement que
toute autre dans les höpitaux qui reldvent du contröle municipal ou d’autres corps pu-
blics, ainsi que dans ceux qui sont soutenus par des dons particuliers.
VI. La section d’hygidne exprime aussi le voeu que la police ordinaire fasse stricte-
ment respecter la ddcence dans les rues et les places publiques, et qu'elle rdprime tout
scandale public, qu’il Boit causd par les hommes ou par les femmes.
Les ddbats des autres sections, de morale, de bienfaisance, d'dconomie politique et de
ldgislation portent 4 33 les rdsolutions fondamentales adoptdes par le congrds et qui for-
ment comme „le Code" des rdsultats importants qui ont dtd atteint par cbb intdrossantes
et frnctueuses ddlibdrations.
La prcmidre session internationale de la fdddration pour l’abolition de la Prostitution
rdunie en congrds 4 Gendve a comptd 510 membres effectifs, reprdsentant quinze natio-
nalitds diffdrentes. Dr. L.
W oclienl>ei*iohLt.
Schweiz.
Basel. Herr Dr. Buss, Assistenzarzt der raedicinischen Klinik, hat Freitag den
21. December seine Antrittsvorlesung als Docent der Universität gehalten und
die Zuhörer durch seine interessante, zum Theil neue Anschauung Ober die Ernährung
des Fiebernden überrascht. Die durch das Fieber bewirkte Consumption verlangt
einen Ersatz sowohl von Kohlenhydraten, als von stickstoffhaltigen Körpern. Das Dar¬
niederliegen der Verdauung in jedem contiuuirlichen Fieber tritt aber diesem Bestreben
hindernd in den Weg; man weiss, dass die Zufuhr von Eiweissstoffen während des Fie¬
bers die Consumption nur vermehrt. Aus diesen Gründen werden stickstoffhaltige Nah¬
rungsmittel aus der Fieberdiät ausgeschlossen und was Hippokrates vor 2000 Jahren als
Nahrung im Fieber vorschrieb, das ist heute zum grössten Theil noch gebräuchlich. Alle
Versuche, von dieser Diät abzugehen, scheitern an der Unfähigkeit, die zugeführten Stoffe
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bq verdauen. Buss tat sich nüü die Frage gestellt, dt de nicht trotz solchen Bedenken
möglich sei, dem Fiebernden die so nöthigen Stoffe (stickt toffhaltige und Kohlenhydrate)
in irgend einer Weise zuzufUhren, und ist bei seinen Jahre lang gemachten Versuchen
zu folgenden Resultaten gelangt: Wenn wir durch die Darreichung von Antipyreticis
(Bäder, Natr. salic., Chinin) das continuirliche Fieber in ein solches mit remittirendem
Typus umwandeln, so schaffen wir dadurch Zeiten, die für die Aufnahme von Nährstoffen
geeigneter sind; es kommen dadurch, wie Buss sich ausdrückt, kurze Reconvalescenzen
zu Stande. Da aber während des Fiebers nur die Verarbeitung schwerer verdaulicher
Stoffe ungenügend ist, nicht aber die Resorption, so sind StolFe, die als solche resorbirt
werden können, dem Fiebernden zu verabreichen. Aus diesem Grunde bedient sich Buss
bei der Ernährung seiner Fieberkranken (Typhus abd.) des Peptons als verarbeitetes stick¬
stoffhaltiges Nahrungsmittel und des Traubenzuckers als für die Resorption fertiges Koh¬
lenhydrat und ernährt mit Zusatz von Wein oder Cognac, als conservirendcs, den Stoff¬
verbrauch hintanhaltendes Mittel;, den Fieberkranken ausschliesslich mit diesen Stoffen.
Auf diese Weise ist es ihm gelungen, was er durch Wägungen bewiesen hat, die Con-
sumption in bedeutendem Maasse bintanzuhalten. Und wenn dies im Typhus , wo die
Stoffe so rasch durch den Verdauungscanal gehen, so schön gelingt, so werden wir die¬
selben glänzenden Erfolge für andere Fieberarten mit vollem Recht erwarten dürfen.
Bern. Das H aller-F cat wurde den 11. December durch den berner medicin.
Cantonaiverein in der Weise eröffnet, dass dieser, im Anschluss au seine auf diesen Tag
verlegte Wintersitzung, die verschiedenen Comitd’s, Delegirten und Ehrengäste zu einem
Bankette eingeladen hatte. Dasselbe nahm einen höchst gemüthlichen Verlauf, und es
entwickelte sich in der ungezwungensten Weise zu einer würdigen Vorfeier des Festes,
auf dessen Bedeutung in ausgezeichnetster Weise durch einen Tonst des Herrn Oberst
von Büren hingewiesen wurde. Den 12. versammelten sich Morgens 9 Uhr die Comitö’s
und Delegirten im Casinosaale, wo der Festpräsident, Herr Oberst non Büren , mit einer
kurzen Ansprache die Feier eröffnete. Es wurden nun in folgender Reihenfolge von Uni¬
versitäten und Gesellschaften in meist kürzeren Ansprachen die offiziellen Begrüssungen
überbracht: Universität Tübingen (Prof. Schwendener ), Universitäten Göttingen und Bern
(Prof. König), Universität Zürich (Prof. Eberth ), Universität Basel (Prof. Rüämeyer ), Univer¬
sität Genf, Academie von Neuenburg, Academie von Lausanne, Biblioteca nazionale di
Brera in Mailand, medio. Gesellschaft des Cantons Zürich (Dr. v. Murall)., Academie von
Peruggia, ärztL Centralverein (wobei Dr. Alf. Steiger im Namen der schweizer Aerzte die
von Dr. Gotll. Burckhardt und Prof. Quincke verfasste Festschrift überreichte). Es folgte
nun noch die Zürcher naturforschende Gesellschaft und schliesslich Uber.brachte noch Dr.
Dufour die Grüsse der Aerzte der romanischen Schweiz. Unterdessen hat te sich draussen
der Festzug organisirt, dem die Delegirten sich nun anschlossen. Voran die berühmte
berner Stadtmusik, dann die Studenten Ait flatternden Fahnen, die Descendenten Alb. v.
Baller' die Abgeordneten des Bundes-, National-, 8tände- und Grossen Ra thes, der städ¬
tischen Behörden, die Delegirten der Schweiz. Universitäten, des Polytechnicums und der
Academien, Rector und Senat der berner Hochschule, die Mitglieder der heimischen natur-
forschenden Gesellschaft, die Mitglieder der schweizerischen und bernischon med.-chirurg.
Gesellschaft, das Haller- Comitd, die übrigen Festtheilnehmer und schliesslich die Gym-
nasialschüler.
Durch eine enorme Menschenmenge bewegte sich unter Glockengeläute der circa 500
Mann starke Zug ins Münster, wo Herr Prof. König , Rector der berner Universität, in
1 '/,ständigem glänzendem Vortrage eine Gedächtnisrede auf Alb. v. Haller hielt, nachdem
durch ein würdiges Orgelspiel und erhebende Vorträge der berner Liedertafel den zahl¬
reichen Festtheilnehmern ein hoher Genuss geboten worden war.
Abends 7'/, Uhr füllte sich der obere Casinosaal mit circa 300 Gästen tum Bankett,
das den Schluss des Festes bilden sollte. Es fehlt uns der Raum, auf die z. Th. aus¬
gezeichneten Toaste hier näher einzugehen (es wurden gegen 20 gehalten), die in viel¬
seitigem Bilde der Stimmung Ausdruck gaben, die dieses Fest in allen Tlieilnehmem
wacbgerufen.
Erwähnen wir schliesslich noch die Haller- Ausstellung; sie bestand aus Bildnissen,
Gemälden, Büsten u. dgl., aus gedruckten, der Stadtbibliothek gehörigen Werken, die mit
handschriftlichen Notizen Haller' s versehen sind ; aus Manuscripten und Correejoondenzen
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von Haller oder Haller betreffend (darunter Manuscripte, die leider nicht Bern, sondern der
Biblioteca nazionale di Brera in Mailand und der Biblioteca della Universitate di Pavia
angehören). Mit grösstem Interesse wurden diese Manuscripte, Reliquien, Herbarien,
Präparate etc. in Augenschein genommen, und mit Staunen bewunderte man die riesige
Arbeitskraft des Mannes, dessen Todestag eine so erhebende Feier gefunden hatte.
Möchte die Anregung, die von diesem Feste ausgehen wird, eine recht fruchtbrin¬
gende sein!
Stand der lufections-Krankheiten in Basel.
Vom 11. bis 25. December 1877.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Von Masern sind 148 frische Fälle angemeldet (11, 78, 112), der grösste Theil,
87 (22, 26) auf dem Nordwestplateau , das du'ch Vermittlung der Kleinkinderschulen in
der Missionsstrasse und in der St. Johannvorstadt in seiner ganzen Ausdehnung Erkran¬
kungen aufweist; Birsigtlml 29 (47, 61), Südostplateau 18 (4, 15), Birsthal 7 (1), Klein¬
basel nur 2 (5, 9).
Scharlach nimmt ab; neu angezeigt sind 12 Fälle (6, 23, 25, 19), wovon je 4
vom Nordwestplateau und aus Klcirbasel, 2 Südostplateau, je 1 aus dem Birsigthale und
Birstbale. /
Typhus nur 6 frische Fälle (18, 12, 10), wovon 3 aus Kleinbasel.
Ery si pelas 8 Fälle (7, 7).
Diphtherie 4 fJällc (4, 8).
Von P e r t u s 8 i s feind 5 Erkrankungen angezeigt, 3 aus Kleinbasel, 2 vom Nord¬
westplateau. I
Varicellen 8 Anzeigen, sämmtlich aus Grossbasel.
I Briefkasten.
Die Theilnehmer Cer militär-ärztl. Conferenz in Baden werden ersucht, das circulirende Proto-
coll mit Beförderung w/iterzuspediren I
Frl. Dr. C. F, Hlerm Dr. Lorenz in C...: Soll nach Wunsch besorgt werden. — Prof 0. W.
in Z.: Mit vielem Dany: erhalten. — Herrn Dr. Sch. in Pegli: Herr Schwabe wird Ihre Anfrage direct
beantworten; das in .Mussicht Gestellte soll willkommen sein. — Herrn Dr. Altherr in H.: Mit Dank
constatiren wir die Erfüllung unseres Wunsches. — Herrn Prof. Hagenbach, Herrn Prof. Aeby, Herrn
Prof. Wille. Herrn Prlof. Vogt, Herrn Dr. Seitz: Mit Dank erhalten. — Herrn Prof. Dunant in Genf:
J’attend une rCponse,f pour pouvolr publier le nombre des ätudiants en midecine en Suisae.
In MAX FIJf.LA’a Bnchhandlnng (Otto Knser) in Bern sind soeben in neuer Auflage
erschienen nnd durcln alle Buchhandlungen zu beziehen:
I Aerztliclie Journale
a. Ausgabe fly r Stadtärzte, b. Ausgabe für Landärzte, welche selbst dispensiren.
Dieselben bei stehen ans Titelbogen mit Einleitung, Krankentabellen, Abschluss, statisti¬
schen Tabellen üf ber die behandelten Krankheiten nnd Register mit Ansstandsverzeichniss.
f ’reis elegant und solid gebunden Fr. 20. — paginirt Fr. 21. 50.
Die auf he» tem Schreibpapier gedruckten, in jeder Beziehung elegant ausgestatteten Journale
sind seit beinahe I 10 Jahren eingeführt und haben sich als durchaus praktisch bewährt, wofür mir
der jährlich wacly sende Absatz und die vielen mir zugegangenon Anerkennungen den Beweis liefern.
Den Herren Aer J .ten, welche die Journale noch nicht kennen, stehen Exemplare zur Einsicht zur
Verfügung. I
• a .®' e dieser! Tage von einer hiesigen Firma angezeigten „NeogescbafTenen Patientcn-Jonrnale* 4
sind nichts weite! r, als eine IVa.olialimiinfg' meines Journal für Landärzte, enthalten aber nur
die Krankentabel Uen mit einigen ganz unwesentlichen Abänderungen, während die in meinem Journal
mr Landärzte el nthaltenen übrigen Tabellen, sowie das Register, welches zugleich das Haupt- und
.KasBabuch ersetf zt, gänzlich fehlen. Geeignete Schritte gegen diese Nachahmung behalt« ich mir vor.
Die geelf irten Herren Aerzte ersuche ich höflichst, bevor sie die Nachahmung bestellen, ein
Exemplar inci J ,er Journale zur Einsicht kommen za lassen, ich hin überzeugt, dass der Vergleich
zu meinen G uM nsten ausfallen wird.
Auf WI unsch lasse ich die Journale in jeder beliebigen Stärke, unver billigster Berechnung
der grösseren J Bogenzahl und des Einbandes aufertigen, una bitte in diesem Falle nm genaue Angabe
der gfewünscb ten Bogenzahl.
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Patienten-Journal.
Erklärung und Protest.
Die Buchhandlung Max Fiala (Otto Käser) in Bern erklärt (in Nr. 24 dieses Blattes,
Jahrg. 1877*), anlässlich der Ankündigung ihrer ärztlichen Journale, die neugeschaffenen
Patienten-Journale der Unterzeichneten Firma als eine blosse Nachahmung des Joumales
für Landärzte der Firma Fiala-Käser.
Diese öffentliche Erklärung nöthigt uns zu der nachstehenden Gegenerklärung.
Entworfen wurde sowohl das Patienten-Journal, als auch das Schuldbuch der Firma Lang
& Cie. von dem Unterzeichneten. Ob nun dieses Elaborat eine Neuschaffung oder eine blosse
Nachahmung der Fiala-Käser’schen Formulare sei, das zu entscheiden überlassen wir getrost
sowohl der kritischen Vergleichung als auch den Gerichten. Wir persönlich wollen hier, zur
einstweiligen Rettung unserer angegriffenen Ehre, nur die folgenden Motive veröffentlichen.
Dass das neue Patienten-Journal auf einer grundsätzlicheren und originaleren Basis
steht, als das bisherige Aerztl. Journal, das dürfte aus einer objectiven Vergleichung beider
Bücher, besonders ihrer rechten Seite, schon ziemlich deutlich hervorgehn. Zum Ueberfluss
würde das eingehende Vorwort noch den letzten Zweifel beseitigen. Ob nun ein Buch,
das in einem wichtigen Punkte anders, und zwar rationeller und grundsätzlich klarer, ein¬
gerichtet ist als ein anderes, und da9 diese Aenderungen und die ganze Einrichtungsfrage
erörtert und eingehend motivirt, wovon das andere kein Wort sagt, eine blosse Nachahmung
dieses andern sei, das mag sich ein jeder Leser dieses Blattes selber entscheiden.
Wenn nun allerdings die linke Seite bei beiden Büchern eine grosse Aehnlichkeit zeigt,
so betrifft diese Aehnlichkeit doch nur Nebensachen, nämlich die üblichen Colonnen für Nr.,
Name, Beruf, Alter, Diagnose, Datum, Wohnort. Diese Colonnen sind nicht nur in den meisten
gewöhnlichen Handels- und Geschäftsbüchern gleich vorhanden (mit Ausnahme von Diagnose),
sondern finden sich speziell auch in allen andersfirmigen und ausländische!] Aerztlichen
Journalen, ohne dass diese letztem deswegen den bernischen nachgeahmt worden wären.
Ueberdiess hat die Aehnlichkeit unseres neuen „Patienten-Journales“ mit dem Fiala-
Käser’schen „Journal für Landärzte“ einen sehr einfachen Grund, den wir hier dem gegen
uns in Allarm gebrachten ärztlichen Publikum mittheilen müssen. Die von andern Land¬
ärzten und von uns selber verspürten Mängel des bisherigen Fiala’schen Joumales für Land¬
ärzte veranlassten mich, im Jahre 1872 Herrn Fiala sei. zu bewegen , bei dem damals
unternommenen Neudruck der Bogen da3 landärztliche Formular 80 ZQ Verbessern, wie
es jetzt vorliegt. Wenn also zwei Bücher, die vom gleichen Verfasser herrühren,
einige Aehnlichkeit haben, so ist das nichts als sehr natürlich.
Dass nun diese zwei Bücher nicht auch den gleichen Verleger haben, das ist wieder
nicht meine Schnld, sondern ausschliesslich diejenige des Fiala-Käser’schen Verlages.
Derselbe hat im Sommer 1877 meine wiederholte Offerte, sich mit mir über grundsätzliche
Aenderungen seiner Bücher mit weiterer Verbesserung der Formulare zu verständigen,
abgelehnt. Daraufhin war ich doch wohl berechtigt, meine Projecte durch eine andere
Firma zu realisiren, und diess um so eher, als mir für die veranlasste Verbesserung des
landärztlichen Formulares im Jahre 1872 weder eine Entschädigung bezahlt, noch eine
Verzichtleistung auf weitere Verwerthung dieser Verbesserung, oder auf noch weitergehende
Reformen abgenommen worden ist.
Indem wir diese Thatsachen nothgedrungen zur Kenntniss des ärztlichen Publikums
bringen, bemerken wir, dass wir die uns von der Firma Fiala-Käser öffentlich gemachte
infamirende Zulage der blossen Nachahmung entschieden von der Hand weisen,
und dass wir in dieser Sache in keine weitere Polemik eintreten.
Bern, 20. Dez. 1877. J. Arzt (Kirchberg),
als Verfasser der zwei neuen Bücher und als hiefür verant-
_ wörtlicher Vertreter der Firma Lang & Cie.
*) sowie in einem schon im November an die Aerzte verschickten, nns aber bis heute
unbekannt gebliebenen Circulare.
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Inhalt: 1) Originalarbaltea: Prof. Dr. Ubtrt: SUmplana im Ober-Engadin als Milch- nnd klimatischer Cnrort.
(Sehlass.) — Dr. f. Rokrtr: üeber Nlootinverglftnng. — 2) Vereineberichte: Medicinische Gesellschaft in Basel. — 8) Re¬
ferate and Kritiken: Zitmttm't Handbach der tpeciellen Pathologie nnd Therapie. XV. Bd. Intoxic&tionen. — 4) Can-
tonale Correspondenien: Aargnu, Basel. Teeein, Zürich (Schluss). — 5) Wochenbericht. — 6) Briefkasten.
Orfginal--Ajrl>elteii.
Silvaplana im Ober-Engadin als Milch- und klimatischer Curort.
Von Geheimrath Professor Dr. Lebert in Nizza.
(Schluss.)
IV. Ueber die Indicationen und Gegenindicationen der kli¬
matischen und derMilch-Cur in Silvaplana.
Vor Allem passt diese Combination für die grosse Zahl der Halb-Kranken, für
die, von denen man sagt, dass sie weder krank noch gesund sind. Gerade diese
Patienten bedürfen einer mehr prophylaktischen Stärkungscur, weil eine wenn auch
nicht bedeutende, aber hartnäckige Störung der Ernährung, mit Abnahme der
Kräfte, mit ungewöhnlicher, fast habitueller geistiger und körperlicher Ermüdung,
sehr zu chronischen Krankheiten verschiedener, zum Theil sehr bedenklicher Art,
prädisponirt
Diese Zustände beobachtet man in den Hospitälern wenig, desto häufiger aber
in der Privatpraxis. Bald sind derartige Störungen der Euphorie durch Excesse,
zu reichliche Mahlzeiten, nicht gehörige Mässigkeit im Trinken, durch geschlecht¬
liche Excesse bedingt, bald sind sie unverschuldet, wie bei an und für sich weniger
zu grosser, aber anhaltend bedeutender geistiger Anstrengung, besonders bei un¬
zureichender Bewegung im Freien.
Dieser Zustand der Erschöpfung, in ihrem allerersten Anfang, ist beim weib¬
lichen Geschlecht nicht minder häufig als beim männlichen. Habituell zu reichliche
Menstruation, rasch nach einander folgende Wochenbetten, lange fortgesetztes
Nähren eines Säuglings oder mehrerer nach einander, die so häufigen, sonst un¬
schädlichen Metrorrhagien zur Zeit des Aufhörens der Regeln; zu viel Mühe und
Sorge in der Häuslichkeit, in der Erziehung der Kinder führen bei Frauen nicht
selten jenen Zustand habitueller Uebermüdung herbei, welcher ein häufiger Aus¬
gangspunkt mannigfacher Uterinleiden, anämischer Zustände, selbst der Lungen¬
tuberkulose werden kann. Man muss es gesehen haben, wie solche Männer und
Frauen durch einen längeren Aufenthalt im Hochgebirge förmlich wieder aufblühen,
8
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für längere Zeit wieder vollkommen leistungsfähig werden, um die ganze Wichtig¬
keit dieser Indicationen zu begreifen. Nützt nun diesen Menschen schon das täg¬
lich mehrmals wiederholte Trinken guter Kuhmilch sehr, so muss doch auch die
anregende und stärkende Wirkung der Gebirgsluft noch durch gute und substan¬
tielle Kost, namentlich durch hinreichenden Genuss gut und weich gebratenen
Fleisches unterstützt werden, wobei der treffliche Veltliner Wein auch seine be¬
währten Dienste nicht versagt.
Das Ober-Engadin hat hier noch den Vortheil, dass es gesellige Zerstreuung
hinreichend gewährt und eine grosse Zahl schönster Spaziergänge und Spazier¬
fahrten bietet. Von Silvaplana aus kann man in bequemen Wagen bis weit über
die obere Baumgrenze hinauf fahren, um dann erst in der reinen alpinen Luft
seinen Spaziergang bis an den Fuss der Gletscher zu beginnen. In den Wäldern
aber bieten Lärchenbäume, gewöhnliche und die nirgends so schönen Zirbeltannen,
die Arven ein Arom und eine Vegetation, durch welche das Gehen im Walde ein
wahrhaft genussreiches wird.
Was wir von den zwischen Gesundheit und Krankheit Schwebenden gesagt haben,
gilt ganz besonders auch von der Reconvalescenz schwerer Krankheiten und mehr
vielleicht noch für das Kindes- und Greisenalter, als für die mittleren Jahre und
die Zeit der Kraft. Bei Kindern sind es besonders Scharlach, Diphtherie, Keuch¬
husten, welche bei der Combination von Genuss guter Milch und reiner Bergluft
oft auffallend rasch vollkommene Genesung herbeiführen. Bei Greisen sind es alle
möglichen ernsteren Erkrankungen, besonders aber auch die der Harn- und der Ver¬
dauungsorgane. Von unsern gewöhnlichen Kranken, von nach der Pubertät bis
zum 50.—55. Jahre, ist es vor Allem ein schwerer Typhus, welcher, ohne Hilfe,
oft lange die Convalescenten siech lässt. Noch schlimmer in ihren Folgen sind
Pleuraergüsse mit chronischem Verlauf, deren Resorption zwar endlich beinähe
vollständig ist, aber den Organismus zu jener ausgesprochenen Dystrophie gebracht
hat, deren Folgen nicht selten chronische, bronchopneumonische Heerde sind.
Ebenso sind Milchcur und hohe Bergluft nach chronischer Nephritis oft sehr nütz¬
lich, wobei sich jedoch die Convalescenten sehr vor Erkältung zu hüten und zu
schützen haben.
Nach Wochenbetten erholen sich manche Frauen sehr langsam, andere behalten
noch längere Zeit Residuen puerperaler Erkrankungen. Wie sehr hier Milch und
hohe Bergluft nützen können, leuchtet ein.
Wenn wir jetzt oft in den Zeitungen lesen, wie sehr die Truppen bis zu
den höchsten Offizieren hinauf in den Donauniederungen von der Malaria und von
hartnäckigen Wechselfiebern leiden, und zwar so, dass momentan seit dem Beginn
des Krieges, der Preis des Chinins um mehr als das Doppelte gestiegen ist, so
besitzen wir, nach der einstimmigen Erfahrung der besten Ober-Engadiner Aerzte,
eine nicht hoch genug anzuschlagende Hilfe in dem raschen Schwinden der Malaria-
Cachexie, sobald die Kranken einige Wochen im Ober-Engadin zugebracht haben.
Die sonst so schwierige Heilung ist dann eine bleibende. Wie mancher höhere
russische Officier wird, nach beendigtem Kriege mit den Türken, dieses Klima und
seine heilbringenden Folgen segnen!
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An die eben beschriebenen Zustande sich anschliessend, bieten mannigfache
Nervenstörungen, Anämie, Chlorose oft sehr günstige Heilobjecte der Milch- und
Bergcur, mit welchen sich gerade in Silvaplana bei ausgesprochener Chloroanämie
die St. Moritzer Cur auch sehr passend combiniren lässt.
’ : Vor Allem begegnen wir mannigfachen, oft hartnäckigen Nervenstörungen bei
den oben besprochenen Halb-Kranken, bei den geistig und körperlich sehr Er¬
müdeten. biese Vfcgfen' Störungen, welche oft von psychischer Verstimmung be¬
gleitet sind, weichen in der Regel von selbst, sobald die Ruhe, die stärkende Wir¬
kung und der anregende, angenehme Eindruck des hohen Bergklima’s sich geltend
gemacht haben. Haben sich bereits Hypochondrie und Hysterie in leichtem Grade
entwickelt, so ist eine vernünftige psychische Behandlung, eine sorgsame Hygieine,
welche besonders die freie Zeit zum Grübeln möglichst beschränkt, nothwendig.
Mit Arzneien, wie die Aetherarten, die Baldrianpräparate etc. sei man vorsichtig
und sparsam.
Sehr günstig für den Erfolg der Cur wirkt bei diesen Kranken eine vernünftige,
sehr mässige Hydrotherapie, besonders täglich kalte Waschungen, Abreibungen,
kalte Sitz- oder Halbbäder von sehr kurzer Dauer, kalte Clystiere bei Verstopfung etc.
Noch nicht daran gewöhnten oder sonst widerspenstigen Kranken rathe man zuerst
weniger kalte Abreibungen und setze 5—10% Spiritus, oder einer sonst alkohol¬
reichen Flüssigkeit, wie Cognac, Rhum hinzu. Die höheren Grade der Hypochon¬
drie und der Hysterie werden auch hier nur vorübergehend gebessert.
Handelt es sich um Neuralgien, welche auf Schwäche, Ermüdung, Blutleere
beruhen, so schwinden sie gewöhnlich bei passender Leitung der Cur; dagegen
widerstehen hartnäckige, rheumatische Neuralgien gewöhnlich den hiesigen Cur-
mitteln. Neigung zu Kopfschmerz, zu Migräne, Schlaflosigkeit, oder habituell ge¬
störter Schlaf besseren sich oft rasch hier.
Als Grund mannigfacher katarrhalischer Localisationen und durch sie bedingter
Nervenstörungen ist oft Hautschwäche ein sehr wichtiges Element. Bei steigender
Vorsicht, zum Theil durch dieselbe bedingt, erkälten sich diese Individuen sehr
leicht und durch geringe Veranlassungen. Combinirt man bei diesen Patienten
eine hinreichend lange Bergcur mit mässiger Hydrotherapie, so hat man nicht
selten unerwartete Erfolge. Nach meinen Erfahrungen ist einer der bedeutenden
Vortheile des längeren Aufenthalts im Ober-Engadin die nachhaltig gemehrte
Widerstandsfähigkeit gegen atmosphärische Schädlichkeit und erfahre ich dies an
mir selbst und an den Meinigen nach meinem Aufenthalt in Silvaplana, trotzdem,
dass wir nach dem tropischen Juni aus Italien Anfangs Juli, bei selbst relativ kühler
Witterung, dort angekommen sind.
Man hat bisher wohl St. Moritz und sein herrliches Klima bei atonischer Dys¬
pepsie empfohlen. Das hohe Bergklima aber, mit der Milchcur combinirt, findet
bei Magenkrankheiten eine viel weitere Anwendung. Schon Reisen und Orts¬
wechsel wirken oft günstig auf Verdauungsstörungen. Längerer hoher Bergauf¬
enthalt und passender Milchgenuss, besonders wenn man mit der leichteren Eselin¬
milch beginnt und allmälig zu der nährenderen Kuh- und später zur Schafsmilch
übergeht, können sehr heilsam auf verschiedene Magenneurosen, auf chronischen
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Catarrh, selbst auf Ulcus chronicum ventriculi wirken. Wie oft müssen wir nicht
gerade bei solchen Kranken für mehrere Monate eine absolute Milchcur verordnen?
Wo aber kann man sie besser und mit mehr Auswahl machen, als an einem alpinen
Milchcurort? Ich habo bei schweren Magenkrankheiten, sobald festgestellt war,
dass es sich nicht um ein Carcinom handelte, ganz unerwartete Erfolge, und deren
nioht wenige, von. der Milchcur, beobachtet. Die reine Alpenluft muss nothwendig
diese Wirkung noch erhöhen. Dagegen protestire ich hier wieder, wie bei mancher
früheren Gelegenheit, gegen die jetzige Tendenz, Magenkranke zu reichlich zu
nähren. Mit milder, vorsichtiger, in Quantität und Qualität genau festgesetzter
Diät kommt man hier weiter als mit zu früher reichlicher und substantieller Kost.
Es ist überhaupt an der Zeit, dass man endlich dem Vorurtheil entsagt, dass
unsere Generation eine auffallend blutarme sei. Mit dieser Tradition werfe
man denn auch die Uebertreibungen der Chalybomanie und des Ueberfütterns über
Bord.
Beim Magengeschwür passen Milch* und Bergcur auch sehr gut, wenn die
Patienten nach copiösen Magenblutungen sehr heruntergekommen sind.
Für Magenkranke ist es auch nöthig, Carlsbader Brunnen von guter Qualität
vorräthig zu halten, um täglich kleine Mengen desselben mit der übrigen Cur zu
combiniren. In einer Reihe von Fällen kann das treffliche Tarasper das Carlsbader
Wasser ersetzen; jedoch darf der Magen nicht zu reizbar und namentlich Gastralgie
nicht zu ausgesprochen sein.
Im Ober-Engadin sind Hirnblutungen bei älteren Leuten weder häufiger, noch
seltener, als in der Ebene. Nun bleiben aber bei den von dem Anfall Genesenden oft
Residuen geistiger und körperlicher Schwäche lange zurück. Auf diese wirkt das
hohe Bergklima erfahrungsgemäss günstig und prädisponirt keineswegs zu Rück¬
fällen. Werden wir ja doch bald sehen, dass selbst wiederholte Lungenblutungen
im Ober-Engadin meist bald ganz aufhören.
In ähnlicher Art günstig wirkt unser Klima gegen die Schwäche, welche nach
geheilter oder merklich gebesserter chronischer Nephritis fortbesteht, sowie gegen
die, welche den Diabetes begleitet, ohne jedoch auf die Zuckerausscheidung ein¬
zuwirken. Ebenso nützt die stärkende Alpenluft, mit der Milchcur combinirt, gegen
die Schwäche, welche Folge oft wiederholter hämorrhoidaler oder uteriner Blu¬
tungen ist, denen aber kein organisches Leiden zu Grunde liegt.
Kindern ist der Aufenthalt im Ober-Engadin besonders nützlich, jedoch dürfen
sie nicht zu jung sein und erst vom 3. und 4. Jahre an ertragen die aus der Ebene
kommenden das Klima gut. Auch für sie ist die Milchcur besonders heilsam. Es
fehlt an hinreichender Erfahrung über den Einfluss auf Rachitis. Dagegen steht
der auf Scrofulose fest. Die Ernährung bessert sich, das Aussehen wird ein blühendes;
der oft in der Ebene darniederliegende Appetit wird normal, nicht selten fast zu
gut und das förmliche Leben im Freien während eines grossen Theils des Tages,
die viele Bewegung beim Spielen, beim Spazieren, kräftigt das Muskelsystem. Durch
diese zunehmende Verbesserung der Ernährung, bei längerem Aufenthalt, werden
dann auch selbst die ernsteren Localisationen merklich gebessert. Namentlich
nehmen Fieber und Eiterung ab. In schwereren Fällen kann man auffallende Er-
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folge durch die Comfoination der Luftcur mit dem lange fortgesetzten Gebrauche
des Jodkali oder des Jodeisens erreichen.
Die Tuberculöse der oberflächlichen LymphdrQsen ist eine häufige Compli-
cation der Scropheln, gehört so gut zur eigentlichen Tuberculöse, wie die Infil¬
tration der Bronchial- und MesenterialdrUsen. Dennoch aber ist sie der Kindheit
mehr eigen und, ihrem ganzen Verlaufe, ihrer Entstehung, ihren ätiologischen Mo¬
menten nach, gehört sie mehr zur Scrophulose.
Dass weder Milch noch Alpenluft infiltrirte äussere Lymphdrüsen rasch zur
Resorption bringen, ist selbstverständlich. Der sehr günstige Einfluss auf die Er¬
nährung, das Allgemeinbefinden begünstigt aber das allmälige Kleinerwerden, die
Verschrumpfung, die Verkalkung der Infiltrate, sowie bestehende Drüseneiterung
zwar nicht rasch aufhört, aber doch günstig modificirt wird und deshalb eher zur
Vernarbung gelangt
Wir kommen nun zu einem der wichtigsten Punkte unserer Arbeit, zu der
Frage: was leistet das Klima des Ober-Engadin, allein oder mit der Milchcur
combinirt, gegen Lungenschwindsucht? Schon vor vielen Jahren ist mir von den
besten Engadiner Aerzten und namentlich von dem sehr erfahrenen Dr. Brügger
in St Moritz versichert worden, dass Phthisie nicht nur selten im Engadin vor¬
komme, sondern dass auch die ln der Ebene lungenkrank werdenden Engadiner
oft wieder genesen, wenn sie zur rechten Zeit ihre bergige Heimath aufsuchen und
hinreichend lange in ihr verweilen.
Seitdem ist das Sanatorium in Davos entstanden und hat sich in kaum einem
Jahrzehnt zu einem der besuchtesten und best eingerichteten Curort für Brust¬
kranke gestaltet Leider fehlt es uns aber an allem statistischen Nachweis über
de Davoser Erfolge, sowie namentlich auch an einer grösseren Beobachtungsreihe
Jahre lang controlirter guter Krankengeschichten. Ich selbst habe aber viele Pa¬
tienten gesehen, welche in Davos gewesen sind, und habe mich nicht nur überzeugt,
dass selbst im Winter, bis Anfang März, das dortige Klima von Brustkranken
durchschnittlich gut vertragen wird, sondern dass auch in einer Reihe von nicht
weil vorgerückten Fällen der Einfluss ein nachhaltig günstiger war, während bei
Anderen die physicalischen Zeichen noch fortbestanden, aber das Allgemeinbefinden
merklich gebessert worden war.
Tür das noch merklich höher liegende Ober-Engadin steht schon heute seine
Nützlichkeit als Sommeraufenthalt für Brustkranke fest und wird wohl immer mehr
allgemeine Anerkennung finden. Gerade für diese Patienten ist eine gut einge¬
richtet Milchcuranstalt von grossem Nutzen und kann, bei der Aehnlichkeit der
Surlej-Quelle mit der von Weisscnburg, auch diese später von entschiedenem
Nutzen für diese Kranken werden und Silvaplana in die Reihe der besten hoch¬
alpinen Curorte treten.
Gegen diese schweren Brustkrankheiten giebt es weder ein specifisches Heil¬
mittel, roch einen irgendwie specifisch wirkenden klimatischen Curort. Nur zu oft
nimmt min den in dem natürlichen Verlaufe der Tuberculöse liegenden günstigen
Verlauf für das reine Benefiz des Klimawechsels. Nun habe ich Aehnliohes in
den verscliedensten Klimaten, ja unter den scheinbar ungünstigen Umständen meiner
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Breslauer Kranken der Poliklinik und der Privatpraxis beobachtet. Anderseits
habe ich in klimatischen Curorten nicht selten den Verlauf der Phthise als ebenso
schlimm wie in den Hospitälern kennen gelernt. Mehrfach waren für mich die
besten Erfolge einer Saison zum Theil Gegenstand grosser Besorgniss in der nächst¬
folgenden. Andere habe ich nach merklicher Besserung an verschiedenen kli¬
matischen. Curorten zuletzt doch im vollkommensten Marasmus sterben sehen.
Je erfahrener ein Arzt auf diesem Gebiete ist, desto weniger ist er daher
Optimist
Hat man also auch in unseren Curmitteln im hohen Bergklima, in der Milch-
cur, in dem kalkhaltigen Mineralwasser, durchaus Nichts Specifischcs, ja nicht ein¬
mal etwas absolut Sicheres, so steht es doch heute fest, dass die Grundindicatiop
der Lungentuberculose, besonders in der Anlage, im Beginn, in den nicht zu weit
vorgerückten Stadien, die Verbesserung der Ernährung und des Allgemeinbefindens
ist Die natürliche Tendenz zu günstigem Verlauf für eine Reihe von Patienten
kann also dadurch sehr begünstigt werden, dass man die besten Factoren guter
Hygieine möglichst mit einander combinirt
Vor Allem passt ein längerer Aufenthalt in Silvaplana, mit der Milchcnr com¬
binirt, in den Fällen, in denen nur phthisische Anlage, besonders durch Erblich¬
keit begünstigt ein schlechter Brustbau, häufige Erkältungen und Catarrhe die
Neigung zur Tuberculose bekunden.
Besteht aber auch schon disseminirte, chronische Bronchopneumonie, so sind
es besonders die frühen Stadien, in denen das Uebel noch mehr local ist, auf eine
Spitze, einen Theil eines oberen Lappens beschränkt, welche für die Cur passen..
Blutspeien ist keineswegs eine Gegenanzeige, da es im Gegentheil nicht selten,
nach einer gewissen Hartnäckigkeit in der Ebene, im Ober-Engadin ganz uni
dauernd aufhört. Ein geringes, nicht continuirliches Fieber hört meistens nach
einigen Wochen auf. Je besser das Allgemeinbefinden, oder je weniger tief seue
Störungen, desto geeigneter ist das hohe Bergklima. Indessen auch nachdem es
bereits gelitten hat, nachdem die Krankheit bereits Fortschritte an Ausdehning
und Intensität gemacht hat, kann die Milch- und Bergcur noch entschieden nütsen,
so lange nicht hectisches Fiober, merkliche Abnahme der Kräfte, Höhlenbilding,
auffallende Abmagerung, Durchfall, deutliche, tiefe Kehlkopfsgeschwüre bestehen.
Besteht bereits Neigung zum Stillstand der Krankheit, so wird sie durch uisere
längere Cur begünstigt und kann möglicherweise zur Heilung führen.
Muss man sich bei allen tuberculösen Krankheiten vor zu weit getriebenem
Optimismus hüten, so habe ich doch noch in einer Reihe weiter vorgeschrittener
Fälle mit Abmagerung, ausgedehnten Alterationen, habituellem Fieber merkliche
Besserung und späteren Stillstand, in verschiedenen klimatischen Curorten, nament¬
lich auch in Montreux beobachtet. Es ist daher in den vorgerückteren Stadien
noch die Möglichkeit des günstigen Einflusses gegeben, wiewohl bei ernsterer Pro¬
gnose. In solchen Fällen aber rathe man die Cur mit dem gehörigen prognostischen
Vorbehalt, besonders den Angehörigen gegenüber, aber auch mit der grössten Vor¬
sicht in Bezug auf die Berghygieine.
Sehr günstig wirkt oft die Cur auf chronischen, idiopathischen Uronchial-
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katarrh und zwar ebenso gut, auf die Formen mit relativ geringer Secretion, als
auf die mit täglicher nicht unbeträchtlicher Expectoration. Man sollte glauben,
dass auch einfacher Kehlkopfscatarrh und der mit ihm so oft combinirte granulöse
Rachencatarrh die Cur indiciren. Ludwig aber, dieser sorgsame und gewissenhafte
Beobachter, widerräth unter diesen Umständen den Aufenthalt im Ober-Engadin.
Indessen scheint mir hierüber neue und viel umfangreichere Erfahrung als die
bisherige nothwendig.
Besteht bereits Bronchialerweiterung und ist die Krankheit nicht zu weit vor¬
geschritten, so kann die Cur günstig wirken. Dagegen sei man mit Emphyse-
matikern vorsichtig. Ich habe in den Schweizer Bergdörfern Emphysem häufig
gefunden und scheint es dort nicht selten die Phthise fast zu ersetzen. Die Berg¬
bewohner leiden dann ebenso gut an habitueller, zeitenweise sehr gesteigerter Dys¬
pnoe, wie die Emphysematiker der Ebene.
Dennoch kommt es, bei nicht zu weit vorgerückter Krankheit, auf den Versuch
an. An Emphysem wie an Asthma Leidende vertragen das selbst hohe Bergklima
in einer Reihe von Fällen vortrefflich, in anderen gar nicht. Hier ist eine Probe-
cur von wenigen Wochen am geeignetsten und selbst, wenn eine Localität nicht
gut vertragen wird, kann oft eine andere dem Patienten eine relativ beträchtliche
Euphorie bieten. So kann ein Kranker in Silvaplana sich für Dyspnoe oder Asthma
zieht Wohlbefinden, dagegen in Pontresina Erleichterung finden, und umgekehrt.
Von ganz entschiedenem Nutzen ist die Milch- und Bergcur für die Erkran¬
kungen der Pleura. Besteht noch ein beträchtlicher Erguss, so schicke man die
Patienten nicht in hohe Bergstationen. Ist indessen der Erguss ganz oder zum
grössten Theil resorbirt, so bietet unsere Cur grosse Vortheile. Sie bessert das
Algemeinbefinden, die Lungengymnastik bewirkt bessere Ausdehnung der längere
Zeit comprimirten Lunge und so wird am besten der dystrophirende, zu dissemi-
nirten Bronchopneumonien nicht selten führende Einfluss der chronischen Pleuritis
neotralisirt. Die Kranken kehren dann später gestärkt, mit gutem Allgemeinbefin¬
den mit Geschwundensein der pleuritischen Residuen in ihre Heimath zurück.
Gegenanzeigen. Ludwig stellt organische Herzkrankheiten geradezu als
Gegenanzeige, besonders fettige Entartung der Muskulatur, Dilatation mit Atrophie
des inken Ventrikels, Klappenfehler. Er schliesst hieran Gefässkrankheiten, wie
Aneurysmen, Atherome an.
Rheumatische Erkrankungen der Gelenke, der Muskeln, Arthritis deformans
contrsindiciren den hohen Bergaufenthalt, sowie auch rein rheumatische Neural¬
gien selten gebessert, nicht selten verschlimmert werden. Ganz besonders zu
meiden ist die Cur bei Neigung zu acutem Gelenkrheumatismus. Besteht dagegen
nur rheumatische Anlage, in Folge von Hautschwäche, mit öfteren leichteren rheu¬
matische Localisationen nach häufigen Erkältungen, so kann die Cur entschieden
nützen.
VonBrustkrankheiten bieten in erster Linie vorgerückte Bronchialerweiterung,
ausgesprochenes, vorgerücktes Lungenemphysem eine Contraindication.
Phthise, welche vorgerückt, fieberhaft, bereits von Marasmus begleitet ist, Zer¬
fallsheerde und Cavernen zeigt, sollte nicht im Engadin behandelt werden. Sehr
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contraindicirt ist die Cur, sobald habitueller Durchfall besteht. Auch schwerere
Kehlkopfsleiden der Phthisiker befinden sich im Ober-Engadin nicht gut
Ausser diesen allgemeinen Regeln beachte man auch in jedem Falle die
Art, wie die Milch- und Bergcur ertragen wird. Manche Patienten können
sich in höheren Stationen nicht acclimatisiren; dann schicke man sie nach weni¬
gen Wochen der Beobachtung und der genauen Würdigung aller Erscheinungen
wieder fort.
V. Zeit, Dauer, Vorsichtsmassregeln für die Cur.
Ich bin schon Anfangs Juni bei schönem Wetter im Ober-Engadin gewesen
und habe dann die Blüthenpracht der Flora in vollkommenster Schönheit gefunden.
Gewöhnlich aber ist die Zeit von der zweiten Hälfte Juni bis Ende September
oder Anfangs October die beste. Kranke, welche wählen können, benutzen am
besten die Monate Juli und August. Ein kurzer Bergaufenthalt von wenigen
Wochen hat keinen Zweck. Für gewöhnliche Curen sind 4—6 Wochen die mittlere
Zeit. Wo es sich aber um Modification der ganzen Constitution und der Ernährung
handelt, ist ein 2-3 monatlicher Aufenthalt ganz entschieden zu rathen.
Das Bergklima macht eine Reihe von Vorsichtsmassregeln nothwendig. Sonnige
Lage der Wohnzimmer, ruhige der Schlafzimmer, Heizbarkeit der Wohnung für
die ersten Tage und für spätere kältere ist bei Schwächlichen und ernst Erkrankten
sehr zu rathen. Warme Kleidung ist durchaus nothwendig und besonders selbst
an schönen und warmen Tagen für den Morgen und Abend rathsam. Aber auch
bei leichterer Kleidung in den mittleren Tagesstunden versorge man sich mit
wärmeren Kleidungsstücken gegen die zuweilen raschen Temperatursprünge, gegei
die einzelnen sehr windigen Localitäten, wie der Maloja.
Die Nahrung sei eine reichliche, substantielle, werde jedoch den Verdauungi-
kräften und Gewohnheiten der Kranken angepasst, was besonders für Magea-
erkrankungen wichtig ist. Das Trinkwasser ist vorzüglich und mit Veltliner Wiin
bei den Mahlzeiten gemischt ein sehr zu empfehlendes Getränk. Daran Gewählte
finden auch gutes Bier.
Das Bergsteigen ist stets langsam und mit Vorsicht zu bewerkstelligen, ist
aber nützlich, wo es überhaupt gut vertragen wird und auch bei leichteren Brust¬
krankheiten eine treffliche Lungengymnastik. Combination des Fahrens und Stegens
ist schwächlichen oder sehr verwöhnten Stadtbewohnern zu empfehlen.
Angenehm ist oft der erste Eindruck des Ober-Engadiner Klima’s nicht Ist
man aber, bei den gehörigen Cautelcn, nach einigen Tagen, nach einer Woche
acclimatisirt, so verlässt man später durchschnittlich sehr ungern die stärkende,
herrliche Alpenluft.
In dem sonnenreichen, windstillen aber kalten Winter bietet Silvaplan* wohl
alle die Vortheile des bewährten Davos. Vielleicht wird auch später diesjr Auf¬
enthalt Gunst bei den Aerzten und dem Publikum finden. Dazu aber geh5rt Zeit.
Eine Wintercuranstalt in hohen Bergen improvisirt sich nicht und hat Pavos ja
auch zehn Jahre gebraucht, um das zu werden, was es ist.
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Ueber Nicotinvergiftung.
Mitgetheilt von Dr. F. Roh rer in Riesbach.
Folgender Fall von Intoxication durch Abusus der „Nicotiana Tabacum“ ver¬
dient seines typischen Verhaltens wegen. veröffentlicht zu werden und mögen
im Anschluss daran einige Bemerkungen über Nicotin Vergiftung überhaupt am
Platze sein.
Am 1. 8ept. d. J. wurde ich um schleunigsten Besuch bei einem Herrn X., Architekt,
gebeten, welcher einen Scblaganfall erlitten haben soll. Ich fand in dem Kranken einen mittel-
grossen, kräftigen, jungen Mann von 26 Jahren. Patient lag halb angekleidet im Lehnstuhl.
Augen halb geschlossen. Gesichtsfarbe blass, fast fahl; Gesichtsausdruck schlaff, leidend.
Keine Zeichen von Parese oder Paralyse im Bereich der Gesicbtsmuskeln. Respiration selten,
tief, unter Mitwirkung der Auxiliarmuskeln. — „Lufthunger.“ Patient giebt auf Befragen nach
einigem Besinnen Antwort und esergiebtdie Anamnese ziemliche Anhaltspunkte über die Ur¬
sache des vorhandenen Zustandes. Patient hatte in den letzten 8 Tagen einen Ausflug ge¬
macht und dabei in Bacho etwas excedirt, dazu aber jeden Tag ein ganzes Paket der
bekannten starken Cigarren „Vevey court“, sogen. „Bous“, geraucht und hie und da noch
einige andere Cigarren zwischen hinein. Wenn auch an's Rauchen gewöhnt, ging diese-
raucherische Kraftleistung über das Maass des zu Ertragenden hinaus. Herr X kehrte
etwas unwohl am 81. August nach Hause. Die Nacht verbrachte er schlaflos. Uebel-
keit, wiederholtes Erbrechen stellte sich ein, dazu ein iutensiver Kopfschmerz im ganzen
Kopf, heftiger Schwindel, Angstgefühl, Beklemmung, Zittern. Mit grosser Mühe war
Patient im Stande sich am folgenden Vormittag in’s Wohnzimmer zu begeben. Dort trat
bald ein so heftiger Schwindelanfall ein, dass Patient taumelte und umzusinken drohte.
Zum Lehnstuhl geführt stellte sich eine Art Ohnmacht ein, die sich bald hob, jedoch
grosses Schwächegefühl, Schwindel und Athemnoth zurückliess. Patient hat nur die ge¬
wöhnlichsten Kinderkrankheiten durchgemacht, war sonst nie krank, sondern immer ganz
kräftig und gesund; ist verheirathet und Vater eines gesunden Kindes. Excesse in
Bacho und Tabaco in frühem Zeiten werden negirt
8tatue praesens ergibt: Blasse, eher fable Hautfarbe. Stirne kühl mit wenig klebrigem
Schweiss bedeckt. Pupillen etwas verengt, träge reagirend. Keine Ptosis. Keine Fa-
cialislähmung. Zunge wird gerade herausgestreckt, ist stark weisB belegt, zur Tröckne
neigend, stark zitternd, ebenso die ausgestreckten Hände. Respiration verlangsamt, circa
12 in der Minute, einige oberflächlichere Athemzüge mit einer einzelnen tiefem Respira¬
tion abwechselnd. Die Auxiliarmuskeln des Halses und Abdomens sind mäasig stark in
Action. Mit der tiefen Respiration eine schnappende Bewegung des Mundes. — Luft¬
hunger. — Herzchoc nicht sichtbar noch fühlbar. Am Abdomen nichts besonderes. Keine
Oedeme oder Exantheme. Das Gehen ist gestört. Patient kann kaum stehen und nur
bei Unterstützung gehen, wegen beständigem, starkem Schwindel.
Der Puls ist vnrlangsamt 60 Schläge in der Minute, unregelmässig, inter-
mittirend, die Arterie wenig gespannt Blutwelle klein. Herzdämpfung normal, Herz¬
töne schwach, keine organischen Geräusche, dagegen ein feines, brodelndes Blasen an der
Herzbasis uud an den grossen Halsvenen. Dagegen kein eigentliches Nonengeräusch.
Auf den Lungen nichts nachzuweisen. Abdomen weich, wenig ballonirt
Temperatur 36,8°. Urin spärlich, leicht sedimentirend (Urate). Kein Ei weise. Stuhl
retardirt Appetitlosigkeit.
Subjective Angaben sind im Uebrigen in der Anamnese enthalten. Patient wurde
in’s Bett gebracht Erhält Kaltwasserumschläge auf den Kopf, Schwarztheo mit etwas
Rhum de Jamaica, zwischen hinein schwarzen Cafö.
Chinin, mur. 0,ö, morph. mur. 0,01 Abends unter 2 Malen. Tags Über einige kleinere
Gaben Chloralhydrat
Die Nacht verlief schlaflos. Nachts 11 Uhr und Morgens 2 Uhr traten stärkere
Zufälle von Schwindel, Athemnoth, Beklemmung auf, beinahe unter dem Bild der „Angina
pectoris 8 . Noch einige Mal Brechen und Würgen.
2. Sept Wenig Besserung. Puls immer noch unregelmässig. Tremor der Hände und
Zunge. Kein Stuhl, Urin wie gestern. Ord. Karlsbadersalz.
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3. Sept. Nacht war etwas besser, aber immer noch unruhig. Abends 11 Uhr eiu
etwas schwächerer Anfall von Prsccordialangst. Nach Mitternacht etwas Schlaf. Kopf¬
weh geringer.
4. Sept. Ziemliche Besserung. Abends 11 Uhr wieder der gleiche Anfall, aber in
schwächerm Maasse. Nachher mehrere Stunden Schlaf. Oeffnung ist erfolgt. Der Urin
hellt sich auf.
Im Laufe von 8 Tagen hoben sich hei stets gleicher Medication und ruhiger Bett¬
lage alle bedrohlichen Erscheinungen. Der Puls wurde regelmässiger und hob sich auf
die normale Frequenz der Schläge; auch die Respiration hob sich. Der Appetit stellte
sich allmälig ein. Der 8chlaf wurde gut Der Tremor der Zuuge und Hände hörte
auf. Das Kopfweh stellte nur selten noch sich ein. Kraft kehrt zurück. Patient ver¬
lässt das Bett. Müdigkeit, Neigung zu Kopfschmerz, leichte Blässe hielt noch an bis gegen
Ende September. Noch in der 2. Krankheitswoche, als Patient täglich aufstand, stellten
sich noch einige Mal, wenn auch viel milder, die früher geschilderten Anfälle von
Schwindel und Athemnoth ein. Das Oedächtniss und die Intelligenz haben nicht gelitten.
Patient konnte in der 3. Woche bereits etwas arbeiten. Zur gänzlichen Erholung
wurde eine Luft- und Milchcur im Toggenburg verordnet.
Wir haben es hier ohne Zweifel mit einer Intoxication durch über¬
mässigen G e n u 8 8 des Tabaks zu thun. Es stimmen die Erscheinungen
vollkommen mit dem Bilde, das die verschiedenen Autoren von der Tabaksver¬
giftung geben. Abgesehen von dem acuten Nicotismus, den jeder angohende
Raucher in mehr oder weniger schwerer Form wohl einmal durchgemacht hat*
welcher im „Tobaklied“ beginnt: „Und freut sich sehr, an der Stadtmauer, bei
seiner Pfeif Tobak“ und im Fuchsenlied drastisch endet: „O weh wie wird ihm
schlecht, o weh wie wird ihm ledere schlecht,“ können auch ernstere Folgen ein-
treten. Schroff erwähnt einen Fall, wo zwei Pfeifen Tabak den Tod bewirkten.
So 6tarb in Derby ein 14jähriger Knabe, welcher, um sich die Zahnschmerzen zu
vertreiben, nicht mehr als für 15 Centimes Tabak geraucht hatte. Tardieu erzählt
einen Fall von Tabaksrauchvergiftung, wobei ein Soldat, der gewöhnlich 3—4 Pfeifen
im Tage rauchte, in Folge einer Wette an einem Nachmittage 25 Pfeifen rauchte.
Der Mann war ein paar Stunden ganz betäubt und besinnungslos und kam erst
nach heftigem Erbrechen, wogegen man Molken einflösste, wieder zur Besinnung.
Der Mann litt noch l'/a Jahre hindurch an Kopfschmerzen und Schwindel, die sich
zwischendurch mit grosser Heftigkeit einstellten. Seit jener Zeit hatte er einen
entschiedenen Widerwillen gegen Tabaksrauch.
Hauptsymptome des acuten Nicotismus sind Kopfschmerz, Uebelkeit, Schwindel,
blasse Gesichtsfarbe, Frösteln, Zittern, Erbrechen, Verlangsamung des Pulses und
der Respiration, in letal endigenden Fällen Collapsus, Stupor, Convulsionen. Im
Weitern wurden beobachtet Ohrensausen, Zunahme der Speichel- und Harn-
secretion, Rauscherscheinungen, Abnahme der Willensthätigkeit, Störungen der Cir-
culation und schliesslich Kolik, seröse Durchfälle, profuse Schweisse und allgemeine
Prostration.
Ausser den Vergiftungen durch übermässiges Tabakrauchen, wurden solche beob¬
achtet bei der therapeutischen Benutzung des Tabaks, besonders bei Anwendung
von Clystiren aus einer Abkochung trockener Tabaksblätter. Tardieu erwähnt, dass
8 grmm. bei einem 14jährigen Individuum, 30 oder 40 — 60 grmm. bei Erwachsenen
tödtlich ablaufende Vergiftungen bewirkt haben. Auch die äusserliche Anwendung
des Tabaks kann ernste Zufälle bewirken. Es werden mehrere Fälle erwähnt, wo
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das Auflegen der Tabaksblätter auf die blosse Haut Vergiftungserscheinungen her¬
vorrief. Das Gleiche geschah in Folge Aufstreichens von Succus Nicotianse auf
einen chronischen Ausschlag am Hals, durch Anwendung von einer Abkochung
von Tabak mit schwarzer Seife bei einem kräzeartigcn Ausschlag, in mehreren
andern Fällen, wo nässende Hautausscbläge oder offene Wunden mit Tabaksaft
oder Pulver bestreut wurden, bei Umschlägen mit warmem Tabaksdecoct auf die
unverletzte Haut.
Der chronische Nicotismus verläuft unter ähnlichen Symptomen,bloss
sind dieselben schwächer und von kürzerer Dauer. Blatin (Bull, de Tb4r. LXXV11I
18,70) bemerkt als eine fast characteristische Erscheinung die Intermittenz des
Pulses. Ebenso ist der Genuss des Tabaks in vielen Fällen höchst wahrschein¬
lich die Ursache von Angina pectoris, die bekanntlich bei Männern bei
weitem häufiger auftritt als bei Frauen, die sich selten dem Tabaksgenuss ergeben.
Nach J. Forbet kamen von 88 Fällen 80 auf Männer, 8 auf Frauen; Lartigue zählte
60 Fälle bei Männern, 7 bei Frauen. Mit den Störungen im Kreislauf sind ge¬
wöhnlich solche der Athmnng verbunden, besonders Verlangsamung der¬
selben bis zur Dyspnoe, öfters auch Schmerzen am Thorax, ähnlich wie
bei Pleuritis, welche als Folge erhöhter Muskelanstrengung oder neuralgischer
Irradiationen aufgefasst werden. Schliesslich hebt Verfasser noch hervor, die
durch Missbrauch des Tabaks so häufig eintretende Schwächung des Ge¬
dächtnisses.
Lefevre constatirt (Bull. g£n. de th£r. 1871), dass in allen Ländern ein gerades
Verhältniss zwischen dem Tabaksconsum und der Anzahl der an allgemeiner Hirn¬
lähmung Erkrankten existirt
Der chronische Nicotismus kommt ziemlich häufig zur Beobachtung. Die
Kranken melden sich gewöhnlich mit den bekannten Beschwerden des chronischen
Magen-Darmcatarrhs, daneben aber klagen sie meistens über Störung der Respi¬
ration — Insufficienz der Athmung; öfters auch werden die oben erwähnten neu¬
ralgischen Schmerzen beobachtet, immer wird man die Veränderung der Herz-
thätigkeit constatiren können. Namentlich der intermittirende Puls treibt manchmal
ängstliche Selbstbeobachter zum Arzt, der nach Ausschluss einer organischen
Herzaffection als Aetiologie dieser Erscheinung sehr häufig den Missbrauch des
Tabaks finden wird. In einer Reihe von Fällen fand ich als Ursache von Beklem¬
mung , Prtecordialangst, psychischer Depression, gestörtem Schlaf, den über¬
mässigen Tabaksconsum.
Die Symptome des Nicotismus sind wohl zum grössten Theil als Folge der
Einwirkung des „Nicotins“ aufzufassen, wenn auch einige Erscheinungen beim
Tabakrauchen auf Rechnung der Verbrennungsproducte (trockene Destillation) des
Tabakskrautes zu setzen sind. Das Nicotin wirkt nach Angabe der verschiedenen
Autoren zusammenziehend auf die Gefässmuskeln; diesem Umstande ist das bei
den Vergiftungen entstehende Zittern und der Schwindel zuzuschreiben. In gewissen
schweren Fällen der Vergiftung zeigen die Kranken Erscheinungen von Gebirncon-
gestion; es folgt hier der Periode der Contraction (des Schwindels) die der Er¬
weiterung, der Congestion. Das Herz bietet bei Vergiftung durch Tabak dieselben
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Zeichen der Vagus-Paralyse dar, wie man es bei mit Nicotin vergifteten Thieren
beobachtet: Intermittenz und Unregelmässigkeit der Schläge, äusserste Behinderung
und Verlangsamung der Athmung, peinliches Zusammenschnüren, ausgeprägteste
Erscheinungen von Angina pectoris. Das Erbrechen geschieht nur ausnahms¬
weise durch directe Reizung des Magens, wenn nämlich der Speichel verschluckt
wird, vielmehr durch Einwirkung auf den Vagus (Dr. Biotin , Bull, de Thdr. 75,
1870).
Das „Journal des connaiss. mddicales“ bringt folgende Bemerkung Ober die
Wirkung des Nicotin auf den lebenden Organismus. Das Nicotin übt eine Special¬
action auf die Medulla oblongata und die von ihr ausgehenden Nervenstämme aus.
In kleinen Dosen wirkt es excitirend, in hohen zerstört es die Excitabilität der
genannten Nerventheile; auf diese Weise vermag es die regulatorischen Nerven
des Herzens und der grossen Gefässe zu erregen oder zu lähmen. Es beherrscht
in gleicher Weise die Functionen der Respiration durch seine Einwirkung auf den
Nerv, vagus und das intermediäre Fascikel der Medulla oblongata. Auch der
grosse Nerv. Sympathicus wird durch das Nicotin beeinflusst, wodurch sich seine
Einwirkung auf den Magen und den Darm erstreckt.
Das Nicotin ist den vasculären Herzgiften anzureihen, die gleichzeitig auf das
Herz und die Gefässe einwirken. — Die Behandlung des Nicotismus soll nach
Tardieu eine symptomatische sein, ausserdem aber sei ein unschädliches Mittel an-
zuwendep, wodurch das eingeführte Nicotin gebunden wird. Hiefür empfiehlt er
Tannin oder in dessen Ermanglung sonst ein Adstringens, wie etwa einen con-
centrirten Aufguss von Thee, von grünem ungerösteten Caffee, von Eichenrinde,
von Chinarinde, von Galläpfeln. Vor Allem aber sei man bemüht, das noch nicht
resorbirte Gift aus dem Körper fortzuschaffen, indem man das Erbrechen anregt
oder unterstützt. In einzelnen Fällen dürfte die Anwendung der Schlundsonde an¬
gezeigt sein, besonders wo es sich darum handelt, eine genossene Abkochung von
Tabakskraut möglichst rasch aus dem Magen zu entfernen. Subcutane Einspritzung
von Apomorphin dürfte auch in manchen Fällen gute Dienste leisten.
Gegen die intensiven Kopfschmerzen, die Dyspnoe, Beklemmung, das Angst¬
gefühl, die Schlaflosigkeit mögen leichte Dosen von Chloralhydrat oder Morphium
versucht werden. Oefters erfolgt auch Erleichterung bei Anwendung kalter Um¬
schläge auf die Herzgegend.
In letzten Tagen sind mir noch zwei unzweifelhafte Fälle von Nicotismus be¬
kannt geworden, welche zufällig bei zwei Herren Collegen selbst vorgekommen
sind. Im einen Fall bestand Pulsverlangsamung und Intermittenz in ausgesprochen¬
stem Maasse, daneben alle Erscheinungen von Angina pectoris — die Krankheit wurde
als Neurose des Herzens aufgefasst, zeigte sich jedoch ganz deutlich als durch
Nicotismus bedingte Intoxication.
Im andern Fall bestand stürmische Herzaction mit Intermittenz des Pulses,
typisch auftretende Anfälle von Stenocardie, lange resultatlose Behandlung mit
Chinin und sofortige Besserung nach Beseitigung des Nocens, d. h. nachdem das
Tabakranchen unterlassen wurde-
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V ereinstoeriolite,
Medicinische Gesellschaft in Basel.
8. Sitzung, den 3. Mai 1877.
Anwesend 29 Mitglieder und 2 Gäste.
Fall von Ectopie der Harnblase. Prof. Uagenbach-Burckhardt stellt
einen zweijährigen Knaben vor mit totaler Epispadie und Ectopie der Harnblase.
Er bespricht kurz die Pathogenese und bekennt sich wenigstens für den vorliegen¬
den Fall wegen Vorhandensein einer Epidermisbrücke am obern Ende des Spaltes
znr Annahme von Thiertch , nach welcher die Ectopie der Blase erst nachträglich
durch Platzen der Allantois und der schon geschlossenen Bauchwand zu Stande kommt.
Darauf geht der Vortragende zur Therapie des vorliegenden Zustandes über.
Schon seit langer Zeit begnügte man sich nicht mit Anlegung einer Kapsel, die
mit einem Harnrecipienten in Verbindung steht Man versuchte die Ureteren in
den Mastdarm einmünden zu lassen, was aber sozusagen immer misslang.
Prof. Demme , Vater, legte Pelotten beidseits auf den offenstehenden Arcus
pubis an, stülpte dadurch die Blase etwas nach innen ein und bewirkte so eine
Tasche, die wenigstens etwas aufnehmen konnte. Die eigentlich operative Behand¬
lung, die darauf ausging, durch Lappenbildung die Rinne zu schliessen, was auch
in einigen Fällen gelang, gewann erst seit Thiertch neue Bedeutung.
Derselbe schliesst zuerst die Rinne der Glans penis, nach einiger Zeit die
Rinne des Penis -selbst und schliesslich durch Lappen aus der Bauchhaut die
Blasenspalte. Das ganze Heilverfahren dauert beiläufig ein Jahr. Es soll auch
im vorliegenden Falle danach gehandelt werden.
Prof. Roth hält die von üagenbach für die Aetiologie verwertheto, mit Epider¬
mis bedeckte Stelle im vorliegenden Falle nicht für Cutis, sondern für in Folge
äusserer Insulte verhornte Schleimhaut.
Prof. Hoffmatm spricht sich für die Ansicht von Thiertch aus.
Fall von Schussverletzung in der Herzgegend. Prof. Socin gibt
folgende Krankengeschichte, deren lebendes und gesundes Object er zugleich vorstellt:
Der 15jährige Ausläufer B. wurde am 23. Februar ins Spital gebracht, nach¬
dem er 2 Stunden vorher im Hause seines Arbeitgebers gefunden wurde, bewusst¬
los am Boden liegend, aus 2 Wunden mässig blutend, einige Schritte daneben ein
Revolver mit 2 abgeschossenen Schüssen. Wie lange der Knabe so gelegen, wie
das Unglück geschehen, wie viel Blut verloren gegangen, konnte nicht mit Be¬
stimmtheit eruirt werden und muss auch jetzt noch dahingestellt bleiben.
Bei der Aufnahme fiel sofort der hohe Grad von acuter Antemie auf: Ge¬
sichtsfarbe wachsbleich, Lippen livid, Extremitäten kühl, leichte Dyspnoe, Puls 60,
sehr klein. Bewusstsein klar, bei raschen Bewegungen Schwindel und Ohnmachts¬
anwandlungen.
Die eine Wunde befand sich an der linken Hand; die Kugel war zwischen
I. und II. Metacarpns, ohne die Knochen zu berühren, durchgegangen; diese Wunde
heilte unter Litter 'schein Verband per primam und hat weiter kein Interesse.
Viel ernster war die zweite Verletzung. Fast genau an der Stelle des Herz-
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spitzenstosses, zwischen 5. und 6. Rippe links, nach innen von der Mammlllarllnle,
zeigte die Brustwand eine erbsengrosse, rundliche, mit Blutcoagulis verstopfte
Wunde.
Es war zweifellos, dass entweder das gleiche Projectil, das die linke Iland
durchbohrt hatte, oder ein anderes hier eingedrungen, und da nirgends sich eine
Ausgangswunde vorfand, irgendwo in der Brust stecken geblieben war. 1
Bei der Percussion war links oben normaler Schall, von der II. Rippe an bis
zur kaum wahrnehmbaren Herzdämpfung fand sich schwach tympänitischer Schall.
Hinten oben links voller Schall, von der Spina scapulae nach abwärts tympanitb-
scher Schall, der nach unten gedämpfter werdend schliesslich in ganz leeren Schall
überging. <
Die Auscultation erwies an der linken Lungenspitze schwaches unbestimmtes
Athmen, weiter unten, sowohl vorn als hinten, war Athemgeräusch und Stimm-
fremitus durchaus aufgehoben, kein Reiben, kein SucussionsgeräusCh. 1
Der Herzchoc fehlte gänzlich , die Herztöne Waren sehr schwach, abet rein.
Rechts fanden sich durchaus normale Verhältnisse.
Es war kein Zweifel, dass wir es mit einem traumatischen Haemato-Pneumo-
thorax zu thun hatten und dass die Diagnose auf penetrirende Lungenschusswunde
zu lauten hatte. Die anatomische Loge der Wunde Hess natürlich die Möglichkeit
einer Herzverletzung zu; der directe Nachweis derselben war aber nicht beizu¬
bringen. '
Die Therapie bestand in litter' schein Verband der Wunden, absoluter Ruhe
in horizontaler Rückenlage, Einpackung der linken Brusthälfte in Eisblasen, Ana-
leptica innerlich. "
In den nächsten Stunden verschlimmerte sich der Zustand des Patienten : der
Puls wurde viel schwächer, etwas frequenter (82), die linke Thoraxhälfte wurde
mehr vorgewölbt; es war klar, auch ohne genaue Untersuchung; die in diesem
Augenblicke wohl nicht ungefährlich gewesen wäre, dass die innere Blütung fort¬
dauerte. Der Pat. wurde immer unruhiger, klagte über Schmerzen iitt Rücken, die
Dyspnoe steigerte sich und Abends bei einer Hustenbewegung ergoss sich ein
Schwall arteriellen Blutes aus der Wunde heraus. Temp. 36,8. Therapie: Ergotin
und Morphium subcutan.
Am folgenden Morgen — 24. Februar — war der Allgemeinzustand'nach einer
ziemlich ruhigen Nacht eher etwas besser, der Puls schwankte zwischen 88 und
116, die Respiration war beschleunigt; eine eingehendere Untersuchung wurde
unterlassen, die Therapie war dieselbe wie am Tage vorher.
Am 25. Februar konnte eine genaue Exploration wieder vorgenommen werden.
Der tympanitische Schall war nur noch vorn und in viel geringerer Ausdehnung
vorhanden; hinten überall Dämpfung, oben mit Bronchialathmen, unten ohne Athem¬
geräusch, der Herzstoss fehlte, die Herztöne waren rein.
Offenbar war die linke Brusthälfte so ziemlich mit Flüssigkeit — wohl Blut —
angefüllt, die Lunge comprimirt, die ausgetretene Luft zum grössten Theil resor-
birt. Abends 38,0, Puls 120.
Am folgenden Tage war deutliches pericardiales Reiben wahrnehmbar, an des-
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sen Stelle nach einigen Tagen eine bedeutende bis 2 Zoll über den rechten Sternal-
rand reichende Dämpfung trat
Bis zum 23. März nun blieb bei mässigem Fieber der ganze Zustand des Pat.
ungefähr derselbe. Dann aber nahm das Exsudat sowohl im Herzbeutel als in
der Pleurahöhle rasch ab, das Allgemeinbefinden des Pat. besserte sich langsam.
Am 2. April konnte derselbe aufstehen, am 11. April schlug die Herzspitze genau
an der Stelle der nun gänzlich vernarbten Wunde der Brustwand.
Die Kugel wurde in der Rückenmusculatur vermuthet, aber mit Unrecht; denn
als am 15. April der Pat. sich zufällig bückte, fühlte er einen harten Gegenstand
in der Tiefe des Schlundes, der ihn zum heftigen Husten nöthigte, wobei die Kugel
ihm aus dem Munde flog; nach einigen Minuten folgte noch etwa ein Esslöffel
hellrothen Blutes, was aber den Pat. in seinem Wohlbefinden durchaus nicht störte.
Jetzt ist die Sache bis auf eine etwas verbreiterte Herzdämpfung in integrum re-
Btituirt.
Prof. & knüpft an diesen Fall einige Bemerkungen über Diagnose und Prognose
der Herz Verletzungen, welche von vielen modernen Autoren gar zu kurz abgehan¬
delt werden. Für die Diagnose, welche in gut verlaufenden Fällen immer un¬
sicher bleibt, geben die anatomische Lage der Verletzung, sowie das Auftreten
von Pericarditis im weiteren Verlaufe die wichtigsten Anhaltspunkte; die Sonden¬
untersuchung kann nur schaden und ist streng verboten. Die Prognose ist
nicht so schlimm als man gewöhnlich annimmi Nach S. Fitcher geben die eigent¬
lichen Herzwunden 10%. die Herzbeutelverletznngen 30% sichere, d. h. durch spä¬
tere Sectionen nachgewiesene, Heilungen. Speciell für die Schusswunden ist das
Verhältniss ungünstiger: 8,4%- — I“ dem demonstrirten Fall ist S. geneigt, neben
der sicher constatirten Lungen- und Pleuraverletzung, eine Verletzung des Peri-
cardium anzunehmen, für welche die Lage der Wunde und das Auftreten der
Pericarditis sprechen. Jedoch ist eine Verletzung des Herzfleisches selbst nicht
sicher auszuschliessen.
Herr Prof. Hoffmann macht Mittheilung von zwei Herzverletzungen, die bei An¬
lass der Metzelei in der Strafanstalt im vorigen Jahr vorgekommen waren: bei
dem einen Fall war ein Dolchmesser mit einer äusserlichen Wunde von 3—4 cm.
in den linken Ventrikel gebohrt und gedreht worden, dennoch lebte der Vorletzte
noch in ordentlichem Zustand circa 5 Minuten. Beim zweiten Fall war durch
einen Selbstmordschuss der linke Ventrikel ganz zertrümmert, was sofortigen Tod
zur Folge hatte.
Prof. Immermann bemerkt, dass aus dem Auftreten der Pericarditis nicht noth-
wendig eine Verletzung des Pericards dürfe geschlossen werden, da der Herzbeutel
sich sehr leicht bei einer Entzündung der Pleura mitbetheilige, worauf Prof. Söcin
erwidert, dass Fieber erst mit Auftreten der Pericarditis gekommen sei, während
bei irgend stärkerer Betheiligung der Pleura, was übrigens gerade bei kleineren
Schusswunden nicht eben häufig sei, doch schon vorher höhere Temperaturen
müssten dagewesen sein.
Dr. Ronus erinnert an den Fall von Dr. Sander in Barmen, welcher beim An¬
kleiden einen Hemdenknopf aspirirte, darauf ein Jahr lang an bedeutender chroni-
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scher Pneumonie litt, schliesslich aber, nachdem er das corpus delicti ansgehustet
hatte, vollständig genas.
Dr. Fiechler , der den Kranken zuerst gesehen, sagt, derselbe habe durch die
Hautwunde kein Blut verloren; er bespricht darauf noch einige Puncte der Pro¬
gnose der Herzverletzungen.
Zur Prothese des Unterkiefers. Prof. Socin stellt eine Pat vor, bei
welcher wegen Osteosarcom des Unterkiefers dieser Knochen vom 1. Molarzahn
links bis zum Schneidezahn rechts resecirt wurde. Nach Heilung der Wunde
blieb, wie in allen ähnlichen Fällen, eine bedeutende Entstellung und Functions¬
störung zurück, da die noch übrigen Unterkieferäste stark nach der Mundhöhle sich
dislocirt hatten, so dass das Kauen unmöglich und die Sprache sehr undeutlich
war. Mit Hülfe von Herrn Zahnarzt Heyer in Basel wurde nun eine orthopädische
Behandlung eingeleitet, die zuerst in der mechanischen Geradrichtung der Unter¬
kieferäste bestand. Nachdem dies mit vieler Mühe erreicht worden war, konnte
ein künstliches, mit Zähnen versehenes Unterkieferstück eingesetzt werden, mittels
welchem, wie die Demonstration zeigt, nicht nur die äussere Form hergestellt, son¬
dern auch Kauen und deutliches Sprechen ermöglicht ist.
Messungen der Capacität der Harnblase. Prof. Hoffmatm macht
Mittheilung über das Ergebniss einer Anzahl von Messungen der Capacität der
Harnblase; diese Messungen wurden von dem Vortragenden selbst an über 200
Leichen ausgeführt und auf dessen Bitte hin im hiesigen Bürgerspital auch in
120 Fällen am Lebenden angestellt. Es ergab sich dabei, dass bei beiden Ge¬
schlechtern die Capacität der Harnblase annähernd dieselbe ist, nämlich im Durch¬
schnitt :
An der Leiche. Am Lebenden.
Bei Männern 735 cc. 700 cc.
Bei Weibern 680 „ 650 „
Aus der guten Uebereinstimmung der Zahlen schliesst der Vortragende auf
die Richtigkeit und Beweiskraft der angestellten Versuche. Eine ausführliche Mit¬
theilung behält sich der Vortragende vor.
9. Sitzung, den 17. Mai 1877.
Anwesend 25 Mitglieder und 2 Gäste.
Dr. Fritz Müller zeigt zwei Hühnchen mit 4 Beinen und 2 Flügeln und
ein Entchen mit 3 Beinen und 2 Flügeln vor, alles Spirituspräparate aus
Brasilien.
Vortrag von Prof. Hagenbach über die Anwendung des salicylsauren
Natrons in fieberhaften Krankheiten des kindlichen Alters. (In
extenso mitgetheilt im Corr.-Bl f. schweizer Aerzte 1877, pag. 449.)
Prof. Massini führt einen Theil der unangenehmen Nebenwirkungen auf eine
partielle Bindung und Zerstörung des Hämoglobins durch die Salicylsäure zurück;
er macht besonders aufmerksam auf die constante Erhöhung der Respiration und
auf die nicht selten eintretenden Transsudationen. Mastini hält daher die fortge¬
setzte Anwendung der Salicylsäure nicht für sehr rathsam, da sie wie öftere klei-
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nere Blutentziehungen wirke. Er beruft sich dabei auf die jetzt herrschende grös¬
sere Typhusmortalität im Basler Spital.
Dr. Ronus entgegnet, über eine grössere Sterblichkeit könne man jetzt wenig¬
stens noch nichts aussagen. Er selbst hat besonders von einer Abwechslung von
Chinin und Salicylsäure sehr gute Erfolge gesehen. Allein beim Erysipelas scheint
Chinin besser zu wirken.
Fall von Gastrotomie, ausgeführt von Dr. Courvomer in Riehen. (Siehe
Corr.-Blatt 1877, S. 698.)
Dr. Barth , welcher der Kemeuifschen Operation in Paris beiwohnte, citirt die
Vorschrift Vemeuif s, es sei die kleine Curvatur als der ruhigste Theil des Magens
zu eröffnen.
Prof. Roth erinnert daran, dass in normalen Verhältnissen der Pylorus ziemlich
genau senkrecht unter dem Processus xiphoideus liegt.
Dr. Courvoisier weist auf die gewöhnlich bei den zur Operation kommenden
Fällen vorhandene Schrumpfung des Magens hin; auch könne man wegen des
Rippenbogens nicht weiter nach links gehen.
Dr. Münch , Assistenzarzt der chirurgischen Klinik, zeigt den Thermocauter
des Dr. PaqueHn vor und erklärt dessen Construction und Anwendung.
Referate und Kritiken.
Ziemssen’s Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie. XV. Band. Intoxicationen.
Leipzig, Verlag von Vogel.
Ein stattlicher Band von 688 Seiten, an dessen Ausstattung nur die unsolide Heftung
zu wünschen übrig lässt Diese unsolide Heftung, welche die Blätter nicht zusammen-
suhalten vermag, so dass sie ganz auseinanderfallen, ist eine so recht dem deutschen
Buchhandel eigene Unsitte und durfte füglich einmal aufhören.
Der Inhalt des Werkes zerfällt in drei Hauptabtheilungen, deren jede einen besondern
Bearbeiter gefunden hat. Böhm behandelt die Intoxicationen durch die imorganischen
Gifte: Alcalien und alcalische Erden, Metalloide, Haloide und Mineralsäuren, Naunyn be¬
spricht die Int durch die schweren Metalle, incl. Arsen und Phosphor, während v. Beeck die
Int durch organische Gifte uns vorführt. — In Bezug auf kritische Sichtung des umfang¬
reichen Quellenmateriales und Deutlichkeit und Sorgfalt in der Darstellung überragt Böhm
weit seine beiden Mitarbeiter. Naunyn macht fast durchwegs den Leser mit den Quellen
zu weuig bekannt, als dass dieser sich in dem einzelnen Falle ein eigenes Urtheil bilden
könnte und einzig auf des Autoren eigene Ansicht angewiesen ist. Der Autoritätsglauben
soll wohl zu Ehren gezogen werden 1 Böhm und v. Beeck sind glücklich an dieser Klippe
vorbeigeschifft.
Das vorliegende Werk hat vor andern Sammelwerken ähnlicher Art das voraus, dass
es nicht blos ein willkommenes Nacbschlagebuch für practische und Gerichtsärzte bildet,
sondern auch vom Studirenden mit Vortheil wird benützt werden.
Der Ruf des Atropins als Gegengift für Opium wird ganz gewaltig erschüttert, doch
nichts Besseres empfohlen. Bvmess und Mayor aber wollen experimentell nachgewiesen
haben, dass Strychnin das eigentliche Gegengift für Opium sei, Dr. Harris gab drei Stun¬
den nach stattgehabter Opiumvergiftung, als schon Bewusstlosigkeit und Pulslosigkeit ein¬
getreten und das Aussehen livid war, und nur noch drei Respirationen in der Minute
vorhanden waren, Tinct. nuc. vom. mit solch’ edatantem Erfolg, dass der Pat. nach SO
Minuten wieder umhergehen konnte.
Es ist begreiflich, dass die Autoren sich bemüht haben, bei jedem Gifte wo möglich
die Maximaldosis anzugeben, resp. diejenige Dosis, über welche hinaus man nicht gehen
darf, wenn man keine Vergiftungserscbeinungen riskiren will. Für Chloralhydrat nun soll
diese Grenzdosis bei 8,0 sein. Das ist jedenfalls nicht zu hoch gegangen. Bei Chloral-
4
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hydrat wie bei alles andern Narcotica kommt es ganz besonders auf die Umstände an,
unter welchen sie gegeben werden ; denn es gibt krankhafte Zustände, wo die kleinsten
Dosen den ewigen Schlaf einleiten, ohne dass man berechtigt wäre, die erfolgte Wirkung
der Dosis allein zuzuschreiben und in Folge dessen die Dosis als eine letale zu bezeich¬
nen. So erinnere ich mich an eine ältere Frau, die schon lange kränkelte, aber nicht
medicinirte. Im Verlaufe ihres Leidens bekam diese Frau eine solche nervöse Aufre¬
gung, dass sie weder Tag noch Nacht Ruhe hatte. Ich wurde um ein „Beruhigungs¬
mittel“ angegangen und gab einige Dower ’sehe Pulver. Jedes dieser Pulver enthielt */t*
Gran Pulv. Dow. und sollte allabendlich nur eines gegeben werden. Schon nach dem
ersten Pulver wurde die Kranke auffallend schnell ruhig und schlief sanft ein, um nioht
wieder zu erwachen. 8oll nun diese minimale Dosis von Vio Gran (0,006) Pulv. Dow.
oder */ioo Gran (0,0006) Opium seine toxische Wirkung entfaltet haben und ab Dosis
toxica s. letalis zu bezeichnen sein? Wohl kaum. Aehnlich scheint es mir mit den bei¬
den, in der berl. klin. Wochenschr. Nr. 87 v. J. unter dem Titel einer acuten Chloral-
vergiftung veröffentlichten Fällen zu liegen. Ein 84 Jahre alter Potator litt an Delirium
tremens und erhielt an einem Tage Morgens und Abends je 1,25 Chloralhydrät und am
folgenden Tage, Abends 9 Uhr, wieder 1,25; er collabirte plötzlich gegen 5 Uhr Mor¬
gens. Ein anderer, 48 Jahre alter Potator erhielt ebenfalb gegen Del. trem. Abends ge¬
gen 9 Uhr 2,5 Chloralhydrat in 2 kurz nach einander folgenden Partien. Er collabirte
gegen Morgen. Der betreffende Ordinarius hätte wissen können, dass man in solchen
Fällen, und ganz besonders im 2. Falle, mit Chloralhydrat äusserst vorsichtig umgehen
muss. Ich meinerseits möchte aber trotzdem in obiger Dosis keine Dosis toxica erblicken.
Ob die beiden Potatoren aber bei einer kleineren Dosis Chloralhydrat, oder wenn man
ihnen gar keines gegeben hätte, doch am Leben geblieben wären? Ich bezweifle es.
Es ist überhaupt mit der Maximaldosis eine eigentümliche Sache. So schreibt z. B.
unsere Pharmacopose für Kali nitricum als Dosis simplex maxima 4,0, ab Dosis universa
pro die maxima 15,0 vor. Ich habe Kali und Natron nitricum den verschiedensten Pa¬
tienten , in den verschiedensten Zuständen 6,0 bis 80,0 pro die gegeben, ohne irgend
welche toxische Wirkungen zu beobachten. Ich habe auch gefunden, dass Kali und Na¬
tron nitricum in ihrer therapeutischen Wirkung sich vollkommen gleich stellen und dass
die sogen, mildere Wirkung des Natron nitr. gegenüber dem Kali nitr. lediglich in der
Einbildung besteht. Für Acidum aulfuricum dilutum ist ab D. s. m. 2,0 und ab D. ja.
p. d. m. 8,0 vorgeschrieben. Ich gab häufig genug Acid. sulf. dil. und Syr. rub. id as,
teelöffelweise in etwas Wasser, wenn nötig ganz rasch nach einander, ohne eine Spur
toxischer Wirkung zu beobachten, wenn die Leute 80 und mehr Gramm Acid. sulf. dil.
in kurzer Zeit verschluckt hatten. An eine eigentlich toxische Wirkung dieses Präpara¬
tes glaube ich nicht, es wird wohl nur dessen ätzende Wirkung in Betraoht kommen
können.
Bei Secale cornutum heisst es, dass in neuester Zeit dessen wirksamer Bestandteil
als eine Säure aufgefasst werde. Von anderer Seite wird behauptet, dass dieser wirk¬
same Bestandteil die Phosphorsäure sei. Dass Säuren ab Stypticum wirken, habe ioh
am Acid. sulf. sattsam erfahren. Aber nicht die lächerliche Dosb der Pharmacopoee, nein,
dreiste Dosen, dann wirkte eclatant. J. Hartmann.
Cantonale Correepondenzen.
Aargau. Eine Zusammenkunft der Sanitäts-8tabsofficiere fand Sonntags
den 18. Nov. 1877 in Baden statt Eingeladen: 24, angekündigt: 18, anwesend: 7, Theil-
nehmer: Weinmann von Winterthur, Reiser von Zug, Bisegger von Weinfelden, WyUenbach
von Bern, Baumann von Meilen, Rahm von Schaffhausen, Müller von Romainmotier.
Wenn auch der erste Versuch namentlich in Folge Wegbleibens der bestellten Refe¬
renten nicht gerade sehr ermutigend ist, so wird dennoch untor albeitiger Anerkennung
der Zweckmässigkeit der Anregung die Einführung solcher Zusammenkünfte einstimmig
beschlossen.
Organbatorbch wird Folgendes festgestellt:
1. Es werden jährlich 1—2 Versammlungen der Divisionsärzte, Feldlazaretohefs und
deren Stellvertreter abgehalten zur Pflege der persönlichen Beziehungen und Bespre-
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chnng von Fragen aus dem Gebiete des Militär-Sanitätswesens und zwar in freiester
Form.
2. Die Versammlung bezeichnet jeweilen für die folgende Sitzung einen Vorsitzenden,
welcher die Einladungen zu besorgen und für Verhandlungsstoff und Referenten zu sorgen hat.
Ueber die Wünschbarkeit einer Protokollführung wird jeweilen Beschluss gefasst.
8. Die Berechtigung zum Besuch der Versammlungen (mithin auch die Einladung
dazu) dauert so lange fort, als die einzelnen Mitglieder auf dem Offiziers-Etat figuriren,
auch wenn sie aus der oben bezeichneten dienstlichen Stellung austreten sollten.
4. Zu den Versammlungen können der Oberfeldarzt und die Instructions-Offiziere ein¬
geladen werden, falls die Natur der Verhandlungsgegenstände dies wünschbar erscheinen
lässt; ebenso können auf den Wunsch einzelner Mitglieder strebsame diensteifrige Col-
legen aus den 8ubaltern-Offizieren zugezogen werden.
Ö. Die Zeit der Versammlungen ist, wo möglich, zur Zeit des Sommerfahrtenplanes
anzusetzen.
6. Als nächster Versammlungsort wird Luzern oder Lenzburg in Aussicht genommen.
7. Als Vorsitzender für die nächste Zusammenkunft wird Dt. Weinmann bezeichnet.
ln Abwesenheit der beiden Referenten Muntzinger und Hirt regt Weinmam eine Dis-
cussion an über den Unterricht des Sanitäts-Personals. Er wünscht an der Hand
gemachter Erfahrung in den 8anitäts-Recrutenschulen Ausscheidung der Mannschaft in
Wärter und Träger nach der ersten Hälfte und Ausbildung der beiden Abtheilungen in
der zweiten Hälfte mehr für ihre specielle Thätigkeit, wobei namentlich der theoretische
Unterricht der Wärter in kleiner Klasse erspriessliche Resultate aufweisen müsste, ge¬
rade so gut wie die mehr practische der Träger auf der andern Seite. Die Träger werden
nicht mehr die Parias der Sanitäts-Truppe sein, sondern als solche Ordentliches leisten und
wird es möglich sein auch aus dieser Truppe tüchtige Unteroffiziere heranzubilden, was
zur Stunde von maassgebender Seite bestritten wird.
Es fehlen Wiederholungskurse für die Sanitätsmannschaft, die Thätigkeit der ein¬
zelnen Corps-, 8chul- und Platzärzte bietet keine Gewähr (wenigstens zur 8tunde nicht)
für gleichmässiges Auffrischen des in der Sanitäts-Rekruten-Schule Gelernten.
Es fehlen vor Allem Unterrichtskurso für die 8anitäts-Stabsoffiziere über Leitung
des Sanitätsdienstes bei grössern Truppenkörpern, Transportdienst, 8pitaldienst und Or¬
ganisation, Führung eines Feldlazareths.
Die Verantwortlichkeit der Betreffenden ist eine ungeheure und die Folgen der man¬
gelnden Instruction für die Armee im Ernstfälle sind unberechenbare. Divisionsärzte und
Feldlazarethchefs haben jetzt, wo bloss die Truppenzusammenzüge dazu Gelegenheit bieten,
vielleicht kaum einmal in ihrer Dienstzeit Gelegenheit ein Feldlazareth zu sehen (und zwar
auch da noch in bedeutend reduzirter Form) und ohne Instruction aus dem Stegreif zu
führen.
Solche Kurse könnten etwa mit einer Trainschule verbunden, Reitunterricht ertheilt
und das Nöthige über Tactik vorgetragen werden. 8ie brauchen nicht lange zu dauern,
vielleicht 8—10 Tage.
Zum Allermindesten sollten jeweilen eine Anzahl Sanitäts-Stabsoffiziere bei jedem
Truppenzunammenzug einberufen werden, um wenigstens einmal in ihrem Leben den
Sanitätsdienst bei einer Division und die Führung eines Feldlazareths, wenn auch in
mehr passiver Stellung, zu sludiren.
Nach einlässlicher Discussion beschloss die Versammlung eine Petition an den Ober¬
feldarzt zu Händen des Bundesrathes, um Einführung solcher Kurse, eventuell Einberufung
zu Truppenzusammenzügen.
Basel. Prof. Dr. C. E. E. Hoffmann f. Am 16. December verstarb dahier ganz uner¬
wartet, nachdem er einige Stunden zuvor, anscheinend in voller Gesundheit und heiterster
8timmung, sich von den Seinigen verabschiedet hatte, um auf die Anatomie zu gehen,
mitten in der Ausübung seines Berufs, der ordentliche Professor der Anatomie und Ent¬
wicklungsgeschichte an der Universität Basel, Dr. med. Carl Ernst Emil Huffmaim.
Da der Verstorbene durch seine zahlreichen Schüler, durch seine lebhafte Theil-
nahme an der Gründung und den Versammlungen des ärztlichen Central - Vereins,
durch freundschaftlichen Verkehr mit den Collegen unserer Hochschulen in allen Theilen
der Schweiz Freunde und Bekannte hat, so dürfte es den meisten Ihrer Leser willkom-
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men sein, etwas Eingehenderes aber das Leben und Wesen des Verstorbenen zu er¬
fahren.
Carl Emst Emil Hoffmann ward geboren am 26. April 1827 in Dannstadt. Nachdem
er auf der Realschule und Gewerbeschule zu Darmstadt den ersten Unterricht genossen
und im Jahre 1844 die Abgangsprüfung bestanden hatte, widmete er sich dem Studium
der Pharmacie und studirte, nach practischer Thätigkeit in verschiedenen Apotheken, zu
Giessen und Jena Naturwissenschaften, um im Januar 1850 das Staatsexamen als Apo¬
theker vor dem grossherzoglich hessischen Medicinalcollegium zu bestehen. Nach bereits
bestandenem Staatsexamen als Apotheker besuchte er, da ihn die Pharmacie nicht be¬
friedigte, das Gymnasium zu Darmstadt, um sich nach dessen Absolvirung dem Studium
der Medicin zu widmen, welches er inzwischen zu seinem Lebensberufe sich erwählt hatte.
23 Jahre alt bezog er die Universität Giessen und war schon nach einem Semester
im Stande, mit Erfolg im Januar 1851 das medicinische Vorexamen, Tentamen physicum,
zu bestehen. Seine weitern Studien machte er in Giessen und WUrzburg, woselbst er
zuletzt als Assistent bei Professor Virchow am pathologisch-anatomischen Institut thätig
war. Noch gegenwärtig gedenkt Virchow seines damaligen Assistenten mit den Aus¬
drücken vollster Anerkennung und Hochachtung. Nachdem er im Jahre 1856 das medi-
cinische Staatsexamen in Giessen bestanden hatte, verheiratbete er sich und liess sich
als practischer Arzt in Giessen nieder. Im Jahre 1858 erlangte er an der dortigen
Universität die venia docendi und wurde zum Prosector und Assistenten der Physiologie
unter Professor Eckhard ernannt.
Im October 1863 wurde er als Prosector und Docent für pathologische Histologie
an die Universität Basel berufen und nach kurzer Wirksamkeit zum ausserordentlichen
Professor ernannt. Im Jahre 1872, nach der Berufung des Professors His nach Leipzig,
wurde ihm dessen Stelle eines ordentlichen Professors der Anatomie und Entwicklungs¬
geschichte übertragen, welche Stellung er bis zu seinem Tode eingenommen hat
Im Jahre 1874 war er Decan seiner Facultät und 1876 Rector der Universität, wie
ihm auch früher schon das Vertrauen seiner Collegen das Präsidium der medioinischeu
Gesellschaft übertragen hatte. Nach Ablauf seines Rectorats bekleidete er die Stelle
eines Universitäts-Archivars.
Ausser den am Schlüsse angeführten kleineren wissenschaftlichen Aufsätzen, welche
in Zeitschriften erschienen sind, stammen folgende Hauptwerke aus seiner Feder:
1) lieber Resorption der Fette und des Quecksilbers. Gekrönte Preisarbeit und zugleich
Dissertation. Würzburg 1854.
2) Grundriss der Anatomie des Menschen, Leipzig 1865.
8) Lage der Eingeweide, Leipzig 1868; zweite Auflage Erlangen 1872.
4) Pathologisch-anatomische Veränderungen beim Abdominaltyphus. Leipzig 1867. _ (
5) Qua in -Hoffmann, Lehrbuch der Anatomie des Menschen, Erlangen 1870—78, deren zweite
Auflage gegenwärtig erscheint
Wie wir aus seinen Arbeiten sehen, beschäftigte sich Hoffmann vielfach mit wissen¬
schaftlichen Untersuchungen im Gebiete der Physiologie, vergleichenden Anatomie und
pathoL Anatomie. Immerhin bestand die eigentliche Stärke Hoffmann ’s in seiner practischen
Tüchtigkeit.
Seinen Schülern die vom ihm vertretene Wissenschaft möglichst mundgerecht zu
machen, dafür liess er sich keine Mühe verdriessen.
Für diesen Zweck schrieb er seine Bücher, hielt er seine Kränzchen, verarbeitete er
immer auf’s neue wieder anatomische Präparate, kurz verwendete er die Zeit, die ihm
die Vorlesungen, der Präparirsaal und seine amtlichen Aufgaben übrig liessen. Er war
im vollsten Sinne des Wortes Lehrer.
Um Anatomie dociren zu können, bedarf es der Präparate, und hier tritt uns wieder
in gleicher Weise die practische Tüchtigkeit, wie der Feuereifer Hoffmann ’s entgegen.
Er wusste es dahin zu bringen, dass ihm, wie sehr auch die Zahl der Schüler von Jahr
zu Jahr wuchs, das Material für seine Uebungen und Demonstrationen nie ausging.
Er %vusste in gleicher Weise hiezu von den Behörden die Mittel, von Stadt und
Land die Leichen sich zu verschaffen, und so konnte er den anatomischen Unterricht
und das anatomische Institut unserer Universität auf einen Stand bringen, wie ihn wohl
frühere Lehrer kaum für möglich gehalten hätten, wie ihn zu erhalten die Nachfolger
Mühe haben werden.
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— w —
Noch einen andern nicht weniger für unsere Universität bedeutungsvollen Erfolg
müssen wir erwähnen, den sie Hoffmann zu verdanken hat, das ist die Reform des patho¬
logisch-anatomischen Unterrichts, die er dadurch ermöglichte, dass er allmälig den städ¬
tischen 8pital mit seinem Leichenmaterial für dieso Zwecke zu gewinnen wusste.
Ich denke der Hinweis auf diese Verhältnisse vor Hoffmann und der Vergleich mit
dem gegenwärtigen Stande der pathologischen Anatomie in Basel illustrirt die Hoffmann 'sehe
Thätigkeit auch nach dieser Richtung deutlich genug.
Und wie dort so ging sein ganzes Dichten und Trachten dahin, im Vereine mit
wohlwollenden Behörden, grossherzigem Bürgersinne und mit gleichgesinnten Collegen
die Universität und ihre Lehrmittel zu heben, um sie wieder zu dem ihrer Vergangen¬
heit entsprechenden Rufe zu bringen. 8eine Thätigkeit, seine Aufopferungsfähigkeit, sie
kannten keine Grenze. Kein Arbeit, keine Mühe war ihm zu viel, wenn es galt, in diesem
Intoresse zu wirken. Je mehr er sich Arbeit und Pflichten aufladen konnte, desto grössere
Befriedigung fand er. Rast und Ruhe gönnte er sich immer weniger.
Es liegt sehr nahe, den so plötzlich erfolgten Tod des scheinbar so kräftigen Mannes
mit der ruhelosen Thätigkeit desselben in Zusammenhang zu bringen. Denn wie er in Er¬
füllung seiner Pflichten als Lehrer und Glied der Universität immer und überall den ganzen
Mann stellte, so war es ihm doch noch möglich , sich ebenso sehr im privaten Verkehr
mit Freunden und Collegen, wie gegenüber den Anforderungen des öffentlichen Lebens,
des allgemeinen Besten *) sich in gleicher Weise gefällig, bereit zu helfen mit Rath und
That ja im vollen Sinne des Wortes aufopferungsfähig zu zeigen. Wer an Hoffmann sich
wandte, that es nie vergebens und erhielt mehr, als er nur erwartete. Zu helfen, zu
fördern, wo es nur immer möglich war, war ihm Naturtrieb, innerer Drang, den er nie
beschränkte, sondern dem er sich mit der ganzen Energie seines kräftigen Wesens hingab.
80 haben wir denn ausser seiner Bedeutung als Lehrer in dem Verstorbenen auch
noch einen ungewöhlichen, kräftigen und reichhaltigen Charakter kennen gelernt, dem
treue Pflichterfüllung im Kleinen wie im Grossen, in den engeren socialen Kreisen der
Familie und der Collegen, wie in den weiteren des Beamten und Bürgers erstes Gesetz war.
Bei der Art seines Wesens kann es nicht auffallen, dass Hoffmann trotz seines lang¬
jährigen Aufenthaltes in der Schweiz durch und durch Deutscher blieb und bei jeder
Gelegenheit seinen Patriotismus bethätigte. Man darf diese Eigenschaft bei ihm um so
mehr betonen, als er trotzdem für seine gegenwärtige Heimath volle Sympathie hatte
und allen ihren Einrichtungen volles Verständniss entgegenbrachte.
Es ist denn auch ein grosser Trost für die durch den so unerwartet hereingebrochenen
8chlag schwer gebeugte Familie zu sehen, wie sehr und wie allgemein der Verlust Hoff -
wwnn’s hier bedauert wird, und wie sehr man fühlt, welch treues Glied unseres Gemein¬
wesens an ihm verloren gegangen ist.
Kleinere Aufsätze.
1) Bestimmung des endosmotischen Aequlvalents mehrerer chemischer Verbindungen. Eckhardt’s
Beiträge zur Anatomie und Physiologie. Giessen.
2) Beiträge zur Anatomie und Phys. d. N. vagus bei Fischen. Eckhardt’s Beiträge 1800.
3) Erkrankung des Ohrs beim Abdominaltyphus. Arch. f. Ohrenheilkunde. IV.
4; Zur patholog.-anatom. Veränderung des Harnstrangs. Archiv d. Heilkunde. XI.
5) Beiderseitiges Netzhautgliom. Mit Schiess-Gemuseus. Virchows Arch. XLVI.
6) Zwei Fälle von Umwandlung der Samcnbläschen in Harnleiter. Arch. d. Heilk. XIIL
7) Ueber die Erweichung und den Durchbruch der Speiseröhre und des Magens. Virch. Arch. 44
8) Mittheilungen aus dem patholog.-anatom. Institute in Basel. Virch. Arch. 39, 42 u. 8. w.
9) Ans d. pathol.-anatom. Institute in Basel. Deutsch. Arch. f. klln. Medicin. VIL
10) Ueber die Neubildung quergestreift Muskelfasern, insbes. b. Typh. abdom. Virch. Arch. XL.
11) Impfversucbe der Tuberculose. Archiv f. klin. Medicin. Bd. (?).
Tessin. Es wird für Sie, hochverehrtester Herr Redactor, eine Ueberraschung sein,
endlich Einiges für das „Correspondenz - Blatt" aus dem Canton Tessin zu erhalten 1
Und wahrlich müssen 8ie sich verwundern, wie sehr wir Tessiner, in Bezug auf wissen¬
schaftliches Leben und Zusammenhalten, von unseren schweizerischen Collegen abgegrenzt
leben 1
Aber andererseits erklärt sich der Umstand, dass wir den ärztlichen Zusammenkünf-
*) Ich erinnere in dieser Beziehung unter manchem andern nur an seine Bemühungen für Ein¬
führung „einer rationellen Schuhform“.
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ten und den wissenschaftlichen Fortschritten unserer Eidgenossen ferne bleiben, leicht,
wenn man bedenkt, dass wir im Canton Tessin selbst keine Spur von oiner ärztlichen
Gesellschaft besitzen, und dass das Verhältnis der Tessiner Aerzte zu einander bis jetzt
leider ein sehr lockeres und zersplittertes war.
Zum Glücke verspricht die junge Generation der Nachfolger Aesculaps ein besseres
Loos und vielleicht ist die Zeit nicht mehr weit entfernt, in welcher man auch im Tessin
jjeine Section des ärztlichen Centralvereins“ gründen kann.
Es würde genügen und der Erfolg wäre gesichert, wenn einige unabhängige, charak¬
terfeste junge Aerzte, unbekümmert um die neidische Kritik, welche ihnen wohl von 8eite
einiger Collegen, welche das Monopol des ärztlichen Berufes und der Wissenschaft haben
möchten, kommen könnte, frisch und unverzagt die Grundlage einer „ärztlichen Gesell¬
schaft“ bilden würden. Dann würden die zahlreichen ausgezeichneten Elemente, welche
da und dort im Lande zerstreut leben und einzig auf ihre eigenen Kräfte angewiesen
sind, im Interesse des Standes selbst und des Publicums sich schnell vereinigen können.
Wenn ich Ihnen, verehrtester Herr Redactor, heute etwas aus dem Tessin schreiben
möchte, so kann es nichts anderes sein, als einige Notizen Uber eine Confereuz,
welche durch die Blatternepidemie, welche seit beinahe einem Jahre in Lugano
herrscht, veranlasst wurde.
Im Anfänge (Dec. 1876) waren es'wenige vereinzelte Fälle, und man fand es nicht
der Mühe werth, sich der Sache anzunehmen. Man behauptete sogar, es seien falsche
Alarme, Verläumdungen und eine Parteiwaffe gegen dio Stadt Lugano.
So weit kann leider unter Umständen die politische Leidenschaft getrieben werden!
Als aber die Zahl der Erkrankten immer höher stieg und auch die Opfer zahlreicher
wurden — da mussten auch die Localbehörden einige Maassregeln treffen und aus ihrer
Lethargie sich erheben.
So trat denn am 27. September 1877 in Lugano eine Conferenz zusammen, aus
einer Delegation des Gemeinderathes, der cantonalen Sanitätscommission, den medici con-
dotti des Bürgerspitals und der Gemeinde Lugano und aus zwei Mailänder Aerzten be¬
stellt, den zwei Specialisten und competenten Autoritäten, Herren Dr. Nolti und Dr. Beno,
Oberarzt des Gemeinderathes von Mailand.
Diese Conferenz hat zwar nichts Neues ans Tageslicht befördert, immerhin aber
neuerdings gewisse Anschauungen und gewisse Thatsachen festgestellt, so dhss es viel¬
leicht meine schweizerischen Collegen interessiren könnte, wie in Lugano ira conoreten
Falle einige Fragen practisch angefasst wurden.
Es ist jedenfalls eiu neuer Beitrag zur „Impffrage“, welche in der Schweiz immer
noch eine „brennende“ ist.
Ich fasse Ihnen die langen Auseinandersetzungen und Debatten in aller Kürze zu¬
sammen und bemerke nur, dass die Conferenz sich hauptsächlich mit den hygieinischen
und sanitätspolizeilichen Maassregeln befasste und es nicht als ihre Aufgabe angesehen
hat, speciell über wissenschaftliche Fragen, wie z. B. über die Ursachen und die Hart¬
näckigkeit der Epidemie, die Complicationen, welche den Ausgang verschlimmern, und
Uber die Behandlungsweise die Discussion zu eröffnen.
Die der Conferenz zum Entscheide vorgelegten Fragen wurden folgendermaassen be¬
antwortet:
List es zweckmässig, die Vaccination und die Revaccination
zu b efOrdern?
Die einstimmige Ansicht war, dass die Impfung und die Revaccination für Diejeni¬
gen, welche vor einem Decennium derselben unterworfen wurden, nicht nur zu befördern,
sondern eine Nothwendigkeit sei.
Dr. Nolli beleuchtete die Wichtigkeit dieses Punctes. Er theilte die Resultate über
die erst vor Kurzem erloschene Blatternepidemie in Italien mit, welche keine der gröss¬
ten Städte der Halbinsel versohonte. Er verhehlte nicht, dass auch in Mailand, haupt¬
sächlich in den unbemittelten Ständen, die Revaccination id den alten Vorurtheilen, welche
die beständige Wirkung der Wissenschaft und der Erfahrung überleben, einen lebhaften
Widerstand findet. /
Von bedeutendem Vortheile in diesem Streite sei der Entschluss der „Congrega-
zione di Caritä“ in Mailand gewesen, welche die öffentliche Wohlthätigkeit der Stadt
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fast ausschliesslich besorgt und seit dem Jahre 1870 Denen, welche keinen Bevaccinations-
schein vorlegen, keine Unterstützung mehr gewährt. Der Gemeinderath von Mailand fer¬
ner lasse Niemanden um öffentliche Municipalstellen sich bewerben, noch zu den Gemeinde¬
schulen kommen, welche nicht einen Bevaccinationsschein vorweisen, wenn sie das zehnte
Lebensjahr überschritten haben. Im Frtthliuge und im Herbste werden jährlich die Fa¬
milienväter aufgefordert, ihre Kinder nicht später als ein halbes Jahr nach der Geburt
impfen zu lassen. Aber die Impfung ist nicht das Wesentliche. Das Wesentliche ist
die Ueberzeugung, dass die Impfung von Erfolg gekrönt worden sei. Hierüber solle man
den Herren Collegen eine specielle Verordnung machen, damit sie den Erfolg in ihre
Bücher eintragen, auf dass eine verfehlte Impfung wiederholt werde.
Unter dieser Bedingung bildet die Bevaccination eine solide Garantie. Es ist zum
grossen Theil der 8icherstellung des Erfolges der Impfung und der jetzt, sei es aus
Ueberzeugung oder nothgedrungen, stattfindenden Bevaccination zuzuschreiben, dass nach
Dr. Nolli Mailand fast unangreifbar geworden ist von 8eite einer Blatternepidemie, welche
heutzutage nur die „Unvorsichtigen“, die „Ungebildeten“ und die „Fatalisten" treffen
könnte.
Die Aeusserung des Herrn Dr. Brno , dass die Impfung das „einzige Schutzmittel"
gegen die Blattern sei, bestätigten auch die Luganeser Aerzte durch den Umstand, dass
während der militärischen Occupation der 8tadt (August— September) durch
ungefähr 500 Soldaten kein einziger an den Blattern erkrankte, was wohl
der vor Kurzem vorgenommenen Bevaccination zuzuschreiben ist.
Als eine irrthümliche ist die Ansicht zu bekämpfen, welche annimmt, dass die Im¬
pfung während einer Epidemie in den geimpften Individuen die Entwicklung der Blattern
begünstigen könne. In jeder Jahreszeit kann man die Impfung ausführen, und gerade
unser tessinisches Gesetz (13. Juni 1884) schreibt die Impfung als Schutzmittel zu jeder
Jahreszeit vor, in welcher sich Blattern zeigen.
Ebenfalls einstimmig war die Conferenz über den Punct, dass man die Impfung und
Bevaccination eher vom Farren direct als von Arm zu Arm vornehmen müsse, weil man
hauptsächlich die Gefahr ausschliesst, irgend eine constitutioneile Dyscrasie von Mann zu
Mann mitzutheilen.
Nach diesen Erwägungen kam die Conferenz einstimmig zu folgenden Schlussfol¬
gerungen :
1. Die Behörden sollen mit der grössten Energie die Vaccination und für die
vor einem Jahrzehnt schon revaccinirten die Bevaccination befördern, womöglich mit
natürlichem cowpox oder mit Farrenlymphe.
2. Die Ueberzeugungsmittel anwenden, damit kein Bürger diese Pflicht, welche er
sich selbst und den Uebrigen schuldet, versäume; und wenn nöthig auch Zwangsmaass¬
regeln gebrauchen.
IL Ist die Isolirung des Kranken eine absolute Noth wend igkeit,
und in welchem Stadium der Krankheit, nach überstandener Krisis
kann die Isolirung aufhören?
Die complete Isolirung der Krankheit ist absolut nothwendig, weil die Blattern eine
äusserst ansteckende Krankheit sind. Nach Dr. Beno sind die Blattern unter den an¬
steckenden Krankheiten durch ihre Ansteckungsfähigkeit die hartnäckigsten und am schwie¬
rigsten zu bewältigenden.
Auch hierüber erklärte sich die Conferenz einstimmig, dass man eine strenge Iso¬
lirung vorschreiben und mit allem Nachdrucke durchführen müsse. Gerade die vielfälti¬
gen Schwieriggeiten, welche hauptsächlich von Seite der Angehörigen des Patienten kom¬
men, machen es den Behörden zur Pflicht, alle möglichen Mittel und Vorsichtsmaassregeln
anzuwenden, die 8trafen gegen die Uebertreter inbegriffen. Ein permanenter Waohtdienst
ist unvermeidlich.
Bezüglich des Krankheitsstadiums, in welchem dem Kranken der Verkehr mit ande¬
ren Personen gestattet werden kann, erklärte die Conferenz einstimmig, dass die An-
steckungsfähigkeit erst nach vollendeter Desquamation der Haut verschwunden sei. Der
kleinste Schuppentheil, welcher von einem Beconvalescenten abfalle, könne ansteokend
wirken. Ist einmal die Abschuppung vollendet, dann könne man unter der Bedingung,
dass wenigstens zwei laue Bäder vorausgegangen sind, den freien Verkehr zugeben.
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Schlussfolgerung: Der an den Blattern Erkrankte muss so lange vollständig abgeson¬
dert sein mit einem Krankenwärter im eigenen Zimmer oder Logis und einer Wache am
Ausgange, als nicht die Pustelbildung und die Hautabschuppung vollkommen verschwun¬
den sind.
III. Ist ein eigener 8pital zur Aufnahme und zur Behand¬
lung der an den Blattern Erkrankten nothwendig, oder darf
man die Behandlung in der Familie, und in bejahendem Falle,
unter welchen Bedingungen, erlauben?
Ein 8pital wäre gewiss vorzuziehen, besonders in Bezug auf die Absonderung, welche
aber nicht ohne Vexation aufgedrängt werden könnte, wenn sich der Kranke in der eige¬
nen Wohnung die nothwendige Behandlung verschaffen kann und wenn er dem Publicum
genügende Gewährleistung für die treue Erfüllung der Sanitätspolizeivorschriften und haupt¬
sächlich für die Wache geben könnte.
Jedenfalls sollte man die Behandlung im Hause nicht zugeben , da wo eine ganze
Familie im gleichen Zimmer oder in allzu engen und von einander abhängigen Localen
wohnt, oder bei einer Person, welche Mangel an Nahrungsmitteln hätte und nicht im
Stande wäre, sioh einen Krankenwärter und eine Wache zu verschaffen.
Vor Allem aber muss berücksichtigt werden , ob der Kranke vom eigenen Hause
nach dem Spitale ohne Nachtheil traoeportirt werden kann.
Schlussfolgerungen: 1. Die Besammlung aller an den Blattern Erkrankten in einem
einzigen Spitale wäre vorzuziehen.
2. Wenn es aber ein Kranker verlangt, der ein genügendes und gesundes Logis hat
und Anverwandte und Krankenwärter besitzt, welche die Pflege und die Behandlung
übernehmen, so kann er in der eigenen Wohnung bleiben, nur muss die Ortsbehördc aber,
auf Rechnung des Erkrankten, von sich aus für die Absonderung Sorge tragen.
(Schloss folgt)
Zürich. (Schluss.) Es bleiben mir noch einige Bemerkungen zu machen über eine
Anzahl von Operationen, denen beiauwohnen ich Gelegenheit hatte, theils im Allgemeinen
Krankenhause, theils im Maria Therenien-Fraucn-Spital, im Rudolf-Spital und endlich in
der Eder’schen Privatheilanstalt. Von den chirurgischen Operationen interessirten mich
hauptsächlich solche, welche in das Gebiet der Gynaecologie schlagen. Ich ver¬
danke der Freundlichkeit des Herrn Prof. Billrolh die Gelegenheit, eine grosse Zahl Lapa¬
rotomien in wenigen Monaten gesehen zu haben. Eine einzige zwar genügt, um in BiUroth
den grossen Chirurgen thatsächlich kennen und verehren zu lernen, als der er vor der
Welt steht.
Unter den circa 18 Laparotomien, denen ich beigewohnt, war eine 8plenotomie
mit lethalem Exitus ; eine Hysterotomie bei Uterus-Fibroid, ebenfalls mit lethalem Exitus;
der Rest Ovariotomien, theils mit extra-abdominaler, theils mit intra-abdominaler Stiel¬
behandlung. Von denjenigen mit Versenkung des Stieles kam eine einzige Patientin
duroh, von den Erstem dagegen alle bis auf Eine. Die meisten dieser Operationen
wurden von BiUroth ausgeführt, einige Ovariotomien von Dr. Carl von Rokitansky , Director
des Maria Theresien-Spitals. Bei Versenkung des Stieles und consecutiver Abscessbildung
kann in der That die Bauchhöhle vom Scheidengewölbe aus drainirt werden, in den
meisten Fällen reicht die Drainirung von der Wunde in die Tiefe des kleinen Beckens
keineswegs aus. Auch diese Drainirung vom Scheidengewölbe wurde iu einem Falle ge¬
macht, nachdem durch einen Einschnitt in dasselbe ein grosser Abscess entleert worden
war; als ich die Patientin zum letzten Male sah, war aber keine Hoffnung mehr sie
durchzubringen. — Man wird durch solche Beobachtungen gezwungen, bei der Ovariotomie
die extra-abdominale Behandlung des Stieles als die zweckmässigste anzusehen.
Von andern gyntecologischen Operationen hatte ich Gelegenheit einer ganzen Reihe von
Colporaphien bei Freiherrn v. Rokitansky im Maria Theresien-Spitale beizuwohnen.
Es wird kaum bei einem zweiten Gynacologen diese Operation so zahlreich ausgefUhrt, wie
dies bei Rokitansky der Fall ist, und er mag sich wohl mit vielem Rechte als den ersten Col-
porapheur der wieuer Schule betrachten. Durch diese grosse Uebung hat der genannte
Operateur auch eine solche Geschicklichkeit und Fertigkeit in der Colporaphie erlangt,
dass er hierin ebenso schöne als glückliche Resultate erzielt. Von den diversen Formen
der Colpoperineoraphie gibt er derjenigen von Bischoff (Basel) den Vorzug, indem durch
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dieselbe die günstigsten Erfolge der Perineoplastik erzielt werden. — Von weitern be-
merkenswerthen Operationen von Rokitansky , zu dieser Zeit gemacht, möchte ich noch eine
Ampntatio Colli anfilhren, die wegen Hypertrophie des Cervix bei Prolapsus utcri vorge¬
nommen wurde.
Die Amputation wurde mit dem Bistouri gemacht; nachdem die nöthigen Vorsichts-
massregeln gegen Lsesion von Blase und Rectum getroffen waren, schnitt der Operateur
in wenigen Zügen den intravaginalen Theil des Collum ab. Es wurde keine einzige Li¬
gatur angelegt, man liess absichtlich stark bluten, um eine Depletion des durch chronische
Entzündung geschwellten Uterus zu erlangen, und dadurch dessen Involution zu fördern.
Dann wurden, als letzter Akt, die Nähte angelegt und damit alle Blutung sistirt und die
Patientin nun zu Bette gebracht und ohne Untersuchung mehrere Tage in vollständiger
Ruhe gehalten. An derselben Frau wurden nachträglich eine Colporaphia anterior und
eine Colpoperineoplastik ausgeführt, und auch diese Operationen Uberstand sie glücklich
und erwartete, bei meinem letzten Besuche im Spital, ihre baldige Entlassung, nach com-
pleter Heilung von allen ihren Beschwerden.
Ein zu dieser Zeit gemachter „ Emmet “ heilte mit ziemlichem Erfolge; während von
einigen Hysterostomatomien ein nur geringes Resultat zu erwarten war; überhaupt scheinen
die jüngern Oynsecologen in Wien diese Operation nur als eine für den Arzt lucrative,
für die Patienten aber als meist erfolglose anzusehen.
Noch möchte ich hier einiger Veslco-Vaginalfistel-Operationen erwähnen, denen ich
bei Herrn Director Bcehtne im Rudo lf- Spitale beigewohnt habe. Als Chirurg hat sich
Prof. Rahme längst einen Namen gemacht; jezt beschäftigt er sich hauptsächlich mit der
Administration des genannten Spitales, wo er noch eine kleine Abtheilung gynäkologischer
Fälle besorgt, unter denen sich constant einige Blasenscheidenfisteln finden.
Zur Blasenscheidenfistel-Operation bedient eich Bahne des Ulrich’schen Apparates, die
geringe Assistenz, die dabei nothwendig ist, das klare Ueberblicken des Operationsfeldes,
welches mittelst dieses Apparates möglich wird, scheinen den ganzen operativen Process
sowohl für den Operateur, als für die Patienten zu erleichtern. Es gibt wohl nichts
peinlicheres für den Kranken, als eine ganze Schaar von Assistenten neben dem Operateur um
sich zu haben. Bahne operirt mit einem einzigen Assistenten, während die Instrumente
von zwei Wärterinnen besorgt werden.
Das Rudolf-Spital verdankt Herrn Prof. Bahme die Einführung einer ganz ausge¬
zeichneten Ventilation, mittelst eines von ihm neu erfundenen Systemes, das bereits in
einer Anzahl anderer Spitäler seine Anwendung gefunden. Wohl mag obiges Spital in
den Reihen der meisten europäischen Spitäler den ersten Rang einnehmen, sowohl in
Betreff seiner architectonischen Ausführung, als der vorzüglichen Einrichtungen zur Re¬
gulation von Luft, Licht und Wärme, es besitzt endlich allen für ein öffentliches Kranken¬
haus möglichen Comfort.
Endlich möchte ich noch jeden fremden Mediciner, der Wien besucht, auf die ganz
exquisiten Vorträge von Professor Meynert aufmerksam machen. Die Klarheit mit der
dieser berühmte Psychiater die anatomischen, physiologischen und patholo¬
gischen Verhältnisse des Centralnervensy stems darlegt, macht auf den Zu¬
hörer einen unverwischbaren Eindruck, sowohl von der Grösse dieses Geistes, als seinem
unermüdlichen Fleisse in der Investigation dieses Gebietes der Medicin.
Einige Definitionen, von Meynert gegeben, lauten folgendermassen: Die Melancholie
kann chemisch als eine DyspncB des Gehirns aufgefasst werden. Die Function der As¬
sociationsfasern fällt allmählig aus, und Gegenstände, welche früher mit der Perception
eine Reihe von Associationsfasern erregten und dadurch ein completes Bild hervorbraebten,
also aus der Wahrnehmung ein Gefühl machten, produeiren jetzt nur noch einfache Bilder.
— Die Manie ist chemisch die ApnoB des Gehirns, eine sehr starke arterielle Zufuhr, ohne
Hirndruck, daher das Gehobensein mit Reizbarkeit verbunden ist. — Beim Stupor findet
sich wohl immer ein Exsudat im Centralorgan; für die Therapie erfolgt hieraus, dass
Jodkali in Anwendung kommen soll.
Hiemit schliesse ich meinen wiener Bericht und da er bereits zu ausgedehnt ge¬
worden, erlaube ich mir nur noch wenige Worte über Pest und Paris beizufügen.
Das Pester Krankenhaus ist wohl eines der traurigsten, das irgend eine Hauptstadt
von dieser Ausdehnung besitzt Durch die Freundlichkeit des Herrn Directors und des
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Herrn Professors Bakody, des einzigen Klinikers, der im Juli noch in Pest zu treffen war,
hatte ich Gelegenheit den Hochus zu besuchen. Es ist ein wahrhaft penibler Anblick
in diesen dUstern, schlecht ventilirten Sälen diese Massen dicht neben einander gebetteter
Kranken zu sehen. Licht, Luft und selbst den für ein Krankenhaus nöthigsten Comfort
vermisst man Überall, so dass der Besucher gerne diese Räume schleunig verlässt mit dem
frommen Wunsche, dass dieser arme Theil der Menschheit bald seinen ersten sichern
Schritt zur Heilung machen möge durch die Uebersiedelung aus diesen schauerlichen Räumen
in jenes neue vielversprechende Gebäude an der weiten Eteller-Strasse, dessen vier Pavillons
bereits in hübschem Style sich über dem Boden erheben. Den Rochus verlassend be¬
suchte ich unter Bakody's Geleit die Bethesda, ein im Stadtwäldchen gelegenes, von
einer englischen Wohlthäterin gegründetes und unter der englischen Mission stehendes
kleines Spital, mit guter Einrichtung, vorzüglicher Krankenpflege und herrlicher Luft ver¬
sehen. Dies ist das erste und einzige Krankenhaus, das ich ganz unter der Leitung
eines Homöopathen gesehen habe. Bakody ist aber nicht nur Homöopath im gewöhnlichen
Sinne, er ist auch ein durch und durch gebildeter Mediciner, der auf seinem speziellen
Gebiete (int. Medicin) unermüdlich arbeitet und schon sehr vieles geleistet hat. Um seine
Arbeiten und seine Ansichten näher kennen zu lernen, folgte ich seiner Einladung nach
Visegrad, seiner Villa, welche er in eine kleine Anstalt verwandelt hat. Visegrad ist
durch seine gesunde, trockene Lage am Fusse einer steil vom Donauufer aufsteigenden
Hügelgruppe von der Natur selbst zu einem Curorte geschaffen. Milch-, Luft- und
Wassercur werden hier mit diversen gymnastischen Uebungen verbunden, und diese be¬
nutzt auch der Director der Anstalt als die wirksamen Kräfte zur Heilung seiner Patienten,
interne Mittel spielen nur eine ganz secundäre Rolle dabei. — Was Bakody'a therapeutische
Ansichten betrifft, so fasst er seinen Hahnrmanri sehen Glauben in vier Hauptartikel zu¬
sammen, welche enthalten :
1. Das Gesetz der Anwendung nur eines einfachen Arzneistoffes.
2. Das Gesetz der Prüfung dieses einfachen Stoffes am gesunden Organismus behufs
der Erzeugung künstlicher Krankheiten.
3. Die Anwendung dieser einfachen Stoffe gemäss einer nach neuen pharmaoo-
technischen Regeln bereiteten Form.
4. Die versuchsweise Anwendung dieser einfachen, geprüften Stoffe auf dem Wege
des Vergleichens bei den den künstlichen Arzneikrankheiten ähnlichen natürlichen Krankheits-
formen.
Hiedurch meint Bakody , es werde die Methode HahnemanrCa zu einer wahrhaft
naturwissenschaftlichen Experimentalmethode gestempelt; er sieht in ihr die Basis der
experimentalen Pathologie, Physiologie, und Chemie und nennt sie die vergleichende,
entwicklungsgeschichtliche Krankheitslehre der künstlichen und natürlichen Krank¬
heiten.
Nicht verkennen darf man in Bakody einen unermüdlichen und tüchtigen Specialisten,
der auf dem miskroskopisch-anatomischen Gebiete der Lungenkrankheiten Vieles ge¬
leistet hat. Er besitzt in seiner Sammlung eine Serie von ausgezeichneten Präparaten
über die catarrhaliche Pneumonie, womit er im Stande ist alle Stadien derselben zu de-
monstriren und damit seine Theorie zu begründen. Die catarrhaliscbe .Pneumonie ist
nach ihm eine essentielle Desquamativ-Pneumonie. Nach vorhergegangener Hyperämie
und Durchtränkung des Gewebes beginnt die Desquamation in den Bronohiolis, es setzt
sich der Proliferationsprocess fort bis zu den Infundibularmündungen und es ergiessen
sich seine Producte sine impedimento in die luftleer gewordenen Aveolengruppen. — Dieser
histo-pathogenetische Zustand gibt den Fingerzeig für die Therapie. Zur Normalresorption
ist vor Allem die ungeschwächto Vis a tergo des Herzens die conditio sine qua non; hie¬
durch kann der durch den Druck der Zellenmassen behinderte capillare Blutstrom in den
Alveolen entsprechend aufrecht erhalten werden. Wird aber diese Vis a tergo durch
Veratrin, Digitalin eto. abgeschwächt, so muss auch der Resorptiousprocess retardirt,
ja es kann sogar die käsige Metamorphose begünstigt werden. — Dies sind die Resultate
von Bakody'& Untersuchungen und Speculationen.
Zum Schlüsse füge ich noch einige Bemerkungen Uber die Pariser Spitäler bei;
selbige alle zu besuchen ist für den Fremden keine kleine Aufgabe, indem sie sehr zer¬
streut in grossen Distanzen auseinander liegen. Eine fernere Schwierigkeit zum raschen
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Ueberblicke bildet der Umstand, dass während des Semesters die Kliniken alle zu gleicher
Zeit gehalten werden und ebenso die Visite während den Ferien.
Das schönste und am besten eingerichtete Krankenhaus, welches Paris bis dato be-
sass, ist Lariboisi6re, wo Prof. Jaccoud die Abtheilung fOr interne Medicin besorgt.
Die Krankensäle sind geräumig, hoch, gut ventilirt, hübsch eiogerichtet und mit exqui¬
siter Pünktlichkeit rein gehalten. — Die Hälfte des Spitales wird durch eine Dampf¬
maschine im Erdgeschoss, die andere Hälfte durch Ofeneinrichtung ebendaselbst geheizt,
Bettwäsche und Spitalkleider finden sich iu schöner Ordnung unter der Aufsicht einer
Schwester in einer besondern Abtheilung des Hauses, von wo aus directe Communi-
cation mit Waschküche und Trockenräumen besteht Kessel von 700 und 1000 Kilo
Caliber werden zum Kochen der Wäsche benutzt Eine Rotationsmaschine, durch
Dampf getrieben, entzieht dem feuchten Zeuge den grössten Theil seiner Feuchtig¬
keit, so dass es nur noch kurze Zeit der Luft oder der Wärme der Trocken-
räumo ausgesetzt werden muss. — Die Küche ist für ein Personal von circa 1000
Menschen eingerichtet Ausser dem grossen Kochheerde findet sich hier eine mit mehr¬
fachen Abtheilungen versehene Rosteinrichtung, wo die Gasflamme zum Braten benutzt
wird ; um allfälligen Gasgeruch zu vermeiden, schlagen die Flammen nach unten und
Wärmereflectoren concentriren die Hitze. Neben der Küche befinden sich einige Speise¬
keller und eine für den Spital speciell eingerichtete kleine Fleisohhalle. Die Spital-
Apotheke ist im Parterre und anschliessend au dieselbe ein grosses Laboratorium mit zahl¬
reichen Plätzen eingerichtet, wo jeder studirende Mediciner sich die nöthigen Apothekerkennt-
nisse in der Darstellung aller vorkommenden Infuse, Decocte, Pillen, Pulver etc. aneignen
kann, ln diesem Puncte sind uns die Pariser sicher voraus, denn wie oft kommt es boi ans
vor, dass der Arzt die Mittel kaum kennt, die er verschreibt, aus Mangel an obigen
Kenntnissen, welche zu erwerben ihm die Gelegenheit in seiner Studienzeit abging.
Betreff vorzüglicher Einrichtung der Krankensäle ist hier noch die Maternitd
mit ihren vor einigen Jahren eingeführten Räumlichkeitsverbesserungen zu erwähnen.
Eine schriftliche Verwendung bei dem Präsidenten der Assistance publique ver¬
schaffte mir eine Eintrittskarte in diese sonst Laien und Medicinern verbarricadirte An¬
stalt Farmer gab mir freundlichen Empfang, zeigte mir seine Sammlung von Präparaten,
sein vorhandenes Material und endlich die Spitaleinrichtung, besonders erklärte er mir
alle Details des nach seinem Plane gebauten Pavillon d’accouchements, welches derart
construirt ist, dass alle Zimmer direct in den Hof oder die Veranda gehen. Auf jedem
der vier Ecken des kleinen Gebäudes befindet sich nämlich ein Krankenzimmer; im Centrum
desselben eine Kücheueinrichtung und ein Zimmer für die Wärterin; dieses letztere be¬
sitzt zwei Eckfenster derart angebracht, dass jedes derselben einen Ueberblick über je
zwei Krankenzimmer gestattet, so dass eine Wärterin zu gleicher Zeit alle vier Patientinnen
überwachen kann. Wird eine der Letzteren entlassen, so kann das ganze Zimmer er¬
neuert werden. Wände, Boden und die vorhandenen eisernen Meubles werden gewaschen,
das Bettzeug ebenfalls, der Matratzen-Inhalt (Stroh oder 8preu) verbrannt, ebenso die
Impermeables (Unterlagen aus Theerpapier), so dass auch bei Fällen von Puerperalfieber
keine Möglichkeit einer Infection bestehen kann.
Im Spitale selbst sind die grossen ßäle wieder in kleine Abtheilungen von je zwei
Betten, durch Zwischenmauern getrennt; jedes Bett occupirt quasi ein kleines Zimmer
für sich, so dass Luft und Licht in reichlichem Maasse vorhanden sind, ja kaum
werden wir Analoga dieser Säle in irgend einer andern Entbindungsanstalt betreff Be¬
quemlichkeit und Räumlichkeit finden. Durch die hierin gemachten Verbesserungen sind
auch die Fälle von Puerperalfieber ganz enorm reducirt worden.
Als wir in’s Gebärzimmer kamen, fanden wir hier eine seit 24 Stunden kreissende Frau;
eecundäre Wehenschwäche war bereits eingetreten und Farmer befahl, sie in das kleine
Amphitheater zu bringen, wo er die Extraction mit seiner neu conntruirten Zange machte,
ein Instrument, das wegen seiner Complicirtheit im ersten Momente wenig einleuchtet.
Es adaptiren sich die Biegungen der Löffel den Krümmungen des Beckencanales; ausser
den zwei Löffeln mit gewöhnlichen Griffen versehen, sind unter denselben noch zwei be¬
sondere Hülfsbranchen angebracht. Nachdem das Instrumont angelegt und geschlossen,
wird mittelst eines an die Hülfsbranchen geschraubten Quergriffes der Zug an den Letztem
ausgeübt. Die Hauptbranchen bewegen sich allmählig in die Höhe, je nach dem Stande
Di:
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des Kopfes im Beckcncanale, und beschreiben die FQhrungslinie für die Zugbranchen,
welche ihnen folgen müssen. Durch die dem Beckencanale adaptirte Krümmung des
Instrumentes wird keine Zugkraft verloren uud die Gesammtsurame der zur Operation
nöthigen Kraft bedeutend reducirt. Dies, sowie die Führungslinie, welche das Instrument
selbst angibt, machen es zu einer ausgezeichneten Geburtszange, deren vollen Werth
derjenige erst zu schätzen weiss, der den Meister selbst damit operiren sieht und sich
die Vortheile und Anwendungsweise dabei erklären lässt. Ich hatte auf der Klinik von
Gustav Braun eine grosse Zahl von geburtshülflichen Operationen gesehen, die Zangen¬
extraction aber von Famier bleibt mir vor allen unvergesslich. Die Famier’sche Zange kostet
Fr. 70. Geburtshülfe und Gymecologie sind übrigens Specialitäten, die man in Paris nicht
ordentlich studiren kann. Die geburtshülfliche Klinik disponirt Uber ein ganz minimes
Material und zudem ist der Zutritt zu den Geburten nur bis 10 Uhr Abends gestattet.
Während es mir möglich war in einem Ferien-Monate bei Gustav Braun circa 20 Ent¬
bindungen allein zu machen, fällt auf die ganze grosse Hälfte der hier eingeschriebenen
Mediciner keine solche Zahl für dieselbe Zeit.
Für Gynsecologie besitzt die pariser Facultät gar keinen Professor, ebensowenig für
die Ophthalmologie. Gallard , an der Pitid, beschäftigt sich zwei Mal wöchentlich mit
gyneecologischen Fällen und dessen Zuvorkommenheit verdanke ich den Einblick in die
französische Therapie dieses Faches; bei ihm hatte ich Gelegenheit eine conische Am¬
putation des Collum uteri zu sehen, die mit grossem Erfolge gemacht wurde. Am meisten
Nutzen kann der Fremde von den chirurgischen Kliniken ziehen, welche hier mit aus¬
gezeichneten Operateuren versehen sind ; ich erinnere nur an Pian (höpital 81 Louis),
der seine gewöhnlichen Operationen sogar im Fracke macht, so rein und hübsch ist sein
Verfahren; dann an Vemeuil, der ein ungemein scharfsinniger Diagnostiker, längst be¬
rühmter Operateur und ganz vorzüglicher Lehrer ist, endlich an Brocart , Rieht, Gosetin etc.
8chliesslich erwähne ich noch der Privatklinik von Wecker , wo ich Gelegenheit hatte
einer grossen Zahl diverser Augenoperationen beizuwohnen, sowie den Verlauf dieser
verschiedenen Fälle bei der täglichen Visite in seiner Heilanstalt zu beobachten. Wecker
führt seine Staaroperationen mit grosser Sorgfalt aus, den Operirten aber lässt er vom
Operationssaale in das Krankenzimmer laufen, ja sogar Treppen steigen, ohne die minde¬
sten nachtheiligen Folgen davon zu verspüren. Nach der Staar-Extraction. sowie nach
lridectomieu und Sclerotomien wird Eserin in das Auge geträufelt bis zur Pupillon-Re-
action. Es hat dieses Medicament hier, mit den besten Erfolgen begleitet, eine ungeheure
Anwendung gefunden. Die Vorlagerung nach Wecker ist eine Operation, welche theore¬
tisch wenig Verlockendes hat, wer sie aber vom Meister selbst wiederholt ausgeführt
sieht, wird ihr sicher vor andern Methoden den Vorzug geben ; auch hierin sehen wir
jene mathematische Genauheit, welche Wecker in allen seinen Augenoperationen zu Tage
legt. Ganz besonders beachtenswerth aber ist die von ihm in jüngster Zeit eingeführte
Sclerotomie; eine Operation, durch die der intraoeulare Druck herabgesetzt wird, ohne
Excision der Iris, welche daher auch nöthigenfalls mehrmals wiederholt werden kann am
gleichen Auge, ohne demselben irgend welchen Eintrag zu thun. Die Sclerotomie findet
ihre Indication beim Olaucom, bei progredirenden Cornealgeschwüren, bei parenchymatöser
Keratitis, bei Staphylom, bei Keratoconus und Keratoglobus etc., überhaupt jedesmal, wenn
man den intraoeularen Druck herabzusetzen wünscht Ich habe sie in circa 2Ö Fällen
nach obigen Indicationeu mit den glücklichsten Erfolgen ausführen sehen; und seitdem
Wecker sein dafür bestimmtes, neu construirtes 8clerotom eingeführt hat, wird man diese
Operation als eine der besten und erfolgreichsten in der Ophthalmologie begrüssen, und wohl
mag sie in kurzer Zeit die Entspannungs-Iridectomie allgemein ersetzen. Dem Operateur
muss die 8clerotomie eine willkommene Erfindung sein, wegen der geringen technischen
Uebung, die sie verlangt, und dem Mangel an Gefahren in ihrem Geleite; dem Pa¬
tienten noch willkommener, da sie momentane Erleichterung seines Zustandes verschafft,
ganz besonders auffallend ist dies beim acuten Glaucom.
Mit grosser Anerkennung gedenke ich der Freundlichkeit, mit der mich Wecker in
seine Klinik und Privatheilanstalt aufgenommen und der Bereitwilligkeit, mit der er über
seine Operationen und Therapie Aufschluss ertheilt. Ich möchte jedem Mediciner, der
Paris besucht, die Wecker'sehe Klinik empfehlen, es wird sie keiner verlassen ohne etwelche
Bereicherung seiner Kenntnisse.
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Ich kann endlich nur den frommen Wunsch dieses Mannes unterstützen, dass die pariser
Facultät es bald dazu bringen möge, einen Stuhl für die Ophthalmologie mit einer corres-
pondirenden klinischen Abtheilung zu gründen; damit man Liebt mehr der unangenehmen
Ueberraschung ausgesetzt ist, auf chirurgischen Kliniken vernachlässigte Augenkranke zu
finden, welche bestimmt sind die Blindenanstalten zu bereichern. —
Hiermit schliesse ich meinen pariser Bericht mit der Anerkennung, dass im Allge¬
meinen der theoretische Theil der Medicin bei den ausgezeichneten Vorträgen, die man
in der pariser Schule hört, mit Nutzen hier studirt werden kann; für das practische
Studium aber und für die Uebung in den Specialitäten bietet Wien unbestreitbar die grössten
Vortheile.
Mit vorzüglicher Hochachtung Ihre ergebene Dr. Caroline Farner.
W ochenberieht.
Schweiz.
Aargau. Zur Notiz. Die Tit Mitglieder der aarg. med. Gesellschaft werden hiemit
avertirt, dass im Laufe des Monats Januar jedem Einzelnen ein Exemplar der „Fest¬
schrift, dem Andenken an Albrecht von Ha 11 er dargebracht von den Aerzten der Schweiz
am 12. December 1877“, wie solche vom Vorstande anzuschaffen beschlossen worden, unter
Nachnahme von Fr. 1. 50 zugeschickt wird.
Da es sich hauptsächlich um Deckung der Druckkosten handelt und die Ausstattung
der Festschrift in Inhalt und Form geradezu prachtvoll genannt werden darf, so erwartet
der Unterzeichnete vom Patriotismus der Aargauer Aerzte, dass jeder gerne sein Scherf¬
lein beitragen wird, um das Andenken unseres grössten Arztes und Denkers zu feiern.
Wohlen, 28. December 1877. Dr. A. Bruggiss er,
Präsident der aarg. med. Gesellschaft.
Bern* Divisionsärztliche Demissionen. Es macht einen bemühenden
Eindruck zu sehen, dass nicht weniger wie vier unserer Divisionsärzte, die Herren
Oberst!. Reiser, de Pürry, Weinmann und Wyüenbach , ihre Demission eingereicht und die¬
selbe unter Verdankung der geleisteten Dienste erhalten haben. Die näheren Gründe,
die diese Herren wohl bewogen haben, ihr Amt niederzulegen, sind uns nicht bekaunt,
wohl aber deren Pflichttreue und Eifer und bedauern wir lebhaft, dieselben nunmehr aus
unserm Kreise scheiden zu sehen. In Weinmann besonders verlieren wir einen Mann, den
eine hohe militärärztliche Ausbildung, eine reiche Erfahrung und energische Thatkraft be¬
fähigt haben, eine hervorragende Stellung in unserm Corps einzunehmen, einen Mann,
dessen Mitarbeit in den Krisen, in die die herrschende Strömung uns hinein treibt, schwer
vermisst werden wird. Wir werden nie vergessen, welch thätigen Antheil Weinmann an
den Reformbestrebungen unseres Militär-Sanitätsweseas genommen hat, und hoffen, dass
er auch in Zukunft mit seinem bewährten Rath uns nie fehlen möge.
Es wird um so schwieriger sein diese vier Divisionsärzte zu ersetzen, als es heute
keines geringen Grades von Patriotismus bedarf diese Stelle anzunehmen, wenn man
sieht, wie wenig Entgegenkommen und Anerkennung der höchst zeitraubenden Thätig-
keit unserer Divisionsärzte von Seite der h. Bundesversammlung entgegengebracht wird,
die nachdem sie die mit Fr. 8000 budgetirte Bureau aushülfe für den Oberfeldarzt ver¬
weigert, die für die 8 Divisionen Fr. 2000 betragende Bureauentschädigung der Di¬
visionsärzte — trotz lebhaften Protestes von Herrn Bundesrath Scherer — ebenfalls ge¬
strichen hat.
Glarus. Unter den um den Sitz des Cantonsspitals concurrirenden Gemeinden
Schwanden, Mollis und Glarus hat letzteres den Sieg davongetragen.
Graubttnden« Unterrichtsanstalt in Davos. Der frühere Gymnasial-
director und sehr bekannte Schulmann, Geheimer Hofrath Dr. Perthes hat in Davos-Platz
eine Unterrichts- und Erziehungsanstalt errichtet, in welcher die Zöglinge sollen bleiben
können, bis sie das Abiturientenexamen eines Gymnasiums oder einer bessern Realschule
bestehen können. Hiedurch wird den Jünglingen Gelegenheit geboten, die Entwicklungs¬
periode in sanitarisch methodisch geregelter Weise zuzubringen, ohne dass dadurch ihre
geistige Ausbildung unterbrochen wird. Ein detaillirter Prospect gibt alle wünschbaren
Aufschlüsse.
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Universitäten.
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semestcr 1877/78.
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Zürich. Dem „Journal de Genöve“ zufolge beschloss die königliche Societät der
Wissenschaften in London in ihrer Sitzung vom 29. November, dem Herrn Prof. Dr. Heer
in Zürich die eine der beiden grossen goldenen Medaillen zu verleihen, als Anerkennung
für seine zahlreichen Untersuchungen Uber die Pflanzen der Tertiärperiode in Europa, in
den Gegenden nördlich vom atlantischen Meere und im Norden von Asien und America.
Der Bericht der Gesellschaft hebt ausdrücklich hervor, dass die Untersuchungen des ge¬
nannten zürcherischen Gelehrten höchst interessante und wichtige allgemeine Resultate
Uber jene Naturepoche zu Tage föqderten.
Ausland.
Uondon. Hygieine-Museum. Das „University College“ in London steht im
Begriffe zur Erinnerung an den verstorbenen Dr. Parkes in grossartigstem Maassstabe ein
Museum zu errichten. Dasselbe soll vor allem dem Studium der Hygieine gewidmet
sein und in Modellen, Plänen etc. alles enthalten, was auf diesem Gebiete allerwärts ge¬
leistet worden.
Eb sind folgende Abtheilungen in’s Auge gefasst: Localhygieine, hygieinische Archi-
tectur mit Constructions-Ddtails, Apparate und Materialien für Beleuchtung und Heizung,
Ventilation, Kleidung, Nahrungsmittel, persönliche Hygieine, Spitalwesen, Krankenutensilien,
Sicherheit«- und Rettungswesen, Fabrik- und Berufshygieine etc. etc.
Alle Bücher, Brochuren (in jedweder Sprache), statistische Tabellen, Karten, Pläne,
Ansichten, Modelle, Apparate, Beschreibungen etc., welche einen der oben berührten Ge¬
genstände betreffen, werden vom Comitd dankbarst entgegengenommen.
Nur die Mitwirkung aller Länder an diesem Riesenwerke sichert die Realisirung des
▼orsch web enden Planes, der — monumentum aere perennius — einem Manne ein Denkmal
setzt, dessen Leistungen auf dem Gebiete der Hygieine eine der hervorragendsten Stel¬
lungen immer einnehmen werden.
Herr Physicus de Welte in Basel ist bereit Gaben (bes. Spitalpläne, Spitalberichte
etc. etc.) in Empfang zu nehmen und sie dem Comitd in London zu übermitteln.
Stand der Infections-Krankheiten in Basel.
Vom 26. December 1877 bis 10. Januar 1878.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Von Masern sind 169 neue Fälle angemeldet (11, 78, 112, 143), wovon 82 (26, 87)
auf dem Nordwestplateau, 33 (61, 29) im Birsigthal, 45 (15, 18), auf dem Südostplateau,
•) Dazu 4 Auscultanten.
••) Dazu 1 Auscultant
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Kleinbasel 9 (9, 2). Die sehr extensive Epidemie dürfte in Grossbasel ihren Höhepunct
überschritten haben, während sie in Kleinbasel noch nicht über die ersten Anfänge hinaus
ist Scharlach zeigt wieder einige Zunahme auf 20 neue Fälle (25, 19, 12(, davon
die Hälfte in Kleinbasel, Nordwestplateau und Birsthal je 4, Birsigthal und Südostplateau
je 1. Typhus, wie dae letzte Mal, 6 Fälle, wovon 3 aus Kleinbasel. Erysipelas
ist in ungewöhnlicher Zahl gemeldet, 13 Fälle (7, 7, 8), wovon 4 im Spitale, die übrigen
zerstreut. Diphtherie und Croup 10 Fälle (8, 4) zerstreut über die Stadt. Puer¬
peralfieber 2 Fälle, 1 in Gross-, 1 in Kleinbasel. Pertussis einige Fälle in
Kleinbasel. Varicellen 10 Fälle (8) zerstreut Uber die Stadt.
Briefkasten.
Herrn Dr. F. R. in R.: Danke Ihnen bestens für Ihre Notiz betreffend den Schwindler. — Herrn
Prot D. in Genf: Mille remerciments pour vos Communications.
64
Entgegnung.
Auf die von Herrn Dr. Füri in Nr. 1 d. Bl. erlassene Erklärung and Protest habe
ich Folgendes zu erwidern. Die Dr. Fiiri’schen „Patienten-Jonrnale“ haben ihr Entstehen
dem Umstande zu verdanken, dass ich im August v. J. bei Anlass des Erscheinens neuer
Auflagen meiner Aerztlichen Journale Herrn Füri anfragte, ob er geneigt sei, mir für
einen an die Aerzte zu versendenden Probebogen einen Prospect zu schreiben. Herr Füri
sagte zu und ich sandte ihm auf seinen Wunsch Exemplare meiner Formularbogen ein.
Nach einiger Zeit schrieb mir Herr Füri, dass er zu dem Entschlüsse gelangt sei, ein
ganz neues Journal herauszugeben, und bot mir dasselbe zum Verlage an. Ich konnte
mich jedoch zur Herausgabe eines vollständig neuen Buches nicht entschlossen, da meine
Journale sich eines ständigen Abnehmerkreises erfreuen, dem mit dem Eingehen der bis¬
herigen und Herausgabe der neuen Journale wohl schwerlich gedient gewesen wäre. Der
mir schon damals von Herrn Füri angedeutete Vorsatz, seine Journale nun in anderem
Verlage erscheinen zu lassen, konnte mich ebenfalls nicht anders bestimmen, da ich
mir so gut wie jeder andere Kaufmann eine Concurrenz gefallen lassen muss, natürlich
war ich dabei in dem Glauben, dass Herr Füri wirklich eine ganz nene Idee realisiren
wolle.
Die von der Firma Lang & Comp, in hier im Nov. v. J. versandten Probebogen des
„nengeschaifeiieil Patienten-Jonrnals“ belehrten mich jedoch eines Bessern, da dieselben
in ihrer Einrichtung eine so absolute Aehnlichkeit mit den Krankentabellen meines Journals
für Landärzte haben, dass von einem neuen Werke keine Rede sein kann, die Richtigkeit
meiner Behauptung, dass dieselben eine blosse Nachahmung seien, dagegen jedem, der die
beiden Formulare vergleicht, sofort einlouchhen muss.
Herr Füri sagt in seiner Erklärung, sein Buch sei „rationeller und grundsätzlich
klarer* eingerichtet als das meinige, versendet aber Probebogen, die nicht nur mit meinen
Journalen eine „grosse Aehnlichkeit“ haben, sondern deren Colonuen sogar „in den
meisten gewöhnlichen Geschäfts- und Handelsbüchern und allen andersfirmigen und aus¬
ländischen ärztlichen Journalen“ gleich vorhanden sind. Mir sind weder so eingerichtete
gewöhnliche Geschäftsbücher, noch solche ausländische ärztliche Journale bekannt, weisi
Herr Füri diess besser, wie kommt er denn dazu, sich als den Verfasser auch meiner
Journale zu bezeichnen? Da hätte ihm, wenn seine Angabe überhaupt richtig wäre,
doch wohl schon damals von anderer Seite der Vorwurf einer Nachahmung gemacht
werden können!
Die Behauptung des Herrn Füri, dass er der Verfasser meiner Aerztlichen Journale
und als solcher, da er niemals Honorar erhalten habe, berechtigt sei, dieselben anderweitig
zu veröffentlichen, muss ich entschieden zurück weisen. Die ärztlichen Journale existiren
schon lange vor 1872 und es sind im Laufe der Jahre öfter auf Anrathen practischer
Aerzte Aenderungen gemacht worden; wenn auch Herr Füri seine Vorschläge gemacht hat
und dieselben ganz oder theil weise acceptirt worden sind, so hat er eben nicht mehr Rechte
an die Journale, als die verschiedenen andern Aerzte, die den Herausgeber mit ihren
Rathschlägen unterstützten. Hätte übrigens Herr Füri für seine Bemühungen jemals ein
Honorar verlangt, so wäre es ihm gewiss nicht vorenthalten worden.
Der Verlag der Aerztlichen Journale ist von mir mit allen Rechten käuflioh erworben
worden und bin ich daher der einzige rechtmässige Verleger derselben. Meine, in dem
von Herrn Füri angefochtenen Inserate, ausgesprochene Behauptung, dass sein „Patienten¬
journal“ eine N&chahmang der Krankentabellen meiner Journale für Landärzte seien,
halte ich trotz dessen Protest aufrecht.
Bern, 6. Jan. 1878. Otto KsBSer
in Firma Max Fiala’s Buohhandlung.
Schwelghaua«rische Bachdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
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COBEESPOMMZ-BLATT
Am 1. and 15. jeden
Monats erscheint eine Nr.
I 1 /«—2 Bogen stark;
am Schluss des Jahrgangs
Titeltulnhaltsverzeichniss.
für
schweizer Aerzte.
Herausgegeben von
Preis des Jahrrangs
Fr. 10. — für die Schweis;
der Inserate
35 Cts. die zweisp. Zeile.
Die Postbnreanx nehmen
Bestellungen entgegen.
Dr> Alb. Burekhardt-IHerlam und Dr. A. Baader
Privstdooent in BaseL in Gelt«rkinden.
N" 3. Ym. Jahrg. 1878. 1. Februar.
Inhalt: 1) Originalarbei ten; Dt. Bonderegger: Präliminarien zur Lebensmittelcontrole in der Schweiz. — Prof.
Dr. P. Mütter: Bei verschleppter Querlage Wendung oder Embryotomie? — Theodor Kocher: Eine 4. 8erie von 5 Ovariotomien
nebst Bemerkungen über die Genese der adhäsiven Peritonitis. — 9) Vereinsberichte: Ordentliohe Herbeteitznng der med
ehirnrg. Gesellschaft dee Cantons Zürich. — 3) Beferate und Kritiken: Vierter Bericht über daa Kinderspital (Eleonoren-
Stiftnngl in Hottingen bei Zürich. — Prof. Dr. R. Demme : Znr Anwendung des Pilocarpinum mnriaticnm im Kindeealter. —
Dr. J. Weite: I. Werth nnd Bedeutung der Reformbestrebungen in der Classification der Psychosen. 2. Die cerebralen Grund*
zustande der Psychosen. — Prot Dr. Lwiw\g Wille: Göthe's Weither nnd seine Zeit. — Dr. Carl Cntberka: Wiener Recept-
Tasehenbnch. — 4) Cantonale Correspondenzen: Bern, Glarns, Tessin (Schloss), Stuttgart. — Briefe ans Ajaccio. —
5) Wochenbericht. — 6) Briefkasten.
Original-Arbeiten.
Präliminarien zur Lebensmittelcontrole in der Schweiz.
Tractandum für die nächste Frühlingssitzung des ärztl. Central-Vereins
von Dr. Sonderegger.
1. Die Lebensmittelcontrole ist der augenfälligste und dem Verständnisse
des Volkes zunächstliegende Theil der öffentlichen Gesundheitspflege, und wer
diese ernsthaft bebauen und m’s Leben einführen will, muss mit der öffentlichen
Hygieine der Nahrungsmittel anfangen.
2. Abgesehen von ihrem erziehenden Werthe ist die Frage aber auch die
dringendste, weil die Lebensmittelfälschung öconomisch und gesundheitlich zu¬
gleich schädigt und weil bei schlechter Ernährung alle Schädlichkeiten der Luft und
des Bodens, der Wohnung und des Berufes viel tiefer und verderblicher ein wirken.
3. Wir haben Mangel an Chemikern für Lebensmittelcontrole und müssen
für diesen Dienst uns tüchtige Männer heranbilden.
Die Chemie der Nahrungsmittel ist unendlich schwieriger, zeitraubender, und kost¬
spieliger als die Welt, auch die gebildete und wohlwollende, es weiss oder ahnt Bloss
oberflächliche Analysen führen zu Unrecht und Schaden im Verkehrsleben und bringen
die ganze Lebensmittelpolizei in Misscredit; genaue Analysen aber, welche weder un¬
brauchbar einseitig noch unuöthig vollständig und damit unerschwinglich theuer werden,
sondern die streitigen Punkte herausgreifen und durch verschiedene, sich controlirende
Methoden feststellen, sind nicht die Sache des gebildeten Apothekers noch auch des
gelernten Chemikers überhaupt, sondern sie bilden im weiten Felde der Chemie ein
eigenes Gebiet, welches besondere Ausbildung und Uebung erfordert.
Unsere Zeit hat überdiess die synthetische Chemie in weit höherem Maasse gefördert
als die analytische; diese diente bisher vorzugsweise der Wissenschaft und gewann viel
Ehre, jedoch wenig Brod; jene aber dient der Industrie, erfindet Farben und Mischungen,
macht reich und reizt zum Studium. Wir haben verhältnissmässig wenige Analytiker und
unter diesen wenige Analytiker für Lebensmittel,
Unter jetzigen Verhältnissen fehlt uns zum Feldzuge gegen den schamlosen Betrug
und die verderblichste Lebensmittelfälschung nichts Geringeres als eine schlagfertige
5
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flö —
Armee. Wenn wir überhaupt Ernst machen und Erfolge haben wollen, so dürfen wir es
nicht einzelnen begabten Männern überlassen, sich in die Chemie der Lebensmittel hin-
eiuzuarbeiten, sondern wir müssen schon auf unsern Schulen Vorkehrungen treffen, dass
brauchbare Kräfte in genügender Menge geweckt und ausgebildet werden.
4. Der öffentliche Chemiker muss aber auch Physiker, Microscopiker und
Waarenkundiger sein, zuweilen selbst mit seinen Geruchs- und Geschmacks¬
organen Etwas auffinden oder feststellen, was sich chemisch nur theilweise oder
gar nicht herausfinden lässt.
5. a. Die schweizerischen Universitäten und das eidg. Polytechnikum müssen nicht
bloss Lehrstühle für erbauliche Vorträge über öffentliche und private Hygieine, son¬
dern auch Laboratorien errichten, in welchen die Studirenden die so schwierige
und doch so massgebende Technik der Lebensmittelcontrole, sowie die übrigen
hygieinischen Untersuchungen lernen können. Was hierin während der Studienzeit
muthwillig — oder bisher nothgedrungen 1 — versäumt wird, lässt sich im prac-
tischen Leben durch allen Privatfleias nicht mehr nachholen.
So gut als man nicht bloss vergleichende und physiologische Anatomie lehrt, sondern
auch chirurgische und pathologische Anatomie, so gut darf verlangt werden, dass neben
der wissenschaftlichen Analyse auch der Analyse der alimentären Stoffe weit mehr Zeit
und Arbeit gewidmet werde als bisher.
b. Insbesondere sollen in diesen Laboratorien, und bis zu deren Errichtung
in den bereits bestehenden chemischen Laboratorien der Hochschulen, nach einem
einheitlichen Plane und innert wenigen Jahren Analysen aller schweizerischen
Weine gemacht werden, um so einen Mittelwerth für die verschiedenen Ilaupt-
sorten festzustellen.
Wir behelfen uns stetsfort noch mit den verschiedenen, traditionellen Analysen fran¬
zösischer und deutscher Weine, wie sie in den Handbüchern stehen und wissen von
unsern eigenen Weinen noch nicht einmal, was charakteristisch und was nach Jahrgang
und Lage zufällig ist und wissen daher von manchem Bestandtheile auch nicht, ob er
natürlich oder künstlich sei.
6. Es erschiene uns nicht als unwissenschaftlich, wenn auch beim gewöhn¬
lichen Unterrichte in der Physik und Chemie an Industrieschulen, an
Universitäten und am Polytechnikum die naheliegenden Objecte des alltäglichen
Lebens mehr Berücksichtigung fänden als bisher.
Es ist ein Fehler, wenn man den Studirenden der Medicin mit tausend Einzelnheiten der
descriptiven Naturgeschichte vertraut macht und ihm alle Droguen der Apotheke vorführt,
während er nicht einmal in den Stand gesetzt wird, eine richtige Milchprobe vorzunehmen
oder die Luft eines Zimmers auf ihren Kohlensäuregehalt zu untersuchen und vollends gar
nicht weiss, wie die 6 bis 6 Nahrungsmittel, von welchen sein Volk gut oder schlecht lebt,
unter dem Microscope aussehen.
Auch bei den Arbeiten im chemischen Laboratorium müsste die nahe Beziehung der
Studien zum practischen Leben anregend auf die Studirenden einwirken.
Ferner ist es ein schwerer Irrthum, zu glauben, dass die hygieinischen Fächer zu¬
nächst nur für Mediciner gelehrt werden müssen und dass diese bisher überhaupt in ge-
nüglichem Maasse darin unterrichtet worden seien. Wenn wir nicht sehr viele Gebüdete, ins¬
besondere auch Juristen, Baumeister und Techniker der verschiedensten Zweige ins Interesse
ziehen und über die Aufgabe und den Umfang hygieinincher Fragen belehren, wird das
Volk noch lange Zeit auch in der Lebensmittelfrage die Beute der Fälsoher und der Be¬
trüger bleiben.
7. Die Höranbildung eines hinlänglich geübten und hinläng*
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lieh zahlreichen Personals für öffentliche Gesundheitspflege ist eine drin
gende Angelegenheit, welche die schweizerischen Aerzte vor dem Volke und allen
zuständigen Behörden zu besprechen und zu vertreten die Pflicht haben.
Wir anerkennen es als erspriesslich für die eidgen. Wehrkraft, dass der 6inn für
das Wehrwesen schon durch die Cadettenübungen geweckt und dass er durch die neu¬
lich beschlossenen Professuren und Specmlcuree am Polytechnikum ausgebildet und be¬
reichert werde, aber wir glauben, dass die grosse Friedensarmee, welche die bürgerliche
Freiheit durch Arbeitskraft und Wohlstand befestigen soll, eine nicht geringere Aufmerk¬
samkeit verdient und dass die Nahrung eines Volkes seine Bchärfste Munition ist. Unsere
Rekruteneintheilungen rufen laut nach Cursen Uber hygieinische Taktik, hygieinische
Waffenlehre und hygieinische Fortification!
Erziehen wir ein wirkliches und tüchtiges Personal für öffentliche Gesundheits¬
pflege und nehmen wir die Objecte unserer Studien auch aus dem alltäglichen
Leben, so werden wir manches Missverständnis beseitigen, manche Verachtung
der Wissenschaft und manche Verherrlichung der Charlatanerie im Keime ersticken.
Die Wissenschaft kümmert sich in diesen Fragen viel zu wenig
um das Volk und folgerichtig ist, dass dieses sich auch um die
Wissenschaft nichts kümmert und im Namen der Freiheit jeglichem
Schwindel Thür und Thor öffnet, wie vorläufig zwei demokratische Landsgemein-
den es gethan, und wie es bei der herrschenden, mehr negativen als kritischen
Zeitrichtung wohl auch allgemein werden kann.
Bei verschleppter Querlage Wendung oder Embryotomie?
Ein Vortrag, gehalten am 2. Decbr. 1876*) in der med.-chirurgischen Gesellschaft
des Kantons Bern von Prof. Dr. P. Müller.
Meine Herren! Ich muss die Collegen aus der hiesigen Stadt um Entschul¬
digung bitten, wenn ich hier ein Thema berühre, welches bereits im vorigen Winter
in unserm hiesigen Localvereine zur Verhandlung gekommen ist Ich will dasselbe
hier wieder zur Discussion bringen, weil meine damals geäusserten Ansichten viel¬
fach auf Widerspruch gestossen sind und weil ich unterdessen von verschiedener
Seite interpellirt worden bin, besonders auch in unserm ärztlichen Correspondenz-
blatte. Ich habe in der letzten Sitzung des Vereins einige Behauptungen und Thesen
aufgestellt, welche allerdings in ihrer etwas nackten Form des Sitzungsberichtes
falsch verstanden werden können. Ich habe damals gesprochen von den verschleppten
Querlagen. Was man darunter versteht, ist Ihnen Allen bekannt. Man könnte
darunter verstehen jene Geburten bei quergelagerter Frucht, welche sich sehr lange
hinziehen; allein gewöhnlich versteht man darunter die Fälle, wo bei solchon Quer¬
lagen und bei längerer Dauer der Geburt ungünstige Verhältnisse eingetreten
sind, welche die künstliche Rectification der Fruchtlage erschweren oder geradezu
unmöglich machen. In solchen Fällen wird sehr häufig die Wendung versucht,
gegen welche ich mich sehr entschieden ausgesprochen habe. Doch ehe ich etwas
näher auf die Behandlung derartiger Fälle eingehe, müssen wir zuerst uns klar
machen, was denn eigentlich der Ausgang derselben ist, wenn nicht künstlich
eingegriffen wird ? Ist das Fruchtwasser abgeflossen, so legen sich die Wandungen
*) Das Manuscript ist uns December 1877 eugekommen. Red.
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der Gebärmutter einfach vermöge ihrer Elasticität um die quergelagerte Frucht, io
ähnlicher Weise wie ein Cautschouc-Ballon sich verkleinert, wenn man ihn theilweise
seines Inhalts entleert. Dieser Zustand kann mehr oder weniger lange andauern; später
treten dann die activen Contractionen des Uterus hinzu, welche den vorliegenden
Kindestheil tiefer in den Beckencanal herunterpressen, und bei dem grossen Wider¬
stand, den die quergelagerte Frucht der Austreibung bietet, bald sich in hohem
Maasse verstärken, welche Contractionen man als klonische Krampfwehen bezeichnen
dürfte. Diesen kann es nun unter günstigen Umständen — Weite des Beckens,
Kleinheit und Abgestorbensein der Frucht — nach langer Geburtsdauer gelingen,
den Foetus noch durch den Act der sogenannten Selbstentwicklung oder auch du-
plicata corpore, wie man sich ausdrückt, auszustossen ; allein dieser Ausgang ist
sehr selten und keineswegs immer von guten Folgen im Wochenbette. Häufiger
haben diese verstärkten Wehen eine ganz andere Wirkung: sie ziehen den Cervix
zu einem beträchtlich verlängerten und dadurch äusserst dünnwandigen Canal aus,
der leicht spontan einreisst, und zu einer tödtlichen Blutung Anlass geben kann.
Gewöhnlich steigern sich die klonischen Krampfwehen zum Tetanus uteri, wobei
sich die Wandungen des Uterus ohne Unterbrechung fest um das Kind herumlegen,
so dass der Uterus steinhart sich anfühlt, keine Kindestheile mehr zu unterscheiden
sind, der Uterus die Kugelform verliert und die Ovoidform annimmt, wobei auch
die Haltung des Foetus derart geändert wird, dass Kopf und Füsse zusammen
in den Fundus uteri gedrängt werden. Diesem Tetanus folgt eine Entzündung des
Uterus, die rasch in eine allgemeine lethal endende Peritonitis übergeht Seltener
sterben Frauen mit Querlagen unentbunden an Erschöpfung in Folge der langen
Geburtsdauer; der lethale Ausgang tritt allmählig auf, seltener unter den Er¬
scheinungen des Shocks.
Dies unsere Erfahrung über den Verlauf sich selbst überlassener Geburten mit
Querlagen.
Diese Erfahrung lehrt uns aber auch, dass wir uns solchen Querlagen gegen¬
über nicht exspectativ verhalten können, sondern activ eingreifen müssen. Für
einen Augenblick könnte man denken, ob man die Selbstentwicklung der Frucht
nicht abwarten sollte; allein dies Ereigniss ist ein sehr seltenes, da die günstigen
Bedingungen, die ich vorhin angeführt habe, — wie Geräumigkeit des Beckens,
Kleinheit der Frucht, der schon vor etwas längerer Zeit eingetretene Tod der
letzteren, sehr kräftige, aber noch normale Wehen — sehr selten Zusammentreffen,
und weil ferner der Act der Selbstentwicklung oft so lange Zeit in Anspruch nimmt,
dass Entzündung der Genitalien, Erschöpfung etc. noch die Folgen sein können.
Schon das so äusserst seltene Eintreten dieses Ereignisses bei dem Umstande,
dass verschleppte Querlagen, wo sich die Geburt oft tagelang hinzieht, häufig Vor¬
kommen, verbietet von vornherein diesen Ausgang bei unserer Therapie in
Rechnung zu ziehen.
Darf man sich diesen Querlagen gegenüber nicht einfach exspectativ verhalten,
so fragt es sich weiter, was soll der Arzt bei solchen verschleppten Querlagen mit
meist tetanischer Umschnürung der Frucht thun ?
Gewöhnlich wird — gestehen wir es offen — die Wendung versucht; aber
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nicht allein versucht, sondern mit grösster Gewalt wiederholt, abwechselnd mit der
einen und der andern Hand, öfters von verschiedenen Aerzten die Wendung noch
erzwungen. Ich halte diese Manöver für höchst verderblich. Vergegenwärtigen
Sie sich das, was ich vorhin über den Zustand der Genitalwandungen gesagt habe;
der obere Theil der Scheide ist mit dem Cervix in die Höhe gezerrt, colossal
ausgedehnt, sehr verdünnt und gespannt; die Wandungen des Uterus liegen der
Kindesoberfläche so fest an, als wären sie mit derselben verschmolzen. Wird jetzt
die Hand einzuführen versucht, so wird der so verengte und gespannte Genital-
schlanch an einer bestimmten Stelle gewaltsam dilatirt und Abreissung des Uterus
von der Scheide (Ruptur des Scheidegewölbes) oder Zerreissung des verdünnten
Cervix ist nicht selten die Folge. Es braucht dann die Ruptur nicht durch eine
heftige Blutung sich zu manifestiren, aber nach gelungener Wendung treten sofort
die Zeichen der Zerreissung ein: Starke trommelförmige Auftreibung des Abdomens,
hochgradig tympanitischer Percussionsschall durch Eintritt von Luft in die Abdomi¬
nalhöhle, Verschwinden der Leberdämpfung, kleiner fadenförmiger, sehr fre¬
quenter Puls.
Würde man, nach solch’ forcirten Wendungen, auf solche Zeichen mehr achten,
so würde die vorhandene Ruptur des Uterus öfters diagnosticirt werden. Aber es
bedarf nicht einmal einer Zerreissung des Uterus, schon die Quetschung der innern
Genitalien durch die wiederholte gewaltsame Einführung der Hand, verbunden mit
der starken Umschnürung, genügt, um eine perniciöse Endometritis mit consecutiver
meist tödtlich endender Peritonitis herbeizuführen.
Man hat mir nun eingewendet, dass die Wendung auch noch bei Tetanus uteri
gelungen sei. Ich will nun nicht bestreiten, dass in einzelnen Fällen die Operation
auch ohne bedenkliche Folge geblieben sei; aber es ist dies eine sehr grosse Selten¬
heit. Noch mehr: in vielen Fällen, wo man sogar noch lebende Kinder durch die
Wendung entwickelt haben will, hat man sich einfach über den Zustand des Uterus
getauscht und etwas als Tetanus uteri angesehen, was es gar nicht ist. Ich habe
vorher schon gesagt, dass nach vollständigem Abfluss des Fruchtwassers bei Quer¬
lagen die Wandungen des Uterus, vermöge ihrer Elasticität oder Tonus, sich um
das Kind herum legen, wobei jedoch dieselben der eindringenden Hand nachgeben
und die Wendung ohne grosse Mühe gestatten. Dieser Zustand der Ute¬
ruswand wird oft mit dem Tetanus uteri verwechselt, wo die
Wandungen in starrer permanenter Contraction begriffen, der vordringenden Hand
einen bedeutenden Widerstand entgegensetzen und zum Platzen des Organs Veran¬
lassung geben können. Nichts spricht aber mehr für die Richtigkeit dieser Ver-
muthung, als der Umstand, dass man bei einem solchen Tetanus uteri lebende
Kinder nach der Wendung extrahirt haben will. Ich halte dies geradezu für eine
physiologische Unmöglichkeit. Bekannt ist Ihnen ja die Erscheinung, dass schon
während der normalen Contractionen des Uterus, den Wehen, die Frequenz der Herz¬
töne des Kindes alterirt werden, was nur so zu erklären ist, dass durch die Zusam¬
menziehung der Gebärmutter die Gefässe in seinen Wandungen verengert, dadurch
die Zufuhr des Blutes, des Respirationsmaterials des Fcetus, zur Placenta verringert
und ein gewisser Grad von Athemnoth beim Fcetus erzeugt wird. Je intensiver
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und langdauernder die Wehen, desto mehr steigert sich die Letztere, wie bei der
Austreibungsperiode; nur dadurch, dass die Wehen durch Pausen unterbrochen
werden, wird die regelmässige Circulation des Fcetus wieder hergestellt und die
Gefahr für das Kind vermindert. Etwas anders, wenn die Wehen ohne Unter¬
brechung, wie bei Tetanus uteri, andauern: Mit der nämlichen Sicherung, mit
der beim Erwachsenen durch Compression der Trachea der Tod erfolgen muss,
muss auch beim Tetanus uteri der Fcetus an Erstickung intrauterin zu Grunde
gehen.
Man hat mir auch eingewendet, dass man ja Mittel habe, um den Tetanus uteri
zur Lösung zu bringen, worauf die Ausführung der Wendung mit geringer Mühe
gelinge. Ich habe alle die vorgeschlagenen Mittel, wie Aderlass, Bäder, Narcotica,
angewendet, muss jedoch bekennen, dass ich niemals eine befriedigende Wirkung
davon gesehen habe. Ist der Einfluss der narkotischen Mittel auf den Uterus ein
sehr unsicherer, nicht im mindestens voraus zu bestimmen, so geht auf der anderen
Seite durch das Abwarten der Wirkung derselben oft viel Zeit verloren, während
welcher sich der Zustand noch wesentlich verschlimmert, so dass man schliesslich
unter noch ungünstigem Verhältnissen operativ einschreiten muss. Doch es wäre von
mir etwas zu weit gegangen, wenn ich behaupten wollte, ich hätte nie eine Lösung
des Tetanus uteri beobachtet. Ja, in seltenen Fällen. Aber es waren dies Fälle,
wo der beginnende, in die Agonie übergehende Collapsus eine Erschlaffung der
Uterinwände herbeiführte, und dadurch die Operation sehr erleichterte.
Ist aber beim Tetanus uteri mit dem Gebrauch der unsichera krampflösenden
Mittel keine Zeit zu verlieren, die sofortige Ausführung der Wendung aber für die
Mutter so gefährlich, so bleibt nicht anderes übrig, als die Entbindung der Mutter
durch die Embryotomie.
Die Befürchtung, dass man diese Operation möglicher Weise am lebenden Kinde
ausführen könne, theile ich aus den vorhin angegebenen Gründen nicht. Das
Leben des Kindes muss bei Tetanus uteri ja erlöschen. Aber, gesetzt den Fall,
wenn noch das Leben zweifelhaft sein sollte, so könnte dieser Umstand ebenso
wenig eine Contraindication gegen die Embryotomie abgeben, als bei vorliegendem
Schädel und beträchtlicher Beckenanomalie wegen der Gefährdung der mütterlichen
Weichtheile die Perforation eines lebenden Kindes. Was hat jedoch die Embryotomie
vor der Wendung voraus? Warum ist ihre Prognose günstiger?
E8 braucht entweder gar nicht oder nur auf eine ganz
kurze Strecke die Hand in den gespannten Uterus einge¬
führt werden und fällt in Folge dessen auch die Beizung
des Uterus und die Gefahr einer Ruptur der Genitalien ganz
weg- Ist auch die Embryotomie keine für die Mutter unbedeutende Operation,
so ist die Gefahr gegenüber der bei forcirter Wendung eine geringe. Meiner Ueber-
zeugung nach müsste die Embryotomie einen sehr günstigen Einfluss auf den
Mortalitätsprocentsatz bei Querlagen äussern, wenn diese Operation nicht zu spät, d. h.
zu einer Zeit erst ausgeführt würde, wo bereits der Tetanus uteri seine schlimme Wir¬
kung schon entfaltet hat, oder wo bereits wiederholt Wendungsversuche vorgenommen
worden sind. Es bieten auch hier wieder Embryotomie und Perforation ähnliche
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Verhältnisse: Wie die letztere eine günstige Prognose bietet, wenn dieselbe früh¬
zeitig und ohne Vorausschickung anderer Entbindungsverfahren ausgeführt, so ver¬
hält sich die Sache auch, wie ich glaube, mit der Embryotomie.
Wie soll nun aber die Operation ausgeführt werden?
Eine ganze Reihe von Operationsverfahren hat man im Verlauf der Zeit an¬
gegeben ; eine grosse Anzahl von Instrumenten hiezu erfunden.Und wenn
man all' die Verfahren und Instrumente prüft, so muss man doch bekennen, dass
viele Verfahren dem Ideale einer solchen Operation, welche die Leichtigkeit der
Anwendung mit der Sicherheit bei der Ausführung verbinden sollte, nur wenig
nahe kommen. Die Technik dieser Operation ist eben noch eine sehr unvollkommene,
trotz der verschiedenen Versuche der Verbesserung, die in neuerer Zeit gemacht
worden sind. Immer noch bleiben die Decapitation (mittelst des- ßraun’schen
Schlüsselhakens) und die Embryulcie (Eröffnung der Brust- und Bauchhöhle, Ent¬
fernung der Eingeweide und Wendung nach Art der Selbstentwicklung) diejenigen
Verfahren, die bis jetzt am meisten eingeübt und sich am besten bewährt haben.
Wenn Sie mich fragen, welchen von beiden Methoden ich den Vorzug gebe, so
wird mir es schwer, diese Frage zu beantworten. Entschieden schwieriger ist der
Act der Decapitation gegenüber der Embryulcie (Eröffnung und Ausräumung der
Brust- und Bauchhöhle), dagegen gelingt die Entfernung der einzelnen Kindestheile
entschieden leichter nach der Decapitation, als die Extraction des Kindes nach Art
der Selbstentwicklung. Eine gewisse Vorliebe für die Embryulcie habe ich mir,
trotzdem die Decapitation jetzt häufiger ausgeübt wird, doch gewahrt, und zwar
ziehe ich dieselbe der Decapitation dann vor, wenn die Geburt schon lange ge¬
dauert hat. Durch die Einwirkung des Uterusgrundes auf den Steiss ist dann mei¬
stens neben der vorliegenden Schulter ein Theil des Thorax hinuntergedrängt, die
Selbstentwicklung hat begonnen, zu deren Vollendung es jedoch nicht kommt Hier
kann dann, ohne Gefährdung der Mutter mittelst des trepanförmigen Perforatiums
eine Oeffnung angelegt, dieselbe dann mittelst einer Scheere so erweitert werden,
dass durch den Braurischen Schlüsselhaken hierauf mit Leichtigkeit die Brust¬
eingeweide entfernt, das Zwerchfell durchstossen und dann auch die Abdominal¬
höhle von den Eingeweiden aus geräumt werden können. Den nämlichen Haken
benützt man auch, um denselben mit seinem umgebogenen Ende an der Wirbel¬
säule der Abdominalhöhle einzusetzen, um dann durch einen kräftigen Zug nach
abwärts das untere Rumpfende neben der Schulter vorbei zu ziehen. Wie Sie
sehen, ist diese Operation nur eine Nachahmung der so selten eintretenden Selbst¬
entwicklung; sie wird aber hier ermöglicht durch die Exenteration und den Zug,
der mittelst des Hakens am untern Rumpfende ausgeübt wird. Sie sehen aber auch
ferner, dass es nicht eines complicirten Instrumentenapparates bedarf: trepanförmiges
Perforatoriura und ßratm'scher Schlüsselhaken, die ja in keinem geburtshilflichen
Etui eines Arztes fehlen sollten. Nur dann, wenn der Thorax neben der Schulter
nicht stärker herunter gedrängt, die Rippen nicht deutlich zu fühlen und desshalb
die Anlegung einer Perforationsöffnung schwierig ist — meist wenn die Geburt
nicht so lange gedauert hat — entschliesse ich mich zu Decapitation mit dem Braun
sehen Schlüsselhaken.
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Um nicht wieder Missverständnisse hervorzurufen, fasse ich das Gesagte in
folgenden Sätzen zusammen :
1) Ist das Fruchtwasser abgeflossen, so kann die Austreibung der querge¬
lagerten Frucht der Contraction des Uterus überlassen werden, wenn die Schwanger¬
schaft noch nicht den 8. Monat erreicht hat. Die Kleinheit der Frucht erleichtert
die Selbstentwicklung in so hohem Grade, dass die Wendung unnöthig erscheint.
2) In einer spätem Zeit des Geburtseintrittes kann nur dann die Austreibung des
Foetus in Querlage abgewartet werden, wenn an dem vorliegenden Kindestheile
Zeichen von hochgradiger Maceration (Ablösung der Epidermis etc.) sichtbar sind.
Hier ist der Foetus so compressibel, dass er duplicata corpore durchgepresst
werden kann.
8) In allen andern Fällen ist die Wendung angezeigt, so lange die Wehen noch
keinen abnormen Character angenommen haben.
4) Auf die Wendung soll man als zu gefährlich verzichten, und ohne von krampf¬
stillenden Mitteln eine Lösung der Krampfwehen zu erwarten, die Embryotomie
ausführen, wenn der vorliegende Kindestheil tief herunter gedrängt, den Becken¬
eingang vollständig ausfüllt, der Uterus in permanenter Contraction verharrt, wobei
noch gar nicht bedenkliche Symtome wie Schmerzhaftigkeit des Uterus, Fieber etc.
vorhanden zu sein brauchen.
Nur noch eine Bemerkung möchte ich mir schliesslich erlauben, nämlich die,
dass die Ausführung der Embryotomie eine gewisse Dexterität erfordert. Aber
letztere kann ebenso leicht erworben werden, als es bei andern geburtshilflichen
Operationen der Fall ist. Aufgabe des geburtshilflichen Unterrichtes ist es, die
Embryotomie in den Operationscursen nicht so stiefmütterlich zu behandeln, als
dies gewöhnlich der Fall ist, sondern die Einübung dieses Verfahrens mehr zu be-
thätigen. Es wird hier wohl gehen, wie auch sonst in der ausübenden Arznei¬
kunde. Ist der Arzt mit der Technik der Operation mehr vertraut, so wird er
Decapitation und Embryotomie nicht als allerletztes Mittel ansehen, nachdem alle
andern Entbindungsversuche fehlgeschlagen haben, sondern er wird sie ausführen
zum Heile des mütterlichen Lebens zur richtigen Zeit.
Eine 4. Serie von 5 Ovariotomien nebst Bemerkungen Uber die Genese der
adhäsiven Peritonitis.
Von Theodor Kocher in Bern.
Es mag vielleicht ungerechtfertigt erscheinen, noch einmal mit einer Zahl von
5 Ovariotomien vor das Publicum zu treten. Es geht uns bei Vollendung der
20. Ovariotomie, wie Billroth bei Publication seiner ersten 100: Wir müssen unsere
Zahl gegenüber Billroth als eine verschwindend kleine anerkennen, wie dieser Chirurg
die seinigen gegenüber den Zahlen eines Spencer Welle, welcher nun an seinem
9. Hundert arbeitet. Da aber die Ovarialcystome in der Schweiz in eben dem Maasse
zu den seltenen Erkrankungen gehören, wie die Neubildungen der männlichen Ge¬
schlechtsdrüsen,*) so mag es doch indizirt erscheinen, von Zeit zu Zeit über die
Resultate der Operation Rechenschaft abzulegen.
*) Vergl, hierüber Billroth’B Zürcher Chlr. Klinik.
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Die 5 Ovariotomien der 4. Serie sind sämmtlich geheilt und zwar meist rascher als
die früheren. In der für diesen Erfolg massgebenden antiseptischen Behandlung
ist keine wesentliche Aenderung eingetreten. Wir dürfen desshalb auf unsere
früheren Publicationen *) verweisen.
Nr. 16. Die 29jährige Patientin war erst vor 3 Wochen bei einem Anfall
heftiger Unterleibsschmerzen auf das Vorhandensein einer Geschwulst im Abdomen
aufmerksam geworden, obschon dieselbe bis 2 Querfinger über den Nabel reichte.
In der Narcose Hess sich mit Bestimmtheit die Diagnose auf ein vom linken
Ovarium ausgehendes Kystom stellen, welches gut beweglich war. Demgemäss
war auch die am 21. D e c b r. 18 7 6 in Anwesenheit von Prof. P. Müller im Insel¬
spital ausgeführte Ovariotomie eine sehr einfache. Eine kleinere Cyste des anderen
Ovarium (des rechten) wurde incidirt. Der Verlauf war vollständig fieberlos. Auch
die am 7. Januar eintretenden Menses brachten keine Störung. Am 17. Januar
verliess Patientin das Bett und wurde am 27. entlassen.
Nr. 17, Privatpatientin Frau B. aus dem Canton Freiburg, 28 Jahr alt, ist
schon letztes Jahr von den Herren Dr. Schalter in Freiburg und Prof. Vogl in Bern
behandelt und auf die Nothwendigkeit einer Operation aufmerksam gemacht worden.
Vor V, Jahr war vom Prof. Müller und mir auf Rath von Dr. Kirchhof er eine
Untersuchung gemacht und eine sehr bewegliche Ovarialcyste constatirt worden.
Die damals vorgeschlagene Untersuchung in Narcose und Operation beliebte nicht
und Patientin zog es vor, sich von ihrem Arzte noch weitere 5, im Ganzen 7 Mal
punktiren zu lassen, weil nicht nur die Flüssigkeit der Cyste sich sehr rasch
wieder ansammelte, sondern auch Ascites bestand, welche mehrfach punktirt werden
musste. Dank diesem langen Zuwarten hat sich der Zustand der Patientin ausser¬
ordentlich verschlimmert. Sie ist äusserst abgemagert, dyspnoisch. Das Abdomen
ist kolossal aufgetrieben, die Füsse und Bauchdecken oedematös; es besteht Pro¬
lapsus uteri. Eine erste Punction entleert 10,000 Ccm. gewöhnliche Ascitesflüssig¬
keit, eine zweite an Paralbumin reiche (Prof. Nencky ) Ovarialflüssigkeit.
Die Operation am 9. Mai 1877 muss in halbsitzender Stellung ausgeführt
werden. Nach der Incision entleert sich reichlich Ascitesflüssigkeit, während die
Punction der Geschwulst nur circa 1 Maass gelblichen schleimigen Inhalt zu Tage
fördert. Es wird desshalb der Tumor gespalten und mit der Hand ausgeräumt,
wobei das Einfliessen von Cysteninhalt in die Bauchhöhle nicht ganz zu vermeiden
ist. Daher wird eine exacte Toilette des Peritoneum gemacht, obschon Patientin
etwas collabirt ist. Der Stiel, sehr kurz und breit, wird, wie im vorigen Falle, in
eine Klammer gelegt. Am ersten Abend ist die Temperatur 38,7; Patientin hat
starke Schmerzen gehabt. Von da ab ist der Verlauf fieberlos und ohne Compli-
cation, so dass die Patientin am 6. Juni das Bett verlassen und am 17. entlassen
werden kann im besten Wohlsein, das sich seither erhalten hat
Nr. 18. Frau Chr. wurde von Dr. Gut in Stans uns zugewiesen. Die 32jährige
Frau hat vor 2 Jahren eine „Darmentzündung“ überstanden und seither häufig
Schmerzen in der linken Seite des Unterleibes verspürt Seit */* Jahr hat sie die
zunehmende Auftreibung ihres Unterleibes beobachtet.
*) 8. Correspondenzbl. 1877 S. 6 und 1876 S. 893.
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Das Abdomen zeigt eine auffällig querovale Ausdehnung; ein Tumor von sehr
praller Consistenz nimmt das ganze Abdomen ein von einer Spina iL zur andern,
rechts bis zum Rippenrand, links 3 Querfinger von demselben entfernt Der Tumor
zeigt noch einige Beweglichkeit; in Narcose lässt sich der Uterus von demselben
abgrenzen. Ein Stiel ist nicht zu fühlen, auch nichts von den normalen Ovarien.
Wenige Tage nach der Untersuchung trat eine Thrombose der 1. vena cru-
ralis ein.
Die Operation am 12. Mai 1877 in Anwesenheit von Dr. Niehant und Assistenz
von Dr. Kaufmann und Feurer ergab sehr ausgedehnte Verwachsungen der Cyste,
zumal auf der Vorderfläche. Dieselben werden unterbunden und durchschnitten.
Die Punction entleert einen gelben Brei in schmutziger Flüssigkeit. Der lange
Stiel wird in die Klammer gefasst Das rechte Ovarium ist gesund.
Es handelt sieh um eine colossale einfache Dermoidcyste des L Ovarium mit
massig dicker, reich vascularisirter Wand. Der Inhalt ist ein gelblich weisser,
dicker Brei von Epidermisschollen mit feinen Haaren.
Mit Ausnahme einer Temperatur von 88,6 am zweiten Abend ist der Verlauf
vollständig fieberlos und Patientin kann am 3. Juni das Bett verlassen.
Nr. 19. Madame B., Privatpatientin, wurde uns von Dr. Ladame in Locle zu¬
geschickt, nachdem kurze Zeit vorher Dr. König die Patientin gesehen und ihr zur
Operation gerathen hatte. Der Tumor hatte sich seit 2 Jahren entwickelt. Er
füllt jetzt die ganze Bauchhöhle aus und ist nur durch die Percussion, resp. einen
Saum tympanitischen Schalles von den Rippenbogen zu trennen. Der Tumor ist
mit Sicherheit als multiloculäres Cystom zu diagnostiziren, zeigt aber keine deut¬
liche Verschiebbarkeit weder seitlich noch aufwärts.
Am 15. Juni 1877 wird in Auwesenheit von Dr. Möhrlen und Niehant und
unter Assistenz der Herren Dr. Kauffmam und Feurer die Ovariotomie ausgeführt. Die
Geschwulst zeigt sich auf der Vorderfläche so ausgedehnt verwachsen, dass es
schwierig ist, das Peritoneum zu unterscheiden. Bei der Punction nach verschie¬
denen Richtungen entleert sich so wenig Flüssigkeit, dass der Tumor durch die
Incision nicht hätte herausbefördert werden können. Daher wird breit incidirt,
das Cystom mit der Hand evidirt und nun mit einiger Gewalt entbunden. Dabei
konnte Austritt von Cysteninhalt in die Bauchhöhle nicht vermieden werden. Der
kurze Stiel wird in eine Klammer gefasst.
Einige Stunden nach der Operation sieht Patientin etwas collabirt aus und
klagt Schmerzen. Nach dieser Zeit erfreut sie sich des ungestörtesten Wohlbe¬
findens und hat nie Temperaturerhöhung gehabt. Am 2. Juli verlässt sie das Bett.
Sie hat sich seither vorgestellt und erfreut sich vollständigen Wohlseins.
Nr. 20. Mlle. B., 42 Jahre alt, Privatpatientin, wurde uns behufs Ovario¬
tomie von den Herren Comaz und Daucourt in Pruntrut zugewiesen. Sie hat eine
Geschwulst im Abdomen erst seit IV» Jahren bemerkt Dieselbe macht ihr keine
Beschwerden. Nur Anfangs August bestanden vorübergehend peritonitische Er¬
scheinungen, nachdem Patientin auf einer Stiege auf den Rücken gefallen war.
Intensive Schmerzen mit Auftreibung und Druckempfindlichkeit traten 2 Tage
nach dem Fall gleichzeitig mit den Menses auf. Der Tumor ist deutlich fluctuirend,
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%
von kaglicher Form, nicht sehr beweglich, doch ist der Uterus genau abgrenzbar.
Obere Gronze der Geschwulst 2 Querfinger über dem Nabel.
Am 9. November 1877 wird in Anwesenheit der obengenannten Herren
und Assistenz der Herren Glaser, Kaufmann und Stoos die Operation ausgeführt.
Die Cyste ist so ausgedehnt verwachsen, dass sie nur mit Gewalt von der vordem
Bauchwand abgelöst werden kann. Die Adhärenzen werden zum grössten Theil
mit der Hand zerrissen, ein Theil zuerst unterbunden. Nach Isolirung des Stiels,
welcher die Tube enthält, zeigt sich derselbe so kurz und dick, dass er unter¬
bunden (in toto) und versenkt werden muss. Beim Durchschnitt des Stiels zeigen
sich dio Gefässe in ausgedehnter Weise thrombirt und zwar mit hellbraunrothen,
zum Theil erweichten Gerinnseln erfüllt. Der Uterus und das linke Ovarium
sind gesund.
Die herausgenommene Cyste ist multiloculär, sehr derbwandig, mit dicken
Septa. Auf der Innenwand der Hauptcyste sind helle gelbbraune, oedematös aus¬
sehende lockere Fibringerinnsel aufgelagert.
Die Wunde wird vollständig genäht und ist nach 14 Tagen so per primam
intentionem geheilt, dass Patientin aufstehen kann.
Der letzte Fall ist interessant wegen der ausgedehnten Gefässthrombose im
Stiel der Ovarialgeschwulst Da niemals eine Behandlung stattgefunden hatte, so
hatte sich offenbar diese Thrombose und zwar wahrscheinlich durch Zerrung des
Stiels nach einem Fall auf den Rücken unmittelbar vor den Menses, spontan aus¬
gebildet. Dass die daherige Circulationsstörung nicht ohne Einfluss auf die Ge¬
schwulst gewesen ist, ergibt sich aus dem blutigen Inhalt und den ausgedehnten
Verwachsungen trotz nicht bedeutender Grösse und Fehlen anderweitiger Ursachen,
wie vorgängige Punctionen etc. Es ist nach Analogie wohl unzweifelhaft, dass adhäsive
Entzündung des serösen Ueberzuges einer Cyste erfolgen kann, sowohl direct durch
Circulationsstörungen, wie Thrombosen sie mit sich führen, als auf dem Umwege
von Blutungen in die Höhle des Sackes. Analoge Vorgänge haben wir bei den
Gelenken der untern Extremität nicht selten. Wir haben in früheren Fällen auf
die in Folge von Erguss von Cysteninhalt auftretenden Peritoniten, welche zu
Adhäsionen führen, aufmerksam gemacht und zwar einerseits nach Punctionen,
anderseits nach spontanem Platzen kleiner, oberflächlicher Tochtercysten. Letzteres
erklärt mit den Blutungen in die Höhle des Sackes und mit den Thrombosen, die
auch in unsern letzten Fällen so regelmässig beobachteten Verwachsungen jung¬
fräulicher — noch nie punctirter — Ovarialcysten. Wie die Blutgerinnsel, so
wirkt offenbar auch der dickere Inhalt der Dermoidcysten, wahrscheinlich in Folge
von äusseren Einwirkungen, häufig als chronischer Entzündungsreiz auf den Balg
und veranlasst adhäsive Ausschwitzungen auf der bedeckenden Serosa.
Die wenigen Fälle, welche wir hier besprochen haben, zeigen wieder, mit
welch’ guten Aussichten man die Exstirpation erkrankter Ovarien unter dem Schutze
antiseptischer Wundbehandlung ausführen kann. Es kann ja freilich nicht ver¬
fehlen, grossen Eindruck zu machen, wenn man hört von Spencer Wells , dass er
die ersten 27 Fälle seines 9. Hunderts von Ovariotomien ohne Antisepsis und
ohne einen Tropfen Carbolsäuro geheilt hat; allein man darf doch nicht vergessen,
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dass er beim 6. Hundert immerhin noch 28 Fälle und beim 7. und 8. Hundert
noch je 24 Todesfälle zu verzeichnen hat. Er macht allerdings aufmerksam, dass
er oft verzweifelte Fälle operirt habe; allein gerade für diese ergibt die Antisepsis
den erheblichsten Vortheil, da es hier nicht angeht, so rasch zu operiren, wie es
ohne dieselbe wünschenswerth erscheint und da hier auch eine lnfection geringen
Grades erhebliche und gefährliche Folgen nach sich zieht Olshausen in seiner
gründlichen und trefflichen Besprechung der Ovariotomie *) findet auf 73 antisep¬
tisch, fast alle von deutschen Chirurgen ausgeführte Ovariotomien eine Mortalität
von bloss 18%- Und doch hat gewiss keiner unter all’ diesen Operateuren die
Fertigkeit eines Spencer Welle oder Köberle für die fragliche Operation, und sind
gewiss die Meisten unter ihnen gar nicht im Falle gewesen, bei der Spärlichkeit
des zufliessenden Materials nur die günstigen Fälle auszuwählen. Es sind bei
diesen 73 die Fälle von Begar und Keith, welche beide zwar nicht „listernaber
Antisepsis machen, nicht mitgerechnet Jener hat unter 15 Fällen keinen verloren,
dieser unter 79 Operationen eine Mortalität von bloss 10,1 %• Dazu kommen noch
unsere obigen 5 Fälle in Rechnung. Wir haben auf die 15 Fälle von Ovariotomie
mit Antisepsis bloss 2 Todesfälle = 6,6%.
Wenn Sir James Paget in der Discussion über Spencer Wells Mittheilung darauf
aufmerksam gemacht hat, dass die brillanten Erfolge dieses ausgezeichneten Chi¬
rurgen das ganze Gebiet der peritonealen Chirurgie erweitert haben, so kann man
mit ebenso gutem Recht sagen, dass gerade die Erfolge der Antisepsis bei der
Ovariotomie am meisten geeignet sind, einem Zweifler die Augen zu öflhen über
den unschätzbaren Werth dieses segensreichsten Fortschrittes auf dem Gebiete
der chirurgischen Therapie.
Bern, am 4. December 1877.
V ereinsberich t e.
Ordentliche Herbstsitzung der med.-chirurg. Gesellschaft des Cantons Zürich.
Den 5. November 1877, 10 Uhr in der Aula des Linth-Escherschulhauses in Zürich.
Anwesend 49 Mitglieder.
Nach einer kurzen Eröffnungsrede des Präsidenten, an deren Schluss er noch
der seit der letzten Zusammenkunft verstorbenen Mitglieder, des Nestors der Ge¬
sellschaft und frühem Präsidenten, des Herrn Alt-Bürgermeister Dr. Zehnder und des
Herrn Kunz, Arzt in Zollikon, mit einigen Worten gedenkt, schlägt er folgende
Tractandenordnung vor: 1) Vorlage der Geschenke; !2) Vortrag von Prof. Rose
über Entkröpfung; 3) Bericht über die Eingabe an die Sanitäts-
direction, betreffend Nomenclatur; 4) Besprechung der Frühjahrs¬
sitzung; 5) Bericht von Dr. W. v. MuraU über den chirurgischen Nach¬
lass von Dr. Beasser ; 6) Vortrag von Dr. Treichler über Stabturnen; 1) Auf¬
nahme neuer Mitglieder und Wahl eines Comitämitgliedes; 8) Vortrag von Prof.
0. Wyss über P h t h i s i s im Kindesalter, und wenn Zeit 9) Mittheilungen von Bez.-
Arzt Dr. Sigg und Prof. Schär. — Angenommen.
*) Pitha und BiUroth, Handbuch d. Cbir. Bd. 4. Lief. 6. 1877.
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Vortrag von Prof. Dr. E. Rose über die Grenzen der totalen Exstirpation
der erkrankten Schilddrüse (der Entkröpfung). Der Vortragende
will sich für heute beschränken, auf die Besprechung der chirurgischen Be¬
handlung der carcinomatösen Strumen (des Krebskropfes). (Der
Vortrag erscheint in extenso im Archiv für klin. Chirurgie.)
Am Schlüsse demonstrirt R. mehrere exstirpirte Krebskröpfe und resumirt
wie folgt:
Da der Krebs sich nur mit der Ausrottung heilen und sich auch der Krebs -
kröpf exstirpiren lässt, so würde von technischer Seite der Operation des Krebs¬
kropfes Nichts im Wege stehen. Wenn Lebert statt dessen die Schmerzen und
Athembeschwerden der Kranken mit Narcoticis zu bekämpfen und die Kranken
nur gut zu ernähren räth, ist diese oft theils unnöthig, da sie manchmal keine
Schmerzen, zuweilen keine Athembeschwerden haben, anderseits nicht möglich, da
die schlimmsten Erstickungsfälle bei Krebskropf vom Durchbruch in die Trachea
herrühren, gegen den auch die Narcotica ebenso ohnmächtig wie die Operation
ist. Würde man den Kranken ratben, sich gut zu nähren, so möchte das wie
Hohn klingen, da ja die Unmöglichkeit zu essen beim besten Appetit das Haupt¬
leiden nach meiner Erfahrung beim Krebskropf ist
Wenn die Operation des Krebskropfes, die Radicalkur, scheitert und in allen
mir bekannten Fällen, den ScAuA’schen ausgenommen, gescheitert ist, so liegt das
nicht sowohl an diesem leidigen Verhungerungszustande, nicht an der Operation,
sondern vor Allem an unserer mangelhaften Diagnostik des Krebskropfes. In
manchen Fällen sind wir bis zum Tode ausser Stande, ihn zu erkennen, in vielen
erkennen wir ihn erst zur Zeit der Generalisation, wo die Operation keinen Zweck
mehr hat, und, wie die meisten Krebsoperationen in diesem Stadium, scheitert, im
primären Stadium, wo die Operation sonst etwas verspricht, können wir ihn leider
aber ganz und gar nicht mit Sicherheit erkennen. Es liegt das wohl an seiner
Eigenschaft, sich lieber früher meist auf die Venen, Bronchialdrüsen und Lungen
zu metastasiren, als durch die Kapsel durchzubrechen. Wir haben schliesslich ge¬
funden, wie auch beim Krebskropf, alle Arten Cysten: einfache colloide hämor¬
rhagische und Breicysten sich finden, um neben den pseudo-fluctuirenden Mark¬
massen die Täuschung vollständig zu machen.
Prof. Rose zeigt noch den Juncker 'sehen Inhal ati on sapp ara t zur Nar-
c o s e. Er braucht ihn mit Chloroform, schreibt die sichere und gefahrlose Wir¬
kung weniger dem Methylenbichlorid, als dem Apparat zu, und empfiehlt denselben
angelegentlich.
Auf unsere Eingabe an die Sanitätsdirection betreffend Nomenclatur,
worin der Wunsch ausgesprochen wurde, es möchte in Zukunft gestattet sein, bei
Bezeichnung der Todesursachen auf den Todtenscheinen die technischen Ausdrücke
auch in fremder Sprache zu wählen (vgl. Corr.-Bl. p. 672), ist eine bejahende Ant¬
wort eingegangen; die Direction ist damit einverstanden, dass das Basler Schema
zum Vorbild genommen werde, wünscht aber, dass die Aerzte dann verpflichtet
werden, sich in der Bezeichnung ganz an dasselbe zu halten. Dr. Rahn-Escher als
Referent macht darauf aufmerksam, dass bei Aufstellung von einheitlichen Be-
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»eichmmgen gewiss auch das Frankfurter Schema mit Nutzen zu Rathe gezogen
werden könnte. Er ladet die Gesellschaft ein, sich zu entscheiden, ob sie dem
Comit£ die Erledigung der Angelegenheit überlassen oder ob sie eine eigene
Commission dafür bestellen wolle. Ersteres wird beschlossen.
Dos Comitä beantragt, die Frühjahrssitzung ausfallen zu lassen, weil die Ver¬
sammlung der Centralvercine im Frühjahr wieder in Zürich stattfinden wird. Die
Gesellschaft stimmt diesem Antrag bei und gibt dem Comitä wieder einen Credit
bis auf Fr. 300 zum Empfang der Gäste.
Folgt nun der Bericht über den chirurgischen Nachlass von
Dr. Heusser in Hombrechtikon (vgl. Corr.-Bl. 1876 p. 33), erstattet von Dr. W. v. Muralt
Der Vortragende gibt zuerst einen kurzen Abriss über den Bildungsgang und die
beschwerliche landärztliche Thätigkeit ff s und citirt, was Billroth unter Anderem
über ihn sagt: „Heusser war ein Wundarzt von grosser Kühnheit und guter Beob¬
achtungsgabe, sowie von ungewöhnlicher — doch mehr rein technischer Geschick¬
lichkeit .er operirte schnell und geschickt“ — M. beabsichtigte Anfangs,
das gesammte Material, das von 1842—1860 in Tabellen geordnet ist, verarbeitet
vorzulegen, sah aber bald ein, dass diess weit über den Rahmen eines Vortrages
hinausgehen würde, und beschränkt sich desshalb darauf, fl’s hervorragendste
Leistung zu skizziren und die wichtigsten Präparate vorzuführen.
Die erste geheilte Knieresection stellte fl. im Jahre 1848 der Gesellschaft
vor, also zu einer Zeit, wo in Deutschland die Operation geradezu verpönt war.
Auch Textor in Wiirzburg rieth davon ab.
Heusser war damals neben den Amerikanern und Engländern der einzige Re¬
präsentant der Knieresection. Schon ein Jahr nachher stellte er einen mit be¬
weglichem Knie geheilten Mann vor, und im Jahre 1859 berichtete er übor 32
Knieresectionen, von denen 19 geheilt und 13 ungeheilt (2 nachträglich amputirt
und 11 gestorben: 3 Tuberculose, 4 Pyämie, je 1 an Anämie, Hämorrhagie, Te¬
tanus und 1 unbekannt). Er war da zu der Ueberzeugung gekommen, dass man
nicht nach dem 55 Jahre reseciren dürfe, weil die Reproductionskraft zu gering
sei, und dass man feste Anchylose anstreben müsse, da ein künstliches Gelenk im
Knie zum Gehen nie so brauchbar werde, wie ein steifes Knie. — Von diesen 32
Knieresectionen sind noch 26 Präparate vorhanden. Durchmustem wir dieselben,
so erkennen wir leicht, dass in allen Fällen nach damaligen Anschauungen die
Resection gerechtfertigt war. Wenn wir auch damit nicht behaupten wollen, dass
nicht vielleicht in dem einen oder andern Falle die Resection hätte umgangen
werden können, so ermöglicht es uns doch, den Vorwurf zurückzuweisen, der fl.
auch in unserer Gesellschaft damals zu wiederholten Malen gemacht wurde, dass
er oft Fälle resecirt habe, wo der Knochen gar nicht erkrankt gewesen sei Die
Nachbehandlung bestand immer in einen Rinnenverband von Guttapercha, der An¬
fangs in einer Schwebe, später immer nur zwischen zwei Sandkissen gelagert
wurde.
Es werden 2 im Jahre 1850 resecirte Patienten vorgestellt, die als Reprä¬
sentanten jener resectionslosen Zoit geradezu historische Cabinetsvarietäten sind.
Sehr instructiv ist dabei, dass deijenige, der mit starker Verkürzung und leichter
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Flexionsstellung geheilt, damals den Andern um sein schönes gerades Bein be¬
neidete, jetzt aber nicht mehr tauschen wollte, da er damit viel besser and
schneller läuft. Ueberdiess kann er alle Strapazen aushalten und (als städtischer
Abfuhrunternehmer) stundenlang bis über die Knie im Koth stehen (vor Einführung
des Kübelsystems) ohne je Schmerzen zu spüren. — Die Präparate beider Fälle,
die vorliegen, zeigen sehr ausgedehnte Zerstörung an beiden Oelenkenden. — Ein
anderer Patient, dessen Präparat ebenfalls vorliegt, bestieg ein Jahr nach der
Resection mit Hetuser und einem der heute anwesenden Aerzte deD Speer, und
verdiente nachher sein Brod als Bergführer und Gemsjäger.
Die anderen Resectionen, deren in den Jahren 1842—1860 83 waren, wovon
66 geheilt und 17 gestorben, werden weniger ausführlich besprochen; H. operirte
9 Mal am Ellbogen, 10 Mal am Kiefer und zwar am Ober- und Unterkiefer, meist
wegen Phosphornecrose, dann an Schulter-, Fuss- und Handgelenk und sehr oft
an den kleinen Gelenken der Finger und Zehen. „Ich sah’ ihn,“ schreibt BiUrolh ,
„eine Resection eines cariösen Humeruskopfes machen, wobei die Frau narcotisirte
und sein etwa 12jähriger Knabe die Arterien ligiren half.“
Erwähnung verdient noch eine Total-Resection des Tibiotarsalgelenks bei
einem 58jährigen Mann wegen Trauma. In 16 Wochen war er vollständig geheilt
und erfreute sich nachher des ungestörten Gebrauchs seiner Extremität. Zwei
Jahre nachher starb er an einem Leberleiden. Das in vollständiger Anchylose aus¬
geheilte Fnssgelenk befindet sich sammt dem Resectionspräparat in der Sammlung.
Ueber B .'s zweite Lieblingsoperation, die Kropfausschälung, wird auch
ausführlicher referirt. Hier nur einige Zahlen: 1842—1859 hat er 35 sog. Kröpfe
exstirpirt, von denen ein einziger tödtlich verlief. In die spätere Jahre fallen 61
mit 4 Todesfällen. Die genauere Bestimmung der Präparate, von denen viele noch
vorhanden sind, bleibt einer späteren Arbeit Vorbehalten. Auch hier wird bemerkt,
dass H. die Operation zu einer Zeit ausführte, wo Operateure wie Dieffenbach dringend
vor derselben gewarnt und sich für die meisten Fälle entschieden dagegen aus¬
gesprochen hatten.
Folgt nun die Beschreibung seiner originellen Methode der Rhinoplastik
(vgl. Schweiz. Zeitschrift f. Medicin), ferner der Heilung von Varicen (s. ebenda)
und ausserdem werden aus seinen Tabellen noch eine Reihe anderer grosser und
kleiner interessanter Operationen angeführt, sowie eine Uebersicht der Vorträge,
die er in der Gesellschaft gehalten hat, gegeben. In den Tabellen sind vom Jahre
1841—63 896 Operationen verzeichnet. — Die Sammlung enthält 98 Weingeist¬
und 116 Trockenpräparate, und es wird der Gesellschaft vom Comitd beantragt,
die Sammlung von der Wittwe zu requiriren und als Ganzes unter dem Namen
»Hauser 'sehe Sammlung“ der pathologischen Sammlung einzuverleiben, wo sie
selbstverständlich zu Unterrichtszwecken zur Verfügung gestellt wäre.
Die Gesellschaft beschliesst den Ankauf und gewährt dem Comitü ausserdem
einen Credit für Instandstellung der Sammlung.
Herr Dr. Treichler in Stäfa: über Gymnastik und Stabturnen (er¬
scheint in extenso im Corr.-Bl.).
Ala neues Mitglied hat sich gemeldet und wird einstimmig aufgenommen : Herr
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Dr. Theodor Heusser von Richtersweil und als Mitglied in das Comitö an Stelle
des verstorbenen Herrn Alt-Bürgermeister Zehnder wird mit 26 von 34 Stimmen
gewählt: Herr Prof. Dr. Oscar Wyss.
Da die Zeit sehr vorgerückt, wird der Vortrag von Herrn Prof. Wyss ver¬
schoben und noch die kleinern Mittheilungen vorgenommen.
Herr Bezirksarzt Dr. J. H. Sigg von Andelfingen über einen einfachen
Inhalationsapparat.
„Der chronische Bronchialcatarrh ist eine so häufig vorkommende
Krankheit, dass sie dem Praktiker ein grosses Contingent Patienten zuführt. Seit
Einführung der Inhalationsapparate, seien es Zerstäubungsapparate durch com-
primirte Luft oder (wie jetzt gewöhnlich) durch Dampf, hat die früher schon von
Skoda befürwortete örtliche Behandlung dieser Krankheit bedeutend gewonnen.
Wenn wir die Patienten an einen Luftcurort senden, so ist dies nicht viel anderes,
als eine örtliche Behandlung mit gesunder, reiner Luft Wie bei allen unheilbaren
chronischen Krankheiten, ist auch beim chronischen Bronchialcatarrh und dessen
Folgezuständen die Leichtgläubigkeit der Patienten speculativen Köpfen dienstbar
resp. steuerbar gemacht worden, indem allerlei sicher wirkende Geheimmittel
marktschreierisch angepriesen werden. Die Wiener „Medicin. Wochenschrift“ z. B.
brachte mehrere Jahre ein Inserat, welches einen Inhalationsapparat des Apothekers
Kollscharsch in Wiener-Neustadt mit dazu gehörigen mineralisch-vegetabilischen In¬
halationsmassen anpries, unterstützt von einem Specialisten Dr. Kubach in Wien.
Verleitet durch das verkündigende Blatt, Hess ich mir den Apparat kommen, war
aber nicht wenig erstaunt, neben einem mit Weingeistlampe zu erhitzenden Wasser¬
kochapparat mit aus dessen Deckel abgehenden Cautschucschlauch zum Einathmen
eine (durch chemische Untersuchung entlarvte) Mischung von ca. 60 grm. fettes
Oel mit wenig OL cadi für einen Gulden und eine Schachtel gewöhnliches Koch¬
salz (ca. 5—6 Unzen) ebenfalls für einen Gulden, zu finden, was alles viel wohl¬
feiler bei uns zu haben ist.
Schon seit ca. 6 Jahren bediene ich mich bei Behandlung chronischer Bronchial-
catarrhe, auch wenn diese bis zur Bronchoblenorrboe vorgeschritten sind, eines ein¬
fach eingerichteten Respirators, der vor dem Mund befestigt, die eingeathmete
Luft mit den Dünsten ätherischer Oele schwängert; dieses Instrumentchen wird
bei der Arbeit, im Bett, im Freien getragen, hindert also den Patienten sozusagen
gar nicht Der Apparat besteht aus zwei ovalen von Weissblech gefertigten, kleinen
Drathsieben, die ineinander geschachtelt zwischen den beiden Drathgittern etwas
Baumwolle enthalten, auf welche die Arzneimischung geträufelt wird. Dieser
Respirator wird durch eine elastische Schnur vor den Mund gebunden. Durch die
Expiration werden Drathgitter und Baumwolle etwas erwärmt, die ätherischen
Oele zur Verflüchtigung gebracht und dann durch die Inspiration mit der Luft in
die kranken Luftwege gebracht Ich habe schon manche dankbare Erfahrungen
mit diesen Inhalationen gemacht Was sie aber namentlich dem Landarzte, der in
der Regel keine Inhalationscabinete, Curorte in Höhen- oder südlichen Klimaten
verschreiben kann, empfehlenswerth macht, ist der geringe Preis des Instrumentes,
das.für 80—100 Cts. von Spengler Trill in Winterthur bezogen werden kann. Zum
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Aufträgen benutze ich reines Terpentinöl, namentlich den nach Angabe Sach¬
verständiger an Sauerstoff reichern Spiritus terebinthin®. (gallic.), oder Ol. terebinth.
mit einer ca. 20procentigen weingeistigen Lösung von reinster Carbolsäure zu gleichen
Theilen, welcher Mischung auch etwas Ol. cadi beigefügt werden kann.
Bei fieberlosen Patienten habe ich niemals einen Nachtheil dieser Behand¬
lungsweise gesehen, und wenn Patient die Ausdauer hat, '/»—1 Jahr die Ein-
athmungen fortzusetzen, so sind gute Erfolge sicher.
Wenn ein chronischer Bronchialcatarrh exacerbirt, wenn Fieber hinzutreten, so
lasse ich die Inhalationen weg bis wieder fieberfreier Zustand vorhanden ist.“
Herr Prof. Ed. Schär , Apotheker, machte einige Bemerkungen über die Be¬
reitung von Tannin und wies durch vorgelegte Proben auf die ausserordent¬
lich grossen Unterschiede im specif. Gewicht der von den Fabriken gelieferten
Tannin-Sorten, sowie auf die Möglichkeit hin, bei Dosirung des Präparates durch
Messung mit Thee- oder Esslöffeln unangenehmen Täuschungen zu begegnen. —
Ausserdem wurden die chinesischen oder japanesischen Galläpfel (Auswüchse an den
Blattstielen ostasiatischer Rhus-Arten durch den Stich mehrerer Species von Aphis),
welche sich, bei höchst eigenthümlicher Form, durch grossen Reichthum an Gerbsäure
auszeichnen, vorgewiesen und die grosse Bedeutung dieses Materiales bei der
fabrikmässigen Bereitung der sogen. Gallusgerbsäure hervorgehoben.
Im weitern wurde an der Hand eines sehr einfachen, beweiskräftigen Expe¬
rimentes, das wir C■ F. Schönbein verdanken, die leichte Oxydation des Am-
moniacs zu Ammoniumnitrit (salpetrigsaurem Ammoniac) nachgewiesen
und auf die Bedeutung des Vorkommens salpetrigsaurer und salpetersaurer Salze
in Wässern aufmerksam gemacht. Der fragliche Versuch besteht darin, dass in
ein Gefäss, in welchem sich aus einigen Tropfen Salmiacgeist Ammoniacdämpfe
entwickeln, eine eben glühend gemachte Spirale aus möglichst feinem Platindraht
eingeführt und diese Operation einige Male wiederholt wird. Der durch Schütteln
mit etwas destillirtem Wasser gelöste Inhalt des Gefässes gibt sodann eine inten¬
sive Nitrit-Reaction, d. h. wird nach Ansäurung mit Schwefelsäure durch Jodcalium-
Stärkekleister stark gebläut. Diese Nitritbildung, welche durch die Jodcalium-
reaction vielfach in Wässern, besonders aus Sodbrunnen, constatirt werden kann,
dürfte durch langsame Oxydation ammoniacalischer Stoffe zu erklären sein, wobei
der Sauerstoff, ähnlich wie durch die Platinspirale, durch gewisse organische Ma¬
terien in einen activen Zustand versetzt wird, in dem er allein verändernd auf
Ammoniac zu wirken vermag.
Als Versammlungsort für die Herbstsitzung wird Zürich bestimmt.
Herr Dr. Rahn-Escher spricht im Namen der Gesellschaft dem Herrn Präsidenten
den Dank aus für die Zusendung des Nocrologes des sei. Herrn Bürgermeister
Zehnder und spricht die Hoffnung aus, dass man sein Wirken in dankbarem An¬
denken behalten möge.
An dem „auf der Meise“ stattfindenden Bankett nahmen ca. 50 Mitglieder
Theil.
Der Actuar: Dr. Wilh. v. Muralt.
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Referate und Kritiken.
Vierter Bericht Uber das Kinderspital (Eleonoren-Stiftung) in Hottingen bei ZUrich.
1. Januar bis 31. December 1876.
Wir entnehmen diesem Bericht zunächst folgende statistische Angaben. Im Jahre
1876 wurden 184 Kranke aufgenommen (1875 163). Geheilt wurden 118, gebessert 30,
ungcheilt 12, gestorben 26, verblieben 19.
Was das Alter betrifft, so zeigt sich auch hier, wie in allen Kinderspitälern, dass der
Andrang im ersten Lebensjahr ein besonders starker ist (45 Kinder). Diese Anhäufung tat
auch sehr begreiflich, da die Eltern auf diese Weise ihre Kinder um ein billiges Kostgeld in
gute Pflege geben können. Von den Todesfällen fallen fast 50% auf dieses erste Lebensjahr.
Die Spitalerfahrungen des Referenten bei diesen Kindern sind im Ganzen auch keine glän¬
zenden ; man erreicht bei der besten Pflege und der zweckmässigsten künstlichen Er¬
nährung (von einer natürlichen Ernährung ist da fast nie die Rede) nur sehr bescheidene
Resultate. Nach unserm Dafürhalten ist das Zusammenwohnen von Sondern in diesem
Alter, auch in gut ventilirten Spitalräumen, dem Gedeihen sehr wenig förderlich. Schreiber
meint damit nicht bloss die Resultate bei, von Hause aus schlecht entwickelten, lebens¬
schwachen Kindern; auch sehr robuste Kinder vom Lande, die wegen anderer Leiden
(Telangiectasien, Klumpfuss etc.) in’s Spital gegeben werden, zeigen häufig sehr bald
Ernährungsstörungen, die nur mit dem Austritt aus dem Spital zu heilen sind.
Von Infectionskrankheiten wurden behandelt: 9 Typhen, 3 Scharlach, 1 Fall von
Rubeola, 14 Diphtheritis, 2 Keuchhusten. Dieselben wurden in der obersten Etage des
Hauses verpflegt, wobei interessant wäre zu wissen, ob Ansteckungen von da aus auf
die übrigen Bewohner des Hauses erfolgt sind. Zehn Mal musste der Luftröhren¬
schnitt gemacht werden, vier Mal war der Erfolg bleibend günstig, sechs Mal nur
vorübergehend, die weiterschreitende Krankheit, die diphtheritische Blutvergiftung führte
den Tod herbei.
Mit grossem Interesse haben wir die Bemerkungen gelesen über die Surrogate der
Muttermilch. Wenn Herr Prof. Wyas nicht in der Lage ist, die sanguinischen Versprechungen
gewisser Fabrikanten als reell darzustellen, so stimmen wir ihm hierin vollkommen bei,
ebenso in dem Ausspruch, dass gute Kuhmilch als das beste und hauptsächlichste Nah¬
rungsmittel anzusehen ist. Allen den Kindermehlen zieht Referent nach viele Jahre langem
Suchen und Probiren mit allen Modefabrikaten eine dem Alter des Kindes entsprechende
Mischung von Milch und Sohleim (aus Reis oder Gerste) vor; wo wir es zu einem guten
mit Fleischbrühe gekochten Reis- oder Gerstenschleim nicht bringen können, verordnen wir
wenigstens Zusatz von längere Zeit gekochtem Reiswasser zur Milch. Es scheint, dass
dadurch das Kasein der Kuhmilch, das an und für sich so schwer verdaulich ist, für die
meisten kindlichen Mägen verdaulicher gemacht wird. Für Kinder, die die ersten 4—5
Monate hinter sich haben, sind einzelne der Surrogate, wie das Nestle’sche und das Blumis-
berger Kindermehl zu versuchen und hie und da auoh ganz nützlich. Erst dann ist die
Speichelflüssigkeit und der Pankreassaft ira Stande, die nöthige Umwandlung des Amylum
in Dextrin und Zucker zu besorgen. Nach Wyss haben die meisten der in neuester Zeit
bekannt gewordenen Präparate keinen Vorzug vor dem seit Jahren bekannten Nestlemehl.
— Bei den Verdauungsstörungen rachitischer Kinder empfiehlt er das Linsenmehl (nicht
zu verwechseln mit der Hartenstein’schen Leguminose), welches in Folge seines Gehaltes
an phosphorsauren Salzen auoh direct gegen den rachitischen Process als wirksames,
diätetisches Mittel dienen soll.
Die Erkrankungen der Knochen und der Gelenke waren auch dieses Jahr häufig und
scheinbar noch zahlreicher beim Durchwandern der Krankenzimmer, weil diese Patienten
immer lang verweilen müssen.
Ausser den angeführten Tracheotomien wurde die Operation der Hasenscharte 6
Mal gemaoht; ferner kamen Resectionen von Gelenken 7 Mal vor. Hagenbach.
Zur Anwendung des Pilocarpinum muriaticum im Kindesalter.
Von Prof. Dr. R. Demme, Arzt im Kinderhospital in Bern. Centralzeitung für Kinder¬
heilkunde. Nr. 1.
Statt der unzuverlässigen Folia Jaborandi ist in der neusten Zeit, namentlich auch
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von Cwtchmann und Leyden das Alkaloid dieser Blätter, das Pilocarpin angewandt
worden als wirksames Diaphoreticum. Demme macht nun in der neugegrttndeten Central¬
zeitung fQr Kinderheilkunde (Monti und Baginsky ) als würdigen Eingang der ersten Nummer
interessante Mittheilungen über seine Erfahrungen mit diesem Mittel an 38 Kindern. —
Von diesen Kindern litten 18 an desquamativer Nephritis mit Hydrops in Folge von
Scharlach. Ausserdem wurde das Mittel angewandt bei Hydrops in Folge von Klappen¬
fehlern, bei Polyarthritis rheumatica, in Bronchopneumonien, in Tussis convulsiva und als
Sialagogum bei epidemischer Parotitis. Bei Kindern unter 2 Jahren war die Dosis 0,005
in subcutaner Injection, bei Kindern zwischen 2 und 6 Jahren 0,007—0,01, bei Kindern
von 7 — 12 Jahren 0,01—0,025. Gewöhnlich wurde nur eine Einspritzung gemacht, in
dringenden Fällen 2—4 in 24 Stunden. Unangenehme Nebenwirkungen zeigten sich blos in
2 Fällen; das eine Mal heftiges Brechen mit ohnmachtähnlicher Schwäche, beängstigende
Blässe des Gesichtes und der Extremitäten und anhaltender Singultus; im zweiten Falle
Gähnen, Singultus und allgemeines Zittern der Extremitäten. In beiden Fällen war die
gewünschte diaphoretische Wirkung nur unvollkommen.
Die schweisstreibende und Speichel vermehrende Wirkung tritt schon 3—5 Minuten
nach der Einspritzung ein, erreicht ihre Höhe mit 15 Minuten und verharrt von 20—75
Minuten darauf, um dann langsam wieder abzunehmen. Es tritt nach der Einspritzung eine
Verlangsamung des Pulses ein; auch die Temperatur sinkt um einige Zehntel. Wä¬
gungen vor und nach der Einwirkung ergeben eine Differenz von 120—675 Gramm. Die
Harnabsonderung wird nur ausnahmsweise vermehrt, ebenso die Darmausleerung; da¬
gegen erleidet die Thränensecretion eine wesentliche Steigerung.
Am werthvollsten ist das Mittel in der Scharlach-Nephritis, wo es an Sicherheit
und Raschheit der Wirkung alle bis jetzt zur Erzielung einer reichlichen Diaphorese ange¬
wendeten Heilmethoden übertrifft. Demme konnte neben der diaphoretischen Wirkung in diesen
Fällen einige Male auch eine Abnahme des Albumengehaltes beobachten. Bei der Mehr¬
zahl der Fälle dauerte die methodische Pilocarpinbehandlung 4—10 Tage. Das Mittel
wird auch von den zartesten Altersstufen gut ertragen; bei den jüngern Kindern ist die
speicheltreibende, bei den ältern die diaphoretische Wirkung vorherrschend.
Referent hat bis dahin in 8 Fällen das Pilocarpin angewandt Zunächst bei einem
8jährigen Knaben mit Pleuritis. Auf Dosen von 0,018 wiederholt angewandt, trat die
ersten Male, */ t Stunde nach der Injection, Brechen ein und dabei sehr mässige Sohweiss-
secretion. Ein Einfluss auf das Exsudat war nicht zu erkennen. Auffallend dagegen
war während der Pilocarpinwirkung der heftige Drang zum Uriniren. In einem zweiten
Falle und zwar bei einer acuten Nephritis (keine Scharlachinfection) wandte ich Pilocarpin
in Dosen von 0,02 8 Mal an. Die 8 ersten Male trat Brechen ein und nur mässiges
Schwitzen, dagegen auch wieder starker Drang zum Uriniren. Da ich Verdacht
hatte, das Mittel könnte durch längeres Stehen unwirksam oder verdorben sein, benützte
ich ein frisohes Präparat, worauf sehr profuse Schweisssecretion sich einstellte. Es
ist also sehr zu rathen, sich möglichst frischer Lösungen zu bedienen. In einem dritten
Falle (Hydrops in Folge amyl. Degen, der Leber etc.) war die Diaphorese eine minime.
_ Hagenbach.
1. Werth und Bedeutung der Reformbestrebungen in der Classification der Psychosen.
Von Dr. J. Weüs t Assistent an Leidesdorfs Klinik in Wien. Stuttgart, bei F. Enke. 1877.
2. Die cerebralen Grundzustände der Psychosen.
Vom gleichen Verfasser. Im gleichen Verlage.
Verfasser wendet sich in 1. gegen die bisherigen Bestrebungen in der Psychiatrie,
das reiche Material systematisch zu ordnen, d. h. zu classiflciren. Er gesellt sich dabei
der zahlreichen Klasse von Psychiatern bei, die alle bisherigen Versuche für ungenügend
erklären. Man könnte da mit Recht fragen, wozu eine neue geharnischte Beweisführung
gegen eine Saohe, hinsichtlich deren Schwächen ja genügende Uebereinstimmung besteht.
Es gehen diese Versuohe und Bestrebungen einfach aus einem practischen Bedürfnisse
des klinischen Lehrers wie des practischen Irrenarztes hervor und werden ohne Zweifel
so lange fortgesetzt werden, bis einmal ein allgemein genügendes System zu Tage ge¬
fördert wird. Io soferne wäre das Schriftchen an sich sehr überflüssig, der darauf ver¬
wendete Eifer des Verfassers kaum der Mühe werth. Auf specielle Sätze desselben
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einzugehen, erlaubt der Raum des Corr.-Bl. nicht, wie sehr man sich dazu materiell an¬
geregt fühlen möchte.
Immerhin erhält das Schriftchen eine gewisse Berechtigung seiner Existenz durch
Nr. 2, d. h. dadurch, dass der negativen Beweisführung auch positive Vorschläge folgen.
Verfasser führt darin aus, dass Männer wie Weber , Fechner, Helmholtz, Wundt , Pflüger etc. genü¬
gend dargethan haben, dass die psychischen Erscheinungen physikalischer Natur seien, und
dass die Gesetze der psychischen Thätigkeit keine andern sein können als die der Be¬
wegungserscheinungen überhaupt.
Verfasser erklärt im 1. Capitel die cerebralen Erscheinungen als Störungen der
Gleichgewichtslage der kleinsten cerebralen Elemente, die durch Aufhöreu der Störungs¬
momente sich wieder herstellen. Die Störungsmomente sind die bekannten innern und
äussern Reize, die eine vorübergehende und eine bleibende Wirkung auslösen. Durch die
bleibende Wirkung wird eine constante Neigung der cerebr. Elemente zu immer neuen
starken Störungen des Gleichgewichts hervorgerufen und erhalten. Die durch die Reize
bewirkten Störungen des Gleichgewichts machen die Gleichgewichtslage für immer labiler.
Im 2. Capitel führt Verfasser die Krankheitsanlage, sowohl die ererbte als die erworbene,
auf sein Gesetz „der Gleicbgewichtslabilität a zurück, sucht daneben die Grundbedingungen
des cerebralen Lebens, Bewusstsein und Gedächtniss, durch psychophysische Erklärung
dem Verständnisse näher zu bringen und betont schliesslich die grosse Bedeutung der
intracerebralen Reize für das cerebrale Leben. Im 3. Capitel bespricht er die patholo¬
gische Veränderung der Gleichgewichtslabilität und führt dieselbe auf die Steigerung der
Werthe der innern Reize auf die Höhe dor äussern zurück. Dabei ist der Labilitäta-
coefficient im cerebralen Leben der Art erhöht, dass geringe äussere Reize, ja selbst
innere Reize im Stande Bind, weitgehende Gleichgewichtsstörungen hervorzurufen. (Ver¬
fasser fasst überhaupt die Wirkung der Reize als eine extensive auf). Durch diese Vor¬
gänge finden mm die Hallucinationen und die Wahnvorstellungen eine Erklärung ihrer Ent¬
stehung und ihrer psychischen Bedeutung. Endlich werden die psychischen Grundzustände
der cerebralen Reizung und der Depression auf eine erhöhte oder verminderte Reiz¬
empfänglichkeit zurüokgeführt. Im 4. Capitel werden die Ursachen der pathologischen
Gleichgewichtslagen besprochen und deren Wirkung mit der besprochenen Veränderung
des Gleichgewichtszustandes der letzten nervösen Theile in Zusammenhang gebracht
Es werden davon besonders die Wirkungen des Schrecks, der Hirnerschütterung, des
Alcohols, der Kohlensäure eingehend besprochen und dabei betont, dass die obigen Sätze
nur für die bisher als „functioneile Psychosen“ aufgefassten psychisohen Störungen
Gültigkeit haben.
Diese in der gebotenen Kürze das Referat über ein ganz interessantes Werk-
chen, das ich gerne dem Studium der Collegen recht sehr empfehle. Ich bin durchaus mit
dem Verfasser einverstanden, dass die Erforschung der psychophysischen Vorgänge und Ge¬
setze der einzige Weg ist, um die physiologischen und pathologischen Erscheinungen des
geistigen Lebens aufzuklären, und begrüsse daher diesen Versuch doppelt warm. L. W.
Göthe’s Werther und seine Zeit
Von Prof. Dr. Ludwig Wille. Eine psychiatr.-liter. Studie; Basel, 8chweighauserische
Verlagsbuchhandlung, 1877. 30 8eiten.
Aus dem IV. Bande der vortrefflichen Sammlung „öffentlicher Vorträge, gehalten in der
Schweiz“ (12 Vorträge bilden einen Band zu Fr. 10; doch sind die Hefte auoh einzeln
zu haben) heben wir den Vortrag von Prof. Wille hervor. In klarer und ansprechender
Schilderung entwickelt Wille den Ursprung des weltberühmten Romanes und schildert uns
den Boden, dem er entsprossen und seinen Ausbau, sowie seine Folgen.
Der Vortrag ist für Aerzte und Laien gleich interessant — Wir möchten bei diesem
Anlasse wiederholt die ganze Sammlung als eine sehr gediegene und allseitig und um¬
sichtig ausgewählte dem denkenden Leserpublicum empfehlen.
Da wir Aerzte den Rahmen unserer Wirksamkeit nicht nur mit der Ausübung unserer
Fachwissenschaft abzuschliessen gewohnt sind, sondern uns so viel wie immer möglich
an allen gemeinnützigen Bestrebungen activ betheiligen, möchte ich den Collegen noch die
Lectüre des von B. Schwabe herausgegebenen Berichtes über die Jubelfeier der Ge¬
sellschaft des Guten und Gemeinnützigen in Basel, 1877“ (Basel, Sch weig-
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hauserische Buchdruckerei, B. Schwabe, mit vielen Illustrationen) empfehlen. Wir er¬
halten nicht nur eine Festbeschreibung, sondern durch die „Festrede“ des Vorstehers, Prof.
Dr. Ed. Hagenbach-Bischoff, auch eine übersichtliche Darstellung des Wirkungskreises, der
Leistungsfähigkeit und der Erfolge dieses grossartigen humanen Institutes,
Das Büchlein (107 Seiten) ist zugleich eine eminente Leistung der schweizerischen
Buchdruckerkunst und des heimathlichen Kunstgewerbes überhaupt. A. Baader.
Wiener Recept-Taschenbuch.
Von Dr. Carl Czuberka.
Eine Sammlung der in den Kliniken und Ambulatorien des Wiener K. K. allgemeinen
Krankenhauses am meisten verordneten und anderer bei dem Unterrichte besonders an¬
geführten Receptformeln. Fünfte Auflage. Wien, Verlag von C. Fromme.
Das in sehr handlichem Taschenformat auf 480 Seiten zusammengedrängte Material
bietet in sehr übersichtlicher Weise eine practische Einführung in die Therapie und wird
nicht nur dem Studirenden und Anfänger eine willkommene Unterstützung, sondern auch
dem practischen Arzte eine erwünschte Quelle der Belehrung sein. Es sind die meisten
der im Büchlein enthaltenen 1725 Recepte mit mehr oder weniger ausführlichen Einlei¬
tungen versehen und an vielen Orten treten an Stelle der Recepte die therapeutischen
Grundsätze der betreffenden Kliniker der wiener Schule, deren Behandlungsmethoden in
diesem Taschenbuche niedergelegt sind Wir begegnen da Arlt (Augenkrankheiten), Bamberger
(interne Medicin), Benedict (Nervenkrankheiten), Billruth (Chirurgie), Braun (Kinderkrank¬
heiten), Braun, C. (Gynäcologie), Dräsche (Cholera), Duchek (interne Krankheiten), Dumreicher
(Chirurgie), Gruber (Ohren krankheiten), Hebra (Hautkrankheiten), Jäger (Augenkrankheiten),
Meynert (Psychiatrie), Scheff (Zahnchirurgie), Schlager (Psychiatrie), Schröder (Laryngo-
scopie), Seegen (Wirkungen der Mineralwässer), Sigmund (Syphilis), Späth (Geburtshülfe),
Widerhofer (Kinderkrankheiten], Zeissl (Syphilis), Szigmondy (Erkrankungen der Zähne).
Den Schluss bildet ein Räsumö Uber Vergiftungen im Allgemeinen, irritirende und neu¬
rotische Gifte, Infection durch thierische Gifte, Eindringen thierischer Parasiten und ge¬
fahrdrohende KrankheitsBymptome, sowie eine tabellarische Zusammenstellung der Harn¬
analysen.
Dass das Büchlein einem Bedürfniss entspricht, beweisen am besten die vier Auf¬
lagen, die in vier Jahren nöthig geworden, und so möge denn auch diese fünfte der Be¬
achtung der Collegen besten empfohlen sein. B.
Cantonale Correspondenzen.
Bern. Das neue Bundesgesetz betreffend die Freizügigkeit desMedi-
cinalpersonals in der schweizerischen Eidgenossenschaft lautet:
Art. 1. Zur freien Ausübung ihres Berufes im Gebiete der ganzen Eidgenossenschaft
sind befugt:
a. diejenigen Aerzte, Apotheker und Thierärzte, welche naoh Maassgabe dieses Ge¬
setzes ein eidgenössisches Diplom erworben haben ;
b. diejenigen Personen der genannten Berufsarten, welche vor dem Zeitpunct des
Inkrafttretens dieses Gesetzes ein Diplom des Concordats vom 2. August 1867 oder auf eine
cantonale Prüfung hin ein Patent erworben haben, das zur unbedingten Praxis in dem¬
jenigen Kanton berechtigt, welcher dasselbe ausgestellt hat;
c. diejenigen Personen der genannten Berufsarten, welche in ausländischen Staaten
auf Grund einer abgelegten Staatsprüfung ein Diplom zur unbedingten Ausübung der
Praxis im Gebiete der betreffenden Staaten erworben haben, falls mit diesen Staaten auf
dem Vertragswege Gegenseitigkeit vereinbart ist. In Ausnahmsfällen hängt es von dem
Ermessen der Aufsichtsbehörde ab, auf Grund der Ausweise zu bestimmen, unter welchen
Bedingungen die Gewährung des Diploms zu erfolgen hat;
d. alle an schweizerischen Hochschulen oder an den betreffenden Fachschulen ange-
stellten Lehrer der genannten Berufsarten.
Art. 2. Zur Prüfung wird kein Bewerber zugelassen, der nicht den Ausweis der
Befähigung für den ganzen Umfaug einer der im Art. 1, Lemma a bezeichneten Berufs¬
arten verlangt.
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Art. 3. Eine vom Bundesrathe ernannte Aufsichtsbehörde (leitender Ausschuss)
prüft die Ausweise der sich Anmeldenden, Überwacht die Prüfungen und sorgt für volle
Gleichheit des Verfahrens. Der leitende Ausschuss hat an den Bundesrath jährlich Be¬
richt und Rechnung zu erstatten. Die Leitung und Verwaltung des Prüfungswesens stehen
unter der Aufsicht des eidgenössischen Departements des Innern.
Art. 4. Der Bundesrath ernennt auf Antrag des leitenden Ausschusses die Prüfungs¬
commissionen.
Art. 5. Die Prüfungscommissionen sind aus Lehrern der höhern schweizerischen
Lehranstalten und aus geprüften Practikern zusammenzusetzen. Sie werden jeweilen
durch ein Mitglied des leitenden Ausschusses präsidirt und haben ihren Sitz an je einer
der schweizerischen Hochschulen. Ausserdem können die Prüfungen der Apotheker auch
in Lausanne abgehalten werden. Die Prüfungen werden, nach der Wahl der Bewerber,
in deutscher, französischer oder italienischer Sprache abgelegt.
Art. 0. Eine vom Bundesrath zu erlassende Ausführungsverordnung (Prüfungs¬
regulativ) regelt:
a. die Organisation und die Entschädigung der Prüfungsbehörden und den Gang der
Prüfungen;
b. die wissenschaftlichen Anforderungen an die Bewerber;
c. die Prüfungsgebühren.
(Die Genehmigung dieses Regulativs bleibt der Bundesversammlung Vorbehalten.)
Art. 7. Der Bundesrath ist beauftragt, gemäss den Bestimmungen des Bundesge¬
setzes vom 17. Brachmonat 1874, betreffend die Volksabstimmung über die Bundesgesetze
und Bundesbesohlüsse, vorliegendes Gesetz bekannt zu machen und den Zeitpunct seines
Inkrafttretens festzusetzen.
Uebergangsbestimmung. Der Bundesrath ist ermächtigt, zur Vollziehung
dieses Gesetzes bis zur Aufstellung des eidgenössischen Prüfungsregulativs die ent¬
sprechenden Bestimmungen aus dem Concordat Uber Freizügigkeit des schweizerischen
Medicinalpersonals vom 22. Heumonat / 2. August 1867 und aus dem Prüfungsregle¬
ment für Aerzte, Apotheker und Thierärzte vom 31. Jenner / 1. Hornung 1870, sowie
aus den Prüfungsregiementen der dem Concordat nicht beigetretenen Kantone zur An¬
wendung zu bringen.
Glaruft. Die Glarner haben einen neuen Sanitätsrath componirt, der an origineller
Zusammensetzung wohl von keinem andern der Welt erreicht wird. Das jüngste Mitglied
vor allem darf mit Befriedigung auf Beine bisherige Carriöre zurückblicken. Der Betreffende
kam seiner Zeit als Stipendiat nach Basel, seine medicinischen Studien zu beginnen. Als
sich nach ein oder zwei Semestern die unterstützende Behörde nach ihm erkundigte, war
der Jüngling bereits flügge geworden und flatterte in der weiten Welt herum, mit seiner
rasch erworbenen ärztlichen Weisheit die Menschheit zu beglücken. Man dankte ihm
schlecht dafür. Als er in Zürich wegen Curpfuscherei etwas hart bestraft worden, kehrte
er heim in’s Land der Väter und Freiheit — und hier bewährte sich der Spruch: Per
aspera ad astra. Der hohe Rath von Glarus wählte ihn in den Sanitätsratb.
Es ist wohl kaum zu bezweifeln, dass eine Behörde, die mit solchen Kräften aus¬
gerüstet ist, ganz Ungewohntes zu leisten im Falle sein wird.
Tessin. (Schluss.) IV. Müssen die Verwandten, Krankenwär¬
ter und im allgemeinen diejenigen Individuen, welche mit
einem an den Blattern Erkrankten in Berührung gestanden
sind, sich einer Quarantaioe unterziehen? Oder welches sind
die Mittel, um zu verhindern, dass dieselben (sowie auch die
Aerzte) eb ens o viele Transportwege der Ansteckung werden?
Die Herren Dr. Bern und Dr. Nolii erklärten sich entschieden gegen die Quaran-
taine, welche keine nachhaltige Wirkung haben kann, wenn dieselbe von kurzer Dauer
ist, und von sehr unsicherer und problematischer Wirkung ist, wenn sie lange andauert.
Die Incubationsperiode der Blattern wird von 6 bis 10 und auch von 17 Tagen an¬
genommen, so dass man die Quarantaine bis zu dieser Zeit erstrecken müsste, was eine
grosse Störung der Privatinteressen und mit grossen Auslagen von Seite des Publicums
verbunden wäre. Und wenn während der Quarantaine die Absonderung nicht streng be¬
obachtet wird, so wechselt daa Personal jeden Tag mit dem Austritt der ersten und dem
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Eintritt der Nachfolgenden, so dass die Kette eine unaufhörliche wird, und wenn die
Absonderung streng durchgeföhrt werden sollte, so müsste dieselbe in kurzer Zeit sich
auf die ganze Stadt erstrecken.
Die Herren Mitglieder der cantonalen Sanitätscommission waren allerdings weniger
überzeugt von der Unnützlichkeit der Quarantaine, erklärten sich aber damit einverstan¬
den, dass die sie ersetzenden Chlorräucherungen wenigstens in ihrer Wirkung äquiva¬
lent sind.
Die Herren Dr. NoUi und Dr. Brno erklärten, dass die energische Desinfici¬
rung mittelst Chlorräucherungen das Langsame und Gefährliche der Quarantaine
an Wirksamkeit und Schnelligkeit besiege, und dass jene über diese drei Vortheile hat,
nämlich die gewonnene Zeit, die vermiedenen Auslagen und, was von noch
grösserem Werthe ist, die Gewissheit des Erfolges.
Aus der Discussion ergab sich, dass die Quarantaine-Maassregeln in Italien und in
anderen Staaten verlassen sind, und dass man die Zuversicht in der Quarantaine nur aus
der Ueberlieferung und aus der langen Gewohnheit geschöpft hat. Die Conferenz einigte
sich schliesslich hierüber, dass kein Unterschied gemacht werden solle zwischen Denjeni¬
gen, welche einen mehr oder weniger innigen Verkehr mit Erkrankten gehabt haben, wie
z. B. mit den Aerzten, Krankenwärtern, Krankenbesuchenden etc., und dass alle auf eine
einzige Weise desinficirt werden können.
Immerhin sei es nöthig, dass in jedem HauBe, in welchem ein Kranker sich befindet,
ein Desinfectionszimmer hergerichtet werde, wo die anderen Hausbewohner und die Be¬
suchenden, und in erster Linie die Aerzte und Krankenwärter eine schnelle und unmittel¬
bare Reinigung finden können.
Schlussfolgerungen: 1. Die für alle Diejenigen, welche mit Kranken in Berührung
waren, vorgeschriebene Quarantaine ist als eine unnütze Maassregel zu
verlassen.
2. Bevor Diejenigen, welche in der Lage waren, angesteckt zu sein , mit Anderen
verkehren können, sollen sie mit aller Strenge der Desinficirung mittelst Chlorräucherun¬
gen unterzogen werden.
3. Sollte die Epidemie sich mehr ausdehnen und ein grösseres Lazareth errichtet
werden, so wird es geboten sein, einen Arzt ausschliesslich für diesen Dienst zu be¬
stimmen, welcher im Spitale selbst abgesondert und in jeder Beziehung Director dessel¬
ben sei.
V. Welches sind die D e sinfec ti o nsma a ss re geln für die Häuser,
die Hausgeräthe und die Kleidungsstücke, welohe Blatternkranken
gedient haben?
Dieselben Gründe, welche die Quarantaine als unnütz und die Desinflcirung mit Chlor
als wirksam haben erscheinen lassen, wurden einstimmig auch für die Desinficirung der
Häuser und der übrigen Gegenstände angenommen.
Es wurde bewiesen, dass es genügend sei, einzig das Stroh der Strohsäcke, welche
den Kranken zum Lager dienten, zu verbrennen, und dass es nicht einmal nothwendig
sei, die Wände noch einmal zu übertünchen, noch aussergewöhnliche Waschungen vor¬
zunehmen.
Der Chlorkalk genüge allen Anforderungen, indem er bei reichlichen Räucherungen
überall und durch die feinsten Poren eindringt und in den dunkelsten Winkeln die an¬
steckenden Krankheitskeime erreicht.
Die Versammlung einigte sich in dem Grundsätze, dass wie die Ansteckung der
Blattern eine wirksame, unsichtbare und schleichende ist, ebenso leicht sei es, dieselbe
durch die mächtige Wirkung des Chlors auszulöschen und zu vertilgen (!)
Schlussfolgerung: Es ist nicht nothwendig, die Zimmer wieder zu Ubertünchen, noch
die Möbel, oder die Wäsche, oder die Kleidungsstücke, ausser dem Stroh oder den Blät¬
tern der Strohsäcke zu verbrennen. Man desinficire die Zimmer mit starken Chlorräu¬
cherungen, welche etwa 10 Stunden dauern sollen.
VL Ist etwas über die Beerdigungen zu erneuern oder zu
empfehlen, über ihre Zeit und Art und Weise und über die
Anwendung von zerstörenden Substanzen thierischer Orga¬
nismen etc. .. ?
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Der gegenwärtige Zustand der Epidemie rathet hierüber keine Neuerung. Wenn
das Grab die gesetzliche Tiefe hat (Meter 1. 80), so ist dieselbe genügend.
Zerstörende Substanzen thierischer Organismen sind nicht nothwendig. Die Leichen
müssen während der normalen Zeit bestattet werden. Man könnte dio Beerdigung um einige
Stunden beschleunigen, um allzu laDge Verspätungen zu vermeiden.
Sollte die Epidemie ausgedehnter und die Todesfälle zahlreicher werden, so wäre
für die Blatternleichen im Kirchhof eine eigene Abtheilung zu bestimmen.
Schlussfolgerung: Ueber die Beerdigungen ist keine Neuerung zu machen.
VII. Welchen Einfluss können di e E r n äh r u n g s v e r h äl tn i s s e der
Stadt, das Wasser, die Brunnen, die Abtritte, der Mangel an lau¬
fendem Wasser etc. auf die Entstehung und hartn äc k ig e Dau er d er
Krankheit haben?
Diese Frage veranlasste eine lange Erörterung über die hygieinischen Verhältnisse
Lugano’s. Besonders hervorgehoben wurde der Mangel eines öffentlichen Schlachthauses,
so dass es Niemandem erlaubt wäre, ohne die gehörige Controle ausserhalb desselben zu
schlachten. Bemerkt wurde der Mangel eines Gemüsemarktes.
Aber die Haupteinwände fielen auf den Mangel von laufendem Trinkwasser und auf
die Abwesenheit von geschlossenen Senkgruben, wo sich die Unreinlichkeiten sammeln
könnten und woraus man sie ohne Belästigung und Schädigung der öffentlichen Gesund¬
heit und vielleicht zum Vortheile der Landwirthschaft hervorziehen könnte.
Schlussfolgerung: Es ist von der höchsten Wichtigkeit für die locale Oeconomie und
für die Hygieine der 8tadt, zu befördern: ein öffentliches Schlachthaus, einen Gemüse¬
markt, die Bildung von geschlossenen Cloaken, die Herrichtung von laufenden Brunnen.
VIII. Welches wären die geeignetsten Vorsichtsmaassregeln, um
d i e K r a n k h e i t s e u t w i ck lu n g zu verhindern, in Bezug auf Kirchen,
Schulen, Fabriken, Theater und Bälle? Und im Allgemeinen, welche
wären die sanitätspolizeilichen GesundheitsmaasBregeln, welche
der Gemeinderath nehmen und vorschreiben könnte?
Um nicht allzu sehr das Publicum zu alarmiren, glaubt die Conferenz von ausser¬
ordentlichen Maassregeln einstweilen Umgang zu nehmen. Immerhin wurde anerkannt,
dass man womöglich die grossen Anhäufungen von Personen in geschlossenen Localen
vermeiden solle.
Als allgemeine sehr wirksame Vorsichtsmaassregel wurde der Gedanke der Herren
Dr. Beno und Dr. Nolti angenommen, in der Stadt ein öffentliches Desinfici-
rungslocal zu eröffnen, wo alle Diejenigen, welche im Zweifel wären, mit den An¬
gesteckten in Berührung gewesen zu sein, sich desinficiren könnten. Dieses wird even¬
tuell nicht allein die Ausdehnung der Ansteckung verhindern können, sondern wird haupt¬
sächlich dazu beitragen, Vorurtheile zu zerstören, Alarme zu beschwichtigen und den
Aengstlichen die Zuversicht wieder einzuflössen.
Schlussfolgerungen: 1. Es ist kein Grund vorhanden, den öffentlichen Markt, noch
das cantonale Turnfest, noch den Jahresmarkt in Lugano zu verbieten.
2. Man soll bei den Kirchenceremonien, in den Schulen und in den Theatervorstel¬
lungen die Kürze empfehlen, und man muss die beständige Ventilation der dazu bestimm¬
ten Locale vorschreiben, sowie in den Fabriken, in denen eine grosse Menge von Arbei¬
tern zusammengepfercht ist.
8. Es sind keine Bälle zu gestatten, besonders in geschlossenen Räumen, so lange
die Krankheit nicht verschwunden ist.
4. Es soll in der Stadt ein öffentliches Desinficirungslocal errichtet werden, in wel¬
chem Jeder sich mit Chlor zu jeder Tagesstunde desinficiren kann.
Lugano. Reali.
Nachschrift der Redaction. Es hat gewiss alle unsere Leser sehr inter-
essirt zu vernehmen, wie die maassgebenden Behörden in Tessin der Pockenepidemie
gegenüber Position genommen haben, und wie practisch dieselben die Fragen ausgewählt,
die den Sachverständigen sind vorgelegt worden. Freilich sind wir persönlich nicht mit
Allem einverstanden, was diese Experten entschieden haben, und wir erlauben udb hier
nur in Kürze auf einige Puncte aufmerksam zu machen, die bei uns ohne Zweifel anders
wären beantwortet worden. Wir glauben nicht, dass die Farrenimpfung die Im-
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pfung vom Kindesarm so vollständig aus dem Felde schlagen wird , noch viel weniger,
dass die Chlorräucherungen so wirksam sind, wie die Experten es versichert
haben, auch hätten wir statt des Desinficirungslocales lieber ein Re vaccinations-
i n s t i t u t in Lugano sich öffnen sehen. Ob es klug war, mitten in eindr Epidemie
Turnfest und Jahrmarkt, wobei eine Menge von Nicht- und Schlechtrevaccinirten aus
allen Cantonstheilen zusammenströmten, abhalten zu lassen, lassen wir dahingestellt. Je¬
denfalls bitten wir Herrn Ständerath Reali dringend, uns auch noch einige statistische
Mittheilungen über diese Epidemie machen zu wollen.
Stuttgart. In Ihrem Correspondenzblatt 1877 Nr. 24 ist meiner Schrift „der
ärztliche Landesschulinspector u die Ehre einer freundlichen Besprechung zu Theil ge¬
worden, und ist blos der eine Tadel darin ausgedrückt, dass Verfasser „in seinem Feuer¬
eifer für die Verbesserung der 8chreibstellung, der er auf’s Eingehendste seine Aufmerk¬
samkeit widmet, die ihm die Pandorabüchse ist, aUB der fast alle Schulübel entspringen,
etwas blind geworden sei für die Würdigung der andorn Faktoren, welche auf die Ge¬
sundheit der Schulkinder cinwirken.“ — In Deutschland liegt die {Beaufsichtigung der
öffentlichen Gesundheitspflege ausschliesslich eigens hiefür aufgestellten Sanitätspersonen
ob, den Physicis und Medicinalrätben, wie ich in erwähnter Schrift nachgewiesen habe,
meist ältere Leute, — das durchschnittliche Lebensalter der württemb. Amtsärzte beträgt
im Augenblicke 67 9 / A Jahre — Beamte, welche überdem im Wesentlichen auf das Er-
trägniss ihrer Privatpraxis angewiesen sind. Als Privatarzt war ich bei meinen Beob¬
achtungen der Schüler in den Schulen auf das Wohlwollen der Lehrer und Schulvor¬
stände angewiesen, stets auf dem Qui vive, eine Zurückweisung zu erfahren. Oft warteten
meiner die Patienten in der Sprechstunde, während ich dem Schreibunterrichte in der
Schule anwohnte. Sie begreifen, dass ich unter diesen erschwerenden Umständen mich
begnügen musste, das eine Kapitel gründlich zu studieren : den Einfluss der allgemein¬
gebräuchlichen Schreibstellung auf das Auge und die Wirbelsäule.
Aerztliche Landesschulinspectoren, welche mit der nöthigen Vorbildung das Amt
übernehmen, und in unabhängiger Stellung mit Energie die gefundenen Uebelstände be¬
seitigen, sind bei unseren Einrichtungen ein unerlässliches Bedürfniss der Zeit. Diese
mögen dann die einzelnen Verrichtungen in der 8chule und ihren Einflnss auf die ver¬
schiedenen Organe zum Gegenstand ihrer Studien machen. Bei den Einrichtungen der
Schweizer Republik, wo es glücklicherweise auch in Sanitätssachen keine Bureauratie
gibt, wird jeder strebsame intelligente Arzt leichter die Qualification und den Wirkungs¬
kreis des von mir angestrebten Schulinspectors finden, und so wie die wissenschaftliche
Schulhygieine durch Ihren Landsmann, meinen verstorbenen Freund Dr. Hans Fahmer eine
wissenschaftliche Begründung erfuhr, so mögon auch andere Schweizer Gollegen in
dieser Erläuterung eine Anregung finden, der Schulhygieine nach verschiedenen Richtungen
hin als Pionnire zu dienen.
Vielleicht finden 8ie, geehrter Herr College, es für opportun, vorstehenden Bemer¬
kungen in Ihrem geschätzten Blatte Raum zu gönnen.
Genehmigen Sie die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung.
Ihr ganz ergebener Dr. Leop. EUinger.
Briefe ans Ajaccio.
UL Ein eigentümliches Gefühl beschleioht den Gargast, wenn er zum ersten Male
an der neuen Heilstation behaglich und gut ausgeruht in seinem Zimmer sitzt. Re¬
flexionen kommen über ihn ; alte schon längst verklungene Reminiscenzen ertönen wieder,
und in die verschleierte Zukunft suchen bald zaghafte, bald überkühne Blicke zu dringen.
„Hoffnung auf Hoffnung gehet zu 8cheiter,
Aber das Herz hofft immer weiter“. (Rückert).
Dann kommt die Ruhe, wir Behen wieder in die Gegenwart und beurteilen sie.
Wo sind wir und wie sind wir?
Ajaccio hat natürlich ein südliches und ein Inselclima. Für dieses Mal abstrahire
ich bei den folgenden Mittheilungen von allen bisherigen Publikationen und gebe nur
eigene Beobachtungen. /
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Der Süden und die Lage im Meere allein genügen natürlich nicht, um eine Localität
als climatologieche Station zu empfehlen: es gehören hiezu noch verschiedene geographische
und sooiale Vorzüge, sowie auch die Tugend des Fehlens einzelner Nachtheile der geo¬
graphischen Lage.
Ajaccio liegt auf der Nordseite des mächtigen Golfes, der seinen Namen trägt Die
weite Bucht ist kraterförmig von einem Kranze von Bergen umgeben, die nach keiner
Seite offene Thäler ohne zwischen hineingeschobene Hügel- und Bergreihen zeigen. Im
Gegentheile liegen die Berglehnen zum grössten Theile relativ nahe an der Küste steil
und bis zur Höhe von 3 - 400 Metern zurück, so dasB die Stadt absolut nur nach Süden,
gegen das Meer zu offen, daliegt. Der Bergwall erstreckt sich dabei nicht nur etwa
in die nächste Umgebung der Stadt, sondern dehnt seinen schützenden Gürtel in weitem
Umfange hinaus um den Golf. Ueber diese Höhen ragen die Spitzen der Centralgebirge
herein, jetzt mit Schnee bedeckt.
Immerhin blieb der Stadt Raum genug zu ihrer Entwicklung.
Die gegebene Skizze genügt, um sofort klar zu machen, wie äusserBt günstig Ajaccio
liegt Wir haben sehr guten Schutz vor allen Nord- und Ost- und auch vor den West¬
winden. Nur der Süd und etwa ein Südwest trifft die Stadt. Beide bringen hier fast
immer Regen. — Wir hatten also bisher noch nichts vom heftigen, trockenen, reizenden
Sirocco zu fühlen. Er soll hier ganz fehlen.
Zur Vervollständigung meiner anemologischen Bemerkungen füge ich gleich bei, dass
die an jeder Küste herrschenden Localwinde (Land- und Seewind) nichts Auffälliges zeigen
und nicht in lästiger Weise auftreten. Dicht am Meere sehen wir junge Eucalyptus¬
reihen über die schützenden, niedrigen Gartenmauern herausragen, ohne dass auch nur die
Blattbildung, geschweige denn das gracile Geäste gelitten hätte, während z. B. Thilenm
von Nervi sagt, dass, was von den Bäumen über die zwanzig Fuss hohen Schutzmauern
der Gärten herausrage, von den Meeres winden „wie mit einer Scheere abgestutzt“ sei.
Die Höhen rings um die 8tadt schmücken grosse, sorgfältig angelegte Olivenculturen
(Wälder); theilweise aber überwuchert die Felstrümmer auch nur bald niedrigeres, bald
höheres Gestrüpp von Lorbeer und Myrthen, namentlich aber von Cistus monspelliensis. Wo
der Humus tiefer liegt, sind Reben, Maulbeer-, Maisculturen. In den kleinen vor Wind
and Sonne geschützten Schluchten und Terrainfalten finden sich überall in prächtigster,
üppigster Vegetation prangende Pflanzungen von Feigen, Mandeln, Orangen und Citronen
aller Arten. Ieh habe daheim oft staunend vor einem mit prächtigen Früchten über und
über beladenen Aepfel- oder Birnbaumzweig gestanden — aber diese üppige Productions-
kraft der Natur, wie wir sie hier an Mandarinen- und Orangenbäumen sehen, ist über¬
wältigend.
Dazwischen findet sich die ganze Reihe der übrigen südlichen Früchte, hie und da
ganz prächtige Dattelpalmen — nirgends eine Spur der Einwirkung vorausgegangener
verderblicher Fröste.
Selbstverständlich haben wir hier alle möglichen Gemüse (Blumkohl, gelbe Rüben,
Salate etc.) beständig frisch im Freien.
Eines aber fehlt uns glücklicherweise, und das sind die Sümpfe.
Ajaccio steht auf Granit, der überall, z. B. an unserer Strasse, dem Cours Grandval
frei zu Tage tritt. Auch Porphyr findet sich. Dicht unter dem Humus liegt entweder
der Fels oder — viel seltener — noch eine Kiesschicht. Daraus folgt, dass die profuseren
atmosphärischen Niederschläge sehr rasch ablaufen und der Boden schnell trocknet
Auoh der sehr feste Macadam der Strassen, der aus Granit besteht, ist bald fest, lässt
sich nur wenig „erweichen“; wir haben kaum breiigen Koth und wissen nichts von den
bodenlosen Wegen k la Sissach-Gelterkinden, wo man schon nach zweitägigem Regen
auf den ältesten Hühneraugen gelinde einherwandelt
Es ist kein Widerspruch, wenn ich gleich beifüge, dass wir auch zur Zeit heisser
Tage und bewegter Luft absolut keinen Staub verspürten. Der Boden ist (in den Strassen)
entweder sehr fest oder aber (am Meere) mit grobkörnigem, vom Winde nicht aufge¬
wirbeltem Granitstaube bedeckt.
Es liegt nahe, hier die relative Luftfeuchtigkeit zu berühren. Doch bin ich hiebei
unsicher. Natürlich muss die Luftfeuchtigkeit hoch sein. Doch wird dieser Factor wesent¬
lich durch den Umstand regulirt, dass nach den Beobachtungen des Dr. de Pietra Santa die
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Zahl der Regentage eine relativ sehr geringe, die der klaren Tage also eine sehr hohe sein
soll. Ich sage „soll“, weil die Saison bisher äusserst ungünstig und in ganz abnormer
Weise verlief Ein trüber Tag jagte den andern, wenn sich nicht etwa ein Regentag oder
lästige Winde zwischen hinein schoben. Das war aber nicht nur in Corsica so. — Ich
verschiebe deshalb meine Bemerkungen über atmosphärische Niederschläge und andere
Feuchtigkeiten auf später, damit sich das Resultat durch die längere Beobachtungszeit
besser verificirt und ich es mit frühem Jahren vergleichen kana Nur eines bemerke ich
gleich hier: trotz des trüben Wetters haben wir nie Nebel gehabt.
Wir erfreuen uns also hier einer vor kalten Winden geschüzten Lage mit staub¬
freier , reiner Luft mit hohem Feuchtigkeitsgehalt. Dieselbe ist durch die vom Meere
einerseits, und den ringsum liegenden, auch zur Winterszeit lebensfrischen, Culturen ander¬
seits, uns immer rein zuströmenden Localwinde eine beständig sich erneuernde.
Das Fremdenquartier liegt gut Vom Hafen zieht sich eine sehr breite Avenue mit
doppelter Baumreihe in die Stadt hinein, verlängert sich in die Rue du marchö und dann
in den Cours Grandval. Da wohnen wir.
Die 8trasse ist breit, hat beidseits eine Platanenreihe und steigt ganz schwach
an, so dass alles Abwasser sofort wegläuft. Das Hötel Germania liegt gegen das cen-
trifugale Ende zu; die Häuser stehen hier weniger dicht und sind oft angenehm in Gärten
gelegen. Wir haben nicht weit zum Meere. Natürlich sind auch Gasthöfe und Privat¬
wohnungen in* den verschiedensten Theilen der Stadt (circa 17,000 Einwohner). Doch
wird der Cours Grandval (hübsche Villen zu miethen, Privatwohnungen, Hötel Germania)
mit Recht von den Curanten vorgezogen; schon seine freiere Lage sichert eine reinere, nicht
von Strassendün8ten inflcirte Atmosphäre.
Nicht eindringlich genug kann ich denjenigen Besuchern des Südens, die brustleidend
sind, empfehlen, ein Südzimmer zu bewohnen, besser noch ein unheizbares Südzimmer,
als ein durch Kamin oder kleinen eisernen Ofen heizbares Westzimmer. Exacte Ther-
mometermessungen haben mir gezeigt, dass die Temperatur vor den Fenstern meines
8üdzimmerchens Morgens und Abends durchschnittlich mindestens 3° C. höher ist als
vor dem Westzimmer eines Freundes. Im Zimmer ist der Unterschied noch grösser.
Die Gelegenheit zum Spazieren ist gut da; den Cours Grandval herunter zum Hafen
führt eine ganz angenehme, den ganzen Tag stark frequentirte Avenue mit Bänken am
Place Bonaparte. Von hier aus, aber auch auf verschiedenen andern Zugängen, gelangen
wir zum Meere und diesem nach bis herunter zu den 12 Kilometer entfernten lies San-
gninaires führt eine malerische (aber heisse) Strasse, die immer trocken ist. Leider fehlt
es hier an Schatten und an Ruhebänken. Aber schön ist ider Weg und bietet zudem
an verschiedenen 8tellen zackig zerrissene Klippen mit einer Brandung, die bei bewegter
See fesselnd prächtig ist und zugleich grossartig angelegte Salzwasserinhalatorien bildet.
Eben so leicht können wir von hier aus auf der sehr gut angelegten Strasse zur
Chapelle Feraldi steigen, durch den Olivenwald hinauf zu malerischen Aussichtspunkten.
Natürlich bietet sioh auch reichliche Gelegenheit zu weitern Ausflügen im Wagen
und zu Fuss — kommt man nicht ganz bis zur Grabcapelle des Grafen Bozzo di Borgo,
so erquickt doch die gute Absicht und das Bewusstsein im reohten Momente — umge¬
kehrt zu haben.
Die Verköstigung im Hötel Dietz (Germania) ist gut, und auch die Gäste des Hötel
de France sind zufrieden, wer eigenen Haushalt führt, kann sehr billig leben (theuer auch,
wenn er will).
Die 80,000 Bände starke Bibliothek Fesch steht auch uns Fremden mit liebenswür¬
diger Liberalität zum Gebrauche offen, wie denn überhaupt die Corsen uns mit grosser
und herzlicher Freundlichkeit entgegenkommen.
Zu den Ressourcen, die uns die Stadt bietet, zähle ich noch das Theater und —
utile cum dulci — eine gute Badeanstalt.
Gewiss ist den erfahrenen Lesern längst aufgefallen, dass ich nichts Günstiges von
den Gärten sage: de absentibus nihil nisi benel Die Gärten fehlen leider; doch fand ich
gestern im.Garten bei der Chapelle Feraldi recht viele und mannigfaltige Blumen in schönster
Blflthe und zwar trotz des kleinen Raumes so reichlich, dass der Gärtner in der Erwar¬
tung eines kleinen Trinkgeldes freundlichst den Besuchern gestattet, selbst nach Belieben
ihr Sträusschen zu pflücken. — Die Kronen prächtiger, nahe beisammen stehender Palmen
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bilden eine kleine Laube (in der ich ungestraft gewandelt bin). Einen hübschen Blumenflor
finden wir ausser in Privatgärten nirgends in der Nähe und eben so wenig einen eben¬
gelegenen, parkähnlichen Garten. Ich will daher gleich hier bemerken, dass schon aus
diesem Grunde wenig mobile Kranke in der Regel nicht hieher gehören. Gerade für
den chronischen Kranken, der nicht weit gehen kann, ist ein lieblicher Blumenflor ein
wohlthuender Tröster im Exil. Auch fehlt uns öffentliche Musik.
Die Fremdencolonie, die einige Jahre an Frequenz abnahm, ist dieses Jahr viel stärker
als den letzten Winter; immerhin steht die Zahl noch bedeutend unter derjenigen, die
Ajaccio verdiente. Es sind zur Zeit (Mitte Dezember) etwa 100 Fremde hier (unter
welchen ein ganz ansehnliches Contingent Schweizer hervorragt; wir bilden überseeisch
curioserweise numerisch eine Grossmacht).
Die Apotheken sind sehr gut, von den Aeizten will ich heute nicht reden.
Ich unterlasse auoh, auf die SanitätsVerhältnisse der Ureinwohner einzutreten; es
wirken auf die Morbidität und Mortalität neben den climatischen Verhältnissen so viele
„menschliche“ (sociale) Factoren ein, dass das Bild getrübt wird. Wir Curanten können
ja mit Leichtigkeit so vielen schädlichen Einflüssen, denen die übrige Bevölkerung erliegt,
vollkommen ausweichen.
Zur Unterstützung der Fremden hat sich ein ßyndicat gebildet, dem wir schon mehrere
wesentliche Vergünstigungen verdanken. Ich wünsche nur, dass eine stabile, den Schwan¬
kungen der politischen Veränderungen nicht allzu sehr exponirte Verwaltung der Stadt
dazu gelange, nach und nach verschiedene, in der „Gazette ajaccienne“ als auch für die
städtische Bevölkerung wünschenswerth erklärte Projecte (Schattenbänke, Palmengarten
etc.) auszuführen.
Genug für heute: climatologisch nur noch so viel, dass unser schlechteste Tag bisher
um 8, 12 und 6 Uhr 7, 15 und 13 0 C. aufwies (gemessen südseits im Schatten). Die
Tagesschwankungen sind mässig.
Und nun, liebe Freunde, geht noch mit mir an der Batterie du Msestrello vorbei bis
zur Chapelle des Grecs spazieren. Da sitzen wir in der heissen Sonne auf ein Granitriff.
Vor uns liegt der weite Golf; an seinen vielen Klippen vorbei gleitet hie und da ein
Segel, zwischen ihnen sondirt ein Fischer nach Seeigeln. Auf der Strasse wandert ein
langer Zug: Geistliche, irgend ein Internat.
Und nun gleitet unser Blick über diesen belebten Vordergrund hinweg auf eine lieb¬
liche und grossartige Landschaft. Vor uns liegt auf einer Landzunge die Stadt mit ihren
hohen Häusern, der Citadelle und der Batterie. Prächtig wölbt sich von ihr der Berg
empor. Aus dem Grün der Oliven ragt hie und da eine weisse Capelle, zuweilen eine
Palme, überall üppiger Cactus. Hinter der Stadt erhebt sich der doppelzackige, auf den
Spitzen nun mit 8chnee bedeckte, gewaltige Monte d’Oro (von uns längst „Pilatus“ umge¬
tauft), an den sich links und rechts pittoreske und gigantische Höhenzüge anreihen. Das
ganze gegenüberliegende Ufer des Golfs zeigt eine langgestreckte Bergeskette, spärlich
bewohnt, unten Landzungen mit einer Batterie, der Tour isolöe, dem Capitello und weitern
Thürmen. Und nun gehen wir wenige Schritte abwärts und siehe dal Scharf und
klar hebt sich am Horizonte ein alter genuesischer Thurm und daneben die Felseninseln
8anguinaires mit dem Semaphor und dem Leuchthurm ab 1 Zu unsern Füssen bricht Bich
Woge an Woge; tiefgrün wälzt sich die Welle heran, überstürzt, zerschäumt an den
Klippen; dort aussen aber, wo der silberhelle 8treif den Horizont abgränzt, ist erhabene
Ruhe. Ruhe auch hoch Uber dir, wo sich das durchsichtige Firmament endlos emporwölbt.
Ruhe auch in dir ? Grüss' Gott, Heimath 1
Mitte December. A. Baader.
W oolieiibex-iolit.
Schweiz.
Ans den Acten der schwefts. Aerste-Commiselon. In Sachen des
Eidg. Fabrikgesetzes hat das Schweiz. Eisenbahn- und Handelsdepartement der
Aerzte-Commission und ihren Vertrauensmännern mit Schreiben vom 17. Decbr. 1877
ihre „werthvolle Arbeit“ (welche in Nr. 1 dieses Jahrganges, pag. 17 abgedruckt ist)
„bestens verdankt.“
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Herr Prof. Dr. Dunant von Genf sah sich durch berufliche und f&miliale Verhältnisse
leider genöthigt, aus der Aerzte-Commission auszutreten, welche den Verlust des
klaren und feinen Kopfes, wie des liebenswürdigen Colleges, der sich um die Vereinigung
romanischer und germanischer Schweizerärzte sehr verdient gemacht hat, schmerzlich
bedauert.
Sein Nachfolger ist Herr Dr. D'Espine, Professor der allgemeinen Pathologie an der
Universität Genf, ein in weiten Kreisen bekannter und hochgeschätzter Mann.
Bern» Militärärztliche Avancements. Der Bundesrath hat zu Di¬
visionsärzten: der II. Division Gustav Virchaux in Locle ; der III. Division Emanuel
Niehans in Bern; der IV. Division Jacob Kummer in Aarwangen; der VI. Division Emil
Rahm in Schaffhausen gewählt
Gehe!mmlttelpoltaei. Nachdem die grosse Conferenz vom 22. Novbr. 1877
sich über einige Hauptpunkte ausgesprochen, insbesondere sich für Anstrebung eines
Bundesgesetzes und für Eegulirung der Annoncen, wie auch des Verkaufes der Geheimmittel
entschieden, die weitere Arbeit aber einer engem, vom Eidg. Departement des Innern
einzuberufeoden Commission zugewiesen hatte, versammelte sich diese Donnerstags den
10. Januar 1878 im Bundesrathhause, unter dem Präsidium des Herrn Bundesrath Droz.
Eingeladen und anwesend waren die Herren Bodenheimer , Regierungsrath von Bern; Dr. Curti,
Regierangsrath von St Gallen; Dr. Guillaume , Prof, von Neuchätel; Karrer , Regierungs¬
rath von Aarau ; Sarasin , Regierangsrath von Basel; Dr. Süerlin, Cantonschemiker von
Luzern; Piof. Dr. Schär von Zürich und Dr. Sonderegger von St. Gallen (letztere beide
als Vertreter der schweizerischen Apotheker und Aerzte).
An der Hand eines vom Departement des Innern entworfenen Fragen-Schema's
wurde nach fast ßstündiger Berathung beschlossen:
1. Den Weg der Gesetzgebung dem Concordate vorzuziehen;
2. bei der schwierigen, oft unmöglichen Abgrenzung der Geheimmittel und der Spe¬
zialitäten von eigentlichen Medicamenten, den ganzen Medicamentenhandel möglichst zu
regeln und nur Leuten anzuvertrauen, welche die unumgänglich nöthigen technischen und
moralischen Garantien bieten;
3. ferne davon, amtliche Erlaubnisse und Patente anzustreben, soll das einzuschla¬
gende Verfahren ein rein negatives sein und sich darauf beschränken, AlleB zu verbieten,
was sich als Vergiftung oder Betrug qualifleirt.
Der grossen Schaar unschuldiger Liebhabereien des Publicums soll damit kein Krieg
erklärt werden. Wie diese Punctationen, in Gesetzesparagraphen gefasst, aussehen, soll
mitgetheilt werden, sobald diese ausgearbeitet sind, und dann erst werden die Abgeord¬
neten der Cantonsregierungen nochmals darüber berathen, ehe der Vorschlag das Licht
der national- und ständeräthlichen Tractanden erblicken wird.
Lusern. Den 23. Januar verstarb dahier im kräftigsten Mannesalter Dr. Franz
Bücher-Ehniger , langjähriger ausgezeichneter Secretär unseres 8amtätscollegiums und Major
im eidg. Sanitätsstab, ein ebenso anspruchsloser als liebenswürdiger College, dessen Ver¬
lust von Allen, die ihn gekannt haben, tief betrauert wird.
Zttrich. An Stelle des bisherigen Decans, Herrn Prof. Eberth , wurde für die
nächsten 2 Jahre Herr Prof. Horner zum Decan der medic. Facultät gewählt. Herr Pro¬
fessor Hermann (Physiologe) wurde zum Rector magnificus der Hochschule designirt.
Zugleich berichtigen wir hiemit einen kleinen Druckfehler des Correspondenz-Blattes
vom 15. December 1877. Herr Prof. Osc. Wyss hält neben der medic. Klinik nicht noch
„propädeutische“, sondern die „pädiatrische“ Klinik im Kinderspital.
Ausland.
Deutschland. Universitäts-Nachrichten. Prof. Cohnheim in Breslau
wurde als Professor der pathologischen Anatomie nach Leipzig berufen. — An die
chirurgische Lehrkanzel in Würzburg ist Bergmann in Dorpat berufen worden.
SKarburg. Herr Prof. Dr. Beneke in Marburg, von der Ueberzeugung durch¬
drungen, dass „für die Kenntniss und Beurtheilung der Entwickelung mancher Krankheits¬
zustände der ersten 20 Lebensjahre die Körperlänge und das Wachsthum der Betroffenen
eine viel grössere Bedeutung hat, als man bis dahin gemeiniglich angenommen“, und dass
es andererseits leider „der Wissenschaft bis jetzt noch an einer genauen Kenntniss der
noi malen durchschnittlichen Wachsthumsgrössen des Menschen in jedem einzelnen Lebens-
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Jahre fehlt“, ist mit Versuchen beschäftigt, diese Lücke unseres Wissens auszufüllen, in¬
dem er es unternehmen will, eine grosse Anzahl von Kindern und jungen Leuten bis
zum 20. Lebensjahre mindestens alle halbe Jahre einmal zu messen. Um dieses Ziel
erreichen zu können, richtet Herr Prof. Beneke einerseits an die Bewohner Marburgs die
Bitte, ihm ihre Kinder behufs der Messung in regelmässigen Intervallen zuzuführen, anderer¬
seits ersucht er auswärtige Collegen in ihrem Wirkungskreise ähnliohe Untersuchungen
auszuführen und die Resultate zusammenzustellen, resp. ihm zur Verarbeitung mitzutheilen.
Er hat ein Schema für die Messungen, damit diese nach gleichen Gesichtspuncten ausge-
führt werden, entworfen und stellt dasselbe allen Collegen, die den Gegenstand in Angriff
nehmeu wollen, zur Verfügung. (B. Kl. W.)
München. Das neue Klinikum von Ziemssen ist ganz ausgezeichnet eingerichtet
Neben dem grossen klinischen (amphitheatralisch gebauten) Saale, in welchem die Kranken
auf Betten mit geräuschlosen Rädern hineiDgerollt werden, sind eigene Zimmer für zu
chemischer Analyse, Miscroscopie, Laryngoscopie, Inhalation, Therapie u. s. w. Alles mit
den besten und neuesten Instrumenten versehen und das Ganze geschmackvoll und hübsch
möblirt. Die Vorträge, die Klinik selbst sind vorzüglich, man möchte wieder jung werden
und vorn anfangen; doch ist auch das Nachholen heilsam. In Prof. Buhta Vorträgen mit
Demonstrationen, jeden Samstag von 12 bis 1 Uhr, sind über 100 Aerzte, worunter zu
meiner grossen Freude viele Weisse, ich gehöre noch zu den Grauen, und habe daher
einigen Vorsprung. Nussbaum’s Klinik hat immer sehr viel Material. Habe binnen
kurzem acht Operationen des Genu valvum nach Ogston gesehen (meist doppelseitig).
In 10 bis 14 Tagen gehen die Operirten mit geraden Beinen wieder aus dem 8pital und
sämmtliche krummbeinigen Bäckergesellen (diese sind hauptsächlich bevorzugt) machen
gegenwärtig Queue, um operirt zu werden. Vielleicht später wenn ich mehr Material gesam¬
melt Näheres. Die Ovariotomien in der letzten Zeit weniger häufig, es wurde eine als
anticipirtes Climax nach Hegar zur Stillung profuser Menses gemacht.
Stand der Infectionn-Krankbelteii ln Basel.
Vom 11. bis 25. Januar 1878.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Die Vermuthung, dass die Masern in Grossbasel ihren Höhepunct überschritten
haben, hat sich bestätigt; die Zahl der neu angezeigten Fälle hat, trotz der Zunahme in
Kleinbasel, bedeutend abgenommen; sie beträgt 180 (112, 143, 169), davon auf dem
NordweBtplateau 45 (26,87, 82], Birsigthal 89 (61, 29, 88), Südostplateau 18 (15, 18, 45),
Birsthal 1 (0), Kleinbasel 27 (9, 2, 9).
Dagegen zeigt Soharlach eine erhebliche Zunahme; angemeldet sind 87 Fälle
(19, 12, 20), Nordwestplateau 10 (4), Birsigthal 9 (1), Südostplateau 1 (1), Birsthal 1 (4],
Kleinbasel 16 (10). Von den Schulen zeigt keine gehäuftere Fälle dieser Krankheit.
Typhus 8 Fälle (6, 6), wovon 5 auf dem Nordwestplateau, 2 Birsigthal, 1 Klein-
basel. Erysipelas 6 Fälle (7, 8, 13), wovon 3 in Kleinbasel.
Diphtherie 8 Fälle (4, 10), wovon je 2 vom Nordwestplateau, Birsigthal, Süd¬
ostplateau, KleinbaseL
Varicellen 11 Fälle (8, 10) zerstreut aus der Stadt.
Pertussis einige Fälle aus Kleinbasel.
Puerperalfieber 1 von auswärts ins Spital gebrachter Fall.
Briefkasten.
Herrn Dr. Haffter: Mit vielem Dank erhalten. — Herrn Dr. Corrult: Wurde brieflich beant¬
wortet — Herrn Prof. Kocher: Verdanke bestens die fr. Zusendung. — Herrn Dr. Ladame: 8oll
besorgt werden. Die Adresse von Freund Baader ist Hötel Germania, Ajaccio. — Herrn Dr. I.: Re-
tournirte Zusendung eingetroffen. Pan&ritlum abgelehnt, nicht weil zu „gewöhnlich“, sondern weil für
das wenig „Neue“ viel zu breitspurig gehalten. — Herrn Dr. Steigert Sendung habe erhalten, das
Andere erwarte ich. — Herrn Prof. H.t Das Betreffende soll eingeschaltet werden. Im Uebrigen
haben 8ie wohl recht, aber: Manque de grives on mange de merlesl — Herrn Dr. K. v. Wyu in Z.:
Bitte um gefl. Zusendung des Protocolls und des Theilnehmerbüchleins unserer Oltener Zusammenkunft
— Herrn Dr. Bruggisser in W.: Ihr Beitrag war sehr willkommen I — Herrn Dr. Treichler: Wir be-
sch&ftigen uns mit der Beantwortung Ihrer Fragen. — Herrn Dr. N.: Mit Titel einverstanden. — Herrn
Dr. S. in P.: Sendung eben eingetroffen. Brief unterwegs. Herzl. Grüase,
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95
Kump ©dfer MMcfewem
wird mit bestem Erfolge angewandt bei Catarrh der Athmongsorgane and des. Magens,
bei Lungenschwindsucht, Bleichsacht etc., per Fl. 75 Cts., in Eisten k 12, 20 and 30 Fl.
Prospecte gratis.
[IOB-R]
Schweiz. Kumys-Anstalt Davos.
Herzlichen Dank den Herren Aerzten.
Als vor Kurzem Seitens ausländischer Verkäufer sogenannter Bitterwässer die Grundlagen ver¬
ändert wurden, auf denen der Handel mit natürlichen Mineralwässern bisher beruht hatte, entstand
für uns unter Anderem namentlich die Frage, ob wir diesen Händlern auf die abschüssige Bahn
reclamhafter Anpreisung folgen oder den bisher von uns inne gehabten soliden Weg weiter wandeln
sollten. Wir zogen das Letztere vor in der Erwägung, dass der Consum eines Mineralwassers in
letzter Instanz von dem sachrerständlgen^ond durch Beclame nicht zu beeinflussenden Urtheil
der Aerzte abhängig ist.
Unser Vertrauen auf dieses Urtheil hat uns nicht getäuscht! Nicht nur, dass von im höchsten
Grade competenten Autoritäten die Unterschiede in aer Zusammensetzung und Wirkung der ver¬
schiedenen Bitterwässer und die Vorzüge des Friedrichsballer ohne unser Zuthun gewürdigt worden,
hat sich der Consum auch im abgelaufenen Jahre nicht nur nicht verringert, sondern im Gegentheil
wesentlich gehoben.
Wir constatiren, dass sich die Wissenschaft durch Beclame nicht vom rechten Wege abbringen
lässt und nehmen Veranlassung, den Herren Aerzten hierdurch unseren besten Dank fllr das un¬
veränderte Vertrauen zu unserer Heilquelle auszusprechen.
Die Bnmnendirection Friedrichshall.
[H-307-Q] C. Oppel & Co.
FRANZ JOSEF 9 BitterqixeRe,
das wirksamste aller Bitterwässer,
unterscheidet rieb in seiner Wirkung dadurch Torthellhaft von den andern bekannten Bitterwassern, dass ea in kleineren
Quantitäten wirksam und bei längerem Gebrauche tou keinerlei üblen Folgen begleitet ist.
Wien, 22. Apm 1877. Prof. Dr. Max Leidesdorf.
Zeichnet rioh bestens ror allen Ofner Bitterwlesern durch milden Geschmack und ▼orsfigliohen Erfolg aus: gegen
Magen- und Darmkatarrb, habituelle StuhWerstopfung, gegen Blutstockungen und Blutandrang sn edlen Organen, gegen
Haemorrhoiden, Appetitlosigkeit etc.
Dlrectlon des allg. Krankenhauses in Ofen, 25. August 1877.
Verursacht selbst bei längerem Gebrauche keinerlei Nachtheile.
Wien, io. August 1877. Hofrath Prof. Dr. v. Bamberger.
Die Wirkung ist ausnahmslos rasch, suverliarig nnd schmerslos.
Würsbuig, 86. Juli 1877. Gehclmrath
Prof. Dr. Scanzoni Freiherr v. Lichtenfels.
Vorrtthig in allen Mineral wasser-IW pdta. Brunnenschriften etc. gratis durch die Versendungs-Direction in Budapest.
Normal-Dosis: Ein halbes Weinglas roll. IH-8465-Q)
/ Meyers Hand-Lexikon
I Zweite Auflage 1878 l
W gibt in einem Band Autk%mfl über jeden Gegen- t
J Stand der menschlichen Kenntnis und auf jede Frage F
J nach einem Kamen, Begriff, Fremdwort, Ereignis, Da* l
) tum, einer Zahl oder Thatsache augenblicklichen f
/ Bescheid. Auf ea. 2000 Kleinen Oktavseiten Uber I
' 60fi00 Artikel, mit vielen Karten, Tafeln und Beilagen. I
24 Lieferungen, ä 50 Pfennige. I
tär Subskription in allen Buchhandlungen. I
Verlag des Bibliographischen Instituts /
in Letpetg. /
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häusliche Krankenpflege
von
Dr. L G. Courvoisier,
Han nar rt dor Diakonissen-Anstalt sn Hieben.
Mit einer Tafel Abbildungen.
I.—HL Auflage.
8. Geheftet Fr. 3.
Basel. Benno Schwabe,
Verlagsbuchhandlung.
Digitized by LjOoqic
96
Offerire den Herren Aerzten franco gegen
Nachnahme. Packung frei.
Preissteigerung Vorbehalten.
Chinin sulfur. pur. 30 Grm. Fr. 17, 15 Gr. 9 Fr.
„ murlat. 30 Grm. Fr. 20, 15 Gr. IO 1 /* Fr.
Morph. aceL 30 Grm. Fr. 15, 15 Gr. 8 Fr.
„ murlat. 30 Grm. Fr. 16, 15 Gr. 8‘/a Fr.
Natr. talicyl. albis. (Schering) pulv. 100 Gr. Fr. 4.50.
„ salic. crystal. puriss. 100 Grm. Fr. 5. 50.
Acid. salicyl. cryst. 100 Grm. Fr. 4.
Kalium jodat. pur. 250 Grm. Fr. 10 1 /*.
St. Gallen den 30. Nov. 1877.
[H-277-Q] C. Ehrenzeller, Apotheker.
Schlusswort
in Sachen Patienten-Journal
contra Aerztliches Journal.
Auf die verdrehungsreiche Entgegnung des Herrn
Käser (in Nr. 2 dieses Blattes) halte ich an meinem
Proteste in allen Theilen fest und fordere Herrn
Käser einfach auf:
1) In Bezug auf das Grundsätzliche, Sachliche,
durch die üblichen Gerichte, oder durch ein un¬
parteiisches Handels- oder Schiedsgericht ent¬
scheiden zu lassen, dass mein Patientenjournal
wirklich nur eine blosse Nachahmung seines ärzt¬
lichen Jonrnales für Landärzte sei, nicnt ein selbst¬
ständiges Concurrenzunternehmen.
2) Entweder den in Bezug auf die Ausführung,
das Persönliche, den ganzen zwischen uns Beiden
in der vorliegenden Frage geführten Briefwechsel
zu veröffentlichen, oder aber ebenfalls durch ein
unparteiisches Schiedsgericht feststellen zu lassen,
ob meinem Verhalten irgendwelche Unloyalität
zur Last gelegt werden könne.
Bis die eine oder die andere dieser Forderungen
erfüllt sein wird, erkläre ich jede gegnerische Be¬
hauptung von Nachahmung, sowie jede Andeutung von
Unloyalitlt als Verleumdung.
Bern, 20. Januar 1878.
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der Anstalt wenden. [20-R]
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N! 4. VIII. Jahrg. 1878. 15. Februar.
Inhalt: 1) Originalarbelten: Dr. Trtichler: Gymniurtik und Stobtnrnen in der Hand des Arztes. — Dr. Langt:
mttheilnngen über die Wirkung der traneportabeln pneumatischen Apparate. — 2) Vereinsberichte: Gesellschaft der Aerzte
in Zürich. — 8) Referate und Kritiken: Dr. Duvai: Compte-rendu de la maison des enfhnts malades 1872—1877. — Dr.
J. L. A. Koeh: Vom Bewusstsein in ZusUnden sog. Bewusstlosigkeit. — Dr. Gotüitb Bur ciliar dt: Die Lehre von den fnnetio-
nellen Centren des Gehirns und ihre Beziehung cur Psychologie und Psychiatrie. — Dr. JUpping: Die Geisteestürungen der
8chwangern, Wöchnerinnen und Slugenden. — 4) Cantonale Correspondeuzen: Basel, Bern, Luzern. — 5) Wochen*
bericht. — 6) Bibliographisches. — 7) Briefkasten.
Origfinal--A_rT>eiten.
Gymnastik und Stabturnen in der Hand des Arztes.
Von Dr. Treichler in Stäfa.
(Vortrag, gehalten in der Sitzung der zürch. med. Canh-GeselUch. d. 5. Nov. 1877.)
Wie die Entdeckung von America und die Reformation das körperliche und
geistige Leben der Culturvölker vollständig umgewandelt hat, so haben die neuen
Entdeckungen in den Naturwissenschaften, vor Allem die Dampfmaschine und ihre
Benutzung für Eisenbahnen unser ganzes Culturleben umgestaltet und uns halb im
Traum in ganz neue Bahnen geworfen und manches GrossmUtterchen im einsamen
Gebirgsthal, das kaum wusste, was eine Dampfmaschine sei, sieht jetzt täglich mit
einem gewissen unheimlichen Gefühl den Eisenbahnzug vorbeibrausen. Sie fühlt,
dass eine neue Zeit angebrochen ist, die sie nicht mehr versteht und die auch wir
nur schwer verstehen, und dass es Zeit ist zu gehen.
Als den Hauptvorzug, den die Kenntniss der Naturwissenschaften für den
Menschen hatte, gibt man an, dass der Mensch die Naturkräfte zu seinen Dienern
gemacht habe, dass er die strenge Muskelarbeit, welche er früher selbst verrichten
musste, auf die Schultern der Naturkräfte und der Dampfmaschine hinüberwälzen
gelernt habe. Die neuere Socialwissenscbaft sucht vor Allem die Menschenkraft
vor Druck zu bewahren, es ist dadurch ziemlich unbewusst eine gewisse Abnei-
gung gegen körperliche Anstrengung gekommen, die physische Muskelkraft, nament¬
lich für Fusstouren, hat abgenommen, während diese doch die wohlthätigste Ab¬
leitung für die Ueberreizung des Gehirnlebens bilden, welche das Culturleben mit
sich bringt.
Vergleichen wir die Zeit unserer Väter mit der heutigen Zeit, so zeichnet sich
diese aus durch ein ruheloses Streben nach geistigem Wissen und Fertigkeiten,
um damit sich materiellen Besitz und ein bequemes Leben zu sichern. Unbewusst
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hat man sich dabei die rastlose Arbeit der Dampfmaschine zum Muster genommen.
Der starke geistige Druck, welchen die Schule auf das Kind ausübt und das Jagen
nach viel schnell erworbenem Wissen wirkt als Muskeldruck auf das Auge und
formt das ursprünglich runde Auge des Schülers in das länglich-ovale kurz¬
sichtige Auge um. Der gleiche Druck findet Auch auf das gesammte Gehirn- und
Nervenleben des Kindes, wie des Erwachsenen statt, setzt das Blutleben und die
Muskelkraft um so mehr herab, als eine ungleich grössere Anzahl Menschen zum
Aufenthalt im Zimmer bei anstrengender Arbeit der Augen und des Gehirns durch
ihren Lebenslauf gezwungen werden. Ein heilsames Gegengewicht und Heilmittel
gegen die daraus resultirende Nervenüberreizung bildet Bewegung in frischer Luft,
zu welcher früher der Geschäftsmann für die Abwicklung seiner Geschäfte genö-
thigt war. Jetzt sind die Verkehrsmittel in Eisenbahnen, Dampfschiffen, Drosch¬
ken so zahlreich , dass die Fusstouren und die Fähigkeit dazu sehr abgenommen
haben. Aeltere Kaufleute erzählten mir, dass sie in ihren Jugendjahren öfters Tou¬
ren von 16 — 18 Stunden, z. B. von Zürich nach Basel, in einem Tage zurücklegten,
ohne dies als eine Strapaze zu betrachten.
Es ist begreiflich, dass unsere ganz veränderte Lebensweise auf die Gesund¬
heitsverhältnisse des Volkes eine tiefgreifende Wirkung ausüben musste. Die
Aerzte sind vor Allem in der Lage, das Vor- und Rückschreiten der Volksgesund¬
heit zu beobachten, die Ursachen und Heilmittel dagegen anzugeben, gemäss dem
schönen Ziel, das sich die neuere Medicin gesetzt hat, dass es besser sei, das Ent¬
stehen von Krankheiten zu verhüten, als bereits vorhandene Krankheiten zu heilen.
Meine Lebensmaxime, mit der ich immer gut gefahren bin, lag in dem alten
Turnerlied:
„Nur Uebung stählt die Kraft, Kraft ist’s, was Leben schafft.“
Was ich Ihnen hier biete, ist also nicht theoretische Speculation, sondern Re¬
sultat einer langen Lebenserfahrung. Bewegung ist Leben und wenn wir den
Körper gesund erhalten wollen, müssen wir ihm für gehörige Bewegung sorgen.
„Auch das reinste Wasser fault, wenn es nicht öfters von frischen Luftwogen be¬
wegt wird.“ Betrachten wir zur näheren Begründung den Einfluss der Muskel¬
bewegung auf den menschlichen Körper:
1) Die rothen, willkürlichen Muskeln werden blutreicher, derber, nehmen an
Umfang und Kraft langsam zu. Die Armmuskeln des Turners sind derb, prall an¬
zufühlen, die des Schwächlings schlaff und schlotternd.
2) Da die unwillkürlichen, glatten Muskeln nach dem Gesetz der Mitbewegung
den willkürlichen Muskeln unterworfen sind, so tritt auch in diesen eine raschere
Thätigkeit ein, die Arbeit von Herz, Lunge, Darm wird eine raschere, Stasen in
der Circulation des Blutes und von Secretionsproducten werden eher gehoben.
3) Da die wichtigen Secretionsorgane Nieren und Leber wegen des doppelten
Capillarsystems unter sehr schwierigen Verhältnissen arbeiten, so ist eine öftere
Anregung auf die langsame und träge Blutcirculation in diesen Organen sehr
wünschbar. Das gleiche gilt von der Hypercemie des Gehirns, welche durch ver¬
mehrte geistige Anstrengung, die Spirituosen, Tabak sehr begünstigt, durch Mus¬
kelbewegung gehoben werden.
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4) Der Stoffwechsel, der Stoffansatz und das Verlangen nach Nahrung wird
lebhafter, die Blutbildung wird befördert.
5) Eine gehörig geregelte Muskelbewegung hat einen eminenten Einfluss auf
die Erzeugung der thierischen Wärme und ist bei schwächlichen Individuen die
conditio sine qua non für eine leidliche Gesundheit. Uebcr die Entstehung der
thierischen Wärme war man ganz im Unklaren, bis die Untersuchungen von Prof.
Samuel in Königsberg unzweifelhaft feststellten, dass der grösste Theil derselben
in unsern Muskeln erzeugt wird, und dass ein Kaninchen, welchem die Muskeln
der 4 Extremitäten an der Wärmeproduction ausgeschaltet werden, rasch (binnen
4—8 Stunden) einen Temperaturabfall von 14—16° erleidet und den Erkältungstod
stirbt. Diese Ausschaltung der Extremitäten erfolgt gleichmässig, ob man die
Nerven der Extremitäten durchschneidet oder die Arterien unterbindet. Es ist
ferner Folgendes bewiesen:
a) Die Wärmeentwicklung ist bedeutend grösser, wenn der Muskel angestrengt
wird und wenn das Blut rascher durch denselben kreist.
b) Häufige Anstrengung des Muskels macht denselben dick und fest, was sich
am Turner und Fechter schon nach 1 — 2 Monaten durch das Maass feststellen lässt.
Geregelte Muskelbewegung steigert also die Heizfläche des Ofens und die
dadurch angeregte raschere Blutcirculation steigert den Wärmegrad. Ein Körper
mit wenig Muskelbewegung verhält sich also zu einem Körper mit viel Bewegung,
wie ein kleiner Ofen mit schlechtem Luftzug zu einem entsprechend grossem Ofen
mit gutem Luftzug.
Das Wesen der Erkältung als Krankheitsursache ist uns noch nicht hinreichend
bekannt, nur ist so viel sicher, dass ein Körper mit guter Wärmeproduction viel
seltener den Erkältungskrankheiten ausgesetzt ist, als ein Körper mit schlechter
Wärmeproduction. Wenn wir also diese in einem schwächlichen Körper täglich
durch geeignete Gymnastik steigern, so verschliessen wir damit einer Reihe ernster
Erkrankungen die Thür.
Da eine geregelte Muskelbewegung uns vielfach durch die Culturverhältnisse
verkümmert wird und doch von so hohem Einfluss auf die Gesundheit ist, so sind
wir genöthigt, neue Bewegungsformen zu suchen. Es stehen uns besonders zwei
Arten von Bewegung zur Auswahl, der Spaziergang und das Turnen, als
Freiübung und Stabturnen. Der Spaziergang und die weitere Excursion hat den
Vortheil, dass man fortwährend in frischer Luft ist und der Geist durch das Neue,
was man auf Strasse und Landschaft erblickt, angenehm beschäftigt wird. Er hat
deswegen auch seine volle Berechtigung und soll vom Arzt so viel als möglich
empfohlen werden. Nur hat er bei Winterszeit für zarte Patienten so viele Hin¬
dernisse durch die Witterung, Furcht vor Erkältung und vor Übeln Nachreden der
Nachbarsleute, wenn man so müssig herumlaufe, Mangel an Zeit, Etiquette, dass
der Spaziergang ungeachtet aller guten Vorsätze selten zur Ausführung kommt
und sein Nutzen klein ist. Für die Gymnastik sind 5—10 Minuten vor jeder
Mahlzeit meistens zu erübrigen und für Zarte und Schwächliche oftmals genug,
der Kranke fühlt bald das Wohlthätige, verlängert die Uebungszeit und wird
dem Arzte dankbar und gehorsam, wo aber Trägheit und Dummheit dominirt,
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da kämpfen selbst die Götter vergebens and wir schütteln den Staub von den
Füssen.
Wir wollen nun drei Krankheitsgruppen berausbeben, bei denen sieb die Be¬
deutung und das Wohlthätige der Gymnastik am besten zeigen lässt; es ist dies
die Anämie und Chlorose, der Spitzencatarrh und die Gicht.
Sehr oft hat bei diesen Leiden eine passende Sommercur bedeutende Besse¬
rung und Kräftigung gebracht, aber der Winter und die Zimmerluft raubt uns
Alles wieder und wir stehen im Frühling so schlimm da, wie vor einem Jahr.
Dieser entmuthigende Krebsgang kann in den complicirten Fällen einzig durch
eine geregelte Zimmergymnastik vermieden werden, vorausgesetzt, dass auch Zim¬
merventilation und Ernährung rationell eingerichtet sind. Es zeigen nämlich diese
Kranken eine sehr grosse Empfindlichkeit gegen Temperaturschwankungen des
Wohnzimmers. Wenn dieses, wie es in den Morgenstunden nach kalten Winter¬
nächten oft der Fall ist, um einige Grade zu kühl ist, so kommt ein leichtes Frö¬
steln , kalte Hände und Füsse, und in Folge dessen erhalten Biutschwache
leicht hartnäckige Neuralgien oder neue catarrhalische Affectionen der Verdauungs¬
schleimhaut , besonders des Magens, der ohnehin seinen Dienst schlecht thut. *)
Die Appetitlosigkeit und die Blutleere nimmt eher zu und unsere Kranken sehen
im Frühling bleich aus, wie die Pflanzen, die im Keller überwintert haben. Ist
der Kranke an Gymnastik gewöhnt, so greift er gleich dazu, wenn ihn dieses un¬
heimliche Frösteln tiberfällt und er kömmt leicht über die kühlen Morgenstunden;
es ist dies dem Zehrpfennig zu vergleichen, den wir dem armen Reisenden geben,
um ihn vor Hunger zu schützen. Es rögen diese Uebungen zugleich das Verlan¬
gen nach Nahrung an und verscheuchen die psychische Depression.
Bei Spitzencatarrh und Residuen und entzündlichen Lungen-
affectionen ist es allgemein anerkannt, dass eine gute Lungengymnastik und
gute Ernährung die wichtigsten Heilmittel bilden. Sehr wichtig ist es, das Ein¬
treten neuer entzündlicher Brustcatarrhe zu verhüten, welche durch das Frösteln
in kühlem Zimmer leicht eingeleitet werden und zu neuen Verdichtungen in dem
bis dahin gesunden Lungengewebe führen. Hier leistet die Gymnastik treffliche
Dienste, theils um die fehlende Zimmerwärme zu ersetzen, theils methodisch
tiefe Inspirationen zu veranlassen , damit auch die Alveolen der Lungenspitzen
veranlasst werden, wieder regen Antheil an der Respiration zu nehmen. Werden
die Uebungen im ungeheizten Zimmer vorgenommen, so wird die durch Zimmer¬
luft verzärtelte Schleimhaut wieder an die rauhere, atmosphärische Luft gewöhnt.
Wenn der Arzt und der Kranke intelligent sind und einander verstehen, so kann
damit ein Aufenthalt im Süden in gewissen Fällen ersetzt werden, besonders wenn
bei einer entzündlichen Steigerung der Aufenthalt im Bett nicht gefürchtet, dagegen
bei ordentlichem Befinden täglich grosse Spaziergänge und kühle Abwaschungen
fleissig geübt werden.
*) Als ein Zeichen, wie die Blntschw&che nicht blos der Zahl, sondern auch dem Grade naoh
angenommen hat, führe ich die Tbatsacbe an, dass im Bad Lenk diesen Sommer eine grössere Zahl
der blntschwachen Damen erkl&rten, dass sie an Hanse keinerlei Eisen präparate, weder als Medica-
ment noch als Mineralwasser wegen Schwache des Magens vertragen haben.
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Bei Gicht sind besonders zwei Indicationen zu erfüllen:
1) Die Ausscheidung der im Blut abnorm zurückgehaltenen Secretionsproducte,
namentlich der Harnsäure zu befördern.
2) Die Verknöcherung der Gelenke und die Halblähmung der Muskeln zu
hemmen oder zu verhüten.
Für beide Indicationen zeigt sich die Gymnastik, maassvoll und beharrlich an¬
gewandt, als ein ausgezeichnetes Mittel. Die erkrankten Gelenke und Glieder
sind, wenn nicht gerade eine acute Exacerbation vorhanden ist, kühl und blass,
mit eigenthümlichem Kältegefühl, welches durchaus durch passende gymnastische
Uebungcn gehoben werden muss, wenn die Krankheit nicht ihre unheilvollen Fort¬
schritte machen und in den schweren Fällen mit Paralyse endigen soll. Bei schon
vorhandenen starken Gichtschmerzen und Empfindlichkeit der Gelenke hat die
Gymnastik im Anfang Schwierigkeiten, doch sind diese bei gutem Willen bald
überwunden, die Muskeln, Gelenke werden freier und das Auffallendste ist, wie
in Folge der Muskelbewegung nach einigen Wochen die Gichtschmerzen weichen,
der Schlaf zurückkehrt.
Die Ueberlieferung der alten Medicin, dass Geduld und Flanell die besten
Mittel für Gicht seien, halte ich für unrichtig. Es entspricht die Vertröstung zur
Geduld dem türkisch-fatalistischen Princip, die Gymnastik mehr dem christlich¬
thatkräftigen. Statt Geduld rathe ich, soweit es immer angeht, Arbeit und Thätig-
keit an und statt mich blos auf Flanell zu verlassen, wende ich etwas an, das
einem römisch-irischen Bade gleichsieht. Doch setzt der Beruf oft schwerer zu
überwindende Hindernisse als die Erblichkeit, wenn derselbe zwingt, bei kalter
Jahreszeit ohne hinreichende Bewegung im Freien zu sein.
Die Resultate dieser Behandlung waren in mehreren Fällen sehr günstige und
es möchte wohl kein anderes Verfahren so sehr berechtigt sein zu dem Ausspruch:
die Gicht ist heilbar. Mittheilungen über die Erfahrungen anderer Aerzte sind
mir sehr erwünscht.
Ich füge hier noch folgende Krankengeschichte bei:
Eine Frau von 60 Jahren hatte schon im achten Jahre Rheumatismus acutus durch¬
gemacht und litt seitdem häufig an rheumatischen Schmerzen , die sich in den letzten
Jahren zu Gicht mittleren Grades entwickelten. Einige Fingergelenke waren verdickt,
die Hände meistens kalt, die Muskelkraft, Empfindung in den Fingerspitzen sehr gering,
die Hälfte der Nacht wegen Gichtschmerzen schlaflos. Das Nähen war fast unmöglich
geworden, indem die Nadel oft schief durchging oder den Fingerspitzen ohne Gefühl ent¬
fiel. Tägliches Stabturnen von ca. lö Minuten, einige Male wiederholt, Hervorrufung
kräftiger Hauttranspiration, leichte Kaltwassercur und etwas Jodtinctur brachten binnen
2 Monaten eine auffallende Besserung der Krankheit. Die Hände wurden warm, Kraft
und Empfindung in den Fingern kehrten zurück, die Kranke erzählte mir als das freu¬
digste Ereigniss, dass sie wieder stundenlang nähen und die ganze Nacht schlafen könne.
Oftmals früher, wenn mir ein Kranker jene Leiden geklagt, gegen die ich kein
Heilmittel wusste, nahm ich im Bewusstsein der gegenseitigen Hülfiosigkeit des
Kranken und des Doctors ein Gefühl des Schmerzes mit mir. Jetzt gebe ich dem
Kranken einige einfache gymnastische Uebungen an und zeige ihm den Weg, der
wieder zu Wärme und Leben führt und er dankt mir mit leuchtendem und hoff¬
nungsvollem Blick.
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Auf den Wunsch der Tit. Redaclion will ich versuchen, in Folgendem noch
einige practische Anleitungen für den Arzt zu geben, der sich noch
wenig mit Gymnastik und mehr mit der Materia medica alten Styls beschäftigt
hat- Es ist uns die Kaltwasserheilkunde in einer sorgfältigeren Berücksichtigung
des Muskelsystems längst vorangegangen. Es ist jedoch nicht die eigentliche Heil¬
gymnastik, auf deren weites Gebiet ich hinweisen will, da dafür der Raum zu eng
wäre, wenn auch das Bestreben, feiernde Lungenzellen wieder zur Arbeit zurück¬
zuführen und gichtisch erkrankte Gelenke wieder beweglich zu machen, bereits in
jenes Gebiet gehört.
Es schwebt mir jene durch den Einfluss der Cultur gewaltig zunehmende Zahl
von Menschen vor, welche zu wenig Wärme entwickeln, .um ohne bedeutenden
Nachtheil über den nordischen Winter zu kommen, denen der Drache Nidhögg an
der Wurzel nagt bis die Götteresche fällt und es sind dies sehr oft gerade die
geistigeren Naturen, bei denen das Gehirnleben über die Vegetation prävalirt und
bei denen der Zug nach dem Idealen grösser ist, als der nach der Materie. Für
diese liegt hier, wie mir eine langjährige Erfahrung am eigenen und fremden Le¬
ben gezeigt hat, der einzige Rettungsanker. Frisches Wasser und Eisen, Fleisch¬
diät und Chinin sind wohl schöne Dinge, aber doch nur untergeordnet. Selbst
der nach dem warmen Süden verpflanzte Lungenkranke hat die Gymnastik sehr
nöthig, wenn er nicht bei den ganz mangelhaften Heizeinrichtungen an den kühlen
Tagen durch Frösteln und die darauf folgenden entzündlichen Catarrhe alles wie¬
der einbüssen soll, was er an den warmen Tagen gewonnen hat.
Wir unterscheiden hauptsächlich drei Arten von Gymnastik: 1) Freiübungen,
2) Stabturnen, 3) Turnen an Gerätschaften, Reck, Barren, Pferd, Springen, Klet¬
tern. Es interessiren uns besonders die beiden ersten Arten, für die es nichts als
guten Willen und einen Stock braucht, die ja überall wachsen, er darf von Holz
oder von Eisen sein. Für die regelrechte Ausübung muss theils auf eines der
folgenden, kurzen Handbücher verwiesen werden, welche durch Abbildungen die
Sache deutlich machen, theils ist es zweckmässig einen Lehrer, der einen Turn-
curs mitgemacht hat, betreffend die Genauigkeit der Ausführung zu Rathe zu zie¬
hen oder gelegentlich einer Turnerschaar zuzuschauen.
L Die Freiübungen.
Für die Freiübungen findet sich eine geeignete Anleitung in Folgendem:
1) Dr. Schreber , ärztliche Zimmergymnastik mit 45 Abbildungen. XIV. Aufl.
(4 Fr.)
2) Prof. Wiebe , Zimmergymnastik für das weibliche Geschlecht mit 35 Illustr.
(2 Fr.)
In der Schrift von Prof. Wiebe heisst es pag. 30: „Eine Erfahrung von mehr
als 30 Jahren hat mich überzeugt, dass wir kein besseres Mittel besitzen , der in
so vielen tausend Fällen sich unserer Beobachtung darbietenden bedauernswerthen
Hinfälligkeit unserer, in der Entwicklung stehenden Mädchen entgegenarbeiten und
sie zu kräftig sich entfaltenden Jungfrauen und spätem glücklichen Müttern sich
heranbilden zu sehen, als, während des Alters von 7—12 Jahren regelmässig und
systematisch, anhaltend vorgenommene Uebungen der leichten Zimmergymnastik.*
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Ich möchte Obigem nur hinzufügen, dass die Altersbestimmung, in welcher
diese Uebungen wünschbar und zweckmässig sind, nicht blos das 7. —12., sondern
das 7.— 60. Lebensjahr ist bei allen Damen, bei welchen ihr Beruf und ihre Lebens¬
stellung nur eine geringe Muskelanstrengung mit sich bringt. Es würde dies auch
den in ganz traurigem Maass zunehmenden Frauenkrankheiten Vorbeugen, welche
in Blutmangel und Erschlaffung ihre Hauptquelle haben. *)
I. Ueb. 1. Biegen der Arme; die geschlossenen Hände werden an beide Schul¬
tern angelegt. 2. Strecken der Arme horizontal nach vorn. 3. Biegen der Arme
wie bei 1. 4. Strecken der Arme wie bei 2. Es kann diese Uebung auf 6 — 12
Bewegungen ausgedehnt werden.
II. Ueb. 1. Wie bei Ueb. I. 1. 2. Strecken der Arme senkrecht in die Höhe.
3. Wie bei 1. 4. Wie bei 2. u. s. w.
IIL Ueb. 1. Wie bei Ueb. 1.1. 2. Strecken der Arme senkrecht nach abwärts.
3. Wie bei 1. 4. Wie bei 2. u. s. w.
IV. Ueb. 1. Wie bei Ueb. I. 1. 2. Strecken der Arme horizontal rechts und
links nach aussen. 3. Wie bei 1. 4. Wie bei 2. u. s. w.
V. Ueb. Kreisen der Arme: Die nach unten gestreckten Arme sollen mit
offenen Händen einen möglichst weiten Kreis beschreiben, indem sie sich nach
vorn, oben, hinten und wieder nach unten bewegen, 3—6 Mal wiederholt.
Entsprechende Uebungen finden sich für die Füsse und Schenkel:
VI. Ueb. Der linke, gestreckte Schenkel wird 3 Mal nach vorn erhoben, dann
rechts.
VH. Ueb. Der linke, gestreckte Schenkel wird 3 Mal links nach aussen be¬
wegt, dann rechts.
VHI. Ueb. Der linke, gestreckte Schenkel wird 3 Mal nach hinten ausge¬
streckt, dann rechts.
IX. Ueb. Biegen des Unterschenkels im Kniegelenk nach vorwärts gehoben
und rückwärts.
X. Ueb. Kreisen des ganzen Schenkels. Auf dem rechten Fuss stehend be¬
schreibt der linke Schenkel nach vorwärts, seitwärts, hinten einen Kreis, dann
rechts.
Es sind diese Uebungen bei gichtischen Gelenkaffectionen sehr wohlthätig und
darf der im Anfang eintretende, leichte Schmerz nicht als eine Contraindication
betrachtet werden. Die Uebungen dürfen im Anfang nicht lange fortgesetzt wer- •
den, um eine entzündliche Reizung der Gelenke und Muskeln zu vermeiden. Auch
wo schon eine bedeutende Schwellung und Steifigkeit der Gelenke vorhanden ist,
führt Geduld und langsame Uebung, überhaupt eine Behandlung wie bei einem
eigensinnigen Kinde, sehr oft zum Ziele. Gegen das landläufige Uebel der kalten
Hände und Füsse und sogar gegen die Frostbeulen sind diese Uebungen das ein-
*) Dass hauptsächlich die Generationsorgane erkranken und die Brüste so oft die Fähigkeit
verlieren, Milch zu secerniren, ist ein bedenkliches Zeichen des Niederganges in der Gesundheit unse¬
rer Culturperiode. Bei den wilden Thieren, die ihrer Freiheit beraubt und in den Käfig gesperrt
werden, leidet zunächst die Fähigkeit zur Fortpflanzung. Durch die Schule und noch mehr durch die
Etiquette finden sich unsere Mädchen noch vor vollendeter Entwicklung zu einem Zimmerleben ge¬
zwungen, wobei Muskelbewegung fast ganz mangelt.
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zige sichere Mittel. Um diese zu heilen, braucht es neben etwas Camphergeist
nur die Vorschrift, die Hände nie kalt werden zu lassen und den Blutlauf durch
Gymnastik kräftig anzuregen.
n. Stabturnen.
Das Stabturnen vereinigt Zweckmässigkeit, Eleganz, Mannigfaltigkeit in der
Ausführung und ist deswegen wohl für lange das Schoosskind der Gymnastik ge¬
worden. Es schliesst sich unmittelbar an die Freiübungen an, durch die Belastung
der Arme wird die Haltung eine festere, straffere, die Zahl der vorzunehmenden
Uebungen ist eine sehr grosse und lässt eine ausserordentliche Menge von Com-
binationen zu durch Beugen, Strecken, Schwingen und Drehen der Arme und Hin¬
zutritt von Schrittübungen. Gewöhnlich werden Eisenstäbe angewendet von 90 Cm.
bis 1 Meter Länge, 5—7 Cm. Umfang und 3—5 S Gewicht; für zarte Turner höl¬
zerne Stäbe von 10 Cm. Umfang. Die Stabenden sind abgerundet Der Stab kann
gefasst werden mit Ristgriff (der Handrücken nach vorn) und mit Kammgriff
(Handrücken nach hinten). Der Stab wird gefasst in einfacher Leibesbreite (die
Hände ca. 55 Cm. von einander entfernt) und in doppelter Leibesbreite (ca. 90 Cm.)
und so lassen sich die meisten Uebungen auf 4 verschiedene Arten wiederholen.
Es scheint das Alles etwas wirr und krause, doch kömmt bald Klarheit und Sicher¬
heit, wenn man nicht zu viel Uebungen auf einmal versucht.
Als kurze Anleitung zum Stabturnen kann empfohlen werden:
Niggeler , Anleitung zum Turnen mit dem Eisenstab (48 Fig.). Zürich 1875.
(2 Fr.)
Bräunlich (f Leonhard ', Das Turnen mit dem Holz- und Eisenstab. Jena 1876.
Die passendste Zeit für die Vornahme der Uebungen ist vor jeder Mahlzeit,
die Dauer im Anfang 7—15 Minuten, allmälig steigend. Wo die Zeit besser passt,
kann auch */, Stunde nach dem Essen damit begonnen werden.
Ich will versuchen, hier kurz die bei Niggeler enthaltenen Uebungen, Fig. 7—10
zu erklären.
I. Ueb. Der Stab wird mit beiden Händen in einfacher Leibesbreite gefasst
und horizontal vor die Mitte der Oberschenkel gehalten. Es ist dies die sogen.
Ausgangsstellung für die meisten Uebungen. 1. Heben der gestreckten
Arme bis zur Schulterhöhe, Fig. 7. 2. Biegen der Arme (der Stab liegt horizon¬
tal unter dem Kinn), Fig. 8. 3. Strecken der Arme wie bei 1. 4. Rückkehr in
die Ausgangsstellung (durch Senken der Arme). Bei allen diesen Uebungen wird
das Tempo genau gezählt und innegehalten, die Bewegung des Stabes soll prompt
und genau erfolgen.
H. Ueb. Ausgangsstellung wie bei Ueb. I. 1. Heben des Stabes bei gestreck¬
ten Armen bis senkrecht über dem Kopf, Fig. 9 a 2. Senken des Stabes (hori¬
zontal) bis auf den Scheitel, Fig. 9 b. 3. Heben des Stabes, wie bei 1. 4. Rück¬
kehr in die Ausgangsstellung.
III. Ueb. Ausgangsstellung wie bei Ueb. I. 1. Heben des Stabes mit ge¬
streckten Armen bis senkrecht über dem Kopf. 2. Biegen der Arme, der Stab
kömmt horizontal an das Genick. (Als IV. Uebung Senken des Stabes bis zum
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Krems, Stabhaltung in doppelter Leibesbreite.) 3. Wie bei 1. 4. Rückkehr in die
Ausgangsstellung.
Diese 3 Uebungen können mit Ristgriff und Kammgriff, in einfacher und dop¬
pelter Leibesbreite gemacht werden und wir haben schon 12 Uebungen.
Mit diesen Uebungen kann das Vorwärts- und Rückwärtsschreiten im
Zimmer verbunden werden, so dass auch die Schenkel in Thätigkeit kommen,
Biegen des Rumpfes nach rechts, links, vorwärts und rückwärts, wodurch beson¬
ders das Reich der Mitte, das Zwerchfell aus seiner trägen Ruhe aufgerüttelt wird
und Herz und Lunge, Leber und Eingeweide neue Impulse erhalten.
Die horizontale Hochhalte des Stabes über dem Kopf mit gestreckten Armen,
in doppelter Leibesbreite und Herumgehen im Zimmer in dieser Stellung ist sehr
zweckmässig, um tiefe Inspirationen zu veranlassen und daher bei Spitzencatarrh
zu empfehlen. Allmälig kann der Stab rückwärts bis zur Schulterhöhe und zum
Kreuz gesenkt werden.
Den gleichen Zweck, tiefe Inspirationen zu veranlassen und Arme und Brust
anzuregen, erfüllt der von Herrn Turnlehrer Zürcher in Aarau erfundene elastische
Strang oder „Armstärker“, welcher eine sehr werthvolle und einfache Bereicherung
der Zimmergymnastik ist.
Ein wichtiges Mittel, die Gymnastik in das Familienleben einzuführen, wäre,
wenn sie sich an den grossen Bade- und Curorten als Heilmittel neben den Na-
jaden der Quelle einzubürgern vermag. Doch ist dies nur ein Tropfen Wasser
für einen Durstigen. Wir befinden uns im Niedergang unserer physischen Kraft
und Gesundheit. Rom hatte noch viel beredtere Prediger der Einfachheit und ist
doch untergegangen. Es wird die slavische Nation aus dem unterworfenen Osten
neue Kraft an sich ziehen und wenn bei uns keine Umkehr zum Bessern erfolgt,
so wird jene Nation, wenn wir noch mehr alt geworden sind, junges
Blut in unsere Gauen tragen. Wir Aerzte sind die schwachen Wächter für einen
Wamung8ruf. _
Mittheilungen über die Wirkung der transportabel pneumatischen Apparate.
Von Dr. Lange, Badearzt in Ems.
Nachdem Dr. Waldenburg seinen transportabel pneumatischen Apparat con-
struirt und sein Buch, „Die pneumatische Behandlung der Respirations- und Cir-
culationskrankheiten“, geschrieben hatte, konnte es nicht ausbleiben, dass durch
die anscheinend beweisenden Untersuchungen und die logisch darauf gebauten
Schlüsse von den Aerzten die Sache mit grossem Enthusiasmus begrüsst wurde.
Schien doch das Mittel gefunden, die ernstlichsten, theilweise für unheilbar gehal¬
tenen Erkrankungen der Respirations- und Circulationsorgane zu bessern und zu
heilen. Wenn auch einige mit der pneumatischen Behandlung vertraute Aerzte
ihre Bedenken gegen zu weit gehende Anpreisungen glaubten aussprechen zu
müssen, so waren doch auch diese der Ansicht, dass das neue Curverfahren in
mancher Beziehung von grossem Nutzen sein könne und gingen alsbald an die
Prüfung desselben.
Nachdem die Untersuchungen über die Wirkung des pneumatischen Apparates
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auf die Circulationsorgane von Drosdoff und Botcheschkaroff , dann die von
Ducrocq und endlich diejenigen von Riegel und Frank bekannt geworden waren,
welche mit den Waldenburg'sehen Theorien in directem Widerspruch stehen, nach¬
dem sich dieselben auch bei der practischen Prüfung nicht bestätigt hatten, da
musste das ganze von Waldenburg so schön aufgebaute theoretische Gebäude über
die Wirkung des Apparates gegen Circulationskrankheiten haltlos zu-
sammenbrechen.
Auch die Wirkung des pneumatischen Apparates gegen Respirations¬
krankheiten, wie solche Waldenburg angepriesen, fand bei genauerer Prüfung
immer mehr Widerspruch.
Waldenburg wollte bei der Anwendung der verdichteten oder verdünnten Luft
eine fast um das Doppelte gesteigerte Lungencapacität nachgewiesen haben. Simo-
noff widerlegt dies durch folgenden Versuch:
In äquilibrirtem Zustand (d. h. bei gewöhnlichem Luftdruck) enthält der innere
Cylinder des Waldenburg'sehen Apparates nach dem Zeugniss der Scala 6000 Ccm.
Luft. Nach möglichst tiefster Exspiration in den Cylinder 9300 Ccm. — Lungen¬
capacität bei gewöhnlichem Luftdruck = 3300 Ccm.
Der Cylinder ist von Neuem auf die frühere Höhe von 6000 Ccm. gestellt
Nach Anhängen der Gewichte, um die Luft um 7*4 Atmosphäre zu verdünnen,
zeigt die Scala schon 9000 Ccm. Luft. Nach der Exspiration in den Cylinder
12,300 Ccm.; Lungencapacität also auch 3300 Ccm., oder der Lungencapacität bei
der Exspiration in die gewöhnliche Luft gleich. Dasselbe wiederholt sich bei der
Inspiration aus der verdichteten Luft. Bisweilen ist eine kleine Differenz vorhan¬
den, die aber so unbedeutend ist, dass sie nicht in Betracht kommen kann.
Den Grund der abweichenden Resultate findet Simonoff in dem Gebrauche der
Masken, welche nie ganz luftdicht schliessen.
Ich habe diese Versuche unzählige Mal mit demselben Resultat wiederholt
und die Richtigkeit desselben noch auf folgende Weise nachgewiesen:
Ich habe selbst und andere (Gesunde und Kranke) nach tiefer, möglichst lange
festgehaltener Einathmung einer um , /*o~7io Atmosphäre verdichteten Luft in den
Spirometer ausgeathmet, und umgekehrt nach möglichster Ausathmung in eine
ebenso verdünnte Luft aus dem Spirometer eingeathmet und habe nie eine erheb¬
liche Zunahme der Lungencapacität nachweisen können. Das Höchste, was ich
nach Einathmen verdichteter Luft über meine Vitalcapacität herausbringen konnte,
war 300 Ccm.; dies aber nur, wenn ich die tiefste Inspiration mit grosser Anstren¬
gung mehrere Secunden festhielt, was mit einem sehr unangenehmen und nachhal¬
tigen Gefühl von Brustspannung verbunden war. Sämmtliche Kranke und die
meisten der Gesunden waren nicht im Stande, ein solches Resultat zu erlangen.
Am entschiedensten ist gegen die Waldenburg’ sehen Theorien Dr. Jotephton
aufgetreten in seiner Schrift: „Wirkungslosigkeit und Nachtheile der transportabel
pneumatischen Apparate etc.“, welche in Nr. 21 des Jahres 1877 dieser Zeitschrift
eine nicht ganz unparteiische Kritik von Dr. Schnyder erfahren hat.
Jotepheon sagt ganz richtig: Die Molecule gasförmiger Körper haben das Be¬
streben, sich gegenseitig von einander zu entfernen, und zwar so lange, bis äussere
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Hindernisse eine weitere Ausdehnung derselben unmöglich machen. Es kann da¬
her die in einem geschlossenen Raum — Gasometer — angesammelte comprimirte
Luft, wenn ihr Gelegenheit gegeben, auszuströmen, in dem ausfübrenden Schlauch
nicht mehr verdichtet sein; sie muss sich sogleich mit dem Atmosphärendruck ins
Gleichgewicht setzen. Um dies zu demonstriren, fügt er in den aus dem Waiden -
fo/r^’schen Gasometer führenden, zum Einathmen dienenden Schlauch ein Manome¬
ter ein. Ist der an dem Ende des Schlauches befindliche Hahnen geschlossen,
dann stellt sich der Druck in dem Schlauche mit demjenigen in dem Gasometer
ins Gleichgewicht und sogleich zeigt der Manometer diesen Druck an. In dem
Augenblicke , wo der Hahnen geöffnet wird, und die in dem Gasometer compri¬
mirte Luft den Schlauch frei durchzieht, stellt sich das Quecksilber in beiden
Schenkeln des Manometers in gleiches Niveau, zeigt also keinen Druck an.
Hieraus zieht Jotephson den Schluss, dass wohl reizender Wind, aber keine
comprimirte Luft in die Lunge gelange.
Um diese Ansicht zu widerlegen, sagt Dr. Schnyder: „Naheliegende Vergleiche
mit dem Vorgang in dem Zerstäubungswinkel eines Siegle 'sehen Inhalationsappara¬
tes und dem Verhalten des Barometers beim Sturm hätten ihn belehren können,
warum in den, dem Athmungsschlaucb aufgesetzten, Manometern bei geöffneten
Hahnen eher ein Sinken als Steigen des Quecksilbers zu erwarten gewesen wäre,
sowie ihm auch durch einfachste Windmühlenbewegung hätte klar werden sollen,
dass dem Winde ja freilich eine stossende, expandirende Kraft innewohnt.“
Der Vorgang am Zerstäubungswinkel des Siap/e’schen Apparates kommt da¬
durch zu Stande, dass der Dampf der Verdichtung in dem Apparate entsprechend
mit grosser Gewalt ausströmt und die nahen Luftschichten mit fortreisst. Käme
er verdichtet heraus, so müsste er dieselben zurückdrängen.
Ganz unpassend ist der Hinweis auf das Sinken des Barometers beim Sturm,
indem durch die kräftige Horizontalbewegung der Luft die Anziehungskraft der
Erde auf dieselbe theilweise aufgehoben wird und deshalb der Barometer sinkt,
was ja auch im Zimmer der Fall ist, wo die Luft nicht daran vorbeistreicht.
Ebenso unpassend und unrichtig ist der weitere Hinweis auf die Windmühlen¬
beobachtung, welche beweise, „dass dem Wind eine stossende, expandirende Kraft
innewohne“! Eine stossende wohl, aber gewiss keine expandirende Kraft. Der
Wind kommt dadurch zu Stande, dass die Luft Gelegenheit findet, sich rasch zu
expandiren.
Nicht der Wind hat eine expandirende Kraft, sondern die Expansion der Luft
selbst ist der Wind. Findet die Luft bei ihrer Expansionsbewegung einen Wider¬
stand, so muss sie sieb wieder etwas verdichten und einen Stoss ausüben.
Diese Hinweise passen also durchaus nicht auf den vorliegenden Fall.
Wenn ich Collegen Schnyder recht verstehe, so will er gegen Josephson be¬
haupten, dass die aus dem Gasometer ausströmende, den Athmungsschlauch durch¬
ziehende Luft eine comprimirte, dem gewöhnlichen Atmosphären druck gegenüber
expandirbare sei. Dies ist nach physicalischen Gesetzen nicht möglich und wird
durch folgende demonstratio ad oculos widerlegt: Wenn zwei Hahnen, der eine
am Gasometer, der andere am Ende des Athmungsschlauches offen stehen und die
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108
in dem Gasometer verdichtete Luft letzteren frei durchzieht, so steht das Queck¬
silber in beiden Schenkeln, des eingeschalteten Manometers auf gleichem Niveau<
Schliesst man nun gleichzeitig die beiden Hahnen, dann muss, wenn die aus¬
strömende Luft noch comprimirt, oder, wie Dr. Schnyder sich ausdrückt, „im Ver-
hältniss zum gewöhnlichen Atmosphärendruck expandirbar* war, das Quecksilber
in dem äusseren Schenkel des Manometers steigen. Dies geschieht aber nicht;
die Luft war also nicht mehr verdichtet, sondern hatte sich mit dem Atmosphären¬
druck ins Gleichgewicht gesetzt.
Wenn nun weiter Dr. Schnyder seine Verwunderung darüber ausspricht, dass
Josephson übersehen konnte, oder wollte, dass die mit dem Athmungsschlauche in
luftdichte Verbindung gesetzten Lungenalveolen denselben endlichen Abschluss zu
Stande bringen müssen, wie das Abschlüssen desselben, so hat er vollkommen
recht Josephion hat dies übersehen, weil er ein alter, sehr geschwächter Mann
war, der seine Inspirationsbewegung nicht so festhalten konnte, dass eine
Druckwirkung zu Stande kam. Was derselbe über das Ausathmen in verdünnte
Luft sagt, ist theilweise ganz unrichtig. Dies scheint Dr. Schnyder übersehen zu
haben.
Die Sache verhält sich nun folgendermaassen: Sobald man den Hahnen öffnet
und einzuathmen beginnt, ist die aus dem Gasometer ausströmende Luft nicht mehr
verdichtet und strömt nur mit grösserer Schnelligkeit in die Lungen ein; ja sie
kann bei einer kräftigen Inspirationsbewegung der dadurch hervorgerufenen Luft¬
verdünnung in den Lungen entsprechend etwas unter Atmosphärendruck verdünnt
werden, was sich durch Sinken des Quecksilbers in dem äusseren Schenkel des
Manometers kund gibt. Erst am Ende der Inspirationsbewegung, wenn man im
Stande ist, dieselbe einige Secunden festzuhalten, was eine gewisse Anstrengung
erfordert, nur dann kann sich die Luft durch Nachströmen aus dem Gasometer
wieder verdichten und einen Druck auf die Lungenschleimhaut ausüben.
So ist das Athmen am Apparat nicht ein ruhiges, naturgemässes, sondern ein
sehr forcirtes und muss ein solches sein, wenn überhaupt eine Druckwirkung zu
Stande kommen soll. Nun sind aber nicht alle Gesunde und bei Weitem nicht
alle Kranke befähigt, ein solches Athmen auszuführen, welches ohnehin bisweilen
recht schädlich ein wirken kann.
Nehmen wir an, dass ein Kranker im Stande wäre, die Inspirationsbewegung
einige Secunden (höchstens 3—4) festzuhalten, und dass er bei einer täglichen An¬
wendung etwa 60 Athemzüge aus dem Gasometer macht, 6o würde der etwas hö¬
here Druck während eines Zeitraumes von im Ganzen 4 Minuten täglich auf seine
Lungenschleimhaut ein wirken, was kaum geeignet sein dürfte, eine Heilwirkung
erwarten zu lassen.
Nicht besser sieht es mit der angeblichen Entfernung der Residualluft durch
Ausathmen in verdünnte Luft aus, die wenigstens nicht in solchem Grade möglich
ist, dass darauf eine Heilwirkung zu begründen wäre, was mit den practischen
Erfahrungen übereinstimmt.
Dr. Schnyder schliesst sein Referat über das Bach von Josephson mit den Wor¬
ten: „uns wenigstens hat derselbe die aus eigener Erfahrung geschöpfte l/eber-
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109
Beugung nicht geraubt, dass, was Atmungsgymnastik und Lungen Ventilation an¬
betrifft, der transportable Apparat ein sehr wirksames Agens ist.“
Diese Ueberzeugung hat Josephson Niemandem rauben wollen und nicht be¬
kämpft, er theilt sie vielmehr mit Dr. Schnyder und ist nur der Ansicht, dass sie
auf andere viel einfachere Weise zu erzielen sei.
Wenn aber der transportable Apparat nur zur Lungengymnastik dienen soll,
dann ist ihm damit selbst nach Waldenburg' s Ansicht das Urtheil gesprochen, indem
er pag. 466 sagt: „Ich sollte meinen, wer in den Wirkungen des pneumatischen
Apparates nichts weiter sieht, als ein Mittel zur Lungengymnastik, der thäte bes¬
ser, seine Patienten Zimmergymnastik treiben zu lassen — eine Methode, die nach
meiner Ueberzeugung in vielen Krankheitszuständen ausserordentlich heilsam und
sicherlich immer sehr wohlfeil ist.“
V ei-einsl>ei*iclite.
Gesellschaft der Aerzte in Zürich.
1. Sitzung den 10. November 1877.
Nach Eröffnung der Sitzung durch den Präsidenten wird die Rechnung, welche
Fr. 357. 80 Activen aufweist, dem Quästor abgenommen und bestens verdankt, und
bei der in der ersten Jahressitzung üblichen Verlesung der Statuten bestimmt, dass
in Zukunft die Vortragenden selber den Wortlaut ihrer Mittheilungen und Voten
dem Actuar für das Protocoll zustellen sollen.
Prof. Dr. Oscar Wyss stellt einen an Lepra tuberosa leidenden Kranken
vor. Derselbe, Joh. St. aus Bäretschweil, Ct. Zürich, gebürtig, unverheiratet, z. Z.
40jährig, war als Kind gesund. Von 1848 bis 1854 lebte er in Zürich als Buch¬
binder ; ging dann als Soldat nach Neapel bis anno 1859, kehrte für 4 Monate nach
Zürich zurück und ging im Januar 1860 wieder als Soldat nach Holland und von
dort nach Batavia. 1 Monat darauf nach Amboina auf den Molluken, wo er von
Ende 1860 bis 1863 blieb. Hier machte er eine zur Eiterung führende Entzündung
am r. Unterschenkel durch, die nach einem Bade im Meere entstanden war und
völlig heilte. Von 1863 bis 1866 war er in Samäran (Java) ; in dieser Zeit litt er
eine Zeit lang an einem ulcus penis, das er selbst durch Aufstreuen von Alaun
heilte und das ohne secundäre Erkrankungen ablief. Ein Jahr darauf Tripper
(Bals. Copaiv.). 1866 ging Pat. wieder nach Amboina, machte hier eine Entzün¬
dung am 1. Vorderarm durch; der Arm wurde „geschnitten“ und Pat. weist daher
noch eine auf der Aussenseite des Vorderarms liegende 13*/a Cm. lange lineare
Narbe nach. Ganz gesund verlioss Pat. Amboina 1870, musste um diese Zeit nach
Leyden auf die Festung wegen Insubordination und blieb dort bis 8 Tage vor
seiner Aufnahme in die Poliklinik Zürichs, die Anfangs November 1877 statthatte.
In Ostindien hatte Pat. gute Verpflegung, täglich 2 Mal frisches Fleisch mit
Suppe, Gemüse, Reis; alle 2 Tage Abends statt Büffel- oder Schweinefleisch
Meerfische. Als Getränk ein frischer Palmwein (ca. 3 Liter per Tag); leichter
Dienst, gut situirte, hoch gelegene, luftige Casernen. In Holland 1870 bis 1877
war die Kost weniger gut: wöchentlich 2 Mal Fleisch, sonst Gerste, Kartoffeln,
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Gemüse; Morgens Milch und Brod; Erlaubnis im Freien zu gehen bestand; die
Behandlung war „militärisch“.
Mit Leprösen ist Pat. in Holland nie zusammengekommen, auch in Ostindien
will er niemals mit solchen in directe Berührung gekommen sein. Er sah dort nur
2 Individuen, die an Lepra litten, nämlich zwischen 1866 und 1868 ab und zu einen
1868 verstorbenen Europäer in seinem Wagen ausfahren, der im Gesicht Aus¬
wüchse hatte und an Lepra gelitten habe. Um dieselbe Zeit sah er ferner einen
Inländer, der mit Lepra behaftet, „offene ^Wunden“ an den Händen, Beinen und
im Gesicht hatte- Pat war aber auch mit diesem nie in directere Berührung ge¬
kommen.
Vor 18 Monaten begann die jetzige Erkrankung. Es traten erst an der Stirn,
2—3 Monate später an den Wangen rothe Flecke auf, die sich allmälig vergrös-
serten, die durchaus keine abnorme Sensation , kein Jucken etc. bedingten. Es
bildeten sich sodann auch auf den Armen und Beinen zuerst kleine, allmälig sich
vergrössernde Flecke; die Stimme veränderte sich vor ca. 1 Jahr so, dass Pat.
seit dieser Zeit mit verstopfter Nasenstimme spricht. In dieser Zeit war Pat. sonst
gesund, hatte immer guten Appetit, ist nicht magerer geworden, hat nicht merk¬
lich mehr graue Haare bekommen, hatte nie Fieber, nie, auch vor dem Auftreten
der Flecke nie Abgeschlagenheit, Mattigkeit, nie rheumatoide Schmerzen, durchaus
keine Aenderung der Gemüthsstimmung.
Pat. ist zur Zeit ein kräftiger, stämmiger Mann, mit schwarzem, wenig grau-
melirtem Haar. Im Gesicht fällt sofort die beträchtliche graubraunrothe Farbe
nahezu der ganzen Gesichtshaut, sowie deren eigenthümliche Verdickung und Um¬
wandlung in Knollen, Knoten und Wülste auf. Diese Veränderung findet sich
hauptsächlich an der Stelle der Augenbraunen und der Glabella; etwas weniger
starke Knotenbildung an Nase, Kinn, den Wangen, die hievon benachbarten Haut¬
stellen sind zwar verdickt und injicirt, aber nicht so deutlich knollig; an der Stirn
finden sich einige prominirende halbkuglige bis halbwallnussgrosse Knoten. Nach
der Grenze der behaarten Kopfhaut, den Schläfen hin, vor den Ohren und gegen
die Augenlider hin grenzt sich die Röthung ab, um normaler Haut Platz zu ma¬
chen. An jenen erkrankten Stellen zeigt die Haut einen auffallenden Glanz, der
einerseits durch die Spannung der Epidermis, ferner durch das gänzliche Fehlen
des Lanugo an diesen Stellen , sowie endlich durch die starke Fettabsonderung
derselben bedingt ist. Auf diesen gewulsteten Stellen sieht man deutlich die zahl¬
reichen Oeffnungen der Talgdrüsen, aus denen auf Druck sich reichliches Sebum
entleert.
Wie die Wollhaare, so fehlen auch die Haare der Augenbraunen nahezu ganz.
An der Stelle des geschorenen Bartes finden sich prominente glatte, glänzende,
haarlose Inseln, neben und zwischen denen noch mit sparsamen oder reichlichen
Haaren besetzte, vertieft liegende Partien vorhanden sind. Auch auf dem Boden
des noch lang getragenen Schnurrbartes findet sich eine mehr und mehr lichtende
Stelle. Der ganze Gesichtsausdruck hat eine eigenthümliche „Starre“, indem fei¬
nere mimische Bewegungen gar nicht, ausgiebigere nur sehr wenig ausgeprägt
werden.
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An der Handzone der erkrankten Haut gegen die gesunde Haut hin ist die
bräunliche Pigmentirung am deutlichsten. An der Stirn erstreckt sich die Erkran¬
kung bis gegen die behaarte Kopfhaut hin; das Capillitium ist nirgends ergriffen.
Am rechten Ohrläppchen findet sich eine stärkere, am linken eine geringere Ge¬
schwulst. Beide tragi sind verdickt und roth, die übrige Ohrmuschel frei. Sehr
reichliche 1 Frankstück bis 5 Frankstück grosse, z. Th. auch grössere, z. Th. con-
fluirende rostfarbene, gelbbraune, einen Stich ins Orangefarbene zeigende Flecke
am Halse, vorn, seitlich und hinten. Genau eben solche Flecke finden sich an
den Extremitäten; in grösserer Zahl und Ausdehnung an den Streckstellen der
Ellenbogengelenke, doch auch disseminirt auf der Streck-, weniger auf der Beuge¬
seite des linken Ober- und Unterarmes; mehrere z. B. über dem Muse, deltoideus.
Am r. Arm sparsamere und kleinere Flecke; die Gegend des Olecranon von einer
halbhandtellergrossen gelbbraunen Färbung eingenommen. Am Rumpfe finden sich
kleine Flecke von derselben charakteristischen gelblichbraunen Farbe; auf der un¬
tern Hälfte des r. Thorax 3 ca. 10 Centimesstück grosse braune Pigmentflecke,
wahrscheinlich anderen Ursprunges. An beiden Oberschenkeln, zumal auf deren
vorderer Fläche, und besonders reichlich an der Vorderfläche der Kniegelenke,
ferner reichlich über den Mm. Glutaeis, sparsam, an den Unterschenkeln ebensolche
Flecke wie an den Armen.
Hoden normal. Am Prseputium penis eine weisse, scharf umrandete runde lin¬
sengrosse Narbe, ca. 1 Cm. vom freien Rande und dessen oberer Fläche.
Nachdem sich ringsum eine Blase gebildet hatte, fiel neulich ganz schmerzlos
der Nagel der linken grossen Zehe ab. Es restirt am innern und äussern Nagel¬
bettrand und vorn und hinten eine flache Ulceration.
Nadelstiche, Berührungen empfindet und localisirt Pat. überall sehr gut, sowohl
an den Flecken als auch im Gesicht. Temperaturdifferenzen von 5—10° C., zwi¬
schen 22 und 32° C. unterscheidet Pat. an den erkrankten Stellen im Gesicht noch
ziemlich sicher, ebenso an den Stellen an den Gliedmaassen mit kleinen Flecken,
gar nicht am 1. Ellenbogen, einer Stelle mit handtellergrossen Flecken.
Die Schleimhaut des Mundes ist im Ganzen etwas injicirt, sonst normal, ebenso
die des Pharynx. Keine Heiserkeit Die Larynxschleimhaut ist mit Ausnahme
der normalen Stimmbänder gleichfalls injicirt, livide; in der Ruhestellung sind
keine Wulstungen sichtbar; dagegen erscheint die Mucosa beim Intoniren überall
gleichmässig gewulstet, der Larynxeingang erscheint trichterförmig und von den
Stimmbändern ist nun trotz sonstiger gehöriger Geräumigkeit des Larynx nur */ 8
ihrer Länge sichtbar. Bifurcation der Trachea sichtbar. Epiglottis gleichfalls stark
injicirt, kaum verdickt
Die rhinoscopische-Untersuchung von vorn weist ausser starker Injection der
Schleimhaut wenig Bemerkenswerthes nach. Diejenige von hinten ergibt: starke
Verdickung des septum narium. Der hintere Rand desselben ist scharf, aber es
ragen seine beiden Oberflächen an weiter nach vorn liegenden Stellen vor, sind
granulirt, blass, leicht durchscheinend, mit dünnem eitrigem Secret bedeckt. In
ganz ähnlicher Weise und zwar mehr r., weniger 1., ist die Muschel verdickt, gra¬
nulirt, anämisch, z. Th. mit Eiterbeleg versehen. Auch von den untern und äus-
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sern Wandungen der Nasenhöhle wölben sich theils grössere granulirte Wülste,
theils warzige Auswüchse in die Nasengänge hinein vor; dieselben zeigen alle eine
eigenthümliche blasse Farbe. Nirgends eingetrocknetes Secret wie bei der scro-
phulösen Ozsena. Kein Foetor Nasi. Respiration durch die Nase erheblich be¬
hindert
Die Untersuchung der Lunge ergibt R. H. O. in fossa supra- und infraspinata
etwas Dämpfung, ohne Anomalie des Respirationsgeräusches. Herz normal gross,
reine Töne. Leber und Milz bieten normale Grösse, auch das übrige Abdomen
durchaus keine Anomalie.
Dieser Fall bietet, abgesehen davon, dass er eine bei uns sehr selten zur Be¬
obachtung gelangende Krankheit zeigt, in sofern ein hohes Interesse, als er zeigt,
dass die Lepra Individuen befällt, deren Vorfahren gesund waren und das Leiden
nur durch den Aufenthalt in einer Gegend, in der Lepra endemisch ist, acquirirt
werden kann. Eine directe Uebertragung kann nicht stattgefunden haben, auch
kann unmöglich mangelhafte oder schlechte Ernährung, Strapazen, schlechte Woh¬
nung als ätiologisches Moment beschuldigt werden; ob aber Fische,-oder die aus
faulenden Fischen und Gewürz bereitete, täglich mit dem Reis genossene Sauce
„Sanbal“ mit als Ursachen der Krankheit aufzufassen sei, ist nicht sicher zurück¬
zuweisen.
Bekanntlich hat Virchow (Onkologie H p. 507 und 508) sehr verdorbene Fische
als Ursache der Lepra im Verdacht
Am meisten Interesse aber erregt in diesem Fall der Um¬
stand, dass zwischen dem Zeitpunkt, da Pat. das Lepraland ver-
liess, und der Zeit, da die Krankheit bei ihm auftrat, ein Zwi¬
schenraum von mehr als 5 Jahren verstrich. (Ende 1870 verliess Pat
ganz gesund die Molluken, langte Anfangs 1871 in Holland an, erkrankte Anfangs
1876.) Wir müssen also, da wir unmöglich annehmen können, er habe die Krank¬
heit erst in Holland acquirirt, eine Incubationszeit von bis zu 5 Jahren
für das die lepröse Erkrankung bedingende unbekannte Agens
annehmen. Es bietet sonach in dieser Beziehung die Lepra eine gewisse Ana¬
logie mit Intermittens, bei der man analoge Erfahrungen besitzt.
2. Sitzung den 24. November 1877.
Vortrag von Prof. Luchsinger über einige neuere, die Physiologie
des Rückenmarks betreffende Untersuchungen.
In kurzer Einleitung schildert der Vortragende den historischen Entwicklungs¬
gang unserer Kenntnisse und Anschauungen über die Bedeutung des Rückenmarks.
Wenn auch langsam und unter manchem Widerstreit scheint sich nun jetzt immer
mehr jene Ansicht allgemeinere Geltung zu verschaffen, welche auch diesem Theile
des Centralnervensystems ausser der Function der blossen Leitung, die Möglich¬
keit selbstständiger Auslösung von Erregungen zuschreibt, eine Ansicht, die in
der histologischen Structur sowohl wie in der Keimes- und Stammesgeschichte
einen reichen thatsächlichen Boden findet.
Allerdings hatten schon zu verschiedensten Zeiten hervorragende Physiologen
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- 118
— es sei nur an Prochasha , Legallois , Pflüger erinnert — sich in diesem Sinne ge-
äussert, aber einer durchschlagenden Verallgemeinerung der Lehre schienen denn
doch eine ganze Reihe von Thatsachen entschieden ungünstig. Es schienen eben
eine Reihe von Functionen des Hinterthieres definitiv aufgehoben, wenn das
Rückenmark von der Medulla oblongata durch einen Schnitt getrennt war; so soll¬
ten die Erstickungskrämpfe der Skelettmuskeln, die dyspnoischen Erscheinungen
am Oefassapparat ausbleiben, sollte die Innervation von Blase, Penis, Sphincter
ani definitiv nach einer Rückenmarkdurchschneidung vernichtet sein.
Gollz hat zuerst den Bann dieser Thatsachen gebrochen, indem er deren Be¬
weiskraft in bedeutsamster Weise in Zweifel zog. Die Durchschneidung
trennt nicht nur höher liegende Centren von bezüglichen
Organen, sie versetzt auch die Theile unterhalb des Schnit¬
tes in einen ohnmachtähnlichen Zustand für eine gewisse
Zeit. Will man die Folgen der blossen Trennung des Centralmarks untersuchen,
so hat man vorerst diese Erholungszeit abzuwarten. Dieselbe dauert bei ver¬
schiedenen Thieren verschieden lange, von einigen Stunden bis zu ebenso viel
Tagen.
Auf diese Weise — 3—4 Tage nach einer Trennung des Lendenmarks —
konnte Gollz eine Reihe von Innervationen in dem abgetrennten Stück Centralraark
nachweisen, die sich früheren Beobachtern entziehen mussten.
Anschliessend an diese bahnbrechende Untersuchung hatte nun der Vortragende
eigene Versuche über weitere Fragen angestellt. Er hatte namentlich gefunden,
dass unter angeführten Cautelen auch bei der Erstickung, ebenso nach Vergiftung
mit einigen, bislang geradezu als specifische Hirnkrampfgifte angesehenen Sub¬
stanzen — Picrotoxin, Nicotin — an dem Hinterthier (also von dem abgetrennten
Rückenmarke ausgelöst) gerade so gut, wie an dem Vorderthier mächtige Krämpfe
auftreten, Erscheinungen, die von früheren Autoren bekanntlich nicht wahrgenom¬
men wurden, weil diese den Ablauf der chocartigen Wirkung des Schnittes nicht
abwarteten.
Die Krämpfe der Skelettmuskeln des Hinterthieres sind aber nur die augen¬
fälligsten Erregungen des abgetrennten Rückenmarks. Schweisssecretion und Ge-
fässkrämpfe sind stete Begleiter.
In der That müssen auch die nächsten Centren für die Innervation der Ge-
fässe im ganzen Rückenmark vertheilt sein und kann namentlich fernerhin die bis¬
lang als alleiniges Gefässcentrum angesehene Gangliengruppe des verlängerten
Markes höchstens als ein höheres coordinirendes Centrum angesehen werden. Denn
auch nach Durchtrennung des Rückenmarks in der Höhe des Atlas tritt als Folge
einer Athmungssuspension beträchtliche Steigerung des Blutdruckes ein, fällt diese
Erscheinung aber fort, sobald irgendwie das Rückenmark selbst gänzlich zer¬
stört ist.
Ueber das Nähere der Versuchsmethoden etc. muss auf eine binnen Kurzem
in Pflüger 's Archiv f. d. ges. Physiologie erscheinende Originalmittheilung verwie¬
sen werden.
8
Digiti:
Google
114 —
Referate und Kritiken.
Compte-rendu de la maison des enfants malades 1872—1877.
Aerztlicher Vorstand: Dr. Duval.
Dieser Bericht schildert das Entstehen und die weitere Entwicklung des Kinder-
Spitals in Genf. Dasselbe feierte im vergangenen October das fünfte Jahr seiner Exi¬
stenz. Im ersten Jahre befanden sich blos 6—7 Kinder, eher Pensionäre, als eigentliche
Kranke in diesem Institut, und die Zahl der Aufnahmen während dieser Zeit belief sich
blos auf 60 Kinder. Mit dem Jahre 1874 wurde das Feld der Thätigkeit ein ausge¬
dehnteres, und die Aufgabe lohnender durch den Eintritt von wiohtigern chirurgischen Fällen
und namentlich durch die Aufnahme eines croupkranken Kindes. Im Lauf der Zeit wurden
auch Keuchhustenkranke und Masern aufgenommen, und so gut es möglich war abge¬
sondert. Während des letzten Winters lagen mehrere Monate lang 30 Kranke zu gleicher
Zeit im Spital, und ausserdem nahm auch die im Anfang spärlich besuchte Poliklinik
an Frequenz zu. Hand in Hand mit dieser erfreulichen Zunahme des Krankenstandes,
gewann das Spital auch in seinen äussern und innern Einrichtungen an Ausdehnung und
entwickelte sich so aus unscheinbaren Anfängen zu einem eigentlichen Krankenhaus.
Dem medicinischen Theil des Berichtes entnehmen wir zunächst die ebenso erfreu¬
liche, als für uns auffallende Thatsache, dass während der ganzen Zeit des Bestehens
der Anstalt nicht ein einziger Fall von Ansteckung im Hause vorkam, mit Ausnahme
einer sehr leicht verlaufenden Epidemie von Augendiphtherie. Referent war in seinem Spital
nicht so glücklich, in dem er trotz gewissenhafter Isolirung und trotz Absonderungshaus
wiederholtes Ausbrechen von Infectionskrankheiten hat beobachten müssen, und theilt
darin das Schicksal der meisten Kinderspitäler; denn wenn Kinder im Incubationsstadium
von Masern, Keuchhusten oder Scharlach gebracht werden, so ist eben alle Sorgfalt leider ver¬
geblich. Keuchhusten und Masern konnten wir nun seit mehreren Jahren, trotz wieder¬
holter Epidemien in der Stadt, von unsern Kranken fern halten; dagegen haben wir in
den letzten Jahren wiederholt das Auftreten von Scharlachfällen unter unseren kranken
Kindern erlebt.
Von hohem Interesse sind die Mittheilungen über die Groupfälle und die dabei ge¬
machten Tracheotomien. Von vier Croupfällen, die nicht operirt wurden, haben drei nicht
die Periode erreicht, welche die Operation erheischt, und sind ohne dieselbe genesen; ein
viertes, 7 Monat alt, ist am fünften Tage gestorben. Die im Spital operirten waren beinahe
alle im Stadium der Asphyxie und die Operation wurde meist von demjenigen Arzte aus¬
geführt, welcher das Kind in’s 8pital geschickt hatte. Die Kinder befanden sich im Alter
von II Monaten bis 10 Jahre. Bemerkenswerth ist, dass zwei Kinder von 11 und 14
Monaten mit bleibendem Erfolg operirt worden sind. Die weitern auffallend günstigen
Resultate gehen aus folgenden Zahlen hervor: Im Jahre 1874 genasen 2 von 4 Operirten,
im Jahre 1875 6 von 19, im Jahre 1876 6 von 10, und im Jahre 1877 sogar 8 von 9.
Weder mit unseren noch mit den sonst überall gemachten Erfahrungen stimmt der
in diesem Bericht aufgestellte Satz überein, dass die Periode, in welcher die Operation
gemacht wird, wenig Einfluss habe auf das Resultat. Wenn auch der günstige Ausgang
von manchen andern Factoren, namentlich auch von dem Character der Epidemie ab¬
hängig ist, so ist im Ganzen und Grossen der für die Operation gewählte Zeitpunkt ge- .
wiss nicht gleichgültig. Chloroform wird als gefährlich und als unnütze Complication bei
der Operation im genfer Spital nie angewandt. Die Entfernung der Canüle war möglich
in der ersten Woche in 6 Fällen, in der zweiten Woche in 11 Fällen, in der dritten
Woche in 2 Fällen und in der vierten Woche in 3 Fällen. Diese günstigen Resultate,
namentlich in den beiden letzten Jahren, verdienen volle Berücksichtigung, sowie auch die
daran geknüpften Betrachtungen.
Von Keuchhusten sind 26 Fälle behandelt worden (4 gestorben), von Typhus abd.
11 (2 gestorben), von Masern 16 (4' gestorben), Syphilis 12 (ö gestorben), Bronchopneu¬
monie 80 (16 gestorben). Die Verdauungsstörungen sind ziemlich zahlreich vertreten;
sie werden eingetheilt in Embarras gastriques, Diarrhöe (Lientörie), Entörite aiguö et
chronique, Cholöra infantile und Dysentörie; im Ganzen 37 Fälle mit 6 Todesfällen. Wir
müssen uns mit diesen wenigen Mittheilungen aus dem sehr lesenswerthen Berichte be¬
gnügen. — Hagenbaoh,
Digitized b
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115
Vom Bewusstsein in Zuständen sog. Bewusstlosigkeit
Vortrag von Dr. J. L. A. Koch in Zwiefalten. Stuttgart, bei Ferd. Enke, 1877.
Verfasser sucht in seinem 28 Seiten starken Schriftchen nacheuweißen, dass der nach
den Bestimmungen des deutschen Strafgesetzbuches gegebene Ausdruck „Bewusstlosig¬
keit“ häufig auf Zustände nicht eigentlicher Bewusstlosigkeit Anwendung finden müsse, wess-
halb dieser Begriff in der forensen Praxis, wenn nicht ein unbrauchbarer, so doch ein unzu¬
treffender sei. Er führt nun seine Gründe dafür näher aus, theilt dabei eingehend seine
eigenen Anschauungen über das Bewusstsein mit. Da das ganze Schriftchen in theore¬
tischen Ausführungen besteht, ohne dass dieselben durch casuistisches Material gestützt
und getragen sind, kann dasselbe keinen Anspruch auf grössere Beachtung machen, zumal
auch über den Grundgedanken des Verfassers die meisten Fachgenossen einig sein mögen.
_ L. W.
Die Lehre von den functionellen Centren des Gehirns und ihre Beziehung zur Psychologie
und Psychiatrie.
Von Dr. GoUlieb Burckhardl , 2. Arzt der Waldau. G. Reimer, Berlin. 22 p.
Als Antrittsvorlesung gibt der geehrte Verfasser in kurzen, critisirenden Zügen ein
historisches Bild über einen Theil der bisherigen Arbeiten auf dem Gebiet der Physiolo¬
gie des Gehirns ; er kann allerdings nur sehr wenige, immerhin grossartige Errungen¬
schaften als gesichert anführen, stellt jedoch zum Schluss sich und Andern so schöne und
wichtige Aufgaben, dass wir stolz sein dürfen, einen solch begeisterten und genialen For¬
scher den unsrigen zu nennen. Sury-Bienz (Basel).
Die Geistesstörungen der Schwängern, Wöchnerinnen und Säugenden.
Monographisch bearbeitet von Dr. Ripping , Director in Siegburg. Ferd. Enke, Stuttgart.
139 Seiten.
Sehr ausführliche Monographie mit vollständigem, referirendem Litteraturverzeichniss,
zahlreicher instructiver Gasuistik und ausserordentlich fieissigem und interessantem Ta¬
bellenwerk.
Zur Lecture, besonders auch den pract. Aerzten, sehr empfehlenswerth.
Cantonale CoiTespondenzen.
Basel. Bekanntmachung des S a n i t ät s d epa r t e m en t s betr. gift¬
haltende Tapeten. „Es hat sich gezeigt, dass in grosser Zahl Tapeten fabricirt und
verkauft werden, welche mit giftigen Farben bedruckt sind, und namentlich Arsenik ent¬
halten. Das Publicum wird deshalb aufmerksam gemacht, dass nach den im Jahr 1877
gemachten Beobachtungen ungefähr ein Viertheil der im Handel vorkommenden Tapeten
mehr oder weniger gifthaltig sind, und besonders bei ihrer Anwendung in Schlafzimmern
schädlich auf die Gesundheit einwirken.
Den Tapetenhändlern, Agenten von Tapetenfabriken sowie den Tapezierern wird da¬
gegen angezeigt, dass der Verkauf und die Anwendung solcher Tapeten nach §. 170 des
Strafgesetzes*) strafbar und verboten ist
Wer deshalb Tapeten verkauft oder aufzieht ohne sich vorher durch eine sachver¬
ständige Untersuchung von deren Beschaffenheit versichert zu haben, hat im Falle, dass
diese Tapeten giftige Farben enthalten, eine Verzeigung zu gewärtigen. Das von einem
Experten untersuchte Muster soll auf der Rückseite mit seiner Unterschrift oder mit sei¬
nem Stempel versehen und zur jederzeitigen Vorweisung aufbewahrt werden.
•) §. 170. Wer mit Gefahr für die Gesundheit von Menschen vorsätzlich Brunnen oder Was¬
serbehälter oder zum öffentlichen Verkauf oder Verbrauch bestimmte Gegenstände vergiftet, oder solche
vergütete Gegenstände wissentlich in Verkehr bringt, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, und
wenn dadurch der Tod eines Menschen verursacht worden ist, mit lebenslänglichem Zuchthaus oder
Zuchthaus nicht unter zehn Jahren bestraft.
Wenn die Handlung fahrlässig begangen und dadurch ein Schaden entstanden ist, so tritt Ge-
fängniss bis zu einem Jahre oder Geldbusse, und wenn durch sie der Tod eines Menschen verursacht
worden ist, Gefängniss ein.
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Die Taxe des öffentlichen Chemikers wird zukünftig bei Untersuchung grösserer Par¬
tien betragen:
für giftfreie Tapeten Fr. 1. 50 pr. Muster,
für gifthaltige Tapeten „ 3. —,
für einzelne Untersuchungen beträgt die Taxe das Doppelte.
Basel, den 6. Februar 1878. Namens des Sanitätsdepartements:
K. Sarasin, Reg.-Rath.“
Basel. Der Abend des 2. Februar vereinigte in den gemüthlichen Räumen unseres
Schützenhauses eine Schaar von etwa 30 Mitgliedern der medic. Gesellschaft mit Gästen.
Veranlassung war diesmal weder die Jahreswende noch das so und so vielte Bestehen
der Gesellschaft, noch die Freude Uber die Entdeckung irgend einer medicinisch wichti¬
gen Thatsache, sondern man wollte blos durch einen besondern geselligen Anlass die
verhältnissmässig spärlichen Besucher unsrer „zweiten Acte“ einmal wieder in grösserer
Anzahl vereinigen, damit freundschaftliche Collegialität in möglichst weite Kreise unserer
Aerzte dringen und darin gepflegt werden möge. Und dass der Gedanke richtig war,
davon zeugte die stattliche Zahl der Theilnehmer, welche in gehobener Stimmung bei
einer Metzelsuppe des Tages Last und Sorge vergassen. Dass unser Mitglied, der
Schlachthausverwalter, für diätetisch musterhafte Zubereitung der culinarischen Genüsse
Sorge getragen hatte, war gewiss von grossem Vortheil für die Stimmung. Eine Be-
grüssungsrede unseres Präsidenten eröffnete den Reigen der Toaste, und nun wurde
Schlag auf Schlag die poetische Muse von den fröhlich tafelnden Gollegen venasecirt;
versteht sich, dass diese Operation nur auf Basis humoral-physiologischer Anschauung
vorgenommen wurde. In früher Morgenstunde wurden die Plätze allmälig geräumt; als
kleines Andenken aber für die Theilnehmer, und anderseits noch mehr zum Ergötzen
Ihrer auswärtigen Leser, erlaubt sich der Gorrespondent zwei Metzelsuppentoaste bei¬
zufügen :
Es hat bei meiner Ehr' und Treu'
Das Schwein mir heut’ gemundet,
Als Futter gebt dem andern Heu,
Der nicht von Wurst gesundet.
Dich preis’ ich laut,
Du liegst so traut
Im Sauerkraut,
Du Schwein der Mediciner.
Präsente medico nil no¬
cet steht im alten Buche;
D’rum haben wir auch heute so
Getrunken nach dem Spruche,
Dass baden soll
Gemüthes voll
Im Alcohol
Das Schwein der Mediciner.
Die Wurst steht mit der Polizei
Auf sehr gespanntem Fusse;
Man pröbelt, ob nicht Mehl d’rin sei,
Und droht mit starker Busse.
Wie greift man fehl I
Denn ohne Mehl
Wächst ein Kameel,
Kein Schwein für Mediciner.
Ihr Herr’n Doctor’n, mir ist nicht klar.
Wozu der Magen diene;
Kriegt man in solchem Stand fürwahr
Die Speis’, wozu Pepsine?
Es klingt wie Hohn,
Denn als Pepton
Verzehrt man schon
Das Schwein der Mediciner.
Hätt’ ich soviel ich nicht besitz’,
Das gäb’ ein herrlich Leben,
Ich würd', so wahr mein Name Fritz,
Euch allen etwas geben:
Was könnt’ das sein?
Nur Schwein, nur Schwein!
Ja ganz allein
Nur Schwein dem Medicineri
Das Schwein, das ich Euch schenken
wollt’,
Ist fröhlich und beschaulich,
Sein Fleisch ist Silber, Schmale ist Gold,
Doch beide leicht verdaulich.
Das wäre fein!
.Nun schenket ein:
Hoch leb’ das Schwein,
Das Schwein der Mediciner! F.B.
In Sumpf und Moos sind sie herumgekrochen,
Aus Rennthier- und aus Moschusochsenknochen
Hat unser Urahn’ einst das Mark gesogen
Und Torfschweinfleischgenuss dabei gepflogen.
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117
Wie lang es so gestanden, wer kann’a wissen ?
Bis aus der Steinzeit kymerischen Finsternissen
Die Bronze und das Eisen uns gehoben?
Den Fortschritt dürfen heute wir noch loben 1
Doch schade fand ich’s immer ethnographisch,
Dass Pfahlbaumenschen sich nicht epitaphisch
Ein wenig besser haben ausgesprochen:
Nicht Jeder liest so leicht die Schrift der Knochen.
Wär’ jeder DoCtor zwar ein Rütimeyer ,
Es möchte etwas lüften sich der Schleier;
Noch klarer würd’ man sehen, wie die Lebensmittel
Ein Jeder damals sich verschafft mit seinem Knüttel.
Der Pfahlmann offenbar ist etwas grob gewesen,
Und auch die Frau beschäftigt' wenig sich mit Lesen;
Ging der Gemahl zur Jagd, ja trank er,
So starrt sie in die Luft, wie’s malet Anker.
Wie's mit der Impfung damals ist gestanden,
Darüber wenig Schriftlich’s ist vorhanden;
Im Schilf und Röhrigt gab’s zwar viele Enten,
Von Schulinspectoren nichts und Sanitätsdepartementen.
Und weil die sumpfgen Zeiten ziemlich lang gedauert,
Ist durch Heredität damals der Mensch verbauert.
Ob wohl die Grobheit, die bei uns man heut’ noch findet,
Per continuitatem sich auf einen Pfahlrost gründet?
Doctoren gab es damals schon nach meiner Meinung,
Doch sehr vereinzelt nur war die Erscheinung;
Und Desor selbst spricht nicht einmal zum Scheine
Aus jener Zeit von einem medicinischen Vereine.
Der See und Sumpf hat sie ja längst begraben,
Und was geredet sie, gesungen haben,
Das ist verweht in's Reich der Lüfte unermessen,
Wir wissen einzig nur — was sie gegessen.
Und Ihr, die heut’ versammelt hier im Saale:
Wenn einst der Alpen Zinnen hin zu Thale
Gesunken, unser Firn zum letzten Mal verglommen,
Wird unser Thun in Lethe’s Nacht verkommen?
Ein Lächeln seh’ ich auf den Lippen schweben :
Wir werden im Gedächtniss weiter leben!
Sagt’s nur, an Theodoros will ich gerne glauben,
Den Sänger und den Dichter kann uns Niemand rauben!
Schmückt ihn zum Dank mit Lorbeer’n heut’ auf’s Beste
Beim medicinisch wohldurchdachten Opferfeste !
Es mög’ dies alte Haus vor Freude beben,
Wenn wir den Doctor Schneider lassen donnernd leben ! H. Sch.
Bern. Bad Weissenburg.*) Von Rechtes wegen sollte ich diese meine Cur-
correspondenz mit einigen anzüglichen, empfindsam weltschmerzlichen Parabeln über fahle
Blätter, blattlose Aeste, Herbstnebel, kühlen Sonnenschein u. s. w. einleiten. Die Herren
Collegen haben ja aber schon am Krankenbette eine tiefe und unerschöpfliche Fundgrube
für das wechselvolle und zuweilen momentan recht tröstliche Spiel ihrer Phantasie, so
dass ich meine Rückblicke auf Weissenburg, das heute uns, seinen letzten Gästen, Valet
sagt, gleich beginnen kann.
Vom sonnigen Glion, das noch spät am Abend dem vom Zimmerfenster aus durch
die melancholische Dämmerung auf See und Berge starrenden Curanten in prächtiger
Abendröthe den Reflex seines lichtreichen Antlitzes zeigte, kam ich in die Bunschi-
schlucht, von der die Fama flüstert, dass die Sonne nur während des Mittagsessens
•) Wegen Raummangel seit Ende September 1877 auf heute zurückgelegt. Red.
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scheine, so dass es dem dorthin Reisenden noch unklar bleiht, ob sie wirklich am Himmel
oder nur an dem Suppennapfe strahle. Die letzten „Adieux“ thaten den liebenswürdigen,
schon über das Schwabenalter hinausgerUckten „Tanten“, die mich in Glion unter ihre
vorsorglichen Fittige genommen hatten, entschieden weh; sie froren für mich, stund doch
selbst in dem zu Rathe gezogenen Bädeker (1878) nur der mittägliche Sonnenschein und
die „schauerliche Schlucht“!
Nun möchte ich nicht gerne Dinge wieder breit schlagen, die in so hübscher und
klarer Darstellung schon vom weissenbui^er Curarzte, unserm verehrten und lieben Dr.
Schnyder , in seiner Brochure gesagt wurden und das um so weniger, als dieser „Führer
für den Curgast“ (und den Arzt, füge ich bei) so viele Abnehmer fand, dass in
nächster Zeit eine zweite Auflage erscheinen wird. — Es kann jedoch den Collegen nur
erwünscht sein, wenn auch ein Curant, also ein nur im besten Sinne Interessirter, wie
es übrigens Herr Dr. Schnyder ja auch und ausschliesslich ist, seine Wahrnehmungen
mittheilt.
Fahre ich also mit dem Klima von Weissenburg fort. Darüber herrscht nun
beim Publikum und sehr vielen Aerzten gewaltiger Irrthum. Leider wurden bisher keine
consequent fortgesetzten meteorologischen Beobachtungen gemacht, auch nicht, was sehr
wichtig wäre, über den Feuchtigkeitsgehalt der Luft. Ich selbst bin erst im Spätsommer
(22. August) eingerückt, und bekanntlich ist der beginnende Herbst dieses Jahr auch
anderwärts in der Schweiz sehr kühl, so dass meine Notizen nicht die eines Durchschnitts-
jahres sind.
Ich hause im Parterre, also über dem Erdgeschoss, habe einen Balcon, der über
der Terrasse der Front des Hauptgebäudes steht Liege ich in meinem Bette, so sehe
ich mir gerade gegenüber eine prächtige grüne, bisher noch namenlose Halde, die ich
hiemit feierlich „Morgenhalde“ benamse. Ich sehe nicht bis ganz an den Gipfel. Nun habe
ich mir die Zeit notirt, zu welcher mir jeweilen Morgens die ersten Sonnenstrahlen hoch
oben sichtbar wurden; das ist für die Bunschischlucht, dem Standort des weissenburger
Bades, der von mir notirte Sonnenaufgang. Natürlich erscheint für die vor der West¬
front liegende Terrasse die Sonne später, früher dagegen beim Pavillon, da das Thälchen
des Bunschenbaches nicht in gerader Richtung verläuft. Sinkt dann am Abend die Sonne
hinter den Wipfeln des obern Randes der Morgenhalde herunter, so haben wir für die
Terrasse den von mir notirten Sonnenuntorgang, während hinter dem Etablissement
und vor Allem in der Tannenhalde, dem beliebtesten Spaziergange der Hüsteler, noch
längere Zeit die belebenden Strahlen verweilen. — Leider war die letzte Woche meiner
internen Wassercur nicht immer hell. Ich fand nun:
Sonnenaufgang. Terrasse.
24.—81. Aug. 6 Uhr. »/. 9 Uhr. *)
Untergang.
5 Uhr.
1.— 7. Sept.
6 „ 6 Min. 9 „
7.-14. „
6 „ 6 „ 9 „
4*A „
14.-21. „
6 „ - 9 „
4 »10 Min.
21.-26. „
6 „ 20Min. 9'/* „
3 „ 50 „
Die Temperaturen las ich zum Theil in der Wandelbahn (Schattseite) ab, deren
Fenster und Thüren offen stunden; als es kälter wurde, liess Herr Dr. Sch. sie jeweilen
vor der Wandelzeit bei ganz offenen Fenstern heizen, so dass ihre Temperatur während
diesen 8tunden nicht unter 8° R. sank. Vor 7 Uhr Morgens schlürfte man ja den ge¬
wärmten Labetrunk behaglich im Bett. Die Temperaturen zu früheren Stunden, sowie
diejenigen, die notirt wurden, als die Halle geheizt war, machte ich an einem eigenen,
passend placirten Thermometer. Durchschnitte:
7 Uhr M.
Mittags.
7 Uhr A.
24.-
-31.
Aug.
14,1° R.
18,2° R.
14,2° R.
1.-
- 7.
Sept.
10,2
12,4
10,3
8.-
-14.
»
10,0
11,6
9,6
16.-
-21.
n
8,1
12,0
8,8
22.-
-26.
»
3,3
10,7
4,7
*) Natürlich senken sich die Sonnenstrahlen bedeutend früher in den hinter dem Hauptgebäude
liegenden Hof und seine angrenzenden Bosquets.
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Natürlich sind hiebei die Minimaltemperaturen, ■wie öie in der Nacht eintreten, nicht
notirt und ebensowenig die Maxim altemperaturen im Sonnenlichte. Den 24. September
zeigte mein Thermometer Morgens 6 Uhr nur -f 1° R* Der Vegetation um das Bad herum,
sowie in Oberweissenburg (Höhe) sah man aber nichts an : keine Spuren eines Reifes oder
Frostes, wie sie zu gleicher Zeit im Baselbiet, aber auch in der Ostschweiz etc. so ver¬
heerend wirkten. Wiesen, Bäume und 8träuche schmückte noch das saftigste Grün, und
auch wir Curgäste empfanden wohl die kühlere Luft, froren aber nicht so, wie wir es
erwarteten. Es ist das eine Folge der geschützten, natürlich nicht absolut, aber doch
relativ sehr windstillen Lage, namentlich aber der grossen Feuchtigkeit der Luft, welche
die Wärmeabgabe der Haut günstig reglirt.
Wunderbar war für uns die Fruchtbarkeit der Umgebung. Um Oberweissenburg
(990 M. 1) herum steht ein prächtiger Kranz von Obstbäumen aller Art und zwar in sehr
schön entwickelten Exemplaren. Die Früchte (Aepfel und Birnen), die ich sah, waren
recht gut gereift und reichlich. Getreide, Kartoffeln, Graswuchs (Herbstweide nach Heu
und Emd) in schönster Entwicklung, wie ich es so hoch oben nie erwartet hätte. Steht
doch über Oberweissenburg sogar ein prächtiger Baum zahmer Kastanien (Cast, vesc.), der
diesen Herbst voller Früchte war.
Das Klima ist also sehr günstig: wer steigen kann, geniesst die Sonne reichlich;
wer darauf verzichten muss, begnügt Bich mit der Sonne in der oben angegebenen Zeit
und athmet mit den andern die absolut staubfreie, feuchte Luft in geschützter, hoher
(880 Meter beim vordem Bad) Lage.
Weissenburg kann nach meiner Ansicht in meteorologisch normalen Jahren ganz
gut bis Ende September besucht werden, allerdings nicht von allen Brustkranken. Dabei
hat man sich natürlich nach dem Thermometer zu richten, der in allen Gebirgsgegenden
seine Privatlaunen hat
Wir sehen, dass das Klima von Weissenburg besser ist als sein Ruf, der übrigens
bei Laien (und auch noch bei Aerzten) ganz unverständigerweise dadurch leidet, dass
man die Wirkung Weissenburgs als die eines Revolvers moderner Art betrachtet, den
man nur im äussersten Nothfall abschiessen darf, weil der Schütze nie weise, ob die Ex¬
plosion vom oder hinten hinaus geht Der hat gewiss sein Testament gemacht, sonst
ginge er ja nicht nach Weissenburg, denkt das Publikum, und „Sie befinden sich noch
viel zu gut, um nach Weissenburg zu gehen“, sagt etwa auch einmal ein Arzt Das ist
natürlich ganz verkehrt, hat aber doch zur Zeit noch zur Folge, dass eine so ausser¬
ordentlich grosse Zahl schwerer Lungenkranker in Weissenburg zusammenkommt, während
dem oft mit leichtem Fällen in allen möglichen Luftcurorten umher experimentirt wird,
bis sie endlich für Weissenburg „reif“ sind.
Weissenburg ist noch kein fertiges Institut Jahr für Jahr wird an seiner Vollen¬
dung gearbeitet Vor Allem sucht man dem jedes Jahr fühlbarer werdenden Raum¬
mangel abzuhelfen. So werden diesen Winter 16 Zimmer mit circa 20 Betten im Haupt¬
gebäude neu erstellt, daneben beabsichtigen die Besitzer, die Herren Hauser, die vor der
Dependance scharf vorspringende Ecke vollständig abtragen und auf die so gewonnene
Fläche einen Neubau erstellen zu lassen, dessen Hauptfront gegen Westen käme. Da das
neue Gebäude, das nach hinten (gegen den Berg) nur Corridore erhielte, bloss in der
haute saison (Juni, Juli, August) benützt würde, so wäre die Front nach Westen ganz
genügend. Die jetzige Dependance würde dann dem Waschhaus aufgesetzt und mit der
HauptterraBse durch eine Brücke verbunden. Natürlich gewänne sie dadurch bedeutend,
weil ihre jetzige Lage unvortheilhaft ist.
Eine Hauptarbeit bleibt die Renovation und die neue Anlage von Wegen. So wird
gegenwärtig die prächtige Morgenhalde (Morgens Sonne, Nachmittags, wo die Tannen¬
halde Sonne hat, Schatten) den Curanten zugänglich gemacht. Am Wege zum alten Bad
wurde etwas herwärts des Steges, der zur Mieschernalp führt, eine solide Brücke über die
Schlucht geworfen, die nächsten Felsköpfe gesprengt und nun ein durch die ganze Länge
der Halde führender Weg angelegt, von dem aus man entweder zur WaBserfallbrücke
oder, neben dem divisionsärztlichen Schiessplatze vorbei, zur ebenfalls diesen Herbst neu
errichteten Gasbrücke gelangt.
Der neue Weg wird sehr schön —wir wollen heucheln und sagen: „„Wir freuen uns
ihn das nächste Jahr „recht oft“ besuchen zu können.““
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Die Evaporationen des Etablissement a posteriori waren bisher oft recht lästig —
nichts neues unter der Sonne. ■— Doch hört das nun auf. Der bisher offene Abfluss¬
canal der Universalkloake wird diesen Spätherbst bis zum Ausflüsse in den Bunschen-
bach eingedeckt, so dass diese mephitischen Dünste ausbleiben. Gewiss wird auch eine
Einrichtung getroffen, den Kehricht mit Hülfe des starken Gefälles des Spülwassers der
Kloake geruchlos in den Bach zu dirigiren.
Die Frequenz der letzten Saison war sehr gross, so dass nicht nur alle Räume beider
Bäder vollkommen belegt blieben, sondern jeweilen auch noch eine Zahl Gäste im Dorfe
WeiBsenburg logirte.
Das alte Bad fasst 170, das neue 240 Gäste, deren Mehrzahl aus Schweizern be¬
steht. Doch suchen auch die Ausländer in immer steigender Zahl Hülfe in Weissenburg,
namentlich Norddeutsche, Franzosen (Paris, Marseille), Elsässer; es waren diese Saison
aber auch Russland, England, Oesterreich und sogar Amerika vertreten.
Es ist klar, dass in Weissenburg nicht der leichtlebige Ton angeschlagen werden
darf, dessen Reiz so manchem andern „Bade* seine Gäste zuführt. Weissenburg ist
nur Heilstation und demgemäss muss auch die ganze Lebensweise des Gastes eine
ärztlich geregelte sein. Disciplin muss in Weissenburg ein Curmittel sein; sie ist es
auch, wird aber in liebenswürdigster und verständigster Weise gehandhabt. Wir Behen
nirgends die langweiligen und eckligen Runzeln der Pedanterie. Da aber die Gur in
Weissenburg eine so eingreifende ist, sollte nach unserer Meinung jeder Curant über das
was und wie den Curarzt consultiren. Der Hausarzt gebe eine Anamnese und seine An¬
sicht mit; aber die Leitung der Cur kann in rationeller Weise nur der Gurarzt besorgen,
dem allein es möglich ist, die Einwirkungen der neuen Agentien regelmässig und per¬
sönlich zu controllirea Er wird ja ganz naturgemäss die Meinung und Winke des Haus¬
arztes beachten.
Neben der Luft, der überall ausgiebig Ein- und Zutritt verschafft wird (Esssaal,
Wandelbahn, Zimmer), und der in passender Weise dem Individuum angepassten Atem¬
gymnastik (beim Steigen, forcirte Exspirationen, pneumatischer Apparat etc.) functionirt
als zweites Heilagens die Trinkquelle. Das ist nun eine curiose Geschichte. 8ie enthält
ganz ordinäre Dinge, und doch ist ihre Wirkung eine äusserst eingreifende; in der
Regel tritt zuerst benommener Kopf bis Kopfweh, Mattigkeit und Schläfrigkeit ein; trinkt
man dagegen Abends weitere Dosen, so kommt leicht unruhiger Schlaf. Es folgt bald
reichliche Diurese, zu welcher übrigens die feuchte Luft (verminderte Hautausdünstung)
wesentlich mithilft. Ich bin kein Hauptrepräsentant, aber doch stieg meine Harnmenge von
2760 Gramm (also ungefähr ebensoviel Gubikcentimeter) der 3 ersten Tage, an denen ich kein
Wasser trank, auf 3150 ; rechnet man die 600 Gramm Curwasser ab, die ich mehr Flüssig¬
keit genoss, als ich zu trinken gewohnt war, so bleibt immer noch eine Vermehrung von
800 Gramm = 46,71 •/..
So steigt in der Regel auch rasch der Appetit. — Wir kommen so ungesucht zur Kost¬
frage, die für viele Leute, welche hiebei Weissenburg im Auge haben, kurzweg mit Mehl*
suppe identisch ist. Das ist nun falsch. Mehlsuppe giebt es allerdings, aber nur Morgens
und auch dann ohne alle Pedanterie. Wer absolut nicht mag oder nicht kann, trinkt Miloh,
Milchkaffee, Chocolade, so dass in der letzten Zeit wir Mehlsüppler in der bessern Minori¬
tät waren. Ich schwärme für Mehlsuppe, d. h. habe sie rasch liebgewonnen und dann
sehr ausgiebig zu Curzwecken verwendet Doch verfuhr ich dabei liberal-conservativ,
ich ass dazu einige der sehr schmackhaften Weggli plus Butter und Honig. Kurz, ich
halte die Mehlsuppe mit Umständen für ein sehr schmackhaftes und sehr nahrhaftes
Morgenessen. Der Mittagstisch war reichlich und reichhaltig (wie anderswo, nur hätte
ich neben Fisch, Geflügel, Kalb- und Schaf- gerne noch häufiger kräftiges Ochsenfleisch
gesehen), also, da ja zum Mittagstisch auch die gehören, für die der Tisch gedeckt wird,
omnivor. Nachtessen recht
Um 4 Uhr konnte frischgemolkene Milch getrunken werden; das Quantum reichte
aber leider in der Regel nicht aus; auch wäre zu wünschen, dass mit Rücksicht auf die
Unbemittelteren die MiJch nicht so hoch käme. Die Herren Besitzer, die ja schon ganz
andere Hindernisse überwunden haben, wissen den hier ausgesprochenen Wunsch gewiss
leicht zu erfüllen.
Dom neuen Curgasto fällt vor Allem der günstige Einfluss auf, den die weiasenburger
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321
Cur auf den Husten ausübt. Ich war in den ersten Tagen äusserst erstaunt in dem
grossen und gefüllten Speisesaale, trotz der Anwesenheit so vieler Lungenkranker, so
wenig husten zu huren und zu sehen.
Spazieren wir noch auf dem etwas buckligen und runzlig gewordenen und, weil so
viel begangenen, verbesserungsbedürftigen Wege in das alte Bad. Da glänzt es nun
allerdings nicht und ist drum auch nicht einmal dem Scheine nach Gold. Das alte Bad
(wir verstehen darunter den uralten Holzbau, da in dem aus dem Jahre 1826 stammen¬
den Steinbau eine gute Anzahl recht anständige Zimmer sind) sollte mit der Zeit umge¬
baut werden. Die Schwierigkeiten sind allerdings beträchtlich. Wir glauben aber, dass
Weissenburg in Zukunft noch grössern Zudrang haben wird, so dass auch der Tag
kommen wird, der jenen veralteten Räumen die Existenzberechtigung ganz abspricht oder
sie umbaut und gegen die Quellenschlucht zu, wo die Morgensonne die frostige Kluft
erwärmt, einen breitem Weg bahnt.
Mit der Kost waren die Gäste des alten Bades am ersten Tisch durchweg gut zu¬
frieden; dagegen sollte auch am zweiten Tisch im Interesse der Kranken vom nächsten
Jahre an mit dem alt hergebrachten Speisezeddel in sofern gebrochen werden, als Mit¬
tags ein Gericht Fleisch weniger und dafür Abends zur Suppe eine Platte Fleisch mit
Gemüse geboten würde. Die gegenwärtige Vertheilung der Speisen ist sanitätswidrig.
Und nun die Psyche? Die chronisch Eiranken bedürfen der Anregung, der Labung
für das schwerleidende Gemttth. Nun bietet Weissenburg allerdings keine grossartige,
landschaftliche Scenerie, keinen Bergsee mit lieblichem Gelände oder schroffen Felswänden,
kein Alpenglühen auf ewigem Schnee. Aber die Romantik der Natur (werfen wir den
decenten Schleier des Stillschweigens über die menschliche) fehlt nicht und vor Allem
nicht der stille Friede und die wohlthuende Pracht des frischen, vollsaftigen Lebens
des grünen Waldes; auf den Höhen labt das Auge der angenehme Ausblick auf die
schönen Triften und Zacken der Berge und das prächtige Thal der Simme.
Dazu kommt miseris solamen, socios habere, Leidensbrüder, die ein theilnehmendes
Herz und jene Vertraulichkeit und jenes Verständniss mitbringen, die das eigene Leiden
für das fremde erweckt und ausbildet.
Die sich sympathischen Frauenherzen finden sich (wie das bei schönen und empfind¬
samen Seelen ja überall der Fall ist), und die Männer fragen nicht lange, ob, sondern
direct: „Heit Dir scho mängs mal Bluetstürze gha.“ — Neuling: „Bhüetis näi, erst
zwenischtl <( Den Novizen streift ein mitleidiger Blick. Er hört aber zu seinem grossen
Tröste, dass der Frager schon so und so oft „schwettiwiis“ Blut gespuckt hat und sich
jetzt wieder „ganz gut“ befindet „I chönt Uber d’Berge-n-us“ („wenn i wett“, flüstert
Mephisto hämisch).
Es ist eigentümlich, welche grosse Zahl Schwerkranker sich in Weissenburg zu¬
sammenfindet Der bisher so vereinsamte Blutstürzler sieht sich zu seiner Beruhigung
in zahlreicher und — was man nicht übersehen wolle — in gar nicht Übel sich präsen-
tirender Gesellschaft Es freut ihn, zu conetatiren, dass so manches dem Grabesrande
nur mühsam entronnene Leben wieder neu aufblüht, so manche infiltrirte Lunge wieder
Capacität genug sich erarbeitet hat, um ihren homo sapiens ohne grosse Mühe auf die
umliegenden Höhen zu bringen.
Man gewinnt nach und nach seinen Curort lieb; wir verdanken das Wohlbehagen,
das uns die Leiden erträglicher macht, ceteris paribus, hauptsächlich den Menschen, die
uns umgeben. So habe ich meinen Leidensgenossen ein dankbares Andenken bewahrt;
ich hege für die lieben Collegen, die ich in Weissenburg fand, ein Gefühl warmer und
aufrichtiger Freundschaft Vor Allem aber ist mir der Gurarzt, der einst unsere sanitarische
Herrsäule so wacker und so umsichtig leitete und nun auch hier die grosse Schaar Maroder
und Kranker getreu und einsichtig, fest aber suaviter in modo dirigirt, lieb und werth
geworden. Ich wünsche, dass er seine Ansicht und seine reiche Erfahrung über die bis¬
her so unsichere und erfolglose Therapie der acuten Lungenblutungen recht bald seinen
Collegen mittheilt
Der Postwagen rollte Thun zu und bald entzog der hässliche Qualm des nissigen,
pustenden Ungethüms meinen Augen den behäbigen Hüter des Einganges des Simmenthales,
den stattlichen Niesen.
Weissenburg, leb' wohl! A. Baader.
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IiUzern. Dr. Franz Bücher f hat es wohl verdient, dass einer seiner vielen Freunde
ihm einen kurzen Nachruf widmet. Im privaten wie im öffentlichen Wirken hat er eine
seltene Bescheidenheit mit grösster Arbeitsamkeit, Ausdauer, Wissenschaftlichkeit, Un¬
parteilichkeit vereinigt. 8einen Freunden bewahrte er unverbrüchliche Treue bis zum
Tode; Gegner fand er nur da, wo es galt, Rohheit und Gewaltthätigkeit, Unwissenheit
und Gemeinheit entgegenzutreten. Dr. Bücher wurde geboren den 19. Juli 1833 in 8t.
Urban, wo sein Vater Klosterarzt war. Allda besuchte er die Primarschule, dann 8 Jahre
lang das Lehrerseminar (für ihn als Progymnasium), und Kenntniss im Lateinischen und
Uebung im Freihandzeichnen erwarb er sich nebenbei. Er bezog dann das Gymnasium
zu Luzern, wo er mit Auszeichnung studirte. Im Frühjahr 1854 starb sein Vater in
Willisau; im Herbste desselben Jahres begab er sich mit dem leider schon länger ver¬
storbenen Dr. Franc Jenni und dem Verfasser dieses Nachrufes auf die Hochschule. Wir
drei blieben getreueste Freunde während unserer ganzen Universitätszeit, die wir in Zü¬
rich, Würzburg, Prag und Wien zubrachten. Wir hörten unter Anderm Ludwig , KölHker,
Bamberger , Scanzoni , Seifert, Pitha , Oppolzer , Hebra, Arlt. Ernste Studien, heitere Stunden,
Alles ging gemeinschaftlich. Bücher machte sich als guter Zeichner daran, alle anatomi¬
schen Demonstrationen wo möglich im Bild zu erfassen. Ja, er zeichnete sich selbst
prachtvoll einen vortrefflichen anatomischen Atlas in aller Vollständigkeit. Schon damals
konnten wir bei unseren practischen Uebungen zur physicalischen Untersuchung, die wir
drei häufig an uns selbst anstellten, die Anlage eines Lungenübels entdecken, dem der
gute Freund kürzlich erlegen ist.
Im Jahr 1859 bestund Bücher mit Auszeichnung die Staatsprüfung, worauf er sich
noch nach Paris und Genf begab; an letzterm Orte erwarb er sich die technische Fertig¬
keit eines Zahnarztes. Er liess sich nun in Luzern als Practiker nieder und verehelichte
sich im Jahr 1867 mit der Tochter des verstorbenen Herrn Fürsprechers Elmiger. Der
Weg eines practicirenden Arztes war indessen nicht so ganz nach der Neigung unseres
Freundes. Desto mehr glänzte er als 8ecretär des Sanitätswesens des Cantons Luzern;
er war zum Sanitätsbeamten wie gemacht StrengBte Ordnung, Raschheit im Arbeiten,
Gründlichkeit in den Gutachten zeichneten ihn aus. Wie schön entledigte er sich im
Jahr 1871 seiner vielen Aufgaben im Sanitätsdienste bei der unserm Canton zugewiese¬
nen Abtheilung internirter Franzosen. Verdientes Lob wurde ihm hiefür von den canto-
nalen und eidgenössischen Oberbehörden zu TheiL
Ohschon durchaus kein Demonstrant, obschon sein Wirken der grossen Menge sich
entzogen hatte, ehrte ihn die Gemeinde Luzern 1873 nach dem Tode des Herrn Dr. Jost
Elmiger doch mit der Wahl in die 8tadtbehörde, in welcher er sich namentlich mit den
städtischen Schulen zu beschäftigen hatte als Schulverwalter und Präsident der Schul¬
commission. Man darf wohl behaupten, dass ihn in diesen Functionen nicht leicht Je¬
mand an Liebe, Wärme und Sachkenntnis überragen wird.
Unter den Aerzten, in cantonalen und eidgenössischen Gesellschaften galt er viel.
Seit mehreren Jahren, war er Präsident der cantonalen ärztlichen Gesellschaft, vorher
Mitglied des Comitä’s; seine wissenschaftlichen wie humoristischen Vorträge wurden stets
mit Beifall aufgenommen. Wir dürfen auch beifügen , dass Bücher' s Gegenwart in der
Sanitätsbehörde derselben einen Nimbus von Unparteilichkeit verlieh, von dem wir hoffen,
dass er in unserer Zeit des erschütterten Glaubens an Justiz und Verwaltung auch in
Zukunft fortdauern werde.
Seiner Familie war Freund Bücher ein unendlich liebevoller Sohn, Bruder, Gatte und
Vater; wie hat er sich hingegebeu, Zeit die Menge geopfert, wo es galt, zu heilen, zu
trösten, zu pflegen!
Im Laufe des Jahres 1877 schien unser Bücher etwas matter und magerer zu wer¬
den ; bald zeigten sich die Folgen eines unheilbaren Uebels (Diabetes) in Anfachung der
lange ruhig gebliebenen Krankheitsanlage in den Lungen und ohne besonders auffällig
krank gewesen zu sein, starb er rasch an Catarrh und Blutüberfüllung der Lungen am
23. Januar 1878.
Der Schlag kam unerwartet und war hart für seine Familie und niederschlagend für
seine Freunde. Ein ausserordentlich zahlreiches Leichenbegängniss legte Zeugniss ab für
die grosse Achtung, in der Dr. Bücher bei allen Classen der Bevölkerung, zumal aber
auch bei seinen Collegen, gestanden war. Sein Andenken wird fortleben. Steiger.
Google
Digitize-
123
Woolienbeiriolit.
Schweiz.
Aargan. Auf Brestenberg starb den 11. Februar nach langem Leiden Dr. Adolf
Erismann , ältester 8ohn des verehrten Besitzers der dortigen Kaltwasseranstalt. Die zahl¬
reichen Studienfreunde des Verstorbenen, die mit Trauer seit vielen Jahren die körper¬
lichen und geistigen Kräfte des Collegen langsam schwinden sahen, werden demselben
eine freundliche Erinnerang bewahren.
Haftel« Soeben ist es den Behörden der Universität Basel gelungen, Herrn Prof.
J. KoUmann aus München für die durch Hoffmann 's Tod erledigte Stelle für Anatomie zu
gewinnen. Wir begrüssen in Herrn KoUmann eine bewährte und doch noch frische Lehr¬
kraft, einen durch eine Reihe anerkannter, vorzugsweise histologischer Arbeiten rühmlich
bekannten Forscher, einen eifrigen Förderer der anthropologischen Studien (namentlich
als ständigen Secretär der deutschen anthropologischen Gesellschaft) und einen, Mann, der
es verstanden hat, auch in weiterem Kreise als Persönlichkeit sich beliebt zu machen.
Hoffen wir, dass er, wie so manche seiner deutschen Landsleute, in Basel wirklich eine
zweite Heimath finde, wo er sich auch in den bescheideneren Verhältnissen seines neuen
Wirkungskreises wohl fühle und seine Befriedigung finden werde.
Ausland.
Berlin. Nach den Zusammenstellungen des Königl. statistischen Bureaus sind in
Preussen im Jahre 1875 gestorben
: 356,860 m.,
320,942 w.
., ausserdem todtgeboren
26,301 m., 20,701 w.
*
1
Altersclassen
Todesursachen:
in Procenten,
der Gestorbenen
in Procenten.
m.
w.
unter bis Jahr
m.
w.
Angeborene Lebensschwäche
4,95
4,45
1
34,30
30,72
Atrophie der Kinder (Abzehrung)
2,64
2,78
Im Kindbett gestorben
2,25
1—2 Jahr
7,65
8,04
Altersschwäche (über 60 Jahr)
8,48
11,77
Pocken
0,14
0,14
2— 3
9
3,65
3,79
Scharlach
1,70
1,72
Masern und Rötheln
1,13
2,21
3— 5
9
3,81
3,94
Diphtherie und Croup
6,88
6,05
Keuchhusten
1,41
1,00
5—10
9
3,90
4,18
Typhus
2,04
2,90
Dysenterie
1,14
1,15
10—15
»
1,54
1,80
Einheimischer Brechdurchfall
1,83
1,86
Diarrhoe der Kinder
1,40
1,34
15—20
9
1,91
1,84
Acuter Gelenkrheumatismus
0,21
0,21
Scrophulosis und Rachitis
0,24
0,25
20—25
T>
2,53
2,36
Schwindsucht
12,66
11,52
Krebs
0,70
1,04
25-30
9
2,33
2,72
Wassersucht
2,35
3,76
Apoplexie
4,00
3,82
30—40
9
5,05
5,72
Luftröhrenentzündung und Lungen-
catarrh
0,85
0,83
40-60
7)
5,94
5,16
Lungen- und Brustfellentzündung
4,20
3,43
Andere Lungenkrankheiten
1,02
1,43
50-60
9
7,82
7,05
Herzkrankheiten
0,53
0,64
Gehirnkrankheiten
1,93
1,57
60—70
9
8,46
9,22
Nierenerkrankungen
0,37
0,25
Krämpfe
17,72
16,07
70-80
9
7,51
8,98
Selbstmord
0,81
0,17
Mord und Todtschlag
0,11
0,05
über 80
9
2,61
3,57
Unglücksfälle
2,67
0,72
Nicht angegeben und unbekannt
16,04
14,94
unbekannt
1,00
0,91
Summa
100 m.
100 w. j
Summa
100 m.
100 w.
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1*24
Breslau« Prof. Ponfick hat einen Ruf an den durch die Berufung Prof. Cohnheim'»
nach Leipzig vacant gewordenen Lehrstuhl der pathologischen Anatomie erhalten und an¬
genommen.
Deutschland« Prof. Klebs in Prag wurde zum correspondirenden Mitglieds der
kön. Gesellschaft der Aerzte in Pest — und zum auswärtigen Mitgliede der Norwegischen
medicinischen Gesellschaft ernannt.
' England. Eine neue Methode, Metrorrhagien post partum zu
stillen, lesen wir im „Practitioner“, Nr. 1, Jahrg. 1878.— Dr. W. H. Grifiths wurde in
zwei desperaten Fällen von Blutungen nach der Geburt gerufen uud gebrauchte, um die
Kälte rasch zu erzeugen, den Aether-Spray, welchen er auf Bauch, Rttcken und Geni¬
talien der Frau richtete. Der Uterus contrahirte sich gut und die Blutung stand jedesmal
sofort. Die Vortheile, welche diese Applicationsmethode der Kälte vor den sonst übli¬
chen besitzt, liegen in der Promptheit und Raschheit des Erfolges und in der Reinlichkeit
der Anwendung. (Allg. w. med. Z.)
Leipzig« Trichinenepidemie. Die hiesigen Aerzte Bowohl, wie das ge-
sammte Publicum wurden viele Wochen lang von Mitte October an durch eine nicht ge¬
ringe Trichinenepidemie in eine gewisse Aufregung versetzt, denn es erkrankten gegen
200 Personen zumeist aus den besseren Ständen an Trichinose durch den Genuss soge¬
nannter Mettwurst., die vom Hausfrauen verein aus Braunschweig bezogen worden war.
Zwei Personen starben in Folge der hochgradigen Erkrankung, ein Kaufmann und der
Professor der Theologie, Prof. Brockhaus. Unter den Erkrankten befanden sich auch drei
Aerzte mit einem Theil ihrer Familien: Dr. P. Niemeyer , Dr. Eckstein und Prof. Hübner.
Dass die Mettwurst in der That trichinös war, ist von mehreren Aerzten, unter Anderem
von Prof. Dr. Wenzel notorisch, wenn auch erst nach längerem Suchen, festgestellt. Das
Interessante bei dieser Gelegenheit ist nun der Umstand, dass bei uns, obgleich wir keine
officielle Trichinenuntersuchung haben, bisher nur einzelne wenige Trichinenfälle vorge¬
kommen waren, und dass wir hingegen von einer Stadt aus diese Krankheit in grösserem
Maasse importirt erhielten, von Braunschweig, wo Beit Jahren die Trichinenschau gesetz¬
lich eingefUhrt und mit grosser Strenge gehandhabt wird. Der Braunschweiger Wurst¬
fabrikant C. Rintelmann , der die Würste hierher geliefert hat, versichert, dass seine Waare
durch den bestellten Trichinenschauer Dr. med. Oebnann mit grosser Genauigkeit unter¬
sucht worden ist; trotzdem sind von der aus dieser Quelle bezogenen Waare nicht blos
hier, sondern auch in Stettin, Höxter, Holzminden und anderen Orten zahlreiche Menschen
an der Trichinose erkrankt.
An unsere Stadtbehörde trat nun die Frage heran, ob sie eine locale Trichinen¬
schau für die Zukunft officiell einführen soll Doch stand sie sofort von weiteren Schrit¬
ten nach dieser Richtung hin ab, nachdem sie die Gutachten des 8tadtbezirksarztes,
sowie des Trichinen-Specialisten Prof. Leuckart und des Professors der Thierheilkunde
Zürn eingeholt hatte; denn diese Herren konnten sich im Hinblick auf die bisher ge¬
machten Erfahrungen nicht entschliessen, zu bevorworten, dass ein so grosser und kost¬
barer, noch dazu unsicherer polizeilicher Apparat ins Leben gerufen werde, nur um
einer gewissen Anzahl von Menschen die Möglichkeit zu gewähren, ohne grosse Gefahr
rohes oder halbrohes Schweinefleisch zu gemessen. Man konnte den Rath der Stadt,
sowie das auf eine obligatorische Trichinenuntersuchung hindrängende Publicum auf die
wenig befriedigenden Ergebnisse Braunschweigs hinweiseu. Dazu kam, dass das säch¬
sische Landes-Medicinal-Collegium erst vor kurzem die übertriebene Trichinengefahr auf
ihr eigentliches Maass zurückgefUhrt hatte, da nach den von ihm angestellten Erhebungen
im Verlauf von 16 Jahren im ganzen Königreich Sachsen in 18 Ortschaften 82 Trichinen¬
epidemien mit 1074 Erkrankungen und 18 Todesfällen vorgekommen waren.
Bei dem sich hieraus ergebenden verschwindend kleinen Einflüsse der Trichinose
auf die Gesammtsterblichkeit und bei der Abhängigkeit der Trichinengefahr von blos
localen Unsitten konnte das Landes-Medicinal-Collegium und ebenso unsere Stadtbe¬
hörde die obligatorische Trichinenschau keineswegs für eine nothwendige Maassregel
halten.
(Prag. M. W.)
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125
Stand der Infections-Krankheiten ln Basel.
Vom 26. Januar bis 10. Februar 1878.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Die Gesammtzahl der neu aDgezeigten Masern fälle beträgt 138 (112, 143, 169,
130), davon auf dem Nordwest^lateau 34 (87, 82, 45), Birsigthal 42 (29, 33, 39), Süd¬
ostplateau 26 (18, 45, 18), Birsthal 2 (0, 1), Kleinbasel 34 (2, 9, 27).
Scharlach weist wieder weniger Erkrankungen auf als im letzten Berichte; frisch
angemeldet sind 21 (12, 20, 37), Nordwestplateau 3 (4, 10), Birsigthal 6 (1, 9), Südost¬
plateau 2 (1, 1), Birsthal 2 (4, 1), Kleinbasel 8 (10, 16). Die Abnahme betrifft also be¬
sonders das Nordwestplateau und Kleinbasel.
Typhus nur 3 Fälle (6, 6, 8), wovon 2 vom Südostplateau, 1 von Kleinbasel.
Diphtherie und Croup 17 Fälle (4, 10, 8), Nordwestplateau 3, Birsigthal 5,
Kleinbasel 8.
Puerperalfieber 2 Fälle auf dem Nordwestplateau.
Erysipelas nur 1 Fall (13, 6) auf dem Südostplateau.
Varicellen zerstreut aus der Stadt, vereinzelte Pertussis fälle in Kleinbasel.
Bibliographisches.
1) Glaubensbekenntniss eines modernen Naturforschers. 2. Aufl. 31 S. Berlin, Verlag
von Edw. Staude.
2) Holsbcer , Die Landschaft Davos. Climatischer Curort für Brustkranke. 52 S. Zürich,
Druck von Orell, Füssli & Cie.
3) Wiener Recept-Taschenbuch, Sammlung der in den Kliniken und Ambulatorien des
wiener allgem. Krankenhauses am meisten verordneten und anderer bei dem Unter¬
richte besonders angeführten Recept-Formeln der k. k. Professoren und Docenten:
Arlt, Bamberg er , Benedict , Bilhroth etc. etc. Nebst einem Anhänge über Vergiftungen
von Czvberka. Fünfte Auflage. Wien, Verlag von Fromme.
4) Spamer, Physiologie der Seele. Die seelischen Erscheinungen vom Standpuncte der
Physiologie und der Entwicklungsgeschichte des Nervensystems aus wissenschaft¬
lich und gemeinverständlich dargestellt. 312 S. Stuttgart, Verlag von F. Enke.
5) Braun , Die Echinococcuscysten der Nieren und des perirenalen Bindegewebes von
Prof. Simon f. 76 S. Stuttgart, Verlag von F. Enke.
6) Emmet, Bisse des cervix uteri als eine häufige und nicht erkannto Krankheitsursache
und die Behandlung derselben, übersetzt von Vogel 47 8. mit 7 Holzschn. Berlin,
bei Denicke.
7) Kirchner , Lehrbuch der Militärhygieine. Mit 88 Holzschn. und 8 lith. Tafeln. 568 8.
Stuttgart, Verlag von F. Enke.
8) Schrank , Das 8totterübel, eine corticale Erkrankung des Grosshirnes. Ein Beitrag
zur Aetiologie des Stotterns. 135 S. München, Verlag von A. Finsterlin.
9) Bericht des Gemeinderaths der Stadt Bern an den Grossen Stadtrath, über Gemeinde¬
verwaltung im Jahre 1876. Bern, Druck von Wyss.
10) Zehnter Jahresbericht des engeren Comitä des St. Gallischen Hülfsvereins für gene¬
sende Gemüthskranke über das Jahr 1876. Wallenstadt, Druckerei Linder.
11) Comple-Rendu de la maison des enfants malades (Chemin Gourgas-Plainpalais) 1872
4 1877. Genöve, Imprimerie cooperative.
12) Gleitsmarm , Bionnial Report of the mountain Sanitarium for pulmonary diseases, Ashe-
ville N. C. Baltimore, Sherewood Printers.
18) Zehnder tf Lotz, Schutzpockenimpfung und Tendenzstatistik. Zur Beleuchtung der
kritisch-statistischen Studien des Herrn Prof. Dr. Ad. Vogt in Bern (8eparatabdruck
auB dem Corr.-Bl. und der Zeitschr. für Schweiz. Statistik). Zürich, Verlag von
Cäsar Schmidt.
14) Cubasch t Die Tuberculose des Kleinhirns. Ein Beitrag zur Lehre von den Klein¬
hirntumoren. 175 8. Mit lithogr. Tafeln, Zürich, Zürcher & Furrer.
16) Köberle, Operations chirurgicales. De l’hdmostase definitive. Avec 26 flgures. 66 p.
Paris, Librairie Bailliöre & Als.
Digitized by
Google
126
10) Hoffmann, Lehrbuch der gerichtlichen Medicin, mit besonderer Berücksichtigung der
österreichischen und deutschen Gesetzgebung. II. Hälfte. Wien, Urban & Schwar¬
zenberg.
17) Benecke, Die anatomischen Grundlagen der Constitutionsanomalien des Menschen.
262 S. Marburg, Elwert’scher Verlag.
18) Wiener Klinik , III. Jahrg., 12. Heft: Lewandowski , Die Anwendung der Electricität in
der practischen Heilkunde. IV. Jahrg., Heft 1 und 2 : Rosenthal, Die Diagnostik und
Therapie der Rückenmarkskrankheiten nach dem heutigen Standpuncte dargestellt.
Wien, Urban & Schwarzenberg.
19) Künstle , Kohlenstoffskizzen. 00 S. München, Ackermann’s Verlag.
20) Wiel Sf Gnehm, Handbuch der Hygieine, I. Lieferung. Mk. 1. 60. 80 S. Carlsbad,
Feller’s Verlagsbuchh.
21) Wiel , Tisch für Magenkranke. 4. gründlich renovirte Aufl. 208 8. 6 Mk. Carls¬
bad, Feller's Verlagsbuchh.
Briefkasten.
Herrn Dr. Schnyder in Pegli: Correctur wird hier besorgt. Herzliche Grösse. Vom Frühjahr
merken wir bei uns noch nichts! — Herrn Dr. Reifer: Besten Dank für Ihren Brief. Der betreffende
Gegenstand soll ins Augo gefasst werden. — Herrn Dr. Treichler in Stäfa: Da Manuscript und Cor¬
rectur nicht zurückkehrten, mössen Sie allfällige Druckfehler entschuldigen. — Herrn Dr. A. in
Nenchätel: Mit Dank erhalten. — Herrn Prof. K.: Vollkommen Deiner Ansicht, habe abgewunken.—
Herrn Dr. Z. in Z.: Durch das Aufdecken von Fehlern Anderer wächst oft die eigene Einsicht und
Klugheit mehr, wie durch leuchtende Beispiele. Darum mein Wunsch. Hoffentlich finden Sie die
nöthige Müsse, dem Wunsche gerecht zu werden. Herzliche Grösse.
Herzlichen Dank den Herren Aerzten.
AJs vor Kurzem Seitens ausländischer Verkäufer sogenannter Bitterwässer die Grundlagen ver¬
ändert wurden, auf denen der Handel mit natürlichen Mineralwässern bisher beruht hatte, entstand
für uns unter Anderem namentlich die Frage, ob wir diesen Händlern auf die abschüssige Bahn
reclamhafter Anpreisung folgen oder den bisher von uns inne gehabten soliden Weg weiter wandeln
sollten. Wir zogen das Letztere vor in der Erwägung, dass der Consum eines Mineralwassers in
letzter Instanz von dem sachverständigen und durch Beclame nicht zn beeinflussenden Urtheil
der Aerzte abhängig ist.
Unser Vertrauen auf dieses Urtheil hat uns nicht getäuscht! Nicht nur, dass von im höchsten
Grade conmetenten Autoritäten die Unterschiede in der Zusammensetzung und Wirkung der ver¬
schiedenen Bitterwässer und die Vorzüge des Friedrichshaller ohne unser Zuthun gewürdigt worden,
hat sich der Consum auch im abgelaufenen Jahre nicht nur nicht verringert, sondern im Gegentheil
wesentlich gehoben.
Wir constatiren, dass sich die Wissenschaft durch Reclame nicht vom rechten Wege abbringen
lässt und nehmen Veranlassung, den Herren Aerzten hierdurch unseren besten Dank für das un¬
veränderte Vertrauen zn unserer Heilquelle auszusprechen.
Die Biunnendirection Friedrichshall.
_ [H-307-Q] O. Oppel &, Co.
Auf das Schlusswort
des Herrn Füri in Nr. 3 d. BI. constatire ich nochmals:
1) dass meine Aerztlichen Journale lange vor den Füri’schen erschienen sind;
2) dass Herr Füri meine Journale genau gekannt hat, indem ich ihm kurz vor Erscheinen seiner
Patienten-Journale auf seinen Wunsch die Bogen meiner Journale zur Einsicht gesandt habe;
3) Dass die Krankentabellen der Füri’schen Patienten-Journale mit den Krankentabellen meiner Journale
tllr Landärzte, wenige ganz unwesentliche Abänderungen ausgenommen, identisch sind.
Gestützt auf diese Thatsachen wiederhole ich meine Behauptung, dass die Füri’schen Patienten-
Journale eine Nachahmung der Krankentabellen meines Journals für Landärzte seien.
Hält Herr Füri diese Anschuldigung für eine Verleumdung, so möge er mich dafür
belangen, Ich gewärtige seine Klage.
Auf die Aufforderungen des Herrn Füri habe ich weder Zeit noch Lust einzutreten, ich über¬
lasse das Schiedsrichteramt dem gesammten ärztlichen Publikum, welches in dieser Angelegenheit
wohl schon sein Urtheil gefällt haben dürfte.
Diess mein letztes Wort hier und in dieser Sache.
Bern, 8. Februar 1878. Otto Koeser,
in Fa. Max Fiala’s Buchhandlung.
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127
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Zeitschriften.
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Prot C. Hueter u. Prot A. Lfieke
in Greifswald in Straesburg.
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Ton
Prot E. Klebe Prot B. Nannjrn
in Prag in Königsberg
Prot 0. Sehmiedeberg
in Straeebnrg.
pro Band 15 M.
Deutsche Zeitschrift
für
Thiermedicin
und
vergleichende Pathologie.
Herausgegeben
von
Prof. 0. Bollinger u. Prof. L. Franek
in München in München,
pro Band 9 M.
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Ohrenheilkunde.
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Prot r. TrSlteeb Prot A. Politaer
in Wftrxbnrg in Wien
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St. Gallen Mitte Februar 1878.
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Dr. Alb. Barekhardt-Merian und Dr. A. Baader
Priratdocent in Basel. in Geltarkindeo.
N° 5. VEH. Jahrg. 1878. 1. März.
Inhalt: 1) Originalarbel tan:Dr. H. Schnyder: Die Lnngenblntuntren, ihr Verhalten snr Weissenhnrgcnr and ihre
Therapie. — Prot Kocher: Exdsion des brandigen Darms bei eingeklemmtem Schenkelbmch and Heilung durch Darmnaht. —
Dr. Bneggitter: Beitrag snr Frage der „Arznei-Exantheme' 1 . — 2) Vereinsberichte: Medicinische Gesellschaft in Basel. —
8) Beferate and Kritiken: Dr. Th. Kocher: Zar Prophylaxis der fongösen Gelenkentsfindung mit besonderer Berflckriehti-
gang der chronischen Osteomyelitis and ihrer Behandlung mittelst Ignipanctar. — Dr. Front Soll: Das Princip des Wachs¬
thains. — Schtearite: Pathologische Anatomie des Gehörorgans. — 4) Cantonale Correspondenzen: Appenzell, Nenenbnrg,
Beisebriefe ans dem Sfiden. — 6) Woehenberieht. — 6) Bibliographisches. — 7) Briefkasten.
Original-Arbeiten.
Die Lungenblutungen, ihr Verhalten zur Weissenburgcur und ihre Therapie.
Von Dr. H. Schnyder.
„Die Praxis ist macroscoplsch und so muss
die dazu führende Beobachtung es auch sein . 11
Stromeyer, Erinnerungen.
Beim Durchsehen der während der zwei Sommersaisons 1876 und 1877 in
Weissenburg aufgenommenen Krankengeschichten fand ich, dass nicht weniger als
416 der von mir daselbst behandelten Kranken im Verlauf ihres Leidens und vor
ihrem Eintreffen in Weissenburg schon an Blutspeien gelitten und theilweise auch
schon sehr bedeutende und selbst wiederholte Pneumorrhagien überstanden hatten.
Obwohl Weissenburg alljährlich manche Schwerkranken aufnimmt, die nie
Blut ausgeworfen haben und die der Art ihres Leidens nach auch kaum je Hä¬
moptoe haben können, und obschon ferner die Thatsache des Blutauswerfens an
und für sich noch keineswegs auf eine schwere Erkrankung schliessen lässt, so
dürfte jene grosse Zahl der Hsemoptoiker denn doch darauf hinweisen, dass nach
Weissenburg recht viele schwer Erkrankte kommen, und dass die Benützung der
Weissenburgcur, die ein so wichtiges Glied in der Kette der antiphthisischen Maass¬
nahmen bildet, in zahlreichen Fällen weit hinausgeschoben wird.
Der Ursachen, welche den Besuch unseres Curorts in so vielen Fällen verzö¬
gern, gibt es mehrere. Ganz abgesehen von dem Umstande, dass in einer frühem
Periode des Krankseins den betreffenden Kranken, oder deren Aerzten Weissen¬
burg eine terra incognita gewesen sein mochte, gibt es bekanntlich viele Brust¬
leidende, die absolut nicht den Namen haben wollen, brustkrank zu sein, und für
welche der Besuch Weissenburgs in dieser Hinsicht ein Zugeständnis wäre, das
sie vorläufig weder sich selbst, noch viel weniger Andern machen wollen. Dann
ist heutzutage der an und für sich ganz richtigen Ansichten entsprungene Zug
9
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13Ö
l
nach den sogen. Luftcurörten so sehr Mode und auch Schablone geworden , dass
viele Kranke ihre Sommercur an einem beliebigen Luftcurorte beginnen und erst
gegen den Herbst hin zu merken anfangen, wie verkehrt es war, sich nicht zuerst
in Weissenburg einen kräftigen Anstoss zur Besserung zu holen und erst nachher
den indifferenten Luftcurort zur Nachcur zu beziehen. Solche Kranke kommen
dann gegen Ende der Saison noch schnell nach Weissenburg, oder auch erst das
Jahr darauf, wenn überhaupt ihr Befinden es noch erlaubt. Endlich gibt es immer
noch Colleges, die ihre Kranken für so lange als „noch nicht reif für Weissen¬
burg“ ansehen, als dieselben noch nicht „auf dem letzten Loche pfeifen“, und die
dann begreiflicherweise bei ihren, schliesslich doch noch nach Weissenburg instra-
dirten Patienten einen günstigen Erfolg nicht mehr erhalten können.
Wichtiger als solche Betrachtungen erscheint Angesichts der vielen in Weis¬
senburg Hülfe suchenden Haemoptoiker die Frage, wie sich denn die Lungenblu¬
tungen zu der nichts weniger als indifferenten Weissenburgcur verhalten, ist es
doch eine ganz zweifellos dastehende Thatsache, dass durch den Gebrauch unse¬
rer Therme ein gewisser Grad von fluxionärer Hyperaemie in den kranken Lungen¬
partien zu Stande kommt.
Nehmen wir einen einfachsten Fall. Die physicalische Untersuchung ergibt
über der einen Lunge in ihrer ganzen Ausdehnung einen im Allgemeinen etwas
weniger sonoren Percussionston; stellenweise erscheint derselbe tympanitisch,
stellenweise finden sich deutlichere Dämpfungsbezirke und daselbst ist auch etwas
mehr Resistenz vorhanden. Auscultatorisch nehmen wir rauhes Inspirium und ver¬
längertes Exspirium, stellenweise saccadirtes Athmen und, entsprechend den
gedämpftem Stellen, etwas Bronchophonie und verstärkten Stimmfremitus wahr.
Fügen wir hinzu, dass besagte abnorme Erscheinungen nur für den mit sol¬
chen Untersuchungen wohl Vertrauten vollkommen sicher vor¬
handen sind, und dass vielleicht sonst der Fall zu denen gehört , wo „man
noch nichts zu finden vermag“. Der Patient hustet indessen schon lange, hat auch
etwas eitrig-schleimigen Auswurf und ist in letzter Zeit etwas magerer und auch
blasser geworden; dabei ist er aber ohne eigentliches Fieber und hat auch guten
Appetit; die Respiration ist nur beim Steigen etwas beengter, als das früher sonst
der Fall war. Diagnose: allgemein chronisch-catarrhalische Erkrankung der be¬
treffenden Lunge mit disseminirt peribronchitischem Processe in derselben.
Nach 8—lOtägigem Curgebrauche werden sich die beschriebenen Verhältnisse
dahin geändert haben, dass in der betreffenden Lunge überhaupt kein rauhes Ath¬
men, sondern ein nur sehr unbestimmtes, stellenweise vielleicht gar kein Athmungs-
geräusch mehr wahrnehmbar ist; dabei hat der Patient das Gefühl der Schwere,
ja einer gewissen Beklommenheit auf der Brust und er entdeckt vielleicht am 10.
oder 12. Tage der Trinkcur einige Blutstreifen im sorgfältig beobachteten Aus¬
wurfe ; endlich machen sich über diese Zeit wohl auch einige Fieberregungen be¬
merkbar. Diese Erscheinungen sind kaum anders, als durch die Annahme einer
fluxionären Hyperaemie und Schwellung der Bronchialschleimhaut und wahrschein¬
lich auch des interstitiellen Gewebes erklärlich und berechtigen daher dazu, diese
Periode der Curwirkung als Schwellungsstadium anzusprechen.
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Im Verlaufe der nächstfolgenden Tage verändert sich der auscultatorische
Befund wiederum. Zuerst nur in leisen Anklängen, dann bald deutlicher, aber
vorerst nur sparsam über die afficirte Lunge zerstreut, erscheinen einzelne feuchte,
kleinblasige Rhonchi; diese werden dann bald zahlreicher, und endlich hört das
aufgelegte Ohr ein über die ganze Lunge verbreitetes, reichliches, weiches, feines
Schleimrasseln. Es ist das die Periode der Lösung. Es hatte, offenbar der fluxio-
nären Hypersemie consecutiv, als Ausdruck des verstärkten Blutdruckes auf die ca-
pillaren Gefässwände eine leichtgradige seröse Transsudation oder Infundation der
Schleimhaut und vielleicht selbst des interstitiellen Gewebes stattgefunden, und
auf der anfänglich trockenen, dann geschwellten Schleimhaut und in den Alveolen
ist eine schleimige, emulsionähnliche Absonderung zu Stande gekommen. Diese
Lösungssymptome ähneln sehr denen, die wir in der Resolutionsperiode einer
croupösen Pneumonie zu beobachten gewohnt sind. Sie treten mehr oder weniger
reichlich und deutlich gewöhnlich im Verlaufe der zweiten , seltener erst in der
dritten Woche der Weissenburgcur und zwar meist ganz spontan ein; nur in einer
Minderzahl der Fälle, in denen die Beklemmungserscheinungen stärker als ge¬
wöhnlich hervortreten, bedarf es der Nachhülfe einiger Schröpfköpfe auf die Brust
und einer leichten Ableitung auf den Darm, um die Lösung herbeizuführen. Dabei
wird das Athmen freier und der Kranke fühlt sich auf dem Wege der Genesung.
Es ist für unsern Zweck nicht nöthig, den Fall weiter zu verfolgen, handelte
es sich doch nur darum, das Erscheinen fluxionärer Zustände im Verlaufe der
Weissenburgcur zu skizziren. Dagegen wird die Mittheilung von Interesse sein,
dass fluxionäre Hypersemien mit consecutiver Durchfeuchtung und nachfolgender
Retromorphose vorhandener Infiltrate — resp. Erweichung und Ausstossung käsi¬
ger Herde — nicht nur in den Lungen, sondern auch in andern Organen zu
Stande kommen. Es sind bezüglich Leberanschoppungen ältere, günstige Beob¬
achtungen vorhanden, und ich selbst habe im Sommer 1877 zwei Fälle sehr be¬
deutender Uterusintumescenz während einer vierwöchentlichen Cur grossentheils
zurückgehen sehen. Endlich braucht wohl nicht beigefdgt zu werden, dass der
skizzirte Fall gleichsam ein idealer, ein Typus ist, wie solche mit ihrer vollkommen
gleichmässigen Reihenfolge in den Curerscheinungen nicht tagtäglich zu beobach¬
ten ist. Immerhin habe ich mehrere solche „Schulfälle“ genau verfolgt und auch
Gelegenheit gehabt, einzelne Perioden einigen in Weissenburg zur Cur anwesen¬
den Collegen demonstriren zu können.
Es ist keine Frage, dass es bei einfach catarrhalisch erkrankter und aufge¬
lockerter oder überhaupt sehr zarter Bronchialschleimhaut in Folge von Hyper¬
ämie zu Blutungen durch Diapedesis oder durch Berstung capillärer Gefässe kom¬
men kann. Um so leichter werden Lungenblutungen zu Stande kommen, wenn
die Congestion einen bereits exulcerirten Theil der Mucosa oder des Lungengewe¬
bes selbst trifft, ein Verhältnis, welches zwar ganz selbstverständlich zu sein
scheint, aber dennoch gewöhnlich zu wenig Berücksichtigung findet. Es wird
nämlich bei heftigem Lungenblutungen im Allgemeinen viel zu viel von arrodiiten
und gesprungenen „grossem" Gefässen gesprochen und dagegen auf den hyper-
semischen oder congestiven Zustand kranker und blutender Lungenpartien zu wenig
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Gewicht gelegt. Mir scheint aber, dieses Verhältniss bilde gerade die Grundlage
eines rationellen therapeutischen Verfahrens, indem es wohl in unserer Macht steht,
den Blutandrang gegen die Lungen künstlich herabzusetzen, während wir auf ge¬
sprungene Lungenarterien keinen directen Griff haben.
Als die gewöhnlichsten zu Ulceration und gelegentlich auch zu Gangrän füh¬
renden Affectionen treffen wir bekanntlich die peribronchitischen und broncho-
pneumonischen Processe und deren weitere Entwicklung zur Tuberculose, dann
die Einbrüche von Empyemen und erweichten Bronchialdrüsen, seltener, doch
durchaus nicht so selten als man gewöhnlich annimmt, den syphilitischen Process,
womit auch die Angaben von R. Thomson (Lancet 1877, Vol. II, Nr. XI) und Mc.
Lane Tiffany (Amer. Journ. of Med. sc., July 1877) übereinstimmen. Unter den
Blutspeiern der beiden Sommer fanden sich drei, deren Grundleiden sich als sy¬
philitischer Natur herausstellte; die mit Jodkalium combinirte Weissenburgcur war
in allen drei Fällen von bestem Erfolge.
Die Gefahren einer Lungenblutung sind mannigfach. Bei heftiger Pneumor-
rhagie kann sofortige Erstickung eintreten; bei weniger profusen Blutungen sind
die der Verstopfung von Bronchiolen und Lungenalveolen durch ßlutpfröpfe cou-
secutiven entzündlichen Vorgänge, sowie die kleinern oder grossem hämorrha¬
gischen Infarcte mehr zu fürchten, als die directe Schwächung des Kranken durch
den Blutverlust. Das vorhandene Lungenleiden orfahrt dadurch gewöhnlich eine
V erschlimmerung.
Von den gewöhnlichsten Ursachen activer Lungencongestionen, resp. Lungen¬
blutungen sind hervorzuheben: Kalter Trunk und plötzliche, starke Abkühlung der
Körperperipherie durch kalte Bäder. Eine grosse Anzahl von Lungenkranken, de¬
ren Leiden sich mit einer sogen. Initialblutung einführte, beschuldigt ein gerade
vorher und rasch getrunkenes Glas kalten Bieres oder Weines- Nach Experimen¬
ten, die Herrmann und Ganz in dieser Richtung an Hunden und Katzen angestellt
haben, steigt nach einer Einspritzung von kaltem (0°) Wasser in den Magen der
mittlere Blutdruck um 40—60 Mm. Quecksilber, so dass an der Schädlichkeit des
kalten Trunkes bei Brustkranken nicht gezweifelt werden darf. Als weitere ätio¬
logische Momente kennen wir den Genuss aufregender Getränke: Kaffee, Thee
und Spirituosen, dann bedeutende körperliche Anstrengungen, namentlich das Stei¬
gen, aber auch anhaltend lautes Sprechen und endlich Gemüthsaufregungen. Be¬
kanntlich tritt bei zu Blutungen disponirten Brustkranken auch bei Gewitterschwüle
und herrschendem Föhn gerne Hsemoptoö ein, doch mag es fraglich bleiben, ob
in diesen Fällen die Blutung nicht eher Folge einer passiven oder Stauungshyper-
remie ist, hervorgerufen durch den erschlaffenden Einfluss des verminderten Luft¬
druckes und des Föhn auf die Herzthätigkeit. Ein congestiver Zustand der kran¬
ken Lungenpartien wird endlich, wie bereits genügend hervorgehoben, auch durch
den Gebrauch der Weissenburgtherme herbeigefuhrt.
LungenblutuDgen befallen bekanntlich die Kranken nicht selten im Zustande
eines scheinbar vollkommenen Wohlbefindens, gewöhnlich macht sich aber die der
Hämoptyse vorhergehende Congestion denn doch durch Eingenommenheit des
Kopfes, Beklemmung und Herzklopfen bemerkbar. Oft wird tagelang vor Eintritt
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der Blutung über vage Schmerzen in der der kranken Lungenspitze entsprechen¬
den Schulter geklagt, Schmerzen, die nicht selten als „Schulterrheumatismus“ ge¬
deutet werden, in Wirklichkeit aber als Ausdruck einer entzündlichen Regung in
der betreffenden Lungenspitze, respective in den entsprechenden Pleurabezirken
erscheinen. Es sind diese Schmerzen Prodrome, die nicht unbeachtet bleiben oder
missdeutet werden dürfen.
Dem oben Gesagten zufolge sollte man glauben, dass Kranke, welche leicht
Lungenblutungen bekommen, in Weissenburg Gefahr laufen, wieder Blut auszuwerfen.
Es ist dem jedoch nicht so. Im Gegentheile ist es nicht nur sehr selten — aller¬
dings eine gehörige Ueberwachung der Curwirkung vorausgesetzt —, dass Blu¬
tungen bei Kranken auftreten, die vorher nie Blut gespuckt hatten, oder dass
Hsemoptoe bei solchen wiederkehrt, die früher schon Pneumorrhagien überstanden
haben, sondern es ist geradezu überraschend, wie Kranke, die mit Heemoptoö nach
Weissenburg kommen, nach einiger Zeit des Curgebrauchs den Blutauswurf sich
vermindern und dann gänzlich wegbleiben sehen.
Von sämmtlichen im Verlaufe des Sommers 1877 von mir behandelten Kran¬
ken, die vor ihrem Eintreffen in Weissenburg nie Blut ausgeworfen — es bilden
dieselben die grosse Mehrzahl der Curgäste —, bekamen nur vier je an einem
Vormittag leicht blutigen Auswurf und blos zwei wurden von zwar geringen, jedoch
eigentlichen Lungenblutungen überrascht. Von den 226 Patienten dieses Sommers,
die früher schon an Hsemoptoe gelitten hatten, zeigte sich im Ganzen nur bei vier¬
zehn derselben vorübergehend blutgestreifter Auswurf; eigentliche, doch immerhin
nur massige Blutungen erfolgten bei fünf Kranken dieser Categorie, also nur bei
2,21% derselben. Endlich verliessen sechs Patienten, welche mit seit mehreren
Wochen andauerndem Blutspeien in Weissenburg angekoramen waren, den Curort,
ohne dass sich schliesslich mehr eine Spur von Blut in ihrem Auswarf gezeigt
hätte.
(Fortsetzung folgt.)
Excision des brandigen Darms bei eingeklemmtem Schenkelbruch und Heilung
durch Darmnaht.
Von Prof. Kocher in Bern.
Wir haben unsere letzte Mittheilung über Ovariotomie mit dem Hinweis dar¬
auf geschlossen, wie sehr die Antisepsis das Gebiet der „peritonealen Chirurgie“
erweitert habe. Der folgende Fall soll einen kleinen Beitrag zur Illustration hiezu
liefern.
Bei Gangrän des Darms bei eingeklemmten Brüchen ist es wohl gegenwärtig
das gewöhnliche Verfahren, dass der Darm in der Wunde fixirt wird, eröffnet und
ein künstlicher After angelegt. Diese Behandlungsweise hat ihre grossen Nach¬
theile. Einmal tritt öfter durch Infection von der Wunde aus Peritonitis ein, sei
es, dass durch Debridement oder Versuche der Einführung von Cathetern in das
obere Darmstück die Verbindung des Darms an der Bruchpforte gelockert worden
und zu Eintritt von Koth oder Brandjauche in die Abdominalhöhle Gelegenheit
gegeben ist, sei es, dass die Entleerung unvollständig ist und oberhalb durch Aus-
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dehnung Perforation zuwege kommt, gelegentlich unter gleichzeitiger Axendre-
hung des durch die Fixation hiezu disponirten Darmes. Ein anderer ungünstiger
Factor, welcher auch nach glücklichem Ueberstehen obiger Gefahren noch sehr
häufig den Exitus herbeiführt, ist die Inanition, mag dieselbe beruhen einfach dar¬
auf, dass der Darm sehr hoch oben eröffnet wurde, oder mögen durch nichts zu
beseitigende catarrhalische Beizungen zu 'profusem Ausfluss aus dem künstlichen
After Anlass geben. Endlich fallen ins Gewicht die grossen Unannehmlichkeiten
dieser widrigen Affection und die Beschwerden und Gefahren einer künstlichen
Beseitigung derselben, falls die Spontanheilung nicht zuwege kommt.
Es ist deshalb sehr wünschenswerth, dass ein besseres Verfahren für diese
Fälle eingeführt werde. Ein solches hat nun die neueste Zeit, ermuthigt durch
die glänzenden Erfolge antiseptischer Verbandmethode wieder näher gelegt, nach¬
dem frühere Versuche (schon von Cooper , Dieffenbach ) nicht ermuthigend ausgefallen
waren. Es ist dies die Ausschaltung des brandigen Darmstücks und
die Vereinigung des zu- und abführenden gesunden Darmabschnittes durch die
Naht. Da aber die Methode auch jetzt nur noch in vereinzelten Fällen geübt ist,
so mag es gestattet sein, einen Fall hier mitzutheilen.
Die 45jährigo Frau W. Wurde am 25. November dieses Jahres der chirurgi¬
schen Klinik von Dr. Dick zugewiesen mit linkseitiger eingeklemmter Schenkel¬
hernie. Der Bruch bestand angeblich erst seit 3 Wochen, war leicht reponibel
gewesen und hatte sich am 23. Abends, als Pat. das Bruchband ablegte, unter
Bauchschmerzen und baldigem Erbrechen ohne nachweisbare Ursache eingeklemmt.
Das Allgemeinbefinden war gut, Abdomen wenig aufgetrieben, wenig schmerz¬
haft auf Druck, dagegen bestanden spontan heftige Kolikanfälle. Der Bruch war
von der Grösse einer ungeschälten Wallnuss, sehr prall, mit deutlich metallisch-
tympaniti8chem Percussionston.
Da nahezu 2 X 24 Stunden seit der Einklemmung verflossen und mehrfache
Taxisversucbe ausser dem Spital waren gemacht worden, so wurde sofort zur Her-
niotomie geschritten. Es fand sich sehr wenig dunkelrothes Bruchwasser, auf der
Vorderseite lag die Darmschlinge dem Bruchsacke unmittelbar an. Kein Netz. Die
Darmschlinge war von blauschwarzer Farbo, von weicherer Consistenz als der Darm
ober- und unterhalb. Die Einschnürung im Schenkelring war ausserordentlich eng, so
dass das Herniotom nur mit Mühe und grosser Vorsicht eingebracht werden konnte.
Es wurde multipel debridirt und der Darm vorsichtig vorgezogen. Es lag eine
„elastische“ Einklemmung vor, scharf markirte Schnürfurchen an beiden Darm-
schenkeln, am obern enger. Obschon der Fäulnissgeruch kaum Zweifel übrig
lassen konnte, so wollte man doch sicher sein, ob das ganze Darmstück gangränös
sei, und liess dasselbe aussen liegen unter Schutz eines antiseptischen Verbandes,
nach Auflegen eines Stückchens Wachstaffet auf den Darm.
Obschon das subjective Befinden auch am nächsten Morgen ein gutes war
und keine Temperaturerhöhung bestand, so war jetzt die Gangrän der ganzen vor¬
gelegenen Schlinge bis zu den Schnörringen evident (namentlich durch grünliche
Verfärbung den Gefässen entlang) und wurde deshalb die Ausschaltung des Darm¬
stücks beschlossen und in folgender Weise ausgeführt:
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Der Darm wird, soweit es die starke Spannung des Mesenterium zulässt, vor¬
gezogen, um den zu- und abführenden Schenkel fixiren zu können und gleichzei¬
tig das Mesenterium zu comprimiren. Nun werden in der Circumferenz des obern
und untern gesunden Darmstückes 5 Nähto mit feinem Catgut angelegt nach Lern-
berC 8 Methode, um die peritonealen Flächen breit an einander zu pressen unter
beidseitiger Einstülpung der Darmwand gegen das Lumen zu. Dann wird ober¬
halb des obern und unterhalb des untern Schnürrings der Darm quer durchschnit¬
ten , aus dem Mesenterium eine keilförmige Excision gemacht und damit die
ganze brandige Darmschlinge — in einer Länge von 12 Cm. — entfernt. Durch
Schluss der Nähte ergab sich eine exacte Vereinigung ; die Ränder des Mesente¬
rium werden beiderseits durch Knopfnähte vereinigt, eben solche noch zwischen
die LemberC sehen Nähte hineingelegt. Die Darmwand wird nicht in ganzer Dicke
durchstochen. Endlich wird nach sorgfältiger Desinfection der Darm in die Bauch¬
höhle — etwas mühsam — reponirt.
Die Nachbehandlung bestand in Nährklystier und Opium nach Bedürfniss bei
Schmerzanfällen. Nachts erfolgte Abgang von Winden per anum, welche sich
häufig wiederholten unter kolikähnlichen Schmerzen. Am nächsten Morgen be¬
stand eine Temperaturerhöhung von 38,4, die aber bis zum 29. wieder vollständig
abfiel. Das subjective Befinden der Patientin war ungestört. Leichte Druckem¬
pfindlichkeit oberhalb der Wunde dauerte mehrere Tage an, das Abdomen wurde
schon am folgenden Tage und vollständig die 2 nächstfolgenden weich und un¬
empfindlich. Am vierten Tage wurde die in die Wunde eingeführte Drainröhre
entfernt.
Nachdem der Verlauf ein ganz normaler gewesen, traten am achten Tage plötz¬
lich die Erscheinungen einer Darmperforation auf, ohne Spur von Peritonitis, nur
unter Entleerung ziemlich reichlicher dunkler, gallig gefärbter Flüssigkeit Mit
Rücksicht hierauf wurde eine kräftigere Ernährung, wenn auch immerhin nur in
Form flüssiger, concentrirter Nahrungsstoffe, eingeleitet. Der Ausfluss von Darm¬
inhalt nahm rapide ab und hatte schon am 8. December wieder vollständig auf¬
gehört Offenbar hatte die Perforation nur eine sehr kleine Stelle betroffen, wahr¬
scheinlich da, wo bei der schwierigen Reposition eine Naht etwas eingerissen war.
Von nun ab ging die Heilung sehr rasch vor sich. Am 15. December bildete
die Wunde nur noch eine kleine, gut granulirende Einsenkung; am 24. December
wird ein Bruchband anprobirt, um Pat. aufstehen zu lassen. Sie hat gestern zum
ersten Male spontan geformten Stuhl gehabt, während sonst Verstopfung bestand
und mit Klystieren nachgeholfen werden musste.
Es ist also in Zeit von 4 Wochen , wie nach einer einfachen Herniotomie,
Ausheilung erfolgt ohne Zurückbleiben irgend einer üblen Folge, ein Resultat,
welches durch das gewöhnliche Verfahren sicherlich nicht zu erzielen gewesen wäre.
Beitrag zur Frage der „Arznei-Exantheme“.
Von Dr. Bruggisser in Wohlen.
In Nr. 39 der „Medicin. Neuigkeiten“ (29, Sept. 1877) berichtet Prof. Köbner
in Breslau unter dem Titel „Arznei-Exantheme“ über einen Fall von Dr. Apolant
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I
in Berlin, der nach dem Gebrauche von Morphium einen Hautausschlag beobach¬
tete. Der an einem Spitzencatarrhe leidende Kranke bekam nach dem Einnehmen
von einigen Tropfen einer Lösung von salzsaurem Morphium (0,08) in Bitterman¬
delwasser (10,0) einen sehr starken Ausschlag mit Jucken und sein Gesicht war
cedematös geworden und am Rumpfe wie an den Händen zeigten sich Quaddeln.
Nach 5 Tagen stellte sich eine lamellare Abschuppung ein. Acht Tage später
wiederholte sich ein geringer Anfall, nachdem der Kranke von der erwähnten Lö¬
sung gekostet und an der Flasche gerochen hatte. Schon früher hatte derselbe
Patient wiederholt nach dem Gebrauche von Morphium ähnliche Ausschläge ge¬
habt.
Ich bin nun im Falle, ein ähnliches Curiosum anzuführen und kann hier mit
allen Dütails des Genauesten aufwarten, da der Casus mich selbst betrifft; ich
hatte denselben früher als eine Art Idiosyncrasie aufgefasst und mich nach und
nach in’s Unvermeidliche gefügt.
Wenn ich nämlich gezwungen bin, irgend einmal ein Opium- oder Morphium¬
präparat, z. B. 10 Tropfen Tinct. Opii croc. oder Morph. 0,01 in Pulverform zu
nehmen, so bekomme ich schon nach einmaliger Dosis gewöhnlich des andern
Tages zuerst ein höchst lästiges Hautjucken, verbunden mit Hitze an den obern
und untern Extremitäten mit quaddelförmigen Erhebungen der cutis (Urticaria),
und zwar zumeist an den Beugeflächen. Später stellt sich ein ähnliches Jucken
im Gesicht, namentlich um die Augen, ein, das während der folgenden Nacht
immer lästiger wird und jedenfalls während des Schlafes Reiben mit den Händen
oder mit dem Bettzeug veranlasst, denn am zweiten Morgen erwache ich alsdann
regelmässig mit einem Oedeme der Augenlider, wobei die Conjunctiva nur sehr
wenig participirt. Der Grad ist verschieden und unbedingt weniger, wenn ich
mich überwinden kann, das so lästige Jucken nicht durch Kratzen oder Reiben mit
einem Tuche calmiren zu wollen.
Als bestes Remedium haben sich mir kalte Compressen bewährt, indem ich
schon nach wenigen Stunden immer sichtbaren Erfolg verspüre; eine kleienförmige
Abschuppung der Epidermis bildet jeweilen den Schluss dieser für den practischen
Arzt sehr unangenehmen Beigabe.
Noch mag hier Erwähnung finden, dass ich schon ganz ähnliche Eruptionen
bekam, wenn ich bei meinen Patienten während mehreren Tagen vielfache Mor-
phium-Injectionen zu machen hatte, wobei ich doch immer die minutiöseste Rein¬
lichkeit befolge und Instrument und Hände nach dem Gebrauche sorgfältig ab¬
wasche.
Eine pathologisch-anatomische Deutung obiger Idiosyncrasie wage ich bis
zur Stunde nicht zu geben; das Fehlen jedes Frostes sowie jeder anderweitigen
Gesundheitsstörung hat mich die Sache bis dato immerhin als sehr ungefährlich
auflfassen lassen, trotzdem ein College mich einmal versicherte, die Anschwellung
im Gesichte habe doch frappante Aehnlichkeit mit Erysipelas faciei.
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“V" ereinst>e:riclite.
Medicinische Gesellschaft in Basel.
Sitzung vom 7. Juni 1877.
Anwesend 23 Mitglieder.
2 Fälle von idiopathischer Bronchitis crouposa. Dr. Daniel Ber-
noulti theilt die Krankengeschichten mit von zwei von ihm beobachteten Fällen von
idiopathischer Bronchitis crouposa und weist Exemplare der von ihnen ausgewor¬
fenen Sputa vor.
Der eine Patient, 18 Jahre alt, war scrophulös und im Besitze einer Stenosis
ostii venosi sinistri; der Process war circumscript, chronisch mit Attaquen alle
1—4—8 Wochen; Auswurf am centralen Ende stark blasig, gegen die dünnen so¬
liden Verzweigungen scharf abgesetzt. Der andere Fall war ebenfalls chronisch,
3 Attaquen alle zwei Jahre mit heftigen Erscheinungen, Gerinnsel ziemlich gross,
sich gleichmässig verjüngend.
Auf Grund seiner Erfahrungen verwirft der Vortragende alle auch die fibrin¬
losenden Inhalationen und gönnt ihnen höchstens einen Platz, insofern sie kräftigen
Husten hervorrufen. In schweren Fällen wäre wohl ein Brechmittel das beste.
i
Dr. Aug. Burckhardt beobachtete vor einigen Jahren zwei Fälle, von denen der
eine phthisisch endete; der zweite Kranke lebt noch und befindet sich gut; auch
hier waren Inhalationen vollkommen nutzlos.
Dr. tidgler behandelt gerade eine 56jährige Frau an Bronchitis crouposa, bei
welcher die Affection merkwürdigerweise nur auf einen kleinen Theil der Bron¬
chien localisirt blieb. Auch ihm erzielten Inhalationen keinen Erfolg.
Prof. Hagenbach begreift wohl, dass Milchsäure und Kalkwasser nichts helfen,
da beide die Croupgerinnsel nicht nur nicht auflösen, sondern sogar conserviren.
Die Milchsäure wendet er bei Larynxcroup an, da sie zum Husten reizt
Perlsucht der Rinder. Milchlieferungsanstalt. Thierarzt Sieg¬
mund bespricht die Perlsucht resp. Tuberculosis des Rindviehes mit Hin¬
sicht auf deren Ansteckungsgefahr für den Menschen durch Genuss von Fleisch
und Milch perlsüchtiger Thiere.
In den sechs Jahren seiner Thätigkeit als Schlachthausverwalter und Fleisch¬
inspector der Stadt Basel hatte S. ziemlich oft Gelegenheit, die Section perlsüch¬
tiger Kühe zu machen und kam er hiedurch zur Ueberzeugung, dass als Perlsucht
resp. Tuberculosis des Rindviehes hauptsächlich zwei Krankheitsformen angespro¬
chen werden. Erstens : Eine in Knötchenform auftretende Neubildung von Zellen-
sarcomen auf den serösen Häuten, oder von Lymphsarcomen im Laufe der Lymph-
gefässe, in den Lymphdrüsen und auf den Schleimhäuten, welche Neugebilde, grau-
röthliche Knötchen mit gelblichem Kerne, sehr bald eine käsige Umwandlung er¬
leiden , verflüssigen, vereitern oder verkalken. Dass die oft zu Tausenden auf
allen serösen Häuten auftretenden Neoplasmen durch Conglomeration manchmal
so immense Massen bilden, wie sie beim Menschen gar nicht denkbar sind, ent¬
spricht dem ausserordentlich phlegmatischen Temperamente des Rindes, dieses
Wiederkäuers par excellence, bei welchem fast alle, ja selbst die heftigsten Krank-
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heiten einen subacuten, asthenischen und meistens chronischen Charakter haben.
Zweitens und zwar in den selteneren Fällen ist die Perlsucht eine Folge broncho-
pneumonischer Rückstände, die durch Vereiterung und Verkäsung das umliegende
Gewebe und besonders die Lymphgefässe zur Entzündung und käsigen Entartung
anrege und schliesslich den grössten Theil der Lunge in eine harte Masse von
käsig-kalkigen Knollen umwandelt. In den vorgerücktem Stadien beider Krank¬
heitsformen finden sich mehr oder weniger ausgebreitete Schwellungen der
Lymphdrüsen, in welche kleinere oder grössere käsig-kalkige Tubercel eingebet¬
tet sind.
Beide Krankheiten führen schliesslich so ziemlich auf gleiche Weise zum Ende,
wie Tuberculosis und Lungenschwindsucht des Menschen und glaubt daher Herr
S., dass ihr anatomisch-pathologischer Unterschied nur ein der Thiergattung ent¬
sprechender sei, dass ihr Wesen aber ziemlich übereinstimmend.
Zahlreiche Versuche von Ger lach, Günther , Harm», Klebs, Möller , Bolloff, Semmer
und Andern, welche bezweckten, durch blutige Impfung sowie durch Fütterung
von Milch und Tubercelmassen perlkranker Thiere bei Kaninchen, Ziegen, Schafen
und Schweinen perlsuchtartige, resp. tuberculöse Erscheinungen zu erzeugen, hat¬
ten positive Resultate, während Willemin, Conheim und Fränkel, Leberl-Wy»s, Behier,
Colin und Andere durch ihre eigenen Versuche die Richtigkeit der Obigen wider¬
legt zu haben glaubten. Aus den gelungenen Versuchen der ersten Gruppe würde
natürlich auch eine Ansteckungsgefahr durch Genuss von Fleisch und Milch perl¬
süchtiger Kühe für den Menschen deducirt, welche durch zahlreiche practische
Erfahrungen verschiedener Aerzte eine theilweise Bestätigung erhielt und hiedurch
die sachbezüglichen Sanitätsorgane in nicht unbedeutende Verlegenheit setzte,
welche Verlegenheit der deutsche Veterinärrath im Jahre 1876 durch eine gewun¬
dene Halbheit von Gutachten zu heben dachte, die Verlegenheit der practischen
Sanitätsorgane hiedurch jedoch nur vermehrte. Hauptsächlich die Versuche von
Gerlach in Hannover und Semmer in Dorpat haben, wenn man nicht absolute Un¬
fähigkeit der Experimentatoren annehmen will, die Uebertragbarkeit der Perlsucht-
Tuberculose auf den Omnivor „Schwein“ ziemlich sicher gestellt und sind gerade
hiedurch berechtigt, mit Wahrscheinlichkeit die Uebertragbarkeit auf den Om¬
nivor „Mensch“ glaubwürdig zu machen, während die theilweise negativen Ver¬
suche an Herbivoren und Carnivoren für den Menschen weit weniger Bedeutung
haben.
Auch eine in der hiesigen Schlachtanstalt gemachte Erfahrung scheint durch
ihr negatives Ergebniss für die Uebertragbarkeit der Tuberculöse durch Kuhmilch
wenigstens auf den Omnivor Schwein zu sprechen. Es wurden nämlich unter ca.
35,000 daselbst geschlachteten Schweinen nur fünf tuberculöse gefunden, während
in Norddeutschland, wo die Perlsucht des Rindviehes viel verbreiteter ist, als bei
uns, und die jungen Schweine zum grossen Theile mit Kuhmilch aufgezogen wer¬
den, tubercelkranke Schweine weit weniger selten angetroffen werden.
Positive Schlüsse lassen sich freilich auch hieraus nicht mit Sicherheit ziehen,
fasst man jedoch das Resultat aller bis jetzt in dieser Richtung gemachten Ver¬
suche zusammen, so muss man die Milch perlsüchtiger Kühe doch sicherlich als
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ein verdächtiges Nahrungsmittel bezeichnen. In den unsere Stadt mit Kuhmilch
versehenden Gegenden kommen ab und zu perlsüchtige Rinder vor, wenn auch
nicht häufig, und wird deren Milch unbewusst von Jung und Alt in rohem und
gekochtem Zustande genossen, wie die Milch anderweitig kranker Kühe und die
laxirend wirkende Colostrummilch der Neumelkenden. Bei den meisten chroni¬
schen Krankheitszuständen der Kuh ist immer noch eine mehr oder weniger reich¬
liche Milchsecretion vorhanden, und ist es daher nothwendig, das gefüllte Euter
regelmässig zu entleeren; der Milchhandel treibende Landwirth vermischt aber
solche Milch , so lange sie nicht gar zu deutlich von guter Kuhmilch zu unter¬
scheiden ist, mit dieser letztem und lässt sie unbedenklich an seine Kunden ge¬
langen.
Hier ist nun jede Sanitätscontrole ausserhalb des Stalles rein unmöglich; es
müsste eine solche Controle im Stalle selbst und zwar consequent ausgeübt wer¬
den, wie dies in den Milchcuranstaltcn verschiedener deutscher Städte zum grossen
Vortheile des milchconsumirenden Publicums und besonders der hauptsächlich auf
Milchnahrung angewiesenen Kinder geschieht.
Eine solche Milchwirthschaft, welche in jeder Beziehung unter ärztlicher
und thierärztlicher Controle stände, wäre auch für unsere Stadt eine höchst segens¬
reiche Einrichtung und hält Referent dafür, dass es Sache der hiesigen medicini-
schen Gesellschaft sei, den Versuch zu machen, eine fragliche Anstalt ins Leben
zu rufen.
Dr. Daniel Bemoulli macht darauf aufmerksam, wie schwer es ist, für zweifel¬
haft rentirende Anstalten Geld zu finden.
Dr. Burckhardt-Merian kennt mehrere gut rentirende Einrichtungen dieser Art.
Es sollte die Sache in der Presse eingehend besprochen und dann eine dem hie¬
sigen „Consumverein“ ähnliche Gesellschaft gebildet werden. Wünscht Ueberwei-
sung an eine Commission zur genaueren Prüfung.
Dr. August Burckhardt betont besonders die Wichtigkeit guter Milch für Kin¬
der. Einzelne Milchlieferanten haben schon gute Geschäfte gemacht und so würde
auch eine grössere Anstalt voraussichtlich wohl bestehen können. Zu einer sol¬
chen sei aber die Mithülfe des Staates und nicht nur einer Gesellschaft noth¬
wendig.
Dr. deWette hält dafür, dass die Sache in Privathänden besser aufgehoben sei.
Prof. Socin ist derselben Meinung; ein tüchtiger Landwirth sollte gewonnen
werden, der dann unter eine genaue Controle gestellt würde; diesem würde ga-
rantirt, dass er täglich ein bestimmtes Quantum Milch absetzen könnte.
Prof, flagenbach befürwortet ebenfalls eine eingehendere Untersuchung des
Siegmund 'sehen Vorschlages. Die jetzigen Milchlieferanten bieten, auch wenn sie
zeitweise ganz gute Milch verkaufen, eben doch keine Sicherheit, weil sie nicht
controlirt sind.
Dr. Lote, Dr. Burckhardt-Merian und Schlachthausverwalter Siegmund besprechen
die Schwierigkeiten einer wirklich genauen Controle, so lange der Unternehmer
einer solchen Anstalt vom Principe des Geldbeutels geleitet werde.
Auf den Antrag von Dr. Burckhardt-Merian wird die Angelegenheit an die
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Commission gewiesen und derselben die Herren Hagenbaoh , Lolz und Siegmund zur
Berathung beigegeben.
Sitzung vom 21. Juni 1877
im amphitheatralischen Hörsaale des Museums. Anwesend ausser zahlreichen Mit¬
gliedern der medic. Gesellschaft auch solche der Naturforschenden Gesellschaft und
Studenten der Medicin.
Fall von hochgradigster Microcephalie. Prof. Wille stellt die acht¬
jährige microcephale Margarethe Becker vor. Das Sinnesleben dieses Kindes
ist annähernd normal , das psychische Leben dagegen steht auf niedrigster Ent¬
wicklungsstufe. Ein gewisser Grad von Aufmerksamkeit ist vorhanden und es
mögen daher auch vereinzelte flüchtige Vorstellungen gebildet werden. Das Kind
scheint Angehörige und Freunde zu kennen, was anf eine Spur von Unterschei¬
dungsvermögen und Gedächtniss schliessen lässt Das Kind lächelt, kann seinen
Schmerz äussern, zeigt Andeutungen von Gemüthsleben. Das motorische Leben
kommt auf Grund lebhafter Empfindungen zu Stande, ist vorzugsweise reflectori-
scher Natur; doch mag es auch zu vereinzelten spontanen Willensäusserungen
kommen. Vor Allem wichtig in psychischer Beziehung ist der Mangel der Sprache.
In körperlicher Beziehung sind Rumpf und Extremitäten wohl geformt und har¬
monisch entwickelt. Die Körperfunctionen gehen normal von Statten. Die rechte
Pupille ist gewöhnlich weiter als die linke und reagirt schwächer. Die Zunge
wird mangelhaft bewegt. Das Kind kann unarticulirte Laute von sich geben, das
Ohr ist völlig normal. Der Schädel zeigt hochgradige microcephale Bildung und
eine Andeutung von Asymmetrie. Sonstige eigentliche Degenerationssymptome
sind am Kinde nicht zu beobachten.
In klinischer Beziehung haben wir eine hochgradige geistige angeborene Schwä¬
cheform vor uns und zwar in der Form des Idiotismus sporadious congenitalis.
(Angabe der differentiellen Momente, die diese Form von den erworbenen und den
übrigen angeborenen geistigen Schwächeformen unterscheiden.)
Was die Aetiologie betrifft, ist die Herkunft des Kindes scheinbar normal; es
stammt aus keiner Cretinengegend, seine Vorfahren weit zurück sind körperlich
und geistig gesund und leben zweckmässig, Vorgang der Conception, der Geburt
normal; keine Blutsverwandtschaft, ungleiches Alter der Eltern. Allein 3 von den
7 Geschwistern der Patientin sind ebenfalls microcephal. Das Kind selbst war in
seinem Leben nie krank, lernte mit */4 Jahren gehen. Die Mutter behauptet, in
den Schwangerschaften mit den Microcephalen und nur in diesen schon vom drit¬
ten Monat an Kindsbewegungen und lebhafte Uterusschmerzen verspürt zu haben.
Referent stellt sich vor, dass durch Gefässzerrung die Ernährung des Gehirns ge¬
stört worden sei, dass aber auch durch fortgesetzte starke Krampfbewegungen des
Uterus die Hirngefässe auch in anatomischer Beziehung in Mitleidenschaft kommen
könnten. Damit stimmen die Guddet? sehen Untersuchungen überein.
Eine atavistische Annahme, sei es ein Rückschlag auf Homo primigenius oder
den Affen, weist Referent aus verschiedenen Gründen zurück. Es ist eine einfache
Hemmungsbildung auf individuellen schädlichen Momenten beruhend, die vorzugs¬
weise die Hirnernährung, dadurch Ausbildung benachtheiligten. Was mag hier
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vorgegangen sein? Wahrscheinlichen Aufschluss hierüber gibt der Befund bei der
älteren Schwester, Helena Becker, den Prof. Bischof in München uns in höchst ver-
dankenswerther Weise überliefert hat. Bischof fand hochgradige Microcephalie,
verkümmertes Stirnhirn, mangelnde erste Stirnwindung, rudimentären Stammlappen,
mangelhafte erste Centralwindung, zu gering entwickelten Balken, verkümmerte
Occipitallappen; letztere nur rudimentär, das Cerebellum nicht überdeckend, da¬
gegen Scheitel- und Schläfenlappen ziemlich normal, nur alles klein, Windungen
sparsam und oberflächlich, anatomische Störungen des Hirnarteriensystems, des
Genitalapparates, also eine Bildungshemmung im 3. Monat, wonach sich das Hirn
nur noch theilweise bis zum 8. Monat weiter entwickelte, um dann ganz stehen zu
bleiben.
Verschiedene Gründe sprechen dafür, auch für unsern Fall ähnliche, vielleicht
etwas günstigere Verhältnisse annehmen zu dürfen.
Sitzung vom 5. Juli 1877.
Anwesend 31 Mitglieder.
Prof. Bischoff bemerkt zum Vortrage der letzten Sitzung, dass man zur Erklä¬
rung der Entstehung der Microcephalie auch an eine Umschlingung der Nabel¬
schnur um den Hals der Frucht denken könne, eine Ansicht, die Prof. Wille gerne
neben der seinigen gelten lässt.
Fall von Tracheotomie. Dr. Fiechler-Jung macht Mittheilung über einen
Fall von Croup mit Tracheotomie. Die am 18. Mai durch Herrn Dr. Schneider ,
Herrn Dr. W. Bemoulli und den Vortragenden an dem 3jährigen Knaben Alfred
Taupitz vorgenommene Operation, bei welcher ein fingerdicker Isthmus der Schild¬
drüse nach doppelter Unterbindung durchschnitten werden musste, führte ohne
weitere Störungen relativ rasch zur Genesung. Das am 1. und 2. Tage noch hohe
Fieber (39,5) war am 5. Tage ganz weg, zugleich verschwand auch die Rachen-
diphtheritis, ohne weitere Behandlung. Am 10. Tage konnte die Canüle schon
vorübergehend */«— V* Stunde, am 20. Tage bleibend entfernt werden. Das gegen¬
wärtig (7 Wochen nach der Operation) noch bestehende zischende Geräusch wäh¬
rend der Inspiration leitet der Vortragende von einer Verengerung der Trachea
her, bedingt einerseits durch die Narbencontraction an der Stelle der frühem
Wunde, andrerseits durch Granulationen der Trachealschleimhaut Zur Auswei¬
tung dieser Strictur werden forcirte Exspirationen, Singen, lautes Rufen etc. em¬
pfohlen.
Prof. Immermann räth zu demselben Zwecke Einathmung von comprimirter Luft
mit dem Waldenburg 1 sehen Apparat.
Dr. Daniel Bernoulti hält ein solches Verfahren aus physicalischen Gründen für
durchaus nutzlos.
Prof. Hagenbach glaubt im vorliegenden Falle nicht an eine Strictur. Nach
jeder Tracheotomie treten besonders auch beim ersten Herausnehmen dor Canüle
Anfalle von DyspnoB und Suffocation ein; an der Operationsteile findet eben leicht
eine Schleimhautwucherung statt, die zeitweise den Luftdurchtritt erschweren kann,
immer aber von selbst wieder verschwindet
Auch Prof. Socin will die Stenosenerscheinungen lieber aus einem ventilartigen
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Verschluss durch Granulationen erklären) die sich galvanocaustisch wohl entfernen
Hessen. Uebrigens tritt nicht selten durch zu langes Tragen der Canüle eine Er¬
weichung der Trachealknorpel ein, ähnlich wie beim Kropf. Beim Liegen mit dem
Kopf nach hinten und tiefer Inspiration sinkt diese häutige Stelle ein und verengt
die Trachea.*)
Ueber Drainage des Uterus. Vortrag von Dr. Oeri (soll in extenso
mitgetheilt werden).
Dr. August Burckhardt fragt, ob ein Eindringen von Flüssigkeit durch die Tube
in die Bauchhöhle nicht mögHch sei.
Prof. Bischof? verneint es, dagegen kann Injection von Luft in die Uterushöhle
üble Zufalle hervorrufen.
Aussergewöbniiche Bildungen von Vogeleiern. Vortrag von
Prof. Hoff'mann (mitgetheilt im Corr.-ßl. 1877, p. 435).
Referate und Kritiken.
Zur Prophylaxis der fungösen Gelenkentzündung mit besonderer Berücksichtigung der
chronischen Osteomyelitis und ihrer Behandlung mittelst Ignipunctur.
Von Th. Kocher.
R. Volkmann’n 8ammlung klinischer Vorträge Nr. 102. Leipzig, Breitkopf & Härtel.
Une Conference faite k la röunion du „Centralverein“ fournit la mattere de cet ex-
cellent travail clinique.
Ä. donne en quelques mots l’historique des phases principales par lesquelles a passd
le traitcment des inflammations fongueuses des articulations. Celles- ci peuvent se fesumer
dans les travaux de Bonnet (simple repos), de Volkmann (repos avec immobüisation) et
de Taylor (immobilisation permettant la marche, moyens hygteniques),
Passant k la Symptomatologie, Kocher s’inqutete avant tout de reconnaitre le poiut
de tfepart de la maladie et ensuite de ddterminer si le ctebut a eu lieu par les os. Jus-
qu'ä präsent, on avait peu cherchd k utiliser, dans le traitement, cette condition de ddve-
loppement de l’arthrite chronique fongueuse. Cependant il est avdrd que diverses formes
d’ostdite primitive, en particulier l’ostdite fongueuse et l’ostdite chronique suppurde, abou-
tissent k la synovite fongueuse. L’inflammation chronique des os, avec suppuration, peut
se propager k une articulation sous la forme d’osteomydlite ou de pdriostite suppurdes.
Dans ce dernier cas, lorsque la ldsion, avec une marche lente, reste localisde et finit par
atteindre l’extrdmitd articulaire, eile peut prdsenter tous les symptömes d’une arthrite
fongueuse.
Une dernidre forme d’inflammation osseuse qui peut aboutir k l’affection articulaire
est la ndcrose des extrdraitds articulaires (ostdite articulaire).
K. donne un court rdsumd d’un grand nombre d’observations dans lesquelles il a pu
reconnaitre l’ostdite primitive k une dpoque oü l’articulation voisine dtait encore compldte-
*) Nachtrag vom October 1877: Der Knabe befand sich inzwischen wohl, machte im August
einen Landaufenthalt. Beim Herumspringen wurde das zischende Geräusch stärker, so dass die El¬
tern oft fürchteten, das Kind bekomme noch einmal Croup. Am 10. September Abends spielte der
Knabe mit seinem Bruder; zu Bett gebracht, bewarfen sich die Kleinen mit den Kissen. Plötzlich
sank unser Operirter zurück, konnte nicht mehr einathmen, wurde blau; der herbeigerufene Arzt fand
ihn todt. Herr Prof. Koth, dem Kehlkopf und Luftröhre zugeschickt wurden, schreibt über den Befund
Folgendes:
„Die ganze Kehlkopf- nnd Luftröhrenschleimhaut ist stark geröthet und mit Secret bedeckt. Am
vordem Umfang eine 17 Mm. lange. 10 Mm. unterhalb der Stimmbänder beginnende Narbe, in deren
Umgebung die Schleimhaut wulstig verdickt und mit erweiterten Gefässen durchzogen ist. Links
dicht an der Narbe, ungefähr ihrer Mitte entsprechend, erhebt sich ein weicher röthlicher, lappiger
Polyp von 8, 6 und 8 Mm. Durchmesser, der an einem kurzen Stil aufsitzt. Derselbe besteht aus
zartem, gefässreichem, von Rundzellen durchsetztem Bindegewebe und ist mit dem Flimmerepithel der
Luftwege überzogen. — Der Polyp dürfte bei einer heftigen Exspiration in die untere Kehlkopfaper¬
tur eingekeilt worden und so zur Todesursache geworden sein.*
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ment intacte. Getto collection varide de faits comprend la plupart des extrdmitds arti-
culaires. D’autres observations, avec pidces 4 l’appui, ont dtd communiqudes 4 l’auteur
par le professeur Socin.
Une partie des symptömes de l’ostdite primitive chronique des extrdmitds articulaires
correspoud 4 ceux qu’on ddcrit habituellement au ddbut des arthrites fongueuses. II existe
parfois des signes distinctifs, comme la douleur fixe sur un poiut ddtermind; quelquefois,
l'extrdmitd articulaire est ddj4 douloureuse 4 la pression et le membre ou l’articulation
perdent leurs fonctions avant que les phdnomdnes articulaires aoient nettcment accusds.
Plus tard, les symptömes, quelque soit leur provenance, se confondent.
Au point de vue du pronostic, le caractdre important de l’ostdite primitive est sa
persistance opiniätre, malgrd le traitement le plus rationnel. Le traumatisme joue un
grand röle comme cause ddterminante, ici comme dans l’dtiologie de l’ostdomydlite aigue,
le plus souvent sur un terrain prdpard par la Byphilis ou la scrofule.
Le travail de K. est basd sur 63 faits d’ostdite ou d'oatdomydlite primitive chronique
des extrdmitds articulaires.
Dans 10 cas, il n’y a pas eu de complication inflammatoire du cötd de l’articulation,
mais les m&mes symptömes ont apparu sur les mömes points que dans ceux oü il y a eu
participation de la jointure 4 l’inflammation.
Le traitement doit aboutir, autant que possible, 4 la destruction du foyer in¬
flammatoire : les moyens habituels sont l’dvidement, la rdsection ou l’extirpation coraplöte
de l’os. K. pose les indications de ces trois modes de traitement. Il se rdsume en di-
sant que la suppression du foyer inflammatoire par l’un d’entr’eux est iudiqude dans
tous les cas d’inflammation osseuse suppurativc ou fongueuse, avec ouverture 4 l’extdrieur.
K. s’dldve vivement contre l’emploi des rövulsifs tels que vdsicatoires, badigeonnages
de teinture d’iode etc. Il admet qu’il faut exercer une action directe sur la mobile os¬
seuse, comme l’a fait Richet , dans les cas de tumeurs blanches rebelles, en plongeant un
fer rouge dans l’articulation ou dans les ob. Le möme moycn a dtd prdconisd par Juillard.
Hveter a proposd l’injection d’acide phdnique directement dans la moSlle osseuse.
K. adoptant la ddnomination d'Ignipuncture employde par Richet pour cette md-
thode, rappclle qu’il a commencd ses expdriences en 1872, 4 une dpoque oü il n’avait pas
connaissance des travaux de ce Chirurgien. La meilleure pratique consiste 4 employer
un fer rouge dont l’extrdmitd est terminde par une pointe latdrale de 4—6 centiradtres
de long. Dans les os placds superficiellement, l’instrument est plongd directement dans
le foyer 4 travers la peau : pour les os profonds, il est prdfdrable de le faire pdndtrer
par une incision qui atteint jusqu’4 l’os. Le cbloroforme u’est presque jamais ndcessaire
pour cette opdration.
Pour retirer les avantages que peut procurer ce mode de traitement, il faut se mettre
dans les conditions d’une mdthode sous-cutande, en appliquant consdcutivement un panse¬
ment antiseptique, sous peine d’aboutir 4 une fistule de longue durde, suite de carie
circo nscrite.
Nous extrayons des conclusions du travail du professeur Kocher les points les plus
importants au point de vue du traitement:
„Aussi longtemps qu’il s’agit d’ostdoporose inflammatoire , l’ignipuncture donne les
meilleurs rdsultats. S’il y a suppuration, ddgdndrescence casdeuse, ndcrose ou ouverture
4 l’extdrieur, l’opdration radicale est indiqude. — Le traitement actif et entrepris de bonne
heure, dans l’ostdomydlite des extrdmitds articulaires, empdche la production de l’arthrite
secondaire ou gudrit celle-ci 4 son ddbut.“
A ce mdmoire, K. ajoute quelques mots sur le traitement prophylactique de la synovite
primitive fongueuse. Dans les formes de cette maladie, qui se compliquent d'un dpancbe-
ment articulaire, il a presque toujours obtenu de trös bons rdsultats de l’injection intra-
articulaire de teinture d’iode. Par contre, il n’a pas eu, dans les cas invdterds de syno¬
vite, les beaux succds dont parlent Richet et Juillard. Dans ces cas, le succds est du 4
une destruction dtendue des granulations et secondairement 4 la cicatrisation des surfaces
articulaires mises 4 nu.
Ce travail trds complet et trds bien fait peut @tre recommandd 4 tous les praticiens
qui y puiseront d’utiles enseignements pour le traitement d’une maladie qui, par son opi-
uiitretd, fait souvent le ddsespoir du Chirurgien. Bodehat.
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Das Princip des Wachsthums.
Eine anatomische Untersuchung von Dr. Franz Boll, Professor der vergleichenden Anato¬
mie und Physiologie an der Universität Rom. Berlin 1876.
Von einem ganz neuen Standpunct ausgehend, macht der Autor mit dieser 82 Seiten
starken, in 5 Abschnitten gegliederten, einer Kupfertafel und 3 Holzschnitten versehenen
Schrift den pathologisch-anatomischen Theorien über die Krebsfrage ad hoc den Krieg.
Schon der Titel sagt uns, dass Boll kein neues Princip etwa aufstellen, sondern blos dem
allein richtigen, jedoch noch völlig unbekannten Princip, entgegen den bis anhin herr¬
schenden principiellen Voraussetzungen, von welchen alle pathologischen Ana¬
tomen in der Krebstheorie immer wieder ausgegangen wären, Geltung verschaffen wolle.
Denn unter Princip verstehe man ja eine erwiesene Thatsache. Der die pathologische
Anatomie aber jetzt noch beherrschende Satz, „dass irgend einem Gewebe an
und für sich die Eigenschaft zukomme, durch spontane Vermehrung
seiner Elementartheile einen pathologi sehen Wachs thums vor gang
auszuführen,“ sei keine erwiesene Thatsache, sondern blos eine Annahme, die erst
noch, wenn möglich, erwiesen werden müsste — also brauche er kein neues Princip deB
Wachsthums, wohl aber das Princip überhaupt, das bisan verkannt gewesen, ins richtige
Licht zu stellen.
Nicht einem Gewebe allein — sei es dem Epithel, sei es dem Bindegewebe, komme
an und für sich das embryonale und pathologische Wachsthum durch Vermehrung seiner
Elementartheile zu, sondern es ist dasselbe nach dem allgemeinen Naturgesetze, „dass
alle phy sicalis ohen Vorgänge das Resultat einer Wechselwirkung
von zwei oder mehreren Kräften sind,“ ebenfalls als das Resultat eines Com-
promisses zwischen zwei sich entgegenstehenden Gegensätzen, — hier also das Resultat
der beiden sich gegenseitig bestimmenden Gewebe, Epithel und Bindegewebe, zu be¬
trachten.
Dieses Princip, dessen Richtigkeit Boll für embryonale und pathologische Wachsthums-
vorgfinge schon aus einem allgemein gültigen Naturgesetz ableitet, sucht er in seiner
Schrift nachzuweisen:
a) direct und zwar zunächst an Untersuchungen Uber die WachsthumsVorgänge in
der Lunge des bebrüteten Hühnchens zwischen dem 8.—11. Tage; dann auch an andern,
von ihm sogenannten Oberflächenorganen, wohin er die ächten Drüsen, die Haut und die
Schleimhäute, sowie deren secundären Gebilde: Nägel, Federn, Zähne etc. rechnet;
b) indirect an den Hirnventrikeln, Sinnesorganen, Cornea, Nabelstrang etc., die
wie die obigen zwar ebenfalls aus Producten der Grenzblätter und denen des mittleren
Keimblattes entstehen, gleichwohl aber von denselben als eine eigene kleine Gruppe von
Organen auszuscheiden seien. Als Ausscheidungsgrund macht Boll den Umstand geltend,
dass diesen der eigenthümliche Durchwachsungsprocess von Epithel und Bindegewebe
fehle, welcher jene so sehr auszeichne! In diesem Mangel erblickt Boll einen indirecten
Beweis für sein Princip. Ausserdem führt er die Untersuchungen von Waldeyer über die
Entwicklung des menschlichen Eierstockes, diejenigen von Schenk über die Entwicklung
des Pancreas etc. etc. an.
Das Wachsen selbst geht nach Boll wie folgt an der Hand seines Principes vor sich:
Vor und um den 8. Tag zeigen Epithel und das gefässhaltige Bindegewebe in der Lunge
des bebrüteten Hühnchens dasselbe Verhalten zu einander wie die Hirnventrikel etc. es
dauernd zeigen: „das Epithel überzieht nämlich als einfache Schicht
das gefässhaltige Bindegewebe“ oder, wie Boll es heisst, das „Gefäss-
keimgewebe“.
Diese beiden Gewebe dürfen wir uns nicht überall von gleicher, sondern von ab¬
wechselnd stärkern und sohwächern Stellen zusammengesetzt den¬
ken. Die bei weiterer Differenzirung des Gefäss-Keimgewebes aus der Matrix gegen das
Epithel vordringende Gefässschlinge drängt nun dasselbe an der Stelle seines schwächern
'Widerstandes in der Richtung ihrer Längsaxe vor sich hin, in Folge davon eine Ein¬
buchtung in diesem Gewebe entsteht, während die resistenzfähigern Stellen auf beiden
Seiten gleichsam zu Sprossen, zu Vorsprüngen austreiben und ebenfalls gegen schwächere
Stellen der bindegewebigen Grundlage Vordringen, wodurch dann der für alle Oberflächen¬
organe charakteristische Durchwachsungsprocess entstehe, der überall fehlt undfeh-
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len muss, wo die Gewebe an allen Stellen einen gleichmäseigen mechanischen Widerstand
leisten. Jeder Gefässschlinge, die niemals einen Epithelvorsprung be-,
rührt, entspricht eine Einbuchtung im Epithel mit Verdrängung desselben und jedem
Epithelvorsprung mit seinem grössern Durchmesser entspricht eine geringer resistente
ßtelle in der Matrix, worauf die grosse Regelmässigkeit in der Configur&tion beruht, auf
welche schon Remak , freilich ohne zu wissen warum, aufmerksam gemacht habe.
80 herrsche keine von den beiden Functionen über die andere vor, sondern beide seien
sich gleichberechtigt. Thut das Bindegewebe mittelst Capillarreizung in der Richtung
deren Längsaxe einen Ruck vorwärts, so werde derselbe gleich von einem Gegenruck
des Epithels beantwortet. Ohne solches Entgegenkommen beider Gegensätze wäre für
die Oberflächenorgane gar kein Wachsthura denkbar. Denn für sich allein ist absolut
kein Gewebe fähig, auch nur das geringste Wachsthum hervorzubringen. Das Epithel
überzieht vom achten Tage an nicht mehr als e i n f a c h e S ch i ch t
das g e f ä s s h a lti g e B i n d e g e w e b e , sondern es durchwachsen sich
beide Gewebe.
Dieser Grenzstreit der Gewebe dauert dann so lange fort, oder mit andern Worten,
ein Organ wächst nun so lange fort, bis die Wachsthumsspannungen sämmtlicher Ge¬
webe dermaassen entwickelt sind, um sich das Gleichgewicht zu halten, wie das ja im
erwachsenen Zustande der Organe der Fall sei (pag. 28).
Warum die pathologische Anatomie nicht schon lange, warum namentlich der ge¬
niale Remak es nicht schon vor 20 Jahren, als er doch so nahe daran gewesen , zu der
Entdeckung dieses Principes brachte, hat ausser dem Umstande, dass sie eben alle von
jener falschen und nicht erweisbaren Voraussetzung der Selbstherrlichkeit der Gewebe
ausgingen, hoch in Folgendem seine Begründung:
1) in unrichtiger Wahl, Behandlung und Untersuchungsmethode der zu untersuchen¬
den Objecte. So habe man es vernachlässigt, einen so sehr ausgesprochenen Typns wie
die Lunge des bebrüteten Hühnereies gehörig zu untersuchen. Auch habe die patholo¬
gische Anatomie sich von jeher mit der Untersuchung gewisser, fest¬
stehender anatomischer Bilder, d. h. Producte begnügt und sich nicht
um die Processe, um die Vorgänge, um das Wachsen selbst gekümmert —
,Um den wissenschaftlichen Mangel, der aus der Nichtbeachtung des Unterschiedes zwi¬
schen Product und Process nothwendig erwachsen müsse, zu verdecken , habe sie mit
Hülfe der der Embryologie entlehnten Sprache allenthalben an die Stelle des reellen ana¬
tomischen Productes einen imaginären Entwicklungsmodus gesetzt und spreche so von
Vorgängen, wo sie doch nur das Recht habe, von Resultaten dieser Vorgänge zu spre¬
chen. Drum sei es auch gekommen, dass Namen wie „Einstülpung“ , „Wucherung“,
„Zapfen- und Sprossenbildung“ etc. aus der Entwicklungsgeschichte in die patholo¬
gische Anatomie eingebürgert wären und daselbst zu BegriffsverwechBluugen geführt
hätten.
2) darin, dass Remak trotz seiner richtigen Würdigung der grossen Regelmässigkeit
und strengen Symmetrie der Verästelung des Epithelialrohres in den beiden Lungen,
dennoch die wichtigen Thatsachen, die ihm das Warum dieser streng symmetrischen
Anlage erklärt haben würden, entgangen sind, nämlich:
a) dass die aus der Matrix aufsteigenden Blutgefäss schlingen niemals die Vorsprünge
der EpithelialsprosBen, sondern immer nur die Einbuchtungen des Epithels be¬
rühren ;
b) dass das Epithelialrohr an seinen Buchten und Thälern den dünnsten, an den
Vorsprüngen den grössten Diameter zeige;
c) dass die Bindegewebszellen an den Vorsprüngen und Erhabenheiten, sowie an den
Einschnitten des Epithelialrohres spindelförmig länglich seien und zu demselben
eine senkrechte Stellung einnehmen, während sie der Längsseite entlang alle For¬
men und Richtungen haben — welche 3 Thatsachen nicht etwa ein Spiel des
Zufalles seien, sondern sich ebenso constant folgen, wie in der Natur Ursache
und Wirkung.
8 ) in der irrigen Annahme, dass die Wachsthumsproducte sich erst nachträglich vas-
cularisiren, während es doch evident sei, dass die Gefässe so früh als andere Gewebe,
wenn auch nur als — „Gefässkeimgewebe“ — auftretenj
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4) in der falschen Meinung, die den Gefässen blos eine ernährende, nicht aber
auch eine formbildende und formerhaltende Function zuschreibt
Boll ist von der Richtigkeit seines Wachsthumsprincipes solchermaassen überzeugt,
dass er ihm weitgehende Umgestaltungen in Theorie und Praxis vindicirt.
In theoretischer Hinsicht prophezeit er, dass demselben Vorbehalten sei:
a) das Daminische Princip von der Entstehung der Arten in den Grund zu boh¬
ren und
ß') die Morphologie ans einer rein analytischen in eine synthetische Wissenschaft
umzugestalten. — Denn die Erkenntniss eines Organes sei mit der Kenntniss
seiner constituirenden Gewebe noch lange nicht erschöpft, es müsse darum auch
noch die Gesammtheit derjenigen Beziehungen festgestellt werden, welche ent¬
wicklungsgeschichtlich zwischen den einzelnen Geweben obgewaltet und letit-
instanzlich sein morphologisches Princip bestimmt haben.
In practischer Beziehung erwartet Boll von seinem Princip, dass es einer Revolution
in der chirurgischen Behandlung der Krebse mit besser zu erzielenden Folgen als bis
dahin rufen werde.
Da nämlich die Krebsbildung analog der embryonalen Entwicklung der Lunge vor
sich gehe, so müsse man den Krebs nicht wie bis jetzt als das Resultat einer Grenz-
verschiebung des Epithels gegen das Bindegewebe, sondern als das Resultat des
zur lncubationszeit in Folge eines localen Reizes wieder ausgebrochenen Grent-
k r i e g e s zwischen jenen beiden Geweben betrachten.
Wenn nun die Praktiker mit den Krebsoperationen so wenig Glück hätten, so komme
dies daher, dass sie sich auf die einseitigen microscopischen Untersuchungsresultate ver-
liessen und ihre Schnitte darum nur so tief machten, bis sich kein heteroplastisches Epi¬
thel in denselben mehr nach weisen lasse. Würden sie aber bei der microscopischen Un¬
tersuchung nicht blos das Epithel, sondern nach Bolf s Wachsthumsprincip auch noch die
Gefässe in Betracht ziehen, so müssten sie von selbst finden, dass bei deren weit tiefer
gehenden Veränderungen die Operationsschnitte ebenfalls weit ergiebiger auszufallen
haben.
Da man aber diese Schnitte nicht überall beliebig tief machen könne, so ergebe sich
neben der Excision noch eine andere Behandlung für die Krebse, — nämlich die Auf¬
suchung des erkrankten Gefässbaumes und dessen Unterbindung. Deren Wo? und
Wie? und Wann? zu beantworten, Überlässt Boll den Chirurgen.
Ausser dieser Behandlung durch „Unterbindung“ erwähnt er auch noch den perma¬
nenten Druck als künftige Curmethode des Krebses — namentlich bei Lippenkankroiden
verwendbar.
Der localen Reize gehe es nämlich 8 Categorien: constante, periodische und ein¬
malige. Beobachtung und Erfahrung hätten nun gezeigt, dass von diesen dreien es die
periodischen und einmaligen Reize seien, die in einem ursächlichen Verhältnisse zu den
Cankroiden stehen, während constant wirkende niemals zu einer Cankroidbildung führen,
wie die Tabakspfeife an der Lippe mit dem Lippenkrebs, der Schuhdruck an der Zehe
mit dem Clavus illustrire. Der constante Druck erzeuge im Hühnerauge eine Hyper¬
trophie des Epithels nach Aussen und nicht etwa nach Innen gegen
die Matrix zu und gleichzeitig eine Atrophirung des gefässhaltigen Pa¬
pillarkörpers, in Folge dessen der Greazkrieg zwischen diesen beiden Geweben,
wie er eben das Wesen des Krebses ausmache, zur absoluten Unmöglichkeit werde, in-
dess die inconstanten Reize in dem betroffenen Oberflächenorgane nicht blos einer Hy¬
pertrophie des Epithels, sondern auch einer solchen der gef äss-
führenden Matrix, somit dem Grenzkriege dieser beiden Gewebe zur Bildung
eines Cankroides rufen.
Auf einen einmaligen Reiz hin könne nämlich zur Involutionszeit, wo die Gewebe
ohnehin in einer Art von Gährung begriffen, eine sehr weitgreifende Erkrankung eines
Gefässbaumes mit Verdickung der Gefässwände, Auflockerung der Adventitia, Infiltration
des Gewebes durch Wanderzellen, — mit andern Worten eine Rückkehr des gefäss¬
haltigen Bindegewebes von erwachsenem Typus zu embryonalem Gefäss-
keimgewebe stattflnden, indess ein constant wirkender Reiz ja höchstens zu einer Hy¬
pertrophie des Epithels, aber nie zu einer solchen des Bindegewebes, also zu Schwielen-,
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aber nicht zur Krebsbildung führe, — ergo unter dessen Anwendung jede Entstehung
von C&nkroiden von vorneberein verhütet, in Bildung bereits begriffene wieder geheilt
werden könnten, waB durch geeignete Compressorien an den Lippen z. B. für die Praxis
zu erproben wäre.
Ohne auf eine nähere Kritik des Buches einzutreten, erlaube ich mir doch kurz fol¬
gende Bemerkungen hiezu:
Da wir von der Schule auf an- eine systematische Behandlung wissenschaftlicher
Gegenstände gewohnt sind, Boll aber zum Vornenherein hierauf verzichtet und einen ganz
eigenthümlichen, rein individuellen Weg einschlägt, in dem er von Ideen zu Thatsachen
und von Thatsachen zu Ideen fortschreitet, leidet seine Darstellungsweise wegen ihrer
Ungewohntheit an leichtem und übersichtlichem Verständniss. Bei aller Schärfe seiner
Beweisführung sieht man sich aus diesem Grunde genöthigt, seine Schrift mehr als ein¬
mal zu lesen, um zu wissen, wo hinaus er will.
Des Ueberraschenden bietet sie viel. So sehen wir unter Anderm iu seinem Satze:
„Das Wachsthum der höher entwickelten Thiere hat dann naturgemäss
seine Endschaft erreicht, wenn die in dem Keime präformirten Gegen¬
sätze bis in das letzte Dätail entwickelt worden sind,“ — Leibnitze ns Präfor-
mationstheorie, die wir längst begraben glaubten, wieder vom Tode auferstehen, ähnlich
wie manche neuere Naturforscher die Lehre von der Urzeugung von einem neuern Stand-
puncte aus zu beleuchten versuchen.
Dass wir es hier mit' einem zwar genialen, aber einseitigen Theoretiker zu thun
haben, geht hervor:
a) aus seinem Nichtbeachten des hereditären Momentes in der Aetiologie des Kreb¬
ses und
b) aus den sichern Erwartungen, die er von seinen Vorschlägen für die Praxis hegt,
indess sie — Unterbindung wie Compression — ja nur in den allerwenigsten
Fällen in Erwägung gezogen werden können. Nicht hierin, sondern in dem Hin¬
weis, dass die Microscopiker hei der Untersuchung von Krebsschnitten neben dem
Epithel in Zukunft auch den Veränderungen der Gefässe ihr Augenmerk zuzu¬
wenden haben, um durch noch tiefer als bisher geführte Operationsschnitte Reci-
dive mit hesserm Erfolg zu verhüten, liegt nach unserm Ermessen der grosse
Werth für die künftige Krebsbehandlung.
Was nun die pathologische Anatomie ad hoc zu dem ihr gemachten Vorwurfe der
Unwissenschaftlichkeit sagen wird, wollen wir begierig ab warten. Mit blos vornehmem
Ignoriren wird sie ihre schwer bedrohte Stellung wohl kaum auf die Dauer zu befestigen
vermögen, — darum sie den ihr so keck hingeworfenen Handschuh' aufzunehmen hat.
Sollte indess Bolt s Wachsthumsprincip, durch weitere Forschungen bestätigt, sieg¬
reich aus diesem' Kampfe hervorgehen, dann dürfen wir auch von demselben nicht ge¬
ringere Dinge auf die Umgestaltung unserer heutigen medicinischen Wissenschaft erwar¬
ten, als die Harve y’Bche Entdeckung des Blutkreislaufes auf die Medicin des 17. Jahrhun¬
derts ausgeübt hat. Rttndy.
Pathologische Anatomie des Gehörorgans.
Von Schwarbe. 132 S. Preis 4 Mark. (Lieferung 6 des Handbuchs der pathologischen
Anatomie von Klebs.) Berlin, Verlag von A. Hirschwald.
Es war ein glücklicher Gedanke von Klebs , die Bearbeitung des Gehörorgans für sein
ausgezeichnetes Handbuch einem Manne anzuvertrauen , der nicht nur als pathologischer
Anatom am Leichentische sich mit den hier vorkommenden Gewebsveränderungen gründ¬
lich beschäftigt, sondern der auch als practischer Arzt als einer der glänzendsten Ver¬
treter der Ohrenheilkunde durch seine hervorragenden Leistungen den Beweis geliefert
für die Schärfe seiner Beobachtungsgabe sowie für die Gewissenhaftigkeit und den Ernst
seiner Studien.
Mit meisterhaftem Geschick hat Schwartze alles das wohlgeordnet zusammengestellt,
was die pathologisch-anatomischen Studien des Gehörorgans bis auf die Gegenwart zu
Tage gefördert, und entrollt nun in gefälliger fliessender Schreibweise dem Leser ein
Bild unserer Kenntnisse auf diesem Gebiete. Die Arbeit war keine leichte, wenn man
bedenkt, dass seit Unke (1837) der Versuch nicht mehr gemacht worden, eine systema-
e
148
tische Zusammenstellung und Bearbeitung der pathologischen Anatomie des Ohres zu lie¬
fern. Nach einem historischen Rückblick mit sorgfältiger Litteraturangabe beschreibt
Schwarlze die verschiedenen Verfahren, das Gehörorgan genauer zu unteisuchen und führt
dud in den folgenden Capiteln : Schläfenbein im Allgemeinen, Ohrmuschel, äusserer Ge¬
hörgang, Trommelfell, Paukenhöhle, Tuba Eustachii, Processus Mastoideus, Inneres Ohr,
Hörnerv, dem Leser kurz und präcis alle Veränderungen vor, die an diesen Theilen des
Gehörorgans beobachtet worden sind. Ueberall, wo die angeführten Tbats&cben nicht
auf eigener Anschauung und Untersuchung beruhen, werden die Gewährsmänner bete¬
iligt, deren Veröffentlichungen am Eingang jedes Capitels sich zusammengestellt finden,
so dass Jeder sich rasch in der betr. Litteratur orientiren kann. Dazu führen die den
meisten Capiteln vorgestellten allgemeinen Bemerkungen den Leser rasch und leicht in
den jetzigen Stand unserer histologischen und pathologisch-anatomischen Kenntnisse der
betr. Theile des Gehörorgans.
Sehr instructiv sind 65 Holzschnitte, die die Haupttypen der besprochenen Verände¬
rungen uns vor Augen führen, leider sind nicht alle vollkommen gelungen, so ist beson¬
ders der Unterschied zwischen Perforation und Narbe des Trommelfells in verschiedenen
Bildern vollkommen verwischt (vgl. 32, 33 mit 36—40).
Das ganze Buch entspricht einem allseits gefühlten Bedürfniss und ist nicht nur für
den Specialisten eine willkommene Gabe, sondern es ist es auch für den practischen Arzt,
dem so häufig die Erkrankungen des Gehörorgans mit all’ ihren fatalen Conscquenzen,
sei es primär, sei es secundär, im Gefolge von acuten Exanthemen, Typhus, acuten und
chronischen Catarrhen der Nase und des Nasenracheuraums etc. etc. zur Beobachtung
kommen.
Wir danken dem Verfasser für seine so gelungene Arbeit und hoffen, dass dieselbe
allerorts zu neuer und solider Weiterarbeit an dem pathologisch-anatomischen Studium
des Gehörorgans einen kräftigen Impuls geben möge. Burckhardt-Merian.
Cantonale Correspondenzeu.
Appenzell. Geschichtliche Rückblicke in das Leben der „Gesell¬
schaft app enzellischer Aerzte“.*) Es war am 19.Wintermonat dee Jahres 1827,
als 17 Aerzte des Kantons Appenzell beider Rhoden in Speicher zusammentraten, um den
Grundstein zu legen zu unserer liebwerthen „Gesellschaft appenzellischer Aerzte“. Nicht
mit grossen Reden, die Uberflossen von Pflege der Collegialität, von Bestrebungen zu ge¬
waltiger Förderung der Wissenschaft wurde diese erste, denkwürdige Zusammenkunft aus-
gefüllt, sondern ernsten, festen Sinnes entwarfen und einigten sie sich zu einem Statut, das
fortan der Compass und der feste Anker dieses neuen Gesellschaftsschiffleins bilden sollte.
Einfach und schlicht solle die Gesellschaft sein und'bleiben, sagt der erste Paragraph;
der zweite betont die völlige Selbstständigkeit des künftigen Vereins, er lautet: „Die Ge¬
sellschaft ist selbstständig und mit nichten abhängig von der vaterländischen Gesellschaft
und nennt sich „Gesellschaft der appenzellischen Aerzte“. Der Grund zu dieser sogar
in die Statuten niedergelegten Negation von centralistischen, allgemein schweizerischen
Bestrebungen mag wohl in der damals noch üppig wuchernden Reaction zu finden sein,
und wollten Männer, wie ein //ewn, ein Titus Tobler , ein Rusch , die kurze Jahre darauf mit
heiligem Feuereifer für eine Neugestaltung nicht bloss der kantonalen, sondern auch der
eidgenössischen Zustände auftraten, zuerst im engem Kreise etwas Positives, ächt Vater¬
ländisches schaffen.
Paragraph 3 sagt uns: „Der Zweck der Gesellschaft ist Befreundung, collegia-
lische Unterhaltung, Beförderung der Wissenschaft und Kunst, Berathung, gegenseitige
Mittheilung von Beobachtungen, Circulation von Schriften,“ Wie ein lieber, alter Be¬
kannter heimelt dieses Gruudstatut an ; erinnert uns an die frische, fröhliche Studen¬
tenzeit, wo wir uns zusammenfanden unter der Devise : „Freundschaft und Wissenschaft.
Ein Arzt, ohne öftern Umgang mit wissenschaftlich gebildeten Männern, ohne Aus¬
tausch und Mittheilung seiner Ideen und Erfahrungen zu gleichgesinnten Collegen, gen*
*) Referat, vorgelesen an der Jubiläumssitzung in Appenzell und auf ‘Wunsch der Redaction
in bedeutend abgekürzter Form für’s Correspondenzblatt zusammengestellt.
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allein mit Mühe und Sorge an der geistigen und leiblichen Sanirung der menschlichen
Gesellschaft arbeitend, gleicht einem Baum, gesetzt auf dürre Heide, er treibt einige Blüthen
und stirbt ab.
„Die Gesellschaft steht den Innerrhodem ebenso gut offen, als den Ausserrhodern“,
sagt der vierte Paragraph. Was kirchliche Streitigkeiten einst auseinanderriss, das schaart
sich wiederum zusammen unter der Fahne des Humanismus und der realen Erforschung
menschlichen Seins.
Einer materiellen wie geistigen Tyrannis vorzubeugen ist Paragraph 9 eifrig be¬
strebt, wenn er sagt: „Zur Leitung der Geschäfte wird ein Geschäftsführer bestimmt.
Bei jeder Zusammenkunft wird ein neuer erwählt, und der alte darf 2 Jahre lang nicht
wieder erwählt werden“. Oder guckt da der richtige Appenzeller hervor, der, wenn auch
nicht gerade Hauptmann oder Landammann, wenigstens einmal in seinem Leben Präsident
eines Vereins zu sein wünscht, und wär’s auch blos Präsident eines appenzellisch privile-
girten, und von hoher und höchster Seite protegirten Quacksalbervereins ?
Nicht so ängstlich war die Gesellschaft bedacht auf einen billigen Wechsel in der
Bekleidung des Actuariates und Secretariates. — Das erste Triumvirat unseres Vereins
bildeten Gabriel Rüsch , Zelhceger und Titus Tobler t welche drei zusammen im Verein mit Heim
auf lange Jahre hinaus der Gesellschaft den Stempel ruhig klaren Forschens, hervor¬
gehend aus dem fruchtbaren Boden reichen Wissens aufdrückten. — Ein eifriges Schaffen
im Schoosse der Gesellschaft characterisirt die Jugendperiode unseres Vereins. Titus Tobler
begann den Reigen der Vorträge mit einem eingehenden Referat über eine grosse Paro¬
titis- resp. Mumpfepidemie im Jahre 1828. Heim wies damals schon auf den wahrschein¬
lichen Cauealnexus hin, der bestehe zwischen den meteorologischen Erscheinungen in der
Natur und dem Auftreten von Epidemien, ermahnte die Mitglieder Barometerstand und
Windströme genau zu beobachten, demonstrirte das Fortschreiten der Epidemie von West nach
Ost. ln der Aufzählung von Medicamenten zur Heilung dieser Krankheit waren die da¬
maligen Aerzte so stark, dass uns Jungen fast gruselig wird bei dem in Scene gesetzten medica-
mentösen Apparat. Wohlthätig sticht aus der Discussion hervor unsere greisen Bischoff -
berger' s Ansicht, dass wohl die Natur diese Krankheit von selbst heile.
Mit grossem Eifer behandelte damals die Gesellschaft die Impffrage, und Para¬
graph 13 der ersten Statuten sagt, dass jedes Mitglied an die Winterzusammenkunft die
Impftabellen einsende. Bei dieser Einsendung wurde constatirt, dass der hiezu auch ein¬
geladene Impfer, Joseph Frerwer (Vater des nachmaligen Landammann Dr. Frenner') mehr
Personen geimpft hatte, wie alle damals anwesenden, legitimen Aerzte zusammen. Auf
einen Antrag der Gesellschaft beschloss der damalige Grosse Rath 1832, dass auf das
Vorzeigen einer mit den Pocken behafteten Kuh, behufs besserer Vaccination, eine Prämie von
10 Brabanterthalern gesetzt sei. Aber nicht bloss beim Impfen pfuschten die Quack¬
salber damals schon den medicinischen Göttern in’s Handwerk, denn laut Protocoll von
1829 bemerkt Heim, dass es einem Pastor Liebherr in Oberegg beliebe seine Geschäfte
zwischen Altar und Corpus zu theilen.
Wir Mediciner von heute glaubten vielleicht das Thema „Gesundheitspflege“ und
dessen Cultivirung sei so recht ein Kind unserer Zeit, aber Titus Tobler brachte schon
1829 eine sehr iustructive Arbeit Uber das „W e b e n“, und kommt darin zu dem Schlüsse,
dass Krankheit und Siechthum häufig bei Webern und Weberinnen einkehren und er¬
öffnet die traurige Aussicht in die Zukunft, da in einem schwächlichen und kränklichen
Schlag der starke und gesunde Stamm grösstentheils zertrümmert sein wird.
Das Jahr 1830 war für unsere Gesellschaft ein ziemlich steriles, brachte sie es doch
nicht weiter wie zu laugen und langweiligen Debatten über Blutegel und deren Appli-
cationsweise.
Gegenstand mehrfacher Besprechung war die 1830 eingesetzte Sanitätscom¬
mission, deren Einführung durch den Grossen Rath wir der Petition von Gabriel Rüsch
und Schlüpf er in Trogen verdanken. Bereits im Jahre 1832 beklagten sich einige Mit¬
glieder über die mangelhafte Vertretung unseres Standes in dieser Fachbehörde. Heim
wünschte eine Erweiterung und Populärmachung derselben, und Walser von Teufen ver¬
langte geradezu Erhebung und Anerkennung der ganzen medicinischen Gesellschaft als
Sanitätscommission durch den Grossen Rath. Da die Ansichten zu weit auseinander¬
gingen, fiel einer ad hoc gewählten Commission die schwere Aufgabe zu, dem jungen,
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150
aber schon kranken und schwachen Körper Gesundheit und Kraft einzuhauchen. 1884
spricht das Protocoll von einem in einer frühem Sitzung vorgelesenen Entwurf zur Neu¬
gestaltung der Sanitätscommission, der aber nirgends mehr zu finden sei, und fand so die
ganze Angelegenheit vorläufig ein unrühmliches Ende. Lauheit des medicinischen Standes
und Kurzsichtigkeit von Volk und Behörden haben bis dato diesen wichtigen Zweig unseres
Staatswesens zur oft 6chon verhängnisvollen Unthätigkeit verdammt.
Im Jahr 1832 wurde Titus Tobler in die in Luzern tagende eidgenössische
Choleracommission gesandt, und mit welchem Interesse Tobler an unserer Gesell¬
schaft hing, beweist ein längeres Sendschreiben desselben aus Luzern an die Gesell¬
schaft. Tobler referirt darin über die Choleracommission selbst, beklagt sich, dass bei
der Wahl der Sendlinge auf den Schauplatz der Epidemie mit Ausnahme von Dr. Gosse
weder auf ausgezeichnetes Talent, Schriftstellerverdienst, noch auf wissenschaftlichen Eifer
überhaupt gesehen wurde. In Bezug auf die eidgenössische Sanitätscommission sagt
Tobler, dass der Nutzen derselben bis zur Stunde eben nicht gross gewesen Bei. Das
Beste, was jene gethan habe, dürften einige gute Kathschläge über die Abhülfe des Her-
beischwärmens fremder Handwerksgesellen sein.
1833 überraschte Zeltweger die Gesellschaft mit einer medicinisch-topographischen
Beschreibung unseres Landes und reihte daran eine kurze Abhandlung über die einheimische
8truma.
Eigenthümlich berührt die von Beim 1833 gestellte und vom Verein mit Glanz
verworfene Motion auf Abschaffung der Titel in unserer Gesellschaft. Der Titel
„Rathsherr" oder gar „Landesseckelmeister“ hatte mehr Klang wie der Berufstitel „Arzt 8
oder „Doctor“. Tempora mutantur et nos mutamur in illis.
Die 1838 mit ziemlicher Intensität auftretende Pockenepidemie liess wieder den drin¬
genden Wunsch laut werden nach von Staatswegen aufzustellenden Impftabellen und
officiellen Sterbelisten der an Pocken Gestorbenen, es blieb aber dieser Wunsch wieder ein
pium desiderium.
Auf den Juli 1835 wurde eine ausserordentliche Sitzung, zu der alle patentirten Aerzte
des Kantons eingeladen waren, festgesetzt, zur endgültigen Berathung eines Entwurfes
zur Organisation der Sanitätsbehörden. Gabriel Rüsch präsidirte die Versammlung und
zeigte in seinem Eröffnungsworte, wie es allen Mitgliedern fühlbar sei, dass die existirende
Sanitätsbehörde zu wenig Competenz und daher nur geringen Einfluss in medicinisch-
polizeilicher Rücksicht habe. Geleitet von diesem Gedanken sei der gefertigte Entwurf
entstanden. Die Verwerfung der cantonalen Verfassung 1833 habe auch ihre Rückwirkung
auf unsere Gesellschaft gehabt, nun aber die neue Verfassung constituirt sei, so sei es
Pflicht der Gesellschaft den vorliegenden Entwurf mit Ernst zu berathen. Rüsch weist
auf diejenigen wohlgeordneten Staaten hin, in denen das Sanitätswesen als eine der
ersten Noth Wendigkeiten für Staat und Volk mit immer gleich regem Eifer gepflegt wird.
Dieser Entwurf setzte die Sanitätsbehörde zusammen: a) aus einer Sanitätscommission,
b) aus drei Bezirksärzten und drei Adjuncten nebst den gerichtlichen Thierärzten. Die
Functionen der Sanitätscommission und der Bezirksärzte wurden klar und genau geregelt.
Wer später Schuld an der Verstümmelung dieses Entwurfes war, sagt das Protocoll nicht.
War Gabriel Rüsch im Verein mit Fisch und Wirth in Urnäsch der emsige Förderer
einer neuen Sanitätsverordnung, so verwendete sich sein Neffe Ulrich Rüsch mit Leuthold nicht
minder eifrig in einer von der medicinischen Gesellschaft 1836 gutgeheissenen Petition
an den Grossen Rath für Einführung der Haustaufe für zu früh geborene,
oder ausgetragene schwächliche Kinder. Die Sanitätscommission wurde mit
Absicht umgangen, da sie sich stets sehr lässig zeigte in der Behandlung und Erledigung
derartiger von der Gesellschaft gestellter Gesuche.
An das Ende der Dreissiger und den Anfang der Vierziger Jahre fallen einige sehr
tüchtige, dem Verein vorgelegte Arbeiten; so referirt Küng über verschiedene neue Medica-
mente und deren Erprobung am Krankenbette; Kurrer in Bernegg über Empyem und glück¬
liche Thoracocenthese; Leuthold über Noma; Tobler über Morphium aceticum.
1835 tritt unser ältestes Activmitglied Beck in die Gesellschaft ein, der in 42 Jahren
nicht 8 Mal den Sitzungen fern blieb. Alle Anerkennung solch unwandelbarer Treue.
Ende der Dreissiger Jahre waren die Sitzungen constant sehr schwach besucht,
so dass auf den October 1839 eine ausserordentliche Versammlung ausgekündet wurde,
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am alles Ernstes Über die Auflösung der Gesellschaft zu berathen. Von gutem
Omen war an diesem ernsten Tage der Eintritt Oertli' s und die Umfrage entschied ein¬
hellig für den Fortbestand der Gesellschaft. Das Jahr darauf, 1840, sah die Sonne in
Speicher, der Jahre lang beliebteste Versammlungsort, die Mitglieder zahlreicher denn je
einrücken. Das Ruder ergriffen von Neuem mit kräftiger Hand Heim und Oertli, zugleich
aber erlitt die Gesellschaft einen schweren Verlust durch den Austritt Titus Tobler'a, der
in’s Thurgau gezogen, weil er durch die langjährige Bekleidung der verschiedensten
politischen Stellungen „amtsmüde“ war.
Der allezeit eifrige GabrielRüsch rückte 1840 mit der Motion auf, „dass das hie¬
sige Apothekerwesen besser geregeltund d i e A potheken mehr
beaufsichtigt werden möchten.“ Der Redner fand vollkommenen Beifall, je¬
doch stellte sich bei der Discussion keine Hoffnung heraus, dass einem diesfallsigen Be¬
gehren an den Grossen Rath entsprochen werden möchte, weil man dermalen allen Neue¬
rungen, so gut sie auch gemeint seien, ziemlich abhold Bei. Partout comme chez nous!
möchte man ausrufen, wenn die Herren Apotheker sich zu Reclamen niedrigster Sorte
herablassen, als da sind: „heilkräftige Halsbänder für leichtes Zahnen der Kinder, electro-
galvanische Ringe gegen Rheumatismus“ etc. etc. Aber der allmächtige Staat thut nichts,
er deckt mit dem Namen „Gewerbefreiheit“ allen und jeden Medicamentenschwindel.
Nicht weniger rührig war in fach wissenschaftlicher Richtung der fleissige Actuar
Leuthold. 1840 wirft er die Frage auf: „Wenn bei Querlage des Kindes bei normaler
Beckenweite der eine oder der andere Arm lange Zeit vorgefallen und aufgeschwollen
ist, kann da die Wendung nur nach vorgenommener Ablösung des Armes ausgerichtet
werden?“ und beantwortet diese Frage unter Exemplirung zweier glücklich ausgeführter
Fälle mit „Nein“.
Im Frühjahr 1847 tritt Niederer in Rehetobel in den Schooss der Gesellschaft, es war
dieser Mann auf Jahre hinaus eines der im Verein wissenschaftlich thätigsten und an¬
regendsten Mitglieder. Am instructivsten waren wohl seine Jahresberichte über seine
Praxis, worin er sich besonders einlässlich ausliess über ihm vorgekommene chirur¬
gische und geburtshülfliche Fälle. Die richtige Gestalt und Halt gaben dazu die von ihm
stets mitgebrachten pathologischen Präparate. Wenn Niederer seine Thesen oft mit allzu
grossem Aplomb und Unfehlbarkeit hinstellte, so fand er einen würdigen Gegner in Land-
ammann Oertli , der gleich einem Jupiter tonans sich Niederer entgegenstellte und die alte
Schule in Schutz nahm gegenüber der von Niederer wohl allzu oft betonten sogenannten
„Neuen Schule“.
Gleich einem Hellseher trat bei Anlass der Besprechung einer bessern Medicinal-
statistik in uuserm Lande Herr Landammann OertH 1858 mit der Frage vor das Forum
des Vereins, ob es überhaupt nicht an der Zeit wäre auch unser Bischen Medicinal-
ordnung noch über Bord zu werfen und in unserem Ländchen allgemeine
Heiltreiheit einzuführen. Oertli meinte, Pfuscher habe es zu allen Zeiten und bei
allen Medicinalgesetzen gegeben, sie seien eine Art NaturnothWendigkeit, unser Völklein
glaube ihnen mehr als uns, ihre gelungenen (oft zufälligen) Curen trage die geschäftige
Fama in immer wunderbarerer Ausschmückung von Mund zu Mund, die unglücklichen aber
werden den Medicastern von ihren Anhängern möglichst verschwiegen, den Medicinern
hingegen möglichst ausposaunt, meist noch mit Entstellungen und Vergrösserungen. So
beim Volke und bis in unsere Rathssäle, wo immer der jeweilig anwesende Jünger
Aesculaps bei auftauchenden medicinischen Fragen als Stichscheibe hinhalten müsse und
angeregte sanitariBche Verbesserungen, gesuchte Garantien für den ärztlichen Stand jeder¬
zeit mit trivialen Angriffen auf diese selbst bekämpft worden seien. — „Auf diese Rede,
aus diesem Munde, erstauntes Schweigen“, sagt der Actuar Meyer, und doch er¬
füllte sich die einer Prophezeiung gleiche Rede OertÜ’B schneller als Alle, die ihn gehört,
je ahnten.
1857 tritt Fisch in den Verein und übernimmt im gleichen Jahre das Actuariat, und
an die Spitze dös Vereins tritt der feinfühlige, von seinen Fachgenossen wie vom Volke
gleich geliebte und verehrte Statthalter Dr. Meyer in Trogen. War Niederer der erste
Sprecher für Chirurgie und Geburtshülfe, so vertrat Meyer die Naturwissenschaften mit
grosser Fachkenntniss und Wärme, so besonders Geologie und Botanik, und Fisch erörterte
in mannigfachen mustergültigen Abhandlungen ein laut Protocoll, den Collegen in dieser
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Wissenschaftlichkeit vorgetragen, ganz neues Feld, es ist die Ophthalmologie. — In hohem
Grade anregend waren die Arbeiten von Kürsteiner über die climatologischen und noso¬
logischen Verhältnisse unseres Landes, die Mittheilung kriegschirurgischer Erfahrungen
von Vogl und ZeUweger aus den Jahren 1866 und 70, die historischen Reminiscenzen Meyer'a.
Interessant ist die Behauptung Meyer’s , von Hceser allerdings völlig bestritten, dass Theo -
phrostus Paracelsus im Gegensatz zu der stereotypen Angabe, dass derselbe im Canton
Schwyz geboren sei, ein Abkömmling der Familie Höhener in Gais sei, und vindicirt ihm
somit Meyer das appenzellische Bürgerrecht. Meyer will den Beweis in der alten Riblio-
theca abbatisceliana in Trogen gefunden haben, leider ist die Quelle nicht angegeben im
Protocoll.
Wie die Gesellschaft appenzellischer Aerzte in dem engen Rahmen cantonaler Grenzen
nicht lässig wurde in der Reformirung und Verbesserung unserer fachlichen und corpora-
tiven Interessen, so verdanken wir auch der Initiative des toggenburgiBChen ärztlichen
Vereins im Verein mit unserer medicinischen Gesellschaft die 1858 begonnene Anbahnung
zur Gründung des eidgenössischen medicinischen Conoordates.
Eine von Meyer und Fisch Unterzeichnete „Adresse au die schweizerische Bundesversammlung
betreffend Freizügigkeit der patentirten Aerzte“ setzte die Gründe klar auseinander, die
für eine einheitliche Reglirung und Normirung der medicinischen Examina und der daraus
folgenden Freizügigkeit sprechen.
1865 ist es Krvsi, der zuerst die Idee zur Gründung eines Cantonsspitals in den
Schooss der Gesellschaft warf, das Bedürfniss einer derartigen Anstalt nachwies und
Mittel und Wege zur Erreichung dieses schönen Zieles angab. Wie das Saatkorn nicht
sogleich nach einem befruchtenden Regen an das Tageslicht tritt, so musste die völlig
neue Idee zuerst Wurzel fassen in den ärztlichen Gemüthern, und erst 1867 nimmt Graf
als Präsident wieder die Frage einer Cantonalkrankenanstalt auf. Da verlässt Krüsi seinen
ersten Standpunct und befürwortet die Errichtung von Bezirkskrankenhäusern aus fol¬
genden Gründen: 1. sei bei einer centralen Anstalt der Transport der Kranken aus ent¬
legenen , gebirgigen Gemeinden oft schwierig, 2. mangeln Appenzell alle und jede
Fonds und 8. sei die unbeschränkte Souveränität der Gemeinden ein Haupthindcrniss.
Dieser Ansicht trat Fisch bei, und von da an erhob er sich zum unentwegten Vorkämpfer
dieser Idee. Mit eiserner Energie und mit Hintansetzung aller persönlichen und materiellen
Interessen bot Fisch allen Hindernissen Trotz, die sich der Verwirklichung dieser grossen
Idee entgegenstellten. Die Spitalfrage blieb viele Jahre das stehende und Haupttractan-
dum aller Sitzungen. Fisch versicherte sich auch des Beistandes der einflussreichen Ge¬
meinnützigen Gesellschaft, und endlich begann die Sache Gestalt und Leben anzunehmen.
In Helden, Trogen, Herisau und Appenzell wurde der Grundstein gelegt zu stattlichen
Bezirkskrankenhäusern und heute stehen sie fertig da. Mit einem Kostenaufwand von
etwa 700,000 Fr., zuBammengelegt auf dem Wege der Privatwolhthätigkeit, stehen heute
mehr wie 160 Betten den armen Kranken unseres Cantons zu Gebote. Stolz darf die
ärztliche Gesellschaft auf die in ihrem Schoosse geborne Schöpfung blicken, ein sprechen¬
des Denkmal der werkthätigen Liebe eines Volkes und ein unvergänglicher Lorbeer dem
strebsamen Förderer des schönen Werkes.
Während in der Mitte unserer Gesellschaft die Spitalfrage reifte, warf der Populus
ein anderes Thema nolens volens in die Debatten des Vereins, es ist: „dieFreigebung
der ärztlichen Praxis.“ Am 30. Mai 1870 fasste die Gesellschaft den denkwürdigen
Beschluss: „Die Gesellschaft appenzellischer Aerzte hat sich in der Sitzung vom 30. Mai
nahezu einstimmig für Freigebung der ärztlichen Praxis ausgesprochen, aber ebenso sehr
für Fortbestehen der Staatsprüfungen und Publication der Patentirungen.“ Was der Verein
in seiner Mitte gut hiess und empfahl, das nahm das Volk an der Landsgemeinde von
1871 mit Freuden an in der Meinung, damit eine grosse Errungenschaft gemacht zu haben.
Zeit und Erfahrung werden einst entscheiden über den Werth oder 8chaden dieser Ein¬
richtung. Halten wir Aerzte uns an das Votum unsres verstorbenen, theuren Ehrenmit¬
gliedes Titus Tobler, der sagte, die Froigebung sei in unserm Lande nichts Neues, sie habe bis
in die Zwanziger Jahre bestanden. Auch damals seien die wissenschaftlichen Aerzte
vorgezogen worden, und das werde auch in Zukunft der Fall sein, so lange der Arzt
seiner Kunst gewiss sei und moralisch lebe. —
Ein bewegtes, wechsolvolles Leben characterisirt unsere Vereinsthätigkeit von der
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Zeit der Gründung an, und vielleicht die ernsteste und bewegteste Zeit kommt der Jetzt¬
zeit zu. „In die Zukunft klar zu schauen und aus der Vergangenheit bestimmte Schlüsse
für die Gestaltung des Vereins in der Folgezeit zu ziehen, wer vermöchte es? Aber aus
der Vergangenheit zu lernen und die eigne Kraft für die Zukunft durch jene zu stählen,
das vermag ein Jeder."
Vivat, crescut, floreat in aaternum
Societas medicorum abbatiscellensium. '
Heiden. Dr. Altherr.
Neuenbürg. Zur Behandlung des Keuchhustens. Mit Interesse er¬
sehe ich aus dem Sitzungsberichte der medicinisch-chirurgischen Gesellschaft des Cantons
Zürich vom ß. November 1877, laut Correspondenzblatt Nr. 3, dass Bezirksarzt Dr. Sigg
von Andelfingen die Inhalationstberapie mit Terpentinöl gegen chronischen Bronchialca-
tarrh mit Erfolg anwendet. Erlauben Sie mir, dieser schätzenswerthen Mittheilung eine
Beobachtung anzuschliessen, die ich für eine anderweitige Erkrankung des Respirations-
tractus zu machen die Gelegenheit hatte, nämlich für den Keuchhusten. Nachdem ich
mich wiederholt von der Unzulänglichkeit sämmtlicher bekannter Behandlungsmethoden
überzeugen musste, kam ich, beinahe durch Zufall, auf eine Idee, die mir bis dahin sehr
befriedigende Dienste geleistet. Ich verordnete einem Patienten, Familienvater, anlässlich
eines acuten Kehlkopfcatarrhs Einathmungen von Terpentinöl, indem ich ihm dreimal täg¬
lich 20 Tropfen von Oleum therebinth. rectificatiss. auf ein Taschentuch träufeln, vor
Mund und Nase halten und damit 40 tiefe Einathmungen machen hiess. Der Erfolg war
für den Kranken und objectiv laryngoscopisch ein überraschender. In derselben Familie
befand sich ein 15 Monate alter Knabe, der an Keuchhusten litt und zwar war die
Krankheit im convulsivischen Stadium. Sämmtliche Geschwister hatten zuvor der Reihe
nach die Krankheit durchgemacht. Man behandelte das Kind wegen Erfolglosigkeit der
angewandten Therapie homöopathisch. Auch dies liess im Stiche und frug man mich um
Rath. Das Kind war bereits sehr heruntergekommen und erbrach fast alle Nahrung.
Es bestund zu gleicher Zeit Catarrh der Bronchien, abendlich leichte Temperaturerhebun¬
gen. Constitution des Kindes scrophulös. Der Gedanke kam mir, was ich beim Vater
gegen eine nicht infectiöse Erkrankung desselben Organs versucht, auch beim Kinde
gegen die infectiöse anzuwenden. Die Schwierigkeit der Anwendungsweise löste ich da¬
durch, dass ich beim Wachen des Kindes durch die Mutter das Taschentuch Vorhalten
und während des Schlafes das Terpentinöl auf das Kopfkissen träufeln liess. Der Er¬
folg übertraf die Erwartungen. Damit ich aber nicht den Vorwurf auf mich lade, allzu
sanguinisch zu sein, lasse ich die Mutter selbst sprechen. Ohne meinen Besuch abzu¬
warten, kam dieselbe zu mir und erklärte: „dass bereits nach 24 Stunden eine Abnahme
der Häufigkeit und Heftigkeit der Anfälle bemerkbar gewesen und dass sie, die Mutter,
nun nach drei Tagen weit bessere Nächte habe." Zur Hebung der Kräfte des Kindes
verordnete ich dann Cognac f. Champagne und liess alle Stunden während 5 Minuten
das Zimmer lüften, um den Kohlensäuregehalt des Wohnungsraumes herabzusetzen, der
nach Hauke die Anfälle verschlimmern soll. An die frische Luft konnte ich das Kind
nicht bringen lassen, da die Witterung (Spätherbst) zu schlecht war. Ich überzeugte
mich jedoch wiederholt, dass die Eltern, obwohl dem Arbeiterstande angehörend, wo
man leider nur allzu häufig auf Gleichgültigkeit stÖBst, mit grossem Verständniss und
grosser Gewissenhaftigkeit meine Vorschläge befolgten. Das Kind heilte auffallend rasch.
Seitdem habe ich in hiesiger Stadt und Umgebung, wo der Keuchhusten im Frühling
und Herbst epidemisch aufzutreten scheint, Gelegenheit gehabt, zahlreiche Versuche mit
obengenanntem Mittel anzustellen und zwar in allen Stufen des Kindesalters und in
allen drei Stadien der Krankheit. Sowohl das initial-catarrhalische als das convul-
sivische und das terminal-catarrhalische (Gerhardt) wurden dadurch entschieden beein¬
flusst, oft die Anfälle in auffallender Weise coupirt. Ich behalte mir für ein späteres
Referat vor, sobald sich eine hinreichende Zahl von Fällen zusammengefunden hat, sta¬
tistisch diese Behandlungsmethode zu beleuchten. Ob ich nun diesen Einfluss den Ter¬
pentindämpfen oder den etwas veränderten hygieinischen Bedingungen zuschreiben darf,
will ich nicht untersuchen. Es liegt mir einzig daran, die Herren Collegen auf diese
Thatsache aufmerksam zu machen und sie zur Wiederholung und Prüfung des Ver-
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Buches einzuladen. Ein maassgebendes Resultat kann selbstverständlich nur aus einer
grossen Anzahl von Fällen hervorgehen , die einem gewöhnlichen practischen Arzte und
besonders einem jüngern nicht zu Gebote stehen. Ich bemerke noch, dass ich stets
Belbst die erste Anwendung vorgezeigt und stets den Verlauf gewissenhaft notirte. Für
Kinder in den ersten Lebensjahren genügt eine schwächere Dosis von je 10 Tropfen und
ungefähr 20 Einathmungen, Morgens im Bett, im Verlaufe des Vormittags, und Abends
im Bett vorgenommen. Ueber das Verfahren bei ganz kleinen Kindern, wo ja im All¬
gemeinen die Erkrankung seltener ist, habe ich oben Erwähnung gethan.
Dr. Albrecht-Gerth, Arzt in Neuenburg.
Retsebriefe ans dem Süden.
Pegli bei Genua. Hochgeehrte Redaction. Nach Pegli kommt man von der
ßchweiz aus am raschesten und bequemsten durch den Mont-Cenis, über Turin, Ales-
sandria und Sanpierdarena, die letzte Station vor Genua, wo sich die Linie der Riviera
di Ponente nach Westen abzweigt. Wer Abends nach 9 Uhr von Genf wegfährt, kommt
den andern Tag, Nachmittags gegen 5 Uhr hier an, gerade früh genug, um noch Toilette
zum Diner zu machen. Kranke thun wohl daran, in Genf und in Turin zu übernachten
und daher den um 8 Uhr 20 Min. früh von Genf abgehenden Zug zu benutzen, der sie
bis Abends 6. 40 nach Turin bringt.
Ueber Reisevorbereitungen und dergleichen ersuche ich den Leser, meine vorjährigen
„Reisebriefe aus dem 8üden“ (Correspondenzblatt, 1877, Seite 21, 57, 121) nachzulesen
und namentlich nicht zu übersehen, was dort vom Mitnehmen der Flaumdecken und wei¬
cher Kopfkissen, sowie von der Spedition des Reisegepäcks gesagt wurde. Aerzte,
welche sich dieser Winke im rechten Augenblicke erinnern, und ihre nach dem Süden
reisenden Patienten darauf aufmerksam machen, werden denselben immer einen sehr we¬
sentlichen Dienst erweisen.
Pegli war bis dahin den Reisenden nur der Villa Pallavicini wegen bekannt Als
Winterstation ist es heute noch den meisten Aerzten eiue in jeder Beziehung unbekannte
Grösse. Ich muss 8ie daher vor Allem mit der geographischen Lage und den topogra¬
phischen Verhältnissen des Ortes bekannt machen.
Bekanntlich gehen die beiden Küstenstriche, die man Riviera di Levante und Riviera
di Ponente nennt, am Golfe von Genua in einem sehr flachen Bogen in einander über.
Die am meisten landwärts einspringende Stelle der weiten Bucht befindet sich keineswegs
bei Genua, sondern bei dem 15 Km. westlich davon liegenden Voltri, so dass, genau ge¬
nommen, schon der von Voltri an ostwärts gelegene Theil der Küste, und also auch das
zwischen Voltri und Genua liegende Pegli, sowie auch Genua selbst bereits zur Riviera
di Levante gehören, während der gewöhnliche Sprachgebrauch die beiden Rivieren
von Genua aus als „di Levante“ und „di Ponente“ abgehen lässt. Die Höhenzüge des
Apeunin’s umschliessen den Golf ziemlich enge; gerade hinter Pegli steht der circa
1100 M. hohe Monte Penello in der Luftlinie nur 6 Km. von der Küste zurück. Ein
vom Penello gegen Süden sich abzweigender Höhenzug fällt als kleines Vorgebirge steil
ins Meer ab und theilt den Golf in zwei flache Buchten, eine westliche, an welcher
Pra und Voltri liegen, und eine östliche mit den Ortschaften Pegli, Sestri-Ponente
und Cornigliano. Pegli liegt hart am östlichen Abhange dieses ziemlich bedeutenden
Bergrückens und wird auch im Norden durch die zahlreichen und hohen Abzweigungen
desselben bo nahe umfangen, dass es gegen Westen und Norden wohl geschützt ist
Gegen Osten tritt der hinter Sestri steil ansteigende Felsenkegel der N. D. del Gazo
nicht nahe genug an die Küste heran, um Pegli auch auf dieser Seite den Windschutz
zu gewähren, welchen es im Norden und Westen hat. Immerhin ist der Ort auch gegen
die Tramontana (Nordost) weit besser geschützt als die Endpuncte des Golfes, Voltri
und Genua, bei welchen beiden Städten je zwei tief aus dem Apennin kommende Thäler
sich öffnen und den Nordwind mit Macht auf sie hervorbrechen lassen. Es ist bei stark
wehender Tramontana ein eigenthümliches Schauspiel, von Pegli aus die weissen Wellen¬
kämme zu beobachten, welche von Voltri und Sanpierdarena, der westlichen Vorstadt
Genua’s her das ruhige Meer vor Pegli zu beiden Seiten umsäumen.
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155
Alle die Hügelreihen, welche die kleine Ebene von Pegli umgürten, bergen in ihrem
Schoo886 zahlreiche, tief eingesehnitteno Thälchen, die alle von kleinen Bächen durch¬
rieselt werden. Reiche Wein- und Olivenculturen schmücken die Abhänge, indessen
die Kuppen und Bergrücken die schönsten, naturwüchsigen Pinienwälder tragen. Der
Quellenreichthum und besonders die reiche Bewaldung der nächsten Umgebung zeichnen
Pegli vor allen andern mir bekannten Curorten der beiden Rivieren aufs Vortheilhafteste
aus. Am besten gelangt man zur vollen Einsicht in diese Verhältnisse, wenn man die
hochliegende Wallfahrtskirche N. D. del Gazo besucht.
Der Anblick von da droben ist bezaubernd schön. Nach Süden den blauen Spiegel
des weit geöffneten Golfes; weit über den Monte Portofino* hinaus und biB zu der vor
dem Golfe von Spezia liegenden Insel Palmaria verfolgt das Auge die Riviera di Levante,
bis zum Capo delle Melle, also bis ganz nahe an Porto Mauritio hin, die Riviera di Po¬
nente. Der ganze zu unsern Füssen liegende Küstenstreif ist mit Ortschaften besäet; sie
scheinen sämmtlich mit Genua „la superba“ in ununterbrochenem Zusammenhänge zu
stehen. Darüber hin die stilvollen Gebirgszöge des Apennin’s mit all’ den coulissenartig
nach der Küste hin vorgeschobenen Bergrücken. Gekrönt ist das entzückende Bild gegen
Westen hin durch die schneebedeckten Seealpen, die man vom Col di Tenda bis zum
Monte Viso hin verfolgen kann, im Osten durch die weissschimmernden Gipfel der Car¬
rarischen Alpen, auch Apuanen genannt Aber Alles erscheint kahl, glühend im Sonnen¬
schein, mit einziger Ausnahme der Umgegend von Pegli, die allein als immergrüne, wal-
dige Oase, fast wie ein richtiger dunkelgrüner Farbenklex im Grunde des in allen Farben
prangenden Landschaftsbildes liegt.
Gestatten Sie mir, Ihnen hier einen Brief mitzutheilen, welchen ich im vergangenen
November an die Redaction der „Gesundheit“ gerichtet, der aber bis dahin nicht
zum Abdrucke gekommen ist Er bezieht sich auf eine Reisenotiz des Herrn Prof. Dr.
R. Schleiden , welche jene Zeitschrift über Pegli gebracht hatte. Er lautet in der Haupt¬
sache wie folgt:
„Die im Feuilleton der Nr. 20 der Zeitschrift für körperliches und geistiges Wohl
erschienene Notiz über den „neuen Luftcurort Pegli“ bedarf der Ergänzung und Berich¬
tigung.
Pegli ist unbedingt eine der kostbarsten Juwelen der ganzen Riviera und verdient,
wie Prof. Schleiden ganz richtig bemerkt, bekannter und geschätzter zu sein, als dieses
zur Zeit der Fall ist. Was aber diesem gesegneten Fleck Erde vor Monaco , Mentone
und Nizza einen nicht hoch genug zu werthenden Vorzug gibt, ist wohl weniger „die
italienische Eigenartigkeit seines Lebens“ als vielmehr die eigenthümliche Constitution
Beiner Atmosphäre, welche uns berechtigt, Pegli als Wiotercurort eher der luftfeuchtern
Riviera di Levante (Nervi, Spezia) als der lufttrockenen, staubigen Riviera di Ponente
zuzuzählen. Den relativ nicht unbedeutenden Feuchtigkeitsgehalt und daher die Weich¬
heit seiner Luft verdankt Pegli offenbar dem Quellenreichthum der umliegenden bewalde¬
ten Berge, ein Umstand, welcher auch die Ueppigkeit der Vegetation erklärt, wodurch
sich diese Gegend auszeichnet Pegli nimmt so zwischen dem trockenen Nizza und Men¬
tone und dem regenreichen Pisa nicht nur geographisch, sondern auch meteorologisch die
richtige goldene Mitte ein. Wir zerfliessen hier nicht in der Sonne, frieren aber auch
nicht im Schatten, wie das in Nizza vorkommt, noch drückt uns hier der Bleimantel von
Pisa’s Atmosphäre, unter welchem selbst ganz anständig organisirte Nervensysteme aus
dem Leim zu gehen pflegen. Pegli darf daher im Gegensätze zu den Curorten der eigent¬
lichen Riviera di Ponente auch solchen Brustleidenden anempfohlen werden, die an sog.
erethischen Formen der Phthise laboriren, mit trockenem Husten, Neigung zu Fieber und
HsernoptoS. So viel als Ergänzung.
Der Berichtigung bedarf, was Herr Prof. Schleiden von der in Pegli den Fremden ge¬
botenen Beköstigung sagt. Derselbe muss in eine ächt italienische Osteria hinein gera-
then sein, denn den Gästen des Grand Hötel wenigstens ist es noch nicht vorgekommen,
dass ihnen „italienische Kost, bei welcher Oel, Zwiebeln und Fisch, nebst einem nicht
allzu verlockenden Brode, die tagtäglich immer wiederkehrenden Hauptingredienzen bil¬
den“, vorgesetzt worden wäre. Die Küche des Grand Hötel ist eine der besten, die ich
noch getroffen, ja — ich hebe es als ein besonderes Verdienst derselben hervor — selbst
die Gemüsezulagen sind äusserst sorgfältig und schmackhaft zubereitet und verhältniss-
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mässig reichlicher vorhanden, als das sonst der Fall zu sein pflegt. Die Unterkunft ist
hier vorzüglich, der Hötelpark sucht Seinesgleichen und die Preise, denn diese sind doch
auch zu beachten, sind gegenüber den in Sanremo, Mentone und Nervi üblichen als sehr
billig zu bezeichnen.“ So weit der Brief.
Pegli ist ein längs der Küste an die Provinzialstrasse hingebautes Dorf mit wenigen
engen Gässchen und verhältnissmässig wenig Mauern, die einem den Einblick und den
Eintritt in die wohlbebaute Landschaft streitig machen. Es gibt 4 Hötels hier und zudem
sind in einigen Villen und gutgelegenen Bürgerhäusern Privatwohnungen mit oder ohne
Beköstigung zu finden. Selbstverständlich hat der Ort auch sein Posthureau und eine Te¬
legraphenstation ; nach dem 10 Km. wqit entfernten Genua gehen wir per Eisenbahn oder
Omnibus und werden bald auch den Tramway benutzen können.
Der Ort zählt ca. 4000 im Ganzen wohl aussehende Einwohner, von denen ein guter
Theil mit Landwirtschaft und Gartenbau, ein anderer mit Industrie (Schiffsbau, Woll¬
wäscherei und Papierfabrication) und ein dritter mit Fischerei sich abgibt. Die Fischer¬
flotte Pegli’s zählt an die 30 Segelboote, welche fast jeden Morgen früh und Abends in
dio See stechen und bei ihrer Rückkehr regelmässig ein reges, buntes Treiben am Strande
veranlassen, welches der Fremde gerne beobachtet. Am schwunghaftesten aber scheint
hier das Fortpflanzungsgeschäft betrioben zu werden, oder wenigstens zu reüssiren: der
Kindersegen ist ein erstaunlich grosser. Hätte Busch Pegli von dieser Seite gekannt, er
hätte gewiss „die Wiege der Fruchtbarkeit“, welche er seiner frommen Helene empfoh¬
len, hieher versetzt, und wollte man nach Analogie Derer verfahren, welche Curorte auf
Grundlage sog. Immunitäten aufbauen, Pegli müsste Cur- und Wallfahrtsort für alle ste¬
rilen Frauen werden.
Von den schönen und theilweise weltberühmten Villen, von denen sich einige weit¬
hin in die Thäler und über die Hügel erstrecken, erzähle ich Ihnen bei Besprechung der
vielen und aussichtsreichen Spazierwege.
15. Januar 1878. Schnyder.
W ochenberieht.
Schweiz.
Basel« Im pfStatistik. Die Herren Collegen, denen Impf tabellen zuge¬
schickt worden sind, werden hiemit dringend ersucht, dieselben haidmöglich a u s ge¬
füllt einzusenden; sollten frühere Jahrgänge nicht erhältlich sein, so könnte doch das
Jahr 1877 nach den Forschen Tabellen von allen Impfärzten ausgefüllt werden.
Dr. de Wette.
Bern. Spitalneubau. Für das Haller -Pavillon sind von der fla/terfamilie und
Andern, unter einigen Bedingungen (die Selbstständigkeit der Corporation wahrend)
Fr. 85,000 gezeichnet, weitere Fr. 35,000 zugesichert. Ueberdiess erreicht die Samm¬
lung der Frauen des Bazar ebenfalls annähernd Fr. 100,000. Das schöne Unternehmen
ist somit in Fluss gerathen. Glückauf zu weiterem Vorgeben t
Glarns. Spitalneubau. Das Preisgericht (Architect Breitinger von Zürich,
Cantonsbaumeister Rothpletz von Aarau und Prof. Sodn von Basel) hat den ersten Preis
Herrn Architect Reber in Basel, den zweiten Herrn Architect Wolff jun. in Zürich, den
dritten Herrn Architect Schiesser in Glarus zuerkannt.
Bedlcinalstatlstib. Aus den ausgezeichneten Veröffentlichungen des eidgen.
statistischen Bureau theilen wir hiemit eine verkürzte Zusammenstellung mit, die den
Collegen immerhin als eine willkommene Frucht gemeinsamer Arbeit erwünscht sein
wird. Es wird beim Durchgehen derselben überraschen, dass die Stadt St. Gallen nur
86°/ 0 , Altstädten nur 87% und Biel nur 92% ärztliche Bescheinigungen der Todesursache
aufweisen, während alle anderen Städte (ausgenommen Einsiedeln mit 97%, Freiburg mit
99%) sämmtliche Todesfälle ärztlich bescheinigt haben. Hoffen wir, dass im nächsten
Jahr, in den Städten wenigstens, diese unentbehrliche Grundlage einer Mortalitätsstatistik
nirgends mehr Lücken aufzuweisen habe.
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f
- 157 -
iZu sätom enstellung der Geburten und Sterbefälle in den grösseren Ortschaften der
Schweiz im Jahre 1877.
Ortschaften
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3 u. .
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Aerztlich bescheinigte oder amtlich coustatirte
Todesursachen einiger d. wichtigem Krankh.
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Fact. Bevölker
berechnet au
1. Juli 1877
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Infectionskrankh.
And. vorherrsch.Krk
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7000 Einw.
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Acute Krankh.
d. Athm.-Org.
Enteritis der
kleinen Kinder.
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Selbstmord.
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Genäve
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100
Agglomeration
genevoise
67829
1766
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1590
29
1
27
27
10
274
193
110
27
27
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100
Zürich
21820
Ö70
27
383
1
9
12
6
1
47
48
15
113
8
2
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100
Zürich mit 9
Ausgemeinden
65863
2356
130
1635
4
18
51
32
13
191
163
157
51
31
3
13
100
Basel
49158
1920
75
1300
9
38
26
51
11
198
135
186
23
11
1
4
100
Bern
40460
1505
81
1177
4
28
23
34
19
159
141
62
38
7
2
2
100
Lausanne
80495
946
39
765
18
25
26
15
6
77
82
36
25
8
4
1
100
Chauxdefonds
21956
718
51
429
3
—
20
9
3
58
44
62
10
12
1
—
100
Luzern
18185
555
8
541
4
55
20
13
4
71
54
33
14
8
—
2
100
St. Gallen
18029
558
40
476
3
8
7
9
4
69
39
36
8
11
—
—
86
Neuchatel
15259
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28
408
20
10
7
9
o
62
42
44
9
8
—
3
100
Schaflhausen
11381
405
13
266
6
8
16
2
_
31
39
33
5
2
—
—
100
Winterthur
11298
418
21
236
10
6
1
10
3
20
29
34
9
3
—
1
100
Fribourg
11225
344
22
350
3
2
11
9
3
42
40
45
2
1
1
—
99
Locle
11031
354
18
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—
—
2
2
—
27
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5
—
—
100
Herisau
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392
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1
19
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2
—
—
100
Biel
9494
349
14
250
2
3
3
15
1
39
18
15
7
1
1
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V evey
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16
235
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—
100
Chur
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1
—
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1
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—
2
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—
1
—
—
97
Solothurn
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6
222
—
—
2
10
9
35
19
9
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4
—
100
Altstädten
7765
238
10
190
—
3
—
3
18
20
15
2
1
—
87
Total
431698
14211
679
10960
128
221
260273;
88
1465
1171
986
249
153
16
86
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657
11033
31
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214 2911901415
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97
Ausland.
Deutschland. Hygiene oder Hygieine? Prof. Pettenkofer kommt in einer
kurzen Besprechung der richtigen Schreibart (Hygiene oder Hygieine) zu dem Schlüsse,
dass das griechische ‘Yyleia im Lateinischen bald Hygiä, bald Hygea, aber nie Hygeia
oder Hygieia heisse, und dass man deshalb, obwohl grammaticalisch Hygieine sich schon
rechtfertigen Hesse, nach Analogie anderer aus dem Griechischen in das Deutsche über¬
geleiteten Worte (so Penelope, Euryklea, Iphigenie, Aeäa, Eumseos und nicht Penelopeia,
Eurykleia, Iphigeneia, Aiaia, Eumaios) besser thue, auch fortan Hygiene zu sprechen und
zu schreiben, weil die Regel „Hygieine“ auch gar zu schlecht kUngt
(Bl. f. Gesundheitspfl. 1878, 2).
Frankreich. Accidentelle Verbrennung durch Aether. Ein lyoner
Chirurg wollte bei einer sehr schönen, 18 Jahre alten Tochter eines reichen Kaufmannes
das Glüheisen anwenden. Die Patientin wurde auf einem Bette ätherisirt. Sowie sich
der Operateur mit dem Glüheisen nahte, entzündeten sich die Aetherdämpfe, der mit
Aether gefüllte, auf Mund und Nase der Unglücklichen gelagerte Ballon platzte und in
einem Nu brannte das ganze Gesicht. Der Arzt konnte die Flammen löschen, verbrannte
sich aber selbst schwer dabei. Das Gesicht der unglücklichen Tochter, die am Leben
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— 158
bleibt, ist schwör entstellt, da die Nase fast ganz fehlt und der Oberkiefer in weiter Aus*
dehnung freigelegt ist
Das Bull, de la soc. m6d. de la 8. rom, (1, 1878) macht darauf aufmerksam, dass
die Aetherdünste schwerer als die Luft (2,59 : 1) sind , niedersinken und so leicht in
Flammen gerathen, während Chloroformdünste nicht so schwer sind, immer mit viel
atmosphärischer Luft vermischt und nie in so grosser Quantität verwendet werden wie
Aether.
Bei einer Kranken mit hartnäckigem acutem Gelenkrheumatismus gab ich u. A.
Aether zum Aufträufeln auf die Fussgelenke und verbot dabei ausdrücklich die Anwen¬
dung bei Licht Eines Abends wurden die Aufträufelungen bei fern gehaltener Lampe
doch gemacht; der Mann kommt hinzu und leuchtet mit einer Kerze. Sofort brennt
Alles; doch rasch entschlossen wirft der unfreiwillige Brandstifter das Deckbett über die
Flammen und sich darauf. Die Kranke kam mit einer Verbrennung leichtesten Grades
(Blasen) davon.
Stand der Infectiona-Krankheiten in Basel.
Vom 11. bis 25. Februar 1878.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Von Masern sind neu angezeigt 94 Fälle (143, 169, 130, 138), davon auf dem
Nordwestplateau 26 (82, 45, 34), Birsigthal 32 (33, 39, 42), Südostplateau 8 (45, 18, 26),
Birsthal 1 (1, 2), Kleinbasel 27 (9, 27, 84).
8charlach zeigt wieder einige Zunahme: 28 neue Fälle (20, 87, 21), davon auf
dem Nordwestplateau 18 (8 in einem Hause), Kleirbasel 11, die übrigen zerstreut.
Typhus wie im letzten Berichte 8 Fälle zerstreut.
Diphtherie und Croup sind ungewöhnlich zahlreich: 22Fälle (10, 8, 17), wo¬
von auf dem Nordwestplateau 5, Birsigthal 6, Südostplateau 2, Kleinbasel 9.
Ery sipelas 10 Fälle (13, 6, 1), wovon je 4 vom Nordwestplateau und Klein¬
basel.
Puerperalfieber 4 Fälle, 1 ohne, 3 mit verschiedenen Hebammeü.
Varicellen wie im letzten Berichte zerstreut aus der Stadt, einige Pertussis-
fälle aus Kleinbasel.
Bibliographisches.
22) Kaufmann , Ueber die Zersetzung des Blutes. Inaugural-Dissertation. Leipzig,
Metzger & Wittig.
23) Schottelius , Neun 8ectionstafeln mit erläuterndem Text. Wiesbaden, C. W. Kreidel’s
Verlag.
24) Volkmann , Sammlung klinischer Vorträge; Leipzig, Breitkopf & Härtel:
Nr. 121 Genzmer Volkmann , Ueber septisches und aseptisches Wundfieber.
Nr. 122 Domblü A, Die chron. Tabak Vergiftung.
Nr. 128 Gränewald } Kleine Gebärasyle oder grosse Gebärunstalten ?
Nr. 124 SchweiggeTy Ueber Glaucom.
26) Rolhy Ueber Impfrothlauf. Vortrag. 9 Seiten. Verlag von Jos. Anton Finsterlin in
München.
26) Grafy Der Pensionsverein für Wittwen und Waisen bayrischer Aerzte, ein geschicht¬
licher Rückblick auf dessen 25jähriges Bestehen. 16 8. Verlag von Jos. Anton
Finsterlin in München.
27) Porty Ueber epidemiologische Beobachtungen in Casernen. Vortrag. 30 8. Verlag
von Jos. Anton Finsterlin in München.
28) Nussbaum, Einige Bemerkungen zur Kriegschirurgie aus einem klin. Vortrag. 10 S.
Verlag von Jos. Anton Finsterlin in München.
29) Vogl , Ueber den practischen Werth der Brustmessungen im Ersatzgeschäft. (Mit
1 Curventafel.) 28 8. Verlag von Jos. Anton Finsterlin in München.
80) Pürkhausery Zur Casuistik der Allantinsis. 88 8. Verlag von Jos. Anton Finsterlin
in München.
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Briefkasten.
Herrn Dr. K. v. Erlach: Beaten Dank für die so überaus prompte Erfüllung unserer Wünsche.
— Herrn Dr. J. B. Schneider in B.: Verdanke bestens die Mitteilung. Bitte, halten Sie uns ferner¬
hin au courant — Herrn Dr. Hafter: Verdanke bestens Ihre interessanten Mittbeilungen. — Herrn
Dr. B —i in Lugano: Wir konnten uns in dem Eingesandten doch nicht genügend surechtflnden. —
Herrn Dr. Neukomm in Z.: Die retournirte Arbeit ist wieder in unsern Händen angelangt. — Herrn
Dr. Ott in Luzern: Wird recht gerne veröffentlicht
Druckfehler. In der Corresp. auf Seite 117 u. ff. sind zu verbessern: 8. 118, Z. 16 v.
u.: 6 „ — in6 „ 6 „; Anmerkung: vor „liegenden“ einzuschalten „höher“; p. 120 Z. 28 v. u.:
2760 in 1750; p. 121 Z. 9 v. u.: „Herrsäule“ in „Heersäule“. Sodann sehe ich mit Schrecken, dass
in Weissenburg das Qyps- und in Ajaccio das Salzwasser alle meine Curanden in Curanten abge¬
härtet hat
Thermocautferes nach Paquelin !
sind wieder vorräthig bei
C. WaUer-Biondetti in Basel.
Bestellungen für speciell chirurgische Instru¬
mente nehmen entgegen:
Herr Demaurex, Bandagist in Genf,
„ Hausmann, Apotheker in St. Gallen,
„ Dr. med. Schenk, Bandagist in Bern,
die internationale Verbandstofffabrik in Schaff¬
hausen und deren Filiale in Zürich.
Bei A. Hirschwald in Berlin erschien soeben:
Archiv
für
klinische Chirurgie.
Herausgegeben von
Dr. B. von Langenbeck,
Geheimer Ober-Medici n«ü-K*th und Professor,
redigirt von
Dr. Blllroth, und Dr. Gnrlt,
Professor in Wien. Professor in Berlin.
XXIL Band. 1. Hefe.
Mit 3 Tafeln und Holzschnitten, gr. 8. Preis: 8 M.
Bandagen nach H. Biondetti (Paris),
als die vorzüglichsten und rationellsten empfohlen,
fertigt C. Walter-Biondetti.
RumfS @d!<
wird mit bestem Erfolge angewandt bei
bei Lungenschwindsacht, Bleichsacht etc.,
Prospecte gratis.
[102-R]
w Mltefewdn
Catarrh der Athmungsorgane and des Magens,
per Fl. 75 Cts., in Kisten k 12, 20 und 30 Fl.
Schweiz. Kumys-Anstalt Davos.
MATTOIHr 8
OFNER kökigs-bitterwasser
wird von den ersten medicinischen Autoritäten des In- und Auslandes gegen habituelle Stulil-
verhaltung und alle daraus resultirenden Krankheiten ohne irgend welche üble Nach¬
wirkung, auch bei längerem Gebrauche, auf das Wärmste empfohlen.
MATTONI & WILLE, k. k. österr. Hoflieferant.
Besitzer der 6 vereinigten Ofner Königs- Bitter -Quellen,
Curvorschrilten und Brochuren gratis [H-10-W]
B UDABEST, Dorotheagasse Nr. 6.
D6p6t in jeder grösseren Mineralwasserhandlnng des In- und Auslandes.
FRANZ JOSEF Bitterquelle.
Dm gehaltreichste Bitterwasser Ofens wie des In* und Auslandes, analysirt von den Pro¬
fessoren BernAt und Ballo, enthält in 10,000 Gewichtstheilen 522.95 fixe Bestandtheile; übertrifft
Pülina mit 60%, Friedrichshall mit 107%, Saidschütz mit 125%, alle Ofner Bitterquellen mit 35
bis 100% Mehrgehalt an wirksamen Salzen. — Bewährt als sicherstes Mittel zur Behebung ha¬
bitueller Stuhlverstopfung und Unterleibsbeschwerden verschiedenster Art, gegen Blutstockungen
und Blutandrang zu edlen Organen, gegen Leberkrankheiten, gegen Hsemorrhoiden, Hypochondrie,
Appetitlosigkeit etc. und wird besonders zum längeren Gebrauch empfohlen. — Engros-Lager in St.
Gallen: C. F. Hausmann. Vorräthig in sämmthchen Apotheken und Mineralwasserhandlungen.
Brunnenschriften etc. gratis durch die Versendungs-Directlon in Budapest.
[H-2661-Q] wam Als Normaldosis genügt ein halbes WeinglM voll, wam
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Stellenausschreibung.
Die Stellen zweier Assistenzärzte am Kantons¬
spital in St. Gallen werden hiemit, die eine auf den 1.,
die andere auf den 31. Mai I. J., zur öffentlichen
Bewerbung ausgeschrieben. Diejenigen Aerzte,
welche sich um eine derselben zu bewerben ge¬
denken, werden hiemit eingeladen, ihre Anmel¬
dung, mit den nöthigen Zeugnissen versehen, bis
zum 31. März I. J. an das Polizeidepartement des
Kantons St Gallen einzureichen, das ihnen die
näheren Anstellungsbedingungen mittheilen wird.
St. Gallen, 14. Februar 1878.
Ans höherem Auftrag:
Der Staatsschreiber:
[H-1325-X] Zlngg._
Bibliothek für Wissenschaft und Literatur.
Soeben erschien in der medidnischen Abtheilung:
Dlphterie nnd Croup, geschichtlich und klinisch
dargestellt von Dr. Frans Seitz, ord. Prof, an
der Univ. Mönchen. 9 M.
Inhalt: Geschichte der Bräune bis und im_18.
Jahrh. auf beiden Hemisphären. Ausbreitung über
den ganzen Erdkreis im laufenden Jahrhundert
Verlag von F. C. W. Vogel in Leipzig.
Soeben erschien:
Die
öffentliche Gesundheitspflege
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ausserdeutschen Staaten
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COREESPOMMZ-BLATT
Am 1. nnd 15. jeden für
Monats erscheint eine Nr.
I 1 /*—2 Bogen stark;
am Schluss des Jahrgangs
Titelu.Inhaltsverzeichnisß.
_ Herausgegeben von
schweizer Aerzte.
Preis des Jahrgangs
Fr. 10. — für die Schweiz;
der Inserate
35 Cts. die zweisp. Zeile.
Die Postbureaux nehmen
Bestellungen entgegen.
Dr. Alb. Burel&hardt-Herlan nnd 9r. A. Baader
Priratdocent in Basel.
in Gelterldnden.
N! 6. VIII. Jahrg. 1878. 15. März.
Inhalt: 1) Originalarbeiten: Prof. Dr. B. Quitickt: Empyem des Nierenbeckens, mit Drainage behandelt. — Dr.
B. Schnydtr: Die Lnngenblntnngen, ihr Verhalten zur Weiseenbnrgcnr nnd ihre Therapie (Fortsetzung). — 2) Vereinsbe¬
richte: Medicinisch-pharmaceutischer Bezirksverein dos bern. Hittellandes. —8) Referate nnd Kritiken: Landolt, Lepons
aur le diagnostic des maladies des yenz. — Dr. A. Qrunhagtn: Otto Funkf's Lehrbuch der Physiologie für academische Vor-
leanngen nnd znm Selbststudium. — Dr. Karl Sigmund: Die Wienerklinik för Syphilis. — P. Michelson: Deber Herpes tonsn-
rans nnd Area Celsi. — 4)Cantonale Correrpondenzen: Luzern, Solothurn, St. Gallen, Tessin, I. Cassa-Rechnung der
Schweiz. Aente-Commission, Mönchen. — 5) Wochenbericht. — 6) Bibliographisches. — 7) Briefkasten.
Original-Arbeiten.
Empyem des Nierenbeckens, mit Drainage behandelt
von Prof. Dr. H. Quincke in Bern.
B. B., 34 Jahre alt, Schmied, wurde im Jahre 1860 bei einem nächtlichen
Ueberfall misshandelt, und besonders auf die linke Seite geschlagen , von da ab
hatte er 14 Tage lang Blut im Urin und war 4 Wochen hindurch bettlägerig.
Vorher und nachher war er stets gesund bis zum Jahre 1875, wo er eines Tages
nach schwerer Arbeit plötzlich in der linken Lendengegend heftige, reissende
Schmerzen verspürte, welche nach der Symphyse hin ausstrahlten und die ganze
Nacht andauerten; erst mit Aufhören der Schmerzen am folgenden Tage konnte
Patient Urin lassen, der nun 2 Tage blutig und dann noch einige Zeit trübe war.
Im Jahre 1876 hatte Patient noch 2 ähnliche Kolikanfälle mit Hämaturie, in der
Zwischenzeit war der Urin immer klar. Am 31. December 1876 trat wiederum
ein solcher Schmerzanfall auf, der Urin war aber nicht blutig, sondern dauernd
trübe und es entwickelte sich allmälig (angeblich ohne Fieber) ein Gefühl von
schmerzhafter Spannung in der linken Seite, so dass Patient am 1. Februar 1877
das Inselspital aufsuchte. Erbrechen und Schüttelfrost sollen bei den Kolikanfällen
nicht dagewesen sein.
Status. Kräftig gebauter, etwas magerer, bleicher Mann. In der linken
Seite des Bauches und der Unterbrustgegend eine stärkere Wölbung sichtbar, die
durch eine mehr als kindskopfgrosse, glatte, ziemlich resistente, länglichrunde Ge¬
schwulst bedingt wird, welche im Epigastrium bis fast zur Mittellinie reicht, in
der Mammillarlinie bis etwas unter Nabelhöhe, nach hinten bis an die Wirbelsäule
und bis in die obere Hälfte der Lumbalgegend. Nach oben ragt sie, wie der ge¬
dämpfte Percussionsschall ergibt, convex in die linke Brusthälfte bis zur Höhe des
6. Brustwirbels in der Scapularlinie; vorn geht die Dämpfung in die Herzdämpfung
11
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über. Der Gestalt nach entspricht die Geschwulst am meisten einer sehr vergrösser-
ten Milz, sie ist an ihrer convexen Oberfläche gemessen : 29 Cm. lang, 30 Cm.
breit. Die Anfangs sehr resistente, gar nicht verschiebliche Geschwulst erscheint
bei der Untersuchung in den folgenden Tagen weicher und steigt mit der Inspi¬
ration deutlich etwas herab, wie namentlich an dem nach vorn und unten gelege¬
nen derberen, etwas höckrigen Ende gefühlt werden kann. In der ganzen sonsti¬
gen Ausdehnung bis in die Lumbalgegend und bis in den Bereich der etwas vor¬
gewölbten unteren Intercostalräume hinein lässt sich sehr deutliche Fluctuation
nachweisen.
Der Urin ist sauer, eitrig getrübt, die Menge 14 — 1500 Cc., das specifische
Gewicht 1020—1024; der Urin enthält ziemlich viel Eiweiss, microscopisch Eiter¬
körperchen und zuweilen ein Sediment harnsaurer Salze.. In den einzeln aufge¬
fangenen Portionen des Urins war die Eitermenge ungefähr gleich; Harnentleerung
normal. Im Uebrigen findet sich mässiges Emphysem der rechten Lunge, Com-
pression der linken Lunge von unten her und leichte Verschiebung des Herzens
nach rechts (dasselbe überragt die Mittellinie um ö'/'a Cm.); sonst nichts Abnor¬
mes ; auch die weissen Zellen des Blutes nicht vermehrt.
Der Appetit war leidlich, der Stuhl regelmässig, der Puls beschleunigt (92 bis
108), die Temperatur Morgens meist normal, Abends stets erhöht (38—40°). Die
Diagnose wurde gestellt auf eitrige Entzündung des stark ausgedehnten
linken Nierenbeck ens, wahrscheinlich bedingt durch eine (harnsaure oder
oxalsaure) Harnconcretion, die sich in Folge der frühem traumatischen Nieren¬
blutung entwickelt hätte. Durch diese Annahme liess sich am besten das 15 Jahr
dauernde Wohlbefinden nach der erlittenen Verletzung erklären. Als der bis dahin
fixirte Stein sich lockerte, traten Schmcrzanfälle und Blutungen auf, denen sich
dann eine (vermuthlich schon vor Neujahr 1877 entstandene, aber vom Patienten
übersehene) Pyelitis anschloss.
Am 12. Februar wurde die Geschwulst mit Troicart punctirt, und im Ver¬
lauf einer Stunde unter Zuhiilfenahmc von Aspiration 4200 Ccm. dünnen Eiters
entleert. Der anfängliche Druck der Flüssigkeit betrug 4G Cm., die Canüle, welche
etwa 8—10 Cm. tief eingeführt war, blieb stets frei beweglich, am wenigsten nach
hinten und unten, am meisten nach oben, stiess nirgends an einen Stein. Die ent¬
leerte Flüssigkeit war von alcalischer Reaction, fadem süsslichem Geruch, enthielt
nur sehr kleine Flocken; microscopisch fand sich neben wohl erhaltenen Eiter¬
körperchen Detritus, Fetttröpfchen und Fettnadeln. Harnstoff konnte in der Flüs¬
sigkeit nicht aufgefunden werden.
Nach der Punction war unter dem Rippenrand nur noch in der Tiefe eine
nicht bewegliche • diffuse, etwa apfelgrosse Resistenz zu fühlen, und hinter der
Axillarlinie eine bis zum 9. Brustwirbel hinaufreichende Dämpfung nachweisbar.
Am gleichen Abend war die Temperatur normal, der Puls 84, der Urin klar
und eiweissfrei. Doch stellte sich seit dem 16. wieder Eiweiss und Eiter, seit dem
17. auch abendliche Temperatursteigerung ein und die Geschwulst begann wieder
sich zu vergrössern. Man musste deshalb daran denken, dem Eiter dauernd ge¬
nügenderen Abfluss zu schaffen, als er durch den Ureter stattfinden konnte.
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163
Während nun die Geschwulst in der Lumbargegend von der Haut nur durch
eine dünne Muskel- und Zellgewebsschicht getrennt war, hatte dieselbe nach vorn
offenbar das Peritoneum der hintern Bauchwand abgehoben und gegen die vordere
Bauch wand nur angedrängt. Um eine Drainirung der Eiterhöhle zu ermöglichen,
musste an dieser Stelle erst eine Verwachsung der beiden Peritonealblätter künst¬
lich herbeigeführt werden. Auf Rath von Prof. Kocher wurde zu dem Ende die
Bauchwand mit Chlorzinkpaste durchgeätzt, nachdem an der am stärksten promi -
nirenden Stelle in der Mammillarlinie, 1 Cm. unterhalb des Rippenbogens ein 3 Cm.
langer Hautschnitt gemacht war. Vom 24. Februar ab wurde in diesen Chlorzink¬
paste eingelegt und alle 2 Tage, später jeden Tag, erneuert, so dass eine trichter¬
förmige, 3 Cm. tiefe Wunde entstand.
Vom 7. März ab fühlte Patient Schmerzen, die sich über den Bereich der
eigentlichen Wunde hinaus ausdebnten (adhäsive Peritonitis), am 9. entleerte sich
beim vorsichtigen Lösen des Schorfs in der Tiefe der Wunde anfänglich eine
gelblich seröse, später eitrige geruchlose Flüssigkeit im Ganzen 2000 Ccm.
Von der Wundöffnung aus liess sich die Sonde 23 Cm. weit nach oben hin
einführen, ohne irgendwo auf einen harten Körper zu stossen. Mittels grossen
gekrümmten Troicarts wurde nun in die Wundhöhle eingegangen, und nach Ein¬
schneiden der Haut unterhalb der 12. Rippe die Weichtheile hier von innen nach
aussen durchstossen, und ein dünner Drainschlauch durch die Wunde geführt.
Vom Augenblick der Eröffnung der Wundhöhle war — wie auch in der Folge —
aseptisches Verfahren nach Litter beobachtet worden.
Erst am nächsten Tage wurde der Urin klar und eiweissfrei und die Abend¬
temperatur normal. In den ersten Tagen floss der Eiter noch sehr reichlich, wurde
aber nach etwa 10 Tagen spärlicher und dühnflüssiger; zu dieser Zeit hatte sich
auch der Aetzschorf vollständig losgestossen. Das subjective Befinden des Kran¬
ken war nach der Drainage sehr gut, der Appetit vortrefflich. Patient erholte
sich zusehends und konnte seit Anfang Mai aufstehen. Am 16. Mai gelang die
Wiederdurchführung des bis dahin alle acht Tage erneuerten Drainschlauchs nicht,
und wurde deshalb in jede Wundöffnung ein Schlauch für sich eingeführt.
Das klare Secret wurde zu dieser Zeit nach Entfernung des noch immer sehr
reichlichen Eiweisses auf Harnsäure geprüft — mit negativem Erfolg. In dem
Anfangs bei der Eröffnung der Höhle ausfliessenden Eiter hatte sich, trotz mehr¬
tägigen innerlichen Jodkaliumgebrauchs, Jod nicht nachweisen lassen.
Am 21. Mai ging Patient unter dem Vorwand eines Besuches nach Hause,
ohne jedoch zurückzukehren, da er sich ganz wohl befand. Er verband die Wun¬
den nun selbst, trug das Drainrohr in der hinteren Oeffnung noch etwa 10, das in
der vorderen Oeffnung noch etwa 20 Tage, bis keine Flüssigkeit mehr kam. 5 Wo¬
chen später schloss sich die Wunde gänzlich.
Noch während das Drainrohr lag. konnte Patient arbeiten und arbeitet seitdem
ohne Unterbrechung in einer Ziegelei. Diesen Bericht gibt Patient bei einem Be¬
such im Januar 1878, er sieht blühend und wohlgenährt aus. Die beiden Wun¬
den sind vollständig vernarbt, die vordere mit der Bauchmuskulatur und dem
Rippenrand, wie es scheint, auch mit einem in der Tiefe liegenden Narbenstrang
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etwas verwachsen. Von einer Geschwulst unter dem linken Rippenrand weder
vorn noch hinten etwas zu fühlen. Von der 8.—11. Rippe eine Dämpfung 14 Cm.
lang, 9’/a breit, in der Form etwa der Milz entsprechend. Das Zwerchfell steht
links in gleicher Höhe wie rechts, steigt inspiratorisch herab.
Die Brustorgane normal. Der Urin, der nach Angabe des Kranken ganz in
der Ordnung sein soll, zeigt sich in einer gelassenen Probe etwas trübe,, durch
Eiterkörperchen; er reagirt sauer, enthält etwas Eiweiss. —
Bemerkens werth ist der eben beschriebene Fall durch die enorme Masse der
Eiteransammlung im Nierenbecken (weit über 4000 Ccm.) und durch die Erzielung
einer fast vollkommenen Heilung.
Dass es sich wirklich um eine Eiteransammlung im Nierenbecken handelte,
konnte man mit Bestimmtheit diagnosticiren, wenn auch der Fall im ersten Augen¬
blick für einen Milztumor imponirte. Dafür sprach: Die Beimengung reinen Eiters
(ohne Epithelien) zu dem sauren unzersetzten Urin — die scharfe Abgrenzung und
bedeutende Spannung des Tumors, welche ihn einer Cyste ähnlich erscheinen
Hess, eine derbe und doch nicht zu dicke Wandung anzeigte und einem Zellge-
websabscess nicht wohl entsprochen hätte; — dafür sprach endlich die Anamnese.
Abweichend von dem Verhalten der festen und flüssigen, von der Niere aus¬
gehenden Geschwülste war die respiratorische Verschieblichkeit, indessen erreichen
diese Geschwülste eben selten eine solche Ausdehnung gegen das Zwerchfell hin,
auch ward die Verschieblichkeit nur unbedeutend und wurde erst deutlich, als
die anfänglich sehr grosse Spannung etwas nachgelassen hatte. Ungewöhnlich war
auch die Verschiebung des Herzens durch eine von der Niere ausgehende Ge¬
schwulst.
Bei der Grösse der Höhle und dem bestehenden Fieber war die Entleerung
geboten; von dem Augenblick des dauernden Abflusses an besserte sich das
Allgemeinbefinden und verkleinerte sich die Höhle: theils durch die Elasticität
des entspannten Nierenbeckens, theils durch Granulationsmassen, welche, für die
eingeführte Sonde fühlbar, die Höhle erfüllten und sich später organisirten; vor
Allem aber wurde das binnen 2 Monaten fast vollendete Schwinden der enor¬
men Höhle unterstützt durch die Rückkehr der verdrängten Nachbarorgane in ihre
Normallage.
Bei der Eröffnung hatte man auf die Eventualität einer Harnfistel des Nieren¬
beckens gefasst sein müssen, da der Abfluss durch den Ureter offenbar erst bei
höherem Druck statthatte; allein der Umstand, dass in dem Inhalt der Höhle zu
verschiedenen Zeiten weder Harnstoff noch Harnsäure, noch auch medicamentös
eingeführtes Jod aufzufinden war — in den Eiter geht Jod bekanntlich nicht über
— Hess vermuthen, dass von der Drüsensubstanz der linken Niere keine Spur mehr
vorhanden sei; in der That schloss sich die Fistel vollständig.
Dass 8 Monate später bei gelegentlicher Untersuchung des Urins doch wieder
etwas Eiter in demselben gefunden wurde, macht es allerdings wahrscheinlich, dass
die Höhle nicht vollkommen obliterirt ist, sondern aus ihr noch immer durch den
Ureter etwas Eiter in die Blase fliesst, und gerade dieser Umstand, der auf einen
noch vorhandenen Reiz hinweist, lässt die Annahme eines Concrements als Ursache
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105
der Pyelitis auch jetzt noch wahrscheinlich erscheinen, obwohl ein solches bei
Sondirung der Höhle nie gefühlt wurde; es kann eben in einer Tasche fixirt sein.
Ware es fühlbar gewesen, so hätte man der Drainage die Incision und Entfernung
des (oder der) Concremente müssen folgen lassen; auf die blosse Wahrscheinlich¬
keit eines Steines hin hier dieselbe auszuführen, schien bei der Grösse der Eiter¬
fläche nicht indicirt, zumal Patient bei der eingeschlagenen Behandlung genas und
wieder arbeitsfähig wurde. _
Die Lungenblutungen, ihr Verhalten zur Weissenburgcur und ihre Therapie.
Von Dr. H. Schnyder.
(Fortsetzung.)
Nachfolgende kurz skizzirten Krankengeschichten werden sowohl das Verhal¬
ten der Lungenblutungen zur Weissenburgcur, als das dagegen geübte therapeu¬
tische Verfahren klar legen.
1. Fall. Frau W. von Pruntrut, 22 Jahre alt, von blühendem Aussehen, aber aus
einer Familie, in welcher Phthise einheimisch, hat 2 Mal geboren, zum letzten Male vor
14 Monaten. Seit 6 Wochen ist sie hustenkrank mit zeitweise recht beengter Respira¬
tion und hat seitdem beträchtlich an Körperfülle verloren, doch nicht gefiebert und das
Bett nie gehütet Die Untersuchung ergab eine allgemeine catarrhalische Erkrankung
beider Lungen, wahrscheinlich mit disseminirt peribronchitischer Affoction, charakterisiert
durch stellenweise unbestimmte, stellenweise rauhe Atbmungsgeräusche und sehr wech¬
selnde Percussionsergebnisse. Am 10. Tage des Curgebrauches klagte die Patientin über
etwas vermehrten Husten und grössere Oppression, was sie aber nicht hinderte, am 12.
Tage der Cur einen kleinen Ausflug ins Thal hinunter zu unternehmen und dort (es war
sehr warm) Bich mit Bier zu erfrischen. Sie hatte den Weg hin und zurück zu Fues
zurückgelegt, war dann aber auch Abends aufgeregt und beklommener als sonst In der
Nacht erfolgte eine kleine Lungenblutung (ca. einen Mund voll Blut), worauf die Kranke
sich sehr erleichtert fühlte. Die blutende Stelle verrieth sich auscultatorisch nicht, und
auch sonBt hatte der hsemoptoische Anfall keine schlimmen Folgen. Als Frau W., leider
schon 10 Tage darauf, Weissenburg verlicss, waren die Respirationsgeräusche im Allge¬
meinen wesentlich weicher und deutlicher hörbar, als dieselben hei ihrer Ankunft gewe¬
sen waren; das Athemholen war leicht geworden, und Patientin fühlte sich überhaupt so
wohl, dass sie sich leichten Sinnes für geheilt hielt und der Weissenburgcur einen vier¬
wöchentlichen Aufenthalt in Besan$on als „Nachcur“ folgen liess.
2. Fall. Fräul. 8. U. von Braunschweig, 31 Jahre alt, Familie gesund, bekam im
Winter 1872/73 eine linkseitige Lungenaffection (Bronchopneumonie?) mit heftigem Hu¬
sten und Fieber, verbrachte dann den Sommer 1873 in Klosters und den Sommer 1874
in Davos, von wo sie scheinbar ganz gesund nach Hause kam und dort lange Zeit „als
Aushängeschild für Davos“ (ipsa dixit) galt und sich als solchen auch fleissig in Concer-
ten und Abendgesellschaften zeigte. Im Februar 1877 stellten sich abermals Husten und
Fieber mit profusen Nachtechweissen und ziemlich rascher Abmagerung ein.
Die gemüthlich sehr aufgeregte Kranke reiste Ende Juni, von ihrer Mutter begleitet,
in die Schweiz und kam Anfangs Juli durch Zufall nach Weissenburg. Die physicalische
Untersuchung erwies allgemeine catarrhalische Erkrankung der rechten Lunge, broncho-
pneumonische Affection des linken Apex und wahrscheinlich auch der Kuppe des untern
Lappens, und linkseitiges pleuritisches Exsudat, das von hinten unten bis zur Scapula¬
spitze hinaufreichte; die Fiebererscheinungen waren massig. Der Kranken ging es zuerst
leidlich, namentlich verminderte sich das pleuritische Exsudat ziemlich rasch, sobald nach
wenig Tagen der Trinkcur vermehrte Diurese eingetreten war. Es war damals warm
und enge in Weissenburg; die beiden Damen waren leider auf ein kleines Schlafzimmer
angewiesen und konnten sich vorläufig nicht dazu entschliessen, der gefürchteten Nacht¬
luft Zutritt zu gestatten. Da sollte auch die Menstruation eintreten; sie blieb aus, da¬
gegen wurde die Kranke in der Nacht vom 20./21. Juli im festen Schlafe von einer
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mässig starken Lungenblutung überrascht. Die CDg begrenzte Zimmorluft und die relativ
hohe Temperatur derselben, ein durch Lage und Kissen behindortes Athmen in festem
Schlafe und die durch die resultatlos gebliebenen Molimina bedingte additioneile Aufre¬
gung im Oefässsystem, endlich der Umstand, dass die linke Lunge seit dem Zurückwei-
chen des pleuritischen Ergusses einem geringem Druck ausgesetzt war, mochten zusam¬
men die Blutung zu Stande gebracht haben. Ich war rasch bei der sich zu Tode äng¬
stigenden Kranken, verschaffte ihr frische Luft, liess sie tief athmen, um den kleinen
Kreislauf frei zu machen und überdeckte die linke Thoraxhälfte mit trockenen Schröpf¬
köpfen. Die Hmraoptoö liess darauf rasch nach, dagegen fand ich den folgenden Morgen
die ganze hintere Partie der kranken linken Lunge, «offenbar durch einen hämorrhagischen
Infarct, verdichtet. Die Kranke fieberte ziemlich stark und hatte während einiger Tage
pneumonische Sputa. Den 1. August, in der Nacht, erfolgte bei drückender Hitze und
Gewitter wieder Hmmoptoö, die auf tiefes Athmen und gleichzeitige Application vou
trockenen Schröpfköpfen sofort stand. Gegen den 15. August hin machten sich wieder
Molimina bemerkbar, die leider wiederum resultatlos blieben, und in der Nacht vom 1Ö./16.
kam es nochmals zu einer leichten Blutung. Die Trinkcur war seit der ersten Blutung
nur noch unregelmässig und mit sehr kleinen Dosen fortgesetzt worden. Die Kranke
konnte Ende August die Heimreise antreten und überstund dieselbe glücklich. Den jüng¬
sten Nachrichten (vom 5. Dec.) nach geht es derselben leidlich und findet sich nur noch
in der hintern untern Partie der linken Thoraxhälfte dumpfer Percussionston, währenddem
derselbe Uber den obern Lungenpartien annähernd hell geworden ist.
Das sind die zwei Fälle, in denen in Weissenburg zum ersten Male Blut aus¬
geworfen wurde. Im erstern Falle ist ganz entschieden das curwidrige Verhalten
zu beschuldigen; im zweiten Falle war die Erkrankung der linken Lunge eine so
vorgeschrittene und complicirte und haben beim Zustandekommen der Blutungen
so viele Factoren zusammen gewirkt, dass es schwer ist, den Antheil der Schuld
zu bemessen, welcher der hypertemisirenden Wirkung der Weissenburgcur zur Last
fällt.
3. Fall. Herr Dr. med. K. von Leipzig, 32 Jahre alt, Familie gesund, erkrankte vor
ca. 2 Jahren an mehrere Monate lang andauerndem Husten mit eitrig-schleimigem, zu¬
weilen Blutspuren enthaltendem Auswurfe. Den 11. April 1875 erste bedeutendere Blu¬
tung, welcher im Mai eine zweite folgte; die dritte kam im September 1876 in Folgo
einer bedeutenden Anstrengung. Im Mai 1877 stellte sich abermals eitriger Auswurf mit
etwas Blut ein. Dazwischen war Dr. K. relativ ganz wohl und konnte seiner Praxis
nachgehen. Ende Juni, auf seiner Reise nach Weissenburg, wurde der Kranke in Basel
von einer Blutung überrascht, die sich dann im Verlaufe einiger Tage noch 7 Mal wie¬
derholte (bei Eisbehandlung).
Der Kranke kam den 7. Juli sehr schwach und ansemisch in Weissenburg an. Mas¬
sige Dämpfung R. H. O. mit rauhem Inspirium und Bronchophonie, leichte Dämpfung
L. V. in der Gegend des 2. Rippenknorpels, und im Allgemeinen schwache, unbestimmte
Respirationsgeräusche Hessen in Berücksichtigung der Anamnese auf chronisch-peribron-
chitische Vorgänge in beiden Lungen schliessen.
Im Verlaufe der Cur wurden die Athmungsgeräusche etwas deutlicher und nahmen
nach und nach einen feuchtem, weichem Charakter an, aber ohne dass es zu einer Lö¬
sung mit feinblnsigen Rhonchis gekommen wäre; Anfangs der 3. Woche zeigten sich
einige Blutspuren im Auswurf. Als Dr. K. nach über fünfwöchentlichem Curgebrauche
von Weissenburg verreiste, fühlte er sich so wohl und kräftig, dass er den Weg über
den Brünig und den Rigi einschlug, auch ist bis dahin dessen Befinden ein ganz gutes
geblieben.
4. Fall. Herr Dr. med. A. B. von Gelterkinden, 85 Jahre alt, von Behr kräftiger
Constitution und aus gesunder Familie stammend, bekam im Februar laufenden Jahres
auf einer anstrengenden Fosstour und mitten im besten Wohlbefinden plötzlich Blutspeien
und dann einige Tage darauf eine eigentliche Lungenblutung, die sich während den näch¬
sten 8 Wochen sehr oft wiederholte, immerhin ohne begleitende Fiebererscheinungen.
Im März und April Luftcur in Geraau. Ende April, sofort nachdem er eine eingehende
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167
phyeicalische Untersuchung Uberstanden hatte, wieder starke Blutung, die sich im Verlauf
von 6 Tagen 7 Mal wiederholte, und diesmal von Schüttelfrost gefolgt. Anfangs Juni,
auf der Reise zur Luftcur nach Glion , im Bahnhofe Lausanne und nach Genuss eines
Glases Bier bedeutende Pneumorrhagie und dann in Glion selbst in 8 Tagen 16 sehr
profuse Blutungen und continuirliches, hohes Fieber, so dass der Kranke sehr elend wurde
und sieben Wochen lang das Bett nicht verlassen konnte. Als derselbe den 22. August
in WeisBcnburg eintraf, war er noch sehr schwach und auch nur kurzes Treppensteigen
verursachte grosse Mühe. Befund: Allgemeine chronisch-catarrhalische Affection der
feinem Bronchien beider Lungen, chronisch-bronchopneumonischer Process im rechten
obern Lappen mit beginnender Schrumpfung des Apex und Poribronchitis jüngern Datums
im linken obern Lappen. Ursprünglich hatte es sich wohl nur um eine local sehr be¬
schränkte Peribronchitis gangreenosa (die sehr spärlichen Sputa stanken) im rechtseitigen
obern Lappeu gehandelt; die Bronchopneumonie war wohl nur Folge der Blutinfiltration
jenes Lungenabschnittes.
Herr Prof. Huguenin , der gleichzeitig in Weissenburg war, hatte die Güte, die Fort¬
schritte, welche der Kranke der Genesung entgegen machte, von Woche zu Woche mit
mir zu constatiren. Der Curverlauf war ein günstiger; den 28. August zeigte sich eiue
kleine Blutspur im Auswurf, im Uebrigen wurden die Athmungsgoräusche nach und nach
weicher und das Respirationsfeld stetig freier und grösser, so dass der Patient schon in
der 2. Hälfte der Cur bedeutende Steigungen zu überwinden im Stande war und z. B.
ohne Möhe nach Oberweissenburg gehen konnte. Dr. B. verliess Weissenburg den 27.
September, d. h. nach 36tägigem Curgebrauche; im October reiste er ohne jeglichen Übeln
Zufall nach Ajaccio und ist nunmehr daselbst als Curarzt in Thätigkeit.
Diess zwei Fälle von den vierzehn , in denen nach früher vorausgegangenen
bedeutendem Blutungen während der Weissenburgcur nur ganz leichte Blutspuren
im Auswurfe aufgetreten sind. Es ist zu bemerken, dass in allen diesen Fällen
und zu wiederholten Malen grössere Partien trockener und zuweilen auch einzelne
blutige Schröpfköpfe gesetzt worden sind.
Von den fünf Hsemoptoikern ältern Datums, die im Sommer 1877 in Weissen¬
burg namhafteren Blutauswurf bekamen, sei nur ein Fall erwähnt, der, kurz nach¬
dem der Kranke zu Hause angelangt war, letal endigte. In den andern vier Fäl¬
len nahmen die Blutungen keinen weiter bedrohlichen Charakter an und waren
auch von keinem wirklich störenden Einfluss auf den sonst günstigen Verlauf der
Cur.
Ö. Fall. Herr G. G,, 24 Jahre alt, wohnhaft in Genf, war schon in seinem 16. Le¬
bensjahre „auszehrend“ gewesen und wurde, seiner Aussage und Ansicht nach , durch
eine im Jahre 1870 gemachte Weissenburgcur vollständig geheilt. Erst im März laufen¬
den Jahres erkrankte er wieder und zwar in Folge einer heftigen Erkältung im Keller.
Der fiebernde Kranke sah bei seiner Ankunft in Weissenburg höchst elend aus, war hei¬
ser, hustete stark, hatte eitrigen, zuweilen blutigen Auswurf und litt an sehr beengter Res¬
piration. Die Untersuchung vom 8. August ergab chron. Bronchopneumonie, hauptsächlich
der linken Lunge, mit compacter Infiltration des Apex bis zur dritten Rippe hinab. Auch
die rechte Lungenspitze war ergriffen. Der Kranke, der übrigens alle seine Hoffnung auf
die Wiederholung der Weissenburgcur gesetzt hatte, war zu matt und zu elend, um sofort
wieder nach Hause geschickt zu werden und als er nach einigen Tagen versicherte, sich
wohler zu fühlen und guten 8chlaf und Appetit zu haben, liess ich ihn gewähren. Das
relative BeBserwerden hatte seinen ungestörten Fortgang bis den 22. August, an welchem
Tage der Kranke plötzlich Seitenstechen links bekam und wieder mehr zu fiebern be¬
gann. Den 24. Abends erfolgte aus dem linken obern Lappen eine kleine Blutung, die
den 25. früh wieder kam. Die Blutungen selbst, sowie der frische pneumonische Aus¬
schub in der linken Lunge wurde mit Digitalis und blutigen Schröpfköpfen (in beschränk¬
ter Anzahl) wenigstens mit dem Erfolge bekämpft, dass eigentliche Blutung während den
nächsten Tagen sich nicht wieder einstellte und der Kranke den 30. August zu Verwand¬
ten nach Herzogenbuchsee reisen konnte.
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Mir EUgekommenen mündlichen Mittheilungen sufolge ging derselbe einige (?) Tage
darauf wieder aus, bekam aber bei diesem Anlässe eine profuse Pneumorrhagie, die so¬
fortigen Tod eut Folge hatte.
Der folgende, zur eben besprochenen Categorie zählende Fall, gehört der Sai¬
son 1876 an und obwohl derselbe zur Weissenburgcur in gar keiner Beziehung
steht, theile ich denselben dennoch mit, weil er mir in therapeutischer Hinsicht
lehrreich zu sein scheint.
6. FalL Herr Dr. phil. H. U. aus Braunschweig, im besten Mannesalter stehend und
sehr lebhaften Temperaments, hat seit Jahren zahlreiche und profuse Lungenblutungen
überstanden und kam den 13. Juli 1876 nach Weissenburg. Der darauf folgende Tag
wurde dazu benutzt, den Park und die Umgebung der Curanstalt kennen zu lernen, was
nicht ohne einige Anstrengung möglich ist Abends spät entdeckte der Kranke eine
kleine Blutspur im Auswurfe, was ihn sehr beängstigte, doch schlief er bald darauf fest
ein. Gegen 3 Uhr Morgens erwachte er mit heftigster Pneumorrhagie: das Blut stürzte
gläserweise hervor. Patient beschuldigte sofort die Höhenlage des Curorts und war um
so weniger von dieser Idee abzubringen , als weder das gänzliche Einhüllen des obern
Theils der rechten Thoraxhälfte mit Eisbeuteln — die Blutungen entströmten dem rech¬
ten obern Lappon —, noch das anhaltende Schlucken von Eis, noch subcutane Ergotin-
injectionen, noch Blei mit Secale cornutum, noch andere Dinge mehr im 8tande waren,
die Wiederkehr der so heftigen Blutungen zu verhindern. Der telegraphisch herbeigeru¬
fene Arzt des Kranken, Herr Dr. Steiger von Luzern, nahm demnach den Blutenden den
16. Nachmittags mit ins Thal hinunter und nach Thun, doch verhinderte diese Versetzung
des Patienten unter höhern Luftdruck nicht, dass sowohl im Dorfe Weissenburg als auch
in Thun die Blutung mit Heftigkeit wieder eintrat. Da griff College Steiger verabredeter
Maassen zur Lancette und machte dem Blutenden eine Vensssection, worauf die Blutun¬
gen definitiv standen. Der Kranke konnte ohne weitern Zufall nach Luzern reisen , wo
er sich, wie schon oft, ziemlich rasch wieder erholte.
Von den im Sommer 1877 mit bereits seit längerer Zeit andauerndem Blut¬
speien nach Weissenburg gekommenen Kranken bietet kein einziger Fall ein be¬
sonderes Interesse. In sämmtlichen Fällen wurde die Trinkcur mit grosser Vor¬
sicht eingeleitet und überwacht, ebenso wurden in sämmtlichen Fällen zeitweise
Schröpfköpfe gesetzt und für offenen Stuhl gesorgt. Die meisten dieser Kranken
durften anfänglich nicht zur Tafel kommen, sondern hatten ihre auf wenige und
meist kalte Gerichte beschränkten Mahlzeiten auf dem Zimmer einzunehmen, eini¬
gen wurden auch laue Bäder verordnet. Sämmtlichen Kranken ging es bald bes¬
ser, und alle sechs verliessen den Curort, ohne dass sich gegen das Ende der Cur
mehr Blutspuren im Auswurfe bemerkbar gemacht hätten. Die Curzeit betrug:
bei Herrn ß. aus Bochum
44 Tage,
r> »
K. „ Zürich
25 „
» n
S. „ Wiesbaden
30 „
i> n
Prof. M. aus St. Petersburg
22 „
•n n
K. aus Zofingen
40 *
„ Frau
W. „ Luzern
39 „
Beiläufig mag aus dieser kurzen Liste ersehen werden, dass in Weissenburg
nicht schablonenmässig an eine 3- oder 4wöchentliche Curzeit gehalten wird, son¬
dern dass jeder Fall, soweit möglich, nach seinen individuellen Eigenheiten behan¬
delt wird.
Folgender, eben besprochener Categorie zugehörender Fall aus der Saison
1876 ist dagegen von um so grösserem Interesse , als es sich dabei um eine sehr
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grosse Seltenheit, nämlich die Perforation eines Leberabscesses in die Lunge
handelte.
7. Fall. General A. v. G. aus St. Petersburg, 63 Jahre alt, von sehr kräftiger Con¬
stitution und aus phthisisfreier Familie stammend , erkrankte im Sommer 1874 an Ster-
coralkolik, zu der sich rasch eine Hepatitis suppurativa gesellte. Der Kranke befand
sich damals in Behandlung des Herrn Prof. Belogolowy in St. Petersburg. Die Leber¬
dämpfung soll von der ö. Rippe bis zur Spina ilei ant gereicht haben. Der colossale
Abscess brach erst nach langer Zeit (den 30. December) in einen Bronchialast der rech¬
ten Lunge durch und überschwemmte dieselbe gänzlich mit seinem grünlich-eitrigen In¬
halte, von dem während mehreren Tagen grosse Mengen ausgeworfen wurden. Wohl in
Folge des durch den Abscessinhalt in einzelnen Lungenbezirken erzeugten Reizes bildete
sich ein disseminirt bronchopneumonischer Process heraus, und seitdem litt der Kranke
an bedeutender Oppression beim Steigen, an heftigem Husten mit fortwäht end blutigem
Auswurfe und zeitweisen, sehr profusen Blutungen, wodurch ein bedeutender Grad von
Anämie herbeigeführt wurde. In dieser Verfassung kam General v. G. den 21. Juli 1876
auf den Rath des Herrn Dr. Carrard nach Weissenburg. Die Untersuchung ergab ver¬
schiedene, über die rechte Thoraxhälfte zerstreute, mehr oder weniger accentuirte Däm-
pfungsbezirke. Solche fanden sich hauptsächlich vorn, oberhalb der Brustwarze, dann
seitlich und hinten unten. Entsprechend war stellenweise nur ganz unbestimmtes Ath-
men, stellenweise rauhes Bronchialathmen mit und ohne Rhonchi, stellenweise auch deut¬
liches pleuritisches Reiben, namentlich hinten unten wahrzunehmen. Der rechte Leber¬
lappen lag der Costalwand als schmaler 8treifen an und ragte nirgends über den Rippen¬
bogen herunter, während der linke Leberlappen normale Grössen- und Lageverhält¬
nisse zeigte. Fieber war nicht vorhanden, wohl aber war der Kranke sehr zu Stuhlver-
stopfung geneigt.
Der Patient begann seine Trinkcur den 22. Juli; gegen die Hcemoptoe, die in der
Nacht vom 22./23. und den 24. Juli Nachmittags wieder bedeutend geworden war, wur¬
den Eisbeutel, Eispillen und schliesslich Schröpfköpfe auf die Brust in Anwendung ge¬
zogen und für offenen Stuhl gesorgt. Vom 26. Juli an bis zum 1. August ging es or¬
dentlich , es war kein Blut mehr im Auswurf, dagegen erfolgte in der Nacht vom 1./2.
August wieder eine Blutung von ca. 150,0. Es war Stuhlverstopfung eingetreten und
das Colon ascend. und transv. fanden sich bedeutend ausgedehnt. Gegen solche Even¬
tualität wurde von da ab tagtäglich dem ersten Becher Brunnen eine Dose Bittersalz zu¬
gesetzt, auch folgte nun eine Reihe von Tagen, an denen kaum mehr Blutspuren ira Aus¬
wurfe vorhanden waren.
Bei einer den 9. August vorgenommenen Untersuchung waren kein rauhes Athmen,
keine Rhonchi und auch hinten unten kein pleuritisches Reiben mehr wahrnehmbar. Aber
kurz nach der Untersuchung und offenbar in Folge des angestrengt tiefen Inspirirens
kam eine starke Blutung ; feinblasiges Rasseln, das sich gleichzeitig hinten unten, ziem¬
lich dicht rechts neben der Wirbelsäule bemerkbar machte, verrieth endlich die eigentliche
Quelle der Blutungen. Dieser heemoptoische Anfall, sowie auch das über den folgenden
Tag sich hinziehende Blutspeien wurden mit sichtlichem Erfolge durch das Setzen bluti¬
ger Schröpfköpfe R. H. U., entsprechend der blutenden Stelle, bekämpft. Diese durch
die Untersuchung vom 9. August hervorgerufene Blutung war die letzte für lange Zeit.
Der Kranke verliess Weissenburg den 2. September in jeder Hinsicht gebessert und na¬
mentlich hatten sich auch die Dämpfungsbezirke über der rechten Thoraxhälfte bedeutend
aufgehellt.
Ich traf mit dem Patienten Anfangs November in Pisa wieder zusammen.
General v. G. hatte seit Weissenburg nur einmal, in Clärens, in Folge Gemüthsauf-
regung einen Anfall von Hmmoptoö gehabt, dagegen die Reise nach dem Süden ohne
jeglichen Übeln Zufall Uberstanden, ln Pisa ging er fleisBig aus, nahm Gelat. lieh, caragh.
und sorgte für täglich leichten Stuhl. Ende November bekam derselbe rosagefärbten Aus¬
wurf, den 2. December Nachts stellte sich eigentlicher Blutauswurf ein und den 3. De¬
cember erfolgte nach aufregender Journallecture eine ziemlich heftige Blutung, der von
da ab eine ganze Reihe tagtäglich sich wiederholender starker Blutungen folgte. Weder
Eisbeutel, noch Eispillen, weder Ergotininjectionen, noch Liq. ferr. sesquichlor. in Inha-
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lationen und innerlich gereicht, noch andere Dinge hatten den geringsten Erfolg in Be¬
kämpfung der sich immer wiederholenden Haamorrhagien. Endlich gelang es mir, einen
Schröpfapparat aufzutreiben ; während zwei Tagen wiederholt R. H. U. gesetzte blutige
Schröpfköpfe brachten die Blutungen gänzlich zum Stehen. Währenddem die Hsemorrba-
gien als hauptsächlichstes Symptom das ganze Krankheitsbild beherrschten, hatte sich
nach und nach eine Infiltration der hintern untern Lungenpartie mit Dämpfung und klein¬
blasigem Rasseln ausgebildet; Fieber war während der ganzen Zeit nicht vorhanden.
(Der Kranke hat die Gewohnheit, Körpertemperatur und Pulsfrequenz mehrmals täglich
selbst zu beobachten.) Mitte Januar 1877 kam wieder etwas Hsemoptoö, doch nur sehr
vorübergehend. Den 26. Mai traf der Kranke zum zweiten Male in Weissenburg ein und
blieb bis den 25. August. Während der Trinkcur zeigten sich hie und da ros »gefärbter
Auswurf, hie und da auch deutlichere Blutspuren, aber Hsemoptoö im eigentlichen Sinne
des Wortes trat nie ein. Brieflichen Mittheilungen zufolge, die ich im November von
dem Kranken aus Pisa — er verbringt den Winter wieder dort — erhielt, sind von
Mitte Januar ab nahezu 8 Monate vergangen, bis er während seines Herbstaufenthalts in
Vernex vorübergehend abermals Htemoptoö bekam. Die Reise nach Pisa ertrug er wieder
ohne schlimmen Zufall.
Im eben skizzirten Falle hat aller Wahrscheinlichkeit nach der Durchbruch des
subdiaphragmalen Abscesses in die mit dem Zwerchfell fest verlöthete Lungenba¬
sis zwischen den Muskelbündeln der rechtseitigen Crura diaphragmatis hindurch
stattgefunden. Dort besteht wohl jetzt noch ein nach unten hin abgeschlossener,
dagegen mit einem Bronchialaste communicirender, geschwüriger, sinuöser Fistel¬
gang, welcher als die Quelle der nun allerdings selten, aber immer noch von Zeit
zu Zeit wiederkehrenden Blutungen und der consecutiven pneumonischen Vor¬
gänge in dem hintern untern Theile der rechten Lunge beschuldigt werden muss,
während die disseminirten bronchopneumonischen Herde, welche eine Folge der
anfänglichen Ueberschwemmung der Lunge mit Abscessinhalt waren, als in Heilung
übergegangen betrachtet werden dürfen.
Folgender Fall mit periodisch wiederkehrenden Blutungen möge die kurze
Reihe casuistischer Mittheilungen schliessen.
8. Fall. Frau G. aus St. Gallen, 82 Jahre alt, hat eine Schwester an Lungen¬
schwindsucht verloren und leidet selbst an chron. broncho-pneumonischer Affection der
rechten Lungenspitze. Vor 5 Monaten hatte sie in Folge eines starken Hustenanfalls
plötzlich Blutauswurf bekommen, und seitdem stellte sich regelmässig alle 14 Tage wie¬
der Hccmoptyse ein. In der Zwischenzeit hatte die Kranke sozusagen weder Husten
noch Auswurf und auch kein Fiober, schlief gut und ass mit gutem Appetit, magerte
aber dennoch ab. Mit der regelmässig alle 4 Wochen eintretenden Menstruation stunden
die periodisch wiederkehrenden Lungenblutungen in keinem Zusammenhänge.
Kurz bevor die Kranke nach Weissenburg kam (den 7. Juni), hatte sie wieder ihren
hasmoptoischen Anfall gehabt und ca. '/ 4 Glas voll Blut ausgeworfen. Während des
4wöchcntlichen Curgebrauches zeigten sich am Morgen des 8. Curtages zwei blutgestreifte
Sputa, dagegen blieben die periodischen Blutungen gänzlich aus, und laut Mittheilung des
Herrn Dr. Sonderegger (vom 21. December) hat Frau G. seit ihrer Weissenburgcur nur
noch einmal etwas Blut gespuckt, nachdem dieselbe eine schwere Last gehoben hatte,
befindet sich aber sonst wohl und sieht weit besser genährt aus als früher.
Ausser dem eben beschriebenen Falle habe ich im Verlaufe meiner Praxis
noch zwei Fälle von typisch wiederkehrenden, quotidianen Blutungen beobachtet.
Der eine Fall betraf eine hysterische Phthisikerin, bei der an mehreren aufeinan¬
der folgenden Tagen je um 3 Uhr Nachmittags ein bedeutender hämorrhagischer
Anfall eintrat. Der andere Fall betraf einen süddeutschen Münzmeister, der über
die Zeit des Rückzuges der alten Münzen viel Metallstaub geschluckt und dabei
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20 S an Körpergewicht verloren hatte. Derselbe war übrigens schon 13 Jahre
zuvor von Blutspeien befallen worden und litt zur Zeit meiner Beobachtung (Juni
1876) an chronischer Peribronchitis, besonders des linken obern Lappens. Die
massigen Blutungen, ca. 1 Deciliter auf einmal, stellten sich bei ihm je Abends
8 Uhr ein. ln beiden Fällen blieben die Blutungen erst aus, nachdem vor dem
erwarteten Anfalle je zwei Dosen von 0,5 Chinin, sulf. gereicht worden waren.
Schröpfköpfe liess ich damals noch nicht appliciren.
Es ist anzunehmen, das Mitgetheilte werde genügen, um Jedermann über das
Verhalten der Lungenblutungen zur Weissenburgcur vollkommen zu beruhigen.
Vorausgesetzt, dass die zu Blutungen geneigten Kranken nicht
nur von Seite des Curarztes scharf im Auge behalten werden,
sondern sich dessen Anordnungen auch unbedingt unterwer¬
fen, haben dieselben von der hyperaemisirenden Wirkung der Weissenburgtherme
ein Hervorrufen der Blutungen nicht zu befürchten. Im Gegentheile, es werden
dadurch, dass das Grundleiden durch die Cur eine Besserung erfährt, speciell, in¬
dem chronisch-catarrhalische Schwellungszustände zur Lösung und vorhandene
Infiltrate und Exsudate zur Resorption kommen , die Circulationsverhältnisse in
den Lungen günstigere und freiere, und in demselben Verhältnisse vermindert sich
auch die Möglichkeit leichten Zustandekommens fluxionärer und passiver Hyper¬
ämien mit deren gewöhnlichen Folgen — den Blutungen, so dass Weissenburg
allen zu Haemoptoe disponirten Brustkranken, die überhaupt in den Rahmen seiner
Indicationen passen,*) unbedingt empfohlen werden darf. Zugleich dürfte es aber
endlich auch an der Zeit sein, dass Weissenburg, wie das namentlich in der
Schweiz noch oft geschieht, als phthisiotherapeutisches Agens mit Ems nicht mehr
in Parallele gestellt werde. Von letzterem sagt bekanntlich Kohden in Braun’ s Bal¬
neotherapie, pag. 643: „Ems ist berüchtigt wegen der vielen Blutungen, welche
dort zur Beobachtung kommen, so dass es seit Jahren förmlich proscribirt ist.
Panihel , der diesen horror bekämpft, führt keine Beweise, erhebt sich nicht über
wenig stichhaltiges Theoretisiren. Die Majorität der (Emser) Aerzte will chroni¬
schen Bronchialcatarrh, keine Phthise; bei Berücksichtigung der heftig wirkenden,
stark aufregenden warmen Quellen kann man nur beistimmen. Die Lage des Ortes
bedingt erschöpfende Hitze während des Tages und kühle Abende ; und dass ein
immerhin geräuschvolles Modebad kein Ort für bedenklich Kranke sei, kann sich
eigentlich Jeder sagen. Ich führe es hier nur an, weil es hergebrachter — aber
unvorsichtiger Weise noch häufig bei Phthise benutzt wird.“ Auch in Reichen-
hall scheinen massenhafte Pneumorrhagien zu den Alltäglichkeiten zu gehören
(Dr. Max Schneider, Krankheitsmaterial und Behandlung im Curorte Reichenhall,
1875).
(Schluss folgt)
*) Vergl. meine Brochnre: ‘Weissenburg, seine Heilanzeigen und seine Curmittel, Luzern, Prell ’b
B uchhandlung, 1877.
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"V" ereinst>eriolite.
Medicinisch-pharmaceutischer Bezirksverein des bern. Mittellandes.
1. Sitzung vom 16. Januar 1877, Abends 8 Uhr bei Webern.
Anwesend 19 Mitglieder.
In Abwesenheit von Prof. Demme übernimmt Prof. Nencki das Präsidium.
1. Protocoll. 2. Dr. Jeanneret: Ueber Zersetzung von Proteinsub¬
stanzen durch geformte Pancreasfermente bei Luftabschluss.
Nach einer kurzen Darlegung des frühem Verfahrens, die Zersetzung stick¬
stoffhaltiger Substanzen durch Pancreas bei Luftzutritt einzuleiten, wurde zur Aus¬
einandersetzung des modificirten Experimentes geschritten, welches die Einwir¬
kung der atmosphärischen Luft auf diesen Process vollständig verhindern soll.
Ein grosser Glaskolben mit der betreffenden, siedend heissen Flüssigkeit (con-
centrirte Gelatinelösung 1 : 10 z. B.) zu */< gefüllt, wird mit einem sehr genau
passenden, einfach durchbohrten Caoutchoukpfropfen fest verschlossen, durch des¬
sen Oeffnung, im Niveau der untern Pfropfenfläche beginnend, eine 2 Mal recht¬
winklig gebogene Glasröhre befestigt wird. Das untere Ende der Röhre wird
mittelst eines Stückes Caoutschoukröhre mit einem gekrümmten Glasansatz ver¬
sehen, welcher zunächst in eine mit beständig kochendem Wasser gefüllte Schale
taucht, während gleichzeitig der Kolbeninhalt in Ebullition versetzt wird. Ist
sämmtliche Luft aus dem schon vorher ausgekochten Liquidum ausgetrieben wor¬
den (gewöhnlich nach '/, Stunde heftigen Kochens), so werden dio Flammen unter
dem Ballon entfernt, worauf das kochende Wasser der Schale ziemlich rasch das
durch Condensation der Dämpfe im Kolben entstandene Vacuurn vollständig er¬
setzt — Nach Abkühlung wird der Pfropf des Kolbens gehoben, nachdem das
Caoutschoukrohr unten mittelst einer Pearischen Pincette so comprimirt worden
war, dass das Wasser beim Oeffnen die Röhre nicht verlässt. Ein mit ganz fri¬
scher Drüsensubstanz gefüllter ausgeglühter Porcellantiegel (gew. 6,0) lässt man
hierauf in die Flüssigkeit fallen und drückt bei gleichzeitiger Entfernung der Pin¬
cette den Caoutschoukpfropfen wieder in den Kolbenhals hinein. Bei richtiger
Ausführung bleibt nicht das kleinste Luftbläschen im Apparat.
Der Kolben befindet sich in einem Wasserbad von 40° C., das Endstück der
Glasröhre die ganze Zeit hindurch in Quecksilber und können so bei gleichzeitig
hermetischem Verschluss die Gase aufgefangen werden.
Eine Reihe von Controlversuchen ergibt, dass die nöthige Lüftung des Pfro¬
pfens die Reinheit des Experimentes durchaus nicht beeinträchtigt, dass die Bac-
terienkeime im Pancreas selbst enthalten sind und nicht von der äussern Luft her¬
rühren können. Auch wenn die Lösungen minutenlang der Luft ausgesetzt wer¬
den, bleiben sie unzersetzt, so lange kein Pancreas hinzugefügt wird.
Resultate: Die Analyse der Zersetzungsgase ergibt für Ei weis s, Wasser¬
stoff und Kohlensäure, welche letztere täglich zunimmt bei gleichzeitiger Abnahme
der Entwicklung des erstem. Gelatine liefert gar keinen Wasserstoff, zum
grössten Theil Kohlensäure, beide Spuren von Schwefelwasserstoff und vielleicht
Schwefelkohlenstoff. (Vorweis von Tabellen.)
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Die verdauten Flüssigkeiten zeigen microscopisch (schon bei 450rnaliger Ver-
grösserung) die schönsten Bacterienformen, namentlich mit Sporen, Bacterium capi-
tatum, in Form und Bewegung den Spermatozoiden höchst ähnlich.
In stickstofffreien Substanzen, Zuckerarten, keine Sporobacterien, sondern nur
Torulaketten und Bacillen. (Vorweis von Bacterienzeichnungen und -präparaten.)
Die qualitative und quantitative Analyse der Endproducte führt uns merk¬
würdiger Weise für Gelatine und Eiweiss zu den gleichen Resultaten wie bei
Luftzutritt ; dagegen zeigt sich ein ganz bedeutender Unterschied in der Zeit:
Lösungen waren z. B. bei Luftabschluss erst nach 30 Tagen vollständig zersetzt,
während an der Luft nur 5 Tage dazu nöthig waren. (Vergleichende Tabellen
quantitativer Analysen.)
R6sum4: 1. Fäulniss ist also Zersetzung stickstoffhaltiger
Substanzen durch Bacterien; sie tritt nur bei Vorhandensein von Bacte-
rienkeimen ein.
2. Die Pancreasbacterien sind Anaerobien, entstehen, leben
und pflanzen sich fort, trotz Mangel an atmosphärischer Luft
(sobald ihnen die zu ihrem Aufbau nöthigen stickstoffhaltigen Körper, neben ge¬
wissen anorganischen Salzen und Wasser vorhanden sind).
3. Zersetzung von Proteinsubstanzen ist ebenso gut bei auf¬
gehobenem Luftzutritt möglich, wie an der Luft, nur geht der Pro-
cess viel langsamer vor sich.
4. Bei Luftzutritt, wie bei Luftabschluss, entstehen (soweit
die Untersuchungen reichen) qualitative und quantitative die gleichen
einfacheren chemischen Verbindungen.
Prof. Kocher wünscht eine nähere Definition des Begriffes Fäulniss. Ist für
Fäulniss die Anwesenheit stinkender Gase nothwendig? Prof. Nencki. Unter Fäul¬
niss verstehen wir die Zersetzung von ciweisshaltigen Substanzen durch niedere
Organismen, namentlich die 3 erwähnten Arten, welche die Eigenschaft haben,
dass sie keinen Sauerstoff zum Vegetiren und zur Entwicklung nöthig haben und
dass sie den Kohlenstoff aus complexen Kohlenstoffverbindungen beziehen. Stin¬
kende Gase sind immer anwesend; aber sie bilden nicht das Charakteristische der
Fäulniss.
Dr. Hartmann möchte wissen, ob Bacterien und eine gewisse Temperatur ge¬
nügen, um Fäulniss zu erzeugen, oder ob auch Wasser eine Bedingung dafür sei;
ebenso fragt er, ob die Bacterien sich direct bilden, resp. die Molecule als solche
angreifen, oder erst gewisse daraus entstandene Products. Dr. Jeanneret. Die Bac¬
terien müssen die nöthigen Stoffe zur Ernährung haben, Wasser, Stickstoff, koh¬
lenstoffhaltige Substanzen. Die Frage, auf welche Weise die Ernährung vor sich
geht, ist noch nicht gelöst. Prof. Nencki. Man hat Anhaltspuncte für die Ansicht,
dass die Bacterien ihre eigene Leibessubstanz aus dem Material bilden, in wel¬
chem sie sich befinden, analog den Pasteur 'sehen Untersuchungen über die Gährung
der Hefe.
Prof. Kocher ist Namens der Chirurgie sehr dankbar für die Bearbeitung der
Fäulnissfrage, da dieses Fach viel davon zu erwarten hat. Gerade auf dem Um-
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stände, dass bei Luftabschluss die Fäulniss langsamer Vor sich geht, als bei Luft¬
zutritt, beruht die Methode von Lister.
Oberfeldarzt Ziegler glaubt nicht, dass Lisler gerade durch den Luftabschluss
so vortrefflich wirke, sondern dadurch, dass die Luft, die zur Wunde gelangt, durch
den Verband desinficirt wird. Prof. Kocher. Lisler will nicht Luftabschluss im
chemischen Sinne, sondern nur Abhaltung der Keime aus der äussem Luft. Fäul-
nisskeime können auch aus dem Körper in die Wunde gelangen. Dr. Jeanneret
unterstützt diese Ansicht. Er fand in vielen Fällen im Marke eines am Lebenden
aufgemeisselten Knochens bereits vollkommene Fäulniss. Prof. Nencki. Wir be¬
herbergen alle solche Keime in unserm Organismus, nur haben wir über dieselben
noch sehr geringe Kenntnisse, so ist z. B. ihre Theilnahme an den Infectionskrank-
heiten noch gar nicht festgestellt.
3. Prof. P. Müller: Zur Diagnose des Uterus-Carcinoms.
Das Uteruscarcinom ist bekanntlich eine sehr häufige Krankheit. In den mei¬
sten Fällen entwickelt es sich von der Vaginalportion aus und geht erst später
auf den Uteruskörper über. Die Fälle, in denen sich ein Uteruscarcinom direct
im Corpus Uteri entwickelt, sind ziemlich selten. Unter diesen seltenen Fällen
können wir 2 Formen unterscheiden. Die erste Form tritt als allgemeine Infiltra¬
tion des Uteruskörpers auf. Bei der zweiten Form zeigen sich sowohl auf der
Oberfläche als in der Höhle des Uterus Knoten. Die Symptome sind: Schmerzen,
häufig, aber nicht immer, Blutungen, Fleischwasserausflüsse. Die Fälle betreffen
fast immer Frauen im Alter nach den klimakt. Jahren. Die Dauer der Krankheit
ist im Allgemeinen etwas länger als beim Carcinom von der Vaginalportion aus
und kann bis auf 3 Jahre steigen. Verlauf: Verjauchung, Durchbruch in die
Bauchhöhle, Verlöthungen etc. Prognosis mala. Therapie: Wegnahme von Thei-
len, die sich in den Cervix drängen. Er sah 3 Fälle der ersten Form und 2 der
zweiten, wovon einer als Geschwulst ähnlich einem Fibroide hinter dem Uterus
zu fühlen war. Zur Diagnostik ist es wichtig, dass Fibroide nach der Menopause
nicht mehr auftreten, sondern wenn vorhanden, eher sich verkleinern. Die diffuse
sarcomatöse Form kann mit der ersten Form verwechselt werden. Durch Unter¬
suchung der zerfallenden Masern im Cervix lässt sich die Diagnose feststellen.
Die zweite Form ist nicht so leicht mit Sarcom zu verwechseln. Letzteres wächst
mehr polypenförmig in den Uterus und kommt mehr schon vor den klimakt. Jahren
vor. Im Anfang ist das Sarcom meist weicher als das Carcinom, später wird aller¬
dings das Carcinom auch weniger fest.
Referate und Kritiken.
Landolt, Legons sur le diagnostic des maladies des yeux.
Paris, chez Delahaye, Place de l’Ecole-de-Mddecine.
Unter diesem Titel ist. vor Kurzem von unserem Landsmanne Dr. Landoll in Paris
ein kleines Buch erschienen, worauf ich die Aufmerksamkeit besonders der jüngern Col-
legcn lenken möchte. Neben vielem Neuen behandelt es gerade diejenigen Capitel der
Augenheilkunde, an die man sich in der Regel am wenigsten gern heranwagt, mit
einer solchen Klarheit und Verständlichkeit, dass man unwillkürlich Freude an der Sache
bekommt.
In einer Einleitung wird auf die engen Beziehungen der Krankheiten dos Auges mit
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denjenigen des Gesammtorganisrous, wie sie sich z. B. bei der Scrophulose, Anajmie, Sy¬
philis , den Nieren- und Herzkrankheiten manifestiren , aufmerksam gemacht. Wie die
blosse Empirie in der Gesammtmedicin einer genauem Diagnostik durch Thermometrie,
chemische Analysen etc. weichen musste, so sind auch für die Augenheilkunde die ge¬
nauem Untersuchungsmethoden von der allergrössten Bedeutung geworden und wird nur
zu leicht ihre “Wichtigkeit noch unterschätzt. Schon eine sorgfältige äussere Inspection
der Haut, der Gesichtsbildung und namentlich auch der Zähne (Hutchinson , Horner') sollte
nie unterlassen werden. Sehr verständlich und übersichtlich behandelt die dritte Vorle¬
sung die Augenbewegungen. Die Beziehung des scheinbaren Strabismus zum Winkel a,
die Erklärung der stärkern Ablenkung des gesunden Auges bei Muskelparese, die Wich¬
tigkeit, den Strabismus nicht mit linearen Maassen, sondern durch den Bogen des Scliiel-
winkels zu messen, Entstehungsweise der Diplopie, Hervorrufung der Doppelbilder bei
schwachen Graden von Strabismus, die Wirkung der Prismen, die Art ihrer Verwendung
und zum Schlüsse einige practische, für die Erleichterung der Diagnose wichtige allge¬
meine Regeln.
Hieran schliessen sich Diagnose und Behandlung der musculären Asthenopie und
Einiges über die Tonometrie mit Hervorhebung der hauptsächlichsten Krankheiten , die
mit abnormen 8pannangsverhältnissen des Auges einhergehen.
In ganz besonders practischer Weise ist das Gebiet der Refractionskrankheiten be¬
handelt. Es kommt hiebei allerdings ein Factor hinzu, der vielleicht im ersten Augen¬
blick Manchen stutzig machen könnte; ich meine die Einführung des metrischen Systems.
Es ist dies allerdings eine kleine Klippe , die nun einmal übersprungen werden muss.
Und abgesehen davon, dass im Anfang des Capitels eine klare Darlegung des Systems
und eine Vergleichung mit der alten Rechnungsweise das Verständniss wesentlich erleich¬
tert, halte ich es für nicht den kleinsten Vorzug des Buches, besonders für den gegen¬
wärtigen Zeitpunct, dass es die Hauptvortheile, welche das neue Maass bietet, gerade in
seiner practischen Anwendung so recht deutlich vor Augen zu führen versteht. Und in
der That fühlt man sich für die Mühe reichlich belohnt, wenn man die einfache Addition
und 8ubtraction von Dioptrieen mit den oft ziemlich complicirten Bruchzusammenstellungen
des alten Systems vergleicht.
Die Definition der Emmctropie, Hypermetropie, Myopie und des Astigmatismus wird
in ausserordentlich klarer Weise gegeben und grosses Gewicht gelegt auf die Berechnung
der Accommodationsbreite als werthvolles diagnostisches Hülfsmittel bei manchen nervö¬
sen Erkrankungen. Die zehnte Vorlesung handelt von der Bestimmung der Sehschärfe
und erklärt unter Anderem, auf welche Weise beim Untersuchen für die Ferne bei der
gewöhnlichen Stellung der Gläser ca. 13 Mm. vor der Cornea die vergrössernde Wirkung
der Convex- und die verkleinernde der Concavlinsen compensirt wird durch die Ver¬
schiedenheit der Länge der Augenaxen beim Hypermetropen und beim Myopen und also
die Sehschärfe durch die Gläser keine Störung erleidet. ■ Einen sehr willkommenen Bei¬
trag und practischen Wegweiser für die Untersuchung bilden dann die im 11. Capitel
folgenden Beispiele, in welchen zum Theil ziemlich schwierige Fälle aus den vorher be¬
handelten Gebieten, von der Asthenopie bis zum zusammengesetzten Astigmatismus, von
A bis Z untersucht und bei Angabe der Therapie manche werthvolle practische Winke
mit eingeflochten werden.
Die Bestimmung der Farbenperception wird eingeleitet durch einige physicalische und
physiologische Erläuterungen aus der Farbenlehre, dann nach Definirung der Achroma-
topsic und Dischromatopsie dargethan, dass, entgegen der früheren Anschauung, die pe¬
ripheren Theile der Netzhaut bei genügender Beleuchtung und Intensität der Farben diese
bis in die äussersten Grenzen zu unterscheiden vermögen.
Die letzten zwei Vorlesungen sind den Untersuchungen über das indirecte Sehen und
der Bestimmung des Gesichtsfeldes Vorbehalten. Die UDgenauigkeiten bei den Messungen
mit linearen Maassen können höchstens bis auf 45° allenfalls vernachlässigt werden. Ge¬
naue Resultate erhält man nur mit dem Perimeter. Die pathologischen Veränderungen
des Gesichtsfeldes spielen für manche Krankheiten in diagnostischer Beziehung eine fast
ebenso wichtige Rolle als die Augenspiegeluntersuchung. Genauer beschrieben werden
mm die meist charakteristischen Gesichtsfeldeinschränkungen beim Glaucom, der Chorioi¬
ditis disseminata, der Retinitis pigmentosa, den Erkrankungen der Retina im Gefolge von
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Nierenleiden, Syphilis etc. Besonders in prognostischer Beziehung wichtig sind für viele
Fälle die Beziehungen der allgemeinen Gesichtsfeldeinschränkung zu derjenigen der Far¬
benempfindung.
Ein Appendix enthält dann noch eine Tabelle , das Verhältnis der Focaldistanzen
beider Systeme darstellend, und eine zweite mit Angabe der Werthe der einzelnen Num¬
mern eines alten Brillenkastens in Dioptrieen ausgedrückt. Dr. A. Diem.
Otto Funke’s Lehrbuch der Physiologie fUr academische Vorlesungen und zum
Selbststudium.
Sechste, neu bearbeitete Auflage von Dr. A. Grünhogen, Professor der med. Physik an der
Universität Königsberg. I. Band, 1876. Leipzig, Voss.
Es war gewiss ein weit verbreitetes Bedürfnis, bei der rasch zunehmenden Bedeu¬
tung aller Theile der Physiologie für die practische Medicin, dass wieder einmal ein etwas
ausführlicheres Handbuch dem ärztlichen Publicum dargeboten werde; und viele werden
dem Verfasser, Prof. Grünhagen , sowie der Verlagshandlung Dank wissen für den Ver¬
such, das allbekannte Lehrbuch von Funke in neuer zeitgemässer Bearbeitung wieder auf¬
leben zu lassen, nachdem der ursprüngliche Verfasser 1870 mitten in einer eben begon¬
nenen neuen Auflage die Feder aus der Hand gelegt.
Das Werk, dessen erste Hälfte nunmehr vorliegt, lehnt sich zwar in Bezug auf die
ganze Auflassung seiner Aufgabe, in Bezug auf Auswahl und Anordnung des Stoffs und
Eintheilung der Capitel im Allgemeinen an Funke’s Lehrbuch durchaus an, ist aber vom
Herausgeber ganz neu redigirt worden; selbst da, wo der Sinn derselbe bleibt, ist wört¬
liche Wiederholung möglichst vermieden. Die Darstellung ist klar, übersichtlich und den
wichtigeren neueren Erscheinungen ist im Ganzen genommen Rechnung getragen; doch
liesse sich z. B. die Lehre von den Blutgasen und deren Beziehung zur Lungenathmung
auf Grund der Arbeiten von Wm. Müller und P. Bert noch durchsichtiger herausarbeiten;
der Raum dazu hätte sich an den 55 Seiten über Nerven- und Muskelelectricität leicht
absparen lassen. Litteraturnachweise finden sich in mässiger Zahl beigegeben; Vollstän¬
digkeit wird Niemand verlangen wollen; doch müssen wir eine zu geringe Berücksichti¬
gung der französischen Litteratur constatiren.
Die Grünhogen’sehe Ausgabe von Funke's Lehrbuch erscheint auf wesentlich geringeren
Umfang reducirt, als die letzte 1868—1866 erschienene Auflage; sie wird als Lehrbuch
vielleicht zugänglicher, lesbarer sein, als N&chschlagebuch aber nicht völlig dasselbe lei¬
sten, was jene leistete.
Möchte doch in nicht zu ferner Zeit, wenn nicht durch oinen einzigen zweiten Haller ,
so doch durch Zusammenwirken einer Anzahl bewährter Forscher ein Werk zu Stande
kommen, welches das Beste von dem vollen, reichen Inhalt der heutigen Physiologie an
Thatsachen, Gedanken und Methoden der jetzigen Medicin zur Ausbeutung und der
kommenden Generation zur Grundlage ihrer Studien und Forschungen darbietet.
Die Wienerklinik für Syphilis.
Ein Rückblick auf ihr 2öjähriges Bestehen von Dr. Karl Sigmund , Ritter v. Ilanor, o. ö.
Professor etc. am k. k. allgemeinen Krankenhaus. Wien, Verlag von Braumüller.
Der Altmeister der Wienerschule im genannten Fach gibt uns in 63 Seiten einen
Rückblick auf die Entstehung*) und Entwicklung der Wienerklinik für Syphilis , sowie
auf die vielen Hindernisse und Schwierigkeiten, welche sich ihr entgegenstellten, bis sie
zu dem gediehen, was sic jetzt ist und leistet. Dieser Rückblick bezieht sich jedoch
nicht nur auf die äussere Gestaltung der genannten klin. Abtheilung der grossartigen An¬
stalt des wiener allgem. Krankenhauses, sondern lässt uns auch die Pfade schauen, auf
denen der wissenschaftliche Standpunct, den die Wienerechule in der Syphilidologie ge¬
genwärtig einnimmt, erklommen worden ist.
Hier und dort, als Director einer Spitalabtheilung, wie als wissenschaftlicher Klini¬
ker, erkennt man im Spiegel des vorliegenden Schriftchens Sigmund als den Mann, der
*) Die Referent s. Z. im Jahr 1845 als einer der ersten Zuhörer des damaligen Assistenten der
ebirurg. Klinik Sigmund in seinem Privatcurse Ober Syphilis mit angesehen.
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an der Hand in wissenschaftlichem Streben geläuterter Erfahrung beharrlich und deshalb
unwiderstehlich alte Vorurtheile und verkehrte Gebräuche bei Hoch und Niedrig bekämpft
und endlich besiegt, beseitigt und durch die rationellsten Errungenschaften der Neuzeit
ersetzt. Kaum eine Seite des Schriftchens legt man um, ohne Beherzigenswerthes nach
jeder Richtung darauf gefunden zu haben, das wir zwar meist wohl wissen, in dessen
Durchführung aber wir leider altem Schlendrian gegenüber aus Bequemlichkeit nur zu
bald zu erlahmen pflegen.
Ohne ins Detail des Gebotenen hier einzutreten, wozu es sich nioht eignet, geben
wir nur aus jedem Haupttheil eine für den Gehalt des Ganzen charakteristische Stelle
wieder:
„Die Luft und das Wasser der Säle, die Verbandgeräthe (auch Werkzeuge) sammt
den Fehlern des Pflegepersonales, die Wäsche, und die aus den Resten derselben berei¬
teten Verbandstoffe (Compressen, Verhandlappen, sowie die Schwämme u. s. f.) sind die
Elemente jener verderblichen „Contagien“ und „genii (diaboli) epidemici“, welche in den
Spitälern hausen, und für welche man so mancherlei unwahre Beschönigungs- und Ent¬
schuldigungsgründe — lauter Trugnamen — erfunden hat“ (VergL Corresp.-Blatt 1873,
pag. 630 ff. Sonderegger über den jetzigen Stand der Desinfectionsfrage, d. h. Uber den
Schmutz.)
Ferner: „Da diese (nämlich die Gultur der Hygieine) überall der Ausdruck der Fa¬
milien- and Schulerziehung, also der wahren und allgemeinen Bildung ist, so kann der
Stand der Behandlung der allgemeinsten Volkskrankheit — der Syphilis — als vollgülti¬
gen Werthmesser der Bevölkerung eines Landes betrachtet werden.“
Soviel, um zu zeigen, wie Sigmund in seinem Rückblick Bekanntes dem Leser dar¬
bietet. Die Vertrautheit des Meisters mit seinem Arbeitsfeld spricht aus jeder Zeile.
Für den Referenten liegt eine persönliche Genugthuung in dem Umstand, dass ana¬
loge Arbeit in der nämlichen Zeitperiode, wenn auch auf einem viel beschränktem Raume,
ihn zu Resultaten geführt, welche mit SigmumTa Anschauungen fast durchgängig Uberein¬
stimmen. v, Erlach.
Ueber Herpes tonsurans und Area Celsi.
Von P. Michelson in Königsberg L Pr.
Nr. 120 (80. Heft, IV. Serie) der Sammlung klin. Vorträge von Rieh. Volkmann. Ausge¬
geben 29. August 1877. Mit 2 Taf. lithogr. Abbildungen. Leipzig, Breitkopf & Härtel.
Dieser klin. Vortrag enthält in klarer Darstellung eine Uebersicht der Litteratur und
der zu diagnostischer genauer Unterscheidung führenden Arbeiten über die zwei genann¬
ten in älterer Zeit oft nach Batemari s Vorgang zusammengeworfenen pathologischen Er¬
scheinungen in den behaarten Hauttheilen des menschlichen Körpers.
Die einschlägige Litteratur ist an der Hand eigener Untersuchungen des Vortragen¬
den einer nüchternen unparteiischen Sichtung unterworfen und als Resultate derselben
hingestellt: in erster Linie Unbestreitbarkeit der parasitären Entstehung der erstem Krank¬
heitsform gegenüber den noch immer dunkeln ätiologischen Momenten der zweiten ; dann
aber auch bestimmte Rückweisung parasitärer Einflüsse in der Aetiologie der Area Celsi,
ebenso wie der Nachweis, dass auch die nach Bdrensprung’ s Vorgang von Vielen adoptirte
Anschauung über trophoneurotische Natur letzterer Krankheit vor einer eingehenden Kritik
nicht 8tich halte.
Obschon Referent der absoluten Ausschliessung jeden parasitären Einflusses in der
Aetiologie der Area Celsi trotz den scheinbar negativen Resultaten der bisherigen micro-
scopischen Untersuchungen einstweilen noch nicht beistimmen kann, da seine eigenen
zahlreichen Beobachtungen und Untersuchungen darüber immer noch ungelöste Zweifel
übrig lassen, so kann er doch dem vorliegenden Aufsatz, als einer Arbeit, die den Boden,
auf welchem sich künftige Forschungen über den Gegenstand zu bewegen haben, genau
bezeichnet, seine Anerkennung nioht versagen. v. Erlach.
Cantonal© Correspondenzen.
Luzern. Nachruf an Dr. Franz Bücher f.
Gesellschaft der Stadt Luzern.)
(Vorgetragen in der ärztlichen
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Entschlaf Der Freund, kehr’ Du noch einmal wieder
Zum Kreis der Freunde, die Du oft beglückt,
Steig’ von dem ew’gen Quell der Wahrheit nieder,
Zu dem Du, Wahrheit dürstend, wardst entrückt;
Weck’ die Erinnerung in diesen Mauern,
Wo erdverblieb’ne um Dich Guten trauern.
Noch einmal nur lass' uns Dein Bild beschauen,
Dein irdisch Bild, verklärt vom Morgenroth
Des ew’gen Tag’s, zu dessen Frühlingsauen
Der Pforte Flügel öffnete der Tod ;
So wird, was starb, noch einmal uns lebendig
Und was dahinging, uns aufs Neu beständig.
Ja, Du warst gut und Deinem milden Herzen
Entquoll manch’ innig trautes Freundeswort,
Um Deine Lippen spielt’ ein harmlos Scherzen
Und Kopf und Herz war Dir am rechten Ort;
Dir lebt’ ein Mann in Haupt und Hand und Armen,
Ein Kind im Herzen, in dem liebewarmen.
Du suchtest Wahrheit in dem Strom des Lebens,
Im Meer des Wissens, tief und dunkelklar
Und suchtest nicht wie Andre stets vergebens,
Du fandst die Wahrheit, denn Dein Herz war wahr
Und spendete manch’ still gehegte Blüthe,
Zur Frucht gereift im innersten Gemüthe.
Nicht stürmisch anspruchsvoll erschien Dein Handeln,
Nein, wie geheimes Weh’n der Sommernacht,
Der Liebe stilles Licht erhellt' Dein Wandeln
Und still hast Du den letzten Weg gemacht;
Wenn wir von Thaten sprachen, ehrbestochen,
Thatst Du die That und liess'st sie unbesprochen.
Als längst der Tod mit den Gigantenarmen
Dich halb umschlungen hielt — Du harrtest aus
Und kämpftest noch den Kampf, den lebenswarmen,
Und wohl geordnet liess'st Du Amt und Haus,
Du wanktest nie, des Guten Sieg zu hoffen,
So sankest Du dahin, zum Tod getroffen.
Wir denken Dein, wie Du uns oft geleitet
Zu ernster Arbeit und zu frohem Scherz,
Leer ist Dein Plate, doch Dir ist zubereitet
Ein Bohön’rer Ort in Deiner Freunde Here;
Als Vorbild wollen wir Dein Bild beschauen,
Was ewig unvollendet, weiter bauen. Dr. Ott
Solothurn. Ein Fall von Arthrotomie nach Li ft er in der
Landpraxis. Die Nummer 117—118 der Sammlung klinischer Vorträge von Volk¬
mann, worin derselbe seine Resultate der antiseptischen Wundbehandlung bei complidrten
Fracturen vorlegt, legte ich mit dem festen Entschlüsse zur 8eite, bei der nächsten besten
Gelegenheit ebenfalls zu „listern“. Dieselbe liess nicht lange auf sich warten.
Am 28. November wurde ich zu einem 17 Jahre alten A. M. in O. gerufen, „der
sich vor etwa 10 Tagen ins Bein geschnitten habe und nun nicht mehr gehen könne 8 .
Die Untersuchung ergab eine heftige acute Kniegelenksentzünduug mit den bekannten
schweren Symptomen: starkes Fieber,, ungemein grosse Schmerzhaftigkeit, heisse, pralle
Geschwulst des Knie’s, beginnende Contractionsstellung der Extremität. Oberhalb des
äussern Condylus war eine in Vernarbung begriffene, etwas vorgewölbte Hautwunde sicht¬
bar, die sich der Pat. durch einen abgleitenden Axthieb beigebracht und welche auf den
ersten Bliok eine Eröffnung des Kniegelenkes erkennen liess. Eine Eröffnung des Knie¬
gelenkes I Welchem Practicus fahren da nicht gleich alle möglichen sch limm en Eventuali¬
täten duroh den Kopf. Fluthen von Eiter und Jauche, Amputation, Pysmie, exitus letha-
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lis, oder im allerglücklichaten Fall eia halbes Jahr Krankeobett und dann ein steifes
Bein!
Ich setzte natUrlioh sofort den ganzen antiphlogistischen Apparat: Ruhe, Eis, graue
Salbe, Chinin, natr. salicyl. etc etc. in Thätigkeit und, wie es anfänglich schien, mit Er¬
folg, bis am 4. December Abends alle Erscheinungen im höchsten Grade exacerbirten und
categorisch eine Aenderung der Therapie verlangten.
Ich hatte mir inzwischen in dem von Herrn Dr. Koltmann ausgezeichnet und mit
prächtigen Erfolgen geleiteten Bürgerspital in Solothurn die Uster 'sehe Wundbehandlung
angeschaut und da Resultate gesehen, welche die Volkmann’sehen Angaben durchaus be¬
stätigen und unsere bisherigen Anschauungen Uber Mortalität gewisser Verletzungen ge¬
radezu auf den Kopf stellen. Von einer Fortsetzung der conservativen Behandlung konnte
in unserem Falle nicht wohl mehr die Rede sein und so war ich denn rasch entschlos¬
sen : College Koltmann wurde herbeigerufen und am 5. December Abends unter seiner
meisterhaften Leitung die sogenannte Arthrotomie — weite Eröffnung des Gelenkes —
auf improvisirtem Operationstisch beim Scheine dreier Petroleumlampen in aller GemUths-
ruhe ausgeführt.
Eine specielle Wiedergabe der Technik unterlasse ich. Alle von Utter empfohlenen
Vorsichtsmaassregela bezüglich einer minutiösen Reinlichkeit wurden auf’s Strengste beob¬
achtet Der Schwerpunct der Operation liegt in der vollständigen Eröffnung, Reinigung
und Drainirung des Gelenkes. Haut- und Kapselschnitt müssen deshalb so weit hinauf,
resp. hinunter reichen, als die Gelenktaschen gehen. In jeden Wund Winkel wird eine
Drainröhre gelegt, die bis in die Mitte der Gelenktasche reicht, das Gelenk selbst tüch¬
tig mit 6°/o Carbollösung ausgespritzt. Dann werden die Wundränder sorgfältig (Haut,
Faacie und Gelenkkapsel werden erfasst) durch Knopfnähte vereinigt und nun der Lister -
Verband in der bekannten Weise angelegt.
Der Fall verlief nun in folgender Weise:
5. Dec. Operation. (Leider konnte damals, sowie am Tage vorher, die Temperatur
wegen des Patienten ungebärdigem Benehmen nicht gemessen werden, früher hatte er bis
40,6 Abends.)
6. Dec. Abends. Temp. 37,9, Allgemeinbefinden gut Ersetzung der mit Wundsecret
durchtränkten Salicylwatte am obern Ende des Verbandes durch Arische.
7. Dec. 38,6, erster Verbandwechsel. Die Wundränder scheinen verklebt zu sein.
8. Dec. 37,9.
9. Dec. 37,8. Appetit gut; geniesst Fleisch und Wein, singt und pfeift und ist
guter Dinge; die beschmutzte Watte wird ersetzt
10. Dec. 37,8. Zweiter Verbandwechsel. Die (plastische) Schwellung der Gelenk¬
gegend nimmt bedeutend ab, alle Ligaturen werden entfernt; die b eiden Operations-
wunden per primam geheilt bis an die Drainröhren, welche sämmtlich gelüftet
und etwas gekürzt werden.
14. Dec. Abendtemperaturen zwischen 37,8 und 37,8. Dritter Verbandwechsel. Die
Drainröhren wurden gekürzt; zwei davon waren förmlich eingeheilt und mussten mit eini¬
ger Gewalt hervorgezogen werden.
19. Dec. Vierter Verbandwechsel, Kürzung der Drainröhren. Locales und Allge¬
meinbefinden ungestört gut.
23. Dec. Fünfter Verband. Nochmalige Kürzung der Röhren. Die Schwellung
nimm t immer mehr ab. Das Gelenk ist, wenn auch nicht frei, doch bereits in geringem
Grade und ohne Schmerzen beweglich.
28. Deo. Sechster Verband. Entfernung der zwei obern Drainröhren. (Pat. stand,
als ich ihn besuchte, gerade auf seinem operirten Bein und machte Versuche zu gehen!)
1. Januar. Entfernung der noch übrigen 2 Drainröhren; Bedeckung der dadurch ge¬
bliebenen 2 oberflächlichen Oeffnungen mit Boric. Lint.
Patient befindet sich nun ausserhalb des Bettes und setzt seine Steh- und Gehver¬
suche fort. Zwar ist die ganze Kapsel noch verdickt, die Kniegelenksgegend dadurch
geschwollen, ich hege aber nicht den geringsten Zweifel, dass dies stetig abnehmen und
dass Patient in einigen Wochen wieder mit vollständig erhaltenem Kniegelenk seiner
Wege marschiren wird.
Ich füge noch folgende Bemerkungen hinzu:
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180 —
1. Die Operation wurde sorgfältig unter Carbolspray ausgeführt, nicht aber die nach-
herigen Verbände, aus dem höchst einfachen, aber zwingenden Grunde, weil ich keinen
Spray-Apparat besass und bis zum ersten Verbandwechsel keinen erhalten konnte. Nach¬
her, als die Sache so glücklich verlief, fand ich mich nicht mehr veranlasst, den mir
höchst unangenehmen Sprühnebel anzuwenden. (Heftiges Brennen der Haut und nach-
herige Abschilferung der Epidermis sind bei mir stets die Folgen längerer Einwirkung
auch von nur 2% Carbollösung.) Dagegen wurde jedes Mal, wie der alte Verband ent¬
fernt war, sofort das ganze Knie, namentlich die Gegend der Wunden, aus bereit gehal¬
tener Spritze mit 6% Lösung abgespritzt. Ich würde zwar stets unter Spray operiren,
beim Verbandwechsel aber ihn unbedenklich weglassen. Im Spitale freilich mag er auch
da nothwendig Rein.
2. Die Heilung wäre unbedingt viel rascher erfolgt, wenn ich die Drainröhren von
Anfang an stärker gekürzt hätte. Ich war zu ängstlich und befürchtete Ansammlung von
Wundsecret im Kniegelenk bei voreiligem Schlüsse der Kapsel. Ich würde in einem ähn¬
lichen Falle energischer verfahren und dadurch den ganzen Heilungsprocess um ein,
wahrscheinlich um zwei Verbände, 5 — 10 Tage, abkürzen.
8. Die Tendenz zur Wundheilung per primam ist eine ungemeine, so dass nicht nur
die Schnittwunden so heilten, sondern auch die nach Entfernung der Drainröhren zurück¬
gebliebenen, freilich kurzen Canäle einfach verklebten und vernarbten ohne einen Tropfen
Eiter. Ich habe überhaupt während der ganzen Heilung nur einmal, bei der Entfernung
der Nähte, geglaubt, etwa zwei Tropfen Eitel* wahrzunehmen. Wahrscheinlich aber hielt
ich unter der blasig aufgehobenen Epidermis durch aufgequollene Schuppen milchig ge¬
trübte Flüssigkeit beim Lampenschein für solchen, wenigstens habe ich weder vor- noch
nachher auch nur einen Tropfen gesehen. Drainröhren würden alle einheilen I
4. Die Handhabung des Luter-Verbandes ist nicht schwer. Indessen, um des Erfol¬
ges sicher zu sein, muss man sich stricte an die vorgeschriebenen, wenn auch höchst
einfachen Manipulationen halten. Der Cardinalpunct bleibt immer die Beobachtung der
minutiösesten Reinlichkeit
Ich habe obigen Fall beschrieben, nicht der Curiosität oder der Wichtigkeit halber,
— Eine Schwalbe macht keinen Sommer — sondern um zu zeigen, dass die Lt*/er-
s ch e W undb ehandlu ng auch in der Landpraxis Anwendung finden
kann und sollte; ja dass gerade sie es ermöglicht, schwerere Fälle zu operiren und
zu behandeln, die sonst der Schwierigkeit der Nachbehandlung wegen fast gänzlich auf
das 8pital angewiesen waren. Welch’ glänzende Leistungen man mit dem Luter-Ver¬
bände erreicht, kann gewiss nicht besser demonstrirt werden, als duroh den oben ange¬
führten Fall. Ich möchte daher jedem Practiker dringend anempfehlen, die oben citirte
Arbeit von VoUmam genau zu lesen, worauf sich gewiss Jeder gerne entschliessen wird,
die Technik des Lüter-Verbandes sich anzueignen und vorkommenden Falles auch an¬
zuwenden.
Egerkingen. J. Sidler, Arzt
St. Gallen. Gedanken eines alten Arztes. Obschon einst ein Professor
der Heilkunde äussCrte, es wäre besser, wenn nur Söhne reicher Eltern sich dem 8tudium
der Medicin widmen würden, so wird doch Jeder zugeben müssen, dass nicht nur schon
viele tüchtige Aerzte, sondern selbst vorzügliche Lehrer der Heilkunde aus der Zahl
Solcher hervorgegangen, die erst nach langem Kampf mit Noth und Entbehrungen sich
auf eine Stufe erheben konnten, welche auch geeignet war, sie für alle Opfer und An¬
strengungen zu entschädigen. Jeder unserer schweizerischen Aerzte wird von seinen Pa¬
tienten sowohl, sowie auch vom übrigen Publicum ganz allgemein mit dem Titel »Herr
Doctor“ beehrt, gleichviel, ob er promovirt habe oder nicht Ich kenne viele anerkannt
tüchtige Aerzte, die nicht promovirt hatten, denen die Annahme dieses immerhin doch
unbefugten Titels stets einen widerwärtigen Eindruck machte, ohne doch die Annahme
desselben geradezu verweigern zu können. Könnten wir unser Publicum in solcher Art
beeinflussen, dass diese allgemeine Benennung jedes Heilkünstlers, sei er nun Arzt für
Menschen oder Thiere, oder auch Curpfuscher, für beide verschwinden müsste, so wäre
das wohl der richtigste Weg in dieser Sache. Wäre aber auf diesem Wege Aussicht-
auf Erfolg? Gewiss nicht Schlagen wir also einen andern Weg ein, um gegen unsere
Nachfolger, die nicht promoviren werden, diejenige Gerechtigkeit zu üben, die ihr Fleiss
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und ihre Anstrengung verdient haben. Hegen wir ja doch die Ueberzeugung, dass das
heatige eidgenössische Concordats-Examen für Aerzte wenigstens ebenso viele Kenntnisse
fordere, als die meisten schweizerischen oder deutschen Prüfungsbehörden zur Erlangung
des Doctorgrades der medicinischen Facultät Verwenden wir also allen unsern Einfluss,
um zu erlangen, dass jedem unserer jungen Aerzte, der das eidgenössische Concordats-
Examen bestanden, ohne weitere Unkosten, denn um das handelt es sich wohl haupt¬
sächlich, auch die Befugniss ertheilt werde, den Doctortitel zu führen, da ja das Studium
der Medicin sonst schon genug kostet.
Anmerkung der Redaction. In Ländern, wo die medic. Facultäten das Exa¬
men abnehmen, das zugleich als Staatsexamen gilt (Frankreich, Italien, auch Genf) ist
der Doctorgrad mit der erworbenen licentia practicandi verknüpft. Ein solohes Examen
kostet in Italien Fr. 300, in Frankreich Fr. 675, in Genf Fr. 300. In Deutschland und
der deutschen 8chweiz bat der Staat schon längst den Facultäten das Examen, das die
Praxisberechtigung gewährt, aus den Händen gewunden und diesen blos noch das Recht
gelassen, den Doctortitel zu verleihen, dessen Erlangung übrigens bei uns keine zu
grossen flnanciellen Opfer vom Examinanden fordert In Basel z. B. kostet die Doctor-
promotion Fr. 260 für Diejenigen, welche das Staatsexamen (dieses kostet Fr. 70 für
Angehörige der Concordatscantone, Fr. 140 für Diejenigen anderer Cantone) schon be¬
standen haben, Fr. 350 für Diejenigen, welche das Staatsexamen noch nicht bestanden
haben.
Früher musste man (im Ct Waadt jetzt noch) ein Doctorexamen bestanden haben,
um zum Staatsexamen zugelassen zu werden, das ist weder in der deutschen Schweiz
noch in Deutschland mehr der Fall. Die Bedeutung des Doctorexamens ist übrigens eine
andere als die des Staatsexamens. Das letztere gibt die Berechtigung zur Praxis, das
erstere den Beweis, dass der betr. Arzt neben seinen ärztlichen Kenntnissen noch be¬
fähigt sei zu selbstständigen wissenschaftlichen Untersuchungen und Veröffentlichungen.
Ob dies in Praxi immer zutrifft, ist freilich eine andere Frage I
Der Titel „Doctor“ im Munde des Volkes hat diese wissenschaftliche Bedeutung
längst verloren, überall in der Schweiz, Deutschland, England und Italien ist er die üb¬
liche Anrede geworden für den Arzt, sogar der Franzose, der sonst nie Titel bei Anre¬
den braucht, benützt als Anrede den „mon docteur“ im vertraulichen Umgang stets mit
Vorliebe.
Die Collegen, die keine Doctorpromotion bestanden, mögen sich daher trösten, wenn
das Publicum statt des Wortes „Heilkünstler“ sie (trotz eventuellen Corrigirens) stets
als „Doctor“ anreden wird; eine Verschmelzung beider Examina in eines, so ein¬
leuchtend sie sich auch in Theorie ausnimmt, stösst in Praxi auf grosse Schwierigkei¬
ten, um so mehr, als es nicht mehr die Facultäten sind, sondern die eidg. Prüfungs¬
commissionen, welche in Zukunft das Diplom eines „Eidg. Arztes“ zu ertheilen haben
werden.
Teilln. Lugano. Verehrter Herr Redactor. Die Vorzüge des Klima’s einer
der schönBtgelegenen Städte in Ihrem schönen Vaterlande sind noch so wenig gewürdigt,
dass ich mir erlaube, in Nachfolgendem eine kleine Skizze davon zu geben. Wenn auch
mancher College die Schönheit Lugano’s und seines Klima's ans eigener Erfahrung kennt,
so dürften ihm doch vielleicht die aus einer langjährigen Beobachtung der Witterungs¬
verhältnisse sich ergebenden Daten, die ich in Kürze anführe, nicht bekannt sein.
Das kleine Städtchen Lugano liegt bogenartig ausgedehnt an der nordwestlichen
Seite einer Bucht, die der vielgestaltige Luganersee ungefähr in seiner Mitte bildet. Von
hier aus erstreckt sich ein Arm nach Nordosten, einer nach Südwestern. Nördlich von
der Stadt liegen das Thal von Cassarate, sowie eine demselben parallel laufende, breite
Hügelkette, die der Stadt etwas Schutz vor nördlichen Winden gewährt, wenn sie auch
nicht hoch genug ist, dieselben abzuhalten. Erst in weiterer Ferne (ca. 2 Stunden) ste¬
hen nach Westen und Norden die eigentlichen Beschützer des Thaies, M. Camoghö, M.
Cenere, M. Tamar, Lema und wie sie sonst alle heissen mögen. Nach Osten ist Lugano
durch eine lange Reihe der Stadt nahestehender, 8000—5000 Fuss hoher Berge gesohützt
gegen rauhe Winde, vom nördlichen Ende der Stadt aus gesehen scheint der M. Caprino
sich wie eine Coulisse hinter den M. Brö geschoben zu haben, um dem Ostwind den Zu¬
tritt nach Lugano zu verwehren, während, wenn man nach dem südlichen Ende der Stadt
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geht, die beiden Berge aus einander zu rflcken scheinen, um einen entzückenden Durch¬
blick auf einen jenseits des Comersee’s sich erhebenden Öchneeberg, den M. Legnone, za
gestatten. Nach Süden von Lugano steht in '/ 4 Stunde Entfernung die iraponirende Fel¬
senmasse des beinahe 3000 Fuss hohen M. S. Salvatore. Derselbe ist ein rechter Schützer
und Windschirm, der Lugano vor dem, während der heissen Jahreszeit ziemlich regel¬
mässig vom Mittag bis Abend wehenden Südwind, der Breva, schützt Er steht in der
rechten Entfernung, um die Breva zu brechen und abzulenken und doch den Sonnenstrah¬
len, selbst im Winter, vollen Zutritt zu Lugano zu gestatten. Der Hauptstrom der Breva
geht in */ 4 Stunde Entfernung von Lugano den See entlang und bricht sich dann am M.
Brö. Das 8tädtchen Lugano hat also den Vortheil, dass in seiner unmittelbaren Nähe
ein Luftstrom täglich die Luft rein fegt, ohne dass er direct die Stadt trifft Nörd¬
liche, kalte Winde können Vorkommen, dauern aber nur kurze Zeit. Die nördlich und
westlich von der Stadt befindlichen Hügel- und Bergreihen brechen wenigstens die aus
diesen Richtungen kommenden Winde, wenn sie sie auch nicht ganz abhalten können.
Vollständig vor kalten Winden geschützt ist die Südseite des M. Brd. Leider gibt es
weder Unterkommen noch eine Landstrasse daselbst.
Lugano liegt so lieblich am Fusse eines grünen HUgelkranzes hingestreckt, dass
selbst das verwöhnteste Auge gestehen muss, dass das Landschaftsbild reizend schön iBt.
Wäre nicht der blaue Himmel Italiens, italienische Bauten und eine zum Theil südliche
Pflanzenwelt, man könnte sich in eine idyllische deutsche Fluss- oder Seelandschaft ver¬
setzt fühlen, mit so üppiger Vegetation sind alle umliegenden Thäler, Hügel und Berge
vom Fuss bis zum Gipfel bekleidet Hat man doch auch oft den Luganorsee mit dem
Vierwaldstättersee verglichen und nicht mit Unrecht In verkleinertem Maassstab könnte
man sich das Panorama, welches man in Luzern vor Augen hat, hierher versetzt glauben.
Es fehlt am Luganersee der bläuliche Duft, das Blendende und Grossartig-Schöue,
was die grossen italienischen 8eeen charakterisirt, dafür bleibt ihm der Charakter des
Lieblichen, des Idyllischen. Der reiche Baumwuchs der Umgegend Lugano’s und die ge¬
ringe Breite des See’s, das gewissermaassen Flussartige der Landschaft, sowie die Nähe
steiler, mit reicher Vegetation bedeckter Berge dienen dazu, das Blendende der italieni¬
schen Sonne und des italienischen Himmels zu dämpfen, so dass die Gegend etwas Be¬
ruhigendes, Erquickendes an sich trägt, ein Vorzug, der für Kranke gewiss nicht gering
anzuschlagen ist, pflegt doch das Gemüth bei den meisten Krankheiten des Körpers mehr
oder weniger mitzuleiden.
Eine imendliche Zahl von Fahr- und Fusswegen erlaubt dem Fremden, die Gegend
in allen Richtungen zu durchstreifen und sich die malerischen Puncte, die in so reicher
Menge sich bieten, aufzusuohen. Bei der sonderbaren Form des See’s (man vergleicht ihn
oft mit einer Fischangel), sowie bei der mannigfaltigen Abwechslung von Berg und Thal
ist eben, wenn man Touren zu Lande oder zu Wasser macht, die Scenerie jeden Augen¬
blick eine andere. Viele von den Landschaftsbildern in der Umgegend Lugano’s gehören
mit zu dem Schönsten, was ich an landschaftlicher Schönheit in Italien gesehen baba
Und Scheerer hat nicht Unrecht, wenn er sagt:
Wüsst’ ich doch im Zauberlande,
Von der Alpen weitem Reich
Bis zum Mittelmeeresstrande,
Keinen Ort Lugano gleich.
Viele Spaziergänge in der Nähe Lugano’s sind von lebendigen Hecken eingefasst
und vollständig staubfrei. Von hohen Weinbergmauern eingefasste Wege, auf denen der
Wanderer, wie Manzoni sagt, zwischen zwei Mauern begraben einherwandelt, sind hier
nur ganz vereinzelt zu finden, während sie in Italien die Regel bilden. Selbst auf den
grossen Landstrassen hat man hier sehr wenig von Staub zu leiden.
Prof. Cramer machte im Feuilleton der deutschen medic. Wochenschrift auf einen
besondern Vorzug Lugano’s aufmerksam , darauf, dass in unmittelbarer Nähe des welt¬
berühmten Hötel du Parc sich 4 ansteigende Spazierwege mit verschiedener Steigung finden
— also genügende Auswahl für lungengymnastikbedürftige Kranke.
Die Luft in Lugano gilt für milde und das Klima für gesund, was freilich nicht hin¬
dert, dass auch mal eine kleine Epidemie hier vorkommt, wie die jetzt erloschene Pocken¬
epidemie. Typhusfälle kommen auch sporadisch vor, Brustkrankheiten sind unter der Be-
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Völkerung nicht selten. Sieht man sich die Verhältnisse aber, in denen die meisten Leute
leben, näher an, so wird man sich nicht wundern, dass Catarrhe und andere Lungen-
affectionen hier zu den Häufigkeiten gehören bei der arbeitenden Bevölkerung. In den
meisten Läden und Werkstätten sind die Thüren auch im Winter, der doch manchmal
selbst für einen Nordländer recht kalte Tage bringen kann, offen. Höchstens steht in
diesen Localen ein kleines Kohlengefäss, um die Hände zu wärmen. Auch in den Woh¬
nungen Bteht es nicht viel besser, Oefen gehören zu den Seltenheiten. Ist es unter die¬
sen Umständen leicht, Catarrhe der Athmungsorgane zu acquiriren, so ist es eben so
schwer, sie wieder los zu werden. Uebrigens erfreut sich der wohlhabende Theil der
LuganeBen eines kräftigen, gesunden Aussehens, und, wenn es erlaubt ist, aus einer
Grabschrift in der Nähe Lugano’s, wo es von einem Sechziger heisst: Mori inanzi tempo,
einen Schluss zu ziehen, so müsste Langlebigkeit in Lugano zur Regel gehören. Ebenso
bekommt fast allen Fremden, die hier längere Zeit sich aufhalten, das Klima sehr gut
Die mittlere Sterblichkeit ist 1:40.
Das Klima von Lugano zeichnet sich besonders aus durch seine Milde, seine vielen
heitern Tage und den Umstand, dass auch im Sommer die Hitze selten so drückend wird,
dass man sie nicht ertragen könnte. Die Nachmittags regelmässig wehende Breva, sowie
die kühlen Abende machen auch den Aufenthalt im 8ommer hier sehr erträglich , die
Temperaturberichte für Zürich gaben im vorigen Sommer fast immer 1—2* mehr für Zü¬
rich als für Lugano an.
Folgende sind die auf eine grössere Anzahl von Jahren sich erstreckenden, meteo¬
rologischen Beobachtungen, welche Herr Prof. Biraghi die Güte gehabt hat mir mitzu-
theilen.
Dieselben sind im Observatorium des hiesigen Lyceums 3 Mal täglich, um 7 Uhr
Morgens, 1 Uhr Mittags und 9 Uhr Abends gemacht. Dasselbe liegt nach Ferri 275 M.
über dem Meer. Die Temperaturangaben sind in Centigraden.
12j&hr. Beobacht
d. mittl. monatL
Minimal temn.
(1866-1878).
12j&hr. Beobacht,
d. mittl. monatl.
Maximal temp.
(1866-1876).
Januar
— 1,54
6,46
Februar
0,02
9,57
März
2,75
12,86
April
6,90
18,19
Mai
10,66
21,29
Juni
13,97
26,05
Juli
16,49
28,24
August
15,46
26,72
September
18,20
24,17
October
8,28
17,93
November
2,72
11,69
December
— 0,16
7,58
Jahresmittel
7,39
17,44
Mittl. Monats-
temp. von 17
J. (1866-1869
u. 1864-1876).
1,25
3,58
7,06
11,98
15,65
19,68
22,29
20,90
17,81
12,54
6,06
2,83
11,80
MittL monatl. Mittl. monatl.
Barometerstand Feuchtigkeit
v. 17J.(1866-1869 V.16J.(1868,
n. 1864-1876). 1869 und
738,76
788,78
784,60
785.68
785.89
736,97
737,03
786,93
788.68
787,85
786.89
787,71
787,10
1864-1876).
77.4
71.6
64.7
68,2
70.4
68,1
67.2
70,0
74.4
78,0
75,0
76.2
71.3
a vigovcu >iuu oio lUlbKJl lUi UIÜ UAiuCBfiOlMJU • lUT UttU VV ip —
ter 2,6, für das Frühjahr 11,6, für den Sommer 21,0, für den Herbst 12,1 Grad.
Die täglichen Schwankungen der Temperatur sind in den Jahren 1866—1876 im
Mittel gewesen:
7.73
für December
Januar 8,00
Februar 9,56
für den Winter 8,48
für Juni 11,08
Juli 11,75
August 11,26
für März
April
Mai
9,61
11,29
10,78
für den Sommer 11,86
für das Frühjahr 10,54
für September 10,97
October 9,65
November 8,97
für den Herbst 9,86
Vergleicht man die Temperatur Lugano’s mit der von Montreux und Meran, so er-
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184
gibt sich in den meisten Wintermonaten eine kleine Differenz zu Gunsten Lugano’s. Vom
März bis zum November ist Meran um circa 1 Grad wärmer. Ueber die Wärme vou
Montreux im Bommer fehlen mir Daten, jedenfalls ist sie daselbst drückender als in
Lugano.
Montreux
Meran
Lugano.
nach Dr. Steiger.
nach Dr. Pircher.
October
12,64
10,47
12,62
November
6,06
5,11
5,44
December
2,83
2,54
2,25
Januar
1,25
0,82
0,18
Februar
8,58
3,84
8,03
März
7,06
5,12
7,60
April
11,96
10,65
12,97
Die mittlere Jahreswärme von Lugano und Meran ist so gut wie gleich, die von
Meran ist 11,81, die von Lugano 11,80.
Der höchste in Lugano beobachtete Wärmegrad ist am 22. Juli 1870 36,1 Grad ge¬
wesen, der höchste Kältegrad am 25. Januar 1869 — 8,7 Grad.
Was den Barometerstand betrifft, so ergeben sich filr die Jahreszeiten folgende Zif¬
fern: für den Winter 88,41, für den Frühling 35,89, für den Sommer 36,98, für den
Herbst 87,62. Nach Dr. Thomas betrugen in den Jahren 1865—1869 die täglichen Os-
cillationen im Durchschnitt im Winter 3 79 Mm., im Frühjahr 2,87 Mm., im Herbst
2,88 Mm.
Die relative Feuchtigkeit ist nach den vorliegenden Berechnungen geringer als man
früher angenommen hat. Das Saisonmittel ist 72,3, das Jahresmittel 71,8.
Für die Jahreszeiten ergibt sich: für den Winter 75,0%, für das Frühjahr 66,1%.
für den Sommer 68,4%, für den Herbst 75,8%.
Nach diesen Daten gehört Lugano im Frühjahr und Sommer zu den Curorten mit
mässig trockener Luft, im Herbst und Winter zu denen mit mässig feuchter Luft.
Die täglichen Oscillationen betrugen nach Dr. Thomas in den Jahren 1865—1869 im
Winter 24,0%, im Frühling 24,2%, im Herbst 26,8% und für die einzelnen Monate in
den Jahren 1865 und 1866:
im September 81,0% im December 17,2%
October 27,5 „ Januar 27,4 „
November 26,8 „ Februar 80,0 „
im März 24,5%
April 28,5 „
Mai 24,4 „
Im Winter ist der Hauptwind der Nordwest. Er kann mitunter ein paar Tage dau¬
ern. Wenn man von Local winden absieht, so ist es schwer, für die übrigen Jahreszeiten
eine vorherrschende Windrichtung anzugeben. Nordwest und Südwest sind wohl die
häufigsten in denselben.
Ueber die Niederschläge liegen 11—13jährige Beobachtungen vor. Regentage zählt
Lugano wenige. Ebenso sind die bedeckten Tage viel seltener als die heitern. Nebel
sind so gut wie unbekannt Schnee fällt selten und bleibt meist nur einen oder ein paar
Tage liegen. Auf den Juni fällt die grösste Regenmenge und auf den Fobruar die ge¬
ringste. Die eigentliche Regenzeit scheint hier, wie an den Nachbarseen, gewöhnlich auf
das Frühjahr zu fallen.
Die Bewölkung ist im Juli nur 8,9, in den übrigen Monaten schwankt sie zwischen
4 und 5. Die Höhe der Regenmenge beträgt im Jahr 1593,9 Mm., die des Schnee’s
44,6 Gm. Regentage zählt man 67,76.
Ueber den Ozongehalt der Luft liegen 10jährige Beobachtungen vor, das Jahres¬
mittel desselben ist 5,46. Auf den Winter kommen 4,96, auf das Frühjahr 6,02, auf den
Sommer 5,78, auf den Herbst 5,08.
Das Klima von Lugano regt den Appetit an, hebt die Ernährung und wirkt beruhi-
gend auf das Nervensystem. Der letztere Einfluss dürfte wohl am ehesten in der Ein¬
wirkung der schönen Natur auf das Gemüth, in der Ruhe des hiesigen Aufenthalts, sowie
in dem Mangel zu grellen Lichts, wodurch die Gegend um Lugano sich auszeichnet, zu
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185
saohen sein. Die sprichwörtlich gewordene Nervosität der Tessiner dürfte wohl in an¬
dern Ursachen, als im Klima zu suchen sein. Jedenfalls liegt hier in der Luft nichts
Aufregendes.
Lugano eignet sich vortrefflich als Uebergangsstation zum Süden für die vielerlei
Leiden, bei denen ein wärmeres Klima indicirt ist Als Winteraufenthalt eignet es
sich auch sehr gut für leichtere Affectionen der Respirationsorgane, sowie für Solche,
denen eine Aufbesserung ihrer Ernährung und Kräftigung Noth thut. Als ständiger Auf¬
enthalt für das ganze Jahr dürfte es Solchen zu empfehlen sein, die, aus was immer für
Gründen, ein für Sommer und Winter gleich passendes Klima suchen. Besonders dürfte
es auch Augenleidenden zu empfehlen sein, da das Auge überall grüne Flächen sieht,
auf denen es sich gerne ausruht, auch der See nichts Blendendes hat.
Die Leser dieser Zeitschrift aus der Stadt Basel dürfte es vielleicht interessiren, zu
wissen, dass vor einem Jahr ein Herr aus Basel, Herr Plattner-Hetzel , in der Nähe Lu¬
gano’s, in Soragno, eine Pension: die Therapia, gegründet hat Dieselbe liegt, vor Win¬
den geschützter als Lugano, in anmuthiger Lage, umgeben von Kastanienwäldern, eine
kleine 8tunde von Lugano entfernt Reine, stärkende Luft, freundliche Wirthe, Familien¬
leben und gute Kost finden sich hier vereint und versprechen für jeden Kranken eine
segensreiche Therapie in der Therapia zu werden.
Mit oollegialischer Hochachtung Dr. Cornils.
Lnieni* L Cassa - Rechnung der sohweizer Aerzte - Commission
1 8 7 ö bis 187 7.
A. Einnah
men:
B. Ausgaben:
Beiträge der ärztlichen Gesellschaften
1. Einladungscirculare ucd Aus¬
pro 1876.
pro 1876/77.
ausstehend
lagen bei den Versammlungen
Fr.
Fr.
Fr.
des ärztl. Centralvereins in
1. Zürich
68. —
145. —
—
Olten 1875/77 Fr.
133. 80
2. Bern
70. —
81, —
ca. 60. —
2. Einladungscirculare
3. Centralschweiz 33. —
73. —
—
u. Auslagen bei den
4. Nidwalden
4. 50
—
9. —
vereinigten Aerzte-
5. Obwalden
4. 50
—
9. —
versammlungen in
6. Zug
8. —
11. —
—
Bern (1875 u. 1877)
7. Glarus
6. —
13. —
—
u. Zürich (1876) „
192. 45
8. Freiburg
7. 60
16. —
—
3. Druck der französi¬
9. Solothurn
8. —
18. —
—
schen u. deutschen
10. Baselstadt
25. —
50. —
—
Circulare u. Stimm¬
11. Baselland
9. —
18. — .
_
karten, Francatur
12. Schaffhausen
6. —
13. —
—
derselben bei der
13. Appenzell
12. 50
26. —
—
Abstimmung der
14. Aargau
32. 50
62. —
—
Schweizerärzte in
15. Thurgau
16. 50
35. —
—
Sachen Impfung n
211. 55
16. St Gallen
52. —
100. —
—
4. 5000 Impftabellen
17. Graubünden
8. —
62. —
—
zur Impfstatistik (v.
18. Waadt
40. —
—
80 —
d. Impfcommission
19. Neuenburg
15. 60
29. —
—
bestellt) „
482. 90
20. Genf
—
—
90. —
6. Circularo betreffend
Fr.
426. 50
742. —
248. —
Anfrage über den
AOß an
(iesetzes - ümtwurl
Summe der Einnahmen Fr. 1168. 50
der Freizügigkeit
wissenschaftlicher
Berufsarten „
6. Auslagen d. Cas-
12. —
Einnahmen
Fr. 1168. 60
siers (Circulare ,
Ausgaben
„ 1088. 60
Porto etc.) »
55. 90
Cassabestand
Fr. 79. 90
Fr.
1088. 60
81. December 1877. Dr. A. Steiger.
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180
Httnchen. Ueber einige Operationen am Knie unter dem Lister-
schen Spray.
1. Das Genu valgum nach Ogston. Die Heilung des Genu valgum hat von
jeher den Orthopäden viel Kopfzerbrechen verursacht, denn blos nach Durchschneidung
des Ligament, laterale extemum und nach Anlegung der sinnreichsten Maschinen und
Verbände waren diese Mühen weder für den Kranken noch für den Arzt sehr lohnend,
ja. in sehr vielen Fällen war nach Monate langer Behandlung das Resultat gleich 0 zu
nennen. Ogston 's Methode verdankt ihre Entstehung allein dem Lister 'sehen Spray, denn
ohne diesen wäre die Operation gleich wie eine Kniegelenksresection eine das Leben de«
Patienten in Frage stellende; heute ist sie eine gefahrlose und höchst lohnende zu
nennen.
Das zu operirende Knie (schon 24 Stunden vor der Operation in Carbolwasser-
Compressen eingeschlagen) wird in stumpfem Winkel gebogen auf ein Rollkissen gelegt;
der Operateur steht an der linken Seite des in tiefer Narcose liegenden Kranken; nach¬
dem er eich genau über Stellung, Grösse und Form des Condylus internus und der
Patella überzeugt hat, sticht er ein langes spitzes, etwas nach der Schneide gebogenes
Tenotom 5 Cm. oberhalb der grössten Prominenz des Condylus in der Mitte des Schen¬
kels ein und unter dem Rande der Patella vorwärts in die Fossa intercon-
dyloidea und bahnt sich schneidend einen subcutanen Tunnel für die Spitz¬
säge. Mit dieser wird nun der vorspringende Condylus in kurzen und
raschen Bewegungen durchsägt bis auf eine dünne Knochenbrüoke. (Die
gänzliche Durchsägung wird nicht gemacht, um nicht die Gefässe und
Nerven der Kniekehle zu verletzen.) Diese wird nun durch energische
Geradestellung des Unterschenkels zum Oberschenkel gebrochen. Das
Durchsägen deB Condylus ist mühsam; gelingt das Brechen nicht, so geht
man mit der Stichsäge wieder ein, sägt die Knochenbrücke behutsam dün¬
ner und wiederholt die Geraderichtung des Unterschenkels bis die Kno¬
chenbrücke unter leichtem Krachen nachgibt und das Knie seine normale
Richtung hat. Die Wunde wird sogleich zugenäht (Sägespähne und Fetzen
nicht ausgespritzt), das Knie mit lost gaze dick belegt und unter dem Spray
verbunden; an die äussere Seite des operirten Schenkels wird eine handbreite Schiene
vom Trochanter bis zum Fuss mit Cirkeltouren befestigt. Nach 8—10 Tagen werden
Kniebewegungen gemacht und diese täglich wiederholt, nach 3 Wochen Gehversuche;
mit 6—6 Wochen ist der Operirte gänzlich hergentellt.
Von 8 Kranken, die ich bis jetzt operiren sah (worunter einige doppelseitig), hat
kein einziger Reactionserscheinungen gezeigt, die Wunde heilte per primam und die Re¬
sultate sind als gelungen zu bezeichnen. Der Anfänger, der diese Operation an der
Leiche einüben will, merke sich, dass sie am normal gebauten Knie weit schwieriger ist,
da hier der Condylus nicht so vorspringend ist, wie am Genu valgum.
Sowie jede Rückgratsverkrümmung eine Compensationskrümmung erzeugt, die sich
entweder ober- oder unterhalb der erstem ausbildet, so zeigt auch das stark ausgespro¬
chene Genu valgum eine Compensationskrümmung ; dieselbe besteht darin, dass der Kranke
auf dem äussera Fussrande geht mit verkürzter Ferse, er hat einen Pes Varoequinus.
Die subcutane Durchschneidung der Achillessehne und fascia plantaris mit sofortigem
Anlegen eines Gypsverbandes in corrigirter Fussstellung kann als zweite Operation der
erstem nachfolgen ; sie wird jedoch meist nur nothwendig, wo das Genu valgum lange
gedauert und der Pes equinus sehr ausgesprochen, bei geringem Graden wird sie nicht
erforderlich sein.
IL Kniegelenksmäuse. Eine ebenfalls das Kniegelenk betreffende, häufig vor-
kommende Operation ist die Eröffnung desselben zur Herausnahme von Gelenksmäusen,
sei es, dass diese bereits feste Concremente bilden oder in Synovialzotten bestehen, welche
frei ins Gelenk hängen. Auch hier die glücklichsten Erfolge unter dem Spray. Das
früher gebräuchliche Fixiren der Maus mit Nadeln recidivirte oft, diese Operation aber
heilt radical.
III. Bursitis patellaris, hygroma patellare kommt hier besonders bei
Mägden sehr häufig vor und ist erzeugt durch die Gewohnheit, auf den Knieen zu fegen.
(In Frankreich ist diese Krankheit höchst selten bei der dienenden Classe, da diese nicht
187
knieend arbeitet; in England hinwiederum scheint sie häufiger zu sein und wird schlecht¬
weg house maids-kcee geuannt.) Haben Eisblase und Jodtinctur nicht zum Ziele geführt,
so wird unter dem Spray die Punction und Drainirung der Bursa gemacht, und bei Ver¬
dickung derselben diese mit dem Esmarch 'sehen Löffel ausgekratzt, oder die Basis abge¬
tragen. Die Punction mit dem Glüheisen ist nicht beliebt, da dieselbe oft unangenehme
Hautentzündungen zur Folge hat. Dr. Isenschmid.
W odient>ei*icIit.
Schweiz.
Bern« Inselneubau. Zu Gunsten des Baufonds wird soeben eine Subscrip-
tions-Einladung auf „Das Inselbuch“ erlassen, das eine übersichtliche Darstellung der
geschichtlichen Entwicklung und des gegenwärtigen Bestandes der Insclcorporationsan-
stalten (Inselspital, äusseres Krankenhaus, Waldau) enthalten soll. Das nöthige Urkunden-
material wurde s. Z. gesammelt von Fürsprech Matthys sei., langjährigem, Mitglied und
Präsident der Inselbehörden; das Buch selbst wird verfasst von J. Imobersteg (Pfarrer in
Bremgarten), Mitglied der InBeldirection, und wird herausgegeben im Einverständniss mit
der Inseldirection.
Dieses Buch soll, circa 460 Seiten stark, im Herbst dieses Jahres erscheinen, falls
die nöthigen 2000 Unterschriften zusammengebracht werden. Preis Fr. 4.
Wir empfehlen den Collegen dieses humane Unternehmen aufs Angelegentlichste und
sind überzeugt, dass dasselbe den gewünschten Beifall finden wird.
Ausland.
Beatschland. Volkmann 's antiseptische Technik wird in einem sehr
lesenswerthen, im württemb. Corresp.-Blatt 1878 Nr. 1 enthaltenen Reisebriefe Dr. Salz¬
mann’a jr. genauer beschrieben; wir theilen den Collegen daraus die folgenden Ddtails mit:
„Vor jeder Operation wird die Stelle, wo die Wunde gesetzt werden soll, gründlich
mit 8eife, Bürste und Rasirmesser gereinigt, dann mit 3% Carbolsäurelösung abgespült.
Ist dies geschehen, so geht es an die Reinigung dessen, was mit der Wunde in Berüh¬
rung kommt. Die Hände des Operateurs, der Assistenten , Wärter, die Instrumente,
Schwämme, Drainageröhren, Verbandstoff, überhaupt Alles, was bei der Operation ge¬
braucht wird, muss desinficirt werden. Die Hände werden in 3°/ 0 Carbolsäurelösung ge¬
waschen, der Verbandstoff und die Instrumente werden zuvor kurze Zeit in die Carbol¬
säurelösung gelegt und Schwämme und Drainageröhren sollen mindestens 14 Tage in ö°/ 0
Lösung Tag und Nacht gelegen haben, ehe sie zur Verwendung kommen. Das gewöhn¬
liche Verhältniss, in dem Carbolsäurelösung angewendet wird, ist die 3°/ 0 ige, und diese
meine ich immer, wenn ich von Carbolwasser spreche. Ausser der Carbolsäure sah ich
nur die Salicylsäure als Desinfectionsmittel anwenden und zwar in 7 *°/<> Lösung, beson¬
ders wenn es sich um das Ausspülen von Körperhöhlen, wie die eines Pyo-Pueumothorax
oder eines grösseren Hohlraums, der sich erst gebildet hat, wie den eines Echinococcus¬
sackes handelt, da hier eine grössere Masse von Desinfectionslösung zur Verwendung
kommen musste, und die Gefahr der Resorption zu befürchten war.
Gelegentlich erwähne ich einer bekannten und unangenehmen Nebenwirkung der
Carbolsäure, die ich bei längerer Anwendung ein paar Mal dort habe beobachten können.
Es ist dies das Auftreten eines juckenden Exanthems, „Urticaria carbolica“, das mich in
seinem Aussehen sehr an Scarlatina erinnerte. Dasselbe entsteht, ohne dass vorher
„Theerurin“ sich gezeigt hätte, plötzlich über Nacht mit oder ohne Fieber und verbreitete
sich bisweilen über den ganzen Körper, soll aber auch in anderen Formen Vorkommen.
Bei massigerer Anwendung der Carbolsäure sah ich es stets in wenigen Tagen wieder
verschwinden. In anderen Kliniken heisse man dieses Exanthem „Rothlauf“. Doch hat
es mit diesem gewiss nichts gemein, dagegen hörte ich, dass seit 3 Jahren kein Erysipel
mehr auf der Volkmann 'sehen Klinik gelegen habe. Andere schwere Intoxicationserschei-
nungen habe ich auch bei Kindern, bei der Vorsicht, mit welcher die Carbolsäure dort
angewendet wird, nie eintreten sehen.
Die Operation wird natürlich unter Carbolsäurespray, deren ich bei grossen und
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188
langedauernden Operationen stets zwei verwenden sah, ausgeführt. Knochen, die eu
durchsägen sind, werden während des Durchsägens auf der Sägefläche stets mit Garboi-
wasser bespült, um theils, wie mir scheint, der Erwärmung des Sägeblattes vorzubeugen,
theils die Sägespähne gleich aus der Wunde zu entfernen.
Ist die ganze Operation vollendet, so werden die spritzenden Arterien mit Catgut
unterbunden, der, kurz abgeschnitten, stets ohne Nachblutung zu veranlassen, resorbirt
wurde. Dann wird die ganze Wunde mit Carbolwasser energisch ausgesptllt und zwar
so, dass die Flüssigkeit mit allen Wundtheilen längere Zeit in Berührung bleibt Dabei
wird es oft nöthig, den Patienten vom Tisch wegzunehmen und geradezu frei zu halten.
Nun kommt daB Nähen der Wunde, ohne natürlich mit dem Spray aufzuhören. Volk-
marin näht fast jede Wunde und verwendet darauf, dass die Wundrändor exact aufeinan¬
der liegen, viele Mühe, so dass bei grossen und tiefen Wunden tiefe und oberflächliche
Nähte mit einander ab wechseln. Zur Vorsicht werden von 8trecke zu Strecke Drainage¬
röhren eingelegt, die dann frei bleiben. Letztere können bei normalem Wundverlauf nach
wenigen Tagen wieder entfernt werden, während ich die Nähte stets lange Zeit habe
liegen sehen. .Erst wenn sich in der Umgebung der Stichwunde eine Spur von reactiver
Röthung zeigt, was unter dieser Behandlung oft erst am 6. bis 7. Tage eingetreten ist,
werden sie entfernt. Gerade wegen der ausgedehnten Anwendung der Naht werden
Drainageröhren in ergiebiger Weise verwendet. Sie werden fast bei jedem Verband¬
wechsel herausgenommen, ausgewaschen und, wenn wie gewöhnlich die Secretion gering
ist, kürzer geschnitten, bis sie endlich ganz wegbleiben. Dies erfordert Uebung, denn
durch zu frühes Herausnehmen, wie durch zu langes Liegenlassen kann die Heilung ver¬
zögert werden.
Nicht weniger penibel und ebenfalls unter Spray wird der Verband ausgeführt. Zu¬
nächst kommt auf die Wunde als Schutz das sog. Protectiv. Dasselbe ist vorher in Car-
bolsäure getaucht und soll die ganze Wunde bedecken. Auf dieses kommt Lister' sehe
Gaze, die taschentuchartig zusammengedrückt in verschiedener Dicke Uber die Wunde
vertheilt wird, so dass sie, während sie das Beeret aufsaugt, auch comprimirend, wo nö¬
thig, wirken kann. Darauf kommen die 8 Lister’ sehen Gazeschichten. Zwischen die letzte
und vorletzte Schichte wird noch ein Guttaperchapapier eingeschoben, das etwas kleiner
ist, als die letzte. Alles dieses wird durch gewöhnliche in Garbolsäure getauchte Gaze¬
binden befestigt. Dieser Verband muss an Extremitäten die ganze Circumferenz umfas¬
sen, überhaupt weit Uber die Wunde hinausgehen und exact glatt anliegen. Da dies an
manchen Körperstellen sehr schwer ist, so wendet Volkmann am Rande der Gazeschichten,
zum Ausfüllen der Unebenheiten und überhaupt zur grösseren Sicherheit — der Verband
soll ja, wie er selbst sagt, ein Occlusivverband Bein — noch besonders dafür präparirte
Benzoewatte daneben an. Er erfordert, so angelegt, viel Zeit, Geschicklichkeit und
Uebung, kann aber dafür, wie ich selbst sah, lange liegen bleiben, so dass selbst Schwer-
operirto mit 6 oder 6, Ovariotomirte sogar nur mit 2 bis zu ihrer Heilung auskommeD.
Den Tag nach der Operation lässt ihn Volkmann stets erneuern , dann bleibt er aber 2,
später 3 und noch später 4 und mehr Tage liegen, vorausgesetzt, dass kein Fieber sich
einstellt oder das Durchsickern von Wundflüssigkeit die Erneuerung gebietet. Beim
Wechsel desselben wird nur das Guttaperchapapier gewaschen wieder verwendet, alles
andere bleibt werthlos.“
Es weicht zwar diese Methode in keinem Puncte wesentlich von der ab, die an an¬
deren Orten in Verwendung kommt; wir hielten es aber trotzdem für opportun, noch
einmal diese Ddtails Denen in Erinnerung zu rufen, die noch nicht den Versuch gemacht
haben, sich practisch mit dem B Lister “ vertraut zu machen.
Stand der Inffeetions-Krankhelten in Basel.
Vom 26. Februar bis 10. März 1878.
(Die Zahlen in Klammern geben je weilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Die Masern epidemie ist in stetiger Abnahme begriffen. Nach dem Beginne der
Erkrankung verrechnet, fallen Anzeigen auf den September 1877: 3, October: 19, No¬
vember: 146, December: 296, 1878 Januar: circa 800, Februar: circa 170. Speciell im
Dkjitizedby G00gk
189
letzten halben Monate sind 88 neue Fälle angezeigt (169, 130, 138, 94), davon in Gross-
basel 60, in Kleinbasel 38 (27, 34, 27).
Scharlach bleibt ungefähr auf gleicher Höhe: 26 neue Fälle (37, 21, 28), wovon
in Qrossbasel 14, in Kleinbasel 12 (11).
Diphtherie noch immer zahlreich: 19 Fälle (8, 17, 22), wovon je 6 aus dem
Birsigthäle und aus Kleinbasel.
Typhus 4 Fälle, je 2 vom Nordwestplateau und Klcinbasel (3, 3).
Erysipelas 5 zerstreute Fälle (6, 1, 10).
Puerperalfieber 5 Fälle mit verschiedenen Hebammen (4).
Varicellen zerstreut aus der ganzen Stadt; vereinzelte P ertussi sfälle aus
GrossbaseL
Bibliographisches.
81) Platzer , Zur innerlichen Anwendung der Salicylsäure, insbesondere beim Typhus. 60 S.
Verlag von Jos. Anton Fiusterlin in München.
32) Apoiger , Typhus in Buchhausen. Mit 2 Holzschn. 36 S. Verlag von Jos. Anton
Finsterlin in München.
83) Bruns , Die galvanocaustischen Apparate und Instrumente, ihre Handhabung und An¬
wendung. Mit 28 Holzschnitten und 43 Figuren auf 2 Öteindrucktafeln. 513 Seiten.
Preis 12 Mk. Tübingen, Laupp’s Verlagsbuchhandl.
34) Lebert, Die Krankheiten des Magens, klinisch mit besonderer Rücksicht auf Hygiene
and Therapie bearbeitet. 660 Seiten. Preis 10 Mk. Tübingen, Laupp’s Verlags-
buchhandl.
35) Schneider , Verbreitung und Wanderung der Cholera, graphisch dargestellt nach Be¬
obachtung der grossen Seuchenzüge durch Indien und weiter durch Asien und Eu¬
ropa. Mit 5 Karten. Preis 3 Mk. Tübingen, Laupp’s Verlagsbuchhandl.
36) Stricker , Medicinische Jahrbücher, herausgegeben von der k. k. Gesellschaft der
Aerzte. Jahrgang 1877. 4 Hefte. Preis 24 Mk. Wien, Verlag von Braumüller.
87) Götel, Die öffentliche Gesundheitspflege in den ausserdeutschen Staaten, in ihren
wesentlichen Leistungen geschildert. Eine von dem deutschen Verein für öffentliche
Gesundheitspflege gekrönte Preisschrift. 314 8. Preis 6 Mk. Leipzig, Verlag von
F. C. W. Vogel.
38) Volkmann, Sammlung klinischer Vorträge; Leipzig, Breitkopf & Härtel.
Nr. 126 Justi , Ueber adenoide Neubildungen im Nasen-Rachenraum.
Nr. 126 Kalbaum , Die klinisch-diagnostischen Gesichtspuncte der Psychopathologie.
Nr. 127 Fritsch , Der Kephalothryptor und Braun’ s Kranioklast.
Nr. 128 Ranke, Ueber das Thymol und seine Benützung bei der antiseptischen Be¬
handlung der Wunden.
39) Statistischer Samtätsbericht Uber die kgl. preussische Armee und daB XIII. (württem-
bergische) Armeecorps, für den Zeitraum vom 1. April 1873 bis 31. März 1874 be¬
arbeitet von der Militär-Medicin&l-Abtheilung des kgl. preuss. Kriegsministeriums.
Preis 6 Mk. Berlin, Verlag von Mittler & Sohn.
40) Jearmeret, Untersuchungen über die Zersetzung von Gelatine und Eiweiss durch die
geformten Pancreasfermente bei Luftausschluss. (Berner Inaugural-Dissertation.)
Leipzig, Druck von Metzger & Wittig.
Briefkasten.
Herrn Dr. Z. in A.: Verdanke bestens Deine MittheUnng. Sehe also weiteren Eröffnungen ent¬
gegen. — Herrn Dr. A. in W., Pfarrer Bion in Zürich: Mit Dank erhalten. — Herrn Dr. Picot, L.
Hahn: Besten Dank für das Mitgetheilte. — Herrn Dr. D. in London: Sie finden die Antwort auf
Ihre Anfrage in der heutigen Nummer. — Herrn Dr. M. Wagner: Mit Dank erhalten. — Herrn Dr.
8—er in St Gallen: Eine Besprechung des übersandten Gesetzentwurfes wäre mir sehr willkommen.
— Herrn Prof. Q. in Bern: Die Entdeckung von Z. haben wir bereits 1877 im Corr.-Bl. S. 867 mit-
getheUt; ich denke, dass wir damit in dieser Sache genug gethan! Herzliche Grüsse. — Herrn Prof.
P. M. in Bern: Besten Dank für den eingesandten Sep.-Abdruck, der uns sehr interesBirt hat; das in
Aussicht Gestellte ist noch nicht eingstroffen.
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190
MATTOlir
OFNER königs-bitterwassee
wird von den ersten medicinischen Autoritäten des In- und Auslandes gegen habituelle Stuhl-
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Budapest, iS. Februar 1877. Kttnigl. Rath Prof. Dr. v. Koränyi.
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191
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meinden des circa 6000 Seelen zählenden Amts¬
bezirks Lanfen dermalen kein Arzt ist. Nähere
Auskunft ertheilt der Unterzeichnete Präsident
des Verwaltungsrathes, an welchen auch die An¬
meldungen bis 20. April nächsthin zu richten
sind.
Lanfen, den 13. März 1878.
Federspiel, Reg.-Statthalter.
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192
Offerire den Herren Aerzten franco gegen
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St. Gallen Mitte Februar 1878.
[H-866-Q] C. Ehrenzeller, Apotheker.
Aerztliches Vereinsblatt für
Deutschland.
Organ des deutschen Aerztevereinsbundes.
Herauagegeben von der ans dem Geiehäftsautiehaue des
Aerztebnndes ernannten Redaktionskommission:
Dr. Graf, Elberfeld — Dr. Pfeiffer, Weimar —
Dr. Heiuze, Leipzig.
Redacteur Dr. Heinze in Leipzig.
Commissionsverlag der J. C. Hinrichs’schen Buch¬
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Auflage: 6000 Exemplare, welche an ebensoviele
einzelne deutsche Aerzte allmonatlich zur Ver¬
sendung gelangen.
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Dr. A. Baader
in Ootterkinded.
N“ 7. YÜI. Jahrg. 1878. 1. April.
Inhalt: 1) Originalarbeiten: Dr . B. Haffter: Die Snlzbrnnner-Jodqnelle (Kemptener Wasser), ein vorzüglichen,
ron der Natnr gespendete* Medicanent. — Dr. B. Schnyder: Die Lnngenblntnngen, ihr Verhalten znr Weisaenbnrgcur und ihre
Therapie (Schlaas). — 2) Vereinsberichte: Medicinisch-pharmaoentischer Bezirknverein des bern. Mittellandee. — 3) Re¬
ferate und Kritiken: Dr. W. Nicati nnd Dr. H. v. Vi’ysi: L. Ratnitr's technisches Lehrbuch der Histologie. — E. Emmtrt:
Ueber fnnctionelle Störungen des menschlichen Auges im Allgemeinen sowie speciell nach Schnluntereuchungen in den Cantonen
Bern, Solothurn nnd Nenenburg nebst Angabe der Hülfsmittel dagegen. — M. Schottiliut: Neun Sectionstafeln mit erläuterndem
Text. — 4) Can tonale Correspondenzen: Aargau, Zürich, Reisebriefe aus dem Süden, Briefe aus Ajaccio. — 5) Wochen¬
bericht. — 6) Bibliographisches. — 7) Briefkasten.
Original-Arbeiten.
Die Suizbrunner-Jodquelle (Kemptener Wasser), ein vorzügliches, von der
Natur gespendetes Medicament.
Von Dr. E. Haffter in Weinfelden.*)
Sulzbrunn liegt in reizender Waldeinsamkeit am westlichen Abhang des sog.
Kemptener Waldes (1'/« Stunde von der Eisenbahnstation Kempten). Die schon
von den Römern gekannte und geschätzte Quelle wurde nach löOOjähriger Ver¬
gessenheit vor ca. 40 Jahren neu entdeckt, vielfach versandt, und durch Erbauung
einer kleinen Anstalt der Curgebrauch auch an Ort und Stelle ermöglicht. — All-
mälig, durch keine andern Hülfsmittel, als durch die schönen, selbstredenden Re¬
sultate getragen, verbreitete sich der Ruf von der ausserordentlichen Heilkraft der
Quelle und der von Jahr zu Jahr sich steigernde Besuch schuf nach und nach die
immerhin noch bescheidenen Bauten, wie sie das jetzige Etablissement zeigt. Die
nach auswärts versandten Quellproducte erwarben sich unter den Aerzten, welche
dazu kamen, sie therapeutisch zu erproben, sehr bald warme Freunde und Ver¬
ehrer und ich freue mich, an die Spitze dieser Arbeit einige hieher bezügliche
Aeusserungen von zwei überall bekannten medicinischen Autoritäten stellen zu
können.
*) Im September 1876 erkrankte ich nach einer 8ectionsverletzung am linken Mittelfinger unter
schweren septicämischen Erscheinungen; nach Ablauf der heftigsten Symptome und Remission des
Fiebers (December 1876) blieb mir ein chronisches Allgemeinleiden, das sich bald hier, bald dort lo-
calisirte und mich sehr herunterbrachte. In diesem Zustande kam ich Anfangs Juni 1877 als Curgast
nach Sulzbrunn und blieb daselbst, da der Aufenthalt in der herrlichen Waldluft und der Innerliche
wie äusserliche Gebrauch der Quelle mein Befinden unverkennbar günstig beeinflussten, als Badearzt
bis zum Ende der Saison. Es drängt mich nun, die daselbst gemachten Erfahrungen in erster Linie
meinen schweizerischen Collegen zu practischer Verwerthung mitzutheilen; eine später erscheinende
Brochure wird die Geschichte des Carortes und die jetzigen Verhältnisse, deren Kenntnies zur Beur-
theilung desselben nothwendig ist, nach allen 8eiten beleuchten. D. Verf.
13
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194
Prof. Homer schreibt mir:
Er gebrauche das Kempten-Sulzbrunner Wasser seit 15 Jahren mit sehr befriedigen¬
dem Erfolg zu anhaltenden Curen bei GlaskörpertrQbungen im Gefolge von Iritis scrosa
und Iridochorioiditis , sowohl bei speciflscher als nicht specifischer Grundlage. Da das
Öulzbrunner Wasser sehr gut ertragen werde, könne es sehr lange fortgebraucbt werden
und gebe gute Resultate, w o Jodkali in concentrirterer Form nicht ertragen werde. Selbst
bei schwächlichen Individuen dürfe es unbedenklich — neben Milchcur — durch Monate
gegeben werden.
Und Herr Spitaldirector Dr. Kappeier in Münsterlingen schreibt mir u. A.
darüber:
„Dass der innerliche Gebrauch des Sulzbrunner Wassers und die äusserliche An¬
wendung der jodhaltigen Salzlauge die folliculären Kröpfe zur Heilung bringt, liegt wohl
ziemlich nahe und zwar, wie ich hervorheben möchte, mit bedeutend geringerer Störung
des Allgemeinbefindens, als bei Anwendung der gebräuchlichen Jodsalben und Jodwaaser.
Weniger bekannt dagegen dürfte sein, dass der innerliche und äusserliche Gebrauch der
Sulzbrunnerquellproducte in oft ganz erstaunlicher "Weise die rapide Rückbildung
von Lymphomen (scrophulöser Sarcome v. Langenbeck’ s) herbeiführt. Ich sah
mehrmals enorme Hals- und Achseldrüsenhyperplasien, die wegen ihrer Grösse und der
durch sie bedingten Beschwerden schon dem Messer verfallen schienen, durch eine Sulz-
brunnercur in kurzer Zeit bedeutend sich verkleinern. Auch bei chronischer Ostitis und
eiternden Knochengeschwüren sieht man oft ganz hübsche Resultate.“
Diese therapeutischen Hülfsmittel nun, über die Sulzbrunn verfugt und die
wohl das Interesse des Arztes in hohem Grade erwecken dürfen, sind folgende:
I. Das W a 8 8 e r: Es tritt in fünf Quellen (von welchen zwei als „Römer¬
quelle“ gefasst sind) zu Tage, in einer bei jeglicher Witterung ziemlich constanten
Stärke, die eine fast unbeschränkte Anzahl von Bädern zulässt. Die Temperatur
des Wassers an der Quelle fand Fr. v. Liebig 6,2’ Celsius; dasselbe ist kristallhell,
riecht etwas jodig und entwickelt beim Stehen an der Luft einen unverkennbaren,
starken Jodgeruch. Ein Tischglas mit Sulzbrunner Wasser, dak ich seit 5 Wochen
im Zimmer stehen habe, riecht zur Zeit noch intensiver als je und erfüllt das
ganze Zimmer mit diesem specifischen Aroma. Der Gaumen wird durch den Ge¬
nuss des Wassers gar nicht beleidigt; es schmeckt wie ein gutes frisches Trink¬
wasser mit etwas salzigem, aber durchaus nicht unangenehmem Beigeschmack. —
Einen Jodgeschmack zeigt das frisch der Quelle entnommene Wasser (für meine
Nerven wenigstens) nicht, während derselbe bei gestandenem Wasser deutlich auf-
tritt. — Die zu wiederholten Malen vorgenommenen chemischen Analysen ergaben
ziemlich übereinstimmende Resultate. Die v. Liebig 'sehe lieferte folgendes Ergeb¬
nis : Spec. Gewicht 1,002*23.
In 1000 Cc. Sulzbrunner Wasser sind an Salzen in Grammen enthalten:
Chlornatrium
1,913
Chlorkalium
0,0179
Kohlensaurer Kalk
0,3238
Kohlensäure Magnesia
0,0550
Chlorcalcium
0,0344
Chlormagnesium
0,1353
Jodmagnesium
0,0157
Brom
Spuren
Kieselsäure
0,0064
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195
Eisenoxyd
0,0026
Thonerde
Spuren
Borsäure
»
Schwefelsäure
*
Chlorammonium
0,0045
Freie Kohlensäure
0,2608.
Am Schlüsse der ausführlichen Untersuchung bemerkt v. Liebig: Wie aus
obiger Analyse hervorgeht, muss das Mineralwasser von Sulz¬
brunn bei Kempten zu den merkwürdigsten in Europa gerechnet
werden. Man darf ruhig beifügen: zu den vorzüglichsten und heilkräf¬
tigsten. Was es zunächst vor allen andern ähnlichen Wässern auszeichnet, ist
seine fast absolute Reinheit in Bezug auf Brom. Dieses Element findet sich im
Sulzbrunner Wasser nur undeutlich spurweise, während z. B. in den Quellen von
Kreuznach, Wildegg, Hall, Heilbrunn (Adelheidsquelle) etc. die Bromsalze in grös¬
serer Quantität vorhanden sind, als die Jodsalze.*)
Wohl wesentlich dadurch ist der Umstand bedingt, dass auch bei lange fort¬
gesetztem Gebrauch grösserer Quantitäten von Sulzbrunner Wasser keine Ver¬
dauungsstörungen und Allgemeinerkrankungen auftreten, wie sie eine Trinkcur mit
einigen der eben genannten Wässer oft unterbrechen oder für gewisse Constitutio¬
nen ganz unmöglich machen. Das Sulzbrunner Wasser wird nicht nur sehr gut
vertragen, sondern ist sogar ein vortreffliches, appetiterregendes Mittel, welche
Wirkung jeder Curgast in Sulzbrunn nach wenigen Tagen verspürt und von der sich
ein stiller Beobachter an der dortigen Curtafel die beste Vorstellung machen
könnte. — Ferner Ist gewiss auch der Umstand, dass die Sulzbrunnerquelle das
Jod in der leicht löslichen und ausserordentlich leicht — schon durch geringe
Wärmegrade — zersetzbaren Form des Jodmagnesiums enthält, während dasselbe
in den andern Jodbrunnen (Hall und Kreuznach ausgenommen) an Natrium ge¬
bunden ist — von grosser Bedeutung.
Was die Quantität des Jods anbelangt und namentlich das relative Ver¬
halten desselben zu den Chloriden , so räumt eine Vergleichung des Sulzbrunner
Wassers mit den andern Jodwässern Europa’s unstreitig dem erstem den bedeu¬
tendsten Rang ein. — Dasselbe enthält absolut mehr Jod als Kreuznachs Eli¬
senquelle (4:1); das Verhältniss zu den Chloriden gestaltet sich folgender-
maassen:
Im Sulzbrunner Wasser kommen auf 1 gmm. Chlorsalze 0,0075 Jodmagnesium,
beim Haller Wasser „ 1 B * 0,0033 „
bei der Adelheidsquelle „ 1 „ „ 0,0058 Jodnatrium,
beim Wildegger Wasser p 1 „ „ 0,0022 *
Die Jodsalze sind also im Sulzbrunner Wasser relativ am stärksten vertreten.
Zudem ist zu bedenken, dass — wie eine einfache chemische Rechnung mit den
*) Dm Verhältniss des Brom- und Jodgehaltes ist folgendes:
Kreuznach (Elieenquelle) 9 : 1
Wildegg 23 : 21
Heilbnum (Adelheidsquelle) 18 : 11
Hall (Ober-Oesterreich) 22 : 16
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— 196 —
Atomgewichten von Na, J und Mn ergibt, ein Gewichtstheil Jodmagnesium
(Mn J a ) mehr Jod enthält, als ein gleiches Quantum Jodnatrium (NaJ), welcher
Umstand die Sulzbrunnerjodziffer noch höher hinauf schraubt. — Eine nicht zu
unterschätzende Eigenschaft des Sulzbrunner Wassers ist auch die (durch Analy¬
sen nachgewiesene) Constanz, mit welcher seine wesentlichen Bestandtheile zu
allen Jahreszeiten und bei jeder Witterung auftreten.
Zu Curzwecken wird das Wasser in dreifacher Weise verwendet:
1) zu innerlichem Gebrauch, 2) zu localen Umschlägen und Injectionen in die
Leibeshöhlen (meist mit Lauge verstärkt) und 3) zu Bädern. — Wie schon gesagt,
ist das herrlich schmeckende Wasser für jeden, auch den reizbarsten Magen ein
erfrischendes und appetiterregendes Labsal; schon auf dem Wege dahin beginnt
es seine heilsame Wirkung, indem es zähe Schleimbelege in Mund und Rachen
prompt löst; wer dies erfahren will, muss in Gesellschaft frisch angekommencr
Gäste in Sulzbrunn einen Morgenspaziergang machen und es mit anhören, wie
neben den vielfach variirten Expectorationsgeräuschen der Gesang der Vögel und
das Läuten der Ileerdenglocken gar nicht mehr zur Geltung kommt. Eine zweite,
jedem Curanten sofort auffallende Erscheinung ist eine bedeutend vermehrte Harn-
secretion, die — wie ich mich auf experimentellem Wege überzeugte — viel stärker
ist, als nach Genuss eines gleich grossen Quantums Trinkwasser. Auch der
Scbweissdrüsenapparat fängt intensiver zu arbeiten an. — Beim weiblichen Ge¬
schlecht wird häufig Beschleunigung des Eintritts der Regeln beobachtet, neuer¬
dings auftretende Menorrhoe bei längst bestandenen Frauen ist keine Seltenheit
— Dass eine gleichzeitige Bade cur die Wirkung des innerlich genossenen Was¬
sers unterstützen muss, ist nach den neuesten Untersuchungen über das Resorp¬
tionsvermögen der Haut a priori anzunehmen und wird durch meine Erfahrungen,
die ich im vergangenen Sommer als Badearzt in Sulzbrunn machte, vollkommen
bestätigt. Wesentlich sind wohl auch die während des Bades inspirirten jodigen
Wasserdämpfe.
II. Die aus dem Wasser dargestellten Producte: S a 1 z und Lauge.
Das Salz ist der Verdampfungsrückstand und wird in mannigfacher Weise
zweckmässig benutzt zur Verstärkung von localen Bädern, zu Umschlägen etc.
Eine daraus präparirte Seife leistet bei Hautkrankheiten oft vorzügliche Dienste.
Noch schätzbarer ist (da bei der Darstellung des Salzes ein Theil des Jodmag¬
nesiums sich zersetzt und wirkungslos verloren geht) die Lauge, d. i. das durch
allmäligos Erwärmen concentrirte Jodwasser. Dieselbe enthält in 1000 gmm. ap¬
proximativ 1 gmm. Jodmagnesium und repräsentirt eine klare Flüssigkeit von stark
salzigem und jodigem Geschmack und findet vielseitige und treffliche Verwendung,
so namentlich zu Umschlägen und medicamentösen Einwirkungen auf Geschwülste,
Knochenauftreibungen etc., zu Einspritzungen (mit Wasser verdünnt), zur Verstär¬
kung des Trinkwassers bei forcirter Trinkcur; ferner wird sie mit Vortheil in
Mixturen gereicht statt des schwer verdaulichen Jodkaliums. Endlich kann jedes
andere mineralische Trinkwasser, wenn nöthig, beliebig damit jodirt werden.
HI. Die Jod milch: Die Versuche einiger französischer Aerzte (Labourdefle
und Dumeinil), die Milch gewisser Säugethiere durch innerlich gereichte Jodgaben
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197
jodhaltig zu machen und dadurch ein auch bei geschwächten Constitutionen und
empfindlichen Verdauungsorganen ohne Nachtheil anwendbares Jodpräparat zu fin¬
den, scheiterten an der Erfahrung, dass die so gefütterten Kühe, trotz aller mög¬
lichen Correctivmittel an Jodismus erkrankten und zum Theil starben, zum Theil
sehr schwer zu beseitigende Verdauungsstörungen zeigten. Die Thatsache wurde
aber doch constatirt, dass die so erzeugte Jodmilch — abgesehen von ihrem gleich¬
zeitigen Nährwerthe — bei Säuglingen, heruntergekommenen Scrophulösen etc.
treffliche Verwendung findet, weil die heilende Wirkung des Jod in eclatanter
Weise zur Geltung kommt, ohne irgend welche der sonst gekannten und gefürch¬
teten üblen Nebenwirkungen. — Schon die früher gemachte Erfahrung, dass Wild
und Vieh jahrelang unbeschadet ihrer Gesundheit täglich von dem Wasser der
Sulzen trinken konnte, musste vermuthen lassen, dass künstliche Jodmilch durch
Fütterung weiblicher Mammalien ohne Nachtheil für den milchgebenden Organis¬
mus erzeugt werden könne. Dies bestätigte sich auch vollkommen. Liebig schreibt
darüber: „Es zeigte sich in einer Reihe von übereinstimmenden Versuchen, dass
die Molken der Abendmilch einer Kuh, die mit Sulzbrunner Wasser getränkt wor¬
den war, in 3000 gmm. 0,0101 gmm. Jod enthielt. — Es wurde in Folge dieser
Beobachtung eine Reihe von Versuchen mit Kühen sowohl, wie mit einer Säug-
amme angestellt, denen man verschiedene Dosen Jodkali (4—15 gmm.) gegeben
hatte und es zeigte sich das übereinstimmende Resultat, dass in der Milch oder
vielmehr in den Molken derselben keine nachweisbaren Spuren von Jod gefunden
werden konnten. Wenn diese Beobachtung, welche merkwürdig genug ist, sich
bestätigt, so scheint demnach, dass das Jod in gewisse Körpertheile
und Säfte nur bei einer sehr grossen Verdünnung übergeht, was
von den Aerzten in Beziehung auf die beabsichtigte Wirkung
in Betracht gezogen werden muss.“
IV. Die ausserordentlich günstigen klimatischen Verhältnisse des Curortes, über
die an anderer Stelle gesprochen werden soll.
(Schluss folgt.)
Die Lungenblutungen, ihr Verhalten zur Weissenburgcur und ihre Therapie.
Von Dr. H. Schnyder.
(Schluss.)
Was nun speciell die Therapie der Lungenblutungen anbetrifft, so sind
die eigentlichen acuten Blutungen von der einfachen Hämoptoe, d. h. dem vielleicht
nur einige Male sich wiederholenden, vielleicht aber auch tage- oder wochenlang
andauernden Auswerfen mehr oder weniger blutiger Sputa wohl zu unterscheiden.
Eine plötzlich erfolgende profuse Lungenblutung erschüttert gewöhnlich den Kran¬
ken und dessen Angehörige oder Umstehende in einem Maasse, dass es von Seite
des in der Eile herbeigerufenen Arztes grosser Geistesgegenwart und unerschütter¬
licher Ruhe und Selbstbeherrschung bedarf, um im Drange der Umstände nicht
Dinge zu unternehmen, oder von Seite helfen wollender Laien zuzulassen, die durch
ihr Fehlschlagen das Vertrauen des Kranken rasch vernichten, denselben ängstigen,
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und, was noch schlimmer ist, den Arzt selbst an sich irre machen, womit im Kran¬
kenzimmer bald jeder Halt verloren geht
Die ersten zu erfüllenden Indicationen sind, dem Blutenden frische Luft zuzu¬
führen, denselben von allen beengenden Kleidungsstücken zu befreien und aus
dessen Nähe alle zur Hülfeleistung nicht absolut nötbigen Personen zu entfernen.
Kochsalz ist meist längst zur Stelle, bevor der Arzt ankommt. Es wird gewöhn¬
lich esslöffelweise, in wenig Wasser verrührt, eingegeben. Scoda meint, es wirke
dadurch günstig, dass es auf der Magenschleimhaut eine starke Reizung und durch
Vermittlung der sensibeln Magennerven eine reflectorische Contraction der kleinern
Lungenarterien erzeuge. Einen Vortheil davon habe ich nie gesehen und glaube
vielmehr, man gebe eben Kochsalz, um überhaupt etwas zu geben und weil gerade
Kochsalz überall zu Hause ist. Geschähe das Unglück in einer Schreibstube, so
könnte man freilich aus denselben Gründen dem Kranken auch den Inhalt der
Tintenflasche zu schlucken geben; Reiz und Reflex würde am Ende das gerbsaure
Eisensalz auch erzeugen.
Die subcutanen Ergotininjectionen sind seit einigen Jahren in der Behandlung
der Lungenblutungen sehr in Aufnahme gekommen, ja bei vielen Hmmoptoikern
fast schon ebenso populär geworden, wie die Morphiumspritze bei den an Neural¬
gie Leidenden. Offenbar der geburtshülflichen Praxis entnommen, erwartete man,
dass hier das Ergotin (Extr. secal. cornut. aquos. de Bonjean) durch directes An¬
regen der Vasomotoren dasselbe leiste, was Mutterkorn bei atonischen Uterin-
blutungen durch Hervorrufen von Uteruscontractionen zu Stande bringt: Constric-
tion der offenstehenden, blutenden Gefässe. Die direct gefässverengernde Wirkung
des Ergotins ist indessen noch keineswegs festgestellt, und während kürzlich noch
Köhler (Deutsche Zeitschr. f. pract Medicin) sehr energisch für dieselbe eingetre¬
ten ist, behaupten Andere, die vermeintlichen günstigen Resultate der Ergotinein-
spritzungen bei Aneurysmen, Varicen, Hämorrhoidalknoten und Struma müssten
vielmehr auf Rechnung des durch die Injection hervorgerufenen localen Reizes ge¬
setzt werden. Angenommen aber auch, Ergotin besitze die ihm beigelegte vaso-
constringirende Eigenschaft, so bleibt es von unserm Standpuncte aus immer noch
fraglich, weshalb denn injicirtes Ergotin gerade nur die blutenden Lungengefässe
und nicht vielmehr das ganze Gefässröhrensystem, das Herz inbegriffen, zur Ver¬
engerung und zu kräftigerer Contraction bringen sollte, eine Annahme, bei der
aber offene Gefässe unter dem allgemein erhöhten Arteriendrucke nur noch leb¬
hafter spritzen müssten.
Die Wirksamkeit des Ergotins erscheint somit in der Theorie als problema¬
tisch; in praxi habe ich zu meinem eigenen Bedauern nie einen wirklichen Erfolg
von Ergotineinspritzungen gesehen; sie haben weder die Vehemenz der einzelnen
bmmoptoischen Anfälle vermindert, noch schienen dieselben auf die mehr oder
weniger rasche Wiederholung der Blutungen von irgend einem Einfluss zu sein.
An zahlreichen Injectionen und kräftigen Solutionen hat es gewiss nicht gefehlt,
ist es doch bei Fall 7 vorgekommen, dass der Kranke zwei Mal, je nach einer In¬
jection, die heftigsten und schmerzhaftesten Krämpfe in der Beckenmuskulatur und
in den untern Extremitäten bekam. Auch Dr. A. Baader (vgl. Fall 4) theilte mir
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mit, dass er selbst Ergotin innerlich und subcutan in brechenerregenden Dosen
bekommen habe, ohne jeden Erfolg. Jedenfalls ist Ergotin noch lange nicht das
souveräne Mittel gegen Hsemoptoe, als welches Dr. Jos. Hirschfeld es kürzlich noch
angepriesen hat (Wien. med. Presse 1877, Nr. 22).
Das Auflegen von Eisbeuteln hat meinen Wünschen ebenso wenig entsprochen,
als Ergotininjectionen. Angenommen, die Kälteeinwirkung wäre wirklich im Stande,
blutende Gefässe im Innern einer Lunge zu erreichen, so muss jene doch in
erster Linie die Arterien der Brustwandungen und der Pleuren zur Contraction
bringen. Nun ist aber bekannt, dass das Strombett der Art. pulmonaris mit den
Art. bronchiales anastomosirt und die Endäste der letztem sich schliesslich noch
im Visceralblatte der Pleura verzweigen, und ebenso bekannt ist, wie leicht und
unbemerkt es zwischen kranken Lungentheilen und Brustwandung zu Adhärenzen
kommt. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass auf diese Weise wenigstens ca-
pilläre Anastomosen zwischen den Art. bronchiales und den intercostales zu Stande
kommen. Wenn es sich nun darum handelt, eine congestionirte Lunge zu ent¬
lasten, oder abnormen Kreislaufverhältnissen in derselben gleichsam eine andere
Richtung zu geben, so ist es doch angezeigt, jene Gefässverbindungen dazu zu
benützen, die Circulation eher nach Aussen zu leiten, als durch äusserliche Kälte¬
anwendung noch mehr Blut nach der Lunge zu zu drängen. Aufgelegte Eisbeutel
werden daher eher schaden als nützen, ganz abgesehen davon, dass sie durch ihre
Schwere lästig fallen und die Kälte Schmerzen und Hustenreiz verursacht.
Als das zweckmässigste und raschest wirkende Mittel zur Entlastung einer
hyperfemisirten, oder im Zustande der Congestion befindlichen Lunge habe ich
die altbekannten, aber ungerecht vergessenen Schröpfköpfe kennen gelernt, durch
welche, wenn in grosser Anzahl und fest aufgesetzt, eine bedeutende Menge Blut
gegen die Thoraxoberfläche angesogen und wenigstens für die Dauer der Appli¬
cation auch dem allgemeinen Kreisläufe entzogen wird. Ich wende daher auch in
allen Fällen von Lungenblutungen Schröpfköpfe im ausgedehntesten Maassstabe
an. In Fällen geringerer Vehemenz der Blutung lasse ich die entsprechende
Thoraxhälfte nur mit trockenen Schröpfköpfen bedecken, wogegen bei heftigen
Blutungen über dem speciell erkrankten und blutenden Lungentheile blutig ge¬
schröpft wird. Ich wende die Schröpfköpfe auch prophylactisch an, d. h. ich lasse
überall da trocken schröpfen, wo schon Blutungen vorausgegangen sind und Zei¬
chen von Lungencongestion sich einstellen; bei eigentlichen Lungenblutungen
warte ich die Wiederkehr eines fernem hsemoptoischen Anfalles nicht erst ab, um
wiederholt blutige Schröpfköpfe setzen zu lassen; es wird eben der Wiederholung
der Blutungen damit am sichersten vorgebeugt.
Man ist seit einigen zwanzig Jahren in der Medicin sehr blutscheu geworden,
und der „fast hysterische“ (Stromeyer) Widerwillen gegen Blutentziehungen hat
sich bereits auch in einem solchen Maasse auf das Laienpublicum vererbt, dass
dasselbe, welches früher leichten Herzens schröpfen und zur Ader liess, heute
jeden Tropfen Blut zu viel findet, den es durch den Arzt verlieren soll. Man hat
daher hie und da Mühe, einen Kranken oder dessen Angehörige von der Richtig¬
keit des eben beschriebenen Verfahrens zu überzeugen. Am besten begegnet man
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den betreffenden Einwendungen, wenn man bemerkt, es sei schliesslich besser, das
Blut fliesse in die Schröpfköpfe oder selbst in die Schüssel, als dass dasselbe in
die Luftwege oder in das Lungengewebe sich ergiesse. Auch Oppolzer , welchen
Niemand des Vampyrismus beschuldigen wird, empfahl in den Fällen, wo die Hä¬
moptoe unverändert tage- und wochenlang trotz aller andern Mittel fortbesteht,
eine kleine Vensesection von 180 —240 grm. als vortreffliches Mittel zur Beseiti¬
gung der Blutung; sonderbar ist nur, dass man wochenlang warten soll, um ein
so vortreffliches Mittel anzuwenden. Indessen wiederhole ich, dass selbst in den
schlimmsten Fällen die Application blutiger Schröpfköpfe genügen wird, voraus¬
gesetzt, dass diese auf den richtigen Stellen, in zweifelhaften Fällen in den Foss®
infraclavicul. und supraspinat., aufgesetzt werdon.
Es gibt Lungenbluter, bei welchen HsemoptoÖ in grösserm Maassstabe eintritt,
sobald sich dieselben wieder bis zu einer gewissen Plethora herauf gefüttert haben.
Auch in diesen Fällen scheint es angezeigt, zeitweise, sei es durch blutige Schröpf¬
köpfe, sei es mittelst einer kleinen Vensesection das Lungengewebe vor den Folgen
erneuerter Congestion und Gefässborstung zu schützen. Fall 6 scheint hieher zu
gehören, und ich bin überzeugt, dass wenn damals, als sich dio ersten Blutspuren
im Auswurfe gezeigt, sofort blutig geschröpft worden wäre, dem Kranken die pro¬
fusen Blutungen erspart geblieben wären. Wenn ich anders handelte, so geschah
es, weil mir damals noch nicht die Erfahrungen zu Gebote standen, die ich seither
gemacht habe.
Profus Blutende müssen bei Athem behalten werden; bei, Stauungsblutungen
lasse man dieselben nach P. Niemeyer ab und zu tief Athem holen; es ist das eines
der besten Mittel, die Blutcirculation in den Lungen rasch zu reguliren. Dagegen
wirkt das Verschlingen grosser Mengen Eis bei congestivem Zustande der Lungen
gewiss ebenso schädlich , wie kalter Trunk; hinwieder wird es zur Beruhigung
aufgeregter Kranken beitragen und den gewöhnlich vorhandenen starken Durst
mildern, wenn man denselben hie und da ein Stückchen Eis oder etwas Zucker¬
wasser oder Limonade zu schlucken gibt. Bei Hustenreiz sind kleinere, wieder¬
holte Morphiumdosen nicht zu entbehren. Stuhlverstopfung darf absolut nicht ge¬
duldet werden, im Gegentheile werden leichte Evacuantien dem Blutandrange zu
den Lungen entgegenwirken.
Grate» und Trouseeau und seitdem auch Peter und H. Weber haben die Verab¬
reichung von Brechmitteln zur Bekämpfung der Lungenblutungen empfohlen; ich
selbst habe nie dazu gegriffen.
Liq. ferr. sesquichl. in Inhalationen und innerlich gereicht, Blei, Alaun, Tannin
und Mineralsäuren sind für mich in der Therapie acuter Pneumorrhagien ganz
werthlose Droguen geworden. Nicht mehr Vertrauen verdienen dieselben in der
Behandlung von chronischem, über Wochen sich hinziehendem Blutspeien. Es ist
wohl denkbar, dass in solchen Fällen hydropathische Einwicklungen Aehnliches
leisten würden, wie trockene Schröpfköpfe und die von Rohden empfohlenen und
auch von mir mit Vortheil verwendeten lauwarmen Vollbäder. Voraussichtlich
würde auch der Jimod’sche Stiefel sowohl bei acuter als bei chronischer Hämoptyse
gute Dienste leisten.
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Dass bei Allem dem das Gnmdleiden der vollsten Aufmerksamkeit bedarf,
steht ausser Frage. Daher wird, wenn eine chronische Hmmoptoe auf einem Herz¬
fehler beruht, die Digitalis als Regulator der Herzthätigkeit angezeigt sein. Auf
Seereisen verliert sich gewöhnlich vorhandenes Blutspeien bald, weil sie im All¬
gemeinen Brustkranke günstig beeinflussen. Aus demselben Grunde wirkt, wie wir
gesehen, auch Weissenburg so wohlthätig auf Haemoptoiker.
Durch vorliegende kleine Arbeit glaube ich einen ersten Theil der Schuld ab¬
zutragen, welche ich in meiner oben citirten Brochure über Weissenburg der medi-
cinischen Welt gegenüber contrahirt habe, nämlich eingehendere Bearbeitungen der
Heilanzeigen und Curwirkungen Weissenburgs von Zeit zu Zeit in Fachschriften
niederzulegen (loc. cit. pag. 45).
Pegli bei Genua, im December 1877.
"V" ereinsberich te.
Medicinisch-pharmaceutischer Bezirksverein des bern. Mittellandes.
2. Sitzung vom 30. Januar 1877, Abends 8 Uhr, bei Webern.
Anwesend 27 Mitglieder.
Prof. Dr. Bemme verliest einen Brief von Dr. Sluder , welcher aus Gesundheits¬
rücksichten seine Demission als Secretär des Vereins eingibt. Dieselbe wird ihm
unter Verdankung der geleisteten Dienste gewährt. Dr. Duboia wird als Secretär
des Vereins ernannt.
Tractanden:
1. Protocoll. 2. Dr. Niehant jun.: Ueber die Massage. 3. Dr. Munsch:
Vorstellung eines Apparats von Barth zur Anästhesirung mittelst Stick¬
oxydulgas.
Ueber die Massage. Nach Vorausschickung einer kleinen historischen
Uebersicht über die Entwicklung der Massage, in welcher nachgewiesen wird, dass
die genannte Methode schon seit dem frühesten Alterthum bekannt war, wenn
auch nur als Volksmittel, bespricht der Vortragende das Wesen und den practi-
schen Werth dieser Behandlungsart, die in den letzten Jahren, hauptsächlich durch
das Verdienst von Dr. Metzger in Amsterdam zu einer wissenschaftlichen Mothode
ausgebildet wurde und als solche sich nun allmälig einer stets grossem Verbrei¬
tung unter dem ärztlichen Stande erfreut.
Was das Wesen und die Wirkung dieser Methode betrifft, so glaubt sich der
Vortragende dem Ausspruch von Berghmann und Helleday (in Stockholm) und Wagner
(vide Berliner klin. Wochenschr. Nr. 45 und 46) anschliessen zu können — dem
Ausspruch nämlich: „Die Massage erfüllt alle diejenigen Momente, welche die
Resorption befördern und vermehren, die Circulation beschleunigen, die Schmerzen
stillen, die erhöhte Temperatur herabsetzen.“ — Dass dieselbe in der That ein
sehr wichtiges, die Resorption beförderndes Mittel ist, beweist die leicht nachzu¬
weisende Thatsache, dass Blutextravasate und frische, in den Geweben zurück¬
gehaltene Entzündungsproducte oft in erstaunlich kurzer Zeit durch die Massage
zum Verschwinden gebracht werden. Ohne Zweifel spielen hiebei die N Lymphge-
fässe die Hauptrolle, denn es wäre sonst nicht abzusehen, wie ohne ihre Vermitt«
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lung diese Producte so rasch wieder zur Resorption gebracht würden. Die Circu-
lation wird beschleunigt durch die mechanische Wirkung der centripetalen Strei¬
chungen, indem die Lymphgefässe und Venen rascher entleert werden und durch
Rückwirkung auf die Capillaren und zuführenden Arterien die Vis a tergo zunimmt.
Mit der Lösung der Entzündungsstase wird die in den betreffenden Partien fühl¬
bar erhöhte Temperatur herabgesetzt und durch die Entlastung der Gewebe von
den angehäuften und zurückgehaltenen Gewebsflüssigkeiten auch der Schmerz ver¬
mindert.
Was das Technische anbelangt, so unterscheidet man gewöhnlich 4 Arten von
Manipulationen:
1. Die sog. Effleurage, d. h. Streichung mit der flachen Hand.
2. Das eigentliche Kneten (Massage k friction und pütrissage).
3. Active und passive Bewegungen.
4. Das sog. Tapotement, eine Percussion mit den Fingern oder der Kante der
Hand oder auch mit einem Percuseionshammer auszuführen. Alle 4 Manipulatio¬
nen kommen in der Regel combinirt zur Anwendung.
Die sog. Effleurage oder Streichung werden am ehesten da applicirt,
wo frische Entzündungsproducte in den Geweben liegen, zu deren Abführung ein
geringes Maa98 des mechanischen Druckes genügt; die K n e t u n g hingegen da,
wo es sich um grössere in den Geweben zurückgehaltene Exsudatmassen oder
Blutextravasate bandelt, besonders wenn dieselben nicht mehr frisch, sondern zum
Theil schon in Organisation begriffen sind. Ebenso sind diese Knetungen von
Vortheil beim Muskelrheumatismus, Erguss in die Sehnenscheiden, in vielen
Fällen von fungösen Synovitiden, wo die Granulationen zerdrückt, zur Extravasi-
rung und nachheriger Schrumpfung gebracht. Von meist sehr raschem und ecla-
tantem Erfolg begleitet ist die Massage k friction bei circumscripter parenchyma¬
töser Synovitis, die oft als Residuum von Gelenkverletzungen noch Monate lang
fortbesteht und die Function sehr bedeutend behindert. Die activen und passiven
Bewegungen dienen zur Unterstützung der Resorptionswirkung der zwei erstge¬
nannten Manipulationsarten und sind überdies von besonderer Wichtigkeit bei Be¬
handlung von Pseudankylose der Gelenke.
Das Tapotement kommt meist bei Neuralgien in Betracht, und alsdann auch
stets combinirt mit Streichung und Knetung. Wie man sich hier die bisweilen in
kürzester Zeit auftretende günstige Wirkung besonders bei Fällen, wo in der be¬
treffenden Nervenbahn nicht die geringste Abnormität per palpationem nachgewie¬
sen werden kann, erklären soll, muss dahingestellt bleiben, ob sie vielleicht in der
Veränderung der Gleichgewichtslage der Nervenmolecüle unter dem Einfluss des
Tapotements zu suchen ist, analog der vorübergehenden Betäubung, wie sie bei
Hirnerschütterung beobachtet wird ?
Was die Krankheiten betrifft, bei deren Behandlung die Massage günstige Re¬
sultate liefert, so beschränkt sich der Vortragende auf die speciellere Erwähnung
derjenigen Gruppen, die das meiste practische Interesse darbieten und führt hiebei
als Beleg die Erfolge Anderer sowie seine eigenen Erfahrungen an. — In erster
Linie kommen die mannigfachen Distorsionen und Contusionen der Gelenke zur
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Sprache, Verletzungen, die täglich so häufig Vorkommen , und betont der Vortra¬
gende hiebei die schönen Erfolge, welche die Massage speciell bei der Fussgelenk-
distorsion aufweist. Aus den veröffentlichten Statistiken geht hervor, dass die
Abkürzung der Heilungsdauer bei dieser Behandlung im Mittel 15—20 Tage be¬
trägt und muss noch besonders betont werden, dass nach der Massagebehandlung
Recidive entweder gar nicht oder nur in Ausnahmsfällen Vorkommen. Die An¬
sicht, dass cs sich bei diesen Distorsionen stets um Zerreissungen des ligamentö-
sen Apparates handle, muss nach der Meinung des Vortragenden wohl als eine
irrige bezeichnet werden, denn es ist nicht abzusehen, wie unter solchen Bedin¬
gungen oft in einigen wenigen Massagesitzungen, ja sogar nicht selten in einer
einzigen eine vollkommene Wiederherstellung der Function des Gelenkes erfolgen
könnte. Dass solche Zerreissungen Vorkommen, ist nicht zu läugnen, cs werden
sich indessen solche immerhin seltenere Fälle wohl stets auf schwerere Verletzungs¬
momente (Maschinenverletzung, Fall aus grösserer Höhe) zurückführen lassen. Viel¬
mehr Hesse sich die oft vollkommen aufgehobene Functionsfähigkeit nach der An¬
sicht des Vortragenden viel eher dadurch erklären, dass das durch die extreme
Dehnung der Gewebe im Momente der Distorsion zu . Stande gekommene Blut¬
extravasat, unter der straff anliegenden Fascie zurückgehalten, als Fremdkörper
wirkt. Die Beobachtung, dass die Functionsfähigkeit in dem Maasse rasch wieder¬
kehrt, als es gelingt, das Blutextravasat durch die Streichung und Knetung in
Kurzem zum Verschwinden zu bringen, mag wohl für obige Ansicht sprechen. Im
Anschluss an das Gesagte demonstrirt der Vortragende diejenige Art der Massage,
die er für Gelenkdistorsionen überhaupt und speciell für Fussgelenkdistorsionen
als die zweckmässigste betrachtet. — Nachdem noch mit einigen Worten die Art
der Anwendung der Massage bei den einzelnen Gelenken des Körpers kurz ange¬
deutet und der Erfolg derselben auch in Fällen von frischer Mastitis nach den
Berichten von Wagner beleuchtet worden (Streichüng nach der Brustwarze hin, also
centrifugal), schliesst der Vortragende mit einem kleinen Bericht über 2 interes¬
sante Fälle von Berghmann: einen Fall von exquisiter Myositis der Rücken- und
hintern Oberschenkelmuskulatur und einen Fall von hartnäckiger Ulnarisneuralgie,
beide in verhältnissmässig sehr kurzer Zeit durch Massage geheilt.
Dr. Albrechl frägt sich, wie man sich helfen muss, wenn man viele Fälle zu
massiren hat. Man braucht dazu viel Zeit, muss seine sonstige Praxis vernach¬
lässigen oder sehr grosse Taxen fordern.
Dr. Niehans jun. antwortet, dass viele Fälle nicht viel Zeit in Anspruch neh¬
men. Bei den Fällen, wo längere und häufige Sitzungen nöthig sind, wie bei
Rheumatismus oder andern chronischen Krankheiten, kann man die Massage einem
Gehülfen überlassen.
Dr. Dubois bemerkt betreffend die Massage der Mamma, dass der Vorschlag,
von der Peripherie gegen das Centrum zu massiren, eigentlich gegen die Princi-
pien der Massage sei. Wenn man hier entzündliche Producte in die Blut- oder
Lymphgefasse zurückdrücken will, so sollte man vom Centrum gegen die Peri¬
pherie massiren. Das Massiren gegen die Mamilla hin hätte nur einen Sinn, wenn
man als Ursache der Mastitis die sog. Milchknoten ansieht. Durch die Massage
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würde man für die Entleerung der Milch sorgen, nicht aber wie bei der Massage
an den Extremitäten die entzündlichen Producte in die Gefässe zurückbringen.
Dr. Niehans sen. hat schon bei etwa 4 Fällen von Mastitis die Massage ange¬
wendet, in der Absicht, die Milchstauung zu heben. Es ist ihm auch gelungen,
in etwa 6 Sitzungen diese beginnenden Mastitiden zurückzubringen.
Prof. Kocher dankt dem Vortragenden für diese klare Auseinandersetzung dieser
neuen Behandlungsmethode, welche in der jüngeren enthusiastischen medicinischen
Bevölkerung schon zahlreiche Anhänger gefunden hat Er erinnert daran, dass
ähnliche Methoden ebenfalls manchmal günstig wirken, z- B. die Nervendehnung
bei Neuralgien, ohne dass man recht weiss in welcher Weise. Myositis wird oft
durch Electrisiren geheilt, sowie durch Petrissage, Klopfen, Verfahren, welche eben¬
falls wie die Electricität Contractionen der Muskeln hervorrufen.
Dass günstige Resultate erzielt werden, hält er für unzweifelhaft. Dass diese
schon früher bekannte Methode immer wieder verlassen wurde, beruht auf meh¬
reren Gründen. 1. Ist die Durchführung eine schwierige. Man muss sich sozu¬
sagen speciell damit abgeben. Es braucht dazu Zeit, Kraft und eine Geduld,
welche nicht allen Aerzten eigen ist 2. Hatte man bisher keine klare Anschauung
über die Wirkungsweise der Massage. Man kommt selten dazu, Sectionen von
Distorsionen zu machen; aus dieser mangelhaften Kenntniss über die pathologische
Veränderung und die Wirkungsweise resuJtirtc die Erlahmung und das baldige
Vergessen der Methode. Eine Schwierigkeit ist auch die Schmerzhaftigkeit der
Procedur. Prof. Kocher kennt Fälle, wo die Patienten davon gelaufen sind.
Am wenigsten Erfolg hat die Massage bei den sog. Derangements internes.
Bänderzerreissung ist eine Contraindication. Bei Ischias ist manchmal die Wir¬
kung eine vortreffliche. Auch bei Rheumatismus bewährt sich die Methode.
Dr. vonlns bemerkt, dass bei Mastitis die Massage von der Peripherie der
Mamma gegen die Brustwarze zu nicht gegen die Principien der Massage sei
Es ist anatomisch nachgewiesen, dass die Lymphgefasse, welche die Drüsenläpp¬
chen umspinnen, von der Peripherie nach der Brustwarze zu verlaufen. Von da
ab gehen dann die grösseren Lymphgefässstämme in der Mitte der Mamma gegen
die Tiefe zu.
Gerade der Erfolg der Massage bei Mastitis spricht für die Annahme, dass
bei der Resorption der entzündlichen Producte unter der Massage die Lymphgefasse
die Hauptrolle spielen.
Dr. Schdrer. In Aix-les-Bains ist die Massage schon lange in Gebrauch. Man
erzielt dort sehr schöne Erfolge bei Ischias und anderen Neuralgien. Er hat sie
selbst constatircn können. Die Massage, wie sie dort geübt wird, ist nicht schmerz¬
haft. Man massirt unter einer warmen Douche.
Dr. Niehans jun. glaubt, dass in Aix-les-Bains mehr das Klatschen in Gebrauch
sei. Eine eigentliche Massage sei unter Wasser kaum möglich. Wenn die Mas¬
sage dort nicht schmerzhaft ist, so beruht das zum Theil darauf, dass in Aix-les-
Bains besonders chronische Fälle behandelt werden, bei welchen die Procedur viel
weniger Schmerzen macht, als bei frischen Affectionen, wie z. B. Distorsionen. —
Dr. Schdrer. Es werden dort viele französische Soldaten behandelt Daraus er-
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klärt sich, dass die Massage bei den Militärärzten in Frankreich Eingang gefunden
hat und häufig angewendet wird.
Prof. Demme. Frägt sich, ob die Massage auch bei Epididymitis, analog wie
bei Mastitis anzuwenden wäre.
Dr. Hartmann glaubt, der Hauptzweck der Massage sei, die Blutextravasate
oder entzündliche Producte mechanisch in die Gewebespalten zu verbreiten und
schlägt vor, die Massage nach Anlegung eines Esmarcti sehen Apparates zu üben.
Er hat auf die Weise vor einigen Tagen einen Fall in der Poliklinik behandelt.
Es handelte sich um eine Frau, welche sich in betrunkenem Zustande eine starke
Distorsio pedis zugezogen hatte. Pat wurde auf einer Bahre ins Spital gebracht.
Der Fuss war stark geschwollen, besonders um die Malleolen herum. Auch ober¬
halb des Fussgelenks war starke Schwellung und Schmerzhaftigkeit Pat. hatte
keinen Versuch gemacht zu stehen oder zu gehen. Nach Anlegen des Esmarch
war die Palpation des Gelenks nicht mehr so schmerzhaft wie vorher. Nach ge¬
höriger Massage wurde der Schlauch gelöst. Pat. konnte bald wieder stehen und
herumgehen. Sie wurde später noch einige Mal massirt und vollständig geheilt.
Die Blutleere erwies sich hier von Vortheil, insofern, als die Schmerzhaftigkeit so¬
fort abnahm, so dass von vornherein mit grösserer Kraft massirt werden konnte.
Dieses Verfahren würde sich gerade empfehlen bei Fällen, wo grosse Schmerz¬
haftigkeit besteht, und die Leute Furcht vor der Massage haben.
Dr. Niehans jun. glaubt, dass die Anlegung einer Esmarch'' sehen Binde nicht ratio¬
nell sei. Ein Hauptvortheil der Massage ist eben die Beschleunigung der Circulation.
3. Dr. Munsch , Zahnarzt, demonstrirt den Apparat von Barth zur Anasthe-
sirung mittelst Stickstoffoxydulgas. Derselbe besteht in einem mit einer
Maske versehenen Gasometer. Das Gas, welches in einer gusseisernen Flasche in
flüssiger Form unter einem Druck von 40 Atmosphären enthalten ist, wird durch
Drehen eines Hahns ins Gasometer geleitet. Nach 1—2 Minuten tritt gewöhnlich
eine zu Zahnoperationen genügende Narcose ein. — Eine Statistik von Dr. Cronn-
tcell zeigt, dass diese Methode nicht gefährlich ist. Unter 10,000 Fällen kam kein
Todesfall vor.
Dr. Peyer glaubt, diese Statistiken seien nicht beweisend. Er zieht das Chloro¬
form dem Stickstoffoxydulgas vor. Es wirkt ebenso rasch und ist nicht so ge¬
fährlich. Bei der durch Stickstoffoxydulgas bewirkten Narcose tritt eine starke
Cyanose ein. Diese Circulationsstörungen können grosse Gefahren haben.
Dr. Niehans erwidert, dass solche Statistiken von 10,000 Fällen ohne Todesfall
doch nicht so leicht zur Seite zu schieben seien. In London wird dieses Gas sehr
häufig gebraucht. Man gibt zuerst Stickstoffoxydulgas, dann Stickstoffoxydulgas
und Aether, später nur Aether.
Prof. Kocher hat dieses Verfahren ebenfalls in England mit Vortheil anwenden
gesehen.
Prof. Demme bemerkt, dass man in den Statistiken über Chloroform vorsichtig
sein muss. Es sind viele Fälle bekannt, wo der Tod schon nach wenigen Minuten
eintrat Die Idiosyncrasie sowie pathologische Veränderungen spielen dabei eine
grosse Rolle.
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3. Sitzung vom 13. Februar 1877, Abends 8 Uhr, bei Webern.
Anwesend 11 Mitglieder.
Tractan den:
1. Verlesung des Protocolls. — Im Anschluss an den Vortrag des Herrn Dr.
Mttnsch bemerkt Prof. Pflüger , dass er doch Todesfälle kenne und die Anwendung
des Stickstoffoxydulgas nicht so vollkommen ungefährlich sei.
2. Prof. Pflüger über das Phacometer.
3. Dr. Conrad: Beiträge zur Teratologie.
Prof. Pflüger stellt eine 12jährige Patientin vor, welcher er den rechten phthi —
sischen Bulbus enucleirt hat und die er links wegen Glaucoma chronicum
iridectomirt hatte. Der Fall bot ein grösseres Interesse, weil neben dem Glaucom
auch eine ziemlich verbreitete Chorioiditis im atrophischen Stadium vorhanden war.
Die Chorioiditis war zum Theil localisirt um die Papille besonders nach aussen
und hinten als atrophischer Hof aufgefasst worden, wie es so häufig bei Glaucom
sich findet. Daneben fanden sich aber auch mehrere grössere isolirte chorioidi-
tische Heerde, weit peripherer gelegen, die nicht mit dem atrophischen Hofe Zu¬
sammenhängen.
Prof. Pflüger demonstrirt und erklärt ferner das Phacometer nach Snellen ,
ein Instrument, mit welchem man die Stärke eines jeden Convexglases in Diop¬
trien ablesen kann und das zugleich noch das Centrum jedes Glases bestimmen
lässt, beides Desiderata für die practische Ophthalmologie, namentlich in der Zeit
des Ueberganges vom Zollsystem in das Metersystem in der Optik. Das Instru¬
ment basirt sich auf die Eigenschaft der Convexlinsen, dass sie von Gegenständen
in der doppelten Focaldistanz umgekehrte Bilder entwerfen ebenfalls in doppelter
Focaldistanz und zwar von der gleichen Grösse der Objecte.
Zum Schluss gibt Prof. Pflüger einige Erläuterungen über das Verhältnis des
Metersystems zum Zollsystem der Linsen.
3. Dr. Conrad: Teratologische Mittheilungen. Der Vortragende de¬
monstrirt zunächst einen mit Beziehung auf die Litteratur höchst seltenen Fall
von angeborenem Nabelschnurbruch. Er betrifft ein am Ende des 7. Schwan-
gerschaftsroonates, spontan, todtgeborenes und sich noch in Verbindung mit der
Placenta befindliches Kind, dessen Mutter, eine gesunde Zweitgebärende (erstes
Kind normal gebildet), während der Schwangerschaft sich wohl befunden und
nichts Besonderes bemerkt hatte, als auffallend schwache Kindsbewegungen. Das
Kind entspricht an Länge UDd Gewicht dem 7. Schwangerschaftsmonate, Kopf,
Brust, Oberextremitäten sind regelmässig gebildet. Die unteren Extremitäten
sind in Folge einer stark winkligen Knickung der Wirbelsäule, wie cs für den
angeborenen Nabelschnurbruch charakteristisch ist, in Hyperflexion gegen den
Rücken hinaufgeschlagen. Der Nabelschnurbruch stellt sich als eine faustgrosse
Geschwulst dar, welche auf dem 7 Cm. erweiterten Nabelring unmittelbar aufsitzt
und durch einen 3 Cm. langen breiten Strang mit der Placenta in Verbindung
steht Der Bruchsack wird von den Scheiden der Nabelschnur (Amnion, Serosa)
gebildet (und nicht von den vorgestülpten Bauchdecken, wie dies beim Nabel¬
bruch der Fall ist). Sein Inhalt besteht aus Leber, Milz, Dünn- und Dickdarm,
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welcher einen an beiden Enden blind endigenden Sack darstellt. Ferner findet
man in dem Bruchsack eine nussgrosse, vollständig geschlossene Blase, welche
30 CC. einer klaren Flüssigkeit enthielt, deren chemische Untersuchung durch
Prof. Nencki sich nicht mit Sicherheit als Urin erkennen liess (sie hatte mehr den
Charakter einer serösen Flüssigkeit). Der Umstand aber, dass sie rechts einen
schlauchförmigen Fortsatz (Ureter) hatte, gegen welchen sie allerdings vollständig
abgeschlossen war, der sich aber bis zur rechten hydronephrotischen Niere fort¬
setzte, liess diese Blase wohl als Urinblase deuten. Die linke wie die rechte Niere
lag an normaler Stelle, der linke Ureter war nicht zu entdecken. — Als Andeu¬
tung der inneren Genitalien fand man ebenfalls im Bruchsack einen 1 Cm. weiten,
dünnwandigen Schlauch, dessen innere Wand im unteren Abschnitt quergerunzelt,
an der hinteren Wand einen Längswulst (Columna posterior), (Vagina) bildete, im
oberen vollständig glatt war, dieser Schlauch endigt nach oben blind, nach unten
eröffnet er sich (Uterus), zur Seite des Bruchsackes; dies die einzige Andeutung
einer Geschlechtsöffnung. Am oberen Drittel der Innenfläche des Oberschenkels
waren beidseitig kleine , auf dem Durchschnitt leere, 1 Cm. lange Hautfalten,
welche als Andeutung der nach abwärts dislocirten Geschlechtsfalten (grosse La¬
bien) aufgesetzt werden könnten. — Der Vortragende erläutert durch Zeichnungen
an der Tafel die Genese des Nabelschnurbruches aus der Entwicklungsgeschichte.
Ferner theilt er einen Fall von angeborenem Riesenwuchs mit. Das Kind,
welches nach schwerem Wochenbett todt geboren wurde, wog mit genau contro-
lirter Waage gewogen 5500 gmm., war 63 Cm. lang. Die Placenta wog 1630 gmm.
Bei Vergleichung mit den Maximaldurchschnittsgewichten und Maassen deutscher,
französischer, englischer Angaben ergibt sich, dass man es wirklich mit einem
Riesenkinde zu thun hatte, das die Maximalmaasse verschiedener Autoren über¬
trifft.
Endlich einen Fall von einfacher Hypertrophia cerebri, welcher eben¬
falls zu schwerer Dystokie Veranlassung gab und an anderer Stelle ausführlich
mitgetheilt werden wird.
Prof. Dr. Nencki bemerkt betreffend den Fall von Nabelschnurbruch, dass die
in der vermeintlichen Blase gefundene Flüssigkeit keineswegs die chemischen
Charaktere des Harnes zeige, insbesondere fehlte der Harnstoff* darin vollständig.
Dr. Dubois glaubt, dass trotzdem diese Blase als Harnblase angesehen werden
könne. Wenn eine Flüssigkeit längere Zeit in einer Höhle stagnirt, so können
viele ihrer Bestandtheile vollkommen verschwinden. Etwas Aehnliches beobachtet
man bei den Fällen von Hydrops vesic® feilem. Nach längerem Verschluss des
Ductus cysticus findet man in der Gallenblase eine serös-schleimige Flüssigkeit,
welche weder Gallenfarbstoff noch Gallensäure enthält. Prof. Nencki glaubt, dass
in solchen Fällen von farbloser Galle immerhin noch charakteristische Gallenbe-
standtheile gefunden werden, z. B. Cholestearin.
Dr. Dceltcyler frägt, ob in solchen Fällen von Nabelschnurbruch gewöhnlich
nicht eine Ektopia vesic® vorhanden sei und ob in diesem Falle die Symphyse
geschlossen sei. Dr. Conrad antwortet, dass allerdings gewöhnlich in solchen Fäl¬
len Ektopia vesic® vorkomme. In diesem Falle aber nicht. Was die Sym-
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physe anbetrifft, so fehlt hier der vordere Verschluss. Es besteht eine Syrnphysen-
spalte.
Dr. Albrechl demonstrirt einen vibrionenbaltigen Harn von einer wahr¬
scheinlich an Parametritis leidenden Frau. Der Harn wurde plötzlich blutig
und zeigte sich vibrionenhaltig schon kurz nach der Entleerung ohne Catheter.
Referate und Kritiken.
L. Ranvier’s technisches Lehrbuch der Histologie,
übersetzt von Dr. W. Nicati und Dr. H. u. Wyss in Zürich. Erste Lieferung, mit 41 Holz¬
schnitten im Text. Pag. 138. Leipzig, Verlag von F. C. W. Vogel. 1877.
Obschon die deutsche medicinische Wissenschaft an Werken über Histologie und
microscopische Technik keinen Mangel leidet, so bildet doch diese Uebersetzung des
Traitd technique d’histologie (Paris, Librairie F. Savy, 1875) des berühmten französischen
Forschers eine werthvolle Bereicherung der einschlägigen Literatur und dient zugleich
als Beweis, mit welchem Eifer die französischen Gelehrten den Arbeiten der deutschen
gefolgt und zu welchen erfreulichen Resultaten sie in der histologischen Wissenschaft
gekommen sind.
In der vorliegenden ersten Lieferung werden die Instrumente, Reagentien und allge¬
meinen Methoden der microscopischen Technik besprochen. Es versteht sich von selbst,
dass die deutsche Forschung, welche gerade in dieser Branche bahnbrechend gewesen
ist, überall genau berücksichtigt wird.
Im Cap. I. macht uns der Verfasser bekannt mit den optischen Verhältnissen des
Microscopes, mit den Aberrationen der Bilder und ihrer Correction, mit den verschiedenen
Bestandtheilen des Instrumentes und der Handhabung desselben. Als neu ist daraus her¬
vorzuheben die von R. empfohlene Einrichtung zu sehr genauer Einstellung vermittelst
einer die beiden Linsen des Oculares verbindenden Zahnstange, wodurch die Accommo-
dationsanstrengung des Beobachters sehr reducirt und die Erkennung der feinsten Ver¬
hältnisse des Objectes viel schärfer wird, als es mittelst der Micrometerschraube allein
möglich ist. In einem längeren Abschnitte wird sodann der optische Einfluss der Me¬
dien (Luft, Wasser, Canadabalsam etc.) auf die in ihnen gelegenen Objecte auseinander¬
gesetzt und an passenden Beispielen erklärt. Weiter folgen, in kurzer, aber leicht ver¬
ständlicher Weise behandelt, die Immersionssysteme, die Testobjecte, die Prüfung des
Microscopes, die Micrometer und die vielerlei Nebenapparate, wie Polarisator, Camera
lucida etc. Unter diesen sind zu erwähnen ein heizbarer Objecttisch und eine feuchte
Kammer eigener Erfindung.
Im Cap. II werden specieller einzelne zur Präparation dienende Instrumente behan¬
delt, unter Anderem auch die Apparate zur Immobilisation von Thicren. Cap. III bringt
eine Aufzählung der gebräuchlichsten chemischen Reagentien. Cap. IV bis VII behan¬
deln die Untersuchung flüssiger und fasriger Gebilde, die Isolir-Methodeu, die Erhärtung
der Gewebe, die Einbettung in Paraffin, Gummi, Wachs etc., das Microtom und die An¬
fertigung feiner Schnitte. Im Cap. VIII folgt eine reichhaltige Aufzählung der gebräuch¬
lichsten Verfahren zur Färbung, Imprägnation und Aufhellung der Präparat«. Cap. IX
führt uns in dio Injectionstechnik ein. Nach genauer Beschreibung und Anleitung zur
Bereitung der besten verwendbaren Injectionsmassen werden die verschiedenen Arten der
Injection mittelst Spritze, constantem Druck etc. auseinandergesetzt und ihre Vor- und
Nachtheile besprochen.
Das letzte, X. Capitel gibt Belehrung über die Aufbewahrung histologischer Objecte
und ihren bleibenden Einschluss.
Trotzdem die vorliegende Lieferung nicht so reichhaltig ist, wie das bekannte Buch
von Frey (Das Microscop) , so verdient doch dieser erste, allgemeine Theil des Ranvier -
sehen Werkes die beste Empfehlung durch die durin herrschende klare, präcise Darstel¬
lung und die genauen, auch für den Anfänger leicht verständlichen Anleitungen zum mi-
croscopischeu Arbeiten.
Die Ausstattung des Werkes ist, sowohl was Druck als Illustrationen betrifft, eine
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vortreffliche za neanea, erreicht aber nicht die Eleganz des französischen Originales. —
Den Uebersetzern wird es an Dank nicht fehlen. M.
Ueber functioneile Störungen des menschlichen Auges im Allgemeinen sowie speciell
nach Schuluntersuchungen in den Cantonen Bern, Solothurn und Neuenburg nebst Angabe
der HUIfsmittel dagegen.
Von & Emmerl . Bern, B. T. Haller. 84 8. und 14 Taf.
Diese Schrift gibt in populärer Darstellung den Inhalt des ausgezeichneten wissen¬
schaftlichen Werkes, das von demselben Verfasser kürzlich erschienen ist und unter den
vielen Arbeiten über die Refractionsverhältnisse des Kindes- und Jünglingsalters eine der
ersten Stellen einnimmt. Dieselbe verfolgt vor Allem den Zweck, Lehrer und Schulvor¬
stände auf die gegenwärtigen Schulverhältnisse aufmerksam zu machen und ihnen nicht
nur mit Worten, sondern mit Zahlen und ausführlichen Curventabellen zu beweisen , in
welch’ hohem Grade die Schulen wahre Pflanzstätten der Kurzsichtigkeit sind. Dann
zeigt sie, welche Puncte besonders zu berücksichtigen sind, wenn man zu bessern Ge-
sundheitsverhältnissen kommen will.
Die Resultate der Untersuchung, die sich auf 2148 Schüler beiderlei Geschlechts
verbreitete, werden am Schlüsse in 23 Sätzen zusammengefasst. Daraus geht vor Allem
hervor, dass Emmetropie (9,8%) der seltenste Refractionszustand ist; Myopie (12,6%)
ist etwas häufiger; Hypermetropie (77,0%) ist der absolut häufigste Refractionszustand
jeden Alters und aller Menschen (2?. unterscheidet eine wirkliche, auf zu grosser Kürze
des Auges beruhende Hypermetropie — eine eigentliche Hemmungsbildung — und eine
normale Hypermetropie, bei welcher das Auge gerade die richtige Länge hat, aber die
Fähigkeit besitzt, mit schwachen Convexgläsern noch in die Ferne sehen zu können).
Die Emmetropie verhält sich mit wenigen Ausnahmen in allen Classen aller Schulen und
in allen Lebensjahren hinsichtlich ihrer Häufigkeit ziemlich ähnlich, d. h. schwankend
und sich in niedera Procenten bewegend; die Myopie nimmt fast constant zu nach Häu¬
figkeit und Grad, nach Classen und nach Lebensjahren; die Hypermetropie hält fast glei¬
chen, nur umgekehrten Schritt mit der Myopie nach Classen und nach Lebensjahren. In
Bezug auf das Geschlecht zeigen sich keine deutlichen Verschiedenheiten. Bei Uhrma¬
chern und in Uhrmacherschulen fand E. Myopie nicht seltener als anderswo; dagegen viel
häufiger in Stadt- als in Landschulen. Bezüglich der Sehschärfe zeigten sich die gün¬
stigsten Verhältnisse auf Seite der Hypermetropen, weitaus die ungünstigsten auf Seite
der Myopen.
Bei Besprechung der Abhülfsmittel wird namentlich die Schulbankfrage eingehend
besprochen und nach näherer Beschreibung der bessern Systeme der Fankhauser'sehen
Bank wegen ihrer zweckmässigen Construction und Billigkeit der Vorzug gegeben.
_ Hosch.
Neun Sectionstafeln mH erläuterndem Text,
von M. Schottelius , Assistent am pathologischen Institut zu Würzburg. Wiesbaden, C. W.
. Kreidel, 1878. (Fr. 6. 70.)
Der hübsch ausgeführte kleine Atlas, in welchem durch rothe Linien die Richtung
der bei der Section zu machenden Schnitte veranschaulicht wird, kann mit dem beige¬
gebenen Texte als passende Illustration zu Virchoxo’s Sectionstechnik (Corresp.-Bl. 1876,
8. 224) benützt werden. — Als überflüssig ist der veraltete, vom Verf. (Taf. III) wieder
empfohlene Kreuzschnitt für Eröffnung der Bauchhöhle zu bezeichnen, da ein Längsschnitt
völlig ausreicht und weniger zu nähen gibt. Ebenso können auch die vom Verf. zur Un¬
tersuchung der Testikel angewandten Einschnitte in das Scrotum umgangen werden
(Taf. VII), wenn die Testikel (nach vorherigem Bauchschnitt) über den Ramus horiz.
pubis gehoben und durch einen subcutanen Schnitt freigelegt werden.
Die Section dos Rückenmarks fehlt. R.
Cantonale Oorrespondenzen.
Aargau. Dr. Joh. Huber f. In Boswil verstarb Donnerstag den 14. März in
kaum vollendetem 48. Altersjahre nach langem und schwerem Leiden Dr. Johann Huber ,
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tief betrauert von seiner Mutter und einer verheiratheten Schwester, betrauert von seiner
grossen Gemeinde sammt ausgebreiteter Umgebung, denen er viele Jahre ein treuer
Ratbgeber und Helfer in trüben 8tunden war, innig betrauert aber auch gewiss von allen
Collegen, die ihm im Leben nahe gestanden hatten.
Johann Huber war geboren zu Boswil am 8. Januar 1885 als der Sohn eines Land¬
arztes ; nach Absolvirung der dortigen Gemeindeschulen kam er in die Bezirksschule Muri
und später an das Gymnasium in Aarau , wo er als jovialer CantonsschUler bei seinen
ihn überlebenden Cameraden noch in gutem Andenken steht. Nach bestandener Maturi¬
tätsprüfung machte er seine medicinischen Studien in Genf, München, Würzburg und
Wien und siedelte sich nach Absolvirung des aarg. Staatsexamens zunächst in Mellingen
an, wo er bald ein in weiten Kreisen gesuchter Arzt wurde, so dass er nur sehr ungern
seinen ersten Wirkungskreis verliess, als sein Vater, der ihm im Tode 9 Jahre voran¬
ging, im Jahre 1866 wegen rasch zunehmender Altersschwäche seiner Praxis nicht mehr
vorstehen konnte. — Uebrigens war der „junge Doctor Johann “ auch in Boswil und den
vielen Gemeinden des Lindenberges und des Reussthales ungeahnt schnell recht beliebt
und hatte er als Freund des Schützenwesens und der Jagd sich bald wieder einen KreiB
von frohen Genossen geschaffen, wo er nach des Tages Strapazen gerne sein Glas Bier
trank. Im Umgänge mit seinen Kranken zuvorkommend und nett, huldige er, trotzdem
er in einer ganz katholischen Gegend wohnte, dem Geiste des Liberalismus und des
Fortschrittes und scheute sich nicht, dies offen zu bekennen.
Huber erlag einem langjährigen Lungenleiden und sah den Tod voller Mannesmuth
an sich herantreten.
Sit ei terra levis ! Brg.
Aargan. Zur Behandlung der Operation nicht mehr zugäng¬
licher Uteruscarcinome. Die absolute Hülflosigkeit, in der man sich gegen¬
über solchen Uteruscarciuomen befindet, die Leiden der armen Kranken, deren Zustand
wir zuletzt nur mit beständiger Darreichung von Narcoticis momentan erleichtern können,
was ja auch wieder mit mannigfachen Inconvenienzen verbunden ist, — nöthigen den
Arzt immer und immer wieder, nach Mitteln zu suchen, mit denen wir, wenn auch nicht
Hülfe, so doch Erleichterung schaffen können. Die auffallend günstigen Erfolge eines so
viel ich weiss zuerst von einem pariser Arzte ausgeübten Verfahrens, das ich bei einer
sehr leidenden Patientin aus lauter Verzweiflung versuchte, machen es mir zur Pflicht,
dasselbe den Collegen zur Prüfung vorzulegen. Zugleich füge ich die Bitte bei, diejeni¬
gen Herren Collegen, welche das Verfahren in Anwendung bringen, möchten seiner Zeit
die dabei gemachten Erfahrungen mittheilen.
Dasselbe ist ein sehr einfaches, es bedarf dazu nur eines Speculums mit weiter Oeff-
nung, eines Pulveris ateurs (mit Cautschukgebläse) und einer Carbollösung
von 6 — 8 %. Ist das Speculum sorgfältig eingeführt, die erkrankte Stelle richtig ein¬
gestellt, die secernirende Fläche abgetupft, so wird das Speculum am besten mit der einen
Hand so gehalten, dass zwei Finger derselben noch dio Spitze des Puiverisateurs fassen
und so dem Strahl je nach Bedürfnis eine andere Richtung geben können, während die
andere Hand nun den Apparat durch Handhabung des Cautschukgebläses in Bewegung
setzt. In ganz kurzer Zeit schon sieht man die von dem feinen Regen getroffene Stelle
erblassen, am deutlichsten controllirt man diese Thatsache, wenn man eine gesunde oder
wenigstens nicht ulcerirende Schleirahautpartie einstellt. Die Wirkung, wolche ich stets
beobachtete, war eine mehr oder weniger lange anhaltende Remission der Schmerzen,
welche zuweilen bedeutender beschrieben wurde, als eine durch Narcotioa erzielte Re¬
mission. Gleichzeitig schien mir das Verfahren den necrotischen Gewebszerfall zu ver¬
langsamen, der Geschwürsfläche ein besseres Aussehen zu geben, als die andern Reini¬
gungsmittel; die Secretion verlor zeitweilig den jauchigen Charakter und die Pulverisation
beseitigte oder mässigte den schlechten Geruch. — Diese Behandlung hat den Vortheil,
eine den Narcoticis ähnliche Wirkuug zu haben, ohne die oft so fatale Nebenwirkung
derselben, besonders werden die Verdauungsorgane nicht dadurch afficirt, gleichzeitig
bildet sie ein sehr einfaches und mildes Reinigungsverfahren.
Von der Wirkung der Carbolsäure als locales Anästheticum hat sich gewiss schon
jeder College, der mit starken Carbollösungen zu manipuliren hatte, selbst überzeugt.
Warum aber gerade diese Art der Anwendung in Form eines feinen Regens eine
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viel stärkere Wirkung hat, als z. B. die Injection einer Carbollösung vermittels des Irri-
gateurs, darüber bin ich nicht im Klaren; unzweifelhaft spielt hiebei auch die Gefäss-
verengerung eine Rolle. Besonders erstaunt war ich darüber, mehrmals constatiren zu
können, dass nicht nur jene Schmerzen, welche die Patientin in die ulcerirende Partie
verlegte, verschwanden, sondern auch die in den Unterleib, den Rücken und die Schenkel
ausstrahlenden.
Um einen möglichst anhaltenden Erfolg zu haben , muss das Verfahren jeden Tag,
spätestens aber alle 2 Tage wiederholt werden. Da dasselbe in der Mehrzahl der Fälle
wohl nur von dem Arzt selbst ausgeführt werden kann, möchten sich vielleicht allerlei
Bedenken practischer Art dagegen geltend machen, zumal wird mancher Arzt sagen, er
habe dazu keine Zeit. Hat sich der Arzt von der Wirksamkeit dieser Therapie über¬
zeugt, so darf der Zeitverlust keine Ausrede sein, einer schwer leidenden Patientin da¬
durch eine, wenn auch nur vorübergehende, Erleichterung zu verschaffen. Stehen alle
Sachen bereit, so kann die Manipulation in 5 Minuten ausgeführt (die Pulverisation hat
2—3—4 Minuten zu dauern) und der ganze Krankenbesuch kann in 10—12 Minuten ge¬
macht werden. Ein kleines Opfer, um meistens mehrere. Stunden Ruhe zu erkaufen!
Wichtig ist es endlich, dass der Pulverisateur gut arbeitet, d. h. einen sehr feinen
Regen mit grosser Kraft wirft und nicht etwa nur grosse Tropfen ausspritzt.
Baden. Dr. Wagner.
Zürich. G. H. Sie haben s. Z. den Wunsch ausgesprochen und durch Ihre freundlichen
Mittheilungen im „Correspondenz-Blatt“ denselben für mich nachdrücklich bestätigt, über
das Resultat der Versorgung armer erholungsbedürftiger Kinder
während der Sommerferien jeweilen etwas Näheres zu erfahren.
Ihrem Wunsche entsprechend will ich Ihnen in Kürze den Verlauf des zweiten im
8ommer des verflossenen Jahres unternommenen Versuchs dieser Art schildern:
Der im Tagblatt der Stadt Zürich erlassene Aufruf zu freiwilligen Beiträgen war
trotz der Ungunst der Zeitverhältnisse mit noch grösserem Erfolge begleitet als der erste
und ergab eine Collecte von 8000 Fr. Es ist dies wohl der deutlichste Beweis , dass
der Gedanke Wurzel gefasst hat und die Sache nicht blos als eine Art von philantropischem
Luxus, den man sich in guten Zeiten wohl etwa erlauben darf, auf den man aber in
schlimmen verzichten boII , sondern als ein wirkliches, dringendes Bedürfnis angesehen
wird. Währenddem beim ersten Versuch sich viele tadelnde Stimmen hören Hessen, ka¬
men mir diesmal nur freudig zustimmende zur Kenntniss. Bemerkenswerth ist, dass auch
einige Gaben von Kinderfreunden ausserhalb der Stadt Zürich, ja sogar eine aus Wien
und eine andere aus dem Grossh. Baden eingingen. Die zur Verfügung stehende grös¬
sere Summe gestattete denn auch, einer grössern Anzahl Kinder die Wohlthat einer Fe¬
rienversorgung auf dem Lande zu Theil werden zu lassen. Die Auswahl unter den Hun¬
derten von Angemeldeten war auch diesmal eine schwierige. Sie wurde, wie das erste
Mal, nach den drei Gesichtspuncten der A r m u t h, der Erholungsbedürftigkeit
und des Wohlverhaltens in der Schule getroffen. Eine grosse Zahl Kinder brachte
ärztUche Empfehlungen bei. Auf solche hin wurden wieder ausnahmsw eise einige
Kinder mitgenommen, welche die für sie gehabten Auslagen bezahlten. Es waren dies¬
mal die 3. und 4. Eleraentarclasse und die erste Secundarclasse unserer städtischen Schu¬
len in Aussicht genommen.
Am Morgen des 10. Juli 1877 versammelten sich nach vorangegangener sorgfältiger
Inspection der Reiseeffecten (die auf das Nothwendige ergänzt oder beschränkt wurden)
94 Kinder, 39 Knaben und 55 Mädchen in Begleit von 5 Lehrern und 8 Lehrerinnen im
Bahnhof Zürich, um, unter verdankenswerther Begünstigung der Betriebsdircction, die
Reise nach St. Gallen in zwei durchlaufenden Waggons 3. Classe zu machen. Dieselbe
verHef denn uueh glücklich in fröhlichster Stimmung der Kinder und ihres Geleites. In
8t. Gallen trennte sich ein Theil der Gesellschaft (16 Knaben nebst dem für sie ausge-
wählten Lehrerpersonal) die Reise an ihren Bestimmungsort, das Dorf Bühler, Ct. Appen¬
zell, zu Fuss anzutreten. Das Gros der Armee, mit einem Gepäckwagen voran, auf den
auch einige besonders schwächliche Kinder aufgeladen wurden, zog ebenfalls zu Fuss
nach Vögelinseck hinauf. Die Stimmung wurde um so heiterer, je mehr der Anfangs
etwas trübe Himmel sich aufheiterte und dio köstliche Bergluft uns entgegenwehte. In
Speicher nahm man ein einfaches Mittagsmahl ein und dann ging’s vorwärts in geschlos-
Digit
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sener Colonne und unter muntern Marschliedern. Zuerst wurden die ÖÖ Mädchen in ihre
Quartiere auf Neuschwendi, 20 Minuten vom Dorfe Trogen, begleitet und dann zog der
Rest von 23 Knaben nebst ihrem Lehrerpersonal nach Bühl, einem hochgelegenen Puncte
der Gemeinde Wald, wo sie ebenfalls treffliche Unterkunft fanden. Diese, sowie die 16
nach dem Dorfe Böhler instradirten Knaben schliefen auf Lagern von frischem Stroh mit
Leintüchern und wollenen Decken, welche die Stadt Zürich gratis lieferte, die letztem in
einer Remise des Gasthauses, in welchem sie gemeinschaftlich ihre Mahlzeiten genossen,
die erstem in dem weiten Dachraum einer herrlich gelegenen, aber wenig frequentirten
Sommerwirthschaft, die ihnen bei schlechtem Wetter einen so grossen Speise- und Spiel¬
saal zur Verfügung stellte, dass sie sogar Fang- und Ballspiele in demselben unterneh¬
men konnten. — Die Mädchen, denen Betten als Nachtlager angewiesen wurden, waren
bei ca. 15 rechtschaffenen Familien vertheilt und den kleinern wurden grössere beigeord¬
net, um sie für das Aufrüsten der Betten, Ordnen der Haare, Schuhreinigen etc. anzn-
leiten. Morgens 6—7 Uhr versammelten sich sämmtliche Personen zu einer Colonie in
einem Saal zum Frühstück, das aus warmer Milch und Brod bestand. Dann wurde bei
gutem Wetter im Freien gespielt oder ein gemeinschaftlicher Spaziergang unternommen.
Zwischen 9 und 10 Uhr erhielt jedes Kind ein Stück Brod. Hierauf wieder 8piele oder
Spaziergang. Das um 12 oder *j % \ Uhr eingenommene Mittagsmahl bestand in Sappe,
Fleisch und Gemüse, womit hie und da auch Mehl- und Eierspeisen abwechselten. Nach
Tisch wieder Spiele oder Spaziergänge, Waldpartien zu Erd- und Heidelbeerplätzen.
Abends 4 Uhr ein Stück Brod und nach abermaligem Aufenthalte im Freien Nachts ca.
7 Uhr Milch und Brod, worauf die Kinder sich dann vor 9 Uhr zur Ruhe begaben. Die
Nahrung war gut und reichlich. Jedes durfte essen , so viel es mochte. Der Appetit
war aber auch gross und im Steigen begriffen, so dass am Schlüsse des Landaufenthaltes
bedeutend mehr consumirt wurde, als am Anfang. Die Kinder nahmen während der 14
Tage durchschnittlich an Körpergewicht zu, wie vorgenommene Wägungen nachwiesen.
Mitunter wurde auch ein ganzer Tag und öfters der Vor- oder Nachmittag zu grös-
sern Ausflügen auf die herrlichen, aussichtsreichen Höhen des idyllischen Appenzellerländ-
chens verwendet, welche dann ein etwas verändertes Menu mit sich brachten. Wo sich
die Gelegenheit dazu bot, verschaffte man den Kindern auch hie und da ein erfrischendes
Bad. Einmal versammelten sich alle 3 Colonien auf Einladung zweier in Gais als Cur-
gäste weilender Mitglieder der Stadtschulpflege Zürich hin auf dem Gäbris, wo bei gast¬
licher Bewirthung ein kleines Jugendfest improvisirt wurde.
Bei schlechtem Wetter suchte man die Jugend in grösseren, hiefür in Beschlag ge¬
nommenen Localitäten durch mitgenommenes Spielgeräth, durch leichtere Arbeiten, durch
Lectüre und Gesang angenehm und nützlich zu beschäftigen. Doch verging kein Tag
ohne Bewegung im Freien, sei es auch nur auf kleineren Spaziergängen.
So verfloss auch diesmal wieder die anberaumte Zeit rasch und in bester Stimmung.
Kein einziger Unfall, kein ernstliches Unwohlsein störte dieselbe. Am 24. Juli traten
wir bei herrlichstem Wetter über grüne, sonnige Matten, singend und springend, die
Rückreise nach St Gallen an, wo uns wieder reservirte Waggons zur Eisenbahnfahrt
nach Zürich aufnahmen, das wir Abends nach 4 Uhr glücklich erreichten. E i n Jubel,
aus hundert glücklichen Kinderherzen emporsteigend, erfüllte unterwegs die Wagen und
als wir in den Bahnhof Zürich einfuhren, woselbst Schaaren von Eltern und Geschwistern
die jungen Reisenden erwarteten, steigerte sich derselbe aufs Höchste. Welch’ ein Grüs-
sen, welch’ ein Fragen und Erzählen I „Wie siehst Du gut aus, man erkennt Dich kaum
mehr!“ So ertönte es aus dem Munde der Be willkommenden und die ankommenden Kin¬
der boten den Ihrigen kleine Geschenke aus dem Appenzellerlande, Alpenrosen oder Leb¬
kuchen, je nach dem individuellen Geschmack von denselben ausgewählt, zum Grosse dar.
Nicht blos in vieler Eltern- und Kinder-, sondern auch in mancher zufällig anwesender
Zuschauer Auge sahen wir da etwas von freudiger Rührung glänzen.
Die Kinder waren gerne in die Ferien gegangen, hatten sich derselben herzlich ge¬
freut , kehrten nun ebenso gerne wieder nach Hause zurück, und das scheint mir das
Richtige zu sein.
Der Erfolg der letztjährigen Feriencolonien war, wie derjenige der ersten, ein ent¬
schieden günstiger. Die reine Bergluft und die kräftige, passende Nahrung übten ersicht¬
lich einen guten Einfluss auf das körperliche Befinden der Kleinen aus und manche au
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Hause unter druckender Luft und in gedrückten Verhältnissen gebeugte Kiudesseele erhob
sich freudig in der heitern, freien Welt und träumte einmal in ihrem Leben voll und
ganz den goldenen Traum der Jugend. Das Verhalten der Kinder war durchwegs ein
braves, ja meist musterhaftes und die bei aller freien Bewegung doch feste Ordnung und
Zucht, der sie sich unterzuordnen hatten, wirkt bei Manchen nachweisbar auch wohlthä-
tig auf ihr späteres Benehmen in Haus und Schule ein. Mit ihren Hauswirthen und
Gastfreunden schlossen die jungen Gäste herzliche Freundschaft, die von Manchen durch
fleissige Correspondenz erhalten wird. Und so öffnete sich für sie nicht bloss physisch,
sondern auch geistig eine neue Welt edler Menschlichkeit.
Der bisherige Erfolg des Unternehmens ladet dringend zur Fortsetzung ein und diese
wird Einiges im bisherigen Verfahren zu ändern und zu verbessern haben. Namentlich
hat es sich herausgestellt, dass eine grössere Decentralisation, d. h. eine Vertheilung der
Kinder auf eine grössere Zahl von Colonien sehr wüoschenswerth ist, indem sonst die
zu Gebote stehenden Localitäten nicht genügen und hieraus dem beaufsichtigenden Lehrer¬
personal eine zu anstrengende Arbeit erwächst. Letzteres hat durch seine menschen¬
freundliche Hingabe allerdings Behr viel zum Gelingen der Sache beigetragen und ich
spreche demselben hiemit auch öffentlich meinen herzlichsten Dank aus, verbunden mit
der dringenden Bitte, dass sie und Andere mit ihnen auch in Zukunft Bich der zwar
nicht leichten, aber um so edlern Aufgabe widmen mögen, die ich mit Gottes und guter
Menschen Hülfe auch dieses Jahr wieder an Hand zu nehmen gedenke.
23. Januar 1878. Pfr. Bion.
Reisebriefe ans dem Süden.
Pegli bei Genua, IL Hochgeehrte Redaction. Das „Grand Hötol de Pegli“ war
früher Palazzo Lomellini. Diese vornehme Herkunft verräth sich dem Ankommenden so¬
fort durch den grossartig angelegten Bau und den verschwenderischen Antheil, welcher
in demselben den Hallen, Corridoren und Gesellschaftsräumen zugefallen ist, befindet sich
doch Bogar eine ganz richtige Kirche in dem Hause. Das Gebäude steht auf massig
hoher Terrasse längs der Landseite der Provinzialstrasse, während jenseits derselben der
Strand mit dem Landungsplätze der Fischerbarken und daher der Haupttummelplatz des
bunten, aber leider oft auch etwas geräuschvollen Volkslebens sich befindet. DaB Haus
bat volle Südfronte; die 63 Fenster des Hochparterro’s, des ersten und des zweiten Stock¬
werkes, sowie die 11 Fenster der dem Mittelbau aufgesetzten dritten Etage gewähren
freie Aussicht auf’s Meer und gestatten nach Belieben der Gäste der Sonne unbehinder¬
ten Eintritt in die Wohnräume. In günstigerer Lage kann ein Wintercurgast nicht woh¬
nen. Für die Sommergäste — denn Pegli ist ja auch Seebadeort und wird im Sommer
von den Italienern viel besucht — und für Solche, welche die Aussicht gegen die ent¬
zückend schöne Landschaft vorziehen, oder das Brausen des Meeres, oder den italieni¬
schen Strassenlärm fürchten, finden sich auf der dem Parke zugekehrten Nordseite und
in einem westlichen Flügel des Hauses zahlreiche und gute Wohnungen.
Die Zimmer sind im Allgemeinen gut ausgestattet, namentlich sind die Fussböden
sämmtlich mit Teppichen belegt und die Betten ausgezeichnet, doch fehlen auch hier
einstweilen noch die Duvets. Würden die Gastwirthe in Italien ihren Vortheil kennen,
sie versähen einen guten Theil der Gastbetten mit Flaumdecken und würden diesen Um¬
stand in ihren Annoncen gebührend hervorheben. Ich bin überzeugt, dass die Nordländer
mit Vorliebe solche Gasthöfe aufsuchen würden. Für das „Grand Hötel“ steht die An¬
schaffung von Duvets für nächsten Winter in Aussicht.
An Heizvorrichtungen finden wir in der grossen Eingangshalle — dem Atrium des
Palastes —, dann in den Corridoren und in dem grossen Gesellschafts- und dem damit
zusammenhängenden Lesesalon mehrere sog. irische Oefen, welche gut heizen und den
Aufenthalt in den betreffenden Räumen und im Treppenhause recht behaglich machen,
so dass z. B. die Eingangshalle der beliebteste Aufenthaltsort für die Zeitungsleser, aber
leider auch für die Raucher geworden ist. Die meisten Zimmer sind mit guten Kaminen
versehen, auch ist eine gewisse Anzahl kleiner Kachelofen vorräthig, welche auf Ver¬
langen in den betreffenden Zimmern aufgestellt werden. Wer indessen schon während
einiger Winter in Italien „frieren gelernt hat“, kommt selten oder nie in den Fall, diese
Dinger zu benutzen. Ich selbst z. B. bewohne ein Südzimmer des Hochparterre’s und
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habe bis dahin, d. h. den ganzen Winter Uber, nie einheizen lassen und doch sass ich
viel am Schreibtische; die Zimmertemperatur sank auch an den schlimmsten Tagen nie
unter 11” R. Damit soll nun aber begreiflicherweise nicht gesagt werden, dass empfind¬
liche Kranke und Reconvalescenten hier nie zu heizen brauchten, selbst wenn sie die
Kraft oder die Ausdauer hätten, unseres Collegen Treichler kinesiatrischen Rath zu be¬
folgen. Anderseits ist die ewige Einheizerei, wie sie von vielen Fremden betrieben wird,
in diesem Klima der Gesundheit durchaus nicht zuträglich ; es sind gerade die Kamin-
und Ofenhocker, welche am häufigsten über 8chnupfen und Brustcatarrhe zu klagen ha¬
ben, während Andere, die früher zu Hause den ganzen Winter über von Schnupfen viel
geplagt wurden, nun sie gelegentlich mit den Italienern frieren, von Catarrhen meist gaaz
verschont bleiben.
W8r sich in Italien in einem Hötel oder in einer Pension einzulogiren gedenkt, ver¬
gesse ja nie, den „Locus“ zu inspiciren, bevor er die Sache in Richtigkeit bringt. Nur zu
häufig findet man denselben in unnahbarem Zustande, als die richtige „partie honteuse“ des
Hauses. Im „Grand Hötel“ sind die Abtritteinrichtungen ganz vorzügliche; sie befinden
sich in einem vom Mittelbau nach Norden vorspringenden thurmähnlichen Pavillon; der
Cabinette sind viele, alle geräumig, hell und mit Wasserspülung versehen.
Ira Souterrain des Hötels befinden sich mehrere mit Marmorbassins ausgestattete
Badezimmer. Es ist die Einrichtung getroffen, dass die Bäder je nach Bedürfnis ent¬
weder mit gewöhnlichem Wasser oder mit Meerwasser zubereitet werden können. Leider
fehlt da drunten vorläufig ein Ofen, der im Winter die Badegewölbe gehörig durch¬
wärmte , so dass derzeit die schönen Badeeinrichtungen ziemlich unbenutzt bleiben
müssen.
Selbstverständlich bildet ein williges und aufmerksames Dienstpersonal einen Haupt-
factor im Getriebe eines Gasthauses, das darauf reflectirt, Curgäste und nicht nur Pas¬
santen zu beherbergen. Entsprechende Löhne, damit die Bediensteten weniger auf Trink¬
gelder angewiesen sind, eine unablässige Ueberwachung derselben und überhaupt eine
stramme Hausordnung, der bis zu einem gewissen Grade auch die Gäste sich zu fügen
haben, dos sind unumgängliche Erfordernisse für ein Hötel, welches Curzwecken dienen
will. Es Hesse sich Vieles über dieses Capitel sagen, für welches nicht alle Gastwirthe
das richtige Verständniss haben.
In die unmittelbar hinter dem „Grand Hötel“ befindlichen Parkanlagen gelangen wir
sowohl vom Hochparterre als von der ersten Etage aus fast ebenen Fusses, ein wohl zu
beachtender Vortheil für Kranke. Immergrüne Bäume, riesige Agaven, stolze Palmen
und dazu den ganzen Winter über blühende Rosen, Yucca’s, Camelien und Veilchen sagen
einem, dass man im Süden ist. Ist das Ganze mit Sonnenschein übergossen, so kommt
es einem fast wie ein Märchen aus alter Zeit vor, wenn man in Briefen und Zeitungen
von zu Hause von Kälte und Schnee und SchHttschuhlaufen liest.
Noch habe ich zu erzählen vergessen, dass Pegli von Voltri aus mit Leuchtgas ver¬
sehen wird, und daher die hiesigen Hötels alle Gasbeleuchtung haben. Das Trinkwasser
ist gut. In neuester Zeit hat auch die alte Apotheke die neue Aufschrift „English
Chemist“ erhalten, was ein Zeichen der Zeit ist und die Ansprüche verräth, welche Pegli
an die Zukunft zu stellen gedenkt.
Die anderen drei Hötels haben weder die günstige Lage, noch bieten dieselben ihren
Bewohnern die Annehmlichkeiten und Bequemlichkeiten des „Grand Hötel“. Sehr günstig
ist dagegen die Villa Doria gelegen, in der über jeden Winter mehrere Wohnungen an
Fremde vermiethet werden. Dorthin dringt weder Gassenlärm noch Meeresbrausen, und
der ausgedehnte Park ist, obwohl in etwas vernachlässigtem Zustande, doch schön und
herrlich.
Den 15. November hatte es mich nach dem nahen Nervi gezogen. Ich hatte die¬
sen, seit einigen Jahreu als Winterstation ziemlich stark besuchten Ort schon vor 2 Jah¬
ren gesehen und mich wunderte, ob der etwas ungünstige Eindruck, den die topographi¬
schen und baulichen Verhältnisse dieser Ortschaft damals auf mich gemacht batten, der
richtige gewesen. Nervi ist amphitheatralisch an das oben ganz kahle Küstengebirge
hingebaut und hat südsüdwestliche Lage. Hunderte von theilweise bunt bemalten Häu¬
sern und Villen sind über den mit Wein und Oliven bepflanzten Theil des Abhanges
ausgestreut. Der Anblick ist bezaubernd, aber wehe dem, der da hinauf will! Die Wege
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zu diesem Paradiese sind steil und so erbärmlich gepflastert, dass einem für die Festig¬
keit der Fussgelenke bange wird, wenn man sie betritt; dazu gestatten sie keinen Aus¬
blick, weil zwischen engstehenden, hohen Mauern eingekeilt. Wer sich einmal unter
guter Führung hinaufgearbeitet hat bis auf die Terrasse der Alles beherrschenden Kirche
von 8t. llario, der versucht es gewiss nicht ein zweites Mal. die schöne Aussicht von
da oben wieder zu gemessen, oder wartet wenigstens die paar Jahre ab, bis die in ihrem
obern Theile in Angriff genommene Strasse nach St. llario vollendet sein wird. Die
Hauptstrasse des Ortes ist lang und zu beiden Seiten mit Häusern so dicht besetzt, dass
man auch da nirgends ins Freie sieht Der einzige offene und leidlich begehbare Spazier¬
weg ist der felsige und baumlose KUstenpfad, der reizende Aussichtspuncte und so viele
Felsennischen bietet, dass es einem Kranken nie schwer fallen wird, da immer irgend
eine windgeschützte Bratpfanne zu finden. So ist Nervi vorläufig für einen nicht gerade
bedenklich Kranken, ich meine namentlich für Jemanden, der noch leidlich gut zu Fuss
ist, ein unmöglich für längere Zeit zu bewohnender Ort, ausser er müsste denn Maler
sein. Kranke hingegen, die sich damit zufrieden geben müssen, ihre Tage in einem
schönen Garten zu verleben, und da die Wiederkehr der Gesundheit und Kräfte ab/.u-
warten, diese finden in Nervi ganz wundervoll schöne Privatgärten , deren Besuch ihnen
gestattet wird. Ausser zwei Hdtels besitzt der Curort auch eine kleine von einer Schwei¬
zerin gehaltene Fremdenpension, auch soll es sonst noch zahlreiche an Fremde zu ver-
miethende Privatwohnungen geben.
Nervi wird zu den sog. luftfeuchten Curorten gezählt, obschon der kahle Monte Moro
und andere ebenso kahle Gcbirgskämme, von welchen Nervi unmittelbar überragt wird,
die grosse Luftfeuchtigkeit nicht gerade errathen lassen. Die mittlere Tagestemperatur
mag etwas höher sein als in Pegli, weil die Nachmittagssonne sehr stark auf Nervi
drückt, dagegen sind die Witterungs Verhältnisse beider Orte wohl dieselben und dass
namentlich die Tramontana auch nach Nervi ihren Weg zu finden weise, hat sich gerade
am Tage meines Besuches deutlich genug fühlbar gemacht. Den 29. Januar , als hier,
in Pegli, der Schnee bis nahe auf die Vorhügel herunterreichte, waren auch der Monte
Moro und der südöstlich von Nervi vorspringende Monte Portofino bis tief herab be¬
schneit. Die Vegetation in den Gärten ist dort wie hier reich und üppig, aber natur¬
wüchsige Wälder und liebliche Thälchen sucht man in Nervi vergebens. Gerade diese
machen die unbestreitbaren Vorzüge Pegli’s aus. Durch all' die Thälchen und über alle
bewaldeten Höhen führen uns leicht zu begehende, staubfreie Fusspfade und Saumwege,
alle mit den überraschendsten, schönsten Aussichtspuncten. Wie herrlich sitzt es sich
da nicht unter dem schattigen Schirme mächtiger Pinien! Die Aussicht, die man von der
Kirche N. D. del Gazo aus hat, bietet sich auf unsern vielen Spazierwegen wiederholt
mit einem reichen, immer neuen Reiz gewährenden Dötail.
Gute Fussgänger begnügen sich nicht mit der nächsten Umgebung. Wessen Wan¬
derlust durch den Ausblick von der Gazo aus einmal angeregt wurde, lässt es sich nicht
nehmen, den Monte Penellozu besteigen. In höchstens 4 Stunden gelangt man zu
Fuss oder zu Esel ganz bequem auf dessen Gipfel Wie sollte ich die Aussicht beschrei¬
ben können, die einem da gewährt istl Von dem bezaubernden Bilde des Golfes habe
ich Ihnen schon geschrieben; hier reiht sich im Westen und nach Norden hin, in unab¬
sehbarem Bogen, der weisse Wall der Alpen an. Im Südwesten beginnt die Mauer mit
dem Col di Tenda und in unmittelbarem Zusammenhänge folgen die Gruppen des Monte
Vteo und des Mont-Cenis, dann das Colossalmassiv des Montblanc und, seid gegrüsst ihr
wohlbekannten Gestalten I das Matterhorn und die Monte Rosa. Noch weiter nach Osten,
gegen den Ortler hin, verfolgt daB Auge die weissen Gesellen, doch wird es schwierig,
genau zu unterscheiden.
Nun ist es Zeit, die Landschaftsmalerei aufzustecken und Ihnen Näheres über die
klimatologischen Verhältnisse unserer Station mitzutheilen, denn dass Unterkunft und Be¬
köstigung in Pegli gut sind und der freie Genuss der Luft und Landschaft durch keine
Mauern beengt ist, wissen Sie nun zur Genüge ; es fragt sich nur noch, ob die Tem¬
peratur- und Witterungsverhältnisse es auch erlauben, eich jederzeit dieser Herrlichkeiten
zu erfreuen. Darüber in einem 3. Briefe.
ln gesellschaftlicher Beziehung ist mitzutheilen, dass Pegli bis dahin hauptsächlich
von Engländern besucht wurde. Die Engländer haben bekanntlich bei uns zu Hause den
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Ruf, wohl die richtigsten Spürnasen im Ausfindigmachen guter und billiger Stationen zu
besitzen, nicht aber gerade das belebendste Element einer Gesellschaft zu sein. Wo
Engländer hausen, da fehlen auch die Reverends und Physicians nicht Was letztere,
unsere englischen Collegen, anbelangt, so ist es vielleicht nicht allen Lesern des „Cor-
reepondenz-Blattes“ bekannt, dass es in England auch heute noch drei ClasBen licenzirter
Heilkünstler gibt; Physicians (Medici puri), Surgeons (Chirurgen) und Apothecaries oder
General Practitioners, „Mädchen für Alles“, in deren Händen sich hauptsächlich die Ge-
burtshülfe befindet und aus deren Stand sich gewöhnlich auch die Familienärzte rekru-
tiren. Die Physicians studiren meist in Oxford oder Cambridge und erwerben dort den
Doctortitel. Das Fachstudium der Surgeons und der Apothecaries beginnt dagegen meist
damit, dass sie bei einem General Practitioner in die Lehre treten, gerade wie in einem
Bankhause oder bei einem Kaufmanne in die Lehre tritt, wer sich dem Handelsfache
widmen will.
Sehr bezeichnend für den eng professionellen Standpunct, auf welchen sich die eng¬
lischen Aerzte im Allgemeinen stellen, ist die Erklärung, die kürzlich ein solcher mir
gegenüber anlässlich eines Falles abgab, in welchem es sich um eine gynäkologische
Untersuchung handelte. „Eine solche habe er noch nie vorgenommen, indem Gynäkolo¬
gie und Geburtshülfe nicht Sache eines Physicians sein können, so wenig als es sich für
einen solchen schicken würde, von Chirurgie etwas zu verstehen.“ Es ist daher von
Wichtigkeit für einen Physician, die Specialärzte genau zu kennen. Wie ein Hausver¬
walter heute den Schlosser, morgen den Schreiner und übermorgen vielleicht den Hafner
und Fümisten zusammen ins Haus ruft, um nöthig gewordene Reparaturen vornehmen zu
lassen, so wird der Physician bald den Laryngoskopiker , bald den Gyneskologen, den
Brucharzt oder den Blasenmeister zu Rathe ziehen. Es ist ja bekannt, zu welcher Vir¬
tuosität die englischen Specialisten es gebracht haben. Wenn der Specialarzt ob seiner
Specialität das Individuum, den Kranken nicht vergisst, so ist das kein Uebel, aber wehe
der Armen, deren Arzt durch den verengerten Uterushals hindurch nicht mehr zu
sehen vermag, wie die junge und sonst blühende Frau an der Specialbehandlung langsam
zu Grunde geht. Man hat solche Fälle erlebt, und wovon das Herz voll ist, läuft — die
Feder über.
Von der wenig beneidenswerthen Stellung der Mehrzahl der italienischen Aerzte habe
ich Ihnen in meinen vorjährigen Briefen erzählt In Bestätigung des damals Erzählten
theile ich Ihnen den Refrain eines landläufigen Liedes mit, das die Leiden und Freuden (?)
eines Medico condotto besingt Er lautet:
Non c’ö arte cosl misera,
Non c’6 arte cosl rotta,
Come quella del medico,
Che va in coudotta!
oder in freier Uebersetzung:
Nichts Mis’rabler's gibt’s auf Erden,
Nichts Lumpiger’s kannst du werden,
Als Gemeindearzt!
16. Februar 1878. Schnyder.
Briefe ans Ajaccio.
IV. „Holder Lenz ist wieder kommen; Ueberall hat man's vernommen“, wir hier
im Süden etwas früher und auch intensiver als Ihr daheim.
Freilich ist für Euch die Differenz doch grösser, während wir hier den Strohhut nie
ganz bei Seite legten, habt Ihr daheim gegen all’ die Unbill der Witterung anzukämpfen
gehabt, wie sie der Winter unserer Heimath bringt Gewiss habe ich so oft aus tiefem
Herzen allen Leidenden zu Hause, allen Kranken, jedem frierenden Kinde unsere milde
Witterung gewünscht — nicht aber dem Freunde, der mir das fast wie Hohn klingende:
„Glücklich, wer im Süden!“ ja doch nur schreibt, weil es ihn an die spitze Nase friert
Die rechte Sonne, die uns zum Glücklichsein erwärmt, glänzt nicht am Himmel, und ihr
belebender Strahl dringt siegreich durch Schnee und Sturm, durch alles Ungemach.
Glücklich, wer sich — daheim oder „im Süden“ — diese Glut gut angefacht erhalten
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kann. Von Zeit zu Zeit fährt dann ein helles Fünkchen empor und verräth das stille
Feuerchen.
Ein solcher Fnnkcn war für uns die Weihnacht. Dass wir Weihnachten feiern
würden, war Allen selbstverständlich, und ebenso, dass eine gemeinsame Feier die Würde
des Festes nur heben werde. Wie immer da, wo es sich um die edlere Ausschmückung
des täglichen Lebens handelt, die Frau die feinere Hand hat, so wusste auch bald ein
Damencomitö dem Feste die richtige Dircction zu geben, und ich betone in gewiss leicht
verzeihlichem Stolze, dass dabei das deutsche und schweizerische Element einen sehr
wohlthuenden Einfluss ausübte. Der Wirth kam unsern Wünschen in hübschester Weise
entgegen, und als nun am Weihnachtsabend in unserm Esssaal fast die ganze Fremden-
colonie (national getrennt und doch in schönster Harmonie geeint) erwartungsvoll und in
freudig gehobener Stimmung um den geschmückten Baum stund, um die Pinie, deren auf¬
strebende Zweige in wunderbarem Contraste durch Orangen- und Mandarinen niederge¬
beugt wurden, als im Hintergründe aus dem Munde eines. Chores von Mitfeiernden das
Weihnachtslied: „0 du selige, o du fröhliche, gnadenbringende W'eihnachtszeit“ erscholl
und dann ein Zeit und Ort angepasstrs Gedicht, aus jugendlicher Brust verständnissinnig
gesprochen, in Aller Gemüth drang, als auch ein kleines Kind in frohlockender, noch von
keinen Enttäuschungen getrübter Freude mit weit geöffneten Aeuglein um den Baum herum
hüpfte — da bin auch ich (und mit mir wohl Alle) weit über Zeit und Raum hinweg
meinem lieben Mütterlein jubelnd um den Hals gefallen.
Wie viel mächtiger noch ergreift doch eine solche Feier in der Fremde und wie
viel tiefer, wenn es ein Häuflein Kranker ist, das versucht, all’ die trüben Gedanken, die
sich naturgemäss in diesem Momente mit doppelter Bitterkeit geltend machen wollen,
niederzukämpfen und noch einmal zu einer Feststimmung zu gelangen.
Und sie Bind tapfer, die „Poitrinaires!“ Die Feier wurde ganz gemüthlich, und ohne
fatale Falten sah der Sanitätspolizeidirector zu, wie am Ende sogar ein kleines Tänzchen
die ungeduldigen Füsschen hervorstreckte, zu strampeln anfing und sich schliesslich se-
cundam regulam in allerlei combinirter Zimmergymnastik versuchte.
Die Saison verlief bisher gut. Die Fremdenfrequenz blieb so zwischen 80 und 100
(von denen 60 im Hötel Dietz logiren); die Engländer, unter welchen sich viele Vcrgntt-
gungsreisende befinden, kommen und gehen — wir Andern sind stabiler.
Das Öchweizerhäuflein vertheilt sich auf Basel 6, Waadt 5, Zürich und Aargau je 3,
Luzern, St. Gallen, Schaffhausen und das liebliche Baselbiet je 1.
Die Witterungsverhältnisse waren relativ sehr günstig. Vergessen wir nicht , dass
wir dem 8üden mit etwas wirren und phantastischen Hoffnungen zusteuern. Wir erwar¬
ten Alles von ihm, auch viel Upmögliches, und da finden wir merkwürdiger Weise doch
auch hie und da Wolken am „ewig klaren“ Himmel, ungewaschene Hände und Wangen
— nicht nur bei den Fischweibern, saure Orangen und Anderes mehr, was von unsern
Idealen schrecklich weit weg steht
So ist es nun auch mit der Witterung. Kommen trübe Tage, so vergisst man zu
leicht, dass es daheim doch noch sehr viel schlimmer wäre.
Wir hatten:
November. December. Januar. Februar.
Bewölkt 26 21 10 9 Tage.
Regen 13 8 5 1 „
Wind 12 6 6 6 „
Ausgehen unmöglich 5 3 6 — „
Als „bewölkt“ notire ich, wenn auch nur kürzere Zeit der ganze oder blos ein kleine¬
rer Theil des Himmels mit Wolken bedeckt war. Das findet aber hier auf Corsica äus-
Berst rasch und in sehr veränderlicher Weise statt. Die Lage als Insel, weitaus mehr
aber noch die Bteil sich erhebende hohe Kette von gigantisch sich aufthürmenden Bergen,
deren mit Schnee bedeckte Höhen die heissen südlichen Luftströme abkühlen und so
durch Condensation der Wasserdünste die Wolkenbildung ungemein befördern, bedingen
eine grosse Veränderlichkeit des Firmamentes. Das hat aber für uns Curanden keinen
schädlichen Einfluss. Die Temperatur war durchschnittlich so hoch, dass der Wolken¬
schleier oft genug ein sehr erwünschter Sonnenschirm war, und dann figuriren unter den
bewölkten Tagen sehr viele, an welchen ein leichter, oft genug für uns im geschützten
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Krater weilende Curgäste nur am Zuge der Wolken, aber sonst gar nicht wahrnehmbarer
Wind schon nach kürzester Zeit (1—2 Stunden) das Firmament wieder prächtig rein
fegte.
In der Rubrik „Regen“ stehen alle Tage, an welchen überhaupt Regen fiel, und
wenn es auch nur für ’/* Stunde war. Im November hagelte es einmal, im Januar fiel
zweimal bis weit herunter Schnee. In Ajaccio selbst konnten nur die sehr früh Auf-
stehenden an schattigen Plätzchen Morgens noch einige spärliche Schneeflocken sehen;
doch fanden wir zu unserer kindlichen Freude auf vor der Sonne geschützten Pfützen
einige dünne Eistäfelchen.
Der „Wind“ ist schwer zu registriren. Glücklicherweise haben wir ja immer etwas
Wind, den Land- und Seewind. Ich notirte von rein practiscbem Standpuncte aus nur
jene Luftströmungen, die entweder allgemeiner Natur oder aber abnorm verstärkte und
veränderte (z. B. durch tiefen Schneefall abgekühlte) Localwinde waren.
Nur zweimal fühlten wir hier in Ajaccio die Wucht des Sturmes (8W), der die
Bucht in der Regel verschont
So ist denn auch die Zahl der Tage, an denen der Curgast im Zimmer bleiben soll
(oder sollte), eine geringe. Ich zähle darunter immer noch gut die Hälfte solcher, an
denen ich selbst ohne Schädigung meiner seelischen Hälfte (ärztlichen Gewissens) und
auch meines (bessern) physischen Ich’s für kürzere Zeit spazierte (prtesente medico nihil
nocet). Der rasch trockene und nie stark kothige Boden und ein naher, äusserst hügliger
Olivenwald mit vielen grossen Granitblöcken (Windfängen) erleichtern das Ausgehen bei
nicht zu anhaltendem Regen und nicht zu heftigem oder kaltem Winde sehr, mehr noch
die Temperatur der Luft Ich gebe hier nur die Monatsmittel der um 8, 12 und 6 Uhr
von Freund G. vor dem Fenster eines Westzimmers, von mir vor dem eines Südzimmers
im Schatten abgelesenen Temperaturen und stelle der instructiven Illustration wegen die
beiden Zahlenreihen nebeneinander.
Süd.
West.
8
12
6 Uhr.
8
12
6
Uhr.
November
13
17
14° C.
10
14
12° C.
December
9
16
11 >
6
11
9
>»
Januar
6
12
10 „
6
10
8
»
Februar
8
17
13 *
6
12
11
»
Maxima in der Sonne den 18. und 26. Februar 32 und 33° C. (mit 19 und 20° im
Schatten), im November wiederholt 21 und 22° im Schatten; Minimum (zwischen Mor¬
gens 8 und Abends 6 Uhr) den 4. Februar + 1, wiederholt + 3. Dabei ist die Ab¬
kühlung Abends eine sehr langsame: zwischen 8 und 10 Uhr Abends beträgt die Tem¬
peratur in der Regel immer noch 12—10 und sinkt in der Nacht und am Frühmorgen
nicht unter 10 Grad. Der Durchschnitt für die letzte Woche Februar war 10,6 , 18,1,
14,4. Es war also auch für empfindliche, leicht catarrhalisch gereizte Patienten den gan¬
zen Februar an normalen Tagen möglich, schon vor 8 Uhr und nach Sonnenuntergang
unter dem prächtigen Sternenhimmel zu lustwandeln. Während der Zeit des Sonnen¬
unterganges wird die Abkühlung am meisten empfunden.
Die Sonne wurde oft genug recht heiss und drückend; doch bewahrt die unmittelbare
Nähe des Meeres mit der erfrischenden Brise und die immer grünen Bäume, die Olive,
die Steineiche, die Orange und Magnolie, theilweise vor jener schädlichen Erschlaffung,
die der Süden mit sich bringt.
Auch ein wenig Staub ist gekommen, aber wirklich nur wenig, und erst einmal sah
ich einen zornigen Südwest Staubwolken aufwirbeln. Beim Umgänge mit dem Granit¬
staub ist das eine Tugend, was sonst überall mit Recht aus anständiger Gesellschaft ver¬
pönt ist, die Grobheit nämlich. Einem am Meere, wo die Sonne ohne die leiseste Hem¬
mung hinbrennt, vorbeimarschirenden Detachement Soldaten wirbelt allerdings der Staub
um die rothen Hosen. Aber kaum sind sie vorbei, so ist die Luft wieder klar. Das ist
viel werth, namentlich hier, wo die Schatteuplätze (zu 8pielen) so absolut fehlen.
Da sitzen und liegen wir nun wie ein Volk versprengter Rebhühner in dem Oliven¬
wäldchen herum; träumerisch schaukelt sich ein Fräulein in einer Bängematte (einem
äusserst practischen, sehr zu empfehlenden Curandenmöbel); pathetisch liest ihr ein lang¬
lockiger Jüngling des alten Heinrich Heine einsames Fischerhaus vor; oben der
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blaue Himmel mit der glühenden Sonne, ringsum das Säuseln der Brise in den Oliven,
in der Ferne das Brausen des Meeres!
Und nun wird es Abend: die Sonne sank; da schimmert das tiefgrüoe Meer in hel¬
lem Glanze und über ihm die Berge in ganz unbeschreiblichem, roth-violettem Farben¬
schmucke. Und siehe! In all’ dieses lebendige Licht des Südens herein strahlen so nah
die weissen Spitzen der Berge mit ewigem Schnee!
Im Gegensätze zu dem hier allüberall üblichen laisser faire, laisser aller hat General
Sebostiani aus einer öden Steinwüste einen (ca. 22 Morgen grossen) Park geschaffen, in
dem sich seltene Bäume finden (gewaltige Magnolien, die verschiedensten Arten Orangen
u. s. w.), sowie prächtige Cactusarten, schlanke Aloö, dazwischen der reichste Rosenflor,
und weiter oben schlingt sich in mächtigen Ranken die Weinrebe von Mandelbaum zu
Mandelbaum, dessen Blüthenzeit schon zu Ende geht.
„Und i bhoupte’s na einischt! E Chriesiboum isch bim D—r eineweeg schöner !“
macht da Einer seinen innersten Gefühlen eruptiv Luft. Der blühende Mandelbaum ist
schön — aber ihm fehlen die grünen Blätter.
Von Zeit zu Zeit streift eine Colonne in die Umgebung, hinauf nach Alata, dem ho¬
hen Neste mit den eng zusammengebauten, thurmartigen, aller Hygiene hinten, vorn und
mitten drin schrecklich Hohn sprechenden, corsischen Häusern, durch das prächtige, reich
cultivirte Gelände, mit dem wundervollen Ausblick auf den Golf und die 8tadt; hinüber
nach dem Bergdorf Cauro und auf gut angelegter Strasse in weitem Bogen zurück Uber
Eccica durch die grossartige, mit so ganz fremder Vegetation bewachsene Berglandschaft;
hinunter nach den lies Sanguinaires, wo das weite Meer den Blick fesselt und die ein¬
samen Hüter des Semaphores und des Leuchtthurmes den seltenen Gästen herzliche Gast¬
freundschaft gewähren.
Auf all’ diesen Excursionen wird im Freien getäfelt und schrecklich viel gelacht.
Etwas weniger, wenn es über das Meer geht, hinüber auf den breiten sandigen Strand.
„Seekrank“ ist ein böses Wort — sterbensübel, „zum Tode betrübt“, in der unangeneh¬
men Situation, vor Zeugen, die erst noch nur schadenfroh höhnen, seinen eigenen Ver-
dauungsprocess zu desavouiren — das ist bitter. Aber einmal drüben, ist’s ja bald bes¬
ser. Und dann ist das Meer so wunderbar, seine Farbe so sinnberauschend, sein Hauch
so erfrischend!
Da hinüber fahre ich auch etwa einmal auf die — Jagd! Risum teneatis, amici! Es
ist eine ganz sanfte Jägerei: auf flachen Terrainwellen wuchert der Makis, 1—2—3 Fuss
hoher Buschwald aus Myrthen, Lorbeer, Cythisus etc., hie und da eine Korkeiche, ein
seichter Sumpf (um den man hübsch fein herum geht). Da sucht der „wilde Jägers¬
mann“ eine Wachtel, ein Felsenrebhuhn, eine Schnepfe, kneipt vor Allem den ganzen
Tag an einem fort — Luft, schwatzt nicht, kurz curirt sich und lebt dabei im süssen
Wahn, noch ein sehr leistungsfähiger Mann zu sein, kann er doch den ganzen Tag auf
die „Jagd gehen“.
Glücklicherweise leben wir nicht nur allein von dem selbBtgeschosseucn Wilde. Un¬
sere Kost im Hötel Dietz (das viele Gäste abweisen musste) war immer gut. Man darf
bei der Beurtheilung des Tisches nicht vergessen, dass es Kranke sind , die urtheilen.
Wer schon viel herumgereist ist (und isst), urtheilt in der Regel gelinder, als der Curand,
der frisch vom, immer sorgfältiger ausgewählten und den persönlichen Bedürfnissen besser
angepassten Familientische, der schmackhaften Hausmannskost kommt. Dann ist es ge¬
wiss auch leichter, für Gäste zu kochen, die rasoh wechseln, als für solche, denen die
chronisch gewordenen poissous grillös, der ewige boeuf braisd und die unvermeidlichen
haricots sautds zum Ueberdrusse die schnöde Wahrheit des „toujours perdrix!“ antipep¬
tisch vor den Mund führen, namentlich, wenn die beginnende Hitze so wie so schon den
Appetit lähmt.
Das beste Argument bleibt auch hierin nicht der subjective „practische Blick“, son¬
dern die exacte Forschung: die Wage. Wenn das Körpergewicht zunimmt, sollen die
Gäste frohlocken, auch wenn die Zunge nicht immer zufrieden war.
Meine Beobachtungen über die sanitarischen und socialen Verhältnisse der Insel und
t besonders Ajaccio’s selbst verschiebe ich auf meinen nächsten und letzten Brief.
Ich suche einen Schluss zum heutigen — lassen wir für dieses Mal das geduldige
Meer und die schlanken Palmen! Vor mir liegt ein Sträusschen duftender Veilchen. Ich
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will es nicht „unberührt“ lassen, wohl aber für einstweilen die spitzigen Dornen des
schwarzmäuligen Gänsekieles.
Also Gott befohlen — bis auf weitern Bericht!
Ende Februar. A. Baader.
W ochLenl>ei*iclit.
Schweiz.
Oenf. Propaganda gegen das pharmaceutische Specialitä-
tenunwesen. Die medicinische Gesellschaft von Genf ("Präsident HiU , Actuar Picot )
und die pharmaceutische Gesellschaft von Genf (Präsident Prof. Brun, Actuar Hahn) haben
soeben die sehr lobenswerthe Initiative ergriffen, Angesichts des ins Schrankenlose über¬
wuchernden Schwindels mit pharmaceutischen Speciali täten durch ein
Flugblatt das Publicum auf die Gefahr aufmerksam zu machen, die ihm durch seine allzu
grosse Leichtgläubigkeit in derartigen Dingen droht. Kurz und präcis wird da die Frage
beantwortet: „Was sind diese Specialitäten und welches Zutrauen verdienen sie?“ Wir
freuen uns doppelt darüber, dass gerade von Genf aus diese «ehr zeitgemäßes Anregung
ausgeht, wo geographische Lage, starker Fremdenverkehr, kurz Beziehungen mannigfa¬
cher Art diese französische Unsitte des pharmaceutischen Specialitätenwesens zu protegi-
ren schienen.
Möchte der klare Verstand des genfer Volkes dieser Aufklärung auch die practischen
Consequenzen folgen lassen, dann wäre ein erfolgreicher Schritt gethan in einer Bahn,
auf die nicht mit Unrecht die Aufmerksamkeit der Staatsmänner und Aerzte in neuerer
Zeit immer mehr sich richtet.
HUitArArxtliche Avancements. Der Bundesrath hat folgende Hauptleute
zu Majoren im Sanitätsstabe befördert: Alf. Steiger (Luzern); Adolf Christener (Bern); Karl
Rau (Zweisimmen); Joseph Rüssli (Luzern); Louis Roulet (Neuenburg); GotUieb WelU (Unter¬
strass).
Ferner wurden als Chefs der Feldlazarethe designirt: Feldlazareth Nr. 2: Major
Felix Caslella (Freiburg); Nr. 3: Major Adolf Christener (Bern); Nr. 4: Major Alfred Steiger
(Luzern); Nr. 6: Major Gottl. Welti (Unterstrass), Als Stellvertreter des Feldlazarethchefs:
Nr. 2: Major Ls. Roulet (Neuenburg); Nr. 3: Major Karl Rau (Zweisimmen); Nr. 4: Major
Rüssli (Luzern).
Zürich. Mortalitätsstatistik. Die Sanitätsdirection des Cantons Zürich
hat an die Aerzte und Civilstandsbeamten ein Kreisschreiben erlassen unter Beilage einer
nach dem Basler Schema geordneten „systematischen Uebersicht der Todesursachen“, um
damit der Mortalitätsstatistik resp. der Bescheinigung der Todesursachen eine einheitliche
sichere Grundlage zu geben. 8peciell für die Civilstandsbeamten wird die Tabelle dien¬
lich sein, weil sie durchweg die lateinische und deutsche Nomenclatur enthält, somit
geeignet ist, manche Irrthümer zu verhüten. Mit Recht ist im Kreisschreiben die Gele¬
genheit benützt, um die Aerzte zur Angabe der Grundkraukheit und nicht nur
der zufälligen Schlusscomplication aufzufordern. Ein ähnliches Vorgehen in andern Can-
tonen würde in letzter Linie auch der gesammt-schweizerischen Mortalitätsstatistik för¬
derlich sein. Für besonders glücklich halten wir den Umstand, dass das Schema nicht
auf Vollständigkeit Anspruch macht und somit auch die Nummerirung vermieden
hat; wenn auch ohne Zweifel die Verarbeitung bei nummerirten Todesursachen rascher
und glatter geht, so wird anderseits die Genauigkeit der Angaben durch die gedanken¬
lose Fabrikmässigkeit nummerirter Todesursachen gewiss nicht gefördert. Und nicht
das ist ja schliesslich die Hauptsache, dass man aus z. B. 1000 verschiedenen Beschei¬
nigungen möglichst rasch eine Tabelle gemacht hat, sondern dass der Inhalt dieser Ta¬
belle möglichst richtig und dem wirklichen Thatbestand entsprechend ist.
Ausland.
Deatoebland« Siebenter Chirurgen-Congress. Der siebente Con-
gress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie findet, wie alljährlich, vom 10.—13. April
in Berlin statt. Für die im vorigen Jahre beschlossene Discussion über die Geschwülste,
insbesondere über die im klinischen Sinne bösartigen Gewächse, liegt ein von Geh.-Rath
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Prof. Thiersch ausgearbeitetes, von Geh.-Rath Prof. v. Langenbeck amendirtes Schema vor:
Herr v. Langenbeck schlägt vor, die Discussion über die Geschwülste auf den Congress
von 1879 zu vertagen und in dem bevorstehenden Congress nur das 8chcma zu bera-
then, das ganze nächste Congressjahr aber zu den Vorarbeiten zu verwenden.
Russland« Ueber die Behandlung von Geschwüren berichtet
Dr. Mandelbaum (in Odessa) in der berl. kl. Wochenschr. Nr. 10. Wir theilen den sehr
beachtenswerthen Aufsatz hiemit den Collegen mit: „Nachdem ich alle möglichen Be¬
handlungsweisen dieses hartnäckigen Uebels (der Unterschenkelgeschwüre) versucht habe,
unter andern auch einen dem von Herrn Dr. Becker beschriebenen ganz ähnlichen Heft¬
pflasterverband, ebenso die .Reverdin’eche Ueberpflanzungsmethode und die energische Cau-
terisation mit dem Aetzkalistift, blieb ich bei folgenden drei Mitteln stehen: dem Hebra-
schen Schabeisen (modificirter KoMmann’scher Löffel), dem Jodoform und dem
Emplastrum mercurial. c. empl. saponat. äa. Ich kenne keine Unter¬
schenkel- und andere Geschwüre, welchen Alters, welcher Form, Ausdehnung und Ab¬
stammung sie auch sein mögen, die diesem Verfahren widerstanden hätten. Sind die
Geschwüre sehr tief, der Zerfall der Gewebe bedeutend, die Ränder uneben, zerfressen
unterminirt, callös, so wird das Geschwür erst mit dem 8chabeisen gründlich — bis an’s
gesunde Gewebe — gereinigt, dann mehrere Tage hindurch mit einer dicken Schichte
Jodoform bestreut, bis frische Granulationen kommen — und sie kommen; — dann, wenn
sich das Geschwür ausgefüllt hat und der Grund desselben das Niveau der Haut erreicht,
verbinde ich es täglich mit Empl. merc. et saponat. ää; dieses letztere muss sehr genau
und eben — ohne Kanten — auf Leinwand gestrichen und ziemlich weich verfertigt
sein. Sehen die Unterschenkel- oder sonstige Geschwüre nicht so schlecht aus und sind
blos mit einer dicken Eiterschichte belegt, so ist die Jodoformbestreuung ohne vorher¬
gegangenes Ausschaben hinreichend, gute Granulationen hervorzurufen, und die Vernar¬
bung geht unter dem erwähnten Pflaster von Statten.
Mit diesem Verfahren habe ich die verschiedensten Geschwüre, die Jahre und Jahr¬
zehnte lang den mannigfachsten Behandlungsweisen getrotzt, endlich zum Vernarben ge¬
bracht. Ich halte es für überflüssig, diese kurze Notiz durch Anführung einer langen
Reihe von Krankengeschichten zu chargiren, da dieselben doch, jede für sich, nur detail-
lirt das enthalten würde, was oben im Allgemeinen gesagt wurde.“
Stand der Infections-Kranbheiten in Basel.
Vom 11. bis 25. März 1878.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Die Masern epidemie nimmt in Grossbasel ferner ab; in Kleinbasel ist sie eher im
Steigen. Neu aDgezeigt sind 84 Fälle (138, 94, 88), davon in Grossbasel 44 (50), in
Kleinbasel 40 (34, 27, 38).
Scharlach ist wieder weniger häufig; neue Fälle sind 19 angezeigt (21, 28, 26),
wovon in Grossbäsel 8 (14), in Kleinbasel 11 (11, 12).
Diphtherie ist noch immer ziemlich zahlreich: 16 Fälle (8, 17, 22, 19), 6 vom
Nordwestplateau, 5 Kleinbasel, 3 Birsthal, Rest zerstreut.
Von Croup ist ausser einigen Fällen, wo Croup als Gomplication zu Masern hinzu¬
trat, nur 1 Fall angezeigt.
Typhus 8 Fälle (3, 3, 4), wovon je 3 aus dem Birsigthale und aus Klcinbasel.
Erysipelas 10 Fälle (1, 10, 5), wovon die Hälfte in Kleinbasel.
Puerperalfieber 4 Fälle (4, 5), wovon 3 bei einer in Folge dessen stillge¬
stellten Hebamme.
Zerstreute Fälle von Varicellen und Pertussis; 1 Fall von Parotitis.
Bibliographisches.
41) Buhl , Mittheilungen aus dem pathologischen Institute zu München mit in den Text
gedruckten Holzschnitten und 11 lithograph. Tafeln. 329 Seiten. Stuttgart, Verlag
von F. Enke.
Digitized by
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222
42) Volkmann , Sammlung klinischer Vorträge; Leipzig, Breitkopf & Härtel.
Nr. 129 Langenbuch, Ueber die geschwQrige Freilegung des grossen Gefässstammes
und deren Behandlung mit Chlorzinkcharpie.
Nr. 130 Weil , Ueber den gegenwärtigen Stand von der Vererbung der Syphilis.
Nr. 131 Volkmann, Ueber den Mastdarmkrebs und die Exstirpatio recti.
43) Stahl, GeburtshUlfliche Operationslehre nach den Vorlesungen des Prof. Hegar. 185 8.
Stuttgart, Verlag von F. Enke.
44) Buss , Ueber Wesen und Behandlung des Fiebers. Klinisch-experimentelle Unter¬
suchungen. Mit 9 litLogr. Tafeln. 246 S. Stuttgart, Verlag von F. Enke.
45) Fialla , Gudrison de 6 aveugles-nds (Höpital „Philantropie“ 4 Bukarest). 32 Seiten.
Bukarest, Imprim. Thiel & Weiss.
Briefkasten.
Den Herren Collegen, die mir behnfs Aerztestatiatik Alle so prompt — ea fehlt nur noch
Tessin — die gewünschte Auskunft gegeben , meinen besten Dank 1 — Herrn Sanit&tscommissär
Schwarz: Die Verordnung mit Dank erhalten. — Herrn Dr. Lorenz: Verdanke Ihnen bestens die in¬
teressante Photographie 1 100 Jahre! Mir wär* das schon zu viel! — Herrn Dr. Kaufmann in B.: Mit
bestem Dank erhalten. Fortsetzung wird demnächst folgen. — Herren Dr. Schnyder , Dr. Eaffler ,
Dr. Sonderegger: Mit bestem Dank erhalten.
am Untersee, Ot. Thurgau.
Die verehrten Herren Collegen ersuche ich, freundlichst beachten zu wollen, dass diese
Anstalt in meinen Besitz übergegangen ist. Die Eröffnung für nächste Saison wird Mitte
dieses Monats stattfinden können.
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Wien, 21. Aprü 1877. Prof. Dr. Max Leidesdorf.
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Budapest, iS. Februar 1877. KOiiigl. Rath Prof. Dr. v. Koränyi.
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223
Verlag von Anglist Hirschwald in Berlin.
Soeben erschien:
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Verlag von AllgUSt Hirschwald in Berlin.
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Lehrbuch
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ord. Professor in G reift wald.
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Spitalarztes am Bezirksspital zu Laufen, Ct. Bern,
wird hiemit zur freien Bewerbung ausgeschrieben.
Wartgeld mindestens Fr. 500 nebst Wohnung und
Garten. Dazu wird bemerkt, dass in den 12 Ge¬
meinden des circa 6000 Seelen zählenden Amts¬
bezirks Laufen dermalen kein Arzt ist. Nähere
Auskunft ertheilt der Unterzeichnete Präsident
des Verwaltungsrathes, an welchen auch die An¬
meldungen bis 20. April nächsthin zu richten
sind.
Laufen, den 13. März 1878.
Federspiel) Reg.-Statthalter.
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toire instantand).
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cante).
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Präpanitee in Milch begründet, - auch weil in Emuleioniform, den vor jedem anderen Säuglingsnährmittel
hervorragenden Ernähr ungeerfolg und die weite Verbreitung des Prtparatee.
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Dr. Alb. Burekhardt-Merlan und
Privatdocent in Basel
Dr. A. Baader
in Gelterkinden.
N° 8. VIII. Jahrg. 1878. 15. April.
Inhalt: 1) Originalarbeiten; Di. Marlin Niukomm: Das pneumatische Cabinet und der transportable pneuma¬
tische Apparat. — Dr. E. Eaffttr: Die Sulzbrunner-Jodquelle (Kemptener Wasser), ein vorzügliches, von der Natur gespendetes
Medicament (Schluss). — 2) Vereinsberichte: Medicinisch-pharroacoutischer Bezirksverein dos bern. Mittellandes. — 8) Re¬
ferate und Kritiken: Bericht und Geeetzesentwurf der berner Direction des Innern über öffentliche Gesundheitspflege und
Lebensmittelpolizei. — Dr. Johann Mikulict: Ueber die Beziehungen des Glycerins zu Coccobacteria septica und zur septischen
Infection. — Prof. e. Sigmund: Ueber neuere Behandlungsweisen der Syphilis. — Dr. Moritt Qauster: Ueber moralischen Irrsinn
(moral insanity) vom Standpuncte des practiscben Arztes. — Etcald Hecktr: Die Ursachen und Anfangssymptome der psychischen
Krankheiten. — 4)Cantonale Correipondenzen: Wien, Reisebriefe aus dem Süden. — 5) Wochenbericht. — 8)Bib-
llographisches. — 7) Briefkasten.
Original-Arbeiten.
Das pneumatische Cabinet und der transportable pneumatische Apparat.
(Vortrag gehalten in der ärztl. Gesellschaft von Zürich am 5. Jan. 1878.)
Von Dr. Martin Neukomm, pr. Arzt in Zürich.
Hochgeehrto Anwesende! Das Gebiet der Pneumotherapie, auf das ich Ihre
Aufmerksamkeit lenken möchte, hat mit der Erfindung des transportablen Appa¬
rates durch Hanke in Wien eine wesentliche Umgestaltung und Erweiterung er¬
fahren. Die Anwendung komprimirter und verdünnter Luft, bislang ausschliess¬
liches Vorrecht der pneumatischen Cabinette, resp. der Höhencurorte, ging mit
dem Aufkommen der neuen, inzwischen durch Waldenburg u. A. wesentlich ver-
vollkominneten Methode in die Hände des praktischen Arztes über. Wenn auch
dieselbe unter dem ärztlichen Publikum noch nicht völlig populär geworden, wenn
nur eine beschränkte Minderzahl der Praktiker sich bisanher berufen fühlte das
ohnehin reichhaltige Instrumentarium durch Anschaffung eines pneumatischen Ap¬
parates zu vermehren, so erfreut sich doch das der Methode zu Grunde liegende
Princip, nachdem es sich einer praktischen Prüfung als durchaus rationell erwie¬
sen hat, einer fast allgemeinen Anerkennung. Ich sage fast allgemein! Denn es
darf nicht verschwiegen werden, dass die genannte Neuerung wiederholt Gegen¬
stand polemischen Angriffs geworden ist In der That hat es nicht an solchen
gefehlt, welche, sei’s in falsch aufgefasstem persönlichem Interesse oder in ein¬
seitiger, theoretisch-klügelnder Anschauung befangen, die Bedeutung des trans¬
portablen Apparates als therapeutisches Agens in Abrede stellten.
Angesichts der von so vielen und glaubwürdigen Beobachtern wie Waldenburg ,
Schnitzler , Geisel, v. Cubs , Biedert u. A. gewonnenen positiven Resultaten, welche
ein lautes und unwiderlegliches Zeugniss für den Werth des neuen Heilver-
15
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226
fahrens ablegen, ist ein gedachtes Vorgehen als ein müssiger Zeitvertreib zu be¬
zeichnen.*)
Nicht minder verkehrt erscheint uns aber andrerseits die da und dort hörbar
werdende Meinung, als hätte man in dem transportablen pneumatischen Apparat
eine Errungenschaft gewonnen, welche das pneumatische Cabinet über¬
flüssigmache, als sollte letzteres, nachdem es sich Jahrzehnte lang in Behandlung
verschiedenartiger Krankheitszustände bewährt hat, von der neuen Erfindung ver¬
drängt, in die historische Rumpelkammer wandern.
Dass das Schicksal desselben noch nicht so weit gediehen ist, beweist die bis
auf die neueste Zeit hinaus von hervorragender Seite angeregte Erstellung von
pneumatischen Glockenapparaten. Ich darf beispielsweise nur an die vor 2 Jahren
in Berlin angelegte pneumatische Anstalt erinnern, welche Traube kurz vor seinem
Tode in’s Leben gerufen hat. Diesen durch Ueberzeugungstreue und kritischen
Geist gleich ausgezeichneten nüchternen Forscher unter die „Gründer“ zu zählen
wird wohl Niemandens ernstliche Absicht sein.
Doch zur Sache! Es sollte von vornherein nur angedeutet werden, dass ich
beiden Behandlungsweisen ihre Berechtigung zugestanden wissen will. Die Indi-
cationen derselben klarzulegen, an der Hand einer sowohl in Anwendung des
pneumatischen Cabinets als des transportablen pneumatischen Apparates gewon¬
nenen mehrjährigen Erfahrung den Werth der einen wie der andern Methode zu
prüfen, aus dem Durcheinander der sich gegenseitig befehdenden Meinungen das¬
jenige herauszuheben, was ich in praxi crspriesslich befunden habe, sei der Zweck
der vorliegenden Arbeit, mit der ich Denjenigen gegenüber, die sich nicht spe-
cieller mit Pneumotherapie zu befassen Gelegenheit haben, keine ganz undankbare
Aufgabe zu erfüllen hoffe.
Fassen wir zunächst das pneumatische Cabinet in’s Auge ! Ich darf
voraussetzen, dass Sie, meine Herren, wenn nicht aus eigener Anschauung, so
doch aus den Schriften von v. Vivenot ', G. Lange , v. Liebig u. A. m. mit der Ein¬
richtung und der Gebrauchsweise der pneumatischen Cabinette oder Glockenappa¬
rate im Princip wenigstens vertraut sind. Es genügt, Sie daran zu erinnern, dass
diese Vorrichtungen Luftpumpen-Recipienten darstellen, in derem zur Aufnahme
mehrerer Personen hinlänglich grossen Binnenraum die Luft verdichtet und ver¬
dünnt werden kann. Bis anher hat man sich so zu sagen ausschliesslich der com-
primirten Luft bedient. Physiologische Versuche mit verdünnter Luft sind unter
Andern von v. Vivenot angestellt worden. Dagegen findet sich über die thera¬
peutische Verwendung derselben in Form der sog. pneumatischen Sitzung meines
Wissens bislang Nichts veröffentlicht. Einzelner Versuche, die ich nach dieser
*) Wohl ist Waldenburg in dem Ausbau seiner an gedachte Behandlungsmethode sich knüpfen¬
den Theorie da und dort zu weit gegangen und mit Recht weist G. Lange in seinen nach Abfassung
dieser Arbeit erschienenen, in diesem Blatte lingst veröffentlichten Mittheilungen, auf den Widerspruch
hin, in dem Waldenburgt theoretische Anschauungsweise mit den experimentellen Resultaten an¬
derer Autoren steht. Wie sich aber auch in der Folge dieser Widerspruch lösen möge, wir be¬
tonen nachdrücklich, dass die Bedeutung des transportablen pneumatischen Apparates nicht in einer
theoretischen Speculation aufgeht, vielmehr auf der breiten Grundlage von durch Erfahrung gewon¬
nenen Thatsachen basirt, deren Werth unbestritten bleibt, auch wenn die Theorie da und dort ein-
geschr&nkt und modifleirt werden sollte.
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227
Richtung angestellt, werde ich später gedenken. Vorläufig beschäftige uns die
comprimirte Luft, wie sie in der Glocke zur Anwendung kommt. Der Grad der
Luftcompression beträgt in der Regel */*—'/, Atm. Ueberdruck; die Dauer der
Sitzung l 1 /,—2 Stunden.
Zwei Momente physiologischer Wirkung sind es, welche uns den Schlüssel
für die Indicationen der sog. pneumatischen Sitzung in die Hand legen.
Einmal ist zu erwähnen die vermehrte O-Aufnahme in’s Blut, welche durch
vermehrten O-Gehalt der eingeathmeten Luft bei gleichzeitig höherem Drucke zu
Stande kommen muss und auch wirklich zu Stande kommt. Hiefür spricht deut¬
lich genug das Langsamerwerden der Athemzüge, welches als eine Folge der ver¬
minderten Reizung der medulla oblongata durch O reicheres Blut anzusehen ist;
es spricht ferner hiefür die durch J. Lange nachgewiesene Steigerung der Muskel¬
kraft, die vermehrte Harnstoffausscheidung, die Erhöhung der Körpertemperatur
und endlich das an Thieren experimentell beobachtete Hellerwerden des Venen¬
blutes.
Neben dieser einen Wirkung der Luftcompression, welche vorwiegend chemi¬
scher Natur ist, macht sich eine andere und zwar rein mechanischer Art geltend,
es ist dies die durch den erhöhten Luftdruck bewirkte Contraction der peripher
gelegenen Blutgefässe, wie sie ersichtlich wird aus dem Kleinerwerden des Puls¬
umfanges, dem Erblassen injicirter Conjunctival-Gefässe, der abnehmenden Röthe
am Kaninchenohr u. s. w. Da eine solche Verengerung nicht etwa bloss vorüber¬
gehend, vielmehr bei consequent wiederholten Sitzungen eine nachhaltige ist, so
wird die comprimirte Luft in dieser Eigenschaft zu einem antihyperämischen, in
specie anticatarrhalischen Agens.
Sehen wir uns die in’s Bereich der Indicationen der pneumatischen Sitzung
fallenden Krankheitsformen näher an, so werden wir stets der einen oder andern
der genannten Wirkungsweisen, öfters beiden zugleich den therapeutischen Erfolg
zu verdanken haben.
In erster Linie sind es die mit Dyspnoe einhergehenden Krankheiten, wobei
die comprimirte Luft, in der angedeuteten Form verordnet, sich wirksam erweist.
Ganz allgemein gesprochen ist hier zunächst nur von einer symptomatischen Wir¬
kung die Rede. Doch kann die comprimirte Luft je nach der Natur des gegebe¬
nen Leidens auch eine Indicatio causalis resp- Indicatio morbi erfüllen. So vor
Allem beim Emphysem, wenn selbiges vom sog. Katarrhus siccus be¬
gleitet ist Da hiebei der Katarrh zumeist nicht bloss eine Begleiterscheinung,
sondern oft genug die Ursache des Emphysems bildet, so entfaltet in diesen Fäl¬
len die comprimirte Luft eine eigentlich curative Wirkung, indem sie das Grund-
übel zur Beseitigung bringt. Die Heilung eines Emphysems durch den Gebrauch
der pneumatischen Glocken kann rationeller Weise nur durch die Heilung des
Katarrhs erklärt werden. Wie beim Katarrhus siccus macht sich auch bei der
gewöhnlichen Bronchitis der anticatarrhalische Einfluss der comprimirten Luft gel¬
tend und sah ich hier oft sehr raschen Erfolg von dem Gebrauch des pneumati¬
schen Cabinets. Am auffallendsten war mir der prompte Ablauf solcher Bronchial-
und Lungenkatarrhe, welche, in den beidseitigen hinteren unteren Lungenpartieen
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sitzend, im Gefolge von Fettherz auftreten. Hier genügt oft eine geringe Zahl
von 15—20 Sitzungen, um die objectiven Merkmale des Katarrhs zum Schwinden
zu bringen.
Bei Asthma bronchiale nervosum bewährt sich die comprimirte Luft
vornehmlich zur Bekämpfung der demselben zu Grunde liegenden oder mit dem
Asthma wenigstens complicirten Affectionen, Emphysem und Bronchitis. Uebrigens
sah ich Fälle, wo auch ohne Beisein dieser Complicationen die comprimirte Luft
sich als ein Heilmittel für Asthma nervosum erwies. Eine zutreffende Erklärung
für diese übrigens nicht gerade häufigen Vorkommnisse von Heilung eines reinen
Bronchialasthma’s durch comprimirte Luft zu geben, ist mir ebenso unmöglich als
die Ursachen zu ermitteln, warum andere, scheinbar gleichartige Fälle auch nicht
eine Spur von Besserung erfahren konnten. Gewiss ist hierin zu beklagen, dass
wir über das eigentliche Wesen und den Ursprung des Leidens im Grunde sehr
wenig unterrichtet sind. Wir haben es beim Asthma mit einer Neurose zu thun,
die ihren Ursprung ebenso mannigfachen Ursachen verdankt, wie dies bei der
Migräne, der Epilepsie u. a. Nervenkrankheiten der Fall ist, über die man viel
Detail-Kenntnisse, aber sehr ungenügende Grundanschauungen besitzt. Ich brauche
hiebei nur an die keineswegs in’s Reich der Fabel gehörigen Fälle zu erinnern,
wo Heilung des Asthma’s durch die Localbehandlung eines Uterusleidens, durch
Application des Lallomani sehen Aetzmittelträgers etc. etc. erfolgt ist, um zu be¬
tonen, dass der Pathogenese des Asthma’s verschiedenartige Verhältnisse zu Grunde
liegen.
Bei der Phthise bewährt sich, so lange der Process noch in früheren Sta¬
dien befindlich, der Gebrauch des pneumatischen Cabinets in mehr als einer
Hinsicht. Abgesehen davon, dass sich die Patienten in der Glocke durch die Er¬
leichterung des Athmungsactes wohler fühlen, macht sich die anticatarrhalische
Wirkung der comprimirten Luft bei längerer Dauer der Kur in auffallender Weise
geltend und habe ich wiederholt beträchtliche Abnahme des Sputum, Verminde¬
rung des Hustens und der Dyspnoe, Besserung des Allgemeinbefindens Hand in
Hand mit gesteigerter Vital-Capacität erzielt.
Von eigentlicher Heilung könnte in den von mir behandelten Fällen um so
weniger die Rede sein, als die Behandlung stets eine relativ kurz dauernde war,
sich zumeist nur auf eine Reihe von Wochen erstreckte. Dass übrigens Heilung
von derartigen Lungenleiden mittelst pneumatischer Behandlung zu Stande kommt,
ist sicher erwiesen und bietet u. A. der um die Pneumotherapie hochverdiente
v. Vivenot ein prägnantes Beispiel. Er litt zu Anfang der 60ger Jahre an einer
Infiltration einer Lungenspitze; ein mehrere Monate hindurch täglich vorgenom¬
mener Gebrauch von pneumatischen Bädern in der Kuranstalt Johannisberg brachte
das Leiden zum gänzlichen Stillstand, so zwar, dass ein geübter Diagnostiker nicht
mehr in der Lage war, den früheren Sitz des Uebels zu eruiren.
Dass bei den chronisch-pneumonischen Prozessen, von denen wir hier sprechen
(denn bei der eigentlichen Tuberculose leistet comprimirte Luft ebensowenig als
irgend ein anderes Mittel), die gebesserte Ventilation Auch wieder von günstiger
Rückwirkung sein werde auf die Circulationsverhältnisse der von Infiltration und
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229
Verdichtung heimgesuchten Lungenbezirke, dass Stauungen leichter beseitigt wer¬
den, dass durch ein gleichmässigeres Zu- und Abströmen des Blutes, wie es die
wieder vermehrte Betheiligung dieser Lungenpartieen am Athmungsact mit sich
bringt, kleinere entzündliche Heerde eher zur Resorption gelangen, unterliegt kei¬
nem Zweifel. Bemerkenswerth ist, dass erfahrungsgemäss Hämoptoe keine Contra-
indication für den Gebrauch des pneumatischen Cabinettes bildet.
Eine rein symptomatische Wirkung ist der Anwendung comprimirter Luft zu¬
zuschreiben bei Stenose der oberen Athemwege. Die Beseitigung der
DyspncB ist zuweilen eine mehr oder weniger nachhaltige nach dem Gebrauch der
Sitzungen. In einem Falle von Stenose schien es als ob dieselbe in Folge
mehrwöchentlicher Kur unter dem Einfluss der Luft-Compression an Umfang ab¬
genommen hätte.
Von vorzüglicher Bedeutung ist der Gebrauch der comprimirten Luft bei der
Fettsucht. Hier bedient man sich eines ausnahmsweise höheren Ueberdruckes
(bis zu 1 Atm.), um eine nahmhafte Steigerung des Stoffwechsels durch vermehrte
O-Einfuhr zu bewerkstelligen. Die Resultate solcher Kuren sind sehr befriedi¬
gend, zumal, wie übrigens selbstverständlich, das erforderliche Regime eingehal¬
ten wird.
Ein dankbares Object für die Behandlung mit pneumatischen Bädern bildet
Chlorose in Fällen, wo die sonst üblichen Mittel ihren Dienst versagen. Die
comprimirte Luft kommt hiebei den Patienten doppelt zu Statten, einmal indem
die Athmung erleichtert wird, dann auch insofern, als der beschleunigte Oxyda-
tions-Process einem gesteigerten Nahrungsbedürfniss ruft.
Seine anticatarrhalische Wirkung macht der Gebrauch comprimirter Luft ausser
auf die Schleimhäute der Bronchien und Alveolen insbesondere bei Catarrh der
Tubse E u s t a c h i i und des Mittelohrs geltend und sind es gerade
diese Affectionen, welche am besten die mechanische Einwirkung des erhöhten
Luftdruckes auf katarrhalische Störungen klar legen. Hier ist die Heilung nur
dadurch zu erklären, dass die erweiterten Gefässe sich unter dem Einfluss com¬
primirter Luft zusammenziehen, die Schwellung der Schleimhaut Hand in Hand
mit deren krankhaften Secretion abnimmt, die Communication durch die Tuben
wieder hergestellt wird. Auf diese Art wird das pneumatische Cabinet zu einem
Heilmittel gegen Schwerhörigkeit, wobei freilich nicht verschwiegen werden darf,
dass derartige Kuren lange Zeit in Anspruch nehmen, weshalb man in der über¬
wiegenden Mehrzahl der Fälle die Methode des Kathetrismus mit Luftdouche vor¬
ziehen wird.
(Fortsetzung folgt)
Die Sulzbrunner-Jodquelle (Kemptener Wasser), ein vorzügliches, von der
Natur gespendetes Medicament.
Von Dr. E. Haffter in Weinfelden.
(Schluss.)
Es bleibt mir nun noch übrig, im Auszuge einige meiner Erfahrungen vom
letzten Sommer mitzutheilen, als Stützen für die im Anschluss daran ausgespro¬
chenen Thesen:
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1. 17jähriges Mädchen. Loidet seit dem 14. Jahre an enormen Lymphomen
des Halses und der Achselhöhlen, die theils abscedirten, theils verkästen. Alle
Therapie innerlich (01. jecor., ferr., Solut Fowleri) wie äusserlich (Priessnilz , Incisionen,
Auslöffelungen und Aetzungen) war wenig erfolgreich. Pat. behielt ihren drüsenummauer¬
ten, unförmlichen Hals. Verschlimmerung des Allgemeinbefindens; starke Anämie; grosse
Schwäche ; Appetitlosigkeit; hie und da Fieber eto.
Ohne alle Hoffnung auf Besserung von Seiten der Angehörigen wurde die Kranke
nach Sulzbrunn gebracht. Therapie: Jodwasser innerlich; Laugenuraschläge bei Tag
und bei Nacht; Bäder, so weit rathsam. Bayr. Bier. — In wenig Tagen hoben sich
Appetit und Kräftezustand. Nach ö Wochen konnte Pat. zur Freude ihrer überraschten
Eltern blühend aussehend, kräftig, mit 7‘/ a Cm. geringerm Halsumfange und kleinen
AchseldrÜBen entlassen werden und ist bis zur Stunde gesund und vollständig arbeits-
tüchtig geblieben. Ein nochmaliger Gebrauch der Sulzbrunner Heilmittel — zu Hause
oder an Ort und Stelle — wird die jetzt noch in unbedeutendem Grade vorhandenen
Hyperplasien voraussichtlich ganz rückgängig machen.
2. 40jähriges Fräulein. Pruritus Vaginae, veraltetes, sehr hochgradiges Lei¬
den mit gänzlicher Schlaflosigkeit und melancholischen Attaquen. 8tarke Dysmennorrhoe.
Die Vaginalexploration ergibt einen gesenkten, etwas vergrösserten Uterus, mit stark ge¬
schwollenem und aufgelockertem Cervix. Etwas Fluor. Bedeutende spontane und Druck¬
empfindlichkeit in der Gegend des rechten Ovariums. Therapie: Voll- und Sitzbäder.
Irrigation der Vagina mit kaltem, durch Lauge verstärktem Jodwasser. Mässige Trink-
cur. — Nach 5 Wochen, in welchen das Leiden mehrmals in ganz bedenklichem Grade
exacerbirte, gänzliche Heilung, die bis zum heutigen Tage andauert. Es ist jetzt
eine deutliche Volumabnahme des untern Gebärmutterabschnittes und gänzliche Schmerz¬
losigkeit des r. Ovariums zu constatiren.
3. 86jährige Frau. Hat im vierten Wochenbette (ca. 8 Monate vor Beginn der
Cur) eine Parametritis durchgemacht und ist seither noch sehr leidend. Bimaouell
ist ein kleinfaustgrosses, linkseitiges, hartes periodisch auf Druck
empfindliches Exsudat deutlich zu fühlen. Uterus seitlich fixirt. Pat. liegt meist
zu Bette, häufige peritonitische Reizungen; continuirliches Brechen mit heftigen, spontanen
8chmerzen, ohne Fieber. Therapie: Lauwarme Vollbäder bis zu 40 Minuten Dauer;
während derselben Irrigiren der Vagina mit warmem Jodlaugenwasser. Naohts: Laugen¬
umschlag um den Leib. Nach 4 Wochen ist an Stelle des Exsudates nur noch eine
ganz unbedeutend vermehrte Resistenz zu fühlen, Uterus ganz beweglich. Alle Beschwer¬
den verschwunden. Pat. geht 2 Stunden weit.
Mit vollständiger Genesung endeten noch 5 aus der Schweiz gesandte Fälle,
in welchen Residuen von Wochenbettsentzündungen bedeutende Beschwerden zu¬
rückgelassen hatten, die keiner Therapie weichen wollten. Anfänglich bei Ein¬
leitung der innerlichen und äusserlichen Cur beobachtete Exacerbationen mussten
sorgfältig überwacht werden, wichen aber jedes Mal nach wenig Tagen einer er¬
freulichen raschen und gänzlichen Remission.
4. Pharyngitis ulcerosa specifica: SOjähriger Mann. Vor 2 Jahren in-
fleirt; nach innerlicher Hg-cur Latenz der Symptome bis vor 6 Wochen. — Sehr bedeu¬
tende Schling- und spontane Schmerzen; Schlaflosigkeit, Reduction der Kräfte; anämi¬
sches Aussehen. Ausgebreitete tiefe Ulcera am weichen Gaumen, den Tonsillen und an
der hintern Rachenwand. Therapie: Forcirte Trinkcur; gleichzeitig als locales Kälte¬
mittel wirkend. — Gurgeln mit Kali chloric. Nach 6 Tagen Schmerzlosigkeit; nach 3
Wochen vernarbte Geschwüre. Ausgezeichnetes Allgemeinbefinden. Pat. blieb dann 8
Monate gesund, bis er sich auf einer anstrengenden Geschäftsreise bei schlechter Witte¬
rung neuerdings eine Angina mit geschwürigcm Charakter zuzog, die aber einer neuer¬
dings eingeleiteten, oben beschriebenen Therapie sofort wich.
5. 26jähriger Mann. Tophus der 1. Tibia. Residuum einer vor Ö Jahren ac-
quirirten Lues. Heftige nächtliche Schmerzen, in jüngster Zeit Zunahme der Knochen-
geschwulat. — Auf Bäder, Trinkcur und continuirliohe Laugenumschläge Redaction der
Auftreibung auf einen kaum mehr sichtbaren Grad. — Ein Recidiv an dieser 8telle trat
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Dicht mehr ein, dagegen 6 Monate später nach erlittenem Trauma eine Orchitis mit spe-
cifischem Gepräge.
6. 7jähriger Knabe. Leidet seit dem Säuglingsalter an scrophulösen Symp¬
tomen. — Blepharitis; insulares Eczem über den ganzen Körper ausgebrei¬
tet, namentlich auch im Capillitium. — Bäder, Waschungen mit Jodseife; Milchcur. —
Nach 8 Tagen ist der Ausschlag total weg.
7. Infarctus uteri. 38jährige, verheirathete Frau; hat 7 Mal geboren; seit
dem letzten Wochenbett (18 Monate) bedeutende Beschwerden: Dumpfer, schwerer
Schmerz im Becken, der bei jeder Bewegung sich verstärkt und jede Thätigkeit unmög¬
lich macht — Schmerzen bei der Defäc&tion, Mastdarmtenesmus. Starker Fluor. Hef¬
tige Schmerzen vor und während der Menstruation. Bedeutende Verstimmung des Ner¬
vensystems.
Die explorirenden Finger fühlen im hintern Scheidengewölbe das bimanuell als deut¬
lich vergrössert nachweisbare, auf Druck etwas empfindliche Corpus
uteri. Therapie: Reichliche vaginale Injectionen mit Jodwasser. Sitz- und Voll¬
bäder. Trinkcur.
Nach 5 Wochen ist Pat. von ihren Beschwerden befreit und schreibt mir jetzt —
5 Monate Bpäter — dass sie sich gänzlich gesund fühlt und ihren Geschäften als Haus¬
frau und Mutter ungehindert nachgehen kann.
8. SOjähriger Mann. Leidet seit l 1 /, Jahren an fistulöser profuser Eite¬
rung in der Umgebung des linken Hüftgelenks und der Lendenwirbelsäule. Aetio-
logie: unklar. — Pat. ist sehr heruntergekommen, fiebert, ist appetitlos, kann vor Ent¬
kräftung kaum steheo und bietet das Bild eines Phthisikers in ultimo stadio. 4 Loch¬
eisenfisteln in der Nähe des trochanter major und 3 weitere links von den untern Len¬
denwirbeln und über der Bymphys. sacroiliaca sin. secerniren copiösen, dünnen Eiter.
Fistelränder stark geröthet; sehr empfindlich. Ob die Bildungsstätte des Eiters eine ein¬
heitliche sei, konnte nicht ermittelt werden. (Lendenwirbelkörper?) Hüftgelenk intact.
— Therapie: Trinkcur und Umschläge. In wenig Tagen hebt sich der Appetit; das
Fieber verschwindet; die Anfangs stärkere Eiterung wird spärlich. Nach 6 Wochen
(während welcher Zeit ausserdem 16 Bäder genommen wurden) hat Pat. 12 S* zugenom¬
men. 5 Fisteln sind geschlossen. Pat. kann Spaziergänge von 20—26 Minuten ausfüh-
ren und entlassen werden in der sichern Voraussetzung, dass er im Sommer 1878 eine
weitere Cur unternehmen und der gänzlichen Genesung entgegengehen könne.
Auf eine Reihe dergleichen Erfahrungen fussend, wage ich es, folgende Apho¬
rismen hier niederzuschreiben:
1. Unter den bekannten jodhaltigen Mineralwässern nimmt das Sulzbrunner
(Kemptener) Wasser den ersten Rang ein, weil es jeder, auch der schwächsten
Constitution vortrefflich zusagt, in fast unbeschränkter Quantität genossen werden
darf und weil es das Jod in der assimilirbarsten Form und im schönsten Verhält-
niss mit Chlorsalzen gemischt enthält und daneben die Vorzüge eines gut schmecken¬
den Trinkwassers besitzt.
2. Das Sulzbrunner Wasser, innerlich und äusserlich angewandt, unter gleich¬
zeitig beobachtetem richtigem diätetischem Verhalten und in klimatischen Verhält¬
nissen, wie z. B. Sulzbrunn selbst sie bietet, wirkt wahrhaft wunderbar
beiden mannigfachsten Formen der Scrophulose (Anämie, Lymphome
jeder Qualität, chronische Gelenkentzündungen, Ostitiden etc.), sowie bei chro¬
nischen Frauenkrankheiten (Uterusinfarcte, chronische Para- und Peri¬
metritiden). Es leistet auch Dienste — oft vorzügliche — bei luetischen Erkran¬
kungen, bei andern, als scrophulösen Geschwülsten (Strumen etc.).
3. Gegenindicationen bilden nur a) acute Entzündungen, b) Hirncongestionen,
Neigung zu Apoplexien etc.
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4. In vielen Fällen, wo Jodkali ordinirt wird, würde besser und mit Vermei¬
dung aller unangenehmen Begleiterscheinungen, wie sie eine Jodkalicur oft mit
sich bringt, das Sulzbrunner Wasser — wenn nöthig mit Lauge verstärkt — an¬
gewendet.
5. Die bisherigen Versuche mit Jodmilch ermuntern sehr zur Fortsetzung
derselben und machen es wahrscheinlich, dass dieses medicamentöse Nährmittel
in der Behandlung scrophulöser Rinder, namentlich Säuglinge, von grossem
Werthe ist
Diese Notizen, namentlich aber die kräftige Unterstützung, die ich ihnen durch
die citirten Erfahrungssätze von zwei ärztlichen Autoritäten, verleihen konnte,
werden — wie ich zu hoffen wage — manchen meiner verehrten Herren Collegen
veranlassen, die Sulzbrunnerquellproducte therapeutisch zu prüfen. In dieser Vor¬
aussetzung füge ich einige bei der Cur zu beobachtende practische Vorschrif¬
ten bei:
Das Wasser soll immer bei leerem Magen getrunken werden, also Morgens
nüchtern oder mehrere Stunden nach der Mahlzeit. Bei dieser Vorsicht ist es
gewiss nicht nothwendig, die chemisch begründete Vorschrift einer absolut amy-
lumfreien Diät einzuhalten, indem ja das genossene Wasser baldigst resorbirt und
also durch später genossene, auch stärkemehlhaltige Speisen nicht mehr paralysirt
wird. — Bei Erwachsenen beginnt man mit */> Flasche und steigt je nach Bedürf-
niss bis auf 2 Flaschen und mehr per Tag. Kinder fangen mit Tischglas an
und erlauben eine Steigerung bis zu 4 Gläsern per Tag. Bei kleinen Kindern ist
die Dosis noch geringer; ihnen wird das Wasser passend mit Milch zu gleichen
Theilen gegeben, wobei aber die Mischung nach der Erwärmung der Milch statt¬
finden soll, so dass also das kalte Wasser der warmen Milch zugesetzt wird.
— Das Wasser kann, wenn nöthig, durch Lauge (esslöffelweise per Liter) ver¬
stärkt werden. Zu Injectionen in Körperhöhlen wird passend eine Mischung von
Lauge und gewöhnlichem Wasser (1 : 10—1 : 3) verwendet. Die Umschläge wer¬
den nach Priesmitz applicirt, mit Lauge und Wasser zu gleichen Theilen, bei sehr
empfindlicher Haut in grösserer Verdünnung.
Wasser und Quellproducte liegen zur Zeit auf Lager in der Lavater’Bchen Apo¬
theke in Zürich, sowie in der Apotheke Weinfelden. Doch können dieselben durch
jede Apotheke direct von Sulzbrunn bezogen werden. *) (Adresse: Jodbad Sulz¬
brunn bei Kempten, Bayern.)
Es war ein unglückseliges Geschick, das mich seiner Zeit mit durchseuchtem,
elendem Körper und in unbeschreiblicher Gemüthsdepression nach Sulzbrunn trieb;
aber ich werde dazu kommen, mich mit demselben auszusöhnen, wenn es mir ge¬
lingt, diesen Curort und seine Heilmittel, die mir so treffliche Dienste geleistet
haben, in weiten Kreisen bekannt und recht vielen Leidenden zugänglich zu
machen.
*) Proapecte werden nächstens an alle Schweiz. Apotheker versandt.
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V ereinsberichte.
Medicinisch-pharmaceutischer Bezirksverein des bern. Mittellandes.
4. Sitzung vom 9. März 1877, Abends 8 Uhr, bei Webern.
Anwesend 13 Mitglieder.
Tractanden:
1. Protocoll.
2. Prof. Dr. Demme. Demonstration eines Falles von Atrophia musculorum
lipomatosa.
3- Casuistisches.
4. Gemüthliche Vereinigung.
Prof. Demme: Ueber Pseudohypertrophia musculorum.
D. stellt einen Fall von Pseudohypertrophia oder Atrophia musculorum lipo¬
matosa vor. Der Knabe, 8 Jahre alt, stammt aus einer Bauernfamilie. Vater ge¬
sund, Mutter an Phthisis pulmonum gestorben, 3 Schwestern gesund, ein Bruder,
ein lOjähriger Knabe, an Pseudohypertrophie erkrankt im 6. Lebensjahre, zur Zeit
an den unteren Extremitäten gelähmt, im Kinderspital verpflegt Bei demselben
hochgradige Hypertrophie von Gastrocnemii, Solei Glutei, Quadriceps' femor.
gegenüber sehr atrophischen Biceps, pectoralis major und minor, long. dorsi etc.
vorhanden. Der heute vorgestellte 8jährige Knabe, Bruder des eben erwähnten,
zeigte im 4. Lebensjahr Schwerbeweglichkeit der Extremitäten beim Gehen, Ste¬
hen etc. Allmälig knickte er beim Aufstehen zusammen. Die Untersuchung der
Muskeln — macroscopisch — weist Pseudohypertrophie der Gastrocremii, Solei,
Tibial. ant. und post., derM. supra- und infraspinat., dagegen Atrophie des Biceps,
Pectoralis und der Rückenmuskeln nach. — Pat. ist, wie sein lOjähriger Bruder,
intelligent und im Uebrigen normal entwickelt. Die microscopische Untersuchung
eines durch Muskelschnitt aus dem gastroc. n. sinist. des älteren Knaben excidirten
Muskelschnitts weist bei gelblich-grauer Färbung des Muskels, reine Atrophie der
Muskelbündel nach; ausserdem zeigen die Fibrillen elementare Zerklüftung, longi¬
tudinale, transversale und disco'fde Spaltung, stellenweise wachsartige Degenera¬
tion ; sehr auffallend ist die Hyperplasie des interfibrillären Bindegewebes und Pe¬
rimysiums.
Daneben besteht Hyperplasie des interfibrillären Fettgewebes, eigentliche Li-
pomatose. Es lässt sich somit an diesen Fällen der active Process einer Myositis
progressiva chronica im Sinne der Friedreich 'sehen Lehre als Basis der in unseren
Fällen bestehenden Pseudohypertrophia musculorum nachweisen.
Prof. Demme knüpft an die Betrachtung dieser Fälle einen kurzen Abriss des
gegenwärtigen Standpunctes der Lehre der Atrophia musculorüm progressiva und
der Pseudohypertrophia musculorum, wobei namentlich die primäre Selbstständig¬
keit des Leidens als Myopathia hervorgehoben und die Bedeutung der hierbei zu¬
weilen gefundenen centralen Störungen als secundäre, von der Peripherie nach dem
Centrum fortgeleitete neuritische und ähnliche Processe betont wird. — D. analy-
sirt dabei seine eigenen Beobachtungen an der Hand der in der Litteratur nieder¬
gelegten hierauf bezüglichen Arbeiten und casuistischen Materialien.
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Dr. Buboia fragt, ob Prof. Bemme die essentielle Kinderlähmung auch als ein
primäres Muskelleiden ansehe. Es herrscht über diese Frage noch eine grosse
Verwirrung. — Charcol , welcher die Lsesion der essentiellen Kinderlähmung, did
Atrophie der Vorderhörner der Medulla entdeckt hat, hält die progressive Muskel¬
atrophie ebenfalls für ein primäres Kückenmarksleiden. Dagegen glaubt er, dass
die Atrophia musculorum lipomatosa oder, wie er sie nennt, die Paralysie pseudo-
hypertrophique, ein primäres Muskelleiden sei.
Prof. Bemme antwortet, dass er die Kinderlähmung ebenfalls als Spinalleiden
ansehe. Er selbst habe Gelegenheit gehabt, die Richtigkeit der Angaben von
Charcot zu prüfen und die Atrophie der Vorderhörner der Medulla zu constatiren.
Die Atrophia musculorum progressiva hält er aber mit Friedreich für eine primäre
Muskelaffection.
Dr. Jeanneret fragt, ob die Atrophie der Rumpfmuskulatur eine wirkliche Atro¬
phie sei oder eine scheinbare, vorgetäuscht durch die Hypertrophie der andern
Muskeln.
Prof. Bemme. Es kommen Fälle vor, wo die Atrophie auch andere Muskeln,
z. B. der oberen Extremitäten ergreift. Eine wirkliche Atrophie lässt sich übri¬
gens immer von einer scheinbaren unterscheiden bei der electrischen Unter¬
suchung.
Dr. Brieger. Auf der medicinischen Klinik liegt noch ein Knabe, der dieselben
Erscheinungen eher noch in höherem Grade darbietet. Bei demselben ist aber die
Heredität gar nicht im Spiele. Der Knabe ist 11 Jahre alt und hat 5 gesunde
Schwestern.
Die electrische Erregbarkeit ist erloschen auch in scheinbar erhaltenen Mus¬
keln beginnende Myositis.
Prof. Bemme. Heredität ist allerdings nicht immer nachzuweisen. Nach Fried¬
reich gibt es Fälle, welche entstanden sind auf ein Trauma, auch nach Ablauf
schwerer Krankheiten, Scharlach, Masern, Typhus. In den meisten Fällen aber
bildete die Heredität eine der wesentlichsten Ursachen.
Dr. H. Weber fragt, ob die Syphilis nicht in gewissen Fällen als Ursache ver-
muthet worden sei ? Prof. Bemme. Es gibt allerdings Fälle, bei denen die Eltern
an Lues litten, die von Pseudohypertrophie ergriffenen Kinder jedoch frei von
Syphilis waren.
Prof. Nencki hat den Harn des Knaben untersucht. Er enthielt weder Zucker
noch Eiweiss. Die andern Bestandteile waren in normaler Menge. Er glaubt
aber, dass man nur' durch fortgesetzte Untersuchung etwas finden würde. Die
Stoffwechselveränderungen sind sehr langsame. Er glaubt auch, dass Untersuchun¬
gen des Muskels nach dem Tode mehr ergeben würden. Man würde mehr Fett
finden, wahrscheinlich auch Veränderungen in der Menge des Kreatins, des Xanthin,
der Milchsäure, des Glycogens.
Prof. Bemme. Solche Untersuchungen sind schon gemacht worden, haben je¬
doch nichts Bestimmtes ergeben. Bei diesem Knaben war früher Zucker im Urin
nachweisbar.
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Wegen vorgerückter Zeit wird das Tract&ndum Casuistisches weggelassen.
3. Wahlen des Präsidiums. Prof. v. Nencki wird mit 10 von 12 Stimmen
gewählt, lehnt aber ab. Beim 2. Wahlgang wird Dr. B. Weber als Präses gewählt.
Referate und Kritiken.
Oeffentliche Gesundheitspflege und Lebensmittelpolizei.
Bericht und GeBetzesentwurf von der Direction des Innern de* Cant. Bern.
Druck von Stämpfli. 1878. Pag. 69. 4°.
„Da kommt Joseph der Träumer, auf, lasst uns ihn würgen !“ Das ist der freund¬
liche Willkomm, mit welchem in den Jahren 1830—60 Aerzte, Hygieniker und sonstige
„Humanitätsschwindler“ von Gerichten und Räthen nur zu oft empfangen und abgewiesen
wurden. Dann folgte eine Periode kühner Hoffnungen und jugendlicher Schwärmerei für
Volksgesundheit, und da diese Schwärmerei sich naturgemäss am realen Leben tödtlich
verletzte, und es sich klar herausstellte, dass man, um überhaupt etwas zu erreichen,
einer grossen Summe von Arbeit und Geduld , auch einigen Geldes, bedürfe, da schlug
die Begeisterung wieder in den alten Widerwillen um und spottend fragt uns der Ge¬
bildete neuesten Datums: Was ist Wahrheit in der Hygiene?
In diesem Wirrwarr widerstreitender Meinungen steht der Verfasser des vorliegen¬
den Gesetzesentwurfes und Berichtes fest und tapfer und es gereicht der Sache, für
welche er auftritt, zur besonderen Empfehlung, dass er kein Arzt, sondern Staatsbeamter
ist und somit von dem wohlfeilen, aber wirksamen Vorwurfe des Kastengeistes und der
beruflichen Befangenheit gar nicht berührt wird.
Der Verfasser, Herr Regierungsrath Constanän Bodenheimer, hat sich offenbar in dem
ganzen Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege als ein gewissenhafter Director des
Innern sorgfältig umgesehen, sich mit den Arbeiten Anderer bekannt gemacht und hat
dann seinen Gesetzesentwurf als einen unroaassgeblichen Vorschlag verfasst und seine
Motivirung dazu geschrieben: dabei ist aber die ganze Abhandlung zu einem vortrefflichen
Compendium der öffentlichen Gesundheitspflege geworden, dessen Studium Beamten und
Aerzten nicht genug empfohlen werden kann. Es ist Vieles besprochen, Mehreres ange¬
regt und Alles vor den Richterstuhl des täglichen Bedürfnisses und des Volkes, wie es
leibt und lebt, gezogen.
Die Abwesenheit aller positiven und aller negativen Schwärmerei — wir haben auf
diesem Gebiete leider beide kennen gelernt! — die kühle Ueberlegung und der Glaube
an eine Verbesserung unserer socialen Verhältnisse charakterisiren diesen Bericht.
In der Einleitung gibt der Verfasser einzelne Momente aus der Entwicklungsge¬
schichte der öffentlichen Gesundheitspflege, zeigt wie sie zur Liebhaberei der Gebildeten
und zum Aergerniss aller Gemassregelten geworden und weist besonders darauf hin, dass
das Landvolk nur an andern , aber nicht an wenigem, Gesundheitsschädigungen leidet,
als die Städter und dass die Hygiene der Luft, d. h. des Baugrundes der Wohnungen
und der Gewerbe schliesslich wichtiger wird, als die leichter verständliche Lebensmittel-
Controle.
Der I. Abschnitt als Erläuterung des Art. 1 und 2 des Entwurfes handelt vom
Zweck der öffentlichen Gesundheitspflege, von der Prophylaxis und von
der persönlichen Freiheit des Einzelnen gegenüber der Freiheit seiner Mitbürger. Dann
folgt ein Schema für die Aufgaben der öffentlichen Gesundheitspflege, deren Wirksamkeit
wesentlich daran gebunden ist, dass sie, im Volke selber wurzelnd, von einsichtigen und
aufopfernden Männern betrieben wird.
Ein fernerer Abschnitt, zu Art. 3 —9, handelt von der Lebensraittelpolizei,
gibt eine Reihe von Verordnungen aus alter Zeit, welche mit patriarchalischem Wohl¬
wollen und wenig Chemie, mit drakonischen 8trafparagraphen und mangelhafter Ausfüh¬
rung, weit hinter ihrem Ziele zurückblieb. Dann zeichnet der Verfasser den naiven Stand-
punct so mancher ländlicher Behörden, welche unter öffentlicher Gesundheitspflege vor
Allem die staatliche Garantie eines „reellen guten Tropfens“ verstehen. Der Schweizer
wiederholt hier die bittere Klage des Franzosen. Tardieu, welche im Rapport sur les tra-
e
236
vaux des conseils d’hygiöae en 1869 niedergelegt ist. Dann folgen Erörterungen über
Naturwein und Kunstwein und über den Begriff der „Fälschung“. Wenn man die Zu¬
sammensetzung angibt, ist’s keine Fälschung, sagt der Theoretiker; der Praktiker aber
sagt: das Volk kann und will nicht in jedem einzelnen Falle Untersuchungen anstellen,
sondern nimmt in der Eile des Tages Wein kurzweg für Traubensaft, Wurst für Fleisch¬
speise, einen Thaler für 25 Gramm Silber u. s. w. Weil der Begriff und der factische
Nachweis der LebensmittelfSlschung schwer festzustellen ist und wir noch lange nicht
geschickt genug sind, mit unsern Microscopen und Reagentien den Betrüger auf allen
seinen Schleichwegen und in allen seinen Schlupfwinkeln abzufassen, haben es sich
Manche, so auch Herr Professor Flek von Dresden in seiner, seither reichlich widerlegten
Eingabe an das deutsche Reichsgesundheitsamt, sehr bequem gemacht, indem sie die
Häufigkeit der Fälschungen einfach verneinten. Der Verfasser macht darauf aufmerksam,
dass nur consequente Namensveröffentlichungen das schnöde Gewerbe der Fälscher ein¬
schränken und das Publicum, — welches sich sonst nicht weniger als Alles gefallen
lässt! — einigermaassen schützen können.
Eine Reihe von Citaten aus der englischen Gesetzgebung illustrirt diese An¬
schauung.
Darauf folgt die Besprechung des Wassers (Art. 9—12), die Controverse, ob
Typhus durch Trinkwasser verschleppt werden könne? und das gerechte Erstaunen dar¬
über, dass man im gleichen Athemzuge die schmutzigen Brunnen für harmlos, die schmutzi¬
gen Flüsse aber für sehr gefährlich erklären konnte. Die Flüssereinigung, Canalieation
und Schwemmsysteme werden sehr anregend, wenn auch kurz, beleuohtet; ferner werden
Abzugscanäle (Art. 14 und 15) und Gloaken, Abfuhrsysteme u. s. w. einlässlich
besprochen und mit ausgewählten Beispielen und Kostenangaben illustrirt
Wohnungen, Massenwohnungen und Stallungen (Art 16—18). Hier
kommen Pettenkofer 'sehe Grundsätze und englische Maassregeln zur Sprache.
Die gesundheitsschädlichen Gewerbe (Art 19 und 20) sind, wohl mit
Rücksicht auf das Eidg. Fabrikgesetz, nur in kurzen Andeutungen besprochen; die Ge-
setzesvorschläge in Art 20 sind klar und billig gehalten.
Die Nacht- und Sonntagsruhe (Art. 21—22) hat hier eine sehr passende
Stelle gefunden. Es ist in der That rührend, wie der Ruhetag, welchen man den Theo¬
logen zum Fenster hinausgeworfen, auf der Strasse von den Nationalöconomen und Aerz-
ten wieder stückweise aufgelesen wird. Unsere Formalisten haben allzu leichtfertig ge¬
schlossen; weil Bileam’s Esel zweifelhaft ist, sei auch der Sabbath ein Unsinn.
ß egräbnissplätze und Leichenbest attu ng (23 und 24) sind einlässlich
abgehandelt und wir gelangen zur selbstverständlichen Forderung des bürgerlichen Begräb¬
nisses. Bei Anlass der Leichen Verbrennung hat der Verfasser weder sich selber noch
seinen Leser allzu sehr erhitzt
Die Maassregeln gegen Epidemien (Art 25—30) berühren eine grosse
wunde Stelle in unserer schweizerischen Gesetzgebung und es ist unverantwortlich, bei
dem intensiven Verkehr der Völker diese von den Ansichten und Launen jeder kleinen
Local-Obrigkeit abhängig zu machen und die grossen, feststehenden Thatsachen zu igno-
riren, welche aus dem Gewirre einzelner Ausnahmen und fröhlicher Zeitungsartikel unbe¬
stritten hervorragen.
„Anzeigepflicht des Haushaltungsvorstandes oder derjenigen Person, unter deren Ob¬
hut sich der Kranke befindet“, ist die fundamentale Forderung, ohne deren Erfüllung
jede Seuchenpolizei zu einer jammervollen Lächerlichkeit wird.
Auch die Kranken- und Kinderpflege (Art 31—38) kommt zur Sprache.
Die „Engelmacherinnen“ sollen sich nicht der unbedingten Gewerbsfreiheit erfreuen und
die Verpflichtung, Kranken Hülfsraittel bereit zu halten, ist nicht unbegründeter als die¬
jenige, allen vom Feuer Bedrohten Löschapparate zur Verfügung zu stellen.
Daran anschliessend wird als grosse sanitäre Schädlichkeit der Geheimmittel¬
schwindel und der Medicamentenhandel besprochen (Art. 36—40) und es
ist wohl nicht Zufall, dass der Direotor des Innern des grössten Schweizer-Cantons viel
darüber erfahren und Einsichten und Ansichten über dieses dunkle Gebiet des Volkslebens
gewonnen hat, welche man sonst nur bei Aerzten findet und als Kastengeist kurzweg
abfertigt
Die
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237
II. Die Organisation der Öffentlichen Gesundheitspflege umfasst folgende Vorschläge
(Art. 41—54):
1. Locale Gesundheits-Commissionen. Sie entsprechen den localen
Schulbehörden und schliessen sich an gegebene Verhältnisse an, was als ein grosser Vor¬
zug erscheint. Die eigenen „Sanitätskreise, städtische, ländliche und Vorposten",
wie sie von anderer, hochachtbarer Seite vorgeschlagen sind, werden voraussichtlich nur
dann gut arbeiten, wenn jedem ein besonderer Beamter vorsteht, welcher sich dieser
Sache ganz widmen kann; müssen sich diese Sanitätskreise aber an andere Beamtungen
anlehnen und anderweitig beschäftigte Kräfte benützen, so könnte die öfientliche Gesund¬
heitspflege bei dieser complicirten Einrichtung leicht zwischen zwei Stühle zu sitzen
kommen.
Je nach Grösse und Bedürfnis der Gemeinden sind dann vorgesehen: Fleisch-In-
spectoren, Markt-Inspectoren, Milch-Controleure, ein Gemeindechemiker, als Specialange¬
stellte oder als Mitglieder der Gesundheits-Commissionen.
2. Gesundheitssynoden sollen sich alle 2 Jahre in allen 0 Kremen des Cantons
versammeln und von je einem Delegirten der localen Gesuudheits-Commissionen beschickt
werden. Der Entwurf hofft davon auf eine wirksame Demokratisirung der öffentlichen
Gesundheitspflege. Nach der Ansioht des Referenten wird das kaum der Fall sein, weil
sich diese Synode zu selten versammelt, weil nicht immer gerade diejenigen Delegirten
einrücken, welche eben etwas auf dem Herzen haben und weil die verschiedenen Bezirks¬
synoden durch zufällige Divergenzen sich leicht matt setzen können. Ein einziges cen¬
trales Bindeglied für alle Local-Commissionen und dazu ein tüchtiger 8anitätsiuspector,
der nur diesem Amte lebt, reist, lehrt, controlirt, das Material sichtet, verarbeitet und
herausgibt, wird mehr leisten. Für den grossen Canton Bern ist ein solcher Fachmann
nicht zu viel!
Nach dem Vorschläge des Hrn. Verfassers wird sich die cantonale Verwaltung der Ge¬
sundheitspflege gipfeln in dem
3. Sanitäts-Collegium, aus 28 Mitgliedern (Professoren und Technikern,
Aerzten und Apothekern) bestehend, 4 Mal im Jahr versammelt und mit der Aufgabe
der grundsätzlichen Durchführung des Gesetzes betraut.
4. Der Sanitätsrath entspricht etwa dem, was man anderwärts Sanitäts-Com¬
mission heisst, besteht aus 7 Mitgliedern, versammelt sich monatlich und theilt sich in
eine Medicinal- und eine Veterinär-Commission. So gestaltet sich die Executivbehörde
des Sanitäts-Collegium.
5. Daneben sieht der Entwurf noch ein Collegium forense vor, für Obergut¬
achten, Rechnungswesen und die gesammte Medicinalpoüzei und die Polizei der Medici-
nalpersonen.
Der Secretär des Sanitätscollegium wird als „das schaffende, registri-
rende, controlirende, protocollirende und redigirende Triebrad" bezeichnet. Der Referent
möchte diese Vereinigten Staaten-Präsideuten-Rolle anstatt dem 8ecretär doch lieber
dem Sanitätsrathe (Sanitäts-Commission) übertragen.
Der Cantonschemiker, einstweilen ein Würdenträger der Cantone Basel,
Zürich, Luzern und Sl Gallen, wird auch für den Canton Bern vorgeschlagen und es ist
einfach abzuwarten, ob? wie viel? und in welcher Weise? er der öffentlichen Gesund¬
heitspflege nützen wird. Die Betrachtungen, mit welchen Herr Hofrath Flek wenigstens
sich selber über die Nutzlosigkeit des öffentlichen Chemikers tröstet, sowie die Zweifel
des Herrn Prof. Dr. Vogt scheinen weder dem Verfasser noch dem Referenten genügliche
Gründe gegen Ernennung eines öffentlichen Chemikers zu sein, zumal dieser, nach seiner
Bildung und Stellung, zum Wanderlehrer der öffentlichen und privaten Hygiene berufen
wäre und leicht ein dankbares und grosses Auditorium finden würde.
Bezirksärzte und B e z i r k sth i er ä r zt e, die alten Säulen der Staatsmedicin,
werden vom Entwürfe preisgegeben, wenn auch sehr ungern. Auch hier kommt Alles
auf die Persönlichkeiten an , aus welchen die localen Gesundheits-Commissionen zusam¬
mengesetzt sind. Für Ausführung aller Maassregeln der Seuchenpolizei, für forensische
Praxis und einheitliche Leitung und Controle der Gesundheits-Commissionen wird auch
der Canton Bern leichter dreissig Amtsärzte als ein paar Hundert taugliche Mitglieder
der localen Gesundheits-Commissionen finden.
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6. Schliesslich wird, als „Bewegungs-Centrum“, eine regierungsräthliche Direction
des Sanitätswesens gefordert. Nach dem Vorgänge vieler anderer Cantone könnte
die Exccutivcommission des Sanitäts-Collegium (die kleine siebenköpfige Sanitäts-Com¬
mission) genau so an ein Regierungs-Departement angeschlossen werden, wie die locale
Gesundheits-Commission an den Gemeioderath.
Wenn Referent mit der ganzen „Unbefangenheit“, welche das geheiligte Grundrecht
aller Unwissenden und Unberufenen ist, über die ihm nicht genau bekannten berner Ver¬
hältnisse sprechen darf, so stellt er sich vor, es wäre am sichersten, die Organisation in
folgender Weise auszuführen:
1. Locale Gesundheits-Commissionen, mit Zuzügern nach jeweiligem Bedürf¬
nis, und durch ein Mitglied an den betreffenden Gemoinderath angeschlossen.
2. Amtsärzte (im Canton St. Gallen „Bezirksärzte“) also 30, zur Leitung der lo¬
calen Gesundheits-Commissionen und als Organe der Sanitäts-Commission zur Handhabung
der Medicinalpolizei und für forensische Medicin.
3. Sanitätscollegium, aus allen Amtsärzten gebildet, mit Beiziehung weiterer
fachkundiger Mitglieder, Professoren und Techniker ; jährlich 1—2 Mal zu versammeln;
also eine Art Synode oder Grosser Rath.
4. Sanitätsrath. (Sanitäts-Commission) aus den 7 Mitgliedern, wie sie der Doden-
heimer ’sehe Entwurf verlangt. Diese Behörde würde einen Regierungsrath als Präsidenten
oder als Mitglied besitzen, als Referenten den Sanitäts-Inspector und als Experten
den öffentlichen Chemiker und einen Thierarzt zur Seite haben, ganz so wie die
localen Gesundheits-Commissionen den Markt-Inspector, den Milch- und Fleisch-Coutro-
leur etc. und sich wenigstens alle Wochen einmal versammeln. Er wäre die Executiv-
behörde für Medicinalwesen und öffentliche Gesundheitspflege.
Vielleicht würde so die Gliederung einfacher und leichter an bestehende Verhältnisse
anschliessend.
Verwaltungsmaschinen arbeiten, gleich den eisernen Maschinen, um so besser, je ein¬
facher sie construirt sind. Je weniger Behörden und je mehr Beamte, welche sich ihrem
Amte ganz widmen können und müssen, desto besser und desto wohlfeiler wird die Ver¬
waltung sein.
Zur Besprechung des Gesetzesentwurfes zurückkehrend, bemerken wir, dass von den
Medicinalpersonen, von Freigebung oder von Patentirung der ärztlichen Praxis, sowie
von der Schutzpockenimpfung gar keine Rede ist. Von allem dem hat der Herr
Verfasser klugerweise geschwiegen, hoffentlich nicht mit dem schlimmen Hintergedanken,
dass man bei manchen Lesern mit diesen beiden Schlagwörtern Alles was Ordnung heisst
Uber den Haufen stossen und statt einer öffentlichen Gesundheitspflege das goldene Zeit¬
alter der Abenteurer und Schwindler herbeiführen könnte.
HI. Zum Schlüsse seines Werkes bringt der Verfasser noch die Competenzen und
Strafbestimmungen, an welchen der Referent, seines Mangels an juridischer Einsicht
wohl bewusst, ehrerbietig vorbeigeht.
Der nun folgende eigentliche Gesetzesentwurf ist kurz und klar abgefasst, eines
ernsten Studiums würdig, insbesondere auch von Seite der Aerzte, welche jeden Staats¬
mann freudig begrüssen dürfen, der ein so warmes Interesse und so grosses Verständ¬
nis für öffentliche Gesundheitspflege an den Tag legt, wie der Verfasser des berner
Gesetzes-Entwurfes.
Lassen wir uns nicht irre machen durch die einseitigen Gelehrten, für welche es
ausser ihrem Specialfache keine Welt und keine Wahrheit mehr gibt, noch durch die
ßlasirten, welchen Alles „Wurst“ ist, so lange sie selber gut verdauen, und am aller¬
wenigsten durch die Bchwätzer, welche von nichts als von Freiheit sprechen und dabei
eine allgemeine Unordnung einreissen lassen, welche zum Faustrecht der Starken gegen¬
über den Schwachen, zur Tyrannei der Frechen gegenüber den anständigen Leuten
führt.
Vor allen Gerichtshöfen unseres Continentes — die schweizerischen nicht ausgenom¬
men — sind durch lange Jahre die Lebensmittelfälscher und Betrüger unverhältnissmässig
gut weggekommen und hat in sehr vielen sanitären Fragen der Geschädigte seine Sache
verloren. Unsere Rechtsanschauungen und unsere bürgerlichen Einrichtungen in Fragen
der Gesundheitspflege verharren noch vielfach auf veralteten, formalen Standpuncten: mo-
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dem und im Besitze aller Künste und Wissenschaften ist zur Stunde noch mehr der An¬
geklagte als der Gesetzgeber, mehr der Dieb als der Ehrenmann.
Der Bodenheimer' sehe Entwurf erscheint als ein ernsthaftes und kräftiges Streben, den
Ehrenmann zu emanzipiren! Dr. Sonderegger.
Ueber die Beziehungen des Glycerins zu Coccobacteria septica und zur septischen
Infection.
Von Dr. Johann Mikulicz. Langeribeck , Archiv XXII, 2. Berlin, bei Hirschwald.
Bekanntlich hat das Glycerin — das auf der einen Seite als vortreffliches Antisep-
ticum theoretisch und practisch erprobt ist — anderseits die Eigenschaft, pathogene Stoffe
aufzunehmeu, zu fixiren und für lange Zeit wirksam zu erhalten. (Vaccinegift; Senator'*
Injectionsversuche mit Glycerinextracten eiterhaltiger Flüssigkeiten etc.) Dieses räthsel-
hafte Verhalten durch Versuche aufzuklären, machte sich der Verfasser zur Aufgabe. Auf
den in Billroths Coccobacteria septica niedergelegten Anschauungen Uber die septische
Infection fussend, fragte er sich:
1) Welchen Einfluss übt das Glycerin auf die in Faulflüssigkeiten enthaltenen che¬
mischen Verbindungen, und
2) auf die darin vorhandenen microscopischen Organismen. Da die bei der
Sepsis wirksamen chemischen Verbindungen nicht bekannt sind, ist eine directe Beant¬
wortung der ersten Frage nicht möglich; indessen liegt die Antwort in der durch Er¬
fahrungen constatirten Eigenschaft des Glycerins, Eiweisskörper und ihre Derivate, selbst
wenn sie sehr labiler Natur sind, zu fixiren, welche Wirkung man gewiss auch gegen¬
über den nächsten Fäulnissproducten der Eiweisskörper vermuthen darf.
Zur Lösung der zweiten Frage untersuchte Mikulicz :
1) Unter welchen Verhältnissen ist Glycerin im Stande, die Entwicklung von Cocco¬
bacteria hintanzuhalten (Versuchsobject: frisches mit Wasser verdünntes Ochsenblut).
2) Unter welchen Verhältnisseu kann Glycerin vorhandene Vegetationsformen von
Coccobacteria zerstören? (Versuchsobject: Patteur’ sehe Flüssigkeit, in der durch Zusatz
von faulem Blute Coccen gezüchtet worden waren.)
Sämmtliche Versuche führten übereinstimmend zu folgenden Resultaten:
1) Ein 2—lO°/ 0 iger Glyceringehalt verzögert den Anfang der CoccobacteriaentWick¬
lung (1—5 Tage, je nach der Temperatur); ist dieselbe aber eingeleitet, so schreitet der
ProcesB ungehindert fort; 12—16°/ 0 Glycerin verlangsamten den ganzen Fäulnissprocess
und es kommt nur zur unvollständigen Entwicklung von Organismen; 20% Glycerin ge¬
nügen, um die Entwicklung von Coccobacteria und damit auch die gewöhnliche Fäulniss
vollständig zu verhindern. (Schimmelpilze gedeihen dabei noch vortrefflich.)
2) Das Glycerin hat die Fähigkeit, die Vegetationsformen von Coccobacteria septica
zu tödten; eine 60%ig© Mischung thut dies bei 50° C. in 2—8 Stunden, bei 40° in
12 Stunden, bei 80“ in 7 Tagen und bei Zimmertemperatur in 6—7 Wochen. Unter öO # /o
wird die Wirkung schwächer, um bei 30° ganz aufzuhören.
Diese Eigenschaft des Glycerins, unter den vom Verfasser gefundenen Verhältnissen
die Coccobacterien zu tödten, ermöglicht es nun, die active Betheiligung der
letztem in septisch wirkenden Flüssigkeiten zu eliminiren, ohne
die enthaltenen chemischen Verbindungen zu verändern, was bei
allen andern Methoden (Kochen, Extrahiren mit Alcohol etc.) nicht zu vermeiden ist. —
In diesem Sinne machte nun Verfasser eine lange Reihe sehr schöner und sorgfältiger
Versuche über die septische Iofection. Versuchsthier ist ausschliesslich das Kaninchen ;
die Applicationsmethode der septischen Flüssigkeiten die subcutane Injection. Dabei be¬
obachtete er folgendes: Injection einer septischen Flüssigkeit, in welcher durch den oben
geforderten Glycerinzusatz sämmtliche Fäulnissorganismen getödtet waren, bewirkte nur
eine vorübergehende stürmische Störung des Organismus , ohne letalen Ausgang. Nur
dann erlag das Thier unter der Septicäraie , wenn der Glycerinzusatz zu der injicirten
septischen Flüssigkeit so unbedeutend war, dass die Existenz der verschiedenen Vege¬
tationsformen von Coccobacteria dadurch nicht gefährdet wurde.
Daraus zieht Verfasser folgende Schlussfolgerung (die mit der von BiUroth früher
(Coccobacteria septica) niedergelegten Anschauung übereinstimmt):
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Der septisch inficirte Organismus geht an einem chemischen Oift zu Grunde
und die lebenden und wachsenden Elemente von Coccobacteria septica sind es, welche
das Gift im lebenden Organismus continuirlich reproduciren, dessen einmalige
Einverleibung nur eine vorübergehende Störung hervorbringen würde. Der Name: Sepsis
parasitaria ist also gerechtfertigt. Dr. E. H.
Ueber neuere Behandlungsweisen der Syphilis.
Von Prof. o. Sigmund. Wiener Klinik II. Jahrg. October 1876. 10. Heft. Wien, Verlag
von Urban & Schwarzenberg.
Die Abhandlung, d. h. der Inhalt von 4 klinischen Vorträgen in der k. k. Universi¬
tätsklinik im allgem. Krankenhause in Wien, umfasst die im letztabgelaufenen Jahrzehnt
in der Therapie der Syphilis neuen Mittel und neuen Gebrauchsweisen älterer Mittel.
Unter erstem werden die Carbol- und die Salicylsäure, das Jodoform und das oleinsaure
Quecksilberoxyd genannt. Dass die 2 erstem Präparate verdiente Anerkennung und aus¬
giebigste Anwendung finden, lässt sich erwarten. Weniger scheint sich der Verf. mit dem
Jodoform haben befreunden zu können. Auch dem oleinsauren Quecksiiberoxyd zu Ein¬
reibungen, wie die graue Salbe verwendet, glaubt er höchstens der minder auffälligen Farbe
willen in der Privatpraxis, sonst aber von letzterm Präparat in keiner Rüoksicht den Vor¬
zug geben zu sollen. — Das nämliche negative Resultat hat5tymu>trf die Anwendung von
Suppositorien mit Ung. einer, gegeben. Auch die innere Anwendung der Chlornatrium-
Verbindung des Quecksilbers (0,10 Sublimat und 2,0 Chlornatrium in 200,0 Wasser ge¬
löst) ergab ebenso wenig hervorragende Vorzüge vor andern Mercurialpräparaten. Da¬
gegen wird die Verbindung des Sublimates mit Collodium im Verhältnis von I : 8—16
eine schätzenswerthe Bereicherung genannt, und die Methode zu deren vortheilhaftesten
Anwendung angegeben. — Die innere Darreichung von Eisenquecksiiberoxydnl wird der¬
jenigen von blossen Mercurialpräparaten mit Eisenpräparaten alternirend bei weitem nach¬
gesetzt. Sublimatinhalationen findet S. nur als Localmittel bei Pharynx- und Larynx-
erkrankungen indicirt, nicht aber behufs Einwirkung auf den allgemeinen Syphilisprocess,
da dieselben auf die Dauer nicht vertragen werden.
Als prophylactisches Mittel gegen Entwicklung der constit. Syphilis hält S. wie alle
Dualisten die ExciBion und die caustische Zerstörung der Syphilisinduration an der ur¬
sprünglichen Infectionsstelle für unzuverlässig und demnach verwerflich, ohne hingegen
operative Eingriffe gegen Phimosen und Paraphimosen und dergl., wo sie aus andern
Rücksichten geboten scheinen, zu verwerfen.
Den subcutanen Injectionen ist eine eingehendere Behandlung gewidmet und als In-
jectionsmittel das Sublimat, Bicyanuret und das Calomel als zulässig genannt, Phosphat,
Acetat, Lactat und Bijoduret verworfen. Die Quecksilberalbuminatinjectionen und die¬
jenigen mit Natriumchloridlösung stellt er mit den erstem in eine Linie. Bezüglich der
Methode wird eine Reihe von Vorsichtsmaassregeln angegeben, dann „nach den
bisherigen Ergebnissen der Kreis der Anzeigen für die sub-
outane Methode ziemlich enge" gezogen und dieselbe „nur für leich¬
tere und e i n f a ch e r e F o r men der zweiten Periode desSyphilis-
processes“ empfohlen und die meisten von ihren Verfechtern gerühmten Vorzüge
derselben unter Vergleichung mit den bisher am besten bewährten Methoden des Mer-
curialgebrauches an der Hand der Thatsachen ins richtige Licht gestellt und grössten-
theils widerlegt oder doch bedeutend herabgesetzt. — Die Verbindung der Syphilis—
behandlung mit der Balneotherapie, die klimatischen Curorte für Syphilitische, dann die
von Ludwig angegebene Untersuchungsmethode auf Quecksilber im Ham, endlich ein
Ueberblick über die Fortschritte in der Syphilidotherapie überhaupt, so besonders bezüg¬
lich Zeitpunct des Beginns der Behandlung der const. Syphilis, bezüglich der Thera-
pie-Modification bei Schwängern und Kindern, bei Visceral- und Nervensyphilis, Diffitetik
und Hygiene, sowie Prophylaxis gegen 8yphilis folgen einander der Reihe nach und in
kurzen Zügen gibt der Altmeister ein Gesammtbild vom heutigen 8tandpunct der Syphi¬
lidotherapie, das als Orientirungsmittel für Nichtspecialisten wohl kaum besser, vollstän¬
diger und in gefälligerer Form hinzustellen möglich sein wird. ▼. Erlach.
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Ueber moralischen Irrsinn (moral insanity) vom Standpuncte des practischen Arztes.
Von Dr. Moritz Gauster. Wiener Klinik, III., 4. Urban & Schwarzenberg, Wien. 17 p.
Der Verfasser, Primararzt der Wieneranstalt, stellt in einem ziemlich populär gehal¬
tenen Aufsatz mit einiger Casuistik das sogenannte Krankheitsbild der moral insanity dar.
Wenn wir auch seiner Eingangs-Apostrophe an die pract. Aerzte , sich mehr mit
Psychiatrie abzugeben, von ganzem Herzen beistimmen, so möchten wir es doch ander¬
seits bedauern, dass ein so vages und so mit Recht bestrittenes Krankheitsbild, wie es
diese sogen, moral insanity wohl ist, neuerdings von fachmännischer Seite aus als Fixum
dem ärztlichen Publicum dargeboten wird, und zwar gerade jetzt, zu einer Zeit, wo sich
in der gesammten Psychiatrie der ernste Wille Bahn bricht, mit den alten, rein symp¬
tomatischen Krankheitsbildern aufzuräumen und dafUr neue Begriffe zu schaffen , die auf
allgemein gültigen, pathologisch-anatomischen oder doch wenigstens ätiologischen Grund¬
sätzen beruhen.
Aber auch dann , wenn wir principiell eine solche Krankheitsart „moral insanity"
zugeben könnten, würde diese letztere sicherlich auf die Fälle beschränkt werden müssen,
die auf h e r ed it ä r-degenerativer Basis beruhen; dagegen die vom Verfasser noch aus¬
drücklich zugegebenen „ erworbenen" Fälle möchten wohl ohne Ausnahme entweder
als Prodromi (z. B. von progr. Paralyse) oder als blosse Symptome (Epilepsie mit
Schwachsinn, Alcoholismus etc.) zu betrachten sein. Sury-Bienz (Basel).
Die Ursachen und Anfangssymptome der psychischen Krankheiten.
Von Ewald Hecker , Director in Plagwitz. Volkmanri s klin. Vorträge Nr. 108.
Leipzig, Breitkopf & Härtel.
Mit grosser Freude haben wir es begrüsst, dass endlich auch einmal der Psychiatrie
ein Plätzchen in Volkmanri* klin. Vorträgen gegönnt wurde; wir dürfen aber auch freudig
constatiren, dass diese Aufgabe, den pract. Aerzten einen Theil der Psychiatrie mund¬
gerecht zu machen, sowohl in Bezug auf die Wahl des speciellen Thema’s als auch na¬
mentlich in der Ausarbeitung dieses letztem so gut als nur möglich gelöst wurde.
Weiteres über diesen Vortrag zu sagen, ist unnöthig, da fast jeder Arzt diese kli¬
nischen Vorträge selbst besitzt und also diesen Vortrag wohl längst auch schon gelesen
hat. 8.
Cantonale Correspondenzen.
Wien. Verehrter Herr Redactor! Wem unter meinen Collegen, der einmal die
österreichische Kaiserstadt gesehen, geht nicht das Herz auf, wenn er ihren Namen hört?
Wer hat nicht Schönes und Fröhliches hier erlebt? In diesem Bewusstsein erkühne ich
mich, Ihrem Redactorengewissen abermals einige Plaudereien über das alte Thema zuzu-
muthen, trotzdem ich weise, wie viele „Reisebriefe aus Wien“ in dem Inhaltsregister des
Schweiz. Correspondenzblattes schon figuriren. Wo soll ich anfangen? Bei den Wiener
Carnevalsgeschichten ? Mit den Kunstgenüssen in Oper, Theater und MuBiksälen? Mit
dem Rüster-Aus'stich im Mistloch: Esterhazykeller? Mit den schönen Wie .... Doch
halt I Ich schreibe ja ins Corr.-Blatt für schweizer Aerzte, nicht in eine Carnevalszei-
tung; also weg mit euch, ihr hundert bunte Erinnerungen, die ihr in tollem Reigen, na¬
türlich unter den aus der Ferne tönenden Klängen eines SlrauM’schen Walzers, meine
Gedanken umgaukelt! — Legt euch, ihr vielen beschriebenen Blätter, die ihr beim leise¬
sten Anstoss vor meinen Augen aufwirbelt und auf meiner geistigen retina in wirrem
Durcheinander Bilder auslöst, wie: Schwender, Danzer, Prater, Steinwein-Boxbeutel,
Gumboldskirchner, Dreher, Klosterneuburg, Kahlenberg, Burgtheater, Stephanskeller, Blu¬
mensäle etc. etc. Quos ego! — Also zum allgemeinen Krankenhaus, der ein¬
zigen Zufluchtsstätte gegen Wienerleichtsinn und Donauwalzer! Ich bin durchwegs ent¬
zückt über die Grossartigkeit des darin vorhandenen Materials und über die Art und
Weise, wie dasselbe den studirenden Aerzten zugänglich gemacht ist, aber ich stehe
nicht an zu sagen, dass Billroth mit seiner Klinik die Krone des Ganzen bildet. Die
operirten Fälle können von Jedermann in ihrem Wundverlaufe aufs Genaueste verfolgt
und controlirt werden; für’s erste besucht Billroth an der Spitze seiner Klinik jede Woche
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2 Mal sämmtliche Kranken seiner Station, zweitens ist man Abends bei der Visite der
Herren Assistenten (Dr. Nedopil und Dr. Wölffler) jederzeit freundlich aufgenommen und
hat an ihrer Seite Überall hin Zutritt. So beruht Alles, was ich über die Wundbehand-
lungsresultate auf der Billroth’ sehen Abtheilung zu sagen habe, auf eigener Anschauung.
Diese sind nun allerdings seit Neujahr, d. h. seit der Rückkehr von Dr. Wölffier aus Eng¬
land, id est seit consequenter, minutiösester Durchführung der Lwter’schen Vorschriften
brillante und dies so durchweg, dass ich — dem als Ideal immer die offene Wund¬
behandlung vorschwebte — nach 6wöchentlicher, sehr skeptischer Beobachtung bekennen
muss: Von einer solchen Constanz trefflicher Resultate — ohne irgend welche unange¬
nehmere Zwischenfälle — habe ich bei einer andern Wundbehandlungsmethode weder je
etwas gesehen, noch gelesen.
Ich schlage eine beliebige Seite meines Notizbuches auf und finde :
1. Osteomie des femur wegen genu valgum. Der erste Verband wird erst nach 14
Tagen, während welcher Zeit Patient durchaus fleber- und beschwerdenfrei ist, abge-
nommen, wonach sich die Wunde gänzlich verheilt zeigt und das Bein sofort in richtiger
Stellung eingegipst werden kann.
2. Carcinom der linken Mamma mit grossen Metastasen in den Achsel- und Supra-
claviculardrüsen; totale Exstirpation, wobei die Ligatur der Vena subclavia nothwendig
wird. Einmaliger Verbandwochsei. Fieberfreier Verlauf. Gänzliche Heilung nach 14
Tagen.
3. Enormer Krebs der 1. Mamma und der Achseldrüsen. Totale Entfernung; die
Wunde geht vom untern Rand der Mamma bis zur Mitte des Oberarmes. Bei der Aus¬
räumung der Achselhöhle muss die Axillarvene und eine Unmasse grosser Nebengefässe
unterbunden werden (mit Seide). — Am 12. Tage sah ich die Patientin total geheilt, mit
linearer Narbe. Der Verband wurde während der Zeit 2 Mal gewechselt. Die Tempe¬
ratur stieg eines Abends von der Norm plötzlich auf 39°; Dr. Wölffier versicherte aber
zum Voraus mit einer Zuversicht, wie sie nur die grosse Erfahrung in antiseptischer
Wundbehandlung geben konnte (er war längere Zeit bei Lister ), dass dies absolut nichts
zu bedeuten habe und nur von einer unschädlichen Resorption aseptischer Wundsecretc
herrühre. (Aseptisches Fieber Volkmann’B.) Der Verband wurde auch ruhig liegen ge¬
lassen und andern Tags war die Temperatur wieder normal.
4. Ellbogenresection bei einem 46jährigen Manne (Caries). Zweimaliger Verband¬
wechsel. Gänzliche Heilung — ohne etwa zurückbleibende Fisteln oder granulirende
Flächen — in 14 Tagen.
5. Tentamen suicidii: Revolverschuss durch die linke Thoraxhälfte mit grässlicher
Verstümmelung der Rippen und Weichtheile und Zerfetzung der 1. Lunge. Pneumo-
Hämatothorax, ein Fall, der ohne aseptische Behandlung sicher in wenigen Tagen zu
Grunde gegangen wäre. Continuirliche Irrigation der Pleurahöhle, erst mit Carbollösung,
dann mit Thymol (’/noo^ hierauf genaue aseptische Verbände, täglich 2 Mal gewechselt.
Die bald sich einstellende Eiterung blieb ganz geruchlos; gangränöse Lungenpartien wur¬
den unschädlich eliminirt. Patient ist jetzt, nach 6 Wochen, als geheilt zu betrachten,
allerdings mit Aufwand unsäglicher Mühe und enormer Quantitäten theurer Verband¬
stoffe.
Ein wesentliches Unterstützungsmittel für das Gelingen der prima intentio auch bei
grossen Höhlen wunden und stark gespannten Wundrändern ist die von Billroth (nach
Lister) angewandte Bleiplattennaht, eigentlich nichts anderes, als eine Modification der
alten Zapfennaht. Es sind Metallsuturen, die an beiden Enden elliptische, central durch¬
bohrte , ca. 2 Cm. lange und 1'/, Cm. breite und 1 Mm. dicke Bleiplatten tragen; die
Befestigung dieser Platten an der Sutur geschieht vermittelst durchbohrter 8chrotkömcr,
welche, wie Perlen, nachgeschoben und mit einer Beisazange um den Metalldraht zusam-
mengepresst werden, so dass sie nicht mehr ausweichen können. Das Verfahren ist alao
folgendes: Die Sutur ist an einem Ende mit der Nadel armirt, am andern trägt sie be¬
reits die durch ein zusammengepresstes Schrotkorn am Ausgleiten gehinderte Bleiplatte.
Nun wird die Nadel durch beide Wundr&nder recht tief durchgeführt, die 8utur bis zur
Bleiplatte nachgezogen, dann die Nadel entfernt, an das nun freie Ende der Metallautur
eine weitere Platte und ein Schrotkora eingeschoben, soweit angedrückt, dass die Wund¬
ränder sioh gänzlich berühren und dann das Korn zugekneipt, worauf die Naht festsitzt.
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Es findet bei dieser Methode auch bei enormer Spannung der Wundränder keine Ein¬
schnürung statt, da ja die Naht keine Schlinge bildet; der Zug und Druck vertheilt sich
durch die breiten Platten auf ein relativ grosses Areal; die Ernährungsverhältnisse des
Lappen sind dadurch vorzügliche; die Wundränder müssen verkleben, da sie, wenn
man sie recht breit gefasst hatte, gar keiner Spannung ausgesetzt sind. Ein Fall von
Blasenektopie (ältere Frau) war von Bilboth mehrmals erfolglos operirt worden; der ver¬
nähte Lappen verheilte nie; der Fall wurde nachgerade inoperabel, da jeder Operations¬
versuch die zur Plastik zu verwendende Haut reducirt und durch starke Narbenzusammen¬
ziehung unbrauchbarer gemacht hatte. Im Vertrauen auf die Wirkung der neuen Naht
operirte Bilboth nochmals; der Lappen fiel ausserordentlich kurz und spärlich aus; trotz
der enormen Spannung heilte er aber in seiner ganzen Breite an.
Ueber jeden Lister 1 sehen Verband lässt Billrolh (nach Volkmann' s Vorgehen) appretirte
Binden, die in Carbollösung gelegen haben, legen; abgesehen davon, dass dies sehr
hübsch aussieht, gibt die Binde, die in kurzer Zeit erhärtet, dem Verbände einen grossen
Halt; er rutscht weniger. Resecirte Gelenke brauchen gar keine weitere Fixation; die
Festigkeit dieser gestärkten Bindenlage genügt vollständig. Das Material ist spottbillig
und bietet in seiner Anwendung so grosse und mannigfache Vortheile, dass es sich ge¬
wiss bei manchem practischen Arzte einbürgern wird, um so mehr, als es in jedem
Dorfe zu haben ist.
Das nächste Mal noch mehr von Billroth; für heute erwähne ich nur noch, dass von
4 Ovariotomien, die ich ihn innerhalb 14 Tagen machen sah, unter aseptischen Verbän¬
den, alle anstandslos heilten und dies in kürzester Zeit, trotzdem Bämmtliche 4 theils
durch Adhäsionen, theils durch Erguss des Cysteninhaltes in die Bauchhöhle complicirt
waren.
Gestern sah ich die fünfte (die 113. Bilboth' 1 s), der es bis zur Stunde auch vortreff¬
lich geht.
Gestern verreiste — wie es heisst telegraphisch nach London berufen —- Marion Sims
nach 14tägigem Aufenthalte in Wien. Er besuchte hier so ziemlich alle chirurgischen
und gynäcologischen Kliniken und operirte Verschiedenes mit seinen eigens mitgebrachten
Instrumenten. Ich hatte das Vergnügen, ihn in kleinem Kreise einige Male untersuchen
und operiren zu sehen und erbaute mich an der Sorgfalt und Gründlichkeit, mit der er
untersucht, und an der Eleganz und Ruhe , mit der er operirt. Im Theresien-Frauen-
hospitale machte er u. A. eine Amputatio cervicis nach einer originellen, von der Hegar-
schen wesentlich verschiedenen Methode, die ich nirgends gelesen zu haben glaube, ganz
nach Analogie einer Extremitäten-Ablation mit Manchettenbildung. Ca. 2—3 Centimeter
unterhalb der Amputationshöhe circumscidirte er den äussern Schleimhautüberzug des cer-
vix, präparirte dann denselben in Manchettenform zurück, amputirte, und vernähte dann
die Manchette ganz wie bei einem Amputationsstumpfe, nur mit dem Unterschied, dass
er die Mitte ca. 1 Cm. breit unvernäht liess und 2 dreieckige Stückchen aus den so frei-
gelassenen Manchettenrändern herausschnitt, um die Verwachsung daselbst zu verhindern
und die Bildung eines neuen Muttermundes zu ermöglichen. 8ein Hauptinstrument ist
ausser dem Messer der schwach gekrümmte spitze Hacken, mit dem er durchwegs die
Pincette substituirt. Eine Perinäoplastik zu machen, verweigerte er, da nach seiner An¬
sicht der Damm durchaus keinen stützenden Einfluss auf den Uterus habe und die Pro¬
phylaxis eines Prolapses der Gebärmutter also kein Grund zu genannter Operation sein
könne.
Sims ist ein eleganter, glattrasirter Anglo-Amerikaner, mit äussern feingeschnittenen,
in allen Situationen fast langweilig gleichmässigen Gesichtszügen, sehr liebenswürdig im
Umgang, und wie mir schien ohne alles Selbstgefühl. Was ihn hauptsächlich charakteri-
sirt, ist. eine acht englische, fast phlegmatische Ruhe und Kaltblütigkeit. Während der
Operation hört man nichts aus seinem Munde, als etwa ein im tiefsten Rachenraume ge-
gurgcltes: „more Chloroform“. Seine Bewegungen geschehen alle im gleichen Tempo,
gleichviel ob ihm einmal ein unerwarteter Blutstrom aus dem Operationsfelde entgegen¬
stürzt, oder sonst ein unangenehmer Zwischenfall sich ereignet.
Auf der Späth’ sehen Klinik operirte er in langer Sitzung mit Löffel und Hacken ein
Carcinoma uteri, „a very bad case“ und liess von dem Uterus wenig mehr zurück, als
don unverletzten Peritonealüberzug.
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So viel für heute1 Wenn Sie mir winken , schreibe ich gerne bald wieder einmal,
alte Neuigkeiten Ober Hebra, Braun etc. Unterdessen sende ich Ihnen sowie allen schwei¬
zer Collegen meinen herzlichen, collegialischen Gruse.
24. März. Dr. E. H.
Reisebriefe ans dem Süden.
Pegli bei Genua. III. Hochgeehrte Redaction. Wenn ich es wage, Ihnen heute
von den klimatischen Verhältnissen Pegli’s zu schreiben, ohne im Stande zu sein, Ihren
Lesern meteorologische Beobachtungstafeln zum Beweise für meine Angaben vorzulegen,
so geschieht es in der Ueberzeugung, dass in Ermanglung genauer und unparteiischer
Beobachtungen die handgreiflichen Beweismittel, welche uns die Natur an den Weg legt,
auch ihren Werth haben. Wae kümmert uns practische Aerzte am Ende der Wettlauf
der verschiedenen klimatischen Stationen um einen halben Centigrad mittlerer Tagestem¬
peratur mohr oder weniger I Wir gehen doch von dem Grundsätze aus, dass Schwerkranke
besser thun, überhaupt nicht zu reisen, sondern zu Hause im Kreise der Ihrigen zu bleiben.
Bezüglich schonungsbedürftiger Kranken und Reconvalescenten aber, deren Kräftezustand
das Ausgehen erlaubt, liegt uns weniger daran, die mittlere Tagestemperatur zu kennen,
als zu vernehmen, ob es denselben am fraglichen Orte überhaupt möglich ist, während
der Wintermonate täglich, sagen wir von 9 oder 10 Uhr Vormittags bis 4 oder 5 Uhr
Abends, sich im Freien aufzuhalten. Auf die Minimaltemperatur der Nächte und
in der Morgenfrühe kommt uns dabei sehr wenig an, weil unsere Patienten dann wohl¬
verwahrt im Bette liegen. Die Minima sind für uns nur insofern von Bedeutung, als
durch zu starke Morgenfröste die Vegetation geschädigt werden kann, denn das Fortleben
der Pflanzenwelt bildet ein so wichtiges Element der Lufterneuerung, und der Anblick
grüner Wiesenflächen und belaubter Bäume mitten im W’inter ist für den aus der Hei-
math Verbannten so tröstend und versöhnend, dass wir auf die tellurischen und psychi¬
schen Einflüsse einer nie ersterbenden Vegetation grossen Werth legen.
Es wurde schon gesagt, dass die Vegetation der Umgegend Pegli's eine reiche und
üppige ist. Die die Höhenzüge bedeckenden Wälder sind grossentheils Fichtenwälder
(Pinus silvestris). Steile Halden sind mit Steineichen (Quercus ilex), die hintern, anstei¬
genden Partien der Thäler mit Kastanien (Castanea vesca) bewaldet Unsere deutscho
Eiche sowie die Korkeiche (Quercus suber) kommen verhältnissmässig selten, aber immer¬
hin in sehr schönen Exemplaren vor. Ueber mannshohe Erica, stämmiger Wachholder,
Stechpalmen und Lavendelbüsche bilden das Unterholz der Wälder. Stolze Cypressen
(Cypressus sempervirens, C. glauca, C. funebris) und mächtige Lorbeerbäume (Laurus
nobilis, L. glandulifera) finden sich so ziemlich überall. Den Hauptschmuck der Land¬
schaft bilden aber die vereinzelt und in malerischen Gruppen vorkommenden hochstämmi¬
gen Pinien (Pinus spinea, ital. Pino parasole), deren breite, doldenförmige Wipfel weithin
Alles überragen.
Die bebauten Theile der Anhöhen und Abhänge sind mit Weinreben, Mandel-, Pfir¬
sich-, Oliven- und Feigenbäumen bepflanzt; Orangen- und Citronenbäume bilden hier
den gewöhnlichen Bestand der Baumgärten, wie bei uns die Aepfel- und Birnbäume.
Als Zierbäume treffen wir verschiedene Cedernarten (Cedrus Libani, C. Dcodara),
prachtvolle australische Coniferen (Araucaria Cuninghamii, A. Bidwillii), den ebenfalls
australischen Eucalyptus globulus, den Campherbaum (Laurus camphora), den brasiliani¬
schen Pfefferbaum (Schimes molle), die chinesische Ulme, gewaltige Magnolien (Magno-
lia grandiflora), Camelien und Rhododendrons; hohe Mimosen, Yucca’s und Azaleen sind
ganz gewöhnliche Dinge. Am meisten überraschen uns aber die Palmen, die Baumfarren
und die Agaven. Ich nenne: Phoenix dactylifera, Ph. silvestris und Ph. rpclinata, Cha-
merops chinensis, Ch. humilis, Cicas revoluta, Dasylirion seratifolium und die hochstäm¬
migen Dracsenen. Von den Agaven erregt die A. mexicana, besonders aber die A. sal-
miana unser Staunen durch die colossale Entwicklung ihrer Blätter; auf ein einzelnes der¬
selben könnte ganz bequem ein junger Mann sich betten.
Alle diese Bäume und Pflanzen kommen selbstverständlich im Freien fort; kein
Mensch denkt daran, denselben über den Winter irgend einen besondem Schutz zu geben.
Wenn ich Ihnen dann ferner mittheile, dass seit December die Yucca’s und die Camelien-
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bäume blühen und wir in den Thälern schon im Januar Veilchen und seit Anfangs Fe¬
bruar auch Primeln, Crocus, Leberblümchen und Hyacinthen pflückten, so sollte das ge¬
nügsam beweisen, dasB die hiesigen Minimaltemperaturen keine der Vegetation gefähr¬
lichen sind. Mitte Februar stunden die Mandelbäume auf allen Höhen in vollster Blüthe,
seit Anfangs März blühen die Pfirsichbäume, die Eriken, die Weissdornbüsche, die Erb¬
sen und die Repssaaten und seit Mitte März auch die Kirsch- und die Birnbäume.
Folgende Tabelle der minimalen und mittlern Morgentemperatur mag zur Beurtheilung
Pegli’s als Winterstation von einigem Werthe sein. Beobachtet wurde im November je
um 7 Uhr früh, vom 1. December an aber erst um 8 Uhr.
Minimale,
Mittl. Morgentemperatur.
Vom
1.-
-15. November
11,0° R.
12,0°
R.
9
16.-
-30.
6,5° »
9,4°
J)
9
1-
-15. December
5,0° 9
7,6°
f)
n
16.-
-81.
3,0° „
6,8®
a
»
1.-
-15. Januar
2,0° „
4,2°
9
»
16—
-31. „
2,°° 9
6,3<>
9
9
1—
-15. Februar
2,5° „
5,3®
0
9
16-
-28. „
6,5° 9
8,3°
0
9
1—
-15. März
6,0« 9
10,2°
0
Im Allgemeinen war das Wetter den ganzen Winter über sehr schön. Regentage,
d. h. Tage, an denen es mehr oder weniger regnete, hatten wir im November 11, im
December 3, im Januar 4, im Februar 3 und vom 1.—15. März einen. Vom 29. Januar
Nachmittags bis den 30. Januar Mittags lag Öchnee auf den Hügeln hinter Pegli. Tage,
an denen Kranke des schlechten Wetters oder starken Windes wegen sich nicht im
Freien ergehen konnten, gab es sehr wenige, höchstens fünf. Erst mit dem 15. März
kam eine Reihe von drei kalten, unfreundlichen Tagen, an denen die Tramontana heftig
blies. Zeitungsberichten zufolge stund zu derselben Zeit das Thermometer in ganz Mittel¬
europa tief, und hatte es in Neapel und auch in Cannes geschneit
Pegli ist nicht ganz so warm, wie Sanremo,’ Bordighera, Mentone und Nizza, dafür
ist cs aber auch nicht so trocken. Mit hygrometrischen Aufzeichnungen kann ich leider
nicht dienen; augenfällige Beweise bedeutender Luftfeuchtigkeit sehe ich aber in der
reichen Vegetation überhaupt und Bpeciell in dem Vorhandensein von Wäldern und be¬
wässerten Thälern. Sehr stark ist der Thaufall, auch schon des Abends; um 10 Uhr
Vormittags sind sehr oft die Gartenbänke noch so stark bethaut, dass man gar nicht
daran denken darf, sich hinzusetzen. Ganz auffallend reichlichen Thaufall beobachtete ich
den 18. Januar und jeden Morgen vom 12. bis den 23. Februar; die einzelnen Thau-
tropfen waren auf Bänken und Tischchen zu kleinen Lachen zusammengeflossen. Aehn-
liches habe ich, z. B. in Nizza, nie gesehen.
Es ist ein fernerer Beweis relativ grösserer Luftfeuchtigkeit, dass wir in Pegli keine
so grellen Temperaturunterschiede zwischen sonnigen und schattigen ßtellen kennen, wie
das in Nizza in so hohem Grade der Fall ist Die Luft ist hier milder und weicher und
behagt, wie übrigens bereits angedeutet, Lungenkranken mit trockenem Husten und Nei¬
gung zu Heemoptoö besser, als an den westlicher gelegenen Orten der Riviera.
Bei mehrern Kranken, die Ende Februar und Anfangs März wegen Blutspeien aus
Mentone und Sanremo hieher flohen, verlor sich die Hmmoptoö sehr bald. Dagegen be¬
finden sich Kranke, die z. B. an chronischen Diarrhoeen und 8crophulose leiden, an den
trockenem Curorten der Riviera wahrscheinlich besser als in Pegli.
Wer einmal an der Riviera di Ponente einen Frühling zugebracht hat, kennt den
Mistral (Mtestrale). Es ist unsere „schwarze Bise“, ein kalter Nordwest, der mit Vehe¬
menz das Rhonethal herunter auf Marseille losstürzt und dann der Riviera entlang sich
austobt. Die östliche, ja nordöstliche Richtung, welche der Mistral von Marseille aus
einschlägt, ist wohl eine Folge einerseits der seitlichen Expansion der im Rhonethal
gleichsam unter Compression nach Süden abströmenden untern Luftschichte, anderseits
aber auch des Flankendrucks, welchen die in den Golf von Biscaya einfallende und durch
die Pyrenäen nach Osten abgelenkte Luftströmung auf den bei Marseille hervorbrechenden
Nord west ausübt. Ein drittes Moment beim Zustandekommen dieser überraschenden Um¬
wandlung eines Nordwest- in einen Südwestwind liegt in dem Umstande, dass das KU-
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etengebirge der Riviera und die Seealpen ein directes Einfallen der Nordströmung auf
das schmale Küstenland nicht gestatten. Der Nordwind geht hoch darüber weg, wäh¬
rend unten der Mistral gleichsam den Einschlag zur Kette bildet. Der Mistral erhebt
sich gewöhnlich schon in der ersten Hälfte März und wirbelt in Cannes und Nizza einen
solchen Staub auf, dass man dort oft tagelang an ein Ausgehen gar nicht denken darf.
Dessen Einsetzen ist denn auch für einen grossen Theil der Fremden das Zeichen zur
Flucht von der Riviera. Es beginnt mit dem Monat März ein Drängen und Schieben in
der Richtung von West nach Ost und dann nach Rom und Neapel herunter, welches
lebhaft an die Völkerwanderung erinnert und nur zu oft die Gastwirthe des östlichen
Theils der Riviera und deren stabilen Wintergäste in arge Verlegenheiten bringt Der
Mistral, der Cannes, Nizza und Mentone aus dem Südwesten her bestreicht, erreicht als
solcher Pegli nicht Pegli und Nervi haben dafür den direct durch den Apennin hervor¬
brechenden Nordwind, die Tramontana, die aber dem Mistral der westlichen Riviera an
Heftigkeit weit nachsteht, weil die Macht des Nordwindes durch den doppelten Wall der
Alpen und des Apennin’s eben doch einigermaassen gebrochen wird.
Eine andere Fatalität, an der fast die ganze Riviera krankt, ht der Wassermangel
im Allgemeinen und das schlechte Trinkwasser im Besondern. Pegli, das quellenreiche
— man leitet den Ortsnamen aus dem griechischen nrjyig (Quölle) her —, ist auch in
diesen Beziehungen von der Natur relativ besser bedacht worden, als die meisten andern
Curorte der Riviera, doch sind auch die hiesigen Wasservarsorgungsverhältnisse noch
primitiver Art.
Die Entwicklung der verschiedenen Ortschaften der Riviera di Ponente zu eigentli¬
chen Wintercurorten datirt, mit Ausnahme Nizza’s, nicht weit zurück, und selbst Nizza
hat den Anlauf zu dem grossartigen Aufschwünge, der es in kurzer Zeit zu einer Ein¬
wohnerzahl von über 60,000 brachte, erst vor einigen zwanzig Jahren genommen. Vor
der Annexion an Frankreich waren Cannes und Hyäres Nizza’s gefährlichste Concurrenten.
Dann kam Mentone durch die Empfehlungen Dr. Benne ?s zuerst bei den Engländern in
Aufnahme. Nach der Annexion Nizza’s und Mentone’s suchte sich Italien in Sanremo
und dessen Ableger, Bordighera, mit Erfolg ein Aequivalent für die verlorenen Stationen
zu schaffen. Sanremo wird seit dem deutsch-französischen Kriege vorzugsweise von
Deutschen viel besucht. Nervi und La Spezia, an der Riviera di Levante, sind verhält-
nissmässig sehr junge Curorte; Pegli, derzeit der Benjamin derselben, ist deswegen nicht
der am wenigst empfehlungswerthe: „last, not least I“ Man braucht keine Prophetengabe
zu haben, um voraussehen zu können, dass in nicht zu ferner Zeit auch Beaulieu bei
Villafranca, Arenzano, Rapallo und St. Margherita in die Reihe treten werden. Es ist
vorläufig in diesen Orten kein rechtes Unterkommen zu finden.
Das Verhalten der Curanden im Süden lässt im Allgemeinen sehr zu wünschen übrig.
Viele sind der Ansicht, es genüge überhaupt „im Süden“ zu sein, um wieder gesund zu
werden und erlauben sich dabei alle möglichen Ausschreitungen, wozu leider an den
meisten Orten reichlicher Anlass geboten ist Gelegenheit macht bekanntlich Diebe. So
geht man in Nizza ins Theater, in Concerte und auf Bälle, und Cocotten gibt’s eine
schwere Menge.
Montecarlo ist seiner Naturschönheiten und seiner ausgezeichneten Concerte wegen
ein unwiderstehlicher Anziehungspunct für Gesunde und Kranke und zwar auch für
Solche, die sonst schon beim blossen Nennen einer Spielbank einen moralischen horror
empfinden und sich daher stark genug fühlen, um nicht in den Zauberkreis des grünen
Tisches gezogen zu werden. Doch „halb zog es ihn, halb sank er hin !“ Es kommt
selten einer ungeschoren weg und ohne eine psychische Aufregung erlitten zu haben.
Auch Montecarlo steckt voller Demimonde, so dass es nur einer gewissen Dosis Leicht-
sinn’s bedarf, um dort des Geldes und der Gesundheit ledig zu werden. Die Eisen¬
bahnzüge, die Mittags von Nizza nach Montecarlo (Monaco) abgehen, sind tagtäglich voll¬
gepfropft ; von Mentone ist’s ein Nachmittagsspaziergang. Schwieriger ist dieses Para¬
dies voller Verführung von Cannes , Bordighera und Sanremo aus zu erreichen. Pegli
hat als Krankenstation den Nachtheil, etwas zu nahe bei Genua zu liegen. Genua zieht
den Fremden durch seine cigenthümliche Lage, seine Paläste und seine geschichtliche
Vergangenheit an. Man ermüdet und erkältet sich aber sehr leicht in den engen, schat¬
tigen Gassen und kommt nicht selten mit einem frischen Catarrh nach Pegli zurück. An
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das Aufrechthalten irgend einer Curdisdplin ist bei den verfahrenen WohnungsVerhält¬
nissen und den disparaten Elementen, aus denen die an der Riviera überwinternde Gesell¬
schaft besteht, gar nicht zu denken. Was in Weissenburg ein Leichtes, ist an der Ri¬
viera geradezu unmöglich.
Nicht das am wenigst Schlimme, was Reconvalescenten unternehmen können , ist
mit anbrechendem Frühling der Winterluftcur an der Riviera eine Vergnügungsreise durch
Italien folgen zu lassen. Wenn einmal der Fremdenzug nach Rom und Neapel gehörig
im Flusse ist, so reiset er fast unwiderstehlich Jeden mit, der nicht gerade invalid ge¬
nug ist, um sitzen bleiben zu müssen. Florenz und Rom bieten aber des Interessanten
und Anregenden so viel, dass diese Städte die ganze Kraft eines Gesunden erfordern,
um gesehen zu werden. Halbkranke und Schonungsbedürftige kehren gewöhnlich er¬
schöpft und elend aus dem Kampfe zurück, in welchen Modo und eigene 8chaulust sie
getrieben. Nicht weniger verderblich wird manchem Wintercurgast der Riviera der zu
frühe unternommene Flug zurück über die Alpen. Man hat eben einige Mühe, sich's
inmitten blühender Rosen und Orangen vorzustellen, dass es daheim noch anders aus-
siehl So ist schon Mancher wieder in den Winter hineingefallen und hat durch seine
Voieiligkeit das Resultat einer ganzen Wintercur in Frage gestellt
Und nun zum Schlüsse noch meine Ansicht über Pegli als Wintercurort kurz zu-
sammengefasBt Pegli ist eine ziemlich gleichmässig temperirte Station, mit milder,
weicher Luft, wenig Staub und vielen ländlichen Spazierwegen. Es eignet sich zu einem
über den Winter und bis weit in den Frühling hinaus dauernden Aufenthalt für scho¬
nungsbedürftige, nicht zu kranke, also noch mobile Lungenleidende, für geistig Ueberan-
gestrengte und Reconvalescenten fast jeglicher Art Es ist eine „Entoutcas“-Station, von
der aus nöthigenfalls alle andern , besondern Indicationen entsprechenden Stationen der
beiden Rivieren leicht und bequem zu erreichen sind.
2Ö. März 1878. Schnyder.
W ochentoericlit.
Schweiz.
Aerztlicher Centralvereiu. Die XVII. Zusammenkunft des Centralvercins
findet Samstags den 18. Mai in Zürich statt. Die Sitzungen sollen um 12 Uhr im
neuen Schwurgerichtssaale beginnen. Ueber das Nähere werden wir in nächster Nummer
berichten.
Bern« Anzeige ansteckender Krankheiten. Der einsichtigen Ini¬
tiative von Herrn R.-Rath Bodenheimer ist es zu verdanken, dass auch im Canton Bern
mit der Anzeige ansteckender Krankheiten Ernst gemacht wird. Einem Kreisschreiben
an die Gemeinderäthe und Aerzte, das die NothWendigkeit eines solchen Vorgehens näher
begründet, entnehmen wir, dass künftig wöchentliche Bulletins erscheinen sollen, welche
die angemeldeten Erkrankungsfälle, sowie die Todesfälle an Menschenseuchen enthalten.
Es ist zwar gewiss zu viel gesagt, wenn das Kreisschreiben u. A. erwähnt, es seien im
Canton Waadt mit 250,000 Einwohnern nur 7 Todesfälle, im Canton Neuenburg mit über
100,000 Einwohnern nur 5 Todesfälle an Scharlach vorgekommen „in Folge einer guten
Organisation der Gesundheitspflege“. Wir glauben, auch die beste Organisation werde
nicht verhindern können, dass zeitweise stärkere Bruchtheile der Bevölkerung der einen
oder andern Seuche zum Opfer fallen. Gewiss aber kann und zwar gerade auf dem
Lande durch energische Regelung dieser Verhältnisse viel gegen die Weiterverbreitung
gethan werden. Der erste Schritt dazu ist die genaue Kenntniss des Auftretens der
Seuchen nach Ort, Zeit und Menge der Erkrankungen. Möchten andere Cantone diesem
erfreulichen Beispiele folgen.
Nicht nur vom Erhabenen, sondern auch vom Erfreulichen zum Lächerlichen ist nur
ein kleiner Schritt und somit können wir wohl im Anschluss an das Kreisschreiben der
Direction des Innern auch das „Sendschreiben“ an die Direction des Innern von Herrn
A. v. Felleiiberg-Ziegler erwähnen. Auf eine Besprechung verzichten wir, denn neben eini¬
gen berechtigten oder wenigstens discutjrbftren Hinweisen auf die Schwierigkeiten, welche
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sich der practischen Durchführung einiger Postulate des Gesetzesentwurfs über Gesund¬
heitspflege und Lebensmittelpolizei entgegenstellen, kommen darin die allerbarocksten
Dinge vor, wovon wir nur ein kleines Muster künftigen Schriftstellern über Hygiene zur
Erleuchtung mittheilen. Herr Felleriberg belehrt uns nämlich: „Thatsache, die kein Arzt
widerlegen kann, ist, dass Käsesalzer, Melker, Pferdeknechte (Kutscher,
Fuhrknechte), Schlächter, Gerber, Kuttler, Abdecker und C1 o a k e n -
r ä u m e r, welche gewiss viel in argen Gestänken leben, sich durch ihre robuste
Gesundheit und lange Lebensdauer auszeichnen und jedenfalls gesunder sind als Köche,
Zuckerbäcker, Coiffeurs und Parfümeurs, welche doch in Wohlgerüchen „(risum teneatisl)“
leben.“
Wir waren bisher der naiven Ansicht, die Hygiene kämpfe für reine Luft im Ge¬
gensätze zu unreiner, bei welch' letzterer dann das Local des Coiffeurs direct neben
dem Local des CloakenräumerB rangirt. Herr Felleriberg aber scheint zu glauben, es komme
der Gesundheitspflege nur auf Beseitigung der „Gestänke“ an, „Wohlgerüche“ seien ihr
recht; danach wären also in erster Linie alle Schwefelquellen sanitätspolizeilich zu
schliessen I
A erste-Statistik. Die von der Aerzte-Commission erhobene Zusammenstellung
ergab die folgenden Daten:
Davon
P&tentirte einer ärztl.
Canton
Aerzte.
Gesellschaft
angehörend.
140
Name d. Präsidenten derselben.
Name des Actuars derselben.
Zürich
190
Dr. C. Zehnder (Zürich)
Dr. Wilh. v. Muralt (Zürich)
Bern
190
140
Dr. J. R. Schneider (Bern)
Dr. Dubois (Bern)
Luzern
Uri
Schwyz
79
6
27
*3
io)
Dr. Attenhofer (Sursee),
Vicepräsident
Dr. Nager (Luzern)
Unterwalden Ob. 10
10
Dr. Rohrer (Sächseln)
Dr. Leop. Imfeld (Alpnacb)
Nidwalden
7
6
Dr. Deschwanden (Stans)
Dr. Würsch (Buochs)
Glarus
26
13
Dr. Schüler (Mollis)
Dr. Oertly
Zug
16
12
Dr. Hflrlimann (N.-Egeri)
Dr. Hüsler (Cham)
Freiburg
34
24
Dr. Castelia (Freiburg)
Dr. 8challerjun. (Freiburg)
Solothurn
28
18
Dr. E. Munzinger (Olten)
Dr. Sidler (Egerkingen)
Baselstadt
62
61
Dr. F. Lichtenhahn (Basel)
Dr. D. Bernoulli (Basel)
Baselland
22
16
Dr. Arnold Baader
Dr. Th. Rippmann (Sissach)
Schaffhausen
24
16
Dr. v. Mandach (Schaffh.)
Dr. E. Rahm (Schaffhausen)
Appenzell A. R. 23
Appenzell I, R. 5
Dr. E. Fisch jun. (Herisau)
Dr. Altherr (Heiden)
St. Gallen
120
110
Dr. Wegelin (St Gallen)
Dr. Mauchle (Uzwyl)
Bünden
68
63
Dr. Kaiser (Chur)
Dr. Killias (Chur)
Aargau
91
67
Dr. Bruggisser (Wohlen)
Dr. Zumsteg (Möhlin)
Thurgau
69
38
Dr. Kappeier (Münsterlng.)
Dr. Streckeisen (Romansh.)
Tessin
108
—
—
—
Waadt
Wallis
117
24
102\
8/
Dr. Morax (Morges)
Dr. L. 8ecretan (Lausanne)
Neuenburg
49
S2
Dr. Ladame (Locle)
Dr. Borei (Neuenburg)
Genf
84
63
Dr. Hilt (Genf)
Dr. Picot (Genf)
Total 1878 T
1459
936
1875:
1644
932.
Ausland.
Amerika* Ueber die Behandlung der Diphtheritis durch
Terpentin-Inhalationen berichtet Dr. C. Edel in New-York im „Medical Record“
(New-York January 19, 1878).
Er sagt: Seit die Dampf-Inhalationen bei der Behandlung der Diphtheritis annähernd
gute Resultate gaben, so beschloss ich, diese Methode mit einer „direct-örtlich-desinfici-
renden“ zu combiniren. Zu diesem Zwecke wandte ich Tinemann'a Dampf-Pulverisateur
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(Tinemanria Atomizer.) auf folgende Weise an: Ich füllte den Kessel halb mit Wasser,
goss ungefähr 16 Tropfen Terpentinöl hinein, vor jeder Inhalation, und schloss den Ap¬
parat alsdann. — Sobald der Dampf ausznströmen anfing , wurde der Patient ca. 3 Zoll
vom Mundstück des Apparates placirt. Diese Distanz fand ich zweckdienlicher, als wenn
der Mund direct dem Mundstück genähert wird, da sich die grössere Hitze und die Stärke
des Dampfstromes schädlich erweisen kann. Die Inhalationen werden Tag und Nacht
alle Stunden, 10 Minuten lang gemacht. Die Behandlungsweise habe ich in vielen Fällen
bis jetzt mit Erfolg angewandt. Frische Fälle wurden in 12 Stunden geheilt, und zwar
sank die Temperatur und die bedeckten Stellen im Halse reinigten sich; in ältern Fällen
dauerte es 24 Stunden, bevor die Temperatur normal wurde, und 48 Stunden, bevor der
Pharynx gereinigt war.
In Kürze will ich einige der charakteristischsten Fälle aufführen:
I. 2. December 1877. W. W., Knabe, 6 Jahre alt. Als ich Patienten zum ersten
Male sah, war er die 3 Tage vorher local mit Kali chloric. und innerlich mit Tinct. ferri
behandelt worden. Ich fand die Mandeln und den Pharynx ganz mit diphtheritischen Mem¬
branen bedeckt. Der Knabe klagte über Schmerzen in der Reg. sternal. Die Respiration
war flach und zeigte stark ausgesprochene Dyspnoe, jedoch war die Stimme noch helL
Ich fuhr mit der angefangenen Cur noch 8 Stunden fort, da ich aber sah, wie rasch sich
die diphtheritische Infiltration ausbreitete, beschloss ich die oben beschriebenen Inhalatio¬
nen anzuwenden, welche die ganze Nacht hindurch angewandt wurden und nach 12 Stun¬
den warf Patient ein grosses Stück diphtherit Membran aus, welches zweifelsohne die
ganze Trachea ausgefüllt hatte, zugleich zeigte sich auch der Pharynx nahezu rein. Der
Schmerz, worüber der Knabe geklagt hatte, war sofort nach Expectoration dieser Mem¬
bran geschwunden.
Die microscopische Untersuchung ergab ausser Epithelien die Gegenwart von Fibrin,
schmalen runden Zellen und die typischen Micrococcen.
II. 29. November. B. 8., Mädchen, 3 Jahre alt. In diesem Fall machte ich die
Tracheotomie eine halbe Stunde nachdem ich wegen der starken Dyspnoe gerufen war.
Da keine Häute im Hals sichtbar waren, hielt ich diesen Fall für Croup. Einige
Stunden nach der Operation musste die Canüle von Membranen, welche die innere Oeff-
nung verstopft hatten, gereinigt werden. Am nächsten Morgen wurden im Pharynx diph¬
theritische Plaques sichtbar. Sogleich ordnete ich die Inhalationen an, aber natürlich in
diesem Fall durch die Canüle. Die innere Röhre wurde heraus genommen und der
Dampf strich durch die Oeffnung in die Krümmung des äusseren Rohres durch Larynx
und Pharynx. Nachdem die Inhalationen 12 Stunden angewandt worden waren, war der
Pharynx rein und eine relativ dünne Membran stiess sich durch das Rohr aus.
Das Kind genas vollständig, mit Ausnahme einer Lähmung der Stimmbänder, welche
wahrscheinlich durch Faradisation heilen wird.
IIL 23. November. M. R., eine 40 Jahre alte Frau, bei welcher die diphtheritische
Infiltration sich über die ganze Zunge und den grössten Theil des Pharynx erstreckte ;
nach 24 Stunden war die Temperatur normal und nach weiteren 24 Stunden Mund und
8chlund gereinigt
IV. 22. December. E. M., 16 Jahre alt Pharynx theilweise diphtheritisch inflltrirt,
in 12 Stunden geheilt
V. 31. December. C. E., 5 Jahre alt. Plaques auf beiden Mandeln. Am 3. Tage
wurden die Einathmungen angefangen, eine Mandel nach 12 Stunden sauber, die andere
erst in 2 Tagen, da die Eltern versäumt hatten, den Zerstäubungsapparat auch des Nachts
anzu wenden.
China. Spitalbrand. In Tientsin verbrannte das grosse Spital für Frauen
und Kinder. Nach der Depesche (4. Februar) sollen mehr als 2000 Personen in den
Flammen umgekommen sein. (Progrös mödical.)
Deutschland. Künstliche Mineralwasser. Herr Hofrath Dr. Ewich
in Cöln schreibt: „Meine künstlichen Mineralwasser, die auch im Winter benutzt
werden, sind analytisch nur als kunstgerecht veredelte Nachbildungen natürlicher
Quellen aufzufassen, jedoch mit dem Unterschiede, dass die Kunst zum Zwecke einer
bestimmten Wirkung die Mengenverhältnisse einzelner Bestandtheile nach Maassgabe der
Indication modificirt und indifferente Stoffe, oder störende Agentien daraus fern gehalten
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250
hat. Was die Natur versagt, ersetzt die Kunst. 80 habe ich denn auf practischem Wego
das Problem gelöst, dass die Wirkung und der Werth einer Quelle nicht auf der Totali¬
tät ihrer Bestandteile, wie man früher annahm, sondern auf dem Mengenverhältniss ge¬
wisser uns bekannter Heilstoffe beruhe. Mein Verfahren ist um so gerechtfertigter, als
die natürlichen Quellen an Gehalt bekanntlich fortwährenden Schwankungen unterworfen
sind, die z. B. bei manchen Bitterwassern am schroffsten hervortreten.
Mein Natron-Wasser I enthält die uns nach ihrer physiologischen Wirkung bekann¬
ten Bicarbonate des Natron und der alkal. Erden, nebst Schwefels., phosphors. und Chlor-
Verbindungen des Natron, mithin alle diejenigen Bestandteile, welche wir in den Natron-
qucllen von Carlsbad, Marienbad, Heilbrunnen, Vichy, Bilin, Ems, Eger, Wildungen etc.
als unentbehrliche Heilstoffe bei Krankheiten der Verdauungs- und Blutbereitungsorgane
besonders hochschätzen ; — also die Träger der W’irkung — in ebenbürtigen, durchschnitt¬
lich grösseren Mengen-Verbältnissen.
Mein Natron-Wasser II unterscheidet Bich von dem ersteren hauptsächlich durch
einen den natürlichen Quellen versagten Maximalgehalt von Natr. phosphoricum, der in
seiner glücklichen Verbindung mit Natr. bicarbonicum in maximo eine frappante, chemisch
nachweisbare Wirkung (vermehrte Harnsäure-Ausscheidung) gegen harnsaure Diathese
und acute sowohl wie chronische Rheumatismen und Gicht zu üben vermag; dabei aber
Harnsecretion und Darmthätigkeit gleichmässig noch mehr anspornt, als dies schon bei
Natr.-Wasser I der Fall ist.
Meine Natron-Lithion-Wasser I und II besitzen, neben den im Natr.-W. I. sich gel¬
tend machenden Bestandteilen — die als unentbehrliche Adjuvantia dienen — mittlere
resp. verdoppelte Mengen von Lithium bicarbonicum, zum Binden und Ausscheiden der
krankhaft im Blute vorhandenen oder an Gelenken etc. abgelagerten Harnsäure, mithin
das Nothwendige für leichtere wie schwere Fälle von Gicht (Gichtknoten), Nierengries
und Harnsäure-Anhäufung im Blute. Alle 4 Wasser sind sehr reich an Kohlensäure und
wohlschmeckend.
In meiner, jedem Arzte und Kranken gratis und franco zu Diensten stehenden Bro¬
schüre über Heilkräfte und Gebrauchsweise meiner Wasser, haben mehr als 60 der er¬
fahrensten Aerzte von nah und fern die heilsame Wirkung und Zweckmässigkeit der ihnen
bekannt gegebenen Compositionen bestätigt
Vergl. auch Prof. Dr. von Ziemssen Handbuch d. sp. Path. u. Ther. Bd. XIH, 8 . 186:
Prof. Dr. Senator über Ewich’a Lithion-Wasser bei Gicht; ferner Klinische Wochenschrift
1876 Nr. 17: Prof. Dr. v. Mosengeil Uber Ewich’a Lithion-Wasser bei harnsauren Con-
crementen.“
Deutschland. Antiimpfbewegung. Die Agitation gegen das Impfen
fand in Deutschland ihren neuesten Ausdruck in einem Flugblatte, das durch den Ver¬
einsausschuss der „Hahnemannia“ vielen deutschen Zeitungen extra beigelegt wurde.
Nach demselben sollen in Lebus bei Frankfurt an der Oder im Juli 1876 26 gesunde,
schulpflichtige Mädchen revaccinirt worden und nach wenigen Wochen 18 derselben an
Syphilis erkrankt sein. Der Abimpfling, ein Mädchen von 7 Monaten, wird ein „Muster¬
bild von Gesundheit“ genannt; später freilich steht dann, er habe „viele Wochen lang
an einem entstellenden, borkenartigen Ausschlag am Kopf, Gesicht und andern Körpcr-
theilen gelitten“; selbst am Tage der Abimpfung waren noch Borken an den Ober¬
schenkeln sichtbar. Das Kind hatte vorher „Furunculosis“ und die Mutter constitutionelle
Syphilis, was freilich unbekannt war.
Der eingeklagte Arzt wurde freigesprochen, was wir nicht für correct halten, wenn
es ihm möglich gewesen ist, bessern Impfstoff zu benützen.
Im gleichen Blatte wird dann behauptet, die Beschaffung einer genügenden Menge
guten Impfstoffes sei unmöglich.
Wir verweisen dagegen auf die in der Schweiz eingeführte Regeneration durch
Farrenimpfung und halten daran fest, dass die Ueberimpfung von Syphilis zu vermeiden
und diejenige anderer Krankheiten absolut nicht constatirt ist.
Frankreich. D i s c i p 1 i n an der medicinischen Facultät in Paris. Entgegen
dem klaren Wortlaute der Regiemente erlaubten sich einzelne Studenten, anatomische
Objecte aus den Sälen der Ecole pratique mitzunehmen. Nach langer Beratung be¬
schloss der academische Rath (Senat), einfach den Studenten durch Anschläge die Be-
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251
Stimmungen des Reglementes in das Gedächtniss zurückzurufen. Trotzdem erwischte bald
die verschärfte Aufsicht einen Studenten in flagranti. Der Decan, Prof. Vulpian , consul-
tirte abermals den academischen Rath und der fasste den Beschluss: „Im Widerspruche
mit den Instructionen der maassgebenden Behörde, die durch Anschläge die betreffenden
Bestimmungen in Erinnerung bringen liess , hat ein Schüler versucht, ein anatomisches
Object (piöce anatomique) aus dem Gebäude wegzutragen. Dieser Schüler wird von der
Ecole pratique ausgeschlossen.“
Der Name des Sünders wurde nicht genannt.
(Progrös mödical Nr. 13.)
Holland. Internationaler medicinischer Congress. Die nächste
Session dieses Congresses wird im Jahre 1879 in Amsterdam stattfinden. Das Organi-'
sationscomitä hat sich bereits constituirt; Vorsitzender ist Prof. Donders (Utrecht), Schrift¬
führer Dr. Guye (Amsterdam); Mitglieder des Comitä’s sind: Dr. Van Cappelle , Referent
für Medicinal-Angelegenheiten im Ministerium des Innern (Haag), Dr. Fabius (Amsterdam),
Prof. Dr. Hertz (Amsterdam), Prof. Dr. Heynsius (Leideu), Prof. Dr. Huet (Leiden), Prof.
Dr. Huizinya (Groningen), Prof. Dr. Koster (Utrecht), Dr. Ramaer (Haag), Prof. Dr. Rosen-
slein (Leiden), Prof. Dr. Sänger (Groningen), Prof. Dr. Snellen (Utrecht), Prof. Dr. Stokvis
(Amsterdam), Prof. Dr. J. W. R. Tilanus (Amsterdam) , Dr. Zeeman (Amsterdam). Das
Comitä hat beschlossen, dass die Sitzungen in Amsterdam stattfinden sollen. Der aus¬
schliesslich wissenschaftliche Congress soll eine Woche dauern und wird seinen Anfang
am 8. September 1879 nehmen. Die officielle Sprache ist die deutsche und französische.
Alle Mittheilungen, die Bezug haben auf den Congress oder auf Fragen, welche zum Ob¬
ject von Berathschlagungen werden können, werden mit Dank vom Comitä angenommen.
Dasselbe bittet jedoch, diese vor dem 1. Juni 1878 einzusenden, dem Termin, an welchem
das Comitä definitiv die Statuten und das Programm feststellen und die Berichterstatter
ernennen wird. Alle auf den Congress bezüglichen Mittheilungen bittet man an den Se-
cretär des Comitö’s, Dr. Guye in Amsterdam, zu adressiren.
Rumänien. Heilung von 6 Blindgeborenen. Dr. L'. Fialla, Chef-
Arzt der chirurgischen Abtheilung der „Philanthropie“ in Bukarest, hat das ausserordent¬
liche Glück gehabt, im Verlaufe von 2 Jahren 6 Blindgeborene zur Operation zu be¬
kommen. Dieselben bilden nun mit den seit 1728 beschriebenen 14 Fällen die stattliche
Reihe von 20 Beobachtungen dieser Art
Von den 6 Fällen Fialla 's betrafen vier beidseitige Cataracte lenticulo-capsularis (ein
Mädchen von 17 und eins von 10 Jahren; ein Mann von 25 und einer von 16 Jahren),
zwei beidseitige Cataracte lenticularis (ein Kind von 7 Jahren und ein Mädchen von 15
Jahren). In allen Fällen wurde vor der Operation nur Licht und Dunkel unterschieden.
Die angewendete Operation bestand stets in Discission des Cataract und hatte in
sämmtlichen Fällen vollen Erfolg.
F. kommt gleich den meisten frühem Beobachtern (vgl. Corr.-Blatt 1876, pag. 438)
zum Schlüsse, dass die empiristische Theorie des Sehens die einzig richtige ßei.
Vergiftung mit Chloroform. Wenig einverstanden sind wir mit der,
wie es uns scheint, zu coulanten Aburtheilung eines Apothekers in Paris, durch dessen
Fahrlässigkeit ein 14jähriges Mädchen statt eines Fläschohons Sirop de Nerprun (Wege¬
dora) ein Fläschchen (wie viel?) Chloroform erhielt und auch einnahm. Die Patientin
collabirte sofort und sturb bald. Obgleich nun dem Apotheker schon früher begangene
fahrlässige Verwechslungen nachgewiesen wurden, lautete die Strafe doch nur auf 200
Franken Busse und 1500 Fr. Entschädigung an die Mutter des Kindes. Das Patent
wurde dem Schuldigen nicht entzogen. (Lyon mödical.)
Stand der Infeetions-Krankheiten ln Basel.
Vom 26. März bis 10. April 1878.
(Die Zahlen in Klammern geben je weilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Die Masern epidemie schreitet in ihrer langsamen Abnahme fort; doch betrifft letz¬
tere nur Grossbasel, wo allein auf dem Südostplateau noch zahlreichere Erkrankungen
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252
Vorkommen; in Kleinbasel ist immer noch eine Zunahme zu constatiren. Augezeigt sind
im Ganzen 79 Erkrankungen (138, 94, 88, 84), davon in Grossbasel 86 (50, 44), in
Kleinbasel 43 (27, 38, 40). Nicht selten findet sich die Complication mit Group notirt.
Scharlach behauptet ungefähr den gleichen Stand; die Hauptmenge der Erkran¬
kungen ist in Kleinbasel; neue Fälle 21 (28, 26, 19), davon Grossbasel 5 (14, 8), Klein¬
basel 16 (12, 11).
Diphtherie sind nur 6 Fälle angezeigt (22, 19, 16), wovon die Hälfte aus Klein-
basel.
Croup nur 1 Fall ausser den oben erwähnten als Complicationen bei Masern.
Typhus 4 Fälle (3, 3, 4, 8), je 2 aus Gross- und aus Kleinbasel.
Puerperalfieber 6 Fälle, wovon 2 nachträglich aus der ersten Hälfte des März,
die fibrigen bei verschiedenen Hebammen (4, 5, 4).
Erysipelas 7 Fälle (10, 5, 10).
Pertussis 12 Fälle, wovon 8 im BirsigthaL
Zerstreute Fälle von Varicellen, 1 Meningitis cerebrospinalis.
Bibliographisches.
46) Emmert , Emil, Erster Bericht über die Wirksamkeit der Privatpoliklinik. 20 Seiten.
Bern, bei Rieder & Bimmen.
47) Ziemssen , Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie, XI. Band, 2. Hälfte:
Erb , Krankheiten des Rückenmarks (8chlussabtheilung mit Register). Leipzig, F.
C. W. Vogel.
48) Ladame, Discours sur les remädes secrets et annonces immorales dans leurs rap-
ports avec la Prostitution. 84 pages. Neuch&tel, Bureau du bulletin Conti¬
nental.
49) Gsell-Fels, Südfrankreich nebst den Curorten der Riviera di Ponente, Corsica und
Algier. 2. Auflage. Mit 21 Karten, 24 Stadtplänen, 5 Panoramen und 20 An¬
sichten. 841 S. Leipzig, Bibliographisches Institut.
60) Verhandlungen der berliner medicinischen Gesellschaft aus dem Gesellschaftsjahre
1876/77, herausgegeben von dem Vorstande der Gesellschaft Bd. VIII. 194 8.
Berlin, gedruckt bei Schumacher.
61) Die Bevölkerungsbewegung der Schweiz im Jahre 1876, herausgegeben vom statisti¬
schen Bureau des eidg. Departement des Innern. 186 8. Zürich, Verlag von Orell,
Füssli & Cie.
52) Prevost , Antagonisme physiologique, mämoire lu au Congräs international des Scien¬
ces mödicales. 6. Session. Genäve. (Separat-Abdruck des Archives de Physio¬
logie.)
53) Prevost , Ataxie locomotrice. 8clärose des cordons postärieurs, compliquäe d'une
scläroso symätrique des cordons latäraux. (Sep.-Abd. d. Archives de physiologie.)
Paris, Masson, äditeur.
64) Militdrärztliche Aphorismen , Populäre Abhandlungen aus dem Gebiete des Militärsani¬
tätswesens. 60 S. Mönchen, Verlag von Ant Finstorlin.
65) Laskowski , Procädä de Conservation des Cadavres et des Präparations anatomiques
(mämoire präsentö au Congräs mädic. internat de Genäve. 16 S. Genäve, Imprimerie
Ramboz & Schuchardt.
66) Ziemssen, Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie, VH. Band, 1. Hälfte,
Anhang. Zenker und Ziemssen , Krankheiten des Oesophagus. 4 Mark. Leipzig,
F. C. W. Vogel.
57) J. Herrn. Baas , Die ansteckenden Kinderkrankheiten. I. Masern. II. Keuchhusten.
Croup. Diphtheritis. III. Scharlach. Blattern. Alle 3 Theile in 1 Band elegant
broschirt Preis Mk. 1. 80. Jeder Theil apart k 60 Pfg. Stuttgart , Verlag von
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253
Briefkasten.
Herrn Prof. LaskowsJci: Verdanke bestens Ihre freundliche Zusendung. — Herrn Dr. Hafter
ln Wien: Die betr. Besprechung war uns willkommen. Besten Dank. — Herrn Dr. Sigg in A.: Mit
bestem Dank erhalten. — Herrn Dr. d. I. H. in L.: Besten Dank für Ihre Ihnen so viel MDhe verur¬
sachenden Informationen. Bel uns ginge das glatter und leichter. Herzliche GrQsse. — Herrn Dr.
Isenschmid in M., Herrn Dr. Hotch , Herrn Dr. Vogelsang: Mit bestem Dank erhalten. — Herrn Dr.
Breiting in Genua: Verdanke Dir bestens Deinen gelungenen Brief. Zeichnung äusserst gelungen.
Also später kommt das Versprochene; es soll willkommen sein! Herzliche GrQsse! — Herrn Stände¬
rath Dr. B. in L.: Besten Dank fQr die ertheilte Auskunft. Wir wünschen Ihnen von Herzen rasche
Reconvalescenz. — Herrn Dr. Bingxer in K.: Mit bestem Dank erhalten; da diese Nummer bei Em¬
pfang Ihres Briefes schon complet, erscheint derselbe in nächster Nummer. — Herrn Dr. C. Zehnder
in Z.: Verdanke bestens die freundliche Zusendung.
Tmnfotnff Durch die Unterzeichnete Stelle ist künftig wieder Farren- und Kuhlymphe
lWpiSlim. m beziehen, per Canule ä Fr. 1. 50.
Damit stets nur frische Lymphe abgegeben werden kann, werden die Herren Aerzte gebeten,
die Bestellungen jeweilen rechtzeitig zu machen.
Schaffhausen, den 14. April 1878. Sekretariat der Sanitätsdirektion.
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Bezugnehmend auf den Umstand, dass unter obigen Bezeichnungen immer mehr
nachgemachte und verfälschte Waare in den Handel gebracht wird, sehen wir uns ver¬
anlasst, die Herren Aerzte und Apotheker hiermit zu ersuchen, bei Verordnungen resp.
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sich bei Mutterlaugensalz als grosses Brandzeichen auf der einen Deckelseite der Fässer,
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meinden des circa 6000 Seelen zählenden Amts¬
bezirks Laufen dermalen kein Arzt ist. Nähere
Auskunft ertheilt der Unterzeichnete Präsident
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meldungen bis 20. April nächsthin zu richten
sind.
Laufen, den 13. März 1878.
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Königsfelden wird ein junger Arzt oder Candidat
der Medicin gesucht. Demselben wäre Gelegen¬
heit geboten, seine Studien fortzusetzen und sich
praktisch in die Psychiatrie einzuführen. Der fixe
Gehalt beträgt Fr. 1500 per Jahr nebst freier
Station. Reflektanten wollen sich beförderlich an
die Direktion der Anstalt wenden, welche nähere
Auskunft ertheilt. [H-1661-Z]
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zösischen Schweiz gesucht.
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werden dieselben nur in Glaabouteillen versendet. Be¬
stellungen hierauf, sowie Ar Fransensbsder Mineral¬
öl oor und Moorsala werden sowohl direct bei der unter-
seichneten Dlrection, als auch bei den Depots natür¬
licher Mineralwässer in allen grösseren Städten des
Continents angenommen und prompt effectuirt. Brochuren
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Titel n.Inhaltsverzeichnis8.
für
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Privatdocent in B&ieL
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N” 9. VIT! Jahrg. 1878. 1. Mai.
Inhalt: 1) Originalarbeiten: Dr. Adolf Voyt: lieber Lebenamittelpolizei. — Dr. Martin Ntukomm: Das pneuma¬
tische Cabinet und der transportable pneumatische Apparat (Fortsetzung). — 2) Vereinsberichte: Gesellschaft der Aerzte
in Zürich. — 8) Referate und Kritiken: Dr. Ludwig Hirt: Die gewerbliche Thitiglceit der Frauen vom hygienischen
Standpunkte aus. — 4) Cantonale Correspondenzen: Basel, Bern, Zürich. — 5) Wochenbericht. — fl) Biblio¬
graphisches. — 7) Briefkasten.
Omg , inal--Aj v t>eiteii.
Ueber Lebensmittelpolizei.
Von Dr. Adolf Vogt.
Der Frage der Lebensmittelverfälschung ist in der Neuzeit auch bei uns wieder
eine erhöhte Aufmerksamkeit zugewendet worden. Einzelne Kantone sind bereits
gesetzgeberisch vorgegangen, und auch im Kanton Bern hat die Direktion des
Innern die Frage an die Hand genommen. Eine Besprechung derselben im Schoosse
des ärztlichen Centralvereins konnte leider in seiner letzten Versammlung aus
Mangel an Zeit nicht stattfinden. Trotz der vielen Lärmschüsse über die gross¬
artigen Verfälschungen von Nahrungs- und Genussmitteln im Handel hat man bei
uns nur noch in sehr beschränkten Kreisen über dieses Thema ernstlich verhandelt:
die grosse Mehrzahl der schweizerischen Aerzte hat sich in dasselbe noch gar nicht
mitberathend eingelassen, und es schien mir daher wohl angezoigt, die Frage auch
einmal in unserem wissenschaftlichen Organe zur Sprache zu bringen, wenn auch
vielleicht für den praktischen Arzt die Frage über die Beschaffung von Lebens¬
mitteln überhaupt und deren rationellen Verwendung, besonders bei den ärmeren
Volksklassen, diejenige über deren Verfälschung im Handel an Interesse und Ge¬
wicht überbieten mag.
Das Thema ist aber ein so weitschichtiges, welches tief in Nationalökonomie,
Handel, Steuerwesen und Gesetzgebung eingreift, dass man sich bei dessen Be¬
sprechung gerne an einen gegebenen Anlass hält, um dieselbe in einen engeren
Kreis eingrenzen zu können. Mir bot sich als Gelegenheit das unten wieder¬
gegebene Kreisschreiben der heimischen Direktion des Innern, und ich erlaube mir
daher, meine Beantwortung desselben hier zum Abdruck zu bringen. Leider lässt
sich auch für den Mediciner in dieser Frage die juridische Seite nicht ganz um-
17
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258
gehen; allein für ihn handelt es sich dabei mehr nur um das Aussprechen des
Zieles, welches die Gesetzgebung seiner Ansicht nach zu erreichen hätte und
weniger um den richtigen juridischen Ausdruck im Gesetze, dessen Forroulirung
er gerne dem Juristen überlässt. In diesem Sinne möge man auch den kleinen
Streifzug in’s juridische Gebiet, welcher sich in meiner Antwort an die Direktion
des Innern findet, beurtheilen und seine Mängel entschuldigen. Das erwähnte
Kreisschreiben lautet:
„Die Direktion des Innern an die Gemeinderäthe, Aerzte und Apotheker des
„Kantons Bern.
„Tit. Mit den Vorarbeiten zu einem Gesetze über die Lebensmittelpolizei
„beschäftigt, bin ich so frei, Sie um Mittheilung Ihrer Ansichten und Wünsche zu
„ersuchen in Betreff der darin vorzusehenden Organe und Untersuchungsmethoden,
„sowie der materiellen Fragen, welche dabei in Betracht kommen, wie z. B., was
„als Verfälschung zu betrachten, wie weit und unter welchen Bedingungen künst¬
liche Darstellung zu gestatten, auf welche Lebensmittel die Untersuchung zu
„erstrecken sei u. s. f.
„Mit Rücksicht auf die Wünschbarkeit einer schnellen Behandlung dieser
„Angelegenheit bestimme ich Termin für die Einreichung der Eingaben bis zum
„26. Dezember nächsthin.
„Mit Hochschätzung Der Direktor des Innern:
(sign.) Const. Bodenheimer.“
Meinen individuellen Ansichten über ein solches beabsichtigtes Gesetz gab ich
Ausdruck durch folgende Zuschrift an die Behörde, welche ich der Beurtheilung
meiner Collegen hiemit unterbreite:
An die Tit. Direktion des Innern des Kantons Bern.
Bern, den 25. Dezember 1877.
Herr Direktor!
In einem Kreisschreiben vom 30. November d. J. wünschen Sie Mittheilung
der Ansichten und Wünsche in Betreffeines Gesetzes über Lebensmittel¬
polizei, mit dessen Vorarbeiten Sie gegenwärtig beschäftigt sind. Ich bin daher
so frei, Ihnen die meinigen hier im Umrisse mitzutheilen.
Unter „Verfälschung“ eines Lebensmittels verstehe ich dessen Umwand¬
lung in einen Stoff, wie er in Handel und Wandel nicht gebräuchlich ist, und
dessen Natur daher dem Consumenten unbekannt ist. Wird der Letztere durch
jene ihm unbekannte Veränderung der Waare zu seinem Nacbtheile getäuscht,
so qualifizirt sich die Verfälschung einfach als „Betrug“ von Seite des
Producenten, welcher nach der bestehenden Gesetzgebung der Bestrafung durch
den Richter unterworfen ist. Es kann aber dieser Betrug überdiess noch eine
Schädigung der Gesundheit des Käufers zur F olge haben: handelte
der Betrüger mit Kenntniss von der sanitären Schädlichkeit seines Verfahrens, so
fällt ihm ausser dem Betrug auch noch die „Körperverletzung“ zur Last;
handelte er ohne diese Kenntniss, so bleibt er immerhin noch neben der betrüge¬
rischen Handlung der „fahrlässigen Körperverletzung“ schuldig. Bei
einer für die Gesundheit des Konsumenten unschädlichen Lebensmittelverfälschung
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*259
haftet aber der Betrüger nicht bloss gegenüber dem Konsumenten wegen „Ver¬
mögensschädigung“, sondern auch gegenüber dem Staat, dessen Fiscus durch
Vermischung eines steuerpflichtigen Konsumationsartikels mit werthlosen, nicht
taxirten Substanzen und dessen Verkauf um den vollen Werth oft erheblich ge¬
schädigt wird. Simtnonds schätzt z. B. den Verlust für England allein durch Ver¬
fälschung des Zuckers, des Weines und der einheimischen Spirituosen auf etwa
32 Millionen Franken (1,266,000 ^). Da bei der Lebensmittelpolizei die Gesund¬
heit der Käufer in den Vordergrund tritt, so müssen die „verdorbenen“
Lebensmittel in dieser Beziehung mit den verfälschten in gleiche Linie gesetzt
werden.
Für Bestrafung der vollendeten That scheint mir nun die Gesetz¬
gebung vollständig zu genügen. Was jedoch den „Versuch“ der Schädigung
durch Lebensmittelverfälschung anbelangt, so betrachtet, soviel ich weiss, weder
unsere noch die deutsche Gesetzgebung die einfache Gegenwart verfälschter Le¬
bensmittel in öffentlichen Verkaufslokalen als einen solchen. Die Strafbarkeit des
Producenten beginnt erst mit dem Nachweis von dem stattgehabten Verkauf der
verfälschten Stoffe. Die Erfahrung lehrt aber, dass die geschädigte Bevölkerung
nur in seltenen Ausnahmsfällen begründete Klagen wegen verfälschter Lebens¬
mittel führt, auch wenn diese in grösserem Maassstabe Vorkommen, während auf
der andern Seite deren Vorhandensein in den Lagerorten und Verkaufslokalen zu
keiner Bestrafung berechtigt, auch wenn dasselbe durch die Controle von Behör¬
den festgestellt ist. Weil aber mit Sicherheit anzunehmen ist, dass verfälschte
Lebensmittel nicht allfallig zum blossen Schmucke, sondern allein zum Verkaufe
in den betreffenden Lokalen gelagert sind, so sollte die Gesetzgebung hier im
Interesse des öffentlichen Wohles über einen mehr theoretischen Standpunkt Weg¬
gehen und die Gegenwart derselben in öffentlichen Magazinen als
ein besonderes Delikt für strafbar erklären.
Eine zweite Lücke in der Gesetzgebung scheint mir darin zu liegen, dass nur
der verfälschende Produzent und auch dieser nur, wenn ihm eine wissent¬
liche Verfälschung gröberer oder schädlicher Art nachgewiesen ist, der Strafe
verfällt, während der Verkäufer, wenn er die Mitwissenschaft leugnet, leer
ausgeht. Jener wird aber bei uns in der Mehrzahl der Fälle dem Arme der Ge¬
rechtigkeit nicht erreichbar sein, und diesem wird, wenn er leugnet, selten eine
Mitwissenschaft durch Zeugen nachgewiesen werden können, so dass der gegen¬
wärtige Schutz des Konsumenten durch das Gesetz nicht mehr als ausreichend
angesehen werden kann. Einerseits stimme ich hier der Ansicht bei, welche
Bouchardat bei Anlass der Weinverfälschung äussert, dass nämlich der Weinhändler,
welcher seinen Wein z. B. färbt, immer strafbar sei, wenn er sich auch mit der
Unkenntniss von der allfälligen Schädlichkeit des angewendeten Farbstoffs ent¬
schuldigen wollte, „weil Jeder, welcher ein Geschäft betreibt, dasselbe auch ver¬
stehen müsse.“ Andrerseits dehne ich aber diesen Grundsatz auch auf den Ver¬
käufer aus, welcher die Verfälschung nicht selbst vorgenommen hat und nun
dieselbe nicht zu wissen vorgiebt, wie derselbe Grundsatz ja bereits allerwärts
beim Giftverkauf schon seine Anwendung gefunden hat. Auch der Zwischen-
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händler sollte sein Geschäft verstehen. Es bedarf daher bloss einer Uebertragung
dieses Grundsatzes auf alle Lebensmittelverfalschungen, welche das Vermögen
oder die Gesundheit Anderer zu schädigen geeignet sind, um jene Lücke in
der Gesetzgebung auszufüllen. Man verbiete einfach „das Halten von ver¬
fälschten oder verdorbenen Lebensmitteln in Verkaufslokalen,
sowie den Handel mit solchen,“ ohne bloss auf den Fälscher selbst, oder
auf dessen Kenntniss von der Schädlichkeit seiner Handlung, oder auf das Mit¬
wissen des Zwischenhändlers Rücksicht zu nehmen; diesem Letzteren würde im¬
merhin noch der Regress an Jenen freistehen. Es würde daher nach meiner
Meinung nicht nur die Vermögens- und Gesundheitsschädigung als vollendete
That und der Verkauf des Stoffes als Versuch derselben von der Gesetzgebung
hingestellt werden, sondern schon die stattgefundene Verfälschung der Verkaufs-
waare an sich als strafbare Handlung zu erklären sein.
Die Aufstellung beeidigter öffentlicher Experten (Chemiker und
besonders Mikroskopiker) in dem Sinne, daes sich dieselben zu den verlangten
Untersuchungen nach einem aufzustellenden Tarife verpflichten, würde dem Han¬
delsstand die Aufgabe, unverfälschte und unverdorbene Lebensmittel zu halten und
zu verkaufen, wesentlich erleichtern und es ihm möglich machen, jederzeit die¬
ser Verpflichtung nachzukommen. Für die Aufstellung eines fix besoldeten
Staatschemikers scheint mir einstweilen noch kein zwingender Grund und
kein ausgesprochenes Bedürfniss vorzuliegen. Es ist hier sehr der Beachtung werth,
was Prof. Dr. H. Fleck , Vorstand der chemischen Centralstelle für öffentliche Ge¬
sundheitspflege in Dresden, in seinem IV. und V. Jahresberichte (1876) über die
geschäftliche Thätigkeit des Instituts bemerkt (Seite 1): „während in den ersten
„Jahren das Publikum der chemischen Centralstelle zahlreiche Objekte zur chemi¬
schen Untersuchung einlieferte, war die Betheiligung des Ersteren an der Fre¬
quenz der hiesigen Arbeiten im verflossenen Jahre nur eine untergeordnete, so
„dass, obgleich im Jahre 1875 die Zahl der untersuchten Objekte die grösste der
„verflossenen 5 Jahre ist, an dieser vorwaltend die Behörden, in sehr untergeord¬
netem Grade das Publikum participiren. Vielleicht würde eine solche Abminde¬
nrung in letzterer Beziehung nicht fühlbar geworden sein, wenn Letzteres in Sa-
„chen der Hygiene durch ärztlichen Einfluss mehr, als es zu geschehen scheint,
„geleitet würde. Wie wenig aber gerade die praktische Medicin an dem Institute
„und dessen Arbeiten Autheil nimmt, wird die Mittheilung beweisen, dass bisher
„nur von einer sehr kleinen Anzahl hiesiger Aerzte die Hülfe der Centralstellc,
„und dann vorwaltend zur Untersuchung pathologischer Objekte, in Anspruch go¬
anommen wurde.“
Was die Polizei anbelangt, so bin ich der Anschauung, dass man ihr in
dieser Frage keinerlei strafende Eingriffe zugestehen und die Bevormundung des
Publikums durch dieselbe nicht zu weit treiben sollte, um nicht mannigfachen
Willkührlichkciten Thür und Thor zu öffnen. Es sollte der Polizei oder besser
einer besonderen Behörde (siehe weiter unten) eine wirksame Lebensmittelcontrole
zuertheilt und ihr zu dem Behufe der ungehinderte Eintritt in alle Lagerräume
und Verkaufslokale, sowie die Entnahme beliebiger Waarenmuster gegen Ersatz
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des Kostenpreises gestattet werden. Der solide Handelsstand würde ein solches
Vorgehen sicherlich ebenso begrüssen, wie es zweifelhafte Verkäufer mit Recht
empfindlich berühren würde: die Solidität des Handels sowie die Bevölkerung
kann dabei nur gewinnen.
Ist man einmal klar geworden über das Subjekt, welches strafbar zu erklären
wäre, so muss auch in Betreff der Beschaffenheit des Objektes prä-
cisirt werden, in wie weit dasselbe vom Richter als verfälscht oder verdorben
anzusehen sei. Sprachgebrauch und Sitte, Handel und Wandel sind aber überall
verschieden und der zeitlichen Veränderung so sehr unterworfen, dass es unmög¬
lich ist, die Grenzen des Begriffes „Verfälschung" festzustellen, wenn man von
den Fällen absieht, welche ohnehin schon laut Gesetz in die Strafgerechtigkeit des
Richters fallen. Es ist das traurige Zeichen einer hyperbureaukratischen Richtung,
wenn man unter der bestehenden Gesetzgebung z. B. Würste mit Mehl- oder
Ammermehlzusatz als strafbare Waare erklärt, gestützt auf das Motiv, dass sie
schneller verderben und bei allfällig verzögertem Absätze möglicherweise gesund¬
heitsschädlich wirken können. Konsequenterweise müsste man überhaupt Würste
aus rohem Fleische verbieten, weil sie schneller als gekochte und geräucherte in
Verderbniss übergehen. Hier muss unbedingt an die Stelle des todten Buchstabens
im Gesetze die lebendige Thätigkeit örtlicher Gesundheitsämter treten,
die, wenn sie durch die Bürger selbst gewählt sind, auch deren volles
Vertrauen besitzen und durch organische Verbindung mit der centralen Sani¬
tätsbehörde auch die Unterstützung von Seite der Wissenschaft nicht ent¬
behren würden. Denselben könnte füglich überlassen werden, für die an der
streitigen Grenze der Verfälschung oder Verderbnis stehenden Lebensmittel eine
gerechte Norm nach örtlichem Gebrauche aufzustellen. Eine wirksame und von der
Bevölkerung gern gesehene Lebensmittelcontrole ist mir auch nur denkbar, wenn
sie in die Hände solcher selbstgewählter örtlicher Gesundheitsämter gelegt wird.
Ihnen sollte in gleicher Weise auch die Anzeigepflicht bei strafbaren Verfälschun¬
gen beigelegt werden, da das Publikum erfahrungsgemäss nur sehr selten in sol¬
chen Fällen klagend auftritt und durch dies Geschehenlassen am meisten selbst
zur Unterstützung jenes Betruges beiträgt. Eine nicht zu unterschätzende Kräfti¬
gung der öffentlichen Moral könnte hier auch durch die obligatorische Ver¬
öffentlichung ergangener Strafurtheile von Seite der Gesundheits¬
ämter erzielt werden.
Für manche Rohstoffe der Ernährung lassen sich allerdings schon durch die
Gesetzgebung gerechte Normen aufstellen: für die grosse Mehrzahl der Lebens¬
und Genussmittel aber ist diess ihrer wechselnden und complicirten Zusammen¬
setzung wegen nicht möglich. Das Gesetz sollte daher, meiner Meinung nach, die
Interessen der Konsumenten hauptsächlich dadurch zu schützen suchen, dass es
bei jeder Veränderung eines gebräuchlichen Lebensmittels, welche der Käufer in
demselben nach herrschender Sitte und Sprachgebrauch nicht voraussetzen kann,
die Mittheilung jener vorgenommenen Veränderung an den
Käufer oder an das Publikum überhaupt obligatorisch macht, wenn
der Verkäufer nicht wegen Lebensmittelverfälschung straffällig werden will. Eine
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Bevormundung des Publikums in der Weise, dass man ihm Stoffe von vermeint¬
licher oder gar nur möglicher Schädlichkeit ganz zu entziehen sucht, scheint mir
nicht zulässig; hingegen halte ich die Aufklärung desselben in dieser Bezie¬
hung durch die Vermittelung von örtlichen Gesundheitsämtern für den richtigen
Weg zur Erreichung des Ziels. Man braucht sich nur zu vergegenwärtigen, wie
ein alltägliches und scheinbar ganz einfaches Vorkommniss, z. B. die Frage, ob
ein Wein, wenn er gallisirt, chaptalisirt, petiotisirt, gegypst oder gefärbt ist, als
verfälscht anzusehen sei, von der Bevölkerung in Bordeaux oder in Burgund, in
unserm Waadtland oder am Rhein wohl entschieden werden würde, oder auch die
Frage, ob die auf unsem Alpen erzeugte Milch als unverfälscht gelten solle, wenn
sie keinen grösseren Buttergehalt besitzt, als eine städtische Milch von Stallkühen,
welche mit Maische oder Oelkuchen gefüttert werden, — man braucht sich, sage
ich, dieses nur zu vergegenwärtigen, um die Nothwendigkeit einzusehen, dass
hierin lokalen Behörden die Entscheidung anheimgestellt werden sollte, wenn man
den Handel nicht ungerechter Weise anklagen und stören will.
Eine ähnliche Bewandtniss hat es mit den verschiedenen Untersuchungs¬
methoden behufs Entdeckung von Lebensmitte 1 Verfälschun¬
gen. Es befindet sich <lie Wissenschaft in dieser Frage in ununterbrochenem
Flusse, so dass sie durch Fixirung mittelst gesetzlicher Vorschriften zur Stagna¬
tion verurtheilt würde. Bereits muss die früher fast ausschliesslich geübte che¬
mische Untersuchung von Nahrungsmitteln jetzt der Mikroskopie den Vorrang
abtreten. In diesen rein wissenschaftlichen Fragen könnte natürlich einer lokalen
Gesundheitsbehörde kein kompetentes Urtheil zugestanden werden, und die Lösung
derselben müsste der obersten Expertenbehörde, nämlich dem centralen Sanitäts¬
amte zufallen, welches den lokalen Aemtern hierin mit Rath und That beizusprin¬
gen hätte.
Erlauben Sie mir, Herr Direktor, schliesslich noch einige Bemerkungen über
die Opportunität eines eigenen Gesetzes über Lebensmittelpolizei.
Man hat in der Neuzeit die Häufigkeit und das Gewicht solcher betrügerischen
Akte vielfach sehr übertrieben, besonders deren Einfluss auf die Gesundheit der
Bevölkerung. Ich muss schon aus dem Umstande darauf schliessen, dass mir aus
meiner eigenen 29-jährigen ausgedehnten ärztlichen Praxis zu Stadt und Land
nicht ein einziger Fall erinnerlich ist, wo durch ein verfälschtes oder verdorbenes
Nahrungsmittel eine Gesundheitsschädigung eingetreten wäre, die zu einer Ver¬
folgung vor Gericht hinlänglich Anhaltspunkt geboten hätte. In England, wo
eine ausgedehnte Gesetzgebung in dieser Materie, sowie ein eigenes seit 1871 er¬
scheinendes Nahrungsmitteljournal (Food Journal) von der Aufmerksamkeit Zeug-
niss giebt, welche man dort der Frage schenkt, war es besonders das Werk von
Battall (Adulterations detected or plain instructions for the discovery of frauds in
Food and Medecine, 2d edit. London 1861) und das von dem Gleichen redigirte
Journal „Lancet“, welche ein Misstrauen in den Lebensmittelhandel bei der Bevöl¬
kerung pflanzte, das den faktischen Thatbestaod unverhältnissmässig überragte.
Schon bei der damals vorgenommenen Enquöte reducirten Redwood, CbemieprofesBor
der Apothekergesellschaft von London, und Phitippt , der Chemiker des Steuer-
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amte8, bedeutend die HassaU 'sehen Angaben, ohne dass ihre Stimmen im aufge¬
regten Publikum Gehör fanden. Soviel auch über die Methoden zur Entdeckung
solcher Fälschungen gesprochen und geschrieben wird, so muss doch die Zahl und
das Gewicht der nachgewiesenen Fälle verhältnissmässig als sehr beschränkt er¬
scheinen, zumal wenn man den sanitarischen Standpunkt einnimmt. Noch im vergan¬
genen August berichtete die „Kölnische Zeitung“ über eine umfangreiche amtliche
Untersuchung der Lebensmittel in Barmen: Mehl und Brod, sowie Butter, Zucker,
ungerüsteter Kaffee und Essig wurden ausnahmslos unverfälscht vorgefunden. Nur ,
eine Probe von geröstetem Kaffee war mit einem unschädlichen quantitativ nicht
erheblichen Ueberzuge versehen. Zimmtpulver wurde allerdings vielfach mit fremd¬
artigen Stoffen versetzt gefunden. Dabei ist zu bemerken, dass Barmen mit 75,000
Einwohnern ausschliesslich Fabrikstadt mit vorwiegender Arbeiterbevölkerung ist,
bei welcher die Lebensmittelverfälschungen ihren Hauptmarkt zu haben pflegen.
Auch die Klage über gefälschtes Bier ging in Deutschland durch das Publikum,
so dass der deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege dieses Thema auf
die Traktanden seiner letzten Versammlung in Nürnberg zu setzen sich veranlasst
sah. Nun ist es in dieser Beziehung sehr bezeichnend, dass das deutsche Reichs¬
gesundheitsamt, welches im November und December dieses Jahres einen Gesetzes¬
entwurf über Lebensmittelverfälschung von einer grösseren Kommission von Juri¬
sten und Sachverständigen berathen liess, in Nro. 49 seiner „Veröffentlichungen“
(vom 10. Dec. 1877) folgenden Brief von Prof. Fleck an den Redaktor der „Hopfen¬
zeitung“ in Nürnberg wiedergiebt:
„Hochgeehrter Herr!
„Dass Ihre freundliche Zuschrift vom 28. October erst heute von mir beant¬
wortet werden . kann, wollen Sie mit dem Drange der Geschäfte entschuldigen,
„unter welchem ich stehe und der mir jede anderweitige Thätigkeit unmöglich
„macht. Im Besitz Ihrer sehr interessanten Festschrift (Hopfenfest in Nürnberg)
„würde ich gern als Erwiderung Ihnen einen Artikel über Bier und dessen Ver¬
mischung dankbarst zusenden, .wenn ich darüber berichten könnte. Verdorbene
„Biere, d. h. solche, welche durch schlechte Behandlung auf Lager oder durch zu
„frühe Versendung und dadurch bedingte geringe Haltbarkeit ungeniessbar wer-
„den, habe ich genug gefunden, verfälschte Biere sind mir noch nicht
„vorgekommen in den verflossenen 7 Jahren meiner analytischen Thätigkeit.
„Noch gehen die Fluthen in der Witterung verfälschter Nahrungsmittel zu hoch,
„um der übertriebenen Strömung einen Damm zu setzen; wenn sich aber der
„Lärm etwas gelegt, Presse und Publikum sich beruhigt hat, und die Leute genug
„Geld weggeworfen haben, um endlich zu erfahren, dass auch hierin des Guten
„zuviel geschehen kann, dann denke ich, wird es an der Zeit sein, zu beweisen,
„dass es weniger im Interesse des Publikums war, die Nahrungsmittel- und Ver¬
mischungsfrage zu einer solchen Wichtigkeit zu erheben, sondern dass vor Allem
„Zeitungsschreiber ohne Abonnenten, Chemiker ohne Clienten und Aerzte ohne
„Patienten es sind, welche zur Hebung ihrer Interessen Behörden und Publikum
„im Athem erhalten und auf Kosten dieser sich Geld und Namen zu erwerben
„hoffen. Denken Sie an den Herbstzeitlosenschwindel in Darmstadt, und so wie
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„mit dieser, wird es mit mancher anderen Angelegenheit in der Nahrungsmittel-
„frage betrieben werden. Sie erkennen hieraus, dass es mir jetzt noch nicht op¬
portun erscheint, gegen den Strom zu schwimmen ; vielleicht wird aber in nicht
„zu langer Zeit Gelegenheit sich bieten, der Sache näher zu treten, und dann soll
„es mich freuen. Ihnen auch über die Bierverfalschungsfrage entsprechendes Ma-
„terial liefern zu können.
„Dresden, den 9. Nov. 1877.
(sign.) Dr. H. Fleck, Professor und Hofrath.“
Offenbar liegt der Fehler weniger an der bestehenden Gesetzgebung, als an
der Indolenz des Publikums, welches unter der Erziehung durch den Polizeistaat
zu energielos und unmündig geworden ist, um auf den Betrug im Lebensmittel¬
handel bei jedem Einzelfall entsprechend zu reagiren. Das Interesse, solche im
Einzelfall kleine aber im grossen Ganzen doch in’s Gewicht fallende Betrügereien,
welche vorwiegend die arme Bevölkerung schädigen, zu verfolgen, kann kaum
anders geweckt werden als durch eine volksthümliche Gestaltung des öffentlichen
Gesundheitswesens, wie ich es oben angedeutet habe.
Es ist aber noch eine andere Betrachtung, welche mir die seither übliche
Lösung der Frage von der Lebensmittelverfälschung weder für opportun noch für
sehr sympathisch erscheinen lässt. Ein erwachsener Mensch verbraucht nämlich
zu seiner Erhaltung per Tag nicht weniger als etwa 30 Pfund atmosphäri¬
scher Luft. Dass dieses Lebensmittel trotz seiner specifischen Leichtigkeit schon
an absolutem Gewicht das Quantum aller übrigen Lebensmittel, welche binnen 24
Stunden etwa konsumirt werden, weit übertrifft, muss es unter unsern Lebens¬
mitteln in die vorderste Reihe stellen, so sehr wir uns auch bei der Beschränkt¬
heit unserer gegenwärtigen hygienischen Anschauungen noch sträuben mögen, der
Athmungsluft diese Stellung anzuweisen. Der Gesundheitszustand der ländlichen
Bevölkerung in allen Ländern mit ihrer meist sehr mangelhaften Ernährungsweise
gegenüber demjenigen der städtischen Population mit besserer Nahrung aber
schlechterer Luft ist hiefür ein zu sprechendes Zeugniss, als dass man diess Ver-
hältniss übersehen könnte. Zu einer vernünftigen Controle und Pflege dieses wich¬
tigsten aller Lebensmittel würde jedoch eher eine rationelle Gesetzgebung über
Bau- und Wohnungspolizei führen, welche aber noch weniger als ein
Lebensmittelpolizeigesetz nach gegenwärtigen Begriffen eine erfolgreiche Durch¬
führung zu erwarten hat, wenn sie nicht zugleich mit dem Letzteren als organi¬
sche Theile in eine wirklich demokratische Sanitätsreform eingefügt
werden.
Ich schliesse diese skizzenhaften Bemerkungen mit dem Geständnis, dass sie
nur der Ausdruck meiner individuellen Anschauung sind, welche vielleicht noch
vielfacher Modifikation durch die kritische Feile Anderer bedarf, um nutzbar ge¬
macht werden zu können.
Mit Hochschätzung 1 Ihr ergebener Dr. Adolf Vogt.
P. S. Während die obige Arbeit in Händen der Redaction dieser Blätter lag,
ist der in Aussicht gestellte Gesetzesentwurf der bernischen Direction des Innern
sammt Bericht im Druck erschienen und hat bereits in der letzten Nummer des
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Correspondenzblattes eino Besprechung gefunden. Ich behalte mir vor, mich über
einzelne Theile jenes Entwurfes später eingehender cinzulassen, wenn derselbe in
endgültiger Redaktion an die gesetzgebende Behörde des Cantons Bern gelangt.
Das pneumatische Cabinet und der transportable pneumatische Apparat.
(Vortrag gehalten in der ärztl. Gesellschaft von Zürich am 5. Jan. 1878.)
Von Dr. Martin Neukomm, pr. Arzt in Zürich.
(Fortsetzung.)
Sehr wirksam zeigen sich die Bäder in coraprimirter Luft zur Beseitigung
pleuritischer Residuen. Die stärkere Entfaltung der Lunge begünstigt
den Resorptionsprocess, der übrigens auch Hand in Hand mit dem gesammten
Stoffwechsel durch die vermehrte Sauerstoffaufnahme in’s Blut eine Steigerung
erfährt.
Soviel über die Heilanzeigen des pneumatischen Cabinets. Ich übergehe die
etwa noch in Frage kommende Bedeutung desselben in Fällen von Coryza,
Conjunctivitis, Pharyngitis und Laryngitis, da hier eine ver¬
nünftige Local-Therapie auf weniger umständlicherem Wege Dasjenige erzielt,
was man von der anticatarrhalischen Wirkung der comprimirten Luft erwarten
könnte. Gegenüber der von einzelnen Autoren berichteten Heilung von Chorea,
Neuralgieen, Hyperaesthesieen etc. kann ich mich eines gewissen
Scepticismus nicht erwehren. Ob ferner die harntreibende Wirkung der compri¬
mirten Luft so beträchtlich sei um zur Behandlung der Gicht, wie Einige wollen,
Verwendung zu finden, scheint mir mehr als zweifelhaft. Und endlich was soll
man dazu sagen, wenn seiner Zeit ernstlich das pneumatische Cabinet gegen Tu¬
mor albus, malum Pottii und andere das chirurgische Gebiet berührende Fälle
empfohlen wurde ? Was zu dem thatsächlich gemachten Vorschlag die antieatarrha-
lische Wirkung der comprimirten Luft für die Behandlung von Leucorrhoe in An¬
spruch zu nehmen? Dergleichen absurde Ausschreitungen richten sich selbst und
ersparen uns jegliche Kritik.
Was nun die Contra-Indicationen des Gebrauchs der Glockenapparate
betrifft, so ist in erster Linie zu erwähnen, dass Fieberzustände die Anwen¬
dung der comprimirten Luft nicht gestatten, da ja, wie wir sahen, die Körpertem¬
peratur unter deren Einfluss eine Steigerung erfährt.
Indess gilt diese Einschränkung nur für Fälle von Febris Continua, d. h. für
die eigentlich acuten Krankheitsformen. Handelt es sich beispielsweise um abend¬
liche Temperatur-Erhöhungen bei einem Phthisiker, so bilden diese durchaus keine
Gegenanzeige. Ja es kann durch günstige Beeinflussung des Local-Leidens dem
Fieber durch die comprimirte Luft Abbruch gethan werden, wie ich dies in eini¬
gen Fällen, wo schon nach einer Woche die Exacerbationen der Temperatur wäh¬
rend des Gebrauches pneumatischer Bäder schwanden, constatirt habe.
Als weitere Contra-Indication müssen Herzkrankheiten erwähnt werden.
Wenn auch einzelne Autoren den palliativen Nutzen der comprimirten Luft bei
Herzkrankheiten betonen, so mahnen doch Alle zu grösster Vorsicht und die Mei-
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sten abatrahiren hiebei von deren Anwendung. In der That, die wenigen Unfälle,
welche bei der Verordnung pneumatiacher Bäder beobachtet wurden, beziehen sich
zumeist auf Complicationen mit Herzleiden, wobei Perturbations-Erscbeinungen im
Circulations-Apparat sich bemerkbar machten.
So sehr es daher auch in manchen Fällen wünschenswerth wäre, Herzkranke
die Sitzungen in comprimirter Luft gebrauchen zu lassen, um etwa vorhandene
Dyspnoe zu beseitigen, auf die Stauungen im kleinen Kreislauf einzuwirken etc.,
so verzichte man lieber auf dergleichen Ordinationen.
Einer Ausnahme nur müssen wir gedenken, es ist dies das Fettherz, bei
dem die pneumatische Kur, wenn eine Reihe von Wochen consequent gebraucht,
recht günstige Resultate ergiebt, ohne dass man, falls nicht schon hochgradige
Herz-Insufficienz vorhanden, bedenkliche Zufälle zu risquiren hätte. In den An¬
fangs- und Mittelstadien dieser Krankheit ist die comprimirte Luft in Form von
Sitzungen in pneumatischer Glocke eine wahre Wohlthat für die Kranken. Sic
athmen leichter, allfällige hypostatische Catarrhe, wie sie so häufig das Leiden
begleiten und oft geradezu manifest erscheinen lassen, schwinden, die Vital-Capa-
cität nimmt zu und der Puls wird kräftiger. Nach den günstigen Erfahrungen, die
ich in Behandlung dieser Krankheitsform gemacht habe, bin ich überzeugt, dass
es kein besseres Mittel giebt um die Anfänge derselben zu bekämpfen, als com¬
primirte Luft, circa 4—6 Wochen lang in täglichen Sitzungen angewendet.
In letzter Linie gelten als Contra-Indication der pneumatischen Kur hoch¬
gradige Schwächezustände. Die comprimirte Luft ist kein indifferentes
Mittel, vielmehr ein kräftig eingreifendes, zweischneidiges Agens. Die Wirkung
auf die Circulationsorgane und vor Allem der Eingriff in den Stoffwechsel, der
unter dem Einfluss der comprimirten Luft gesteigert wird, gebietet Vorsicht in
allen Fällen, wo die Herzthätigkeit sehr darniederlicgt und überhaupt die Resi-
stenzfahigkeit des Organismus sehr gesunken ist. Das pneumatische Cabinet hat
zwar schon manchen verzweifelten Fall von Jahre lang dauerndem Emphysem ge¬
heilt. Wo aber bereits der Herzmuskel namhafte Störungen erlitten hat, vermag
es kaum mehr als eine symptomatische, vorübergehend erleichternde Wirkung zu
erzielen und immer wird noch überdiess dem Arzt im gegebenen Falle die Frage
auferlegt, ob er seinen Patienten für fähig hält sich einer eingreifenden Kur, wie
sie mit den pneumatischen Sitzungen verbunden ist, zu unterziehen. Ich habe in
einigen Fällen von Emphysem, wo bereits das Herz im Zustand bedeutender Dila¬
tation sich befand und Oedeme an den Füssen sich zeigten, vorübergehende Besse¬
rung erzielt; dagegen musste ich zuweilen die Kur abbrechen, wenn bei sehr ge¬
schwächten Patienten in der comprimirten Luft der Puls an Zahl eher zu- als
abnahm und die Dyspnoe während der Sitzung stärker wurde. Allgemeine Anhalts¬
punkte, um die Grenzen der Zulässigkeit zu ziehen, vermöchte ich nicht aufzu¬
stellen; es ist die Aufgabo des Arztes, im concreten Falle zu entscheiden, was er
der Reactions-Fähigkeit seiner Patienten zumuthen kann.
Bevor wir uns zur Behandlung mit den transportablen Apparaten wenden,
muss ich noch einiger Fälle gedenken, wo ioh zu therapeutischen Zwecken Sitzun¬
gen in verdünnter Luft statt in verdichteter vornehmen Hess. Es geschah
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diess da, wo trotz augenscheinlich vorhandener Indication die letztere nicht ertra¬
gen wurde und gelangte ich auf diesem Wege dazu etliche meiner Emphysema-
tiker und Asthmatiker, denen aus nicht zu eruirender Ursache die compri-
mirte Luft nicht bekam, verdünnte Luft gebrauchen zu lassen, und zwar nicht ohne
nennenswerthen Erfolg.
In einem Falle besonders, wo es sich um Emphysem mit nervösem Asthma
handelte, war das Resultat der Behandlung ein auffallendes- Patient hatte schon
Jahr und Tag an Erscheinungen von Emphysem laborirt und in den letzten Mona¬
ten waren Anfälle von Asthma bronchiale hinzugetreten, die sich zuletzt allnächt¬
lich einzustellen pflegten. Der Kranke benutzte anfänglich Sitzungen in mässig
comprimirter Luft (V* Atm. Ueberdruck). Die Dyspnoe wurde stärker und es trat
einmal in der Glocke selbst ein Anfall von Asthma auf. Höherer und niederer
Druck erwiesen sich ebenfalls fruchtlos und so machte ich den Versuch mit ver¬
dünnter Luft Es wurde mit einer Verdünnung begonnen von —100 MM. und
schliesslich, da Patient die Sitzungen recht gut ertrug, bis auf — 270 MM. Queck¬
silberdruck gestiegen, was einer Luftverdünnung entspricht, wie sie in einer Höhe
von beiläufig 10,000 Fuss ü. M. existirt
Der Erfolg war überraschend. Nicht nur befand sich Patient in der verdünn¬
ten Luft auffallend besser, als dies in der verdichteten der Fall gewesen, sondern
es nahmen auch ausserhalb der Glocke zusehends die subjectiven Beschwerden ab,
die Anfälle blieben nach und nach ganz aus und am Ende der Kur constatirte ich,
dass die Lungen-Ectasie sich beträchtlich reducirt hatte. Die V. C. hatte um 800
CC. zugenommen.
Ich will es nicht versuchen, diese Fälle von Heilung resp. Besserung von
Emphysem und Asthma in verdünnter Luft mit einer zutreffenden Theorie zu
beleuchten. Dagegen konnte ich folgende sich mir aufdrängende Betrachtung nicht
von der Hand weisen: Die verdünnte Luft erleichtert die Exspiration, und kömmt
dieser Umstand wohl dem Emphysematiker, dessen Ausathmung insufficient ist,
besonders zu Statten.
Sodann spielt wohl der Einfluss der Luftverdünnung auf die Circulationsver-
hältnisse eine gewisse Rolle. Der Widerstand im kleinen Kreislauf wird herab¬
gesetzt, da unter dem verminderten Luftdruck die Capillaren und kleineren Lungen-
gefässe sich erweitern; es kömmt so eine grössere Menge Blutes mit der Lungen-
Luft in Berührung, die Athmungsfläche, d. h. die Angriffsfläche für die Resorption
von O, gewinnt an Ausdehnung. Vielleicht kömmt hiebei noch in Betracht, dass,
wie von Einigen behauptet wird, die Resorbilität des Sauerstoffs in verdünntem
Zustande grösser wird. Jedenfalls aber glaube ich in den angedeuteten Circula-
tionsverhältnissen einen Grund für die Abnahme der Dyspnoe zu erblicken. Die
besagte Gefäss-Erweiterung in der Lunge ist um so bedeutsamer, als Hand in
Hand damit das Organ keineswegs mit Blut überladen wird, vielmehr eine Ent¬
lastung derselben dadurch stattfindet, dass auch das übrige periphere Stromgebiet
(Gefässe der Haut, Muskulatur etc.) eine Gefässerweiterung erleidet und so durch
weitverbreitete Herabsetzung der Widerstände eine regelrechte Blutvertheilung
begünstigt und daher die Lunge vor Blut-Ueberhäufung geschützt wird.
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Man wird mir einwenden, es klinge paradox, gegen eine und dieselbe Krank¬
heitsform bald comprimirte, bald verdünnte Luft d. h. diametral entgegengesetzte
Principien zu empfehlen. Die Erfahrung lehrt jedoch auch auf andern Gebieten,
dass wir in scheinbar ganz gleichen Fällen auf scheinbar entgegengesetztem Wege
zum nämlichen Ziele gelangen. Ich darf hiebei nur an die in der Erfahrung hin¬
länglich begründete Meinungsverschiedenheit über Wärme und Kälte als antiphlo-
gistica erinnern. Oder sind etwa die Grundsätze so genau präcisirt, nach denen
in den einen Fällen von Peritonitis kalte, in andern wieder warme Umschläge ap-
plicirt werden sollen? Hat man nicht auf beiden Wegen Erfolg und Misserfolg
zu verzeichnen ?
Uebrigens sind bei verdünnter und verdichteter Luft manche physiologische
Wirkungen dieselben. Beim Aufenthalt in letzterer steigt, wie wir sahen, die Am-
plitüde der Zwerchfells-Action d. h. die Athemzüge werden tiefer. Aber ganz das
Nämliche findet, wie man weiss, beim Aufenthalt in verdünnter Luft statt, nur ist
hier das Tieferwerden der Athemzüge eine indirekte, durch vermehrtes Athmungs-
bedürfniss bewirkte Folge der Luftverdünnung, während es bei verdichteter Luft
als ein Moment directer mechanischeriWirkung derselben aufgefasst werden muss.
Gehen wir nun zu der Betrachtung der mit dem transportablen pneu¬
matischen Apparate bewerkstelligten Behandlungsweise über. Die funda¬
mentale Stütze gewinnt diese Methode durch die schon in früheren Jahren ge¬
machte Beobachtung, wonach bei einer durch mechanische Ursachen bedingten
Dyspnoe zweierlei Typen zu unterscheiden sind, je nachdem die Inspiration oder
die Exspiration vorwiegend erschwert ist Meines Wissens war es Biermer, der
zuerst auf diese Verhältnisse aufmerksam machte und geleitet von seinen an Em¬
physem und Asthma gemachten scharfen Beobachtungen, wo er die Exspiration
erschwert fand, die beiden Typen von Dyspnoe, insufficiente Inspiration und insuffi-
ciente Exspiration auseinander hielt.
Einen weiteren Schritt hat Gerhard gethan, indem er die von Biermer gewon¬
nene Thatsache bestätigend, den Vorschlag machte, die bei Emphysem erschwerte
Exspiration durch Compression des Thorax mittelst passiver Gymnastik zu er¬
leichtern.
In eigentlich bahnbrechender Weise aber hat Hauke die Sache gefördert, indem
er im Jahre 1870 eine Blasbalg-Vorrichtung construirte, vermittelst deren er die
in einem Behälter über Wasser abgeschlossene Luft comprimiren oder verdünnen
konnte. Seine Absicht war, verdichtete Luft bei Croup einathmen, dagegen bei
Emphysem in verdünnte Luft ausathmen zu lassen. Den seinem Apparat anhaften¬
den principiellen Uebelständen (Inconstanz und geringe Dosirung der Luftdichte)
hat bekanntlich Waldenburg Abhülfe geschaffen, indem er 1873 seinen nach dem
Princip des Gasometers construirten Apparat veröffentlichte. Ich darf voraussetzen,
dass diese Form des transportablen pneumatischen Apparates, die wohl von allen
vor und nachher erfundenen die grösste Verbreitung gefunden hat, hinlänglich
bekannt sei. Auch ist hier nicht der Ort in Aufzählung aller inzwischen Schlag
auf Schlag auftaucbenden ähnlichen Vorrichtungen — es sind deren nicht weniger
als 15 — mich auszulassen. Soweit ich mir ein Urtheil erlauben darf, möchte ich
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unbedingt den Gasometer-Apparaten von Waldenburg und Schnitzler (der letztere ist
eine mit glücklichen technischen Verbesserungen versehene Modification des Walden¬
burg' sehen Apparates) den Vorzug einräumen, da sie sich zum practischen Gebrauch
wie zu wissenschaftlichen Zwecken in gleicher Weise eignen, ohne dass deren Preis
sehr hoch zu stehen käme.
Besondere Erwähnung verdient der von G. Lange in Ems vor 2 Jahren be¬
schriebene Luftpumpenapparat, weil er leicht an Gewicht und darum auch wirk¬
lich portativ ist, überdiess gleich dem Biedert sehen Balg-Apparat keiner Wasser¬
füllung bedarf. Ob die etwas theure Vorrichtung sich in praxi bewähren wird,
ist Sache weiterer Prüfung. Letzteres gilt auch von dem Benjamin unter den
transportablen Apparaten, der unter dem Namen „Schöpfradgebläse“ kürzlich von
Geigel und Mayr in Würzburg in die Oeffentlichkeit gebracht wurde. Wir bewun¬
dern in dieser neuen Vorrichtung eine höchst sinnreiche, ingeniöse Erfindung,
welche vor den in Gebrauch stehenden Apparaten schätzbare Vorzüge, vor Allem
den der Continuirlichkeit der Wirkung besitzt. In willkürlich zu begrenzender
Dauer kann man durch eine kaum ermüdende Drehung einer Kurbel den Apparat
in Gang halten und so den Patienten 80, 100 und mehr Athemzüge ohne Unter¬
brechung der Procedur vornehmen lassen — ein Umstand, der einen entschiedenen
Vorzug vor dem Waldenburg' sehen Apparat gewährt, bei welchem das An- und
Abnehmen der Gewichte zeitraubend Und mühsam ist. Dagegen darf nicht über¬
sehen werden, dass wir es nicht wie beim Waldenburg mit einem constantbleiben-
den Grad der Dichte zu thun haben — ein wesentlicher Vorzug der Gasometer¬
apparate 1 Auch ist die keineswegs einfache Construction des Apparates ausnehmend
kostspielig (der Preis beläuft sich auf gegen 1000 Fr.) ünd die Transportabilität
ist hier vollends zur Chimäre geworden.
Es muss hier noch erwähnt werden, dass auch mit Hülfe des pneumatischen
Cabinets Inspirationen comprimirter und Exspirationen in verdünnte Luft vorge¬
nommen werden können, indem man einen nach aussen gehenden Schlauch mit
dem Abzugskrahnen in Verbindung bringt Von dieser Art der Anwendung hat
Josephson in Altona schon 1864 zu verschiedenartigen Heilzwecken Gebrauch ge¬
macht Dabei will er sich weit höherer Drucksteigerung, als sie Waldenburg zu¬
lässt, bedient haben, d. h. bei Anwendung einer Compression von ‘/, Atmosphäre
zum Zwecke der Einathmung ausserhalb der Glocke „nicht nur nichts geschadet,
sondern in geeigneten Fällen sogar entschieden genützt haben.“ (S. Josephson: Ueber
Prof. Waldenburg' s Vergleichung des pneumatischen Cabinets mit dem transportab¬
len pneumatischen Apparat; eine kritische Beleuchtung, Hamburg 1875.) Diese
etwas kühn lautende Angabe bezüglich der Wirkung grosser Druckdifferenzen ver¬
liert an Gewicht, wenn wir hören, wie sich Josephson in einer später erschienenen
Arbeit über die nämliche Sache ganz anders äussert. Er bemerkt nämlich in sei¬
ner Brochüre, betitelt: Wirkungslosigkeit und Nachtheile der transportablen pneu¬
matischen Apparate von und nach Waldenburg , Hamburg 1877, auf Seite 13, wo er
von den Ausathmungen in verdünnte Luft spricht: „Auch hier, wie beim Ein-
athmen verdichteter Luft ausserhalb des Cabinets ist das Athmen mit Druckunter¬
schied ermüdend und beschwerlich schon für Gesunde, wogegen ein mit kranken
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Lungen Behafteter sich beengter und asthmatisch fühlt, wenn er auch noch nicht
mit Asthma behaftet war. War er aber schon asthmatisch, so steigert sich das
Asthma bei den Wiederholungen dieser Athmungsmethode ansehnlich.“
Ich begnüge mich auf diesen grellen Widerspruch zwischen den beiden er¬
wähnten Angaben Josephson' s hingewiesen zu haben. Man glaubt kaum, dass zwei
so entgegengesetzte Aeusserungen aus derselben Feder geflossen sind.*)
Auf Grund eigener Untersuchungen stimme ich vollkommen mit Waldenburg
überein, wenn er vor der Anwendung hoher Druckdifferenzen zum Zwecke von
Inspiration comprimirter oder Exspiration in verdünnte Luft warnt. Versuchte
ich ausserhalb der Glocke bei einer Compression von '/* — '/* Atmosphäre an dem
nach aussen führenden Schlauch mittelst einer Waldenburg'scheu Gesichtsmaske zu
inspiriren, so war ich genöthigt beim Andrang der aus dem geöffneten Hahn her¬
vorstürzenden Luft den Athmungsakt abzubrechen, die Maske zu entfernen resp.
den Hahn zu schliessen. Zwang ich mich, bei geöffnetem Hahn die Maske fest am
Gesicht angepresst zu halten, so unterblieb gleichwohl die Inspiration, indem ich
deutlich einen Abschluss der oberen Athemwege — des Isthmus faucium und der
Stimmritze — fühlte- Der mächtige Luftanprall verhielt sich diesem Sicherheits-
Ventilator gegenüber wie ein irrespirables Gas.
Aehnliches hat Knaulhe bei Ausathmung in verdünnte Luft unter hohen Druck¬
differenzen beobachtet. »Die Exspiration gelang nur theilweise, indem plötzlich
ein Moment eintrat, wo die Glottis sich schloss und die tiefe Athmung abschnitt“
Ja Kraulhe fügt bei, dass er am Ende der Procedur heiser gewesen sei und ein
Gefühl von Wundsein im Kehlkopf verspürte (s. Handbuch der pneumatischen
Therapie von Dr. Theodor Knauthe , Leipzig 1876).
Das Gesagte möge hinreichen, um das Unstatthafte der Josephson' sehen Angaben
bezüglich Anwendung hoher Druckdifferenzen zu erweisen. Mag auch Waldenburg
aus der Noth eine Tugend gemacht haben, indem er das Maximum der mit seinem
Apparat zu erzielenden Verdichtung resp. Verdünnung (* Ao Atm.) als die Grenze
der Zulässigkeit erklärt, — immerhin müssen wir ihm beistimmen, wenn er vor
dem Gebrauch hoher Druckdifferenzen zu therapeutischen Zwecken ausdrücklich
warnt.
Uebrigens drängt sich eine derartige Vorsichtsmassregol schon a priori auf,
indem eine plötzliche Schwankung des Luftdruckes auf die Innenwand der Alveo¬
len bekanntlich ihre Gefahren, vor Allem die zu befürchtende Eventualität einer
Blutung, mit sich bringt
(Schluss folgt)
•) Auf die weiteren Schwächen der Jotepheon’echen Arbeit, welche arglos eine und dieselbe
Sache als „wirkungslos und nachtheilig“ qualiflcirt, will ich nicht eintreten. 8chon wiederholt
Jotephton'a unglücklichen Manometer-Versuch aufmerksam gemacht worden, womit bewiesen werden
sollte, dass am Waldenburg 'sehen Apparate im Grunde keino comprimlrte Luft, sondern „Wind“ ge-
athmet werde. Als ob nicht der aus dem pneumatischen Gabinet hervorstürzende Luftstrom, den .
benutzt hat, um Blutungen zu stillen, der aber, eingeathmet, nach Jotephion der kranken Lunge „ni
nur Nichts geschadet, sondern sogar genützt“ haben soll, als ob dieser intensive Luftstrom, wie ihn e
bei V»—7* Atm. comprimlrte Luft des pneumatischen Cabinets producirt, in seiner Vehemenz mit em
der Waldenburg 'sehen Vorrichtung entströmenden „Winde“ verglichen, sich nicht verhielte wie e
Orkan zu einem Zephyr I
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V ereinsberiehte.
Gesellschaft der Aerzte in Zürich.
3. Sitzung den 5. Januar 1878.
Dr. Neukomm hält einen Vortrag über den therapeutischen Werth der
pneumatischen Kammer und der transportablen pneumatischen
Apparate.
Der Vortrag erschien ausführlich im Correspondenzblatt (1878, Nr. 8, 9 u. 10).
Hr. Prof. Hermann knüpft hieran Bemerkungen über die theoretisch denkbaren
und die bis jetzt experimentell festgestellten Wirkungen veränderten Luftdrucks,
sowohl für den Fall der gleichmässigen Einwirkung auf den ganzen Körper, als
für den Fall ausschliesslicher Beeinflussung des Athmungsapparats.
Dr. Rud. Meyer-Hüni hat die gleichen trefflichen Wirkungen wie der Vortragende
von der Anwendung comprimirter und verdünnter Luft mit dem Waldenburg sehen
Apparat bei Emphysem gesehen. Immerhin findet er bei den transportablen Ap¬
paraten einen Nachtheil im ungenügenden Schluss der Gesichtsmasken. Dadurch
wird die genaue Dosirung der Luftcompression resp. Verdünnung, für deren feinere
Festsetzung übrigens genügende Anhaltspunkte selbst im einzelnen Fall schwer zu
finden sind, etwas illusorisch. Fälle, in welchen die Bronchitis unter dieser Be¬
handlung gesteigert wurde, veranlassten ihn, die Anwendung des Waldenburg 1 sehen
Apparates bei ausgesprochenem Catarrh von Emphysematikern als contraindicirt
zu betrachten. Auch Dr. v. Cube in Mentone hat ihm mündlich die gleiche Erfah¬
rung mitgetheilt, und überhaupt in letzter Zeit die Verwendung seines Doppel-
cylinders wesentlich auf Emphysem und Thorax paralyticus beschränkt. Im übrigen
vermeidet o. Cube sorgfältig die Verwendung von Caoutchoukröhren in seinem
Apparat, als nie absolut staubfrei. — Auch die Verbreitung der pneumatischen
Glocke hat, wie Rud. Meyer meint, nicht in dem Maasse stattgehabt, wie man an¬
fangs erwartete. Ihre Construction ist kostspielig, deshalb ihre Verwendung als
Curmittel entsprechend theuer. So sei z. B. das pneumatische Institut von Dr.
Gmelin in Stuttgart, wenn er nicht irre, wieder eingegangen. Die Erfahrung, dass
Patienten mit Trachealstenosen (einer mit Kropf) in solchen Glocken ohnmächtig
wurden, veranlasst ihn, für diese Fälle die pneumatische Glocke für ungeeignet zu
halten. Offenbar haben diese Apparate den anfangs weit gehenden Verheissungen
in praxi nicht ganz entsprochen.
Dr. Neukomm wird als Mitglied der Gesellschaft aufgenommen.'
4. Sitzung den 19. Januar 1878.
Prof. Eberth zeigt Photographien eines Falles von angeborner Ele¬
phantiasis Arabum.
Dr. Goll legt Präparate von zwei Sectionen vor:
Kalkplatten eines alten pleuritischen Exsudates. Der Mann
war 68 Jahre alt, ziemlich schnell an Lungenödem verstorben. Er machte den
Eindruck eines Emphysematikers und zeigte links nicht sowohl den habitus eines
resorbirten Empyems, vielmehr auffallende Abmagerung der Intercostalmuskeln
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und starke Einziehung der Intercostalräume. Absolute Dämpfung. Die Section
ergab neben rechtseitigem Lungenemphysem und Oedem und senilen Veränderun¬
gen am Herzen eine totale Atelectase der linken Lunge mit allseitiger Adhaerenz
an der Costalpleura. Beim Versuche des Abschälens stiess man auf eine Anzahl
steinharter Platten, rundlich, elliptisch, polygonal, von der Grösse einer halben
Spielkarte, 4—5 Millimeter dick, in der Mitte einer fibrösen, 8—10 Millimeter
dicken pleuritischen Schwarte ; seitlich, hinten und noch zum Theil auf dem Zwerch¬
fell adhaerirend. Nach späteren Erkundigungen litt der Verstorbene vor circa 30
Jahren an einer intensiven Pleuritis und war seitdem im höchsten Grade dys-
pnoisch.
2. Das Präparat eines in die Trachea perforirenden Oesophagus-
geschwürs bei einem 39 Jahre alten Manne. Der sehr abgemagerte Mann ging
bis circa 14 Tage vor seinem Tode seinen Geschäften nach und war nur wenige
Tage bettlägerig; war ein sehr starker Raucher und von Jugend auf einer gewe¬
sen, der nie mit Appetit ass und nur ein Minimum von Nahrung zu sich nahm,
dagegen stets etwas Wein genoss. Er kam wegen eigentümlichen Schling¬
beschwerden in meine Behandlung. Die laryngoscop. Untersuchung ergab nichts
Abnormes am Larynx oder Eingang des Oesophagus, kein Tumor, keine Drüsen-
an8chwellnngen waren aufzuweisen. Die Schlundsonde passirte leicht in den Ma¬
gen, wurde aber wegen zunehmender Dyspnoe und eigentümlichem Hüsteln nie
länger als 1—2 Minuten vertragen. Immerhin verschaffte die Sondirung einige
Erleichterung, obschon einige wenige Male etwas blutiger Schleim regurgitirt
wurde, ln den letzten 8 Tagen schluckte Patient höchst ungern und nur auf ein¬
dringlichstes Zureden etwas Flüssigkeit. Auffallend waren häufig ganz eigentüm¬
lich foetid riechende Ructus. Das Abdomen ergab nichts Abnormes. Die Lungen
hatten die Erscheinungen eines leichten Catarrhs. Der Tod trat in Folge der
Inanition ein. Die Section ergab ein colossales Ulcus, das gerade an der Bifur-
cationsstelle der Trachea nach vorn perforirt hatte, aber durch unregelmässige
Brücken des zerstörten und carcinomatös degenerirten Gewebes eine nur unvoll¬
ständige Abschliessung ermöglichte. In den Lungen waren an mehreren Stellen
der Peripherie keilförmige Infarcte carcinomatöser Natur. Die Pericarditis mit
schon organisirtem Exsudate war jedenfalls damit im Zusammenhang. — Der Fall
mahnt für die Application der Schlundsonde zu grosser Vorsicht; wie leicht hätte
hier eine Perforation in die Luftwege, die grossen Gefässe, oder ins Pericardium
eintreten können.
Ist hier nicht die Möglichkeit vorliegend, dass eine verkäste Bronchialdrüse
z. B. von Keuchhusten herrührend, den Grund zur Stenose und späterer Ulceration
abgegeben hatte ?
Anschliessend an den Fall der Pleura-Verknöcherung erwähnt Rahn-E$cher
eines von ihm Anfangs der 30ger Jahre beobachteten ähnlichen Sectionsbefundes:
Eine Dame starb Ende ihrer 50ger Jahre an chronischer Pneunomie, nachdem sie
sehr lange an Husten und Beengung gelitten, und in ihren mittlern Jahren Spuren
der in der Familie allgemein vorhandenen Arthritis gezeigt hatte. Bei der Section
fanden sich in beiden Costal- und Pulmonalpleuren beträchtlich ausgedehnte, flache,
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glatte Verknöcherungen, einzelne bis 0,12 M. lang und 0,03 M. breit, ausgedehnter
in dem rechten als im linken Pleurasacke, und die Costal- und Mitralpleura an
einzelnen Stellen, doch nirgends sehr ausgedehnt, verwachsen, die rechte Lunge,
namentlich im mittlem und untern Theile, hepatisirt, der Körper sehr abgemagert.
GoU fragt im Anschluss an seine Demonstration nach allfälligen Erfahrungen
über die Methode Laskoicski' s, anatomische Präparate in Carbolsäure-
Glycerin aufzuheben.
Hitzig hatte vor kurzem Gelegenheit, die Erfolge des „Proc6d6 Laskotcski u in
dem anatomischen Institute zu Genf zu sehen. „Ich muss sagen, dass ich von den¬
selben ganz enthusiasmirt worden bin.
Laskotcski wendet sein Verfahren nicht nur zur Conservirung von Präparaten
für die Sammlung, sondern auch für den Präparirsaal an. Jede Leiche wird vor
ihrer Zerlegung und Vertheilung an die Studirenden mit dem Carboiglycerin inji-
cirt und der Erfolg davon ist derartig, dass man im Präparirsaal absolut keinen
Leichengeruch wahrnimmt und nebenbei beliebig lange an den Präparaten arbei¬
ten kann.
In der entzückend sauberen Sammlung fällt zunächst der absolute Mangel an
Spirituskästen und Gläsern auf. Die Präparate stehen in ihren Glasschränken auf
einfachen Messingfüssen befestigt, frei von Fäulniss, Austrocknung und jeder Art
von Parasiten. Man sieht ganze Glieder, an denen Muskeln, Arterien und Nerven
dargestellt sind, in dieser Weise aufgestellt und kann jedes Organ studiren, Alles
auseinanderhalten und wieder Zusammenlegen, ohne sich die Finger zu beschmutzen
und Spiritus zu vergeuden. Die Weichtheile behalten nämlich unter dem Einflüsse
der Mischung, wenn auch nicht ganz ihre normale Farbe, so doch vollkommen
ihre Gestalt und Biegsamkeit, die Herzklappen z. B. unterscheiden sich noch nach
Jahren in nichts von dem Zustande, den sie bei der Section darzubieten pflegen.
Am schönsten präsentiren sich die Knochen-Band-Präparate. Die Knochen er¬
scheinen in blendender Weisse, die durch Zusatz von Alkalien erzielt wird, und
die Bänder gleichen in Farbe und Weichheit so sehr dem frischen Präparate, dass
man bei jeder Bewegungsphase des Mechanismus unterscheiden kann, welche
Theile des Apparates in Spannung oder Erschlaffung übergehen.
Meiner Ansicht nach sollten sich übrigens die Kosten des Verfahrens durch
die Ersparniss an Spiritus mehr wie einbringen.“
5. Sitzung den 2. Februar 1878.
Hr. Prof. Hermann hielt einen Vortrag über das Wesen und die Bedeutung
der thierischen Electricität, in welchem er eine Uebersicht der in den letzten
zehn Jahren auf diesem Gebiete erschienenen Arbeiten und ihrer Resultate gab.
Der Vortrag wird in der Vierteljahrsschrift der naturforschenden Gesellschaft
erscheinen.
Dr. Stoll-Bär in Zürich wird als Mitglied aufgenommen.
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Referate und Kritiken.
Die gewerbliche Thätigkeit der Frauen vom hygienischen Standpunkte aus.
Von Dr. Ladung Hirt. Breslau und Leipzig bei Ferd. Hirt & Sohn, 1873. 64 Seiten.
Nur ein kleiner Theil der menschlichen Gesellschaft ist so glücklich situirt, das» der
Erwerb des Mannes zur Erhaltung seiner Familie vollkommen ausreicht; weit Öfter müs¬
sen bei städtischen und ländlichen Bevölkerungen auch die Arme der Frauen und Kinder
für den Erwerb in Anspruch genommen werden, was im Interesse der Gesundheit der¬
selben und der Erziehung zu bedauern, aber nicht vollkommen zu vermeiden ist. Am
schwersten wiegen nun die schädlichen Einflüsse der Frauenarbeit, wenn dieselbe fabrik-
massig geschieht; doch lässt sich gerade in Fabriken durch eine staatliche Controls und
durch gesetzliche Vorschriften dem Uebel bis zu einem gewissen Grade vorbauen. Für
die Frauen sind solche Vorschriften, welche vor gesundheitsschädlichen Beschäftigungen
schützen, desshalb besonders nothwendig, weil Menstruation, Schwangerschaft und Wo¬
chenbett, obschon es physiologische Vorgänge sind, immer einen grossem oder geringem
Grad von Unwohlsein involviren und eine geringere Resistenzfähigkeit, ein öfteres Er¬
kranken nach sich ziehen, wenn nicht zur selben Zeit auch die schädlichen Einflüsao
gemindert werden. Die Fabrikarbeiterin ist entweder zu indolent, um selber an ihre
Gesundheit und an das Wohl ihrer Nachkommenschaft zu denken, oder aus Noth ge¬
zwungen, anhaltend zu arbeiten, wenn auch der momentane Gewinn den Schaden nicht
aufwiegt, den sie an Gesundheit und Leistungsfähigkeit einbüsst. Für den Fabrikherrn
hat das zeitweise Aussetzen der Arbeit allerlei Unbequemlichkeiten, die er nicht gerne
auf sich ladet. Um so .mehr sollen gesetzliche Vorschriften die arbeitende Frau in Schutz
nehmen.
Nach einer eingehenden Beschreibung der verschiedenen Industriezweige, welche
durch Staubinhalation, durch Aufenthalt in schädlichen Gasen und Dämpfen, durch Verar¬
beiten giftiger Products, durch Arbeitsräume mit sehr hoher oder sehr niederer Tempe¬
ratur, durch schädliche Körperstellungen (Nähmaschine!) die Gesundheit der Frauen
beeinträchtigen, geht der Verfasser zu detaillirten gesetzlichen Vorschriften Uber.
Nach denselben sollen die Frauen und Mädchen vor der Aufnahme in die Fabrik
ein ärztliches Gesundheitsattest beibringen. Die Nachtarbeit in den Fabriken und die
Arbeit in den Bergwerken unter Tag ist für weibliche Personen nicht gestattet. Die
Arbeit in der Fabrik soll früh nicht vor 0 Uhr beginnen, Abends nicht nach 6 Uhr ge¬
schlossen werden. In diese Zeit fallen eine Mittagspause von 1 Std. (für Verheirathete
l 1 /, Std.), eine Vormittags- und eine Nachraittagspause von je */, Std. Besondere Vor¬
schriften werden für Mädchen von 12—18 Jahren und für Schwangere und Wöchnerinnen
geltend gemacht Die Mädchen sind ausgeschlossen von einer Anzahl von Manipula¬
tionen, welche durch Staubinhalation zu Lungenkrankheiten führen (Herstellung von Bronce-
farben, Sammttapeten, Smirgelpapier, Schleifen von Glassachen, Flachshecheln, Rosshaar -
zupfen etc.); sie werden zur Verarbeitung giftiger Stoffe (Blei, Arsen, Phosphor,
Quecksilber etc.) nur dann zugelassen, wenn die gesetzlich vorgeschriebenen Schutzmass-
regeln vorhanden sind. Personen in der 2. Schwangerschaftshälfte dürfen
zur Verarbeitung giftiger Stoffe nicht verwendet werden, ebenso Neuentbundene bis
zum 42. Tage. Dagegen können die letztem nach Beibringen eines ärztlichen Erlaubniss-
scheines vom 9. Tage an mit andern Arbeiten fabrikmässig beschäftigt werden.
Die Brochure empfiehlt sich ihres detaillirten Inhaltes wegen als Grundlage für eine
den einzelnen Industriezweigen angepasste Fabrikgesetzgebung! Ficchter.
Cantonale Correspondenzen.
Basel. Prophylaxe gegen Scharlach. Das Sanitätsdepartement hat so-
ebon folgendes Circular an die Aerzte erlassen:
„Tit. Das bösartige Auftreten von Scharlach hat schon seit Jahren mehrmals
(vergL Circular vom 28. März 1874, sowie vom 26. Mai 1875) die Sanitätsbehörde ge-
nöthigt, den Herren Aerzten insbesondere auch die Beaufsichtigung der Geschwister von
Bcharlachkranken Kindern anzuempfehlen und für dieselben, insofern sie im schulpflichtigen
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Alter stehen, das Fernbleiben von den Schalen vorzuschreiben. Es ist nun im Laufe der
letzten Jahre der Scharlach in unserer Stadt nie ganz ausgestorben, im Gegentheile zeit¬
weise in epidemischer Häufung aufgetreten, und zwar mit wachsender Bösartigkeit.
Gleichzeitig hat sich ergeben, dass die Massregeln in Betreff der Geschwister von Schar¬
lachkranken nicht gleichmässig, sondern theilweise viel zu lax sind durchgeführt worden.
Das Sanitätsdepartement sieht sich dadurch veranlasst, Ihre Aufmerksamkeit neuerdings
auf das Verhalten der Geschwister von 8charlachkranken zu richten und dabei diejeni¬
gen Massregeln zu präcisiren, die als Minimum gleichmässig müssen angeordnet und
durchgeführt werden, wenn die Aussichten auf Erfolg nicht von vornherein illusorisch
sein sollen.
Die Geschwister von Scharlachkranken sollen demnach künftig
auf die Dauer von drei Wochen vom Tage der Erkrankung an von
den Schulen zurückgehalten werden. Bei der wechselnden Dauer der Incu-
bationszeit und der Persistenz des Scharlachgiftes ist diese Minimalfrist nothwendig, um
der Massregel einige Aussicht auf Erfolg zu sichern. Da der Verlust dieser Unterrichts¬
zeit um so schwerer wiegt, je älter die davon Betroffenen sind, da anderseits im Alter
von 13—15 Jahren die Zahl der Erkrankungen sowohl, als auch die Sterblichkeit an
Scharlach nach den hiesigen Erfahrungen aus den letzten Jahren eine verhältnissmässig
niedrige ist, so scheint es am Platze, diesen „Schulbann“ auf die Schuljugend unterhalb
des 12—13. Jahres zu beschränken. Da die Grenze nicht nach dem Alter, sondern nach
der Sohuleintheilung gezogen werden muss, so beträfe somit die Fernhaltung die Besu¬
cher der Kleinkinderschulen, der Primär- und Secundarschulen, der Realschule, der vier
untern Classen der Gymnasien, der drei untern Classen der Töchterschule am Todten-
gässlein. Was für die Geschwister, gilt selbstvers tändlich auch f ür
die Eltorn scharlachkranker Kinder, insofern sie L e h r e r oder Lehrerin¬
nen an den genannten Schulen sind, oder sie sonst, wie z. B. Pfarrer bei
Kinderlehren, in dieselbe Kategorie fallen.
Dagegen glauben wir von der Ausdehnung dieser Vorschrift auf die obersten Classen
der Gymnasien und der Töchterschule, sowie auf die höhern Schulen Umgang nehmen
zu können, immerhin mit dem Vorbehalte, sobald die Umstände es gebieten auch für die
ältern 8chulbeBuchenden ähnliche Vorschriften zu geben. Natürlich werden diese ältern
die Schule weiter besuchenden 8chüler und Schülerinnen doppelt vorsichtig von den
Kranken fern zu halten sein.
Bei Masern ist es nach den Erfahrungen der letzten Jahre nicht nöthig, die Ge¬
schwister der Erkrankten von den eigentlichen Schulen fern zu halten; dagegen ist den¬
selben drei Wochen lang der Besuch der Kleinkinderschulen zu untersagen.
Wir betrachten, wie schon im Eingänge bemerkt, die vorstehend präcisirte Dauer
und Ausdehnung des Schulbannes als Minimum und müssen es der gewissenhaften Ein¬
sicht jedes Arztes überlassen, im einzelnen Falle, wo es geboten erscheint, die Massregeln
in der einen oder andern Richtung zu verschärfen, wie auch wir uns solohes Vorbehalten
müssen, sowohl bei besonders bösartigem Auftreten von Scharlach oder Masern, als auch
anderer Krankheiten, wie Diphtherie etc., für welche letztere wir vorläufig auf ähnliche
Vorschriften verzichten. Sehr wünschbar ist es, dass gerade bei Scharlach die Umgebung
der Erkrankten stets auf die Gefährlichkeit und Verschleppbarkeit der Krankheit, sowie
besonders auch darauf aufmerksam gemacht werde, dass auch von einem „leichten“ Falle
aus ein zweiter sich mit sehr schwerer Erkrankung inficiren kann.
Wir ersuchen 8ie schliesslich, durch möglichst gute Durchführung von Isolirung, —
wo das unthunlich ist, durch Abschiebung in die Spitäler, sowie durch Anordnung durch¬
greifender Reinigung und Desinfection nach Ablauf der Krankheit die Weiterverbreitung
des Scharlachs möglichst zu verhindern, und erinnern Sie, dass für den Transport Schar¬
lachkranker in die 8pitäler die Benützung einer besondern, bei Herrn Buess, Droschken¬
halter, Davidsstrasse bereitstehenden Droschke obligatorisch ist.“
Nachschrift der Redaction. Nach unserem Dafürhalten ist diese Ver¬
ordnung des Sanitäts-Departement, die nicht nur alle unter 12—13 Jahren befindlichen
Geschwister soharlachkranker Kinder auf 3 Wochen von der Schule fern hält, sondern
auch die Eltern dieser Kinder in ihrem Beruf als Lehrer, Lehrerinnen, Pfarrer (bei Kin¬
derlehren) etc. auf 3 Wochen stillstellt, zu weitgehend, und wir befürchten, dass die
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Consequenzen derselben, weit entfernt den Scharlach in unserer 8tadt auszurotten, die
väterliche Hand der Regierung in eine Schraube verwandeln, deren lästiger Druck duroh
die Grenze des durch die Nothwendigkeit Gebotenen kaum erlaubt ist. Conseqnenter
Weise sollten dann jedenfalls die Aeizte, in deren eigener Familie Scharlach ausgebro¬
chen, während 3 Wochen ihren Beruf an den Nagel hängen, fuhrt sie doch schon die
ärztliche Pflicht viel öfter und in viel innigere Berührungen mit ihrem eigenen scharlach-
kranken Kinde, wie einen Pfarrer, Lehrer etc., der gerne einer vollständig durchgefilhrten
Separation sich fügen wird. Muss da nicht auch den die Kranken pflegenden Müttern,
Diaconissinnen, Wärterinnen etc. der Besuch der Kirche, besonders der Kinderlehre auf
das strengste verboten werden? Der Schärlach ist, wenn er auch eine heimtückische
Krankheit, denn doch keine Cholera und keine Variola und es sollte, wie uns scheint,
nicht ohne zwingende Noth eine so tief in’s Familienleben und in den Beruf der Eltern
einschneidende Verordnung erlassen werden. Ueberlasse man es dem practischen Ver¬
stand des betr. Arztes in den gegebenen Verhältnissen das Mögliche und Durchführbare
puncto lsolirung des Kranken anzuordnen, aber zwinge man ihn nicht schablonengemäss
über alle Fälle dieselbe anempfohlene prophylactische Anordnung auszubreiten.
Bern« Dr. GoUtieb Lauterburg f. Wieder hat sich die Erde über einem unserer
Collegen geschlossen. — Ein lebensmüder, vielgeplagter, durch schwere Leiden schon
lange vor der Zeit gebrochener Mann wurde heute in dem lieblich gelegenen Gerzensee
zu Grabe getragen.
Friedrich Gottiieb Lauterburg , geb. 1824 im Pfarrhause zu Walperswyl, besuchte als
Kind die Schulen in Bern, woselbst er auch seine ärztlichen Studien machte und 1850
vollendete, nachdem er vorher eine Zeit lang sich mit Theologie beschäftigt hatte.
1860—61 verbrachte er auf fremden Universitäten, zuerst in Wien, dann in Prag, zuletzt
in Paris. Mit Vorliebe pflegte er von jeher die naturwissenschaftlichen Fächer und auch
später noch schöpfte er aus seiner Begeisterung für die Schönheiten der Natur einen
grossen Theil jener idealen Kraft und jenes hohen Muthes, womit er bis an sein Ende
alle Unbilden und Stürme des Lebens zu ertragen wusste. Im Sommer 1861 liess er sich
als praktischer Arzt in dem schön gelegenen Kirchdorf nieder, gründete einen Hausstand
und wirkte daselbst ununterbrochen während 20 Jahren (1861—71) in einer ausgedehn¬
ten und zum Theil beschwerlichen Praxis. Allein ein schleichendes Lungenübel, welches
von Jahr zu Jahr Uberhandnahm und den so energischen und rastlos thätigen Mann schon
damals dem Grabe nahe brachte, nöthigte ihn im Herbst 1871 seinen Beruf aufzugeben
und Bich in’s Privatleben uach Bern zurückzuziehen, wo er sich indess im Verlauf von 2
Jahren so weit erholte, dass er im Sommer 1873 und 1874 die 8telle eines Badearztes
an der Lenk versehen konnte. Die Sehnsucht nach ländlichem 8tillleben zog ihn im
Frühjahr 1874 nach Gerzensee, wo er als praktizirender Arzt noch so viel wirkte, als
es ihm seine immer schwächer werdende Gesundheit euliess. Zu dem früher erwähnten
Lungenübel gesellte sich nämlich jetzt noch eine ganze Reihe anderer Affektionen, alle
unzweifelhaft auf scrophulöser Grundlage beruhend und jede für sich schwer genug, um
den kleinen Rest von Lebenskraft vollende aufzuzehren. Am 8. April endlich wurde
unser schwergeprüfter Freund durch den ersehnten Tod von seinen langen und schweren
Leiden erlöst.
Mit ihm haben wir einen edlen Character und einen Arzt von seltener Collegialitit
und Menschenfreundlichkeit verloren, und wer den Verstorbenen persönlich kannte in seiner
Bescheidenheit, Pflichttreue und Selbstlosigkeit, der wird ihm zeitlebens ein bleibendes
dankbares Andenken bewahren. Requiescat in pace !
Kirchdorf, 6. April 1878. Dr.
Zürich. Kalkwasser bei Oroupmembranen. Dem Ausspruche des
Herrn Prof. Dr. Hagenback (Nr. 5 des Corr.-Bl.), dass das Kalkwasser auf Croup¬
membranen conser virend wirke, muss ich mir insofern zu widersprechen
erlauben, als vor Jahren angestellte Versuche mir das Gegentheil bewiesen. Als seiner
Zeit die Inhalationstherapie gegen Croup auftauchte, hatte ich Gelegenheit, ca. 18 Stun¬
den p. m. sehr schöne Croupröhren aus den Hauptbroachien in Bezug auf ihre Löslich¬
keit in verschiedenen Flüssigkeiten: (Aq. calc. Solut Lithii carb., liqu. fern sesquichlor.
diluk & oonc.) zu verwerthen. 1. Versuch. Von den um 10 Uhr Vorm, der Leiche ent¬
nommenen Croupmembranen wuttie ein Abschnitt um 1 Uhr 80 Min. gleichen Tags m
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Kalkwaeser gelegt, um 1 Uhr 45 Min. war er schon aufgequollen und zerflog bei leisen
Bewegungen des Reagenzgläschens, um 2 Uhr 10 Min. zertheilten sich die Partikel in
durchscheinende kleine Flocken, durch schwaches Schütteln des Gläschens. 2. Versuch.
Ein zwei Linien langes Stück einer Croupröhre aus dem linken Hauptbronchus, deren
Lumen zusammengefallen war, wurde um 1 Uhr 40 Min. in Kalkwasser gelegt; schon
nach 4 Minuten entwickelte sich die Röhre, ihr Lumen war ganz rund; die äussere Ober¬
fläche aufgelockert, gräulich durchscheinend, nach innen gegen das Lumen bin zeigt die
Röhre noch eine weissliche Schichte. 2 Uhr. Das Lumen der Röhre fängt an durch
Aufquellen ihrer Wandung sich zu verengern; die weisse Farbe ist beinahe verschwun¬
den, nur inwendig noch eine weissliche Fläche; die äussere Oberfläche ist aufgequollen,
gräulich durchscheinend. 2 Uhr 15 Min. Vollständiges Verschwiaden der Röhre als solche,
die Membran liegt als grauliches Sediment am Boden des Reagenzglases. Bis jetzt ist
das Reagenzglas gar nicht bewegt worden. 2 Uhr 30 M. Beim sanften Um¬
kehren des Reagenzglases zerfährt das grauliche Sediment in Flocken. 3 Uhr. Das Sediment
durch Umwenden des Glases aufgerüttelt, hat eine mehr bröcklige Form angenommen. 10 Uhr.
Beim Umwenden des Gläschens bestehen noch die gleichen bröckligen Massen wie um 8 Uhr.
Aehnliche Resultate erzielte ich mit Lithion-Lösung, ganz andere mit Liq. ferr. sesq.
Selbstverständlich bin ich weit davon entfernt, obige lösende Eigenschaften des
Kalkwassers auf eingelegte Croupmembranen auch in demselben Maasse dem inhalirten
Kalkwasserstaub eines Spray zuzumutben, aber doch bin ich experimenti causa berechtigt,
dem Kalkwasser eine conservirende Eigenschaft abzusprechen, und hat die Erfahrung
gerade diesen Winter mich wieder bestärkt, bei Croup und Diphtherie (ich trenne ab¬
sichtlich) lediglich Kalkwasser zu Inhalationen zu verwenden. Sigg.
Nachschrift. Ich bin sowohl Herrn Dr. Sigg als auch der Tit. Redaction recht
dankbar, dass sie mir Gelegenheit bieten, auf mein in aller Kürze wiedergegebenes Votum
in der medicinischen Gesellschaft in Basel (b. Nr. 5 des Corr.-Bl.) hier zurückzukommen.
W’enn dort steht, dass Kalkwasser und Milchsäure conservirende Wirkung hätten
auf Croupmembranen, so ist diess in der Fassung unrichtig und begreife ich, dass dieser
Ausspruch Widerspruch erregt Die sehr ausgedehnten Untersuchungen in dieser Rich¬
tung, die von einem meiner früheren Assistenten Herrn Kunz (jetzt in Gelterkinden prac-
ticirend), des weiteren verarbeitet worden sind, kann ich bei diesem Anlasse nicht wie¬
dergeben, hoffe diess aber, besonders da die Frage einmal angeregt ist, später thun zu
könaen; hior nur so viel: Concentrirte Milchsäure conservirt in der That Croupmembranen
Tage lang ohne sichtbare Veränderung; beim Kochen tritt etwas Zerfall ein, Croupmem¬
branen in Kalkwasser dagegen zeigten bei uns im wesentlichen dasselbe Verhalten, wie
Herr Collega Sigg angibt. Bei einer Erhitzung von 40° C. tritt fast vollständige Auf¬
lösung ein. Was ich aber im Reagenzglas von der Wirkung des Kalkwassers auf Mem¬
branen gesehen habe, konnte ich nicht annähernd am Lebenden beobachten, namentlich
auch nicht bei Anwendung von Inhalationen mit Aq. Calcis durch die Canule nach ge¬
machter Tracheotomie, wo man am ehesten einen ähnlichen Effect auf die in der Trachea
sitzenden Membranen erwarten dürfte. Hagenbach.
W ochenbericht.
Schweiz.
Einladung zur (XVII. VerHammlnng des ärztlichen Central¬
vereins in Zürich Samstag den 18. Mai 1878.
(Für jeden Vortrag sind 20 Minuten statutengemäss festgesetzt!)
10 Uhr Vormittags im Operationssaale des Kantons-Spitals, De¬
monstrationen Uber :
1. Behandlung der Ozaena j
2. Behandlung der Kniescheibenbrüche | Von Herrn Professor Dr. Rose.
3. Sphincter quartus. )
12 Uhr im Schwurgerichtssaale (Casino am Hirscbengraben).
Tractanden:
1. Präliminarien der Lebensmittel-Controle, Verhandlung auf Grund¬
lage der im Correspondenzblatte vom 1. Febr. (Nr. 3) mitgetbeilten Thesen.
e
278
2. Aas der ophthalmologischen Praxis, von Herrn Prof. Dr. Horner.
3. Ueber R egulatio nsvorrichtung en im O rganismus, von Herrn Prof,
Dr. Hermann.
4. Bubcutane Osteotomie, von Herrn Dr. WiUi. v. MuraU.
3 Uhr Banquet im Banr au lao.
Am Vorabend, Freitags den 17., Abends 7 Uhr, versammelt sich der ärzt¬
liche Verein der Btadt Zürich im Cafd „Zimmerleuten“ (Rathhausquai) und er
wird mit einer reichen Auswahl wissenschaftlicher Mittheilungen und Demonstrationen
uns in gewohnter freundlicher Weise empfangen.
Am Morgen des 18. sind uns zum Besuche geöffnet: Kantons-Spital, Entbin¬
dungsanstalt, Kinderspital und Irrenheilanstalt Burghölzli.
Zürich wird, so hoffen wir, auch dieses Mal, seine alte Anziehungskraft bewährend,
wissenschaftliche und persönliche Bande knüpfen und befestigen , und laden wir hiemit
freundschaftlich dazu ein: die Mitglieder des ärztliohen Centralvereins, die Mitglieder
der Socidtd mddicale de la Buisse romande und alle andern lebensfrisohen und arbeits-
freudigen Collegen t
D. 1. Mai 1878. Im Namen des ständigen Ausschusses,
Der Präsident: Dr. Sonder egger.
Der Schriftführer: Dr. Burckhardt-Merian.
Zur A erste-Statistik der Schweiz. Anknüpfend an die, in letzter Nro.
mitgetheilten, Erhebungen über die Aerztefrequenz in den einzelnen Kantonen theilen wir
heute einige statistische Berechnungen mit, die wir der Freundlichkeit von Herrn Dr.
Vogelsang (Biel) verdanken und die gewiss vielfach interessiren werden. Der Ausfall von
85 Aerzten in 3 Jahren ist uns nicht ganz erklärlich; wenn auch der Tod gar manchen
unserer Collegen abberufen, so sind doch sicher mehr junge Aerzte in den 8 Jahren pa-
tentirt worden, als ältere gestorben. Vielleicht haben sich bei der Berechnung vom Jahre
1876 Unrichtigkeiten eingeschlichen, die z.
Th. diese Differenz
erklären könnten.
Kanton.
Aerzte.
Ab- und Zunahme
Einwohnerzahl
Ein Arzt auf Einwohner :
seit 1876.
(Volkszählung 1870),
. i. J.1878
1875
Baselstadt
62
+ 4
47760
770
823
Waadt
117
+ 14
231666
1036
2248
Tessin
108
— 18
119569
1107
949
Genf
84
— 8
94116
1134
1082
Zug
16
—
20993
1312
1312
Glarus
26
— 3
35150
1329
1212
Obwalden
10
+ 1
14413
1441
1601
Zürich
190
+ 1
284867
1500
1507
SchafifhauBen
24
— 11
37712
1671
1078
Thurgau
69
—
93308
1581
1581
Graubünden
68
— 6
91794
1682
1457
St. Gallen
120
— 2
191096
1692
1566
Nidwalden
7
— 2
11700
1671
1300
Luzern
79
— 5
132337
1676
1575
Schwyz
27
— 6
47707
1767
1446
Neuenburg
49
— 11
97286
1985
1621
Appenzell A. R.
23
— 11
48748
2119
1483
Aargau
91
— 11
198874
2186
1950
Appenzell I. R.
6
— 6
11914
2383
1083
Baselland
22
— 4
54135
2461
2082
Bern
190
+ 4
506661
2666
2723
Solothurn
28
— 2
74718
2668
2491
Uri
6
— 2
16108
2685
2013
Freiburg
34
110897
3262
8132
Wallis
24
— 7
97081
4045
8262
Anno 1878:
1459
Min,: 85
2670345
1830
1729
„ 1875: 1544
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279
Aargail« In Brugg starb den 10. April in einem Alter von 32 Jahren Dr. Rein¬
hold Urech, Bruder des 1873 verstorbenen Dr. med. Arthur Urech, der s. Z. in Rheinfelden
practizirt hatte. Eine schwere Diphtheritis, die Dr. Urech während des Krieges von 1870/71
in den Lazarethen von Pont-ä-Mousson sich zugezogen, lähmte auf lange Jahre die
Kräfte des Collegen, der in den letzten 3 Jahren als Curarzt in Davös und später in
Klosters sich aufhielt. Im Herbst letzten Jahres zog es ihn nach Wien, wo er sich
weiter ausbilden wollte. Anfangs Januar jedoch an florider Phthise erkrankend, kehrte
er vor wenigen Wochen heim, um bald darauf — wie sein Bruder — jung sein Leben
zu schliessen.
üehwelzerlsehe Medlclaalprüfangen. Am 29. März war die Referen¬
dumsfrist für das Bundesgesetz vom 19. Dec. 1877 „betreffend die Freizügigkeit des
Medicinalpersonals in der Schweiz. Eidgenossenschaft“ abgelaufen, ohne dass irgend eine
Einsprache erfolgt war. Kurz vor Ablauf der Frist berief der Vorsteher des eidg. Dep.
des Innern, Hr. Bundesrath N. Droz , die Mitglieder des bisherigen leit. Ausschusses des
Med.-Konkordats und dazu noch die HH. Prof. K. Vogt von Genf und Dr. Recordon von
Lausanne zu einer Conferenz (20. März), und ersuchte in erster Linie diese Herren im
Namen des Bundesrathes, den neuen leit. Ausschuss für das nunmehr vom Bund über¬
nommene Prüfungswesen zu bilden. Hr. Oberfeldarzt Dr. Ziegler, der Präsident des bis¬
herigen Konkordats, erklärte bei diesem Anlass seinen festen Entschluss, von der Stelle
eines Mitglieds des Ausschusses zurücktreten zu wollen. In zweiter Linie besprach sich
die Conferenz über die provisor. Organisation. Nach Art 6 des erwähnten Gesetzes soll
nämlich ein von der Bundesversammlung zu genehmigendes Regulativ als Ausführungs¬
verordnung folgende Punkte regeln:
a. Die Organisation und die Entschädigung der PrüfungBbehörden und den Gang der
Prüfungen.
b. Die wissenschaftlichen Anforderungen an die Bewerber.
c. Die Prüfungsgebühren.
Obschoc man sich bereits in einer frühem schon bei Gelegenheit der Besprechung
des Müller'acheu Entwurfes abgehaltenen erweiterten Conferenz Uber mehrere Hauptpunkte
und namentlich über die sogenannte Maturitätsfrage allseitig ausgesprochen und verstän¬
digt hatte, so hielt man es nun doch aus mehr als einem Grunde für unzweckmässig,
sofort ein definitives Regulativ auszuarbeiten. 8o vortrefflich im Ganzen die Maschinerie
des Konkordats functionirt hatte, sie konnte doch selbstverständlich nicht ohne weiteres
und nicht ohne namhafte Veränderungen in die neue Institution herübergenommen wer¬
den ; schon desshalb nicht, weil die Organisation des Prüfungswesens an den nun neu
hinzugekommenen Prüfungssitzen Genf und Lausanne bis jetzt eine so gänzlich verschie¬
dene war, dass sich mit Ausnahme der wissenschaftl. Anforderungen kaum ein einziger
Anknüpfungspunkt finden liess. Es erschien also bei weitem vorzuziehen, zwar sofort
das Gesetz in Kraft treten zu lassen, aber sich einstweilen mit einem proviBor. Regle¬
ment zu begnügen. Hiedurch wird der eminente Vortheil erzielt, dass Ueberstürzung
vermieden wird und dass man im Stande sein wird, in dieser Zeit allseitig allerlei wich¬
tige Fragen zu prüfen und theilweise auch bezügliche Einrichtungen zu erproben. Es
stellte daher die erwähnte Conferenz der Hauptsache nach fest, dass bis zum Erlass des
definitiven Reglements die wissenschaftlichen Anforderungen an den Prüfungssitzen die
nämlichen bleiben sollten, wie sie bis jetzt daselbst gewesen, also für Basel, Bern, Zürich
die des Konkordats, für Genf und Lausanne die dort geltenden. Ausserdem waren noch
andere Punkte bezüglich des äussern Ganges etc. der Prüfungen zu besprechen.
Daraufhin erliess den 6. April 1878 der Bundesrath den folgenden Beschluss:
„1) Das unter’m 29. Dezember 1877 öffentlich bekannt gemachte Bundesgesetz *) wird
hiemit gemäss Art. 89 der Bundesverfassung in Kraft und mit dem 15. April 1878 als
vollziehbar erklärt.
2) Von eben genanntem Tage an wird die vom Bundesrath ernannte Aufsichts¬
behörde (leitender Ausschuss) alle durch das Gesetz ihr Uberbundenen Befugnisse aus-
üben.
8) Bis zur Erlassung des im Art. 6 des Gesetzes vorgesehenen eidg. Regulativs sind
•) S. Corr.-Bl. 1878, 8. 85.
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280
die propädeutischen und die Fachexamen an den fünf vom Gesetze bezeichnten Prüfungs-
Orten nach folgenden Grundlagen zu organisiren:
a. In Bezug auf die Prüfungen in der Medizin, insbesondere den von den Kandidaten
geforderten wissenschaftlichen Kenntnissen, bleiben vorübergehend in Kraft:
für die bisherigen Konkordatsprüfungsorte (Zürich, Basel, Bern) die sachbezüglichen
Bestimmungen (mit Einschluss des Maturitätsprogramms) des Konkordatsreglements vom
81. Januar und 1. Februar 1870 ;
für den Prüfungsort Genf die Bestimmungen der Prüfungsprogramme für das Bacca-
laureat und das Doctorat der Medicin, namentlich der Art. 89 des Universitätsreglements
vom 16. Juni 1874 und der Art. 8 des Supplementarreglements vom 80. Juni 1876, bis
und mit der vierten Prüfung für die Doctorwürde, und mit Ausnahme der fünften.
b. In Bezug auf die Prüfungen in der Pharmacie bleiben vorübergehend in Kraft:
für die vier Prüfungsorte (Basel, Bern, Genf, Zürioh) die sachbezüglichen Bestim¬
mungen (mit Einschluss des Maturitätsprogrammes) des obgenannten Konkordatsreglements;
für den Prüfungsort Lausanne die Bestimmungen des Programmes der Pharmacie-
schule des Kantons Waadt
c. In Bezug auf die Prüfungen in der Thierarzneikunde bleiben vorübergehend in
Kraft die sachbezügliohen Bestimmungen (mit Einschluss des Maturitätsprogramms) des
obgenannten Konkordatsreglements.
4) Für Kandidaten, die sich zur Prüfung am einen oder anderen dieser Prüfüngsorte
melden, gelten die am betreffenden Orte in Kraft stehenden Bestimmungen. Dem leiten¬
den Ausschusso ist es Vorbehalten, die Fälle zu prüfen, in welchen ein Kandidat nicht
in allen Beziehungen den geforderten Bedingungen zu entsprechen vermag, und über die
Zulassung zu den Prüfungen zu entscheiden.
Prüfungen, welche vor dem Inkrafttreten des Gesetzes an einem dieser Prüfungs¬
orte bereits begonnen haben oder theilweise bestanden sind, werden für den Kandidaten
im Sinne der Erzielung des eidg. Diploms als gültig erklärt.
6) Die im Konkordate vorgesehenen Prüfungen, deren Dauer in diesem Jahre sich
vom 16. April bis zum 8. Juni erstreckt, werden unter den nämlichen Bedingungen vor¬
übergehend stattfinden und von den nämlichen Personen geleitet, wie bisher. Die von
den Kandidaten entrichtete Prüfungsgebühr fällt jedoch der Eidgenossenschaft zu, welche
die Prüfungskommissionen zu entschädigen hat
6) Die Kandidaten, welche die Prüfungen in Gemässheit des gegenwärtigen Beschlus¬
ses bestanden haben werden, erhalten ein eidgenössisches Diplom, das für die ganze
Schweiz gültig ist
7) In Bezug auf die Organisation der Prüfungskommissionen und den Gang der
Prüfungen wird eine besondere, vom Bundesrath auf Gutachten des leitenden Ausschusses
zu erlassende Verordnung das Erforderliche im Sinne möglichst einheitlicher Bestimmun¬
gen verfügen.
Diese Vorordnung wird auch einheitliche Ansätze für die Entschädigung der Prüfungs¬
kommissionen und für die Prüfungsgebühr festsetzen.“
Am 17. April trat die Conferenz wieder unter dem Präsidium des Hrn. Bundesrath
Droz zusammen, um den neuen leit. Ausschuss definitiv zu constituiren und die durch
Artikel 7 des letztgenannten Beschlusses gerufene (provisorische) Verordnung zu entwer¬
fen. Die letztere unterliegt einer nochmaligen Besprechung, welche Mitte Mai stattfinden
wird. Was die Constituirung des Ausschusses anbetrifft, so ist nachzuholen, dass an die
Stelle des demissionirenden Hrn. Dr. Ziegler Hr. Dr. Chr. Müller , Apotheker io Bern ge¬
treten ist.
Der neue leit. Ausschuss (Comitd directeur) für die Schweiz. Medicinalprüfungen ist
nun folgendermassen bestellt:
Hr. L. Meyer , Sanitätsrath in Zürich.
» Dr. Chr. Müller in Bern,
„ Dr. Fr. Müller in Basel.
„ Dr. Recordon in Lausanne.
n Prof. K. Vogt in Genf.
Suppleant für die romanische Schweiz: Hr. Dr. L. GuiUaume in Neuchätel.
„ nn deutsche „ „ Dr. Sonderegger in 8i Gallen.
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281
In derselben (Konferenz wählten die Mitglieder des Ausschusses zu ihrem Präsidenten
den Hrn. Dr. V. MüUer in Basel.
Es wäre undankbar diesen Bericht zu schliessen ohne hervorzuheben, dass allein die
liebenswürdige, tactvolle und geschickte Leitung der bisherigen Verhandlungen durch
Hrn. Bundesrath Droz die schnelle und befriedigende Abwicklung der theilweise sehr
schwierigen und auch im Ganzen recht uninteressanten Geschäfte ermöglicht hat
Zürich. Rafz. Den 20. d. starb Dr. Joseph ViUiger , Arzt in Rafz, erst 25>/ a Jahre
alt an Erysipelas faciei.
Eine blühende Mannesgestalt, strotzend von Gesundheit, voll jugendlicher Thatkraft,
voll Eifer für unsere Wissenschaft, Freund durch Dick und Dünn dem, den er sich ein¬
mal zum Freunde erkoren, Vielen in freundlichem Andenken von Zürich, Bern, Wien,
Prag her, der Stolz seiner nun tieftrauernden Eltern und Geschwister, ist ViUiger nach
kurzem Krankenlager dahingeschieden, nachdem er kaum in’s praktische Leben hinaus¬
getreten, in kurzer Praxis sich die dankbare Liebe seines Wirkungskreises erworben
hatte.
Ausland.
Deutschland. Farbenblindheit Die bis jetzt übliche Methode, die Far¬
benblindheit bei den Rekruten, Eisenbahnbeamten und in letzter Zeit auch in den Schulen
durch Sortiren vorgelegter, gefärbter Wollenfaden zu prüfen, ist durch die Farbenprüfungs¬
tafel des Herrn J. Hirlinger gewiss um Vieles vereinfacht und praktisch erleichtert wor¬
den (soeben erschienen bei Paul Moser, Stuttgart). Diese Tafel enthält auf einem grossen
Blatte 2 getrennte Farbentabellen, deren eine die Mischungen aus den Grundfarben Roth,
Gelb und Blau in dreierlei Tonabstufungen darstellt, die andere dieselben Farben in
systemlosem Durcheinander enthält. Der zu Prüfende wird aufgefordert, bestimmte be-
zeichnete Farben zuerst auf Tabelle I und hernach auf Tabelle II aufzusuchen, wobei sich
sogleich Blindheit für die eine oder andere Farbe oder richtiges Farbensehen herausstellt.
— Giessen. Der Director der chirurgischen Klinik in Giessen, Herr Professor
Wemher, ist auf seinen Antrag pensionirt worden; zu seinem Nachfolger ist sein früherer
Assistent, Herr Dr. Bose, langjähriger Assistent an der v. Langenbeck' sehen Klinik ernannt
worden.
— Zur Behandlung der Migräne. Stabsarzt a. D. Dr. Schaetzke in Sonne¬
berg (Sachsen-Meiningen) empfiehlt in einer der Red. der Berl. med. Wochenschrift zu¬
gegangenen Mittheilung gegen nervöse Migräne den Gebrauch von Natrum salicylicum,
und zwar 2 Grm. in einem halben Glase Zuckerwasser auf einmal, sofort beim Beginn
der Migräne zu nehmen; er erklärt das Mittel für zuverlässig.
Frankreich. Internationaler Congress für Gesundheitspflege
in Paris. Nach dem Progr^s mödical (6. April) soll während der Ausstellung in Paris
ein internationaler Congress für Hygiene stattfinden und zwar nach dem Vorbilde des¬
jenigen, der 1876 in Brüssel abgehalten wurde. Das Organisations-Comitd (Prof. Dr.
Bouchardat , Ehrenpräsident, Prof. Dr. Gubler , Präsident, Dr. lioniille , Generalsecretär) hat
ein Reglement ausgearbeitet, mit folgenden Hauptbestimmungen:
Der unter dem Protectorat der französischen Regierung abgehaltene Congress findet
in der ersten Hälfte des Monates August in Paris statt und bezweckt eine Besprechung
aller der Fragen, die sich auf die Fortschritte der gesummten Gesundheitspflege bc 7
ziehen.
Als specielle Discussionsthemata werden bezeichnet:
I. Hygiene der Neugeborenen; Sterblichkeit und ihre Bekämpfung; Pflege der
Wöchnerinnen, Ammen etc. Berichterstatter: J. Bergeron, Bertilion, Marjolin.
II. Verunreinigung der fliessenden Gewässer, a) durch industrielle Producte, b)
durch Kloakenwässer; Verhütung und Bekämpfung. Berichterstatter: Durand, Claye, Proust ,
Schlösing.
III. Nahrungsmittel, verdorbene und gefälschte: a) bewährte Methoden und Mittel,
um mit Sicherheit den Zustand des zur Ernährung in Stadt und Land nöthigen Schlacht¬
fleisches zu beurtheilen (Bouley und Nocard), b) Färbungsmittel von Nahrungsstoffen und
die durch sie bedingten Gefahren (Bouchardat und Gauthier).
IV. Wohnungen der Armen: Arbeiterhäuser- und städte ; Kost- und Miethhäuser
der Arbeiter in grossen Städten (E, Trelat, 0. du Mesnil).
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282
V. Gewerbehygiene: Wege und Mittel, um die Gefahren bei der Arbeit mit mine¬
ralischen Giften (Quecksilber, Blei, Arsenik u. s. w.) zu verhüten; Versuche, sie end¬
gültig durch unschädliche Stoffe zu ersetzen (Gubler und Napias).
VI. Prophylaxe der ansteckenden und Infectionskrankheiten (Maladies infectieusea
et contagieuses). Welches sind die übertragbaren Krankheiten, welche in den allgemei¬
nen und Specialspitälern die Isolirung der Kranken bedingen, und wie ist letztere durch¬
zuführen (Fauvel und VaUiri). Als weitere Discussionsthemata wurden noch notirt: Pro¬
phylaxis der Lyssa; Todtenhauser, Kirchhöfe und Leiohenverbrennung; Ventilation der
Schulen ; Hygiene der Casernen und Gefängnisse ; Gesundheitspflege des Auges.
Täglich sollen zwei Sitzungen (von 9—12 und 2—6) stattflnden und Niemand länger
als 16 Minuten reden. Die Verhandlungen werden veröffentlicht.
Von einer begleitenden Ausstellung, die in der Regel noch den wesentlichsten prac-
tischen Erfolg solcher Congresse' aufzuweisen hat, ist keine Rede. — Wir wünschen
dem Unternehmen gleichwohl guten Erfolg und den Theilnehmern Belehrung and ange¬
nehme Anregung.
Stand der Iufections-Krankheiten iu Basel.
Vom 11. bis 26. April 1878.
(Die Zahlen in Klammern geben je weilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Die Masern sind in stetiger Abnahme begriffen; aDgezeigt sind 68 neue Erkran¬
kungen (138, 94, 88, 84), davon in Grossbasel 33 (60, 44, 36), worunter die meisten
vom Südostplateau: 13 und dem angrenzenden Birsthal: 7, aus Kleinbasel stammen 25
(38, 40, 43).
Scharlach ist gleichfalls in geringerer Menge angezeigt worden; nur 11 neue
Fälle (26, 19, 21), wovon aus GrosBbnsel 6 (14, 8, 6), Kleinbasel 5 (12, 11, 16).
Diphtherie und Croup zusammen 11 Fälle (19, 16, 7), wovon 4 vom Nord¬
westplateau, 6 aus Kleinbasel.
Typhus 2 Fälle aus Grossbasel (3, 4, 8, 4); im gleichen Zeitraum 1877 wurden 29
Typhuserkrankungen angezeigt
Ery sipelas 4 Fälle (10, 7).
Kouchhusten 11 Fälle (12), wovon 7 in Grossbasel, 4 in Kleinbasel.
Zerstreute Fälle von Varicellen. Kein neuer Puerperalfieberfall.
Bitoliogrrapliiselies.
58) Capaun-Karlowa, Mcdicinische Specialitäten. Eine Sammlung aller bis jetzt bekann¬
ten und untersuchten medicinischcn Geheimmittel, mit Angabe ihrer Zusammen¬
setzung nach den bewährtesten Chemikern gruppenweis zusammengestellt. A. Hart¬
lebens Verlag iu Wien, Pest uud Leipzig. 1878. 2 Mk. 50 Pf.
59) Buchheim, Lehrbuch der Arzneimittellehre. 3te Auflage. 618 S, Leipzig. Verlag
von L. Voss.
Briefkasten.
Herrn Dr. L. in L.: College Baader ist den 22. von Ajaccio nach Pegli (Grand
Hötel) übergesiedelt — Herrn Dr. A. S. in L.: Die Copie ist eingelangt. Beste GrDsBO. —
Herrn Dr. Pitavel: Ihre freundliche Zusendung hat mich sehr interessirt, leider war das Präparat auf
der Post zu viel gequetscht worden. Immerhin mahnt es zur Vorsicht vor solchen Buchstaben!
Herrn Dr. 1. in München: Mit bestem Dank erhalten. — Herrn Prof. Wyst: Besten Dank für Ihre
freundl. Auskunft. — Herrn Dr Z. in Zürich: Ich gehe in der angegebenen Richtung vor. — Herrn
Dr. Scknyder, Herrn Dr. Haltenhoff: Mit bestem Dank erhalten. — Herrn Dr. E. II. in Wien: Ver¬
danke Ihnen bestens die charmante Zusendung. Glückliche Reise. — Herrn Dr. Itenschmid in M.:
Wegen Stoffandrang auf nächste Nummer verschoben. — Herrn Dr. Seilz: Vereinsbericbt (Schluss)
eingetroffen. Besten Dank. — Herrn Dr. Sonderegger: Circular erhalten und nach Genf spedlrt Das
Andere brieflich.
Berichtigung.
1) 8. 226 Anmerkung: Zeile 7 von nnten: statt: „längst veröffentlichten“ sollte es heissen:
„ unlängst veröffentlichten“. 2) S. 229, Zeile 10 von oben: statt „Stenose“ sollte es heissen: „ Strum a*.
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283
3L Wasserheilanstalt Brestenberg r j£L
Wildegg. am Hallwylersee, Schweiz. — Seebäder. Bäder.
Seit 34 Jahren unter der nämlichen ärztlichen Leitung. Das ganze Jahr besucht. Empfiehlt
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[556-R] J>*\ A. Erismann ..
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AID.J|18 Ivll« zu beziehen, per Canule k Fr. 1. 50.
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die Bestellungen jeweilen rechtzeitig zu machen.
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Wim, 21. April 1877. Prof. Dr. Max Leidesdorf.
Zeichnet eich dadurch aus, dau ee einen milden, nicht unangenehmen Geschmack hat
Budapeet iS. Februar 1877. König!. Rath Prof. Dr. v. Koränyi.
Verursacht selbst bei längerem Gebrauche keinerlei Nachtheile.
wie«», io. Angurt 1877. Hofrath Prof. Dr. v. Bamberger.
Die Wirkung iet anenahmaioe rasch, furerläwig und schmersloe. ..
Wftnburg, 36. Juli 1877. _ . _ Ä Gehelmrath .... . ,
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nachgemachte und verfälschte Waare in den Handel gebracht wird, sehen wir uns ver¬
anlasst, die Herren Aerzte und Apothekor hiermit zu ersuchen, bei Verordnungen resp.
Bestellungen obiger Heilmittel gefälligst darauf achten zu wollen, dass solche mit unserer
gesetzlich deponirten, hierüber befindlichen Schutzmarke versehen sind. Dieselbe befindet
sich bei Mutterlaugensalz als grosses Brandzeichen auf der einen Deckelseite der Fässer,
bei flüssiger Mutterlauge und Elisabethbrunnen als Stryfenbrand auf der einen Seite der
Korken.
Kreuznach, im März 1878. [464-R]
Soolbäder-Actieri-GeseUschaft .
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285
Saxlelmer 3 Bitterquelle
Hunyadi Jänos
= Das Gehaltreichste und Wirksamste aller Bitterwässer =
analysirt durch Llebig 1870, Bansen 1876, Fresenius 1878.
Urtheile ärztlicher Autoritäten:
Prof. D r. Yirch ow, Berlin: .Stet« mit gutem and promptem Erfolg angewandt."
PröfHDr. von Bamberger, Wien: Krankhelteformen angewendet, in welchen die
_B itterw ä eeer ih r e Indieation finden.* __
Prof. Dr. Wunderlich, Leipzig: .Ein gani vorzfiglich wirkendes, ansleerendes Mittel»
_ nicht u nang enehm in nehmen, and dem Magen nnsch&diich.* ____
Prof. Dr. Spiegelberg, Breslau: so andauernd gleicbmtssig and mit so wenigen
_ Nebengtärnogen wirkend gefn n den. 1 * _
Prof. Dr. Scanzoni t. Lichtenfels, Würzburg: .Ziehe ich gegenwirtig
ln allen Fiüen, wo die Anwendnng eines Bitterwassers angezeigt, ansschliesslich in Gebrauch." _
Prof. Dr. Friedreich, Heidelberg : Wirkung nicht/xn wünschen übrig.*_
Prof. Dr. y. Buhl, München: .Wirkt rasch, xarerlAsaig, ohne Beschwerden."
Prof. Dr. y. Nussbaum, München;
ProfTDr. Kussmaul, Strassburg: massiger Menge sicher wirkendes Abführmittel."
Prof* Dr. Jonqui^re, Bern: .Wirkt sicher, wird ron den Verdauungs-Organen leicht rer-
tragen an d ist hei angenehmerem Geschmack allen anderen gleichartigen Wissern rorzaziehen." _
Das „Hunyadi Jänos Bitterwasser “ ist zu beziehen aus allen Mineralwasser depo ts und in
Der Besitzer: Andreas Saxlehner, Budapest.
MATTONI ’ 5
OFNER königs-bitterwasser
wird von den ersten medicinischen Autoritäten des In- und Auslandes gegen habituelle Stuhl-
verhaltung und alle daraus resultirenden Krankheiten ohne irgend welche Üble Nach*
wirknng, anch bei längerem Gebrauche, auf das Wärmste empfohlen.
Durch seinen reichen Gehalt von Chlornatrinm, Natron bicarbonicnm und Natron car-
bonlcnm verdient es den Vorzug vor allen andern Bitterwassern des In- und Auslandes.
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Besitzer der 6 vereinigten Ofner Königs • Bitter • Quellen.
Curvorschrifton und Brochuren gratis. [H-10-W]
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Schwefelwasser, spezifisch wirkend gegen Gicht, Rheumatismus, Hautkrankheiten, Metall¬
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bäder, Inhalationen, Molken. — Reizende Umgebung.
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Brunnenverwaltung. — Niederlage in allen grösseren Städten.
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286
Ein junger Arzt) der das Concordatsexamen
ibsolvirt hat, sucht sich unter günstigen Bedingun¬
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sion aus gleichen Theilen bestem Dorschleber-
thran und reinem Malzextract (nach Dr. Davis
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weil in Emulsionsform (dem chylus entspre¬
chend), leicht assimilirt und wegen des voll¬
ständig verdeckten Thrangeschmackes in reinem
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Die
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dargestellt von
Dr. Alb. Adamkiewicz.
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gewonnen und enthält die bekannten heil¬
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in 20facher Concentration. — Anwendung
findet dasselbe zur Inhalation« zum Gur¬
geln und zur Verstärkung des Emser Ther¬
malwassers beim Trinken. Zu beziehen durch
alle Artotheken und Mineralwasserhand¬
lungen des In- und Auslandes.
König-Wilhelm8-Felsenquellen
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redigirt von R. Volkmann in Halle.
Verlag von Breitkopf & Härtel in Leipzig.
Von der V. Serie (Heft 121—150 umfassend)
erschienen bis jetzt:
Heft 128. Bankt, Bant, Ueber du Thynol and seine Benntnng
bei der an Aseptischen Behandlung der Wunden.
Heft 129. Langenbuch, Carl, Ueber die geechwörige Freilegung
▼on grossen Gef&ssstimmen und deren Behand¬
lung mit Cblorzinkcharpie.
Heft 180. Weil, A., Ueber den gegenwärtigen Stand der Lehre
▼on der Vererbung der Syphilis.
Heft 181. Yolkmanu, Bich., Ueber den Haetdannkrebs and die
Exstirpatio recti.
Heft 132. Krauseold, Hermann, Ueber Nervendurchschneidung
und Nervennaht.
Heft 133. Freund, Wilh. Alex., Eine neue Methode der Exstir¬
pation des ganxen Uterus.
Heft 134. Lichlheim, L., Ueber periodische Himoglobinurie.
Heft 185, Genzmer, Alfr., Die Hydrocele und ihre Heilung
durch den Schnitt bei antiseptischer Wund¬
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scription auf die ganze Serie ä 50 Pf.
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mentlicn auch gegen Frostbeulen)
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287
Katalog Wunderlich-Weber.
Auction 22. Mai 1878.
Soeben erschien:
Verzeichniss der von den Herren Prof. Dr. C.
R. A. Wunderlich, Kgl. Sachs. Geh.-Rath zu Leipzig,
und Prof. Dr. E. H. Weber, Königl. Süchs. Geh. Me-
dicinalrath zu Leipzig, hinterlassenen Bibliotheken,
welche am 22. Mai 1878 in T. 0. Weigel 1 « Auctions-
Locai in Leipzig, Königsstrasse 1 versteigert werden
sollen.
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tig an werthvollen Zeitschriften und vorzüglichen
Werken aus den Gebieten der Medicin und Na¬
turwissenschaften.
Dasselbe steht auf Verlangen gratis zu Diensten.
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T. O. Weigel.
Franzensbad in Böhmen.
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(Fraisen«-, Sals-, Wiesen-, Pieuquelle and kalter
spradel) rar die Saison 1878 hat begonnen and
werden dieselben nur in GlasbouteUien versendet. Be¬
stellungen hierauf, sowie für Franzensbader Mlneral-
moor and Moorsais werden sowohl direct bei der Unter¬
zeichneten Direction, als auch bei den Depot« natür¬
licher Mineralwässer in allen grösseren Stödten des
Continents angenommen and prompt effeotuirt. Brochnren
Ober die eminenten Heilwirkungen der weltberühmten
Erer-Fransensbader Mineralwia«er werden gratis
verabfolgt. [411-B]
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Direction in Franzensbad.
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Ochsenfleisch mit einem Zusatz von ebenfalls ver¬
dautem Weizenbrod.
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Weise vorbereitet wie diese im menschlichen
Körper stattfindet.
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allen möglichen Schwächezuständen für Rekon¬
valeszenten, in den verschiedenen Krankheiten
und Störungen des Verdauungsapparates, z. B. bei
Magengeschwüren, beim Typhus u. s. w.
Ferner in allen Fällen, wo eine rasche und
kräftige Ernährung gewünscht wird, in jedem Alter
das Pepton ist das kräftigste Nahrungsmittel, nicht
nur leicht verdaulich, bedarf vielmehr gar keiner
Verdauung, sondern wird direkt vom Blute ange¬
nommen.
Das Pepton ist ausserdem das einzig indirekte
Nahrungsmittel in denjenigen Fällen, in welchen
Ernährung per lavement erfordert oder gewünscht wird.
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ist soeben erschienen und durch alle Buchhand¬
lungen zu beziehen:
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für
GESCHICHTE DER MEDICIN
and
MEDICINISCHE GEOGRAPHIE.
Unter Mitwirkung von
hervorragenden Fachmännern und Gelehrten
redigirt nnd her*angegeben von
Heinrich Rohlfs and Gerhard Rohlfs.
Ersten Bandes Erstes Heft.
Preis des Jahrgangs von ca. 30 Bogen in 4 Heften
M. 12.
Diese neue Zeitschrift, begründet durch das be¬
rühmte Brüderpaar Heinrich nnd Gerhard Rohlfs
und unterstützt durch eine grosse Anzahl hervor¬
ragender ärztlicher Historiker, Geographen und
der Naturkunde zugewandter Philologen, soll in
historisch - kritischer Richtung ergänzend, ver¬
bessernd, berichtigend nnd versöhnend in die
heutige Stellung und Behandlung der Medicin
eintreten und einwirken, die Vereinigung der oft
zu scharf getrennten Einzeldisciplinen in der
Heilkunde erstreben, die divergenten Strahlen des
Specialismus zum Brennpunkte des befruchtenden
Universalismus wieder vereinigen und speciell
auch der medicinischen Geographie, der Basis der
anzustrebenden internationalen Hygiene, ihr Recht
zu Theil werden lassen. Dos Zeitgemässe eines
solchen Unternehmens springt in die Augen und
wird dasselbe der Gunst nnd Theil nähme des
ärztlichen und bei der Heilkunde und Gesund¬
heitspflege interessirten Publikums daher bestens
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CORRESPONDENZ-BLATT
Ami. und 15. jeden
Monats erscheint eine Nr.
I 1 /*—2 Bogen stark;
am Schluss des Jahrgangs
Titel u.Inhal tsverzeichniss.
Dr. Alb. Burel&hardt-HerlMB und Br. A. Baader
Priratdocent in BueL ln Gelterkinden.
ITC 10. VIII. Jahrg. 1878. 15. Mai.
Inhalt: Zorn 18. Hai. — 1) Orlginalarbalten; Dr. Martin Ntukomm: Du pneumatische Cabinet und der trans¬
portable pneumatische Apparat (Schloss). — 2) Vereinsberichte: Medidnlache Gesellschaft in BauL — 8) Referate nn d
Kritiken: Dr. J. Uffelmann: Die Di&t in den acutfieberhaflen Krankheiten. — 4) Cantonale Correspondenzen:
St. Gallen, München, Afrika. — 5) Wochenbericht. — 6) Briefkasten.
für
schweizer Aerzte.
Herausgegeben von
Preis des Jahrgangs
Fr. 10. — für die Schweiz;
der Inserate
35 Cts. die zweisp. Zeile.
Die Postbureaux nehmen
Bestellungen entgegen.
Zum 18. Mai.
Schon wieder ertönt der Ruf an die Collegen von Stadt und Land, auf einen
Tag die gewohnte Beschäftigung ruhen zu lassen, um zahlreich nach dem herrli¬
chen Zürich zu pilgern, das zum diesjährigen Versammlungsort des ärztlichen
Centralvereins bestimmt worden ist
Als vor 2 Jahren zum ersten Male in Zürich der Centralverein sich Rendez¬
vous gegeben, und als die damalige Versammlung so zahlreich besucht war, wie
keine je zuvor, indem besonders die Collegen der Ostschweiz dieses Näherrücken
des Versammlungsortes durch grossartige Theilnahme an dem Feste auf das eccla-
tanteste gutgeheissen, da trennten sich Alle in gehobener Stimmung mit dem Rufe
„Auf Wiedersehen!“ — Jung und Alt, von Stadt und Land, alte Freunde der
schönen Studienjahre, Collegen harter Arbeit, Lehrer und Schüler, Alle hatten sie
sich zusammengefunden, um auf einige Stunden die Mühen des Tages zu vergessen
und in fröhlichem Beisammensein neuen Muth und neue Begeisterung zu unserem
ernsten Berufe zu schöpfen.
Ein Blick auf die interessanten und reichhaltigen Tractanden, die der 18. Mai
uns bieten wird, der Gedanke an all die alten Freunde, die wir treffen werden,
und mit denen wir so gerne Erlebtes und Pläne für die Zukunft anstauschen,
die so bekannte sympathische und liebenswürdige Aufnahme im Kreise der Zürcher
Collegen, die uns bevorsteht; Alles legt wohl Jedem von uns nur den einen
Wunsch nahe, dass nichts Unvorhergesehenes ihn am Erscheinen in Zürich ver¬
hindern möge.
So hoffen wir denn, dass auch diesmal wieder das schöne Zürich den ganzen
Zauber seiner Anziehungskraft voll entfalten, und dass dieses bevorstehende Fest
sich würdig seinem Vorgänger an die Seite reihen möge!
19
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290
Original-Arbeiten.
Das pneumatische Cabinet und der transportable pneumatische Apparat.
(Vortrag gehalten in der ärztl. Gesellschaft von Zürich am 5. Jan. 1878.)
Von Dr. Martin Neukomm, pr. Arzt in Zürich.
(Schluss.)
Was nun die Indicationen, wie man sie auf die angegebene Art, vor
Allem mit dem transportablen Apparat zu erfüllen hat, betrifft, so leuchtet ein,
dass Inspiration comprimirter Luft sich bei erschwerter Einathmungsthätigkeit,
Ausathmung in verdünnte Luft dagegen bei Insufficienz der Exspiration sich be¬
währen muss, dass wir also auch hierin ein Mittel gewonnen haben, um eine aus
mechanischen Ursachen hervorgehende Dyspnoe auf mechanischem Wege zu be¬
kämpfen. Ob die Inspiration oder die Exspiration insufficient sei, lässt sich im
gegebenen Falle gewöhnlich unschwer ermitteln. Der Emphysematiker spürt cs
selbst, dass ihm hauptsächlich die mangelhafte Ausathmungsthätigkeit zu schaffen
macht. Dagegen zeigt der „Lufthunger“ der mit Stenosen der oberen Luftwege
Behafteten, dass das Hinderniss vorwiegend die Inspiration erschwert. Die mühsam
vor sich gehende Ausathmung des Asthmatikers weisen wir während des Anfalls
in dem mit Pfeifen und Schnurren verbundenen protrahirten Exspirationsgeräusch
nach, während beim Phthisiker neben einer nur wenig behinderten Exspiration die
Insufficienz der Inspiration aus der Besichtigung des Thorax klar wird.
Eine exacte Methode, um das Bestehen einer fraglichen Respirations-Anomalie
nicht nur zu eruiren, sondern wo möglich deren Grad zu bestimmen, besitzen wir
dagegen nicht. Bekanntlich glaubte Waldenburg eine solche in der Pneumatometrie
gefunden zu haben. An einem mit einer Millimeter-Scala versehenen Quecksilber-
Manometer bringt er einen Schlauch an, durch den mittelst einer Gesichtsmaske,
die möglichst luftdicht angedrückt wird, forcirte Aus- und Einathmungen vorge¬
nommen werden. Die Differenz zwischen dem Niveau der einen und andern Queck¬
silber-Säule, wie sie sich beim Steigen und Fallen des Quecksilbers als Folge jener
forcirten Athembewegungen ergiebt, soll das Maass für den negativen Inspirations¬
und den positiven Exspirationsdruck darstellen.
Waldenburg fand auf diesem Wege durch Untersuchungen an einer grossen
Zahl von Gesunden, dass im Mittel der positive Exspirationsdruck beiläufig + 100
MM., der negative Inspirationsdruck (Inspirationszug) dagegen — 80 betrage. Aus
Abweichungen von der Norm zieht Waldenburg , wenn dieselben beträchtlich sind,
gewisse Schlüsse, die er für die Differenzial-Diagnostik verwerthet, ja er geht so
weit zu behaupten, dass er mit Hülfe der Pneumatometrie gelegentlich eine Dia¬
gnose stellen könne, wo die übrigen Untersuchungsmethoden gänzlich im Stiche
lassen. So will er die ersten Anfänge eines Emphysems, wo noch keinerlei son¬
stige objective Merkmale vorhanden waren, öfters bloss aus dem pneumatometri¬
schen Befund, d. h. aus einem abnormen Verhältniss des Exspirationswerthes zum
Werth der Inspiration, aus einer relativen Insufficienz des ersteren, hcrausdiagno-
stizirt haben.
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291
Das Verfahren, Exspirationsdruck und Inspirationszug manometrisch zu unter-
suchen, ist bekanntlich nicht neu; schon Valentin , Donders, Mendeltohn und Hut$chin$on
haben es geübt; dagegen haben die keineswegs übereinstimmenden Resultate die¬
ser Beobachter keine Verwerthung für die Diagnostik gefunden. Auch den Waiden -
tauschen consequent und sorgfältig an einer ausserordentlich grossen Zahl von
Gesunden und Kranken vorgenommenen Messungen wird es nicht viel besser gehen,
da die Methode wesentliche Fehlerquellen in sich schliesst, welche sie zu exacter
Untersuchung, für die Diagnostik wenigstens, untauglich machen.
Gleichviel ob wir uns der Mundnasenmaske oder anderer Ansatzstücke bedie¬
nen, um die forcirten Athembewegungen vorzunehmen, wir werden nie die reinen
Werthe für Inspirationszug und Exspirationsdruck erhalten, vielmehr Ergebnisse,
die durch Mitwirkung von Saug- und Druckbewegungen der Mund-Rachenmuskeln
wesentlich getrübt erscheinen. Dass diese Art von Mitbewegung „ein Weniges
stets zur Geltung kommt“ giebt auch Waldenburg zu; dass aber oft genug dieselbe
nicht bloss ein Weniges sondern ganz bedeutend, ja vorwiegend, mitspielt, haben
mir zahlreiche Beispiele eigener Untersuchung gezeigt, wo ich mir abnorm hohe
Werthe nicht anders als auf diesem Wege erklären konnte.
Der frappanteste Fall möge hier Erwähnung finden. Ein Phthisiker, der beid¬
seitigen Spitzenkatarrh bei beträchtlicher Abmagerung darbot, vermochte unter
Anwendung der Gesichtsmaske bei forcirter Inspiration eine Differenz von 160 MM.,
bei forcirter Exspiration sogar eine solche von 200 MM. hervorzubringen, mithin
Werthe, welche weit über der als Mittelwerth angesehenen Norm stehend, nur
durch Fehlerquellen und zwar wohl hauptsächlich durch die in diesem Fall beson¬
ders ausgebildete Saug- und Expulsionskraft gedeutet werden konnten.
Dass bei Anwendung von Masken überdiess kaum in allen Fällen ein voll¬
kommen luftdichter Verschluss zu Stande kömmt, trügt ebenfalls die Untersuchung.
Selbst wenn man bei reicher Auswahl stets ein geeignetes Exemplar findet, so
hört der luftdichte Verschluss auf, wenn durch die Maske forcirt ein- oder aus-
geathmet wird, und es ist um so eher zum Ein- und Austritt von Luft zwischen
Maske und Gesicht Gelegenheit gegeben, als ein festes Anpressen derselben, wie
Waldenburg ausdrücklich bemerkt, aus andern Gründen nicht gestattet ist.
Den angedeuteten Mängeln der Untersuchungsmethode mag es zuzuschreiben
sein, dass die Resultate der Messungen verschiedener Beobachter sehr verschie¬
den ausgefallen sind. Während Valentin ausserordentlich hohe Werthe erhielt
(— 230 —260 MM. für die Inspiration, + 260—320 MM. für die Exspiration) be¬
wegen sich die von Lassar gefundenen Ergebnisse in auffallend niederen Ziffern
(—60 MM. für die forcirte Inspiration, + 60 MM. für die Exspiration). Auch
die übrigen Beobachter zeigen keine Uebereinstimmung weder hinsichtlich der ab¬
soluten Werthe noch auch des Verhältnisses von Inspirationswerth zu dem der
Exspiration. Mendelsohn drückt den Unterschied durch eine absolute Zahl aus, in¬
dem er fand, die Exspiration übertreffe die Inspiration pneumatometrisch gemessen
um 25 MM. Hutchinson wählt einen relativen Ausdruck; er giebt an, die Exspira¬
tion sei um ein Drittheil grösser als die Inspiration. Nach Waldenburg schwankt
diese Differenz zwischen 0 und '/,, nach Biedert beträgt sie 67 % der Inspiration,
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292
während Störck überhaupt kein constantes Verhalten fand. Wohl dürfen wir nicht
verschweigen, dass die verschiedenen Beobachter auch verschiedenartig zu Wege
gingen, indem bald die Mundnasenmaske, bald das Mundstück, bald der Nasen¬
ansatz gewählt wurde. Indess hieraus erklären sich grosse Differenzen keineswegs,
da, wie Waldenburg selbst fand, bei den verschiedenen Massnahmen die Ergebnisse
„im Wesentlichen die gleichen“ sind.
Wenn aber schon innerhalb der Grenzen der Gesunden die Zuverlässigkeit
der Methode so sehr in Frage kömmt, so ist der Mangel an Exacticität um so
mehr zu beklagen, wenn es sich um Erforschung krankhafter Verhältnisse handelt
In zahlreichen Fällen von Emphysem habo ich das Fehlen der von Waldenburg als
pathognostisch erklärten relativen Insufficienz des pneumatometrischen Maasses
beobachtet. Es erklärt sich dies leicht, wenn man bedenkt, dass der Ausfall an
Elasticität der Lunge beim Emphysematiker, in früheren Stadien wenigstens, ge¬
deckt wird durch eine compensative Thätigkeit der Exspirationsmuskeln, so dass
die Insufficienz am Pneumatometer nicht manifest wird.
In Ueberein8timmung mit Biedert fand ich, dass bei Bronchitis wie bei Phthise
beide Werthe, die Inspiration wie die Exspiration, insufficient sind. Allerdings
besteht eine geringe Abweichung, indem bei genuiner Bronchitis mehr die Exspi¬
ration, bei Phthisis mehr die Inspiration erschwert ist Doch so gross und so
constant ist diese Differenz keineswegs, um, wie Waldenburg dies thut, auf dieses
Moment eine Differenzial-Diagnose zu gründen.
Trotz der schwachen Stützen, welche die Pneumatometrie gerade in den Angel¬
punkten zeigt, ist dieselbe nicht ganz über Bord zu werfen. Erscheint ihre diagno¬
stische Bedeutung mehr als zweifelhaft, so findet sie dagegen eine brauchbare
Verwendung, wenn es sich darum handelt, im concreten Falle die Resultate einer
Behandlung zu constatiren, da die Fehlerquellen im Grossen und Ganzen bei einem
und demselben Individuum dieselben bleiben und daher ein namhaftes Plus oder
Minus, wie es im Laufe einer längeren Behandlung in den pneumatometrischen
Maassen gefunden wird, auf Rechnung der gesteigerten oder verminderten Respi¬
rationskräfte zu setzen ist. Man hat hiebei nur die Vorsicht anzuwenden, den
Patienten erst einige Tage lang im Gebrauch des Pneumatometers einzuüben, bis
man constante Werthe erhält und damit den Ausgangspunkt gewinnt für die Noti-
rung der weiteren Ergebnisse. Nimmt dann der Werth derselben im Laufe der
Behandlung namhaft zu, so ist dies, wie ich oft zu constatiren Gelegenheit hatte,
mit einer Besserung des Leidens in Zusammenhang zu bringen.
Der Vollständigkeit halber erwähnen wir noch einer weiteren Methode, welche
ebenfalls die Werthe der Exspirations- und Inspirationskraft zu bestimmen sucht,
wir meinen die von Riegel cultivirte Stethographie. Der Pneumatometrie an Exac¬
ticität eher überlegen, ist diese Methode, welche die beiden Athmungsphasen gra¬
phisch zum Ausdruck bringt, doch nicht frei von Mängeln, ganz abgesehen davon,
dass sie zu umständlich ist, um in praxi Verwerthung zu finden.
Nach dieser längeren Digression über Pneumato-Diagnostik kehren wir wieder
zu unserer eigentlichen Aufgabe, zur Pneumo-Therapie zurück.
Die Indicationen zur Anwendung des transportablen Apparates haben
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wir in genere bereits erläutert, indem wir den Gebrauch der Einathmungen com-
primirter Luft bei Insufficienz der Inspiration, dagegen Ausathmungen in verdünnter
Luft bei insufficienter Exspiration in Anspruch nahmen. Häufig wird man beide
Verfahren combinirt an wenden müssen, so namentlich in vorgerückten Fällen von
Emphysem, wo neben der Exspiration auch die Inspiration insufficient. Nicht
nur in Krankheiten des Respirationsapparates kommt der transportable Apparat
zur Verwendung; auch für Herzaffectionen hat Waldenburg rationelle Anzei¬
gen aus der Theorie abgeleitet und es haben sich dieselben in praxi zum Theil
bewährt. Der Umstand, dass Einathmung comprimirter Luft die Blutfülle im klei¬
nen Kreislauf verringert, veranlasste Waldenburg dieselbe bei solchen Herzaffec¬
tionen des linken Herzens in Anwendung zu bringen, wo der Abfluss des Blutes
aus den Lungen gehemmt ist, also bei Insufficienz der Mitralis und Stenose des
Ostium v£n. sin.
Dagegen eignet sich nach Waldenburg umgekehrt die Exspiration in verdünnte
Luft bei vermindertem Blutzufluss zu der Lunge, also besonders bei Erkrankungen
des rechten Herzens-
Ich hatte keine Gelegenheit diese auf thatsächliche Beobachtungen gestützte
Lehre Waldenburgt zu bestätigen; dagegen berichtet Biedert von glücklich nach
diesen Principien behandelten Fällen und selbst Schnitzler , der sich im Ganzen re-
scrvirt ausspricht über die Bedeutung des transportablen Apparates bei Herzkrank¬
heiten, erwähnt Fälle, wo dessen Anwendung den Kranken Erleichterung subjec-
tiver Beschwerden, zumal Linderung der quälenden Athemnoth verschafft hätte.
Was die Contra-Indicationen für die Anwendung des transportablen
Apparates betrifft, so ergibt sich:
1) Der Gebrauch comprimirter Luft ist zu widerrathen in Fällen, wo der
Druck im Aortensystem erhöht ist und Congestionen, ja Hämor-
rhagien in irgend einem Gebiet desselben zu befürchten wären. (Atherosie, inter¬
stitielle Nephritis etc.)
2) Von der Anwendung verdünnter Luft hat man abzusehen, wenn Hyper¬
ämie höheren Grades im kleinen Kreisläufe vorhanden ist. Vor Allem
hat man die Gefahr einer Hämoptoe im Auge zu behalten. Ist Neigung zu solcher
da, so wird dem Eintritt derselben durch Anwendung verdünnter Luft, d. h. durch
rasche Herabsetzung des Druckes auf die Innenwand der Alveolen, selbstverständ¬
lich Vorschub geleistet.
Noch liegt uns ob, an der Hand der einzelnen Krankheitsformen einen Ver¬
gleich zwischen der Bedeutung des pneumatischen Cabinets und der des trans¬
portablen Apparates zu ziehen. Wir sahen im Laufe der Betrachtung, dass auf
dem Gebiete der Krankheiten des Respirations-Systems die Indicationen des einen
wie des andern Apparates sich vielfach begegnen. Es sei uns denn zum Schlüsse
noch gestattet, einen flüchtigen Blick auf die in Frage kommenden Krankheits¬
gruppen werfend, im Speziellen zu untersuchen, wo die eine Methode vor der an¬
deren den Vorzug verdient und wo beide combinirt in ihr Recht treten.
Fassen wir zunächst das für die Pneumotherapie ergiebigste Vorkommniss der
Pathologie in’s Auge, das Emphysem! Das reine substantive Emphysem, ohne
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Catarrh, ohne Complication mit Asthma ist in seinen Anfängen nicht sehr häufig
Gegenstand ärztlicher Behandlung. Erst wenn Lungenblähung und Elasticitäts-
Defect weiter gediehen sind, machen sich subjective Beschwerden geltend, um
derentwillen die Patienten die Hülfe des Arztes aufsuchen. In diesen Fällen bildet
in der That der transportable pneumatische Apparat das souveräne Mittel, um
eine Beseitigung der subjectiven Symptome Hand in Hand mit einem Zurückgehen
der herabgedrängten Lungengrenze als Zeichen der Heilung resp. Besserung zu
erlangen. Ich habe verschiedene Male derartige Patienten nach 4-wöchentlicher
Kur, während welcher ich sie täglich 60—80—100 Ausathmungen in verdünnte Luft
(von V«o— Vjo Atm. Verdünnung) vornehmen liess, als geheilt entlassen. Der trans¬
portable Apparat entfaltet hier eine segensreiche Wirksamkeit.
Ist ein Emphysem in noch vorgerückterem Stadium und bereits mit „Catarrhus
siccus“ verbunden, oder ist dasselbe als durch eine langdauernde Bronchitis ber-
vorgerufen zu betrachten, dann kommen wir mit dem transportablen Apparate
nicht zum Ziel. Ja, wenn der Katarrh besonders ausgeprägt ist hinsichtlich In-
und Extensität, so werden Ausathmungen in stark verdünnte Luft eher schaden
als nützen, da sie die Hyperämie auf der Bronchial-Schleimbaut vermehren
helfen. Man wird dagegen in diesen Fällen mit Erfolg den Gebrauch der pneu¬
matischen Bäder anordnen, wobei die comprimirte Luft ihren anticatarrhalischen
Einfluss geltend macht und damit eine hervorragende Erscheinung, eventuell das
Grundübel, die Ursache des Emphysems selbst zur Beseitigung bringen. Im wei¬
teren Verlauf der Kur, oder wenn der Catarrh von vorneherein nicht sehr be¬
trächtlich ist im Verhältniss zum Emphysem, gebraucht man nebenbei auch den
transportablen Apparat unter Anwendung ganz mässiger Luftverdünnung zur An¬
regung der Exspiration.
Der curative Werth der pneumatischen Sitzungen bei Emphysem mit Catarrh
ist kein bloss vorübergehender, wenn anders dem Patienten die Geduld nicht man¬
gelt, denselben längere Zeit (zu widmen. In diesem Sinne täusche man sich ja
nicht! Eine 4-wöchentliche Kur wird nicht viel mehr als Linderung, palliativen
Nutzen schaffen! Zur gänzlichen Beseitigung eines Leidens, das Jahr und Tag
zu seiner Entwicklung gebraucht hat und fest eingewurzelt ist, bedarf es einer
über mehrere Monate sich erstreckenden methodisch-consequenten Kur. Haben
daher die Patienten weder Zeit noch Lust zu so lange dauernder Behandlung, so
mache man sie darauf aufmerksam, dass von einer Radical-Kur nicht die Rede
sein könne. Das pneumatische Cabinet vermag ebenso wenig Wunder zu verrich¬
ten als irgend ein anderes Heilmittel; seine Wirkungen bringt es auf sehr natür¬
lichem Wege und demgemäss oft zögernd zu Stande.
In ähnlicher Weise, wie bei dem das Emphysem begleitenden sogenannten
Catarrhus siccus ist auch bei der Behandlung gewöhnlicher chronischer Bronchi¬
tiden das pneumatische Cabinet dem transportablen Apparat überlegen. Eine
symptomatische Wirkung vermag letzterer dadurch auszuüben, dass durch Inspi¬
rationen comprimirter Luft, zumal wenn verbunden mit Inhalation flüchtiger Arznei¬
stoffe, die Expectoration anregen. Einen eigentlich curativen Werth hat aber nur
der Gebrauch comprimirter Luft in Form von Sitzungen in der pneumatischen
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Glocke. Der Erfolg pflegt — wie wir früher schon erwähnt haben — hiebei oft
rasch, meist schon nach wenigen Wochen einzutreten, falls nicht Emphysem oder
Phthise mit im Spiele sind.
Bei beginnender Lungenschwindsucht oder Anlage zu derselben be¬
währen sich beide Methoden, wie denn auch beiden eine rationelle Indication ent¬
spricht, indem im einen wie im andern Falle die Inspiration comprimirter Luft die
Muskulatur der „paralytischen“ Thorax anregt und stärkt, den Verdichtungen ent¬
gegenarbeitet, die Expectoration fördert, die Vital-Capacität steigert. Wir müssen
einstweilen dahin gestellt sein lassen, toreiche Methode die besseren Resultate er¬
zielt. Ebenso sind bei der chronischen Pleuritis beide modi gerechtfertigt, um
durch comprimirte Luft die Lunge zu stärkerer Entfaltung zu bringen.
Gegen Stenosen der oberen Luftwege zeigen die pneumat. Glocken
und die transportablen Apparate eine symptomatische Wirkung. Doch möchte der
Gebrauch der ersteren im gegebenen Falle vorzuziehen sein, weil bei längerer
Sitzung in der Glocke erfahrungsgemäss und natürlicher Weise die Linderung der
Dyspnoe eine mehr nachhaltige ist als bei der flüchtigen Anwendung der Inspira¬
tionen einer nur um ein Geringes verdichteten Luft.
Was endlich das Asthma bronchiale betrifft, so richtet sich der Vorzug
der einen oder andern Methode nach den dasselbe begleitenden Complicationen.
Ist das Asthma, wie meist der Fall, mit Catarrh der Bronchien complicirt, so wird
man unbedingt das pneumatische Cabinet vorziehen; dagegen möchte zur Bekäm¬
pfung eines gleichzeitig bestehenden Emphysem der Gebrauch des transportablen
Apparates mit Exspiration in verdünnter Luft zu empfehlen sein, wo möglich neben
Sitzungen in der pneumatischen Glocke.
Hiebei rufe ich Ihnen in Erinnerung, dass man gelegentlich mit Erfolg sich
der verdünnten Luft zu pneumatischen Sitzungen zuwendet. Die Erforschung der
Bedingungen, unter welchen letztere der Luft-Compression vorzuziehen ist, bleibt
weiterer Untersuchung Vorbehalten. Ich bin überzeugt, dass eine eingehende
Prüfung dieses Gegenstandes sich lohnen wird und es ist zu wünschen und zu
hoffen, dass dabei auch ein Streiflicht auf die viel discutirte Frage des Höhen¬
klima^ fallen möchte.
Meine Herren! Ich habe im Vorstehenden die Grenzen der Indicationen so¬
wohl des einen als des andern Heilverfahrens absichtlich enge gezogen und glaube
deren Bedeutung damit keinen Eintrag gethan zu haben. Nichts schadet dem
sonst noch so wohlbegründeten Ruf einer Behandlungsmethode mehr als die Ten¬
denz daraus eine Art Universalmittel zu machen. Dies ist eine triviale, aber da¬
rum nicht minder ernste, oft übersehene Erfahrungswahrheit, welche die Geschichte
der Medicin in zahlreichen und instructiven Beispielen bestätigt. Denken wir nur
an die Schicksale der Electro- und Hydrotherapie. Hat nicht dem Aufkommen des
constanten Stroms sein grosser Meister ebensoviel geschadet als genützt, indem
der Eifer und die Ueberschwänglichkeit, mit der derselbe die weitgehende Be¬
deutung des neuen Verfahrens anpries, die nüchterneren Forscher an der Zuver¬
lässigkeit seiner Beobachtungen stutzig machte! Remak und der constante Strom
kamen so vorübergehend in Misskredit.
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Muss man sich ferner wundern, dass einer so vorzüglichen Heilmethode, wie
der Hydrothrapie, die Schulmedicin so lange den Eintritt in ihre geweihten Hallen
verschlossen hielt, wenn man weiss, welch’ einseitiger Standpunkt und schroffe
Stellung die sogenannten Hydrotherapeuten von Fach zum grossen Theil der ra¬
tionellen Wissenschaft gegenüber einnahmen. Der Sinn von Pindar'a „ cxqloTov fiev
vdu)Q u , in dessen Citirung, beiläufig gesagt, sich Jeder gefiel, der 2 Zeilen über
Hydrotherapie niederschrieb, lief vielfach auf die absurde Prsetention hinaus: „Das
Wasser ist ein Universalmittel 1“ Hätte der Hellene geahnt, welchen Missbrauch
der Barbar mit seinem geflügelten Worte dereinst treiben sollte, er würde besser
gethan haben, es auf der Lippe zu unterdrücken!
Auch in der Pneumotherapie hat man sich nicht immer grösster Nüchternheit
beflissen und wurde bereits früher erwähnt, was von der Wirkung des pneumati¬
schen Cabinets bei Gicht, Tumor albus, Malum Pottii, Uterusleiden etc., wo das¬
selbe in der That ernstlich empfohlen wurde, zu halten sei. Man wolle es mir
nicht verdenken, wenn ich andrerseits auch über die angebliche Bedeutung des
transportablen Apparates bei Invagination, Brucheinklemmung, Meteorismus u. dgl.
zum Zwecke von Luftklystieren oder Darmgas-Aspiration achselzuckend hinweg¬
gehe ! Mögen auch derartige Procedere nicht ungerechtfertigt erscheinen, so lassen
sie sich ebenso gut durch einen Blasbalg oder eine Klystierspritze vornehmen,
Vorrichtungen, die bequemer sind und leichter an’s Krankenbett zu beschaffen, als
die sogenannten „transportablen" Apparate, welche in ihrer Schwerfälligkeit
an das bekannte „lucus a non lucendo“ erinnern.
Ich hoffe mit meiner Darstellung der Indicationen des pneumatischen Cabinets
und des transportablen Apparates gezeigt zu haben, dass die beiden Methoden
neben einander ihre volle Berechtigung haben, dass sie weit entfernt, einander
auszuschliessen, sich vielmehr gegenseitig zweckmässig ergänzen und unterstützen,
dass endlich die Frage, ob die eine Methode oder die andere vorzuziehen sei, eine
müssige ist, wenn sie nicht auf den speciellen Fall bezogen wird, gerade wie die
Entscheidung, ob der constante oder der unterbrochene Strom zweckmässiger, nur
im speciellen Fall, nie im Allgemeinen, gegeben werden kann.
Wir mögen daher den Ausspruch Waldenburg 's beherzigen, mit welchem er sein
Werk über Pneumotherapie abschliesst: „Der Endzweck unserer medicinischen
Wissenschaft ist helfen und heilen! Freuen wir uns, wenn die Mittel zu diesem
Zwecke wachsen! Verschiedene Wege führen zum Ziel. Auf dem einen wie dem
andern wollen wir nützen und sollen dies in dem entsprechenden Wirkungskreise
mit aller Kraft anstreben. Unterstützen wir uns hiebei gegenseitig; arbeiten wir
nicht gegeneinander, sondern miteinander!“
V ereinsberichte.
Medicinische Gesellschaft in Basel.
Sitzung vom 12. Juli 1877. — Anwesend 18 Mitglieder.
Discussion über den Entwurf eines Medicinalgesetzes für
den Kanton Basel-Stadt.
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Am 15. Juni sandte der Vorsteher des Sanitätsdepartements den Aerzten von
Basel die Entwürfe eines Medicinalgesetzes, einer Verordnung über den Gift- und
Arzneiverkauf und einer Apothekerordnung zu mit der Bitte, allfällige Bemerkun¬
gen und Wünsche betreffend diese Materie baldmöglichst einzureichen.
Auf Antrag von Dr. Burckhardl-Merian wurde beschlossen, eine Besprechung
der Gesetzesentwürfe im Schoosse der Gesellschaft stattfinden zu lassen, und
zu dem Behufe eine vorberathende Commission (Dr. A. Burckhardl-Merian, Dr. Fr.
Uchtenhahn und Prof. Massini) niedergesetzt, welche den 12. Juli in Sachen zu refe-
riren den Auftrag erhalten hatte.
Dr. Burckhardl-Merian referirte Namens der Commission. Derselbe begrüsst
in erster Linie die klare und präcise Diction des Entwurfes; vor Allem drückt er
seine Freude darüber aus, dass darin stillschweigend auf die durch die Bundes¬
verfassung den Cantonen zum Entscheid anheimgegebene Freigebung der ärztlichen
Praxis verzichtet, und als erster Grundsatz, die Ablegung eines Examens von den
Medicinalpersonen verlangt wird.
Zu § 1, der diesen Grundsatz ausspricht und den patentirten Aerzten und
Thierärzten des Grenzrayons der Nachbarstaaten Praxisberechtigung zusagt, Ge¬
genrecht Vorbehalten, wird auf Antrag von Dr. Lolz hinzugefügt, dass auch ältere
cantonale Patente Geltung haben sollten, und auf Antrag der Commission beige¬
fügt, dass die im Grenzrayon wohnenden ausländischen Aerzte sich unseren sani¬
tätspolizeilichen Verordnungen zu unterziehen hätten.
Bei §§ 2 und 3 ist nichts zu bemerken.
§4. Aerzte, Thierärzte und Hebammen sollen in dringen¬
den Fällen ihre Hilfe nicht ohne genügen den Gr und versagen.
Die Commission beantragt Streichung dieses § aus folgenden Gründen: Es ist diese
Berufspflicht ein Ueberbleibsel der sogenannten guten alten Zeit, jener Zeit, wo der
Staat mit väterlicher Sorgfalt für Publikum und Aerzte besorgt war, diese letzteren
zwang, allerorts Hilfe zu leisten, sie aber dann hinwiederum vor Concurrenz etwa
mit aussercantonalen und ausländischen Aerzten durch strenge Gesetze schützte.
Es ist das ein förmliches Ausnahmsgesetz für den ärztlichen Stand. Trotzdem der
Arzt auf eigene Kosten studirt, trotzdem er die Berechtigung zur Praxis noch be¬
zahlen muss (Examengelder) zwingt ihn der Staat zu unentgeldlicher Hilfeleistung.
Wenn es dem Staate heute einfiele, mit demselben Recht z. B. die Bäcker zu
zwingen, Hungernden Brod zu schenken, oder die Schneider, zur Winterszeit den
Frierenden warme Kleider zu verabreichen, so würde gewiss kein Mensch das
billig nennen. Die Commission wünscht nicht missverstanden zu werden. Wir
anerkennen voll die humanen Pflichten, die unser Beruf uns auferlegt, aber wir
beanspruchen, dass dieser Standpunkt nicht einfach mit dem rechtlichen identi-
ficirt werde. Die Verantwortlichkeit für unser ärztliches Thun und Lassen braucht
nicht durch ein derartiges Gesetz normirt zu werden, Pflicht und Gewissen des
Arztes waren bisher allein hier massgebend. Wir erlauben uns hiebei aufmerksam
zu machen auf die Tag für Tag, ohne Rücksicht auf Belohnung, zur Geltung kom¬
mende Berufstreue des ärztlichen Standes. Diesen moralischen Verpflichtungen
glauben wir bisher in Basel voll nachgelebt zu haben. Mit Aufnahme dieses § in
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das Medicinalgesetz wird die bisherige schöne Freiwilligkeit humaner Verpflich¬
tungen unter das harte Joch polizeilichen Zwanges eingespannt. Gegen grobe
Verletzung ärztlicher Pflicht bietet § 79 des Polizei-Strafgesetzes übrigens genü¬
gende Handhabe.
Dr. Ecklin ist auch für Streichung des §. Versagung der Hilfe kann es auch
genannt werden, wenn man nicht jeder Aufforderung augenblicklich Folge
leistet. Wie oft ist es aber nur ein blinder Lärm! Ebenso wenig kann man einen
Arzt bestrafen, der keine neue Praxis annehmen will.
Prof. Hagenbach , Massini und Dr. Lichtenhahn wünschen ebenfalls, dass der §
wegfalle. Er gibt jenem bekannten indiscreten Theil des Publikums einen er¬
wünschten Stützpunkt für allerhand Plackereien oder unpassende Zeitungsartikel.
Dr. Fritz Müller erklärt den Ursprung des vorliegenden Entwurfes. Die Apo¬
theker baten um gesetzliche Regelung ihrer Verhältnisse. Es existirt ein Gesetz
über den Giftverkauf, in diesem wurde Bezug genommen auf ein Apothekergesetz
und dieses verwies wieder auf ein Medicinalgesetz, die beide aber factisch gar
nicht bestanden! Nun musste zuerst ein Medicinalgesetz geschaffen w erden; das
einzig Wichtige daran ist der § 1; alle übrigen §§ sind nur Ausführungen des
Polizeistrafgesetzbuches, und in diesem steht gerade diese jetzt bestrittene Ver¬
ordnung schon wenigstens 100 Jahre. Principiell hat übrigens der Staat jeden¬
falls das Recht, den Arzt bis zu einem gewissen Grade zur Hilfeleistung zu ver¬
pflichten.
Prof. Wille unterstützt die letztere Ansicht; der Staat darf die Aerzte zwingen,
da wo es sich um Lebon und Gesundheit der Bürger handelt Unsere Standesehre
wird durch den vorliegenden § nicht verletzt; denn es gibt leider Aerzte, die auch
in dringenden Fällen nicht zu gehen bereit sind; gegen diese soll man von Ge¬
setzes wegen einschreiten können.
Nachdem noch Dr. Burckhardt- Merian und Professor Matärä ihre gegenteilige
Meinung ausgesprochen, wird mit 12 gegen 2 Stimmen Streichung des § ange¬
nommen.
Bei § 5, welcher von der Anzeigepflicht bei ansteckenden Krankheiten
handelt, wünscht die Commission, es möchte in das Gesetz aufgenommen werden,
dass, wenn die Zahl der Krankheiten, bei welchen obligatorische Anzeigepflicht
besteht, vermehrt werden sollte, die medicinische Gesellschaft vorher um ihre
Meinung solle angefragt werden. Solches sei an andern Orten direct und indirect
durchaus Brauch. In Bern schlage bekanntlich die medicinische Gesellschaft die
Mitglieder vor, aus denen dann die Regierung das Sanitäts-Collegium wähle; im
Königreich Sachsen müsse bei neu zu erlassenden Sanitätsgesetzen die sog. Aerzte-
Kammer um ihr Gutachten angegangen werden, und diese sei verpflichtet, im Falle
sie nicht einverstanden, ihr Votum neben dem des Landes-Medicinal-Collegiums
dem Ministerium als sog. Standesstimmc zu unterbreiten. Sie glaubt somit etwas
Selbstverständliches zu beantragen.
Dr. Fritz Müller bemerkt, dass die medicinische Gesellschaft keine offizielle
Stellung habe und darum auch nicht im Gesetz könne genannt werden.
Daraufhin wird der Commissionsantrag zurückgewiesen.
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§ 5. Abgesehen von gerichtlichen Fällen ist die Entschädigung
für die Leistungen der genannten Medicinalpersonen mit Ausnahme
der Apotheker der freien Vereinbarung überlassen.
Die Commission beantragt, dass wenigstens für die „gerichtlichen Fälle“ eine
Taxe sollte aufgestellt werden, während sonst die freie Vereinbarung das für
unsere Verhältnisse einzig richtige sei.
Es wird dieser Antrag angenommen, nachdem an Stelle des Ausdrucks »ge¬
richtliche Fälle“ die präcisere Fassung „Fälle, die der gerichtlichen Entscheidung
unterliegen“ beliebt hatte.
Sitzung vom 7. September 1877.
Anwesend 13 Mitglieder.
Referat und Diskussion über die Verordnung betreffend den Arznei- und
Giftverkauf und betreffend die öffentlichen Apotheken.
Es referirt hierüber Dr. Burchhardt-Merian. Die Commission wünscht zu dem
Gesetzesentwurf eine Anzahl redactioneller Veränderungen und kleinerer sachlicher
Erweiterungen ,oder Beschränkungen, die im Allgemeinen alle angenommen wer¬
den. Von Wichtigkeit sind nur 2 §§.
§ 9 der ersteren Verordnung besagt, dass von den Geheimmitteln in den Apo¬
theken nur diejenigen verkauft werden dürfen, „welche zu verbieten das Sa¬
nitäts-Departement sich nicht veranlasst findet.“
Die Commission wünscht, es möge heissen, „welche das S. D. zu verkaufen
erlaubt hat.“ Sie stellt sich hiemit auf den Beschluss des Aerzte-Tages in Bern
(Mai 1877) und sähe es desshalb lieber, wenn die Sanitätsbehörde weniger exspec-
tativ als vielmehr activ sich dem colossalen Geheimmittelschwindel entgegenstellen
würde. Uebrigens werde die demnächst zusammentretende intercantonale Confe-
renz darin wohl definitive Vorschläge bringen.
Dieser Commissionsantrag wird angenommen.
§ 8 (der Verordnung über die Apotheken). »Die unter § 5, lemma 1, fal¬
lenden, heftige Gifte enthaltenden Recepte sollen nur mit Genehmigung
des verordnenden, eventuell eines andern approbirten Arztes repetirt
werden.“
Es wird darauf aufmerksam gemacht, dass dieser § beim Publikum grosse
Opposition erregen werde; dieses sei gewöhnt, sog. Familienrecepte, die ja auch
Gifte enthalten können (Chloroformliniment, Morphiumsalbe etc. etc.), bei jeder
ähnlichen Gelegenheit, ohne den Arzt wieder zu fragen, wiederholen zu lassen.
Man soll daher lieber verlangen, dass die Aerzte diejenigen Recepte, die ohne be¬
sondere Erlaubniss nicht sollen erneuert werden, mit den Buchstaben N. R.! (ne
repetatur!) versehen sollen. Wird angenommen.
Die Commission wird beauftragt, durch eines ihrer Mitglieder das Ergebniss
der Discussionen dem Sanitätsdepartement zukommen zu lassen, wozu sich Dr.
Burckhardt-Merian bereit erklärt.
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Referate und Kritiken.
Die Diät in den acutfieberhaften Krankheiten.
Von Dr. J. Uffelmann, Privatdocent der Medicin in Rostock. Mit 3 Holzschnitten.
Leipzig, Vogel.
In einer Zeit, wo die medicinischen Kliniken don physiologischen Instituten Concur-
renz machen, wo der junge Arzt seine Patienten vor Allem als Versuchsindividuen, als
— lebende oder todte — pathologisch anatomische Präparate und als Nummern in einer
statistischen Tabelle kennen lernt, ist als doppelt willkommen ein Buch zu begrQssen,
welches, von wissenschaftlicher Basis ausgehend, dem jungen Arzt, dem Anfänger in der
Ilauspraxis, da zu Hilfe kommt, wo für ihn die bittersten Verlegenheiten erwachsen, wo
nur zu oft sein Schulsack ihn im Stiche lässt, — in der Wahl der richtigen Diät fllr
seine Kranken.
Das vorliegende Werk beginnt mit einem interessanten historischen Ueberblick Uber
die Umgestaltungen, die die Anschauungen der Aerzte Uber die passendste Ernährung
der Fieberkranken vom Alterthum bis auf die Jetztzeit erlitten haben. Man sieht daraus,
wie die noch vor wenigen Jahren landläufigen Regeln über „antiphlogistische Diät“ we¬
lliger aus der Erfahrung, als aus dem Brown 'sehen und RrouaMiVschen Schematismus ihren
Ursprung herleiten, wie sie, wenn auch gemildert, bis weit in die Zeit der exacten Me¬
dicin hinein ihr Leben fristeten, bis Grave 1843 zuerst bestimmt den Satz aussprach, dass
der Fiebernde so gut der Nahrung bedürfe wie der Gesunde.
Verfasser wendet sich nun zu der Frage, wie es sich mit der Leistungsfähigkeit der
Verdauungsorgane bei Fieberkranken verhalte. Er findet in zahlreichen Fällen bei mas¬
sigem oder sogar ziemlich hohem Fieber noch Verdauungsvermögeu erhalten; der Speichel
wandelt noch Stärke in Zucker um; in den erbrochenen Massen' ist deutlich nach Ent¬
fernung der Eiweissstoffe die Reaction auf Peptone noch vorhanden. Ein für jeden Arzt
ausführbares Verfahren zur Prüfung auf Peptone wird pag. 40 angegeben. Daneben gibt
es andere Fälle, namentlich die eigentlich adynamischen Zustände, wo die Secretionen
gänzlich darniederliegen. Aber selbst dann, wenn in den ersten stürmischen Fiebertagen
das letztere der Fall war, kann sich, selbst ohne dass die Körpertemperatur schon ge¬
sunken, noch während der Höhe des Fiebers etwas Verdauungsvormögen wiederherstellen.
Verfasser verlangt vom Arzte, dass er nicht müde werde, durch Untersuchung von Spei¬
chel, Erbrochnem und Fteces, auf vorhandenes Verdauungsvermögen zu prüfen und dasselbe
zur Ernährung der Patienten zu benützen. Gegen die weit verbreitete Ansicht, dass Er-
uährung mit Proteinsubstanzen an sich das Fieber erhöhe, protestirt Verfasser. Er glaubt
auf Grund seiner Erfahrungen versichern zu können, dass eine solche Steigerung nur auf
Nebenumständen, Consistenz der Speisen etc. beruht, dass sie überhaupt nur dann ein-
tritt, wenn die Speisen nicht verdaut werden, in saure Gährung oder anderweitige Zer¬
setzung übergehen.
Was die Wahl der Diät anbetrifft, so hat Verfasser sehr strenge Grundsätze. Nie¬
mals soll ein irgend erheblich Fieberkranker im acuten Stadium
irgend eine feste Speise erhalten, heisse sie nun Brod, Zwieback, fein ge¬
hacktes Fleisch etc. Verfasser ist Anhänger der Schleimsuppen, denen man, sobald es
das Verdauungsvermögen irgend gestattet, Malzextract und kleinere oder grössere Men¬
gen von Milch zusetzen soll. Für die 8uppen können auch die neueren Kindermehlo
(Faust, Schuster , Nestle etc.) verwendet werden. Insbesondere werden, auf Grund der neue¬
ren Voit 'sehen Untersuchungen, auch leimhaltige Speisen anempfolilen (Suppe aus Kalbs-
fUsscn etc.), während die verschiedenen flüssigen Fleischpräparate schon etwas mehr
Ueistungsfähigkeit der Verdauungsorgane erfordern und daher nicht ins Vordertreffen ge¬
hören. Auch im Jahre 1877 findet Verfasser sich noch veranlasst, vor allzugrossera
Vertrauen auf den Nährwerth von Obstspeisen oder gar von Bouillon und Fleiscbcxtract
zu warnen. Mit dem Alkohol ferner will er sparsam umgegangen wissen, um nicht durch
Toleranz dessen Wirkung als Analepticum für Nothfälle aufs Spiel zu setzen; am unver¬
fänglichsten werde er in Form von Bier dargereicht.
Mit allen seinen Rathschlägen will aber Verfasser durchaus nicht dem Arzt die sorg¬
fältige eigene Beobachtung ersparen. Im Gegentheil, cs bedarf einer verdoppelten Acht-
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snmkeit auf den individuellen Körperzustand und tausend Nebenumstände, wenn der Arzt
mit seiner couragirteren Diät nicht mit der abnormen Erregbarkeit und Leistungsunfähig¬
keit der Verdauungsorgane in verhängnissvollen Conflikt kommen soll.
Zum Schluss sind in einem speziellen Theile noch besondere Vorschriften gegeben
Uber die Diät in einigen acuten Krankheiten (Typhus, acute Gastroenteritis, Dysenterie,
Peritonitis acuta, Pneumonie, Meningitis, Masern und Scharlach). Da der Verfasser seit
einer Reihe von Jahren diesem Gegenstand seine besondere Aufmerksamkeit zuwendet,
so zweifeln wir nicht daran, dass auch hier manche für den Arzt werthvolle Winke sich
finden worden, obschon der Verfasser den Weg der exacten Beweisführung für seine
Behauptungen und Rathschläge weniger mehr betritt.
Das letzte Wort in Sachen der rationellen Ernährung von Fieberkranken ist sicher¬
lich noch nicht gesprochen. Noch ist die Frage kaum präcis gestellt worden, nach wel¬
chem Verfahren einem Fieberkranken ceteris paribus wirklich die grössten Mengen von
Eiweiss und Kohlehydraten beizubringen sei, auf welche Weise der Zerfall von Körper-
bestandtheilen möglichst hintangehalten werden könne. Hoffen wir, dass dem Verfasser
und seinen Mitarbeitern auf diesem Gebiete noch mancher fernere Schritt vergönnt sein
möge, bis schliesslich auch mit dem letzten Rest des alten Schlendrians wird aufgeräumt
sein. *) M.
Cantonale Coirespondenzen.
8t Gallen. Heber Lebensmittelpolizei. (Eine Ergänzung der Arbeit
des Herrn Prof. Dr. A. Vogt.) „Die Übliche Lösung der Frage von der Le¬
bensmittelverfälschung erscheint mir weder als opportun noch als sympathisch. Ich
habe zu Stadt und Land in 29 Jahren noch keinen Fall erlebt, in welchem durch verdor¬
bene oder verfälschte Nahrungsmittel eine Gesundheitsschädigung eingetreten wäre, welche
man hätte gerichtlich verfolgen können.Viel dringender wäre richtige Bau- und Woh¬
nungspolizei, welche aber, ohne demokratische 8anitätsreform, noch weniger Erfolg zu erwar¬
ten hat, als die Lebensmittelpolizei,“ so spricht sich Hr. Prof. Dr. A. Vogt in voriger Nummer
dieses Blattes mit einer Resignation aus, welche an das bekannte "Wort erinnert: „Was
entsteht, ist werth dass es zu Grunde geht, d’rum besser wär's, dass nichts entstünde.“
Und doch lag solche höhnende Vcrläugnung seiner Wissenschaft gewiss nicht in der
Absicht des Hrn. Professors, vielmehr wird er mit seinen Collegen die alte Ansicht ver¬
treten, welche sagt:
1. Die hygienischen Schädlichkeiten sind durch ihre stille, stätige Wirkung charak-
tcrisirt, gegenüber den gemeinen Vergiftungen, welche plötzlich und augenfällig wirken.
2. Desshalb sind hygienische Schädlichkeiten in ihren Folgen zwar für Aerzte und
Statistiker sehr wahrnehmbar, aber unerreichbar für das gewöhnliche Zeugenverhör und
für den Strafrichter.
3. Darum muss die technische wie die legislatorische Thätigkeit der öffentlichen
Gesundheitspflege eine vorbauende sein. (Für Bestrafung des gewöhnlichen Betruges und
der groben Körperverletzungen ist bekanntlich längst gesorgt.)
Da in empirischen Fragen die subjective Ueberzeuguog und die locale Dialektik wenig
leistet, mag es am besten sein, dass wir fortfahren, auch von andern Völkern zu lernen,
und wie wir bekanntlich seit Jahr und Tag bei den Engländern in die Schule gegangen,
welche für ihre öffentliche Gesundheitspflege ein sehr positives und prophylactisches Pro¬
gramm aufgestellt haben, so mag es für uns Schweizer auch von Werth sein, zu wissen,
wie zuverlässige Deutsche von der Sache denken, und vor allem zu untersuchen, ob sie
die Lebensmittelfälschungen wirklich für gering, die Controle für eine Modesache und den
öffentlichen Chemiker für einen Luxus ansehen?
Diese Zeilen möchten versuchen, ein Umrissbild aus einem grossen, an wissenschaft¬
lichen und praktischen Mittheilungen äusserst reichhaltigen Gutachten zu geben, welches
•) Die Frage ist in ein neues Stadium getreten durch die dem Ref. s. Z. noch nicht bekannten,
neuerdings veröffentlichten Versuche von Butt über Ernährung von Fieberkranken mit Pepton und
Traubenzucker, deren Erfolg hoffen lässt, dass man der Lösung des erwähnten Problems doch bald
wesentlich näher kommen werde.
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das Reichsgesundheitsamt, Director Dr. Struck , dem Reichstage als „Motive“ zu einem
bezüglichen Gesetze „betreffend den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genassmitteln und
Verbrauchsgegenständen“ vorgelegt hat Wir werden das Gesetz mitzutheilen nicht ver-
säumen, sobald es endgültig angenommen ist, einstweilen aber sind uns die Motive des¬
selben als Expertengutachten von Werth.
Die einberufenen Fachmänner waren: Dr. Hoffmann, Prof, der Chemie in Berlin ; Dr.
Fresenius, Prof, der Chemie in Wiesbaden; Dr. Knapp, Prof, der Chemie in Braunschweig;
Dr. Varrentrapp, Frankfurt a. M.; Dr. Zinn, Direct von Eberswalde; Hausburg , Oekonoroie-
rath, Berlin.
Sie sagen in ihren Motiven, Anlage A:
1. Die Klagen über Verschlechterung der L e b e n s m i 11 e 1, de r
Genussmittel und derjenigen Verbrauchsgegenstände, welche
mit dem menschlichen Körper in Berührung kommen, sind all-
gemein, steigend, und v o m 8 4 a n d p un k t e d er G e s u nd h e i ts pflege
geradezu unerträglioh geworden, auch durch die bisherigen Ge¬
setze nicht zu beseitigen.
2. Die Frage der Lebensmittel-Controle steht im innersten Zu¬
sammenhänge mit der Organisation der gesammten öffentlichen
Gesundheitspflege.
3. Strafgesetze allein reichen auf diesem Gebiete gar nicht aus,
sondern es kommt in erster Linie darauf an, vorbeugend zu verfah¬
ren, und diese Vorbeugung kann nur auf dem Wege polizeilicher Massregeln gehand-
habt werden.
Es ist für die Auffassung des Gesetzes, als eines vorbeugenden bezeichnend, dass es
nicht bloss die mehr oder weniger criminelle Gesundheitsschädigung und die vollbrachte
Fälschung, sondern auch den Versuch dazu, insbesondere die Fabrikation von Fäl-
schungsstoffen und den Handel mit denselben bestrafen will. (Die Politik und die Cri-
minaljustiz hat den Versuch längst bestraft, aber der Gesundheitspolizei machte man bis¬
her dieses Recht streitig, weil man ja selbst das vollzogene Vergehen nicht „gerichtlich
verfolgen 0 konnte, wie einen Mord.)
Abnorme Präparate, z. B. gallisirter Wein, Kleisterwürste etc., dürfen
nur unter einem, die Veränderung bezeichnenden Namen verkauft werden, für dessen
augenfällige Kundgebung Garantieen zu geben sind.
Die alltäglichen Gebrauchsmittel anlangend, will sich der Entwurf mög¬
lichst beschränken und z. B. ungiftige Cosmetica, als Luxusartikel, ausser Betracht fallen
lassen.
Die technischen Erörterungen über die einzelnen Abschnitte schliessen jeweilen mit
gedrängten Uebersichten, von welchen wir hier mehrere mittheilen, um die Behauptung
des Herrn Prof. Fleck: die Verfälschungsfrage sei bloss von „verunglückten Zeitungs¬
echreibern, Chemikern und Aerzten* aufgeworfen worden, gebührend zu illustriren. Die
berichteretattendeu Fachmänner gehören schwerlich zu Fleck' s „Chemikern ohne Clienten“.
Mehl. Unter der Bezeichnung „Mehl“ ist der durch den Mahlprozess vorbereitete
Kern der Getreidearten zu verstehen.
Als Mittel zur Fälschung des Mehls sind vorgekommen:
a) Gyps, Schwerspath, Infusorien- und Pfeifenerde, Kreide, bohlensaure Magnesia,
endlich Zinkweiss. Alle, namentlich das letztere, sind gesundheitsgefährlich.
b) Mehl von Erbsen, Linsen, 8aubohnen, Mais und Kartoffeln. 8ie sind nicht als
gesundheitsgefährlich, aber auf Täuschung berechnet und als werthvermindernd zu be¬
trachten.
Die Anwendung von Alaun und Kupfervitriol, um mehr oder weniger verdorbenes
Mehl zur Brodbereitung befähigter zu machen, ist entschieden gesundheitsgefährlich.
Ebenso das Färben von Suppennudeln mit Pikrinsäure statt Eigelb.
Von den aufgezählten Fälschungsmitteln sind die unter a genannten leicht und sicher
nachzuweisen ; ebenso Alaun und Kupfervitriol nebst Pikrinsäure.
Nicht ganz sicher und schwieriger sind die übrigen nachzuweisen.
Conditoreiwaaren. Die Substanz der Conditorwaaren pflegt mit Gyps, Schwer¬
spath, Kreide, Zinkweiss verfälscht zu werden, die als gesundheitageßlhrlich zu bezeichnen
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sind. Nicht ao die Anwendung von geringen Sorten Stärke, die jedoch als auf Täuschung
berechnet zu beanstanden ist.
Das Färben der Conditorwaaren mit gesundheitsgefährlichen Farben hat in weitem
Umfange Platt gegriffen. Dabin gehören: Operment, Grünspan, Mennige, Zinnober, Blei¬
chromat, araeniksaures Kupfer, Chromoxyd; ferner die organischen Farbstoffe: Gummigutt,
Safranin, Fuchsin. Alle sind Gifte.
Es besteht in der Conditorei eine missbräuchliche Anwendung von Bittermandelwasser
und Nitrobenzol; letzteres namentlich ist als gesundheitsgefährlich zu bezeichnen.
Die oben erwähnten Farben finden auch Anwendung auf Verpackung und Enveloppen
und sind auch insofern bedenklich.
In Bezug auf die Anwendung von Stärkezucker (statt Honig zu Honigkuchen) gilt
das beim Bier Gesagte.
Die Verzierung der Waaren und Enveloppen mit unächtem Blattgold und Blattsilber
ist nicht unbedenklich wegen Gehalt an Kupfer, Zink und Zinn.
Es ist den Conditoren auf dem Verordnungswege vorzuschreiben, welche Farben sie
als unschädlich verwenden dürfen.
Sämmtliche als gesundheitsschädlich bezeichnet« Farben sind sicher nachweisbar.
Z u o k e r. Unter der Bezeichnung „ Zucker“ sind nur aus Zuckerrohr oder Runkel¬
rüben bereitete krystallinische Rohrzucker zu bezeichnen.
Bei dem Zucker aus Rüben ist die Melasse durch widrigen Geruch und hohen Be¬
trag der Salze ausgezeichnet bezw. gesundheitsgefährlich; nicht so bei dem aus reinerem
Safte bereiteten Kolonialzucker.
Zucker aus Rüben soll frei sein von Melasse oder doch davon einen nur sehr kleinen
Betrag enthalten.
Die Raffinaden, besonders die aus Rübenzucker, erhalten, um ihnen den Stich in’s
Gelbe zu benehmen, einen Zusatz von Ultramarin. Dieser Zusatz kann seinem Zweck
nach, und wenn das Blau nicht vorstehen soll, nur sehr gering sein; er ist auch in dieser
Dose als ungehörig, aber noch nicht als schädlich zu betrachten.
Streu-, 8tück- und Würfelzucker sind öfter mit Zuthaten versehen, die entweder nur
auf Täuschung berechnet sind, wie Mehl, Dextrin, oder gesundheitsgefährlich, wie Gyps,
Schwerspath.
Ein gewöhnliches Fälschungsmittel für den käuflichen Syrup (Melasse aus Zuckerrohr),
ist Stärkezucker. Hierfür gilt das beim Bier Gesagte.
Der chemische Nachweis der Beimengungen bietet keine Schwierigkeit und ist
sicher.
Ueber Fleisch- und Milch- Controle sind die gleichen Ansichten ausgesprochen,
welche auch bei uns allgemein gelten — „obschon Herrn Prof. Vogt seit 29 Jahren kein
Fall von Gesundheitsschädigung vorgekoromen, welcher die 1 gerichtliche Verfolgung ermög¬
licht hätte." Wir Übergehen desshalb diese beiden Uebersichten des deutschen Gutachtens.
Butter. Die häufigste Butterverfälschung ist der massenhafte Zusatz von Wasser oder
Buttermilch (mehr als 10 — 12 % Wasser und 6% Salz sind nicht zulässig); dann kommen
Käse, Kartoffelmehl, gekochte Kartoffeln, Weizenmehl, Talg, Schweinefett und Oel in Be¬
tracht; sehr oft werden gefälschte Butterstücke mit einer Lage reiner Butter über¬
zogen.
Ein hänfig gebrauchtes Färbemittel liefert die Calendula arvensis (bei Gourmay zu
diesem Zwecke förmlich angebaut), vorzugsweise aber wird zur Butterfärbung der mit
Urin frisch erhaltene Orleans benutzt.
Manche Kunstbutter ist sehr rationell bereitet, von der ächten kaum zu unter¬
scheiden und erfordert nur die ehrliohe Declaration; andere Kunstbutter enthält bis zur
Hälfte Schweinefett.
Bier. Unter der Bezeichnung „Bier" sollen nur durch weinige Gährung ohne De¬
stillation erzeugte Getränke aus Malz (Gerste), Hopfen, Hefe und Wasser verstanden und
verkauft werden. — Alle übrigen aus sonstigen Materialien erzeugten ähnlichen Getränke
dürfen nur unter anderen sie bestimmt unterscheidenden Bezeichnungen, z. B. „Reisbier"
verkauft werden.
In den Bierbrauereien sind zahlreiche Surrogate in Gebrauoh gekommen.
Als Surrogate für Bestandtheile des Malzes sind Stärke, Stärkezucker und Glycerin
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zu nennen. Ob die Anwendung von Stärkezucker, der gegenwärtig noch in sehr unrei¬
nem Zustande in den Handel kommt, gesundheitsgefährlich, muss weiteren Erfahrungen
anheimgegeben werden.
Glycerin ist als nicht ganz indifferent gegen den Organismus und insofern als geaund-
beitsgefährlich anzusehen.
Alle drei Surrogate, Stärke, Stärkezucker und Glycerin, drücken als stickstofffreie
Substanzen den relativen Gehalt an Eiweisskörpern im Bier herab und stören so die der
Gesundheit zuträgliche Mischung des Bieres.
Hopfensurrogate sind als imvollkommener Ersatz überhaupt von der Anwendung aus-
zuschliessen. Einige, wie Herbstzeitlose und Strychnin, sind entschieden gesundheits¬
gefährlich, andere, wie Enzian und Bitterklee, sind wenigstens unzuträglich.
Auch den Zwischenhändlern ist der Verkauf von Surrogaten, welohe für die Bier¬
bereitung vorbereitet sind, zu untersagen.
Mittel zur Färbung des Bieres, wie „Couleur“ u. s. w., sind zwar nicht gesundheits¬
gefährlich, aber doch darauf berechnet, dem Bier den Anschein einer besseren Beschaffen¬
heit zu geben.
Als Klärungsmittel ist gegen (Hasel- und Weisshuchen-) Späne, gegen Hausen¬
blase, Gelatine und Tannin nichts einzuwenden, sehr verwerflich aber ist doppeltschweflig¬
saurer Kalk.
Als Mittel zum Konserviren des Flaschenbieres ist das Pasteurisiren zu empfehlen
und ausreichend. Für das Bier auf Fässern wird neuerdings Salicylsäure angewendet;
ob diese bei dauerndem Genuss gesundheitsgefahrlicb, ist durch weitere Untersuchungen
zu entscheiden.
Ein Bier, das der Gesundheit des Konsumenten im vollen Maasse zuträglich sein soll,
darf sich von einem gewissen dem Gleichgewicht nahen Verhältnisse zwischen Alkohol
und Extrakt nicht zu sehr entfernen. Im Extrakt soll das Verhältniss zwischen Eiweiss-
kürpern, Kohlenhydraten und Salzen so sein, wie es bei richtigem Brauverfahren aus der
Gerste hervorzugehen pflegt
Die Säure des Bieres soll nicht mehr als 2 bis 4 Prozent des Extrakts betragen,
jeder hochgradige Säuregehalt ist verwerflich.
Die als Surrogate des Hopfens dem Bier zugesetzten 8toffe sind noch nicht mit
Sicherheit nachzuweisen.
Wein. 1. Der Name „Wein“ schlechthin darf nur einem Getränke gegeben wer¬
den, welches ohne jeden Zusatz, aus Traubensaft durch alkoholische Gährung bereitet
worden ist
2. Die Darstellung von Wein nach den Methoden, welche Chaptalisiren, Gallisiren,
Petiotisiren genannt werden, ist erlaubt, doch nur unter der Bedingung, dass ein so be¬
reiteter Wein nicht für Naturwein ausgegeben und beim Verkaufe mit einem unterschei¬
denden Namen belegt wird, welcher das Verfahren, nach wolchem der Wein bereitet
worden ist, klar erkennen lässt
Die Verwendung von einem, gesundheitsschädliche Stoffe enthaltenden Stärkezucker
beim Chaptalisiren, Gallisiren und Petiotisiren ist unzulässig.
NB. Der chemische Nachweis des Chaptalisirens, Gallisirens und Petiotisirens kann
nur dann direkt geliefert werden, wenn unreiner, unvergährbare Stoffe enthaltender
8tärkezucker verwandt worden ist Wurde reiner Stärkezucker oder Rohrzucker verwandt,
so kann der Nachweis nur auf indirectem Wege versucht und nicht immer mit Sicher¬
heit geliefert werden.
8. Das Ueberführen weisser Weine in rothe durch Verwendung fremder Farbstoffe
ist als eine Handlung zu betrachten, welche bezweckt, den Wein unter einem, seiner wah¬
ren Beschaffenheit nicht entsprechenden Namen zu verkaufen. Bei Verwendung schäd¬
licher Farbstoffe wird die Handlung gesundheitsgefährlich. Der Nachweis der Färbung
mit fremden Farbstoffen kann geliefert werden.
4. Das Versetzen des Weines mit Aetherarten, riechenden Essenzen, Glycerin und
ähnlichen 8toffen, welche beetimmt Bind, dem Weine den Anschein einer besseren Be¬
schaffenheit zu verleihen, ist unzulässig. Bei Verwendung schädlicher 8toffe werden solche
Manipulationen gesundheitsgefährlioh. Der Nachweis solcher Zusätze kann in der Regel
geliefert werden.
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6. Das Versetzen des Mostes oder Wernes mit Gyps, Alaun oder Bleisalzen ist ge¬
sundheitsgefährlich. Der Nachweis solcher Zusätze ist leicht zu liefern.
6. Zur Conservirung des Weines ist das PasteuriBiren zu empfehlen. Zusatz von
schwefliger Säure durch Ausbrennen der Fässer mit Schwefel ist nur in beschränktem
Maasse und unter Verwendung arsenikfreien Schwefels zu gestatten. (In Betreff der
Verwendung von Salicylsäure vergleiche Bier.)
7. Flüssigkeiten, welche bisher unter dem Namen „Wein“ in den Handel gebracht
wurden und welche durch Vermischen von Wasser mit Weingeist, Zucker, Weinstein,
Aotherarten, riechenden Essenzen etc. hergestellt sind, dürfen (mag denselben ein Zusatz
von Wein gegeben worden sein oder nicht) nicht als Wein, sondern müssen unter an¬
deren, bnstimmt unterscheidenden Namen verkauft werden, in ähnlicher Weise wie dieses
bei Punsch u. s. w. der Fall ist
Kaffee und Thee. 1. Das Vermischen von Kaffeebohnen oder gebranntem
und gemahlenem Kaffee mit Sand, Thonbohnen, Cichorie, extrahirtem Kaffeesatz, gebrann¬
tem Getreide ist nicht gesundheitsgefährlich, aber es entwerthet die Waare.
2. Das Färben von Kaffeebohnen ist oft gesundheitsgefährlich, jedenfalls aber dazu
bestimmt, der Waare ein besseres Ansehen zu geben.
3. Das Färben von Theeblättern und das Bestäuben derselben mit Talk, Speckstein,
Gyps etc. ist oft gesundheitsgefährlich, immer aber darauf berechnet, der Waare den
Anschein einer besseren Beschaffenheit zu geben.
4. Das Verkaufen von extrahirten Theeblättern als nicht extrahirten oder der Ver¬
kauf von Blättern anderer Pflanzen unter dem Namen ächten Tbee’s ist Verkauf einer
Waare unter einer anderen, ihrer wahren Beschaffenheit nicht entsprechenden Bezeich¬
nung.
6. Die Verpackung des Thee’s in Bleifolie oder einer sehr bleihaltigen Zinnfolie ist
gesundheitsgefährlich.
Der Nachweis der genannten Beimischungen oder Färbungen kann stets geliefert
werden.
Chokolade. 1. Mit dem Namen „Ghokolade“ ist nur ein Fabrikat zu bezeichnen,
welches unter Zusatz von Zucker und verschiedenen Gewürzen aus dem Mehl der Kakao¬
bohne bereitet wird.
2. Man pflegt geringere Chokoladesorten zu bereiten, indem man den obengenannten
Bestandtheilen der guten Chokolade Stärke, Mehl, Hammelfett und ähnliche Stoffe hin-
zufügt. Dieses Verfahren kann vom hygienischen Standpunkte aus nicht beanstandet werden.
3. Man pflegt aber auch Chokolade zu fabriziren, welche kohlensauren Kalk, Ocker
und andere ähnliche unverdauliche event. gesundheitsgefährliche Stoffe enthält.
4. Die unter 2 genannten Zusätze lassen sich nur schwierig, die unter 3 genannten
mit Leichtigkeit nachweisen.
Zum Schlüsse noch die kurze Notiz, dass selbst in dem einzigen Canton St. Gallen
in den letzten Jahren Fälle von acuter Vergiftung durch Conditoreiwaaren (Gummigutt-,
Chromblei- und Bleifarben), Fälle von Weinfärbung mittelst Fuchsin, unschlitthaltiger
Butter, enorm kleisterhaltiger Landwürste etc. mehrfach vorgekommen sind; nicht zu
reden von Milchverwässerungen, welche zwar kein Kind direkt getödtet, aber sehr viele
Kinder schwer geschädigt; nicht zu reden von arsenikhaltigen Tapeten und Zuckerpapie¬
ren, welche wenigstens ernsthaftes Unwohlsein verursacht haben.
Der Cantonschemiker von Zürich hat in */* Jahren über 700 Aufträge erhalten 1
Den „Motiven“ der deutschen Fachmänner folgend, bemerken wir nur, dass sie auch
von betrügerischen und gesundheitsgefährlichen Verfälschungen der künstlichen Mine¬
ralwasser und des Petroleum sprechen. Von sonstigen Verbrauohsgegenständen sind
aufgeführt:
Bekleidungsstoffe mit Bleigehalt zur Gewichtsvermehrung oder mit arsenik¬
haltigen Beizen und Farben, schliesslich die giftigen Tarlatans und die corallinrothen oder
arseniksaure Thonerde enthaltenden Hemdenflanelle.
Papiere und Tapeten, bei welchen Ajrsen, Blei und Kupfer wesentlich in
Betracht kommen; Papierverpackung für Esswaaren, Papierwäsche, Tapeten und Rou-
leaux, Lampenschirme, Sammtbordüren (papier veloutä) und Filzteppiche mit abstäuben¬
dem Buntdruck.
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Anstriche im Innern von Wohnräumen. Hier bannen Oel und Firniss Alles, aus¬
genommen den Arsenik, welcher desshalb zu verbieten ist.
Kinderspielwaaren, Tuschkasten, welche Arsen, Antimonblei, Kupfer, Kad¬
mium, Kobalt, Nikel, Quecksilber, Zink und Gummigutt enthalten.
Bleiglasuren von Thonwaaren.
Metallgeräthe. Blanke KupferkeBsel, bleihaltiges Esegeschirr, arsenikbemalte
Brodkörbe, Wassfergefässe und Fliegengitter etc.
Anlage B enthält die einschlägigen 8trafgesetzgebungeu von:
Frankreich, wo besonders auch ein Ministerialerlass von 1876 bemerkenswerth ist,
welcher die heimliche Wein Verbesserung und die Weinfärbung betrifft.
Niederlanden und Belgien.
Aus der schweizerischen Gesetzgebung sind angeführt die Strafbestimmungen
der Gantone Zürich, Waadt, Freiburg, Neuchfitel, Wallis, Schaffhausen, Luzern, Unter¬
walden, Bern, Basel-Stadt und 8t. Gallen.
Ferner folgen Russland, Dänomark und Schweden, Italien und Spanien, Chili, New-
York, Oesterreich und sehr ausführlich England.
Anlage C enthält eine vergleichende Zusammenstellung aus den Gesetzgebungen
von Frankreich, Belgien, Niederlanden, England, 8t. Gallen, Zürich und Oesterreich.
Anlage D. Darstellung des Englischen Rechtes, betreffend die Verfälschung von
Lebensmitteln:
„Die Anregung zum Erlasse eines umfassenden Strafgesetzes gegen die Verfälschung
von Nahrungsmitteln ist von Seiten der Wissenschaft ausgegangen,“ beginnt die Bespre¬
chung des Sale of Food and Drugs Act 1876.
Hassal fand 1861—1864 unter 49 Proben Brod nicht eine frei von Alaun, unter 96
Proben von Kaffee nur 32 unverfälscht; überhaupt auf je 100 Lebensmitteluntersuchunge.-i
66 Verfälschungen.
Namensveröffentlichungen waren die prompteste und schärfste Waffe.
Im Jahre 1873—1874 wurden von 14,383 Lebensmittelproben 26 °/ t , als gefälschte
Waare erkannt.
Die englischen Berichterstatter beklagen 1) dass man (ganz nach dem Wunsche un¬
serer Anwälte der Unordnung 1) die Verfolgung der Fälscher dem Publikum überliess,
anstatt sie von Seite der Behörden zu betreiben und dass man 2) nicht von Gesetzes
wegen öffentliche Chemiker anstellte, sondern deren Aufstellung uDd Auswahl den Ge¬
meinden überliess.
Nach langen Experimenten verlangt England den öffentlichen Chemiker, Deutschland
findet ihn ebenfalls nöthig, nur uns Schweizern soll er nicht sympathisch sein 1
Die Engländer bestätigen die, auch in den „Präliminarien“ (Correspondenzblatt 1878
Nro. 8) ausgesprochene Ansicht, dass man eigens eingeschulter Analytiker bedürfe und
sich nicht mit den sonst regelrechten Apothekern, oder gar mit praktischen Aerzten be¬
gnügen könne. Der Bericht der Parlaments-Commission vom 8. Juli 1874 adoptirt so¬
gar die Ansicht, es seien höchstens 12 Chemiker in England zu finden, welche der Stel¬
lung eines Analytikers gewachsen wären. Ja in der Parlamentssitzung vom 19. Februar
1876 wurde gegen die obligatorische Einführung der öffentlichen Chemiker der Grund
geltend gemacht, dass es an befähigten Candidateu fehle.
Wenn wir Schweizer auch in diesem Falle sind, ist allerdings die eleganteste Rück-
zugslinie in der Erklärung des berner Hygienikers gegeben : Die „Lebensmittel-Controle
erscheine uns uicht als opportun.“
Man kann über manche Punkte der deutschen Gesetzes Vorlage verschiedener Ansicht
sein, die glänzende Motivirung derselben aber erscheint jedenfalls als ein Werk deutscher
Umsicht und Einsicht und Vorsicht, getragen von dem Bewusstsein, dass auch die Natur¬
wissenschaften eine sociale und moralische Aufgabe zu erfüllen haben.
Die Mechanik und die Physik haben ihre sociale Macht entwickelt, die Chemie und
Technologie dient zur Stunde noch mehr der ehrlichen Privatindustrie und der unehrlichen
Fälscherspeculation als dem gesammten Volke, — diesem müssen wir helfen, nicht mit
geistreichen Negationen, sondern mit geduldiger Arbeit.
Wer wird das Säen unterlassen, weil er der Erndte doch nicht sicher ist? Die ganze
cultivirte Welt bearbeitet die Lebensmittel-Controle, und wenn wir Schweizer allein
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„keine Sympathien für dieselbe" haben sollten, so würde die Ehre und die Pflicht uns
Sympathien machen!
„Grau, Freund, ist alle Theorie!“ — in der PaulBkirche zu Frankfurt wie in Bern!
„Und grün des Lebens gold’ner Baum“ — auch in der öffentlichen Gesundheitspflege unseres
Vaterlandes!“ _ Dr. Sonderegger.
München. Das klinische Institut des Hrn. Professor v. Ziemssen
in München. Wenn wir Aerzte einer älteren Generation uns erinnern, wie wir vor
30 Jahren auf verschiedenen Hochschulen mühsam das Beste und Lemenswertheste zu¬
sammensuchen mussten, wie da die Lehrsääle aussahen und das Lehrmaterial, und wie
mitunter pedantische Perrüken uns ihre Weisheit vom Catheder herab in die Feder dic-
tirten; wie man sich dann nach absolvirtem Rigorosum zur Vollendung seines Schliffes
in einem Marterkasten der Laffilte und Gaillard nach der Metropole aller Cultur kutschieren
liess und dort im Hötel Dieu und den Kellerlöchern, Laboratorien geheissen, der grossen
Facultö sich Wissenschaft, Rheumatismen und Zahnweh holte, dann erwachen wir bei
Betrachtung der Gegenwart wie einer jener Schläfer in den Märchen von Tausend und
Eine Nacht Wir befinden uns in einer ganz neuen Welt, die Lehrsääle sind helle Am¬
phitheater und Salons geworden, das Lehrmaterial ist glänzend ausgestattet, die Spitäler
sind gelüftet, gereinigt und einladend; um diese herum erheben sich Feenpaläste, Neu¬
bauten, Institute, anatomische, anatomisch-pathologische, chemische, hygienische u. s. w.
Hier concentrirt sich das ganze wissenschaftliche Leben, hier findet der Studirende wie
der Arzt Alles vereinigt, was seine Wissbegierde sucht, er braucht nicht mehr mühsam
zusammenzusuchen, und mit Zeitverlust zu sammeln, denn Alles wird ihm hier bequem
geboten, über Alles kann er sich hier belehren, Alles kann er finden und zwar in bester
und ausgesuchtester Weise.
Ein solches Institut neuester Schöpfung ist das des Professors o. Ziemssen in München,
dessen Bau und Jahresunterhalt die bayrische Kammer bereits vor l 1 /, Jahren mit nam¬
haften Summen beschloss. Wer die Versammlung der Naturforscher besuchte, kennt
bereits das Gebäude und dessen Eintheilung, heute erst ist dessen innere Einrichtung und
Ausschmückung fertig geworden und steht dieses Institut als ein Muster in jeder Hin¬
sicht vollendet da.
Unmittelbar an das allgemeine Krankenhaus anstossend und mit diesem durch Cor-
ridore in Verbindung, ist es dennoch für sich ganz selbständig in jeder Beziehung, hat
seine eigene Verwaltung, Bedienung, Beleuchtung; bezieht aber die zur Klinik benutzten
Patienten aus dem Krankenhaus, von wo dieselben auf Betten mit geräuschlosen Rädern
durch den Corridor herübergerollt werden.
Ich will mit einigen Zeilen einen Begriff der inneren Eintheilung, sowie des Lehr¬
materials geben.
A. Kellerräume. In diesen stehen der Gasometer des Instituts und die Bat¬
terie für den grossen electrotherapeutischen Apparat vou Krüger , der sich im ersten Stock
befindet, eine Telephonverbindung nach oben ermöglicht die Unterredung; ferner Chemi¬
kalien, Vorräthe etc.
B. Erdgeschoss. Hörsaal für die theoretischen Vorlesungen; dörselbe steht
auch den Herren Privatdozenten über Specialitäten zur Verfügung. Ambulatorium,
Saal für eine Poliklinik ; mit Glasschränken für die Instrumente derselben, sowie der Privat-
docenten in den 8pecialitäten der Electrotherapie, Laryngoscopie, Rinoscopie, Otologie etc.
An diesen anstossend kommt das Therapeuticum, ferner zwei Wartsäle, der
eine für Männer, der andere für Weiber. Privatzimmer für den Oberarzt der
1. medicinischen Abtheilung. Zwei Wohnungen für Herren Assistenten. Wohnung des
Portiers. Wohnung des Institutdieners. Garderobe für Mäntel, Hüte
und Regenschirme.
C. Erster Stock. Klinisches Amphitheater des Professors v. Ziemssen ,
mit anstossendem Wartzimmer für die Kranken, die im Bett vom Spital herüber gerollt
werden. (Reagenzienschrank, Tische zur Aufstellung der Mikroscope, Zeichnungstafeln.)
Propädeutikuzn, 8aal, der ausschliesslich für die propädeutische Klinik bestimmt
ist; ebenfalls mit Wartsaal Rollbett, Rolldivan, Reagenzienschrank, Tische zur Aufstel¬
lung der Mikroscope, Zeichnungstafeln. Reichliche Gasbeleuchtung durch einen Leuchter
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in der Mitte des Saales und Lampen und Gasflammen an den Tischen. An diesen Saal
reihen sich 3 Zimmer an, deren jedes seine eigene Bestimmung hat, nämlich das D i a -
gn o stic um. Hier sind alle Apparate und Instrumente für Diagnose und Therapie in
grossen Glasschränken enthalten; Instrumente für alle Specialitäten, deren detaillirte Auf¬
zählung einen Catalog geben und hier zu weit führen würde. Mibroscope, Polarisations¬
apparate, transportable electrotberapeutische Apparate, MageDpumpen, sowie Alles Übrige
von den ersten Firmen bezogen. In diesem Zimmer steht auch der grosse eleotrothera-
peutische Apparat von Krüger , der seine Batterie im Keller hat. Anstossend kommt das
Laryngoscopische Zimmer, mit einem Leuchtgas-Apparat von Dubosq (Paris) mit
pneumatischen Apparaten von Geigel, Schnitzler, Waldenburg , Spirometer von Hutchinson und
andern. Auf dieses Zimmer folgt ein drittes, das Waagzimm er, mit Waagen jeder
Art, Luftpumpe und Barometer. Mit der Roking-chair und Canapd waage lassen sich
selbst die an’s Bett gefesselten Kranken ohne Mühe wägen. Grosses chemisches
Laboratorium, mit einem anstossenden kleineren. Bibliothek des Instituts,
an diese anstossend die Privatzimmer des Herrn Conservators Prof. v. Ziemssen und des
Herrn Bauer , Professor der propädeutischen Klinik. Wohnung des ersten Assi¬
stenten. Garderobe für Mäntel, Hüte, Regenschirme.
D. Zweiter Stock. Archiv für Kupfertafeln und Krankengeschichten.
Zum Schlüsse füge ich noch bei, dass sämmtliches Mobiliar des Institutes, sowohl
in den Lehrsälen, der Bibliothek und den Wohnzimmern von Eichenholz im Renaissance-
styl gehalten ist, und auch die Tapezierer-Arbeiten, Vorhänge etc. diesem entsprechen.
Bequemlichkeit, Wohnlichkeit, Geschmack sind überall vereint und machen den günstigsten
Eindruck. Strohmatten und Teppiche auf Stiegen, in den Zimmern und Corridors. schlies-
sen jedes lästige Geräusch aus.
Ueber die Klinik selbst noch einige Worte beizufügen, kann ich mich kaum enthal¬
ten. Ich habe wenige Kliniken gehört, die mich so befriedigten wie die des Hrn. Prof.
v. Ziemssen; scharfe Diagnostik und umfassende Kenntniss in allen Specialitäten charak-
terisiren dieselbe besonders; der Practicant wird aufgerufen und in Form des Dialogs
wird, nachdem die Anamnese vorgelesen, Diagnose, Prognose und Therapie besprochen.
Mit grosser Gewandtheit weiss Prof. v. Z. t wenn es nöthig, mit der Kreide in der Hand
eine anatomische 8kizze an der Tafel zu entwerfen und wer die GefässVerzweigungen
oder Nervenplexen vergessen, könnte hier leicht aus dem Sattel geworfen werden. Para-
centesen, Punctionen, Untersuchungen mit dem Speculum, Cauterisationen mit dem Pac-
quelin werden ebenfalls in dieser Klinik gemacht, und der Zuschauer kann Alles gut
übersehen, da die Beleuchtung vorzüglich ist. Ein- oder zweimal die Woche führt Herr
Prof. v. Z. die Schüler in die Krankensäle des Spitals, durchgeht einige Fälle cursorisch oder
haltet sich bei den bereits im Amphitheater vorgeführten Kranken auf. Zu den Sectioneu
geht man ebenfalls von der Klinik aus; nachdem ein kurzes Referat über Kranken¬
geschichte, Diagnose und Therapie vorangegangen ist, spaziert man über dio Gasse zu
Herrn Professor Buhl , um der Leichenöffnung beizuwohnen. Tags darauf wird über die
Section Bericht erstattet. War unsere Diagnose richtig? Oder haben wir uns in etwas
geirrt, ist uns etwas entgangen, haben wir die richtige Therapie eingeschlagen, würden
wir ein andermal wieder so handeln oder anders? Das sind die Fragen, die gestellt und
aufrichtig beantwortet werden.
Wenn ich hiebei an manchen meiner Lehrer zurückdenke, der mit schönen Phrasen
das verdeckte, was die Wissenschaft oder er selbst nicht wusste, und sich bemühte, dem
Schüler den Glauben der gelehrten Unfehlbarkeit beizubringen — doch de mortuis nil
ni8i bene. — Glücklich, zweimal glücklich die jetzige Generation mit ihrem wissenschaft¬
lichen Zweifel und ihrem Streben nach mathematischer Gewissheit
Der Klinik des Professors v. Ziemssen arbeitet die propädeutische des Herrn Professors
Bauer vor. Hier findet sich der Anfänger vor einem kleinern Publikum von Collegen, er
ist daher weniger befangen, kann den Kranken mit aller Gemüthsruhe untersuchen, macht
sein Kranken-Examen mit allen Fehlern des Anfängers, übt sich mit allen HUlfsmitteln
der Diagnostik, macht selbst die Harn-Analyse, untersucht mit dem Mikroscop; es ist
eine Art Unterricht en famille (man erlaube mir diesen Ausdruck), bei dem nicht nur der
Anfänger, sondern auch der Vorgerücktere noch lernen kann und manoher Arzt dürfte
hier ebenfalls in die Schule gehen.
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Doch ich habe schon zu lange den Leser aufgehalten, und wollte ja nur ein Bild
des Instituts geben, da ich nun aber weiter gegangen und von den Kliniken gesprochen,
so will ich auch noch beifügen, dass diese Kliniken dem fremden Arzte mit einer Gene¬
rosität zugänglich gemacht sind, die sonst in Deutschland nicht überall zu finden ist.
Mögen diese Zeilen manchen Studirenden und Arzt dazu bewegen, eine Excursion nach
Isar-Athen zu machen und das klinische Institut des Professors v. Ziemssen näher zu be¬
sichtigen. Dr. Isenschmid.
Afrika. Wenn Sie von der Riviera und vom felsigen Corsika so wunderbare
Dinge in Ihrem Correspondenzblatt orzählen, haben Sie vielleicht auch für eine kleine
Correspondenz aus dem heissen Afrika ein Plätzchen. Ich könnte Ihnen gar Vieles er¬
zählen und im Grunde hatte ich mir vorgenommen, nur als Tourist die kurze Ferien¬
frist zu verbringen; aber so ganz kann man das Mdtier nicht lassen. Der Trieb, die
kranken Menschen zu heilen und sich für Alles zu interessiren, was sie heilen könnte,
wo man sie heilt und wer sie heilt, ist nicht zu ersticken und es scheint, dass im Laufe
der Jahre dieser Trieb zur zweiten Natur wird. Und heute wirklich bin ich ganz be¬
sonders begnadet worden, wie ich’s nimmer erwartet und verdient. Als ich gestern durch
die engen Strassen Constantiue’s schleuderte, war ich mehr als einmal und immer wieder
aufs Neue erstaunt, Uber die merkwürdige Lage des Orts, wie er wohl nicht zum 2. Male
\orkommt. Bekanntlich steht das Plateau, auf dem Constantine erbaut, nur an einer
Stelle in praktikablem Zusammenhang mit der Umgebung durch eine Art steilansteigende
Terrainbrücke, von der aus auch seiner Zeit durch die Franzosen Bresche geschossen und
gestürmt wurde. Nach beiden Seiten fällt das Terrain steil ab, einerseits gegen das
obere, anderseits gegen das untere Ende des Rummel, eines massigen Flüsschens, das
die 8tadt umkreist, nachdem es sich einen Erdschlitz mit steiler, terrassirter Wandung
ausgefressen, der an Tiefe der Via-Mala Nichts nachgeben dürfte. Das Merkwürdigste
ist gerade die relative Schmalheit des Abgrundes, der das jenseitige Felsenufer dem
durch die Strassen Wandelnden als unmittelbare Fortsetzung der Stadt erscheinen lässt,
und steigt man zur Kasbah, der ehemaligen Festung des Bey, jetziger Caserne, so sieht
man auf dem jenseitigen Ufer ein mächtiges Gebäude mit 2 kolossalen Kuppeln, an¬
scheinend ein viereckiger Hof, in Wirklichkeit 3—4 Höfe, dessen Bedeutung zweifelhaft
erscheint. Auf Befragen erfuhr ich, das sei das Höpital civil, ehemals als College für
die Araber bestimmt, nicht ganz ausgebaut; weil es mit der Civilisation schief gegangen,
die jungen hier erzogenen Araber nur desto gefährlichere Feinde der Franzosen gewor¬
den, je mehr sie deren Künste gelernt, habe man ein Spital daraus gemacht. Hieher be¬
schloss ich meine Schritte heute zu lenken und dann von hier aus die Piscinen in Sidi-
möoid zu besuchen, von denen man mir Rühmliches erzählt. Mein Weg führte über die
Brücke El-Kantara, welche die beiden Felsenufer, auf altrömischen Unterbauten ruhend,
verbindet. Hier hat auch der alte Aqureduct gestanden, der das Trinkwasser aus der
Ferne her der Stadt zuleitete. Hier hat man Gelegenheit, über dem Abgrund schwebend,
die grausige Tiefe zu ermessen; an wenigen Stellen sieht man ganz hinunter, da die
Biegung des Rummel und die Unregelmässigkeit der Felswände jeweilen nur ein kleines
Stück des Grundes zur Anschauung kommen lässt. Auf der andern Seite kreuzt man
den Bahnhof und steigt langsam durch wüstes Terrain zum Spital, wo ich den Oberarzt,
an den ich eine Karte hatte, nicht traf, aber von den beiden Assistenzärzten aufs Freund¬
lichste empfangen wurde. Ich kam eben dazu, wie ein Neger, dem ein grosses Stück
Holz den Unterschenkel jämmerlich gequetscht und zertrümmert, verbunden wurde. Trotz
des hoffnungslosen Aussehens der zerrissenen Weichtheile wollte er sich vor der Hand
nicht zur Amputation verstehen.
Die Sääle sind gross und geräumig, natürlich Alles mit steinernen Böden, was die
Reinigung wesentlich erleichtert. Eine strenge Sonderung in medicinische und chirurgische
Fälle, wie bei uns, bestand nicht Das Hauptkontingent liefern die bösartigen Sumpf¬
fieber, aber natürlich im Sommer und Herbst, während jetzt die fieberfreie Zeit war;
desshalb viel leere Betten. Als Rarität zeigte man mir einen Knaben, der nach einer
Stirnwunde einen exquisiten, lang anhaltenden Trismus gehabt und durch Chloral geheilt
wurde. 8yphilis gebe es nicht viel, was ich auch später im Militärspital bestätigen
hörte, wenigstens frische Formen, während constitutionelle Syphilis unter der arabischen
Bevölkerung sehr häufig, aber selten zur Beobachtung und Behandlung komme.
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aio
Auffällig mag es erscheinen, dass 2 Araber mit Frost-Gangrän der Zehen und des Meta¬
tarsus dalagen. Ich konnte mich aber nicht wundern, da ich Ende Märs bei schneidend
kaltem Wind auf den Höhen des Atlas die Araber mit nackten FQssen hatte herumlaufcn
sehen, während mein Thermometer nur 6* Celsius zeigte. Ueberhaupt lernte ich an's
heisse Afrika erst in Biskra glauben. Wenn man bedenkt, dass die Franzosen die Ge¬
gend erst seit 40 Jahren inne haben, kann man sich nur freuen, verhältnissmässig so
schöne Anstalten zur Aufnahme von Kranken zu finden. Nur macht sich auch hier die
französische Centralisation mit ihrer Schwerfälligkeit geltend, da für jede kleinste An¬
schaffung so viele Signaturen und Contresignaturen uöthig sind, dass die Aerzte sich
lieber mit dem Nothdürftigsten behelfen. Ich tröstete die Herren damit, dass ich ihnen
sagte, dass in der ganzen Welt zwischen Verwaltungen und ärztlichem Personal Rei¬
bungen bestehen und dass wenigstens ihre Räumlichkeiten grosse und schöne seien und
dass sie die schönste Aussicht der Welt hätten.
Noch musste ich von einem Hofe aus in die steilen 8chluchten des Rummels blicken, Uber
die sich die Raubvögel in weiten Kreisen wiegten und wurde dann noch von den liebens¬
würdigen Collegen auf den Weg nach Sidimdcid gewiesen, der allerdings steil und beschwerlich
sei; sie verliessen mich erst, als wir das obere Ende eines Couloirs erreicht hatten, dessen
Boden ein einzelnes Gehöfte barg, das man mir als Badeetablissement bezeichnet«. Ein
romantischer Felskessel; rechts war die Oeffnung des Tunnel, der unmittelbar vor Constantine
mündet; links der eine Strebepfeiler des Rummel und unten ein grüner, in üppiger Vegetation
prangender Erdwinkel, zu dessen Idylle hinabzusteigen etwas mühsam erschien. Es ging
aber auch da, wie ich’s in unsern Alpen schon so manchmal erfahren, dass der zwischen
den Steinen halbverborgene Pfad immerhin nicht die Schwierigkeiten bot, die man von
Weitem erwartet. Das Badeetablissement ist wesentlich ein kleines Restaurant, von wo
man noch etwas zu den Piscinen niedersteigen muss. Das Wasser entströmt dem Boden
an mehreren Stellen, ohne Zweifel alles gemeinsamen Ursprungs. Die grösste Piscine
mag etwa 40 Meter lang und 20 Meter breit sein, das Wasser fällt in einer kleinen Cascade,
unter die man sich stellen kann, hinein, hat beim Ursprung 36° Celsius, so dass das
Wasser im Becken noch 28° Celsius misst, natürlich im Mittel. Die Tiefe variirt von
1,2 Meter bis 1,5. Man kann also gehen oder schwimmen nach Belieben und ich genoss
mit Behagen das noch nie genossene Vergnügen, am 2. April im Freien zu baden. Das
Ganze ist durch eine nicht getünchte Mauer aus Natursteinen eingeschlossen und thalab-
wärts durch eine Reihe von den in Algerien obligatorisch gewordenen Eucalyptus be¬
schattet. Ausser diesem grössten Bassin, dessen Wasser etwas trüb erschien, gibt es
noch mehrere kleinere Piscinen und auch einige Grotten, Bäder, wo eine kleine Vertie¬
fung im Fels, wenig grösser, aber tiefer, als eine gewöhnliche Badewanne, einer einzi¬
gen Person gerade den hinlänglichen Raum zum Bade gewährt Ich wunderte mich da¬
rüber, dass die kleine Grotte leer sei, worauf mich mein Führer lachend versicherte, sie
sei voll Wasser; aber erst als ich mit meinem Stock das Wasser berührte und dadurch
in Bewegung brachte, konnte ich mich von seiner Existenz überzeugen, so vollständig
nackt lag der Kiesboden des Bassins vor mir. Auch nachdem ich mich von meiner op¬
tischen Täuschung überzeugt, stellte sie sich sogleich wieder ein, sobald das Wasser
ruhig geworden.
Bei der Einrichtung der Bäder hatte sich ein Militärkommandant von Constantine
verdient gemacht; auch wird das Bad von der Militär- und Civilbevölkerung Constan-
tine’s fleissig benutzt; für die weibliche Bevölkerung sind besondere Stunden reservirt.
Nachdem ich im Restaurant dejeunirt, trat ich den höchst originellen Rückweg über
das untere Austrittthor des Rummel an, der hier nach Passirung einer Naturbrücke, die
die Mitte der beiden 8chluchtseiten verbindet, in einigen bei grösserem Wasserreichthum
gewiss sehr hübschen Cascaden herunterstürzt, um dann weiter unten in ruhigem Geleise
sich weiter zu bewegen. Jenseits liegen einige Mühlen, zu denen das Wasser der Rum¬
mel durch einen Tunnel fliesst, der schon aus der Römerzeit stammen soll. Die Mittags¬
sonne brannte schon recht heiss, weit oben noch standen die Häuser Constantine s; uu-
geheure Nesselfelder schoben sich gegen die Flanken und in die Lücken der natürlichen
Fclsbastionen; durch Staub und Geröll führten die letzten Schritte vor das kleine Pla¬
teau, das hier vor dem Thore von Constantine sich ausbreitet. Sohr zufrieden war ich
mit meinem heutigen, medicinischen Spaziergang; aber es sollte noch besser kommen.
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Ich war eben fertig, meinen Koffer für die Nachtfahrt nach Batna zu packen, als Herr
Dr. Kelch, med. Oberarzt des Militärspitals mich aufsuchte, an den ich Tags zuvor eine
Karte abgegeben hatte. Dieser liebenswürdige College, von dessen histologischen Studien
ich schon Morgens im Höpital civil gehört, führte mich in’s Militärspital auf der Kasbah.
Ein einfaches, aber geräumiges Laboratorium barg ausser allerlei Beagentien einige
Mikroskope, Instrumente etc., auch eine hübsche Sammlung von makroskopischen und
mikroskopischen Präparaten. Dr. Kelch war so freundlich, mir seine Präparate über Leber¬
veränderungen bei Sumpffieber zu demonstriren, wo neben dem Auftreten von Pigment¬
körnern eine der Cirrhose ähnliche Entzündungsform auftritt In dem Laboratorium wer¬
den auch quantitative Harnanalysen und Blutkörperchenzählungen gemacht und zweifle
ich nicht daran, dass die hübschen Untersuchungen auf diesem Felsgipfel Afrika’s ge¬
macht, auch bei uns ihre Anerkennung finden werden. Dass man da oben unsere
deutsche wissenschaftliche Literatur recht gut kennt, dass Virchow und Cohnheim , v. Traube
und Liebermeister hier oben alte Bekannte sind, davon konnte ich mich im Laufe unserer
Gespräche mehrfach überzeugen. Einige Stunden waren auf’s Angenehmste verschwun¬
den und hatte ich noch Zeit, eine Anzahl Photographien und eine hübsche Karte Alge¬
riens zu kaufen, ehe mich die Diligence weiter nach dem Süden entführte. Das war
nicht das einzige Mal, dass ich mich in Afrika davon überzeugen konnte, wie die schöne
Freimaurerei der Wissenschaft ohne lange Einführung und Vorbereitung eine rasche
Verständigung unter gänzlich Unbekannten schafft. 8ie soll leben 1
Constantine, 2. April 1878. S.
# _
W oolieribei-iolit.
Schweiz.
Einladung zur XVII. Versammlung des ärztlichen Central¬
vereins in Zürich Samstag den 18. Mai 1878.
(Für jeden Vortrag sind 20 Minuten statutengemäss festgesetzt 0
10 Uhr Vormittags im Operationssaale des K anto n s - S p i t al s , De¬
monstrationen über:
1. Behandlung der Ozaena J
2. Behandlung der Kniescheibenbrüche > Von Herrn Professor Dr. Bose.
3. Sphincter quartus. )
12 Uhr im Schwurgerichtssaale (Casino am Hirschengraben).
Tractanden:
1. Präliminarien der Lebensmittel-Controle, Verhandlung auf Grund¬
lage der im Correspondenzblatte vom 1. Febr. (Nr. 3) mitgetheilten Thesen.
2. Aus der ophthalmologischen Praxis, von Herrn Prof. Dr. Horner.
3. Ueber Regulationsvorrichtungen im 0 rg an i s m u s, von Herrn Prof.
Dr. Hermann.
4. Subcutane Osteotomie, von Herrn Dr. Wilh. v. Muralt.
6. Vorweisung eines Gehirnmodells von Herrn Dr. v. Orelli.
3 Uhr Banquet im Baur au lac.
Am Vorabend, Freitags den 17., Abends 7 Uhr, versammelt sich der ärzt¬
liche Verein der Stadt Zürich im Cafö „Zimmerleuten“ (Rathhausquai) und er
wird mit einer reichen Auswahl wissenschaftlicher Mittheilungen und Demonstrationen
uns in gewohnter freundlicher Weise empfangen.
Am Morgen des 18. sind uns zum Besuche geöffnet: Kantons-Spital, Entbin¬
dungsanstalt, Kinderspital und Irrenheilanstalt Burghölzli.
Zürich wird, so hoffen wir, auch dieses Mal, seine alte Anziehungskraft bewährend,
wissenschaftliche und persönliche Bande knüpfen und befestigen , und laden wir hiemit
freundschaftlich dazu ein: die Mitglieder des ärztlichen Centralvereins, die Mitglieder
der SociöW mödicale de la Suisse romande und alle andern lebensfrischen und arbeits¬
freudigen Collegen!
D. 1. Mai 1878. Im Namen des ständigen Ausschusses,
Der Präsident: Dr. Sonderegger.
Der Schriftführer: Dr. Burckhardt-Merian.
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Basel. Verein für Anschaffung künstlicher Glieder. Wir haben
wiederholt über den Verein zur Anschaffung künstlicher Glieder in Württemberg referirt
Es freut uns, nun auch über ein ähnliches Institut in der Schweiz Bericht erstatten zn
können.
Der erste Jahresbericht des Vereins für Anschaffung künstlicher Glieder in Basel
ergibt, dass die erstmalige Sammlung von Beiträgen die Summe von Fr. 4015 ergeben
hat, wovon Fr. 3090 kapitalisirt und je Fr. 400 dem Bürgerspital und dem Kinderspital
zur Verwendung an Hilfsbedürftige verabfolgt wurden. In der Kommission bemerken
wir u. A. auch die Herren Prot A. Soän und Hagenbach-BurckhardL Ueber Entstehung
und Aufgabe des Vereins sagt der Jahresbericht: „Im Bürgerspitale müssen jährlich manche
Amputationen vorgenommen werden. Fast alle Amputirten gehören den unbemittelten
Ständen an und durch den Mangel des amputirten Gliedes werden sie oft am Broderwerb
gehindert, so dass nur durch einen künstlichen Ersatz ihr Unglück einigermassen kann
ausgeglichen werden. Dessgleichen bedarf es im Kinderspitale vieler Apparate für Klump-
füsse, sowie für Gelenkentzündungen und Rückenwirbelausweichungen, um spätere Ver¬
krüppelungen möglichst zu verhüten. Die genannten Spitäler können die Anschaffung
solcher Gliedmassen und Apparate nicht übernehmen, da ihre Budgets schon zu schwer
belastet sind; anderseits sind auch die Patienten bezw. ihre Angehörigen selten in der
Lage, die Kosten zu bestreiten; ebenso wenig darf man von der freiwilligen Armenpflege
oder von der allgemeinen Krankenpflege derartige Leistungen verlangen. Es bleibt so¬
mit kein anderer Weg übrig, als an das Wohlwohlen hiesiger Menschenfreunde zu ge¬
langen. Das ist auch von jeher geschehen, nur nicht immer in geordneter Weise; dio
einen Hilfsbedürftigen verstanden es, reiche Gaben zu erhalten, die andern, welche be¬
scheidener waren oder keine Protektoren hatten, gingen leer aus. Wieder Andere ver¬
wendeten das zusammengebrachte Geld für dritte Dinge. Wenn aber auch nichts Un¬
rechtmässiges vorkam, so war noch keine Garantie gegeben, dass nicht aus falscher
Sparsamkeit oder Unkenntniss etwas recht Unzweckmässiges erstellt wurde, wenn die
ärztliche Leitung fehlte und der Patient sich selbst überlassen war.
Alle diese Verhältnisse kann nun ein Verein, in dessen Vorstand auch Sachverstän¬
dige sitzen, am besten ordnen; die immer wieder zum Geben bereiten Wohlthäter haben
dann eine Garantie für eine gute und passende Verwendung ihrer Spenden, ohne die
ihnen geschilderten Nothstände selber untersuchen zu müssen. Der nach auswärtigen
Vorbildern entstandene Verein nimmt von seinen Mitgliedern jährliche Beiträge in belie¬
biger GrÖBBe entgegen und legt einmalige grössere Gaben zinsbringend an. Einstweilen
sind seine Mittel noch nicht ausreichend, um alle dringenden Bedürfnisse zu befriedigen;
eigentlich sollte kein Patient aus den hiesigen Spitälern ohne den nöthigen Hilfsapparat
müssen entlassen werden. Dieses Jahr wurden verabfolgt: 1 künstlicher Unterkiefer, 6
Stelzfüsse, 3 Korsets, 3 Klumpfussapparate; auch wurden einige Reparaturen besorgt. —
Wir zweifeln nicht daran, dass der junge Verein bald erstarken und somit immer mehr
im Stande sein wird, unglücklichen Mitmenschen wirksam zu helfen.“
Ausland.
Amerika* Homöopathische Grundsätze. Laut einer im „New-York
Harald“ unter dem Titel „Hommopathicide“ erschienenen Mittheilung — ich entnehme die
Notiz dem „American Register“ vom 13. April — sassen letzthin 60 Mitglieder der
homöopathischen Aerztegesellschaft zusammen, um in feierlicher Sitzung die Frage zu
berathen, ob das famose homöopathische Dogma „similia similibus curantur“ auch ferner¬
hin noch als zwingender Glaubenssatz aufrecht gehalten werden soll oder nicht. Dsb
Ergebniss des Conciliums lautet nun dahin: Man hege allerdings grosse persönliche und
professionelle Achtung für jenes Dogma, sei aber nichts desto weniger der Ansicht, dass,
wenn ein Arzt die Ueberzeugung habe, es sei „Nichts“ mit jenem Glaubenssatze, er den¬
selben einfach unberücksichtigt lassen könne und sich in der Praxis an denselben nicht
zu kehren brauche, und zwar ohne desswegen Gefahr zu laufen, von der homöopathischen
Gesellschaft als Ketzer angesehen zu werden. Jeder studirte Arzt müsse vielmehr das
unveräusserliche Recht haben, jeder wissenschaftlichen Lehre zu huldigen und jegliche
therapeutische Methode in Anwendung zu bringen, von denen er erfahrungsgemäss anzu-
nehmen berechtigt sei, damit das Wohl seiner Patienten zu fördern.
Der Beschluss wurde mit allen gegen 3 Stimmen gefasst. Der „New-York Harald
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bemerkt dazu, es sei derselbe ein etwas verspäteter Beweis von Ehrlichkeit (a rather
tardy piece of honesty).
Dentaehland. Bad Ems. Bei beginnender Saison haben wir über eine Be¬
reicherung der Emser Curmittel zu berichten, welche unbedingte Beachtung verdient. Die
König Wilhelms Felsenquellen in Ems, zu welchen auch die Victoria¬
quelle (die kohlensäurereichste aller Emser Thermen) gehört, bieten dem Arzt und
Patienten ein natürliches Emser Quellsalz in gelöster Form als Ersatz der
vielfach *ur Verstärkung (Inhalation und Gurgeln) verwendeten Ger har dt sehen Verordnung.
Die Abdampfung und Präparation geschieht unter Beobachtung aller wissenschaftlichen
Grundsätze durch einen besonders hierfür angestellten Chemiker. Das Präparat entspricht
Bomit allen gerechten an dasselbe zu stellenden Anforderungen. Das nat. Emser
Q u e 11 s a 1 z enthält die löslichen BeBtandtheile der Emser Mineralquellen in 20-facher
Concentration. Zu bequemer Verordnung dient die flüssige Form und die Füllung in
graduirten Flaschen k 150 Gramm Inhalt (lö Th eile k 10 Gramm). Eine allseitige Ein¬
führung dieses Heilmittels dürfte gesichert seiu.
91 Aachen. Prof. v. Nussbaum. Nachdem bereits vor einigen Tagen eine Anzahl
von Aerzten ihre Freude über die Genesung des Oberarztes und Professors Dr. v. Nuss-
baum , sowie über die Wiederaufnahme seiner Thätigkeit bezeugt hatten, brachten dem¬
selben am 2. Mai auch seine Schüler eine Ovation im Saale der chirurgischen Klinik dar.
Stud. med. Bachhammer überreichte eine Adresse und einen Lorbeerkranz. Auf die An¬
sprache, in welcher den Gefühlen der dankbaren Liebe für den gefeierten Mann der
Wissenschaft, wie dem eifrigen Lehrer Ausdruck verliehen war, erwiderte Herr Prof.
v. Nussbaum einige herzliche Worte.
Oesterreich. Natrium benzoicum. Einer freundlichen mündlichen Mit-
theilung von Prof. Dr. Klebs verdanken wir die Notiz, dass er die theoretisch nahe lie¬
gende Verwendung von Natr. benz. vielfach practisch ausgeführt hat. Seine Experimente
ergaben, dass das Salz bei allen fieberhaften Krankheiten infeotiöser Natur mit grossem
Erfolge angewendet wird. Der Fieberabfall tritt nicht so rasch, aber sicherer und an¬
haltender auf, als bei Chin. sulf. und Natr. salic. Sodann werden absolut koine unange¬
nehmen Nebenwirkungen beobachtet, auch nioht bei länger fortgesetztem Gebrauche.
Es werden bis zu 25,0 pro die ohne schlimme Folgen vertragen; doch beträgt die
gewöhnliche Dose nur durchschnittlich 10—16 Gramme pro die; die Maximaldose steigt
auf */, % 0 des Körpergewichtes, also z. B. bei 60 Kilog. Körpergewicht auf 30,0.
K. empfiehlt das Mittel gegen alle Krankheiten, die auf dem Infectionswege entstehen,
also z. B. auch gegen Blasencatarrh, Tuberculose etc.
Paris. Professor G. See’ s neue Therapie des Asthma. Prof. Sie
verabreicht gegen Asthma mit glänzendem Erfolg das Jodkalium in grossen Dosen. Er
beginnt mit 1 Grm. 26 und steigt rasch bis zu 2, ja 3 Grm. täglich. Im Spital bedient
er sich gewöhnlich folgender Formel:
Rp. Kalii jodati grammata 10.
Aquae destillatae gr. 200.
DS: Ein Kaffeelöffel vor jeder der beiden Hauptmahlzeiten.
Nach einigen Tagen wird die Dose auf zwei Esslöffel täglich gesteigert.
In seiner Privatpraxis ersetzt Säe das Aqua destillata mit Syrupus corticum auran-
tiorum. Manche Patienten werden nach einiger Zeit des Medikaments in dieser Form
überdrüssig und ziehen vor ,1,2 oder 3 Grm. des ungelösten Salzes in Oblaten zu
.nehmen.
Obwohl die Wirkung des Jodkalium sich in der Regel, manchmal sozusagen un¬
mittelbar einstellt, muss man mit der Verabreichung desselben dennoch sehr lange fort¬
fahren. See geht so weit, von einer ununterbrochenen Anwendung des Mittels zu
sprechen. Er will, dass ein Asthmatiker sein Lebelang unter der Wirkung des Jod¬
kaliums gehalten werde, genau so wie ein Epileptiker Bein Lebelang unter der Wirkung
des Bromkaliums stehen muss. Er gibt seine grossen Dosen gewöhnlich zwei bis drei
Wochen lang. Sind dann die Anfälle nach Dauer, Heftigkeit und Häufigkeit sehr wesent¬
lich vermindert, so vermindert er die Dose auf 1 Grm. 60 täglich. Von Zeit zu Zeit
wird im Laufe der weitern Behandlung einen Tag lang mit dem Medikament ausgesetzt.
Eine Unterbrechung während einer Dauer von nur vier Tagen genügte, um bei einem
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Individuum, das seit einem Jahre vollkommen geheilt schien, einen neuen Anfall von
Asthma herbeizufOhren. Gewisse Individuen können erfahrungsgemäss das Jodkalium nur
sehr schwer vertragen; wo Sie eine solche Unduldsamkeit konstatirte, da gesellte er dem
Jodkalium täglich 10 Centigrm. von Extractum thebaicum oder zwei bis drei Gramm
Chloral zu. (Pester med. chir. Pr., Nr. 16.)
Stand der InfeetIons-Krankheiten in Basel.
Vom 26. April bis 10. Mai 1878.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Die Zahl der angezeigten Masern fälle ist stetig im Abnebmen, diesmal allerdings
nur zu Gunsten von Grossbasel; die Summe der angezeigten Fälle beträgt 44 (138, 94,
88, 84, 58), davon aus Grossbasel 12 (44, 36, 33), aus Kleinbasel 32 (40, 43, 26).
Scharlach hält sich auf niedrigem Niveau; angezeigt sind 11 Fälle (19, 21, 11),
wovon aus Grossbasel 4 (8, 6, 6), Kleinbasel 7 (11, 16, 5).
Diphtherie und Croup zusammen 6 Fälle (16, 7, 11), je 2 vom Nordwestpla-
teau, Birsigthal und Kleinbasel.
Von Typhus sind 4 Fälle angezeigt aus allen Stadttheilen mit Ausnahme des Nord-
westplateaus (4, 8, 4, 2).
Erysipelas 6 Fälle (10, 7, 4).
Keuchhusten 7 Fälle (12, 11), mit Ausnahme eines auswärtigen sämmtlicho aus
Grossbasel.
Puerperalfieber 1 Fall in Kleinbasel. Einige Varicellenfälle.
Briefkasten.
Tit. Sanitä tsdepartemen t in Basel: Ihre Entgegnung auf die Redactionsbemerkungen
in Sachen Circular betr. Prophylaxe gegen Scharlach müssen wir wegen Raummangel auf
die nächste Nummer verlegen. — Herrn Dr. Hafter in 8., Herrn Dr. Nautocrk in W.: Erscheint wegen
Raummangel in nächster Nummer.
Eisenbahn¬
station
Lenzburg oder
Wildegg.
Wasserheilanstalt Brestenberg ,2~L
am Hallwylersee, Schweiz. — Seebäder. Bäder.
Seit 34 Jahren unter der nämlichen ärztlichen Leitung. Das ganze Jahr besucht. Empfiehlt
sich Kranken nnd Solchen, die Erholung und Stärkung suchen. Proepecte und nähere Auskunft ertheilt
[556-R] _ Dr. A. Drismann.
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4 Jahre) Morgens 7 Uhr 10.34°, Mittags 1 Uhr 15.24°, Abends 9 Uhr 9. 76°.
Es empfiehlt sich * der Kurarzt nnd Besitzer
[H-1186-Q] Di*. Alb. Möller.
MATTONI ’ 3
OFNER KÖNIGS-BITTERWASSER
wird von den ersten mediciniachen Autoritäten des In- und Auslandes gegen Habituell© Stuhl-
verhaltung und alle daraus resultirenden Krankheiten ohne irgend welche üble Nach¬
wirkung, auch bei längerem Gebrauche, auf das Wärmste empfohlen.
Durch seinen reichen Gehalt von Chlornatrlum, Natron bicarbonicnm und Natron rar*
bonicum verdient es den Vorzug vor allen andern Bitterwassern des In- und Auslandes.
MATTONI & WILLE, k. k. österr. Hoflieferant,
Besitzer der 6 vereinigten Ofner Königs • Bitter • Quellen.
Curvorschrif tsn und Brschiirsn gratis. IB- 10 -WJ
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315
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mischor Entzündungen (namentlich chronischen Uterininfarkt), Anschwellung der Leber,
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he Hautkrankheiten.
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Buchhandlungen zu beziehenden Brunnenschriften der Badeärzte:
Hofrath Dr. Höfler : Dio jod- und schwefelhaltigen doppelt kohlensauren Natron-
len zu Krankonheil-Tölz, und Dr. Max Höher: Therapeutische Wirkung und Anwen-
g der Krankenheilerquellen (1875).
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gestörten Functionen des Magens und Unterleibs , auch bei chronisolien
len der Drüsen des Unterleibs, namentlich der Leber und Milz, bol
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rlhopädlsches Institut und Kaltwasser- Heilanstalten,
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Ile fremden Mineralwässer.
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ders zu starkendom Aufenthalt für Nervenleidende.
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icertc, Theater, Illuminationen, Waldfeste etc.) erhöhen dio Annehmlichkeit
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Digitized by CjOO^Ic
317
"Ä^z" r BAD SEEWEN. *-
* ’ Zwischen Mythen und Bl&i Im herrlichen Thale ron 8chwy* gelegen. Vlerwsldstittersee.
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ofeimfeFinn lug
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Römisch-irische und Kiefernadel-Bäder.
Geschützte romantische Gebirgsgegend, 2327 Fuss über Meer. — Telegraph.
Eröffnung den 14, Mal.
Nähere Auskunft ertheilt der Besitzer:
[696-R]
Or. HEGGLIN.
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318
Ein junger Arzt» der das Concordateexamen
absolvirt hat, sucht sich unter günstigen Bedingun¬
gen niederzulassen. Auskunft bei der Expedition.
Unterzeichneter empfiehlt den geehrten Herren
Aerzten seine bei ihm selbst verfertigten
Chirurg. Instrumente
etc. unter Zusicherung billigster Preise und vor¬
züglichster Qualität (Garantie.)
Aeltere Instrumente werden reparirt und wie
neu hergestellt, sowie auch Pravatzspritzen.
Ehrendiplom Gewerbeausstellung Basel 1877.
J. J. Eichenberger
[H-1529-Q] bei der Rheinbrticke, Kl. Basel.
Natrium salicylic.
m e d. p u r i s s.
Kilo Fr. 28.
[H- 120 G-Q] Ed. Siegwart, Chemiker,
Schweizerhalle bei Basel.
Doppelhörrohre
nach Dr. Rud. Meyer-HOni (vgl. Correspondenz-
Blatt 1877, Nr. 6) mit ganz leichten Darmspir&l*
Schläuchen, besonders empfehlenswerth, verkauft
ä Fr. 10 mit Eltenbeinohrplatte, ä Fr. 7 ohne Elfen*
beinohrplatte der Originalfabricant
Th. Weltin, Münstergasse, Zürich.
Interessante Neuheit:
Den Herren Aerzten empfiehlt die Dampf¬
fabrik von
J, JPatU Liebe in Dresden
Liebe’s Malzeztract-Leberthran, eine Emul¬
sion ans gleichen Theilen bestem Dorschleber*
thran und reinem Malzextract (nach Dr. Davis
in Chicago).
Dieses Präparat hält sich unverändert, wird,
weil in Emulsionsform (dem chylus entspre¬
chend), leicht assimilirt und wegen des voll¬
ständig verdeckten Thrangeschmackes in reinem
Zustande oder gemischt mit der doppelten
Menge Wassers oder Milch sehr gern genommen.
Flacons ä 250,0 Inhalt zu 1,00 — bei
6 Flacons mit Remis.
Vierwaldstättersee. Schöneck bei Beckenried.
ss 'Wasserheilanstalt. SS
Pneumatische Behandlung
durch die (Hocke, durch Gcigel’schen und Waiden burg’sehen Apparate.
Eröffnung 1 . Mai.
Kurarzt: Besitzer:
Dr. BoetzTces. [609-R] C. Borsinger .
Kreuznacher
Mutterlauge
Kreuznacher
Mutterlaugensalz.
Elisabethbnmnen.
Bezugnehmend auf den Umstand, dass unter obigen Bezeichnungen immer mehr
nachgemachto und verfälschte Waare in den Handel gebracht wird, sehen wir uns ver¬
anlasst, die Herren Aerzte und Apotheker hiermit zu ersuchen, bei Verordnungen resp.
Bestellungen obiger Heilmittel gefälligst darauf achten zu wollen, dass solche mit unserer
gesetzlich deponirten, hierüber befindlichen Schutzmarke versehen sind. Dieselbe befindet
sich bei Mutterlaugen salz als grosses Brandzeichen auf der einen Deckelseite der Fässer,
bei flüssiger Mutterlauge und Elisabethbrunnen als Stopfenbrand auf der einen Seite der
Korken.
Kreuznach, im März 1878. [464-R]
SooWäd#r-Actien-Ge8eÜ8cluift»
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319
Krankenheiler
Jodsoda-Seife als ausgezeichnete Toiletteseife,
Jodsodaschwefel-Seife gegen chronische Haut¬
krankheiten , Scropheln, Flechten, Drüsen,
Kröpfe, Verhärtungen, Gesohwüre (selbst
bösartige und syphilitische), Schrunden, na-
mentlieh auch gegen Frostbeulen)
Verstärkte Quellsalz-Seife gegen veraltete hart¬
näckige Fälle dieser Art,
Jodsoda- und Jodsodaschwefelwasser , sowie
das daraus durch Abdampfung gewonnene
Jodsodasais ist zu beziehen: durch
Em. Ramsperger in Basel.
Poste medical ä cöder
dans un village populeux et industriel du Jura
Bemois — revenu brut de 10,000 ä 13,000 Irenes
par an — consultations en allemand et en francais.
S’adresser au bureau de l’expädition du Cor-
respondenz-ßlatt qui indiquera. [H-1080-Q]
Franzensbad in Böhmen.
Die Versendung der Erer-FrsnsembSder Mineralwässer
(Franseni-, Bels-, Wiesen-, Nemqnelle und kalter
Sprudel) Ar die Saison 1878 hat begonnen and
werden dieselben nur in Qlasboateillen versendet. Be¬
stellungen hierauf, sowie für Franaensbader Uaeral-
■oor nnd Hoorsals werden sowohl direct bei der onter-
seichneten Direction, als anch bei den Depots natür¬
licher Mineralwässer ln aUen grösseren 8tädten des
Continents angenommen and prompt effectairt. Brochnren
Aber die eminenten Heilwirkungen der weltberühmten
Kger-Franzensbader Mineralwässer werden gntis
verabfolgt. [4U-B]
Stadt Egerer Brunnen-Versendnngs-
Directlon ln Franzensbad.
„Pepton.“
Durch Pankreas künstlich verdautes gutes
Ochsenfleisch mit einem Zusatz von ebenfalls ver¬
dautem Weizenbrod.
Fleisch und Brod demnach künstlich in derselben
Weise vorbereitet wie diese im menschlichen
Körper stattfindet
Das Pepton ist das beste Nahrungsmittel in
allen möglichen Schwächezuständen für Rekon¬
valeszenten, in den verschiedenen Krankheiten
nnd Störungen des Yerdaunngsapparates, z. B. bei
Magengeschwüren, beim Typhus n. s. w.
Ferner in allen Fällen, wo eine rasche und
kräftige Ernährung gewünscht wird, in jedem Alter
das Pepton ist das kräftigste Nahrungsmittel, nicht
nor leicht verdaulich, bedarf vielmehr gar keiner
Verdauung, sondern wird direkt vom Blute aufge-
nommen.
Das Pepton ist ausserdem das einzig indirekte
Nahrungsmittel in denjenigen Fällen, in welchen
Ernährung per lavement erfordert oder gewünscht wird
Das Pepton ist zu haben in Büchsen von 1 /i.
Kilo Inhalt = V* Kilo Fleisch nnd */« Kilo Brod.
Preis per Büchse Fr. 3. 75. [H-2222-Z]
Hauptniederlage für die Schweiz in der Apo¬
theke von Eidenbenz St Stürmer in Zürich.
Dr. Sanders & Comp., Amsterdam.
Zur completen Einrichtung von ärztlichen Privat-
Apotheken, sowie zur Fournirnng derselben mit
Droguen jeder Art, Chemiealien, pharmaceutischen
Präparaten (allopathische nnd homöopathische), Mi¬
neralwässern, bewährten Specialitäten, ist Unter¬
zeichnete in Folge Verbindung mit den ersten
Bezugsquellen des In- nnd Auslandes im Stande,
unter Garantie für ausschliesslich beste Waare nnd
S wissenhafteste Ausführung jeder Ordre zugleich
ren werthen Gönnern die äusserst möglichen Preise
nnd annehmbarsten Conditionen einräumen zu können.
Hecht-Apotheke von C. Fr. Hausmann.
[H-1016-Q] St Gallen.
Gesicherte Existenz für einen Arzt.
Wegen plötzlichem Todesfalle ist die Stelle
eines berühmten Arztes mit sehr guter und aus-
f edehnter Kundsame frei geworden. Es würde
ie mit allopathischen und homöopathischen Me¬
dizinen nnd Büchern bestens ansgerüstete Apo¬
theke, Hans, Scheuer, Stallung, Equipage, Pferd,
auf Wunsch auch Rebland und Wiesen etc. mit¬
einander verkauft.
Die Liegenschaft befindet sich in einem leb¬
haften una gemüthlichen Städtchen der Ostschweiz
vis-ä-vis des Bahnhofes.
Gefällige Offerten mit Referenzenangabe unter
Chiffer H-1497-Q befördert die Annoncen-Expe-
dition von Haasenetein nnd Vogler in Basel.
Das natürliche
Emser Quellsalz
in gelöster Form
wird aus den König-Wilhelms-Felsenqnellen
gewonnen nnd enthält die bekannten heil¬
kräftigen Be&tandtheile der Emser Quellen
in 20facher Concentration. — Anwendung
findet dasselbe zur Inhalation, zum Gur¬
geln nnd zur Verstärkung des Emser Ther¬
malwassers beim Trinken. Zu beziehen durch
alle Apotheken und Mineralwasserhand-
lnngen des In- nnd Aaslandes.
König-Wilhelms-Felsenqnellen
[H-3086-X] in Ems.
Schweizerhalle
am Rhein bei Basel
ist
eröffnet
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320
Kuranstalten von Weissenburg.
Eröffnung* 15. Mai
Es empfehlen sich bestens: [H-409-Y]
Der Kurarzt: Die Besitzer:
Dr. H. Schnyder. Gebrüder Hauser.
Aecht ungarische Teichegel
I. Qualität, haltbar und sauglustig,
grosse und mittelgrosse Sorte,
empfiehlt bestens die
Blutegelhandlung Rothenhäusler,
Apotheker, Rorschach.
NB. Unter 60 Stück werden nicht versandt.
Die Blutegelhandlnng besteht seit 36 Jahren und
bedient beinahe */* der schweizer. Apotheker.
Genaue Anleitung zur Aufbewahrung und Seiher
zum Herausfischen der Egel gratis. [H-1144-Q]
Telegrammadresse Rothenhäusler, Rorschach.
Offerire den Herren Aerzten franco gegen
lachnahme. Packung frei.
Preissteigerung Vorbehalten,
hinln sulfur. pur. 30 Grm. Fr. 18, 15 Gr. 8Vt Fr.
* murlat. 30 Grm. Fr. 20, 15 Gr. 10 1 /* Fr.
orph. acei 30 Grm. Fr. 15, 15 Gr. 8 Fr.
„ muriat. 30 Grm. Fr. 16, 15 Gr. 8‘/t Fr.
atr. salicyl. albis. (Schering) pulv. 100 Gr. Fr. 4. —.
„ salic. crystal. puriss. 100 Grm. Fr. 5. —.
cid. salicyl. cryat. 100 Grm. Fr. 4.
alium jodat. pur. 250 Grm. Fr. 11.
hloroforn. puri pt. helv. 250 Gr. Fr. 2.
St. Gallen Mitte Februar 1878.
[H-1718-Q] C. Ehrenzeller, Apotheker.
Apotheker und Chemiker,
.den
Fabrik diätetischer und medicin.-diätetischer Präparate,
empfiehlt den Herren Aerzten ihre vielfach prämirten Fabrikate:
Liebe’s Nahrungsmittel in löslicher Form.
Nährmittel an Stell« oder mit der Muttermilch, namentlich bei Durchallen und Darmkatarch der SAuglinge
anerkennt bewährt. Die der Muttermiloh im Durchschnitt correepondirende Zusammeneetxung der Löemig aee
Präparates in Milch begründet, — auch weil in Emulsioneform, den vor jedem anderen SäugUnganährmlttei
hervorragenden Krnihrnngaerfolg und die weite Verbreitung dea Präparates. _
Liebe’s TSalzextrat, ig*^dVe^eidenden^Beepiratioraorgane vieleeiUg geeohttat.
Liebe’s Malzextract mit Eisen. EMlöffel fem,m pyropho,phorlc * Cüm —
Liebe’s Malzextract mit Chinin und Eisen.
Liebe’s Malzextract mit Kalk D f. P.' Bei^to^Stattgaii'bd* LnngenpMhiee, Atrophie, Zahnen
der Kinder, Skrophnlose, Knochenleiden, pro fase r Menstruation in umtosenden Qebranch gezogw.
Vorstehende Präparate in Originalflaoons ä 800,0 netto Fr. 1. Z5, 1. *6,1. 80,, 1. 80. 1. 80.
I lohn’e Poncinumin ooncentrirte, haltbare, wohlschmeckende Löeung von activem Pepeln in Wein, «-
LIcLfC 5 r cpdlllVfOIII, probt wirksam gegen Verdauungsstörungen.
Flacons k 150,0 m Fr. 2. • . , „ , , __
Die Fabrik garantirt den angegebenen Gehalt dar Prtnarat# und gewihrt Behuf» Prüfung Vniumiun.
Dipdta in vielen grösseren Apotheken, in Basel bei Apotheker Dr. Geiger (goldene Apotheke), in Winter¬
thur bei Apotheker E. Oamper, in Zftrleh bei E. Wanger, Fortunagaaoo 24, u. s. w. __
Von 6 Piecen an wird post-, zoH- und emballagefrel ab Dresden versandt!
Schweighauserlsche Buchdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung ln Baeel.
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COBRESPONDEN Z-BL ATT
für Preis des Jahrgangs
# Fr. 10. — für die Schweiz;
schweizer Aerzte. «fcÄau.
Die Postbuxeaux nehmen
Herausgegeben von Be.tellq.g.n .„tgegen.
Dr. Alb. Barekhardt-nerlan und Dr. A. Baader
Privatdocant in BaseL in äelterkdnden.
N! 11. VIII. Jahrg. 1878. 1. Juni.
Inhalt: 1) Originalarbeiten: Cölestin Nawcerck: Caanistische Mittheilnngen ans dem nenen Einwohnenpital in
Winterthur. — 2) Vereinaberichte: Medicinische Gesellschaft in Basel. — Oesellschaft der Aente in Zürich. — 8) Beferate
und Kritiken: Dr. B. U. Krönlein: Dlphtheritis und Tracheotomie. — 4)Cantonale Correipondenten: Aus den
Acten der schwelt. A erste-Commission, Basel, Wien. — 5) Wochenbericht. — 0) Bibliographisches. — 7) Brief¬
kasten.
Am 1. nnd 15. jeden
Monats erscheint eine Nr.
I 1 /*—2 Bogen stark;
am Schluss des Jahrgangs
Titel n.Inhaltsverzeichniss.
Orig-inal-Arbeiten.
Casuistische Mittheilungen aus dem neuen Einwohnerspital in Winterthur.
1. Multiple, tödtlich verlaufende Revolverschussverletzung der Herzgegend
und der Stirne.
Mitgetheilt von Cölestin Nauwerck, Assistenzarzt.
Mit freundlicher Bewilligung meines sehr verehrten Vorgesetzten, Herrn Dr.
Koller , theile ich in erster Linie einen von uns im December letzten Jahres beob¬
achteten, in mehrfacher Beziehung sehr bemerkenswerthen und seltenen F all
von multipler Schussverletzung mit; für die geschätzten Leser dieses
Blattes dürfte derselbe von erhöhtem Interesse sein, da er zum Theil ein instruc-
tives Seitenstück zu der von Professor Sorin, Mai 1877, in der Basler „Medicini¬
schen Gesellschaft“ demonstrirten „Schussverletzung in der Herzgegend“ (siehe
„Correspondenzblatt“ 1877 Nr. 2) darstellt. Allfällige Lücken in der Kranken¬
geschichte möge man entschuldigen; derartige Patienten wollen „wie Glas“ be¬
handelt sein.
Anamnese. Der Handelslehrling H. W. beschloss am Morgen des 2. De-
cembers, nachdem er in einem Gasthofe Winterthurs übernachtet, seinem neunzehn¬
jährigen Leben ein Ende zu machen. Mit Hose und Hemd bekleidet, feuerte er
aus einem sechsläufigen Taschenrevolver, den er mit der rechten Hand etwa 2 Zoll
von der Brust entfernt hielt, in rascher Aufeinanderfolge vier Schüsse in die Herz¬
gegend ab; auf die Detonation hin sprang der Portier sogleich herzu und drohte,
die verschlossene Thüre zu sprengen; da stiess Patient selbst, der nicht umge¬
fallen war, den Riegel zurück und entlud den fünften Schuss ans gleicher Distanz
in dem nämlichen Moment gegen die Stirne ; er taumelte seitlich und schlug die
Stirne gegen die Wand, verlor aber das Bewusstsein keinen Moment, sondern
legte sich sofort zu Bette, da er starke Beengung, Herzklopfen und stechende
Schmerzen auf der Brust zu verspüren begann; Husten trat nicht ein, keino Hsa-
81
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322
moptoe, die Blutung au9 den Schusswunden war nicht erheblich. Patient wurde
mittelst einer Droschke ins Spital gebracht, wo er kaum eine Stunde nach der
That, die ohne alcoholische Anreizung geschah, ankam. — Patient war im Uebri-
gen stets sehr gesund und kräftig ; keine Potation.
Status priesen s. Mittelgrosser, sehr kräftig gebauter, gut genährter Jüng¬
ling. Keine auffallende Antemie. Aengstlicher Gesichtsausdruck. Sen-
sorium gänzlich frei. Innervationsstörungen fehlen durchaus. Zunge feucht,
etwas belegt Aus einer erbsengrossen, mit ziemlich glatten pulvergeschwärzten
Rändern versehenen Schusswunde auf der Stirne, circa 1 Cm. rechts von
der Mittellinie, circa 3 Cm. unterhalb der Haarwuchsgrenze, quillt spärliches Blut
hervor. Beim Zufühlen constatirt man die Anwesenheit der plattgedrückten unter
der Haut etwas verschieblichen Kugel; dieselbe lässt sich durch die zu kleine
Wunde nicht, hingegen nach einer kleinen Incision nach abwärts von der Wunde
aus, mittelst einer Pincette leicht entfernen. Eine Sondirung wird unterlassen;
durch äusserliche Fingerpalpation lässt sich eine deutliche Impression oder Split¬
terung nicht nachweisen. Das Hemde, womit der Patient bekleidet ist, erscheint
vom Pulver geschwärzt und blutgetränkt; auf der rechten Seite desselben befindet
sich vorn eine erbsengrosse ziemlich glattrandige geschwärzte Lücke. Weitere
Ein- oder Ausgangsöffnungen fehlen. Auf der Vorderseite der Brust
zeigen sich vier Schussverletzungen. 1) Eine ganz oberflächliche
2 Cm. lange von rechts nach links gerichtete geschwärzte Hautlaesion, auf
der Höhe der 2. Rippe, gerade links vom Sternum. 2) Eine erbsengrosse Wunde
mit geschwärztem Saume im 4. linken Intercostalraum, kaum finger¬
breit vom Brustbein entfernt 3) und 4) Je eine wie die zweite aus¬
sehende Schusswunde auf der Höhe des vierten Rippenknor¬
pels, symmetrisch beide etwas innerhalb von der Verbindungs¬
stelle der Rippe mit dem Brustbein befindlich. Aus den drei letzten
Wunden flies9t etwas Blut, das indess bald steht. Soweit man urtheilen kann,
müssen die Kugeln ziemlich senkrecht eingedrungen sein. Ausgangsöffnun¬
gen fehlen; unter der Haut lassen sich keine Kugeln nach¬
weisen. Eine Sondirung wird unterlassen. Druck auf die Rippen ist nicht schmerz¬
haft. Beide Brusthälften heben sich gleichmässig bei der Inspiration; Herzbewe¬
gung verstärkt an normaler Stelle. Herztöne kräftig, rein. Vorn vesiculäres Ath-
men. Kein pleuritisches oder pericarditisches Reiben. Eine Untersuchung der
hintern Thoraxpartien findet nicht statt. Abdomen nichts besonderes. Blase leer.
Kein Stuhl. Respiration leicht beschleunigt, 22 in der Minute, schmerzhaft, cou-
pirt» Puls 80—94, kräftig, mittelvoll, regelmässig. Temperatur 36,1—36,6. Klage
über heftige stechende Schmerzen vorn links auf der Brust; mässige subjective
Dyspnoe; Herzklopfen; Kopfweh. Hie und da etwas Hustenreiz, den Patient sicht¬
lich zu unterdrücken bemüht ist. Kein Auswurf, keine Hämoptoe.
Behandlung: Absolute Ruhe. Rückenlage. Verbot des Sprechens. Eis¬
blasen auf Kepf und Brust. Diät. Lister’scher Verband der Wunden. Clysma.
Innerlich Morph, mur. 0,05, Acid. phosphor. 5,0, Syr. Rub. Id. 30,0, Aq. 150,0.
Zweistündlich ein Esslöffel. Abends wegen Urinretention Cathetrisation.
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323
Eine mitgebrachte Patrone zeigt eine 1 Cm. lange, 7 Mm. im Durchmesser
haltende Spitzkugel aus sehr weichem Metall. Die auf dem Stirnbein plattgedrückte
Kugel besitzt eine Höhe von 7 Mm., einen Breitendurchmesser von 13 Mm. und
lässt noch deutlich die abgeflachte Spitze erkennen, deren Mittelpunkt nur 1—2
Mm. seitlich verschoben ist.
Krankengeschichte.
3. December. Subjectives Befinden unverändert; in der Nacht ordentlicher
Schlaf. Temperatur heute Morgen 38,3, Abends 39,4, Puls 82—108, von guter
Beschaffenheit. Athemfrequenz 20—32. Auf wiederholtes Clysma reichliche Stuhl¬
entleerung. Urin wird spontan entleert, enthält kein Eiweiss. Herztöne und Athem-
geräusch wie gestern; nur hört man seit heute Morgen im 3., 4., 5. Intercostal-
raum links vom Sternum deutliches inspiratorisches pleuritisches Reiben. In
der Umgebung der Brustwunden, namentlich gegen die linke Marailla hin, leichtes
Emphysem-Knistern fühlbar. Patient wird Morgens einen Moment aufge¬
setzt, was unter erheblichen Schmerzäusserungen und Hustenreiz vor sich geht.
Keine abnormen Dämpfungen über den hintern Thoraxpartien,
überall vesiculäres Athmen. ^Ceine Kugel fühlbar.
4. December. Heute sehr hohe Temperaturen: Morgens 40,6, Abends bis
41,2; auf Chinin, m. 1,0, Nachts 40,7, Puls 124—137, etwas schwächer, an Inten¬
sität und Frequenz etwas unregelmässig. Athemfrequenz gesteigert, 28—30.
Das Sensorium zeigt sich leicht benommen, Pat. gibt hie und da verkehrte Ant¬
worten, ist aber im Stande, bei energischer Anrede seine Aufmerksamkeit zu fixi-
ren. Der Urin muss von nun an bis zum Tod mittelst des Catheters entfernt
werden; er enthält nie Eiweiss. Die Untersuchung der vordem Thoraxpartien
ergibt die Anwesenheit eines linkseitigen Pneumothorax: Die linke Brust¬
hälfte bleibt bei der Inspiration namentlich in ihren obern Partien deutlich liegen;
die Herzbewegung ist nicht mehr sichtbar, nur noch ganz schwach fühlbar neben
dem Sternum. Percussionsschall unter der linken Glavicula bis gegen die Herz¬
dämpfung hin abnorm sonor, mit leicht tympanitischem Beiklang; Athemgeräusch
sehr abgeschwächt, mit schwach metallischem Beiklang. Relative Herzdämpfung
nicht mit Genauigkeit abgrenzbar, absolute nach links verkleinert. Herztöne schwä¬
cher als gestern, nicht ganz rein, etwas tönend; am linken Sternalrand und über
den untern Brustbeinpartien leichtes pericarditisches Reiben. Das pleu-
ritische Reiben ist deutlicher geworden. Beim Aufsitzen constatirt man
hinten unten links eine absolute Dämpfung mit fast aufgehobenem Stimmfremitus
und sehr schwachem Athemgeräusch — wahrscheinlich Haematothorax; die¬
selbe beginnt am untern Winkel der Scapula. Oberhalb derselben leichte Tym-
panie.
5. December. Temperatur Morgens 39,5, Abends 40,2, auf 1,0 Chinin 38,7,
Puls 100—104, unverändert, eher etwas besser. Respiration 22—32. Sensorium
wie gestern. Der Pneumothorax hat abgenommen, die linke Brusthälfte
hebt sich mehr, Schall weniger sonor, Herzbewegung wieder etwas sichtbar. Ath-
mungsgeräusch deutlicher, vesiculär. Herztöne etwas lauter; starkes peri¬
carditisches Reiben auf der Höhe der 4. und 5. Rippe bis zur linken Para-
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Sternallinie; lautes fühlbares pleuritisches Reiben in der Herz¬
gegend und bis in die linke Seite- hinab. Emphysem-Knistem ver¬
schwunden. Absolute Dämpfung reicht hinten bis zum untern Drittel der Scapula;
Tympanie nicht mehr vorhanden. In der Nacht vom 4./5. ein blutiges Sputum.
6. December. Temperatur 38,7—39,5, Puls 94—100, Athmungsfrequenz
20—32. Das Sensorium trübt sich mehr und mehr. In der Nacht leichte Delirien,
auch tagüber schwatzt Patient zeitweise vor sich hin und hat offenbar Gesichts¬
hall ucinationen; seiner Umgebung ist er sich nur zeitweise klarer bewusst. Keine
subjectiven Beschwerden; kein erhebliches Kopfweh. Der Pneumothorax ist nicht
mehr nachweisbar. Ueber der ganzen Herzgegend starkes ausgebreitetes pericar-
ditisches Reiben. Herztöne leise, dumpf, aber rein. Ueber der ganzen linken
Thoraxhälfte vorn und seitlich sehr starkes pleuritisches Reiben. Die absolute
Dämpfung ist hinten nicht höher gestiegen; über derselben leises Compressions-
athmen. Auch rechts unten bis zum Angulus scapul. leichte Dämpfung, unbe¬
stimmtes Athmen und zahlreiche mittel- und kleinblasige Rasselgeräusche; vorn
rechts ebenfalls ausgedehntes aber schwächeres pleuritisches Reiben. Heute noch
einige blutige Sputa.
Ueber die beiden folgenden Tage nur eine kurze Zusammen¬
fassung:
Das Sensorium erholte sich in immer seltenem Zwischenräumen; Pat. delirirtc
und hallucinirte lebhafter und machte einige wenig energische Fluchtversuche;
Innervationsstörungen, die auf einen localen Herd gedeutet hätten, blieben gänz¬
lich aus. In der letzten Nacht wurde Patient ruhiger, hatte aber von seiner Lage
keinen Begriff mehr. Der objective Befund änderte sich nicht mehr erheblich;
Pericarditis oder Pleuritis nahmen an Intensität allmählig etwas ab; derHsemato-
thorax blieb stationär. Hinten rechts unten wurde die Dämpfung deutlicher und
stellte sich leichtes Bronchialathmen ein. Die Stirnwunde eiterte vom 5. an ziem¬
lich erheblich, die Brustwunden nur ganz unbedeutend. Das Blutspucken wieder¬
holte sich nicht. Die Temperatur schwankte zwischen 39,1 und 41,1, der Puls
zwischen 108 und 144, indem er immer unregelmässiger und schwächer wurde.
Respirationsfrequenz 28—36. Behandlung war in den letzten Tagen stimulirend.
Am 10. December früh Morgens starb Patient.
Section am 11. December (Morgens).
Sehr kräftige Leiche. Rigor. Spärliche Todtenflecke. Stirnbein, entsprechend
der Hautwunde, in der Grösse eines Fünffrankenstücks vom Periost entblösst, mit
Eiter bedeckt; nächste Umgebung eitrig infiltrirt. Das Stirnbein zeigt ge¬
rade neben der Medianlinie eine nahezu kreisrunde 1 Cm. im
Durchmesser haltende circa 1 Mm. tiefe Impression, die sich durch
eine continuirliche Fissur der Tabula externa begrenzt. Der tiefste Punkt
befindet sich nahezu in der Mitte und von demselben gehen einige radiär
gestellte Sprünge ab. Die Tabula interna zeigt rechts von der Mittellinie auf ent¬
sprechende Höhe einen über 1 Cm. langen, an der Basis 5 Mm. breiten, spitzigen
Splitter, dessen breites. Ende noch ungetrennt mit der innern Tafel zusammen¬
hängt, während die scharfe Spitze 1—2 Mm. prominirt. Von dieser Stelle aus
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325
ziehen sich einige Fissuren bis 1 Cm. weit über die Mittellinie nach links hinüber,
so dass die Splitterung der Tabula interna einen Zweifranken¬
stück grossen Raum einnimmt. Die anliegende dura mater erscheint in Fünf¬
frankenstückgrosser Ausdehnung hämorrhagisch-eitrig infiltrirt und verdickt; eine
Perforation lässt sich nicht sicher nachweisen. Pia des Grosshirns zeigt in noch
etwas grösserem Umfang ziemlich starke Eiterung; die Hirnrinde erscheint auf dem
Durchschnitt daselbst bis in eine Tiefe von circa */j Cm. hämorrhagische Infiltra¬
tion und beginnender Zerfall. Pia im Uebrigen hyperämisch, ebenso die benach¬
barten Ilirnpartien ziemlich weithin stark röthlich auf dem Durchschnitt. Sinus
longit. mit dunklem flüssigem Blut erfüllt. Uebriger Hirnbefund ohne Interesse.
Thoraxmusculatur in der Umgebung der Schusswunden blutig infiltrirt. Bei Eröff¬
nung der Brusthöhle dringt keine Luft heraus, kein Pneumothorax. Der Schuss-
kanal zu äusserst links ist verklebt und scheint in ziemlich gerader Richtung
durch den Intercostalraum zu führen; die mehr nach rechts liegenden Kanäle zei¬
gen granulirende Wandungen. Das Sternum besitzt auf der Höhe der
4. Rippe zwei erbsengrosse nicht gesplitterte Eingangsöffnun¬
gen, welche, namentlich die linke, sich in schiefer Richtung nach links wenden.
Die Innenseite des Brustbeins ist an den zwei entsprechenden Stellen, je über
frankenstückgross, zersplittert; einzelne abgelöste Knochenstückchen ruhen auf
dem Mediastinum anticum, woselbst sich auch gerade unter der
rechtseitigen Sternalperforation die eine in ihrer Form nicht
wesentlich veränderte Kugel findet. Die angrenzenden Partien des
Mediastinums sind eitrig infiltrirt und verdickt. Das verbreiterte Herz hat nament¬
lich die Lunge links mässig abgeschoben. Pericard mit der Pleura pulmon. in
ausgedehnter Weise durch mässige Adhäsionen verwachsen, ebenso die linke
Lungenpleura mit dem Rippenbrustfell in ihren vorderen Partien. Im linken
Pleurasack 800 Ccm. blutiger mit Fibrinfetzen durchsetzter
Flüssigkeit. Rechte Lunge ebenfalls vom und seitlich durch frischere Adhä¬
sionen verwachsen; kein Exsudat. Im Herzbeutel circa 100 Ccm. eitrig gefärbter
Flüssigkeit; das Pericard, extern, zeigt auf der Höhe der 4. Rippe
ungefähr von der links eitigen Brustbeinperforation an ho¬
rizontal gestellte starke Sugillationen und Verdickungen,
die erst am linken Ventrikel aufhören. Continuitätstrennungen las¬
sen sich nirgends am Herzbeutel nachweisen. Auf dem Epicardium des
rechten Ventrikels, jener zumeist nach rechts gelegenen
Sugillation des Pericards entsprechend, lässt sich eine gut
e r b s en g r o 8 s e, ziemlich seichte Impression des Herzflei¬
sches nachweisen, welches an dieser Stelle geringe blu¬
tige Infiltration zeigt. Das Herz gibt das Bild des cor villosum ; reich¬
liche pericarditische Auflagerungen und Rauhigkeiten; Verwachsung findet sich
nur gegen den Ursprung der Art pulmonal, und Aorta hin, woselbst auch das
Pericard eine stärkere Verdickung und leichte blutige Infiltration auf weist Herz¬
höhlen 8ämmtlich erweitert, mit Cruor, flüssigem Blut und Fibringerinnseln erfüllt
Herzfleisch dunkelbraunroth, derb, von normaler Dicke. Klappen normal. Kaum
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326
1 Cm. oberhalb der Klappen der Lungenarterie und der Aorta
findet sich die zweite in ihrer Form unveränderte Kugel ein¬
gebettet im Bindegewebe zwischen den beiden Gefässstäm-
men. Die Spitze schaut nach links, die Basis kehrt sich der Hinterwand der
Lungenarterie zu, deren Intima schon eine beginnende Necrose da¬
selbst aufweist. Der Weg der Kugel lässt sich nicht auffinden; umgeben ist
sie von einigen ältern Blutcoagulis. Keine Gerinnung in der Lungenarterie. Die
rechte Lunge zeigt im untern Lappen hinten beginnende hypostatische Pneumonie,
sonst nichts Besonderes, als mässigcs Oedem. Im Parenchym des linken
Unterlappen findet sich die 3. Kugel, die an der Spitze eine deutliche
ziemlich scharfe Abschleifung zeigt. Die Umgebung ist stark hyperämisch,
fest cedematös, nahezu luftleer; keine Granulirung der Schnittfläche. Schusskanal
nicht mehr zu ermitteln. Milz um's Doppelte vergrössert, blutreich, ziemlich derb.
Uebrige Unterleibsorgane normal.
Um mit einigen epikritischen Bemerkungen zunächst auf die intra vitam
gestellte Diagnose einzutreten, so konnte dieselbe mit Sicherheit nur einen link¬
seitigen penetrirenden Thoraxschuss mit Verletzung der Lunge au-
nehmen, auf Grund des Pneumothorax, des Ergusses in die Pleura und der bluti¬
gen, nicht pneumonischen Sputa. Ob ein, ob alle Projectile in den Thoraxraum
gedrungen waren, musste in incerto gelassen werden. Ebenso konnte eine Ver¬
letzung der rechten Lunge bei der vorhandenen trockenen Pleuritis und der In*
filtration im untern Lappen weder mit Bestimmtheit angenommen noch auch aus¬
geschlossen werden, obwohl wir mehr geneigt waren, eine fortgeleitete Pleuritis
mit hypostatischer Pneumonie anzunehmen. Ganz im Unklaren dagegen blieben
wir mit Bezug auf den Zustand des Herzens und seines Beutels, deren Ver¬
letzung nach der anatomischen Lage der drei Eingangsöffnungen, sofern eine mehr¬
fache Durchbohrung der Thoraxwand resp. des Brustbeins vorlag, fast unvermeid¬
lich erschien. Doch stellten sich absolut sichere Zeichen dafür nicht ein, da die
starke, externe und interne Pericarditis auch von der primären Pleuritis fortge¬
leitet sein konnte. Ein am 5. December vorübergehend auf tretendes Blasen bei
der Systole an der Herzbasis konnte gleichfalls nichts entscheiden. Immerhin
hielten wir namentlich eine Verletzung des Pericards keineswegs für ausgeschlos¬
sen und zogen u. A. auch die Möglichkeit eines Herzcontoursehusses in den Kreis
unserer Erwägungen. Eine beginnende eitrige Meningitis wurde ebenfalls ver-
muthet
Die Autopsie hat uns im grossen Ganzen Recht gegeben. Die Meningitis
suppurativa findet ihren Grund in der durch einen prominirenden halbabgespreng-
ten Splitter der tabula interna verursachten Anspiessung der dura mater.
Ebensowenig braucht der Weg der unter dem Sternum gefundenen Kugel, die
beginnende Eiterung des Mediastinums und die daherige Pleuritis dextra einer
weitern Erläuterung. Die rechtseitige Pneumonie hinten unten darf als hyposta¬
tische aufgefasst werden. Wohl aber kann man sich über den Weg, den die bei¬
den linkseitigen Kugeln einschlugen, seine Gedanken machen. Wir legten uns die
Sache folgendennassen zurecht: Der Schusskanal durch die linke Seite des Brust-
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beins verläuft etwas schräg von rechts nach links; die Kugel gelangte somit mehr
in der Längsaxe auf den Herzbeutel, verursachte bei ihrem Aufschlagen die er¬
wähnte Impression im Herzfleisch des rechten Ventrikels, verlief dann als Con-
tourschuss in horizontaler Richtung auf dem Pericard nach hinten, indem sie
ihren Weg durch eine Reihe von Sugillationen des Herzbeutels markirte und glitt
endlich vom vorderen Theil des linken Ventrikels ab, um nach Durchbohrung der
Pleura pulmonalis im Parenchym des Unterlappens auf einer der äussern Schuss¬
wunde ungefähr entsprechenden Höhe stecken zu bleiben. Daher Hsematopneumo-
thorax, Pericarditis externa (und interna?), Pleuritis sinistra und blutige Sputa.
Die starke Substanzanschleifung der betreffenden Kugel beweist, dass letztere einen
harten Körper passirt haben muss, während die noch weiter nach links den Inter-
costalraum perforirende Kugel ein solches Hinderniss nicht fand; wenigstens zeig¬
ten der linke Sternalrand und die betreffenden Rippen keine Lsesionen. Es ist
also anzunehmen, dass das letztgenannte Projectil schliesslich zu seinem wunder¬
lichen Sitz zwischen Aorta und Arteria pulmonalis gelangte; auf welchem Wege,
darüber gab die Necroscopie keinen sichern Aufschluss; falls eine Perforation des
Herzbeutels stattfand, so dürfte diese am Anfangspunkt der erwähnten Gefäss-
stämme erfolgt sein, wo sich starke Sugillationen des Pericards und feste Ver¬
wachsung der beiden Blätter desselben fanden. Immerhin wäre auch eine Senkung
im Bindegewebe zwischen beiden Gefässstämmen ohne Perforation des Herzbeutels
nicht undenkbar.
In prognostischer Beziehung möchten wir der eitrigen Meningitis vornehmlich
eine funeste Bedeutung zuschreiben; der Herz- und Lungenbefund an und für
sich hätte wohl noch nicht genügt, bei dem kräftigen Jüngling den Tod herbei¬
zuführen, der allerdings in Folge der baldigst bevorstehenden necrotischen Per¬
foration der Lungenarterie nicht mehr allzulange hätte auf sich warten lassen.
Der Fall im Ganzen gibt eine hübsche und instructive Illustration für die
Wirkung kleiner und weicher Revolverkugeln; wir finden, trotzdem der Einfalls¬
winkel annähernd ein Rechter, Abplattung des Projectils auf dem Knochen; da¬
neben eine auffallende Anpassung an die Form der entgegenstehenden relativ
weichen Organe im Verlauf der Projectile. Zur Benutzung derartiger Schuss¬
waffen bei selbstmörderischen Absichten dürfte vorliegender Fall entschieden nicht
einladen.
~V ereinsberichte.
Medicinische Gesellschaft in Basel.
Sitzung vom 11. October 1877.
Anwesend 26 Mitglieder und 2 Gäste.
Prof. Hoffmann bespricht die mittlere Lage der weiblichen Becken¬
organe. Er rechtfertigt zunächst den Ausdruck „mittlere“ Lage, da eine eigent¬
liche normale Lage hier wegen der geringen Fixation fast unmöglich zu bestimmen
sei. Der Uterus liegt meist rechts oder links von der Medianlinie, dicht an der
einen Seite des Mastdarms; er liegt öfter links, aber dieses ist vielleicht nur durch
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cadaveröse Senkung der Flexura sigmoidea nachträglich entstanden. Zwischen
Uterus und Rectum und Uterus und Blase finden sich nur feine Spalten, in denen
fast nie Darmschlingen liegen. Die mittlere Lage des Uterus soll nun durch seine
Anheftung an Blase oder an den Mastdarm bedingt sein.
Die Hauptbefestigung ist aber jedenfalls die durch die Vagina. (Erläuterung
ihres Verhältnisses zur Fascia pelvis). Nachdem noch die peritoneale Bekleidung
der Beckenorgane besprochen war, kommt der Vortragende zu dem Schluss, dass
die Lage des Uterus eine sehr wechselnde sei, wesentlich abhängig von dem
Füllungszustand der Blase und des Mastdarms. *
Prof. Bischoff betont, dass die Lage des Uterus bei der Lebenden jedenfalls
eine ganz andere sei als bei der Todten. Die gynäkologische Untersuchung und
allfällige Laparotomieen geben nicht zu missdeutende Befunde. Leichte Ante-
flexion und Anteversion ist jedenfalls das normale; normal aber können nur vir-
gines sein. Im Gegensatz zum Vortragenden bemerkt Bischoff ‘, dass im hintern
Douglas’schen Raum sehr häufig sich intra vitam Darmschlingen vorfinden. Von
nicht geringer Bedeutung für die Lage der Genitalien seien auch die grossen Ge-
fässräume des kleinen Beckens.
Prof. Roth hebt noch ganz besonders die Wichtigkeit des kolossalen Venen¬
plexus hervor. Ferner steht der Uterus sehr oft nicht in der Mitte, wegen un¬
gleicher Entwicklung seiner Bänder.
Prof. Hoffmann giebt zu, einige Punkte nicht genügend gewürdigt zu haben.
Dagegen hält er dafür, dass der primär seitlich verschobene Uterus erst nach¬
träglich eine Asymmetrie der Bänder nach sich gezogen habe.
Sitzung vom 1. November 1877.
Anwesend 27 Mitglieder.
Prof. Bischoff demonstrirt das Präparat eines grossen Fibromyoms des Uterus;
die Exstirpation war nicht vollständig gelungen, Pat starb an Septicmmie. Der¬
selbe berichtet über einen Fall von Laparotomie, die wegen subserösen und
submucösen Uterusmyomen vorgenommen wurde; beim Herausheben des nicht sehr
grossen Tumors riss das eine lig. latum ein. Der Tod erfolgte nach 48 Stunden
an Erschöpfung.
Endometritis granulöse (Vortrag von Prof. Bischoff ); soll ausführlich
im „Corr. Bl.“ veröffentlicht werden.
Dr. Schneider macht auf die Gefahren des Raclement in ungeübter Hand z. B.
bei Carcinom aufmerksam.
Prof. Bischoff bemerkt, dass Perforation nur ganz ausnahmsweise vorkommt,
dass aber gerade bei Carcinomblutungen das Löffeln sehr vorzüglich wirke.
Gesellschaft der Aerzte in Zürich.
6. Sitzung den 16. Februar 1878.
Prof. Dr. Oscar Wyss berichtet über einen Fall von Punction des Pericards.
Derselbe wird ausführlich veröffentlicht werden.
Im Anschluss an diesen Vortrag theilt Herr Prof. Hermann die Resultate eini¬
ger im letzten Jahre in Frankreich erschienener Arbeiten über die Sensibilität
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dea Pericardiiims und über die Wirkungen pericardialen Druckes auf den Herz¬
schlag mit.
Prof. Oscar Wyss demonstrirt noch ein paar congenital missbildete Herzen.
7. Sitzung, den 16. März 1878.
Prof. Eberth macht Mittheilungen über verschiedene mycotische Processe und
weist einige interessante pathologische Präparate vor.
Apotheker Ullmatm übergibt der Gesellschaft durch den Präsidenten einige
pharmaceuti8che Producte zu allfälliger Erprobung.
8. Sitzung, den 30. März 1878.
Prof. Eberth macht die zu seinem Vortrage über die mycotischen Processe ge¬
hörigen Demonstrationen. •
Dr. Wilh. v. Murall berichtet über einen Fall von Schädelverletzung mit Zer¬
störung von Hirnsubstanz und dennoch günstigem Ausgang.
9. Sitzung, den 13. April 1878.
Dr. Wilh. v. Muralt stellt einen Knaben vor, der nach 4 Wochen von einer
Kniegelenkresection per primam geheilt war. Dann zeigt er Trachealcanulen aus
Caoutschouk und eine silberne Canule mit einer Vorrichtung, um den Kranken zu
gewöhnen, wieder durch den Mund zu athmen.
Wahlen: Prof. Dr. Oscar Wyss, Präsident; Prof. Eberth , Vicepräsident und
Quästor; Dr. Haab, Actuar.
Schluss der Sitzungen 1877/78.
Referate und Kritiken.
Diphtheritis und Tracheotomie.
Eine klinische Untersuchung von Dr. R. V. Krönlein in Berlin.
( v. Eangenbeck'e, Archiv, Bd. XXI, H.II.) Berlin bei HirBchwald.
Die vorliegende Arbeit, ursprünglich einen Theil des seither erschienenen Berichts über
die Thätigkeit der v. Langenbeck "sehen Klinik bildend, ist durch Hinzufügung sämmtlicher
Fälle vom 1. Januar 1870 bis 31. Juli 1876, die auf der genannten Klinik zur Beobach¬
tung kamen, zu einer grösseren Monographie angewachsen. Schon der Umstand, dass
eine ausserordentlich grosse Zahl von Fällen, cs sind im Ganzen 567, verwerthet wor¬
den ist, lässt dieselben für die Entscheidung der noch schwebenden Fragen höchst be¬
deutungsvoll erscheinen, da die Schlüsse, welche rein statistisch aus dem so umfang¬
reichen Material gezogen werden, wohl auf eine ziemlich sichere Gültigkeit hinsicht¬
lich der durch die Operation erreichbaren Resultate Anspruch machen können. Immer¬
hin hebt schon der Verfasser in der Einleitung hervor, dass es wohl nicht gerechtfertigt
wäre, dieselben zu sehr zu verallgemeinern, da sie sich nur auf Beobachtungen einer
und derselben Endemie und eineB einzigen Hospitales beziehen, so dass die Verhältnisse
an andern Orten und in der Privatpraxis wohl andere sein könnten.
Eine vorläufige Zusammenstellung zeigt, dass die Diphtheritis seit längerer, nicht
genau bestimmbarer Zeit endemisch in Berlin herrscht, dass aber die Frequenz der Fälle,
welche der v. Langenbeck 'sehen Klinik zugeführt worden, vom Jahr 1868 stätig in bedeu¬
tendem Maass gewachsen ist In pathologischer Beziehung ergibt sich, dass die Zahl
der an reinem Croup der Larynx und der Trachea Erkrankten verschwindend klein ist
zu der Zahl der eigentlichen Diphtheritis-Fälle, wo meistens die Erkrankung an den
Tonsillen und dem Rachen, zuweilen auch der Nase begonnen hatte. Die Mehrzahl ge¬
langte, nachdem schon alle Mittel erschöpft waren, erst im Stadium der beginnenden
Kohlensäure-Intoxikation oder der vollendeten Asphyxie in die Klinik, und es wird durch
diesen Umstand der Gesammtcharakter der Fälle, sowie der OperationsreBultate wesent-
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330
lieh bestimmt. Im Allgemeinen wurde stets der Grundsatz befolgt, auoh die anscheinend
ganz hoffnungslosen Fälle, wo Puls und Respiration bereits aufgehört haben, noch zu
operiren, anderseits aber mit der Operation zuzuwarten, wo die Stenose noch nicht den
Grad erreicht hatte, dass sie sofort ex indic. vitali vorgenommen werden musste. Immer¬
hin bildeten diese letztem Fälle die verschwindende Minderzahl.
Aus der tabellarischen Zusammenstellung der sämmtlichen 567 Fälle, die sich also
auf 6 Jahre und 7 Monate vertheilen, ergeben sich folgende Resultate : Die Mortalität
sank im Ganzen vom Jahr 1870 an mit 76,7 °/ 0 auf 60,3 °/o ’ m 1876, nach den
Jahreszeiten zeigte sie keinen wesentlichen Unterschied, daB Minimum der Frequenz lag
im Monat Juni, das Maximum im Monat October.
Von sämmtlichen Fällen betrafen nur 8 Erwachsene, im Kindesalter steigt die Fre¬
quenz stätig bis zum 3. Lebensjahr, bleibt auf der Höhe bis zu Ende des 4. Jahres und
sinkt dann langsam und stätig bis zum 15. und 16. Jahr, wo die Nulllinie wieder er¬
reicht wird. *
Anders stellt sich die Gesammtmortalität dar. Sie ist am grössten im ersten Lebens¬
jahr und fällt stätig bis zum 7.—8. Jahr, um dann auf gleicher Höhe zu bleiben. Noch
geringer ist sie später im erwachsenen Alter.
Das Verhältuiss der tracheotomirten und nicht tracheotomirten Fälle ist 504 zu 63,
es wurden also 88,8 % aller Fälle operirt unter Anwendung des Eingangs angeführten
Grundsatzes. Dabei kam von 71 im 2. Lebensjahr stehenden Kindern nur 1 Fall nicht
zur Operation, von 34 im 7. Jahre stehenden dagegen 9 Fälle. Von 90 Diphtheritisfällen
des 1. und 2. Jahres wurden 85 trncheotomirt
Die Gesammtmortalität sämmtlicher 504 operirten Fälle betrug 70,8 %, d. h. es
starben 357. Im Lauf der Jahre zeigte sich eine Abnahme derselben. Sie betrag
1870 76,7 % auf 37 Fälle; 1873 67,6 % auf 74 Fälle; 1876 60,3 % auf 55 Fälle. Die
Frage bleibt offen, ob die bessern Resultate von abnehmender Intensität ddr Diphtheritia-
endemie oder von verbesserter Operationstechnik und Nachbehandlung herrühren.
Es zeigt sich ferner, dass auch von den im ersten und zweiten Lebensjahre stehen¬
den Kindern 11 Fälle heilten, das jüngste der geheilten war 7 Monate alt. Wenn schon
wie für die Diphtheritis überhaupt, so auch für die operirten Fälle die Mortalität des
I. und n. Lebensjahres am grössten ist, so kommen also auch da Fälle vor, bei denen
die Operation lebensrettend wirkt und diese darf daher auch in diesem Alter nicht ver¬
säumt werden.
Mit Bezug auf das Geschlecht zeigt sich kein Unterschied, was Vorkommen und Mor¬
talität der Krankheit betrifft.
Leider stellte sich auch deutlich heraus, dass die zunehmende Zahl der in die Klinik
aufgenommenen Diphtheritisfälle eine Reihe von Erkrankungen an Diphtheritis unter den
wegen anderer Leiden in der Klinik behandelten Patienten zur Folge hatte. Es sind
diese Fälle 28 an Zahl, von denen 18 starben. Die Häufigkeit dieser fatalen Ereignisse
hat mit den letzten Jahren zugenommen. Selbstverständlich wurden alle Cautelen, die
gegen direkte Uebertragung anwendbar sind, aufs ängstlichste von allen Aerzten einge¬
halten.
Im zweiten, mehr speziellen Tbeil seiner Arbeit erörtert der Verfasser verschiedene
Fragen, die sich besonders auf die Pathologie der Diphtheritis, die Operationstechnik und
die Nachbehandlung beziehen, an der Hand statistischer Nachweise genauer. Es konn¬
ten hiefür 241 Fälle, von denen genaue Krankengeschichten Vorlagen, benutzt werden.*)
Zunächst zeigt sich, dass in 46 Fällen reine Diphtheritis des Larynx und der Tra¬
chea vorhanden war. Sie wurden sämmtlich tracheotomirt, es starben davon 83. In den
übrigen 195 Fällen waren Rachen und Nase ergriffen, bei 164 gleichzeitig noch der La¬
rynx, letztere wurden alle operirt wegen Laryngostenose, es starben davon 121. Die
übrigen 31 Fälle besessen freie Respiration und wurden also nicht operirt, es starben
von diesen 10. Es ergibt sich daraus, dass die Hauptgefahr allerdings in der Erkran¬
kung des Larynx v und der Trachea zu suchen ist, dass die Laryngostenose den Vorder-
*) Von diesen starben im Ganzen 164 (68,0 %)> eB wtir ^ en op®rirt 210, nicht operirt 81. Von
den Operirten starben 164 (78,3 °/o), von den nicht Operirten 10 (82,2 %)• Soviel zur Charakteristik
des Materials im Ganzen.
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331
grund des Bildes einnimmt. Ferner ist für die Prognose wichtig, ob die Respiration un¬
mittelbar nach der Operation ganz frei ist oder nicht, da im letztem Fall die Mortalität
25,2 % höher war. Diese Behinderung der Respiration bei geöffnetem Larynx braucht
nicht nothwendig schon von einer pseudomembranösen Erkrankung der feineren Luftwege
abzuhängen, sie kann zunächst durch einfachen Katarrh derselben bodingt sein.
Dem Auswerfen von Membranen konnte eine prognostisch günstige Bedeutung nicht
zuerkannt werden, besonders ominös erschien das Auswerfen ganzer baumartig verzweig¬
ter Abgüsse, da fast alle Fälle, bei denen dies Ereigniss beobachtet 'wurde, letal verlie¬
fen. Bezüglich des Stadiums der Erkrankung, in welchem die Operation ausgeführt wurde,
ist früher schon das Hiehergchörige bemerkt, es folgt daraus, dass Frühoperationen nicht
ausgeführt wurden, deren Resultate aus der vorliegenden Statistik also auch nicht zu
ersehen sind, dass dagegen zwei im völlig asphyktischen Stadium gemachte Tracheoto-
mieen zur LebenBrettung führten, ein eclatanter Beweis, dass die Operation, auch wo
anscheinend gar keine Aussicht mehr vorhandeu ist, doch gemacht werden muss. Auch
nach der Tracheotomie trat in den letal verlaufenden Fällen der Tod iu 100 auf 154 im
Ganzen durch Erstickung ein, nur 54 endeten durch ahdere Ursachen. Bei 16 derselben
war die Canule schon definitiv weggelassen, in einem Fall trat plötzlicher Collaps auf, 1
Fall starb an Nephritis und Anurie, 2 an Pneumonie und 12 Fälle verliefen letal durch
allgemeine Erschöpfung, die zum Theil durch Störungen der Deglutition bedingt war.
Diese letztem sind nach K. in weitaus der grössten Mehrzahl der Fälle nicht Folge
der secundären muskulären Lähmung des Velum, sondern, da sie meist schon frühzeitig,
vor Ablauf des 8. Tages nach der Operation auftreten, eine Folge der diphtheritischen
Entzündung der Kehlkopfschleimhaut, da ein genügender Abschluss des Lumens in Folge
der Steifigkeit derselben nicht zu Stande kommt. Uebrigens ist das Verschlucken der
Speisen nicht bloss in den tracheotomirten Fällen zu beobachten, ist also nicht die Folge
der Eröffnung des Kehlkopflumens nach Aussen.
Eine weitere Complication ist die Diphtheritis der Tracheotomiewunde, die in den
allerverschiedensten Graden auftreten kann und bis zu dem Bild des ausgesprochensten
Hospitalbrandes sich mitunter steigert. Nicht sehr selten kam dabei auch ein fleckiges,
oft masernähnliches Hautexanthem zur Beobachtung.
Was die Operationsmethode betrifft, so wurde stets ausser bei schon bestehender
Asphyxie die Chloroformnarcose angewendet. Im Jahr 1870 und Anfang 1871 wurde
meistens die Tr. inferior gemacht, von da an aber ohne Ausnahme die Tr. superior nach
der ßose’schen Methode, die stets zum Ziel führte uud niemals annähernd die Schwierig¬
keiten der andern Methode bot, obschon nach K. auch in Berlin vergrösserte Schilddrüsen
bei Kindern keineswegs sehr selten sind.
Ausser der Operation zur Beseitigung der Laryngostenose wurde fast immer eine
ziemlich energische Lokalbehandlung gegen den diphtheritischen Prozess durchgeführt.
Nach einer länger durchgeführten Versuchsweise, bei der die verschiedensteu Adstrin-
gentien und Desinfectionsmittel geprüft wurden, beschränkte man sich schliesslich auf die
Aq. Chlori für den Rachen unverdünnt angewendet, zum Einträufeln in die Trachea in
Lösung von 1 : 3. Diese Behandlung kam seit 1873 fast ausschliesslich zur Verwendung.
Gegen die Diphtherie der Operationswunde musste hie und da zu energischen Aetzungen
mit Chlorzinklösung, selbst zum ferrum candous gegriffen werden. Gegen dieses Ver¬
schlucken der Nahrung half die Schlundsonde nur selten, da oft Brechbewegungen ent¬
standen und die Ernährung dadurch vereitelt wurde. H. W.
Cantonale Correspondenzen.
Aas den Acten der Schweiz. Aerzte-Commission. An die hohe
Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft P. P. Anschliessend an die
Petition, *) welche Ihnen die medicinisch-chirurgische Gesellschaft des Cant. Bern, d. d.
6. März 1876, eingereicht, glauben die Unterzeichneten den Anlass der Zollrevision be¬
nützen zu sollen, um auch ihrerseits Ihrer hohen Behörde die Bitte vorzutragen, dass Sie
die Fabrication und die Einfuhr der gemeinen Zündhölzchen möglichst erschweren und
•) 8. Corr.-Bl. 1876, 8. 513.
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332
den Verbrauch der mit rothem amorphem Phosphor bereiteten Zündhölzer möglichst be¬
günstigen möchten.
Die Petition unserer berner Collegen schildert in sehr anschaulicher Weise, und ge¬
stützt auf Inspectionsberichte, welche beim Departement des Innern des Cantons Bern
niedergelegt sind, die grossen Gefahren der bisherigen Zündholzfabrikation und wir heben
aus der sehr werthvolien Eingabe, welche wir hier beizulegen die Ehre haben, nur fol¬
gende Puncte heraus:
1. Die Phosphordämpfe verursachen schwere Knochenentzündungen und Bcinfrass
der Kiefer, wie fast alljährliche Aufnahmen solcher unglücklicher Arbeiter in den Spitä¬
lern von Zürich und Bern es (zum Ueberflussc) beweisen.
2. Abgesehen davon kommt in Folge der Phosphordämpfe, des Bleisuperoxyds und
des Arseniks der Zündpasten schweres Siechthum, Ansemie und Zerrüttung der Nerven
sehr oft vor.
3. Das Uebel wird um so schlimmer, als die ZUndholzindustrie vielfach Kinder und
Frauen und schwächliche Männer beschäftigt, welche dann ihrerseits die Schwäche und
Hinfälligkeit auf ihre Nachkommen übertragen.
4. Das Schlimmste von Allem ist wohl der Umstand, dass ein Theil dieses verderb¬
lichen Geschäftes Hausindustrie geworden und vom Eidg. Fabrikgesetze unberührt ge¬
blieben ist.
5. Nicht zu vergessen ist ferner, dass der bisher ausschliesslich verarbeitete weiBee
Phosphor auch am Zündholz selber seine giftigen Eigenschaften bewahrt und deshalb in
der Criminalrecbtspflege als Vergiftungsmittel sehr bekannt ist.
Nun lassen sich alle diese schweren Uebelstände beseitigen, wenn es gelingt, anstatt
des weissen Phosphors den rothen, amorphen Phosphor einzuführen. Er hat ebenfalls
die Eigenschaft, sich bei Frictionswärme zu entzünden und kann nicht nur, wie bei den
schwedischen Zündhölzern,' blos auf der Reibfläche der 8chachtel, sondern auch an den
einzelnen Zündhölzchen angebracht werden, so dass diese sich, gleich den bisherigen,
überall entzünden lassen. Wien und Darmstadt besitzen bereits Fabriken solcher Zünd¬
hölzchen,*) ebenso bestand eine solche in Erlenbach (Simmenthal).
Dieser rothe, amorphe Phosphor ist nicht giftig, der Arbeiter wie der Consument
hat nichts davon zu befürchten und zu verbrecherischen Zwecken ist er gänzlich un¬
brauchbar. Er ist wenig theurer als der giftige, weisse Phosphor, aber seine technische
Verarbeitung und die erforderliche Hülfsmasse ist etwas kostspieliger, und dieser kleine
Preisunterschied verdrängt bisher die giftfreien und hält bisher die giftigen Zündhölzer.
Wir möchten Sie nun bitten, zu erwägen, ob nicht:
a) möglichst ausgedehnte oder ausnahmsweise strenge Controle durch die Fabrik-
Inspectoren sowie durch die Cantonsregierungen, und
b) Erhöhung des Eingangszolles auf gemeine Zündhölzer
den Schaden und die Gefahr mindern könnten?
Tit. I Wir wissen wohl, dass nationalöconomische Experimente zu den gefährlichsten
gehören, welche man überhaupt machen kann, und dass die Industrie zumal für die
Schweiz eine Lebensfrage im strengsten Sinne des Wortes ist; aber wir wissen ebenso
sehr, dass diese hohe Bedeutung unserer Zündholzfabrikation ganz und gar nicht zu¬
kommt, und dass wir am allerwenigsten bei dieser, ohnehin nicht sehr lohnenden Industrie
nuf freiwillig gebotene sanitäre Verbesserungen rechnen dürfen.
Es gibt wohl wenige Fälle, in welchen so schreienden Uebelständen auf verhältnies-
mässig so einfache Weise abgeholfen werden könnte, wie der Phosphorvergiftung durch
die Zündholzfabrikation.
"Wir vertrauen auch hier auf Ihr Wohlwollen und auf Ihre Umsicht und benützen
den Anlass, Sie unserer ausgezeichneten Hochachtung bestens zu versichern.
Im Aufträge der schweizer. Aerzte-Commission:
Der Präses: Dr. Sonderegger,
15. Mai 1878. Der Schriftführer: Dr. A. Burckhardt-Meriaru
Basel. Zur Prophylaxe gegen Scharlach. (Erwiderung.) Die verehr-
liche Redaction des Correspondenzblattes hat die Wiedergabe eines Circulare des Basler
Sanitäts-Departements an die Aorzte, betreffend Massregeln gegen Scharlach etc., mit
*) Cf. Wagner , Handb. d. chem. Technologie, IX. Aull. 1873. Q. Bd., p. 261.
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333
einer Nachschrift*) begleitet, die sowohl in formeller als materieller Beziehung eine Er¬
widerung nöthig macht.
Zunächst konnte der Redaction nicht unbekannt sein, dass das Sanitäts-Departement
— denn dieses und nicht die „Väterliche Hand der Regierung“ hat die fraglichen Vor¬
schriften gegen Scharlach erlassen — nicht von sich aus an den Gegenstand herantrat
und die längst bestehenden Vorschriften über Fernhaltung der Geschwister Scharlach¬
kranker von den Schulen genauer präcisirte, sondern dass es dazu veranlasst wurde
durch einen Beschluss der medicinischen Gesellschaft. Die Mehrheit der medicinischen
Gesellschaft fand, dass man es eben nicht, wie die Redaction verlangt und wie es bisher
der Fall war, dem „practischen Verstände des betreffenden Arztes“ überlassen könne ;
s i e sprach wegen sehr ungleicher, theilweise viel zu laxer Durchführung des Schulbanues
dem Sanitäts-Departement den Wunsch aus nach präcisern allgemein verbindlichen,
also wie die Redaction das nennt „schablonengemässen“ Vorschriften.
Ob die Redaction sich damals ihre Meinung noch nicht gebildet hatte oder ob sie
damit in der Minderheit blieb, ist uns nicht erinnerlich; jedenfalls aber lag ihr nahe, an¬
zunehmen, dass sich das Sanitäts-Departement bei Erledigung des gestellten Begehrens
an die Ansichten der Sanitätscommission, speciell ihrer ärztlichen Mitglieder werde ge¬
halten, sowie dass diese letztem nicht ex abrupto, sondern nach reiflicher Erwägung
, werden gestimmt haben in einer Sache, wo das Zuviel ebenso schädlich wirkt, wie das
Zuwenig.
Man hätte deshalb erwarten dürfen, dass wenn die Redaction mit dem einstimmigen
Beschlüsse der Sanitäts-Commission nicht einverstanden war, sie ihre abweichende Mei¬
nung genauer präcisiren und besonders auch motiviren werde.
Da die Prophylaxe gegen Infcctionskrankheiten, speciell gegen 8charlach, auch ander¬
wärts viel zu denken giebt, so wollen wir zu Händen der Leser des Correspondenzblattes
diejenigen Gesichtspuncte auseinander setzen, die uns für die Durchführung und Begren¬
zung einer Massregel entscheidend zu sein scheinen.
Sie mögen dann beurtheilen, in wie weit die hiesige Verordnung „eine Schraube“
ist, „deren lästiger Druck durch die Grenze des durch die Nothwendigkeit Gebotenen kaum
erlaubt ist.“ (I)
Was zunächst die Begrenzung nach unten betrifft, so darf eine Massregel nicht von
vornherein so beschnitten werden, dass ihr Nutzen illusorisch ist; lieber gar nichts, als
etwas Halbes. Nach oben anderseits muss ihre Härte in einem vernünftigen Verhält¬
nisse stehen zur Gefährlichkeit derjenigen Krankheit, gegen die sie gerichtet ist. Ob es
dann andere Krankheiten giebt, die noch schlimmer sind, fällt ganz ausser Betracht, wenn
nur der vorliegenden Krankheit gegenüber die Massregel einestheil* wirksam, andemtheils
nicht zu hart ist
Desshalb ist es uns ganz unverständlich, wenn die Redaction sagt Scharlach sei
„denn doch keine Cholera und keine Variola.“
Das käme nicht in Betracht, wenn es richtig wäre; es ist aber überdiess für unsere
Verhältnisse durchaus unrichtig.
Cholera ist ein exotischer Gast, der mit Ausnahme des einen Jahres 1855 nie
epidemisch bei uns aufgetreten ist; seit 20 Jahren ist in Basel nur 1 Todesfall an Cholera
erfolgt, der eine Durchreisende betraf. Gegen Variola aber haben wir in der Impfung
and Revaccination ein so sicheres Schutzmittel, dass man behaupten kann, Uber 9 /io der
Todesfälle an Variola seien verursacht durch den Unverstand und Leichtsinn der Gestor¬
benen selbst oder ihrer Eltern.
Im Gegensätze dazu haben wir vor Scharlach keinon Impfschutz, und im Gegensätze
zu Cholera ist Scharlach bei uns endemisch.
Derselbe ist desshalb thatsächlich eine viel schlimmere Geissei für unsere
Bevölkerung als Blattern und Cholera; er ist das in den letzten Jahren immer
mehr geworden, und Hand in Hand damit ist das Bedürfniss von prophylactischen Mass-
regeln gestiegen.
Nehmen wir die letzten 8 Jahre und fügen wir zur Vergleichung ausser der
ungewöhnlich hohen Variola-Epidemie auch noch die Sterbefälle an Typhus bei, so
starben an:
*J Stehe Corr.-Blatt S. 276.
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Typhus.
Scharlach. Blattern.
1870/71
51
12
72
1872/73
51
6
13
1874/75
65
38 —
1876/77
75
76 —
Scharlach hat also in der Zahl von Todesfällen nicht nur die ausnahmsweise Zahl
der Blattern 1870/71, sondern trotz der ungewöhnlichen Epidemie von 1877 auch den
Typhus in der Summe der beiden letzten Jahre mehr als erreicht Vergleichen wir ihn
mit dem bei uns auch endemischen Typhus, so stellt er sich spnciell für das Kindesalter
durch die Zahl der Erkrankungen wie der Todesfälle als viel pernieiöser, denn der
Typhus dar.
In den Jahren 1875 bis 1877 starben von je 100 Erkrankten
an Typhus, an Scharlach,
im Ganzen 11,2 10,7
speciell im KindeBalter:
von 2— 5 Jahren 6,7 16,1
„ 6-10 „ 2,7 6,9
» 10-15 „ 4,7 4,8
So kommt es, dass in diesen 3 Jahren im Ganzen unter 16 Jahren
an Typhus, an Scharlach,
erkrankten 269 716
starben 12 67
Unsere Erfahrungen stehen also im Einklänge mit denjenigen der übrigen Welt, wo¬
nach Scharlach der „grausamste Kinderfeind“ (Biermer) ist.
In wie fern nun bei der Weiterverbreitung des Scharlachs die Schule eine Rolle
spielt, in wie weit wiederum diesem Uebelstande der Schule durch den 8chulbann in
dem vorgeschriebenen Umfange von 3 Wochen obgeholfen werde, darüber unterlassen wir
alle theoretischen Erörterungen. Wir können einfach darauf hinweisen, dass mit unseren
auf die hiesigen Verhältnisse gegründeten Ansichten nicht nur, wie wir uns vergewissert
haben, das Urtheil einsichtiger und erfahrener hiesiger Aerzte übereinstimmt, sondern auch
die Erfahrungen an andern Orten, wie aus den anderwärts in Bezug auf Schulbann for-
mulirten Postulateu deutlich hervorgeht.
Für einen grossen Theil der Leser wiederholen wir nur Bekanntes, wenn wir daran
erinnern, dass z. B. Förster *) verlangt, die Geschwister von Scharlachkranken sollen
„mehrere Wochen“ von der Schule fern bleiben; Biermer **) verlangt „6—8 Wochen,“
wovon „nur ganz selten eine Ausnahme gemacht werden“ dürfe ; ein neulicher C-orrespon-
dent der Blätter für Gesundheitspflege***) verlangt „für alle Fälle“ — also auch scha-
blonenmässig — „vielleicht 4 Wochen.“
Die Basler Verordnung hält sich also in bescheidenen Grenzen und könnte von an¬
derer Seite ebenso leicht dem Vorwurfe ausgesetzt sein, sie gehe nicht weit genug.
Wenn sie denselben Schulbann auch auf Lehrer etc. ausdehnt, so wird diese, wie
die Redaction sich ausdrückt, „so tief in den Beruf der Eltern einschneidende Verordnung“
auch von Biermer (1. c) auf das Strengste verlangt. Es ist auch hier in Basel von ein¬
zelnen Collegen bereits bisher so gehalten worden, ohne dass je Klagen über diese Art
von Ferien uns zu Ohren gekommen wären.
Die Redaction, der schon der Inhalt der Verordnung zu viel ist, findet dann, conse-
quenter Weise sollte derselbe Bann auch Aerzte, in deren Familie Scharlach ausbricht,
treffen. Wir nehmen in der That an, einerseits, dass bei Aerzten durchschnittlich viel
eher, als bei Lehrern, die Mittel (Räumlichkeiten etc.) und die gewissenhafte Einsicht zu
einer wirklich genauen, nicht nur illusorischen Durchführung der Isolirung sich finden
werden — und anderseits, falls diess nicht der Fall sein sollte, dass allerdings nicht nur
der „practische Verstand“, sondern auch die Gewissenhaftigkeit sie zum Ablehnen von
Kinderpraxis veranlassen werde, wie das auch ganz spontan in den letzten Jahren mehr¬
mals geschehen ist.
*) Jahrb. für Kinderheilkunde X, pag. 164.
**) Blätter für Gesundheitspflege 1878, pag. 6.
**•) 1878 No. 9.
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Immerhin steht der Staat diesen Verhältnissen ganz anders gegenüber als der Schule
und wenn die Redaction fragt:
„Muss da nicht auch den die Kranken pflegenden Müttern, Diaconissinnen, Wärte¬
rinnen der Besuch der Kirche, besonders der Kinderlehre auf das strengste verboten wer¬
den ?“ — so übersieht sie eben gänzlich, dass für den Kirchenbesuch kein Zwang be¬
steht, geschweige denn eine Nöthigung gerade Scharlach pflegende Diaconissinnen zu Nach¬
barn sich zu wählen, während der Besuch der Schule, wie der daselbst einzunehmende Platz
unfreiwillig ist, woraus dem Staate nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht er¬
wächst, nach Kräften dafür zu sorgen, dass nicht der Schulzwang durch die Umstände
zu einem Infectionszwange werde.
Dass übrigens vernünftige Leute, wenn sie Scharlach pflegen, von selbst jeden un-
nöthigen Verkehr vermeiden, halten wir für selbstverständlich und bei allfallsiger Unver¬
nunft, z. B. wo Scharlach Wärterinnen sich einfallen Hessen, Kinderlehren zu besuchen, da
eröffnet sich dann dem „practischen Verstände“ des betreffenden Arztes ein reiches Feld
der Belehrung.
Nach dem Allem erscheint uns die Nachschrift der Redaction als die Aeusserung
einer individuellen, unmotivirten und schwer motivirbaren Meinung.
Die Redaction mag sich von jeder auch nur moralischen Verpflichtung für die Hal¬
tung der einzigen ärztlichen Fachzeitschrift in der deutschen Schweiz frei fühlen; wir
aber können die Ansicht nicht unterdrücken, dass die Wiedergabe des besprochenen Cir¬
culare passender ohne einen derartigen kritischen Rahmen erfolgt wäre.
Basel, den 8. Mai 1878.
Die ärztlichen Mitglieder der Sanitäts-Commission:
F. Müller , A. Socin, E. Hagenbach-Burckhardt , L. deWelle, Th. Lotz.
Nachschrift der Redaction. Wir verdanken einer tit Sanitätscommission
bestens diese interessanten Aufklärungen über die Motive, welche zu dem Circular betr.
Scharlachprophylaxe Veranlassung gegeben haben und bedauern schon aus diesem
Grunde nicht, dem Abdruck des Circulars eine Bemerkung beigefügt zu haben.
Die Belehrung, dass das Sanitätsdepartement und nicht „die väterliche Hand der
Regierung“ die discutirte Verordnung erlassen habe, scheint uns um so nebensächlicher
zu sein, als nicht nur das Sanitätsdepartement eben doch mit den sechs anderen Depar¬
tements die Regierung bildet, sondern wir ja selbst das Circular mit folgenden Worten
einführten: „Das Sanitätsdepartement hat soeben das folgende Circular erlassen“.
Dass nun nicht dieses Departement, sondern die Sanitätscommission, und zwar die oben
sich unterzeichnenden fünf ärztlichen Mitglieder derselben , und diese nicht ex abrupto,
sondern nach reiflicher Erwägung und einstimmig das betr. Circular verfasst und gutge¬
heissen haben, interessirt uns zwar zu vernehmen, ist aber für uns auch keine Thatsache,
die — wenn sie uns auch vorher bekannt gewesen — unsere Nachschrift unterdrückt
hätte.
Wichtiger war uns, zu vernehmen, dass der Wunsch nach „präciseren, allgemein
verbindlichen Vorschriften“ von der medicinischen Gesellschaft in Basel ausgegangen sei;
da wir jener Sitzung nicht beigewohnt hatten, zogen wir hierüber das Protocoll zu Rathe.
Laut demselben hielt Dr. Hägler in der Sitzung vom 10. Januar 1878 einen Vortrag über
das Verhalten der Aerzte bei ansteckenden Krankheiten in Beziehung auf die Verhinde¬
rung weiterer Verschleppung. „Auf Grund der Incubation kommt Referent (so sagt das
betr. Protocoll) zum Beispiel bezüglich des Scharlachs zur Ansicht, man sollte die Ge¬
schwister von Scharlachkranken in der Regel 18—21 Tage von der 8chule fern halten,
etwa bis in die 5. Classe des Gymnasiums oder des „Todtengässli“ (Töchterfortbildungs-
schule). Das Thema rief eine lebhafte Discussion hervor, woran sich die Herren de Wette,
Haagen etc. etc. betheiligten. Es erhellte namentlich die Schwierigkeit einer genauen Be¬
stimmung. Eine Ueberweisung an’s S a n i täts d e p a r te m e n t beliebte
nicht; man entschied sich dafür, dass Referent in der nächsten Sitzung nochmals einen
genaueren modus vivendi vorlegen solle.“
(8itzung vom 24. Januar 1878.) „Dr. Hägler kommt noch einmal auf die Ausschlies¬
sung der Geschwister Scharlachbranker von der Schule zurück, kann aber nichts Neues
vorlegen. Er stellt den Antrag, das Sanitätsdepartement solle gebeten werden, zu unter-
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suchen, ob nicht eine genauere Präcision der Vorschriften geboten erschiene. Dr. Lichten -
hahn stellt den Gegenantrag, dus Sanitätsdepartement einzuladen, den früheren Erlass den
Aerzten wieder in’s Gedächtniss zurückzurufen. Der Antrag Bögler erhielt 9, der Antrag
Lichtenhahn 6 Stimmen. 8
Wir finden somit, trotz genauer Durchsicht, im Protocoll nirgends ein Wort darüber,
dass io der med. Gesellschaft auch nur die Frage aufgeworfen worden wäre, ob es nicht
opportun erscheine, den Schulbann auch auf die Eltern scharlachkranker Kinder, soweit
sie Lehrer, Lehrerinnen oder Pfarrer sind, auszudehnen, und das ist eben nach unserem
Dafürhalten der Hauptpunct, in welchem das Circular zu weit geht, und der zur Schraube
wird, „deren lästiger Druck durch die Grenze des durch die Nothwendigkeit Gebotenen
kaum erlaubt ist“.
Es ist den Herren Collegen der Sanitätscommission „ganz unverständlich“, wenn
wir sagen, Scharlach sei denn doch keine Cholera und keine Variola, und sie theilen uns
freundlichst mit, dass Cholera ein exotischer Gast, und dass in den letzten 8 Jahren die
Sterblichkeit an Blattern die an Scharlach nie erreicht, geschweige deun übertroffen habe.
So interessant uns auch diese Mittheilung ist, bo halten wir doch daran fest, dass
bei Cholera und Blattern energische, „tief in's Familienleben einschneidende Verordnun¬
gen“ , wie z. B. obligatorisches Ueberbringen sämmtlicher Erkrankter in die Spitäler,
Schliessen der Schulen, zwangweise Impfung und Wiederimpfung etc. etc. mit vollem
Recht im gegebenen Falle ihre Anwendung finden müssen , als Verordnungen, die im
richtigen Verhältnis stehen zu der Wichtigkeit dieser Seuchen, dass aber nach unserem
Dafürhalten ähnliche Maassregeln bei 8charlach als zu weit gehende bezeichnet wer¬
den dürften.
Was nun die Weiterverbreitung des Scharlachs durch den Schulbesuch von Ge¬
schwistern Erkrankter anbetrifft, so ist natürlich der Gedanke an diese Möglichkeit ein
sehr naheliegender. Dass dieselbe nicht so häufig eintritt, wie man wohl annehmeu
sollte, beweist die Antwort von Pbysicus Dr. Lots, auf die durch Dr. Barth in der betr.
Sitzung der med. Gesellschaft an ihn gestellte Anfrage, ob bei der letzten Epidemie
eine Verschleppung durch die Schule konnte nachgewiesen werden?
Sie lautet nach dem Protocoll: „Für Scharlach ist eine Verbreitung durch die Schulen
nicht so sicher festzustellen, wie für Masern, weil eben die Disposition dazu eine viel
geringere ist. Doch sind in der letzten Epidemie einige Schulen sehr bevorzugt.“
Trotzdem sind auch wir für einen Schulbann der Geschwister Scharlachkranker iu
jenen Fällen, wo derselbe einen Erfolg zu versprechen scheint und durchführbar ist. In
Häusern, aus welchen der Patient sofort in ein Spital „abgeschoben“ wird, oder in denen
eine Isolirung und entsprechende Desinfection Bich gut durchführen lassen, ist nach un¬
serem Dafürhalten ein Schulewang von 3 Wochen (im obligatorischen Minimum) für die
Geschwister unnöthig, in Häusern aber, wo zwei oder gar mehrere mit Kindern ge¬
segnete Familien dasselbe Stockwerk bewohnen und somit die vom Schulbann betroffenen
Geschwister Scharlachkranker den grössten Theil der schulfreien Zeit mit den andern
Schulkindern in engen Räumen zusammen sich herumtreiben, da ist er doch entschieden
illusorisch.
Ja, wenn daB einmal durch eine frische Erkrankung reproducirte Scharlachgift nach
2—3 Wochen von sich aus seine Austeckungskraft einbüsBte, dann wäre Aussicht auf
Erfolg, und dann wären wir die Ersten, diese Verordnung — trotz der Schablone
auf das Aufrichtigste zu begrüssen.
Leider wissen wir aber Alle, wie enorm lebensfähig das Scharlachgift ist, das trotz
sorgfältiger Reinigung und ausgiebiger Lüftung nach Monaten noch in Zimmern, Kleidern
und dergleichen festhaftet und neue Infectionen erzeugt Nicht nur im Urin, Nasen¬
schleim, den Sputis und Excrementen, den Bich abstossenden Epidermisfetzen (?) iat das
Contagium enthalten, auch die Kleider, Wäsche, Bücher, Spielwaaren, Möbeln u. dergL
sind die allseits bekannten Träger deB Scharlachgiftes. Der kürzeste Aufenthalt in einem
inficirten Raume genügt sowohl zur Infection wie der flüchtige Contact mit den oben ge~
nannten inficirten Gegenständen.
Der erfolgrei chste Angriff spunct gegen die W eiterverbreitung
des Scharlach liegt somit nach unserem Dafürhalten nicht in der Isolirung, auch
wenn dieselbe auf 4 und mehr Wochen ausgedehnt würde, sondern einzig in der ener-
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gischen und sachverständig geleiteten Desinfection der Wohn-
räume, Kle i d er, Betten, Mobilien und dergleichen des Kranken¬
zimmers, sowie in der Desinfection der Personen, die mit dem Kran¬
ken in Berührung gekommen.
Darüber vermissen wir in dem Circular jede Andeutung.
Wie soll der „practische Verstand“ des Arztes es den Eltern gegenüber motiviren,
dass die vom Schulbann enthobenen über 12—18 Jahre alten Geschwister scharlachkran¬
ker Kinder im Gymnasium und in der Töchterschule — ehe sie eine officielle
Desinfection durchgemacht haben — z. B. in demselben Turnlocal, in
dem die jüngeren Kinder ebenfalls ihre Turnübungen anzustellcn gezwungen sind,
lege artis ihre Kleider in ausgiebigster Weise ausschüttdn ?
Wenn nun dieser 8chulbann auch auf die Eltern der Scharlachkinder
soll ausgedehnt werden, soweit dieselben Lehrer, Lehrerinnen, Pfarrer etc. sind , so ist
das für uns nicht so „selbstverständlich“, wie das Circular sich ausdrückt. Wir
wissen, dass ein Scharlachkranker sowohl noch bevor das Exanthem Bich zeigt, inflci-
ren kann, wie auch erst im hydropiachen Zustand, wenn längst die Abschuppung vorbei
ist, so dass eine Limite von 3 Wochen, wenn sie die Zeitdauer der Ansteckungsfähigkeit
eineB Scharlachkranken ausdrücken soll, eine vollständig willkürlich gewählte ist. Es
müsste somit — wollte man auf diesen Factor sich stützen — der Lehrer nicht eher
vom Bann befreit sein, bis sein Kind gesund, Krankenzimmer, Möbeln, Kleider u. dergl.
vollständig desinflcirt sind; und das ist es, was Biermer im Auge hatte, wenn er sagt:*)
„Wenn in der Familie des Lehrers Scbarlacherkrankungen sind, so sollte derselbe nicht
unterrichten dürfen, und wenn er Dienstwohnung im Schulgebäude hat, so müsste eigent¬
lich die Schule geschlossen, oder wenigstens diejenigen Schulzimmer, welche in derselben
Etage mit der Lehrerwohnung liegen, ausser Gebrauch gesetzt werden, so lange bis der
Ansteckungsheerd, der nun im Schulhaus besteht, desinflcirt ist. Das beste wäre, wenn
die Lehrerwohnung alsbald evacuirt und desinflcirt oder, wo dies unmöglich ist, die
Schule für 2—8 Monate in ein anderes Local verlegt würde.“
Wo führt uns das hin?
Es kommt natürlich hier durchaus nicht in Betracht, ob der Lehrer für diese
octroyirten Ferien gleichwohl vom Staate bezahlt wird, denn der stillgestellte Lehrer wird
eben doch in seinem Erwerb schon dadurch geschädigt, dass er , als in den Bann ge-
than , auf die zum Unterhalt der Familie oft nicht unwichtigen Privatstunden gleichfalls
nothgedrungen wird verzichten müssen. Darum verpflichte man den Lehrer zur 8 e 1 b s t -
desinfection, bevor er das Schulzimmer betritt, man erreicht dann
gewiss mehr und auf leichterem Wege , wie mit 3wöchentlichem Schulbann. Dasselbe
sollte auch für die Aerzte gelten, denn was die Ablegung der Kinderpraxis durch ge¬
wissenhafte Aerzte anbetrifft, so wird wohl Niemand bestreiten, dass nicht nur Scharlach¬
kinder in eigener Familie, sondern auch in eigener Praxis die Möglichkeit der Ueber-
tragung des Contagium durch den Arzt in sich schliessen, und da ein nur flüchtiger Con-
tact zur Uebertragung der Infection hinreicht und im Durchschnitt die kinderlosen Fami¬
lien, die des Arztes bedürfen, die Ausnahme und nicht die Regel ausroachen, so ist die
Durchführung dieses wohlmeinenden Winkes einfach in praxi eine Unmöglichkeit.
Wir vermissen im Circular, was uns gerade hier so wichtig scheint: die staat¬
liche Mithülfe beim Zerstören des Infectionsheerdes. Eine po¬
puläre Anleitung zur Desinfection zu Händen der Eltern, die Offerte, an irgend einem
passenden Orte die Scharlachwäsche, Kleider u. dergl. durch die Hitze vom
Ansteckungsstoffe zu befreien, wäre entschieden von Aerzten und Ange¬
hörigen der Kranken lebhaft begrüsst worden. Wir wiederholen daher heute den An¬
trag, den wir schon vor 5 Jahren im Sanitätscollegium erfolglos gestellt haben, nämlich
auf staatliche Anfertigung von Desinfections-Kästen, die in
Scharlachhäusem aufgestellt werden. College Sonderegger , der dieselben in St Gallen
eingebürgert und als practisch befunden hat, schreibt uns hierüber:.„Um
die persönliche Desinfection gründlicher vorzunehmen als blos mit dem Hexentanz, um
das rauchende Becken, soll im Hause des Kranken oder, wo mehrere solcher Häuser bei-
*) Blätter f. öffentl. GesundheitspfL S. 6, Jahrgang 1878.
22
e
838 —
8ammen stehen, in der Nahe derselben ein Kasten aufgestellt werden, wie er im Corr.-
ßlatt 1873, pag. 635 beschrieben ist. Der Gemeinderath liess 12 solcher Kästen anfer¬
tigen und leiht sie gratis. Im Bezirk Sargans hat man dieses Verfahren eben¬
falls eingeführt und die ersten Kasten zu Fr. 24 per 8tück von hier bezogen. . .
Was nun schliesslich den Schlusssatz anbetrifft: „Die Redaction mag sich von jeder,
auch nur moralischen Verpflichtung für die Haltung der ein¬
zig e n ärztlichen Fachzeitschrift der deutschen Schweiz frei f ü h 1 e n“ u. s. w.
halten wir es für unnöthig, hier auf denselben näher einzutreten. Derselbe muss ja anf
Jeden einen eig enthümlichen Eindruck machen , der im Leben sich noch so viel
unabhängigen Sinn bewahrt hat, dass er die Kritik eines sanitätspolizeilichen Erlasses in
einem wissenschaftlichen Fachjournal — auch wenn es das einzige in der deutschen
Schweiz sein sollte — für zulässig hält; ganz abgesehen davon , dass die Spalten des
Co rr.-Blattes jederzeit sachlich gehaltenen Erwiderungen offen gestanden sind.
Wir halten diese Denunciation für eine „individuelle, unmotivirte und schwer
motivirbare“ Ansicht der Herren Müller , Socin, Hagenbach-Burckhardt , de Wette und Lotz und
werden, leichten Herzens darüber hinwegschreitond, die volle Unabhängigkeit unseres Blattes
wie bisher, so auch fernerhin zu wahren wissen. Die Moral unseres Blattes, für die
wir voll und ganz einstehen, bleibt ebenfalls dieselbe, wie sie bisher war, wir
lassen nicht an ihr tasten und weisen diesen ebenso ungerechten wie ohne alle Nothwen-
digkeit gegen uns geschleuderten Vorwurf ruhig, aber entschieden ab.—
Wien« Hochgeehrte Redaction 1 Auch in Wien ist der Frühling eingezogen.
Zauberhaft schnell hat er AlleB in und um die Stadt verändert; Alles ist schöner ge¬
worden. Und wie schön ist’s an der Donau im Frühling 1 Wer’s wissen will und nicht
selber hingehen kann, der lasse sich den „schönen Mai“ von Johann Strauss Vorspielen;
dort ist der Wienerlenz abgemalt; dort steht’s geschrieben, wie unter den 8trahlen seiner
Sonne bei lachendem blauen Himmel den Bäumen die Knospen und den Menschen die
Herzen aufgehen; wie Alles keimt und spriesst und sich freut, dasB der Frühling da ist
und Jedermann ein fröhliches Gesicht macht, herab vom Kaiser, der in elegantester Ge¬
sellschaft „praterfährt“, bis zum Schusterjungen, welcher — die Hände in den HoBen,
ein paar Stiefeln Uber der rechten Schulter, die zerrissene Mütze auf dem Hinterhaupts¬
loche — auf dem Trottoir dahinsohlendert und die „Weidlinger“ pfeift — Auch mir
erfüllt der Frühling Herz und Sinn, und da müssen Sie mir schon verzeihen, wenn ich
Feder, Tinte, Papier und Schreibpult, sowie den sorgfältig überlegenden, nüchtern erzäh¬
lenden Menschen und andere langweilige Dinge weit von mir werfe und statt dessen in
Gottes herrlicher Natur Ihnen „vorplausche“, wie es mir gerade einfällt „Gengen’s, kom-
men's, plausch’n mer nur a bisserl z’sammen I“
Ich habe eben zwei liebe Freunde und Collegen zum Bahnhof geleitet und sie nach
alter Gewohnheit mit „Geselchtem“ und einigen Flaschen Gumpoldskirchner-Boxbeutel
versehen, damit sie sich unterwegs das abschiedsschwere Herz leicht trinken und den
Magen — der eben trotz aller hoohgehenden Gefühls wellen doch seine Rechte behauptet
— schwer essen können. — Bei dieser Gelegenheit will ich erwähnen, dass wir
Schweiz. Mediciner — einige sich excludirende Elemente abgerechnet — hier in sehr ge-
mütblichem, zwanglosem Vereine beisammen lebten und jeder Zeit brüderlich zusammen¬
hielten. Deutsche und welsche Schweizer fanden sich fast allabendlich nach vollbrachtem
Tagewerke in grosser Zahl an dem langen ovalen Schweizertische im goldenen Löwen
ein. Wie gemüthlich War's doch, wenn mim unter fröhlichen Gesprächen so beisammen
süss, und der kleine Leopold Jedem noch ein „neues Viertele“ oder „a ganz frisches Bier“
brachte, oder wenn man im Esterhazy einen Geburtstag feierte, oder im Stephanskeller
recht guten Weissen zum Wohle des theuren Vaterlandes trank und aus lauter Patrio¬
tismus noch eine Flasche bewilligte, um mit den leer getrunkenen das eidgenössische
Kreuz formiren zu können I
Jetzt wollen wir aber ein Bischen in's allgemeine Krankenhaus. Kaum sind
wir durch's Portal getreten, so lacht uns, wie nirgends, der herrlichste Lenz entgegen.
Die prächtigen sohattigen Gartenanlagen des ersten Hofes sind schon lange grün und
prangen zum Theil schon in farbiger Blüthe. Es ist z u schön, dass an der 8tätte, wo
so viel Jammer und Leiden concentrirt ist, der Frühling zuerst seinen Einzug gehalten
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und gewiss das Sehnen so manches Kranken gestillt hat. Denn wie gerne sieht der
kranke Mensch in der wiederauflebenden Natur sein Spiegelbild und hofft, wenn es nach
langem Winter endlich Frühling geworden, dass nun auch sein Winter zu Ende sein
und es endlich besser mit ihm werden möchte I —
Da sitzen, liegen oder gehen sie zu Hunderten, die Patienten des allgemeinen
Krankenhauses, in den bekannten, unendlich langen, blaugestreiften Mänteln und dito
Mützen; dem einen sitzt zwar der Taillengürtel in der Höhe des Brustbeins, dem Andern
über den Glutäen, aber Jeder ist stolz auf seinen Talar, und hat er gar waB zu rauchen,
so fehlt wenig zu seinem Glücke.
Aus der Billroth’schen Klinik habe ich noch Allerlei nachzuholen: In erster Linie
mnss ich von einigen schweren Wundkrankheiten erzählen, die sich unter Lister entwickel¬
ten. Eine Ellbogen- und eine Hüftgelenkresection (Roser) unter scheinbar allen Lister¬
achen Cautelen ausgeführt, gingen nämlich in kürzester Zeit an progressiver Phlegmone
und foudroyanter Pyremie zu Grunde. Der massenhafte Eiter, der sich innerhalb 24
Stunden dabei entwickelt hatte, war die reinste Bacterienemulsion. Einen so entsetzlich
schnellen Verlauf der Pysemie habe ich bei der offenen Wundbehandlung nie gesehen;
ich lernte neuerdings daraus, dass ein missglückter Lister (überhaupt jeder Occlusiv-
verband) gefährlicher ist als alles andere. Die bestimmte Ueberzeugung aber habe ich
gewonnen, dass dieser Misserfolg (an den sich in der nämlichen Zeit noch mehrere leich¬
tere anreihten) nicht der Lisfer’schen Methode an und für sich zur Last gelegt werden
darf, sondern dass es sich um irgend einen Fehler in der Ausführung derselben gehan¬
delt hat. Das Ereigniss fiel in eine Zeit, wo sich grössere Operationen in nie dagewe-
senem Maasse kumulirten ; die Schwämme wurden wohl, der Vorschrift gemäss, erst in
Solutio Kali hypermang., dann in ö°/,,ige und schliesslich in 2 , /,°/ 0 ige Carbollösung ge¬
legt , konnten aber wegen der sich drängenden Operationsarbeit nicht mehr die vorge¬
schriebene Zeit in jeder der Flüssigkeiten belassen werden, und es ist doch klar, dass
bei der bekannten Tenecität der septischen Stoffe und der Coccobacterien 2 Stunden nicht
genügen können, wo 24 vorgeechrieben sind. Kaum war diese 8turrn- und Drangperiode
vorbei und wurden wieder in minutiös gewissenhafter Weise die 8chwämme desinficirt,
so trat die normale Kurve von früher wieder ein, und seither sehe ich nichts mehr als
prima intentio. Ein Lister' scher Verband ist also ein Damoklesschwert; genau ausgeführt,
gewährt er sicher einen Wund verlauf, wie keine andere Methode; der kleinste Fehler
kann aber dem Kranken das Verderben bringen.
Zu gewöhnlichen Verbänden, Umschlägen u. dergL benutzt man auf der Billroth' sehen
Klinik anstatt des theuren Guttaperchapapiers ein selbst angefertigtes, impermeables Pa¬
pier, das vollkommen denselben Dienst versieht und sehr wenig kostet. Ein irgendwie
viel mit kleiner Chirurgie beschäftigter Arzt wird sich viel ersparen, wenn er sich die
Mühe nimmt, das Präparat nach folgender Vorschrift anzufertigen :
200 gmm. weisses Wachs und 2 Kilo Oelfirniss werden zusammen gekocht, dann
vom Feuer abgehoben und zu der heissflüssigen Masse unter Umrühren 200 gmm. Siccativ
zugesetzt. Mit diesem warmen Gemenge wird weisses Seidenpapier vermittelst eines
breiten Pinsels auf einer Seite dünn bestrichen , dann 24 Stunden an die Luft gehängt
und trocknen gelassen. Dadurch erhält man ein sehr schönes, weisses , impermeables,
billiges Präparat.
Vom letzten Briefe habe ich noch nachzuholen, dass der blaue gestärkte Verband¬
stoff unter dem Namen appretirte Gaze im Handel vorkommt.
In den vergangenen 6 Wochen hat Billroth 7 weitere Ovariotomien gemacht, worun¬
ter 6 heilten , während die 7. (doppelseitiges Cystosarcom) nach 8tägigem, vollständig
fieberfreiem Verlaufe unerwartet und plötzlich unter Koliken erkrankte und innerhalb
weniger Stunden starb. Die Section ergab einen abgekapselten Abscess um den ver¬
senkten rechten Stiel (in welchen das rechte Horn des Uterus hatte hineingefasBt werden
müssen) und Perforation desselben in den Peritonealsack. — In Sstündiger schwerer
Arbeit exstirpirte Billroth einen carcinomatösen Uterus mit beiden Ovarien und der halben
Scheide durch die Laparotomie. Die Operirte starb an Peritonitis; die Ausführbarkeit
der Operation ist aber dargethan.
Mit grossem Interesse besuchte ich möglichst viel die K1 i n i k von Prof. Hebro.
Den originellen Mann von der bekannten, mehr dicken als langen Statur, mit der Sammt-
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weste, der beinernen Brille auf der Nasenspitze und der goldenen Wagenkette um Hals
und Brust, konnte ich- nicht genug hören und sehen und habe jedes Mal viel von ihm
gelernt 8eine Hauptthätigkeiten in der Klinik sind drei, die Alle mit „sch“ anfangen:
schmieren, schaben und schimpfen. Alle drei haben abor ihre grosse Berechtigung.
1. Ich habe mich hier zu Dutzenden Malen überzeugen können, dass ein Dermatologe,
der therapeutische Erfolge haben will, seine Glacehandschuhe ausziehen und die Mani¬
pulationen des Schmierens , Salbenauflcgens u. s. f. eigenhändig ausführen muss. Wie
oft sah ich z. B. Ekzeme, die Wochen und Monate lang nach Vorschrift eines Arztes
von den Angehörigen des Patienten mit einer Salbe ohne sichtbaren Erfolg behandelt
worden waren, in wenig Tagen ein anderes Aussehen gewinnen, wenn Hebra seine Hand
aufthat und mit der nämlichen' Salbe die kranke Haut tractirte. Fast in jeder Stunde
legt der treffliche practische Dermatologe es seinen Zuhörern an’s Herz, ja doch überall
selbst thätig zu sein und keine scheinbar noch so nichtssagenden Manipulationen dem
Laien zu überlassen. — Er selbst geht in der Klinik mit gutem Beispiel voran und lässt
es sich nicht nehmen, aus jeder scrophulösen oder syphilitischen Nase den stereotypen
Charpiepfropf eigenhändig herauszunehmen und einzuführen. „Alle meine Erfolge in der
Behandlung der Hautkrankheiten, die ich vor Andern voraushabe“, sagt er wohl einmal,
„beruhen darauf, dass ich meine eigenen Hände brauche, wo Andere aus Bequemlichkeit
oder Geringschätzung vornehm nur ihre Vorschriften ertheilen. Auf das Mittel
selbst kommt es weniger an, als auf die A p p li e a tion s weis e des¬
selben.“ Das ist gewiss ein practischer Wink, den man nicht genug beherzigen kann.
2. Wenn ich mir später einmal in der Erinnerung Hebra so recht lebhaft vor Augen
führen will, so werde ich mir ihn vorstellen, wie er seine beinerne Brille auf die Stirne
zurückschiebt, seinen scharfen Löffel ergreift und nun ein mit seinem linken Arme um¬
klammertes lupöses Gesicht damit tractirt. W T ährend des Schabactes unterhält er immer
die lebhafteste Conversation mit dem wimmernden Kranken. Der scharfe Löffel, oder
besser gesagt, das Schabeisen spielt eine Hauptrolle in der Hebra 'sohen Therapie bei by-
pertrophirenden Hauterkrankungen, beiMentagra etc. Er schabt aber anders als gewöhn¬
liche Leute, ohne alle Anwendung von Gewalt, scheinbar sehr oberflächlich, aber in lange
dauernder Sitzung; die darnach entstehenden Narben sind tadellos glatt und schön.
3. Was das Schimpfon anbelangt, so gibt ihm der viele Humbug, der gerade in der
Therapie der Hautkrankheiten getrieben wird, Veranlassung genug dazu. Viele der theu-
ren, mit grossem Lärm angepriesenen und durch ärztliche Gutachten unterstützten Geheim¬
mittel gegen bisher schwer oder gar nicht heilbare Formen der Dermatosen hat Hebra
experimentell geprüft (wie Hura asiatica u. dergl.) und ausser einem stark beleidigten
Geldbeutel keinen Erfolg davon gesehen. „Meine Herren, das sind die Leimspindeln,
welche diese Schwindler in die Welt hinaus hängen. Pumps 1 setzen sich die Gimpel
drauf, und diese sind wir.“
Bei diesen für die Zuhörer meist sehr unterhaltenden Schimpfiaden wird aber auch
hie und da Etwas mitgenommen, dessen Verunglimpfung Manchem leid thut; Desinfec-
tion, Ventilation und manch’ andere hygienische Frage, deren Lösung grosse Männer ihre
ganze Kraft und Lebenszeit gewidmet haben, bilden oft die Zielscheibe des Hebra 'sehen
Witzes. Auch die moderne Naturphilosophie kriegt bei Gelegenheit etwas mit ab.
So stellte Hebra kürzlich einen Lichen und ein Ekzem vor und sprach sich sehr un¬
gehalten aus über den in neuester Zeit gemachten Versuch, die eine Erkrankung aus der
andern zu deduciren, beide unter einen Hut zu bringen. „Ekzem wird nie Lichen; aus
einer Ente wird kei Gans nit; Art bleibt immer Art und eine Verschmelzung kann nur
von einem falschen naturwissenschaftlichen Standpuncte aus geschehen.“
W r ie Sie wissen, spielt in neuester Zeit die Chrysophansäure eine grosso Rolle
in der Behandlung der Hautkrankheiten. Dass Hebra , der kritische Sceptiker, mit grosser
Befriedigung davon spricht, ist mir neben den Erfolgen, die ich hier davon gesehen, Be¬
weis genug für die Wichtigkeit dieses Medicaments, das, so viel ich weiss, von England
aus empfohlen und duroh Neumann auf dem Continente zuerst angewendet worden ist.
Es wird dargestellt aus dem Goapulver (dem Mehl einer indischeu Holzart, Araroba) und
muss, da es sich nur in heissen Fetten löst, so präparirt werden, dass man das ge¬
wünschte Gemenge von Fett und Chrysophansäure (nach Neumann's Vorschrift 10 Acid.
chryßophan. auf 40 Axung. porci) in ein heisses Oelbad stellt, umrührt und erkalten lässt.
341
Hauptsächliche Anwendung findet es bei Psoriasis und Pityriasis, bei Pigmentflecken
aller Art etc. Psoriasis punctata und guttata verschwindet in wenig Tagen; veraltete
und grössere Formen brauchen etwas länger. — Auf wie lange hinaus die Kranken bei
dieser Behandlungsweise vor Recidiven geschützt sind, ist noch nicht dargethan ; doch
ist es ja an und für sich von grossem Werthe, ein Mittel an der Hand zu haben , mit
dem Recidive so zu sagen augenblicklich wieder beseitigt werden können. Die Appli-
cationsweise ist folgende: Die Salbe wird auf die erkrankten Stellen aufgepinselt (bei
Psoriasis nach Entfernung der Schuppen durch Schaben), oder aber messerrückendick auf
Leinwand gestrichen und aufgelegt. (Letztere Applicationsweise ist namentlich beim Ge¬
sicht zu empfehlen.) In wenig Stunden tritt intensive dunkle Röthung und Turgescenz
der Haut ein, Oedem der Lider etc., so dass die erkrankten Stellen von den gesunden
nicht mehr zu unterscheiden sind. Die Manipulation wird gewöhnlich jeden zweiten Tag
wiederholt. — Nach der Heilung sind die vorher kranken Stellen pigmentlos und heben
sich von der gesunden Haut (auf deren Pigment die Chrysophansäure keinen Einfluss
hat) durch weisse Färbung ab, welche Differenz sich bald ausgleicht. Das Präparat ist
allerdings sehr theuer; dies kann aber nicht schwer in’s Gewicht fallen, wenn man die
Kürze der Reconvalescenz in Betracht zieht.
Was Hebra im Grossen und Ganzen von der innerlichen Therapie bei Haut¬
krankheiten hält, geht daraus hervor, dass er, nachdem er die gäng und gäben Medica-
mente der Reihe nach lächerlich und zum Theil gefährlich gemacht hat, ziemlich univer-
saliter die Verordnung eines Decoctum Althte® (natürlich nur, ut fiat aliquid) an¬
empfiehlt
Wer die Hebra’ sehe Klinik besucht, versäume nicht, sich die dortigen Badeeinrich¬
tungen anzusehen; das Zimmer für permanente Bäder (mit 8 Betten resp. Wasserbehäl¬
tern) iat z. B. äusserst interessant; ich sah daselbst u. A. einen Pemphigus foliaceus, der
seit August 1877 continuirlich unter Wasser existirt.
Ich nehme mit grosser Dankbarkeit Abschied von der /Mra’schen Klinik und kann
jedem Collegen, der das Glück hat, nach Wien zu kommen, deren Besuch nicht genug
anempfeblen. Jeder wird viel für die Praxis darin lernen und sich nebenbei erbauen an
dem Hebra' sehen „Hamuar“ und an seinem diagnostischen Scharfblick, der die Krankheit
erkennt, wenn der Träger derselben kaum den Kopf zur Thüre hereingesteckt hat. „A
Schuasterbua ist’s, und die Krätz' hot er!“
Ich kam in der Absicht nach Wien, u. A. hier auch recht viel Gyntecologie zu trei¬
ben und hoffte, ein grosses Material concentrirt und reichliche Gelegenheit zum Unter¬
suchen vorzufinden. Darin habe ich mich sehr getäuscht. Das gynsecologische Material
ist ausserordentlich zersplittert und zum Theil nicht leicht zugänglich. Um doch möglichst
viel profitired zu können, belegte ich bei einem Assistenten einer obstetricischen Klinik
mit einem Schweizercollegen zusammen ein Privatissimum ä 100 fl. Furchtbarer Leim,
so ein Privatissimum, vor dem ich nicht genug warnen kann! Für die 100 fl. haben
wir 4 Wochen lang 4 oder 5 Mal per Woche 4 Schwangere touchirt! — Ueberhaupt
anempfehle ich Jedem, der nach Wien kommt, sich nicht gleich beim Eintritt in’s Kranken¬
haus seinen Stundenplan zu fixiren und alle möglichen Curse zu belegen, sondern 8 bis
14 Tage in den verschiedenen Kliniken und Cursen mit offenen Augen und Ohren sich
henunzutummeln und dann erst auszuwählen. Auf diese Weise bleibt mancher 10 fl.-
Schein im Beutel liegen, der sonst unnütz hinausgeschmissen würde. Erst sehen und
wählen, dann zahlen; das Letztere ist freilich den Cursgebern das Wichtigste. — Als
vortreffliche Curse habe ich u. A. kennen gelernt: den laryngoscopischen bei Catä , den
Augenspiegelcurs bei Fuchs, den dormatologischen bei Kaposi , den pathologisch-anatomi¬
schen Demonstrationscur8 bei Chiari (nicht genug zu empfehlen), den Gruber’ sehen Ohren-
curs. Darüber, wie über manches Andere referire ich vielleicht besser erst daon, wenn
der Wienermensch sich in mir etwas abgeklärt hat.
Und nun leb’ wohl, du schönes, du herrliches Wien ! Noch einmal lass’ dich an¬
schauen im vergoldenden Glanze der Abendsonne von der Höhe der
Schönbrunner Gloriette herabl Da liegt das gewaltige Häusermeer in maje¬
stätischer Ruhe und Pracht vor mir; in der Mitte seine 8eele, der himmelanstürmendc
Thurm des Stephansdomes, links in nebelhafter Ferne die Thürme der herrlichen Votiv¬
kirche, rechts die colossale Praterrotunde, die „letzte hohe Säule“ von der cntschwunde-
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342
nen Pracht der Weltausstellung, und um diese Marksteine herum die vielen 1000 Häuser
und Paläste der „Wianastadt“ mit dem dichten Netze von Verkehrspulsadern, den 8trassen
und ihrer Aorta, der Ringstrasse. — Wie gerne habe ich als bescheidenes Blutkörper¬
chen, theils solitär, theils in Rollen von 10 und 12, in diesem rete mirabile mich herum-
gctummelt und !wenn ich auch hie und da einen Cohnheim 'sehen Aus- und Durchtritt
unternahm, einmal sogar mich in die peripherische Gegend von Pest verirrte, so bin ich
doch gerno immer wieder zum alten Strome zurQckgekehrt und habe stets gefunden, dass
das Blut nirgends so schnell circulirt, als in den Wieneradern.
Nun den letzten Blick auf alle die Stätten, an denen ich so viel Schönes sah und
erlebte: Belvedere, Opernhaus, Hofburg, Museum u. s. w. Im Hintergrund winken mir
der Kahlenberg und der Leopoldsberg und hinter ihnen steigt ein kleines Räuchlein in
die Höhe, wohl der Abschiedsgruss des vielgeliebten Klosterneuburgers. Nun rasch zum
Bahnhofe! Alle Wienermelodien tauchen in mir auf, alle meine Wienergestalten bilden
rechts und links Spaliere und suchen mich zurückzuhalten. Fast will mir daB Herz etwas
schwer werden. — Da plötzlich erwacht in mir ein erst unbestimmtes Gefühl; es däm¬
mert und dämmert; die Wienerbilder blassen ab die Strauss’schen Töne verklingen; ich
sehe das Vaterhaus, die Heimath, die heimathlichen Berge; die Brust hebt sich und was
ich fühle, wird plötzlich zu Wort und Ton: ich singe aus voller 8eele das Lied der Eid¬
genossen Keller und Baumgartner: „O mein Heimathland, o mein Vaterland!“ Nun wird’s
mir leicht ztf scheiden. Leb' wohl, Wien! Es war wohl schön bei dir, und ich will stets
mit Freuden an dich zurückdenken, auch gelegentlich wieder zu dir kommen, aber schöner
als du und lieb wie nichts auf der Welt ist mir doch das Eine: die Heimath und das
theure Vaterland!“ E. H.
W ocheiiberiolit.
Schweiz.
Basel« Antrittsvorlesung von Prof. Kollmann. Freitag den 10. Mai
hielt der Nachfolger des Herrn Prof. Ho/fmann , Herr Prof. J. Kollmann , bisher ausser¬
ordentlicher Professor in München, in der Aula des Museums seine Antrittsvorlesung:
Ueber die Unterrichtsfrage in der Anatomie. Redner besprach die
Ursachen und die Mittel zur Abhülfe der von ihm im Princip als berechtigt anerkannten
Klagen der Kliniker, dass die anatomische Ausbildung der Studirenden nicht mehr, wie
früher, den von ihnen zu stellenden Anforderungen entsprächen. Die Ursachen sucht
Redner nicht darin, dass jotzt an den Hochschulen Seitens der Lehrer und 8chüler we¬
niger Fleiss und Geschicklichkeit aufgewandt werde, als früher, wie das wohl von man¬
chen Seiten behauptet werde. Noch weniger vermag Redner die vielfach erhobene Klage
zu theilen, dass die Pflege der microscopischen Anatomie in Folge ihrer grössern Sauber¬
keit u. s. f. die gute alte macroscopische Anatomie verdränge. Er findet die Ursachen
vielmehr in der enormen Steigerung der Ansprüche des jetzigen auf so hoher Stufe ste¬
henden klinischen Unterrichts gegenüber solchen Verhältnissen, wie sie noch zu der Zeit
herrschten, als Redner Btudirte. Für viele einzelne Organe, deren anatomische Structur
der Student damals nur oberflächlich kennen zu lernen brauchte, haben sich Specialzweige
der ärztlichen Kunst ausgebildet, die alle auf genauester anatomischer Kenntniss dieser
Theile fundiren. Die Aufgabe des anatomischen Lohrers und seiner Schüler ist deshalb
auch jetzt eine viel schwierigere, als früher und ist es dringend nothwendig, dass dCT
anatomische Unterricht dem entsprechend modificirt wird. Als wichtigste solche Modi-
fication bezeichnet Redner die an der £cole de mddecine zu Paris bestehende Einrich¬
tung, dass den Studirenden auch ausserhalb der Unterrichtsstunden Gelegenheit geboten
wird, Präparate in die Hand zu bekommen und nach solchen zu repetiren. Er hofft, dass
hierfür bei dem zu erwartenden Neubau der Anatomie ein Local eingerichtet werde; in
den jetzigen Räumlichkeiten ist es natürlich nicht so leicht möglich, eine solche Einrich¬
tung zu treffen.
Bezüglich der Lehrmethode selbst meint Redner, der Lehrer müsse sich im Vortrage
wesentlich auf die practische Anatomie beschränken. Er dürfe den Studirenden ferner nicht
zu tief in die in der Bearbeitung befindlichen wissenschaftlichen Fragen einführen, son¬
dern er müsse, ohne doch dogmatisch zu werden, sich auf das Feststehende beschränken.
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343
ISidg. Hedieinmlprüftlllgeil. Der Bundesrath hat die Commissionen für
Prüfung der Aerzte, Thierärzte und Apotheker bestellt; wir* bringen nur die Namen der
Prüfer für die Aerzte.
Basel. Propädeutische Prüfung. Mitglieder: Die Professoren Hagenbach-Bischoff,
KoUmann , Miescher-Rüsch, Piccard und Rütimeyer in Basel. Ersatzmänner: F. Burckhardt , Kraffl ,
Mühlberg und Pfeffer. Fachprüfung. Mitglieder: Prof. Bischoff, Immermann , Roth, Socin in
Basel, Dr. Reiffer in Frauenfeld und Dr. Schüler in Mollis. Ersatzmänner: Prof. Hagenbach-
Bvrckhardl und Massini in Basel, Dr. Hägler in Basel und Dr. Zthnder in Stein (Aargau).
Bern. Propädeutische Prüfung. Mitglieder: Prof. Aebi, Valentin , Förster und Schwär -
zenbach in Bern und Rector Lang in Solothurn. Ersatzmänner: Prof. Bachmann und Sidler
in Bern und Dr. Trechsel auf der Rütte. Fachprüfung. Mitglieder: Prof. Quincke , Kocher,
Müller und Langhaus in Bern, Dr. KoUmann in Solothurn und Dr. Virchaux in Loclo. Ersatz¬
männer : Prof. Jonquiere in Bern und Dr. R. 0. Ziegler , Girard und Niehans in Bern und
Müller in Altorf.
Genf. Propädeutische Prüfung. Mitglieder: Prof. Sorel , Monnier, Müller , Laskowski ,
Zahn und Schiff in Genf und du Plessis in Lausanne. Ersatzmänner: Piclel , Humberl , Fol
und dEspine in Genf. Fachprüfung. Mitglieder: Prof. Revillod, Julliard, Vaucher und Zahn
in Gonf, Dr. de Cerenville in Lausanne und Dr. Nicolas in Neuenburg. Ersatzmänner: HH.
Gauthier , Prtvost und Reverdin in Genf und DuceUier in Carouge.
Zürich. Propädeutische Prüfung. Mitglieder: Prof, Meyer , Herrmann , Hofmeister
und Merz in Zürich und Kaufmann in Luzern. Ersatzmänner: Rector Kaiser in St. Gallen,
Prof. Weith und Menzel in Zürich. Fachprüfung. Mitglieder : Prof. Huguenin , Rose, Franken-
Häuser , Eberth und Cloelta in Zürich, Dr. Fisch in Herisau und Dr. Schaufelbühl in Königs-
felden. Ersatzmänner: Prof. Wyss und Goll in Zürich, Dr. Kappeier in Münsterlingen und
Dr. Kiltias in Chur.
Lausanne erhielt wie Basel, Bern, Genf und Zürich eine Prüfungscommission für
Pharmaceuten, Bern und Zürich solche für Thierärzte.
Stand der Infeciiona-Krankhelten in Basel*
Vom 11. bis 26' Mai 1878.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Die Masern zeigen diesmal wieder einige Zunahme und zwar speciell in Gross¬
basel; die Summe der angezeigten neuen Erkrankungen beträgt 51 (84, 58, 44), davon
aus Kleinbasel 25 (43, 26, 32), aus Grossbasel 26 (36, 33, 12) ; von diesen Fällen stam¬
men 16 vom Nordwestplateau, 10 vom Birsigthale; 8 davon lassen sich direct, 2 indirect
auf die Petersschule zurückführen, indem sie meist kürzlich neu in die 1. Classe getre¬
tene Kinder (resp. deren Geschwister) betreffen ; circa 8 Fälle stammen aus der Gegend
des Bachlettenquartiers bezw. dem Rayon der dortigen Kleinkinderschule.
Scharlach steht so tief, wie seit Ende Octobor 1877 nicht mehr; angezeigt sind
5 Fälle (21, 11, 11), wovon 4 aus Kleinbasel, 1 vom 8ttdostplateau.
Diphtherie und Croup zusammen 9 Fälle (11, 6), 5 vom Nordwestplateau, aus
den übrigen Districten je 1.
Typhus 5 Fälle (4, 2, 4), 3 aus Grossbasel, 2 aus Kleinbasel.
Erysipelas 4 Fälle (7, 4, 6).
Keuchhusten 13 Fälle (12, 11, 7), 12 aus GrosBbasel, 1 aus KleinbaseL
Spärliche Varicellen; kein Puerperalfieber.
Bibliographisches.
60) Volkmann , Sammlung klinischer Vorträge; Leipzig, Breitkopf & Härtel.
Heft 132. H. Kraussold, Ueber Nervendurchschneidung und Nervennaht.
Heft 133. W. A. Freund , Eine neue Methode der Exstirpation des ganzen Utorus.
Heft 134. L. Lichtheim , Ueber periodische Hämoglobinurie.
Heft 135. A. Genzmer, Die Hydrocele und ihre Heilung durch den Schnitt bei anti¬
septischer Wundbehandlung.
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344
Briefkasten.
Herrn Dr. Kottmann: Verdanken bestens die freundliche Zusendung. — Herrn Dr. J. R. Schnei¬
der: Verdanke Ihnen bestens die beiden Vereinsberichte. — Herrn Dr. 0. R. in B.: Wird besorgt.
Hersliche Grtlsse. — Herrn Dr. Reichenbach in L.: Wird besorgt. — Herrn Dr. Th, KöUiker, Wflrs-
burg, Dr. Waller, MQnsterlingen, Dr. D. BemouUi, Basel, Prof. Dr. Hagenbach-Burckhardt, Basel,
Dr. Funkhäuser, Burgdorf, Dr. Hosch, Basel: Besten Dank. — Herrn Dr. K —r, W.: Für fernere
Zusendungen erlauben wir uns die Bemerkung, dass Basel nicht im deutschen Zollvereine liegt, somit
20 Pfennige fDrso gewichtige Briefe als viel zu leicht erfunden werden. — Herrn Prof. Dr. Hermann,
ZQrich: Vollkommen nach unserem Wunsche, besten Dank. — Herrn Dr. D., S. G.: Ihre „Licbt-
curen und Samenbader“ sollen unsern Annoncen fern bleiben, d. h. wir werden die Anzeige richtig
bringen. — Herrn Dr. Egli-Sinclair: Besten Dank.
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_Bitterw asser ih re Indicatlon finden. M ______
Prof. Dr. Wunderlich, Leipzig: .Ein guz vorzüglich wirkende«, aasleerendes Kittel,
_nicht nnan genehm zo nohmen, nnd dem Magen unschädlich.* __
Prof. Dr. Spiegeiberg, Breslau: SS i Ä“Ä» Ä
N e bonstdrangen wirkend gefu n den.* ___
Prof. Dr. Scanzoni y. Lichtenfels, Würzburg: .Ziehe ich gegenwärtig
_in allen Fällen, w o die Anw o ndnng eines Bitterwassers an gezeigt, aassch lie esllch in G ebrauch.*
Pro f. DrTFriedreich, Heidelberg; >fliBOT
Prof. Dr. y. Buhl, München: .Wirkt rasch, zuverlässig, ohne Beschwerden.*
Prof. Dr7 y. Nussbaum, München: wünschten Erfolg.*
PröfT Dr. Knssmanl, Strassburg: iE
Prof. Dr. Jonquifcre, Bern: .Wirkt sicher, wird von den Verdannngs-Organen leicht ver-
tra gen nnd ist bei angenehmerem Geschmack allen anderen gleichartigen Wässern vorznzlehe n.*
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Quantitäten wirksam and bei längerem Gebrauche von keinerlei üblen Folgen begleitet ist.
Wien, 21. April 1877. Prof. j) r< Max Leidesdorf.
Zeichnet sich dadarch aas, dass es einen milden, nicht unangenehmen Geschmack hat
Bndapert, 15. Februar 1877. KtflUgl. RatH PfOf. ÜP. V. KOräfiyj.
Verursacht selbst bei längerem Gebraaehe keinerlei Nachtheile.
wie», io. Angart 1877. Hofrath Prof. Dr. v. Bamberger.
Die Wirkung ist ausnahmslos rasch, zuverlässig und schmerzlos.
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Prof. Dr. Scanzoni Freiherr v. Lichtenfels.
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manu in 8t. Gallen. Brunnenschriften etc. gratis durch dio Versendungs-Direction in Budapest.
IMF* Normal-Dosis: Ein halbes Weinglas roll. [H-1285-QJ
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860
l H. PAULCKE, Engel-Apotheke,
LEIPZIG.
Generalvertretung der Hunyady - Liszlö-
Bittersalzquelle in Budapest
Die grosse Anzahl von Ofener Bitter¬
wässern und die von einzelnen Quellenbesitzern
ffentlich ausgefochtene Polemik, welche die
tärkste und maste sei, machen dem Arzte und
>aien die Wahl schwer. Thatsächlich ist unter
en verschiedenen Quellen, die alle auf demselben
tavon liegen, kein grosser Unterschied und
ichtet sich der Gehalt an Salzen nach der mehr
der minder guten Construction der Brunnen,
owie ob das Wasser bei trockener Witterung
der nach starken Regengüssen geschöpft ist.
)er neue Brunnenbau der Hunyady-Liszlö-Quelie
wird als mustergültig geschätzt und gibt daher
lie beste Gewähr für aie Gleichmässigkeit ihres
iach vergleichender Analyse stärksten Gehalts
,n Salzen. Um jedoch eine ganz genaue Do-
irung zu ermöglichen, lässt die Verwaltung der
lunyady-ÜUzl6- Quelle aus ihrem Mineralwasser
in Extract in Form eines weissen leichtlös-
ichen Pulvers an der Quelle selbst herstellen,
welches sämmtliche wirksame Bestandteile der-
elben enthält. Einer Dose Inhalt stimmt mit
em einer Flasche Bitterwasser überein, 1 Kaffee-
öffel = 1 Glase. Die Vorzüge des Hunyady* Liszlö-
ixtrads vor Jedem Bitterwasser bestehen äusser¬
em in der Annehmlichkeit, dass jenes in Oblate
der in jedem Getränk genommen werden kann
- somit von besonderem Werthe für Alle, welche
Viderwillen gegen Bitterwasser hegen —, und
lass die kleine Dose auch auf Reisen bequem bei
ich zu führen ist. Preis der Dose 50 Pfennig.
- Den Herren Aerzten stehen Proben gratis und
ranco zu Diensten.
Interessante Neuheit:
Den Herren Aerzten empfiehlt die Dampf¬
fabrik von
J. Paul Liebe in I>resden
Liebe*» Mal zextract-Leberthran, eine Emul¬
sion aus gleichen Thellen bestem Dorschleber-
thran und reinem Malzaxtract (nach Dr. Davis
in Chicago).
Dieses Präparat hält sich unverändert, wird,
weil in Emulsionsform (dem chylus entspre¬
chend), leicht assimilirt und wegen des voll¬
ständig verdeckten Thrangeschmackes in reinem
Zustande oder gemischt mit der doppelten
Menge Wassers oder Milch sehr gern genommen.
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bnrUhülfliche Casoistik. — 2) Vereinaberichte: XVIL Versammlung des ärztlichen CentralTereins in Zttrich. — Medidniache
Gesellschaft in Basel. — 3 ) Referate nnd Kritiken: Dr. C. Liebermeister: Handbuch der Pathologie und Therapie des Fie¬
bers. — Fr. W. Midier: Der Arzneischatz des practlschen Arztes. — 4) Cantonale Correspondenzen: Basel, Warzburg.
— 5) Wochenbericht. — 6) Briefkasten.
Oi*ig , inal--Ajrl>ei ten.
Ueber Localtherapie der Dickdarmkrankheiten.
(Vortrag gehalten in der Sitzung des Vereins jüngerer Aerzte aus den Cantonen
Bern und Solothurn, den 13. Februar 1878.)
Von Dr. P. Dubois in Bern.
Jedem practischen Arzte kommt es hie und da vor, dass er sich während einer ge¬
wissen Zeit hauptsächlich mit Erkrankungen eines Organs beschäftigen muss; ge¬
wisse Krankheiten häufen sich manchmal, auch wenn bei denselben von einem
epidemischen Auftreten keine Rede sein kann. So ging es mir auch im verflossenen
Jahre; ich bekam zufällig mehrere Fälle von Dickdarmkrankheiten, wie Typhlitiden,
Kothstauung, acute und chronische Dickdarmcatarrhe, zur Behandlung. Bei diesen
verschiedenen Zuständen bediente ich mich fast ausschliesslich eines Mittels,
nämlich der methodischen Ausspühlung des Dickdarmes.
Mir sind die Resultate dieser Methode so befriedigend vorgekommen, dass ich
mich nicht scheue, trotz der Einfachheit des Verfahrens, Ihnen darüber kurz zu
berichten. Zum Voraus einige Worte über die Technik des Verfahrens.
Bei verschiedenen krankhaften Zuständen des Dickdarms ist es wünschenswerth,
Wasser in mehr oder weniger grossen Mengen in denselben einzubringen. Zu
diesem Zwecke können wir uns folgender Methoden bedienen:
I. Die Klystiere in üblicherweise gegeben. In rechter oder linker Seiten¬
lage wird eine Spritze voll Wasser (200 — 250 gr.) in’s Rectum eingespritzt.
Ein solches Klystier kann 3 Indicationen erfüllen:
1. Kothmassen, welche im Rectum, allenfalls im S romanum sitzen, zu er¬
weichen und heraus zu befördern.
2. Kothmassen, welche höher gelegen sind, im Colon transversum oder Coecum,
durch Reizung der Rectalschleimhaut und reflectorisch angeregter Peristaltik eben¬
falls zu entleeren.
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354
Kaltwasser- oder Seifenwasserklystiere, auch Stuhlzäpfchen können am besten
zu diesem Zwecke gebraucht werden.
3. Wasser oder Medicamcnte direct mit der erkrankten Rectalschleim¬
haut in Berührung zu bringen.
Solche einfache Klystiere sind also anwendbar bei einfacher Obstipation, welche
keine drohenden Erscheinungen hervorruft und bei Erkrankungen des Rectums,
einfache oder ulceröse Proctitiden.
II. Die Massenklystier e. Bei Fällen, wo es wünschenswerth erscheint,
Wasser höher in den Dickdarm zu bringen, wie bei Kothstauung im Colon ascen-
dens und Ccecum, oder bei catarrhalisehen Affectionen dieser Darmparthien kann
man solche Massenklystiere mit Erfolg anwenden. Während meiner Assistenzzeit
in der Klinik des Herrn Prof. Quincke hatte ich mehrmals Gelegenheit, die gute
Wirkung solcher Massenklystiere bei Coprostase zu constatiren, und seither habe
ich sie in Poliklinik und Privatpraxis öfters mit Erfolg benützt.
Mittelst Percussion lässt sich leicht nachweisen, dass bei Einspritzung grosser
Mengen Wassers die Flüssigkeit bis in’s Colon transversum und selbst Ccecum ge¬
langen kann. Einige Experimente, welche ich an der Leiche anstellen konnte,
ergaben ebenfalls, dass sobald grössere Mengen eingeführt werden, das Ccecum
erreicht werden kann, auch in Rückenlage.
800 grm. von mit Anilin gefärbtem Wasser genügten in einem Fall, um den
Dickdarm vom Anus bis zur Valvula Baubini zu Füllen.
Bei Patienten, wo es sich ohne Schmerz oder Gefahren machen lässt, sind
solche Klystiere mit 1—l'/j Liter ganz zweckmässig.
Sie sind aber nicht immer anwendbar. 1. Es gibt Fälle (Typhlitis, Perito¬
nitis etc ), wo man dem Darm nicht eine solche Druckzunahme in seinem Innern
zumuthen darf. 2. Es giebt Patienten, dessen reizbarer Dickdarm auf Wasserein-
giessung sofort mit lebhafter Peristaltik antwortet, und bei welchen es unmöglich
ist, irgendwie grössere Wassermengen einzubringen.
Diese Schwierigkeit der Anwendung bemerkte ich zuerst bei einem 24 Jahre
alten Mann, der in der Ileoccecal-Gegend eine hühnereigrosse Kothgeschwulst hatte.
Trotzdem ich lauwarmes Wasser benutzte und es langsam, unter geringem
Drucke einfliessen liess, konnte ich nicht mehr als einen Schoppen hineinbringen.
Um aber die Flüssigkeit dennoch in Berührung mit den stagnirenden Kothmassen zu
bringen, liess ich den Pat. zuerst die Knieschulterlage einnehmen, damit das Was¬
ser, einfach der Schwere folgend, in’s Colon descendens und transversum hineinfliesse.
Dass dasselbe gelang, liess sich leicht constatiren, 1. indem der in’s Rectum ein¬
geführte Finger dasselbe leer fand, 2. indem die Percussion zwischen Nabel und
Processus xypboideus an einer vorher helltympanisch klingenden Stelle starke
Dämpfung nachweisen liess (in Knieschulterlage percutirt). Nachdem Pat. etwa
2 Minuten diese Lage behalten hatte, liess ich ihn die rechte Seitenlage einnehmen,
um das Waäser vom Colon transversum in’s Ccecum einzuführen. Die Anwesen
heit des Wassers im Ccecum liess sich constatiren, 1. durch Percussion; in hal er
rechter Seitenlage liess sich eine Zunahme des früheren Dämpfungsbezirks im
Ccecum nachweisen. 2. Durch Palpation, indem daselbst sich Plätschern erzeugen
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liess. Nach einer halben Stunde entleerte Pat. einen reichlichen, sehr dunkel ge¬
färbten, übelriechenden Stuhlgang, bestehend aus dem eingeführtem Wasser, mit
einem starken, sandigen Bodensatz und harten Kothbröckeln. Noch 2 Klystiere
der Art genügten, um die Kothgeschwulst zu entleeren.
Seither habe ich immer diese methodische Ausspülung benutzt. Das Ein¬
führen des Wassers geschah meist in der Rückenlage, bald mit Hülfe der Spritze,
einer Klysopompe, des Irrigators oder einer Hebervorrichtung. Am bequemsten
schien mir der Apparat, welchen College Conrad in Bern zu gynsecologischen
Zwecken machen liess. Er besteht aus einem circa 120 Cent langen Kaoutschouc-
schlauch. An einem Ende ist ein zinnerner trichterförmiger Ansatz zum Füllen
des Rohres. Ist der Syphon im Gange, so bleibt dieses Stück am Boden des Ge-
fässes. Am anderen Ende ist ein zinnernes, gekrümmtes Mutterrohr mit kolbiger
Anschwellung mit mehreren seitlichen Löchern. Zu Dickdarmausspülung lässt sich
dieses Mutterrohr sehr gut an wenden. Die vielen Löcher haben den Vortheii, dass
niemals die Spitze sich an einer Schleimhautfalte oder im Koth verlegen kann,
Durch Heben oder Senken des Apparats lässt sich der Druck nach Belieben er¬
höhen oder vermindern.*)
Ich lasse gewöhnlich so viel Wasser einfliessen, bis Pat. angiebt, er habe starken
Drang. Dann wird die Spitze entfernt. Pat. nimmt langsam die Knieschulter-
läge ein unter der Decke, mit vollkommener Schonung des Schamgefühles. Nach
1—2 Minuten wird die rechte Seitenlage eingenommen, dann wiederum Rücken¬
lage mit leichter Neigung nach rechts. — Bei Fällen von Kothstauung kann man
noch damit eine Massage der Ileocoecalgegend vornehmen, welche die Kothmassen
recht in Berührung mit der Flüssigkeit bringt. Nach 10 Minuten, */, Stunde
oder mehr tritt Stuhlgang ein und gewöhnlich reichliche Entleerung.
Der Hauptvortheil des methodischen Lagewechsels ist, dass man
nicht mehr genöthigt ist, grosse Wassermengen einzuführen. Solche sind in Rücken¬
lage nöthig, wenn das Wasser bis in’s Ccecum gelangen soll. Mit Lagewechsel
aber lässt sich jede Wassermenge, so minimal sie sei, bis zur kranken Stelle
bringen.
Eine solche methodische Ausspühlung mit lauwarmem Wasser lässt sich mit
Vortheil anwenden:
1. Bei einfacher Obstipation, wenn Abführungsmittel oder gewöhnliche
Klystiere entweder contraindicirt sind oder ihren Dienst versagen.
2. Bei Kothstauung, Coprostase, wo im Ccecum oder anderen Theilen
des Dickdarmes eine Kothgeschwulst mittelst Percussion oder Palpation nach¬
weisbar ist. Solche Fälle hatte ich mehrmals, von den kleinsten Ansammlungen
bis zu grossen Tumoren, welche bei oberflächlicher Untersuchung Ovarialge-
schwülste Vortäuschen können. Bei vielen solchen Fällen hatte ich versucht mit
Abführmitteln zum Ziele zu kommen, meist musste ich wegen Zunahme der
Schmerzen, Erbrechen oder Unwirksamkeit derselben davon abstehen und zur
Ausspühlung des Darms greifen.
3. Bei Typhlitis und Perityphlitis stercoralis. — Bei der grossen
*) Solche Apparate nach Dr. Conrad sind bei Setiani in Bern tu haben h Fr. 3. 50.
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Mehrzahl der Typhlitiden, welche ich bei sonst gesunden Menschen zu behandeln
hatte, liess sich anamnestisch oder ex juvantibus annehmen, dass Kothstauung das
Primäre war und die Ursache der Erkrankung. In allen Fällen war jedenfalls die
Obstipation als eine unliebsame Complication anzusehen. Meiner Ansicht nach ist
dabei die erste Indication die Entfernung der Kothmassen, welche als Fremd¬
körper die Entzündung hervorgerufen haben oder doch steigern.
Abführmittel sind dabei mit Recht verpönt. Sie steigern zu sehr die Peri¬
staltik , vermehren oft die Schmerzen, das Erbrechen oder bleiben wirkungslos.
Ebenso nutzlos bleiben manchmal die einfachen Klystiere. Masseneingiessungen
haben auch ihre Gefahren.
Durch methodische Ausspühlung mit geringen Mengen lauwarmen Wassers
lässt sich gewöhnlich die Entleerung mit aller Schonung und gefahrlos bewirken.
Wenn ich sage gefahrlos, so ist das nicht eine auf Theorie basirte Meinung, son¬
dern Constatirung am Krankenbette. Bei mehreren Fällen, wo grosse Schmerz¬
haftigkeit, Erbrechen, Fieber und Collapserscheinungen vorhanden waren, habe ich
solche Ausspühlungen gemacht ohne je einen Nachtheil davon gesehen zu haben.
Leider können manchmal solche Patienten einen zweckmässigen Lagewechsel nicht
vornehmen, in welchem Falle man die langsame Eingiessung etwas grösserer
Menge in der Rücken- oder Seitenlage vornehmen kann.
Wenn man dabei nicht schablonenmässig handelt, sondern vorsichtig vorgeht,
mit Berücksichtigung aller einzelnen Erscheinungen, so kann man auch in schweren
Fällen die Ausspühlung versuchen ohne dem ärztlichen Princip: Primum non nocere,
untreu geworden zu sein.
Sehr indicirt ist das Verfahren im Beginn, wenn nur eine leicht vermehrte
Resistenz mit Schmerzhaftigkeit in der Ileoccecalgegend besteht (häufig bei Leuten,
welche schon früher Typhlitis überstanden) und die Entstehung einer Entzün¬
dung befürchten lässt. Dass daneben Narcotica auch anzuwenden sind, versteht
sich von selbst.
In einigen Fällen, wo grosse Schmerzhaftigkeit bestand, konnte ich geradezu
eine schmerzstillende Wirkung von Kaltwasser-Eingiessung constatiren.
4. Bei allgemeiner oder localer Peritonitis, wo in Folge Lähmung
der Darmmuskulatur Obstipation und Meteorismus entsteht, lässt sich das Ver¬
fahren ebenfalls mit Erfolg anwenden.
5. Bei Diarrhoen, besonders Dickdarmdiarrhce, um so mehr, wenn Obsti¬
pation oder Kothstauung die Ursache dieser Diarrhoe ist. — Solche Diarrhoen, die
man, nach Analogie mit der Ischuria paradoxa, als Obstipatio paradoxa bezeichnen
könnte, sind keineswegs selten. In kurzer Zeit bekam ich 4 classische Fälle der
Art in Behandlung. Als Beispiel mögen die zwei folgenden, kurzgefassten Kran¬
kengeschichten dienen.
Eine 45 Jahre alte corpulente Frau, früher ganz gesund und mehr zur Obstipation
geneigt, gab mir an, seit 3 Wochen an heftiger Diarrhoe zu leiden. Kein Tag ging
vorüber ohne 5—6 wässerige Entleerungen mit mässigem Tenesmus. Dabei hatte
Patientin starke Schmerzen in der Ileoccecalgegend, wo sich vermehrte Resistenz
und Dämpfung nachweisen liess. Temp. 38,2. Puls 96.
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Trotz dem Widerwillen der Patientin, welche nur an Diarrhoe leiden und
von Kothstauung als Ursache derselben nichts wissen wollte, nahm ich die
Ausspühlung vor, wobei zuerst nur dunkelgefärbtes Wasser zurückkam. Dieser
Misserfolg, welcher der Patientin scheinbar Recht gab, verhinderte mich nicht, mit
dieser Behandlung fortzufahren. Beim zweiten und dritten Versuch kamen grosse
eingedickte Kothballen. Die Resistenz in der Fossa iliaca nahm ab und verschwand
nach 4 Ausspühlungen. Mit der vollkommenen Entleerung des Dickdarmes ver¬
schwand auch die lästige Diarrhoe.
Ein 29 Jahre alter, sonst ganz gesunder Mann, litt seit etwa 2 Monaten an
nächtlicher Diarrhoe. Des Tages war er ziemlich wohl, des Nachts bekam er
Bauchschmerzen, die er im Verlauf des Dickdarms anzeigte.
Die Entleerungen waren nicht reichlich, 2—3 Stühle in der Nacht. In der
letzten Zeit hatte er dabei keine Bauchschmerzen mehr. Nebst zweckmässiger
Diät hatte Pat. nach einander Ricinusöl, Calomel, Opium, Belladonna, Bismuth.
subnit., Tannin ohne Erfolg gebraucht, 2 Tage Ruhe war das Maximum des Er¬
reichten. Die vorgenommene Massage des Abdomen besserte den Zustand während
5 Tagen, aber bald war wieder der alte Zustand da. Als ich Pat in Behandlung
bekam, versuchte ich nochmals Calomel (0,5 auf 1 Mal zu nehmen), Stuhlgang er¬
folgte darauf und zweitägige Besserung. Ich entschloss mich dann die Ausspüh¬
lung vorzunehmen, worauf sich eingetrocknete harte Massen entleerten: 4 Kly-
stiere genügten, um Alles zu entleeren und diese chronische, hartnäckige Diarrhoe
zu stillen.
Kothstauung kann bestehen mit Obstipation, mit Diarrhoe und selbst
mit ziemlich normalem Stuhlgang.
Letzteres sah ich vor Kurzem bei einem 22jährigen Frauenzimmer. Täglich
hatte sie Stuhlgang, manchmal etwas hart, manchmal weicher, doch nie diarrhoeisch.
Trotzdem liess sich im Coecum eine grosse Kothgeschwulst nachweisen, welche bei
jeder Ausspühlung (im Ganzen 7) an Umfang abnahm.
Bei Diarrhoen, wo die Kothstauung nicht die Aetiologie bildet, wo nur ein
Dickdarmcatarrh ohne nachweisbare Ursachen besteht, kann die Ausspühlung
trotzdem von Nutzen sein. Die directe Wirkung des Wassers (sei es einfaches
Wasser oder medicamentöse Lösung) auf die Schleimhaut hat auf solche catarrha-
lische Zustände einen nicht zu unterschätzenden Einfluss. Dass bei geschwüriger
Entzündung, Dysenterie, Syphilis, Tuberculose solche Ausspühlungen ebenfalls
nützen können, versteht sich von selbst — Genauere Erfahrungen darüber besitze
ich vorläufig nicht.
Zum Schluss möchte ich den Inhalt dieser Mittheilung folgendermaassen
resumiren:
1. Bei Erkrankungen des Dickdarms ist eine Localbehandlung zweckmässiger
und erfolgreicher als die medicamentöse Behandlung per os.
2. Lauwarme Ausspühlungen genügen in vielen Fällen und lassen sich am
besten in der beschriebenen Art mit zweckentsprechendem Lagewechsel vor¬
nehmen.
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358
GeburtshUlfliche Casuistik.
I. Zwei Fälle von Plaeenta praevia mit exitns letlialis.
Von Dr. Haffter, Bezirksarzt in Weinfelden.
Nachdem ich anno 1873 im „Corr.-Bl. f. schweizer Aerzte“ über 2 Fälle von
plac. praev. mit günstigem Ausgang berichtet, halte ich es für angemessen, meinen
schweizerischen Collegen auch über Misserfolge zu referiren, um so mehr, als der
eine Fall von plac. praev. durch ungewöhnlichen Verlauf ein ganz besonderes In¬
teresse darbietet.
Beide Fälle drängten sich merkwürdiger Weise in den engen Zeitraum von
2 Monaten zusammen, während manchmal Jahre verstreichen können, ohne dass
ein einziger Fall von plac. praev. zur Beobachtung kommt.
Erster Fall Derselbe betraf eine bisher gesunde und kräftige, 26 Jahre alte Erst¬
geschwängerte im Riet bei Hugelshofen, zu deren Besuch und Untersuchung ich am
15. März 1877 Abends aufgefordert wurde, indem die Hebamme sich offenbar in
der Diagnose nicht zurecht fand. Der Fall war allerdings ein Unicum. Durch das
Scheidengewölbe fühlte man einen grossen, rundlichen, halb weichen halb festen
Tumor; links von demselben, also näher der rechten Mutterseite, war der
Muttermund zu fühlen, für 1 Finger durchgängig, mit scharfem Rande und in dem¬
selben die Fruchtblase; einen vorliegenden Kindstheil konnte ich per os ut. nicht
erreichen. Dabei waren äusserlich durch die Bauchdecken an vielen Stellen be¬
wegliche Rindstheile fühlbar. Den Fötalpuls hörte man deutlich links vom Nabel
und etwas unterhalb desselben. Rindstheile und Fötalpuls entsprachen einer
Scheitellage; aber woher denn dieser grosse, halbfeste Tumor durch’s Scheiden¬
gewölbe? Jedenfalls war einstweilen nichts Anderes vorzunehmen als exspectative
Behandlung. Wehen stellten sich selten und schwach ein.
Am 16. März Vormittags fand ich den Muttermund für 3 Finger durchgängig,
die Fruchtblase etwas mehr vorgedrängt, durch das os ut. hinter der Symphys.
pub. deutlich ein Segment des harten Rindskopfes mit einer Sutur. Daneben füllte
jener halbfeste grosse Tumor noch immer das Scheideogewölbe aus. Ueber die
Rindslage konnte man somit nicht mehr im Zweifel sein; da aber die Geburt im
Ganzen einen langsamen Verlauf beizubehalten schien, so ermahnte ich die Rreis-
sende und die Hebamme zur Geduld und kehrte wieder heim.
In der Nacht vom 16. auf den 17. März wurde ich abermals gerufen. Der
Befund war im Wesentlichen derselbe wie am 16. Vormittags; nur war der Kopf
etwas vorgerückt; Eihäute noch unversehrt, Wehen spärlich.
Eine befriedigende Erklärung des durch das Scheidengewölbe fühlbaren Tu¬
mors konnte ich mir immer noch nicht geben; denn die einmal auftauchende Idee,
dass bei dem offenbaren Seitenstand des Kopfes das Gesäss eines zweiten Kindes
neben dem Ropf des ersten sich eingestellt habe, war doch nicht haltbar, obwohl
die zahlreichen durch die Bauchdecken fühlbaren kleinen Rindstheile in Verbin¬
dung mit der beträchtlichen Ausdehnung des Unterleibes eo ipso nicht gegen
eine Zwillingsschwangerschaft sprachen.
Da keine Gefahr im Verzug und einstweilen für den Arzt überhaupt nichts
zu thun war, so entfernte ich mich abermals mit der Weisung, erst dann wieder
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einen Boten an mich zu senden, wenn einige Zeit nach erfolgtem Blasensprunge
(ich gab das Zeitmaass an) der Kopf nicht herunterrücke. Dieser Bote traf dann
am 17. März Nachmittags ein. Unverweilt begab ich mich zu der Gebärenden,
innerlich froh, dass endlich der Zeitpunct zum activen Einschreiten gekommen sei.
Der Explorationsbefund war so ziemlich der gleiche, wie in der Nacht vor¬
her; nur berührte mein Finger den Kopf, der etwas Geschwulst zeigte, direkt an¬
statt früher durch die Eihäute. Der Kopf stand noch im Beckeneingang seitlich
rechts d. h. in der rechten Mutterseite und durch’s Scheidengewölbe drängte sich
derselbe halbfeste Tumor vor. Die Wehen waren spärlich und schwach; desshalb
musste die ZaDge applicirt werden. Da mir hiebei der eben erwähnte Tumor
hinderlich war, schob ich ihn vorerst etwas in die Höhe, was ohne besondere
Schwierigkeit gelang. Nun applicirte ich an den noch hochstehenden Kopf die
Zange und machte einfache, kräftige Tractionen gerade nach abwärts. Nach einer
starken Viertelstunde kam der grosse Kopf zum Vorschein (nicht ohne Verletzung
des straffen, dicken, unnachgiebigen perinaeums), das Gesicht dem linken mütter¬
lichen Schenkel zugekehrt. Bald folgte der Rumpf nach und hinter demselben ein
bedeutendes Quantum dicken, reichlich mit Kindspech versetzten Kindsschleimes.
Das Kind weiblichen Geschlechtes war todt. Der Uterus blieb stark ausgedehnt
(fund. ut. 3—4 Querfinger über dem Nabel), war aber nicht weich, so dass ich
zuerst an ein zweites Kind dachte. Blutabgang mässig. Die Gebärende befand
sich nicht gut; sie hatte Brechreiz und musste Galle brechen, war aber stets voll¬
ständig bei sich. Nach einer längeren Pause sagte sie: „das Blut gehe stark.“
Sofort drang ich mit der Hand in die Uterushöhle und entfernte die sehr
grosse, nirgends adhärente Placenta. Gleichzeitig stürzten massenhafte Blutcoagula
hervor. Ungeachtet andauernder kräftiger Compression des Uterus wurde die
Entbundene blass, der Puls unfühlbar; sie klagte über Frieren; nachher, als dies
durch warme Tücher und Kissen beseitigt war, klagte sie über Einschlafen
der Arme, athmete sehr schnell und laut, litt an grosser Bangigkeit und Un¬
ruhe , hatte starken Durst — Alles Zeichen grosser Blutleere. Sie starb um
11 Uhr Abends.
Epikrise. Nun war mir allerdings die Diagnose des „seltenen“ Falles klar
geworden. Jener in’s Scheidengewölbe hereinragende, halbfeste, also ziemlich resi¬
stente Tumor, der sich bei jeder Untersuchung zuerst bemerklich machte, war
nichts Anderes, als die sehr grosse Placenta mit ganz ungewöhnlicher, tiefer An¬
satzstelle, mit einem Wort: eine placenta praevia. Sie sass nicht äuf dem Mutter¬
mund, sondern nur in dessen Nähe, lag also nicht vor dem Kopf, also die häufigere
Form der Plac. priev. lateralis.
Ungewöhnlich war einmal das Vorkommen dieser Anomalie bei einer Erst¬
geschwängerten; ungewöhnlich war ferner, dass nicht nur vor dem Beginn der
Geburt, sondern auch im Verlaufe derselben keine Blutung nach aussen sich ein¬
stellte; die tödtliche Blutung fand in das cavum ut. statt, höchst wahrscheinlich
erst nach der Geburt des Kindes. Dafür spricht besonders der Umstand, dass
erst nach dem Hervorstürzen der massenhaften Blutcoagula die Zeichen der Anä¬
mie sich bemerklich machten.
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Ob bei rascher Entleerung des Uterus nach der Geburt des Kindes der
exit. lethal. der Mutter zu verhüten gewesen wäre, wer weiss es ? Immerhin ist
es sehr zu bezweifeln.
Zweiter Fall. Am 14. Mai 1877 Vormittags wurde ich eilig nach Bürglen
berufen zu der 26 Jahre alten Frau K, welche im 9. Monat ihrer 3. Schwanger¬
schaft stehend eben ohne Vorboten und ohne besondere Veranlassung eine ge¬
waltige haemorrhag. ut. erlitten hatte. Ich traf die Frau sehr blass und matt zu
Bette mit schwachem frequentem Puls. Durch das Scheidengewölbe fühlte ich
eine weiche Masse; nach links von dieser weichen Masse fand sich der für einen
Finger durchgängige Muttermund, in welchem ich durch die unversehrten Eihäute
kleine Kindestheile fühlte.
Diagnose: placenta praevia bei wahrscheinlicher Querlage des Kindes.
Den mit Fäcalknollen gefüllten Mastdarm entleerte ich sofort per clysma und
legte in die Scheide den mit kaltem Wasser gefüllten Colpeuryntcr ein als Hämo-
statikum und Wehen erregendes Mittel.
Die Blutung stand. Bis zu meinem 2. Besuche, Mittags 1 Uhr, waren kräftige
Wehen eingetreten und stellte sich die Blase. Ich zerriss die Eihäute, fühlte ein
Händchen und ein Füsschen vorliegen und machte sofort die Extraction, welche
etwas mühsam war. Gleichzeitig mit dem Kinde ging die vollständige Placenta
spontan ab.
Die Entbundene verlor abermals Blut, wenn auch nicht viel. Sie fühlte sich
behaglicher. Ihr Zustand war aber keineswegs beruhigend; denn ungeachtet kräf¬
tiger Compression des Uterus durch die Bauchdecken contrahirte sich derselbe
nicht ordentlich. Die Frau klagte über „Blödwerden“, Mattigkeit, würgende
Schmerzen in den Armen, warf sich hin und her, bekam grosse Athemnoth, einen
fadenförmigen frequenten Puls, wurde immer blasser und verschied Abends 4 Uhr.
In diesem Fall hatte eine sehr copiöse, rach erfolgende Hämorrhagie die Ca-
tastrophe eingeleitet, so dass die Frau schon hochgradig anämisch war, bevor
die Geburt in Gang kam; der Blutverlust nach beendigter Geburt war nicht mehr
so beträchtlich, dass er allein das Leben hätte bedrohen können.
Beide Geburtsfälle zeigen, dass die Hauptgefahr bei der plac. praev. in dem
raschen Eintritteines quantitativ bedeutenden Blutverlustes
liegt und dass eine hochgradige Anämie in kürzester Zeit zum Tode führen kann.
* II. Placenta praevia centralis.
(Accouchement forcä. Mutter und Kind leben und sind gesund.)
Von Dr. Alb. Goldschmid in Fehraltorf.
Frau Bertha Morf in Fehraltorf (Zürich), 29 Jahre alt, seit fünf Jahren ver¬
heiratet, ist jetzt zum 5. Mal niedergekommen. Die Frau ist gracil gebaut, wenig
beleibt, anämisch, beschäftigt sich mit Seidenweben und ist genötigt, in sehr beschei¬
denen, ja dürftigen Verhältnissen zu leben. Vier Mal verlief die Geburt normal, wenig¬
stens ohne ärztliche Hülfe. Die fünfte Geburt jedoch, Februar 19., 1878, verdient
wohl wegen Vorliegens der Nachgeburt und überraschend glücklicher operativer
Entbindung einem weitern Kreise von Collegen geschildert zu werden.
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Bis zur 10. Schwangerschaftswoche fühlte sich die Frau stets wohl; da ward
sie plötzlich von einer Ohnmacht befallen, welche circa zehn Minuten andauerte
und auf Anwendung von HofFmanns-Tropfen und äusseren Hautreizen wich. Ein
solcher Zufall wiederholte sich nicht mehr, und die Schwangerschaft verlief bis
zur 30. Woche ohne Krankheitserscheinungen. Von da an dagegen hatte die
Schwangere beständig das Gefühl, „als ob sie eine Frühgeburt zu er¬
warten hätte.“ Sie hatte das Gefühl von Schwere und Abwärtsdrängen im
Unterleib, dagegen nie wehenartige Schmerzen und nie Blutungen. Als geradezu
merkwürdig und als seltenes Vorkommniss darf betont werden, dass während
der ganzen Schwangerschaft bis zum Beginn der Geburtswehen
in der vierzigsten Schwangerschaftswoche auch keine Spur von
Blutverlust zu constatiren war. Den 16. Februar 1878, Morgens 4 Uhr er¬
wachte die Frau an allmählig sich einstellenden Wehen* und zugleich bemerkte
sie, dass sie Blut verliere, im Ganzen circa eine Tasse voll. Als die Blutung
sistirte, verliess die Patientin das Bett; doch floss Nachmittags wieder etwas Blut
ab, und zudem stellten sich wehenartige Schmerzen ein, welche sich jedoch gegen
die Nacht hin wieder vollkommen verloren. Den 17. und 18. Februar empfand
Patientin keine Wehen und erlitt keinen Blutverlust. Den 19. Februar jedoch,
Morgens 3 Uhr, erwachte die Frau in Folge oder doch während eines grossen
Blutverlustes. Die herbeigerufene Hebamme verordnete ruhige Rückenlage im
Bette; von 9 Uhr Vormittags an stand die Blutung wieder, dagegen ward Patientin
von Kreuzschmerzen sehr belästigt, bis von Abends 4 Uhr an eigentliche Geburts-
wehen eintraten. Diese recidivirten und cessirten periodisch und waren stets
von profusen Blutungen begleitet. Das Blut floss nach Aussage der Frau
und der Hebamme „wie aus einer Brunnenröhre.“ Während der Wehen¬
pause hörte die Blutung nicht auf, nur war sie alsdann geringer. Jetzt
diagnosticirte die tüchtige und sorgfältige Hebamme „Placenta praevia“; sie
tamponirte mit Watte, so gut sie’s konnte und verlangte ärztliche Hülfe.
Innerhalb einer Viertelstunde war ich zur Stello, den 19. Februar 1878, Abends
9 Uhr.
Die objective Untersuchung ergab Folgendes: Das Aussehen der schon vorher
blutarm gewesenen Frau war im höchsten Grade anämisch.
Der Puls war beschleunigt und klein, doch noch zählbar und fühlbar. Immer¬
hin war noch kein Collapsus-Zustand da, auch nicht leichtere Ohnmachtsanwand¬
lungen. Nach Entfernung des von der Hebamme angelegten Watte-Tampons reci-
divirte die Blutung wieder. Erst kamen grosse Blutgerinnsel; dann entstand eine
continuirliches Träufeln ungeronnenen frischen Blutes, welches bei jedem Weben-
anfalle zu profuser Blutung anwuchs. Der Muttermund war noch unvollkommen
eröffnet, auch für eine kleine Hand ohne Gewalt nicht durchgängig. Die Oeffnung
entsprach ungefähr der Oeffnung eines Doppelliters, 4—5 Centimeter. Ein deut¬
licher Fruchttheil war nicht zu fühlen, dagegen stiess der Finger beim Touchiren
auf das schwammige Gewebe der Placenta, ein diagnostisches Ergebniss, das
ebenso untrüglich, als erschreckend ist. Die Lage des Fötus noch genauer zu
eruiren, erschien mir momentan nebensächlich; eiiie Schieflage war zu vermuthen
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und zwar eine erste, indem der Kopf bei der äussern Palpation links unten zu fühlen
war. Innerlich untersuchend, fand der touchirende Finger das Scheidengewölbe
nicht ausgedehnt; es war durch dasselbe kein grösserer Kindstheil durchzufühlen.
— So viel über die Diagnose des Falles; der geängstigten Patientin und ihrer
Familie war die Therapie natürlich wichtiger und erwünschter.
Wären noch keine Wehen vorhanden gewesen, so wäre ich zur Tamponade
geschritten und hätte mich noch eine Zeit lang exspectativ verhalten. Hier jedoch
waren regelmässig wiederkehrende und zudem schmerzhafte Wehen vorhanden,
welche stets profuse Blutungen veranlassten. Dass die Wirkung der Wehen auf
die Eröffnung des Muttermundes gering war und übrigens nicht ergiebig werden
konnte, erklärte sich aus der Schieflage des Fötus, da kein grösserer Kindstheil
sich herabdrängte. Zu activem Vorgehen ermunterte ferner noch der Kräftezu¬
stand der Frau; ich wollte nicht erst Pulslosigkeit oder Ohnmachts-Anfälle ab-
warten, und der Eventualität, vor einer unentbundenen, an Blutung verstorbenen
Oravida zu stehen, wollte ich mich vollends gar nicht aussetzen.
Ich entschloss mich daher zur sofortigen gewaltsamen Entbindung und leitete
eine tiefe Chloroformnarcose ein. Als dies geschehen, ward rasch ein Querbett im-
provisirt und die Gebärende, um mich kurz auszudrücken, in die „Steinschnittlage“
gebracht. Die im Knie- und Hüftgelenke stark flectirten Beine wurden jederseits
von je einer Frau stark auseinander gespreizt und festgehalten.
Dann reinigte ich meine Hände und Arme in Ermangelung von eigentlichen
Desinfections-Mitteln mit frischem Wasser, fixirte mit der linken Hand den fuodus
uteri und drang mit der rechten Hand, weil ich dieser mehr Geschick¬
lichkeit und Kraft zu traute, bis zum Muttermund ein. Indessen war ich
mir wohl bewusst, dass in diesem Falle theoretisch das Eingehen der Linken in-
dicirt war. Der Erfolg wird hoffentlich dieses absichtlich begangene Vergeben
entschuldigen.
Der Muttermund gestattete nur den Fingern das Eindringen, nicht aber der
ganzen Hand; der Rand war gespannt und ziemlich resistent. Erst zwei, dann
drei, vier Finger vorschiebend, löste und untergrub ich den rechterseits anhaften¬
den Placentartheil, die Handwurzel nachdrängend. Plötzlich verspürte ich das Ent¬
stehen eines Risses des cervix uteri rechterseits, zugleich aber war ich jetzt mit
der ganzen Hand in cavo uteri und drängte sie der stehenden Eiblase entlang in
die Höhe der fötalen Füsse. Dort sprengte ich die Blase, erhaschte rasch einen
Schenkel — es war der rcchtscitige — und zog ihn herunter, zugleich die Wen¬
dung vollziehend. Die Extraction des Kindes war verhältnissmässig nicht schwie¬
rig; ich vollführte sie absichtlich rasch, während die Hebamme den Damm gut
unterstützte. Das schreiende Töchterchen übergab ich der Hebamme; mit der linken
Hand hielt und rieb ich tüchtig den fundus uteri; der rechten boten sich nach
circa 10 Minuten zur manuellen Entfernung der fast ganz in der vagina liegenden
placenta weiter keine Schwierigkeiten dar. Der Raschheit der Extraction dürfte
wohl das Kind das Leben verdanken, da das Durchtreten des Kopfes den Nabel¬
strang auf diese Weise nicht lange drücken konnte. — Nun ward ein Cautschuk-
Mutterrohr in den cervix uteri öingefuhrt und mittelst des Clysopompes eine länger
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dauernde Dousche mit frischem, kaltem Wasser ausgefiihrt. Die unterdessen er¬
wachte Patientin wurde gewaschen, gereinigt und auf ein frisches, sauberes Lager
gebettet. Der Unterleib ward mit einer kalten, halbstündlich zu erneuernden
Compresse bedeckt und dann mit einer breiten Binde ziemlich fest umwickelt,
in ähnlicher Weise und aus gleichen Gründen, wie man Hydropischen nach der
Punction einen Compressivverband anzulegen pflegt, um nämlich einem wegen der
plötzlichen Entleerung der Bauch- und Beckenhöhle drohenden Collapsus vorzu¬
beugen. Die gesammte ärztliche Thätigkeit während dieses Falles nahm circa
1 Stunde in Anspruch.
Das Wochenbett der Patientin verlief ganz normal. Während 10 Tagen
musste die Hebamme täglich zwei Mal eine Vaginal-Douche mit reinem lauem
Wasser ausführen; auf die Vaginal-Oeffnung ward stets ein Carbolöl-Lappen ge¬
legt. Die kalten Compressen auf den Unterleib wurden am 5. Tage weggelassen.
Mit Beginn der 3. Woche verliess die Frau das Bett und erfreut sich seither
ihrer und ihres Kindes Gesundheit.
V ereinsberiehte.
XVII. Versammlung des ärztlichen Centralvereins in Zürich
am 18. Mai 1878.
Präsident: Dr. Sonderegger, Schriftführer: Dr. Haab (Zürich).
Nur alle zwei Jahre zeitigt der Mai uns Zürchern als schöne Frühlingsgabe
die Vereinigung schweizerischer Aerzte und nicht bloss den Zürchern, sondern
auch so vielen Collegen der Ostschweiz. Wie richtig der Gedanke war, nicht
bloss in Olten, sondern auch in Bern und Zürich Versammlungen des ärztlichen
Centralvereins zusammenzuberufen, beweist schlagend die grosse Zahl der Collegen,
die auch dieses Jahr wieder zu gemeinschaftlichem Rathschlag und freundschaftlichem
Händedruck sich in Zürich zusammenfanden, nicht ohne dass auch der lieblichste
Frühlingshimrael noch eine besondere, eindringliche Einladung zur Theilnahme er¬
lassen hätte. Da rückten sie, Alt und Jung, schon am Abend vorher so zahlreich
von allen Seiten ein, dass die Sitzung der Gesellschaft der Aerzte von Zürich, in
welcher, wie üblich, die fremden Gäste bewillkommt wurden, eines höchst be¬
wegten Lebens sich erfreute.
Der erste Th eil dieser Sitzung war wissenschaftlichen Vorträgen und De¬
monstrationen gewidmet. Dr. Haab erörterte die Tuberculose wie sie sich im Be¬
reich des Auges äussert an Hand von Zeichnungen und microscopischen Präpa¬
raten. Herr Prof. Hitzig gab in zwei kleinern Mittheilungen Ernstes und Heiteres aus
seinem Wirkungskreis zum Besten. Herr Prof. Huguenin fesselte die Collegen durch
Vorführung eines jener „Hirnfälle“, die durch Ungewöhnlichkeit und Schwierigkeit
Gelegenheit zu feinen diagnostischen Uebfrlegungen und Combinationen geben und
zugleich einen Einblick in die gegenwärtige Methode der Hirndiagnostik zu bieten
geeignet sind. Nachdem noch kurz die Tagesordnung für den folgenden Morgen
festgesetzt worden, wäre bald selbst dem verwegensten Reporter die Unmöglich¬
keit klar geworden, dem brausenden Strom der Verhandlungen zu folgen, der nach
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kurzer Frist schrankenlos durch die stillen Strassen der Stadt sich dahin und dort¬
hin ergoss und endlich in einzelne sprühende Tropfen sich auflöste, mit Vorliebe
da, „wo man einen güten schenkt“
Die schöne Mondnacht that aber dem angenehm-ernsten Studium, das am
Morgen des Haupttages die Aerzte den verschiedenen Heilanstalten zulenkte,
keinen Eintrag. In diesen war überall grosser Empfang mit Vorführung des In¬
teressantesten und Besten. — Mittlerweile mehrte sich die Zahl der theilnehmen-
den Aerzte von allen Seiten her und erhob sich schliesslich auf circa 230, von
denen sich jedoch nur 138 einschrieben. Die Theilnahme der verschiedenen Kan¬
tone war dabei wie folgt: Zürich 50, Bern 17, St Gallen 14, Aargau 14, Luzern 11,
Basel 8, Thurgau 7, Graubünden 4, Glarus 3, Appenzell 3, Zug, Neuchätel, Schaff¬
hausen je 2. Als Gast war anwesend Herr Prof. Schär in Zürich, Präsident des
schweizerischen Apothekervereines.
Die Versammlung, welche um 12 Uhr im geräumigen Schwurgerichtssaal be¬
gann, wurde von dem Präsidenten Herrn Dr. Sonderegger mit folgender Rede
eröffnet:
„Carpe diem“ heisst das Losungswort, mit welchem wir heute unsere Ver¬
sammlung eröffnen. Auf der alten Gletschermoräne Zürichs stehend, schaudern
wir vor einer grossartigen, wilden Vergangenheit — und ahnen wir die Zukunft
spät nachfolgender Geschlechter. Wir fühlen uns als die Sprossen einer kurzen
Culturperiode, wir fühlen, dass die Menschheit nur in ihrer Gesammtheit etwas zu
bedeuten hat und dass das höchste Glück des Einzelnen in dem lebendigen An¬
schlüsse an sein Volk und in der Förderung desselben besteht
Carpe diem! ruft uns die thatenreiche Geschichte Zürichs und lehrt uns ganz
besonders der alte Prof. Rahn , welcher 1792 hier in Zürich die erste schweizerische
Aerzteversammlung cröffnete und ihr ein patriotisches und collegiales Programm
gab, das auch uns zeitlebens vollauf beschäftigen wird: denn darüber sind wir
Alle einverstanden, dass wir das Leben nur gemessen, indem wir es frisch an¬
fassen und scharf ausbeuten.
Unsere Aerzteversammlungen können culturgeschichtliche Momente werden,
wenn wir es ernstlich wollen. Der Wille regiert die Welt Die correkteste
Sinne8wahmehmung, so wie deren intellectuelles Abstractum muss auch im Orga¬
nismus der Aerzte vereine in eine Reihe zweckmässiger Bewegungen umgesetzt
werden, wenn wir nicht Paralytiker sein wollen, welche jede Partei dahin schiebt,
wo es ihr bequem erscheint
Als Aerzte keinem kirchlichen noch politischen Systeme unterthan, haben wir
die Pflicht, die ehrliche und geordnete Arbeit gegenüber dem Schwindel und der
frivolen „Inspiration“ zu vertheidigen und die Fälschung des Begriffs der Freiheit
gegenüber den Rittern der Confusion zu bekämpfen! Unsere bisherigen Leistungen
sind eine kleine Abschlagszahlung an di#grosse Schuld, die wir unserm Vater¬
lande und unserm Berufe zu entrichten haben. Das Meiste und Beste haben die
Einzelnen gethan und ich begrüsse auch in der heutigen Versammlung viele hoch¬
achtbare Collegen, welche sich um die Förderung der Wissenschaft und um das
leibliche und geistige Gedeihen des Volkes wohl verdient gemacht haben.
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Tit. Was Ihre Vollmachtträger seit unserer Herbstversammlung von Olten
zu Stande gebracht, ist kurz zu sagen und Folgendes:
Zuerst haben wir es uns leicht gemacht und ein Fest gefeiert, den hundert¬
jährigen Gedächtnisstag Albrechts v. Haller. Wir wollten den festlichen Anlass be¬
nützen, um vor der Mitwelt und der Nachwelt als schweizerische Aerzte aufzutreten,
Germanen und Romanen treu vereint in gemeinsamer Liebe zum Vaterlande, im
Glauben an die Wißsenschaft und an die Arbeit. Es war selbstverständlich, dass
wir als dankbare Epigonen dem Andenken des grossen Mannes auch eine littera-
rische Gabe widmeten.
Die zweite Arbeit, welche uns seit letztem Herbst beschäftigte, war die A n -
noncen-Polizei, beziehungsweise der Entwurf einer Gesetzesvorlage für Re¬
gulirung des Verkaufes von Medicamenten, Patent- und Geheimmitteln und Giften.
Sie kennen die Einzelnheiten aus dem Correspondenzblatte. Das Gesetz und seine
Motivirung ist entworfen und harrt der Berathung der Delegirten der Cantons-
regierungen und so, wie diese ihn abschliessend redigiren, soll er der hohen Bun¬
desversammlung vorgelegt werden.
Auch in dieser Frage gelangen wir zur Controverse zwischen der Freiheit und
dem Faustrecht, dem Rechte des Frechen gegenüber dem friedlichen Bürger. Die
persönliche Freiheit, den Betrug zu organisiren und die Lotterieloose der Geheim¬
mittel tagtäglich in’s Volk hinauszuwerfen, die persönliche Freiheit, seinen Arsenik
und sein Strychnin zu verkaufen wie und wo man will, bezeichnet wohl eine
sociale Unordnung, eine Schwäche der Behörden und eine Feigheit der Ge¬
bildeten, nicht aber den Begriff alt eidgenössischer Freiheit, deren wesentliches
Merkmal die JOrdnung von jeher gewesen ist und auch künftig bleiben soll.
Die Zuversicht auf die Selbsthülfe des Publikums wird schwankend beim
Anblicke der zahlreichen Schlachtbanken, um welche alle möglichen Actionäre
heerdenweise herumliegen!
Das Gesetz über Eidgenöss. Befähigungsausweise für Aerzte,
welches Ihre Commission lange beschäftigt hat und bei dessen Berathung dieselbe,
auf Einladung des Eidg. Departements des Innern ebenfalls vertreten war, ist be¬
kanntlich seit 30. März in Kraft erwachsen. Es ist wesentlich eine Anerkennung
der theoretischen und practischen Erziehung und Schulung gegenüber dem Dilettan¬
tismus und einer missverstandenen Demokratie, mit welcher einzelne Kantone ihre
Kranken gerne verunglückten Schustern, Ausreissern und Wechselfälschern an-
vertrauon.
Die Eidgenossenschaft ist noch keineswegs gewillt der Unwissenheit eine
Prämie zu gewähren und erachtet wissenschaftliche und technische Garantien (so¬
weit solche überhaupt möglich) als Pflicht gegenüber den Bürgern und als Ehren¬
sache gegenüber dem Ausland — nicht nur im Militärdienste sondern auch in der
Medicin.
Bei der Ausführung des Fabrikgesetzes hat der Bundesrath von der
Aerzte-Commission ihre Ansichten über die Gesundheitsgefährlichkeit verschiedener
Industriezweige verlangt und später einen Vertreter derselben zur Berathung über
die Ausdehnung des Begriffes „Fabrik“ beigezogen.
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Für die Wirksamkeit der vortrefflichen und durchschnittlich wohl aufgenom¬
menen sanitären Massrcgeln wird das, ebenfalls in dem Gesetze niedergelegte
sociale und nationalökonomische Moment des Normalarbeitstages die meiste Schwie¬
rigkeit bereiten.
Die ungesundesten aller Fabriken, wo „eine Mehrzahl von Leuten, ausser ihrer
Wohnung, in geschlossenen Räumen“ der Alkoholvergiftung obliegen, werden von
den Gesetzen heute noch nicht erreicht; vielleicht werden unsere späten Nach¬
kommen auf den Ruinen unserer Volkskraft auch dieses Gewerbe zu regeln ver¬
suchen.
Heute wird uns, als das obligatorische und stehende Thema der öffentlichen
Gesundheitspflege, die Lebensmittel-Controle beschäftigen.
Ein hochachtbarer College frug neulich, ob es nicht besser wäre, auf ein
Epidemiengesetz (das wichtigere Thierseuchengesetz besteht bekanntlich schon
lange!) hinzuarbeiten, anstatt der, zu einer „psychischen Seuche“ gewordenen Le¬
bensmittelpolizei? Unsere Antwort lautet, dass wir jedes Haus beim Keller und
nicht beim Dache zu bauen anfangen müssen.
Auf dem vollständig brach liegenden Boden der öffentlichen Gesundheitspflege,
wo das Unkraut der Fälschung wie des sanitären und ökonomischen Schwindels
üppig wuchert, wird jedes Seuchengesetz „im Namen der persönlichen Freiheit“
über den Haufen geworfen. Wir müssen am Naheliegenden lernen für unser Leben
verantwortlich zu sein, und wenn uns selbst dafür noch die naturwissenschaftlichen
Kenntnisse, die technischen Fertigkeiten und die juridischen Einsichten mangeln,
ist es wohlgethan, sie zu erwerben, aber übelgethan sich blasirt darüber hinweg¬
zusetzen! Warum wollen wir mit dem Volke rechten, wenn es ihm beliebt, die
öffentliche Gesundheitspflege zuerst von dieser Seite aufzufassen, weil diese ihm
am verständlichsten ist? Unsere Pflicht ist, ihm bei seiner Arbeit zu helfen! Auch
uns Aerzten und auch heute gilt die Mahnung des Dichters:
„Der Worte sind genug gewechselt,
Lasst mich auch endlich Thaten seh’n;
Indess Ihr „Complimente“ drechselt
Kann etwas Nützliches gescheh’n!“
Möge das gescheh’n!
Ich erkläre die heutige Versammlung für eröffnet!“ (Forts, folgt)
Medicinische Gesellschaft in Basel.
Sitzung vom 15. November 1877.
Anwesend 26 Mitglieder.
Dr. Alb. Burckhardt-Merian hält einen Vortrag mit Demonstrationen über die
Anbohrung des Warzenfortsatzes. Diese schon von Riolan (1649), Roll¬
fink (1659), später von Valsalta (1707) und Petit ausgeführte Operation wurde vor
100 Jahren durch Jasser (1776) von neuem in die Chirurgie eingeführt Jasser
kam durch Zufall dazu, d. h. er eröffnete einen cariösen Warzenfortsatz, spritzte
in die Knochenfistel und erschrack selbst aufs Höchste, als die Flüssigkeit durch
das entsprechende Nasenloch ablief. Die Operation wurde dann von FieHtz, Löffler
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u. A. gemacht, man hielt sie für eine ungefährliche Chirurg. Behandlung der
Taubheit. Der Tod des dänischen Leib-Arztes Baron v. Bergen (1791) an den
Folgen dieser Operation brachte sie eben so rasch in Vergessenheit, als sie wenige
Jahre vorher enthusiastisch begrüsst worden war. Die Operation blieb verpönt
bis in die Mitte dieses Jahrhunderts, sagte doch selbst Die/fenbach von derselben:
„es wäre kein Schade, wenn man sie ganz striche“; und erklärte, Jasser' s Patient
sei trotz der Operation geheilt und der Eiter, den J. im Warzenfortsatz aufge¬
funden haben wolle, sei nicht Indication zur Operation, sondern Folge derselben
gewesen. Es ist wesentlich ein Verdienst von TröUsch , Pagensiecher , besonders aber
von Schwartze und dessen Schüler Eysell die Operation wieder der Vergessenheit
entrissen und ihr die gebührende Stelle eingeräumt zu haben. Schwartze konnte 1873
schon 63 Fälle zusammenstellen, worunter 17 eigene; 1877 über 50 eigene.
Es werden hierauf die Indicationen zur Operation besprochen, die Taub¬
heit als eine solche fallen gelassen, und nur die Eiterretention anerkannt.
Der Vortragende bespricht sodann an der Hand von Präparaten und Kranken¬
geschichten die Gefahren dieser Eiterretention: Sinusthrombose, Pyämie, Sinusulce-
ration mit Blutung, Facialislähmung, Durchbruch in s runde Fenster mit Otitis int,
Meningitis etc. oder Necrose, Durchbruch in die halbzirkelförmigen Kanäle, durch
das tegraen tympani (Meningitis, Hirnabscess), sowie schliesslich der Durchbruch
durch den Boden der Paukenhöhle in die seitliche Halsgegend und die Eitersen¬
kung in die Umgebung des Ostium tubae.
Als Indication zur Operation lässt Vortragender nur die Indicatio vitalis
gelten, im Gegensatz zu v. TröUsch und Eysell , die auch unheilbaren Otorrhoeen
durch diese Operation hoffen der Heilung entgegen zu führen. Die Operation ist
lediglich nur Gegenöffnung, und eine auf Monate hinaus sich erstreckende
Nachbehandlung ist gewöhnlich nothwendig. Die Operation muss gemacht wer¬
den, wenn die Eiterretention beginnt das Leben des Patienten zu bedrohen; wenn
bereits Meningitis sich entwickelt hat, ist es zu spät. Narcose und genügende
Assistenz, sowie Vertrautsein mit dem anatomischen Bau der in Betracht kommen¬
den Theile sind gleich unentbehrlich.
In Betreff der Technik der Operation erwähnt der Vortragende der aus¬
gezeichneten anatomischen Arbeiten von Bezold und Hart mann und giebt als Regel zum
Vermeiden der dfei Hauptgefahren der Operation, der Eröffnung des Sinus trans-
versus, der mittleren Schädelgrube und des Canalis Fallopiae als Operationsstelle
die unter der Muschel gelegene Umgebung der Spina supra meatum zu wählen,
immer unterhalb der Linea temporalis zu bleiben, nie mit dem Bohrer, sondern
mit dem Meissei (event. dem scharfen Löffel) sich den Knochen zu eröffnen und
nie tiefer wie 20-22 Mm in die Tiefe vorzudringen.
Schliesslich wird eine Serie von normal-anatomischen und pathologisch-anato¬
mischen Präparaten vorgezeigt, die mehr oder weniger alle zur Illustration des
Mitgetheilten dienen. —
Das Präsidium theilt eine Zuschrift von Dr. Sonderegger mit, betreffend die
Angabe von Krankheiten, auf welche besonders in den Fabriken zu achten ist,
sowie derjenigen Fabrikationszweige, welche Schutz der Schwangeren verlangen.
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Der Bundesrath hat sich um Auskunft über diese Punkte an die Aerzte-Commis-
sion gewandt. Auf Antrag von Dr. Fritz Müller soll Dr. deWetle darüber referiren.
Prof. Wille erinnert sich an zwei Fälle von Geistesstörungen, die er bei Arbei¬
tern in Anilinfabriken beobachtete; beide klagten anfangs über Benommenheit,
Kopfweh, Ohrensausen, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit und Schwindel, später traten
acute Störungen hinzu. Beide beschuldigen ihre Beschäftigung.
Dr. Lichlenhahn gedenkt des Processes wegen langwieriger universeller Eczeme
veranlasst durch gewisse Farbstoffe; eine Controle 6ei jedenfalls schwierig, weil
die Methoden dieser Fabrikationszweige fast alle Jahre gewechselt werden.
Sitzung vom 20. December 1877.
Anwesend 25 Mitglieder.
Dr. Fritz Lichlenhahn wird für das Jahr 1878 zum Präsidium der Gesellschaft
erwählt. Die übrigen Commissionsmitglieder werden bestätigt.
. Prof. Massmi spricht über Radix Gelsemii. Der Vortragende bespricht zuerst
in pharmakologischer Hinsicht die Wurzel des von einer Apocynee Virginiens
stammenden Gelsemium sempervirens und ihres Alkaloides, des Gelsemins.
Er referirt sodann über die namentlich mit dem Fluidextract und der Tinctur
der Gelsemiumwurzel von mehreren Beobachtern angestellten Thierversuche. Bei
Fröschen zeigte sich als hervorragendste Erscheinung eine allgemeine Muskel¬
paralyse, die durch Lähmung der Respirationsmuskeln zum Tode führte; eine
Wirkung auf das Herz war dabei nicht zu bemerken. Beim Menschen traten nach
kleineren Dosen Röthung der Conjunctiva, Schmerz in den Augenlidern, Veren¬
gerung der Pupille, Doppelsehen und Schwindel ein. Grössere Dosen hatten zur
Folge leichte Ptosis, Erweiterung der Pupille, Gähnen, Schlafsucht, Schwere in
den Beinen; Respirationsbehinderung zeigte sich beim Menschen nicht.
Am auffallendsten und therapeutisch allein verwerthbar ist die Wirkung der
Gelsemiumwurzel auf den N. Trigeminus, namentlich auf dessen Alveolaräste; sie
äussert sich darin, dass selbst heftige Neuralgien jener Nerven in weitaus den
meisten Fällen rasch beseitigt werden. Der Vortragende hat im letzten Jahre in
über 80 Fällen die Tinctura Gelsemii angewandt, dabei wurde nur in einem Falle
bei einem 16jährigen Knaben nach 60 Tropfen leichte Benommenheit beobachtet
Augenschmerz und Spuren von Ptosis kamen nur in 4 Fällen vor. Der Vortra¬
gende giebt gewöhnlich von der Tinct. Gelsemii (1: 5) 20 Tropfen in halbstünd¬
lichen Intervallen; gewöhnlich tritt schon nach der ersten Dosis Erleichterung
ein, nach 60 Tropfen meist ein ganz erheblicher Nachlass. Nur bei genauer Con-
trolle des Pat wäre die Dosis von 60 Tropfen zu überschreiten. Bei einfacher
rheumatischer Neuralgie der Alveolaräste des Trigeminus lässt das Mittel selten
im Stich, auch bei jenem Zahnweh, das nach dem Plombieren der Zähne hie und
da mehrere Tage anhält, hilft das Präparat gewöhnlich.
Bei Ostitis und Periostitis der Kiefer war dagegen der Erfolg bei den ange¬
wandten Dosen ein zweifelhafter.
Dr. Daniel Bernoulli frägt an, wie sich das Mittel bei längerer Anwendung ver¬
halte. Prof. Matsmi hat es mehrere Tage nacheinander ohne schlimme Folgen an¬
gewandt; es wird bald durch den Urin ausgeschieden, die Wirkung von G0 Tropfen
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hält übrigens für einen halben Tag an; oft bleibt die Neuralgie ganz aus. Prof.
Sckiess wünscht zu wissen, ob Ptosis auch mit Myosis combinirt war? Prof. Massini
erklärt, dass, wenn Ptosis vorhanden, die Pupillen immer dilatirt gewesen seien.
Prof. Miescher hebt den Unterschied zwischen Curare und Gelsemin hervor;
ersteres lähmt nur centrifugale Nerven, ohne die Sensibilität zu beeinflussen, wäh¬
rend letzteres auch noch auf einen centripetalen Nerven wirkt.
Thierarzt Siegmund referirt Namens der ad hoc aufgestellten Commission über
die Milchlieferungsanstalt Es sind Berichte eingegangen von Breslau,
Berlin und Stuttgart; namentlich letztere Stadt ist für uns wegen der ähnlichen
Verhältnisse sehr wichtig, in der dortigen Anstalt lässt man die Kühe nicht conci-
piren, sondern sie werden so lange gemolken, als sie Milch haben, dazu aber gemästet,
so dass sie nach l 1 /,—2 Jahren ihres Fettes wegen auch ohne Milch theuer verkauft
werden können. Eine Kuh liefert durchschnittlich 12 Liter pro die, und der Liter wird
zu 40—44 Pfg. abgegeben. Die Sache rentirt sich ganz gut. Wir müssten zum guten
Gedeihen etwa 20 Kühe haben und die Frage ist also einfach die: können
200 Liter im Tag hier abgesetzt werden. Das Anlagekapital betrug in Deutsch¬
land 20—30,000 Mk. Wir könnten es hier vielleicht billiger machen, da schon
vorhandene Räumlichkeiten zur Stallung könnten benutzt werden.
Dr. Frilz Müller hält dafür, dass die Milch von 20 Kühen jedenfalls verbraucht
würde; er wünscht vorerst nur eine genauere Kostenberechnung.
Prof. So ein findet die Hauptschwierigkeit in der Wahl eines Directors; der¬
selbe muss sachverständig und ehrlich sein und eine gewisse Garantie haben.
Die finanzielle Seite wird am leichtesten von Sachkennern und Geschäftsleuten
reglirt und ist darum am Besten in den Händen der Gemeinnützigen Gesellschaft.
Es wird baldige Ueberweisung an die Gesellschaft des Guten und Gemeinnützigen
beschlossen.
Referate und Kritiken.
Handbuch der Pathologie und Therapie des Fiebers.
Von Dr. C. Liebermeister , ord. Prof, der Pathologie und Therapie, Director der med. Klinik
in Tübingen. Leipzig, F. C. W. Vogel, 1876.
Eine Beschreibung der Thermometer, der Art ihrer Anwendung und der Geschichte
ihrer klinischen 'Verwerthung leitet die Darstellung ein des gegenwärtigen Standes der
Fieberlehre in diesem werthvollen Buche, dessen Verfasser schon durch seine vielfachen
einschlagenden Vorarbeiten rühmlichst bekannt ist.
Der ganze Körper liefert Wärme. Hauptsächlich auf seiner Aussenfiäche kommt
selbige wieder in Verlust; der Kreislauf vermittelt den Ausgleich zwischen der höheren
Temperatur der tieferen und der niedrigeren der mehr oberflächlichen KörpertheUe. Das
Lehervenenblut mag das wärmste Blut sein des ganzen KörperB, im reohten Herzen die
mittlere Körpertemperatur bestehen und in den Hautvenen das kühlste Blut fliessen. Ver¬
minderung der Circulationsgeschwindigkeit bewirkt Sinken der Temperatur in den peri¬
pherischen Theilen, Beschleunigung der Circulation aber eine Steigerung. 24° G. Rectum-
temperatur ist die niedrigste, 44,75° die höchste sicher beobachtete Körpertemperatur.
Gesunde Menschen zeigen auBser Temperaturschwankungen bis auf l'/ s —2° C. unter
gewöhnlichen Umständen stets die gleiche Temperatur, welches auch ihr Geschlecht, ihr
Lebensalter, ihre Race sei. Bei dem am Tage thätigen Menschen scheint die Temperatur
am Tage durchschnittlich höher, in der Nacht durchschnittlich niederer zu sein als beim
ruhenden. Im Laufe eines Tages steigt die Temperatur vom Minimum um 2 bis 6 Uhr
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Morgens an bis zu einem Maximum von 5 bis 8 Uhr Abends, um von da an wieder zu
sinken bis 2—6 Uhr am nächsten Morgen. Muskelanstrengungen steigern die Körper¬
temperatur, einmal kam es bis zu 39,6° im Rectum; die Erhöhung nimmt aber schnell
wieder ab, sobald die Anstrengung aufgehört hat. Wahrscheinlich erhöht geistige An¬
strengung die Körpertemperatur um ein Geringes; vielleicht nimmt im Schlafe bloss we¬
gen der Muskelruhe die Temperatur ab; die Nahrungsaufnahme steigert die Körperwärme
um einige Zehntelgrade.
In einer Luft von einer den Siedepunkt des Wassers übersteigenden Temperatur
haben bei einigen Versuchen Menschen Während einiger Zeit sich aufhalten können; der
Wärmeverlust durch Wasserverdunstung, die geringe Wärmecapacität der Luft und die
geringe Wärmeleitungsfähigkeit der thierischen Gewebe erklären diese höchst auffallenden
Facta. In feuchter heisser Luft und heissem Wasserbade wird die Körperwärme gestei¬
gert, bis auf 41,6° nach einzelnen Beobachtungen.
Eine aussergewöhnliche Wärmeentziehung von der äussern Oberfläche, sofern Inten¬
sität und Dauer gewisse Grenzen nicht überschreiten, bewirkt nicht ein Sinken, sondern
eher ein geringes Steigen der Temperatur im Innern des Körpers. Wärmeentziehungen
höheren Grades setzen die Temperatur herab. Und zwar bleibt einige Zeit nach einer
stärkeren Wärmeentziehung die Körpertemperatur niedriger als vor derselben, primäre
Nachwirkung. Nachdem die unmittelbare abkühlende Wirkung aufgehört und der Körper
zur normalen Höhe Bich wieder erwärmt hat, tritt eine Steigerung der Körperwärme auf,
secundäre Nachwirkung. Das ist eine Compensationserscheinung.
Die peripheren Theile werden durch jede, auch die gelindeste Steigerung des ge¬
wöhnlichen Wärmeverlustes entsprechend nbgekühlt Locale Wärmeentziehung kann die
allgemeine Körperwärme erhöhen, erniedrigt sie aber, falls sie hochgradiger wird. \on
innern Oberflächen aus wirkende Wärmeentziehung bringt die Körpertemperatur zum
Sinken.
Die Wärmemenge, welche 1 Kilogramm Wasser um 1° C. erwärmt, kann man als
eine Wärmeeinheit aufstellen, sie eine „Calorie“ nennen und als Maass benutzen der
beim Menschen in Wirksamkeit tretenden Wärmequantitäten.
Den Schwankungen der Wärmequantitäten im Menschen kann man auf verschiedenen
Wegen nachgehen. Man bestimmt unter Anwendung der nothwendigen Vorsichtsmass-
regeln die Zu- oder Abnahme der Temperatur des benützten Badewassers. Man berech¬
net die Wärmemenge, welche das ganze Quantum Mensch verbrauchen musste, bis es
auf die betreffende Fieberhöhe erhitzt war; man darf dabei 100 Kgr. Körpersubstanz
gleich ungefähr 83 Kgr. Wasser setzen. Man berechnet für die Endproducte des Stoff¬
wechsels die Wärmemengen, welche zu ihrer Verbrennung verwendet wurden. Man be¬
stimmt die Verbrennungswärme der aufgenommenen Nahrungsmittel. Am wahrscheinlich¬
sten liefert 1 Gramm Eiweiss 5,6, Fett 9,8, Kohlenhydrat 4,2 Calorien Verbrennungs¬
wärme. Einer Ausscheidung von 1 Gramm Kohlenstoff entspricht ungefähr eine Wärme-
production von 3,0 Calorien, 1 Gramm Sauerstoff 3,6 Calorien.
Der Harnstoff ist zur Berechnung der Wärmeproduction nicht brauchbar, dagegen ist
die Koblensäureproduction wahrscheinlich ohne wesentlichen Fehler als ein Maass für die
gleichzeitig stattfindende Wärmeproduction zu verwenden.
Die menschliche Körpertemperatur hält sich stetig auf gleicher Höhe; die Wärme¬
production hingegen ist ausserordentlich schwankend, bedingt durch die verschiedensten
Umstände; zur Constanterhaltung der Körpertemperatur reguliren sich Wärmeverlust und
Wärmeproduction.
Die Wärmeproduction eines gesunden Menschen beträgt im Mittel 114 Calorien m
der Stunde, etwa 2700 Calorien in 24 Stunden. Ein grösseres Gewicht Mensch produ-
cirt mehr Wärme als ein kleineres; der kleinere Mensch liefert aber relativ zu seiner
Grösse mehr Wärme, weil er bei seiner relativ grösseren Oberfläche grösseren Wfirme-
verlust ersetzen muss. Der fettere Mensch hat geringere Wärmeabgabe und geringere
Wärmeproduction.
Die Wärmeproduction hält in der 24stÜndigen Periode einen ähnlichen Gang ein
wie die Körpertemperatur, nimmt zu mit der Verdauung und ab mit dem Schlafe. Bei
jeder Arbeitsleistung des menschlichen Körpers stellt sich eine unverhältnisem&ssig
trächtliche Steigerung der Oxydationsprozesse ein. Ein Theil der disponiblen Kraft w
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in mechanische Arbeit umgesetzt; und zwar wird auf je 424 Kilogrammmeter geleisteter
Arbeit 1 Calorie weniger producirt; der andere Theil der disponiblen Kraft tritt in Form
von Wärme auf und geht dann verloren.
Seine Wärme gibt der thierische Körper ab wie jeder andere proportional der Diffe¬
renz seiner Temperatur und der Temperatur seiner Umgebung. Die gesteigerte Wärme¬
entziehung setzt aber gleich Apparate in Bewegung, welche die Wärmeabgabe vermin¬
dern. Die Hautoberfläche wird kälter und so weniger abktlhlungsfähig, weniger dun¬
stend, in ihren Muskeln und Gefässen contrahirt, blutärmer, wärme&rraer. In warmer
Luft erfolgt dagegen Erleichterung der Wärmeabgabe durch Turgor der Haut, grössere
Dunstung, Schweiss und durch Beschleunigung der Athmung.
Nach den oben angeführten Methoden ist der Wärmeverlust im kalten Bade berech¬
net worden. Zu Anfang des Bades erfolgt die Wärmeabgabe mit ausserordentlicher
Geschwindigkeit, allmählig lässt sie nach und wird dann nahezu stationär. In einem
15—25 Minuten währenden Bade von 34° C. entspricht der Wärmeverlust noch ungefähr
dem normalen, mittleren Wärmeverlust, im Bade von 20" C. ist er mehr denn fünf Mal
grösser. Diese grosse Wärmeabgabe ist dadurch möglich, dass eine entsprechende Stei¬
gerung der Wärmeproduction besteht, die AbkBhlung also die Oxydationsprocesse im
Körper anregt, der Gesammtstoffumsatz sich dem Wärraeverlust anpasst.
In einem Falle z. B. hatte das kalte Bad per Stunde eine Wärmeabgabe bewirkt
erst von 101 Calorien aus der Peripherie, dann von 296 Caloricn aus den innern Theilen
und von 18 Calorien durch den Kopf und die Respiration; zusammen also von 415 Calo-
rieu; in einer Stunde hätte der Mann unter gewöhnlichen Umständen 98 Calorien abgegeben ;
die Rectumabkühlung durchs Bad betrug 0,7 J , die ganze KörperabkUMung etwa 75 Ca¬
lorien ; somit wurden im kalten Bade 242 Calorien mehr abgegeben als unter gewöhn¬
lichen Umständen vorhanden gewesen wären; das kalte Bad hatte somit die Wärme¬
abgabe und Wärmeproduction um 242 Calorien per Stunde gesteigert Uber die 98 Calorien
normale Wärmeproduction hinaus. Die Kohlensäureausscheidung hat sich in kalten Bädern
auf das Dreifache gesteigert erwiesen, Folge der vermehiten Wärmeproduction.
In mässig warmen Bädern sinken Wärmeabgabe und Wärmeproduction; wenn das
Bad aber so warm ist, dass es ein wesentliches Steigen der Körpertemperatur der Ver¬
suchsperson herbeiführt, so steigt auch die Wärmeproduction des Körpers um ein Ge¬
ringes.
Wahrscheinlich findet in den Muskeln die hauptsächlichste regulatorische Steigerung
der Wärmeproduction statt; die nervösen Centralorgane spielen dabei eine bedeutende
Rolle; die genaue und erschöpfende Eit sicht in all diese Vorgänge ist erst noch zu ge¬
winnen.
Es gibt Zustände, wo die Temperatur eines Menschen ohne auffällige anderweitige
Ursache, wie etwa grosse Muskelanstrengung, um mehr als l / a Grad höher ist als die
gewöhnliche mittlere Temperatur der betreffenden Tageszeit; dann können wir im All¬
gemeinen ein krankhaftes Verhalten des Menschen annehmen, „ Fieber'“. Die Steigerung
der Körpertemperatur ist das constaute und pathognomonische Symptom des Fiebers.
Fieber nennen wir einen Complex von Symptomen, welchem eine durch abnorme Stei¬
gerung des Stoffumsatzes bewirkte Steigerung der Körpertemperatur zu Grunde liegt; es
besteht gesteigerte Wärmeproduction und eine derartig veränderte Anordnung des
Wärmeverlustes, dass eine abnorm hohe Körpertemperatur daraus hervorgeht; Wärme-
verlust und Wärmeproduction sind für einen höheren Temperaturgrad eingestellt, voll¬
ziehen Bich jedoch im Uebrigen unter allen Umständen in der gleichen Weise wie beim
Gesunden.
Zum Belege nur einige Beispiele. In Bädern von 20 bis 34,6° C. betrug die Wärme¬
abgabe 267 bis 54 Calorien bei Fiebernden im Hitzestadium, dagegen nur 163 bis 16
Calorien bei Gesunden. Es lässt sich berechnen, dass auf 1° Zunahme der Körpertempe¬
ratur etwa um 6 Procent, auf 4° Zunahme der Körpertemperatur etwa um 24 Procent
die Wärmeproduction gesteigert ist Im Froststadium ist die Wärmeabgabe nach aussen
vermindert, der Körper selber aber wird höher erwärmt; ein Intermittenskranker von
57,5 Kgr. Gewicht hatte in seinem Frostaofalle in 30 Minuten eine Steigerung der Körper¬
temperatur um 2,31°, wozu 111 Calorien verwandt werden mussten, während ein gleich
grosser gesunder Mensch in der gleichen Zeit nur 45 Calorien producirt. So kann die
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Wärmeproduction ira Froststadium bis auf das Dreifache der normalen steigen. Während
des Sinkens der Temperatur im Schweissstadium ist die Wärmeproduction erst noch über
die Norm gesteigert, dann normal bis geringer als normal.
So sicher wie die Vermehrung der Wärmeproduction lässt sich die Vermehrung des
Stoffumsatzes im Fieber nachweisen. Harnstoff wird — statt 30 Gr. — bis zu 60 Gramm
und mehr in 24 Stunden ausgeschieden. Doch ist die Harnstoffausscheidung kein zuver¬
lässiges Maass der Oxydationsprocesse im Fieber. Die Eiweisssubstanzen spalten sich
bei höherer Körpertemperatur, oxydiren sich dann aber nur zum Theil, während ein an¬
derer Theil derselben unoxydirt im Körper zurückbleibt. Das richtige Maass der Oxy-
dationsprocesse im Körper gibt die Kohlensäure, deren Ausscheidungsmengen sich genau
bestimmen lassen in dem von Liebermeister zusammengestellten Kasten-Apparate. Sie
nimmt zu, etwa im Wechselfieberanfall, mit dem Steigen der Temperatur, steigt z. B. bis
aufs 2 , /,-fache dos Normals und nimmt dann wieder ab vor dem Nachlass der Tempe-
ratursteigerung; die Verbrennungsvorgänge, deren Product eben die Kohlensäure ist,
können schon wieder aufgehört haben, dennoch hält ihre Heizwirkung, die Erhöhung der
Körpertemperatur, noch längere Zeit an.
Eine Wärmeentziehung bei einem Fiebernden bewirkt vermehrte Wärmeproduction
wie bei einem Gesunden; aber bei ungewöhnlich starker Abkühlung ist die Regulirung
des Wärmeverlustes beim Fieberkranken nicht ganz so ausgiebig wie beim Gesunden,
d. h. die Wärmeabgabe relativ mehr, die Wärmeproduction relativ weniger gesteigert.
Hierauf beruht die Leistungsfähigkeit der Kaltwasserbehandlung des Fiebers.
Beim Fieber nimmt das Körpergewicht ab, es kann bis auf die Hälfte schwinden;
verminderte Nahrungszufuhr, Säfteverluste und vermehrte Verbrennung nebst Zerfall der
Eiweisskörper wirken zusammen. Aber nicht bloss der Stoffverlust, die blosse Ueber-
hitzung der körperlichen Gewebe hat im Fieber deletäre Folgen und kann selbst zum
Tode führen. Eine Temperatur von 42° mag hie und da ertragen werden, wenn sie nur
kurze Zeit dauert, so im Intermittens- und Rückfalltyphusanfalle; wenn anhaltend, sind
solche hyperpyretische Temperatursteigerungen letal. Denn anhaltendes und hohes Fieber
bringt regelmässig Degeneration der wesentlichen Parenchym-Zellen, hauptsächlich Ver¬
fettung oder verwandte Arten der Necrobiose in den Organen, Herz, Leber, Nieren u. s. w.;
es folgt Neigung der Gewebe zu entzündlicher Erkrankung, zum Zerfall und schliess¬
lich ist der ganze Organismus in minderem Grade oder durchaus nicht mehr leistungsfähig.
Bei den ältern Aerzten war die Pulszahl das Maass des Fiebers. Sie steht in der
That mit der Temperatur in innigem Zusammenhang. Einer Steigerung der letztem um
1° C. entspricht im Durchschnitt eine Pulsvermehrung um 8 Schläge in der Minute. Die
Pulssteigerung folgt der Temperaturzunahme in der Regel nach. Dass die Uebereinstim-
mung nicht eine absolute ist, dass Herzschwäche z. B. die Pulszahl bei abnehmender
Temperatur steigern kann, weiss jeder Beobachter. Mit der Pulszahl steigt nicht immer
die Geschwindigkeit der Circulation. Die verminderte Herzkraft im Fieber lässt sie im
Gegentheil oft ausserordentlich unter die Norm sinken, führt zu grosser Differenz zwi¬
schen der Temperatur der Peripherie und des Innern, zu Stockungen im Kreislauf, Sta-
sen. Die Arterienspannung, anfangs vermehrt, wird bei länger dauerndem Fieber im¬
mer geringer. Die stetig zunehmende Herzschwäche führt endlich zu Collapszuständen,
Herzausweitung, Blutgerinnungen im Herzen und den Gefässen, Lungenoedem, Herzlähmung,
Tod.
Die Ueberhitzung der nervösen Centralorgane ist Ursache der bekannten mannig¬
fachen Störungen von Seite derselben im Fieber, der Benommenheit, der Kopfschmerzen,
Ohnmächten, Delirien und comatöeen Zustände. Die Störungen höchsten Grades führen
zu oft bleibender psychischer Schwächung oder direct vom Grosshirn oder der Oblongata
aus zum letalen Exitus.
Fieber setzt, ausser dem Froststadium, die Harnmengo herunter, vermehrt den Ge¬
halt an Harnstoff, häufig auch an Harnsäure und Harnfarbstoff, während die Harnsalze
meist in geringerer Menge sich vorfinden. Eiweiss kommt häufig vor. Die Athem-
frequenz wird gesteigert, die Wasserausscheidung durch Respiration und insensible Per-
spiration scheint im Durchschnitt gesteigert zu sein, die Sch Weissabsonderung ist wech¬
selnd. Milch-, Talg- und Speicheldrüsen secerniren weniger und die Verdauungsflüasig-
keiten sind quantitativ und qualitativ verändert.
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Die Veränderungen in den Nerven und den Muskeln bringen Ermüdung, Zittern und
Schmerzen; die Parenchymstörungen in den Gefässen und dem Blute führen zu Blutun¬
gen und selbst zu allgemeiner hämorrhagischer Diathese.
Nachdem Liebermeister das Wesen des Fiebers so allseitig ergründet, schildert er die
Verschiedenheiten der Fieberanfälle, weist die Mystik der kritischen Tage zurück, be¬
schreibt die bekannten Arten des Temperatur-Verlaufes in den verschiedenen Krank¬
heiten, werthet die prognostische Bedeutung der Fiebererscheinungen, bespricht ausführ¬
lich die Fieberbehandlung mit kaltem Wasser und den gebräuchlichen antipyretischen
Medicamenten und führt schliesslich als Beweise für deren günstige Wirkungen an die
Ergebnisse der Baseler- und Kieler-Klinik bei Typhus und der Baseler-Klinik bei crou-
pöser Pneumonie. _ Seite.
Der Arzneischatz des practischen Arztes.
Von Fr. W. Müller. Stuttgart, Verlag von Ferd. Enke.
Der Verfasser hält „die Unmasse der als Heilmittel erachteten Stoffe für die prak¬
tische Medicin weit mehr für einen unerquicklichen Ballast, als wie für eine vortheilhafte
Errungenschaft“ (S. 7), und er kann daher „fast zwei Dritttheile des gesammten Apo¬
thekeninhaltes entbehren“ (S. 92 ) und den ganzen Arzneischatz auf 53 Octavseiten zu¬
sammenzwängen (§§ 3—17). Die übrigen 87 Seiten des Büchleins sind Capiteln der
allgemeinen Therapie, Receptformeln u. 8 . w. eingeräumt. — Gerade für „practische“
Aerzte aber, denken wir, sollte sich der Horizont weiter gestalten. Da ist Rechnung zu
tragen dem Geschmack und Geruch, der Idiosynkrasie oder der Toleranz für ein lange
gebrauchtes Mittel, der Laune oder der langangestammten Gewohnheit des Patienten oder
eines consultirenden Collegen, dem Geldbeutel und vielen andern Umständen , und wir
können uns nicht einverstanden erklären, wenn z. B. der Arsenik mit seinen Präparaten
als entbehrlich und inopportun (S. 45), die Salicylsäure bei Typhus vollkommen unwirk¬
sam, eher schädlich als nützlich erklärt (S. 51), der Wein als Antipyreticum übergangen,
Schmierseife und Schwefel als den 8tyrax überflüssig machend, dargestellt wird. Als
Ideal der Bequemlichkeit oder als Auswahl für ein Examinatorium möchte das Büchlein
genügen. D. B.
Cantonale Correspondenzen.
Baad. C. E. Buss f. Schon wieder hat uns der Tod einen Collegen der jünge¬
ren Generation entrissen, dessen Hinscheid mit tiefem 8chmerz als ein viel zu früher
allgemein empfunden wird. Wohl selten war es einem Menschen beschieden, in so kur¬
zer Zeit so Wichtiges zu leisten, wohl selten konnte einer beim Herannahen des Todes
so ruhig auf sein Leben zurückblicken, ohne über verlorene Tage klagen zu müssen.
Unser lieber College Carl Emil Buss (geb. 6. März 1849 im Pfarrhaus zu Grindel¬
wald) hatte von Jugend auf mit einer zarten Gesundheit zu kämpfen; sie versagte ihm
den regelmässigen Besuch der Schulen, so dass er sich privatim auf das Maturitätsexamen
vorbereiten musste, das er denn anno 1868 in Basel bestand.
Nachdem Buss zuerst in Basel kurze Zeit Theologie studirt hatte, ging er aus inne¬
rer Liebe zu den exacten Wissenschaften , zur Medicin , über und setzte seine Studien
in Bern und München fort; in ersterer Stadt war er Assistent am physicalischen Institut.
Während des deutsch-französischen Krieges machte er mehrere bayrische Sanitäts¬
züge nach Frankreich als Freiwilliger mit. Eine Typhlitis, die er sich dabei acquirirte,
bannte ihn für mehrere Monate fern von den Studien in das elterliche Haus. Kaum
hergestellt wurde er Assistent auf der chirurgischen Klinik in Basel, nachher Assistenz¬
arzt in Münsterlingen und am Cantonsspital in St. Gallen, bis er im Jahr 1874 das Con-
cordatsexamen in Basel bestand und ebendaselbst im Frühjahr des folgenden Jahres
mit seiner ausgezeichneten Dissertation promovirte. Den Sommer verbrachte er als Arzt
an der Lenk und übernahm dann vom Neujahr 1876 an die Stelle eines Assistenzarztes
an der mediciuischen Abtheilung von Prof. Immermann in Basel, die er bis zu seiner letz¬
ten Krankheit inne hatte.
Schon in St. Gallen begann er seine Untersuchungen über die Wirkung der Salicyl-
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säure, die er im Spital zu Basel noch fortsetzte und vervollständigte, so dass von ihm
folgende Publicationen existiren:
1) Ueber die Anwendung der Salicylsäure als Antipyretioum. Inaugural-Disser-
tation.
2) Zur antipyretischen Bedeutung der Salicylsäure und des neutralen salicylsauren
Natrons. 1876.
8) Ueber die antipyretischen Wirkungen der Cresotinsäure. Berliner klin. Wochen¬
schrift 1876, 81.
4) Ueber Ersatzmittel der 8alicylsäure bei innerlicher Anwendung. Berliner klin.
Wochenschrift 1876, 3ö.
5) Ueber Wesen und Behandlung des Fiebers. 1878.
Es ist unnöthig, daran zu erinnern, dass Buss die 8alicylsäure in die Fiebertherapie
eingeflihrt hat, es ist unnöthig, noch zu sagen, dass er der Erste war, der ihre spe-
ciflsche Wirkung beim acuten Gelenkrheumatismus hervorhob (was auch von Traube aner¬
kannt wurde). Wer gesehen hat, mit welch’ gewaltiger Energie, mit welcher Anspan¬
nung aller körperlichen und geistigen Kräfte Buss bei seinen Arbeiten zu Werke ging,
der war überzeugt, dass dabei etwas Wichtiges und Ernstliches zu Stande kommen
musste. Darum Bchien er auch, angefüllt immer von seinen Ideen und Plänen, fremderen
Leuten schwer zugänglich - r aber er war es nicht: unter engeren Bekannten war er nicht
nur der erste Streiter in jeder wissenschaftlichen Discussion, sondern ein heiterer Gesell¬
schafter, voll von Humor und nicht verletzender Satyre.
Wenn er die kleinen Leiden seiner Patienten hie und da nach ihrer Meinung gar su
gering taxirte, so waren bei den schwereren, und namentlich bei den von Anderen auf¬
gegebenen Fällen seine Energie und Erfindungsgabe unermüdlich und oft vom schönsten
Erfolge gekaönt. Das war sein Leben — die Wissenschaft kräftig fördernd, die Kran¬
ken mit Ausdauer besorgend, die Collegen im besten Sinne anregend — als er im letz¬
ten Spätherbst durch öfters wiederkehrende Anfälle von heftigem CcBcalschmerz in seinem
Thun gehindert wurde. Noch hatte er eben Zeit, seine letzte grössere Arbeit zu vollen¬
den und sich — Ende December — durch eine Antrittsvorlesung über Fieberernährung
als Privatdocent an hiesiger Universität zu habilitiren: dann war er durch hohes abend¬
liches Fieber gezwungen, sich zu Bett zu legen. Es waren jammervolle Wochen, die
ihn erwarteten: bald zeigte sich ein paratyphlitischer Abscess und bei dessen Eröffnung auch
die Perforation des Darms, nicht lange, so kam noch eine rechtsseitige Coxitis dazu; unter
unsäglichen Schmerzen, nicht freudig, aber ruhig vom Leben scheidend, starb er am 1. Juni,
Morgens 1 Uhr.
An seinem Grabe sprach Prof. Immermann folgende, den Verstorbenen am besten
charakterisirende und ihn hoch ehrende Worto:
„Wertheste Trauerversammlung 1 Der Sarg, den wir der Erde übergeben wollen,
und der die sterbliche Hülle eines jungen Arztes und Mitgliedes unserer Universität in
sich birgt, bedeutet das irdische Ziel eines kurzen, aber arbeitsvolleu Lebens 1 —
Gestatten 8ie mir, der ich persönlich dem Entschlafenen nahe stand und ihn lieb
hatte, Ihnen ein Bild desselben, so wie es mir gegenwärtig ist, mit kurzen Worten vor¬
zuführen :
Nicht ganz 3 Decennien hat er zurückgelegt, und doch war ihm schon vergönnt, sich
der Wissenschaft gegenüber, als deren Jünger er sich bekannte, nicht lediglich receptiv
und contemplativ zu verhalten, sondern durch eigene Forschungen den weitern Ausbau
derselben nach verschiedenen Richtungen hin fördern zu helfen.
Die Früchte seiner Arbeit, eine nicht geringe Anzahl von gediegenen Abhandlungen
aus dem Gebiete der practischen und theoretischen Medicin, haben den Namen des Ver¬
storbenen auch in weitern Kreisen bekannt gemacht, haben ihm die Anerliennung jüngerer
und älterer Fachgenossen eingetragen, und die medicinische Wissenschaft hat gewiss das
Recht zu aufrichtiger Klage, dass ein ihrem Dienste geweihtes, noch so junges und hoff¬
nungsvolles Leben schon so frühzeitig seinen Abschluss finden musste 1 — Das, was dem
Verblichenen vor vielen Andern seines Alters und seines Berufes eigen war, war, wenn ich
so sagen darf, ein rechter Forschergeist, ein rechtes Forschergemüth: die Fähigkeit, wis¬
senschaftliche Probleme zu concipiren, sich voll und ganz in sie hinein zu denken, Metho¬
den zu ersinnen, um der Lösung selbst schwieriger Aufgaben gerecht zu werden, endlich,
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einmal angefangene Untersuchungen mit eisernem FleisBe, mit eiserner Beharrlichkeit bis
ans Ende zu führen.
Wer, der solches Thun zu würdigen versteht, ihn je näher beobachtet hat, in seinem
unverdrossenen Nachsinnen, io seinem unermüdlichen Wirken und Schaffen, der konnte
ihm Hochachtung nicht versagen, und wer es mit erlebt hat, wie er selbst dann nicht
von der anstrengenden Geistesarbeit abliess, als schon die letzte, schmerzliche Krankheit
geraume Zeit an ihm nagte und ihn an’s Lager gefesselt hielt, der musste Uber den
Ernst dieses Strebens staunen, der musste die Energie dieses Willens bewundern.
Und doch möchte ich hier nicht nur reden von dem, was er für die Wissenschaft
gearbeitet, was er mit seinem Kopfe geleistet hat, denn mehr noch treibt es mich,
Ihnen zu sagen, wie er von Herzen war!
Er hat es nie geliebt, seinen Gefühlen, seinen Sympathien einen wortreichen Aus¬
druck zu geben, zum Schmeichler war er am wenigsten geboren , und Manche, die ihn
nur oberflächlich kannten, oder auch oberflächlich beurtheilten, haben ihn darum wohl
„kühl“ genannt; wer jedoch ihm näher stand oder näher getreten war, der hat es wohl
erfahren, welche Rechtschaffenheit und Bravheit der Gesinnung nicht nur, sondern auch
welche Wärme und Herzlichkeit der Empfindung ihm im Grunde zu eigen waren, welche
Treue, welche Hingebung er bewies, wo er einmal Zutrauen gefasst hatte und sich mit
Jemandem durch innerliche Bande verknüpft wusste I
Das wissen wohl am Besten seine Angehörigen, Beine tiefgebeugte Mutter, seine ihn
überlebenden Geschwister, denen er allzeit ein guter 8ohn, ein guter Bruder gewesen
ist; das wissen aber auch seine Freunde, seine Collegen, die mit ihm zusammen im hie¬
sigen Spitale gewirkt haben, und das weise nicht zum Mindesten auch ich selbst, sein
gewesener Vorgesetzter, aus tausend kleinen Zügen unseres täglichen Beisammenseins!
Und darum bekenne ich es auch gern und laut und öffentlich bei diesem trauervollen
Anlasse: Er war ein Mensch, nicht nur geistig hochbegabt und eminent strebsam, son¬
dern auch lautern Lebens und reinen Wandels, — „integer vitae, scelerisque
p u r u s “, — voll warmer, ächter Empfindung, treu dem, der ihm Treue bot, allem ser¬
vilen, hohlen, Ubertünchten Wesen aus innerster Seele abhold! Er war ein Mensch, dem
man es wohl hätte wünschen mögen, dass ihm das Leben noch manche Blüthe biete!
Das hat nun nicht so Bein sollen, und uns, den Ueberlebenden, ziemt es nicht, bei
diesem Hereinragen des Todes in unsere Zeitlichkeit nach dem „Warum ?“ zu fragen.
Doch dafür nur um so mehr:
„Ehre d e m A n g e d e nk e n dieses Todtenl"
„Friede seiner Asche!““
WArsbnrg. Zwei Beiträge zur Casuistik der Syphilis. —
1. S., 23 Jahre alt, inficirte sich am lö. Dec. 1877. Das Geschwür trat am 9. Jan. 1878
auf; am 18. Januar kam er in Behandlung und schlug ich ihm die Excision des Ge¬
schwürs nach Auspitz vor. Die Verhältnisse lagen dafür so günstig wie nur möglich; die
ganze indurirte Stelle hatte erst die Grösse einer Erbse, sass am Prseputium und liess sich
leicht umgreifen, die Inguinaldrüsen waren noch nicht geschwellt. Es wurde daher am
16. Januar, also am siebten Tag seit Auftreten des Geschwüres von Privatdocent Dr.
Riedinger und mir die Excision vorgenommen, die Wunde mit vier Catgutsuturen ge¬
schlossen und ein antiseptischer Verband angelegt. Am 18. Januar Heilung per primam,
bis auf drei Stichkanäle, die sich auch bald schlossen. Am 23. Januar begannen die In-
guinaldrüsen leicht anzuschwellen, die Schwellung nahm allmählich zu und am 12. Februar
wird die bis dahin ganz weiche Excisionsnarbe wieder hart, eitert etwas und blutet.
Drei Tage später erscheint unter Fieber — 39,1 eine Roseola, der bald ein papulöses
Exanthem, Tonsillargeschwüre, Schleimhautpapeln der Zunge folgten.
Es hat demnach die Syphilis doch ihren regelmässigen Verlauf genommen, obgleich,
wie auch die microscopische Untersuchung ergab, in ganz gesundem Gewebe die Exci¬
sion vorgenommen worden war.
2. Patient H. kam mit einer heftigen Gonorrhm in Behandlung, in deren weiterem
Verlauf sich noch ein Hueter 'sches Geschwür im sulcus retroglandularis entwickelte. Das
Geschwür heilte unter Hinterlassung einer beträchtlichen Induration und nach Verlauf von
vier Wochen kam es zu allgemeiner Drüsenschwellung, ferner trat eine sehr leichte An-
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376
gina auf. Dann aber begannen die Symptome der Syphilis ohne Anwendung von Queck¬
silber oder Jod zu schwinden, die Induration ging langsam zurück, dessgleichen die all¬
gemeine DrUsenschwellung, so dass nach 2 Monaten Patient als völlig geheilt zu betrach¬
ten war. Er blieb dann noch über ein halbes Jahr in Beobachtung, ohne dass irgend ein
weiteres Symptom von Syphilis aufgetreten wäre. —
Würzburg im Mai. _ Dr. Theod. Kölliker.
W oehenberielit.
Schweiz.
Addum salfteylieum verhindert nach G. Müller (schweiz. Zeitschr. f. Pharm,
1878, 19) die so fatale Qährung der Syrupe. Er mischt dem 8yrup, während er auf
dem Feuer ist, 1 per mille Acid. salicyL bei, wodurch der Syrup in keiner Weise leide,
dagegen ganz vor Gährung bewahrt bleibe. Syrup von rothem Mohn, der Luft frei aus-
gesetzt, zeigte nach 8 Monaten noch keine Spur von Gährung.
Eidg. Iledicinalprüfungeil. In Ausführung des Art. 4 des Bundesraths¬
beschlusses vom 5. April 1878 hat der leitende Ausschuss bezüglich der in einzelnen
Cantonen bis anhin bestandenen propädeutischen Prüfungen beschlossen, dass für die¬
jenigen Candidaten, welche in den Cantonen bereits Prüfungen in den propädeutischen
Fächern mit Erfolg bestanden haben, eine Reduction der eidg. propädeutischen Prüfung
stattfinden könne, in dem Sinne, dass die Candidaten sich einer Prüfung nur in denjeni¬
gen Fächern zu unterwerfen haben, in welchen sie noch nicht oder nicht in angemessenem
Umfang geprüft worden sind.
Diese Vergünstigung kann aber nur eintreten bis Ende des Jahres 1879, eventuell
bis zum Erlass des definitiven Reglements und selbstverständlich nur für solche Candi¬
daten , deren genannte cantonale Prüfungen vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes
vom 19. December 1877, also vor dem 6. April 1878, stattgefunden haben oder einge¬
leitet sind.
Fabrication and Ter kauf von Phoaphoratreichhölsern. Der
Bundesrath, an den bekanntlich über dasselbe Thema eine Petition der medicinisch-
chirurgischen Gesellschaft des Cantons Bern, empfohlen durch eine Zuschrift des Aus¬
schusses des schweizerischen ärztlichen Centralvereins, gelangte, erstattet dem National-
rathe Bericht über die Motion des Dr. Joos (Verbot des Verkaufes und der Fabrication
der Phosphorstreichhölzer) und kommt zum Schlüsse, der Motion für einmal keine weitere
Folge zu geben. Alle Zündhölzchen (auch die schwedischen etc.) seien in gleichem
Grade feuergefährlich, die Fabrication dagegen sei allerdings sehr gesundheitsschädlich.
Der Bundesrath glaubt aber, dass vor dem Verbote, d. h. der Unterdrückung dieser In¬
dustrie, versucht werden sollte, ob nicht mit Hülfe des Art. ö, Abs. 2, Lit. d. des Fabrik¬
gesetzes (Haftpflicht) die Fabrikanten gezwungen werden können, die Technik und die
exacte sorgfältige Aufsicht so zu vervollkommnen, dass die Gefahren beseitigt werden.
Der citirte Artikel genügt, um die Fabrication ganz unmöglich zu machen, wenn die
alten Uebelstände bleiben.
Das in unserer letzten Nummer abgedruckte Schreiben unseres Ausschusses zeigt
den Fabrikanten und den Behörden den nach unserem Dafürhalten einzig richtigen Weg.
Stand der Iiifecttona-Krankhcttcn in Basel.
Vom 26. Mai bis 10. Juni 1878.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Die Masern zeigen wieder eine kleine Zunahme sowohl in Gross- als in Klein¬
basel; neu angezeigt sind 68 Fälle (84, 58, 44, 51), davon aus Kleinbasel 28 (26, 32,
26), aus Grossbasel 80 (38, 12, 26), 8 der letztem' betreffen die Gegend des Bachletten¬
quartiers.
8charlach ist gleichfalls häufiger: 15 neue Fälle (21, 11, 11, 5), wovon 8 aus
Kleinbasel, die übrigen 7 zerstreut aus Grossbasel.
Vor Allem bemerkenswerth ist eine plötzliche Zunahme der angemeldeten Typhus -
fälle, welche bis jetzt nur vereinzelt aufgetreten waren. In den letzten Berichten 4, 2,
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377
4, 5 Fälle, sind eB diesmal plötzlich 18; davon stammt 1 von auswärts, je 3 vom Nord-
westplafeau und aus Kleinbasel, 11 aus dem Birsigthale und zwar die meisten (9) ziem¬
lich concentrirt vom Spalenberg. Schneidergasse, Imbergässlein, Sattelgasse und dem an¬
grenzenden Tbeil des Marktplatzes.
Diphtherie 9 Fälle (11, 6, 5) zerstreut aus allen Stadttheilen, mit Ausnahme des
Birsigthales.
Erysipelas 6 Fälle (4, 6, 4).
Keuchhusten 11 Fälle (11, 7, 13), ausschliesslich aus Grossbasel.
Spärliche Varicellen; kein Puerperalfieber.
Briefkasten.
Herrn Prof. Pflüger, Dr. Egli, Dr. Ott: Mit bestem Dank erhalten. — Herrn Dr. Haab: Er¬
warten Fortsetzung.
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Prof. Dr. YOll ßamhpr^pr Winn« » Mit ausgezeichnetem Erfolg bei allen jenen
u , u 9 ” leU * Krznkheiteformen angewendet, in welchen die
_Bitterwasser ihre Indication finden.“
Prof. Dr. Wunderlich, LeipzigT „Ein ganz vorzüglich wirkende!, aasleerendee Mittel,
_nic ht u nan gene h m zn neh men, nnd dem Magen unschädlich.“
Prof. Dl*. SnipifplhpiMr Ilrpslail • " 0abe keines der andern Bitterwässer” so prompt,
^_JNeben^6imngon wirken? getän den.“ * ^mäaeig un d mit so w enigen
PiDf» Dr. Scanzom v» Lichtcnfcls, Wurzhurg» . z!e ^ ich gegenwärtig
__!° a,len fällen, wo die Anwendung eines Bittorwasse re an gezeigt, ausschliesslich in Gebrauch.“
Prof. Dr. F riedreich, Heidelberg:
Prof . Dr. y. Buhl, München : „Wirkt rasch, zuverlässig, ohne Beschwerden.“
Prof. D r. y. Nussbauin, München: SfoigV eirklÄ ~* 5irT “* 8 -
Prof. Dr. KllSSnianl StmKtlhll V &• •^ m P feh,e ,ch bereitTsöirjähren als ein schon in
A 1 U1 ”: y B8IU il _ U1 > ULI c lOoUUI g» m &3gigor ue ng0 8ic her wirkendes Abführmittel.“
Prof. Dr. Jonquifcre, Bern: „Wirkt sicher, wird von den Verdauungs-Organen leicht ver-
_tragen u nd ist bei angene hmere m Geschmack allen anderen gleichartigen Wäs sern vorzuziehen.“_
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sen. Das Extract ist ein weisses Pulver, das
jtdem Getränk geuommen werden kann. Ber
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licher Mineralwässer in allen gTüsseren Städten des
Contincnte angenommen und prompt effectuirt. Brockuren
Ober die eminenten Heilwirkungen der weltberühmten
Eger-Francensbader Mineralwässer werden gratis
verabfolgt. [411-R]
Stadt Egerer Brunnen-Versendung«-
Dlrection in Franzensbad.
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Velinpapier, gr. 8. Engl. Einband M. 5. —.
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136—138 der von Richard Volkmann heraus¬
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schien, den NichtaDonnenten der Samm¬
lung aber nur in obiger Form abgegeben
werden kann, wird von competenter Seite, als
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„Pepton.“
Durch Pankreas künstlich verdautes gutes
Ochsenfleisch mit einem Zusatz von ebenfalls ver¬
dautem Weizenbrod.
Fleisch und Brod demnach künstlich in derselben
Weise vorbereitet wie diess im menschlichen
Körper stattfindet.
Das Pepton ist das beste Nahrungsmittel in
allen möglichen Schwächezuständen für Rekon¬
valeszenten, in den verschiedenen Krankheiten
und Störungen des Verdauungsapparates, z. B. bei
Magengeschwüren, beim Typhus u. 8. w.
Ferner in allen Fällen, wo eine rasche und
kräftige Ernährung gewünscht wird, in jedem Alter
das Pepton ist das kräftigste Nahrungsmittel, nicht
nur leicht verdaulich, bedarf vielmehr gar keiner
Verdauung, sondern wird direkt vom Blute aufge¬
nommen.
Das Pepton ist ausserdem das einzig indirekte
Nahrungsmittel in denjenigen Fallen, in welchen
Ernährung perlavement erfordert oder gewünscht wird.
Das Pepton ist zu haben in Büchsen von */*
Kilo Inhalt uz */* Kilo Fleisch und */« Kilo Brod.
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Kinder verkaufen ä 1 Fr. 20 Cts. per */» KU.
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und Frau J. K&geli-Meyer in Andelfingen (Kt.
Zürich). [H-2189-Q]
Ivi-aiilicn liei lei*
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Jodsodaschwefel-Seife gegen chronische Haut¬
krankheiten, Scropheln, Flechten, Drüsen,
Kröpfe, Verhärtungen, Geschwüre (selbst
bösartige und syphilitische), Schrunden, na¬
mentlich auch gegen Frostbeulen,
Verstärkte Qnellsalz-Seife gegen veraltete hart¬
näckige Fälle dieser Art,
Jodsoda- und Jodsodaschwefelwasser, sowie
das daraus durch Abdampfung gewonnene
Jodsodasalz ist zu beziehen: durch
Em. Ramsperger in Basel.
Natürliches Emser Quellsalz
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allen übrigen Mineralwassern und Quellenpro-
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anerkannt bow&hrt. Die der Muttermilch im Durchschnitt corrospondirende Zusammensetzung der Lösung des
Priparates in Milch begründet, — auch weil in Emulslonsform, den vor Jedens anderen Säuglingsnährmittel
hervorragenden Ernihrungaerfolg und die weite Verbreitung des Präparates.
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I 1 /*—2 Bogen stark;
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Titel u.Inhaltsverzeichniss.
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schweizer Aerzte.
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Preis des Jahrgangs
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Die Postbureaux nehmen
Bestellungen entgegen.
Dr. Alb. Burehhardt-lHerian und Dr. A. Baader
Privatdocent in Basel. in Oelterkinden.
N” 13. VIII. Jahrg. 1878. 1. Juli.
Inhalt: 1) Originalarbeiten: L. Wille: Bemerkungen rum „Process Eulenburg“. — Dr. C.Amsler: Bedeutung des
Kalks in Trink- und Mineralwassern. — 2) Vereinsberichte: XVII. Versammlung des ärztlichen Centralvereins in Zürich. —
3) Referate und Kritiken: Ziemasen: Handbuch der Krankheiten des Nervensystems I. — Marx: Aphorismen über Thun
und Lassen der Aerzte und des Publicurns. — landolt: Die Einführung des Metersystems in die Ophthalmologie. — 4) Can-
tonale Correspondenzen: Basel, München. — 5) Wochenbericht. — 6) Bibliographisches. — 7) Briefkasten.
Original-^A-rtieiteii.
Bemerkungen zum „Process Eulenburg“.
Von L. Wille.
Mit Recht hat ein in Berlin vorgekommener forenser Fall, der in Nr. 26 der
„Medicinal-Beamten- Zeitung“ (dem Beiblatte der deutsch, med. Wochenschrift) unter
obigem Titel durch Herrn San.-Rath Dr. Levinslein näher mitgetheilt und kritisirt
wird, ein über die ärztlichen Kreise hinausgehendes Interesse erregt. Man wird
es als Arzt ebenfalls gerechtfertigt finden, wenn die Aerzte speciell durch diesen
Fall in Aufregung versetzt wurden.
Es handelt sich nämlich darum, dass in Berlin ein durch eine Reihe medicini-
scher Gutachten, zum Theil durch die hervorragendsten Vertreter ihres Faches
erstattet, als geisteskrank erklärter Mensch von dem betreffenden Gerichtshöfe
nicht als geisteskrank angesehen, und das gegen ihn eingeleitete gerichtliche Ent¬
mündigungsverfahren deshalb eingestellt wurde.
Der Fall ist darum um so auffallender, weil entgegen der gewöhnlichen Praxis
dieses Mal die Aerzte ein übereinstimmendes Gutachten auf den Bestand einer
unheilbaren Geisteskrankheit abgaben.
Dass ein practischer Arzt, Dr. Rigler, neben den sachverständigen Autoritäten
ein gegentheiliges Urtheil abgab, hat für die Auffassung der ganzen Angelegenheit
keine Bedeutung. Ohne Zweifel hat der Gerichtshof sein überraschendes Urtheil
nicht, geleitet durch das Gutachten dieses Dr. Rigler , sondern durch seine eigene
Ueberzeugung, gefällt.
Die Motivirung seines Urtheils fand der Gerichtshof in dem Umstande, „dass
„die Sachverständigen, Litnan und das Medicinal-Collegium, nicht auf den letzten
„Grund des Seelenleidens, um welches es sich handelt, zurückgegangen sind. Die
„Sachverständigen urtheilten nach den Symptomen und sind deshalb zu einem
„unrichtigen Schluss gelangt."
25
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386
Betrachten wir uns zunächst dieses gerichtliche Verfahren, so begegnen wir
dem merkwürdigen Umstande, dass ein juristisches Collegium das Urtheil eines
mediciniscben Collegiums in einer rein ärztlichen Frage nicht einfach nicht annimmt,
sondern als unrichtig kritisirt, sein eigenes Urtheil an dessen Stelle setzt, gleich¬
sam als Gutachten höherer Instanz, und darnach verfahrt.
Hätte der Gerichtshof das ärztliche Gutachten nicht angenommen, weil er sich
nicht von der Beweiskraft der ärztlichen Gründe überzeugen konnte; hätte er es
nicht angenommen, weil das Gutachten nicht erschöpfend war, einzelne dem Ge¬
richte bekannte Umstände nicht dem wirklichen Sachverhalte entsprechend aufge¬
fasst und verwerthet waren, kurz weil das ärztliche Urtheil auf erwiesenermassen
falschen oder unvollständigen Prämissen beruhte, so wäre der Gerichtshof in
ersterem Falle berechtigt, in zweitem Falle sogar zu seiner Handlungsweise ver¬
pflichtet gewesen.
Wie oft handelt nicht ein Gerichtshof, in für den Laien zweifelhaften Fällen,
entgegen dem ärztlichen Urtheile 1 Der Arzt wird sich dabei leicht damit zu trösten
wissen, nach Wissen und Gewissen gehandelt zu haben, hat er ja immer noch im
Falle eines Verfahrens in erster Instanz die Aussicht, dass eventuell ein Obergut¬
achten und ein Urtheil höherer Instanz seiner Auffassung entgegen kommen werde.
Wie oft weist nicht ein Gerichtshof nach seiner Ansicht mangelhafte, nach
Acteninhalt unrichtig motivirte ärztliche Gutachten zurück, an ihrer Stelle bessere
verlangend. Auch dagegen ist von ärztlicher Seite nichts einzuwenden. Wenn
auch der Richter noch so sehr in gewissen Fragen, bei gewissen Fällen die An¬
sicht der Aerzte bedarf und einbolt, ja gesetzlich dazu genöthigt ist, so nöthigt
ihn dagegen kein Paragraph seines Gesetzes, diese ärztliche Ansicht auch zu be¬
folgen, d. h. nach derselben zu urtheilen. Wenn dieses Verhältniss im ersten
Augenblicke einem auch noch so sonderbar vorkommt, so ist es doch bei näherer
Ueberlegung so natürlich, dass es als selbstverständlich angesehen werden muss.
Würde ja doch, wenn es anders wäre, nicht der Richter, sondern der Arzt urthei¬
len, zum mindesten das richterliche Urtheil in seiner Selbstständigkeit und objec-
tiven moralischen Bedeutung beeinträchtigt werden.
Immerhin wird jeder ruhig Denkende zugeben müssen, dass diese absolute
Selbstständigkeit des richterlichen Urtheils nicht ganz des Bedenklichen entbehrt
Gibt es doch ohne Zweifel Fälle, in denen ein klares, sachgemässes Urtheil nicht
nur ohne fachliche Mithilfe für den Richter nicht möglich ist, sondern in denen er
selbst mit Hülfe eines solchen Urtheils nicht zu völliger Einsicht in den Stand der
Dinge gelangen kann, in denen er sich also nach dem fachlichen Urtheile richten
muss. Der Richter gebietet in der Regel eben doch nur über richterliche Kennt¬
nisse und über ein gewisses Maass gesunden Menschenverstandes. Wenn man auch
mit diesen Eigenschaften die meisten richterlichen Fragen wird erledigen können,
so gibt es und wird es stets solche Fragen geben, die man, nur mit fachmännischen
Kenntnissen versehen, wird erledigen können. Und unter diesen Fragen sind sicher
nicht die wenigsten aus dem Gebiete der gerichtlichen Psychologie.
Da nun aber einmal die Selbstständigkeit des richterlichen Urtheils unter allen
Umständen gewahrt werden muss, so bleibt gegenüber solchen Fragen, wenn nich t
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die Würde des Rechtes, der Gesetze, der Richter darunter Schaden leiden soll,
nichts anderes übrig, als dass die Richter zu rechter Zeit mit einer gewissen
Summe ärztlicher forenser Kenntnisse versehen werden. Es ist aber der Staat,
der dafür zu sorgen hat, dass die Jura Studirenden solche Collegien, in denen sie
die betreffenden Kenntnisse in dem für sie nöthigen Maasse erlangen können, nicht
nur besuchen, sondern auch, dass sie vor Eintritt in die Praxis darin geprüft
werden müssen.
Sie werden mit Hülfe dieser Kenntnisse den Sachverständigen nicht entbehren
können, aber sie werden wenigstens damit die ärztlichen Gutachten und die ihnen
zu Grunde liegenden empirischen Thatsachen zu würdigen und für ihr richterliches
Urtheil zu verwerthen wissen. Aber auch in diesem Falle wird der Richter sich
nie anmassen dürfen, ein ärztliches Gutachten als solches zu kritisiren, die Aus¬
steller eines solchen zu schulmeistern.
Thut es der Richter dennoch, so wird er sich mit Recht eine Zurückweisung
der Art gefallen lassen müssen, wie sie von Seiten der Aerzte in obigem Falle
thatsächlich erfolgt ist. —
Wenn wir nun unsere Gedanken vom concreten Falle hinüber wandern lassen
auf die allgemeine Seite der vorliegenden Frage, so ist man von ärztlicher Seite
berechtigt, beim Richterstande einen gewissen Grad von Misstrauen den ärztlichen
Gutachten gegenüber anzunehmen. Es sind manche Gründe, die die Richter zur
Motivirung dieses ihres Gefühls anführen. Gestehen wir es nur gleich ein, dass
neben mancherlei ungerechtfertigten Vorurtheilen, denen wir von jener Seite nicht
selten begegnen, auch manche triftige Gründe es sind, die dasselbe geradezu recht-
fertigen. Es gehören dazu vor allem manche schwachen Seiten unseres medicini-
schen Wissens, die selbst die Aerzte untereinander zu abweichenden und verschie¬
denartigen Gutachten über einen und denselben Gegenstand kommen lassen. So¬
dann von Seiten mancher Aerzte der Mangel an genügender Vertrautheit theils
mit ihrer Wissenschaft überhaupt, theils mit der forensen Seite derselben. Es
betrifft dies vor allem auch forense psychiatrische Fragen, bei denen noch dazu
kommt, dass mancher Richter selbst der Meinung ist, dass er gerade auf diesem
Gebiete ein zum wenigsten dem Arzte gleich competentes Urtheil habe.
Wenn wir uns auf das Gebiet der forensen Psychiatrie beschränken, um unsere
obigen Sätze zu beweisen, wer dürfte es widersprechen, dass die Wissenschaft
und ihre Vertreter mancherlei schwache Seiten darbieten? Wie wenige Fragen
allgemeiner Natur sind es, über die die Aerzte ein übereinstimmendes Urtheil
haben. Handelt es sich aber gar noch um sogenannte zweifelhafte Fälle, so liegen
sich die begutachtenden Aerzte in den Haaren: Ein übereinstimmendes Gutachten
wie im Falle Eulenburg ist ein Phänomen in der forensen Psychiatrie.
Ich will nicht sagen, dass seit dem famosen Falle Chorinsky die Psychiatrie und
vor allem die forense Psychiatrie nicht bedeutende Fortschritte gemacht hat. Immer¬
hin Hessen sich von Chorinsky an bis zur Gegenwart noch manche Fälle anführen
zum Beweise, dass diese Zeiten noch nicht verschwunden sind. Ist es mir doch
in der jüngsten Zeit begegnet, dass ich einen entschieden noch weniger schwieri¬
gen Fall als den Fall Eulenburg , übrigens ganz der gleichen Kategorie angehörig,
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zur Aufnahme in die Anstalt seiner Heimath begutachtete, deren Vorstand oach
einigen Wochen der Beobachtung erklärte, es nicht verantworten zu können, einen
Menschen von solcher Intelligenz und solchem Gemüthe in eine Irrenanstalt ein¬
zusperren.
Dass der betreffende Kranke seit einer Reihe von Jahren durch seine patho¬
logischen Excesse und Extravaganzen nicht nur seine engere Familie unglücklich
machte, sondern selbst in weitere Kreise Unheil und Verderben der schlimmsten
Art brachte; dass sich diese moralisch verkümmerte Persönlichkeit schon von er¬
ster Jugend an auf entschieden erblichem Boden in dieser Weise entwickelte, um
mit zunehmendem Alter immer verderblicher zu werden; dass der Betreffende schon
vor Jahren einen Anfall von Hirnstörung mit hervorragenden psychopathischen
Symptomen durchmachte; dass endlich zu der der Aufnahme vorangegangenen Zeit
die chronische Störung in acuter Steigerung zu directer Gemeingefährlichkeit er¬
wachsen war, alles dies imponirte den dortigen Aerzten nicht, um die pathologische
Natur der Vorgänge zu erkennen. Wenn solches innerhalb psychiatrischer Kreise
geschieht, wer kann es dem Laien verargen, gegenüber solchen Fällen nicht zur
Einsicht zu gelangen?
In solchen Fällen kann man wohl entschieden sagen, dass es nicht an unserer
Wissenschaft liegt, sondern an deren Vertretern, dass solche Dinge Vorkommen.
Ein grosser Theil der Irrenärzte kennt nur den Irren, wie er sich in der Irrenan¬
stalt, und nicht, wie er sich ausserhalb derselben verhält, durch eigene Erfahrung.
Er kennt nicht einmal das Irresein in allen seinen Erscheinungsformen und Ent¬
wicklungsstadien; er kennt es in der Regel nur in seiner für die Anstalt über¬
reifen Gestaltungsform. Dies ist eine der Hauptursachen solcher Erscheinungen. —
Ich möchte den Fall Eulenburg , wenn er auch für ärztliche Kreise, darunter
natürlich psychiatrisch durcbgebildete und erfahrene Aerzte verstanden, nicht zwei¬
felhaft erscheinen wird, für den Standpunkt des Laien doch als einen entschieden
zweifelhaften auffassen.
Bei solchen Fällen muss ich es nun als eine unumgängliche Pflicht des begut¬
achtenden Arztes erklären, sie mit Zuhülfenahme aller psychiatri¬
schen Beweismittel dem Laien in ihrer pathologischen Natur
erkennbar zu machen. Ich kenne die Eulenburg betreffenden Gutachten
nicht, da sie entweder noch nicht veröffentlicht worden, oder mir nicht zu Gesicht
gekommen sind. Sie scheinen jedoch der richterlichen Motivirung nach die Ge¬
schichte des Krankheitsfalls nicht erschöpfend behandelt zu haben.
Es scheint mir dies auch aus einem Satze des Referates Levinsteins hervorzu¬
gehen, der da lautet:
„Der Arzt kann doch nur aus den Symptomen das Krankheitsbild schaffen*
„Die Summe der krankhaften Symptome ergibt eben die Krankheitsform. Den
„letzten Grund, die Ursache des Seelenleidens, zu erforschen, ist eine nur bei der
„Behandlung in Betreff kommende Frage, nimmermehr aber für die Diagnose
„verwerthbar.“
Ich kann mit dieser Behauptung durchaus nicht übereinstimmen, muss ihr ge¬
genüber vielmehr an meinem obigen Satze und zwar nicht allein aus Zweckmassig-
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beitsgründen, sondern auch aus empirischen und wissenschaftlichen festhalten. Der
begutachtende forense Arzt hat nicht allein die Aufgabe, die Symptome eines
Krankheitsfalles aufzuführen und mit ihrer Hülfe eine psychiatrische Diagnose zu
stellen, sondern seine Aufgabe ist, den Laien von der krankhaften Natur der frag¬
lichen Symptome zu überzeugen.
Dazu genügt eine psychologische Diagnose nicht immer und ich kann es dem
Richter nicht verargen, wenn er auf ein solches Gutachten weniger Werth legt.
Der Richter hat einfach nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, eine erschöpfende
Geschichte eines Krankheitsfalles zu verlangen; die Aerzte haben einfach die Auf¬
gabe, eine solche zu liefern.
Dass der letzte Grund, die Ursache des Seelenleidens, nimmermehr für die
Diagnose verwerthbar sei, ist eine Behauptung, deren allgemeine Gültigkeit durch
die Praxis nicht bewährt wird.
Es gibt ja genug psychische Krankheitsfälle, deren Hauptsymptome sich im
Gebiete des Excentrischen, Extravaganten, Leidenschaftlichen, Characterlosen,
Unmoralischen, Verbrecherischen bewegen, also Symptome, die an sich alle nicht
unbedingt Psychopathisches beweisen. Zu diesem Beweise bedarf es der Dar¬
stellung der Entwicklung dieser Symptome, des Verlaufs des Zustands überhaupt,
vor allem aber der Pathogenese und Aetiologie des Falles.
Doch ganz abgesehen von den Fällen sogenannten moralischen Irreseins gibt
es genug andere Psychosen, bei denen die Darstellung des Falles für den Richter
nach Entwicklung, Verlauf, Pathogenese und Aetiologie das Wichtigste ist Uebri-
gens wird es wohl kaum eines näheren Beweises bedürfen, dass der obige Satz
Levintteins, ganz abgesehen von forensen Beziehungen, nicht einmal in klinischer
Beziehung allgemeine Gültigkeit hat.
Selbst für die klinische Differentialdiagnose epileptischer, hysterischer, alco-
holischer, toxicatorischer etc. etc. Psychosen genügt die Symptomatologie allein
durchaus nicht. Ich halte übrigens die Angelegenheit der Aufgabe des pro foro
begutachtenden Arztes für eine der Art bereinigte, dass darüber unter allen viel¬
fach mit forenser Psychiatrie sich beschäftigenden Irrenärzten Uebereinstimmung
herrschen dürfte. Ich verweise zum Ueberflusse auf das, was Casper, Griesinger ,
Kraffl-Ebing , Hagen etc. etc. darüber gelegentlich veröffentlicht haben. —
Es wäre sicher unbillig, wenn wir alle Schuld an diesem Stande der forensen
Psychiatrie auf die Aerzte allein schöben.
Auch unter den Richtern finden sich „schwarze Punkte“, deren Beseitigung
im Interesse der Sache liegt. So herrschen z. B. hinsichtlich des „letzten Grundes“
einer Krankheit unter den Laien im Allgemeinen, wie unter dem Richterstande
speciell, nicht ganz klare Ansichten.
Der Laie beurtheilt eine geistige Störung wesentlich anders, wenn sie eine
sogenannte selbstverschuldete, d. h. durch vorangegangene unzweckmässige Lebens¬
weise hervorgerufene, als wenn sie auf anderem Wege entstanden ist. Er thut dies
ja auch hinsichtlich anderer Krankheiten, wie das Verhältnis der syphilitisch
Kranken zu den Krankenkassen unter anderem beweist. Am wenigsten objective
Beurtheilung erfahren aber die alcoholischen Psychosen. Man ist auch jetzt noch
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vielfach geneigt, die Thatsacbe vorangegangener Trunksucht einfach als Erschwe¬
rungsmoment zu behandeln. Es ist dies natürlich von Grund aus falsch, wenn
es sich einmal um die Thatsache der durch Trunksucht erworbenen Krankheit
handelt, ganz abgesehen von den gar nicht so seltenen Fällen anererbter oder er¬
worbener Dipsomanie. Krankheit ist dann eben Krankheit, sie mag durch was
immer für eine Schädlichkeit erworben worden sein; es darf nicht die Veran¬
lassung derselben für den Richter ein Beurtheilungsmoment abgeben. Handelt es
sich um alcoholische Formen wie Delirium tremens, acute alcoholische Verrückt¬
heit, also um Formen, die ein freies Denken und Handeln absolut ausschliessen,
so kann sich wohl auch der Laie den Consequenzen derselben gegenüber der Zu¬
rechnungsfrage nicht entziehen. Dagegen die mannigfaltigen Formen des chroni¬
schen Alcoholismus, die ja so vielfach Gegenstand forenser Untersuchung bilden,
die der Natur der betreffenden Störung nach in Folge ihrer nur allmäligen Ent¬
wicklung selbst so ungeheure Schwierigkeiten in Betreff“ ihrer forensen Tragweite
darbieten, sind ein Gebiet, das dem Gerichtsarzte dem Richter gegenüber ein
schwierig zu behauptendes ist. Statt für diese Fälle mildernde Umstände anzu-
nebmen, beim Mangel einer gesetzlicherseits angenommenen geminderten Zurech¬
nung, ist der Richter gegenüber oft noch so erschöpfenden Gutachten geneigt, in
Folge des vorhandenen letzten Grundes eher eine Erschwerung des Falles zu er¬
blicken, statt sich einfach an den zur Zeit einer incriminirten Handlung beim Thäter
nachweisbaren Geisteszustand zu halten. Es will einem scheinen, als ob auch im
Falle Eulenburg ein vermeintlicher letzter Grund vielleicht unbewusst die Richter,
dieses Mal scheinbar allerdings zu Gunsten des Exploranden, beeinflusst hätte.
Sie sahen nämlich die Sachlage, den Zustand des Exploranden, als eine durch die
Behandlung der Angehörigen verschuldete an, welche Annahme als eine Entlastung
desselben wirkte.
Auch für die Tragweite der erblichen Belastung in der Beurtbeilung zweifel¬
hafter Seelenzustände finden wir vielfach beim Richterstande geringes Ver-
ständniss.
Ein anderer Umstand liegt in der Fragestellung des Richters, die vielfach für
den begutachtenden Arzt eine ungünstige Stellung schafft. Es trifft sich nicht so
selten, dass der Arzt um Dinge gefragt wird, deren Beantwortung gar nicht in
seiner gesetzlichen Competenz liegt, ja selbst um Dinge, die eben gar nicht zu
beantworten sind. Und doch wird stricte die Aufforderung der Beantwortung an
ihn gestellt. Lässt er sich nun auf solche Fragen ein, so begibt er sich auf einen
Boden, auf dem er nicht mehr sicher steht, dessen Behauptung ihn einem schlag¬
fertigen Juristen gegenüber zum Straucheln bringt. Erklärt der Arzt, wie es eigent¬
lich seine Pflicht ist, dass er die gestellten Fragen nicht beantworten kann, fällt
auch in diesem Falle vielfach das Odium der Sache auf ihn.
Ich halte die fernere wissenschaftliche und practische Entwicklung der foren¬
sen Psychiatrie für eine Aufgabe, die Juristen und Medicinern gemeinsam zur
Lösung obliegt. Bildet doch diese Aufgabe eines der höchsten Probleme für die
gesittete Menschheit!
Um eine gemeinsame Arbeit zu ermöglichen, ist vor allem ein gegenseitiges Ver-
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ständniss nöthig. Zu diesem Zwecke halte ich es für unbedingt nöthig, dass die¬
jenigen richterlichen Kreise, die diesen Theil ihres Faches vertreten, schon wäh¬
rend ihrer akademischen Studien mit den empirischen Grund¬
lagen der forensen Psychiatrie bekannt gemacht werden, sowie
in ihrer practischen Laufbahn sich einigermassen mit den
Leistungen und Fortschritten dieser Wissenschaft in Con-
tact erhalten. Nur dann dürften Fälle wie obiger allmälig vom Schauplatze
schwinden.
Bedeutung des Kalks in Trink- und Mineralwassern.
Von Dr. C. Amsler in Wildegg.
Viele Aerzte und noch mehr Laien huldigen der althergebrachten Tradition,
dass die Kalksalze, welche in Trink- und Mineralwassern so häufig Vorkommen,
als indifferenter Ballast oder sogar als nachtheilige Beimischung zu betrachten
seien. Sehr verbreitet ist auch die Ansicht, dass die sog. „harten Wasser“ die
fatale Eigenschaft besitzen, Kröpfe zu erzeugen.
Mit vorliegenden Zeilen unternehme ich es, gewissermassen eine Ehrenrettung
des Kalkes anzustreben, indem ich auf mehr oder weniger bekannte Thatsachen
aufmerksam mache, welche theils in der ärztlichen Praxis, theils im alltäglichen
Leben auftreten, mich aber zu Schlüssen führen, die den bisherigen Annahmen
schnurstracks zuwiderlaufen.
Wenn ich gerne anerkenne, dass die Verhältnisse des „kleemüden“ Ackers,
welcher aus Mangel an Kalkerde keinen Klee mehr hervorbringt, unendlich ver¬
schieden sind von den innern Vorgängen des thierischen Organismus, welcher seine
kalkigen Gebilde nicht in normaler Weise erzeugt, so muss doch zugegeben wer¬
den , dass Menschen und Thiere sowohl als Pflanzen das mehr oder weniger
mittelbare Product des Bodens sind, auf dem sie weilen und wachsen. So haben
die Landwirthe gefunden, dass Thiere, welche das Gras und Heu der mit Kalk¬
phosphaten wohl gedüngten Wiesen fressen, viel schmackhafteres und nahrhafteres
Fleisch liefern als andere. Dasselbe Resultat haben sie in neuerer Zeit bei directer
Fütterung mit Knochenmehl in der Viehmast erzielt.
Zu einer richtigen Ernährung der harten und weichen Theile des thierischen
Körpers gehört eine gewisse Reichlichkeit der betreffenden Nahrungsmittel. Ein
Körper, welchem man nur gerade das Nöthige und Berechnete zufdhrt, magert ab
und sinkt unter das Niveau normaler Gesundheit, selbst wenn auch Nährstoffe un¬
verbraucht abgehen sollten.
Eine Henne, welche verhindert ist, Kalkerde im Ueberschuss zu sich zu
nehmen, legt bekanntlich „ungeschälte“ Eier.
Der Kalk ist dem thierischen Organismus unentbehrlich, indem er nicht nur
an dessen Ausscheidungen, sondern an der Zusammensetzung aller Gebilde Theil
nimmt. Das allgemeine Vorkommen des phosphorsauren Kalkes macht es wahr¬
scheinlich , dass er auch an der Bildung der thierischen Zelle betheiligt ist, was
sodann zur weiteren Annahme führen dürfte, dass er im Gegensätze zu der regres-
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siven Metamorphose des kohlensauren Natrons als der progressiven Metamorphose
angehörend zu betrachten sei.
Das Kind muss sein Knochengerüste aus dem Kalk aufbauen, welchen es
einzig aus der gebotenen Milch zu beziehen angewiesen ist; der Erwachsene
assimilirt sich den nöthigen Kalk aus Wasser, Milch, Pflanzen und Fleisch; aus
jedem Trunk, aus jedem Bissen zieht er, was nöthig ist, um seinen Körper in
unveränderter chemischer Zusammensetzung zu erhalten, sodass man mit Sicher¬
heit annehmen darf, der thierische Organismus, welcher auf einem wohlversehenen
Boden lebt und wächst, gedeihe darum besser, weil sich die günstigen Ernährungs¬
verhältnisse dabei nicht nur täglich, sondern stündlich wiederholen.
Es scheint festzustehen, dass Wasser, Pflanzen und Fleisch dem Menschen
soviel Kochsalz liefern, als zu seiner Erhaltung nöthig ist; entzieht man ihm aber
alles überschüssige Salz, so wird er krank. Belege hierzu bieten die Magen-
Katarrhe, Drüsen-Affectionen und Tuberculose der Gefängnisse und Strafanstalten,
ferner die krankhafte Gier nach Salz, welche die Insassen dieser Localitäten mit
den Thieren des Waldes und der Weide gemein haben. Allerdings liegt nun sehr
nahe zu sagen, dass dem Körper ebenso wie Salz auch genug Kalk in der Natur
geboten sei; es müsste dieser Einwurf dann aber beispielsweise auch dem Eisen
gelten, dessen überschüssige Einführung anämischen Naturen doch so auffallend
•wohl bekommt. Der Organismus kann kränkeln, er kann die Fähigkeit verlieren,
eich gewisse nothwendige Stoffe anzueignen, er kann mehr ausscheiden, als das
Gleichgewicht erlaubt oder als er eingenommen hat; eine absolute Gesundheit
giebt es nicht.
Betrachten wir nach diesen allgemeinen Sätzen den Kalk in seinen näheren
Eigenschaften und Wirkungen auf den Organismus, so handelt es sich zunächst
um die kohlensauren und Schwefelsäuren Salze, welche man in den meisten Trink-
und Mineralwassern, in wechselnden Quantitäten antrifft und denen darum auch
die hauptsächlichste Berücksichtigung zufällt
Es scheint mit einiger Sicherheit angenommen werden zu dürfen, dass der
kohlensaure Kalk, in den Magen gebracht, sich mit den Säuren des Magensaftes
zu löslichen Salzen verbindet, während der schwefelsaure Kalk, wenn er in’s Blut
gelangt, sich mit den Alkalien umsetzt und zu kohlensaurem Kalke wird, welcher
sich alsdann mit freigewordener Phosphorsäure zu Kalkphosphaten vereinigen kann.
Während ein Theil der Kalksalze gelöst und resorbirt wird, um darauf bei der
Circulation auf die Emährungs- und Absonderungs-Processe des Körpers einzu¬
wirken, verfolgt ein anderer Theil den Darm-Tractus und wirkt daselbst, seiner
Ifatur gemäss, neutralisirend, adstringirend, trocknend. Therapeutisch gesprochen
wirken die Kalksalze lokal zunächst im Magen säuretilgend, im Darm sekretion-
beschränkend, also wohlthätig bei gewissen Dyspepsien, Auflockerungen, Blennor-
rheen, Diarrhoen, ln den Circulationsbahnen wirken sie energisch alkalisirend, ad-
stringirend und reizend selbst auf entferntere Organe, wie auf die Schleimhäute
der Bronchien und der Blase, auf die Nieren und, ich möchte sagen, dem Jod
ähnlich, auf das Lymphgefässsystem und seine Drüsen.
So haben Biermer und Andere das Kalkwasser mit Recht bei chronischen
Digitized by LjOOQle
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Bronchial- und Lungenkatarrhen empfohlen. Wydler hat günstige klinische Erfah¬
rungen über den innern Gebrauch des Kalkwassers bei pleuritischen Exsudaten
mitgetheilt. Slromeier stellt den Kalk „bei Hämaturie der verschiedensten Arten
weit über Ergotin, Eisen, Blei, China und Ratanhia.“ Nach Garrod wirkt der
Kalk „bei Gicht alkalisirend, hält Anfälle zurück, macht Harnsäure löslich und
hilft sie eliminiren.“
Es ist bekannt, dass die gypshaltigen Weissenburger Thermen bei chronischen
Katarrhen der Respirations-Schleimhäute, bei Empyem, chronischen Pleuritiden und
Blasencatarrhen in hoher Geltung stehen. Der frühere Arzt von Weissenburg
wagte offenbar nicht dem trivialen Kalke die Ehre dieser Wirkung zu geben, als
er schrieb: „die physiologischen und medicamentösen Wirkungen der Quelle drän¬
gen zur Vermuthung, es möchte der Gehalt an Jod und Brom erheblicher sein“
als die Analyse angiebt, welche hievon nur „Spuren“ verzeichnet.
Aehnliche Wirkungen, wie an den Thermen von Weissenburg, habe ich in
neuerer Zeit an den Thermen zu Schinznach beobachtet.
Höchst interessant sind hier zu Lande Anwendung und Wirkung des Kalk¬
wassers bei Pferden, welche an Husten, Emphysem und Asthma leiden. Dieselben
werden von den Besitzern an gewisse Oertlichkeiten des Juragebirges zur Trink¬
kur geschickt. In Biberstein bei Aarau z. B. enthält ein Quellwasser soviel Kalk,
dass Holz und Steine in kurzer Zeit vollständig incrustirt werden. Von. den
Pferden, welche hier während einigen Wochen das Kalkwasser trinken, sollen
viele gänzlich gesunden, andere wenigstens für so lange, als sie an Ort und
Stelle bleiben.
Ob eine Verkalkung der Tuberkeln unter dem Einflüsse reichlicher Kalkzufuhr
rascher zu Stande kommt, ist nicht leicht zu beweisen, aber es ist doch denkbar,
dass ein kalkgesättigtes Blut auf kranken Schleimhäuten, wo erfahrungsgemäss eine
Tendenz zu Kalkabsetzungen besteht, auf gleiche Weise Verkalkungen herbei¬
führt, wie in der. Knochenzelle oder in dem Eileiter des Vogels.
Bezüglich der Wirkung der Kalksalze auf das Lymphgefässsystem berichtet
Dr. Chrisiener , dass während des Gebrauchs der Weissenburger Cur Hypertrophien
der Schilddrüse auf nachweisbare Weise zurückgehen. Professor Zschokke in
Aarau theilte mit, dass unter dem innerlichen Gebrauche des sehr kalkhaltigen
Wassers von Biber stein Kröpfe verschwinden.
Ich kann nicht umhin, eine hier einschlagende Thatsache, welche ich auf
dem Schauplatze meiner ärztlichen Thätigkeit täglich beobachten kann, etwas
näher zu beleuchten, weil sie in social - hygienischer Beziehung vielleicht Auf¬
schlüsse giebt.
Der Kanton Aargau liegt zwischen Jura und Alpen. Ersterer besteht aus Kalk
und bildet mächtige Erhebungen mit tief eingeschnittenen Thälern; viele derselben
sind mit Auswaschungen und Geschieben alpiner Gesteine aufgefüllt, welche keinen
oder sehr wenig Kalk enthalten. Eines der bedeutendsten und breitesten Thäler
ist das Aarthal, in dessen Tiefen Gerolle und Sand von sehr verschiedener Fein¬
heit und in Schichten von wechselnder Mächtigkeit lagern.
Die Ortschaften des Aarthaies, welche auf felsiger Unterlage gebaut sind und
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ihr Trinkwasser von den Abhängen des Jura beziehen, weisen
höchst selten mit Struma behaftete Individuen auf, während
bekanntermaassen in den auf Diluvialgeschieben ruhenden Dörfern nächster Nähe,
wo alles Trinkwasser aus Ziehbrunnen geschöpft werden muss, ausserordentlich
viele Kröpfe Vorkommen.
Man hat vielfach nach der Ursache dieser Erscheinung geforscht, weil an
denselben Orten, wo Kröpfe endemisch Vorkommen, auch Cretinismus und Ra¬
chitis auftreten und man wollte bald in feuchter Luft, in ungesunder Wohnung,
in Unreinlichkeit, in mangelhafter Ernährung, in gewissen Beschäftigungen, in Ab¬
wesenheit minimaler Quantitäten von Jod im Trinkwasser den Grund finden, aber
sicherlich mit Unrecht, da die sanitären Verhältnisse, in denen sich hier »Kalk¬
leute“ und „Diluvialmenschen“ befinden, vollständig dieselben sind — Trinkwasser
abgerechnet.
Herr Prof. Lücke erklärt in seiner neusten Arbeit über „die Krankheiten der
Schilddrüse,“ dass Kropf und Cretinismus in derselben geographischen Verbrei¬
tung Vorkommen und in ätiologischem Zusammenhänge stehen und nimmt zur Ent¬
wicklung der endemischen Form an:
1. „ein Miasma, das wir noch nicht kennen,
2. eine bestimmte Bodenbeschaffenheit, auf der das Miasma gedeihen kann
und
3. individuelle und Gelegenheitsursachen.“
Da man zur Erklärung der letztgenannten Ursachen die Erblichkeit in soweit
heranziehen könnte, als diese Dorfbewohner im Ganzen wenig „ausheirathen“, 60
muss ich mir erlauben, eine weitere ärztliche Beobachtung anzureihen.
Das Schloss Lenzburg im Kanton Aargau steht auf einem Sandfelsen, welcher
isolirt aus einer mit Diluvium aufgefüllten Ebene emporstrebt; ein tiefer, in den
Felsen gehauener Ziehbrunnen liefert den Schlossbewohnern ein „sehr reines
Wasser“. Vor Jahren befand sich in dem Schlosse eine sehr bedeutende Erzie¬
hungsanstalt, welche die Söhne der angesehensten Familien Frankreichs und der
Schweiz beherbergte. Die Disposition zu Anschwellungen der Schilddrüse war
bei der Mehrzahl dieser jungen Leute, welche in Beziehung auf Hygiene ausge¬
zeichnet gehalten waren, eine lächerlich stehende und musste fortwährend von den
Hausärzten, meinem Vorgänger und mir, bekämpft werden.
ln diesem Falle, wo die Endemie auf schwindelnder Höhe, bei herrlicher
Luft und in waldiger Gegend sich durch Jahrzehnde hindurchzieht, erscheint es
mir schwer, an miasmatische Ursachen zu glauben.
Als vor geraumer Zeit unsere Regierung, trotz geringerer Steuern, noch mehr
besass, als was von der Hand zum Mund zu leben nöthig war, Hess sie eine
Karte über das endemische Vorkommen des Cretinismus im Kantone aufhebmen,
um dessen Ursachen zu studiren. Da wurde denn durch den trefflichen Michaehs
zur Evidenz bewiesen, dass der Cretinismus hauptsächlich auf Diluvium und Mo¬
räne vorkommt und zwar in wohlhabenden Dörfern ebensowohl, wie in armen.
Merkwürdigerweise zeichneten sich die gleichen Localitäten auch durch endemi¬
schen Kropf aus, wie man bei dieser Gelegenheit durch Zahlen erfuhr, und es
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scheint nun allgemein anerkannt zu sein, dass diese Dispositionen immer und überall
Hand in Hand einhergehen, wie aus dem Buche von Saint-Lager „ötudes sur les
causes du crötinisme et du gottre endämique“ erhellt.
Ich kann mir nicht versagen, hier einige Aussprüche des Herrn Prof. Klebe ,
welche derselbe in seinen „Beobachtungen und Versuchen über Cretinismus“ nie¬
dergelegt hat, aufzuführen, weil ich glaube, dass sie meinen Anschauungen nicht
zuwiderlaufen.
Herr Kleb» nennt die Aetiologie des Cretinismus vollkommen dunkel und fasst
ihn auf als Ernährungsanomalie, als vorzeitiges Aufhören des Knochenwachsthums
neben einer Hyperplasie der Weichtheile. Es wäre also ein Agens vorhanden,
welches das Wachsthum der Knochen hemmt und das der Weichtheile fördert,
oder aber auf beide gleichmässig einwirkte, sodass später Formveränderungen nur
Folgezustände wären, bedingt durch andersartigen Bau etc. Hr. Kleb» hält das
Trinkwasser für dieses Agens. Die erstliche Annahme, es sei das Kali und dessen
Verbindungen, welche als Herzgifte auf die Cirkulation wirken müssten, stellte sich
nach den Versuchen nicht heraus; es wurden sodann die Kalksalze, als wesent¬
liche, zum Aufbau des Organismus dienende Bestandtheile berücksichtigt, aber
die Resultate der Versuche sind mir noch nicht bekannt. Hr. Klebs möchte also
den Cretinismus zurückführen „auf eine Atrophie der Knorpelzellen im jugendlichen
Alter oder auf eine eigenthümliche Resistenzfähigkeit des Knorpelgewebes gegen¬
über dem physiologischen Umwandlungsprocesse desselben in Knochengewebe.“
Kommen wir noch einen Augenblick auf den Kalk in concreterer Form zurück.
„Der Kalk düngt,“ sagt der Bauer des „Diluviums“ und erzielt reichere Erndten,
wenn er im Winter Kalkmergel auf Felder und Wiesen schleppt. Der kleemüde
Acker trägt wieder seinen Klee, die Wiesen werden grüner, der Waizen schwerer.
Nur Fernerstehende mache ich aufmerksam auf die vorzügliche Organisation
der „Kalkleute“; Jedermann kennt bei uns, wo wir beide Formationen unmittelbar
neben einander haben, die kräftigen Gestalten der Bewohner des Jura, ihre Derb¬
heit und Arbeitstüchtigkeit. Ja ihre Gesichtsbildung ist in dem Maasse von der¬
jenigen der „Diluvialraenschen“ verschieden, dass ich, seiner Zeit fremd in die
hiesige Praxis eintretend, sofort die Gegensätze aus den mir unbekannt entgegen¬
kommenden Gesichtern erkennen konnte.
Schauen wir endlich über die Grenzen unseres Kantons hinaus, so ist bekannt,
dass in den engen, tief eingesunkenen Thälern der Alpen sehr viele Kröpfe Vor¬
kommen; namentlich ist der Kanton Wallis dadurch berühmt geworden. Der
Volkswitz erzählt ja, dass die Bewohner jener Thäler die durchreisenden Frem¬
den, wenn sie keine Kröpfe haben, als minder vollkommene Wesen betrachten.
Die Walliser mögen sich übrigens mit Andern trösten, denn die Bewohner
der Thäler in den Karpathen, Kaukasus, Pyrenäen, Sevennen, Vogesen, in dem
Maroccanischen und Mexikanischen Hochgebirge etc. sind ebenso sehr von Kröpfen
wie von Skrophulosis und Rhachitis heimgesucht (Journ. für Kinderkrankh. 70).
Die Struktur der eben genannten Gebirge ist mir nur soweit bekannt, dass ich
im Grossen und Ganzen weiss, dass es Urgebirgsmassen sind, wie die Alpen,
welche in ihrem Innern Granit, Gneiss, Porphyr, Quarz, Thonschiefer etc. —
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durchweg kalklose oder kalkarme Gesteine, enthalten. Mögen auf den Gipfeln
oder am Fusse derselben Kalklager oder selbst im Innern Einbettungen von Alpen¬
kalk Vorkommen, so ist es doch wahrscheinlich, dass die dem Urgebirge entsickern-
den Quellen keinen Kalk enthalten oder denselben, wenn sie welchen gehabt,
unterwegs nach der Tiefe durch kalkloses Gestein filtrirend, wieder verloren.
Diese Verhältnisse liegen eben noch im Dunkeln und können nur durch Unter¬
suchung und genauere Angaben aufgehellt werden. Bis dahin will ich mir gerne
den Vorwurf der Hypothese gefallen lassen und mich mit dem bescheidenen Ver¬
dienste, angeregt zu haben, begnügen. Jedenfalls scheint aus den beigebrachten
Thatsachen aufs Neue hervorzugehen, das der Mensch das Kind der Erde, des
Bodens ist, auf dem er wird und lebt.
Mit Bezug auf obige Beobachtungen aus dem Bereiche meiner ärztlichen
Praxis füge ich noch einige chemische Analysen, d. h. quantitative Bestimmungen
des Kalkgehaltes einiger Brunnen meiner Gegend bei, welche ein befreundeter
Chemiker auf meinen Wunsch ausgeführt hat und welche, wenn auch Zwischen¬
glieder fehlen, doch meine Voraussetzungen zu bestätigen scheinen.
Laufende Brunnen aus dem Jura:
Möriken enthält im Liter kohlensauren Kalk = 0,285
Biberstein „ „ „ „ „ = 0,230
Auenstein „ „ „ „ „ = 0,232
Ziehbrunnen aus Diluvium und Sandstein:
Niederlenz enthält im Liter kohlensauren Kalk = 0,183
Lenzburg (Schloss) „ „ „ „ „ = 0,187
Rupperswyl » » » » » = 0,190.
V ereinsberich te.
XVII. Versammlung des ärztlichen Centralvereins in Zürich
am 18. Mai 1878.
Präsident: Dr. Sonderegger, Schriftführer: Dr. tiaab (Zürich).
(Fortsetzung.)
Den ersten Vortrag hielt Prof. Homer über die Intoxicationsamblyopie,
verursacht durch unmässigen Genuss von Alkohol und Tabak. Das Bild dieser
Erkrankung der Augen ist ein so praegnantes, dass die Diagnose auch für den
J4icht-Specialisten keine grossen Schwierigkeiten hat. Auch ermöglicht die ein¬
fache Therapie jedem Arzt die Behandlung dieser Krankheit. Leider ist das Uebel
ein sehr häufiges. Prof. Homer sah vom 1. Januar 1876 bis 1. Mai 1878 — also
in 28 Monaten — 68 Fälle = 0,7 % aller in dieser Periode beobachteten Augen-
Jtranken. Es waren alles Männer, am häufigsten zwischen dem 40. und 50. Lebens¬
jahr, nur wenige zwischen dem 20. und 30. Jahr sich befindend.
Die Symptome zeigen grösste Constanz. Der Vortragende will dabei nament¬
lich die Punkte hervorheben, welche auch den Nicht-Specialisten in den Stand
setzen, die Diagnose zu machen. Erstens tritt die Sehstörung meistens rasch auf
und zwar immer auf beiden Augen in nahezu gleicher Intensität, ohne dass äusser-
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lieh etwas abnormes wahrgenommen wird. Ist die Herabsetzung der Sehschärfe,
die bis auf */io—’/ao-» ja Fingerzählen in 6—7 Fuss, sinken kann, nicht auf beiden
Augen nahezu gleich, ist das eine Auge viel schlechter und finden sich auf diesem
Auge nicht anderweitige Affectionen, wie Cataract, Maculae corneae etc., welche diese
Differenz erklären, so erweckt dies den Verdacht, dass wir es in dem betreffenden
Fall nicht mit einer reinen Intoxicationsamblyopie zu thun haben und daher auch
die Prognose eine andere sein werde. Zu beachten ist, dass die Patienten in der
Dämmerung oder am Schatten gewöhnlich besser sehen, als am hellen Tage und
im Sonnenschein.
Sodann richte man das Augenmerk auf die Gesichtsfeldgrenzen. Diese sind
bei der reinen Intoxicationsamblyopie normal, nicht durch Einengung verkleinert.
Die Prüfung wird zu dem Zweck am einfachsten so vorgenommen, dass der Unter¬
sucher den Patienten, der ihm gegenüber steht, das eine Auge schliessen und mit
dem andern das gegenüberliegende Auge des Untersuchers fixiren lässt (z. B. das
linke Auge des Patienten das rechte Auge des Arztes). Indem nun der Unter¬
sucher rings herum, bald von oben, bald von der Seite u. s. w. seine Finger der
— beiden gemeinschaftlichen — Blicklinie nähert, prüft er, ob der Patient ebenso
weit peripher, im indirecten Sehen die Finger noch wahrnimmt wie er selbst. Ist
dies der Fall, so sind die Aussengrenzen des Gesichtsfeldes des Patienten gleich
denen des Untersuchers, resp. normal.
Das Hauptsymptom der Erkrankung präsentirt sich nun aber bei weiterer
Durchforschung des Gesichtsfeldes. Es ist dies ein centrales Scotom für Roth
und Grün, d. h. in einem kleinen Gebiet um den Fixationspunct herum ist die
Empfindung für die Farben der Roth- und Grün-Reihe erloschen, während im
indirecten Sehen, also an der Pheripherie des Gesichtsfeldes Roth und Grün noch
erkannt wird. Die Constanz dieses Symptomes ergibt sich daraus, dass es bei 55
auf diese Erscheinung geprüften Patienten 47 mal nachweisbar war. Dieser cen¬
trale Ausfall der Roth- und Grün-Empfindung manifestirt sich sicherer, wenn man
zur Untersuchung die Spectralfarben wählt (Spectroscop). Die Pigmentfarben
(farbige Papier- oder Tuchstücke) geben kein so sicheres Resultat, da einerseits
die Pigmentfarben variabel sind, anderseits (wie bei den Farbenblinden) die Uebung
sehr viel ausmacht. So zeigte z. B. die frappanteste Ausnahme völliger Farben¬
sicherheit bei ganz sicherer Diagnose ein Kattundrucker. Während also die Far¬
ben der Röth-Grün-Reihe central nicht empfunden werden, ist die Perception der
Farben der Blau-Gelb-Reibe ganz intact.
Greifen wir nun zuin Augenspiegel, so gelangen wir sofort zu einem weiteren,
ganz constanten Befund, es ist dies das veränderte Aussehen des Opticus, als sol¬
ches leichter im aufrechten als im umgekehrten Bild zu erkennen. Die ganze
Papille ist bei wohlerhaltenen Contouren matter, undurchsichtiger, als normal. Da¬
bei ist das nasale Drittheil der Pupille schmutzigroth, trüb und contrastirt lebhaft
gegen die temporalen zwei Drittheile, die im Gegentheil in der Färbung mehr
gegen ein grauliches Weiss hinneigen. Es ist dies ein mattes Porcellanweiss, das
sich bis an den temporalen Rand des Opticus erstreckt und wesentlich differirt
von dem Kreideweiss einer Atrophie nach Neuritis oder der gelb-weissen Färbung
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bei Chorioiditis. Von der progressiven grauen Atrophie (Tabes) unterscheidet sich
das Bild dadurch, dass bei letzterer auch die nasale Hälfte die charakteristische
stahlgraue Färbung zeigt, dass die Lamina cribrosa zu Tage liegt und die Gefasse
abnorm schmal sind, was bei der Intoxicationsamblyopie nicht der Fall.
Nach Feststellung obiger Befunde kann uns das Allgemeinbefinden und Aus¬
sehen des Patienten in der Diagnose nur noch unterstützen. Mit lebhaften Gesti¬
kulationen und vielen Worten gesteht der Potator seine Appetitlosigkeit, den
habituellen vomitus matutinus, den unruhigen Schlaf, hie und da ziehende Schmer¬
len in den Unterschenkeln, während wir uns zugleich vom Tremor der Zunge und
der Glieder hinlänglich zu überzeugen Gelegenheit haben. Kopfweh fehlt gewöhnlich.
Es ist das typische Bild des chronischen Magencatarrh’s, das sich regelmässig in
diesen Fällen enthüllt und die stärkste Aeusserung dieses Magencatarrh’s fällt,
nachdem er schon eine beträchtliche Zeit gehaust hat, auch immer mit dem Auf¬
treten der Sehstörung zusammen. Dabei kann das Aussehen des Patienten uns einen
Fingerzeig geben, ob derselbe mehr durch Alkohol- oder durch Tabakmissbrauch
gesündigt hat. Der Potator zeigt mehr die weinrothe Gesichtsfarbe und guten Pan-
niculus; der starke Raucher sieht eher lederfarbig, faltig, deprimirt, mager aus.—
Aus der Anamnese ergibt sich bei allen Fällen, dass nur, wenn längere Zeit
Alagencatarrh vorhanden war, die Sehstörung sich einstellte. Der stärkste Raucher,
der unmässige Trinker bleibt frei von der Amblyopie, so lange er sich nicht einen
Alagencatarrh mit Appetitlosigkeit acquirirt.
Resumiren wir nochmals kurz die Symptome: Beiderseits gleich starke Seh¬
störung in der Form centraler Herabsetzung der Sehschärfe bei wohlerhaltenen
Aussengrenzen des Gesichtsfeldes aber centralem Scotom für Roth und Grün, auf¬
tretend bei männlichen Individuen, die meist zwischen 40 und 50 Jahre alt sind.
Dieselben zeigen constant die Symptome eines chronischen Magencatarrh’s.
Wenden wir uns nun zur theoretischen Erklärung der Erkrankung, so
müssen wir vor allem den absoluten Mangel einer anatomischen Untersuchung
'bedauern. Die bis jetzt aufgestellten Hypothesen sind nicht ganz befriedigend, so
die von Leber , dass eine Perineuritis vorliege, welche nur die oberflächlichen Fasern
des Opticus afficire, welche oberflächlichen Fasern gerade die seien, welche zur
Alacula lutea gehen, daher das Scotom. Prof. Horner gibt zu, dass bei solchen
Amblyopien, wo ein centraler Defect auch für Weise, also ein totaler Ausfall im
Gesichtsfeld nachweisbar sei, an eine solche Erklärung gedacht werden könne,
nicht aber bei der Intoxicationsamblyopie, wo manchmal eine einzige gute Nacht
mit ruhigem Schlaf (Morphium) das Sehvermögen rapid bessern kann, umgekehrt
die Ambylopie gesteigert, das Scotom vergrössert wird durch momentane Ueber-
müdung. Auch die Annahme, dass alles nur auf Ansemie beruhe, ist nicht aus¬
reichend, obgleich hiefür viel mehr spricht. Denn es ist die mit dem Magen-
catarrh Hand iu Hand gehende Herabsetzung der allgemeinen Ernährung das
c&usale Moment für die Erkrankung. Die Affection beruht nicht auf directer gif¬
tiger, den Opticus oder die Retina betreffender Wirkung des Nicotin oder des
Alkohol. Am plausibelsten ist die Annahme , dass wir es mit einem Scotom zu
tbun haben, das wir als Ermüdungsscotom bezeichnen können und das sich auf
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der 'Basis der erwähnten reducirten Ernährung und des verminderten Kräftezu¬
standes entwickelt. Doch müssen wir weitere Untersuchungen hierüber abwarten.
Die Prognose der Intoxicatioosamblyopie entspricht ganz der zuletzt geäusser-
ten Auflassung. Ist das aetiologische Moment rein, d. h. beruht die Amblyopie
wirklich blos auf dem durch Alkohol oder Tabakmissbrauch producirten Magen-
catarrh, so ist die Prognose gut, mag die Herabsetzung der Sehschärfe noch so
bedeutend sein, wenn nur zugleich die Peripherie des Gesichtsfeldes normal ist.
Erschwerend wirkt bei der Prognose der Abusus in venere und übermässige Her¬
absetzung der Kräfte durch Ueberanstrenguog.
Die Therapie lässt sich kurz präcisiren: Behandlung des Magencatarrh’s und
Abstinenz, höchstens zum Essen darf etwas Wein mit Selterswasser getrunken
werden. Karlsbadersalz morgens nüchtern, in warmem Wasser gelöst, getrunken,
beseitigt gewöhnlich bald die Erkrankung des Magens. Es dürfen aber nie mehr
als 2 höchstens 3 Stuhlgänge im Tag erfolgen- Aufenthalt im Dunkeln oder gar
Blutentziehungen sind ganz überflüssig. Ist der Schlaf gestört, wird Abends etwas
Morphium verabreicht. Vom Momente an, wo normaler Appetit eintritt, ist der
Patient geheilt.
Hierauf ergriff Prof. Hermann das Wort zu seinem Vortrag „Ueber regula-
t or i s ch e Ein ri ch t un g en im Organismus“.
Die zahlreichen Regulationsvorrichtungen in unserem Organismus sind ein
mächtiges in uns selbst liegendes hygienisches Element. Auf ihnen beruht wohl
grösstentheiU die „Heilkraft der Natur“. Der Vortragende erläutert dies durch
Vorführung der wichtigsten und bis jetzt am besten studirten dieser Regulations¬
mechanismen und der sie constituirenden beschleunigenden oder hemmenden Re¬
flexapparate. So namentlich die Regulation der Temperatur, der Circulation, der
Respiration- Die ohne Zweifel zahlreichen regulatorischen Acte des Stoffwechsels
harren noch weiterer Untersuchungen. Die Resultate unserer Erkenntniss in dieser
Richtung werden bei weiterer Forschung auch für den practischen Arzt, der täg¬
lich den Störungen dieser Regulationsvorrichtungen gegenübersteht, von grösster
Bedeutung sein.
Der Vortrag wird in extenso im Correspondenz-Blatt erscheinen.
(Fortsetzung folgt)
Referate und Kritiken.
Handbuch der Krankheiten des Nervensystems I.
(Des Handbuches der spec. Patb. UDd Therap. von Ziemssen. XI. Band. 1. Hälfte.)
Leipzig, Vogel. 1876. 819 pp. gr. 8°.
Den ersten Abschnitt, Anämie, Hypereemie, Hämorrhagie, Thrombose und Embolie
des Gehirns hat Nothnagel verfasst und eröffnet ihn mit allgemeinen Bemerkungen Uber
die Ciroulation in der Schädelhöhle.
Die Hirnanaemie theilt eich in allgemeine und lokale, acute und chronische, und
änssert sich desshalb wie diese auch das Experiment lehrt, auf verschiedene Weise, ent¬
weder als reizendes oder als lähmendes Moment einzelner oder vieler, ja selbst aller Hirn-
thätigkeiten. Dass Verf. das Krampfcentrum der Brücke besonders berücksichtigt, ist
natürlich.
Die Hirnhyperaemie ist eine arterielle, fluxionäre, oder eine venöse, statische)
400
doch lassen gewisse ätiologische Momente auch eine angioparaly tische annehmen. * Ref.
hält dafür, dass diese, häufig reflectorisch angeregten neurotischen Hyperämien weit
häufiger Vorkommen und schon dcsshalb viel wichtiger sind, al9 man bisher angenommen
hat. Der Verf. scheint wohl auch daran zu denken, wenn er in der Therapie andeu¬
tungsweise sagt, es möchten unterdrückte Secretionen die Hirnhypersemie veranlassen.
Die Experimentalpathologie erlaubt indess noch nicht die polymorphen Symptome der
angegebenen Eintheilung nach zu ordnen und zu verwerthcn. Dem praktischen Bedürfnisse
entspricht es besser leichte und schwere Formen zu unterscheiden, denen noch die febrilen
und die localen, partiellen anzureihen sind.
Die Hirnblutung, bisher vermehrtem Arteriendruck oder einer Gefässerkrankung
zugeschrieben, verdankt ihre Entstehung in erster Linie kranken Hirngefässen. Die
vielfachen neuern Untersuchungen begründen diese Ansicht zur Genüge. Der vermehrte
Gcfä8sdruck kommt als blosses Gelegenheitsmoment in Betracht, allerdings als wichtigstes.
Vielleicht entsteht er auch beim eog. Habitus apoplecticus relativ leicht
Die dem apoplectischen Herde, wie der capillären Blutung folgenden anatomischen
und klinischen Vorgänge erklären sich aus dem Thierexperiment noch sehr ungenügend,
weil bekanntlich die Hirnblutung der Thiere die charakteristischen Herdsymptome des
Menschen nicht oder nur sehr unvollkommen zur Folge hat. Auch manche der allbe¬
kannten Symptome, wie die initiale Bewusstlosigkeit, und noch weniger gekannte, wie die
von Prevost hervorgehobene „Deviation conjugde“ der Augäpfel, das Cheyne-Stockes 1 sehe
Phänomen, dessen Verf. übrigens nicht erwähnt.
Die Mit- und die Reflexbewegungen, die apoplectischen Contracturen, die ßeneibi-
litätsstörungen sind in ihrem innern Mechanismus noch gänzlich unklar und verlangen ein
fortgesetztes Studium. Anderes ist dagegen in neuerer Zeit wesentlich geklärt worden, z. B. die
Abhängigkeit der Lähmungen vom Sitze der Läsion, die Integrität der Muskeln, und Ref.
theilt gerade im letzten Punkte die Verwunderung des Verf. nicht. Auch mit einer An¬
gabe der Therapie, die sonst sehr einlässlich behandelt ist, stimmt Ref. nicht überein,
nämlich mit der electrischen Spätbehandlung. Zwar wissen wir noch sehr wenig davon,
was der direct eingeleitete galvan. Strom im Gehirne thut. Wir wissen aber aus den Un¬
tersuchungen von Legros und Onimus , dass wir die Peristaltik und die Contraction der
Hirngefässe beeinflussen können, direct, und reflectorisoh von der Peripherie, wofür ja
gerade Verf. experimentelle Beweise beigebracht hat. Das sind aber verschiedene Dinge,
die allerdings verschieden verwendet sein wollen. Ref. glaubt, dass das Studium der an-
gioneurotischen Vorgänge hierin rasch seine Früchte tragen wird. Er glaubt auch, dass
die Combination thermischer oder hydropathischer und electrischer Behandlung, wie sie
schon vielfach, z. B. von Teplitz aus empfohlen wurde, gerade in ihrer Wirkung auf die
Hirngefässe eine äusserst glückliche sein kann.
Nach kurzer Besprechung eines Theils der meningealen Blutungen geht Verf. zur
Verstopfung der Hirngefässe über und zunächst zur Verstopfung der Hirn-
arterien. Die neuern Arbeiten Heubner 's haben in der Gefässvertheilung die mechan.
Ursachen der Localisation und die etwas ältereren Cohnheim'e die der Embolie folgende
Erweichung geklärt und Verf. verwerthet sie sorgfältig bei der Symptomatologie. Doch
tauchen hier die nämlichen Schwierigkeiten auf, wie bei den Blutherden und auch die
Thrombenbildung macht keine markante Ausnahme, um so weniger da nur eine Wahr¬
scheinlichkeitsdiagnose zwischen diesen Zuständen zu stellen ist.
Dasselbe ist von den Sinusthrombosen und von den capillären Embolien der Rinde
zu sagen. Meist secundärer Natur (Marasmus infantum, et adultorum, caries oss. petrosi etc.)
compliciren sich die Symptome der Ersteren mit denen des Grundleidens oder mitläußger
Hirnerkrankungen (Hydrencephaloid). Sicherer dagegen ist die Phlebitis sinuum zu be-
urtheilen die Behandlung ist dagegen in allen diesen Fällen eine unsichere, symptomatisch
individuelle.
Die Geschwülste des Gehirns und seiner Häute von Obenuer
bilden den zweiten Theil des Werkes.
Verf. theilt sie in solche, die dem Gehirn mehr oder minder allein, und solche, die
ihm, wie anderen Organen zukommen. Zu jenen gehören das Gliom, das Psammom, das von
der Pia ausgehende Melanom, die Hyperplasien einzelner Hirntheile, die Cysten (beson¬
ders als Retentionscysten), die Echondrosen des Clivus; zu jenen die Tuberkelgeschwulst
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(sog. solitäre Tuberkel), Carrcinome, Sarkome, Myxome, die sehr seltenen Lipome und
ächten Osteome, ferner die Angiome, die Aneurysmen.
Die Symptome werden zuerst einzelu besprochen und auf ihre Entstehung geprüft.
Verf. kommt bei den psych. Symptomen auf die Frage, warum die Aphasie meist link¬
seitigen Hirnstörungen entspreche, und beantwortet sie dahin, dass schon vor der Sprache
die Hände ausgebildet werden und vorwiegend die rechte, und dass die linkshirnigen
Bahnen, die dadurch geebnet werden, auch den articulatorischen Vorgängen den Weg
nach der linken Insel erleichtern. Bei der Störung der Sinnesnerven macht er beson¬
ders auf den Recess aufmerksam, der vom Infundibulum zum Chiasma geht und durch
dessen Vermittelung ein intraventriculärer Erguss auch auf die Optici drücken kann.
Die motorischen Störungen besprechend, erklärt er den Hitzig 'sehen Fall von Eindenverletzung
so, dass nicht sie, sondern die terminale Meningitis die Krämpfe etc. hervorgebracht habe.
Ueberhaupt vindicirt Verf. dem Sitze eines Tumors keine so wichtige Bedeutung; er
nimmt Fernewirkungen an, welche die Diagnose gelegentlich irre führen. Kurze Zusam¬
menstellungen gruppiten die Symptome nach dem Verlauf der Natur und dem Sitz des
Tumors; im letzten Falle durch einige der Literatur enthobene Krankengeschichten er¬
läutert Wenn Ref. einen Wunsch aussprechen darf, so ist es der, dass in einer
nächsten Auflage des Werkes die vorhandene Literatur viel ausgiebiger benützt würde
und dass auch auf sie gestutzt, mehrere diagnostisch und auch therapeutisch wichtige
Punkte eine besondere Berücksichtigung erführen. Es liegt in der Natur der Sache, dass
in einem Sammelwerke gewisse Gegenstände oft nebenher besprochen, aber nie im Zu¬
sammenhänge bearbeitet werden. Ref. hat da zwei Themen im Auge, nämlich die mit dem
Ophthalmoscop geübte Cerebroscopie und die Centrenlehre, beide im Zusammenhänge
und kritisch bearbeitet. Beide lassen sich natürlich an verschiedenen Capiteln des
Werkes anschliessen, oder separat behandeln. Dem praktischen Arzte geschähe in jedem
Falle damit ein grosser Dienst
Der nächstfolgende Abschnitt: Die Syphilis des Gehirns und des übrigen
Nervensystems von Heubner, muthet uns gleich einem alten Bekannten an. Ref. darf
wohl voraussetzen, dass das diesem Abschnitt zu Grunde liegende Werk Heubner' s, die
luetische Erkrankung der Hirnarterien, Leipzig 1874, wenn auch nicht im Detail, so doch
seinem Hauptinhalte nach, allgemein bekannt ist. Handelte es sich in demselben darum,
einen bisher unbekannten Vorgang an’s Licht zu ziehen, ihn anatomisch mit dem ganzen
Apparate histologischer und anatomischer Technik zu durchdringen, ihn symptomatisch zu
entwickeln und umgrenzen, endlich auch therapeutisch dem Arzte zugänglich zu machen,
so durfte Verf. hier den Theil der frühem Arbeit, der Bahn brechen musste und Bahn
gebrochen hat, weglassen und gleichsam nur den Ertrag seiner Arbeit bieten, ln der
vorliegenden Abhandlung kommen aber auch die ausser den Arterien gelegenen Syphi-
lome zur Sprache, das weiche, grauliche, und das feste, gelbliche. Beide wurzeln mit
Vorliebe in der Dura und der Pia, circumscript oder diffus, und schmelzen die gesammte
Nachbarschaft, Hirn inbegriffen, in ihre Substanz zusammen. Selten kommen sie als
isolirte cerebrale Geschwülste vor. Ob es eine syphilitische, aber nicht gummatöse Ent¬
zündung gebe, lässt Verf. unentschieden.
Nach Sitz und Verlauf der Neubildung gruppiren sich die Symptome zu drei Bildern,
nämlich: 1. psychotisch-epileptischer Zustand mit unvollkommenen Lähmungen und ter¬
minalem Koma, die Neubildung sitzt an der Gehirnrinde (Convexität); 2. ächte apoplec-
tische Hemiplegie, in Hirn- und Körpernerven, nebst halbseitigen Reizerscheinungen und
eigenthümlich rauschartigen Zuständen; basale Neubildung, Arterienlues und Erweichungs¬
herde der grossen Ganglien und 8. Verlauf, dem der Dementia paralytica ähnlich, auf einer
microscopischen Erkrankung der Vorderhirarinde beruhend, deren Ausdehnung u. s. w.
noch nicht genügend bekannt ist.
Die spinale Syphilis stellt sich als 8yphilom an der Aussenseite des Markes, als
sog. syph. Schwiele, als einfache Erweichung dar und als ein Zustand, der unter den
Symptomen einer fulminanten Paralysis ascendens in kürzester Zeit zum Tode führt, aber
anatomisch noch nicht zu verfolgen ist. Die peripheren besonders die cerebralen Nerven
endlich erkranken ebenfalls gummatös und führen dann die Symptome peripherer, oft
plötzlich eingetretener Lähmungen mit sich.
Verf. empfiehlt energische Merkurialkuren warm, auch dann, wenn schon erfolglose
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Versuche vorausgegangen sind. Dass er die andern Antisyphilitica auch nicht verschmäht,
ist unnöthig beizufUgen.
Der folgende Abschnitt behandelt die acuten und chronischen Entzün¬
dungen des Gehirns und seiner Häute, verfasst von Huguenin.
Es ist keine leichte Aufgabe, über die gewaltige Fülle von Material und originellen
Ansichten, womit den Leser dieser Abschnitt überschüttet, zu referiren. Denn wenn der
Referent zusammenfassen und den Gedankengang wenigstens hervorheben will, so schwillt
ihm der Stoff unter den Händen an und fast möchte er meinen, es sei dem Autor auch
so gegangen. Ja vielleicht hat gerade der ihn charakterisirende Drang nach Klarheit
und Uebersichtlichkeit den Autor dahin geführt, etwas zu viel zu rubriciren, so dass es
nicht immer ganz leicht ist, sich zurecht zu finden. Abgesehen aber von dieser Aeusser-
lichkeit, der als zweite Ref. gerade noch den Mangel eines Literaturverzeichnisses bei¬
fügt, findet der Leser einen reichen Schatz von Beobachtungen, die zum Theil noch aus
der frühem psychiatrischen Thätigkeit des Verfassers stammen, aber gerade dadurch sehr
anregend und fruchtbringend wirken werden, denn noch viel zu wenig bat man sich ge¬
wöhnt, psychiatrische Symptome als andern gleichwerthige zu taxiren und doch drängen sie
sich in den verschiedensten Nervenkrankheiten und auch in den entzündlichen weit genug
hervor. Denn von dem Haematoma dura matris weg, das Verf., im Gegensatz zu Virchow,
durch Blutung aus degenerirten intraduralen Venen ahleitet, beginnen die psych. Symp¬
tome eine gewaltige Rolle zu spielen und belehren den Arzt, freilich nur in allgemeinen
Zügen, über die Theilnahme des Cortex. Da ja ferner die Pia eigentlich mit dem grössten
Theil ihrer Substanz, nämlich mit ihren Gefässen, die gesammte Hirnoberflfiche, selbst bis
ziemlich weit in den sog. Mantel durchdringt, so ist es klar, dass was in ihr vorgeht,
die Gehirnoberfläche auf das Innigste betheiligen muss. Daher sind eben die Symptome
ihrer Hyperesmien und Entzündungen von denen der Gehirnsubstanz nicht scharf zu
trennen.
Leider wird da, worauf Verf. wiederholt hinweist, noch der Umstand hinderlich, dass
der Leichenbefund den anatomischen Zustand durante vita offenbar nicht deckt, und
daher rührt es auch, daBs selbst Experimente noch über sehr wichtige Punkte völlig im
Zweifel lassen, so z. B. über das Verhältnis der Hypermmie zum Oedem. Andre sind einer
experimentellen Lösung gar noch nicht zugängig, wie z. B. das Verhältnis entzündlicher
zu nicht entzündlichen Erweichungsherden.
Da aber die anatom. Untersuchung noch vielfach genügende Auskunft verweigert,
so sucht Verf. durchgängig die Symptomenreihen nach ihrem ätiologischen Ursprünge zu
trennen und nicht nur das, sondern er untersucht auch, ob der Ursprung einer Entzündung
noch in ihren anatomischen Producten erkennbar sei. Von diesem Standpunkte aus trennt
der Verf. die Leptomeningiti in eine Meningitis infantum sine und cum tuberculis, in
einfache Basalmeningitis, in Meningitis der Conyexität, letztere von Entzündungen der Nach¬
bartheile, von Metastase, von unbekannten Ursachen (Sonnenstich) und Trauma herrührend.
Ganz besonders instructiv sind die Angaben über partielle Entzündungen, welche Tumoren,
Abscesee u. s. w. Vortäuschen.
Und denselben Weg schlägt der Verf. bei den acuten und chronischen, balghaltigen
und balglosen Encephaliten eiu. Wiewohl Verfasser hier wieder die anatom. Verhältnisse
sehr eingehend bespricht, so baut er doch die Symptomatologie nicht auf dem pathol.-
anatom., sondern auf dem ätiologischen Boden auf. Die Hirnquetschung, die Caries des
Felsenbeins, Lungenaffectionen, Pymmie u. s. w. bedingen jeweilen den Verlauf der Er¬
krankung und machen sich oft auch durch ein völliges Latenzstadium geltend. Es würde
den Raum dieser Blätter wirklich überschreiten, wollte Referent noch näher auf das
Detail dieses Abschnittes eingehen. Er verweist den, der sich belehren will, um so
lieber darauf, als ihn reicher Ertrag lohnen wird.
Den Schluss des vorliegenden Halbbandes bilden die Hypertrophie und Atro¬
phie des Gehirns von Hitzig.
Verf. behandelt in Kürze die partiellen und allgemeinen Hypertrophien, um sich dann
länger bei der Dementia paralytica, der Hirnatrophie par excellence, aufzuhalten, und gewiss
ist es von grösstem Werthe, dass diese infauste Krankheit in ihren Hauptzügen dem
grossen ärztL Publikum geschildert wird. Denn sicher würden auch die Heilresultate
besser werden, wenn die „Vorderhirnspecialisten“ (Jfeyserf) ihre Kranken nicht erst in
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den terminalen Stadien erhielten. Die frQhern Stadien zu klären, den unaufhaltsamen trau¬
rigen Gang der letzten in’s rechte Licht zu stellen, beabsichtigt die vorliegende Abhand¬
lung. Möge es ihr gelingen, die verdiente Aufmerksamkeit der Leserwelt zu finden.
G. Burckhardt.
Aphorismen Uber Thun und Lassen der Aerzte und des Publicums.
Von Marx. Stuttgart, Verlag von Ferd. Enke.
Wie ein blüthenprangender Zierbaum in reichgesegnetem Obstgarten zeigt sich das
anspruchslose Büchlein in der Menge der fachmännischen Tageserscheinungen: nicht
Früchte langjährigen Studiums krankhafter Processe mit Secirmesser, Microscop und Ky-
mographion, sondern Blüthen, gezogen im Treibhaus langer Erfahrungen am Krankenbett
und vielseitigen Umgangs mit der menschlichen Gesellschaft im gesunden und moralisch
kranken Zustande, bald halb , bald ganz geöffnet gepflückt und in einen bunten Strauss
gesammelt, den uns der Verfasser, vor wenigen Monaten aus thätigem Leben geschieden,
gleichsam als Abschiedsgeschenk geboten hat, nicht zu kurzem Genüsse blos, denn diese
Blumen sind perennirend.
Wir dürfen dieser Sammlung einen Platz wünschen auf dem Tisch jedes Arztes oder
vielmehr jedes Gebildeten. Man stosse sich nicht am Titel, nicht immer sind’s Denk-
sprüche, welche „nicht nur Gedanken liefern, sondern sie auch wecken“ (Aph. 8. 121),
oft sind’s geistreiche Apercus oder treffende Witze, immer aus dem Lebeu und für das
Leben geschöpft, immer Vrahr und in ansprechender Fassung, nie gering oder hohle Re¬
densart.
Die Ausstattung ist musterhaft D. B.
Die Einführung des Metersystems in die Ophthalmologie.
Von Landolt. Stuttgart, bei Ferd. Enke. 30 8.
Nachdem Verf. die Nachtheile des alten und die Vortheile des metrischen Systems
auch für die Brillenlehre nachgewiesen und die Leichtigkeit der Umwandlung des einen
in das andere gezeigt hat, gibt er uns an der Hand deutlicher Beispiele Anleitung, wie
mit Hülfe des Metersystems die Refraction und Accommodation zu bestimmen sei. Da
Dr. Emil Emmert diese Frage bereits in einem Originalaufsatze des „Corr.-Bl.“ ausführlich
behandelt hat (Jahrg. 1876, Nr. 6), so würde ein weiteres Eintreten nur zu unnützen
Wiederholungen Anlass geben. Wer sich etwa für die Sache näher interessirt, findet
die sehr klar gehaltene Arbeit von Landolt im XIV. Jahrg. der „klin. Monatsblätter für
Augenheilkunde“ abgedruckt.
Anhangsweise ist dann noch ein künstliches Auge beschrieben, das genau dem
reducirten Auge von Dondera entspricht, und dem durch Ein- und Ausschrauben einer
Hülse jeder Grad von Hypermetropie oder Myopie ertheilt werden kann; ferner ein neues
Refractionsophthalmoscop, im Wesentlichen bestehend aus 2 Bekoss' sehen Schei¬
ben mit 8 convexen und 8 concaven Meterlinsen (die eine Scheibe enthält 6 convexe, die
andere 2 convexe und 3 concave Linsen), die sich über einander um dasselbe Centrum
drehen lassen und so durch Combination 42 verschiedene Nummern von Dioptrieen mög¬
lich machen; endlich ein Instrument zur Bestimmung der Stärke von Linsen, das sogen.
Phakometer, welches auf der Thatsache beruht, dass, wenn ein Object um die dop¬
pelte Brennweite von einer Convexlinse entfernt ist, sein Bild in gleicher Entfernung von
der Linse entsteht und gleich gross ist, wie das Object. Die beiden ersten Apparate
sind von Landolt , das Phakometer von Snellen construirt. Hosch.
Cantonale Coirespondenzen.
BäieL Dr. med. Guat. BemoulH f. Die heutige Post brachte uns die schmerz¬
liche Nachricht von dem Hinscheide unsers Mitbürgers Dr. G. BemoulH , der am 18. Mai
in S. Francisco in Californien erfolgt ist.
Auch von denen, welche nicht zu den Freunden und Bekannten des Verblichenen
gehört haben, werden manche ihre Theilnahme nicht versagen können, wenn feie erfahren,
dass B. in einem Alter von blos 44 Jahren nach 20jährigem Aufenthalt in Central -
America auf der Heimreise einer Krankheit unterlegen ist.
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404
Nachdem B ., der schon vom Knaben auf sich mit dem Gedanken trug, ferne Länder
zu besuchen, sich durch besondere, namentlich botanische ßtudien auf dieses Ziel vorbe¬
reitet hatte, reiste er (1858) nach abgelegtem ärztlichem Doctor- und Staatsexamen, mit
reichen Kenntnissen und mit Empfehlungen Al. v. Humboldts ausgerüstet, nach Guatemala,
wo er im Ganzen 20 Jahre zugebracht hat. Er betrieb dort in der ersten Zeit gemein¬
schaftlich mit einem Landsmann eine grosse selbstangelegte Kaffeeplantage, ttberliess
aber bald die Führung des Geschäfts grösstentheils seinem Mittheilhaber, indem ihn die
ausgebreitete und anstrengtnde Praxis, die ihn namentlich als Consulenten zuweilen sogar
weit über die Districts- und Landesgrenzen rief, sowie die Ueberwachung zweier von
ihm ins Leben gerufener Apotheken vollauf beschäftigte. Beinahe jährlich unternahm er
kleinere und grössere Reisen, die ihn besonders in den letzten Jahren in die entlegensten
und noch unbekannten Theile des Landes, mehrmals auch in die benachbarten mexica-
nischen und honduresischen Provinzen führten. Diese Reisen, von denen einige in geo¬
graphischen Fachschriften beschrieben sind, waren zunächst der Landeserforscbung und
zwar sowohl der botanischen und zoologischen, als der speciell geographischen gewidmet,
sollten aber ausserdem jeweilen zur Stärkung seiner Gesundheit dieuen. Denn so gestählt
sein Körper durch frühzeitige A -härtung und durch Gewöhnung an äusserBt einfache
Bedürfnisse war, so erlitt doch nach und nach seine Constitution durch die pernioiösen
Fieber der tierra caliente und durch eine heftige von Leberentzündung gefolgte Dysen¬
terie schwere Erschütterungen. Namentlich seine letzte grosse Reise im J. 1877, von
der er vieles für Wiederherstellung seiner Gesundheit gehofft hatte, bewirkte in dieser
Beziehung leider das Gegentheil. Aussergewöhnliche Strapazen des Tages in wegelosen
überschwemmten Flussthälern und zerrissenen Gebirgen, wochenlanges Schlafen des
Nachts unter strömendem Regen auf dem blossen Waldboden verschlimmerten seinen
Zustand. Im Uebrigen gelang diese Reise vollständig, obschon eie theilweise durch Ge¬
biete feindlich gesinnter Locandones-Indianer führte, mit deren Horden der Medicinmann
mehrmals im Wald zusammentraf. Seine grosse Gewandtheit im Umgang mit Indianern
überhaupt, seine Unerschrockenheit und besonders auch seine ärztlichen Dienstleistungen
halfen ihm Uber diese sonst unangenehmen Rencontres hinweg; jedoch wurde er jedes¬
mal von den Naturkindern gezwungen, eine vorübergehend rückgängige Richtung einiu-
schlagen.. Nach der Rückkehr von dieser seiner grössten Forschungsreise am Ende des
vorigen Jahres schrieb er nach Basel: „Meine Hoffnungen hinsichtlich der Besserung
meiner Gesundheit haben sich nicht erfüllt; es ist Zeit, dass ich nach Europa zurück-
kehre. Also auf baldiges fröhliches Wiedersehn!“
Am 3. Mai schiffte sich B in 3. Josd, einem Hafen von Guatemala, in einem der von
Panamä nach S. Francisco laufenden Dampfer ein. Am 18. Mai wurde er in bewusst¬
losem Zustand aus demselben in das französ. Spital gebracht, wo er nach wenigen Stun¬
den den Geist aufgab. Ueber den Ausbruch und Verlauf seiner letzten Krankheit stehen
uns noch keine nähern Details zu Gebote: der ärztliche (amtliche) Todtenschein trägt die
Diagnose: Phthisis.
Bernoulli’s Begabung war eine reiche. Neben tüchtigen Fachkenntnissen namentlich
in der Botanik besass er eine ausgebreitete Allgemeinbildung. 8ein Verstand war klar
und kritisch, sein Gedächtniss ausgezeichnet, seine Willenskraft nachhaltig. Aber auch
seine Charaktereigenschaften sichern ihm ein bleibendes Andenken bei allen näher mit
ihm Bekannten. Rauh zwar war seine Aussenseite; er blieb gegen Unbekannte wortkarg
und verschlossen; gegenüber Alltagsbckannten liess er früher gerne bei passender Ge¬
legenheit seinen trockenen scharfen Witz spielen; gegen wirkliche Freunde war er treu
wie Gold. Er hasste jederzeit aus dem Tiefinnersten alles was gemeine Denkungsart
verrieth, und konnte, so kühl er sonst war, in solchen Fällen unbarmherzig werden.
8eine literarischen Productionen*) sind theils spec. botanische, theils geogr. schildernde;
einen Aufsatz medizin. Inhalts aus seiner Feder enthält die frühere Schweiz. ärctL Zeit¬
schrift. Zahlreiche botanische und zoolog Sendungen sind durch ihn nach Europa gelangt
und die letztem alle von ihm den baslerischen Sammlungen geschenkt worden, wie er
*) Eine ausführlichere Lebensbeschreibung mit Berücksichtigung der naturwissenschaftlichen Ar¬
beiten des Verstorbenen soll, wie wir hören, im nächsten Heft der Verhandlungen der naturfomen. o
Seilschaft In Basel erscheinen. *•“*’
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405
denn immer im Auslaad die Vaterstadt sowohl als das schweizerische Heimathlund
hochhielt. Sein Andenken wird uns theuer sein, sein Name wird unter den bessern des
Vaterlandes genannt werden müssen.
14. Juni 1878. F. M.
München. An den leitenden Ausschuss der schweizerischen
Medicinalprüfungen. Tit.! Nachdem das neue Bundesgesetz, die Freizügigkeit
des Medicinalpersonals betreffend, in Kraft getreten, wandte ich mich an das Präsidium
des Ausschusses mit dem Ansuchen, mir mein cantonales bernisches Diplom in ein eid¬
genössisches umzutauschen , da ich mit einem solchen im Auslande mir das Recht zur
ärztlichen Praxis zu erwerben wünsche.
Meine Anfrage wurde dahin beantwortet, dass bis jetzt kein Vertrag mit dem Aus¬
land über Freizügigkeit bestehe, daher mein bernisches Diplom gleich viel werth sei wie
ein eidgenössisches, ein Umtausch cantonaler Diplome in schweizerische finde jedoch
nicht statt
Dem in der Schweiz practicirenden Arzte kann es ganz einerlei sein, ob er ein can¬
tonales oder eidgenössisches Papier besitzt, das ihm das Recht zur Praxis gibt, da beide
von nun an gleichwerthig sind.
Eine ganz andere Bedeutung hat diese Frage für den im Ausland lebenden schwei¬
zerischen Arzt; es ist mehr als wahrscheinlich, dass mit einem Cantonalpatente, sei es
von Bern, Uri oder Unterwalden, ein Arzt im Auslande nicht vor ein Ministerium wird
treten können mit der Anfrage um Praxisberechtigung ; die Antwort wird lauten: „Wei¬
sen Sie ein 8taatsdiplom vor, auf Ihre Lemma x und y und Ihre Cantönlipatente gehen
wir nicht ein; denn Ihr Bundesgesetz fordert auch von uns Ausländern als Gegenseitig¬
keitsbedingung ein Diplom, welches zur unbedingten Ausübung der Praxis im ganzen
Staate berechtigt.“
Indem ich mir hiemit erlaube, dieso Angelegenheit vom Standpunct des im Auslände
lebenden Arztes dem hochgeehrten Ausschuss zu unterbreiten, schliesse ich mit der Bitte,
es möchte derselbe im passenden Momente beim hohen Bundesrath die geeigneten Schritte
thun , damit das neue Freizügigkeitsgesetz auch in Beziehung auf das Ausland und die
daselbst lebenden Schweizerärzte seiner Verwirklichung näher gebracht werde.
Genehmigen Sie die Versicherung meiner Hochachtung Dr. Isenschmid.
W ochenbericht.
Schweiz.
Bern. Das neue Bundesgesetz betreffend Suspendirung einzelner Be¬
stimmungen der Militärorganisation enthält u. a. folgende Bestimmungen,
welche die Collegen interessiren dürften:
Art 1. Von der Herstellung von Proviant- und Bagagewagen nach besonderer Or¬
donnanz wird Umgang genommen.
Art. 2. Die Bestimmungen des Art. 147 und des zweiten Absatzes im Art. 149,
betreffend den Ersatz der einzelnen Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände an die
Wehrpflichtigen, resp. Entschädigung an die Officiere, werden suspendirt.
Art 8. Die Dauer der Infanterierekrutenschulen wird von 45 auf 43 Tage reducirt;
Urlaube werden an Wochentagen nur an Einzelne in dringenden Fällen ertheilt, und die
Inspectionen sind auf das Nothwendigste zu beschränken.
Art 4. Es wird von der Einberufung der Cadres vor den Wiederholungscursen der
Cavallerie (Art. 108 der Militärorganisation) Umgang genommen; dagegen sind vor den
Recrutenschulen viertägige Cadrescurse einzurichten.
Art 5. Die auf Tafel XXIX der Militärorganisation vorgesehene Besoldung der
eidgenössischen Truppen wird nur im activen Dienst, bei Occupationen im Innern und bei
Hülfeleistung im Lande, ausgerichtet. Für den Instructionsdienst wird die Besoldung,
unter Vorbehalt der Bestimmungen von Art. 217, Lemma 2, und Art. 218 und 219, fol-
gendermaassen festgesetzt: Oberst 17 Fr., Oberauditor 16 Fr., Oberstlieutenant 13 Fr.,
Oberstlieutenant, Grossrichter 12 Fr., Major 11 Fr., Major, Grossrichter 10 Fr., Haupt-
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mann, berittener 9 Fr., Hauptmann, unberittener 8 Fr., 1. Oberlieutenant, berittener 7 Fr.,
1. Oberlieutenant, unberittener 6 Fr., 2. Lieutenant, berittener 6 Fr, 2. Lieutenant, unbe¬
rittener 5 Fr., Feldprediger 8 Fr., Stabssecretär, Adjutant-Unterofficier 4 Fr. Officiere,
Unterofflciere und Soldaten erhalten ohne Uuterschied eine Mundportion.
■tarn. Kaiserschnitt mit Exstirpation des Uterus. Prof. Dr.
P. Müller in Bern theilt im Centralblatt für Gynäcologie (1878, Nr. 5) einen sehr instruc-
tiven Fall von Kaiserschnitt mit. M. hatte bei der Kreissenden, die früher 5 Mal normal
geboren hatte , nun aber in Folge von Osteomalacie an hochgradiger Beckenenge litt, 4
Tage abgewartet, weil er hoffte, es würde, wie das oft der Fall ist, das osteomalacische
Becken durch den Geburtsact erweitert. Das trat nicht ein, wohl aber fieberte die Kreis¬
sende , und die Percussion ergab Luft im Uterus. M. führte deshalb den Kaiserschnitt
unter allen antiseptischen Cautelen aus, doch so, dass er damit die Exstirpatio uteri ver¬
band und ewar nach neuer Methode. Er zog den unverletzten Uterus aus der Bauch¬
wunde, welche die Höhe des Nabels nicht überschritt, heraus, führte um den Cervix die
Drahtschlinge eines Maisonneuve 'sehen Constrictors und schnürte ab. Jetzt erst wurde der
Uterus eröffnet: viele übelriechende Gase, faultodtes Kind; Durchtrennung des Cervix
und Entfernung des UteruB mit seinen Ligamenten, den Tuben und Ovarien. Hiebei war
die Blutung äusser6t gering, so dass die Frau (in Folge der Compression) kaum mehr Blut
verlor, als bei einer normalen Geburt. Der Stiel wurde in den untern Wundwinkel ein¬
genäht; antiseptische Nachbehandlung.'
Bis zum 17. Tage (dem Datum der Publication) war der Verlauf ein günstiger; auf¬
fallend war, dass die Exstirpation der septisch infleirten Gebärmutter einen sofortigen
Fieberabfall zur Folge hatte: der Process hatte eben damals noch nur die Höhle des
Uterus ergriffen.
Müller erzielte durch seine Methode der Incision des Uterus ausserhalb der Gebär¬
mutter (und zwar erst nach vorausgeschickter Zusammenschnürung des Uterus) einen mi¬
nimen Blutverlust und den Schutz vor Verunreinigung der Bauchhöhle.
Bei normalem Uterus wurden Kaiserschnitt und Exstirpatio uteri erst 4 Mal combi-
nirt von Porro, C. v. Braun je 1 Mal and 2 Mal von Späth; es genasen zwei Frauen.
Ifaive Beelame. Einem Briefe an einen hiesigen Collegen entnehmen wir fol¬
genden Passus:
„Hiemit erlaube ich mir, Ihnen meine Pension in freundliche Erinnerung zu
bringen und ersuche Sie höflichst, dieselbe in Ihrem Bezirk zu empfehlen. Da diese noch
wenig bekannt ist, so verpflichte ich mich, Ihnen von jeder PerBon, die Sie mir zusenden
und eine Woche bei mir logiren, Ö Fr. zu bezahlen (von 10 Personen ÖO Fr., 20 Perso¬
nen 100 Fr.)“ (sic!) ....
Wenn der betreffende Bärenwirth in S. glaubt, durch einige in Aussicht gestellte
„Fünflivres“ seine Pension in ärztlichen Kreisen bekannt zu machen, so gelingt ihm das
vielleicht; aber wenn er so naiv ist, anzunehmen, dass mit derartigen unerlaubten Mani¬
pulationen die ihm nützlich erscheinende Empfehlung des ärztlichen Standes erkauft
werde, so irrt er sich gewaltig. Derartige unverschämte Zulagen an den ärztlichen Stand
sind unseres Wissens in unserem Lande eine Seltenheit, und wir weisen mit Entrüstung
diesen ebenso unverfrorenen wie plumpen Bestechungsversuch zurück. Sollte der betreffende
Bärenwirth in 8. trotzdem fortfahren , die Aerzte mit. seinen Briefen zu beleidigen , so
werden wir keinen Anstand nehmen, seine deutlichere Adresse mitzutheilen.
Wenn er glaubt, mit diesen stumpfen Angeln nach Curgästen fischen zu müssen, so
dürfte leicht, trotz aller Anstrengungen, sein Bier sauer und sein Caffee kalt werden!
Zfirieha Typhusepidemie von Kloten. Das von allen Seiten sehr
zahlreich besuchte Sängerfest in Kloten (80. Mai) hatte für die Theilnehmer äusserst fa¬
tale Folgen. Ganz nach Analogie der viel ^iscutirten andelfinger Epidemie erkrankten
kurz nach dem Feste (und erkranken jetzt noch) eine grosse Zahl der Festthefinehmer (bis
heute ca. 600). Die Sanitätsdirection beauftragte Herrn Dr. Zeknder, durch Untersuchun¬
gen an Ort und Stelle die Ursache der Erkrankungen zu erforschen. Ebenso wurde Herr
Prof. Dr. Huguenin mit dem eingehenden 8tudium der Massenerkrankung beauftragt.
Der Verlauf war bis heute ein günstiger (nur ein Todesfall); der 8ymptomencomplex
sowie das Ergebniss der Section des Verstorbenen zeigen, dass man es mit einer Epi¬
demie von Abdominaltyphus zu thun hat.
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Als sicher ergründetes ätiologisches Moment gilt bis dahin der Genuss von Kalb¬
fleisch, das als Ragout, Braten und Wurst aufgetragen wurde und von kranken, wenn nicht
gar verendeten Kälbern stammte. Interessant ist, dass nach dem amtlichen Bericht auch
ein Hund und ein Krokodil, beide mit dem verdächtigen Fleische gefüttert, unter typhus -
ähnlichen Symptomen erkrankt sind.
Wir warten die erhobene amtliche Untersuchung ab und werden dann die constatir-
ten genaueren Ddtails veröffentlichen.
Stand der Iufectionn-Kranhheiten in Hasel.
Vom 11. bis 25. Juni 1878.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Die Masern haben in Kleinbasel wieder zugenomraen; angezeigt sind 60 neue Fälle
(44, Öl, 58), davon aus Kleinbasel 37 (82, 25, 28), aus Grossbasel 23 (12, 26, 30), letz¬
tere zum grössern Theile im untern Birsigthale.
Scharlach 9 neue Fälle (11, 11, 6, 15), davon 6 in Kleinbasel.
Die Zahl der angemeldeten Typhusfälle hat wieder abgenorameu auf 12 (2, 4, 5,
18); davon 6 im Birsigthale, 6 in Kleinbasel, 1 vom Nordwestplateau. Der im letzten Be¬
richte näher definirte Theil des Birsigthales, der damals 9 Erkrankungen geliefert hatte,
ist diesmal mit 3 vertreten.
Diphtherie 4 Fälle (6, 5, 9) zerstreut.
Pertussis 22 Anmeldungen (7, 18, 11), je 9 vom Nord wes tplateau und Birsig¬
thale, je 2 vom Südostplateau und Kleinbasel.
Erysipelas 2 Fälle (6, 4, 6).
Spärliche Varicellen; kein Puerperalfieber.
Bibliographisches.
61) Wiener Klinik , Heft 6. Hock, Der gegenwärtige Stand der Lehre vom Glaukom. Wien,
Urban & Schwarzenberg.
62) Mayer , Die Wunden der Milz, mit 1 chromolithograph. Tafel. 6 Mark. Leipzig,
F. C. W. Vogel.
63) Zahn , Beiträge zur pathologischen Histologie der Diphtheritis. Mit 4 Tafeln. 8 Fr.
Leipzig, F. C. W. Vogel.
Briefkasten.
Herrn Dr. E. H. in 8.: Verdanke bestens die gegebene Auskunft. Wir bedauern die Uncolle-
gialität, die Ihnen entgegentritt, und die uns ganz unerklärlich. Herzliche Grilsse. — Herrn Dr. L—y
in P.: Die betr. Besprechung soll willkommen sein. Schicken 8ie doch einen nachträglichen Reise¬
bericht über medic. Leben und Treiben in der Metropole. Freundl. Grösse. — Herrn Dr. Sonder¬
egger: Das Circular betr. Mortalitätsstatistik ist an Sie abgegangen. — Herrn Dr. W—d in Rh—n:
Dankend erhalten. — Herrn Dr. 1—d in M—ch—n: Ihr Brief war schon im Satz. Richten Sie aber
trotzdem an die bezeichnete Adresse eine sachbezügliche Eingabe. — Mit Ac. Bclerot. habe ich nicht
experimentirt; eine kurze Notiz wäre erwünscht. — Herrn Dr. P. Zoller, Wald; Dr. R. Meyer-Rüni,
Zürich; Dr. F. Müller, Basel; Prof. Aehy, Bern: Mit bestem Dank erhalten. — Herrn Dr. M. in Z.:
Eine Abbildung des Corpus delicti halte ich nicht für nöthig. Das nächste Mal werden wir Sie nun
schon finden. Freundl. Grilsse.
Ein Kliniker wünscht für einige Zeit zu einem practischen Arzte der französischen
Schweiz. Anfragen W H in der Expedition dieses Blattes. _
Pension Walser, Seewis, Prättigau,
empfiehlt sich bei einem Pensionspreis von Fr. 4 inclusive Zimmer bestens zur Aufnahme
von Fremden. Der unmittelbar an die Pension anstossende Baumgarten mit laubiger
Veranda, ungestörten romantischen Schattenplätzchen bietet bei der grossen Hitze an¬
genehme Zufluchtsplätzchen mit ganz freier Aussicht aufs Prättigau.
[H-2201-Q] Peter Walser .
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Emser Quellsalz
in gelöster Form
wird aus den König-Wilhelms-Felsenquellen
gewonnen und enthält die bekannten heil¬
kräftigen Bestandteile der Emser Quellen
in 20facher Concentration. — Anwendung
findet dasselbe zur Inhalation, zum Gur¬
geln und zur Verstärkung des Emser Ther¬
malwassers beim Trinken. Zu beziehen durch
ille Apotheken und Mineralwasserhand¬
lungen des In- und Auslandes.
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409
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410
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illigerem Preis dient diese Quelle in allen Krankheiten, für welche das berühmte Vichy-
Vasser sich als heilsam bewährt hat, z. B. bei Mangel an Appetit, träger Verdauung,
odbrennen, Hämorrhoiden, Fettsucht, Gelbsucht, bei Leiden der Leber, der Nieren, der
tlase etc.
Die Theophils-Qnelle, ein kräftiger eisenhaltiger Natronsäuerling, dienlich bei
chwächezuständen des Bluts, bei Scrophulosen, Rheumatismen und Anlagen zu Gicht.
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lusemann dem altberühmten St. Moritz ebenbürtig, ist von vorzüglicher Wirkung in allen
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Vorräthig in allen Apotheken des In- und Aaslandes,
ersandt durch die Verwaltung der Mineral-Quellen Passug und Belvedra in Chur.
Prospccte gratis und franco.
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411
H9l»*fcitrort Dsvos.
5000' iil>©r Meer.
Hötel zur Post Davos-Frauenkirch.
Eröffnung den 1. Juli. In schöner Lage, eine halbe Stunde von Davos-Piatz,
dem Centrum des Kurorts, entfernt. Zweimal täglich Postverbindung von und nach
Chur und dem Engadin. Post im Hause. Angenehme Spaziergänge ohne Steigung
in prächtigem Tannenwalde in unmittelbarer Nähe des Hauses. Lohnende Berg-
parthien. Zu jeder Zeit kuhwarme Milch. Preise billigst. Einfache Pension Fr. 3,
Zimmer (meist S&dzimmer mit hübscher Aussicht) von 70 Centimes an per Tag.
Auf Wunsch werden auch Familienwohnungen abgegeben.
[H-2270-Q] Chr. Branger, Eigenthümer.
Station. Bad Schinznach, Schweiz. Bureau.
Dauer der Saison vom 15. Mai bis 15. September.
Therme mit reichem Gehalt an Kalk, Kochsalz, Schwefelwasserstoff, und Kohlensäure; berühmt
durch ihre Heilwirkung bei Scropheln (Drüsen-), Haut-, Knochen und Schleimhautkrankheiten,
chronischem Catarrhe, Emphysem, Asthma und all gemeiner Schwäche.
Mildes Klima.. Wald. Milchkuren.
Pension I. Classe Fr. 8, II. Classe Fr. 4. per Tag.
Zimmerpreise von Fr. 1. 50 bis Fr. 8. [498-RJ
Für nähere Erkundigungen beliebe man sich zu wenden an: _ß, Stwhly , Direktor.
Saison Mai bis October.
Eine Stunde ob Biel, am Fusse des Chasseral.
3000 Fuss Uber Meer.
Klimatischer Luftkurort. Fichten-Waldungen. Molken und Ziegenmilch. Auswahl
in Mineralwasser. Bäder und Douchen. Alpen-Panorama: Montblanc bis Säntis. Gross-
artige ausgedehnte Park-Anlagen. Mannigfaltige Spaziergänge. Post* und Telegraphen*
bureau. Gas. Fuhrwerke am Bahnhof Biei.
[H-527-Y] Der Eigenthümer:
Albert Wmlly, zum Gasthof zur Krone in Biel.
== BADEN =
im Aarg-au.
Berühmte Schwefeltherme yon 45—47,5° C.
Gegen: Arthritis und Rheumatismus chron.; Nephrit, chron.; pleurit. und peritoneal.
Exsudate; hartnäckige Catarrhe der Schleimhäute; Schwächezustände nach
erschöpfenden Krankheiten und traumatischen Verletzungen; Erkrankungen der
weiblichen Sexualorgane; chron. exsudative Dermatosen; Syphilis und Metall*
dyscrasien.
Das Thermalwasser wird angewandt zu Trinkkuren; Wasser- und Dampf*
bädem; Douche; feuchte Einwickelungen; Inhalationen der Quellgase und des fein
zerstäubten Quellwassers. [H-1861-Q] Br. A. Barth, Badearat.
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412
Saxlehner ‘ Bitterquelle
Hunyadi Janos
= Das Gehaltreichste und Wirksamste aller Bitterwässer =
analysirt durch Licbig 1870, Bnnsen 1876, Fresenius 1878.
Urtheile ärztlicher Autoritäten:
Prof. Dr. Yirchow, Berlin * .Stets mit gutem und promptem Erfolg angewandt. 1
Hl* vnn UilinhAI’VAl 1 WiAll' * n8 ? weic i“ lelem Erfolg bei allen jenen
11 Ui. lir. >UI1 Ihllliueigtl, Wien. Krankheitsformen angewendet, in welchen die
_ Bitterwässer ihre Indication finden. 1 * _
Prof. Dr. Wunderlich, Leipzig: ««“glich wirkende«. au.i ee rendes mim.
__ nic ht unangene h m in n ehmen, nnd dem Magen unschädlich. 1
Prnf Hr SniAtrplhimr ItrAulnil 1 .HabiTkeinerder andern Bitterwässer so ^prompt,
171 Ul. Ul. UtJrg, DlttMtlll. so andauernd gleichmissig nnd mit so wenigen
Nebenstörungen wirkend gefunden. 1
Prof. DrT Scanzöni v. Lichtenfels, Würzbürg: ^TkiTgegenwirüg
in allen Fä llen, wo die Anwendung eines Bitterwassers angezeigt, ausschl iess lich in Gebrauch. 1
Prof. Dr. Friedreich, Heidelberg : Wirkung nichts tu wünschen übrig .* _
Prof. Dr. y. Buhl, München: .Wirkt rasch, zuTerlässig, ohne Beschwerden. 1
P rof. Dr. V. Nus sbaiim, München: ; ß fi r D Äen c Soi n ^ ehr kleinen DQ8PD 3fn ^
Bi'aP Tlr K llWWTII .il] StmSshlll’iT' .Empfehle ich bereits seit Jahren als ein schon in
X 1 Ul. 1/1 • IVllnnllltllll, ijIX UUl § . m&ssiger Menge sicher wirkendes Abführmittel. 1
Prof. Dr. Jonquttre, Bern * .Wirkt sicher, wird von den Verdauungs-Organen leicht rer-
_ tragen und ist bei angenehmerem Geschmack allen anderen gleich artigen Wässern vonntiehen. 1
, Hunyadi Jdnos Bitterwasser “ ist zu beziehen aus allen MineralwassercUpots und in
den meisten Apotheken; in Basel Haupt-Depot bei E. Batnsperger.
Der Besitzer: Andreas Saxlehner, Budapest.
Das
Weissbad bei Appenzell
819 Meter über Meer.
Schattige, geschützte, windstille Lage, milde Bergluft, ebene Spaziergänge und Gc-
jenheit zu genussreichen Gebirgstouren. Gute Verpflegung ohne high-life und ohne
mi-monde. Ziegen- und Kuhmilch, Ziegenmolken und zahlreiche neugebaute Kachelbassins,
»uchen und Wannenbäder. (H2109Q)
Badeärzte: Dr. Satter und Dr. Hersche.
__ Die Besitzerin: Wwe. Inanen.
mattMü!
OFNER königs-bitterwasser
•d von den ersten medicinischen Autoritäten des In- und Auslandes gegen habituelle Stuhl-
;rhaltung und alle daraas resultirenden Krankheiten ohne irgend welche üble Nach*
rkunsr, auch bei längerem Gebrauche, auf das Wärmste empfohlen.
Durch seinen reichen Gehalt von Chlornatrium, Natron bicarbonicnm und Nalron rar-
nicum verdient es den Vorzug vor allen andern Bitterwassern des In- und Auslandes.
MATTONI & WILLE, k. k. östorr. Hoflieferant,
Besitzer der 6 vereinigten Ofner Königs-Bitter-Quellen.
Curvorschriftan und Brochuren gratis. [H-10-W]
B UDABEST, Dorotheagasse Nr. 6.
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Googli
413
Post-
nnd
Telegraphen-
Bureau.
Soolbäder Schauenburg.
Baselland (Schweiz).
Saison 1878.
Eisenbahnstat.
Pratteln.
Schönth al.
Liestal.
Domach-Arlesheim.
Milch- und Molken-Kuranstalt. Angenehmster und gesundester Sommeraufent¬
haltsort. 80 Zimmer; 150 Betten; grosse Speisesääle. Lesezimmer. Damensalon.
Sehr mässige Pensionspreise, besonders günstige Bedingungen für ganze Familien.
Prospecte franco.
[H-2328-Q] B. Flury- Wassermann, Proprietairc.
in schönster Lage, mit grossem schattenreichem Garten. Molken, Kuh- und Ziegenmilch.
Bäder im See, warme im Hause. Als Hausarzt ist Herr Dr. Steiger bestellt. Pensions¬
preis 5—7 Fr. je nach den Zimmern.
[H-2061-Q] __Frau Dr. Willi.
Eisenbahn-Station 0 n «1 0 1 ¥1 m A IB fl ^ A I II Telegraphen-Bureau
Thun. DdU DllMlIrllNH III Wattenwyl.
bei Thun, Canton Bern. [H-2228-Q]
Erdig - salinische Stahlquelle.
Analyse von Hrn. v. Feilenberg 1852 und Hrn. Prof. Dr. Schwarzenbach 1877.
In 10,000 Grm. 0,122 kohlensaures Eisenoxydul.
Neu erbautes, äusserst zweckmässig und mit allem Comfort ausgestattetes Kurhaus.
Wird sehr empfohlen bei Ansmie und Chlorose und den damit zusammenhängenden Krank¬
heiten, besonders bei chronischen Catarrhen der Schleimhäute der weiblichen Genital¬
organe, chronische Metritis und Uterusinfarkt; rückbildend bei parenchymatösen und
Schleimhaut-Wucherungen; bei Menstruations-Anomalien; bei Sterilität und Disposition zu
Abortus aus Atonie; bei Neurosen und rheumatischen Lähmungen.
Contraindizirt bei org. Herzfehlern; Tuberculoso und allgemeiner Plethora.
Der Kurarzt: J . Saygi . Die Eigenthümerin: Familie Rüfenacht,
Die Bäder von Bormio
im Veltlin.
1400 Metei’ über Meer.
Diese Thermalquellen von 31° Reaum. werden mit überraschendem Erfolg gegen
Gicht und Rheumatismen, gegen Hysterie und andere Frauenkrankheiten, gegen Scropheln,
Hautkrankheiten und veraltete Geschwüre, gegen chronische Katarrhe der Athmungs-
organe, der Harnblase, des Darmkanals, gegen Sodbrennen, sowie gegen chronische innere
Entzündungen, gegen Vernarbung von Schusswunden etc. angeordnet.
Neue, höchst comfortable Einrichtungen in beiden Bädern, elegante Badekabinets,
Gesellschaft»-, Douche- und Schlammbäder, Damen- und Musiksalons, Lesezimmer, Cafe und
Billard, gymnastische Apparate. Trauben- und Molkenkur. Fremde Mineralwasser. Tele¬
graphenbureau und tägliche Postverbindungen. Mässige Preise.
Nähere Auskunft ertheilen: [H-1986-Q]
Der Badearzt: Dr. Gio. Reali. Die Bade-Direction.
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414
415
Für das Krankenhaus in Fürstenau wird ein
Arzt gesucht, der auch in der Chirurgie Erfah¬
rung hat. — Anmeldungen bei der Commission
in Fürstenau hei Thusis.
Verlag von F. C. W. Vogel in Leipzig.
Soeben erschien:
Bnchheim, Dr. E. (Wien). Handbuch für Ver¬
sicherungsärzte. Aerztliche Versicherungs¬
kunde. gr. 8. 5 M. 60 Pf.
Cohn heim, Prof. Dr. Jul. (Leipzig), lieber die
Aufgaben der Pathologischen Anatomie. Vor¬
trag, gehalten beim Antritt des Lehramtes
an der Universität Leipzig am 11. Mai 1878.
gr. 8. 1 M.
Hüter, Prof. Dr. C. (Greifswald). Klinik der Ge¬
lenkkrankheiten. Mit Einschluss der Ortho¬
pädie. Auf anatomisch-physiologischen Grund¬
lagen nach klinischen Beobachtungen für
Aerzte und Studirende. 2. umgearbeitete Auf¬
lage. Dritter (Schluss-)Theil: „Specielle
Pathologie der Gelenkkrankheiten am Kumpf
und Kopf. 11 Mit 45 Holzschnitten, gr. 8. 6M.
Mayer, Dr. Ludwig (München). Die Wunden der
Milz. Mit 1 Tafel, gr. 8. 6 M.
Möbius. Dr. J. P. (Leipzig). Grundriss des Deutschen
Militär-Sanlt&tswesens. Ein Leitfaden für in
das Heer eintretende Aerzte. 8. 3 M. 20 Pf.
Zahn, Dr. John (Rostock). Beiträge zur Patho¬
logischen Histologie der Diphtheritls. Mit 4
Tafeln, gr. 8. 6 M.
Ziemsseu, Dr. 0. (Wiesbaden). Zur Therapie der
constHutionelien Syphilis, gr. 8. 1 M. 20 Pf.
t. Zlenuaen’g Handbuch der Speciellen Pathologie
und Therapie.
VII. Bd. ln.2. Chylopoetischer Apparat 2. Auf¬
lage. 24 M.
IX. Bd. 2. Harnapparat. 2. Auflage. 11M.
XI. Bd. 1. Gehirnkrankheiten. 2. Aufl. 20M.
XI. Bd. 2. Rückenmark (complet). 19 M.
Supplementband zur 1. Auflage des Hand¬
buchs. 7 M. 50 Pf.
Franzensbad in Böhmen.
Di« Versendung der E*er-Fr«nien*b«der MinerelwSsaer
(Fransest-, Sala-, nieten-, Nenqaelle und kalter
Spradel) für die Balaoa 1878 hat begonnen nnd
werden dieselben nur in GlasbonteiUen reraendet. Be¬
stellungen hieran/, aowte für Fransestbader Htaeral-
moor nnd ■oennln werden aowohl direct bei der onter-
aeiebneten Direction, als auch bei den Depot« natür¬
licher Mineralwiaaer ln allen grösseren 8Udten dee
Continenta angenommen nnd prompt effeetnirt. Brochnren
über die eminenten Heilwirknngen der weltberühmten
Kger-Fransestbader llseralwltser werden gratis
verabfolgt. [411-B]
Stadt Egerer Brun nen - Versend u ngs-
Dlrection in Franzensbad.
Pharmaceutische Centralstelle für Hygiene
und Krankenpflege.
R. H. PAULCKE, Engel-Apotheke,
LEIPZIG.
Versandt von rein animaler Lymphe aus
der Anstalt fUr animale Lymphe zu Leipzig.
Die Lymphe wird von Kalb zu Kalb über¬
tragen, unter Ausschluss jeder Verwendung humani-
sirter Lymphe.
Die zur Vaccination benutzten Kälber werden
in der Veterinairklinik der Universität Leipzig
(Prof. Dr. Zürn) vorher untersucht.
Die Lymphe wird jeden Mittwoch Vormittag
abgenommen nnd noch am selben Tage versandt.
Bestellungen, welche später eintreffen, müssen
bis znm nächsten Mittwoch unerledigt bleiben.
Preis pro Capillare, Spatel oder Glasplatte
mit animaler Lymphe 2 Mark. Zur Ersparnngder
Nachnahmespesen empfiehlt sich vorherige Ein¬
sendung des Betrages, worauf der Versandt
franco als Muster ohne Werth geschieht. — Bei
grösseren Aufträgen entsprechender Rabatt.
Hnmanisirte Lymphe
in frischester Qualität ans Landbezirken
ä Röhrchen 75 Pfennig.
„Pepton.**
Durch Pankreas künstlich verdautes gutes
Ochsenfleisch mit einem Zusatz von ebenfalls ver¬
dautem Weizenbrod.
Fleisch und Brod demnach künstlich in derselben
Weise vorbereitet wie diese im menschlichen
Körper stattündet.
Das Pepton ist das beste Nahrungsmittel in
allen möglichen Schwächezuständen für Rekon¬
valeszenten, in den verschiedenen Krankheiten
nnd Störungen des Verdauungsapparates, z. B. bei
Magengeschwüren, beim Typhus u. s. w.
Ferner in allen Fällen, wo eine rasche und
kräftige Ernährung gewünscht wird, in jedem Alter
das Pepton ist das kräftigste Nahrungsmittel, nicht
nur leicht verdaulich, bedarf vielmehr gar keiner
Verdauung, sondern wird direkt vom Blute aufge¬
nommen.
Das Pepton ist ausserdem das einzig indirekte
Nahrungsmittel in denjenigen Fällen, in welchen
Ernährung per lavement erfordert oder gewünscht wird.
Das Pepton ist zu haben in Büchsen von V«
Kilo Inhalt = */» Kilo Fleisch und */* Kilo Brod.
Preis per Büchse Fr. 3. 75. [H-2222-Z]
Hauptniederlage für die Schweiz in der Apo¬
theke von Eldenbenz & Stürmer in Zürich.
Dr. Sanders & Comp., Amsterdam.
Die Blutegel-Colonie
Schönholzersweilen, Thurgau,
empfiehlt frische sanglustige Blutegel directe aus
den Teichen zu ganz billigen Preisen. [H-Z778-ZJ
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416
Offerire den Herren Aerzten franco gegen
fachnahme. Packung frei.
Preissteigerung Vorbehalten,
hinin sulfur. pur. 30 Grm. Fr. 18, 15 Gr. 9‘/s Fr.
„ muriat. 30 Grm. Fr. 20, 15 Gr. 10’/« Fr.
lorph. acet. 30 Grm. Fr. 15, 15 Gr. 8 Fr.
„ muriat. 30 Grm. Fr. 16, 15 Gr. 8 1 /* Fr.
atr. salicyl. aibis. (Schering) pulv. 100 Gr. Fr. 4. —,
250 Gr. Fr. 8. 50.
„ salic. crystal. puriss. 100 Grm. Fr. 5. —.
cid. salicyl. cryst. 100 Grm. Fr. 4.
alium jodat. pur. 250 Grm. Fr. 12.
hloroforn. pur! pt. helv. 250 Gr. Fr. 2.
alium bromat. purum 250 Grm. Fr. 2. 50.
St. Gallen Ende Juni 1878.
[H-2325-Q] C. Ehrenzeller, Apotheker.
I)r. K. Ton Erlach hat seine Praxis als Kurarzt
i Eaden im Aargau wieder aufgenommen und
mpfiehlt sich dem Wohlwollen seiner Herren
Kollegen. Er wohnt Badstrasse. Haus des Bazar
’fister Nr. 444, nächst dem Nordostbahnhofe,
prechstunden 10—12 Uhr. [H-2871-Q]
Meinen Freunden diene zur Nachricht, dass ich
regen fortwährenden Krankheiten die Praxis in
Lirchberg im Herbste 1877 habe aufgeben müssen,
nd dass ich jetzt in Bümplitz (bei Bern) wohne.
Juni 1878. _ J. Filri, Arzt. ' |
Frischer Impfstoff.
iarantirt rein von den Lieferanten für
Berliner Aerzte.
Generalddpöt für die Schweiz, Apotheke Rohn
i Genf. Wöchentlich treffen je 2 frische Sen-
ungen aus Berlin ein. Preis: Kinderlymphe
r. f ube 1.40, pr. 12 ä 1. 20 franco, Kuhpocken-
pmphe pr. Tube 2. 80. [H-3936-X]
ß. H. PAULCKE, Engel-Apotheke,
LEIPZIG.
Generalvertretung der Hunyady - Läszld-
Bittersalzquelle in Budapest
Die grosse Anzahl von Ofener Bitter¬
wässern und die von einzelnen Quellenbesitzern
öffentlich ausgefochtene Polemik, welche die
stärkste und beste sei, machen dem Arzte und
Laien die Wahl schwer. Thatsächlich ist unter
den verschiedenen Quellen, die alle auf demselben
Rayon liegen, kein grosser Unterschied und
richtet sich der Gehalt an Salzen nach der mehr
oder minder guten Construction der Brunnen,
sowie ob das Wasser bei trockener Witterung
oder nach starken Regengüssen geschöpft ist.
Der neue Brunnenbau der Hunyady-Liszlö-Quells
wird als mustergültig geschätzt und gibt daher
die beste Gewähr für die Gleichmässigkeit ihres
nach" vergleichender Analyse stärksten Gehalts
an Salzen. Um jedoch eine ganz genaue Do-
sirung zu ermöglichen, lässt die Verwaltung der
Hunyady -üitzlö* Quelle aus ihrem Mineralwasser
ein Extract in Form eines weissen leichtlös¬
lichen Pulvers an der Quelle selbst herstellen,
welches sämmtliche wirksame Bestandtheile der¬
selben enthält. Einer Dose Inhalt stimmt mit
dem einer Flasche Bitterwasser überein, 1 Kaffee¬
löffel — 1 Glase. Oie Vorzüge de« Hunyady* Uszlö-
Extracts vor jedem Bitterwasser bestehen ausser¬
dem in der Annehmlichkeit, dass jenes in Oblate
oder in jedem Getränk genommen werden kann
— somit von besonderem Werthe für Alle, welche
Widerwillen gegen Bitterwasser hegen —, und
dass die kleine Dose auch auf Reisen bequem bei
sich zu führen ist. Preis der Dose 50 Pfennig.
— Den Herren Aerzten stehen Proben gratis und
franco zu Diensten.
Apotheker und Chemiker,
, rf en
Fabrik diätetischer und medicin.-diätetischer Präparate,
empfiehlt den Herren Aerzten ihre vielfach prämirton Fabrikate:
Liebe’s Nahrungsmittel in löslicher Form.
NShrmittel an Stella oder mit der Muttermilch, namentlich bei DurchAUen nnd Dannkatarrh der Singling«
anerkannt bew&hrt. Die der Mnttermilch im Durchschnitt correepondirende Zusammensetzung der Lösung de*
PrSparates in Milch begründet, — snch weil in Emulsionsform, den vor jedem anderen Singlingsn&hnnittel
hervorragenden Ernkhrungaerfolg nnd die weite Verbreitung des Pr¶tee.
I ioho’c MoGnvtrat unaecohren und coneentrlrt, von lieblichem Geschmack, ist dieses Prkpaist wegen
LICUC O iilaltCÄ LI al, geiuer Einwirkung auf die leidenden Reepirationsorgane vielseitig geschStst.
Liebe’s Malzextract mit Eisen. E88,6ffel 0 58 fwrom P7ropho,phoric " cn " “~
Liebe’s Malzextract mit Chinin und Eisen.
Liebe’s Malzextract mit Kalk Dr P.’ ReidTln Stuttgart bei Lungenpbthise, Atrophie, Zahnen
der Kinder, Skrophulose, Knochenleiden, profuser Menstruation in umtosenden Gebrauch gesogen.
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K.ICUC O rcpolllWCIII, probt wirksam gegen Verdauungsstörungen.
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Titeln.Inhalt8verzeichniss.
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schweizer Aerzte.
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Dr. Alb. Burekbardt-Herlan and Dr. A. Baader
PriT*tdocent in Basel. in Gelterkinden.
N° 14. Yin. Jahrg. 1878. 15. Juli.
Iakalt: 1) Originalarbeiten: L. Hermann: Ueber regulatorische Einrichtungen im Organismus. — 2) Vereins¬
berichte: XVIL Versammlung des ärztlichen Centralrereine in Zürich. — Medicinische Gesellschaft in Basel. — 3) Referate
und Kritiken: A. Jacobi: üeber Masturbation und Hysterie bei Kindern. — 4) Cantonale Correspondensen: Aus den
Acten der schwele. Aerste-Commisaion, Appenseil, Basel, Baselland, Prag. — 5) Wochenbericht. — 6) Briefkasten.
Orig , inal--Aj*l>eiteii.
Ueber regulatorische Einrichtungen im Organismus.
Von L. Hermann.
(Freie Wiedergabe eines am 18. Mai 1878 zu Zürich in der Sitzung des ärztlichen
Centralvereins gehaltenen Vortrags.)
M. H. Das strenge „20 Minuten Aufenthalt“ an der Spitze unserer Tages¬
ordnung ist für den Vortragenden nicht ermuthigend. In 20 Minuten kann man
wohl eine Mittheilung aus der Praxis, oder eine ganz specielle Versuchsreihe aus
dem Laboratorium Vorbringen; da aber letzteres für diese Versammlung ein relativ
gerihges Interesse hätte, so hin ich in Verlegenheit und muss um Ihre Nachsicht
bitten; ja ich musste auf dieselbe rechnen, als ich der freundlichen Aufforderung v
des Herrn Präsidenten, einen Beitrag zur heutigen Tagesordnung zu liefern, Folge
zu leisten mich entschloss, obwohl ich seinem specielleren Gesuch, womöglich etwas
an die Hygieine Streifendes zu bringen, nur sehr unvollkommen Folge leiste.
Indessen hat mein Gegenstand wirklich etwas mit der Hygieine zu thun, wenn
auch in anderem Sinne als man letztere gewöhnlich auffasst. Das mächtigste
hygieinische Element in uns selbst sind nämlich die zahllosen Regulationsvorrich¬
tungen in unserm Organismus, welche unaufhörlich die Eingriffe äusserer Schäd¬
lichkeiten auf unsern Organismus zu paralysiren und zu compensiren streben, welche
uns unter den mannigfachsten Verhältnissen (innerhalb gewisser Grenzen) gesund
erhalten, und wenn wir erkrankt sind, in langsamerer Wirkung wieder gesund
machen. Denn sicher ist die sogenannte „Heilkraft der Natur“ nichts Anderes als
die Wirkung langsamerer und dadurch um so schwerer übersehbarer regulatori¬
scher Vorgänge, und Krankheit wahrscheinlich in den meisten Fällen nichts Anderes
als Störung des Regulationsapparates oder Ueberschreitung der Regulationsgrenzen.
Denn in der That wird kaum bei einer Maschine die Leistungsfähigkeit ihrer Re¬
gulatoren durch ihren Besitzer auf so harte und rohe Proben gestellt, als der
37
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418
Mensch es mit seiner wunderbaren und nicht durch neuen Ankauf ersetzbaren
Maschine thut.
Die Physiologie ist freilich auf diesem Gebiete noch in den ersten Anfängen.
Wir lernen die Natur etwa so kennen, wie der Schüler eine Dampfmaschine.
Auch ihm erklärt sich die Steuerung, der Centrifugalregulator zuletzt; er hat schon
Mühe genug, das grobe Spiel des Kolbens, des Balanciers, der Pumpen zu ver¬
stehen. In der Physiologie kennen wir die gröbsten Dinge erst seit Kurzem: den
Kreislauf seit 250, die Athmung seit 100, das electrische Erregungsgesetz seit
30—40 Jahren. Was wir über Regulationen wissen, ist aber gänzlich neueren
Datums. Der Arzt bewegt sich in diesen feineren Dingen eigentlich viel mehr als
wir Physiologen; er beobachtet die feinsten Vorgänge, aber in getrübter, fast un¬
entwirrbarer Form; wir, die wir nur die lösbareren Aufgaben wählen, kleben dafür
grösstentheils am Gröberen.
Im weitesten Sinne ist das ganze Nervensystem ein Regulator. Selbst unsere
willkürlichen Acte lassen sich grossentheils zurückführen auf regulatorischen Schutz
gegen Verhungern, Erfrieren, und Tod in jeder Gestalt. Allein wir brauchen so
weit in der Abstraction nicht zu gehen; im Bereiche der vegetativen Functionen
treten uns die concretesten Regulationsfälle in Hülle und Fülle entgegen.
Die Organe des vegetativen Lebens werden grossentheils durch in ihnen selbst
gelegene gangliöse Apparate in Gang erhalten; aber die Anpassung dieses Ganges
an die Bedürfnisse des Organismus geschieht durch Nerven, welche in diese Appa¬
rate eingreifen, und zwar entweder erregend, beschleunigend, verstärkend, oder
hemmend, verlangsamend, schwächend. Man kann fragen, warum hier zweierlei
antagonistische Nerven angebracht seien, da doch mit einer einzigen Gattung an¬
scheinend alle Grade der Thätigkeit bewirkt werden könnten; allein erstens hat
man neuerdings an den beiden Nervengattungen des Herzens gefunden, dass sie
keine reinen Antagonisten sind, das Eingreifen ist also verwickelter als unser ein¬
faches Schema es darstellt; zweitens wäre die Erfüllung des Zweckes mit nur
Einer Gattung für unsern Organismus eine Gefahr: haben wir Beschleunigungs¬
und Hemmungsnerven, so darf der Apparat für,sich auf mittleren Gang ein¬
gestellt sein, und wenn jene Nerven gelähmt wären, würde er in diesem fortfahren?
was im Allgemeinen nicht sogleich viel schaden wird; hätten wir nur beschleuni¬
gende Nerven, so wäre der Apparat nur zweckmässig, d. h. aller Gangarten fähig,
■wenn er für sich auf langsamsten Gang oder Stillstand gestellt wäre, und ebenso
müsste or, wenn nur hemmende Nerven da wären, für sich auf schnellsten Gang
eingerichtet sein; in beiden Fällen wäre Wegfall der regulirenden Nerven von
vernichtender Wirkung.
Peitsche und Zügel — so dürfen wir die beiden Nervengattungen kurz be¬
zeichnen — werden nun von nervösen Centralorganen im Gehirn und Rückenmark
nach Bedürfniss gehandhabt und das Bedürfniss wird von den entferntesten Be¬
zirken her mittels centripetaler Nerven jederzeit gemeldet. Der regulatorische
Vorgang ist also seiner Natur nach ein Reflex von centripetalen Bahnen auf cen-
trifugale, und zwar auf verstärkende und hemmende. In manchen Fällen wird der
Vorgang dadurch verwickelter, dass auch die centripetalen Nerven in zwei ant-
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419
agonistiscben Gattungen vorhanden sind, wovon ich noch Beispiele anzufdhren
haben werde.
Ich werde nun aus den am besten studirten Regulationsvorrichtungen einige
herausgreifen und in aller Kürze erörtern. —
Die eigentlichen Fabriken unseres Körpers, die Gewebe, sind in ihrer Function
angewiesen auf eine beständige Temperatur, einen regelmässigen Blutdurch¬
fluss und eine gewisse normale Zusammensetzung, besonders stets zu¬
reichenden Sauerstoffgehalt, dieses Blutes. —
Die Temperatur-Regulation ist die am längsten bekannte. Der Warm¬
blüter ist in seinen Gewebsfunctionen auf sehr enge Temperaturgrenzen angewiesen,
und in der mannigfachsten Weise ist dafür gesorgt, dass dieselben weder nach
oben noch nach unten überschritten werden. Eine grosse Rolle spielt dabei die
durch Hautempfindungen geleitete Willkür: wir heizen unsere Wohnung, stecken
uns in Betten, kleiden uns bald auf Zusammenhalten, bald auf möglichst reichliche
Ausgabe unserer Wärme, setzen uns unter Umständen der rasch Wärme entziehen¬
den Zugluft aus, begeben uns gar in das besser Wärme leitende und dadurch rasch
abkühlende Badewasser, richten die Temperatur unserer Nahrung und unseres Ge¬
tränks, das wir von Eiseskälte bis weit über Körpertemperatur graduiren, den Um¬
ständen gemäss ein, und steigern durch reichliche Nahrung in mannigfacher Weise
unsere wärmebildenden Processe; wir reguliren den Grad der Muskelanstrengung,
da wir instinctiv merken, dass sie die Wärmebildung fördert, einmal durch directe
Nebenproduction von Wärme bei der Contraction, dann durch die mannigfachen
Reibungen, zu denen sie Anlass gibt.
Aber die feinere Regulation ist maschinenmässigen, unwillkürlichen Vor¬
gängen überlassen. Der wirksamste Temperaturregulator ist der Blutstrom in der
Haut; da wir uns fast stets, selbst im heissesten Sommer, in einer Umgebung
befinden, die kühler ist als wir, also beständig durch Leitung Wärme verlieren,
so ist die Wärmeausgabe der Geschwindigkeit der Hautcirculation fast proportional,
was neuerdings sogar calorimetrisch nachgewiesen worden ist. Nun wirkt die
Wärme ganz direct auf die Hautgefässe erschlaffend, erweiternd, also strombe¬
schleunigend, die Kälte umgekehrt. Aber ausserdem wird auch indirect in gleichem
Sinne die Strömungsgeschwindigkeit regulirt, indem Wärme den Herzschlag be¬
schleunigt und verstärkt. Auch die Athmungsverstärkung durch Wärme, die in
extremen Fällen bis zu wahrer Dyspnoe geht, hat etwas Regulatorisches an sich,
da der Athmung ein abkühlendes Moment innewohnt Bei hohen Temperaturen
kommt ein neuer Regulator hinzu, indem die Schweissnerven erregt werden; noch
ist nicht festgestellt, ob dies durch eine der Wärmedyspnoe analoge directe
thermische Erregung der Schweisscentra, oder dadurch geschieht, dass die warme
Haut mittels centripetaler Nerven gleichsam an einer Glocke zieht, die die Centra
aufweckt. Die Befeuchtung der Haut gibt zu reichlicher Verdunstung und somit
durch das Latentwerden von Wärme zu rascher Abkühlung Anlass, ein Mittel,
welches, zum Unterschied von den andern, auch in einer Umgebung die wärmer
ist als der Körper, noch, ja sogar besonders gut, seine Dienste thut
Indess all diese Regulationen haben gleichsam etwas Palliatives an sich im Ver-
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gleich zu einer, •wie es scheint für längere Perioden berechneten, nämlich zu der
lange bestrittenen Regulirung der wärmebildenden Processe selber, des Stoff¬
wechsels. Die Energie des Stoffwechsels messen wir im Grossen und Ganzen am
bequemsten durch die Bestimmung der Gaswechselgrössen, allenfalls auch durch
die der HarnstofFmengen, welche freilich nur über den Verbrauch des Eiweisses
Aufschluss geben. Dass diese Grössen in umgekehrtem Verhältniss zur Temperatur
stehen, wie es sein muss, wenn eine regulatorische Beziehung da ist, wurde lange
für unmöglich gehalten, selbst als durch directere Mittel eine Erhöhung der wärme-
bildenden Processe in der Kälte nachgewiesen schien. Stand es doch fest, dass
Kaltblüter in der Wärme grösseren, und nicht kleineren Umsatz zeigen als in der
Kälte und hatte man doch bei Warmblütern auf starke Variationen der Temperatur
Aehnliches beobachtet. Indess scheint nach neueren Untersuchungen dies nur für
extreme Temperaturschwankungen zu gelten, für welche die in Rede stehende
Regulationsart nicht ausreicht und auch nicht berechnet ist In den Grenzen
mässiger Temperaturschwankungen nimmt in der That die Energie des Stoffwech¬
sels den umgekehrten Gang wie die Temperatur, d. h. es existirt ein regulatorisches
Verhältniss, welches dem Kaltblüter gänzlich fehlt Diese Regulation ist durch
das Nervensystem vermittelt, bei gelähmten Centralorganen folgt der Stoffwechsel
widerstandslos dem allgemeinen Gesetze, dass chemische Processe durch Wärme
beschleunigt werden. Der Modus aber, wie das Nervensystem in entgegengesetz¬
ter Richtung einwirkt, bleibt noch zu erforschen und es ist leicht einzusehen, dass
die hier existirenden Fragen mit der grossen pathologischen Frage nach dem
Wesen des Fiebers, bei welchem dieser Regulationsmodus gestört scheint, im
innigsten Zusammenhang steht —
Die circulatorische Regulation hat nicht blos für constante, oder richti¬
ger dem functionellen Zustande angemessene Strömungsgeschwindigkeit,
sondern auch für angemessenen Druck, in den Capillaren der Gewebe zu sorgen;
denn auch eine gewisse Spannung, ein Erectionszustand kann man sagen, ist für
die Gewebe nöthig. Wenn Grosshirn oder Retina bei starken Druckänderungen
fast momentan ihre Leistung einstellen, so kann dies kaum von einer durch ver¬
änderte Strömung bedingten Ernährungsstörung hergeleitet werden.
Frequenz und Stärke des Herzschlages sind es vor Allem, welche Geschwin¬
digkeit und Druck im Gefässsystem beherrschen, ein zweites mächtiges Moment
aber ist der Contractionszustand oder Tonus der Arterien.
Die Momente, welche die Energie des Herzschlages beeinflussen, sind noch fast
gänzlich unbekannt; für die Frequenz aber, welche am isolirten Herzen vermöge
seiner innern nervösen Maschinerie eine mittlere ist, kennen wir verlangsamende
und beschleunigende Nerven, beide vom Cerebrospinalorgan ausgehend; von ihren
gegenseitigen, nicht genau antagonistischen Beziehungen gilt namentlich das vor¬
hin im Allgemeinen Gesagte. Der Tonus der Arterien steht ebenfalls wie es scheint
zunächst unter dem Einfluss an ihnen selbst angebrachter nervöser Apparate, aber
auch diese werden vom Cerebrospinalorgane her durch zwei für den ersten Blick
antagonistische Nervensysteme beherrscht, ein tonusverstärkendes, also verengern¬
des, und ein hemmendes oder erweiterndes. Die verengenden Nerven sind seit
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lange allgemein gekannt, die erschlaffenden hatten, obwohl schon vor 25 Jahren
behauptet, bis in die neueste Zeit um ihre Anerkennung zu ringen, die aber nun¬
mehr ebenfalls fast von Niemand mehr bestritten wird.
Es handelt sich nun um die Frage, auf welchen Wegen zwischen den das
Herz und den die Arterien beherrschenden Nerven eine regulatorische Beziehung
hergestellt wird. Der Centralpunkt für alle längs des Rückenmarks verbreiteten
vasomotorischen Centra liegt im verlängerten Mark und steht unter der Einwirkung
centripetaler Fasern, welche von allen Theilen der Peripherie kommen, und welche
theils den Erregungszustand des allgemeinen Gefässcentrums verstärken, theils ihn
herabsetzen; wegen der damit verbundenen Einwirkung auf den Blutdruck nennt
man erstere Pressoren, letztere Depressoren. Ob nun, wie neuerdings behauptet
wird, jeder Körpertheil pressorische und depressorische Fasern besitzt, d. h. jede
Stelle nach Bedürfniss an einem den Druck verstärkenden und einem Druck ab¬
stellenden Glockenstrange ziehen kann, muss noch dahingestellt bleiben. Ganz
besonders ist das Herz selbst mit pressorischen und depressorischen Fasern ver¬
sehen und es liegt nahe, anzunehmen, dass wenn es durch hohen Blutdruck zu
sehr gedehnt wird, die depressorischen Fasern mechanisch erregt werden und da¬
durch Abhülfe eintritt Umgekehrt stehen auch die regulatorischen Nerven des
Herzens unter sehr mannigfachen und wie es scheint von den verschiedensten
Bezirken herkommenden centripetalen Einflüssen, so dass gewiss auch zu starke
oder zu geringe Spannung in den Geweben auf die Herzarbeit regulatorisch
zurückwirkt.
Allein die Anzahl der bekannten Thatsachen ist noch viel grösser und ihre Bedeu¬
tung grösstentheils noch gar nicht übersehbar. Das cerebrale Centrum der Herz¬
regulation ist vom Blutdruck im Gehirn, ferner vom respiratorischen Zustand des
Blutes in hohem Grade abhängig, ohne dass wir den Nutzen dieser Beziehungen
vor der Hand übersehen können. Ausserdem steht das Herz in einer allerdings
noch nicht ganz sicher festgestellten Weise unter der Einwirkung des Blutdrucks in
seinen eigenen Höhlen. Ferner ist schon erwähnt worden, dass von jeder Haut¬
stelle aus der allgemeine Gefässtonus regulirt werden kann; diese Rückwirkung
ist aber nicht gleichmässig: während an Ort ilnd Stelle sich auf den Reiz die
bekannte entzündliche Gefässerweiterung ausbildet, können an andern Stellen die
Gefasse sich verengen, ja dies muss sehr allgemein stattfinden, da heftige schmerz¬
hafte Reize pressorisch wirken. Und doch sehen wir gleichzeitig die Hautgefässo
sich erweitern und die damit verbundene cutane Kreislaufsbeschleunigung die
Temperatur vermindern. Wer wollte sich vermessen, schon jetzt die complicirte
und ohne Zweifel regulatorische Mechanik dieser Rückwirkungen vollkommen
zu übersehen? —
Etwas vollkommener übersehbar ist der respiratorische Regulations¬
mechanismus. Zunächst wirkt, da die ganze Respiration nichts anderes ist als eine
rein mechanische Ausgleichung von Gasspannungen, der Verbrauch in den Ge¬
weben in überraschend einfacher Weise zurück auf die äussere Athmung in der
Lunge. Je mehr Sauerstoff ein Gewebe verbraucht, um so niedriger wird seine
Sauerstoffspannung, um so energischer gibt die hohe Sauerstoffspannung des arte-
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riellen Blutes Sauerstoff ab, um so sauerstoffarmer aber strömt .auch das Blut in
die Venen und um so energischer gleicht das Venenblut wieder seine niedere
Sauerstoffspannung mit der hohen der Atmosphäre in der Lunge aus. Genau das¬
selbe gilt für die Bildung und Wegschaffung der Kohlensäure. Ferner sehen wir
auch eine circulatorische Regulation der respiratorischen zu Hülfe kommen: In den
Zeiten, wo der Muskel besonders viel Sauerstoff verbraucht und Kohlensäure bildet,
bei seiner Contraction, erweitern sich seine Gefässe, so dass der raschere Blut¬
strom mehr Sauerstoff zur Verfügung stellt und mehr Kohlensäure und andere
Auswurfsstoffe hinwegführen kann.
Allein jene rein mechanische Rückwirkung des Consums der Gewebe auf die
Aufnahme in den Lungen reicht nicht aus. Wie im Muskel dem grösseren Consum
rascherer Blutstrom zu Hülfe kommen muss, so ist in den Lungen um so euergi-
schere Athmung von Nöthen, je mehr das Blut auf den Contact mit Luft ange¬
wiesen ist. Und hier sehen wir die sinnreiche Einrichtung, dass der Gasgehalt
des Blutes die Energie des Centrums der Athembewegungen selber regulirt Ist
der Gnswechsel der Gewebe schwach oder aus sonstigen Gründen, z. B. durch
künstliche Lufteinblasung, der Sauerstoffvorrath im Blute gross, so ist die Athmung
höchst oberflächlich, oder setzt ganz aus (Apnoe), während sie im entgegengesetz¬
ten Falle an Tiefe zunimmt und bis zur heftigsten Mitarbeit aller Hilfsmuskeln
(Dyspnoe), ja selbst aller Körpermuskeln (Erstickungskrämpfe), sich steigert. Und
dies ist ganz einfach dadurch erreicht, dass die Kohlensäure des Blutes einen
mächtigen Reiz für die Centralorgane bildet.
Hierneben besteht nun noch eine nervöse Regulation, welche den T a c t der
Athmung in einer noch nicht völlig übersehbaren Weise den Zuständen der Respi¬
rationsapparate selbst anpasst. Wir wissen, dass die Lungen- und Kehlkopfäste
der Vagi in mannigfacher Weise in den Rhythmus der Athembewegung eingreifen,
ganz abgesehen von den eigentlichen Schutzacten des Athmungsstillstands, Stimm¬
ritzenverschlusses und der Hustenexplosion, welche durch einzelne Nothfälle ver¬
anlasst werden. Es scheint, dass zu grosse Spannung der Lunge sich durch
Einleitung von Exspirationen Abhülfe schaffen kann, ja man hat die ganze Ab¬
wechselung von Ein- und Ausathmung auf eine Selbststeuerung mittels der Vagi
zurückzuführen versucht, was aber höchst wahrscheinlich zu weit gegangen war. —
Dass auch in den zahllosen Erscheinungen des Stoffwechsels regulato¬
rische Acte eine grosse Rolle spielen, ist unzweifelhaft, aber hier sind wir
noch erstaunlich unwissend. Können wir doch selbst den mächtigsten Regulator
der Ernährung, das Hungergefühl, noch nicht ordentlich erklären, geschweige denn
die besonderen Appetite in der Schwangerschaft und nach Säfteverlusten. Der
Durst ist schon leichter verständlich: ein Sinnesorgan, welches durch Wasserman¬
gel erregt wird, wie die Netzhaut durch Licht, ist in sinnreichster Weise so ange¬
bracht, dass die einfachste Art seiner Befeuchtung zugleich dem Magen Flüssigkeit
zuführt. Aber unwissend sind wir nun weiter, ob die Umsätze in den Geweben
unter dem directen Einfluss besonderer „tropbischer“ Nerven stehen, obwohl dies
gerade neuerdings durch die vorhin angedeutote Art der Temperaturregulation
wieder wahrscheinlicher geworden ist. Die Regulirung des Stoffumsatzes schon
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jetzt verstehen zu wollen, wäre um so voreiliger, als wir den Stoffumsatz selber
erst in den rohesten Umrissen kennen und von den Hauptfunctionen so mächtiger
Organe wie Leber und Milz fast noch gar nichts Sicheres wissen. —
Doch es ist Zeit zu schliessen, um so mehr, als ich Ihnen über das Gesagte
hinaus kaum mehr als Vermuthungen vorführen könnte, was ich lieber unterlasse.
Vorgänge genug freilich drängen sich uns auf, denen wir eine regulatorische Ten¬
denz halb und halb anmerken, ohne aber den Schlüssel zu besitzen. Von den
Anschauungen der natürlichen Züchtung beseelt, sind wir geneigt in den physio¬
logischen Einrichtungen nichts für Zufall, das meiste für zweckmässig zu halten,
obwohl ja auch sogenannte „Schwächen“ des Organismus vorhanden sein mögen.
Dass gewisse Affecte die Thränensecretion steigern, dass Schreck vermehrte Harn-
secretion, vermehrte Darraabsonderung oder beschleunigte Darmbewegung hervor¬
ruft, kann eine Schwäche sein, vielleicht aber ist aus irgendwelchen Gründen nach
dem nervösen Stoss eine gewisse Wasserausgabe förderlich. Ja selbst die Scham-
röthe könnte ausser der moralischen noch eine physische Bedeutung haben.
Entschuldigen Sie, meine Herren, den fragmentarischen Charakter dieser Mit¬
theilungen, und vor Allem dass ich Ihnen eigentlich nichts Neues vorgebracht habe,
wenigstens denen nicht, welche Zeit fanden, der neueren physiologischen Litteratur
zu folgen. Aber für nützlich halte ich es, wenn die Practiker veranlasst werden,
den Regulationseinrichtungen, deren Störungen sie täglich gegenüber stehen, ihre
Aufmerksamkeit zuzuwenden. Ihre Kenntniss, die freilich noch in den ersten An¬
fängen ist,- wird auch dereinst mächtig dazu beitragen, jene andere Seite des ärzt¬
lichen Wirkens zu begründen, auf welche in unseren Tagen mit Recht hoher
Werth gelegt wird, nämlich neben Heilung der Krankheit die Erhaltung der
Gesundheit. _
V ereinsberich te.
XVII. Versammlung des ärztlichen Centralvereins in Zürich
am 18. Mai 1878.
Präsident: Dr. Sonderegger, Schriftführer: Dr. Haab (Zürich).
(Fortsetzung.)
Es ergreift nun Dr. W. o. Muralt (Zürich) das Wort zu seinem durch zahlreiche
Demonstrationen erläuterten Vortrag „Zur subcutanen Osteotomi e“.*) Nach¬
dem der Vortragende die Entwicklungsgeschichte der Operation und ihrer Technik
kurz durchlaufen und aus neuerer Zeit namentlich die Verfahren und Resultate von
Langenbech , Billroth und Wahl beschrieben, führt er die Methode vor, nach der die vor¬
liegenden Fälle operirt wurden: nach Anlegen des Esmarch’schen Schlauches wird
unter genauster Befolgung der Li$ter 'sehen Cautelen an der am bequemsten liegen¬
den Stelle — meist an der Convexität — eine 1—1 '/* cm. lange Incision bis auf
den Knochen — das Periost durchtrennend — gemacht, mit dem Raspatorium das
Periost etwas zur Seite geschoben, so dass der senkrecht auf die Knochenaxe auf¬
gesetzte Meissei auf dem entblössten Knochen liegt. Mit gleichmässigen, nicht zu
wuchtigen Hnmmerschlägen (um Splitterung zu vermeiden) wird der Knochen ganz
*) Der Vortrag erscheint in extenso mit den Krankengeschichten im Septemberheft des Jahrb.
für Kinderheilkunde.
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durchgestemmt, so dass die künstliche Fractur beweglich ist, dann die fehlerhafte
Stellung corrigirt, das Periost sorgfältig wieder vorgeschoben, die Wunde mit
Catgut, ohne Einlegen eines Drain, ganz zugenäht und mit Lieferschein Verband
gedeckt. In der Correctionsstellung wird jetzt ein nur an der Fracturstelle leicht
wattirter Gypsverband mit einfacher Schicht Flanellbinde als Unterlage angelegt
und erst nach dem Erstarren desselben der Esmarch’sche Schlauch gelöst
In dieser Weise wurde bis jetzt 13 Mal operirt und zwar vorwiegend bei
rhachitischen Verkrümmungen und Infractionen (an Unter- und Oberextremitäten),
ferner winklig geheilte Fracturen und endlich eine congenitale Winkelstellung
(intrauterine Infraction) der Tibia.
Der Heilungsverlauf war in der Regel ein ganz aseptischer und verlief ohne
Eiterung, so dass in circa 4 Wochen die künstliche Fractur vollständig geheilt
und so consolidirt war, dass das Glied ohne weiteren Verband wieder seinem Ge¬
brauch übergeben werden konnte. Gewöhnlich wurde nach 2—3 Wochen der
erste Gypsverband abgenommen, damit an dem noch weichen Callus eine allfällig
nöthige Correction in der Stellung noch vorgenommen werden könne.
Der Vortragende vergleicht nun eingehend die andern Methoden, die zur Aus¬
gleichung der Verkrümmungen von Röhrenknochen in Anwendung kommen können:
die Schienenapparate, die Extensionsmethode, die forcirte Streckung mit Hände-
oder Maschinenkraft, sowie die verschiedenen Operationsmethoden, die früher und
jetzt in Anwendung kamen, und stellt schliesslich noch die Indicationen für die
subcutane Osteotomie. Bei rhachitischen Verkrümmungen der Röhrenknochen soll
dieselbe gemacht werden, wenn die Sklerosirung schon soweit vorgeschritten, dass
die Knochen auch einem kräftigen Druck der Hände nicht mehr nachgeben. Die
andern, noch nachgiebigen Fälle sind sehr dankbare Objecte für einfache Behand¬
lung mit Gypsverbänden, neben welchen natürlich eine innerliche Therapie einher¬
gehen muss. Operirt werden selbstverständlich nur hochgradige Fälle, da bei
leichten das spätere Wachsthum die Difformität grösstentheils oder selbst ganz
ausgleicht. Indicirt ist ferner die Operation bei Ankylosen, namentlich des Hüft-
und Kniegelenks, bei genu valgum (Ogston ), bei hochgradigem veraltetem Klump-
fuss (wegen des Keilausschnitts streng genommen nicht hieher gehörig) und bei
winklig geheilten Fracturen.
Schliesslich werden noch die Conturen (vor und nach der Operation) und die
Gypsabgüsse siimmtlicher Fälle demonstrirt und zwei von den kleinen Patienten,
die zufällig in der Stadt wohnen, vorgestellt. Beide hatten hochgradig rhachitisch
verkrümmte Unterschenkel: der erste, Heinrich Treichler, 1 ’/, Jahr alt, wurde am
7. Juli links und, da keine Reaction erfolgte, am 10. Juli rechts 09 teotomirt,
hatte nur 1 Mal eine Temperatursteigerung auf 38,3 im rectum gemessen, sonst immer
unter 38°. Am 29. Juli 1877 wurden beide Verbände abgenommen, die Beine
waren in ganz gerader Stellung consolidirt. Sicherheitshalber wurden noch leichte
Verbände für 14 Tage angelegt und Patient damit am gleichen Tage (29. Juli)
nach Hause entlassen. — Der zweite, Johannes Moser, 3 1 /* Jahre alt, wurde am
18. August 1877 links, am 21. August rechts osteotomirtund zeigte nie
irgend welche Temperatursteigerung. Das Allgemeinbefinden war auch gar nie
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gestört, er sass vom ersten Tag an in seinem Bettchen und war immer fröh¬
lich und zufrieden mit seinen Spielsachen. Da er nebenbei noch eine grosse
Hydrocele besass, wurde an derselben während des Heilungsverlaufs der Un-
terschenkeldoppelfractur am 10. Sept. die Radicaloperation durch Spaltung (nach
Volkmann) vorgenommen. Auch sie verlief ohne alle Temperatursteigerung asep¬
tisch und ohne die mindeste Schwellung der zu Anschwellung ja sonst so über¬
aus disponirten Scrotalhaut. Am 15. Sept. werden beide Gypsverbände abgenom¬
men, die Stellung noch etwas verbessert und neue Verbände angelegt. Am
4. October werden sie entfernt und Patient nach Hause entlassen. Beide Patienten
werden der Versammlung mit tadellos geraden Beinen, der zweite mit lineärer
Narbe am symmetrischen Scrotum, vorgestellt. —
Nun wurde zur Discussion über die Lebensmittelpolizei geschritten
und es ergriff zunächst der Referent, Prof. Schär (Zürich), das Wort und äusserte
sich, die „Präliminarien zur Lebensmittelconlrolle“ betreffend in der Hauptsache
folgendermaassen:
Bei den mannigfachen, theilweise sehr scharf fühlbaren Berührungspunkten der
öffentlichen Gesundheitspflege mit persönlichen Ansichten und persönlicher Freiheit,
zumal auf dem ohne polizeiliche Einmischung kaum denkbaren Gebiete der Lebens¬
mittel-Controlle, darf es nicht wundern, dass diese letztere, als Gegenstand der
heutigen Thesen, mannigfacher, zum Theil nicht ganz unberechtigter Kritik aus¬
gesetzt ist. Dennoch kann bei aller Anerkennung einer durch falsche und ober¬
flächliche Angaben in der Litteratur genährten, vielfach übertriebenen Aengstlich-
keit und bei allem Missbehagen gegenüber einzelnen allzu burcaucratisch-polizei-
lichen Massregeln nicht genug vor jenem negativen Standpunkte gewarnt werden,
der in verschiedenen Kreisen, sogar beim ärztlichen Stande, da und dort sich ein¬
schleichen möchte. Denn sicherlich ist die Ansicht, dass in Sachen der Lebens-
mittelcontrolle nichts oder möglichst wenig zu thun sei, weil die Erreichung des
Zweckes mit vielen Schwierigkeiten, Enttäuschungen und Unannehmlichkeiten ver¬
bunden bleibt, eine nur scheinbare, wenig logische Consequenz der Thatsachen
und erregt den Verdacht, dass auch auf diesem Gebiete das Nichtsthun ebensosehr
vom Nichtmögen als vom Nichtkönnen abhängt!
Unter den Argumenten, welche hauptsächlich dazu dienen sollen, den allzu¬
grossen Eifer in der Lebensmittelfrage einzudämmen und die relative Erfolglosig¬
keit der Lebensmittelpolizei darzuthun, steht in erster Linie der freilich sehr beach-
tenswerthe Satz, dass unter den zum Leben nothwendigsten Dingen, die im Vergleich
mit den sogenannten Nahrungsmitteln qualitativ ebenso bedeutsame, quantitativ
aber viel wichtigere zur Atbmung bestimmte Luft weit mehr der sorgfältigen
Controlle bedürfe, als Speise und Trank, bei deren Untersuchung nur sehr selten
directe sanitarische Schädlichkeit positiv nachzuweisen sei.
Diesem Gesichtspunkte gegenüber, der auch in einer neulichen Einsendung in
das Correspondenzblatt ausgesprochen wurde und, bei aller Berechtigung und
Discutirbarkeit in medicinischen Kreisen, dennoch durch oberflächliche Interpreta¬
tion leicht zu einer Stütze jener negativen Richtung werden kann, ist namentlich
an folgende Puncte zu erinnern :
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Google
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1) dass es sich bei den Nahrungsmitteln keineswegs in erster Linie um Nach¬
weis resp. um Verhütung directer Schädlichkeiten (Infectionskrankheiten und
sonstige Gesundheitsstörungen) handelt, um so mehr aber um Verhütung indirect
wirkender Schädlichkeiten, welche ebenso wichtig und ungeahnt häufig sein mögen,
als anderseits intensive directe Gesundlieitschädigung selten sein mag. Jedenfalls
muss bei dem engen Zusammenhang zwischen Ernährung und Beschaffenheit der
Körpergewebe die Bedeutung der Qualität abnormer oder verdorbener Nahrungs¬
mittel hauptsächlich in deren Rolle als prädisponirender Factor bei vielen Er¬
krankungen gesucht werden, da zumal bei denjenigen Störungen, bei denen kleinste
Organismen als wirksame Ursache gelten, die Entwicklung letzterer und damit die
specifischen Spaltungsprocesse, Fäulniss- und Gährungserscheinungen in hohem
Maasse als von der momentanen Beschaffenheit des Substrates, d. h. also unserer
Körperbestandtheile abhängig zu denken sind;
2) dass Erkenntniss und Studium der Luft und ihrer sanitarisch schädüchen
Beimischungen noch in der Kindheit und überhaupt äusserst schwierig sind, so
dass wohl noch für längere Zeit keine in hygieinischer Richtung direct und prak¬
tisch verwendbaren Resultate erwartet werden dürfen, es vielmehr inzwischen
logischer Weise geboten erscheint, neben den Bestrebungen zu genauerer Erfor¬
schung der hygieinischen Qualität der Luft auch die Lebensraittelhygioine, in der
schon zahlreiche wichtigere Daten vorliegen, emsig zu pflegen, ja sogar um so sorg¬
fältiger zu berücksichtigen, je mangelhafter, der Natur der Sache nach, unsere
Kenntnisse in andern hygieinischen Gebieten, wie z. B. der Epidemiologie noch
erscheinen;
3) dass, ganz abgesehen von dem allgemein anerkannten Umstande, wonach
die Lebensmittelpolizei als der in mancher Richtung populärste Theil der öffent¬
lichen Gesundheitspflege die Assimilirung hygieinischer Grundsätze im Volke am
ehesten begünstigen dürfte, eine intensivere Bethätigung in der auf Lebensmittel-
Oontrolle gerichteten hygieinischen Physik und Chemie ohne Zweifel auch manche
unerwartete und erwünschte Förderung in scheinbar ferner liegenden Gebieten
Dringen muss, sofern sie wenigstens in ächt wissenschaftlichem Geiste vorschreitet
Auf den Hauptinhalt der gestellten Thesen eingehend, ist zunächst volle Ueber-
einstimmung hinsichtlich der Richtigkeit der These I. a *) (den practischen Unter¬
richt für hygieinische Zwecke in den Laboratorien betreffend) zu constatircn; denn
fehlt es auch im chemischen Unterricht an höhern Lehranstalten keineswegs an
mannigfachen Hinweisungen auf das in Frage stehende Gebiet, so erscheint doch
ein systematischer practisch-chemischer Unterricht für Lebensmitteluntersuchung als
noch keineswegs überall in seiner Nothwendigkeit anerkannt und in richtiger Weise
durchgeführt und namentlich fehlt es, bei der Neuheit des ganzen Gebietes, noch
iin dessen gebührender Berücksichtigung in den academischen Studienplänen, in
dem Sinne einer regelrechten Heranbildung tüchtiger, ihrer Aufgabe gewachsener
chemischer Experten für Lebensmitteicontrolle und andere hygieinisch-mediciniscbe
Untersuchungen. Auch wird der mit dem bisherigen Studiengange verbundene
Idangel an Uebung von allen heutzutage zur Thätigkeit auf hygieinischem Felde be-
*) S.Corr.-Blatt 1878 S. 66.
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rufenen Medicinalpersonen (Aerzten und Apothekern) allgemein gefühlt und bedauert
und allseitig die absolute Nothwendigkeit einer bezüglichen Praxis während der
Studien anerkannt.
Hinsichtlich der Art und Weise der wünschbaren Reform und der Frage nach
passender Recrutirung des Personals für die von den Sanitätsbehörden zu ernennen¬
den chemischen Experten und öffentlichen Chemiker erlaubt sich der Correferent
darauf hinzuweisen, dass einerseits das fragliche Desideratum bei Feststellung der
wissenschaftlichen Anforderungen an die schweizerischen Medicinalpersonen zu
berücksichtigen, insbesondere aber die Oberbehörden der höhern Lehranstalten
(Academien, Universitäten und Polytechnicum) nachdrücklich auf die Wünschbarkeit
der methodischen und namentlich obligatorischen Einführung jenes practischen
Zweiges in die Studien- und Unterrichtspläne aufmerksam zu machen seien, und
dass anderseits, insofern es sich nicht nur um eine Ergänzung der Vorbereitung
für den medicinischen und pharmaceutischen Beruf, sondern geradezu um Heran¬
bildung und Beschaffung eigentlicher Sanitätschemiker, also gewissermassen einer
neuen Berufsart handelt, in erster Linie der Pharmaceuten-Stand als derjenige zu
bezeichnen sei, aus dem die in öffentlicher Gesundheitspflege thätigen, zunächst
namentlich für Lebensmitteluntersuchungen benöthigten ständigen Chemiker am
naturgemässesten herangezogen werden können, wobei selbstverständlich auch dem
Mediciner, dessen Neigungen nach diesem Gebiete der Chemie hinzielen, sowie
allfälligen Chemikern vom Fach die Möglichkeit der Heranbildung zum Chemiker
hygieinischer Richtung verbleiben würde.
Für die Opportunität dieses Princips würde nach des Vortragenden Ueber-
zeugung nicht allein der Umstand sprechen, dass die neuere berufliche Bildung
des Apothekers, die auf specielle Kenntniss der Chemiealien und Studium der
Pflanzenproducte in chemischer und botanisch-anatomischer Beziehung hinzielt,
denselben weit sicherer und besser zur Stellung und Aufgabe eines hygieinischen
Chemikers qualificiren muss, als etwa eine mehr oder weniger einseitige, wenn auch
fachlich noch so gute chemische Vorbildung, sondern im Weitern auch noch die
Thatsache, dass die in den letzten Decennien eigentümlich veränderten und auch
mit dem Umschwung in der Medicin Hand in Hand gehenden Verhältnisse des
Apothekenbetriebes den wissenschaftlich gebildeten, strebenden und gewissenhaften
Pharmaceuten wie von selbst auf ein neues Arbeitsfeld, d. h. auf Mitbethätigung
in der öffentlichen Gesundheitspflege hinvveisen. Dazu kommt noch der ziemlich
schwer wiegende Umstand, dass ohnehin die Studien Verhältnisse der Pharmaceuten
an mehr denn einer höhern Lehranstalt, namentlich in der Richtung besserer fach¬
männischer Ausbildung und besserer Verkettung mit der neuen Medicin (durch
das Bindeglied der theoretischen und praktischen physiologischen Chemie) der
Erweiterung und Modification bedürftig sind, somit auch, bei den gedrückten finan¬
ziellen Verhältnissen und deren Einfluss auf staatlich verwendbare Mittel, wohl
für die nächste Zeit am ehesten unter dem Gesichtspunkte einer passenden Er¬
gänzung und Vertiefung des pharmaceutischen Studiums in practisch-chemischer
Richtung mit entsprechender Erweiterung der Laboratorien die Verwirklichung
der These I ermöglicht werden könnte, ohne dass damit spätere Creirung
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eigener grösserer Laboratorien für hygieinisch - chemische Zwecke präjudicirt
schiene.
Hinsichtlich der These I. b, welche die Wünschbarkeit der Gewinnung sicherer
Grenzzahlen für die in der Schweiz producirten Weine hervorhebt, bemerkt der
Sprechende in ergänzendem Sinne, doch ohne des Weiteren auf die wichtige Frage
eintreten zu können, dass ähnliche analytische Daten und sichere Grenzwerthe auch
bei einer Reihe weiterer Nahrungsmittel wie Milch, Butter, Bier u. s. w. in hohem
Grade nothwendig scheinen und dass sich anschliessend an den ersten Theil der
These I das weitere Desideratum ergibt, dass von Seiton eidgen. oder kantonaler
Behörden eigentliche Versuchsstationen für Lebensmittelcontrollen geschaffen wer¬
den, welche Institute, entweder mit schon bestehenden chemischen Staatslaborato¬
rien oder z. B. mit einer agriculturchemischen Versuchsstation vereinigt und unbe¬
helligt durch die Ueberweisungen der Polizeibehörden die Aufgabe zu verfolgen
hätten, jene Grenzzahlen genau auszumitteln und im Weitern im Interesse der
Wissenschaft und Praxis werthvolle neue analytische Methoden und Prüfungsver¬
fahren für hygieinische Zwecke aufzusuchen.
Die zweite These gibt, weil zweifelsohne in allen medicinischen Kreisen und
wohl auch von einem grossen Theil der Laien als richtig anerkannt, zu keinen
andern Bemerkungen als zu einer lebhaften Unterstützung des darin ausgedrückten
Wunsches Anlass und auch in Bezug auf These III beschränkt sich der Referent
auf den Vorschlag, dieselbe Angesichts des vorher Geäusserten, sowie des Um¬
standes, dass auch die Vertreter der Thierheilkunde bei einem wichtigen Theile
der Lebensmittelpolizei, d. h. bei einer rationellen energischen Fleischschau sich
zu betheiligen haben, in dem Sinne zu erweitern, dass man die in den drei
Thesen behandelte Frage als eine das gesammte schweizerische Medicinal-
personal berührende und gemeinschaftlich bei den Behörden zu vertretende
Angelegenheit betrachten möge, damit hier, wie in andern noch wichtigeren
Funkten des schweizer. Sanitätswesens „viribus unitis“ vorgegangen werden
könne.
Dr. Sonderegger schlägt vor, zu beschliessen: es soll sich die Commission
de9 ärztlichen Centralvereins mit der Commission des Pharmaceuten-Vereines
nebst derjenigen der socidtd mddicale de la Suisse romande vereinigen behufs
Schritten bei den Behörden, dahin gehend, dass Laboratorien für angewandte
Chemie errichtet werden.
Prof. Nencky (Bern): sechsjährige Erfahrung auf dem Gebiet der angewandten
Chemie haben ihm die Ueberzeugung verschafft, dass der Mediciner keine Zeit
zum Studium der angewandten Chemie habe. Ferner habe der practische Arzt
nicht so gut Gelegenheit zu weiterer Ausübung in diesem Fach, zumal da er ge¬
wöhnlich kein Laboratorium besitzt. Dagegen lassen sich seiner Ansicht nach die
J^aboratorien der Pharmaceuten sehr gut erweitern und für die Zwecke der Lebens¬
mitteluntersuchungen benützbar machen. Er stimmt deshalb Prof. Schär bei: dass
in den Studienplan der Pharmaceuten obligatorisch die Anleitung zur Untersuchung
Jcr Lebensmittel aufgenommen werde.
Dr. Sonderegger hebt hervor, dass der Schwerpunkt der Frage in der Errich-
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tung geeigneter Laboratorien liege. Ob diese dann von den Pharmaceuten oder
den Medicinern besucht werden, das sei gleich.
Es wird hierauf der Antrag von Dr. Sonderegger angenommen.
Mittlerweile war die Zeit so vorgerückt, dass Schluss der Sitzung nothwendig
wurde, um so mehr, als offenbar die Lebensmittelfrage bei vielen Mitgliedern der
Frage nach Lebensmitteln gerufen, d. h. den Hunger geweckt hatte. „Bei Philippi
sehen wir uns wieder“, dachte der und jener und verschwand leise aus dem
Sitzungssaal. — Aber im Vorzimmer hatten Herr Walter-Biondelti und die inter¬
nationale Verbandstofffabrik eine Ausstellung veranstaltet, welche mit lockenden
Armen Jeden festhielt und ihm das Weggehen sauer machte. Zauberte doch die
„Vernickelung“ dem Chirurgen so reizend das silberne Zeitalter und der antisep¬
tische Verbandstoff die glückliche Aera vor, wo die verwegensten Operationen
mindestens 100 % glatter Heilungen aufweisen werden.
Schliesslich half aber alles nichts mehr. Wer könnte auf die Dauer einer
Programmnummer, die heisst „Banquet im Hötel Baur au lac“ mit kalter Gleich¬
gültigkeit begegnen? Es dauerte denn auch gar nicht lange, so war jener wohl
bekannte- Speisesaal bis auf den letzten Platz gefüllt.
(Schloss folgt.)
Medicinische Gesellschaft in Basel.
Sitzung vom 10. Januar 1878.
Anwesend 23 Mitglieder.
Der Jahresbericht und die Jahresrechnung werden verlesen und genehmigt.
Dr. Hdgler spricht über Prophylaxe gegen Scharlach; er stellte sich
bei Anlass der vorjährigen Scharlachepidemie die Frage: Wie lange sollen die
Geschwister scharlachkranker Kinder zu Hause behalten werden? Er wünscht,
dass hierin die Aerzte womöglich ein einheitliches Verfahren einschlagen möchten ;
denn eine bezügliche vor 6 Jahren erlassene Verordnung werde nicht mehr beob¬
achtet. Er meint, dass die Geschwister scharlachkranker Kinder 18—21 Tage von
der Schule sollten zurückgehalten werden und zwar bis in die V. Classe unserer
Mittelschulen. Für leichte Fälle wäre diese Dauer eher zu viel, für schwerere
zu wenig.
Dr. Hangen hält eine gesetzliche Normirung für unausführbar. Wenn die
kranken Kinder gut können abgesondert werden, warum sollen dann die Ge¬
schwister nicht in die Schule gehen?
Auc^Prof. Hagenbach betont die Schwierigkeit der Ausführung eines genauen
Gesetzes. Uebrigens weiss man gar nicht genau, wie lange ein Scharlachkranker
ansteckend ist. Man muss die Sache im einzelnen Fall dem Arzte überlassen, der
soll es aber streng und genau nehmen. Prof. Wille: Werden die Kinder nicht in
die Schule geschickt, so sind sie zu Hause der Ansteckung mehr ausgesetzt, oder
sie gehen auf die Gasse und inficiren dort ihre Gespielen.
Dr. Barth wünscht zu wissen, ob bei der letzten Epidemie eine Verschleppung
durch die Schule konnte nachgewiesen werden. Dr. Lotz. Für Scharlach ist eine
Verbreitung durch die Schulen nicht so sicher festzustellen, wie für Masern, weil
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eben die Disposition dazu eine viel geringere ist. Doch sind in der letzteu Epi¬
demie einzelne Schulen sehr bevorzugt. Lolz hält dafür, dass der Schulbesuch
müsse geschützt werden, da er obligatorisch sei, worin er von Dr. Daniel Bcmoulli
unterstützt wird. Drei Wochen Quarantäne seien nur ein Minimum, aber man
könne eben nicht mehr verlangen.
Dr. deWelte erzählt von den umliegenden Dörfern, wo die Geschwister nicht
zu Hause gehalten werden; dort ist Scarlatina viel häufiger und auch viel perni-
ciöser. Jedenfalls müsse man der Unterstützung der Lehrer versichert sein. Prof.
Sociti: Wie soll ein Lehrer controliren? Er kann doch den Leuten nicht ansehen,
ob sie kranke Geschwister haben. Viel wichtiger ist die Frage: wie verhüten
die Aerzte eine Verschleppung durch ihre eigene Person.
Dr. Barth schlägt vor, an den Polizeiposten Desinfectionskasten für die Aerzte
zu errichten. Prof. Hagenbach leidet sehr unter der Angst, den Scharlach weiter
zu verbreiten. Denn die Desinfcction mit Chlorkalk hilft wahrscheinlich gar nichts.
Er macht die Besuche bei scharlachkranken Kindern zuletzt, hat aber dafür seinen
eigenen Kindern die Krankheit gebracht.
Dr. Fiechter hält die angewandten Desinficientien nicht für sehr sicher. Sehr
tauglich seien Ueberkleider, wie sie im Absonderungshaus des Spitals gebraucht
werden.
Nach einigen formellen Voten wird Dr. Hägler gebeten, in der nächsten
Sitzung definitive Vorschläge zu bringen.
Sitzung vom 24. Januar 1878.
Anwesend 21 Mitglieder.
Thierarzt Siegmund zeigt an, dass ein Herr WaHer Schmied auf eigene Kosten
eine Milchkuranstalt errichten wolle, sich dabei gerne der Aufsicht der medici-
nischen Gesellschaft unterziehe, dafür aber um moralische Unterstützung bitte.
Nach kurzer Discussion wird auf Antrag von Prof. Socin beschlossen, die
medicinische Gesellschaft wolle zuwarten und das Schmied 'sehe Unternehmen ruhig
seinen Weg gehen lassen, sich aber in keiner Weise daran betheiligen.
Dr. Hägler , anknüpfend an den Wunsch des eidg. Departements des Innern,
die gesundheitsschädlichsten Fabrikationszweige kennen zu lernen, sprach über die
auffallend grosse Erkrankungshäufigkeit des Wirthschaftsperso-
n als und der Bäcker. Schon lange ergiebt die englische Statistik, dass die
Sterblichkeit der Wirthe in England diejenige fast aller andern Berufsklassen
Übersteigt und zwar in jeder Lebensperiode. — Dieselbe Erfahrung haben längst
auch die continentalen Lebensversicherungsgesellschaften gemacht. Noch auffallen¬
der als die Mortalität ist aber die Erkrankungshäufigkeit; diese kann aber nicht so
leicht in Zahlen ausgedrückt werden, weil ein grosser Theil der Wirthschaftsan-
gestellten, sobald sie wegen Unwohlsein ihre Stelle nicht mehr oder kaum mehr
versehen können, sich in ihre meist nicht ferne Heimath zurückziehen und dadurch
eine richtige Controlle unmöglich machen. — Bei angestrengtem Wirthschafts-
dienste halten es überhaupt nur Wenige lange aus. Manche fühlen sich bald so
Übernächtig müde und unwohl, dass sie gerne wieder in die meist ärmlicheren
aber stilleren Verhältnisse der Heimath zurückkehren. —
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Die weitaus häufigste Erkrankungsform der Wirthsleute ist die Lungenschwind¬
sucht, gewöhnlich eingeleitet durch Lungenblutung oder durch Bronchialcatarrhe,
welche in der continuirlichen Rauchatmosphäre der Wirthschaften ganz besonders
hartnäckig zu sein scheinen. Auch rheumatische und gastrische Affectionen (chro¬
nischer Magencatarrli und Magengeschwür), besonders aber Chlorose und über¬
haupt Störungen der Blutbereitung und die verschiedenen Nervenleiden kommen
bei dem Wirthschaftspersonal viel häufiger vor als bei andern Personen desselben
Alters.
Die Ursachen dieser grossen Morbiditset sind hauptsächlich: der fortgesetzte
Aufenthalt in einer rauch- und dunstgeschwängerten, hicht hinlänglich erneuerten
Atmosphäre; ferner der häufige Uebergang von der heissen Wirthsstube in die
kalten Keller und Corridore; die unregelmässige Lebensweise mit hastigen oder
verspäteten kalten Mahlzeiten und die Versuchung zu kleinen Zwischenmahlzeiten und
zu öfterem Genüsse geistiger Getränke; die beständige Anspannung der Auf¬
merksamkeit und die so häufigen, psychisch aufregenden oder deprimirenden Einflüsse,
denen das abhängige Dienstpersonal von der Seite grober oder betrunkener Gäste
ausgesetzt ist und, besonders bei vielen weiblichen Angestellten, die sexuellen
Aufregungen. Schädlicher aber noch als alle die genannten Factoren wirkt bei
einer grossen Zahl von Wirthshausangestellten die Ruhelosigkeit und insbesondere
der Mangel an genügender Erholung durch den Schlaf. Besonders seitdem durch die
verfassungsmässige Freigebung der Wirthschaften die Concurrenz unter denselben
vermehrt worden ist und zumal seit Aufhebung der Polizeistunde bleibt eine grosse
Zahl von Wirthschaften regelmässig bis nach Mitternacht, sehr häufig bis ein Uhr und
nicht selten bis nach 2 und 3 Uhr offen, meist wegen weniger verspäteter Gäste, die —
laut der allgemeinen Klage der Wirthe — nicht zum Aufbruch zu bewegen sind,
weil sie selbst eben in den Tag hinein zu schlafen pflegen, während die abhängige
Kellnerin, auch wenn sie erst gegen Morgen in’s Bett gekommen, doch am frühen
Morgen das Lokal wieder offen halten, scheuern und die Frühgäste bedienen muss
und auch den Tag über nie recht zur Ruhe kommt.
Daneben nimmt es sich dann wie Ironie aus, wenn das eidg. Fabrikgesetz die
Fabrikarbeiter in ihren viel gesunderen, grösseren, besser gelüfteten Räumen auf
ein Arbeitsmaximum von 11 Stunden einschränkt, während die nicht minder abhän¬
gigen und doch zahlreichen Wirthshausangestellten unter viel ungünstigeren Be¬
dingungen und in einer Atmosphäre, welche vor den Augen und Nasen keiner
Fabrikinspektion Gnade finden dürfte, regelmässig 16 und 17, oft aber 20 und mehr
Stunden, wenn auch nicht fortwährend eine regelmässige Arbeit verrichten, so doch
aufmerksam und der Laune jedes nächsten Besten zu Diensten sein müssen und
das ohne alle Erholungstage, Sonntags wie Werktags, Jahr ein und Jahr aus.
Wüssten die Regierenden und Gesetzgeber, wie gross bei diesen Leuten die
Sterblichkeit und Erkrankungshäufigkeit ist, so würden sie dieselbe wahrschein¬
lich ebenso zu schützen suchen, wie die Fabrikarbeiter; sie würden kaum dulden,
dass unter so ungünstigen äussern Bedingungen der tägliche Dienst mehr als 16 Stun¬
den dauere; sie würden vielleicht die sanitarischen Verhältnisse der Wirthschaften
und die Arbeitszeit der darin abhängig Beschäftigten überwachen und denselben
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ein gewisses Minimum von Ruhe und Schlaf garantiren. Der Vortragende hält
es für Pflicht der Aerzte, solche hygienischen Schäden aufzudecken und nach
Kräften abzuwenden und schlägt vor, die medicinische Gesellschaft möchte durch
eine Eingabe an die Regierung diese aufmerksam machen auf die grosse Er¬
krankungshäufigkeit der WirthSchaftsangestellten als Folge ungünstiger hygieni¬
scher Verhältnisse und ganz besonders der mangelnden Nachtruhe.
Auch das grosse bleichwangige Heer der Bäcker, die von Morgens 2 Uhr
(Samstags von Abends 10 Uhr) bis Nachmittags 2 oder 3 Uhr in staubigen, meist
engen Räumen und vor heissen Oefen arbeiten, zeichnet sich vor andern Berufs¬
arten durch abnorme Erkrankungshäufigkeit und Sterblichkeit aus, grossentheils
wieder eine Folge dieser Nachtarbeit. Aber hier vermag der Staat weniger, da
es sich hier nicht mehr um öffentliche oder von seiner Concession abhängige Ar¬
beitsfelder handelt, wie bei den Wirthschaften und den Fabriken. — Aber da viele
Bäcker geneigt wären, durch ein gegenseitiges Einverständniss aller Meister eine
gesundheitsgemässere Arbeitsordnung einzuführen, so können die einzelnen Aerzte
auch auf diesem Felde die Hygiene fördern, wenn sie durch ihren Einfluss bei
den Bäckern dieses Streben nach Kräften und beharrlich unterstützen.
Prof. Socin möchte zuerst statistisches Material sammeln und dann erst eine
mit Zahlen belegte Eingabe an die Regierung machen.
Dr. Burckhardl-Merian und Dr. Lotz halten die Beibringung von beweisenden
Zahlen für sehr schwierig; Ersterer schlägt vor, das Publicum durch die Presse
für diese Angelegenheit zu interessiren, während der Letztere durch passende von
den Aerzten auszufüllende Formulare Licht in die Sache bringen will.
Obwohl die Gesellschaft die höchste Wichtigkeit der von Dr- Hdgler angeregten
Fragen anerkennt, sieht sie doch von einem entschiedenen Vorgehen ab.
Dr. Hdgler spricht nochmals über die Scharlachprophylaxe; er kann zwar
nichts Neues vorlegen, sondern stellt den Antrag, die medicinische Gesellschaft
möge das Sanitätsdepartement bitten, genaue Vorschriften über die Reclusion der
Geschwister scharlachkranker Kinder an alle Aerzte zu erlassen. Wird angenom¬
men. Der Wunsch von Dr. Lichlenhahn , es möchte einfach die frühere Bestimmung
erneuert werden, bleibt in Minderheit.
Referate und Kritiken.
Ueber Masturbation und Hysterie bei Kindern.
Von A. Jacobi in New-York.
(Separatabdruck aus dem „Americ. Journal of Obstetrics and Diseases of Women and
Children“, Februar und Juni 1876.)
Die Masturbation kommt bei kleinen Kindern viel häufiger vor, als man in der
Regel annimmt Ihre Folgen sind Schwellung des Präputium und der Glans, sowie der La¬
bien und Röthung des Introitus Vagin®, feuchtes Aussehen der Labien und Vagina. Doch
können diese Erscheinungen auch fehlen oder andere Ursachen haben. Die Diagnose der
M. erfordert daher eine genaue Beobachtung von Seite der Umgebung. Kleine Kinder
üben sie besonders in der "Weise aus, dass, während sie auf dem Boden oder auf einem
ötuhle oder dem Schoosse der Mutter oder einer andern Person sitzen, sie die Ober-
bchenkel gegen einander pressen und reiben (mit grösserer oder geringerer Heftigkeit).
Dabei röthet sich das Gesicht lebhaft, es tritt Schweiss auf, Zuckungen im Gesicht, be-
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sonders um die Augen, die oft aufgeregt aussehen, hie und da auch ein Seufzen. Nach¬
her lehnt das Kind ermattet zurück, seufzt und athmet rasch. *) Es wiederholt sich dies
in unregelmässigen Zwischenräumen, aber nie im Schlaf. Es stellt sich in Folge der
üblen Gewohnheit allgemeine Anmmie ein und damit Gedunsenheit, besonders im Gesicht.
Von grosser "Wichtigkeit ist die Veränderung des Temperaments,**) das vielfach wech¬
selt. Bald-ist das Kind auffallend ruhig und gleichgültig, bald mürrisch, reizbar und
ärgerlich, der Schlaf oft unruhig, bisweilen aber nur zu tief. Puls zuweilen etwas be¬
schleunigt , oft aber langsam und nicht selten unregelmässig. Appetit veränderlich; oft
Verstopfung. Um die Augenbrauen oft der Ausdruck von Kopfschmerzen. Haut zuwei¬
len trocken und welk, zuweilen zum Schwitzen geneigt, zuweilen auch mit viel angehäuf¬
tem Sebum. Zwischen dem 6. und 8. Jahre oft Comedonen, die in der Pubertät häufige
Begleiter der Masturbation sind. — Die M. wird zuweilen veranlasst durch Kindsmägde u. s. w.,
welche durch leichtes Kitzeln oder sonstige Reizung der Genitalien den Kindern eine
angenehme Empfindung verursachen und sie dadurch oft lenksamer machen. Auf fort¬
gesetztes sanftes Reiben oder Schlagen auf die Gesässgegend bei kleinen Kindern, sowie
aufs Reiten bei ältern (vom 6. Jahre an) sah der Verf. Erectionen und sonstige Reizungs¬
erscheinungen folgen. Druck der betreffenden Theile und hohe Temperatur schaden eben¬
falls, weshalb Federbetten und weich gepolsterte Möbel, sowie festanliegende oder steife
erste Hosen nachtheilig sind. Die letztem bringen, wenn zu früh gebraucht, ausserdem
den Uebelstand mit sich, dass sie bei dem öftern Harnlassen ein häufiges Ergreifen des
Penis nötbig machen , was ungeschickt vorgenommen wird und daher viel Zeit braucht.
Dabei sind nun beim Aufenthalt im Freien öfter Kindsmägde und ältere Kinder, beson¬
ders Mädchen, bebülflich, was in der Regel ebenfalls nicht ohne Reizung der Genitalien
abgeht. Auch kalte Waschungen vor dem Schlafengehen reizen oft zu sehr.***) —
Krankheiten der Harnwege veranlassen um so häufiger Masturbation, als gar nicht selten
periphere Hyperästhesie oder Schmerzen in der Glans zu ihren Haupterscheinungen ge¬
hören und als diese, wie manche Neuralgien, durch Fassen oder Drücken des betreffen¬
den Theils wenigstens momentan gemildert werden. Nieren- und Blasensteine (diese
meist auch aus den Nieren stammend), sowie Griesbildung sind keine Seltenheit im Kin¬
desalter. f) Der Blasencatarrh ist eine häufige Krankheit und in ihm oft die Ursache
der Incontinenz zu finden. Bei Mädchen wird er öfter durch Fluor albus verursacht, der
schon im frühen Alter häufig auftritt, in der ersten Kindheit in Folge von Zersetzung
des Vernix von Vagina und Cervix, bei etwas älteren Mädchen in Folge von zersetztem
Ham oder von Fremdkörpern, oder veranlasst durch das Abdecken der betreffenden
Theile, oder durch eine zufällige Abschürfung. Harnröhrencatarrh bei jungen Knaben ist
selten, Balanitis und Balanoposthitis ist dagegen häufig und macht leicht eine Reizung.
Die Ursache ist Benetzung mit frischem oder ammoniakalischem Harn oder Zersetzung
von angehäuftem Smegma; beides kann viel leichter Vorkommen bei Phimose, sowie bei
Taschenbildung wegen unregelmässiger Anheftung des Prmputiums an der Glans. — So¬
wohl Würmer (besonders Oxyuris) als Verstopfung können einen Reiz ausüben auf den
Apparat, uro-genit. — Die Beschaffenheit des Harns ist von wesentlichem Einfluss auf
den Zustand der Harnwege, zumal bei Kindern. Die nachtheilige Wirkung der Cantha-
riden ist bekannt. Aber auch grosse Mengen Fleisch, Eier, Gewürze, Salz, Bier können
Schaden bringen. Es gilt dies ebenfalls von den alcalischen Salzen, hauptsächlich Kali
und Natron chloric. und nitr. Die grössere Häufigkeit der Nierenkrankheiten in den letz-
*) Bei einem kleinen Knaben beobachtete der Verf., dass er zuweilen plötzlich sein Spielzeug
verliess, träumerisch durch das Zimmer ging, sich setzte, aufwärts starrte und nun seine Genitaliefi
gewissermaassen zu kneten begann. Oft fand sich sein Penis erigirt — Ein ljähriges Mädchen wurde
plötzlich blass, die Arme steif, einen Btarken "Widerstand leistend, die geballten Fäuste fest gegen die
Reg. iliacro gestemmt, dabei die Beine im rechten Winkel vom Körper ausgestreckt und die Bauch¬
muskeln krampfhaft zusammengezogen. Wenn das Kind gegen die Brust gehalten wurde, so drückte
es die Kniee stark dagegen und bewegte den Körper auf und ab. Der Athem wurde beschleunigt
bis zu heftigem Keuchen; der Kopf schwitzte stark. Oft stellte sich zum Schlüsse Schlaf ein.
**) Man lasse sich dadurch nicht etwa eine beginnende Meningitis basü. Vortäuschen.
***) Der Verf. Bah bei Erwachsenen häufig, dass, während kalte Waschungen des ganzen Körpers
(incl. Genitalien) oder auch kalte Douchen des Morgens wohlthätig wirkten, sie, unmittelbar vor dem
zu Bette Gehen gebraucht, Aufregung und nächtliche Pollutionen verursachten,
f) Bei uns möchten sie wohl selten sein.
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ten 10 Jahren leitet der Verf. her von dem allzu reichlichen Gebrauch des Kali chloric.
bei Angina und Diphtherie. Alles aber, was direct oder indirect die Nerven des Uro¬
genitalapparates reizt, kann zur Masturbation führen. Dass Schulen und Institute dersel¬
ben oft förderlich sind, ist bekannt.
Die erste Aufgabe der Behandlung ist eine genaue Beaufsichtigung sowohl der
Kinder als des Dienstpersonals. 8odann hat sie die Krankheiten, welche Reizungser¬
scheinungen verursachen, zu beseitigen. Daher sind z. B. bei Balanitis und Balanopostbitis
Reinlichkeit und Adstringentien erforderlich, bei hochgradiger Phimose die Circumcision,
bei Blasencatarrh Alcalien, Tannin, Cubeben, Hyoscyamus, Injectionen je nach dem Falle,
bei Verstopfung entsprechende Diät und Behandlung je nach deren Ursache u. s. w.
Gegen die durch die Masturbation erworbenen nervösen Störungen selbst Bromammonium
und -Kalium; auch Lupulin und Campher von Erfolg. Passende Nahrung und Nahrungs¬
menge ; regelmässiges Baden, anhaltende Beschäftigung unter genauer Ueberwachuug.
Kleine Kinder sollen nicht zu lange auf dem Boden sitzen und , wenn möglich, gleich
beim Beginn des Anfalls aufgenommen und ihre Beine auseinandergehalten werden; dabei
ist Gewalt nöthig. Nach dem Erwachen dürfen sie nicht im Bette bleiben. Oft liess
sie der Verf. Morgens aus dem Schlafe nehmen und den ganzen Tag über wach halten.
Ausserdem erfordert die durch die Masturbation entstandene Erschöpfung ein roboriren-
des Verfahren; es sind auch, zumal wegen der dabei vorhandenen Neurosen, Nervino-
Tonica am Platze, in erster Linie Strychnin, nächstdem EiBea und Arsenik.
Die Neuralgien werden in der Regel in den Abhandlungen über Kinderkrank¬
heiten vernachlässigt, obwohl sie durchaus nicht selten sind. Namentlich spielt dabei die
Heredität eine grosse Rolle; oft auch sind Knochenleiden das ätiologische Moment; die
Reizung und Erschöpfung in Folge Masturbation sind ebenfalls keine seltene Ursache.
Am häufigsten fand der Verf. die Hemikranie, nächstdem die sog. Spinalirritation. Jene
tritt bei Kindern selten in der angioparalytischen Form,*) häufig in der angiospastischen
auf. Bei dieser letztem enge Blutgefässe,**) blasses Gesicht, reizbare Nerven. Die
Krankheit nicht nur ererbt oder durch angeborene Chlorose bedingt, sondern oft auch
durch langsame Reconvalescenz und durch Masturbation verursacht — gerade diese letz¬
tere veranlasst die schlimmsten und frühesten Fälle —, sowie durch anhaltende Darm-
catarrhe. Die Neuralgie des Trigeminus — der Verf. scheint die Hemikranie
dazu zu zählen — meist supraorbital. Sie wurde in einigen Fällen hauptsächlich durch
Unterdrückung der Masturbation geheilt, im Uebrigen mit Eisen (lange Zeit fortgesetzt),
Belladonna in kleinen und häufigen Gaben, Inhalationen von Amylnitrit, ferner mit einem
schwachen galvanischen Strom (anhaltend gebraucht), Strychnin in nicht zu kleinen Dosen
behandelt — ein Kind von 6 Jahren soll nicht weniger als 0,0025 Strychnin nitr. oder
sulfur. pro die bekommen, am besten subcutan 0,003 in einer einzigen tägliohen Dosis.
— Auch auf die Spinalirritation, welche die verschiedensten Ursachen haben kann,
besonders solche, die Erschöpfung herbeiführen (u. a. auch Masturbation), hat Strychnin
einen guten Einfluss. — Gelenkneuralgien beobachtete der Verf., der eine Anzahl
Fälle ausführlich erzählt, vom ö. bis zum 12. Lebensjahr, besonders bei Mädchen, meist
am Knie, aber auch am Hüft- und Fussgelenk, Condyl. int. Fcmor., Proc. styL Ulnae,
"Wirbelsäule u. s. w. Solche Neurosen werden oft lange Zeit für eine Gelenkentzündung
gehalten; auch die Verwechslung mit rheumatischen Schmerzen ist möglich, besonders
da ein Rheumat. acut, vorausgehen kann. Nicht selten dabei das Bild der Hysterie.
Die Heilung dieser Neurosen herbeigeführt durch Roboriren, Eisen, Gymnastik, allenfalls
auch durch warme Bäder, den galvanischen Strom und Klimaveränderung.
Die hysterische Aphonie sah der Verf. nie im Kindesalter, häufig aber den hyste¬
rischen Husten, besonders bei Knaben. In einem besonders hartnäckigen derartigen
Falle entdeckte er schliesslich Masturbation und heilte durch deren UnterdrBckung auoh
den Husten.
Lähmungen von blos neurotischem Charakter sind Belten in der
Kindheit. Der Verf. führt ein 9jähriges Mädchen an , das plötzlich zu Boden fiel, klo¬
nische Krämpfe bekam und nun eine Lähmung fast aller Zweige des Oculomot. hatte.
*) Secale in reichlichen Gaben wirkt da am besten.
**) Die Enge der Blutgefässe kann angeboren sein (angeb. Chlorose).
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Dieselbe verschwand allmälig wieder, stellte sich jedoch auf abermalige klonische Krämpfe
nochmals ein. Der Verf. versprach sofortige Heilung, was einen tiefen moralischen Ein¬
druck machte, drückte den Daumen fest oberhalb des betreffenden Supraorbitalrandes auf
und befahl das Auge zu öffnen , und in der That war keine Ptosis mehr da, so wenig
als eine andere Lähmungserscheinung. Die Paralyse kam nach einigen Wochen wieder,
aber ohne weitergehende klonische Krämpfe , und wurde in derselben Weise nochmals
geheilt, um nicht wiederzukehren. Gleichzeitig wurde natürlich die vorhandene Antenne
entsprechend behandelt.
Es gibt andere Lähmungen wesentlich motorischer Art, welche auf Erweiterung
der Rückenmarksgefässe in Folge vasomotorischer Neurose (Sympathicus) be¬
ruhen. *) Der Verf., welcher in der Literatur nur wenige derartige Fälle fand, die aus¬
schliesslich Erwachsene betrafen, beobachtete die Affcction 2 Mal bei Kindern. **) Das
eine war ein 14jähriger Knabe, der lange Zeit die Masturbation geübt hatte und nun an
einer hochgradigen motorischen Parese der Beine und leichter Anästhesie der (trockenen)
Haut litt. Der andere, ausführlicher beschriebene Fall betraf ein lOYjjähriges Mädchen,
das an hartnäckigen Magenschmerzen und Uebelkeit gelitten hatte, eine Zeit lang aber
wohl war , dar.n in Folge einer zu starken Ermüdung allgemeine Krämpfe bekam und
nunmehr eine fast vollständige motorische Lähmung der untern Extremitäten hatte, welche
nur mit einem plötzlichen Schwung, mit einer Anstrengung des Rumpfes bewegt werden
konnten. Das Bild war im Uebrigen ein sehr wechselndes und offenbar mit Hysterie im
Zusammenhang, bald Hyperästhesie, bald Anästhesie der Beine u. s. w., bald auf einer,
bald auf beiden Seiten, wechselndes, launisches Temperament etc. Die ungemeine Reiz¬
barkeit der vasomotorischen Nerven zeigte sich darin, dass oft unscheinbare anämische
und hyperämische Stellen der Haut nach einander oder neben einander auftrateu, dass
die Beine bald in Schweiss gebadet, bald trocken und kalt waren. Es waren dieselben
auf Druck nur wenig empfindlich , die Proc. transversi der obern Lenden- und untern
Brustwirbel etwas mehr, doch nicht beständig, die Proc. spinosi auch nur wenig. Tem¬
peratur stets normal. Die Heilung wurde langsam, aber vollkommen erzielt durch Secale,
Galvanisiren, gelegentliche kleine Gaben von Stimulantien und Nervinis u. s. w.
Der Verf. erzählt sodann einen diagnostisch schwierigen Fall von Hysterie bei
einem 13jährigen, noch nicht menstruirteu Mädchen, das plötzlich ohne Anlass Uebelkeit,
Delirien und allgemeine Krämpfe bekam mit Verlust des Bewusstseins. Die Krämpfe
kehrten wieder, hörten aber auf auf Chloroforminhalationen und Terpentinölklystiere. Ei¬
nige Halswirbel auf Druck empfindlich, grosse Unruhe, zunehmende Reizbarkeit und
Blässe; öfteres Erbrechen ohne vorhergehende Uebelkeit und Würgen.***) Im Gesicht
oft unscheinbare Röthungen. Temperatur auf den Anfall im Beginn erhöht, seither nie ;
Puls verlangsamt.
Es werden endlich als weitere vasomotorische Neurosen 3 Fälle von Morb. Ba¬
se d o w i i und 2 von Pemphigus acutus (nicht P. neonatorum, auch ni$ht syphil.)
bei Kindern (sämmtlich Mädchen) angeführt, ln einem der letztem Fälle (3 Jahre alt)
thaten Ergotin und Chinin gute Dienste, f ) während der andere, sehr hochgradige Fall
(Alter 4 Jahre) starb. Den Morb. Based. behandelte der Verf. mit Eisen und Digitalis
resp. Digitalin ff) Chinin und roborirender Diät; auf diese Weise glaubte er, einen leich¬
tern Fall ganz heilen zu können. Gebessert wurde auch der schlimmste Fall durch die
genannte Therapie wesentlich. Fankhauser.
Cantonale Ooirresponctenzen.
Aas den Acten der Schweiz. Aerzte-Commission. Mortalitäts¬
statistik. Herr Director Kummer machte darauf aufmerksam, dass nach dem gehand-
habten basier-Zürcher Schema der Todesursachen die Ziffern für die einzelnen Cantone
*) Aehnlichkeit mit der sog. essentiellen Kinderlähmung und mit den sog. functionellen Läh¬
mungen nach Typhus und andern schweren Krankheiten.
**) 2 Mal auch bei Erwachsenen, deren einer frühere Masturbation zugab und die beide durch
den constanten Strom und Ergotin geheilt wurden.
***) Es liess dasselbe nach auf Brom- und Jodkali,
f) Ein späteres Recidiv schwächer.
ff) Ein öjähriges Mädchen bekam 0,006 pro die.
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zu verzettelt sind und allzu spärlich ausfallen, so dass z. B. bei der Statistik der Bevöl¬
kerungsbewegung der Schweiz für 1876 die Quartseiten 88—127 ganz unverhältnissmässig
leer und für statistische Verwerthung werthlos erscheinen. Er schlägt deshalb vor, das
grosse Schema nur für die Eidg. Generaltabelle der Todesursachen beizubehalten , die
Cantone aber nach einem einfachem 8chema abzuwandeln, welches, an die Gliederung
des grossen anschliessend, vorläufig nur einzelne grosse, für Gesundheitspflege und sociale
Fragen maassgebende Gruppen aufführt. Diese nun suchte die Aerztecommission festru-
stellen wie folgt:
Todesursachen,
für die Zusammenstellung der Todesstatistik der einzelnen Cantone ausgewählt
(Schema der schweizer. Aerzte-Commission mit Verweisung auf die Ziffern und Let¬
tern der bisherigen Publicat. des Eidg. stat. Bureau.)
Todtgeboren (Nr. 1).
Gestorben.
I. Adynamia, Lebensschwäche (Nr. 2).
II. Marasmus senilis, Altersschwäche (Nr. 8).
III. Mors violenta, gewaltsamer Tod, 1) Suicidium, Selbstmord (A), 2) Homi-
cidium, Mord und Todtschlag (B), 3) Mors accidentalis, zufälliger Tod (C).
IV. Tod durch Krankheiten.
A. Digestionsorgane. 1) Gastro-Enteritis acut und chron. infant, acut, und
chron. Magendarmcatarrh der Kinder (Nr. 61), 2) Ulcus ventriculi, Magengeschwür (Nr. 59),
8) Carcinoma ventriculi, Magenkrebs (Nr. 60), 4) Carcinoma hepatis, Leberkrebs (Nr. 71),
Ö) Cirrhosis hepatis, Leberverhärtung (Nr. 69), 6) Perityphlitis, Blinddarmentzündung
(Nr. 65), 7) PeritonitiB, Bauchfellentzündung (Nr. 76), 8) Hernia incarcerata, Bruchein¬
klemmung (Nr. 79).
B. A thm un g sorgan e. 1) Laryngitis crouposa, Halsbräune (Nr. 85), 2) Pertussis,
Keuchhusten (Nr. 87), 8) Bronchitis catarrh. acut und chron., Entzündung der Bronchien
(Nr. 88, 90), 4) Pneumonia, Lungenentzündung (Nr. 91), 5) Phthisis pulmon., Lungen¬
schwindsucht (Nr. 96), 6) Pleuritis, Brustfellentzündung (Nr. 98).
C. Circulationsorgane. 1) Endocarditis, Vitium cordis, cor adiposum, Herz¬
entzündung, Klappenfehler, Fettherz (Nr. 100, 101, 106), 2) Aneurisma, Varices, Puls¬
adergeschwulst, Krampfadern (Nr. 102, 105).
D. Nervensystem. 1) Tetanus, Starrkrampf (Nr. 110), 2) Apoplexia cerobri,
Hirnschlagfluss (Nr. 117), 3) Meningitis tuberc., Hirnhauttuberculose (Nr. 118), 4) Alco-
holismus, Delirium potat., Branntwein Vergiftung, Säuferwahnsinn (Nr. 121).
E. Harnorgane. 1) Nephritis acuta, acute Nierenentzündung (Nr. 126), 2) Ne¬
phritis chron., Morb. Bright, Brightische Krankheit (Nr. 127).
F. Männliche Geschlechtsorgane (F).
G. Weibliche Geschlechtsorgane. 1) Carcinoma mammee, Brustkrebs
(Nr. 149), 2) Carcinoma uteri, Mutterkrebs (Nr. 141), 3) Tumor ovarii, Eierstockgeschwulst
(Nr. 145, 146, 147), 4) Febris puerperalis, Kindbettfieber (Nr. 163).
H. Hautkrankheiten. 1) Erysipelas, Rothlauf (Nr. 169).
I. Bewegungsorgane. 1) Caries (necrosis) ossium und articulat, Knochenfrass
und chron. eitrige Gelenkentzündungen (Nr. 166), 2) Rheumatismus acutus, acuter Ge¬
lenkrheumatismus (Nr. 167), 8) Arthritis, Gicht (Nr. 171).
K. Infectionskrankheiten. 1) Cholera asiatica, Cholera (Nr. 181), 2) Inter-
xnittens, Wechselfleber (Nr. 184), 3j Meningitis cerebrospinalis, Genickkrampf (Nr. 182),
4) Diphteritis (Nr. 86), 6) Typhus abdom., Nervenfieber (Nr. 178), 6) Typhus exanthem.,
Fleckfieber (Nr. 179), 7) Dysenterie, Ruhr (Nr. 180), 8) Morbilli, Masern (Nr. 177), 9)
Scarlatina, 8charlach (Nr. 176), 10) Variola und Variolois, Pocken (modif.) (Nr. 174), 11)
Lyssa, Hundswuth (Nr. 187), 12) Syphilis (Nr. 185).
L. ConBtitutionelle Leiden. 1) Anämia perniciosa, pernioiöse Blutarmuth
(Nr. 196), 3) Scrophulosis, Scropheln (Nr. 195), 4) Tubercul. univers. miliar., Miliartuber-
culose (Nr. 189).
V. Tod mit angenügend angegebener Ursache.
Ein von diesem abweichendes, vorwiegend auf ätiologischen Principien beruhendes
und äusserst übersichtliches, wenn auch nicht eben kurzes Schema des Herrn Prof. D Etpine
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von Genf konnte nur deswegen nicht verwerthet werden, weil es sich nicht an das vom
Eidg. statistischen Bureau bereits eingeführte anschloss und wir uns verpflichtet fühl¬
ten, lieber ein vorhandenes gutes Schema ausbauen und durchführen zu helfen, als nach
einem besseren suchend, die kaum begonnene Eidg. Mortalitätsstatistik wieder zu er¬
schweren.
Appenzell. Noch ein Beitrag zur geburtshülflichen Casuistik.
In Nr. 12 des Correepondenzblattes berichten zwei Herren Collegen über Placenta prrevia.
Auch ich bin im Falle über 2 derartige Fälle aus letzter Zeit zu berichten, und wenn
Sie in Ihrem Blatte diesem kurzen Berichte einen kleinen Raum gönnen wollen , bo soll
es mich freuen. Zwar bieten beide Fälle wenig wissenschaftliches Interesse, sondern
beweisen nur, dass man in schwierigen Fällen oft viel Glück haben kann.
1) Im December wurde ich zu Frau M. in Schw. gerufen wegen Blutungen ex Va¬
gina. Ich fand eine hochschwangere robuste Frau, die eben der 11. Niederkunft ent¬
gegensah. Der äussere Untersuch des Abdomens zeigte deutliche Querlage des Kindes.
Beim innern Untersuch fand ich den Muttermund weit geöffnet, aber ausgefüllt mit einer
weichen, theilweise herabhängenden, aber adhärenten Masse, neben welcher man bequem
mit 3 Fingern in den Uterus gelangen konnte. Es war somit kein Zweifel, dass man
es mit vorliegender Placenta zu thun hatte, und zwar mit Placenta praevia centralis, und
somit war die Ursache der Blutungen, wegen denen ich gerufen wurde, erklärt. Diese
waren übrigens massig, nur bei den Wehen etwas heftiger. Es handelte sich also um
eine Querlage mit Plac. pr»v. centr. Ich schritt sofort zur Wendung, wobei ich aber
noch einen grossen Theil der Placenta abzutrennen hatte, die aber sonst in dem geräu¬
migen Becken ganz leicht von Statten ging, sie war in circa 5 Minuten beendigt, un¬
mittelbar nach der Extraction des Kindes folgte die Placenta von selbst, so dass der
ganze fcetale Uterusinhalt in toto vorhanden war.
Die Blutungen hörten sofort auf, das Wochenbett verlief normal, die robuste Frau
erholte sich so rasch, dass ich dieselbe bei einem Besuche nach 2 Tagen beim Kochen
des Mittagsmahles für die zahlreiche Familie antraf.
2) Im März wurde ich Morgens circa 9 Uhr zu Frau Pfarrer L. in P. gerufen, und
war etwa um ‘/jlO Uhr zur Stelle. Ich fand die betreffende Frau höchst collabirt, kühle
Extremitäten, eingefallene Augen, kurz eine wahre facies hippocratica, Puls kaum fühlbar.
Die Geburt hatte Nachts 2 Uhr begonnen, um 4 Uhr erfolgte Abgang des Fruchtwas¬
sers, Morgens 6 Uhr hörten alle und jede Contractionen des Uterus auf, und die Frau
collabirte allmälig, so dass ich sie um '/ 2 10 Uhr in beschriebenem Zustande fand. Alle
Symptome sprachen für eine intrauterine Blutung und der Untersuch per vaginam zeigte
noch dazu Gesichtslage des Kindes. Da rasche Entbindung der Frau indicirt war, appli-
cirte ich die Zange an den schon tief herabgerückten schrägstehenden Kopf, und nach ca.
einer Viertelstunde war die Extraction des Kindes beendigt. Sofort erfolgte Abgang vieler
Blutcoagula und flüssigen Blutes, so dass sofort zur gänzlichen Entleerung des Uterus ge¬
schritten werden musste. Bei dieser Manipulation fand ich die Placenta im os uteri, theilweise
schon in die Vagina herabhängend, und nur noch an einer kleinen Stelle unmittelbar hinter’m
os uteri adhärirend. Ich löste sie gänzlich ab, entfernte die noch vorhandenen Coagula,
Hess eine Injection von kaltem Wasser machen, worauf die Blutungen sofort aufhörten.
Wir hatten es hier also mit einer Placenta praevia lateralis zu thun, und die intrauterine
Blutung hatte ihren Grund in zu früher und theilweise spontaner Ablösung der Placenta.
Die Frau erhielt sofort Excitantien und Roborantien, sie erholte sich allmälig, das
Wochenbett verlief normal, allerdings blieb hochgradige Anämie zurück, an der die be¬
treffende Frau jetzt noch zu laboriren hat.
Wald bei Schönengrund. P. Zoller.
Basel. Umtausch cantonaler Diplome gegen eidgenössische.
In Nr. 13 des Correepondenzblattes hat Herr Dr. Isenschmid in München Veranlassung
genommen, eine ihm vom Unterzeichneten als dermaligen Präsidenten des leitenden Aus¬
schusses gewordene Antwort der Oeffentlichkeit zu übergeben uad Bemerkungen von
seinem Standpunct beizufügen. Es betraf diese Antwort ein Gesuch des Petenten, ihm
sein früheres cantonal-bernisches Diplom gegen ein neues eidgenössisches umzutauschen.
— Das Wesentliche der Antwort ist im zweiten Absatz des betreffenden Artikels richtig
enthalten und ich ergreife gerne die Gelegenheit einer öffentlichen Aufrage, um auch
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durch öffentliche Entgegnung vielleicht Missverständnissen oder übler Auslegung von vorn¬
herein entgegenzutreten.
Der erwähnte zweite Absatz, resp. die Antwort des leitenden Ausschusses zerfällt
in zwei Hauptsätze, nämlich:
1) Das Gesuch des Herrn Dr. I. (und auch noch anderer Collegen) ist einstweilen
gegenstandslos.
2) Der leitende Ausschuss (und soviel wir wissen, auch das eidg. Departement des
Innern) ist der Ansicht, dass ein Umtausch von Diplomen vorläufig grundsätzlich nicht
stattfinden solle.
Ad 1: Gegenstandslos sind zur Zeit diese Gesuche deswegen, weil noch mit keinem
der umliegenden Staaten Reciprocitätsverträge bestehen, wie solche in lit. c. des Art. 1
des Bundesgesetzes vom 19. December 1877 (betr. Freizügigkeit d. Medic.-Pers.) vor¬
gesehen sind. Wären auch die Petenten im Besitze eines eidg. Diploms, so würde ihnen
dasselbe derzeit von einem Ministerium in Deutschland gerade so wenig anerkannt wer¬
den, als wir unsrerseits die Träger deutscher Reichsapprobationen ohne weiters in der
Schweiz zur Praxis zulassen, und meine persönliche Ansicht geht dahin, dass beide Theile
sehr wohl daran thun. Wie bald aber solche Verträge zu Stande kommen werden, ist
uns Allen unbekannt, und man kann in dieser Beziehung höchstens die gegründete Ver-
muthung hegen, dass wegen mancherlei Schwierigkeiten, die sich nicht blos auf die Qua¬
lität der Prüfungen beziehen, es mit dem Abschluss noch seine gute Weile haben dürfte.
Bis dahin aber, wiederhole ich, kann für solche Gesuche keine triftige Begründung vor¬
gebracht werden.
Ad 2: Bringen wir cb aber einmal dazu, dass die deutschen Ministerien in dieser
Beziehung den Wünschen der Eidgenossenschaft entgegenkommen, so werden sicherlich
von beiden Theilen etwelche Garantien verlangt werden , dass nicht unter dem Titel
„gleichwerthige Diplome“ solche zur Präsentation kommen, welche eben in der Thut
innerlich nicht gleichwerthig sind, und es wird sich dannzumal darum handeln, Bestim¬
mungen Uber die Gültigkeit ganzer Categorien von Diplomen aufzustellen und den Rest
in seinen einzelnen Fällen von einer geeigneten Behörde untersuchen zu lassen. Dass
z. B. die Concordatsdiplome ohne weiters den eidgen. innerlich gleichwerthig sind und
äusserlich gleichwerthig müssen gestellt werden, darüber dürfte wohl kaum eine abwei¬
chende Meinung entstehen; annähernd dasselbe gilt von den meisten frühem cantonalen
Patenten, welche auf Grund eines tüchtigen Bildungsgangs und ernsthafter Prüfungen
sind ausgestellt worden ; aber es wird dem verehrl. Landsmann in München auch nicht
unbekannt geblieben sein, dass z. B. nicht alle in der Zeit der Geltung des Art. 5 der
Uebergangsbestimmungen zur Bundesverfassung erworbenen cantonalen Berechtigungen
unter die ernsthaften zu zählen sind. Dass das Bundesgesetz betr. die Freizügigkeit
durch die Gewalt der bestehenden Verhältnisse gezwungen war, in Art. 1 b. ausnahmslos
zu verfahren, soweit das schweizer. Gebiet in Frage kam, beweist noch durchaus nicht,
dass von einsichtiger Seite allen diesen Diplomen auch derselbe innere Werth beigelegt
werde, und beweist ebenso nicht einmal, dass bei abzuschlieBsenden Verträgen die andere
Partei genöthigt sei, alle diese Diplome und Patente als giltig anzunehmen; am aller¬
wenigsten aber ist in diesem fait accompli eine Verbindlichkeit für die Eidgenossenschaft
enthalten, ihre Diplome gegen cantonale oder Concordatsdiplome umzutauschen.
Bekanntlich war unter dem Concordat (vgl. § 42 der Uebergangsbestimmungen im
Conc.-Regl.) die Erwerbung eines Concordatsdiploms ohne Prüfung unter gewissen Be¬
dingungen zulässig, und die Prüfungscommissionen hatten je weilen auf Grund dieser re-
glementarischcn Bestimmung die einzelnen derartigen Gesuche zu prüfen und endgiltig zu
entscheiden, eine Aufgabe , die nicht immer zu den angenehmsten gehörte. Das neue
eidg. (provis.) Reglement nun enthält keinerlei derartige Bestimmungen; sie sind anch
nicht etwa vergessen, sondern sie sind mit Vorbedacht weggelassen worden, erstens weil
hiefür Art. 1 b. des Gesetzes Ersatz bietet, und zweitens weil es von vornherein im
Sinne des Gesetzgeber^ lag, das eidg. Diplom in der Regel nur auf Grund der eidg. Prü¬
fung zu ertheilen. In diesem 8inne ist auch die Redaction dos Diploms abgefasst.
Hinsichtlich der Begriffe „Staat und Cantönli“ (vide Absatz 4 des Artikels) will ich
mit dem geehrten Herrn Collegen mich nicht in Streit einlassen, da mir Schlagwörter in
einer seriösen Discussion nichts zu beweisen scheinen, aber ich möchte ihn blos darauf
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aufmerksam machen, dass die Cantouc gegenüber der Eidgenossenschaft einstweilen doch
so ziemlich in demselben Verhältnis stehen, wie die deutschen Einzelstaaten gegenüber
dem deutschen Reich. Wenn nun die Schweiz, wie sie es wirklich auch thut, z. B. ein
von einer frühem bayrischen Staats-Prüfungsbehörde für den Umfang des Staates (= Can-
tons) Bayern ausgestelltes Diplom für vollkommen giltig und dem neuen deutschen Ap¬
probationsschein äusserlich gleichwerthig anerkennt, so wäre theoretisch durchaus kein
Grund vorhanden, warum nicht auch ein bayrisches Ministerium ein cantonales (= staatliches)
bernisches Patent als ein ernsthaftes auffassen könnte. Auf die Quadratmeilen kommt es
in dieser Frage gewiss nicht an, wohl aber dürfte ein practischer Haken entstehen, wenn
es dem betreffenden Ministerium bekannt werden sollte, dass zwischen Annahme der
Bundesverfassung und Inkrafterklärung des Freizügigkeitsgesetzes einige Jahre verstrichen
sind, in welchen auf Grund des Uebergangsartikels hie und da auch cantonale Patente
errungen worden sind, welche, wenn sie auch laut Gesetz als für die Schweiz zulässig
müssen anerkannt werden, doch die Schweiz. Aufsichtsbehörde gelber als minderwerthige,
ja sogar einzelne als erschlichene taxirt. Es wird also, wie schon erwähnt, ein Verfah¬
ren gesucht werden müssen, welches beide Theile sicherstellt, und diese Frage wird
seiner Zeit allerdings noch einmal den leitenden Ausschuss und das eidg. Departement
des Innern beschäftigen müssen. Wie aber auch dann die Sache wird abgewickelt wer¬
den, und wenn man z. B. sich doch cntschliessen würde , in solchen Ausnahmsfällen an
im Ausland sich niederlassende Schweizer Aerzte, die im Besitz cantonaler Patente sind,
etwa eidg. Approbationsscheine als Ersatz für eidg. Diplome zu verabfolgen, soviel steht
jedenfalls sicher, dass dies nicht ohne eine Prüfung jener cantonalen Patente Seitens der
eidg. Aufsichtsbehörden geschehen, und dass von einem einfachen Umtausch durchaus
niemals die Rede sein wird.
Schon die Ehre der Schweiz würde erfordern, dass von einer eidg. Beglaubigung
diejenigen cantonalen Patente ausgeschlossen blieben, welche unter der Herrschaft des
§ 5 auf Schleichwegen erworben worden sind.
3. Juli. F. Müller.
Baselland. Dr. M. Bider f. Wir haben in Baselland einen Collegen verloren,
der seine Stellung als Arzt und Bürger im weitesten Sinne aufgefasst und das grosse
Feld seiner unermüdlichen und fruchtbaren Thätigkeit mit bestem Erfolge bebaut
hatte.
Geboren 1812 in Langenbruck, dem hoch auf der Wasserscheide des obern Hauen¬
steins gelegenen jurassischen Dorfe, kam Bider nach absolvirten Vorstudien in Basel zu
einem Barbier in die Lehre. Wir Jüngern begreifen die Schwierigkeiten nicht mehr, die
so einem aufstrebenden jungen Manne erwuchsen, bis er sich aus der Barbierstube heraus
zur Immatriculation und über die ungenügende Vorbildung hinweg zum weiten Gesichts¬
felde emporgearbeitet hatte, wie es dem Arzt nothwendig ist, wenn er seinen Beruf und
der ihm durch denselben zu Theil gewordenen Stellung gerecht werden will.
Nach seinem Staatsexamen reiste Bider nach Berlin (zu Fuss !) und Paris. Hiemit hielt
er aber seine fachliche Ausbildung nicht für abgeschlossen ; mit allem Neuern hielt er
nach Möglichkeit Schritt und versäumte dabei nicht, jene Nebenstudien zu cultiviren, die
uns über den Strom des täglichen Lebens halten. Bider zeichnete und malte und trieb
Geologie und Botanik. Eifriges Mitglied des basellandschaftlichen medicinischen Vereines
und seit es Lesecirkels war er zugleich einer jener vier 8tudiengenossen, die als ärztliches
Separatkränzchen während 30 Jahren zuerst lange Zeit alle 6 Wochen, später etwas sel¬
tener , zu beruflichem , socialpolitischem und geselligem Ideenaustausch sich zusammen¬
fanden.
Die Gebirgspraxis von Langenbruck aus war sehr beschwerlich und Bider ein ge¬
suchter Arzt; trotzdem fand er noch Zeit und Lust, als Bezirksamt, ärztlicher Examina¬
tor, Sanitätsrath und Mitglied der Spitalpflege zu functioniren.
In den Rahmen seiner ärztlichen Thätigkeit gehört noch die mit rastlosem Eifer und
geschickter Umsicht von ihm in Scene gesetzte und glücklich geleitete Umwandlung
Langenbrucks und seiner Umgebung in eine sehr gut frequentirte climatische Station, der
nun auch das (unvermeidliche) Curhaus nicht fehlt.
Es war natürlich, dass ein so selbstloser Character auch seinem Heimathdorfe eine
treue Stütze sein werde und Bider verstund es , das Volks wohl auf practische Weise zu
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fördern (gemeinnützige Gesellschaft, Sparcasse, Strassen, Einführung der Uhrenindustrie
etc. etc ).
Erwähnen wir noch, dass der verstorbene College wiederholt als Präsident dem
Grossen Rathe Vorstand und während einer Periode auch im Nationalrathe sass; wir
haben damit lange nicht all’ das Nützliche bezeichnet, das Bider in nähern und weitem
Kreisen ausführte und ausfUhren half. Wir haben aber doch gezeigt, dass der Verstor¬
bene getrost sein Haupt niederlegen durfte, als ihn am 19. Juni nach schweren, aber
aufrechten Hauptes getragenen Leiden der Tod von den Folgezuständen einer atheroma-
tösen Aortenstenose erlöste.
Uns Aerzten auf dem Lande fällt mehr als den Collegen in den Städten, den Sam-
melpuncten der gebildeten Intelligenz, die durch unsern Studiengang und unsere Stellung
uns gebotene Aufgabe zu, auch ausserhalb der Sphäre der rein beruflichen Thätigkeit an
der Pflege alles Edeln, Guten und Schönen, am ächten Wohle des Volkes zu arbeiten.
Bider hat die Lösung seiner Quote dieser Arbeit getreu und energisch versucht und
Vieles ist ihm gelungen. Er legte die arbeitsfrohe Hand nieder — treten wir in die
Lücke! A. B.
Prag. Zur Mittheilung des Herrn Dr. Amsler Uber die Bedeutung des Kalks
im Trinkwasser.
Herr Dr. Amsler , mein werther Freund, berichtet Thatsachen aus dem Aargau, welche
mit meinen Anschauungen über die Entstehung von Kropf und Cretinismus vollkommen
harmoniren und neue Bestätigung derselben liefern. Da, wie ich aus der genannten Ar¬
beit ersehe, meine neueren Studien Uber den Cretinismus dem geehrten Herrn Collegen
nicht bekannt geworden und vielleicht auch anderen Lesern des Correspondenzblattes
nicht zu Augen gekommen sind, so will ich mir erlauben, ein paar Worte über den
Stand dieser Frage hier mitzutheilen.
Herr Dr. Amsler citirt ganz richtig meine ersten Versuche, die Genese des Kropfes
und Cretinismus zu erklären (Arch. f. exp. Path,). Sie gelangten zu dem Resultat, dass
Kalkzufuhr in der Form des Gypses nichts damit zu thun habe, ebenso wenig, wie eine
Vermehrung der Kalizufuhr. Die weiteren Studien basirten auf der UnWahrscheinlichkeit,
dass irgend ein im Wasser gelöster Bodenbestandtheil als Ursache der Krankheit ange¬
sehen werden könne, da dieselbe auf den verschiedensten Bodenarten vorkommt. Eigene
Localforschungen in Böhmen, Salzburg und Unterfranken nöthigten zu dieser Annahme,
welche auch mit älteren Angaben vollständig Ubereinstimmt. Als neu ist nur hervorzu¬
heben, dass in einer Fundstelle des Cretiuisinus in Böhmen das Trinkwasser, welches
aus Gneissformation hervorgeht, auch bei der chemischen Untersuchung sich fast völlig
frei von Salzen erwies.
Sehr interessant war mir nun in den Mittheilungen von Herrn Dr. A., dass dem Kalk
im Wasser sogar eine heilende Wirkung gegenüber dem Kropf zuzukommen scheint.
Dafür spricht die schon von R. Schneider festgestellte Thatsachc des spärlichen Vorkom¬
mens des Cretinismus auf Jurakalk.
Wenn nun den in Lösung übergehenden Bodenbestandtheilen kein Einfluss auf die
Genese der Krankheit zukommt, bo musste naturgemäss nachgeforscht werden, ob nicht
andere Bestandtheile des Wassers in Betracht kämen , welche nicht in Lösung, sondern
in Suspension in demselben vorhanden sind. Dieses bildete den Gegenstand meiner neue¬
ren Studien. Es musste das Wasser ausgezeichneter Kropf- und Cretinen-Gegenden nicht
allein chemisch, sondern auch microscopisch untersucht werden. Diese Untersuchungen
ergaben nun übereinstimmend für mehrere Gegenden Böhmens und Salzburgs, in denen
jene Krankheiten überwiegend häufig, oft in engen Territorien Vorkommen, dass das
Trinkwasser derselben aus stagnirenden Anhäufungen in Schottermassen hervorgeht und
stets eine grosse Menge von Organismen enthält, welche ich der als Flagellaten bezeich-
neten Gruppe der Infusorien zurechnen muss. Culturen solcher Organismen aus Salzbur¬
ger Wasser, welche in Prag angestellt wurden, ergaben, dass unser Moldauwasser, wel¬
ches an sich nicht kropferzeugend wirkt, durch diese Beimischung von Organismen,
welche sich in ihm vermehren, kropferzeugend wird. Diese Resultate, welche ich schon
im vorigen Jahre erhielt, sind in diesem Jahre durch neue Versuche an Hunden bestätigt
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worden und zwar stammten die Organismen, welche zur Cultur verwandt wurden, aus
einer anderen Gegend Salzburgs her, als die im ersten Versuche verwendeten.
Für das Detail dieser Versuche muss ich auf meine bei Dominicus in Prag erschie¬
nene Brochure Uber die Ursachen des Cretinismus verweisen. Hier sei nur noch hinzu-
gefügt, dass dieselben Organismen sich auch in acuten Kröpfen finden, welche „von
selbst oder spontan“, wie die ältere Medicin sagt, bei Menschen entstanden waren.
Die von Amsler angeführten Thatsachen sprechen nun dafür, dass auch im Aargau
genau dieselben Verhältnisse die Entstehung des Kropfes verschulden; denn es ist das
Wasser aus den Schottermassen, welches auch hier kropferzeugend wirkt. Der Fall aus
Lenzburg verdiente aber eine eingehendere Untersuchung und zwar mit Bezug auf die
Formation, in welche der Brunnen eingetäuft ist und die microscopische Zusammensetzung
des Wassere, welches derselbe liefert. Zur Untersuchung des letzteren erkläre ich mich
gerne bereit; nur sollte bei der Aufsammlung die Vorsicht gebraucht werden, die Flasche
aus den tieferen Schichten zu füllen, so dass womöglich etwas von dem Bodensatz mit¬
genommen wird. Man müsste also 'die Sammlung vornehmen, wenn wenig Wasser im
Brunnen vorhanden ist; vielleicht trifft auch das Auftreten der Kropferkrankungen in dem
Pensionat des Schlosses mit solchen Perioden zusammen, worüber vielleicht Herr Dr.
Amsler Auskunft geben kann. E. Klebs.
W oclient>ericlit.
Schweiz.
Bern. Sanitätsstatistisches. Der Staat Bern verausgabte im Jahre 1877
für das Gesundheitswesen und die Krankenanstalten Fr. 236,892 und zwar für die Ent¬
bindungsanstalt Fr. 102,168, Irrenanstalt Waldau Fr. 65,000, Nothfallstuben (Bezirks¬
spitäler) Fr. 55,293 und den Rest für allgemeine sanitarischo Zwecke.
Der Canton zählte Ende 1877 Aerzte 180, Apotheker 40, Thierärzte 110, Heb¬
ammen 400.
Von 2120 Impfungen an Unbemittelten sollen alle, von 8980 an Bemittelten 8946,
von 1125 Revaccinationen an Bemittelten 915 gelungen sein.
— Dr. Hans Strasser von Interlaken, Assistent des anatomischen Institutes in Breslau,
hat einen Ruf als Professor der innern Medicin an der medic. Facultät von Cordova (Ar¬
gentinien) abgelehnt.
Dienatdiapenaatioii der Irrenärzte. Eine Anzahl Pfleg- und Heil¬
anstalten für Geisteskranke richteten an den Bundesrath ein Gesuch um Befreiung ihrer
Secundarärzte vom Militärdienste. Der Bundesrath begutachtete das Gesuch in ablehnen¬
dem Sinne. Der Ständerath wies dasselbe als materiell nicht begründet ab; immerhin
fügte er bei, der Bundesrath sei eingeladen : a. für die Subalternärzte in Spitalanstalten
überhaupt die Zeit des Iustructionsdienstes so zu bestimmen, dass den billigen Rücksich¬
ten auf den Spitaldienst möglichst Rechnung getragen wird, und b. im Falle eines grös¬
seren Truppenaufgebotes für die Aerzte in Irrenheilanstalten in soweit Dienstbefreiung
eintreten zu lassen, dass, soweit das Bcdürfniss nachgewiesen wird, ausser dem ärztlichen
Vorsteher noch ein zweiter Arzt in der Anstalt zurückbleibt. Der Nationalrath trat auf
den Antrag seiner Commission dem ständeräthlichen Beschlüsse bei.
Fabrikation der Phosphorzflndhölzchen. Ueber die Motion des
Dr. Joos (Verbot der Fabrikation der Phosphorzündhölzchen) hatte der Stäuderath be¬
schlossen, dass der Bundesrath eingeladen werden solle, anlässlich der Fabrikinspoction
zu untersuchen, ob nicht durch bessere Einrichtungen den Nachtheilen der Phosphor-
zündhölzchenfabrikation gesteuert werden könnte, ohne dass zu einem eigentlichen Fabri¬
kationsverbot, das zu Entschädigungsprocessen führen müsste, Zuflucht zu nehmen wäre,
und hierüber zu geeigneter Zeit den eidgenössischen Räthen Bericht zu erstatten.
Der Nationalrath trat diesem Beschlüsse bei. Bekanntlich lautete das den Räthen
vorgelegte Gutachten des Bundesrathes dahin, es sei die Fabrikation nicht gänzlich zu
unterdrücken, da nötigenfalls die Bestimmungen über die Haftpflicht im eidgen. Fabrik¬
gesetz das Weiterfabriciren factisch unmöglich machen werde, wenn sich nämlich die
Beseitigung der sanitarischen Uebelstände als unausführbar erweise.
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Universitäten. Frequenz der medicinis c h en Facultäten imßommer-
semester 1878.
Aus
dem
Aus
andern
Canton
Cantonen
Ausländer
Summa
Total
M.
W.
M.
W.
M.
W.
M.
W.
Basel
14
—
51
_
5
—
70
—
70
Winter 1877/78
13
—
55
—
6
_
74
—
74
Sommer 1877
14
—
44
—
4
_
62
—
62
Winter 1876/77
20
—
47
—
3
- -
70
—
70
Bern
43
—
68
—
11
15
122
15
137
Winter 1877/78
45
—
67
—
3
18
115
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133
Sommer 1877
44
—
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—
6
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107
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Winter 1876/77
55
—
56
—
12
26
123
26
149
Genf*)
15
—
27
—
. W
3
56
3
59
Winter 1877/78
14
—
32
—
21
5
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Sommer 1877
24
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—
IT
1
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Winter 1876/77
24
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24
_
20
•2
68
2
70
ZUrich
34
—
102
1
32
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16
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Winter 1877/78
36
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1
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Sommer 1877
30
—
99
—
35
13
164
13
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W'inter 1876/77
35
—
101
1
40
19
176
20
196
Zürich.
Pathologisch-
anatomisches Institut.
Das
Project des
Neubaucs eines pathologisch-anatomischen Institutes wird zur Zeit in Zürich wieder leb¬
haft ventilirt Wir hoffen, dass die Ausführung nicht allzu lange werde auf sich warten
lassen.
— Trichinen. In einer grossem Sendung americanischer Schinken sind durch
die Fleischschauer Trichinen entdeckt worden. Die ganze Sendung wurde in Folge dessen
conflscirt. In America sollen — in Folge der Schweinezucht im Freien, welche die
Schweine mit allen möglichen Abfällen, Ratten etc. in beständigen Contact bringt — 3%
aller Schweine trichinös sein. Der billige americanischc Speck erheischt deshalb die
exacteste Coutrole.
— Der Zürcher Hülfsverein für Geisteskranke hat, trotzdem er
erst seit zwei Jahren besteht, schon 12,743 Fr. Vermögen. Es wäre uns erwünscht, aus
dem Schoosse der bestehenden Hülfsvereine für Geisteskranke Mittheilungen über die bis¬
her gemachten Erfahrungen zu erhalten.
Der Zürcher Verein hat sich mit dem berliner Hülfsvereine in Verbindung gesetzt,
um ein allgemeines Carteil der in den verschiedenen Nachbarländern bestehenden, ähnliche
Zwecke verfolgenden Vereine herbeizuführen. Es wird beabsichtigt, hiermit eine inter¬
nationale Einrichtung zu schaffen, vermöge derer landesfremden Geisteskranken auf Kosten
ihrer resp. heimathlicheu Vereine je nach den am Unterstützungsorte bestehenden Statuten
Hülfe in Geld oder in anderer Weise geleistet werden kann.
Ausland.
Malzextract-Leberthran* Durch langjährige Erfahrungen ist constatirt,
dass der Lebcrthran bei regelmässigem Gebrauche schwächlichen und scrophulösen Per¬
sonen zu nachhaltiger Kräftigung der Constitution verhilft. Leider steht dessen allge¬
meinster Verwendung die in vielen Fällen schwierige Verdauung und der abstossend wi¬
derwärtige Geschmack desselben entgegen.
In neuerer Zeit ist aus letzteren Gründen das den Leberthran substituirende Malz-
cxtract vielfach in den Gebrauch gezogen worden. Wesentlich hat seiner Zeit zu dessen
Hinführung die Empfehlung Prof. Dr. F. v. Niemeyer’a beigetragen, welcher den medicini-
echen Werth beider Mittel fast gleichstellte.
In jüngster Zeit ist von Dr. Davis in Chicago der Versuch gemacht worden , beide
Stoffe zu combiniren und in der That gibt die kunstgerechte Mischung gleicher Theile
porschleberthrans mit concentrirtem Malzextract ein Präparat, das viele Vorzüge in sich
*) Inclusive die „Assistanta“ (Auscultanten).
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vereinigt: es hält sich lange Zeit unverändert, gibt mit Wasser oder Milch vermischt
eine gleichmässige Emulsion, in welcher eine Ausscheidung von Oel nicht stattfindet; so¬
dann wird es , weil in Form des natürlichen Milchsaftes , wesentlich leichter assimilirt,
und nimmt endlich, da der widerliche Geschmack des Thrans vollständig maskirt ist, sich
ausserordentlich leicht. Das Präparat kann sowohl rein, ohne Beimischung, als auch mit
der doppelten Menge Milch oder Wasser geschüttelt, als Emulsion dargereicht werden.
In den Vereinigten Staaten hat sich dasselbe sehr rasch Eingang verschafft und wird
nun auch in Deutschland hergestellt.
Stand der Iufections-Krankheiten in Basel.
Vom 26. Juni bis 10. Juli 1878.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Die Masern zeigen eine geringe Abnahme, welche übrigens ausschliesslich Klcin-
basel betrifft. Angezeigt sind 51 neue Fälle (51, 58, 60), davon aus Grossbasel 23 (26,
30, 23), aus Kleinbasel 28 (25, 28, 37). Der Eintritt der grossen Ferien dürfte die Ab¬
nahme der Epidemie beschleunigen.
Scharlach 9 neue Fälle (5, 15, 9), davon 4 in Kleinbasel, 3 in einem Hause
des Südostplateau, je 1 im Birsigthale und Nordwestplateau.
Von Typhus sind 18 neue Erkrankungen angezeigt (4, 5, 18, 12), davon 8 im
Birsigthale, 5 in Kleinbasel, je 2 vom Nordwest- und Südostplateau, 1 von auswärts zu¬
gereister.
Diphtherie und Croup 7 Fälle (5, 9, 4), wovon 5 aus Kleinbasel. — Keuch¬
husten 14 neue Anmeldungen (13, 11, 22), sämmtlich aus Grossbasel. — Erysipelas
1 Fall aus dem Birsthale. — Varicellen 9 Fälle, meist aus Grossbasel. — Paroti-
tis polymorpha 1 Fall. — Kein Puerperalfieber.
Briefkasten.
Herrn Dr. A. B —r in L.: Ich werde nächstens einmal heraufkommen. Hcrzl. Grüsse. — Herrn
Dr. Hallenhoff, Herrn Dr. Th. Kölliker: Mit Dank erhalten. — Herrn Dr. H~r in A—1: Deine Karte
ist mir ein Räthsel; ich schicke sie dem E. H. in 8., der dasselbe wohl auch nicht zu lösen vermag.
— Herrn Prof. Dr. 0. Wyss, Zürich, Dr. Fisch, Herisau, Dr. Zoller, Schönengrund, Dr. Graf Oerindur,
Pontresina: Mit bestem Danke erhalten. — Herrn Dr. Isenschmied: Beaten Dank für die freundliche
Aufmerksamkeit — Herrn Dr. M —r in Olten, Dr. Namcerck in W.: Mit bestem Danke erhalten. —
Herrn Dr. Isenschmied, München, Prof. Huguenin, Züiich: Mit bestem Danke erhalten. — Herrn Dr.
Prämers, Burgsteinfurt: Ihre mir in Ajaccio freundlichst mitgetheilten hygrometrischen Beobachtungen
lassen sich nicht im Auszuge mittheilen. Ich gedenke sie später in extenso zu verwerthen, werde
mich aber vorher noch mit Ihnen in Rapport setzen. Vorläufig freundlichen Gruss an Sie und Ihren
liebenswürdigen Reisebegleiter. — Herrn Dr. 31.: Sie scherzen grausam 1 „Man weiss nie, .wo Sie
stecken,“ schreiben Sie. Ich weiss es nur zu gut — ich bleibe eben stecken, was mich aber nicht
abhält, das Domicil meines Steckenbleibens (sehr nolens) zu wechseln. Zur Zeit stecke ich (A. Baader)
im Hötel Sonnenberg in Engelberg. — Herrn Dr. F. B. W. in R.: Mit bestem Dank erhalten.
Im betreffenden Fall dürfte die Entzündung dem Periost der hinteren Meatuswaud folgend und nicht
durch die Warzenzellen sich verbreitet haben. Vivat sequens!
Offerire den Herren Aerzten frauco gegen
Nachnahme. Packung frei.
Preissteigerung Vorbehalten.
Chinin sulfur. pur. 30 Grm. Fr. 17, 15 Gr. SGjFr.
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444
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445
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446
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P,. A r Tll» VAU Rilltlhar>ffai* WIan • - Mit M^««ichnetem Erfolg^boi klleo jenen
A ' vl» Iß I. T UI1 DnlllUCIgci j TTlcII. Krankheitsformen angewendet, ln welchen die
Bitterwässer ihre Indication finden.“___
Prof. l)r. Wunderlich, Leipzig: .Ein ganz vorzflglich wirkendes, ausleerendes Mittel,
_nic ht u nangenehm zu nehmen, u nd dem M ag en uns chä dlich.“ _
Pl»nf Tlr SnioVAlhärtr ItrpJail • .Habe keines derändenTTiUtei^&ier so prompt,
1 IUI. ur. öpiuguiuurg, DltJSiail, BO andauernd gleichm&asig und mit so wenigen
Nebenstörungen wirkend gefun den,“ __ ______
Prof. Dr. ITcanzoni y. Liclitenfels, Würzburg: .Ziehe ich gegenwirtig
_in allen Füllen, wo die Anwendu ng eines Bi tt erwassers a ng ezeigt , a usschl iesslich in Gebrauch.“
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P rof. D r. y. Buhl, München: .Wirkt rasch, zuverlässig, ohne Beschwerden.“
Prof. i)r. > ; r Nussbäum, München:
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15. VHI. Jahrg. 1878. 1. August.
Inhalt: 1) Originalarbeiten: Prof. Dr. Hugvtnin: Einige Bemerkungen über die Typhusepidemie tod Kloten nnd
Umgobnng. — Dr. Ott: Myopie nnd Scbole. — 2) Vereinsberichte: Ordentliche 8ommer-8itiung der med.-chirnrg. Gesell¬
schaft des Cantons Bern. — XVLL Versammlung des irxtlichen Centralvereins in Zörich. (Schlnas.) — 3) Referate nnd Kri¬
tiken: Dr. Ed. Albert: Lehrbuch der Chirurgie und Operationeiehre. — Henry TMompton: Die chirurgischen Krankheiten der
Barnorgane. — 4) Cantonale Correspondenzen: Basel, Briefe aus Ajaecio. — 5) Wochenbericht. — 6) Bibliogra¬
phisches. — 7) Briefkasten.
Origlnal-^Li-theiteii.
Einige Bemerkungen über die Typhusepidemie von Kloten und Umgebung.
Von Prof. Dr. Huguenin,
Ein eigentümliches Geschick hat es gefügt, dass der Canton Zürich zum
zweiten Male der Schauplatz einer Typhusepidemie geworden ist, welche auf den
Massengenuss infectiösen Fleisches zurückgeführt werden muss. In der That ist
die heutige Klotener Epidemie die genaueste Wiederholung jener Andelfinger Er¬
krankungen des Jahres 1839, welche in der medic. Litteratur eine so verschiedene
Beurtheilong erfahren haben. Verschieden deswegen, weil die Beschreibungen bei
dem noch nicht so feststehenden Typhusbegriffe jener Zeit in neueren bezüglichen
Erörterungen eine verschiedene Auslegung sich mussten gefallen lassen. Bekannt¬
lich waren es aber die Differenzen in den ätiologischen Ansichten, welche die
besten Schriftsteller in einen diametralen Gegensatz gerathen Hessen. Es war
Grietinger , welcher der Andelfinger Epidemie eine gewisse Berühmtheit verschaffte
nnd sie sehr geschickt zur Unterstützung der damaligen Anschauungen über die
Typhusätiologie verwerthete. Er sah die Ursache in fauliger Fleischzersetzung
und jene Epoche gab sich damit zufrieden. Wie aber die Einsicht in die Ursachen
des Typhus wuchs und mehr und mehr die Anschauung Gemeingut wurde, dass
dem Typhus ein specifisches Gift zu Gruode liege, dessen Entwicklung aller¬
dings durch putride Vorgänge mächtig gefördert wird, schien jene Erfahrung in
den Ideengang gänzlich nicht mehr zu passen; Liebermeistcr bat sich der undank¬
baren Aufgabe unterzogen, das unbequeme Factum aus der Welt zu schaffen nnd
es gelang ihm in der That, ein Raisonnement zu Stande zu bringen, welches die
Qualification der Andelfinger Epidemie als Typhus wieder unwahrscheinlich machte.
Wie derselbe jemals auf die Idee kommen konnte, dass es sich um Trichinose
gehandelt, ist allerdings beim Durchsehen der vorhandenen Litteratur schwer be¬
greiflich , und auch die Taxation der Erkrankungen als Fleischvergiftung (Lebert,
29
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Köhler) thut den Thatsachen einen Zwang an, der in der That nur dadurch ent¬
schuldigt werden kann, dass das vorgekommene Factum die festesten Axiome der
Typhus-Aetiologie zu erschüttern im Stande war.
Wenn wir heute dio alten Acten von 1839 wieder zur Hand nehmen, so ge¬
stehen wir offen, dass wir durchaus auf Seite Griesinger 's treten müssen; wir er¬
kennen in den Andelfinger Erkrankungen weder Fleischvergiftung noch Trichinen,
sondern eben das, was heute wieder vorliegt: Typhus.
Am Auffahrtstage (30. Juni) wurde in Kloten das Bezirkssängerfest abgehalten,
an dem alle Sängervereine des Bezirkes Bülach, Frauen-, Männer- und gemischte
Chöre, sowie einzelne Vereine von Zürich und Winterthur Theil nahmen. Die
Festwirthschaft führte Wirth Ehrensperger (gegenwärtig typhuskrank im zürcher
Spitale) zum Wilden Mann, die Speisen, die zur Verwendung kamen, waren:
Kalbsragout, Kalbsbraten, Bratwürste, im Ganzen sollen 8—9 Centner Fleisch con-
sumirt worden sein. Das Fleisch, aus verschiedenen Quellen stammend, wurde im
Ehrensperger sehen Fleischlocale aufgehängt, dann den Tag vor dem Feste in
grossen Stücken theils gebraten, theils zur Wurst zerhackt, theils als Ragout erst
am folgenden Tage gekocht. Zum Ragout wurden Abschnitzel von allen Stücken
verwendet, ebenso zu den Bratwürsten; über die Zubereitung der Braten ist dem
Schreiber dieses noch nichts Genaueres bekannt. Kloten zeigte zu jener Zeit keinen
Typhusfall. — Die Festtheilnehmer und Zuschauer waren äusserst zahlreich; wer
am Morgen einrückte, ass Kalbsragout, Mittags Braten und Bratwürste, wer später
kam, gelangte nur zum Genüsse der beiden letztem. Es ist constatirt, dass am
Ragout kein besonders widerwärtiger Geschmack oder Geruch wahrgenommen
wurde; feinere Nasen verurtheilten den Braten und dies ist unzweifelhaft der
Grund, warum es zu der verderblichen Bratenvertheilung an Zuschauer, Kinder
und Bedürftige kam, welche den Eintritt in die Festhütte nicht zu erschwingen im
Stande waren.
Von den Bratwürsten waren viele offenbar schlecht, wurden nicht gegessen
und kamen in den Besitz Derer, die sie nicht bezahlt, so dass ihrer eine gute Zahl
stundenweit verschleppt wurden.
Es sind die Quellen, woher dieses Fleisch stammte, noch nicht vollkommen
aufgedeckt; es stammte von verschiedenen Lieferanten, unter denen wenigstens
eine sehr anrüchige Persönlichkeit sich befand. In Opfikon bei Wallisellen er¬
krankte ein Kalb, welches erwiesenermaassen in den letzten Zügen von einem sog.
Bauemmetzger noch den Gnadenstoss bekam; die Mutter dieses Kalbes steht heute
noch im bezüglichen und polizeilich überwachten Stalle und ist bis heute gesund.
Das Kalb gelangte in die Hände des in Untersuchung befindlichen Metzgers H. in
Seebach, der sich einiger Theile vor dem 30. Juni entäusserte. Ein Bewohner
von Seebach ass von der Leber und erkrankte wenige Tage darauf, das Hirn ge¬
langte ins Pfarrhaus Seebach und sämmtliche Bewohner erkrankten, eine Magd
liegt im Spital. Von jenem Krankheitsherde sind bis heute zwei daran zu knü¬
pfende secundäre Fälle (durchaus ohne Fleischgenuss) bekannt. Sämmtliches
Muskelfleisch aber wanderte nach Kloten. Eine ähnliche Geschichte spielt in
Schwamendingen bei Zürich. Auch hier wurde ein in den letzten Zügen liegen-
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451 —
des Kalb getödtet und das Kalb wanderte unter der Hand ohne Fleischschau nach
Kloten. Ueber die Erkrankungen der Thiere steht heute noch nichts Sicheres fest,
eine spätere Mittheilung soll die bezüglichen Resultate bringen.
Dies ganze Kalbfleisch war infectiös. Schon am 2. Tage nach
dem Klotener Sängerfest erkrankten viele Personen der umliegenden Dörfer an
Ekel, Appetitlosigkeit, Kopfschmerz, leichtem Fieber, Magenschmerz, aufgetriebe¬
nem Leibe- Diese ersten Erkrankungen schienen die leichtesten gewesen zu sein;
wenigstens genasen viele Kranke nach wenigen Tagen wieder, um in der Folge
gesund zu bleiben. Der 3. und 4. Tag brachten mehr, am meisten aber der 5. bis
8. und 9. Tag nach dem Fleischgenuss. Genaueres über die lncubationen wird erst
eine Zusammenstellung sämmtlicher genauer beobachteter Fälle bringen, welche
jedenfalls eine schöne Zahl ausmachen werden. Schon die ersten 40—50 Fälle
zeigten auf das Evidenteste, dass die Quelle der Infection nur im
Fleische gesucht werden konnte; alle Aussagen der Patienten wiesen
übereinstimmend hin auf Ragout, Kalbsbraten und Bratwurst; daneben wurde noch
Schweinefleisch consumirt und liegt bis jetzt ein sicher constatirter Fall von In¬
fection durch das Schweinefleisch nicht vor. Eine grosse Zahl von Menschen
hatten das Fest besucht und blos Wein getrunken, keiner erkrankte; es liegen
viele Fälle vor, wo Individuen in Kloten nur Wasser getrunken, keines erkrankte.
Viele von den Kranken erklären ausdrücklich, während des ganzen Tages keinen
Tropfen Wasser zu sich genommen zu haben. Am infectiösesten scheint das Ra¬
gout und die Bratwürste gewesen zu sein, wer von allen 3 Fleischspeisen geges¬
sen, erkrankte am schwersten, wer nur eine gegessen, kam mit einem blauen Auge
davon; wer so viel dazu trank, dass am Abend der Magen sich durch Erbrechen
entleerte, blieb durchschnittlich gesund. Alle 1 diese Verhältnisse lassen sich heute
schon auch statistisch erhärten, obwohl eine Zusammenstellung sämmtlicher Fälle
noch nicht vorliegt. —
Die Krankheit, welche durch dies infectiöse Fleisch producirt
wurde, ist Abdominaltyphus. Bis heute liegen 4 Sectionen vor,
welche ein stringenteres Resultat nicht hätten liefern können,
mehr werden vielleicht nachfolgen (Sectionsberichte siehe unten). Einige Da¬
ten über Krankheitsverlauf in mittelschweren und schwereren Fällen werden diese
Behauptung sofort beweisen:
Anfang und Verlauf der ganzen Erkrankung wird beherrscht durch das Fie¬
ber. Die heute vorliegenden Curven zeigen die Typhuscurve in den meisten
Fällen in voller Reinheit. Es ist zu bemerken, dass sehr viele Fälle die schema¬
tische Dauer von 4 Wochen nicht erreichen, sondern dass die einzelnen Perioden
sich auf 4—5 Tage beschränken , im Uebrigen aber die bezüglichen Fiebertypen
gänzlich einhalten. Der schnelle Ablauf characterisirt in der That einen
grossen Theil der Fälle, namentlich ist sehr häufig — wahrscheinlich unter dem
Einflüsse energischer Antipyrese — die 3. und 4. Periode in eine einzige zu¬
sammengezogen. Die Periode der Continum ist in vielen Fällen besonders rein
und von vielen kann man behaupten, dass sie geradezu ideale Curven aufgewiesen
haben.
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452
Im Allgemeinen gehen die Pulse der Temperatur parallel, einige Fälle fielen
von Anfang durch geringe Pulsfrequenzen sehr in die Augen.
Ein Factum, das allen Beobachtern bis heute auffiel, ist die häufige intensive
Betheiligung des Sensoriums bei relativ niedrigen Temperaturen und schnellem,
günstigem Krankheitsverlaufe. Vom 3. Tage an fangen viele Kranke an äusserst
intensiv zu deliriren, furibunde Deliriumsformen schlimmster Natur sind relativ
häufig gewesen; oft sogar waren die Delirien bei Fieberlosigkeit noch da und
wurden durch die gelungensten antipyretischen Maassregeln nicht modificirt. Le¬
thargische Formen sind selten, im Zürcher Spitale ist bis heute eine solche nicht
beobachtet worden. Glücklicherweise dauern die schlimmen Delirien selten lange.
Nach einigen Tagen machen sie ruhigem Zuständen Platz und die schlimmsten
Fälle haben sich durch eine relativ schnelle Genesung ausgezeichnet.
Die subjectiven Fiebersymptome waren die gewöhnlichen, in vielen Fällen
scheinen allerdings allerlei vage Magen- und Darmbeschwerden vorgekommen zu
sein; das ist sicher, dass die spontan eintretende Diarrhoe bei diesen Fällen viel
seltener ist, als bei einer gleichen Anzahl anderer Typhen mit gewöhnlicher Aetio-
logie. Schüttelfröste kamen im Beginn sehr wenige vor, dagegen häufig protra-
hirtes Frösteln, in vielen Fällen Gliederschmerzen und Nasenbluten, daneben äus-
serste Abgeschlagenheit, Müdigkeit und Muskelschwäche. Abortive Laxir- und
Brechcuren hatten den gewöhnlichen negativen Erfolg.
Ein nicht ganz gewöhnliches, häufig gesehenes Symptom war starker Nacken¬
schmerz, so dass die Kranken den Hals steif tragen mussten.
In ganz ausgezeichneter Weise zeigen sämmtliche beobachteten Fälle eine
ganz enorme Schwellung der Milz, 18—20 cm. Länge sind oft gemessen worden.
Milzschmerz ist selten, die Milzen find in der Mehrzahl der Fälle palpabel. Es
scheint die Milzschwellung, entsprechend dem schnellen Verlaufe der Erkrankung
überhaupt, schneller als gewöhnlich aufzutreten.
Die Erscheinungen von Seite der Lungen sind die gewöhnlichen; entschieden
sind aber weniger schwere Complicationen aufgetreten, als bei der gleichen Zahl
von Typhen mit anderer Aetiologie. Vorhandene schwere Bronchitiden schwinden
schnell mit Ablauf des Processes.
Die Darmerscheinungen traten in der zweiten Woche in vielen Fällen in ganz
auffallender Weise in den Hintergrund , während sie im Beginne als Magen- und
Darmschmerzen, Digestionsstörung und schmerzhafte lästige Verstopfung oft im
Vordergründe gestanden sind. Eine gute Anzahl von Fällen liefern entweder gar
keine Typhusstühle oder nur während einer sehr kurzen Zeit; leichte Fälle mit
allen andern ausgesprochenen Symptomen des Typhus haben oft während des gan¬
zen Verlaufes keinen gallenlosen Stuhl geliefert; dem gegenüber stehen allerdings
einzelne Fälle mit excessiver Diarrhoe von characteristischem Gepräge; während
der Meteorismus in den Fällen mit geringen Darmerscheinungen kaum angedeutet
ist, bat er in andern Fällen hohe Grade erreicht. Die Schmerzhaftigkeit des Dar¬
mes hat oft zur allergrössten Vorsicht in allen Manipulationen gezwungen, nament¬
lich wenn erheblicher Meteorismus dabei war. Genauere Untersuchung des Stuh¬
les ergibt alle Eigenschaften der ächt typhösen Dejection. Es scheint ein gewisser
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Parallelismus zu bestehen zwischen der Intensität der Darmerscheinungen und der
Masse des eingenommenen infectiösen Fleisches; die Darmerscheinungen sind bei
jenen Kranken am intensivsten, welche für ihr Geld so viel als möglich zu consu-
miren trachteten. —
Es sind genauere Urinuntersuchungen angestellt worden; dieselben haben bis
jetzt nichts ergeben, was von den gewöhnlichen Eigenschaften des Typhus-Urins
abwiche. Nephritis typhosa ist sehr selten, einige wenige Fälle sind zur Beobach-
tung gekommen.
Sehr merkwürdig ist die excessive Ausdehnung, welche bei der grossen Mehr¬
zahl der Kranken das roseolöse Exanthem genommen. Es sind blos sehr wenige,
welche keine, sehr viele aber, welche eine Roseola über den ganzen Truncus und
an den Extremitäten aufweisen. Die einzelnen Flecke sind gross, führen zu einer
kleinen Hautinfiltration, welche sich über das Hautniveau erhebt und lassen beim
Zurückgehen einen kleinen Pigmentfleck. Ein Fall war so excessiv, dass ein ernst¬
hafter Disput entstehen konnte, ob nicht Variola vorliege.
Taches bleuätres sind in vielen Fällen in grosser Ausdehnung gesehen worden.
Eine Summe von Complicationen zeigen durchaus nichts Charakteristisches.
Es sind eine gute Zahl Darmblutungen bis heute vorgekommen, unter den¬
selben, entsprechend der enormen Ausbreitung des Typhusprocesses im Dickdarm
bis zum Rectum hinab einige Rectumsblutungen.
Darmperforation und Peritonitis kennen wir bis heute nicht; bei vielen Pa¬
tienten wurde sie befürchtet, trat aber bei Anwendung gehöriger Vorsichtsmaass¬
regeln nicht ein.
Diphtherie und Gangrän des Darmes wurde bis heute nicht gesehen; dagegen
Milzinfarct. Wir kennen bis jetzt keinen Fall von Parotitis, keinen von Knochen-
necrose im Mund.
Die Complicationen von Seite des Herzens und Gefässsystems sind bis jetzt
nicht häufig gewesen; eine Anzahl Fälle mit Cruralthrombose sind gesehen; sie
gingen aus von Varicen, begannen in andern Fällen in der Tiefe der Waden¬
muskeln.
Larynxcomplicationen keine, Lungencomplicationen durchaus die gewöhnlichen,
doch in relativ geringer Zahl; einige Fälle von croupöser Pneumonie ohne tödt-
lichen Ausgang.
Nephritis und Blasenaffectionen sehr selten. In einigen Fällen bei Schwängern
Abortus.
Diese Andeutungen mögen vorläufig genügen, um die absolute Uebereinstim-
mung der ausgebildeten Fälle mit gewöhnlichem Typhus zu constatiren. Wir
lassen die kurzen Sectionsberichte der 4 bis heute verstorbenen Patienten
folgen:
Dr. Müller , Sanitätsrath:
I. Gehirnhyperämie, alte Verdickungen der Pia (Potator), Lungenhyperämie, Milz¬
tumor; im CoBeum, Colon ascendens und oberhalb der ffauAm'schen Klappe die Schleim¬
haut im Allgemeinen geschwellt, die solitären Drüsen überall bis zur Grösse eines Ger¬
stenkorns geschwellt, prominirend, hie und da statt des Follikels ein kleines rundliches
Geschwür in der Schleimhaut. Am Eingänge des geschwellten, aussen etwas injicirtcn
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Wurmfortsatzes sitzt ein grosses, rundliches, zerklüftetes Geschwür in der Schleimhaut.
Unmittelbar oberhalb der Klappe sitzen auf der Schleimhaut des Dünndarms 2 grosse,
geschwellte, rundlich-ovale Peyer' sehe Plaques, die mit einer Reihe von grossen, rund¬
lichen, gegen >/, cm. im Durchmesser haltenden Geschwüren besetzt sind, welche nach
Abstossuug des Schleimhautschorfes bis in’s submucose Bindegewebe dringen. Nach
oben folgen noch einige solcher Peyer' sehen Plaques mit GeschwürBbildung, wobei bei
einzelnen der Schorf erst in der Abstossuug begriffen ist, dagegen sind die Peyer’schen
Plaques nach oben hochgradig geschwellt
Sectionsberichte von Prof. Eberlh:
II. Barbara Benninger (Section 19 Std. p. m.). Schlanker Körper, etwas mager; keine
Starre; Abdomen etwas aufgetrieben. Wenig Panniculus von schmutzig gelber Farbe.
Muskulatur dunkel, gerade Bauchmuskel von gleicher Farbe, ohne das Bild der glasigen
Entartung. Rechte Lunge frei, linke ebenfalls; Pleurasack leer. Im Herzbeutel etwas
klares Serum; kleine Sehnenflecken Uber rechtem Ventrikel. Ira rechten Herzen schlaffes
Fibringerinnsel, flüssiges Blut ohne Cruor in ziemlicher Menge. Endocard nicht imbibirt;
Klappen des rechten Herzens frei; unbedeutende Randverdickung der Mitralis; Aorta
frei. Unter dem Endocard des linken Ventrikels eine flache 2 Linsen grosse dunkelrothe
Hmmorrhagie. Eine gleich grosse Blutung unter dem Epicard des 1. Ventrikels. Herzfleisch
feucht, Consistenz etwas vermindert, violette Farbe. Keine Blutung in linker Pleura.
Blutig tingirtes schaumigos, serös schleimiges Secret im Bronch. Bronchialschleimhaut
violett injicirt. Oberer Lappen lufthaltig, stark violett injicirt, massig cedematÖB. Unterer
Lappen im Ganzen ebenso; nur untere Partien kirschroth injicirt, mit vermindertem Luft¬
gehalt , keine Infiltration. Pleura der r. Lunge frei, Secret wie links. Bronchialdrüsen
nicht vergrössert, schiefrig. Gleiche stark violette Injection der Bronchialschleimhaut wie
links. Lungenbefund sonst derselbe.
Leber im Längendurchmesser verkürzt, schlaff, feucht, hellbraun , Centren massig
injicirt; in den grossen Gefässen mässige Menge Blut, Läppchen etwas verwaschen, ln
der Gallenblase, deren Wand etwas verdickt, 3 Cholestearinsteine.
Milz Länge 16 cm., Breite 8 cm., Dicke 5 cm. Pulpa weich, kirschroth. Malpighi-
sche Körper klein.
L. Niere. Kapsel löst sich, Oberfläche violett, etwas vergrössert, feucht. Rinde und
ihre Fortsätze von hellvioletter Farbe mit einem Stich ins Gelbliche. Malpighieche Kör¬
per blass. Pyramiden etwas intensiver violett.
R. Niere etwas blasser in der Rinde, mehr grauröthlich, auch die Oberfläche blasser,
Kapsel löst sich. Mesenterialdrüsen: einige mässig geschwellt, mit fleckig violetter In¬
jection auf Schnittfläche. Ziemlich beträchtliche Schwelluog der Cmcaldrüsen.
Im Magen gelbgrüne schleimige Flüssigkeit in geringer Menge. Schleimhaut blaes,
gallig imbibirt, einige kleine Gruppen punetförmiger Hämorrhagien.
Am 1. Ovarium eine Uberkindskopfgrosse, mit trüber seröser Flüssigkeit gefüllte Cyeto
mit grösstentheil8 glatter Innenfläche, der eine Gruppe weisser warziger Verdickungen
aufsitzen.
In Blase graubraune, von gelbbraunen Flöckchen durchsetzte Flüssigkeit. Uterin¬
schleimhaut blass.
In den untern Partien des Colon descendens zahlreiche linsengrosse Geschwüre mit
gereinigtem Grunde nebeu Gruppen solcher, die noch mit graugelben Schorfen besetzt
sind. Schleimhaut blass. Nach oben sehr zahlreiche kirschkern- bis linsengroase mar¬
kige Infiltrationen, Schleimhaut darüber atark injicirt; auch sonst starke Injection, besonders
der Venen. Befund gl. bis Ccecum. Unmittelbar über Klappe hochgradige Infiltration
der Peyer’schen Haufen, die stellenweise mit graugrünen, sehr fest adhmreuten Scborfeu
bedeckt sind. Solitäre Follikel zu hirsekorngrossen Knötchen vergrössert, circa 4' über
der Klappe Infiltration der Peyer’schen Follikel geringer, die der solitären Follikel fast
vollkommen verschwunden. 5' über Klappe keine Schwellung weder der Haufen noch
der solitären Follikel. Schleimhaut injicirt, nicht geschwellt, gallig imbibirt, gegen das
Jejunum stellenweise etwas flache Injection der blassen Mucobs, der gleiche Befund im
Jejunum. Aus dem Rectum entleert sich flüssiges Blut mit Cruor. Bis unmittelbar über
Anus linsengrosse markige Infiltration. Frische Geschwüre, einige mit kleinen Schorfen.
Epiglottis frei. L. Tonsille etwas geschwellt. Kehlkopf frei.
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Anatomische Diagnose: Lungenödem. Hyperämie der Lunge.
Markige typhöse Infiltration des Dünn- und Dickdarms mit
Verschorfung. Hämorrhagie des Rectum. Ovarialcyste. Milz¬
tumor.
III. Felix Benninger (Section 19 Std. p. m.). Keine Starre; schlanker Körper, etwas
mager. Abdomen etwas aufgetrieben, nach unten etwas cadaverös gefärbt. Flacher,
leicht fassförmiger Thorax. Muskulatur dunkel, trockea; auch Musk. des Abdomens; äusser-
lich nichts von glasiger Entartung. Herz grösstentheils von Luuge bedeckt; etwas Rand¬
emphysem. Im r. Pleurasack ca. 4 Unzen klare, stark blutig tingirte Flüssigkeit. R. Lunge
frei; 1. hinten etwas verwachsen. Gleiche Flüssigkeit beidseits (ca. 4 Unzen). Etwas
klares Serum im Herzbeutel. Sehnenfleck auf r. Ventrikel. Im r. Herzen schlaffe Cruor-
gerinnsel und Faserstoff, wenig flüssiges Blut. L. nur wenig flüssiges Blut. Endocard
leicht imbibirt; 1. stärker. Rand der Mitralis etwas verdickt; übrige Klappen frei. Herz¬
fleisch besonders 1. von hellgrau-brauner Farbe mit Stich ins Gelbliche.
Aus dem 1. Bronchus entleert sich blutig tingirte schaumige Flüssigkeit. Kleine Hae-
morrhagien unter der Pleura. Schleimhaut der Bronchien stark violett injicirt Etwas
Randemphysem. Oberer Lappen lufthaltig, stark cedematös, mässig hyperssmisch. Unte¬
rer Lappen stärker violett injicirt. Nahe dem untern Rand oberflächlich eine kleinpflau¬
mengrosse, schwarzrothe heemorrhagische Infiltration. Auch in Pleura r. kleine Htemor-
rhagie. Secret wie 1., Schleimhaut ebenso. Oberer Lappen lufthaltig, vorn etwas trocken,
in der 8pitze etwas (Bdematös. Mittlerer Lappen trocken, stark injicirt. Unterer Lappen
stark (Bdematös, blutreich.
Leber. Am obern Rand cadaveröse Färbung; im Längsdurchmesser verkürzt, schlaff,
sehr feucht, von hellbrauner Farbe, blass; wenig Blut in Gefässen. Läppchenzeichnung
etwas verwaschen.
Oberfläche der Milz mit eitrig fibrinösem Belage bedeckt. Länge 16 cm., Breite
10 cm., grösste Dicke 4 cm. Parenchym feucht, kirschroth; Malpighische Körper klein.
Nahe oberem Rand ein von gelbem Saum begrenzter, die ganze Breite und Dicke einneh¬
mender schwarzbrauner Infarct. Mesenterialdrüsen besonders am Ccscum stark injicirt,
markig infiltrirt
L. Niere löst sich leicht aus der Kapsel; in der Breite etwas vergrössert. An der
Oberfläche eine kleine Gruppe hirsekorngrosser, von rothen Höfen begrenzter Abscesse,
die sich durch Rinde und Pyramide erstrecken. Niere feucht, sehr blass, graugelb; Py¬
ramiden etwas hellviolett injicirt.
R. Niere bietet im Ganzen gleichen Befund, nur fehlen Abscesse.
Schleimhaut des Magens blass, stellenweise etwas fleckig injicirt
Beide Schenkelvenen frei. Leistendrüsen etwas vergrössert, etwa bohnengross.
Schleimhaut des Jejunum feucht, graugelb, blass. Ca. 1 */a Fuss vom Pylorus bereits
blutig tingirter, dünnbreiigor Inhalt Schleimhautfalten hier stärker injicirt; besonders in
den Kämmen. Weiter nach unten flache lismorrhagie in der Mucosa und blutige Imbi¬
bition derselben. Dunkelkiracbrothe h&morrhagische Infiltration der Mucosa bis ca. 4 Fuss
über die Klappe. Hirsekorngrosse solitäre Follikel. Befund gleich bis ca. */, Fuss über
der Klappe, wo die ersten , circa linsengrossen, frischen, von leicht markig infiltrirten
Rändern begrenzten Geschwüre auftreten. Ueber der Klappe grosse, von wulstigen Rän¬
dern begrenzte Geschwüre mit reinem Grunde. Dicht über der Klappe findet sich ein
apfelgrosses, durch dünnen Stiel aufsitzendes polypöses Hsematom. Im Colon ascendens
und Coecum viel schwarzrothes, dickes Blut Heemorrhagische Infiltration der Schleim¬
haut unbedeutend. Schwellung der Solitären. Gegen Colon descendens nimmt Blu¬
tung ab.
Kehlkopfschleimhaut leicht injicirt; keine Geschwüre. Tonsillen nicht ge¬
schwellt, frei.
Starker Hydrops meningens; etwas Trübung der Pia. Geringe Injection der gröbern
und feinem Gefässe der Pia. Keine Meningealblutungen. Unter dem stellenweise blasi¬
gen Hydrops ist die Oberfläche etwas eingesunken. Pia löst sich leicht. Sulci klaffend.
Seitenventrikel nicht erweitert Gute Consistenz, sehr feucht, sehr blass; keine Hfcmor-
rhagien.
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Anatomische Diagnose: Blutig seröser Erguss in denPleura-
säcken. Oedem und Hyperämie der Lungen. Bronchitis. Milz¬
tumor; hämorrhagischer Milzinfarct. Punctförmige Nieren-
abscesse. Hochgradige Darmblutungen. Geringe markige In¬
filtration der Peyer’schen und solitären Follikel mit frischer
Ulceration. Keine Schorfe. Starke hämorrhagische Infiltra¬
tion des untern Dünndarms und des ganzen Dickdarms. Hydrop6
meningeus; Hirnödem; Hirnanämie.
Eine IV. Section (Prof. Eberth) hat die gleichen Resultate ergeben.
Die merkwürdigsten Resultate haben Beobachtungen der letzten Tage ergeben.
Im Hause eines noch lebenden Typhuskranken erkrankten 2 Kälber und wurden
abgethan. Beim einen ergab die Untersuchung der innern Organe
einen ausgebreiteten Typhusprocess ( Wälder , Cand. med.), wovon sich
jeder Interessent im pathologischen Institute in Zürich überzeugen kann. Wahr¬
scheinlich hatte der Kranke (Theilnehmer am Klotener Feste) im ambulatorischen
Stadium seines Typhus daselbst seine Dejectionen abgesetzt. Ein zweiter Fall von
Kälbertyphus ereignete sich in dem Hause, von welchem die II. und III. Section
stammen.
Es ist wunderbar, wie diesen jeden Tag sich wiederholenden Thatsachcn ge¬
genüber eine Reihe von Aerzten einen Scepticismus einhalten, der mit der geo¬
graphischen Entfernung im quadratischen Verhältnisse zu wachsen scheint. Noch
sonderbarer machen sich die Anstrengungen, welche auf 100 Meilen Distanz ge¬
macht werden, eine Krankheit, deren Artung so sonnenklar auf der Hand liegt, als
etwas Anderes und noch dazu etwas ganz Unbekanntes
erklären zu wollen. Es passt allerdings die ganze gemachte Erfahrnng
zu vielen Dingen, welche Axiome zu sein scheinen, nicht recht; sie scheint die
ganze Typhusätiologie über den Haufen werfen zu wollen. Dem ist aber durch¬
aus nicht so; im Gegentheil erfahrt die Typhusätiologie dadurch eine wesentliche
Bereicherung und Befestigung, wenn man den Standpunct festhält, den Schreiber
dieses vom ersten Falle an nicht mehr verlassen, nämlich: das kranke Thier
hatite den Typhus. Das lässt sich jetzt nicht mehr beweisen; aber eine
Summe im Gange befindlicher Experimente, sowie weitere genauere Studien über
die Krankheit beim Rindvieh werden ohne Zweifel die Annahme zur Gewissheit
erheben. — Im Weitern werden wir, nachdem wir uns mit Liebermeisler auseinander¬
gesetzt, uns noch mit Ndgeli abzufinden haben. —
Eine genaue Beschreibung der ganzen Epidemie wird Herr Carl Wälder , Assi¬
stent der medic. Klinik in Zürich, liefern.
Myopie und Schule.
(Aus einem Vortrag, gehalten in der Versammlung der Aerzte der Centralschweiz
den 15. December 1877.)
Von Dr. Ott in Luzern.
Geehrte Collegen! Wenn Sie das Evangelium der Erziehung, Rousseau’s Emile,
Aufschlägen, so springen Ihnen gleich Anfangs folgendo Worte entgogen: „Tout est
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bien sortant des mains de l’auteur des choses, tout dögön&re entre les mains de
l’homme.il bouleverse tout, il döfigure tout, il aime la difformitö, les
monstres; il ne veut rien tel que l’a fait la nature, pas meine l’homme, il le faut
dresser pour lui, comme un cheval de manage, il le faut contourner k sa mode,
comme un arbre de son jardin.“
So paradox die Worte des misanthropischen Philanthropen klingen mögen,
sie haben dennoch heute noch ihre volle Berechtigung, zum Beweis wie tief sie
in der Kenntniss des Menschenwesens wurzeln. Sie erhalten ihre erneute Begrün¬
dung angesichts der Culturkrankheit der Myopie. Dass die Myopie in ihrer Verbrei¬
tung über die civilisirte Welt wirklich als Culturkrankheit aufzufassen ist, beweisen
die zahlreichen Untersuchungen von Schulen. Cohn, Reust , Erismann , Krüger , Hoff-
mann , Bürge , Rilzmann und ich, Conrad , Emmerl , Pflüger , Schultz , Rotelmann und in
neuester Zeit Cohn und Becker constatirten an den mittleren und höheren Bildungs¬
anstalten verschiedener Länder eine stetige Zunahme der Myopie mit den Schul¬
jahren. Ja, es haben die letzten Untersucher grössere Procentzahlen der
Myopen gefunden als die ersten, was auf eine steigende Allgemeinfrequenz der
Myopie in den Schulen hinweist. So fand z. B. Becker in Heidelberg im Jahr 1877
in der obersten Classe des dortigen Gymnasiums 100 % Kurzsichtige.
Wäre es angesichts dieser Resultate eine Hyperbel, wollte man die heutigen
Gymnasien als Myopenzüchtereien bezeichnen? Wir haben eben in unsern Gym¬
nasien alle Bedingungen der Dartcm’schen Zuchtwahl. Viele Schüler bringen in
die Schule eine vererbte Anlage zur Myopie, die in der Schule unter günstig¬
ste Bedingungen zu ihrer Entwicklung und Vergrösserung gesetzt wird. So ge¬
schieht es, dass oft die Schüler beim Verlassen des Gymnasiums einen hohem
Grad der Myopie zeigen als ihre Eltern. Später wenden sich ihre Kinder in der
Regel wieder gelehrten Studien zu und sie treten mit vermehrten Anlagen zur
Myopie in die Gymnasien ein, um dort diese Anlagen zu noch höhern Graden von
Myopie entwickeln zu lassen, als sie der Vater besass. Dazu kommt noch, dass
auch in unsern höhern Töchterschulen eine erschreckende Ueberhandnahme der
Myopen zu constatiren ist, so dass bei der Heredität der compensirende Einfluss
der Mutter mit jeder Generation immer mehr verschwinden muss, falls die bisherige
Art der höhern Schulbildung beibehalten wird. Unsere gesellschaftlichen Verhält¬
nisse machen es aber dem einzelnen Individuum beim Eingehen einer Ehe wün¬
schenswert, sich mit einer Person von möglichst gleichem Bildungsgrad zu ver¬
binden, so dass der Gelehrte sich in der Regel eine gebildete Frau zur Gefährtin
wählt. Haben beide, wie es sehr oft der Fall ist, ihre hohe Bildung mit Myopie
erkauft, so summiren sich in ihren Sprösslingen die Anlagen zur Myopie und mit
diesen summirten Anlagen werden auch sie wieder in der Regel dem unheilvollen
Einfluss unserer hohem Bildungsanstalten ausgesetzt.
Als ich im Jahr 1873 mit Dr. Ritzmann unsere Gymnasiasten untersuchte, nahm
ich mir vor (Corr.-Bl. 1874, p. 321 u. 543), die Untersuchung jährlich zu wieder¬
holen, um eine Vorstellung von der Entwicklung der Refraction in einem und dem¬
selben Individuum zu erhalten. Da mir aber von unserem schaffhauserischen Er¬
ziehungsrath bei diesem Vorhaben, offenbar in der Befürchtung wenig ßchmeichel-
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hafter Resultate, negative Unterstützung ward, so gelangte ich erst 1876 mit Hülfe
des Gymnasialrectorats zu einer zweiten Untersuchung unserer Gymnasiasten.
Da in den Jahren 1873—1876 viele Schüler das Gymnasium inzwischen ver¬
lassen hatten, so hätte ich bei der Untersuchung von 1876 nicht die Hälfte schon
einmal untersuchter Schüler vorgefunden , wäre mir nicht die Untersuchung der
Realschüler vom Jahr 1874 zu Statten gekommen, von denen inzwischen ein guter
Theil ins Gymnasium übergetreten und so einer zweiten Untersuchung zugänglich
geworden war. Allerdings bietet sich darin eine Fehlerquelle, dass die einen
Schüler nach zweijährigem, die andern nach dreijährigem Intervall untersucht
•wurden, allein auf den eigentlichen Zweck der Untersuchung, den Nachweis der
Refractionsübergänge an einem und demselben Individuum, hat jene Fehlerquelle
keinen Einfluss.
Die Untersuchungsmethode war die anno 1873 und 1874 befolgte: das rechte
und linke Auge jedes Schülers wurde gesondert, zuerst mit den Snelleri sehen Ta¬
feln auf 20' Distanz, nachher mit dem Augenspiegel im aufrechten Bilde auf seine
Refraction geprüft. In zweifelhaften Fällen wurden mehrere Untersuchungen an
demselben Individuum zu verschiedenen Zeiten vorgenommen.
Zunächst stelle ich Ihnen in Kurzem die Hauptergebnisse der Untersuchung
der Gymnasiasten von 1873 und 1876 neben einander und bemerke, dass beide
Untersuchungen zu derselben Jahres- und Tageszeit vorgenommen wurden und
dass sich in den innern und äussern Schuleinrichtungen seit 1873 nichts wesentlich
geändert hatte. Sogar die Zahl der Schüler war fast genau dieselbe, nämlich 122
im Jahr 1873, 120 im Jahr 1876. Da manche Schüler auf beiden Augen verschie¬
dene Refraction zeigten, so habe ich wie früher nach Augen und nicht nach Schü¬
lern gerechnet.*) Das Gesammtergebniss war:
1873 1876
Hypermetropische Augen 24 = 9,8 % 52 = 21,6 %
Emmetropische „ 124 = 50,8 „ 90 = 37,5 „
Myopische „ 96 = 39,3 „ _ 98 = 40,8»
244 Augen. 240 Augen.*)
Untersucht man, wie vielerorts geschehen ist, die mittlem und untern Schulen,
so erhält man nach unten zu ein immer grösseres Contingent von Hypermetropen
und Emmetropen, während die Myopie nach unten zu immer seltener wird und in
den ersten Schuljahren nur in wenigen Procenten erscheint. Bei Kindern vor dem
schulpflichtigen Alter muss die Myopie geradezu als grosse Seltenheit, dieHyper-
metropie als der häufigste Refractionszustand erklärt werden. In den ersten Schul¬
jahren dominirt die Hypermetropie, in den mittlern die Emmetropie, in den spätem,
etwa vom 8. Schuljahre an, die Myopie. Wir haben also ein Recht zu schliessen,
*) Beiläufig mag bemerkt werden, dass das rechte Auge häufiger stärker bricht als das linke.
So fand sich bei der Untersuchung vom Jahr 1876 unter 19 myopisch anisometroplschen Schillern as
rechte Auge 15 Mal, das linke nur 4 Mal stärker brechend. Eine ganz ähnliche Erfahrung macn
ich bei den Myopen meiner Privatpraxis. Ob dies von einer stärkeren Accommodationaanstrengung
wegen grösserer Annäherung der Objecte an das rechte Auge herrührt oder in einer bei vielen Men¬
schen stärkern Entwicklung der rechten Körperhälfte, mithin stärkerer Refraction des rechten Aug
begründet ist, muss unentschieden bleiben. Nach der Theorie von Donder» wäre die erstere Anna
zu verneinen.
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dass in vielen Fällen die Hypermetropie durch die Emmetropie in Myopie über¬
gehe. Allein es ist dies eben nur ein Schluss, ein höchst wahrscheinlicher zwar,
aber keine unmittelbare Beobachtung. Zum directen Nachweis gelangen wir nur
durch wiederholte Untersuchung an denselben Individuen in grösseren Zeitinter¬
vallen. Dies war es, was ich nach dem Vorgang von Cohn mit der zweiten Unter¬
suchung bezweckte.
Es befanden sich im Jahr 1876 noch 68 Schüler im Gymnasium, die schon
einmal untersucht worden waren; von diesen waren 2 Astigmatiker mit unregel¬
mässigem Verhalten der brechenden Medien. Diese liess ich bei der Zusammen¬
stellung unberücksichtigt. Es bleiben also noch 66 Schüler oder 132 Augen.
1873/74 1876
Von diesen 132 waren Hypermetropisch 38 = 28,8% 19 = 14,4 %
• Emmetropisch 68 = 51,5 „ 50 = 37,8 „
Myopisch 26 = 19,7 „ 63 = 47,7 „
Von den 132 Augen waren stationär geblieben 44 oder 33,3%, 88 oder 66,3%
waren in einen stärkern Brechzustand übergegangen.
Von den im Jahre 1873/74 gefundenen 38 hypermetropischen Augen
waren bis 1876 völlig unverändert geblieben 12 = 31,6% , 26 = 68,3% waren
stärker brechend geworden und zwar waren 5 Augen = 13,1% in geringere Grade
von Hypermetropie übergegangen, 18 Augen = 47,4% waren von hypermetropi¬
schen zu emmetropischen umgestaltet, während 3 hypermetropische Augen sogar
myopisch geworden waren; von diesen 3 Augen hatte sich eines aus H %, in
M V«, ein anderes aus H */i« in M ’/m > das dritte aus H 7 m * n M 7i# umge¬
wandelt.
Die Zahl der bei der ersten Untersuchung gefundenen 68 emmetropischen
Augen fand sich bei der zweiten auf 33 reducirt, 48,5% waren also unverändert
geblieben, während die andern 35 Augen oder 51,5% myopisch geworden
waren.
Das Schicksal der 26 myopischen Augen des Jahres 1873/74 war ein fast
in allen Fällen gleiches, 25 Augen = 96,1% hatten bis 1876 ihren Refractions-
zustand vermehrt, waren stärker myopisch geworden und nur 1 kurzsichtiges Auge
schien in Emmetropie zurückgegangen zu sein. Da aber die Myopie dieses Auges
bei der ersten Untersuchung als nur 7«o betragend verzeichnet ist, so dürfte dies
Zurückgehen wohl eher die Bedeutung eines aufgehobenen Accommodationskram-
pfes haben.
Wir finden also, dass von den hypermetropischen Augen 7*i von den Emme¬
tropischen die Hälfte, von den myopischen Augen kaum 7u stationär blieb. Ob¬
wohl nun die Zahlenreihe der Untersuchung eine kleine ist, so dürfen wir doch
daraus entnehmen, dass das emmetropische Auge das stabilste, das myopische das
labilste ist und dass das hypermetropische Auge in den meisten Fällen nur ein
Uebergangszustand zur Emmetropie oder in selteneren Fällen durch die Emmetro¬
pie zur Myopie sei.
Meine Herren! Nach den Ihnen vorgeführten Beobachtungen an Schüleraugen
ist es zur überzeugenden Gewissheit geworden, dass in den modernen Culturstaa-
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ten die Schulen, besonders die hohem, wahre Brutstätten der Myopie sind und
zwar sind es namentlich die hohem Lehranstalten, die den traurigen Vorrang be¬
sitzen, auf dem Irrweg der modernen Erziehung am weitesten gegangen zu sein.
Dass in der Schule und ihren Einrichtungen die der Kurzsichtigkeit förderlichsten
Momente liegen, wird bewiesen durch das immer zunehmende Auftreten der Myo¬
pie mit den Schuljahren, durch die Seltenheit der Myopie bei Leuten, die nur
■wenige Jahre die Schule besuchen oder ganz ohne Schulbildung bleiben, durch die
ausserordentliche Seltenheit der Myopie ausserhalb der Culturvölker und bei halb-
civilisirten Nationen, z. B. Negern, Kabylen, Hindus. Ich habe Ihnen schon an¬
fangs angedeutet, dass bei der Entwicklung der Myopie auch die Erblichkeit in
Betracht kommt, allein sie spielt keineswegs eine so grosse Rolle, wie die Art der
Beschäftigung des Auges. Sehr selten ist die Myopie an sich vererbt, sondern
nur die Anlage dazu, z. B. eine grössere Dünnheit und Nachgiebigkeit der einzel¬
nen Stellen der Umhüllungsmembranen des Auges. Bis zu den Jahren des Schul¬
besuchs sucht man trotz fleissiger Untersuchung kleiner Kinder umsonst nach myo¬
pischen Augen, selbst bei Kleinen, deren beide Eltern kurzsichtig sind. Es ist
Bebr wahrscheinlich, dass wenn nur eines von den Eltern kurzsichtig, das andere
übersichtig ist, dann oft in den Kindern der hereditäre Einfluss compensirt wird.
Es ist sicher, dass die höchsten Grade von Myopie gerade bei solchen Schülern
gefunden werden, wo der Einfluss von erblicher Anlage und mangelhafter Schul-
und Haushygiene sich summiren, nicht weniger sicher dürfte es aber sein, dass
Kinder mit myopischer Anlage bei genügender Schonung des Sehorgans bleibend
von Kurzsichtigkeit befreit bleiben können.
Umgekehrt findet man häufig, dass Schüler, von hereditären Anlagen frei,
durch übermässige Anstrengung der Augen in der Jugend hohe Grade der Myopie
erlangen können.
Wenn nun auch der erblichen Anlage eine Rolle bei der Entwicklung der
Myopie zuzusprechen ist (eine wie grosse ist vorläufig nicht zu bestimmen) und
wenn auch einige andere Momente hiebei begünstigend wirken , • z. B. ungleiche
Refraction beider Augen, Astigmatismus, Trübung der durchsichtigen Medien —
so muss doch der Ueberanstrengung des Auges in Schule und Haus ein noch
grösserer Schuldantheil beigemessen werden. Die Thatsache, dass es bei der
Entwicklung der Myopie begünstigende Momente gibt, die ausserhalb der Schule
liegen, darf uns aber nicht zu dem an manchen Orten gezogenen fatalistischen
Schluss verleiten, dass die Schule überhaupt gegen das Uebel, als ein nothwendi-
ges, machtlos sei, dass wir Myopen würden „durch himmlischen Zwang“. Es ist
freilich bequemer, die Folgen des Schlendrians in der Schulhygiene den „bösen
Sternen“ zur Last zu legen, unter denen manche Individuen geboren werden. Eines
Pädagogen würdiger wäre es, sich im Gegentheil durch jene prädisponirenden
Momente zu vermehrter Vorsicht und zu einer durchgreifenden Aenderung unserer
Schuleinrichtungen auffordern zu lassen.
(Schluss folgt)
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"V ereinsberich te.
Ordentliche Sommer-Sitzung der med.-chirurg. Gesellschaft des Cantons Bern
in Langenthal, Mittwoch den 18. Juli 1877.
Präsident: Dr. J. R. Schneider. Secretär: Prof. Kocher , für denselben
funktionirend: Dr. Kaufmann.
Anwesende Mitglieder 28, ihre Abwesenheit entschuldigend: Dr. Uhlmann ,
Wyltenbach und Ziegler , eine grössere Zahl im Militärdienst abwesend.
Als Ehrengäste wohnten der Sitzung bei, die Herren Dr. Ackermann ,
Director der Irrenanstalt Rosegg und Herr Anken , Präsident der Direction der
Insel-Verwaltung.
Eröffnung der Sitzung um 12 Uhr Mittags.
Das Präsidium, im Namen des Comit6’s die anwesenden Mitglieder und Ehren¬
gäste begrüssend, wies darauf hin, dass, wenn das Comit6 diesmal das immer
freundliche Langenthal als Versammlungsort bezeichnet habe, das hauptsächlich
geschehen sei, weil Langenthal in Erbauung eines neuen Bezirksspitals den Bestre¬
bungen unseres Vereins nicht nur entgegen gekommen, sondern selbst voraus¬
gegangen sei. Uebrigens besitze Langenthal und seine Umgebung noch andere
ältere Titel unsere Aufmerksamkeit dahin zu lenken, als der einstige Sitz einer
medicinisch-chirurgischen Societät, welche Patente ertheilte und als eine Gegend,
die immer tüchtige Aerzte und Chirurgen zählte, deren Ruf weit über die Kantons¬
grenzen hinaus ging. Mancher von uns, der nie in Langenthal war, mag es auch
interessiren, den Ort zu sehen, der einst in Bezug auf Handel und Industrie alle
Ortschaften des Kantons überflügelte und für die bernische Frauentracht das war,
was Paris für die städtische Tracht ist, bis leider die Hauptstadt diese Rolle zum
Nacbtheil der specifisch bernerischen Kleidung übernommen bat.
Zu den im Einladungsschreiben angezeigten Tractanden übergehend, bemerkt
das Präsidium, dass dieselben noch vermehrt werden durch die Frage der Betheili¬
gung unserer Gesellschaft an dem im Herbst in Genf stattfindenden internationalen
ärztlichen Congress und unser.er Theilnahme an der am 12. December stattfinden¬
den Hallerfeier.
I. Protocoll. Auf die Verlesung des Protocolls der letzten Sitzung wird,
da es im Auszug bereits im Correspondenzblatt erschien, Verzicht geleistet. Auf
die Anzeige, es sei jedoch von Seite des Herrn Prof. Dr. R. Emmerl eine Re-
clamation eingegangen, dahin gehend, es seien seine Voten in demselben theils
ungenau, theils t unvollständig relatirt worden, wurde auf Antrag des Präsi¬
denten beschlossen, die Reclamation diesmal wörtlich in’s schriftliche Protocoll
aufzunehmen.
II. Verschiedene Mittheilungen des Comitö’s:
1) Unserer Vorstellung bezüglich der Zündholzfabricationseiim Fabrik¬
gesetz speciell keine Rechnung getragen worden. Es verhindere aber dieses nicht,
dass in der Execution Abhülfo geschehe. Die beste würde wohl darin bestehen,
diese Fabrication zum Staatsmonopol zu machen, und nur Zündhölzchen mit amor¬
phem Phosphor zu fabriciren, der Gebrauch aller andern zu verbieten.
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2) Unsern Wünschen bezüglich des Bogräbnisswesens wurde fast durch¬
gängig im betreffenden Kantonalgesetz Rechnung getragen, woraus wir schliessen
dürfen, dass dieselben von Seite der Behörden wohlwollend aufgenommen wor¬
den sind.
3) Der von uns im letzten Jahr berathene Entwurf eines organischen
Gesetzes betreffend das Sanitätswesen wurde anfangs Februar der
üirection des Innern mit einem Begleitschreiben zugestellt, worin bezüglich der
Motivirung auf die stenographirten Verhandlungen verwiesen wurde.
4) Als eingegangene Geschenke für die Vereinsbibliothek werden an¬
gezeigt und bestens verdankt:
Dr. U. Quincke , Prof, in Bern: „Ueber die Wirkung kohlensäurehaltiger Getränke.“
Dr. H. Quincke , Prof, in Bern: „Ueber den Einfluss des Schlafes auf die Harn¬
absonderung.“ Leipzig 1877.
Dr. A. Amutsat: „Des sondes k demeure et du conducteur en baieine.“
Dr. H. Albrecht: „Die Anatomie des Kniegelenkes.“ Leipzig 1876.
Dr. A . Amussat, Als: „Mdmoires sur la Galvanocaustique.“ Paris 1876.
A. J. Bome-Volber: „Aphorismes de mddecine positive et thdorie des ressem-
blances montrant tout le corps sur la physionomie.“ Lausanne 1877.
5) Auf eine Reclamation des Ausschusses des Centralvereines wird beantragt
und beschlossen, als Jahresbeitrag Fr. 140 zu verabfolgen.
6) Es wird der seit der letzten Versammlung eingetretene Hinscheid fol¬
gender unserer Mitglieder angezeigt:
a) des Herrn Dr. Bär ;
b) des Herrn Dr. Bodenheimer in Pruntrut, an welchem namentlich auch ein
ausgezeichneter Gerichtsarzt verloren ging;
c) des Herrn Dr. Wild in Bern, gewesenes ältestes Mitglied unseres Vereins,
dem er stets warm zugethan, obschon er geschwächter Gesundheit halber in den
letzten Jahren keinen Antheil an dessen Verhandlungen nehmen konnte.
III. Prof. Quincke spricht sich über einige klinisch wichtige Beziehun¬
gen zwischen Lungen und Herz in längerem interessanten Vortrag wesentlich
dahin aus: 1) Der mittlere Füllungsgrad der Lunge ist — vollständig abgesehen
von krankhaften Veränderungen dieser Organe — bei verschiedenen Individuen
und unter verschiedenen Umständen ein wechselnder. Das Lungenvolumen ist
kleiner beim Liegen wie beim Sitzen, kleiner beim Sitzen wie beim Stehen. Ferner
ist der mittlere Füllungsgrad der Lungen ein geringerer bei Fieberhaften und bei
anämischen Zuständen. Dadurch kommt ein weiteres Freiliegen des Herzens, Ver-
grösserung der absoluten Herzdämpfung, oft auch fühlbare Pulsation der Lungen-
orterien, Geräusch und Verstärkung des 2. Tones über derselben zu Stande. Eine
stärkere Füllung der Lungen findet sich bei aufrechter Stellung und in comprimir-
ter Luft. Auch bei längerem Aufenthalt in verdünnter Luft soll eine solche zu
Stande kommen.
2) Bespricht der Vortragende die bei Lungenemphysem so häufig vorkommende
Dilatation des rechten Herzens und die dafür in Betracht kommenden Ursachen.
‘ IV. Dr. Kummer verlas unter dem Titel: Eine medicinisch-kultur-
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historische Studie aus dem Ober-Aargau, eine den Archiven ent¬
nommene actenmässige Geschichte der im Jahr 1706 gegründeten oberaargauischen
medicinischen Societät, von welcher der heutige Bezirksverein ein Abkömmling ist.
Es lasst sich iedoch aus der höchst interessanten Abhandlung nicht wohl ein
Auszug aufnehmen; man muss das Ganze lesen, um Nichts zu verlieren. Dieselbe
wird in extenso in das Archiv der Gesellschaft niedergelegt.
V. Bericht und Anträge des Comitö’s über den dermaligen
Stand der Erstellung und Erweiterung der kantonalen und Be¬
zirks-Spitäler. In diesem ausführlichen Bericht wird zunächst daraufhingewiesen,
dass sowie seiner Zeit die med.-chirurg. Gesellschaft des Kantons Bern für die. Er¬
bauung einer Irrenanstalt und später einer Entbindungsanstalt eingestanden (man kann
wohl sagen, für dieselbe die Initiative ergriffen hatte), so hat sie sich, angeregt
durch den Director des Innern, Herrn Reg.-Rath Bodenheimer , im Jahr 1873 die
allgemeinere Aufgabe gestellt, möglichst genau das Bedürfniss der Krankenpflege in
Spitälern für den ganzen Kanton auszumitteln und dem entsprechende Vorschläge
an die Behörden zu bringen. Das Ergebniss dieser ersten Untersuchung wurde
in dem Vortrag über das Bedürfniss der Erweiterung und Ver¬
mehrung der Krankenspitäler des Kantons Bern vom 3. Hornung
1873 niedergelegt und, sowie die darauf bezüglichen Schlussnahmen der Gesell¬
schaft vom 15. Mai 1873 durch den Druck bekannt gemacht, den Mitgliedern des
Grossen Rathes sowie den obern Amtsbezirksbehörden zugestellt.
Die materielle Strömung der Zeit, welche hauptsächlich auf die Herstellung
grossartiger Communicationsmittel (Eisenbahnen) gerichtet ist, liess jedoch diese rein
humanistischen Bestrebungen nicht auf kommen, die Behörden waren anderweitig
vollständig in Anspruch genommen und fanden nicht Zeit sich damit einlässlicher
zu befassen, während die ohnedies disponiblen finanziellen Mittel eben auch ander¬
weitige Verwendung fanden.
Indessen wurde die Sache trotz der ungünstigen Zeitverhältnisse nie ganz
fallen gelassen, davon geben Zeugniss nicht nur die Verhandlungen der med.-
chirurg. Gesellschaft selbst, sowie der ärztlichen Bezirksvereine, sondern auch
sämmtliche Jahresberichte der Direction des Innern, die Jahresberichte der Reg.-
Statthalter fast sämmtlicher Bezirke und die Thatsache, dass inzwischen die Be¬
zirksspitäler von Burgdorf, Langenthal, Laufen, Münster und Thun ausgebaut wur¬
den, neue Bezirksspitäler in den Aemtern Aarberg, Konolfingen und Seftigen ernst¬
lich projectirt sind.
Zur Lösung der namentlich hinsichtlich der Centralanstalten schwierigen
Fragen leisteten vorzügliches Material, mit wohldurchdachten Vorschlägen be¬
gleitet, Hr. Dr. Schdrer , Director der Waldau, in seinen Jahresberichten, Hr.
Dr. Fetscherm , Director der Irrenanstalt in St. Urban, in seiner Statistik der
Geisteskranken des Kantons Bern vom Jahre 1871, Hr. Dr. und alt-Reg.-Rath
Lehmann , in seinem Rechenschaftsbericht über die Verhältnisse und die Leistun¬
gen der verschiedenen Anstalten der Inselcorporation vom Jahre 1842 bis und
mit 1873, sowie in seiner kleinen Schrift: „Vorarbeiten zu einem Neubau für
den Inselspital u Endlich wurde auch von der Direction und dem ärztlichen
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Collegium der Insel ein Programm zu einem Neubau des vereinigten Inselspitals
und äusseren Krankenhauses entworfen.
Alle diese Arbeiten und vieles andere Material noch hat dann Hr. Reg.-Rath.
Bodenheimer in seinem Bericht der Direction des Innern an den Regierungsrath des
Kantons Bern Uber die Erweiterung der Krankenpflege in lichtvoller Weise zu¬
sammengestellt und mit klaren und bestimmten Anträgen begleitet.
Obschon Hr. Reg.-Rath Bodenheimer sich, mit Ausnahme zweier Punkte, mit
allen von der med.-chirurg. Gesellschaft im Jahr 1873 gestellten Anträgen voll¬
kommen einverstanden erklärte, so glaubte doch das Comitd ihrer Gesellschaft den
Gegenstand nochmals in den Kreis ihrer Berathungen ziehen zu sollen, indem es
die nachfolgenden Anträge formulirt:
1) Die medicinisch-chirurgische Gesellschaft des Kantons Bern constatirt
neuerdings in Bestätigung ihrer früheren Eingaben von den Jahren 1867 und 1873
die Nothwendigkeit einer bedeutenden Erweiterung der öffentlichen cantonalen
Krankenpflege.
2) Diese Erweiterung soll sich gemäss dem nachgewiesenen BedUrfniss zunächst
auf die Categorie der Irrenpflege, der Nothfallstuben, resp. der Bezirksspitäler und
der Insel, resp. des Kantonsspitales erstrecken.
3) Die darauf bezüglichen Anträge sollen, soweit sie dem Referendum unter¬
liegen, dem Volke in einer Vorlage zur Abstimmung unterstellt werden, in und
durch welche die successive Reihenfolge der Ausführung auf eine bestimmte Reihe
von Jahren festgesetzt wird.
4) Betreffend die Irrenpflege insbesondere seien die Anordnungen so zu treffen,
dass successive so viele Irren untergebracht und verpflegt werden können, dass die
Zahl der durch Vermittlung des Staates zu verpflegenden Irren und Idioten sich
zur Gesammtbevölkerung im Minimum wie 1 zu 500 verhalten soll, ein Verhältmss,
■wie wir es in den besser organisirten Kantonen und Staaten Europa’s überall ein¬
gehalten sehen.
5) Betreffend die Nothfallstuben oder Bezirksspitäler hält der Verein alle
seine unterm 15. Mai 1873 gestellten Anträge, namentlich die successive Vermeh¬
rung der Staatsbetten in denselben bis auf 150, aufrecht.
6) Ebenso werden die damals gestellten Anträge betreff des Neubaues des
Inselspitals neuerdings bestätigt Die möglichst schnelle Inangriffnahme desselben
sei um so wünschenswerther, als durch denselben die alten Gebäulichkeiten des
äusseren Krankenhauses wahrscheinlich im Interesse der Irren- und Armenpflege
wenigstens provisorisch verwerthet werden könnten.
7) Im Interesse der Wissenschaft und einer besseren Oeconomie wird dem
Antrag des Hrn. Reg.-Rath Bodenheimer beigepflichtet, das äussere Krankenhaus
mit dem Inselspital zu vereinigen, der medicinischen Schule näher zu legen und
dem entsprechend die Bettenzahl um 150, also bis auf 350 zu erhöhen.
8) Für diesen Bau des Inselspitals, resp. des Kantonsspitals wird aus sanita-
rischen Rücksichten das Pavillon-System empfohlen, welches auch erlaubt, dass
das Ganze successive ausgeführt und hergestellt werden kann, wie die finanziellen
Umstände und übrigen bedingenden Verhältnisse es gestatten werden. Bei der
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Herstellung des Baues soll auf möglichste Einfachheit Rücksicht genommen, alles
kostbare Monumentale vermieden werden.
9) Dem Hrn. Reg.-Rath Bodenheiiner wird neuerdings für sein einsichtsvolles
nnd entschlossenes Vorgehen in dieser Angelegenheit die volle Anerkennung und
der aufrichtige Dank unserer Gesellschaft ausgesprochen.
10) Das Comitö wird beauftragt, diese Beschlüsse in geeigneter Weise zur
Kenntniss der Staatsbehörden und der Vorstände sämmtlicher Krankenanstalten
des Kantons zu bringen.
In der darauf folgenden Umfrage, an der sich die Herren Felscherin , Kocher ,
Kummer , Müller. Schneider und Andere beteiligten, wurden hauptsächlich die
Succession und der Finanzpunkt besprochen. Während auf der einen Seite (Dr.
Kummer , Kocher und Schneider ) darauf hingewiesen wurde, dass das am 7. Februar
1877 in Bern zusammengetretene erweiterte Comitö, dem auch die Herren Dr.
Hopf, Kummer , Lehmann, Müller , Neuhans , Reber , Schärer , Steller und Strasser bei¬
gewohnt, gefunden, dass mit dem Bau des Inselspitals im Interesse der Hoch¬
schule und, um für die Irren gleichzeitig Platz zu gewinnen (äusseres Krankenhaus
und das zu verlassende Inselspital) angefangen werden solle, wurde anderseits
(Dr. Fetscherin ) die Opportunität für die Unterbringung der Irren lebhaft geltend
gemacht.
Betreffend den finanziellen Punkt, so wurde darauf aufmerksam gemacht (Prof.
Kocher ), dass der Architectenverein es übernommen, die disponiblen Gebäude und
das Grundeigenthum zu schätzen, dass aber die Kosten des Neubaues nach vor¬
handenem Programm erst nach Entwerfung des Planes genauer bestimmt werden
können. Jedenfalls müsse man darauf bedacht sein, noch eine bedeutende Summe
ausserordentlich auch für die Vermehrung der Nothfallstuben herbei zu schaffen.
Für den Kantonsspital wird von einer Seite (Dr. Schneider ) beantragt, es solle die
Inselcorporation ein Anleihen von Fr. 1,500,000 auf 10 Jahre aufnehmen, die Zinsen
für die 10 Jahre zum voraus bezahlen; so bleiben ihr mit dem bereits vorhandenen
Vermögen hinlängliche Fonds, um den Bau auszuführen. Innerhalb den 10 Jahren
dürfte mancher Obligationsbesitzer auf sein Guthaben Verzicht leisten und für den
Rest zu decken, werden sich nach 10 Jahren wieder Mittel finden. Eine solche
wohlthätige Anstalt werde im Nothfall auch noch später Hülfe finden. Dr. Müller
von Sumiswald will dagegen das nöthige Opfer schon jetzt bringen und nicht
auf die Zukunft übertragen. Man solle an das gesammte steuerpflichtige Volk
appelliren ; cs werde für solche Zwecke sicherlich einstehen. Er beantragte dem¬
nach, von hier aus den Grossen Rath anzugehen, es möchte derselbe in beliebiger
Form an das Volk die Anfrage stellen, ob es gewillt sei, sich eine ausserordent¬
liche einmalige Steuer von 1 pro mille zur Erweiterung der kantonalen Kranken-
und Irrenpflege gefallen zu lassen.
Dieser Antrag, von verschiedener Seite unterstützt, wurde in der Abstimmung,
nähere Präcision Vorbehalten, einmüthig angenommen. Ebenso alle andern An¬
träge des Comitö.
VL Nach Schluss dieser Verhandlungen begab sich die ganze Gesellschaft in
den neuerbauten und wohl ausgerüsteten Bezirksspital und zollte hier dem Wohl-
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thätigkeitssinn der Bevölkerung von Langenthal und Umgebung die wohlverdiente
Anerkennung.
VII. Während der nachfolgenden Mahlzeit referirte Hr. Prof. Quincke im Namen
des Comit6’s über die bevorstehende Hallerfeier, zu welcher die naturforschende
Gesellschaft die Initiative ergriffen, dabei aber bis heute die medicinische Kantonal¬
gesellschaft des Gänzlichen ingnorirt habe. Dessen ungeachtet beantragte das
Comit6, sich dabei finanziell bis auf Fr. 8(K) zu betheiligen. Auf Antrag des Hrn.
I)r. Marti wurde jedoch beschlossen, dem Comit6 einen unbegrenzten Credit zu
gewähren.
Als Mitglieder der Gesellschaft wurden aufgenommen: Dr. Garster in Lotzwyl,
Marti in Langenthal, Apotheker Masson in Langenthal und Dr. Zahnder in St Urban.
Telegraphische Grüsse kamen von Dr. Burkhardl-Merian auf Beatenberg, Cartier in
Olten, Steller in Langnau. Hinwieder sendete die Gesellschaft telegraphischen
Gruss an ihr ältestes und fleissigstes Mitglied, Hrn. Dr. Buhler in Fieuricr, welcher
krankheitshalber abgehalten war, der Versammlung beizuwohnen.
Es fehlte auch nicht an Toasten auf die Professoren der medicinischen Facultät,
als den Vertretern der wissenschaftlichen Vorträge in unserer Gesellschaft, den
anwesenden Ehrengästen, namentlich dem Hrn. Präsident Anken. Hinwieder von
diesem dem Gedeihen der med.-chirurg. Gesellschaft und ihre humanitären Be¬
strebungen u. A. m. Manch schönes Lied, vorgetragen von der jüngeren Genera¬
tion, belebte und erheiterte auch die Alten. Die wenigen Stunden des gemüthlichen
Zusammenseins waren nur zu rasch dahin gegangen.
XVII. Versammlung des ärztlichen Centralvereins in Zürich
am 18. Mai 1878.
Präsident: Dr. Sonderegger, Schriftführer: Dr. Uaab (Zürich).
(Schluss.)
Rasch füllte sich der grosse Speisesaal des Hötel Baur au lac. Da war keine
Zeit zu verlieren. Durchdrungen von der Wichtigkeit der Lebensmitteluntersnchung
begannen die 224 Theilnehmer am Bankett den Kampf um’s leibliche Dasein.
Siegreich wurden die ersten Gänge gewechselt. Da ertönte die wohlbekannte, be¬
währte Stimme des Präsidenten, Dr. Sonderegger , und stille ward es mit einem
Mal. Vollendet in Inhalt und Wärme des Vortrages erklangen die schönen, dem
Vaterland geweihten Worte:
„Der Zweck der tbätigen Mcnschengilde
lat: zu urbariairen die Welt;
Ob du nun pflogest des Geistes Gefilde
Oder bebauest daa Ackerfeld.“ (Rückert)
Ob du als Forscher und als academischer Lehrer deine Lebensarbeit in die Sparcasse
der Culturgeschichte legest, dass Generationen 6ich von deinen Zinsen gütlich thun, oder
ob du als mühebeladener Practiker dein Leben wie Scheidemünze verbrauchest und
scheinbar spurlos wieder verschwindest: dein Arbeitsfeld muss in besserem Stande ste¬
hen, wenn du gehst, als es gewesen, da du gekommen bist: du musst urbarisiren.
8eien wir dankbar! Jahrhunderte einer vielbewegten vaterländischen und beruflichen
Geschichte haben vor uns schon urbarisirt, und die Stöcke urwüchsiger Barbarei Bin
längst ausgerodet; — heute aber wäohst, mannshoch wie Prairiegras, der Schwinde -
hafer, am üppigsten im Schatten der grossen Häuser; und seine Erndten sind Phrasen;
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Phrasen, die giftige Speise eines vielgeschmeichelten Volkes. Dieses Gift macht da und
dort gesunde Köpfe zu Hallucioanten, die nur von ihren kirchlichen, politischen und so¬
cialen Träumen regiert werden und das reale Leben kaum beachten, die stolz auf ihre
Bildung und auf ihre Schule, jeden Anlass ergreifen, die „Schulung" zu schmähen und
die Inspiration zu verherrlichen und welche die berufliche Berechtigung eines Zeugnisses
als den volIgQltigen Beweis seiner Nichtigkeit betrachten! Dieser schwärmerische Cynis-
mus pocht, — vorläufig allerdings erfolglos — an die ThQren unserer Rathssääle, ängst¬
lich besorgt für das Rothwild, hohnlachend Uber die wissenschaftliche Medicin.
Tit.! Wir Aerzte haben das göttliche Vorrecht, empirisch naiv vom Menschen aus¬
zugehen, mit seinen physischen Kräften, mit seiner Intelligenz, seiner Phantasie und sei¬
nem Willen zu rechnen : begeben wir uns dieses durch Jahrhunderte mühsam errungenen
Standpunctes nicht muthwilligl Wir haben Besseres zu thun, als blos die Concurrcnz
aller Quacksalber auszuhalten, durch das wirre Gestrüppe speculativer Systeme und poli¬
tischer Phrasen müssen auch wir die Furchen hygienischer und humanistischer Cultur-
arbeit ziehen, damit spätere Generationen erndten und unser Andenken lieb haben
mögen.
Dazu müssen wir vor Allem gute Collegen sein! Unsere Ehre verraucht, unser Geld
verrinnt und wäre nach wenigen Generationen schwer mehr zu finden : was wir aber in
collegialer Eintracht, in unserm schönen Berufe und für unser Volk gethah, das bleibt! Das
Vaterland erwartet auch von uqb, dass Jedermann seine Schuldigkeit thue.
Als Arbeiter im Dienste der Wissenschaft und im Dienste des Volkes bringen wir
dem Vaterlande unser Hoch!
Nicht lange dauerte es, so ergriff der Präsident der zürcherischen cantonalen
ärztlichen Gesellschaft, Dr. Zehnder , das Wort zur Begrüssung der auswärtigen
Collegen :
Verehrte Herren Collegen! Unsere cantonale Gesellschaft hat mir den ehrenvollen
Auftrag ertheilt, das nun zum zweiten Mal in Zürich’s Mauern eingerückte Corps unserer
schweizerischen Collegen, voran seinen wackeren Führer, aufs Herzlichste zu be-
grüssen.
Wenn wir Sie auch heute in so reicher Zahl bei uns versammelt sehen, so haben
wir um so mehr Grund, uns dessen zu freuen, als die schwüle Luft, die auch über un¬
serem Vaterlande lagert, nicht eben geeignet ist, zur Festfreude die richtige Stimmung
zu geben. Allein Festjubel ist ja-auch nicht unsere Sache, und wenn wir nach Erledi¬
gung aller übrigen Tractanden beim fröhlichen Mahle dem Vaterlande unser erstes Hoch
bringen, so liegt in diesem Hoch zugleich der ernste Entschluss, ihm mit vereinten Kräf¬
ten tapfer und treu zu dienen.
V. H. Die Wissenschaft ist internationales Gebiet und auch gegenüber der kosmo¬
politisch-humanen Richtung der modernen Medicin bat der Nationalgeist zurückzutreten ;
allein aufgehen in ihr darf er ja dennoch nicht, wäre es auch nur, weil gerade uns Aerz-
ten aus den republikanisch-democratischen Institutionen unseres Vaterlandes Aufgaben
erwachsen, die kein Anderer für uns lösen kann.
Unter diesen Aufgaben betrachte ich als eine der schönsten und zugleich lohnend¬
sten, unser Volk, das nun fast überall das Gesetzgebungsrecht selbst in die Hand genom¬
men, das über das, was ihm frommt, über sein Wohl und Wehe selbst entscheiden will,
auch auf unserem Gebiete auf diejenige 8tufe der Bildung zu erheben, die ihm ein Ur-
theil über die Bedingungen seiner Wohlfahrt ermöglicht. Auch das , v. H., nenne ich
urbarisiren, urbarisiren im Sinne des begeisterten Aufrufs unseres Präsidenten. Allein
wenn ich diese Aufgabe unseres Standes hier besonders hervorzuheben mir erlaube, so
geschieht es, weil es mir oft schon Vorkommen wollte, als ob unsere Bestrebungen in
dieser Richtung noch zu viel Aristokratisches hätten, als ob wir uns zu viel nur an die
Gebildeten im Volke wendeten, als ob wir namentlich den Einfluss eines der mächtigsten
Bildungsmittel, den Einfluss der öffentlichen Presse, zu sehr unterschätzten und uns vom
offenen Markt des Lebens fern hielten, es Zwischenhändlern überlassend, die ursprünglich
ächte, unverfälschte Waare, oft genug mit allerlei fremdartigen, ja schädlichen Zuthaten
vermischt, an den Mann zu bringen.
Diese Art Fälschung aber unterdrückt kein Gesetz, keine Polizei. Sie streicht die
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Segel nur vor der Aufklärung der öffentlichen Meinung, nur vor der gesteigerten und er*
höhten Bildung.
Volksbildung ist auch da Volksbefreiung 1
V. H.! Wohl ist es ein unbehagliches Geschäft, einem Jeden im Volke für das, was
ihm zunächst liegt uud wofür er doch bis vor Kurzem noch ein höchst minimes Interesse
an den Tag legte, für seine eigene Haut zu interessiren auf die Gefahr hin, dass mau
uns freund nachbarlich „in die 8uppe spuckt“ ; allein vergessen dürfen wir ja nicht, wie
viel wir daran selbst Schuld tragen, wie lange es auch in der Medicin einen Syllabus
gab, den „das gemeine Volk“ nicht anzutasten wagen durfte und wio wir im Laufe der
Jahrhunderte in unserer Dogmatik so wenig Maas» zu halten wussten, wio das altehr¬
würdige Institut der Kircho in der ihrigen.
Und über all’ dieso Unbehaglichkeit hilft uns schliesslich hinweg ein warmos Her«
für das Volk, dem wir unsere Dienste weihen, unbekümmert um Anerkennung, allein tief
bekümmert um den Erfolg: hinweg eine heilige Begeisterung für dio humane Bedeutung
unseres Berufes.
Der humanen Mission des Arztes gilt mein Hoch 1
Hierauf verlas der Präsident 2 Begrüssungstelegramme, das eine von den Col-
legen in Uri, das andere von College Baader. Letzteres lautete: „Ubi patria ibi
bene, ubi amici ibi melius, ubi ambo ibi optime. Vivat Jubilatio hodie, mox vo-
biscum jubilabimus! Vivat patria, vivant amici!“
Ihm antwortete schlagfertig Dr. Sonderegger: „Amico procul absenti, ncc non
convalescenti, in corde nostro viventi, et feliciter reventuro, salutem dicit concio:
Central verein.“
Eine fernere grosse Zierde des Bankettes bildeten nun die Liedervorträge
eines von Altenhofer dirigirten Quartettes von Mitgliedern des Studentengesangver¬
eines. Die Lieder ersetzten in lieblichster Weise den leider in’s Stocken gerathe-
nen Fluss der Reden und die schönen Klänge des „Alt Heidelberg“, „Waldeinsam¬
keit“ (von Stork), „Rothhaarig ist mein Schätzelein“ (von Allenhofer) verhallten nicht,
ohne eine gewisse festliche Stimmung zu schaffen , die den wichtigen Zweck des
Tages: Pflege der freundschaftlichen collegialischen Beziehung, höchst forder¬
lich war.
Zu guter Stunde fiel aus der brausenden Versammlung die Anregung, den
Rest des Tages auf dem Uetlibcrg zu verbringen und dieser Drang, die Situation
von einem noch erhabeneren Standpunct zu betrachten, fand rasch ein paar ge¬
schickte Organisatoren, so dass um 6 Uhr ein Extrazug bereit stand, der eine
schöne Zahl von Collegen zu jener anmuthigen Bergspitze emportrug. Leider nicht
olle! Wie Mancher hatte zu Hause noch die Stube voll wartender Patienten oder
gar eine Zange oder Wendung in Aussicht; da musste der Pflicht ein Opfer ge¬
bracht und kurz resolvirt die Heimfahrt angetreten werden. Dank der nun zwie¬
fach famosen Fahrgelegenheit hatten sogar* die Basler Collegen dos Dessert im
Stich lassen müssen, um bei Zeiten heim zu kommen, als lebten wir noch im Zeit¬
alter der alten Postkutschen und Hauderer. — Wem aber vergönnt war, an der
Fahrt auf den Uetli theilzunehmen, der fand noch reiche Gelegenheit, sein Gemüth
zu erheitern, edle Collegialität zu pflegen und die Freunde hoch leben zu lassen.
Die schallenden Gesänge des Studentenquartetts predigten nicht tauben Obren,
es entspann sich ein gemüthlicher Commers. Und je mehr draussen sich die Däm¬
merung über Berge und Thäler legte, um so strahlender wurden die Augen der
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wackeren Collcgen, die hier im Gefühl wohlvollbrachter Arboit ein schönes Fest
gedeihlich zu Ende führten.
Mögen sio Alle über zwei Jahre ebenso frohen Muthes sich wieder in Zürich
zusammenfinden!
Referate und Kritiken.
Lehrbuch der Chirurgie und Operationslehre.
Vorlesungen für practiache Aerzte und Studirende von Dr. Ed. Albert, Professor an der
Universität Innsbruck. Wien, Urban & Schwarzenberg. Erster Band: Die chirurgischen
Krankheiten des Kopfes und Halses. 610 Seiten.
Der vorliegende erste Band*j dieses neuen Lehrbuches der Chirurgie behandelt einlei¬
tungsweise dio drei wichtigen Capitel Ober Narcosc, Blutstillung und Wundbehandlung
und umfasst sodann die chirurgischen Krankheiten des Kopfes und Halses. Von einer
einlässlichem Besprechung müssen wir leider Abstand nehmen. Dass der Verfasser als
bewährter Lehrer der modernen Chirurgie nach dem neuesten Stande unserer Wissenschaft
sein Lehrbuch schreibt, braucht wohl kaum besonders hervorgehoben zu werden. Dass
er dabei einmal die Ziele des Practikers stets im Auge hatte und deshalb bei der The¬
rapie namentlich auch die Operations- und Verbandtechnik eingehend bespricht, dass er
ferner dem Studirenden die ihm häufig so räthselhaften Krankheitsbilder an der Hand
eigener Erfahrungen vor Augen führt und Diagnose und Therapie durch reichlich einge¬
schaltete Abbildungen erläutert, dass er überhaupt bestrebt ist, den Bedürfnissen des
Practikers so gerecht zu werden, wie den Wünschen des Studirenden, wird nicht ver¬
fehlen, dem neuen Lehrbuche die ihm gebührende Anerkennung zu verschaffen.
Die gewählte Darstellung in Vorlesungsform hat allerdings neben grossen Vorthcilen
auch entschiedene Nachtheile, so namentlich den für den Pructiker wie für den Studiren¬
den gleich hoch anzuschlagenden, dass das Werk dadurch an Uebersichtlichkeit bedeu¬
tend verliert Doch ist die Darstellungsweise eine so klare und möglichst präcise, dass
sic viel von jenen Nachtheilen aufzuwiegen vermag. Zudem ermöglicht es gerade dieso
Form, dos starro Schulsystem aufzugeben und durch Abschweifungen auf die allgemeine
Chirurgie sowohl wie durch Berücksichtigung der historischen Entwicklung der Wissen¬
schaft den Stoff zu beleben und in möglichst anschaulicher Form dem Leser vor Augen
zu führen. Kaufknann.
Die chirurgischen Krankheiten der Harnorgane.
Von Sir Henry Thompson. Vom Verfasser autorisirto deutsche Ausgabe von Dr. Dupuis.
Nach der 4. Auflage des Originals. 320 Seiten. Berlin, G. Reimer.
Thompson ’s Krankheiten der Harnorgane hatton schon in ihrer Originalausgabe eiue
ausgedehnte Verbreitung unter dem ärztlichon Publicum gefunden. Erst recht wird dies
der Fall sein mit der autorisirten deutschen Uebersetzung, um so mehr als sio eine aus¬
gezeichnete genannt werden kann, die das Original in deutschem Gewände in getreuer
Weise wiedergibt Das Werk empfiehlt sich in erster Linie für den Practiker und ist
bei der Häufigkeit und Wichtigkeit der Krankheiten der Harnorgane für ihn fast unent¬
behrlich. Zudem aber zeigt sich der Verf. darin selbst als ausgezeichneter Practiker:
Fussend auf einem colossalen Beobachtungsmaterial gibt er nur Positives und dasselbe
mit einer Schärfe und Präcision und bei der Reichhaltigkeit des Stoffes in möglichst ge¬
drängter Form, dass das Werk sich von ähnlichen Specialwerken in vortheilhafter Weise
unterscheidet.
Als Anhang folgen noch ganz kurz gefasste practiache Regeln übfer die Untersuchung
des Urins hauptsächlich in Beziehung zu den Störungen der Urinausscheidung, was den
Werth deB Werkes nicht wenig erhöht. Kaufmann.
*) Unterdessen ist auch der zweite Band dieses ausgezeichneten Werkes erschienen Red.
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Cantoiiale Correspondeuzei i.
Basel. Zur eidgenössischen Mortalitätsstatistik. In der letzten
Nummer des Corresp.-Blattes wird pag. 435 und 486 ein abgekürztes Schema mitgetheilt,
nach welchem künftig zur Vermeidung unnöthigcr Weitläufigkeit für die einzelnen Can-
tone die Todesursachen sollen zusammengestellt werden, während das ausführliche Schema
nur für die Eidg. Generaltabelle beibehalten wird. Mit der Absicht einer Kürzung in der
Wiedergabe der einzelnen cantonalen Resultate wird man sich nur einverstanden erklären
können ; ebenso im Wesentlichen auch mit dem ausgcwählten Schema; denn wenn i. B.
unter den Circulationsorganen Nr. 2 „Aneurysma, Varices“ kaum als „grosse, für Ge¬
sundheitspflege und sociale Fragen maassgebende Gruppe" gelten können, so ist doch die
Mittheilung einer solchen Gruppe höchstens überflüssig, aber durchaus nicht störend. Nur
eine Gruppe scheint mir nicht glücklich gewählt zu sein und zugleich wichtig genug, um
eine Discussion darüber zu rechtfertigen. Es handelt sich um Nr. 8 unter den Athmungs-
organen: „Bronchitis acuta und chronica". Das eidgenössische 8chema hat das in seiner
ersten Publication unter zwei verschiedenen Nummern aufgeführt: 88 „Bronchitis acuta“
und 90 „Bronchitis chronica, Bronchiectasia, Emphysems“. Diese beiden Nummern tren¬
nen in sehr richtiger Weise Ungleichartiges und unter 90 ist sehr richtig Gleichartiges
zusammengefasst. Handelt cs sich nun darum, der Abkürzung wegen einzelne Nummern
des ausführlichen 8chema’s zu grössern, gerade auch in socialer Beziehung gleichartigen
Gruppen zu vereinigen, so würde es viel richtiger sein, aus „Bronchitis acuta und Pneu-
monia* eine Gruppe zu bilden und „Bronchitis chronica und Emphysems" als besondere
Gruppe zu belassen.
Die Vereinigung der Todesfälle an acuter Bronchitis und Pneumonie zu einer
Gruppe haben wir in Basel von jeher für practisch und richtig gehalten, und wenn das
neulich aufgestellte Zürcher ßchema im Gegensatz dazu acute und chronische Bronchitis
vereinigt, so vermag ich darin keine Verbesserung zu sehen. Es liegt ja auf der Haud,
dass ein grosser Bruchtheil der Todesfälle an Bronchitis in Wirklichkeit undiagnosticirtc
Pneumonien sind; oder sollten wirklich im Jahre 1877 in der Schweiz (vide pag 121 der
eidgenössischen Statistik) 27 Menschen zwischen 15 und 60 Jahren an einfacher acuter
Bronchitis gestorben sein? Während also schon diagnostisch — und der Punct ist bei
Mortalitätsstatistik sehr wesentlich — acute Bronchitis und Pneumonie vielfach durch¬
einander kommen, ist die Trennung von der chronischen Bronchitis leicht und es wird
damit wirklich Ungleichartiges getrennt Mit welcher der beiden andern Todesursachen
die acute Bronohitis gerade auch in allgemein socialer Beziehung eher übereinstimmt, das
mag die Vertheiluug der betreffenden Todesfälle in der Schweiz 1877 nach dem Alter
beweisen (vi. 1. c.).
Es starben (unter Weglassung der Fälle von unbekanntem Alter)
ao Pneumonie, an acuter Bronchitis, an chron. Bronchitis,
abs. % ftbs - % abs - “/•
Unter 15 Jahren 667 84,9 134 29,3 85 5,8
Ueber 15 Jahren 1058 65,1 323 70,7 _ 667 94,2
Summe 1626 100,0 457 100,0 602 100,0
Die Uebereinstimmung der acuten Bronchitis mit der Pneumonie im Gegensätze zur
chronischen Bronchitis ist augenfällig und bedarf keines weitern Commentars. Sie scheint
mir aber den Wunsch zu rechtfertigen, dass wenn eine Appellation gegen das vorge-
schlagene abgekürzte Schema an maassgebender Stelle noch möglich ist, eine solche Ge¬
hör finden möge und dass an Stelle der dort vorgeschlagenen Nr. 3 und 4 unter den
Athmungsorganen gesetzt werden möge: 3) Bronchitis catarrhal. acuta et Pneumonia,
acute Bronchien- und Lungenentzündung (Nr. 88, 91), 4) Bronchitis chronica et Emphy-
sema, chronische Bronchienentzündung und Emphysem (Nr. 90). Lots. .
Anmerkung* der Redaction. Wenn die schweizerische Aerzte-Commissiou
ihre Acten im Corresp.-Blatte mittheilt, hat es nicht den Zweck, eine jeweilige Gross-
that zn verkünden, sondern den, schwebende Fragen allen theilnehmenden Collegen zu¬
gänglich zu machen und deren Ansichten und Vorschläge zu provociren. Dass obige
Ansicht unsere Herrn Collegen Lotz eine sehr discutirbare, wahrscheinlich sogar die rich¬
tige ist, kann ohne alle „Amteehrverletzung“ behauptet werden, und wird eine Verein-
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barung zwischen Herrn Director Kummer und der Aerzte-Commission um so leichter
stattfinden, als bereits vor dem Erscheinen dieser Bemerkungen die Vereinigung der
acuten Bronchitis mit der Pneumonie, sowie der chron. mit dem Emphysem an maass-
gebendtr Stelle ist vorgeschlagen worden. Die Aerzte-Commission war auf weit mehr
Einwürfe gefasst; denn wir Aerzte wollen ja Freunde, nicht Pächter der Wahrheit sein!
Briefe ans Ajacelo.
IV. Rückblick und Heimkehr. Wenn die Zugvögel sich zum Aufsuchen
ihrer Sommerquartiere rüsten, Schnepfe und Wachtel abstreicht, die Trappe durchzieht,
wird es auch dem gepressten Wandervolke, den Curanden, unbehaglich; ihm wird heiss
aussen, heiss im Innern — die Situation unerträglich.
Und doch ist Überall da, wo nicht bekannte abnorme meteorologische FrühlingB-
schädlicbkcitcn den Curgast wegtreiben, gerade jetzt der Moment gekommen, in dem sich
der Curaud mit Geduld wappnen, ausdauern muss.
Der Frühling kommt im Süden so schnell, so überwältigeud prächtig und verlockend,
dass der heimwehkranke Curand Alles gewonneu glaubt und vergisst, wie ganz anders
zu dieser Zeit noch der Norden aussieht, und wie äusserst veränderlich die Frühlingslaune
auch im Süden ist
Also nicht zu früh abreisen, namentlich nicht von Ajaccio, das im Gegensatz zu der
Riviera di Ponente eine relativ windstille und regenfreie, vor Allem aber staublose
Station ist. Etwas früher aufstehen, über die heisseste Mittagszeit an ein schattiges
Plätzchen sitzen, Abends nach dem Essen (7—8) noch ein Spaziergang in der sternen¬
hellen, milden Frühlingsnacht und der tapfere Entschluss, auf die während des Winters
zum Tröste ausgeheckten, allzu weit fliegenden Pläne und zu hoch gebauten Luftschlösser
zu verzichten — das hilft über die Ungeduld weg, die so leicht den mühsam errungenen
Erfolg des ganzen Winters in Frage stellt.
Bis Ende April oder Mitte Mai kann der Curgast in Ajaccio bleiben. Wird es ihm
zu heiss, bo zieht er für 8, 14 Tage nach dem hübsch gelegenen Bergdorfe Cauro, zu
dem er in 2'/, Stunden auf guter Strasse fährt. Das Hotel de France bietet einige gute
Zimmer und ausreichende Kost.
Aehnliche Stationen sind noch mehrere da, die der Curgast benützen kann, um wie¬
der nach Ajaccio zurückzukehren, oder aber, um in Etappen über die Insel zu gelangen.
Allzu grosse Ansprüche darf er allerdings nicht an sie stellen.
Ich werde diese Localitäten, sowie die sanitarischen Verhältnisse Corsica’s und spe-
ciell Ajaccio’s eingehender im Zusammenhänge gesondert besprechen.
Werfe ich einen Rückblick auf Ajaccio, so komme ich durch eigene Beobachtung,
die Erfahrungen zweier schweizerischer Herren Collcgen, die vor mir Ajaccio besuchton
und die objectiv gehaltene Litteratur (es gibt auch sehr subjectiv gefärbte und ge¬
trübte nach beiden Extremen hin: vide Dr. P. Picard und Biermann oder auch nur Biermann
Anfang und Ende, die so diametral verschieden sind) zu folgendem Resultate:
Ajaccio ist in climatologischer Beziehung eine excellente Winterstation und J. H.
Beratet, der exacte Kenner des Südens, hat Recht, wenn er noch weiter geht und Ajaccio
eine exceptionelle Station nennt. Wir müssen Ajaccio zu den Sanatorien mit feucht¬
warmer Luft, gleichmässiger, nicht zu schroff variirender Temperatur, relativ sehr staub¬
freien Wegen und windgeschützter Lage rechnen. Dazu kommt das leicht und nahe zu
erreichende und ungestört zu gooiessende Meer, ohne dass der Curaud gezwungen ist,
dicht am Meere zu wohnen und die Möglichkeit, ohne grosse Anstrengung in den Wald
(allerdings nur Oliven) zu gelangen und auch auf gutem Wege leicht bergan steigen zu
können. Auch die leichte Ausführung angenehmer Fahrten im Wagen und im Kahn ist
geboten.
Als Uebelstände hebe ich hervor die Meerfahrt, ohne ihr jedoch die Übeln Folgen
zuzuschreiben, wie das gemeinhin geschieht Die Hauptsache ist die Unannehmlichkeit,
und die kann recht hoohgradig werden. Aber in keinem Falle constatirte ich für Lunge
oder Magen anhaltende oder tiefer wirkende Schädlichkeiten, obgleich ich Kranke, die
kurz (14 Tage) vorher schwere acute Lungenblutungen überstanden hatten, solche mit
chronischem Magencatarrh, Gravide (14 Tage vor der Niederkunft) dio Ucberfahrt machen
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und sehr seekrank werden sah, alle mit dem glücklichen Resultate, dass sie auf fester
Erde bald sich erholten und auf dem Meere ausser der Seekrankheit keine Schädigung
erlitten. Das beste Mittel gegen die Seekrankheit besteht darin, dass man 2—3 Stunden
vor dem Betreten des Schiffes isst, also gesättigt, aber mit leerem Magen das Schiff be¬
tritt, dort bald, wo möglich auf dem Verdeck, niederliegt Die allgemeinste Ruhe und
die Entspannung jeder psychischen und physischen Tbätigkeit ist das Beste. Wem
auch das nichts nützt, der ergebe sich gelassen in sein Schicksal und möglichst bald
und rückhaltlos in den handlich nahe placirten Nachttopf. Wenn Dr. Gsell-Fels (Italien
in 60 Tagen) Eiscoraprcssen auf das Rückenmark empfiehlt, so ist das practisch su um¬
ständlich (vielleicht bei langer stürmischer Fahrt anwendbar) und theoretisch ohne sichere
Basis.
Wie gesagt, konnte ich in keinem einzigen Falle durch die Seekrankheit entstandene
anhaltende Schädigung constatiren. 8peciell Lungenblutungen entstanden nie — auch bei
mir machte übrigens seiner Zeit das durch Ergotin provocirte Brechen nie Blutungen.
Bekanntlich galt zudem früher bei Lungenblutungen ein Emeticum als Heilmittel.
Eine fernere Fatalität ist für Ajaccio das Fehlen eines eigentlichen, comfortabel und
hygienisch eingerichteten Gasthofes. Das Hötel Germania (G. Dietz) ist eben nur ein
zum Gasthofe umgewandeltes, geräumiges Privathaus. Doch hat sich Herr Dietz alle
Mühe gegeben, gerechten Anforderungen nachzukommen. 8o hat er z. B. zu seinem
grossen 8chaden auf meinen Wunsch hin den ganzen Winter im Salon und Esssaal kein
Gas gebrannt, weil das aus Braunkohle bereitete städtische Gas schlecht gereinigt war,
bedeutend qualmte und sehr Übel roch. Auch werden jedes Jahr alle Zimmer, in denen
Lungenkranke lagen, nach Schluss der 8aison frisch tapezirt, sowie die Bodenteppiche,
die Fcdorn der Deckbetten, die Wolldecken und das Rosshaar ausgedämpft. Das Hötel
Dietz ist deshalb weitaus das empfehlenswertheste in Ajaccio, da auch seine deutsche
Küche Patienten besser passt, als die corsische und die Wirthsleute sich bestreben, den
Gästen dienstbar zu sein.
Das zweite Hötel (de France) hat etwas niedrigere Preise, gefälligen Wirth mit
guter Küche, aber gar keine 8üdziroracr, und an die W r estfront stösst die weitaus zum
grössten Theile baumlose grosse Place Diamant, auf welcher das Militär seine Excrcitien
abhält. Auch hat das Haus keinen Salon und sein Personal keine Sprachkenntnisse.
Sehr cmpfehlenswerth sind die kleinen Villen und einzelne Privatlogis am Ooure
Grandval.
Ich wiederhole hier, dass vor Allem ein grosser, eben gelegener Park fehlt. Hoffent¬
lich gelingt es dem neuen Maire, Herrn Feraldi , der 8tadt diesen so leicht zu erlangenden
und auch für die Stadtbevölkerung so werthvollen Schmuck herzustellen.
Sonst ist die Gelegenheit zum Spazieren sehr schön, da die hohen Doppelmauern
Italiens absolut fehlen und sich auch zum Steigen durch den Olivenwald hinauf passende
Gelegenheit bietet, d. h. ein gut angelegter, sanft steigender, wohl unterhaltener breiter
Weg. Dem Meere entlang wäre etwas Schatten erwünscht (man vergesse nicht, dass
au andern Stationen ja der berechtigten Wünsche auch Behr viele sind).
Es mangelt sodann sehr oft an guter Kuhmilch. Frische Ziegenmilch, vor dem
Hötel gemolken, war immer zu haben.
Ich geho von der Milch direct zum Arzte über, wie ich sie beide so rührend naiv
in einer Annonce des holländischen Tagblattes geschwisterlich vereint fand. Das „be-
kend snelzeilend Clipper-Fregatschip Elizabeth“ wird nämlich darum den Passagieren als
besonders verlockend angepriesen, weil es „in de eerste helft van November geexpediöerd,
een geöxamineerden Dokter en een melkgcvende Koo“ an Bord habe.
Wichtig ist natürlich, dass ein Arzt da sei, zu dem der Patient Vertrauen hat und
haben kann.
Das Sanitätspersonal Ajaccio’s lebt nun aber unter ganz abnormen, für uns glück¬
licherweise längst überwundenen Verhältnissen.
Hebamme ist in Ajaccio, wer will und mag. Vorbildung, Examen, Gebalt, Controle
gibt es nicht. (In Bastia hat die Stadt von sich aus diese Verhältnisse reglirt.)
Unter dem Arzte steht der nur bedingt zur Praxis berechtigte Offlcicr de santd (das
Pendant zum niederländischen „Plattenlandheelmeester“). Die Aerzte selbst leiden un er
dem Drucke einer socialen und financiellen Calamitätslage. Es ist nimlioh allgemein
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üblich, sich am Sylvester für das ganze sanitarische Elend des kommenden Jahres seinen
Hausarzt zu abonniren ! Der Arzt kauft da seine Katze im Sacke — (aber der Patiens
futurus auch!). — Arme Familien zahlen Fr. 6 per Jahr.
„Je paye raon mödecin largement“ , sagte mir einer der höchsten Angestellten der
Piäfectur: er gibt Fr. 30 im Jahr; seine Familie zählt 12 Beine, Katzen und Hunde ab¬
gerechnet. „Wer lacht da?“ Warum sollte man nicht auch den Hausarzt, der sich
wiederum für ein Jahr ins Blaue hinein mit Leib und Seele für 80 Silberlinge geringeren
Calibers verkauft hat, kommen lassen, wenn Jolie ein Rebhuhnknochen im Rachen oder
am andern Extrem des Digestionstractus stecken blieb?
Fünfzig Franken im Jahr sind selten, darüber hinaus nur rarissime nantes in gurgite
vasto. Höhere Chirurgie und Geburtshülfe bezahlt sich extra.
Dass unter solchen Umständen, wo die Noth sogar einzelne Collegen zwingen soll,
sich vor Neujahr durch Herumgehen und Anerbieten eines noch geringem Honorares neue
Ketten anzulegen, die Weiterbildung der Acrzte leiden muss, ist um so begreiflicher, als
sie schon die geographische Lage und die bekannte, sich vom Continente abschliessende
Lebeweise der Insulaner überhaupt von den wissenschaftlichen Ccntren und dem bele¬
benden Umgänge mit anregenden Collegen fernhält. Ich persönlich gedenke mit Ver¬
gnügen des Verkehres mit den liebenswürdigen Collegen.
Noch bleibt mir übrig, einige Worte über die Kosten zu sagen. Im Hötel Dietz
bezahlt der Curgast (nicht der Passant) mit kleinerem Zimmer täglich — den Tischwein
inbegriffen — 9 —10 Franken; wer grössere Zimmer u. s. *w. wünscht, bezahlt mehr,
12—14 Fr. Im Hötel de France war der Pensionspreis 7 Fr. Ein Deutscher wohnte
im Hötel des voyageurs und bezahlte nur 3 Fr. täglich; er war vollkommen zufrieden.
Ein Herr und eine Dame, die in einem Privathause wohnten und mit einer Köchin eigene,
gute Küche führten, kamen durchschnittlich auf Fr. 7 die Person täglich, Alles (auch
Holz, Wäsche etc.) inbegriffen ; zwei andere, die bescheidener lebten, sich aber doch gut
nährten, gaben zusammen 7 Fr. täglich aus. — Wie überall geben auch hier bei Privat-
wobnungen die Ansprüche und mehr noch die persönliche Anschicklichkeit des Haus¬
geistes den Ausschlag. Zum Einkäufen ist die Kenntniss der französischen Sprache un¬
bedingt noth wendig und diejenige der italienischen sehr vortheilhaft.
Ich wiederhole also, dass Ajaccio eine sehr gute Station ist, sobald der Patient sich
selbst zu beschäftigen, überhaupt sich selbst zu leiten versteht In der Gesellschaft wird
er immer Hülfe und Unterstützung finden.
Ich übergehe die Frage, welche Patienten speciell nach Ajaccio reisen sollen. Es
werden zumeist Lungenkranke sein und zwar solche, für die ein Küstenklima mit feucht¬
warmer Luft und Windschutz pusst.
Doch sah ich auch in einem Falle von hartnäckiger, schwerer Migräne ausgezeich¬
neten Erfolg.
Was die Frage des wirklichen Werthes der relativen Feuchtigkeit der Luft aobe-
trifft, so verweise ich auf mein demnächst zum Drucke gelangendes Referat über die
meteorologischen Daten Steffen' s in Davos, aus denen evident hervorgeht, dass der Ver¬
such, auch Davos zu den feuchten Stationen einzureihen, ein grundfalscher ist.
Im nächsten Briefe reisen wir heim , lieber Leser, und zwar eilig. Mir ist’s jetzt
schon ordentlich wohl um’s Herz und leichter auf dem Buckel — dir wahrscheinlich auch,
weil du dann die Curcorrespondenzen hinter dir hast. A. Baader.
(Schluss folgt)
W odienl>er*iclit.
Schweiz.
Eidg. Hedtelnaldiplome. Zur Ergänzung der Besprechungen über das Ver-
hältniss der cantonalen ärztlichen Diplome zu den eidgenössischen theilen wir den soeben
publicirtcn sachbezüglichen Beschluss des Bundesrathcs mit. Durch denselben werden
alle ältern Diplome gleichgestellt, und es beginnt mit dem eidgenössischen Medicinal-
gesetze auch eine neue Diplomsepoche.
Der Beschluss lautet:
„Die eidgenössischen Diplome werden grundsätzlich nur auf Btattgehabte eidg. Prü-
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fung hin verabfolgt Eventuelle Ausnahmsfälle unterliegen dem Entscheid des Gesammt-
ausschusses und der Genehmigung des Departements.“
Wie eich die vorgesehenen Ausnahmsfälle rubriciren , wissen wir nicht. Jedenfalls
ist darüber vorerst eiue Bcrathung des leitenden Ausschusses abzuwarten. Der Einzelne,
der ein eidgenössisches Diplom nothwendig zu haben glaubt, wird von der competenten
Stelle die nöthige Auskunft erhalten.
Bern* Zum Rector der Hochschule ist für die nächste Amtsdauer Prof. Kocher ,
zum Dccan der medicinischen Facultät Prof. Langhaus gewählt worden.
— Die Schweiz, naturforschende Gesellschaft feiert ihr Jahresfest den
12., 13 uud 14. August d. J. in Bern. Das vom Jahresvorstande aufgestellte Programm
ist folgendes: Sonntag 11. August. Empfang der Gäste im Casino; Sitzung der vorbe-
rathenden Commission ebendasolbst um 5 Uhr; Collation, den Festtheiluehmern geboten
von der bernischen naturforschenden Gc Seilschaft. Montag, 12. August Erste allgemeine
Sitzung im Grossrathssaale von 8—12 Uhr; von 12—2 Uhr Mittagspause; um 2 Uhr
Constituirung der Sectionen im Gebäude der Jura-Bern-Bahn; 5 Uhr Diner im Casino;
Abends freie Vereinigung in der Enge. Dienstag, 13. August. Von 8—12 Uhr 8ections-
sitzungen ; 12 — 2 Uhr Mittagspause; 2 — 4 Uhr Sectionssitzungen; 4 Uhr Diner im Ca¬
sino; Abends 8 Uhr Festspiel im Schänzli-Theater, gegeben von Mitgliedern der Gesell¬
schaft. (Zur Aufführung kommt ein zu diesem Anlasse geschriebenes naturwissenschaft¬
liches Lustspiel von M. v. Reymond.) Mittwoch, 14. August. Zweite allgemeine Sitzung
um 8 Uhr. Diner im Casino um 12 Uhr; Abfahrt nach Thun 2 Uhr 13 Min. zum Be¬
suche des Schlosses Schadau, wohin Herr Oberst n. Rougemont die Theilnehmer einladet;
Rundfahrt auf dem Thuner See auf einem von der Dampfschifffahrtsgesellachaft zur Ver¬
fügung gestellten Dampfer; um 7 Uhr 30 Min. Rückfahrt nach Bern.
An das Fest schliessen sich dann noch geologische Excursionen unter Führung des
Herrn Prof, Bachmann an.
Naturforscher, Aerzte und Freunde der Naturwissenschaften sind vom Vorstande zur
Tbeilnahme frcundlichst eingeladen. Mitglieder, welche Privatlogis zu beziehen wünschen,
sind gebeten, dies rechtzeitig dem Comitä anzeigen zu wollen.
Nt« Gallen. Dr. Carl Wegelin ist gestorben I — Mitten in seiner ärztlichen Arbeit,
im Hause eines Patienten, wurde er plötzlich abgerufen. Wir stehen unter dem erschüt¬
ternden Eindrücke eines grossen Unglückes, welches die Familie und die ganze Stadt
betroffen hat. Tausende beweinen den Verlust des pflichttreuesten und liebenswürdigsten
Arztes, des wissenschaftlich hervorragenden Repräsentanten seines Berufes, des klaren,
redlichen Manues, des treuen Freundes der Armen, des lieben und ach so unentbehrlichen
Familienvaters!
Ausland.
Deutschland. Württemberger Verein für künstliche Glie¬
der. Dem uns freuudlichst zugesandten Berichte des württemberger Vereins für künst¬
liche Glieder über sein zehntes Geschäftsjahr (1877) entnehmen wir, dass der Verein in
\Vien die Fortschrittsmedaille, in Brüssel die silberne Medaille, sowie die Gewährung
der Portofreiheit uud die Verleihung der juridischen Persönlichkeit erhielt. Er nahm
1877 ein 7682 Mark und behielt davon am 31. Decembor in Cassa 1680 Mark. 8ein
Vermögen beträgt 2720 M. Von 1868—1877 liefen Gesuche ein 663, wurden ausge¬
rüstet 426 (wovon Württemberger 372), Bemittelte 97, Unbemittelte 328, welche aus der
G&sse mit 10,220 M. unterstützt wurden. Es wareu alt unter 10 Jahren 10, 10 19 J.
61, 20—29 J. 164, 30—39 J. 100, 40—49 J. 53, 60-70 J. 37; männlich 346, weib¬
lich 79; Landarbeiter und Dienstboten 125, Handwerker 164, Fabrikarbeiter 25, ander¬
weitig Beschäftigte 111; der Ersatz war nöthig wegen angeborenem Mangel bei 14,
Krankheit 133, Unglücksfall 222, bei Kriegsinvaliden 56 und bestand in Armen und
Händen 154, 8telzfüssen 170, künstlichen Beinen 164, Stützapparaten 32.
Es freut uns, dass nun auch die Schweiz (Basel; einen derartigen, so gemeinnützigen
Verein zählt. .
— Versammlungen. Die Versammlung deutscher Irrenärzte und der Chirurgen-
oongress sind zu Ende: es kommen noch die Versammlung deutschor Naturforscher in
Gassel, des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege in Dresden, der deutsche Aerztetag
in Eisenach und der Ophthalmologencongress.
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Die 61. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte findet
vom 18.—24. 8eptember in Cassel statt und zwar nach folgender Tagesordnung (mit
Weglassung der Festivitäten): Dienstag, den 17. September. Abends: Begrüssung ln
den Sälen des Lese-Museums, von 7 Uhr an. Mittwoch: Um 8 '/* Uhr: Erste allgemeine
Sitzung. 1. Begrilssung. 2. Vortrag des Herrn Prof. 0. Schmidt aus Strassburg: Ueber
das Verhältniss des Darwinismus zur Socialdemocratie. 3. Vortrag des Herrn Prof. Hüter
aus Greifswald: Ueber den Arzt in seiner Beziehung zur Naturforschung und den Natur¬
wissenschaften. 4. Vortrag des Prof. Aeby aus Bern: Thema noch unbestimmt. Nach
Schluss der Sitzung: Constituirung der Sectionen. Donnerstag: Von 8 — 1 und 3 —6 Uhr:
Sections-Sitzungen und Demonstrationen. Freitag: Von 8—12 Uhr, von 2—4 Uhr: Sec-
tions-Sitzungen und Demonstrationen. Sonnabend: Morgens 8'/ a — 12 Uhr: Zweite allge¬
meine Sitzung. 1. Geschäftliche Mitteilungen und Wahl des Versammlungsortes für die
nächstjährige 52. Versammlung. 2. Vortrag des Herrn Prof. De Bary aus 8trassburg:
Ueber Symbiose, Parasitismus und verwandte Lebenserscheinungen. 3 Vortrag des
Herrn Prof. Klebs aus Prag: Thema noch unbestimmt. 4. Vortrag des Herrn Prof. Fick
aus Würzburg: Ueber die Vorbildung des Arztes. Sonntag: Gemeinschaftliche weitere
Ausflüge, und zwar nach der Wahl jedes Einzelnen: nach Marburg, Göttingen, Wildun¬
gen, Nauheim, in den Habichtswald, nach Münden oder Wilhelmsthal. Montag: Morgens
8—12 Uhr, Nachmittags 3—6 Uhr: Sections-Sitzungen und Demonstrationen. Dienstag:
Von 8'/j Uhr an: Dritte allgemeine Sitzung. 1. Geschäftliche Mittheilungen. 2. Vortrag
des Herrn Prof. Henke aus Tübingen: Thema noch unbestimmt. 3. Vortrag des Herrn
Dr. Baas aus Worms: Ueber William Harvey’s Leben und Wirken. 4. Vortrag des Herrn
Dr. J. StiUing aus Cassel: Ueber Farbensinn und Farbenblindheit. Abends: Abschieds-
Commers.
Der deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege (Adresse:
Dr. Alex. Spiess, Frankfurt a. M.) versammelt sich zu seiner VI. Versammlung in Dresden
vom 13.—17. September. Programm: Freitag, den 13. September: I. Ueber Ernährung
und Nahrungsmittel der Kinder. Referent: Herr Prof. Dr. Fr. Hofmann ( Leipzig). II. Die
Weinbehandlung in hygienischer Beziehung. Referont: Herr Prof. Dr. Neubauer (Wies¬
baden).
8amstag, den 14. September: III. Ueber die Zahl der Schulstunden und deren Ver-
theilung auf die Tageszeiten. Referent: Herr Prof. Dr. B. G. Hoche, Diroctor der Gelehr-
tenscbule des Johanneums (Hamburg). Correferent: Herr Dr. Chalybäus (Dresden). IV.
Mittheilungen von Herrn Gen.-Arzt Dr. Roth (Dresden): Ueber die hygienischen Einrich¬
tungen in den neuen Militärbauten Dresdens.
Montag, den 16. 8eptember: V. Experimentelles aus der Wohnungshygiene, einge¬
leitet durch einen Vortrag von Herrn Gen.-Arzt Dr. Roth (Dresden): Ueber die Behand¬
lung der Hygiene als Lebrgegenstand.
Dienstag, den 17. September: VI. Besichtigung der Muldner Hütten und der Modell¬
sammlung der Bergacademie in Freiberg.
Stand der Infectlons-Hrankheiten ln Basel.
Vom 11. bis 26. Juli 1878.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Die Masern zeigen diesmal eine bedeutende Abnahme in allen 8tadttheilen; ange¬
zeigt sind 20 neue Fälle (58, 60, öl), davon in Grossbasel 7 (30, 28, 23), in Kleinbasel
13 (28, 87, 28).
Von Scharlach sind 6 neue Fälle angemeldet (6, 15, 9, 9), davon 1 vom Nord¬
westplateau, 2 vom Südostplateau, 8 aus Kleinbasel.
Typhus weist 11 neue Fälle auf (5, 18, 12, 18), wovon 4 im Birsigthale (8), 7 in
Kleinbasel (6), auf den Plateaus keine.
Hals- und Rachenbräune 5 Fälle (9, 4, 7), zerstreut aus der Stadt.
Keuchhusten 6 Erkrankungen (22, 14), wovon 4 aus GrossbaseL—Erysipelas
3 zerstreute Fälle (1). — Varicellen 6 Fälle, je 3 aus Gross- und aus Kleinbasel. —
Kein Puerperalfieber.
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Bibliographisches.
64) David , Studie über die Zahnpflanzung (greffe dentoire). Uebersetzt und mit einem
Anhang versehen vou Guerard. 62 S. Berlin, Denicke’s Verlag.
65) Hüter , Klinik der Gelenkkrankheiten mit Einschluss der Orthopädie. Auf anatomisch-
physiologischen Grundlagen nach klinischen Beobachtungen für Aerzte und Studirende.
2. umgearbeitete Auflage. 3. (Schluss) Theil. 8pcc.-Path. der Gelenkkrankheitcn
am Rumpf und Kopf. 6 Mark. Leipzig, F. C. W. Vogel.
66) Wiel, Diätetisches Kochbuch für Gesunde und Kranke, in besonderer Rücksicht auf
den Tisch für Magenkranke. 4. vermehrte und verbesserte Auflage. FreiburgLB.
Wagner’sche Buchhandlung.
67) Schaufelbüel, Jahresbericht über das aargauische Cantonsspital zu Königafelden pro
1875. Druck von Güttinger in Brugg und Zürich.
68) Dor, Rupture du Ligament suspenseur du Cristallin, döformation pyriforme, hernie
du crystallin. Lyon, Association typographique.
69) Dor, I. Rapport annuel de la clinique ophthalmologique k Lyon. Lyon, Georg,
Libr.-Edit.
70) Dor Favre , Nouvellcs recberches sur la ddtermination quantitative do la Tision
ebromatique. Lyon, Association typographique.
71) Wiener Klinik , IV. Jabrg., Heft 4 und 6 . Vllzmann , Ueber Hämaturie.
72) Albert, Lehrbuch der Chirurgie und Operationslehre. Vorlesungen für practische
Aerzte und Studierende. Mit zahlreichen Holzschn. II. Bd., 1. u. 2. Hälfte. Wien,
Urban & Schwarzenberg.
73) Amtlicher Bericht Uber die Verwaltung des Medicinalwesens des Cantons Zürich vom
Jahre 1876. Mit wissenschaftlichen Beilagen und Tabellen. 252 8. Zürich, Druck
der Gcnossenschaftsdruckcrei.
74) Müller , Aerztliche Blicke in’s menschliche Leben. Psychologische Abhandlungen für
Gebildete aller Stände. 67 S. Freiburg, Herder’sche Verlagsbuchh.
75) Fromm, Ueber die Bedeutung und den Gebrauch der Seebäder mit besonderer Rück¬
sicht auf das Nordseebad Norderney und die in den letzten 10 Jahren daselbst er¬
zielten Heilresultate. 103 S. Verlag von Herrn. Braams.
76) Haltenhoff , De l’hygtene de la vue au point de vue industriel. Rdsumö d’une con-
förenco donnäe k l'Athdnde. 12 S. Genf, Verlag von Georg.
. 77) Volkmann , Sammlung klinischer Vorträge; Leipzig, Breitkopf & Härtel.
Nr. 136—138 Hegar, Die Castration der Frauen.
Nr. 139 Martius , Die Principion der wissenschaftlichen Forschung in der Therapie.
78) Mediciniwhe Jahrbücher 1878, 2. Heft. Wien, Verlag von Wilh. Braumüller.
79) Zeitschrift für Geburtshülfe und Gynäcologie III. Bd., 1. Heft Stuttgart, Verlag von
F. Enke.
80) Derblich , Die simulirten Krankheiten der Wehrpflichtigen. 183 8. Wien, Verlag von
Ulban & Schwarzenberg.
81) Schüle, Handbuch der Geisteskrankheiten, I. Hälfte. Preis complet Fr. 17. 35.
(Zicmssen’ß Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie, XVI. Bd.) Leipzig,
Verlag von F. C. W. Vogel.
Briefkasten.
Herrn Dr. ITeuberger, Bötzen, Prof. Aeby, Bern: Mit bestem Danke erhalten. — Herrn Prot
Klebe in Prag: Meinen besten Dank für Ihre freundliche Unterstützung, hoffe in Cassel Sie zu sehen.
Herzliche Grtlase. — Herrn Dr. Haab: Mit bestem Danke erhalten; erwarten die beiden Actenstücke
fßr’s Archiv. — Horm Dr. Haffler, Weinfelden, Prof. Schiess, Basel, Dr. Bitter, Uster: Dankend er¬
halten. — Herrn Dr. Wysn in L—n: Mit Dank erhalten; erscheint in nächster Nummer. — Herrn Dr.
^4 d.Eysell: In Cassel sehen wir uns wieder, bleiben Sie bis dahin gesnnd. — Herrn Dr. Baader: Auf
Pcincn Wunsch im Wochenbericht mehr spationirt und weniger fett Ist so correcter, aber dafür we¬
niger übersichtlich. — Herrn Physicus de Wette, Prof. Demme: Mit bestem Dank erhalten. Herrn
Dr. B. M. in Z.: Erscheint im September. Herzliche Grüsse. — Herrn Prof. Demme , Prof. Hagen -
bach: Verdanken bestens die Spitalberichte.
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477
Verlag von Breitkopf & Härtel in Leipzig.
Mittheilungen
aus der
chirurgischen Abtheilung
des Berliner städtischen Krankenhauses
in Friedrichshain.
1. Heft.
Unter Mitwirkung der Herren Doctoren Böters,
Rinne, Stahl und Wildt
heraaagegeben von
Dr. Max Schede,
dirigirenden Arzte der Abtheilnng.
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Verlag von Breitkopf & Härtel in Leipzig.
Die Castration der Frauen
vom physiologischen und chirurgischen
Standpunkte aus
von
Dr. Alfred Hegar,
Professor der Gynäkologie in Freibarg i. B.
Velinpapier, gr. 8. Engl. Einband. M. 5. — n.
Dieses Werk, welches gleichzeitig als
Heft 136—138 der von Richard Volkmann
herausgegebenen „Sammlung klinischer Vor¬
träge erschien, den Nichtabonnenten der
Sammlung aber nur in obiger Form
ft hgegoben werden kann, wird von com-
petenter Seite, als für die gynäkologische
Wissenschaft bedeutsam, der Beachtung der
Fachgenossen empfohlen.
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Assistenzarzt am Lausanner Kantonsspital,
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den verschiedenen Quellen, die alle auf demselben
Rayon liegen, kein grosser Unterschied und
richtet sich der Gehalt an Salzen nach der mehr
oder minder guten Constructiou der Brunnen,
sowie ob das Wasser bei trockener Witterung
oder nach starken Regengüssen geschöpft ist.
Der neue Brunnenbau der Hunyady-Läizlö-Quelle
wird als mustergültig geschätzt und gibt daher
die beste Gewähr für die Gleichmässigkeit ihres
nach vergleichender Analyse stärksten Gehalts
an Salzen. Um jedoch eine ganz genaue Do-
sirung zu ermöglichen, lässt die Verwaltung der
Horiyady-Läszlö-Quelle aus ihrem Mineralwasser
ein Extract in Form eines weissen leichtlös¬
lichen Pulvers an der Quelle selbst herstellen,
welches sämmtliche wirksame Bestandteile der¬
selben enthält. Einer Dose Inhalt stimmt mit
dem einer Flasche Bitterwasser überein, 1 Kaffee¬
löffel = 1 Glase. Die Vorzüge des Hunyady- UUzl6-
Extract« vor Jedem Bitterwasser bestehen ausser¬
dem in der Annehmlichkeit, dass jenes in Oblate
oder in jedem Getränk genommen werden kann
— somit von besonderem Werthe für Alle, welche
Widerwillen gegen Bitterwasser hegen —, und
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Sammlung klinischer Vorträge,
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Von der V. Serie (Heft 121—150 umfassend)
erschienen bereits:
Heft 121. Qtnzmer, Alfr., und Volkmann, Rieh., üober soptiscliea
und aseptisches Wundfieber.
Heft 122. Domblüth, Pr., Dio chronische Tabakvergiftung.
Heft 123. Grüneicaldt, 0. v., Kleine Gebärasyle oder gro-so
Gebärajistalten ?
Heft 124. Sehiceigger, A. Th. C., Ueber Glaucora.
Heft 125. Justi,Qust., Ueber adenoido Neubildungen im Nasen-
Rachenraume.
Heft 126. Kahlbaum, K, Die klinisch-diagnostischen Gesichts¬
punkte der Psychopathologie.
Heft 127. Fritsch, Htinr., Der Kepbalothryptor und Braun's
Kran iok last.
Heft 128. Ranke, H. R., lieber das Thymol und seine Be¬
nutzung bei der antiseptischen Behandlung der
Wunden.
Heft 129. Langtnburh, Carl, (Jeher die geachwärigo Freilegung
von grossen Gefässstämmen und deren Behand¬
lung mit Cblorzinkcbarpie.
Heft 130. Weil, A., Heber den gegenwärtigen Stand der Lehre
▼on der Vererbung der Syphilis.
Heft 131. Volkmann, Rieh., (Jeher den Mustdarmkrebs und die
Exstirpatio recti.
Heft 132. Kruussold, Hermann, Ueber Nervendurchschneidung
und Nervennaht.
Heft 133. Freund, Wilh. Alex., Eine nene Methode der Exstir¬
pation des ganzen üterus.
Heft 134. I.ichtheim, L., Ueber periodische Hämoglobinurie.
Heft 135. Qensmer, Alfr., Die Hydrocele und ihre Heilung
durch den Schnitt bei antiseptischer Wund¬
behandlung.
Heft 180 -188. Htgar, Alfred, Dio Castration der Frauen.
(Sicht apart nt haben.)
Heft 139. Martins, Friedrich, Die Principien der wissenschaft¬
lichen Forschung in der Therapie.
Heft 140. Köttner, Otto, Die Steiss- und Fussingen, ihro Ge¬
fahren und Ihre Behandlung.
Heft 141. Kuessner, B., Ueber Leberdrrhoee.
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legungen der Psychiatrie, deren zweite und dritte
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Inkalt: 1) Originalarbeiten: J. J. Bischof: Die sogenannte Endometritis fungosa. — Dr. Ott: Myopie nnd Schale
(Schlau). — 2) Vereineberichte: Ordentliche Winter-8itinng der med.-Chirurg. Gesellschaft du Cantons Bern. — 8) Re¬
ferate und Kritiken: Ad im Politser: Lehrbuch der Ohrenheilkunde ftr practische Aertte und Studirende. — 4) Can to¬
nale Correspondenxen: Basel, Solothurn, St.Gallen, Thurgau, Zürich, Wien, Briefe aus Ajaccio (Schluss). — 5) Wochen¬
bericht. — 8) Bibliographisches. — 7) Briefkasten.
Oi*ig-inal-^LrV>eiten.
Die sogenannte Endometritis fungosa.
Ans einem Vor trage , gehalten in der Sitzung der medicinischen Gesellschaft von
Basel am 1. November 1877,
von J. J. Bischoff.
Erst in den letzten Jahren hat man angefangen, eine grosse Lücke in den
anatomischen Kenntnissen der weiblichen Sexualorgane auszufüllen, man hat die
Uterinschleimhaut eingehenderen Untersuchungen unterzogen und besonders ihr
Verhalten bei der Menstruation und während der Schwangerschaft atudirt. Die
Untersuchungsergebnisse sind sehr verschieden ausgefallen und dies ist wohl er¬
klärlich , da nicht nur das Alter des Individuums, die kürzere oder längere Zeit
abgelaufene Menstruation oder Schwangerschaft, sondern auch die Constitution
einen Einfluss auf Dicke, Festigkeit und Blutreichthum Einfluss zu haben scheint.
Man kann noch darüber streiten, wo die Uterinschleimhaut aufhört und die
Muscularis anfangt; lässt man die Grenze der Drüsen maassgebend sein, so muss
noch ein Theil der Muscularis zur Schleimhaut gerechnet werden ; mindestens muss
zugegeben werden, dass die Grenzlinie einen stark welligen Verlauf hat. Eines
bleibt unbestritten, dass im normalen Zustand die Schleimhaut des Körpers falten¬
los über ihrer Unterlage ausgespannt ist, wenig verschieblich und für den Finger¬
nagel nicht leicht ablösbar. — Für die Menstruation nahmen Engelmann und Kundrat
eine Art Decidualbildung an , wobei die Blutung durch einen fettigen Zerfall der
neugebildeten Decidua und der Gefässwandungen zu Stande käme. Dieser Ansicht
entgegen und gestützt auf ein sorgfältig gewähltes Material gibt Leopold (1877)
allerdings zu, dass zwischen 2 Menstruationen die Uterusschleimhaut auf die dop¬
pelte bis dreifache Dicke anschwelle, wobei die Verdickung theils durch Oedem,
theils durch Verlängerung und Verbreiterung der Drüsen mit Quellung des Epi¬
thels, theils durch Bildung junger Bindegewebszellen bedingt wird, führt aber die
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menstruale Blutausscheidung wieder zurück auf eine intramucose capillare Blutung,
beruhend auf hochgradiger Stauungshyperämie in den obersten Schleimhautschich¬
ten ; durch den Austritt von Blutkörperchen werde die oberste Schichte untcr-
minirt und schliesslich abgehoben, wodurch das Blut ins Cavum uteri gelangt; eine
Verfettung des Höhlenepithels und der Gefässwandungen finde nicht statt
Auch über die feineren anatomischen Vorgänge bei der Entwicklung der
Schwangerschaftsdecidua ist man noch nicht einig, speciell nicht über die Tiefe
der Schichte, in welcher die Trennung beim Ausstossen des Eies stattfindet, so
wenig als über die Deutung des dem untersten Abschnitte des Eies anliegenden
Uterussegmentes, das besonders seit den Messungen Peler MüUer'a als dem Uterus¬
körper angehörend angesproeben wird, wogegen Bandl theils auf die Braun’achen
Durchschnitte, theils auf eigene Beobachtungen gestützt, denselben als den obern
erweiterten Cervixtlieil darstellt, welcher Ansicht Küslner beipflichtet, gestützt auf
den Nachweis eines einschichtigen Cylinderepithels.
Sind wir noch nicht ganz klar über das Verhalten der Uterusschleimhaut in
ihren physiologischen Zuständen, so darf es uns nicht wundern, wenn pathologische
Producte derselben verschiedene Deutung von Seiten der pathologischen Anatomen
erleiden; so kann eine Drüsenneubildung mit dicht aneinander liegenden mit Epi¬
thelzellen ausgefüllten Alveolen und sehr sparsam gewordenem interglandulärem
Gewebe leicht für ein Carcinom gehalten werden. Am schwierigsten wird wohl
die Entscheidung sein, ob es sich um eine diffuse sarcomatöse Neubildung des
Uterus handelt, da die Bilder, die man auf Durchschnitten von Sarcomen erhält,
physiologisch veränderter Uterinschleimhaut sehr ähnlich sind.
Ich möchte heute Ihre Aufmerksamkeit auf eine Erkrankung der Uterusinnen¬
fläche lenken, deren häufiges Vorkommen in grossem Contrast steht zur Aufmerk¬
samkeit , welche derselben bis jetzt von den Aerzten geschenkt wurde, so weit
man wenigstens aus der Armuth der Literatur auf dieselbe schliessen darf, auf die
sogenannte Endometritis fungosa.
Eine Reihe von microscopischen Untersuchungen setzt mich in den Stand,
diese fungöse Endometritis auf sehr verschiedene pathologische Veränderungen der
Schleimhaut zurückzuführeu, die allerdings ein ziemlich übereinstimmendes klini¬
sches Bild geben.
Die Hauptsymptome dieser Krankheit bestehen in Blutungen aus der Utcrin-
böhle, welche bald noch den menstrualen Typus einhalten, allein copiöser und pro-
trahirter sind als im Normalzustände, bald aber von der Menstruation unabhängig,
auftreten, wochen- und monatelang dauern, um nach oft längern freien Zwischen¬
räumen wiederzukehren; ausser den Blutungen findet sich wenig oder kein wäss¬
riger, hie und da jauchiger Abgang, Schmerzen irgend welcher Art fehlen mei¬
stens, durch die Blutungen kommt es zu hochgradiger Anämie, dabei finden sich
in der Uterushöhle mehr oder weniger verbreitet zahlreiche weiche Wucherungen,
welche man als fungöse Excrescenzen oder als multiple Polypen bezeichnen kann,
welche bald allein als die Quelle der Blutungen angesprochen werden müssen, bald
nur als Mitschuldige betrachtet werden dürfon. Die Franzosen bezeiebneten den
Zustand als ütat fongueux, Kleb» als Endometritis polyposa,
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Vtrchow als breite Molluskcnform des corpus uteri, Andere als
Endometritis fungosa, Endometritis polyposa cystica, Ols-
hauten (1875) beschrieb ihn als chronische hyperplasirende Endo¬
metritis.
Die ersten genaueren Beobachtungen über die Krankheit verdanken wir den
Franzosen, Recamier (der auch die Behandlung mit der Curette einführte) , Robert
(1846), Nelalon und Andern, die Alle die gefundenen Massen als flache oder polypen-
formige, oft gelappte Wucherungen, bestehend aus gewucherter Schleimhaut (Robin)
mit oder ohne dilatirten Drüsen beschreiben.
Einige läugneten das Vorkommen und warfen Recamier vor, dass er einfach
gesunde Uterusschleimhaut bei seinem Raclement abgekratzt habe.
Von den Engländern beobachteten Routh und M. Duncan u. A. ähnliche Zustände,
M. Duncan hielt die bei einer 52jährigen Virgo gelöffelten Massen für maligner Na¬
tur. In Deutschland beschrieb Virchow umschriebene Schleimhautwucherungen im
Fundus als breite Molluskenform , er sah die Drüsen dabei cystisch erweitert, er
denkt an Zusammenhang mit Syphilis (während Nöggerath sie bei gonorrhoischer
Erkrankung des Uterus gesehen hat); Klob kennt plaque ähnliche scharf umschrie¬
bene Erhebungen, meist vom Fundus ausgehend, die er auch als circumscripte
Wucherungen der normalen Schleimhaut bezeichnet, übrigens findet er stellenweise
massenhaft Capillarschlingen in Büscheln vereinigt. Scanzoni beschreibt bei der
Endometritis catarrhalis chronica Verdickungen und Wülste (Endometritis polyposa),
die durch den catarrhalischen Process entstanden seien. Sie beständen aus dicht
gelagerten Sternzellen mit dazwischen liegenden weiten Lymphräumen und unver¬
änderten Utriculardrüsen, die Schleimhaut sei dabei blass locker, cedematös. Er
betont den Einfluss solcher Wucherungen auf Abortus.
Schon im Jahre 1871 beschrieb Güsterow 4 Fälle von Sarcom des Uterus meist
mit Bildung von grossen Tumoren, in einem Falle traf er beim Sondiren des um
3 cm. vergrösserten Uterus weiche Massen, die er als die Quelle der profusen
Menstrualblutungen und der wehenartigen Schmerzen hinetellte, beim Entfernen
fand er sehr reichliche Drüsenelemente mit zahlreichen interglandulären Rundzellen.
Eberlh erklärte vom pathologisch-anatomischen Standpuncte aus die Massen als
Adenom, Gusserow , welcher die Innenfläche des Uterus durch Ausschaben und
Aetzen in wiederholten Sitzungen völlig befreit zu haben glaubte und nach 8 Mo¬
naten die alten Beschwerden bei der in den 40 Jahren stehenden Patientin wieder¬
kehren sab, stellte die Diagnose auf Sarcom (während Scanzotti das Vorkommen
eines diffusen Sarcoms der Uterusschleimhaut läugnete).
Im Jahre 1875 veröffentlichte Olshausen 9 Fälle; in allen handelte es sich um
seit Monaten oder Jahren dauernde Blutungen bei Frauen in den Fortpflanzungs¬
jahren oder noch ältern; die jüngste zählte 21 Jahre, sie und eine andere hatten
nie geboren, die übrigen mehrmals, bis zu 10 Mal, bei diesen letztem ging das
letzte Wochenbett den Blutungen um nur */«—'/, Jahr voraus; die Blutungen stell¬
ten sich bald allmälig zunehmend, bald plötzlich profus ein, dauerten oft Monate
lang an, waren manchmal wässrig, dagegen fehlte eitriger Fluor; Schmerzen im
Leibe und in einer Seite wurde nur einmal beobachtet. Dabei fand sich dio Va-
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ginalportion in einzelnen Fällen weich, mitunter bestand Follicularhypertrophie
(Acne hyperplastica colli) der Lippen, deren derbe Protuberanzen nicht leicht blu¬
teten, das Os externum stand meist offen, die Lage des Uterus war meist gut,
erhebliche Vergrösserung desselben nicht constant,' meist jedoch in geringem Grade
vorhanden, einmal bis auf 12 cm., die Sondirung ergab stets Blut, hie und da
Schmerz. Laminaria eröffnete den Cervicalcanal leicht, die Cervicalschleimhaut
fand sich normal, der Finger fand erst im Fundus pathologische Verhältnisse: die
Schleimhaut verdickt und gelockert, ein weiches Polster darstellend. Die durch
Raclement entfernten Massen ( Olshausen hatte keine Gelegenheit zu Leichenunter¬
suchungen) in der Menge von 1—2 Esslöffel voll zeigten eine Dicke von meist 2
bis 5 mm., waren stark hyperämisch, hatten eine glatte obere, eine rauhe untere
Fläche; cystische Bildungen kamen nur einmal zur Beobachtung, ein gestieltes
Aufsitzen war nicht zu constatiren. Die microscopische Untersuchung ergab hyper¬
trophische Mucosa mit mässiger Dilatation der Drüsenlumina; unter normalem Cy-
linderepithel starke zellige Bindegewebsinfiltration, dilatirte Gefässe, um diese
herum weisse Blutkörper oder spindelförmige Zellen in regelmässigen Zügen,
Drüsenlumina auf Querschnitten rund, oft aber stark verzogen, oft entschieden
ausgedehnt.
Im März d. J. (1877) demonstrirte Ahlfeld in der Sitzung der Gesellschaft für
Geburtshülfe in Dresden ein Präparat von Endometritis decidualis tuberosa poly-
posa mit kleinen polypösen Vorragungen neben allgemeiner Hypertrophie der
Schleimhaut. Er beobachtete im Ganzen 8 solcher Fälle und schreibt dieser Er¬
krankung grosse Bedeutung für Entstehung von Aborten zu.
In der Zeitschrift für Geburtshülfe und Gynäcologie von Schröder 1877 I , 1
berichtet Schröder neben 2 Fällen von Adenoma polyposum uteri (ein Tumor kin¬
derfaustgross, der andere kleinfingergross) über 2 Fälle von Adenoma diffusum
uteri (eine sterile 39jährige Frau mit Verdacht auf einen stattgehabten Abortus,
eine Multipare), wobei in einem Falle zwischen den mit Cylinderepithel erfüllten
Alveolen nur ganz spärlich Bindegewebe zu finden war.
Jedem Practiker sind wohl schon Fälle von hartnäckiger Menstrualblutung
vorgekommen, wo weder ein Polyp noch ein Ulcus, weder Carcinom noch Myom
als Ursache zu finden gewesen wäre. Eine Anzahl solcher Fälle trieben mich
dazu, durch Eröffnung der Uterushöhle Aufschluss über die Natur des Leidens zu
erhalten, dabei habe ich denn wiederholt derartige Excrescenzen beobachtet, ich
habe dieselben ausgelöffelt und bei der microscopischen Untersuchung gefunden,
dass diesen Rauhigkeiten verschiedene anatomische Veränderungen zu Grunde lie¬
gen , wodurch das klinische Bild allerdings nur in geringem Grade verschieden
ausfallt, um so mehr aber die Prognose, besonders auch in Bezug auf den Erfolg
des Raclement, wesentlich beeinflusst wird.
Erinnern wir uns noch einmal daran, dass die normale Corpusmucosa glatt
gespannt der Mucosa aufliegt (wird ja von Williams ein Theil der Muscularis als
Schleimhautmuskelschichte zur Schleimhaut gerechnet); die Glätte der Mucosa
präsentirt sich dem Finger und dem Löffel; nur mit. grosser Gewalt gelingt es mit
der Curette kleine flache Fetzchen abzustreifen und ich möchte mich ganz wie
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OUhausen auch verwahren gegen den Verdacht, dass ich etwa gesunde Schleim¬
hautpartien weggekratzt hätte; möglich ist dies nur dann, wenn man an wenig
weitem os internum mit breiter Curette vorbeistreift, dann fühlt man aber auch
deutlich den Widerstand, nicht selten folgt dann auch Blutung, während diese sonst
im Gegentheile auf Application der Curette steht.
Länger bestehende catarrhalische Endometritis, wie sie so häufig auch mit
chronischer Metritis vorkommt, bringt nun häufig Rauhigkeiten hervor, beruhend
zum Theil auf partiellem Oedem, auf kleinen Blutextravasaten, zum Theil auf
cystöser Entartung einzelner Utriculardrüsen; noch deutlicher werden die Rauhig¬
keiten, wenn im Verlaufe des Processes das Epithel sich abstösst und nun Granu¬
lationsgewebe auftaucht. Dies ist die erste Classe der Fungositäten,
bestehend aus cedematösen Wülsten catarrhalischer Mucosa und Granulationen.
Das Microscop ergibt Epithelialverlust, normales Schleimhautgewebe mit etwas
vergrÖ8serten Drüsen, oft Blutfarbstoff, Detritus, junges Bindegewebe, ausserdem
aber oft sehr viele dünnwandige schlingenförmige Gefässe; im letztem Fall fällt
beim Zerzupfen der abgekratzten Partikel der zähe, fadenziehende Bau auf. Die
gewonnenen Stücke sind meist platt und nicht so hochroth als in den andern For¬
men. Solche Excrescenzen, wenn weiter wachsend, bilden dann die Schleimpoly¬
pen der Höhle, es besteht nur ein quantitativer Unterschied zwischen beiden, die
grossem bleiben freilich häufiger vereinzelt, kommen aber auch multipel vor. Die
kleinern Rauhigkeiten finden sich auch auf dem in den Uterus ragenden Theil der
Myome, auch auf kleinen; Veranlassung zu ihrer Bildung hierbei wird entweder
die begleitende Endometritis oder die dabei so häufigen partiellen Ulcerationen
mit folgender Granulationsbildung (die manchmal zu Verwachsung mit gegenüber¬
liegenden Flächen führen) geben. Bei gestellter Diagnose Myom finden wir sie
manchmal und haben ebenso Gelegenheit, dieselben an exstirpirten Tumoren nach¬
zuweisen ; manchmal, besonders bei kleinen Myomen und allgemeiner Vergrösse-
rung des Uterus entgeht uns der Tumor und nur die Fungositäten werden ge¬
funden.
In allen diesen Fällen werden wir als Symptome die der chronischen catarrha-
lischen Endometritis bekommen: Fluor, eitrig, manchmal jauchig, oft nur wässrig,
oft continuirlich profus wässrig} blutig. Die Menses werden eingeleitet durch blu¬
tig serösen Fluor, oft während mehrerer Tage und ebenso werden sie von solchem
gefolgt, dazwischen vielleicht 8 Tage lang profuse Blutung; mit der Zeit hoch¬
gradige Anämie, nach jeder Menstruation ausgesprochener, Migräneanfälle, Palpi-
tationen etc. herbeiführend. Schmerzen jeder Art können fehlen. Der Uterus ist
dabei stets vergrössert, das Collum sehr häufig verdickt, die Muttermundslippen
durch Follicularhypertrophie oft knotig verunstaltet, in der Regel klaffend (da es
meistens Mehrgebärende sind), die Cervixhöhle weit, oft ampullenförmig, oft mit
ungleicher Verdickung der Wandungen, oft sogar mit ganz umschriebenen binde¬
gewebigen Verdickungen, über welchen die gewucherte Schleimhaut in dicke Längs¬
falten, 2—3 an vorderer und hinterer Wand, gelegt ist; das os internum constant
sehr eng, jedoch dem Pressschwamm und der Laminaria wie auch dem Finger
nach vorherigen oberflächlichen Incisionen leicht nachgebend; dio Sonde dringt bis
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auf 8 oder auch 10 cm. ein, und stösst auf weiche Massen, deren Unebenheiten
das darüber streichende Instrument, zwar nicht erheblich aufhalten, aber dem eini-
germaassen Geübten doch sogleich auffallen ; mitunter finden wir noch einen gleich¬
seitig vorhandenen festen Tumor.
Die Veränderungen im Cervicalcanale scheinen, wenigstens ist mir diese Täu¬
schung wiederholt vorgekommen, die Blutungen schon genugsam zu erklären, be¬
sonders da, wo die von Cervixhypertrophie begleitete chronische Metritis eine nur
geringe Vergrösserung des Corpus herbeigeführt hatte. Man ätzt die hypertrophi¬
schen, oft erodirten Partien, man schneidet die oft haselnussgrossen Bindegewebs¬
wucherungen aus; unter diesen Eingriffen atrophirt der Cervix meist erheblich,
seine Innenfläche wird glatt, aber — die Blutungen bleiben nach wie vor. Dann
erst sucht man deren Quelle im Uterus, eröffnet ihn, findet nun mit dem Finger,
wenn nicht schon vorher durch die Sonde oder durch ein Proberaclement die Gra¬
nulationen , entfernt sie durch Raclement, es folgt vielleicht eine kurz dauernde
Besserung, häufig fehlt jeder Erfolg, die nächste Menstruation stellt sich profuser
als je ein.
Solcher Fälle habe ich 5 *) genauer beobachtet und mittelst Raclement behan¬
delt Alle waren Mehrgebärende, Alle standen nahe an den 40er Jahren oder dar¬
über, Alle waren der Blutungen wegen schon in ärztlicher, zum Theil auch gynä-
cologischer Behandlung gestanden; bei einer bestand eine Complication mit Car¬
cinoma cervicis, bei dieser und bei einer andern mit umschriebener bindegewebiger
Verdickung wurde die Excision gemacht, bei einer andern wurde der follicular-
hypertrophische Cervix galvanocaustisch behandelt, bei Allen ist der Uterus stark
vergrössert, bei Einer ist ein Myom sicher, bei der Andern wahrscheinlich vor¬
handen , bei Einer habe ich das Raclement 5 Mal wiederholt. Der Erfolg war,
selbst wenn ich Cauterisationen der Höhle auf das Raclement folgen liess, stets
vorübergehend. Bei einer Patientin allerdings hielt die Heilung von den Blutun¬
gen über ‘/a Jahr lang an. Es ist dies eine 46jährige 5-Gebärende, bei welcher
1 Jahr vorher ein intramurales Fibromyom enucleirt worden war, welches so dicht
unter das Peritoneum reichte, dass sofort nach der Enucleation eine Inversion oder
eigentlich eine Hernie entstand, Darmschlingen enthaltend, welche sich hühnerei¬
gross in die Uterushöhle und durch den Cervicalcanal bis in die Vagina drängte,
mühsam reponirt werden konnte, nach der Reposition aber wieder erschien, so
dass ich mich schliesslich begnügte, durch Tamponade ein Tiefertreten zu hindern.
Spontan verkleinerte sich die Inversion, die Heilung ging ohne Zwischenfall vor
sich ; wohl aber mögen sich reichliche Granulationen in dem subperitonealen De-
fecte der Uteruswand gebildet haben. Nachdem die erste auf die Enucleation fol¬
gende Menstruation profus gewesen, die folgenden normal aufgetreten waren, stell¬
ten sich 14 Tage bis 3 Wochen anhaltende Blutungen ein, welche die Patientin
dem Spitale wieder zuführten, wo die Fungositäten diagnosticirt und durch Racle¬
ment beseitigt wurden.
•) Seither habe ich von dieser wie von den andern Arten der Fungositäten noch eine gröj»re
Anzahl beobachtet, diese finden aber hier, so wenig als die seitherigen Veröffentlichungen Ober diesen
Gegenstand, keine Berücksichtigung.
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Die Prognose in diesen Fällen ist die der chronischen Metritis resp. die der
Fibrorayome; ohne von dem symptomatischen Raclement abrathen zu wollen, finde
ich hier Soolbadcuren, Marienbad, subcutane Ergotininjectionen, heisse Vaginal-
douchen, eine Blase mit Wasser von 40 —43° R. auf die Lendenwirbelsäule, Eis¬
blase auf den Unterleib, nötigenfalls die Tamponade am Platze.
Von der Climax ist noch am ehesten Wirkung zu erwartep. Sie folgt oft
einer 10jährigen oder längern Leidenszeit, wobei die Hälfte der Zeit das Bett ge¬
hütet werden musste und alle Symptome der Anämie oft auch der Hysterie zu be¬
obachten waren«
(Schluss folgt)
Myopie und Schule.
(Aus einem Vortrag, gehalten in der Versammlung der Aerzte der Centralschweiz
den 15. December 1877.)
Von Dr. Ott in Luzern.
(Schluss.)
Sie wissen, meine Herren, dass es die übermässige Anstrengung des Accom-
modationsapparats in Verbindung mit erhöhtem Druck auf das Auge bei der Con-
vcrgenzstcllung für die Nähe und der vermehrte Blutzufluss zum Auge bei vorn¬
übergebeugter Kopfhaltung sind, welche das Auge allmälig in der Richtung der
Längsaxe ausdehnen, d. h. myopisch machen. Bleibt jener Apparat bei über¬
mässiger Anforderung an die Nahearbeitsleistung des Auges allzu lange ange¬
strengt, so verliert er häufig die Fähigkeit, sich willkürlich sofort wieder zu ent¬
spannen, das Auge bleibt auch beim Fernsehen für die Nähe eingerichtet, es be¬
findet sich im Zustand des Accommodationskrampfes, der von Reizungssymptomen
wie leichter Pericornealinjection, vermehrter Röthe der Papille und Gefühl von
Druck und Spannung im Auge begleitet ist und durch Heranrückung des Fern-
punctes eine scheinbare Myopie darstellt. Viele von Ihnen werden diesen Zustand
aus eigener Erfahrung kennen. Er ereignet sich besonders leicht beim angestreng¬
ten Microscopiren mit vornüber gebeugter Kopfhaltung, die leider bei der Con-
struction der meisten Instrumente fast unausweichlich wird. Der Accommodations-
krampf stellt sich um so leichter ein, je anhaltender das Auge für die Nähe ein¬
gestellt bleibt, je schlechter die Beleuchtung, je kleiner die Objecte sind und je
mehr die Einrichtung der Schultische den Schüler zum Herabbeugen auf dio Ob¬
jecte nöthigt.
Es ist gar kein Zweifel, dass an fast allen unsern Schulen dio letztgenannten
schädlichen Einflüsse wirksam sind. Die meisten Schulen haben eine durchaus
ungenügende Beleuchtung und wohl nirgends wird das Postulat erfüllt, dass in den
Schulzimmern die Glasfläche der Fenster zur Bodenfläche sich verhalte wie 1: 4.
Dies Verhältniss ist am schaffhauser Gymnasium im besten Fall wie 1 :4,8, im
schlimmsten wie 1 : 10,9.
Zur Illustration der Dauer der Arbeitsleistung, die von der Schule verlangt
wird, diene Ihnen die Angabe, dass am Gymnasium in Schaffhausen die durch¬
schnittliche Zahl der wöchentlichen Schulstunden 32, die der häuslichen Arbeits¬
stunden 18 beträgt, die Turnstunden weggelaasen.
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Wenn auch nicht bekannt ist, wie weit unter günstigen äussern Bedingungen
die Anforderungen an ein jugendliches Auge gehen dürfen, ohne es zu schädigen,
so dürfen wir doch behaupten, dass die Anforderungen angesichts der mangelhaf¬
ten Hygiene der Schule und der gewöhnlich noch schlechtem des Hauses ent¬
schieden zu gross sind. An vielen hohem Schulen sind zudem die im Obigen dar¬
gestellten Verhältnisse noch schlimmer. Wir dürfen uns darum nicht wundern,
die Myopie und den die Myopie einleitenden Accommodationskrampf an unsern
Schulen immer häufiger werden zu sehen. Dass der Accommodationskrampf sehr
oft die Myopie einleitet, dürfte daraus geschlossen werden, dass von 22 nicht myo¬
pischen Augen, die bei der ersten Untersuchung als mit Accommodationskrampf
behaftet angeführt wurden, bei der zweiten Untersuchung vom Jahr 1876 20 als
bleibend myopisch geworden sich auswiesen.
Meine Herren, ich bitte Sie, die Nachtheile, die auch nur eine mittelgradige
Myopie mit sich führt, nicht zu unterschätzen; die Beschränktheit in der Wahl
des Berufs, die falsche Auslegung, die viele Leute gewissen Handlungen oder
Unterlassungen des Myopen geben, sind schon misslich genug für ihn; trägt er
eine Brille, so gilt er beim grossen Haufen für geziert, trägt er keine Brille, so
erscheint er Bekannten, die er nicht grösst, als stolz; hat er eine genügende Seh¬
schärfe, so ist er trotzdem von seiner Brille abhängig, die ihn übrigens oft genug
bei Regenwetter und bei raschen Temperaturwechseln in dio fatalsten Situationen
bringt und dem Gelächter preisgibt; ist ihm aber das Brillentragen verboten, so
ist sein Zustand ein noch viel bedauernswertherer, in Folge des mangelhaften Er-
kennens der Aussenwelt wird auch sein geistiger Horizont verengt, die fortwäh¬
renden Verlegenheiten, die er im geselligen Verkehr kosten muss, machen ihn
menschenscheu, er zieht sich mehr und mehr in sich selbst zurück und die man¬
gelnde Wechselwirkung zwischen ihm und der Welt treibt ihn oft genug in die
Arme eines thatenlosen Trübsinns. Aber noch weit misslicher ist es, wenn, wie
nicht selten geschieht, die Myopie auch nach beendigtem Körperwachsthum pro¬
gressiv bleibt, wenn sich zu ihr ernstere Complicationen, zunehmende Glaskörper¬
trübungen, grössere Staphyloma, krankhafte Processe an der Macula lutea, hintere
Polarcataracte, Netzhautablösung gesellen, die das Auge einem unaufhaltsamen
Ruin entgegenführen. Leider kommen solche Zustände bei Myopen häufig genug
vor, um den Ausspruch von Donderg zu rechtfertigen, dass das myopische Auge
ein krankes Auge sei und dass über jedem hochgradig myopischen Auge be¬
ständig das Damoklesschwert der Erblindung drohe.
Im Hinblick auf die drohende Ueberhandnahme der Kurzsichtigkeit in den
Schulen und auf die üblen Folgen, welche sie für das Auge oft bringt, werden
wir dringend ermahnt, Hülfe und zwar ausreichende Hülfe zu schaffen. Schon oft
und viel ist von der Unzulänglichkeit der äussern Einrichtungen unserer Schulen
gesprochen worden, von der ungenügenden Beleuchtung der Schulräume, von der
Ueberfullung derselben, von der schlechten Beschaffenheit der Schultische und
Bänke, von dem unrichtigen Verhältniss zwischen Bodenfläche und Glasfläche in
den Zimmern, von der mangelnden Gelegenheit im Fernsehen in Stadtschulen, von
der fehlerhaften Haltung der Schüler, von der Mangelhaftigkeit der Schreibmate-
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rialien, von dem zu kleinen Druck der Bücher etc. etc. Alle diese äussern
Momente haben unzweifelhaft schlimmen Einfluss auf das jugendliche Sehorgan,
aber dazu treten noch innere Momente, die im Verein mit jenen den Boden, auf
dem die Kurzsichtigkeit wuchert, noch mehr mästen und die um so verhängniss-
voller wirken, als sie den Krankheitskeim auch in die geistige Entwicklung der
Schüler tragen.
Bei dem innigen Zusammenhang zwischen körperlichem und geistigem Leben,
so muss raisonnirt werden , kann die Kurzsichtigkeit nicht der einzige Schaden
sein, den unsere modernen Schulverhältnisse anrichten, er ist vielmehr nur der
hervorspringendste, am leichtesten und sichersten durch Zahlen darstellbare, gleich¬
sam der Barometer, an dem sich die Schulsünden am bequemsten und genauesten
ablesen lassen; die Myopie ist eben das Kainsmal der modernen Erziehungsweise.
Wenn nun das Auge der Schüler den Spiegel darstellt, aus welchem die Gebre¬
chen der Schule zurückstrahlen, so sind hinwiederum die Mängel der Schule und
Jugenderziehung nur ein Theil jenes grossen Zcitgebrechens, das sich in maass¬
losem Wuchern mit Geld-, Arbeits- und Geistescapital äussert. Tagtäglich wie¬
derholt sich die Geschichte von dem Huhn mit den goldenen Eiern, tagtäglich
wird Geld-, Arbeits- und Geistescapital durch das Streben nach möglichst schnel¬
lem und hohem Ertrag vorzeitig zu Grunde gerichtet und Krisen über Krisen bre¬
chen herein, weil die Gesetze eines verständigen Haushaltens mit den zinstragen¬
den Factoren beständig missachtet werden. Ausbeutung heisst die Parole auf
socialem wie auf erzieherischem Gebiet. Wo werden die Beispiele eines weisen
Maasshaltens, einer harmonisch naturgemässen Ausbildung von Geist und Körper,
wie sie uns das Hellenenthum bot, noch befolgt ? In der Schule gewiss nicht. Der
alte gute Grundsatz non multa sed multum gilt hier schon lange nicht mehr. Die
Ueberhäufung mit Fächern und Stunden macht sich an manchen Orten schon in
der Elementarschule bemerklich, in einem Alter, wo die Fassungskraft der Schü¬
ler dem Unterrichtsgegenstand noch gar nicht gewachsen ist. In den ersten Zei¬
ten der Elementarschule wird an den meisten Schulen das Lesen-, Schreiben- und
Rechnenlernen mit einer Hast betrieben, als ob es sich darum handle, 7- und 8-
jährige Kinder zum Procuraträger des Vaters zu befähigen; 27 ja 30 Wochen¬
stunden mit entsprechender häuslicher Arbeitszeit sind an manchen untern Classen
von Elementarschulen keine Seltenheit Mit den vorrückenden Classen vermehrt
sich die Zahl der Schulstunden und der häuslichen Arbeitszeit, mit jedem neuen
Schuljahr treten neue Fächer an die Schüler heran, die Lehrer der einzelnen Fä¬
cher wetteifern mit einander, ihre Schüler in ihrem Lieblingsfach vorwärts zu
bringen, mit ihnen am Schlüsse des Jahres ein glänzendes Examen abzulegen.
Täglich 6stündige Schulzeit mit 2—Sstündiger Arbeitszeit wird gegen das 14. Jahr
hin fast überall von der Schule gefordert, dazu treten noch zu Hause allerlei Pri¬
vatstunden und beim weiblichen Theil der Jugend überdies die geist- und körper-
lähmende Beschäftigung mit feinen Frauenarbeiten.
Obwohl unsere Gymnasien und hohem Erziehungsanstalten den meisten Vor¬
wurf verdienen, will ich doch hier von ihnen schweigen, da Sie alle die Süssig-
keiten derselben kennen. Ich will hier nur bemerken, dass auf diesen Anstalten
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die Phantasie,*) besonders aber das Gedächtniss, zu viel, Urteilskraft, Sinne und
Cbaracter viel zu wenig geübt werden.
Der Grundfehler der heutigen Erziehung lässt sich in kurzen Worten zusam¬
menfassen: Man legt zu viel in die Jugend hinein und entwickelt
zu wenig aus ihr heraus. Man vergisst viel zu sehr, dass die Jugend ein
organisches Wesen ist; man betrachtet sie wie eine Flasche, die man füllen und
nicht wie eine Pflanze, die man begiessen soll.
Glauben Sie, meine Herren, dass ein in der Entwicklung von Gehirn und Kör¬
per begriffenes jugendliches Individuum eine 8—lOstündige tägliche Geistesarbeit
vollbringen kann, ohne tiefen Schaden zu leiden ? Glauben Sie nicht, dass die oft
•wiederholte Erfahrung, dass schlechte Schüler so oft brauchbare Menschen wer¬
den, fleissige Schüler aber den gehegten Erwartungen im Leben keineswegs ent¬
sprechen, eine nichts weniger als schmeichelhafte Kritik der Schule enthalten?
Man sage nicht, dass Wissen frei mache, nur organisch einverleibtes
Wissen macht frei und ein solches Wissen zu erwerben, ist bei der gegenwär¬
tigen Ueberbürdung upserer hohem Schulen mit Stunden und Fächern einem
Schüler unmöglich. Alles todte, nur eingetrichterte Wissen macht aber seinen
Besitzer zum Sklaven, zum blinden Autoritätsgläubigen seiner Bücher und Lehrer,
er ist gross nur im Dunst der Stube, aber klein in der freien Luft des Lebens;
an ihm bewahrheitet sich das Volkssprüchwort „je gelehrter um so verkehrter“,
er ist geistig und körperlich kurzsichtig.
Zu diesen Gebrechen in der Schule gesellen sich nicht minder gewichtige
Mängel in der häuslichen Erziehung, deren nähere Besprechung uns übrigens zu
weit führen würde. Ich will hier nur kurz noch die Fröbel 'sehen Kindergärten er¬
wähnen, bei deren Stiftung ihrem Schöpfer gewiss ein durchaus edler Zweck vor¬
schwebte. Aber wie ist dieser Zweck an vielen Orten verunstaltet worden! Statt
dass sie Zufluchtsstätten von Kindern wurden, deren Eltern wegen der Sorge ums
tägliche Brod oder der Art ihrer Berufsgeschäfte auf die Erziehung verzichten
inüssen, sehen wir diese Anstalten mit Kindern von Wohlhabenden und Reichen
gefüllt, die aus Bequemlichkeit es nicht erwarten können, bis die Alltagsschale
ihnen die schöne Pflicht der Erziehung abnimmt. Darin schon zeigt sich, dass die
ssu grossen Ansprüche, welche die Schule an die Jugend stellt, grossentheils in
dem Mangel an Unterstützung von Seite der Eltern liegt. Statt dass in den
Kindergärten, wie der Name will, die Kinder als Blumen in Licht und Luft ge¬
führt werden, müssen sie vielerorts in dem zarten Alter schon fühlen, was es
heisst, ein Culturmensch sein; feine Arbeiten, die die Augen übermässig anstren¬
gen, werden ihnen zugemuthet und am Ende des Jahres ausgestellt und die Eltern
freuen sich in thörichter Eitelkeit über die Reclame, die mit ihren Kindern ge¬
macht wird, ohne zu bedenken, wie tbeuer sie von den Kleinen bezahlt wird.
Meine Herren, ich habe mich*bemüht, Ihnen den Zusammenhang zwischen
Myopie und moralischen Gebrechen in unserm heutigen Erziehungssystem ausein¬
ander zu setzen. Wer sich von Ihnen noch näher instruiren will, dem empfehle
*) „In unserm Zeitalter, wo die Phantasie mehr als in einem frQhern beherrscht wird, hat sie
immer noch viel zu viel Gewalt“ (Buckle, Geacb. d. Civilisat I, p. 108.)
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ich die Lectüre vorliegender verdienstvoller Schrift von Dr. Treichler in Stäfa, der
so freundlich war, mir eine Anzahl Exemplare zu Ihrem Gebrauch zu überlassen.
Zur gründlichen Abhülfe ist neben Verbesserung der äussern Schuleinrichtungen
eine radicale Umänderung des innern Plans der hohem Schulen vorzuschlagen, vor
Allem eine Beduction der Stunden und Fächer, mehr Anschauungsunterricht und
weniger Bücherstudium, darum thunlicbste Verlegung der Stunden aus der Stube
unter freien Himmel, tiefere Einführung der Jugend in die Natur und ihre Beob¬
achtung, die ja der Angelpunct modernen Lebens ist, grössere Berücksichtigung
der Natur im Schüler selbst, also erhöhte Sorge um seine körperliche Ausbildung.
Schon oft ist bemerkt worden, dass die englische Jugend eine frischere, freiere
Thatkraft zeige als die deutsche, dass im Zusammenhang damit in jenem Lande
die Myopie weit seltener sei Es liegt dies in der naturgemässeren Art der eng¬
lischen Erziehung, der sich für unsern Zweck vielleicht manch Nachahmenswerthes
entnehmen Hesse.
Die aufgezählten Missstände in unserer Erziehung sind in jüngster Zeit von
vielen Seiten zugegeben worden, allein von einer Anerkennung der Schäden bis
zu ihrer Abhülfe ist noch ein weiter Schritt, besonders wenn es die Schule be¬
trifft. Krisen in der Welt des Geldes tragen ihre Heilung in sich selbst, weil die
Leute um so eher klug werden, je mehr der Schaden das empfindlichste Organ,
den Geldbeutel, betrifft, den man den Herzbeutel der heutigen Welt nennen könnte.
Auch die socialen Fragen werden energischer an die Hand genommen als die
Schulfragen, weil jene die bestehende, diese die erst werdende Generation drücken
und man Heber für die Gegenwart als für die Zukunft sorgt und weil bei jenen
die Geschädigten selbst auf dem Kampfplatz erscheinen und durch das Gewicht
ihrer Stimmabgabe Abhülfe oder Linderung ihrer Noth erzwingen können. Allein
aus der stillen Welt der Jugend und Kindheit dringt selten oder nie ein Klagelaut
an die Oeffentlichkeit, die Jugend leidet klagelos und trägt geduldig Alles, was
man ihr aufbürdet, denn in ihrer naiven Arglosigkeit baut sie noch fest auf die
weise Fürsorge der Erwachsenen und unbelehrt von bittern Lebenstäuschungen
ist sie überzeugt, dass jene nur ihr Bestes wollen. Glückliche Zeit, da wir es
selbst noch glaubten! Um so schlimmer, wenn dies nicht ist, wenn das Vertrauen
getäuscht wurde, wenn der Herangewachsene der Schule vorwerfen kann: Du hast
mich geistig und körperHch kurzsichtig gemacht, du hast mich so mit Arbeit über¬
bürdet, dass meine Kräfte vorzeitig erlahmten, du hast das junge Ackerfeld so
mit Saat überladen, dass die Halme sich nicht zu fruchttragenden Aehren ent¬
wickeln konnten, du versprachst mir Wucherzinsen, wo ist mein Capital? du spann^
test mir Geist und Körper in ein Prokrustesbett, wo ist meine ursprüngliche
Natur?
Geehrte Collegen, man würde Unrecht thun, wollte man nach dem Gesagten
mich als einen Feind der Schule überhaupt taxiren. Ich erkenne im Gegentheil
sehr wohl die grosse Thorheit der meisten modernen Staaten, die ihr Lebensmark
für die beständige Wappnung gegen einen oft imaginären äussern Feind opfern,
während sie weit geringere Opfer zur Rüstung gegen den innern und grössten
Feind allen gesunden Gemeinwesens, gegen die Unwissenheit des eigenen Volks,
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scheuen. Wenn ich im Vorhergehenden das Zuviel getadelt habe, so hatte ich
dabei besonders die Schulen der Städte im Auge und ich gebe sehr gerne zu, dass
in vielen, ja den meisten Landschulen zu wenig gethan werde, ja ich bin sogar
der Ansicht, dass die Ueberbildung der besser situirten Bevölkerung neben der
ungenügenden Bildung der sogen, untern Volksclassen einen Hauptantheil an den
heutigen socialen, politischen und kirchlichen Wirren hat. Durch die Uebersätti-
gung am Tisch der Schule sehen wir auf der einen Seite ein blasirtes Sichgehen-
]aasen, eine farblose Indifferenz, wir sehen statt des Herzens die Doctrine, die dem
Gedrückten den Stein kalter Worte statt das Brod warmer That bietet; auf der
andern Seite erblicken wir durch kein Wissen gezügelte Begierden und Leiden¬
schaften als Spielball politischer, socialer und kirchlicher Bauchredner.
Man hat mit Recht die Arbeitszeit in den Fabriken beschränkt, aber noch
lastet auf einem grossen Theil unserer Jugend die Bürde übergrosser Arbeit und
wenige nur sind es, die für die Freiheitsrechte der Jugend eintreten, für ihr An-
theilsrecht an Luft und Licht. Sind nicht wir Aerzte, die wir so oft als Zeugen
ihrer Leiden herbeigerufen werden, zuerst berechtigt und verpflichtet, als Sach¬
walter der Jugend zu handeln? In mehreren Ihrer Heimathcantone wird eine Neu¬
organisation der Schulen geplant; legen Sie dort Ihr Fürwort ein für eine wirklich
gute Schulbildung, die geeignet ist, den Menschen selbstständig zu machen; for¬
dern Sie die Eltern auf, eine solche Schule zu unterstützen, aber werfen Sie Ihr
Veto in die Waagschale, sollte man Miene machen, den Weg der Natur zu ver¬
lassen, sollte man eine Erziehungsweise einführen wollen, der man die Worte
Rousseau' s entgegenhalten könnte, die da lauten: »On ne connatt point l’enfance:
sur les fnusses idöes qu’on en a, plus on va, plus on s’4gare. Les plus sages s’at-
tachent k ce qu’il importe aux hommes de savoir, sans considörer ce que les
enfants sont en 4tat d’apprendre. Iis cherchent toujours l’homme dans l’en-
fant sans penser k ce qu’il est avant que d’ötre homme.“
"V ereinsl>ericbte.
Ordentliche Winter-Sitzung der medic.-chirurg. Gesellschaft des Cantons Bern
den 12. December 1877, Abends 6 Uhr, im Casino in Bern.
Präsident: Dr. J. R. Schneider. Secretär: Prof. Dr. Kocher.
Anwesend sind 47 Mitglieder.
Verhandlungen I. Mi1 1 hei 1 ungen des Comitd’s.
Bei Eröffnung der Sitzung spricht das Präsidium die Hoffnung aus, dass wenn
sich das Comit6 herausgenommen habe, die Sitzung auf eine so ungewöhnliche
Tageszeit anzusetzen, man es mit der wohlgemeinten Absicht, dieselbe mit der
Hallerfeier zu verbinden, entschuldigen werde.
Die in letzter Sitzung gefassten Beschlüsse betreffend allgemeine Kranken¬
pflege seien dermalen noch nicht vollzogen. Es habe aber diese Angelegenheit
von anderer Seite unterstützt, unerwartete Fortschritte gemacht. Von Seite des
Grossen Raths sei auf Vortrag der Direction des Innern und des Regierungsraths
im Interesse einer erweiterten Irrenpflege unterm 29. November das Schlossgut
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Münsingen um die Summe von Fr. 430,000 angekauft worden. Einige Frauen von
Bern haben, an den ganzen Canton appellirend, einen grossartigen Bazar zu Gun¬
sten des Insel-Neubau’s zu Stande gebracht, dessen Ertrag sich bereits nahe an
Fr. 100,000 beziffere und immer noch fliesse, und, was noch mehr zu bedeuten
habe, es sei den Frauen gelungen, diese Frage eines Neubau’s durch den ganzen
Canton und alle Schichten der Bevölkerung populär zu machen.
Von Seite des Comit6's der Hallerfeier sei unsere Mitwirkung freundlich be¬
merkt worden. In demselben wurde unsere Gesellschaft durch zwei Mitglieder
vertreten.
Nachdem das Comit6 des Centralvereins beschlossen hatte, eine Festschrift
für die Hallerfeier herauszugeben, hat es das hierseitige Comit6 für ange¬
messen erachtet, sich dabei ebenfalls zu betheiligen, und Herr Prof. Quincke hat
es übernommen, im Namen unserer Cantonal-Gesellschaft dafür eine wissenschaft¬
liche Arbeit zu liefern.
Ein elegant ausgestattetes Exemplar dieser Festschrift mit einem Verzeichniss
8ämmtlicher Mitglieder unserer Gesellschaft wird morgen als Festgabe übergeben
werden.
Als Geschenke für unsere Bibliothek seien eingegangen: 1) Von Herrn Prof.
Kocher: Die Lehre von der Brucheinklemmung. Separatabdruck aus der deutschen
Zeitschrift für Chirurgie. 2) Von Herrn Prof. Quincke: Weitere Beobachtungen
über pernieiöse Anämie. Separatabdruck aus dem deutschen Archiv. 3) Nadietchda-
Schulz: Ueber die Vernarbung von Arterien. Inaugural-Dissertation. 4) Prof. Dr.
Vogt: Die Pocken- und Impffrage. Bern bei Dalp. 5) Anna Elizabeth Clark: The
ankle-joint of man Graduat Thesis. 6) Betty Frohmtein: Studien über die Wirkung
des Santonin’s. 7) Von der Direction des Innern: Vortrag betreffend Erweiterung
der Irrenpflege. 8) Vom ärztlichen Verein in Frankfurt: a) Jahresbericht über die
Verwaltung des Medicinalwesens vom Jahr 1876; b) Statistische Mittheilungen
über den Civilstand. 9) Von Frau Dr. Wild erhielten wir ein ansehnliches Ge¬
schenk, bestehend in 173 Werken (334 Bänden), zudem eine ansehnliche Zahl von
Brochuren über Typhus, Cholera u. a. m. aus der Bibliothek des Herrn Dr.
Wild sei.
Die Sendung von Frankfurt wurde mit einer Anzahl hierseitiger Druckschrif¬
ten erwidert, auch habe das Comit4 beschlossen, auf alle von Frau Dr. Wild er¬
haltenen Bücher den Namen des Donators einzutragen.
Leider war das Präsidium im Fall, der Versammlung den frühzeitigen Hin¬
scheid eines ihrer jüngem Mitglieder, des Herrn Dr. Hartmann , gewesenen Secre-
tärB des Sanitätscollegiums, zu verzeichnen. Seine dichterischen Anlagen hat er
durch manchen gelungenen Reim und seine literarische Befähigung durch seine
Schrift über Kopfverletzungen, sowie kürzlich durch seinen Aufsatz über Schutz¬
blattern im Correspondenzblatt an den Tag gelegt.
Von Herrn Prof. Leonhardt in Frankfurt erhielt der Verein eine erfreuliche
Mittheilung, die wir als Beweis annebmen dürfen, dass wir bei ihm noch in gutem
Andenken stehen, wie Herr Leonhardt es auch bei uns ist.
Zwei angebliche Doctores aus Habanna verlangen schriftlich als correspondi-
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— 494 —
rende Mitglieder unserer Gesellschaft aufgenommen zu werden. Vom Comitä ad
acta gelegt.
II. Prof. Dr. Müller weist in seinem Vortrag »Zur operativen Behand¬
lung der Ovarien-Geschwülste“ darauf hin, dass diejenigen Tumoren,
-welche vorzugsweise in die breiten Mutterbänder hineinwachsen und in Folge
dessen zur Bildung eines Stieles keine Veranlassung geben, dennoch operirbar
seien. Bei mehr einkammerigen Geschwülsten könne man eine Punction von der
Scheide aus mit entsprechender Nachbehandlung versuchen. Der Vortragende
erzielte in einem derartigen Falle eine Reduction des manneskopfgrossen Tumors
zu einer apfelgrossen harten unempfindlichen Geschwulst Aber auch die Radical-
operation durch die Laparotomie kann zum Ziele führen. So entfernte Redner
einer 74jährigen Frau von einem Tumor, der die Grösse eines hocbschwangern
Uterus zeigte, ungefähr zwei Dritttheile und nähte den Rand des Ueberrestes in
die Bauchwand mit ein. Auch hier trat vollständige Heilung ein. Letzteres Ver¬
fahren zieht der Vortragende der Enucleation des Tumors auf dem breiten Mutter¬
band vor, beide Fälle sprechen auch dafür, dass ein Recidiv von Seite des Ueber¬
restes des Tumors nicht so leicht eintritt, als man von verschiedenen Seiten ver-
muthete.
Prof. Kocher macht darauf aufmerksam, dass wenn man es jetzt wage, alle
möglichen Fälle zu operiren, der Grund davon nicht sowohl in der verbesserten
Technik, als vielmehr darin liege, dass man jetzt die antiseptische Wundbehand¬
lung noch zu Hülfe nehme, wodurch eine raschere Wundheilung erzielt, jegliche
febrile Reaction vermieden, die Kräfte des Patienten geschont werden. Es sei
deshalb die Ovariotomie allen andern Methoden, die nur durch Eiterung zur Hei¬
lung fuhren, als weniger gefährlich vorzuziehen. Von seinen letzten 5 Ovarioto-
mien hat er keinen Todesfall zu verzeichnen, von im Ganzen 15 antiseptisch Be¬
handelten nur zwei, eine bei Verjauchung der Cyste und eine bei Carcinoma ova-
riorum. Während Spencer-Wellt constant 26 ä 27% Todesfälle verzeichnet, haben
die weniger geübten Deutschen, die sich der Antiseptik bedienen, nur 18 ä 20'/o*
Dagegen bemerkt jedoch Prof. Müller, dass Köberle in Strassburg und Dohm in
Marburg, die nicht listern, ebenso günstige Resultate erzielt haben.
HI. Schulhygiene. Von Seite des seeländischen Lehrervereins gelangte
vor einiger Zeit das Ansuchen an die medicinisch-chirurgische Gesellschaft, es
möchte dieselbe die hygienischen Verhältnisse unserer Schulen zum Gegenstand
ihrer Untersuchungen und Verhandlungen machen und damit auch den Bestrebun¬
gen des Lehrervereins entgegenkommen. Das Comitd wies die Angelegenheit an
eine Specialcommission, in deren Namen heute Herr Prof. Pflüger Bericht erstattete
und nachfolgende Anträge stellte: 1) Es sei dem Gesuch des seeländischen Schul¬
vereines zu entsprechen; 2) es sei vom Verein aus eine Commission von wenig¬
stens vier Mitgliedern zu erwählen, welche über die bestehenden Verhältnisse der
Schulgebäude, der Grösse der Scbulzimmer, der Schülerzahl, Ventilation, Heizung,
XJnterhaltungsräume, Corridor, Spielplätze, Schulbänke, Beleuchtung, Abtritte, der
bei den Schülern vorkommenden Krankheiten, der Organisation des Unterrichts,
Merode und Lehrmittel, der Zahl der Unterrichtsstunden, und was damit zusam-
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menhängt, sowie über die Grundsätze, welche die Hygiene an die Schule zu stel¬
len hat, — in der nächsten Sommersitzung Bericht und Antrag zu stellen; 3) diese
Untersuchung soll Hand in Hand mit dem seeländischen Lehrerverein vorgenom¬
men, und seiner Zeit das Ergebniss mit geeigneten Anträgen den Regierungsbe¬
hörden unterbreitet werden.
In der darauf folgenden Discussion, an welcher sich hauptsächlich die Herren
Prof. Carl Emmerl , Dr. v. Erlach und Dr. Schneider betheiligten, wurden im Allge¬
meinen die Anträge unterstützt und auf die Nothwendigkeit hingewiesen, eine etwas
grössere Commission niederzusetzen.
In der Abstimmung wurden 1) die Anträge des Berichterstatters angenommen,
2) die Zahl der Mitglieder der Commission auf 7 festgesetzt und 3) in dieselbe
gewählt: Dr. p. Erlach , Fanhhauser, Kummer , Niehang, jünger, Prof. Pflüger, Dr. Verdat
und Prof. A. Vogt.
IV. Prof. Quincke stellte der Gesellschaft einen Fall von Bulbär-Paralyse
vor, J. St.. 24 Jahre alt. Litt niemals an Gelenkrheumatismus, 1869 Typhus,
seitdem Engbrüstigkeit und Herzklopfen. Anfangs Juli bei starkem Schweiss kal¬
tes Flussbad, dabei Schwindel, Kopfschmerz, Zuckungen in Armen und Beinen,
Unmöglichkeit zu sprechen und zu schlucken; ging selbst nach Hause, fiel aber
vor Schwäche um; Speichel floss aus dem Munde. Gesicht nach links verzogen,
heftiges Zittern. Am folgenden Tage stellte sich Schlucken und Sprache wieder
her; Pat. arbeitete wieder. Acht Tage später plötzliches Umfallen, Schwindel¬
gefühl, Schlucken bis zum nächsten Morgen unmöglich, die Sprache schwierig.
Beim Eintritt in den Spital: Mitralinsufficienz, Puls unregelmässig, oft lang¬
sam; Speichelfluss, Zittern, Schwierigkeit zu sprechen, besonders Kehllaute; Lip¬
pen wenig bewegt, Stimmritze schliesst sich wenig energisch. Ab und zu Herz¬
klopfen, Schwächezustände. Pat. lacht oft, Psyche aber frei, Schlucken mit Mühe,
Zittern, Neigung zum Fallen.
V. Während dieser Verhandlungen fanden sich mehrere Mitglieder des Haller -
comit^’s und mehrere auswärtige Ehrengäste ein, und es begann um 8% Uhr das
Bankett, während welchem noch einige Vereinsgeschäfte abgethan wurden,
nämlich:
1) Die Wahl des Comitö’s, dessen Amtsdauer ausgelaufen. In geheimer
Abstimmung wurden die bisherigen Mitglieder alle bestätigt: Prof. Kocher, Dr.
Schneider je mit 41, Quincke und Ziegler je mit 40 und Wyltenbach mit 37 Stimmen.
2) Als Mitglieder der Gesellschaft wurden aufgenommen Dr. vonlns, Lussi
und Straub.
3) Wurde die von den Aerzten der Schweiz dem Andenken an Albrecht
von Haller gewidmete Festschrift ausgetheilt.
Unter lebhaften Privatgesprächen verlief der Abend rasch. Ein einziger Toast,
von Herrn Oberst von Büren dargebracht, mit dem Motto: »Der Ruf eines
Arztes ist besser als der eines Cäsars“, galt auf das Wohl aller Der¬
jenigen, die mit der Kraft und der Begabung, die sie haben, der Wissenschaft
dienen, in erster Linie also auf das Wohl der Aerzte.
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"Referate and. Kritiken.
Lehrbuch der Ohrenheilkunde fUr practische Aerzte und Studirende.
Von Adam Politzer. 2 Bände. I. Baud. Mit 106 in den Text gedruckten Holzschnitten.
Stuttgart, Verlag von F. Enke, 1878. Preis 10 Mark.
Neue Lehrbücher der Ohrenheilkunde sind seltene Erscheinungen auf dem Bücher¬
märkte, der gegenwärtig wahre Fluthen hygienischer und gynäcologischer Publicationen
uns entgegen wirft.
Die stiefmütterliche Behandlung dieser Specialwissenschaft im Studienplan unserer
Hochschulen, und die bekannte Abneigung der Studierenden und s. Th. auch der Aerzte
mit der normalen und pathologischen Anatomie des Gehörorgans sich näher vertraut za
machen, ebnen nicht gerade den Weg zur Verbreitung neuer Lehrbücher. Gerne begnügt
man sich mit den dürftigen, in den speciellen Pathologien und Therapien enthaltenen, Be¬
merkungen, womit die Erkrankungen des Ohres abgethan werden, und wo diese nicht aus¬
reichen , da decken gar manche Practiker mit allgemeinen, populären humoralpathologi-
Bchen Beruhigungsphrasen ihre therapeutische Lücken.
Wenu es nicht gelingt mit Ol. hyoscyam. oder Iujectionen von Chamillenthee die acute
Otorrhoe zu heilen, lässt man sie ruhig chronisch werden und, Jahre lang ungestört, die feinen
Gebilde des Mittelohres langsam aber sicher in Eiter umsetzen, mit der beruhigenden
Versicherung, „es sei gut, wenn diese roateria peccans aus dem Kopfe heraus komme,
der Fluss werde mit der Zeit schon von selbst aufhören“ etc. etc. und mit einem mehr
als naiven Erstaunen wundert man sich dann, wenn nach jahrelangen Eiterungen Trom¬
melfell und Gehörknöchelchen längst vereitert und dahin sind, unheilbare Taubheiten
.zurücklassend, wenn nicht gar die sich entwickelnde Caries durch consecutive Cerebral-
symptome den Ernst der Situation mit einem Schlage aufdeckt.
So lange die Ohrenheilkunde nur Gemeingut weniger Specialisten und nicht in den
Schulsack jedes practischen Arztes aufgenommen wird, hat die Menge nichts von all' den
Fortschritten derselben, und darum begrüssen wir dieses W^rk von Politzer
auf das wärmste als einen neuen erfolgreichen Schritt zur Popu-
larisirung dieser Wissenschaft
Ausser dem classischen Lehrbuche von TrölUch , das vor Kurzem in der 6. Auflage
erschienen, und in die meisten lebenden Sprachen übersetzt worden ist, ist es unseres
■Wissens noch keinem deutschen Lehrbuche der Ohrenheilkunde gelungen, eine zweite
Auflage erleben zu dürfen, und bei einer Wissenschaft, die noch so viele offene Fragen
den Arbeitern stellt, die somit eine breite Peripherie dem sich ausdehnendeu Flusse des
"Wissens noch offen lässt, bedarf es des Muthes, an die Ausarbeitung eines Lehrbuches
Hand anzulegen.
Politzer hat nach 20jähriger erfolgreicher Arbeit als Anatom, Physiologe und Special¬
arzt im Gebiete der Ohrenheilkunde diesen Entschluss gefasst, und als Frucht dieser
Arbeit soeben den ersten Band seines Lehrbuches vom Stapel gelassen. Wir brauchen
bier nicht darauf hinzuweisen, dass das Werk eines Mannes, dessen hervorragender An-
tbeil an der Ausbildung der Ohrenheilkunde überall bekannt ist — dessen Ersatz des Ca-
thetrismu3 (das sog. Polilzer'sche Verfahren) von den meisten Aerzten geübt wird — die
grösste Beachtung verdient, bringt es doch neben einer wohlgeordneten Zusammenstellung
der zahllosen Specialpublicationen des Verfassers vor Allem eine offene Darstellung seiner
Auffassung der verschiedenen Erkrankungsformen, sowie seiner Behandlungsmethoden.
Politzer ist seinen Arbeiten nach zu urtheilen — wir haben leider nicht die Ehre, ihn
persönlich zu kennen — ein feiner und scharfer Beobachter, sowie ein umsichtiger und
nüchterner Practiker. Nirgends lässt er sich zu optimistischen Expectorationen hinreis-
sen, überall tritt er, pro und contra vor unseren Augen abwägend, sicher und entschieden
uns entgegen, und besticht nicht mit der Gewandtheit seines Stils, sondern mit dem Ge¬
wicht der entgegengebrachten Gründe. Dass ein so unabhängiger Kopf wie Politzer m
der Eintheilung seines Buches seine eigenen Wege gehen werde, war vorauszusehen, so
tritt uns denn auch dasselbe als nach dem physiologischen Princip aufgebaut in einer
ungewohnten Form entgegen. ...
An Stolle der Dreitheilung in äusseres, mittleres und inneres Ohr treten die bei en
Gruppen des Schallleitungsapparates (Ohrmuschel, äusserer Gehörgang, rom
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melhÖhle eammt Trommelfell und Gehörknöchelchen , Ohrtrompete und Warzenfortsatz)
und des schallempfindenden Apparates (Ursprung des Acusticus im Gehirn,
Stamm und Endausbreitung desselben im Labyrinth).
Nach einer, durch zahlreiche, treffliche Holzschnitte unterstützten, sehr klar und durch¬
sichtig gehaltenen Schilderung des anatomischen Baues und der physiologischen Bedeu¬
tung des Schallleitungsapparates (äusseres und Mittelohr) werden die pathologisch-anato¬
mischen und speciell histologischen Gewebsveränderungen des practisch wichtigsten Thei-
les dieses Apparates, des Mittelohres eingehend, auf zahlreiche Studien des Verfassers sich
stutzend, besprochen.
Es folgt eine Besprechung der Untersuchungsmethoden des Gehörorgans mit einer
Fülle wichtiger Rathschläge und practischer Winke, wie eine reiche Erfahrung sie dem
Verfasser zu eigen gemacht.
Im Capitel der Hörprüfungen interessirt besonders der Politzer ’sehe Hörmesser,
der durch seine Constanz der Stärke, Höhe und Klangfarbe des Tones es verdient, all¬
gemein adoptirt zu werden. Nach einigen allgemeinen Bemerkungen über Aetiologie,
Dauer und Verlauf der Ohrenkrankheiten bespricht Verf. einige der wichtigeren Krank¬
heitssymptome : Die subjectiven Gehörsempfindungen, die hyperästhesia acustica, die par-
acusis loci, paracusis Wilisii und paracusis duplicata.
Im speciellen Theile werden nun zuerst die Krankheiten des Trommelfelles behan¬
delt und die acute Mittelohrentzündung, die Mittelohrcatarrhe, sowie die Affectionen des
Nasen-Rachen-Raumes, besonders in ihren Beziehungen zu den Krankheiten des Mittel¬
ohres.
Es würde zu weit führen, hier eingehender dem Verfasser zu folgen, der, wie uns
scheint, mit Glück, es versucht hat, das etwas wirre Capitel der Mittelohrcatarrhe an der
Hand klinischer Beobachtungen in verschiedene wohl prononcirte Typen einzutheilen, von
denen ein Theil erst in dem (diesen Herbst erscheinenden) II. Bande behandelt werden wird.
Fassen wir unser Urtheil zusammen, so ist das vorliegende Buch Politzer ’s als eine
höchst werthvolle Bereicherung der otiatrischen Litteratur auf’s wärmste zu begrüssen.
Mag man auch über den practiscben Werth dieses neuen (physiologischen)
Eintheilungsprincipes des Buches verschiedener Ansicht sein , Keiner wird dasselbe aus
der Hand legen, ohne reiche Belehrung daraus geschöpft zu haben.
Die Ausstattung in Bezug auf Papier, Druck und Holzschnitte gereicht dem uner¬
müdlichen Verleger (F. Enke in Stuttgart) zu grosser Ehre. Burckhardt-Merian.
C an tonale Correspondenzen.
Basel. Am 18. Juli hat in Freiburg im Breisgau der oberrheinische
Aerztetag stattgefunden, zu welchem von den festgebenden Vereinen auch einige
basier Collegen in zuvorkommender Weise eingeladen worden sind, von donen Schreiber
dies der Einladung gefolgt ist. Vor der Sitzung, die um 12 Uhr im Hörsaale der Ana¬
tomie eröffnet wurde, stellte Herr Prof. Hegar im gynäcologischen Institute eine Anzahl
operirter Frauen vor , worunter eine , deren Unterleibshöhle mit mehreren Drainröhren
durchzogen war. In der Sitzung sprach zunächst Herr Prof. Hegar über die chirurgische
Behandlung der Peritonitis, wobei er in kurzer, aber höchst anregender und klarer Weise
das ganze Capitel des Bauchschnittes bei den verschiedenen Unterleibskrankheiten berührte
und erläuterte.
Auf diesen höchst interessanten Vortrag folgte eine Mittheilung über die Behandlung
der Kehlkopfstenosen von Dr. Hack , Assistenten der chirurgischen Klinik ; der Vortragende
gab nicht nur in freier, wohlgeordneter Rede Aufschluss über das Historische, die ver¬
schiedenen Vorschläge der Behandlung, sondern legte die Instrumente bei und stellte
schliesslich einen Kranken vor, den er an heftiger und acut auftretender Kehlkopfstenose
behandelt und curirt hatte und der vor unsern Augen sich die hohle Bougie selbst
einführte.
Prof. Maas, Vorstand der chirurgischen Klinik, hielt einen Vortrag Uber Spondylitis,
in welchem er sich namentlich über die Behandlungsweise aussprach, wie sie von Taylor
und Andern empfohlen und jetzt in verschiedener Art durch Extension und Contra¬
extension ausgeführt wird. Bei Spondylitis der Brustwirbel empfiehlt Maas ein rollen-
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artiges Kissen , auf welchem der Patient an der kranken 8telle aufgeschnallt und der
hervorragende kranke Wirbel durch das Gewicht des Körpers hineingedrängt wird; auf
diese Weise soll die Heilung erleichtert und die Verkürzung und der Buckel vermieden
werden. Als Beleg für den Erfolg dieser Behandlungsart wurde ein kleines Mädchen
vorgestellt, im Bette auf der Rolle liegend, welches, mit Buckel ins Spital eingetreten,
jetzt einen wohlgebildeten Rücken zeigte und munter und gesund aussab.
Prof. Bäumlcr stellt einen Kranken vor, der mit Lähmung und Atrophie des rechten
xnusculus serratus erkrankt gewesen war und sich jetzt in Besserung, wenigstens arbeits¬
fähigem Zustande befindet und demonstrirte am Lebenden die verschiedenen Functionen
dieses Muskels, namentlich in Bezug auf die Fixirtuig und Bewegung des Schulterblattes.
Interessant war die statistische Mittheilung von Hofrath Schinzingcr über die in Frei¬
burg Beit Anfang der 20er Jahre operirten Cystenkröpfe. Schinzinger hat 96 Fälle gesam¬
melt, hiervon gehören 14 seiner Privatpraxis an. Von diesen 96 operirten Fällen sind
nur 2 tödtlich verlaufen. Seine Operntionsmethodc besteht in Schnitt mit Ausspritzung
der Höhle und theilweiser erster Vereinigung durch Naht.
Ohne Unterbrechung hatte die Sitzung bis 3 Uhr gedauert und rühmlich hatten alle
.Anwesenden, gegen 70, ausgehalten. Das Präsidium ordnete nun eine kurze Pause an,
ich benutzte die Stunde bis zum Mittagessen , um einen Freund zu besuchen und einen
Gang durch das Münster zu machen.
Das Festessen im Victoria-Hötel war sehr besucht, die Stimmung eine heitere, ge-
milthliche, Prof. Manz , als Vorsitzender des Freiburger Vereines, begrüsste die Collegeu,
namentlich auch die aus grösserer Entfernung hergebommenen. Auch andere Collegen
ergingen sich in Tischreden und nur zu bald hiess es sich zur Abreise rüsten. Ich muss
den Collegen in Freiburg, die mir persönlich in höchst zuvorkommender Weise entgegen
gekommen sind, meinen herzlichen Dank aussprechen und ich möchte dem Gedanken
Ausdruck geben, ob die basier medic. Gesellschaft nicht ein Mal unsere elsässischen und
Oberländer Collegen zu einer freundlichen Zusammenkunft in Basel einladen sollte?
de Wette.
Solothurn. Hilarius Crousaz in Büsserach f. Ein Gefühl der Wehmuth be¬
schleicht einem unwillkürlich, wenn man sich genöthigt fühlt, einem dahingegangenen
Freund über das kühle Grab hinaus Worte der Erinnerung zu widmen. Ein wahres
Freundesherz hat in der That Donnerstag den 18. Juli zu schlagen aufgehört. Alle, die
ihn gekannt, werden stets des offenen heitern Charakters des so früh geschiedenen Col¬
legen eingedenk sein.
Crousaz , geboren 1839 in Villeneuve, Ct. Freiburg , begann seine Studien in seinem
Heimathcanton, iu Freiburg selbst. Der ursprüngliche Plan, Theologie zu studiren, musste
bald dem innigen Drange nach ernsten wissenschaftlichen Studien, der den Jüngling schon
früh beseelte, Platz machen. Mit unsäglichen Mühen und Opfern gelang es ihm endlich,
die Einwilligung seiner Eltern zum Studium der Medicin zu erlangen. 1864 treffen wir
den fleissigen jungen Mann am Secirtisch zu Bern , unermüdlich das vorgesteckte Ziel
verfolgend. In die Klinik eingetreten, bekundete unser Studiosus medicins frühzeitig neben
eisernem Fleiss eine augenfällige Vorliebe für Chirurgie und erlangte die Stelle eines
Assistenten der Entbindungsanstalt, die er einige Zeit innehatte. Seine practische Fertig-
heit vervollkommnet« er bereits vor bestandenem Examen im Pourtalässpital in Neuen¬
burg, eine Epoche seiner Jugendzeit, von der er in trautem Verein mit seinen Freunden
so gerne erzählte.
Nach dem Tode des thiersteinischen Bezirksarztes, Dr. Gern» sei., wurde Crousaty
X>ank den Bemühungen des damaligen Vorstandes des Sanitätscollegiums, Herrn Dr. Aeker-
ftiann , bestimmt, die vacante Stelle zu besetzen. Mit den besten Empfehlungen seiner
X^ebrer und Vorgesetzten ausgerüstet, etablirte sich unser Freund, nach wohlbestandenem
Flamen, im thiersteinischcu Amtssitz Breitenbach.
Bald schon bekundete der .junge Arzt, dass er nicht umsonst dem Stadium der Na¬
turwissenschaften sich gewidmet; wir fanden an ihm einen tüchtigen, unerschrockenen
Arzt, der sich von Beginn der Praxis an mit gewisser Vorliebe auf dem Gebiete der
Clür ur g*® und der Geburtshülfe bewegte.
Familienverhältnisse bestimmten ihn späterhin, sein Domicil nach Büsserach zu ver¬
legen. Unermüdlich widmete der scheinbar kerngesunde Mann seino Kräfte der in der
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gebirgigen Gegend des Schwarzbubenlandes sehr mUhsamen Praxis, bis vor ca. 2 Jahren
ein schleichendes Lungenleiden die kräftige Gestalt zu untergraben begann.
Für seinen Freund und Collegen waren es peinliche Momente, dem dahinwelkenden
Manne Trost und Muth spenden zu müssen. Ruhig sah er die Stunde der Erlösung
heran treten.
Von der Liebe, die die Bevölkerung der Gegend zu ihrem langjährigen Bezirksarzt
hatte, zeugt die Menschenmasse, welche letzten Sonntag, den 21. Juli, den frischen Gra-
beshügel in Büsserach umstand.
Leb’ wohl, lieber alter Freund! Ruhe sanft l W.
dt« «allen. Dr. Wegelin f . Tief erschüttert vernahm St. Gallen am Abend des
22. Juli die Trauerkunde vom Tode Wegelin’ s. Tausende fühlten, dass sie nicht nur einen
lieben, edlen Mann, sondern auch den charaktervollen Repräsentanten seines Berufes und
seiner bürgerlichen Stellung verloren: denn der Werth des geistigen wie des materiellen
Besitzes kommt erst beim Verluste desselben zum vollen Bewusstsein des ruhelosen, mühe¬
beladenen Menschenherzens.
Mitten in seiner Arbeit schied er plötzlich — von seinen Freunden; dass er keine
Feinde gefunden, ist das Wahrzeichen seiner ganzen Erscheinung und es ist eine schwie¬
rige Aufgabe, diesen Lebenslauf zu schildern, ohne das reine und bescheidene Bild des
Vollendeten durch eine regelrechte Lobrede zu trüben.
Carl Wegelin , geboren in St. Gallen den 19. Februar 1832, war der Sohn des Kauf¬
manns Daniel Friedrich Wegelin und der Frau Sttsanna Ammann, von Natur schwächlich, müh¬
sam aufgezogen, dafür aber seinen Eltern und dem einzigen altern Bruder herzlich zuge-
than. In der Schule war er der Kleinsten einer, doch meistens der Beste. Das damalige
städtische Gymnasium im „Knabenkloster“ bot ihm eine vielseitige, besonders in natur¬
wissenschaftlichen Fächern anregende Vorbildung.
1850 bezog er die Universität Zürich und begriff bald das Geheimniss alles fröhli¬
chen rind gedeihlichen academischen Lebens: die stätige, gewissenhafte Arbeit. Harmo¬
nisch und ganz selbstverständlich entwickelte er sich zum angesehenen Studenten ; mit
reichem Wissen und zagendem Herzen bestand er 1854 in seinem Heimathcanton die
Staatsprüfung, aus welcher er mit der ersten Note hervorging. Es folgte das Doctor-
examen und die Anstellung als erster Assistent an der internen Klinik in Zürich, welchen
Posten er mehrere Semester hindurch mit solchem Glanze bekleidete, dass ihm bei der
Gholeraepidemie von 1856 die Stellvertretung des abwesenden Chefarztes und Professors
anvertraut wurde. Seine Privatcurse Uber Untersuchung der Brustorgane waren sehr
besucht und erwarben ihm manche Freunde. Zum Abschlüsse seiner breit angelegten
Studien besuchte der selbstständig gewordene Jüngling noch Würzburg, Wien und Paris,
raffte in Spitalbesuchen und Cursen Alles ihm Erreichbare zusammen und erwarb sich
nebenbei auch viele sprachliche und hygienische Kenntnisse.
Im April 1857 fing er in seiner Vaterstadt zu practiciren an, langsam und stolz¬
bescheiden , mit Verachtung aller Reclamen und Künste, aber voll Hingebung an die
Wissenschaft und an seine Kranken. Die ihn gefunden, Hessen ihn meist nicht wieder
los und in sehr vielen Familien ist er seit jener Zeit der treue Arzt und Freund geblie¬
ben. Wer beobachtet, mit welchen Mitteln ein junger Mann seinen Weg sucht und
macht, der kennt ihn, und wer Wegelin' s ehrenfestes Streben wahrnahm, der musste ihn
lieben, auch als Concurrent. Klar beim Krankenexamen, fein und genau in der Unter¬
suchung , sprach er selten ein überflüssiges und niemals ein hartes Wort. Er war ein
Muster in seiner Zeiteintheilung und fand Zeit für alles Nöthige, ausgenommen für seine
Erholung. Seine Schrift war leicht leserlich, wie er selber, und sein Styl durchsichtig ;
er schrieb langsam, aber sofort correct und druckfertig.
Ein feiner Techniker mit dem Microscop, arbeitete er fleissig mit seinem Studien¬
freunde und wissenschaftlichen Gesinnungsgenossen Dr. Steinlin. Beide waren aber zu
practische Naturen, um lange coutemplativ zu bleiben und zu gute Bürger, um mit ihrer
persönlichen Carriöre befriedigt zu sein. In heiligem Eifer und mit seltener Energie be¬
trieben sie die Gründung eines neuen städtischen Krankenhauses und selbst den Canton
hätten sie damals schon „schier überredet, ein Christ zu sein“. Steinlin’a und Wegelin'a
Arbeit: „Ueber Gründung und Betrieb eines Cantonsspitals“ (1868) fand im Schoosse
des allezeit wohlwollenden Grossen Rathes freundliche Aufnahme, und es war der un-
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50Ö
glücklichen Phrase eines „Volksmannes“ Vorbehalten, das ganze damals äussersi günstig
liegende Project zu zersplittern. Steinlin erkrankte, Wegelin aber, obschon inzwischen ein
sehr beschfiftigter Arzt geworden, arbeitete muthig vorwärts, um wenigstens in der Grün¬
dung eines städtischen Spitals sein Ziel zu erreichen.
Die unbesieglicbe Beharrlichkeit in der Verfolgung eines gemeinnützigen Werket,
die freundliche Geduld, mit welcher er ein Hinderniss um das andere beseitigte, immer
objectiv, niemals bitter, klug und ehrlich zugleich, das bildete die Grundlage von Wegetin'e
Character, wie eine Grundbedingung seiner grossen Erfolge. Gemeinsam mit dem viel¬
erfahrenen, energischen Architecten Simon studirte er im Aufträge des Gemeinderathcs
eine grosse Anzahl der besten 8pitäler, betheiligte er sich beim Bau und bei der Organi¬
sation des wohlgelungenen neuen Krankenhauses, und mit ganzem Herzen und ganter
8eele lag er dem Betriebe desselben ob. Zuerst an der Seite Steinliris , dann im Verein
mit Züblin, erhob er dasselbe zu einer mustergültigen Anstalt. Sie ruhen nun alle Drei
schon au« von ihrer grossen, schönen Lebensarbeit, aber ihr Geist lebt fort — Gott gebe,
lange 1
Wer im ärztlichen Vereine der Stadt St. Gallen an den regelmässigen und gehalt¬
reichen Vorträgen und den pathologisch-anatomischen Demonstrationen Wegelin ’s Tbeil
nahm, der ahnte kaum, welches ungeheure Maass von Arbeit der junge Arzt noch ausser¬
dem bewältigte; seine Collegen wussten es und anerkannten es neidlos. Er war der
Freund und Berather Aller und hat als solcher wesentlich mit dazu beigetragen, dass
die collegialen Verhältnisse unter den Aerzten St. Gallens liebenswürdige und musterhafte
geworden.
Lange Jahre Präsident des städtischen, in letzter Zeit auch des cantonalen ärztlichen
Vereins, Sanitätsrath, Schulrath, Bataillonsarzt, 14 Jahre Spitalarzt, hat er es verstanden,
die wissenschaftliche und die moralische Seite der practischen Medicin in seltener Rein¬
heit darzustellen und durch seine ganze Berufsführung den Beruf selber zu Ehre und
Ansehen zu bringen, auch persönlich sehr geliebt und hoch geachtet zu sein — ohne
selber eine Ahnung davon zu haben; denn vor ihm standen seine Ideale, und die waren
grösser als er, und weil er vorwärts strebte, blieb er bescheiden. Seine Güte und Ge¬
duld konnte missbraucht, aber nicht erschöpft werden; seine Bereitwilligkeit für Alle,
welche ihn riefen, war oftmals mehr als Selbstverläugnung und ging bis zur Vernach¬
lässigung seiner persönlichen Interessen. Diese Wehrlosigkeit war Wegetiris liebenswür¬
diger Fehler und hat sich gesundheitlich bitter gerächt.
Körperlich zart gebaut, war er doch sehr ausdauernd; seine Gesundheit schien nn-
cerstörbar. Ein ruhiges Temperament bewahrte ihn vor keinen Kämpfen, aber vor vielen
Niederlagen; es beruhigte die Geängstigten, erleichterte das Gleichgewicht eines männlich
starken Charakters und fiÖBste Vertrauen ein.
Wegelin 's politisches und kirchliches Bekenntniss: das war sein Lebenslauf; er war
Arzt und war Samariter.
Im Spätjahr 1870 begründete unser Freund mit Fräulein Ernestine Stein sein eigenes,
glückliches Haus, welchem vier Kinder bescheert wurden, von denen jetzt noch drei am
Leben sind; unschuldige Waisen, welche ihren Verlust und das Unglück ihrer guten
Mutter noch nicht ermessen.
Letzten Herbst hatte Wegelin die erste grosse Krankheit zu bestehen, einen Typhus,
den er sich in einem Spital zu Paris geholt. Kaum heimgekehrt, begab er sich sofort in
den Cantonsspital und unterzog sich mit liebenswürdiger Ruhe derselben Behandlungs¬
methode, welche er selbst dort so oft und so erfolgreich angewendet hat. 8chwere Com-
plioationen (acute Nephritis und Pneumonie) erfüllten das Herz der Aerzte mit Sorgen,
aber die Gefahr ging glücklich vorüber und der gdnesene Freund schien aufs Neue und
für lange Jahre wieder dem Leben anzugehören. Rasch eintretende, auch durch conse-
quentes Regimen nicht hiutangehaltene Corpulenz weckte zwar manche Bedenken; dazu
trat Herzklopfen, welches den Schlaf störte und die Berufsarbeit erschwerte. Indes« ver¬
schwand auch dieses und frisch aufathmend lebte der Genesene wieder seiner Familie
und seinen Freunden, vor Allem aber seinen Kranken.
Montags den 22. Juli machte er den ganzen Tag Besuche. Abends begrüsete er
noch seine Kinder im Garten eines Freundes, eilte dann zu einem Kranken, sank auf der
Treppe nieder, wurde zu Bette getragen — und war eine Leiche; Gott sei’s geklagt.
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501
Er starb, 46 Jahre, 5 Monate und 3 Tage alt, am Stickfluss in Folge von parenchyma¬
töser Fettdegeneration der Muskelfibrillen. Sein Andenken sei uns gesegnet; sein Leben
sei uns ein Vorbild! Sonderegger.
Thurgau« Montag, den 15. Juli, Nachmittags feierte, von freundlicher Witterung
begünstigt, die ärztliche Gesellschaft Werthbühlia ihre 500. Sitzung bei Werthbühl,
wo vor 45 Jahren (es war im Febr. 1833) die Gesellschaft gegründet wurde.
Diese Gesellschaft, welche einerseits die Pflege der Berufswissenschaft durch gegen¬
seitige MittbeiluDgen, durch Abhandlungen, Besprechung von Lesestoff, Vorstellung von
Kranken Bich zur Aufgabe macht, anderseits aber auch die Geselligkeit und Collegialität
pflegt, zählt die meisten Aerzte des obern und mittlern Thurgau’s zu ihren Mitgliedern.
Die Feier der 500. Sitzung war lediglich eine freie, fröhliche Vereinigung von Mit¬
gliedern der „Werthbühlia“ und der Schwestersection „Münsterlingia“, sowie von einge¬
ladenen Gästen aus verschiedenen Ständen (Theologen, Juristen, Lehrer, Kaufleute, In¬
dustrielle) ; deshalb wurde die Wissenschaft wohlweislich bei Seite gelassen.
Das kleine FeBt wurde im Walde gefeiert; unter Tannen und Buohen waren saubere
Tische und Bänke hergerichtet worden, in deren Nähe die Wirthschaft ihren Sitz auf¬
schlug. Eine schöne Tanne trug ausser einer Fahne mit dem weissen Kreuz im rothen
Feld die bekränzte Aufschrift:
„Vivat, crescat, floreat Werthbühlia!“
Zwei jüngere Tannen zu beiden Seiten waren mit kleinen rothweissen Fähnchen
geschmückt. Neben der grossen Tanne befand sich eine natürliche, mit Epheu über¬
wachsene Erhöhung von der Gestalt eines ansehnlichen Grabes , das mit Blumen reich
geschmückt war; in der Mitte glänzte ein aus grossen Blumenkronen formirtes W, zu
beiden Seiten die Jahrzahlen 1838 und 1878.
Das Grab sollte wahrscheinlich dem Gedanken Ausdruck geben, dass sämmtliche
8tifter der Gesellschaft schon im Grabe ruhen. Das Arrangement der ganzen sinnigen
Decoration rührte von dem paBtor loci, Herrn Pfarrer Leuch in Werthbühl her.
Nachdem die Festtheilnehmer an den Tischen Posto gefasst und ihre Gläser mit
Dreher’schem Biere vor sich hatten, begrüsste der gegenwärtige Präsident der Gesell¬
schaft, Herr Sbreckeisen , sämmtliche Anwesende; darauf folgten Herr Pfarrer Leuch und
mehrere Gäste, die Einladung freundlich verdankend. Unter den übrigen Toasten sind
hervorzuheben derjenige des von uns thurg. Aerzten hochgeschätzten Spitalarztes Dr.
Kappeier und derjenige des Herrn Dr. Binswanger sen. von Kreuzlingen, welcher freund¬
lich und pietätvoll der beiden von uns geschiedenen Aerzte Bezirksarzt E. Haffler (des
thurg. Sängervaters) und Dr. L. Brunner (vormaligen ersten Spitalarztes in Münster¬
ingen und thurg. Stabsarztes) gedachte , die auch zu den Stiftern der Gesellschaft ge¬
hörten.
Nach diesen ernsteren Worten folgte eine Reihe heiterer, launiger Vorträge und
Declamationen; vielleicht das Beste waren circa 30 ursprünglich als Flaschen-Etiquetten
bestimmte, von Herrn Pfarrer Leuch mit Rücksicht auf die muthmaasslichen Festtheilneh¬
mer gedichtete, zweizeilige Sinnsprüche, die sich alle auf den Flascheninhalt, den durch
seine Vorzüglichkeit weit bekannten Werthbühlerwein bezogen. Ausserdem erschallten
allgemeine Gesänge, Quartette und Solovorträge mit Chor-Refrain; dabei wurden die
Gläser mit dem dunkelrothen Werthbühler fleissig gefüllt und geleert.
So kam unmerklich der Abend heran, und mehr noch die Eisenbahnzüge mit ihrer
feststehenden Fahrzeit als die sinkende Sonne mahnten zur Heimkehr, die gewiss Alle
mit dem Gedanken antraten: das war ein schönes, fröhliches Fest!
Die ärztlichen Festtheilnehmer abor haben hoffentlich alle aus aufrichtigem Herzen
zu sich gesprochen: „Vivat, crescat, floreat Werthbühlia!“
Möge es auch Joder von ihnen durch die That beweisen, dass es ihm mit diesem
Wunsche rechter Ernst ist! .r.
Zürich. Zur Casuistik des „Hydrocephalus acutus“ (tuberculöse
Meningitis).
Sophie Sterki, IO 1 /* Jahre alt, stammt aus einer mässig scrophulös belasteten Fami¬
lie. Die Eltern sind beide am Leben; der Vater ist kräftig, die Mutter erethisch, ans¬
misch, zu Bronchialcatarrhen disponirt. Als Kind, bis zum 6. Jahr, waren leichtere Er¬
krankungen der Schleimhäute öfter vorgekommen, dagegen keine schweren Erscheinungen
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von scrophulösen Entzündungen. In den letzten 4 Jahren hatte ich fast täglich Gelegen¬
heit, das Mädchen zu beobachten. Es war ein aufgewecktes, munteres und lebhaftes
Kind — eine gute Turnerin. Bedeutendere Störungen des Wohlseins kamen in den letz¬
ten Jahren nie vor, ausser vor ca. 4 Wochen ein Magencatarrh, welcher rasch beseitigt
wurde. Am 5. Juli Vormittags besuchte sie noch die Schule ohne auffallende Zeichen
von Unwohlsein. Beim Mittagessen fehlte jedoch der Appetit und wurde die genossene
Suppe bald wieder erbrochen. Das Kind klagte über Uebelkeit, leichten Kopfschmerz,
allgemeines Unbehagen und blieb zu Hause. Das Erbrechen wiederholte sich bis 4 Uhr
Abends noch 2—3 Mal. Doch ging um diese Zeit das Kind noch auf die Strasse und
scherzte mit einem Nachbar. Bis 7 Uhr Abends 8 Erbrechen. Das um jene Zeit ge¬
nossene Abend essen wurde ebenfalls erbrochen , das Kind legt sich zu Bett und klagt
über starken Kopfschmerz, Schwindel, Hitzegefühl und Durst. Bis 9*/* Uhr Steigerung
des Fiebers, das Sensorium schwindet und Somnolenz tritt ein. Es folgt ein Anfall von
Convulsionen bei vollkommen geschwundenem Bewusstsein. Um 9'/, Uhr bot das Kind
folgenden Status praesens: Blasses Aussehen, Augen halb geschlossen, Pupillen verengt,
kaum reagirend, Respiration Btöhnend, 26—30 per Minuto, coupirter Typus. Extremitäten
convulsiv gestreckt, hie und da ist eine leichte zitternde Bewegung sichtbar. Unterkiefer
unbeweglich angezogen — Trismus. Kein deutlicher Opistothonus, doch ist der Kopf
schwer beweglich. Abdomen massig gespannt, Musculatur ziemlich resistent. Puls un¬
regelmässig, klein, 90—100. Temperatur 39,8® C. in der Achselhöhle. Der Mund lässt
sich auch mit einem starken Spatel nicht öffnen. 8chlucken ist unmöglich. Auf der
Lunge keine ausgesprochene Dämpfung. Spärliches Rasseln, keine bronchiale Phinome.
Am Herzen ansemisches Blasen. Milzdämpfung etwas vergrössert
Das Kind erhält mit Pausen von 20 Minuten in lauwarmem Bad drei ausgiebige Be-
giesBungen mit ganz kaltem Wasser. Der Streckkrampt der Extremitäten löst sich mo¬
mentan, es wird ein Versuch zum Schreien gemacht, Nach dem Abtrooknen traten jedoch
jedesmal sofort kurz anhaltende klonische Convulsionen auf, welchen bald der tonische
Krampf folgte. Der Trismus blieb sich immer gleich. Die Temperatur hob sich in kur¬
zer Frist zu früherer Höhe. Eisblase auf den Kopf, Blutegel an die Schläfen, kleine
Morphiumeinspritzungen blieben ohne allen Erfolg.
Der Puls verschlechterte sich immer mehr, dem Sopor folgte ein tiefes Coma, die
Respiration wurde stertorös und bei anhaltenden tonischen Convulsionen erfolgte um 117»
Uhr der Tod.
Section den 6. Juli 1878, 15 Stunden post mortem. Blasser, mässig abgemagerter
Körper, starker livor mortis, Todtenstarre sehr stark; aus dem Mund ergiesst sich leicht
blutiger Schaum. Kopfschwarte löst sich leicht, Cranium wenig blutreich, keine Spuren
von Trauma. Im Schädeldach keine rhachitischen Veränderungen. Im sinus longitudiua-
lis ziemlich viel schwärzliches Blut, im hintern Theil ein längeres frisches Gerinnsel.
Dura löst sich leicht bis zur Mitte des sulcus longitudinalis. Daselbst ist eine starke
Adhsesion und auf der pia mater eine granulöse Auflagerung ähnlich den Packioni’achen
Granulationen. Eine leichtere Verklebung gegen die Fossa sylvii löst sich ohne Nach-
bülfe des Messers, links jedoch leichter als rechts. Kein Oedem der Pia mater. In der
Gegend der Fossa sylvii beiderseits trockene serös eitrige, ca. 1 cm. im Durchmesser
haltende Auflagerung, rechts stärker als links. Die Basis und namentlich das Cbiaama
Ist vollkommen frei von jeglicher eitrig-serösen Auflagerung. Pia ziemlich schwer lös¬
lich. Gyri auffallend abgeplattet. Geringer Blutreichthum der Pia und der Gehirnober¬
fläche. Cerebrospinalflüssigkeit mässig vermehrt. Vorder- und Hinterhöruer der Seiten¬
ventrikel des Gehirns bedeutend verlängert, Ventrikel im Ganzen etwas dilatirt, der In¬
halt an Flüssigkeit jedoch nicht sehr bedeutend vermehrt. Hirnsubstanz nicht sehr blut¬
reich, in den grossen Ganglien keine wesentlichen Veränderungen macroscopisch naebzn-
weisen. In der abgelösten Pia aus der Gegend der Foss® sylvii entdeckt man bei durch¬
scheinendem Licht spärliche kleinste miliare Tuberkel, die jeweilen an den
Verzweigungen kleinster Blutgefässe sitzen. Im Cerebellum nichts Auffallendes.
Bei Eröffnung der Brusthöhle zeigt sich eine auffallend grosse Thymusdrüse in
einer Länge von ca. 10 cm. und einer Breite von 3 cm. Im Herzbeutel ziemlich viel
Flüssigkeit. Herz verhältnissmässig gross. Rechter Ventrikel dilatirt mit auffallend dün¬
nen Wandungen. Linker Ventrikel stark musculös, noduli der mitralis verdickt, Sehnen-
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fäden etwas verkürzt. In beiden Ventrikeln starke Blutgerinnsel zum Theil ganz frisch,
einige sulzig gelb und jedenfalls etwas älteren Ursprungs. Linke Lunge nicht adhärent.
Im untern Lappen starkes Oedem. Ara untern Rand des obern Lappens eine hanfkorn¬
grosse, harte Prominenz. Am obern Rand des obern Lappens unter der Pleura pulmo -
nalis drei durch gesundes Gewebe getrennte ca. einfrankenstückgrosse Blutergüsse, die
sich fest und hart anfühlen. Lungengewebe überall lufthaltig. An den eben bezeichne-
ten Stellen des obern Lappens am untern Rand ein älterer, am obern Rand drei ganz
frische baemorrhagische Infarcte. Rechte Lunge mit dem mittleren Lappen in ziemlicher
Ausdehnung an der Pleura costalis stark verwachsen. Nach der Trennung zeigt sich an
dieser Stelle eine ca. fünffrankenstückgrosse narbig verdickte Stelle. Auf der Pleura pul-
monalis zeigen sich einige vereinzelte miliare Tuberkelknötchen. Starkes Oedem im un¬
tern Lappen. Bei Durchschneidung des mittlern Lappens zeigt sich an der Peripherie
unter der narbig adhärenten Stelle ein taubeneigrosser, aussen kalkiger, in
der Mitte käsig erweichter Tuberkelknoten. Bronchialdrüsen leicht ge¬
schwellt, aber keine Verkäsung derselben zu finden.
Im Magen viel Luft. Mucosa auffallend stark gerunzelt — mamellonirt und an der
grossen Curvatur mehrere Stellen mit capillären Apoplexien zeigend. Leber gross, stark
bluthaltig. Milz stark vergrössert, Nieren sehr blutreich. Auf der Kapsel keiner dieser
Organe und ebenso wenig am PeritonsBum waren Tuberkel zu finden.
Epikritische Bemerkungen. Was vorliegenden Fall zur Veröffentlichung
geeignet erscheinen liess, ist der auffallende, man darf fast sagen foudroyante Verlauf und
das äusserst typische Resultat der 8ection. Der ganze Krankheitsverlauf, so weit er er¬
kennbar zu Tage trat, beschränkt sich auf höchstens 12 8tunden, das Krankenlager auf
kaum 6 Stunden. Nach Symptomenverlauf bietet der Fall das Bild, das Gölis als Wasser¬
schlag bezeichnet. Allein wie die Section bewies, lässt sich die ganze Krankheit auf
eine ganz acute Eruption von miliaren Tuberkeln besonders in der Pia mater zurück-
führen. Dass diese von dem erweichten Tuberkelknoten im mittleren Lappen der rechten
Lunge ihren Ursprung nahm, dürfte als ziemlich sicher anzunehmen sein , da sich sonst
nirgends irgend welche ähnliche Heerde zeigten.
Die hsemorrhagischen Infarcte sind, jedenfalls Folge der Mitralisinsufficienz, zum Theil
als finale Vorkommnisse zu deuten.
Riesbach. Dr. Fritz Rohrer.
Wien. Rokitansky f. Am 23. Juli d. J. starb zu Wien der hochgeehrte Professor
der pathologischen Anatomie, Carl Rokitansky. Sein äusserer Entwicklungsgang war sehr
einfach: geboren 1804 in Königgrätz (Böhmen), besuchte R. die Gymnasien ebenda und
in Leitmeritz, studirte in Prag und Wien und wurde 1828 nach erlangter Doctorwürde
vom damaligen Professor der pathologischen Anatomie in Wien, J. Wagner, zum Assisten¬
ten ernannt. 1834 wurde er ausserordentlicher, 1844 ordentlicher Professor der patholo¬
gischen Anatomie, von welcher Stellung er 1874 zurücktrat. Von 1847 ab war er auch
als Gerichtsanatom und Prosector des Stadtphysicates thätig. Unter den zahlreichen Aus¬
zeichnungen, die R. zu Theil wurden, sind die Ernennungen zum Medicinalreferenten im
Ministerium für Cultus und Unterricht 1863, zum Mitgliede des Herrenhauses 1867, zum
Präsidenten der Academie der Wissenschaften 1869 hervorzuheben.
Das Hauptverdienst R.’a auf medicinischem Gebiete suchen wir mit Baas (Gesch. d.
Med.) darin, dass es ihm gelang, die naturwissenschaftliche Methode der Forschung, die
in Frankreich schon Beit Anfang des 19. Jahrh. durch Bichat und seine Schule ( Laetmec,
Dupuytren , Cruoeilhier u. v. A.) Eingang gefunden und glänzende Früchte getragen hatte,
auch in der deutschen Medicin einzubürgern und damit die noch regierende naturphilo¬
sophische Speculation aus dem Sattel zu heben. — Dasjenige Werk, womit R. ausser
durch seine weitreichende Lehrthätigkeit dies erreichte, ist sein berühmtes Hand(Lehr-)buch
der pathologischen Anatomie, welches drei Auflagen erlebte (1. Aufl. 1841—46, 3 Aufl.
1855—61J und in seinem specielien Theil (2. und 3. Bd.) für alle Zeiten ein Muster um¬
fassender strenger Beobachtung und prägnantester Schreibweise bleiben wird.
Weniger glücklich war R. in seinen theoretischen Ableitungen, welche er im ersten
(Schluss-) Band (1846) seines grossen Werkes entwickelte (Exsudat- und Krasenlehro),
die denn auch nach kurzer Zeit den cellularen Anschauungen Virchow's weichen mussten.
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Es macht übrigens R.’s Forschergeist und Charakter die höchste Ehre, dass er der neuen
Aera Gerechtigkeit widerfahren Hess und in der 3. Auflage (1865) seine frühem Theo¬
rien grosBentheils preiegab.
Unter den zahlreichen übrigen Schriften pathologischen Inhaltes, welche meist wei¬
tere Ausführungen und Belege zu den im Handbuch in knappster Form vorgetrageoen
Lehrsätzen enthalten — Krankheiten der Arterien, mehrere Arbeiten Uber Krebs u. A.
— erregte sein 1876 erschienenes letztes Werk Uber die Defecte der Scheidewände des
Herzens besonderes Interesse, weil es, abgesehen von der scharfsinnigen Verarbeitung
eines riesigen in fast 50jähriger Thätigkeit gesammelten Materiales auch dadurch ein
glänzendes Zeugniss für die Arbeitskraft und Geistesfrische des greisen Mannes ablegt,
dass derselbe, um seine Missbildungen besser verstehen zu lernen, mit Stricker' s Unter¬
stützung mühsame erabryologische Untersuchungen am Hühnchen vorn9hm. Möge er
auch auf diesem noch wenig betretenen Wege den Anstoss zu fruchtbaren Forschungen
gegeben haben! R.
Briefe aas Ajaccio.
Heimreise. (Schluss.) „Wir wandern!“ — »»Nur Geduld! Die Witterung ist
hier excellent, an der Riviera di Ponente aber gerade jetzt schlimm und daheim uner¬
träglich.““ Sie wanderten aber doch, einer nach dem andern. Zuletzt denn auch wir.
Man gelangt von Ajaccio entweder mit dem Schiff über Bonifacio nach Italien, oder
aber über die Insel weg zu Wagen. Die Post fährt in einer Tour in 16—18 Stunden
(Abfahrt Morgens 11 Uhr, eine Stunde Rast in Corte); die Concurrence in 2 Tagen, die
Berline in 12—14 Stunden. Wir (2 Damen, 2 Herren) nahmen einen Wagen der Mes¬
sageries (Fr. 180, Post etc. ist um die Hälfte billiger) und fuhren am ersten Tage in
10 Stunden nach Corte, am zweiten in 6 8tunden nach Bastia. Die Passhöhe bei dem
kleinen Fort la Foce beträgt 1300 Meter; doch reichten die mächtigen Schneehäuge des
Monte d’Oro (3300 Meter) nicht bis zum Wege, der vollkommen schneefrei war (Ende
April). Trotzdem wir auf der Höhe in ein gewaltiges Unwetter kamen, blieb auch die
Temperatur erträglich.
Der Weg führt zuerst durch eine sterile, aber pittoreske Landschaft, die später
prächtigen Castanien-, noch höher aber sehr schönen Buchen- und Fichtenwäldern weicht.
Je höher wir Bteigen, um so mehr tritt der Typus der südlichen Vegetation zurück und
unsere heimathliche Pflanzenwelt wird dominirend.
In Corte fanden wir ein gutes (wanzenfreies) Gasthaus. Das Städtchen hat ein
prächtig gelegenes Felsenschloss; leider war die höchste Spitze, die der ausgiebigsten
Ventilation, d. h. allen Winden ausgesetzt ist, in so unmässigem Grade als öffentlicher
Abtritt missbraucht (überall, zwischen den Häusern, auf den Treppen etc.), dass unser¬
einer nur mit hoch empor gezogenen Hosen und ganz unten aufgesetztem Pioce-nes
durchkommen konnte. Das sehr gesund gelegene Corte soll Typhus endemisch haben
— nach all’ der öffentlichen Unsauberkeit begreife ich es.
Die Niederfahrt nach Bastia ist sehr hübsch; weniger war es das „beste“ Hötel
(France).
In Bastia receptirte ich: der Apotheker kannte die lateinische Receptur, war exact
und billig.
In 6—7 Stunden fährt der Dampfer nach Livorno.
Ueber Italien schreibe ich nur, was ich von medicinischem Interosse so im Fluge
erhaschen konnte. Vor Allem möchte ich nun da die alte, von den Curanden so schwer
ku befolgende Wahrheit bestätigen, dass nämlich der Lohn für die Cur nicht im Genüsse
der Schönheiten in Kunst und Natur Italiens besteht. Es liegt so nahe und wäre für
das Gemüth und indirect also auch für den Körper so wohlthuend, die gesunkenen Le¬
bensgeister, die zaghaft und muthlos gewordene Lebenslust durch Studien über die Kunst
und die landschaftlichen Schönheiten des längst ersehnten Landes Italien zu heben. Allein
der Genuss würde zu theuer bezahlt. Der Wechsel ist zu gross und zu rasch. Aus all
Keiner Sorgfalt heraus kommt der Curgast in die Gefahren einer anstrengenden Reise,
auf heisse sonnige Plätze mit Staub und Wagengerassel und plötzlich in schmale,, kalte,
feuchte Seitengassen, kühle Gallerien u. s. w., von all’ den vielen Nebensachen nicht «u
reden. Wer also nicht schon Erfahrung besitzt, wer nicht ganz sicher ist, dass er voll-
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kommen Ober sich und seine Gelüste Meister bleibt und die Kunst des Entsagens in
jedem Augenblicke ungeschmälert zu üben versteht, oder einen einsichtigen, unbarm¬
herzigen Mentor bei eich hat, der fasse einen heroischen Entschluss und verzichte auf
das Accessit zum Curlohn, oder aber er wähle sich eine ruhige Ötation und fliege von
dieser aus nach grössern Ruhepausen mit poitrinärem Flügelechlage dahin und dorthin.
Wir wählten Pegli bei Genua, wo sich im Grand Hötel der Herren Landry (zugleich
Besitzer des Hötefr Sonnenberg in Engelberg) und Girard beim Herrn Collegen und lieben
Freund Dr. Schnyder nach und nach ein Trüpplein Ajaccieaen eammelte.
Ich kam auf einem kleinen Umwege. — In Livorno hatte ich mir eine Corallenfabrik
angesehen. Das gäbe Arbeit für unsere Fabrikinspectoren. Der Ueberwachung wegen
dicht in einander geschachtelt, mit den rudimentärsten Werkzeugen arbeitend sitzt das
blasse, hustende Arbeiterpersonal in dem starken Corallenetaube.
Die Eisenbahn fährt gut, aber die Wagen II. Classe sind für Reconvalescenten um
so weniger zu empfehlen, als die Strecke Pisa-Genua-Nizza circa 130 Tunnel hat. Das
Oeffnen der Fenster wird dadurch fast unmöglich und die grössern und besser gepolster¬
ten Appartements der I. Classe ermüden die Lunge und den Körper überhaupt weniger.
Florenz, wo die neugebackenen Hochzeitspärchen sich so hübsch sittsam Spazieren
führen, ermüdet sehr (ich meine nicht die Neuvermählten). Man fahre deshalb die Nach¬
mittage in das Grüne (Cascinen, Fiesoie etc.). Auch vermeide man die allzu nationalen
Gerichte — Risotto, Maccaroni, Schwämme etc. —, die billig, aber schwer verdau¬
lich sind. Bei veränderlichem Wetter ist Florenz äusserst ungesund.
In Genua begrüsste ich einen lieben Collegen, dem in der Fremde die Heimath nicht
fremd wurde. Mit der Bahn, Pferdebahn oder zu Fuss gelangt man leicht und rasch
nach Pegli.
Pegli wird seit langer Zeit im Sommer als Seebad benützt; die Herren Landry f Girard
lassen soeben eiu neues, grosses und comfortables Badebaus am Meere erstellen. Als
Winterstation ist es den meisten Lesern des Correspondenz-Blattes wohl erst durch die
hübschen Briefe von College Dr. Schnyder bekannt geworden, der dort als Hausarzt
functionirte.
Es wird Manchen interessiren, zu erfahren, inwiefern ich mit seinen Schilderungen
Ubereinstimme, und da möchte ich zum Voraus erklären, dass ich in allen Hauptsachen
ihm und Prof. Schleiden (vide später Küche) beistimme.
Ungefähr in der Mitte des weiten, dicht und schön bevölkerten Golfes von Genua
gelegen, ist Pegli vor Nordwinden geschützt und sonnenwarm. Seine Luft ist ozonreich
und zeigt grossen Feuchtigkeitsgehalt. Wichtig ist die überaus reiche und ja durch die
weltberühmten Villen Durazzo-Pallavicini, Rostan, Doria, Ellena etc. genügend bekannte
Vegetation, die nicht nur in künstlicher Blumen-, Gesträuche- und Baumzucht besteht,
sondern auch den weiten Thalkessel hinter Pegli mit schönem, saftgrünem Wald (Pinien)
bedeckt.
Die landschaftliche Schönheit tritt überwältigend hervor, wenn man einen der zahl¬
reichen Aussichtspuncte besucht und den weiten Meerbusen überblickt vom Golfe von
Spezia mit der Isola palmaria, dem prächtigen Cap des Monte Portoflno, dem Leucht-
thurme von Genua bis hinunter zum Capo Noli und der Feste Maurizzio, vor sich das
Meer, hinter sich die carrarischen Alpen und die Appeninnen.
Die grossen Villen sind leider nicht ungehindert zugänglich; doch ist es leicht, aus
den Mauern heraus in das n Veilchenthal“ , den Waldesschatten, zu kommen. Nur sind
die Wege, ganz gewöhnliche, nicht cultivirte Fusswege, etwas ermüdend. Auch fehlt
ein staubfreier Spazierweg dem Meere entlang, da die Strasse viel befahren und von der
Bahn durchkreuzt wird.
Angenehm ist, dass der Curgast ausserhalb des Gewühles einer grossen Stadt und
frei von dem deprimirenden Eindrücke des Anblickes der vielen Krankenwagen der gros¬
sen Stationen lebt. Der Park des Hötels ist schön angelegt, gut erhalten und hat viele
schattige Winkel.
Die Tafel — im reinsten Gegensätze zu den unrichtigen Angaben Schleideria — ist
ganz vorzüglich.
Da das Hötel früher eine jener mit grosser Raumverschwendung gebauten fürstlichen
Villen war, ist Alles weit und reichlich angelegt. Bis zum nächsten Winter soll eine
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Veranda mit Terrasse vor dem Hause erstellt, die Bäder, zu denen jetzt schon das Meer-
vrasser direct m das HÖtel gepumpt wird, verlegt und verbessert und verschiedene
ötrassencorrectionen um das Haus herum ausgeführt werden.
Nach Dr. G. B. Pescetlo soll die Durchschnittstemperatur Peglis im Winter 4- 8° C
sein; selten sinke sie auf 0 herunter und dann nur auf kurze Zeit, ganz ausnahmsweise
aut 1 — i Tage.
17 ‘ ** ai . hatt ® ich dagegen in der Sonne (südseits, Mittags) am Pensterkreu«
ono hmteD im Zimmer j edoch «“ der schattigen Wand bei offenen Fenstern nur
Pcgli ist entschieden zu empfehlen und hat gewiss eine gute Zukunft. Neben dem
(jrand HÖtel sind auch bescheidenere Gasthöfe und Privat Wohnungen da ebenso Restau¬
rationen. ’
Abermals Eisenbahn — Turin, von dem ich als Anschlag an die Sohandtafel nur
notire, dass 80,0 Magnes. sulf., in einem ganz ordinären Papierbrief verabreicht, von der
Farmacia calandra, G. Bogino , via Saluzze e Corso del Re, mit 1 Fr. 70 Rppn. berechnet
wurden 1
Durch den Mont Cenis war es kalt und der Unterschied jenseits für uns verhätschelte
Insulaner recht empfindlich.
Wie ganz anders war die Physiognomie der Curanden von Aix-les-bains I Viele
rothe Nasen von respectabler Dicke, vollsaftige Gesichter, Viele mit Stöcken, ziehen ein
Bein nach oder wackeln übelzeitig auf beiden; andere mager und blass, aber ohne Hu¬
sten (waschen da ihre Sünden ab, pst!) — Alle essen viel und trinken nicht wenig.
l)io Table d’höte im HÖtel de l’Europe war aber auch sehr gut. Das HÖtel Bristol hat
einen grossen, schönen Garten und das neue, gut eingerichtete Badebaus mit seinen swei
prächtigen, sehr säubern und allerdings confessionslosen, aber doch nicht gemischten, son¬
dern sexuell getrennten Schwimmbassins als Muster von Solidität und zu erstrebendem
Ideal für all’ die gichtbrüchigen Piedestale vor seiner Front einen römischen Triumph¬
bogen, der unentwegt schon 1500 Jahre am selben Fleck steht und noch keine Tendenz
zum Fortschritt zeigt.
Aus Genf jagte mich Wind, Staub und allerlei anderes Ungemach rasch fort. Wie
langsam ging es dem Baselbiete zu! Und wie rasch musste ich wieder hinaus in die
leidige Curpraxis, fern ab von dem lieben „Collegen“ daheim, bei dem ich so gern ge¬
blieben wäre, da es bei ihm, dem Vereinsamten, mälig beginnt, Abend zu werden.
Engelberg im „Sonnönberg“, 10. Juli. A. Baader.
TV oehentoeriolit.
Schweiz.
Ctoo£ Die Acten des internst, medic. Congresses in Genf sind so¬
eben durch die 8ecretäre Prevost , Beverdin, Picot und ifEspine in einem stattlichen Bande
von 894 Seiten herausgegeben worden, der nun einen würdigen Schlussstein desselben
darstellt. Wenn auch mit der Zeit die Erinnerung an all’ die liebenswürdige Gastfreund¬
schaft der genfer Collegen entschwunden sein wird, dieser Bericht schliesst eine reiche
Summe von ernster Arbeit in sich ein, deren Studium auf alle Zeiten werthvoll bleiben
wird und Zeugniss ablegt von dem Streben nach der Erforschung der Wahrheit, das den
genfer Congress beherrscht hat.
Waadt. Bex. In Bex starb dieser Tage der berühmte Kliniker und Naturfor¬
scher Herr Geh.-Rath Prof. Dr. Lebert , der seit einigen Jahren seine öffentlichen Stel¬
lungen uiedergclegt und in der Schweiz seinen Aufenthalt genommen hatte. Wir hoffen,
in der nächsten Nummer Ausführlicheres Uber dessen Leben berichten zu können.
Ausland.
Bayern. Acidum sclerotinicum. Prof. v. Ziemseen in München wendet
bei Hämoptyse subcutane Injectionen von Acid. scler. an und zwar lässt er von Ac.
sclerot. 0,4, Aq. destill. 10,0 in 24 Stunden 2—3 Mal eine Pravazspritze voll injiciren.
per Erfolg soll sicherer sein als bei Ergotin und keino Pusteln erzeugt werden.
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Deutschland* Die 51. Versammlung deutscher Naturforscher und
A erste in Cassel wird wegen der, in Folge de9 Attentates verschobenen Kaisermanöver
statt, wie wir in letzter Nummer meldeten , vom 28.—24. September nunmehr 8 Tage
früher, vom 11. — 18. September, abgehalten werden. Wir benutzen diese Gelegenheit,
um die im mitgetheilten Programme noch nicht angegebenen Themata der Redner in den
öffentlichen Versammlungen hiemit zu vervollständigen. Es wird reden: Prof. Aeby aus
Bern : Ueber das Verhältnis der Microcephalie zum Atavismus ; Prof. Klebs aus Prag :
Ueber Cellularpathologie und Infectionskrankheiten; Prof. Henke aus Tübingen: Ueber
willkürliche und unwillkürliche Bewegung; Prof. Fick aus Würzburg: Ueber Wärmeent¬
wicklung im Muskel.
— Aerztliche Selbsthülfe. In Berlin besteht schon seit 8 Jahren ein
„Rechtsschutzverein berliner Aerzte“, welcher den Zweck hat, durch seinen Vorstand
einerseits die Rechte der Aerzte dem Publicum gegenüber zu vertreten, andererseits aber
auch das Publicum vor jeder Benachtheiligung zu schützen, indem derselbe die Forde¬
rungen der Aerzte auf Grund der ärztlichen Taxe prüft und nötigenfalls reducirt. Der
Rechtsschutzverein hat alle Rechte und Vorzüge einer juristischen Person, so dass der¬
selbe als Cessionär in die Rechte eines jeden seiner Mitglieder eintreten und die Sache
des Cedenten zu seiner eigenen machen kann. Nach dem Muster des berliner haben
sich, so viel uns bekannt, in Deutschland nur noch in München und Breslau Rechtsscbutz-
vereine der Aerzte gebildet. Um unseren Lesern eine Einsicht in die Thätigkeit dieser
Rechtsschutzvereine zu gewähren, theilen wir hier einige Daten aus dem Rechnungs¬
abschlüsse des Vereins-Bureaus für das Jahr 1877 mit, wie sie der diesjährigen Gene¬
ralversammlung des Rechtsschutzvereins berliner Aerzte vom Vorstande vorgelogt wurden.
Aus dem Jahre 1876 waren in geschäftlicher Behandlung verblieben 2568 Liquidationen
im Betrage von 84,367 Mark. Im Jahre 1877 wurden dem Verein zur Beitreibung über¬
geben 6642 Liquidationen im Betrage von 112,117 Mark; in Summa 196,474 Mark. Hie¬
von sind eingegangen für 4893 Liquidationen 74,842 Mark, d. h. nur 88°/ 0 . 1352 Liqui¬
dationen im Betrage von 22,193 Mark erwiesen sich als uneinziehbar oder wurden erlas¬
sen. In geschäftlicher Behandlung verblieben 2965 Liquidationen im Betrage von 99,438
Mark. Die Einnahmen des Vereins-Bureaus (an Jahresbeiträgen der Mitglieder, Tantie¬
men, Zinsen aus dem Reservefond etc.) betrugen 10,454 Mark, die Ausgaben 8326 Mk.
(darunter die Gehälter der Beamten mit 6438 Mark), der Reingewinn somit 2128 Mark.
Die Zahl der Mitglieder betrug 363.
In den 8 Jahren des Bestehens des berliner Rechtsschutzvereins wurden dem Ver¬
eins-Bureau zum Incasso im Ganzen 46,300 Liquidationen im Gesammtbetrage von
983,000 Mark übergeben, von welcher Summe ca. a /„ d. 453,000 Mark, für die Aerzte
beigetrieben wurde, während •/, als Ausfall zu registriren war.
(9t. Petersb. med. W. 24, 1878.)
— Universitäten. An die Stelle Gusserow'R, der nach Berlin übersiedelt, soll
Hegar (Freiburg) nach Strassburg berufen worden sein. Für die durch den Tod von Bartels
erledigte Lehrkanzel in Kiel wurde Quincke (Bern) primo und Bäumler (Freiburg) secundo
loco vorgeschlagen.
England. Impfzwang. Die Agitation gegen den Impfzwang wird in der
Schweiz immer noch mit einer gewissen Lebhaftigkeit unterhalten, so dass es gewiss
von Interesse ist, zu vernehmen, wie diese Frage in England , wo die persönliche Frei¬
heit — der Sturmbock der Impfgegner — so hoch gehalten wird, ihre Erledigung fand.
Wem es bekanut ist, mit welcher Energie während der letzten zwei Jahre «n Eng¬
land der Kampf gegen den Impfzwang geführt wurde, und wer da weiss , wie leicht es
ist, selbst für die unsinnigsten und seltsamsten Bestrebungen Anhänger zu finden , den
wird es nicht Wunder nehmen, dass es den Impfgegnern gelungen ist, dem englischen
Pariameute die sogenannte „Vaccination Penalties Bill“ vorzulegen. Da für Abschaffung
des Impfzwanges selbst keine Aussicht vorhanden, so richteten die Impfgeguer ihr Be¬
streben dahin, eine Milderung der auf Unterlassung der Impfung festgesetzten Geldstrafen
zu erzielen; der Entwurf schlug daher vor, eine nur einmalige Geldbusse von 20 Schil¬
ling (ca. 25 Fr.) festeusetzen, während gegenwärtig, wenn nach erfolgter Bestrafung der
Ungehorsam gegen das Gesetz fortdauert, wiederholte Geldstrafen Uber die Widersetz¬
lichen verhängt werden. („Gesundheit.“) — Nach sehr eingehender Discussion, an der
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eich die einflussreichsten Mitglieder des Unterhauses betheiligten, schlug der Motionssteller
Plate vor, seinen Antrag zurücbzuziehen, wenn die Regierung eine specielle Untersuchung
ansteilen wolle; allein dieser Vermittlungsantrag fand keine Gnade, und dann wurde du
Gesetz (in der zweiten Lesung) mit der erdrückenden Majorität von 271 gegen 82 Stim¬
men abgelehnt.
Es wäre wünschenswert!), dass unsere politische Tagespresse auch von solchen ge¬
wichtigen Manifestationen Notiz nähme, da durch sie manches ängstliche Gemüth, du
der laute Lärm vorwirrt, beruhigt würde.
Frankreich. Medicinische Prüfungen. Das .Journal Offlciel“ ver¬
öffentlicht ein vom Unterrichtsminister erlassenes neues Reglement für die medicinischen
Prüfungen in Frankreich. Die Studienzeit ist danach auf vier Jahre bemessen. Dann
folgen zur Erlangung des Doctordiploms fünf Prüfungen, nämlich in : 1. Physik, Chemie,
medicinische Naturgeschichte; 2. a) Anatomie und Histologie, b) Physiologie; 3. a) in
äusserer Pathologie, Geburtshülfe, operativer Medicin, b) innerer und allgemeiner Patho¬
logie ; 4. Gesundheitspflege, gerichtlicher Medicin, Therapie, Materia medica und Pharma-
cologie; 6. a) in äusserer und geburtshülflicher Klinik, b) innerer Klinik nebst einer
practischen Prüfung in der pathologischen Anatomie. Für die Zulassung zu den Prüfun¬
gen werden noch von Amtswegen erfordert: practisohe Arbeiten in den Laboratorien und
in der Anatomie, sowie eine mindestens zweijährige Lehrzeit in den Hospitälern. Die
Examengebühren zur Erlangung des Doctortitels (Staatsexamen) in Frankreich betragen:
16 Inscriptionen Fr. 520, 8 Examen Fr. 240, 8 Zulassungsausweise Fr. 200, Kosten des
Materiales zu den practischen Arbeiten Fr. 160, These Fr. 100, Fähigkeitsausweis Fr. 40,
Diplom Fr. 100, zusammen Fr. 1360.
Wenn schon dieser Umstand ein internationales Freizügigkeits-
r e cht auf Grund der Staatsdiplome wesentlich erschwert, bo geschieht das noch mehr
durch die Engherzigkeit, mit welcher diese Frage in Frankreich discutirt wird. So hat
neuerdings der Deputirte Roger-Marvaise in der französischen Nationalversammlung den
Antrag auf Abschaffung des Gesetzes eingebracht, nach welchem dem Minister das Recht
zusteht, fremde Aerzte zur Praxis in Frankreich zuculassen. Es sollen vielmehr alle
fremden Aerzte ein practisches, wie ein theoretisches Examen bei einer französischen
Facultät vorher ablcgen. Nach den Aeusserungen der französischen Fachblätter würde
die Vorlage in dieser Form keinen erheblichen Widerspruch erfahren.
Bekanntlich wurde derselbe Antrag gleich nach dem Kriege von 1870/71 von Latitte-
dat & Cons. gestellt, die Frage dann abor, als die ganze englische Colonie des südlichen
Frankreichs mit Wegzug drohte, und auf diplomatische Verwendung hin an eine Com¬
mission gewiesen und seither liegen gelassen. Die Behörden blieben aber äusserst zuge¬
knöpft gegen fremde Aerzte.
Im Gegensätze hiezu verlangt die dem englischen Parlamente vorliegende neue Me-
dicalbill in der Bestimmung zur Regelung und internationalen Anerkennung
der ärztlichen Approbation nur, dass die oberste Medicinalbehörde die bezüg-
lichen Diplome fremder Aerzte darauf hin prüfe, ob dieselben an dem Orte ihrer Aus¬
stellung zum freien Praxisbetriebe berechtigen und einen Grad von Kenntnissen garan-
tiren, der ungefähr dem in England verlangten gleichkommt. Die englische Faobpresse spricht
sich für strenge Handhabung dieser beiden Gesichtspuncte aus und verwahrt sich dagegen,
dass Fremde ohne Diplom in England zugelassen werden. Es ist am Ende auch nor
zu billigen, dass, wenn das Heimathland dem bezüglichen Arzt eine Approbation verwei¬
gert, ein fremder Staat nicht nachsichtiger ist.
Von dem uncollegialen Ausschluss befähigter und zur Praxis berechtigter Aerzte ist
dagegen keine Rede.
Dieselben Maximen, die Frankreich aufgestellt hat, befolgt dagegen auch Deutsch¬
land, wie das in alleruncollegialster Weise in letzter Zeit einige Bohweizerärzte erfahren
haben.
Wenn sich einmal unser, in der Hauptsache nun glücklicherweise eidgenössisch ge¬
wordenes Medicinalwesen fester consoJidirt und eingelebt hat, wird für unsern leitenden
Ausschuss und den schweizerischen Aerzteausschuss der Zeitpunct gekommen sein, zu
erwägen, ob nicht an competenter Stelle (Bundesrath) eine internationale Regelung dieser
Frage anzuregen sei.
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509
— Der Einfluss des Schweigens in den Gefängnissen auf die
Gesundheit. In der Acad. de Mdd. vom 12. März 1878 befindet sich eine Mitthei¬
lung Burg’a aus den officiellen Berichten über die französischen Gefängnisse. Burg citirt
als Einleitung den Ausspruch Dr. ComdetB (Annal. d'Hygiene fol. XIX 1838): „Das
Schweigen setzt die Verdauungsthätigkeit herab, schwächt die Respirationsorgaue und
prädisponirt zu Phthisis.“ Einige Jahre nach Comdet sprach sich Fourcaud nach seinen
Statistiken Uber einige Hauptgefängnisse, in welchen das Zellensystem eingeführt war,
im nämlichen Sinne aus; er wies nach, dass die Sterblichkeit an Phthisis die Hälfte der
Gesammtsterblichkeit ausmachte, in Poissy sogar 60%. Burg bringt nun weitere Belege:
im Jahre 1839, 10. Mai, wurde durch Ministerialverordnung das (Zellensystem) Verbot
des Sprechens eingeführt; die Sterblichkeit, bisher ungefähr 6,25% betragend, stieg all—
mälig auf 6,86, 7,95, 8,38 und schliesslich auf 9,95%, trotzdem von Seite der Gefängniss-
verwaltungen in Ernährung und hygienischer Beziehung das Möglichste geleistet wurde.
Mit der Revolution von 1848 Hess die Disciplin nach, jene Verordnung blieb unberück¬
sichtigt, und die Sterblichkeit sank von 9,96 im Jaihre 1847 auf 6,96 und 5,24%, auf
welcher Höhe sie stationär blieb, bis nach dem Staatsstreiche 1852 jene Verordnung
wieder in Kraft gesetzt wurde. Die Sterblichkeit stieg nun wieder auf 6,31 im Jahre
1853 und 7,01 im Jahre 1854. Diese Schwankungen bezogen sich stets auf Erkrankun¬
gen der Respirationsorgane. Dagegen war die Sterblichkeit in den Strafanstalten mit
landwirtschaftlicher Arbeit auf Corsica nur um 1% höher als die der freien Bevölke¬
rung und betrug die Mortalität an Phthisis 6,5% der Gesammtsterblichkeit, ungefähr die
Hälfte weniger als bei der freien Bevölkerung im gleichen Alter.- Burg betrachtet des¬
halb jene Verordnung als eine die Gesundheit der Sträflinge schädigende und sei baldige
Abhülfe anzustreben. (Corr.-Bl. d. ärztl. Ver. Sachsens, 1878, 10.)
Er hält also die durch das Schweigen bedingte mangelnde Lungengymnastik für die
Ursache der gesteigerten Frequenz der Respirationskrankheiten. Man darf aber nicht
übersehen, dass beim Zellensystem auch der Raum, in dem der Gefangene athraen muss,
ein viel kleinerer, das Luftquantum somit rascher ausgenützt ist, und dass die durch das
beständige Alleinsein bewirkte psychische Depression auch sehr gesundheitsschädlich ein¬
wirken muss; eine Vergleichung mit den landwirthschaftlichen Colonien Corsica’s ist vol¬
lends ganz nicht zulässig.
— In Paris starb der bekannte Chirurge Prof. A. Amussat.
— Weltausstellung in Paris. Zu Mitgliedern der Jury zur CI. XIV (Me-
dicin, Hygiene und Hülfswesen) sind ernannt Lister (England) ,• Evans (Verein. Staaten),
Bertani (Italien), Adolf Vogl (8chweiz), Hairion (Belgien), Biclard, Le Fort , Trelat , Vulpian
(Frankreich).
— Dr. Mathijsen, der Erfinder des Gypsverbandes, ist, 73 Jahre alt, in Hamont ge¬
storben.
Stand der Infeetions-Hrankheiten ln Basel.
Vom 26. Juli bis 10. August 1878.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Die verschiedenen Krankheiten sind alle nur durch spärliche Anzeigen vertreten.
Die Masern weisen nur 14 neue Fälle auf (60, 61, 20), davon in Grossbasel 3
(23, 7), in Kleinbasel 11 (28, 13).
Scharlach 4 Fälle, sämmtlich aus Kleinbascl.
Typhus 7 neue Erkrankungen (18, 11), je 3 in Gross- und in Kleinbasel, 1 von
auswärts.
Hals- und Rachenbräune 4 zerstreute Fälle.
Erysipelas 2 Fälle.
Keuchhusten kommt öfter vor; neu angezeigt sind nur 3 Erkrankungen.
Vereinzelte Varicellen.
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510
Bibliographisches.
82) Veragulh, Catania als klimatischer Wintercurort. Eine klimatologische Skizze. 40 8.
Stuttgart, Verlag von F. Enke.
83) Volkmann , Sammlung klinischer Vorträge; Leipzig, Breitkopf & Härtel.
Nr. 140 Küstner, Die Sterna- und Fusslagen, ihre Gefahren und ihre Behandlung.
Nr. 141 Kuessner , ß., Ueber Lebercirrhose.
84) Crevoisier, Etudes mödico-legales sur le secret mödical. Dissertation. Bern, Druck
von Wyss.
86) Baas, William Harvey , Culturhistor.-medicinische Abhandlung gr. 8°. 116 8. mit 1
lithogr. Tafel. Stuttgart, Verlag von F. Enke.
86) von Rillershan, Statistisch-pädiatrische Mittheilungen aus der prager Findelanstalt.
Prag, Verlag von H. Dominicus.
87) Zaufal, Die allgem. Verwendbarkeit der kalten Drahtschlinge zur Operation der Na¬
senpolypen. Prag, Verlag von H. Dominicus.
88) Klebs, E., Beiträge zur pathologischen Anatomie. Mittheilungen aus dem k. k. pa¬
thologisch-anatomischen Institut der Universität Prag. Heft 1. Prag, Verlag von
H. Dominicus.
89) Beck , Ueber Elephantiasis des oberen Augenlids. Dissertationsschrift Basel, bei
Schultze.
90) Ballenhoff, Etiologie et Prophylaxie de la Myopie. Rapport lu k la section d'Oph-
thalmologie du congrös internst. Genf, Georgs Verlag.
91) Hallenhoff , Note sur un cas d’aphakie et aniridie traumatiques permettant l'observa-
tion du fond de i’oeil sans Ophthalmoscop. Observation communiqude ä la section
d'ophthalraologie du cougr^s internst. Genf, Georg.
92) Bter, Dr. A., Der Alcoholismus, seine Verbreitung und seine Wirkung auf den indi¬
viduellen und socialen Organismus, sowie die Mittel, ihn zu bekämpfen. 621 S.
Berlin, Verlag von A. Hirschwald.
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Dank erhalten. — Herrn Dr. J. Moor , Rheinau : Dankend erhalten. — Tit Bureau der Wien, medic.
■Wochenschrift: Beeten Dank für Ihre freundliche Erfüllung unserer Bitte. — Herrn Dr. B. in E.: 8ie
vermissen in letzter Nummer die Themata der in den allgemeinen Sitzungen der Versammlung schweis.
Naturforscher in Bern zu haltenden Vorträge; wir haben dieselben einfach deshalb nicht gebracht, weil
das Programm dieselben uns nicht mittheilte. — Herrn Dr. G—t in Paris, Dr. E. Emmert: Mit bestem
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analysirt durch. Liebig 1870, Bansen 1876, Fresenius 1878.
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Prof. Pr. Yirchow, Berlin: „Stets mit gutem und promptem Erfolg angewandt.“
Prof. Dr. Ton Bamberger, Wien : Krankheitsformen angewendet, in welchen die
Bitterwasser ih re Indication finden.“_
Prof. Dr. Wunderlich, Leipzig: „Ein ganz vorzüglich wirkendes, ansleerendes Mittel,
_ni cht onangen eh m zu nehm en, u nd dem M a gen unschädlich.* ___
Pr/hf Br SniAtrolhArty RrAfil an» » Ha1,e , keines der andern Bitterwässer so prompt,
i IUI. M. FI. Opiüf^CJ Müä g , 111 üBlilU. go andauernd gleichmässig und mit so wenigen
- Neh enstö rnngen wirkend g efun den.“ _
Prof. Dr. Scanzoni v. Lichtenfels, Würzburg: „Ziehe ich gegenwärtig
in allen Fällen, wo die Anwendung eines Bitterwassers angezeigt, ausschliesslich in G ebrauclu“__
Prof. Dr. Friedre ich, Heidelberg: Wirkung nicht/ zu wünsch en übri g.* _ '
Prof. Dr. y. Suhl, München: „Wirkt rasch, zuverlässig, ohne Beschwerden.*
Prof. Dr. y. Nussbaum, München: wünschten Erfolg.* " _ ^
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Dr. A. Baader
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N” 17. Yin. Jahrg. 1878. 1. September.
Inhalt: 1) Original arbeiten: Dr. A. Kottmann: Die Sehnennaht an der Hand. — Dr . Rud. Meyer-Eüni: Laryngo-
icopische Erfahrungen. — J. J. Btschoff: Die sogenannte Endometritis fnngosa (Schluss). — 2) Vereinsberichte : Medici¬
nische Gesellschaft in Basel. — 8) Referate und Kritiken: Dr. Dutrieux: Considdrations gdndrales anr l'opbthalmie. —
ü. Banga: Die Kolpoperineoplastik. — Dr. C. Oötel: Die öffentliche Gesundheitspflege in den ausserdeutschen Staaten. —
4) Cantonale Correspondensen: Aargau, Zürich, Frankreich. — 5) Wochenbericht. — 6) Briefkasten.
Original-Arbeiten.
Die Sehnennaht an der Hand.
Vortrag, gehalten in der Herbstsitzung des ärztlichen Centralvereins der Schweiz
in Olten den 27. October 1877.*)
Von Dr. A. Kottmann, Spitalarzt in Solothurn.
M. H.! Die Behandlung der Verletzungen der Hand ist um einen bedeutenden
Schritt ihrer vollendeten Ausbildung näher getreten durch die erfolgreiche Ein¬
führung der Sehnennaht. Wohl schon lange herrschte bei den Verwundungen die¬
ses anatomisch so mannigfaltigen, functioneil so wichtigen Organes, das Streben,
sich so conservativ als möglich zu verhalten, dem Messer primär den engsten
Spielraum zu gewähren. Deshalb dominirte das permanente Wasserbad bis vor
Kurzem vollständig das Terrain, weil in demselben die Demarcation des zu stark
gequetschten relativ schnell und gefahrlos vor sich ging. Schon in dieser Periode
stossen wir nach den Angaben von Schede **) auf ganz vereinzelte, wenig bekannte
Versuche, getrennte, in der Wunde hängende Sehnenenden durch die Naht mit
einander zu vereinigen und dadurch die gestörte Function wieder herzustellen,
während sonst nur durch geeignete Verbände diesem Ziele zugestrebt wurde. An
den Strecksehnen der Finger scheint die Naht einige Male geglückt zu sein, wäh¬
rend das Verfahren für die tiefer liegenden, mit ausgebildeten Scheiden versehe¬
nen Beuger als gefährlich galt. Der Grund der vorwiegenden Misserfolge lag in
dem Umstande, dass durch das Wasserbad keine prima intentio, sondern eine ver¬
zögerte Heilung durch Eiterung angebahnt wurde.
In der letzten Zeit hat sich der Lisler -Verband auch bei den Verwundungen
der Hand immer mehr Anhänger erworben, indem bei dem aseptischen Verfahren
*) Du Mannscript ist uns Mitte Mai erst zogestellt werden. Red.
**) Volkmann, Samml. klin. Vortr&ge, Band I, Nr. 29, pag. 154.
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die Gangrmnescirung meist fieberlos verläuft, progressive Eiterungen in den Seh¬
nenscheiden und den Schleimbeuteln bei der richtigen Instituirung zur Seltenheit
gerechnet werden dürfen. Allerdings wurden dadurch häufig genug Amputationen
umgangen und ganze oder doch mehr oder weniger reducirte Finger erhalten, die¬
selben waren aber, wenn die Sehnen durchschnitten waren, meist unbeweglich,
verharrten in ungünstigen Contractionsstellungen und genirten den Besitzer zuwei¬
len weit mehr, als sie ihm nützten. Das Postulat Langenbeck'a *) für die conser-
virende Behandlung, welche sich „nicht allein mit Erhaltung des Gliedes als Masse
begnügen, sondern zugleich bemüht sein soll , dasselbe auch als Organ in seiner
Function zu erhalten“, war also lange nicht erfüllt
Lebhaft steht ein ca. 40 Jahre alter Mann in meinem Gedächtnisse, weichem
im Jahre 1873 eine Circularsäge die Metacarpalknochen des 5. und 4. Fingers der
rechten Hand mit allen ihren zugehörigen Weichtheilen der Volar- und Dorsalseite
durchtrennt hatte und welcher zur Amputation dieser Finger in das Spital geschickt
wurde. Ich legte dem Manne 2 Stunden nach dem Unfälle, nach sorgfältiger Blut¬
stillung, einen Liater’schen Verband an und erreichte eine prompte prima unio der
Hautwunde und in drei Wochen Consolidation der Knochen. Allerdings waren
und blieben die beiden Finger steif und unbeweglich in halber Volarflexionsstel¬
lung, indem die Sehnen nicht zusammen geheilt waren und hemmten den Arbeiter
lange in seiner Beschäftigung. Damals war ich sehr erfreut über mein schönes
Resultat der Wundbehandlung, indem ich eine complicirte Knochenverletzung so
schön in eine subcutane verwandelt hatte; heute aber muss ich den Erfolg als
einen sehr dubiösen schätzen, indem für den Gebrauch der Theile nichts gelei¬
stet war.
Und doch waren es grade diese Erfolge mit dem Lister- Verbände, welche dem
jüngsten Fortschritte in der Therapie der Handverletzungen rufen und den Wunsch
erzeugen mussten, auch die durchschnittenen Sehnen in die prima aufzunehmen.
Prof. König **) in Rostock konnte den ersten Fall publiciren, bei welchem ihm die¬
ses Problem mit der aseptischen Methode gelungen war. Obwohl diese Entdeckung
bei den Chirurgen einen gebührenden Anklang fand und sie überall cultivirt wurde,
so ist doch bis dahin sehr wenig darüber publicirt worden, so dass ich es damit
verantworten darf, dieses Thema vor einer so grossen Versammlung für heute ge¬
wählt zu haben, besonders da mir auch eigene Beobachtungen zur Mittheilung zu
Gebote stehen, und ich versucht habe, wie Sie bald sehen werden, auch compli¬
cirte Wunden in den Eireis dieser Behandlungsart zu ziehen. Bei der Kürze der
Zeit, welche meinem Vortrage zugemessen ist, muss ich mich natürlich auf die
allernothwendigsten Literaturangaben beschränken.
Bei einfachen Schnittwunden mit ganz glatten Rändern wird die Sehnennaht
am leichtesten auszuführen sein und auch die meiste Garantie für die Heilung
bieten. Bei dem ersten von König veröffentlichten Falle handelte es sich um eine
solche günstige Verletzung, bei welcher eine prima intentio schon in der Natur der
*) B. v. Langenbeck, Ueber die Endresultate der Gelenkresectionen im Kriege. Archiv f. Hin.
Chirurgie, Bd. XVI, pag. 404. , w .
*•) Der Litter 1 sehe Verband und die Sehnennaht. Centralblatt f. Chirurgie, L, Nr. w.
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515
Sache lag. Wichtig ist aber die Entscheidung der Frage, ob auch bei Wunden
der Hand, welche durch starke Quetschung und Zerreissung ein übles Aussehen
erlangt haben, Mittel und Wege gefunden werden können, dieselben in einfache,
einer prima zugängliche umzuwandeln und dadurch die Vereinigung der getrennten
Sehnen zu ermöglichen. Es ist ja nicht unwahrscheinlich, dass bei glatter Conti-
nuitätstrennung von Sehnen, wenn die Verwundung sofort in Behandlung gelangt,
durch eine richtige Verbandart, bei welcher die Sehnenenden einander sehr genä¬
hert werden, einmal eine günstige Verheilung zu Stande kommen kann, obwohl sie
grosse Ausnahme sein wird. Bei gequetschten Wunden aber, wo sich Eiterung
einstellen muss, wo das centrale Sehnenende durch die Verzögerung der Heilung
sich immer mehr retrahiren kann, werden wir diesen günstigen Ausgang nie errei¬
chen , deshalb müssen wir bei solchen Fällen uns vorerst alle Mühe geben, die
Verletzung in dem Sinne zu reinigen, dass mit Messer und Scheere alles stark
Gequetschte, alles Zerfetzte, alles der Necrose Verdächtige gründlich wegpräparirt
wird, dass sowohl an den Knochen als auch an allen Weichtheilen ganz glatte
und ebene Flächen hergestellt werden; wir müssen mit einem Worte einen so
gründlichen Verputz machen, dass wir eine prima erzwingen können.
Hier stossen wir noch auf eine andere Frage, ob nämlich bei ältern Sehnen-
durchtrennungen, welche erst nach 3—4 Tagen in unsere Behandlung kommen,
auch noch aui eine erste Vereinigung zu rechnen sei. Leider stehen mir darüber
noch keine speciellen Erfahrungen zu Gebote; nach Analogie mit andern Ver¬
letzungen aber, wo genug Beispiele einer spätem schnellen Verheilung anzuführen
sind, gewinnt die Sache an Wahrscheinlichkeit. Nur müssen wir hier die Wunde
gehörig bearbeiten, das Entfärbte entfernen, die allenfalls schon gebildeten Granu¬
lationen zerstören, was am besten mit einer ziemlich starken Bürste geschieht und
die ganze Fläche blutig machen, welchen Manipulationen dann die äusserst genaue
Vereinigung folgt.
Zeigt sich bei einer einfachen oder mehr complicirten Sehnenwunde eine leb¬
hafte Blutung aus einem offenen Gefässe, so muss dieselbe natürlich sofort gestillt
werden, indem die Arterie am besten mit Catgut unterbunden oder einfach tor-
quirt wird. Nicht selten wird eine solche arterielle Htemorrhagie nicht unbedeu¬
tende Schwierigkeiten darbieten, indem sie aus den Hohlhandbogen oder grösseren
von denselben abgehenden Aesten herstammen kann und zur Auffindung der Lu¬
mina Erweiterungsschnitte nöthig werden, oder wir uns auch mit der Umstechung
des Gefässes begnügen müssen. Zu der Unterbindung der Arteria radialis und
ulnaris am Orte der Wahl werden wir uns nie drängen lassen, ebenso wenig uns
zu einer forcirten Winkelstellung der Gelenke nach Adelmann verstehen. Eine
eventuelle Nachblutung würde den ganzen Effect der Sehnennaht in Frage stellen.
Unsere Aufmerksamkeit wendet sich nun der Sehne zu, welche je nach der
Richtung des verletzenden Instrumentes quer oder mehr schief durchtrennt ist,
was natürlich für uns ganz gleichgültig ist, und deren beide Enden in dem geöff¬
neten Canale der Scheide mehr oder weniger weit von einander entfernt stehen.
Stets präsentirt sich uns das untere periphere Epde, während der centrale Theil
meist durch die Contractionen des zugehörigen Muskels zurückgeschlüpft ist. Be-
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sonders bei sehr gequetschten und gerissenen Wunden ist es nicht immer leicht,
dem obern Theile beizukommen und zuweilen erfordert die Auffindung desselben
viel Geduld und Aufmerksamkeit. Zunächst bringen wir Ursprung und Insertion
der Sehne durch energische Dorsal- oder Volarflexion der Hand so nahe zusam¬
men als möglich und sehen dabei häufig das centrale Stück in der Wunde erschei¬
nen, wo wir es dann schleunig fassen und sicher fixiren, um es nicht von Neuem
bei allfälligen Zuckungen zu verlieren. Kommen wir aber so nicht zu einem Ziele,
so ergreifen wir Messer oder gerade Scheere und Pincettc und gehen anatomisch
präparirend dem Sehnencanale entlang nach oben, bis wir den gesuchten Theil
erhaschen. Nicht immer treffen wir übrigens den Eingang des Sehnencanales so
ganz ohne Weiteres, wie wir es a priori anzunehmen geneigt wären, indem der¬
selbe durch Quetschung verlegt, sein Lumen kein offenes mehr ist. Natürlich
können wir uns über die Richtung der Sehne durch Bewegungen des afficirten
Fingers auch keine Gewissheit verschaffen, obwohl zu diesem Mittel in der Hitze
des Gefechtes gewiss auch häufig gegriffen werden mag. Sehr nützlich ist es,
wenn wir uns das anatomische Bild des Verlaufes der Sehnen auf dem Handrücken
und in der Vola stets gegenwärtig halten und darnach unsere Präparation einrich¬
ten, welcher auch vorsichtige Bohrungen mit einer feinen geknöpften Sonde vor¬
hergehen können. Auf dem Dorsum und in der Vola manus streichen die Sehnen
ungefähr von der Mitte des Handgelenkes radiär vorwärts zu den Fingern, wobei
diejenigen des dritten und vierten Fingers so ziemlich den Verlauf ihrer Metacar¬
palknochen behalten, während die Sehne des fünften Fingers ihren Metacarpal¬
knochen kaum je berührt, sondern sich grösstentheils neben demselben entlang
zieht, diejenige des Zeigefingers, welche die schiefste Richtung von Allen einschlagt,
nur ganz vorn über ihren Knochen hinstreicht. Der Verlauf der Sehnen des Dau¬
mens ist leichter zu erkennen, indem sie ihrem Mittelhandknochen ganz stricte
folgen. Um die Grösse des Schnittes, welcher nöthig ist zur Erlangung des Seh¬
nenendes, haben wir uns nicht besonders zu bekümmern, indem die Hauptsache
doch immerhin das Auffinden desselben ist, obwohl wir uns nicht verhehlen dürfen,
dass die Präparation bei zu bedeutender Retraction ihre Grenze finden und auf die
Fixirung des centralen Theiles der Sehne verzichten muss, wenn auch solche Fälle
gewiss selten eintreten werden.
Häufig aber stossen wir nicht auf das einfachste Verhältniss, dass blos eine
Sehne durchschnitten ist, sondern ebenso oft wird es uns begegnen, mehrere durch¬
trennte aufzufindem Hier interessirt uns eigentlich nur das nicht so seltene Er¬
eigniss, dass zwei in anatomischem und physiologischem Connexe stehende Sehnen
zusammen lädirt sind, was bei den Flexoren und einigen Extensoren sich ereignen
kann. Hier müssen wir ganz gut zusehen und besonders auf die centralen Enden
sehr Achtung geben, damit es uns nicht passirt, Theile, welche nicht zusammen
gehören, mit einander zu verknüpfen. Bei den Flexoren der Finger, dem flexor
digitorum communis sublimis et profundus liegen die Dinge am besten, indem die
zu einander gehörigen Sehnen sich einfach decken, bis sie in der Gegend des An
fanges der Mittelphalange des Fingers aus einander weichen und den Schlitz zum
Durchtritt des profundus bilden. An dem Daumen haben wir blos den Flexor po
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liefe longus zu berücksichtigen, welcher in einer Rinne des flexor brevis nach vor-
nen streicht. Auf dem Handrücken treffen wir theils einfachere, zum Theil auch
complicirtere Verhältnisse, indem hier allerdings nur ein Extensor digitorum com¬
munis existirt, dafür aber für den Zeigefinger und den kleinen Finger selbststän¬
dige zweite Muskeln beigegeben sind, auch für den Daumen in der Gegend des
Metacarpus drei Sehnen sich vorfinden. Während der Extensor indicis proprius
unterhalb und ulnarwärts von der Sehne des Extensor communis, mit derselben
aber ganz enge verbunden, verläuft, besitzt der Extensor digiti quinti proprius
schon grössere Selbstständigkeit, hält sein eigenes Fach unter dem ligamentum
carpi commune dorsale inne und liegt stets neben und in gleicher Höhe mit der
Sehne des Extensor communis. Auf den Fingern selbst sind sie dann mit einander
verbunden und bilden dort die Theilung in die verschiedenen Schenkel, welche
sich an den einzelnen Phalangen anheften. An den Fingern selbst gewinnt die
Sehnennaht an Schwierigkeit, indem mit Ausnahme der Volarseite der Grundpha-
lange, ehe der Durchtritt der Sehnen des Flexor dig. sublimis erfolgt, an allen
andern Stellen der Phalangen, sowohl an der Volar- als an der Dorsalseite, die
Sehnen nicht mehr den gewöhnlichen rundlichen, selbstständigen Charakter behal¬
ten, sondern sich mehr in die Flache ausdehnen, sich auch mehr flächenweise in-
seriren, und überall in Contact treten mit den Sehnen der kleinen benachbarten
Muskeln und mit Bändern. Immer muss man aber bei Sehnendurchschneidungen
an diesen Stellen versuchen, die einander angehörigen Theile zunächst zu feoliren
und dann mit einander zu verbinden, was mir am Cadaver nicht so schwierig er¬
schien, über dessen Gelingen aber am Lebenden ich mich nicht aussprechen kann,
indem mir einschlägige Erfahrungen fehlen.
Geöffnete kleinere Gelenke, lädirte Schleimbeutel, durchschnittene Nerven ha¬
ben wir gar nicht zu berücksichtigen, indem die ersteren bei dem richtig ausge¬
führten Liiler 'sehen Verfahren ohne Eiterung verheilen sollen, besonders wenn wir
uns die langwierige und mühsame, für den Patienten auch recht schmerzhafte Rei¬
nigung einer schwieligen, dick aufgetragenen Arbeiterhand nicht haben verdriessen
lassen. Die Nerven sind auf der Hand überall zu klein, um zu einer Nervennaht
Veranlassung zu geben, sie regeneriren sich auch bekanntlich ohne Weiteres.
(Schluss folgt)
Laryngoscopische Erfahrungen.
Von Dr. Rud. Meyer-HUni, Privatdocent in Zürich.
1. Verweilen einer Doppeinadel (Sicherheitsstecknadel)
im Larynx und Oesophagus während 140 Tagen. Entfernung
vom Munde aus.
M. R.. die fünfzehnjährige Tochter des Herrn Dr. R. sei. im
Canton L., befand sich seit October 1877 behufs ihrer Ausbildung im Kloster des
Sacr6 coeur in B. in Frankreich. Am 7. Januar 1878 Abends 8 Uhr machten 17
Pensionärinnen ein Spiel, „Platzwechseln“, wobei eine bestimmte Mitspielende die
Aufgabe hatte, von den blos für 16 Personen bestehenden Sitzen in dem Augen¬
blick einen zu gewinnen, da alle 16 Sitzenden ihre Plätze auf ein gegebenes Zei-
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chen wechseln sollten. Dabei 6etzte sich in der Eile eine der Schülerinnen auf
die Kniee unserer Patientin, welche auf einer niedrigen Bank sass, wobei beide
das Gleichgewicht verloren und nach hinten fielen. Die Letztere hielt in dem
Augenblicke eine Doppelstecknadel (Epingle double ä ressort) in der Hand oder
vielleicht zwischen den Lippen, welche beim Fallen in den „Hals“ gerieth.
Sofort erfolgten Husten, Blutauswurf und stechende Schmerzen in der Kehl¬
kopfgegend, welche gerade durch Schlingen nicht vermehrt wurden, Beengung
oder eine Stimmveränderung trat nicht ein.
Der sofort herbeigerufene Arzt sah, dass die Nadel im Schlund steckte, mit
den Spitzen nach oben, seine Bemühungen, mit Sonden, Münzenfänger u. dgl. sie
herauszubefördern, auch Erbrechen durch reichlich verabreichtes lauwarmes Wasser
blieben ohne Erfolg.
In der folgenden nächsten Zeit traten nun heftige Halsschmerzen ein, welche
durch Schlingbewegungen gesteigert wurden. Patientin fühlte sich inwendig ge¬
schwollen, konnte nur noch Flüssiges herunter bringen, die Stimme verlor sich,
es stellte sich Husten ein, namentlich beim Trinken, Beengung besonders im Liegen,
der Appetit verlor sich, doch fanden die Aerzte eine relativ geringe Fieberbewegung.
Nach ca. 8 Tagen verminderte sich die Stenose in den Speise- und Luftwegen
wieder, doch blieb noch ein so lautes stenotisches Larynxgeräusch, dass man
Nachts das Athmen der Patientin vom Zimmer weg weit im Corridor hören konnte.
Der Appetit stellte sich jedoch wieder ein und das Bettliegen war nicht mehr
nothwendig. Das Allgemeinbefinden war in der Folge ordentlich, die Verdauung
etwas langsam, der Schlaf oft unruhig, doch die Patientin sah gut aus. Die Stimme
blieb tonlos, bei grosser Stimmanstrengung kam es zur Noth zu den allerheisersten
Tönen, einzig das Wort „Kuku a tönte laut. Der Husten verlor sich allmälig und
die Beengung nahm soweit ab, dass kürzeres Springen und rascheres Treppenstei¬
gen möglich wurde, doch war bald Ausruhen nothwendig. Oft war Räuspern vor¬
handen, aber die Schlingthätigkeit wurde wieder gänzlich normal, selbst trockenes
Brod reizte nicht mehr.
Die Aerzte zogen einen im Laryngoscopiren besonders erfahrenen Collegen
zu, sahen aber nichts mehr von der Nadel und verwandten ihre Sorgfalt auf die
Behandlung der Laryngitis. Sie hielten den Fremdkörper als mit den Fseces ab¬
gegangen.
Am 22. Mai 1878 kehrte die Patientin aus dem Institute zurück und bot mir
<im 24. Mai folgenden Befund:
Graciles, etwas blasses, aber seinem Alter entsprechend entwickeltes Mädchen.
Allgemeinbefinden, Verdauung gut, Puls 100, keine Temperaturerhöhung. Die Un¬
tersuchung der Brustorgane bietet nichts Besonderes. Die Stimme der Patientin
ist durchaus aphonisch , reine Flüsterstimme, bei grosser Anstrengung tönt das
Wort „Kuku“. Die Athmung von normaler Frequenz, mit lautem stenotischem,
in- und exspiratorischem Geräusch. Hie und da etwas Husten, welcher jedoch
erst vor einer Woche eingetreten sein soll, nachdem sich die Patientin eines Mor¬
gens ohne Halstuch im feuchten Garten berumgetummelt hatte. Kein Auswurf.
Nicht gerade häufiges Räuspern. Schlucken und Schlingen total ungestört und
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schmerzlos. Keinerlei Schmerzen in der Kehlkopfgegend. Von aussen ist nichts
Abnormes am Kehlkopf zu sehen oder zu fühlen, dagegen ist massiger Druck auf
das Pomum Adami im Stande, Schmerzen in der Tiefe des Larynx zu erregen.
Die Laryngoscopie sowohl mit Sonnenlicht als mit concentrirten Gaslichtstrah¬
len ergibt:
Pharynx und Gaumen mässig geröthet, nicht geschwollen.
Epiglottis ziemlich hyperämisch, untere Schleimhautfläche gegen
die Basis hinab mässig geschwollen. Beide Giesskannenwülste
sehr stark geschwollen und entzündet, ebenso die reg. inter-
arytmnoidea. Die Stimmbänder sind unsichtbar, an ihrer Stelle
stark geschwollene, von vom nach hinten gehende Schleimhaut¬
falten, welche vorne durch eine sehr geschwollene Schleimhaut¬
brücke Zusammenhängen, hinten unter den Arywülsten verschwin¬
den. In der Mitte der reg. interarytaenoidea ist mit
aller Deutlichkeit ein gelber, stellenweise schwarz lackirter Draht
erkennbar, der in der Höhe der Arykuppe horizontal nach vorn
zieht, fast einen Centimeter lang ist und beinahe in der Mitte
des Larynx mit einem Ohr endigt. Ausserdem ist etwas schwie¬
riger ein graues Metallstück zu sehen, das über der geschwollenen vorderen
Commissur liegt, oben in der Epiglottiswurzel und unten in der Schleimhaut endet.
Offenbar war das hintere Drahtstück der kurze Arm der gesuchten Schliess-
nadel, der rechtwinklig angebogene lange Arm schien in der hintern Commissur
im Kehlkopf eingebettet zu sein und musste von oben nach unten bis zum Ring¬
knorpel verlaufen, das graue Metallstück in der vordem Commissur der Stimm¬
bänder entsprach einem Theil des spitzen, langen Armes. An einer von der Pa¬
tientin und ihrer Mutter als etwas kürzer erkannten, aber sonst ganz gleichen
zweiten Schliessnadel war es leicht, sich zu orientiren.
Mit Sonnenlicht gelang es mir sofort, die Nadel der Mutter der Patientin im
Kehlkopfspiegel zu zeigen und am folgenden Tage wiederholte ich die Demon¬
stration vor Herrn Dr. Walter , gegenwärtig Curarzt in Zuz, und zweien meiner
Cnrszuhörer.
Am dritten Tage versuchte ich mit einer Sonde und einer langen gebogenen
Zange die Drahtöse zu fassen. Sie zeigte sich unerwartet leicht beweglich, nach
oben ziehbar und trat nun auf einmal hinter dem rechten Giessbeckenknorpel zu
Tage, der kurze Arm ragte in den rechten Sinus pyriformis und dort hinab ver¬
lief auch der rechtwinklig angebogene lange Arm der Nadel. Der spitze Arm in
der vordem Commissur änderte seine Lage wenig.
Mit der Zange zog ich an der Oese nach oben. Der hintere Arm der Nadel
pendelt frei im Oesophaguseingang. Patientin beginnt heftig zu würgen, spürt die
Nadel »im Hals“ und bekommt stechende Schmerzen im Kehlkopf. Nach einigen
Minuten Pause fasste ich, alles unter Spiegelführung, die pendelnde lange Branche
der Nadel, drückte sie möglichst tief in den Oesophagus hinab, danq das untere
Ende der Zange nach hinten und mit dieser Hebelbewegung war im Augenblick
die Nadelspitze aus dem Kehlkopfe herausgehoben und durch den Schlund so
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herausbefördert, dass, die Spitze nach unten gewendet, der Fremdkörper in der
Zange zurückkam.
Die Patientin erkannte die Nadel sofort als die verlorene. Es ist eine mes¬
singene Schliessstecknadel (6pingle double & ressort) von 0,7 Gewicht, die spitze
Branche misst 31 mm-, die stumpfe 31 mm., der kurze, rechtwinklig umgebogene
Arm mit der Oese 7 mm. Sie ist stellenweise noch schwarz lackirt, am spitzen
Arm grau schmierig belegt und die Branchen stehen in der weitesten Distanz
16 mm. auseinander. — Sie war offenbar in eine Schlundgrube (Sinus pyriformis)
hinter dem Kehlkopf gefallen, und dann durch Schlucken, herabgleitendes Wasser,
vertical gestellt worden , aber unglücklicherweise so, dass die Nadelspitze nach
oben sah und unmittelbar der hintern Fläche des Kehlkopfes anlag. Durch Würg¬
bewegungen oder vielleicht noch eher durch die Entfernungsversuche wurde diese
Spitze dann in der Gegend des Ringknorpels in den Larynx hineiDgetrieben, bis
sie nach oben durch die vordere Commissur der Stimmbänder durchtretend in der
Wurzel der Epiglottis im tubercul. epiglottidis stecken blieb. Im ersten Moment
schien auch die stumpfe Branche inwendig im Larynx seiner hintern Mittellinie
nach gelagert, da das Ohr weit nach innen in das Lumen hinein reichte und der
lange Arm ganz in der Schleimhaut eingebettet lag. Erst die Entfernungsver¬
suche zeigten diesen Irrthum und belehrten mich, dass selbst eine eventuell ge¬
plante Thyreotomie fruchtlos gewesen wäre. Höchstens eine Pharyngotomie hatte
hier die so einfache Encheirese vom Mund aus unter Spiegelführung ersetzen
können.
Nach der Nadelentfernung trat sofort grosse subjective Erleichterung der Pa¬
tientin ein, keine Blutung, kein Fieber, blos etwas Wundschmerz und Empfindlich¬
keit beim Schlingen.
Am folgenden Tage ist das stenotische Athcmgeräusch verschwunden, einige
Vocale tönen wieder laut Laryngoscopisch ist in der plica glossoepiglott. media
ein Eiterpunct sichtbar, worunter die Nadelspitze gewesen war, ein eitrig grauer
Streiten zieht vom tubercul. epigl. in der vordem Commissur nach unten. Lappige
Wucherungen über den Stimmbändern und hinten zwischen denselben verbergen
noch die Stimmbänder.
Im Verlaufe von 2—3 Wochen sind auch diese Reizungsproducte des Fremd¬
körpers zurückgegangen bis auf eine mässige Anschwellung der Arytanoidwülste,
und eine kaum erbsengrosse röthliche Wucherung am linken Stimmbande nahe der
vordem Commissur. Sie ist wesentlich schuld, dass die kräftige Stimme im piano
noch schwer anspricht und im Ganzen etwas rauh tönt.
Es ist aber kein Zweifel, dass auch diese letzten Reste der Fremdkörperwir¬
kung der Zeit und vielleicht einer localen Behandlung noch weichen werden.
Vergleiche ich diesen Fall mit circa 14 andern, mir zunächst in der laryngo-
scopischen Litteratur zugänglichen, von Türk, Tobold, SchröUer , Oerfel, Naoratil , Burow
veröffentlichten Fällen von Fremdkörpern im Kehlkopf und Speiseröhreneingang,
so bietet er* nach mehreren Richtungen ein gewisses Interesse.
Vorerst scheint cs äusserst selten, dass gerade Doppel Stecknadeln in den „Hals
gcrathen und stecken bleiben. Ich zähle unter obigen 14 Fällen 5 Mal Gräten. 4
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Mal Knochenstücke, 2 Mal Stücke von falschen Gebissen und je einen Fall von
einer stecken gebliebenen Münze, Reisstroh, einer gewöhnlichen Stecknadel, wozu
ich aus meiner Praxis noch einen Fall von einer feinen Nähnadel und einer Zahn¬
bürstenborste fügen kann, sowie zweier Fischgräten.
Dann ist die eigentümliche, sehr seltene Lagerung des Fremdkörpers beach¬
tenswert, der sich mit der einen Hälfte in dem Luftwege, mit der andern in dem
Speisewege befindet. Trotzdem sind die consecutiven Beschwerden auffallend ge¬
ring, was sich blos durch die schlanke Figur des Fremdkörpers, seine metallische
Beschaffenheit und möglichst zweckmässige Stellung in den beiden Wegen erklärt.
Von der Speiseröhre aus erhoben sich Schlingstörungen blos in den ersten acht
Tagen nach dem Eintritt des Fremdkörpers als Folge vielleicht mehr der verun¬
glückten ExtractioDsversuche als der Fremdkörperreizung. Nachher war das
Schlucken aller und jeder Nahrung ganz ungestört, weil der stumpfe Arm der
Nadel wegen seiner Längsstellung der Contraction des untersten Schleimhautmus¬
kels keinen Widerstand entgegensetzte, die Hebungen des Kehlkopfes ohne jedes
Anstossen mitmachte und weil der Oesentheil quer nach vorne in den Larynx
ragte, wo er am wenigsten genirte. Objectiv war auch blos entzündliche Schwel¬
lung der hintern Auskleidung der Giessbeckengegend zu sehen. In den andern
Fällen, die ich beobachtete, von Gräten in einem Sinus pyriformis und einer quer
über dieselben eingestossenen Nähnadel, sowie in den oben erwähnten Fällen in
der Litteratur spielt das Gefühl eines Fremdkörpers, der Schlingschmerz eine con-
stante Rolle bei Steckenbleiben in der obersten Speiseröhrengegend. Unsere Pa¬
tientin hatte nicht einmal das Gefühl eines fremden Körpers, so dass sie glaubte,
die Nadel sei schon längst abgegangen, verdaut u. dgl.
Grösser war die Einwirkung des spitzen Nadelarmes auf den Kehlkopf, dessen
hintere Wand und die vordere Commissur der Stimmbänder, sowie die Kehldeckel¬
wurzel durchbohrt waren. Immerhin blieben Ulcerationen aus, wohl wesentlich
wegen der metallischen Beschaffenheit des Fremdkörpers und seiner verticalen
Lage, und von den Symptomen, welche sonst als constant für Larynxfremdkörper
angegeben werden, fehlte ziemlich vollständig der Husten. Heiserkeit und Dyspnoe
entsprachen der Schleimhautschwellung. Hätte der hintere Nadelarm an der vor¬
dem Auskleidung der Interarytsenoidregion gelegen, so wäre wohl auch Husten
und Räuspern nicht ausgeblieben.
Der grossen Toleranz der afficirten Organe gegen die metallene Nadel ver¬
danken wir endlich die interessante Beobachtung, dass ein solcher Körper unter
gewissen Verhältnissen selbst in einer so empfindlichen und so mobilen Region
140 Tage verweilen konnte!
In den andern 17 theils der Litteratur, theils eigener Praxis entnommenen
Fällen musste der Knochen, der in einem Morgagni' sehen Ventrikel lag , in einem
andern Fall quer vom einen zum andern Ventrikel ging, in einem dritten Fall
unter den Stimmbändern sich befand, oder die mit 2 Zähnen besetzte Vulcanit-
platte (Schröder), welche unter den Stimmbändern sich eingekeilt hatte, in kürze¬
ster Frist entfernt werden. Alles hängt hier ab von der Grösse des Fremdkörpers
und des Kehlkopfes, und von der Form und chemischen Beschaffenheit des erstem.
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Im Ganzen erscheint der Oesophaguseingang weniger tolerant als der Larynx. Sehr
■wahrscheinlich hätte die steigende Dyspnoe in unserm Falle erst nach mehreren
Monaten zur Operation gezwungen.
Die sogenannte Endometritis fungosa.
Aus einem Vortrage , gehalten in der Sitzung der medicinischen Gesellschaft von
Basel am 1. November 1877,
von J. J. Bischoff.
(Schluss.)
In einer andern Reihe von Fällen haben wir es mit Frauen zu thun, die be¬
wusst oder unbewusst abortirt haben und seither an heftigen Blutungen leiden.
Ich sage „unbewusst“ in den Fällen, in denen bei verheiratheten Frauen nach ein-
oder mehrmaligem Ausbleiben der Regeln stürmische Blutungen mit Abgang von
Coageln und Gewebsfetzen auftreten. Die Untersuchung ergibt meist hohe Anä¬
mie, der Uterus ist besonders in der Dicke vergrössert, das Collum oedematös,
Os externum klaffend, Canal ampullenformig, inneres Os eng, ähnlich also wie bei
der ersten Categorie. Die Sonde stösst oft nur auf kleine Höcker von weicher
Consistenz, oft aber auch auf grössere, meist härtere. Nach Pressschwammerwei¬
terung findet der Finger im Fundus einen oder mehrere polypöse Körper, daneben
eine Menge Rauhigkeiten auf verdickter Mucosa. Die grossem Stücke folgen
meist dem Drucke des Fingernagels, sie sind kleine Stückchen foBtaler Placenta
durch Blutcoagula vergrössert, eigentliche Placentarpolypen; ihr Mutterboden ist
die Monate und Jahre lang verdickt bleibende Scrotina, in deren Umgebung dann
Aber, wahrscheinlich durch den Reiz der Fremdkörper bedingt, eine Menge kleiner
weicher Knötchen sich entwickeln, die eben auch wieder das Bild der Endometri¬
tis fungosa geben.
Die genauere Untersuchung weist in den polypenförmigen Körpern Chorion¬
gewebe nach, das nur einen lockern Zusammenhang mit der Unterlage hatte; in
den kleinen Knötchen finden wir deciduale Elemente, einzelne verzerrte Drüsen¬
lumina, dazwischen Rundzellen, einzelne Riesenzellen und Gefässe. Die Massen
sind etwas derber als in der ersten Form, ihr Boden bleibt etwas prominent —
Diese zweite Form besteht somit aus Wucherungen decidualen Ur¬
sprungs. Es ist die Endometritis decidualis simplex, eine allgemeine Wuche¬
rung der dcciduae auch der Scrotina resp. deren Zellen, dadurch kommt es nur zu
lockerer Verbindung des Chorions mit der Unterlage, zu nur ungenügendem Con-
tACt der Gefässbahnen; oder es handelt sich von vornherein um die tuberöse Form
der Endometritis decidualis.
Solche Fälle beobachtete ich 4 genauer. Keine ist über 40, eine 18 Jahre,
■y • 28, 1 : 30, die älteste 38 Jahre alt. Bei einer derselben habe ich 2 Mal die
gleiche Beobachtung machen können, indem sie durch das erste Raclement bedeu¬
tend gebessert, wieder concipirte, wieder abortirte und wieder blutete. Bei Allen
schloss® 11 sich die Blutungen dem Aborte an, gegen die bei 2 Frauen (bei der
einen 2 Mal) nach 2 Monaten, bei 1 nach 5 Monaten, bei der letzten nach 4 Jah-
x&n erst eingeschritten wurde. Eine dieser Frauen ist stets enorm chlorotisch ge-
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wesen- Alle 4 wurden durch einmaliges Raclement mit oder ohne darauf folgende
Aetzungen von den Blutungen befreit, die eine abortirte wie gesagt wieder und
ist seit dem 2. Raclement gesund, eine andere trug nach dem Raclement aus, ob¬
wohl sie während der Schwangerschaft anstrengende Reisen unternahm.
Hier scheint ein sehr dankbares Feld für das Raclement zu liegen.
Eine dritte Reibe von Frauen zeigen allmälig zunehmende Menstrualblutun¬
gen mit oder ohne intermenstrualen Fluor, oft mit Schmerzen bei den Menses.
Nach längerem Bestände der Krankheit halten die Blutungen Wochen und Monate
lang an und führen auch zu hoher Anämie. Die 4 beobachteten Patientinnen hat¬
ten alle 1—8 Mal geboren, waren 32—42 Jahre alt, der Beginn der Erkrankung
wurde 1 Mal 3 Jahre, 2 Mal 4 Jahre und 1 Mal 8 Jahre nach der letzten Nieder¬
kunft beobachtet Eine der Frauen litt an Gallensteinen und stand im Verdachte
der Phthise; bei ihr war nur ein Proberaclement gemacht und mit der Curette die
Diagnose gestellt worden; ein eigentliches Raclement fand nicht statt, wohl aber
wurde cauterisirt; eine andere erlag einem Magenleiden, an dem sie schon lange
gelitten; eine dritte wurde durch das Raclement völlig geheilt; 39 Jahre alt blie¬
ben die Menses nach dem Raclement 5 Monate lang aus, um dann in normaler
Weise aufzutreten; später erlag sie einem Ovarialtumor, dessen Exstirpation sie
nicht gestattete, die einkämmrige Cyste hätte leicht entfernt werden können; der
Uterus wurde aufbewahrt, in seinem Fundus finden sich einige kleine Knötchen,
einen minimalen Nachwuchs des seiner Zeit gelöffelten Gewebes ('/* Esslöffel voll)
darstellend, dessen microscopische Beschaffenheit identisch ist mit der des ge-
rakelten- Die vierte blieb ein volles Jahr nach dem Raclement gesund, recidivirte
und ist seit der zweiten Operation gesund.
In diesen Fällen war kein Zusammenhang mit dem Puerperium nachzuweisen;
der Uterus war in allen Fällen wenig vergrössert, in 2 Fällen bestand cervicale
Follicularhypertrophie mit Ampullenform des Canals; 2 Mal batte man es mit
einer normalen Gestalt des Collums von Multiparen zu thun.
Die microscopische Untersuchung ergibt hier die schönsten Bilder; die mit der
Camera lucida angefertigten Zeichnungen stimmen völlig mit denen von Olshausen
und Schröder überein. Wir finden enorme Wucherung des Drüsengewebes stellen¬
weise mit grosser Ausdehnung der Drüsenräume, überall, so weit es nicht ausge¬
fallen war oder ausgepinselt wurde, schön erhaltenes Cylinderepitbel, im Innern
verfettete, zerfallende Cylinderepithelien. Bei den erweiterten Drüsenräumen ist
es begreiflich, dass das Epithel bei feinen Schnitten leicht ausfällt; die einzelnen
epithelialen Elemente hängen zwar unter sich fest zusammen, so dass man selten
eine einzelne normale Zelle zu Gesicht bekommt, dagegen lösen sie sich in ganzen
Zellenreihen an ihrer Unterlage, einem feinstreifigen Zellgewebe, leicht ab. Zwi¬
schen den einzelnen Drüsenräumen, deren Form wohl durch die Herstellung der
Präparate artificiell geändert, deren Grösse aber kaum dadurch beeinflusst werden
kann, sind oft nur ganz schmale Brücken übrig, in denen wir Capillaren mit noch
natürlicher Injection in Längs- und Querdurchschnitten sehen, umgeben von Spin¬
del- oder Rundzellen und nur in nächster Umgebung des Epithels feinstreifiges
Gewebe. Der Reichthum von Gefassen in diesen dünnen Balken erklärt die copiö-
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sen Blutungen leicht, wenn wir bedenken, dass oft Hunderte von hanfkorn- bis
"bobnengrossen Knötchen bestehen, deren Oberfläche allerdings an vielen Stellen
noch ihr Epithel trägt, die aber bei der menstrualen Congestion eine erheblich
-vergrösserte, leicht blutende Fläche liefern.
Die Knötchen sind sehr weich, sitzen meist im Fundus, oft nur in einem
Hörne, ragen aber auch bis zum os internum herab. Eine cystöse Entartung der
Drüsen kann hier unmöglich geläugnet werden, die kleinen Cysten werden bis
stecknadelkopfgross, dem blossen Auge leicht sichtbar. Das Wesentliche ist hier
eine Hyperplasie der drüsigen Elemente, mit oder ohne ausgesprochener Cysten¬
bildung; das interglandulare Gewebe tritt zurück, wird comprimirt, die Spindel-
gellen dicht um die Drüsen ordnen sich, dem Drucke derselben folgend, in paral¬
lelen Zügen an und bilden Streifen um dieselben. Ist der Inhalt der drüsigen
[Räume geringer, liegen die Wandungen einander eng an, so entstehen Bilder, wie
sie Zenker leicht verzeihlich als Carcinom deuten konnte. Es ist das eigentliche
diffuse (oder multiple) Adenom der Mucosa (gegenüber den seltenen For¬
men von grossen umschriebenen Adenomen, wie sie Schröder sah); das Raclement
ist die einzig richtige Behandlung dabei, es schneidet wenigstens auf Monate hin¬
aus die bedrohlichen Symptome ab; hindert es Recidive vielleicht auch nicht
immer, so stellt es ein souveränes symptomatisches Mittel dar, das in Verbindung
mit darauf folgenden Aetzungen wohl auch zur Radicalheilung führen kann.
An diese Classe schliesst sich nun eng eine andere Form an, von der ich 3
Kalle beobachtet habe. Eine in den 40er Jahren stehend, die beiden Andern junge
[Mädchen (unter allen an Endometritis fungosa Leidenden die Jüngsten). Bei der
Einen traten die ersten Menses mit 12'/, Jahren auf, dauerten 14 Tage lang, kamen
dann anfangs mit 3wöchentlichen, später längern Intervallen stets profus, 1 Mal
4 Monate anhaltend, jetzt schon 6 Wochen dauernd, so dass das 15jährige, stark
gebaute Mädchen im Zustande höchster Anämie sich befindet. Vergeblich hatte
s ie eine ganze Reihe von Aerzten consultirt; sie war wiederholt untersucht worden,
ohne dass man ihr aber die Uterushöhle aufschloss, obwohl die Verhältnisse des
Cervix keine Aufklärung der Ursache der Blutungen gaben: das Collum ist etwas
v-erdickt, der Muttermund klafft; der Uterus ist beweglich, anteflectirt, die Sonde
drang leicht 9 cm. tief ein und fand den ganzen Fundus ausgepolstert mit weichen
Massen „moosweich“, von denen ohne vorherige Dilatation 1 Kaffeelöffel voll mit
der Curette entfernt wurde; die gelöffelten Fungositäten waren bis bohnengross.
Da nach Verfluss von einigen Tagen sich wieder Blutspuren zeigten, wurde am
16- Tage wieder gelöffelt, jedoch ohne Ergebniss, darauf Ergotin gegeben und
■vviederbolt lapis mitigatus eingelegt. Patientin erholte sich zusehends, reiste ab,
soll aber seither wieder einen Rückfall der Blutungen haben.
Der andere Fall betraf ein starkes 14jährigcs Mädchen, dessen Mutter eben¬
falls an Blutungen gelitten hat; vom 13. Jahre an regelmässig menstruirt, kam
ftfl geblich nach einer Anstrengung beim Turnen profuse Menstruation, die trotz Ruhe,
j£is, Ergotin, ferrum sesq. etc. 36 Tage anhielt, sich nun mehrmals mit 25 Tagen
c tjenfalls stark, doch nicht beunruhigend wiederholte, bis wieder eine sehr copiose
j 3 lutung von 9—10 Tagen Dauer mit schoppenweisem Abgänge von Blut eintrat.
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Die Chloroformuntersucbung ergab verdickte Vaginalportion, offenes Os extemum,
haselnussgrossen, derben Tumor in der hintern Wand des Collum, etwas vergrös-
serten Uterus in Relroflexion, über dem Os internum einige Granula, die damals
entfernt, aber nicht weiter untersucht wurden. Man excidirte zunächst den cervi-
calen, bindegewebigen Tumor, den man für den Uebelthäter hielt; später sollte
die Höhle des Corpus genauer untersucht werden; da aber nach Einlegung von
Laminariastiften die Temperatur einmal auf 38" stieg, wurde von einer digitalen
Exploration der Höhle abgesehen , zur Vorsorge aber während einiger Wochen
lapis mitigatus und später Ferr. susq. in Substanz ins Cavum uteri eingelegt.
Trotzdem kam beim Aufstehen und beim Uriniren noch längere Zeit Blut; von
Besserung war nicht zu redeu.
Fast ein Jahr nach der ersten Untersuchung wurde ein Proberaclement ge¬
macht, das einige kleinerbsengrosse Wucherungen ergab, die Blutung nahm darauf
zu und 6 Tage darauf wurde alsdann in leichter Narcose 1 Esslöffel voll grosser
schwammiger Massen ohne Blutverlust gelöffelt; darauf 7 Wochen lang kein Tro¬
pfen Blut mehr, Erholung; dann neue Blutung von 25 Tagen, ein zweites Raclement
3 Monate nach dem ersten lieferte in 5 Minuten wieder 1 Esslöffel voll der glei¬
chen Massen; in den nächsten 2 Monaten kamen die Menses 1 Mal normal, dann
aber wieder andauernde Blutungen, die in meiner Abwesenheit vergeblich mit Er-
gotininjectionen, Eis, Ferr. sesquichl. etc. behandelt wurden. Patientin war in hohem
Grade anämisch geworden. Zum dritten Male entfernte ich mit der Curette '/*
Esslöffel voll und legte nun während 4 Monaten etwa alle 8 Tage einen Stift von
lapis mitigatus ein. Mit 10 Monaten, nachdem Patientin längst ihre alte Kraft und
früheres gutes Aussehen wieder erlangt hatte, kam die Menstruation zum ersten
Male wieder, nicht profus; der Uterus ist immer noch vergrössert.
In allen diesen 3 Fällen ergab die microscopische Untersuchung keine Zunahme
der Drüsenelemente, keine Dilatation derselben, dagegen massenhafte interglandu¬
läre Anhäufung von zum Theil ziemlich langen Spindelzellen, mit einem grossen
runden, den Zellleib ausfüllenden Kern, einzelne Zellen hätten an glatte Muskel¬
zellen erinnert, jedoch zeigte der Kern keine Stäbchenform. Danach muss diese
vierte Form als diffuses Sp i n d e lz el lens ar com der Uterus¬
schleimhaut bezeichnet werden.
Andere Erkrankungen wie Metritis, Tumoren des Corpus, Aborten lagen
nicht vor. Adenome sind es nicht, da der Drüsenreichthum nicht über der Norm
steht. Das Auftreten der Sarcome im Kindesalter ist ja übrigens bekannt
Danach würde die Endome triti8 fungosaaus 4 anatomisch ver¬
schiedenen Formen bestehen, welche allerdings sowohl Uobergänge zu
einander bilden als C om b in atione n mit einander zulassen können.
Bei der ersten Form bestünden die Fungositäten aus oedematösem Nor¬
malgewebe und eigentlichem g ef ässreiche n Granulationsge¬
webe; sie begleiten als Folgezustände die chronisch catarrhalische Endometritis
und Metritis, sowie die submucösen Fibromyome, und werden demgemäss meist
auch Fluor und Schmerzen vorhanden sein, die Prognose schliesst sich an das
Grundleiden an. Nur das Proberaclement stellt die Diagnose-
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Die zweite Form schliesst sich unmittelbar an Aborten, besonders mit zurück¬
gebliebenen Placentaresten an, sie stellt die deciduale Form dar, ergibt die
günstigste Prognose für’s Raclement; die Diagnose kann schon aus der Anamnese
mit Wahrscheinlichkeit gestellt werden.
Die dritte Form ist das diffuse Adenom, von mir stets nur bei multi-
paren, jedoch lange nach dem Wochenbett auftretend, beobachtet; auch hier ist
das Raclement die einzig rationelle Behandlung, schützt aber nicht sicher vor Re-
cidiven.
Die vierte Form wäre das diffuse Sarcom, auf das man am ehesten bei
abnormen Menstrualblutungen jugendlicher Individuen schliessen können wird. Das
Raclement bringt eclatanten Erfolg, Recidive sind aber zu befürchten.
Die differentielle Diagnose wird nur das Microscop stellen können. In allen
4 Formen ist die Uterushöhle selbstverständlich erweitert, bei allen hat die Sonde
dasselbe Gefühl, wie wenn sie in feuchtes Moos eindringe; bei Fällen aller 4
Classen sah ich die ampullenförmige Erweiterung des Cervicalcanals bei engem
Os internum und habe ich schon seit Jahren meine Zuhörer in der Klinik auf die¬
ses Verhalten bei fungöser Endometritis aufmerksam gemacht (Auch Schröder be¬
tont dasselbe in seiner Notiz über Adenome des Uterus.) Die Deutung des Zu¬
sammenhanges liegt nahe. Die Cervicalschleimhaut erkrankt in Folge der Erkran¬
kung der Höhlenschleimhaut, nur in einfacherer Weise, in der Form von Oedem
und Bindegewebswucherung, zeitweise mögen Coagula im Cervicalcanal bleiben und
diesen dehnen.
Nun noch ein Wort von der Behandlungsmethode, vom Raclement. Ich
fand in den wenigsten Fällen für nöthig, vor Anwendung der Curette den Cervi¬
calcanal mit Laminaria oder Pressschwämmen zu dilatiren. Zunächst wird das
"Verhalten des Uterus bimanual eruirt, bei einiger Uebung wird die Sonde die
Ifungositäten sicher erkennen lassen, wo nicht, so steht einem Proberaclement,
auch ambulatorisch gemacht, nichts im Wege, eine Sims'ache Curette von 4 mm.
ßreite lässt sich stets durch den innern Muttermund bringen, bei gesunder Schleim¬
kaut greift sie das Gewebe nicht an, schadet also so wenig als die Sonde. Ich
kediene mich stets der StWschen Curette für das Raclement bei Endometritis fun-
grosa und zwar in der Breite von 4, 7 und 11 mm. (Für Carcinome benutzte ich
früher die Si'mon’schen Löffel, in der letzten Zeit habe ich auch für diese starke
Ouretten construiren lassen, deren Schneiden in etwas spitzeren Winkel zur Achse
<3es Instruments gebracht sind, ausserdem aber bediene ich mich mit gutem Er¬
folg 6 einer Art Kneipzange mit schneidenden Branchen.)
Entgegen der Beobachtung von Olshausen fand ich das Raclement hänfig
schmerzhaft, so dass ich meistens chloroformire; natürlich nicht beim explorativen
j^aclement, das ich ohne allen Nachtheil ambulatorisch vornehme und bei dem es
sich nur um ein einmaliges Schaben, also um einen sehr kurz dauernden Schmerz
kandelt.
Zweckmässig ist es, beim definitiven Raclement das Instrument nicht nach
jedem Zuge wieder herauszuziehen, sondern erst einige Dutzend Züge zu machen,
ntn dann die gewonnene Ausbeute zu entfernen, falls nicht schon uterine Contrac-
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527
tionen dieselbe neben dem Instrumente ausgetrieben haben; es ist dies besonders
da zu empfehlen, wo das Passiren des Cervix wegen engem Os internum oder
Flexion mühsam ist. Die andere Hand, oder wenn diese zur Leitung am Os ex-
ternum bleibt, die eines Assistenten muss den Uterus von aussen fixiren, da er
sich sonst um die Axe drehen kann. Das Augenmerk muss man besonders auf
die Hörner richten, die Lieblingssitz der Fungositäten zu sein scheinen. Dass man
Alles entfernt hat, darüber gibt das Gefühl mit dem Löffel Aufschluss; das Ge¬
fühl von Moosweichheit ist verschwunden, man findet grossem Widerstand, man
hört deutlich ein Knirschen, während die normale Schleimhaut den Löffel einfach
nicht annimmt. Während ich mich früher mit dem Raclement allein begnügte und
nur unmittelbar nach demselben die Höhle mit 10°/o Carbolöl auspinselte, komme
ich jetzt auch wie Olthausen zur Ueberzeugung, dass eine Nachbehandlung durch
Aetzung erwünscht ist; vor Allem bei Adenom und Sarcom, wo es unbedingt
nöthig ist, auch die kleinste zurückgebliebene Partie zu zerstören. Der zuletzt
beschriebene Fall von Sarcom bildet eine gute Illustration zu dieser Behauptung.
Zweimaliges Raclement brachte je mit 3 Monat Recidive, diese fehlt bis jetzt, als
nach dem dritten Raclement längere Zeit cauterisirt wurde. Ich lege meist am
6. oder 7. Tage nach dem Raclement 0,1—0,3 lapis mitigat. 1:1 ein, wobei eine
mehrstündige Bettruhe unbedingt nöthig ist, wenn nicht oft heftige Koliken kommen
sollen. Die Aetzung wird alle 5—6 Tage, später alle 2—3 Wochen wiederholt.
Wiederholt habe ich vor der ersten Aetzung einen Controlversuch mit der
Curette gemacht und nichts mit derselben hervorgeholt als einige Epithelzellen,
Blut und Schleim.
Es muss zugegeben werden, dass das Raclement scheinbar ein rohes Verfahren
ist, doch hat es sich ja auch in der Chirurgie eingebürgert bei der Behandlung
von schlechten Granulationen, Ulcerationen, Caries. Ueble Folgen sah ich nie.
Die höchste Abendtemperatur bei einer gleichzeitigen Parulis war 38,3°, sonst stets
unter 38*. Hie und da folgte am Abend etwas Leibschmerz, welcher kleine Ga¬
ben Opium erforderte, gewöhnlich fehlt jede Schmerzempfindung. Blutung folgt
nur dem Proberaclement (weil unvollständig), während sonst die Curette das beste
Blutstillungsmittel für diese Fälle ist, wie wir das ja so häufig beim Löffeln von
Carcinomen auch beobachten können. Früher fürchtete ich mich davor, seit eini¬
gen Jahren mache ich auch hierfür den ausgiebigsten Gebrauch vom Löffel mit
folgender Application von Ferr. sesq. Watte, Chlorzink, Bromsethyl, Ac. chrom.
oder reinem Ac. carbol., und sehe darin ein vortreffliches palliatives und lebenver¬
längerndes Mittel.
Vor einer Perforation habe ich mich bei Endometritis fungosa nie gefürchtet,
während ich beim Carcinom manchmal innebielt, wenn ich mich dem Bauchfell
oder der Blase zu nahe glaubte. In der Literatur finden sich denn auch Perfora¬
tionsfälle; so soll RAcamier unter 100 Operationen mit der Curette 3 Mal perforirt
haben, 1 Mal mit tödtlichcm Ausgange, er galt übrigens für einen mehr als ener¬
gischen Operateur. Auch Spiegelberg berichtet über 1 Fall. Ich sah nach Racle¬
ment eines jauchigen melanotischen Funduscarcinoms am folgenden Tage Peritoni¬
tis, die Section ergab keine Continuitätstrennung, dagegen war ein subperitonealer
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Knoten, der durch eine dicke Schichte vom C&vum uteri getrennt war, in die
Bauchhöhle geborsten.
Man hat nicht das Recht, das Raclement, wie Aran es that, eine „pratique ha-
sardeuse“ oder wie Becquerel „barbare“ zu nennen und ich glaube auch, dass viele
Gynäcologen, die heute noch absprechend über dasselbe urtheilen, bald zu dem¬
selben greifen werden, da es eben ein kaum ersetzbares Mittel für die Behandlung
der Endometritis fungosa ist.
"V ereinsberich te.
Medicinische Gesellschaft in Basel.
Sitzung vom 7. Februar 1878.
Anwesend 24 Mitglieder.
Bericht und Rechnung über den Lesezirkel werden entgegengenommen.
Dr. Roms regt in längerem Vortrage die Errichtung eines Vorrathsmaga-
zines für Krankenutensilien in hiesiger Stadt an, wo gegen geringe Vergü¬
tung alle möglichen Apparate zur Krankenpflege leihweise könnten bezogen
werden.
Eine solche Anstalt besteht z. B. in Zürich seit 1803. Dieselbe sei dort von
den Aerzten gegründet; als Mitglied wurde Jedermann betrachtet, der einen Thaler
Beisteuer bezahlte; im Jahr 1832 wurde die Anstalt der Stadtbehörde zum Betrieb
übergeben und blüht noch jetzt. Im Gegensatz zu Zürich haben wir hier aller¬
dings Anstalten, die einen Theil der dortigen Zwecke bereits verfolgen; auch sollte
bei uns nicht nur wirklich Dürftigen, sondern auch noch den weniger Bemittelten
geholfen werden. Hier würde jedes Mitglied einen jährlichen Beitrag leisten und
erhielte dafür das übertragbare Recht der Nutzniessung eines Apparates ohne Ent¬
gelt. Referent schliesst mit dem Antrag: im Falle eine solche Anstalt für nötbig
erachtet werde, möge die Angelegenheit an die gemeinnützige Gesellschaft ge¬
wiesen werden.
Nachdem man sich auf sofortiges Eintreten geeinigt hat, erwähnt Prof. Massini ,
dass unsere Stadtdiaconissen schon ein solches Lager, allerdings in ganz kleinem
ftfaassstabe hätten, das sehr fleissig benützt werde, so dass an der Nützlichkeit
eines grösseren Etablissements nicht könne gezweifelt werden. Er meint aber,
dass mit den Patronatsscheinen nicht zugleich die Uebernahme einer Garantie für
die geliehenen Gegenstände könne verbunden werden.
Dr. Fr. Müller und Dr. Burckhardt-Merlan wollen bei uns überhaupt keine Pa¬
tronatsscheine eingeführt wissen. Beide wünschen noch den Specialbericht einer
Commission ad hoc, was auch sofort beschlossen wird.
Prof. Massini bespricht den Liquor Ferri dialysati, dessen Darstellung
and Reactioncn. Es ist ein absolut neutrales Eisenperchlorat, das vom Magen in
den gewöhnlichen Dosen von 5—10 Tropfen, 1—3 mal täglich, sehr gut ertragen
wird und darum auch schone therapeutische Erfolge aufweist Durchschnittlich soll
daß Präparat 5% Eisen enthalten. Das Fer dialisü Bravais ist nicht concentrierter,
aber unrein und sehr theucr.
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Prof. Wille glaubt, dass die minimalsten Dosen von Eisen genügen, um einen
günstigen Einfluss auf den Organismus auszuüben. Werden bedeutendere Mengen
Eisen eingeführt, so geht der grösste Theil wieder mit den Faeces ab.
Prof. Matsini weiss wohl, dass bei den Blauet sehen Pillen das meiste wie¬
der im Stuhl erscheint und dennoch wirken sie brillant, vielleicht allerdings auch
durch die Stoffwechsel befördernde Eigenschaft des Kali.
Sitzung, vom 7. März 1878.
Anwesend 18 Mitglieder und als Gast Herr Dr. Bider jun. von Langenbruck.
Dr. Ronus referirt Namens der Specialcommission nochmals über das Maga-
z i n für Krankenutensilien; es soll anfänglich nur geliehen, nicht verkauft wer¬
den; die Patronatsscheine mögen dahinfallen; das Institut sei durch freiwillige Bei¬
träge, sowohl einmal zu leistende als jährlich wiederkehrende und durch die ge¬
meinnützige Gesellschaft einzurichten und im Gang zu erhalten. Ref. verliest
eine Eingabe an die letztere Gesellschaft, worin die Nothwendigkeit und
der Plan des Institutes auseinandergesetzt und um einen entsprechenden Credit
gebeten wird.
Nach längerer Discussion, in welcher vorgeschlagen wird, die neue Anstalt
mit der allgem. Krankenpflege zu verbinden oder sie an einige Apotheken zu atta-
chiren etc. etc., wird beschlossen, die oben erwähnte Eingabe abzusenden und der
gemeinnützigen Gesellschaft alle Einzelfragen, namentlich auch den Finanzplan
zu überlassen.
Dr. Sury-Bienz demonstrirt einige neuere electrotherapeutische
Apparate: eine leicht transportable constante Batterie von Beetz , einen zwei-
elementigen Inductionsapparat von Hirtchmann und eine Commutatorelectrode von
Edelmann.
Referate und Kritiken.
Considlrations glnlrales sur l’ophthalmie,
communöment appelde Ophthalmie d'Egypte, suivies d’une Note sur les opörations prati-
qudes k l’dcole khddiviale des aveugles au Caire, par le Dr. Dutrievx.
Le Caire. Imprimerie de l’dtat-major-gdnöral. Pag. 160.
Die vorliegende Schrift verdient ein gewisses Intere8.se, weil ihr Verfasser, ein Bel¬
gier, welcher schon früher während 6 Jahren die contagiösen Ophthalmien in ihren ver¬
schiedensten Formen in den Militärspitälern seines Vaterlandes beobachtet hatte, dieselben
in den letzten 4 Jahren zum Gegenstand seiner Studien in Aegypten selbst gemacht hatte.
Gelegenheitsursache der Entstehung der Arbeit war die Untersuchung der Blindenanstalt
in Cairo mit den sich anschliessenden Operationen. Zunächst sucht der Autor die Vor-
urtheile zu brechen, welche namentlich von Seite der Aegypter zu ihrem eigenen grössten
Verderben der Krankheit entgegengebracht werden ; er sucht sie ihres mysteriösen, fata¬
listischen Dunkels zu entkleiden. — Jede purulente Ophthalmie, früh genug in Behand¬
lung genommen, ist heilbar.
An der Hand der Geschichte weist Dutrieux nach, dass es keine specifisch ägyptische
Ophthalmie gebe, eine Ansicht, die freilich schon längst in der Ophthalmologie sichern
Fuss gefasst hat.
Schon Herodol , 480 vor Chr., fand, dass in Aegypten die Zahl der Blinden eine er¬
schreckend grosse gewesen sei. Derselben Krankheit werden auch die vielen Erblindun¬
gen, von welchen Xenophon 's Anabasis erzählt, zur Last gelegt. Auch die Römer hatten
die Seuche in Asien geholt und dieselbe später in alle von ihnen eroberten Länder ver-
34
e
- 530 -
breitet, daher die vielen Augenärzte in Cäs&rs Heeren mit ihren Salben (ad asperitates
und ad suppurationem).
Im Mittelalter wurde das Contagium von den Kreuzfahrern vom Orient mit nach
Hause gebracht, wo dasselbe seither nie ganz erlosch, um bei Anlass der Rückkehr der
französischen Armeen aus dem ägyptischen Feldzug mit vorher nie dagewesener Kraft
erst in den europäischen Heeren und nachher theilweise auch in der Civilbevölkerung
aufzutreten.
'Wissenschaftlich bietet die Schrift nichts wesentlich Neues. Das Originellste an
derselben ist die Schärfe, mit welcher Verfasser die neuern Anschauungen über die Ver¬
wandtschaft aller eitrigen Ophthnlmien, zwischen welchen nur ein Gradunterschied be¬
stehen soll, vertritt, sowie die damit zusammenhängende Ansicht, dass ursprünglich
sämmtliche Blennorrhceen der Conjunctiva von Blennorrhoeen der Genitalien abstammen.
Alle eitrigen Ophthalmien, die Conjunctivitis granulöse, die Blennorrhma neonatorum
und die Conjunctivitis gonnorrhoica adultorum haben das Gemeinsame der Ansteckungs-
fähigkeit; der Virus ist an das Secret gebunden. Das Secret jeder einzelnen Form kann
übergeimpft je nach Umständen, ohne dass wir dieselben stets kennen, jede der 3 Formen
und sogar eine 4., die einfach catarrbalische, hervorbringen. Die Blennorrhoe kann von
den Genitalien auf die Conjunctiva und vice versa Ubergetragen werden. Die Blennorrhoe
der Conjunctiva, einmal etablirt, pflanzt sich als solche fort.
Den Satz, dass ursprünglich alle eitrigen Ophthalmien von der Leucorrb® der Geni¬
talien abstammen, sucht Dutrieux durch den Parallelismus der Häufigkeit der eitrigen Oph¬
thalmien und der syphilitischen Erkrankungen in den verschiedensten Ländern zu stützen,
auf welchen schon von mehreren ßeiten aufmerksam gemacht worden war. AufFallend
häufig sind beide Classen von Krankheiten in Egypten, China — in diesen beiden Län¬
dern soll die Zahl der blinden Freudenmädchen eine ausserordentlich grosse sein —
Cocbincbina, Cuba, an der OstkUste von Africa unter den Negern und in Brasilien, hier
durch die Negerschiffe eingeschleppt.
Syphilis sowohl als die purulente Ophthalmie sollen von den Guineanegern den übri¬
gen Völkern geschenkt worden sein.
Die Granulationen als solche haben nichts Specifischea; ohne Eiterung sind sie nicht
ansteckend; in ihrer einfachen Form werden sie durch andere chronische Reize bervor-
gerufen.
Die eitrige Ophthalmie verbreitet sich 1. durch directen Contact, 2. durch Miasmen.
Dutrieux spricht sich pag. 47 hierüber so aus: Ainsi, plus la rdceptivitd oculaire est
grande (et toutes les causes de congestiou de la conjonctive l’augmentent) plus les 6ma-
nations de l’lcoulement contagieux sont abondantes et concentrdes ot plus eiles prolon-
gent leur action, plus l’ophthalmie contagieuse se ddveloppe sürement sous une forme
franchement purulente. Si la dispersion du germe ophthalmique est plus grande , son
activitd sera moindre et se manifestera le plus souvent par une forme d’ophthalmie cou-
tagieuse chronique, la forme granuleuse et enfln, si la raatiäre contagieuse est trop ddlayöe
dans Tatmosphöre, eile cesse d’avoir des effets apprdciables.
Glücklicherweise ist die 8chweiz nicht ein Feld, um die Anschauungen Dutrieux' auf
ihre Richtigkeit in praxi nachzuprüfen; bei uns gehört die granulöse Ophthalmie bis jetzt
zu den selteneren Augenleiden, obwohl sie in den letzten Jahren etwas häufiger beob¬
achtet wird, sei es, dass sie wirklich häufiger vorkommt oder dass sie nur leichter er¬
kannt wird. P»
Die Kolpoperineoplastik
nach Bischoff. Von H. Banga. Ein neues Verfahren zur operativen Behandlung des
Gebärmuttervorfalles. Inauguraldissertation. Basel.
Die Gebärmuttervorfälle, „jene nothwendigen Uebel des Gynäcologen“ (Sims ), sind
jedem practicirenden Arzte zu Stadt und Land genugsam bekannt. Kaum gibt es einen
beschäftigten Collegen, der nicht schon in einzelnen Fällen vergeblich alle Hülfsmittel
erschöpfte, um den schwer heimgesuchten Opfern dieser Plage dauernde und ausgiebige
Hülfe zu verschaffen.
Auch das beste Pessarium ist nur ein unvollkommenes Hülfamittel, und die oper*
ven Eingriffe haben bisher nur ungenügende, d. h. nicht andauernde Erfolge gehabt
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Wir müssen daher alle Stadien zur Erledigung dieser Frage mit Freuden begrüssen.
Prof. Dr. J. J. Bischoff (Basel) hat durch seine neue Operationsraethode Resultate aufzu¬
weisen, die unsere volle Beachtung verdienen.
Dr. H. Banga , früher Assistenzarzt der chirurgischen, sodann der geburtshttlflich-
gynäcologischen Klinik, gibt in seiner Dissertation eine sehr klare und übersichtliche
Darstellung der Anatomie und Pathogenese des Prolapsus uteri und der bisher gegen
Uterusprolaps geübten blutigen Operationsverfahren, wobei namentlich die Kolporrhaphia
posterior von Simon mit der Kolpoperineoplastik Bischoff 's in Parallele gestellt und die
Vorzüge der letztem Operationsmethode hervorgehoben werden: Zurückhaltung des Ute¬
rus in der Knickungsstelle durch die beträchtliche Knickung der Vaginalachse, leichtere
Ausführung bei geringerer Gefahr, namentlich viel weniger profuser Blutung, primäre
Heilung.
„Bischoff bildet aus dem untern Abschnitt der hintern Vaginalwand eineu abgerunde¬
ten Schleimhautlappen von 4—6 cm. Länge, 2 */ 2 —3 cm Breite, excidirt zu beiden Seiten
desselben zwei Schleimhautdreiecke, deren äussere Seite je von der Basis des Lappens
an bis zur Mitte der entsprechenden Nymphe ansteigt, wodurch Platz gewonnen wird
zur Einfügung des Lappens nach vorn und oben. Dann frischt er uförmig die hintere
Fläche der Vulva beidseits bis zur Mitte der kleinen Schamlippen, entsprechend der An¬
frischung jener Seitendreiecke, an. Nach Anlegung der Nähte erscheint die Vagina in
ihrem untern Abschnitte nicht nur beträchtlich verengert, sondern auch bedeutend nach
vorn geknickt.“ ....
Es folgt eine exacte Beschreibung der Operation und ihrer Nachbehandlung und zwar
sowohl bei einfachen als auch bei complicirten Fällen.
Der klar und ruhig geschriebenen Dissertation sieht man es an, dass der Verfasser
schon einige Jahre unabhängigen 8tudiums und selbstständigen Handelns hinter sich hat.
Für die Trefflichkeit der Methode Bischoff s spricht vor Allem die den Schluss der
besprochenen Arbeit bildende Statistik. Die mitgetheilten Fälle sind ausnahmslos solche,
bei welchen die Operirten mindestens ein Jahr nach der Operation, also auf die Dauer
des Erfolges, konnten untersucht werden. Denn die Dauer des Erfolges allein kann der
Prüfstein einer neuen Methode der Operation des Gebärmutter Vorfalles sein.
Einen dieser Fälle habe ich wiederholt selbst untersucht (pag. 34, G. T., 29 J. alt):
Operation den 11. Juli 1873; seither arbeitet Patientin den ganzen Tag stehend in einer
Fabrike (Seidenbandweberei); sie ist hiebei oft gezwungen, sich mit Anstemmen des
Unterleibes*weit in den Webstuhl hineinzubeugen. Im Januar 1875 Geburt eines kräfti¬
gen Mädchens; nach der Geburt bleibt der Prolaps zurückgehalten und kehrt trotz der
Wiederaufnahme der Arbeit nicht zurück. Ende 1876 kommt die Frau abermals nieder:
Kind in zweiter Querlage. Die Einschnürung (Knickung) der hintern VAginalwand war
trotz der Erweiterung und dem Aufquellen der Vagina ganz deutlich zu fühlen ; Wen¬
dung auf beide Füsse; bei der langsamen und sorgfältigen Extraction des grossen Kin¬
des glitt der Kopf durch heftiges Pressen der Frau rasch heraus und bewirkte ein Ein-
reissen der hintern Vaginalwand von der Knickungsstelle bis zum Introitus vaginae.
Exacte Naht Die Placenta musste wegen profuser Blutung und Unwirksamkeit von
Credit s Handgriff manuel entfernt werden. Drei Tage nach der Geburt Entfernung der
Nähte; Heilung per primarn. Sonst Alles normal. Den folgenden Tag finde ich die Pa¬
tientin an einer „Zetteldrülle* (Hülfsmaschine zur Posamenterei) stehen und arbeiten ;
sie hat zudem heute schon die Küche besorgt, weil die Umstände mächtiger waren als
die Autorität des (erst auf den Abend erwarteten) Arztes und die eigene gute Einsicht.
Die Vaginalwunde klaffte wieder und heilte nach und nach, obgleich die Frau gezwungen
war, fortwährend stehend zu* arbeiten. Natürlich kehrte nun sofort der Prolaps wieder,
während die zweitletzte Geburt und die nachfolgende stehend verrichtete Arbeit das Ope¬
rationsresultat nicht getrübt hatten.
Im 8eptember 1877. _ A. Baader.
Die öffentliche Gesundheitspflege in den ausserdeutschen Staaten.
Von Dr. C. Götel. Leipzig, Verlag von F. C. W. Vogel. 1878.
Unsere deutschen Nachbarn bemühen sich angelegentlich um eine den heutigen An¬
forderungen entsprechende Organisation der öffentlichen Gesundheitspflege. Sie verkennen
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aber nicht die grossen Schwierigkeiten, die sich ihrem Unternehmen entgegenstellen und
sehen wohl ein, dass eine Umgestaltung ihrer gesammten medicinalpolizeilichen Einrich¬
tungen damit Hand in Hand gehen muss. Sie streben mit vereinten Kräften nach dem
Vorgesetzten Ziel und haben sich zu diesem Zweck zu Vereinen zusammengethan , unter
denen, neben mehreren bedeutenden Provincialvereinen, insbesondere der deutsche Verein
für öffentliche Gesundheitspflege, welcher Männer der verschiedensten Stellungen in Wis¬
senschaft und Praxis aus allen Gauen Deutschlands umfasst, immer grössere Bedeutung
und Einfluss auf die practische Gestaltung der angebahnten hygienischen Reformen ge¬
winnt.
In der Absicht, durch die verlangte Arbeit eine klarere Einsicht des anderwärts
Geschaffenen und Erreichten einem weitern Publicum zu verschaffen und zugleich anre¬
gend auf dasselbe eineuwirken, schrieb dieser Verein einen Preis aus filr die beste Dar¬
stellung der öffentlichen Gesundheitspflege in ausserdeutschen Staaten. Herr Dr. C. GöUl^
Medicinalrath in Colmar, erwarb ihn letzten Herbst durch sein in der Ueberschrift genann¬
tes Buch.
ln demselben werden hauptsächlich die zwei Staaten berücksichtigt, deren Organi¬
sation der öffentlichen Gesundheitspflege den andern am öftersten Anregung und Vorbild
zu ähnlichen Schöpfungen geboten hat, zwei Gesetzgebungen, die ihre Resultate von ganz
entgegengesetztem Standpunct ausgehend erreicht haben. FUr uns Schweizer hat nament¬
lich die Schilderung der englischen Einrichtungen hohes Interesse. Verfasser zeigt uns,
nachdem er die Organisation der staatlichen Gewalten kurz gezeichnet, wie in England
noch vor wenigen Jahrzehnden alle Localbehörden zur Besorgung hygienischer Aufgaben
fehlten, wie diese sich endlich aus den, allen möglichen Zwecken dienen sollenden Kirch¬
spielsbehörden entwickelten; wie die Gesetzgebung von Fall zu Fall fortechritt und nach
langer Zeit erst das bunte Gewirre sanitarischer Gesetze „consolidirt“, d. h. zu einem
einheitlichen Gesetze zusammengefasst wurde. Wir sehen, wie sich mehr und mehr die
Centralisation bis auf einen gewissen Punct als eine Nothwendigkeit herausstellte, wie in
dem Maass, als sich die Geltung der einzelnen Gesetze auf immer weitere Kreise aus¬
dehnte, auch nöthig wurde, die Oberaufsicht Centralorganen anzuvertrauen, doch so, dass
immer den Zunächstbetheiligten, der Bürgerschaft und den Behörden der einzelnen Ort«
ein reichliches Maass der Mitwirkung bei der Verwaltung der öffentlichen Gesundheits¬
pflege zugestanden wird.
Der Verfasser macht uns sodann mit dem Ddtail der englischen Einrichtung ver¬
traut. aus dem mancher Leser mit Ueberraschung entnehmen mag, wie z. B.»die engli¬
schen Schulen einer noch so mangelhaften gegenüber der strengen Fabrikgesetzgebung
doppelt auffälligen Ueberwachung gemessen, wie es mit der Begräbnissordnung noch viel¬
fach bedenklich steht — kurz, wie mancher schwere Mangel der englischen sanitären
Institutionen über den anderweitigen glänzenden Partien übersehen wird.
Wir erfahren auch, wie scheinbar nachahmungswerthe Vorzüge sich in Wirklichkeit
gar nicht als solche erweisen, so z. B. die schrankenlose, nach keiner Bedürftigkeit fra¬
gende Liberalität in der Aufnahme in die vielen, durch freie Mildthätigkeit geschaffenen
Krankenhäuser, die den Pauperismus geradezu fördert und das Krankenkassenwesen an
seinem Gedeihen verhindert. Es werden so der ärztliche Stand und die Gesundbeits-
beamten, die Hygiene der Wohnstätten, der Nahrungsmittel, der Gewerbe, die öffentliche
Fürsorge für Krankheiten, die Statistik nach ihrem jetzigen Stand in England be¬
sprochen. . .
In gleich einlässlicher Weise behandelt das Buch auch die französischen Einrich¬
tungen. Wir erblicken hier den geraden Gegensatz von England, eine wenig entwickelte
Selbstverwaltung, die höchste Centralisation. In der Hauptstadt wird ein Gedanke conci-
pirt, von den ersten Fachmännern geprüft, unter ihrer Aegide ins practische Leben ein-
geführt, dann zum Gesetz erhoben, das für das ganze Land seine Geltung haben so
Die ausfuhrenden Personen sind Verwaltungsbeamte ohne specielle Fachbildung, genaue,
detaillirteste Vorschriften, vom Ministerium ausgehend, sollen diesen Mangel erse te °'
Aber dio ohne Mühe erlangte Schablone wird nicht benutzt, wo die Bevölkerung für **
angestrebte Sache noch nicht reif ist, kein Bedürfniss darnach erkennt; die 8ache w
lässig betrieben, schläft ein, denn auf keinem Gebiet, wie auf dem der öffentlichen
Bundheitspflege, kommt es so sehr auf den guten Willen und die Einsicht aller Be ei
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ligten an, ob ein Gesetz wirklich zur Ausführung gelangen boII oder nicht So sind denn
auch die Leistungen der hygienischen Gesetzgebung in Frankreich sehr ungleich , sehr
lückenhaft ausgefallen.
In grösster Kürze sind Belgien und Holland, die Vereinigten Staaten, Oesterreich
und Italien behandelt, ebenso die Schweiz, die sich noch recht sehr zusammennehmen
muss, um in einer ihren Verhältnissen entsprechenden Weise mit den übrigen Cultur-
staaten Schritt zu halten in der Pflege der öffentlichen Hygiene. Das klar und anregend
geschriebene Buch GöteC s mit seiner Fülle lehrreichen und interessanten Ddtails ist ganz
dazu angethan , uns unsere Aufgabe immer klarer erkennen und practischer anfassen zu
lassen. Jedes Capitel fordert uns unwillkürlich auf zu Vergleichungen, zur Kritik , zur
Verwerthung fremder Erfahrungen im Rahmen unserer Verhältnisse. Und es ist nicht
nur ein Buch für Aerzte, sondern ebenso sehr für den Staatsmann, den Verwaltungs¬
beamten, für Jedon, der sich um die öffentliche Gesundheitspflege bekümmert.
Schüler.
Cantonale Correspondenzen.
Aargau. Ein Fall einer 5 Jahre bestehenden, sehr rasch
geheilten sog. spinalen Kinderlähmung. Olga A., ca. 6 Jahre alt, kam
den 5. März 1877 in meine Behandlung. Der objective Befund ergab Folgendes: Ziem¬
lich gut genährtes, sehr graciles, äusserst nervöses Mädchen, von blasser Hautfarbe und
geringem Fettpolster. Am Kopfe nichts Auffallendes; am Halse viele mässig geschwellte
Lymphdrüsen. Thorax mager, abgeflacht, der Durchmesser von vorn nach hinten
ziemlich klein, besonders in der obern Apertur; an der Wirbelsäule nichts zu bemerken.
Sämmtliche Eingeweide normal; einige leicht geschwellte Mesenterial- und Leistendrü¬
sen fühlbar. Das Becken steht linkB 2 cm. tiefer als rechts. Das rechte Bein kann alle
intendirten Bewegungen leicht ausführen, das linke nicht; dieses ist magerer, besonders
der Unterschenkel, und kürzer; letzterer hängt schlaff herunter und ist total immobil.
Bei Application des Inductionsstromes zeigt sich die electro-musculäre Contractilität
sämmtlicher Unterschenkelmuskeln erloschen. (Ein galvanischer Strom stand leider nicht
zur Verfügung.) DaB Kniegelenk ziemlich schlaff; eine sehr grosse Relaxation ist im
Fuasgelenk zu constatiren, so dass mechanisch die ausgiebigsten Bewegungen gemacht
werden können; intendirte Bewegungen jeder Art gleich Null. Sensibilität und Reflex¬
erregbarkeit nicht gestört, jedoch retardirt. Gehversuche allein, sowohl mit als ohne
Maschine, absolut unmöglich ; wenn gestützt, wird das linke Bein nachgeschleppt, oder
wie das Kind selbst meinte: „das Bein gehe mit ihm spazieren“. — Unmöglichkeit bei
sitzender Stellung das linke Bein auf einen Stuhl zu heben, ausser mit Beihülfe der
Hände.
Bei mechanischer Richtigstellung des Beckens ergaben sich folgende Maasse beider
Untcrextremitäten:
A. Linkes Bein.
B. Rechtes Bein.
Länge
65V,
cm.
57 V, cm.
Umfang Inguinalfalte
80
*
30 „
„ oberhalb der Patella
i9 y.
V
20 „
„ unterhalb „ „
17V,
n
20 ,
„ grösster der Wade
17*/,
»
20'/, „
„ kleinster oberhalb des
Malleol. 12
»
13‘A »
Als oberer fixer Punct wurde zur Controle des Beckens die Spina os. II. ant. sup.
angenommen, als unterer der höchste Punct des malleolus exter. <
Bei Messungen vom grossen Trochanter aus erwies sich das Becken normal, und
folglich musste die ganze Verkürzung den Extremitätenknochen zugeschrieben werden.
Die Messung selbst wurde am 5. März 1877 vorgenommen. — So viel sich am Becken
durch äussere Messungen constatiren liess, waren keine Anomalien wahrzunehmen, zumal
da die Wirbelsäule gerade und durch Tragen einer Maschine der Verkürzung der linken
Extremität stets genügend Rechnung getragen und eigentliche Symptome von Rhachitis
fehlten.
Anamnestisch war Folgendes zu eruiren: Beide Eltern stammen aus tubercu-
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lösen Familien. Pat, ist das letzte von 7 Kindern und fällt die Zeugung desselben in
ziemlich vorgerücktes Alter der Eltern. Von den 7 Kindern kam eines todt zur Welt;
ein anderes starb an Meningitis cerebro-spinalis tuberculosa und ein drittes an Hydro-
cephalus chron. (3 und. 2 Jahre alt).
Das in Frage stehende Kind erkrankte im 9. Monate und zwar begann die Krank¬
heit mit Apathie, mangelhaftem Appetit, grosser Unruhe, stierem Blicke; sehr bald ge¬
sellten sich Krämpfe der Gesichts- und Nackenmuskeln hinzu, zugleich will die Mutter
abnorm starkes Schwitzen des Hinterkopfes bemerkt haben, und — eines Morgens wurde
Lähmung beider Beine constatirt.
Das rechte Bein war in ö — 6 Tagen wieder vollständig activ, ebenso grossentheila
der linke Oberschenkel, während der linke Unterschenkel circa 5 Jahre gelähmt und im¬
mobil blieb und eine Locomotion nur vermittelst einer ziemlich schwerfälligen Maschine
und mit Unterstützung einer Wärterin möglich war.
Die Diagnose konnte nach Obigem nicht zweifelhaft sein und die Prognose
liess sehr wenig Hoffnung. Bei der äusserst günstigen socialen Stellung des Kindes
wurde von Anbeginn der Krankheit nichts versäumt, was eine Heilung hätte herbeiführen
können. Die grössten Autoritäten wurden consultirt; jeder versuchte sich, allein stets
ohne Erfolg. (Strychnin wurde eigentümlicher Weise nie verabreicht.) Zu dem ersten
Uebel kamen intercurrent noch verschiedene acute Infectionskrankheiten, so im 2. Jahre
Diphtheritis, im 6. Jahre (vide später) Scarlatina mit nachfolgender Nephritis und bedeu¬
tendem, lange andauerndem allgem. Hydrops. Gleich nachher Keuchhusten (6 Monate
dauernd , trotz Klimawechsel von Norddeutschland nach Süditalien !) und gleich darauf
Morbillen, von intensivem Bronchialcatarrh begleitet Dabei von Zeit zu Zeit eine starke
Urticariaeruption, oft von pemphigusartigen Blasen begleitet
Es ist also leicht ersichtlich, dass von einem energischen, consequenten Durchführen
einer Therapie nicht die Rede sein konnte; überhaupt war sowohl von Seite der Eltern
als auch des Kindes selbst alle Hoffnung auf Wiedergenesung schon längst aufgegebeo;
trotzdem wurde natürlich stets noch fortmedicinirt! ut aliquid fiat I
Alle Medicamente und Curen hier anzuführen, würde mich zu weit vom Ziele ab¬
lenken; im Allgemeinen bewegten sich die Heilversucbe zwischen Electrisiren, Massiren,
kalten Abreibungen, spirituösen Einreibungen, allen möglichen Luft- und Wassercuren,
wiederholten resp. jährlichen Klimawechseln und ausgesuchtester kräftiger Nahrung.
Dies war der Status vom 6. März 1877. — Als einleitende Cur wurden nun wie¬
derum spirituöse Einreibungen verordnet, nebst energischer Fortsetzung des Inductions-
etroraes. Die Sache blieb sich jedoch stets gleich. Den 14. März wurde nuu Strych¬
nin um sulf. in Pillenform verordnet und zwar nach folgender Formel:
Rp. 8trychn. sulf. 0,03
solve in Aq. q. s.
Extr. liquirit.
Pulv. liquirit. ää 2,00
M. f. piU. Nr. 40.
Von diesen Pillen sollten per Tag 2 genommen werden und — vielleicht steigen.
Während circa 10 Tagen zeigte sich absolut keine Veränderung. Gegen den 24. glaubte
ich zuerst einige schwache Muskelzuckungen in den gelähmten Muskeln des Unterschen¬
kels bei Application des Inductionsstromes bemerkt zu haben; zugleich stellten sich aber
auch täglich 3—4 Mal heftige, kurz dauernde Zwerchfellkrämpfe ein und die
Mutter wollte auch wiederholte krampfhafte Zuckungen im Gesichte und in den Muskeln
des kranken Beines bemerkt haben, was ich glaubte, zumal da ich die Mutter als eine
feine Beobaehterin kennen gelernt. — Patientin wurde wieder auf 1 Pille gesetzt, nach
einigen Tagen wieder auf 2; bald stellten sich jedoch obige Krämpfe wieder ein; dessen-
ungeachtet wurde so fortgefahren, natürlich unter genauer Ueberwachung des Kindes.
Am 9. April reagirten wieder alle Muskeln des linken Unter¬
schenkels mehr oder weniger stark auf electriechen Rciz.mi
Ausnahme des flex. hallucie long., der auch stets so blieb. Jetzt wurden noch alle 2
Tage warme Vollbäder mit Franzensbader Eisenmoorsalz ( J /a Kilo pro balneo) verordne ,
zugleich innerlich etwas China in Pulverform.
Den 21. April fing Patientin an ohne Maschine zu gehen und den 30. wurde 1s re
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vollständig weggelassen, um nie wieder in Gebrauch gesogen zu werden! Patientin konnte
wieder Ober die Muskeln des Unterschenkels verfügen, d.h. intendirte Bewegungen konn¬
ten wieder mit ziemlicher Leichtigkeit ausgeführt werden. Zugleich wurde auch syste¬
matisch Gymnastik betrieben und zur einstweiligen besseren Fixirung des natürlich noch
relaxirten Fussgelenkes wurde noch auf der äusseren Seite des Stiefelchens eiue leichte
3 cm. breite, 1 mm. dicke Stahlschiene, welche ca. 5 cm. über den malleolus exter. hin¬
aufreichen sollte, zu tragen verordnet. Patientin konnte übrigens auch ganz gut ohne
Stiefelchen gehen. Die Musculatur nahm zusehends zu, es wurden nach und nach grosse
Spaziergänge unternommen; jetzt — konnte Pat. wieder mit dem Beine spa¬
zieren gehen!
Den 17. Mai 1877 verreiste Patientin nach Norddeutschland und von jener Zeit an
wurde auch die Darreichung des 8trychnins unterlassen; China wurde jedoch noch lange
fortgegeben. (Ich kann übrigens dieses Mittel als Roborans bei Kindern nicht genug
empfehlen, wenn auch das Beibringen etwas schwierig ist)
Mitte Juni wurde Patientin von jener oben citirten schweren Scarlatina befallen, ge¬
folgt von all gern. Hydrops. Natürlicherweise wurde, resp. konnte während dieser Epoche
nichts weiter gethan werden zur allgem. Reconstitutiou. Nach glücklich überstandenem
Hydrops wurde Patientin gleich von Keuchhusten attaquirt und in diesem Zustande wurde
sie wieder nach Süditalien transferirt, wo sofort nach ihrer Ankunft constatirt wurde,
dass im Status deB linken Beines seit Mai kein Rückgang, sondern vielmehr ein Fort¬
schritt bemerkbar geworden, dass also die Heilung, trotz der intensiven Allgemein-
erkrankungen, eine dauernde geblieben.
Am 30. November 1877 ergaben die Messungen folgende Resultate (die Stellen sind
natürlich dieselben, wie zuvor):
A. Linkes Bein. B. Rechtes Bein.
60
cm.
61
cm.
32
»
32
»
22
»
23
»
21
J!
22
n
20«/,
1)
22
n
IS'/,
»
14
n
Wir sehen also hieraus, dass alle Dimensionen zugenommen und constatiren vor
Allem, dass sich das linke Bein seinem Volumen nach immer mehr dem rechten nähert,
und haben die feste Ueberzeugung, dass die frühere Differenz bald vollständig ausgegli¬
chen sein wird. Zu dieser Ansicht sind wir desto eher berechtigt, da auch Morbillen,
nach überstandenem Keuchhusten, absolut keinen schädlichen, retrograden Einfluss auszu¬
üben vermochten.
Zum Schlüsse möchte nur noch bemerken, dass man bei spinaler Kinderlähmung nicht
gleich muthlos werden sollte und unter allen Umständen das Strychnin als solches,
und nicht in der Form von Tinct. Nuc. vom. anwenden sollte ; denn wie wir aus der
soeben angeführten Monographie erfahren, war der Erfolg ein so frappanter und präciser,
dass ich keinen Augenblick anstehe, die Heilung nur dem Strychnin zuzuschrei¬
ben. Bios möchte noch ausdrücklich vor den allgem. angegebenen grossen Dosen war¬
nen , zumal ja die meisten von diesen Kindern gewöhnlich für alle Medicamente sehr
empfindlich sind; zudem hat auch der Arzt selbst die Patienten während der Verabrei¬
chung des Mittels sehr genau zu überwachen.
Bözen, im Juli 1878. Dr. Heuberger.
Zürich. Ein Fall von sporadischer infectiöser Meningitis mit
Tod innert 28 Stunden. Jungfer Lisette M. von N. Uster, 20 Jahre alt, kräftig ge¬
baut, von mittlerer Statur, zeitweise an Kopfweh, eine Zeit lang auch an Chlorose leidend,
war den 21. Juli 1878 bei 17,8* C. mittlerer Tagestemporator mit Heuen beschäftigt.
Meuses seit diesem Morgen. Abgesehen von etwas Erbrechen des Morgens fühlte sich
Pat. durchaus gesund bis Abends 10 Uhr, als sie sich zu Bett legte. Den
22. Juli Morgens '/,7 Uhr fällt es der Mutter auf, dass die Tochter sich noch nicht sehen
liess. Auf einige Fragen, die sie daher vor verschlossener Kammerthür an dieselbe
richtet, gibt letztere genügenden Bescheid, versichernd, dass sie gleich herunter kom¬
men werde. Als dann aber Pat. um 7 Uhr noch nicht erschien und auf alles Rufen
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keine Antwort erfolgte, fand man eie nach gewaltsam geöffnetem Zimmer vollkommen
bewusstlos im Bett liegen. Der Mund, wie die Angehörigen versichern, von Anfang an
fest verschlossen, die Extremitäten in klonischen mässigen Krämpfen begriffen, daneben
ein eigentümliches Schleudern des Kopfs und Rumpfs von rechts nach links. Frottirun-
gen suchte nie Anfangs durch Reflexbewegungen der Arme energisch zu verhindern. Kurs
allmälig gestaltete sich die Sache zum Stat. prtes. von */ 4 10 Uhr Morgens, 22 Juni, wo
ich Pat. zum ersten Mal sah.
s /(10 Uhr Morgens. Totale Bewusstlosigkeit. Blassrothes, etwas leidendes Gesicht.
Trismus, etwas Schaum vor dem Mund. Normale, mit seltenen Singultus vermischte
Athmung. Normaler mittlerer Puls von 72 p. M., kein Fieber. Augen geschlossen, lang¬
sames Hin- und Herrollen der aufwärts gerichteten Bulbi. Pupillen mässig weit, starr.
Von Cornea lassen sioh Reflexe auslösen. Einzelne Zuckungen sämmtlicher Extremitäten,
stossweise Bewegungen der rechten Körperseite nach links hinüber, ebensolches Hiuüber-
werfen des Kopfes. Totale Anecsthesie des Körpers mit Ausnahme der Unterschenkel,
die auf tiefe Nadelstiche noch zucken. Herztöne rein, normal. Keine Nackenstarre, kein
Opisthotonus. Vorhanden ist nur Suppressio Mensium.
Was liegt hier vor? Obschon ich wohl weiss, dass der Leser an den vorliegenden
Symptomen seine eigenen diagnostischen Künste zu erproben Gelegenheit haben dürfte,
stehe ich nicht an, das Sündenregister meiner Unkenntniss, die sehr bald ins klare Licht
treten sollte, in extenso hier abzuwickeln.
Ich dachte zuerst an Insolation, aber das mangelnde Fieber, das blassrothe Gesicht,
die Aetiologie stimmten nicht. Dann an Epilepsie, aber abgesehen von der etwas langen
Dauer fehlten die unerlässlichen Convulsionen, die Congestion des Gesichts, sowie auch
alle anamnestischen und heret. Momente. Der Trismus führte mich auf Tetanus, aber
dazu wollte die sonst finale Bewusstlosigkeit und Anästhesie nicht passen. Dann verfiel
ich auf Embolie und doch waren Herztöne rein, Temperatur und Puls normal, auch kein
Schüttelfrost vorausgegungen. Cerebrospinalmeningitis konnte bei fehlender Nackenatarre
ebenso wenig hieher gehören. Was war da natürlicher, als bei Hysterie — der 8upprea-
sio Mensium wegen — seine Zuflucht zu nehmen, war doch damit eine Diagnose ge¬
wonnen, die noch alles Mögliche, Hirnblutung, beginnenden Tetanus, zuliess.
Prognose suspect.
Ich bedaure, dieses Geständniss ablegen zu müssen, noch mehr aber bedauerte ich,
auf eine sehr untergeordnete Therapie angewiesen zu sein. Ich verordnete im Ganzen
14 Schröpfköpfe an beide Oberschenkel, Senfteige auf Waden, continuirliche Kataplasmen
auf den Unterleib, kalte Umschläge auf Kopf und Brust.
Mittags */ a 1 Uhr war der Zustand noch schlimmer. Pat lag complet in Schwefes
gebadet, beide Arme im Ellbogengelenk starr flectirt, daneben dieselben Symptome wie
vorher, nur war die Sensibilität auch an den Unterschenkeln erloschen. T. 37,5, P. 12 0.
Athmung von Singultus häufiger unterbrochen. Der Puls machte während meiner Anwe¬
senheit von l*/ 4 Stdn. Sprünge von 116 bis 130 p. M.
Abends */»6 Uhr derselbe Zustand, nur haben Flexion der Arme, sowie Jactatio-
nen nachgelassen. Ich Hess warme Halbbäder mit kalten Uebergiessungen voroehmen,
wobei ich nicht eine Spur Nackenstarre, noch Opisthotonus (was mich immer wieder
von Meningitis äbbrachte) beobachten konnte.
Abends >/ a 7 Uhr. P. 120—130, T. 37,9. Athmung dyspnoötisch. Verordnung:
Kalte Brusteinwicklungen, kalte Umschläge auf Kopf.
Die Nacht über tritt mehrmals Röcheln auf, waB die Angehörigen veranlasste, ‘/jl> Uhr,
23. Juni Morgens mich zu holen. Beim ersten Anblick schien die Situation unverändert,
aber die Athmung war sehr dyspnoetisch, Corneareflox verschwunden, P. schwach, 130
bis 144, T. 40,9. Jetzt war’s mir klar: das ist ja Meningit. convexa und kein compli-
cirter Tetanus, Meningit. mit oder ohne Blutung, wahrscheinlicher ersteres, vielleicht eins
infectiöse Form. Ein Gedanke an aoute Nephritis mit Urämie war bald unterdrückt in
Anbetracht des ganzen Verlaufs u. s. w. Verordnung: Eis auf den Kopf.
Morgens 6 Uhr trat Herr Prof. Huguenin ins Krankenzimmer, den ich Abends vorher
zur Consultation eingeladen, einen Tetanus in Aussicht stellend. Wie ich ihm erklärte,
dass die Sache sich schliesslich als Meningitis entpuppe, war er sofort mit dieser Dia¬
gnose einverstanden. Meningealblutung schien ihm wahrscheinlich, nur zog er aber ancn
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Infection in Bereich der Möglichkeit Verordnung: Blutegel an die Schläfe; Prognose
absolut lethal.
Um */,10 Uhr machte ich noch eine subcxftane Injection von Chin. muriat. 0,2 p. dos.,
worauf der unzählbare, fadendQnne Puls sich vorübergehend auf 126 hob. Temp. 4 2,0.
Athmung nur mit allen accessorischen HUlfsmuskeln möglich, sogar das platysma myoides,
der quadratus menti contrahirten sich energisch bei jeder Inspiration, die levat. al. ante-
inspiratorisch.
Um 10 Uhr Morgens Puls unzählbar, T. 4 2,8 und um ’/ 2 ll Uhr trat der
Tod ein.
Die S e c t i o n , die erst 30 Stunden p. mort. vorgenommen werden konnte, ergab
Folgendes :
Gesicht intensiv blass, Todtenflecke auch an nicht abhängigen Stellen stark entwickelt.
Nackenstarre fehlt ganz (vom Tod an), dagegen complete Todtenstarre des übrigen Kör¬
pers. Alte Verwachsung der Dura mit Schädeldach an verschiedenen Stellen, besonders
längs Falx und Tentorium. Dura nicht gespannt, keine Blutung, kein Oedern. Pia der
Fosste Sylv. entlang hinaufgehend, der Incisura longit. folgend und in den anstossenden
Gebieten, besonders am Hinterhaupt, verdickt, verwachsen mit der Gehirn¬
substanz, stellenweise daselbst ciroumscripte capillare Hsemorrhagien, wenn nicht eher
(30 Stdn. 1) als postmortale Imbibition zu deuten. Hirnsubstanz normal, mit mässigen
Blutpunkten; kein Oedem, kein Eiter in den Ventrikeln, Ependym normal. Oben im
Wirbelcanal ca. 2 Esslöffel Oedem, klar, blassröthlich tingirt. An Pia des Rückenmarks
nichts eigentlich Auffallendes, Centralcanal nicht erweitert.
Milz schwach vergrössert, Pulpa rein zerfliesslich wie Typbusmilz. Leber blass,
Parenchymzellen mit trüber Schwellung, totale Verwischung der Acini. Nieren normal,
8tauungspyramiden. Uterus, Ovarien normal. Magen#und Darm nicht geöffnet,
ebenso wenig Brastorgane.
E p i k r i s e.
Versuche ich, an Hand der ausgezeichneten Darstellung der Meningit. cerebrospin.
epid. von Ziemasen in Ziemasen'* Handbuch (2. Aufl. 1877, Bd. II, 2. Hälfte, pag. 487 bis
546) nachträglich den von Prof. Huguemn und mir beobachteten höchst seltenen Fall zu
kritisiren, so passirt mir hoffentlich nicht das Geschick, das in praxi zu finden, wovon
ich gerade gelesen. Im Gegentheil, ich glaube, wenn von den gewiss gestaltenreichen
Bildern, die Ziemasen entwirft, einer für hyperacute sporadische Men. cerebrospin. zu neh¬
men ist, so ist es dieses. Sehen wir zu. Um nicht zu recapituliren, was in Ziemasen 's
Handbuch steht, hebe ich einerseits bezüglich der Hauptsymptome hervor, dass in
der fatalen Nacht vom 21. auf 22. Juni Kopfschmerz, Schwindel, Schüttelfrost, Nacken-
starre aufgetreten sein konnte, ohne beobachtet zu werden. Erbrechen fand, was ich
hier nachholeu will, in dieser Nacht wirklich statt, wenigstens fand sich Mageninhalt in
ziemlicher Menge in eine Schürze gewickelt vor. Was dann von Morgens 7 Uhr an zur
Beobachtung kam, passt vollkommen auf den sogen. Genickkrampf; gibt doch Ziemasen
(u. Andere) pag. 613 zu, dass diese Krankheit „in seltenen Fällen ganz“ ohne
Genickkrampf verläuft. Im Uebrigen ist es gewiss auffallend, dass post mortem sämmt-
licho Muskeln in langdauernde Todtenstarre verfielen, während die Nackenmuskeln voll¬
kommen schlaff blieben.
Exantheme irgend welcher Art fehlten ferner hier allerdings, während Puls, Tem¬
peratur das von Ziemasen gezeichnete, für diese Krankheit eigentümliche Verhalten dar¬
boten, auch war Trismus von Anfang an vorhanden, was sonst hier nicht das Ge¬
wöhnliche ist, aber dieser Fall ist eben als rein sporadische, infectiöse Krankheit mit
rasch tödtlichem Ausgang überhaupt eine Seltenheit und vollkommen räthselhaft. Wenn
endlich Ziemasen einerseits zugibt, dass die sporadische Mening. cerehrospia. „die
spinalen Symptome, die Hypenesthesie, die Wirbelstarre ganz vermissen lasse“, dass die
Nackencontractur „nicht so bedeutend sein dürfte als bei der epidemischeu“, andrerseits
anfUhrt, dass der hyperacute Verlauf bei dieser „nicht vorzukommon scheine“,
so war dies Alles für mich eine Aufforderung, das klinische Bild dieser Krankheit durch
diesen vereinzelten Fall completiren zu helfen.
Andrerseits spricht aber auch der Sectionsbefund für obige Diagnose. Die Verdickung
der Pia längs der grössern Gefässe, deren Verwachsung mit der Hirnsubstanz, ferner das
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ziemlich reichliche Exsudat im Wirbelcanal können bei dem foudroyanten Verlauf der
Krankheit nicht anders gedeutet werden, denn als Residuen einer peracuten Meningitis.
Bei andern Infectionskrankheiten mit eclatanten Gehirnerscheinungen trifft man oft nicht
einmal soviel in der Schädelhöhle an. Die von Mannkopf , Wunderlick, Kleba u. A. gesehene
Typhusmilz war hier in ausgesprochener Weise vorhanden, ebenso die bei Infections-
krankheiten verschiedener Art constatirte KircAow’ache trübe Schwellung des Leberparen¬
chyms etc.
Eine microscopische Untersuchung der Pia auf Zelleninfiltration konnte ich aus Er¬
fahrung in Anbetracht der Zeit, die seit dem Tod verfloss, füglich unterlassen.
Wenn ich noch einige Worte über die Aetiologie zum Schluss beifügen soll, so kann
hier weder Pauperismus, noch Heredität, noch Winterszeit beschuldigt werden, im Gegen-
theil gehörte die Tochter einer wohlhabenden, ordnungsliebenden Bauersfamilie an. Beide
Eltern, sowie ihre zwei erwachsenen Kinder sind gesund, nur die Mutter klagt seit vielen
Jahren Uber Kopfschmerz, zeitweise Schlaflosigkeit, bekanntlich Symptome ächt bauern-
mässiger Abarbeitung.
Uster. J. Ritter.
Frankreich. Die Medicin an der Weltausstellung in Paris.
Erlauben 8ie mir, hochgeehrte Redaction, in Ihrem geschätzten Blatte einige kleinere
Mittheilungen zu machen über dasjenige, was die grosse Weltausstellung von Paris dem
Mediciner speciell Interessantes bietet. Es ist keine leichte Aufgabe, eine vollständige
Uebersicht aller auf die Medicin bezüglichen Ausstellungsgegenstände zu geben, denn das
Material ist so zerstreut, in so verschiedenen Gruppen und Glassen anzutreffen, dass ich
zum Voraus um Verzeihung bitten muss, wenn manches Sehenswerthe in Folgendem ver¬
gessen oder übersehen wir<L
4 Hauptgruppen sind es vor Allem, in welchem der Mediciner manches auf sein Fach
Bezügliche vorflnden wird:
1) Die Gruppe der Instrumente und Bandagen.
2) Die ausgestellten chemischen und pharmaceutischen Produote.
8) Die Section des öffentlichen Unterrichts.
4) Die auf das Sanitätswesen in der Armee bezüglichen Ausstellungsgegenstände.
Beginnen wir mit den Instrumenten; hier gebührt Frankreich unbedingt der Vorrang.
Ein grosser 8aal ist allein den chirurgischen Instrumenten und den Bandagen gewidmet,
und da entfalteu vor dem erstaunten Blicke des Besuchers die berühmten französischen
Firmen der Chani&re, Lüer , Matthieu nebst der grossen Menge der kleinern Fabrikanten
ihre reichen und glänzenden 8chätze. In den geräumigen Glasschränken reiht sich Instru¬
ment an Iostrumeut, sämmtliche mit grosser Feinheit und wie überhaupt alles in der
französischen Ausstellung mit viel künstlerischer Ausstattung und Geschmack gearbeitet.
Ee würde mich viel zu weit führen, wollte ich an dieser Stelle eine Aufzählung der
zahllosen verschiedenen Formen geben. Es genüge hier, einige neuere zu erwähnen, so
a. B. die neue Geburtszange von Farmer mit einem doppelten Griff, um die Tractionen
immer genau in der Beckenaxe auszuführen, dann natürlich den Thermocauter von Paquehn
und anderes mehr. .
Sehr reichhaltig sind die Cautschukwaaren vertreten, ebenso die Bandagen. Bei
letztem herrscht ein solcher Luxus, ein solcher Glanz und Prunk, dass man gwi ver¬
gisst, was man eigentlich vor sich hat. Von sonstigen medioinischen Apparaten
die reiche Sammlung metallener Ohrmuscheln erwähnen, welche ein vorzügliches Mi
gegen Taubheit abgeben sollen; die electrischen Apparate von Kdard, die optischen
e trumcnte von Lutz und Roulol , worunter mehrere neue Ophthalmosoope nebst einer Samm¬
lung von Affectionen des Augenhintergrundes, sehr fein auf Glas gemalt, ein neuer m-
gator von Leard , der die Dieulafoy'ache Spritze verdrängen soll und sowohl zu Injec onen
als zur Aspiration verwendet werden kann. Niemand versäume auch in diesem Saal, *
wirklich splendide Sammlung von Zahngebissen und Prothesen zu besichtigen, weilche *
pariser Zahnärzte zum Trost für ein schönheitsbedürftiges Publicum ausgealel t a
Natürlich wird der Mediciner gleich einen Blick in jenes Cabinet werfen, das durc
grossen Vorhang den Augen eines neugierigen Publicoms verschlossen bleibt
und Barette haben da eine hübsche Auswahl ihrer Wachspräparate ausgestellt ,c m
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sten beziehen sich auf die Hautaffectionen, deren verschiedenste Formen auf's täuschendste
nachgeahmt sind. Hieran schliessen sich noch einige anatomische Präparate nach einer
neuen Methode von Prof. Laskowsky aus Genf conservirt.
Bei der Abtheilung der französischen Präcisionsinstrumente vergesse man nicht, im
Vorbeigehen einen Blick auf die ausgestellten Microscope von Nachet , Verick u. A. zu
werfen.
Bei den Ausstellungen der fremden Nationen will ich mich nur auf das wesentlichste
beschränken und daher nur einzelne berühren, obschon fast jede das eine oder andere an
chirurgischen Instrumenten aufzuweisen hat. Rückt doch z. B. selbst das ferne Austra¬
lien mit einem neuen Tonsillotom auf, construirt von einem Professor aus Melbourne.
England hat wenig ausgestellt; nur einige Instrumente von Gray aus Sheffield liegen
vor, welchen, da sie fabrikmässig hergestellt werden, die feine Arbeit der französischen
Producte abgeht Dafür sind auch meist nur einfachere Instrumente , wie z. B. R&sir-
messer besonders vertreten. Schöne Microscope liefern die Häuser Ross und Crouch aus
London. Aus den Vereinigten Staaten Nordamerikas will ich nur die äusserst sehens-
werthe Sammlung von Instrumenten and Apparaten für« Zahnärzte von S. G. White aus
Philadelphia anführen; das hier Ausgestellte übersteigt puncto Eleganz uDd scharfsinniger
Ausführung alle Begriffe und beweist genugsam, dass Amerika in diesem Zweige der
Heilkunst vor der alten Welt weit voraus ist.
Nicht zu übersehen ist die italienische Abtheilung. Als Curiosum steht da eine kleine
Sammlung antiker, meist römischer, chirurgischer Instrumente aus Bronze, aus Pompeji
stammend; Troicarts, Pincetten, Lancetten u. s. w., deren Formen von den heutigen nicht
wesentlich abweichen. Die verschiedenen, ausgestellten electrotherapeutischen Apparate
beweisen, dass dieses Gebiet der Medicin in Italien einen besonders günstigen Boden
gefunden hat und eifrigst gepflegt wird. Hervorzuheben sind die Sammlung von Schie¬
nen und hölzernen Apparaten, wie sie vom Istituto dei rachitici in Mailand armen Kin¬
dern unentgeltlich verabreicht werden, die anatomischen Präparate, nach Dr. Marini' s Me¬
thode conservirt (worunter einige schon 16 Jahre alt) und endlich die photographischen
Abbildungen der Sammlung von Beckenanomalien aus dem museo della scuola in
Mailand.
In der österreichischen Abtheilung fiuden wir einzelne geburtshülfliche Instrumente,
ebenso in der russischen. Doch eines darf ich nicht vergessen. In der schwedischen
Maschinenhalle steht eine ganze Gruppe von Apparaten, welche zur schwedischen Heil¬
gymnastik dienen. Einzelne werden selbst durch Dampfkraft getrieben. Da sind Ma¬
schinen zur Flexion, Adduction, Torsion der Glieder; besonders merkwürdig, fast komisch
nimmt sich ein Apparat aus „pour le pötrissage de l’abdomen“, damit die Verdauung
befördert werde. Patient legt sich auf eine Art Sopha; eine Reihe neben einander ge¬
stellter ruderförmiger hölzerner Stäbe werden nun abwechselnd gegen das Abdomen ge¬
drückt und dasselbe so im eigentlichen Sinn des Wortes geknetet Mit dieser barbari¬
schen Maschine wollen nun die Schweden auch die allerschwierigste Verdauung zu Stande
bringen, was allerdings angezeigt ist, wenn man ihre harten „Knäckebröder“ ansieht, die
ihre gewöhnliche Nahrung bilden sollen.
Unsere Schweiz steht in medicinischer Hinsicht ganz rühmlich da. Walter-Biondetti
aus Basel, Weber-Moos aus Zürich und Demaurex aus Genf haben ganz hübsche Samm¬
lungen ausgestellt: bei letzterem ist os besonders der Transfusionsapparat von Dr. Roussel
aus Genf, welcher die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die Krone jedoch gebührt dem
GlasBchrank, in welchem die internationale Verbandstofffabrik von Schaffhausen ihre weit
über unsere Grenzen bekannten Producte ausgebreitet hat.
Bezüglich der chemischen und pharmaceutischen Präparate kann ich mich kurz fassen.
8ie sind vorzüglich in Frankreich und England reichlich vertreten. Der mannigfaltigen
zarten Cristallformen der verschiedenen Alcaloido, der ganz unglaublichen Quantitäten von
Morphium, Strychnin, Atropin und wie die „ine“ alle heissen mögen, ist fast kein Ende.
Besonders ist es England, das mit einer solch’ schweren Menge neuer Alcaloide und De-
rivationsproducte ins Feld rückt, dass es einem ganz weh wird um das zukünftige Stu¬
dium der Arzneimittellehre, wenn das so fortfährl
Ich komme in meiner, wie gesagt, sehr unvollständigen Aufzählung zur Section des
öffentlichen Unterrichts, so weit er das medicinische Studium betrifft. Es Hesse sich hier
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manch' interessante Notiz anführen aus dem statistischen Ueberblick Uber den öffentlichen
Unterricht in den verschiedenen Staaten, der gewöhnlich mit grosser Bereitwilligkeit auf
Verlangen zur Verfügung gestellt wird. Ich will mich hier auf 2 Länder beschränken:
Frankreich und Japan.
In Frankreich sind es die von einzelnen Professoren ausgestellten Unterrichtsgegen¬
stände, die das Auge auf sich lenken, so die zahlreichen graphischen Tabellen von Marey
über physiologische Vorgänge (besonders sphygmographische Curven) und zweitens die
anatomischen und microscopischen Präparate von Sappey. Es ist wirklich erstaunlich, mit
welcher Oenauheit und Feinheit die Quecksilberinjectionen der LymphgefasBe an den vor¬
gewiesenen Extremitäten ausgeführt sind, und man möchte sich gleich neben dieselben
hinsetzen, um jenes Capitel der Anatomie wieder vorzunehmen, das aus Mangel an guten
Präparaten leider oft vernachlässigt wird..
Was Japan betrifft, so wird sich vielleicht mancher der geehrten Leser wundern,
dass ich ein dem Mediciner so fernstehendes Land bei diesem Anlass berühre; allein das
Ministerium des öffentlichen Unterrichts von Japan hat gerade in Bezug auf die neue
Universität in Tokio so viel Sahenswerthes ausgestellt, dass ich nicht umhin kann, des¬
selben mit einigen Worten zu gedenken. Photographische Ansichten und Pläne der Lni-
versitätsgebäulichkeiten, der Hörsäle, Laboratorien, Spitäler, Ausstellung der Lehrmittel,
der gebräuchlichen Instrumente, kurz Alles, was sich auf das academische Leben in Japan
bezieht, liegt hier vor; es fehlt nur, dass man die japanesischen Professoren und Stu¬
denten in natura vor sich sehe. Erstere müssen übrigens ein sehr angenehmes Leben
führen, denn jeder von ihnen hat ein besonderes Haus zur Verfügung in mitten eines
reizenden Gartens und prachtvoller Anlagen. Es beschleicht einen ein ganz sonderbares
Gefühl, wenn man diese Zeugen einer so fernen Cultur vor sich sieht, und man bekömmt
ordentlich Respect vor unsem asiatischen Collegen, besonders wenn man bedenkt, in
■welch' kurzer Zeit sie sich die Vortheile europäischer Bildung und Wissenschaft ange¬
eignet und zu Nutze gemacht haben.
Was endlich die ausgestellten Gegenstände über Sanitätswesen betrifft, so will ich
kurz auf das Pavillon der „sociötö de secours anx blessös“ hinweisen. Was unter den
mannigfach vorhandenen Krankenräumlichkeiten, Krankentransportmitteln, die sich sämmt-
lich durch grosse Eleganz, feine Arbeit, ich möchte fast sagen, zu viel Luxus auszeich¬
nen, mir als fast einzig recht practisch erschien, das ist das aufgerichtete amerikanische
Krankenzelt, für etwa 12 Patienten berechnet, wie solohe während der pariser Belagerung
von 1870 oingeriebtet worden waren, und wo durch in den Boden gelegte Röhren, in
welchen die erhitzte Luft des Ofens circulirt, die Heizung unterhalten wird. Eine ziem¬
lich practische Einrichtung schien mir auch der in der holländischen Abtheilung aufge¬
stellte Fourgon von Oberst Kromhout , der zugleich als Krankenzelt für circa 20 Schwer¬
verwundete dienen kann und sehr leicht transportabel ist. Endlich vergessen wir nicht
den einfachen Tisch mit einer Anzahl von Brochuren, auf denen das rothe internationale
Kreuz prangt, in einer Ecke der schweizerischen Ausstellung aufgestellt und daran erin¬
nernd, dass das grosse Werk der genfer Convention schweizerischer Initiative seine Ent¬
stehung und glückliche Vollendung verdankt
Zum Schluss meiner Correspondenz möchte ich noch einige der isolirten Pavillons
und „Annexes“ erwähnen, die zum Theil ganz abgesondert dastehen und vom grossen
Schwarm der Besucher fast ganz unberücksichtigt bleiben, nichts desto weniger aber das
höchste Interesse verdienen. So das „pavillon d'anthropologie“, in welchem die werthvoll¬
sten Stücke aus den verschiedenen Museen Frankreichs zusammengestellt sind und das
bezüglich der prähistorischen Zeitalter ein so reiches Material aufweist, wie man es sel¬
ten wieder bei einander finden möchte. Einige Apparate von Dr. Landolt zu Augenmes¬
sungen, von Bayern zu Blutkörperchenzählungen und andere mehr haben hier Unterkunft
gefunden und beweisen, bis in welche feinen Dötails die Anthropologie gegenwärtig ihre
grossartigen Nachforschungen verfolgt Im Vorbeigehen gerade an der Jenabrücke lasse
sich Niemand gereuen, das pavillon d’hydrothdrapie zu besichtigen, wo die mannigfachsten
pouchenapparate mit französischem Luxus und feinem Geschmack ausgestattet unser
Auge blenden. . ..
Dass bei diesen medicinischen Wanderungen sich ein ganz gehöriger Durst ernste ,
wird Jedermann wohl begreifen; dagegen findet man in der Degustation des eaux nunö-
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rales et gazeuses leicht AbhQlfe and geniesst gleichzeitig einen hübschen Ueberblick Uber
die französischen Mineralwässer, so dass sich auf diese Weise bequem das Nützliche mit
dem Angenehmen verbinden lässt
Ich habe hiemit meinen kurzen Bericht Uber die pariser Ausstellung beendigt; sollte
es mir gelungen sein, meinen geehrten Collegen einen leichten Begriff und den Besuchern
derselben einen kleinen Wegweiser gegeben zu haben, so ist der Zweck dieser Correspon-
denz erfüllt
Paris, den 12. August _ —z —t.
W oclientoericlit.
Schweiz.
Bern« Eidg. Fabrikinspectoren. Der Bundesrath hat zu eidg. Fabrik¬
inspectoren gewählt die Herren: Dr. E. Schüler in Mollis (Glarus), Nationalrath Klein in
Basel und Edmund NüsperH, Maschinenfabrikant in Neuenstadt (Bern), Wir halten die
Auswahl für eine glückliche und hoffen namentlich, dass die bewährte und in der Hygiene
des Fabrikwesens erfahrene und erprobte Kraft unseres geachteten Collegen Pr. Schüler
für die immerhin schwierige erste Durchführung des neuen Gesetzes von wesentlichem
Nutzen sein wird.
Basel. Der Regierungsrath hat auf den Vorschlag des Erziehungsdepartements an
Stelle des nach Tübingen berufenen Prof. Pfeffer Dr. H. Vöchting (d. Z. ausserordentlicher
Professor in Bonn) zum ordentlichen Professor der Botanik an der hiesigen Universität
ernannt.
Zürich. Wie wir mit lebhaftem Bedauern hören, soll Prof. Hitzig in Zürich einen
Ruf nach Halle erhalten und angenommen haben. Die unausgesetzten Angriffe und grund¬
losen Verdächtigungen, die in der letzten Zeit von einer gewissen 8eite aus systematisch
gegen den hochverdienten Lehrer und Director der Irrenanstalt Burghölzli geführt worden
sind, konnten nicht dazu dienen, dem hervorragenden Gelehrten das Scheiden aus der
Schweiz zu erschweren, so sehr er auch wusste, dass alle Collegen sich auf seine Seite
stellten, und für die gegen ihn dirigirte Hetzjagd nur Worte des Abscheu’s hatten.
Ausland.
Sachsen. Lebensmittelfälschung. Im Hinblick auf die auch bei uns
lebhaft ventilirte Frage der Lebensmittelcontrole dürfte es manchem unserer Leser will¬
kommen sein, wenn wir aus der Brochure Dr. L'. Geissler 's (Ein Beitrag zur Frage der
Verfälschung der Lebensmittel in der Stadt Dresden) einige Daten herausgreifen.
Bei 283 Weinen (122 Roth-, 99 Weise- und 12 andern Weinen, wie Sherry, Port¬
wein etc.) waren an 79% begründete Ausstellungen zu machen. Die schwefelsauren
Salze fanden sich bei 120 Weinen vermehrt, ja bei einem italienischen sogenannten
Krankenwein bis zu 5,829 gmm. schwefelsaures Kali per Liter. Reine Kunstweine fan¬
den sich 8 Mal, darunter die erbärmlichsten Fabrikate. Von den 122 Rothweinen waren.
31 mehr oder weniger mit andern Pflanzenfarbstoffen nachgefärbt, indess nur in 1 Fall
mit Fuchsin. 38 Weine erwiesen sich als gallisirt, 10 waren mit Alcohol und Wasser
verdünnt, 6 mit Obstwein vermischt. Viele waren schlecht vergohren und enthielten noch
eine Menge stickstoffhaltiger Substanzen. Von 8 untersuchten Aepfelweinen waren 7 gut,
einer bestand aus Spiritus, Glycerin, Säure und Wasser. Weit günstiger stellte sich
das Ergebniss bei der Untersuchung verschiedener Biersorten. In keinem der untersuch¬
ten 43 Biere konnte irgend welcher Zusatz nachgewiesen werden, weder in Bezug auf
fremde Bitterstoffe, noch auf Malzsurrogate. Nur 3 Biere waren zu tadeln, eines, weil
es schlecht vergohren war, zwei andere, weil sie mehr Alcohol als Extract enthielten.
(Schlimmer stehen die Bierverhältnisse in Berlin. Nach den, Ende vorigen Jahres vom
Polizeipräsidium daselbst vorgenommenen Untersuchungen der Biere aus 21 Brauereien
stellte sich heraus: Bei 11 (also der Hälfte) der untersuchten Biere hat sich das Vor
handensein fremdartiger Bitterstoffe ergeben, und es sind Quassia, Menyonthes (Bitterklee)
und andere Bitterstoffe — neben Hopfen — bei diesen Bieren zur Verwendung gekom¬
men. F erner haben sich grössere Mengen von Glycerin in 3 Bieren nach weisen lassen;
auch die Anwendung von Stärkezucker wurde erwiesen.)
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542
Von den 100 Milchproben waren 96 als gute oder gante nnd 4 als abgerahmte oder
blaue Milch bezeichnet; ihrer Qualität nach eerfielen jedoch diese Proben in 87 reine
(35 ganze und 2 blaue), 46 verdünnte oder ihres Rahmes beraubte, 13 dieser Manipula¬
tion verdächtige und 4 schlechte (sauer gewordene); eine war, wohl aus Bosheit, mit
SeifenwaBser vermischt. Zusätze von Mehl, Stärke, Dextrin u. dgl. konnten nirgends
nachgewiesen werden. Zur Qualitäts-Bestimmung erwies sich in der Mehrzahl der Fälle
die Milchwaage nach Quevenne als ausreichend; der Cremometer nach Chevalier lieferte
immer nur unbrauchbare Resultate. Bei der Butter gedenkt Verf. zunächst einer sehr
häufigen, aber bis jetzt noch wenig beachteten Fälschung, nämlich der ungenügenden
Entfernung, bezw. des Zusatzes Übermässig grosser Mengen von Wasser und Käsestoff.
Eine marktwürdige Butter musste zum mindesten 80°/ 0 Butterfett enthalten; von den
untersuchten 62 Sorten enthielten aber 21 darunter. 10 Proben waren mit anderen Fet¬
ten vermischt, eine enthielt gar keine Butter, sondern verdankte ihren Geruch nur dem
Zusatz von etwas Butteräther.
Die Untersuchung von 34 Mehlproben ergab ein sehr günstiges Resultat; Verfäl¬
schung mit mineralischen Bestandtheilen war gar nicht nachzuweisen. Auch 6 Proben
von Backwerk waren von fremden Zusätzen frei. (Prag. med. Woch.)
Zur weitern Orientirung fügen wir noch Einiges aus dem englischen Gesetz gegen
Verfälschung der Nahrungsmittel (11. August 1870) bei. „Niemand soll mischen, färben,
verunreinigen, bestäuben oder irgend einer andern Person den Auftrag geben oder ge¬
statten zu mischen, zu färben, zu verunreinigen, zu bestäuben irgend einen Nahrungs¬
artikel mit einer Substanz oder einem Stoffe, so dass derselbe gesundheitsschädlich wird,
in der Absicht , denselben in diesem Zustande zu verkaufen , und Niemand boII irgend
einen so gemischten, gefärbten, verunreinigten oder bestäubten Artikel verkaufen.“ Die
Strafe beträgt beim ersten Vergehen bis ^^60, im Rückfall Gefängniss bis 6 Monate mit
strenger Arbeit verschärft.
Ebenso ist es bei einer Strafe bis 20 verboten, zum Nachtheil des Käufers irgend
ein Nahrungsmittel oder eine Drogue zu verkaufen, die nicht von der natürlichen 8ubstan*
und Eigenschaft des von dem Käufer geforderten Gegenstandes ist.
Für Durchführung dieses Gesetzes sollen in allen Städten und Landkreisen einer
oder mehrere Analytiker ernannt werden, die innerhalb ihrer Districte die Nahrungsmittel
und Droguen, die zum Verkauf gestellt werden, zu untersuchen haben.
„Doch wird vorausgesetzt, dass von jetzt ab Niemand mit den Untersuchungen be¬
auftragt werden soll für irgend einen Bezirk, der direct oder indirect bei einem Handel
oder Geschäft betheiligt ist, das mit dem Verkauf von Nahrungsmitteln oder Arzneistoffen
in demselben Orte in Verbindung steht.“
Jeder Käufer hat nun das Recht, gegen Zahlung von einer Summe, die aber 10 Sh.
6 P. nicht übersteigen darf, den Gegenstand untersuchen und auf Grund der erhaltenen
Bescheinigung eine Anklage erheben zu lassen. Ebenso kann jeder ärztliche Gesund-
fieitsbcamt«, jeder Inspector öffentlicher 8chäden (nuisances), jeder Inspector von Maass
und Gewichten, jeder Marktaufeeher und Policist u. s. w. eine Probe der zum Verkauf
gestellten Waare fordern und untersuchen lassen, sobald er eine Verfälschung vermuthet
W T ir übergehen hior die ausführlichen Vorschriften über Appellation, die eingehenderen
Berichte u. s. w. und möchten nur die Bemerkung hieran knüpfen, dass sicher nur eine
solche über das ganze Land gleichmässig verbreitete Organisation, wie sie das Gesetz
vorsieht, und der nirgends die amtlich bestellten Chemiker fehlen, wie wir sie nur vereinzelt
ju den grössten Hauptstädten haben, dass nur eine solohe Organisation den Zweck, der
Verfälschung der Nahrungsmittel entgegenzutreten, erreichen kann. Die Kosten der Aus¬
führung des Gesetzes werden auf die communalen Steuern überwiesen.
(Deutsche Zeitschr. f. pract. Med.)
Stand der InfeetIons-Krankheiten in Basel.
Vom 11. bis 25. August 1878.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Von Masern sind nur ö neue Fälle angezeigt (60, 61, 20, 14), davon aus Groas-
baeel 4 (28, 7, 3), aus Kleinbasel 1 (28, 18, 11).
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543
Scharlach 8 Fälle (4), wie das letzte Mal alle aus Kleinbasel.
Von Typhus sind 21 neue Erkrankungen aogezeigt (18, 11, 7), davon auf dem
Nordwestplateau 2, Birsigthal 7, Südostplateau 1, Birsthal 5, Kleinbasel 6.
Hals- und Bachenbräune wie im letzten Berichte 4 zerstreute Fälle.
Erysipelas 5 zerstreute Fälle (2). — Von Keuchhusten sind 16 Fälle ange¬
zeigt, aus allen Stadttheilen, am meisten (6) aus Kleinbasel — Zerstreute Fälle von Va¬
ricellen. — 1 Fall von Puerperalfieber in Kleinbasel.
Briefkasten.
Herrn Dr. Conrad, Dr. E. Emmert, Bern: Besten Dank. — Herrn Dr. WittelihB/er , Wien:
Vielen Dank für Ihre Freundlichkeit; ich habe mir seither den Schluss des Artikels aus einer Biblio¬
thek verschafft Collegialen Otubs. — Herrn Dr. F. Oanguxllet, Paris: Besten Dank: „erzähl’ er immer
weiter, Herr Urian1“ — Herrn Prof. Dr. Kocher , Bern, Dr. F. Borei-Laurer, Neuchätel, Dr. W. in
W., Dr. O. Qlaser , Bern: Mit bestem Dank erhalten; wir werden Alles mit möglichster Beförde¬
rung zum Abdruck bringen. — Herrn Dr. Ftiri, Bümplitz: Das Unterbrechen längerer Arbeiten lässt
sich nicht vermeiden, da auch die Wünsche unserer Mitarbeiter, die jeweilen nicht immer gerne allzu
lange warten, zu berücksichtigen sind. Freundl. Gruse! — Herrn Dr. Duboit, Bern : Ihr Wunsch soll
erfüllt werden; mit Ihrer Ansicht über die Vereinsberichte sind wir vollkommen einverstanden. Für
die Zukunft soll uns der von Ihnen projectirte Modus sehr willkommen sein. Das Referat Uber die
Sect caesarea kam uns als Separatabdruck zu, als Manuscript nicht. Freundl. Grass! — Herrn Dr.
Zürcher , Aarau: Mit Dank erhalten; sehr nettl — Herrn Dr, H. Müller , Zürich, Dr. Bircher, Aarau,
Dr. Hotch, Basel, Dr. Sonderegger, St Gallen: Mit Dank erhalten.
A T»f 7 'f der die Pariser-Ausstellung in der zweiten oder dritten Woche Septembers besuchen
Filii ^1 ^ ty will, wünscht Gesellschaft von einem oder mehrern Collegen. Anmeldungen an den
Tit. Verlag des Corres pondenzblattes bis spätestens den 6. September. _
I T RAi>Z JOSEF’ Bitterquelle,
da« wirksamste aller Bitterwässer,
unterscheidet sich in seiner Wirkung dadurch Tortheilhaft Ton den anderen bekannten Bitterwässern, dass es in kleineren
Quantitäten wirksam und bei längerem Gebrauche ron keinerlei üblen Folgen begleitet ist.
wie», 2i. iprii 1877. Prof. Dr. Max Leidesdorf.
Nach vielfacher Anwendung erkläre ich mich mit dem Erfolge der Wirkung der Frans Josef Bitterqnelle ganz zufrieden.
Zürich, den 19. Mai 1878. p rQ f Q p ClOCtta.
Verursacht selbst bei längerem Gebranohe keinerlei Nachtheile.
Wien, io. August 1877. Hofrath Prof. Dr. v. Bamberger.
Die Wirkung ist ausnahmslos rasch, zuverlässig und schmerzlos.
Würzburg, 20. Juli 1877. Gehelmrath
Prof. Dr. Scanzoni Freiherr v. Lichtenfels.
Vorräthig in allen Apotheken und Mineralwasser-Ddpöts. Engros-Lager hei Apoth. Lavater in ZBrleh nnd Apoth. Haus¬
mann in 8t. Gallen. Brunnenschriften etc. gratis dnreh die Versendunga-Direction in Budapest.
_jfry Normal-Dosis; Ein halbes Weinglas voll. [H-1295-Q]_
Die Arzt-Stelle in Yerrifcres
ist wegen Abreise des bisherigen Inhabers derselben neu zu besetzen und
ladet daher die Municipalität von Verriferes diejenigen patentirten Aerzte,
welche auf den vacanten Posten reflectiren, ein, ihre Offerten nebst Beleg¬
stücken bis zum 31. Angnst nächsthin dem Gemeinderathe einznsenden.
Verrifcres, den 16. August 1878.
Im Namen des Gemeinderathes:
Der Secretär:
[H-860-Y] L. Barbezat.
Impfstoff.
Frische Farren- oder Kuhlymphe ist auf vorher¬
gehende rechtzeitige Bestellung stets zu beziehen
durch das Sekretariat der Sanitätsdirektion in Schaff¬
hausen, per canule k Fr. 1. 50. [H.-2992-Q]
c hi rQr £i 8C h® Instrumente in Holz,
Xj lUIS sowie in Brieftaschenformat (sog.Etuis-
Trousse) werden elegant angefertigt von
Fritz Hosch, Buchbinder,
Bäumleingasse 9, Basel.
NB. Reparaturen aufs Beste.
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544
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Morph, acet. 30 Grm. Fr. 15, 15 Gr. 8 Fr.
„ muriat. 30 Grm. Fr. 16, 15 Gr. 8 1 /» Fr.
Natr. salicyl. albis. (Schering) pulv. 100 Gr. Fr. 4. —
250 Gr. Fr. 8. 50.
„ talic. crystal. puriss. 100 Grm. Fr. 5. —.
Acid. salicyl. cryst. 100 Grm. Fr. 4.
Kalium jodat. pur. 250 Grm. Fr. 12.
Chloroforn. pur! pt. helv. 250 Gr. Fr. 2.
Kalium bromat. purum 250 Grm. Fr. 2. 60.
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Hirschfeld, Dr. A. Nicolai, Dr. H. Emminghaus
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arbeitet von Prot Dr. 0. Kohts, Dr. C. Rauchfass,
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Demme, Prof. Dr. A. Weil, Dr. L. Fürst, Prof.
Dr. L. Thomas, Prof. Dr. E. Wyss, Prof. Dr.
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Generalvertretung der Hunyady - Liszld-
Bittersalzquelle in Budapest.
Die grosse Anzahl von Ofener Bitter¬
wässern und die von einzelnen Quellenbeaitzern
öffentlich ausgefochtene Polemik, welche die
stärkste und beste sei, machen dem Arzte und
Laien die Wahl schwer. Thatsächlich ist unter
den verschiedenen Quellen, die alle auf demselben
Ravon liegen, kein grosser Unterschied und
richtet sich der Gehalt an Salzen nach der mehr
oder minder guten Construction der Brunnen,
so wie ob das Wasser bei trockener Witterung
oder nach starken Regengüssen geschöpft ist.
Der neue Brunnenbau der Hunyady-Uizlö-Quell«
wird als mustergültig geschätzt und gibt daher
die beste Gewähr für <ue Gleichmässigkeit ihres
nach vergleichender Analyse stärksten Gehalts
an Salzen. Um jedoch eine ganz genaue Do-
sirung zu ermöglichen, lässt die Verwaltung der
Hunyady-Liszlö-Quelle ans ihrem Mineralwasser
ein Extract in Form eines weissen leichtlös¬
lichen Pulvers an der Quelle selbst hersteilen,
welches sämmtliche wirksame Bestandteile der¬
selben enthält. Einer Dose Inhalt stimmt mit
dem einer Flasche Bitterwasser überein, 1 Kaffee¬
löffel = 1 Glase. Die Vorzüge des Hunyady Uszld-
Extra cts vor Jedem Bitterwasser bestehen ausser¬
dem in der Annehmlichkeit, dass jenes in Oblate
oder in jedem Getränk genommen werden kann
— somit von besonderem Werthe für Alle, welche
Widerwillen gegen Bitterwasser hegen —, und
dass die kleine Dose auch auf Reisen bequem bei
sich zu führen ist. Preis der Dose 50 Pfennig.
— Den Herren Aerzten stehen Proben gratis aad
franco zu Diensten.
Verlag von Anglist Hirschwald in Berlin.
Soeben erschien:
E. Martin’s Handatlas
der
Gynäkologie u. Geburtshtllfe
herausgegeben von
Docent Dr. A. Martin.
Zweite vermehrte Auflage.
1878. (94 Tafeln.) 4°. Preis 20 M.
Schweighausertache Buchdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Baael,
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CORRBSPONDENZ-BIATT
Am 1. und 15. jeden
Monats erscheint eine Nr.
I 1 /*—2 Bogen stark;
am Schluss des Jahrgangs
Titel u.Inhaltsverzeichniss.
für
schweizer Aerzte.
Herausgegeben von
Preis des Jahrgangs
Fr. 10. — für die Schweiz;
der Inserate
35 Cts. die zweisp. Zeile.
Die Postbureaux nehmen
Bestellungen entgegen.
Or. Alb. Burelihardt-lHerian und Br. A. Baader
Prir»tdocent in Baael.
in Qelterlünden.
V 18. VIII. Jahrg. 1878. 15. September.
Inhalt: 1) Originalarbeiten: Dr. A. Kollmann: Die Sehnennaht an der Hand (Schluss). — Dr. Emil Emmert: Va¬
seline als Salhenconstituens — 3) Vereinsberichte: Medicinieche Gesellschaft in Basel. — 3) Referate nnd Kritiken:
Dr. Carl Emil Buss: Ueber Wesen und Behandlung des Fiebers. — Dr. K. Spanier: Physiologie der 8eele. — Dio Landschaft
Da tos. — Dr. Adolf Kussmaul: Die Störungen der Sprache. — 4)Cantonale Correspondenzen: Aaran, NenchStel,
St. Gallen, Thurgau, Zürich. — 5) Wochenbericht. — 6) Bibliographisches. — 7) Briefkasten.
Original-Arbeiten.
Die Sehnennaht an der Hand.
Vortrag, gehalten in der Herbstsitzung des ärztlichen Central Vereins der Schweiz
in Olten den 27. October 1877.
Von Dr. A. Kottmann, Spitalarzt in Solothurn.
(Schluss.)
Schneller oder langsamer, je nach der Natur der Vorgefundenen Wunde, sind
wir nun auf dem Puncte angelangt, wo wir mit der Naht beginnen können, müssen
uns zunächst aber noch über das zu verwendende Material einigen, welchem wir
die dauernde Vereinigung der durchschnittenen Sehne anvertrauen wollen. Prof.
König, sich streng an das Verfahren des Lister -Verbandes haltend, gebrauchte das
Catgut, hat dasselbe auch einzig empfohlen und demselben eine gewisse Bedeu¬
tung für das Gelingen der Operation vindicirt. Seither wurden auch andere Ma¬
terialien, wie die carbolisirte Seide und besonders von französischen Autoren der
Silberdraht lebhaft empfohlen. Für letzteren gaben hauptsächlich günstige Thier¬
experimente den Grund zur Anpreisung. Gegen das Catgut kann allerdings der
Vorwurf geltend gemacht werden, dass seine bindende Wirkung eine begrenzte,
nur auf wenige Tage hin sich erstreckende sei, indem es sich in der Gewebsflüs¬
sigkeit bald erweiche und gänzlich resorbire, was zu einem Auseinandergleiten der
vereinigten Theile führen müsse, wenn nicht schon ein gewisser Grad der dauern¬
den Cohaerenz gewonnen sei. Deshalb soll es besonders bei solchen Verletzungen
umgangen werden, welche nicht die ganz glatte Beschaffenheit einfacher Schnitt¬
wunden darbieten, bei welchen eine, wenn auch ganz minime Necrose auf den
Schnittflächen, und damit im Zusammenhang eine verzögerte Verheilung zu erwar¬
ten ist. Bei dem Silberdraht, welcher sich durch grössere Dauerhaftigkeit als das
Catgut und geringere Reizung der Gewebe als die Seide auszeichnet, deshalb auch
die geringste Tendenz zum Durchschneiden zeigt, frägt es sich aber, ob derselbe
86
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546
sich in der Sehne gehörig einkapseln könne, ob er nicht noch später bei den Be¬
wegungen der Finger Reizungserscheinungen in der Scheide hervorrufen und da¬
durch zu adhäsiver Entzündung führen werde. Zuletzt bleibt uns noch die Unter¬
suchung , ob denn bei richtiger Behandlung der Verletzung diese ausgedehnte
Persistenz des Bindemittels überhaupt nothwendig und von fundamentaler Wich¬
tigkeit sei.
Ich habe mich diesen Fragen auf experimentellem Wege zu nähern gesucht,
indem Sehnenverletzungen an Menschen doch nicht so häufig zur Behandlung ge¬
langen, um an denselben sich differentiellen Studien hingeben zu können. Da mir
keine Hunde zur Verfügung standen, so musste ich mit Kaninchen vorlieb nehmen,
obwohl sie Für solche Untersuchungen nicht gerade die geeignetsten Objecte lie¬
fern , indem sie klein sind, ihre Verwundungen zu käsigen Entzündungen leicht
disponiren, ihre grossem Sehnen, wie gerade die Achillessehne, auch Schwierig¬
keiten für die Operation bieten, indem sie nicht schnurartig zusammengedreht sind,
sondern aus einer grossen Anzahl von einzel verlaufenden Fäden, welche nur durch
lockeres Bindegewebe mit einander vereinigt sind, bestehen, so dass das ange¬
wandte Nähmaterial bei nicht gehöriger Sorgfalt und Uebung jeden Augenblick
durchreisst. Mit einiger Mühe und bei vielen Einzelversuchen bin ich doch so weit
gekommen, constatiren zu können , dass es auf das verwendete Bindemittel im
Ganzen nicht so sehr viel ankömmt, wie man anfänglich glauben könnte , indem
die Wiedervereinigung der absichtlich getrennten Sehne mir mit allen Arten der¬
selben gelang, so dass ich Verheilungen und Wiederherstellung der Function mit
Catgut, Seide, Silber- und Eisendraht erhielt. Einen besondern Vortheil gerade
des Silberdrahtes vor dem Catgut wegen seiner grössern Persistenz konnte ich
nicht eruiren, indem ich bei absichtlich stark gequetschten, bei gesägten und übel
jsugerichteten Verletzungen mit Darm ebenso gut und sicher zu einer primären
Vereinigung kommen konfite, wie mit Silberdraht. Nur musste ich mir sehr an¬
gelegen sein lassen, und das ist der Brennpunct der ganzen Frage, die fetzige,
unregelmässige Wunde wieder zu glätten und sie auf den Status einer schönen
Schnittwunde zu erheben. Kam es zu Eiterung um die Sehne herum, dann hielt
kein Nähmaterial mehr Stand, indem durch die Suppuration das Bindegewebe zer¬
stört und dadurch die Sehnenfaden gelockert wurden. Ich habe es constatiren
können, dass ganz kurz abgeschnittener, feiner Silberdraht sich in der Sehne des
Kaninchens einkapselte und dass die Thiere keiner weitern Störung für die Folge
dadurch ausgesetzt waren. Ob aber die subtilen Sehnenscheiden an der Hand des
Menschen sich auch so tolerant zeigen und in denselben alle Reizerscheinungen
durch diesen Fremdkörper ausbleiben würden, darüber fehlen genügende Erfah¬
rungen.
Wie die Verhältnisse gegenwärtig stehen, dürfen wir vor Allem dem Catgut
das Wort reden und bei allfälligem Mangel desselben eine ganz feine, gut carboli-
sirte Seide anrathen.
Was die Technik des Nähens anbetrifft, so ist dieselbe eine äusserst einfache,
sobald die Sehnenenden aufgefunden sind. Diese werden zu äusserst leicht, aber
sicher, ohne zu quetschen, mit einer feinen Pincette gefasst und eine dünne ge-
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krümmte Nadel circa 2 Millimeter von der Endfläche durchgeführt. Zu nahe
der Trennungslinie zu gehen ist nicht statthaft wegen der grossem Gefahr des
Ausreissens des Fadens, zu weit davon sich zu entfernen, hat ebenfalls seine Be¬
denken wegen der grossem Schwierigkeit des Zusammenknüpfens, indem zu leicht
Faltungen sich bilden. Sollte der Sehnenstumpf ausgefranst sein, so wird er mit
einer scharfen Scheere geglättet. Die Stärke des Catgut richtet sich nach dem
Caliber der Sehne, nur müssen wir uns immer an möglichst starke Nummern hal¬
ten, indem die feinsten doch zu leicht sich resorbiren. Gewöhnlich wird bei den
Sehnen der Hand Nr. 2 sich am besten bewähren. Bei dickem und breitem Seh¬
nen werden wir unter Umständen und ohne jegliches Bedenken auch zwei und
mehr Suturen neben einander anlegen dürfen. Das Schürzen des Knotens muss
sehr vorsichtig, exact und fest geschehen, der Faden kurz abgeschnitten und ver¬
senkt werden. Auf complicirtere Verfahren mit Silberdraht, wie sie von Franzo¬
sen vorgeschlagen wurden, brauchen wir uns bei der Einfachheit und Sicherheit
der Manipulation gewiss nicht einzulassen. Liegen zwei verletzte Sehnen über
oder neben einander, so ändert dies an der Sache absolut gar nichts, indem jede
für sich auf die eben angegebene Weise behandelt wird.
Sobald die Präparation der Wunde und das Nähen beginnt, wird der Carbol-
Spray in Bewegung gesetzt. Vor der Anlegung des Verbandes bediene ich mich
bei diesen Fällen immer noch einer 8% Chlorzinklösung, um die Wunde gehörig
auszutupfen, indem dadurch dio Plasticität derselben erhöht wird und eine zu reich¬
liche seröse Absonderang in der ersten Zeit bei der Kleinheit der Verhältnisse
nicht in Anschlag zu bringen ist. Bei grossem und namentlich gequetschten und
zerrissenen Wunden werden wir ein ganz feines Drainröhrchen oder zusammen¬
gerollte Catgutfäden an den tiefsten'Punct der Wunde führen, um den Abfluss
der Secretc im Zaume zu halten. Die Drainage können wir schon bald wieder
entfernen. Die Haut wird exact zugenäht. Zuweilen wäre es gewiss von
grossem Vortheile, die Sehnenscheide selbst, besonders wenn wir sie präparirend
erweitern mussten, für sich mit einigen ganz feinen, kurz abzuschneidenden Cat¬
gutfäden zusammen zu ziehen, um dadurch die Vereinigung der Sehnenenden
zu befördern und zu sichern. Dies kann aber nur bei den Flexoren in Betracht
kommen.
Nach Schluss der Wunde, vor Anlegung des Verbandes, können wir uns so¬
gleich von der Richtigkeit der Vereinigung durch leichte active Bewegungen der
Finger, welche wir dem Verletzten gestatten, überzeugen. Die Freude des Pa¬
tienten, welcher nun plötzlich wieder Herr seiner Bewegungen geworden ist, ent¬
schädigt ihn reichlich für die Schmerzen und die Mühsal, welche er bei den ziem¬
lich lange dauernden Manipulationen, welche die Listerei mit sich führt, auszuhal¬
ten gezwungen war.
Nach Anlegung des antiseptischen Verbandes muss die Hand auf eine Schiene
gelagert werden, welche bis zum Ellenbogengelenke reicht. Die Unterstützung
muss so beschaffen sein, dass der Ursprung und die Insertion des Muskels, wel¬
chem die durchschnittene Sehne angehört, in möglichste Annäherung gebracht
werden. Ist die Verletzung auf dem Handrücken, so stellen wir das Glied in mög-
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548
lichste Dorsalflexion, welche auf planer Schiene durch Wattepolsterung, besser
aber noch durch eine eigens dazu construirte Holzschiene mit Winkelstellung des
Handstückes nach oben erzielt wird. Für die Vola manus gelten die gleichen
Grundsätze, indem hier Handgelenk und Finger volarwärts flectirt werden. Ruhe
für einige Tage im Bette wird für den günstigen Verlauf sehr wohlthätig sein.
Bei richtiger Operation und genügender Uebung im itsler'schen Verfahren wird
der nun folgende Heilungsprocess fieberlos und ohne jegliche Reaction und Eite¬
rung sich abspiclen. Immerhin treten aber nicht so selten, wie es scheint, Er¬
scheinungen auf, welche uns interessiren können und deren Kenntniss von practi-
scher Wichtigkeit ist. In den ersten Tagen stellen sich zuweilen Schmerzen ira
Verlaufe der afficirten Sehne ein, welche besonders bei leichten Bewegungen sehr
exacerbiren können. Dabei schwillt der Vorderarm zuweilen an und es bildet sich
eine fleckige Injcctionsröthe nach rückwärts aus, also das Bild einer beginnenden
Tendo-Vaginitis, welche das Gemüth des behandelnden Arztes schon recht zu al-
larmiren im Stande ist. Merkwürdig ist es, dass diese Entzündung sich aber doch
nicht entwickelt, wenn das Lisler -Verfahren auf guter Basis beruht, und dass der
Heilungsprocess sich ohn alle weitern Störungen abspielt. An der Stelle, wo die
Naht stattgefunden hat, bildet sich eine circumscripte Verdickung aus, über wel¬
cher die Haut im Anfänge infiltrirt und meist nicht verschiebbar ist. Mit der Zeit
entsteht dann eine feste Hautnarbe, welche nach und nach über ihrer Unterlage
mobil wird. Den Knoten aber, welcher der zusammengeknüpften Sehne entspricht,
fühlt man noch sehr lange. Eine oberflächliche Suppuration der Haut und des
Unterhautzellgewebes, welche bei stark gequetschten Wunden nicht immer zu um¬
gehen ist, schadet für den Erfolg nichts, wenn nicht auch die Sehne in den Kreis
der Eiterung gezogen wird. Bei ganz günstigem Verlaufe dürfen die ersten pas¬
siven Bewegungen schon nach Verfluss von zwei Wochen gemacht werden, vor¬
ausgesetzt aber immer, dass die Hautwunde definitiv vernarbt ist Es schadet
übrigens der spätem Beweglichkeit der Finger gar nichts, wenn erst nach drei
Wochen oder noch später damit begonnen werden kann. Passive Bewegungen
sind übrigens immer nothwendig, indem durch sie die Adhaisionen der Sehne mit
ihrer Scheide, welche sich immer ausbilden, gelöst werden müssen. Active Bewe¬
gungen lassen immer noch einige Zeit auf sich warten, sie sind im Anfang auch
sehr beschränkt und empfindlich, gewinnen aber bei verständiger Uebung sehr
schnell an Freiheit und Kraft. Es muss der Gymnastik der Finger eine lange Zeit
fortgesetzte Aufmerksamkeit von Seiten des Patienten gewidmet werden, indem
bei mangelnder Energie und Nachlässigkeit schon erworbene Bewegungsausschläge
sich wieder reduciren können, wie mir selbst dies in einem meiner Fälle zur Evi¬
denz sich gezeigt hat. Werden aber doch noch später, ein halbes Jahr nach dem
Unfälle, die Uebungen wieder mit Fleiss aufgenommen, kann Verlorenes noch ein-
geholt werden und die Sache sich doch noch ganz günstig gestalten, besonders
•wenn der Arzt selbst die steif gewordenen Finger mit Anwendung einiger Kraft
zu ausgiebigen Bewegungen passiv zwingt, wie wir es nach Handgelenkresectionen
gewöhnt sind. Daraus folgt aber doch die Ermahnung, solche Verwundete nicht
zu früh unserer Uebcrwachung sich entziehen zu lassen.
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Wir müssen nun noch einigen theoretischen Erörterungen folgen über die Art
und Weise, wie die Vereinigung der getrennten Sehnenendep zu Stande kommen
mag. Leider konnte ich bei meinen Thierexperimenten diesem interessanten Puncte
nur eine ganz oberflächliche Aufmerksamkeit schenken, indem zu eingehenden Stu¬
dien mir die nöthige Müsse fehlte; objective Beobachtungen anderer Autoren sind
mir auch nicht zu Gesichte gekommen. Es bleibt mir deshalb nichts anderes übrig,
als dem Beispiel Königs, zu folgen und die bei den subcutanen Tenotomien ge¬
wonnenen Anschauungen auf unsern Gegenstand überzutragen, besonders da, wie
König sehr richtig bemerkt, „die Vortheile des Lisler -Verbandes gerade darin be¬
ruhen, dass sie die offene Wunde, soweit es eben möglich ist, in eine subcutane
umwandeln“. Da die Sehne selbst sehr gefässarm ist und aus derbem, zu Reac-
tion wenig geneigtem Bindegewebe besteht, so wird der Hauptantheil an ihrer
Wiedervereinigung der leicht erregbaren Sehnenscheide zufallen, von welcher aus
das erste plastische Exsudat um die Sehnenstümpfe gegossen wird. Dieses ver¬
wandelt sich wahrscheinlich rasch in junges Bindegewebe und bildet einen äussern
Callus, welcher die erste Fixation besorgt. Bei einiger Aufmerksamkeit fühlen wir
denselben als die oben beschriebene circumscripte Verdickung durch, bei den
Thierversuchen konnte ich denselben bei der Autopsie stets als eine spindelförmige
Auftreibung, in welcher die beiden Sehnenenden steckten, nachweisen. Mit der
Zeit mögen dann allerdings auch von der Schnittfläche der Sehne aus sich binde¬
gewebige Brücken bilden und die Solidität der Vereinigung wesentlich erhöhen.
Später, wenn Bewegungen ausgeführt werden, gehen deutliche Veränderun¬
gen an der Vereinigungsstelle der Sehne vor sich. Zunächst erfolgt die Be¬
freiung der Scheide von der Haut, mit welcher sie sich zuweilen verlöthet hat,
dann tritt ganz langsam und allmälig eine Lockerung der Adbsesionen zwischen
der Sehne und ihrer Scheide ein, bis die Befreiung eine vollständige ist und zu¬
letzt fühlen wir nur noch ein kleines, mit seiner äussern Umgebung nicht zusam¬
menhängendes Knötchen durch. Ob auch dieses sich noch reducirt, wie bei dem
Callus der Knochenbrüche, konnte ich bei meinen Beobachtungen noch nicht con-
statiren. Mit dem gänzlichen Verschwinden desselben wäre allerdings der letzte
Act der Restitution vollendet.
Dass übrigens der ganze, jetzt entwickelte Mechanismus der Vereinigung ge¬
trennter Sehnen eine grosse Analogie mit dem Processe bei der subcutanen Teno-
tomie besitzt, die Theorie also nicht aus der Luft gegriffen ist, davon konnte ich
mich bei einem meiner Fälle (Nr. 2) ganz gut überzeugen. Es handelte sich dort
um die Vereinigung der Strecksehne des Zeigefingers der linken Hand, welche
ohne jeden Anstand gelang. Bewegungen wurden schon sehr früh eingeleitet und
waren auch bald activ ausführbar. Nun zeigte es sich in der Folge, dass der sonst
sehr kräftig und mobil gewordene Finger seine Dorsalflexion nur bis etwa einen
halben Centimeter unter die Horizontale der verlängerten Hand bringen konnte,
und um bis zu demselbrn Grade, wie die andern Finger, zu kommen, sich des
Mittelfingers als Leiter und Stütze bedienen musste. Hier war offenbar, ähnlich
wie bei Tenotomien, eine Verlängerung der Sehne eingetreten, indem sich wahr¬
scheinlich bei einem Verbandwechsel eine geringe Diastase der Sehnenenden ge-
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bildet hatte, welcher aber durch die Solidität des äussern Callus eine baldige
Grenze gesetzt wurde. In die Spalte zwischen die beiden Flächen der Sehne
hinein rückte dann das junge Bindegewebe des Callus und führte so zu einem
intermediären Wachsthum der Sehne. Ich könnte mir wenigstens diese Beobach¬
tung nicht anders auslegen.
Meine eigenen, mir zu Gebote stehenden casuistischen Beiträge erstrecken sich
auf folgende drei Fälle, bei welchen zehn Sehnennähte mit Glück ausgeführt
wurden.
1. N., Buchdrucker, 16 Jahre alt, gerieth den 26. Juli 1876 mit seiner linken
Hand unter ein centnerschweres Papiermesser und wurde sofort nach dem Unfälle
in das Spital gebracht und sogleich in Behandlung genommen. Bei dem durch den
bedeutenden Blutverlust sehr anämisch gewordenen Patienten zeigt sich auf der
Volarseite der linken Hand eine tiefe, breit klaffende, bis auf die Knochen rei¬
chende, ganz glatte Schnittwunde, welche dicht beim Metacarpo-Phalangealgelenke
des Mittelfingers beginnt und sich steil, schräg nach hinten und ulnarwärts bis
zum Os hamatum erstreckt. Die Blutung ist lebhaft und erfordert die Unterbin¬
dung von sechs Arterienästen mit Catgut. Das Metacarpo-Phalangealgelenk des
Mittelfingers ist eröffnet. Die Sehnen des Flexor digitorum communis sublimis et
profundus des 3., 4. und 5. Fingers sind sämmtlich durchschnitten und zwar schräg
und nicht in einer Ebene, entsprechend der Richtung der Wunde, so dass 6 Seh¬
nennähte mit Catgut Nr. 2 nöthig werden. Die Auffindung der obern Enden er¬
fordert bei der klaffenden Verletzung keine weitere Präparation der Scheiden, ein¬
zig hat sich der Flexor profundus des dritten Fingers mehr retrahirt als die an¬
dern Sehnen. Schluss der Wunde mit feiner Seide, Lister- Verband, volarwärts
gebogene Holzschiene.
Im weitern Verlaufe keine Temperatursteigerung und wenig Schmerzen, ob¬
wohl eine geringe Eiterung, wahrscheinlich aus dem eröffneten Gelenke, mehrere
Tage anhält. Keine Röthe und Druckempfindlichkeit im hohem Verlauf der Seh¬
nen. Der grösste Theil der Wunde schliesst sich per primam, so dass die defini¬
tive Heilung nach 16 Tagen vollendet ist und die passiven Bewegungen begonnen
werden können. Bei der am 21. August erfolgten Entlassung zeigt sich die Narbe
an einzelnen Stellen mit ihrer Unterlage noch adhärirend, die einzelnen Phalangen
sind aber alle schon, wiewohl in geringem Grade, frei und activ beweglich, die
Continuität der Sehnen kann constatirt werden. Bei fortgesetzter Gymnastik der
Finger von Seiten des Patienten besserte sich die Motilität zusehends und erreichte
bald fast vollständige Excursionsweite.
Ich sah dann den Verletzten gut drei Vierteljahre nicht mehr, traf ihn im
Sommer 1877 zufällig auf der Strasse und war nicht wenig über r ascht, einen
ganz augenfälligen Schwund der Beweglichkeit constatiren zu müssen. Forcirte
Bewegungen aber von meiner Seite und erneuerte Aufmerksamkeit des Patienten
brachten ihn bald wieder so weit, dass er die Grund- und Mittelphalange voll¬
kommen und nur die Endphalange der Finger weniger als normal bewegen
konnte und in seiner Beschäftigung gar nicht gehindert war. Einen Grund, wa¬
rum der Flexor sublimis besser als der profundus functionirt, kann ich nicht
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mit Sicherheit angeben, es mag aber in der Beschäftigung als Schriftsetzer zu
suchen sein.
2. H., 23 Jahre alt, Käser, sägte sich den 3. Februar 1877 mit einer gewöhn¬
lichen Holzsäge in die Hand, verlor wenig Blut, ging dem Spital sofort zu und
wurde sogleich der Behandlung unterworfen. Unter der Mitte des radialen Ran¬
des des 2. Metacarpalknochens der linken Hand beginnt eine zerrissene Wunde,
welche sich schräg nach unten und ulnarwärts bis fast zum Metacarpo-Phalangeal-
gelenke des 3. Fingers erstreckt. In der Tiefe zeigt sich der zweite Metacarpal¬
knochen oberflächlich angesägt, eine spritzende Arterie findet sich nicht. Die dicht
über dem Gelenke und deshalb schon vereinigte Sehne des Extensor communis
digiti II und des Extensor indicis proprius ist schief durchsägt und das obere
Ende weit in den Canal zurückgezogen, so dass beide Fragmente circa 3 Centi-
meter von einander abstehen und die Wunde mit einer geraden Scheere weit ge¬
spalten werden muss. Toilette der Wunde, Naht der Sehne mit Catgut Nr. 1,
Drainrohr unter die Haut, Schluss mit Seide. Luter- Verband. Dorsalwärts gebo¬
gene Holzschiene.
Am 4. Februar Abends 38,2° T., Schmerz dor Sehne entlang nach hinten. Sus¬
pension des Armes.
Am 5. Februar Morgens T. 37,6°, Abends 38,0°. Am Morgen Verbandwech¬
sel , bei welchem sich eine schwache, fleckige Röthe am Vorderarm und Druck¬
empfindlichkeit zeigt.
Von da an keine Schmerzen , keine Temperatursteigerung mehf, prima der
Wunde. Beginn der passiven Bewegungen am 15. Tage nach der Verletzung, Ent¬
lassung aus dem Spital den 4. März mit einer guten activen Beweglichkeit. An
Stelle der Sehnennaht fühlt man einen kleinen Knoten. Heute noch hat der Pa¬
tient die ungestörteste Gebrauchsfähigkeit und Kraft seines linken Zeigefingers,
nur bringt er denselben nicht in so starke Dorsalflexion, wie die andern Finger
wegen der Elongation der Sehne.
3. T., 18 Jahre alt, Zimmermann, gerieth den 12. Juni 1877 mit seiner linken
Hand in eine mit Wasser getriebene Baumsäge. Aufnahme und Verband eine
halbe Stunde nach dem Unfälle. Die Ulnarseite des Rückens der linken Hand
zeigt sich bedeutend zerrissen und zerfetzt, die groben Zähne der Säge haben sich
überall abgezeichnet. Der 5. Metacarpalknochen ist quer durchsägt, wenig zer¬
splittert, der 4. dagegen ganz zertrümmert. Die Strecksehnen über diesen beiden
Knochen sind durchschnitten. Die Blutung ist unbedeutend. In der Vola manus
sind merkwürdigerweise keine Verletzungen, weder der Gefässe, noch der Sehnen.
Die Reinigung der grossen, etwas trostlos aussehenden Wunde, welche mit Weg¬
schneiden des Zerquetschten an der Haut begann, sich dann auf das Unterhaut¬
zellgewebe, die Fascie und den Knochen erstreckte, erforderte lange Zeit Einige
kleine Arterien wurden torquirt. Während beim 5. Metacarpalknochen nur einige
kleinere Splitter gelöst wurden, musste der 4. Metacarpalknochen total entfernt
werden. Die Strecksehne des 4. Fingers und die beiden des 5. Fingers waren un¬
gefähr in der Mitte des Metacarpus durchtrennt, die letzteren deshalb noch nicht
mit einander vereinigt. Die Auffindung der obern, retrahirten Enden erforderte
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einige Geduld, aber keine weitern Spaltungen, dagegen mussten sie, weil sie stark
ausgefranst waren, mit der Scheere geglättet werden. Die Naht der drei Sehnen
erfolgte mit Catgut Nr. 2. Naht der Haut, Drainage, L*'*ter-Verband, dorsalwärts
gebogene Schiene, Suspension.
Ohne Fieber und Schmerz erfolgte in Zeit von 6 Tagen eine vollständige prima
der Wunde, ein Resultat, welches bei der Natur der Verletzung als ein vorzügli¬
ches angesehen werden darf. Beginn der passiven Bewegungen am 15. Tage nach
der Verwundung. Am 11. Juli, an welchem Tage der Patient entlassen wird,
zeigt sich schon eine ziemlich umfangreiche active Beweglichkeit der beiden Fin¬
ger , die Continuität der Sehnen lässt sich in kleinen Anschwellungen deutlich
durchfühlen. Die Haut ist nicht mehr verwachsen. Der 4. Metacarpalknochen ist
ziemlich regenerirt, nur bietet sich an seiner Stelle noch eine Impression der
Weichtheile dar. Die Beweglichkeit der Finger erhielt sich ungestört, was fort¬
gesetzte Beobachtungen bewiesen. _
Vaseline als Salbenconstituens.
Von Dr. Emil Emmert, Docent der Ophthalmologie in Bern.
Es wird vielleicht nicht ganz werthlos sein, sowohl diejenigen Herren Collc-
gen, welche von Vaseline noch nichts gehört, als auch diejenigen, welche davon
gehört, dieselbe aber noch nicht angewondet haben, auf dieses neue Präparat auf¬
merksam zu machen. Allerdings ist nicht immer alles Neue gut, aber auch nicht
alles Alte besser. Die Vaseline dürfte jedoch dazu berufen sein, unter dem vielen
Werthlosen unseres Arzneischatzes eine Rolle zu spielen.
Kaposi in Wien verdanken wir die Einführung dieses Präparates in die The¬
rapie der Hautkrankheiten. Um über das Präparat selbst ins Klare zu setzen,
citire ich aus einer Mittheilung*) von Dr. Adler in Wien folgende von ihm citirte
Aeusserung des Landesgerichtschemikers Kletzinsky über Vaseline: „Die sogenannte
Vaseline ist ein Colloidparaffin aus Petroleum, bestehend aus sauerstofffreien Ho¬
mologien der Ethane (C n H“ + *), völlig neutral und indifferent, der ranzigen Ver-
derbniss, dem Zähe werden, der Verharzung nicht unterworfen, von der Dichte 0,875,
etwas über 30° C. schmelzend, luftstät, in Wasser unlöslich, selbst auf den zarte¬
sten Hautstellen (Augenlid, Lippen) ohne Unbehagen verträglich, in gelinder Wärme
mit allen Fettstoffen und Wachsarten in allen Verhältnissen mischbar, äusserst
schlüpfrig und geschmeidig, weshalb es sich zum Salbenkörper par excellence vor¬
züglich eignet und wegen seiner chemischen Indifferenz als passendstes Vehikel
zahlreicher epidermatischer Heilmittel in der Pharmacie und cosmetischen Hygiene
Anwendung zu finden verdient.“
In diesen wenigen Zeilen ist Alles enthalten, was über Vaseline bis dahin zu
sagen ist. Es bleibt nur noch die Bestätigung oder Nichtbestätigung dieser Zei¬
len, resp. der therapeutischen Verwendbarkeit übrig, über welche das ärztliche
Publicum ein endgültiges Urtheil fallen wird.
Beifügen möchte ich noch, dass die Vaseline eine gelbliche, ihrer Farbe
und Durchsichtigkeit nach dem Honig zu vergleichende, völlig geruchlose Sub¬
stanz ist.
Seit 3. Juli d. J., wo ich zum ersten Mal einerseits durch eine mündliche Mit-
*) Ueber Vaseline als Constituens für Augensalben. Centralbl. f. pract. Augenbeilk. 2. Jahrg.
1878, pag. 125.
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theilung im Verein jüngerer Aerzte von Herrn Dr. Hans Weber , Vorsteher des äus-
8ern Krankenhauses in Bern, andererseits aus obengenannter Mittheilung Kenntniss
von diesem neuen Vehikel erhalten, habe ich mich ausschliesslich desselben be¬
dient und sowohl Salben auf die äussere Haut als auf die Bindehaut des Auges
daraus hersteilen lassen. Atropin, welches sonst nur in Lösung verwendet worden,
benützte ich seitdem nur als Atropin-Vaselinesalbe in einer Stärke von 0,05: 10,0,
ebenso schwefelsaures Eserin, unsere verschiedenen Quecksilbersalben , als rothe,
gelbe, weisse, Cuprum sulfuricum und Alaunsalbe, Zinksalbe etc.
Während besonders Glycerinsalben entweder schon anfangs oder jedenfalls
binnen weniger Tage säuerlich riechen, ihre Farbe verändern und auf der Con-
junctiva ein Gefühl von Brennen und Reizerscheinungen hervorrufen, und bei mit
Schweinefett angeriebenen Salben, besonders bei Quecksilberpräparaten, nicht nur
ein Rauzigwerden derselben, und durch Auge und Geruch wahrnehmbare Veränderun¬
gen, sondern auch ganz bedeutende chemische Zersetzungen in Kurzem eintreten,
konnte ich selbst nach Wochen bei keinem mit Vaseline hergestellten Präparate,
auch nicht während der grössten Sommerhitze, die geringste Veränderung wahr¬
nehmen. Stets behielten die Salben ihre gleiche Farbe, ihre gleiche Geschmeidig¬
keit und Consistenz, blieben geruchlos und konnte, auf das Auge angewendet,
keinerlei subjective oder objective Reizung nachgewiesen werden.
Als Vehikel für Atropin, wie auch für Eserin und andere auf Pupille und Ac-
commodation einwirkende Substanzen möchte ich Vaseline als ganz besonders ge¬
eignet bezeichnen. Vielen Leuten fällt es leichter, eine Salbe ins Auge zu strei¬
chen, als Tropfen einzuträufeln; so häufig beobachtet man auch , wie bei wider¬
spenstigen Patienten, besonders Kindern, es kaum gelingt, eine Atropinwirkung
hervorzurufen, weil sie die Augen so zukneifen, dass von der Flüssigkeit nur we¬
nig ins Auge gelangt und das Wenige durch reichlichen Thränenfluss nicht selten
wieder ausgespült wird; auch wird die Flüssigkeit durch Eintauchen unreiner Pin¬
sel und Glasröhrchen bald trübe. Bei Vaseline habe ich bis dahin stets sehr rasch
und intensiv die gewünschte Wirkung eintreten sehen, in den Conjunctivalsack ge¬
bracht, Jöst sie sich binnen 5—10 Secunden vollständig auf; bei ulcerösen Proces¬
sen der Hornhaut, Verletzungen und Verbrennungen derselben, schien mir dieselbe
eine günstige Wirkung nicht nur als Träger des angewandten Präparates, sondern
durch ihre fettige Beschaffenheit auf den Heilungsprocess auszuüben.
Hinsichtlich eczematöser Processe der Haut und des Kopfes möchte ich, nach
dem bis dahin von mir Beobachteten, die zwar unmaassgebliche Beobachtung er¬
wähnen, dass mir dieselben rascher zu heilen schienen, als mit andern Salbencon-
stituentien.
Die Vaseline kann in Bern bei Herrn Haaf , Droguist, bezogen werden. Ob
dieselbe auf dem Continente fabricirt wird, konnte ich nicht in Erfahrung bringen,
Haaf bezieht sie aus New-York, Cheseborough, Manufacturing Company, resp. aus
London, wohin dieselbe kommt und wo dieselbe bereits seit einem Jahre auf dem
Markte ist. Ihr Preis ist für das englische Pfund von 453 grmm. circa Fr. 4. 50,
für das halbe Kilo also circa Fr. 5.
Nur der Preis könnte daher von dem Gebrauche der Vaseline bis dahin ab¬
halten, da derselbe das circa Vierfache des Schweinefettes beträgt; doch ist zu
hoffen, dass ein umfangreicher Gebrauch, wie die Vaseline in ausgedehntester
Weise ihn verdient, sie billiger werden lasse.
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Es freut mich schliesslich noch erwähnen zu können, dass Dr. Adler (1. c.) die¬
selben günstigen Erfahrungen mit Vaseline gemacht hat, wie ich. Gewiss wird
Jeder, welcher sie zu diesem oder jenem Zwecke verwendet, nicht minder gün¬
stige Beobachtungen zu verzeichnen haben. Es kann dieselbe daher aus voller
TJeberzeugung allen Collegen zum Versuche empfohlen werden.
Bern, den 7. August 1878.
PS. Gerade vor Absendung dieser kurzen Notiz an die verehrliche Redaction erhielt
ich noch das Juliheft des Centralblattes fUr practische Augenheilkunde von Dr. J. Hirsch-
berg in Berlin und fand auf Seite 150 eine neue Mittheilung Uber Vaseline von Dr. Gold-
zieher in Budapest, der sie zur Herstellung von Atropinsalbe ebenfalls aufs wärmste em¬
pfiehlt und bestätigt, was ich oben hinsichtlich der Atropin-Vaselinsalbe hervorgehoben
habe.
Zweites PS. Während obige Zeilen zur Correctur in meinen Händen waren, erhielt
ich das Septemberheft der Klin. Mouatsblätter von Prof. Zehnder in Rostock und fand in
demselben pag. 393 eine Mittheilung von Dr. M. Landesberg in Philadelphia über Hydrar-
gyrum oleatum, welches mit Acidum oleicum hergestellt und mit Unguentum Petrolii oder
Cosmolin, wahrscheinlich einem der Vaseline sehr nahestehenden Piäparate, gemischt
wird und die sog. Pagenstecher 'sehe Salbe, deren wesentlicher Bestandteil Hydrargyrum
oxydatum flavum ist, ersetzen solL Die sonst sehr leicht zersetzliehe und das Auge häu¬
fig reizende Salbe soll dadurch unzersetzlich werden und das Auge weit weniger reizen,
während sie dieselbe therapeutische Wirkung hat.
V ereinsberichte.
Medicinische Gesellschaft in Basel.
Sitzung vom 25. April 1878.
Anwesend 18 Mitglieder.
Dr. Ronus berichtet, dass die in der letzten Sitzung abgesandte Eingabe von
der gemeinnützigen Gesellschaft mit grosser Freude sei aufgenommen und sofort
in Berathung gezogen worden.
Dr. Ronus zeigt einige neue Arzneimittel vor:
1. Tinct. Tayuyae, von Italien aus gegen Syphilis sehr empfohlen. Ref.
behandelte 3 Pat. damit ohne irgend welchen Erfolg. Dosis: 3 mal täglich
X Caffeelöffel.
2. Pulvis Goae, gegen verschiedene Hautkrankheiten in Brasilien als Haus¬
mittel angewandt. Es reizt sehr stark Augen- und Nasenschleimhaut und enthält
g 4 % Chrysophansäure. Neumann zieht es bei Psoriasis allen andern Mitteln vor;
ftll ch bei Herpes tonsur. und Pityriasis soll es nützlich sein.
3. Blatta oricntalis, unsere Schabe, gepulvert, wird von Fiedler gegen scar-
l»tifiösen Hydrops sehr gerühmt, es reize die Nieren absolut nicht.
Dr. Sury-Bienz bespricht einige schädliche Wirkungen beim längeren Ge¬
brauch von Schlafmitteln. Manche Hypnotika haben noch eine erregende
Nebenwirkung und werden deshalb oft als Genussmittel weiter gebraucht. Diese
droht am meisten beim Morphium, namentlich bei subcutaner Anwendung
desselben. Es entsteht dann die durch Levinstein genauer beschriebene Morphium-
ßl icht. Ihre Prognose ist übrigens günstig. Am wichtigsten ist natürlich die Pro-
pbyla* 0 ? Aerzte sollten die Pravaz’&che Spritze nicht aus der Hand geben und
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den Apothekern -sollte verboten werden, Morphium- und Chloralrecepte ohne wei¬
teres zu repetiren. Der Vortragende warnt auch vor der unzweckmässig frühen
Anwendung des Weins, namentlich beim weiblichen Geschlechte.
Prof. Massini beobachtete vor Kurzem einen Fall der letzten Art bei einem
18jährigen Mädchen; nach Entziehung des Weins trat Depression und Chlorose
auf, wogegen Eisen vollständig unwirksam war.
Dr. Burckhardl-Merian hält den Vorschlag, dass die Apotheker für Morphium
immer ein neues Recept verlangen müssten, für in praxi unausführbar.
Prof. Wille beobachtete diese Uebel früher oft, wo systematischer Morphium¬
gebrauch bei psychischen Exaltationszuständen sehr gebräuchlich war; die Pro¬
gnose der Morphiumsucht hält er nicht für so günstig, da Dreiviertel aller Patienten
nach der Entziehung wieder in ihre frühere Angewöhnung zurückfallen.
Dr. Fr. Hosch spricht hierauf über Hemianopsie und Sehnervenkreu¬
zung.
Zuerst werden in kurzer histor. Uebersicht die Ansichten besprochen, die zu
verschiedenen Zeiten über den Bau des Chiasma nerv. opt. geherrscht und ge¬
zeigt, welche Wichtigkeit diese Kenntniss für die Localisation von Gehirnaffectionen
hat. Am meisten hat wohl trotz aller Entgegnungen die Ansicht von Gudden für
sich, welcher auf Grund von anatomischen Untersuchungen und Experimenten
— Gudden exstirpirte neugeborenen Thieren ein Auge und untersuchte nach vol¬
lendetem Wachsthum die dadurch bedingten Atrophien der Sehnerven, des Tractus
und der entsprechenden Theile des Centralorgans — zu dem Resultate gelangte,
dass bei den höheren Säugethieren, deren Gesichtsfelder sich zum Theile decken,
die Fasern im Chiasma sich theilweise kreuzen, während bei den niederen Säuge¬
thieren und allen andern Thierclassen, wo die Gesichtsfelder getrennt sind, voll¬
ständige Kreuzung im Chiasma stattfindet.
Wie können wir für den Menschen in dieser Frage zu einiger Sicherheit ge¬
langen? Von der normalen Anatomie ist keine entscheidende Antwort zu erwarten,
da nach Aussage aller Autoren die Untersuchung des menschlichen Chiasma wegen
der Zartheit und Verschlingung der Fasern auf die grössten Schwierigkeiten stösst.
Das Experiment ist hier auch nicht zulässlich; unsere Hoffnung ruht also voll¬
ständig auf den klinischen Untersuchungen und der pathologischen Anatomie.
Bekanntlich tritt nach Phthisis oder Enucleation eines Auges allmählig Atro¬
phie des zugehörigen Opticus ein, die sich, aber immer erst nach Jahren, über das
Chiasma hinaus verbreiten kann. Genauer beschrieben sind zwei derartige Fälle
( Woinow, Sprimmon ), die beide zu Gunsten der Semidecussation sprechen.
Von weit grösserem Interesse für unsere Frage sind aber die Fälle von beid¬
seitiger Hemiopie oder Hemianopsie (darunter versteht man einen beide Augen
betreffenden halbseitigen Gesichtsfelddefect, bedingt durch eine und dieselbe
örtlich gemeinschaftliche Ursache), wie sie nicht selten im Gefolge von Gehirn-
heemorrhagieen Vorkommen.
Es werden nun die verschiedenen Formen von Hemianopsie besprochen und
gezeigt, wie deren Ursachen zu localisiren sind, je nachdem man Total- oder Halb¬
kreuzung der Sehnervenfasern im Chiasma zu Grunde legt.
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Betreffs der klinischen Beobachtungen sind, wie zu erwarten, die Meinungen
getheilt; doch neigt sich die grössere Zahl der Beobachter der Lehre von der
Semidecussation zu.
Sectionsberichte von Hemianopischen liegen nur zwei vor ( Hirschberg , Hugh-
lings Jackson ), beide zu Gunsten der Semidecussation sprechend.
Dr. Hosch bespricht nun eingehend Krankengeschichte (mit Vorlage einer
perimetrischen Aufnahme der Gesichtsfelder) und Obductionsbefund eines Pa¬
tienten, bei welchem er drei Jahre vor dem Tode linkseitige Hemianopsie neben
linkseitiger Hemiplegie infolge von apoplektischen Anfällen nachgewiesen hatte. Zwei
Tage vor dem Tode, nachdem bis dahin nur die linke Körperseite gelähmt ge-
-vvesen war, trat ein heftiger Insult ein, der auch die rechte Seite lähmte und nun
rasch zum Tode führte. Die intracranielle Section ergab ausser verbreitetem
Atherom sämmtlicher Arterien, multiplen miliaren Aneurysmen an der Convexitat
des Gehirns, links in der Convexitat ein ganz kleines Extravasat, im linken Pa¬
rietallappen, in der weissen Substanz eine erbsengrosse braune Narbe; endlich im
Bereich des linken IH. Ventrikels, grossen frischen Bluterguss mit ausgedehnter Zer¬
trümmerung der Hirnsubstanz. Letzterer hatte offenbar das lethale Ende berbei-
geführt. Sämmtliche älteren Herde fanden sich auf der rechten Seite, in der Ge¬
gend des rechten Sehcentrums, nämlich hinter dem Thalamus opticus eiue grosse,
bis in’s Unterhorn hineinreichende Höhle mit derber, glatter Wandung, welche den
grössten Theil des- Hinterhauptlappens sowohl nach oben als unten bis zur
grauen Substanz zerstört hat; ferner in der Gegend des Corpus Striatum eine grosse
pigmentirte Narbe, die ziemlich weit in den Thalamus hineinreichte und in ihrer
Mitte eine erbsengrosse Cyste barg. Am Chiasma unter dem Pialüberzug massen¬
hafte corpora amylacea, nach Leber ein untrügliches Zeichen von Atrophie. Auf
Querschnitten zeigten sich an beiden Opticis bis circa 2 Cm. vor dem Chiasma die
innern Bündel atrophisch neben reichlichen corpuscul. amylacea.
Als Ursachen der 3jährigen Hemianopsie lassen sich nur die ältern Herde der
rechten Gehirnhälfte ansehen. Denkt man sich nun aber den Ursprung des
rechten Tractus opticus zerstört, so werden nur bei Annahme einer theilweisen
TCreuzung der Fasern im Chiasma die beiden rechten Netzhauthälften gelähmt, also
linksseitige Hemianopsie entstehen können
Dr. Hosch spricht sich schlieslich, gestützt auf den beschriebenen Fall, zu Gunsten
der Semidecussationstheorie aus, welche ihm in der von Gudden aufgestellten
Begrenzung ihren richtigen Ausdruck erhalten zu haben scheint.
Prof. Schiess freut sich, dass die Literatur durch vorliegenden genau beobach¬
teten Fall bereichert werde; immerhin sei derselbe nicht absolut beweisend; auch
stehen von competenter Seite noch viele Thierversuche der GtnfcWschcn Ansicht
entgegen. _
Referate und Kritiken.
Ueber Wesen und Behandlung des Fiebers.
Klimach-experimeutclle Uutersuchungen von Dr. Carl Emil Buss , Privatdocent an der
iJnivcrsität und Assistenzarzt der medicinischen Klinik zu Basel. Mit 9 lithographischen
Tafeln. Stuttgart, Verlag von Ferd. Enke 1878.
Es war zu erwarten, dass in vorliegender Arbeit *) aus der Hand von College Buss,
der allen Lesern des Corrospondenz-Blattes durch seine epochemachenden Arbeiten über
. *) Es war das leider die letzte Arbeit deB unterdessen so früh der Wissenschaft entrissenen
-Verfassers. Red.
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Salicylsäure-Präparate wohl bekannt ist, manches Neue und Interessante möchte mitge-
theilt werden. Ich glaube, auch hochgestellte Erwartungen werden durch das Lesen
dieses Werkes befriedigt werden. Ein etwas eingehenderes Referat ist aber in diesem
Blatte um so eher gerechtfertigt, als wir mit Stolz Buss als einen der unsrigen, nennen
dürfen und als alle seine Beobachtungen Uber das Fieber und dessen Behandlung in
schweizerischen Spitälern gemacht worden sind.
Das Buch zerfällt in einen ersten Theil über das Wesen des Fiebers und
einen zweiten über die Behandlung des Fiebers. Im ersten Capitel erinnert Buss
daran, dass die Musculatur in hervorragender Weise an der Wärmeproduction des Or¬
ganismus Theil nehme und die neuesten Versuche, namentlich von Samuel , haben die Be¬
deutung derselben in vollem Maasse verständlich gemacht. Darnach haben wir die func¬
tionsfähige Musculatur (und zwar für gewöhnlich den Ruhezustand des Muskels) als die
eigentliche Quelle der Wärmeproduction zu betrachten. Nur sie ermöglicht es dem Warm¬
blüter, seine Temperatur gegenüber den Einflüssen der Umgebung zu behaupten. Die
Muskulatur ist der eigentliche Verbrennungsapparat des Körpers. Dieser Wärmeproduc¬
tion gegenüber steht bekanntlich die Wärmeabgabe. Das zweite Capitel handelt von der
Wärmeregulirung des Körpers im normalen Zustand und im Fieber. Mit Lieber-
meisler u. s. w. betont B. die vermehrte Wärmeproduction im Fieber, glaubt jedoch, dass
heute die Bedeutung der gehinderten Wärmeabgabe (Traube) für die fieberhafte Tempe¬
ratursteigerung nicht genügend anerkannt werde. Trotz der gründlichen Untersuchungen
und der theilweise sehr genauen Kenntnisse über die einzelnen Fiebersymptome fehle eine
einheitliche, thatsächliche Erklärung ihrer Ursachen und ihrer Entstehungsweise. Die
näheren Gründe, warum die wesentlichen Erscheinungen des fieberhaften Symptomencom-
plexes sich gerade so einstellen müssen, wie es jene Untersuchungen gelehrt haben, das
eigentliche Wesen des Fiebers muss nach dem bisherigen Erkannten geradezu als voll¬
ständig unbekannt bezeichnet werden.
Die zahlreichen Untersuchungen Uber das Verhalten der Kohlensäureproduc-
tion bei Veränderungen der Wärmeregulirung ergeben in Kürze Folgendes:
1) Nach der Aufnahme grösserer Dosen salicylsauren und cresotinsauren Natrons (6,0),
durch welche beim Fiebernden die Körpertemperatur auf die Norm erniedrigt wurde,
zeigt sich in der Grösse der Kohlensäureausscheidung keine bemerkenswerthe Vor¬
änderung.
2) Nach grösseren Dosen schwefelsauren Chinins (1,5 bis 3,5) erfolgt vor Herab¬
setzung der Temperatur des Fiebernden eine beträchtliche Depression der Kohlensäure¬
ausscheidung.
3) Kurz nach dem Genuss einer erheblichen Menge kalten WasserB erfolgt eine
schnell vorübergehende Verminderung der Kohlensäureproduction.
4) Durch Nahrungsaufnahme wird die Kohlensäureausscheidung, unabhängig von der
mit ihr verbundenen Muskelthätigbeit, beträchtlich gesteigert.
5) Während der Einwirkung bedeutender Wärmeentziehungen auf die Körperober¬
fläche ist die Kohlensäureausscheidung ganz ausserordentlich vermehrt.
Im dritten Capitel versucht nun B. eine neue Theorie des Fiebers aufzustellen.
— Die Einstellung der Wärmeregulirung auf die Normaltemperatur, d. h. die Tendenz
der Körpertemperatur, auch nach grösseren Veränderungen immer wieder zur Normal¬
temperatur zurückzukehren, beruht darauf, dass die durch den Contractionszustand der
Gefässe regulirte Wärmeabgabe nicht nur von den Wärmeeinflüssen der Umgebung des
Körpers, sondern nothwendig und vorzugsweise von der Körpertemperatur selbst abhän¬
gig ist. Und der ganze Vorgang der Wärmeregulirung würde sich nach Buss folgender-
maassen gestalten: Bei Einwirkung der Kälte, z. B. einer Temperatur von 0° auf die
Haut findet ein Reiz auf die sensiblen Nervenendigungen beider Nervensysteme statt. Die
peripheren Gefässe werden dadurch reflectorisch zu stärkerer Contraction gebracht, die
Oberfläche der Haut wird abgekühlt, das Blut zieht sich grösstentheils hinter die Schutz¬
mauer des Fettgewebes zurück, die Schweisssecretion hört auf und ausserdem unterstützt
die glatte Muskulatur der Haut, welche ebenfalls reflectorisch zur Contraction gebracht
wird, die eintretende Anämie der Haut. Der gleiche Reiz bewirkt ferner reflectorisch
vermehrte passive Wärmeproduction der Muskeln. Noch intensiver sind die Reflexwir¬
kungen z. B. im kalten Bade. So lange die Fluxion zum Muskel keine übermässige ist,
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und in der Haut noch gewisse Blutquantitäten circulircn, wird passive Wärmeproduction
bestehen; bei excessiver Kältewirkung aber entsteht so zu sagen absolute Anmmie der
Haut; weite Incisionen in die Haut haben keine Blutung zur Folge u. s. f. Sowohl in
Folge des übermässigen Reizes der Kälte auf die Nerven der Haut, denen nun gar keine
"Warme mehr von innen zufliesst, als auch in Folge dieser enormen Circulationsstörung,
welche einen so grossen Theil des Körpers betrifft, entsteht eine übermässige Fluxion
zum Muskel; nun wird die Wärmeproduction activ: Unter Schütteln der Extremitäten und
Klappern der Zähne entsteht eine wirksame, intensive Vermehrung der Wärmeproduction,
welche während der Dauer des ganzen Bades, oft noch bedeutend länger , anhält. Die
Störung im Collateralverhältniss von Haut und Muskel ist dieselbe, wie wenn sämmtliche
zur Haut führenden Seitenäste der Muskelartcrien auf einmal unterbunden wären; es musB
hiedurch eine gewaltige Fluxion im Muskel entstehen, welche übrigens für die gesteiger¬
ten Anforderungen an denselben sehr dienlich ist. Durch die vermehrte Wärmeproduction
und die im Innern des Körpers angehäufte Blutmenge wird die Innentemperatur derselben
erhalten oder sogar etwas gesteigert.
Unter Fieber versteht B. diejenige pathologische Modifikation der Wärmeregulirung
des Körpers, in welcher bei vermehrter Wärmeproduction durch eine relativ verminderte
Wärmeabgabe des Körpers die Temperatur desselben über die Norm erhöht wird. Das
Fieber aber muss durch im Körper befindliche Irritamente hervorgerufen werden, welche
den physiologischen Vorgang der Regulirung der Wärme durch den Reiz der Kälte ßtö-
rend beeinflussen.
Im zweiten Theil bespricht B. die Behandlung des Fiebers. Auch hier
müssen wir uns beschränken, das Neue, namentlich aber das für jeden practischen Arzt
Verwerthbare hervorzuheben. Der Verfasser stellt 3 Postulats einer rationellen Fieber¬
behandlung auf:
1. Verhinderung des Auftretens von Irritamenten im Körper und Verhütung der Ein¬
wirkung neuer Schädlichkeiten;
2. Herabsetzung der erhöhten Temperatur auf die Norm;
3. Vollständiger Wiederersatz des Verlustes an Körpermaterial.
Zu den Specifica in der Fieberbehandlung gehören das Chinin, die Salicylsäure und
vielleicht die Arsen-, Mercurial- und Jodpräparate. — Am eclatantesten sind die Erfolge
einer speclfischen Behandlung , welche durch Chinin und Salicylsäure bei den frischeren
Formen der Intermittens und dem acuten Gelenkrheumatismus erzielt werden. — Die
antipyretische Wirkung beruht nach B. einzig auf einer relativen Steigerung der Wärme¬
abgabe und von theoretischen Gesichtspuncten aus wäre unter den antipyretischen Agen-
tien denen, welche den Temperaturausgleich ohne Verminderung der Wärmeproduction
vollziehen, der erste Rang einzuräuroen (SalicylsäureJ, in zweiter Linie die Temperatur¬
herabsetzung (durch Wärmeentziehungen) unter gesteigerter Wärmeproduction, und in
dritter Linie diejenige mit verminderter Wärmeproduction (Chinin) zu stellen. In der
Kaltwasserbehandlung ist diejenige mit kalten Vollbädern als rationellste und beste Me¬
thode zu betrachten. Zu den fieberherabsetzenden Agentien zählt B. auch den Alcohol,
da derselbe, sagt er, im Körper wohl zum Theil als Verbrennungsmaterial dient, selbst
aber die Verbrennungsprocesse verzögert und die Temperatur erniedrigt, ausserdem, na¬
mentlich in concentrirterer Form, vorzüglich excitirende Eigenschaften besitzt, und da er
von den meisten Kranken gerne genommen wird, hat er in der Fiebertherapie eine blei¬
bende Stelle gefunden.
Mit diesen wenigen Andeutungen berühren wir das ausführliche Capitel der Metho¬
den der antipyretischen Behandlung, um dem letzten über Wie derer satz des Ver¬
lustes an Körpermaterial, das wesentlich Neues bringt, einige der interessante¬
sten Daten zu entnehmen. Vor Allem sei erwähnt, dass B. mit den Anschauungen der
heutigen Fieberdiät bricht; so weicht er auch wesentlich ab von der von V/felmann vor¬
geschriebenen Fieberdiät (v. Corr.-Bl. 1878, p. 300). Nach B. muss die Annahme einer
Entstehung oder Zunahme des Fiebers in Folge einer vermehrten Aufnahme von Nfihr-
m&tcrial ins Blut als durchaus hinfällig erscheinen. Wenn somit durch reichliche Nah¬
rungsaufnahme Fieber erzeugt oder erhöht werde, so habe dies seinen Grund in der Re-
ßorption irritirender Zersetzungsproducte aus den unverdauten Eiweissresten des ® ***?.“
c an ale, da er auf der Steigerung der Wärmeproduction nicht beruhen könne. Auf die
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Thatsache, dass der Verdauungsapparat des Fiebernden zwar nicht im Stande sei, die
zu einem Wiederersatz seines Verbrauchs an Körpermaterial erforderlichen Albuminate
selbst zur Resorption vorzubereiten, aber grössere Mengen fertigen Nährmaterials zu
resorbiren, gründet B. seine Fieberdiät. Die Nahrung muss also so eingerichtet sein, dass
sie den Verdauungsapparat weder belästigen, noch demselben eine andere Function als
die der Resorption zumuthen darf. Eine solche Ernährung in Verbindung mit durch die
Antipyretica geschaffenen Fieberintermissionen (oder kurzer Renconvalescenzen) wäre dem¬
nach das Ideal der Fieberbehandlung.
Sehen wir zum Schluss, welcher Mittel B. bei dieser Ernährung sich bedient und,
was wohl das wichtigste ist, welche Resultate er damit bereits erzielt hat. Der Körper
des Fiebernden bedarf einer genügenden Zufuhr von Wasser, und dass dasselbe auch ent¬
sprechend zugeführt wird, versteht sich heutzutage von selbst Was die Zufuhr der
Kohlenhydrate und Fette betrifft, so müssen letztere wegen der im Fieber catarrhalisch
afficirten Magen- und Darmschleimbaut ausgeschlossen werden; dies ist um so mehr er¬
forderlich bei der mangelhaften Secretion von Leber und Pankreas. Damit aber genügend
Verbrennungsmaterial zugeführt werde, müssen um so mehr Amylacea dargeboten werden.
Bei der spärlichen Speichelsecretion hat es B. vorgezogen, den fertigen Trauben¬
zucker in genügender Quantität dem Körper einzuverleiben. StAtt den üblichen Eiweiss-
substanzen reicht B. den Fiebernden Pepton. Von diesem Fleischpepton (Fabrik von
Sanders & Comp, in Amsterdam) wurden den Kranken täglich 100 gmm. verabreicht.
Leider konnte wegen des unangenehmen Geschmackes meist nicht mehr gegeben werden.
Die gewöhnlich verwendete flüssige, zur Resorption fertige Nahrung bestand unter Be¬
rücksichtigung der nöthigen Verbrennungswerthe aus 100 gmm. des Fleischpeptons, 300
gmm. Traubenzucker und 200 gmm. Rhum oder Cognac. Diese Mischung wurde dem
Patienten wenigstens zur Hälfte mit Eiswasser verdünnt verabreicht. Bei dieser Ernäh¬
rung erzielte B. das erstaunenswerte Resultat, dass die mittlere tägliche Abnahme des
Körpers im Typbus abd. bei dieser Ernährungsmethode nicht 4, sondern 2 pro mille be¬
trug ; es lässt Bich also bei rationeller Fieberdiät die Gewichtsabnahme im Typhus um
die Hälfte vermindern.
Der Vortheil dieser Ernährung zeigte sich aber namentlich in der bedeutend abge¬
kürzten Reconvalescenz. In dieser Weise hat B. eine grosse Zahl von Fieberkranken im
basier Spital behandelt und ernährt. Die Belege hiefür, sowie für alle in diesem Referat
blos in Kürze mitgetheilten Hauptgrundsätze sind in der Arbeit von B. mit grosser Ge¬
nauigkeit und Ausführlichkeit niedergelegt. Die Lecture derselben, namentlich ihres
practischen Theils, wird jedem Arzt Anregung und Belehrung in Fülle darbieten. H.
Physiologie der Seele.
Die seelischen Erscheinungen vom Standpuncte der Physiologie und der Entwicklungs¬
geschichte des Nervensystems aus wissenschaftlich und gemeinverständlich dargestellt
von Dr. K. Spanier, Privatdocent in Giessen. Stuttgart, bei Ferd. Enke 1877.
In einer längeren Einleitung setzt der Verf. seinen Standpunct in der Behandlung
dieser Frage auseinander und beweist die Berechtigung der naturwissenschaftlichen Un¬
tersuchung der Seele. Er behandelt seinen Stoff in 7 Capiteln, von denen die beiden
ersten allgemeine Bemerkungen über Physiologie, Anatomie und Entwicklungsgeschichte
des Nervensystems mit vergleichend anatomischen Betrachtungen enthalten, die nach Ver¬
fassers eigener Aussage vorzugsweise für die Gebildeten aller Stände bestimmt sind, um
sie über diese ärztlich-wissenschaftlichen Fragen zu belehren. Die Capitel gipfeln schliess¬
lich in dem Nachweise, dass in der Hirnrindensubstanz die seelischen Erscheinungen
ihren Sitz haben.
Das 3. Capitel behandelt das Gedächtniss der Nervensubstanz. Von letzterem in
Verbindung mit dem Satze von der Summirung der Reize leitet Verf. die Bildung der
motorischen Coordinationscentren ab, von denen er primäre, secundäre und anererbte un¬
terscheidet. In ähnlicher Weise entstehen auch die psychischen Coordinationscentren,
d. h. die centralen nervösen Bahnen, die der Ausbildung der Begriffe zu Grunde liegen.
Man muss natürlich mit dem Verf. Ubereinstimmen hinsichtlich der ungemeinen Wichtig¬
keit, die er gerade dieser Eigenschaft des Nervensystems für Ausbildung des seelischen
Lebens beilegt
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Im 4. Capitel werden die seelischen Thätigkeiten in ihrer physiologischen Einthei-
lung und Entwicklung als Empfinden, Vorstellen und Wollen (Sensorium, Intellectorium,
Voluntatorium) behandelt. Man könnte vor Allem hier die Frage an den Verf. richten,
ob er glaube, dass der gegenwärtige Stand der physio-psychologischen Arbeiten die Auf¬
stellung der Trilogie der Seelcnerscheinungen noch erlaube. Ohne Zweifel weise er sehr
-wohl, dass diese Anschauung gegenwärtig nicht mehr allgemeine Beistimmung findet und
dass auch in Wirklichkeit sehr wichtige Gründe gegen diese Auffassung sprechen, dass
gar Mancher von ihr als von einem falschen, zu beseitigenden Dogma spricht.
Sehr anerkennens- und betonenswerth ist, dass Verf. zur Unterstützung seiner physio-
psychologischen Erörterungen die schematische Zeichensprache eingeführt hat Er hat
dies bekanntlich schon bei einer früheren Gelegenheit gethan (Archiv für Psychiatrie 1876).
Entschieden dienen seine Zeichnungen ganz trefflich dazu, den Sinn seiner Sätze klarer
und anschaulich zu machen. Eb verdient diese Methode zur Nachahmung empfohlen tu
werden.
Im Beginne des Capitels wird der Begriff der Seele im Allgemeinen auf die molecular-
mechanische Theorie zurückzuführen gesucht.
Die Bemerkungen über „Einzelerapfindungen“ und „allgemeine Lust- und Unlust¬
gefühle“ sind sehr lesenswerth. Ob beim Menacheil wirklich instinctive Handlungen eine
so geringe Rolle spielen, wie Verf. annimmt, sodann ob Erregungen in den Vorstellungs-
bahnen nicht an sich allgemeine Lust- und Unlustgefühle erzeugen können, sind Behaup¬
tungen, deren Annahme mir wenigstens nichts weniger als bewiesen erscheint. Dagegen
um so lieber stimme ich mit dem Satze des Verf. von der Abhängigkeit von Unlust-
gefühlen von zu starken und lang dauernden Lustgefühlen überein, besonders aber mit
der Verwerthung dieses Satzes für die Theorie der maniacalischen Erscheinungen.
"Was Verf, p. 210 über die Identität von Vorstellung und Begriff sagt, was von der
Bedeutung der Begriffe als Vorstellung niederer Ordnung, sind auch Ansichten, die wohl
kaum allseitig Anerkennung finden dürften. Ich wenigstens halte entschieden das Gegen-
theil für richtig. Hinsichtlich seiner Bemerkungen über Affect erlaube ich mir, Verf. auf
die von Henle in dessen anthropologischen Vorträgen aufmerksam zu machen. Im Ganzen
erfahren wir in diesem Capitel nicht viel Neues, dagegen ist Alles und Jedes mit der
Klarheit und Deutlichkeit behandelt und dargestellt, wie sie Überhaupt in diesen Fragen
nur möglich sind. Beim Durchlesen seines letzten Abschnitts „Uber das Voluntarium“
drängt sich unwillkürlich der Gedanke einem auf, dass es bei dem vorhandenen natur¬
wissenschaftlichen Beweismateriale schwieriger sein dürfte, die „Freiheit des Willens"
zu beweisen, als den Satz, „dass .der Mensch eben wollen muss.“
Das 6. Capitel über Sprache und Schrift ist vom Verf. schon früher in seinen Haupt¬
sätzen mitgetheilt worden. Man darf auch in diesem Capitel gegenüber dem von hus$-
maul uns über diese Fragen überlieferten Materiale nichts Neues erwarten.
Das 6. Capitel handelt vom Bewusstsein. Wenn die physiologische Erklärung des¬
selben nicht Allen einleuchten mag, so liegt dies nicht an der Behandlung der Frage
durch den Verf., sondern aD ihrer Tragweite und historischen Bedeutung im Bewusst¬
seinsinhalte des Einzelnen überhaupt. Läge hier alles so einfach und klar, wie es Verf.
gibt, wäre ja die Physiologie der Seele eine bewiesene Thatsache. Leider ist dem nicht
so und wir müssen wohl alle Bestrebungen in dieser Richtung vor der Hand als n ^ er "
suche“ zur Lösung der Hauptfrage ansehen.
Wir sind ja mit dem Verf. einverstanden, dass auch die Zustände des Bewusstseins
einer naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise nicht nur zugänglich sind, sondern selbst
nur auf diesem Wege diese Zustände unserem Verständnisse näher gebracht werden
können. Doch von einer physiologischen Erklärung sind wir noch so weit entfernt, dass
es eich vor der Hand noch besser lohnt, wenn wir die einschlägigen Thatsachen sam¬
meln, ordnen, mit bekannten physiologischen und pathologischen Thatsachen vergleichen,
mit einem Worte das wissenschaftliche Material für Lösung der Frage zu sammeln uns
bemühen.
Im 7. Capitel werden der Schlaf und ähnliche Zustände abgehandelt, zu deren Erklä¬
rung der Verf. die bekannte Pflüger ’’sehe Theorie und wohl mit Recht benutzt.
Wenn ich mir erlaubte, etwas näher auf die Abhandlung Herrn Spanier'* einzugehen»
geschah es, um eingehend deren reichen Inhalt darzulegen, wobei ich mit dem Gang
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und der Methode seiner Untersuchung im Allgemeinen mich ganz einverstanden erkläre.
Ein Kritisiren würde zu weit führen, da die meisten dieser Fragen noch zu sehr einer
subjectiven Auffassung zugänglich Bind. Ich möchte mit Vorstehendem lieber dem Buche
eine grosse Zahl Leser gewinnen, da gerade dem grösseren ärztlichen Publicum eine ge¬
nauere Kenntniss dieser Verhältnisse ebenso nöthig wäre, als es derselben meistens er¬
mangelt Es wird dem Arzte damit Gelegenheit gegebon, diesem Mangel auf sehr ange¬
nehme Weise abzuhelfen. L. W.
Die Landschaft Davos.
Climatischer Curort für Brustkranke. Mit specieller Berücksichtigung des therapeutischen
Verfahrens in der Curanstalt W. J. Holsbcer (Actiengesellschaft Curhaus Davos). Weg¬
weiser für Aerzte und Kranke. 1877. 52 Seiten. Viele Holzschnitte.
Es ist dies ein mehr geschäftlich als wissenschaftlich gehaltenes Werkchen, ohne
Angabe eines Verfassers oder Verlegers. Wir stehen daher von einer Kritik ab und
machen hier blos auf einige beachtenswerthe Stellen aufmerksam.
S. 15—19 werden sehr gute Winke für die Reise nach Davos gegeben. Hiebei
werden die BOgenannten Uebergangsstationen zwischen dem Tiefland und Davos für über¬
flüssig erklärt »Nur wenn bei einem Patienten unmittelbar vor der Abreise Lungen¬
blutungen vorgekommen sind, ist es gerathen, auf einer Höhe von etwa 3000 Fuss einen
Zwischenaufenthalt von 2—3 Tagen zu machen. u
Auf S. 24—29 erfährt die Behandlungsweise des Curandcn und sein Thun und Lassen
vom Morgen bis Abend eine eingehende, sehr anschauliche Schilderung. Dies ist der
verdankenswertheste Tbeil der Brochure.
Im ^Widerspruch mit den bisherigen allgemeinen Ansichten 'wird auch das Frühjahr,
d. h. die Zeit der Schneeschmelze, zur Luftcur empfohlen (S. 35
bis 40) und der Föhnwind für die Gesundheit unnachtheilig oder mindestens ungefährlich
erklärt. Wir werden später einmal diese Fragen besprechen.
Wir wiederholen bei dieser Gelegenheit die alte Bitte an die davoser Collegen, ein¬
mal einen ernsten Versuch zu einer statistischen Bearbeitung ihrer zahlreichen Beobach¬
tungen zu machen. Man kann noch so oft in Brochuren das 8chwert der „Erfahrung“
ziehen: es bleibt stumpf, so lange man nicht weiss, wie die „Erfahrung“ geschmiedet
wurde. J. M. Ludwig.
Die Störungen der Sprache.
Versuch einer Pathologie der Sprache von Dr. Adolf Kusmaul , Prof, in Strassburg.
(Anhang zum 12. Band des Ziemssen 'sehen Sammelwerkes.) Leipzig, Vogel 1877. 8°.
299 Seiten.
Nachdem Verf. in einigen einleitenden Capiteln hervorgehoben, was die Sprache für
den geistigen Stand des Menschen und der Völker zu bedeuten hat, beginnt er sie in
ihre Componenten aufzulösen, um dann Schritt für 8cbritt, soweit es Physiologie und
Pathologie gestatten, in die Werkstätten einzudringen, wo Laute, Silben, Wörter, ja ganze
Sätze gebildet werden. Und das ist es eben, was uns Verf. in dieser klinischen Studie
zeigt. Viele Hirnbezirke müssen arbeiten, bis das Wort richtig und wohlgebildot den
Lippen entflieht Und von ebenso vielen aus kann die Sprache gestört werden. Indess
lassen einzelne physiologische Experimente, noch viel mehr aber die klinisch-anatomische
Forschung das cerebrale Sprachgebiet räumlich in zwei Regionen zerlegen, nämlich 1. in
die der Laut- und 2. in die der Silben-, Wort- und Satzbildung. Jener gehört das Ge¬
biet des Hirnstammes, dieser auch das des Hirnmantels (also incl. Rinde). Ja, ein schar¬
fer Beobachter, der die verschiedenen Formen der Dysarthrien und Dysphasien aus ein¬
ander zu halten versteht, vermag noch specieller einzelne Stamm- und Rindongebiete zu
präcisiren und zu vermutben, wo die 8törung sitzt Doch Uber die Prävalenz einiger
Theile, wie der Broca ’sehen Mündung, der Insel u. A. geht Verf. in den Localisations-
versucheu nicht hinaus, indem doch manche Beobachtungen mit einer zu beschränkt an¬
genommenen Oertlichkeit nicht stimmen wollen. Zudem wird die Arbeit der Wort- und
Satzbildung, je höher wir in die Werkstätten der Rinde steigen, eine um so subjectivere.
Den einzelnen Laut bilden ganze Völker oder Stämme so zu sagen gleich, aber schon im
Silben-, noch viel mehr im Wort- und Satzgefüge gehen die Individuen aus einander,
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Und gehen damit auch die Normen verloren, wodurch wir dae Physiologische vom Patho¬
logischen unterscheiden. Für die Mängel der Lautbildung hat Jedermann ein scharfes
Ohr, über die der corticalen Gedankenbildung streiten sioh Gelehrte und Völker. Zwi¬
schen beiden steht der Kliniker, der die vorhandenen Störungen genau beobachtet, die
Beobachtung rubricirt, und so der pathologischen Anatomie den Weg weist, wo sie tu
suchen hat Und wiewohl diese erst über wenige 8prachstationen su berichten weise,
am meisten Über die der lautlichen Dysarthrie und der syllabären Coordination, kann der
Arzt, auf eine richtige klinische Methode gestützt, in das Labyrinth eindringen, über des¬
sen Thor die Praxis das Wort Aphasie gesetzt hat. Und nehme er nur das Buch des
Verf. mitl Einen angenehmem und bessern Führer kann er nicht haben. Mit ruhiger
Klarheit, den Weg des gut Beobachteten nicht verlassend, beleuchtet es Inhalt und Gren¬
zen unseres gegenwärtigen Wissens, beide zugleich bereichernd und erweiternd. Die
Menge der fein durchdachten Bemerkungen über seelische Vorgänge, die grössern Ex-
cursionen ins Gebiet cerebraler Processe, sie regen den Leser mächtig an, und mehr als
einmal wird er es fast bedauern, mit dem Verf. auf den Boden der sprachlichen Störun¬
gen zurückkehren zu sollen
Und doch ist die kritische Beschränkung, die der Verf. seinem Thema auferlegt, ge¬
rade was den Leser besonders anziehen muss. Denn er empfindet, dass es sich nicht
um das glänzende Meteor kühner Hypothesen, sondern um das ruhige Licht ächt klini¬
scher Forschung handelt, und um einen dauernden Gewinn für ihn und für die Wissen¬
schaft. G. Burckhardt.
Cantonale Coirespondenzen.
Aar AU. Praxisjubiläum. Am 20. August feierte Herr Dr. Wilh. Släbti von
Brugg, früher in Gränichen, seit 48 Jahren pract. Arzt in Aarau, sein ÖOjähriges Praxis¬
jubiläum. Collegen und Clienten desselben überraschten den 73jährigen, stets muntern
uud von morgenfrischem Humor strahlenden lieben Alten mit einem Bierhumpen, der eine
zur Hauptthätigkcit Stdbli ’s sehr passende Decoration zeigt, nämlich den kinderbesorgenden
Storch und die UeberschYift trägt: »Wer Kinder bringt und operirt, der einen grossen
Durst verspürt.* Während die Frühmesse hiemit eingeläutet wurde, entwickelte sich am
Nachmittag ein stattlicher Wagenpark auf der Route nach Gränichen, wo der Jubilar
seine Praxis begonnen hatte und wo ihm nun bei einem Bankett von Collegen und Freun¬
den als Zeichen hoher Verehrung ein hübscher Pokal mit besonderer Widmung überreicht
-wurde, zugleich mit einem Schreiben des Decans der medicinischen Facultät von Göttin¬
gen, Herrn Prof. Leber , worin dem am 20. August 1828 dort unter Blumenbach promovir-
ten Dr. Stdbli zu seinem Jubiläum gratulirt und noch eine lange segensreiche Wirksam¬
keit gewünscht wird. Tiefgerührt dankte der würdige Greis für die ihm unerwartet tu
Theil gewordene Ovation und gab dem allseitig ausgesprochenen Gratulationswunsche för
fernere langjährige Wirksamkeit mit dem Hinweis auf die Zähigkeit seiner Faser, die
während seiner ganzen fünfzigjährigen, oft sehr beschwerlichen Praxiszeit nie auch nur
eine 8tunde pathisch angemuthet wurde, eine berechtigte Aussicht.
Am Bankett in Gränichen erheiterten die nachfolgenden, von einem Collegen dem
Jubilare gewidmeten Verse die Festtheilnehmer sehr:
Es Lied vom
Ihr wüsset, mini guete Fründ,
s’gat mengist schwer, bis chllni Chind
Der Uterus verlasse händ
Und ihri Triller vo si gänd.
S’chunt vor, dass öppe d’Wehe z’schwach —
Denn seit halt d’Hebamm aisgemach:
„S’müend jetze Wehepulver zue,
Saat kriegt die Frau nu lang ke Rueh.“
Der Ma denn gäge Aarau rönnt,
Nu ärger, als wenn’s öppe brönnt —
Und schällt de Dokter us em Bett
De rüeft: „Sind dir’s, wo g’lütet hett?“—
„„Herr Dokter ja, d'Hebamm hett g’seit,
iyWeh heige si scho gänzli g’leit,
Papa Stäbli.
Und jetz sett i halt Pulver ha:
I bi der 84ml Stiruema.““
Aarau, de 10. Mai ist’s Datum,
8 gran Secale ist probatum;
Es Pulver alle Viertelstund’,
Doch numme wenn der Muetermund
Scho g’öffaet ist Sust macht statt Llnd’rig
Das Pulver numme nu me Hind’rig.
D’Frau hett die Pulver alli g’schlückt
Und grüssll s&lber nu mitdrückt —
„S’nüzt nüt“, seit d’Hebamm, „Sämi, lue,
Jezt muess de Docter Stäbli zue.“
De chunt und seit: „Poz 8akermänt,
Da ist ja d’Blase nonig g’aprftngtl“
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Und d’Hebamm, die macht denn es G’sicht,
As wie es Nashorn mit der Gicht.
Und wie der Dokter d’Blase bricht
— E Strom — 3 Wehe — Chopf in Sicht!
I fenf Minute ist’s verbi,
Und marterli brüelt denn de ChlL
Und wiederum es anders mal
Ist hinde dört im Räfethal
Der Durchschnitt vorne Wiberbecki
Zwe Zoll verchürzt i einer Strecki;
Da nütze keini pulvera,
Kei Jomere vo Wib und Ma,
Es wird drum nach em Stabil g’schickt,
Dass s’Chind im Becke nit erstickt.
De chunt — leit d’Zange über d’Ohre —
I 10 Minute ist’s gibore.
Denn ritet er in churzem Trab
Heiwärts und stigt im Leue ab:
„Grüesa Gott, grüess Gott, Frau Stirnema,
Hätt gärn es Tassli Caffee g’ha.“
Und chunt er spat denn endli hei,
S’Mamali fragt, wie’s gange sei,
„Guet“, seit er, „dasmal, doch s’stirbt mängi
A sönere böse BeckeängL“
D’Hebamm ist sust e g’schiti Frau;
Das weiss sie g’wöhnli sälber au.
Doch mangist flnd’t sie d’Lag nit rächt,
Und denn gat’s öppe die doch Schlacht:
Wenn’s Wasser schon e Tag abg’loffe,
De Muetermund ganz wenig offe,
Und weder Chopf nu Steiss vom Chind
Im Beckeigang z’flnde sind.
„Wie Btaht’s denn,“ fragt der Daniel,
„I glaube doch, mi thüri Seel’,
S’ist Zit jez ga der Dokter z’hole“.
Er seit’s und macht si flink uf d’Sohle,
Und dert bim Leue gseht er grad
S’bikannti Rössli scho parat,
De Papa Stabil heiwärts z’träge;
Er dänkt: „Du chunst mer jetz au gläge.“ —
„Herr Dokter, chömet mer doch au
I Weyer hindere zue der Frau;
Si lit zwe Tag lang jeze scho,
Und cha halt s’Chind nit übercho.
Er kennet sie. Driesg Jahr sind umme,
Sit dir, Herr Dokter — danket numme —
Mit euem Zangeinstrument
Mim Vreni uf d’Wält g’hulfe händ.“
Er gaht und undersuecht die Sach’
Und seit denn andli alsgimach:
„Das ist doch öppe klar am Tag,
S’ist halt e queri Chindeslag.“
Langsam de dur de Muetermund
Gaht’s ufe bis zuem Uterusgrund;
Denn seit zum Chindli er als Gruess :
„Lue, Chrott, jez ha-n-i di bim Fuess!“
Und hübschli, hübschli zieht er a;
Der Muetermund git jeze na,
Und wie ne Chrabs chunt de verchehrt
E Bueb zuer Walt ganz unversehrt.
So hett er füfzg Jahr wit und breit
Us schwere Lage d’Chind befreit.
Ja mängi Frau und mänge Ma
Hett er i einer Zange gha.
Drum seil es töne dur’s ganz Hus:
Wir bringe s’Stäbll’s G’sundheit us!
S’läb hoch i sine alte Tage
Der Retter us de falsche Lage!
ÜSencliAtol. Sur l'extirpation d’un gottre plongeant. (Com-
muniqud k la Socidtd mddicale neuchäteloise le 27 Juin 1878). Le 21 Juin dernier j'ai
procddd k l’Hdpital de la Providence k l’extirpatiou d’un gottre prdsentant des particula-
ritds assez intdressantes pour que je croie utile de vous communiquer le cas en ddtail.
Le 11 Juin dans la nuit je fus appeld auprds du nommd Tirino Victor, ägd de 18 ans,
ramoneur, pour des vomissements intenses dont on ne pouvait se rendre mattre; je trou-
vai un malade, relntivement bien bäti, mais le facids ddjd un peu ddcomposd, vomissant
des matteres brunätres ressemblant en tout point k celles rendues dans les occlusions in¬
testinales; je ne tardai pas k ddcouvrir que Tirino dtait atteint d’une hdrnie inguinale in¬
terne k droite depuis fort longtemps, et que, ayant quittd le bandage hdrniaire deux jours
auparavant, il n’avait plus pu rentrer l’intestin et maintenant supportait les consdquences
de son imprudence.
Taxis, avant et aprds l’ingestion de 60 gram, d'huile de ricin, inutile; je fais porter
le malade k mon höpital et je rdussis dans la matinde aprds quatre heures de baius chauds
par un taxis moddrd mais continuel k rdposer l’intestin hernid.
Quatre k cinq jours plus tard le malade me rend attentif k une tumeur de la gros-
seur d’un oeuf de poule k peu prds, placde au devant du cou et, disparaissant involon-
tuirement ou par des manipulations ad hoc, derridre le sternum, et dtant cause de suffoca-
tions surtout si le ddplacement se produisait pendant le sommeil; dans ce cas le malade
dtait rdveilld en sursaut en proie k une vive anxidtd, phduomdne qui ne disparaissait
qu’aprds que la tumeur, soit par des mouvements de ddglutition, soit en augmentant la
pression interthoracique avait repris sa position premidre.
La tumeur trds-raobile, ldgdrement molle, pddiculde, non-adbdrente k la peau et ne
prdsentant, surtout depuis dehors, aucune connexion avec les lobes latdraux, qu’il est im-
possible de sentir derridre les sterno-mastoidiens, je posai le diagnostic de gottre
plongeant du lobe moyen et les dimensions relativement petites m’engagdrent
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4. en propoaer l’extirpation au malade, quoique ce genre de goitres soit considdrd comme
un noli me tangere; le malade y consentit avec empresseraent
Le 21 Juin il fut procddd 4 l’opdration aprds cbloroformisation compldte du malade.
Une inciaion verticale allant du bord aup. du cartilage thyroi'de 4 la fourcbctte du ster¬
il um mit de auite la tumeur 4 du qui fut priao avec des pincea drignes et tirde en de-
hora. —
A ce moment le plexus veineux qui la rccouvrait, et dont quelques brancbcs attei-
gnaient lea dimenaions d’un petit doigt, me fit de suite aoupqonner une tumeur beaucoup
plus volumineuae que celle que j'avaia diagnostiqude, et en effet jo vis bientöt et k mc-
sure que j’avanqaia dana la prdparation du pddicule, que celui-ci dtait preaque parfaitement
ddlimitd k gauche, taudis que du cötd droit il ae perdait dana une masse de tisau cellu-
laire, fixd au cötd de la trachde et dana lequel ae trouvait le lobe droit de la thyroi'de,
mais qui dtait deacendu derridre la clavicule. la premidre cöte et le sternum et dont on
nc pouvait sentir malgrd aes dimenaions, merne vaguement lea limitca k travers la peau.
Ce dernier lobe avait la grosseur d’un gros poing d'adulte, une cousistance tres dure et
contenait des artdres d’un diamdtre de 3 k 4 millimdtres.
L’extirpation a dtd trds-longue, 2 heurcs et demie, et pdnible aurtout pour le lobe
inoyen dont lea veinea variqueuaes ddchirdes donnaient une abondante quantitd de sang,
ct aur leaquelles ni la torsion ni la ligature n’avaient d’effet, leura parois dtant trop fri-
ablea. Pour cette partie j'ai dü recourir au thermo-cautdre de Paquelin avec lequel j’ai
extirpd la partie la plus prodminentc du lobe et j’ai rduasi ainai k arrdter l’bdmorrhagie
veineuae. Lee groaaes artdres que j’avais aperquea au pddicule ne m’cngagerent pas k aller
plus profond avec le fer rouge, ct bien m’en a pria.
Une foia que le lobe moyen k peu prds ddtachd put ßtre replid k droite pour poo-
voir me permettre la disscction du lobe droit par en baa, j’ai vu que ce dernier avait en-
tralnö avec lui la trachde qui faiaait une courbe k droite et en bas laissant ainai un espace
libre au-devant du cou et un peu derridre le aternum, oü venait ae loger la plus grande
partie de la tumeur. £i j’avais employd le thermo-cautdre j’uaque dans le fond, j’aurais
enlevd aans m’en douter un sdgment de plusieura centimdtres de la trachde.
L’extirpation du lobe droit dont le pddicule allait en arridre j’usqu’4 1'oBsopbage a
prdaentd auesi quelque difficultd, mais qui ont dtd facilement vaincues. Il ne rcatait de
la thyroi'de plus que le lobe gauche, qui dtait de la grosseur, comme vous voyea ici, Mes¬
sieurs, d’un pouce d’adulte et qui a auasi dtd extirpd. — Le nombre des ligatures a dtd
de plus de 30. Le soir de l'opdration le malade dieait n’avoir j’amaia respird aussi fa¬
cilement, par contre la ddglutition dtait un peu erabarraasde.
Quoique j’aie eu j’uaqu’4 prdsent des rdsultata trds favorables par un simple paDse-
ment k l’eau de Labarraque *) j'employai cependant dans ce cas le pansement de Lister,
& cause de deux cas malheureux aurvenua cea derniera tempa k l’Höpital — une rdsec-
tion de la tdto du femur et une perioatite gdndrale supurde du mdme os k gauche qui
ont dtd priaes en peu de tempa de ddcubitus. vomisaements etc. et sont raortes k peu de
jours de distance de ma nouvellc opdration — et j’ai eu l'occaaion de voir pour la pre-
rnidre fois das aseptische Fieber des auteura**) c’eat-4-dire une dldvation de
tempdrature continuel sana autre aymptöme fdbrile aucun. — Le 25 la plaie est com-
pldtement fermde sauf 4 l’angle infdrieur oü il y a encore une petite flstule. Le mfim«
jour au aoir je suis appeld 4 l’Höpital 4 cause des accds de suffocation qui se sontpro-
duits avec une intenaitd teile que les aoeurs de service ont craint me voir arriver trop
tard. Je m’attendaia 4 devoir faire la trachdotomie; en arrivant auprds du malade je Ic
trouvai atteint d’une trds forte dyapnde, pouls petit, Idvrea pälea, respiration accdlerde, temp-
40°. L’examen me prouve de auite que la trachde subit une pression extdrieure, et qu ovec
un aimple ddbridement j’arriverai au but. La plaie fut de nouveau ouverte sur presque
toute sa longueur, pour donner dcoulcment 4 un exsudat trop abondant qui comprimait a
trachde; 4 droite et 4 gauche de celle-ci furent placds des drains et aujourdhui le 2
Juin le malade n’a preaque plus de fidvre, se ldve, eat trds-gai et content
*) P. ex. une amputation de cuisse gudrie en 17 jours, temp. max. une seule fols 39®.
cas d’extirpations d’bdmorrboides sans fidvre.
**) Volkmann, Samml. klin. Vortr. Nr. 117—118, 121.
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Je vous ai apportd ici, Messieurs, la tumeur qui ne präsente absolument rien de par-
ticulier au poiut de vue anatomo-pathologique; c’est une liypertrophie simple avec quel¬
ques petits kystes et, une induration grande comrae une noisette au point oü le lobe
moyen dtait le plus intimöment en contact avec la trachte. Je n’aurais du reste pas mis
votre patience k l’dpreuve si ce cas n’avait pas prdsentö une si grande divergence entre
le diagnostic probable et le vdritable ötat de choses. *) Dr. F. Borel-Laurer.
I$t* Gallen. Dr. Joseph Anion Thürlimann in Gossau f. (Nachruf eines Zeitgenos¬
sen.) Der Tod hält Erndte unter den Aerzten, und zwar legt er seine Sichel an die
Elite derselben, das Horazische Verdict constatirend : pallida mors aequo pulsat pede pau-
perum tabernas regumque turres. — In kurzer Frist hat sich die Erde über zwei der
vorzüglichsten Aerzte der Stadt St. Gallen, die im kräftigsten Mannesalter dem Tode in
die Arme sanken, geschlossen, und schon läutet das Sterbeglöcklein dem dritten zu Grabe.
Am 28. Juli, Abends, starb Med. Dr. Jos. Anl. Thürlimann. Er war 1805 geboren in Ober¬
büren, wo der Vater neben der Landwirthschaft den Beruf als Arzt mit einer bedeuten¬
den Praxis betrieb. Der Sohn Joseph Anton sollte einst in dieses Erbe eintreten, und
wurde zu dem Zwecke nach vollendeten Primarien den Gymnasialschulen in Eiusiedeln,
Feldkirch und Wettingen übergeben. Im Jahr 1818 starb der Vater und die 8tudien des
Sohnes wurden kurze Zeit unterbrochen, doch bald wieder aufgenommen und die vorbe¬
reitenden wissenschaftlichen Lehrfächer am Lyceum in Solothurn erledigt. Nun wandte
sich Thürlimann zum Beginn seiner fachwissenschaftlichen Studien nach Freiburg i. Bgau.,
wo er mit eiuem seiner geistigen Begabung entsprechenden Fleiss unter tüchtigen Leh¬
rern sich zum Dienste der Menschheit als Asclepiadenjünger vorbereitete. Nachdem er
in einem Zeitrauin von über drei Jahren seine medicinischen Studien vollendet und eich
nach ehrenvoll bestandener Facultätsprüfung die Doctorwürde erworben hatte, kehrte er
zurück, unterzog sich dem Staatsexamen und betrat nun seine ärztliche Laufbahn.
Thürlimann war Arzt init Kopf und Herz. Er ging mit seinen Patieuten scharf ins
Gericht, d. b. er bemühte sich, vor- und rückwärts greifend, die feinsten Fäden des
Symptomenknäuels der Krankheit zu entwirren, um sich von der Krankheit ein klares
Bild, für deren Behandlung und Stellung der Prognose eine sichere Grundlage zu schaffen.
Mochte er den Kranken vielleicht nicht unabsichtlich den Ernst seiner Lage aus seinen
Geberden errathen lassen, so war sein Benehmen dem Kranken gegenüber immer freund¬
lich, herzlich und voll Theilnahme, und auch in den ungünstigsten Fällen verliess er ihn
nicht, ohne ihm einige tröstende und der Hoffuung noch Raum gebende Worte zu bieten.
Ira Gebiete der operativen Chirurgie stand Thürlimann in der vordersten Reihe der
Fachgenossen unserer Gegend; sein weithin bekannter Ruf als Operateur führte ihm in
früheren Jahrzehnden Kranke aus fernen Kreisen zu. Er unterhielt zeitweise in einem
eigens hiezu gemietheten Locale eine kleine kliuische Anstalt, indem er schwierige und
längere Nachbehandlung erfordernde chirurgische Fälle unter seine Aufsicht nahm.
Bei operativem Eingreifen stellte er das „tuto“ voran. Gebührend wurde dem „cito
et jucunde“ Rechnung getragen, doch nie auf Kosten des „tuto“. Thürlimann bewegte
sich gerne auf diesem Gebiete, und wenn der concrete Fall ein günstiges Resultat mit
ziemlicher Wahrscheinlichkeit in Aussicht stellte, griff er mit Lust zum Messer. Doch
auch vor den verzweifeltsten operativen Aufgaben schreckte er nicht zurück und der
innere Drang, den schwer Leidenden Genesung oder doch noch Linderung zu gewähren,
vermochte ihn mitunter, sich an schwer löslichen chirurgischen Problemen zu versuchen.
Er operirte ruhig, mit kaltem Blute und unvorgesehene Schwierigkeiten in jeder Opera¬
tionslage überraschten ihn nicht. — Was wir von unseres Collegen Wirken und Walten
auf dem chirurgischen Gebiete sagten, das gilt von ihm „mutatis mutandis“ auch für das
Fach der Geburtshülfe. Hunderte von Müttern und Kindern verdanken seiner kunst¬
gewandten Hand Leben und Gesundheit und werden seinen Grabeshügel mit Dankes-
thränen benetzen.
Auch auf dem Felde der Augenheilkunde hat er 8chönes geleistet und erfreute sich
in diesem Zweige des ärztlichen Wirkens einer bedeutenden* Kundsame.
So war unser Freund vielseitig, aus nab und fern, um Rath und Hülfe angesprochen,
und zu jeder Stunde stand er unverdrossen der leidenden Menschheit zu Diensten. Eine
*) Depuis que ce cas a 6t6 präaentä le malade eat complÄtement guäri.
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ausgedehnte, beschwerliche Landpraxis nahm seine Zeit so sehr in Anspruch, dass ihm
bei Tage seltene Mussestunden, bei Nacht selten ungestörte Ruhe vergönnt war. — Sein
Benehmen gegen seine Collegen war ein edles, dienstgefalliges, dem Brodneide fremdes.
Er liebte heitere Gesellschaft, wusste dieselbe durch Humor und treffende Witzworte zu
würzen. Allein die durch seinen Beruf verkürzte Zeit und die seit mehreren Jahren an¬
gegriffene Gesundheit erlaubten ihm nicht, an geselligen Vergnügen oft theilzunehmen.
Er hielt sehr mässige Diät und beschränkte sich gerne auf seine häuslichen Familien¬
freuden. Wem das Glück beschieden war, ihn zum Freunde zu haben, der fand ihn in
allen Wechselfällen des Glückes treu und rein wie Gold.
Was Thürlimann als Vater seiner Familie war, davon geben beredtes Zeugniss acht
erwachsene, wohlerzogene und gut gebildete Kinder. Die daherigen bedeutenden Kosten
bei einem nicht erheblichen Privatvermögen durch den Erwerb mittelst des ärztlichen Be¬
rufes zu bestreiten, war keine leichte Aufgabe.
Thürlimann begann seine ärztliche Praxis im Jahre 1827 in Oberbüren, verehelichte
sich dort 1836 und siedelte 1841 nach Gossau über, wo sich sein Wirkungskreis bedeu¬
tend erweiterte. Auch berief ihn das Volksvertrauen in mehrere gemeindliche und can-
tonale Besaitungen; doch waren ihm diese Nebensache, das Gebiet seines Schaffens war
das medicinische und hier wirkte er als Mitglied des Sanitätsrathes volle dreissig Jahre.
Hoben wir diesbezüglich keine von ihm ausgegangenen neuen Schöpfungen zu registrireo,
bo hat er doch zur Förderung des 8anitätswesens energisch beigetragen, manche sanita-
rische Verordnung angeregt und zu deren Durchführung kräftig mitgewirkt.
Unser Freund genoss früher eine mässig gute, doch nicht kräftige Gesundheit, hatte
schon im frühen Mannesalter zeitweise Uber Congestivzustände u. dergl. zu klagen. Nit
den Jahren, bei zunehmender Beschäftigung, Ueberanstrengung und Störung der Nacht¬
ruhe nahmen die Beschwerden zu und wurden mitunter gefahrdrohend. Vor ein paar
Jahren brachte ihn ein apoplectischer Insult dem Tode nahe. Von da an beschränkte
sich sein ärztliches Wirken auf die Berathungen seines nun in die Praxis eingetretenen
Sohnes. Im Winter 1877/78 erholte er sich einigermaassen, machte dieses Frühjahr
wieder kleine Ausgänge, liess sich sogar in den letzten Wochen noch in die Ferne an’s
Krankenbett führen. Das war zu viel; er ward erschöpft, erlitt bald nachher einen neuen
Anfall yon Apoplexie und schlief sanft ohne Todeskampf ein — 73 Jahre alt.
Wem Tausende am frischen Grabe
Des Dankes Thränen dargebracht,
Der hat mit einer schönen Gabe
DeB Guton wohl die Welt- bedacht.
Thnrgail. Ein seltener Tumor mammae. In der letzten Märzwoche
dieses Jahres wurde ich zu der 51 Jahre alten, unverheiratheten 8. Sch. in R. gerufen,
welche an einer bedeutenden und schmerzhaften Anschwellung dor rechten Brust leide.
Am 27. März besuchte ich die Pat. zum ersten Mal. Ich fand eine colossale, etwas
ovale Geschwulst von bedeutendem Umfang, deren oberster Theil sich hart und uneben
anfühlte, während sonst überall pralle Fluctuation vorhanden war. Hautbedeckungen von
unverändertem Aussehen.
Von der Patientin selbst, deren Aussehen nicht kachectisch war, erfuhr ich anam-
u es tisch Folgendes: Sie beobachtete schon vor circa 25 Jahren am oberen Theil ihrer
rechten Brust eine harte, etwa hühnereigrosse Anschwellung, die ihr weder Schmerzen
verursachte, noch sie an ihren ländlichen Arbeiten hinderte. Vor 3 Jahren schwoll die
Brust mehr an und schmerzte sie; durch Wärme verlor sich diese neue Anschwellung
und die Schmerzhaftigkeit; die ursprüngliche Geschwulst aber blieb.
Vor circa 4 Wochen begann die Geschwulst der Brust rasch zu wachsen, so dass
eie der Pat. durch Grösse und Schwere sehr lästig wurde; sie legte sich deshalb ««
Bette. Pat. klagte ausser Uber starke Spannung über Stechen in der Geschwulst, B wie
von Dornen“.
Ich erklärte, die Geschwulst als ein Cystosarcom taxirend, den Charakter derselben
für nicht bösartig und schlug vor, den flüssigen Inhalt, der wahrscheinlich weder eiterig
noch blutig sei, durch Inoision zu entleeren. Dies geschah am 29. März. Durch ®*ae
ausgiebige Incision an der tiefsten Stelle der Geschwulst entleerte ich 2 Maass einer
dunkelbraunen, geruchlosen Colloidmasse; nachher Compressiwerband.
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Am 80. März fand ich zu meiner unangenehmen Ueberr&schung den vorher ganz
schlaffen, weiten Back wieder durch eine filr das GefQhl resistenten Masse ausgedehnt;
aus der Incisionsstelle floss nur eine wässerige, schwach bräunlich gefärbte, fötide Jauche.
Der eindriDgende Zeigefinger fühlte ein derbes, immerhin zerreissliches , weitmaschiges
Gewebe und im oberen Theil der Höhle eino Anzahl knochenähnlicher, harter Concremente,
die sich herausschälen und extrahiren Hessen.
In Uebereinstimmung mit dem zur Berathung beigezogenen Gollegen Dr. Bissegger
erweiterte ich am 2. April die Incisionswunde nach beiden Seiten. Die Höhle wurde
nun mit verdünnter Carbolsäure ausgespritzt, da das Beeret einen aashaften, penetranten
Gestank verbreitete.
Die Pat. hatte an jenem Tag eine Temperatur von 89,4 und einen Puls von 120
Schlägen. Da sie nach diesem operativen Eingriff Uber heftige Schmerzen klagte, bekam
sie eine Mixt. nitr. c. morph. — Am folgenden Tage war die Temp. 88,4, der Puls zählte
186 Schläge.
Die Patientin wUnschte namentlich mit Rücksicht auf ihre häuslichen Verhältnisse in
den Cantonsspital einzutreten, was ich um so bereitwilliger unterstützte, da ich einsah,
dass man die ganze Geschwulst beseitigen müsse, und weil ich aus der Untersuchung
schloss, dass diese Entfernung ihro Schwierigkeiten haben dürfte.
Herr Spitalarzt Dr. Kappeier operirte die Kranke Samstag den 6. April mit gewohnter
Meisterschaft und Umsicht.
Die Operation in Aethernarcose dauerte volle l*/a Stunden. Die Abschälung der
Geschwulst war deshalb schwierig und zeitraubend, weil divertikelähnliche Fortsätze un¬
ter die rechtseitigen Rippen und unter das Sternum draugen, und weil auch Rippencaries
vorhanden war. Die necrotischen Partien wurden mit dem scharfen Löffel abgekratzt
und das Krankhafte überhaupt möglichst vollständig entfernt Die rechte vordere Thorax¬
hälfte erschien durch die Geschwulst förmlich eingedrückt, concav. — Wir hatten ober¬
halb der cariösen Rippen die Pleura vor uns und sahen unter dem Sternum bei jeder
Herzaction deutlich die rotirende Bewegung des Herzens in seinen Hüllen.
Nachdem auf die kranken Rippen der Galvanocauter angewandt, eine Menge Arterien-
unterbindungen gemacht und die grosse Wundfläche abgespült worden war, wurde die
gesunde Haut Uber dieselbe gezogen und durch zahlreiche Nähte mittelst Catgut vereinigt.
Meinem Wunsche, von dem ferneren Verlauf Kenntniss zu erhalten, kam Herr cand.
med. Vetsch , zweiter Assistent des Herrn Spitalarztee Kappeier , bereitwilligst entgegen. Er
schrieb mir 6 Tage nach der Operation ungefähr Folgendes: „Samstags und Sonntags
fühlte sich die Pat. sehr schwaoh; auch der Puls war klein, so dass Reizmittel (Glüh¬
wein, Tinct. moschi) angewandt wurden. Jetzt hingegen hat sich Pat. von der sehr ein¬
greifenden Operation erholt, sie fühlt sich subjectiv ganz gut; Fieber ist nur unbedeutend
und der Puls ist wieder kräftig geworden. Was die Wunde selbst anbetrifft, so konnte
der starken Eiterung und Jauchung wegen der Lister 'sehe Verband nur wenige Tage bei¬
behalten werden und ist nun durch einen einfachen Verband mit Carbolcharpie (Watte
in Carbolöl getaucht) ersetzt worden. Die Jauchung ist eine ziemlich bedeutende , so
dass täglich 8- oder 4maliges Abspritzen erforderlich ist. Daneben lässt das Allgemein¬
befinden nichts zu wünschen übrig. Ein grosser Theil der Wunde ist jetzt schon in
kräftiger Granulation begriffen. Ueber die Natur des exstirpirten Tumors erhielten wir
von Herrn Prof. Roth (Basel) folgende Mittheilung: „Der am 8. April geschiokte Tumor
mammsB ist ein Enchondroma myxomatosum. In dem mir übersandten Abschnitt
finde ich nichts von Mamma; die Geschwulst ist vorn und hinten von Musculatur be¬
deckt ; an einer Stelle enthält sie spongiöse Knochensubstanz (wohl Reste von Rippen).
Ist am Ende die Geschwulst ganz hinter der Mamma gewesen und stellt sie ein Rippen-
Enchondrom dar?““
Soweit die Mittheilung des Herrn Vetsch. Ich füge noch hinzu, dass die Pat. nach
einem zweimonatlichen Aufenthalt im Spital nach Hause entlassen werden konnte, und
dass die harten Concremente, die ich am 80. März mit dem Zeigefinger herausschälte,
sich, nachdem sie getrocknet waren, als spongiöse Knochenstücke von unregelmässiger
Gestalt erwiesen. Ich habe deren 5 aufbewahrt, das kleinste ist 12 mm. lang, 8 mm.
breit, das grösste 24 mm. lang und 20 mm. breit.
Weinfelden. Dr. W. Ilaffter, Bezirksarzt
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Zürich. Prof. Dr. Hermann Lebert f. In den ersten Tagen des Monats August
brachten die Öffentlichen Blätter die Trauerkunde von dem in den Abendstunden des
1. August erfolgten plötzlichen Tode von Prof. Lebert, Dieser Mann hat, obwohl nicht
ein geborener Schweizer, doch unserem Vaterlande so viel Anhänglichkeit und Liebe be¬
wiesen, dass es wohl gerechtfertigt erscheint, wenn wir ihm in unserm ärztlichen Organ
einige Zeilen freundlicher Erinnerung widmen.
Lebert wurde geboren im Jahre 1813 in Breslau, machte jedoch seine Jugendbildung,
weil sein Vater dahin zog, in Berlin durch. Am 10. Mai 1833 liess er sich als Student
der Medicin an der jungen Zürcher Universität immatriculiren, machte Bein Doctorexamen
ebendaselbst am 15. März 1834 und promovirte am 28. März desselben Jahres mit einer
Dissertation „de gentianis helveticis“. Er bekundete durch diese Dissertation seine Liebe
für die Naturwissenschaften sowohl wie für die Schweiz und diese Neigung entwickelte
sich späterhin noch weit mächtiger in ihm. Im Zürcher Universitätsstudentenverzeichniea
Heisst es, Lebert sei 1834 nach Paris verreist. Dort scheint er nicht sehr lange geblieben
zu sein; denn Ende der dreissiger Jahre hatte er sioh bleibend im Waadtlande, iu Bex
niedergelassen, war in Lavcy Badearzt geworden, gab von 1838—1842 jährliche Compte-
reudus über diesen Badeort heraus, erwarb sich 1841 das Bürgerrecht von Bex und ge¬
wann eine ausgedehnte ärztliche Praxis in jenen Theilen der Schweiz. Doch bchagte
ihm der Aufenthalt in dem zwar schönen, aber für wissenschaftlichen Verkehr zumal
damals noch abgeschlossenen Orte nicht mehr; er siedelte 1842 nach Paris über, um hier
in den Spitälern namentlich pathologische Anatomie zu studiren. Die politisch bewegten
Zeiten von 1848 — 1852 brachten es mit sich, dass er dort auch viel Chirurgie trieb. In
dieser Zeit war Lebert literarisch äusserst productiv. Seine Physiologie patho-
1 ogique (Paris 1845 2 pts. mit Atlas) und sein Traitd pratique des mala-
dies scrophuleuses et tubcrculeuses (Paris 1845), die Chirurgi¬
schen und physiologisch-pathologischen Abhandlungen (Berlin
1847), sowie zahlreiche kleinere Abhandlungen (de la formation du cal, de 1’hypertrophie
de la glande mammaire, recherches sur la formation des muscles dans les animaux ver¬
te brds et sur la structure de la fibre musculaire etc.) aus verschiedenen Gebieten der Me¬
dicin bekunden seine mannigfaltige Thätigkeit. In diesen Jahren sammelte er auch die
Hauptmasse der Abbildungen zu seiner „Anatomie pathoiogique gdndralc
et spdciale, 2 Bände mit Atlas“, Paris 1864 — 1862, ein Werk, das er freilich erst
später vollendete. Im Frühjahr 1858 folgte er einem Rufe an die Zürcher medicinische
Klinik, die er bis Ende Sommers 1859 leitete. In dieser Zeit arbeitete er sein zweibän¬
diges, damals höchst zeitgemässes Werk „Handbuch der practischen Me*
d icin, Tübingen 1859“ aus, das bis 1871 vier Auflagen erlebt hat; die Abtheiluog der
Krankheiten der Blut- und Lymphgefässe im FircAom’sohen Sammel¬
werk, das 1867 in zweiter Auflage erschien und ausserdem zahlreiche kleinere Arbeiten,
zwei Choleraschriften, die Arbeit über Hirnabscess u. a. m. Daneben fand er noch Zeit,
sich mit den Naturwissenschaften zu beschäftigen; er hörte regelmässig bei Prof. Stddeier
das Collcg über Chemie an, arbeitete im Laboratorium, machte seine erst nach Dccennieu
gehörig gewürdigten Untersuchungen Uber die Muscardine und den Pilz, an dem so viele
Kliogen im Herbst zu sterben pflegen. Im Herbst 1859 ging er nach Breslau, übernahm
die dortige medic. Klinik. Auch da fand er trotz sehr grosser consultativer Thätigkeit
noch Zeit für literarische Arbeiten; seine „Allgemeine Pathologie und Therapie* 18o
(2. Auflage 1876), seine „Grundzüge der ärztlichen Praxis“, die Abtheilungen im Ziemssn-
schen Handbuch über Typhus exanthematicus, recurrens und Cholera, über angeborene
Anomalien des Herzens, seine 8tudien über das Hirnaneurysma, das Aneurysma der
aorta, die Festschrift zum Jubiläum der wiener Universität, sowie die Publicationen ü r
Pulmonalstenose und Tuberculose, über Impftuberculose, über Trichinen, Uber Fleckne er
und Recurrens, Brustkrankheiten u. s. w., entstammen dieser Periode. Daneben pflegte er
immer noch leidenschaftlich das Studium der Naturwissenschaften, sammelte Insecton uo
pctrefacten aus allen Theilen der Erde; seine Sammlung von Bernsteineinschlüssen war
eine der reichhaltigsten und schönsten. Jährlich beinahe liess er sich Alpenpflanzen aon
den, die er in seinem Garten zog und sich an deren Gedeihen erfreute.
1875 führte er seinen Jahre lang schon gefassten Entschluss aus, die Klinik ni
znlegen, sich in der französischen Schweiz für bleibend niederzulassen und eich au
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ruhen von seinem rastlosen Schaffen. Doch nein. Auch hier war Lebert ebenso produc¬
tiv wie früher. Nickt blos bearbeitete er die früher erschienenen Auflagen seiner Werke
für neue Ausgaben, sondern jetzt erst fing er an seine zahlreichen Krankengeschichten zu
verarbeiten und wie früher in seiner Klinik der Brustkrankheiten, nun in seiner Klinik
der Magenkrankheiten, 1877, dem ärztlichen Publicum mitzutheilen. Das preisgekrönte
Werk über die „8pinnen der Schweiz“, verschiedene Aufsätze und Schriften beweisen,
dass die Feder des 60jährigen ebenso rasch und fliessend schrieb, wie seiner Zeit in
Paris.
Gesundheitsrücksichten veranlassten Lebert im Herbst 1877, sein geliebtes Waadtland
(er hatte von 1875 an in Vevey gewohnt) zu verlassen, nach Nizza zu ziehen, wo er
sich eine liebliche Villa mit einigen Palmen, die sein Stolz und seine Freude waren,
kaufte. Auch hier immer noch literarisch thätig (vgl. seine Artikel über die Riviera di
Ponente) kehrte er im Sommer, so auch aus dem Süden wie früher alljährlich aus dem
Norden (aus Schlesien) in sein geliebtes Bex zurück und wurde hier am 1. August
Abends, im Kreise seiner Familie, plötzlich aus seinem thätigen Leben abberufen.
Lebert war ein Mann, der blos durch eigenes Streben, durch ruhe- und rastloseste
Arbeit das Ziel errungen hat, an das er gelangt ist. Er war bekanntlich von Geburt
Israelit und durchaus imbemittelt; er trat zum Christenthum Uber, bevor er nach der
Schweiz kam, und räumte damit ein Hinderniss aus dem Wege, das ihm seine Carrtere
seiner Zeit jedenfalls zum grössten Theil unmöglich gemacht hätte. Seine literarische
Productivität übersteigt unzweifelhaft die aller übrigen neuern mediciniscben Autoren.
Er besass eine eiserne Zähigkeit beim Verfolgen eines Zieles, und ruhte nicht, scheute
keine Mühe, bis er eine 8ammlung vollständig, die Literatur über einen zu bearbeitenden
Gegenstand complet beisammen hatte. Er besass ein vorzügliches Gedächtniss , das ihn
bei der Stellung der Diagnosen am Krankenbette wesentlich unterstützte.
GewiBB war es für ihn die grösste Wohlthat, mitten aus der Arbeit abberufen zu
werden, ein Krankenlager, auf dem er nicht mehr hätte arbeiten können, wäre ihm die
grösste Pein gewesen. Möge ihm die Erde leicht sein !
Zürich« Ein Rechtsstreit. In jüngster Zeit wurde im Canton Zürich ein
für unsere Zunft interessanter Rechtsstreit schiedsgerichtlich erledigt.
Im Sommer 1875 sieht sich der junge Arzt B. nach einem Wirkungskreise um. Der
College H. in J. wünscht aus Familien- und Gesundheitsrücksichten seine Landpraxis
aufzugeben resp. zu verkaufen; es bahnen sich zwischen den beiden Collegen Unterhand¬
lungen an, welche zu einem Vertrage führen, dessen wesentliche Bestimmungen also
lauten:
1. Herr Dr. B. von W. übernimmt mit 1. September 1875 die Praxis des Herrn
Dr. H. in J. in dem Zustande und Umfange, in dem sie sich dannzumal befindet, auf
eigene Rechnung.
3. B. tritt am 1. September 1875 folgende bisher von B. besessene Gegenstände als
Eigenthum an. (Es folgen Mobilien im Werthe von allerhöchstens 8—900 Fr.)
5. B. bezahlt für Abtretung der Praxis, sowie aller obgenannten Gegenstände an H.
mit 1. September 1875 die Summe von 2000 Fr.
7. Der Vertrag soll nicht einseitig als aufgehoben erklärt werden können, widrigen¬
falls der Theil, welcher ohne Einwilligung des andern zurücktritt, diesem eine Entschä¬
digung von Fr. 700 zu zahlen hat.
Im September 1875 tritt B. die Praxis in J. an und H. siedelt nach Z. über.
B. gewinnt rasch das Vertrauen der Bewohner und practicirt frisch drauf los.
Schon im 8ommer 1877 findet B. es in seinem Interesse (die zwingenden Gründe
des Schiedsgerichtes), Z. wieder zu verlassen und trotz des mit B. abgeschlossenen Ver¬
trages, welcher seitens des Letzteren in allen Theilen erfüllt worden, die Praxis in seinem
alten Wirkungskreis J. wieder aufzunehmen und siedelt, nachdem B. Offerten bis auf
Fr. 10000 betreffend Retrocession der Praxis von der Hand gewiesen, nach J. über and
sucht wieder Clienten.
Eine Zeit lang sieht B. diesem Treiben ruhig za und wird endlich klagbar gegen B.
wegen Vertragsbruch und verlangt Beurtheilung der Klage durch das im Vertrage vor¬
gesehene Schiedsgericht B. will nicht Rede stehen und muss durch gerichtliches Urtheil
dazu gezwungen werden.
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570
Das Schiedsgericht verdonnert durch 8tichentscheid des Vorsitzenden den H. za
Fr. 8000 Entschädigung und motivirt in der Hauptsache seinen salomonischen Spruch
folgendermaassen:
II. hat den Vertrag gebrochen, wenn schon aus dem Abschluss desselben nicht ge¬
folgert werden darf, dass H. für immer auf die Praxis in J. verzichte; er hat dies nur
ftlr so lange zu thun, als B. sich eingoarbeitet und festgesetzt hat (darum erhält B. auch
keine Entschädigung für die Schädigungen, welche H. ihm in Zukunft verursachen wird,
und der Letztere kann in J. ungehindert fortpracticiren! Eine Entschädigung gebührt dem
/?., aber sie ist nur zu bemessen nach der Nettoeinnahme des H. während seiner Anwe¬
senheit in J. (Fr. 4000 unter Abzug der Betriebsausgaben!) Das Schiedsgericht findet
vom moralischen Standpuncte aus die Handlungsweise des H. darum weniger verwerflich,
weil er nicht ohne zwingende Veranlassung (welche?) sich dazu entschloss, trotz des mit
B. abgeschlossenen Vertrages nach J. zurückzukehren. Siet
Bei diesem Handel darf man sich füglich über drei Punote verwundern:
1. Wie ein College dem andern gegenüber handeln konnte, wie H. dem B. ge¬
genüber.
2. Wie ein Schiedsgericht einen so eclatanten Vertragsbruch so glimpflich behandeln
konnte.
B. verlangte als Entschädigung Fr. 400 per Monat der Anwesenheit des //. in J.,
ferner für die nächsten fünf Jahre je. Fr. 8600.
Hoffen wir, das Publicum in J. urtheile gerechter, als der Herr Obmann!*)
W oehenberieht.
Schweiz.
Bern. Herr Prof. Dr. Quincke hat einen Ruf an die Stelle des verstorbenen Prof.
Bartels nach Kiel erhalten und angenommen. Die med. Facultät in Bern verliert dadurch
eines ihrer besten Mitglieder, wir Aerzte einen ebenso beliebten als hervorragenden Col-
legen. Wir hoffen, dass die räumliche Trennung die freundschaftlichen Bande nicht
lockere, welche den scheidenden Collegen und Lehrer an die Schweiz binden.
KSldgenÖMiaclie 31 cd Iclnal Prüfungen. Das eidgenössische Departement
des Innern hat auf den sachbezüglichen Antrag des leitenden Ausschusses einige interi¬
mistische Prüfungsbestimmungen für die Prüfungssitze Basel, Bern und Zürich erlassen.
Dieselben bleiben bis zur Annahme des eidgenössischen Prüfungsregulativs, nach Maass¬
gabe der Uebergangsbestimmungen des Bundesgesetzes vom 19. December 1877 und des
Artikels 3 der Vollziehungsverordnung vom 5. April 1878, in Kraft.
Wir theilen hiemit die für die Aerzte geltenden Bestimmungen mit.
1. Propädeutische Prüfung. §1. Um den Access zur propädeutischen Prü¬
fung zu erlangen, hat der Candidat folgende Nachweise beizubringen: a. Ueber vollstän¬
dig und befriedigend absolvirte Gymnasialstudien durch ein als Ergebniss einer Prüfung
ausgestelltes Abgangszeugniss. b. Ueber den Besuch folgender academischer Curse: 1)
Physik, 2) Chemie, 3) ein Semester Arbeit im chemischen Laboratorium, 4) Anatomie,
ö) Physiologie, 6) ein vollständiger Curs Präparirübungen.
§ 2. In der schriftlichen Prüfung hat jeder Candidat zwei Arbeiten zu liefern: die
eine aus Physik oder Chemie, die andere aus Anatomie oder Physiologie. In der münd¬
lichen Prüfung wird examinirt aus: 1) Botanik, 2) Zoologie und vergleichende Anatomie,
Q~) Physik, 4) Chemie, 5) Anatomie und Gewebelehre, 6) Physiologie.
2, Fachprüfung. § 8. Die Bewerber um Zulassung zur ärztlichen Fachprüfung
kaben vorzulegen: a. Den Ausweis über bestandene propädeutische Prüfung, b. Zeugnisse
Ober den Besuch folgender academischer Curse: 1) Pathologische Anatomie, 2) gericn
liebe Medicin, 3) ein Semester Operations- und Verbandcurs, 4) drei Semester
uiache Klinik, 5) drei Semester chirurgische Klinik, 6) zwei Semester geburtshültnc e
j^linik, 7) ein 8emester ophthalmologische Klinik oder Poliklinik, 8) ein Semester psy-
*) Wir haben diese Correspondenz publicirt, um den eigenthümlichen Schacher, der, wj®
scheint, an einzelnen Orten mit dem Zutrauen des Publicums getrieben wird, an das
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571
chiatrische Klinik. Von den sub 5 und 6 genannten Kliniken kann je ein Semester
durch ein Semester Assistenz an einer betreffenden 8pitalabtheilung ersetzt werden.
§ 4. Die practische Prüfung besteht in: 1) Untersuchung und BeurtheiluDg von 2
medicinischen, 2 chirurgischen und 1 geburtshülflichen Fall in Gegenwart zweier Exami¬
natoren ; 2) schriftliche Consultationeu Uber einen der 2 medicinischen und über einen der
2 chirurgischen Fälle, 3) einer Leichenöffnung nebst mündlicher pathologischer Darstel¬
lung derselben, 4) Ausführung zweier Operationen, worunter eine Arterienunterbindung,
nebst practischen Uebungen in der Verbandlehre, 5) einer gerichtlich-medicinischen Ar¬
beit (Befund und Gutachten) nach einem vorliegenden concreten Fall oder, in Ermanglung
desselben, nach gegebenen Daten. Jeder behandelte Fall, jede schriftliche Arbeit, jede
Operation, sowie die Verbandübungen erhalten je eino besondere Censur.
§ 6. Aus folgenden Fächern wird beim mündlichen Examen geprüft: 1) Allgemeine
Pathologie und pathologische Anatomie, 2) specielle Pathologie und Therapie, inclusive
Kinderkrankheiten und Psychiatrie, 3) Gesundheitslehre, 4) Arzneimittellehre und Recep-
tirkunst, inclusive Waarenkunde, 5) Chirurgie, 6) topographische Anatomio und Operations¬
lehre, 7) Augenheilkunde, 8) Geburtshülfe, 9) gerichtliche Medicin.
In gleicher Weise werden vorübergehend Prüfungsbestimmungen erlassen für den
Prüfungssitz Genf für Mediciner und Apotheker und für den Prüfungssitz Lausanne für
Apotheker.
Zürich. Mit Ende dieses SommersemeBters ist die hiesige med. Poliklinik
in ein hübsches, neues Local, das eigens dafür hergerichtet und eingerichtet worden ist,
übergesiedelt. Dasselbe besteht aus einem Wartzimmer, Untersuchungszimmer für vor¬
läufige Untersuchungen, dem Hörsaal (klinischer Untersuchungs- und Demonstrationsraum)
und einem Dunkelzimmer, das für Laryngoscopie etc,, sowie auch für ophthalmoscopiscbe
Curse benutzbar ist. Damit ist einem länget gefühlten Bedürfuiss abgeholfen.
— Hülfsverein für Geisteskranke. Der Vorsitzende des berliner Hülfs-
vereines für Geisteskranke, Prof. Dr. Westphal , hatte den Zürcher Hülfsverein angefragt,
ob es nicht angezeigt wäre, dass die einzelnen Hülfsvereine für Geisteskranke unter ein¬
ander in Verbindung treten sollten, um die Geisteskranken, welche auB dem Gebiete des
einen in das des andern übergehen, gegenseitig zu unterstützen, unter Rückzahlung der
aufgelaufenen Kosten von Seiten des heimathlichen Vereins.
Das Zürcher Hülfscomitd beschloss am 2. October 1877, dem Petenten mitzutheilen,
der Zürcher Hülfsverein trete gern auf seine Anregung ein, in der Meinung, dass Unter¬
stützungen nur im Sinne der hierseitigen Statuten zu verabreichen seien. Im Fernern
soll Petent eingeladen werden, wo möglich ein allgemeines Kartell der verschiedenen be¬
stehenden Hülfsvereine für Geisteskranke unter einander anzustreben.
Daraufhin lief diesen Frühling die Antwort ein, das Gesuch um ein internationales
Kartell müsse, wenn auch nicht principiell, doch vorläufig abgewiesen werden, da bisher
ein entsprechendes Bedürfniss sich nicht herausgestellt habe, vereinzelte Fälle aber leicht
besonders behandelt werden könnten.
Ausland.
Bayern. Die Kost in Volksküchen. Prof. Voit hat berechnet, dass ein
arbeitender erwachsener Mensch eine tägliohe Mahlzeit nöthig habe, welche 59 gmm. Ei-
weiss, 34 gmm. Fett und 160 gmm. Kohlehydrate enthält. Aus den Speisezetteln von
verschiedenen Volksküchen lässt sich die Menge der verabreichten Nahrungsstoffe berech¬
nen, und es findet sich durchweg ein starkes Deficit. Es gaben nämlich statt der erfor¬
derlichen Gramm: 59 34 160
Eiweiss Fett Kohlehydrate
Münchener Suppenanstalt 14 3 32
Leipziger Volksküche 24 8 71
Dresdener Volksküche 87 10 100
Berliner Volksküche 35 19 178
Egestorffsche Volksküche in Hannover 86 8 110
Speise-Anstalt in Hamburg 41 5 183
Volksküche in Hamburg 60 11 187
Volksküche in Cöln 49 — 188
Speise-Anstalt in Carlsruhe 58 16 180
572
„Man gibt sich“, fügte Prof. Voil damals hinzu, „hier offenbar einer argen Täuschung
hin : wenn die Leute von dem Volumen des Essens befriedigt sind und sich satt fühlen,
so haben sie noch nicht nothwendig eine Nahrung für die Mittagszeit aufgenommen. Nur
ein kleiner Theil der Volksküchen liefert das für altersschwache Pfründner nöthige Masse
- Gramm 40 Eiwciss, 80 Fett, 85 Kohlehydrate —, keine das für einen arbeitenden
^iann. Die Menge der Kohlehydrate ist zwar bei der Mehrzahl derselben genügend, aber
nicht die des Eiweisses. Am meisten und durchgängig fehlt es auffallender Weise an
Kett, dessen Bedeutung man in den betreffenden Kreisen, wie es scheint, gar nicht au
pchätzen weise; und doch gilt eine gut geschmalzene Suppe schon im Volksmunde als
etwas Begehrenswerthes. Man hat offenbar in solchen Anstalten bis jetzt mehr auf die
-wohlfeile Herstellung als auf die richtige Zusammensetzung der SpeiBe gesehen; es ist
eben unmöglich, für den meist zu geringen Preis das Nöthige zu liefern.“
(Corr.-Bl. d. ärztL u. pharm. Kreise v. Sachs. 1878, 1. Juni.)
Es wäre wünschenswert!), dass einer unserer Physiologen oder öffentlichen Chemiker
auch unsere schweizerischen öffentlichen Speiseanstalten der citirten Statistik anreihea
würde.
— Kleiderläuse. Im bayrischen ärztlichen Intelligenz-Blatt (1878, 9. Juli)
theilt Dr. C. Schraulh seine Resultate über die Vertilgung der Pediculi vestimentorum mit,
ohne dass durch die Procedur die Kleider geschädigt werden. Die ausgebildeten Thiere
waren, einer Hitze von 100° C. ausgesetzt, schon nach ‘/a Stunde und, wenn geschützt
in den Falten der Kleider, nach einer Stunde vollkommen gebräunt und so spröde, dass
sie beim Anrühren in Stücke zersprangen; die Eier (Nisse) dagegen mussten, um abso-
1 ut sicher als lebensunfähig erklärt zu werden, entweder längere Zeit als eine Stunde der
oben genannten Temperatur oder aber einem höhern Wärmegrade ausgesetzt werden
Zu hohe Temperaturen schaden aber den Kleidern, man thut also am besten, letztere 2
Stunden lang oder mehr einer Temperatur von 100—120° C. auszusetzen, um diese lästi¬
gen Gäste aus Gefängnissanstalten zu entfernen.
Berlin. Die Commission zur Berathung Uber die Reform des
modioinischen Prüfungswesens hat am 26. August ihre Sitzungen begonnen.
Vorsitzender: Geh.-Rath Finkelnburg. Regierungscommissare : Geh.-Rath Weymann, Reicha-
kanzlcramt, Geh.-Rath Kersandt Pr. Cult.-Ministerium, Geh.-Rath Göppert , Pr. Cult.-Mini-
Bterium, Gen.-Arzt Mehlhausen, Pr. Kriegsministerium, Gen.-Arzt Schubert, Pr. Kriegsmini¬
sterium. Mitglieder: Prof. Binz, Bonn, Med.-R. Bockendahl , Kiel, Geh.-Rath Hirsch, Berlin,
Prof. Lewin, Berlin, San.-R. WalUchs , Altona, Geh.-R. Zinn, Eberswalde, Geh.-R. v. Köüicker ,
Würzburg, Geh-R. v. Ziemssen, München, Prof. Hoffmann, Leipzig, Gen.-A. Roth, Dresden,
Oeh.-R. v. Haider, Stuttgart, Privatdoc. Fürbringer , Heidelberg, Ob.-Mod.-Rath Pfeiffer,
Darmstadt, Med.-R. Pfeiffer, Weimar, Med.-R. Kur, Metz, Geh.-R. Mettenheimer, Schwerin.
Deutschland. Zahnweh. Rec.: Acid. hydrochlor., Morph, hydrochl. aa 0,25,
Kreosoti 1,0. Auf Watte in den hohlen Zahn. (Dr. Hoogen.)
— Curpfuscherei. Auch die bloBse Annahme eines ärztlichen Titels, selbst wenn
solche unter Weglassung des landesüblichen „Doctor“ erfolgt, wird neuerdings streng von
den Staatsanwaltschaften verfolgt und von den Gerichten auch bestraft. So hatte der
ehemalige Kaufmann Joachim Theden sich als „Specialist für Bandwurm, Magen- und
D&utkrankheiten“ öffentlich empfohlen, sich auch ausserdem als „Homöopath“ bezeichnet
und war wegen dieser Ankündigung, worin der erste Richter die auf Täuschung des
publicums berechnete Annahme eines arztähnlichen Titels sah, eine Annahme, die geeig¬
net sei, das Publicum zu dem Glauben zu verlocken, man habe es mit einer geprüften
jvledicinalperson zu thun, zu einer Geldstrafe von 60 Mark verurtheilt worden. Auch das
jCammergericht schloss sich trotz des Einwandes des T., dass jene Titel von approbirten
practischen Aerzten gar nicht geführt würden, den Ausführungen und dem Strafmaass des
ersten Richters an.
So berichtet uns das bayrische „Aerztliche Intelligenzblatt“. Wir möchten wünschen,
dass auch bei uns, wo das Volks wohl suprema lex sein soll, diese Materie einmal von
Stafttswegen geordnet würde.
England. Fractur des Processus odontoideus. Dr. F. S. Eve beob¬
achtete die seltene Fractur des Proc. odont. des zweiten Halswirbels bei einem 20 jähngen
>fann, welchem eine Kiste auf die obere und hintere Partie seines Kopfes gefallen war.
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573
Im ersten Augenblick besinnungslos, kam er sehr bald wieder zu 6ich, so dass er spre¬
chen und Auskunft zu geben vermochte. Neben Lähmung aller vier Extremitäten bestand
grosse Athemnoth. Letztere verschlechterte sich bald so sehr, dass Pat. bereite 2 1 /,
Stunden nach der Verletzung starb. Eine äussere Lassion, namentlich eine Unregelmässig¬
keit an den Dornfortsätzen der Wirbel war intra vitam nicht bemerkt worden, nur völlige
Unfähigkeit, den Kopf nach irgend einer Richtung zu bewegen, konnte constatirt werden.
Dabei ging das Schlucken relativ gut von Statten. Nach dem Tode war eine ausser¬
ordentlich grosse abnorme Beweglichkeit des Kopfes darzuthun; die Section zeigte an
der Basis des Zahnfortsatzes einen Bruch, welcher sehr schräg von hinten und unten
nach vorn bis zur Mitte der grössten Concavität des Wirbelkörpers verlief und sich nach
den Seiten bis zur Oberfläche der oberen Gelenkfacetten erstreckte. Atlas sammt Zahn¬
fortsatz waren noch vorn dislocirt; man konnte aber durch Erhebung der Schultern und
Hängenlassen des Kopfes mit derselben Leichtigkeit diese Dislocation reduciren, wie man
sie durch Erheben des Kopfes wieder herzustellen im Stande war. Das Rückenmark war
zwischen dem hinteren Bogen des Atlas und dem Fracturrande des Körpers des Epistro-
pheus eingeklemmt, erweicht und ecchymosirt, besonders in seinem hinteren Abschnitte,
aber nirgends zerrissen.
Inclusive den vorstehenden Fall vermochte Verf. 12 Fälle von Fractur des Zahn¬
fortsatzes aus der Literatur zu sammeln, von denen nur 2 genasen. Er leitet auB ihnen
das folgende Schema des Symptomencomplexes ab:
Augenblicklicher Tod trat nur in 1 Falle ein. Lähmung trat unmittelbar nach der
Verletzung in 3 Fällen, etwas später in 6, gar nicht in 2 Fällen ein. In 1 Fall war die
vorhandene Lähmung von einer zweiten, weiter unten bestehenden Wirbelfractur abhän¬
gig. Aeussere Formveränderungen des Halses fehlten bei Lebzeiten 4 Mal. Verlust der
Unterstützung für den Kopf ist 9 Mal erwähnt; dagegen Schmerzen bei Bewegungen des
Kopfes nur 5 Mal und Crepitation sogar nur 1 Mal. Die Entstehungsweise war 9 Mal
ein Fall auf den Kopf, 2 Mal ein Schlag auf den Nacken, 1 Mal Schlag auf den Kopf.
Die Behandlung soll nach Verf. in absoluter Ruhe bestehen, der Kopf mit der Hin¬
terseite auf ein Brett gelegt, letzteres zu beiden Seiten durch Sandsäcke unterstützt wer¬
den. Keinerlei Kopfkissen darf bei der Lagerung angewendet werden. Unter Umstän¬
den ist in frischen Fällen ein vorsichtiger Reductionsversuch, bestehend in leichtem Zug
am Kopf bei geringer Neigung desselben nach hinten, als statthaft zu erachten.
(Deutsche Z. f. pr. Med. 8. Juli.)
— Colpocystotomie. Zu den neuern operativen Behandlungsmethoden gehört
auch die Colpocystotomie, die Anlegung einer Blasenscheidenflstel zur Therapie des chro¬
nischen Blasencatarrhes. Es war gewiss ein gewagtes Heilmittel, das Montrose A. Pallen
in Anwendung brachte.
Acht Patientinnen, die zum Theil an chronisohem Blasencatarrh Jahre lang vergeb¬
lich behandelt wurden, zum Theil an Blasenlähmung mit ihren Folgen litten, hat P. in der
Weise zu heilen versucht, dass er durch Anlegung einer künstlichen Blasenscheidenflstel
für Ruhe der Blase sorgte. Diese muss absolut sein und eine ziemliche Zeit dauern,
damit derartige veraltete Blasenleiden noch zur Heilung gelangen können. Verf. hält die
Dilatation der Harnröhre gerade hierbei für schädlich; durch diese kommt es sehr leicht
zu erheblichen Reizzuständen in der Umgebung der innern Oeffnung der Harnröhre. Die
Technik der Colpocystotomie ist eino einfache, sei es dass man mit dem Messer oder mit
dem Platindraht operirt. Verf. machte meist eine Längsincision , nur bei gleichzeitiger
Cystocele eine ellipsoide Excision; schwierig scheint nur das Offenhalten der Fistel zu
sein, denn 4 Mal musste Verf. hierzu Nachoperationen machen. Der schliessliche Erfolg
ist nach Schluss der künstlichen Fistel durch die Naht ein absolut guter gewesen; eine
Patientin starb vor Schluss der Fistel nach Heilung des Blasenleidens an Cholera, zwei
Patientinnen sind noch unter Beobachtung und eine endlich will sich die Fistel nicht
wieder schliessen lassen, da sie das Harnträufeln den Blasenkrämpfen, an denen sie bis
dahin litt, absolut vorzieht. (Deutsche Z. f. pr. Med.)
— Durchtritt des ganzen Magens in die Brusthöhle durch
das Diaphragma. Ein löjähriges Mädchen wurde von Macnale wegen Empyems
der linken Seite in gewöhnlicher Weise — Incision im dritten Intercostalraum mit
nachfolgender Drainage unter Lisi er'sehen Cautelen — behandelt; in 5 Monaten war
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vollkommene Heilung erzielt und irat kein bedeutendes Retrecissement ein, nur eine ge¬
ringe Abflachung links unter der Clavicula war zu bemerken; Athmungsgeräusch war
-wieder überall zu hören. In den darauf folgenden Jahren erfreute sich Patientin einer
guten Gesundheit Fast 3 Jahre nach der Heilung des Empyems erkrankte sie, nachdem
sie mit gutem Appetit gespeist hatte, plötzlich mit Uebelkeit, fortwährendem vergeblichem
'Würgen; das Gesicht wurde bleich und bekam einen ängstlichen Ausdruck ; Puls kleiu
und häufig, Extremitäten kühl. Die Untersuchung des Abdomens zeigie nur eine Ab¬
flachung desselben, nirgends aber einen prominirenden Tumor, nirgends locaüeirte
Schmerzhaftigkeit Mit Rücksicht auf die Nausea wurde ein Emeticum — Senf mit
heissem Wasser — gereioht; darauf reichliches Erbrechen von Mageninhalt und Ver¬
schwinden aller beängstigenden Symptome. Doch schon am anderen Morgen kehrten die¬
selben wieder, vergesellschaftet mit unstillbarem continuirlichem Erbrechen kaffeesatzihn-
licher Massen; unter zunehmendem Collaps trat ungefähr 18 Stunden nach dem Begine
der Krankheit der Tod ein.
Bei der Eröffnung des Thorax steigen sofort die Contenta der linken Hälfte hervor.
Oberflächlich lag die etwas comprimirte Lunge in der Ausdehnung der Hand eines Er¬
wachsenen , etwa daumendick unter ihr ein vom Peritoneum umkleidetes Eingeweide.
Dieses war der Magen, der in seiner ganzen Ausdehnung mit einem Theile des Oeso
phagua bis zum Pylorus im Thorax lag; er nahm fast den ganzen linken Thoraxraum
ein, war nirgends der Tboraxwand adhärent, bedeckt vom Omentum und befand sich in
einer Höhle mit glatten Wandungen, die sich von der hinteren Fläche der Clavicula bis
rum Diaphragma erstreckte. Seine Wände zeigten starke Füllung der Gefässe und waren
schwarzgrau verfärbt. Bei weiterer Untersuchung fand sich eine Oeffnung in der linken
Portio tendinea diaphragmatis, die bequem drei Finger und den Daumen passiren liess,
durch welche der Magen durchgetreten war; die Ränder der Oeffnung waren glatt, ring¬
förmig, stricturirten den Magen nirgends, da neben demselben noch bequem drei Finger
durchkonnten. (Deutsche Z. f. pr. Med. 1878, 1. Juni.)
Frankreich« Behandlung der Pleuritis durch Fixirungder
kranken Seite des Brustkorbes. Die Fixirung der erkrankten Thoraxbälfte
ist überhaupt bei pleuritischem Schmerz angezeigt, sei es in Folge beginnender Pneumo¬
nie oder bei pleuritischem Exsudat — Perroud hat bei 10 Kindern, die mit einem massi¬
gen pleuritischen Exsudat behaftet waren, und bei welchen die Erkrankung frisch war
und erst 4—6 Tage bestand, diese Methode versucht und will damit eine schnellere
Heilung erzielt haben, als bei allen anderen Behandlungsmethoden. — Die Fixirung des
Brustkorbes ist jedoch nach dem Verfasser contraindicirt in allen jenen Fällen, wo in
Folge der Pleuritis oder beginnender Pneumonie Asphyxie oder Stockung der Expecto-
ration zu befürchten steht. — Perroud hat den Thorax mit dem von Robert» angegebenen
Verband fixirt, und zwar befestigt man zunächst an den unteren Partien des Brustkorbes
8 Centimeter breite Heftpflasterstreifen, die dachziegelförmig vom Sternum bis zur Wir¬
belsäule über die betreffende Thoraxhälfte angeheftet werden, wobei der letzte Streif noch
über die Schulter geführt wird. — Um eine noch sicherere Fixirung des Thorax zu er¬
zielen, räth Roberts , über die Heftpflasterstreifen eine Gypslage anzubringen.
(Aerztl. IntelL-BL)
Loxembarg. Plötzliche Erblindung durch Uebergenuss al-
coholi scher Getränke. Dr. Ed. Aren» behandelte einen Mann von 30 Jahren,
der sonst immer gesund, eines Morgens total blind auf beiden Augen erwachte. Pat
selbst bezeichnete einen 3 Tage lang fortgesetzten übermässigen Genuss von Alcohol als
die Ursache. Ein Trauma hatte nicht eingewirkt Beim Vorhalten eines Lichtes dicht
vor die Augen fehlt jede Lichtempfindung. Die Augen sind weit geöffnet, stier, Pupillen
ad maximum dilatirt, reagiren nicht; Augenspiegelbefund negativ, Puls frequent, weich,
H^rz normal. Sensibilität und Motilität in allen Extremitäten intact.
Grosse Dosen Hunyadi-Janos-Wasser, Ruhe, Diät und Kaltwassercompressen auf den
Hopf erzielten nach 4 Tagen vollständige Restitutio des Gesichtssinnes ad integrum.
(Centralbl. f. Nervonheilk. 1878, 1.)
Oesterreich. Frauenstudium. Auf den eingeholten Bericht des Decane«
der medicinischen Facultät von Wien hin hat sich das Unterrichtsministerium bestimmt
gefunden, für alle österreichischen Universitäten folgende Grundsätze aufzustellen:
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515
„Von einer allgemeinen Zulassung der Frauen zu dem academisclien Studium kann
im Geiste der bestehenden Normen zweifellos nicht die Rede sein, da es ein durchgrei¬
fender Grundsatz unseres Unterrichts Wesens ist, dass mindestens der höhere Unterricht
stets unter Trennung der beiden Geschlechter ertheilt wird. Hienach kann die Zulassung
von Frauen zu Universitäts-Vorlesungen nur ganz ausnahmsweise und nur bei besonderen,
im einzelnen Falle zu würdigenden Umständen platzgreifen. Eine solche Ausnahme wird
zunächst in der Weise möglich sein, dass ausschliesslich für Frauen bestimmte Vorlesun¬
gen abgehalten werden, falls sich dies irgendwie als ganz unbedenklich und durch beson¬
dere Gründe gerechtfertigt darstellen sollte. Auch dann aber müsste in jedem einzelnen
Falle vor Abhaltung solcher Vorlesungen erst die Genehmigung des Unterrichtsministe¬
riums eingeholt werden. Dagegen wird der Zutritt von Frauen zu den regelmässigen,
für die männliche Jugend bestimmten Universitäts-Vorlesungen nur in ganz seltenen
Fällen zu gestatten sein. Die Entscheidung aber, ob ein solcher Fall vorhanden ist, wird
zunächst die Facultät im Einverständniss mit dem Docentcn zu treffen haben, dergestalt,
dass, falls eine Einigung zwischen der Facultät und dem Docenten nicht erzielt wird, die
Zulassung nicht stattfinden bann. Immer wird es ferner auch dem academischen Senate
zustehen, durch eigenen Beschluss den Besuch der Vorlesungen durch Frauen an der
ganzen Universität vollständig auszuachliessen. Alle über eine derartige Frage getroffenen
Bestimmungen sind in den Sitzungs-Protocollen der Professoren-Collcgien und des Se¬
nats, unter Ersichtlichmachung der für die Anordnung maassgebend gewesenen Gründe,
anzumerken, und der Minister behält sich vor, anlässlich der Einsicht in diese Protocolle
auch seinerseits die angemessen erscheinende Anordnung zu treffen. Selbst aber in jenen
AusDahmsfällen, wo der Besuch von Vorlesungen den Frauen gestattet wird, sind die¬
selben weder zu immatriculiren, noch als ausserordentliche Hörerinnen aufzunehmen, son¬
dern es ist denselben lediglich die factische Frequenz (das Hospitiren) und immer nur
für einzelne, bestimmt bezeichnet« Vorlesungen zu gestatten. Selbstverständlich ist den¬
selben daher auch kein amtliches Document über die Zulassung zu der Vorlesung und
keine amtliche Bestätigung des Besuches derselben auszufertigen. 0
Stand der Infectflons-Kranbheiten in Basel.
Vom 26. August bis 10. 8eptember 1878.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Die M a b e r n epidemie darf nun wohl als abgeschlossen betrachtet werden, nachdem
nur 2 neue Fälle, wovon einer von auswärts importirt, gemeldet worden sind (51, 20,
14, 0). Die Epidemie hat nahezu ein Jahr gedauert und es sind in dieser Zeit Uber 1400
Erkrankungen angezeigt worden.
Scharlach weist 4 neue Fälle auf (4, 3); die letzten Male waren alle, diesmal
sind 3 aus Kleinbasel, 1 vom Nordwestplateau.
Der Typhus zeigt seino gewöhnliche spätsommerliche Höhe; neu angezeigt sind 22
Erkrankungen (11, 7, 21), davon auf dem Nordwestplateau 4 (2), Birsigthal 7 (7), Süd-
ostplateau 2 (1), Birsthal 3 (5); von diesen zusammen 8 Fällen stammen 7 aus demsel¬
ben Hause; Kleinbasel 5 (6), von auswärts 1 Fall.
Hals- und Rachenbräune 6 Fälle (4), wovon 4 aus KleinbaBel.
Pertussis neu angezeigt 11 Fälle (16).
Erysipelas und Varicellen je 2 Fälle.
Bibliographisches.
98) Jacobi , Das Reichs-Impfgescts vom 8. April 1874 nebst Ausführungs-Bestimmungen
des Bundesraths, und den in Geltung gebliebenen Landesgesetzen Uber Zwangs-
Impfungen bei Pockenepidemien. Nach den Materialien des Reichstags dargestellt.
80 S. Berlin 1875, Fr. Kortkampf.
94) Scholz , Dr., Novelle Uber die zu dem Verbände des schles. Bädertages gehörenden
Bäder. Reinerz, 1878. Selbstverlag. 183 S.
95) Denglet , P., Der VI. schlesische Bädertag etc. Reinerz, 1878. Selbstverlag. 76 8.
Digitized by v^ooQle
576
06) Klelke, Dr. G. M. , Die Medicioal-Gesetzgebung des deutschen Reichs und seiner
Einzelstaaten. Bd. III. 384 S. 4 Mark. Berlin, Eugen Grosser. 1878.
97) Kühne , Dr. H., Die Bedeutung des Anpassungsgesetzes für die Therapie. 104 8.
Leipzig, E. Günther, 1878.
98) Säger, Dr. G., Prof, des kgl. Polytechnicums etc., Seuchenfestigkeit und Constitu-
tiouskraft und ihre Beziehung zum speciflschen Gewicht des Lebenden. 166 8.
Leipzig, E. Günther, 1878.
Briefkasten.
Herrn Dr. B. ln M.: Sie haben natürlich Recht: der pariser Geburtshelfer, dessen Zange er¬
wähnt wird, heisst Tamier und nicht Famier. Besten Dank. — Herrn Prof. Dr. 0. Wyu in Zürich:
Besten Dank. — Herrn Dr. A. V —n in Bern : Wollen Sie uns das Gewünschte zusenden? Wir dan¬
ken anticipando. — Herrn Dr. X. in U.: Seien Sie doch nicht so grausam 1 Alle Autoren wollen «mög¬
lichst rasch“ oder doch „recht bald“ publicirt haben, was wir recht gut begreifen. Wir fühlen ja denn
doch auch noch menschlich, sind aber leider gezwungen, neben dieser allgemeinen humanen Sensibilität
noch speciüsch redactorlich zu fühlen, was nicht immer so ganz zuckersüss schmeckt Darum garde
ä vous, sentinelle: Quälet Redacter’n du zum Scherz,
Brummig aus dem — Maul ihm flhrt’s.
Herrn Dr. M. Bankhäuser, Burgdorf: Wir senden den P. gerne; W.-B. erhalten, vivat sequens,
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Die Stelle eines Assistenzarztes am Ein-
-wohnerspital Winterthur mit einer Jahresbesol¬
dung von Fr. 600—800 und freier Station in
der Anstalt ist auf 1. October d. J. neu zu be¬
setzen.
Bewerber um diese Stelle, welche das schwei¬
zerische Konkordatsexamen bestanden haben oder
Candidaten für dasselbe sein müssen und sich im
letzteren Falle über ihre Befähigung anszuweisen
haben, werden eingeladen, ihre Anmeldungen
innert Frist bis zum 20. September unter Bei¬
schluss von Attesten dem Präsidenten der Spital¬
pflege, Herrn Med. Dr. Reinli. Hcgner zur
„Minerva“ dahier, welcher über die nähern An¬
stellungsverhältnisse Auskunft ertheilt, persönlich
zu überreichen.
Winterthur, 1. September 1878.
Namens der Spitalpflege:
Der Sekretär:
"W. Brunner.
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aus dem Original-Bitterwasser erzeugt und ent¬
hält sämmtliche wirksamen Bestandtheile des¬
selben. Das Extract ist ein weisses Pulver, das
in jedem Getränk genommen werden kann. Be¬
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von
Dr. Heinr. Schüle,
Arxt »n der Irrmheil- und PflegmneUlt 111 mm.
Zweite (Schluss-) Hälfte,
gr. 8. Preis complet: 13 Mk.
(Erscheint lugleich nie XVI. Bd. sn v. ZieBMeo'» HMdbndO
18m f. C. W. Vogel.
Schwabe, Verlagebnchhandlung in Baad,
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CORRESPONDENZ-BLATT
Am 1. und 15. jeden für
Monats erscheint eine Nr. , .
“ g 7r t; « schweizer Aerzte.
am Schluss des Jahrgang#
Titel a.Inhaltsverzeichniss. TT ,
- Herausgegeben von
Preis des Jahrrangs
Fr. 10. — für die Schweiz;
der Inserate
35 Cts. die zweisp. Zeile.
Die Po8tbureaux nehmen
Bestellungen entgegen.
Dr. Alb. Bnrclihardt-SIerlan und
Privatdocent in Basel
Dr. A. Baader
in Gelterkinden.
K" 19. VHI. Jahrg. 1878. 1. October.
Inhalt: 1) Originalarbeiten: Prof. Kocher: Mannskopfgrossea Empyem der Gallenblase. — Dr. 0. Glaser: Beitrag
zur Kenntnis* von den antiaeptiscben Mitteln. — Dr. Hermann Hüller: Ueber Aetiologie und Wesen dee acuten Gelenkrheuma¬
tismus. — 2) Vereinsberichte: Medicinisch-pharmoceutischer Bezirksrerein dee bern. Mittellandes. — 8) Referate und
Kritiken: Dr. Front Bücher: Referat Ober die sanitarische Untersuchung der Recruten und Eingetheilten im Herbste 1877.
— 4) Cantonale Correspondenzen: Aargau, Zürich, Paris. — 5) Wochenbericht. — #) Bibliographisches. —
7) Briefkasten.
Mannskopf grosses Empyem der Gallenblase.
Heilung durch Incision.
Von Prof. Kocher in Bern.
(Aus der chirurgischen Klinik in Bern.)
Als Seitenstück zu dem von Prof. Quincke vor Kurzem*) in dieser Zeitschrift
beschriebenen Falle eines colossalen Empyems des Nierenbeckens sei der folgende
Fall mitgetheilt, welcher nicht nur der Seltenheit der Gallenblasenempyeme wegen
Interesse beansprucht, sondern auch wegen der diagnostischen Schwierigkeiten und
dem Ergebniss der Therapie.
Die 30jährige Frau A. E. H. aus Roggwyl wurde am 23. April 1878 der
chirurgischen Klinik als Ovarialcyste zur Operation überwiesen und am 18. Juni
den Klinikbesuchern vorgestellt. Die kräftige, aber anämische Frau zeigt eine
schon für die Inspection sehr auffällige kuglige Vor Wölbung des Abdomen rechter-
seits. Die Geschwulst wird durch die Bewegungen des Zwerchfells erheblich ver¬
schoben. Sie reicht ziemlich genau bis zur Mittellinie, so dass der tastende Finger
bei stärkerem Druck noch neben derselben’ auf die Wirbelsäule gelangt. Nach
oben verliert sich der Tumor unter dem Rippenrand, nach unten erstreckt er sich
ins Niveau der horizontalen Spinallinie. Es besteht exquisite Verschieblichkeit:
nach oben soweit, dass der untere Rand in das Niveau der horizontalen Nabellinie
zu liegen kommt; nach links lässt sie sich so stark hinüberdrücken, dass sie zu
7, ihres Querdurchmessers linkerseits von der Medianlinie liegt und unten die
Symphyse berührt.
Die Gestalt ist längsoval, die Form eine sehr gleichmässige, die Consistenz
prall, die Oberfläche glatt. Nach der Leber zu ist eine deutliche Abgrenzung nicht
*) 1878, Nr. vom 16. M&r*.
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möglich, obschon mit Bestimmtheit eine Verbindung mit derselben nicht fühl¬
bar ist.
Bei der bedeutenden Grösse der Geschwulst — dieselbe hat das Volumen
eines Manneskopfs — liegt allerdings der Gedanke an die häufigst vorkommenden
Abdominalgeschwülste, an ein Ovarialkystom, als welches die Geschwulst vom
Arzte diagnosticirt war, nahe. Allein die Untersuchung per vaginam ergibt, dass
der Uterus von normaler Grösse und Beweglichkeit, sehr stark retrovertirt ist, die
Ovarien beiderseits deutlich durchzufdhlen und normal sind. Eine stiel- oder
strangförmige Verbindung der Beckenwand oder Beckenorgane mit dem Tumor
lässt sich nicht nach weisen.
Es musste somit dieser Gedanke fallen gelassen und untersucht werden, ob
Niere oder Leber Ausgangspunct der Geschwulst seien. Lage und Art der Be¬
weglichkeit entsprach der rechten Niere sehr wohl. Auch hatte ein College, wel¬
cher vor 5 /i Jahren consultirt worden war, sobald Patientin die Entwicklung einer
Geschwulst wahrgenommen hatte, nach genauerer Untersuchung dieselbe für eine
„bewegliche Niere“ erklärt.
Mit einem Falle von Nierensarcom, welches wir beschrieben haben,*) bestand
grosse Aehnlichkeit puncto Lage und Beweglichkeit. Die Anamnese ergab nun
gar keine vorgängigen Harnstörungen und auch jetzt ergibt die Untersuchung des
Urins keine Abnormität, welche auf Nierenerkrankung hinweist. Ausser vorüber¬
gehendem abnorm hohem Harnstoffgehalt ist derselbe normal. Bei der hohen
Rectumuntersuchung in der Narcose konnte nicht wie bei dem Nierensarcom der
Krau S. ein gegen die Wirbelsäule zu gehender Strang nachgewiesen werden.
Endlich ergab eine Punction mit einem gewöhnlichen Troikar als Inhalt der
Geschwulst eine gelbe, rahir.artige Flüssigkeit vom Aussehen gewöhnlichen dicken
Eiters. Die Untersuchung derselben durch Prof. v. Nencky erwies das Vorhanden¬
sein blos von Detritus und Fett, ohne Eiterkörperchen. Bestandtheile des Harns
konnten keine nachgewiesen werden. War die Niere der Ausgangspunct des Tu¬
mor , so konnte es sich demnach nur um Pyonephrose handeln, aber gerade gegen
diese konnte der Mangel jeglicher Harnstörungen und das normale Verhalten des
Urins am meisten geltend gemacht werden.
Es blieb somit die Leber als Ausgangspunct des Tumor übrig. Hiefür
sprach der Umstand, dass der letztere sich von aussen nicht sicher von der Leber
abscheiden liess durch Palpation und dass man auch bei der hohen Rectum-Unter-
suchung eine breitere Verbindung nach der Leber hin zu constatiren glaubte. Da
die Punction einmal festgestellt hatte, dass ein eiterähnlicher Inhalt vorhanden
war, so musste vor Allem gedacht werden an einen primären Abscess oder an
einen vereiterten Echinococcus hepatis. Die Punction ergab nun allerdings gar
keine Gallenbestandtheile, allein auch gar nichts von charakteristischen Elementen
für Echinococcus. Da nun ohnehin letztere hier zu Lande eine grosse Seltenheit
sind, so mussten dieselben ausgeschlossen werden. Es blieb also nur die Annahme
eines Leberabscesses übrig, dessen Sitz und Entstehungsweiso zu erklären war.
Bei der Ents cheidung letzterer Fragen leiteten uns folgende Ueberlegungen:
*) Zeitachr. f. Chirurgie Bd. 9, 1878. Eine Nephrotomie wegen Nierenwcom.
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Die Geschwulst ist zur Zeit so ausserordentlich beweglich, dass dieselbe offen¬
bar nur eine stielförmige Verbindung mit der Leber haben kann. Dass dies aber
von Anfang an der Fall gewesen ist, ergibt sich aus der Diagnose des erst behan¬
delnden Arztes auf eine bewegliche Niere. Die Patientin ist vor •/« Jahren auf
die Verhärtung in der rechten Bauchseite aufmerksam geworden, ohne dass sie
damals Beschworden hatte. Der Tumor ist seither stetig gewachsen, auf Druck
ist er von Anfang an etwas empfindlich gewesen. Auf genaueres Befragen macht
endlich Patientin Angaben, welche für die Diagnose ganz besonderes Gewicht ha¬
ben, nämlich: Sie hat unter 2 Malen heftige „Magenschmerzen“ bekommen, welche
mit Schmerzen im Bereiche des Tumor einhergingen, das erste Mal (Novbr. 1877)
8 Tage, das zweite Mal (1 Monat später) 14 Tage andauerten. Das erste Mal
bestand anfänglich auch Vomitus, das zweite Mal ein sehr vorübergehender Icte¬
rus. Seit dieser Zeit hat die Patientin nur noch Anfälle in Form etwa '/ 4 Stunde
dauernder Schmerzen in der Adductorengegend des rechten Oberschenkels
gehabt.
Nachdem nun festgestellt ist, dass ein Zusammenhang des Tumor nur mit der
Leber Nachweislich ist, dass diese Verbindung aber nur eine stielförmige sein
kann, dass endlich ein eiterhaltiger Sack vorliegt, ist es nicht mehr schwer, den
Zusammenhang der oben geschilderten Symptome mit der Entwicklung des Tumor
zu finden. Es liegt durchaus am nächsten, jene heftigen Schmerzanfälle mit dem
vorübergehenden Icterus als Gallensteinkolik zu deuten. Da aber der Icterus nicht
mehr besteht, das Befinden der Patientin, abgesehen von mechanischen Beschwer¬
den der Geschwulst, vielmehr ein sehr gutes ist, so kann ein bleibender Verschluss
des Ductus hepaticus resp. choledochus nicht vorhanden sein, sondern wesentlich
nur der Ductus cysticus in Frage kommen. Es wird demgemäss die Diagnose ge¬
stellt auf Empyem der Gallenblase, veranlasst durch Verschluss des
Ductus cysticus durch Gallenstein, Ulceration und Eiteransammlung.
In dieser Diagnose konnte das Fehlen des Nachweises von Gallenbestandthei-
len in dem entleerten Eiter nicht irre machen. Es ist bekannt genug von allen
möglichen Retentionscysten und für die verschiedensten Drüsen und Organe nach¬
gewiesen, dass bei einiger Dauer des Verschlusses des Ausführungsganges der In¬
halt seine specifischen Charaktere vollständig einbüsst Diese Angabe macht Fre-
richs in seiner Klinik der Leberkrankheiten (1861) auch für den Hydrops vesicre
feilere.
Weniger in Uebereinstimmung mit den wenigen Fällen von Empyema vesicre
feilere, welche beobachtet sind, schien die Grösse des Sackes und die Beweglich¬
keit der Geschwulst zu sein. Wir finden bei Frerichs (loc. cit.) nur den einzigen
Fall von Pepper, *) welcher dem unsrigen einigermaassen gleichkommt. Dort wur¬
den bei der Autopsie 2 Quart einer gelben, eitrigen Flüssigkeit, welche mit Faser¬
stoffflocken und Galle vermischt war, entleert. Die Schleimhaut war ulcerirt, der
Ductus cysticus fest verschlossen. Wichtig ist die Angabe, dass auch in Peppef s
Fall die Gallenblase nirgends adhärirte trotz der colossalen Ausdehnung derselben.
*) Americ. Journal 1857.
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E 9 ist diesem Umstande bei der Diagnose Rechnung zu tragen, da sonst bei der
eitrigen Entzündung Verwachsung mit der Umgebung Regel zu sein scheint.
Den definitiven Entscheid in unserem Falle musste nach unserer Annahme die
Incision liefern, wenigstens in sofern als die Möglichkeit bestand, dass durch die¬
selbe Gallensteine zu Tage befördert würden
Die Behandlung soll in breiter Eröffnung bestehen. Allerdings ist dieselbe ja
bei einem Empyem bedenklicher als bei einem Echinococcus, so lange nicht eine
sehr sichere Verwachsung des Balges mit der Bauchwand besteht. Allein die Er¬
gebnisse der blossen Punction sind keineswegs ermuthigend.
In dem Falle von Pepper trat auf die Explorativpunction eine Zersetzung des
Inhalts ein mit Gasentwicklung und tödtlichem Ausgang. In unserem Falle erfolgte
auf die diagnostische Punction eine ziemlich intensive Peritonitis mit Bildung eines
Exsudates in der Fossa iliaca interna, welches freilich ziemlich rasch zurückging.
Wenn noch Frerichs selber für die Punction warten will, bis „der Tumor durch
fortschreitende Zunahme die Gefahr der Ruptur der Blase näher bringt oder die
Zufälle hektischer Consumption sich einstellen“, so erlaubt uns jetzt die Antisepsis,
einen andern Standpunct einzunehmen. Die Schwierigkeit breiter Eröffnung beruht
nur darin, mit aller Sicherheit eine zuverlässige Verlöthung des Sackes mit der
Bauchwand zu erhalten. Diese hat man namentlich bei Leber-Echinococcus durch
Application von Caustica angestrebt und seit Simon vorzüglich durch multiple Punc-
tionen und Liegenlassen der Troikarts. Allein die Erfahrung hat gelehrt, dass die
letztere Methode keineswegs immer genügt und es haben namentlich Volkmann und
Ranke*) gezeigt, dass man nach 9 Tagen nur noch ganz minimale Verwachsungen
um die Punctionsstellen zu haben braucht, welche zur Verhütung eines Einfliessens
der Flüssigkeit in die Bauchhöhle völlig ungenügend sind.
Wir haben deshalb auch das Volkmann'&che Verfahren der zweizeitigen anti¬
septischen Incision vorgozogen.
Am 18. Juni wird über der vorragendsten Stelle der Geschwulst am äussern
Rande des Rectus dextor abdom. eine Längsincision von circa 0,09 m. durch Haut
und die fettreiche Fascia superficialis geführt, Fasern des Rectus werden durch¬
schnitten, dann die sehr derbe hintere Fascie desselben (Fascia transversa), end¬
lich das als dünnes Häutchen erscheinende Peritoneum. Jetzt erscheint der Tumor
als ein glatter, leicht bläulich-weisser Balg. Auf den letztem wird direct ein
Stück Lister -Gaze aufgelegt und mit einem Bausch solcher die Wundränder ge¬
hörig auseinander gehalten; ein antiseptischer Verband wird darüber gelegt.
Die nächsten 3 Tage war Patientin ziemlich klaghaft. Anfänglich bestanden
hauptsächlich Schmerzen in der Wunde, dann traten im ganzen Abdomen anfalls¬
weise solche auf. Erbrechen wiederholte sich öfter bis zum dritten Tage. Dabei
war Patientin fieberlos. Ara 20. Juni wird der Verband oberflächlich gewechselt,
am 24. gänzlich geändert. Die blossliegende Wand des Eitersackes ist schmutzig
graubläulich verfärbt, wie die Wundränder von „glasigem“ Aussehen.
Ara 25. Juni erscheint die Verwachsung solide genug, um zur Eröffnung zu
*) Ranke, Behandlung der Leberechinococcen, VI. Congroas f. Chirurgie in Berlin 1877.
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schreiten. Dieselbe wird in der Richtung der Incision durch die Bauchwand aus¬
geführt. Der Balg des Sackes ist circa 1 cm. dick, blutet nicht bedeutend. Der
Eiter, welcher entleert wird, hat einen eigenthümlicben Geruch nach Zer-
setzungsproducten in den ersten Stadien. Wahrscheinlich hat sich die Zersetzung
eingestellt auf die frühere Punction hin, da von da ab der Tumor praller gewor¬
den ist, möglicherweise aber hat auch die oberflächliche Necrose des Balges einen
Einfluss auf den Inhalt ausgeübt.
Der Sack wird mit lauwarmem Borwasser ausgespült und nun kommt das An¬
satzrohr des Irrigator und dann der Finger deutlich auf harte Körper und durch
Spülung und Druck, bei Wechsel der Lage werden allmälig 32 Gallensteine
zu Tage gefördert.
Es wird eine Drainröhre eingeführt und ein antiseptischer Verband aufgelegt.
Patientin, welche natürlich nicht chloroformirt war, fühlt sich nach der Operation
bedeutend erleichtert.
Der Verlauf ist fieberlos; das Secret, anfänglich reichlich und lange stark
blutig schleimig, nimmt bald so ab, dass nach 14 Tagen der Verband 8 Tage lie¬
gen bleiben und Patientin nach 3 Wochen aufstehen kann. Da aber noch eine
Fistel besteht, so wird dieselbe am 23. und 24. mit Laminaria erweitert und son-
dirt. Es zeigt sich keine grössere Höhle mehr, aber in unregelmässigen Buchten
der Wand ziemlich fest anliegend noch mehrere Gallensteine, so dass am 24., 26.
und 28. Juli noch je 6, 3 und 2 Steine herausbefördert werden.
Seither hat sich die Fistel geschlossen Galle hat sich zu keiner Zeit entleert.
Es muss demgemäss angenommen werden, dass der Ductus cysticus vollständig
obliterirt ist bei freiem Duct. hepaticus und choledochus. Dass der Eiter sich in
der Gallenblase befand, ergibt die Anwesenheit der massenhaften Gallensteine ja
unzweifelhaft.
Wir erwähnen anhangsweise eines zweiten Falles von n Leber-Abscess“ resp.
Empyem der Gallenblase, dessen Natur nicht dieselbe Aufklärung erhielt, da die
vorläufige Heilung ohne Incision zu Stande kam.
Die 23jährige Fräulein B. von O. wurde uns von Dr. Thalmann in Zell zuge¬
wiesen, am 12. Juni 1877. Die Patientin erfreute sich früher, abgesehen von leich¬
ten chlorotischen Beschwerden einer guten Gesundheit und ist auch jetzt sehr gut
genährt und von gesundem Aussehen. Ihr Leberleiden hat vor 5 Jahren zum ersten
Male Erscheinungen gemacht, indem ohne Ursache Schmerzen und Druckempfind¬
lichkeit unterhalb des rechten Rippenrandes auftraten, um nach wenigen Tagen
wieder zu verschwinden. Im Januar 1877 erst stellten sich wieder Beschwerden
ein; diesmal wurde nun eine Geschwulst in der Lebergegend von wechselnder
Grösse constatirt. Dieselbe war sehr druckempfindlich. Die Schmerzen dauerten
8 Tage lang, die Geschwulst verkleinerte sich während einer öwöchentlichen Bett¬
ruhe erheblich, ohne zu verschwinden. Seit dieser Zeit haben sich dieselben
Symptome stetsfort wiederholt, indem Pat. Schmerzen bekam , sobald sie ihrer
Arbeit nachging und zwar in dem Maasse, dass sie genöthigt war, immer wieder
für ein paar Tage das Bett zu hüten.
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Die Untersuchung ergab keine Vergrösserung der Leberdämpfung. In der
verlängerten Mamillarlinie sitzt, einen Querfinger vom Rippenrand entfernt, eine
flachovale derbe Geschwulst von dem Umfang eines Handtellers. Dieselbe ist auf
Druck empfindlich, lässt sich nicht verschieben, namentlich nicht abwärts.
Bei der Möglichkeit eines Stercoraltumor wird erst der Darm durch hohe
Rectum-EingiessuDgen gehörig entleert, was den Erfolg hat, dass der Tumor deut¬
licher fühlbar ist
Nach Entleerung einiger Tropfen graugelben Eiters durch eine Probepunction
wird am 13. Juli die Punction vorgenommen und 200 ccm. graugelben Eiters ent¬
leert. Derselbe enthält nichts von charakteristischen Gallenbestandtheilen. Die
Punction verlief ohne üble Folgen und da Pat. sich erheblich besser fühlte, so
wird sie vorläufig entlassen.
Am 4. Januar 1878 kommt dieselbe wieder zur Behandlung. Sie hat sich den
ganzen Sommer über recht wohl befunden. Erst am 17. October stellte sich nach
einem längern Marsche wieder einer der frühem Schmerzanfälle ein mit Vergrössc-
rung des Tumor, aber Abnahme der Symptome nach 8tägiger Dauer. Dies wieder¬
holte sich am 9. November und Anfangs December in ähnlicher Weise.
Der Status hat sich gegen früher nur in wenigen Puncten verändert: Noch
immer ist der flachkuglige Tumor vom Umfang eines Handtellers in der verlänger¬
ten Mamillarlinie zu fühlen. Dagegen ist nun durch Palpation deutlicher ein von
der Leber in die Geschwulst übergehender Strang zu fühlen. Endlich besteht ein
rundlicher Strang, welcher von dem Tumor gerade abwärts in die Fossa iliaca
interna sich erstreckt und dort, circa 3 Querfinger von der Spina ant. sup. entfernt,
fest aufsitzt. Derselbe muss offenbar als eine in Ausbildung begriffene Senkung
des Abscesses angesehen werden, da er früher nicht bestanden hatte.
Da eine Punction nun keinen Eiter entleert, so wird beschlossen, Carbolinjec-
tionen in die Geschwulst zu machen. Diese Behandlung wird am 23. Januar mit
Injection einer ganzen Spritze (Pravaz) 5% Carbollösung angefangen Schon nach
3 Injectionen, deren letzte am 6. Februar ausgeführt wurde, zeigte sich die Ge¬
schwulst merklich verkleinert. Die Injectionen hatten zuerst Schwindel, Kopf¬
schmerzen, Herzklopfen und ein kleines papulöses Exanthem an Gesicht und Hab
hervorgerufen und das letzte Mal vorübergehende Schmerzhaftigkeit und Druck¬
empfindlichkeit des ganzen Abdomen zur Folge gehabt.
Am 25. April stellte sich die Patientin wieder vor. Seit ihrer Rückkehr nach
Hause hat sie gar keine Schmerzen mehr gehabt. Der Tumor ist als ein auf der
Vorderfläche daumendicker, quer walzenförmiger Körper zu fühlen, der viel besser
umgreifbar und viel beweglicher ist, gar nicht mehr druckempfindlich. Der nach
abwärts gehende Strang ist verschwunden.
Es ist auch in diesem Falle durchaus am wahrscheinlichsten, dass ein Em¬
pyem der Gallenblase vorlag; namentlich der letztgeschildertc Status musste
in dieser Annahme bestärken. Die von Dr. Thalmann mehrfach selbst constatirte
Zu- und Abnahme des Tumor könnte ihre Erklärung finden in einem unvollkom¬
menen Verschluss des Ductus cysticus und daheriger zeitweiser Verstopfung, zeit-
weiser Entleerungsmöglichkeit der Blase. Allein dieses ist unwahrscheinlich, da
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die Untersuchung des Eiters nichts Charakteristisches von Gallenbestandtheilen
ergab. Vielmehr müssen die Schwankungen in der Grösse mit Exacerbationen der
Entzündung in der Wand zusammengehangen haben. Dafür spricht auch die Sen¬
kung in die Fossa iliaca interna, welche sich nach den Injectionen zurückbildete.
Bestandtheile von Echinococcen konnten auch hier nicht nachgewiesen werden.
Bemerkenswerth ist der Erfolg der Therapie und zwar der Carbol injec¬
tionen. 3 solcher Injectionen genügten, um eine sehr erhebliche Rückbildung
herbeizuführen. Sollte diese Rückbildung eine vollständige werden und keine Re-
cidive mehr eintreten, so würde der Erfolg der Therapie dafür sprechen, dass
keine fortwirkende Ursache, wie etwa Gallenstein oder Spulwürmer etc. das Em¬
pyem veranlassten, sondern dass dasselbe andern Ursachen, wie Ulceration durch
fortgeleitete Entzündung vom Darm aus, zuzuschreiben ist. *)
Beitrag zur Kenntniss von den antiseptischen Mitteln.
Von Dr. G. Glaser in Bern.
Dass eine grosse Neigung besteht, der Carbolsäure wegen ihrer unange¬
nehmen Nebenwirkungen, der Eigenschaft, die davon benetzte Haut zu anästhesi-
ren, Abschuppungen und Eczeme auf ihr hervorzurufen, öfter Intoxicationen bei
den Operirten, Uebelkeiten bei den Operirenden zu erzeugen, ein anderes Antisep-
ticum zu substituiren, das bei gleicher Zuverlässigkeit frei von den Mängeln jener
wäre, ist natürlich und sehr gerechtfertigt. Aber nicht mit Unrecht ist der Arzt,
dem die Carbolsäure als beinahe unfehlbares Antisepticum schätzenswerth gewor¬
den ist, gegenüber den neu auftauchenden Nebenbuhlerinnen derselben vorsichtig,
um so mehr, als schon mehrere derselben nachdrücklichst empfohlen wurden, die
sich in praxi nicht bewährten.
Dasjenige Antisepticum, das neben der Carbolsäure gegenwärtig wohl noch
das meiste Vertrauen verdient, ist die ebenfalls von Lister empfohlene Borsäure
in concentrirter, d. h. etwa 4%iger wässeriger Lösung. Die geringe Zahl von
Wunden, die ich damit behandeln sah, verliefen sämmtlich günstig.
Mit nicht geringem Erfolg wurde seit einiger Zeit das Thymol als unüber¬
troffenes Antisepticum von mehreren Seiten gepriesen und durch L. Ranke auf der
Volkmann sehen Klinik cultivirt und eingebürgert. Er schildert dessen Vorzüge in
Nr. 128 der Sammlung klinischer Vorträge von Volkmann.
Wenn die daselbst niedergelegten Anschauungen von Ranke über das Thymol
auch anderweitig Eingang gefunden hätten, so wäre wohl die Carbolsäure schon
jetzt aus ihrer dominirenden Stellung verdrängt und Thymol ihr glücklicherer Con-
current. Nach den Ansichten, die auf dem letzten berliner Chirurgencongress über
die Zuverlässigkeit des genannten Stoffes verlauteten, scheint derselbe den Zenith
seines Ruhmes bereits überschritten zu haben, da der Enthusiasmus für denselben
in Folge einer Reihe übler Erfahrungen, die bei jener Gelegenheit erwähnt wur-
*) Laut einem soeben von Herrn Dr. Thalmann erhaltenen Berichte hat Pat bei sehr anstren¬
gender Arbeit von Morgens früh bis Abends spät nicht die mindesten Schmerzen mehr. Der Tumor
ist als eine platte elliptische Verhärtung noch jetzt gut zu umgreifen, beim Betasten nicht schmerzhaft,
so dass Pat als geheilt betrachtet werden darf.
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den, schon bedeutend erkaltet i9t Das allerdings Wenige, was ich vom Thymol¬
verband erfahren habe, ist ebenfalls keineswegs ermuthigend, während die Resul¬
tate mit Carbolsäure fast ausnahmslos günstig waren.
Mit grosser Reclame wurde neuerdings von England aus ein Stoff, Sanitas,
eine klare, gelbliche, harzig riechende Flüssigkeit, als „das einzig wahre antisep¬
tische und desinficirende Mittel“ dem Handel übergeben.
Als wirksame Bestandtheile dieses Mittels werden in der ihm ins Leben mit¬
gegebenen kleinen Brochure Camphersäure und Wasserstoffsuperoxyd bezeichnet,
und als Beleg für seine antiseptische Kraft einige Fäulnissversuche mit Eiweiss,
Most, Milch, Harn, Hirnsubstanz, Mehlteig, englisch Bitter-Bier mit je 5—207»
Sanitas versetzt, daneben vergleichungsweise solche mit gleichen Quantitäten Was¬
ser angeführt. Aus den angegebenen Versuchen geht hervor, dass Sanitas ein
besseres Antisepticum ist als Wasser, nicht aber, wie daselbst behauptet wird, eine
grössere erhaltende und reinigende Kraft besitzt als irgend ein anderes antisepti¬
sches Mittel, da Vergleichsversuche mit solchen fehlen.
Empfohlen wird die Sanitas gegen Fäulniss, üble Gerüche, auf Wunden, als
Gurgelwasser, gegen epidemische Krankheiten zu äusserlichem Gebrauch als Wasch¬
wasser, zum Besprengen der Kleider, als Aufbewahrungsmittel für Nahrungsmittel
und in grossem Maassstabe für die öffentliche und private Hygiene.
Hauptsächlich in Rücksicht auf diese Anpreisung der Sanitas und ermuthigt
durch Herrn Prof. Kocher stellte ich eine Reihe von Versuchen an, um die fäul-
nisswidrige Kraft dieser Flüssigkeit in verschiedenen Concentrationen und neben¬
bei auch diejenige der Thymolnormallösung (nach Ranke l%o) im Vergleich mit
Carbolsäure- und Borsäurelösungen und unvermischten oder mit blossem Wasser
verdünnten gährungs- und fäulnissfähigen Substanzen zu erproben. Die zugesetzte
Menge Wasser war jeweilen so gross, wie die Menge der zugesetzten antisepti¬
schen Flüssigkeiten.
Als Hülfsmittel der Beobachtung dienten Microscop und Nase. An der Trü¬
bung der Flüssigkeiten, dem Auftreten von üblem Geruch und der massenhaften
Entwicklung von Microorganismen wurde der Eintritt der Fäulniss erkannt. Zur
micro8Copischen Untersuchung wurde Ocular 3 und Objectiv 7 von Harlnack ver¬
wendet.
Zu Untersuchungsobjecten wurden Blut, Blutserum, frisches zerkleinertes
Ochsenfleisch und Urin benützt.
Die Versuche selbst wurden in der Weise angestellt, dass je gleiche Mengen
der fäulnissfähigen Substanz mit gleichen Mengen desinficirender Substanz oder
Wasser gemischt in gleich grossen und gleich weiten Gelassen neben einander
aufgestellt wurden. Von Zeit zu Zeit wurden die verschiedenen Präparate auf
ihre allfällige Zersetzung und Fäulniss untersucht.
Zum bessern Verständnis» lasse ich hier beispielsweise einige Versuche
folgen.
1. Beginn des Versuchs den 29. Mai 1878. Untersuchungsobject ist frisches
Ochsenfleäsch, 125 grmm. in 5 gleiche Theilc getheilt und zu kleinen Bröckeln zer¬
schnitten. Zu jeder Portion werden 30 ccb. Zusatzflüssigkeit gefügt.
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Datum.
30 ccb. Sanitas pur.
30 ccb. 10% Sanitas.
30 ccb. conccntr.
30 ccb. l°/oo Thymol. Borsäurelösung.
30 ccb. 5°/o Car bol
lösung.
31. Mai Klar, ohne Geruch
Uebelriochend.
Kein Geruch. Unverändert.
Unverändert.
1. Juni
und Organismen.
dito.
Massenhaft lebhafte
Bacterien.
Massenhaft lebhafte
Bacterien.
Uebelriechend. dito.
dito.
4. „
dito.
—
— dito.
dito.
6. „
Auf der Flüssigkeit
—
— Aufd.Oberfläche
dito.
9. *
Schimmelpilze.
Einige bewegl.Bact
einzl. Schimmelp.
— dito.
dito.
11. „
Kein Geruch.
Reichlich Bacterien.
— dito.
dito.
13. „
Etwas Geruch.
Stärkerer Geruch.
— dito.
dito.
16. „
—
—
— dito.
dito.
Keine Bacterien
Keine Bacterien
u. Micrococcen. u. Micrococcen.
2. Beginn dea Versuchs den 7. Juni 1878. Untersuchungsobject frischgelasse¬
ner, normaler, sauer reagirender Urin. In jeder Tasse ca. 70 ccb. mit 20 ccb. der
Zusatzflüssigkeit versetzt.
Datum. 20 ccb. l%o 20 ccb. 3°/o
20 ccb. Wasser. 20 ccb. 20°/o Sanitas. 20 ccb. Sanitas pur. Thymol. 20 ccb. Borlösg. Carbollösg.
13. Juni Stark übelriech. Stark übelriechend.
M8aenh.bew.Bct. Massenh. bewegt. Bacb
Ohne Geruch u. Starkriech. Ohne Geruch
Bacterien. Masseuh.Bact. u. Bacterien.
16.
17.
20 .
24.
dito,
dito.
Einzelne Bacterien.
Kein Geruch.
Massenh. Baqt. u.
übelriechend.
dito.
dito.
dito.
Schimmelpilze.
dito.
Normal.
dito.
dito.
dito.
dito.
26.
28.
T»
n
dito. dito,
dito. dito,
dito. dito.
Es folgt hior beispielsweise noch ein kleiner Versuch, der, wie einige andere
ähnliche, hauptsächlich des Thymols wegen angestellt wurden.
3. Beginn des Versuchs den 29. Juni 1878 Untersuchungsobject waren je
50 ccb. normalen Urins mit je 30 ccb. Zusatzflüssigkeit versetzt.
Datum.
30 ccb. Wasser.
30 ccb. Thymol.
30 ccb. 3% Carbollösung.
1. Juli
Relchl. Bact, übelriechend.
Reichlich Bacterien.
Normal.
3. „
Uebelriechend.
dito, ohne Geruch.
dito.
4. „
—
dito.
dito.
&• n
—
dito.
dito.
10. „
—
Uebelriechend.
dito.
Aus diesen beispielsweise angeführten, sowie aus allen übrigen Versuchen er¬
gibt sich übereinstimmend, dass Carbolsäure, selbst in verhältnissmässig schwa¬
chen, 3procentigen Lösungen, sowie concentrirte Borsäurelösung ausge¬
zeichnete fäulnisswidrige Substanzen von lange Zeit anhaltender Wirkung sind.
Leicht faulende Substanzen in zur Fäulniss günstigen Bedingungen bei hoher
Sommertemperatur bis zu 20° R. in breiten offenen Gefässen mit jenen Lösungen
versetzt, zeigten noch keine Fäulniss, keine Micrococcen und Bacterien, wenn alle
übrigen Präparate längst gefault waren. In schmalen Gefässen, z. B. Mixturen¬
gläschen mit engem Halse, mit denen ich im Anfang experimentirte , fallen die
Resultate etwas anders aus, indem hier, offenbar wegen dem besseren Abschluss
der Untersuchungsgegenstände, die Fäulnissprocesse auch bei purem normalem Urin
viel länger ausbleibcn als in breiten offenen Gefässen. — Einen Unterschied zwi¬
schen den Borsäure- und Carbolsäurcpräparaten will ich hier nur beiläufig erwäh-
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nen, dass nämlich die letztem stets von allen Organismen frei blieben, auf jenen
sieb öfter nach wenigen Tagen sehr lebhafte Schimmelpilzvegetationen ent¬
wickelten.
Für S a n i t a 8 ergibt sich sowohl aus den angeführten sowie aus der ziemlich
grossen Anzahl der übrigen Versuche, dass dieselbe ohne Zweifel eine antisep¬
tische Kraft besitzt, indem concentrirtere Proben der Substanz ceteris paribus die
Fäulnissvorgänge und das Auftreten von Microorganismen auf eine beschränkte
Zeit zu verhindern vermögen, wo bei weniger conccntrirten Mischungen längst
Zersetzung stattgefunden hatte. Wurde eine gewisse Menge, z. B. 10—20procen-
tiger Sanitasmischung einer Untersuchungsmasse zugesetzt, so wurde die Bacterien-
bildung gar nicht oder nur um wenige Tage dem blossen und unvermischten Prä¬
parat gegenüber verzögert, und auch der üble Geruch jener Proben folgte dem¬
jenigen der letztem fast auf dem Fusse nach, wogegen concentrirte Sanitaslösun-
gen so wohl Bacterien als Geruch bis 10 Tage länger zurückzuhalten vermögen.
(Vgl. Tabelle 1 und 2.)
Andererseits ergibt sich ebenso unzweifelhaft, dass selbst unverdünnte Sanitas-
proben keineswegs dieselbe anhaltende antiseptische Kraft entfalten, wie 3—5pro-
ccnt.ige Carboilösungen oder concentrirte Borsäurelösungen, ein Ergebniss, welches
auch durch einige auf der hiesigen chirurgischen Klinik angcstellte Versuche mit
Sanitasverbänden vollständig bestätigt wird.
Auch der Normalthymollösung (l%o) scheint einige antisoptische Wir¬
kung nicht abzusprechen zu sein. Immerhin ist mir in den Proben mit Thymol¬
zusatz stets die sehr baldige und massenhafte Entwicklung von Bactcricn aufge¬
fallen. In allen mit Thymol angestellten Versuchen Hessen sich Bacterien ebenso
früh nach weisen, wie in den unvermischten Untersuchungsobjecten. Dagegen liess
sich das Auftreten von Fäulnissgeruch durch dasselbe mehrere Tage hinausschic-
ben, wenn derselbe in der unvermischten Substanz bereits aufgetreten war; in
einem Versuche erreichte diese Verschiebungsfrist 9 Tage; meistens 3—4; in ein¬
zelnen fehlte sie ganz.
Bei dieser Gelegenheit mache ich darauf aufmerksam, dass das Auftreten von
J 3 acterien und Coccen keineswegs immer genau mit demjenigen einer Trübung,
Verfärbung der Untersuchungsflüssigkeit und mit üblem Geruch zusammenfällt.
Jene können vielmehr schon Tage lang ihre Arbeit begonnen haben, bis sie voll¬
endet, bis die Fäulniss eingetreten ist.
Aus dem Mitgetheilten ergibt sich schliesslich für die Praxis, dass verdünnte
Sanitaslösungen als antiseptisches Mittel unzuverlässig sind; concentrirte zwar anti-
septische Wirkung entfalten, aber noch lange nicht in demselben Maasse, wie
Jprocentige Carbolsäure- und wie concentrirte Borsäurelösungen. Uebrigens ver¬
bietet schon der Preis der Sanitas eine ausgedehnte Anwendung derselben, da ein
jrläschchen von 160 ccb. Fr. 1. 50 kostet.
Dio Thymolnormallösung erscheint als ein sehr schwaches Antisepticum, ohne
die Kraft, die Verbreitung und Zunahme der Bacterien und Cocccn zu hemmen
U ud schon darum unzuverlässig. Concontrirtere und vielleicht wirksamere LÖsun-
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gen sind zu ausgedehntem Gebrauch vorläufig nicht zu verwerthen, da der Preis
des Thymol (60 Mk. per 1 Kgr. nach Ranke) zu hoch ist.
Carbol- und Borsäure in den gegenwärtig gebräuchlichen Formen sind ausge¬
zeichnete Antiseptica, weit besser als Sanitas und Thymolnormallösung; ausserdem
viel billiger, indem 1 Kgr. von beiden je 4—5 Fr. kostet. Die Carbolsäurelösun-
gen erscheinen gegen die niederen Organismen als unverträglicher denn Borsäure¬
lösungen, da sich auf letztem reichlich Schimmelpilze entwickeln können, was bei
jenen nicht vorkommt._
Ueber Aetiologie und Wesen des acuten Gelenkrheumatismus.
Antrittsrede als Privatdocent der med. Facultät, gehalten in Zürich am 10. August 1878
von Dr. Hermann MUller, Secundararzt der med. Klinik.
Hochverehrte Versammlung! Der acute Gelenkrheumatismus, über den ich
heute vorzutragen die Ehre habe, war schon den Aerzten des Alterthums bekannt.
Bei den ältesten medicinischen Schriftstellern, bei llippokrales, Galen , Celsus, Caelius
Aurelianus u. A. finden wir bereits unverkennbare Spuren von der Kenntniss dieser
Krankheit. Wenn Rippokrates in seinem Buche de affectionibus von einer Arthritis
spricht, wobei bald das eine, bald das andere Gelenk unter Fiebererscheinungen
schmerzhaft wird — eine Krankheit des jugendlichen Alters, welche selten tödtlich
verläuft — so kann diese Angabe nur auf den acuten Gelenkrheumatismus bezogen
werden. Ursprünglich hat man freilich das Gelenkrheuma Arthritis und die rheu¬
matischen Affectionen der Schleimhäute Katarrhus genannt; bald aber erkannte
man auch in den wandelbaren Muskel- und Gelenkaffectionen die sogenannte Fluss¬
krankheit, über welche sich in frühester Zeit die Ansicht gebildet hatte, dass im
Gehirn eine scharfe Flüssigkeit erzeugt werde , welche bald gegen die Schleim¬
häute, bald gegen die Muskeln oder Gelenke, bald gegen andere Theile des Kör¬
pers fliesse, und so der Form nach verschiedene, dem Wesen und der Erscheinung
nach aber identische Krankheiten erzeuge.
Caeliut Aurelianus hat diese Theorie aufgestellt, Alexander von Trolles und die
salernitanische Schule haben sie adoptirt. Jahrhunderte hindurch blieb diese An¬
sicht von der Entstehung aller rheumatischen Krankheiten die herrschende und
noch bis in die neuere Zeit haben sich viele Aerzte zu dieser Theorie bekannt.
Als das wesentlichste Moment wurden ziehende, fliessende Schmerzen in den ver¬
schiedensten Körpertheilen betrachtet und da man mit dem Krankheitsbegriff schon
früh das ätiologische Moment der Erkältung vermischte, wurden im Laufe der Zeit
die verschiedensten innerlichen und äusserlichen Krankheiten, bei deren Entstehung
entweder nachweislich eine Erkältung stattfand oder nur angenommen wurde , zu
den sogenannten Rheumatosen gerechnet. So wurde sehr viel Fremdartiges zu¬
sammengeworfen, was natürlich der besseren Erkenntniss sehr hindernd in den
Weg trat.
Mit der fortschreitenden Vervollkommnung der Untersuchungsmethoden und
mit der Entwicklung der pathologischen Anatomie fing man allmälig an, den Kreis
der Rheumatosen enger zu ziehen. Sydenharn hat das Verdienst, die uns beschäf¬
tigende Krankheit zuerst in kurzen und klaren Zügen geschildert und die entzünd-
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liehe Natur der Gelenkaffectionen verstanden und erkannt zu haben. Weit an
Werth wird Sydenhairi s Darstellung übertroffen durch die Schilderung von Cullen,
welcher ebenfalls die entzündliche Natur der Gelenkaffectionen bestimmt hervorhob
und den acuten Gelenkrheumatismus mit grossem Scharfsinn nicht blos von der
Gicht, wie schon sein Vorgänger Sydenham, sondern auch vom Muskelrheumatismus
und dem chronischen Gelenkrheumatismus streng unterschied.
Englische Autoren, denen wir überhaupt auf diesem Gebiete so vieles zu ver¬
danken haben, sind es hinwiederum, welche zuerst auf den Zusammenhang der
acuten Rheumarthritis mit Herzaffectioncn aufmerksam gemacht haben. W. C. Wellt
gebührt das Hauptverdienst dieses wichtigen Fortschritts, wiewohl allerdings schon
vor ihm John Fort Davis am Ende des vorigen Jahrhunderts zutreffende Bemer¬
kungen über den Einfluss des acuten Gelenkrheumatismus auf die Herzentzündun¬
gen gemacht hat.
Die ätiologische Erforschung hatte bis zu dieser Zeit wenig Fortschritte ge¬
macht. Die alte materiell humorale Ansicht von der Entstehung des Rheumatis¬
mus blieb mit unwesentlichen Veränderungen dieselbe. So lange man die Rheu¬
matosen kennt, so lange hat man auch einen plötzlichen Temperaturwechsel als
die Ursache derselben angeklagt, aber welche Wirkungen der Temperaturwechsel
zunächst hervorbringe und welches der innere Grund der rheumatischen Krankheit
sei, darüber hat man sich keine klare Vorstellung machen können. Der eine glaubte
an eine scharfe Flüssigkeit, welche die Nerven reize, der andere an eine scharfe
Lymphe, ohne eine Ahnung zu haben, wie und wo diese rheumatische Schärfe ent¬
standen sei; ohne dass es überhaupt je gelungen wäre, eine solche Schärfe nach-
5>suweisen oder auch nur wahrscheinlich zu machen, bis Ritter auf den Gedanken
kam, dass durch die Erkältung die Ausscheidung cxcreraentieller Stoffe aufge¬
hoben oder gehemmt werde, dass diese „Hautschlacken“ — um mich seiner
eigenen Worte zu bedienen — „nach innen schlügen“ und so die Krankheit an¬
regen.
Der erste , welcher an der humoralen Theorie des Rheumatismus zu zweifeln
wagte, ist Peter Frank. Er sah die Entziehung von Wärme als die Haupt-
ursache der Krankheit an, ohne jedoch die Wirkungsweise dieses Vorgangs näher
55ii bestimmen.
An die Theorie der verhaltenen Mauserstoffe schliesst sich unmittelbar jene
a.n, welche die rheumatischen Zufälle durch verhaltene Electricität erklärt,
eine Hypothese, welche anfangs viel Aufsehen machte und durch zahlreiche Ver-
8 ucbe scheinbar immer wieder bestätigt wurde. Alexander v. Humboldt hatte nach
einer an sich selbst gemachten Beobachtung angenommen , dass der rheumatische
Zustand den menschlichen Körper zum Isolator der Electricität mache; aber dieser
unbefangene Beobachter fügt bei, er habe hie und da auch isolirende Personen
gefunden, welche gänzlich gesund waren. Pfaff\ Grossi, Joh. v. Müller , Berndl , ScAön-
[ e in u. A. wiederholten mit Erfolg die Versuche und nahmen an, dass während der
X)» uer der Rheumatismen keine Electricität auf der Haut frei werde, dass die Haut
durch die Erkältung ein schlechter Leiter geworden sei und dass die veränderten
Llectricitätsverhältnisse die Nerven und Capillaren reizen und so die localen Er-
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scheinungen erzeugen. Die Unhaltbarkeit dieser Theorie leuchtete bald ein und
heute gibt es Niemand mehr, der ihr huldigt.
Nach der von Simpson aufgestellten Theorie werden die oberflächlichen Gefässe
des Körpers durch die plötzliche Einwirkung der Kälte zusammengezogen, infolge
dessen erleiden die tieferliegenden Gefässe einen starken Blutandrang, dadurch
werden die natürlichen Secretionen gesteigert und so entstehen die Gelenkaffec-
tionen. Die Kritik dieser Hypothese kann mir erspart bleiben, da sie die gleiche
ist wie bei den nächst verwandten Theorien.
Eine Zeit lang wurde dann von französischen und deutschen Aerzten das
Specifische des acuten Gelenkrheumatismus ganz geläugnet und derselbe
für eine einfache Entzündung erklärt, eine Ansicht, welche allerdings dem patho¬
logisch-anatomischen Studium förderlich, aber nicht im Stande war, eine befriedi¬
gende Einsicht in das Wesen des Rheumatismus zu gewähren. Bald machte sich
auch eine Reaction geltend. Man kehrte wieder zu den alten humoralen Ansichten
zurück und gestaltete die alte vielfacher Variationen fähige Grundansicht von der
Bildung und Circulation der sogenannten rheumatischen Schärfe in einer Weise
um, die etwas Bestechendes hat und gewiss nicht des Scharfsinnes entbehrt. Prout
und Todd (1844) waren die ersten, welche die Ursache der Rheumarthritis in einer
übermässigen Bildung und Retention von Milchsäure suchten ; Williams, Füller und
Richardson bauten die Hypothese weiter aus- Diese Theorie, welche bis zur Stunde
noch viele Anhänger zählt und andere Erklärungsversuche, welche in allerneuester
Zeit aufgestellt wurden, werden wir erst später einer eingehenderen Besprechung
unterziehen.
Bevor wir dies thun, bevor wir das Wesen der Krankheit genauer discutiren,
müssen wir noch die Resultate der ätiologischen Forschung, die äussern Verhält¬
nisse und prädisponirenden Momente besprechen, damit wir auch an der Hand der
Erfahrung beurtheilen können, in welchem Umfange und mit welchem Rechte unser
positives Wissen auf diesem Gebiete zur Formulirung der verschiedenen Theorien
benützt worden ist und benützt werden kann.
Ich habe zu diesem Zwecke sämmtliche Fälle von Gelenkrheumatismus, welche
während den letzten 7 Jahren auf der hiesigen medic. Klinik zur Beobachtung
kamen, einem genauen Studium unterworfen und verfüge in Folge dessen über
eine Zahl von 274 Fällen, welche ich mit Ausnahme von ca. 50 alle aus eigener
Anschauung kenne.
Wir gelangen zuerst an die Frage der geographischen Verbreitung,
über welche wir in der historisch-geographischen Pathologie von Hirsch (1859)
eine werthvolle Zusammenstellung finden. Ich entnehme diesem Autor die Angabe,
dass der acute Gelenkrheumatismus vorzugsweise in den gemässigten Breiten ge¬
troffen wird, aber auch in den Tropen häufig, an einzelnen Puncten sogar mit be¬
sonderer Heftigkeit vorkommt und auch in den Polargegenden durchaus nicht so
selten beobachtet wird, wie einzelne Forscher, u. A. Füller , behauptet haben.
Ausserdem begegnen wir bei dem Studium der geographischen Verbreitung noch
einigen interessanten Thatsachen, die ich aber besser an anderer Stelle erwähne.
Gehen wir nun zu dem Einflüsse der Jahre und Jahreszeiten über, so
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bemerken wir hier vor Allem die wohl beachtenswerthe Thatsache, dass die ein¬
zelnen Jahre starke Schwankungen zeigen, welche durchaus nicht immer meteoro¬
logischen Einflüssen zugeschrieben werden können. In meiner Statistik stehen sich
zunächst 2 Abschnitte gegenüber, welche wir wohl von einander trennen müssen,
die Jahre 1871—1874 und die Jahre 1875 --1877. Die Gesammtzahl der jährlichen
Erkrankungen beläuft sich im ersten Zeiträume auf 19—28, im zweiten auf 37—80.
Die bedeutende Differenz der Jahresfrequenz erklärt sich zum Theil aus der ganz
verschiedenen Grösse der Krankenabtheilung in den beiden verglichenen Zeiträu¬
men, da seit 1875 die Abtheilung einen grossen Zuwachs erfahren hat — ich sage
aber ausdrücklich nur zum Theil, weil auch im ersten Zeiträume der acute Rheu¬
matismus in der grossen Mehrzahl der Fälle auf der damaligen klinischen Abthei¬
lung behandelt wurde. Auch wenn wir von einem genauen Vergleiche der beiden
Zeiträume absehen, gibt uns die Erfahrung der 3 letzten Jahre ein prägnantes
Beispiel von auffallenden Schwankungen der Morbilität in den verschiedenen Jah¬
ren. Das letzte Jahr 1877 zeigt das Minimum von 37 Erkrankungen, das Jahr 1875
das Maximum mit 80 Erkrankungen. Die gleiche Beobachtung hat am gleichen
Orte Prof. Lebert gemacht und auch von verschiedenen Andern sind solche auf¬
fallende Exacerbationen beobachtet, wenn auch im Ganzen bis jetzt wenig berück¬
sichtigt und noch weniger specieller erörtert worden.
Der Einfluss der Jahreszeiten auf die Verbreitung der acuten Rheum-
arthritis scheint zweifellos. Speciell für Europa, wo die Verhältnisse am genaue¬
sten studirt sind, gilt im Allgemeinen der Satz, dass in die ungünstige Jahreszeit,
im Besondern in die Monate vom October bis Mai der Haupttheil der Jaliresfre-
quenz fällt. Doch gibt es auch Statistiken, welche nicht in den Rahmen dieses
Schema’s passen, und man muss sich sehr hüten, einer als wahrscheinlich ausge-
sproehenen, aber doch noch des strengen Beweises entbehrenden Theorie zu liebe,
Krankheitsursachen zu kennen und zu erklären vorzugeben und die Thatsachen in
die Schablone einzuzwängen. So passt gerade auch unsere genau erhobene Sta¬
tistik nicht zu dem oben ausgesprochenen allgemeinen Satze.
Wie bei Lebert (Klinik des acuten Gelenkrheumatismus 1860) zeigt unsere Sta¬
tistik das Maximum der Frequenz im 2. Trimester, während Andere dasselbe in
das 1. oder 4. verlegen. April und Mai sind in meiner Statistik die am meisten
vertretenen Monate. Nach der genauen Tabelle der 274 Kranken unserer Beob¬
achtung fallen 30,6% ins 1., 41,2% ins 2., 16,05% ins 3. und nur 12,7% ins 4 -
Trimester.
Die Schwierigkeit, auf dem Gebiete der ätiologischen Forschung zu sichern
»I’batsachen zu gelangen, wächst noch mehr, sobald wir auf die individuellen
■V - erhäitnisse eingehen. Von jeher hat man unter den prädisponirenden Mo¬
menten obenan gestellt die Be s c h äf tigu ng und Lebensweise. Die den
XJn bilden der Witterung am meisten ausgesetzten Stände, Personen, die durch ihre
Beschäftigung gezwungen sind, sich bei Wind und Wetter im Freien aufzuhalten,
welche durch ihren Beruf einem häufigen Wechsel der Temperatur ausgesetzt sind,
oder bei anstrengender, schweisstreibender Arbeit vor plötzlicher Abkühlung-sich
glicht schützen können, werden vorzugsweise von der Krankheit befallen, — ist ein
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Dogma, welches seinen Weg durch alle Bücher macht. Man vergisst dabei, dass
beinahe alle diese Angaben Spitalberichten entnommen sind, welche — ohne ihren
sonstigen Werth schmälern zu wollen — doch gewiss nicht ohne weiteres ein be¬
stimmtes Zählen ermöglichen und zum mindesten nicht berechtigen, ein Haupt¬
argument für die Begründung einer Theorie zu werden, besonders wenn man, wie
Chomel und Senator mit 76 resp. 56 Fällen Statistik macht und dieselbe ohne wei¬
teres verallgemeinert. Vergessen wir nicht, dass der Bruchtheil von Kranken,
welche die Spitäler recrutiren, ihrer socialen Stellung nach in der grossen Mehr¬
zahl Berufsarten angehören, bei welchen wir unschwer die gesuchte Gelegenheit
für die Erkältung finden oder plausibel machen können. So lange wir keine all¬
gemeine Morbilitätsstatistik, alle Stände umfassend — wohl noch lange nur ein
frommer Wunsch — besitzen, sind wir nicht berechtigt, den Einflüssen des Beru¬
fes so grosses Gewicht beizumessen, als dies gdineiniglich geschieht und gerade
bei der uns beschäftigenden Krankheit weit über Gebühr geschehen ist. Zu alle¬
dem bin ich nicht im Stande, aus meiner Statistik, welche ja ebenfalls Spitalver¬
hältnissen entnommen ist, die feste Ueberzeugung zu gewinnen, dass ganz beson¬
ders einzelne den Schädlichkeiten der Witterung ausgesetzte Berufsclassen der
Krankheit zum Opfer fallen. Unter den 197 männlichen Kranken, welche sich auf
mehr als 50 verschiedene Berufsarten vertheilen , finde ich allerdings 11 Mal die
Krankheit bei Schlossern, aber ebenso 10 Mal bei Schuhmachern und 9 Mal bei
Bureauangestellten. Es finden sich darunter 8 Fabrikarbeiter , 6 Landarbeiter, 3
Schneider, 3 Kellner, 3 Studierende und nur 1 SchifFmann, nur 1 Kutscher, nur 1
Färber. Unter den 77 weiblichen Kranken befinden sich 28 Fabrikarbeiterinnen,
27 Dienstmägde, 4 Köchinnen und nur 1 Wäscherin. Nach dieser Zusammenstel¬
lung fällt also die grösste Zahl der Erkrankungen auf Fabrikarbeiterinnen und
Dienstmägde, auf Schlosser und Schuhmacher und ich glaube, es wird schwer hal¬
ten, die ganz besonders günstige Gelegenheit zur Erkrankung wenigstens bei ein¬
zelnen dieser Berufsclassen herauszufinden, wenn man nicht zu nichtssagenden Aus¬
flüchten seine Zuflucht nehmen will. Man sieht z. B. deutlich, wie man sich wen¬
den und drehen muss, um die Thatsachen für die überlieferte und durch das hohe
Alter geheiligte Tradition, von der wir uns schwer losmachen können, mundgerecht
zu machen, wenn Eisenmann sagt, „dass alle jene Arbeiter, die sich häufig rheuma¬
tischen Ursachen aussetzen, wie Taglöhner, Kutscher, Bäcker, Soldaten, auch
häufig von Rheumatismus befallen werden, liegt in der Natur der Sache; wenn
aber, wie behauptet wird, auch Schuhmacher auffallend häufig von Rheuma befal¬
len werden, so darf vielleicht eine durch ihre Beschäftigung gesteigerte Prädispo¬
sition angenommen werden“. Es wäre unschwer, die Zahl der Beispiele, welche
um jeden Preis die Erkältungstheorie retten wollen, um viele zu vermehren. Halten
wir an dem Satze fest: Es ist nicht bewiesen, dass beinahe ausschliesslich Leute
von Rheumatismus acutus befallen werden, welche den Schädlichkeiten der Witte¬
rung am meisten ausgesetzt sind.
Das Lebensalter ist in Uebereinstiminung aller Statistiken von unzweifel¬
haftem Einfluss auf das Entstehen der Krankheit. Ganz allgemein wird angegeben,
dass das Blüthealter, namentlich die Zeit vom Eintritt der Pubertät bis zum 30.
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Jahre das Hauptcontingent von Erkrankten liefert. Vom 30. bis zum 50. Jahre
und vom 16. an abwärts nimmt die Disposition zur Erkrankung progressiv ab;
doch geniessen noch ältere Leute und ganz junge keine vollständige Immunität.
Kinder unter 5 Jahren erkranken sehr selten, doch sind auch Fälle von Gelenk¬
rheumatismus bei Säuglingen bekannt. Von unsern.274 Kranken fallen 193, also
70,4% das Alter von 15 — 30 Jahren, 42 oder 15,3% in das Alter von 30-45
Jahren, 9 oder 3,2% in das Alter von 45 - 60 Jahren. Darunter finden sich auch
2 erstmalige Erkrankungen nach dem 60. Jahre. Ein 61jähriger Mann und eine
69jährige Frau litten an unzweifelhaftem Gelenkrheumatismus, was ich beiläufig
ganz besonders hervorhebe, da zweifellose Fälle aus diesem Alter in der Literatur
nicht existiren sollen. In unserer Zusammenstellung kann der Procentsatz von Er¬
krankungen unter dem 15. Jahre keinen Anspruch auf Werth machen, da wir keine
Kinderabtheilung haben.
Senator argumentirt in der neuesten Abhandlung über acuten Gelenkrheumatis¬
mus ( Ziemssen's Handbuch) das Häufiger werden der Krankheit vom 5. Altersjahre
an damit, dass „offenbar mit der sich entwickelnden Muskelthätigkeit, dem häufi¬
geren Aufenthalt in der Luft, dem Schulbesuch etc. die Gelegenheit zur Erkäl¬
tung“, welche er zu seiner so warm vertheidigten Milchsäuretheorie nicht gut ent¬
behren kann, häufiger wird. Dazu will allerdings nicht recht passen, dass gerade
im zarten Kindesalter AfFectionen der Schleimhäute, welche ganz gewiss zum gros¬
sen Theil durch die nämlichen beim acuten Gelenkrheumatismus supponirten Ein¬
flüsse verursacht werden, besonders häufig sind. Ueberhaupt kenne ich keine
Krankheit, bei deren Entstehung die Erkältung erfahrungsgemäss eine grosse Rolle
spielt, welche dem ganz jungen und dem hohem Alter eine verhältnissmässig so
grosse Immunität gewährt, wie der acute Gelenkrheumatismus. Es ist nicht mög¬
lich , die ganz besondere Disposition zur Krankheit im Alter von 16—30 Jahren
damit zu erklären, dass gerade dieses Alter am meisten der Gefahr ausgesetzt sei,
den durch Muskelanstrengung erhitzten, schwitzenden und ermüdeten Körper zu
erkälten. Wie erklärt sich nach diesen Voraussetzungen die relativ schon grosse
Immunität im Alter von 35 —50 Jahren, welche übereinstimmend von allen Beob¬
achtern angenommen ist? Sind die supponirten Gelegenheiten zur Erkrankung in
diesem Alter der noch vollen Arbeitskraft wirklich viel weniger häufig? Sind etwa
andere Erkältungskrankheiten diesem Alter entsprechend ebenfalls viel seltener als
vom 16.—30. Jahre ? Die Antwort auf diese Fragen lautet entschieden „Nein“, und
■veir sind — wie mir scheint — völlig berechtigt, auch die Altersverhältnisse als
einen Beweis gegen die Erkältungstheorie anzuführen.
Das Geschlecht macht keine besondern Unterschiede; die grosse Differenz
unserer eigenen Statistik erklärt sich zum Theil durch den viel rascher wechseln¬
den Krankenstand auf der Männerabtheilung. Uebrigens hatte Lebert in Zürich
unter 230 Kranken 119 Männer und 111 Weiber.
Einmal überstandener Gelenkrheumatismus ergibt eine erhöhte
Disposition zu neuer Erkrankung. Diese Eigentümlichkeit, für welche wir noch
Iceine Erklärung haben, theilt die Rheumarthritis mit einigen Erkältungskrankhei¬
ten — aber auch mit dem Erysipel und der Pneumonie, welche nach dem Vor-
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i
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gange von Jürgerwen nunmehr zu den Infectionskrankheiten gerechnet werden soll.
So haben 71 von unsern Kranken 2, 24 3, 13 4 und je 2 5 und noch mehr Anfälle
überstanden.
Unter den die Krankheit veranlassenden Momenten wurde von Alters her die
Erkältung obenan gestellt. Die älteren Aerzte gingen so weit, die Erkältung
als conditio sine qua non zu betrachten und noch heute gibt es welche, die sich
nicht von dem Gedanken trennen können, wiewohl wir gar nicht selten die Aus¬
sage hören: „Ich habe gar keine Ahnung, wie und wo ich die Krankheit geholt
habe“ und ähnliche Aeusserungen, welche uns um so mehr frappiren dürfen, als
sich bekanntlich der Begriff „Erkältung“ im Laienurtheile sehr weit ausdehnt und
gerade beim Gelenkrheumatismus die landläufigste Ansicht von der ersten Ursache
der Krankheit die Erkältung ist.
(Fortsetzung folgt)
V ereinsberiehte.
Medicinisch-pharmaceutischer Bezirksverein des bern. Mittellandes.
Nachtrag aus dem Jahre 1877. Ausser den schon in Nr. 6 und 8 des Corr.-Bl.
publicirten sind noch folgende Vorträge gehalten worden:
I. Dr. J. R. Schneider .-Ueber Purpura haemorrhagica.
Dr. Schneider theilt einen Krankheitsfall mit, den er als identisch erklärte mit
derjenigen Form der Purpura hsemorrhagica, welche Prof. Hennoch in Nr. 51 der
berliner klinischen Wochenschrift vom Jahr 1874 beschrieben hat. Es betraf eine
verheirathete Weibsperson von 28 Jahren, bei welcher die Krankheit, so zu sagen
ohne Vorboten, plötzlich und mit bedeutenden Intestinalerscheinungen auftrat: Wie
in den von Hennoch beschriebenen Fällen war auch hier das Auftreten der Purpura-
flecken mit heftigen Unterleibsschmerzen und rheumatoiden Schmerzen in den Ge¬
lenken verbunden, obschon die Frau weder früher noch seither (seit 2 Jahren) an
Rheumatismen gelitten hatte. Auch hier traten die Kraukheitserscheinungen schub¬
weise auf mit Intervallen relativen Wohlbefindens von mehreren Tagen. Nebst
den Blutungen aus Nase, Mund , Magen und Darmcanal (Bluterbrechen und blu¬
tige Stühle) war äusserlich der Sitz der Purpuraflecken vorzugsweise der Unter¬
leib, die Genitalien und die unteren Extremitäten, ohne jedoch den Oberkörper,
die oberen Extremitäten, selbst das Gesicht zu verschonen.
Es macht jedoch Dr. Schneider darauf aufmerksam, dass diese Form von Pur¬
pura haemorrhagica trotz ihres charakteristischen Bildes, das durch die vorherr¬
schende Localisation der Blutaustretungen bedingt werde, dem Wesen nach nicht
verschieden sei von denjenigen Formen, bei welchen die Eruptionen ausser der
äusseren Haut hauptsächlich in den Brustorganen oder den Organen der Schädel¬
höhle oder des Beckens, wie er solche auch schon beobachtet habe, auftreten.
In diesem Sinne ist er denn auch geneigt, jenen Krankheitsfall, den er der
Gesellschaft vor einem Jahr mitgetheilt hat, und bei welchem er es in Zweifel
liess, ob Vergiftung, Infection oder beginnende acute Leberatrophie vorlag, der
Purpura zuzuzählen, wobei die Blutaustretungen mehr in der Brust und im Ge-
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hirn und erst im letzten Lebensmoment unter der äussern Haut auftraten. Hier wie
dort habe man es mit einer Blutvergiftung (wahrscheinlich durch zurückgehaltene
AusschcidungsstofFe) zu thun. Das Blut selbst enthielt neben den normalen Blut¬
körpern zahlreiche kernlose kleine Körperchen, welche den Lymphkörperclien
glichen.
Immerhin betrachte er es als ein Verdienst des Herrn Prof. Hennoch , dass er
zuerst ganz speciell auf die Verschiedenheit des Symptomencomplexes aufmerksam
gemacht habe, da wo die Eruptionen hauptsächlich im Magen und Darmcanal
ihren Sitz haben. Aehnliche oder ganz gleiche Krankheitsfälle seien übrigens
schon früher publicirt worden und bei un9 in der Schweiz habe jeder Arzt, der
etwas längere Zeit practicire, öfter Gelegenheit, solche zu beobachten.
Das Verdienst, den Symptomencomplex der Purpura nicht nur nach ihrem
Grade, wie Schönlein und Hebra es gethan, sondern auch nach ihrer Localisation zu
beschreiben und differentiell zu diagnosticircn, gebühre übrigens zunächst dem ver¬
storbenen Herrn Prof. W. Vogt , welcher in einem Vortrage, den er am 18. Juni
1853 in unserm Bezirksverein gehalten, die Verschiedenheit der Syraptomencom-
plexe der Purpura bis ins Einzelne, selbst nach ihrem Sitz in den verschiedenen
Hautschichten auseinandersetzte. Der von ihm unter Nr. 12 erzählte Krankheits¬
fall stimmt mit denjenigen von Hennoch vollständig überein. (Schweiz. Monatsschr.
für pract. Med. 1857, 5. und 6. Heft.)
II. Dr. H. Weber demonstrirt 1. einen Fall von Pemphigus, der seit vier
Jahren besteht und einen Jüngling von zwanzig Jahren betrifft Blasen sind ge¬
genwärtig nur spärlich vorhanden; blaurothe, nicht scharf begrenzte Flecken,
•welche an vielen Stellen Excoriationen oder dünne Krusten von verschiedener
Grösse umgeben, sind bunt untermischt mit weissen, mehr oder weniger narbig
atrophischen Hautpartien. Die allgemeine Decke ist in grosser Ausdehnung er¬
krankt, und entspricht die Localisation der Effforescenzen vollständig derjenigen,
welche wir bei der Krätze zu sehen gewohnt sind, nur mit der Ausnahme, dass
der Nacken erheblich ergriffen ist. Dieser Umstand bekräftigt die Aussage des
Patienten, dass überall da, wo die Haut einem mechanischen Insulte, Druck, Stoss,
Reibung ausgesetzt ist, die Effforescenzen zum Vorschein kommen. Da nun der
häufigste Insult in dem Kratzen des Kranken besteht, der, ein allgemeines Haut¬
jucken empfindend, sich gerade wie ein Krätziger an denjenigen Stellen am mei¬
sten die Haut bearbeitet, welche ihm am besten zur Hand sind, so kommt die
Aehnlichkeit mit Scabies in der Ausbreitung der Erkrankung zu Stande- Che¬
mische Reize scheinen den gleichen Einfluss auszuüben : Einreibungen mit Theer
haben eine mit Fieber begleitete ausgedehnte Blaseneruption zur Folge gehabt.
Hie Therapie hat also in erster Linie das Jucken zu mildern und möglichst jeden
Hautreiz zu meiden. Eine Arsen-Eisenmixtur, die nun schon mehrere Wochen
genommen wird, scheint von günstigem Einflüsse zu sein.
Sehr leicht zu verwechseln wäre die in Rede stehende Krankheit mit gewissen
Formen der von Tilbury Fox zuerst beschriebenen Impetigo contagiosa, bei wel¬
cher sowohl Blasen- als Narbenbildung (trotz der letzthin im Archiv für Kinderheil¬
kunde geäusserten gegentheiligen Behauptung von Lewkowitsch in Breslau) sich häu-
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fig beobachten lassen. Der Verlauf der Krankheit, die Localisation der Efflores-
cenzen und der Umstand, dass auch die Schleimhaut der Mundhöhle in entspre¬
chender Weise wie die allgemeine Decke erkrankt ist, lässt die parasitäre Natur
des Leidens ausschliessen, trotzdem der Vortragende an einzelnen Stellen, nament¬
lich am Nacken ziemlich zahlreiche Pilzbildungen gefunden hat. Dieser Fall illu-
strirt in sofern deutlich die Thatsache, dass der microscopische Befund nicht ohne
weiteres maassgebend sein kann für die Classificirung einer Hautkrankheit, so
wenig als für die klinische Bedeutung eines Neoplasmas. Die Schuppen der be¬
haarten Kopfhaut eines Psoriasiskranken, die Krusten eines Eczema capillitii ent¬
halten oft reichlich pflanzliche Parasiten. Erst wenn die Pilzentwick¬
lung eine solche ist, dass sie den gewöhnlichen Verlauf
der Krankheit modificirt, die Entzündung in eigenthüm-
licher Weise steigert, ein Vordringen des Processes in
tiefere Schichten, ein eigenth ü m lieh peripheres Weiter¬
schreiten stattfindet, dazu völlige Nutzlosigkeit der ge¬
gen u n c o m p li c i r t e Entzündung immer mehr oder weniger
wirksamen Mittel sich constatiren lässt, darf von einer
parasitären Erkrankung die Rede sein.
Was endlich im vorliegenden Falle noch dafür spricht, dass man es wirklich
mit einem Pemphigus zu thun hat, ist der Umstand, dass an den Händen, Ohren,
Oberschenkeln mit den blaurothen Flecken Gruppen von stecknadelkopf- bis fast
linsengrossen Milien sich zeigen, wie sie von Bdrentprung und Hebra als seltene
Begleiter des Pemphigus beschrieben und von letzterem in seinem Atlas auch ab¬
gebildet worden sind. Hier sind solche auch an den Handtellern, an der Dorsal¬
fläche der letzten Phalangen zu finden, also an Orten, wo keine glandulee sebaceae
Vorkommen; ein Beweis, dass die Miliumbildung wenigstens nicht durchweg als
eine Talgdrüsenerkrankung aufzufassen sei.
2. einen Fall von Sykosis parasitaria der behaarten Kopfhaut bei einem
achtjährigen Knaben mit Vorweisung eines microscopischen Präparates von dem¬
selben. Dr. Weber macht dabei aufmerksam auf die ungemein variable Grösse der
verschiedenen Pilzelemente und zeigt grosse rundliche Knospenbildungen, die leicht
mit Fettkugeln verwechselt werden können.
(Schluss folgt)
Referate und Kritiken.
Referat Uber die sanitarische Untersuchung der Recruten und Eingetheilten
im Herbste 1877.
Von Dr. Franz Bücher,*) Major im Sanitätsstab.
Verehrte Herren Collegen! Ich habe mir vorgenommen, Ihnen einige Mittheilungen über
Recrutennntersuchungen im verflossenen Herbste 1877 zu machen. Schon das Laien-
publicum nimmt begreiflicher Weise an diesen Untersuchungen reges Interesse, für unsere
Armee ist sie von hoher Wichtigkeit, nicht weniger für die Zahlenden. Auch der ärzt¬
liche Stand muss sich dafür interessiren.
*) Wir theilen hiemit auf den Wunsch der ärztlichen Gesellschaft der Centralschweiz den
Collegen diese letzte Arbeit ihres so früh uns Allen entrissenen Präsidenten in extenso mit; dieselbe
wurde vollendet vorgefunden und nach dem Tode des Verfassers in der Gesellschaft vorgelesen.
Redact.
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Hatte bereits in den Vorjahren Gelegenheit genommen , in der äiztlichen Section
Luzern über das gleiche Thema mich zu äussern und zwar für die Jahre 1875 und 1876.
Es war mir schon anno 1876 ermöglicht, die erhaltenen Resultate für die gesammte IV.
Division mitzutheilen und das zu thun bin ich auch für den vergangenen Herbst wieder
im Falle. Die IV. Division besteht, wie Sie wissen, aus 12 Bataillonskreisen, von denen
4 auf den Canton Bern , 6 auf Luzern, 1 auf beide Unterwalden und 1 auf Zug ent¬
fallen.
Es hatte dieses Jahr durch Verfügung des eidgenössischen Militärdepartement wieder
ein anderer Modus des Vorgehens Platz gegriffen, als in den beiden Vorjahren, so diss
wir sagen können, wir haben nun 3 Jahre mit verschiedenen Proben hinter uns. Es war
das Bestreben der eidg. Militärbehörde, die Sache gegenüber von früher möglichst ru ver¬
einfachen. So war denn dieses Jahr nur mehr ein einziger Ausbebungsofficier mit einem
Secretär thätig und es fand für die je auf einen Tag einberufene Mannschaft sowohl die
8anitarische Untersuchung als die pädagogische Prüfung und die Eintheilung zu den ver¬
schiedenen Waffengattungen statt. Ich hatte im Herbste 1876, als ich über die Recru-
tirung an die ärztliche Section Luzern berichtete, gesagt: „Diejenigen, die bei dieser Ar¬
beit mitgewirkt haben, hatten wohl Alle das Gefühl, dass auch jetzt das Richtige t.oeh
nicht gefunden sei und dass jedenfalls das Jahr 1877 wieder bedeutende Variationen brin¬
gen werde und müsse!“
Diese Worte hatten sich also bewahrheitet Es hatte sich namentlich nicht als glück¬
liche Idee herausgestellt, die Recruten für die Specialwaffen besonders zu besammein.
Abgesehen von den grossen Kosten , einen doppelten Turnus des Unterrichts für jeden
Bataillonskreis einzurichten, zeigte es sich, dass vielerorts sich Niemand oder fast Nie¬
mand freiwillig für die 8pecialwaffen meldete. Es gibt eine Masse junger Leute, die
gar keine Begeisterung, oder sagen wir Vorliebe zu irgend einer Waffengattung haben,
was sich auf Befragen immer in einzelnen stereotypen Ausdrücken gipfelt, z. B. „Denk
zum grosse Hufe I“ „Das ist mir Wurst I“ oder bei Gebildeteren, s. B. Commis und sonst
Gereisten: „Das ist mir egal!“ Ein urchiger Länder aber meinte: „Das ist mir ei
Tttfell“
Mit den Recruten für den Sanitätsdienst namentlich hat man alle Jahre seine liebe
Noth, da nur selten Jemand freiwillig sich dazu anmeldet. Die Leute perhorresciren
meistens die Aussicht, mit Kranken oder Blessirten umgehen zu müssen und tragen lieber
den Schiessprügel. Manch’ Einer wähnt auch wohl, er trage den Marschallsknebel ira
Tornister und könnte durch die Sanität am Avancementsfluge gehindert werden. Es war
also eine Herkulesarbeit, dieses Jahr 108 Sanitätsrecruten zu keilen. Es war das aber
wirklich auch eine sehr hohe Zahl, sagen wir eine ausserordentlich hohe, und erklärt sich
durch die grossen Lücken, die nach und nach im Bestände der Krankenwärter eingetre¬
ten waren oder sich durch das Institut der Blessirtenträger eingestellt hatte. Man war
einfach genöthigt, namentlich in einzelnen Bataillonskreisen, geeignet scheinende Recruten
su pressen, d. h. ins Dienstbüchlein: „zur Sanität“ einzutragen, gewärtigend, ob der Ein¬
zelne dagegen den Recurs ergreife. Diese Pressfrage scheint gesetzlich auch noch nicht
geregelt zu sein; es widerspricht allerdings der freien menschlichen Selbstbestimmung;
allein was will man machen? In einzelnen Bataillonskreiseu hätte man schliesslich nnr
Liebhaber für das grobe Geschütz, an andern Orten lauter Trains und an andern Orten
nichts als Füsiliere I Die 108 Mann wurden doch schliesslich auf das Papier gebracht,
wie viele aber davon aus den Recrutenschulen refüsirt werden, ist eine zweite Frage.
Denn vom Herrn Oberfeldarzt kamen da gar harte oder stricte Bestimmungen. 8o sag e
er im Circular vom 28. August 1877 in Ziffer III, Recrutirung des Sanitätsperson
„Vor Allem schlagen 8ie zur Recrutirung aufgewecktere Leute von gutem Charakter vor,
weder Dummköpfe, noch Lumpen, auch nicht Leute, welche vor Kranken einen entschie¬
denen Abscheu haben.“ Du lieber Gott! Für diese genaue Bestimmung haben wir in
unseren Untersuchungskasten leider kein Instrument I Da reicht weder Ohrenspiege,
Augenspiegel oder elfenbeinern Metermaass aus. Jedenfalls ist die Zeit zu^kurz, B ° c
seelische Eigenschaften herauszudividiren. Die Recrutirung unserer 8anitätflmannsc
ist allerdings Behr wichtig und sollte mit grosser Auswahl und Umsicht geschehen,
constatiren gegenüber den Herren Aushebungsofficieren der IV. Division gerne,
dieses Jahr den Wünschen und Begehren der Sanitätsofflciere loyal entgegenge om
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sind. Haben wir also nicht glücklich gewählt, so milssen die Sanitätsofficiere mit peccavi
an die eigene Brust schlagen!
Was nun das Gesammtresultat der diesjährigen Herbstuntersuchung anbelangt, so
verzeichnen wir nach den Schlusszahlen folgende Resultate:
L Recruten:
1877
Vo
1876
%
Tauglich
1144
44,7
1430
60
Auf kurze Zeit dispensirt
— 1
3,
1 Jahr
Ti
352>
19,3
260
15
2 Jahre
Ti
144)
99]
Untauglich
919
35,9
553
25
Total
2559
Total 2345
Sie sehen, meine Herren I das Gesammtresultat war dieses Jahr bedeutend ungün¬
stiger, als im Vorjahre. Ich glaube, es werde das Ergebniss nach Jahren immer erheb¬
lich variiren, auch abgesehen von allen höhern Directionen. Letztere tendirten übrigens
offenbar dahin, dass man es mit der Untersuchung strenger nehmen solle als früher, ins¬
besondere auch, was die Rückweisung der Kröpfigen anbelangt, welche in einzelnen Ge¬
genden zu emem schauderösen Procentsatz angewachsen sind.
Was die Zahl der vorgestandenen Recruten nach BataillonskreiBen anbelangt, so ist
da immer eine bedeutende Schwankung bemerkbar, dieses Jahr wie anno 1875 und 1876;
die Zahl schwankt zwischen 326 (Luzern) und 109 (Schüpfheim). Ohne Kreis Luzern
liefern die 4 berner Kreise immer die meisten RecruteD, immer von circa 250—300. Am
geringsten ist mit Ausnahme von Luzern die Recrutenzahl in den andern 5 Kreisen des
Cantons Luzern. Diese Verhältnisse sind nun die 3 Jahre hindurch, seitdem das Institut
der eidg. Untersuchungen statthat, mit geringen Variationen sich gleich geblieben und
liefern wohl den unumstösslichen Beweis, dass die Bataillonskreise gar nicht gleichmässig
eingetheilt sind, die einen sind zu gross gegriffen, die andern zu klein. Es ist wohl
leicht einzusehen, dass das zu argen Missverhältnissen führt und vielen Unbilligkeiten
Thür und Thor öffnet. Es ist nicht möglich, in einzelnen Bataillonskreisen die Bataillone
auf normaler Ziffer zu erhalten. Ich will Ihnen aber auch ein Beispiel vom Gegentheil
anführen. In den beiden Unterwalden hat man sehr viel Recrutenrnaterial; dort sind
öfters die Compagnien über 400 Mann stark, fast so stark als bei uns in einzelnen Krei¬
sen das Bataillon. Kommt nun ein Aufgebot, so wird von der cantonalen Militärbehörde
eine Aushebung gemacht; über die Hälfe der Compagnie kehrt gemüthlich zum heimi¬
schen Herd zurück und entzieht sich factisch dem Militärdienst. In kleinen Bataillons¬
kreisen muss dagegen das letzte Bein mitziehen.
Jedermann muss begreifen, dass dadurch ungesunde Verhältnisse, krasse Unbillig¬
keiten geschaffen sind und dass der Grundsatz allgemeiner Wehrpflicht arg in die
Brüche geht.
Wir werfen nun einen Blick auf
II. die eingetheilte Mannschaft.
1877: 1876:
Zurückgewiesen
67
Zurückgewiesen
93
Kurze Zeit
7
Kurze Zeit
3
1 Jahr
98
1 Jahr
52
Untauglich
361
Untauglich
261
Total
633
TotüT
399
Wenn wir recapituliren, so standen in der IV. Division snno 1877
Eingetheilte 533
Recruten 2569
Total 3092
Die Zahl der sich zum Untersuch meldenden eingetheilten Mannschaft ist eine sehr
schwankende Grösse. Doch fangen diese Zahlen nun allmälig an, sich etwas zu consoli-
diren, stabiler zu werden. Es ist nun in einzelnen Kreisen schon anno 1876 dieses Ma¬
terial gesichtet worden, nämlich da, wo es möglich gewesen war, alle Dienstuntauglichen
Jahr um Jahr vorzuberufen. Nichtsdestoweniger variiren auch die Zahlen der eingetheil-
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ten Mannschaft, die Rieh per Bataillonskreis vorstellt, immer bedeutend. Dieses Jahr wu
das Minimum in Hochdorf mit 22, das Maximum in Langnau mit 68.
Wie in den Vorjahren, so befolgte man auch anno 1877 bei der Entlassung einge-
theilter Wehrmänner einen ziemlich mildern Grundsatz, namentlich bei den ältern Jahr¬
gängen und wohl mit Recht. Es kam überhaupt nur in ganz wenigen Kreisen vor, dass
sich Eingetheilte aus ganz nichtigen Gründen zur Entlassung stellten. Wir können aach
gleich hier an dieser Stelle constatiren, dass es ein sehr erfreuliches Zeichen ist, wie
wenig Recruten und Eingetheilte Zuflucht zur Simulation oder Aggravation nehmen. Es
spricht das doch noch sehr für Rechtlichkeitssinn und Ehrgefühl unserer Bevölkerung 1
Die Rapportirung Uber Krankheiten und Gebrechen anbelaugend, so muss dieses je¬
weilen nach dem gesetzlichen, vorgeschriebenen Formular I. B geschehen. Ob dieses
Formular in allweg zweckmässig sei und einen gehörigen Ein- und Ueberblick gewähre,
darauf will ich hier nicht eingehen ; es würde mir wohl auch nicht an6tehen. Nach dem
Schema sind verzeigt:
Missbildungen und Krankheiten am Schädel 3, erworbene Taubheit 1, andere Ohren¬
krankheiten 20, Krankheiten des GesichtB 2, mangelhafte Sehschärfe 14, Blindheit auf
1 Auge 6, andere Augenkrankheiten 63, Krankheiten der NaBe 1, Stottern 2, Stummheit
6, andere Krankheiten deB Mundes und der Rachenhöhle 3, Missbildungen am Halse 515,
Missbildungen am Thorax 11, Krankheiten der Athmungsorgane 64, Krankheiten des Her¬
zens 71, Krankheiten der grossen Gefässe 10, Unterleibsbrüche 81, andere Krankheiten
der Verdauungsorgane 38, Krankheiten der Harn- Und Geschlechtsorgane 24, Missbildun¬
gen und Krankheiten der Wirbelsäule 12, Missbildungen und Krankheiten der obern
Gliedmassen 51, Verstümmelung derselben 1, Missbildungen und Krankheiten der untern
Gliedmassen 88, Krampfadern 15, Plattfüsse 89, Schweissfüsse 2, Verstümmelung der
untern Gliedmassen 3, geistige Beschränktheit 20, Geisteskrankheiten 6, andere Krank-
hoiten des Nervensystems 29, mangelhafte körperliche Entwicklung 578, Hautkrankheiten
21, Scrophulosis 11, Krebs 4, andere Krankheiten 16.
Wir haben demnach Untaugliche und Dispensirte 1881
Taugliche Recruten waren 1144
Abgewiesene Eingetheilte 67
Summa 3092
resp. die Gesammtzahl der in der Division IV VorgeBtandenen.
Erlauben Sie mir, wertheste Collegen 1 an diese Erörterungen noch einige Bemerkun¬
gen zu knüpfen. — Die Aufführung der Recruten und dieses Jahr auch der Eiugetheilten
darf eine musterhafte genannt werden und gab nirgends au Klagen Anlass. Die Recru¬
ten und Eingetheilten haben sich es wohl gemerkt, dass sie, wenn auch im bürgerlichen
Kleide, doch unter strenger militärischer Aufsicht stehen. Es ist das immerhin auch ein
erfreuliches Zeichen; es gibt Zeugniss von einem richtigen Gefühl für Disciplin.
Nebatdem möchte ich noch einen Punct berühren, nämlich die Reinlichkeit oder
Nichtreinlichkeit namentlich der Recruten. Es steht alljährlich in den betreffenden Ver¬
ordnungen und Aufforderungen : „Die Mannschaft hat reinlich, namentlich mit gewasche¬
nen Füssen zu erscheinen.“ Wir können sagen, es war da eher ein kleiner b ortachritt
zum Bessern bemerkbar; die Hautcultur läsat aber bei unserer Bevölkerung immer noch
sehr viel zu wünschen übrig! Es wäre da auch Aufgabe der allgemeinen Hygiene, bes¬
sere Zustände zu schaffen. Wie nothwendig wäre es vielerorts , man könnte Bad- und
Schwimmanstalten ins Leben rufen. Es ist das in einzelnen Kreisen des Cts. Bern mit
Geschick verwirklicht.
So viel ist sicher, wir mussten dieses Jahr Niemanden zum Brunnen schicken, dann
man nach geschehener Abreibung z. B. die Impfnarben wieder erkennen könne; aber
vielfach hat die Reinlichkeit zu wünschen übrig gelassen. Es war dabei auch ziemlich
egal, ob die Träger dieser Accedentien Anwohner von Flüsseu oder Seen waren oder
exquisite Landratten. Dieses Capitel wäre der Aufmerksamkeit der Ortsgesuudheitscom-
missionen werth, um besseren Zuständen zu rufen.
Es möchten nun auch noch die Impfverhältnisse zur Sprache kommen. Begnügen
wir uns mit den Sohlusszahlen. 1 8 7 7:
Gepockt 9, geimpft Ja 2540, Nein 19 = 2559.
Revaccinirt: Nicht 1498, mit Erfolg 615, ohne Erfolg 446, Total 2559.
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599
1 8 76:
Gepockt 14, geimpft: Ja 2250, Nein 14; 81 fallen weg.
Revaccinirt: Nicht 861, mit Erfolg 964, ohne Erfolg 438, Wegfall 79.
Eine specielle Tabelle nach Kreisen soll Ihnen diese Verhältnisse erläutern. Es
waren für dieses Jahr exceptionclle Verhältnisse und verschiedene Impfärzte haben auch
schriftliche Entschuldigungen abgegeben, dass sie wegen grassirenden Kinderkrankheiten
an der Impfung überhaupt gehindert waren. Dieses Impfcapitel ist immer noch nicht
gehörig geregelt. Die Beschaffung frischer, guter Impfstoffe tritt vielfach noch hemmend
in den Weg. Diese Frage ist nicht so leicht zu lösen und kann wohl kaum durch die
einzelnen Cantone erledigt werden. Wenn es nicht die Eidgenossenschaft an Hand
nimmt, könnte es vielleicht durch Vereinigung mehrerer Cantone und proportionclle Ver-
theilung der Kosten geschehen. Zu grössern Impfstoffinstituten müssen wir kommen,
soll nicht das Impfen noch mehr in Misscredit fallen und unsere Impfgegner schliesslich
triumphiren! •
Es wären über die sanitarische Untersuchung wohl noch viele Bemerkungen zu
machen, würden aber heute zu weit führen. So z. B. glaube ich, es sollte das erste
Bestreben aller mitwirkenden Militärärzte sein , ein möglichst einheitliches Verfahren in
allen Divisionskreisen zu adoptiren, sonst resultiren immer grosse Unbilligkeiten für die
Vorgestandenen. Dann dürfte man vielleicht auch einzelne Puncte der Iustruction kriti-
siren und revidiren. Der Artikel über die Brüche dürfte füglich in die Brüche gehen.
Bei den Recruten ist enorm strenge zu verfahren: wölbt sich bei Anstrengung der Bauch¬
presse der Canal: fort mit ihm 1 Bei Eingetbeilten, falls das Bruchband hält: Bleiben Sie
gefälligst bei der Armee ! Diese Bestimmungen rufen enormer Unzufriedenheit. Ich glaube
wirklich, billig seien sie nicht. Auch hinsichtlich der Kröpfigen herrscht nach Divisionen
und Kreisen sogar hohe Meinungsdifferenz und Unbilligkeiten springen auch da zu Tage.
Auch eine Congruenz der Meinungen zwischen Corpsärzten und Schulärzten oder den Un¬
tersuchungscommissionen ist noch ein frommos Desiderium. Hoffen wir, die Erfahrung
von bisher und die Zukunft bringen da in das Chaos Rath und richtiges Handeln !
Cantouale Correspondenzen.
Aargan. Kropf und Kalk. (Bemerkungen zu den Mittheilungen des Herrn
Dr. C. Amsler in Wildegg „Uber die Bedeutung des Kalkes in Trink- und Mineral¬
wassern“.)
Auf den Wunsch eines befreundeten Arztes, welcher mir den obigen Artikel zur
Einsicht vorlegte, bin ich so frei, mich vom geologischen und chemischen Standpunct aus
über diese Frage kurz auszusprechen. Wenn auch vollkommen zugegeben wird, dass in
den von Herrn Dr. Amsler angeführten Fällen Disposition zur Anschwellung der Schild¬
drüse mit einem verbältnissmässig geringeren Gehalt des Trinkwassers an Kalk Zusam¬
menfällen mag, als in den Trinkwassern des Jura gefunden wird, so kann deswegen doch
nicht der Kalk des Trink wassere, weder in diesen speciellen Fällen, noch im Allgemeinen,
als Ursache dieser Krankheitserscheinung angesehen werden.
Denn die Differenz im Kalkgehalt dieser Wasser ist nicht sehr bedeutend und in
jedem der von ihm citirten Wasser aus Diluvium und 3andstein der Kolkgehalt immer
noch so hoch, als in mauchen Trink wassern solcher Gegenden, wo jene Krankheitser¬
scheinung nicht auffallend häufig auftritt. Namentlich sind fast sämmtliche Flusswasser,
welche als Trinkwasser verwerthet, und manche Quellen, welche zum Curgebrauch ge¬
radezu empfohlen werden, weit ärmer an Kalk, ohne dass deswegen bei der dauernd auf
diese Wasser angewiesenen Bevölkerung die Krankheitserscheinungen auftroten, welche
von Herrn Dr.. Amsler als Folge des Kalkmangels bezeichnet werden. Wären wirklich
die Kröpfe und der Kretinismus im Unterwallis Folgen des Kalkmangels im dortigen
Trinkwasser, so müssten die Oberwalliser und die Graubündner in dieser Beziehung nicht
besser dastehen, wo krystallinische und Scbiefergesteine ebenso sehr entwickelt sind, als
im Unterwallis. Ein Blick auf die geologische Karte, noch mehr aber eine Wanderung
in diesen Gebieten zeigt uns übrigens, dass die Alpen nicht, wie man gewöhulich glaubt,
vorwiegend aus krystallinischen Gesteinen, besonders Granit bestehen; auch unsere erra¬
tischen Blöcke und überhaupt die Diluvialgerölle des Aargaus, welche z. B. im Seethal
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600
und auch in der Umgebung von Lenzburg mindestens zu 90% aus Kalkarten bestehen,
beweisen, dass die Sedimentärgebilde und namentlich Kalkgesteine wesentlichen Antheil
am Aufbau der Schweizeralpen nehmen. Und im Wallis selbst besteht ja der ganre
Südabhang des nördlich der Rhone gelegenen Alpenzugs von Leuk bis St Maurice fast
ausschlieselich (mit Ausnahme einer kleinen Ecke bei Martigny) aus den Schichten der
Juraformation. Man dürfte also dort, wenn die Ansichten des Herrn Dr. Avisier über die
Bedeutung des Kalkgehalts richtig wären, ebenso schlanke Hälse erwarten, als im aar-
gauer Jura. Ich habe jedoch seiner Zeit keinen Einfluss des Bodens und des Wassers
auf das Vorkommen der Kröpfe und des Kretinismus im Wallis bemerken können. Auch
sollte man im Schwarzwald, der grösstentheils aus krystallinischen Gesteinsarten besteht,
mehr Kröpfe antreffen, als auf dem aargauischen Diluvium, indem ja dieses letztere, wie
oben angedeutet und wie schon ein flüchtiger Blick in eine beliebige Griengrube lehrt,
vorzugsweise aus Kalk besteht. Endlich sind auch unsere Sandsteine durchaus nioht arm
an Kalk; das Bindemittel der einzelnen Sandkörnchen besteht vielmehr der Hauptsache
nach gerade aus Kalk. Daher sind denn auch, wie die Erfahrung zeigt, die Quellwasser
der Mollasseregion vorzugsweise barte, d. h. kalkreiche Wasser.
Mit Bezug auf die Bemerkungen des Herrn Prof. Klebs füge ich noch bei, dass der
von Herrn Dr. Amsler citirte Sodbrunnen des Schlosses Lenzburg von zu oberst bis zu
unterst in Mollasse abgeteuft ist. Die Kuppe des Schloasberges ist 512 Meter hoch, er¬
hebt sich somit 96 Meter Uber das benachbarte Diluvium. Sie besteht aus Meeresmollasse,
die Basis dagegen besteht aus den weichen Sandsteinen der untern Süsswassermollasse.
Da der Ziehbrunnen auf dem Schloss nur ca. 54 Meter tief ist, so kann selbstver¬
ständlich das Diluvium der den Schlosshügel umgebenden Ebene keinen Einfluss auf die
Qualität des Wassers ausüben. Zwei andere Brunnen, welche aus dem Schlossberg her¬
vorquellen (beim Steinbruch und beim Rebhäuschen), sind ebenfalls nicht vom Diluvium
beeinflusst, sondern treten aus reiner Mollasse über einer lehmigen Schicht hervor. Sic
besitzen übrigens ebenfalls die von Herrn Dr. Amsler dem Schlossbrunnen zugeschriebene
fatale Eigenschaft, Anschwellungen der Schilddrüse zu bewirken. Erst vor Kurzem soll
deswegen eine Operation nöthig geworden sein.
Da nächstens der Ziehbrunnen auf dem Schloss gereinigt werden soll, so bietet
sich dann gute Gelegenheit zur microscopischen Untersuchung des Bodenschlamraes, nach
dem Wunsch des Herrn Prof. Dr. Klebs. F. Mühlberg.
Aargail« Bildung einer S c h e i d e n m a s td ar m f i s t e 1 durch ein
pessarium. Bei der Section der 78jährigen Jgfr. S, welche in der hiesigen Kranken¬
anstalt an Pericarditis gestorben war, zeigte sich vor dem etwas gesenkten Uterus eine
barte unebene Geschwulst. Nach Eröffnung der Scheide fand sich in derselben ein zwei-
flügliges Pessarium - aus Hartgummi (Kiwi sch) vor. Der linke Flügel desselben war ganz
vvenig incrustirt und hatte die Scheide etwas ausgebuchtet; der rechte dagegen war sehr
stark incrustirt und die Vertiefungen der Kalkmasse mit schwarzen, zähen KothmasHon
wie ausgestrichen. Dieser Flügel hatte die Wandung durchbrochen und ragte 3 cm. tief
ins Rectum hinein, jedoch so, dass die Ooffnung von 5 cm. im Durchmesser vollständig
durch denselben verschlossen wurde. Ausser an der Stelle, wo der Stiel aufgelegen hatte,
vvar keine Spur von einer Ulccration zu finden. Der jungfräuliche Uterus entleerte ganz
•wenig zähen Schleim. Von Kothmasse war in der Scheide nichts zu sehen.
Nachfrage beim Hausarzt, Herrn Dr. Fahrländer, ergab nun, dass das Pessarium Ende
des Jahres 1853 eingelegt und wegen Reparatur zweimal (am 11. Juli und am 25. No¬
vember 1854) entfernt worden war. Seither hat dasselbe immer in der Scheide gelegen.
I<Jie waren Schme r zen aufgetreten , und nie Koth durch die Scheide abgegengeu, selb»
nicht während einer profusen Diarrhoe, an welcher Patientin voriges Jahr etwa 14 Tage
lang litt.
Es muss also die Incrustatiou des Pessariums und die Erweiterung der Fistel E,e ™"
j£ch gleichmässig und ohne irgend welche erhebliche Entzündung während der 25 Ja re
vor sich gegangen sein.
Aarau.
Zürich« Casuistische Mittheilungen aus
nerspital in Winterthur, Chefarzt Dr. Koller. II.
letzung der Leber und rechten Niere, Heilung.
Dr. Bircher.
dem neuen Einwob-
Rcvolvorschussver-
Heinrich H., 21 Jahre alt.
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601
Bürstenbinder, wollte am Morgen des 16. September 1877 seinen geladenen Tascben-
revolver reinigen, welchen er dabei zu besserer Fixirung in der Herzgrubengegend auf-
stemmte ; dabei schnappte der aufgezogene Hahn ab und entlud sich der eine Schuss in
den Unterleib. Blass und erschreckt, aber obue weitere intensivere Störungen legte sich
Patient ins Bett und musste sich eine Viertelstunde später erbrechen, ohne
Blutbeimischung; bald stellten sich starke Schmerzen in der Gegend der Wunde sowie
der rechten Niere, ein; ein consultirter Arzt machte eine Morphiuminjection und Hess den
Kranken, der vorher stets gesund gewesen, ins Spital transportiren.
Status praesens: Mittelmässig genährtes, blass aussehendes Individuum. Sen-
sorium frei. Pat. liegt beständig auf der rechten Seite, den Unterleib eingezogen, die
Oberschenkel adducirt Genau in der Medianlinie findet sich 2 cm. oberhalb des Mittel-
punctes zwischen Nabel und process xiphoid eine erbsengrosse rundliche, mit coagulir-
tem Blut ausgefüllte Schusswunde. Keine Ausgangsöffnung. Keine Blutung. Kein
Erguss in die Bauchhöhle. Starke spontaue und Druckschmerzhaftigkeit um die Wunde
herum. Im Verlauf des Tages treten intensive rechtseitige Schulterschmorzeu
auf, die jedoch auf Morphiuminjectionen dauernd aufhören. Dreimaliges Erbrechen am
gleichen Tage. — Blase leer. — Temperatur 38,8°, Puls 84, ziemlich klein und schwach.
— Behandlung: Ruhige Lage. Antiseptischer Verband. Eisblase. Ernährung per
anum. Tct. opii simpl. in Clysma.
Um hier gleich den weitern Wundverlauf zu schildern, so mag erwähnt werden,
dass am vierten Tage die rasch ziemlich copiös werdende Eitersecretion eintrat, welche
am 22. und 23. September vorübergehend eine leichte gallige Färbung erhielt. Bis zum
26. September reinigte sich der Scbusscanal vollständig und konnte man sich überzeugen,
dass derselbe von der Mittellinie nach rechts und hinten verlief; in der Tiefe wurde
das den Canal formirende Leberparenchym dem Auge deutlich sicht¬
bar. In den folgenden Tagen erfolgte offenbar eine eitrige Arrosion eines grössern Gal¬
lenganges; Pat verspürte am 28 September starke spannende Schmerzen in der Wund¬
gegend , die sich rasch verloren, als am gleichen Tage ein reichlicher Abgang
reiner Galle aus der Wunde erfolgte; am 29. September musste die Wunde von
einem obstruirenden gelblichen Pfropf durch die Sonde befreit werden, worauf die Gallen-
secretion durch die Wunde mehr oder weniger copiös bis zum 17. October fortdauerte,
um hernach nur noch spurweise sich zu zeigen ; gleichermaassen verminderte sich die
Eiterung und nach wiederholten Aetzungen schloss sich die Fistel am 18. November de¬
finitiv. Beiläufig mag noch angeführt werden, dass sich die Gallenausscheidung nach
aussen kurz nach jedem stärkeren Speisegenuss auffallend vermehrte, so dass sehr häufi¬
ger Verbandwechsel nöthig wurde; ferner, dass Druck unterhalb der Fistel reine Galle,
seitlich und oberhalb derselben aber Eiter entleerte.
Vom 17.—20. September musste Pat. wegen vollständiger Urinretention regel¬
mässig cathetrisirt werden; später ging die Exurese in normaler Weise vor sich. Der
Harn enthielt von der ersten Entleerung an bis zum 24. September, namentlich Anfangs,
reichliche Mengen von Blut, welches, z. Th. zu dichten Coagulis geronnen, viel¬
leicht durch directen Verschluss die Retention mochte verschuldet haben; dabei bestaud
ein dem Blutquantum entsprechender Eiweissgehalt. Vom 24. September an bot der Urin
keine weitern Abnormitäten; vom 4.—11. October meldeten sich die Symptome einer
leichten Nephritis: Mässiger Eiweissgehalt, Sediment von rothen Blutkörperchen,
lymphoiden Zellen und nicht sehr zahlreichen Epitheleylindern; doch verlor sich diese
Affection ohne weitere Folgen ; die Urinquantität blieb stets annähernd normal. — Vom
2. Tage der Verletzung an bestand ausgesprochener Druckschmerz in der rechten
Nierengegend, der sich im weitern Verlauf langsam verlor. Gallenfarbstoff trat nie im
Urin auf, dagegen vom 26. September an einige Tage lang die charakteristische Färbung
der Carbolintoxication. — In diagnostischer Beziehung nahmen wir eine einfache Con-
tusion der rechten Niere an.
Eine diffuse Entzündung des Bauchfells blieb aus; die Peritonitis beschränkte sich
durchaus auf die nächste Umgebung der Wunde und setzte kein Exsudat; bei der am
21. November stattfindenden Entlassung des Pat. zeigte sich die die etwas eingezogene
Narbe umgebendo Haut auf der Unterlage adhrorent.
Von Interesse war das Verhalten des Stuhlganges; im ganzen Verlauf bestand
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602
Obstipation, die mit — z. Th. copiösen — Klystieren bekämpft wurde; an dem jener
ersten starken Gallenentleerung durch die Wunde folgenden Tage wurden ganz weisse
Faeces entleert und in der Folge entsprachen regelmässig gallenhaltigere 8tQhle der ver¬
minderten Gallensecretion nach aussen, während in der Zeit der stärksten Entleerung die
Stühle vollständig gallenlos erschienen.
Erbrechen und Aufstossen wiederholte sich noch mehrmals, um erst
Mitte October gänzlich zu sistiren, von welcher Zeit an sich auch der vorher sehr dar-
iiiedcrÜegende Appetit besserte. Das Allgemeinbefinden litt in den ersten Wo¬
chen erheblich Noth, Pat. magerte ab, doch trat mit Wiederbeginn der normalen Gallen-
entlcerung und zunehmendem Appetit rasche Reconvalescenz ein.
Die Temperatur erhob sich nie über 89,8° C., zeigte'eiren remittirenden bis
iutermittirenden Charakter und sank von Mitte October an zur Norm. Die höchsten Tem¬
peraturen fielen auf die letzte Woche des 8eptembers. Der Puls schwankte zwischen 84
und 108. Fröste fehlten durchaus.
Während der ganzen Krankheit zeigten sich nicht die ge¬
ringsten Spuren von Icterus.
Von der Kugel liess sich weder während des Spitalaufenthaltes, noch während
wiederholter Untersuchungen im Verlauf dieses Jahres mit Bestimmtheit etwas nachwei-
sen. Im Ucbrigen befindet sich Pat. vollständig wohl und gesund.
Was schliesslich die weitere Behandlung betrifft, so wurde in den ersten 10
Tagen ausschliesslich die Ernährung per clyBma (mit Zusatz von Chinin) durchgeföhrt
und hernach zur Milchdiät übergegangen; später roborirende Kost und leichte Eisenprä¬
parate. Die Ernährung per os wurde anfänglich vermieden, da eine leichte Blutbeimi-
t^ebung zu den erbrochenen Massen am Tage der Verletzung uns eine allfällige Läsion
des Magens immerhin in den Kreis der diagnostischen Erwägungen ziehen liess.
C. Nauwerck.
Paris« Weltausstellung. Ich erlaube mir, den Weltausstellungs-Bericht
Jbres pariser Correspondenten aus meiner Erinnerung oinigermaassen zu ergänzen ....
Unter den von Ihrem Gewährsmann aufgeführten pariser Ausstellern vermisse ich die
Famen Critis, Trouve und Gaiffe, ersterer durch seine ophthalmologischen Instrumente bei
allen Specialisten, letztere in der ganzen ärztlichen und naturwissenschaftlichen Welt durch
ihre galvanischen Apparate berühmt, um so mehr, da alle drei im Centrum der pariser
Ausstellungs-Classe Nr. 14 durch die Ausdehnung ihrer Schränke Jedermann in die Au¬
gen fallen, während mir Erard lei meinen täglichen Besuchen innert 8 Tagen in der me-
dicinischen Abtheilung gänzlich entgangen ist. Trouve bringt einen neuen electrischen
Beleuchtungsapparat; das Gros der Aerzte interessirt sich indessen mehr für seine g*l-
-vanocaustischen Batterien, die in compendiöser Ausführung von keiner andern übertroffen
■werden dürften. Beide wetteifern überhaupt in der Erstellung kleiner galvanischer Ta-
ecbenapparate, Gaiffe producirt u. a. einen kleinen rotirenden Inductionsapparat, zu dessen
Functionirung es nichts anderes als der Drehung einer kleinen Kurbel bedarf, so dass er
beinahe als Kinderspiel dienen könnte. Unter den übrigen französischen Ausstellern dür¬
fen die Namen Galante , Aubry und Marcoud nicht fehlen; ersterer durch die weitaus reich¬
haltigste Ausstellung aller nur denkbaren Verwendungsarten elastischen Materials zu me-
dicinisehen Zwecken glänzend, letztere mit CoUin und Matthieu in verstäuduissreichcr Aus¬
führung der Bedürfnisse und Schrullen der pariser Chirurgen in Betreff von „Blut und
Fi aenU wetteifernd.
Zu den Ausstellungen der übrigen Nationen übergehend, siud die mannigfaltigen
Franken- und Operationsstuhle der Amerikaner und Britten erwähnungswerth. Bei Ge¬
legenheit der schwedischen Heilgymnastik, die allerdings des Spectakels wegen, der in
der ärztlichen Welt damit getrieben wird , kein Besucher wird vernachlässigen dürfen,
möchte ich die practisch ungleich nützlichere Besichtigung eines Apparates des Athleten
Lafler aus New-York in der amerikanischen Maschinenhalle empfehlen, bei welchem so
exercirt wird, dass der Gymnastiker, während er seine Füsse an ein am Ende des Ap¬
parates angebrachtes Brett stemmt, seinen Körper auf dem in einem Doppelgeleise lau¬
fenden beweglichen Sitz mittelst zweier am Fussbrett befestigten, in die Hand zu ne
xxienden, elastischen 8chläucho hin und her bewegt. Das Exercitium scheint mir ganz
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besonders für chronische Uterinleiden gewissermaassen als Selbstmassage per Bauchmus¬
keln sehr empfehlenswert!). Für Gesunde lassen sich alle nur denkbaren Körperübungen,
die ich in natura sah, mittelst des Apparates ausfiihren. Bei Schweden ist noch die
reinliche und doch so „schmutzige“ Ausstellung des Fischthrans im Annex aufzusuchen,
welche uns eine vollständige Geographie, Geschichte, Naturgeschichte und Ethnologie die¬
ser Drogue vor Augen führt Russland producirt ein grossartiges Laboratorium für Hy¬
giene , was um so mehr verwundert, als man bis dato diese Wissenschaft dort noch
unter Eis und Schnee begraben glaubte. Wie mag unserm tapfern bernischen Gesund¬
heitskämpen und Ausstellungsjurymitglied das Herz im Leibe über diesem Anblick ge¬
pocht haben ! Holland liefert sehr interessante Rinderpestpräparate Die Schweiz endlich
scheint sich wirklich auch mit ihrer medicinischen Ausstellung einen Lorbeer errungen
zu haben, da mir aus sicherer Quelle mitgetheilt wurde, dass Ihr thätiger Landsmann
Walter-Biondelti eine silberne Medaille erhält, was nicht nur für ihn selbst, sondern auch
für die schweizerische Medicin, deren Ideen er ausführte, eine grosse Ehre ist. Uebri-
gens schienen mir auch Demaurex' s Apparat-Modelle auf dem Gebiete der Orthopädie und
Krankenpflege alles Lob zu verdienen. Der internationalen Verbandstofffabrik wird es
hoffentlich durch die Trefflichkeit ihrer Ausstellung gelingen, das Listern in Paris einzu-
bürgern und die pariser Chirurgen zu lehren , dass der leidenden Menschheit mit dem
Conservatismus in praxi besser gedient sei, als mit demjenigen in theoria.
Da sich Ihr Correspondent auch für Unterricht und Volksbildung interessirt, so
möchte ich ihm und denen, die ihm auf diesem Pfade nachfolgen, noch den Besuch des
dänischen Annex empfehlen, von wo er fruchtbare Ideen zur Organisation häuslicher, dem
Pauperismus entgegen wirkender Arbeiten heimbringen kann , ferner besonders auch die
Besichtigung der Ecole modele in der brüsseler Ausstellung und das Studium der Ecole
Monge in Paris, welche allem Anschein nach mit grossem Erfolge den Kampf gegen
pfäffische Erziehung aufnehmen. Post tenebras luxl Der „durstige Mediciner“ darf end¬
lich nicht versäumen, den trefflichen Kumys zu gustiren, der ihm von schöner, landes-
trächtig russischer Hand kredenzt wird. Verlässt er endlich den Ausstellungspalast und
lustwandelt nach der TrocaderoBeite hinüber, so suche er in ultima Thule an Marokkesen,
Japanesen und Chinesen vorbei über ein verstecktes Brücklein nach der anthropologischen
8ammlung zu kommen, wo er sich je nach seinem Standpunct für oder gegen die äffische
Abstammung unseres Geschlechts begeistern kann. Meinerseits war ich nicht im Stande,
zwischen dem mit mächtigen Eckzähnen entgegengrinsenden Schädel des Gorilla und den
kaum von den heutigen differirenden Schädeln der ältesten menschlichen Ueberreste irgend
eine Mittelstufe zu entdecken. Am ehesten könnte noch der Schädel des heutigen Austral¬
negers als solche gelten , woraus sich dann eher auf eine Degeneration zum, als auf
eine Generation aus dem Affen schliessen Hesse.
Ich schliesse mein Geplauder.
4. September 1878. B.
W ocb.enl>ericlit.
Schweiz.
Die XVIII. Versammlung des ärztlichen Centralverein» in
Olten findet statt Samstag, den St. Octsber. Sitzung im Schulhaus Mittags um
12 Uhr.
Tractanden:
1) Vortrag von Prof. Dr. Socin (Basel): Ueber Radicaloperation von
Hernien.
2) Vortrag von Prof. Dr. Kollmann (Basel): Mittheilungen aus der Ent¬
wicklungsgeschichte deB Menschen.
3) Vortrag von Prof. Dr. Immermann (Basel) : Ueber Prophylaxe von Typhus-
rccidi ven.
4) Kleinere Mittheilungen aus der Praxis.
Nachher wie gewohnt Banket im Bahnhofrestaurant Biehly.
. Zu dieser Jahresversammlung an unserem Stiftungsorte laden wir aufs herzHchste
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ein die Mitglieder des Ccntralvcrcins, unsere Freunde der Sociätö mdd. do la Öuisse ro-
mande und alle andern lebensfrischen, arbeitsfreudigen Collegen.
Olten, 1. October 1878.
Im Namen des ständigen Ausschusses:
Dr. Sonderegger, Präsident.
Dr. Burckhardt-Merian , Schriftführer.
Bern. Jubiläum. Die Universität Erlangen hat dem Herrn Prof. Maximilian
I’ei'ty in Bern zu seinem fünfzigjährigen Jubiläum als Doctor der Philosophie ein erneuer¬
tes, in den Ausdrücken höchster Anerkennung für dessen vielfache wissenschaftliche Ver¬
dienste abgefasstes Doctordiplom übersandt. Vor zwei Jahren wurde dem um die ber-
nische Hochschule, au welcher er über vierzig Jahre als Professor der allgemeiuen Natur¬
geschichte und der Zoologie wirkte und deren Professor honorariuB er nunmehr ist, hoch¬
verdienten Manne die gleiche Auszeichnung von Seite der Universität Müuchen als Nach¬
folgerin der Universität Landshut zu Theil, an welch’ letzterer Prof. Perty im Jahre 1826
den Doctorhut in der Wissenschaft der Medicin und Chirurgie sich erworben hat.
— Militärsanitätswesen. Der Bundesrath hat ein Regulativ Uber die Eiu-
richtung der E i s e n b ahn w a ggo n s zum M i li t ä rk ran k e n trän s p o rt er¬
lassen, dem wir folgende Bestimmungen entnehmen:
§ 1. Alle für schweizerische Bahnen neu zu erstellenden Personenwagen III. Classe,
sowie die Wagen, in welchen die Zahl der Sitzplätze III. Classe diejenige anderer Gas¬
sen übersteigt, sollen so construirt werden , dass im Fall des Bedarfs die Räume III.
Classe ohne bauliche Veränderungen als Lazarethwagen eingerichtet werden könneD. Bei
ilauptreparaturen des Kastens vorhandener Waggons III. Classe nach amerikanischem
System sind die nachstehenden Einrichtungen ebenfalls anzubringen.
§ 2. Zu diesem Zwecke müssen die genannten Wagen folgende besondere Einrich¬
tungen erhalten: 1) Sämmtliche Thüren, sowie die Perrongeländer müssen ohne Schwie¬
rigkeit wenigstens 0,96 Meter weit geöffnet werden können. Die Thüren können gebro¬
chen odor Doppclthüren sein. 2) In abgetheilten Waggons sind entweder die Zwischen-
wäude ganz zum Wegnehmen einzurichten, oder daun die Thüren in der unter 1 ange¬
gebenen Weite zu erstellen. 3) Die Länge der einzelnen Abtheilungen III. Classe darf
nicht unter 260 cm. betragen. 4) Gepäcknetze Uber den Fenstern sind leicht abnehmbar
zu machen.
§ 3. Für die Heizung sind nur solche Systeme zulässig, welche die Heizung mit
kräftiger Lufterneueruug verbinden. Ueber die Zulässigkeit der einzelnen 8ysteme behält
sich der Bundesrath den Entscheid vor.
§ 4. Die Herrichtung der Wagen oder Wagenabtheilungen III. Classe zum Kranken¬
transport besteht: 1) In der Beseitigung der Sitze und allfälligen hinderlichen Gepäck¬
netze, dem Oeffnen der Doppelthüren und Perrongeländer und der gehörigen Reinigung
der Wagen. 2) In dem Anbringen von Vorrichtungen zur Lagerung und Krankenpflege.
j}ie unter 1 genannten Vorkehren haben die Bahngescllschaften unentgeltlich zu besorgen.
l}ie unter 2 genannten geschehen auf Rechnung des Bundes. Die Entschädigung für Be¬
nutzung des Materials geschieht gemäss Art. 24 des Eisenbahngesetzes vom 23 Christ-
xxionat 1872. Die beweglichen Einrichtungen selbst für den Krankentransport werden von
Rundes wegen angeschafft
§ ö. Das Nähere über die Einrichtung der Waggons zum Krankentransport wird
durch eine besondere Ordonnanz festgestellt werden.
Davos. Das von Herrn Hofrath Dr. Perthes in Davos-Platz gegründete Erziehungs-
iustitut, durch welches Knaben Gelegenheit geboten wird, bei rationeller hygienischer
j>0eg e in Davos zu verweilen, ohne ihre Studieu ganz zu unterbrechen, erfreut sich be¬
reits des Zutrauens, das es verdient. Schon ist eine namhafte Zahl von Zöglingen ein-
*re treten. Wir machen die Herren Collegen auf dieses Institut aufinerksam.
45 LamaiUie. Socidtö mödicale de la Suisse romande. Die medicimsche Gesell-
c baft der welschen Schweiz hält ihre Jahresversammlung den 3. October um 2 Uhr im
Cercle de Beausäjour in Lausanne ab. Tractanden: Bericht über die Vereinsgeschäfte;
Y^ e sprechung Uber das „Bulletin“ ; Rapport über die Thätigkeit der „Commission mödicale
HU i 9 he“ (Bravo!); wissenschaftliche Mitteilungen. Labore peracto Banket! Den wertben
Coll c 8 en wünschen wir von Herzen ein fröhliches Fest!
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Ausland.
Amerika. Benutzung des Hoden zur Radicalcur einer Lei¬
stenhernie. Bei einem 22 Jahre alten Mediciner, der sich vor 6 Jahren durch eine
heftige Anstrengung einen rechtseitigen Leistenbruch zuzog, sah Charles Hunter ein origi¬
nelles Heilverfahren. Die verschiedenartigsten Bruchbänder waren nicht im Stande, die
Hernie vollständig zurückzuhalten. Nach dreijährigen vergeblichen Versuchen liess Pat.
jegliche Bandage weg und suchte mit der in der Hosentasche verborgenen Hand den
Bruch zurückzudrängen und zu halten. Bei dieser Gelegenheit bemerkte er, dass der
leicht bewegliche rechte Hode sich vollständig in den äusseren Bruchring schieben liess
und hier wie ein Pfropf den Bruch zurückhielt. Er machte dieses Manöver öfters, liess
sich in seine Hosen eine lange Tasche machen und drückte während des Sitzens sowohl,
wie während des Stehens und Gehens den Testikel gegen die Bruchpforte. Nach Jahres¬
frist hatte dieses eigenthümliche, consequcnt durebgeführte Verfahren zu des Pat grossem
Erstaunen eine Fixation des Hodens am äusseren Leistenringe zur Folge und der Hode
bildete nunmehr eine feste Barriere gegen den herabdrängenden Bruch. Bis hierher ging
Alles gut; der oft und immer längere Zeit maltraitirte Hode ertrug die Behandlung. Aber
die Sache hatte auch ihre Kehrseite. Der Pat. acquirirte sich eine Gonorrhoe und der
im äusseren Leistenriuge fixirte Hode war bei der nun folgenden Entzündung in Folge
der Raumbeengung sehr schmerzhaft.
H. hatte Gelegenheit, nach diesem Zwischenfalle den fraglichen Hoden zu untersuchen
und fand ihn thatsächlich befestigt zwischen den Pfeilern des äusseren Leistenringes.
Der Bruch wurde vollständig zurückgehalten und der Impuls beim Husten war ein sehr
geringer. (Centralbl. f. Chir. Nr. 26, 1878.)
England. Die Canalverbindungen der Häuser und die I n -
fectionskrankheiten. Einen höchst werthvollen Beitrag zur Kenntniss des Ver¬
hältnisses der zymotischen Krankheiten zur Verunreinigung der Luft der Häuser durch
Communicationen mit Canälen, durch Canalgase lieferte der Sanitätsbeamte von Glasgow,
Dr. James Rüssel, in einem Vortrage, zu dem er das Material aus sehr genau geführten
Zählkarten mit Angabe der Lage der Häuser, der Waterclosets, Abwassergruben u. b. f.
über die Diphtherie- und Typhustodesfälle während eines Zeitraumes von 3 */a Jahren
gewann. Die Gesammtzahl derselben betrug 420 resp. 833; verwerthet wurden aber
nur jene Fälle, welche auf Häuser mit einer oder zwei Wohnungen trafen, über deren
Zahl, Canalverbindungen und Bewohnerzahl Dr. Rüssel genaue und officielle Zusammen¬
stellungen besass. Im Allgemeinen ergab sich, dass 33% der Häuser mit einer und 69%
mit 2 Wohnungen auf irgend eine Weise mit den Canälen in Verbindung standen, sei es
durch Waterclosets in den Wohnungen, mit oder ohne Grube, sei es durch Abwasser¬
grube ohne Closet in der Wohnung selbst. Während nun die Zahl der Häuser mit nur
einer Wohnung und Watercloset in derselben zu gering war, um eine verlässige Basis
für die Berechnung zu geben, ergab sich für derartige HäuBer ohne jegliche Canalver¬
bindung eine Mortalität an Diphtherie von 120, an Typhus von 249 auf die Million Be¬
wohner; für solche Häuser mit Canalverbindung von 253 resp. 677 pro Million; für Häu¬
ser mit 2 Wohnungen und ohne Communication mit den Canälen von 127 an Diphtherie
und 386 an Typhus, dagegen für solche Häuser mit Gruben von 275 resp. 465 und, wo
noch überdiess Waterclosets in den Wohnungen waren, eine Mortalität von 418 resp. 665
pro Million. Die geringste Sterblichkeit traf also auf jene Häusor, welche gar keine
Verbindung mit den Canälen hatten, die höchste auf jene Häuser mit 2 Wohnungen,
welche sowohl durch Waterclosetröhren als Abwassergruben mit den Canälen in Verbin¬
dung standen. Noch höher war die Sterblichkeit in Häusern mit 3, 4 oder noch mehr
Wohnungen, da selbstverständlich diese in weitaus grösserer Zahl nach den Canälen
drainirt sind. Leider konnte er über diese keine vollständige Statistik gewinnen. Es ist
nach den genannten Mortalität® Verhältnissen, welche sich mit der Zunahme der Canal-
Verbindungen so bedeutend erhöhen, im höchsten Grade wahrscheinlich, dass die specifi-
schen Keime durch die Canalgase verbreitet werden. Die viel geringere Sterblichkeit in
den Häusnrn mit 1 oder 2 Wohnungen hängt offenbar von dem Fehlen von Canalverbin¬
dungen in so vielen derselben ab; denn würden alle Häuser gleichmässig canalisirt, also
der Eintritt von Canalgasen überall ein ungehinderter sein, so müssten nach dem allge¬
meinen Gesetze anderer Krankheiten in den kleineren Häusern die zymotisohen Krank -
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beiten auch die grösste Ausbreitung finden. Um diese Krankheitin auf das mögliche
3M iuimum zu beschränken, erachtet es Dr. Rüssel für nothwondig, dass nicht allein alle
inneren Verbindungen der Häuser mit den Canälen soweit wie möglich entfernt werden,
sondern auch, dass die 8trassencanäle und die Hauscanäle jede für sich ventilirt werden
müssen. Ferner müsse der Gebrauch von CySternenwasser für diätetische Zwecke voll¬
ständig aufhören. (Aerztl. IntelL-Bl. 1878, 24.)
— Cbromophototherapie. Das „Correspondenz-Blatt“ brachte seiner Zeit
seinen Lesern die märchenhaft klingenden Behauptungen des alexandriner Arztes Dr. Ponza
zur Kenntnis», der aussagte, durch farbiges Licht Geisteskranke geheilt zu haben. Nach
dem „Centralblatt für Nervenheilkunde“ etc. (1878, Nr. 1) hat nun Dr. Davies, Director
der Irrenanstalt Maidstone in der Grafschaft Kent jene Versuche controlirt. Er liess
Geisteskranke in Zimmer bringen, deren Licht durch hellrothe Fenster fiel: Effect abso¬
lut negativ. Auch in dem dunkelblau-violetteu Zimmer war der Erfolg meist negativ;
immerhin hatte Davies hier eine Anzahl äusserst frappanter Erfolge, indem Kranke, bei
denen bisher der ganze medicamentöse und physicalische Heilapparat absolut vergeblich
war angewendet worden, und die überhaupt zu den schwer Heilbaren gehören (Manie),
-vollkommen hergestellt wurden. Immer trat heftiger Stirnkopfschmerz auf
Dieser theilweise Erfolg muntert zu weiteru Versuchen auf.
— Oleum Terebinth. Bei Blutungen post partum empfehlen S. Poüard,
Stvayne , E. J. TiU, Clibbom , im Typhus R. P. White und E. J. Mc. Grath das Oleum tereb.
Immer wieder greift man in schweren Fällen auf alte, längst bekannte Mittel zurück, so
werden bei Blutungen post partum auf das Terpentinöl, dessen rasche und verlässige
VVirkung gegenüber dem Secale cornutura, und dessen Gefahrlosigkeit gegenüber den
intrauterinen Injectionen von Liqu. ferri sesquichlor., die seit längerer Zeit in den eng¬
lischen Fachschriften pro et contra besprochen werden, gerühmt; auffallend ist hiebei nur
hier wie bei anderen Mitteln die geringe Kenntuiss der berichtenden englischen Aerzte
von der Geschichte ihrer therapeutischen Anwendung. Die Dosis von Ol. Tereb. ist 16,0
rnit Eigelb, Milch, Brandy etc. geschlagen; da es manchmal sofort wieder erbrochen wird,
verbindet es Clibbom mit Liqu. Kali carb. gtt. 30, Pulv. Tragac q s., Aqu. Menth, piper.
60 O, fiat haustus; in welcher Form es gut vertragen wird. Bei Blutungen im Typhus
iet es ebenfalls schon lange im Gebrauche gewesen (Buss, Stokes)\ White versichert, die
besten Erfolge davon gesehen zu haben, er gibt seine Formel: 01. Tereb. 7,5; Liqu. Kali
c<tr b. 7,6; Mucil. Acaoim 16,0; Syrup. Papav. alb. und Syr. flor. Aurant. aa 30,0; Aqu.
Camph or . q. 8. ad 240,0, f. mixt., 4stündlich 1 Esslöffel. Die Arznei muss geschüttelt
werden. Ganz gleich spricht sich Mc. Grath über den Erfolg aus.
(Aerztl. Intell.-Bl. 1878, 23.)
— Seltene Erstickung. G. A. Johnson wurde zu einem Kinde gerufen, das
eri5 blckt war, nachdem es einen Schreiballon (Spielzeug) verschluckt hatte. Der Ballon war
mit dem Fundus nach unten an der Glottis vorbeigeglitten, füllte sich bei der Inspiration
bewirkte so die Erstickung. (Lancet, 1878.)
r Ankreiclu Vergiftung durch salicylsaures Natron. Dr. Feto
. e j, Ä ndelte einen Kranken, der ohne ärztliche Verordnung 200,0 Natr. salic. während eines
-»onfttB einnahra, während der ersten sechs Tage 4 gmm. täglich, dann 6,0 und während
, er letzten 17 Tage 8,0 täglich in drei Dosen. Die Symptome waren häufiges Erbre-
Yx&t*, vollständige Anurexie und besonders heftige Kopfschmerzen, die in einzelnen An-
JLjleo Auftraten und den Patienten laut zu schreien zwangen. Die Schmerzen waren auf
Scheitelgegend localisirt und wurden wie mit Hammerschlägen verursacht angegeben,
-r * <1 eto Anfalle ging eine Röthe des Nackens voraus, die sich rasch nach dem Kopf hin
** «breitete. Die Pupillen waren contrahirt. Die Erscheinungen dauerten 17 Tage nach
0S ctzen des Mittels in Anfangs bedrohlicher, später gelinderer Weise an, und während
'Tauten wurde Salicylsäure im Urin nachgewiesen.
(Allg. wien. med. Z. Nr. 27, 1878.)
O^fttorreicli« Künstliche Einleitung der Frühgeburt durch
•oilocarpinum muriaticum. Massmann iu Petersburg veröffentlichte zwei Fälle,
- denen bei schwangeren Frauen wegen bestehender Hydropsie Pilocarpin angewendet
f( je und kurz darauf Frühgeburt eintrat. Behufs Einleitung der künstlichen Frühgeburt
^ oi einer Frau mit engem Becken injicirte nun Schanla 0,02 Pilocarpin. Es trat zunächst
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SchweisB- und Spcichelsccretion auf; nach 2 1 /, Stunden stellten sich Wehen ein: der
vorher geschlossene Cervix erweiterte sich bald. Es wurde später eine zweite Injection
gemacht. 14 Stunden nach Auftritt der ersten Wehen erfolgte die Geburt eines leben¬
den Mädchens. Diese Beobachtungen fordern zu weiteren Versuchen über das Pilocarpin
als Ecbolicum — zunächst bei Abortus, Wehenschwäche etc — auf.
(Aerztl. Intell.-Bl. 1878, 4. Juni.)
— Arsenikvergiftung. Prof. Ludwig fand bei der Section einer Frau, die
mit allen Symptomen der Arsenikvergiftung gestorben war, Arsenik in Leber, Milz, Niere
und Magen. Die Frau hatte mit ihrer Tochter seit 3 Monaten circa 2000 Stück Grab¬
kränze gefertigt, die aus grün gefärbtem künstlichem Moose und ebenso gefärbten rothen
Blumen gemacht werden. Das Moos enthielt wenig, die Blumen viel Arsen (Fuchsin).
(Corr.-Bl. d. ärztl. u. pharm. Vereine Sachs. 1878, 10.)
Bibliographisches.
99) v. Beetz, Grundzüge der Electricitätslehre. Zehn Vorlesungen, gehalten vor den
Mitgliedern des ärztlichen Vereins in München. Mit 56 Holzschn. 109 S. Stutt¬
gart, Verlag von Meyer & Zeller.
100) Hofmann $ Schwalbe, Jahresberichte Uber die Fortschritte der Anatomie und Physio¬
logie. V. Bd. Litteratur 1876. Entwicklungsgeschichte, Index, Register (Schluss¬
abtheilung). Leipzig, F. C. W. Vogel.
101) Fritzsche, Beiträge zur Statistik und Behandlung der angeborenen Missbildungen des
Gesichts (Hasenscharte, Unterlippenfistel, Gesichtsspalte). Mit 2 lith. Tafeln. 112 S.
Zürich, Verlag von Meyer & Zeller.
102) „ Aesculap “, Liederalbum für Mediciner und Freunde der Naturwissenschaften. 78 S.
Berlin, Verlag von E. Staude.
103) Chavannes, Des complication3 accompagnant certaines hydrocöles extravaginales. Dis¬
sertation. Lausanne, Corbaz, impr.
104) Grünhagen , Funke' s Lehrbuch der Physiologie für academische Vorlesungen und zum
Selbststudium. 6. neu bearbeitete Auflage. II. Bd. I. Abtheilung. Leipzig, Leopold
VosB’sche Verlagebuchb.
105) Roth , Klinische Terminologie. Zusammenstellung der hauptsächlichsten zur Zeit in
der klinischen Medicin gebräuchlichen technischen Ausdrücke mit Erklärung ihrer
Bedeutung und Ableitung. 353 8. Erlangen, Verlag von E. Besold.
106) Leyden , Leber die Entwicklung des medicinischen Studiums. Rede, gehalten zur
Feier des Stiftungstages der militärärztlichen Bildungsanstalten am 2. August 1878.
40 8. Berlin, Verlag von Hirschwald.
107) Sigmund von Ilanor , Die Einreibungscur bei Syphilisformen nach eigenen Beobach¬
tungen. 5. gänzlich umgearbeitete Auflage. 200 8. Wien, Verlag von W. Brau¬
müller.
108) Ziemssen, Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie. XVI. Band: Schule ,
Handbuch der Geisteskrankheiten. 2. (Schluss) Hälfte. Leipzig, Verlag von F. C.
W. Vogel.
109) Hämmerlin , Etüde coraparative sur les divers modes de traitement du Rhumatisme
articulaire aigu 74 Seit. Th6se. Nancy, Berger-Levrault & Cie.
Briefkasten.
Herrn Dr. M. Funkhäuser , Burgdorf: Ja und etüpfe den säumigen Actuar. — Herrn Prof.
Mühlberg , Aarau; Dr. Wieland , Rheinfelden; Prof Aeby, Bern; Prof. Huguenin, Bex; Dr. de Wette,
Basel: MU Dank erhalten. — Herrn Dr. Volland . Davos-Dörfli: Recht gerne verwerthet Freundl.
Grass.
Dr. A. ChristeUei* (Schweiz)
nimmt am 1. October 1878 seine Praxis in
Bordighera, Riviera, wieder anf and wohnt
im Grand Hotel de Bordighera.
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Nachnahme. Packung frei.
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„ muriat. 30 Grm. Fr. 20, 15 Gr. 10 1 /» Fr.
Morph, acet 30 Grm. Fr. 15, 15 Gr. 8 Fr.
„ muriat. 30 Grm. Fr. 16, 15 Gr. 8*/* Fr.
Natr. salicyl. albis. (Schering) pulv. 100 Gr. Fr. 4. —
250 Gr. Fr. 8. 50.
„ «alle, crystai. puriss. 100 Grm. Fr. 5. —.
Acid. salicyl. cryst 100 Grm. Fr. 4.
Kalium jodat. pur. 250 Grm. Fr. 12.
Chloroform puri pt. helv. 250 Gr. Fr. 2.
Kalium bromat. purum 250 Grm. Fr. 2. 50.
St. Gallen Ende September 1878.
[H-3339-Q] C'. Ehrenzeller, Apotheker.
Rouviferes schmerzloses Blasenpflaster (Yesicatoire
indolore).
Rouvibres schnellwirkendes Blasenpflaster (Yesica¬
toire instantand).
Rouvibres gestrichenes Blasenpflaster (Toile vesi-
cante).
Rouvibres schmerzstillendes Pflaster (Tissu calment
anticongestif).
Hauptd^pöt für die Schweiz Hecht-Apotheke von
C- Fr. Hausmann, St Gallen. [H-1013-Q]
In Deuicke’s Verlag in Berlin erscheint:
Central-Zeitung
für Kinderheilkunde
unter Redaction von
Dr. A. Baginsky Dr. Alois Konti
prmet Aret in Berlin. Docent in Wien.
Pr. G. Ritter von Rittershain Dr. M. Herz
Professor &. d. Universität Prag. pract. Arxt in Wien.
2 Mal monatlich in gr. Lex. °.
Preis pro Semester 5 Mark.
Bestellungen nehmen alle Bnchhandlnngen und
Postanstalten an. [H- 8880 -Q]
Zur
Auswahl unter den Bitterwässern.
Der Deh. Ober-Medizinalrath Herr Prof.
Dr. FRERICHS in Berlin
sprach am 30. Juli 1877 in seiner Klinik bei Ge¬
legenheit der Vorstellung eines Falles von günstig
verlaufenem Hens, veranlasst durch Coprostase,
über die Anwendung der Bitterwässer Folgendes:
„Es ist nothwendig,“ sagte er, „bei ihrer
Verordnung die Unterschiede zu beachten,
welche in der chemischen Zusammensetzung und
in der von dieser abhängigen Wirkungsweise be¬
gründet sind.“
„Will man lediglich durch vermehrte Abson¬
derung der Drüsen des Dannrohres den Inhalt
desselben verflüssigen und entleeren, so sind alle
mehr oder minder brauchbar, je nach ihrem Ge¬
halt an Bittersalz und Glaubersalz; die ungleiche
Concentration lässt sich ausgleichen durch die
grössere oder kleinere Gabe.“
„Sie dürfen indess in dieser Weise nur
vorübergehend eingreifen, weil bei an¬
haltendem Gebrauche die Vorgänge der Ver¬
dauung und Blutbereitung wesentlich be¬
einträchtigt werden und bei schwächlichen,
blutarmen Individuen das Allgemeinbefinden er¬
heblich geschädigt werden kann, um so leichter,
je concentrirte r das Wasser und je stärker sein
Einfluss auf die Darm Schleimhaut ist.“
„Wesentlich anders gestaltet sich die
Wirkung, wenn grössere Mengen Koch¬
salz neben den genannten Salzen vorhan¬
den sind, wie im Friedrichshaller Bitterwasser;
hier kommt der günstige Einfluss des Chlorna-
triums auf die Vorgänge der Digestion und der
Diffusion, sowie au? den Stoffwandel im Allge¬
meinen zur Geltung; die Wirkung ist eine mildere,
auch bei längerem Gebrauche weniger erschdpteada
und demnach nachhaltigere.“
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der Inserate
35 Cts. die zweisp. Zeile.
Die Postbureaux nehmen
Bestellungen entgegen.
Dr. Alb. Burelthardt-UIerlan und Br. A. Baader
Privatdocent ln Basel.
in Golterkinden.
N° 20. VIII. Jahrg. 1878. 15. October.
Inhalt: 1) Originalarbeiten: Prof. Dr. P. Müller: Heber Exstirpation des Uterus. — Dr. Utrmnnn Müller: Ueber
Aotiologie und Wesen des acuten Gelenkrheumatismus (Fortsetzung). — 2) Vereinsberichte: Medicinisch-phannaceutischer
Bezirksverein des bern. Mittellandes (Schluss). — 8) Referate und Kritiken: Dr A. Bar: Der Alcoholismus. — Willi.
Steffen: Die meteorologischen Verhältnis™ von Davos unter besonderer Berücksichtigung der Feuchtigkeitsfrage. — Prof. Chr.
Atbi /: Ueber das Verhältnis« der Microcuphalio zum Atavismus. — Dr. Frittlr. Freytogel: Ueber Diagnose der Ovarialcysten. —
4) Cantonale Correspondenzen: Graubänden, Dresden, Kordamerika. — 5) Wochenbericht. — 6) Bibliographi¬
sches. — 7) Briefkasten.
Original-Arbeiten.
Ueber Exstirpation des Uterus.
Vortrag, gehalten auf der schweizerischen Naturforscherversammlung zu Bern am
11. August 1878 von Prof. Dr. P. Müller in Bern.
M. H. 1 Mit der Ovariotomie hat ihre etwas jüngere Schwester, die Hystero¬
tomie nicht gleichen Schritt gehalten: denn während die Erstere in ziemlich kur¬
zer Zeit einem hohen Grad der Ausbildung entgegenging, ist Letztere noch in den
ersten Stadien der Entwicklung begriffen. Noch wird von mancher Seite die Frage
aufgeworfen, ob diese Operation überhaupt als zulässig anzusehen sei; wir sind
noch nicht im Klaren , welche Erkrankungen des Uterus die Exstirpation dieses
Organs indiciren und unter welchen Umständen eine Gegenanzeige vorhanden sei,
noch steht es keineswegs fest, nach welchen Methoden die Operation wohl am
besten ausgeführt werden könne.
Der Grund dieser geringen Ausbildung in der Lehre und Praxis dieses opera¬
tiven Verfahrens liegt wohl zum grossen Theil in der Spärlichkeit des vorliegen¬
den casuistischen Materials. Nur der kleinere Theil der Chirurgen und Gynäko¬
logen war bis jetzt in der Lage, diese Operation auszuführen; nur Wenigen war
es bis jetzt vergönnt, dieses Verfahren in einer grossem Anzahl von Fällen in
Anwendung zu ziehen; und auch bei diesen ist die Anzahl der Operationen gegen¬
über der der Ovariotomien eine fast verschwindend kleine. Unter diesen Umstän¬
den ist es gerechtfertigt, jeden einzelnen Fall zu veröffentlichen', besonders wenn
dadurch etwas zur Klärung der Sache beigetragen werden kann.
Ich hatte in dem letzten halben Jahre Gelegenheit, diese Operation 4 Mal
auszuführen; ich bin in der Lage, Ihnen heute nicht blos die Operationsobjecte
demonstriren, sondern auch siimmtliche Operirte als geheilt oder als Convalescenten
vorstellen zu können.
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Die Fälle sind folgende:
I. K in d sk o p f gro s s e s Fibrorayom den U te r us k ö r p e rs ; beträcht¬
liche Verlängerung und Vorfall der Gebärmutter; Exstirpation des
Tumors mit dem Fundus uteri; Heilung.
M. B., unverheirathet, 48 Jahre alt, aufgenommen den 2. April 1877, war mit 15
Jahren menstruirt, die Menses traten regelmässig ein, waren jedoch stets 9ehr starb und
öfters mit Kreuzschmerzen verbunden: seit Februar sind dieselben ausgeblieben. Sie hat
nie geboren, war stets gesund, bis vor 11 Jahren durch starke Anstrengung der Bauch-
presse ein Gebärmuttervorfall sich herausgebildet. Da derselbe sich im Verlaufe der Zeit
immer mehr vergrösserte, so liess sie sich Pessarien von beträchtlicher Grosse einführen,
trotzdem konnte jedoch der Vorfall nicht ganz zurückgehalten werden.
Status praos. Magere, jedoch nicht anämische Frau, die Bauchwandungen straff,
die untere Partie stark aufgetrieben, grösster Umfang 81 cm. Bei der Palpatiou findet
»ich mitten über dem kleinen Becken ein stark kindskopfgrossor, runder harter Tumor
mit glatter Oberfläche. Derselbe lässt sich etwas nach aufwärts und leicht nach beiden
Seiten verschieben, er misst bis 6 cm. über den Nabel; Fluctuation ist nicht nachweis¬
bar. Bei der innern Untersuchung findet man die vordere Vaginalwand grösstontheils
prolabirt; in der Scheide ein grosser in mehrere Stücke zerfallener Korkring, die mit der
Zange extrahirt werden mussten. Scheidengewölbe zeigt blutende Geschwüre, jauchiges
Ausfluss. Nach Entfernung des Rings tritt ein Tumor über faustgross vor die äussern
Genitalien. Derselbe wird von dem grössten Theil des Uterus und der ganzen vordem
Scheidewand mit der Blase gebildet, während die hintere Vaginal wand nicht vorgefallen ist.
Die Blase reicht bis zum Os externum herab , die Sonde geht auf 19 cm. etwas nach
hinten und links zu ein. Der Uterus, ist soweit er sich betasten lässt, walzenförmig, von
der Dicke eines Daumens. — Nach der Reposition des Uterus fühlt man durch das vor¬
dere Scheidengewölbe das untere Segment de9 von aussen gefühlten Tumors, beweglich,
etwas in das Becken herabragend. Bei dem Umstande, dass es schien, dass sich der
Uterusgrund etwas von der Geschwulst abheben liess, wurde die Diagnose auf einen
vom Ovarium oder breiten Mutterband ausgehenden Tumor mit beträchtlicher Elongation
und Prolapsus des Uterus gestellt
Obgleich der Tumor weder durch seine Grösse noch durch sein Verhalten eine di-
recte Indiction zu einer Exstirpation abgab, so entschloss ich mich doch dazu wegen der
Jvlöglichkeit einer Radicalheilung des äusserst lästigen Prolapsus, dessen dauernde Reten¬
tion mir, so lange der Tumor den Beckeneingang verlegte, zwar möglich, aber doch un¬
wahrscheinlich erschien. Diese Indication zur Operation wurde vor Ausführung der letitern
scharf betont.
Operation: 4. Juni. Die Bauchdecken werden unter Carbolnebel auf 10 cm. weit
jncidirt, der Tumor zeigte keine Adhrosionen, Versuche, ihn durch Paracentese zu verklei¬
nern, schlagen fehl; eine nähere Untersuchung ergab, dass der Tumor ein über kinds¬
kopfgrosses, von der vordem Wand des Uterus ausgehendes Fibromyom sei. Es wurde
deshalb die Bauchwunde bis zum Nabel erweitert, worauf der Tumor leicht herausbeför-
dert wurde. Unterhalb des Tumors wurde der Uterus mit den Ligamenten, jedoch ohne
Ovarien mit einer eigens für die Hysterotomie gefertigten Klammer gefasst; Letztere ist
ganz nach der von Spencer Wells; ist jedoch ihrem Zwecke entsprechend kräftiger gebaut
und um das Dreifache grösser. Der Tumor wurde hierauf mit dem Corpus uteri abge¬
tragen, die Bauchwunde hierauf mit vielen das Peritoneum mitfassenden Nähten vereinigt
u nd der Lister 'sehe Verband angelegt.
Von der Nachbehandlungszeit ist Folgendes zu erwähnen: Die Temperatur steigt nie
über 38,6; damit stand jedoch im Widerspruch die starke Frequenz des Pulses, der öf¬
ters aussetzte, eine Erscheinung, die ich auch in 2 andern Fällen von Hysterotomien be¬
obachtete. Am 19. zeigte Bich, dass die der Klammer zunächst liegende Naht ausgerissen
war, eine Dünndarmschlinge lag zu Tage, welche sich bald ohne weitere Störungen mit
Granulationen überzog. Die Klammer fiel am 20., also am 16. Tage nach der Operation,
Ä b ; die Grube füllt sich bald aus. Bei einer zu dieser Zeit vorgonommenen neuen Un¬
tersuchung ergab sich, dass der Douglas'acho Raum von einem starken Exsudat ausgefüUt
war, das jedoch allmälig unter Diarrhmen zurückging. Jetzt finden Sie die Bauch wunde
«jurch Narbengewebe feat geschlossen. Bei der combinirten Untersuchung finden Sie den
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Ueberrest dee Uterus vorn an der Bauchwand angelöthct; die Sonde kann immer noch
auf 4 cm. tief eindringen.
II. Sarcom des Uteruskörpers. Exstirpation des Letztem. Hei¬
lung.
Frau M. Ls., 57 Jahre alt, aufgenommen den 12. März 1878, war stets regelmässig
menstruirt; hat 2 Mal, das letzte Mal vor 29 Jahren, geboren. Vor 3 Jahren trat die
Menapause ein. Seit 2 Monaten besteht anhaltend ein blutiger Ausfluss.
Status praes. Patientin, etwas abgemagert, anceraisch. Vagina normal, Vaginal¬
portion klein, Uterus retroflectirt, der Körper iBt etwas vergrössert, kugelich, leicht be¬
weglich. Die Sonde dringt auf 7 cm. ein; die Uterushöhle scheint geräumig zu sein.
Zur Feststellung der Diagnose wird der Cervix mit Pressschwäramen erweitert. Der
Finger findet im Fundus uteri, etwas mehr nach rechts, eine etwa haselnussgrosse, mit
breiter Basis aufsitzende, weiche, unregelmässige Geschwulst. Letztere wurde mit dem
scharfen Löffel abgetragen. Die microscopische Untersuchung der abgekratzten Masse
ergab, dass letztere aus BlutgefäsBschlingen, Drüsenschläuchen und Bindegewebe bestehen;
verdächtige Elemente waren nicht vorhanden. Nach der uuf der hiesigen Klinik üblichen
Behandlung (Abkratzung der Schleimhaut, intrauterine Injectionen von starker Carbol-
lösung anfänglich, später von verdünnter Jodtinctur) wurde die Patientin Ende Mai ent¬
lassen.
Nachdem Patientin sich mehrere Wochen sehr wohl gefühlt, stellten sich Anfangs
Mai die Blutungen wieder ein; sie suchte deshalb am 21. Mai wieder Hülfe in der An¬
stalt. Die Dilatation des Cervix wurde abermals vorgenommen, die Untersuchung ergab
jetzt Folgendes: Ueber dem Os internum stösst der Finger auf eine stark wallnussgrosso,
weiche Geschwulst. Sie sitzt mit breiter Basis am Fundus auf; die Ansatzstelle erstreckt
sich rechts bis zu einer Entfernung von 1 */a crn - vom untern Muttermund herab; links
war die Begrenzung des Tumors etwas höher; die Basis zeigte etwas festere Beschaffen¬
heit. Der abgetragene Theil der Geschwulst, im pathologischen Institut von Prof. Lang -
hans untersucht, zeigte einen entschieden sarcomatösen Charakter.
Bei der Unmöglichkeit, der rasch wachsenden Neubildung durch die natürlichen Wege
beizukommen, wurde die Exstirpation durch die Laparotomie beschlossen und am 26. Juni
ausgeführt
Operation 26. Juni: Die Sonde wurde zuerst in den Uterus eingeführt und der
Grund desselben gegen die Linea alba oberhalb der Symphyse angedrängt. Hier wurde
nun in der Ausdehnung von ungefähr 8 cm. die Bauchhöhle unter Carbolnebel, wie bei
allen Laparotomien, geöffnet; eine Dünndarm3cblinge, die zwischen Bauchwand und Ute¬
rusgrund lag, wurde hiebei an ihrem Mesenterium verletzt, die Wunde mit mehreren
Catgutnähten vereinigt. Da der Uterus sich durch die Sonde nicht aus der Bauchöffnung
herausdrängen Hess, so wurden noch 2 Fäden durch den Grund desselben gelegt, mit den¬
selben eine Schlinge gebildet und der Uterus an ihr herausgezogen. Es wurde nun die
vergrösserte Klammer um den untern Theil des Uterus und die beiden Ligamente ange¬
legt und dann der Fundus mit Zurücklassung der Ovarien abgetragen. Hiobei ergab
sich, dass die Schnittfläche noch in krankes Gewebe gefallen war. Es wurde jedoch die
Klammer nicht tiefer angelegt, sondern blos das Krankhafte am Stumpfe ausgeschnitten
und geätzt, weil ja stets noch eine Partie unterhalb der Klammer gangraenescirt und die
Abstossung daran noch im gesunden Gewebe erfolgen muss. Der Rest der Wunde ober¬
halb des Stumpfes wurde mit wenigen Nähten vereinigt. Nachbehandlung wie bei Ova-
riotomie, hat nichts wesentlich Abnormes. Die Klammer wurde am 10. Juni, also am
15. Tage, noch an einem dünnen Faden hängend, entfernt. Die noch übrig gebliebene
1 cm. tiefe Grube füllt sich, wie Sie sehen, mit guten Granulationen aus. Nehmen Sie
die combinirte Untersuchung vor, so finden Sie, dass der Stumpf in die Narbe der Bauch¬
wand übergeht; die Sonde dringt nur auf 3 cm. tief ein.
III. Car ci no matö se r Tumor des Uterus. Exstirpation des Uterus¬
körpers und des Cervix bis zur Vaginalportion. In Heilung be¬
griffen.
M. St., unverheirathet, 58 Jahre alt, aufgenommen am 25. Juni 1878, wurde mit
13 Jahren menstruirt, dieselben traten regelmässig alle 3 Wochen ein, 5—6 Tage dauernd.
Geboren hat sie 1 Mal. Die Menstruation erlosch mit dem 50. Lebensjahre. Seit 1 ’/ a
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Jahren leidet die Patientin au eitrigem, übelriechendem Ausflüsse ; Blutungen waren nicht
vorhanden.
Status praes. Patientin ist stark abgemagert, blass ausseheud. Bei der äussern
Untersuchung findet man einen stark kindskopfgrossen, ovoiden, harten, glatten Tumor, der
bis zum Nabel reicht und leicht nach den Seiten zu beweglich ist. Obgleich der Tumor
an der Bauchwand anlicgt, gibt derselbe doch einen tympanitischen Schall. Bei der
innern Exploration findet man die Vaginalportion ziemlich weich, mehr oder weniger ver¬
strichen, einen breitbasigen Kegel bildend. Im vordem Gewölbe fühlt man den bei der
äusseru Untersuchung schon constatirten Tumor, welcher mit der Vaginalportion zusam¬
menhängt. Die Sonde dringt bis auf 8 cm. in den Tumor ein; bröcklige und fetzige
Massen gehen durch den Muttermund ab. Nach einer Dilatation des Os externum mit Press¬
schwämmen trifft der Finger auf einen weichen, unregelmässigen Tumor, der die Cervi-
calhöhle auf mehrere Centimcter weit dilatirt; der Tumor setzt sich ungefähr in der Mitte
des Cervix an der Wandung desselben an, so dass ein ganz kleiner, kaum 2 cm. hoher
Abschnitt von der Neubildung frei ist. Abgekratzte Massen ergaben bei der microscopi-
echen Untersuchung carcinomatöse Neubildung.
Unter fieberhaften Symptomen trat in der nächsten Zeit ein Zerfall der Neubildung
ein, Theile der letztem gehen beständig ab, wodurch der Tumor wesentlich und zwar
auf Faustgrösse rcducirt wird. Bei dem verzweifelten Zustand der Patientin wurde der
Versuch einer Lebeusrettung durch die Exstirpation beschlossen.
Operation 25. Juli: Der Uterus wurde mit der Sonde gegen die Bauchwaud an¬
gedrängt und letztere vom Nabel bis zur Symphyse incidirt. Nach Eröffnung der Bauch¬
höhle präsentirto sich ohne alle Adhrnsionen der faustgrosse Uteruskörper. Zur Erleich¬
terung der Herausbeförderung wurden 3 Faden durch den Tumor gezogen und Schliogcn
daraus gebildet. Beim Einstechen entleerten sich durch die Oeffnungen jauchige Massen
und übelriechende Gase (Ursache der tympanitische Ton des Tumors). Auf eine sehr
mühsame Weise wurde nun die Drahtschlinge des Maisonneuve'sehen Constricteur unter
Mitfassen der Ligamente so tief als möglich im Becken um dun Cervix angelegt, und
der Tumor oberhalb der Schlinge abgetragen, allein hiebei, sowie durch einen Eiuschnitt,
■welchen die Drahtschlinge in den Cervix bewirkt hatte, licss sich erkennen, dass die
Schlinge noch ein krankhaftes Gewebe gefasst hatte. Dieser Umstand, sowie eine starke
Blutung, die aus dem Cervicalriss erfolgte, forderte zur weitern Abtragung des Cervix
auf. Es wurde hiezu das neue Freund 'sehe Verfahren gewählt. Um Raum zu schaffen,
wurden die Gedärme in eino Decke gehüllt, an der vordem Bauchwand theilweise in die
Höhe geschlagen, und dann von der Vagina aus mittelst einer Lanzennadel, die in ihrer
Oese Seideufaden trug, der Cervix von allen Seiten umstochen und aus den durchge¬
führten Fäden eine Schlinge gebildet, welche in der Abdominalhöhle festgeknüpft wurde.
Dadurch wurde die Blutung gestillt und es konnten nun von dem Cervix noch die krank¬
haften Partien vollends abgetragen werden, so dass nur noch die dilatirte Vaginalportiou
als Diaphragma zwischen Vagina und Abdominalhöhle übrig blieb. Ilicbci ergab sich,
dass die vordere Schlinge einen Theil der Blase mitgefasst hatte; trotzdem wurde die
Schlinge liegen gelassen und das unterbundene Stück Blase mit entfernt. Die die Schlin¬
gen bildenden Fäden wurden durch das Os externum in die Scheide geleitot und durch
25ug an denselben der Ueberrest des Cervix resp. die Vaginalportion umgestülpt, wodurch
der Abschluss der Bauchhöhle nach unten ein perfecter wurde. Nach Reinigung des Pe¬
ritoneums wurde die Bauchwunde durch tiefe das Bauchfell mitfassende Ligaturen ge¬
schlossen und der Lister sehe Verband angelegt. — Der abgetragene Uterus bildete eine
von jauchigen Carcinoramassen angefüllte, unregelmässige Höhle.
Aus der Nachbehandlungszeit theile ich nur mit, dass anfänglich starke Blascnbc-
schwertjen vorhanden waren, dass jedoch die Temperatur nie über 37,0 und der Pula
über 108 Schläge hinausging. Im untern Theil der Wunde bildete sich ein Abscess, der
nach aussen durchbrach, und zu dieser, wie Sie sehen, mit guter Granulation bedeckten
TJlcerationsfläche Veranlassung gab.
Es bildete sich ferner oin Exsudat im Douglas ’sehen Raum und übelriechender Eiter
ergiesst sich noch aus der Vagina. Dazu hat sich in den letzten Tagen ein Oedera des
linken Beins hinzugescllt, unstreitig von einer Thrombose der unterbundenen Bcckenvencn
berrührend.
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Uebrigens befindet sich die Frau wohl und ist jetzt (am 17. Tage nach der Opera¬
tion) als Convalescentin zu betrachten.
IV. Hochgradig verengtes osteomalarisches Becken. Kai¬
serschnitt. Exstirpation des Uterus. Heilung.
Obgleich dieser Fall bereits veröffentlicht ist,*) so will ich doch ganz kurz darüber
referiren, weil ich annchmen muss, dass nur den wenigsten von Ihnen diese Publication
zugekommen. Auch die grosse Wichtigkeit der Sache rechtfertigt diese abermalige Er¬
wähnung. Ich werde mich sehr kurz fassen, muss jedoch dem Falle einige Bemerkungen
vorausschicken.
Wie Ihnen bekannt, bietet der Kaiserschnitt eine sehr ungünstige Prognose, ungün¬
stiger als man gewöhnlich nach den Angaben der Lehrbücher annimmt. Der lethalo
Ausgang gilt so als Regel, dass man derartige Fälle nicht publicirt; nur die äusserst
seltenen Fälle von Heilung werden als ein aussergewöhuliches Ereigniss der Oeffentlich-
keit übergeben. So verlief bis jetzt in dem wiener Gebärhause in dem Zeitraum von
fast 100 Jahren kein einziger Kaiserschnitt günstig!
Dieser ungünstige Ausgang kann manchmal an der Grösse des Eingriffes liegen, be¬
sonders wenn die Geburt laug gedauert und sonstige Entbindungsverfahren vorausgegan¬
gen sind; aber sicher beruht derselbe in vielen Fällen auf einer Infection der Abdominal¬
höhle von Seite des Inhalts des offenen Gebärmuttercavums in Puerperio, und auf den
beträchtlichen, kaum zu stillenden Blutungen, die beim Erschlaffen des UteruB nach Ver¬
schluss der Bauchhöhle wieder eintreten können. Besonders um der letztem Gefahr zu
begegnen, hat zuerst vor 2 Jahren Porro in Pavia nach dem Kaiserschnitt die Exstirpa¬
tion des Uterus vorgenommen.
Im Anfänge d. J. hatte ich Gelegenheit, hier in der Anstalt einen Kaiserschnitt aus¬
zuführen und habe hiebei das Porro ’scho Verfahren der Exstirpation in einer etwas modi-
ficictcn Weise vorgenommen.
Der Fall ist folgender:
Frau E. R., 37 Jahre alt, aufgenommen den 2. Januar, hat bereits 5 Mal geboren,
und zwar, trotzdem seit der 3. Schwangerschaft Zeichen hochgradiger Osteomalacie vor¬
handen waren, auf ganz normale Weise. Sie befindet sich jetzt im 9. Monate der Gra¬
vidität.
Status praes. Das Becken zeigt die hochgradige, der Knochenerweichung eigen¬
tümliche Missgestaltung, so dass man bei der innern Untersuchung kaum zur Vaginal¬
portion Vordringen konnte. Der Uterus dem letzten Schwangerschaftsmonate entsprechend
ausgedehnt; Kind lebend.
Am 1. Februar begann die Geburt. Da die Erfahrung lehrt, dass oft hochgradige,
durch Osteomalacie verengte Becken während der Geburt erweichen und dann dem vor-
drängendeu Kinde nachgeben und auscinanderweichen, so wurde auch hier drei Tage zu¬
gewartet. Allein statt der Dilatation des Beckens trat eine Entzündung der Innenfläche
der Gebärmutter mit hohem Fieber, Absterben der Frucht ein, worauf ich mich zur ra¬
schen Beendigung der Geburt durch den Kaiserschnitt entschloss.
Operation 4. Februar. Nach Eröffnung der Bauchhöhle wurde nicht der Uterus,
wie bisher üblich, sofort excidirt, sondern durch die Bauchwunde herausgedrängt und
sofort die Schlinge des Maisonneuve sehen Coustricteur um Uervix und Ligamente angelegt.
Ersteres geschah, um die Möglichkeit eines Ausfliessens des zersetzten Uterusinhaltes
(Fruchtwasser) hintanzuhalten und Letzteres, um auch die so starken und unstellbaren
Blutungen beim Einechueiden des Uterus zu vermeiden. Durch einen langen Schnitt
wurde der Uterus eröffnet; stinkende Gase und Fruchtwasser entleerte sich aus dem¬
selben, der abgestorbene Foetus folgte, die Placenta wurde manuell entfernt. Hierauf
wurde der Uterus mit den Ovarien oberhalb der Schlinge abgetragen. Hiebei, sowie bei
der Incision der Gebärmutter verlor die Frau äusserst wenig Blut, weniger als bei einer
normalen Geburt.
Der Stumpf, bestehend aus dem untern Theil des Corvix, wurde mit mehreren Hef¬
ten in dem untern Wundwiukcl befestigt, und dann die Bauchwunde mit das Peritoneum
mitfasscuden Nähten vereinigt, nachdem noch eine Drainageröhro oberhalb des Stiels ein¬
geschoben worden war.
*) Centralblatt für Gynäkologie 1878, Nr. 5.
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Aus der Zeit der Nachbehandlung erwähne ich nur, dass niedrigere Differenz zwi¬
schen Temperatur und Puls (erstere geringe, letztere beträchtliche Erhöhung) vorhanden
war, dass die Drainageröhre am 5. Tage entfernt, und die in die Tiefe versunkene Draht¬
schlinge am 10 Tage abfiel. Eine Exsudation in die Bauchwand im Bereich des obern
Wund winkeis mit oberflächlicher Gangrien der Haut rief nur ganz vorübergehend Störung
hervor; die tiefe trichterförmige Grube füllte sich rasch mit Granulationen aus. Das All¬
gemeinbefinden war beim Austritt ein ausgezeichnetes.
An dem Präparate sehen Sie hier, dass nur ein kleiner Theil des Cervix zurück-
gelassen wurde ; denselben können Sie bei der doppelten Untersuchung der Frau als ein
kaum nussgrosser Körper im Beckeneingange entdecken. Die Sonde dringt nur auf 1 cm.
tief in den Cervix ein. Wie Sie sehen, ist auch die Beschaffenheit der Wundnarbe eine
ganz befriedigende.
(Schluss folgt.)
Ueber Aetiologie und Wesen des acuten Gelenkrheumatismus.
Antrittsrede als Privatdocent der med. Facultät, gehalten in Zürich am 10. August 1878
von Dr. Hermann Müller, Secundararzt der med. Klinik.
(Fortsetzung.)
Unter den 274 Fällen meiner Zusammenstellung finde ich 188 Mal keine An¬
gabe von einer Gelegenheitsursache, wiewohl nach altherkömmlicher Sitte bei der
Aufnahme des Krankenexamens immer speciell darüber Nachfrage gehalten worden
ist. 96 Mal glaubten die Kranken die Ursache einer Erkältung zuschrciben zu
müssen. Arbeiten oder Schlafen bei offenem Fenster, Arbeiten im Durchzuge,
feuchtes Schlafzimmer, vorausgegangenc Durchnässung des ganzen Körpers oder
nur der Füsse, ein Bad im See während des Hochsommers, Waschen des Fuss-
bodens, ein Gang in den Keller bei erhitztem Körper und Aehnliches sind die
Gelegenheiten, welche von den Kranken angegeben werden. Hic und da finden
wir die Angabe, ja ich werde mich wohl erkältet haben müssen oder das initiale
Frösteln, welches den Kranken während der Arbeit überraschte, wird als Erkran-
kungsursache taxirt.
Bedenken wir, wie viel im Laufe der Zeiten durch bessere Einsicht in die
pathologischen Verhältnisse und namentlich durch die Fortschritte der ätiologischen
Forschung auf dem Gebiete der Infectionskrankheiten die Erkältung von ihrem
Werth als Krankheitserreger schon verloren hat und nach und nach immer mehr
verliert, bedenken wir, wie kritiklos hier nicht nur der Laie, sondern auch häufig
der Arzt vorgeht, wie häufig das alte Gespenst „Erkältung“ zum Lückenbüsser
eines bessern Wissens wird, bringen wir namentlich auch die oben eruirten That-
sachen in Anschlag, so sind wir gewiss berechtigt, ein sicheres Causalitäts-
vcrhältniss zwischen Gelenkrheumatismus und Erkältung in Abrede zu stellen.
Ich meinerseits bin nicht im Stande, den unbedingten ursächlichen Zusammen¬
bang zwischen stattgehabter Erkältung und der bald darauf cingetretcnen Erkran¬
kung ohne Bedenken anzunehmen, wenn Senator aus seiner Erfahrung das „ganz
besonders schlagende Beispiel“ anführt, „wo ein Knabe, der sich im Schulzimmcr
heftig mit einem Mitschüler balgte, wobei ein Tintenfass umgeworfen wurde und
seinen Inhalt auf die Bank entleerte, gerade in dem Augenblick, als der Lehrer
eintrat, sich erhitzt schnell in die Tinte setzte, stark durchnässt wurde und Tag&
darauf an Polyarthritis erkrankte.“
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G15
Auf das Auftreten der acuten Rheumarthritis im Verlaufe oder
im Reconvalescenz Stadium anderer Krankheiten ist schon vor langer Zeit
aufmerksam gemacht worden. Die Thatsache ist aber bis jetzt zu wenig berück¬
sichtigt und nach meiner Ansicht falsch gedeutet worden. Wir kommen darauf
zurück.
Wie nun aber die Erkältung, welche die häufigste Gelegenheitsursache sein
sollte, die Krankheit erzeugt, welche Vorgänge vom Moment der Erkältung bis
zur Erkrankung sich im Körper abspielen, darüber existiren verschiedene Hypo¬
thesen, auf welche wir nur in ihren Hauptzügen eingehen wollen, da ein Eingehen
in das Detail auf so schwankendem Boden weder Nutzen noch Interesse bietet.
Zunächst gibt es zwei Wege, um die für unsere Krankheit charakteristischen
örtlichen Erscheinungen zu erklären, ein neurologischer und ein humoraler.
Die von Rob. Froriep (1843) aufgestellte, von Canstall , Eisenmann u. A. acceptirte
Theorie betrachtet die Gelenkaflectionen als eine Innervationsstörung der
trophischen Gelenknerven, hervorgebracht durch einen von der Erkältung veran-
lassten peripheren Reiz. Die rheumatischen Einflüsse — so sagt er — lähmen die
Haargefässe und verursachen dadurch eine abnorme Exsudation; in Folge dessen
entstehen harte Geschwülste — die rheumatischen Schwielen, welche Froriep in
150 Fällen nur 2 Mal vermisst haben will. Man dachte sich dabei, dass der durch
die Erkältung gesetzte Reiz entweder direct die vasomotorisch-trophischen Nerven
treffe oder auf indirectem Wege durch Fortpflanzung auf die Centralapparate die
Störung auslöse. Man rettet den Schein grösserer Gelehrsamkeit damit, dass ja
von den Centralapparaten ausgehende Gelenkaffectionen nicht ohne Analogie seien.
(Arthritis def.) Welcher Natur bei diesem Erklärungsversuch der gesetzte Reiz
sei, darüber weiss Niemand etwas. Warum wirkt der Reiz gerade nur auf die
vasomotorisch-trophischen Nerven der Gelenke ? Warum kann man auf diesem
Wege die Rheumarthritis nicht experimentell erzeugen? Warum wirken die gerade
local so häufig angewandten Kältemittel nicht so ? Wie erklären sich die mancher¬
lei Complicationen ? Wie erklärt sich das rasche Ueberspringen von einem Ge^
lenke auf das andere? Welches ist der Krankheitserreger bei den zahlreichen
Fällen, wo von Erkältung absolut keine Rede sein kann? Was wissen wir über¬
haupt von den trophischen Nerven? Ich könnte mit Leichtigkeit die Zahl all’ dieser
unbeantworteten Fragen vermehren. Es ist aber nicht nöthig. Wir sind nicht im
Stande, in dieser Theorie mehr als eine blosse Vermuthung, eine theoretische Spe-
culation zu sehen.
Das gleiche Schicksal trifft die andere, mehr chemische Theorie von
der übermässigen Anhäufung von Milchsäure im Organismus, welche
von Prout, Todd , Williams , Füller u. A. aufgestellt wurde; eine Theorie, welche eine
scheinbare Unfehlbarkeit gewann, als in dem Richardson' sehen Werke über die
Blutgerinnung (London 1858) die Mittheilung von der künstlichen Hervorrufung
von Endocarditis durch Milchsäureinjectionen in die Peritonealhöhle oder Jugular-
vene von Hunden gemacht wurde. Die nächste Folge dieser überraschenden Mit¬
theilung war eine Wiederholung der Richardson' sehen Versuche an verschiedenen
Orten; aber, wenn es auch nicht gelang, in allen Fällen die gleichen Resultate zu
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erlangen (ein Ungenannter A. W. und Julius Möller) , so wagte es doch noch Nie¬
mand, unbedingte Zweifel laut werden zu lassen, um so mehr, da die mit zahlreich
wiederholten Experimenten und mit microscopischen Präparaten ausgestattete Ar¬
beit von Cornel. Rauch (Dorpat 1860) die Richardson' sehen Untersuchungen nicht nur
bestätigte, sondern noch erweiterte. Doch erfreute sich die Milchsäuretheorie,
welche sich beim Menschen nur auf die stark saure Beschaffenheit des Urins und
des Schweisses der Rheumatiker stützte, nicht lange der Gunst der Aerzte, ja sic
gerieth sogar sehr rasch wieder in Misscredit, nachdem Gustav Reyher (1861) durch
seine zahlreichen Untersuchungen im Virchow' sehen Institute nachwies, dass die
von Richardson und Rauch gemachten experimentellen Untersuchungen auf einer
einfachen Täuschung beruhen, indem er bei 32 Versuchstieren ohne vorherige
Milchsäureinjection die ganz gleichen von Rauch als „parenchymatöse Endocarditis“
bezeichneten Klappenveränderungen fand.
Trotz alledem hat sich in allemeuester Zeit Senator der undankbaren Aufgabe
unterzogen, die stark angefochtene Theorie wieder in ihr altes Recht einzusetzen.
— Dabei stützt er sieb auf zwei Momente, welche sicher gegeben sein sollen,
wenn der durch Arbeit erhitzte und schwitzende Körper von einer Erkältung be¬
troffen wird. Vor Allem müsse man an der alten sich immer wieder bestätigen¬
den Erfahrung festhalten, dass die Erkältung gerade auf den erhitzten und ermü¬
deten Körper krankmachend einwirke und dass demnach folgerichtig die bei kör¬
perlicher Anstrengung neben den Muskeln ganz besonders thätigen Gelenke am
meisten zur Erkrankung disponirt sein müssen, um so mehr, als während der Func¬
tion der Gelenke nachgewiesenermaassen auch ein bedeutender Stoffwechsel in
denselben stattfindet. Zweitens — sagt er — findet bei der Muskelarbeit eine An¬
häufung von Säuren, Salzen, Milchsäure u. s. w. statt, der einige Physiologen die
^Ermüdung der Muskeln zuschreiben. Wird deren normale Ausscheidung, welche
nur zum Theil durch den Schweiss geschieht — oder vielmehr nur geschehen soll,
durch eine Erkältung unterbrochen, so wird jedenfalls eine Anhäufung derselben
stattfinden, bis sie anderweitig ausgeschieden werden. Also zwei an und für sich
schon zum allermindesten des sichern Beweises entbehrende Prämissen benützt
Senator zum Aufbau der Theorie. Ueber den bis jetzt noch nie gelungenen Nach¬
weis der Milchsäure im Schweisse, im Urin, in der Synovia Rheumatischer kann
man sich noch leidlich damit hinweg verhelfen, dass diesem Nachweis allerlei
Schwierigkeiten entgegenstehen, dass ja allerlei Umsetzungen der Milchsäure auf
dem Wege der Ausscheidung möglich, sogar wahrscheinlich sind. Den oft ge¬
machton Einwand, dass bei künstlicher Erzeugung von Schweiss und nachheriger
Abkühlung durch kalte Bäder — zu therapeutischen Zwecken — keine Rheuniar-
tbritis entstehe, sucht Senator damit zu entkräften, dass er die ungleiche Beschaf-
fen heit des künstlich erzeugten und des Arbeitsschweisscs hervorhebt. Nur wenn
de* Arbeitsschweiss unterdrückt wird, entsteht Rheumarthritis, wie cs ja die täg¬
liche Erfahrung lehrt. Also Arbeitsschweiss ist nöthig zu der Entstehung der
j^j-ankheit Fragen wir, wo ist der Arbeitsschweiss bei den zahllosen Fällen, welche
jjicht geschwitzt haben und doch erkrankten? Wo ist der Arbeitsschweiss der Re-
convalescentcn von Scharlach und Dysenterie, die 60 häufig von Gelenkrheumatis-
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mus befallen werden? — Noch weiter. Schlagender als alle Experimente an Thieren
sollen die von Balthasar Posier (1872) am Menschen gemachten Beobachtungen dar-
thun, durch Einführung grosser Dosen von Milchsäure eine der Polyarthritis voll¬
ständig analoge Krankheit zu erzeugen. Diese Beobachtungen betreffen 2 Diabe¬
tiker, bei welchen nach längerem Gebrauche von Milchsäure acute Gelenkaffectio-
nen auftraten, die nach dem Aussetzen des Mittels wieder verschwanden. In dem
einen Fall — nicht bei beiden — kehrten diese Anfälle bei dem Wiederbeginn der
Cflfl/am’schen Behandlung regelmässig wieder. Ebenso beobachtete Ed. Külz 1874
bei einem mit der Milchsäurecur behandelten Diabetiker neben Erscheinungen von
Magen-Darmcatarrh „rheumatische Schmerzen in der linken Hüfte und im Schen¬
kel, die einige Zeit anhiclten“ —, aber nicht mehr, und das soll die Identität be¬
weisen. — Welcher Trugschluss. Ich gebe zu, dass der Aufbau solcher Hypo¬
thesen etwas Verlockendes hat für unsere stets gern zum post hoc ergo propter
hoc bereite Reflexion. Für mich beweisen diese vereinzelten Beobachtungen
gar nichts, auch wenn — was gar nicht einmal bewiesen — die Milchsäure
wirklich die Ursache der rheumatischen Schmerzen gewesen ist. Mit dem glei¬
chen Rechte könnte man die paradoxe Behauptung aufstellen, dass das Blei die
Ursache des acuten Gelenkrheumatismus ist, denn ich kenne viel mehr Fälle,
wo übermässige Bleizufuhr dem Rheumatismus analoge Gelenkschmerzen verur¬
sacht hat.
Die im Jahre 1871 von Hueter aufgestellte Ansicht, dass bei der Polyarthritis
synov. acut. — wie er die Krankheit nennt, um das unglückliche Wort Rheuma¬
tismus zu verdrängen — die Endocarditis das Primäre sei und die Gelenkaffectio-
nen erst, secundär auf embolischem Wege entstehen, hat nach meiner Ansicht den
grossen Vorzug, dass sie wenigstens nicht geheimnissvolle Fluida und mysteriöse
Einflüsse zu ihrem Ausgangspunct nimmt, sondern die pathologische Anatomie,
welche gewiss mehr Licht in das dunkle Gebiet bringen wird, zu Rathe zieht.
Mit Recht verpönt Hueter die Bezeichnung Rheumatismus, „weil dieselbe über die
wirkliche Sachlage unserer ätiologischen Kenntnisse täuscht, indem das Wort
immer noch den trügerischen Schein verbreitet, als ob hinter ihm ein wirkliches
besseres Wissen verborgen liege“, als ob doch noch die alte rheumatische Schärfe
gefunden werden müsse. Zur Begründung seiner Theorie stützt sich Hueter auf
die häufige Combination der Polyarthritis mit der Endocardilis und beruft sieh auf
die Statistiken von Bouillaud und Vernay , welche allerdings in weitaus den meisten
Fällen Endocarditis angenommen haben. Er hebt die Schwierigkeit hervor, jede
Endocarditis intra vitam zu erkennen und gibt zu bedenken , dass sogar bei der
Necroscopie manche Formen von Endocarditis Mitral, bei einer nicht ganz serupu-
lösen Untersuchung sich der Beobachtung entziehen können. Als Analogon führt
er die öfter mit Gelenkschmerzen einhergehende Purpura hsem. an, deren embolische
Natur er in einigen Fällen habe nachweisen können. So verlockend diese Theorie
auf den ersten Blick erscheint, so kann doch ihre Unhaltbarkeit mit Sicherheit
bewiesen werden. Auch angenommen, dass in allen den Fällen, wo wir die Endo¬
carditis nicht nachweisen können, doch eine latent verlaufende vorhanden ist,
so muss man sich — wie Senator ganz richtig hervorhebt — billig fragen , warum
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gerade nur die Gelenke von den feinsten weggeschwemmten Embolis heimge¬
sucht werden, warum niemals jene Organe, welche sonst am meisten der Ge¬
fahr einer Embolie ausgesetzt sind, wie Milz, Nieren , Gehirn u. s. w. Da aus¬
serdem noch jeno Embolie entzündungserregende Eigenschaften haben müssten, so
müssten wir nicht nur kleine hämorrhagische Infarcte, sondern embolische Abs-
cesse finden, was — ausser bei Endocarditis ulcer. — nicht der Fall. Uebrigens
ist auch durch die Section acut tödtlich verlaufender Fälle der zweifellose Man¬
gel von Endocarditis constatirt — unter meinen Fällen findet sich einer, der an
Hyperpyrexie gestorben ist, wo von einer Entzündung der Klappen nichts nachzu¬
weisen war.
Otto Hotop (Greifswald 1872) sucht aus der klinischen Beobachtung Wahrschein-
lichkeitsgründe für die Hueter 'sehe Anschauung beizubringen, indem er Krankheits¬
beobachtungen bewährter Autoren anführt, nach welchen die Anteriorität des acu¬
ten Gelenkrheumatismus vor der Herzaffection unhaltbar sein soll.
Nachdem wir nun dargetban haben, auf welch’ unsicherem Boden alle die bis¬
herigen Theorien vom acuten Gelenkrheumatismus sich bewegen, tritt die Frage
a.n uns heran, ob wir denn im Stande sind, eine andere Theorie, welche den That-
sacben besser entspricht, an deren Stelle zu setzen. Kennen wir den Krankheits¬
erreger, können wir die Gelcnkaffectionen und die so häufigen Complicationen von
Seiten des Herzens durch eine gemeinsame Grundursache erklären? — Vorsichtige
Beobachter haben schon lange vor dem Unfuge gewarnt, mit als wahrscheinlich
ausgesprochenen unbewiesenen Theorien das eigentliche Wesen der Krankheit zu
-verstehen vorzugeben, und haben deshalb ihr Urtheil reservirt gehalten. Hie und da
finden wir auch schon unbestimmte Andeutungen von Beziehungen des acuten Ge¬
lenkrheumatismus zu Infectionskrankheiten; so erinnert z. B. Lebert an die Aehn-
lichkeit der zahlreichen Complicationen und an die Analogie eines malignen Ver¬
laufs unter schweren Nervenerscheinungen, weist aber selbst einen nähern Ver¬
gleich mit irgend einer Infectionskrankheit entschieden zurück. Am deutlichsten
und zuerst ist die Idee, es möchte sich beim acuten Gelenkrheumatismus um eine
3 pecifische Infectionskrankheit handeln, von Hirsch (1859) ausgesprochen; schon
seit Jahren ist die infectiöse Natur der Krankheit von Prof. Huguenin in der Klinik
-vertheidigt worden ; die Theorie ist aber noch an keiner Stelle ausführlicher be¬
handelt und erörtert und deshalb erlaube ich mir, die Gründe anzuführen, welche
uns zu dem Ausspruche berechtigen:
Der acute Gelenkrheumatismus ist eine Allgemeinkrank-
heit, welche durch einen specifischen Krankheitserreger
0 r zeugt wird. Die Gclenkaffectionen sind nur ein Symp-
t o m und beruhen auf Infcction. Die Complicationen erklä¬
ren sich aus der nämlichen Ursache. Der Gelenkrheuma¬
tismus gehört demnach zu den fieberhaften Infections-
h r ankheiten.
Da der acute Gelenkrheumatismus jedenfalls keine contagiöse Krankheit ist,
-was selbstredend schon längst die Aufmerksamkeit auf den infectiösen Charakter
der Krankheit gelenkt haben müsste, so müssen wir eben unter den Erhebungen
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III. Dr. Conrad.
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der Actiologic, in den klinischen Symptomen und der pathologischen Anatomie
nach Gründen suchen, welche eine solche Anschauung wahrscheinlich machen.
(Schluss folgt.)
V ereinsberichte.
Medicinisch-pharmaceutischer Bezirksverein des bern. Mittellandes.
Nachtrag aus dem Jahre 1877. Ausser den schon in Nr. 6 und 8 des Corr.-Bl.
publicirten sind noch folgende Vorträge gehalten worden:
(Schluss.)
III. Dr. Conrad. Zur Therapie des Pruritus Vulvae et Vaginae.
Der Vortragende bespricht zuerst die verschiedenen, manchmal negativ ausfallen¬
den örtlichen Befunde dieses manchmal äusserst hartnäckigen und schweren Lei¬
dens, das er viel verbreiteter fand, als man häufig annimmt, weil die Patientinnen
oft ein gewisses Schamgefühl abhält, das Leiden ohne specielle Anfrage anzu¬
geben. Unter den zahlreichen dagegen empfohlenen Mitteln hat er besonders die
Carbolsäure wirksam gefunden, nur möchte er die Indication für deren Anwendung
genauer präcisiren, als dies bis dahin geschehen und dadurch den Widerspruch zu
erklären suchen, welcher über deren Werth besteht, denn während Schröder die¬
selbe als die einzig zuverlässige erklärt und sagt, dass wer die Carbolsäure einmal
versucht habe, wohl nie zu den anderweitig empfohlenen Mitteln zurückkehren
werde, hält sie Scanzoni für sehr wenig verlässlich; Conrad hat nun während län¬
gerer Zeit in den Pruritusfällen , welche er behandelte, die Secrete der Vulva,
Vagina und die dabei auf diesen Theilen manchmal vorkommenden mehr oder
weniger festhaftenden, weisslichen punct- bis stecknadelkopfgrossen Beläge micro-
scopisch mit den nöthigen Cautelen untersucht und gefunden, dass die Carbolsäure
hauptsächlich in denjenigen Fällen sich wirksam zoigte, in welchen die von Haus¬
mann genau beschriebenen Pilzformen des Lepthotrix, des Oidium albicans, Vibrio¬
nen und Bacterien in grösserer Zahl sich vorfanden (den Trichomonas vag fand
er im ganzen selten), während die übrigen empfohlenen Mittel gar nicht oder nur
vorübergehend wirkten: die bei Mycosis von Hausmann empfohlenen Cupr. sulf.-
Einspritzungen verursachten in der von ihm angegebenen Concentration, ja auch
in bedeutend verdünnten Lösungen oft heftiges Brennen, ja in einigen Fällen ent¬
stund die Mycosis gerade während aus anderen Gründen Cupr. sulf.-Ausspritzun-
gen angeordnet worden waren. Wo Mycosis als Ursache des Pruritus nicht vor¬
handen ist, fand der Vortragende die energische Anwendung der Kälte in Form
von Kaltwasser oder Eiscompressen am wirksamsten; so einfach das Mittel ist,
so findet man es doch in den meisten gegenwärtig verbreiteten Handbüchern nicht
angeführt, und cs werden oft alle die empfohlenen Mittel umsonst angewendet,
bevor man an dieses eigentlich auf der Hand liegende denkt.
Es wäre demnach bei der Behandlung des Pruritus Vulvse et Vaginm zur prä-
ciseren Wahl des anzuwendenden Mittels eine genaue Untersuchung der Secrete
und Auflagerungen der Genitalien vorauszuschicken, ja es kann von dieser Unter¬
suchung der Erfolg der Therapie abhängen, wie der Vortragende durch casuistischc
Beispiele illustrirt.
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IV. Prof. Dr. Demme. Zur hereditären Knochensyphilis der Kin¬
der. Deinme hat bereits vor etwa 6 Jahren dem medic. Bezirksverein ein Präpa¬
rat von hereditärer Lues, resp. Periostitis syphilit. des Schädels vorgclegt. Es
bandelte sich damals um eine congenitale syphilitische Periostitis des linken Stirn-
und Schädelbeines, welche bei dem 13 Wochen alten Mädchen zu einer Necrose
der betreffenden Abschnitte des Schädeldaches mit consecutiver Fortpflanzung der
entzündlichen Erscheinungen auf den Schädelinhalt und tödtlichem Ausgange durch
iPachyraeningitis geführt hatte. In einer späteren Sitzung desselben Vereins theilte
der Vortragende eine Reihe von Fällen von Periostitis multiplex, mit Localisation
auf die Schädel- und verschiedene Extremitätenknochen (Femur, Clavicula, Ster¬
num, Metacarpal-Knochen) mit, bei welchen, mit Rücksicht auf noch bestehende
TJeberrestc von unzweifelhaft syphilitischen Hautefflorescenzen (bullösen Syphi¬
liden) er sich entschieden ebenfalls den eine specifische Ursache der periostealen
Affection, um eine hereditäre syphilitische Periostitis handelte. Diese Fälle finden
sich zum Theil in den betreffenden Jahresberichten des Jenner'ßchen Kinderspitales
erwähnt.
Heute weist der Vortragende den Schädel eines 3jährigen Knaben, J. M, vor,
der vom 30. August 1876 bis 3. April 1877 im berner Kinderspitale verpflegt wor¬
den war. Der Knabe stammt von kränklichen Eltern, Landarbeitern. Bei dem
Vater lassen sich im Halse die Spuren früherer specifischer Ulcerationsprocesse
nachweisen. Die Mutter scheint frei von Lues-Residuen. Der Knabe wurde ge¬
sund geboren, entwickelte sich jedoch bei künstlicher Ernährung nur langsam, blieb
stets schwächlich, zu Catarrhen des Respirations- und Digestionstractus geneigt.
O egen Ende seines 3. Lebensjahres bemerkten die Eltern am Schädel des Knaben,
namentlich auf beiden Scheitelbeinen, mehrfache beim Drucke sehr schmerzhafte,
Haselnuss- bis pfirsichkerngrosse Auftreibungen. Der Knabe fieberte dabei des
Abends, zeigte vollständigen Verlust des Appetites und wurde deshalb von den
J£ltem dem Kinderspitale zugeführt. Bei der ersten Spitaluntersuchung liessen
sich bei dem Patienten sehr spärliche, aber unzweifelhafte Reste einer Psoriasis
plantaris nachweisen. Am behaarten Schädel fanden sich, auf dem linken Schädel-
toeine 3, auf dem rechten 2 der erwähnten Knochenauftreibungen. Sie fühlten sich
gleichsam wie mässig derbe, von traumatischer Läsion des Schädels bedingte, sub-
uponeurotische Blutergüsse, wie ältere Beulen von der Grösse eines flachgedrück¬
ten Pfirsichkernes an.
Patient hatte während der ersten Zeit seines Spitalaufenthaltes meist constant
^tbendliche Temperaturerhebungen bis zu 39,5 und 40,2° mit morgendlichen Re-
ioiösionen bis auf 38,5 und 38,0° C.
Beim Einschnitt in die grösste dieser Auftreibungen entleerte sich eine trübe,
gallertartige, in der Consistenz der Synovia ähnliche Flüssigkeit. Ihre festeren
gelatinösen Massen liessen sich bei microscopischer Untersuchung wesentlich als
embryonales Bindegewebe erkennen. Das Pericranium erschien dadurch in grös¬
serer Ausdehnung vom Cranium gleichsam abgehoben; das Cranium war für das
J±.age und die untersuchende Sonde von einer feinen Schichte lockerer, leicht blu¬
tender Granulationen bedeckt Bei der einige Wochen später vorgenommenen
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Eröffnung der übrigen beulenartigen Auftreibungen entleerte sich ein dünnflüssi¬
ger, an festen Elementen armer Eiter.
Vom Tage der Aufnahme des Knaben in das Kinderspital (30. August 1876)
bis zum Ende des Jahres 1876 blieb sein Befinden wesentlich gleich. Während
mehrerer Wochen schien eine vollständige Abheilung des Processes stattzufinden,
granulirten die betreffenden Incisionsöffnungen und hob sich auch das Allgemein¬
befinden. Dann traten ohne bestimmbare Veranlassung neue Schädelauftreibungen
ganz wie in früherer Weise auf und machten die gleiche Entwicklung wie die
erstgenannten durch.
Die Therapie hatte anfänglich in einer methodischen Schmiercur, später in
der Darreichung selbst grösserer Gaben Jodkalium , dann von Jodeisen be¬
standen.
Mit dem Beginn des Jahres 1877 machte sich ein rascher Verfall der Consti¬
tution des Knaben geltend. An die Stelle der früheren beulenartigcn Auftreibun¬
gen des Schädels traten deutlich wahrnehmbare Einsenkungen desselben. Ausser¬
dem stellte sich häufiges Erbrechen, zeitweise Diarrhoe ein.
Am 2. März stellte sich bei der Morgenvisite eine sehr deutlich fluctuirende,
bei genauer Untersuchung stark pulsirende Stelle, auf dem linken Schädelbeine,
nahe der sut. sagittalis, von der Grösse eines Zweifrankenstückes dar. Eine In-
cision wurde der heftigen Pulsation wegen nicht gewagt. In der Folge stellte sich
unstillbares Erbrechen, anhaltende abendliche Temperatursteigerung, schliesslich
Sopor und Koma, keine Lähmungs- oder Contractionserscheinung ein. Am 4. April
erfolgte unter stetem Sinken der Kräfte der Tod.
Bei der Autopsie fanden sich auf beiden Scheitelbeinen, angrenzend auch auf
den Stirnbeinen, zum Theil in Verheilung begriffene Ulcera cranii et pericranii.
Die Dura mater mit dem Schädeldache eng verwachsen. Entsprechend der Ulcera
erschien der Schädel rarefacirt mit angrenzender stalaktitenartiger Knochenneu¬
bildung. An der Stelle der im Leben nachweisbar hauptsächlich rarefacirten Ul-
cerationsstelle des linken Scheitelbeines fanden sich die Hirnhäute, Dura und
Arachnoidea eitrig infiltrirt. Im linken Stirnlappen, etwa 2 cm. von der Rinden¬
schicht nach Innen bestand eine erbsengrosse, mit dickem grünem Eiter gefüllte
Abscesshöhle; ebenso im linken Seitenlappen des Grosshirnes ein mit dem vorigen
Eiterheerde nicht communicirender wallnussgrosser Abscess. Die Seitenventrikel
waren mit grünlichem flockigem Serum gefüllt, das Ependyma verdickt. Die Sec-
tion der übrigen Organe ergab einen negativen Befund.
Es handelt sich in diesem Falle um eine Pachymeningitis und Meningitis sup-
purat. cerebralis mit multiplen Hirnabscessen. Als Ursache derselben muss der
Ulcerationsprocess des Schädels angeschuldigt werden.
Für das Specifische der vorliegenden Affection spricht
1. das ätiologische Moment der Constitutionellen Syphilis des Vaters,
2. die Psoriasis plantaris des Knaben,
3. die eigenthümlicho Beschaffenheit der vorliegenden Knochenauftreibungen,
ihre Genese und weitere Entwicklung, die Depression und Usur der in Abheilung
begriffenen erkrankten Stellen.
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Der vorliegende Fall ist, soweit er die Erkrankung des Schädels und seiner
I)ecken betrifft, als gummöse Periostitis cranii zu bezeichnen.
V. l)r. //. Weber stellt zwei Patienten vor, welche mit seltenen, anderswo aus¬
führlicher zu beschreibenden, Hautaffectionen behaftet sind, und zwar
I. Aus der Abtheilung des Herrn Prof. Kocher einen Fall von Sclerodor-
iii i e, der als Elephantiasis zugesandt worden und in der That viele Erscheinun¬
gen darbietet, welche beim ersten Anblick diese Diagnose zu rechtfertigen
scheinen.
Johann Fulirimann, 27 Jahre alt, von Roggwyl, Ct. Bern, Handlanger, zeigt
an der Nase und ganz symmetrisch an der Streckseite des Ellbogen- und Knie¬
gelenks in ziemlich beschränktem Grade, ausgedehnter und viel hochgradiger an
J landen und Füssen — ebenfalls besonders an den Streckseiten — eine Hyper¬
trophie der betreffenden Gewebstheile mit dunkelblaurother, meist ziemlich diffus
tlie Umgebung übergehender Verfärbung der Haut. Diese selbst ist an einzel-
ln
nen Stellen mehr oder weniger hypertrophirt, an andern aber eher atrophisch, glatt,
glänzend, mit ihrer verdickten Unterlage verlöthet, ja sogar am linken Handrücken
-s.w einer mehrere Cm. langen streifenförmigen Narbe eingezogen. Die infiltrirten
Gewebe sind auf Druck schmerzhaft; ihre Starrheit beeinträchtigt die Beweglich¬
keit namentlich der Finger, von denen die meisten selbst mit Anwendung von Ge¬
willt nicht vollständig eingezogen, einzelne hingegen gar nicht ausgestreckt werden
können.
Eine einfache, streifenförmige Papillarhypertrophie der Haut ohne jedwede
Veränderung der tieferen Gewebstheile zeigt Penis und Scrotum , und ein weiss-
rotli marmorirtes, durch oberflächliche Telangiectasien bedingtes Aussehen die
innenilüche beider Oberschenkel.
Die Erkrankung soll vor zehn Jahren begonnen haben, nachdem Patient durch
p'all auf die Iland sich eine Luxation des linken Mittelfingers zugezogen. Gleich
n acli diesem Trauma sei am ganzen Mittelfinger eine starke Schwellung aufgetre¬
ten-» die seither ziemlich unverändert, ebenso wie die Derbheit, Druckempfindlich¬
keit und Verfärbung, geblieben sei. Fernere Angaben lauten:
„Vier bis fünf Woeben später, plötzlich, ohne bestimmte Ursache, Anschwel¬
lung der linken Hand in der jetzt noch bestehenden Ausdehnung; ungefähr einen
IVlonat nachher Auftreten der Affection an der Streckseite des Ellbogengelenks
,-oc*bts, Bestehen derselben während eines Jahres, nachherige spontane, langsame
Involution bis auf den noch sichtbaren Rest über dem Olecranon. Im Winter
-j 370/71 Schwellung am linken Knie, in der ganzen Circumferenz desselben, und
/%v a r gerade so derb und fest, wie gegenwärtig am Fussrücken, zunehmend in der
I^iiltc? abnehmend in der Wärme, ebenso abnehmend an Umfang und Schmerz*
hilf tigkeit „ach häufigen Bewegungen, indessen stets ziemlich starkes Hinken ver-
... i v, .__ \ t : __ 17 _i_rnAU«n»;nn Kio auf aint» kleine
hissend. Nach einem Vierteljahr Verschwinden der Infiltration bis auf eine kleine
Stell© über der J atella. Im Sommer 1871 rechter Fuss, im Winter 1871/72 rechte
Gand ergriffen.“
Ausser den erwähnten Krankheitserscheinungen bietet Patient eine multiple
\ > r üsenSchwellung dar, über deren Entstehen er nichts anzugeben weiss: dieDrü-
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wohnlich der Fall ist.
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623
sen sind auffallend derb und etwas mehr vergrössert, als es z. B. bei Syphilis ge¬
wöhnlich der Fall ist. An Erysipel will er nie gelitten haben.
Obschon die Affection an einzelnen Stellen, namentlich den Geschlechtstlieilen,
als einfache Hauthypertrophie sich manifestirt, obschon nach Otto Weber die Lymph-
drüsenschwellung ein charakteristisches Merkmal zur Unterscheidung der in man¬
cher Beziehung verwandten Processe der Sclerodermie und Elephantiasis abgeben
soll, und letzterer ausschliesslich zukomme, ist nichtsdestoweniger nach der An¬
sicht des Vortragenden der vorgestellte Fall als Sclerodermie aufzufassen aus fol¬
genden Gründen:
1. weil der Process zwar mit Hypertrophie beginnt, aber sichtlich an einzelnen
Stellen theils mit Atrophie und Schrumpfung endigt, theils spontan sich zurück¬
bilden kann, ohne irgend eine Spur krankhafter Veränderung zurückzulassen;
2. weil derselbe im Anfang durch traumatische Veranlassung, später ohne
solche, jeweilen acut, innerhalb weniger Tage zu vollem Umfang sich ent¬
wickelt hat;
3. weil an manchen Stellen mehr die unter der Haut liegenden Gewebe als
diese selbst betroffen erscheinen ;
4. wegen der ziemlich erheblichen Schmerzhaftigkeit, welche sich an den er¬
griffenen Theilen geltend macht sowohl bei Bewegungen nach längerer Ruhe als
bei Anwendung von äusserem Drucke
Dr. Weber macht schliesslich noch darauf aufmerksam, dass der Druck weitaus
am empfindlichsten ist auf wenigen linsengrossen, halbkugelig hervorgewölbten
Stellen an der Rückseite einzelner Finger.
Er hat nämlich diese seines Wissens nirgends beschriebenen Knötchenbildun¬
gen auch in einem anderen Falle von Sclerodermie, welchen er zu beobachten Ge¬
legenheit hatte, vorgefunden. Es betraf derselbe ein Frauenzimmer von ungefähr
40 Jahren, und beschränkte sich die Erkrankung auf beide Hände, deren Haut
Jahre lang beständig auffallend kühl, blauroth verfärbt war, später, am meisten an
den Fingerspitzen, weiss, glatt, sammt den subcutanen Geweben atrophisch wurde
in dem Maasse, dass es schliesslich zur Necrose zweier peripherer Phalangen kam.
Einzelne der in diesem Fallo ebenso an der Streckseite der Finger vorhandenen
äusserst schmerzhaften Knötchen bargen kleine Concremente von kohlensaurem
Kalk, welche die irrige Ansicht veranlassten, es handle ßich um eine eigenthüm-
liche Form von Gicht.
Dr. Weber demonstrirt
II. einen Fall, der schon bei vielen Collegen grosse Verwunderung erregt hat
und in der That gleich beim ersten Anblick als höchst eigenthümlich auffällt, in¬
dem die in weiter Ausdehnung erkrankte Haut sowohl durch sehr intensive Fär¬
bung, als durch scharfe Begrenzung von der gesunden sich abhebt Es betrifft
eine 45 Jahre alte Frau Robert aus Locle.
Am meisten und ausgedehntesten ist die allgemeine Decke ergriffen am Bauch,
unterer Rückenhälfte, den untern Extremitäten, den Vorderarmen und Händen;
während dieselbe an den Oberarmen vollständig frei, an Gesicht, Brust, oberer
Rückenhälfte, über dem Kniegelenk und an den Füssen nur an einzelnen Stellen
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verändert erscheint. Die kranken Partien erheben sich mehr oder weniger beträcht¬
lich über die gesunden und sind von denselben durch einen sehr scharfen, dunkel-
rothen, hie und da carminroth umsäumten Infiltrationswall abgegrenzt, welcher
meist deutlich aus kleinen Bogenlinien zusammengesetzt die Entwicklung der aus¬
gedehnten Infiltrate durch Confluenz einzelner runder Efflorescenzen deutlich er¬
kennen lässt. Uebrigens finden sich diese kreisrunden Elementarefflorescenzen am
deutlichsten an Hals, Nacken und Steiss, von Füufrappen-, Einfranken- bis Fünf¬
frankenstückgrösse, tlieils einzeln, theils zu Achter-Touren combinirt, vollständig dem
Bilde entsprechend, das von Kaposi als Syphilis cutanea o rb icularis*)
beschrieben und abgebildet worden ist. Diese dunkelbraunrothen Scheiben zeich¬
nen sich vor allen audern ergriffenen Theilen durch ihre intensive Färbung aus;
fast ebenso intensiv gefärbt, aber rein dunkelbraun, ist das diffuse Infiltrat an
Bauch, Rücken und Oberschenkel, viel weniger dunkelbraun am Unterschenkel,
wo vor ungefähr 10 Jahren die Erkrankung begonnen haben soll und nun schon
durch theilweisen Schwund des Pigmentes das Involutionsstadium repräsentirt ist.
Eigentümlich, hellblauroth, erscheinen die verhältnissmässig recenten Infiltrate am
Gesicht und an den Füssen.
Die erheblich verdickten Stellen sind auf Druck auffallend schmerzhaft. Das
Ausserordentliche dieses Falles bestellt darin, dass der pathologische Process nach
der Production von einfranken- bis höchstens fünffrankengrossen Scheiben hier
nicht wie gewöhnlich stille steht, sondern theils durch noch grössere periphere
Ausdehnung der einzelnen, theils durch Zusammenfliesscn von mehreren (gerade
wie die Psoriasis vulgaris) diffuse Infiltrate hervorbringt. Merkwürdiger aber noch
als diese Entwicklung nach der Peripherie ist an einzelnen zerstreuten Stellen die
Erhebung des infiltrirten Gewebes zu erbsen- bis haselnussgrossen, blaurothen,
derben, auf Druck sehr schmerzhaften, halbkugeligen Prominenzen, welche ange¬
schnitten reines Blut entleeren, nach spontanor Involution eine kleine sternförmige
PJarbe und schliesslich um dieselbe einen von der dunkleren Umgebung heller
braun sich abhebenden Fleck zu hinterlassen scheinen; so dass Stellen, an denen
eine Anzahl solcher Knoten bestanden haben, weissbraun marmorirt ausschen.
Es spricht für die syphilitische Natur dieser Hautkrankheit 1) vorzugsweise
die Beschaffenheit der Elementarefflorescenzen, 2) die Anamnese in sofern, als die¬
selbe zwei Jahre nach der zweiten Verheirathung der Patientin aufgetreten sein
soll, nachdem sie eben zum zweiten Male ein Kind geboren, das kurz nach der
Geburt starb, 3) der zwar sehr beschränkte Erfolg der antisyphilitischen Behand¬
lung* Nachdem nämlich Sublimatbäder während drei Wochen ohne alle wahr-
n ehmbare Wirkung geblieben, wurden Gesicht, Brust und Vorderarme mit Em-
plastrum Hydrargyri bedeckt. Zwei Nächte und ein Tag dieser einfachen Appli¬
cation genügten, obschon keine epidermislosen Stellen vorhanden waren, die Symp¬
tome einer intensiven Quecksilbervergiftung hervorzurufen, Diarrhceen, uleerose
Stomatitis u. s. w. Die mit dem Pflaster bedeckt gewesenen Stellen erscheinen
*) Bei Anlass einer Vorstellung eines Leprafalles im Sommer 1878 sprach Dr.
n ung aus, dass auch dieser Fall nicht als Syphilis, sondern als Lepra ansusehen sei. (Viele «n
der Sitzung vom 28. Mai 1878.)
non, nachdem Patientin
curialintoxication völlig
geworden.
VL Prof. Dr. Kocher
men vor.
Der erste betrifft e
Eigner als Lymphangion
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min, nachdem Patientin in etwa vierzehn Tagen von den üblen Folgen der Mer-
curialintoxication völlig sich erholt hat, viel blässer und sind weniger schmerzhaft
geworden.
VI. Prof. Dr. Kocher stellt 3 Fälle von congenitalen Lymphangio¬
men vor.
Der erste betrifft ein Hygroma colli congenitum, also die von
Wagner als Lymphangioma cystoi’des bezeichnete Form. Dasselbe reichte im Früh¬
jahr bei dem */« Jahr alten Kinde vom Ohr bis zur Schulter. Jetzt ist es auf •/*
seiner Grösse reducirt in Folge der aus der Langenbeck' sehen Klinik (Trendelenburg)
empfohlenen Behandlung, nämlich öfters wiederholte Jodinjectionen. Es sind etwa
10 solche gemacht, alle 8—10 Tage. Der Erfolg war Vereiterung in Cysten mit
hohem Fieber, aber vollständige Rückbildung derselben nach einfacher Punction.
In der Langenbeck' sehen Klinik sind auf diese Weise 4 Heilungen erzielt worden.
Hier haben sich ebenfalls die Cysten zurückgebildet, es bleibt nur noch eine feste
exstirpirbare Masse.
Der zweite Fall stellt eine 2 Fäuste grosse Geschwulst von der G e -
sässgegend vor, ist nicht cystoi'd, ganz von der Consistenz und Form einer
Fettgeschwulst, interessant durch die Combination mit einem subcutanen Hsemat-
angiom. Hier ist die Excision in Aussicht genommen.
Der dritte Fall ist eine Elephantiasis cruris mollis des linken
Beines. Diese Form wird auch als Lymphangioma cavernosum, seu simplex be¬
zeichnet. Der Fall wurde mit keilförmiger Excision der.Haut behandelt. Der Er¬
folg ist kein glänzender. Es wird eino subcutane Ausschälung der Geschwulst in
Aussicht genommen. Die Erkrankung beruht besonders auf einer Ectasie der
Lymphcapillaren, welche allerdings klinisch nicht nachweisbar ist. Die Untersu¬
chung des excidirten Stücks durch Prof. Langhans ergab ganz ähnliche Verhält¬
nisse wie bei der Macroglossie, d. h. Ectasie der Lymphcapillaren. Durch Silber¬
behandlung lässt sich an der Innenwand der Hohlräume das Endothel nachweisen.
Ueber die Actiologie der Lymphangiome im Allgemeinen weiss man nichts. Ein
oinziger Fall von Virchow liess sich auf Verschluss des Ductus thoracicus zurück¬
führen.
2. Prof. Kocher berichtet über eine Nephrotomie wegen Nierensarcom.
Die Geschwulst hatte sich bei dem 2'/» Jahre alten Kinde wahrscheinlich von Ge¬
burt an entwickelt. Es konnte nur eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose gestellt wer¬
den. Die Operation ergab nicht nur, dass die Nephrotomie selbst bei colossalem
Nierensarcom mit Erfolg und ohne viel grössere Schwierigkeit als eine complicir-
tere Ovariotomie ausführbar ist, sondern die Section zeigte, dass eine Radicalhei-
lung möglich gewesen wäre.
Die Untersuchung durch Prof, Langhaus ergab ein Myosarcom. Der Tod er¬
folgte an Peritonitis in Folge verfehlter Antisepsis und nicht an Uraemie.
Wie bekannt hat Simon die Nephrotomie zuerst gemacht und gezeigt, dass man
auch eine gesunde Niere ohne Schaden exstirpiren kann.
Bei einer Frau, bei welcher er schon früher eine glückliche Ovariotomie ge¬
macht hat, hatte sich in Folge einer Verletzung des Ureters eine Harnleiter-Fistel
40
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C26
gebildet, zu deren Heilung Simon die sonst gesunde Niere mit Erfolg exstirpirte.
In kurzer Zeit, etwa 20 Tagen, nach seiner Angabe, macht sich eine Hypertrophie
der andern Niere.
Die Nephrotomie ist bis jetzt 16 Mal ausgeführt worden, worunter G Heilun¬
gen. Die geheilten Fälle betreffen mehr zufällige Nephrotomien, wo Verwechslung
mit andern Geschwülsten, meist Ovarialcysten, stattgefunden hatte.
Simon brauchte bei seinen Operationen den Lendenschnitt. Hier musste der
Bauchschnitt gemacht werden, wie bei der Ovariotomie. Die prolnbirten Därme
mussten in einem Flanelltuch cingewickelt werden. Dasselbe, nicht gehörig des-
inficirt, hat wahrscheinlich die eingetretene septische Peritonitis verursacht.
Bei diesen Fällen von Nierencarcinom, resp. -Sarcom ist um so mehr an die
Operation zu denken, als dasselbe gewöhnlich selten Metastase macht; auch sind
diese Tumoren meistens beweglich. Leider ist aber das Sarcoin in 10% der Fälle
doppelseitig.
Bei beweglichen Nieren , wo die Beschwerden sich in gewöhnlicher Weise
nicht heben lassen, könnte auch die Nephrotomie indicirt werden.
3. Prof. Kocher berichtet zuletzt über eine Hysterotomie mit glücklichem
Ausgang bei Fibroid des Uterus. (Vgl. die Beschreibung im Deccmberheft 1877
dc5S Corr.-Bl. f. Schweizerärzte )
In der letzten Jahressitzung fand eine Besprechung über Einführung einer
Morbiditätsstatistik contagiöser Krankheiten statt. Auf Antrag des Ilrn. Dr. Wyilcn-
bach , Präsident des Sanitätscollcgiums, wurde beschlossen, Anmeldungsformulare
nach der Art der basier Formulare drucken zu lassen. Seit 1. Januar 1878 wur¬
den auf diese Weise die in der Stadt vorkommenden Fälle contagiöser Krankhei¬
ten dem Tit. Präsidenten der städtischen Sanitätscommission gemeldet und wö¬
chentlich von letzterer das Resultat im Intelligenzblatt in Kurzem publicirt.
Referate imd Kritiken.
Der Alcoholismus.
Seine Verbreitung und seine Wirkung auf den individuellen und socialen Organismus,
sowie die Mittel, ihn zu bekämpfen. Von Dr. A. Bipr, Oberarzt am Strafgcfängnissc bei
Berlin. Berlin, Ilirschwald, 1878. (622 S.)
Jeder Mensch, der beobachten und denken gelernt hat, wird mit dem Verfasser oben
angeführten Buches iibercinstimmen müssen, dass die Frage des Alcoholgcnusses eine der
brennendsten der gegenwärtigen Tagesfragen nach den verschiedensten Beziehungen ist.
Sic erhält ihre ausscrgewöhnlichc Bedeutung und Wichtigkeit vor Allem durch die Wir¬
kungen, die der andauernde Alcoholgenuss auf den menschlichen Organismus ausübt.
Nach diesen mannigfaltigen Wirkungen, die man unter „Alcoholismus“ zusamnirn-
fasst, hat diese Frage ebenso sehr eine sanitarische als moralische, eine anthropologische
als fiuanciell-öconomische Bedeutung, ja sic wird dadurch zweifellos zu einer der wich-
tigsten Culturfragen der menschlichen Gesellschaft.
Ein Buch nun, das diese Frage nach allen ihren practischcn Beziehungen erschöpfend
jju behandeln verspricht, muss daher in hohem Maaase das Interesse zahlreicher Berufs-
c lassen erregen. Es verdient in gleicher Weise die Aufmerksamkeit des Arztes wie des
Erziehers und Geistlichen, des Richters wie des Verwaltuugsbcamten , kurz aller Jener,
die sich mit dem individuellen Wohlsein des Menschen und der allgemeinen Wohlfahrt
der menschlichen Gesellschaft ?ii beschäftigen haben. Dass die Frage auch für Basel
die gleiche Wichtigkeit besitzt, lehren die alljährlichen Berichte unserer richterlichen und
j^olizeibohörden, wie unseror Spitalabtheilungen drastisch genug. Und welch eine unend¬
liche Menge von Jammer
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liehe Menge von Jammer und Noth , Sorgen und Kummer, Elend und Verderben spielt
erst im Verborgenen sein Dasein ab, von dem ein grosser Theil der Menschheit gar keine
Ahnung hatl
Der Verfasser behandelt denn auch seinen Gegenstand mit jenem Ernste und jener
Wärme, die seiner Aufgabe entsprechen. Die Einleitung in den Gegenstand besteht aus
einer kurzen Darstellung aller jener Sätze, deren eingehende Behandlung sich der Ver¬
fasser in seinem Buche zur Aufgabe gemacht hat.
Er theilt dann seinen Gegenstand in 3 Theile, von denen der 1. die Erfindung, Vor¬
kommen, Eigenschaften des Alcohols, seine physiologischen und pathologischen Wirkun¬
gen auf den Organismus im Allgemeinen und die speciell durch seinen Einfluss hervor¬
gerufenen Organerkrankungen behandelt.
Sodann wird der Alcohol geschildert in seiner Bedeutung als Nahrungsstoff, als Ge-
nussmittel und als Heilmittel.
Wir erfahren, dass der Gebrauch des Alcohols und auch sein Missbrauch so alt ist,
wie die Geschichte der Menschheit. In Betreff seiner Wirkungsweise stellt sich V. ent¬
schieden auf die Seite Jener, die im Gegensätze zu Moleschott dem Alcohol jede Bedeu¬
tung als Nahrungsmittel absprechen, ihn als Genussmittel gelten lassen , dessen Nutzen
aber viel geringer ist als sein Schaden. Er ist nicht nur entbehrlich, sondern Diejenigen,
die ihn entbehren, sind in allen Beziehungen ihres leiblichen und geistigen Wohls viel
besser daran, als die, die ihn gemessen. Dagegen um so entschiedener betont er seine
Bedeutung als Heilmittel und als gelegentliches Stimulans bei aussergewöhnlichen Anfor¬
derungen an die Leistungsfähigkeit unseres Organismus.
Die grösste Gefahr des Alcoholgebrauchs liegt darin, dass durch ihn die Gefühle des
Hungers, der Ermüdung, also die instinctiven Aeusserungen unseres Organismus vor dro¬
hender Erschöpfung abgeschwächt, ja schliesslich vernichtet werden.
Bei Besprechung der Gebrauchsarten des Alcohols als Schnaps, Bier, Wein, erfahren
wir die zahlreichen Verfälschungen dieser Getränke , und macht V. wiederholt auf die
immer noch nicht hinlänglich gewürdigte Bedeutung derselben in sanitätspolizeilicher Be¬
ziehung aufmerksam.
V. kommt dahin, dass Schnaps als Genussmittel unter allen Umständen verwerflich
ist, dass der Genuss massiger Quantitäten Bier am wenigsten schade; da der Alcohol-
genuss nicht ausrottbar ist, die Ermöglichung des Biergenusses in der Form eines gesun¬
den und billigen Getränks eine dankbare Aufgabe der Behörden ist.
Im 2. Theile findet der Alcoholconsum zu den verschiedenen Zeiten und bei den
verschiedenen Völkern und sein Einfluss auf den socialen Organismus seine Behandlung.
Wir sehen einen bestimmten Zusammenhang zwischen Alcoholconsum und Klima.
Es wird ebenso eingehend dieser Einfluss auf das physische Leben des Menschen
in Bezug auf Degenerirung der Race, der Morbidität wie der Mortalität und durchschnitt¬
lichen Lebensdauer Einzelner wie ganzer Stände, als auch auf Wohlhabenheit und Sitt¬
lichkeit des Volkes geschildert*
Es wird überzeugend dargethan, wie sehr übermässiger Alcoholgenuss den Organis¬
mus untergräbt und den körperlichen und geistigen Ruin eines Menschen herbeiführt, wie
sehr er zu schweren Erkrankungen disponirt und für alle möglichen Krankheiten eine
verschlimmernde Complication abgibt und dadurch auf mannigfaltige Weise vor- und früh¬
zeitigen Tod herbeiführt.
Wir lernen neben den directen Wirkungen des Alcohols auf den Trinker selbst auch
die schlimmen Folgen für seine Nachkommenschaft kennen.
Da Alcoholmissbrauch, also Trunksucht, gegenwärtig eine Art endemischer Volks¬
krankheit von ungeheurer Verbreitung ist, so darf es uns nicht wundern . wenn wir an
ganzen Völkern seine deletären Wirkungen nachgewiesen finden.
Nicht weniger aber lernen wir im Alcohol eine der wichtigsten Quellen des Pauperis¬
mus, der Unsittlichkeit, Unwissenheit, der Vergehen und der Verbrechen kennen.
Alle diese Schilderungen sind begleitet von einer reichlichen Fülle veranschaulichen¬
den statistischen Materiales.
Im 3. Theile endlich werden die einzelnen Mittel zur Bekämpfung des Alcohols und
ihre bisherigen Erfolge angegeben. Wir lernen zuerst die aus den Vereinigten Staaten
stammenden Mässigkeitsvereine und ihre Verbreitung genau kennen. Wir erfahren so-
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oogle
dann die von Seiten der Staatsgewalt ins Leben gerufenen gesetzlichen Präventiv- und
Repressivgesetzc gegen die Trunksucht.
Auch hierin gingen die Vereinigten Staaten der alten Welt voran, ein Beweis ebenso
wohl dafür, dass dort die Trunksucht die grössten Verheerungen machte, als auch
dafür, dass die Behörden den besten Willen zeigten, diese Zustände möglichst zu ver¬
bessern.
Endlich werden uns die Mittel angegeben, mittelst deren die Trunksucht direct be¬
kämpft werden soll und kann. Nämlich Ersatz des Schnapses durch gesundes, billiges
Bier, leichte Weine, im Winter durch Caffee und Thee. Sorga für bessere Wohnung,
bessere Nahrung der Armen, der arbeitenden Bcvölkerungsclassen. Gute Schulung, Ver¬
mehrung des Wissens, Hebung der Sittlichkeit dieser Classen, strenge Durchführung der
M ässigkeit in der Armee, Belehrung des Volks über die üblen Folgen des Alcohols durch
die Schule, populäre Vorträge, Flugschriften, Kalender etc., Zusammenwirken Aller zu diesen
Zielen, das sind die Mittel, von denen ich auch mehr als von staatlichen gesetzlichen Ein¬
griffen, von unter pietistischein und mystischem Einflüsse stehenden Mässigkeitsvereincn
eine Mässigung der Trunksucht erwarte. Hier steht vor Allem den Vereinen für öffent¬
liche Gesundheitspflege, den Irrenhillfsvereinen, den Vereinen für entlassene Sträflinge und
ähnlichen Einrichtungen noch ein ungeheures Feld lohnender Thätigkeit offen.
Die rigorosesten Maassregeln sind da, wo die Trunksucht sich am in- und extensiv¬
sten geltend macht, in den Vereinigten Staaten.
Immeihin während wir auf der einen Seite die strengsten, die persönlichen Rechte,
Gewerbe- und Handelsfreiheit, brutal bei Seite setzenden Gesetze keunen lernen, die so
weit gehen, Trunkenbolde bis auf Jahresdauer einzusperren in eigons für sie errichtete
Trinkerasyle, bilden auf der auderu Seite wieder die auf diese Art von Genussmitteln
gelegten Abgaben und Steuern die hauptsächlichen städtischen und staatlichen Einnahme¬
quellen. Der Erfolg all’ dieser Gesetze, Verordnungen und Strafen ist denn auch gering
genug. Es scheint aus Allem hervorzugehen, dass trotz des laugen Kampfes gegen die
Trunksucht von allen Staaten in Schweden allein etwelche Abnahme dieses Lasters mit
einiger Sicherheit zu constatiren ist. Interessant ist zu erfahren, dass in dem Lande, das
in neuester Zeit von gewissen Seiten so gerne als der Culturträger und Vertreter des
Cbristenthums im Kampfe mit Barbarei und Heidenthum hiugestellt wird, iu Russlaud,
von Staats wegen die von Privaten versuchten Maassregeln gegen Trunksucht, zur Her¬
beiführung der Massigkeit, geradezu verhindert und verboten wurden, damit der Staat
keine Einnahmeabnahme an der Branntweinsteuer erleide, und wohl vor Allem die Unter-
thttuen nicht zum Bewusstsein ihrer Menschenwürde gelangen. Wenn ich noch beitilge.
dass am Schlüsse des Werkes ein paar 100 Anmerkungen zur weiteren Ausführung und
näheren Erläuterung des Textes sind, so wird mein Urtheil seine volle Berechtigung ha-
jjpu, dass in dem Buche ein ungeheuer reichhaltiger und interessanter Stoff enthalten ist.
Wenn auch nicht alle, sind doch die meisten der auf diesen Gegenstand sich beziehenden
Ernuiffdüngen und Thatsachcn darin enthalten.
Wenn ich an dem Buche etwas aussetzen soll, so ist es einmal der Urasfaud, dass
jyiir etwas zu viel statistische Angaben darin verwendet zu sein scheinen, und zwar des¬
halb zu viel, weil trotz all’ dieser Zahlenmassen dadurch nur wenig Klarheit und vo-
^Vllem keine Gewissheit hinsichtlich der meisten zu beweisenden Fragen entsteht, und dir
ve rgleichende Statistik so wenige Resultate daraus ziehen kann, dass sie nicht den auf-
se %vendeten Zahleumassen entsprechend scheinen. Sodann hätte ich eine eingehendere
Berücksichtigung und eine strengere Kritik der Symptome aus Alcoholmissbrauch ge*
So sind bei der grossartigen Anlago des Buches gerade die wichtigsten, die
cerebralen Symptome, nicht erschöpfend und kritisch genug behandelt. Es gilt dies in
gleicher Weise hinsichtlich der klinischen wie der pathologisch-anatomischen Verhältnisse.
30 ßudcu wir auch hier die schon so oft zurückgewiescne Behauptung Magnan s wieder
aU fgefUhrt, dass die epileptiformcn Störungen der Trinker nur von Absynth und nicht
von Alcohol verursacht werden. Ebenso gehören vorübergehende und dauernde, mehr
oder weniger verbreitete hemi- und paraplegische Symptome bei den Säufern nicht zu
den Seltenheiten.
Während Angaben über Zuckergehalt des Harns bei Trinkern ganz fehlen, ist das
■Vorkommen der Störungen der Sinnesthätigkeit nicht seiner Wichtigkeit entsprechend ein-
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629
gehend genug behandelt worden. Es dürfte sich auch kaum die Perienceph&litia als Folge
der Alcoholexcesse beweisen lassen.
Doch dies sind alles keine schwerwiegenden Einwände gegenüber den sonstigen
grossen Vorzügen des Buches, das ich daher nochmals all’ Jenen, denen es Beruf oder
Bedürfniss ist, für des Volkes geistige, sittliche oder materielle Wohlfahrt zu arbeiten,
dringend zum Studium empfehle. Die Regulirung der Frage des Alcoholgenusses ist
sicher zu einem guten Theile eine Lösung der brennenden socialen Frage überhaupt.
L. W.
Die meteorologischen Verhältnisse von Davos unter besonderer Berücksichtigung der
Feuchtigkeitsfrage.
Von Wilh. Steffen. Basel, Schweighauserische Verlagsbuchhandlung (Hugo Richter), 1878.
22 Seiten mit Tabellen.
Schon lange haben Aerzte und Publicum einer auf streng wissenschaftlicher Basis
ruhenden, allgemeineren Publication über Davos gerufen.
Der Verfasser iBt Beobachter der schweizerischen meteorologischen Station in Davos
und hat seine Mittheilungen auch in der schöaen und rationellen Weise, wie sie den
Publicationen seiner Gesellschaft eigentümlich ist, veröffentlicht. Rein medicinische
Schlüsse will er competenten Sachverständigen überlassen und fügt bei: „Jegliche ge¬
schäftliche Reclame für den Curort Davos ist selbstverständlich vollständig ausge¬
schlossen.“
Davos-Platz, 1562 Meter über dem Meere, zeigte 1874 eine Jahrestemperatur von
2,13° C., 1876 von 3,19 (1875 fällt aus, da der damalige Beobachter wegzog). Minima
— 29,3 und — 23,5 (Februar und Januar jener Jahre), Maxima -f- 24,3 und -f- 26,2
(Juli und August). Ursache der niedern Temperaturen ist ausser der Höhenlage nament¬
lich das klare Firmament, d. h. die Rückstrahlung während der sehr hellen Nächte. Dass
trotzdem in Davos bei relativ niedern Temperaturen Kranke im Freien sitzen können,
ohne zu frieren, erklärt der Verfasser durch die hohe Trockenheit der Luft (schlechte
Wärmeleitung) und die Insolationsverhältnisse. Die Sonnenstrahlen wirken mächtiger
wegen der Höhe, der trockenen Luft, der Windstille und der Reflexion der Sonnenstrah¬
len durch den Schnee. Wir verweisen auf die 8eite 8 mitgetheilte sehr instructive Pa¬
rallelbeobachtung der Lufttemperatur im Schatten und der Temperatur eines mit Klei-
dungsstoffen umhüllten Thermometers bei bewölktem und sonnigem Himmel. Bei einer
Lufttemperatur von — 6,4 bis — 11,6 zeigte das „angekleidete“ Thermometer von 10'/,
bis 3 Uhr in der Sonne 15,0—37,4® C., bei Bewölkung bei — 3,4 bis — 7,7 der Luft
dagegen nur 4,7 bis 11,6°C. Im Sommer sind 25—26° C. die höchsten Greuzen und wer¬
den bei der vermehrten Luftcirculation gut und angenehm ertragen.
Wesentlich ist noch die Feuchtigkeitsfrage. Bekanntlich wird in der Regel die re¬
lative Feuchtigkeit der Luft mitgetheilt, d. h. jener Grad von Sättigung der atmosphäri¬
schen Luft mit Feuchtigkeit (Wasserdampf), den die Luft unter den gegebenen
Verhältnissen zeigt Nun wechselt aber das Vermögen der Atmosphäre, Wasser¬
dampf suspendirt zu erhalten, ganz wesentlich je nach ihrem Wärmegrade. Zeigt z. B.
das Hygrometer am 1. December in Ajaccio und in Davos 86% Feuchtigkeit, so ist es
absolut unrichtig, zu sagen, Ajaccio und Davos hätten zu jener Zeit eine feuchte (oder
gar dieselbe feuchte Luft gehabt. Ajaccio wohl, aber Davos nicht, weil in Ajaccio damals die
Lufttemperatur vielleicht = -f- 15° C., in Davos dagegen = — 15° C. betrug und dadurch
an letzterm Orte der wirkliche, absolute Feuchtigkeitsgehalt der Luft ein geringer war, da
eben die kalte Luft fast keine Feuchtigkeit suspendirt erhalten kann und die obige Zahl
nur sagt, daes die davoser Luft damals allerdings 86% der bei — 15° Überhaupt möglichen
Feuchtigkeit enthielt.
Steffen schlägt nun vor, alle diese Hygrometerbeobachtungen auf die Temperatur des
menschlichen Blutes (37,0° C.), die überall gleich bleibt, umzurechnen und diese Zahlen
dann als die Basis für die vergleichende Scala des wirklichen Feuchtigkeitsgehaltes der
Luft gölten zu lassen und erhält dadurch folgende Eintheilung der klimatischen Winter-
curorte nach ihren auf 37° C. einheitlich berechneten Procenten relativer Feuchtigkeit:
Davos mit 7,1, Lugano 10,5 (hier fehlen dio Monate October, November und März),
Meran 11,2, Arco 11,5, Montreux 12,3, Cannes 13,9, Venedig 14,3, Pisa 15,1, Pau 15,4,
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630
Nizza 1Ö,6, San Remo 16,1, Alexandrien 17,2, Ajaccio 18,4, Catania 19,8, Palermo 20,4,
Cairo 21,4, Madeira 22,8, Mentone 22,9%, während Dr. Reimer die Scala ao reihte:
Alexandrien 69,0, Nizza 59,9, CanneB 62,2, San Remo 66,7, Cairo 69,7, Madeira 69,7,
IVferan 70,6, Mentone 70,7, Arco 72,2, Catania 72,8, Palermo 76,5, Ajaccio 76,0, Pisa
78,8, Lugano 77,6, Montreux 80,8, Pau 81,0, Venedig 81,0, Davos 83,8% 1! Die Zahlen
Reimer 's sind die reinen Hygrometerzahlen.
Die beiden Scalen, tale quäle neben einander gestellt, zeigen am besten, wie sehr
wir Steffen für seine rationelle Mitarbeit an dem exacten Studium der Klimatologie dank¬
bar sein müssen. Die trockenen Luftcurorte werden da nass und die feuchten trocken,
sehr trocken!
Und Steffen hat Recht, die Luft von Davos als trocken zu erklären; auch seine Me¬
thode der einheitlichen Berechnungsweise der Luftfeuchtigkeit halte ich für richtig.
Im Interesse der Kranken und in unserer Berufsehre liegt es, diese guten Bausteine
zu benützen, emsig und umsichtig weiter zu sammeln und auch den zur Zeit noch nur
als nothdürftig verschneite Bretterhütte dastehenden Flügel des weitläufigen Gebäudes
unserer Wissenschaft, die Climatologie, zu einem soliden und wohnlichen Hause umzu¬
hauen.
Frisch an’s Werk, Meister und Gesellen !
Ajaccio, Januar 1878. A. Baader.
Ueber das Verhältnis! der Microcephalie zum Atavismus.
'Vortrag in der zweiten allgemeinen Sitzung der 51. Versammlung deutscher Naturforscher
und Aerzte in Cassel von Prof. Chr. Aeby. Stuttgart, Verlag von Ferd. Enke, 1878.
8« (26).
Zu keiner Zeit noch hat eine wissenschaftliche Bewegung die Grenzen der engeren
Fachgelehrsamkeit mächtiger überfluthet, und ihre Wogen weiter hinausgetragen in alle
Schichten des Volkes, als die in den letzten Jahrzehnten durch die Descendenztbeorie be¬
wirkte. Sie hat es versucht, den alten, oft gedachten und oft ausgesprochenen Gedanken
-von dem verwandtschaftlichen Zusammenhang der lebenden Wesen durch neue That-
aachen zu stutzen und zu festigen, und es ist ihr gelungen, hiefür aus der Pflanzen- und
'Tbierwelt zahlreiche und unzweideutige Beweise beizubringen. Aber diese Thatsachen sind
das Endergebniss sorgfältiger und mühsamer Beobachtungen. An der Prüfung und Er-
ltlürung einer einzigen Erscheinung müssen oft Generationen arbeiten, bis sich der ge¬
ll ein* nissvolle Schleier lüftet, mit dem die Natur ihre Vorgänge den Sterblichen verhüllt
paß gilt auch von der grossen Frage über die Entstehung des Menschen aus thierischen
-yerfahren, und es ist hinlänglich bekannt, dass die Beobachtung hierüber noch zu keiuem
sichern Endergebniss gelangt ist. So haben sich z. B. die Uebergangsforraen vom Thier
zl txn Menschen noch immer nicht finden lassen, und eine andere Annahme, nach der die
■jVlicrocephalen lockend und vielverheissend für die Affenabstammung des Menschen in den
yordergrund gestellt wurden, hat sich als irrig erwiesen.
Aeby wendet sich in seiner Rede an den weiten Kreis der Gebildeten, um darzuthun,
jass die populäre Literatur kein Recht hat, den Zusammenhang der Microcephalie mit
tle** Stammesgeschichte des Menschen als ein völlig sicheres Ergebniss der wissenschaft¬
lichen Forschung zu preisen.
Die Microcephalie gipfelt in einer eigenartigen Verkleinerung des Gehirns und der
urnS c hlies8end en Schädelkapsel. Aber das Maass der microcephalen Gestaltung unterliegt
- D< jividuell dem grössten Wechsel. Gehirn und Schädelkapsel können bis auf ein volles
yiertel der normalen Ausdehnung heruntergehen, aber sich auch mit der Verkleinerung
ulD die Hälfte oder mit noch weniger begnügen; da ist ein Wechsel der Formen, der
pic bt unter den Begriff „Atavismus“ fallen kann, denn dieser fordert Rückschläge in einer
gestimmten Richtung, nach einem einheitlichen Typus hin. Das ist aber bei der Micro-
ce pb» lie nicht der Fall. Bisher sind noch nicht zwei dieser unglücklichen Wesen gefun-
JcjO worden, die auch nur einigermaasseu übereinstimmende Verhältnisse an Hirn und
«Schädel dargeboten hätten. Ferner kennt man noch kein Microcephalcngehirn, das irgend
ei n cvn bekannten Aflengchirn unmittelbar zur Seite gesetzt werden könnte. Die behauptete
jTormähnlichkeit in der Umgebung der sylvischen Spalte besteht so wenig, dass man
jj-eißt behaupten darf, das jetzige Menschenhirn stehe dem des Affen weit näher als
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irgend ein bekanntes Microcephalenliirn. Die verschiedenen Grade der microcephalen
Formen am Hirn lassen so keinen Zweifel, dass wir es nicht mit Bindegliedern von
Mensch und Affe zu thun haben, sondern mit einem pathologischen Formenkreis, der
selbst das Seelenleben ausnahmslos stark beeinträchtigt. Auch der oft so sehr in die
Augen springende Prognathismus des Microcephalen-Gesichtes kann keine atavistische
Bedeutung beanspruchen, denn es lässt sich nachweisen, dass ihm nicht, wie bei den
Affen, ein verhältnissmässig stärkeres Wachsthum der bezüglichen Knochen, sondern ab¬
norme Verkürzung der Schädelbasis zu Grunde liegt: die Hirnkapsel bleibt zu kleiD,
während das Gesicht zu normaler Grösse auswächst.
Der Leser erkennt wohl schon aus diesen wenigen Sätzen, dass Aeby sich auf Er¬
gebnisse genauer anatomischer Untersuchung stützt, die uns selbst unanfechtbar dünken.
Seine weiteren Erörterungen über die Bedeutung des Atavismus im Allgemeinen , die
Warnung vor einer überstürzenden Schätzung dieser Erscheinung sind sehr beachtens-
werth, und werden unstreitig Manches zur Klärung ähnlicher Fragen beitragen. Wir
möchten nur noch hervorheben , wie sehr der Naturforscher bei der Untersuchung solch’
coinplicirter Erscheinungen von dem Beobachtungsmaterial abhängig ist Dasjenige,
worüber man früher verfügte, war ein für endgültige Entscheide durchaus ungenügendes:
einige Schädel, eine lebende Microcephalin, wenige literarische Angaben — weiter nichts.
Seitdem die Microcephalie in gelehrten und ungelehrten Kreisen Tagesgespräch geworden,
ist es zu überraschender Fülle gestiegen. Die Microcephalen wurden ein ebeuso begehr¬
tes wie beneidetes Object anatomischer Forschung und wir sind schon jetzt im Stande,
über ein für die Erledigung der Hauptfrage genügendes Material zu verfügen. Aber
manche andere anatomische Seite dieser Erscheinung bietet noch Räthsel. Hoffen wir,
dass Aeby's 8chrift innerhalb der Schweiz anregend auch dahin wirken möge, hier und
da auftauchende Fälle dieser Art einer genauen Untersuchung zugänglich zu machen.
K.
Ueber Diagnose der Ovarialcysten.
Von Dr. Friedr. Freyvogel. Inauguraldissertation. München, Wolf & Sohn, 1877. 38 S.
Mit Benützung des reichen Materiales von Nussboum’a hat Verfasser versucht, die zur
Ausführung der Ovariotomie unumgänglich nöthige Frage der exactcn Difforentialdiagnose
zwischen den Ovarialcysten und sie simulirenden Leiden klar zu legen.
In übersichtlicher und erschöpfender und auch in sehr klarer Weise behandelt der
Verfasser sein Thema, so dass er die gestellte, in mehr als einer Hinsicht schwierige
Frage, soweit möglich, in schöner Weise löst. A. B.
Cantonale Correspondenzen.
Groabünden. Bemerkung zum Vortrag Uber die Sehnennaht
an der Hand von Dr. A. Kottmann (Nr. 17 und 18 des Correspondenzblattes).
Zu dieser sehr interessanten Arbeit erlaubt sich der Unterzeichnete noch eine kleine
Ergänzung.
Der Verfasser sagt im Laufe des Vortrags: „Besonders bei sehr gequetschten und
gerissenen W’unden ist es nicht immer leicht, dem oberen Theile der getrennten 8ehno
beizukommen und zuweilen erfordert die Auffindung desselben viel Geduld und Aufmerk¬
samkeit. Oft muss mittelst Messer oder gerader Scheere und Pincette anatomisch prä-
parirend dem Sehnencanale entlang gegangen werden, um zu dem centralen Ende ge¬
langen zu können. Dabei ist es nicht einmal so leicht, den betreffenden Sebnencanal so
ohne Weiteres aufzufinden.“
Allen diesen Schwierigkeiten kann man mit Leichtigkeit begegnen , wenn man die
Methode befolgt, welche mir Herr Dr. Genzmer mit gewohnter Freundlichkeit mittheilte,
als ich dieses Frühjahr einige höchst interessante Wochen die mit Recht berühmte Volk-
munn’sche Klinik in Halle besuchte, dort auf’s Freundlichste aufgenommen.
Zu diesem einfachen Verfahren braucht man eine elastische Binde, wie solche nach
Esmarch zur Hervorrufung der künstlichen Blutleere angewandt wird. Dieselbe wird vom
Ellenbogen nach der Hand zu fest um die Musculatur des Vorderarms angelegt; durch
diese Compression derselben erscheint das gesuchte Sehnenende alsbald von selbst in der
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"Wunde und kann mit dem peripheren Ende mühelos vereinigt werden. Leider war kein
Fall vorhanden, an welchem ich diesen ebenso einfachen wie interessanten Handgriff bitte
selbst sehen können. Dagegen hatte ich Gelegenheit bei zwei Oberschenkelamputationen,
welche bei künstlicher Blutleere ausgeführt wurden, die Bemerkung zu machen, wie ge¬
ring nach ihrer Durchschneidung dio Retraction der Musculatur war. Erst als nach sorg-
samster Unterbindung aller durchschnittenen Gefässe das umschnürende Gummirohr ent¬
fernt worden war, zogen sich die Muskeln zurück und nun ragte der Knochenstumpl tu
■weit aus der Wunde hervor, so dass er noch einmal weiter oben abgesägt werden
musste. Analog dieser Erscheinung kann man sicher mit der Esmarck 'sehen Binde auch
die Entspannung und Streckung der Vorderarmmuskeln auf die angegebene Weise zum
Zweck der Sehnennaht erzielen.
Zweck dieser Zeilen ist, die Herren Collegen auf diese einfache Methode, so weit
sie ihnen nicht bereits bekannt Bein sollte, aufmerksam zu machen, wenn ihnen derartige ,
Fälle unter die Hände kommen. Dr. Volland (Davos-Dörfli).
Dresden» Versammlung des deutschen Vereins für öffentliche
Gesundheitspflege. Mit Vergnügen macho ich Ihnen eine kurze Mittheilung über
die 6. Versammlung des deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege, die in Dres¬
den vom 6.—10 September stattgefuuden hat.
Die Reise von Basel über Frankfurt, 26 Stunden Fahrt inclusive 2 1 /, Stunden Auf¬
enthalt in Frankfurt und 2 Stunden in Leipzig, war ziemlich ermüdend.
Zu der geselligen Vereinigung am 6. September Abends kam ich beinahe zu spät
an und traf nur noch die Mitglieder des Comitd’s und einzelne Spätlinge.
Die Sitzung fand im geräumigen 8aale des Polytechnikums statt; die Tagesordnung
musste, weil Prof. Dr. Fr. Hofmann aus Leipzig abgehalten war, abgeändert werden.
Zum Vorsitzenden wurde durch Acclamatiou Herr Generalarzt Dr. Roth gewählt, der
Herrn Oberbürgermeister Dr. Stübel zum ersten stellvertretenden und Herrn Ingenieur
Meyer von Hamburg zum zweiten stellvertretenden Vorsitzenden vorschlug.
Der Vorsitzende widmete dem verstorbenen Sanitätsrathe Dr. Sander von Hamburg
'Worte der Anerkennung, denen sich die Gesellschaft durch Erheben von ihren Plätzen
anschloss.
Die Reibe der Vorträge eröffnet» Prof. Dr. Neubauer aus Wiesbaden mit einer Ab¬
handlung Uber die Weinbehandlung in hygienischer Beziehung.
Der Name Wein kommt allein dem Getränke zu, welches dem Safte der Trauben
entnommen wird. Das Versetzen des Mostes geringer oder schlechter Jahrgänge mit
chemisch reinem Zucker ist nicht zu beanstanden.
Das Alcoholisiren des Weines in massigen Grenzen dürfte kaum zu beanstanden sein.
D&s Entsäuren des Weines mit Kalk, Magnesia oder Kalisalz kann nur in sehr beschränk¬
tem Maasse gestattet werden. Das Zusetzen von Gyps muss beanstandet werden, wenn
der Gehalt an Salz 2 grmm. im Liter übersteigt, Zusätze von Glycerin, welches ein
normaler Bestandteil des Weines ist und Salicylsäure sind wohl als gesundheitsschäd¬
lich zu verbieten. Zusätze von Alaun und Schwefelsäure sind zu verbieten. Anwendung
von fremden Farbstoffen sollte verboten werden. Kunstweine sind als solche zum Ver¬
kauf anzubieten.
Der Vortragende erfreute sich der regsten Aufmerksamkeit und erndete für seinen
erschöpfenden, klaren und belehrenden Vortrag allgemeine Anerkennung und Dank.
Interessant war zu hören, dass sich in diesem Jahrhundert von den Weinen dea
Rbeinlandes 37% als schlechte, 21% als zweifelhafte und nur 31% als gute und 11 */#
a la ausgezeichnete erwiesen haben. Wir sehen, dass in der Mehrzahl der Jahrgänge die
\Veine verbessert werden müssen.
Der Nachmittag war der Gallerie, den andern Sammlungen und dem Besuche der
Einrichtung des neuen Theaters, des Kinderspitals, des Stadtkrankenhauses und der che¬
mischen Centralstelle (Prof. Fleck ) bestimmt.
Das Festessen fand 6% Uhr im Belvedere statt, war zahlreich besucht, sehr belebt
und hielt die Gäste bis zur späten Stunde beisammen.
In der zweiten SitzuDg gelangte zunächst zur Berathung „Ueber die Zahl der
Schulstunden und deren Verkeilung auf die Tagoszeit“; als Referenten
«Ürterten die Herren (
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erläuterten die Herren Conrector Alexi und Dr. Choh/bäus die aufgestellten Thesen. Trotz
der sorgfältigen Vorbereituugsarbeiten und trotz der einlässlichen Mittheilungen der Re¬
ferenten musste sich die Versammlung sagen, dass sie nicht im Falle sei, maassgebende
Entscheidungen zu treffen, und beschloss, die Frage in einer späteren Sitzung nochmals
zu berathen.
Das Referat und die Discussion wurden unterbrochen durch das Eintreten Seiner
Majestät des Königs Albert von Sachsen, der dem Vortrage von Dr. Roth über die hy¬
gienischen Einrichtungen in den neuen M ili tär bauten Dresdens bei¬
wohnte.
Die Kosten sämmtlicher Militärbauten betrugen 18,5 Millionen Mark für 7500 Mann.
Die Gesammtlänge der Gebäude nimmt eine Strecke von 8'/, Kilometer ein. Ich füge
hier bei, dass diese Militärbauten am Montag besucht wurden.
Eigenthümlich und in seiner vollständigen Durchführung wohl neu ist das Princip,
dass dem Soldaten besondere Räumlichkeiten geboten werden:
1) Schlafsäle für je eine Compagnie, 2) Wohnzimmer je für 20—25 Mann mit Klei¬
derschrank für jeden Mann, 3) Esszimmer, gemeinschaftliche, 4) Waschräume, 5) Putz¬
räume.
Abgesehen von der sorgfältigen Entfernung alles Unrathes und Schmutzes wird
überhaupt die grösste Reinlichkeit gepflegt. Dr. Roth kann schon jetzt nach den kurzen
Erfahrungen ganz erhebliche Abnahmen in der Morbilrtät und der Mortalität constatiren.
Als ferneres Reinigungsmittel dienen Bad- und Douohe-Einrichtungen.
Der Sonntag wurde von vielen Mitgliedern zu Ausflügen in die sächsische Schweiz
benützt, während Andere den schönen Tag zu kleineren Spaziergängen, zum Besuch des
grossen Gartens, wo das Fest des Albertvereins gefeiert wurde, verwendeten. Auch die
Oper „Tannhäuser“ zog viele Mitglieder an.
In der dritten und letzten Sitzung Montag den 9. September hielt Prof. Dr. Fr.
Hofmann einen Vortrag über Ernährung und Nahrungsmittel der
Kinder.
In Bezug auf den Werth der Kinder-Nahrungsmittel stellt Referent die Muttermilch
als Vorbild oben an: wenn es sich um Ersatz handle, so müsse zunächst die Kuhmilch
in Betracht kommen , welche jedoch rein und von vorzüglicher Qualität zu beschaffen
wäre; ferner sei zu erwähnen condensirte Milch, doch enthalte dieselbe meist einen Zu¬
satz von Zucker und zu viel Zucker führe Störungen im kindlichen Körper herbei.
Den verschiedenen Kindermehl-Arten wollte Hofmann nicht so ganz das Wort reden;
sie seien bequem in ihrer Anwendung, aber bedeutend abweichend von Frauenmilch in
Bezug auf ihre Zusammensetzung.
Thesen stellte der Vortragende folgende auf:
I. Die Errichtung von Milchwirthschaften mit städtischer resp. ärztlicher Beaufsichti¬
gung ist in allen grössere Städten wünschenswerth.
II. Auf den Büchsen und Paketen der Kinder-Nahrungsmittel ist die chemische Zu¬
sammensetzung anzugeben in der Breite, wie die Fabrikations weise sie bedingt und zwar
nach Wasser, Eiweiss, Fettgehalt, nach der vorhandenen Menge der löslichen und unlös¬
lichen Kohlenhydrate und der wichtiger Nährsalze.
III. Es ist die möglichste Verbreitung der Grundsätze anzubahnen, welche bei künst¬
licher Ernährung der Kinder beobachtet werden müssen ; auch ist das Ammen-Vermitt-
lungswesen unter städtische Aufsicht zu stellen.
Den Schluss des Congresses bildete ein Vortrag des Generalarztes Dr. Roth „Uber
Behandlung der Hygiene als Lehrgegenstand“, welcher im chemischen
Auditorium im Polytechnikum abgehalten wurde. Der Vortrag war von höchst interessan¬
ten Experimenten begleitet Über Porosität, Luftgehalt, Ventilation u. s. w.
Am Nachmittag wurde im Waisenhaus bei Dr. Cholybäus die Impfung am Kalbe ge¬
zeigt, später die Militärbauten besucht und der Abend bei prächtigem Wetter und gutem
Bier im Waldschlösschen zugebracht. Zum Glück fand Omnibusverbindung statt mit der
Stadt, die uns bis zum Hötel Bellevue brachte.
Gewiss sind alle Besucher sehr befriedigt geschieden von der schönen, reinlichen,
gastlichen 8tadt; wenn auch Anfangs in Bezug auf die Vorträge Lücken und Uebelstände
stattfanden, so bot namentlich die letzte Sitzung durch den werthvollen Vortrag von
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Herrn Prof. Hofmann und die interessanten Experimente von Dr. RoUi einen reichlichen
Ersatz.
In geselliger Beziehung hat mich noch keine Zusammenkunft so angenehm berührt;
die FrühstücksBtunden und die Abendstunden auf der schönen Elbeterrasse des Gasthofes
bei schönem Wetter mit feenhafter Beleuchtung mussten gemütblicb und heiter stimmen
und Hessen es bedauern, dass so bald musste geschieden werden.
Für die Gäste hatte die Festcommission treffliche und interessante Vorarbeiten ge¬
macht; ausser einem Stadtplan mit genauer Angabe der Sehenswürdigkeiten erhielt jede«
Mitglied eine Beschreibung der Stadt Dresden, worin weitläufige Berichte enthalten waren
über die das Gesundheitswesen interessirenden Anstalten.
Basel, den 30. September 1878. deW T ette.
Nordamerika. Zur internationalen Mortalitätsstatistik. Be¬
kanntlich werden schon seit längerer Zeit die 8terbefälle grösserer Städte gesammelt und
statistisch verwerthet, um dann unter Anderm auch zu den „wöchentlichen Publikationen
des kaiserlich deutschen Gesundheitsamtes“ zu dienen. Es mag manchem Leser dieser
statistischen Angaben aufgefallen sein, dass in jedem Wochenberichte die in sanitariBcher
Beziehung so vielfach verrufenen Metropolen des Westens eine bedeutend niedrigere
Sterblichkeitsziffer aufweisen, als ihre europäischen Schwestern. 8o sind z. B. nach dem
erwähnten Berichte in der 10. Jahreswoche (ich nehme absichtlich die 10. Woche, da
schon in den ersten Wochen April Fälle von Gelbfieber in den südlichen Häfen, ange-
meldet waren und dies auf die Jahresstatistik zu viel einwirkt) von je 1000 Bewohnern
auf den Jahresdurchschnitt berechnet gestorben:
Petersburg 59,6°/ 0 oi München 45,4, Rom 42,4, Nürnberg 38,0, Basel 35,6, Lissabon
32,6, Wien 32,5, Paris 28,1, Berlin 25,8, London 23,1, Leipzig 22,2, Madras 83,7, Ale¬
xandria 36,1, Calcutta 85,2°/ 00 ; dagegen New-York nur 22,6°/ 00 , Philadelphia 19,6, San
Francisco 18,6, Boston 18,1, Chicago 13,8% 0 .
Ist diesen „ofticiellen“ Angaben Glauben zu schenken? Der unbefangene Beobachter
muss an der Richtigkeit dieser Zahlen zweifeln, nicht der europäischen, sondern der ame¬
rikanischen und zwar zwingen ihn zum Misstrauen folgende Gründe:
Die Bevölkerungszahl der amerikanischen Städte wird bei statistischen Berechnungen
der Todesfälle zu hoch angenommen. So z. B. soll St. Louis nach den neuesten Zäh¬
lungen etwa 380,000 Einwohner haben; gibt aber seine Bewohnerzahl als 503,685 an
und zwar aus Rivalität gegen das aufblühende Chicago; letztere Stadt gibt natürlich
entsprechende Revanche. Berechnen wir nun die Durchschnittssterblichkeit in St. Louis
25u 160 per Woche, so erhalten wir bei Annahme der factischen Einwohnerzahl 20,5 pro
rnille ; bei Annahme der angegebenen 15,6°/ p0 . Die fälschliche Erhöhung der Bevölke¬
rungszahl drückt also die Mortalitätszifler um 5 u / 00 herunter. Wie manche unangemeldete
resp. unregistrirte Todesfälle dabei mitlaufen, ist unmöglich zu bestimmen.
Wie wird nun aber die Statistik in den kleineren Städten und auf dem Lande be¬
trieben ? Hievon ein Beispiel:
Die Legislatur des Staates Illinois hat bei Anlass der neuen Medicinalverordnung ein
Gesetz erlassen, wonach alle staatlich anerkannten Medicinalpersonen verpflichtet sind,
z un> Zwecke einer genauen Mortalitätsstatistik alle vorkommenden Todesfälle binnen 30
'X'^gen dem nächsten Landamte einzusenden.
Für jeden Unterlassungsfall wird der schuldige Arzt mit Fr. 50 gebüsst Dabei soll
jer Arzt die Formulare*) kaufen, unentgeltlich ausftillen und auf seine Kosten absenden.
jyieß Alles, obwohl ungerecht, könnte noch der Wissenschaft geopfert werden. Wie
ftber soll sich ein Arzt verhalten, der auf dem Lande practicirt, der oft Monate lang von
vorgcfallenen Todesfällen nichts vernimmt und der nicht den Tod einer Person ohne Lei-
c b« D8chau beschwören kann? Wie viele Patienten, besonders Kinder, sterben auf abge-
j c gencn Farmen, ohne dass ein Arzt zugerufen wurde! Rücken wir aueh hier wieder der
r 5tat* ßtik mit Zahlen, wenn auch nur Wahrscheinlichkeitsziffern, auf den Leib. Unser
Schwcizerstädtchcn Highland hat 1800—2000 Einwohner, gibt aber uach amerikanischem
*) An dem uns froundlichst zugesandten Todtenscbelne gefällt uns die Anordnung, das« für
^'Todesursache“ und „Complicationen“ besondere Rubriken angebracht sind. Red.
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Principe seine Einwohnerzahl auf 2500—2800 an ; von den im letzten Jahre Verstorbe¬
nen (etwa 25 %ü) wurden */s — V« au * ihren eigenen Farmen beerdigt; etwa •/„ starben
plötzlich (Apoplexie, Insolation), diese Fälle entzogen sich meistens der amtlichen Con¬
trols. Thut nun auch jeder Arzt seine Pflicht und registrirt seine Todesfälle, so haben
wir noch immer ein Deficit von ’/ 3 . Die nicht „staatlich anerkannten Medicinalpersonen“
aber, die trotz Verbotes fortquacksalbern, werden sich wohl hüten, durch Eintragung
ihrer Todesfälle die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich zu lenken. Oder soll etwa
der patentirte Arzt solche Opfer der Quacksalberei an entlegenen Orten aufsuchen , be¬
sichtigen und eintragen?
Wir dürfen mit vollem Rechte behaupten, dass die Mortalitätsstatistik ganzer Staa¬
ten (8tadt und Land) um wenigstens einen Drittel zu niedrig gesetzt ist. Lassen wir
also noch vorläufig die Beweiskraft der heutigen internationalen Mortalitätsstatistik in
Frage gestellt und geben wir den Amerikanern den Rath, eher durch sanitarische Maass-
rcgeln als durch trügerische Zahlen die MortalitätB- und Morbilitätszifier hcrabzudrücken.
Highland, 111., Sept. 1878. Dr. Carl Walliser.
W oolieriber’iclit.
Schweiz.
Die XVIII. Versammlung des ärztlichen Centralvereins in
Olten findet statt Samstaff, den 26, October. Sitzung im Schulhaus Mittags um
12 Uhr.
T ractanden:
1) Vortrag von Prof. Dr. Socin (Basel): Ueber Radicaloperation von
Hernien.
2) Vortrag von Prof. Dr . Kollmarm (Basel): Mittheilungen aus der Ent¬
wicklungsgeschichte des Menschen.
3) Vortrag von Prof. Dr. Immermann (Basel) : Ueber Prophylaxe von Typhus-
r e ci d i ve n.
4) Kleinere Mittheilungen aus der Praxis.
Nachher wie gewohnt Banket im Bahnhofrestaurant Biehly.
Zu dieser Jahresversammlung an unserem Stiftungsorte laden wir aufs herzlichste
ein dio Mitglieder des Centralvereins, unsere Freunde der 8oci6t6 möd. de la Suisse ro-
mande und alle andern lebensfrischen, arbeitsfreudigen Collegen.
Olten, 1. October 1878. Im Namen des ständigen Ausschusses:
Dr. Sonderegger, Präsident.
Dr. Burckhardt-Merian , Schriftführer.
Doctorpromotlonen an den schweizerischen medidnlschen
Facultäten Im Jahre 1877.
Basel. i) Paul Barth von Basel: Ein Beitrag zur Behandlung der perforirendcu
Wunden des Kniegelenks
2) Theodor Beck von Basel: Ueber Elephantiasis des obern Augenlids.
Bern. 1) Sophia Jex Blake aus Hastings (England): On puerperal fever.
2) Edith Pechey aus Colchester (England): On the constitutional causcs of uteriuc
catarrh.
3) Dorothea Aptekmann aus Charkow (Russland) : Ueber die Wirkung des salicylsaurcn
Natrons auf den thierischen Organismus.
4) Alexandrine Popowa aus Astrachan (Russland): Untersuchungen' über die Wirkungen
des Physostigmin.
5) Catherine Schumoff aus St. Petersburg: Untersuchungen über die Abhängigkeit des
Uebergangs in den Harn von der Verschiedenheit des Einverleibungsortes.
6) lMdina Schultz aus St. Petersburg: Ueber die Vernarbung von Arterien nach Un¬
terbindung und Verwundung.
7) Jules Jeanneret von Chauxdefonds : Ueber die Zersetzung von Eiweiss und Gela¬
tine durch die geformten Pankreasfermente bei Luftausschluss.
8) Arm Elisabeth Clark aus Street (England) : On the aukle joint of man.
9) Gustav Wälchli von Bern: Ueber die Fäulniss des Elastin und deB Mucin.
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10) Constantin Kaufmann von Solothurn: Ueber die Zersetzung des Blutes durch Ba-
cillus subtilis.
11) Anna Hotz von Bogota: Ueber das Amnionepithel.
12) Wilhelm Ost von Bern: Ueber osteogene Sarcome im Eindesalter.
Genf. Es fanden keine Doctorpromotionen statt
Zürich. 1) Carolina Farner von Stammheim: Beitrag zur Kemitniss der partiellen
Hirnatropbie mit chron. Hydrocephalus.
2) E. Maienfisch von Kaiserstuhl: Ueber multiple Sclerose des Gehirns und Rücken¬
marks.
3) Hermann Müller von Thayngen : Ueber progressive perniciöse Anämie.
4) Oberst Schnyder, Oberfeldarzt: honoris causa.
5) Ed. Schnetzler von Vevey: Des paralysies se prdsentant k la suite de la ftövre
typhoide.
6) Emil Gwalter von Höngg : Ein Fall von Quecksilbervergiftung.
7) Otto Stoll von Osterflngcn: Zur Pathologie des acuten Prostataabscesses.
8) Anna Tomascewicz von Warschau: Beiträge zur Pathologie des OhrlabyrinthB.
9) Marie Mac Donogh von London: Können wir durch die microscopische Untersu¬
chung der Kindermehle deren Bestaniltbeile diagnosticiren?
Zürich. 34. Jahresvers ammlung des schweizerischen Apo¬
thekerverein es. Die zahlreich besuchte Jahresversammlung des Schweiz. Apothe¬
kervereines (ZUrich den 28. und 29. August) wurde präsidirt von Prof. Schär , der unter
Anderem hervorhob, dass, während früher der Apothekerberuf in der Schweiz hauptsäch¬
lich von eingewanderten Deutschen ausgeübt wurde, derselbe nunmehr zu ca. vier Fünf¬
teln der Ausübenden wieder in die Hände geborener Schweizerbürger übergegangen ist.
— Es kam dann die brennende Frage betr. das Selbe tdispensiren der Aerzto
zur Verhandlung. Art. 1 des Entwurfs eines Bundesgesetzes über Ankündigung und
Verkauf von Medicamenten berechtigt nämlich die Aerzte gleich den Apothekern zum
Verkauf von Arzneien. (Dieser Zustand herrscht nur noch in der Ost- und einem Theil
der Centralschweiz.) Gegen die Zulässigkeit einer solchen Bestimmung in einem Bundes¬
gesetz trat insbesondere Apotheker Huber aus Basel auf. Er bekämpfte die Dispensir-
Freiheit der Aerzte energisch mit der Bemerkung, dass ein Arzt nur zur Ausübung des
Apothekerberufes berechtigt sein könne, wenn er die für diesen Beruf gesetzlich verlang¬
ten Prüfungen bestanden habe. Nach kurzer Debatte wurde die Discussion abgebrochen
und beschlossen, durch eine Siebner-Commission des andern Tags dor Versammlung be¬
zügliche Anträge vorlegen zu lassen. Es referirteu denn auch am zweiten Tage die
Commission hatte sich nicht einigen können — für die Majorität derselben Prof. Schär
(Zürich) und für die Minorität Apotheker Huber (Basel). Ersterer schlug vor, dem
liehen Art 1 eine solche Fassung zu geben, dass in demselben die Berechtigung der
Aerzte zum Arzueiverkauf für die ganze Schweiz anerkannt, in einem zweiten
Alinea aber die Möglichkeit einer gesetzlichen Einschränkung dieser Freiheit poetubrt
werde. Der Letztere dagegen wollte in Art. 1 Alinea 1 nur den examinirten Apothe ern
den Verkauf von Arzneimitteln vindiciren, in Alinea 2 jedoch entsprechend den jeweiligen
cantonalen Verhältnissen auch den Aerzten den Verkauf gestatten. _
In der Abstimmung siegte mit 40 gegen 24 Stimmen der Antrag der Majorität
Ein weiteres Tractandura beschlug die Lebensmittelcontrole resp. die Frage,
welche Stellung dem Apothekerberufe in dieser Sache zukomme. Nach Anhörung eines
bezüglichen Referates des Apothekers Rechsteiner in St. Gallen sprach die Versammlung
einhellig den Wunsch aus, es möchten die Lehrmittel im pharmaceutischen Stu lengange
dahin erweitert werden, dass jeder patentirte Apotheker selbstverständlich auch ie un
tionen eines Lebensmittelcontroleurs auszuüben im 8tande sei. Dies könne ges e
wenn an den Landes-Universitäten Laboratorien für den Unterricht in den
fungen errichtet würden, wie denn ein solcher Curs im nächsten Semester am ei g.
lytechnicum beginnen soll. Von der Befürwortung von Extra-Diplomen für die e
inittelcontroleure wurde jedoch abgesehen. Ueberhaupt wurde schliesslich die ganz
gelegenheit dem Vorstande übermittelt, damit derselbe gemeinschaftlich mi er sc
Aerztecommission sie erledige und den Behörden vorlege. _ .... i, r
Die Motion des basier Apotheker vereine, es möchte auch die Reciproci
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GehÜlfendiplorae angestrebt werden, wurde als berechtigt anerkannt. Hoffen wir,
dass die Verwirklichung dieser Forderung in nicht allzu ferner Zeit sich mache, damit
die diplomirten Schweizergehülfen ohne Umstände und Kosten auch in Deutschland ser-
viren können, gerade so wie es umgekehrt der Fall ist. Die wissenschaftlichen Anfor¬
derungen sind jetzt in beiden Ländern gleich.
Ferner wurde beschlossen, es seien künftig, wie in andern Ländern, die Conditions-
zeugnisse zu legalisiren.
— Propädeutische Klinik. Der Regierungerath hat für nächsten Früh¬
ling die Errichtung einer propädeutischen Klinik beschlossen und zu deren Chef Herrn
Prof. Dr. Osc. Wyxs berufen, der zugleich den Auftrag erhielt, alljährlich ein dreistündiges
Colleg Uber practische Hygiene zu lesen. Prof. Wysa behält die pädiatrische Klinik bei.
Die Zürcher mediciuische Facultät hat durch diese Neuerung eine werthvolle Erweiterung
ihrer Lehranstalten erhalten. Es freut uns, dass für die Stelle auch der richtige Mann
gefunden wurde.
Ausland.
Deutschland. Verurtheilung eines Curpfuschers. Bei einem,
seit einer Reihe von Jahren an Stricturen leidenden Manne trat Harnverhaltung ein. Der
gewohnte Selbstgebrauch des Catheters hob dieselbe nicht nur nicht, sondern batte eine
starke Anschwellung der Schamgegend mit schwerem Allgcmeinleiden zur Folge. Da
der Mann, nach Aussage seiner Ehefrau, der Behandlung eines Arztes sich nicht unter¬
werfen wollte, wurde nach einem bekannten Curpfuscher geschickt. Derselbe erschien
alsbald, kehrte auch am nächsten Tage wieder, verordneto fouchtwarme Umschläge aus
indifferentem Material über Unterbauch und Genitalien neben dem Gebrauch einer aus
ebenfalls indifferenten Stoffeu selbstbereiteten Salbe und erzählte bei dieser Gelegenheit
von einem Kranken, der durch seine Mittel von demselben Leiden befreit wurde. — Als
am S. Tage das Bewusstsein des Kranken bereits zu schwinden begann, wurden zwei
Aerzte nach einander zu demselben gerufen. Beide constatirten neben beginnendem
Lungeeoedem ausgedehnte Harninfiltration mit gangräoösen Stellen auf der Haut des Penis
und des 8crotum, zu der eino Zerreissung der Harnröhre in der Pars bulbosa Veranlas¬
sung gegeben. In der nächsten Nacht starb der Kranke, die Legalsection wurde unter¬
lassen. — In der Verhandlung erklärten die beiden als Sachverständige geladenen Aerzte,
dass der Tod des Verstorbenen durch eine rechtzeitige Operation (Boutonni^re etc.), und
nur durch diese allein, mit nahezu absoluter Gewissheit hätte abgeweudet werden können,
dass der Angeklagte den Tod des Verstorbenen dadurch verursachte, dass er nicht nur
nicht zur Vornahme der dringlichen uud bei seinem ersten Erscheinen bei dem Kranken
noch allen Erfolg versprechenden Operation rieth, sondern durch seine Anordnungen bei
dem Kranken den Glauben erhielt, dass er (Angeklagter) auf seine Weise das Leiden
heben könne, diesen Glauben durch die Versicherung bestärkte, dass ein Kranker von
demselben Leiden durch ihn befreit worden sei, und dadurch seinen Klienten von der
Anwendung der allein hülfrcichen Mittel abhielt. — Im Besonderen sprach sich der eine
der Sachverständigen dahin aus, dass Angeklagter den Verstorbenen durch Anordnung der
fenchten Wärme direct an seiner Gesundheit schädigte, indem diese an den infiltrirten und
entzündeten Hautpartien die Entwicklung der Gangrän und so den Eintritt des Todes be¬
schleunigte. Nach längerer ßerathung verurtheilte der Gerichtshof den Angeklagten zu
1 Monat Gefängniss wegen fahrlässiger Tödtung eines Menschen, die nicht dadurch von
dem Angeklagten verursacht worden sei, dass derselbe durch sein Auftreten und Handeln
dem Verstorbenen von der rechtzeitigen Vornahme der allein Hülfe bringenden Operation
abhielt, sondern im Wesentlichen aus dem Grunde, weil dem Angeklagten zur Last zu
legen sei, dass derselbe durch jene Anordnungen des Verstorbenen Gcsuudheit positiv
schädigte. (Deutsche med. Wochenschr.)
— Anhaltender Genuss von Salicylsäure. In den wiener medic.
Blättern (1878, 22. Aug) theilt Prof. Kolbe (Leipzig) mit, dass er seit 9 Monaten täg¬
lich im Minimum 1 grmm. Salicylsäure genossen hat (mit CO, als Mineralwasser, im Bier,
Wein), ohne die geringsten gesundheitsschädlichen Folgen und auch ohne Albuminurie,
wohl aber mit Heilung eines alten Magencatarrhes und dem Ausbleiben der Beschwerden
von Nierensteinen. Dabei ist die Salioylsäure beständig im Harne nachzuweisen.
England. Heilwirkung milder, fortgesetzter Gegenreize
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am Rücken bei allgemeiner Nervenschwäche und Spinalirri¬
tation. Prof. Gamyee braucht dazu das Liniment Sinap. comp, der britischen Pharma-
copöe, das ausser Senföl auch Extr. Mezerei enthält. Es werden wenige Tropfeu davon
auf einen 4—5" breiten und entsprechend langen Streifen eines schwammigen Stoffe«
(spongio-piline) gegossen und dadurch verbreitet, dass ein Theil des Streifens gegen den
andern gerieben wird. Es wird derselbe, auf dem Rücken befestigt, zuerst nur einige
Minuten, *) aber schon nach 1—2 Tagen Stunden lang vertragen und verursacht nun
eine keineswegs unangenehme Empfindung. Der Vorzug des Liniment ist der, dass es
zwar die Empfindungsnerven der Haut erheblich reizt, dieser Reiz aber gleich nach dem
Aufhören der Application bedeutend nachlässt und ohne Schaden beliebig oft wiederholt
werden kann. Sobald das Liniment nur Röthung und ein nicht unangenehmes Prickeln
verursacht, finden Patienten mit allgemeiner Nervenschwäche, dass ihre Kraft merkwürdig
zunimmt. Während der Applicationsdauer nehmen Rücken- und andere Schmereen ab
oder hören ganz auf; die Reizbarkeit des Temperamentes vermindert sich ebenfalls. —
Innerlich gibt G. dabei Eisen, Leberthran, Phosphor und sieht auch von dem constanten
Strom oft guten Erfolg. — Der Nutzen des genannten milden, aber anhaltenden Gegen¬
reizes beruht darauf, dass er den erschlafften Tonus der Blutgefässe, welcher eine chro¬
nische Hyperämie des Rückenmarks bewirkte, wieder hebt und dass wegen der geringen
Intensität des Reizes **) keine reactive Gefässerweiterung folgt. Das durch denselben
veranlasste Wohlbefinden gleicht der Wirkung eines kalten Bades, ist aber uioht so vor¬
übergehend und ist noch ähnlicher derjenigen des constanten Stromes. Die Hebung des
Tonus der Gefässe im Allgemeinen hat übrigens eine wirkliche Zunahme der Körperkraft
zur Folge, weil wegen der nunmehr geringem Hlutzufuhr zu den Orgauco, so lange sie
im Ruhezustand sich befinden, die Gewobe weniger abgenutzt werden und daher eine
grössere Kraft zur Verfügung steht, wenn die Organe, z. B. die Muskeln, in den Zustand
der Thätigkeit übergehen. (Practitioner, Febr. 1877.) F.
— Chinin gegen Schrunden der Brustwarzen. B. Dibcrder , in
der Voraussetzung, dass es sich dabei um ein allgemeines Leiden handle, da meist inter-
mittirendes Fieber, Anschoppung der Brust und Mastitis zu folgen pflegen, gibt Morgens
früh und gegen 11 Uhr je 0,6 Chinin, lässt local nur Kataplasmen oder einfache Wa¬
schungen oder Salben brauchen und will die Schrunden eo in 8 — 5 Tagen heilen.
(Practitioner, Febr, 1877.) F.
— Chinin. Batterburg empfiehlt als Vehikel für Chinin die Milch, da durch die¬
selbe die Bitterkeit des Chinins zum grössten Theile verdeckt wird. 0,06 Chinin auf 30,0
Milch wird kaum, 0,1*2 Chinin in obiger Quantität Milch nur als etwas bitter durebge-
schmeckt; 0,03 Chinin in 60,0 Milch ist nicht unangenehm, und die gleiche Menge Chinin
in einem Glase Milch ist gar nicht zu merken. Diese Art der Darreichung dürfte sich
namentlich für Kinder empfehlen.
— Behandlung der Chorea. Hub. Guerin verordnet im Beginn trockene
Schröpfköpfo auf die Wirbelsäule, berücksichtigt im Uebrigen das ätiologischo Moment,
gibt bei erheblicher Reizbarkeit Cliloral oder Bromkuli und vervollständigt die Cur durch
den gleichzeitigen Gebrauch von Natron arseuic., Schwefelbädern und Gymnastik.
* (Praotitionor. Febr. 1877.) F.
Frankreich« A c o n i t i n gegen Gesichtsneuralgie. Gubler behauptet, es gebe
keine Neuralgie des Trigeminus , selbst nicht Tic douloureux, die dem Aconitin wider¬
standen hätte. So habe Nelalon an einem Patienten mit Trigeminusneuralgie die Resec-
tion sämmtlicher Nervenäste ausgeführt und nur temporären Erfolg erzielt, während spä¬
ter Aconitin Hollot den Schmerz vollständig verschwinden liess.
Gubler zieht das Aconitin in Lösung jeder andern Form vor und gibt vom reinen
Aconitin in Lösung '/ 4 Milligramm, vom Nitrat '/, Milligramm. Diese Dosis kann vor¬
sichtig bedeutend erhöbt werden. Im ersterwähnten Falle schwand der Schmerz nie
eher vollständig, bis die Dosis allmälig auf 6 Milligramm (Nitrat) erhöht wurde. Be*®
zweiten wurden 5 Milligr. gegeben, bei 3 Milligr. kehrte der 8chmerz zurück, bei 6 Milbp-
höite er wieder auf.
•) Ist der Reiz anfangs zu stark, so wendet man eben noch weniger von dem Liniment
**) Starko Reize setzen dagegen den Oefässtonus oft herab.
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639
Auch GorMridge verwendet bei der Behandlung des nervösen Kopfschmerzes Aconitin.
Seit Jahren gibt er 4,00 Bromkalium mit 10 Tropfen Aconittinctur in einem Weinglas
voll Wasser und diese Dosis wiederholt er in einer Stunde, wenn nöthig, was aber sel¬
ten der Fall ist. Bei nervösen Frauen gibt er auch folgende Verordnung: Kalii bromat.
60,00, Tct. aconiti 3,76; Aqua dest., Syr. sacch. ana 60,00, S. Einen Dessertlöffel voll
in etwas Wasser stündlich. (Centralbl. f. Nervenheilk. 1878, 1.)
— Hygiene. In Paris wurde auch ein internationaler Congress zum Studium
des Alcoholismus abgehalten. Das Programm desselben umfasste folgende fünf Fragen :
Wirkung der verschiedenen Alcobole, durch Thierexperimente erläutert; — ferner Metho¬
den zur Feststellung der Menge, sowie der Natur der in den geistigen Getränken enthal¬
tenen Alcohole; Symptomatologie und pathologische Anatomie der individuellen und here¬
ditären Affectionen, die zum Alcoholismus führen, und die daraus sich ergebenden prac-
tischen Consequenzen; Statistik der Folgen des Missbrauchs der verschiedenen geistigen
Getränke und die legislatorischen, administrativen und fiscalischen Maassregeln, mit wel¬
chen gegen diesen Missbrauch anzukämpfen ist.
Oesterreich. Chrysophansäure. Prof. J. Neumann experimentirte mit
Chrysophansäure gegen Psoriasis vulgaris, Herpes tonsurans und Pityriasis versicolor.
Das Goapulver, auch Araroba oder Arariba (nach Bomfin indische Bezeichnung für
„lohfarben“), Chrysarobin , auch Poh di Bahia genannt, wird aus Stamm und Zweigen
eines Baumes gewonnen, der in Valemja und Cumanu wächst. Dasselbe wurde 1871 von
Favrer in Calcutta, später von Dr. da Silva di Lima aus Bahia gegen Hautkrankheiten em¬
pfohlen. Das Pulver ist von schmutzig-gelber Farbe, sehr reizend, sein Hauptbestandtheil
ist die Chrysophansäure (80%), die auch die therapeutische Wirkung bedingt. Sie ist
löslich in wässriger Lösung von Kali causticum, wenig in heissem Wasser, leicht löslich
in geschmolzenem Fett, schmilzt bei 360° F. und zersetzt sich in hoher Temperatur. Sie
wird in verschiedener Weise angewendet, am zweckmässigsten mit Fett (10: 40).
Das Goapulver wird mit Wasser, Essig, Citronensaft, Leim oder Glycerin gemengt,
ist jedoch in diesen Substanzen unlöslich. Man verwendet 1,6 Goapulver mit 10 Tropfen
Essigsäure auf 40,0 Fett gemengt, welcho Salbe zwei Mal täglich eingerieben wird, oder
5,0 Goapulver mit 10 Tropfen Essigsäure, Citronensaft oder Glycerin gemischt, mittelst
Bürste drei Mal des Tages aufgetragen.
Neumann hatte ganz excellente Erfolge, die auch Prof. Köbner in einem Vorträge über
Psoriasis, den er am 22. Mai in der berliner medicinischen Gesellschaft hielt, bestätigte.
Er hatte ein Präparat angewandt, welches 10 Theile Chrysophansäure auf 40 Fett ent¬
hielt Die so hergestellte Salbe wirkt reizend auf die Haut, im Gesicht schon nach 3 bis
4 Einreibungen. Es ist also einige Vorsicht bei häufig wiederholten Einreibungen anzu-
wenden und sind Pausen zu machen. Die erzeugte Röthung etc. der Haut schwindet
schnell. 14 Einreibungen waren die grösste Zahl, die Köbner an wenden musste.
(Deutsche Zeitschr. f. pract. Med. 1878, 28.)
PreDSieil. Kehlkopfexstirpation. Aus den Verhandlungen des letzten
Chirurgencongresses tragen wir nach, dass Dr. Wegner (Berlin) zwei Kehlkopfexstirpatio-
nen mittheilte.
An einer 62jährigen Patientin wurde am 16. September 1877 die totale Exstirpation
des Kehlkopfs mit Epiglottis wegen eines etwa wallnussgrossen Carcinoms des rechten
Ventriculus Morgagni, über die Mittellinie hinausragend und hochgradige Dyspnoe bedin¬
gend, ausgeführt Die Kranke ist heute ganz gesund , ohne Spur von Recidiv. Sie hat
den Gussenbauer'sehen künstlichen Stimmapparat zeitweise gebraucht und damit auch deut¬
lich gesprochen. Jedoch ist derselbe nur auf kurze Zeiten applicabel, weil in Folge man¬
gelhaften Abschlusses der Rachenhöhle gegen den Trachealraum sehr leicht Speiseparti¬
kelchen und Schleim in den letzteren gelangen und das Spiel der Metallzunge verhindern.
Der Grund davon ist wahrscheinlich die Entfernung der Epiglottis. Der Vortr. würde
im nächsten Falle in Folge dessen von der Exstirpation derselben absehen, wenn sic
nicht durch zwingende Gründe geboten wäre.
Im zweiten Falle bandelte es sich um künstliche Stimmbildung nach Obliteration des
Kehlkopfs und totaler Zerstörung der Stimmbänder. Patientin, jetzt 11 jähriges Mädchen,
hat nach im 4. Jahre überstandener Diphtheritis einen narbigen Verschluss des Kehlkopfs
mit vollkommener Zerstörung dor Stimmbänder davongetragen. Zur Zeit der Aufnahme
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640
ln die Klinik trug sie eine Trachealcanöle und vrar vollkommen aphoniech. Durch Thy-
reotomie und nachfolgendes Bougiren ist der laryngeale Weg wieder hcrgestellt; eie trägt
einen dem Güssenftawer'sehen künstlichen Kehlkopf nachgebildeten Apparat, der nur in
einem für die mechanische Möglichkeit der Application nicht unwesentlichen Puncte von
letzterem abweicht, und spricht mit demselben, wie Seitens des Vortr. den Zuhörern dc-
monstrirt wird, sehr vollkommen sowohl in Bezug auf die Leichtigkeit, als auch auf die
Deutlichkeit der Sprache. (Dentschc Zeitschr. f. pr. Med. 1878, 8. Juni.)
— Die berliner medicinische Gesellschaft zAhlt 441 Mitglieder und
hielt ira letzten Jahre 29 Sitzungen.
Bibliographisches.
110) Burckhard, A. E., Beiträge zur Kenntniss der basier Typhusepidemie von 1877. Dis¬
sertation. Basel, Druck von Fr. Richm.
111) 0. Funke'a Lehrbuch der Physiologie II. Bd. 1. Abth. Neu bearbeitet von A. Grün-
hagen. Verlag von Leopold Voss, Leipzig (die 2 Abth., Schluss des Werkes, er¬
scheint 1879).
Bri efka sten.
Herrn Dr. G. Glaser, Bern; Prof. Wille, Basel; Dr. Nierilcer, Baden: Besten Dank. — Herrn
r>r. B.: In Ihrem pariser Referate soll es also heissen Mariaud, Edard und Lafling und nicht Mar •
coud, Erard und Lafler. — Herrn Dr. C. Walliser, Highland: Besten Dank und herzlichen Gross!
Ihr Brief vom Herbste 1877 kam uns nicht zu, was wir sehr belauern. Weitere Mittheilungen sind
■willkommen. Glück aufl — Herrn Prof. Kocher , Bern: Wunsch gerne erfüllt, soweit heute noch
möglich. — Herrn Dr. A. Erlenmeyer, Bendorf: Sehr willkommen; die Wissenschaft kennt keine po¬
litischen Schlagbäume. Freundl. Gruss.
Ergotin. dialisat. Bombeion,
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Herausgegeben von B.,tell -.g.. .- tgeg»-.
Dr. Alb. Burekhardt-lHerlMa and Dr. A. BMder
Privatdocont in BnieL in Gnltnrldnden.
N° 21. vm. Jahrg. 1878. 1. November.
Inhnlt: Znm 26. October. — 1) Originalarbeiten: Prot Dr. P. Midltr: Ueber Exstirpation des Uterus (Schloss).
— Dr. Hmrmann Midltr: Usber Aetlologie nnd Wesen des unten GelenkrheamnUamns (Schloss). — 2) Vareinsberichte:
Medicinisch-phnrmnceotiseher Besirksrerein des bern. Mittellandes. — 3) Referate nnd Kritiken: Dr. H. SchüU: Hand¬
bach der Geisteskrankheiten. —4) Cantonale Correspondensen: Unterwalden. — 5) Wochenbericht. — 6) Biblio¬
graphisches.
Am 1. nnd 15. jeden
Monats erscheint eine Nr.
I 1 /*—2Bogen8tark;
am Schloss des Jahrgangs
Titelu.Inhalt8verzeichnis8.
Zum 26. October.
Schon wieder ertönt der Ruf nach unserem lieben Olten, dem Stiftungsorte
unseres ärztlichen Centralvereines, und wir freuen uns, in wenigen Tagen alle die
Freunde und Collegen wiederzusehen, deren jeweilige Gegenwart uns diese Zu¬
sammenkünfte so theuer und werth macht.
Neun Jahre sind an uns vorübergezogen , seitdem wir dort zum ersten Male
die Hände zum Bunde uns gereicht, und hinweg über die Grenzen der Cantone
den ärztlichen Centralverein gegründet haben. Das Pflänzlein, das wir damals,
bauend auf den fruchtbaren Boden der Collegialität, gepflanzt, ist zu einem kräf¬
tigen Baume geworden, dessen Stamm nun mit Ruhe und Sicherheit den Stürmen
der Zukunft trotzen kann.
Wie vieles, was wir anfangs kaum hoffen durften, ist seither als reife Frucht
uns zugefallen!
Eine Aerzte-Commission, die den gesammten ärztlichen Stand der Schweiz
vertritt, und die berathend in die Gesetze unserer obersten Behörde eingreift, ein
eidgenössisches Examen, das keine cantonalen Schlagbäume mehr kennt, ein eidg.
Fabrikgesetz, das für die ganze Schweiz geltende hygienische Anordnungen für
das Wohl und die Gesundheit der Arbeiter umschliesst, sind Früchte, an denen
Alle sich freuen, denen die Pflege und Entwicklung unserer schönen Wissenschaft
am Herzen liegt.
Noch ist nicht die Zeit, in beschaulicher Ruhe die Hände in den Schooss zu
legen, noch harren unser Arbeiten und Ziele, zu denen es gemeinsamen Zusammen¬
stehens und der frischen Mitarbeit Aller bedarf.
Darum laden wir Sie Alle ein, Jung und Alt, von Stadt und Land, von dtü
Hörsälen und aus der ausübenden Praxis hinaus, nicht zu fehlen am 26. October
und auf einige Stunden zu gemeinsamem Gedankenaustausch zusammenzutreten, um
dann wieder auseinander zu gehen mit frischen Kräften, Jeder auf seinen Posten.
Auf Wiedersehen in Olten!
41
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642
Original-Arbeiten.
Ueber Exstirpation des Uterus.
Vortrag, gehalten auf der schweizerischen Naturforscherversammlung zu Bern am
11. August 1878 von Prof. Dr. P. Müller in Bern.
(Schluss.)
Blicken wir noch einmal auf diese vier Fälle zurück, so ist Ihnen wohl da*
Auffallendste, dass wir keinen Todesfall zu beklagen haben. Fern sei es von mir,
mir irgend welches Verdienst deshalb zuzuschreiben: denn nur der Zufall kann
cs gewollt haben, dass gerade diese erste Serie von Operationen glücklich abl : ef;
dass richtige Zahlenverhältniss zwischen gelungenen und solchen mit ungünstigem
Ausgang wird sich durch spätere Operationen wieder herstellen. Verhehlen wollen
wir uns auch nicht, dass ja die Möglichkeit vorliegt, wie ich gleich noch ausein-
andersetzen werde, dass nämlich nicht in allen Fällen eine definitive Heilung er¬
zielt ist; aber die Thatsache, dass in vier Fällen das operative Verfahren trotz
der Schwere des Eingriffs und der geschilderten höchst ungünstigen Verhältnisse
gelungen, würde schon allein für die Berechtigung dieser Operation sprechen,
wenn auch nicht die Erfahrung Anderer die Prognose der Operation in viel gün¬
stigerem Lichte als früher erscheinen Hesse. Die Operation ist sicher als legiti-
mirt zu betrachten.
Der zweite Punct, den ich hier berühren muss, betrifft die Indication und
Oontraindication dieses operativen Verfahrens. Die Fälle II und III sind wohl die
Ersten, wo wegen Sarcom und Carcinom des Körpers der Gebärmutter die Ex¬
stirpation der Letztem unternommen wurde. Der Erfolg rechtfertigt wohl diese
Indication. Seither mussten derartige Kranke, da ja die bösartigen Affectioneu
der Vaginalportion einer operativen Behandlung zugängig waren, einfach ihrem
Schicksal überlassen werden. Und was wäre in unsere Fällen das Letztere gewe-
.sen? Die Patientin mit dem Carcinom hätte nach menschlicher Berechnung ihr
lieben kaum noch einige Wochen fristen können; die mit dem Sarcom, da letzte¬
res langsamere Fortschritte macht, allerdings noch etwas längere Zeit. Aber nach
Idonaten stand auch der Tod sicher in Aussicht. Unter solchen Umständen ist
doch jeder Versuch zur Lebensrettung nicht blos berechtigt, sondern geradezu
indicirt. Auch der Einwurf, den man erheben könnte, dass bei beiden Operirten
di© Neubildung wieder auftreten könne, ändert an dieser Indication ebenso wenig,
wie bei bösartigen Neoplasmen anderer Körpertheile. Welcher Chirurg wird z.B-
auf die Exstirpation der Mamma verzichten, weil die Erfahrung lehrt, dass das
Oarcinom oft in der Nachbarschaft der Opcrationsstelle wieder auftritt? Schon die
Aussicht auf palliative Hülfe, die Möglichkeit, die Herbeiführung eines leidÜchen
Zustandes von längerer oder kürzerer Dauer, kurz, das Hinausschieben des lctha-
len Ausgangs auf längere oder kürzere Zeit dürfte schon die Indication zur Ope¬
ration abgeben.
Aber auch in diesen verzweifelten Fällen, wo im ungünstigsten Falle es sich
nur um Beschleunigung des Exitus handelt, findet die Operation doch in gewissen
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643
Umständen ihre Schranken. Für contraindicirt halte ich die Exstirpation, wenn
die innere Untersuchung ergibt, dass das Carcinom schon über die Grenze des
Uterus hinaus, also bereits auf Blase und Mastdarm, sowie auf das parametrale
Gewebe übergegriffen hat, das Messer also nicht mehr im gesunden Gewebe ope-
riren könnte. Man wird auf die Ausführung verzichten, wenn schon Carcinom in
andern, der Operation unzugänglichen Organen, z. B. Leber, oder verdächtige Drü¬
senschwellungen nachgewiesen werden können. Man wird auch von dem Verfah¬
ren abstehen, wenn die Untersuchung vor oder der Befund nach der Laparotomie
zeigt, dass der carcinomatöse Uterus mit den Gedärmen oder Nachbarorganen innig
verschmolzen und eine Trennung innerhalb des Gesunden zur Unmöglichkeit
gehört.
Weniger klar ist die Indication bei den fibromyomatösen Tumoren des Uterus.
Nicht wie bei dem Carcinom gibt hier die Neubildung an und für sich die In¬
dication ab, sondern ungünstige Umstände, Folgen und Complicationen. Die
Fibroide wachsen in der Regel sehr langsam; durch die ganze Fortpflanzungs-
periode können dieselben getragen werden, ohne eine beträchtliche Grösse zu er¬
reichen. Sie bedingen deshalb auch seltenere locale Störungen; ihr Einfluss auf
die Constitution ist kein so directer wie beim Carcinom, sondern wird nur durch
die starken menstruellen Blutungen vermittelt, so dass in den Menstruationspausen
wieder eine Erholung des Organismus stattfinden kann. Sehr ins Gewicht fällt
auch der Umstand, dass mit dem Erlöschen der Thätigkeit der Ovarien und da¬
durch veranlassten Ausbleiben der menstruellen Congestionen gegen den Uterus,
ein Stillstand im Wachsthum, ja rückgängige Metamorphose eintreten kann. Frei¬
lich wird oft dieser so erwünschte Zeitpunct gerade durch die Anwesenheit der
Fibroide so beträchtlich hinausgerückt. Nicht zu unterschätzen ist schliesslich,
dass durch medicamentöse Behandlung (Ergotininjectionen) oder oft durch wenige
bedeutendere chirurgische Eingriffe (wie Incision des Cervix, Enucleation von sub-
mucös sitzenden Geschwülsten, Castration) eine Heilung, oder doch durch Beseiti¬
gung der gefährdenden Symptome eine wesentliche Besserung erzielt werden kann.
Es unterscheiden sich dadurch auch diese Geschwülste wesentlich von den Ovarial¬
tumoren, die meist wegen raschen Wachsthums, Nichtrespectirung der Menopause
und Unzugänglichkeit einer andern Therapie weit häufiger eine operative Behand¬
lung erfordern, als die Fibroide des Uterus.
Wann ist aber die Indication zur Exstirpation gegeben?
Ich glaube nur dann, wenn die Geschwülste durch rasches Wachsthum und
beträchtliche Grösse (ich erinnere an fibrocystische Tumoren) local bedenkliche,
die Functionen der Abdominal- oder Brustorgane störend, oder den Lebensgenuss
wesentlich beeinträchtigende Symptome setzen; bei kleinen Geschwülsten dann,
wenn dieselben die Ursache bedenklicher Störungen in der Nachbarschaft abgeben
(z. B. wiederholte Entzündungen des Peritoneums etc.), wenn dieselben durch ihre
Lage die Functionen der Beckenorgane hochgradig beeinträchtigen (z. B. Fibroide,
die im Douglaischen Raume liegen, Compression der Blase und des Mastdarms
setzen und manuell nicht reponibel sind), oder durch heftige Blutungen die Con¬
stitution untergraben, durch die vorhin angegebene Therapie aber keine Besserung
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— 044
erzielt wurde und die Entfernung der Geschwulst durch die natürlichen Wege
nicht möglich oder als gefährlich erscheint.
Aber auch unter diesen Umständen halte ich die Operation für contraindicirt.
wenn die Geschwülste vom untern Theil des Uterus ausgehen, sich in die beiden
Mutterbänder ausbreiten und dadurch das kleine Becken mehr oder weniger ver¬
legen. Die Gefahr einer Verletzung der Nachbarorgane (Blase, Darm etc.) liegt
hier nahe, starke Blutungen treten während und häufig nach der Operation erst
auf, ohne dass man rechtzeitig und vollständig derselben Herr werden kann; aber
was das gefährlichste ist, es bleibt dann eine grosse, manchmal äusserst beträcht¬
liche Wundfläche gebildet, für die keine Bedeckung geschafft werden kann. Solche
Patienteu können dann an den Erscheinungen des „Shoks“ zu Grunde gehen,
ohne dass eine Sepsis acutissima sich darunter zu verbergen braucht. Dieser Ge¬
fährlichkeit halber möchte ich — vorläufig wenigstens — um so eher auf diese
Operation verzichten, als wir jetzt in der Exstirpation der normalen Ovarien nach
Hegar und Batley ein Mittel haben, das weit weniger gefährlich, zwar keine Radi-
calheilung bewirkt, aber doch durch Unterdrückung der Blutungen eine wesentliche
Besserung herbeifdhren kann. Leider ist in solchen Fällen nach Hegar 's Angaben
das Aufsuchen der Ovarien wegen der durch die Uterustumoren bewirkten Dis-
locationen derselben oft mit grossen Schwierigkeiten verbunden.
Auf eine dritte Indication führt noch der Fall, den ich Ihnen zuerst vorstellte,
nämlich die Combination von Fibroid und Prolapsus. Ich habe Ihnen bemerkt,
dass die Geschwulst nicht einzig und allein die Anzeige zur Exstirpation abgab,
sondern das Zusammentreffen mit dem Vorfall der Gebärmutter. Ja ich muss
sagen, Letztere hat mich in erster Linie dazu bestimmt. Wir werden dadurch zur
Frage hingelenkt, ob wohl die Exstirpation des Uterus oder wenigstens die La¬
parotomie zur Radicalheilung der Lageveränderung des Uterus verwerthet werden
dürfe und könnte.
Wie Ihnen bekannt, führt man die Exstirpation des Uterus — allerdings ohne
Laparotomie — bei der seltensten Form- und Lageveränderung der Gebärmutter,
nämlich der Inversion, wo die Reposition nicht gelingt, schon lange aus; es dürfte
Ihnen auch bekannt sein, dass man schon die Laparotomie ausführte, um den vom
untern Theil des Uterus gebildeten Trichter zu erweitern und dadurch die Repo¬
sition des invertirten Gebärmutterkörpers sich zu erleichtern. *) Nicht unbekannt
ist Ihnen auch, dass man den retrovertirten, durch die Scheide irreponibeln, be¬
trächtlichen Störungen der D&rmfunction setzenden Uterus durch die Laparotomie
zurückbrachte und ihn daraus mittelst des Stiels des abgetragenen Ovariums in der
Bauchwand befestigte. **) Wie Sie sehen, wurde schon Laparotomie und Exstir¬
pation des Uterus zur Hebung von Lageveränderung der Gebärmutter versucht
In Fällen, wie der unsrige, wo eine exstirpirbare Geschwulst vorliegt und zugleich
ein Prolapsus, drängt sich fast unwillkürlich die Frage auf, ob wohl nicht die Er¬
öffnung der Bauchhöhle zur Hebung der Lage Veränderung benützt werden könnte
indem man den aus der Prolapsus- in die Elevationsstellung gebrachten Uterus auf
•) Thomai , Americ. Joutd. of Obst. IL 423.
•*) KoeberU, G&strotomle d&ns un c&a de rötroversion utärlne, 1877.
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645
irgend eine Weise in die Bauchwände einheile und dadurch eine Fixirung des
Uterus in eine mehr der Norm sich nähernde Lage bewerkstellige. Bereits hat
Kallenbach *) ein Fall derart mit Erfolg operirt: demselben reiht sich der unsrige
an, wo ja ebenfalls, wie bereits erwähnt, der Ueberrest des Uterus in die Narben¬
masse des untern Wundwinkels übergeht. Tritt auf diese Weise eine feste Ver¬
einigung des Uterus mit der Bauchwunde ein, so ist auf eine dauernde Retention
des Uterus zu rechnen.
Es fragt sich nun, ob auch uncomplicirte Fälle von Prolapsus auf diese Weise
einer Radicalbehandlung unterzogen werden dürfen? Der Bejahung dieser Frage
steht allerdings der Umstand im Wege, dass wir in der Kolporrhaphie ein Ver¬
fahren besitzen, das bei seiner jetzigen Vervollkommnung sehr häufig zum nämli¬
chen Ziele führt und zwar, wie ich bemerken will, ohne allzu grosse Gefährdung
der Patientin. Allein ausser Acht zu lassen ist jedoch nicht, dass die Operation
manchmal selbst nach mehrfachem Versuche nicht gelingt oder nicht zum Ziele
führt, oder wie beim Prolapsus completus , bei ältern Leuten die Chancen einer
Heilung von vornherein gering sind. Bei solchen, wie ich gerne zugeben will,
mehr Ausnahmsfälle, wäre an einen Versuch der Heilung durch die Laparotomie
zu denken. Die grössere Gefährlichkeit eines solchen Eingriffs dürfte entgegen¬
gehalten werden. Allein zu bedenken wäre, dass die Laparotomie unter den nö-
thigen Cautelen ausgeführt, beträchtlich an Gefährlichkeit überhaupt verloren.
Letztere muss, meiner Meinung nach, noch weit geringer werden, wenn man in
solchen Fällen verfahren würde, wie wir es bei Exstirpation des Sarcoms gethan.
Lässt man sich mittelst der Uterussonde den Grund der Gebärmutter oberhalb der
Symphyse gegen die Linea alba genau andrängen,**) schneidet man dann die
Bauchdecken gegen den Sondenkopf zu ein, stillt man hiebei auch die geringste
Blutung, legt man dann die Oeflnung gerade nur so gross an, dass der Uterus¬
grund mit der Sonde oder unter Zuhülfenahme einer im Fundus angelegten Faden¬
schlinge durchgedrängt resp. gezogen werden kann, sorgt man ferner noch dafür,
dass unmittelbar nach Entwicklung des Uteruskörpers im Momente, wo das schlan¬
kere untere Uterussegment resp. Cervix in die angelegte Oeffnung zu liegen kömmt
und also die letztere nicht ganz vom Uterus ausgefüllt wird, der nicht vom Uterus
eingenommene obere Wundwinkel mit der Hand oder Schwämmen geschlossen
wird, so kann wohl kaum von einer Communication der Abdominalhöhle mit der
Aussenwelt die Rede sein: Eine Infection des Peritoneums wird dadurch unwahr¬
scheinlicher. Es bedarf vielleicht nicht einmal einer Toilette des Peritoneums.
Ob diese geminderte Gefährlichkeit der Laparotomie zu einem neuen Verfahren
zur Heilung des Prolapsus — besonders bei Frauen, ausserhalb des fortpflanzungs¬
fähigen Alters — führen wird, wird die nächste Zukunft lehren. Tritt dieser Fall
ein, so steht auch der Verwerthung der Laparotomie zur Hebung anderer Lage-
*) Beitrag znr Laparotomie etc, Zeitschrift für Geburtshülfe und Gynsscologie, Bd. II, S. 201.
**) Dieses Verfahren dürfte sich auch für dio Exstirpation der normalen Ovarien empfehlen,
indem die Aufsuchung des Eierstocks — mag man die Incision in die Linea alba oder den Flanken¬
schnitt ausführen — durch das Herandringen des Uterus mittelst der Sonde sicherlich mehr erleichtert
wird, als durch die Manipulation, wie sie von Heyar angegeben worden.
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646
und Form Veränderungen des Uterus — sofern die Schwere des Falls es erheischt
— nichts im Wege.
Ueber die vierte Indication, nämlich die Exstirpation nach Kaiserschnitt, kanc
ich mich kurz fassen. Die Operation scheint mir in allen Fällen von Sectio ctesarea
angezeigt zu sein. Die Gründe sind sehr naheliegend. Schon der eine Umstand,
dass der Kaiserschnitt fast nur wegen hochgradiger Beckenanomalie ausgeführt
wird, also bei einer neuen Schwangerschaft die Gerettete den nämlichen Gefahren
abermals entgegengeht, durch die Exstirpation aber, wobei ja die Ovarien eben¬
falls mitgenommen werden können, jede weitere Gravidität unmöglich gemacht
wird, würde schon allein für das Verfahren sprechen. Noch mehr aber fallen ins
Gewicht die Vortheile, welche ad hoc zu erreichen sind: der Ausschluss der Mög¬
lichkeit einer septischen Infection der Abdominalhöhle vom puerperalen Uterus ans
und den nachträglichen Blutungen. Der relativ günstige Erfolg rechtfertigt auch
diese Indication. Ich glaube ziemlich genau über die bis jetzt nach der Methode
von Porro ausgeführten Operationen unterrichtet zu sein. *) Es sind mir 9 Fälle
bekannt: 5 verliefen ungünstig, je ein Fall von Spcelh in Wien, von C. Bram in
Wien, Gerolamo Previlole in Bergamo, Chiara in Mailand und tiegar in Freiburg.
Diesen gegenüber stehen 4 günstig verlaufende Fälle: je ein Fall von Porro in
Pavia, Spoeth in Wien, Wasseige in Lüttich und der unsrige — immerhin gegen frü¬
her ein besseres Resultat.
Ich bin überzeugt, wenn man die Operation künftighin nach meinem Vorschläge
macht, frühzeitige Ausführung der Operation, schon beim Geburtsbegiun oder Ende
der Schwangerschaft’ — die früher so nothwendigen Wehen sind dann ganz über¬
flüssig — Herausnahme des noch intacten Uterus aus der Bauchhöhle, Anlegung
der Ligatur vor Eröffnung der Gebärmutter, die Prognose der Operation muss
sich für die Zukunft noch viel günstiger gestalten.**)
Was nun das operative Verfahren selbst anlangt, so will ich mir hier nur
einige Bemerkungen über die Versorgung des Uterusstumpfes erlauben. Wie Sie
gehört, habe ich einmal den geringen Ueberrest des Uterus intraabdominal ver¬
sorgt, 3 Mal wurde der aus dem untern Uterinsegment oder Cervix gebildete
„Stiel“ in die Bauch wunde, und zwar 1 Mal mittelst des Constricteurs und 2 Mal
mittelst der Klammer befestigt. Die Klammerbehandlung dürfte als ungewöhnlich
erscheinen; wenigstens ist mir bekannt, dass äusserst selten — wenn man von der
Abtragung der vom Uterusgrund ausgehenden polypös aufsitzenden subperitonealen
Fibroiden absieht — der Uterus selbst mit der Klammer gefasst wurde. Ueber-
zeugt von der Vorzüglichkeit der Klammerbehandluug bei der Ovariotomie, wollte
ich dieselbe auch bei der Hysterotomie versuchen; natürlich musste das Instru¬
ment, dem viel dickem Stiel entsprechend, auch eine beträchtliche Vergrösserung
•) Spauh, Erfahrungen über Sectio emsarea. Wiener med. Wocbenschr. 1878, Nr. 4
G. CaIderini: Notizle sella amputazione utero ovarica associate alla operazlone cesarea.
delP Osservatore, Qazetta della Cliniche de Torino, 1878. „ . ..„.j
Watteige. De l'opöration cdsarlenne suivi de l’araputation utero-ovarienne. Ballet de
royale de mddecine de Belgique. T. XII, 3. S6rie, Nr. 8.
Stahl, Geburtahülfliche Operationslehre, Seite 100. . , , _ ... ...
**) Nachtr&glich wird mir noch ein weiterer 10. Fall von Breuky in Prag mltgethei.t, der g»»
nach meinem Vorschläge mit günstigem Ausgange für Mutter und Kind operirte.
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erfahren. Nachtheile habe ich keine gesehen; das Abfallen der Klammer erfolgte
am 15. beziehungsweise am 16. Tage. Beide Fälle zeigen, dass die Klammer¬
behandlung hier ebenfalls am Platze ist ; sie bietet den Vortheil, dass die Klammer
viel länger als z. B. der Constricteur den Stumpf mit der Bauch wunde in Verbin¬
dung erhält und dadurch die Einheilung desselben begünstigt, was für die Fälle
von Lageveränderung des Uterus sehr in Betracht kommt.
Hätte ich diese vergrösserte Klammer besessen, ich hätte sie in dem Fall von
Sectio Cffisarea angewendet. Ich halte die Klammer überhaupt für indicirt, wenn
der Stiel i. e. das untere Uterinsegment oder Cervix mit den Ligamenta lata und
rotunda keine allzu beträchtliche Dicke darbietet, der Uterus wegen der Nach¬
giebigkeit seiner Befestigungsmittel und theilweise auch Schlaffheit der Bauch¬
wandung sich bis zur Trennungsstelle aus der Wunde hervorziehen lässt. Ist der
Stiel jedoch zu dick für die Klammer, so scheint mir die Hegar 'sehe Methode der
Fixirung, nämlich durch 2 sich kreuzende Längennadeln am geeignetsten zu sein.
Die Drahtschlinge würde ich in Zukunft zur Fixirung nur dann in Anwendung
ziehen, wenn der „Stiel“ kurz, d. h. die Abtragungsstelle noch innerhalb die Bauch¬
wunde fallen würde, es sich also, wie Billroth *) will, darum handelt, den kurzen
Stumpf so nahe als möglich der Bauchwand zu bringen. Wie aber der Stumpf
versorgt werden soll, wenn derselbe nicht einmal an die Bauchwunde herangezogen
werden kann, was besonders bei mehr breitbasig aufsitzenden Tumoren der Fall
sein wird, darüber erlaube ich mir wegen Mangel an eigener Erfahrung kein Ur-
theil. — Erstreckt sich die Neubildung, besonders die maligne, bis auf den Cervix
oder schreitet das Carcinom von der zuerst ergriffenen Vaginalportion nach oben
fort, so haben wir — wenn keine der vorhin erwähnten Contraindicationen vor¬
liegt — an dem neuen Freunc ?sehen Verfahren ein treffliches Mittel, um die Total¬
exstirpation des Uterus auszuführen.**) In unserm dritten Falle, wo das Carcinom
von oben nach abwärts fast bis zum Os externum vorgedrungen war, haben wir
mit bestem Erfolge theilweise von diesem Verfahren Gebrauch gemacht, indem
wir die Umstechung und Abschnürung der Vaginalportion nach Freund 's Angaben
vomahmen, jedoch von dem Cervix nur das Krankhafte entfernten, die Vaginal¬
portion aber intact Hessen. Die Blutstillung war eine sehr prompte und der Ab¬
schluss der Abdominalhöhle gegenüber der Vagina durch Umstülpung des Cervix
eine vollständige. Ein Absterben der umstochenen Partie ist nicht eingetreten;
wahrscheinlich hat sich hinter den durchschneidenden Fäden das Gewebe wieder
vereinigt.
M. H.! Bereits vor 10 Jahren, zu einer Zeit, als eine Uterusexstirpation noch
zu den Wagestücken englischer und amerikanischer Operateure gehörte, wo die
Verlustliste der Operation noch 70% gegenüber nur 30% Heilungen nachwies, habe
ich in einer gynsecologischen Erstlingsarbeit***) der Hysterotomie das gleiche
Schicksal wie der Ovariotomie in Aussicht gestellt; sie hat sich seither Bahn ge-
*) A. WoeJfier: Ein Fall von Laparo-Hysterotomie etc. Langenbeck 1 s Archiv, Band XXI,
Seite 863.
**) Ueber eine neue Methode der Exstirpation des ganzen Uterus. Volkmann klinische Vorträge
Nr. 133 und Centralbl. f. Gyn. 1878, Nr. 12.
***) Zur Casuistik der Uterusgeschwülste. Scanzoni’a Beiträge Bd. VI, S. 81.
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brocben und wird — da sie nicht blos auf die Sectio csesarea, sondern sicher auch
sonst noch auf dem Gebiete der Geburtshülfe umgestaltend einwirken wird -
ebenso segensreich wie jene Operation sich erweisen.
Nachtrag. Vorstehendem Vortrage füge ich hier noch einen neuen fünften
Fall von Hysterotomie, den ich seitdem auszufübren Gelegenheit hatte, ganz in
Fürze an.
V. Prolapsus completus et elongatio uteri. Fibrome des Uterus*
körpere. Hysterotomie.
M. 8p., 49 Jahre alt, nicht verheiratbet, aufgenommen den 16. August. Patientin
bat nie geboren. Die Menses waren stets normal bis vor 7 Jahren; seitdem traten die¬
selben sehr unregelmässig auf. Vor 4 Jahren bemerkte Patientin, dass eine Geschwulst
von den Genitalien berabtrete. Es wurde damals in der gynmc. Poliklinik ein Prolapsus
des 10 cm. langen Uterus constatirt.
Status praes. Vollständiger Vorfall der Gebärmutter, letztere zugleich anteflec-
tirt; Sonde gleitet 18 cm. ein; ausserdem können zwei nussgrosse Fibromyome am Corpus
uteri diagnosticirt werden.
Operation 2,8. August: Der Uteruskörper wird mit der Sonde gegen die vordere
Bauchwand angedrängt und incidirt; wegen der Anwesenheit der Fibroide wurde die
'Wunde nach oben zu erweitert; der Uteruskörper durch 8onde und angelegte Schlinge
aus der ßauchwunde herausgebracht und die modificirte Klammer angelegt, der Uterus¬
körper mit den beiden kleinen Fibroiden abgetragen. Das etwas losgelöste Peritoneum
-wurde im untern Wundwinkel mit einigen Catgutnähten befestigt und im obern Abschnitt
die Wunde des Bauchfells för sich und dann erst die Wundränder der dicken Bauch¬
wandung vereinigt.
Aus der Zeit der Nachbehandlung: Kein Fieber; Temperatur nicht Ober 88°. An¬
fangs starker Brechreiz ; ferner trat am 1. und 2. Tage eine stärkere Blutung aus dem
Stumpf ein, die jedesmal durch festeres Zusammendrängen der Klammer gestillt wurde.
Ana 6. Tage bildet sich eine Infiltration der obern Wundränder; es entleert sich etwas
Fiter beim Druck auf dieselbe. Heute (am 10. Tage post oper.) liegt die Klammer noch,
das örtliche, sowie das Allgemeinbefinden äusserst befriedigend.
lieber Aetiologie und Wesen des acuten Gelenkrheumatismus.
Antrittsrede als Privatdocent der med. Facultät, gehalten in Zürich am 10. August 1878
von Dr. Hermann Müller, Secundararzt der med. Klinik.
(Scblnss.)-
Aus dem früher Gesagten geht hervor, dass die krankhoiterregende
Ursache jedenfalls nicht die Erkältung ist Der bisherige
gtandpunct, nach welchem man ziemlich allgemein den acuten Gelenkrheumatismus
eine Erkältungskrankheit xccr «lox?* aufgefasst hat, ist unhaltbar und muss
zweifelsohne verlassen werden.
Wenn wir auch nicht so weit gehen wollen, den Einfluss der Erkältung gana
zu läugnen, so können wir doch in ihr nur die Gelegenheitsursache erkennen, wie
ir Erkältungen und Diätfehler bei Typhus und Cholera die Rolle eines prädispo-
n irenden Momentes spielen sehen.
Ein genaueres Studium der geographischen Verbreitung der Krankheit ergibt
n acb Hirsch ganz wesentliche Abweichungen von der Verbreitungsart der übrigen
Familie des Rheumatismus gezählten Krankheiten und der Erkältungskrank¬
heiten überhaupt, wie sich dieselben einerseits in den höchst auffallenden Schwan¬
kungen der Fr«
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kungen der Frequenz, der bei weitem grösseren Unabhängigkeit von meteorologi¬
schen Einflüssen, vorzugsweise aber in dem Umstande aussprechen, dass in vielen
Gegenden, in welchen der chronische Gelenk- und Muskelrheumatismus herrscht,
wie namentlich in mehreren Gegenden Englands auf Wight, Guernsay, dann in
Jekaterinoslaw u. s. w., der acute Gelenkrheumatismus ganz unbekannt oder doch
nur äusserst selten ist.
An verschiedenen Puncten der Erdoberfläche — so z. B. nach Rigler in Con-
stantinopel — kommt die Krankheit in auffallender Häufigkeit und Bösartigkeit
vor und die bedeutendste Rolle auf der ganzen Erde soll sie auf dem Kaplande
spielen, wo sie nach Schwarz die hervorragendste und schlimmste aller Krankhei¬
ten wäre. Leider ist — so schliesst Hirsch — dem medicinisch-topographischen
Studium dieser Krankheit bisher noch viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt
worden und es bleibt einer zukünftigen sorglicheren Prüfung Vorbehalten, „ob vom
Standpuncte der geographischen Pathologie die in Frage stehende Krankheitsform
überhaupt dem sogenannten rheumatischen Krankheitsprocesse zugezählt werden
darf, oder ob es sich hier nicht, was mir sehr wahrscheinlich ist, um eine speci-
flsch acute Infectionskrankheit handelt, welche etwa ähnliche Beziehungen zum
Rheumatismus, wie die Influenza zum Catarrhe hat.“
Die Krankheit tritt hie und da epidemisch auf. Lange, Lancisi , Sloll u. A.
haben solche Epidemien beschrieben. Jedenfalls wird die Krankheit gar nicht
selten in einer im Verhältnis zu andern Zeiten auffallenden Häufigkeit beobachtet.
So wurden von Huts in Westerbotten, von Lebert in Zürich, von de la Harpe in Lau¬
sanne solche auffallende Schwankungen und zwar unabhängig von Witterungsein¬
flüssen beobachtet Ein solches epidemieartiges Auftreten der Krankheit, welches
sich nicht nur durch die grosse Zahl, sondern namentlich auch durch die Schwere
und Häufigkeit der Complicationen sehr bemerkbar machte, beobachteten wir im
Frühling und Sommer des Jahres 1875. 23 Erkrankungen fielen allein in den Mo¬
nat Mai, während im Mai des folgenden Jahres nur 8 und im Mai 1877 nur 1 Er¬
krankung zur Beobachtung kamen. Für denjenigen, welcher sich nicht mehr an
den wunderschönen, warmen Mai 1875 erinnert, hebe ich aus einer mir vorliegen¬
den exacten, meteorologischen Tabelle von der hiesigen Sternwarte hervor, dass
jener Mai mit Bezug auf Temperatur, Temperaturschwankungen und Feuchtigkeits¬
grad weitaus der beste Mai der 3 verglichenen Jahre war. So hat — um nur
eines anzuführen — die mittlere Temperatur das Mittel von 10 Jahren um 2,3°
überschritten. Es ist demnach gänzlich unmöglich, solche Schwankungen der Fre¬
quenz meteorologischen Einflüssen zuzuschreiben und wenn wir nicht dem mysti¬
schen Genius epidemicus die Ursache in die Schuhe schieben wollen, sind wir
schon nach dieser einzigen Thatsache berechtigt, die Krankheit ebenso gut wie
die Cerebrospinalmeningitis, den Mumps und die Grippe zu den Infectionskrank-
heiten zu rechnen.
Unter den Verhältnissen, welche für die individuelle Disposition bestimmend
sind, spielt nach den frühem Erhebungen das Alter die wichtigste Rolle. Ganz
wie bei Typhus besteht die grösste Disposition zur Erkrankung im Alter von 15
bis 30 Jahren und nimmt nach unten sowie nach oben allmalig ab.
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Geben uns schon die ätiologischen Erhebungen sehr werthvolle Anbaltspuncte
für unsere Ansicht in die Hand, so sind wir im Stande noch durchschlagendere
Beweise aus der klinischen Beobachtung beizubringen. — Wir beginnen mit dem
hervorragendsten Symptom, welches in der Regel das klinische Bild beherrscht
und auch der Krankheit ihren Namen gegeben hat — mit der Affection der Ge¬
lenke. Gewöhnlich sagt man, dass in der Mehrzahl der Fälle Prodrome fehlen,
dass nach Beginn mit Frösteln oder Schüttelfrost oder leichter Störung des All¬
gemeinbefindens den fieberhaften Symptomen schon binnen 12 oder 24 Stunden,
spätestens erst am 2. Tage die Schmerzen auf dem Fusse folgen und dass dann
ein Gelenk nach dem andern ergriffen werde. Geht man aber dem Beginne der
Krankheit genauer auf die Spur, so finden wir allerlei Bemerkenswerthes. Um
nicht Dach blossen Eindrücken — die so leicht täuschen — zu urtheilen, habe ich
auch über diese Verhältnisse unserer sämmtlichen Fälle tabellarisch genau Proto-
coll geführt und erwähne — um Kleinigkeiten, welche in grosser Zahl angeführt
werden könnten, zu übergehen — nur, dass in mindestens 10 Fällen der localen
Affection während voller 8 Tage fieberhafte Allgemeinerscheinungen vorangingen,
so dass die Diagnose nicht zu stellen war und unter Andern die Frage eines
Typbus ventilirt wurde. Diese einzige Thatsache, welche jeder erfahrene, voror¬
theilsfreie Beobachter wird constatiren können, beweist augenscheinlich, dass der
acute Gelenkrheumatismus keine Krankheit ist, welche localen Erscheinungen ihre
erste Entstehung verdankt. Es muss deshalb etwas ganz anderes sein als an der
Ausscheidung gehemmte Milchsäure, was der Krankheit ihr specifisches Gepräge
aufdrückt Der Krankheitserreger muss also an ganz anderer Stelle gesucht wer¬
den — sagen wir einmal im Blute. Mit dem Blut circulirt der Bösewicht im Kör¬
per, die rheumatische Schärfe der Alten ist ein corpusculäres Element, ein klein¬
stes organisirtes Wesen, das zu seinem unheimlichen Treiben mit ganz besonderer
Vorliebe die Gelenke aufsucht, weil es hier die besten Bedingungen zu seiner Er¬
nährung und Entwicklung findet. Die Thatsache, dass uns der Versuch, das an¬
genommene organisirte Krankheitsgift im Blute nachzuweisen, bis jetzt noch nicht
gelungen ist, beweist nichts gegen die Annahme, da dieser Nachweis bekanntlich
fiir die weit überwiegende Mehrzahl der Infectionskrankheiten noch nicht beige¬
bracht ist.
Suchen wir nach Analogien in dem grossen Gebiete der Infectionskrankheiten,
e o ist die Ausbeute in der That gross.
Schon sehr früh ist man aufmerksam geworden auf das Auftreten von Gelenk-
r beumatismus nach Scharlach. Pidoux , Graves, Chomel, Valley , Trousseau u. A. haben
besonders auf diesen Zusammenhang hingewiesen und Leon Blondeau spricht aus¬
drücklich von der augenscheinlichen Verwandtschaft beider Krankheiten, welche
A us der Analogie der Complicationen sich ergibt. Der scarlatinöse Gelenkrheu¬
matismus tritt flm häufigsten i n der Zeit der beginnenden Desquamation auf, kann
aber auch sonst jederzeit auftreten, bei schwerem und bei leichtem Scharlach. Er
| 9 t vollständig identisch mit der gewöhnlichen Polyarthritis und macht die gleichen
Complicationen des Herzens und der serösen Häute. Alle Vermuthungen einer
besonderen Disposition zu Rheumarthritis, bedingt durch die grössere Empfindlich¬
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keit der Haut in Folge des Ausschlags und der Abschuppung treffen nicht zu.
Meine Ansicht ist: der scarlatinöse Gelenkrheumatismus ist nicht ein zufälliges
räthselhaftes Accedens, eine neue Krankheit, sondern eine Infection der Gelenke,
welche mit der Endocarditis scarlatinosa, mit der Entzündung der Nieren — wo be¬
kanntlich die Micrococcen von den besten Beobachtern gefunden wurden — auf
eine Linie zu stellen ist. — In ganz gleicher Weise erkläre ich den acuten Ge¬
lenkrheumatismus, der schon vor 200 Jahren als Nachkrankheit der epi¬
demischen Ruhr beobachtet wurde und von zahlreichen Beobachtern auch
nach den Ruhrepidemien dieses Jahrhunderts in grösserer oder geringerer Häufigkeit
gesehen wurde. Als einfache Complicationen durch das betreffende infectiöse
Princip hervorgerufen betrachte ich auch die Fälle, welche ich im Verlauf von
Erysipel und Diphtheritis auftreten sah. Volkmann und Hueler machten in neuerer
Zeit besonders auf das Auftreten von acuten multiplen Gelenkaffectionen im Ver¬
laufe von Scharlach, Ruhr, Diphtheritis u. s. w. aufmerksam. Leider reicht die Zeit
nicht mehr aus, auf diese interessanten Verhältnisse näher einzugehen. — Gestatten
Sie mir nur, auf den bemerkenswerthen Fall aufmerksam zu machen, den ich in
diesem Frühjahr zu beobachten Gelegenheit hatte, wo ein junger Mann während
des Verlaufes einer diphtheritischen (nicht scarlatinösen) Angina zuerst von einer
circumscripten trockenen Pericarditis, dann von einem 14tägigon acuten Gelenk¬
rheumatismus und zuletzt — nach vollständigem Ablauf der Diphtheritis und Peri¬
carditis — von einer zweifellosen Endocarditis befallen wurde.
Beim Typhus exanthematicus, beim Typhus recurrens, beim biliösen
Typhoid werden öfters Gelenkaffectionen beobachtet, welche im Beginne der Krank¬
heit nicht selten zu Verwechslung mit Gelenkrheumatismus Anlass geben. — Alle
erfahrenen Syphilidologen machen auf die Combination von Gonorrhoe mit multiplem
Gelenkrheumatismus — wohl zu unterscheiden von der schweren gonorrhoischen
Entzündung einzelner Gelenke — aufmerksam; ich habe 3 Fälle gesehen, welche
sich höchstens durch einen etwas chronischeren Verlauf und jeweils den Mangel
von Herzaffection von einem ganz gewöhnlichen Gelenkrheumatismus unterschieden.
Die Beobachtung ist schon alt, hieher gehören Duparcque 's und Jägerschmidt's Fälle
von Ueberspringen des Gelenkrheuma auf die Urethra — die rheumatische Go¬
norrhoe. —
Während des Eruptionsfiebers der Syphilis ist von Vajda und
Volkmann das Auftreten eines acuten Gelenkrheumatismus beobachtet worden;
Bäumler und Duffin beschreiben solche Fälle aus dem spätem Verlaufe der Syphi¬
lis, wo die Gelenkaffectionen die grösste Aehnlichkeit mit dem acuten Gelenk¬
rheumatismus hatten.
Bei Rotz und Milzbrand kommen im Beginne hie und da sehr heftige
Gelenkschmerzen mit Röthung und Schwellung vor, so dass nach Bollinger bei
mangelnder Anamnese anfangs die Diagnose Gelenkrheumatismus fälschlich ge¬
macht wird.
Bei Typhus abd., Pyaemie, Septicaemie, im Puerperium, bei Endo¬
carditis ulcer. kommen flüchtige Synovitiden vor, welche wohl zu unterscheiden
sind von den schweren pymmischen Gelenkeiterungen.
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Zweimal sah ich bei fötider Bronchitis mit Bronchiectasien fluchtige (fieber-
Gelenkaffectionen auftreten; die Beobachtung ist schon lange bekannt, hat
aber bis jetzt noch keine Erklärung gefunden. Ich fühle grosse Versuchung, auch
diese Erscheinung als eine Infection der Gelenke zu taxiren, analog den hie und
da vorkommenden metastatischen Hirnabscessen.
Am täuschendsten aber finden wir unsere Polyarthritis bei der in heissen Län-
dern epidemisch auftretenden Krankheit, welche wegen des hervorragendsten Symp¬
toms — der Gelenkschmerzen - Dengue-Fieber, Knöchelfieber, Aburu-
kah-Bah (Vater des Kniees) oder Dandy-Fever genannt worden ist.
Ausnahmslos soll die erste der aus 2 Paroxysmen bestehenden Krankheit von
multiplen Gelenkschmerzen begleitet sein. Kleine und grosse Gelenke werden
ohne Unterschied, selten weniger als 6—8, eines nach dem andern befallen. Die
befallenen Gelenke sind geschwollen, rotb, unbeweglich, schmerzhaft und auf Druck
überaus empfindlich. Die Schmerzen lassen mit dem Fieber nach, persistiren aber
Auch hie und da Wochen, selbst Monate lang. Auch Herzaffectionen sind beob-
achtet, aber, wie es scheint, sehr selten. — Gibt es eine passendere Analogie?
Mit der Annahme eines infectiösen Princips, das durch den Körper kreist und
mit Auswahl den besten Nährboden zu seiner Entwicklung in den innern Organen
aufsucht, fällt auch der Schleier, welcher bisher das Verständnis der Complicatio-
nen umhüllte. Die früher so vagen und dehnbaren Begriffe von den rheumatischen
Metastasen, von der Verbreitung durch Consens, die ohne Analogie dastehende
supponirte Thatsache von einem chemischen im Blute gelösten Gifte — der Milch¬
säure* welches an den verschiedensten Stellen entzündungserregend wirken sollte,
erhalten auf diese Weise eine fassbare Seite. Jetzt erst haben wir ein richtiges
Verständniss für die so häufigen*) Herzaffectionen, namentlich für die Endocarditis,
vrelche mit Ausnahme der sclerotischen, die ein ganz anderer Process ist — nur
bei Infectionskrankheiten vorkommt und auch in jenen Fällen, wo sie primär auf-
tritt — ^ie mycotische und diphtheritische Endocarditis — eine entschiedene In-
f©ctionskrankheit ist. — Nun werden auch jene Fälle klar, wo thatsächlich der
^j^lenkÄffection die acute fieberhafte Erkrankung des Herzens voranging; hier liegt
Verständniss für die schon lange gemachte Beobachtung, welche so auffallend
we nig Beachtung fand und ungeeignet für eine Erklärung nach den frühem Theo-
r j e n stillschweigend bei Seite gelassen wurde, bis sie Hotop zur klinischen Stütze
Es ist hier nicht unsere Aufgabe, auf die vergleichende Statistik der verschiedenen Compli-
tion e n naher einzugehen. Da ich aber auch über diese Verhältnisse unserer sümmtlichen Fülle ge-
c c rynbellen besitze, erlaube ich mir, auf den Procentsatz der wichtigsten Complicationen unserer
sa0 jmenatellung beiläufig aufmerksam zu machen. Unter unsern 274 Fallen finden sich 89, welche
n fr Obern Anfallen von Gelenkrheumatismus an alten Klappenfehlern litten. Bei der procentischen
^jyjinoaog der frischen Klappenaffectionen lasse ich dieselben ausser Rechnung, da die Diagnose eine«
endocarditiachen Processen bei alter KlappenafFection bekanntlich öfter auf unüberwindliche
Sinder 11 *® 11 ® atöeat. Unter den übrig bleibenden Füllen finde ich 83 Mal eine frische Herzaffection und
**4“? Mal Endocarditis, 24 Mal Peri-Endocarditis und 12 Mal einfache Pericarditis, was 31,06*/*
* Dieser Procentaatz überbietet allerdings viele andere Statistiken, gleichwohl muss ich aber
Ä ° n ge daran festhalten, da ich irgendwie zweifelhafte Fülle unberücksichtigt Hess und bei der Beur-
B y. r ilifofi fle * ir britisch vorzugehen mich bemühte. 27 Mal unter sümmtlichen Füllen beobachteten wir
*• i »che Ergüsse in der Mehrzahl neben frischer Herzaffection, besonders bei Pericarditis. — Im
P le ^» r iö»eater des Jahres 1876 kamen allein unter 87 Erkrankungen 19 zweifellose Fülle von acuter
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der mit der Infectionstheorie nächst verwandten, aber widerlegten Hueter' sehen Hy¬
pothese benützte. Graves, Stokes , Lebert u. A. haben solche Fälle beschrieben; aus
der eigenen Statistik stehen mir ebenfalls einige (jedenfalls 3) Fälle zu Gebote,
welche keinen Zweifel darüber bestehen lassen, dass das Herz die erste Localisa-
tion der Krankheit sein kann. Details muss ich gänzlich übergehen.
Mit dieser Annahme können wir auch am ungezwungensten die hie und da
auftretende eitrige Meningitis erklären; wahrscheinlich sind überhaupt alle secun-
dären — nicht traumatischen — eitrigen Meningitiden nichts anderes als eine In-
fection der Pia. So allein verstehen wir das seltene Vorkommen multipler Gelenk¬
eiterungen und metastatischer Abscesse in verschiedenen innern Organen, eine Er¬
scheinung, welche wegen ihrer Aehnlichkeit mit Puerperalfieber seiner Zeit Bouil-
laud zur Aufstellung des Rheumatismus puerperal, veranlasste.
Nun findet auch die acute Melancholie, welche meist ziemlich rasch vorüber¬
geht, hie und da aber auch den Kranken auf lange Zeit in eine Irrenanstalt führt,
ihre Analogie bei den im Verlaufe anderer Infectionskrankheiten — Typhus, Schar¬
lach, Pocken, Erysipel — auftretenden Psychosen.
Nun erklären sich auch die selten auf nicht embolischem Wege entstehenden
Nephritiden, deren ich 2 gesehen habe. — Hie und da sieht man auch einmal eine
Pneumonie auftreten, welche alle Eigenschaften der eigenthümlichen typhösen Pneu¬
monie an sich trägt.
Vergessen wir nicht das interessante Vorkommniss der sogenannten Hyper-
pyrexie, der toxämischen Blutdissolution, der sepsis sanguinis, welche mit keiner
einzigen der andern Theorien in Einklang gebracht werden kann und am aller¬
ehesten mit der Annahme einer pernieiösen Entmischung des Blutes durch bedeu¬
tende Anhäufung des Giftes dem Verständniss näher gerückt wird. Unter unsern
Fällen sind 4 mit Hyperpyrexie. Unter bedeutender Steigerung des Fiebers bis
42° und darüber, im ersten Fall, der tödtlich verlief, bis 43,5° gehen die Gelenk¬
schmerzen vollständig zurück, schwere Hirnsymptome, Delirien, totale Bewusst¬
losigkeit treten auf und der Tod ist unabwendbar, wenn nicht wie bei unsern letz¬
ten 3 Fällen durch eine heroische Behandlung — Eisbäder — die Temperatur so¬
fort heruntergedrückt wird. Solche Hyperpyrexien kommen nur bei Infections¬
krankheiten vor; bei Erysipel, Intermittens und Typhus kenne ich sie aus eigener
Anschauung; nach der Beobachtung Anderer noch besonders von Scarlatina, von
den Pocken, selten von Masern und vom Denguefieber.
Den Schwerpunct der ganzen Argumentation wollen wir nicht auf diese zahl¬
reichen Analogien und Wahrscheinlichkeitsgründe legen; das Gebäude , welches
wir damit aufgebaut, erhält noch eine ganz wesentliche Stütze in der pathologi¬
schen Anatomie. Schon im Jahre 1871 wurden von v. Recklinghausen bei einem
acuten Gelenkrheumatismus mit kleinen multiplen Abscessen Anhäufungen kleiner
Organismen gefunden, — ganz gleich wie bei den metastatischen Abscessen der
Pyaemie und des Puerperalfiebers — welche er Micrococcen nannte. Eine weitere
Beobachtung, welche sich eng an die v. Recklinghausen' sehe anschliesst, veröffent¬
lichte Fleischhauer (1873,). Im Centrum miliarer Abscesse (in beiden Lungen, im
Herzen, in den Nieren, fast in allen Muskeln) wurden Rasen von Micrococcen ge-
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funden. Diese Fälle, welche ganz unter dem klinischen Bilde von Gelenkrheuma¬
tismus verliefen, reihen sich den ähnlichen von Eberth , Heiberg u. A. beschriebenen
Fällen an, wo bei völlig intacter Haut multiple kleine Abscesse mit Pilzcolonien
- ohne Polyarthritis synov. — gefunden wurden.
Bei einem der wenigen (5 im Ganzen) letal verlaufenen Fälle unserer Stati¬
stik ist von Prof. Eberth (1875) mit aller Bestimmtheit der mycotische Charakter
der Endocarditis nachgewiesen worden.
In allerneuester Zeit (1878) spricht sich Prof. Köster in Bonn („die embolische
Endocarditis“, Virchow 's Archiv) nach seiner Erfahrung dahin aus, dass jede acute
Endocarditis, namentlich auch die verrucöse Form, welche man beim acuten Ge¬
lenkrheumatismus findet, auf einer micrococcischen Affection der Klappen beruhe,
und dass man bei jeder, zur rechten Zeit der anatomischen Untersuchung zugäng¬
lich, die Pilzcolonien finde. Nach den Resultaten seiner Untersuchungen beruht
die Endocarditis auf einer Micrococcenembolie der Klappe, was in der That manche
Erscheinung am besten erklärt.
Ich kann mich hier unmöglich auf eine Kritik dieser anatomischen Befunde
einlÄSsen. Ich will nur denjenigen, der sich einen besondern Scepticismus zum
Gebote macht, an die geschichtliche Entwicklung der Parasitenlehrc erinnern, an
<3 io ungeahnten Erfolge, welche auf diesem Gebiete erzielt worden sind. Sind die
C?&er/neier'sche Entdeckung der Recurrensspirillen und die Davaine'sche Entdeckung
der Milzbrandbaccillen, sind die Forschungen über die Diphtherie, Pysemie u. s. w.
nicht geeignet, zu weitern Untersuchungen anzuspornen?
Wir sind nun am Schlüsse unserer Betrachtungen angelangt und halten uns
f&r berechtigt zu sagen: Wenn auch die Theorie von der infectiösen Natur des
»eilten Gelenkrheumatismus noch weiterer Beweise bedarf, so ist sie doch keine
einfache theoretische Speculation und stellt einen Gesichtspunct auf, der besser
»1s jeder andere in dem dunkeln Gebiete Ordnung erkennen lässt und der fort-
sC |j r eitenden Forschung die Wege zeigt, auf denen man wohl zum sichern Ziele
gelangen wird. _
"V ereinsberichte.
Medicinisch-pharmaceutischer Bezirksverein des bern. Mittellandes.
Während der ersten sechs Monate des Jahres 1878 wurden 9 Sitzungen abge-
alten. In den 4 Sitzungen vom 29. Januar bis 19. Februar wurde das von Herrn
j^ c gierungsrath Bodenheimer , Director des Innern, entworfene neue Gesetz
- t> c r öffentliche Gesundheitspflege und Lebensmittelpolizei
j n gehend besprochen. Der Verein sprach sich im Allgemeinen für die Opportunität
c in eS s0 ^ c ^ en Gesetzes aus. Bei der artikclweise vorgenommenen Discussion wur-
<3e* 1 mehrere Abänderungen, bald sachlicher, bald mehr redactioneller Natur vor-
escbUgen.
Jn den 5 anderen Sitzungen wurden folgende Vorträge gehalten:
Sitzung vom 12. Januar 1878.
Dr. Emil Emmerl empfiehlt in wenigen Worten den geschliffenen Alaunstein
gji Stelle des Kupfervitriols besonders gegen Borken, chronische, catarrhalische
Bindehautentzündung
Bindehautentzündun
jectiven Erscheinen
Jahre in schon übe
Hauer des Brennet
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Bindehautentzündungen, Schwellungscatarrh und leichtere Formen der granulösen
Bindehautentzündung und rühmt an demselben vorzüglich die kurze Dauer der sub-
jectiven Erscheinungen, welche er hervorruft. Obschon er den Alaun seit vorigem
Jahre in schon über hundert Fällen angewendet, habe er niemals eine längere
Dauer des Brennens als während */* bis höchstens Va Minute beobachtet, während
beim Kupfervitriol dasselbe nicht selten mehrere Stunden anhalte. Er könne daher
das Mittel durchaus empfehlen, ebenso wie Hugo Magnus , P. D. in Breslau, dem
das Verdienst gebühre zum ersten Male im Jahre 1876 bestimmtere Indicationen
für dasselbe aufgestellt zu haben.
Nach diesen kurzen Bemerkungen geht E. zu dem von ihm angekündigten
Tractandum „Glaukom“ über.
Innerhalb Jahresfrist habe die Ophthalmologie zwei grössere Entdeckungen zu
verzeichnen. Die Eine sei zwar das Verdienst eines Physiologen, denn am 12. No¬
vember 1876 habe Boll in Rom der Academie in Berlin die Mittheilung gemacht,
dass die Netzhaut nicht farblos oder weisslich, sondern purpurfarben sei. Die an¬
dere sei das Verdienst des Augenarztes Ad. Weber in Darmstadt und sei mehr aus
dem Gebiete der practischen Augenheilkunde.
Während der Sitz des Glaukoms früher in die Krystalllinse, dann in den Glas¬
körper, hierauf in die Netzhaut, endlich in die Chorioidea verlegt wurde und Don -
ders Reizungen im Gebiete des Trigeminus, v. Gräfe ein Chorioiditis serosa als Ur¬
sache annahmen, kam Weber, nachdem er während einer Reihe von Jahren zahl¬
reiche Experimente nach allen Richtungen gemacht hatte (Injectionen verschieden¬
artiger Substanzen in den Glaskörper rufen allgemeine Tuberculose hervor), und
welche E. ebenso wie die Erscheinungen des Glaukoms bespricht, zu dem Resul¬
tate, dass alle Arten von Glaukomen, primäre und secundäre, eine Folge seien
von Circulationsstörungen. Das Auge habe nur einen Zufluss, das seien die Ar¬
terien, dagegen drei Abflusswege, die Venen, die Lymphgefässe und die Fontana'-
schen Räume. Bei Unterbindung einzelner oder aller Venae verticosae entstehe
eigentliches Glaukom (kolossale Drucksteigerung sah Adamrik nach demselben Ex¬
perimente, Slilling nach Unterbindung des Sehnerven). Wird Oel in die vordere
Augenkammer gespritzt, so entsteht ebenfalls eigentliches Glaukom. Dasselbe könne
zu Stande kommen, wenn die Linse in die vordere Kammer luxirt werde, wobei
sich der Rand der Linse in den Raum zwischen Cornea und Iris einkeile.
Der anatomisch-pathologische Befund in allen Fällen sei ein Abschluss der
Filtrationswege der Fonfana’schen Räume, im letztgenannten Falle durch die Linse
hervorgerufen, im vorhergehenden durch das Oel, in den übrigen experimentellen
Fällen, ebenso wie in Fällen an Glaukom erkrankter und enucleirter Augen, durch
Anlegung oder selbst Anlöthung der Irisperipherie an die Cornea, wodurch die
Fon/atta’schen Räume von der übrigen Kammer abgeschlossen wurden. Letzterer
Zustand sei die Folge einer mehr oder weniger bedeutenden Anschwellung der
Ciliarfortsätze, durch welche eine solche Verdrängung der Irisperipherie erfolgen
müsse. Die Anschwellung der Ciliarfortsätze sei aber die Folge einer Circulations-
störung und werde daher Glaukom am häufigsten bei Individuen beobachtet, welche
an Herabsetzung des Arteriendruckes in Folge Krankheiten, Herzfehlern etc. lei—
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I
i
den. Dazu komme aber noch ein neues Moment, nämlich die Compression des
Circulus arteriosus iridis major, durch welche die blosse Stauung zu einer
S t a s e werde; diese finde sich meistens bei acutem Glaukom, fast wie bei chro¬
nischem. Die Möglichkeit des Eintrittes dieses Vorkommnisses beruhe hauptsäch¬
lich in dem besondern Bau, der eigentümlichen Form des Ciliarmuskels, welcher
dasselbe besonders im hypermetropen Auge begünstige, daher acutes Glaukom am
häufigsten bei hypermetropen Augen zu beobachten sei. Dieselbe Ursache wie den
primären Glaukomen liege den secundären zu Grunde, indem bei diesen in Folge
langdauernder entzündlicher Processe im Auge auch allmälig eine Verlegung, selbst
Verwachsung der Fontana' sehen Räume zu Stande komme.
In diesen rein mechanischen Verhältnissen beruhe auch der mitunter zu Glau¬
kom führende Gebrauch des Atropin, die möglicherweise günstige Wirkung des
Eserin, in noch höherem Grade des Pilocarpin und der Iridektomie, welche eben
zu Freiwerden der Fontana'ßchen Räume führen.
Hauptsächlich auf pathologisch-anatomische Befunde sich stützende Mitthei¬
lungen erschienen von Knies in Heidelberg, Brailey an Moosfields Hospital in Lon¬
don und Goldzieher in Budapest über denselben Gegenstand- Knies betrachtet eben¬
falls als Hauptursache des Glaukoms die Verlegung der Fon/omi’schen Räume be¬
sonders durch Entzündung der Umgebung des Schlamm' sehen Canals, Brailey fand
in der Mehrzahl der Fälle (stützt sich auf 53) Anlöthung oder Verwachsung der
Irisperipherie mit der hintern Cornealfläche, betrachtet dieses Moment aber nicht
als Ursächliches der Druckerhöhung, es unterhalte dieselbe nur, und Goldzieker
sieht die ursprüngliche Entstehungsursache des Glaukoms in Atrophie der Chorioi-
dea, mit welcher gleichzeitig Erweiterung einzelner Gefässbezirke, Verengerung
oder Obliteration anderer und somit collaterale Stauung verbunden sein soll.
Wahrscheinlich sind wir noch nicht am Schlüsse der Entdeckungen angelangt
und es dürfte vielleicht wahrscheinlich sein, dass man vordere und hintere und
-vielleicht noch andere Glaukome wird unterscheiden müssen.
ln derselben Sitzung stellte sich ein 25 Jahre alter Mann aus der Normandie
vor. Derselbe litt an colossaler Elephantiasis der unteren Extremitäten.
Xlie Krankheit wurde schon bei der Geburt bemerkt. Die Verdickung und Pig-
xuentirung nahm ganz allmälig zu. Seit etwa 6 Jahren ist nach Angabe des Pa¬
tienten vollständiger Stillstand eingetreten. Der Fall wurde Anfangs von Aerzten
Ä ls Lepra gedeutet. Prof. Bemme bemerkt aber, dass bei der Lepra die Verdickung
sich nicht, wie es hier der Fall ist, auf die unteren Extremitäten beschränkt. In diesem
jTalle war auch die Pigmentirung und Schuppenbildung das erste, erst später zeigte
sich die Verdickung. Es handelt sich um einen Fall von Elephantiasis arabum
^rie sie in Europa in den Küstenstrichen, auch in Egypten, Brasilien, America vor-
j^onimen. Es ist wesentlich eine durch chronische Entzündung hervorgerufene
jjypertrophie der Haut und des subcutanen Bindegewebes. — Auffallend ist in
Riesen 3 Falle die Temperaturerniedrigung des erkrankten Theiles- Der Mann ist
ß onat gut gebaut, gesund und kräftig. Auch in den unteren Extremitäten ist die
Muskelkraft eine gute.
Der Umfang des rechten Beines ist 110 cm., des linken 94 cm. — Das Kör¬
pergewicht beträgt 3'
tbyose bemerkbar 6ei
die Krankheit i
Prof. Müller ber
des Uterus. Dersd
001 (Vide Corresi
Element
in tu
chologj
den
ten
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pergewicht beträgt 360 8. Dr. Weber bemerkt, dass an den Ellenbogen auch Ich-
thyose bemerkbar sei, was die anamnestischen Angaben des Patienten bestätigt, es
habe die Krankheit mit Ichthyose begonnen.
Sitzung vom 26. Februar 1878.
Prof. Müller berichtet über einen Fall von Kaisersch nitt mit Exstirpation
des Uterus. Derselbe ist in extenso in dem Centralblatt für Gynsecologie erschie¬
nen. (Vide Correspondenzblatt 1878, pag. 406.)
Tfceferate und Kritiken.
Handbuch der Geisteskrankheiten.
Von Dr. H. Schule , Arzt der Irrenanstalt Illenau. Leipzig, Vogel, 1878. 8. 732.
Es bildet dieses Buch den 16. Band des Ziemssen ’sehen grossen Handbuchs der spe-
ciellen Pathologie und Therapie. Wir anerkennen das rechtzeitige Erscheinen dieses
Bandes um so mehr, als bekanntlich die Geisteskrankheiten des gleichartigen FircAotc’scheu
Sammelwerkes immer noch auf sich warten lassen.
Das Buch ist in 3 Theile getheilt, von denen der 1. eine psychologische Einleitung,
der 2. die allgemeine Pathologie der Beelenstörungen, d. h. die Störungen der psychischen
Elementarfunctionen, der 8. endlich die specielle Psychopathologie enthält. Es lässt sich
im Allgemeinen gegen diese Eintheilung um so weniger etwas sagen, als der erste psy¬
chologische Theil die gebührende Einschränkung erhalten hat, wobei immerhin der Er¬
wägung Raum zu geben ist, ob nicht der Inhalt dieses Theils, soweit dessen Anführung
überhaupt nöthig war, sogleich mit dem des 2. Theiles zu einem Ganzen hätte verbun¬
den werden können. Dagegen nimmt meines Erachtens der 2. Theil einen viel zu gros¬
sen Raum ein. Die allgemeine Pathologie übertrifft an Ausdehnung bei weitem die spe¬
cielle ; denn der grössere Theil des Inhalts der Capitel 24, 25 und 26 gehört auch in den
allgemeinen Theil.
Es ist die allgemeine Pathologie der Psychosen ohne Zweifel wichtig genug, bilden
doch die Störungen der psychischen Elementarcrscheinungen, die Aetiologie der Psycho¬
sen noch immer die Hauptgrundlagen der Psychiatrie. Aber sie gehört in dieser Aus¬
dehnung nicht in eine specielle Pathologie und Therapie, wie sie nun einmal von diesem
Buche erwartet wurde, das einen Theil eines Handbuchs der speciellen Pathologie und
Theropie bildet. Sie mag dann für sich behandelt werden, wie es in der übrigen Modi-
cin auch der Brauch ist. Es ist ja keine Frage, je jünger eine wissenschaftliche Disci-
plin ist, um so mehr muss sich ihre Darstellung in allgemeinen Sätzen halten. Erst der
Fortschritt, die Weiterentwicklung bringt Specialisirung. Je mehr allgemein also eine
Disciplin sich hält, auf einer um so niedrigeren Entwicklungsstufe steht sie. Wenn ich
nun auch, so gut wie einer, die Mängel der Psychiatrie kenne, den Standpunct nimmt sie
denn doch nicht mehr ein , der ihr im vorliegenden Buche angewiesen ist 8ie erlaubt,
ja sie nöthigt selbst durch das vorhandene Material durchaus zu einer specielleren Be¬
handlung ihros Stoffes. Es führen mich diose Erwägungen zum 3. Theile des Werkes,
nämlich zur speciellen Pathologie der Psychosen. Verf. beginnt denselben im 19. Capitel
mit der Eintheilung der Psychosen. Wir lernen dabei zu den vielen vorhandenen noch
ein neues System kennen. Verf. theilt die psychischen Störungen I. in geistige Defect-
und Entartungszustände, wohin er die angeborenen Defectzustände, Microcephalie und
Idiotismus, dann die auf Vererbung beruhenden DegeneresccnzzuBtände, wie das impulsive
und das moralische Irresein, fernere das auf schweren Neurosen beruhende epileptische,
hysterische und hypochondrische Irresein und endlich diu periodischen und circulären Psy¬
chosen rechnet; II. in Psychosen auf Grundlage organo-psychischer Vollentwicklung.
Letztere theilt er wieder ein in 1) Psychoneurosen, 2) in Cerebropsychosen, 8) in psy¬
chische Cerebropathien. Unter die Psychoneurosen rubricirt er die verschiedenartigen
Erscheinungsformen der Melancholie und der Tobsuoht, die psychischen Secundärzustände,
den primären Verfolgungswahn und die primäre Verrücktheit. Unter die Cerebropsycho¬
sen werden die Manien, das Delirium acutum, die Melancholia attonita, die katatonische
Verrücktheit, die acute Dementia und die „typische“ Dementia paralytioa gebracht. End-
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lieh die Gruppe der psychischen Cerebropathien umfasst die mit vorwaltenden psychischen
Erscheinungen verlaufenden Hirnkrankheiten, die man im Gänsen bisher unter dem Be¬
griffe der Dementia paralytica susammengefasst hat, da sie auch unter den Öymptomen
progressiver Dementia und Paralyse verlaufen. Verf. behandelt darunter eine Perience-
phalitis chronica und subacuta, die hämorrhagische Paccbymeningitis, die diffuse, sclero-
sirende Encephalitis, die diffuse Encephalitis mit Herdsymptomen, die in Folge von Neu¬
bildungen, die chronische Pcriencephalitis mit vorausgebender Tabes, die primäre Hirn¬
atrophie mit begleitender Tabes, die syphilitische Encephalitis.
Während Verf. die Psychosen der I. Gruppe im Grossen und Gänsen wenigstem
als durch Anlage erworbene, als angeborene, ererbte auffasst, gelten ihm die der II.
Gruppe als erworbene auf der Grundlage eines vollentwickelten Hirns. Von den Störun¬
gen der II. Gruppe lässt er bei den Psychoneurosen nur die geistigen Functionen afficirt
sein, und swar nur in soweit, als die psychische Mechanik noch erhalten bleibt. 8 ie sind
die klinisch leichtesten Formen. Bei den Cerebropsychosen handelt es sich nicht mehr
um rein psychische Störungen mit Schonung der psychischen Mechanik. Es handelt sich
um tiefere psychische Erkrankungen, zu denen als wesentlich sich regelmässig auch mo¬
torische Störungen gesellen. Bei den psychischen Cerebropathien soll dann die geistige
Störung erst eine secundäre sein. Das Wesentliche ist bei ihnen ein selbstständiges
palpables Hirnleiden, das auf die psychischen Bahnen Qbergegriffen hat.
80 viel Qbor den Inhalt des Werkes im Allgemeinen. Was seinen speciellen Inhalt
betrifft, so muss ich mich bei der Aufgabe und Natur unseres „Corresp.-Blattes* auf die
Besprechung des 3. Theils, die specielle Psychopathologie, beschränken. Unter den psy¬
chischen Krankheitsformen der I. Gruppe vermisse ich vor Allem die originäre Verrückt-
beit, die nach meinen Erfahrungen so gut, wie die sogenannte abortive Form der Ver¬
rücktheit, unter die specifisch erblichen Psychosen gohört, jedenfalls mehr dahin gehört
als die auf Grundlage von schweren Neurosen entstehenden.
Was die Krankheitsformen der II. Gruppe, der erworbenen Psychosen, betrifft, so
bleibt der Verf. ganz bei den bisher bekannten psychologischen krankheitsbildern stehen.
N ach seinem psychologisch-somatischen Eintheilungsprincipe vermeidet er es ängstlich,
eine Krankheitsgruppe auf ätiologischer Auffassung beruhend anzuführen.
So konnte es kommen, dass wir selbst die alcoholischen Psychosen einfach in der
allgemeinen Pathologie summarisch abgehandelt finden. Nun sind gerade dieee psychi¬
schen Störungen Bowohl charakterisirt nach allen klinischen Momenten, dabei sowohl stu-
dirt, dass eine gute Schilderung derselben gewiss einen Glanzpunct in der speciellen Pa¬
thologie der Psychosen bildete. Es sind in wahrem Sinne des Wortes speciflsche Krank-
beitsbilder. Es scheint Verf. nicht an die Specifität von Krankheitsfällen durch ätiolo¬
gische Beeinflussung zu glauben.
Weil nicht alle Krankheiten auf Grundlage von Alcohol specifischen Charakter ha¬
ben, gibt es auch keine specifisch alcoholischen Psychosen.
Und doch, wie es hereditäre, epileptische, hysterische speciflsche Psychosen gibt,
gibt es auch speciflsche infantile, puerile, traumatische, choreatische, auf allgemeinen
ßeberhaften Krankheitsprocessen beruhende, phthisische Psychosen, also Krankheitsfälle,
die sich durch ihre Entwicklung, Verlauf, Dauer, Ausgang etc. etc. von andern unter-
echeiden lassen. Nur muss man sich immer klar darüber sein, dass eine psychiatrische
I^ingnose nicht ausschliesslich auf den Symptomen, am allerwenigsten ausschliesslich aaf
den psychischen Symptomen, sondern vor Allem auch auf den übrigen klinischen Momen¬
ten beruhen muss.
Sodann, dass nicht alle von den oben genannten Momenten abhängigen Störungen
dienen specifischen Charakter besitzen müssen. Es gibt Tobsüchten aus Alcoholmisa-
-brauch, die sich von andern Tobsuchtsfällen nicht unterscheiden. Wir treffen auch bei
Epileptikern, Hysterischen einfache Melancholien von durchaus gewöhnlichem Charakter,
pas Gleiche gilt auch von den übrigen angegebenen ätiologischen Momenten. Daneben
gibt es aber zweifellos eine grössere Anzahl solcher wohlcharakterisirter, natürlicher
j£r*nkheitsbilder. Diese sind es, die den Gegenstand der speciellen Pathologie und The-
i-api® der Psychosen bilden sollen. Ihre Erkenntniss kennzeichnet den psychiatrischen
Eliniker. Mit Verwerthung dieses Principe wäre der Schwerpunct des Werkes, wie sich a
gebührte, in den speciellen Theil der Psychosen verlegt worden.
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Was bietet uns der Verf. als Ersatz dafür?
Beine Hirnneurosen sind die bisher bekannten psychischen Krankheitsformen der Mel.
simplcx, passiv«, torpida, agitata; der einfachen acuten und chronischen Manie; der par¬
tiellen Verrücktheit, nur mit dem Unterschiede, dass die Manie „Tobsucht“ genannt wird.
Wahrscheinlich geschah dies zur Vermehrung der einheitlichen Nomenclatur in der Psy¬
chiatrie.
Was die primären Verrücktheitsforraen betrifft, so ist vor Allem zu bemerken, dass
der Verf. acut verlaufende Zustände dieser Art kaum zu kennen scheint. Schon bei sei¬
nen Bemerkungen über die psychischen Störungen aus Alcohol führt er an, dass die von
Nasse mitgctheilten Fälle alcoholischer Verrücktheit die acute Form derselben repräsenti-
ren. Schon bei Gelegenheit der Schilderung dieser Fälle durch Nasse in Hamburg wurde
von Westphal und mir bemerkt, dass diese Schilderung der chronischen Form dieser Stö¬
rungen entspreche, und dass es aber häufige Formen gebe auf dieser Grundlage, die in
einigen Wochen nnd Monaten und zwar meist günstig verliefen, die die eigentliche acute
Form repräsentirten.
Solche acute Verrücktheitsformen kommen aber anch auf anderen Grundlagen vor als
nur auf alcoholischer, bilden überhaupt eine häufige path.-psych. Erscheinungsform von
durchaus anderem klinischen Charakter alB dem von Schule geschilderten.
Unter den vom Verf. Cerebropsychoeen genannten schwereren psychischen Störungen
führt er zuerst als „Manien“, die bisher als Furor, transitorische Psychose beschriebenen
Fälle auf. Weil Verf. die bisher von aller Welt als Manie gekannten Formen als Tob¬
sucht beschreibt, müssen die raptusartigen, paroxysmellen Psychosen den Namen „Manie“
haben, obwohl eie mit dem, was wir nun einmal als Manie anzusehen uns gewöhnt ha¬
ben, in ihrer ganzen klinischen Erscheinungsweise nichts, absolut nichts zu schaffen haben.
Aber es passt einmal ins System.
Was sodann als mania gravis beschrieben wird, ist eine nicht gerade glänzende
Schilderung der bisher von den Franzosen als Folie congestive, von Anderen als mania
idiopathica beschriebenen Krankheitsfälle.
Ich möchte nur gelegentlich bemerken, dass die Prognose dieser Formen nicht so
schlimm ist, als Sch. angibt.
Beim Delirium acutum vermisse ich vor Allem neben den idiopathischen und den
ansemischen Formen die symptomatischen, auf fieberhaften Krankheiten beruhenden, die
sich eben doch entschieden klinisch von beiden obigen Gruppen unterscheiden und an
Häufigkeit jede einzelne derselben Ubertreffen.
Was die nun kommenden Attonitätszustände, also die Melancholia attonita, die kata¬
tonische Verrücktheit, die primäre Dementia betrifft, so fasse ich die Melancholia attonita
mehr nur als graduelle Steigerung der Mel. passiva, Mel. torpida auf, denn als eine neue
Krankheitsform. Die Uebergänge von der einen in die andere Form, das Alterniren auch
mit den übrigen Formen der Melancholia gehört denn doch zur Regel. Uebrigens sind
auch nicht alle Mel. att. schwere psychieche Krankheitsformen; ich habe schon manchen
Fall in wenigen Wochen einen definitiv günstigen Ausgang nehmen sehen. Betreffend
die katatonische Verrücktheit möchte ich als pathogenetische Grundlage dieser Form eine
combinirende Wirkung zweier Krankheiten der einfachen Psychose und einer functioneilen
Neurose als der Epilepsie, der Chorea, der Tetanie, der Catalepsie, besonders betonen.
Wir sehen ja auch nicht seltene Formen der acuten alcoholischen Verrücktheit unter dem
Bilde der katatonischen Verrücktheit verlaufen.
In zweiter Linie bilden die Pathogenese Reizvorgänge im Gebiete der reflectorischen
spinalen Systeme, wofür der so häufige Zusammenhang mit Onanie, abusus sexualis etc.
etc. genügend spricht. Die primäre Dementia besteht durchaus nicht ausschliesslich in
der stuporösen Form.
Die Schilderung, die Verf. gibt, ist eine zu begrenzte, das Gebiet des primären Blöd¬
sinns ist ein viel weiteres. Den Schluss der Cerebropsychosen bildet die „typische“
Form der Dementia paralytica. Ich halte die Gründe des Verf. nicht für ausreichend,
um die Trennung dieser Krankheitsform von den Störungen der 8. Gruppe, den psychi¬
schen Cerebropathien zu rechtfertigen. Jedenfalls hat diese Form mehr klinischen und
pathologisch-anatomischen Zusammenhang mit den letztem als mit den meisten Krank¬
heitsformen der Cerebropsychosen. Ob dann die von Sch. geschilderte Form der Paralyse
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gerade „die typische, die das Bis che“ ist, dürfte wohl mehr persönliche Ansicht des Verf.
sein. Ich habe durch mein mannigfaltiges Beobachtungsmaterial immer mehr die Ueber-
zeugung gewonnen, dass die psychischen Symptome der Paralysen ganz wesentlich durch
äussere locale Verhältnisse beeinflusst sind, indem mir die Krankheit in dem einen Be*
obacbtungsbezirke unter einem wesentlich verschiedenen psychischen Symptomenbilde ent-
^egentrat als in einem anderen, während die nervösen Symptome sich allenthalben im
Grossen und Ganzen gleich blieben. Ich möchte daher auf erstere als differentielles dia¬
gnostisches Moment nicht das Gewicht legen, wie Verf. es thut
Was nun die Schilderungen der verschiedenen modificirten Formen der Paralyse be¬
trifft, so halte ich dieselben für einen willkommenen und dankeswerthen Versuch, in die¬
ses noch so sehr der Läuterung bedürftige Gebiet mehr Klarheit zu bringen. Es ver¬
spricht das vom Verf. eingeschlageue Verfahren gewiss fUr die Zukunft gute Erfolge,
wenn solche gründliche Beobachtungen und Untersuchungen in reichlicher Fülle von t
allen Seiten herbeigebracht werden. Im 24. Capitel sehen wir Verf. noch ziemlich {
auf dem Standpuncte der alten frriMt'nyer’schen Pathologie der Psychosen mit den ini¬
tialen Melancholien, der Auffassung der functionellen Psychosen als Reactionsformcn
gegen den psychischen Schmerz und als verschiedener Stadien einer typischen Psycho-
neurosc.
Die klinischen Untersuchungen der letzten Jahre haben nun doch wesentlich anderen
Anschauungen zum Durchbruch verholfen, denen auch ich mich anschliesse. Ich bin i
überzeugt, dass auch Griesinger diese Sätze nioht mehr aufgenommen hätte, wenn er eine
neue Psychiatrie geschrieben hätte. Wie Verf. ein neues Einthoilungssystem der Psy¬
chosen aufstellte, können wir auch eine neue Theorie dieser Krankheiten in seinem Buche
lesen, die wirklich recht lesenswerth ist.
Im Capitel über Prognose theile ich den Ausspruch des Verf., dass „Blödsinn und
XJuheilbarkeit“ nicht als identisch aufgefasBt werden dürfen, nach meinen Erfahrungen
als sehr richtig. Dass die primären Verrücktheitsformen nicht allgemein die schlimme
Prognose verdienen, wie sie ihnen Sch. gibt, habe ich früher angedeutet. Im 26. Capitel
lesen wir gerne die Lobrede auf den No-Restraint. Sie würde noch sohöner klingen,
wenn sie weniger von Restrictionen und Indicationen zu gebieterischem Einschreiten um¬
geben wäre, und nicht gar noch Neumann als objectiver Beurtheiler in dieser Frage «u
Hülfe gezogen wäre. Dass Verf. die Behandlung der Irren, besonders der aufgeregten,
ja der Bettruhe mit nur wenigen Worten abthut, zeigt, dass er nicht das volle Bewusst-
sein von der hohen Bedeutung dieser Behandlungsart hat. In Betreff dor Behandlung der
claesischen Paralyse gilt wohl vor Allem der Grundsatz, der von Simon aufgestellt wurde, <
den Aerzten die Entwicklung dieser Krankheit kennen zu lehren, um sie dann zu ihrer ,
günstigsten Angriffszeit behandeln und heilen zu können. Auch über diesen nach meiner
tJeberzeugung und nach meinen Erfahrungen ungemein wichtigen Punct finden wir kaum
inehr als Andeutungen.
Wenn ich von meinem Standpuncte Manches an dem Buohe auszusetzen hatte, auch
noch vielerlei aussetzen könnte, begrüsse ich dasselbe doch als einen verdankenswertheu
Fortschritt in der psychiatrischen Litteratur. Wir finden auch einen reichen Schatz von
j£rfahruogen, Studien und neuen Gesichtspuncten darin niedergelegt, wie ja von dem
ebenso gelehrten als strebsamen und erfahrenen Verfasser nicht anders zu erwarten war.
•Vieles, worin ich mit dem Verf. nicht Ubereinstimme, sind Dinge, übor die man verschie¬
dener Meinung sein kann. Anderes beruht auf dem mehr einseitigen und unvollständigen
peobachtungsmateriale, das nun einmal die grossen Irrenanstalten für das Studium der
Psychosen bieten.
Was ich aber vor Allem dem Verf. bei einer späteren Auflage seines Buches em¬
pfohlen möchte, das ist eine Modification des Styls darin , sodann eine Selbstbeschrln-
Jcang io der Aufstellung von Erklärungsversuchen und Hypothesen. Das Buch sollte
doch vor Allem den ärztlichen Kreisen empfohlen werden dürfen. Für diese mangelt es
oft der Klarheit, und erhält der Inhalt den Charakter der Phrase bei den häufig krampf-
bafteo Versuchen, geistreich zu sein. In letzterer Beziehung sollte mehr Gewicht aufs
r pbatsächliche, auf die Beobachtung gelegt werden. Die Hypothesen kann sich ja Jeder
selbst schliesslich machen. I* W.
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601
Cantonale Correspondenzen.
Unterwalden. Zur Infectionslehre. Es ist nur ein kleiner Bruchstein,
den ich zum Auebaue der Lehre über das Wesen der Infection beitragen möchte. Viel¬
leicht findet er aber doch auch sein bescheidenes Plätzchen.
Ich habe schon einmal die Meinung ausgesprochen, dass es in den Städten schwer,
oft geradezu unmöglich sei, die Entstehung einer Epidemie und ihren Verlauf exact nach¬
zuweisen. Der vielfach verunreinigte Untergrund, die mannigfaltigen todten und lebenden
Communicationen, über und unter der Erde, zwischen den Häusern und ihren Bewohnern,
der beständige Wechsel des agirenden activen und passiven Personales, sowie der Um¬
stand, dass in der Regel mehrere Aerzte an der Bekämpfung der Seuche participiren,
und sich einzelne Erkrankte, die vielleicht gerade die fehlenden Bindeglieder des Circu¬
lus vitiosus bilden, ganz der ärztlichen Beobachtung entziehen, all’ diese Factoren er¬
schweren das Studium der Epidemie ausserordentlich.
Auf dem Lande dagegen sind alle Verhältnisse homogener, stabiler, offener, und in
der Regel ist es nur e i n Arzt, der eingreift und zwar mit voller Kenntniss des Persona¬
les und aller Verhältnisse.
Man sieht da so manchmal vom näher oder ferner liegenden industriellen Centrum
aus die Masern, den Scharlach oder Keuchhusten von Dorf zu Dorf heranmarschiren, seine
Opfer finden und weiter ziehen, oft auf recht abenteuerlichen und krummen Wegen.
Immer wird der wesentliche Unterschied des Charakters der verschiedenen Seuchen in
ihrer Aetiologie, ihrer Weiterverbreitung und ihrem Verlaufe frappant klar. Wie ganz
anders kommt und geht Scharlach als Masern oder gar als Croup oder Typhus! Beim
Croup namentlich, der bei uns glücklicher Weise ein seltener Gast ist und jeweilen für
längere Zeit vollkommen verschwindet, habe ich die ganz unerklärliche Art seines Wan-
derns und die ebenso räthselhafte persönliche Disposition sehr schön studiren können.
Heute möchte ich jedoch eine im Winter 1877/78 in Ajaccio auf Corsica beobach¬
tete Reihe von catarrhalischen bis diphtheritischen Anginen mittheilen.
Das Fremdenquartier Ajaccio’s, der Cours Grandval, an dem die Wintercuranden
wohnen, liegt excellent. Er bildet die gerade Verlängerung des Hafens und der von ihm
ausgehenden breiten Strasse, ist ausserhalb der 8tadt, hat auf ca. Ö00 Schritte vor sich
das Meer und hinter sich überall üppige Vegetation (Oliven, Orangen, Citronen etc. und
Gemüseculturen). Da er sich an einer flachen Abdachung hinzieht und unter dem Humus
überall harter, massiver Granit anstösst, fliessen alle atmosphärischen Niederschläge sofort
ab; der Boden ist immer rasch trocken ; Malaria fehlte ganz bei den Einheimischen und
in die vielen Culturen führen überall Wasserleitungen, da Pumpbrunnen (de3 Fehlens
subterrestrer Stauungsmulden wegen) nicht können angelegt werden.
Die Häuser stehen nicht dicht und sind theilweise von Gärten umgeben. Südwest¬
lich liegt, ca. 1000 Schritte weit weg das Civilspital, Höpital 8te. Eugdoie, von dem aus
die herrschende Windrichtung Krankheitserreger zum Fremdenquartiere hätten binauf-
tragen können, südöstlich das Militärspital (600 Schritte). In beiden kam im letzten
Jahre und überhaupt seit längerer Zeit keinerlei Diphtherie, kein Scharlach vor. Auch
während der Wintersaison 1876/77 war nach Aussage des Wirthes und damaliger Cur-
gäste keine contagiöse Krankheit im Hötel und ebenso wenig ein gehäuftes Vorkommen
entzündlicher Rachenaffectionen aufgetreten.
In der Saison 1877/78 dagegen erkrankte eine grosse Zahl der Curanden an gewöhn¬
licher fieberfreier bis fieberhafter catarrhalischer Angina, Angina mit heftigster Schwel¬
lung und folliculären Abscessen und (ausserhalb des Hdtels) vier sogar an Diphtheritis
des Rachens und der Mundhöhle. Dabei hatte die Witterung absolut keinen Einfluss;
auch ganz schöne Monate stellten ihr Contingent Es erkrankten schwächliche , zu Ca-
tarrhen disponirte Individuen , aber ebenso gut ganz Gesunde (Abwartepersonal), bisher
noch nie von einer Affection des Rachens Befallene, immer aber nur Fremde (also Nicht-
acclimatisirte); die corsische Stadtbevölkerung blieb ganz verschont, wie ich von den
corsischen Herren Collegen erfuhr, die mir mittheilten, dass sie während der ganzen Zeit
überhaupt keine Anginen behandelten.
Der erete Fall trat auf am 15. November 1877 bei einem hochgradig tuberculösen
Holländer, 14 Tage nach seiner Ankunft: fieberhafte Angina tonsillaris. Er behauptete,
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dass in Amsterdam bei seiner Abreise nirgends Diphtheritis herrschte, jedenfalls nicht in
seiner Familie, in deren Mitte ihn sein Leiden bannte. In Ajaccio war damals keine
Spur von Diphtheritis, speciell nicht in den beiden Spitälern, wie ich mich persönlich
überzeugte.
Es folgten nun mehr oder weniger leichte Fälle gewöhnlicher catarrhalischer Angina,
zuweilen coroplicirt mit Corysea oder Cat laryng., bei bisher freien und bei schon öfters
heinigesuchten Individuen am 25., 26. Nov., 2., 6., 16, 20., 23. Dec. und 7. Januar 1878,
bis am 10. Januar die Krankheit ihren harmlosen Charakter änderte. In einer circa 800
Schritte oberhalb des Hötels freistehenden Villa, der gegenüber der letzte Patient wohnte,
erkrankte die Dame (Engländerin) mit heftigem Schüttelfröste (Intermittensanfall; vor
vielen Jahren acquirirte sie Intermittens in Bengalen und leidet seither von Zeit zu Zeit
an Recidiven; 2,0 Salicin in */, Stunde und je 2 Dosen von je 1,0 Vor- und Nachmit¬
tage. An den nachfolgenden Tagen sistirten die Anfälle und das Fieber so, dass auf
den ersten Anfall kein zweiter mehr folgte und die Temperatur von 40,9 auf 86,8 sank,
um 88,1 nicht mehr zu übersteigen) und heftiger Angina tonsillaris; am 15. wurden die
beiden Kinder krank, der l 1 /, jährige Knabe bekam nnr Angina tonsillaris mit heftig ge¬
schwellten Tonsillen und fast fieberlosem Verlaufe, das 4jährige Mädchen dagegen sofort
am ersten Abend 41,2 mit Frost, exquisit diphtheritischen Plaques auf Tonsillen und hin¬
terer Racheuwand, später leicht blutende Geschwüre (Verlauf günstig; Natr. salicyl. 2,0
an 2 Tagen, local fein gepulvertes Kali chloricum trocken reichlich aufgepinselt). Kinder
und Mutter lagen in demselben Zimmer.
Am gleichen Tage war auch die robuste Kindsmagd erkrankt: ausgesprochene Diph¬
theritis des Rachens und der Mundhöhle; viele Zähne wurden lose, die Halsgegend links
nnd rechts vom Ohre bis zur Clavicula diffus geschwollen, schmerzhaft, einzelne ge¬
schwellte Lymphdrüsen leicht fühlbar. Verlauf günstig.
Die nachfolgenden Fälle im und beim Hötel am 12. (zwei, Ehepaar), 20., 28., 80.
Januar und ebenso am 21. Februar waren leichterer Art.
In der Ddpendance des Hötels (erster Fall am 10. Januar, zweiter am 21. Febrnar),
erkrankte nun eine frisch (ca. 14 Tage vorher) angekommene englische Familie, zuerst
die Frau (am 1. März) mit leichter Ang. tons., fast ohne belästigende Symptome; allein
die Lymphdrüsen am Halse schwollen beidseits an und bald auch diejenigen beider Ach¬
selhöhlen ; die letztem schmolzen rasch und entleerten aus 3 Incisionen schlechten, dünnen,
grllnlichgelben Eiter. Verlauf günstig.
Nachdem (16. März) die Gesellschafterin auch eine Angina bekommen hatte, wurde
srn 1. April das 5jährige Mädchen (schwächliches, scrophulöses Kind, hatte '/, Jahr vor¬
her in England schweren Scharlach mit Diphtherie) von heftiger Rachendiphtheritis be¬
fallen; durch 12 Tage hohes Fieber, grosse Prostration der Kräfte; schon am 8. Tage
eitriger Mittelohrcatarrh mit nachfolgender Perforation des Trommelfelles; noch in der 3.
-\Vbche, wo die Geschwüre sich reinigten, und das durch die frühere Geschwulzt der
jVfandeln bedingte mechanische Hiuderuiss geschwunden war, regurgitirte öfters getrunkene
{TlUssigkeit wieder aus der Nase (Parese der Schlingmuskeln). Das Kind genas.
Am 9. April begann die leichte, flebcrlose Angina des Herrn der Familie, deren zwei
andere Kinder verschont blieben.
Mittlerweile hatte (18. Märe) im Hötel selbst eine deutsche Dame eine heftige An-
gi n» mit vielen folliculären Abscessen und Fieber durchgemacht: die gelben, erbeengros-
g en, glänzenden, erhabenen Herde waren sehr gut von den diphtheritischen Plaques des
{(indes zu unterscheiden.
Zwei ganz leichte catarrhalische Fälle (12. und 15. April), deren einer in der D4-
peodanoe, endeten die Epidemie, die aus Mangel an Material erlosch, da nun, zur Zeit
üblichen Abreise, das Hötel nach und nach leer wurde.
Recidive kamen nicht vor.
Vom Wirthshaus- und Dienstpersonal war Niemand erkrankt und ebenso wenig ein
(jlied der beiden zahlreichen corsischen Familien, welche die untern Stockwerke der, vom
fjdtel circa 200 Schritte westwärts entfernt liegenden, öfters citirten Döpendance be-
^oknen.
Es erkrankten somit von der im Hötel Germania und seiner Umgebung wohnenden,
durchschnittlich 70 Personen zählenden Fremdencolonie 26, die meisten ganz leicht, aber
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liehen Infiltrate (Abscea
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663
zwischen hinein einseine sehr schwer und zwar ohne besondere Ursache. Die Erkran¬
kungen zeigten alle Abstufungen zwischen der rein catarrhalischen Form zum entzünd¬
lichen Infiltrate (Absceee) und bis zur wirklichen Diphtherie. Die specifische (diphthe-
ritische) Infection lag jedenfalls der ganzen Seuche zu Grunde, worauf schon das succes-
sive (also nicht gleichseitige, etwa durch eine schroffe climatologische Schädlichkeit be¬
dingte) Erkranken der einzelnen Mitglieder derselben Familie hinweist. Die fremden, an
und fQr sich schon leidenden, nicht acclimatisirten Individuen und die Personen, die mit
ihnen innig verkehrten (gesunde Fremde) disponirten mehr. Die Corsen, an die Gelegen¬
heitsursachen , welche die Infection beim disponirten Individuum leichter zum Ausbruche
bringen, gewöhnt, waren resistenter und blieben verschont Derselbe InfectionsstofF be¬
wirkte dann bei einem Ergriffenen eine Krankheit, die nur unter dem Bilde des Catar-
rhes der Rachenschleimhaut verlief, de facto aber doch eine diphtheritische Erkrankung
war, während sie sich bei einem unter gleichen äussern Verhältnissen dem Angriffe aus¬
gesetzten Andern zu vehementer Höhe und typisch speciflschem Charakter steigerte. Das
ist der Weg, auf dem sich oft genug Typhus und Scharlach weiter verbreiten: Indivi¬
duen, die energisch genug sind, sich Uber ein scheinbar nur leichtes Unwohlsein wegzu-
setzen, oder von der Noth dazu gezwungen werden, sind specifisch inficirt und bilden
den Ausgangspunct schwerer Epidemien.
Eingeschleppt wurde der InfectionsstofF jedenfalls durch einen Fremden: wir waren
ja aus aller Herren Länder zusammengewürfelt und Diphtheritis ist bald Überall zu
Hause.
Zudem entnahm ich brieflichen Mittheilungen, dass zu gleicher Zeit an verschiedenen
Stationen der Riviera di Ponente in ähnlicher Weise gehäuftes Vorkommen bösartiger
Anginen beobachtet wurde. Doch fehlen mir exactere Daten.
Ffir Ajaccio, das in hohem Grade seuchenfrei blieb, so dass z. B. die Quarantäne
seit ihrer Erbauung (13 Jahre) noch nie benutzt wurde, ist — auch für den Winter —
ein solches Auftreten von Angina ganz abnorm. A. Baader.
W ochenbericht.
Schweiz.
Bern» An die Stelle von Prof. Quincke, der bekanntlich nach Kiel übersiedelt, ist
vom Regierungsrath auf Antrag der Facultät und der Erziehungsdirection der bisherige
Professor für Poliklinik in Jena, Dr. Lichtheim , gewählt worden. Derselbe wird sein Amt
schon mit Beginn des Wintersemesters antreten, so dass in der Ertheilung des klinischen
Unterrichtes keinerlei Unterbrechung zu befürchten ist — Die medioinische Facultät hatte
in zweiter Linie Dr. Ewald in Berlin vorgeschlagen.
Ausland.
Bentachland. Chloralhydrat in Clystieren. Dr. Starke empfiehlt
die Application von Chloralhydrat per Clysma in allen Fällen, in welchen es sich um
hartnäckige Schlaflosigkeit, namentlich bei alten Leuten, dann im Gefolge von Magen-
catarrhen u. s. w. handelt. Er benützt eine Spritze mit einem Gehalte von 10 grmm.,
erwärmte 6°/# wässrige Chloralhydratlösung bis auf ungefähr 35° C. und injioirte davon
zuerst 10 grmm. und nach einer Pause von einer Viertelstunde wieder dieselbe Menge,
so dass im Ganzen 1 grmm. Chloralhydrat in Verwendung kam. Er selbst hat in dieser
Weise während 6 Monaten fast allabendlich Chloralhydrat-Clystiere benützt und ira Gan¬
zen also etwa 120 grmm. verbraucht. Seine hartnäckige, durch einen chronischen Magen-
catarrh bedingte 8ohlaflosigkeit ist nun vollständig gewichen.
Das Ausbleiben aller üblen Nachwehen nach der Einführung des Clysma beruht nach
Dr. SL zum grossen Theile darauf, dass das Mittel in Action tritt, ohne vorher eine Zer¬
setzung zu erleiden, wie dies bei dem Zusammentreffen mit den Agentien des Magenin¬
haltes nicht ganz ausbleiben kann. Wesentlich ist, dass nur ein ganz reines Präparat
benützt und die Flüssigkeit biB zur Körpertemperatur erwärmt wird. Abgesehen von
dem Vorzug, welchen die Application per rectum bei Magenleiden hat, welche die rei¬
zende Einwirkung des Mittels contraindiciren, ist auch die geringe Dosis nicht ausser
Acht zu lassen, welche bei dieser Anwendungsweise erforderlich ist.
(Berl. klin. Wochenschr.)
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- 664 -
— ln Leipzig ist eine Gesellschaft zur Förderung der Ohrenheilkunde (die erste
Gesellschaft dieses Faches in Deutschland) gegründet worden.
Russland. Typhus in der kaukasischen Armee. Die Eutwick-
jung des Typhus in der kaukasischen Armee wird aus folgenden, vom 1. November 1877
bis zum 81. März 1878 reichenden Daten ersichtlich. Es erkrankten im Verlaufe dieser
Zeit am Unterleibstyphus 6897, am Flecktyphus 9402, an Febris recurrens 6440, an
leichten äusseren Erkrankungen 6589, im Ganzen 21,739 Mann. Es starben: am Unter¬
leibstyphus 2184, am Flecktyphus 3392, an Febris recurrens 1855, an leichten Erkran¬
kungen 974, im Ganzen 8405 Mann. Die Zahl der Todesfälle an Typhus nahm bis zum
März immer zu, besonders im Detachement auf dem Shaganlug, welches in einer Höhe
von 6000—8000 Fuss stand und kein Heizmaterial hatte.
Bibliographisches.
112) Oldendorff, Der Einfluss der Beschäftigung auf die Lebensdauer des Menschen nebst
Erörterungen der wesentlichsten Todesursachen. Beitrag zur Förderung öffentlicher
Gesundheitspflege. 2. Heft mit 80 statistischen Tabellen. 163 S. Berlin, Verlag
der norddeutschen Buchdrucker.
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Herausgegeben yoh Bwteil^g«. «tgeg...
Dr. Alb. BarekhArit-IHerlui und Dr. A. Baader
Privatdocent in Basel. in Gelterkinden.
N° 22. VIII. Jahrg. 1878. 15. November.
Inhalt: 1) Originalarbeiten: Prof. Dr. Hugufnin: Ein B itrag zur Physiologie der Qrosshirnrinde. — Dr. 0.
Ola»»r: II. Beitrag znr Kenntnis« der antiseptischen Substanzen. — Dr. R. Schnydtr: Der transportable pneumatische Apparat
und die Lungengymnastik mittelst Stocktnmen, etc. — 2) Vereinsberichte: XVIII. Versammlung des 4r*tlichen Central-
▼ereins in Olten. — Medicinisch-phannaoentischer Bezirksrerein des bern. Uittellandes. — 8) Beferate und Kritiken: Dr.
Joseph Ammann: Klinik der Wochenbettkrankheiten. — Dr. Hermann Müller: Die progressire perniciöse Anämie nach Beob¬
achtungen auf der medicinischen Klinik in Zürich. — Dr. C. H. Brunner: Die Lungenschwindsucht nnd ihre Behandlung unter
besonderer Berücksichtigung der klimatischen Curen. — Dr. Paul Hiemtyer: üeber die acustischen Zeichen der Pneumonie. —
Dr. J. Kerschensteiner: Die Fürther Industrie in ihrem Einflüsse auf die Gesundheit der Arbeiter. — 4) Cantonale Corres¬
pondensen: Berlin, Paris. — 5) Wochenbericht. — 6) Bibliographisches. — 7) Briefkasten.
V/t —2 Bogen stark;
am Schlnss des Jahrgangs
Titel n.lnhalt8 verzeichniss.
Original-Arbei ten.
Ein Beitrag zur Physiologie der Grosshimrinde.
Von Prof. Dr. Huguenin.
Ueber die Eigenschaften der Hirnrinde besitzen wir eine kleine Summe werth¬
voller Kenntnisse; sie erlauben einen Schluss auf die ungeheure Menge von That-
sachen, die uns noch gänzlich verborgen sind. Jeder Beitrag hat daher einen ge¬
wissen Werth, namentlich wenn derselbe direct am menschlichen Hirne gewonnen
und nicht eine blosse Abstraction von den Thierexperimenten ist.
Die folgenden Mittheilungen schliessen sich an an die Angaben von Ferner,
Munk, Mac Kendrick und Vulpian über die centrale Endigung des Nervus Opticus.
Von diesen Angaben sind ihrer Vollständigkeit und Abrundung wegen diejenigen
der beiden ersten bei uns am bekanntesten geworden.
Ferner' s*) Angaben lauten bekanntlich dahin, dass der Gyrus Angularis (Pli
Courbe; Stelle, wo die II. Urwindung auf dem Occipitalhirn aus der I. entspringt;
hinterster Theil des untern Scheitelläppchens), gelegen in nächster Nachbarschaft
der ins Hirn einschneidenden Fossa occipitalis (Fossa parieto-occipitalis) für das
gegenüber liegende Auge eine höchst wichtige Centralstelle sei. Reizungen der be¬
treffenden Gegend hatten Augen- und Pupillenbewegungen der gegenüber liegen¬
den Seite zur Folge; Destruction des Gyrus angularis macht durchaus keine Läh¬
mung, hat aber Blindheit des gegenüber liegenden Auges zur Folge. Ist die Ope¬
ration nur auf der einen Seite ausgeführt worden, so gleicht sich in kurzer Zeit
die Störung aus, und es scheint die unverletzte Hemisphäre in vollkommen genü¬
gender Weise die Stellvertretung zu übernehmen. Ist aber die Operation doppel¬
seitig ausgeführt, so ist die Blindheit doppelseitig und dauernd.
*) Ferrier, brit Med. Journal 1873.
43
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Munk •) hat ebenfalls eine Reihe von Exstirpations-Experimenten an der Rinde
des Hundehirnes gemacht, Exstirpationen, welche sich erstreckten auf die Rinde
des Scheitel-, des Schläfe- und des Hinterhauptlappens. Es zeigte sich auch hier,
dass der Scheitellappen rein motorischen Functionen dient. Die Abgrenzung ge¬
genüber der sensibeln Region wird nach Munk gegeben durch eine Linie, welcho
sich von der Spitze der Fossa Sylvii bis zur Scissura longitud. senkrecht binanf-
zieht. Auf dem Occipitalhirn findet Munk nahe seiner hintern obern Spitze
eine Stelle, nach deren Exstirpation das Thier die Erinnerungs¬
bilder der Ge sich t se mpfindungen verloren hat; am Schläfelap¬
pen nahe seiner untern Spitze aber eine Stelle, nach deren Ex¬
stirpation die-Erinnerungsbilder der Gehorsempfindungen ver¬
loren gehen (Seelenblindheit und Seelentaubheit). Exstirpationen ausserhalb
den bezeichneten Stellen haben keine besondern Veränderungen der operirten Thiere
zur Folge. Nach 4—6 Wochen verlieren sich am operirten Thiere alle und jede
Störungen wieder, so dass sich dasselbe vom Gesunden durch nichts unter¬
scheidet.
Munk weist ferner nach, dass man am operirten Thiere verfolgen kann, dass
dasselbe wieder sehen und hören lernt, wie man es am Neugeborenen beobachtet
Erwägungen einschlägiger Natur führen zur Annahme, dass die genannten
Centren eine grössere Ausdehnung besitzen, und dass bei Verlost
eines Theiles derselben der noch restirende Theil die Functionen des Verlorenen
nach einiger Zeit zu übernehmen im Stande ist. Bestätigende Resultate liefern
eine Anzahl weiterer Experimente: Einigen neugeborenen Hunden vom gleichen
Wurf wurde ein Auge oder beide exstirpirt; Hunde des gleichen Wurfes erlitten
einseitige oder doppelseitige Exstirpation des Ohres. Es zeigte sich, dass bei den
geblendeten Hunden der früher als Sehsphäre erkannte Occipitallappen, bei den
tauben Hunden aber der als Hörsphäre erkannte Schläfelappen an Ausbildung ge¬
genüber den andern Hirntheilen sehr bedeutend zurückgeblieben war. Daneben
trat die interessante Thatsache hervor, dass bei den blinden Hunden der Schläfe-,
bei den tauben aber der Occipitallappen eine bedeutende compensatorische Aus¬
bildung erfahren hatte, was mit bekannten Thatsachen in bester Uebereinstimmung
steht. Im Ganzen war somit, das Volum der Hemisphäre kaum vermindert
Auch vom menschlichen Hirne hat sich schon lange die Ansicht gebildet, dass
die centralen Endigungen des Opticus in der Rinde auf dem occipitalen Theile der
Hemisphäre zu suchen sind. Zweierlei Reihen von Kenntnissen deuteten dar¬
auf hin:
Erstens die Kenntniss der Faserverbindungen, welche das Pulvinar des Tha¬
lamus opticus, die beiden Knieehöcker und die beiden Vierhügel mit der Rinde
besitzen (Sehstrahlungen von Graliolet). Das Volum derselben ist allerdings beim
Menschen ein bedeutendes, leider aber ihre Verfolgung bis zur Rinde mit solchen
Schwierigkeiten verknüpft, dass über die letzte Endigung eine vollkommene Klar¬
heit nicht besteht. Man kann wohl sagen, dass sie in den ganzen Iiinterhaupts-
*) Verhandlungen d. Phys. Ges. zu Berlin, 1870, 16*
Berl. kl. 'WochenBchr. 1877, 85.
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lappen ausstrahlen, wo aber die allergrösste Zahl, die dichteste Anordnung in der
Rinde endigt, ist anatomisch beim Menschen wohl nicht genau zu bestimmen. Wir
unserseits haben immer gefunden, dass die grösste Bündelzahl dem Sulcus hippo-
campi (Fissura calcarina) zuzustreben scheint.
Zweitens Hessen eine Anzahl sehr interessanter pathologischer Facta in der
bezeichneten Gegend die centralen Endigungen der Opticusfasern vermuthen. Eine
Summe von Fällen von Hemiopie neben Hemiplegie sind zur Kenntniss gekommen,
deren Ursache sich fand in Herden im hintern Theile der innern Kapsel, wo die
oben genannten Sehstrahlungen gerade noch in den Bereich des Herdes gelangen
können. Die Hemiopie ist zwar in ihrem genauem Verhalten den genannten Her¬
den gegenüber noch nicht vollkommen klar; doch stimmen die Anhaltspuncte,
welche hier über die Lage der centralen Opticus-Endigungen gewonnen werden
können, mit den rein anatomischen Daten genau überein.
Es liess sich vermuthen, dass die Rindenuntersuchung bei Individuen, welche
seit Jahren erblindet waren, eine Atrophie irgend eines Oberflächenterritoriums
zeigen werde. In der That haben einige von mir in der letzten Zeit untersuchte
Fälle Resultate geliefert, welche, mit dem schon bekannten zusammengehalten,
Bedeutung gewinnen.
1. Mann von 56 Jahren, seit dem 3- oder 4. Jahre am Unken Auge erblindet.
Tod an Pneumonie.
Linker Opticus sehr dünn und atrophisch, der rechte erscheint soviel als nor¬
mal. Linker Tractus etwa die Hälfte des rechten, dessen Volum nicht alterirt
erscheint. Linkes Pulvinar kleiner als das rechte, vorderer und hinterer Vier¬
hügel links viel kleiner als rechts; linkes Corpus genic. ext. viel kleiner und
grauer (es fehlen die oberflächlichen vom Tractus stammenden Faserschichten bei¬
nahe ganz); in der Grösse der beiden Corpora genic. interna kein Unterschied be¬
merkbar. Die weisse Hirnsubstanz zeigt auf beiden Seiten keinen Unterschied im
Volum. Dagegen zeigt die Rinde d e 8 Oc c i p i t a 1 h i r n s auf beiden
Seiten einen wesentlichen Defect. Derselbe beschlägt die Stelle, wo die
Fossa occipitalis, von der medialen Hemisphärenfläche nach oben
ziehend in dieConvexität der Hemisphäre ein schneidet (siehe die
schematische Fig. 1). Dieser Defect ist auf der rechten Seite viel
grösser als links, entsprechend der Lage des atrophischen Tractus opt. auf
der linken Seite. Die Windungen sind auf der Oberfläche der rechten Hemisphäre
im Umfange eines Fünfirankenstückes dünner, die Zwischenräume bedeutend grös¬
ser; die Rinde selbst ist dünner, als in ihrer Nachbarschaft (2'/? mm.), namentlich
ist sie bedeutend dünner, als nach vorne auf den Centralwindungen. Auf der me¬
dialen Fläche erstreckt sich die Atrophie ziemlich weit nach unten, doch sieht
man im Gebiete des weiter unten gelegenen Sulcus hippocampi keine Ungleich¬
heit mehr zwischen beiden Seiten. Auf Fig. 1 sind die atrophischen Windungen
schraffirt, und die Ausdehnung derselben ist eher zu klein als zu gross angegeben.
Eine microscopische Untersuchung der bezeichneten Gegend liegt noch nicht vor.
2. Frau von 42 Jahren, hatte in früher Jugend Variola und sah in Folge des¬
sen an beiden Augen nur sehr wenig. Starb an Typhus.
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Beide Optici gär}? bedeutend verdünnt, einer wie der andere. Hinter dem
diiasma an beiden TractUSeine auf beiden Seiten völlig gleichmäsaige Ver¬
dünnung.
Die Pulvinaria sind beiderseits etv?SS®chwächlicher als normal, da die Ver¬
bleichung fehlt, ist das Urtheil nicht ganzsWfe^r* Die beiden Vierhügel sind fla-
c bcr, als normal, das Corpus genic. ext. auf beidcft-vSeiten kleiner und grauer als
normal wegen bedeutender Verdünnung seines Faserüb8£zuges.
Deutlich und durchaus unverkennbar ist in\diesem Falle wie-
d er die Rindenatrophie und zwar an den oben scmP n bezeichneten
S teilen (Fig 2). Wo die Fossa occipitalis, von der medianenSP en d 9 pbärenfläche
Ä\xf*steigend, in die Convexität einschneidet, sind beidseits di\^* n ^ un 6 en »
"und zwar ungefähr im Umfange eine s Z weifrankenst^ c ^ es dün-
n er, die Sulci breiter. In durchaus gleichmässiger Weise erstreikt sich diese
-Atrophie auf die mediale Hirnfläche bis zum Sulcus hippocampi hinV). Dessen
TJmgebung zeigt dann aber beidseits keinen wesentlichen Unterschied n? e br. Die
l^.inde der atrophischen Gegend hat eine Dicke von 3 mm.; andere scheii^ ar n * c ht
^atrophische Rindenstellen der Umgebung zeigen ebenfalls eine Dicke votf 3 mm-,
«gegen die Rinde der Centralwindungen eine solche von 4 mm. ^
Aus 2 Fällen darf man keine allgemeinen Schlüsse ziehen; es sei daher bei
dieser Gelegenheit an alle Collegen die Bitte gerichtet, bei allfälligen Sev*°nen
ü linder diesem Puncte eine besondere Aufmerksamkeit widmen und darübP r be¬
lichten zu wollen. Es ist nicht zu erwarten, dass die deformirten Windun|5 en * n
«allen Fällen absolut die gleichen seien, denn die Lage der Centren der Rindtf k ftDn
<z>ffenbar innert gewisser Grenzen variiren. Sollten sich aber die Beobachtung 611
rn ehren, so ist die Annahme berechtigt, dass die bezeichnete Gegend die haupt¬
sächlichste Endigungsstätte der Gratiolet 'sehen Sehstrahlungen, resp. des Tr^his
d>pt. darstellt.
Eine Bestätigung läge in der einfachen Uebertragung der Resultate von Ffr™*
und Munk auf das menschliche Hirn. Es haben Erfahrungen vom Scheitel-
53tirnlappen des Hundehirnes gelehrt, dass man mit einer directen topographis]
"CJTebertragung nicht vorsichtig genug sein kann; denn, setzt man den Sulcus
< 3 i»tus des Hundehirnes einfach gleich der Fossa Rolandi, so sitzen bei Hund
Tvfenschen die motorischen Centren an ganz ungleichen Stellen. Beim Hi
feblt ferner einer der besten Anhaltspuncte zur Localisation am Occipitalhii
nämlich die Fossa occipitalis. Setzt man aber das Affenhirn mit seiner grösst
I^ossa occipitalis mit dem menschlichen Hirn in Parallele, so stimmen die Ang«
ben Ferner 's mit den unsrigen ganz genau überein, denn die Ferrfer’sche Stell«
-pur das Gesicht und die Augenbewegungen liegt in nächster Nähe der Fossa oc-
dpitalis.
Von Atrophie des Schläfelappens bei Taubheit steht mir bis heute blos eine
gute Beobachtung zu Gebote; die Atrophie beschlägt die I. Schläfewindung. Um
-weitere Schlüsse zu ziehen, sind indess eine grössere Zahl von Beobachtungen ab-
n u warten.
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II. Beitrag zur Kenntniss der antiseptischen Substanzen. *)
Von Dr. G. Glaser in Bern.
P. Brun» empfiehlt in Nr. 29, 1878 der berliner klinischen Wochenschrift als
ein vorzügliches Antisepticum im Allgemeinen und speciell zur permanenten Irri¬
gation die essigsaure Thonerde. Nach seinen auf Versuchen beruhenden
Angaben vermag dieselbe in sehr schwacher Lösung die BacterienentWicklung
sicher zu verhindern und ebenso die in lebhafter Vermehrung begriffenen Bacterien
zu vernichten.
Ich stellte mit dem Mittel zur Prüfung seiner antiseptischen Kraft 2 Ver¬
suchsreihen an. Die Aussentemperatur schwankte im Verlaufe zwischen 15 und
23° C.
Vers. I. Je 50 ccb. normaler, klarer, sauer reagirender Urin wurden mit je
30 ccb. Untersuchungsflüssigkeit versetzt. Letztere bestand in 0,5 2'/»- und 5pro-
centigen Lösungen von essigsaurer Thonerde. Da Alum. acet. in diesen Lösungen
stark sauer reagirt, so sprach Herr Prof. Kocher mir gegenüber den Gedanken aus,
dass die antiseptischen Eigenschaften des Mittels vielleicht lediglich der Säure
zuzuschreiben sein möchten, und veranlasste mich, zu gleicher Zeit entsprechende
Versuche mit Essigsäure anzustellen. Daher wurden vergleichsweise unter
genauer Beobachtung gleicher sonstiger Behandlungsweise neben die ersten Prä¬
parate noch 3 gestellt, in denen die Lösungen von Alum. acet. durch je 30 ccb.
0,5 2'/,- und 5procentiger Essigsäure ersetzt waren. Daneben noch der Control¬
versuch mit 59 ccb. Urin und 30 ccb. Brunnenwasser.
Beginn des Versuchs den 14. August.
Den 16. zeigte das Controlpräparat bereits reichlich Bacterien, und am 17. war
Trübung, übler Geruch, Fäulniss eingetreten.
Bei den übrigen Präparaten zeigte sich nun in den entsprechenden Gläsern
der essigsauren Thonerde und der Essigsäure constant ein vollkommen gleicharti¬
ges Verhalten. In allen schieden sich am Boden und an den Wänden reichlich
Harnsäurekrystalle aus.
Vom 18. an auf den Präparaten mit 0,5procentigen antiseptischen Flüssigkeiten
Beginn von Schimmelvegetationen, die anhaltend Zunahmen.
Den 22., d. h. am 9. Tage nach Beginn des Versuchs zeigten sich in diesen
selben Präparaten die ersten Bacterien; den 23. Trübung und übler Geruch.
Die andern 4 Präparate waren noch nach über 3 Wochen, den 8. September,
völlig unverändert und ohne Bacterien, und wurden nun anderweitig verwendet
(8. unten).
Vers. II. Mit gleichen Lösungen wurde die 2. Versuchsreihe ausgeführt Als
faulnissfähige Substanz diente frisches Ochsenfleisch. Je 30 grmm. davon wurden
mit je 60 ccb. der desinficirenden Flüssigkeiten resp. mit 60 ccb- Wasser versetzt
Sämrotliche Gefässe, von gleicher Grösse und Weite, befanden sich unter genau
denselben äussern Verhältnissen.
Beginn des Versuchs ebenfalls den 14. August
*) I. Serie vide im Corr.-Bl. vom 1. Oct. d. J.
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Den 16. im Controlpräparat BacterienentWicklung; den 17. vollständige Fäul-
niss mit üblem Geruch.
Auch hier vollkommene Uebereinstimmung in dem Aussehen der correspon-
direnden Präparate mit Essigsäure und essigsaurer Thonerde.
Den 19. August auf beiden Präparaten der 0,5procentigen Lösungen Entwick¬
lung von Schimmelpilzen.
Den 22., d. h. am 9. Tage, in diesen beiden die ersten Bacterien bemerkbar;
den 23. übler Geruch.
Die übrigen Gläser blieben durchaus unverändert und ohne Bacterien bis zum
S. September, wo diese Versuchsreihe unterbrochen wurde (s. unten).
Es geht aus diesen Versuchen hervor:
1. dass (in voller Uebereinstimmung mit P. Bruns ) die essigßaure Thonerdc,
füulnissfähigen Substanzen zugesetzt, in letztem das Auftreten der Bacterienent-
-wicklung und der Fäulniss mit Sicherheit zu verhindern vermag und deshalb als
sotir wirksames Antisepticum zu betrachten ist;
2. dass, wie ich fand, der Essigsäure ganz dieselben Eigenschaften als Anti¬
septicum zukommen;
3. dass die antiseptische Kraft einer 0,5procentigen Lösung dieser Substanzen
in der 2. Woche erschöpft wird;
4. dass dagegen schon eine 2*/jprocentige Lösung die ßacterien-Entwick-
lung und Fäulniss mehrere Wochen (vielleicht Monate) lang zu verhindern ver¬
mag ;
5. dass in der antiseptischen Wirkungsweise der Alum. acet. und der reinen
Essigsäure von gleichem Procentgehalt kein Unterschied bemerkbar ist.
Von vorneherein wäre zu erwarten, dass diejenigen Stoffe, welche den Eintritt
von Bacterienentwicklung und Fäulniss in einer leicht gährungs- oder fäulniss-
fähigen Substanz zu verhindern vermögen, auch im Stande sein werden, bereits
■vorhandene Bacterien zu ertödten oder wenigstens deren Weiterentwicklung zu
verhindern.
Denn wenn die Fäulniss in einer Nährflüssigkeit auftritt, so geschieht dies in
jTolg 6 der Thätigkeit der Bacterien, die aus der Luft in jene hinein geriethen und
s ich auf dem günstigen Boden weiter entwickelten. Demgemäss, ist zu schliessen,
lcfl.ru! die Wirkungsart einer antiseptischen Flüssigkeit, bei deren Zugegensein diese
■^VOiterentwicklung fehlt, wohl nur in einer directen Zerstörung oder wenigstens
Unschädlichmachung der einzelnen Bacterien, die aus der Luft in die Nährflüssig¬
keit gelangt waren, bestehen. Tritt diese gleiche Wirkung nun nicht auch ein bei
Vorhandensein grösserer Bacterienmengen; worden letztere durch diese Antiseptica
nicht direct zerstört oder wenigstens deren Vorhandensein in einer fäulnissfahigen
jrlüssigkeit unschädlich gemacht? Mit dieser Annahme einer völligen Zerstörung
clor Bacterien durch Antiseptica stimmen nicht überein dio auf Ermittlung dieser
jTj-a ge gerichteten sehr genau ausgeführten Versuche von //. Büchner , die in der
deutschen Zeitschrift fiir Chirurgie 1878, Bd. X, Heft 1-2, pag. 104 ff. mitgctheilt
sind. Es wird hier vielmehr nachgewiesen, dass Bacterien, die 48 Stunden lang
der Einwirkung von 4procentiger Carbolsäurelösung ausgesetzt waren, noch sehr
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lebensfähig und entwicklungsfähig waren, wenn sie danach in eine gute neue Nähr¬
flüssigkeit gelangten. Als solche diente ein Gemenge von 20 Th eilen Eidotter,
80 Theilen Wasser und 0,5 Theilen Fleischextract, in den Brütofen gestellt.
Den Resultaten von Büchner widersprechen scheinbar diejenigen von Buchhollz ,
die an derselben Stelle mitgetheilt sind. Letzterer kam nämlich zu dem Schlüsse,
dass in der That 4procentige Carbolsäurelösung imStande sei, die Fortpflanzungs¬
fähigkeit der Spaltpilze für immer zu zerstören- Seine Nährlösung war Pasteur 'sehe
Lösung; die vorhergehende Carboleinwirkung auf die Bacterien dauerte 6 Tage.
— Es geht hieraus hervor, dass sehr wohl beide Autoren Recht haben können,
indem nach nur 48stündiger Einwirkung der Carbollösung die Pilze in der ausge¬
zeichneten frischen Nährflüssigkeit im Brütofen'sich wieder weiter entwickeln kön¬
nen, während solche, die in einer schlechtem Nährflüssigkeit dieselbe Carbollösung
6 Tage lang aushalten mussten, in einer neuen wenig zusagenden Nährflüssigkeit
sich nicht mehr erholten. Hierauf macht auch Büchner aufmerksam.
Durch eine Reihe verschiedenartig ausgeführter Versuche suchte ich mir über
die theoretisch wie practisch interessante und wichtige Frage nach der Wirkung
antiseptischer Flüssigkeiten auf das Leben und die Entwicklung der Bacterien klar
zu werden.
In aller Kürze folgen hier die Versuche. Ueberall wurden Controlversuche
mit gewöhnlichem Brunnenwasser angestellt, bei denen sich irgend eine Beein¬
trächtigung der Bacterien nie nachweisen liess. Bei jedem Versuch wurden die
einzelnen Präparate stets mehrfach angefertigt und controlirt.
Vers. III. Zu je lOccb. ßprocentiger Carbollösung, kaltgesättigter Borlösung,
ßprocentiger Essigsäure und ßprocentiger Lösung von essigsaurer Thonerde wur¬
den je 2 ccb. eines stark übelriechenden, von massenhaften Bacterien wimmelnden
Fleischinfuses zugesetzt.
Nach 5 Minuten in allen Präparaten vollständiges Aufhören der Bacterienbe-
wegungen, besonders deutlich erkennbar an den grössten Formen der Bacterien,
die früher im Gesichtsfeld umherschwirrten, jetzt unbeweglich daliegen.
Vers. IV. Je ein Tropfen Flüssigkeit eines fauligen Fleischinfuses wird mit
je ein Tropfen Carbol 5%i kalt concentrirter Borsäurelösung, 2 1 /,- und ßprocenti¬
ger Essigsäure und essigsaurem Alaun gemischt. Nach 5—10 Minuten keine Bac-
terienbewegung mehr sichtbar.
Vers. V. Anordnung umgekehrt wie oben, mit denselben Flüssigkeiten, so
dass auf je einen Tropfen der Antiseptica ein Tropfen der Faulflüssigkeit gesetzt
wurde. Dieselbe Wirkung auf die Bacterienbewegung wie bei IV.; nur im Bor¬
präparat bleiben noch nach 15 Minuten Bewegungen sichtbar, die zwar weniger
lebhaft und weniger zahlreich waren, als diejenigen der Faulflüssigkeit selbst und
diejenigen des Controlpräparates mit Wasser.
Vers. VI. Zu je einem Tropfen in Fäulniss übergehenden, an lebhaft umher¬
schwirrenden Bacterien reichen Urin kommt je ein Tropfen der Reagentien. Im
Präparat mit Carbol, denjenigen der Essigsäure und essigsauren Alum. hört die
Bewegung zum grossen Theil sofort auf; nur einige wenige Bacterien zeigen noch
eine träge Bewegung, am meisten im Präparat mit Alum. acet. 2V,%- Am gering-
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sten ist die Veränderung im Borsäurepräparat. Auch hier zwar lässt sich ein ge¬
wisser Grad von Hemmung und Lähmung der Bacterienbewegung im Vergleich
mit den Controlpräparaten nicht verkennen. Gleichwohl ist die Zahl der sich be¬
wegenden Organismen eine grosse und sind die Bewegungen weniger genirt als in
irgend einem der übrigen Präparate.
Vers. VII. Je ein Tropfen stark fauligen Urins zu je einem Tropfen der
Reagentien gesetzt. In den Präparaten mit Al. acet. und Essigsäure zeigt sich
eine bedeutende Einschränkung, doch keine vollständige Unterdrückung der Bac¬
terienbewegung; in noch geringerem Grade findet letztere statt in dem Carbol-
präparat, wo noch nach 20 Minuten ziemlich zahlreiche und lebhafte Bewegungen
existiren. In dem Borpräparat ist keine deutliche Beeinträchtigung der Bacterien¬
bewegung sichtbar.
Vers. VIH. Je 5 ccb. der Reagentien werden gemischt mit einer doppelten
Quantität in Fäulniss übergegangenen Urins. Nach 2 Stunden ergab sich Folgen¬
des: In allen Präparaten, Bor ausgenommen, Hessen sich deutliche Bacterienbe-
•wegungen nicht erkennen. In diesem bestand lebhafte und anscheinend unbeein¬
trächtigte Bewegung. Das Controlpräparat wimmelt unter dem Microscop wie ein
Ameisenhaufen.
Vers. IX. Den 8. September wurden in die Präparate der Versuchsreihe I
und II je einige Tropfen fauligen Urins gegossen, um nachzusehen, ob hier nun
eine Weiterentwicklung der Bacterien eintrete. Den 14. erscheinen dieselben noch
-vollkommen klar, scheinbar unverändert, während normaler saurer Urin auf Zu¬
satz der Fermentflüssigkeit sogleich Bacterien weiter entwickelte und in Fäulniss
überging.
Microscopisch ergibt sich, dass Bacterien auch in sämmtlichen scheinbar un¬
veränderten Versuchsgläsern in verschieden grosser Anzahl, doch ohne lebhafte
13 ewegungen, vorhanden sind. Am wenigsten enthält die 5procentige Alum. acet.
Am 13. ferner wurden zu je 50 ccb. normalen sauren Urins je 30 ccb. Carbol
*>% und kaltgesättigte Borsäurelösung gegeben und den Mischungen ebenfalls ei¬
nig 6 Tropfen stark faulenden Urins zugesetzt, — Das Controlpräparat war am 14.
üereits gänzlich faulig und übelriechend. Die beiden andern Präparate zeigen zwar
ziemlich reichlich Bacterien, riechen jedoch nicht übel und reagiren sauer.
Den 18., d. h. 10 Tage nach Beginn des Versuchs, erscheinen die Urinpräpa-
r üte mit der Essigsäure und dem essigsauren Alaun noch ebenso unverändert wie
a oi 14. Die Bacterienanzahl in denselben hat jedenfalls nicht zugenommen, scheint
gogar vielmehr geringer gewordei* zu sein (die Fleischpräparate waren wegen zu
starker Eindickung vor dem 18. weggeworfen worden). Das Carboipräparat zeigt
gegenüber dem 14. macroscopisch keine wesentUche Veränderung. Die Reaction
j s t schwach sauer. Urin riecht nach Carbol. Die Zahl der Bacterien ist eine
lässige, erscheint jedenfalls nicht vermehrt. — Ebenso verhält es sich mit dem
jjorpräparat, das ganz hell ist; an den Wänden haben sich Harnsäurekrystalle
^abgeschieden. Reaction schwach sauer. Bacterien nur wenig aufzufinden.
Aus den Versuchen III bis und mit VHI ergeben sich folgende Resultate:
6. Die Bacterien, die sich in einem in Fäulniss übergegangenen Fleiscbinfus
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oder in ebenso verändertem Urin mit grosser Lebhaftigkeit hin und her bewegen
und unter dem Microscop ein Bild wie ein Ameisenhaufen darbieten, werden in
dieser Bewegung durch Zusatz von frischem Brunnenwasser nicht gehemmt.
7. Bei dem Zusatze einer gleichen Menge oder nur der Hälfte der Menge
(Vers. VIII) einer Lösung von öprocentiger Carbolsäure, 2'/' a —Öprocentiger Lösun¬
gen von Essigsäure oder essigsaurem Alaun wird diese lebhafte Bewegung inner¬
halb weniger Minuten bis nach 2 Stunden (Vers. VIII) entweder vollkommen si-
stirt, oder doch in mehr oder weniger hohem Maasse sowohl hinsichtlich der Zahl
der sich bewegenden Individuen als hinsichtlich der Lebhaftigkeit ihrer Bewegun¬
gen eingeschränkt
8. Diese Einwirkung von concentrirten kalten Borsäurelösungcn ist auf jene
Bacterienbewegungen keine so constantc, wie bei den andern Substanzen, indem
ohne deutlich erkennbare Ursachen jene bald prompt sistirt, bald nur mehr oder
weniger eingeschränkt, bald scheinbar gar nicht beeinflusst wird.
9. Es lässt sich aus den vorliegenden Versuchen nicht mit Sicherheit erklären,
warum die deletäre Wirkung der Antiseptica auf die Bewegungsfähigkeit der Bac-
terien bald mehr, bald minder sicher sich geltend machte. Die Lösungen der An¬
tiseptica waren stets dieselben. Auch deren relative Menge zu den resp. Quanti¬
täten der Nährflüssigkeiten kann hier nicht wohl zur Erklärung herangezogen
werden, da in den Versuchen IV, V, VI und VII die Verhältnisse der Mischungen
von Reagentien und Nährflüssigkeiten stets dieselben waren, während die Einwir¬
kung auf die Bacterien schwankte. Dass in Vers. VIII die Wirkung trotz der ver-
hältnissmässig schwachen Quantität der Reagentien gegenüber der Faulflüssigkeit
eine prompte war (vom Bor abgesehen), beruht vielleicht auf deren längerer, zwei¬
stündigen Einwirkung. Die Erklärung für die etwas ungleiche Wirkung lässt sich
in Folgendem finden. Was in den einzelnen Versuchen wechselte, war die Nähr¬
flüssigkeit der Bacterien. Es ist wahrscheinlich, dass dieselbe in den Versuchen
VI und besonders VII für die Erhaltung und Entwicklung der Bacterien besonders
günstig war, sei es, dass das Stadium der Fäulniss, sei es, dass deren chemische
Zusammensetzung letztere resistenzfähiger zu machen im Stande war. Eine solche
verschiedene Resistenzfähigkeit der Bacterien je nach ihrer verschiedenen Nähr¬
flüssigkeit ist auch nach den bereits erwähnten Versuchen von Büchner und Buch-
holtz wahrscheinlich und von ersterem hervorgehoben.
10. Aus dem Versuche IX ergibt sich das sehr beachtenswerthe Resultat, dass
in der That Carbollösung, Borsäurelösung, Alum. acet. und Essigsäure in den hier
angewandten Formen und Quantitäten im Stande sind, in Urin und Flcischinfus,
welche direct mit Fäulnissmasse und Bacteriencolonien inficirt wurden, die weitere
Entwicklung und Vermehrung der Microorganismen und demgemäss den Eintritt
der Fäulniss zu hindern, wenn auch nicht die bereits vorhandenen Bacterien zu
vernichten.
Es ergibt sich hieraus die Richtigkeit der bereits früher gemachten Bemer¬
kung, dass nicht das Vorhandensein einer beschränkten Anzahl Bacterien genügt,
um Fäulnisserscheinungen hervorzurufen, sondern dass hiezu eine reichliche Ent¬
wicklung und Vermehrung derselben nothwendig ist, und dass ferner eine orga-
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niscbe Substanz, die für Fäulnisserreger ein günstiges Terrain bietet und bereits
eine Anzahl solcher beherbergt, zwar in kurzer Zeit in Fäulniss übergeht, wenn
keine Desinfection stattfindet, dass jene dagegen ferngehalten und die bereits vor-
handenen Bacterien unschädlich gemacht werden können, wenn eine Desinfection
mittelst eines Antisepticums eintritt. Und zwar muss das Desinficicus anhaltend
■wirken, da sich aus den Versuchen von Büchner ergibt, dass eine einmalige selbst
gründliche Desinficirung nicht immer genügt, indem auch einmal „aseptisch ge-
machte Bacterien“, wenn sie auf günstigen Boden gelangen und der weitern Auf¬
sicht der Antiseptica verlustig gehen, ihre zerstörende Arbeit von Neuem beginnen,
JF*üulnis 8 und Gestank erzeugen können.
Der transportable pneumatische Apparat und die Lungengymnastik mittelst
Stockturnen, etc.
Von Dr. H. Schnyder.
Nieine Recension der JosephsorC sehen Streitschrift contra Waldenburg (v. Corr.-
J31att 1877, pag. 651) hat durch Herrn Dr. Lange eine Kritik erfahren, die der Be¬
richtigung bedarf.
In seinen „Mittheilungen über die Wirkung der transportabel pneumatischen
-Apparate“ (Corr.-Blatt 1878, pag. 105) erklärt Dr. Lange meinen Hinweis auf den
"Vorgang im Zerstäubungswinkel des Siegle'sehen Apparats und das Sinken des Ba¬
rometers bei nahendem Sturm als unzutreffend.
Josephson experimentirte unter der Voraussetzung, es müsse ein in die Seiten-
w and des Athmungsschlauches eingesetztes Manometer steigen, falls die durch den¬
selben abströmende Luft „comprimirte, expansionsfähige Luft“ wäre. Aus der
'X'h&tsache, dass das Manometer bei diesem Versuche nicht stieg, schloss Josephton,
03 ziehe durch den Athmungsschlauch nur „reizender Wind“.
Nun wissen wir aber, und Dr. Lange erörtert es uns noch des Besondere, dass
luftige Luft- resp. Dampfströmungen die ihnen nächstliegenden Luftschichten mit-
yeis 8en - Deshalb steigt auch die Flüssigkeit im verticalen Schenkel des Zerstäu-
tmogswinkels und aus eben demselben Grunde sinkt das Barometer schon bei
berannahendem Sturme (selbst im Zimmer, sic!). Würde nun durch den Athmungs-
s chla uc h bei geöffneten Hahnen wirklich „nur Wind“ im Josephson'sehen Sinne
eichen, so wären wir berechtigt, eine Aspiration der im Einsatzschenkel des
j^aiionieters befindlichen Luft- beziehungsweise Quecksilbersäule und folglich ein
gluken des Manometers zu erwarten. Wenn aber das Manometer bei dem
j o8 ephsorisehen Versuche weder steigt, noch fällt, so liegt die Vermuthung nahe,
* ra Atbmungsschlauche die Aspirationskraft des Josephson' sehen „Windes“
j ur ch den Seitendruck der aus dem Luftkessel abströmenden, und nach allen Sei¬
te*» sich expandirenden Luft compensirt werde. Im Grunde aber ist, wie auch
X>r. ganz richtig bemerkt, „die Expansion der Luft selbst Wind“, und daher
der ganze Streit um die Frage, ob durch den Athmungsschlauch Wind oder sich
e 3 C pandirende, also der Expansion fähige Luft ströme, ein müssiger, ein Wind-
j,!Üblenkampf.
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Ich hoffe, diese kurzen Andeutungen werden genügen, um meinen Hinweis auf
den „naheliegenden Vergleich mit dem Zerstäubungswinkel und dem Barometer“
auch in den Augen des Collegen Lange zu rechtfertigen.
Sobald das äussere Ende des Athmungsschlauches geschlossen wird, steigt das
Manometer; der „Wind“ strömt nicht mehr ab, und es kommt plötzlich die Ex¬
pansionsfähigkeit der abgeschlossenen Luft zum Ausdruck. Der schwächste Punct
des Josephton 'sehen Experimentes liegt gerade darin, dass der Experimentator es
übersah, wie durch die Lungenalveolen derselbe endliche Abschluss des Athmungs¬
schlauches herge8tellt werden kann, welchen er durch das Zudrehen des Hahnes
oder das Zusammendrücken des Schlauches mit den Fingern erhielt. Dr. Lange
entschuldigt Josephson mit Altersschwäche. Lassen wir diesen Grund gelten, so
weit er Letzteren anbetrifft. Wenn aber Lange weiter sagt: „erst am Ende der
Inspirationsbewegung, wenn man im Stande ist, dieselbe einige Secunden festzu¬
halten, was eine gewisse Anstrengung erfordert, nur dann kann sich die Luft durch
Nachströmen aus dem Gasometer wieder verdichten und einen Druck auf die Lun¬
genschleimhaut ausüben“, so darf man füglich staunen, ob der Einseitigkeit, mit
der auch hier der Cabinets-Aereotherapeute in der pneumatischen Behandlung aus¬
schliesslich nur die Druckwirkung berücksichtigt. Die fernere Behauptung dessel¬
ben, es sei für einen Kranken quasi unmöglich — von der Schädlichkeit gar nicht
zu sprechen —, jenen Alveolenabschluss herzustellen, bedarf in dieser Allgemein¬
heit keiner Widerlegung, namentlich für Solche nicht, die sich mit dem transpor¬
tabel pneumatischen Apparate überhaupt je ernstlich beschäftigt haben.
Man braucht den am Apparate Athmenden nur zu auscultiren, um sich sofort
zu überzeugen, wie schon vom ersten Momente an die Inspiration eine viel ac-
centuirtere ist, wenn unter ■+• Druck eingeathmet, und wie viel rascher die Ex¬
spiration erfolgt, wenn bei — Druck ausgeathmet wird, als das sonst der Fall ist.
Deshalb bezeichnete ich den Apparat als ein zur Lungen-V entilation sehr wirk¬
sames Agens. Ebenso leicht überzeugt man sich aber auch, dass es keiner schäd¬
lichen Anstrengung bedarf, um einen momentanen Alveolenabschluss zu Stande zu
bringen, wohl aber einiger Geschicklichkeit. Keiner besonderen Anstrengung, weil
die Druckgrösse nach den individuellen Verhältnissen eines jeden Kranken be¬
messen und regulirt werden soll, und weil es wenigstens mir noch nie in den Sinn
gekommen ist, einen Brustleidenden den Druck des Apparates überhaupt länger
aushalten zu lassen, als der natürliche Athmungsrhythmus es gestattet. Was ich
neben gehöriger Ventilation der Lungen mittelst des Apparates zu erreichen be¬
absichtige, ist ganz einfach das Zustandebringen eines gehörigen, tiefen, rhyth¬
mischen Athmens. Es gibt Kranke, die willkürlich weder ein- noch auszuath-
men verstehen und die besonders für alternatives Ein- und Ausathmen durch Mund
oder Nase absolut kein Verständniss haben, Kranke, die „am Studir- und Schreib¬
tische, beim Nähen oder Sticken das Athemholen verlernt haben, und hauptsäch¬
lich deshalb respirationskrank geworden sind“. Am Apparate kommen solche
Kranke bald zum richtigen Verständniss des Athmungsmechanismus und es ist
hauptsächlich deshalb, dass ich den transportabeln pneumatischen Apparat auch
als ein schätzbares Mittel zur Athmungs-Gymnastik bezeichnete. Mehr aber
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«1s eine wirksame Unterstützung der Lungenventilation und der Atmungsgymna¬
stik verlange ich von dem pneumatischen Apparate nicht, und da College Lange
damit einverstanden ist, dass der Apparat in beiden Beziehungen seinen Theil lei¬
stet, so ist auch für mich kein Grund vorhanden, mich über andere, wirkliche oder
vermeintliche Vor- oder Nachtheile des transportabel pneumatischen Apparates
-weiter auszulassen.
Wenn nun Waldenburg meint, dass wer in den Wirkungen des pneumatischen
.Apparates nichts weiter sieht, als ein Mittel zur Lungengymnastik, besser thäte,
seine Patienten Zimmergymnastik treiben zu lassen, so sehe ich mich im Falle,
den Apparat gegen Waldenburg in Schutz zu nehmen.
Sobald in Hinsicht auf wirklich Lungenkranke und zu Lungenleiden Disponirte
von Zimmergymnastik die Rede ist, so versteht man darunter gemeinhin die mehr
oder weniger methodischen Armübungen mittelst Stöcken, Hanteln und sog. Arm-
streckern. Alle diese Armübungen haben den eingestandenen Zweck, die Äth¬
in ungsmuskulatur zu stärken, tiefe Inspirationen zu veranlassen, und auf diesem
Wege so wohl curative als prophylactische Erfolge zu vermitteln.
Theoretisch ist nichts dagegen einzuwenden, dass eine relativ kräftigere Ent¬
wicklung der Respirationsmuskeln auch ausgiebigere Thoraxexcursionen, also auch
ein vollkommeneres Athmen zur Folge habe. In praxi aber müssen wir uns fragen,
ob Brustleidende, die wir auf dem Umwege vorheriger Kräftigung der Athmungs-
rnuskeln in direct ihrer Heilung entgegenführen wollen, durch die betreffenden
XJebungen nicht vielleicht direct geschädigt werden, lange bevor die entfern¬
tere, indirect günstige Wirkung gymnastischer Behandlung sich geltend machen
kenn.
Jede wirkliche Anstrengung der Arme — als vom Thorax, resp. von den
Schultern aus in Bewegung gesetzte einarmige Hebel — bedingt physiologisch ein
momentanes Feststellen des Thorax. Man versuche es doch selbst, eine Last zu
beben, am Reck sich aufzuschwingen, oder mit Hanteln oder dem eisernen Stocke
kräftige Bewegungen auszuführen, und man wird leicht wahrnehmen können, dass
allen diesen Kraftäusserungon ein Feststellen des Thorax in der Inspirationsstel¬
lung vorhergeht. Je länger die Anstrengung dauert, um so nachhaltiger ist auch
das Anhalten des Athems. Ein Anhalten des Athmcns aber, auch wenn dasselbe
schliesslich von einer explosionsartig erfolgenden Exspiration und diese wieder
-von einer tiefen Inspiration gefolgt sein sollte, dürfte nicht gerade das geeignete
jdittel sein, um kranke Lungen zu ventiliren und eine normale Blutcirculation in
denselben zu fördern. Eine Illustration zu dem Gesagten bilden jene hamoptoi-
B cben Anfälle, von welchen Brustkranke beim Billardspiel oder beim Kegel-
s cbieben befallen werden. Auch ist es schon oft als eine auffallende Thatsache
jjervorgehoben worden, dass gerade sehr gewandte, athletisch gebaute Turner
0 icbt selten an Lungentuberculose zu Grunde gehen. Wenn man aber bedenkt,
oft und wie lange ein eifriger Turner bei seinen Uebungen an Reck und
ßarren, oder beim Hochsprunge, beim Heben und Schwingen seinen Athem an¬
gestrengt anhält, d. h. die naturgemässe Ventilation und Circulation in seinen
Jl^ungen stört, so ist es nicht überraschend, wenn in dem athletisch entwickelten
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Thorax nach und nach die Keime einer Lungenschwindsucht ausgestreut werden.
College Treichler wird sich daher nicht wundern, wenn ich seine Ansicht über den
therapeutischen Werth des Stockturnens bei Brustleidenden — z. B. bei Spitzcn-
catarrhen — principiell nicht theilen kann. (Vgl. dessen Vortrag über Gymnastik
und Stockturnen, Corr.-Bl. 1. J., pag. 97.)
Anders verhält es sich mit jenen kinesiatrischen Uebungen, mittelst welchen
die Athmungsbewegungen des Brustkorbes ohne Störung des natürlichen
Rhythmus derselben direct unterstützt werden, indem entweder die Thorax-
Schultermuskeln als Hilfsinspiratoren in Anspruch genommen werden, oder die an
den Thorax angelegten Oberarme und Ellenbogen im Momente der Exspiration
dieser letztem durch Zusammendrücken des Brustkastens zu Hülfe kommen. Die
betreffenden Uebungen sind leichter zu demonstriren, als zu beschreiben.
Zur Ausübung solch’ methodischer und rhythmischer Athmungsgymnastik ge¬
hört aber schon von Seite des Kranken ein gehöriges Verständniss des Athmungs-
mechanisinus und eine gewisse Beherrschung der betreffenden Factoren. Dazu
kommen Respirationskranke am raschesten am transportabeln pneumatischen Ap¬
parate. Dieser ist jedenfalls ein besseres und ungefährlicheres Mittel zur Lungen¬
gymnastik als Hantelübungen und dergleichen und verdient denn auch in dieser
Beziehung keineswegs das abfällige Urtheil, welches Waldenburg im Chor mit den
Cabinets-Aereotherapeuten über ihn ausgesprochen hat, berechtigt aber freilich
auch nicht zu jenen Lobpreisungen, die demselben in andern Beziehungen so reich¬
lich zu Theil geworden sind.
Weissenburg, 20. Mai 1878._
V ereinsberichte.
XVIII. Versammlung des ärztlichen Centralvereins in Olten
Samstag, den 26. October 1878.
Präsident: Dr. Sonderegger, Schriftführer ad hoc: Dr. A. Baader.
„Auf, nach Olten!“ — „„Ja, ja! wir kommen schon!““ frohlockt der Eine.
„Was, schon wieder?“ brummt aber auch etwa ein Anderer, und der entschliesst
sich dann vielleicht nach einigen moralischen Scheinscharmützeln, sich zur Zahl
Jener zu schlagen, die durch allerlei Umstände an der Theilnahme verhindert
sind.
Es kamen aber doch 85 (nach der Präsenzliste: Basel 16, Aargau 14, Luzern
und Bern je 12, Zürich 10, Solothurn 8, St. Gallen, Neuchätel und Baselland je 3,
Zug 2 und Schaffhausen 1), darunter, hoch willkommen, Herr Prof. Dr. Kölliker
aus Würzburg, als Ehrengast, der da auf heimathlicher Erde in Mitten einer gros¬
sen Zahl seiner frühem Schüler sass, die nun bestrebt sind, die Lehren ihres Mei¬
sters zum Wohle ihrer Mitmenschen practisch zu verwerthen. Für Manchen war
es eine geraume Zeit her, seit er in Würzburg von seinem gefeierten Landsmanne
in die medicinische Wissenschaft war eingeführt worden: die Achtung und Ver¬
ehrung war aber trotzdem jung geblieben.
Wir sassen prompt im Saale des neuen Schulhauses und schneidig eröffnete
Herr Präs. Dr. Sonderegger die Sitzung mit folgenden Worten:
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„Seien Sie mir gegrüsst, vielgestaltige und vielbewegte Jünger Aesculap’sl Auf den
verschiedenartigsten Lebenswegen wird das Herz des Einzelnen erregt und müht sich
das Gehirn an harter Gedankenarbeit ab — an Orten aber, wo diese Lebensläufe, und
wäre es auch nur für kurze Stunden, Zusammentreffen, wohnt der Friede und wächst der
■Wille. Mit Resignation betrachten wir die Hinfälligkeit des Individuums, mit Stols die
Beharrlichkeit des Geschlechtes.
Das sociale Element ist ein wesentliches Merkmal im Begriffe dos Menschen über¬
haupt und ganz besonders ein Merkmal des Arztes: für ihn ist die Isolirung gleichbe¬
deutend mit dem Untergange.
Der Selbsterhaltungstrieb hat auch unseren Verein ins Leben gerufen und die Liebe
zum Vaterlande allein kann ihn grossziehen und stark machen, d. h. wir wollen unsere
Individualität behaupten und verwerthen, indem wir sie dem Dienste der Gesamiqtheit
weihen!
Diesen Dienst haben wir, so oft wir auch schon getagt, erst angetreten; nach
jahrelanger Vereinigung ist es uns erst klar geworden, wie zerfahren wir eigentlich
gewesen, und erst seitdem die Behörden uns als berechtigte Bearbeiter der öffentlichen
eanitären Fragen anerkannten, übersehen wir den Theil des socialen Brachfeldes, an
•welchem der Industrielle und der Landwirth, der Theologe und der Jurist geschäftig
vorübergeht und welcher auf unsere, und nur auf unsere treue und beharrliche Arbeit
wartet!
Tit.! Es kann mir nicht einfallen, Ihnen hier Einzelnheiten zu wiederholen, welche
Sie durch unseren treuen Hausfreund, das „Correspondenz-Blatt“, längst kennen und ich
gebe Ihnen nur folgende allgemeine Bemerkungen.
Beim Gesetzesentwurfe über Geheimmittelpolizei, welcher gegen¬
wärtig vor den cantonalen Behörden liegt und in einer fernem Gonferenz mit dem Eidg.
Departement des Innern wieder behandelt werden soll, ist der Standpunct strenge fest¬
gehalten worden, nur negativ zu bleiben, nur Allem, was Betrug oder Gift oder Unsitt¬
lichkeit heisst, den Krieg zu erklären, dagegen die tiefgewurzelte Neigung, s. g. Medi-
camente zu schlucken, in welcher unser aufgeklärter Continent sich getrost neben China
und die Indianergebiete stellen darf, nicht muthwillig anzutasten. Auch hier wird unser
Compass in dem Grundsätze liegen, nichts Unmögliches, das Mögliche aber mit Beharr¬
lichkeit zu wollen und vor Allem, das ganze Vorgehen nicht nur von der Thatsache, son¬
dern auch vom Scheine des Eigennutzes fern zu halten.
Aus diesem Grunde haben wir auch jeder Controverse über die Dispensirberech-
t igung der Aerzte ausgewichen. Diese wäre möglicherweise ein Gewinn für den
Apotheker und ganz entschieden ein Gewinn für den Arzt, welcher für seine Arbeit von
den Bezahlenden besser entschädigt und für seine Auslagen von den Insolventen nicht
ytaehr geschädigt würde. Allein wir müssen unsere Hände gänzlich rein und leer bewah¬
ren, wenn wir in dieser Frage zu einem Ziele gelangen und später an die Bearbeitung
der Seuchengesetzgebung herantreten wollen.
Eine andere Frage, die der Eidg. Befähigungsausweise, ist grösstentheils
abgeschlossen, eoweit sie unser Vaterland betrifft, aber gänzlich offen und im alten scan-
dalösen Zustande, insofern sie fremde Staaten berührt. Während unsere schweizerischen
Cantonsregierungen fremden Aerzten aller Nachbarländer gegen Vorweis ihres heimath-
licben Patentes die Niederlassung sehr erleichtern und die Praxis an Curorten ohne viel
Umstände gewähren, finden unsere Aerzte mitsammt ihren cautonalen oder Coucordats-
diplomen gar keine Anerkennung und oft nicht einmal den Zutritt zum regelrechten
Staatsexamen.
Verhandlungen über Vergegenrechtigung können aber deswegen noch gar nicht statt-
ßnden, weil unser Eidg. Befähigungsausweis noch keine bestimmte Grösse ist, sondern
Ixx einem sehr erheblichen Theile, der Bestimmung der Maturität, noch vom Entscheide
«jer Bundesversammlung abhängt, welche sich die Berathung des betreffenden Reglemen-
tes Vorbehalten hat. Erst wenn auch diese Frage so gelöst ist, dass wir die wissen¬
schaftliche Ausbildung unserer Aerzte nicht unter das in unsern Nachbarstaaten geforderte
^laass hinabdrücken, können wir den Bundesrath um seine diplomatische Vermittlung
ersuchen.
Unterdessen bleibt es den verschiedenen Contonsregierungen anheimgestellt, fürzu-
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sorgen, dass die Ausländer wenigstens nicht viel besser gestellt und rücksichtsvoller be¬
handelt werden, als ihre eigenen Landesangehörigen.
Da alle diese Fragen schliesslich von Collegien entschieden werden, deren Mitglieder
sich nach ihrer ganzen Lebens- und Berufsstellung gar nicht oder nur sehr vorüber¬
gehend mit denselben beschäftigten, so fällt auch hier den einzelnon Aerzten die Auf¬
gabe zu, jeweilen in ihren Kreisen für die Wissenschaft und für die Anerkennung der
geordneten wissenschaftlichen Arbeit Propaganda zu machen.
Wenn die Medicin durch politische Convenienzen und Theorien Noth leidet, sind
schliesslich wir Aerzte selber Schuld daran und es ist eine wesentliche Aufgabe unserer
Versammlungen, dass wir uns darüber klar werden, auch in der Wissenschaft gelte das
alte Wort: Vigilantibus jus!
(Fortsetzung folgt)
Medicinisch-pharmaceutischer Bezirksverein des bern. Mittellandes.
Sitzung vom 7. Mai 1878.
Dr. Conrad demonstrirt zwei Aborten aus dem 3. Monate der Gravidität,
mit Zugrundelegung der bezüglichen Journale. Dieselben fielen auf durch die
Grösse des Fruchtwasser - Sackes (wie nähere Maassangaben beweisen)
und die Menge des Fruchtwassers, welche in dem einen Falle bei einem
Fötus von 5 mm. Länge 50 grmm., im anderen Falle 30 grmm. betrug, ohne dass
auch bei der sorgfältigsten Eröffnung und Durchforschung der Eihöhle ein Fötus
oder Reste desselben aufzufinden waren ; solche Fälle, wie sie übrigens aus eigener
und der Praxis anderer Geburtshelfer leicht vermehrt werden könnten, sprechen
entschieden gegen die von einigen Autoren auch in neuester Zeit wieder aufge¬
stellten Ansicht, dass das Fruchtwasser ausschliesslich ein Product des Fötus sei;
denn in dem einen Falle kann man nicht annehmen, dass ein so kleiner Fötus eine
so grosse Menge Fruchtwasser allein geliefert habe, im anderen fehlte der Fötus
vollkommen und es liegt desshalb näher, hier die Entstehung des Fruchtwassers
aus den mütterlichen Blutgefässen der Eihüllen, besonders der Reflexa anzunehmen.
Weiter demonstrirt er unter Mittheilung der zugehörigen Notizen und einiger
Bemerkungen über die Behandlung solcher Fälle zwei Aborten aus den
ersten 3—4 Wochen der Gravidität.
Das eine Ei wurde von Conrad aus dem tonnenförmig erweiterten auf 5 cm.
verlängerten Cervix, in welchem es von einem flachen Blutgerinnsel bedeckt lag,
bei einer Frau entfernt, welche ihn wegen einer seit 12 Tagen unter Kreuz¬
schmerzen andauernden und als verfrühte Periode aufgefassten Blutung hatte rufen
lassen.
Das Ei, frei von anhaftender Decidua, bot ein mit feinen Zotten dicht besetztes
Chorion dar, war 14 mm. lang, 92 mm. breit, 3 mm. hoch; enthielt eine geringe
* Menge klaren Fruchtwassers, aber auch bei genauster Durchforschung keinen Fö¬
tus ; die nähere microscopische Untersuchung der Eihäute nimmt Prof. Lang¬
haus vor.
Das zweite Ei wurde vom Vortragenden an dem auf 4—5 cm. verlängerten,
tonnenförmig erweiterten Cervix einer Frau entfernt, welche seit 7 Tagen, nacli
einmaligem Ausbleiben der Menses an Kreuzschmerzen und Blutung litt Das Ei
war von der Decidua vera und reflexa vollständig bedeckt, hatte nach Entfernung
dieser Haselnussgrösse, bot microscopisch normale Beschaffenheit der Eihüllen dar,
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enthielt eine geringe Menge klaren Fruchtwassers und einen Fötus, der vom Schei¬
telpunkt der hinteren Kopfkrümmung bis zum Ansätze der Nabelschnur, welche
aus dem unteren zugespitzten Körperende (Schwanzende) direct hervor trat, 3 mm.
mas8 : Kopf und Stumm machen an demselben ein Ganzes aus, das Auge, die
oberen Extremitäten angedeutet, Kiemenbögen undeutlich, in der Mitte des Rumpfes
eine halbkugelige Vor Wölbung — wahrscheinlich Brust und theil weise Bauchein¬
geweide enthaltend. Die directe Fortsetzung des Schwanzendes bildet die kurze,
dünne Nabelschnur. Die weitere Untersuchung des Fötus und der Eihäute wurde
der Demonstration wegen vorläufig nicht vorgenommen.
Der Vortragende spricht sodann über Azoospermie. Die weibliche Sterilität,
deren Ursachen und Behandlung oft eine recht schwierige und complicirte sind, wird
häufig zu einseitig gynäcologisch behandelt, man sollte nie versäumen, bevor man an
die Behandlung derselben geht, die Zeugungsfähigkeit des Mannes zu untersuchen,
deren Mangel häufiger als bisher angenommen wurde die Ursache von Sterilität ist; es
-wird hiedurch manche unnütze und nicht ungefährliche gynäcologische Behandlung
-vermieden. Als Belege für seine Ansicht theilt der Vortragende nach Besprechung
der verschiedenen Formen männlicher Sterilität 3 Fälle genauer mit, in denen auch
bei wiederholter, mit allen Cautelen vorgenommener durch oft wiederholte Verglei¬
chungen mit normalen Fällen controllirter Sperma Untersuchungen von Männern,
deren Frauen sich Sterilität wegen behandeln lassen wollten, absolut kein einziges
Spermatozoid in den betreffenden microscopischen Präparaten, welche der Ver¬
sammlung vorgewiesen werden, nachweisen liess, sondern nur zahlreiche kleine Ku¬
geln, einzelne Plattenepithelien, Lymphkörperchen, nach längerem Stehen Crystalle
-von phosphorsauren Alkalien. Das Sperma wurde in der Weise gewonnen, dass
der Mann angewiesen wurde beim Coitus Sperma aufzufangen, es auf einen Ob¬
jektträger in verschiedenen Tropfen zu bringen, mit einem Deckgläschen zu be¬
decken und sofort zur Untersuchung zuzuschicken; in solcher Weise wurde das
gperma wiederholt und nach kürzerer und längerer sexueller Ruhe untersucht;
der Befund war stets ein übereinstimmender.
So unangenehm und mit mancherlei Hindernissen verknüpft die Feststellung
der Azoospermie in der Praxis ist, so ist sie doch wie überhaupt die Untersuchung
der Zeugungsfähigkeit des Mannes ein absolutes Erforderniss der rationellen Be¬
handlung der Sterilität_
Referate und Kritiken.
Klinik der Wochenbettkrankheiten.
Von Dr. Joseph Ammann. Stuttgart, Verlag von Ferd. Enke, 1876. 836 8.
Während wir in vielen Zweigen der medicinischen Wissenschaft von Lehrbüchern
und Compendien überschüttet werden , ohne gerade aus allen Vortheil zu ziehen, so er-
f u bren die Wochenbettkrankheiten erst in den letzten Jahren eine systematische Bearbei¬
tung» und zwar w ar Winkel der erste und einzige, welcher dieser Bearbeitung in einem
eigentlichen Lehrbuche Ausdruck verschaffte. Der Verfasser des vorliegenden Werkes
darf sich deshalb in seinem Vorworte mit Recht darauf stützen, dass es ein Bedürfnis
e ei, in diesem Gebiete noch Weiteres zu bringen und die hauptsächlich in den letzten
jabren gemachten Erfahrungen und eigenen Beobachtungen in einer „Klinik der Wochen-
bettkrankhoiten“ zus ammenz ufassen.
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Als Einleitung bringt er die Physiologie des Wochenbettes und die Diätetik der
Wöchnerin wie des Neugeborenen , sowie einige gerichtlich-medicinische Anhaltspuncte
zur Beurtheilung der Wöchnerin und der Kindsleicbe. — Zur Pathologie übergehend be¬
handelt Verf. zunächst das Puerperalfieber und macht uns mit allen neuern Untersuchun¬
gen in Bezug auf dessen Aetiologie bekannt. Nach objectiver Prüfung kommt er zu dem
Resultat, dass wir „den Bacterien keine besondere Bedeutung für die Entstehung der
Infection vindiciren können. Welchen Namen wir auch dem Infectiousstoff beilegen, ob
wir die Krankheit nun Septicssmie, Pyiemie, Ichorrhsemie oder Septicopyamie nennen,
immer ist ihre Entstehung und ihre Ansteckungsfähigkeit durch die Micrococcentheorie
unaufgeklärt und dürfte das, was das Microscop nicht lösen zu können scheint, der Che¬
mie aufgespart bleiben.“ — Nach den pathologisch-anatomischen Erscheinungen hält Verf.
in den Hauptformen des Puerperalfiebers an der Eintheilung Buhl 's fest, weil sie die
klarste und einfachste und den klinischen Erfahrungen am meisten zu entsprechende
scheine und stellt auf dieser Basis folgende Formen auf:
„I. Puerperale Peritonitis circumscripta vel diffusa, entstanden aus Endometritis durch
Fortleitung des entzündlichen Processes längs der Tubenschleimhaut auf das Peritoneum.
Sie kommt auch combinirt mit den übrigen Formen vor und ist unter allen die gut¬
artigste.“
„II. Puerperale Pyeemie, entstanden aus Endometritis mit Phlebitis, Fortleitung der
Entzündung längs des Plexus pampiniformis meist ohne Complication mit Peritonitis.“
„111. Puerperale Pyasmie, entstanden aus Endometritis mit Lymphangitis, fast immer
mit Peritonitis einhergehend.“
„IV. Puerperale Septicaemie ohne nachweisbares Vorangehen der Endometritis.“
In der Symptomatologie sind folgende speciellere Formen aus einander zu halten:
Endometritis, Peritonitis lymphatica, Metrophlebitis, Parametritis, Perimetritis, Puerperal-
geschwüro, Septicaemie. In der Diagnose ist nicht ausser Acht zu lassen , dass man es
hie und da mit Peritonitis traumatica und Parametritis ohne Infection oder mit einer an¬
dern fieberhaften Krankheit zu thun bat. — Nicht ungünstig stellt sich die Prognose bei
Endometritis, Perimetritis und Parametritis, sehr ungünstig aber bei der allgemeinen dif¬
fusen Peritonitis lymphatica, bei Metrophlebitis und vor Allem bei Septicaemie. — Ueber
Prophylaxis wird nichts Neues gesagt; nur möchte der Verf. in Bezug auf prophylac-
tische Maassregeln zu einheitlichem Vorgehen anregen und stellt diesbezüglich folgendes
Fragensohema auf:
„1) Ist die Wöchnerin vor der Geburt untersucht worden, und von wem? 2) Wurde
die Geburt durch Operation bewerkstelligt und durch wen? 3) Ist die Erkrankung der
Wöchnerin vor oder nach der Geburt aufgetreten und zwar an welchem Tage? 4) Welche
Hebamme und welcher Arzt hat die Kranke behandelt? 6) Waren die Utensilien, welche
bei den Wöchnerinnen gebraucht wurden, neu und der Wöchnerin gehörig oder Eigen¬
thum der Hebamme? 6) Befinden sich zur Zeit Puerperalfieberkranke, Wundkranke oder
an Iufectionskrankheiten Leidende in der Behandlung des betreffenden Arztes ? 7) Hat
die Hebamme zur Zeit kranke Wöchnerinnen oder an andern infectiösen Krankheiten
Leidende in Pflege ? 8) Lebt die erkrankte Wöchnerin in gesunder Wohnung und unter
besseren Verhältnissen, oder kämpft sie mit Mangel an Nahrung und sonstigen Lebens¬
bedürfnissen, oder leidet sie unter moralischer Depression?“
Die Therapie ist lediglich eine symptomatische. Zwar empfehlen sich bei putriden
Lochien desinfleirende Uterus- und Vaginalinjectionen und liefern günstige Erfolge, ob¬
schon die antiseptische Wirkung meist nicht zu Tage tritt. Gegen das Fieber empfiehlt
sich Chinin, muriatic. 0,6 zweimal pro die, dann vor Allem Kälte, am besten in Form
von lauwarmen oder kühlen Bädern von 25—26® R., welche durch Zugiessen von kaltem
Wasser auf 22—20 oder 18° herabgesetzt werden. Von der Transfusion ist vorläufig
noch nicht viel zu erwarten.
Anschliessend dem Puerperalfieber widmet Verf. auch ein Capitel der puerperalen
Infection der Neugebornen.
Unter die plötzlichen Todesfälle im Wochenbett werden Embolie der Lungenarte¬
rien, Eindringen von Luft in die Venen, Herzparalyse und Apoplexia cerebri rubricirt.
Zwei andere Krankheiten, welche ebenfalls theilweise auf Infection beruhen, sind die
ulceröse Endocarditis puerperalis und die Phlegmasia alba dolens. Verf. unterscheidet:
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X) Eine Phlegmasia alba dolens mit primärer Venenthrombose, wobei die letztere die
ÜÄiiptsache ist, während die Phlegmone der betreffenden Extremität secundär auftritt in
Eolge der Weiterverbreitung der Entzündung von der Wand der thrombosirten Vene auf
das umgebende Zellgewebe oder in Folge purulenten Zerfalls des Thrombus und dadurch
"bewirkter Periphlebitis. 2) Phlegmasia alba dolens ohne primäre Venenthrombose. Hier
besteht die AfFection primär in einer Phlegmone der Haut, des subcutanen und intermus-
culären Zellgewebes, an welcher im weitern Verlaufe die Venen durch Entzündung ihrer
"^Vandungen und Thrombenbildung theilnehmen können.“
Die Verletzungen der Genitalien, sowie die Hsemorrhagien erfahren eine ausführliche
Besprechung. Verf. betont mit Recht, dass in dieser Beziehung die Therapie hauptsäch¬
lich eine propbylactische sein soll, d. h.: Um Verletzungen des Dammes zu verhüten, soll
man denselben bei der Geburt gut stützen oder aber bei stärkerer Spannung seitliche In-
cisionen machen (sehr einverstanden, Ref.); um den Htemorrhagien vorzubeugen, entferne
man das ursächliche Moment, also in den meisten Fällen Placentar- und Eihautreste und
begnüge sich nicht, innerlich mit Stypticis Blutungen stillen zu wollen, sondern schreite
bandelnd ein.
Bei Mastitis wird eine Phlegmone der Brust, eine Entzündung des submammären
Bindegewebes und eine Mastitis parenchymatöse unterschieden.
Eine Reihe von Erkrankungen, welche auch ausserhalb des Puerperium auftreten,
dasselbe aber durch ihr Erscheinen ganz besonders modificiren können oder durch das¬
selbe oft bedingt sind, finden hier auch ihre Stelle, so das Erysipel im Wochenbette, die
T jageabwcichungen des Uterus und der Vagina, Nervenfunctionsstörungen an den untern
Extremitäten, Entzündungen der Harnblase und der Harnröhre, die Geisteskrankheiten der
"VVöchnerinnen, Eclampsie und Osteomalacie.
Zum ersten Male finden in diesem Lehrbuche die Gomplicationen des Wochenbettes
mit Tuberculose, Herzkrankheiten und Syphilis ihre Berücksichtigung, was dem Verfasser
als besonderes Verdienst anzurechnen ist.
Das Werk darf entschieden als Resultat einer schweren und mühevollen Arbeit dem
practischen Arzte wie dem Studirenden willkommen sein; es muntert auch auf zu eige¬
nem Forschen und gibt dem Wissensdurstigen eine treffliche Anleitung, indem vor jedem
Capitel die vollständige Literatur Uber den betreffenden Gegenstand enthalten ist. — Trotz
allen Lobes aber können wir neben einigen Kleinigkeiten einen Punct nicht unberührt
lassen. Es ist begreiflich, dass Verf. im physiologischen Theil des Wochenbettes in der
X>iätetik darauf aufmerksam macht, dass die Wöchnerin einer jeden Aufregung und häus¬
lichen Sorge fern zu halten 6ei. Aber mit diesem einen Mal genug, nicht dass man in
den einzelnen Capiteln immer wieder der gleichen Mahnung begegnen muss, wie z. B.
auf pag. 180 im Capitel Uber Prophylaxis der Phlegmasia alba dolens: ..dass
jede häusliche Sorge und Aufregung von der Wöchnerin fern gehalten werde und sollten
namentlich die in Städten üblichen Haustaufen bis zu jener Zeit verschoben werden, in
welcher die Wöchnerin wieder vollkommen wohl ist.“ Im Fernern weiss auch ein jeder
beobachtende Arzt, wie schädlich unter Umständen eine heftige Nervenerregung auf eine
"VVöchnerin oder Gravida wirken kann. Aber dass man einer solchen geradezu ein ätio-
logiachos Moment für Puerperalfieber vindiciren möchte, wie es Verf. auf pag. 185 thut,
j s t entschieden zu weit gegangen. Er sagt dort, nachdem er von einem schweren Puer-
pcralfieberfall erzählt hat: „Da diese Frau von einer andern Hebamme entbunden, auch
v on einem andern Arzte behandelt wurde, als die Verstorbene, so könnte allerdings an
jnfection durch die schon stark riechende Leiche (Miasma) oder durch die starke Altera¬
tion der Nerven über den Tod der Freundin gedacht werden.“ (? 1) — Gegen einzelne
jjiebe, die Verf. gelegentlich austheilt, werden sich die Betroffenen von selbst wehren.
__. Immerhin muss dasW’erk, wie schon bemerkt, einem Jeden als Rathgeber und Weg-
leiter empfohlen werden. Dr. Kuhn.
pie progressive pernicitise Anaemie nach Beobachtungen auf der medicinischen Klinik
in Zürich.
Von Dr. Hermann Müller. 250 S. Zürich 1877.
Seit Biermer am 6. November 1871 der Gesellschaft der Aerzte des Cantons Zürich
ö eine ersten eingehenderen Mittheilungen über diese besondere schwere Form der An®-
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mie vorgelegt, haben sich die Beobachtungen über dieselbe sehr gemehrt und es sind
vielfache Publicationen darüber erfolgt, sei es rein casuistischer Natur, sei es Zusammen¬
fassungen des bisher Bekannten und monographische Behandlung desselben. Es sind von
letzterer Categorie besonders zu nennen die Arbeit von Quincke in Heft 100 der Volkmann -
sehen Sammlung sowie diejenige von Immermann im Ziemssen' sehen Handbuche, also mit
Biermer Vertreter der 3 deutsch-schweizerischen Kliniken; es hat dies unzweifelhaft sei¬
nen Grund in der Thatsache, dass die Schweiz das bei weitem grösste Contingent der
bis jetzt bekannt gewordenen Fälle progressiver pernieiöser Anaemie geliefert, und Zürich
steht Basel und Bern anscheinend noch voran. Das vorliegende Buch veröffentlicht das
ganze Material, welches unter Biermer in Zürich gesammelt worden und also das mate¬
rielle Substrat zur Aufstellung der neuen Krankheitsform bildet. Der Beobachtungen sind
vom Mai 1866 bis März 1874 nicht weniger als 44, und wer die in abgekürzter Form
aufgeführten Krankengeschichten durchliest, wird gestehen, dass es sich fast ausnahmslos
um Fälle handelt, welche dem wohl jetzt allgemein bekannten und durch mehrere Merk¬
male charakterisirten (Blutungen, besonders der Retina, Fieber, extreme Blässe) Symp-
tomencomplex unzweifelhaft eingereiht werden müssen. Die als Anhang aufgenommene
Serie der unter Huguenin beobachteten Fälle bildet die ununterbrochene Fortsetzung der
tfiemer’schen Reihe (vom April 1874 bis Juli 1876 im Ganzen 18 Kranke).
Auf die Verarbeitung dieses reichen Materials, wie sie von Dr. Müller vorgenommen
worden, hier näher einzugehen, gestattet der enge Rahmen eines Referates nicht; einzelne
Notieen werden gleichwohl von Interesse sein. Die progressive pernieiöse Anaemie kommt
beim weiblichen Geschlecht mehr als dreimal häufiger vor, als beim männlichen; die
grösste Mehrzahl der Kranken steht in der Blüthezeit des Lebens; doch sind Fälle im
Kindes- wie im Greisenalter bekannt. Von disponirenden Momenten sind namentlich
schwächende Potenzen (Diarrhcß, chron. Erbrechen und wiederholte Blutverluste) und Gra¬
vidität zu nennen; Chlorose scheint zuweilen in die schwere Form der Anrnmie überzu¬
gehen. Die Diagnose macht ab und zu nicht unbedeutende Schwierigkeiten und muss
jedenfalls immer auf scrupulös genauer Organuntersuchung beruhen; beispielsweise sei
die oft täuschende Aehnlichkeit der Carcinomkranken mit schwer Anämischen erwähnt,
welche wohl auf die Idee führen könnte, dass unter dem Einfluss der Carcinose ein wirk¬
licher Zustand von pernieiöser Anämie zu Stande kommt (Ref.).
Prognostisch wie therapeutisch stellt sich die Affection wenig trostreich dar. Die
Kranken sterben in der Regel nach längerer oder kürzerer Zeit (kürzeste beobachtete
Dauer 50 Tage, längste 5 Jahre) ; doch kann die Prognose nicht absolut lethal genannt
werden, da von den 62 Fällen 5, also Uber 8%) einen günstigen Ausgang nahmen ; einer
davon starb ab6r später an einem Recidiv. Die Therapie muss fast machtlos genannt
werden; in den geheilten Fällen war sio nicht wesentlich eine andere, als in den
übrigen.
Wir empfehlen das Buch besonders denjenigen Collegen, welche der „neuen Krank¬
heit“ noch starre Skepsis entgegenstellen. Trechsel.
Die Lungenschwindsucht und ihre Behandlung unter besonderer Berücksichtigung der
klimatischen Curen.
Von Dr. C. H. Brunner. Stuttgart, Verlag von Ferd. Enke 1875. Eine 84 Seiten starke
Monographie.
Die im I. Capitel gegebenen „Bemerkungen über Anatomie und Physiologie der
Lungen und des Athmungsprocesses“, sowie das der Symptomatologie gewidmete III. Ca¬
pitel dürften für den Fachmann nichts Neues enthalten, jedoch keine überflüssige Reca-
pitulation von dem Gedächtniss leicht entschwindenden Daten bilden. — In Cap. II u. IV,
welchp über den anatomischen Charakter, das Wesen und die Ursachen der Lungen¬
schwindsucht handeln, begegnen wir den nun bald „ausgebrannten“ Tagesfragen der
Phthisiologie. Werth oder Unwerth der Riesenzellen für die Histologie des Tuberkels;
primitive oder secundäre Beziehungen des letztem zur Verkäsung ( B . glaubt an das über¬
wiegend häufige Vorkommen des zweiten Falles). — Specifität oder Nichtspecifität des
Tuberkels (£?. gehört zu den Verfechtern der letztem); hereditäre — constitutionelle —
occasionelle Aetiologie. — Der Behandlung ist der Haupttheil der Arbeit gewidmet.
Nachdem der bewährtesten Hülfsmittel der symptomatischen Therapie bei Phthise Erwäh-
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nung gethan, werden die übrigen sonst mehr oder weniger als Bpecifica empfohlenen Prä-
parate kurz abgefertigt, mit Ausnahme zum Glück des Leberthrans, welcher entgegen der
mancherorts üblichen Verketzerungsgelehrtheit in seinem wohlverdienten Rechte belassen
•wird , dafür wird zu meiner nicht geringem Befriedigung der Rumysschwindel gänzlich
Ixeimgeschickt. — Das Hauptgewicht bei der Behandlung wird zunächst auf allgemein
hygienische und diätetische Maassregeln und dann ganz besonders auf die klimatischen
Einflüsse gelegt. Zur Charakterisirung und Abschätzung der letztem soll es nicht genü¬
gen, blos die Temperaturen zu kennen, es muss die ganze Zusammensetzung der Atmo-
sphäre, die Electricität des Luftkreises, die Luftbewegung, der Luftdruck, der Feuchtig¬
keitsgehalt, alles mit einander in Betracht gezogen werden. Auf dieser Grundlage fus-
send stellt Verf. mit Rücksicht auf die Schwindsucht drei Hauptcategorien von Curorten
auf : 1. Höhencurorte, 2. trockene, tief gelegene und 8. feuchte, tief gelegene Curorte —
letztere beide theilt er dann wieder ein in: 8ommercurorte, Frühlings- und Herbstcurorte
und Wintercurorte (resp. Curorte für’s ganze Jahr). — Den Höhencurorten vindicirt er
zunächst den prophylactisehen Zweck, bei constitutionellen Anlagen abzuhärten resp. zu
kräftigen und in Folge verminderten Luftdrucks den Thorax auszuweiten, indem zu tiefer
^Respiration genöthigt wird; bei der ausgebildeten Krankheit beschränkt er ihre Iudication
auf torpide Fälle mit reichlicher Secretion, warnt dagegen vor ihrer Anwendung im flo—
riden und erethischen Stadium. Ziemlich die gleichen Indicationen stellt er für die trocke¬
nen tief gelegenen Curorte auf, nur glaubt er, sie seien bei Floridität weniger zu scheuen
als jene. Die feuchten tief gelegenen Curorte eignen sich dagegen mehr für Fälle letz¬
terer Art, besonders bei Anfangsstadien und bei sparsamer Secretion.
Dieser Eintheilung folgend werden in einem Anhang eine Anzahl der renommirteaten
Ourplätze aufgezählt. — Da würde sich nun mancher über Auslassung zu beklagen ha¬
ben, ■welcher unzweifelhaft den angeführten mehr als ebenbürtig wäre, wie z. B. gerade
13 eatenberg, sowie auch Klosters; es ist jedoch begreiflich, dass bei der Legion der sich
empfehlenden Stationen manche selbst zu den vorzüglichsten zu zählende nicht Beachtung
finden, weil namentlich dem forne Stehenden nicht bekannt. — Entschieden rügen aber
möchte ich, dass den bei Phthise in Betracht kommenden Mineralquellen, namentlich den
*T kennen kein besonderer Platz eingeräumt wird, sondern dass einige davon blos an der
vom Verf. in seinem kliraatologischen Index ihnen angewiesenen Stelle aufgeführt werden
uud ihre mineralogischen Eigenschaften nur nebenbei und sehr beiläufig Erwähnung fin¬
den, wobei sie durchaus von dem ihnen gerade durch ihren balneologiscben Werth ge-
eiche r f en höheru Rang verdrängt werden; so ist z. B. Weiseenburg stiefmütterlich und
daz u noc b ungerecht behandelt; — Ems fällt auf diesem Wege sogar ganz aus der Wahl,
indem von ihm nirgends die Rede, womit wohl nicht Mancher von denen, die viel Phthi¬
siker zu behandeln haben, einverstanden sein dürfte.
Mit diesen Ausstellungen möchte ich durchaus nicht den allgemeinen Werth der vor¬
liegenden Schrift herabzusetzen suchen ; Ref. erblickt darin im Gegentheil wegen ihrer
XJekersichtlichkeit UQ d der Klarheit der Indicationen einen schätzbaren Leiter bei Behand¬
lung» der in Rede stehenden Krankheit. M. *
Ueber die acustischen Zeichen der Pneumonie.
j jaDilitationsvorlesung von Dr . Paul Niemeyer y Docent der Heilkunde der Universität Leipzig
jQjt einem Anhänge über die Berechtigung und Methode der populären Lehrtätigkeit
Stuttgart, Ferd. Enke.
Der bekannte Verfasser zahlreicher theils populärer, theils wissenschaftlicher Schrif-
^ efl< namentlich auf dem Gebiete der physicalischen Diagnostik zeigt in einem kurzen hi-
stor ischen Ueborblick die Entwickelung der Lehro von der Auscultation und PercuBsion
v on Atienbrvgger 's Inventum novum an bis auf unsere Tage und kritisirt dann, indem er
ftU8 dem reichen Gebiete einen concreten Fall, die Pneumonie, herausgreift, den Werth
der Auscultation uud Percussion für die Diagnose. Er zeigt mit vielfachen Beziehungen
^uf seine Arbeiten auf diesem Gebiete, wie die Beklopfung und Behorchung des Thorax
Yyci weitem nicht die einzigen und durchaus nicht immer sichere und untrügliche Zeichen
de0 Zustandes der Lungen seien und weist ihnen die gebührende Stellung im Vereine
gjler übrigen Untersuchungsmethoden an.
Hauptsächlich bekämpft er dio Ansicht, dass es für jedes Stadium der Pneumonie,
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für das der Anschoppung, der Infiltration und der Resolution bestimmte pathognomonisch
sichere Zeichen gebe.
Er bespricht kritisch das Knisterrasseln, das er durch Auseinanderreissen verklebter
Lungenzellcn erklärt, den tympanitischen Schall, indem er mit Baas gegen die Idee einer
Relaxation des Lungengewebes auftritt, vielmehr denselben als von der Trachea resp.
den grossen Bronchien fortgeleitet hält, den bruit du pot felö, Zur genauem Bestimmung
der Grenzen empfiehlt er die Phonometrie. Bei Besprechung des Stimmfremitus zeigt er,
wie derselbe kein sicheres Unterscheidungszeichen zwischen pneumonischer Infiltration
und pleuritischem Exsudat sei, eine Thatsache, die jedem Practiker zur Genüge bekannt
ist. Bei Besprechung der hypostatischen Pneumonie, sowie der Pneumonie kleiner Kinder
bringt der Verfasser einige Bemerkungen über die technische Ausübung der physicalischen
Diagnostik an, und empfiehlt dabei namentlich die directe Percussion ohne Plessimetrie.
Wir können mit dem Verfasser, der in dieser Gelegenheitsschrift in mehr apodictischer
Weise seine Ansichten vertritt, die er an andern Orten ausführlicher behandelt, nicht
überall übereinstimmen, doch würde eine kritische Bekämpfung der Differenzpuncte hier
zu weit führen.
In einem Anhang sodann legt Paul Niemeyer seine Ansichten über die Berechtigung
und die Methode der populären Lehrthätigkeit in einer Weise dar, die beinahe wie eine
Reclame für die Zeitschrift „Daheim“ der „Gartenlaube“ gegenüber aussieht; wir begrei¬
fen nicht, wie ein Universitätsdocent seiner Habilitationsvorlesung einen derartigen Anhang
geben konnte. Rud. Massini.
Die FUrther Industrie in ihrem Einflüsse auf die Gesundheit der Arbeiter.
Von Dr. J. Kerschensleiner. Mittheilungen und Auszüge aus dem ärztl. Intelligenzbl. I., 6.
München, bei Finsterlin.
Die Stadt Fürth zeichnet sich ebenso sehr durch ihre grosse Industrie als durch ihre
grosse Tuberculosensterblichkeit aus. Jede 5.—6. Leiche ist tuberculös, sonst in Mittelfranken
durchschnittlich jede 9. Dr. Fronmüller beschuldigte das Trinkwasser von Fürth für die
Tuberculose, da es sehr vielen salzsauren Kalk enthalte. Wahrscheinlicher ist von vorn¬
herein ein Zusammenhang mit der Industrie. Dies zu untersuchen, hat Verf. die ver¬
schiedenen Etablissemente besucht. Wir notiren die hauptsächlichsten Ergebnisse des
Berichtes.
Im Betrieb der Broncefabriken, deren 17 in Fürth sich befinden, gilt der Aufenthalt
in den Stämpfereien, wo das in Platten ausgewalzte Metall fein zerstampft wird, für be¬
sonders schädlich: die Arbeiter werden von Broncestaub ganz bedeckt Gleichwohl sol¬
len unter ihnen Krankheiten der Respirationsorgane nicht häufiger sein als bei andern
Arbeitern {Hirt ist anderer Ansicht, Ref.). Es soll auch die fette Kost, welche die Stam¬
pfer instinctiv bevorzugen, dazu beitragen, „die Schädlichkeit der eingcathmeten reizenden
Particelchen durch EinhUUen in Fett möglichst zu neutralisiren“ (dem Ref. unbegreiflich).
In den meisten Fabriken findet Verf. gesunde, geräumige Localitäten. Gute Venti¬
lation wäre möglich, ist aber bei den Arbeitern nicht sehr beliebt; dasselbe gilt von
Schutzmitteln gegen Staub und giftige Gase. In den Buntpapierfabriken stellen die Ar¬
beiter ihr Essen auf den Farbfässern, welche oft arsenikhaltige Farben zum Tapeten¬
malen enthalten, herum, essen wohl auch dabei.
Am meisten Anlass zur Klage gibt die Spiegelfabrikation , da die für den Arbeiter
fast unschädlichen Silberbelege bis jetzt die Concurrenz mit den Quecksilberbelegen noch
nicht aushalten können. Vermöge der guten Ventilation, kurzen Arbeitszeit (7 St. tägL),
hohen Löhnung, Gelegenheit zu Bädern, Mundausspühlungen etc. vermindert sich die Ge¬
fahr der Quecksilbervergiftung in den Fabriken. Die Zahl der Fälle von Mercurialismus
hat in den letzten Jahren auch bedeutend abgenommen.
Nun sind aber viele Arbeiter sammt ihren Frauen in ihren Wohnungen damit be¬
schäftigt, belegte Tafeln in kleine Stücke zu zerschneiden und für den Verkauf (im sog.
Judenformat) herzurichten. Auf diese Weise kommt das Quecksilber in die Privathäuser,
setzt sich in allen Spalten und Fugen der Fussböden fest, um allmälig zu verdunsten.
Je öfter die kleinen Handwerker umziehen, desto mehr Wohnungen werden vergiftet und
für spätere Insassen ein Krankheitsherd. Es war deshalb ein sehr verdienstvolles Vor¬
gehen des Dr. Wolfring, die „Heimbelege“ an bestimmte Häuser zu fixiren.
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"Während die meisten andern Fabriken: Bleistift-, Pfeifen-, Maschinen, Soda-, Eis-
fabriken etc. eines gesundheitsschädlichen Betriebes nicht beschuldigt werden können,
trägt nach der Ansicht des Verf. die Heimarbeit fUr die Häufigkeit der Tuberculose
am meisten bei. Es sind damit weit mehr Arbeiter beschäftigt als in den Fabriken. Die
Heimarbeiter wohnen in der Altstadt in engen Strassen, ungesunden Häusern mit den be-
kannten Höfchen, die ein deutscher Hygieniker mit Stiefeln verglichen hat. Unrcinlich-
keit und schlechte Luft stempeln diesen Stadttheil zum „frühen Grab seiner Bewohner“,
während das neue Fürth mit seinen Fabriken und Villen sich eines frischen Lebens
erfreut. —
(Dieser Sachverhalt in Fürth könnte zu der Ansicht verleiten, es sei die Fabrikarbeit
«ler Hausarbeit vorzuziehen; er beweist aber nicht mehr, als dass cs in engen 8trassen
noch schlechtere Arbeitsräume gibt als in Fabriken, die vor den Thoren stehen. Ref.)
Fiechter.
Cantonale Correspondenzen.
Berlin. Sehne nnaht. Verehrte Herren Collegen ! Bei der Lecture von Nr.
20 des „Corresp.-Blattes für schweizer Aerzte“ 1878 stiess ich auch auf die p. 631 Bich
findende „Bemerkung zum Vortrag über die Sehnennaht an der Hand von Dr. A. KoU-
mann u . Es wird darin von Herrn Dr. Vollend eine Methode beschrieben, welche das Auf¬
finden der stark retrahirten Sehnen erleichtern soll, und da der Erfinder dieser Methode
nicht genannt ist, so nehme ich an, dass derselbe dem geehrten Herrn Collegen nicht
bekannt war. Sollte dies wirklich der Fall sein, so interessirt es ihn vielleicht, zu er¬
fahren, dass Prof. Bose in Giessen*) zuerst am 20. April 1876 in der 2. Sitzung des 6.
Ohirurgencongresses in Berlin diese einfache Methode angegeben und auf Grund seiner
gerade auf diesem Gebiete reichen Erfahrung empfohlen hat (vergl. Verhandlungen der
deutschen Gesellschaft für Chirurgie, V. Congress. Berlin 1877. Seite 23 u. Seite 78).
Sehnennähte werden in hiesiger Klinik und Poliklinik ziemlich häufig angelegt und das
-von Bose angegebene Verfahren der „elastischen Expulsivbinde“ hat sich
in den Fällen, wo seine Anwendung in Frage kam, immer erfolgreich erwiesen. Ein
Theil unserer Erfahrungen über Sehnennähte findet sich, wie ich nebenbei bemerke, kurz
mitgetheilt in meinem Bericht Uber die v. Langenbeck 'sehe Klinik und Poliklinik Berlin 1877.
S. 264—258.
So viel zur Richtigstellung der Thatsachen ....
Berlin, 21. October 1878. K. U. Krönlein.
Paris. Während meines kurzen Aufenthaltes in Paris war ich ein fast täglicher
in der schon sehr stark (mehr als 3000 Patienten und ca. 100 Staaroperationen im
j^fare) besuchten Augenklinik unseres Landsmannes Dr. Landolt , 27 rue 8t. Andrö-des-
Hier sah ich neben manchen interessanten Operationen und besonders schönen Er-
fo!f5 en von ötaaroperationen auch die Apparate und Instrumente in Anwendung, mit welchen
jk. die ophthalmologischen Untereuchungsmethoden bereichert, und die sich durchweg der
gü» öti 8 8ten Aufnahme unter den Fachgenossen erfreuen. Ich glaube den Collegen einen
wirklichen Dienst zu erweisen, wenn ich sie mit den wichtigsten derselben in Kürze be-
IcAtxoi zu machen versuche. Zugleich werden sie Gelegenheit haben , einen Einblick in
die reg 6 Thätigkeit unseres unermüdlichen Landsmannes zu thun.
Ein sehr einfaches, aber recht practisches Instrumentchen int die „double r 6 g 1 e “.
■Qieeolbe besteht aus zwei, in einer Entfernung von 2 cm., und parallel mit einander in
^ 0 r Weise verbundenen Maassstäben, dass die durch entsprechende Theilatriche gehen¬
den Linien immer senkrecht stehen zu den beiden Linealen. Durch diese Vorrichtung
wird eine sehr genaue Einstellung auf den zu messenden Punct ermöglicht. Das kleine
jjjötrumeut dient vor Allein zur Bestimmung dos Exophthalmus, der relativen Lage des
jlorobautecheitels zum Nasenrücken, der Distanz zwischen beiden Augen etc.
An den bisher angewandten Refractionsophthalmoscopcn war der Ilauptübelstand die
gcriflge Zahl und der zu kleine Durchmesser der Correctionsgläscr, welch letzterer zu
*) Damals noch I. Assistent an der v. Langenbeck'scheu Klinik.
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Undeutlichkeit des Bildes und starker Diffraction Anlass gibt. Diesen beiden Uebelstän-
den ist abgeholfen im Landolt 'sehen Augenspiegel. Derselbe besteht im Wesentli¬
chen aus zwei sich deckenden und um dasselbe Centrum drehbaren Scheiben, von denen
die eine 6 concave Meterlinsen und 1 leere Oeffnung, die andere 5 z. Th. convexe, z. Th.
concave Meterlinsen von je 10 mm. Durchmesser enthält. Auf diese Weise kann man,
ohne dass die Scheiben gewechselt werden müssen, 42 verschiedene Nummern erhalten.
Bei jeder Drehung gibt eine Zahl die Stärke des jeweilen in der Oeffnung stehenden
Correctionsglases an. — Die ziemlich beträchtliche Grösse der Gläser erlaubt auch, das
Instrument zur subjectiven Refraotioosbestimmung mit Hülfe der Sehschärfe zu verwen¬
den und ersetzt so einen ganzen Brillenkasten. Zu diesem Zwecke entfernt man einfach
den Spiegel, an dessen Stelle je nach Bedürfniss noch Convex- oder Concavgläser ein¬
gesetzt werden können (im Etuis vorhanden sind zu diesem Zwecke 2 Convexgläser und
1 Concavglas), wodurch die Zahl der Gläser verdoppelt wird. — Auch ist eine Vorrich¬
tung zur Bestimmung des Astigmatismus beigefügt.
Der Landolt 'sehe Perimeter zur Bestimmung des Gesichtsfeldes besteht ähnlich
demjenigen von Fcerster aus einem eisernen Halbring von 12" Durchmesser. Ausser eini¬
gen geringfügigeren Abänderungen liegt der Hauptvortheil des Landolt 'sehen Instrumentes
darin, dass die Eintheilung auf der äussern Seite angebracht ist, wodurch das Ablesen
viel leichter wird, da der Messende sich auf der Hinterseite des Bogens, dem Pat. ge¬
genüber, befindet. L. gab diesem für die Diagnostik äusserst werthvollen Instrumente
dadurch eine erhöhte Bedeutung, dass er dasselbe für die genaue Bestimmung der Grösse
des Schielwinkels und der Augenbewegungen überhaupt anwenden lehrte.
Ganz neu ist das Princip des am 7. Februar 1876 der Acad4mie des Sciences vor¬
gelegten Diplometers. Derselbe besteht aus einem senkrecht auf seine Kante halbir-
ten Prisma, dessen beide Hälften mit ihren Schnittflächen so über einander befestigt sind,
dass die Kanten in entgegengesetzter Richtung stehen. Sieht man nun durch die Berüh¬
rungslinie beider Prismen, so tritt monoculäre Diplopie ein, weil die PriBmen die vom
Object ausgebenden Lichtstrahlen in entgegengesetzter Richtung ablenken. Die Distanz
der Doppelbilder ist proportional der Entfernung des gesehenen Punctes von den Pris¬
men. — Die in einer Fassung befestigte Prismencombination wird nun vor dem zu mes¬
senden Gegenstände längs eines eingetheilten Stabes so lange verschoben, bis die Doppel¬
bilder desselben sich mit ihren entgegengesetzten Rändern berühren. In dieser Stellung
entspricht die durch die Prismen hervorgerufene Verdoppelung gerade dem Durchmesser
des beobachteten Objectes; denn, um dieselbe zu erreichen , hat sich das eine Doppel¬
bild zur Hälfte nach der einen, das andere ebenso viel nach der entgegengesetzten Rich¬
tung bewegt. Der Durchmesser wird an der Scala des Instrumentes bis auf Vjo mm.
abgelesen. — Das Instrument wird verwendet als Pupillometer , überhaupt zur Messung
des Durchmessers von Objecten , die sich nicht berühren lassen oder in Bewegung sind.
Seine wichtigste Anwendung aber findet es in Landolt ’s „ophthalmom^tre“ (vgl.
LandolCs Vortrag am congr^s pdriodique internat. des Sciences mäd. k Genöve 1877), in¬
dem man mit demselben ebenso leicht als genau den Hornhautradius ohne Rechnung be¬
stimmt Die Bestimmung dieser wichtigsten brechenden Fläche des dioptrischen Appara¬
tes des Auges wird so auch dem Practiker in einfachster Weise möglich.
Das künstliche Auge, basirend auf dem reducirten Auge von Donders , hat
eine einzige brechende Fläche (Cornea) von ö mm. Radius, ist mit Wasser (*/ s Bre¬
chungsindex) gefüllt und hat im Zustande der Emmetropie eine Länge von 20 mm. Durch
Einschrauben kann man demselben alle möglichen Grade von Hypermetropie, durch Aus¬
schrauben von Myopie geben. Beine Retina ist dargestellt durch ein feines, mattes, in
halbe Millimeter getheiltes Glas, wodurch die Retinabilder von aussen sicht- und mess¬
bar gemacht sind. Auf eiuem horizontalen Stabe lässt sich eine Fassung für Corrections-
gläser verschieben, um den Einfluss der Stärke und Entfernung der Hülfslinsen auf die
Sehschärfe (Grösse des Netzhautbildes) zu zeigen. Einige kleine Convexgläser lassen sich
in das Auge selbst einsetzen, und ahmen also die Accommodation nach. — Die Netzhaut¬
bilder, welche das künstliche Auge liefert, sind genau so gross, wie die des wirklichen
Auges. — Dasselbe dient auch zur Ophthalmoscopie, zu welchem Zwecke vor dem mat¬
ten Glase ein dünnes Blech mit aufgemaltem Augenhintergrunde befestigt wird.
Das künstliche Auge Landoli’a dient also zur experimentellen Lösung der wichtigsten
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Probleme der physiol. Optik, zur Controle der Rechnungen, zur Demonstration, vor Allem
zum Selbstunterrichte.
Landolt hat auch auf dem Gebiete der Farbenperception Wesentliches geloistet. Na¬
mentlich bemerkenawerth ist sein neuer Chromatometer, basirt auf dem von ihm
schon vor Jahren verwerteten Princip der „Intensitls minimes“. — Der Apparat dient
zur Bestimmung der Intensität, welche eine gegebene Farbe haben muss, um von einem
fraglichen Auge noch richtig erkannt zu werden. Um die Intensität der Farbe beliebig
zu verändern, mischt L. dieselbe mit verschiedenen Quantitäten von Schwarz. Der Chro¬
matometer besteht aus einem mit schwarzem Sammt ausgepolsterten Kasten von ca. 20
cub.-cm. Im Grunde des Kastens befindet sich ein Uhrwerk, welches einer bis zur vor¬
dem Oeffnung des Kastens reichenden Axe 70 Rotationen in der Secunde mittheilt. An
dieser Axe werden farbige Papiere befestigt, welche so ausgeschnitten sind, dass sie 5
Öectoren darstellen, deren Grade sich zu einander verhalten wie 1 : 2 : 4 : 8 :16. Dreht
sich die Axe mit den Sectorcn vor der schwarzen Oeffnung des Kastens, so mischt sich
offenbar die Farbe des Papiers mit dem Schwarz des Kastens, und es entstehen aus den
ö Sectoren 5 farbige Kreise, deren Intensitäten zu einander stehen wie 1 : 2 : 4 : 8 : 16.
Die Oeffnung des Kastens wird durch ein Diaphragma geschlossen, das ß Fenster hat,
■von denen jedes einem der farbigen Kreise entspricht, und separat geöffnet und geschlos¬
sen werden kann. Bei der Untersuchung der Farbenperception wird erst das äusserste
Fenster geöffnet. Es entspricht dem Ring der am wenigsten gesättigten Farbe, die aber
ein normales Auge schon als solche erkennen muss. Wird die Farbe nicht erkannt, bo
-wird das zweite Fenster geöffnet u. s. f. successive eines nach dem andern. Der Grad
der Farbenperception steht offenbar in umgekehrtem Verhältnis zu der Intensität des
farbigen Ringes, an welchem sie zu Tage tritt; ist beim periphersten Auge die Farben¬
perception 1, so ist sie z. B. beim dritten =
Ein grosser Vortheil des Landolf sehen Apparates ist die Schnelligkeit und Einfach -
beit seiner Handhabung, und namentlich die Mischung der Farben mit absolutem
Öcbwarz. Die bisher zu ähnlichen Versuchen verwandten schwarzen Papiere sind, wie
alle schwarzen Pigmente, weit entfernt, alles Licht zu absorbiren, sie reflectiren viel
Uicbt, welches sich der Farbe des Sectors beimischt und die Resultate sehr trübt. Die¬
sem Uebelstande hat L. abgeholfen, indem er die farbigen Sectoren eben vor der Oeff-
u uug des tiefschwarzen Kastens drehen lässt, in welchen kein Licht eindringt, und so
absolutes Schwarz producirt.
Der LandoUache Chromatometer ist für die Prüfung dos Eisenbahn- und Marineper-
souals, der Militärpflichtigen sehr zu empfehlen, und leistet auch in der Pathologie grosse
X>icnstc boi Diagnose und Prognose einer Menge nervöser, Hirn-, Rückenmarks-, Opticus¬
leiden. Hosch.
W oclientoericlit.
Schweiz.
Internationale Gegenseitigkeit der medieinlsehen Befühl-
g-fng»aniweiie. (Mitgetheilt.) Die folgenden Notizen dürften geeignet sein, zur
j^eontniss aller 8chweizer-Aerzte zu gelangen. Wir haben denselben nur eine kurze Be¬
merkung vorauszusenden, betreffend die Praxis, welche der leit Ausschuss sowohl des Me-
^icioalconcordates als auch der eidg. Medicinalprüfungen fremden Aerzten gegenüber bis
jetz-t zu beobachten pflegte. Diese Praxis war eine äusserst liberale. Deutschen Aerz-
te n, welche sich Uber bestandene Staatsprüfungen ausweisen, und französischen Aerzten,
welche das Doctordiplom einer anerkannten französischen Facultät vorzeigen konnten,
vV urde jeweileu, wenn sie sich zur Praxis in dor Schweiz anmeldeten, die Vergünstigung
eines sog. summarischen Examens (Colloquiums) zu Theil, insofern nichts Klagbares ge¬
gen «ie vorlag.
Die folgenden 8 Fälle zeigen dagegen die Stellung, welche die Behörden der genann¬
ten Nachbarstaaten gegenüber schweizerischen Aerzten einnehmen.
1. Dr. A. Baader, im Besitz des Doctor- und des Concordatediploms, war aus eigenen
gesundheitlichen Rücksichten gezwungen, den Winter 1877/78 in Ajaccio zuzubringen,
wendete sich durch die Vermittlung des Bundesrathes an die französischen Behörden,
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um die Erlaubnis zu erlangen, in der dortigen meist aus Schweizern und Deutschen be¬
stehenden Fremdencolonie die ärztliche Praxis ausüben zu können. Sein Begehren wurde
abgeschlagen, trotzdem Baader sich ausgewiesen hatte, dass er 1870/71 auf französischem
Boden während 6—7 Monaten franz. Verwundete behandelt hatte.
2. Dr. E. Haffler kam im Sommer 1877 als Reconvalescent von einei* schweren Lei¬
chenvergiftung nach dem bayr. Bade Sulzbrunn und genas daselbst fast vollständig. Er
veröffentlichte seine Erfahrungen im „Corr.-Blatt für schweizer Aerzte“ und fand sich
Anfangs Juni d. J. wiederum in S. ein, um seine Cur fortzusetzen und zugleich während
der Saison bei einer Anzahl ihm grösstentheils persönlich bekannter Patienten die ärztliche
Leitung zu übernehmen. Von den Kemptener Aerzten deshalb eingeklagt, übersaudte er
seine Ausweisschriften (Doctor- und Concordatsdiplom, Universitätszeugnisse etc. ) dem
Bezirksamt auf dessen Aufforderung, mit dem Ersuchen, ihm die Erlaubniss zur Behand¬
lung der genannten Patienten bis zum Herbst zu gewähren. Dieses Begehren wurde mit
folgender Motivirung abgeschlagen:
»1. Zur Ausübung der ärztlichen Praxis im Gebiete des deutschen Reiches ist ein
von den Centralbehörden des deutschen Reichs ausgestellter Approbationsscheiu nöthig.
„2. Der als Badearzt in Sulzbrunn befindliche Dr. H. kann einen solchen nicht auf¬
weisen, sondern nur einen Prüfungsschein des Schweiz. Concordats.
„3. Ein derartiges Zeugniss genügt an und für sich nicht etc.
„Herr Dr. //. erscheint demnach zur Ausübung der ärztlichen Praxis in 8. nicht be¬
rechtigt und dürfte ihm solches unter Hinweis auf Art. 127 des Polizeistrafgesetzes zu
untersagen sein.
„NB. Ein Bedürfniss zur Aufstellung eines eigenen Badearztes in S. liegt überhaupt
nicht vor, da die Saison nur 3—4 Monate dauert und in dem '/, Stunde entfernten Sulz¬
berg ein tüchtiger Arzt wohnt, der eigenes Gefährt hält.
Kempten. ge*. Dr. v. Molo, kgl. Bezirksarzt.“
3. Dr. R. Oeri von Basel meldete sich bei den zuständigen Behörden zur Niederlas¬
sung resp. ärztlichen Praxis in dem elsässischen Flecken Gebweiler, indem er folgeude
Papiere vorlegte:
1) Das Concordatsdiplom, 2) das Doctordiplom, 3) seine Dissertation, 4) Aufforde¬
rung von 22 Familien des genannten Ortes G., dahin Uberzusiedeln, 5) Attest des Bür¬
germeisters von G., dass Oeri als Armenarzt werde ernannt werden, sobald er sich in G.
etablire. (Die Berufung zu einem öffentlichen Amt ist nämlich laut Gesetz eine der Be¬
dingungen, an welche die Erlaubniss zum Practiciren gebunden ist), 8) Zeugniss von
Prof. A. Socin Uber Oeri 's Assistenz in den Carlsruher Lazarethen von 1870/71, 7) Zeug¬
niss von Prof. Hagenbach über 1 Jahr Assistenz im Kinderspital, 8) Zeugniss von Prof.
Immermann über 2 Jahre Assistenz auf der roedic. Abtheilung des Basler Spitales, 9) Zeug¬
niss von Prof. Bischoff über ‘/Jährige Assistenz auf der geburtshülflichen Abtheilung des
Basler Spitales, 10) Zeugnisse Uber Abhaltung von Hebammencursen und über selbst¬
ständige operative Thätigkeit.
Herr Dr. Oeri erhielt (p. 5. Oct. 1878) folgende Antwort:
„Auf das Gesuch vom 12. Juni a. c. benachrichtige Euer Wohlgeboren ich im Auf¬
träge des Herrn Oborpräsidenten von EJsass-Lothringeo ergebenst, dass die Prüfungs-
comraission für Aerzte in Strassburg, welche der Herr Oberpräsident nach den bestehen¬
den gesetzlichen Bestimmungen um ein Gutachten ersucht hatte, sich einstimmig dahin
geäussert hat, dass die von Ihnen eingereichten Schriftstücke und Drucksachen als Nach¬
weise „wissenschaftlich erprobter Leistungen“ im Sinne gedachter Bestimmungen nicht
anzusehen seien. Desgleichen hat dieselbe mit grosser Mehrheit eine weitere Information
durch ein mit Ihnen vorzunehmendes Colloquium in jener Beziehung nicht für erforderlich
gehalten, ist dagegen einstimmig der Ansicht gewesen, dass Ihnen auf Grund jener
Schriftstücke und Drucksachen die Zulassung zu den vorgeschriebenen deutschen ärztli¬
chen Prüfungen, falls Sie um dieselbe nachsuchen, ausnahmsweise ohne Bedenken
gestattet werden könne.
„Mit Rücksicht auf dieses Gutachten war der Herr Oberpräsident ausser Stande,
Ihnen eine Approbation als Arzt für das deutscho Reich unter Entbindung von den vor¬
geschriebenen Prüfungen zu ertheilen, hat sich jedoch bereit erklärt, den Universitäts-
curator um Ihre ausnahmsweise Zulassung zu denselben, welche mit dem 1. Nov.
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ä— c. neu beginnen, im Falle Ihres Antrages zu ersuchen. Ich würde lebhaft bedauern,
■wenn Sie in Folge dor vorstehenden, Ihren Wünschen nicht völlig entsprechenden Ent¬
scheidung die Absicht Ihrer hiesigen Niederlassung aufgeben sollten, zumal der hier vor
Kurzem etablirte Dr. R. gesundheitshalber auf unbestimmte Zeit hiesigen Platz wieder
verlassen musste. Der Kreisdirector.“
Diese Fälle lassen keinerlei Missverständnis darüber aufkommen, dass in den ge-
nannten ausländischen 8taaten die Inhaber schweizerischer Ausweise, wenn auch noch
so 'vollständiger, nicht die mindeste Erleichterung der Zulassung zur Praxis resp. zu Prü-
fungen in Aussicht haben, mit andern Worten, dass diese Ausweise gänzlich ignorirt
werden. Nachdem daher der leitende Ausschuss hievon Kenutniss genommen , musste
sich ihm Angesichts dieser Fälle die Ueberzeugung aufdrängen, dass eine weiterhin fort¬
gesetzte allzu liberale Behandlung von Ausländern als evidente Ungerechtigkeit gegen¬
über den eigenen Staatsangehörigen sich qualifleiren würde. Er hat daher in der Sitzung
vom 15. October den Beschluss gefasst, bis auf weiteres gegenüber Angehörigen der ge-
nannten ausländischen Staaten die Vergünstigung der summarischen Prüfungen nur noch
it» besondern Ausnahmefällen zu gewähren. Diese Ausnahmefalle unterliegen der Geneh-
xnigung des Gesammtausschusses. Zugleich hat der leitende Ausschuss das eidg. Depar¬
tement des Innern ersucht, an die Cantone ein Rundschreiben zu richten, durch welches
diese auf die Niederlassungsverhältnisse fremder Aerzte aufmerksam gemacht werden.
_F. M.
Der leitende Ausschuss hat jedenfalls nur UDgerne und nur durch die Nothwendig-
keit gezwungen den gewohnten Weg dor Liberalität verlassen und den der Repressalien
ei *1 geschlagen, allein ohne eine feste Stellung der Schweiz. Behörden ist wohl von vorne-
berein nicht daran zu denken, dass jemals eine Anbahnung von Reciprocität zu Stande
komme.
Dieses Vorgehen hat unsere volle Zustimmung und gewiss auch die Billigung aller
ß serer schweizerischen Collegen.
Das Bedauern des Herrn Kreisdirectors am Schlüsse seiner Antwort an Herrn Dr.
CPet~i klingt fast wie Hohn, wenn man bedenkt, dass man von einem Manne mit solchen
Ausweisen über theoretisches Studium und practische Leistungen ein nochmaliges volles
Examen verlangt uud das um so mehr, als ja an allen unsern schweizerischen Hoch¬
schulen eine grosse Zahl von Lehrern und Examinatoren deutscher Nationalität wirken,
deren ehrenhafte Qualification die deutschen Behörden jeweilen durch Zurückberufen an
deutsche Hochschulen anerkennt, während sie doch in den beiden letzten, oben acten-
dargestellten Fällen auch das Examenurtheil dieser Männer desavouirt.
Der Appell an die Cantone ist im Hinblick auf die in der Schweiz (Scbönegg, Engel-
l, e rg, Montreux, Graubünden etc. etc.) practicirenden Aerzte fremder Nationalität vollkom-
m en am Platze.
Wir sind für volle Liberalität in diesen Dingen; allein es ist unsere Pflicht, auch
Rechto unserer Landsleute zu stehen. Die Redact
Sern. Eidg. Medicinalprüfungscommission. In Folge Ablehnung
UI1 d Abreise sind in dem Bestand der schweizerischen Medicinalprüfungscommissionen,
eie vom Bundesrath am 21. Mai d. J. bestellt worden sind, einige Mutationen erfor-
d erlich geworden. Auf den Vorschlag des leitenden Ausschusses für jene Prüfungen hat
< j er Bundesrath gewählt als Suppleanten für die propädeutischen Prüfungen der medici-
n iecb ei1 Section in Basel an Stelle des nach Tübingen berufenen Herrn Prof. Dr. Pfeffer:
j_Icrrn Dr. Vaechting , Professor der Botanik in Basel; als Suppleanten für die Fachprüfung
pharinaceutischen Section in Basel an Stelle des ablehnenden Herrn Apotheker Ruepp
• n Sissach: Herrn Apotheker Schmid in Olten; als Suppleanten der Fachprüfungen der
rn0 dicinische n Section in Bern an Stelle der ablehnenden Herren Dr. Ziegler in Bern und
I>r. Müller in Altorf: die Herren Dr. Conrad in Bern und Dr. Nager in Luzern. Ferner
^ u rde gewählt als neues Mitglied der Fachprüfung der medicinischen Section in Gerif:
Prof. Schiff daselbst. Der nach Kiel abgegangene Herr Prof. Quinke , bisher Mitglied
Nachprüfungen der medicinischen Section in Bern, wird einstweilen nicht ersetzt.
-— „Illustrirte Vierteljahrsschrift der ärztlichen Polytech-
^ I k “ ist der Titel eines sehr zeitgemässen Unternehmens unseres thätigen Collegen Dr.
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G. Beck , Verfasser des therapeutischen Almanachs. Dasselbe erscheint im Correspondenz-
blattformat vierteljährlich und je 3 Bogen stark in der bewährten Verlagsbuchhandlung
von Dalp in Bern zum Preise von Fr. 6 per Jahr. Der Zweck des Unternehmens ist,
mit Wort und Bild, als Originalmittheilungen oder als Rundschau in Litteratur und Werk¬
statt alles das zusammenzusteilen und wohl illustrirt dem Arzte mitzutheilen, was die
rastlos vorwärts schreitende Technik dem Practiker zur Prüfung vorlegt. Wir wünschen
dem schönen Unternehmen ein gutes Gedeihen und halten es für einen glücklichen Griff.
Ausland.
England. Doctortitel gesucht. Wie theuer? Die medicinische Facul-
tät der Universität Tübingen sah sich veranlasst, das folgende Schreiben der Oeffentlich-
keit zu übergebtm: »The Dean of the Faculty of Medicine of the University of Tübingen,
Germany. — Geheim. — London July 29th. 1878. Geehrter Herr! Ich nehme die Frei¬
heit, Ihnen vertraulich mitzutheilen, dass ich verschiedene Candidaten für den med. Doc-
torgrad habe, welche jedoch die Ausgaben nicht riskiren wollen, wenn sie nicht im Vor¬
aus sicher sind, das Diplom zu bekommen. Ich kann Ihnen verbürgen, dass alle meine
Candidaten gehörig berechtigt sind (das heisst nach dem englischen Gesetz), um als
Aerzte zu practiciren, und welche unter ihnen haben schon lange Jahre Praxis, aber eben
dadurch sind sie ein wenig „rostig“ für ein Examen. — Jeder würde Ihnen eine legali-
sirte Abschrift seines heutigen Diploms schicken , das gewöhnliche Honorar (und noch
etwas dazu) bezahlen und Thesen produciren, oder (wenn nöthig) ein modificirtes prac-
tisches Examen passiren, in der englischen Sprache. Man kommt zu mir, um vorbereitet
zu werden, und im Allgemeinen garantire ich den guten Erfolg; darum muss auch ich
keine Candidaten schicken, wenn ich nicht im Voraus sicher bin, dass sie das Diplom
bekommen. Wollen Sie gefl. dieses überlegen und mir genau sagen, was Sie verlangen;
Sie werden dadurch mich sehr verpflichten und den Candidaten einen grossen Dienst
leisten. Hochachtend, ergebenst T. Blyth. Schreiben Sie mir gefl. ausführlich und sagen
Sie, was Sie für uns zu thun im Stande sind. — Please reply in English if possible.“
— Die FacultSt hofft, durch diese Mittheilung nicht allein sich selbst, sondern auch die
sämmtlichen deutschen medicinischen Facultäten gegen ähnliche Anfragen sicherzustellen.
Decanat der medicinischen Facultät: Dr. Jürgensen , derzeit Decon.
— Antagonismus zwischen Atropin und Morphin. Nach Dr.
Corona (Giornale di Medic. milit. 76) beschleunigt 1. Atropin die Athmung, Morphin ver¬
langsamt und verändert sie. 2. A. verlangsamt die Herzthätigkeit, wobei die Temperatur
gleich bleibt oder leicht erhöht wird, M. beschleunigt die Herzthätigkeit und setzt die
Temperatur herunter. 8. A. verursacht Krämpfe bei Hunden und Kaninchen, aber nie
Schlaf, M. Schlaf und tiefes Coma. 4. Die Hauptwirkung des A. ist bekanntlich die
Erweiterung der Pupille; auf M. kann sie erweitert, gleich gross oder verengt sein. Ge¬
langt A. in grosser Dose direct in’s Blut, so wird wegen Lähmung sowohl der Kreis¬
ais der Ringfasern die P. nicht erweitert. 5. Das A. bewirkt stets vasomotorische Läh¬
mung, das M. nie. 6. A. setzt die Reflexerregbarkeit herunter und lähmt den hintern
Theil der Thiere, M. lässt sie intact oder erhöht sie zuweilen. 7. Nach dem Tod infolge
dieser Gifte fand man das Herz und die grossen Gefässe voll Blut, das nach Morphium¬
vergiftung geronnen, nach Atropinvergiftung flüssig und schwärzlich war. 8. M. beseitigt
in kleinen Dosen die durch A. herbeigeführten Erscheinungen und bringt Schlaf, während
uuf Morphiumschlaf A. sogar in sehr grossen Dosen keinen Einfluss ausübt. Die Wir¬
kung des M. gegen die Folgen des A. ist rascher, wenn dieses nicht in einer grossen
Einzelgabe injicirt wurde, selbst wenn die Summe der alle 10 Minuten eingespritzten
Einzeldosen mehr beträgt als dieselbe. 9. Wurden beide gleichzeitig injicirt, so traten
schon auf eine vcrhältnissmässig geringe Dosis schnelle und schwere Vergiftungserschei¬
nungen ein. Immerhin blieb die sofort sich einstellende Wirkung deB M. die vorherr¬
schende. 10. Nach der Einspritzung grosser Dosen von A. und verhältnissmässig sehr
kleiner von M. in die Venen erfolgte stets Schlaf, und die Erscheinungen des A. mach¬
ten sich erst spät geltend; ihre Intensität war aber nach dem Aufhören der Morphium¬
symptome proportional der Grösse der injicirten Gabe. 11. Morphium wirkt als
Gegengift bei A t r o p in ve rg i f t u n g , während das umgekehrte
Verhältniss nicht stattfindet. (Practitioner Febr. 1877.)
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Pari«. W eltauBßtellung. Auszeichnungen. In der uns Mediciner
sf>eciell interessirenden 14. Clasee (Medicin und öffentliche Gesundheitspflege) waren 420
A. xissteiler; prämirt wurden 172 (12 goldene, 36 silberne, 62 bronzene Medaillen und 62
üHirenmeldungen). Für chirurgische Mechanik (Orthopädie und Instrumente) erhielten
I* reise: L goldene Medaillen: Mallhieu, Aubry, Collin, Maison Charri&re (grosse goldene);
II- silberne Medaillen: Favre, Luer, Mariaud (Paris), Gray, Meyer # Melier (England), C.
Walter-Biondelti (Basel, für chirurgische Instrumente); III. bronzene Medaillen : Unter einer
grossen Zahl Ausländer und Franzosen fallen auf die Schweiz 2, Felix Demaurex (Genf),
chirurgische Apparate, und Weber-Moos (Zürich), künstliche Glieder und Bandagen; IV. Eh¬
re nmeldungen, von welchen 2 auf die 8chweiz fielen: J. Korner (Sursec), Bruchbänder, und
Mark Hauck (Genf), ebenfalls für Bandagen.
Die Juroren waren: Prof Lister , England, Präsident, Dr. Thomas 1F. Evans, Verein.
Staaten, Secretär, Prof. Trelat file, Paris, Rapporteur, Dr. Bertani , Italien, Prof. Vogt, Bern
(filr Hygiene), Prof. Dr. Hairion, Belgien, Prof. Dr. Lefort , Dr. John Fauvre Miller, Dr. Vul-
pairs, Prof. Richet und Prof. Dr. Beclard, letztere 5 von Paris.
Da die silberne Medaille, die in die Schweiz kam, die erste ist, die in dieser Spc-
cialität von schweizer Industriellen erworben wurde, heben wir hervor, dass Herr Walter-
Uiondetti sie errang für seine ausgestellten künstlichen Extremitäten, orthopädischen Appa¬
rate, Bandagen und chirurgischen Instrumente für alle Gebiete der operativen Chirurgie,
unter denen sich viele, in Frankreich und Deutschland von competentester 8eite sehr an¬
erkannte Novitäten (neue, nach aussen schneidende Scheere von Prof. Bischoff , Etui neuer
Instrumente zu Operationen im Ohre von Dr. A. Burckhardl-Merian u. a. m.) befinden.
Das internationale Comitd in Genf erhielt die grosse goldene Medaille und die inter¬
nationale Verbandstofffabrik in Schaff hausen die silberne Medaille.
Die Jury dieser Glasse verfuhr, wie man es von so unabhängigen Gelehrten erwar¬
ten durfte, sehr strenge. Kaum ‘/ g der Aussteller wurden prämirt und von dieson erhiel¬
ten nur ca. */ 10 die goldene oder silberne Medaille.
Es freut uns, dass auch auf diesem Gebiete die Schweiz sich nach und nach unab-
bängig macht und trotz ihres kleinen Gebietes rastlos und glücklich vorwärts strebt.
Stand der Infeetiona-Krankheiten ln Basel.
Vom 11. bis 25. September 1878.
£l>ie Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Mouaten
angemeldeten Fälle an.)
Von Masern kommen nur noch vereinzelte Fälle vor, diesmal 2 (20, 14, 5, 2).
Von Scharlach sind 2 Fälle angezeigt (4, 3, 4), beide aus Kleinbasel, wie auch
{jie. meisten der in den frühem Berichten gemeldeten.
Der Typhus weist 15 neue Erkrankungen auf (7, 21, 22), die Mehrzahl aus dem
Uirsigthale 8 (7, 7), Nordwestplateau 2 (4, 2), Kleinbasel 3 (6, ö), 2 von auswärts.
Rachenbräune 1 Fall im Birsigthal.
Die Anzeigen von Pertussis mehren sich; gemeldet sind 20 neue Erkrankungen
/j6, II), die Hälfte aus Kleiubasel.
Erysipelas 2 Fälle.
Puerperalfieber 1 Erkrankung.
Vom 26. September bis 10. October 1878.
Masern 8 Fälle, alle in Kleinbascl (14, 5, 2, 2).
Scharlach 5 Fälle (3, 4, 2), 3 in Kleinbasel, 2 im Birsigthal.
Von Typhus sind 17 neue Fälle gemeldet (21, 22, 15), wovon aus dem Bireig-
tb*I e 7 ( 7 > 7 , ®)> Nordwestplateau 3 (4, 2, 2) Südostplateau 1, Kleinbasel 4 (6, 6, 3), 2
v o» auswärts.
Hals- und Rachenbräune 6 Fälle, 3 vom Nordwestplateau, die übrigen
verstreut.
Von Pertu ssis sind 16 neue Fälle angezeigt (16, 11, 20), wovon 8 vom Nord-
^vcstplateau, je 3 vom Birsigthal und Südostplateau, 2 aus Kleinbasel.
ErysipelaB 2 Fälle. Puerperalfieber 2 Fälle (1).
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693
Vom 11. bis 25. October 1878.
Masern sind keine zur Anzeige gekommen.
Von Scharlach sind 6 Fälle gemeldet (4, 2, 5), wovon 4 auf dem Nordwest-
plateau, 1 von auswärts importirt.
Typhus weist 16 neue Erkrankungen auf (22, 15, 17), wovon 9 im Birsigthale
(7, 8, 7), die übrigen zerstreut aus allen Stadttheilen,
Hai 8- und Rachenbräune 6 Fälle (1, 6) zerstreut aus allen Stadttheilen, mit
Ausnahme des Südostplateaus.
Von Pertussis sind 23 Fälle angezeigt (11, 20, 16), wovon je 9 vom Nordwest¬
plateau und aus Kleinbasel. •
Erysipelas 2 Fälle.
Puerperalfieber 1 Fall.
Varicellen 2 Fälle.
Vom 26. October bis 10. November.
Von Masern sind wieder 4 Fälle aus einem Hause des Südostplateaus angezeigt,
deren Ursprung ganz unbekannt ist.
Scharlach 2 Fälle (2, 5, 6), je 1 im Birsigthale und auf dem Südostplateau.
Typhus scheint seiner Abnahme entgegen zu gehen; gemeldet sind 11 Erkrankun¬
gen (15, 17, 15), wovon 4 auf das Nordwestplateau, 2 von auswärts importirte, die übri¬
gen zerstreut aus allen Stadttheilen.
Hals- und Rachenbräune 4 Fälle (1, 6, 6), je 2 aus Gross- und Kleinbasel.
Von Pertussis sind 26 Erkrankungen gemeldet (20, l£, 23), davon je 10 vom
Nordwestplateau und aus Kleinbasel.
Varicellen vereinzelte Fälle.
Kein Puerperalfieber.
Aus einem Hause der Hägp.nheimerstrasse sind 3 Fälle von maligner croupöser
Conjunctivitis angemeldet, welche sämmtlich in die Augenheilanstalt verbracht sind.
Bibliographisches.
113) Roth, Otto, Klinische Terminologie; Zusammenstellung der gebräuchlichen technischen
Ausdrücke, ihre Bedeutung und Ableitung. Erlangen, Verlag von E. Besold.
114) Volkmarm's Sammlung klinischer Vorträge; Leipzig, Breitkopf & Härtel.
Nr. 146 Hennig , Ueber Laparotomie behufs Ausrottung von Uterusgeschwülsten.
Nr. 147 Wolf t Julius , Ueber das Operiren bei herabhängendem Kopf des Kranken.
Nr. 148—150 Spencer Wells , Die Diagnose und chirurgische Behandlung der Unter-
leibsgcschwülste.
Nr. 151 Ziegler , Ueber Tuberculose und Schwindsucht
115) Maulhner , Vorträge aus dem Gesammtgebiete der Augenheilkunde für Studirende und
Aerzte. I. Heft: Die sympathischen Augenleiden, I. Abth.: Aetiologie, Pathologie.
Wiesbaden, Verlag von Bergmann.
116) Hersing, Compendium der Augenheilkunde. Mit 33 Holzschnitten und einer litho-
graphirten Tafel. II. Auflage. 272 S. Stuttgart, Verlag von F. Enke.
117) Pletzer , Die künstliche Ernährung der Kinder. 48 Seiten. Bremen, Verlag von
Rauchfuss.
118) SchnUzler , Wiener Klinik IV. Jahrg., Heft 7: Schnitzler , Ueber Laryngoscopie und
Rhinoscopie und ihre Anwendung in der ärztlichen Praxis, I. Heft 8—9, Klein-
Wächter , Die künstliche Unterbrechung der Schwangerschaft. Wien, Urban & Schwar¬
zenberg.
119) Hüter , Der Arzt in seinen Beziehungen zur Naturforschung und den Naturwissen¬
schaften. Vortrag, gehalten an der Naturforschervcrsaramlung in Cassel. 44 S.
Leipzig, F. C. W. Vogel.
120) Hertz , Die Typhusepidemie von Kloten. Ein Beitrag zur Öffentlichen Gesundheits¬
pflege, populär beleuchtet. 77 S. Dielsdorf, Druckerei von Fritschi.
121) Stutz, Der Nabelstrang und dessen Absterbungsprocess. Inauguraldissertation. Leip¬
zig, Verlag von Engelhardt.
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694
X.22) Achter Jahresbericht des Landes-Medicinal-Collegiutns über das MediciaalweBen im
Königreich Sachsen auf das Jahr 1870. 196 S. Leipzig, F. C. W. Vogel.
1 23) Spinzig, Variola its Caures, Nature & Prophylaxis and the dangers of Vaccination.
St Louis, Buxton Printer.
X 24) Jahresberichte für Anatomie und Physiologie VI. Band, 2. und 3. Abtheilung. Preis
Fr. 18. 70. Leipzig, Verlag von F. C. W. Vogel.
125) Leyden , Ueber die Entwicklung des medicinischen Studiums. Rede. 40 8. Berlin,
Verlag von Hirschwald.
126) Aeby , Ueber das Verhältnis der Microcephalie zum Atavismus. Vortrag, gehalten
an <fcr Naturforscher-Versammlung zu Cassel. 26 Seiten. Stuttgart, Verlag von
F. Enke.
1 27) Emminghau8 1 Allgem. Psychopathologie zur Einführung in das Studium der Geistes¬
störungen. 471 S. Leipzig, F. C. W. Vogel.
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Dr. A. Baader
in Gelterkinden.
N° 23. VIII. Jahrg. 1878. 1. Dezember.
Inhalt: 1) Originalarbeiten: Prot H. Immermann: (Jeber Prophylaxe ton Trphaarocidiren. — Prof. Kocher: Ex¬
stirpation einer 8trnma retroonophagea. — 2) Vereintberichte: XVIU. Versammlung des festlichen Central vereine in Olten.
— Medicinisch-pharmacentiecher Bexirksverein des bern. Uittellandes. — 8) Beferate and Kritiken: Dr. P. Zech: Die
Physik in der Electrotherapie. — Dr. Victor Baud: Contrexdrille, sonrce da Pavillon. — P. Vogt: Die Nervendehnung als Opera¬
tion in der chirurgischen Praxis. — 4) Cantonale Corretpondenxen: Bern, Bünden, GraubOnden, Zürich,Gras, Erwiederung.
— 5) Wochenbericht. — 6) Bibliographisches. — 7) Briefkasten.
Original-Arbeiten.
Ueber Prophylaxe von Typhusrecidiven.
(Vortrag, gehalten in der Herbstversammlung des ärztlichen Centralvereins zu Olten
den 26. October 1878.)
Von H. Immermann, Professor in Basel.
Sehr geehrte Herren Collegen 1 Indem ich einer Aufforderung unseres hochge¬
achteten Herrn Präsidenten entspreche und Ihnen zu unserer heutigen Sitzung eine
Mittheilung bringe, möchte ich mir erlauben, über Beobachtungen und Versuche
zu referiren, welche ich im Laufe der letzten Jahre betreffs des Vorkommens
und der möglichen Verhütung von Ty p h us re ci d i v e n gemacht habe.
— Es ist nun zwar kürzlich über eben diese Angelegenheit bereits eine ander¬
weitige Publication aus meiner Klinik erfolgt, denn es hat Herr Dr. Albrechl E.
BurckhardU (derzeit Assistenzarzt der medic. Klinik) in seiner letzthin erschienenen
Inauguraldissertation , welche die vorjährige basier Typhusepidemie zum Thema
bat, *) auch die im Jahre 1877 bei uns vorgekommenen Typhusrückfälle bespro¬
chen und unserer Präventivmaassregeln gegen dieselben Erwähnung gethan. — Da
indessen diese Dissertation voraussichtlich bisher nur der Minderzahl unter Ihnen
bekannt geworden sein wird, und da ferner unser Material über diesen Gegenstand
sich inzwischen noch durch diesjährige Beobachtungen und Versuche nicht uner¬
heblich vermehrt hat, so nehme ich keinen Anstand, heute nochmals selbst auf die
beregte Sache zurückzukommen und sie Ihrem Forum zu unterbreiten. — Befürch¬
ten Sie nun aber nicht, dass ich bei dieser Veranlassung die Frage der Typhus-
recidive in extenso, nach allen Richtungen hin und mit Aufbietung des gesamm-
*) Beiträge zur Kenntnis* der basier Typhusepldemie von 1877. Inaugnraldissert. Basel 1878.
46
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698
ten, ziemlich umfänglichen litterarischen Materiales vor Ihnen behandeln werde,
- dazu würde wohl die mir zugemessene Zeit in keiner Weise ausreichen! Ich
•wünschte vielmehr, wenn irgend möglich, die programmmässigen Minuten für mei¬
nen Vortrag nicht zu überschreiten und bitte Sie darum, gütigst zu entschuldigen,
•wenn ich Ihnen vorwiegend nur von eigenen Erlebnissen auf dem Gebiete der
Typhusrecidive heute berichte.
Da möchte ich nun vor allen Dingen Ihnen das offene Bekenntniss ablegen,
<3 ass, seitdem ich in Basel bin, und mir daselbst, wie Sie ja Alle wissen, ein wirk-
licH grosses Typhusmaterial fort und fort zu Gebote steht, ich je länger je mehr
•von dem h ä u fi g e n Vorkommen der Typhusrecidive und der Unzulänglichkeit
der bisher üblichen Präventivmaassregeln gegen sie überzeugt worden bin. All-
jährli ch, wenn ich meine Spitalstatistik gemacht und das gewöhnlich recht umfäng¬
liche Capitel: „Typhus abdominalis“ durchmustert hatte, stand ich der gleichen,
unerquicklichen Thatsache gegenüber, dass, selbst nach Abzug aller irgendwie dia¬
gnostisch-anfechtbaren Fälle, doch die Zahl der unzweifelhaften Recidive
immer noch eine erschreckend grosse blieb. Und wenn ich nun auch zum Glücke
sofort hinzufügen darf, dass nur sehr wenige unter diesen vielen Rückfällen tödt-
lich ausgingen, dass ferner sich überhaupt unter den vorgekommenen Recidiven
nicht allzu viele schwerere befanden, und dass die überwiegende Mehrzahl dersel¬
ben leicht, sowie von kurzer Dauer war, so blieben doch auch diese zahlreichen
leichten Recidive immer noch höchst ärgerliche Ereignisse, da ein jedes derselben
dis Zeit der Arbeitsunfähigkeit, wie des Spitalaufenthaltes für den Betroffenen in
ganz unverhältnissmässiger Weise verlängerte. — Ziehe ich einen Durchschnitt für
die Jahre 1872—1877 (inclus.), so bekomme ich für nahezu 1200 im basier Spitale
behandelte und erstmalig genesene Typhuskranke eine mittlere Frequenz
der Typhusrecidive von 15,6%; das will also sagen, dass nahezu jeder 6. Ty-
p h nsreconvalescent noch einen Rückfall durchzumachen hatte 1 Freilich
die Häufigkeit der Recidive nicht in jedem Jahre eine gleich grosse: es kamen
vielmehr in einzelnen, besonders günstigen Jahren nur bei 12—13% der Typhus-
re con valescenten (also etwa nur in jedem 8. Falle) Revidive vor. Dafür erhob sich
a ber in anderen, ungünstigeren Jahren die Zahl der Rückfälle wiederholt auch noch
ü b e r die vorhin genannte Durchschnittsziffer, — auf 18%, selbst 19% i so dass
0 j s o, der Berechnung nach, alsdann etwa jeder 5. Typhusreconvalescent noch von
e ioetn Recidive nachträglich befallen worden war u. s. w. — Gerade z. B. auch
Vorjahr (1877) zeichnet sich in letzterer Hinsicht unvortheilhaft aus und ist
^ ar um besonderer Beachtung werth, weil während desselben (wegen der starken
epidemischen Verbreitung des Typhus in der ganzen Stadt Basel) nicht nur unge-
^Öbnlich viele Typhuskranke im Spitale Aufnahme fanden, sondern auch unter
diesen ungewöhnlich zahlreichen Typhusfällen relativ sehr viele Recidive vorkamen.
gj e erlauben mir vielleicht, speciell auf die Verhältnisse des Vorjahres einzugehen
un d Ihnen zur Illustration des eben Gesagten die numerischen Daten etwas genauer
^ossugeben:
Es sind (laut Bericht des tit. Sanitätsdepartements) 1877 in Basel zur Anzeige gs-
jjoounen: 695 Typhuserkrankungen; von diesen wurden im Spitale behandelt: («ufällig
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699
genau!) 300 Fälle. Von diesen 300 Fällen gingen im erstmaligen Typhus tö dt lieh
aus: 85 Fälle, kommen also für die Frage der Recidive nicht in Betracht (denn eB ist
mehr als klar, dass ein bereits im erstmaligen Typhus Gestorbener nicht noch nachher
einen Rückfall erleben kann!). Es verblieben somit 265 erstmalig Genesene, und unter
diesen ereigneten sich nicht weniger als 59 Recidive, — das macht 18,5°/ 0 !
Angesichts dieser Zahlen und der vorhin Ihnen genannten werden Sie es ge¬
wiss begreiflich finden, dass die Frage der Typhusrecidive mich in dem Laufe der
letzten Jahre immer lebhafter beschäftigt hat, und dass endlich im Vorjahre sich
bei mir die Ueberzeugung vollends Bahn brach, die bisherige Prophylaxe dieser
Recidive stehe doch eigentlich noch auf recht schwachen Füssen!
Es ist aber bekanntlich die bisher geübte Prophylaxe bezüglich jener Ereig¬
nisse immer nur eine rein diätetische gewesen; meines Wissens wenigstens
hat vorläufig noch Niemand irgend etwas Anderes, als eben nur Diätetisches,
zur Verhütung der Typhusrückfälle vorgeschlagen, oder in Anwendung gezogen.
Und so hatte denn auch ich mich bis zur Mitte des Vorjahres einfach mit diäteti¬
schen Maassregeln begnügt, war aber allerdings mit Rücksicht auf die so häufigen
Recidive, puncto Diät (im weiteren, wie engeren Sinne dieses Wortes) meinen Ty-
phusreconvalescenten gegenüber schon seit mehreren Jahren ausserordentlich strenge
geworden. Ich hatte, beispielsweise, während der letzten 3—4 Jahre keinem Typhus-
reconvalescenten, auch wenn der vorausgegangene Typhus noch so leicht und noch
so kurzdauernd gewesen war, mehr gestattet, vor Ablauf der zweiten Woche nach
der Entfieberung das Bett zu verlassen, — hatte ferner, was wohl noch wichtiger zu
bemerken ist, angeordnet, dass auch jeder Typhusreconvalescent während dieses
ersten zweiwöchentlichen Zeitraumes noch durchaus bei der im basier Spitale
üblichen, nahezu flüssigen Typhuskost (bestehend aus Milch, Fleischbrühe mit
Eidotter, Gerstenschleim, Wein und Wasser) verharre, — hatte weiterhin diesem
flüssigen Regimen während der ganzen dritten Woche nach der Entfieberung vorerst
nur breiige Substanzen hinzugefügt — und hatte endlich erst nach Ablauf der dritten
Woche die ersten kleinen Portionen feingehackten Fleisches dem Reconvalescenten
erlaubt Ich war also, kurz gesagt, in diätetischer Beziehung mit der Zeit so
ängstlich und vorsichtig, als nur irgend denkbar, geworden, — und wenn nun
trotzdem die Zahl der Typhusrecidive im basier Spitale andauernd eine so grosse
war und blieb, so ist dieses wohl ein genügender Beweis Für meine Anschauung,
nach welcher die diätetische Prophylaxe der Typhusrückfälle zwar höchst
wünschenswerth, ja in gewissem Sinne nothwendig, aber jedenfalls
ganz unzureichend ist!
Dass übrigens, wie ich soeben andeutete, strenge diätetische Maassregeln Ty-
phusreconvalescenten gegenüber keineswegs überflüssig, ja dass Diätfehler in ein¬
zelnen Fällen sogar von durchaus entscheidender Bedeutung für den Ausbruch
eines Recidives sind, davon bleibe ich auch heute noch um Nichts weniger überzeugt.
Ist es mir doch mehr als einmal vorgekommen, dass Typhusreconvalescente (na¬
mentlich solche weiblichen Geschlechts, denn dieses hat ja bekanntlich nasch¬
haftere Gewohnheiten, als das männliche) sich meinen Anordnungen schlechter¬
dings nicht fugen wollten, — dass sie leichtere oder gröbere Diätfehler muthwillig
begingen, und habe ich es alsdann doch ebenfalls mehr als einmal erlebt, dass bei
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700
<3ex-artigen Personen in unmittelbarem Anschlüsse an den begangenen Excess ein
üeeidiv des Typhus sich einstellte 1 Und wenn ich nun auch anderseits hinzufügen
rauss, dass weitaus in der Mehrzahl aller von mir beobachteten Typhusrückfälle
weder ein Diätfehler Seitens der betreffenden Patienten, noch irgendwelche andere
j^rovocirende Ursache sich eruiren liess, so besteht doch, Angesichts jener Einzel-
lalle, für mich durchaus kein Zweifel darüber, dass ein in der Reconvales-
c e n z von A b d o m i n a 11 y p h u s begangener Diätfehler sehr
-w ohl zur provocirenden Ursache eines Typhusrecidives
*w erden kann, — dann nämlich, wenn überhaupt schon die Vorbe-
d i ngung zu einem solchen bei dem betreffenden Typhus-
r e convalescenten existirt. Weil man es aber leider keinem Falle
-von Typhusreconvalescenz von vornherein anmerken kann, o b nicht bei ihm etwa
noch die Neigung zum Recidiviren bestehe, so soll man auch, meine ich, nach wie
-vor jeden Typhusreconvalescenten diätetisch so behandeln, als könne der Ty¬
phus möglicherweise noch bei ihm recidiviren.
Unter allen Umständen aber räumt man, selbst bei strengster diätetischer
14achbehandlung, doch immer nur provocirende Ursachen möglicher
TEt & cidive hinweg, während es doch offenbar die Hauptaufgabe einer wirklich
rationellen Prophylaxe bilden müsste, nicht nur solche Hülfsursachen fern zu hal¬
ten, sondern vor allen Dingen auch diefactische Vorbedingung für die
Entstehung eines jeden Typhusrückfalles, wenn möglich, zu annulliren. —
Diese Vorbedingung aber (aller Typhusrecidive ohne Ausnahme) kann, der Natur
c3 er Sache nach, keine andere sein, als die Existenz von lebendem
X y pliusgifte im Körper eines Typhusreconvalescenten.
Denn wenn das echte Typhusrecidiv (und nur von diesem rede ich hier) nichts
Anderes ist, als eine Wiederholung des Typhusprocesses während der Reconva-
lescenz von einem erstmaligen Typhus — und wenn ferner der Typhusprocess
immer und ausnahmslos durch ein specifisches (wahrscheinlich organisirtes) Gift her-
v orgerufen wird, so bleibt keine andere Wahl, als auch zur Erklärung des Typbus-
recidives eben dieses Typhusgift ganz direct in Anspruch zu nehmen. Ohne
»j’yphusgift also kein Typhus, ohne Typbusgift aber auch kein
rj* yphusrecidiv! — Die Frage betreffs der genaueren Genese dieses letzteren
kann hiernach nur di e sein, woher wohl der Typhusreconvalescent,
welcher ein Recidiv erlebt, dasjenige Typhusgift beziehe, welches ihm
g peciell sein Recidiv macht? — Und hier sind nun allerdings a priori
jg e 1 Möglichkeiten einzeln und nebeneinander denkbar, auf die ich in Kürze ein-
g 6 hen muss, ehe ich das prophylaktische Gebiet von Neuem betrete:
Entwe d e r nämlich: der einzelne Typhusreconvalescent inficirt sich wie-
jerum von Aussen her, und es handelt sich bei der Entstehung seines Reci-
lediglich um die Aufnahme neuer Portionen des Typhuskeimes auf den ge¬
wöhnlichen Wegen, — oder aber: der Typhusreconvalescent beherbergt mehr oder
weniger häufig noch in sich gewisse Mengen des Typhuskeimes von der ersten
Iniection her, — und in diesen Fällen wäre dann dasjenige Typhusgift, welches
jb* 11 ^ a ® Typhusrecidiv macht, natürlich der Ueberrest, oder auch der Abkömmling
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desjenigen Typhusgifles, welches die erst malige Infection bei ihm verschuldete!
— Wiewohl ich nun ftir meine Person durchaus nicht bestreiten möchte, dass die
erste re Möglichkeit (erneute Infection von Aussen her) dann und wann wirklich
einmal bei der Entstehung eines einzelnen Typhusrecidives gegeben sei, so glaube
ich doch des Bestimmtesten behaupten zu dürfen, dass bei der überwiegenden
Mehrzahl der von m i r im basier Spitale beobachteten Typhusrückfälle jenes Mo¬
ment wahrscheinlich nicht im Spiele gewesen ist. Denn wäre erstere Mög¬
lichkeit die wahrscheinliche, speciell für meine Fälle, — hätten also, mit anderen
Worten gesagt, so erstaunlich viele meiner Typhusreconvalescenten sich alljähr¬
lich auf Grund und Boden des basier Spitales einen neuen Typhus ge¬
holt, — so müssten doch auch unter der sonstigen Spitalbevölkerung weit
mehr Typhusorkrankungen vorgekommen sein, als de facto vorkamen. Es ist
zwar leider kein Jahr vergangen, in welchem nicht Spitalinfectionen vereinzelt
stattgefunden hätten — im Vorjahre ereigneten sich sogar, unter den exceptionel-
len Verhältnissen der höchst-extensiven Stadtepidemie, deren nicht weniger denn
11; — aber es vertheilen sich dafür auch diese 11 notorischen Pr imärinfectionen
auf Grund und Boden des Spitales über einen Menschencomplex von 4000 Personen
und darüber (nämlich auf die Patienten sämmtlicher Abtheilungen, die gesammte
Spitalwärterschaft, die sonstigen im Hause wohnenden Spitalbeamten u. s. w.).
Diesem grossen Menschencomplexe mit nur 11 Typhuserkrankungen steht aber,
wie Sie vorhin von mir bereits hörten, der bei weitem kleinere Complex von 265
Typhusreconvalescenten mit 59 Recidiven gegenüber! Es kamen also verhält-
nissmässig etwa 80mal häufiger Recidive bei Typhusreconvalescenten, als
selbstständige Typhusinfectionen bei anderweitigen Spitalinsassen im Vorjahre vor,
und es unterliegt bei einem derartigen Missverhältnisse gewiss keinem Zweifel,
dass die übergrosse Mehrzahl der recividirenden Typhen des Vorjahres nur da¬
rum recividirte, weil eben noch von der ersten Infection her der
Typhuskeim in vielen Reconvalescenten steckte und nicht völlig ver¬
nichtet war.
Die Entscheidung, welche von beiden Möglichkeiten für die Entstehung
der meisten Typhusrecidive in praxi als die wahrscheinliche anzusehen sei, ist aber
deswegen von grosser Wichtigkeit, weil von ihr auch zum beträchtlichen Theile
die Auswahl derjenigen Massregeln abhängt, welche zum Zwecke der Verhütung
dieser Ereignisse vernünftiger Weise zu ergreifen sind. Würde sich beispielsweise
etwa die erstere Möglichkeit als die allein wahrscheinliche für meine Fälle her-
ausgestellt haben, so hätte sich damit offenbar das basier Spital als eine Haupt¬
brutstätte des Typhusgiftes declarirt, und eine schleunige Entfernung aller Typhus¬
reconvalescenten nicht nur, sondern auch aller anderen Patienten aus der ver¬
pesteten Localität wäre dann natürlich am Platze gewesen. Man hätte sich ferner
auf eine möglichst radicale Desinfection der Gebäulichkeiten des Spitales, sowie
seines gesammten Untergrundes verlegen müssen u. s. w., um den massenhaft vor¬
handenen Typhuskeim zu zerstören. So aber, wie die Verhältnisse thatsächlich
lagen, war ein derartiges Vorgehen gewiss nicht nothwendig, auch nicht einmal
gerechtfertigt, und durfte ich wohl hinsichtlich der Genese der vielen vorkommen-
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den Typhusrecidive mit gutem Grunde nur an die zweite der oben genannten
^Möglichkeiten denken. Es erwuchs mir aber damit ebenso naturgemäss in pro¬
phylaktischer Beziehung die Aufgabe : die Körper der Typhusreconva¬
le s centen, als der muthmasslichen Wirthe des Typhusgiftes, be¬
hufs weiterer Verhütung von Recidiven methodisch zu desinficiren.
(Schluss folgt.)
Exstirpation einer Struma retrocesophagea.
Mittheilung von Prof. Kocher in Bern.
(Aus der chirurgischen Klinik in Bern.)
In Czerny 's „Beiträgen zu operativen Chirurgie“ •) hat Prof. Dr . Braun in Heidel¬
berg als Unicum eine von Czerny ausgeführte glückliche Exstirpation einer retro-
oesophagealen Struma mitgetbeilt. Er kennt nur noch eine analoge Beobachtung,
welche von Schnitzler im Jahre 1877**) mitgetbeilt ist. In letzterem Falle wurde
keine Operation versucht.
Auf Grund der Untersuchungen von FF. Gruber ***) hält Braun es für zweck¬
mässig statt des Namens Struma retrooesophagealis oder retropharyngea denjenigen
der Struma accessoria posterior einzuführen. Gruber hat nämlich nachgewiesen, dass
nicht nur auf der Vorderfläche der Trachea und des Larynx accessorische Schilddrü-
eenlappen Vorkommen und zwar sowohl aufwärts als abwärts, sondern dass solche
auch nach hinten hin sich entwickeln können. Er unterscheidet demgemäss eine
OlAndula accessoria superior, inferior und posterior. Für die weitaus häufigste Su¬
perior zeigt er, dass das so oft bis über den Larynx verlängerte Cornu medium
gleichsam den Uebergang zu der Glandula accessoria bildet. Denn letztere ist nur
dadurch charakterisirt, dass zwischen ihr und der übrigen Schilddrüse keine andre
Verbindung als mittelst Bindegewebe und Gefdssen besteht, während bei einem
Cornu medium ein continuirlicher Zusammenhang des Drüsengewebes vorhanden
Ist. Die Gefässe aber sind Zweige der Schilddrüsenarterien.
Ganz ähnlich wie für das Cornu medium ist nun offenbar, wie unser Fall
j e krt, dasjenige der Glandula accessoria posterior. Auch hier muss als Uebergang
letzterer ein Cornu posterius Vorkommen, welches sich an der Uebergangsstelle
v . 0 o Pharynx zum Oesophagus von dem oberen Ende der Schilddrüsen-Seitenlap-
p e u abzweigt und zwischen Oesophagus und Wirbelsäule hineinsenkt. Es konnte,
^je gleich des Näheren geschildert werden soll, vor und während der Operation
«Jer continuirliche Zusammenhang des Tumor mit der Schilddrüse — wenn auch
£. re ilich nur durch sehr genaue Untersuchung — bestimmt nachgewiesen werden.
halten desshalb im Gegensatz zu Braun dafür, dass die Bezeichnung Struma
re troce8°phag ea lis allgemeiner und bezeichnender ist, als seine Benennung der
9tru ma accessoria posterior. Denn eine solche war unser Fall nicht. Wir geben
chst die Beobachtung, um in Kurzem dieselbe mit den 2 andern Fällen zu
:
•) Beiträge za op. Chirurgie von Prof. Dr. Czerny, Stuttgart 1878.
••) Wiener Klinik III zar Diagnose und Therapie d. Laryngo- und Tracheostenosen.
•*•) Oruber, lieber d. Giand. tbyr. accessoria, Virchow Arch. Bd. 66.
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Die 24jährige Elise Friedli von Ersigen wurde am 1. Juli 1878 auf die chi¬
rurgische Klinik in Bern aufgenommen. Sie macht über die Entwicklung ihrer Beschwer¬
den folgende Angaben:
8eit etwa 6 Jahren hatte Patientin Beschwerden beim Schlingen, feste Speisen, Brod-
krummen blieben stecken im Hals, doch kam dies nicht oft vor. Die Sprache war nicht
behindert. Dies blieb sich gleich bis diesen Frühling. Keine weitere Beschwerden als noch
hie und da Halsweh und besonders beim Treppensteigen Dyspnoe. Dieses Frühjahr bekam
Patientin Husten und schwoll dann der Hals auf der rechten Steite unter dem Ohre an,
die Haut war rotb und verursachte Patientin brennende Schmerzen. Der Arzt bepinselte
im Hals, worauf die Geschwulst zurückging. Die Beschwerden im Schlingen und Ath-
men hatten eher zugenommen, die 8prache ward heiser bald mehr bald weniger. Seither
blieb der Zustand derselbe.
Patientin bat seit vielen Jahren einen etwas dicken Hals, der in den letzten 6 Jahren
besonders zugenommen hat
Patientin will bleichsüchtig gewesen sein, sonst war sie nie krank.
Status vom 4. Juli: Aeusserlich zeigt Patientin am Hals keine bedeutende Verän¬
derung mit Ausnahme einer leichten Vorwölbung oberhalb des Jugulum und des untern
Drittel des linken St. cL Das Zungenbein normal an normaler Stelle, dagegen der
Ringknorpel etwas nach rechts verschoben. Entsprechend der erwähnten Vorwölbung findet
sich eine Verdickung des Isthmus der Thyreoidea und eine Vergrösserung des linken
Schilddrüsenlappens. Letztere von fester Consistenz, unregelmässig knollig, etwa hühnerei-
gross. Der obere Kern reicht bis ins Niveau der Incisura thyreoidea.
Rechts fühlt man ebenfalls eine leichte Vergrösserung des rechten Schilddrüsenlap-
pens und von .derselben aufwärts der Wirbelsäule aufliegend und parallel am Oesophagus
aufsteigend einen nahe fingerdicken rundlichen Strang, der sich bis in die Höhe des Lig.
hyo-thyreoid. aufwärts verfolgen lässt
Durch die Untersuchung mit 2 Fingern fühlt man an der rechten hintern Pharynx¬
wand einen platt rundlichen Tumor von fester Consistenz wie die der Glandula thyreoidea.
Der Tumor reicht bis an das untere Ende des Gaumenbogen, links bis etwas über
die Medianlinie; er ist genau begrenzbar, von regelmässiger Gestalt. Es lässt sich deut¬
lich constatiren, dass der Tumor in Zusammenhang mit dem vorher erwähnten Strang
ist, der von dem vergrösserten rechten Schilddrüsenlappen emporsteigt. Der Tumor lässt
sich nach auswärts schieben und dann auch von ausBen her palpiren. Er hat etwa die
Grösse eines starken Hühnereis aber abgeplattet von vorne nach hinten.
Am 16. Juli wird die Operation ausgeführt und zwar vermittelst eines langen Schnittes
am Vorderrand des rechten Sterno-Cleido-Mastoideus von der Höhe des Zungenbeines
bis zum untern Ende des rechten Seitenlappens der Glandula thyreoidea. Nach Trennung
von Haut, Platysma und Fascie und des hinderlichen Omohyoideus, wird der Tumor vom
Rachen aus bestmöglich entgegengedrängt und auf denselben die Fascien unter sorgfäl¬
tiger doppelter Unterbindung abpräparirt. Die sehr starke art. thyreoidea Superior zeigt
den gewöhnlichen Verlauf am oberen Rande des rechten Schilddrüsenhorns. Offenbar
versorgt dieselbe auch die retrooesophageale Struma, da sie für den wenig vergrösserten
rechten Seiteulappen viel zu gross ist. Die Arterie und begleitende Vene werden doppelt un¬
terbunden und durchschnitten. Nach sorgfältiger Durchschneidung aller Schichten der Drü¬
senkapsel präsentirt sich die ziemlich glatte, bläuliche Oberfläche der Struma, welche mit
stumpfen Instrumenten und dem Finger nach allen Seiten freigemacht und mit einiger
Mühe aus der vorderen Incisionswunde der Kapsel heraus entbunden wird. Ein kleiD-
fingerdicker Strang von Drüsengewebe, welcher sich gegen den rechten Seitenlappen hin¬
zieht, wird mit starkem Catgut kräftig umschnürt und abgeschnitten.
Genaue Antisepsis durch Bespülung der Wunde und Lister 'sehen Verband.
Der excidirte Tumor hat den Umfang eines Apfels, plattrundliche Gestalt, ziemlich
glatte Oberfläche. Der Durchschnitt ist zuerst gemäss dem starken Blutgehalt schwarz-
roth, nach sorgfältiger Auswässerung dagegen zeigen sich zwar einzelne Blutergüsse, im
Uebrigen aber ein sehr schönes Bild einer Struma colloides mit graulichen, ge¬
kochtem Sago ähnlichen, aber kleineren Körnern, welche in einem weisslichen Netzwerk
liegen.
Der Verlauf war ein ausserordentlich einfacher. Ausser dem Verbandwechsel am
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folg enden Tag, welcher durch Verschiebung des Verbandes benöthigt war, wurden nur
noch zwei Verbände gemacht, am 20. und 23. Juli. Am 20. wurde die Drainröhre und
N~äbte entfernt, am 23. war die Wunde bis auf eine ganz geringe Sekretion an Stelle
der Drainröhren geheilt und am 29. Juli wurde Patientin in bestem Wohlsein mit linearer
Narbe entlassen.
"Vergleicht man unsere Beobachtung mit derjenigen von Czerny und Schnitzler ,
so fallt die grosse Uebereinstimmung auf bezüglich der Lage dos Tumor. Schon
IfrcLTATi bemerkt, dass die Zeichnungen von Schnitzler ganz gut Tür den Czerny' sehen
Fall benützt werden könnten, wenn der Tumor links statt rechts gesessen hätte.
Schon diese Uebereinstimmung weist darauf hin, dass es sich hier um ein gegebe¬
nes Verhältniss handelt, d. h. dass nicht ein vergrösserter Seitenlappen einfach
hinter den Oesophagus hineinwächst, sondern dass die Struma aus einem vorge-
hildeten Theile, einem Cornu posterius sup. oder einer Glandula accessoria post,
hervorgeht. Für die Diagnose späterer Fälle ist diese Uebereinstimmung der 3
ersten beobachteten retrocesophagealen Strumen ebenfalls sehr werthvoll. Unser
Fall zeichnet sich vor dem Czerny sehen in dieser Hinsicht dadurch aus, dass mit
Sicherheit eine bestimmte Diagnose vor der Operation sich stellen Hess (die Pa¬
tientin wurde in der Klinik vorgestellt), indem eine sorgfältige Untersuchung einen
geben dem Oesophagus vertikal aufsteigenden, tiefliegenden rundlichen Strang nach-
-wies, welcher in den Tumor überging. Dieser Umstand musste in der Diagnose
entscheidend sein. Allein es wirkten doch noch andre Momente mit: Die feste,
a ber nicht derbe Consistenz des Tumor, seine plattrunde Gestalt und deut¬
lich seitliche Lage, so dass nach oben und links die runde Contour vom Rachen
sich deutlich umschreiben Hess, endlich die Verschieblichkeit in der Weise,
dass die Geschwulst sich neben den Halseingeweiden seitlich, aber medial vom
Sterno-Cleido vorwölbte, mussten die Diagnose wahrscheinlich machen. Dazu
1 das langsame Wachsthum, indem schon vor 6 Jahren Schlingbeschwerden
^gstanden hatten. Nicht unwichtig erschien es, was in der Klinik von mehreren
TJntersuchern constatirt wurde, dass wie eine gewöhnliche Struma der Tumor bei
gcbluckbewegungen sich deutlich hob. Es bestand ferner linkerseits eine Ver-
g r Össerung des Seitenlappens der Schilddrüse, die seit 6 Jahren stärker gewach¬
sen » st -
I)ie Combination von Schling- und Athembeschwerden wird man auch in spä-
Fällen wieder zu finden erwarten dürfen. In unserm Falle waren die Athem-
1 >es< 3 k wer d en gering; die Stimme zeigte sich belegt, wie bei starker Hypertrophie
Mandeln. In den Fällen von Schnitzler und Czerny war die Beeinträchtigung
Parynx eine viel bedeutendere. Namentlich war es der Druck auf die gleich¬
seitig® Cartilago arytaenoidea, welche die Störung bewirkte, in Schnitzler' s Fall durch
-^ er vvachsung ihres Gelenkes, in Czerny' s nach Brauns Annahme wahrscheinlich durch
j^^x-ese des msc. crico. aryt. post.
Pas plötzliche Auftreten von Zufällen findet seine Erklärung in der Natur der
< 3 tr tinia, da sowohl in Czernys als unserem Fall starke Hämorrhagien bestanden,
^el c ^ e e * n 8e ^ r rasches Anschwellen und Circulationsstörungen in der Nachbar-
gC baft bedingen können. Ob die entzündliche Schwellung der rechten Halsseite,
welche bei unserer Patientin einige Zeit vor der Operation eingetreten, aber wieder
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zurückgegangen war, mit der Struma in Zusammenhang zu bringen ist, liess sich
nachträglich nicht entscheiden.
Dass bei einer Struma retrooesophagealis, welche gerade an Stelle des Ueber-
ganges von Pharynx und Oesophagus sitzt und sich gegen den Aditus laryngis
vorwölbt, eine Radikaloperation sehr indizirt ist, wird Niemand bestreiten. Dass
man an parenchymatöse Injectionen nicht wohl denken darf, obschon dieselben vom
Rachen aus ausführbar wären, ergiebt sich aus dem Falle von Czerny , wo ein
plötzlicher Erstickungsanfall den Eintritt in das Spital veranlasste und wo nach
der Tracheotomie die Kanüle nicht mehr entfernt werden durfte. Ein solcher
Zufall könnte nach einer Jodinjection sehr leicht eintreten. Es bleibt demnach
nur die Exstirpation, welche hier der stielförmigen Verbindung mit der übrigen
Schilddrüse wegen und angesichts der Lockerheit des umgebenden Zellgewebes
nach Czemy's und meiner Erfahrung weniger blutig ist, als man es a priori er¬
warten dürfte. Dagegen habe ich mich auch hier wieder überzeugt, und betone
es gegenüber Roae's verwerfendem Urtheil ausdrücklich, dass meine Angabe,*) man
solle die Drüsenkapsel ja von der ersten Incision aus aufs genaueste bis auf die
Substanz der Drüse spalten, um nachher um so leichter ausschälen zu können,
vollständig richtig und hier ganz besonders empfehlenswerth ist.
Was die Methode anlangt, so sind wir mit Braun einverstanden, dass eine Ex-
cision vom Munde aus (Schnitzler) kaum in Frage kommen darf. Es ist ja wie
bei allen Tumoren auch hier wesentlich, dass man die Stelle des Gefässeintrittes,
d. b. hier den Stiel sich möglichst früh und vollständig zugänglich mache, und die
relative Leichtigkeit und Sicherheit der Ausführung in Czernys und meinem Falle
entscheiden wohl für einen gehörig langen äussern Schnitt entlang dem vordem
Rande des entsprechenden Sterno-Cleido-Muskels. Unsre Patientin konnte in 14
Tagen mit definitiv vernarbter Wunde entlassen werden.
"V" er einsber ich te.
XVIII. Versammlung des ärztlichen Centralvereins in Olten
Samstag, den 26. October 1878.
Präsident: Dr. Sonderegger, Schriftführer ad hoc: Dr. A. Baader.
Diesen excellenten Eröffnungsworten folgte der Vortrag von
Prof. Dr. Socin (Basel) über R a d i k al oper ati on von Hernien (folgt
in extenso).
Nachdem die meisten Anwesenden den vorgestellten, sehr gelungen operirten
Patienten untersucht hatten, erklärte
Prof. Dr. Rote (Zürich), dass er früher keine Radikaloperationen machte we¬
gen der Gefahr einer nachfolgenden Peritonitis. Die antiseptische Behandlung hat
nun allerdings diese Gefahr wesentlich vermindert; allein auch jetzt macht er
keine und zwar wegen der Unsicherheit des Erfolges, der nur für einige Monate
radikal anhalte, nie auf Jahre. Nach der Herniotomie bebt er den Bruchsack mit
dem Finger wie eine Birne heraus; doch nützt das Abtragen des Bruchsackes
*) Kocher, Zur Pathologie und Therapie des Kopfes. Zeitschr. f. Ohir. Bd. 4. 1874.
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All g in nur wenig; die Bruchpforte muss auch verschlossen werden. — Bei Crural-
Ix ernien sah er Recidive nach Abtragung des Bruchsackes.
Prof. Socin (Basel). Man verwechsle nicht die Zerstörung (Schlitzen) des
Bi-uchsackes mit dem vollständigen Verschlüsse seiner Pforte. Recidive sind mög¬
lich., aber wir dürfen aus Misserfolgen bei der Operation der incarcerierten Hernie
nicht scbliessen auf Misserfolge der ad hoc vorgenommenen Radikaloperation.
Dr. Kottmann (Spitalarzt in Solothurn) schildert zwei von ihm ausgeführte Fälle
von Radikaloperation. I. Eisenarbeiter, Inguinalhernie mit atrophischem Hoden
an der Bruchpforte, weshalb kein Band konnte getragen werden. Nachdem der
Br uchsack frei präparirt war, wird er gespalten, der Hoden exstirpiert, der Bruch¬
sack weggeschnitten, die Bruchpforte genäht; Heilung nach 4 Wochen; nach 6
Monaten Vorstellung an der Versammlung des Vereines jüngerer Aerzte der Can-
tone Bern und Solothurn. Bruchpforte ganz geschlossen und beim Husten kaum
-vorgewölbt. II. 52jährige Frau mit linksseitiger Hernia maxima inguinalis, bis zum
KLni© herabhängend. Als der herauspräparirte Bruchsack eingeschnitten wurde,
erschien der Proc. vermiformis; Reposition des Darmes; Bruchsack exstirpirt;
keine prima intentio; nach 14 Tagen Fieber — Typhus abdom. Patientin mehrmals
in Agone; auf der Höhe des Typhus Gangrän der Haut über der Operationsstelle;
liandteller-, jetzt noch thalergrosse, aber sich schliessende Oeffnung, durch welche
«3io Gedärme sichtbar sind.
Als zweites Tractandum folgte der durch Zeichnungen und sehr instructive
Präparate commentirte Vortrag von
Prof. Dr. Kollmann (Basel): der Mittheilungen aus der Entwicklnngs-
go schichte des Menschen betraf.
- „M. H. 1 Die Schicksale des menschlichen Eies innerhalb der ersten vier Wo¬
chen nach der Befruchtung, beginnt der Vortragende, sind noch zum grössten
'Theile unbekannt, was sich damit erklärt, dass trotz der intensivsten Arbeit auf
All en Gebieten der Entwicklungsgeschichte, seit dem Jahr 1870 doch nur 4 Eier
aU s dem Anfang der 3. Schwangerschaftswoche der Beobachtung zugänglich waren.
ganz anders liegen die Materialien bezüglich der Wirbelthiere oder gar der
W^ir bei losen! In jedem physiologischen oder anatomischen Institut sind leicht
Einrichtungen zu treffen, um die Entwicklung der Knochenfische unserer Ge-
^rässer während des Winters zu beobachten; im Frühjahr ist allerwärts Uebertülle
Ä n dem Laich der Batrachier ; der Sommer gestattet die Untersuchung an Säuge-
^bieren, und mit dem Ei der Hühner lässt sich nahezu das ganze Jahr experimen-
t j rC n. Der Reichthum des Materials für die Entwicklungsgeschichte der Wirbel¬
igen ist bekannt. Süsswasser und Meer bieten unerschöpflichen Vorrath. Seitdem
sollend® zoologische Stationen zur Untersuchung der Meeresthiere errichtet wor-
^ e n, ist für eine grössere Zugänglichkeit dieser Studien gesorgt, und es ist eine
er fre u liche That, dass auch die Schweiz in die Reihe jener Staaten eingetreten ist,
ihre Söhne an die zoologische Station nach Neapel schicken, wenn sie das
^^erden der Thierwelt verfolgen wollen. An Material und Gelegenheit ist also
z»irg en ds Mangel, nur die menschliche Entwicklungsgeschichte kämpft mit den
grössten Schwierigkeiten. Deshalb sind die Fortschritte über die ersten Verln-
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derungen so äusserst langsam. Wenn unter solch erschwerenden Umständen den¬
noch eine neue Stufe erreicht wird, so ist dieser Gewinn der Beachtung werth
selbst über die nächste Reihe der Fachgenossen hinaus.
In den letzten Jahren sind nun vier menschliche Eier beschrieben worden, die
alle dem Ende der 2. und dem Anfänge der 3. Schwangerschaftswoche angehören.
Sie stimmen sämmtlich was die äusseren mit freiem Auge unterscheidbaren Merk¬
male betrifft, mit dem in den dreissiger Jahren in England beschriebenen ersten
Ei aus derselben Periode : alle sind kuglige, zarte, durchscheinende Bläschen, mit
feinen Zotten besetzt, und von der Grösse einer mässigen Erbse (circa 5—6 mm.
im Durchmesser). Wir sind durch diese menschlichen Eier also um eine wesent¬
liche Erfahrung bereichert worden, die schon um deswillen wertbvoll ist, weil
man jetzt die Grösse, den Zottenbesatz und damit die frühesten Anfänge der Cho-
rionbiidung kennt, ja selbst über den Bau der Eihaut und den Inhalt einige Auf¬
schlüsse erhalten hat. Allein trotz der unbedingten Bedeutung dieser Einsicht in
die ersten Anfänge des menschlichen Keimes hätte ich doch nicht gewagt, vor
dieser Versammlung lediglich als Referent zu erscheinen. Was mir Veranlassung
giebt, ist der Umstand, dass die anatomische Sammlung in Basel zwei menschliche
Keime aus demselben Entwicklungsstadium besitzt, wie das eben Erwähnte. Ich
bin also in der angenehmen Lage, aus eigener Prüfung des Sachverhaltes zu ur-
theilen, und, was bei der Erörterung naturwissenschaftlicher Fragen vor Allem
wichtig, ich kann die betreffenden Objecte Ihrer eigenen Anschauung unterbreiten.
(Es folgt die Demonstration der menschlichen Keime, die, in Gläser eingeschlossen,
der Versammlung vorgelegt werden. Eine vergrösserte Zeichnung an der Tafel
dient zur Erläuterung der verschiedenen Details). Der Erhaltungszustand des
Einen der Basler Eier ist, was die Form, Farbe und Durchsichtigkeit betrifft, vor¬
trefflich ; das Andere hat leider seinen Inhalt eingebüsst, dafür sind aber die Zot¬
ten und ist die Eibaut vortrefflich erhalten, und was nicht minder wichtig, auch
der Uterus ist vorhanden. Auf der hintern Wand der Decidua vera ist die Frucht¬
kapsel (Decidua reflexa) und ihre ganze Art dor Entstehung deutlich zu erkennen.
Die nestförmige Tasche enthielt das mit Zotten dicht besetzte Ei. (Auch dieses
Präparat wird der Versammlung vorgelegt; an der rothgefärbten Decidua sind
die Oeffnungen der Uterindrüsen als kleine dunkle Punkte sichtbar).
In der Literatur, die sich an diese Eier anschliesst, entspinnt sich bereits eine
lebhafte Discussion. Die Herkunft der Zotten ist unaufgeklärt, denn eine bestimmte
Embryonalanlage bat sich entweder nicht finden lassen, oder sie ist so primitiv,
dass sie mit einem so stark entwickelten Zottenbesatz im Widerspruch steht, wenn
man die entsprechenden Entwicklungsvorgänge bei den Säugethieren vergleicht
Denn bei den letzteren entstehen solche Zotten von 1—1,2 mm. Länge, aus
embryonalem Bindegewebe und einem sehr charakteristischen Pflasterepithel be¬
stehend, erst mit dem Auftreten des Amnion und der Allantois. Mit dem vorhan¬
denen Material ist man leider nicht im Stande, diesen Widerspruch aufzuklären.
Sind alle bis jetzt bekannt gewordenen menschlichen Eier aus dieser Zeit abnorm,
wie die Einen annehmen, dann hat die Existenz der Zotten und hat die Binde¬
substanzhülle des Eies kein hervorragendes Interesse, dann sind beide eben ent-
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standen nach der Bildung des Amnion wie bei den Säugethieren, und der Embryo
ging, wie das so oft vorkommt, im Ei zu Grunde. Ist aber das eine (von Reicherl)
Im TJterus einer Selbstmörderin gefundene Ei normal, und dies scheint nach Allem
denn doch eine berechtigte Annahme, dann deuten die Zotten auf einen verän¬
derten Entwicklungsmodus der Eihaut bei dem Menschen, dann wäre wenigstens in
diesem einen Punkt ein fundamentaler Gegensatz erwiesen.
Man ist über die Entscheidung dieser Angelegenheit in allen Lagern der Em-
ologen gespannt. Es handelt sich ja bei all diesen Fragen nicht nur um die
^Entwicklungsgeschichte des Menschen an sich (Ontogenie oder Keimesgeschichte),
sondern um das Verständniss des grossen Zusammenhanges, der die Organisation
der Thierwelt mit der Organisation des Menschen verbindet, mit anderen Worten,
es bandelt sich gleichzeitig auch um die Stammesgeschichte (Phylogenie). Die
Ent ■Wicklungsgeschichte ist einer der Grundsteine unseres Verständnisses organi¬
scher Formen. Sie verfolgt ein doppeltes Ziel: den Aufbau der Organe will sie
"begreifen, sie will die Vorgänge kennen lernen, welche aus dem einfachen Keim,
aus einer Zelle, die Vielheit der Organe entstehen lassen, und bis zum Culmina-
tionspunkt der Entwicklung weiterfuhren. Ihre That ist es, wenn sie nach weist,
dass die grossen Arterien des Herzens und der Lunge aus einem System von 5
_A_ortenbogen hervorgehen, von denen die Einen wieder spurlos verschwinden, wäh¬
re nd Andere neue Verbindungen suchen. Ihrer Arbeit verdanken wir die Kennt¬
nisse dass der Aufbau des Skelettes aus Urwirbeln unter Theilnahme einer Chorda
dorsalis beginnt, und dass das Nervensystem, welchem die höchsten geistigen
Eüoctionen überantwortet sind, aus demselben Zellenlager hervorgeht, das auch
die der Hornsubstanz verwandte Epidermis liefert. Mit Recht sucht daher die Anatomie
Überall die genetischen Beziehungen auf. Aber verhehlen wir uns nicht, dass die Onto-
genie des Menschen damit auch gleichzeitig neue Räthsel schafft Wie kommt es,
dass gerade dieser Entwicklungsgang besteht? Wie kommt es, dass die menscb-
liebe Entwicklung mit Kiemen- und fünffachen Aortenbogen beginnt von denen
die Ersteren als unnütz in dieser Form völlig verschwinden, und die Anderen bis
jjul- Unkenntlichkeit entstellt werden? Man denke ferner an die Chorda dorsalis,
die Urnieren, Organe, die bei niederen Wirbelthieren persistiren, während sie
\y G i höheren und beim Menschen gänzlich in den Hintergrund treten. Zu dem einen
j> r0 'blem des ausgebildeten Organismus bringt also die Entwicklungsgeschichte der
Sai*g> e ^* ere und des Menschen nur noch Neue hinzu. In wie ganz anderem Lichte
er l t ennen wir aber die provisorische Einrichtung der Kiemenbogen, oder die erste
^nlsge des Blutgefässsystemes der Säugethiere, wenn wir denselben hier und beim
2^f cX )8chen vergänglichen Zustand bei Fischen dauernd antreffen. Und so Organ
£-j r Organ. Auf niederen Stufen Dauerndes wird auf höheren vergänglich, indem
e9 anderen daran anknüpfenden Modifikationen Platz macht- Diese setzen somit
• eD e voraus! Aber es kommt in ihnen eine höhere Potenzirung zum Ausdruck,
^.ßlche die fernliegenden Stadien durchläuft. Auf Umwegen, die zwecklos er-
ß cbeinen, vollendet die Natur durch niedere Gestaltungen hindurchlaufend den Or-
^anisrous des höheren Wesens. Unter solchen Umständen wird es zu dringender
j>flicht, die Forschung auf grössere Reihen auszudebnen, und die Erkenntniss wird
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erst vollständig sein, wenn das Ganze geistig beherrscht wird. Dieses ist das
weiter gesteckte Ziel der Entwicklungsgeschichte. Aber schon heute tritt das
Problem des genetischen Zusammenhanges der Geschöpfe schärfer als je zuvor
in unseren Gesichtskreis. Selbstverständlich ist es nicht zu erklären, aber es ist
discutirbar, und wir dürfen mit ziemlicher Bestimmtheit den Satz aussprechen, dass
die hochorganisirten Wesen aus einfachen Grundformen hervorgegangen sind.
Man hat denn auch schon sehr früh, nach den ersten entwicklungsgeschicht¬
lichen Entdeckungen, die Behauptung aufgestellt, dass der Mensch bei seiner Ent¬
wicklung erst Fisch, dann Vogel und Säugethier sei, und endlich die höchste
Stufe erklimme. In dieser rohen Fassung ist die Deutung der seltsamen Formen
entschieden falsch. Der allgemeiner formulirte Satz, dass die Entwicklung der Vor¬
fahren auch von den Nachkommen durchlaufen werde, und dass die geschichtliche
Entwicklung einer Art (Phylogenie), sich in der Entwicklung des Individuums
(Ontogenie) abspiegle, ist nicht minder anfechtbar, denn so rein steigt der wer¬
dende Organismus nicht von Stufe zu Stufe. Es stellt sich vielmehr heraus, dass
die Entwicklung einen immer mehr geraden Weg vom Ei zum fertigen Thier ein¬
schlägt. — Die alte Urkunde ist theilweise verwischt. Wie viel oder wie wenig,
das zu bestimmen ist die Aufgabe.
Ich bin, m. H., von dem uns zunächst beschäftigenden Gegenstand dazu ge¬
führt worden, das doppelte Ziel anzudeuten, dem die Entwicklungsgeschichte zu¬
strebt. In letzter Instanz regt der Versuch, die scheinbar einfache Thatsache von
der Existenz der Zotten auf der Oberfläche des menschlichen Eies richtig zu deu¬
ten, die weitgehendsten Fragen an, sobald man nach dem Zusammenhang mit den
übrigen Erscheinungen der Thierwelt ausschaut. Leider ist gerade dieser eine
Punkt, wie überhaupt der erste Anfang der menschlichen Entwicklung wegen Man¬
gel an geeignetem Material nicht aufzuklären. Aber hier wäre ein Gebiet, auf dem
sich Theorie und Praxis mit Erfolg die Hand reichen können. Ich erlaube mir,
Ihnen, m. H., die Bitte vorzutragen, jedes sich ergebende Material, als höchst werth¬
voll, der Untersuchung zugänglich zu machen. Die Decidua, welche das Ei ent¬
hält, gleicht nur zu oft einem Blutcoagulum. Dasselbe könnte leicht in Alcohol,
Rum, Arac, Cognac, Kirscbwasser, oder wenn die Absendung an ein anatomisches
Institut rasch möglich ist, auch in frischem Menschenharn geschehen. Ja selbst
nur umwickelt mit feuchter Leinwand wird es den Transport und selbst 24stündige
Reise gut überdauern. Jede Untersuchung der Decidua oder des vielleicht in¬
haltsreichen Coagulums aus den ersten Wochen der Schwangerschaft wäre zu ver¬
meiden, weil die Eröffnung desselben gefahrlos nur unter verdünntem Alcohol,
einer Chromsalzlösung, oder jodirtem Serum geschehen kann.
Ich schliesse, indem ich mir nochmals erlaube, diese wichtige Seite der ent¬
wicklungsgeschichtlichen Forschung Ihrer Theilnahme zu empfehlen.“
Die Vorträge schloss
Prof. Dr. Immermann (Basel), der über die Prophylaxe von Typhusre-
cidiven sprach. (S. diese Nummer.)
Anschliessend referirt Dr. Keller (Baden) über eine Typhusepidemie (68 Fälle)
bei Baden; erster Fall von Zürich eingeschleppt; schnelle Verbreitung durch einen
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Bacli, in welchen die Typhusdejectionen und dann in die defecte Brunnleitung
gelangten. Er erzählt einen Fall von Recidiv, bei dem der Patient volle 4 Wo¬
chen nach der Entlassung aus der Behandlung einen zweiten schweren Typhus
durchmachte. Er ist aber geneigt, hiebei eine zweite neue Infection von aussen
an zunehmen.
Prof. Dr. Immermann bemerkt, dass Recidive nach der III.—IV. Woche noch
Vorkommen; doch sei für ihn in dem citirten Falle die neue Infection von aussen
ungewiss.
Damit waren die Tractanden erschöpft, die Zeit der Verhandlungen aber auch
■verflossen. „In Bern sehen wir uns wieder 1“ prophezeit das Präsidium (dieser
Prophet gilt was in seinem Vaterlande und seine letzte Prophezeiung erfüllt sich
gewiss besser als die Orakel des Caplanes Butterstein). Der Saal wurde rasch
leer, bei den Gebrüdern Biehly aber nicht so recht voll, trotzdem sie auch prophe¬
zeit. hatten, ihre Träume mit detaillirter Präcision zu Papier gaben (Menu) und sich
alles sehr gut erfüllte.
Es klingelt Ein Gesellschaftsessen ohne Toast wäre Tanz ohne Musik. Prä-
sident Sonderegger eröffnet den Reigen:
M. H.! Einen schönen Gross von College Diogenes 1 Ich traf ihn auf seiner Hoch¬
zeitsreise mit Sophia Anoia v. Hartmann verwittwete Schopenhauer. Er kommt nicht
a.n unsere Versammlungen und hat mich mitleidsvoll ausgelacht. Das sind alles Phrasen,
hat er gesagt. Die Medicin, welche ich sehe, hat er gesagt, ist Ehrgeiz der Grossen,
Habsucht der Kleinen und Brodneid Aller. Und nun vollends Eure Hygieine 1 Wir
.A-erzte würden besser leben — Und würden respektirter sein — Hättet Ihr uns nicht
dexa. Schein — Auch dieses Himmelslichts gegeben ! Kurzum, ich halte mich fern, hat er
gesagt, von Eurer concurrenzlosen Bankettfreundschaft und treibe meine Wissenschaft
edle in und für mich. „Odi profanum vulgus populi,“ — „Ich seh’ ja schon, ich kann
den Haufen — Nicht auf meinen Standpunkt zieh’n — Nun so lass ich ihn denn laufen
_S’iat wahrhaft nicht Schad’ um ihn. — Menschenthun ist ein verkehrtes — Men¬
schenthun ist Ach und Krach — Im Bewusstsein seines Werthes — Sitzt der Kater auf
dem Dach 1“
Tit.! Diese Katzenjammerphilosophie ist eine VolkskTankheit unserer Zeit, sie ver¬
giftet unsere Schulen, tödtet Gymnasiasten durch Tympanitis und praktische Aerzte durch
gpinallähraung. Der richtige Schwindler ist Derjenige, welcher Alles für Schwindel an-
»ielxt und weder an seine Wissenschaft noch an sein Volk glaubt und ihm den Rücken
jtefrrt! Tit. Wenn wir uns isoliren und uns vom Volke abwenden, so wird die Demo-
icr&tie sich auch von unserer Wissenschaft abwenden und die Behörden werden ihr die
Ittel zur Arbeit und die Anerkennung ihrer Arbeit versagen, heute bei der Maturitäts-
f T B.g e i mor gen beim Seuchengesetze, und der schöne Beruf, dessen zeitweilige Träger wir
sind? wird zum schnöden Gewerbe, zum mittelalterlichen Bader- und Steinschneiderhand-
^ e rk herabsinken. Auch der geistige und sociale Reichthum hängt vom durchschnitt¬
lichen Wohlstand, nicht von einzelnen Celebritäten ab.
Tit. Wir müssen am Krankenbette und gegenüber unseren Collegen, aber auch
_ e g e nüber unserem Volke, unsere Schuldigkeit thun, in Wort und Schrift, müsseu öffent¬
lich® Meinung machen für die wissenschaftliche Bearbeitung und für die sociale Anwen¬
dung der Medicin und dürfen weder auf äussere Anstösse noch auf unsere Stimmung
garten. Der Dichter ruft uns zu : „Was hilft es, viel von Stimmung reden, — Dem
Zaudernden erscheint sie nie, — Gebt Ihr Euch einmal für Poeten, — So commandirt
die Poesie 1“ Commandirt Eure Weisheit und Eure Tapferkeit: jugendliche Collegen 1
yüstigo Männer 1 ehrwürdige Senioren 1 hier in unsern Versammlungen und dort im mühe¬
voll© 11 praktischen Leben. Der Medicina militans sei unser Hoch gebracht I
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Nun kam, von Allen applaudirt Herr Hase mit Rahmsauce, worauf das Prä¬
sidium die von Herrn Prof. Kleb 8 , Dr. J. R. Schneider in Bern, den Schweizerärzten
in Wien und den in Reichenau versammelten bündnerischen Aerzten eingelaufenen
Grüsse verliest und mittheilt, dass er „dem würdigen Senior und lieben Collegen“ in
Bern und den Separatisten dahinten geantwortet habe (letztem: „Ihr peripherisch,
wir central, Alle eidgenössisch und collegial“ — allgemeines Bravo !). Der Präsi¬
dent sagt uns dabei, dass wir Alle Strafe verdient hätten, weil keiner eine Rede
halte und dass er als höchste inappellable und zugleich executive Instanz uns so¬
fort mit seiner H. Rede strafe.
Er begrüs8t unsern werthen Gast, Herrn Prof. Dr. Kölliker aus Würzburg; wie
die Wissenschaft keine Grenzen kenne, so kenne oft die Politik auch keine Wis¬
senschaft. Die Wissenschaft schätzen wir hoch, ob sie aus der Fremde zu uns
komme, oder von uns in die Fremde ziehe. So ist unser Landsmann Kölliker auch
in der Fremde einer der unsrigen geblieben und es gereiche uns zum Stolze, hier,
auf heimathlichem Boden ihn, den gefeierten Lehrer, inmitten seiner zu Männern
herangereiften Schüler hoch leben zu lassen.
„Ich fühle mich gerührt“, antwortete Prof. Kölliker, auf das rauschende und
herzliche Hoch; wir möchten ihm glauben, dass niemals ein Hoch, ein herzlicher
Willkommen, ihm wohler gethan habe, als jetzt hier. Sein Hoch gelte den Bil¬
dungsstätten der Schweiz. Wenn er etwas der Wissenschaft leisten durfte, ver¬
danke er es Zürichs Hochschulo. Die Universitäten der Schweiz haben denjenigen
Deutschlands immer ebenbürtig zur Seite gestanden. Mögen sie allzeit blühen und
gedeihen und in ihren Fortschritten fortfahren, tüchtige Mediciner heranzubilden.
Sie leben hoch!
Das gute Beispiel und das schönste Stimulans, Vinum generosissimum, hatten
den Bann gebrochen. Prof. Dr. Kollmann (Basel) führte seine entwicklungsge¬
schichtlichen Studien auch im II. Acte weiter.
„M. H. ,* sagte der Redner, „Ich hatte heute die Ehre, in der Versammlung
darauf hinzuweisen, dass die Stammesgeschichte des Menschen noch sehr bedenkliche
L&cken enthalte, und habe Sie eingeladen, an deren Beseitigung mitzuarbeiten. Jetzt,
wo wir hier beim fröhlichen Mahl nach vollbrachter Arbeit uns zusammengefunden,
sei es mir gestattet, des Ferneren hervorzuheben, dass auch die Stammesgeschichte
der schweizerischen Bevölkerung, des homo helveticus noch völlig unaufgeklärt ist vom
anthropologischen Standpunkt aus. Es handelt sich um die Frage nach der Herkunft
der Urschweizer; und die Lösung ist vielleicht ebenso schwierig, als die Aufklärung
der ersten Anfänge unserer individuellen Entwicklung. Aber gleichviel, wir müssen auch
für die Entdeckung dieses Homo helveticus der prähistorischen Zeit mit aller Energie ans
Werk gehen. In einem Nachbarland hat man die Nachforschung nach den Urgermanen
begonnen und die schweizerische naturforschende Gesellschaft hat beschlossen, gleichfalls
und ähnlich wie dort vorzugehen. Der nächste Weg ist der, bei der Schuljugend sta¬
tistisch festzustellen wie es sich mit der Farbe der Augen, der Haare und der Haut be¬
stellt sei. Es sind dies drei hervorragende Rassenmerkmale, die in verschiedenen Nuancen
auch in der Schweiz Vorkommen. Die Kenntniss der Verbreitung von brünetten und
blonden Individuen wird eine Menge von Aufschlüssen geben und die craniologischen Ar¬
beiten wesentlich erklären und fordern. Es ist nun eine statistisch-anthropologische Com¬
mission ernannt worden, welche mit Hilfe gedruckter Formulare von den Lehrern der
Schweizer Jugend diese Erhebungen zu erhalten hofft. Wir dürfen wohl mit Zuversicht
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erwarten, dass die Behörden und die Bevölkerung mit Interesse dieser Untersuchung fol-
gen werden. Es giebt ja kein zweites Land, in welchem wissenschaftliche Untersuchungen
mit; mehr Wärme aufgenommen und gepflegt werden, als dies in der Schweiz der Fall ist.
G-leichwohl ist es gut, sich auf manchen Widerstand, auf manche bedenkliche Deutung
es Fasst zu machen. In Deutschland haben z. B. manche Lehrer die Frage nach der
hellem oder dunkeln Hautfarbe summarisch dahin beantwortet, dass die Kinder ihrer
Soli ule alle zur kaukasischen Rasse gehörten, ergo weisso Haut besässen. Und in Pommern
g-a.b es einen Volksauflauf, weil die Eltern gehört hatten, 500 blonde Kinder würden in
den Harem des Sultans geliefert als Gegengabe für eine türkische Prinzessin, die dem
jungen Erbprinzen Deutschlands zur Braut bestimmt sei. Sollten in der Schweiz sich
irgendwelche aufregende Gerüchte an diese statistische Untersuchung knüpfen, oder sollte
irgendwo Zweifel über die Art der Erhebung laut werden, so bitte ich Sie, m. H., im
Namen der Commission, um Ihren Beistand und Ihren Einfluss. Die Zahl und die Ver¬
breitung der Individuen, je nachdem sie sich als blond (blaue Augen, blonde Haare
und helle Haut) oder als brünett (braune Augen, dunkle Haare, dunkle Haut) von ein¬
ander unterscheiden, muss nothwendig festgestellt werden, ehe weitere Schritte möglich
sind. Damit über die Art und Weise, wie diese Statistik vorzunehmen sei, kein Zweifel
entstehen^ könne, ist jedem Formular eine gedruckte Erläuterung beigegeben, welche Zweck
und Methode der Erhebung aufklärt. Dass die Resultate der aufgewendeten Mühe ent¬
sprechen werden, kann ich schon jetzt verbürgen im Hinblick auf die Ergebnisse der
anthropologischen Statistik in Deutschland. Dort zeigt sich, dass die Braunen (die Indi¬
viduen mit braunen Augen, dunklem Haar und dunkler Haut) in den Städten in viel
grösserer Zahl Vorkommen, eine Erscheinung, die nicht aus Einwanderung oder Vermi¬
schung mit Juden erklärt werden kann, denn sie findet sich auch da, wo diese Deutung
völlig ausgeschlossen werden muss. Noch mehr, diese Braunen sind zum grössten Theil
vom Süden und Osten her in Deutschland vorgedrungen, und auch die Schweiz hat sich
dabei sehr hervorragend betheiligt. Wann dies geschehen, in welchem der längst verrauschten
Jahrhunderte, wird sich mit Hilfe dieser Statistik wenigstens annäherungsweise bestimmen
lassen, soviel ist aber schon heute sicher, dass die Braunen beständig an Macht zunehmen,
dass sie in grauer Vorzeit zwar wohl allmählig doch unaufhaltsam gegen den Norden vorge-
drungen sind und erst in der Gegend von Mitteldeutschland Halt gemacht haben. Es er-
giobt sich somit die überraschende Thatsache, dass die Schweizer seit grauer Vorzeit Er¬
oberer sind. Und ich befinde mich heute in einem Eireise von Eroberern, der freilich
nicht die Gewinnung fremder Länder, sondern das Streben nach geistigen Schätzen sich
2 ur Aufgabe gemacht hat. Es bringt die edelsten und die dauerndsten Eroberungen, es
bringt die Macht des Geistes und der Freiheit. Ich erhebe mein Glas auf das Blühon
u ud Gedeihen des ärztlichen Central-Vereines, eines Vereines, den diese erobernde Tendenz
a uf wissenschaftlichem Gebiet in so hervorragendem Grade auszeichnet. “
Ihm folgte Dr. Alb. Burckhardt-IUerian (Basel). «Wir haben soeben von den brau-
n cn Söhnen gehört, die von der Schweiz aus erobernd nach dem Norden vorgedrun¬
gen sind und haben heute in unserer Mitte einen solchen Pionier, der im Begriff steht
x^SLch dem hohen Norden, nach Kiel, vorzudringen. Wenn auch nicht in unserem
j^ande geboren, zählen wir ihn doch zu den Unsrigen, denn er hat seine besten
j£ r äfte eingesetzt, uns tüchtige Aerzte heranzubilden. Wir danken ihm heute für
s eine aufopfernden und erfolgreichen Leistungen und wünschen, dass es ihm auf
d einem ferneren Lebenswege wohl ergehen möge. Wir sind überzeugt, dass er
unserem Lande und uns Allen eine freundliche Erinnerung bewahren wird, wie
0,ucb wir nie vergessen werden, was er uns Allen gewesen ist. Prof- Quincke
lebe hoch 1“
Der so Gefeierte, Prof. Dr. Quincke (Bern), schloss die Reihe der Tafelreden,
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indem er sagte, dass heute die Sitte, keine persönlichen Toaste zu bringen, durch¬
brochen worden sei. Prof. Kölliker könnte mit Stolz sich fragen: „wie viele sind
wohl in diesem Saale, die nicht meine Schüler gewesen sind 1“ Auch der Redner
gehöre zur grossen Schülerzahl. — Er habe eine schöne Zeit in der Schweiz zu¬
gebracht, habe in ihr auch viel gelernt, von Schülern, von Collegen. Die Medicin
ist ein Theil der Naturwissenschaft, das lerne man in der Schweiz, wo die Be¬
ziehungen des Bodens zum Menschen so verschiedenartige, vielgestaltige und so
einflussreiche seien. Er hoffe, oft zu ihr zurückzukehren und nehme desshalb nur
Abschied auf Wiedersehen. Sein Hoch gilt den Schweizer Collegen!
Nach und nach wurden die Reiben lichter. „Bhüet di Gott!“ „„Empfehle
mich bestens!““ Ich ging, ehe die Lichter gelöscht wurden.
Einen freundlich gemeinten Rath zum Schluss: die höher gehenden Wogen
der Versammlungen des Centralvereines haben, wie ich mit Bedauern vernehme,
so manches kleine, aber früher mit nützlicher Ladung und nicht ohne Grazie se¬
gelnde Schifflein seitab getrieben. Auf unfruchtbarer Sandbank blieb es liegen,
ganz versandet oder, mit dem Kiel nach oben, auf dem Trockenen.
Warum lasst ihr euere kleinen Bezirks- und Ortsvereine so elend umkommen?!
Frisch getheert und unverzagt in die Flut gestossen: wenn ihr gut rudert und
steuert, fahrt ihr gewiss wieder gerne und gut darin!
Die Collegialität, der Ansporn zum Weiterstudieren, die Solidarität in der en¬
gem Heimath — das bringen euch die kleinen Vereine, deren Conglomeration allein
die dauerhafte und gesunde Basis der intercantonalen Gesellschaften bildet.
Medicinisch-pharmaceutischer Bezirksverein des bern. Mittellandes.
Sitzung vom 28. Mai 1878.
Dr. //. Weber stellt einen 53jährigen, an Lepra leidenden Mann vor, Johannes
Gugger von Buchholterberg, Ct. Bern, der, nachdem er fast zwanzig Jahre lang
in holländisch Indien Militärdienst geleistet, vor Kurzem in seine Heimath zurück¬
gekehrt ist. Schon seit den ersten Jahren, welche Patient auf Java zubrachte,
will er am „ringworm“ gelitten haben, welcher an verschiedenen Körperstellen,
namentlich am Rumpfe zu entstehen, eine gewisse Ausdehnung zu erlangen und
spontan wieder zu verschwinden pflegte, und von den dortigen Aerzten als ein
noli me tangere erklärt worden sein soll. Gegenwärtig bestehen noch am linken
Vorderarm und rechten Knie, an Brust und Rücken einzelne solcher ringworm-
Kreise, in denen nach vielen sorgfältigen Untersuchungen Pilze sich nicht nach-
weisen lassen ; daneben eine diffuse carmin-kupferrothe Infiltration an der rechten
Wange, und namentlich in der Haut des Rumpfes und Gesichtes verschieden grosse
braun-carminroth gefärbte Flecke und Knoten. Aus diesem gleichzeitigen Vor¬
kommen solcher Flecke, Knoten, diffuser Infiltrate und ringförmiger Efflorescenzen
glaubt der Vortragende Syphilis, welche etwa noch in Frage kommen könnte, aus-
schliessen und Lepra diagnosticiren zu müssen, um so mehr, als an einzelnen Kör¬
perstellen, am deutlichsten an den Händen und im Gesicht sehr erhebliche Anästhe¬
sie besteht, welche nicht die Gebiete bestimmter Nervenbezirke innehält und an
Intensität zu verschiedenen Zeiten zu wechseln scheint
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Der Vortragende erinnert schliesslich an den Fall der Frau Robert aus Locle,
•welchen er vor einem Jahre vorgestellt und zwar, wie er nun glaubt, irrthümlicher
Weise als Syphilis.
Nachdem neuerdings von den competentesten Fachmännern bekannt gemacht
worden, dass in sonst fiir absolut leprafrei gehaltenen Gegenden Europa’s, in Eng-
land, in Wien und Umgegend ( Gaskoin , Kaposi) einzelne Fälle von unzweifelhaft
achtem Aussatz beobachtet wurden, so glaubt er nicht mehr zögern zu dürfen,
den Fall der Frau Robert aus Locle für einen solchen zu halten und zwar haupt¬
sächlich wegen des schon damals als ausserordentlich seltsam erklärten und bei
Syphilis sonst nicht beobachteten Vorkommens von derben, schmerzhaften, absolut
nicht zur Verschwärung tendirenden Knoten mitten in diffusen, glatten, derben,
ebenfalls auf Druck schmerzhaften, auffallend dunkel gefärbten und von einem
carminrothen Saume umgebenen Infiltraten. — Dr. Weber zeigt eine Abbildung
dieses Falles vor und macht darauf aufmerksam, wie ganz ähnlich dieses »mal
rosso“ im Gesichte der Frau Robert demjenigen des gegenwärtigen Patienten
Aussicht.
Dr. Dcetlwyler: Ueber Anwendung der Magenpurape. Der Vor¬
tragende bemerkt, dass die von Kussmaul empfohlene Anwendung der Magenpumpo
theoretisch wohl bekannt ist, leider aber in praxi und besonders in der Privatpraxis
K u -wenig angewendet wird.
In der Privatpraxis sowohl wie im Spital hat er häufig Gelegenheit gehabt,
diese Methode anzuwenden (bei über 30 Patienten) und spricht sich sehr günstig
aus über den Werth der methodischen Ausspühlung des Magens bei folgenden Zu¬
ständen :
Beim einfachen chronischen Magencatarrhe.
Jeder Arzt kennt aus Erfahrung die Schwierigkeiten der Behandlung solcher
Hartnäckigen Catarrhe. Manchmal lässt sich mit innerlichen Mitteln eine Besserung
erzielen, bald aber ist der alte Zustand wieder da. Der Catarrh nimmt immer
gju, die atonischen Magen Wandungen geben nach und bald ist die Magendilatation
xxixt ihren üblen Folgen da. Bei solchen Fällen von chronischem Magencatarrhe
| 9 t die regelmässige Ausspühlung des Magens ein ausgezeichnetes Mittel. Bei
^ ielcn Fällen lässt sich schon nach wenigen Sitzungen eine Besserung constatiren.
j 3 >i© Magensebmerzen, der lästige Druck im Epigastrium lassen nach, die Pyrosis,
der Brechreiz hören auf. Manchmal auch und ohne Anwendung von leichten Laxan-
t *, e n wird die hartnäckige Obstipatio aufgehoben.
Die Zunge wird rein, der Appetit wird besser, auch der oft quälende Durst
n irümt ab.
Zu dieser Ausspühlung benutzt der Vortragende folgende Methode. In allen
jrallen wurde bald eine weiche 70 cm. lange Caoutchoucsonde gebraucht, bald der
billigere Schlauch aus schwarzem Caoutchouc von 8—9 millim. Durchmesser. Am
j^agenende desselben wurden 2 seitliche Oeffnungen gemacht
Die Einführung dieses einfachen Schlauches ist meistens leicht, indem man
^en Patienten schlucken lässt während man den Schlauch langsam vorwärts schiebt,
jjei Patienten mit reizbarem Rachen ist man hie und da genöthigt, anfangs sich
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eines männlichen Catheters, den man in eine der seitlichen Oeffnungen der Sonde
führt, als Mandrin zu bedienen.
Dieser Mandrin wird zurückgezogen, sobald die Sonde im Oesophagus ist.
Zur Ausspühlung wird hie und da die Hebervorrichtung mit Glastrichter be¬
nutzt, meistens aber eine gewöhnliche 200 grmm. enthaltende Clystierspritze.
Als Ausspühlungsflüssigkeit wurde eine lauwarme Carlsbadersalzlösung ge¬
braucht und so viele Spritzen derselben ein- und ausgepumpt, bis das Wasser
wieder rein aus dem Magen kam.
Bei einfachem Catarrh wurde die Ausspühlung meist alle Tage vorgenommen,
eine Stunde vor dem Mittagessen. Anfangs bekam der Patient nur Milch, Eier,
Fleischbrühe, etwas Wein. Nach einigen Tagen aber konnte man schon zu einer
reichlicheren Kost kommen, Fleisch und leichtere Gemüse. Nach 2—3 Wochen
wurde die Auspumpung nur alle 2—3 Tage vorgenommen.
Bei Magendilatation ist die Indication solcher Ausspühlungen noch dringender,
sei dieselbe durch Strictur des Pylorus bedingt oder durch einfache Atonie der
Muscularis, die Magenpumpe erfüllt hier die Hauptindication, die stagnirenden,
zersetzten und auf die Magenschleimhaut reizend wirkenden Speisen heraus zu
befördern.
Der in solchen Fällen reichlich secernirte Schleim wird durch die Ausspühlung
mit alcalischer Lösung entfernt, so dass die nachher genossenen Speisen mit einer
reinen, annähernd normalen Schleimhaut in Berührung kommen. In vielen Fällen,
auch wenn Pylorusstenose vorhanden ist, lässt sich auf diese Weise eine auffal¬
lende Besserung erzielen, schon nach der ersten Ausspühlung hören die subjectiven
Symptome auf, wie Pyrosis, Erbrechen, Magenschmerz.
Bei den Fällen, wo der Pylorus nicht erheblich verdickt ist, wo die Dilatation
mehr auf die Atonie der Magen Wandungen beruht, lässt sich auch bald eine Ver¬
kleinerung des Magens nachweisen.
Der Vortragende behandelt noch gegenwärtig einen Fall von hochgradiger
Dilatation, ohne dass sich eine Pylorusstenose nachweisen Hesse. Die untere
Grenze des Magens (grosse Curvatur) Hess sich percutorisch und durch Palpation
6 cm. unterhalb des Nabels nachweisen. Obgleich Patient vor der ersten Aus¬
pumpung schon reichlich erbrochen hatte, Hessen sich noch 3500 cc. Mageninhalt
entleeren. Die Ausspühlung musste mehr als eine Stunde fortgesetzt werden und
in verschiedenen Lagen des Patienten, bis das Wasser wieder klar heraus kam.
Bei solcher hochgradigen Dilatation ist es gar nicht leicht, den Magen zu reinigen.
Manchmal kommt es vor, nachdem man (bei sitzender Stellung des Patienten) das
Wasser wieder klar herausgepumpt hat, dass sich noch viele Speisereste heraus¬
fördern lassen in den Rücken- und Seitenlagen des Patienten. Am besten lässt
sich in solchen Fällen der Magen reinigen, wenn man in sitzender, dann in Hegen¬
der Stellung des Pat. auspumpt und dabei die Magengegend etwas massirt, um die
Speisen mit dem eingefdhrten Wasser zu mischen. Bei diesem Patienten haben
die subjectiven Erscheinungen schon nach einigen Tagen nachgelassen. Nach 3
Wochen Behandlung war die untere Grenze des Magens 1 Querfinger oberhalb
des Nabels. Dabei geniesst Pat. Fleisch, Suppe, Reis, Eier, Milch, Wein. Die
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-A_*xspumpung geschah 2 Mal täglich, wegen der enormen Dilatation, vor Mittag-
und Abendessen.
Auch bei drei Fällen von Magengeschwür hat Dr. Dcetlwyler die Magenpumpe
mit Erfolg angewendet, ohne jeden unangenehmen Zufall.
Was das Endresultat anbelangt, so war bei den (24) Fällen von einfachem,
oh Tonischem Magencatarrh die Heilung häufig nach 3 Wochen erzielt, bei keinem
ging es mehr als 6 Wochen. — Bei einigen, die sich nach 2 Jahren noch vorstell¬
igen , war die Heilung eine dauernde; sie hatten seither nie Magenbeschwerden
gehabt.
Der Vortragende hebt noch hervor, dass die Sonde auch als diagnostisches Mittel
gute Dienste thut, nicht nur um die Beschaffenheit des Mageninhaltes zu consta-
tiren, sondern auch um bei Dilatation die Differentialdiagnose zu machen. Manch¬
mal lässt sich nach der Auspumpung eine früher nicht erreichbare Geschwulst
am Pylorus nachweisen. Auch ex juvantibus lässt sich dann die Diagnose stellen.
En Rösumä. — Die Ausspühlung des Magens ist ein unentbehrliches Mittel zur
l£ohandlung von chronischen Magenaffectionen.
Beim einfachen chronischen Catarrh, in sofern er nicht auf unbekämpfbaren
Ursachen beruht (allg. Erkrankungen), ist in den meisten Fällen die Heilung da¬
durch zu erzielen.
Bei der Dilatation ventriculi aus Atonie der Magenwandung kann hochgradige
]3esserung und selbst Heilung erreicht werden. — Bei Verengerung des Pylorus,
"besonders direct Krebs, ist natürlich nicht an Heilung zu denken, doch lässt sich
oft sehr rasch eine momentane Besserung erreichen.
Zur Diagnose von Magenkrankheiten leistet die Auspumpung ebenfalls gute
JZHenste. Die Auspumpung und Ausspühlung geschieht am besten mit lauwarmer
OÄrUbadersalzlösung mittelst eines einfachen Caoutchoucschlauches mit Spritze
oder Hebervorrichtung. — Bei Dilatation ist Auspumpen in verschiedenen Lagen,
]t£&ssiren des Epigastriums nöthig, um die Reinigung des Magens in genügender
weise zu besorgen.
Sitzung vom 25. Juni 1878.
Dr. Conrad: Zur Therapie der Hyperemesis gravidarum.
Nachdem der Vortragende den Begriff der Hyperemesis dahin ergänzt hat, dass er
unter ihr nicht nur das übermässige Erbrechen, sondern auch die anhaltenden
fjebelkeiten mit Brechreizung ohne Erbrechen, welche meistens ebenso lästig und
folgenreich für die Schwängern sind, als das Erbrechen, bespricht er die Aetiolo-
gjc, die Symptome, den Verlauf und die bisher übliche Behandlung dieser oft äus-
e,erst hartnäckigen Zustände; da ihn dieselbe oft im Stiche Hess, so kam er darauf,
mit dem in den 40er Jahren von Simpton empfohlenen Cerium oxydulat. oxalicum
Versuche anzustellen, welches ein Salz des Metalle» Cerium, das in der Natur als
Oeroxyd im Minerale Cerit vorkommt, ist; es fand bis dahin wenig und, soweit
<jie Literatur Auskunft gibt, nur durch englische und amerikanische Aerzte An¬
wendung. Es kommt im Handel nebst einigen anderen Ceriumsalzen vor und
kostet das Hectogramm Mk. 1. 70.
Von den in den letzten Jahren mit diesem Mittel behandelten 25 Fällen be-
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nutzt er nur 15, von denen er mehrere ausführlicher mittheilt, zu seinen Schluss¬
folgerungen, weil er nur diese von Anfang bis zu Ende der Schwangerschaft und
auch ausserhalb derselben genau beobachten nnd protocolliren konnte und es mei¬
stens Fälle schwererer, also auch beweiskräftigerer Art waren.
Es waren darunter 6 Erst-, 9 Mehrgebärende (die Erstgebärenden prmvaliren
sonst gewöhnlich), 9 davon waren im 2., 4 im 3-, 2 im 7., ] im 10. und 1 im 1.
Monate der Schwangerschaft („die ersten und letzten Monate scheinen immun zu
sein“ Spiegelberg ); sämmtliche Patientinnen waren nie schwerer magenkrank gewe¬
sen, waren es auch zur Zeit der Behandlung meist nicht; sie boten nur leichtere
Anomalien im Gebiete der Genitalsphäre dar, deren Behandlung keinen Einfluss
auf das Erbrechen hatte, sie litten seit kürzerer oder längerer Zeit entweder an
Erbrechen nach jeder Nahrungsaufnahme oder an beständigen Uebelkeiten mit
Brechreizung mit folgenden Schwächezuständen bis zu Ohnmächten, Bettlägerig-
keit etc. Stuhl, Diätreglirung, manchmal auch andere empfohlene Mittel waren
schon erfolglos angewendet worden; Absterben der Frucht, Aborten in keinem
Falle.
Es wurden gegeben 20—30 ctgrmm. in Pulverform mit Sach, lactis 3—4 Mal
in 24 Stunden, während die Maximaleinzeldosis von Simpson und Andern auf 12
ctgrmm. angegeben und wegen allfälligen Intoxicationserscheinungen, die vom Vor¬
tragenden nie beobachtet wurden, vor grosseren Dosen gewarnt wird; er würde
auch höher gehen, wenn nicht genügende Wirkung eintreten würde.
Das Erbrechen oder die beständige Ucbelkeit verschwand, manchmal über¬
raschend schnell, schon nach den ersten Dosen bleibend oder es traten nach eini¬
gen Tagen Recidive ein, welche der wiederholten Anwendung bleibend wichen;
manchmal trat wohl Besserung, aber Heilung erst in 8—10 Tagen ein, und zwar
bei Steigerung der Dosis; auch wenn andere Medicamente sofort erbrochen wur¬
den, blieb das Cerium oxalic.; als günstige Nebenwirkung war öfters Stuhlreglirung
und allgemeine Beruhigung zu bemerken; beim Aussetzen des Mittels traten Er¬
brechen und Uebelkeiten wieder ein; es hat keinen unangenehmen Geschmack und
wird leicht genommen.
Der Vortragende betont schliesslich, dass er sich das Missliche therapeutischer
Vorschläge und die Schwierigkeit der Beweisführung ihres Werthes bei der Hy-
peremesis gravid., gegen welche auch schon so zahlreiche Mittel empfohlen und
häufig erfolglos angewendet worden seien, nicht verhehle, aber doch möglichst
Fehlerquellen zu vermeiden und unbefangen zu beobachten gestrebt habe, jeden¬
falls fordern die unläugbaren günstigen Erfolge des Mittels auch in schweren
Fällen, nach erfolgloser Anwendung anderer Mittel, zu weiterer Prüfung des¬
selben auf.
Dr. Kaufmann beobachtete bei einer 81jährigen Frau ein Cancroid des rech¬
ten Handrückens, das seit 5 Jahren besteht, nebst einem Cancroid der rechten
Conjunct. bulbi, das 3 Jahre nach dem ersten Cancroid auftrat.
Durch die Untersuchung intra vitam wie post mortem konnte die völlige In-
tactheit des Lymphsystems constatirt werden.
Aus der Anamnese ergibt sich die Möglichkeit einer directen Einimpfung des
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Handrücken-Tumors in die Conjunctiva (Pat. litt schon lange an Conjunctivit.
ch ronic. und rieb sich beständig mit den Händen die Augen aus) und es ist diese
.Art der Entstehung des secundären Conjunctival-Tumors um so wahrscheinlicher,
als namentlich durch die Obduction eine andere Propagation der Elemente des
primären Tumors nicht nachgewiesen werden konnte (vide die ausführlichere Mit-
theilung in Virchov ?s Archiv).
Referate und Kritiken.
Die Physik in der Eiectrotherapie.
Von Pr. P. Zech, Prof, der Physik am Polytecbnicum Stuttgart Verlag von Laupp.
Tübingen 1875. 8°. 174 8.
Das vorliegende kleine 8chriftcben ist wesentlich practischen Ursprunges; es ist
Dämlich aus einer Anregung der Stuttgarter Collegen hervorgegangen, welcher der Herr
"V erf. zunächst in mündlichen Vorträgen, und dann in vorliegender Publication entsprochen
hat. Das practische Bedürfnis nun beständig im Auge behaltend, entwickelt Verf. in
klarer und präciser Weise die Grundgesetze der Electricitätslehre, die sich mutatis mu-
t«.ndiB in allen Experimenten, also auch dem electro-therapeutischen geltend machen. Zu-
K 1 eich berücksichtigt UDd berichtigt er in rein sachlicher Kritik allerlei Behauptungen
electro-therapeutischer und anderer Lehrbücher, die sich allzu weit vom Boden der Pby-
eik fortgewagt haben und sucht die auch in physicalischen Werken nicht immer klaren
Begriffe von den verschiedenen Eigenschaften electrischer Ströme zu klären, indem er
paesende und leicht verständliche Vergleiche aus andern Gebieten der Physik herbeizieht.
Wer sich über die physicalischen Grundlagen der Eiectrotherapie nicht nur gut, son-
dem auch angenehm belehren will, der nehme Zech ’s Werkchen zur Hand. Der Ref.
darf es ihm mit gutem Gewiesen und warm empfehlen. Dr. G. Burckhardt.
Contrex6ville, source du Pavillon.
Von Dr. Victor Baud. 416 8. Paris 1876.
Eine Badeschrift, welche die Indicationen und Wirkungen der alcalisch-erdigen Ei¬
senquellen von Contrexdvillc (D4p. des Vosges) eingehend bespricht. Das Wasser soll
besonders einflussreich sein auf die mit Anomalien der Haruhereitung verbundenen Affec-
t;ionen, namentlich Concremente in den Harnwegen (übrigens auch Gallensteine), Gicht
und die chron. entzündlichen Erkrankungen des Harnapparates. Das Werkeben ist dem»
entsprechend eigentlich weit mehr eiue Pathologie, und als solche nicht ohne Interesse,
68 darin nicht an Anschauungsweisen fehlt, die wissenschaftlich nicht ganz ge¬
rechtfertigt erscheinen, und zudem, wie in Badeschriften nicht selten, die tendenziöse
Empfehlung des betreffenden Wassers, dem wir seine Wirksamkeit übrigens durchaus
dicht bestreiten wollen, etwas zu sehr in den Vordergrund tritt. Trechsel.
Die Nervendehnung als Operation in der chirurgischen Praxis.
Von P. Vogt. Eine experimentelle und klinische Studie. Mit 10 Holzschn. und 1 Tafel.
Leipzig. Verlag von F. C. W. VogeL 1877.
Eine mässig umfangreiche, aber gründliche Abhandlung Ober die relativ neue Ope¬
ration der Nervendehnung.
Verf. beginnt mit Experimenten über die physiologischen Wirkungen der Operation.
Vor ihm sind solche Versuche noch kaum gemacht wörden. Bei der in vielfach modifi-
c irter Weise angestellten Untersuchung gelangt V. zu verschiedenen wichtigen Ergebnis¬
sen, die im Original nacbzulesen sind (S. 8 — 11).
8odann erörtert er (S. 12—18) unter Hinweis auf eine hübsche lithographische Ta¬
fel die macro- und microscopischen Veränderungen, die der gedehnte Nerv erleidet und
di® wesentlich auf LockeruDg desselben iu seiner Scheide hiuauslaufen.
Es folgt (Seite 25—48) eine ausführliche Besprechung der bisherigen klinischen Er¬
fahrungen über die Operation an der Hand von 11 früher veröffentlichten und (S. 89 und
dÖ) 2 von ihm beobachteten Fällen, von welchen 7 Neuralgie (6 mit Erfolg), 8 trauma-
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tischen Tetanus (2 mit Erfolg), 3 Reflexepilepsie oder klonische Krämpfe (alle mit Er¬
folg) betreffen.
Die Indicationen zur Vornahme der Operation formnlirt er folgendermaassen (S. 49
bis 56) :
A. Bei Neuralgie rein sensibler Nerven empfiehlt er Nervendehnung, combinirt
mit Neuro- oder Neurektomie; bei derjenigen gemischter Nerven die Dehnung allein.
B. Bei Reflex- (secundärer) Epilepsie hält er die Operation für höchstens ge¬
rechtfertigt.
C. Beim traumatischen Tetanus erklärt er sie für das zuverlässigste aller
Mittel.
Endlich schildert er noch (3. 67—78) unter Beigabe guter Holzschnitte eingehend
dio Technik der Operation im Allgemeinen und speciell an den verschiedenen Körper¬
gegenden. Courvoisier.
Cantonale Correspondenzen.
Bern. Internationale Gegenseitigkeit der m ed i c i n i s ch e n Be¬
fähigungsausweise. Das in unserer letzten Nummer (S. 690) erwähnte Kreisschreiben
lautet:
„Das eidgen. Departement des Innern an sämmtliche Cantonsregierungen.
Hochgeachtete Herren. In seiner letzten Sitzung hat der leitende Ausschuss für die
Medicinal-Prüfungen die Aufmerksamkeit des Unterzeichneten Departements auf folgende
Angelegenheit gelenkt.
Die Mehrzahl der Staaten, namentlich unsere Nachbarstaaten, sind in Ertheilung der
Bewilligung zur ärztlichen Praxis auf ihrem Gebiet an schweizerische Aerzte, überhaupt
an fremde Aerzte, äusserst streng. Nicht nur anerkennen sie fremde Diplome, selbst die
besten, durchaus nicht als gleichwerthig mit den eigenen, sondern es erhält z. B. ein
schweizerischer Arzt nur nach langwierigen Formalitäten die Erlaubniss zur Niederlassung
und Praxis in diesen Ländern. Dagegen sind die cantonalen Behörden im Allgemeinen
ausserordentlich willfährig gegen fremde Aerzte, die, namentlich in der Saison, an Frem¬
denstationen und Curorten sich niederlassen und den einheimischen Aerzten einen Theil,
oft den besten, der Kundsame wegnehmen. Der schweizerische Arzt hat alle gesetzlichen
Lasten zu tragen, der fremde Arzt keine.
Der leitende Ausschuss würde einer Gegenseitigkeit in dieser Beziehung gerne rufen,
er hat die Absicht, behufs Anerkennung der Gleichwerthigkeit der eidgenössischen
und der auswärtigen Staatsdiplome die erforderlichen 8chritte bei den andern 8taaten zu
veranlassen; damit ihm aber seine Aufgabe erleichtert werde, drückt er den Wunsch
aus, es möchten die Cantone sich ebenso streng als die andern Staaten hinsichtlich der
fremden Aerzte verhalten und mindestens ihnen nicht Niederlassung und Praxis, selbst
nicht vorübergehend, bewilligen, ohne dass die Ausweise dieser Aerzte einer vorherigen
Prüfung durch den leitenden Ausschuss unterworfen werden. Diese Behörde hofft durch
ein solches Vorgehen schneller zu dem gewünschten Ziel zu gelangen und hat uns des¬
halb ersucht, Ihnen von diesem Vorhaben Mittheilung zu machen.
Indem das Unterzeichnete Departement diesem Ansuchen entspricht, ladet Sie das¬
selbe ein, ihm Ihre sachbezüglichen Ansichten kund zu geben und benutzt nebenbei gerne den
Anlass, um Sie, hochgeachtete Herren, seiner vorzüglichen Hochachtung zu versichern.
Der Vorsteher des eidgen. Departements des Innern :
Droz.
Bünden. Fremdenpraxis und fremde Aerzte. Laut Nr. 22 unseres
Corr.-Bl. beschloss der Ausschuss der eidgen. Medicinalprüfungskommission in Zukunft
fremden Aerzten die Fremdenpraxis nicht mehr so leicht zugänglich zu machen wie bis¬
her, weil die französischen und deutschen Behördon schweizer Aerzte, die mit den besten
Zeugnissen versehen waren, ebenfalls nicht practiciren Hessen.
Ich trage gegen den Beschluss sowohl als auch gegen seine Begründung Bedenken,
die ich mir hiemit zu veröffentlichen erlaube.
Tüchtige fremde Aerzte können unserm Fremdenverkehr nur von Nutzen sein; sie
werden in ihrer Heimath den Ruhm unserer Bäder- und Luftkurorte verkünden und ihre
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720
X^ca.xx«3sleute veranlassen, in den Heilquellen der Schweiz die alten Glieder za verjüngen
und. in den antiseptischen Höhen ihre faulen Lungen zum Trocknen auszuhängen. Die
Ausländer, besonders die Engländer, sind Oberall unglücklich, wo sie nicht Aerzte finden,
die sie nach den heimathlichen Regeln selig machen. Frankreich schadet seinem 8 Qden
viel durch die politischen Schlagbäume, die es dort fremden Aerzten gelegt; andererseits
ist; d«s rasche Aufblühen der italienischen Curorte zu einem guten Theil der höchst libe¬
ral gestatteten Fremdenpraxis zuzuschreiben.
Dass man durch irgendwelche Repressalien unsere Nachbarstaaten zu freisinnigem
Anschauungen umstiramen werde, bezweifle ich. Gerecht wären die in Aussicht genom¬
menen Repressalien nur, wenn sie die betreffenden französischen und deutschen Gesetz¬
geber oder deren Rathgeber träfen; die werden Bich aber schwerlich bei uns zur Praxis
melden.
Vergelten wir Engherzigkeiten, wie sie gegen die Collegen Baader , Haffler und Ocri
■vorgekommen sind, mit der gebührenden Verachtung und nehmen wir nicht an Unschul¬
digen kleinliche Rachel» Es liegt im Interesse kleiner Staaten, dass sie die grossen Gross-
m nth lehren.
Ich schlage im Princip folgende Behandlung ausländischer Aerzte vor:
1 _ Fremden Aerzten wird die Fremdenpraxis gestattet,
wenn sie Documente vorweisen, denen zufolge sie in einem auch medicinisch aner¬
kannten Culturstaat die medic. Examina bestanden haben und zur Praxis berech¬
tigt sind;
wenn ihnen in ihrer Heimath die Praxis nicht entzogen wurde durch Kunst- oder
andere Fehler;
cO nachdem sie ein kurzes mündliches Examen (Colloquium) bestanden.
Fremde Aerzte sollen die gleichen Lasten und Pflichten wie die einheimischen tragen,
insbesondere Erwerbs- und Milit&rpflichtersatzsteuer zahlen oder Militärdienst thuo.
3 . Admittirten fremden Aerzten kann die Praxis entzogen werden wegen Kunstfehler
oder grober Verstösse gegen Behörden, gegen die Moral oder gegen die Würde des
SLrstlichen Berufes.
Letztere Bestimmung ist angesichts der vielen Schwindler, die sich auf die curärzt-
) ic be Praxis geworfen, nicht überflüssig, was ich durch ein jährlich wiederkehrendes Bei¬
spiel im Engadin belegen könnte. J. M. L.
OranbündeH. Versammlung des me dicinischen Cantonaivereins.
I>ie cantonale Section des Schweiz, ärztlichen Vereins hielt am 26. October ihre (bisher
dritte) Jahresversammlung in Reichenau. Es hatten sich zu diesem Zwecke 14 Mitglieder,
j, Äl iptsächlich aus dem Churer- und Vorder-Rheinthal im „Adler“ daselbst eingefunden,
piese Anzahl mag vielen von Ihren Lesern auffallend niedrig erscheinen; und doch war
e8 die besuchteste der bisherigen Versammlungen. Der Grund, warum dieselben nicht
]ebb*^ er frequentirt werden, liegt in den zu weitläufigen, zeitraubenden Entfernungen,
0 o dass immer nur Wenige mit einem oder anderthalb Tag Zeitverlust einer Zusammen-
| cuD ft beiwohnen können. Die Meisten aber ihr geradezu drei Tage opfern müssen.
Y OD den jüngern und daher etwas beweglichem Mitgliedern waren überdiess mehrere
( j ur c*b Militärdienst abgehalten. Auch gibt es Strecken, wo der Arzt schwer abkoramt;
@0 ist z. B. an der Route hinter Churwaiden bis über den Julier (in der Luftlinie eine
Piotferaung wie Olten-Luzern oder Bern-Interlaken) ein einziger Arzt niedergelassen,
jez 000 nächste Collegen in Alveneu und Thusis wohnen. Da haben es die Herren Col-
1 ef5 ctx * m des Eisenbahnnetzes in jeder Richtung bequemer und leichter, sich zur
P^ r derung von Vereinszwecken auf einen Tag frei zu machen. Recht misslich, aber
u n 0cr8eito tota * unverschuldet, war das Zusammentreffen unserer Versammlung mit der-
ietxig eD * n Olten auf den nämlichen Tag. Unser Vorstand hatte seine Einladung schon
* 4 Tagen erlassen, bevor diejenige nach Olten bekannt wurde, und so liess sich
oö cr Programm nicht mehr ändern. — Die in Reichenau gepflogenen Verhandlungen
ÄlA bo lAn 8 end » berichtete Dr. Kaiser (Präsident) zunächst über den Stand der Irrenhaus-
p r & g e. Unser Kanton besitzt zu einer solchen Anstalt, wie bekannt, leider nur das ge-
O jjjjjeode Material, nicht aber die erforderliche Anstalt. Denn die sog. „Versorgungs-
talt“ in Realta ist doch nur ein widerwärtiges und unzweckmässiges Hybrid zwischen
e jpor Correctionsanstalt für arbeitsscheue Lumpen und einem Verwahrungsorte für (nach
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nicht durchweg competeutem Urtheil) unheilbare Irre. Nachdem die vorjährige Versammlung in
Thuais auf die Vorschläge des genannten Referenten eingegangen war, sollte derselbe
unter Publication einer die cantonale Irrenangelegenheit eindringlich und allseitig beleuch¬
tenden BrochOre, einerseits bei den Behörden 8chritte gethan, anderseits aber einen über
den ganzen Canton verbreiteten Verein in’s Leben gerufen, welcher Beiträge für eine
dereinstige Irrenanstalt sammelt und zugleich armen Kranken Behufs ihrer Unterbringung
in eine passende Anstalt nach Kräften behülflich ist. Weiterhin vornahm man vom Prä¬
sidenten, dass für den Jahrgang 1877 zum ersten Male die obligatorische
Revaccinatio n in unserem Canton durchgeführt worden ist. Durchgeimpft wurden
die Knaben von 15—18 und die Mädchen von 14 — 17 Jahren, dabei natürlich auch jüngere
und ältere Individuen, im Ganzen 8082, davon 60,38 °/o mit, und 39,62 °/ 0 ohne Erfolg.
Die gewöhnliche Vaccination wurde im nämlichen Jahr an 4108 Kindern vorgenommen,
mit" 1,95% Nicht-Erfolg. Nachdem fernerhin mitgetheilt worden, dass der ebenfalls in
Thusis beschlossene „Saisonbericht“ Uber die bündnerischen Curorte seiner Zeit
ausgegeben worden sei, und dass Aussicht zu dessen Wetterführung bestehe, folgte ein
Vortrag von Dr. Ludwig (Pontresina) über das in England eingeführte und namentlich von
Buchanan empfohlene Erdkloset und seine Vorzüge dem Wassercloset gegenüber.
Da dio Arbeit anderweitig zur Publication gelangen soll, so verweisen wir darauf.*)
Versuche, zunächst in öffentlichen Anstalten, wären sehr empfehlenswert!]. Dass die desin-
fleirende Kraft des Humus schon früher bekannt war, ersieht man z. B. aus eiuem 1779
im bündnerischen „Alten Sammler“ mitgetheiltcn Rathschlag, die Särge der an „fauligen
Fiebern“ Verstorbenen inwendig mit frisch ausgestochenem Rasen zu belegen, wodurch
der Verwesungsgeruch hintangehalten werde; dürfte noch immer Beachtung verdienen.
Geschäftliche Tractanden füllten noch den Rest des Vormittags.
Nach einem soliden Diner und Rundgang durch die wohlgepflegten Gartenanlngen
des Reichenauer Schlosses kam das zweite Hauptthema, die Diphtheritis, zur Ver¬
handlung, deren intensives und bösartiges Auftreten auf dem Gebiete der Herrschaft und
der fünf Dörfer durch die Collegen Dr. AmStein (Zizers) und Dr. Michel (Malans) in sehr
detaillirten schriftlichen Referaten beleuchtet wurde. Auch hierüber soll Einiges zum
Drucke bestimmt sein. Die Discussion war ziemlich lebhaft, wenn sie leider auch nicht
zu einer Lösung der Fragen über die Verbreitungsart und einer zuverlässigen Bekämpfung
der verderblichen Seuche führte.
So war der Abend allmählig eingebrochen und mahnte zur Rückkehr; noch eine
stattliche Flasche feurigen Montagner, „auf Wiedersehn 1879 in Churl“ und fort ginge
rheinauf und rheinab durch die kalte Herbstnacht wieder der Heimath zu. —s.
Zürich. Hr. Dr. Sonderegger sagt in seiner Eröffnungsrede des ärztlichen Central¬
vereins :
„Einstweilen bleibt es den verschiedenen Cantonsregierungen anheimgestellt, fürzu-
sorgen, dass die Ausländer nicht viel besser gestellt und rücksichtsvoller behandelt wer¬
den als ihre eigenen Landesangehörigen. — Da aber alle diese Fragen schliesslich von
Collegien entschieden werden, deren Mitglieder sich nach ihrer ganzen Lebens- und
Berufsstellung gar nicht oder nur sehr vorübergehend mit denselben beschäftigen, so
fällt auch hier den einzelnen Aerzten die Aufgabe zu, für die Wissenschaft und für die
Anerkennung der geordneten wissenschaftlichen Arbeit Propaganda zu machen.
Als solche Propaganda und zwar von nicht unbedeutender Tragweite dürfte wohl
das Verlangen der Aerzte sein, der Sanitätsrath jedes Kantons soll dafür sorgen, dass
wo nicht der Sanitätsdirektor doch wenigstens sein Sekretär Fachmann sei. Ein solcher
könnte, wenn auch nur auf vertraulichem Wege Vieles zu Gunsten seiner beruflichen
Genossen anbahnen und vieles deren Interessen Nachtheiliges rechtzeitig verhüten. —
Damit aber ein Arzt sich als Sekretär eines Medizinaldirektors herbeilässt, müsste ihm
ein Honorar geboten werden, woraus er in einer grössern Stadt wenigstens anetändig le¬
ben könnte, während bis jetzt solche Sekretäre in den meisten Kantonen mit einer Be¬
soldung von nur Fr. 3000 bedacht werden — zu wenig zum Leben und zu viel zum
Sterben.
Dieselbe Nummer des Corr.-Blattes, welche Hrn. Sonderegger 'e Rede enthält, bringt
*) Erschien ln den „Blättern für Gesundheitspflege,
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«Sie .Antwort der Universität Tübingen auf eine Anfrage eines Engländers, wie thener
«and wie leicht dort die Doktorwürde zu erhalten sei. — Mit der gebührenden Abferti¬
gung des Fragestellers coutrastirt nicht wenig, dass man in zürcherischen Lokalblättern
die fast wöchentlich erscheinende Anzeige liest:
„Doktordiplome jeder Fakultät werden leicht und billig vermittelt“ Adr. Medicus,
Royal Square Jersey (England). —
draz. (Antikritik.) Nr. 21 dieses Blattes bringt eine längere Besprechung
-von H. W. über Schule'» jüngst erschienenes Handbuch der Geisteskrankheiten.
ßo werthvoll dem Verfasser jede Meinungsäusserung über Inhalt und Form des
letzteren sein muss, so willig und dankbar gegründete Bedenken und Bemängelungen
seinerseits entgegengenommen werden, so veranlassen doch mehrere Einwürfe des ano¬
nymen Herrn Kritikers einige sachliche Bemerkungen.
Heber den Anstoss, den der Herr Kritiker an der ausführlichen Herbeiziehung der
allg e meinen Pathologie und Aetiologie im Handbuche nimmt, wird mit mir auch der
Leser des Buches gerne hinweggehen. Sch. hatte von dem hochverdienten, gewiss mit
<3 en Ansprüchen der ärztlichen Kreise nahe vertrauten Redacteur des Ziemssen’achen Sam-
melwerkes, die Einladung erhalten, ein vollständiges Handbuch der Geisteskrank¬
heiten zu schreiben. Darin hätte aber doch der allgemeine Theil nicht fehlen dürfen.
Aber auch abgesehen davon ist es leicht ersichtlich, dass die dort gegebenen Ausführungen
organisch mit den folgenden Zusammenhängen, und zum Theil (Cap. XIII.) wesentlich
den speciellen, d. b. die Classification physiologisch und psychologisch vorzubereiten und
zu begründen haben. Im Einzelnen nun ist die letztere und im Weitern der specielle
Tbeil des Buches der Gegenstand der eingehendsten Angriffe des Herrn Kritikers.
Her aetiologische Standpunkt hätte nach der Meinung desselben als
Grundlage gewählt werden müssen. Ich muss gestehen, dass mich diese Ansicht be¬
fremdet bat. Ich bin gewiss von der hochwichtigen Bedoutung der Aetiologie Über¬
see u&t und halte auch eine Krankheitsdiagnose im Einzelfalle nur dann für genügend,
•vvenn sie diesen Factor einschliesst. Aber aufrichtig gefragt: Ist denn eine solche ae-
fciologiscbe Ergänzung immer und in jedem Falle möglich? Die ehrliche Antwort wird
^Jein“ lauten müssen. Wohin also dann mit denjenigen Krankheitszuständen, welche
n icht in die aetiologische Musterkarte des Herrn Kritikers sich einspannen lassen? Wohin,
uro nur Eines zu erwähnen, mit den Psychosen aus psychischen Ursachen? Vielleicht, dass
der Ndachtspruch des Hro. Kritikers diese schlechthin unter die hereditären Geisteskrank¬
heiten verweist!? „Es passt einmal in's System.“ Und wohin weiter mit den Psychosen aus
jjiebrfachen Ursachen? was nebenbei bemerkt geradezu Regel ist Ein Grösserer hat
kenntlich schon vor Jahren und mit Genialität das aetiologische Princip zur Grundlage
der Classifikation zu machen gesucht: MoreL Bekannt aber ist ebenso, dass er es uicht
< j ur cb* u führen vermochte. Selbst seine Folie hdrdditaire hat im Einzelnen heute noch ge-
^Ichtiger Einwürfe (Tigges) sich zu erwehren. Nicht minder haben die gleichsinnigen
nC ueB teD Bestrebungen von Skae und Clousion die herbe und zum grossen Theile berech-
tjgte Kritik von Cr. Browne auch heute noch nicht überwunden. Wenn aber vielleicht
^ e0 i Hrn. Kritiker eine näher gelegene Berufung willkommen ist, so bin ich gerne be-
e jt, ihn an Hrn. Prof. Wille’» Adresse, der uns beiden als Autorität gelten mag, zu ver-
Der citirte Irrenarzt sagt ausdrücklich in seinen „syphilitischen Psychosen“ ge-
j e gentlich der Aetiologie der Dementia paralytica — dieser gewiss klinisch, wie anato-
j ß ch natürlichsten und geschlossensten Gruppe, „dass in der Hälfte der Fälle Syphilis,
io der andern Hälfte aber direckto Erblichkeit, Kopfverletzungen, körperliche Anstren-
u iigen, besonders mit Erkältung, Durchnässung, Erhitzung verbunden, Excesse in Baccho
jer Übertriebene Öpeculationen, notirt seien,“ und fährt dann wörtlich fort: „Es sind
dies ( d - h. die letztgenannten Schädlichkeiten) jedenfalls Momente von gleichem
e rthe, wie die Excesse in Venere und die Syphilis.“ Und doch sollen alle diese
b im«n p,weit ver(, chiedenen Ursachen, die heute dasselbe Krankheitsbild hervorrufen, mor¬
det» eine Reihe eben so verschiedener und zw. typisch ausgestalteter, so zu sagen speci-
bs cb© r Krankhcitsbilder, hervorzurufen im Stande sein! _ _
Der Herr Kritiker nenne mir (mit etwa alleiniger Ausnahme des Delirium tremens)
flU f ein einziges klinisches Krankheitsbild, welches sicher und immer auf seinen aetiolo-
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723
gischen Ausgangspunct zurückschliessen Hesse? Ich behaupte: Wir kennen bis jetzt
diese spezifisch aetiologischen Krankheitsbilder noch nicht, um das Gros der täglich uns
vorkommenden Geistesstörungen auch nur zum kleinsten Theile sicher zu ordnen. Es ist
dies, wenn Überhaupt, erst eine Aufgabe der Zukunft und ich stimme darin vollständig
mit unsrer oben schon befragten Autorität, Prof. Wille, überein, der erst kürzlich (Vor¬
trag zur Eröffnung der psychiatrischen Klinik zu Basel 1877) mit Bestimmtheit aussprach,
dass „entweder der psychische Syroptomencomplex (wobei Hr. Wille die primäre Ver¬
rücktheit als „ganz vorzügliche“ klinische Krankheitsgruppe heraushebt und illustrirend
bespricht) oder die aetiologische Grundlage den Rahmen abgehen dürfte, in den sich die
einzelnen Krankheitsfälle am natürlichsten einreihen lassen.“
Sch. hat in seinem Handbuche unter diesen beiden Wegen, den oben, sogar an erster
Stelle empfohlenen Weg betreten, zugleich aber — und das ist sein originaler
Standpunkt und ganz besondres Verdienst — die psychologische Zustandsform jeweils,
so gut es bis jetzt geht, physiologisch zu vertiefen gesucht. Sch. glaubte darin sowohl
präjudieloser, als auch conformer mit der für die übrigen Neurosen gütigen Eintbeilungs-
weise zu verfahren. Auch bei diesen geht man mit Recht physiologischer zu Werke,
wenn man beispielsweise die Epilepsien, hinsichtlich ihrer coxticalen oder spinalen Patho¬
genese zu erfassen bestrebt ist, als nach ihrer häufig mehr als prekären Aetiologie, mit deren
nichts weniger als specifischen Krankheitswirkungen. So weit solche bis jetzt für unsere
Psychosen wirklich erkannt worden sind, ist in der Aetiologie bei den einzelnen Schäd¬
lichkeiten in (wie ich glaube) gebührender Genauigkeit jeweils eingegangen. —
Ueber den übrigen Theil der Kritik des Hrn. L. W. kann ich kürzer sein. Hier sind
zunächst zwei sachliche Berichtigungen anzubringen. Herr L. W. wirft vor: dass „der
Verfolgungswahn der Trinker“ noch unter die acuten alcoholistischen Psychosen gestellt
sei. Eine nur wenig sorgsamere Lectüro der p. 844 des ScA.’schen Buches hätte ihn
überzeugt, dass derselbe gegentheils ausdrücklich unter den „protrabirten alcoholistischen
Seelenstörungen“ eingereiht ist. An einer andern 8telle wirft Herr L. W. gelegentlich
die Bemerkung hin, dass die Prognose der Mania gravis nicht so schlimm sei, als sie
von Sch. geschildert wird. Auch hier belehrt ein Blick auf p. 600 vom ScA.’scben Buch,
dass der Passus Uber Verlauf und Ausgänge der Mania gravis damit beginnt: „Eine
Genesung kann eintreten“ etc. Wenn aber weiter Herr L. W. im Scblusscapitel des
Sch.' sehen Werkes (XXIV) nur den alten Griesinger’ sehen (soll wohl heissen Cw.t/ain’scbeo)
Satz wiederkehren sieht vom „initialen Seelenscbmerz und den psychischen Erkrankungen
als Reaktion darauf“, so hätte man doch verlangen können, dass der Herr Kritiker auch
auf die Sch.’ sehe physiologische und klinische Begründung dieses Satzes, der sich doch in
dieser Weise bei Griesinger nicht fiudet, eingegangen wäre, und im Weiteren auf den
fundamentalen Gegensatz zwischen dieser Pathogenese und derjenigen ohne initiale Me¬
lancholie. Dies ist ja, wie bei aufmerksamer Lectüre sofort zu ersehen, ein Hauptpunct
für die gesammte ScA.’sche Aufiassungsweise, für die klinische nicht minder als für die
physiologische Begründung der Entwicklung und Natur der Seelenstörungen. Einen Ver¬
such wenigstens — ich muthe Hm. L. W. ja keinen „krampfhaften“ zu — in diese Zu¬
sammenhänge kritisch einzudringen, hätte für ein solches grundlegendes Capitel doch
billigerweise erwartet werden dürfen. Wenn Herr L. W. aber weiter meint, dass Grie¬
singer jene Sätze jetzt nicht mehr aufgenommen hätte, so ist dies wiederum eine Be¬
hauptung des Hrn. Kritikers, für die er trotz der Bestimmtheit, womit er diese seine
Ueberzeugung ausruft, auch nicht den 8chatten einer Motivirung beibringt.
Zum Sohluss noch ein Wort über die eine der zwei Bemerkungen aus dem thera¬
peutischen Abschnitt des 5cA.’schen Buches, welchem die Ehre einer besonderen Beach¬
tung von 8eite des Hrn. Kritikers zu Theil wurde. Die kurzgefasste aber gewiss inhalt¬
lich genügende Indicationsstellung über die Wichtigkeit der „Bettruhe“ für gewisse
Kranke veranlasst den Hm. Kritiker zum Zweifel, ob Sch. darnach die Wichtigkeit dieser
Behandlungsart auch nur sich zum vollen Bewusstsein gebracht habe. Ich kann ihn
darüber mehr beruhigen, als er Sch. über die Berechtigung zu dieser — loyalen Unter¬
stellung. Prof. v. Kraffl-Ebing.
Schlusswort dos Referenten. Ich bin mir bewusst, bei der Besprechung des
Schule' sehen Handbuchs in Nr. 21 ds. Bl. die Grenzen einer gesunden Kritik, sachlich
zu verfahren, nicht persönlich zu werden, keine u nlaute rn Motive zu
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v er £ olgen, nicht überschritten eu haben. Wenn ich trotzdem dadurch da« Missfallen
des Hrn. Prof. v. Kraffl- Ebing in Graz erregt habe, so kann ich diesen Umstand bedauern,
oder auch nicht. Ich kann ihn bedauern, weil ich nicht in der Lage bin, meine in der
Besprechung aufgestellten Ansichten zurückzunehmen. Wenn dieselben ein allerdings
„G röeserer“ als wir beide wohl: Morel vertreten hat, so kann es für mich nur eine Ehre
sein, mich in seiner Gesellschaft und Uebereinstimmung zu wissen, trotzdem er sein Sy¬
stem nicht durchzuführen vermochte. Ich kann ihn nicht bedauern, weil ich Hrn. K.-R.
durch kein Wort meiner Besprechung Anlass gegeben zu haben glaube, gegen mich auf-
sutreten. Findet er in dem Buche Sek.' s etwas andres, als was ich darin gefunden habe,
so »fand es ihm frei, durch eine dieser Auffassung entsprechende Kritik es auszuspreeben,
■wie ich dieB auch von meinem Standpunkte aus mir zu thun erlaubte. Die sachlicben
JF5«rJchtigungen Hrn. K -E’b kann ich nur in einem und einem dazu unwesentlichen Punkte
als begründet annehmen. Der Hauptsatz, dass Sch. acut verlaufende Zustände der Ver-
rQcktheit nicht zu kennen scheint, ist richtig, weil er sie nirgends beschreibt Ein Irr-
thum meinerseits ist, dass Sch. die von ihm angeführte alc. Form der Verrücktheit für
eine acute ausgibt. Er hält sie für eine protrahirte, was ich bereitwillig berichtige. Der
Inrtbum entstand aus dem Satze auf S. 845 „die nun folgenden chron. Geistesstörungen
der Potatoren etc. etc.“ Die übrigen sachlichen Berichtigungen des Hrn. AntikritikerB
muss ich entschieden als unberechtigt zurück weisen. Wenn ich für das 24. Cap. des
PI&n«lt>uchB nicht die Begeisterung Hrn. K.-E.’a theile, so habe ich dies in meiner Be-
sprechung damit begründet, dass die klinischen Ergebnisse mit den dortigen Anschau-
ungen nicht übereinstimmen. Ich halte dieselben daher für Hypothesen, über welche
laerumrsustreitcn kaum die Aufgabe der Psychiatrie sein dürfte. Ich habe diesen Grund-
ea tc io meiner Besprechung klar genug ausgedrückt. Soviel über die ernste 8eite dieser
Antikritik, Was nun die humoristische Seite derselben betrifft, mich mit meinen eigenen
Worten zu schlagen, so ist dieses Manöver schlecht genug gelungen. Mein Aufsatz über
p ypb. Psychosen hatte als Aufgabe sich unter anderm gestellt, nachzuweisen, dass die
./VooäI 1 * 116 der s. Paralyse als einer specif. Hirnerkrankung unbegründet sei. Mein klini-
gC ber Vortrag gipfelte in dem Satze, dass auch die aetiol. Auffassung der Psychosen
Grenzen hat, dass wir alle klinischen Merkmale eines individuellen Falles für unsere
t , s ychi»* r - Diagnosen verwerthen müssen. Das gleiche, nur schärfer gefasst, habe ich in
kleiner Besprechung ausgedrückt. Worin da ein Widerspruch liegen soll, ist nicht ein-
Nun noch ein Wort zum Schlüsse. Ich halte das Recht der freien Meinungs-
^u8 Berun g überhaupt so hoch, dass ich der Antikritik ihre Berechtigung einräume, wenn
ich « u ch * n dieser vorliegenden Form für überflüssig halte. Um eines aber muss ich
*j ert lierrn aus Graz ersuchen. Persönliches, wie den Vorwurf der Illoyalität, aus dem
a p i c le zu lassen. Ich habe die volle Ueberzeugung, Schüle’B Buch Bcharf, aber ruhig und
0 ^j C ctiv beurtheilt zu haben. Eine solche Kritik ist gesund und bringt der Entwicklung
Psychiatrie mehr Förderung als die gegenseitige Beweihräucherung. Wollte ich ma-
litiÖ® »oin, hätte mir das Buch genügenden Stoff zur Befriedigung dieses Gelüstes darge-
botoo- L - W -
W oclientoerddit.
Schweiz.
^oternstlonalc Freizügigkeit. Ein befreundeter College theilt uns nach-
ijre*»de weitere Beweise über die Missachtung unserer Examen mit; sie sind um so
*^^ c jskräftige r , als sie Deutsche betreffen, die ihre Studien und Examina in der 8chwei*
>S ° „Al« einen weitern Fall, wie rigorös im löbl. Germanien gegen helvetische Aerite
— e gangen wird, kann ich Ihnen meinen Freund Robert Navwerc/c nennen. Derselbe hat
" v ’° K l8ö9 bis ca. 1866 in Zürich studirt, war hier pract. Arzt, hat, wenu ich nicht irre,
^° Qßer Krieg mitgewirkt und verliess Anfangs der 70er Jahre Zürich, um nach Scble-
eu übersiedeln, wo ihm eine Arztstelle auf dem Lande (in Festenberg), fern von
®lj er Ci v ili««tion, offerirt wurde. Dort practicirte er; aber weil er das dortige Examen
* icb t gemacht, wqrde er in gerichtlichen ctc. Fällen ignorirt, und er entschloss sich, da
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ihm trotz vielfacher Verwendung seiner Freunde und Gönner (a. B. Geh.-Rath Biermer
in Breslau) ein Diplom ohne Examen oder nach Absolvirung eines abgekarr¬
ten Examens nicht gewährt wurde, während er doch in Zürich rite promovirt und
Staatsexamen absolvirt hatte und Biermer erklärte, die Examina in Zürich seien den preus-
sischen vollkommen gleichwerthig: schliesslich wie ein Student das ganze
Staatsexamen au absolviren. Er that dies denn auch und musste ad hoc ein
ganaes halbes Jahr opfern.
Und Dr. Schwalbe , der in Zürich lange Jahre Arzt und Privatdocent war, anno 1870
bis 1871 als Volontär in strapaziösester Weise den Krieg durcbgemacht hatte, leidend
von da aurückkam: dem wurde nirgends in Baden weder die Praxis, noch ein abgekürz¬
tes Examen zu machen gestattet. Und bei uns kommen jährlich deutsche Collegen ein
Colloquium machen und erhalten das Diplom trotz einer Unwissenheit, von der ein deut¬
scher Professor sagte: „Schade dass man solche Ignoranten deshalb, weil sie nur ein
Colloquium pro forma machen, nicht durchfallen lassen darf.“
Ausland.
]>eatscb]and. Unser ausgezeichneter Landsmann Dr. J. U. Krönlein , Assistenz¬
arzt der Langenbeck'achen Klinik, wurde für diesen Winter, auf einstimmigen Antrag der
Fakultät in Giessen, vom hessischen M nisterium zum Stellvertreter des schwer erkrankten
Prof. Bote berufen und vorläufig an der Langenbeck’achen Klinik beurlaubt, derselbe hat in
Giessen seine Thätigkeit als Dircctor der Chirurg. Klinik bereits begonnen.
Oesterreich. Beleidigung des militärärztlichen Corps. Der
Obercommandirende in Bosnien, Feldzeugmeister Philippovic hat vor Kurzem an die Ober¬
ärzte seiner Armee in Serajewo folgende Ansprache gehalten: „Die Truppenkomman¬
danten haben mir mitgetbeilt, dass jeder Soldat, sobald er marode wird, für die Armee
verloren geht Wahrlich, ich bedaure, dass wir keine Unterärzte mehr haben, denn diese
waren doch 8oldaten, die ihre Pflicht kannten; jetzt aber haben wir Doktoren der Me-
dicin, der Chirurgie und aller möglichen Wissenschaften, die ihren Beruf nicht kennen.
Ich habe es verstanden, eine Armee zu commandiren, und mit den Türken und Bosniaken
fertig zu werden, ich hoffe auch, mit Ihrer Branche fertig zu werden. Erfahre ich, dass
ein Einziger seine Pflicht nicht thut, so werde ich ihn kriegsrechtlich behandeln lassen.
Zum Schluss versichere ich Sie, dass ich dies auch dem Kaiser berichten werde.“
Wie natürlich hat diese vollkommen unmotivirte und rücksichtslose Anklage die
Gemüther des österreichischen militärärztlichen Corps aufs Höchste erregt. Wenn Marode
für die „Armee verloren gehen“, so kommt das wohl daher, dass die bestehenden La-
zarethe mit untransportabeln Schwerverwundeten überfüllt sind, so dass die leicht trans-
portabeln Maroden in rückwärts liegende Etappenlazarethe abgeschoben werden, wodurch
eine kleine Verzögerung beim Wiedereinrücken dieser zum Corps zu Stande kommen kann.
Dass die Schuld hievon den Doctoren zukomme und dass unter den früheren Unter¬
ärzten das nicht vorgekommen wäre, ist eine in der Luft stehende Behauptung. Das an¬
gedrohte Kriegsgericht ist ein Insult, den die österreichischen Militärärzte nicht verdient
haben Wir haben Gelegenheit gehabt im Jahr 1866 die Tüchtigkeit und die erprobte
Ausdauer unserer österreichischen Collegen unter oft ungünstigen äusseren Verhältnissen
kennen zu lernen und sind mit den Gefühlen von Hochachtung für dieselben heimgekehrt.
Wenn jetzt auch auf den Verbandplätzen und in den Militärspitälern Unregelmässig¬
keiten vorgekommen sein mögen, so wissen wir wohl, dass in jedem Kriege, trotz aller
Aufopferung seitens der Aerzte, diese nicht vermieden werden können.
Die Satisfactionen haben nicht auf sich warten lasson. Der nach 8erajewo abge-
sandte General-Adjutant des Kaisers, FML. v. Beck, bat die dortigen Militärspitäler be¬
sucht und nach vollzogener Inspizirung an das ärztliche Personal folgende Ansprache ge¬
richtet : „Ich habe mich jetzt persönlich überzeugt, dass von 8eite des ärztlichen Per¬
sonales für die Pflege der Kranken Alles gethan wurde, was unter den in Bosnien ob¬
waltenden schwierigen Verhältnissen gethan werden konnte.“ — Der Kriegsminister von
seiner Seite hat folgenden Erlass den Aerzten der Garnisonsspitäler Nr. 1 und 2 zu¬
gestellt:
„Ich habe gestern und vorgestern die beiden hiesigen Garnisonsspitäler Nr. 1 und 2
eingehend besichtigt.
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726
Indem ich dem General-Commando für die in diesen Spitälern Vorgefundene muster-
b-Äfte Ordnung und Reinlichkeit meine besondere Befriedigung ausspreche, muss ich das von
den Militärärzten bezeigte lebhafte Interesse für die Verwundeten, sowie deren Hingebung in
ihrem Berufe wärmstens anerkennen, insbesondere aber die wahrgenommenen, auf die
fortschrittlichen Grundsätze der conservativen Chirurgie basirten vorzüglichen Heilerfolge
«als das höchst anerkennenswerte Verdienst der in diesen Bpitälern in Dienstleistung
stcbenden Militärärzte bezeichnen.
Ich sehe mich sehr angenehm veranlasst, den Spitaleleitungen, so wie dem militär-
ärztlichen und dem Sanitätspersonale in den beiden Heilanstalten meine belobende Aner¬
kennung auszusprechen und wolle das General-Commando dieselbe den betreffenden Or-
ganon bekannt geben.“
Die österreichischen Militärärzte mögen sich mit diesen zwei otficiellen Satisfactionen
beruhigen oder nicht, die schönste 8atisfaction hier wie anderswo bleibt das Bewusstsein
treuer Pflichterfüllung. Die Uebcrzeugung mögen sie übrigens haben, dass uns fremden
Collegen durch derartige verletzende Angriffe die Anerkennung vor den hohen Leistungen
des österreichischen militärärztlichen Corps niemals wird erschüttert werden.
JParift. Sir' s Behandlung der B a sc dov>' sehen Krankheit Die
beste Behandlungsmethode ist nach See die Hydrotherapie combinirt mit dem Verabreichen
der T. veratr. virid. Er verordnet 10—12—20 Tropfen pro die, indem er diese Dosis
auf 3—4 Male vertheilt Das Mittel muss Wochen, ja Monate lang angewendet werden.
TT.r sah mit dieser Methode u. A. auch eine junge Frau heilen, die seit 16 Jahren die
8 cbaracteristischen Symptome der Krankheit (Exophthalmus, Herzklopfen und Struma)
eeiccte und in den letzten 8 Jahren jede Behandlung aufgegeben hatte.
(Franc, med. 18. Nov, 1878.)
(Di©
Stand der Infections-Krankheftten in Baael.
Vom 11. bis 26. November 1878.
Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten
angemeldeten Fälle an.)
Zu den 4 im letzten Berichte aus einem Hause des Südostplateaus gemeldeten
jyj B e r n fällen sind noch 8 weitere gekommen ; als Ursprung hat sich ein Besuch in dem
bco«-cbbarten maserndurchseuchten Grenzach ergeben; ausserdem 1 Fall unbekannten Ur-
«orung 8 auf dem Nordwestplateau; zusammen 4 Fälle.
” Von Scharlach sind 8 Fälle angezeigt (6, 6, 2), wovon 4 in der Umgebung des
Jobannthors, die übrigen zerstreut.
Typ huserkrankungen sind 9 angemeldet (17, 16, 11), wovon im Birsigthale 6,
K.leinbasel 3.
Hals- und Rachenbräune 7 Fälle, (6, 6, 4), wovon 6 aus Kleinbasel meist
tödtlichem Verlaufe.
Von Pertussis sind 18 neue Fälle angezeigt (10, 23, 26), diessmal fast alle aus
flros 6 ^ 48 ^'
fl ry sip elas 6 Fälle (2, 2, 0). Varicellen im Kinderspitale und vereinzelt auch
der Stadt.
Puerperalfieber 8 Fälle (1, 2, 0); seit dem 16. keine neue Erkrankung.
Zu den im letzten Berichte erwähnten 3 Fällen von maligner croupöser Conjunc-
v jti8 aus der Hägenheimerstrasse ist sofort noch 1 weiterer gekommen ; seit Ueber-
- »dlung io eine andere Wohnung und Versorgung sämmtlicher Erkrankten in die Augen-
»^ Ur ^talt ist keine neue Erkrankung mehr eingetreten.
St.
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Beaten Dank. Hüter eoll willkommen Bein. — Herrn Prof Idiwenherg , Paria: Verdanke Ihnen beetene
die fr. Zuaendung Ihrer ausgezeichneten Arbeit. — Herrn Revierförater Dr. H—r, L.: Ich finde keine
Brücke zwi8chen dem Oeaopbagua und der Berufung. Strengen Sie Ihren Scharfsinn an und flechten
Sie Beibat die nftthige Intercellularaubatana. Also Ihrea Beauchea bin ich mit Vergnügen gew&rtig.
Freund!. Orüsae. — Herrn Dr. O. L- g, Sehaffhau8en: Kommt zum Abdruck; wir bitten aber um
Geduld, da zuerst die Oltener VortrRge müaaen publicirt werden. — Herrn Dr. Killiae, Chur; Prof.
Dr. Wyit, Zürich: Mit Dank erhalten. — An Stelle beaonderer Empfangaanzeigen danke ich hier allen
wertben Collegen, die mich l>ei der Ausarbeitung des Kalenders ao liebenswürdig unterstützt haben,
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nenten besteht, mit Wasser (oder Milch) ohne
Abscheidung von Oel sich mischtnnd^
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Präparat findet so viel Beifall, dass ich auf
ärztliche Anregung auch das .
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Malz-Extract mit Kalk und Eeberthran dar
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in Basel. — 8) Referate and Kritiken: Prof. Theodor Roh: Die Physik in der Vedicin. — Kirchner: l<ehrbach der Mili-
t&r-Hygiene. — 4) Csntonale Correspondenxen: Basel. — 5) Wochenbericht. — 0) Briefkasten.
Zum Jahresschluss.
Wenn Ihnen, werthe Collegen, diese letzte Jahresnummer, mit welcher wir
den VIII. Jahrgang unseres Blattes abschliessen, vorliegt, trennt auch Sie nur noch
eine kurze Spanne Zeit von dem Gipfel einer jener Hohen, deren Erklimmen uns
daran mahnt, wenigstens einen kurzen Blick auf die zurückgelegte Strecke unseres
Lebensweges zu werfen.
Der Jahresschluss ist, wenn auch nicht im innern, so doch im äussern Leben
für jeden ernsthaften Menschen eine solche Marke, deren Sinn er nicht missver¬
stehen wird.
Was hat das hinter uns liegende Jahr uns geboten, was uns bieten können ?
Was haben wir — nicht in phantastischer Träumerei, sondern mit bewusster Ge¬
rechtigkeit — gewünscht und gewollt, was erreicht? Was ward und was hätte
werden können — zum Guten und zum Bösen?
Möge jedem von Ihnen nach diesem Rückblicke, auch wenn er ihm kein ganz
freudiges, kein fleckenloses Bild vor die Seele zaubert, der innere Friede, die ru¬
hige, ja freudige Kraft bleiben, mit klarem Auge in die Zukunft zu schauen, mit
gehobenem Haupte und unumwölkter Stirn unentwegt weiter zu streben 1
Mögen Sie alle, jeder auf der seinem Lebenswege zugehörenden Etappe, zu
dem Ziele, das Sie am Jahresschlüsse erreichen, empor gestrebt sein und Ihnen
Ihr ernstes Wollen und Ihr Wunsch erfüllt werden, auch in Zukunft nicht zu tief
unter dem erreichbaren Maasse der Ideale zu bleiben, das jeder edle Mensch zu
realisiren trachten muss.
So manch 1 Einer, den wir gerne für einen unentbehrlichen Lebensbegleiter ge¬
halten hätten, hat sein Wandern eingestellt. Mancher am Ziele, ruhig, gefasst,
Mancher aber auch im vollen Fluge unerwartet, jäh zur Erde geschleudert, um
nicht mehr sich zu erheben — Alle begleitet von unserer Liebe und unserer Ach-
47
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730
tung' Sie haben öusgekämpft und ruhen als wackere Kämpfer auf jenem weiten
und rauhen Schlachtfelde, das schon so manchen braven Mann, so manches treue
Blut grausam und stumpfsinnig verschlang, dem Plane, auf welchem der nie en¬
dende, harte Kampf gegen die Schwächen der Menschen und das Elend des Lebens
geschlagen wird. Mögen sie sanft ruhen: unsere schnell lebende, rastlos davon
Bastende Zeit wird sie bald vergessen, sind doch Ersatzmänner da! Wir aber
-wollen ihrer gedenken 1 Ihr abgeklärtes Bild soll uns in freundlicher und lieber
^Erinnerung bleiben und ein Sporn sein, auf dem gemeinsamen, guten Weg rüstig
■weiter zu wandeln.
Und wir streben ja nicht allein! Unserer sind Viele! Das anerkennen wir
freudig, und es drängt uns, unseren ausgezeichneten Mitarbeitern, die durch
Einsendung von Originalarbeiten, Vereinsberichten, Referaten und cantonalen Cor¬
respondenzen das Jahr hindurch kräftig uns unterstützt haben, im Geist die Hand
zu drücken und ihnen zu danken für die erfolgreiche Unterstützung, die sie unse¬
rem Unternehmen dargebracht; dieser Dank gilt auch unseren zahlreichen Abon¬
nenten, deren freundliches Interesse das Gedeihen des Correspondenz-Blattes er¬
möglicht hat.
Unser Ziel, die Gefühle der Zusammengehörigkeit und der Solidarität unter
den Schweizer Collegen zu kräftigen und das Organ zu sein, durch das sie bei
dem Volke und seinen Behörden jene Anerkennung verlangen, die ihnen im socia¬
len und staatlichen Leben gehört, haben wir auch in diesem Jahre nie aus dem
Auge verloren; daneben haben wir uns bestrebt, in den engen Rahmen, der uns
zur Verfügung steht, Alles das aufzunehmen, was uns der Prüfung durch die Praxis
und des besonderen Studiums werth schien. Der leidige Raummangel hat hiebei
oft sehr hindernd unsere Pläne durchkreuzt und auch manchem unserer Mitarbeiter
oft sehr unerwünschte Geduldsproben gestellt.
Möge auch im kommenden Jahr dieselbe ausgezeichnete Unterstützung der
Herren Collegen unseren Bestrebungen nie fehlen und das Zusammenwirken Aller
£iir jeden Einzelnen und den ganzen Stand, sowie für die Interessen der Leidenden
eii 1 gleich gedeihliches bleiben 1
Original-Arbei ten.
Ueber eine Methode der Staaroperation.
Vortrag, gehalten im Verein jüngerer Aerzte der Cantone Bern und Solothurn
am 3. Juli 1878 in Burgdorf,
von Dr. Emil Emmeri
Als Staaroperation bezeichnet man jeden chirurgischen Eingriff, welcher die
Entfernung der Linse aus dem Pupillargebiete zum Zweck hat.
Abgesehen von der Depression und Reclination, welche als überwundene Stand-
piincte zu betrachten sind, und von der Discission der Linse, welche für bestimmte
gtaarformen und in gewissen Lebensaltern jetzt noch geübt wird, ist es die sog.
periphere Linearextraction mit Iridectomie nach von Gräfe , welche wohl das ver¬
breitetste Operationsverfahren auch jetzt noch genannt werden darf.
Während aber
arzte, welche dai
Gräfes gewesen si
mie geübt wurde,
Rfiaction ein, we
wieder in den H :
Staaroperation a
noch geblieben \
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Digitized by
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731
Während aber noch vor wenigen Jahren von der Mehrzahl der Augen¬
ärzte , welche damals auch meistentheils mehr oder weniger lang Schüler von
Grdfe's gewesen sind, so zu sagen nur die periphere Linearextraction mit Iridecto-
mie geübt wurde, trat bald nach dem Tode desselben (im Jahre 1870) eine Art
Reaction ein, welche die zum Wohle der Menschheit erzielten Errungenschaften
wieder in den Hintergrund zu drängen und neue Methoden und Modificationen der
Staaroperation an ihre Stelle zu setzen drohte. Ein guter Kern ist gleichwohl
noch geblieben und die Statistik solcher Augenärzte, welche über ein grosses Ma¬
terial zu verfügen haben, wird dazu bestimmt sein, zu beweisen, dass das von
Gräfe’ sehe Verfahren die günstigsten Procentverhältnisse, d. h. die wenigsten Ver¬
luste liefert.
ln wie fern Dr. A. Weber' s (in Darmstadt) wohl ausgedachtc Operationsmethode
mit Hohllanze zu ebenso günstigen oder günstigeren Resultaten führt, wird erst
die Zukunft, d. h. die reichere Erfahrung lehren müssen. Kleine Abänderungen
des von Gräfe'sehen Verfahrens, wie sie von manchen ausgezeichneten Operateuren
vorgenommen worden sind, können nicht als Streben nach Neuerungen und Er¬
findungsruhm u. A. aufgefasst werden, vielmehr als das Resultat theoretischen Den¬
kens und practischer Erfahrung.
Es ist daher gewiss nicht am Platze, über jede Modification sogleich den Stab
zu brechen, um so weniger als von Gräfe selbst an seiner Methode stets noch zu
verbessern suchte und wahrscheinlich mit der Zeit selbst noch neue Modificationen
an derselben angebracht haben würde, da sein reger Geist und seine ausgezeich¬
nete Beobachtungsgabe niemals zugelassen hätten, auf einer einmal errungenen
Stufe stehen zu bleiben und einmal gemachte Beobachtungen als für alle Zeiten
gültig und unumänderbar anzusehen.
Eine solche Modification, welche sich zwar nicht auf den operativen Eingriff
selbst, nur auf die Zeit der Ausführung einzelner Operationsacte bezieht, kann das
zu besprechende Verfahren genannt werden.
Schon im Jahre 1861 machte Herr Dr. Mooren aus Düsseldorf bei Gelegenheit
des Ophthalmologen-Congresses zu Heidelberg und im Jahre 1862 in einer beson¬
deren Schrift (Die verminderten Gefahren der Hornhautvereiterung) auf ein Vor¬
gehen bei der Linearextraction aufmerksam, durch welches die Gefahren derselben
und die Ursachen ihres Nichterfolges um ein Beträchtliches herabgesetzt werden
sollten.
Es bestand darin, der Extraction der Linse die Iridectomie wenigstens zwei
Wochen vorauszuschicken.
Trotz dieser Empfehlung verlautete wenig mehr über diese Zweitheilung der
Operation. Wenn auch Versuche damit gemacht worden sein mögen, so ist, wenig¬
stens meines Wissens, nichts davon in die Oeffentlichkeit gedrungen. Erst bei Ge¬
legenheit des Ophthalmologen-Congresses im Jahre 1873 in Heidelberg unternahm
es Herr Prof. v. Welz (12. Nov. 1878) aus Würzburg, von Neuem auf dieses Opera¬
tionsverfahren die Aufmerksamkeit zu lenken und es, gestützt auf eine Reihe äus-
serst günstiger Resultate und Beobachtungen, seinen Herren Collegen zu empfehlen.
Bei der sich an diese Mittheilung knüpfenden Discussion hob Herr Prof. v. Ze-
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Hmder aus Rostock hervor, dass auch Herr Dr. Hedddut aus Idar diesem Operations-
-verfahren sich anschliesse, in seinen Anschauungen im Wesentlichen beistimme
und über dasselbe bei der Naturforscher-Versammlung in Wiesbaden einen Vor-
gehalten habe.
Im Uebrigen schien aus der Discussion hervorzugehen, dass man dieser Me-
thode nicht dasjenige Vertrauen entgegenzubringen geneigt sei, welches Herr Prof.
*?. Welz ihm schenkte , ja Herr Prof. Rolhmund. aus München glaubte, gestützt auf
Anzahl von Fällen, sogar Nachtheile derselben gefunden zu haben, gegenüber
Ausführung der Iridectomie gleichzeitig mit der Extraction der Linse.
Trotz der geringen Begeisterung der Herren Collegen für dieses Operations¬
verfahren , scheint sich Herr Prof. v. Welz von demselben nicht haben abbringen
zu lassen und waren ihm seine persönlichen Erfahrungen Grund genug, um auch
fernerhin dasselbe zu üben. Denn unterm 21. September 1877 richtete er, da er
den Ophthalmologen-Congress zu Heidelberg bereits hatte verlassen müssen, einige
Zeilen an den Redactor der Klin. Monatsblätter, Herrn Prof. Zehender , welche in
dem Bericht über die 10. Versammlung der Ophthalmologischen Gesellschaft zo
Heidelberg Seite 186 abgedruckt sind und in welchen er die Mittheilung macht,
d Ä88 er nun seit bereits 5 Jahren das erwähnto Operationsverfahren ausschliesslich
iit>e und stets dieselben glücklichen Resultate erziele, d. h. seitdem kein Auge
durch Extraction verloren habe.
Auch ohne die Absicht diese Operationsmethode auszuüben, kommt man in
den Fall dieselbe auszuführen, wenn z. B. längere Zeit vor der Staarextraction
bei vielleicht noch unreifer Cataracte wegen Iritis oder A. eine Iridectomie gemacht
•werden muss. Aus optischen oder kosmetischen Rücksichten oder in der Voraus¬
sicht, später an der Stelle des Coloboms die Linse austreten zu lassen, wird in
solchen Fällen meistenteils die Iridectomie nach oben verlegt werden.
Wenn mm auch diese Fälle wegen ihrer Complicationen nicht gerade dazu
geeignet sind, in dem Vorausschicken der Iridectomie einen günstigeren Erfolg für
die spätere Linsenextraction erblicken zu lassen, so sind sie doch dazu geeignet,
uns gewisse Erscheinungen zur Wahrnehmung zu bringen, welche eben in noch
viol höherem Grade in Fällen ohne Complicationen, wo wir principiell, nicht ge¬
zwungen, die Iridectomie der Extraction vorausschicken, zu Tage treten.
Und eben diese Wahrnehmungen veranlassten mich schon in frühem Jahren
zxiitunter die Iridectomie der Extraction mehr oder weniger lang vorangehen zu
lassen und wenn auch mein Material nur klein ist, so glaube ich mich doch nicht
darin zu täuschen, dass diese Operationsmethode manche Vortheile vor der Aus¬
führung der Iridectomie mit der Linsenextraction biete und besonders günstige
f^esultate liefere. Seit der letzten Empfehlung dieses Verfahrens durch Herrn
*>• Welz, übte ich dasselbe in allen denjenigen Fällen, wo nicht aus äussern
gründen, d. h. sehr hohem Alter des Patienten, grosser Entfernung seines Wohn-
0 itzes oder A. Umgang von derselben genommen werden musste. Die Resultate,
welche ich damit erzielt habe, sind derart, dass kein Auge bei dieser Methode bis
dahin zu Grunde gegangen und in den einzelnen Fällen der Erfolg vorzüglich ge¬
wesen ist
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733
Die Ausführung des Verfahrens besteht einfach in Folgendem: Die Iridectomie
wird mit Lanzenmesser möglichst peripher, d. h. vom Hornhautrande entfernt mit
grösster Sorgfalt ausgeführt; sicherer ist es, sie möglichst breit zu machen, doch
wird erst eine grössere Zahl von Beobachtungen darüber entscheiden lassen, ob
nicht dieselben und hinsichtlich der kosmetischen und optischen Verhältnisse je¬
denfalls günstigere Resultate erzielt werden durch eine kleine Pupille.
Obschon nun nach wenigen Stunden die lineare Lanzenwunde in der Sklera
bereits verklebt und nach 3—4 Tagen verheilt ist, so ist es doch zweckmässig,
den zweiten Theil der Operation, d. h. die Extraction der Linse, erst geraume Zeit
später zur Ausführung zu bringen. Ich möchte als Termin denjenigen Zeitpunct
als den vortheilhaftesten erachten, wo die Lanzen wunde gänzlich verheilt, resp.
vernarbt und jede Reaction des Auges in Folge dieses Eingriffes verschwunden
ist und es hat mir bis dahin geschienen, dass dieser Zeitpunct in der Mehrzahl
der Fälle nicht vor der dritten oder vierten Woche eintritt und ich möchte noch
weiter gehen und sagen, dass die Extraction um so günstigere Aussichten bietet,
in }e höherem Grade genannte Bedingungen erfüllt sind, d. h. je grösser der Zeit¬
raum zwischen Iridectomie und Extraction ist.
Die Extraction wird also nie vor Ende der vierten Woche , lieber erst nach
2—3 oder mehr Monaten ausgeführt mit einem (/rd/a’schen Staarmesser. Einstich
und Ausstich fallen circa */>—1 mm. vom sichtbaren Hornhautrande, zur Vollendung
des Schnitts kehre ich die Schneide möglichst nach vom, so dass der Gipfel des
Schnittes in die Hornhaut, d. h. circa V* mm - vom sichtbaren Scleralrande zu lie¬
gen kommt. Auf diese Weise fallen Lanzenschnitt und Linearschnitt niemals zu¬
sammen, sondern befinden sich an allen Puncten in einer Entfernung von minde¬
stens ’/j mm., meistens jedoch von 1 mm. und mehr. Dieses scheint mir sehr we¬
sentlich zu sein.
Die Heilung erfolgt bei diesem Operationsverfahren nicht minder schnell als
wenn wir Iridectomie mit Extraction verbinden, eher dürfte man das Gegentheil
behaupten.
Die Vortheile aber, welche es bietet, lassen sich in Folgendem zusammen¬
fassen :
1. Der Arzt lernt den Patienten kennen.
Bei Gelegenheit der im Allgemeinen ganz gefahrlosen Iridectomie, welche eher
schmerzhafter ist als die Extraction der Linse, wird man sich ein Urtheil darüber
bilden können, ob Hülfsmittel und wenn, welche Hülfsmittel nothwendig sein wer¬
den, um das Auge, eventuell den Patienten in denjenigen Ruhezustand zu ver¬
setzen, welcher zur Extraction nothwendig oder wenigstens wünschenswerth ist,
d. h. ob es z. B. zweckmässig sein wird, den Kopf des Patienten durch einen As¬
sistenten halten zu lassen und ihn einzuschläfern. Ferners wird man sehen, ob er
eine heilsame Natur hat, ob eine bedeutende Reaction auf den operativen Eingriff
hin erfolgt und Vieles Andere. Mit einem Wort, wir werden vielleicht Andeutun¬
gen erhalten, welche uns bei der späteren Extraction von grösstem Nutzen sein
können.
2. Der Patient lernt den operativen Eingriff kennen.
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Er wird sich selbst ein Urtheil darüber bilden, ob er im Stande sein wird,
bei der späteren Extraction sich hinreichend ruhig zu halten, er wird einen Be¬
griff von der Schmerzhaftigkeit der Operation erhalten, über welche sich die Pa¬
tienten sehr häufig ganz irrige Vorstellungen machen und namentlich einbilden,
dass die Operation viel schmerzhafter sei als sie wirklich ist Sie werden auch
erkennen, dass bei normalem Verlauf, nach ausgeführter Operation, keine Schmer-
zen mehr auszuhalten und zu überstehen sind, wie dieses bei chirurgischen Ein¬
griffen an anderen Körpertheilen fast ausnahmslos der Fall ist. Sie werden in
Folge dessen der Operation und der Nachbehandlung mit grösserer Gomüthsruhe
entigegensehen.
3. Die Extraction oder besser Entbindung der Linse nimmt bei früher ausge-
führter Iridectomie weniger Zeit in Anspruch, der peinliche Zustand wird dem
Pat. daher abgekürzt.
4. Zur Extraction oder Entbindung der Linse ist kein Assistent nothwendig,
welcher die Fixation des Bulbus während des Fassens der Iris und dem Abschnei¬
den derselben zu übernehmen hat.
laicht immer stehen geübte Assistenten zur Verfügung und ich kann die Ueber-
zeugung nicht unterdrücken, dass mitunter durch schlechtes Fixiren des Bulbus,
d- h- Drücken auf denselben mit der Pincette oder starkes Anziehen der Bindehaut
und Herabziehen des Auges während dem Excisionsacte der Iris, ein Bersten der
2 onula Zinnii und Vorfall des Glaskörpers zu Stande kommt, wenn anders ein
solcher nicht schon vorher eingetreten ist, wie dieses eine Folge des Schnittes
se in kann, bei welchem durch Druck nach oben, besonders wenn ein Messer nicht
ganz scharf schneidet, eine solche Spannung und Zerrung und durch die sägenden
Belegungen eine solche Erschütterung und Verrückung der Zonula Zinnii entstehen
j^ann, dass dieselbe berstet. Die erstere Möglichkeit scheint mir um so wahrschein¬
licher, als durch Fixation des Bulbus nach unten in der Gegend des Corpus ciliare,
und durch das unwillkürliche bei fast allen Patienten zu beobachtende Bestreben,
3 e n Augapfel nach oben zu drehen, also durch die Fixationspincette einerseits und
^ui-ch den Muse. R. superior andererseits an zwei einander diametral entgegenge¬
setzten Puncten eine Klaffung der Wunde, ebenso wie auch eine Anspannung der
gonula Zinnii, in der Richtung dieser beiden in entgegengesetzter Richtung wir-
j ce uden Kräfte und dadurch eine Beratung der Zonula und Glaskörpervorfall cin-
trßten kann.
Um die Fixation des Bulbus an dieser Stelle und Rollungen desselben um
s ei Tje Tiefenaxe während und nach der Ausführung des Schnittes zu verhüten,
^iirde es daher, besonders bei sehr unruhigen Patienten, mitunter zweckmässig
s eio * den Bulbus an zwei Puncten zu fixiren, z. B. an der Nasen- und an der
gebläfenseite unc * würden hiezu Doppelfixationspincetten, wie sie von Fd. Jäger ,
gireatficld, v. Zehender und Monoyer erfunden worden sind, recht gut dienen. Eine
ß0 lche seitliche Fixation hat nur den Nachtheil mehrfacher Quetschung und Ver-
lo tzung der Bindehaut und dass häufig Falten in derselben entstehen, welche längs
Hornhautrand nach oben ziehen und so in das Schnittgebiet fallen, wodurch
jjjebr Bindehaut durchschnitten wird als nothwendig ist und in Folge dessen reich¬
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liehe Blutung erfolgen kann. Die gewöhnliche Fixation ist aus diesen Gründen
daher vorzuziehen.
Fixirt der Operateur das Auge selbst, so wird er allen geringsten Bewegun¬
gen des Auges nachgeben können und Druck und Zug in einer Weise reguliren,
wie dieses eine andere Persönlichkeit niemals im Stande ist.
5. Der Bindehautlappen wird kleiner, da die Bindehaut an der früheren In-
cisionsstelle der Lanze angeheilt ist.
Ob günstigere Resultate ohne Conjunctivallappen, oder mit einem kleinen oder
mit einem grossen erzielt werden, darüber hat in der letzten Zeit wenig verlautet.
Mir schien es mitunter, wie wenn ein Bindehautlappen trotz aller Vorkehrungen
in die Wunde sich legen (auch habe ich es erfahren) und die Adaptation der
Wundränder und die Heilung verhindern könne. Heilt eine Wunde nicht ohne
Bindehautlappen, so heilt sie auch nicht mit oder wegen einem solchen.
6. Blutungen in die vordere Kammer sind weit seltener und geringer.
Es muss zwar zugegeben werden, dass die Bindehaut häufig ziemlich stark
blutet, ihr Blut verbreitet sich jedoch weniger in die vordere Kammer, welche
nach Abfluss des Kammerwassers überhaupt wenig Raum zum Einfliessen bietet,
als über die Vorderfläche des Bulbus. Starke Blutungen in die vordere-Kammer
rufen jedoch nicht selten die Wundränder der Iris hervor, wenn dieselbe gleich¬
zeitig mit der Extraction der Linse excidirt wird und zwar verbreitet sich das
aus ihr tretende Blut, da die Wundränder in der vorderen Kammer liegen, auf
und zum Theil auch hinter die Iris; die Blutung ist mitunter schwer zu stillen und
das Blut schwierig zu entfernen; letzteres verdeckt dann nicht selten das Pupillar-
gebiet beträchtlich; auch sind Nachblutungen in die vordere Kammer aus frischen
Iriswundrändern zu befürchten; wenn aber die Iris schon Wochen lang vorher ex¬
cidirt worden ist, so sind die Wundränder derselben fest vernarbt und ist von
ihrer Seite wenigstens keine Blutung mehr zu gewärtigen.
7. Das Iriscolobom kann kleiner gemacht werden, als wenn dio Iridectomie
mit der Extraction verbunden wird, wodurch die kosmetischen und optischen Ver¬
hältnisse bedeutend gebessert werden.
Wird die Excision der Iris mit der Extraction der Linse verbunden, so muss
das zu excidirende Stück der Grösse des Schnitts ungefähr entsprechen, damit die
Irisränder in der Wunde nicht liegen bleiben oder durch die austretende Linse
nicht so leicht in dieselbe hineingedrängt werden oder nachträglich hineinfallen.
Ist die Iris schon früher excidirt worden, so droht nur die Gefahr, dass die
austretende Linse die Iris in die Wunde treibe. Dieses Vorkommniss ist jedoch
namentlich bei Anwendung des pupillenverengernden Eserins nach der Extraction
weniger zu befürchten und mit Hülfe desselben jedenfalls ziemlich leicht zu be¬
seitigen.
8. Vernarbte Irisränder disponiren weniger zu Iritis als frische.
Nach Staarextraction ist stets Iritis zu befürchten und zwar einerseits durch
die mechanische Reizung, welche das Vorbeigleiten der Linse bei ihrem Austritt
an der Iris verursacht, in welchem Momente der Grund liegt, weshalb die Iridec¬
tomie und zwar eine recht breite, in die Staaroporation eingeführt worden ist, denn
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l>ei intacter Iris wird das Vorbeigleiten der Linse beinahe zur Quetschung; ande- thc
rerseits durch zurückgebliebene Kapselreste, welche durch ihre Quellung etc. frem- sei
den Körpern ähnlich wirken, endlich durch die Reaction überhaupt, welche in Folge sp^
der* Staarextraction in manchen Augen auftritt.
9. Das Discissionsfeld ist viel grösser.
Wenn die Iris schon früher ausgeschnitten worden ist, so zieht sich die Pupille,
durch Atropin vor der Linsenentbindung ad maximum erweitert, bei Abfluss des 0
ÜÄinmerwassers bedeutend weniger zusammen, als wenn die Iris erst bei der Ex¬
traction excidirt wird; in letzterem Falle verengt sie sich trotz aller vorhergehen¬
den Atropinisirung sehr beträchtlich. Bleibt dagegen die Pupille auch nach Ab¬
fluss des Kammerwassers stark erweitert, so kann die Linse resp. die Linsenkapsel
in »iel ergiebigerer und ausgedehnterer Weise aufgeschlitzt werden, auch ohne s
dass man ein grosses Iriscolobom hat. Welche Vortheile aber eine ergiebige Dis- \
cission, abgesehen von einem hinreichend grossen Schnitt, für den Austritt der 1
Linse, für das Austreten einer möglichst grossen Menge von Kapselstücken, sei es
slxx€ der Linse oder sei es frei für sich, und daher für den späteren Verlauf, d. h.
den Heilungsverlauf und die Reinheit der Pupille bietet, das ist hinreichend be¬
kannt und braucht nicht weiter ausgeführt zu werden.
Nachdem so die stark erweiterte Pupille zur Discission benützt worden, kann
nachträglich dieselbe durch mehrfache Eserineinträufelungen, wie sie besonders
von Wecker in Paris empfohlen worden sind, verengt werden, um die Iris von der
Sclero-Cornealwunde möglichst zu entfernen und eine Irisanlöthung oder einen Iris-
vox*fall zu verhüten.
10. Die Reaction des Auges ist geringer.
Die Entbindung der Linse ist in Folge der grossen Bulbuswunde und das Ent¬
fernen eines Körpers aus dem Innern des Auges ein so gewaltiger Eingriff, dass
eine gewisse Reaction unausbleiblich ist. Es gibt allerdings Fälle, wo von einer
solchen kaum etwas wahrgenommen wird, aber andere, in welchen dieselbe sehr
l>ede uten d ist. Je weniger Wuodflächen wir aber haben und je weniger Theile
jes Auges in Angriff genommen worden sind, um so geringer wird auch, wie bei
anderen Körpertheilen, die Reaction sein und dieses ist doch gewiss ebenfalls kein
unterschätzender Vortheil der Zweitheilung der Staaroperation.
Diese sind die Vorzüge, welche, schon aus theoretischer Abstraction, mehr
n0 ch aber aus practischer Anschauung und Beobachtung, das soeben besprochene
Yer^ ren mir zu rechtfertigen scheinen.
Bei der Wahl einer Methode darf uns kein anderes Motiv leiten als das In-
tef e89e des Patienten. Alle ehrgeizigen Rücksichten, alle Bequemlichkeitsgrunde,
a lle Utilitäts- und politischen Gründe treten davor in den Hintergrund ein Ver¬
fahre 11 zu üben, bei welchem der Kranke die geringsten Gefahren läuft und die
g r Ö9» ten Aussichten hat, wenigstens etwas zu gewinnen.
Jedenfalls ist die Frage der Staaroperation bis in ihre Einzelheiten noch zu
keio em definitiven Abschluss gekommen, wenn auch gewisse wesentliche Gründ¬
et*® als allgemein angenommen, anerkannt und allgemeingültig zu betrachten sind.
Xjnd man wird vielleicht nie dazu gelangen, eine internationale Operationsme-
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thode zu besitzen, da individuelle Anschauungen, Erfahrungen und persönliche Ge¬
schicklichkeit, wenn man von allen andern Motiven absehen will, stets jhre Rolle
spielen und dadurch auch statistische Angaben in hohem Grade beeinflussen
werden.
Ueber Prophylaxe von Typhusrecidiven.
(Vortrag, gehalten in der Herbstversammlung des ärztlichen Centralvereins zu Olten
den 26. October 1878.)
Von H. Immermann, Professor in Basel.
(Schluss.)
Das ist nun auch der Weg gewesen, den ich seit Mitte des Vorjahres ver¬
suchsweise eingeschlagen habe, und auf welchem ich, wie Sie gleich nachher hören
werden, zu unerwartet befriedigenden Resultaten gekommen bin. Ehe ich indessen
Ihnen über meine Versuche und deren Ausfall berichte, möchte ich doch noch eine
Frage zuvor kurz berühren, die ziemlich nahe liegt und die ich kaum ganz über¬
gehen darf; um so weniger, weil aus ihrer Beantwortung sich, wie ich meine,
gleichfalls die soeben angedeutete prophylaktische Aufgabe als natürliche Conse-
quenz ableiten lässt.
Es ist dieses einfach die Frage, woher es denn wohl überhaupt komme, dass
die Typhusrecidive in neuerer Zeit mehr als früher von sich reden machen? Die
Klage über grössere Häufigkeit der Typhusrtickfälle ertönt nämlich nicht allein von
Basel, sondern auch von anderen Orten her, an denen man reichlichere Gelegenheit
zu Beobachtungen über Abdominaltyphus hat, und was speciell Basel selbst anbetrifft,
so steht so viel ganz unbedingt fest, dass früher die Recidive in dessen Spitale
erheblich seltener waren. Es ergiebt eine ältere Spitalstatistik, dass vor 10—15
Jahren nur etwa in 8—9% aller Typhen Rückfälle vorgekommen sind,*) während
doch aus meiner gegenwärtigen Berechnung sich nahezu die doppelte relative Fre¬
quenz (15,6%) für die Recidive herausstellt. Es müssen also gewiss besondere
Gründe vorliegen, warum bei Typhuskranken gegenwärtig so häufig die erstmalige
Durchseuchung eine unvollständige bleibt, und warum Reste des Typhuskeimes im
Reconvalescenten verbleiben, die dann so leicht Recidive veranlassen können!
Was nun der Grund dieser eigenthümlichen Erscheinung sei, lässt sich freilich
nicht mit aller Bestimmtheit aussagen, doch ist es für mich kaum fraglich, dass
die modorne Typhustherapie, so wie sie üblicherweise bisher gehandhabt
worden ist, nicht nur in direct, sondern auch ganz direct mit für dieses ver¬
änderte Verhalten der Typhen verantwortlich gemacht werden muss. Indirect
zunächst auf jeden Fall schon deswegen, weil die Mortalitätsziffern bei der mo¬
dernen Typhustheraphie um Vieles bessere sind, als bei der ältern, nahezu exspec-
tativen, — und auf diese Weise natürlich weit mehr Typhuskranke in die Lage
kommen, ein Recidiv gegenwärtig überhaupt erleben zu können; direct aber
sehr wahrscheinlich auch darum, weil durch die Kaltwasserbehandlung sowohl, wie
durch die medicamentös-antipyretische Behandlung der Typhen mit Chinin, Salicyl-
präparaten etc. die pathogenen Wirkungen des Typhusgiftes zwar abgeschwächt,
*) v. Liebermeüler: in r. Ziemueni Handb. d. apec. Path. Bd. II. 1. S. 198.
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und clie Florition desselben im Körper des Inficirten beeinträchtigt, aber damit
&ud~* das spontane Absterben dieses Giftes nach geschehener Durchseuchung des
Individuums voraussichtlich wohl erschwert wird. Es ist dieses eine Hypothese,
die mir höchst plausibel erscheint, übrigens auch noch andere Anhänger gefunden
liat 9 und welcher meines Wissens zuerst durch v. Liebermeister eine bestimm¬
tere Fassung verliehen worden ist Dieser Forscher, dessen höchst competentes
TJrfcfaeil in Allem, was die Typhusfrage angeht, gewiss von Ihnen bereitwilligst
anerkannt wird, spricht sich geradezu dahin aus, dass Typhusrecidivc wohl des-
-wegen jetzt häufiger sich zeigen, als früher, weil durch die „antipyretische“ Be¬
handlung der gewöhnliche, normale Verlauf des Typhus gestört und die völlige
Deflorescenz des Typhusgiftes vielfach verhindert werde.*)
■'^Tenn es an dem nun aber wohl so ist, — soll man dann etwa darum von
diesor modernen Behandlungsweise der Krankheit wiederum abgehen und mit der
"YViecleraufnahme der ältern indifferenten Therapie des Typhus auch alle deren
Nachitheile und Gefahren von Neuem in den Kauf nehmen? Ganz gewiss nicht,
- wenn sich nur ein Weg findet, um den Inconvenienzen zu entgehen, die sich
gerade bezüglich der Recidive bei der jetzigen Typhusbehandlung vermittelst der
gehäuften klinischen Beobachtung im Laufe der Zeit ergeben haben! Der einzu-
g cbläsende Weg ist aber klar genug durch die Vernunft, meines Erachtens, vor-
gesseichnet: man wird eben, wie ich vorhin schon andeutete, darnach trachten
müssen, der drohenden Gefahr des Recidives durch rechtzeitige Zerstörung
der Feste des Typhusgiftes im Körper des Reconvalescenten zu
begegnen, — man wird, wie man schon seit kürzerer oder längerer Zeit bei ge-
vvissen anderen, noch häufiger recidivirendcn Infectionskrankheiten es zu thun
sieh gewöhnt hat, auch beim Typhus nicht nur eino desinficirende Behandlung,
sondern auch eine desinficirende Nachbehandlung instituiren müssen.
Halten wir für einen Moment Umschau auf dem Gesammtgebiete der Infec-
tiorxskrankheiten, so begegnen wir namentlich zweien infectiösen Processen, deren
g achg etn “ 9se und durch die Erfahrung sanctionirte Behandlungsweise uns als ge-
ejg^note Analogie hier dienen darf. Ich meine das Wechseltieber und den
aCll ten Gelenkrheumatismus, welchen letzteren Sie gewiss, gleich mir,
paC h dem Vorgänge A. Hirsch’s u. A. ebenfalls ohne Bedenken zu den Infections-
j. raf jUhciten rechnen werden. So wenig wir uns, um ein Wecbselfieber gründlich
beseitigen, damit begnügen dürfen, dem betreffenden Kranken 1—2 Mal eine
g s sere Chinindose bis zum vorläufigen Verschwinden der Fieberparoxysmen zu
^. er3 ,t>folgen, — und so wenig wir die desinficirende Salicylbehandlung beim acuten
^j^lenkrheumatismus schon dann abzubrechen haben, wenn Fieber und Gelenk-
e cbi r,erz moraen t an beseitigt sind, so irrationell ist es nach meinem Dafürhalten
auC b, wenn wir einen Typhusrcconvalescenten, der soeben erst fieberlos wurde,
Ä ber » n grosser Gefahr schwebt, demnächst wieder es mit einem Recidive seiues
rrypbiis zu thun zu bekommen, — leichten Herzens seinem Schicksal überlassen.
g 0 aber und nicht anders wurde bisher beim Abdominaltyphus
►) 1. c. p. 201.
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doch ganz allgemein verfahren; man glaubte, sein Gewissen hinlänglich
zu salviren, wenn man die Blosse der Prophylaxe allenfalls mit dem Feigenblatte
einer diätetischen Nachbehandlung nolhdürftig bedeckte, — aber es hat sich auch,
wenigstens nach meinem persönlichen Geschmacke, dieses „laisser-aller“ nach¬
gerade hinlänglich oft durch Rückfälle der Krankheit gerächt!
Nur in einer Beziehung scheinen allerdings a priori die soeben herangezo¬
genen beiden Analogieen, — die radicale und definitive Beseitigung einer Malaria-
Intermittens und eines Rheumatismus acutus mit Hilfe einer passend gewählten,
d. h. specifischen Nachbehandlung —, nicht ganz zu dem zu stimmen, was be¬
züglich der Prophylaxe von Typhusrecidiven nothwendigerweise wohl zu geschehen
hätte. Fs besitzt nämlich unser gegenwärtiger Arzneischatz leider bisher noch
kein derartig specifisches Desinficienz gegenüber dem Typhusgifle, wie das Chinin
ein solches gegenüber dem Malariagifte, und die Salicylsäure (nebst ihren Prä¬
paraten) gegenüber der Ursache des acuten Gelenkrheumatismus thatsächlich ist!
Diesem sehr naheliegenden Einwande kann jedoch zunächst mit gleicher Waffe, —
nämlich auch a-prioristisch —, begegnet werden, dass es denn doch möglicher¬
weise viel leichter gelingen dürfte , selbst mit Hilfe eines weniger specifischen
Desinficienz (aus der pharmakodynamischen Gruppe der Antizymotica), geringe
und wenig lebenskräftige Reste des Typhusgiftes im Körper eines Typhusrecon-
valescenten zu vernichten, als einen in voller Florition begriffenen Typhusprocess
momentan zu einem abortiven Verlaufe zu zwingen. Auf alle Fälle würde aber
gewiss eine Reihe von prophylaktischen Versuchen positiven Resultates, die mit
Hilfe eines bereits bekannten, wenn auch vielleicht nicht gerade ganz specifischen
Desinficienz an Typhusreconvalescenten wirk 1 ich ausgeführt worden wäre,
viel mehr beweisen, als alle breitspurigen Speculationen und theoretischen Raisonne-
ments, denen der empirische Boden fehlt.
Diese Erwägung bestimmte mich denn auch, nicht erst noch lange nach einem
neuen Antizymoticum gegen das Typhusgift zu fahnden, sondern irgend eines der
bereits bekannten Mittel dieser Art unter Anwendung der nöthigen Cautelen an
einer etwas grösseren Reihe von Typhusreconvalescenten experimentell zu prüfen.
Ich wählte zu diesem Behufe das Natron salicylicum (hätte aber vielleicht
mit ganz gleicher Berechtigung auch ein Chininsalz, oder das Natron benzoi'cum,
oder irgend ein anderes Desinficienz wählen dürfen) — und verordnete dieses Sa-
licylpräparat in der Weise, dass ich dasselbe einer Anzahl von Typhusreconvales¬
centen, von dem Tage ihrer erstmaligen Entfieberung an, 10—12
Tage hindurch in einer Gesammtdose von 4,0—6,0 pro die, grammweise über den
Tag vertheilt, verabfolgen Hess. Diese Versuche begannen in der Mitte des Vor¬
jahres und wurden im Ganzen bis zum Jahresschluss an 22 Typhusreconvalescenten
vorgenommen, die sämmtlich der We iberabtheilung des Spitals angehörten
und ganz promiscue aus der Zahl der eingetretenen Typhuspatientinnen nach und
nach herausgeloost wurden. Es waren diese 22 Personen während ihres voran¬
gegangenen Typhus genau nach demselben Schema, wie alle übrigen weiblichen
Typhuskranken behandelt worden, d. h. sie waren, bei einer Körpertemperatur von
39° C. und darüber, kalt gebadet worden und hatten ausserdem noch auf der Höhe
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der Krankheit, wenn das Fieber widerständiger gewesen war, alle 24—48 Stunden
grössere Einzeldosen von Salicylnatron (4,0—8,0), oder auch von Chinin (1,5—3,0)
erhalten. Ebensowenig, wie in der vorausgegangenen Typhusbehandlung fand
aher auch ein Unterschied in der diätetischen Nachbehandlung statt,
die 'vielmehr bei den nachträglich salicylisirten Personen eine gerade so strenge,
wie bei den übrigen Reconvalescentinnen war. — Von den Typhuskranken der
m «. rx nliehen Abtheilung endlich wurde im Vorjahre noch kein einziger nach-
t r ä glich salicylisirt, sondern jeder männliche Reconvalescent ohne Aus-
nahme einfach diätetisch nachbehandelt. Dagegen wurde von der Mitte des
"Vorjahres (genauer vom 19. Juli 1877) an in der eigentlichen Typhusbehand-
1 u n g (also nicht Nachbehandlung) der männlichen Kranken eine wesentliche Aen-
derung vorgenommen, indem ich den Gebrauch des Natron salicylicum
zu antipyretischem Zwecke vollständig sistirte, denjenigen des
Oh in Ines auf das äusserste Minimum reducirte (d. h. nur bei ganz exceptioneller
WiVerständigkeit des Fiebers vereinzelt in einigen wenigen Fällen gestattete), da¬
für aber um so energischer die reine Kaltwasserbehandlung betrieb.
Ich wünschte nämlich nebenbei noch zu erfahren, ob nicht etwa letztere, die ein-
■f ». c h-hydriati8che Therapie des Typhus, in Bezug auf das Auftreten von Recidiven
gegenüber der combinirten, medicamentös-hydriatischen Behandlung irgend
welchen Vorzug besitze oder nicht? Würde sich nämlich die Procentzahl der Re-
ciclive unter den männlichen Typhuskranken der zweiten Jahreshälfte ansehnlich
vermindert haben, so hätte man ja annehmen dürfen, dass die Bedingungen für
das spontane Ab sterben des Typhusgiftes im typhuskranken Körper bei der
p Ur cn Wasserbehandlung viel günstigere seien, als bei der medicamentosen und ge¬
mischten Therapie der Krankheit. Meine Beobachtungen ergaben indessen durch-
ÄU s keine wesentliche Abnahme in der relativen Frequenz der Typhusrecidive bei
den einfach-hydriatisch behandelten Kranken der Männerabtheilung, sondern eher
noch eine geringe Zunahme j denn bei den 74 Fällen dieser Kategorie gab es nicht
wenig er als 15 Mal Rückfälle, was 20,3% ausmachen würde, während aus der
ersten Hälfte des Vorjahres, unter 70 Fällen und bei medicamentös-hydria-
tischer Behandlung, sich nur 12 Recidive auf der männlichen Abtheilung (also
verzeichnet finden. Anderseits kamen auf der weiblichen Abtheilung,
t>ei derselben combinirten (medicamentös-hydriatischen) Therapie, unter 93 Pa-
t j en tinnen, welche nicht nachträglich salicylisirt wurden, während
d.&& ganzen Vorjahres 21 Recidive vor, was 22,6% beträgt, und im Vereine mit
vorher angegebenen Zahlen der Männerabtheilung wohl so viel allgemein be¬
weist» dass von sämmtlichen Spitalpatientcn, die im Vorjahre überhaupt einen
■jiyphüs durchmachten, ohne nachträglich noch salicylisirt zu wer-
j e o, — annähernd jeder fünfte, — gleichgültig ob Mann oder Weib—,
gleichgültig ferner, ob einfach-hydriatisch, oder medicamentös-hydriatisch be¬
handelt —, ein Recidiv erlebte.
Pagegen erlebte unter den 22 nachträglich salicylisirten
Patientinnen des Vorjahres überhaupt nur eine ein Recidiv. und
Rieses eine Recidiv trat bei einer Reconvalescentin am siebenten Tage nach der
erstmal
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erstmaligen Entfieberung im unmittelbaren Gefolge eines exquisiten Diätfehlers (heim¬
lichen Genusses von grossen Quantitäten fetten Kuchens) auf, so dass also wohl für
diesen speciellen Rückfall eine ganz grobe, provocirende Ursache nicht von der
Hand zu weisen ist. Es lehrt immerhin diese einzelne Beobachtung, dass die diäte¬
tische Nachbehandlung der Typhusreconvalescenten auch dann nicht ganz vom
Uebel ist und bleibt, wenn man mit der nachträglichen Zerstörung der Ueberreste
des Typhuskeimes bei Typhusreconvalescenten gerade prophylaktisch beschäftigt ist.
War nun aber übrigens doch ohne Frage aus den Resultaten des Vorjahres
schon mit grosser Wahrscheinlichkeit abzuleiten, dass der nachträglichen
Salicylisation der Typhusreconvalescenten eine erhebliche Schutzkraft
gegen Typhusrecidive innewohne, so blieb dennoch eine weitere Vervollstän¬
digung dieses Resultates durch vermehrte Beobachtungen höchst wünschens-
werth. Leider wurden meine Studien über diese Sache durch eigenes, schweres
Erkranken für eine geraume Weile unterbrochen, und habe ich erst im März
des laufenden Jahres meine vergleichenden Versuche wieder aufnehmen können.
Von diesem Zeitpuncte an habe ich dann wieder eine ganze Anzahl von Patienten,
und zwar dieses Mal Kranke männlichen, wie weiblichen Geschlechtes, — im
Ganzen deren 29, der nachträglichen Salicylisation unterworfen, während die üb¬
rigen Typhuskranken des laufenden Jahres, im Ganzen bisher 67, wiederum nur
einfach-diätetisch nachbehandelt worden sind. Unter diesen letzteren erlebte ich
15 Recidive (22,4%)) also abermals, wie im Vorjahre, eine ungemein hohe Procent¬
zahl, — unter den ersteren dagegen (den nachträglich-salicylisirten) nur
ein einziges Recidiv und dieses bei einer Patientin, bei welcher die Salicylnach-
behandlung durch ein Versehen erst am 4. Tage nach der erstmaligen Entfiebe¬
rung, also vielleicht zu spät, begonnen wurde. Ziehe ich nun endlich dio vorjährigen
und die diesjährigen Beobachtungen zu einem gemeinschaftlichen Facit zusammen,
so bekomme ich für die nachträglich-salicylisirten Patienten (im Ganzen 51) nur
4,0 % Recidive, für die übrigen dagegen 23,6 % Recidive, also eine Differenz der
Procentzahlen, die doch kaum auf einfachem Zufalle beruhen kann!
Es hat nämlich kürzlich v. Liebermeister*) in wirklich genialer Weise ein ma¬
thematisches Verfahren ausfindig gemacht, um aus den numerischen Differenzen
der Resultate paralleler Beobachtungsreihen mit Hülfe der absoluten Zahlen, aus
denen diese Beobachtungsreihen sich zusammensetzen, den Grad der Wahrschein¬
lichkeit für die Ausschliessung des einfachen Zufalles factisch zu berechnen.
Prüfe ich noch auf Grund dieses Verfahrens meine bisherigen Resultate etwas ge¬
nauer, so gelangeich schon jetzt zu einem Ausdrucke der Wahrscheinlichkeit, welcher
der Gewissheit ausserordentlich nahe steht: man darf nämlich, wie die Rechnung er-
giebt, schon gegenwärtig nahezu 800 : 1 wetten, dass das selterene Vorkommen
der Recidive bei der Salicylnachbehandlung kein Zufall ist, — dass also diesem
prophylactischen Verfahren überhaupt ein positiver Werth
innewohnt! — Wie gross derselbe sei, werden freilich erst umfassendere
Beobachtungen und Versuche lehren können; aber dennoch schienen mir schon
*) Ueber Wahrscheinlichkeitsrechnung in Anwendung auf therapeutische Statistik. Samml.
klin. Vor tilge, herausgegeben von R. Volkmann. Nro. 110.
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742
meine bisherigen Ergebnisse ermuthigend genug, um mich zu einer Mittheilung
derselben vor Ihrem Auditorium zu veranlassen!
Gestatten Sie mir nun zum Schlüsse noch zwei Bemerkungen, die nicht sowohl
<3en bereits gewonnenen Resultaten zu Gute kommen, als vielmehr eine Perspective
in clie Zukunft eröffnen sollen: Erstlich nämlich würde es sich natürlich empfehlen,
clie nachträgliche Salicylisation der Typhusreconvalescenten, als prophylactisches
"Verfahren gegen Recidive des Abdominaltyphus, sofort durch eine anderweitige
n acbiträgliche Desinfoction dieser Reconvalescenten zu ersetzen, sobald es der
W issenschaft gelungen sein sollte, ein anderweitiges wirksameres Desinficienz, nament-
licta etwa ein förmliches Specificum gegen das Typhusgift zu entdecken. Man
hätte alsdann dieses (erst noch zu entdeckende) Antizymoticum nicht allein zum
Zwecke der vorläufigen Abortivbehandlung eines Typhus, sondern offenbar ebenso
sehr auch zum Zwecke der prophylactischen Nachbehandlung eines solchen thera¬
peutisch zu verwerthen, gerade so wie man schon gegenwärtig dem Wechselfieber-
reconvalescenten nachträglich noch eine Weile hindurch Chinin, — dem Rheumatis¬
mus reconvalescenten analog Salicylpräparate verabfolgt, um beide vor Rückfällen
ihrer Krankheit zu bewahren. Es soll also mit meiner Empfehlung der nachträg¬
lichen Salicylisation zum Zwecke der Verhütung von Typhusrecidivcn weit mehr
ein allgemeines prophylactisches Princip (das der methodischen Des-
i nfection muthmasslich-inficirter Individuen), als eine concrete Arznei-
•vejrordnung Ihnen ans Herz gelegt sein, — ein Princip, das eventuell sehr wohl
eich auch mit andern Mitteln, nicht minder ferner auch bei anderen Formen der
Infection verfolgen liesse und meiner Meinung nach, als solches, Beachtung ver¬
dient- — Zweitens aber erstreckt sich die Anwendbarkeit dieses Princips nicht
a llein auf diejenigen Fälle, in denen ein Reconvalescent nach einmal über-
ötandener Infectionskrankheit in Gefahr schwebt, wegen mangelhafter Durchseuchung
seines Körpers, an einem Recidive dieser nämlichen Infectionskrankheit zu er-
Jtranken, — sondern natürlich ebenso auch auf diejenigen Fälle, in denen ein bis
j a hin gesundes Individuum in erheblicher Gefahr schwebt, sich erstmalig
inficiren, vielleicht schon inficirt ist, aber noch im latenten Stadium seiner In-
■fection sich befindet. Man wird z. B. auf Grund meiner Versuchsergebnisse ge¬
wiss behaupten dürfen, dass, weil dem Salicylnatron eine positive prophylactische
Wirk un g bezüglich der Typhusrecidive zukommt, ihm auch überhaupt eine des-
| 0 fjcirende Wirkung bezüglich des Typhusgiftes zugeschrieben werden müsse,—
un d sich desBwegen eventuell vielleicht bewogen fühlen, bei herrschender Typbus-
c pjclenne solchen Personen, die in Typhushäusern verweilen müssen, und die den
•yyj r Uungen des Typhusgiftes sehr direct ausgesetzt sind, eine prophylactische 8a-
jj c ylVerordnung zu machen. Versuche dieser Art habe ich bisher nicht angestellt,
d» i®* r a ^ 8 Spitalarzt zwar beständig die Gelegenheit geboten ist, bereits Er-
j^r^nkte an Typhus zu behandeln, nicht aber noch Gesunde vor Typhus zu
0 cblitten. Dennoch wollte ich auch diesen Punct hier zur Sprache gebracht haben,
weil er ganz gewiss mehr, als recht ist, über der Desinfection des Bodens, der Ab¬
bitte etc. bei der Prophylaxis des Abdominaltypbus bisher übersehen und ver¬
nachlässigt wurde. _
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“V" er einsl>ei*icbte,
Medicinische Gesellschaft in Basel.
Schriftführer für die Corresp.-Blatt-Referate Dr. Albrecht E. BurckhardL.
Sitzung vom 9. Mai 1878.
Anwesend 23 Mitglieder.
Das Protocoll wird genehmigt.
Dr. Ronus trägt nach, dass Dr. Fiedler die Blatta orientalis in Dosen von
0,2 grmm. mehrmals täglich verabreiche; übrigens sei das Präparat schon vor 30
Jahren in Basel gebraucht worden.
Derselbe zeigt die Photographie eines kürzlich hier durchgereisten „Elephan-
tenmenschen“.
Prof. Roth referirt über das Vorkommen der Bandwürmer in Basel. Seit
seiner letzten Mittheilung in der medicinischen Gesellschaft (15- Februar 1877)
wurden ihm 28 Bandwürmer zugeschickt, deren Untersuchung das gleiche Resul¬
tat ergab wie früher, dass nämlich die Frequenz der T&nia solium sich zu der
von Tsenia mediocanellata bei uns verhalte wie 1:3. 3 Teeni® solium waren ein¬
geschleppt; Bothriocephalus latus fehlte.
Prof. Bitchoff zeigt eine Abbildung eines Bandwurmes aus dem 16. Jahr¬
hundert.
Thierarzt und Schlachthausverwalter Siegmund findet den Hauptgrund des sel¬
tenen Vorkommens der Tsenia solium bei uns darin, dass eben hier eine sehr ge¬
naue Fleischcontrole geübt werde; er habe allein im letzten Jahr 57 finnige
Schweine confiscirt.
Prof. Roth zeigt zwei Präparate von Arrosion grosser Arterien im Ver¬
laufe von Scharlac b.*)
Bei dem ersten Fall, einem 16 Jahre alten Jüngling, war nach sehr schwe¬
rem klinischem Verlauf, 12 Tage nach Beginn der Krankheit die rechte Carotis
externa durch eine tiefgreifende, von einem diphtheritischen Geschwür der
rechten Tonsille ausgehende Verjauchung des Halszellgewebes angefressen worden.
Bei dem zweiten Fall, einem 4jährigen Knaben, war nach lötägigem Verlauf
mit hohem Fieber, doppelseitiger Otorrhoe und leichter Diphtheritis der Tod ganz
plötzlich unter geringer Blutung aus dem Mund erfolgte. Die Section ergab einen
zwischen dem untern Theil des Oesophagus und der Aorta thoracica liegenden
Jaucheherd, der sowohl mit der Aorta als mit der Speiseröhre communicirte. Der
Magen war mit Blut angefüllt. Offenbar befand sich an obiger Stelle zuerst eine
abscedirte Lymphdrüse, welche nach dem Oesophagus durchbrach ; die Abscess-
höhle nahm nun durch Infection von aussen her einen jauchigen Charakter an und
führte dadurch zur Arrosion der Aorta.
Der Vortragende macht besonders darauf aufmerksam, dass wohl nur selten
einfache Eiterung, vielmehr fast immer Verjauchung, jauchiger Zerfall zur Arro-
8ion grosser Arterien führe.
*) Yide Correapondenz-Blatt 1875 p. 614 u. ff.
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- 744
I*rof. Roth spricht ferner über die s. Z. von Dr. Suppiger in Triengen beschrie-
Bcrae, an der Oltener Versammlung 1876 durch Dr. Bachmann in Reiden vorgestellte
X> o ppelbildung, Katharina Kaufmann von Wynikon (Corr.-Bl. 1876 pag. 418
und 716), welche im Febr. d. J., l*/ 4 Jahr alt, einer croupösen Pneumonie erlegen
und durch die genannten Herren dem pathologischen Institut in Basel überschickt
worden ist.
Aeusserlich characterisirt sich die Doppelbildung dadurch, dass an dem brei¬
ten Beckenende zwei parallel neben einander liegende Vulv» sich finden und zwar
mit aller Zubehör: 2 Clitorides, 2 Urethrie und Vaginae, 4 Labia minora und 4
majora, wovon die medialen nur wenig entwickelt sind ; ferner 2 Recta, welche
aber nicht an der gewöhnlichen Stelle, sondern in die rechte Vagina und die linke
Vulva mit enger Oeffnung ausmünden. Von jeder Vulva zieht sich nach hinten
eine Furche, wodurch zwischen den normal gebildeten seitlichen noch eine rudi-
mentare dritte Hinterbacke abgegrenzt wird.
Auch viele innere Organe sind an der Verdoppelung betheiligt. Das kleine
JBeclten, dessen Querdurchmesser 9 cm. beträgt, ist durch eine sagittale Peritoneal¬
talte und darunter verlaufende Muskeln in eine linke und eine rechte Hälfte ge-
ttaeilt, deren jede eine Harnblase, einen Uterus unicornis mit zugehöriger Tube
s axnmt Ovarium, und ein sehr erweitertes Rectum enthält Ueberhaupt ist der
ganze Dickdarm bis zum Coecum hinauf doppelt vorhanden. Nur zwei Nieren.
Die Art. mesenterica inferior spielt gewissermaassen die Rolle einer überzäh¬
ligen Art iliaca communis, in sofern sie Aeste zum mittlern Gesäss (Art. glutsese)
BO -vvie zur medialen Partie der vordem Bauchwand (Epigastr. inf.) abgibt.
Für die Auffassung des Falles entscheidend ist das Verhalten der in der Axe
clea Körpers liegenden Theile, der Wirbelsäule und des Rückenmarkes. Auch hier
^acht sich nach abwärts die Doppelbildung bemerklich, indem vom 3. Lenden-
^irbel ab 2 Wirbelsäulen (allerdings mit mangelhaft entwickelton medialen
genstücken) vorhanden sind, welche unter geringem Winkel divergiren und am
< 3 tc |ssbein nur 3,5 cm. von einander abstehen. Das Rückenmark theilt sich in
2 artes sacrales, wovon jede sich in Bezug auf Zahl der abgehenden Ner-
ven wie ein ganzes Rückenmark verhält, indem sic 5 laterale und ebenso viel me-
Nerven austreten lässt. Bios sind die vom rechten Rückenmark abgehenden
•yV’txx’zßln etwas dislocirt durch ein subarachnoideales, vermittelst eines Stiels mit
clctn Fett des Wirbelcanals zusammenhängendes Lipom. Die accessorischen Ner-
yen verstärken zum Theil die normalen Nervenplexus, zum Theil bilden sie einen
l^gondern überzähligen Plexus pudendalis, welcher die medialen Abschnitte der
j^gckcneingeweide und die entsprechenden Hautpartien versorgt.
In Bezug auf das knöcherne Becken und die Beckenmuskulatur ist noch von In-
t er ©sse die Anwesenheit eines 4,4 cm. langen fibrös-knorpligen Ligamentes an
g te lle der Symphysis ossium pubis, welches den schon erwähnten sagittal verlau-
£ efl den Beckenmuskeln zur Insertion dient. Zwischen den 2 Wirbelsäulen, von
Ä cce 830r ' 8C ^ ei1 Knöchelchen ausgehend, überzählige verticale Muskelbündel (viel—
j e jcbt Analogon des M. ileo psoas). M. levator ani doppelt.
Der ganze Befund lässt sich am einfachsten als niedrigster bisher beobachteter
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Grad der sog. hintern Verdoppelung (Duplicitas posterior) deuten, wobei
in Folge geringer Divergenz der 2 Wirbelsäulen nur die lateralen Hälften der
Becken sich vollständig entwickelt haben, während die medialen nur andeutungs¬
weise vorhanden sind. So kommt ein scheinbar einfaches Becken zu Stande, das
aber in Wirklichkeit als ein zwei Individuen angehöriges, ans der linken Hälfte
des linken und der rechten Hälfte des rechten Beckens sich zusammensetzendes
Doppelbecken aufzufassen ist.
Zur Unterscheidung von verwandten Fällen, wo auch noch ein oder zwei ac-
cessorische Beine vorhanden sind (Dipygus tri-tetrapus) kann dieser Fall als Di-
pygus dipus bezeichnet werden.
Prof. Bischo/f vermuthet, es könnte sich bei der demonstrirten Missgeburt
vielleicht auch um eine ursprünglich einfache Anlage gehandelt haben , die erst
später etwa durch einen Tumor aus einander gedrängt worden sei.
Prof. Roth kann der Bischo/f sehen Ansicht nicht beitreten, es sind eben doch
wirkliche Doppelbildungen da, so der Darmcanal etc.
Referate und Kritiken.
Die Physik in der Medicin.
Versuch einer elementaren Darstellung der organischen Naturlehre, von Theodor Hoh t
Dr. med. und Prof, der Physik. Stuttgart, Enke 1875. 8®. 767 p.
Der Verfasser behandelt im vorliegenden, reichhaltigen Werke die Physik in ihrer
Beziehung zur Medicin. Der in der Physik Üblichen Eintheilung des Stoffes folgend, ent¬
halt der erste Theil des Werkes „Die Constitution der Materie“ (Atomistik , Aggregat¬
zustände, Cohäsion, Elasticität u. s. w., der zweite die Schwere, die Bewegung der Flüs¬
sigkeiten und Gase, die Acustik, die Optik, die Wärme und die Electricität-, Es würde
den Ref. zu weit führen, wollte er dem Leser eine Uebersicht des Inhaltes bieten; aber
an dem Beispiele des Luftdruckes möge derselbe entnehmen, wie der Stoff behandelt
wird.
Der Verf. bespricht zuerst, was der Luftdruck für die Existenz des Körpers über¬
haupt zu bedeuten hat, dann speciell für das Gehörorgan, während er die Gelenke , als
zu t<ef in die Physiologie greifend, bei Beite lässt, dann geht er zur Pneumotherapie
über, zu den Wirkungen, welche verdichtete und verdünnte Luft auf den Körper aus-
Uben.
Abgesehen davon, dass dieser practisch wichtige Abschnitt etwas kurz gehalten ist,
besonders gegenüber solchen , die in der allgemeinen und speciellen Nervenphysiologio
sehr ausführlich pflegen abgehandelt zu werden, wäre es vielleicht vielen Medicinern er¬
wünscht gewesen, in diesen wie in andern Capiteln eine eingehende Besprechung der
Methodik vorzufindep, eine rein auf physicalischem Boden stehende Kritik, in wieweit die
von verschiedenen Forschern eingeschlngenen Proceduren, physicalisch gesprochen, ihrem
Zwecke entsprechen und wie man etwa bei eigenen Versuchen vorzugehen hätte, je nach
Umständen und Absicht
Das Buch ist aber nicht nur für Mediciner geschrieben, und doch bietet es auch
diesen eine Fülle interessanter Einzelnheiten, besonders im allgemeinen Theile; und der
Loser erinnert sich mit Befriedigung, dass Vieles, im Kleinen wie im Grossen, vom Wir¬
ken physicalischer Kräfte herrührt, was er ohne weiteres Nachdenken den vitalen Eigen¬
schaften des Körpers zugeschrieben hätte.
Es ist nur zu begrüssen, dass Verf. in einem dritten Theile seines Werkes „die all¬
gemeinen hygienischen Bedürfnisse“ vom physicalischen Ötandpuncte aus beleuchtet. Zwar
würde auch hier, wie Ref. glaubt, eine mehr kritische und die Methodik berücksichtigende
Bearbeitung des Stoffes der Mehrzahl der mediciuischen Leser erwünschter gewesen sein;
es bleibt aber von Werth, dass die einschlägigen Fragen überhaupt von physicalischer
48
e
746
Seifte behandelt werden, und dass der Leser somit wieder auf einen freien Standpunkt
gelangt, der ihm in der Discussion der Tagesfragen nur zu leicht verloren geht.
In einem Nachtrage erklärt Verf. neben Zusätzen und Erläuterungen zum Vorher¬
gehenden einige raedicinisch-physicalische Instrumente und schliesst mit den psycho-
siechen Gesetzen. Dr. G. Burckhnrdt.
Lehrbuch der Militär-Hygiene.
Von Kirchner , Oberstabsarzt II. gänzlich umgearbeitete Auflage, I. Hälfte. Stuttgart,
bei Ferd. Enke, 1877. 8. Pag. 290.
Den bedeutenden Fortschritten auf diesem Gebiet entsprechend ist die II. Auflage
dieses vor 8 Jahren zuerst erschienenen und günstig aufgenommenen Jahrbuches sehr
■vort^heilhaft umgearbeitet.
Die vorliegende L Hälfte enthält die Abschnitte 1—7, Ernährung, Nahrungsmittel,
Waaser, Luft, Boden, Heizung und Ventilation, Abfälle und Desinfection.
Der Stoff ist erschöpfend und in klarer fasslicher Form behandelt, die neuesten For¬
schungen sind überall berücksichtigt, die zahlreichen Abbildungen sauber und verständ¬
lich. 5 namentlich sind die Nahrungsmittel sowohl in Bezug auf Nährwerth als auf Fäl¬
schungen sehr eingehend besprochen; in den Abschnitten Uber Wasser und Luft sind die
VeruDreinigungen und die Untersuchungsmethoden namentlich gut geschildert; die neue¬
ren Ventilafions- und Heizungsmethoden sind eingehend gewürdigt. Im 7. Abschnitt
hätten bei „Beseitigung der Abfallstoffe“ die verschiedenen Systeme vielleicht genauer
beschrieben und nach ihrem Werth verglichen werden können.
Das Werk darf nicht nur den Militär-Collegen, sondern auch allgemein für Laien,
seiner guten übersichtlichen Behandlung der einschlägigen Fragen wegen empfohlen wer¬
den , namentlich solchen, denen das grosse Werk von Roth und Lex zu voluminös oder
nicht zugänglich ist Z.
Cantonal© Correspondenzeii.
Basel. Internationale Gegenseitigkeit dermedicinischenBe-
f g, h i gungsausweise. Eine Correspondenz in Nr. 28 Ihres geschätzten Bl&ttee aus
pdodea mit der Ueberschrift „Fremdenpraxis und fremde Aerzte“ erheischt in einigen
Uezickungen Berichtigung, so sehr die darin niedergelegten Ansichten im Ganzen Beste-
chendes zu haben scheinen.
Vorerst geht dieselbe von der unrichtigen Ansicht aus, der 1. Ausschuss werde in
Zukunft Uber alle und jede Niederlassung fremder Aerzte in jedem Canton endgültig zu
entscheiden haben. Diese Entscheidung liegt rechtlich nur in soweit im Ermessen des
I Ausschusses, als die etwa in Frage kommenden fremden Aerzte für die ganze Schweiz
die Dicenz zur Praxis verlangen, während jener nicht competent ist, einem Cantone spe-
c j e ll für die Niederlassung und Praxis in dessen Gebiet Vorschriften zu ertheilen. Eia
AU f x xz er ksames Lesen des in derselben Nummer abgedruckten Kreisschreibens des Depar-
te*** eut8 an Cantone wird hierüber klaren Aufschluss geben. Es wird in diesem Cir-
cU |^ r den Cantonen nur angerathen und nicht vorgeschrieben, dass sie sich in
^| e sem Puncte ihrer Souveränetät begeben sollen, weil der 1. Ausschuss jedenfalls besser
- ^ fall ist, die Schriften solcher Aerzte zu prüfen. Es kann daher z. B. dem Canton
£j r ^ubünden nicht verwehrt werden, einem fremden Arzt, der sich für die Saison im En-
cr&.di° ftu fhält, von sich aus die Licenz zu ertheilen, wenn er die Verantwortung überneh-
-will, die „tüchtigen“ fremden Aerzte von den untüchtigen zu unterscheiden. Dem
I ykueschuss sind aber Fälle bekannt, wo solche Ausländer im Besitze von schön aus-
Arten Diplomen sich hiuteuuach als eminent ignorante Leute, ja sogar als eigentliche
j = j c j 1 vvindler bekundet haben.
Immerhin ist auch jetzt bei straffem Zügeln schweizerischereeits noch immer ein
g.Qgses Maass von Liberalität vorhanden, da wir z. B. nicht wie die Deutschen verlan-
dass die raedicinischen Studien im Inland absolvirt werden müssen und noch viel
vvet**ß er V0Q fremden Petenten die Einbürgerung erwarten. Alle auswärtigen S tu dien-
^ eU gniese werden bei uns als vollwerthig angenommen. Was dem Circular tiefer zu
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Gründe liegt, obschon es nicht darin ausgesprochen ist, das ist auch das Bestreben, unser
Land vor dem Zuzug von unlautern fremden Elementen zu bewahren.
Es ist ja eine Thatsache, die gewiss jeder aufmerksame Beobachter wird bestätigen
müssen, dass auf allen Gebieten unseres nationalen Lebens neue Freiheiten jeweilen zu¬
nächst und fast ausschliesslich von dem anrüchigen Theil der Einheimischen und Frem¬
den benützt resp. missbraucht werden.
Es wäre ein Leichtes, an einigen Exempeln zu zeigen, dass auch das Freizügigkeits¬
gesetz dergleichen absichtlichen oder unabsichtlichen Missverständnissen ausgesetzt ge¬
wesen ist.
Was nun die Reoiprocität betrifft, so sind wir der Meinung, dass mit Deutschland
dieselbe noch im weiten Feld liege; wir machen zur Stütze unserer Ansicht auf die neue
deutsche Prüfungsordnung aufmerksam, in welcher das Literargymnasium als für Medici-
ner allein berechtigte Vorbildungsschule wiederum eingesetzt und sogar nur sehr aus¬
ausnahmsweise den im Ausland gemachten 8 tu dien Geltung zuerkannt wird. Was
Frankreich betrifft, so kann dieses Land aus rein finanziellen Gründen nicht darauf ein-
treteu; denn da der französische docteur en mddeoine (= unserem Staatsexamen) tau¬
sende von Franken kostet, so würden wohl viele Franzosen es vorziehen, das hundert-
fränkige Schweizerexamen zu absolviren, um sodann sofort mit den ersparten Gapitalien
plus einem in Frankreich anzuerkennenden Schweizerdiplom in ihre Heimath zurückzu¬
kehren. — Die Strafe der „Verachtung“ aber, welche der Einsender will der deutschen
Engherzigkeit angedeihen lassen, werden unsere Nachbarn um so leichter zu ertragen
wissen, als alle damit verbundenen materiellen Kosten von den Schweizer Aerzten über¬
nommen würden. Schliesslich würde es sich erst noch fragen, ob nicht am Ende die
verdiente Verachtung eher noch diejenigen Behörden zu treffen habe, welchen das zeit¬
liche Interesse ihrer Hötelbesitzer höher stände als die moralische Verantwortung, die sie
ihrem Volke gegenüber zu übernehmen haben.
Die SehutzmaasBregeln endlich, welche der Einsender am Schlüsse seines Artikels
aufstellt, sind gewiss sehr gut gemeint, allein Nr. 2 ist absolut unausführbar und Nr. 3
macht sich ganz gut auf dem Papier, würde aber nach bisheriger Erfahrung theils wegen
mangelnden bürgerlichen Muthes, theils wegen der vielfachen Häkchen in der Mehrzahl
der Cantone kaum je zur Ausführung kommen. F. M.
W oohentoericlit.
Schweiz.
Basel. Liquor ferri dialysati. Apotheker F. Schneider in Basel empfiehlt
folgende zweckmässige Herstellung des jetzt sehr begehrten Liquor ferri dialysati:
800 grmm. des käuflichen krystallirten Eisenchlorids werden in 100,0 destillirten
Wassers aufgelöst und dieser Lösung nach und nach 850,0 officinellen Aetzaramoniaks
zu gefügt. Es muss dies in kleinen Portionen geschehen, die Flüssigkeit dabei gut kühl
gehalten und jeweilen abgewartet werden, bis ausgeschiedenes Eisenoxyd sich wieder
gelöst hat Sollte zuletzt etwas ungelöst bleiben, so hilft man mit ein Paar Tropfen
Liquor ferri sesquichl. nach. Die klare Flüssigkeit kommt nun auf den Dialysator, der in
einer Wanne mit destilL Wasser schwimmt; letzteres wird täglich gewechselt und hier¬
mit so lange fortgefahren, bis Silberlösung in der stark verdünnten Eisenflüssigkeit keine
Reaktion mehr hervorbringt und im destillirten Wasser des Exarysators höchstens eine
ganz geringe Trübung. Man bestimmt alsdann das spec. Gewicht und verdünnt mit
Wasser bis zur vorschriftsmässigen Verdünnung (6°/ 0 ; 1,046 spec. Gevt.). Die Ausbeute
aus 300,0 ferr. sesquichl. cryst. beträgt ungefähr 1900 grmm.; die Zeitdauer bis zur Fer¬
tigstellung 12—14 Tage.
Bern. Inselneubau. In seiner Rectoratsrede, die als Brochure erschienen
ist, bespricht Prof. Dr. Kocher unter dem Titel „Inselspital, Hochschule und Publicum“
in äusserst lehrreicher und anziehender Weise den Neubau eines berner Cantonsspitales
sowie das bisherige und das zu wünschende zukünftige Verhältnise des 8taates zu diesem
Institut und der mediciuischen Facultät überhaupt. Wir kommen darauf zurück und ebenso
auf den excellenten „Jahresbericht über die Verwaltung des 8 an i täte -
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*w e eens und den allgemeinen Gesundheitszustand des Cantons
S Gallen im Jahre 187 7.“ Das treffliche gesammelte Material weist auf eine
-vom langer Hand her vorbereitete und beharrlich eingeschulte Organisation, auf eine sich
Ihrer Ziele klar bewusste und gut geleitete Verwaltung. Wir erkennen da das Product
tlear .Arbeit unseres verehrten Centralpräsideuten.
— Hallerfest Herr Dr. J. R. Schneider legt über das financielle Resultat der
TTestechrift an der Hallerfeier Rechnung ab. Die Auslagen (Druck, Porti) betrugen für
1200 Exemplare 108t> Frkn., die Einnahmen, inclus. 69 noch nicht verkaufte Exemplare,
Fr. 1 128. 30, so dass, wenn der Verkauf noch gelingt, der Rechnungssteller seine auf-
opfernde Mühe nicht auch noch mit einem Cassendeficit krönen muss. 280 Exemplare
wurden verschenkt. Von medicinischen Gesellschaften bezogen Zürich 133, Bern 127,
St. Gallen 100, Luzern 64, Basel 60, Aargau 46, Thurgau 88, Appenzell 26, Freiburg 20,
G rÄViLUndeu 16, Glarus 13, Obwalden 8, Schaffhausen 7, Neuenburg und Nidwalden 6,
Baselland 6.
llrweiteruBg des hygienischen Unterrichts* Die schweizerische
AersÄtecommission und der schweizerische Apothekerverein haben an den b. Bundesrath
und an die Regierungen der vier schweizerischen Universitätscantone eine Collectivein-
gabo gerichtet, deren Vorschläge dahin gehen, dass der academische Unterricht in der
Chemie so urogestultet werden solle, dass er den Forderungen der öffentlichen Gesund¬
heitspflege, insbesondere der Lebcnsmittelcontrole, zu genUgen vermöge. In der nächsten
Nunitner werden wir dieses Schriftstück veröffentlichen.
lutematlouale Freizügigkeit. (Mitgetheilt.) „Als weitern Beleg zu der
Babentfrage kann ich Ihnen wieder einen Fall angeben, wo ein College, der in der
Schweiz sein Staatsexamen (in Chur) rite absolvirt hat, nachdem er vor ca. */» Jahr an
einer deutschen Heil- und Pflegeanstalt eine Assistentenstelle angenommen hat, nun wie¬
der dort Weggehen muss; denn ein abgekürztes Staatsexamen wird ihm nicht gestattet
und ein solches in ganzer Ausdehnung machen mag er nicht — weniger noch wegen
des beträchtlichen Zeitverlustes, sondern vielmehr wegen der sehr bedeutenden Kosten:
600 Mark. Es ist das der College W. aus Ch . ., der an hiesiger Poliklinik und am
iCinderspital als Assistent zu meiner grössten Zufriedenheit fungirt hat.“
Der Vollständigkeit wegen tragen wir nach, dass die Aerztc in Kempten den Process
gegen Collega Dr. E. Haffler in Sulzbrunn rite in Scene setzten. Freund H. wurde jedoch
-vom Gerichte gänzlich freigesprochen, dagegen der Badbesitzer zu einer kleinen Geld-
btx»® e verurtheilt, weil er seiuen „Curgast“, I)r. E. //., unter dem Titel „Badearzt“ öffent¬
lich ausgeschrieben hatte. Wäre er schlauer gewesen und hätte einfach inserirt: „„Deutsch
F p r ecbeuder“ Arzt im Hause“ , so wären die Aerzte Kemptens vor Gericht abgewiesen
worden.
Ein Analogon, aus pharmaceutischen Kreisen, zugleich ein grosses Beispiel
bestehender Unbilligkeit, theilen die „Basl. Nachr.“ mit. Der Fall ist fo ! gender:
„Auf der eben beendeten Pariser Weltausstellung stellte ein Schweizer Apotheker
j^armaceutische und chemische, zum grössten Theile neue, von ihm erfundene Präparate
* n ^ er Absicht, dieselben dadurch nicht allein in der Schweiz, sondern allgemein
jjpjcÄont zu machen und deren Verkauf auf das Ausland, insonderheit Frankreich, aus-
r.od ebnen. Beiläufig bemerkt, handelt es sich nicht etwa um Geheimmittel oder derglei-
c j, e u, sondern um Producte, welche einen technischen Fortschritt aufweisen; der Aus-
ö tell er ^urde prämirt.
Nach Beginn der Ausstellung theilte ihm ein College mit, dass pharmaceutische Pro-
duct°> sowie solche der sogenannten chemischen Kleinindustrie, nicht nach Frankreich
importift werden dürfen. Erkundigungen bei eidg. Zollbeamten, bei Speditoren etc. waren
r o»uHatlos; Niemand konnte Auskunft hierüber ertheilen, und da der Aussteller von vier
p ar iser Comraissiouären und Apothekern und einem Lyoner Offerten für Uebernahme von
j^epöts seiner ausgestellten Artikel erhielt, so begann er an der Existenz einer so rigo-
rO0 eo Maassregel zu zweifeln. Um Gewissheit zu erhalten, begab er sich nach Paris,
»N erer8t auf unsere Gesandtschaft daselbst. Ganz sichere Auskunft konnte ihm auch
hier nicht werden; man wies ihn direct an das französische Finanzministerium (Zollab-
tbeil“ D *)- Hier wurde ihm nun allerdings zuvorkommendst ganz reiner Wein eingeschenkt.
X/entrde en France des produits pharmaceutiques et des prdparations chimiques qui ser-
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vent k 1a mödecine est enttercment prohiböe. (Der Eintritt pharmaceutischer Producte
und chemischer Präparate zu medicinischem Gebrauche ist nach Frankreich gänzlich un¬
tersagt), hiesu es. Die Engländer zwar haben sich in ihrem Handelsvertrag die Einfuhr
einiger solcher Artikel ausdrücklich reservirt, und cs musste ihnen dies gestattet werden,
weil Bie eben — Engländer sind.
Der Aussteller wollte die ausgestellten Präparate den Pariser Spitälern schenken; als
bene wurde ihm bewilligt, dieselben dann in Frankreich belassen zu dürfen, wenn er
dafür einen Zoll von 36°/ 0 vom Verkaufspreis entrichten wolle. Selbstverständlich machte
er von dieser Generosität keinen Gebrauch.
Wir fügen noch bei, dass die französischen Apotheker und Droguisten jährlich für
naheau eino Million Franken Specialitäten und pbarmaceutisch-chemische Präparate nach
der Schweiz importiren; die Schweizer Apotheker dagegen dürfen nicht für einen Cen¬
time nach Fraukreich senden, selbst wenn sie einen Doch so hohen Zoll bezahlen wollten.
Die Folge davon ist, dass leider solche Maassregeln dem Schmuggel Vorschub leisten ;
die Benützung dieses Verkehrsmittels ist aber nicht Jedermann’s Sache.
Bei Anlass von Zolltarif und Handelsvertrag wird hoffentlich solcher internationalen
Gegenseitigkeit Rücksicht getragen werden.“
Schweiz. AIediciualkBlender 1870. Soeben verlässt die Presse und liegt
in freundlichem, solidem Einbande vor uns der „Schweizerische Medicinalkalender für
1879“, der zum ersten Male unter der bewährten Redaction unseres Collegen Dr. Baader
erscheint. Wir sind überzeugt, dass die zahlreichen früheren Abonnenten dieses Kalen¬
ders, der wie bekannt bisher von der Fiala’schen Buchhandlung war herausgegeben wor¬
den , die wesentlichen Verbesserungen und Erweiterungen desselben lebhaft begrüssen
werden und dass derselbe sich nun noch zahlreiche neue Freunde erwerben wird. Die
Schweiz bietet, auch schon aus sprachlichen Gründen, ein kleines Absatzgebiet für einen
Medicinalkalender, und es kann deshalb ein derartiges Unternehmen nur prosperiren,
wenn Jeder das Seiuige dazu beiträgt; wir verstehen darunter nicht nur, dass Jeder sich
den Kalender anschafft, sondern dass Jeder sich Mühe gibt, die etwa in demselben noch
stehen gebliebenen Lücken durch Einsendung directer Berichtigung an den Herausgeber
zu Händen späterer Jahrgänge zu eliminiren. Wir haben uns persönlich davon überzeugt,
dass sowohl Baader als auch der einsichtige Vorleger Schwabe keine Zeit noch Mühe ge¬
scheut haben, das Büchlein zu einem practischen und zuverlässigen Ratbgcber des Arztes
zu vervollkommnen, besonders der Schematismus schweizerischer Aerzte und Sanitäts¬
behörden , der dem Kalender beigegeben wird, ist in der vorliegenden Form von einer
früher nie erreichten Exactheit und sorgfältigen Ausführung. Wir verzichten darauf, die
beiden ausgezeichneten practischen Arbeiten der Herren Prof. Bischo/f und Socin hier
genauer zu analysiren; der Kalender selbst wird in wenigen Tagen in den Händen der
Aerzte sein, die mit Vergnügen diesen alten Freund im neuen Gewand willkommen
heissen werden.
Zürich. Poliklinik. Die durch den Uebertritt von Prof. 0. Wyss zur propä¬
deutischen Klinik erledigte Direction der Poliklinik ist zur Anmeldung ausgeschrieben.
Auch die Assistentenstelle an der Poliklinik wird bis zum Frühling vacant.
Ausland.
Bayern. Impfsyphilis. v. Rinecker (Wttrzburg) hat die von Gamberini ,
Auspitz, Köbner ausgesprochene Vermuthung, dass Uebertragung der Syphilis durch die
Vaccination nur dann möglich sei, wenn am Grunde der Vaccinepustel eines Syphiliti¬
schen ein von Vaccinelymphe bedecktes syphilitisches Geschwür vorhanden sei, beobach¬
ten und klinisch demonstriren können. An dem hereditär syphilitischen Kinde entwickelte
sich nach der rite ausgeführten Vaccination ein richtiges Jenner 'sches Bläschen, dessen
Grund sich aber vom 8. Tage an zu einem typischen Hunter 'sehen Geschwür umbildete.
(Centralz. f. Kinderheilk. 1877, 4.)
Deutschland. Ueber das Karlsbadersalz. Dr. Uloth machte ver¬
gleichende chemische Analysen des Oiiginalsalzes und verschiedener künstlicher Karls¬
badersalze, welche im Handel Vorkommen.
Es ergab sich zunächst, dass in den käuflichen Originalsalzen das im Sprudelwasser
in erheblicher Menge vorhandene schwefelsaure Kalium fehlte, wahrscheinlich in Folge
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■von Zersetzung desselben bei der Bereitung. Auch waren verschiedene Originalsalle
«3 n rchaus nicht gleich zusammengesetzt.
Es besteht aber kein Zweifel darüber, dass man aus einer genauen Mischung und
T_7mkrystallisirung der im Sprudel enthaltenen Salze ein sehr wirksames, dem Original-
salze nicht nachstehendes Präparat bekommen kann. U. empfiehlt folgende Formel:
Natr. sulf. sicc. 45,0
Natr. bicarb. 83,0
Natr. chlorati 20,0
Kali sulf, 2,0
100,0
Diese Mischung schmeckt angenehmer als das natürliche und das im Handel verkom¬
mende künstliche Karlsbadersalz.
4 grmm. dieses 8alzes (gehäufter Theelöffel) in */, Liter warmen Wassers gibt eine
dem Karlsbaderwasser an Concentration gleiche Mischung; heisses Wasser, welches die
Zersetzung der doppelt kohlensauren 8alze in einfach kohlensaure bowirkt und dadurch
die Zusammensetzung und den Geschmack alterirt, soll vermieden werden.
Die im Handel vorkommenden Salze hat auch Ziemssen als durchaus nicht in ihrer
Zusammensetzung mit dem ächten Sprudelsalze übereinstimmend erklärt und auch von
dem letzteren ausgesetzt, dass es keineswegs alle festen Hestaudtheile des Sprudels ent-
halte, das letztere und noch mehr die ersteren bestehen überwiegend aus Glaubersalz.
Das künstliche Salz kostet nur '/, des äohten und kann vom Droguisten noch billi¬
ger beschafft werden. (W. M. W.)
Stand der Iufections-Krankheiten ln Basel. I
Vom 26. November bis 10. December. \
(Oie Zahlen in Klammern geben jeweilen die Anzahl der in früheren halben Monaten •
angemeldeten Fälle an.) t
Die kleine Hausepidemie von Masern in einem Hause des 8üdostplateaus ist ohne
weitere Folge erloschen; dagegen hat der im letzten Berichte gemeldete Fall unbekann-
^ cn Ursprungs auf dem Nordwestplateau Nachfolger erhalten. Das betreffende am 22. No-
vC mber erkrankte Kind besuchte seit 2 Tagen vor seiner Erkrankung die Vereinebaus-
j^leinkinderschule; vom 8. bis 8. December sind nun aus derselben Schulclaese 7 Masern-
erkronkungen gemeldet, noch weitere wahrscheinlich. Die Closse ist am 9. December I
geschlossen worden. Angezeigt sind im Ganzen 10 Masernfalle (4, 4), wovon 6 auf dem
j^ 0 rdwestplateau, 4 im Birsigthale.
Scharlach 4 Fälle (Ö, 2, 8), 8 Nordwestplateau, 1 Kleinbasel.
Typhus fälle sind 10 angemeldet (lö, 11, 9), wovon 3 vom Nordwestplateau, 4
ftU0 Kleinbasel, die übrigen zerstreut.
Hai8- und Rachenbräune 4 zerstreute Fälle (6, 4, 7).
Von Pertussis sind 28 neue Erkrankungen angemeldet (16, 23, 26, 18), die grosse
^j c |irzabl (20) vom Nordwestplateau.
Erysipelas 7 Fälle (2, 0, Ö), wovon 4 auf dem Nordwestplateau. 1
Varicellen zerstreut in der Stadt.
Puerperalfieber 2 Fälle (2, 0, 3), beide auf dem Nordwestplateau, bei ver-
B cbi cdenen Hebammen.
Briefkasten.
Herrn Prof. Dr. Otc. Wyu: Brochnre erhalten und verdankt. — Herrn Dr. C. Walliter~RiUie^
T T iÄ fiJ®nd, Illinois: Schönen Dankl Ihre Mittheilungen sind uns und unsern Lesern immer willkommen,
fj« Holk® uns freuen, wenn das Correap.-Blatt auch den schweizer Collegen Im Ausland ein Binde-
II c d wird, das sie mit den Zielen der Aerzte in der Heimath in Contact hält. Herzlichen Gross über
g D Oce an! — Herrn Dr. Zander , St Urban: Gerne aufgenommen , sehr zeitgemäss — aber etwas
Geduld! — Herrn Dr. Oit, Paris: Mit Dank erhalten. Ob wir die Correctur Ihnen nach England zu- \
Ztstideo können ist zweifelhaft, da wir den interessanten Brief in Nr. t veröffentlichen möchten. —
lj e rro Dr. B —ia, Barcelona: Beaten Dank; erscheint in nächster Nummer.
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Die durch Resignation auf den 1. April 1879 erledigte Stelle eines Sekundararztes
an der Irrenheilanstalt Burghölzü-Zürich wird hicmit zur Wiederbesetzung ausgeschrieben.
Die gesetzliche Besoldung dieser Stelle beträgt 2000—2500 Fr. nebst freier Familien-
wohnung, Beleuchtung nnd Beheizung. Patentirte Aerzte, welche sich um dieselbe zu be¬
werben gedenken, sind eingeladen, innert 14 Tagen de dato beim Direktor des Sanitäts¬
wesens, Hm. Regierungsrath Frick in Zürich, sich anzumelden und dieser Meldung ein
Curriculum vit® nebst den Ausweisen über die wissenschaftliche Befähigung beizulegen.
Dabei hat es die Meinung, dass der Gewählte behufs gründlicher Orientirung schon
auf den 1. Januar 1879 mit den Rechten und Pflichten eines Yolontärarztes bis 31. März
1879 eintreten könnte.
Zürich, den 5. December 1878.
[H-4970-Z)
Im Auftrag der Sanitätsdirektion:
Der Sekretär:
J. TJ. Schwarz.
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Jr>t. Gallen Ende November 1878.
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«Funkcr’sche Chloroformapparate,
Vorzügliche Aetzniittelträger zu gynäkolo¬
gischen und laryngoscopischen Zwecken und diverse
Novitäten werden auf Verlangen zur Einsicht
gesandt. Ferner macht der Unterzeichnete die
Herren Aerzte der Ostschweiz darauf aufmerksam,
dass bei Herrn Hausmann znr Hechtapotheke in
St- Gailen stets eine grössere Anzahl Instrumente
zur gefl. Einsicht deponirt sind. Herr Hausmann
wird ausserdem Bestellungen von orthopädisch-
prothetischen Apparaten und Bandagen in Empfang
nebmen.
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Bad- und Gasthof zur Blume in Baden
(Schweiz),
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e iorichtungen bietet den geehrten Besuchern Ge¬
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selben in direkter Verbindung mit den Corridors,
s0 dass sich die verehrten Badgäste nie dem Luft¬
zug anssetzen müssen. — Preise massig.
Der Besitzer: F. X. Bor sing er. .
AVIS.
Den Herren Abonnenten des Correspondenz-
blattes, welche Festgeschenke zu machen beab¬
sichtigen, zeige ich hiemit an, dass ich (nach dem
Beispiel meiner Pariser Collegen) stets ein grös¬
seres Lager feiner Coutellerie sowohl eigenen als
namentlich englischen Fabrikats führe, und zwar
erlasse ich die bezüglichen Gegenstände meinen
ärztlichen Clienten zu reducirten Preisen.
Als neu, elegant und practisch empfehle ich Tisch¬
bestecke mit rothbraunen Hartgummigriffen (brevete);
Taschenmesser mit Coiluloidgriffen (Celluloid als
Nachahmung seltener Steinsorten); und endlich
von meinem Gainier in Paris gefertigt: Elegante
russisch-lederne Taschenrtuis in Troussenform (ent¬
haltend diverse Instrumente für weibliche Hand¬
arbeiten) etc. etc.
C. Walter- Biondetti, Basel.
Für Aerzte.
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Bern, Mittelpunkt von vier andern grossen Kirch¬
gemeinden, welche ebenfalls ohne Arzt sind, an
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respondenzblattes in Basel. [H-4163-Q]
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Kreisphysikua in Wolatein.
Mit 5 Tafeln.
_öjtfk._
Ein junger Arzt wünscht bei einem älteren
Collegen als Assistent einzutreten. Man ist er¬
sucht, sich an Eduard Meyer poste restante Lau¬
sanne zu wenden. [H-4232-Q,]
Einladung zum Abonnement.
Mit dem 1. Januar 1879 beginnt das
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