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COERESPONDENZ-BLATT
für
Schweizer Aerzte.
Herausgegeben
von
Dr. E. Haffter und Dr. A. Jaqnet
in Fnuenfeld. in Bagel.
J ali 1* g;* a n g- XXI'V.
1894 .
s^ssx..
Benno Schwabe, VerlagHbuchhaudlung.
1894.
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Ocßl i AüN
Register.
I. Sachregister.
(0 = Originalarbeiten.)
A.bscesse, kalte nach Typbns 30.
Aconitin bei Neuralgien 232.
Aerzte-Scbematismns 773.
Aerztl. Stadium, Zulassung der Frauen 424.
Aetherinbalationen, Nachwirkung 663.
Aetherinjectionen, Lähmung nadi 126.
Aethertodesfall 126.
Alkoholiker, Fürsorge für 582.
Alkoholverbände bei phlegmonösen Entzündungen
613.
Altersdisposition und Infectionsgelegenheit 0 713.
Amerika, Medicinisches aus 89, 119.
Aneurysma dissecans Aort^ 769.
Anginadiphtherie, Behandlung 360.
Angstzustände, patholog. 423.
Antipyrin, Loealanästhetic. 358.
Aphorismen, medicin. 616, 664.
Argyrie 148.
Asepsis bei Laparatomie 742.
Aspirationsapparat, improvisirter 359.
Atrcsia auris 449.
Jöacteriolog. Curs. 156, 420, 454.
Bacterium coli, Wundinfect. 796.
Battaglia 452.
Beilagen: Nr. 1. Gebr. Jäcklin, Basel. Nr. 2.
Böhringer u. Söhne, AValdhof. Nr. 3. Karger,
Berlin. Nr. 5. XI. internst, med. Congress.
Nr. 8. Bad Homburg; Ed. Besold, Verlag.
Nr. 9. Kur- u. Wasserheilanstalt „zum Sternen“;
Deutsches Verlagshaus Bongh et Cie. Nr. 10.
Sonnenberg. Nr. 11. Jaquet u. Kündig, Fer-
ratin. Nr. 12. Heyden Nach. Kreosotcarbonat.
Nr. 13. Hötel de TOurs, Baden: Grand Hotel,
Bex. Nr. 14. Fingerhuth, Zürich, Tamarinden-
Essenz Dalimann. Nr. 16. Albisbrunn. Nr. 17
Fingerhuth, Tamarinden. Nr. 19. Rooschüz,
Bern, Klever Hämalbumin; Fingerhuth, Tama¬
rinden. Nr. 20. Heilige, Basel; Zweifel, Lenz¬
burg; Fischer’s medic. Buchhandlung. Nr. 21.
Eulenbnrg’s Realencyclopädie; Zur Chininbe-
handlnng d. Keuchhustens. Nr. 22. Pegli bei
Genua; Pension Reber; Ferdinand Enke. Nr. 23.
Bad Gurnigel; Fingerhuth, Tamarinden-Essenz.
Benzol, Expectorans 64.
Beweg ungsapparat für Fassdeformitäten 471.
Bibliographie f. Schweiz. Landeskunde 27.
Billroth 0 129, 161.
Birmenstorfer Bitterwasser 93.
Blasenstein, Ligaturfaden als Kern 83.
Blattern 581, 657, 729.
Bleivergiftung 775.
Blutegelextract, Wirkung auf Thrombenbildung
548.
Blutungen nach der Geburt 454.
Bromffithyltodesfall 126, 389.
Oannabis indica 774.
Carbolsäure 360.
Carcinom d. äusseren Gehörganges 413.
Caries des Felsenbeines 415.
Casein d. Kuh- u. Frauenmilch 602.
Castration bei Myomen 0 201.
Catheterismus 520.
Centralverein, schw. 293, 325, 389, 470, 501, 662,
i 709.
Centrifugi rapparate 46.
Charcot, J. M. 0 12; Denkmal 128.
Chloralhydrat bei Hämoptoj 519, 774.
Chloralose 390.
Chloroform, Zersetzung 127.
Cholera, Laborat.-Infection 64, 357, 380, 712, 730.
Cholesteatom 413.
C ly Stiertodesfall 552.
Cocainanästhesie 294; Infiltrationsanästhesie 764.
Coffein in d. Kinderpraxis 552.
Coliken der Säuglinge 328.
Congresse: XI. intemat. medic. in Rom 61, 124,
159, 200, 288, 322: deutsche dermatol. Ge-
sellsch. 61; XIII. f. inn. Medic. 94, 125:
deutsch. Ver. f. offentl. Gesundheitspflege 125,
355, 582: Jahrescongr. d. franz. Irren- u.
Nervenärzte 126; deutsch, otol. Gesellsch. 230,
412, 449: 66. Vers, deutscher Natnrf. u. Aerzte
293, 326, 549, 584; Vlll. internat. f. Hygiene
u. Demographie 355; Congr^s de bains ae mer
355; Vers, süddeutscher Laryngologen u. Rhi-
nologen 380: I. franz. f. inn. Medicin 549, 662:
balneol. climat. Congr. 774.
Conservativbehandlung in der Ohrenheilkunde 449.
Contagiositüt d. Variola 763.
Coryza, Behandlung 743.
Coxitis, Ausgänge 390.
Craniectomie 224.
Cremation 662.
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IV
Curarin 358.
Curiosum Chirurg. 536.
Cystenkropf, Erstickungstod durch Blutung 465).
Cystitis tbc. 392.
Darmblutungen bei Diabetes 552.
Datura stramonium, Vergiftung 0 40.
D^canulement bei Diphtherie 44.
Deckgläschen 710.
Demonstrationen, klinische 44, 112, 147, 189, 255,
473, 537, 699.
— pathologisch-anatomische 479.
Diaklysmos 29.
Digitalis, Dauer der Wirkung 519.
Dijodoform 262.
Diphtherie, Bedeutung der Membranen 62.
— Aetiologie u. Prophylaxe 613.
— Diagnose 742, 796.
— Terpentin gegen 96, 4,56.
Diphtherie, Behandlung mit Heilserum 710; in
Bern 793: 804; Nachwirkungen 807; Präven-
tivimpfung 807.
Diphtheritisepidemie 42.
Dulcin 359.
Dysenterie, Aetiologie 295.
Ectasia ve8ic4e urinar. 534.
Eczeme der Säuglinge 263.
Ehe bei Herzkranken 231.
Eireifung und Eibefruchtung 657.
Eisenbier 662.
Eiweissgerinnung durch Erschütterung 470.
Eiwei8SKöi*per des Blutes 602.
Electrotherapie 702.
Empyem, Behandlung 392.
Entartungsreaction 31.
Enuresis 18, 488.
Epilepsia tarda 94.
Epilirung 712.
Ergotin, gallussaures 64; Gangrän 369, 502.
Ernährungstherapie bei Magenkrankheiten O 265.
Erstickungsanfälle bei Kropfkranken 222.
Erythema nodosum 537.
Essig gegen Erbrechen 424.
Essigffither 231.
Fachexamen, medic. 1,56.
Facultäten, medic.. Freauenz 93, 420.
Fadeneiterungen, Ursacne 448.
Fettembolie 0 457, 507.
Fersenlappen zur Bildung eines direct aufstütz¬
baren Stumpfes 0 65.
Fieber bei Lungenphthise, Behandlung 549.
Furunkulose, Behandlung 615.
Oastroplicatio 293.
Gebirgstrage 61.
Geburten u. Sterbefalle. Beil, zu Nr. 2, 3, 4.
Geburtshülfliclie Mittheilungen 0 .531.
Gehörgang, croup. Entzündung nach Kreosotein-
träufelung 347.
— Plastik 415.
— Missbildung 4,50.
Gehörknöchelchen 412.
Geistige Arbeit 3,55.
Gelenkrheumatismus, chron. Behandlung 663.
Gelenktuberculose, Behandlung nach Bier 61.
Geschosswirkung d. schw. Ordonnanzgewehres U
745.
Gesichtstumoren 186.
— Operat. maligner 255.
Geweroeausstellung, Zürich 293.
Gewürze, Wirkung 359.
Gichtanfall, Behandlung 520.
Glasätzflüssigkeit 232.
Glycose, Nachweis im Harn 0 ,38.
Gossypium herbac. 743.
Granuloma mercuriale 313.
Guajacolpinselungen 296.
Gummistrümpfe 94.
Gurgelwässer, Ersatzmittel 486.
Gyps, langsames Abbinden 518.
Gypswatte 0 250.
Hämatocele retrouterina 0 277.
Hämorrhoiden 744.
Hände, Pflege nach Carboigebrauch 423.
Harnbeschauen 0 71.
Harncylinder 0 403.
Harnorgane, Chirurgie der 475.
Harnsäure, Bestimmung 296.
Hautexantheme u. Darmfäulniss 199.
Hautkrankheiten, Bettruhe bei 582.
Heilgymnastik, schwedische 0 4U5.
Helmholtz O 654.
Herzvergrösserung, idiopathische 28.
Hinterscneitelbeinstellung 511.
Hirnchirurgie 450, 476.
Hirn-Rückenmarkssklerose 148.
Hochzeitsreisen 260.
Holzschnitte 68, 69, 94, 237, 238, 278, 535.
Hörvermögen bei Atresie d. Gehörganges 412.
Hölfskasse f. schw. Aerzte. Beil, zu Nr. 3, 4, 6,
8, 10, 12, 14, 16, 18, 20, 22.
Husten bei eingeklemmten Brüchen 232.
Hygienisches Institut in Basel 123.
— aus Basels Vergangenheit 223.
Hygienische Professur am Polytechnikum 199.
Hyperemesis gravidarum 710.
Hyperthermie 389.
Infectionskrankheiten, iu Australien 127.
— mit fieberlosem Verlauf 327.
Influenza, Complicationen 147.
— Epidemie 278.
Inguinalhernien, Operat. 186.
Ischiasbehandlung 62, 262.
Jugend, Erziehung der 727,
Jodismus 4,56.
.Jodoformgaze 32.
Jodpräparate, Intoleranz gegen 218.
Kalksalze bei Rachitis 27.
Keratose nach Arsengebrauch 0 3tJl.
Keuchhusten, Behandlung 456.
KIcinhirnabscess 451.
Knochen, Architektur 314.
Krankenpflege, unentgeltliche 60, 199.
Krankenpflegerinnen, Institut für 446.
Krankenversicherung, Schweiz., Kosten Voranschlag
25, 373.
Kreislaufsstörungen, functionellc 0 233.
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vn
Häusler 726.
Hansmann 452. .
Henne 319, 578.
Heoss 25, 116, 185, 0 301, 387.
Bosch 0 97, 704.
Howald 739.
Huber 53, 382, 0 585.
Hübscher 315, 770.
Hnguenin 0 393, 430.
•Tansen 451.
Jenny 419, 771.
Immermann 115, 0 425.
Joel 450.
Jaquet 50, 123, 0 233, 0 274, 0 Beil. No. 11,
418, 424, 654.
Jonquiere 48, 259.
Kalt 0 242, 0 652.
Kappeier 0 161, 0 489.
Kanfmann 20, 25, 315, 540.
Keller 117, 155, 317, 349.
Kerez 19.
Kessel 450.
Kocher 699, 792.
Köhl 0 33.
Kollmann 260, 286, 773, 800.
Kottmanu 482.
Körner 415, 450.
Krönlein 44, 112, 255, 475, 513.
Kuhn 449.
Kummer 0 65, 154, 320, 512.
Kündig 0 Beil. Nr. 11.
Ladame 22, 416.
Lanz 280, 701.
Lemcke 415.
Besser 81.
Leuch 287.
Lindt 258.
Lötscher 0 265.
Lotz 0 617, 666, 789.
Lüning 471.
Lüscher 83.
V. Mandach 0 784.
Marcus 502.
Massini 0 136, 166.
Mauchle 0 218.
Mellinger 221, 541, 579, 706.
Meyer, H. 802.
Miniat 225.
Müller 764.
Müller, P. 253, 701.
INägeli, H. 279.
Nägeli, 0. 40, 56.
Nager 380, 480.
Naunyn 0 12.
Niehans 603.
Nordmann 0 369.
Ost 729.
JPerregaux 0 331, 659.
Peyer, A. 71.
’ Pfister 24, 149, 229, 256, 350, 515, 543, 574,
705.
Pflüger 219.
Pfy&r 536.
j Regli 42.
Reinhard 413, 451.
I Ribbert 46, 115, 186, 0 4.57, 478. 479.
Kiedtmann 18.
Ringier 113, 383.
Rohrer 287, 347.
Roth, M. 313, 769.
Roth, 0 521.
Rütimeyer 257, 316.
Sahli 700, 793.
Schär 416.
Schenk 727.
Schiatter 0 250.
Schmid 481.
Schnyder 260.
Schönemann 0 569, 707.
Schüler 287.
Schu Ithess, H. 792.
Schul thess 537.
Seitz 150, 151, 383. 384, 388, 539, 660.
Siebenmann 153, .257, 283, 320, 412.
Sigg 228.
Silherschmidt 796.
Socin 0 129, 222.
Sonderegger 57, 373, 704.
V. Speyr 658.
Steinhrügge 450.
Stilling 310.
Stöhr 478.
Strasser 152, 155.
Streit 40.
Tavel 0 106, 385, 541.
Tramör 320.
Trechsel 52, 259, 576.
Ullmann 55, 0 308.
Valentin 223.
Wall 449.
Walthard 0 777.
Weher 277.
V. Werdt 280.
Wieland 446, 0 564, 597. f
Wiesmann 544, 601.
AVille 801.
Wyder 473.
V. Wyss, H. 351.
Wyss, 0. 479, 730, 765.
Zehnder 580.
Ziegler 615, 544.
Zschokke, E. 0 464.
Zurasteg 53.
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VIU
111. Acten der schweizerischen Aerzte-
Commission nnd gesetziiche Eriasse.
Acten der schweizerischeo Aerzte-Commission 419.
Centralisation des schweizerischen Sanitätswesens
57.
Hülfskasse für Schweizer Aerzte, Beil, zu Nr. 3,
4, 6, S, 10, 12, 14, 16, 18, 20, 22.
-Rechnung 194.
IV. Vereinsweseu.
Schweizerische Vereine.
Aerztlicher Centralverein 293, 325, 389, 470, 504,
662, 709.
Schweizerische Natu rforächende Gesellschaft 326.
Soci6t6 mödic. de la Suisse romande 613.
Cantonale Vereine.
Basel. Medicinische Gesellschaft 17, 115, 221,
283, 311, 510, 769.
Bern. Medic.-pharmacent. Bezirksverein 42, 81,
186, 223, 253, 280, 446, 572, 602, 657, 727,
792.
Klinischer Aerztetag in Bern 699, 740.
Zürich. Gesellschaft der Aerzte 19, 44, 46, 112,
147, 185, 255, 314, 479, 537, 796.
-des Cantons 730, 765.
Gesellschaft f. Wissenschaft!. Gesundheitspflege in
Zürich 84, 380.
Verein der Aerzte des Zürcher Oberlandes 56.
V. Correspondenzen.
Schweiz.
Aargan 155, 607.
Appenzell 544.
Basel 260, 707.
Baselland 229.
Bern 292, 352, 481, 515, 544, 739.
St. Gallen 452.
Genf 193.
Zürich 25, 56, 513, 580.
Ausland.
Medicin. ans Amerika 89, 119.
Nauheim 482.
Rückblick auf d. XI. Internat, medic. Gong ress
288, 322. •
Tübingen 55.
VI, Litteratar.
(Referate und Kritiken.)
Aemmer, Schulepidemie v. Tremor hystericus 287.
Aerztliche Kunst u. medic. Wissenschaft 20.
Albrand, Sehproben 541.
Alt,'^Taschenbuch d. Electrodiagnostik 660.
Arbeiten aus dem medicinisch-klinischen Institute
zu München 576.
Archives des Sciences biologiques 385,-541.
Arnd, Durchlässigkeit der Darmwaud 53.
Audeoud, Cr^osote et Tuberculose 50.
Bardeleben n. Hackel, Atlas der topogr. Ana¬
tomie 605.
Bartels, Medicin der Naturvölker 351.
Barth, Cholera 228.
V. Basch, Latente Arteriosclerose 384.
Beerwald u. Brauer, Das Turnen im Hause 316.
Behring, Geschichte der Diphtherie 50.
Bergb, Vorlesungen über die Zelle 773.
Bibliothek d. gesammten medic. Wissenschaften
150, 660.
Biedert, Lehrb. d. Kinderkrankheiten 736.
Blasius u. Schweizer, Electropismus u. verwandte
Erscheinungen 659.
Boas, Specielle Diagnostik der Magenkrankheiten
o3.
Boer, Der Verbrecher 151.
Braatz, Grundlagen der Aseptik 259.
Brandt, Behandig. weibl. Geschlechtskrankheiten
229.
Brandt, Bloc-notes medical 661.
Bum, A. u. Schnirer, Diagnost. Lexicon 52, 577.
Oohu, Cursus der Zahnheilkunde 513.
Dejerine, Anatomie des centres nerveux 799.
Biser, Anatomie des Menschen 260.
Emmerich u. Trillich, Anleitg. zu hygien. Unter¬
suchungen 228.
Esmarch u. Kowalzig, Chirurgische Technik 154,
512.
Feer, Beiträge z. Diphtherie 771.
Fehling, Lehrb. d. Frauenkrankheiten 256.
Fessler, Festigkeit der menscbl. Gelenke 800.
Festschrift d. Schweiz. Apotheker-Vereins 416.
Flatau, Atlas des menscht. Gehirnes 800.
Frank, Radicaloperat. v. Leistenhernien 155.
Freitag, Contagiöse Sexualkrankheiten 387.
Freudenreich, Bacteriologie in d. Milchwirthschaft
542.
Friedländer, Microscop. Technik 320.
Friedrich, Hypnose als Heilmittel 383.
Fritsch, Aus der Breslauer Klinik 606.
— Krankheiten der Frauen 706.
Fukala, Die Lidentzündung 24.
Garre, Aethernarcose 191.
Gehrmann, Körper, Gehirn, Seele, Gott 151.
Gesundheitsbüchlein 704.
Gowers, Syphilis nnd Nervensystem 152.
Gränwald, Atlas d. Krankheiten der Mundhöhle,
des Rachens u. d. Nase 578.
Günther, Einführung iu das Studium der Bac¬
teriologie 579.
Handlexicon der Naturwissenschaft u. Medicin
384.
de la Harpe, Formnlaire des eaux minerales 318.
Hang, Die Krankheiten des Ohres 318.
Hauptmann, Beitr. zu einer dynam. Theorie des
Lebens 539.
V. Herff, Geburtshilfl. Operationslehre 320.
Heryiig, Die Electrolyse, Anwendung bei Nasen-
u. Rachenerkrankungen 49.
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— V
Kreosot bei Keucbhnsten 552.
Krcsolsaponate 0 H.
Kropfbebandlung mit Jodoformeiuspritzangen 0
Kugelsonde, telephon. 190.
X^iactophenin 0 274.
Larynxexstirpation 44.
Larynxstenose, Opinmbehandlung 391.
Larynxtuberculose, Dysphagie bei 45G.
Leberthran 421.
Leysin 352.
Ligamentum annul. stapedis 412.
Littre’sche Hernie 792.
Luftwegen, Fremdkörper in den 283.
Lungenhernie 474.
Lungentoberculose, Behandlung 225.
— Secundär-Infection 0 393, 436.
Lupus 456.
Lymphgefässzerreissung 604.
M agenauswaschungen bei Singultas 128.
Magencarcinom, Behandlung 0 489, 504.
Magenerweiterung, operat. Behandlung 0 553.
MagensaMuss 0 ^5.
Magnete bei Eigensplitter im Auge 0 2.
Malakin 294.
Malariaplasmodien 474.
Masern, Absonderung u. Desinfection 158.
Medicin. Fachexamen 156. a
— Fachpresse, Organisation 486.
— Facnltäten, Frequenz 93, 420.
— Prüfungen, Umgestaltung 456.
— Publicistik: Monatsschr. f. Wasserheilk. 64;
Hansmann’s Catalog 157; Sanitar.-demograpb.
Wochenbulletin 194; Schw. Hebammenzeitung
199; Feuilles d’Hygiene 293; Organisat. d.
med. Presse 487.
Militärsanitätswesen: Typhusepidemie während
d. Corpsmanöver 515, 544.
Mittelohrentzündung bei Säuglingen 449.
— Complicationen 451.
Monbijoufriedhof 281.
Morbus Basedowii 0 330.
— operat. Behandlung 475.
Morphium n. Sulfonal 32.
Muskelrheumatismus 126.
Mutismus hysteric. 113.
Mycosis fungoides 46, 185.
Myopie 219 u. Chamäkonchie 310.
IVachtschweisse der Phthisiker 552.
Narcosen im Basler Kinderspital 564, 596.
Narcotisi rapparat 0 569.
Nauheim 482.
Necrologe: Born 53; August Schnyder 155; Kunz
229; J. E. Bornand 481; H. Steiner 513;
Christeller 739; J. v. Mundy 740.
Nephritis, als Complication der Diphtherie 294.
Nerium Oleander 96.
Neugebornen, Pflege des 792.
Neuralgien, Behandlung mit N®geliVhem Hand-
^ griff 582, 712.
Neurastheniker, Klagen 30.
Neurectomie u. trigemin. 477.
Obstipation bei Kindern 328.
Oesophagusdivertikel, Operation 0 784.
Operationstisch 27.
Opiumgenuss 295.
Ozaena, Behandlung 663.
JParachlorphenol gegen Lupus 551.
Pedometrische Messungen 123.
Pemphigus 0 425.
Pepton im Harn 743.
Peritonitis, Aetiologie 447.
Personalien: Born 53; S. Guttmann 61; Schiff
93; Bumm 122; Billroth 125; Frankenhäuser
125; Hirsch 125; Lücke 157; Brown-Sequard
294: Dubler355; Czerny 355; Madelung 389;
Gossenbauer 421; Garre 486; Hyrtl 486; Mo¬
nakow 581; V. Mundy 581; Helmholtz 581;
Jos. Lister 662; Mauthner 744.
Pestepidemie 487.
Pharmaceut. Ausstellung 93, 192.
Pharmacopoea helvetic., Ed. III. 0 136, 166, 230,
254.
Pharynx-Carcinom 476.
Phlegmone, mechan. Behandlung 327.
Phosphorbehandlung d. Rachitis 518.
Pilocarpin, gegen d. Durst 584.
Placenta, Imourchdringlichkeit f. pathog. Micro-
organismen 551.
Plessimeter, Radiergummi als 456.
Pneumonie 47.
Pocken 581, 657, 729.
Polydactylie 279.
Porro’scbe Operation 531.
Preisausschreibung. Alvarenga-Preisaufgabe 157.
— ünna’s dermatol. Preisaufgabe 158.
Prioritätsreclamation 424.
Protozoen, pathogene Bedeutung 186.
Psoriasisbehandlung 63.
Psychiatrische Gutachten 658.
Psychopathenbehandlung 571.
Pyonepnrose 147.
Redactionsartikel. Prosit 1894 1.
— Z. 47. Vers. d. Central-Vereins 329.
— Z. 48. Vers. d. Central-Vereins 665.
Reden 508.
Redresseur 770.
Saccharin gegen Ozaensi 486.
Sanatorien für Lungenkranke 312, 662, 707.
Sanitätsgesetz für die Stadt London 158.
Sanitätswesen in England 572.
Schädel, Verhältniss d. mütterlichen zum kind¬
lichen 17.
Schär er 607.
Schilddrüsenfütterung 744.
Schlüsselbeinfracturen u. Schwingungen asphyc-
tischer Kinder 0 367.
Schnupfen, Behandlung 230.
Schuhnagel im Larynx 601.
Scbussverletzung durch das neue Ordonnanzge¬
wehr 0 214.
Schutzimpfungen, Pasteur’sche 357.
Schwielen, rheumat. 603.
Sectirer-Fanatismus 486.
Sehnennaht, randstäiidige 518.
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VI
Selmervenkreuisang beim Menschen 0 97.
Serumtherapie des Tetanus 0 106.
Sinusthrombose 451.
Soorbehandlung 159.
Sparteinum sulfuricum 519.
Sphacelotoxin 519.
Spina bifida 474.
Spitalinfection 510.
Sprech- und Schluckhiuderniss, originelles 0 40.
Sprichwort 744.
StaarOperation 0 343.
Steigbügelankylose 412.
— Tenotomie 450.
Sterilisation im gespannten Dampfe 446.
Stomatitis, Behandlung 231.
Strohschein’sche Gläser 314.
Stuhlverstopfung 308, 348.
Sublimatinjectionen bei Leberechinococcus 216.
Suggestion 477.
Sulfanilsäure bei acuten Catarrhen 223.
Syphilis, Abstammung 358.
— Verbreitung 486.
Syphilisbehandlung 81, 423.
Syringomyelie 115.
Tabak, Einfluss auf Tuberkelbacillen 19.
Tachycardie der Phthisiker 231, 0 726.
Tafeln zu Nr. 21—22.
Tannigen 775.
Tetanus traumat. 19.
Thuja occident. 0 242.
Tod, Gefahr eines plötzlichen 487.
Tracheotomie. Retention der Secrete 0 33.
Tubenkrankheiten, Behandlung 414.
Tuberculose, ansteckend, vermeidbar, heilbar 773.
— Viq^uerat’sche Heilmethode 803.
Tnberkmbacillen, Vorkommen in d. Butter 0 522.
— in d. Nasenhöhle gesunder Individuen 551.
Unfallgesetzgebung 293.
Unfallversicherung für Aerzte 327.
Unterlippe, Tumor 47.
Unterschenkelamputation 477.
Urticaria 280.
Uterus, Behandlung des retrovertirten 253, 283.
— gravidus, Semiamputatio 0 777.
— Totalexstirpation 280.
Uterusadnexe, exstirp. 189.
Vaccine 95.
Vaguscompression 224.
— therapeut. Verwerthbarkeit 0 297.
Varicellen 264.
Variola, Erfahrungen über 0 617, 666, 763, 789.
Velosport, Todesfall 776, 808.
Vena cava, Obliteration 115.
"Wialcher’sche Hängelage 0 652.
Wärmekasten, Japaniscne 46.
Waschmethoden, desinfic. Werth 464.
Zeichenapparat 770.
Zinkleim 232.
II. Namenregister.
.Amsler 607.
Arud 0 9.
V. Arx 763.
Bach 284.
Bally 0 405.
Barth 412.
Beck 281, 292.
Bernhard 0 343.
Bertschinger 22.
Beuttner 0 366.
Bezold 412, 511.
Bircher 0 553.
Blumer 0 216.
Brandenberg 230, 662.
Brunner, K. 19, 53, 149, 0 74.5, 796.
Brunner, Fr. 0 214.
Burckhardt, A. E. 223, 228.
Bürkner 414.
Christ 116.
Christen 446.
Comte 193.
Baiber 0 38, 0 403.
Debrunner 256, 0 .531, 606, 661.
Deuker 413.
Dick 189.
Di^chsel 602.
Dubler 23.
Dubois 224, 0 297, 702.
Dumont 25, 63, 118, 225, 227, 389, 446.
Dun 448.
Dupraz 661.
Egger 50.
Eichhorst 46, 147, 474.
Eankhauser 352.
Feer 287, 513, 713.
Fehling 283.
Forel 278, 319, 348, 477, 571, 704, 800.
Frank 0 201.
Garrfe 227, 0 361, 421, 605, 658, 737, 771.
Gaule 470.
Girard 186.
Gönner 17, 229, 511, 706.
Guhl 0 469.
Guillaume 572.
Guye 4.50.
Haab 0 2, 473.
Häberlin 89, 119.
Hägler, A. 312.
Hägler, C. 191, 579.
Halfter 126, 159, 192, 288, 318, 322, 381, 389,
480, 508, 513, 706, 727.
Hagenbach-Burckhardt 35, 510, 736.
Hanau 51, 87, 154, 320, 772.
Hartmann, J. 94.
Hartmann 449.
Hausberg 414, 451.
Hnuselmann 84.
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IX
Herzfelder, Perforat. des Blinddarm-Wurmfort¬
satzes 543.
Hevmann, Galvanocaustik in der Behaudlung der
^Jasen- u. Schlondkrankheiten 253.
Hildebrand, Chirurgisch-topogr. Anatomie 605.
Hildebrandt, Antisepsis bei der Staaroperation
143.
Hildebrandt, H., Compendium der Toxicologie
383.
Hirsch, Suggestion u. Hypnose 383.
Hoffa, Technik der Massage 315.
Hoor, Prophylaxe u. Beseitigung des Trachoms
575.
Hürzeler, Electromagneten bei Eisensplitterver¬
letzungen 574.
Jacobson, Lebrb. d. Ohrenheilkunde 480.
Jahresbericht der Licht- und Wasserwerke Zürich
1892 540.
Jassenski, Action des phenates de bismuth 541.
Jessner, Hautaiiomalien bei inneren Krankheiten
116.
— Compendium der Hautkrankheiten 313.
Joseph, Lehrbuch der Haut- u. Geschlechtskrank¬
heiten 580.
Jaquet, Der Alkohol 388.
Kap osi, Hautkrankheiten 25.
V. Kahldeu, Technik der histolog. Untersuchung
320.
Kar^ u. Schmol l, Atlas der pathol. Gewebelehre
Käst u. Rumpel, Aus den Hamburger Staats¬
krankenhäusern 154.
Keser, Contribut. ä F^tude de Pepitheliome pavi-
raenteux 771.
Kimura, Exstirpation des Thränensackes 543.
Kinderspital in Basel, 480.
KirchenDerger, Aetiolog. der varicösen Venen-
erkrankungen 315.
Kleiber, Bacteriolog. Untersuchung des Zürichsee¬
wassers 578.
Kobert, Arbeiten des pharm. Institutes zu Dorpat
388.
— Compendium der Arznei verordnungslehre 413.
Kocher, Phosphornecrose 84.
König, Lehrb. d. spec. Chirurgie 287.
Körner, Otitische Erkrankungen des Hirns etc.
320.
Kraflft-Ebing, Hypnotische Experimente 416.
Kühner, Die habituelle Obstipation 117.
Küstner, Grundzüge der Gynäkologie 660.
l^ang. Der venerische Catarrh 661.
Langenbuch, Chirurgie der Leber u. Gallenblase
658.
Lang, Erstlinge 661.
Lefert, Pratique gyn^cologique et obstetricale de
Paris 117.
— Pratique des maladies des enfants 419.
— Pratique des maladies du Systeme nerveux
660.
Leloir u. Vidal, Symptomatol. und Histologie der
Hautkrankheiten 384.
Lenhartz, Mfcroscopie u. Chemie am Kranken¬
bette 258.
Lesshaft, Grundlagen d. theoret. Anatomie 152.
Lichtwitz, Empyem des Sinus frontalis 253.
Löbel, Behandlung der Metritis chron. 317.
Löhr, Reform des Irrenwesens 284.
Löwenfeld, Neurasthenie u. Hysterie 416.
Lossen, Resection der Knochen und Gelenke 738.
Lonmeau, Chirurgie des voies urinaires 227.
IMlaguus, Augenärztliclie Unterrichtstafeln 256.
Maier, Casuistik der Kunstfehler 227.
Marthen, Antisepsis bei Augenoperationen 575.
Martig, Chirurgie der Gallenwege 116.
Martin, Pathol. u. Ther. der Frauenkrankheiten
607.
Mendelsohn, Aerztliche Kunst u. medic. AV'^issen-
schaft 152.
Merkel u. Bonuet, Ergebnisse der Anatomie 155.
Michel, Leitfaden der Augenheilkunde 573.
Mirabeau, Drillingsgeburten 802.
Möbius, Lehre von den Nervenkrankheiten 22.
— Neurologische Beiträge 801.
Nager, Gehörprütüngen an den Stadtschulen
Luzerns 257.
Nauwerk, Sectionstechnik 707.
Nieden, Nystagmus der Bergleute 704.
I^arisch, Trugwahrnehmong 705.
Pflüger, Megalocornea u. infantiles Glaucom 576.
Plange, Die Infectionskraokheiten 382.
Po 3 tz, Kolonisirnng der Geisteskranken 802.
Real-Encyclopädie der ges. Heilkunde 192, 288,
513.
Rieder, Miscroscopie de^ Blutes 287.
Rosenbach, Krankneiten des Herzens 384.
Rosenberg, Krankheiten der Mundhöhle 48.
Rosenthal, Erkrankungen des Kehlkopfes 286.
Roth, Klinische Terminologie 418.
Röthlisberger, Ausspülungen d. vorderen Augen¬
kammer 149.
Rotber, Knöchelbrüche 25.
Sahli, Lehrb. d. klin. üntersuchungsmethoden-381.
Schaffer, Geburtshilfl. Taschenatlas 192.
Schenk, Grundriss d. Bacteriologie 580.
Schlichter, Untersuchung und AVahl der Amme
803.
Schmaus, Grundriss der pathol. Anatomie 51.
— u. Horn, Ausgang der cyanotischen Induration
der Niere 87.
Schmidt-Rimpler, Augenheilkunde und Ophthal-
moscopie 706.
Schrenk-Notzing, Hypnotismus im Münchner
Krankenbause 383.
Schröder, Krankheiten d. weibl. Geschlechtsorgane
607.
Schwalbe, Spec. Pathol. u. Therapie 316.
Schwartz, La pratique de Pasepsie et de l’anti-
sepsie 320.
Schwartze, Handb. d. Ohrenheilkunde 88.
Seitz, Kinderheilkunde 512.
Siebenmann, Die Blutgefässe des menschl. Laby¬
rinthes 511.
Siegrist, Wesen und Sitz der Hemicrania ophthal-
mica 351.
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X
Socin, Jahresbcr. der chirurg. Abtheilung zu Basel
318.
Sommer, Diagnostik der (leisteskrankheiten 801.
Steiner, Tracnombehandlung 705.
Strümpell, Entstehung und Heilung von Krank¬
heiten 152.
— Lehrb. d. spec. Pathol. u. Therapie 7. Aufl.
258.
Therapeutisches Handlexicon 228.
Thoma, Lehrh. d. pathol. Anät. 771.
Tschirch, Das Kupier, Chemie, Toxicologie, Hy¬
giene 22.
Unger, Kinderernährung u. Diätetik 419.
Verhandlungen des Vereins der deutschen Irren¬
ärzte 285.
Wegele, Diätetische Behandlung der Magen- u.
Darmerkrankungen <182.
AVeitemeyer, Münchens Tuberculosemortalität <50.
Wenzel, Erfahrungen über die Entstehung von
Krankheiten 152.
Wesener, Medicin. klinische Diagnostik 257.
Wiedersheim, Der Bau des Menschen 286.
Winiwarter, Die chirurg. Krankheiten der Haut.
118.
Winternitz, Die chron. Oophoritis 349.
AVolff, Lehrb. d. Haut- u. Geschlechtskrankheiten
387.
Wolkomitsch, Exenteratio bulbi 350.
Ziegler, Ueber die intestinale Form der Peri¬
tonitis 542.
Ziehen, Physiologische Psychologie 801.
Zimmer, Sünde oder Krankheit 319.
Zuckerkandl, Norm. u. pathol. Anatomie d. Nasen¬
höhle 321.
Zuelzer, Handb. d. Harn- u. Sexualorgane 737.
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Erscheint am 1. und 15.
jedes Monats.
Inserate
35 Cts. die gesp. Petitzeile.
für
Schweizer Aerzte
Herausgegeben von
Preis des Jahrgangs
Fr. 12. — für die Schweiz,
Fr. 14.50 für das Ausland.
* Alle Posthureaux nehmen
Bestellungen entgegen.
Or*. E. Hafftei* und l>r. A.« JAquet
in Frauenfeld. in Basel.
N! 1. XXIV. Jahrg. 1894. 1. Januar.
Inhalts Prosit 1894! — I) Originalarbeiten! Prof. 0. Saab: Ueber die Anwendnng sehr grosser Magnete bei den
Eisensplitterrerletsnngen des Anges. — Dr. Amd: Ueber Kresolssponate. — Prof. Naunpn: Jtan Mmriin Chareot. — 2) Vsr*
einsberichte: Medicinlsohe Oeseilschaft der Btadt Basel. — Oesellscbaft der Aerste in Zflrieb. — 3) Referate und
Kritiken: MDS.: Aerstlidie Knnst nnd medieinisobe Wissensebaft. — P. J, Möbius: Abriss der Lehre Yon den Merrenkrank*
beiten. — Prof. Dr. A. Tsekirch: Das Kupfer vom Standpunkte der gerichtlieben Chemie etc. — C, Karg nnd 0. Sehmarl: Atlas
der pathologischen Gewebelehre. — Dr. f. Fukuia: Die Lidentt&ndnng nnd ihre Folgekrankheiten. — Dr. SmÜRaUir: Die
Kndchelbrflcbe. — Moris Kaposi: Pathologie nnd Therapie der Hantkrankheiten. — 4) Can tonale Correspond en ten: Kosten-
Voranschlag der schweis. Kranken versichernng. — 5) Wochenbericht: Basel: Operationstisch von Dr. Hübseksr. — Biblio*
O bie für Schweiz. Landeskunde. — Resorption nnd Ansscheidnng von Kalksalzen, — Idiopathische Herzvergrössernng. —
archg&ogigkeit der BowAtVschen Klappe. — Die Klagen eines Neurasthenikers. — Kalte Ahseeese in Folge von Tjphns
abdominalis. — Entartnngsreaetion. — Combinirte Morpbinm- nnd Snlfonalwirknng. ~ Zur Herstellung von Jodofbrmgaze. —
6) Briefkasten. — 7) B ib lio g raphisohes.
Prosit 1894!
Friede auf Erden! tSnts von Weihnachten ins neue Jahr hinüber.
Si vis pacem para bellum refiectirt unser geharnischtes Zeitalter.
Der Friede, der äussere wie der innere, darf nicht mit gefalteten Händen oder
verschränkten Armen erwartet werden — er ist der Lohn heisser Arbeit und muss er¬
kämpft sein. Dies gilt, wie für alle Menschen, auch ffir uns Aerzte; für den Ein¬
zelnen wie für den ganzen Stand!
Unsere sociale Stellung schaffen wir uns selber und das Niveau derselben hängt
von unserm Eigen werthe ab. So lange wir unsere Pflichten erffillen, speciell auch auf
dem Gebiete, das — wir dürfen es mit Stolz sagen — zuerst von den Aerzten bebaut
und ausgebildet wurde, der Volksgesundheitspflege, so lange wird auch unser Volk keine
Lust verspüren, seinen Vertrauensarzt nach freier Wahl gegen den am Bureautisch
ausgedachten Staatsarzt, den ärztlichen Dienstmann, und die Volksbygieine gegen eine
Apotheke einzutauschen und einen so wesentlichen Theil seines Bestimmungsrechtes
einzubüssen.
Wohl aber hat der von Herrn Nationalratb Forrer geschaffene, durch die eidg.
Commission berathene Entwurf des Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes Aussicht
auf Verwirklichung und bedeutet einen gewaltigen socialen Fortschritt, dem namentlich
auch wir Aerzte nicht gleichgültig gegenüber stehen dürfen. Es ist Pflicht eines jeden
Schweiz. Arztes, sich durch gründliches Studium des Projectes ein selbstständi¬
ges Urtheil darüber zu bilden und, wo und so viel er nach seiner Ueberzeugung es
kann, dafür einzustehen.
Und auch diese Arbeit wird ihm und dem Stande Frieden bringen!
Die Redaction des Corr.-Blattes benützt die Nenjahrsnummer in altgewohnter
Weise, um ihre Gönner und Leser zu grüssen, ihren verehrten Mitarbeitern aufs Beste
1
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2
zu danken nnd alle um ihre fortdauernde active Theilnahroe und ihr ferneres Wohl¬
wollen zu bitten.
Allen Collegen und ihren lieben FamilienangehSrigen ein herzliches
Prosit Neujahr!
Oi*isfina>l ten.
lieber die Anwendung sehr grosser Magnete bei den Eisensplitter-
Verleizungen des Auges.
Vortrag, gehalten in der Versammlung der kantonalen ärztlichen Gesellschaft in Zäricb
den 17. October 1893.*)
Von Prof. 0. Haab.
Geehrte Herren Collegen!
Je länger ich Augenheilkunde treibe, um so mehr gelange ich zu der Ueberzeugung,
dass man sich bei jeder Operation am Auge auf das sorgfältigste davor buten muss,
den Glaskörper zu verletzen.
Ich habe in dieser Hinsicht meine frühere Ansicht gänzlich geändert. Denn vor
10 und 15 Jahren gehörte ich auch zu jenen Augenärzten, welche im Vertrauen auf
die Errungenschaften der Antiseptik der Ansicht waren, man habe bei Verletzungen
des Glaskörpers bloss sorgsamst eine Infection desselben zu vermeiden und Alles werde
dann gut gehen, auch wenn man dieses wässrige Gewebe ungescheut zersteche, zer¬
schneide oder sogar zum Theil aus dem Auge heraus lasse. Wäre der Glaskörper
eine Flüssigkeit, so würde diese Ansicht vielleicht zutreffend sein. Er ist aber ein Ge¬
webe und zwar eines der schlechtesten des ganzen menschlichen Körpers, das nament¬
lich bezüglich des Wiederersatzes von verlorenen Tbeilen und bezüglich der Heilung
von Wanden, welche den fächerigen Bau desselben in stärkerem Grade zerstörten, auf
einer sehr tiefen Stufe steht. Jede stärkere Zertrümmerung des Glaskörpers, auch
wenn nichts davon verloren geht, vollends aber jeder stärkere Verlust desselben durch
Austritt aus dem Auge, pflegt nach kürzerer oder längerer Zeit Netzbautablösung und
damit Erblindung herbeizuführen, manchmal allerdings erst nach mehreren Jahren. Und
das pflegt der Fall zu sein auch wenn man denselben bei der Operation nicht inficirt.
Auch Fremdkörpern gegenüber verhält sich dieser schlimme Bestandtheil des
Sehorganes ganz anders, als die meisten übrigen Gewebe und Organe des Körpers.
Während diese gegenüber aseptisch eingedrungenen Fremdkörpern meist eine merkwür¬
dige Duldung entfalten, ist dies beim Glaskörper nur ganz selten der Fall. Auch
wenn ein Fremdkörper in der Netzhaut einheilt und man sich der Hoffnung hingibt,
es werde nun der Eindringling wohl auch vom Glaskörper nicht weiter beanstandet
werden, so täuscht man sich in den meisten Fällen gründlich nnd wird in der Regel
früher oder später von einer Netzbautablösung überrascht. Nur in ganz seltenen
Fällen beobachtet man ungestörte Einbeilung von Eisen- oder Kupfersplittern in den
Kandpartieen des Glaskörpers nnd in der Retina. Man darf daher mit dieser Mög-
Wegen der stark vorgerückten Zeit musste der Vortrag, der hierin extenso erscheint,etwas
gekürzt werden.
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3
licbkeit im Allgemeinen nicht rechnen, sondern hat wenigstens hei Eisensplittern in
erster Linie der Aufgabe gerecht zu werden, den Splitter wenn immer mSglich aus
dem Auge zu entfernen.
Wenn wir nun hiehei die Gefährdung des Auges durch Glaskärperverletzung, wie
ich sie eben kurz angedeutet habe, gebührend berücksichtigen, so kommen wir be¬
züglich der seit 15 Jahren gebräuchlichen Methode, die in den Glaskörperraum und
in die Netzhaut eingedrungenen Eisensplitter vermittelst einer magnetischen Sonde anf-
zusucben und herausznziehen, zu ganz anderen Ansichten und zu einer ganz anderen
Werthschätzung dieser Operationsmethode.
Fremdkörper, die in den Glaskörperraum durchgeschlagen haben, kann man mit
der Pincette in der Kegel nicht fassen, auch wenn man den Sitz derselben mit dem
Augenspiegel festgestellt hat und noch weniger, wenn man den Sitz nur ungeßihr an¬
geben oder errathen kann. Erstens verhindert der schlüpfrige Glaskörper ein sicheres
Fassen, zweitens sucht man bei möglichst klein angelegter Eröffnung des Glaskörper¬
raumes so zu sagen im Dunkeln, also unter sehr ungünstigen Bedingungen und verliert
trotz kleiner Wunde dabei allzuviel Glaskörper. Deshalb wird seit etwa 15 Jahren ziemlich
allgemein ein kleiner Electromagnet zum Aufsuchen und Entfernen solcher Eisensplitter
benützt. Der Strom eines einfachen galvanischen Elementes genügt, um eine 3—5 cm.
lange und einige Millimeter dicke Sonde aus weichem Eisen, die einem grösseren Ei¬
senstab angescbranbt ist, stark magnetisch zu machen, sobald der Strom um diesen
Eisenkern circulirt. Mit dieser magnetischen Sonde geht man vermittelst eines
Scleralschnittes, unter Umständen auch durch die Wunde, welche der Fremdkörper
geschlagen, in den Glaskörper ein und sucht den Eisensplitter zu fassen. Sitzt er
einmal an der Sonde, so folgt er in der Regel ohne abgestreift zu werden und kann
so mit leichter Mühe herausgezogen werden. Oft muss man aber mit der Sonde mehr¬
mals in verschiedenen Richtungen eingehen bis man den Splitter findet. Dadurch und
durch den dabei auch bei Chloroformnarkose nicht immer gänzlich zu vermeidenden
Austritt von Glaskörper wird nun aber die erwähnte verhängnissvolle Verletzung des
Glaskörpers verursacht. Immerhin heilt in den meisten Fällen diese tiefgehende Opera¬
tionswunde recht gut, wenn man unter antiseptischen Vorsichtsmassregeln operirt und
wenn durch den Splitter oder durch dessen Wundcanal nicht schon eine Infection in
den Glaskörperraum gelangte, was leider oft der Fall. Recht oft ist der Effect
der Operation für einige Zeit wenigstens ein guter, ja brillanter und es ist keine
Frage, d^s diese Methode einen bedeutenden Fortschritt in der Behandlung der so
häufigen Eisensplitterverletzungen des Auges darstellt. Manche der so Verletzten sind
ja schon zufrieden, wenn nur wenigstens das Auge erhalten werden kann, auch wenn
es wenig oder nichts mehr sieht. Das Tragen eines künstlichen Auges ist für die
Meisten, insbesondere aber für Arbeiter, eine sehr lästige Sache. Einige Zahlen, die
ich der Arbeit von Weidmann *) entnehme, zeigen den Werth der Methode am
besten. Nehmen wir ans dem Material der damals noch unter der Leitung von Homer
befindlichen Züricher-Klinik ans der Zeit vor der Magnetoperation die 4 Jahre 1877
bis und mit 1880, so weisen diese mit 24 Fällen anch 24 Verluste des Augapfels auf.
*) Weidmann, H. üeber die Verletzungen de» Anges durch Fremdkörper. Inang.-Dissertation
Zürich 1888.
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Denn Bomer eoucleirte meist, wenn die Diagnose Fremdkörper in der Tiefe des Auges
gestellt war und das mit Recht. Also haben wir in dieser Zeit lOOV« Totalverlnst.
Vier Jahre mit Magnetoperation und Antisepsis, 1883 bis und mit 1886, mit 35 Fällen
weisen nur noch 24 Verluste, d. b. bloss 68Vo auf.
Und doch haben sich die grossen Hoffnungen, welche man auf die Magnetoperation
setzte, trotz aller Verbesserungen der Technik und trotz Verschärfung der antisep¬
tischen Massnahmen nur in ganz bescheidenem Masse erfüllt. Dies ergibt sich klar und
bündig aus der Statistik dieser Operation. Nehmen wir die von Bildebrand ') beschrie¬
benen und gesammelten und die von Birschberg*) operirten 65 Fälle von Glaskürper¬
splittern zusammen, so erhalten wir die Zahl von 313 solcher Operationen. Nun miss¬
lang in 110 Fällen dieser grossen Reihe die Operation überhaupt, indem kein Splitter
zu Tage gefördert wurde. Viele derselben hätten wohl überhaupt nicht operirt werden
sollen, weil die Diagnose nicht ganz sicher war oder der Splitter nicht aus Eisen be¬
stand. Man hatte unnütz eine eingreifende Operation vorgenommen, die vielleicht das
Auge noch mehr gefährdete, als die vermeinte oder wirkliche Verletzung. Die 203
Fälle, bei denen die Operation den Splitter aus dem Auge brachte, ergaben folgende
Resultate: nur in 69 Fällen, d. h. in 34V» derselben blieb Sehschärfe in mehr oder
weniger hohem Grade erhalten und wenn man, wie Birschberg es that, erst nach län¬
gerer Zeit das functionelle Resultat prüft, resp. in Rechnung bringt, so schrumpft die
Zahl der wirklich sehenden Augen sehr zusammen. Birschberg hatte nach ein- und
mehrjähriger Beobachtung bloss noch 67« mit guter Funktion des Auges. Von den
besagten 203 gelungenen Operationen hatten ferner 177o den Effect, dass der Aug¬
apfel ohne jegliche Function erhalten werden konnte und in 487o dieser Zahl 203 ging
das Auge trotz der Operation vollständig verloren! Die Hälfte also der Augen ging
doch zu Grunde. Ein Blick auf die Magnetoperationeu der Züricher-Klinik ergibt nach
der Zusammenstellung, die vor kurzem Herr Biireeler*) vornahm, zunächst, dass die
Zahl dieser Operationen verhältnissmässig zu der grossen Zahl solcher Verletzungen,
die wir hier in Zürich zur Behandlung bekommen, klein ist. Es rührt dies davon
her, dass sowohl Bomer wie ich nur dann die Magnetoperation ausführten, wenn die¬
selbe mit einiger Sicherheit Erfolg versprach. Gleichwohl sind bei diesen 18 Fällen,
die Büreeier sammelte, nur um weniges bessere Zahlen zum Vorschein gekommen.
Auch bezüglich des Werthes dieser Operation habe ich meine anfänglich zu
günstige Meinung ändern müssen. Als ich im Frühjahr 1881 meine erste Magnet¬
operation mit Enthusiasmus ausführte, — es war die erste in Zürich und wohl eine
der ersten in der Schweiz, — da kränkte mich bloss der Umstand, dass Andere mir
mit der Construction eines handlichen Electromagnets znvorgekommen waren, denn ich
hatte schon mehrere Jahre zuvor mich mit der Herstellung eines solchen wenigstens
theoretisch beschäftigt.
Es gereicht mir nun zur Freude, Ihnen hier ein Instrument vorweisen zu können,
das nach den Erfahrungen, die ich bereits damit und mit ähnlichen Instrumenten im
') Hildebrand, 65 Fälle von ^litterverletznngen. Arch. f. Angenbeilk. Bd. 23, S. 278.
•) Hirschberg, lüO Fälle von Splitterextractionen, v. Gräfes Arch. Bd. 36. H. 3.
*) Hürzeler, A.‘ lieber die Anwendung von Electromagneten bei den Eisensplitterverletznngeii
des Auges. Beiträge zur Augenheilkunde, berausg. v. Deutschmann. 13. Heft.
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Verlauf des verflossenen Jahres gesammelt habe, wohl die Maguetoperation wesentlich
verbessert, namentlich zu einer viel schonenderen gestaltet. Es ist dies ein Electro-
magnet von ganz besonders grossen Dimensionen und von eigenartiger Construction.
Das Wesen der Verbesserung, die ich damit anstrebte, liegt in Folgendem. Bei
der bisherigen Magnetoperation wurde hauptsächlich bloss die Contactwirkung des
Magnets benützt, die anziehende Fernwirkung desselben kam gar nicht oder nur in
ganz untergeordnetem Masse in Betracht. Denn die verhältnissmässig kleine magne¬
tische Sonde besitzt entsprechend ihrer geringen Masse Eisen eine nur unbedeutende
anziehende Wirkung auf einige Distanz. Man fasste mit derselben demnach einen
Splitter nur, wenn man ihn beinahe oder ganz berührte. Es war also dieses Instrument
bloss eine Art verbesserte Pincette.
Oanz anders packt dagegen dieser mächtige Magnet hier die Sache an. Er reisst
auf grössere Distanz schon die in Frage kommenden Splitter an sich herad, bat also
eine starke Fernwirkung. Man braucht demnach nur das verletzte Auge dem Magnet
dicht anzunähern, um einen in der Tiefe des Organes befindlichen Splitter ohne weiteres
anzuziehen. Ich bin gemäss den Erfahrungen, die ich mit dieser Methode bei 10 Fällen
gesammelt habe, zu der Annahme berechtigt, 'dass dieses Instrument die meisten Eisen¬
splitter, die in den Qlaskörperranm vorgedrungen sind, auch diejenigen, welche in
der Netzhaut und Aderhaut stecken, wieder nach vorn zieht und zwar entweder 1)
durch den Einfiugcanal und die Einflugöffnung in der Bulbuscapsel gleich ganz aus
dem Auge heraus, der denkbar günstigste Fall, oder 2) doch in die vordere Kammer,
von wo der Splitter mit kleinem unschuldigem Einschnitt leicht entfernt werden
kann, oder er bringt 3) den Fremdkörper wenigstens bis dicht hinter die Iris, von wo
die gänzliche Entfernung, wie ich dies in mehreren Fällen erfuhr, auch nicht mehr
schwierig zu sein pflegt, weil der Splitter in der Regel die Iris zum Theil von rück¬
wärts her durchdringt, also in der Iris stecken bleibt und dann vermittelst eines
kleinen Einschnittes am Hornbautrand mit einer kleinen magnetischen Sonde gefasst
und gänzlich herausgezogen werden kann. Eine vierte Eventualität liegt dann vor,
wenn der Splitter aus der Tiefe des Glaskörpers zwar nach vorn gezogen wird, aber
nur bis in den vorderen Theil desselben. Dies erlebt man z. B. dann, wenn der
Splitter nicht durch die Vorderkammer, sondern seitlich von der Hornhaut durch die
Sklera durchgeschlagen bat. Will man ihn dann auf dem Eiuschlagkanal wieder in
die Skleralwunde hervorziehen, so kann es, wie ich in zwei Fällen beobachtete, ver¬
kommen, dass der Fremdkörper zwar bis hart an die Skleralwunde herangezogen wird,
aber nicht durch dieselbe heranskommt, sondern seitlich neben derselben liegen bleibt,
was sich in meinen beiden Fällen leicht vermittelst des Augenspiegels feststellcn liess.
Da muss dann freilich noch die bisherige Magnetoperation zu Hülfe genommen werden.
Aber da der Splitter nahe der Bulbuswand an bekannter Stelle liegt, ist es nicht
nöthig, mit der magnetischen Sonde tief in den Glaskörper einzudringen und diesen
stark zu verletzen. Vielleicht werden die weiteren Erfahrungen zeigen, dass es bei
richtigem Manipuliren in diesen Fällen meist gelingt, den Splitter gleich
auch noch mit dem grossen Magnet durch die Scleralwunde herauszuziehen. In allen
anderen Eventualitäten, ausgenommen die letzte, kann man aber des Fremdkörpers
habhaft werden, ohne den Glaskörper weiter durch Eingehen mit einem Instrument
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verletzen zn mässen und das ist nach dem früher Gesagten ein enormer Gewinn. Ich
glaube deshalb annehmen zu dürfen, dass die Statistik der Eisensplitterverletzung des
Auges durch meine Methode eine bessere werden wird, ohne dass ich allerdings jetzt
schon voreilig derselben ein allzu lautes Loblied singen möchte. Auch hier muss
weiter geprüft und der Erfolg erst nach Jahren geschätzt werden. So viel aber darf
ich jetzt schon sagen, dass in meinen bis jetzt so behandelten 10 Fällen die Resultate
relativ ausgezeichnete waren und ich von diesen Augen eine güte Zahl erhalten konnte,
die sonst hätten enucleirt werden müssen. Bei einem anderen Theil derselben wurde
die Gebrauchsfähigkeit eine bessere, als sie es mit der älteren Magnetoperation ge¬
worden wäre.
Ganz besonders vortbeilhaft gestaltet sich die Operation mit dem grossen Magnet
bei den so gefährlichen Splittern, die in der Linse stecken bleiben. Diesen konnte
man mit dem kleinen Magnet fast gar nicht beikommen und auch mit anderen Me¬
thoden war die Behandlung gewöhnlich eine sehr dubiöse. Wendet man den grossen
Magneten an, so fliegt der Splitter im Nu io die Vorderkammer. In einem Fall, den
ich so behandelte, und der mir auch den Weg wies, die tiefer sitzenden Splitter so
zu behandeln, hatte der 3 mm. lange Fremdkörper schon 3 Wochen im hintersten
Theil der Linse gesessen. Er war um so gefährlicher, als er sein hinteres Ende in
den Glaskörper hineinstreckte. Bei der Annäherung des Auges an den Magnet flog er
sofort auf dem Einflugweg wieder in die Vorderkammer.
Wenn ich vorhin von richtiger Manipulation des Magnets bei be¬
sagter Operation sprach, so ist dies allerdings eine Sache, die ich noch näher erörtern
muss. Denn wie Sie sich leicht vorstellen können, ist es ganz gut möglich, vermittelst
der gewaltigen Wirkung grosser Magnete den Splitter nach vorn an einen Punct zu
ziehen, der für die gänzliche Entfernung sehr ungünstig liegt. Er kann sich z. B. ins
Corpus ciliare einbohren und zwar an einer schwer zugänglichen Stelle, wodurch die
Sachlage eine sehr bedenkliche wird. Denn auch für eine allfällige Eioheilung ist das
Corpus ciliare der allerungünstigste Platz.
Also müssen wir mit dem Magnet so zu hantiren im Stande sein, dass wir den
Splitter bei seinem Znrückziehen nach vorn in eine gewisse Bahn zwingen können, die
er nicht verlassen darf. Wenn wir nun dem walzenförmigen Eisenkern des Magnets
eine kegelförmige Spitze geben, so wird die stärkste magnetische Kraft in der Ver¬
längerung der Spitze, genauer in und längs der Linie liegen, welche die Längsaxe des
Eisenkernes über die Spitze hinaus verlängern würde. Dieser Eraftbahn, in welcher
die von der Spitze ausgehenden Linien der magnetischen Kraft am dichtesten beisammen
liegen, wird der Splitter in erster Linie folgen, wenn er kann. Er wird dies am ehesten
können, wenn die Kraftbahn mit seiner Einflugbahn zusammenföllt, denn er wird in
diesem Wnndkanal den geringsten Widerstand für seine Rückreise Anden. Er wird
diesem Canal folgend dann mit Leichtigkeit auch die Linse und die Iris, ja sogar die
Hornhaut passiren und an der Spitze des Magnets hängen bleiben, wenn diese der noch
frischen Hornhautwunde anliegt. Folgt der Splitter so seinem Einflugweg, so wird d.ie
Verletzung des Glaskörpers zudem geringer, als wenn er für seinen Rückweg einen
zweiten Wundcanal im Glaskörper anlegt. Auch wenn man Splitter in Angriff nimmt,
die, was nicht selten vorkommt, nach Durchfliegen des Glaskörpers von der Rückwand
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des Bulbus zurückprallen und irgendwo, gewöhnlich unten im Glaskörper liegen bleiben,
so wird die Operation leichter, wenn wir im Stande sind, dem Splitter einigermassen
seinen Weg, auf dem wir ihn anziehen, vorzuschreiben. Wir können ihn dann auf
kürzestem Weg an eine Stelle bringen, von der aus wir ihn durch operativen Eingriff
am schonendsten völlig aus dem Auge entfernen können.
Damit wir nun die besagten Kraftlinien richtig zu dirigiren im Stande sind,
muss der Magnet, wenn er auch gross und schwer ist, erstens eine gewisse Beweg¬
lichkeit besitzen und zweitens muss vom Operirenden die Spitze genau gesehen werden
können, damit sie an die richtige Stelle an der Oberfläche des Auges, z. B. genau an
die kleine Einschlagwunde gebracht werden kann. Denn darauf, dass der Patient dem
Auge die richtige anbefohlene Stellung jeweilen geben werde, ist nur in geringem
Masse zu rechnen. Immerhin ist im Fernern es nothwendig, dass der Patient in einer
bequemen Stellung und in richtiger Haltung des Kopfes sich dem Instrument gegen¬
über befindet, so dass sein Auge leicht der Spitze des Magnets möglichst angenähert
werden kann.
Um all diesen Anforderungen gerecht zu werden, constrnirte ich daher mit freund¬
licher Beihülfe meines Freundes, Prof. Kleiner^ der namentlich auch die nothwendigen
Berechnungen für die Dimensionen des Instrumentes und die zugehörige Stromstärke
gütigst ausführte, ein besonderes, unserem Zwecke möglichst angepasstes Instrument,
das Sie nun hier, nachdem es im Lauf der letzten Monate von der Telephongesellschaft
Zürich hergestellt worden ist, vor sich sehen.
Auf dem 103 cm. hohen, soliden Holzgestell befindet sich zunächst eine starke
Messingplatte, auf deren Mitte sich eine kurze, hohle, messingene Säule erhebt. Auf
dieser Säule ruht horinzontal vermittelst eines ca. 3 cm. dicken, entsprechend langen
Zapfens, der in die Säule gesteckt und in derselben drehbar ist, der 60 cm. lange,
10 cm. dicke Kern des Magnets, ans weichem Eisen bestehend und 30 Kilo schwer.
Diese Eisenwalze endet auf beiden Seiten in einer kegelförmigen Spitze und überragt
damit noch ziemlich weit die obere Plattform des Holzgestelles, so dass ein vor dem
Instrument sitzender Mensch bequem seiu Auge einer der Spitzen annähern kann. Man
kann die eine oder die andere der beiden Spitzen benützen, da der Magnet ähnlich
wie eine Wetterfahne gedreht werden kann. Diese Beweglichkeit erlaubt auch, die
Spitze genauer noch auf den gewünschten Punkt des Auges einzustellen, falls dieses
nicht gerade die richtige Stellung einnimmt. Die Höher- und Tieferstellnng des Auges
dagegen muss durch höheres oder tieferes Sitzen des Patienten (Drehstuhl) resp. Nei¬
gung des Kopfes bewerkstelligt werden, da Hebung und Senkung der Magnetspitze in
Anbetracht des grossen Gewichtes des Magnets zu schwierig in der Ausführung ge¬
wesen wäre. Denn der Eisenkern trägt nun im Fernern noch eine grosse, 5 cm. dicke
Umwicklung mit übersponnenem Kupferdraht, die auch 56 Kilo wiegt. Kreist der
electrische Strom nun in dieser Umwicklung um den Eisenkern, so wird dieser sofort
zu einem so mächtigen Magnet, dass kleinere Eisenstückchen auf einige Gentimeter
Distanz schon an ihn herangerissen werden und z. B. ein grösserer Schlüssel oder ein
ähnlicher eiserner Gegenstand, wenn er einmal an der Spitze haftet, nur mit Aufbie¬
tung der ganzen Kraft beider Hände resp. Arme vom Magnet wieder losgerissen
werden kann. Wird der Strom unterbrochen, so hört die magnetische Anziehung auf.
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Damit der Magnet seine Sättigung, also seine grösste Kraft erreicht, muss ihm ein Strom von
6—8 Ampöres und etwa 60—70 Volt Spannung zugeföhrt werden. Ich ziehe, da
Accumulatoren im Betrieb ihre Schattenseiten haben und unter Umständen bei un¬
richtiger Handhabung (durch Dienstpersonal etc.) gerade, im wichtigsten Moment ver¬
sagen könnten, die Anwendung einer Dynamomaschine jenen vor. Hat man eine Cen¬
trale mit Gleichstrom zur Verfügung, so kann man natürlich den Magnet an deren
Leitung anschliessen.
Aus dem eben Gesagten ergibt sich, dass Anschaffung und Betrieb eines solchen
Magnets eine complicirte und kostspielige Sache ist. Der Preis des Magnets allein
stellt sich schon auf 550 Fr. Anderseits lehren mich aber meine bisherigen Erfah¬
rungen auf diesem Gebiet, dass man erst mit sehr starken und zweck¬
mässig constrnirten Magneten vollen Erfolg erzielt. Denn
schon vor mir haben Me Hardy und Knies die Fern Wirkung starker Magnete auf
Splitter, die im vorderen Theil des Bulbus sassen, ein wirken lassen und auch mehr
oder weniger Erfolg damit erzielt. Sie gaben aber die Methode nach wenigen Ver¬
suchen wieder auf, offenbar weil ihre Magnete nicht stark oder zweckmässig genug
waren. Uebrigens kann man auch mit den grossen Electromagoeten, wie sie in grösseren
physikalischen Laboratorien sich befinden und wie auch Knies einen benützte, operiren,
wenn sie nur recht kräftig sind und man wenigstens eine scharfe Ecke derselben in
richtiger Weise dem Auge annähern kann. Meine ersten derartigen Operationen habe
ich mit einem starken Ruhmkorff'schea Magnet ausgefübrt, den Herr Prof. Weber am
Polytechnikum mir zur Verfügung zu stellen die Freundlichkeit hatte. Derselbe er¬
hielt einen sehr kräftigen Strom von einer Batterie grosser Accumulatoren. Dann habe
ich auch den ca. 200 Kilo schweren Hufeisenmagnet des physikalischen Laboratoriums der
Universität benützt, den mir Herr Prof. Kleiner zur Verfügung stellte. Letzteres In¬
strument erhält seinen Strom von einer der Dynamomaschinen des Laboratoriums, der¬
selben, die ich in den letzten vier Operationen mit dem neuen Magnet für diesen ver¬
wendete.
Weitere Erfahrungen müssen nun zunächst in verschiedener Richtung bezüglich
des Wirkungskreises und der Handhabung dieser Methode noch gesammelt werden,
auch experimentelle am Thierauge. Es ist im Fernern die Frage zu prüfen, ob r-s nicht
in manchen Fällen besser sei, statt gleich den vollen Strom auf das Instrument wirken
zu lassen, vermittelst Rheostat denselben allmälig erst einströmen zu lassen, damit der
Splitter nicht zu rasch zurückgerissen und dabei vielleicht in eine falsche Bahn ge¬
bracht wird. Er folgt vielleicht dem Wundcanal besser, wenn er allmälig angezogen
wird. Ich habe auch einen Rheostaten schon benützt und, wie es schien, mit gutem
Effect.
Auf alle Fälle ist es auch bei dieser Methode angezeigt, die Operation so rasch
als möglich nach dem Eindringen des Splitters vorzunehmen, damit dieser nicht durch
seine längere Anwesenheit im Auge schädliche Einwirkungen auf den Glaskörper oder
die Retina (besonders deren Macula lutea) hervorruft. Vielleicht kann auch bei raschem
Vorgehen in manchen Fällen die so verhänguissvolle Infection des Auges hintangehalten
werden, die wir namentlich oft bei jenen Splittern beobachten, welche bei der Arbeit
auf dem Feld von der Hacke ab und ins Auge spritzen, so dass in Gegenden mit
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steinigem Boden die landbauende Bevölkerung von diesen Splitterverletzungen sehr oft
in schwerster Weise betroffen wird. Das Hacken in Kartoffelfeldern und Reben etc.
bringt bei nns zu Land jährlich einer grossen Zahl von Augen den Untergang, sehr
oft durch schmerzhafte Panophthalmie. Vielleicht lässt sich auch von diesen gefähr¬
lichen Verletzungen, wenn rasch der Splitter extrahirt wird (und die leider so beliebten
Umschläge mit kaltem Wasser gänzlich verpönt werden), ein Theil retten. Es wäre
das ein grosses Glück.
Ueber Kresoisaponate.
Von Dr. Arnd in Bern.
Seit C. Fränkel auf den Desinfectionswerth der Kresole aufmerksam gemacht
hat, sind von vielen Seiten Kresolpräparate zum Gebrauch empfohlen worden, die eines
dem anderen an Desinfectionskraft, Löslichkeit und Billigkeit zuvorznkommen suchten.
Die unangenehmen Eigenschaften des Sublimates: seine Toxicität und seine chemische
Einwirkung auf Metalle lässt ein allen Ansprüchen genügendes Desinficiens vermissen.
Mit den verschiedenen Eresolpräparaten ist das Ideal noch nicht erreicht. Wenn wir
auch nicht verlangen können, dass ein Stoff in der gleichen Concentration wie Sublimat,
eben so energisch wirkt, so wäre es doch angenehm eine desinficirende Lösung zu be¬
sitzen, die bei stärkerer Concentration und gleicher Wirksamkeit den Preis der Subli¬
matlösung nicht üherscbreiten würde. Die Klarheit der Lösung, die für die Desinfection
en gros nicht in Betracht kommt, ist für den Chirurgen unentbehrlich. Nun sollte
es möglich sein, ein Präparat zu erstellen, das mit jedem Wasser eine klare Lösung
gäbe. Lysol, Solveol, Kresol Raschig geben alle mit kalkhaltigem Wasser eine Trflhung,
die bei den beiden letzteren gerade in den Concentrationen, in denen sie practisch zu
verwenden sind (1—2**/o) schon recht lästig ist. Destillirtes und gekochtes und filtrirtes
Wasser geben allerdings fast klare Lösungen.
Ich hatte an der chirurgischen Poliklinik während ca. 1 Jahr das Lysol aus¬
schliesslich in Gebrauch genommen und war zu der Ueberzeugung gekommen, dass
eine 2°/o Lösung in der Praxis mindestens ebenso viel leistet, wie die l**/oo Sublimat¬
lösung. Die Ungiftigkeit der Lösung gestattet eine energische Anwendung, die Albn-
minate der Körpersäfte treten der desinfectorischen Wirkung nicht hindernd entgegen;
eine lebhafte Bildung von Granulationen tritt immer auf; eine analgesirende Wirkung
(der manchmal ein erträgliches Brennen voranging) war auch öfters zu constatiren.
Nur war der Preis einer 2^/o Lösung beinahe 3 .Mal grösser als der der Sublimat¬
lösung, und das ist ein Umstand, der für manche Verhältnisse doch in Betracht kommt.
Im Centralblatt für Gynäkologie (1893 Nr. 4) übergibt Dr. Burkhardt (Bremen) die
Herstellungsweise eines «Kresolsaponates* der Oeffentlichkeit, welches sich im Gebrauch
dem Lysol identisch erwies. Nach dem von Burkhardt angegebenen Recept wurde es
in der bernischen Staatsapotbeke von Herr Dr. Ducommun hergestellt und bei der
Poliklinik in gleicher Weise, wie das Lysol, in Gebrauch genommen — und mit
durchweg gleichem Erfolg. Ich begann auch sofort im Laboratorium des Herrn Prof.
Tavel die Prüfung der Desinfectionskraft des Präparates, indem ich es in zahlreichen
Versuchen mit anderen Eresolpräparaten verglich. Da die Billigkeit des Präparates
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es auch für die sogenannte grobe Desinfection tauglich erscheinen Hess, wurden die
Versuche mit der Prüfung der Widerstandsfähigkeit der Cholerabacillen begonnen, die
von einer in Nietleben gewonnenen Reincultur stammten, welche Herr Prof. Pfuhl mir
freundlichst übergeben batte. Die Technik der Versuche musste von der gewöhnlichen
abweichen, weil die Cbolerabacillen dem Austrocknen sehr geringen Widerstand ent*
gegensetzen. Ich musste mich begnügen, eine Emulsion von Cholerabacillen in sterilisirte
Fliesspapierstückchen aufsaugen zu lassen und diese Stückchen noch feucht zu den
Desinfectionsversuchen zu verwenden. Eine Reihe von Spülversnchen in sterilisirtem
Wasser lieferte den Beweis, dass das mechanische Ausspülen der Bacillen aus dem
imbibirten Fliesspapier niemals in dem Mass zu machen war, dass die Colonienzabl in
den mit gespülten Papierchen beschickten Gläsern gegenüber der in den mit nicht ge¬
spülten Papierstückchen beschickten eine merkliche Abnahme aufwies. Das Eindringen
des Desinficiens fand jedoch, wie die Versuche zeigten, leicht statt, die Entfernung
desselben wurde durch Spülen, 5 Minuten lang, bewirkt.
Für die ersten Versuche war, wie es sich später zeigte, ein schlechtes Präparat
genommen worden. Die zur Bereitung benutzte rohe sogenannte lOOV« Carbolsäure
hatte nur ca. 207» Kresol enthalten. Die Versuchsreihe fiel denn auch nicht günstig
für das nur 107o Kresol haltende Präparat aus.
Während Lysol V>7o io ^ Minuten, Kresol Rascbig V>7o in 2 Minuten sämmt-
liche Bacillen tödteto, wuchsen aus dem mit Kresolsaponat '/^Vo während 5 Minuten
behandelten Papier noch einige Colonien auf. (Die Controllröhrcben, 6 Stück, zeigten
unzählige.) Einer längeren Einwirkung widerstanden sie nicht. Eine 27o Lösung
tödtete sie in '/^ Minute, während eine 27« Lösung des Kresol Raschig nach einer
Einwirkungsdauer von 1 Minute noch 160 Colonien auf dem Quadratcentimeter Nähr¬
boden aufwacbsen Hess. (Die Gontrollen Hessen ein Zählen nicht zu.) Sublimat 'AVoo
tödtet sie in Minute; die in deu Desinfectionsverordnungen verschiedener europäischer
Staaten aufgenommene Carboiseifenlösung genügt in Sfacher Verdünnung zur Vernichtung
der Keime in einer Minute.
Der Desinfectionswerth des Präparates konnte natürlich aus Versuchen mit einem
so wenig widerstandsfähigen Bacill, wie es. der der Cholera asiatica ist, nicht erschlossen
werden. Dazu wurden, wie üblich, Milzbrandsporen benutzt. Die Versuche, die ich
hier in Form einer kleinen Tabelle wiedergebe, wurden mit der gleichen Sporenemulsion
alle gleichzeitig gemacht, so dass das eine Desinficiens jedenfalls mit der gleichen
Lebensenergie der Sporen zu kämpfen hatte, wie das andere.
Desinficiens: Einwirkungsdauer:
2 Minuten 5 Minuten 30 Minuten 1 Stunde
Garbolseife -f + + +
Kresol Raschig 57o + -f- + +
versp. Wachst, versp. Wachst.
Lysol 57o + + + +
versp. Wachst.
Kresolsaponat 57« + + + +
versp. Wachst.
Sublimat 17«o + + — —
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Ich muss betonen, dass alle meine Desinfectionsversuche nur durch den V e r •
gleich der Wirkung einen gewissen Werth haben können. Einen Massstab fär die
Wirkung auf den Microorganismus kann man nicht darin suchen, weil ich die absolute
Widerstandsfähigkeit meiner Gulturen in Dampf und siedendem Wasser nicht geprüft
habe. Für practische Zwecke wichtiger noch war die Prüfung der Lebenskraft des
Staphylococcus pyogenes aureus. Meine Gulturen verhielten sich, wie folgt:
Desinficiens: Einwirkungsdauer:
Vs
Minute 1
Minute
2 Minuten
5 Minuten 15 Minuten
Solutol V 2 ®/o
++
44
44
4 4
Garbol ‘AVo
4 +
44
4
4 —
wenig
Kresol Baschig '/«Vo
44-
4
4
einige Golon. einige Golon.
Lysol Vs7o
4
4
4
einige Golon. —
Kresolsaponat Vs7o
4
4
4
einige Golon. einig. Gol. o. 9 Tag.
Sublimat l®/oo
4
—
— -
— —
nach 12 Tagen.
Die gute Wirkung der VaV Garbollösung ist auffallend. Das Kresolsaponat
hält sich bei diesen Versuchen, denen ich wegen der Schwäche der Lösung eine Be¬
deutung zumessen möchte, ziemlich auf der Höhe der anderen Desinficientien.
Es galt nun die Stärke der Lösung zu eruiren, die in kurzer Zeit die Abtödtuug
des Staphylococcus ausführen könnte. Es zeigte sich nun, dass eine 2% Lösung von
Lysol, wie von Kresolsaponat Burhhardt in V« Minute fast alle, in 2 Minuten
sicher alle Keime tödtet. Die 17« Lösung dieser Stoffe lässt auch nach 2 Minuten
noch einige Keime am Leben, tödtet jedoch sicher in 5 Minuten. Die anderen unter¬
suchten Desinficientien standen den beiden etwas nach.
Bei den Versuchen mit Bac. pyocyaneus ergab sich eine überwiegende Wirkung
des von BtirJchardt empfohlenen Präparates.
Desinficiens: Einwirkungsdauer:
V* Minute 1 Minute 2 Minuten 5 Minuten 30 Minuten
Solveol l®/o + + + + —
Kresol Baschig l®/o -P -f 4 4 —
Garbol l*/o 4 4 4 — —
Lysol l®/o 4 4 4 — —
Kresolsaponat l®/o 4 4 — — —
An desinfectorischer Kraft steht also diese Kresolseifenverbindung den übrigen
bekannten Präparaten jedenfalls nicht nach. In ihrer practischen Verwerthung
ist sie dem Lysol gleichzustellen. Sie gibt, wie das Lysol, mit unserem harten
Wasser eine nur leicht trübe (ca. 1—2®/oige) Lösung, die durchaus nicht die unter
einer Schicht von 5—10 cm liegenden feinen Instrumente dem Blicke verdeckt.
Stärkere Lösungen sind klarer, schwächere trüber. Die anderen Kresolpräparate
bewirken alle mit dem gleichen kalkhaltigen Wasser intensivere Trübungen. Von
einer toxischen Eigenschaft ist niemals (bei 2®/oigen Lösungen) etwas bemerkt
worden. Auch ganz kleine Kinder vertragen feuchte Verbände etc. ohne den geringsten
Nachtheil. Eine geringe Mnmificirung der oberen Epidermisschichten, die sich bräunen
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und nach mehrtägiger, constanter Anwendung des Mittels, sich in grossen Stücken ab-
ziehen lassen, ist nicht als Nachtheil zu betrachten. Stark inficirte Wunden reinigen
sich unter Umschlägen mit l°/o Lösung sehr rasch, ohne dass die geringste unan¬
genehme Nebenwirkung sich geltend machen würde. Unverdünnt zum Zwecke der
Beinigung in die Haut der Hände und Vorderarme eingebürstet (wie ich es längere
Zeit bei mir selbst versuchte), erregt es an den Stellen mit zarterer Hautbedeckung
(Vorderarme) einen kurzen, brennenden Schmerz. Etwas anderes, als die Mumificirung
der Haut konnte ich jedoch nicht als nachtheilige Folge wahrnehmen. Der Tastsinn
wird nur während dieser Anwendung etwas abgestumpft.*)
Die Einfachheit der Darstellung aus Kaliseife und 1007« Carbolsäure setzt aller¬
dings, wie Dr. BurJthardt hervorhebt, jeden Apotheker in Stand, das Präparat zu
verfertigen. Nur kommt es darauf an, dass die Carbolsäure auch einen möglichst
hohen Gehalt an Eresolen besitze, so dass das Präparat wirklich 5ü7o Eresole enthalte.
Nur von einem solchen Präparat lassen sich die beobachteten günstigen Wirkungen
erwarten. Herr Traub in Basel hat auf mein Ersuchen Experimente darüber ange-
stellt, ob sich der Eresolgehalt dieses Präparates, das er mir für meine Untersuchungen
verfertigte, nicht erhöhen lasse, ohne dass die Fabrication umständlicher werde. In
der That hat er mir ein Pröparat mit 667o Eresol zur Verfügung gestellt, doch ist
dieses in der Verwendung nicht so angenehm, weil es sich, in hartem Wasser,
unter Entstehen einer grösseren Trübung löst. Das lEresapolf, unter welchem Namen
das Präparat von der chemischen Fabrik Traub in Basel en gros verfertigt wird,
enthält nun 507o Eresole.
Wie Engler und Schottelim sich um die ärztliche Welt verdient gemacht haben
durch die Bekanntgebung des Lysols, so bat es auch Burkhardt gethan, indem er
die Herstellung eines gleichwerthigen, jedoch bedeutend billigeren Präparates durch
seine Veröffentlichung Jedermann und überall ermöglichte.
Jean Martin Charcot.’')
Von Prof. Naunyn, Strassbarg.
Der 16. August 1893 brachte der wissenschaftlichen Welt einen schweren Verlust.
Jean Martin CÄarco^ war plötzlich verstorben; durch nichts vorbereitet eilte diese
Nachricht durch die Welt.
Obwohl nicht mehr jung — er stand nahe vor Vollendung seines 68. Lebens¬
jahres —, hatte Charcot, noch im vollen Besitze seiner Kräfte und, dem Anscheine nach,
auch seiner Gesundheit, die Aufgaben des Semesters bis zu dessen Schluss bewältigt.
Mit Beginn der Ferien trat er in Begleitung seiner BVeunde Straus und Debove
eine Erholungsreise an. Am lac des Settons in der Nievre erlag er einem Anfall von
Angina pectoris.
Erst nachträglich erfahrt man, dass bereits seit einiger Zeit seine Gesundheit erschüt¬
tert war, und dass er schon öfter durch Anfälle ähnlicher Art in seinem Befinden gestört
worden sei.
*) Instrameiite werden durch stundenlanges Liegen in der Lösung nicht geschädigt.
•) Dieser Necrolog von Charcot wurde zuerst im Verein der unterelsässischen Arzte am 28.
October 1893 vorgetragen und dann im Arch. f. exper. Path. und Pharm., Bd. XXXIII, publicirt.
Durch die gütige Erlaubniss des Verfassers sind wir in den Stand gesetzt worden, dieses höchst ori¬
ginelle und trelfliche Bild des grössten Pathologen und Klinikers unserer Zeit an dieser Stelle abzu¬
drucken, wofür wir Herrn ProE Naunyn unseren besten Dank ausaprechen. Red.
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13
J, M. Charcot ist am 29. November 1825 in Paris geboren. Sein Vater war ein
einfacher Handwerker, ein ehrenwerther, aber wenig begüterter Mann. So sah sieh
Charcot frühzeitig auf seine Arbeit gestellt; als Student musste er sich seine Existenz¬
mittel zum Theil durch Privatunterricht erwerben.
Im Jahre 1853 erlangte er den Doctorgrad an der Pariser Facultät mit einer
Th^se über asthenische Gicht, zu der ihm wohl bereits das Material der Salpetri^re die
Anregung gegeben. Schon ein Jahr seines Internates hatte er in ihr durchgemacht; 10
Jahre später — 1862 — wurde er Abtbeilungsvorstand (Chef de Service) in diesem
Krankenhause, welches er, wie Bourneville sagt, nicht mehr verlassen sollte.
Hier hielt er von 1866 bis zu seinem Tode (mit Unterbrechung eines Jahres) die
„Dienstags-Vorlesungen", die seinen Namen schnell bekannt machten. Er war schon ein
hochberühmter Kliniker, als ihm* im Jahre 1872 die Professur für pathologische Anatomie
an der Pariser Facultät übertragen wurde. Diese Professur hat er bis zum Jahre 1882
bekleidet; dann erst erreichte er endlich sein lange erstrebtes Ziel: es wurde ihm die
eigens für ihn begründete Lehrkanzel der Klinik für Nervenkrankheiten übertragen. Be¬
reits ein Jahr später ward er zum „Membre de Tlnstitut" erwählt.
Nach kaum mehr als zehnjähriger Wirksamkeit an dem von ihm geschaffenen
Musterinstitute in seiner altgeliebten Salp6tri^re ist er plötzlich dahingegangen. Ein
Mann, dem die wissenschaftliche Welt den Tribut der dankbaren Hochachtung, den sie
ihm schuldet, mit warmem Herzen darbringen darf. Tief erschüttert stehen seine Schüler
und seine Freunde um sein Grab, und aus tiefster Brust tonen die Klagen, die sie dem
Meister und Freunde nachsenden. Dies giebt uns die Gewähr, dass auch der Betrauerte
seinerseits die grossen Gaben seines Geistes warmen Herzens der Welt geweiht hatte.
Seit lange hat kein Kliniker eine solche Berühmtheit, eine solche internationale
Popularität genossen, wie Charcot. Sie galt dem Specialisten, dem grossen Neuropatho-
logen. Dies war insofern berechtigt, als Charcot in den letzten Jahren, auf der vollen
Höhe seines Ruhmes, sich ausschliesslich der Neuropathologie gewidmet hat. Mit aller
Bestimmtheit hat er selbst in der Programmvorlesung, mit welcher er sein neubegründetes
Institut in der Salpötriere eröffnete, betont, dass er dieser Specialität zu dienen habe.
Doch findet das Bild von CharcoVs Persönlichkeit in dem Rahmen einer Specialität
nicht Platz; für sein Vaterland vor Allem war er viel mehr: der Führer der modernen
klinischen Schule Frankreichs; er steht an erster Stelle unter denjenigen, welche dort
der neuen naturwissenschaftlichen Richtung in der practischen Medicin Bahn brachen.
Aber auch für die ausserfranzösische Welt und auch für uns Deutsche ist seine
Bedeutung eine viel allgemeinere. Nicht nur auf dem Gebiete der Nervenkrankheiten
hat er höchst Bedeutendes geleistet, sondern überall zeigt er sich in der Behandlung
seiner Themata als der grosse Kliniker, der mit seinem Interesse und seinem Wissen das
ganze grosse Gebiet der medicinischen Wissenschaften umfasst.
Vor jetzt ungefähr 25 Jahren trat Charcot mit seinen Vorlesungen über die multiple
Sklerose und die Paralysis agitans, über die Rückenmarkscompression und über die
spinalen Amyotrophien u. s. w. hervor. Von damals an bis zum heutigen Tage haben
sie die gleiche fesselnde Anregung auf mich ausgeübt, und nie habe ich eine einfache
Formel finden können, mit der ich meine Empfindung Charcot*s Werken gegenüber kurz
hätte bezeichnen können. Auch heute finde ich eine solche kurze Formel nicht, und
doch drängt mich das Gefühl des Dankes, welches ich, gewiss mit den meisten meiner
Collegen, für den grossen Meister unseres Faches hege, dem, was er uns gewesen ist,
Ausdruck zu geben. Vielleicht gelingt es mir, indem ich diejenigen Eigenschaften seiner
Persönlichkeit und diejenigen Besonderheiten seines Entwicklungsganges klar zu stellen
suche, welche mir die Basis für die grossen Werke seines Geistes zu bilden scheinen.
Nach mehr als einer Seite bestimmend für Charcot*^ Stellung wurde das Verhalten,
in welches er zu der von Deutschland ausgehenden Reformbewegung trat, die in der
Mitte unseres Jahrhunderts die medicinische Welt erregte. Früher und bestimmter als
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irgend ein anderer der französischen Kliniker hat Giarcot die Bedeutung dieser von
Anatomie und Physiologie getragenen Bewegung für die klinische Medicin gewürdigt, ln
seinen Programmreden aus den 60er Jahren spricht er dies oft aus. Fast in jeder der¬
selben weist er darauf hin, wie unerlässlich die anatomische Begründung der klinischen
Beobachtungen, die experimentelle Bearbeitung der pathologischen Themata für den Fort¬
schritt der Klinik der „Nosografie“ sei.
Unter dieser Fahne war es, dass sich seit der Mitte der 60er Jahre die tüchtigsten
der jüngeren Kräfte Frankreichs um Chor cot und seinen Freund Vulpian sammelten, und
die Arbeiten, die aus dieser Schule hervorgegangen, schafften der neuen Richtung schnell
Eingang in die französischen Kliniken; die in den Händen der deutschen Anatomen weit
entwickelte Technik der microscopischen Untersuchung, die experimentelle und entwick¬
lungsgeschichtliche Behandlung pathologischer Fragen haben dann auch dort bald die
schönsten Früchte gezeitigt.
Dass man Charcot nach Vulpian'^ Abgang die Professur für pathologische Anatomie
an der Pariser Facultät übertrug, zeigt am besten, wie man seine Führerschaft auf
diesem Gebiete anerkannte, und dass er diese Professur und gleichzeitig das Präsidium
der neubegründeten Societc anatomique übernahm, beweist, dass er sich als solchen fühlte
und welchen Werth er hierauf legte.
So sehr ihm aber auch die Hülfswissenschaften und vor Allem die Anatomie am
Herzen lagen, er blieb stets Kliniker, und so bedeutend auch seine anatomischen und
experimentellen Arbeiten sind, sie dienen nur der unmittelbaren Befriedigung des klini¬
schen Bedürfnisses. Sein Interesse für diese Gebiete ist nie ein selbständiges geworden,
es ist ein für allemal durch die klinische Krankenbeobachtung gefesselt. Der Weg zum
experimentellen und anatomischen Laboratorium führte bei Charcot ^ wie Moritz Benedict
von ihm gesagt hat, stets durch das Krankenzimmer.
Sämmtlicbe selbständigen Publicationen Charcot's tragen auf dem Titel ein kleines
Bildchen, den Eingang zur alten, durch ihn so berühmt gewordenen Salpetri^re darstellend.
Dies alte Hospital bildet den eigentlichen Schauplatz von Charcot's Thätigkeit und Ent¬
wicklung, von seinem ersten Auftreten bis zu seiner letzten Vorlesung.
Wie seine Biographen erzählen, pflegte Charcot schon seit damals, da er als In¬
terner die Salp6tri^re zum ersten Male betreten, mit seinem Freund Vulpian die Ab¬
theilungen nach interessanten Fällen zu durchstöbern, und sie berichten, dass er bis in
die letzte Zeit ein für allemal den grössten Theil seiner Zeit auf den Krankensälen zu¬
brachte. Durch so andauernden Fleiss gewann er die Uebersicht über das riesige
Material jenes Krankenhauses, deren er bedurfte, um das für seine Zwecke brauchbare
auszusondern.
Er hat wahrlich den Schatz kostbaren Materials, den er dort schliesslich fand, nicht
leicht gehoben. Ich glaube. Jeder, der die Verhältnisse eines solchen Riesenspitals kennt,
wird uns beistimmen: es war die That eines leidenschaftlichen Klinikers, dem die Kranken
das adäquate Arbeitsmaterial und deshalb das nothwendigste Lebensbedürfniss, das pabulum
vitse sind.
Der rechte Kliniker, dessen adäquates Arbeitsmaterial die Kranken sind, ist mit
diesen nie beeilt, „hat für sie immer Zeit“. Charcot soll auch diese Eigenart in hohem
Maasse besessen haben.
Cha/rcot besass aber nicht nur ungewöhnliche anatomische Bildung, er war nicht
nur ein leidenschaftlicher Kliniker, sondern er war auch ein grosser Gelehrter und ein
ernster, wahrhafter Forscher.
Diese beiden Eigenschaften drücken seinen Leistungen auf klinischem Gebiete mit
an erster Stelle ihren Stempel auf. Das Erste: seine Gelehrsamkeit, sein literarisches
Wissen, war ausserordentlich gross. Er beherrscht in fast jedem der Gebiete, welche er
behandelt, die Literatur in einer Weise, wie dies nur der kann, der die gesammte
Literatur seiner Wissenschaft beherrscht. Diese Belesenheit, das literarische Wissen ist
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heutzutage bei Klinikern etwas sehr Seltenes; gerade von Charcot aber kann man lernen,
wie forderlich sie auch dem practischen Forscher ist: wie schön schliesst sich oft unter
seinen Händen die Kette unserer Erkenntniss, zu der er zahlreiche Glieder aus den Be¬
obachtungen Anderer gewonnen.
Für sein Yaterland Frankreich wurde Charcot durch sein literarisches Wissen
epochemachend: er brach zuerst mit der Vernachlässigung, welche die Literatur des Aus¬
landes vor ihm dort grundsätzlich erfuhr. Insonderheit wieder war er einer der Ersten
in Frankreich, welche die deutsche Literatur gewürdigt haben. Lupine erzählt, dass er
Frerich's „Morbus Brightii“ zu seinem eigenen Gebrauche übersetzt habe; in den Werken
aus CharcoVs früherer Periode nehmen die deutschen Autoren den ersten Rang ein. In
manchen wichtigen Puncten, z. B. in seinem häufigen Zurückgehen auf den damals nur
von Wenigen beachteten TürJc^ zeigt er sich als Kenner der deutschen Literatur gar
manchem deutschen Gelehrten überlegen.
Mit dem Umfange seiner Kenntnisse geht eine gründliche Kritik Hand in Hand:
Er ist in der Art, wie er die Literatur verwerthet, im Allgemeinen mustergültig; er
prunkt fast nie, seine Citate betreffen die wichtigeren und noch nicht eingebür¬
gerten, noch nicht banalen Punkte und werden in geschickter Weise Beidem, der
historischen Gerechtigkeit und dem Bedürfniss nach heranzuschaffenden Beweisstücken
gerecht.
Als CharcoVs grösste Eigenschaft aber rühme ich nach meinem Empfinden, dass er
ein ernsthafter, wahrer Forscher war; er war streng in der Beobachtung und er ver-
werthete keine Beobachtung, von deren Richtigkeit er nicht selbst fest überzeugt war,
d. h. er war mit einem sehr stark entwickelten Sinne für Wahrhaftigkeit begabt; und
wo er schildernd oder urtheilend sich äussert, da trägt er mit scrupulöser Gründlichkeit
Alles zusammen, was ihm seine Kenntnisse, seine Anschauung mehren und erweitern,
was ihm sein Urtheil klären und sichern hilft, d. h. er meint es ernst damit.
Von Charcot^ Hauptwerken sind zuerst zu nennen die Arbeiten über die multiple
Sklerose und Paralysis agitans, über die spinalen Myatrophien, die Tabes dorsalis und
über die (post- und prae-) hemiplegischen Krampferscheinungen. Es sind dies in der
Hauptsache die Arbeiten, welche seinen Ruhm begründet haben. Sie fallen in die 60er
Jahre, ziehen sich aber noch bis in das 7. Jahrzehnt hin.
Die multiple Sklerose war vor Charcot nicht ganz unbekannt, sie wurde sogar schon
bei uns in Deutschland mit Glück diagnosticirt; immerhin war das, was über die Krank¬
heit vorlag, so unbedeutend, dass man sagen kann, mit einem Schlage schuf Charcot das
scharf charakterisirte, bis in die feinsten Details ausgearbeitete Krankheitsbild, das für
alle Zeiten gültige Bild einer Krankheit, die von vornherein als eine der interessantesten
Nervenkrankheiten auftrat und bald auch eine ihrer wichtigsten werden sollte. Die
Arbeit über die spinalen Myatrophien lehrt die Bedeutung der Vorderhornerkrankung für
die Muskelatrophien kennen. Charcot scheidet in ihr zum ersten Male die myopathischen
von den neuropathischen Muskelatrophien und stellt in der Poliomyelitis (der Name rührt
nicht von ihm her) und in der amyotrophischen Seitenstrangsklerose zwei Typen der
neuropathischen Muskelatrophie auf, welche alle Wandlungen auf diesem Gebiete über¬
dauern. Namentlich in der amyotrophischen Seitenstrangsklerose zeigt er sich wieder als
der Meister in klinischer Auffassung und Darstellung.
Mit CharcoVs Arbeit über die Tabes dorsalis beginnt der völlige Umbau, welchen
dies alte Symptomenbild in der Neuzeit erfahren: Charcot scheidet den spastischen Symp-
tomencomplex, die Lateralsklerose, von der Sklerose der Hinterstränge und erweitert das
Symptomenbild der letzteren durch die Entdeckung der gastrischen u. s. w. Krisen und
der tabischen Gelenkerkrankung.
Eine zweite Reihe bilden die Arbeiten Charcot\ welche die Himlocalisation be¬
handeln; sie fallen in der Hauptsache in die 70er Jahre. Angeregt und getragen sind
diese Untersuchungen CharcoVs durch Fritsch und Hitzig'^s Entdeckung der electrischen
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Erregbarkeit der Grosshirnrinde, in manchen Richtungen auch durch MeynerV^ Unter-
Buchungen zur Himanatomie.
Nachdem Hitzig und Fritsch die psychomotorischen Grosshirncentra beim Hunde
gefunden hatten, war es auch durch Beobachtungen von Wernher, Hitzig u. A. bereits
wahrscheinlich gemacht^ dass beim Menschen diese in den Gyris um den Sulcus Rolandi
zu suchen seien. Doch war es Charcot Vorbehalten, in einer Folge von in Gemeinschaft
mit Pitres veröffentlichten Aufsätzen den Gegenstand endgültig zu erledigen. Durch
Charcot und J^tres ist es festgestellt, dass von den Erkrankungen der Grosshirn Windungen
nur die des Gyrus pree- und postcentralis und des Gyrus paracentralis Lähmungen machen;
so umfangreich und sicher sind die von ihnen beigebrachten Beweismittel, dass in dem
heftigen Streit, welcher um die Hitzig-FritscFscho Entdeckung alsbald anhob, jetzt die
Pathologie es war, die Hitzig'% Stellung fast unangreifbar machte.
Mit dieser Hauptarbeit Charcofs gehen Studien auf sehr verschiedenen Gebieten
der Hirnpathologie Hand in Hand, die vielfach überaus anregend gewirkt. Ich nenne
die ältere mit Bouchard publicirte Arbeit über die miliaren Hirnaneurysmen, die ausge¬
zeichnete Behandlung der von Jackson entdeckten Hemiepilepsie und vor Allem die
Studien über die Blutcirculation im Hirne.
Während mehr als der letzten zehn Jahre seines Lebens bat Charcot sich mit
überwiegendem Interesse dem Studium der Hysterie zugewendet. Von Einigen werden
diese Studien über die Hysterie weit über alle seine anderen Leistungen gestellt, von
Anderen ist seine Beschäftigung mit dieser verrufenen Krankheit fast als eine Verirrung
angesehen.
Von CharcoVn Untersuchungen über die Hysterie bilden die über die Hysteroepilepsie
einen besonderen Abschnitt. In RicheVs grossem Werke „Hysterie gravesind sie zu¬
sammengefasst.
Zum ersten Male lernte man hier das in den grossen Zügen fast typische, in den
Details sehr mannigfaltige Bild dieser Krankheit kennen, und es hat lange gedauert, bis
das anfängliche und bis zum Misstrauen gesteigerte Erstaunen der Erkenntniss wich, dass
diese Krankheit, wenn auch selten, so doch wirklich und nicht nur in den Sälen der
Salpetri^re vorkommt.
Die Grosse der Arbeit, auf welche sich dies Werk gründet, ist erstaunlich, die
Summe der neuen Thatsachen, die es uns mittheilt, überraschend. Die Beobachtungsgabe,
die klinische Intaition und Gestaltungskraft CharcoVs^ sie haben sich wohl nie in glän¬
zenderem Lichte gezeigt.
Mit diesen Studien über die schwere Hysterie sind die über die Hypnose verflochten.
Auch auf diesem Gebiete steht Charcot hoch über Allen, die dasselbe sonst bearbeitet,
sein naturwissenschaftlicher Genius hat ihn auch hier nicht verlassen. Auch hier bringt
er zahlreiche Thatsachen, welche ihren Werth für alle Zeiten behalten werden; ich er¬
innere nur an die Steigerung der mechanischen Erregbarkeit der Nerven in der Hypnose
und an die Möglichkeit, leidenschaftliche Zustände dadurch anszulosen, dass Stellungen
oder Muskelacte untergeschoben werden, die dem zu bewirkenden passioneilen Zustande
entsprechen. Wie weit er gehen konnte, ohne den festen Boden zu verlieren, ist Charcot
auch in diesen Studien gegangen, dann hat er sie klüglich abgebrochen — auch dieser
gefährlichen Situation ist er Meister geblieben.
Charcot hat im Verlauf des letzten Decenniums diese unbegreifliche Krankheit, die
Hysterie, nach allen Seiten verfolgt; er hat ihre Diagnose gesichert, indem er ihre Kenn¬
zeichen (Stigmata) kennen lehrte, er hat auch hier uns wieder eine Fülle neuer Beob¬
achtungen geschenkt; ich nenne nur die Hysterie der Männer, die hysterische Facialis-
contractur, die Astasie-Abasie. Ob er nicht doch das Gebiet der Krankheit zu weit aus¬
gedehnt? ob es nicht besser gewesen wäre, z. B. die Grenze zwischen der traumatischen
Hysterie (der traumatischen Neurose der Deutschen) und eigentlicher Hysterie schärfer
zu ziehen?
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— 17 —
Ich lasse diese Frage hier offen; ich habe zuweilen geglaubt, dass Charcot selbst
noch daran gehen werde, seine vielseitigen Studien über die Hysterie in abschliessender
Form zusammenzufassen; vielleicht hat ihn nur sein frühzeitiger Tod daran gehindert.
Was ich hier an Werken des grossen Meisters klinischer Forschung aufgezählt, be¬
trifft die Gebiete, in denen er die Wissenschaft seiner Zeit führte; mitgearbeitet und
sehr erfolgreich mitgearboitet aber hat er an zahlreichen weiteren Themen. Die Lehre
von der Lebercirrhose, vom chronischen Rheumatismus, von der progressiven Muskel¬
atrophie, von der Aphasie, vom Morbus Basedow und viele andere Gebiete der Pathologie,
sie zeigen überall die Spuren seines befruchtenden Geistes und seiner ordnenden Hand.
Giorcot ist bis an sein Ende der Mittelpunkt des medicinischen Lebens in Paris
geblieben. Keine Bewegung auf diesem Gebiete war ohne seine Mitwirkung, war anders
als unter seiner Führung denkbar. Seit den Archives de Physiologie konnte keine an¬
gesehene medicinische Zeitschrift entstehen, unter deren Gründern er gefehlt hätte: die
Iconografie de la Salpetri^re, die Revue de m6decine, die Archives de Neurologie, die
Archives de mMecine experimentale, alle gingen auf seinen Namen.
Charcot hat, wie schon gesagt, frühzeitig Schule gemacht und das Ansehen seiner
Schule ist stetig mit ihm gewachsen; nur ganz wenige der namhaften Neurologen des
heutigen Frankreich sind nicht aus ihr hervorgegangen.
Seine Wirkung auf seine Schüler scheint eine durchaus unmittelbare gewesen zu
sein: sie übernahmen die von ihm bereits durchdachten Themata zur Bearbeitung; Charcot
pflegte dann später die von ihnen erlangten Einzel resultate in synoptischer Weise zu¬
sammenzufassen und ins rechte Licht zu setzen. Eifrig arbeiteten Meister und Schüler,
vom Interesse für die Sache gespornt, sich gegenseitig in die Hände; neidlos gönnte
Jeder dem Anderen, was dieser an seiner Stelle nützen konnte — eine einige Schaar,
diese Schule der Salpötriere, und ein einiges Werk, das sie unter GharcoV% Führung
vollbracht.
Das sind die rechten Meister der Wissenschaft, die nicht nur in den eigenen
Werken, sondern in ihren Schülern fortleben.
VeireiiAeil>ei*ioli te.
Medicinische Geseiischaft der Stadt Basei.
SitziDf van 2. Navenker 1893.0
Präsident: Dr. Th, Lotz. — Actnar: Dr. VonderMiJihll,
Dr. Gomner: Das Verkiltaiss des Sekidels der Matter za deai des Kindes and
dessen g^ekartskillleke Bedealang^. Vergleichende Messungen des Beckens, des Schädels
und der Körperlänge von l’atientinnen der Baseler geburtshilflichen Klinik, sowie
Messungen des Schädels ihrer neugeborenen Kinder und Bestimmungen des Gewichts
dieser letzteren haben folgende Resultate ergeben:
Die hauptsächlich von Fasbender aufgestellte Behauptung, der Kopf der Frucht sei
ein Abdruck des mütterlichen Schädels, gilt für Basel nicht. Es ist dies ’zu bedauern;
denn für künstliche Frühgeburt und auch sonst wäre es angenehm gewesen zu wissen,
was für einen Kopf man zu erwarten hat. Ist der Schädel der Mutter Dolicho- resp.
Meso- oder Brachycephal, so ist die gleiche Kopfform bei der Frucht nur in 29^/o zu
erwarten, in 71®/o dagegen nicht.
Becken Verengerungen, z. Th. allerdings geringen Grades Anden sich in 15^/oj kleine
Anomalien, die geburtshilflich unwichtig sind, in 38^/o. Diese letzteren beruhen z. Th.
auf Rachitis, in der Mehrzahl handelt es sich aber um kleine Frauen, die auch kleine
Kinder gebären. Besondere Racencharaktere lassen sich nicht feststellen. Ein bestimmter
*) Eingegangen 18. November 189.3. Red.
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der Dolicho- oder Brachycephalie entsprechender Beckentypus findet sich nicht vor. Die
hiesigen Frauen sind im Ganzen nicht gut gewachsen, schöne Becken sind relativ selten.
N.B. Erscheint in extenso im Archiv für Gynäkologie.
Dr. Fj. Biedtmann: lieber Enoresis. (Erscheint im Internat. Centralblatt für Phy¬
siologie der Harn- und Sexualorgane.) Vortragender sucht sich Rechenschaft abzu-
legen über die krankhaften Veränderungen des Harnapparates bei Enuresis. Er sieht
bei seiner Besprechung ab von den Fällen des Leidens, die als Reflexneurosen von den
Genitalien, vom Rectum etc. aus müssen aufgefasst werden und hält sich nur an solche
Fälle, wo ausser dem Symptom des Bettnässens nichts Abnormes kann gefunden werden.
Es erscheint am passendsten, sich zunächst über die normalen physiologischen Vorgänge
bei der Harnentleerung zu orientiren. Beim Durchgehen der Litteratur fallt es auf, dass
diese Vorgänge in den physiologischen Lehr- und Handbüchern mit kurzen Worten ab-
gethan werden und dass sich keines in nähere Details einlässt. Die neueste einschlägige
Arbeit stammt von Born: Zur Kritik über den gegenwärtigen Stand der Frage von den
Blasenfunctionen (Deutsche Zeitschrift für Chirurgie von Lüche und Boac^ Bd. 25, pag. 118,
1886). Dann hat Zeissl in neuerer Zeit die Innervation der Blase studirt {Pflüger^s
Archiv 1893, 53. Bd., 11. und 12. Heft). Von den Franzosen hat hauptsächlich Gugmi
diese Frage besprocheu (Physiologie de la vessie. Gazette hebdom. de medecine et de
Chirurgie, 1884, pag. 853). Vortragender entwirft an der Hand der J^orn’schen Arbeit
ein Bild über die Vorgänge bei der Füllung und Entleerung der Blase. Nur ist er mit
Born nicht einverstanden, dass der Harndrang durch Dehnung der Blasenwand ausgelöst
werde, sondern er hält mit der Wiener Schule {Vltzmann und Finger) dafür, der Harn¬
drang werde erst durch Eintritt von Urin in den Blasenhals und durch die dadurch be¬
dingte Ausdehnung der hintern Harnröhre zum Bewusstsein gebracht.
Bei schwacher Füllung der Blase wird der Verschluss derselben gegen die Harn¬
röhre zu durch die sich aneinanderlegenden Schleimhautfalten der Blase in der Nähe dea
Orificium internum urethr® bewerkstelligt. — Bei stärkerer Füllung schliesst der Sphincter
internus die Blase von der Harnröhre ab. — Bei starker Füllung wird der Sphincter
internus durch den intravesicalen Druck überwunden, der Blasenhals in das Lumen der
Blase einbezogen und der Verschluss durch den dem Willen unterstellten Sphincter ex-
ternns hergestellt. Dabei besteht andauernder Harndrang.
Die Entleerung der Blase wird um so leichter erfolgen: 1) je stärker die Con-
tractionen des Detrusor sind, 2) je schwächen! Widerstand der Sphincter internus dem
Andrang des Harns entgegensetzt und 3) je schwächer der Sphincter externus (Compressor
urethree) entwickelt ist. — Die Entleerung kommt um so unvollkommener zum Bewusst¬
sein, je weniger heftig der Harndrang ist, der vom Blasenhals ausgelöst wird. Ist die
Sensibilität der Schleimhaut des Blasenhalses aufgehoben, so erfolgt die Miction unwill¬
kürlich. %
Die Enuresis wird also bedingt: 1) durch übermässige Contractionen des Detrusor,
2) durch Schwäche des Sphincter internus, 3) durch verminderte Sensibilität des Blasen¬
halses, 4) durch Schwäche des Compressor urethrsc.
Die Therapie hat folgenden Indicationen zu genügen: 1) Hebung des allge¬
meinen Ernährungszustandes, wo dieser Noth leidet, 2) Kräftigung der Sphincteren und
Herstellung der normalen Sensibilität der hintern Harnröhre.
Innere Mittel sind meist unwirksam oder erfordern zu lange Zeit, bis eine Wirkung
kann constatirt werden. — Von äussem Mitteln wird am meisten die Electricität ge¬
rühmt. Vortragender hat von ihr keine grossen Erfolge gesehen. — Das Verfahren von
Oberländer (zur Aetiologie und Behandlung der Enuresis nocturna bei Knaben. Berliner
klinische Wochenschrift 1888, Nr. 30 und 31): gewaltsame Dilatation der Harnröhre in
Narcose in einer Sitzung erscheint dem Vortragenden als zu gefährlich. — Sänger (Die
Behandlung der Enuresis durch Dehnung der Blasenschliessmusculatur. Archiv für Gynae-
cologie. 38. Bd. 1890. Pag. 324) empfiehlt bei Mädchen die Dehnung der Harnröhre
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und des Sphincter vosicaj durch Caiheter oder Sonde. — Nach der Erfahrung des Vor¬
tragenden eignet sich für die Behandlung der Enuresis am besten die langsame Dehnung
der Harnröhre durch Sonden. Zuerst wird eine dünne elastische Sonde eingeführt. So¬
bald sie im Bulbus austösst, erfolgt eine energische ContracUon des Compressor urethrm.
Durch diese einmalige gymnastische Uebung des Compressor gelingt cs oft, das Nässen
für eine bis mehrere Nächte zu verhindern. Durch wiederholte Einführung von Sonden
in aufeinanderfolgenden Sitzungen gewöhnt sich die Harnröhre au instrumenteile Behand¬
lung und es gelingt schlies^ich, den Widerstand des Compressor zu überwinden. Von
nun an werden nur noch metallene Sonden eingeführt, in jeder Sitzung eine stärkere
Nummer, bis man das Gefühl hat, die Harnröhre sei gerade noch für diese Nummer
gut passirbar. Gewöhnlich hört das Nässen von dem Momente an die
hintere Harnröhre mit der Sonde hat passiren können. Bis zur völligen Dilatation
werden die Sonden jeden zweiten Tag eingeführt, dann nach 4, schliesslich nach 8 Tagen.
In sehr vielen Fällen bleibt nun das Kind geheilt. Ist das nicht der Fall, so werden
die Sondirungen mit der stärksten Nummer noch mehrmals in längern Intervallen vorge¬
nommen. Durch diese Sondirungen werden die Sphincteren gekräftigt, die Sensibilität
der hintern Harnröhre wird gesteigert und der Norm genähert und dadurch das Leiden
in kurzer Zeit und oft dauernd geheilt.
In der Discussion heben mehrere Votanten hervor, dass sehr zahlreiche Fälle von
Enuresis auf mangelhafter Disciplin beruhen und dass mit pädagogischen Massregeln die
Kinder sehr oft rasdh und dauernd geheilt werden.
Gesellschaft der Aerzjte in Zürich.
IH. S«Baersltzng !■ ky^^eolsehM loatHite dei 15. Jall 1893.*)
Präsident: Prof. Hadb. — Actuar: Dr. Conrad Brunner.
I. Prof. 0. Wifüs trägt über Darntzberealose vor. Der Vortrag erschien in ex¬
tenso in Nr. 23 des Correspondenzblattes für Schweizerärzte.
II. Dr. 0. Roth demonatrirt 1) Elo oenes elnfkehes VerfshreD der AMCrobei*
zBehliif. Die ausführliche Mittheilung ist erschienen im Centralblatt für Bacteriologie,
Bd. XIII, pag. 223. — 2) berichtet B. über den Fond v«B TaberkelbmcilIeD Id der
BoUer« Erscheint in extenso im Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte.
HI. Dr. Conrad Brtmner zieht .eine Parallele zwfsehen den Erscbelnnngen des
Tetanns trauiiatiens beim Menscheas niid dem Impftetanns der Thiere, unter specieller
Berücksichtigung des Kopftetanus, d. h. jener Varietät von Starrkrampf, welche
von einer im Bereiche der Himnerven erfolgten Infection ausgeht. Der Vortragende
demonstrirt die Erscheinungen des experimentellen Tetanus an Mäusen, Meerschweinchen
und Kaninchen. Bei letzteren Thieren ist es ihm gelungen, durch subcotane Injection
sehr virulenter Culturen auf einer Gesichtshälfte die Faoialislähmong zu erzeugen. Er
demonstrirt ein Kaninchen, welches diese Erscheinung in exquisiter Weise darhietet. Auf
eine Deutung aller dieser Symptome gedenkt Br. in einem spätem Vortrag einzntreten.
IV. Dr. Kerez spricht über den Kinfnss des Tabakes anf den Tnberkeibaeiltas.
(Autoreferat.)
Einleitend gedenkt Vortr. dankend der Anregung und stets sehr gefälligen An¬
leitung Seitens des Heim Dr. 0. Both.
Da beim Befeuchten und Eitirollen der Cigarren iu das Deckblatt die Uebertragung
tuberculösen Materials in erstere Seitens der Tabakarbeiter möglich ist, lag es nahe,
die Möglichkeit einer tuberculösen Infection durch Cigarren experimentell zu prüfen.
Der Gang der üntersuchung war kurz folgender: Cigarren, in gleicher Weise wie
in Fabriken hergestellt, wurden mit tnberculösem Sputum inficirt, indem vor dem Ein-
*) Eingegangen 15. November 1893. Red.
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hüllen in das Deckblatt solches an die Finger oder mittelst einer Pinootte in geringer
Menge zwischen Umhüllungs- und Deckblatt gebracht wurde. Gleiches Sputum wurde
jeweilen auf Papier verstrichen in sterilen Reagensgläsern neben den Cigarren aufbewahrt,
um festznstelleu, ob die Beeinflussung der Virulenz der Tuberkelbacillen einer speciflschen
Wirkung des Tabaks oder nur der Eintrocknung znzuschreiben sei. Mit dem nämlichen
Sputum wurden auch Controllthiere geimpft.
Vorher wurde durch Injection von Tabak-Infus in die Bauchhöhle von Meerschwein¬
chen constatirt, dass letztere solches ohne Reaction vertragen.
Nach verschieden langer Aufbewahrung der Cigarren und der mit Sputum beschick¬
ten Papierstreifen in temperirtem Raume, wurden einerseits die Deckblätter abgerollt und
mit sterilem Wasser abgespUlt, andererseits ebenso das inflcirte Papier und dann das
erhaltene Tabak-Infus je zwei, das Papier-Infns je einem Meerschweinchen intraperitoneal
injicirt.
Das Resultat der Untersuchung war folgendes:
1) Die mit Sputum geimpften Controllthiere wurden alle tnberculös.
2) Nach Einwirkung von 5 und von 4 Wochen blieb eine Infection aus sowohl
bei den Thieren, welche von inficirten Cigarren, als auch denen, welche von Papier ge¬
impft worden waren.
3) Während die nach Eintrocknung während 3 Wochen, 2 Wochen und 10 Tagen
von inficirtem Papier geimpften Meerschweinchen tuberculos wurden, erwiesen sich die
von inflcirten Cigarren geimpften Thiere nur in jenem Falle als tuberculos, wo die Ein¬
wirkung des Tabakes blos 10 Tage gedauert hatte.
Der Tuberkelbacillen-Gehalt des zut Injection verwendeten, von inflcirten Cigarren
stammenden Infuses war (im Sediment) nur nach 10 Tagen Einwirkung reichlich, bei
längerer Einwirkung äusserst gering, während bei dem vom Papier stammenden Infus
die Zahl der Bacillen eine mittlere bis reichliche war.
Es geht ans obigen Untersuchungen hervor, dass, da die Cigarren von den Fabriken
kaum vor 4 Wochen abgegeben werden können, da sie zu nass sind, die Gefahr
einer tuberculösen Infection vermittelst Cigarren von Seite
der sie darstellenden Arbeiter ausgeschlossen ist.
und I^iritiken.
Aerztliche Kunst und medicinische Wissenschaft
Ein Beitrag zur Klarstellung der wahren Ursachen der „Aerztlicben Misere" von MDS.
Wiesbaden. Bergmannes Verlag 1898. 31 Seiten.
Ein lieber Freund und College sandte mir dieser Tage die vorliegende Broschüre
zur Lectüre. Ich habe sie aufmerksam gelesen und darin soviel Belehrung gefunden,
dass ich hoffen darf, der Sache, die sie vertritt, durch eine Besprechung an dieser Stelle
von Nutzen zu sein. Wenn ich den Autor öfters selbst sprechen lasse, so geschieht es
nur, um seine wichtigsten Darlegungen nicht durch die Möglichkeit einer subjectiYen
Auffassung zu trüben.
„Der ärztliche Stand befindet sich in einem Niedergange, den diejenigen, welche
eifrig und unaufhörlich davon reden als einen wirthschaftlichen zu bezeichnen pflegen.^
— „Wenn man vorurtheilslos und mit derjenigen Rohe, welche für eine Selbsterkenntniss
das erste Erfordemiss ist, die ärztliche Ausübung der heutigen Zeit betrachtet, so nauas
man zu der Erkenntniss kommen, dass nur die Art dieser Ausübung selbst, weniger
äussere Gründe, die hauptsächlichste Ursache an dem wirthschaftlichen Niedergange sind«
Diese Art der ärztlichen Ausübung aber ist mit zwingender
Nothwendigkeit hervorgegangen aus der durchaus mangel¬
haften Art unserer Ausbildung auf den Universitäten.“ —
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„Die Gründe für unsem Niedergang liegen nicht ausser uns, sondern in uns selber.
Verhehlen wir uns das um Alles nicht, wir, die wir ja von früher Jugend an gelehrt
werden, nur durch wirkliche Ergründung und Beseitigung der tiefgehenden Ursachen
eines Uebelstandes diesen zu beheben. Das Problem der Diagnose kann hier gar kein
so schwer zu lösendes sein, wenn es auch leider ein unerfreuliches ist. Aber die Sache
steht doch nun einmal so: für eine Arbeit und zwar für eine Arbeitsleistung, welche in
der Herstellung nicht eines, erklärlichen Schwankungen unterworfenen Luxusgegenstandes,
sondern vielmehr eines der nothwendigsten Consumptionsartikels: der menschlichen Ge¬
sundheit, besteht, werden heute nur noch Handwerkerpreise bezahlt, während früher für
die gleiche Leistung den betreffenden Arbeitern, welche durch ihren Bildungsgang, ihre
sociale Stellung und die vornehme Art der Ausübung ihres Berufes darauf den be-
rechtigsten Anspruch hatten, Künstlerpreise zu Theil wurden. Die unangenehme Schluss¬
folgerung hieraus ergibt sich von selbst: Die heutige Arbeit kann nur
noch Handwerkerarbeit sein.“
„Und sie ist es in der Thai. Sie ist es geworden durch die Erziehung der heutigen
Generation von Aerzten für ihren Beruf, eine Erziehung, welche nicht entfernt Schritt
gehalten hat und es nicht einmal versucht hat, Schritt zu halten, mit der enormen Ver¬
mehrung und dem ausserordentlichen Zudrange so vieler frischer Kräfte zu dem ärztlichen
Berufe; eine Vermehrung, die au sich dem Stande in seiner iunem Weiterentwicklung
nur hätte zum Nutzen gereichen müssen, wenn die neuen Mitglieder des Berufes durch
ihre Erziehung in das innere Wesen desselben eingeführt und so von vomeherein auf
diejenige Bahn geleitet worden wären, auf welcher sich der Stand nach Stellung wie
nach Leistung auf seiner alten Höhe erhalten hätte und sogar noch fortentwickeln müsste.
Sie ist es in noch höherem Masse geworden durch die Art der Ausübung, welche dem¬
zufolge heute Platz gegriffen hat, durch die einseitige und mehr schematische Auffassung
von den Zielen und den Leistungen der ärztlichen Ausübung, welche heute die Ge-
sammtheit des ärztliches Standes durchdringt.“ —
„Die ärztliche Ausübung, dasjenige, was gemeinhin unter dem Begriffe „Medicin“
verstanden wird, ist eine Knnst, keine Wissenschaft; sie ist aber eine Kunst — und
dadurch unterscheidet sie sich von andern Künsten — deren Grundlage, deren Technik
eine Wissenschaft ist. Die Wissenschaft ist die technische Grund¬
lage für unsere Kunst, aber nicht unsere Kunst selbst.“ —
„Und nun, wie bereiten wir die neuen Mitglieder des Berufes heutigen Tages auf
denselben vor? Wir lehren sie eben nur die Technik ihrer Kunst und nicht die Kunst
selber. Hierin liegt das Entscheidende für die ganze Frage, welche heute den ärztlichen
Stand so über die Massen beschäftigt. Es werden heute an den aller¬
meisten hiefür bestimmten Stätten eben überhaupt nicht
mehr Aerzte ausgebildet, welche fähig wären für die wirk¬
liche Erfüllung ihres Berufes, welche Anspruch darauf
machen könnten, sich Aerzte im eigentlichen und vollen
Sinne des Wortes zu nennen. Diese selber trifft natürlich
dabei keine Schuld.“ — „So bildet der heutige Physiologe nur Physiologen
aus und der Gynäkologe nur Spezialisten für Gynäkologie. Und am Ende seiner Studien
angelangt, was hat der Schüler erreicht? Dasselbe was sein klassischer College: Die
Theile hat er in der Hand, fehlt leider nur das geistige Band.“ —
„Wir bilden Aerzte überhaupt nicht mehr aus, sondern nur wissenschaftliche
Mediciner. In dieser Erkenntniss liegt aber auch ganz von selber die Beantwortung der
Richtung für die nothwendige Reform: es muss angestrebt werden, nicht
mehr medicinische Gelehrte durch medicinische Gelehrte
auszubilden, sondern Aerzte durch Aerzte; natürlich auf der Grund¬
lage der vollsten Beherrschung der medicinischen Wissenschaft. Die medicinische Wissen¬
schaft ist dem Arzte nur die Grundlage, nur die Technik zur Ermöglichung der Aus-
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Übung seines späteren Berufes, nicht sein Beruf selber, nicht der Selbstzweck, der sie
leider jedoch bei der heutigen Ausbildung auf der Universität ist.^ —
Die im zweiten Theile der Broschüre eingehend geschilderten Folgen der unzweck¬
mässigen ärztlichen Ausbildung will ich, um mein Referat nicht za lange werden zu
lassen, nicht ausführlicher besprechen, sie sind bekannt und liegen ofifen zu Tage.
Wer ist der Verfasser dieser so lesenswerthen Broschüre? Das Pseudonym MDS
verräth ihn kaum, wohl aber der Satz auf Seite 30: Clericns clericnm non decimat.
Er gestattet die ziemlich sichere Diagnose auf einen Universitätsprofessor; er
ist wohl einer der tüchtigsten klinischen Lehrer in höchster Steilung, voll Begeisterung
für unsere Kunst und voll Liebe zn ihren Jüngern, den practischen Aerzten.
Nehmen Sie, hochgeehrter Herr Verfasser! für Ihre wahre und warme Sprache
einen tiefgefühlten Dank entgegen! Auf märkischem Sande, an der schönen blauen
Donau, am Fnsse der Alpen, überall ein dem vorurtheilsfreien Blicke leicht bemerkbarer
Rückgang der socialen Stellung der Aerzte, den mit Glacehandschuhen geschützten Händen
der Stadtärzte ebenso empfindlich wie den schwieligen Händen der Landärzte! Mehr den
lärmenden Hürden vor der Jagd gleich rüsten sich vielerorts einzelne Collagen und
ärztliche Vereinigungen zum Kampfe. Die „Ritter vom Geiste“ mögen mit dem Autor
der besprochenen Broschüre in die Arena treten und ihre Schaaren zu Sieg und Ruhm
führen! Kaufmann.
Abriss der Lehre von den Nervenkrankheiten.
Von P. J. Möbins. Abel, Leipzig 1893. 188 pagos.
Ce petit livre, dedie ä Charcot^ est un rcsume, clair ct succinct, de la pathologic
generale et speciale des maladies nerveuses. Dans une prerai^re partie l’autcur condense
en quelques pages les principaux chapitres de son livre bien connu „Allgemeine Dia¬
gnostik“ — en y ajoutant quelques reflexions generales, fort suggestives, sur la thera-
peutique des maladies du Systeme nerveux. 11 insiste particuliercment sur IMmportance
de Tinfluence psychique dans tout esp^ce de traitement, et il dit avec raison qu’aucun
medecin ne devrait ignorer la puissance de la Suggestion et de l’auto-suggestion pour
la guerison des maladies.
Dans la seconde partie Möbius classe les affections nerveuses d’apr^s leur etiologie.
11 traite d'abord des maladies exogenes, dont les causes sont extcrieures a
l’individu, les empoisonnements metalliques (plomb, arsenic) ou organique (alcool, nevrite
diabetique), les infections aigues et chroniques, les affections des centrcs nerveux möta-
syphilitiques (tabes et paralysie genörale), les infections nerveuses idiopathiques (nevrite,
polynevrite, poliomyelite, encephalite aigue, choree et tetanie), celles qui proviennent des
maladies de la glande thyroide (myxoed^me, maladie de Basedow)*^ l’acromögalie en
appendice. — Le sec-ond groupe, celui des maladies endogenes renferme les
n^vroses auxquelles Tauteur ajoute la maladie de Thomscn^ la dystrophie musculaire
progressive et la maladie de Friedreich.
Reste un dernier groupe qoe M. ränge dans les maladies exogenes de cause in-
connue, les diverses scleroses, la Syringomyelie, les myelites, la paralysie agitante.
Le tableau de cbacune de ces maladies est trace rapidement, le diagnostic discute
avec clartö en quelques mots precis, et le traitement indique dans ses grandes lignes.
En somme, excellent resume des connaissances actuelles sur les maladies nerveuses,
qui sera surtout appröcie par le mödecin praticien. Ladame.
Das Kupfer vom Standpunkte der gerichtlichen Chemie, Toxicologie und Hygiene.
Von Prof. Dr. A. Tschirch. Verlag von Ferdinand Enke in Stuttgart. 1893. 138 Seiten.
Die ättsserst interessante und sehr zeitgemässe Monographie, welche sich auf eine
umfassende Kenntniss der ungemein grossen Speciallitteratur und auch auf eigene Ver-
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suche des Verfassers uud einiger Mitarbeiter stützt, zerfällt in vier Theile, von denen
der erste das Vorkommen von Kupfer im Pflanzen- und Thierreich, die Arten seiner Auf¬
nahme und Speicherung und die künstliche Kupferung von Nahrnngs- und Genussmitteln
behandelt, der zweite die Frage erörtert, ob Kupfer ein Gift sei und ob es eine chro¬
nische Kupfervergiftung gehe, der dritte die gesetzlichen Bestimmungen anführt, welche
das Kupfer betreffen, und der vierte zum Schluss die Resultate zusammenfasst und Vor¬
schläge betreffend Zulässigkeit des Kupfers in Lebensmitteln (speciell in Wein und Con-
serven) enthält.
Bezüglich der Giftigkeit des Kupfers gelangt der Verf. zu folgenden
Schlüssen: Immerhin ist Kupfer ein Gift, welches zwar selten beim Menschen den Tod
aber doch mehr oder weniger schwere Intoxicationen erzeugen kann. Alle Kupferver¬
bindungen sind in dieser Beziehung von gleicher Wirkung. Die höchste Tagesdosis für
einen erwachsenen Menschen, ohne dass Gesundheitsstörung eintritt, scheint bei 0,1 gr
Kupfer zu liegen. Eine pernieiöse Accumulation des Kupfers im Körper wird durch
dauernde Abfuhr verhindert. Dafür, dass es eine chronische Kupfer Vergiftung gebe, spricht
zur Zeit nichts.
Gegen Verwendung kupferner Geschirre in der Haushaltung hegt
der Verf. keine ernstlichen hygienischen Bedenken, sofern solche gut gereinigt sind. Viele
Erkrankungen, welche Kupfergefässen zugeschrieben wurden, sind auf andere Ursachen
(Bacterien, Proma’ine etc.) zurückzuführen.
Was die Anwendung des Kupfers gegen pflanzliche Para¬
siten betrifft, so wird gekupferter Weizen als Saatgut für unschädlich und die Kupfe¬
rung der Kartoffelstaude für unbedenklich erklärt; auch von einer Gesundheitsschädlich¬
keit der Weine aus mit Kupferlösung bespritzten Reben könne nicht die Rede sein.
Bei der Kupferung des Mebles hält der Verf. Verwendung kleiner Kupfer-
meugen für unbedenklich, pflichtet aber doch Lehmann bei, welcher sagt: ^Der Zusatz
von Kupfer zum Brod ist zu verbieten, weil die Gefahr des nachlässigen Zusatzes zu
grosser, gesundheitsschädlicher Mengen vorliegt, verdorbenes, unter Umständen schädliches
Mehl wieder backfahig wird und ein vermehrter Wasserzusatz (6—7®/o) möglich wird.“
Eine Frage von besonderer Wichtigkeit und Actualitat ist die K u p f e r u n g der
Conserven (Reverdissage). Hier gelangt der Verf. auf Grund eingehender Studien
und Untersuchungen, deren Leetüre besonderes Interesse bietet, zu dem Schluss, dass es
besser sei, man finde sich damit in der Weise ab, dass man einen zulässigen Maximal-
gehalt an Kupfer feststellt. Sein daheriger Vorschlag geht auf 50 rogr metallisches
Kupfer pro kg Conserven, eine Menge, die als absolut unbedenklich zu bezeichnen sei. —
Wie sehr die Ansichten in Bezug auf Zulässigkeit der Kupferung der Conserven heute
noch auseinandergehen, zeigt die Zusammenstellung wissenschaftlicher Gutachten und ge^
setzlicher Vorschriften im III. Theil des Werkes, worauf speciell verwiesen wird. In der
Schweiz z. B. besitzen nur fünf Cantone diesbezügliche Verordnungen: Zürich, Bern und
Thurgau verbieten die Verwendung von kupferhaltigen Farbstoffen für Lebensmittel über¬
haupt, während St. Gallen und Genf einen Gehalt von 100 rogr Kupfer pro kg frischer
Conserven gestatten. (Dabei werden aber in der Schweiz ausschliesslich mit Kupfer ge¬
färbte Conserven importirt, fabricirt und consumirt und eine wirksame Controle dieses
Nahrungsmittels ist nur auf Grundlage eines eidgenössischen Lebensmittelgesetzes
möglich. Ref.)
Zürich, im August 1893. Alfred Bertschinffer,
Atlas der pathologischen Gewebelehre in mikrophotographischer Darstellung.
Herausgegeben von C. Karg und 0, Schmorl, mit einem Vorwort von Birch-Hirschfeld.
Verlag von F. C. W. Vogel in Leipzig 1893. (6 Lieferungen. Gesammtpreis 50 Mk.)
Das vorliegende Werk soll eine möglichst naturwahre bildliche Darstellung der
wichtigsten pathologisch-anatomischen Gewebsveränderungen zu Händen von Lehrern und
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Lernendea geben und „in Zahl und Zusammenstellung der aufgenommenen Präparate
etwa demjenigen Material entsprechen, wie es in den practischen Cursen der pathologischen
Gewebelehre im Verlaufe eines Semesters zur Verwendung kommt. ^
Die Verwerthung der Photographie zu einer Illustration der pathologischen Histologie
gewährt zweifellos sehr grosse Vortheile; doch sind, wie auch die Vorrede hervorhebt,
die Ergebnisse der Mikrophotographie noch nicht so vollkommen, dass dadurch die mehr
„Schematisirende Zeichnung" entbehrlich würde. Abgesehen davon, dass eine absolute
Objectivität selbst in der Photographie nur in bedingtem Sinne zu erreichen ist und die
Nachahmung der natürlichen Verhältnisse auch hier ihre nicht allzu weiten Grenzen bat
— z. Th. schon bestimmt durch die eingreifende Vorbehandlung der Präparate —,
genügen gerade bei der grossen Detail Wiedergabe die Unterschiede in der Abtönung nicht
immer, um ein leicht verständliches Bild zu liefern und vor Allem ist es unmöglich, ver¬
schiedene Einstellungsbilder zu einem Gesammtbilde zu combiniren, wie es das Zeichnen
erlaubt. Dieser letztere Umstand besonders muss eine erschöpfende und leicht fassliche
Darstellung der pathologischen Histologie mit Hülfe des photographischen Apparates
ausserordentlich erschweren. — Sieht man von diesen Unzulänglichkeiten, die der Mikro¬
photographie von heute im Allgemeinen anhaften, ab, so muss man zugeben, dass die
Autoren der Aufgabe, welche sie sich gestellt haben, in hohem Masse gerecht werden —
soweit die bereits vorliegenden Proben und die noch in Aussicht gestellte Folge ein
ürtheil erlauben. Wahl und Ausführung der Bilder sind fast überall sehr gelungen und
geeignet, bei dem Unterrichte sowohl als beim Selbststudium die besten Dienste zu
leisten.
Der Inhalt der beiden ersten Lieferungen ist kurz gesagt folgender:
Tafel I führt uns in 12 Figuren Zellen und Zellverändernngen vor, wie sie
unter pathologischen Verhältnissen auftreten können (Mitosen, Eiterkörperchen, Mastzellen,
körperliche Elemente des leukmmischen Blutes etc.). Auf Tafel II kommen ver¬
schiedene Formen der Degeneration zur Ansicht (fettige, amyloide, colloide, hyaline und
schleimige Entartung, Fettinfiltration); auf einem Photogramm ist ein geschichtetes Kalk-
concrement aus einer tuberculösen Lymphdrüse, auf einem andern Corpora amylacea der
Prostata dargestellt. Tafel III bringt atrophische Zustände der Leber und der
Lungen (Emphysem), Ablagerung von Eisen in der Leber bei pemiciöser Aniemie, von
Silber in den Nieren bei Argyrie, von Harnsäure in einem Gelenke bei Gicht zur An¬
schauung. Tafel IV illustrirt atrophische und hypertrophische Zustände der Muscn-
latur, Sklerose der Rückenmarkshinterstränge bei Tabes, Atherom der Arterien, ossificirende
Pachymeningitis und Coagulationsnekrose der Leber bei Eclampsie. Auf Tafel V und VI
sind krankhafte Processe verbildlicht, wie sie nach Circulationsstörungen auftreten:
Hmmorrhagie, Stase, Thrombose und Embolie mit ihren Folgezuständen (Infarct, Abscess).
Tafel XV endlich beschäftigt sich in 8 Figuren mit der Histologie des Tuberkels.
Da die Veränderungen an den Geweben in allen Fällen hochgradige sind, so macht
die Erkennung der dargestellten pathologischen Processe keine Schwierigkeit; mittelst der
beigegebenen knappen Erklärungen kann sich auch ein Anfänger zurechtfinden und die
vermehrte Aufmerksamkeit, welche zur Orientirung im Vergleiche mit einer Zeichnung
etwa erforderlich ist, kann dazu dienen, ihn vor Illusionen über die Leichtigkeit der
EntzifTernng mikroskopischer Präparate zu warnen. Bubler,
Oie LidentzUndung und ihre Folgekrankheiten
nebst zwei eigenen Operationsmethoden gegen das Ektropium post Blepharitim.
Von Dr. F. FuJeala, Augenarzt in Pilsen. 1893. Leipzig und Wien, bei M. Breitenstein.
Die 41 Seiten umfassende Arbeit betont nachdrücklich den Zusammenhang von
hartnäckigen Conjunctival- und Comealleiden mit vorher vorhandener und noch be¬
stehender Lidrandentzündung resp. Lidrandulceration. An Hand zahlreicher Fälle wird
aufs Wärmste die energische Behandlung der Lidrandaffection mittelst gut zugespitztem
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Lapis mitigatuB empfohlen. In Fällen, wo hartnäckige Entzündung der Conjunctiva und
der Cornea allen andern Mitteln trotzte , half das angegebene Verfahren — genügend
wiederholt — aufs Prompteste, ln ganz verzweifelten Fällen wird als das Beste die
Abtragung des Lidrandes nach Flarer empfohlen. Zum Schluss werden noch zwei eigene
Methoden der Operation des Ektropium post Blepharitim beschrieben. Pfister.
Die KnSchelbrUche.
Von Dr. Emil Eotter. München, bei Lehmann, 1893. Octav, 28 pag. 1 Mark.
Vorliegende Abhandlung vordankt ihre Entstehung der Ansicht des Verf., wonach
bei keiner andern Fractur, wie bei derjenigen der Malleolen, so schlechte therapeutische
Resultate erzielt würden. Dies hange nun ab z. Th. von nicht richtig gestellter Dia¬
gnose und zum Theil von mangelhafter und einseitiger Handhabung der Technik. Durch¬
lesen wir aber die Arbeit, so finden wir bereits nichts, was nicht schon in allen Lehr¬
büchern über Fracturen beschrieben wäre, so dass wir unwillkürlich uns fragen müssen,
ob dieselbe nicht besser den Weg des Buchhandels vermieden hätte. Dumont.
Pathologie und Therapie der Hautkrankheiten.
Von Moriz Kaposi. 4. Auflage, 2. Hälfte. Urban & Schwarzenberg.
Wien und Leipzig, 1893.
Mit Erscheinen der 2. Hälfte liegt die ganze 1044 Seiten und 84 Abbildungen
umfassende Neuauflage des bekannten sehen Lehrbuches vor uns.
Schon anlässlich der Besprechung des 1. Theiles (Jahrgang 1892, Nr. 23 dieser
Zeitschrift) wurden die grossen Vorzüge dieses Werkes hervorgehoben: klare bündige
Sprache, Beschränkung des Stoffes auf das für den practischen Arzt und Studirenden
(und für diese ist ja das Buch geschrieben) Wissenswerthe mit Hintansetzung aller
theoretischen Speculationen und Hypothesen. Gereicht die in dem Werke gegenüber den
neuen und neuesten, oft nur zu ephemeren Forschungsresultaten überall hervortretende
Skepsis demselben zum Vortheil, so föhrt wieder das zähe Festhalten an althergebrachten
Ansichten zu manchen Einseitigkeiten. So bleibt Kaposi dem immer mehr zusammen-
schmelzenden Häufchen der Unitarier treu und hält (Seite 836) an der Identität des
Virus vom Ulc. molle und des Ulo. dnr. resp. der Syphilis fest. Das jetzt ziemlich all¬
gemein als selbstständig anerkannte Krankheitsbild der Pityriasis rubra pilaris ist für
Kaposi identisch mit seinem Lichen ruber accuminatus, d. h. eine leichtere Form des
Lichen ruber Hebrse.
Eine werthvolle Bereicherung hat dieser 2. Theil durch Einfügung des Capitels
über die pathogenetisch so hochinteressante Keratosis follicularis und Psorospermosis er¬
halten. Auch Hutchinson^s Sommerprurigo, der eigenthümliohe Gewebszustand der Cutis
laxa, die Erythrodermien Besnier's^ finden kurze Erwähnung. Fast vollständig umgear¬
beitet wurde das Capitel der Sarcoide. Hieher zählt Kaposi die auch in der Schweiz
(Bern, Basel) schon öfters beobachtete, fast stets letal verlaufende Mycosis fnngoides,
die er der Pseudoleukämie und gewissen Formen des Lymphosarkoms anreihen will.
Mag man über Einzelnes getheilter Ansicht sein, das altbewährte Meisterwerk als
Ganzes kann Arzt und Student zum Studium aufrichtig empfohlen werden.
Heass (Zürich).
Oantonale Ooioreisipondeiizeii.
Kosten-Toransehlag der achwetm. Kranlceiiwerateheraiig.
An der Hand des bis heute publicirten Materiales soll im Folgenden eine Uebersicht über
die für die schweizer. Krankenversicherung nothwendigen Geldmittel gegeben werden,
die für uns Aerzte ein besonderes Interesse beanspruchen dürfte.
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I. EBlwarf VBD Hem NrntioDmlrmlli Perrer : Der „Denkschrift über die
Höbe der finanziellen Belastung, welche den nach dem Ent¬
würfe zu einem Bundesgesetze betr. die Krankenversicherung
o i n z u r i c h t e n d e n Krankenkassen voraussichtlich erwachsen
wird^, von dem Yersioherungstechniker des Schweiz. Industriedepartementes, Herrn Dr.
Moser verfasst, entnehme ich die folgenden Angaben:
Der Entwurf sieht 800,000 Versicherte, eine Unterstützungsdauer der Erkrankten
von 1 Jahr und eine Carenzzeit der Unfall versicherten von 6 Wochen vor. An der
Hand der österreichischen Krankenstatistik und der Schweiz. Unfallstatistik wird d i e
Zahl der auf einen Versicherten in 1 Jahr fallenden Kran¬
kentage mit 8,91 berechnet.
Bei den Kostenbeträgen müssen unterschieden werden: a. Kurkosten, b.
Krankengeld, c. Beitrag an die Bestattungskosten, d. Verwaltungskosten, e. Reservefonds.
Die folgende Tabelle orientirt über die aufzuwendenden Summen: Krankengeld
Fr. 10,224,000 = 55,67o, Arzt Fr. 3,032,000 = 16,57o, Medikamente Fr. 1,960,000
= 10,7®/o, Pflege-, Anstalts- und Bestattungskosten Fr. 1,512,000 = 8,2®/o, Verwal¬
tungskosten Fr. 1,656,000 = 9,07o, Einlage in den Reservefonds (ll^o der Gesammt-Aus-
gaben) 2,080,000. Gesammtaufwand 20,464,000 per Jahr.
Die Kurkosten*) werden nach den Ansätzen der österreichischen Bezirkskran¬
kenkassen berechnet auf einen Krankheitstag wie folgt: für ärztliche Hülfe 42,5 Rp.,
für Medikamente etc. 27,5 Rp., für Anstaltskosten etc. 17,4 Rp., Zusammen 87,4 Rp.
per K r a n k h 0 i t 8 t a g !
II. Koslea der stMlIieheD KrmDkenplege. a. Voranschlag von Herrn
Arbeitersecretär Greulich. „1225Staats-Aerzte mit durchschnittlich 6000 Fr.
Gehalt würden 7,350,000 Fr. erfordern; die Heilmittel 4,748,000, der Zuschuss für die
Spitalverpflegung an die Cantone 2,000,000 Fr. Total 14,098,000 Fr. oder inklusive
Erweiterungsbauten der Spitäler und der Verwaltungskosten rund 15 Millionen
j ä h r 1 i c h,** (Zeitungsreferat.)
b. Voranschlag berechnet von Herrn Dr. Moser und Herrn
D r. Schmidt eidg. Sanitätsreferent. (Veröffentlicht durch das schweizerische
Industriedepartement.) Die unentgeltliche staatliche Krankenpflege sollte nach den
Wünschen ihrer Befürworter der gesammten Bevölkerung zu Gute kommen.
Jedem mit dem Gegenstände einigermassen Vertranten ist es klar, dass die Kosten des¬
selben sich zum Vorneherein niemals auch nur mit einiger Sicherheit voraussehen lassen.
Die beiden Verff. des letzten Voranschlages weisen in ihren Schlussbemerkungen hin auf
grössere Epidemien, auf die Steigerung der Ansprüche für Arzt und Heilmittel und auf
die Möglichkeit einer ganz verschiedenartigen Leistungsföhigkeit der ganzen Institution
überhaupt. Jeder Arzt ist im Falle, diese Bemerkungen noch erheblich zu vermehren.
Die Gesammtbevölkerung der Schweiz wird mit 1,977,675 Erwachsenen und
940,079 Kindern in Rechnung gezogen; die schon unter I. gefundenen 8,69 Kranken¬
tage einer Person per Jahr werden beibehalten.
Die ärztliche Behandlung eines Erwachsenen kostet durchschnittlich im
Jahr nach den früheren Ansätzen Fr. 3,69 und eines Kindes (93^0 des Erwachsenen)
Fr. 3,43. Analog ergeben sich für die Heilmittel Fr. 3,40 für den Erwachsenen
und Fr. 3,16 für ein Kind.
Für die Geburten werden verrechnet Fr. 15 per Geburt der Hebamme und
Fr. 1,50 per Geburt dem Arzte (10®/o erfordern die Hülfe des Arztes und letztere wird
per Fall auf Fr. 15 veranschlagt!).
') Bezüglich des Verhältnisses der Kosten für ärztliche Behandlung und für Arzneimittel in
Deutschland ergibt die Kechnungsstellnng pro 1891: für ärztliche Behandlung 16,783,153 Mk.,
für Arzneien 14,187,242 Mk. Es scheint mir jedoch heachtenswerth, dass im Einzelnen das Ver-
hältniss nicht constant ist. Im Reg.-Bezirke Köln kosteten die ärztlichen Behandlungen 350,146 Mk.,
die Arzneien 404,001 Mk., also letztere 5 3,855 Mk. mehr wie erstere.
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Spitalverpflegung: Kinkelin fand für Basel auf 1000 Krankeutage über¬
haupt 304 Krankentage im Spital. Danach kämen auf einen Tag für die ganze Schweiz
20,642 Spitalbedürftige. Gegenwärtig besitzt die Schweiz im Ganzen 7500 Spital-
Krankenbetten. Ed müssten also zunächst noch 13,142 Krankenbetten mit den erforder¬
lichen Spitalbauten vorgesehen werden, das macht, das Bett zu Fr. 3000 Erstcllungs-
kosten angenommen, eine ausserordentliche Ausgabe für Spitäler
von 39,426,000 Fr. Die Spital verpflegungskosten werden mit Fr. 2,08 per Tag
berechnet.
Von dem aus Allem resultirenden Gesammtbetrage werden 12,6®/o abgezogen, als
Aequivalent für jenen bestsituirten Tbeil unserer Bevölkerung, welcher nicht in die Lage
kommt, die staatliche Krankenpflege überhanpt zu benützen. Aus den Steuerverhält¬
nissen etc. ergibt sich, dass dieser Tbeil bloss 6% der Gesammtbevölkerung beträgt.
Der Kostenvoranschlag lautet: Aerztliche Behandlung 11,200,493 Fr., Heilmittel
9,390,881 Fr., Spitalverpflegung 12,126,725 Fr., Verwaltung 1,766,109 Fr., Ge-
sammtanfwand 34,4849208 Fr. Das heisst Fr. 11,82 Cts. per Einwohner
und per Jahr. Für jeden Einwohner der Schweiz würden also
die v o r au B i c h 11 i c h e n Kosten der unentgeltlichen staat¬
lichen Krankenpflege im Monat elaeu Fraukeu betragen.
Zu Allem käme noch eine ausserordentliche Ausgabe für Errich¬
tung von Spitälern, wie bereits angegeben, im Betrage von 39,426,000 Fr.
Das jährliche Reinerträgniss des Tabak-Monopoles wird auf 15 Millionen Franken
berechnet. Kaufmann.
W oolienbei-iolit.
Schweiz.
— Basel. Operationstisch von Dr. Hübscher. Wir verweisen gerne auf
den der heutigen Nummer beiliegenden Prospect der Gebrüder Jmckliu in Basel, welche seit
5 Jahren einen von Collega Hübscher gezeichneten Operationstisch verfertigen. Da der¬
selbe leicht transportabel und leicht zu reinigen ist und, zusammengeklappt, wenig Platz
einnimmt, so scheint er uns für Aerzte und kleinere Krankenanstalten recht practisch.
— Bibliagraphle für schweizeriselie Laadeskaude. Die Zusammenstellung der
Bibliographie über die schweizerische Balneologie ist von der Centralkom¬
mission (Präsident: Dr. Guillaume) an Herrn B. Beber^ Apotheker in Genf, übertragen.
Dieses Yerzeichniss soll die Titel aller Schriften, sowie aller Abhandlungen in Zeit¬
schriften über Bäder, Badeanstalten, Mineralwasser, Heilquellen, Heilkraft der Wasser,
Anwendung, Badeeinrichtung, Analysen, klimatische Kurorte in der Schweiz, kurz Alles
was mit Balneographie und Balneologie in Verbindung gebracht werden kann, enthalten.
Alle Autoren, welche sich mit der Beschreibung der schweizerischen Bäder befasst
haben, sind gebeten, die genauen Titel ihrer Schriften, oder wenn möglich die Schriften
selbst unter Benutzung amtlicher Portofreiheit einzusenden. Auch alle jene Herren,
welche im Falle sind, Auskunft über alte, sowie über neue Litteratur zu geben, sind
ersucht, dies zu thun, und auf diesem für die Schweiz so hochwichtigem Gebiete mit¬
zuhelfen.
Ausland.
— lieber die ResorptloD «ud Aassckeldnof vou Kmlksmlzeu bei gesDodeu Dud
rafhitischeB Kludern hat Budcl im pharmakologischen Laboratorium zu Heidelberg eine
Serie von genauen Untersuchungen angestellt. Gibt man einem gesunden Kinde, bei
planmässiger Ernährung und constanter Kalkausscheidung im Urin, Kalksalze mit der
Nahrung, so beobachtet man regelmässig eine Steigerung der Kalkausscheidung im Harne.
Während aber bei einer Darreichung von 12 gr. Kreide diese Zunahme 52®/o der nor-
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malen Kalkaasscheidung beträgt, steigert sich dieselbe bis zu 126 ®/o nach Absorption
viel kleinerer Dosen (1,6—2,8 gr.) von essigsaurem Kalk. Die Resorptipn ist bis zu
einem gewissen Grade unabhängig von den absorbirten Salzmengen; nach Darreichung
von essigsaurem Kalk steigt z. ß. die Ausscheidung zunächst rasch, um bald ein Ma¬
ximum zu erreichen, welches selbst nach zweifachen Gaben des Salzes nicht überschritten
wird. Das Vorhandensein anderer chemischer Verbindungen kann die Resorption der
Kalksalze wesentlich beeinflussen; so vermindert z. B. phosphorsaures Natron die normale
Kalkaasscheidung um mehr als die Hälfte, während verdünnte Salzsäure dieselbe im
Gegentheil etwas steigert. Die Resorption hängt ebenfalls von der Intensität der Darm¬
bewegungen ab; wird dieselbe durch kleine Dosen Opium verlangsamt, so hat der Darm
Zeit, mehr Kalk aufzunehmen und die Ausscheidung des Salzes nimmt zu. Bei rachi¬
tischen Kindern ist die normale Kalkaasscheidung nicht grösser, als diejenige gesunder
Kinder gleichen Alters. Ebenfalls scheinen rachitische Kinder dieselbe Fähigkeit wie ge¬
sunde zu besitzen, künstlich zugefUhrte Kalksalze zu resorbiren und auszuscheiden. Diese
Resultate stehen in directem Widerspruche mit den älteren Anschauungen über die Natur
der Rachitis, welche das Wesentliche der Affection in einer gestörten Resorption oder in
einer vermehrten Zerstörung und Ausscheidung der Kalksalze sahen. Diese Factoren
sind, wenn sie überhaupt in Frage kommen, wahrscheinlich von untergeordneter Bedeu¬
tung, und das wichtigste Moment des rachitischen Krankheitsprooesses wird wohl in einer
localen Störung des KnochenstofiPwechsels zu suchen sein.
(Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. XXXIII. S. 80.)
— Die Lehre der idiepmIhlscheD Herzverg^Sssemfr ist trotz einer bedeutenden
Anzahl wichtiger Arbeiten über diese Frage heute noch eine der dunkelsten Stellen der
ganzen Lehre der Kreislaufstörungen. Anfangs der siebziger Jahre wurde von Seüz, gleich¬
zeitig mit Älbrecht, Myers u. A. auf Grund sehr sorgfältiger Beobachtungen die Lehre auf¬
gestellt, dass übermässige Körperanstrengungen bei völliger Abwesenheit irgend welches
organischen Fehlers die schwersten Störungen der Herzfunctionen häufig mit raschem
tödtlichem Ansgange hervorzurufen im Stande seien. Werthvolle casuistische Beiträge zu
dieser Lehre der Ueberanstrengung des Herzens brachten später Munsinger (das Tübinger¬
herz) und Leyden^ ohne dass dadurch jedoch diese so wichtige Frage die ihr gebüh¬
rende Stellung in der Lehre der Kreislaufstörungen erlangen konnte. Als eine weitere
Ursache zur Entstehung einer dilatatorischen Herzhypertrophie stellte Bollinger im Jahre
1884 den übermässigen Alcohol- respective Biergenuss hin. Es war ihm aufgefallen, dass
in München, wo der excessive Biergenuss ein häufiges Vorkommniss ist, bei einer grossen
Zahl der secirten Leichen auffallend grosse Herzen gefunden wurden, ohne dass irgend
welche Ursache zu dieser Hypertrophie sich herausfinden Hess. In einer als Festschrift
zu PeitenJeofers Jubiläum jüngst erschienenen Abhandlung haben Basier und Bollinger^)
diese Frage der idiopathischen Herzvergrösserung einer eingehenden Behandlung unter¬
worfen, und, auf ein sehr reichliches klinisches und anatomisches Material gestützt, be¬
gründen sie die ganze Lehre des Münchener ßierherzene. Die Affection befällt haupt¬
sächlich Bierpotatoren und zwar fast ausschliesslich Männer; von 202 von Bollinger un¬
tersuchten Fällen waren bloss 22 weiblichen Geschlechts. Ganz besonders häufig trifft
man die Affectionen bei Leuten, welche mit der Bierfabrication und dem Bierconsum in
engen Beziehungen stehen, so bei Bierbrauern, Küfern, Schenkkellnem. In selteneren
Fällen entwickelt sich relativ rasch innerhalb 8 —14 Tagen das Bild einer schweren
Herzinsufficienz, welche direct zum Tode führen kann, während post mortem in die Augen
springende Veränderungen am Herzen, sowohl macroscopische, als auch microscopische
vermisst werden. In der weitaus grössten Mehrzahl der Fälle entwickelt sich im kräf¬
tigen Alter, meist zwischen dem zwanzigsten und fünfundviorzigsten Jahre, nach und nach
eine mit Dilatation verbundene Hypertrophie, die jahrelang bestehen kann, ohne bemer-
Ueber idiopathische Herzvergrössenmg. Festschrift zur Feier des 50jährigen Doctor-Ju-
biläums von Jf. von Pettenkofer. München 1893. J. F. Lehmann.
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kenswertbe Erscheinungen hervorzurufen. Auf einmal fangen aber die Patienten an über
Appetitlosigkeit mit Erbrechen, Husten, Druck und Schmerzen auf der Brust, Kurzathmig-
keit bei Anstrengungen zu klagen, bis nach und nach Hydrops und sämmtliche Erschei¬
nungen der Herzinsuf&cienz sich einstellen. Das klinische Bild ist ein ziemlich einförmiges.
Man findet mehr oder minder hochgradigen Hydrops, auch Transsudate in den serösen
Höhlen, Leber- und Milzschwellung, yerminderte Diurese, Bronchitis; die Herzdämpfung
ist gewöhnlich in beiden Durchmessern vergrössert, die Herztöne sind in der Hegel dumpf
aber rein, zuweilen hört man systolische Geräusche. Dazu noch zur Vervollständigung
des Bildes strotzende Füllung der Halsvenen, leichte icterische Verfärbung der Haut,
Lungeninfarcte, subnormale Körpertemperaturen. Als Ursache dieser Störungen betrachten
die Autoren die durch den übermässigen Biergenuss hervorgernfene Plethora und eine
als Folge derselben früh oder später entstehende Erlahmung oder Erschlaffung des Herzens.
Dass aber neben dem Biergenusse noch andere Factoren dabei eine wichtige Rolle spielen
müssen, ergibt sich schon aus der Erwägung, dass die obep erwähnten Störungen nur
einen relativ geringen Procentsatz der Bierpotatoren befallen, während die grösste Mehr¬
zahl derselben davon frei bleibt. Von den Männern werden in München nur 6 , 6^0 von
Herzhypertrophie befallen , während die Weiber den noch viel geringeren Procentsatz
von l,5®/o aufweisen. Krehl,^) der nach den weiteren Ursachen der eben geschilderten
Herzstörungen forschte und zu diesem Zwecke die Herzen von neun derartigen Fällen
genau untersuchte, behauptet, dass in jedem Falle anatomische Veränderungen parenchy¬
matöser oder interstitieller Natur der Affection zu Grunde liegen und bekämpft die Er¬
müdungstheorie BollingeT% indem er als Hauptfactor bei der Entstehung der Herzinsuf-
ficienz .eine Myocarditis hinstellt. Seine Beobachtungen sind aber zu wenig zahlreich
und einzelne derselben überdiess nicht vollständig ein wandsfrei, so dass sich aus den¬
selben kein endgültiger Schluss ziehen lässt. Wenn aber auch durch diese Arbeiten
die Frage der idiopathischen Herzvergrösserung noch nicht endgültig gelöst worden ist,
so werden sie doch aufs Neue das Interesse auf diese für die Pathologie hochwichtigen
Erscheinungen gerichtet und zu neuen Beobachtungen und Versuchen angeregt haben.
— Die alte Sappey^^cYiQ Lehre der UDdarchg^iBlig^kell der BaeUi^sehea Klappe
für in den Mastdarm injicirte Flüssigkeit ist nach den Versuchen von v. Genersich als
eine irrige zu bezeichnen. Durch ein in den After eingeführtes und fest umschlossenes
Irrigatorrohr ist es ihm an der Leiche gelungen, bei einem sehr mässigen Drucke von
70—80 cm Wasser so viel Flüssigkeit in den Darm einfliessen zu lassen, bis derselbe
sammt dem Magen gefüllt wurde und das Wasser ans Mund und Nase herausfloss. Die
dazu erforderliche Flüssigkeitsmenge betrug sieben bis neun Liter. Aber auch am leben¬
den Menschen ist diese Auswaschung des Darmes, Diaklysmos, bei genügender Vor¬
sicht ohne Schwierigkeit auszuführen. Nach dem siebenten Liter, oft schon früher, stellt
sich reichliches Erbrechen ein, und wenn man die Injection fortsetzt, erscheint dufch den
Mund die in den Mastdarm eingegossene Flüssigkeit. Auf diese Weise kann man zehn
und mehr Liter Flüssigkeit von unten nach oben durch treiben, ohne dass der Patient
erheblichen Schaden davon erleidet. Nach Beendigung der Eingiessung strömt dann der
Flüssigkeitsstrom mit Gewalt auch nach unten heraus. Dass diese Procedur nicht zu den
schonendsten und angenehmsten gehört, braucht kaum hervorgehoben zu werden. Genersich
hat seine Ausspülung des Darmes an zahlreichen Cholerakranken mit einer 1 — 2^/oo
Tanninlösung erprobt, und nach seinen Angaben sollen die Resultate sehr günstig aus¬
gefallen sein (Deutsch, med. Wochenschr., Nr. 41). Gleichzeitig mit v, Genersich und
unabhängig von ihm, hatte Dauriac dieselben Versuche an menschlichen Leichen und
lebenden Hunden angestellt und war zu identischen Resultaten gekommen. Die neue
Methode versuchte Dauriac an 11 Kindern mit grüner Diarrhoe, welchen er eine 10 ^oo
Milchsäurelösung injicirte. Nach der ersten Ausspülung erzielte er in jedem Falle eine
*) Beitrag zar Kenntniss der idiopathischen Herzrauskelerkrankungen, in Arb. aus der medic.
Klinik zu Leipng. F. C. W. Vogel. 1893.
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auffallende Besserung, oft sogar einen Stillstand der Diarrhoe. In zwei Fällen von Icterus
catarrhal. erzielte Bauriac durch Ausspülungen mit Vichy-Wasser eine rapide Heilung.
Am zweiten Tage waren die Fäces bereits schon wieder gefärbt. Was die Technik der
Operation anbelangt, so ist Schonung eine Hauptforderung. Es hat keinen Zweck, zu
hohe Druckhöhen anzuwenden, denn die Eingiessung muss langsam gemacht werden.
Die Kranken klagen oft über heftige Leibschmorzen; man muss daun aussetzen und ab-
warten, bis dieselben vorüber sind. Nach fünf bis sechs Litern bessert sich der nnbehag-
liche Zustand des Patienten; er fängt an zu brechen und bald folgt die injicirte Flüssig¬
keit nach. Man setzt dann die Eingiessung aus, zieht das Bohr aus dem Eectum heraus
und lässt den Darm sich nach unten entleeren; es bleiben gewöhnlich bloss 2—3 Liter
der Spülflüssigkeit im Darme zurück (Progres medical, 30. Sept.). Endlich berichtet
Erlenmeyer über einen Fall von Heus mit glücklichem Ausgange, bei welchem er dem
Patienten im Laufe einer Stunde die enorme Menge von 10 —11 Liter Wasser eingoss,
ohne dass Erbrechen eintrat. Nach dem Aussetzen der Eingiessung floss das Wasser ab,
worauf Stuhlgang erfolgte. Eine am folgenden Tage sich einstellende Darmlähmuiig
Hess sich leicht beseitigen und nach kurzer Zeit war der Kranke wieder hergestellt.
(Deutsche med. Wochenschr., Nr. 44.)
— Die Kimg^ea eines Nenrmsibenikers : „Herr Doctor, ich weiss nicht was mir
fehlt, aber es geht nicht gut. Ich bin nicht mehr derselbe wie vor meiner unglücküchen
Syphilis.
Ich gebe zu, krank bin ich nicht, insofern ich auf bin, hin und her gehe, meine
Qeschäfte besorge; aber ich fühle mich doch nicht wohl.
Zunächst leide ich an Kopfdruck und habe beständig das Gefühl, als hätte ich
ein Gewicht oder einen Helm auf dem Schädel.
Ferner fühle ich mich immer todmüde; meine Beine sind schlaff, sdiwaoh und
schwer, als wäre ich zehn Stunden gelaufen und was am merkwürdigsten ist, Morgens
beim Au&tehen bin ich noch matter als Abends beim zu Bette gehen.
Mein Gehirn ist übrigens nicht besser als meine Beine. Jede Arbeit ermüdet mich;
jede Arbeitslust ist verschwunden. Ich, der früher ohne daran zu denken fünfzehn bis
zwanzig Briefe in einem Nachmittag schreiben konnte, bin erschöpft, sobald ich drei oder
vier geschrieben habe, und ich muss mich zwingen, um fortzufahren.
Ich esse ohne Appetit, habe Blähungen; die Verdauung ist schwer und langsam,
und Stuhlgang erfolgt bloss alle zwei oder drei Tage. — Ich schlafe schlecht, der Schlaf
ist unruhig. — Daneben noch hundert andere Klagen. Glauben Sie mir, ich bin nervös
geworden wie ein Frauenzimmer! Die geringste Kleinigkeit regt mich auf, quält mich,
bringt mich aus der Fassung. Bringt man mir einen Brief, begegne ich Jemanden auf
der Strasse, so fange ich an zu zittern. Dazu noch Schmerzen, einmal hier, einmal da,
Ameisenkriebeln, Eingeschlafensein in den Beinen. Wenn das so fortdauert, werde ich
„meine Nerven^ kriegen, genau wie eine schöne Weltdame.
Ohne Zweifel ist dies alles auf meine Syphilis zurückzuführen, um so mehr als ich,
ich muss es zugestehen, fortwährend daran denke. Sie können mir lange das Gegentheil
behaupten, lieber Doctor, ich weiss es wohl, dass sie unheilbar ist. Meine Freunde (die
nicht wissen, was mir fehlt) haben mir es gesagt. Letzthin ist einer derselben daran
gestorben und zwar im Irrenhause; er war faul bis in's Mark. Und dasselbe Schicksal
erwartet michl^
Dieses aus einer klinischen Vorlesung von Foumier entnommene Bild bezieht sich,
wie ersichtlich, auf einen luetischen Neurastheniker. Es wäre aber schwer, in kürzeren
und drastischeren Zügen ein besseres Bild der Neurasthenie zu entwerfen.
— KmUe Afca ee o ae !■ Fulgie tm Typhus abieninmUs« Die sich ku Anschluss an
Typlais entwickelnden Suppurationen können zweierlei Natur sein: Entweder sind es gewöhn¬
liche Abscesse durch die bekannten Eiterungserreger hervorgerufen, oder es sind speciflsche
Suppurationen, deren Eiter nur den Typhusbacillus von Eberth enthalt. Im Allgemeinen
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treten diese Abscesse acut während der Evolution des Typhus oder kurz nach.der Er¬
krankung auf. In anderen Fällen machen sich im Beginne die Eotzündungserscheinungen
kaum bemerkbar; es besteht kein oder nur wenig Fieber, der Schmerz ist gering, und
erst nach Monaten oder sogar nach Jahren entwickeln sie sich unter den Symptomen
einer syphilitischen Osteopathie oder eines tuberculösen Abscesses. Gianiemesse und Vidal
theilen zwei derartige Beobachtungen mit, die genau verfolgt und bacteriologisch unter¬
sucht wurden, und aus diesem Grunde ein grösseres Interesse beanspruchen dürften. Im
ersten Falle handelt es sich um einen Mann, der im August 1890 einen Typhus dnrch-
machte und vollständig geheilt aus dem Spital entlassen wurde. Zehn Tage nach seiner
Entlassung stellte sich der Pat. mit heftigen Schmerzen in der Mitte der rechten Tibia
wieder ein. Einige Tage Ruhe und Einreibungen der Haut mit einem Liniment ge¬
nügten, um ihn wieder herzusteilen. Seither verspürte er blos hier und da Schmerzen,
wenn er viel gegangen war. Es trat bald eine kleine Geechwolst von der Grösse einer
Nuss an der früher schmerzhaften Stelle auf, ohne aber den Pat. im Geringsten zu be¬
lästigen. Ein Jahr später trat er wieder ins Spital wegen einer Gonorrhoe , und bei
dieser Gelegenheit wurden die Autoren auf die vorhandene fluctuirende Geschwulst auf¬
merksam. Der Abscess wurde eröffnet und die bacteriologische Untersuchung des Eiters
ergab eine Reincultur von Bacillus Eberth. — Im zweiten Falle handelt es sich um
einen Typhuskranken, der schon während eines Recidivs Schmerzen in der linken Ulna
und in der ersten Phalanx des linken Mittelfingers verspürte. Später traten ebenfalls
noch Schmerzen im linken Femur und in der rechten Tibia auf. An letzter Stelle ent¬
wickelte sich rasch eine suppurative Periostitis, welche sofort operirt wurde, aber eine
Fistel zurückliess, aus welcher nach 4 Jahren von Zeit zu Zeit immer noch ein
Tropfen Eiter floss. Ungefahr gleichzeitig entwickelte sich am linken Oberschenkel eine
sehr schmerzhafte Geschwulst, die nach einiger Zeit spontan znrückging, um fünf Monate
später wieder aufzutreten und eine Operation nothwendig zu machen. Es entleerte sich
dabei eine grosse Menge bräunlichen Eiters, und die Wunde heilte erst nach einigen
Monaten. Unterdessen hatte sich auf der ersten Phalanx des linken Mittelfingers eben¬
falls eine Eiteransammlung gebildet, welche nach ihrer Entleerung noch 10 Monate floss
bis der Pat. selbst einen kleinen Sequester aus der Wunde exstirpirte. An der linken
Ulna hatte sich endlich ganz langsam und fast spurlos eine kleine apfelgrosse fluctuirende
Geschwulst entwickelt, welche dem behandelnden Arzte für einen tuberculösen Abscess
imponirte. Die achtzehn Monate nach der Typhuserkranknng vorgenommene bacteriolo-
gitohe Untersuchung ergab keine Tuberkelbacillen sondern Reinculturen von Eberth^Bchen
Typhusbacillen. Während der ganzen Serie dieser multiplen Eiterungen befand sich der
Pat. vollständig wohl und konnte ohne Störung seinen Geschäften nachgehen. Der ausser¬
halb des Körpers so subtile Typhusbacill ist also im Stande sich im Organismus jahre¬
lang zu halten, zn localisiren und langsame, schleichende, fast symptomenlose Erkran¬
kungen hervorzurufen, welche eine tuberculöse Affection Vortäuschen können.
(Soc. mödic. des Höpitaux, 24. Nov.)
— Als EBtartaipireaetiM definirte Erb eine Störung der electrischen Erregbarkeit,
charakterisirt durch Abnahme und Verlust der faradischen und galvanischen Erregbarkeit
der Nerven und der faradischen Erregbarkeit der Muskeln bei erhaltener, zeitweilig
erhöhter galvanischer Erregbarkeit der Muskeln, letztere aber derart qualitativ verändert,
dass sie träge und mit Umkehr der Zncknngsformel erfolgt. Bei der partiellen Ea R.
verschwindet die Erregbarkeit der Nerven und die faradische der Muskeln nicht voll¬
ständig, nimmt nur mehr oder weniger ab. Die wirkliche Ea R. kommt niemals bei
histologischer normaler Musoulatur vor, und muss immer als ein Kennzeichen histologischer,
niusculärer Alterationen aufgefasst werden. Mit der Zeit hat die ^rö'scbe Definition der
Ea R. einige Modificationen erlitten, welche von Remak in einer neuen Definition der
Entartnngsreaction gewürdigt worden sind. Die Uebererregbarkeit der galvanischen Muskel-
zucknng, welche als Ilauptcriterium der Ea R. hingestellt wurde, wird nur in den Höhe-
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Stadien «der degenerativen Paralyse beobachtet, und fehlt meist in den ersten Perioden,
zu einer Zeit, wo die andern Symptome schon ausgesprochen sind. Ebenfalls ist die
Umkehr der Zuckungsformel nicht eonstant. Einmal kann bei ausgesprochener Ea R. die
Ka S. Z. stärker sein als die An. S. Z., dann kann auch bei vollständig gesunden Mus¬
keln die An. S. Z. stärker ausfallen als die Ka. S. Z. Nur das dritte Criterium, die
Trägheit der Zuckung, welche graphisch in geringerer Steilheit und grosserer Breite der
Curve ihren Ausdruck findet, ist für die galvanische Ea R. charakteristisch. Eine prin-
cipielle Verschiedenheit der Reaction der entarteten Muskel auf galvanische und fara-
dische Erregung muss man nach den neueren Untersuchungen fallen lassen. Ebenfalls
scheint die Annahme unrichtig, dass für die träge Ea R. Ströme grösserer Dauer noth-
wendig seien, woraus man die Erregbarkeit für den galvanischen und die Unerregbarkeit
für den faradischen Strom zurückgeführt hatte. Bei completer Ea R. gelingt es noch,
den Muskel faradisch zu erregen, sobald man nicht mit schnell aufeinander folgenden
Schlägen reizt, sondern mit Einzelschlägen eines kräftigen Inductionsapparates. Dabei
beobachtet man eine träge Zuckung des Muskels, wobei die Anode wirksamer sein soll
(s. BuboiSj Corr.-Blatt 1888, S. 206). Nach wiederholten Reizungen erschöpft sich bald
die Contractionsfähigkeit des Muskels. Auf Grund obiger Beobachtungen gibt Remak fol¬
gende vier Sätze als charakteristisch für die Entartungsreaction: 1. Beweisend für Musket¬
en tartung ist nur der wiederholte Nachweis der galvanomusculären Ea R. 2. Als ihr
sicheres Criterium kann nicht die Umkehr der Zuckungsformel, sondern nur die Zuckungs¬
trägheit gelten. 3. Die ältere Anschauung, dass das differente Verhalten entarteter
Muskeln gegen galvanische und faradische Reizungen von der grösseren Dauer der ersteren
abhängt, ist nicht mehr haltbar. Vielmehr scheint die Degeneration des Muskels seinen
Contractionsmechanismus derart zu verändern, dass, je stärker seine Entartung ist, er
desto träger auf jede Form des electrischen Einzelreizes reagirt, und desto stärker
die Erschöpfbarkeit dieser Reaction bei wiederholten Reizen wird. 4. Zuckungsträgheit
bei directer faradischer und franklijtischer Reizung darf nur dann als Ea R. angesprochen
werden, wenn diese gleichzeitig bei directer galvanischer Reizung nachweisbar ist.
(Deutsch, med. Wochensohr. Nr. 46.)
— Combinirte MtrphiiH- ud Snlftnalwirkugf. Sulfonal ist ein werthvolles
Hypnoticum von ziemlich sicherer Wirkung. Der Sulfonal schlaf ist aber ein leichter und
wird durch schmerzhafte Empfindungen, 'sowie durch Hustenreiz leicht unterbrochen.
Diese Empfindungen werden durch kleine Dosen von Morphium, welche zur Hervorrufung
des Schlafes an sich ungenügend sind, beseitigt. Desshalb ist die combinirte Anwendung
von Morphium und Sulfonal im Stande, einen langdauemden und ruhigen Schlaf zu er¬
zeugen , sobald die Schlafiosigkeit auf schmerzhafte Sensationen oder Reizangsznstände
zurückzuführen ist. Durch Thierversuche konnte sich Gmzalcs überzeugen, dass die
combinirte Wirkung des Morphiums und des Sulfonals eine tiefe Narcose erzeugt, ohne
nachtheiligen Einfluss auf Athmung und Kreislauf. (Nouv. remödes No. 22.)
— Zur Hersielluip von Jodoforag^nze empfiehlt Gay als Lösungsmittel für das
Jodoform und das als Klebmittel dienende Harz ein Gemisch von Aether und Benzin zu
verwenden. Die Flüssigkeit muss vollständig von der Gaze aufgenommen werden und
letztere, noch ehe sie ganz trocken geworden ist, zusammengelegt werden, um Verluste
an Jodoform zu vermeiden. Die noch rückständigen Lösungsmittel (Aether und Benzin)
verflüchtigen sich allmählich durch die Verpackung hindurch. Trotzdem nimmt Gay
einen Verlust von 10 — 15®/o Jodoform als unvermeidlich an, und er schlägt vor, um
Jodoformgaze von richtigem Gehalt zu bekommen, 10 —15®/o Jodoform mehr zu verwenden.
(Pharm. Centralhalle Nr. 47.)
Brlefkasteii.
Dr. N. in M.: Vorsatz der Redaction pro 1894: Das Corr.-Blatt soll nie mehr verspätet in
die Hände seiner Leser gelangen. — C. P. in H.: Gruss übers Meer.
Schweighanserische Bnchdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
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Tracbeotomirten. — Dr. A. Daiber: Ueber den Nacbwoia ron Oljcoa« im Ham. — Dr. 0. NagM: Ein olgenartigos Sprech- und
SehlaekbiadorDiaB. — Dr. Streit: Vergiftang dnreh Samon Ton Datura Stramoniam (Steobapfel). — SO Verei n sboriehto:
lla^diiiaoh-pbarmaeeotUohor BexirksTorein Bern.— Oesellachaft der Aerzte in Zftrieh. — 3) Referate aod Kritiken:
Dr. Älberi Boeemberg: Die Kraakbeiten der Mandböble, des Bachens and des Kehlkopfes. — Th, Bering: Die Eleetrolyse and
ihre laweadong Wi Brkrankang der Mase ete. — Prot Dr. Behring: Die Oeeehichte der Diphtherie. — Max Weüemeger:
Uftneheaa Tnberealosemortalitat in den Jahren 1814—1888. — B, Audecud: Crdosote et Tnbercalose. — B. Sehnunu: Grand-
riae der pathologischen Anatomie. — Dr. Anton Bum and Dr. M. T. Scknirer: Diagnostisches Lezicon für pract. Aerzte. ~
Dr. Arnd : DarehlAssigkeit der Darmwaad eingeklemmter BrSche fttr die Uicroorganismen. — J. Boa»: Diagnostik and Therapie
der Xagenkrankbeiten. — 4> Can ton ale Correspondenzen: Zam Andenken an Dr./Wir Born f. — Tübingen: Beeach der
Uafrersltit. — Zürich: 40j&hriM JabilAam des Aritl. Vereins des Oberlandes. — Acten der schweizer. Aenteeommiseion. —
6) Wochenbericht: UrealTcbs Vorlage betr. nneotgeltliche Krankenpflege. — Fröhlieh'» Oebirntrage. — XI. internat.
BiediciB. Congreso. — Deatsebe dermatologuche Gesellschaft. — f SanitAtsrath Dr. 8. Ouitmann in Berlin. — Rüsche Behand-
lang der Geleaktabercalose. — Behaadlnnng der Ischias nach Weir MitekeU. — Bedeatnng der diphtheritischen Membranen. —
BehandlaBg der MriaMs. — Cholera asiatiea darch Laboratoriamsinfection. — Cholera. — Monatsschrift für praktische Wasser*
heilkande. — Oallassaarea Ergotin. — Beazol als Eipectorans. — 6) Briefkasten. — 7) Bibliographisches.
Zur Frage der Retention der Secrete bei Tracbeotomirten.
Von Dr. E. Ktthl in Chur.
Herr Prof. Hagenbach-Burckhardt hat in Nr. 11 des Correspondenzblattes letzten
Jahres einen Aufsatz veröffentlicht, in welchem er meinen 12 Ursachen der Erschwe¬
rung des Ddcannlement nach Diphtherietracheotomie noch eine dreizehnte hinzofügt;
n&mlich: ,Die Retention von catarrhalischem Secret in der Trachea und in den Bron¬
chien nach dem Versuch, die Canäle zn entfernen."
Es möchte nun dies den Anschein erwecken, als ob ich die in Rede stehende
Ursache g&nzlich übersehen h&tte, was um so auffallender w&re, als mir die Pnbli-
cationen von Böekel und GetUit ebenfalls bekannt waren,‘) und sehe ich mich deshalb
veranlasst, mit einigen Worten auf die besprochene Ursache zuräckznkommen und
meine Ansicht hieräber ebenfalls klar zn legen. Ich fähle mich um so mehr ver¬
pflichtet dies zn thnn, als ich mit der Ansicht von Prof. H. nicht einig gehe und
glaube, dass diese Ansicht gefährliche Consequenzen nach sich ziehen könnte.
Krankheitsfälle, wie sie Herr Prof. H. citirt, hat gewiss schon Jeder erlebt, der
tracheotomirte Kinder nachbebandelt hat und die Canüle möglichst frühzeitig zu ent¬
fernen bestrebt ist. Es ist nicht nur keine Ausnahme, sondern zum mindesten häufig,
dass die Canäle nicht so glattweg fortgelassen werden kann, dass steigende Dyspnee
zur Wiedereinführung derselben für 1—2 Tage zwingt, ja dass derartige Versuche,
') Der von Herrn Prof. H. erwähnte BöckeVsche Fall findet sich in meiner Dissertation pag.
133 nnter die Fälle von Spasmus gloitidis eingereiht.
3
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die CauQle fortzulassen, nicht nur ein, sondern auch zwei bis drei Mal repetirt werden
müssen. Es ist vollkommen richtig, dass die betreffenden Kinder nach dem Ddcanule-
ment ruhig athmen, dass im Anfänge Alles ganz gut zu gehen scheint, bis sich eben
die Tracheotomiewunde soweit verkleinert hat, dass die
Secrete durch dieselbe nicht mehr expectorirt werden ken¬
nen. Nun setzt Dyspnoe mit Secretretention und eventuell mit Fieber ein und nöthigt
eben zur Wiedereinführung der Canüle.
Worin ich aber mit Herrn Prof H. nicht einig gehe, das ist dessen Auffassung.
Meiner Ansicht nach ist es nicht die Secretverb^ltung,
die die Wiedereinführung der Canüle verlangt, sondern
die noch fortbestehende Eeh 1 kopfstenose, denn diese ist
es, welche die Secretverhaltung bedingt; wäre der Kehlkopf voll¬
kommen frei, seine Mucosa nicht mehr intumescirt, so könnte das Secret auch ganz
gut durch den Larynx ausgeworfen werden. Der Beweis für diese Ansicht ist leicht
zu erbringen: Ist beim D^canulement unter Zuhaltung der Tracheotomiewunde mit
dem Finger die Luftpassage durch den Kehlkopf ganz frei, athmet das Kind voll¬
kommen ruhig weiter, so wird es nach dem Ddcanulement (bei Abwesenheit
anderer Ursachen) auch gewiss nicht zu nachträglicher Dyspnoe durch Secret¬
retention kommen; wenn man aber bereits am 3. oder 4. Tag d4-
canulisirt und obgenannten Versuch macht, so ist es die
fast ausnahmslose Regel, dass der Kehlkopf zum grössten
Theil noch undurcbgängig ist und dass Dyspnoe eintritt. Wenn das
Decanulement dessen ungeachtet gelingt, so hat die Schuld daran der Umstand, dass
die Tracheotomiewunde weit klafft und für drei, vier und noch mehr Tage der Luft voll¬
kommen oder theilweise Passage gewährt, so dass unter dieser Zeit der Larynx ge¬
nügend Zeit bat zur Restitution. Gerade aus diesem Grunde, d. h. des Klaffens der
Trachealöffnung wegen, gelingt das frühe Ddcanulement viel leichter bei Kindern mit
schlankem Hals und schlechtem Fettpolster; daher auch die Erfahrung, dass bei Wund-
dipbtherie, wobei ein starrer Wundcanal und nachher eventuell ein etwas grösserer
Defect entsteht, das Döcanulement oft auffallend leicht vor sich geht.
Bei dem frühzeitigen Ddcanulement ist es also von grosser Wichtigkeit, dass die
Tracheotomiewunde möglichst lange offen bleibt und insbesondere auch nicht durch
eintrocknende Secrete verstopft wird. Die Wunde darf also keinesfalls verbunden
werden, sie soll im Gegentheil vollkommen frei und offen sein. Um dieselbe stetsfort
feucht zu erhalten, um zur gleichen Zeit auch die Athemluft feucht zu erhalten,
deckt man sie ganz locker mit einer nassen, grob gewobe¬
nen Gazecompresse zu, oder, was eben so vortheilbaft ist, man bindet eine
ganz dünne, groblöcherige, nasse, bandtellergi'osse Schwammsebeibe auf dieselbe. Ich
gebe zu, dass je früher man das Ddcanulement versucht, desto öfter die von Herrn
Prof. H. erwähnte Erscheinung der ,Secretretention und Dyspnoe bei sich rasch ver¬
engender Trachealöffnung“ eintreten wird, dass somit oft der erste, selbst der zweite
Döcanulementsversuch misslingen wird, nichts desto weniger möchte ich doch dringend
auffordern, womöglich am vierten oder fünften Tage den ersten Versuch zu machen.
Gelingt derselbe, so hat man gewonnenes Spiel, gelingt er nicht, so ist die Wieder-
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eiDflihrong der Canäle (am besten über einen vorne offenen Catheter, der als Weg¬
leiter dient) sehr leicht und bringt keinen Schaden. Man lässt dann die Canüle zwei
Tage lang ruhig liegen, um nach dieser Zeit den zweiten Versuch zu machen.
Auch wenn dahei nichts Anderes erreicht wird als das, dass die Canäle einen oder zwei
Tage nicht in der Trachea lag, so ist dies der Complicationen wegen (Blutungen,
Decubitus, Verbiegungen etc.) schon von grossem Vortheile gewesen.
Dass das Trachealsecret bei vollkommen durchgängigem Kehlkopf besser durch
eine TrachealOffnung expectorirt wird als durch den Kehlkopf, glaube ich niemals. Oft
konnte ich beobachten, dass sich Kinder lange Zeit umsonst abquälten, um durch die
Canäle etwas zu eipectoriren; der Schleimpftopf wich und wankte nicht und flog erst
dann durch die Canäle heraus, wenn diese gleich vor Beginn der Exspiration mit dem
Finger momentan verschlossen wurde, wenn dadurch eine erhöhte Luftpression mit
plötzlicher Läftung des Luftabschlusses, wenn also mit einem Wort ein richtiger
Hustenstoss mit Glottisschluss imitirt wurde. Der Tracheotomie bei §ronchitis capil-
laris könnte ich somit keinen andern Nutzen zuerkennen als den eines momentanen
Reizeffectes, der durch die Einführung der Canäle in die Trachea ausgelöst wird und
ich bin fest überzeugt, dass die Tracheotomie directen Schaden bringen würde, dass
Emetica und heisse Bäder mit kalten Uebergiessungen von ungleich grösserem Effect
und Nutzen sind.
Gegen eine laryngeale und eventuell tracheale Dyspnoe und Cyanose ist die
Tracheotomie ein ausgezeichnetes Mittel, gegen die pulmonale Dyspnoe und Cya¬
nose ist sie meines Erachtens nach werthlos.
Ich bin also, um zu rösumiren, der Ansicht, dass die Secretanhäufung in der
Trachea und den Bronchien in den Fällen des Herrn Prof. H. nur deshalb die Wieder¬
einführung der Canäle erforderte, weil, wie Herr Prof. H. angibt, »die Canäle mög¬
lichst rasch, also am vierten oder fünften Tag entfernt wurde*, resp. weil eben zu
dieser Zeit in diesen Fällen die Kehlkopfmncosa eben so gut wie die Trachealmucosa
noch intumescirt und bei der ,rasch sich schliessenden Wunde* die Passage durch den
Kehlkopf noch nicht frei genug war.
Ueber Secretansammlung bei Intubirten habe ich keine Erfahrung, da ich noch
keine Diphtheriekranken intubirt habe und vorläufig nach meinen bisherigen Erfah¬
rungen hier in Chur (in 7 Jahren 24 Tracheotomien mit 12 (öOVo) Heilungen) auch
keinen Grund habe, von der Tracheotomie ab- und zur Intubation überzugehen.
Bemerkungen zu obigem Aufsatz
von Prof. Hagenbach-Burckhardt.
Die Tit. Bedaction war so freundlich, mir obigen Artikel im Mannscripte znzu-
senden, damit ich Gelegenheit hätte, darauf sogleich zu antworten. Ich mache gerne
von derselben in aller Kürze Gebrauch.
Wenn Herr Dr. KShl sagt: »Meiner Ansicht nach ist es nicht die Secretver-
haltung, sondern die noch fortbestehende Kehlkopfstenose, welche die Wiedereinführung
der Caafile verlangt, denn diese ist es, welche die Secretverhaltung bedingt*, so stimme
ich diesem Ausspruch für manche Fälle unter den frisch d^nulirten vollständig bei.
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Das weiss ja Jedermann, dass beim Herausnehmen der Canüle am 4. oder 5. Tage
die Stenose noch weiter bestehen kann, und dass diese einen veranlasst, die Canäle
wieder einzuführen. In unsem erwähnten Fällen allerdings konnten wir seit dem
ersten D^canulement keine Larynxstenose, wohl aber die erschwerte Athmung, wie sie
bei zunehmender heftiger Bronchitis gewöhnlich ist, wahrnehmen und wenn dann das
D4canulement immer nicht und auch nach Wochen nicht gelingt, wo aus
allen Symptomen zu schliessen ist, dass der Larynx wieder ganz frei
ist, da liegen andere Ursachen zu Grunde. Die Athmung ist tagelang ruhig bei
gut verschlossener Trachealöffnung; der diphtheritische Process im ^chen, in den
Luftwegen, in der Wunde ist verschwunden; die Stimme hat wieder Klang und doch
kann die Canüle nicht entfernt werden. Auf solche Fälle habe ich aufmerksam ge¬
macht und einzelne näher beschrieben, wo trotz der frei gewordenen Kehlkopfpassage
das Secret sich in den Bronchien anhäuft und seinen gewöhnlichen Ausgang nicht
findet. Erst wenn die Canüle wieder eingefübrt wird, stürzt dasselbe mit Gewalt durch
die erweiterte Oeffnung.
Ich kann mich nicht enthalten, hier noch einen sehr instrnctiven Fall, auf den
mich Herr Dr. Feer, der unser Diphtheriematerial zu anderen Zwecken eben erst
durchgemustert hat, aufmerksam macht Wenn man missverstanden wird, kann man
nicht deutlich genug sein. Es stammt die Krankengeschichte aus dem Jahre 1881,
wo wir auf solche Fälle von Schleim Verhaltung noch nicht unser Augenmerk richteten:
sie ist deshalb sehr objectiv und sehr vollständig, wie wir dies von dem damaligen
Assistenten, Herrn Dr. Schenker, jetzt in Aarau, übrigens gewohnt waren.
Qloor Bertha, 4 Jahre. Eintritt den 7. October 1881 mit Group. Zwei Stunden
nach dem Eintritt Tracheotomie. Schon am 12. .October zeigte die Untersuchung, dass
die Patientin bei verschlossener Trachea ruhig athmet, ohne jede Dyspnoe
und laut spricht. Den 13. October Entfernung der Canüle und Verschluss
der Wunde. Den 14. October: Patientin hatte eine gute Nacht. Allge¬
meinbefinden gut. Hustet ziemlich viel. Temperatur afebril, den 14. Abends 39,5.
R. h. o. leichte Dämpfung, zahlreiche trockene und feuchte gross- und kleinblasige
Rasselgeräusche. Den 15. starke Dyspnoe. Wiedereinfuhren der Canüle. Den 16. Pat.
hustet viele schleimige Massen durch die Canüle. Den 18. zahlreiche Rasselgeräusche
über beideu Lungen. Ungewöhnlich profuser schleimig-eitriger Answurf aus der Canüle.
Don 20. afebril. Den 21. Versuch die Canüle zu entfernen, Abends 39,1. Die Canüle
wird wieder eingefübrt. Den 23. Temperatur wieder afebril. Profuser eitrig-schleimiger
Auswurf durch die Cauüle. Die Wunde sieht gut aus. Den 30. In den letzten Tagen
weniger Auswnrf. Definitive Entfernung der Canüle. Keine Temperatur-
Steigerung nach der Herausnahme. Den 12. November geheilt entlassen.
Auch diese Krankengeschichte muss den Fällen beigezählt werden, wo die Stenose
nicht kann angeschuldigt werden, und welche auch von Böckel und von Monti in
ähnlicher Weise beobachtet und gedeutet worden sind, wie von mir.
Für die frischeren Fälle von erschwertem D4cannlement könnte man viel¬
leicht an eine relative Stenose denken, d. h. freie Passage für den Luft¬
eintritt und Behinderung des Secretaustritts; doch für die spätem Fälle, wo der
Kehlkopf normal ist und normal functionirt, kann diese Erklärung nicht herbeigezogen
werden. Auch Herr Köhl denkt nicht an diese Möglichkeit; denn er sagt: «Ist beim
D^nulement unter Zubaltung der Tracheotomiewnnde mit dem Finger die Luft-
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p a 8 s a g e durch den Kehlkopf ganz frei, athmet das Kind Tollkommen ruhig weiter,
so wird es nach dem Ddcanulement (bei Abwesenheit anderer Ursachen) auch gewiss
nicht zu nachträglicher Dyspnoe durch Secretretention kommen."
Wenn man die grossere Oeffnung in der Trachea, die dem massenhaften
Secret zum Ausweg hilft, nicht allein geltend machen will, könnte man noch an
nervöse Einflfisse denken; da ich bloss das Thatsäcbliche in meinem Artikel
kurz hervorheben wollte, habe ich mich weiterer Hypothesen enthalten. Es ist ja
überhaupt die Innervation der Glottis bei Kindern im zarten Alter eine eigenthüm-
liehe; bei rachitischen in erster Linie, aber auch bei anderen treffen wir spastische
Zustände an auf die geringfügigsten Ursachen; psychische Erregungen, Schreien u. dgl.
vermögen Anfälle von Glottisspasmus auszulösen. Solche functionelle Störungen der
Glottis, die eben erst afficirt war, mögen vielleicht auch noch zur Secretretention bei¬
tragen und zwar um so eher, je jünger das Kind ist.
Ich weiss zum Voraus, dass ich mit diesem letzteren Erklärungsversuche meinen
Herrn Kritiker auch wieder zum Widerspruche anrege. In seiner verdienstlichen Ar¬
beit steht er gerade dem Spasmus glottidis als Ersebwerungsmoment für das
Döcanulement ziemlich ungläubig gegenüber und gibt an, noch keinen solchen Fall
beobachtet zu haben. Auch da bin ich anderer Meinung; ich habe wiederholt Fälle
erlebt, wo beim Döcanulement ein Glottiskrampf entstand, der mich veranlasste, die
Canüle wieder einzulegen und wo erst nach Ausschaltung der Aufregung und des
angstvollen Schreiens • durch die Cbloroformnarcose das Döcanulement vorgenommen
werden konnte.
Es wäre ferner auch denkbar, dass das Bestehen zweier Oeffnungon —
Glottis und Trachealfistel — und namentlich wenn letztere nicht ge¬
schlossen ist, besonders ungünstig ist für die Entfernung reichlichen Schleims in den
Luftwegen, indem der Lnftstrom getheilt ist und nicht mehr Kraft genug hat, zähes
Secret- durch die Glottis auszuwerfen. Erst mit dem Einführen der Canäle würden
wieder günstigere Verhältnisse für die Expectoration geschaffen.
Wenn dann schliesslich Herr Köhl die von mir berührte Tracheotomie
bei schwerer Bronchitis capillaris mit Cyanose, die ich bloss
in Form einer noch discutirbaren Frage erwähnt habe, so sehr beanstandet, so muss
ich nochmals wiederholen, dass Tracheotomien bei Einleitung der künstlichen Athmung
und bei schweren Intoiicationen gemacht werden. Dann erinnere ich noch daran, dass
zur Entfernung von Fremdkörpern ans den unteren Luftwegen die Tracheotomie oft
als einzig von Erfolg begleiteteter Eingriff unternommen wird. Wie das von mir
besprochene Secret kann auch der Fremdkörper auf künstlichem Wege (durch die
Trachealwnnde) besser anstreten als durch den Larynx. Auch da kann man sich
fragen, ob die weitere Oeffnung, der Glottisscbluss, vielleicht ein Spasmus derselben
Schuld ist.
Ich enthalte mich weiterer theoretischer Betrachtungen und kann nur das früher
Ausgesagte wiederholen: Die Secretretention ist und bleibt eine
gut beobachtete Thatsach e und besteht auch ohne jegliche
Stenose des Larynx.
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lieber den Nachweis von Glycose im Harn.
Von Dr. A. Daiber, Zürich.
Ueber den Nachweis des Zuckers im Harn existiren eine Anzahl chemischer
Reactionen, die sich bekanntlich zum grüssten Theil auf die Eigenschaft des Trauben¬
zuckers stützen, verschiedene Metalloxyde in alkalischer Lösung zu reduciren, z. B.
Eupferoxyd, Wismutb und Quecksilberoxyd etc. So einfach und practiscb in ihrer
Anwendung im Allgemeinen diese Reactionen sind, so können sie um so eher zu Irr-
thümern führen, als durch die Anwesenheit gewisser Substanzen im Harn demselben
eine normale RednctionsfÜhigkeit gegenüber genannten Reagentien verliehen wird. Die
Folge davon sind manchmal grosse diagnostische Täuschungen, welche selbst einem geübten
Practiker verkommen können. Diese Erscheinungen bei den beiden gebräuchlichsten
Reactionen auf Zucker zu beleuchten und die Ursachen der Abnormität festzustellen,
soll der Zweck dieser Mittheilung sein.
Am meisten wird wohl bei der Untersuchung auf Glycose von der Mehrzahl
der practischen Aerzte und Chemiker die sogen. Fehlity'sche Lösung oder auch Irom-
ffter’sche Probe angewandt. Dieselbe besteht bekanntlich aus einer Eupfervitriollösung
und alcalischer Tartarus natronatus-Lösung und ist für Harn, welcher Zucker in reich¬
licher Menge enthält, ziemlich gut anwendbar. Anders dagegen verhält es sich bei
kleineren Znckermengen — in sehr vielen Fällen handelt es sich doch nur um solche!
— indem nämlich gewisse normale Bestandtheile des Harnes, wie Harnsäure, Ereatinin
und Schleim, die alcalische Eupferlösung unter der characteristischen RothRlrbung redu¬
ciren. Zu einer jeweiligen Ausscheidung von Eupferoxydul braucht es nicht zu kommen;
die entstandene rötbliche Farbe wirkt allein schon störend; auch kann, was besonders
hervorgehoben werden muss, das Ereatinin das Eupferoxydul in Lösung halten, ein Um¬
stand, welcher, wie gesagt, kleine Zuckermengen im Harn leicht übersehen lässt. Be¬
denkt man, dass täglich im Durchschnitt 0,7—17oo Ereatinin durch den Harn ans¬
geschieden wird, bei reichlicher Fleischkost noch mehr, so ist es wohl einleuchtend,
wie dadurch die i^eAlm^’sche Probe in ihrer Wirkung und Sicherheit beeinträchtigt
wird. Von der reichlichen Anwesenheit des Ereatinins im Harn kann man sich leicht
überzeugen, wenn man dem Harn einige Tropfen einer frisch bereiteten, stark ver¬
dünnten Natriumnitroprussidlösung zusetzt, hierauf einige Tropfen ebenfalls verdünnter
Natronlauge zugibt: Hiebei färbt sich die Flüssigkeit rubinroth, welche Farbe nach
Eurzem in Gelb nmschlägt. Versetzt man nun die gelb gewordene Flüssigkeit mit
überschüssiger Essigsäure und erhitzt, so färbt sie sich zuerst grünlich, dann blau und
zuletzt entsteht ein Niederschlag von Berlinerblau.
Nach meinen vieljährigen Erfahrungen zu schliessen ist die FcAltn^'scbe Lösung
für den qualitativen Nachweis nur kleinerer Zuckermengen im Harne aus den oben
angegebenen Gründen nicht empfehlenswertb.
Die als beste und sicherste bezeichnete Methode, welche aber allerdings auch
wieder an einigen Unzukömmlichkeiten leidet, ist die Böttger-Alm0fi'9c\xti Probe (Ny-
lander), nämlich alcalische Wismuthlartratlösnng.') Von diesem Reagens werden auf
10 ccm des zu untersuchenden Garnes etwa 20 Tropfen genommen und mehrere
Minuten hindurch die Flüssigkeit im Eoeben erhalten. Ist Glycose im Harne ent-
») Vergl. Corr.-Bl. 1892, pag. 197. Red.
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halten, so tritt zuerst eine dunkelgelbe oder gelbbraune Farbe auf, welche nach und
nach immer mehr dunkelt und endlich schwarz und undurchsichtig wird. Im Falle
eines sehr geringen Zuckergehaltes im Ham wird derselbe nicht schwarz, sondern nur
dunkler geförbt. Diese Wismutbprobe, ebenso leicht als einfach in ihrer Anwendung,
ist sehr scharf und gibt noch Resultate in Harnen, welche 0,05*’/» Glycose enthalten.
Harnsänre, Kreatinin und Schleim verhalten sich der Wismuthlösung gegenüber negativ,
ebenso sehr kleine Mengen von Albumin. Reichlichere Mengen Eiweiss erzeugen je¬
doch durch die Schwärzung des Wismnths als Schwefelwismnth eine Täuschung, die
man durch vorherige Coagulation des Eiweisses vermeiden kann. Was bei dieser sonst
so überaus sichern Reaction stdrend wirkt, ist, meiner Beobachtung nach, die An¬
wesenheit von Indozylschwefelsäure, sog. Indican. Dasselbe, bekanntlich ein Fäulniss-
prodnct des Eiwei.s8es, hommt in geringen Spuren in jedem normalen Harne vor. Bei
reichlicherem Auftreten, welches absolut keine pathologische Bedeutung zu haben
braucht, wird dem Harne, was sehr zu beachten ist, eine so kräftige Reductionsfähig-
keit ertbeilt, dass die Wismuthlösung in der energischsten Weise reducirt wird. Ob
hier als Ursache eine Verbindung des Indoxyls mit einer Glycuronsäure vorliegt, ist
noch nicht ganz genau festgestellt, scheint aber des optischen Verhaltens der Säure
wegen sehr wahrscheinlich zu sein. Immerhin kommt diese Art der Rednction des
Wismutbs durch normalen Harn viel häufiger vor, als man vielleicht sonst anzunehmen
geneigt ist und erst die weitere Prüfung auf dem Wege der Gäbrung und Polarisation
ergibt die völlige Abwesenheit von Glycose. Man ersieht also hieraus, mit welcher
Vorsicht und Berücksichtigung aller Umstände bei den Proben auf Zucker vorgegangen
werden muss.
Mir selbst kam es schon oft vor, dass ich mit der Wismuthlösung scheinbar
positive Resultate auf Glycose erhielt, als ich aber die Glycose im Harn quantitativ
auf dem Wege der Polarisation bestimmen wollte, ergab letztere ein vollständig nega¬
tives Resultat, nämlich absolut keine Rechtsdrehung, dagegen aber eine stärkere Links¬
drehung, als sie normaler Harn sonst liefert. Der Gedanke, es könnte hier durch eine
andere reducirende Substanz, speciell einer gepaarten Glycuronsäure, die chemische
Reaction influirt worden sein, lag um so näher, als es gerade diese Säuren sind,
welche sich durch ihre levogyre Eigenschaft auszeichnen. Die jeweilen in dieser Rich¬
tung vorgenommenen weitern Prüfungen der scheinbar zuckerhaltigen Harne ergab
stets eine mehr oder weniger reichliche Anwesenheit von Indican (Indoxylglycuronsänre),
conform der Stärke der Bi’reaction. Ich möchte daher alle diejenigen, welche mit der
Wismuthlösung auf Glycose untersuchen und welchen ein Polarisator nicht zur Ver¬
fügung steht, darauf aufmerksam machen, zur unzweideutigen Sicherung der Prüfung
die Gährungsprobe auf keinen Fall zu unterlassen; von der eventuellen Anwesenheit
des Indicans kann man sich im Fernern unschwer nach der Vorschrift von Jaffe —
HCl + Harn + Chloroform — überzeugen und bildet diese Untersuchung dann noch
ein weiteres interessantes Unterstützungsmoment. Zum Schluss ist noch zu erwähnen,
dass nach der Medication von Chloral dem Harne ebenfalls durch die sich bildende
Urocbloralsäure eine Reductionsfähigkeit gegenüber der Wismuthlösung zukommt.
Hier aber kann der Arzt natürlich am besten die Controle selbst üben und sieb vor
Irrthum bewahren.
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Ein eigenartiges Sprech- und Schluckhinderniss.
Mittheilang von Dr. 0. NsBgelL
Am 23. October 1893 gegen Abend erschien bei mir in grösster Hast ein Knabe
mit der Meldung, soeben wäre seine Mutter beim Melken vom Schlage betroffen worden,
sie lebe zwar noch, könne jedoch fast gar nicht mehr sprechen. Kaum hatte ich mich
zum Ausgang angeschickt — die Alte war mir als hochgradige Hysterica schon lange
bekannt, wesshalb ich mich nicht so sehr beeilte — als der Junge schon wieder auf¬
tauchte und berichtete, der Zustand der Mutter verschlimmere sich von Minute zu
Minute, sie bringe kein Wort mehr vor und könne nichts mehr schlucken. Nun schien
mir die Sache doch etwas ernsterer Natur zu sein und ich begab mich rasch an Ort
und Stelle.
Wie ich in die Schusterstube trete, sehe ich die 63jährige Frau, von ihrem Manne
in den Armen gehalten, auf der Ofenbank sitzend, ächzend und stöhnend und nur un¬
verständliche Worte stammelnd. Sie macht den Eindruck einer sich in höchster Angst
befindlichen Kranken, der kalte Schweiss perlt auf ihrer fahlen Stirn, mühsam athmet
sie und macht von Zeit zu Zeit energische Würgbewegungen. Undeutlich lallend gibt
sie zu erkennen, es fehle ihr tief unten im Halse, sie könne nicht schlucken und nicht
sprechen.
Ich constatire einen etwas beschleunigten aber regelpiässigen Puls, wenig verengerte
jedoch gleiche Pupillen, keine Störungen im Gebiete des Facialis und freie Beweglichkeit
sämmtlicher Extremitäten. Bei der Inspection des Mundes bemerkte ich, dass die Zunge
etwas über den Unterkiefer vorragt, der Aufforderung, dieselbe vorzustrecken, kann nicht
gefolgt werden, die Zunge liegt unbeweglich im Grunde des Mundes. Bei Sprechver¬
suchen treten nur Zuckungen einzelner Zungenpartien ein. Bei genauem Zusehen ergibt
sich, dass die Zungenspitze festgenagelt in dem Stumpfe eines
defecten untern Schneidezahnes steckt; die scharfe Spitze des letztem
hat sich ganz in die Zunge eingebohrt: „jam lingua dentibus hsesit!^
Leicht war es, des Uebels Wurzel zu beseitigen. Wie man einen Rock vom Nagel
herunter nimmt, so ward die Zunge aus dem Zahne ausgehakt und alsbald ergiesst sich
wieder der gewohnte Redeschwall.
Der Incisivus I. infer. sinister war es, der, von vom her ganz ausgehohlt, mit
seiner hintern, harten Wand gleich einer Nadel fein, spitz und scharf, 6 mm hoch
emporragend, den Zufall, „den Zungenschlag^, verschuldet hatte.
Natürlich wird der Bösewicht sogleich beim Schopf genommen. Nun zeigt es sich,
dass 2 mm unterhalb der messerscharfen, ebenfalls 2 mm breiten Zahnkante, eine kleine
seitliche Einbuchtung vorhanden ist, welche augenscheinlich wie ein Angelhaken wirken
und das spontane Anslösen der anfgespiessten Zunge verhindern musste.
Der Vorgang wickelte sich jedenfalls folgendermassen ab:
Die Frau stemmte, wie dies gewöhnlich beim Melken geschieht, den Kopf an die
Seite des Thieres an, dabei im Eifer die Zunge etwas vorstreckend, so dass sie zwischen
die Kiefer eingeklemmt wurde, eine Gepflogenheit, die vielen Menschen bei Vornahme
einer ihnen wichtig scheinenden Handlung eigen ist; dadurch drückte sie die Zungen¬
spitze in den scharfkantigen, angelformigen untern Schneidezahn, konnte dieselbe wegen
des Hakens am Zahn nicht durch Muskelbewegungen frei bringen und also entstand,
durch mechanische Fixation der Zunge, die Alalie und Aphagie.
Fall von Vergiftung durch Samen von Datura Stramonium (Stechapfel).
Am Abend des 2. November wurde ich zu einem 8jährigen Knaben gerufen, welcher
drei Stunden vorher eine grosse Menge von Datura-Samen genossen hatte, nach Angabe
der Mutter soll es eine ganze Hand voll gewesen sein. Die Mutter hatte den Knaben
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gewähren lassen, weil sie die Giftigkeit jener Samen nicht kannte; sie erklärte mir nach¬
her ganz naiv, sie hätte eben geglaubt, man dürfe im Garten nichts Giftiges pflanzen.
— Die Datura stand im Garten eines Nachbars. — Zwei Stunden nach Genuss der
Samen hatte der Knabe einen sehr rothen Kopf bekommen, war sehr aufgeregt geworden
und hatte Sehstörungen (undeutliches Sehen). Die Aufgeregtheit steigerte sich bald zur
völligen Raserei, wesshalb die Mutter zuerst glaubte, der Knabe sei wahnsinnig geworden.
Erst der unterdessen heimgekommene Vater führte nun die Krankheitserscheinungen auf
den Genuss der Daturasamen zurück und Hess mich rufen.
Ich constatirte drei Stunden nach Einnahme des Giftes folgenden Status: Der Knabe
wälzte sich in heftigen Convulsionen im Bette, die Convulsionen bestanden in sehr hef¬
tigen klonischen und tonischen Krämpfen. Die Extensionsbewegungen überwogen auf¬
fallend. Der Rumpf war in ausgesprochener Episthotonusstellung, die Gesichtsmuskeln in
heftiger Bewegung, die Augen rollend. Patient delirirte, schwatzte und schrie; er er¬
kannte Niemanden, reagirte nicht auf Anrufen. Diese Erscheinungen der Aufgeregtheit
waren gefolgt von kurzen Intervallen der Ruhe, die 1—2 Minuten dauerten; während
derselben war die Musculatur nicht völlig erschlafft, sondern in ziemlich ausgesprochener
Extensionsspannnng, der Rumpf in Opisthotonus. ■
Das Gesicht war dauernd sehr geröthet, heiss. Die Pupillen maximal erweitert,
gleich weit, reactionslos. Die Augenspiegel Untersuchung ergab starke Röthung und Ge-
fassinjection der Papille.
Mund und Rachen waren durchaus nicht trocken; Speichel war vorhanden.
Puls sehr schnell, 140, voll und stark, regelmässig. Carotiden sehr gespannt und
klopfend. Athmung beschleunigt, 30—35. Die Haut erschien normal, nicht auffallend
trocken.
Therapie: Starkes Brechmittel (Ipecacuanha); kalte Waschungen und Ueber-
giessungen. Durch das Brechmittel wurden, neben Speiseresten, circa 60 Datura¬
samen herausbefordert. Nachher gab ich ein Laxans (Ol. Ricini mit etwas Ol. Crotou.)
und ein Glycerin-Clystier. Stuhlgang trat erst in circa 4 Stunden ein; in den Fscces
waren Samen von Datura nicht nachzuweisen.
Thotz Erbrechen und trotz der therapeutischen Massnahmen dauerten oben beschrie¬
bene Symptome unverändert circa 12 Stunden lang an. Ich gab nun Morphium, 0,01
in Injection, nachher noch 3 X 0,01 innerlich. Die Delirien begannen nun langsam
nachzulassen, ebenso die Convulsionen; am Abend des 3. November hörten beide Er¬
scheinungen auf, und Patient schlief mehrere Stunden. Nachher wiederholten sich jene
Symptome nicht mehr. Der Knabe klagte nur über Kopfweh, sowie über Hunger und
Ihirst; er erhielt Brod und Milch-Caffee, was er gut schluckte. Ueberhaupt hatte er
auch während, resp. zwischen den Delirien immer leidlich gut geschluckt und öfters Wasser
und schwarzen Caffee bekommen. Die Pupillen blieben, wenn auch abnehmend, bis zum
7. November noch erweitert. Heute, am Abend des 8., sind sie nun wieder ziemlich
normal.
Interessant, weil von den Symptomen der Atropinvergiftung abweichend, scheint mir
in vorliegendem Falle Folgendes zu sein: a) Der volle, starke Puls, während derselbe bei
starker Atropinintoxication klein ist, resp. als klein beschrieben wird; b) das Feucht¬
bleiben der Mund- und Rachenschleimhaut und das Fortbestehen der Speichelsecretion;
c) die heftigen tonischen Krämpfe mit Ueberwiegen der Extensoren sowie der ausge¬
sprochene Opisthotonus.
Diese Erscheinungen scheinen darzuthun, dass die Wirkungen des Daturin und des
Atropin nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ verschiedene sind.
Teufenthal, 9. November 1893. Dr. Sireü.
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Veireinsiberiolite.
Medicinisch-pharmaceutischer Bezirksverein Bern.
IV. SitziBf ia Soaaerseaesler DieBstaif des 25. Jili 1893 ia CbK di
Präsident: Dr. DumonL — Actuar: Dr. Boltr.
Anwesend 10 Mitglieder.
1) Vortrag von Dr. Begli: Die Diphlheritisepideaie in GnlUnneB 1892/93« Erst
im letzten Jahrzehnt lernte Quttannen den Begriff „Epidemie^ kennen und zwar soll
nach Dr. Eengglfs Mortalitäts- und Morbiditätsstatistik des Amtes Oberhasli im Jahre
1884 zum ersten Mal seit Menschengedenken eine Scharlachepidemie daselbst vorgekoro-
men sein. Schon zwei Jahre später erlebte Gottannen eine schwere Diphtheritisepidemie,
welche ungemein viel Opfer gefordert haben soll. Seither wurde kein weiterer Fall
beobachtet bis zur Epidemie 1892/93. Aetiologisch bin ich leider nicht im Stande Aus¬
kunft zu ertheilen, da jede Nachforschung absolut negativ ausfiel; dies jedoch sei be¬
merkt, dass üeberheizung und schlechte Ventilation der Wohnraume auf jeden Fall die
Disposition zu Anginen und dadurch zu schweren Erkrankungen bot. Der erste Fall
wurde am 15. November 1892 beobachtet und binnen kurzer Zeit stieg die Zahl auf
36, ohne dass ärztliche Hülfe aufgesucht wurde. Herr Brüschwyler, Pfarrer ebendaselbst,
suchte die Fälle ab und behandelte dieselben homöopathisch, bis er durch seine Auf¬
opferung sich selbst und seine ganze Familie inficirt hatte und ärztliche Hülfe absolut
nothwendig wurde. Collega Benggli besorgte alsdann die fünf Stunden von Meiringen
entfernte Gemeinde bis er sah, dass ein Arzt da oben vollauf zu thun habe und daher
der Gemeinde beantragte, bei der Direction des Innern des Cantons um ärztliche Hülfe
nachzusuchen. Einstimmig fasste die Gemeinde den Beschluss, da bereits 8 Kinder der
Krankheit zum Opfer gefallen waren. Sofort entsprach die hohe Regierung und ordnete
mich mit Diakonissin am 15. December ebendahin ab. Noch am Abend unserer Ankunft
suchte ich die Fälle auf; es waren noch 8 an der Zahl. Die Behandlung bestand bei
den grosseren Patienten in Gurgelungen mit Kali chloricum in Ermangelung von Salicyl,
Priessnitz und Desinfection der Sputa mit Carbol, bei den kleineren in Auspinselungen
des Rachens mit Snblimatwattetampons und schliesslicher Ausspritzung von Nase und
Rachen mit Kal. chlor, und bei drohenden Larynxerscheinungen in der Verabreichung
von Vinum stibiatum. An den meisten Orten entleerten die Patienten ihre Sputa einfach
auf den Fassboden und trotz strengster Ermahnungen mussten wir einigerorts die noch
nicht inficirten Kleinen mit Gewalt von den Betten der erkrankten Geschwister trennen
und zur Thüre hinausstellen. Mit was für Schwierigkeiten wir zu kämpfen hatten, um
nur einigermassen einen Anschein von Desinfection zu erlangen, macht man sich kaum
einen Begriff, geschweige wenn wir uns der gefährlichen Arbeit der Auspinselungen
unterziehen wollten, von der Tracheotomie nar gar nicht zu reden. Mit der freundlichen
Bitte, nicht mehr wiederzukommen, wurde uns einigerorts aufgewartet. Schon am nächst¬
folgenden Tag hatten wir uns aus dem alten Schulhaus ein anständiges Spital eingerichtet,
um den Kranken die bestmöglichste Pflege von Seiten der Diakonissin zukommen zu
lassen und um eine absolute Isolirung und Desinfection zu erlangen. Die Möblirnng bestand
in 8 Eisenbettstellen, Strohsäcken und dazu gehörigem Bettzeug, wie man es kaum hätte
besser finden können. Dies Material stammte vom Grimselstrasseuarbeiterspital, das letzten
Sommer ebendaselbst bestanden hatte. Als Spitalkost wurde Milch und Suppe bestimmt;
die Milch sollten uns die Angehörigen der Patienten liefern und die Suppe beim Bären-
wirth gekocht werden. Allein alle Mühe umsonst; jede Spitalpflege wurde energisch
abgewiesen. Am 17. December machte ich der Direction des Innern des Cantons über
den Stand der Epidemie und über das Verhalten der Bevölkerung Mittheilung, welche
Eingegangen 14. December 1893. Red.
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mir denn auch sofort zurückantwortete, dass, wenn bis znm 20. December kein neuer Fall
Torgekommen, wir vrieder abreisen sollten. Qlücklicherweise waren wir im Stande ge¬
wesen, die Epidemie zum Stehen zu bringen, doch nur für einige Tage*, denn kurz nach
unserer Abreise am 24. December wurde ein neuer Fall constatirt und die Epidemie
nahm von hier aus wieder ihren Fortgang wie zuvor, dnrch directe Infection. Da die
Schule geschlossen worden, übernahm der Lehrer die Aufgabe, die Desinfection zu be¬
sorgen und zu überwachen, nachdem ich ihm darin Lectionen ertheilt hatte. Erst mit
Ende Januar war die Epidemie ganz erloschen; ein sporadischer Fall mit tddtlichem
Ausgang wurde schliesslich noch Mitte Februar gemeldet. Einen Begriff von der Schwere
der Epidemie geben folgende Zahlen:
Die Kirchgemeinde Guttannen zerfallt in den sogen. „Boden" und das eigentliche
Gnttannen, welch' letzteres wiederum durch die Aare in eine sog. Sonn- und Schattseite
gespalten wird.
Der „Boden" (7s Stunde vom eigentlichen Guttannen entfernt, thalwärts) zahlt 100
Einwohner, Guttannen 270. In Toto 370.
Erkrankungen: Boden 9, Gnttannen, Schattseite 46, Sonnseite 19. Total 74.
Todesfllle: Boden 0, Gnttannen, Schattseite 14, Sonnseite 3. Total 17 = 22,9^/o
der vorgekommenen Fälle.
Lähmungen: Sehstorungen 5, Sprachstörungen 6, Eztremitätenlähmungen 2. Total
13 = bei 17,5®/o der vorgekommenen Fälle.
Verschonte Häuser (wo keine Kinder): Schattseite 5, Sonnseite 2; sonst: Schatt¬
seite 9, Sonnseite 4; rührt theils von fast gänzlicher Isolirnng der Häuser her und guter
Beobachtung der Vorsichtsmassregeln.
Puncto Alter vertheilen sich die Fälle:
1) im noch nicht schulpflichtigen Alter 17 (22,9%),
2) . . „ 30 (40,6%),
3) „ Alter von 15—20 Jahren 21 (28,3%),
4) über 20 Jahre alt 6 (8,1%),
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TodesHille: a. im noch nicht schulpflichtigen Alter 13 (76,4^0),
b. „ „ „ 3 (17,67o),
c. „ Alter von 15—20 Jahren 1 (5,8%),
d. über 20 Jahre alt 0
Die Todesfälle der Patienten unter 20 Jahren vertheilen sich puncto Geschlecht
wie folgt: 41,2% Knaben, 58,8% Mädchen.
Sehstornngen im Alter von 7, 9, 10, 13 nnd 20 Jahren, Sprachstörungen im Alter
von 3, 4, 7, 11, 15 und 20 Jahren, Extremitätenlähmungen im Alter von 3 und 15
Jahren.
F a c i t: 20% der gesummten Kirchgemeinde erkrankt und entsprechend der
schwierigen Behandlung der ersten Kinderjahre daselbst viele Opfer verlangt (76,4% der
vorgekommenen Todesfälle).
Discussion: Prof. Ttwel erwidert auf die Frage von Dr. Stooss, ob wirklich
die Sporen der Diphtheriebacilien, die Dr. Begli erwähnte, bekannt seien, dass man bis
jetzt gar keine Sporenbildung der Diphtheriebacilien kenne, nnd dass diese somit, wenn
auch nicht absolut ausgeschlossen, so doch höchst unwahrscheinlich sei. Wichtig für die
Frage der Aetiologie der Diphtheritisepidemien sind neuere englische Untersuchungen, die
an den Eutern von Kühen eine pustulöse Erkrankung mit Diphtheriebacilien nachwiesen;
es könnte also wohl die Milch als Trägerin des Infectionsstoffes in Frage kommen, wie
man denn auch in England schon eine Coincidenz von Diphtheritisepidemien bei Kühen
und Menschen beobachtet hat.
Auch Katzendiphtherie kommt häufig vor und mag auch ätiologisch eine RoUe spielen.
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Dr. Stooss hält, w|tö die Looalisation des diphtheritischen Prooesses in den ver*
Bchiedenen Lebensaltern anbelangt, dafür, dass bei ganz kleinen Kindern der Kehlkopf
relativ häufiger mit ergriffen werde, als bei etwas ältern; es stimmt damit auch Dr.
EegWs Beobachtung überein, der bei Kindern über 10 Jahren keine Larynx-, sondern
nur Pharynxdiphtherie gesehen hat. Entgegen Dr. Reglif der von Diphtheritisrecidiven
sprach, glaubt Dr. Stooss, dass eigentliche Recidive von diphtheritischer Infection wohl
kaum Vorkommen, es handle sich dabei vielmehr wohl stets um Seoundärinfectionen durch
Streptococcen. Dies wird von Prof. Tavel bestätigt; er glaubt, dass ein einmaliges Ueber-
stehen der diphtheritischen Infection direct immunisire; Martin hat nachgewiesen, d^ss
die Fälle, denen Recidive folgten, Streptococceninfectionen waren. Prof. Tavel macht
auch darauf aufmerksam, wie schwer es sei, Diphtheritis klinisch sicher zu diagnosticiren.
Was die Therapie der Diphtheritis anbelangt, so befürwortet Dr. Stooss die halb¬
stündlich vorzunehmenden Ausspritzungen des Rachens mit Salicylsänrelösung; von pri¬
mären Pinselungen ist er wie viele andere abgekommen, erst wenn Necrose oder tiefere
Veränderungen — wohl durch Streptococcen verursacht — entstehen, wendet er Jod-
tinctur local an. Er erwähnt, dass in jüngster Zeit Acid. sulforicinicum in Paris
local wie es scheint mit Erfolg versucht werde. Wegen der sehr verschiedenen Bös¬
artigkeit der Epidemien sei es überhaupt fast unmöglich, über die Wirkung dieser oder
jener Medication ein sicheres Urtheil zu gewinnen; öftere Reinigung dürfte aber unter
allen Umständen relativ erfolgreich sein.
Dr. IhUoit betont die grössere Bösartigkeit früherer Epidemien in Bern im Ver¬
gleich zu den letztjährigen ; er redet der localen Anwendung von Liquor ferri sesquichl.
und dem Aufhängen terpentingetränkter Tücher das Wort; Dr. Dumont dem innerlichen
Gebrauch von Brom, das er seit 1882 zu so viel Deoigramm pro die als das Kind Jahre
zählt, mit Bromkali mit gutem Erfolg verordnet.
Von 16 in einem Winter in dieser Weise behandelten Kindern kam nur eines zur
Tracheotomie; auch von der Poliklinik wird mit Erfolg diese Medication angewandt.
Prof. Tavel gibt die mittlere Mortalität rein diphtheritischer Infection zu ca. 50®/o
an, bei Mischinfection mit Streptococcen kann sie bis zu 90^/o steigen, ln neuester Zeit
werden mit gutem Erfolg Versuche einerdirect ant ibacteriellen Therapie gemacht; so hat
man durch Injection antitoxischen Setums bei Thieren schon erhebliche Infectionen coupirt;
genauere Resultate über die Anwendung dieses Verfahrens bei Menschen stehen noch aus.
Was die Desinfection der Räume durch Schwefeln anbelangt, die, wie Dr. Stooss
erwähnt, vom hygieinischen Congress vor 4 Jahren als nutzlos verworfen wurde, so ist
Prof. TaveVs Standpunkt folgender. Gase desinficiren nicht; ein einfaches Schwefeln
eines Raumes ist daher absolut unwirksam; wird aber der Raum vorher durch Dampf¬
entwicklung durchfeuchtet, so bildet sich beim Schwefeln fiüssige schweflige Säure, die
nun wirksam den Raum desinficirt.
2) Vortrag von Dr. Amd : ««Ueber Kresole^S mit Vorweisung der betreffenden
Präparate. (Erschien in letzter Nummer des Corr.-Blattes.)
Disoussion: Dr. Dumont, Dr. Stooss und Prof. Tavel sind auch mit Kresaprol
zufrieden; letzterer wirft ihm vor, dass es öfters Eczem verursache, was von Dr. Arnd
für einzelne Fälle mit besonders empfindlicher Haut zugegeben wird.
Gesellschaft der Aerzte in Zürich.
1. WintersitzMf dei 11. Nevember 1893 !■ HSrsMl der ■edleiiisehei Klinik
des Cnntensspitnls. 0
Präsident: Prof. Haaib, — Actuar: Dr. Conrad Brunner,
1. Prof. Krönlein: Demenslmtion« 1) Fall von partieller Larynxexstir-
pation wegen Carcinom. 61 jähriger Forstbeamter. Beginn des Leidens im
Eingegangen 28. November 1893. Red.
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September 1892. Die Neubildung umfasste die linke Seite der Larynxhöhle: linkes
Stimmband, Taschenband, die aryepiglottische Falte sowie die Basis der Epiglottis. Die
Tumormasse war nicht ulcerirt, von tuberöser Beschaffenheit. Erhebliche Kachexie.
Operation am 4. August 1893. Tracheotomie und Laryngofissur, Anfangs in Chloroform-
narcose, nach Eröffnung des Larynx unter Cocainanasthesie (lO^/o) bei hängendem Kopf.
Nach totaler Entfernung des Tumors Tamponade des Larynx, Vereinigung des Schild¬
knorpels. Am 2. October Entfernung des Tampons; am 10. October Entfernung der
CaniBe. Glatte Heilung. Stimme sehr gut yemehmbar. Erhebliche Gewichtszunahme.
2) Fall von erschwertem Döcanulement nach Intubation
und Tracheotomie wegen diphtherischer Larynxstenose. Es
handelt sich um einen Jungen von 4 Jahren, welcher im September 1892 an Diph¬
therie erkrankte und mit Intubation behandelt wurde. Bei der Extubation trat
Asphyxie ein, so dass neue Intubation notbwendig wurde; es gelang nicht mehr, den Tubus
dauernd wegzulassen. Am 3. Januar 1893 wurde nun von behandelnden Aerzteu die
Tracheotomie ausgefiihrt, nun aber gelang das Decanulement nicht. Aus diesem Grunde
wurde Pat. im Mai 1893 der chirurgischen Klinik zur Behandlung übergeben. Aber
auch hier war die Therapie bis jetzt eine erfolglose, der Knabe ist gezwungen, auch heute
noch die Canüle zu tragen. Es war bei der Untersuchung nicht möglich, eine Com-
munication von der Trachealfistel nach oben nachzuweisen. Erst durch das Messer konnte
eine Passage geschaffen werden; der jetzt eingeführte Tubus aber kam immer wieder zur
Wunde heraus und nur gewaltsam konnte derselbe in die Trachea gedrängt werden. Da
nun aber sich Fieber einstellte, musste der Tubus wieder entfernt und durch die Canüle
ersetzt werden. Einige Zeit später wurde dann die Langenhec1c^w^\L& Laryngo-Tracbeal-
canüle eingeführt, auch die Aö^^sche Canüle wurde eingelegt; es wurde kein Erfolg er¬
zielt. Herr Prof. Kr^lein gedenkt nun den nächsten Versuch mit der Duputö’schen Canüle
zu machen.
Discussion: Dr. Wilh, v, Muralt erwähnt, dass er unter seinen etwa 120
Intubationsfällen eine ähnliche Erfahrung gemacht hat, die in der Ndr^schen Arbeit
(Deutsche Zeitschrift für Chirurgie, Band 35) mitgetheilt ist. Er glaubt, dass auch An¬
dere ähnliche Erfahrungen gemacht haben dürften, wenn sie auch noch nicht veröffent¬
licht worden sind.
Als Ursache der erschwerten Extubation können ausser Diphtherie-Recidiv und pro-
longirter Diphtherie spastische Zustände, secundäre Lähmung und Chorditis inferior, wie
bei Tracheotomie, Vorkommen. In seinem Falle, bei einem Mädchen von nur 8 Monaten,
musste er annehmen, dass das relative Missverhältniss zwischen Grösse der Tube und
der Glottis und die dadurch bedingte mechanische Ueberdehnung der Glottis die Ursache
gewesen war, dass nach Entfernung der Tube die Glottis sofort zusammenklappte und
momentane Ersticknngsgefahr eintrat. Nach seiner Erfahrung thut man überhaupt besser
daran, hier zu Lande eher eine kleinere Tube zu wählen, als die O’Du^y^’sche
Scala angibt. — Bei dem eben vorgestellten Falle glaubt er auch, dass die Dupuis'wiYke
Canüle am ehesten zum Ziele führen dürfte. Freilich wird sie lange liegen bleiben
müssen, und da unterdessen die Tracheotomiewunde sich bis auf ein Minimum verengert
haben wird, so muss die Entfernung der Canüle sehr schwierig werden und wird ohne
Zweifel eine blutige Erweiterung der Fistel nothwendig sein. In diesem Stadium dürfte
dann die Intubation nochmals in Frage kommen.
Dr. Lüning richtet die Anfrage an Prof. Krönlein, ob keine Momente dafür sprechen,
dass es sich bei der Larynxstrictur des kleinen Jungen nach Diphtheritis um secundäre
Perichondritis gehandelt haben könnte, wie solche bei Typhus, Variola, Scarlatina und
andern Infectionskrankheiten beobachtet werden. L, hat s. Z. die Literatur für diese
Stricturen nach Typhus zusammengestellt und dabei sehr häufig die Angabe gefunden,
dass die Verengerung eine so hochgradige war, dass die Commnnication mit der obem
Larynxhöhle gar nicht naohzuweisen war oder nur das Durchführen feiner Sonden ge-
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stattete. Nach dem CoUaps der Larynxhöhle durch Aosstossung necrotischer Knorpel¬
sequester scheint es immer zu einer solchen Annäherung der hintern Larynxwand an die
vordere zu kommen, dass die Tracheotomiefistel wie durch ein Gewölbe nadi oben ab¬
geschlossen erscheint.
So war es auch bei einem Patienten, den L. am 11. Januar 1886 wegen Peri-
chondritis variolosa unter sehr schwierigen Umständen (Nachts, auf dem Lande, bei
höchster Erstickungsnoth) tracheotomirte. Pat. hustete wiederholt Knorpelstücke ans und
muss seither die Canüle tragen, trotz jahrelang fortgesetzten Yersnchen, die Striotur zu
erweitern, da Pal. sich zur Laryngofissur nicht entschliessen konnte. Die Dilatation ge¬
schah zunächst mit Metallsonden von steigender Dicke von der Trachealfistel aus, hierauf
per 08 mit den iSchrö^^^schen Hartgummibougies; in der Zwischenzeit wurde die v, Lan-
genheck'fiah^ Laryngo-Trachealoanüle getragen, später auch in der Ki^hPschen Modification,
die sich gut bewährte. Die Dupuis'sche T-Canüle wagte L. bei dem Pat., der ambulant
behandelt werden musste, nicht anzuwenden ans den von Dr. W. v. Murdlt bereits an¬
geführten Gründen; theoretisch würde sie ja allerdings die Zurückdrängung des Sporns
besser besorgen als die KöhVnche,
Pat. wurde soweit gebracht, dass er stundenlang die Canüle entfernen und bei ge¬
schlossener Halsfistel athmen und laut sprechen konnte; er getraute sich aber niemals,
ohne eingeführte Canüle zu schlafen und trägt sie jetzt noch.
2. Prof. Eichhorst demonstrirt den von Prof. Sahli im Corresp.-Blatt empfohlenen
Japanisehea Winekastea. Er erinnert daran, dass namentlich Ischias oft mit aus¬
gezeichnetem Erfolg mittelst trockener Wärme behandelt werde, doch eigne sich hiezu
ein langer, mit Salz gefüllter Sack besser als der japanische Apparat, zu dem er nach
den bisherigen Erfahrungen nicht viel Vertrauen habe schöpfen können.
Im Weitern demonstrirt Prof. Eichhorst die in seiner Klinik gebräuchlichen Cealri-
fagea-Apparate, von denen er dem Geertner'Bchen den Vorzug gibt. Es sind diese Appa¬
rate von grösstem practischem Werth; wir sind nicht mehr gezwnngen, die Harnsedi-
mentirung abzuwarten und können die Fehler, die durch solches Abwarten für die Unter¬
suchung entstehen, ausschliessen. Insbesondere für die Diagnose der Nierentuber-
c u 1 0 8 e ist die Sedimentirung durch die Centrifuge von hohem Werth, da nur der
Nachweis der Tuberkelbacillen im Sediment die Diagnose sichern kann. Prof. Eichhorst weist
darauf hin, dass in solchen Fällen die Impfung mit dem Sedimente in die vordere Augen¬
kammer sehr wenig zuverlässig sei, da eben die Bacillen in nicht virulentem Zustande
sich vorfinden können.
Zum Schlüsse demonstrirt Prof. E, ein microsoopisches Präparat von Myeesis Um*
geMes, in welchem eigenthüm liehe ovoide Körper mit Doppelcontour und körnig glasigem
Inhalt sich vorfinden. Er erinnert an die gegenwärtig geführte Discussion über die
parasitäre Natur der Geschwülste.
Discussion: Prof. Bibbert erwähnt, bezugnehmend auf die Verhandlungen der
pathologisch-anatomischen Abtheilung an der letzten Naturforscherversammlung, dass
irgend etwas Sicheres über diese parasitäre Genese der Geschwülste durchaus nicht fest¬
gestellt sei.
Dr. A, Huber ergänzt die Mittheilungen von Herrn Prof. Eichhorst über die
Gcertner^scALO Centrifuge durch Beschreibung des dem Apparate beigegebenen sogenannten
Hämatokrit.
2. Wiitersitzang den 25. Nevenber 1893.0
Präsident: Prof. Haab, — Actuar: Dr. Conrad Brunner,
1. Prof. Bibbert: (Autoreferat.) Vortr. berichtet über die von Herrn Schoch aus¬
geführte und in seiner Dissertation genauer mitgetheilte Untersu 9 hung eines TNners der
Uiterlippe eines nengebomen Kindes, der von Prof. Wgder bereits vor einem Jahr
M Eingegangen 12. December 1893. Red.
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demonatrirt warde. Die Vermnthung, dass es sich bei dem Tumor um eine rudimentäre
Doppelmissbildung handeln könne, bestätigte sich nicht. Er war zusammengesetzt aus
Epidermis, Binde- und Fettgewebe und einem phalangenähnlichen Knocbenstüok. An einer
Seite des Tumors fanden sich zahlreiche rundliche, stecknadelkopf- bis erbsengrosse Pro¬
minenzen, in denen die Untersuchung zahlreiche Zahnanlagen nachwies. Es handelt sich
somit um einen Tumor, der aus einer Transplantation von Geweben desselben Kindes
entstand. Es ist wahrscheinlich, dass er auf Grund einer Abschnürung von Theilen des
Unterkiefers sich bildete.
Prof. Bibbert trägt ferner vor über einige die ereopäse Pieoneiie betreffende
Untersuchungen, die grösstentheils ebenfalls in Dissertationen sollen beschrieben werden.
Das Exsudat der crouposen Pneumonie ist nicht in allen Alveolen gleichmässig, bald
zell- bald fibrinreicher. Die zellreicheren Alveolen liegen gruppenweise beisammen, getrennt
durch die fibrinreicheren. Die genauere Localisirung ergibt, dass es sich um eine lobuläre
Abtheilung handelt, indem die zellreichen Exsudate die centraleren Theile der Lobuli,
die anderen die peripheren einnehmen. Die Coccen finden sich hauptsächlich in den
ersteren. Also auch die c r o u p ö se P n e u m o n i e ist b a l d m e h r , bald
weniger deutlich lobulär gebaut. Die Fibrinpfröpfe der benachbarten
Alveolen stehen durch Fibrinfäden mit einander in Verbindung, die zuerst von Kohn im
Erlanger • Institut aufgefnnden wurden und quer durch die Alveolarwand hindurch¬
ziehen. Sie treten durch die nach Abfall des Epithels offen gewordenen intercapil-
läreo Löcken hindurch und entstehen nach Hauser dadurch, dass die hyalinen Platten,
die in jenen Lücken von beiden Seiten her zusammenstossen, Centra für die Fibrin-
abscheidüng bilden.
Weitere Beobachtungen beziehen sich auf die indurative Pneumonie.
Das neue, die Lufträume ausfüllende Bindegewebe leitete man meist aus den Alveolar¬
wänden ab, mit denen es durch dünne Stränge in Verbindung stehen sollte. Kohn zeigte,
dass diese Stränge aber, wie jene Fibrinfaden, durch die Wand hindurch treten und ent¬
standen sind, indem das neue Gewebe eben den Fibrinzügen folgte. Er leitete die Neu¬
bildung aus dem interalveolären und subpleuralen Bindegewebe ab. Die Untersuchungen
im Züricher Institut ergaben aber, dass das neue Gewebe aus der Wand der
kleinen Bronchen entsteht und von hier aus unter baumformiger Ver-
ästigung gegen die Alveolen und in diese hineinwächst. Dafür spricht u. A. der
Umstand, dass die ersten Züge langgestreckt und verästigt sind, während die peri¬
pheren Alveolen noch leer erscheinen, vor Allem aber die Thatsache, dass man in
Querschnitten von Bronchen polypöse Wucherungen der Wand findet, die sich in die
Stränge fortsetzen, ln injicirten Präparaten sieht man die Gefässe der Broncbialwand in
die Polypen hineintreten.
Discussion: Prof. Eickhorst bemerkt zu der Mittheilnng von Prof. Bibbert
über croupöse Pneumonie, dass Heidler in Wien die Behauptung aufgestellt
habe, es könne die indurirende Pneumonie als ein selbstständiges Leiden auftreten,
nicht nur im Gefolge von croupöeer Pneumonie; eine derartige primäre Pneumonie
könne auch diagnosticirt werden. Prof. Eichhorst selbst hat ein derartiges Vorkomm-
niss nie selbst constatiren können; er frägt Prof. Bibbert an, ob ihm darüber etwas be¬
kannt sei.
Prof. Bibbert erwidert, dass alle ihm bekannten derartigen Processe im Anschluss
an die fibrinöse Pneumonie entstanden seien. An einen Fall nur erinnert er sich, der
im Gefolge von lobulärer Pneumonie auftrat.
2 . Dr. Häberlin: Medicinlsehes mos Anerikm. Der Vortrag erscheint in extenso
im Correspondenzblatt.
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48
I<<efei*a.te und Kritilcen.
Die Krankheiten der MundhOhie, des Rachens und des Kehikopfes.
Von Dr. AJhert Bosmherg, Berlin 1893. S. Karger.
ln dem nur 330 Seiten starken Buche ist in gedrängter Kürze eine selbst für Fach¬
praktiker ziemlich ausreichend zu nennende Behandlung des reichhaltigen Gegenstandes
gegeben. Es ist ein entschiedener und lobend hervorzuhebender Vortheil desselben vor
manchen bisher erschienenen Pharyngo-Laryngologien, dass die Mundhöhle ordentlich
berücksichtigt ist. 52 Seiten sind dieser, 115 dem Rimhen und 160 Seiten dem Kehl¬
kopf gewidmet. Der Stil ist trotz der kurzen Behandlung klar, das nothwendige Theo¬
retische leicht verständlich, der allgemein therapeutische und instrumentale Theil ziemlich
gut bearbeitet und Alles entspricht den neuesten Kenntnissen und Anschauungen. Die
Anatomie ist in allen drei Theilen hinreichend behandelt und mit deutlichen Zeichnungen
dargestellt, namentlich was die Zunge betrifft. Das Mikroskopische und Bakterielle ist
ebenfalls keineswegs vernachlässigt. Es ist auch im speciell pathologischen und thera¬
peutischen Theile fast nichts gesagt, mit dem sich nicht jeder Fachmann einverstanden
erklären könnte. Immerhin gestattet sich Ref. einige kritische Bemerkungen und Er¬
gänzungen.
Vorerst vermisst Ref. in der Anleitung zur Untersuchung mit dem Reflexspiegel
die für den Ungeübten nützliche und nach seiner vielfachen Erfahrung durchaus nicht
selbstverständliche Angabe, zur genauen Einstellung des Lichtkegels in den Hals stets
momentan dasjenige Auge zu schliessen, welches sich ausserhalb des Hohlspiegel-Randes
beflndet, da man erst dann gewiss ist, dass das andere Auge wirklich durch das centrale
Loch blickt, was zu der einzig richtigen binoculären Einstellung durchaus nothwendig ist.
— Des Weitern ist bei den Listrumenten merkwürdiger Weise die genialste und beste
Polypenzange, diejenige SchröUer^Sy nicht angegeben, deren Kehlkopfbiegung seitlich ab¬
gebogen ist, so dass sie das Gesichtsfeld weniger verdeckt. Zudem gestattet dieselbe die
einzig feine Federhaltergriffsweise, bei welcher auch die Hand eine ganz ungezwungene
Haltung hat. Eine solche ist bei der abgebildeten FränkeVwihen Zange nicht möglich
und die hier zum Fassen und Schliessen der Zange erforderlichen Fingerbewegungen sind
lange nicht so frei wie bei jener. Auch eine sehr praktische J^^A^’sche Polypenzange,
bei welcher ebenfalls bloss durch leichte Bewegung des Zeigeflngers allein die Zange
geschlossen wird, hätte erwähnt werden sollen. — Wichtiger scheint es dem Ref.,
dringend vor dem hier auch für maligne Kehlkopfgeschwülste kurzweg erwähnten intra-
laryngealen Operationsverfahren zu warnen. Exempla sunt odiosa I Dasselbe ist total
unsicher. Denn auch von oben her ganz klein und umschrieben erscheinende Carcinömchen
sehen gewöhnlich ganz anders aus, wenn man den nach der Thyreotomie exstirpirten
Theil auf dem Teller hat und von allen Seiten besehen kann, wobei sich dann zeigt,
dass das Höckerchen z. B. unterhalb dos Stimmbandes viel umfangreicher ist als es an
dem freien Rande desselben sichtbar war. Wenn auch so ausserordentlich geschickte
Leute wie B, Fränkel und Schoch 1 oder 2 Mal Carcinome mit bisherigem Erfolg ent¬
fernen konnten, darf doch bei der heutzutage — natürlich einen gewandten und pünkt¬
lichen Chirurgen und einen nicht heruntergekommenen Patienten vorausgesetzt — ziemlich
geringen Gefahr der Thyreotomie, welche eine unendlich viel gründlichere Ausrottung
und nachherige Ausbrennung des kranken Gewebes und seiner Umgebung gestattet, von
der intralaryngealen Methode keine Rede mehr sein! — Bei der Besprechung der Be¬
handlungsweise der Kehlkopf-Tuberculose ist unrichtiger Weise die Electrolyse ganz über¬
gangen worden, deren Erfolge durch Mermod (Revue möd. de la suisse romande 1893)
und Hering (vide folgendes Referat), wenn auch mit noch nicht sehr vielen, aber solchen
Fällen sicher gestellt worden sind, wo keine andere Methode hätte zum Ziele kommen
können. — Ferner muss der Unterzeichnete der vom Verf. angegebenen Therapie des
phonischen Stimmritzenkrampfes noch speciell seine eigene schon 1883 in diesem Blatte
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und 1889 (?) in der „Monatsschrift für Ohrenheilknnde etc." pnblicirte und von Andern
bestätigte Methode beifügen. Dnrch sie wurden 4 jüngere, hysterische, an phonischen
Spasmus glottidis leidende Frauenzimmer auf die Dauer, yielleicht nur auf psychischem
Wege, Tollkommen geheilt, mittelst eines wiederholten, mehr oder weniger lange dauernden
bimanuellen oder auch nur äusserlichen Druckes auf die Ovarien. Einen 5. gleichen Fall
bei einer Lehrerin wird Ref. demnächst mittheilen. — Bezüglich der therapeutischen
Anführung des Kalium jodatum gegen Laryngitis subglottica chronica muss Ref. ernstlich
darauf aufmerksam machen, dass manche Menschen gegen dieses Medicament eine wahre
Idiosynkrasie haben und nach seiner Erfahrung selbst bei kleinsten Dosen z. B. bei 0,5
pro die, heftige Tracheolaryngitis und Dyspnoe bekommen, welche bei schon vorhandener
subglottischer Schwellung lebensgefährlich werden könnte oder müsste. — Noch möchte
Ref. die pathognostische Bemerkung machen, dass die Angabe des Yerf., die Stimm¬
bänder seien bei Laryngitis acuta rosa oder roth, nicht immer zutrifft und Ungeübte
leicht irre führen könnte, indem oft selbst bei sehr veränderter Stimme an den Stimm¬
bändern nur eine kaum erkennbare Schwellung und graue Verfärbung zu- sehen ist —
de coloribns disputandum —, so dass dann die Stimmstörung den oft auch schwer sicht¬
baren, veränderten Spannungsverhältnissen zugeschrieben werden muss.
Die hiemit gegebenen kleinen Auseinandersetzungen thun natürlich dem trefflichen
Boche keinen wesentlichen Eintrag. Dasselbe kann Jedermann bestens empfohlen werden,
der sich in den hier besprochenen Gebieten practisch bethätigen will. Die geringe Dick¬
leibigkeit des Werkes und der nicht hohe Preis von 8 Mark ermöglichen Zeit und Geld
zu seinem Genüsse. G, Jmquüre.
Die Electrolyse und ihre Anwendung bei Erkrankung der Nase und des Rachens mH
specielier Berücksichtigung der Larynxtubercuiose.
Von Th, Heryng, Therap. Monatshefte, Heft 1 und 2. 1893.
Heryng in Warschau, einer der bedeutendsten und zuverlässigsten Laryngotechniker,
speciell im Gebiete der Eehlkopftuberculose, gibt in seiner Arbeit zunächst eine voll¬
ständige physikalische und technische Anleitung zur Anwendung der Electrolyse in Hals
und Nase und aller zugehörigen Apparate. Die Casuistik ist, der Sache gemäss,
nummerisch nicht reichhaltig, aber die 8 Beobachtungen sind durch alle Phasen der Be¬
handlung so eingehend und ungeschminkt beschrieben, dass man den richtigen Einblick
in die Methode und ihren Werth erhält. Vollständige Erfolge hatte H, bei einem Nasen¬
rachenfibrom und einem Rhinosklerom. Beiden Fällen musste jedoch für die letzten
Reste des Uebels die Galvanocaustik zu Hülfe kommen. Eine Zungentubercnlose ge¬
staltete sich vorzüglich und heilte fast, aber Pat. erlag bald dem primären Lungenleiden.
Hauptsächlich und ziemlich erfolgreich benutzte Verf. die Methode in gewissen Fällen
von Kehlkopftuberculose, und zwar bei harten Infiltraten der Taschenbänder, welche für
schneidende Zangen nicht leicht zugänglich sind und deren Excision oft gefährliche
Blutungen verursacht; ferner bei Chorditis tuberculosa chronica, wenn die Milchsäure nicht
anschlug. H. betrachtet überhaupt die Electrolyse nur als eine Hülfsmethode, welche die
andern Behandlnngsweisen nur zu ergänzen habe. Er zieht die bipolare Anwendung,
sowie kurze Sitzungen mit starken Strömen längem Sitzungen mit schwachen Strömen
vor. Die Electrolyse führt in günstigen Fällen nach der Verschorfung und Abstossung
zu Vernarbung und Schrumpfung der kranken Gewebe. Durch Cocain wird die grosse
Schmerzhaftigkeit bis zu leicht erträglichem Grade gemildert. Gefährliche Reactionen
zieht die Electrolyse bei richtiger Anwendung nicht nach sich. Verf. schliesst charak¬
teristisch für diese Methode und die endochirurgische Behandlung der Kehlkopftubercnlose
überhaupt mit folgenden schönen Worten: „Es gehört ein gewisser Optimismus dazu,
solche Fälle überhaupt chirurgisch zu behandeln, besonders bei der grossen Zahl der
Misserfolge, bei dem schweren, gewöhnlich im hektischen Stadium dem Specialisten zu¬
gewiesenen, fast hoffnungslosen Krankenmaterial. Die seltenen, manchmal aber uner-
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warteten Erfolge, die spärlichen, trotzdem aber Jahre lang relativ geheilten Fälle müssen
uns für die öfteren Enttäuschungen entschädigen und zur Ausdauer, zur Yervollkomm-
ttung der Technik, zur Auffindung präciserer Indicationen und neuer Behandlungsmethoden
anspomen.^ 0. Jonquihre.
Die Geschichte der Diphtherie.
Von Stabsarzt Prof. Dr. Behring, Leipzig, G. Thieme. 1893. 208 S. Preis Fr. 5. 35.
Die Einleitung des ^.’sohen Boches bildet eine Uebersetzung einer Abhandlung von
BreUmnem aus dem Jahre 1855 über die Natur und Yerbreitungsweise der Diphtherie.
Dieses Werk des zu wenig bekannten französischen Forschers bildet wohl eines der
schönsten Denkmäler der ganzen Geschichte der Pathologie. Aus dem pathologischen
Wirrwarr des Anfangs dieses Jahrhunderts hat BreUmnem die Diphtherie herausgeholt^
sie mit erstaunlichem Scharfsinn zu einer klinischen und patbologischen Einheit ausge-
arbeitet, mit musterhafter Geduld ihre Entstehung und Yerbreitungsweise erforscht, und
nach dreissig Jahren unausgesetzter Arbeit, zum ersten Male mit Bestimmtheit die
Specificität der Infectionskrankheiten und die Möglichkeit ihrer Uebertragbarkeit von
Mensch zu Mensch proclamirt Es ist wirklich wunderbar, wie vollendet bis in die
kleinsten Details das BreUmnem' Werk, und wie wenig seither daran geändert worden
ist. Nach beinahe dreissig Jahren hat die Specificität der Diphtherie in den Unter¬
suchungen von Oertel und in der Entdeckung des Diphtheriebaoillus durch Loeffler ihre
experimentelle Bestätigung gefunden. Die Besprechung dieser Arbeiten, sowie der Ent¬
deckung des Diphtheriegiftes durch Boux und Yersin füllen das dritte Capitel des Buches
aus. Interessant ist in der Geschichte der Behandlung der Diphtherie (Capitel IV) der
Abschnitt über die von BreUmnem eingeführte und von Troussem besonders ausgebildete
Tracheotomie. Die Entstehung und Entwickelung der Blutserumtherapie, sowie die Yer-
suche mit Diphtherieheilserum füllen die letzten Capitel aus; wir brauchen auf diese
Punkte nicht näher einzugehen, da wir sie an einem anderen Orte eingehend besprochen
haben. Jaquet,
Münchens Tuberculosemortaiität in den Jahren 1814—1888.
Yon Max Weüemeger. Ein Beitrag zur Aetiologie der Tuberculose. Münchn. medic.
Abhandlungen 1, Heft 33. Lehmann. München 1892.
Crdosote et Tuberculose.
Yon H. Audicfud, Revue genörale. Genfer Dissertation. 1893. 269 S.
Nach Weüemeyer''% statistischen Untersuchungen scheint hervorzugehen, dass die
grosse Zahl der segensreichen hygienischen Maassnahmen der letzten Decennien die Tuber¬
culosemortaiität in München gänzlich unberührt gelassen hat. Eine durchschnittliche
Berechnung ergibt für die letzten Jahrzehnte folgende Procentzahl: 1839—1848 = 4,67oo,
1849—1858 ==i 4,87oo, 1859-1868 = 4,67oo, 1869—1878 = 4,77oo, 1879 bis
1888 = 4,77oo. W. glaubt daher, dass andere Factoren, die geographische Lage
Münchens z. B., der Aufenthalt der Städter in den Wohnungen etc. maassgebend sind
und sucht folgende Sätze auch aus seinen Tabellen abzuleiten: Die Häufigkeit der
Tuberculose steht in einem geraden und genauen Yerhältniss zum Aufenthalt des Menschen
in geschlossenen Räumen. Modificirt, und zwar in unserem Falle erhöht, wird das Yor-
kommen der Tuberculose noch in dem Grade, in welchem häufige und intensive Tem¬
peraturdifferenzen, mögen dieselben durch die geographische Lage eines Ortes oder durch
die Jahreszeit bedingt sein, ihre schädigenden Wirkungen äussern können.
ln einer sehr fieissigen Arbeit gibt uns Äud^oud eine vollständige Uebersicbt über
die Geschichte der Ereosotbehandlung. Dann bereichert er aber unsere Kenntnisse auch
durch eigene Untersuchungen. Indem er Kreosot auf rectalem Wege einverleibt und
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auch 80 bei Langentoberoalosen gute Erfolge sieht, widerlegt er die Ansicht Vieler, das
Kreosot sei nur Stomachicum und seine Wirkung sei auf indireotem Wege durch Hebung
der Ernährung zu suchen. Sin Specificum ist es desswegen nach Ä. doch nicht, sondern
es wirkt umgestaltend auf die entzündete Schleimhaut der Lungen.
Die Eingiessungen sollen monatelang von der Darmschleimhaut tolerirt werden und
gestatten uns, dem Kranken grosse Mengen von Kreosot zu geben, ohne dass Störungen
der Magenfunction eintreten. ' Immerhin würde Ä. eine hygienisch-klimatische Behandlung
der Kreosotbehandlung vorziehen, resp. letztere nur als Adjuvens benützen, wenn es sich
um die Wahl handeln würde. Egger.
Grundriss der pathologischen Anatomie.
Von H. Schmaus. 552 S. Wiesbaden, J. F. Bergmann. 1898.
Yerfiasser, Privatdocent und 1. Assistent am pathologischen Institut zu München,
will in seinem Buch dem Stndirenden ein compendiöses Hülfsmittel geben, welches im
Gegensatz zu den grösseren Lehrbüchern, die mehr zum Nachschlagen dienen, in ge¬
drängter Form dasjenige Material enthält, dessen Kenntuiss der Student sich unbedingt
anzueignen hat. Es soll das Werk somit einen Grundriss des Gesammtstoffes der allge¬
meinen und speciellen pathologischen Anatomie und eine gewisse Anzahl von Detail-
kenntnissen geben. Referent ist der Ansicht, dass ein derartiges Buch gewiss nicht
wenige Anhänger finden wird und dass dem Yerf. im Allgemeinen die Lösung der Auf¬
gabe gelungen ist. Die Eintheilung des Stoffes ist klar, die Darstellung desgleichen, die
Inhaltsangaben am Rande tragen zur Uebersichtlichkeit bei, die Abbildungen, was be¬
sonders hervorzuheben, soweit sie eigens hergestellt sind, sind gut ausgewählt und sorg¬
fältig ausgefuhrt, sehr demonstrativ. Die ätiologischen und pathogenetischen Verhältnisse
sind wohl berücksichtigt. Am besten ist Yerf. das Capitel über die Erkrankungen des
Centralnervensystems gelungen, eines Gebietes, auf welchem er durch Originalarboiten
als selbstständiger erfolgreicher Untersucher bekannt geworden ist.
An einzelnen Capiteln hat Ref. jedoch Folgendes anszusetzen. Wenn auch
der Umfang des Buches nicht gestattet, ausführlich auf Controversen einzugehen,
so dürfte dennoch nicht bei wichtigen Capiteln von zwei einander entgegenstehenden
Ansichten nur die eine mitgetheilt werden z. B. Darstellung der Entzündungslehre
nach Orawits mit „Schlummerzellen vollkommene Nichterwähnung der Cohnheim-
ibmmer’schen Ansicht über Osteomalacie. Ferner würde das Werk noch durch Vervoll¬
ständigung der makroskopischen Beschreibung der krankhaften Veränderungen an manchen
Stellen erheblich gewinnen, somit durch etwas eingehendere Behandlung gewisser Capitel.
(Bei Taberculose der Lymphdrüsen; Capitel Nebennieren; Struma; Carcinoma oesophagi;
Pyelonephritis; bei den Sarcomen der Niere wären die Rhabdomyosarcome der theoretischen
Wichtigkeit wegen noch besonders hervorzuheben.)
Dann noch von einzelnen Punkten: „glykogene Entartung der Leb er zellen" be¬
ruht wohl auf einem Lapsus, der Invasionsmodus der Tuberkelbacillen m den Ductus
thoracicus. ist, soweit er aufgeklärt, ein localer, zum Theil ein directer, wahrscheinlich
auch ein indirecter von Seitenästen aus; der nach Baumgarkn von Schmaus ange¬
nommene hingegen durch alle Drüsengruppen hindurch ist für die acute Miliartnber-
culose des Menschen nicht erwiesen und nicht annehmbar, für die thierische Impfluber-
culose nur vermuthet. Beim Acardiacus anceps ist die Definition Kopf und Extremitäten
entwickelt, das Uebrige „rudimentär" nicht ganz richtig. Dass die Actinomyceskömer
nur bis mm gross sein sollen, ist gewiss ein Druckfehler. Die congenitalen Herz¬
fehler düsten genauer behandelt sein. Dass Miliartuberkel auf der Intima der Venen
durch ihre Perforation in das Lumen Ursache der allgemeinen Miliartuberkulose
würden, beruht auf einer Verwechslung der Hügge^w^ieü. mit den TVe^crf’schen Befunden,
die sich übrigens auch bei anderen Autoren findet. Die Hügge^w^oxx Miliartuberkel sind
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nichts als Theilerscheiuungen der allgemeinen miliaren Eruption, die WeigerV%(^en
grossen Herde sind die Einbruchstellen ins Gefösssystem und somit die Ursachen jener.
Am Ductus thoracicus kommen auch nicht nur kleine Knötchen vor. Auch bei
lobuleerer Pneumonie kann das Exsudat viel Fibrin enthalten. Beim Pneumothorax wäre
eine Angabe der Methoden des Nachweises vortheilhaft. Bei Phosphorvergiftung ist die
Leber meist nicht nur „wenig verkleinert oder nur etwas vergrössert", sondern stark
geschwellt.
Die Ausstattung des Buches ist sehr gut. Hanau,
Diagnostisches Lexicon für prakt. Aerzte.
Von Dr. AnUm Bum und Dr. M. T, Schnirer, Mit zahlreichen Illustrationen in Holz¬
schnitt. 1. Band (Lieferungen 1.—20.). Wien und Leipzig, Urban & Schwarzenberg,
1892. 952 Seiten. Preis pro Lieferung 1 Mk. 20 Pfg.
Das vorliegende, auf breitester Basis angelegte diagnostische Werk ist das Resultat
der gemeinsamen Arbeit einer grossen Zahl deutscher und österreichischer Fachgelehrten.
Die Anordnung des Buches folgt zunächst, wie es bei einem Lexicon sich von selbst
versteht, dem Alphabet. Der Eintheilungsgrund ist, wie das Durchgehen der uns vorliegen¬
den zwanzig Lieferungen constatiren lässt, ein complicirter. Es sind einerseits die ver¬
schiedenen Untersuchungsmethoden als solche berücksichtigt und besprochen.
So haben wir einen Artikel über Auscultation, wobei successive die einzelnen, in
Betracht kommenden Organe vorgenommen werden; weiterhin die bacteriolo-
gischen Untersuchungsmethoden, ziemlich kurz gefasst, vielleicht etwas zu kurz in
Hinblick auf die Weitläufigkeit des ganzen Werkes und der Wichtigkeit des Gegen¬
standes. Neu für viele Leser, wenn auch nicht dem Princip nach, dürfte die von
Czermak erfundene Durchleuchtungsmethode sein, welche, ihrem gegen¬
wärtigen Entwicklungsstand entsprechend übrigens nur auf geringem Raum sich be¬
schränkt. Das Gegentheil gilt von der Electrodiagnostik, welche, und mit
Recht, sehr eingehend berücksichtigt wird. — Sehr interessant ist das Capitel über
Blutuntersuchung.
In zweiter Linie kommen einzelne Symptome zur Besprechung, welche sich in
verschiedenen Krankheiten finden, also die Elemente der Krankheitserscheinungen. Sie
bilden so zu sagen den allgemeinen Theil dieser Diagnostik, zusammen mit Zuständen,
Symptomgruppen, welche ebenfalls mehrfach in den complicirten Krankheitsformen
zur Beobachtung gelangen. Hier Beispiele anzuführen, wäre leichter, als deren Auswahl
zu treffen. Von zusammengesetzten Symptomgruppen nennen wir indessen: A n m m i e
und Blutanomalien, pathologische Athmung, Bewusstseins¬
störungen, Blutung, Carcinom.
Drittens dehnt sich das Gebiet aus auf speciellere Erkrankungen, sei es des Or¬
ganismus im Allgemeinen, sei es einzelner Theile desselben; die Namen der Organe
stehen mit denen der Krankheiten in buntem Gemische. Hier noch zu exemplificieren,
wäre Raumverschwendang. Es scheint uns nicht ganz im Interesse der Brauchbarkeit
des Buches, dass alle die von so verschiedenartigen Eintheilungspunkten ausgehenden
Schlagwörter ganz durcheinander stehen, wenn schon freilich die alphabetische Ajiord-
nung diesem Uebelstand recht wesentlich abhilft. Eine wissenschaftliche Anlage eines
Buches ist die lexicologische eben überhaupt nicht, sondern eine rein practische. Das
Buch ist ein werthvolles Nachschlagebuch, in dem nur recht viele Wiederholungen ver¬
kommen.
Dem practischen Arzte dürfte das wohl ausgestattete Buch, dessen Illustrationen
namentlich recht gut ausgeführt sind, in vielen Fällen zu Statten kommen.
Trechsel.
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53
Mittheilungen aus Kliniken und medicinischen Instituten der Schweiz.
lieber die Durchlässigkeit der Darmwand eingeklemmter Brüche für die Microorganismen.
Yon Dr. med. Atnd in Bern. I. Reihe, 4. Heft.
Die Aufgabe, welche A. sich gestellt hat, ist mehrfach schon von andern Autoren
zu lösen versucht worden. So gelangte Garrh durch die bacteriologische Untersuchung
von 8 Fällen eingeklemmter Brüche zu dem Schlüsse, dass die lebende Darmwand für
Microben undurchgängig sei; dieselben treten erst durch, wenn sich irreparable Störungen
in der Vitalität des Darmes eingestellt haben. Auf experimentellem Wege suchten vor
Allem Bönnecken und BiUer zu einer entscheidenden Antwort zu gelangen, doch stimmten
die Schlussfolgerungen, welche die beiden EIxperimentatoren aus ihren Versuchen zogen,
keineswegs überein. Bönnecken kommt zu dem Resultate, dass es nur einer venösen Stase
bedürfe, um die Darm wand für die Microorganismen durchgängig zu machen. BiUer
folgert, dass die Darmwand des Kaninchens nur bei eintretender Necrose passirbar sei.
Die Widersprüche, welche einerseits ans den experimentellen Arbeiten hervorgingen,
anderseits zwischen diesen und den beim Menschen gemachten Erfahrungen sich geltend
machten, hat A. mit Erfolg durch exacte, sehr mühsame, im Laboratorium von Prof. Tavel
angestellte Versuche aufgeklärt, deren Technik hier nicht ausführlich beschrieben werden
kann. Die Schlussfolgerungen, welche A. ans seiner Arbeit zieht, lauten zusammenge¬
fasst: 1) Der Darm des Kaninchens ist im Zustand einer leichten Circulationsstörung
für die in ihm enthaltenen Microorganismen durchgängig, ohne dass er eine Gewebsver¬
änderung eingeht, die seine Function irgendwie beeinträchtigt, und ohne dass eine vorher
bestehende Veränderung entzündlicher Art seine Wandung dazu vorzubereiten braucht.
2 ) Es besteht (im Experiment) ein gewisses Verhältniss zwischen dem Grad der Ein¬
klemmung einer Hernie und der Quantität des Bruchwassers. Je grösser dieselbe ist, um
so länger war die Hernie eingeklemmt, oder um so stärker war der Druck.
Conrad Brunner,
Specielle Diagnostik und Therapie der Magenkrankheiten.
Von J, BoaSj Berlin. Thieme’s Verlag. 1893.
Wir können diesen speciellen Theil den Collegen eben so warm und an¬
gelegentlich empfehlen, wie seiner Zeit die „Allgemeine Diagnostik und Therapie^. (S.
Corr.-Bl. 1891 und 1892.)
Das Werk — von ungefähr demselben Umfange wie das frühere, 238 Seiten —
zeichnet sich aus durch eine gleichmässige sorgfältige Bearbeitung des ganzen Stoffes mit
erschöpfenden Litteraturangaben.
Besonders bervorheben möchten wir, dass die Lageveränderungen des
Magens und dessen Nachbarorgane (Enteroptose, Nephroptose) in einem
eigenen Abschnitte eingehende Berücksichtigung gefunden haben.
Als Anhang ist ein D i ä t s c h e m a bei Magenkrankheiten beigefügt.
Huber (Zürich).
Oantonale Oonreeipondeiizeii.
— Eilige Werte Aideikei »sen llebei Cellegei Dr. Frlte Ben.
Von Buenos-Aires kommt uns die schmerzliche Nachricht zu von dem leider zu früh
erfolgten Hinscheide unseres lieben Collegen Dr. Fr. Born, Er erlag am 15. August,
32 Jahre alt, den Complicationen eines Gelenkrheumatismus. Kurz vor der letzten At¬
taque hatte er sich noch ein Erysipel zugezogen, das er aber überwunden. Der gleich
folgende Gelenkrheumatismus traf unsem lieben Freund kaum in der Genesung begriffen.
Sein Körper, noch nicht so widerstandsfähig wie bei den frühem Anfallen, musste unterliegen.
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54
Früü Bam besuchte, nachdem er im Frühjahr 1880 das Gymnasium in Burgdorf
mit bestem Erfolge absolvirt hatte, zuerst die Universität Strassburg, wo er in der Fa¬
milie seines vSterlichen Freundes und Onkels, Prof. Flächiger, sein zweites Heim hatte
und wo er mit wahrem Feuereifer dem Studium der Medioin, namentlich der Anatomie
oblag.
Mit grösster Liebe und Begeisterung sprach er immer von seinem dortigen Lehrer
der Anatomie, Prof. Waldeyer, ln Bern absolvirte er sein propädeutisches Examen 1882
und im Sommer 1884 sein Staatsexamen. Während seiner klinischen Semester war er
Assistent auf der innem Klinik bei Prof. LicMheim. Nach sehr gut bestandenem Examen
war er Assistent der chirurgischen Klinik bei Prof. Kocher und daraufhin nochmals Assi¬
stent des Kantonsspitals Lausanne. Während seiner Studienzeit uud als Assistent zeich¬
nete er sich durch tadellosen Fleiss aus und verband mit seinem Fleisse auch ein ungemein
gutes und sicheres Yerständniss für die gesummten medicinischen Gebiete. So durfte er
sich denn nach seinem Wegzuge von Lausanne mit bestem Gewissen in die Praxis wagen.
Eines aber machte ihm dabei schweren Kummer: Schon seit dem 16. Lebensjahre hatte
er von Zeit zu Zeit Attaquen von Gelenkrheumatismus. Sie waren zwar nie so sehr
heftig, dauerten aber stets 6—8 Wochen, so kurz vor seinem propädeutischen, wie auch
vor seinem Staatsexamen. Von seiner Aspirantenschule in Basel, während seiner Assi¬
stentenzeit in Lausanne, brachte er einen schweren Typhus mit, der ihn beinahe an den
Rand des Grabes brachte.
ln Rücksicht auf den immer wiederkehrenden Gelenkrheumatismus wandte er sich
zur See, wurde Schiffsarzt Auf seiner dritten Reise nach Nord- und Südamerika lernte
er Buenos-Aires kennen. Er überzeugte sich bald, dass er hier, wenn auch mit einigen
Schwierigkeiten, sich bald eine unabhängige Stellung erringen könne, sich eventuell bald
in den Stand gesetzt sehe, seiner Pflicht gegenüber seinen lieben Eltern in ächt
ehrwürdiger Pietät nachzukommen. Dies war sein nächstes Ziel. 1887 siedelte er
dort hinüber. Bescheiden war sein Anfang. Sein Wissen konnte aber nicht verbor¬
gen bleiben. Bald war er einer der gesuchtesten Aerzte, nicht nur für die Stadt;
sein Ruf drang auch in die entferntesten Oolonien. Er war aber auch ein wirklicher
Arzt, beseelt vom innigsten Mitleiden für die Leidenden und dadurch bald ein Sklave
seines Berufes.
Er sah der Yerwirklichung seines Planes entgegen. Sein geschwächter Körper
ertrug aber trotz heroischen Kampfes die Anstrengungen nicht. Ein Gehorleiden zwang
ihn, einige Zeit seine Praxis auszusetzen. Diese Zeit benutzte er zu einem Besuche bei
seinen Lieben in der Heimath.
Doch gleich wie er sich wieder besser fühlte, ging er nach Berlin, um sich zu
belehren über alle die Fortschritte, welche die Medicin in den letzten Jahren gemacht.
Yorher schon, auf seiner Herreise, hatte er in London, in Paris, in Bern die Kliniken
besucht, überall sich orientirend über das Neue, und auch um Yergessenes wieder auf¬
zufrischen.
Nachdem er Weihnachten 1892 noch bei seinen Lieben zu Hause zugebracht, kehrte
er wieder an den Ort seines Wirkens zurück. Die Erfolge seiner Thätigkeit überraschten
ihn selbst. Doch da kam die Gesichtsrose und auf diese der letzte Anfall von Gelenk¬
rheumatismus.
Nach argentinischen Zeitungsnachrichten war denn auch sein Begräbniss eine im¬
posante ELnndgebung für seine segenbringende Thätigkeit.
Während seiner Assistentenzeit in Bern unter Prof. Kocher und dann in Lausanne
vollendete Bom seine Inauguraldissertation „Zur Kritik über den gegenwärtigen Stand
der Frage von iea Blasenfunctionen". Wer einigermassen die Anatomie und Physiologie
der Blase studirt hat, der wird finden, wie verschieden die Angaben darüber bei den
verschiedenen Forschem lauten. Um so schwieriger also für einen Anfänger, sich an
dieses heikle Thema heranzuwagen. Bom hat es mit bestem Erfolge gethan.
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55
Sobald er sein Ziel in Baenos-Aires erreicht gehabt, würde er sich nach Europa
zurückbegeben haben, um rieh ganz der Wissenschaft zu widmen. Alles was er that
und ins Auge fasste, alles berechtigte nur zu den höchsten Erwartungen, denen er un¬
zweifelhaft entsprochen haben würde. Dafür sprechen auch die ehrenYollen Zeugnisse
seiner Lehrer und Chefs; seinen Namen hörte ich immer nur mit Achtung und Liebe
TOD ihnen nennen. Sein Verlust ist deshalb Ton Seite der Wissenschaft aufs Höchste
zu bedauern.
Und was war er als Mensch. Ich möchte nur erinnern an seine Studentenzeit.
Hat er je einen Feind besessen? Ueberall wurde er gerne gesehen. Sein fröhliches,
offenes Wesen, sein launiger Witz gewannen ihm alle Herzen. Ueberall fühlte man den
Zauber einer durchaus sympathischen, unanfechtbaren Persönlichkeit, gepaart mit kind¬
licher Liebenswürdigkeit und Anstelligkeit.
Was war er seinen lieben Eltern, seinen Geschwistern? Die treue Liebe und An¬
hänglichkeit ist nicht zu beschreiben, ihr Schmerz um den herben Verlust im vollsten
Umfange begreiflich.
Das ernste Streben nach Erfüllung seiner Berufspflichten Hess ihn aber doch die
Kunst nicht ganz vernachlässigen. Mit welcher Liebe hing er an seinem Cello, und wie
häufig erfreute er das Ohr seiner Zuhörer durch seine meisterhafte Fertigkeit des Spieles.
Dann wiederum seine Freude an der Natur und deren Schönheiten. Jeder Stelle wusste
er etwas Schönes, was Interessantes abzugewinnen. Wie viele Touren hat er gemacht,
wie oft hat er nur den Jura erstiegen, selbst mitten im Winter, bei hohem Schnee. Wie
freute er sich über den herrlichen Blick über das Nebelmeer hinüber auf den gegenüber¬
liegenden Alpenkranz. Und wenn auch mal Sturm und Regen uns überraschte, immer
wusste er seine GeseUschaft bei Stimmung zu halten durch seinen fröhlichen Witz, seine
immer gute Laune.
Auch drüben in Buenos-Aires vernachlässigte er die Natur nicht. Das sehen wir
aus der Beschreibung seiner Reise von Buenos-Aires nach Valparaiso (Geograph. Nach¬
richten, 8. Jahrgang, Nr. 15 u. 16). Einfach, fast schmucklos ist seine Darstellung,
aber doch wie, verständlich und wie fesselnd. Man meint selbst bei der Reisegesellschaft
zu sein. Alles tritt dem Leser so natürlich vor Augen. Und trotz der Einfachheit der
Beschreibung wird er nie eintönig oder langweilig.
Jetzt hat er Ruhe gefunden, Ruhe, die er seinem gebrechlichen Körper unablässig
vorenthalten zum Wohle seiner Mitmenschen.
Als wir Studenten unserm verstorbenen Lehrer, Prof. VeUeniin, einen Fackelzug
brachten, hielt Fritz Born an dessen Grabe eine kurze, aber kräftige Ansprache. Zum
Schlüsse rief er uns zu: ^Commilitonen, wir haben einen Mann zur Ruhe begleitet, der
sietsfort gearbeitet zum Wohle der Menschheit, folgen wir immer seinem Beispiele nachl*^
Fritz Born hat sein Versprechen, das er seinem verstorbenen Lehrer gegeben, gehalten;
nehmen wir ihn zum Vorbilde! Z.
Tfiblngem. Gewohnt, im Winter Kliniken zu besuchen, wählte ich diesmal vor
Neujahr Tübingen, diejenige Universitätsstadt, die leider von unsem Landsleuten nicht
sehr freqnentirt wird, weder von Aerzten, noch von Studirenden, wie denn z. B. in diesem
Semester nur zwei schweizerische oand. med. daselbst sich immatriculiren liessen. Ich
begreife diese Thatsache nicht recht, um so weniger, als die klinischen Institute geradezu
vorzüglich geleitet und eingerichtet sind. Der innem Klinik mit 100 Betten, der chirur¬
gischen mit 140 Betten, der grossartig ausgestatteten Frauenklinik mit 100 Betten reiht
sich nun würdig an die neue Irrenklinik (Director Siemerling von der Charitö Berlin),
die man a priori eher für ein Palais als für eine Heilanstalt halten möchte, wie denn
überhaupt in allen Gebäuden und Einrichtungen ein Comfort zu constatiren ist, der nur
in einem Lande wie Württemberg möglich ist, das eben nur eine Universität zu unter¬
halten hat. — Entsprechend der renommirten Gemüthlichkeit im Schwabenlande ist das
collegiale Verhältniss unter den Professoren der einzelnen Abtheilungmi (innere Medicin
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56
V, Liehermeister; Chirurgie v. jBrwn« und Garrh; Frauenklinik v. Säxinger; Poliklinik v, Jür-
gensen; path. Institut Bmmgarten) im Gegensatz zu yielen andern Orten ein geradezu
wohlthuendes und in guter Weise r&ckwirkend auf Privatdocenten, Assistenten und Schüler.
— So kann ich denn jedem Mediciner sehr empfehlen, Tübingen sich anzusehen und
einige Zeit dort zu bleiben. Man ist nicht geduldet, wie mancherorts, sondern warm
aufgenommen und fühlt sich schnell zu Hause. Vor allem aber kann ich Jedem em-
pfeUen, unsern Landsmann, Herrn Prof. Garrby aufzusuchen, der ihm in liebenswürdig¬
ster, entgegenkommendster Weise an die Hand gehen wird, und der durch sein hohes
Ansehen, das er beim Lehrkörper und den Schülern toII und ganz besitzt, ihn Ton Yome-
herein in guter Weise überall einführen wird. Ulhnmny Mammem.
ZArlcIi« Den 6. Juni 1893 gaben sich ca. 20 Collegen mit ihren Damen ein
Bendez-Yous in dem herrlich gelegenen Rappersvryl, um das 40Jihrige JobiliiB der
SriDdaDg des Vereiaes der Aeräte des Zlreher*sehea Oberlaades zu feiern. Diesmal
galt es nur, der Freundschaft und der Freude die Stunden zu widmen, wesshalb das Fest
gleich mit einem Yortrefflichen Bankett eröffnet wurde, um eine solide Basis für die
kommenden Dinge zu schaffen. Unser verehrter Herr Präsident Collega Odermaü von
Rapperswyl eröffiiete in formvollendeter Weise, mit hehrer Begeisterung die Reihe der
Toaste.
Nachdem er die Herren Collegen und Damen begrüsst, entwarf er ein historisches
Bild von den politischen und wissenschaftlichen Verhältnissen Anfangs der öOger Jahre:
„Während der Studienzeit unserer Veteranen begann auch aller Orten, und nicht
zuletzt an der jungen Universität ZOrich, der Medicin der Morgenschimroer einer neuen
Aera zu leuchten; die verhängnissvolle, Jahrhunderte alte Macht der speculativen und
dogmatischen Naturphilosophie wurde gebrochen; die exacte Forschung erschien auf dem
Plan. So traten die Jubilare mit dem Impulse einer schöpferischen Epoche und aus einer
Schule, die eine ungeahnte Perspective eröffnet, hinaus in die damals stillen Thäler des
Zürch. Oberlandes. Wir sehen im Geiste die ideal entflammten Männer in ihrem hin¬
gehenden Wirken. Allein das Empflnden und das Wollen verliert an Werth, wenn es nur
in der eigenen Brust verschlossen »bleibt und nicht expansiv verwandten Medien sich offen¬
baren kann. Dies mag im Jahre 1853 die Aerzte des Zürch. Oberlandes bestimmt haben,
berauszutreten aus der Vereinsamung und einen zielbewussten, festgegliederten Verband
zu bilden. Sie riefen vielleicht einen der ersten Vereine von Landärzten in der Schweiz
in’s Leben, wahrscheinlich den einzigen, der sich 40 Jahre lang eines ununterbrochenen
wissenschahlichen und collegial-herzlichen Gedeihens erfreute.^) — 40 Jahre sind ein
winzig kleiner Zeitraum in der allgemeinen menschlichen Entwicklungsgeschichte! Aber
welche revolutionirenden Wandlungen im medicinischen Denken und Handeln haben
während den paar Jahrzehnten die pathologische Anatomie, die Physiologie, die Bac-
teriologie erst geschaffen?
Wir, den Stätten der Wissenschaft fern, inmitten wogenden und tobenden Lebens
stehende Landärzte bejubeln den unaufhaltsamen Siegeslauf der Heilkunde. — Gleichwohl
will Kleinmuth häufig uns beschleichen, dass wir zu sehr blosse Bewunderer der hoch¬
ragenden medicinischen Veste sind, ohne werthvolle Bausteine beigetragen zu haben.
Trost finden wir immer wieder im aufrichtigen Streben, möglichst viel von den Er¬
oberungen der Geistesheroen unseren Anbefohlenen dienstbar und nutzbringend zu machen.
Wenn das ärztliche Erkennen und Können vielfach auf sicherer Basis gestellt ist
als zur Gründungszeit unseres Vereines, so ist damit auch unsere Verantwortung eine
grössere geworden. Unsere Stellung ist aber keineswegs eine günstigere. Sonderbar,
trotz aller heilwissenschaftlicher Fortschritte will das Idyll mehr und mehr verblassen,
wo dem Arzte Vertrauen, Achtung und Freundschaft entgegengebracht wurden, wo es
Der ärztliche Verein Werthbühlia im Canton Thurgau hat bereits 60 Jahre ununter¬
brochener gedeihlicher Entwicklung hinter sich. Vergl. die hübsche Schildernug des 50jährigen
Jnbilänms im Corr.-Blatt 1883, pag. 406 ff. Red.
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unrülimlioh war, den grandios zn verlassen, dem man einen Einblick in sein somatisches
und psychisches Sein gewährt hatte. Ja, als Hausarzt im schönen alten Sion des Wortes
behandelt man uns je länger je weniger. Als Gewerbetreibende mochte man uns hin¬
stellen. Wohlan! ytir Landärzte wenigstens dürfen dann stolz darauf sein, die relativ
am schlechtesten honorirten Gewerbetreibenden zu sein. Wen es nach materiellem Ge¬
winn gelüstet, der betrete Asklepios Tempel nicht. Die wilde Geldgier der Gegenwart
hat sich auch den siechen Menschen als Ausbeutungsobject erwählt and ist dessen eigent¬
licher Yampyr geworden. Sogenannte Naturärzte spielen mehr als früher die Propheten.
Ihr gesprochenes Wort und ihre Publicistik stiften Yerwirrung, und das Publiknm seiner¬
seits vergisst leicht, dass der Weg selbst zum primitivsten Wissen in der Medicin kein
einfacher ist Sollen wir ferner die Concurrenzverhältnisse erwähnen, die von Jahr zu
Jahr drückender für uns sich gestalten? Genug!
Das Bewusstsein unserer Aufgabe und unserer Pflichten erfülle uns zugleich mit
gerechtem Selbstgefühl. Dieses Bewusstsein erhalte jederzeit standhaft uns in allen
W ider wärtigkeiten."
Dies sind einige Gedankenspäne aus der bedeutenden Bede. Mit lautem Beifall
wurde dieselbe aufgenommen. Es wechselten nun die Yorträge eines tüchtigen Orchesters
mit einer Reihe von Reden ab. Unser* Senior Herr Dr. Meyer^ Yater, von Dübendorf
lässt die Aerzte hoch leben, welche in der Pflichttreue ihre Standesehre erkennen. Den
Damen, unseren Apothekegehülflnnen und Assistenten, galt ein donnerndes Hoch, ansge-
bracht von Herrn Dr. GwaUer von Rapperswyl. Dr. Ncegeli von Rapperswyl dankte im
Namen der Rapperswyler Collegen dem Yerein für freundschaftliche Aufnahme, die sie
als St. Galler Aerzte in ihm gefunden haben und für die Ehre, das Jubiläumsfest in
ihren Mauern zu feiern. Herr Dr. Ooldschmid von Fehraltdorf entwarf in feinen Zügen
das Bild des Zukunftsarztes, während Herr Collega Wälder von Wetzikon in einem
schönen Poem der dahingeschiedenen Kampfesgenossen und Freunde gedachte.
Inzwischen schaute der Himmel, der Morgens eine ganz bedenkliche Miene geschnitten,
freundlicher drein. Er hatte Pluvius abcommandirt und Aeolos und Neptun Ruhe be¬
fohlen. Eine Dampfschwalbe wartete der Gäste, um sie nach einer Rundfahrt auf dem
See nach Hutten*e Eiland, der Ufenan, hinüberzuführen. Fröhliche Gesänge, Gläserge¬
klirr, Yorträge des Orchesters nebst dem herrlichen Anblick der lieblichen Ufer, Hessen
die Wogen des Festes immer höher schlagen. Und als die letzten Nachzügler zu uns
gestossen waren, floss von neuem der Redestrom, unter Anrufung von Hutten’*e Geist.
Gegen Abend fahr man nach der Rosenstadt zurück, um der Terpsichore zu huldigen.
Die Damen, deren Zu- nnd Umstände es gestatteten, folgten ohne Sträuben der Auf¬
forderung zum Tanz und man sah, dass ihnen ohne Tänzlein etwas gefehlt hatte. Wenn
die Patres familiäres nur fleissiger dabei gewesen wären!
Während des um 7 Uhr stattfindenden Nachtessens erfreuten komische und musikalische
Prodnctionen die Gäste. Leider schlug nur allzurasch die Abschiedsstunde. Ein herz¬
liches allseitiges Adieu, ein baldiges Wiedersehen, — besonders von Seiten der Damen —
bildete den Schlussaccord. Die vergnügten Gesichter sprachen, dass man ein schönes
Fest gefeiert, wahre Freundschaft und CoUegialität gepflegt und gestärkt hatte.
L. N. V. R.
Aum den Aeten der eehwelserieetaen Aersteeommieeion.
Beriehterstattug Iber die Imafenden flesebifte.
1. Centralisation des schweizerischen Sanitätswesens. An
der Yersammlung des ärztlichen Central-Yereins zu Olten den 29. Ootober 1887 hielt
Baader, der Mann mit dem hellen Kopfe and dem warmen Herzen, einen Yortrag über
Organisation des schweizerischen Gesundheitsdienstes, dessen sorgfältig disoutirte und all¬
gemein angenommenen Schlusssätze folgende Postulate waren:
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1 . Ein ständiger technischer Experte beim eidgen. Departement des Innern: ein
Sanitäts-Referent.
2. Eine berathende Fachbehörde, etwa im Sinne der von 1879—1882 bestandenen
und bei der Bndgetberathnng aberkannten eidg. Sanitätscommission.
3. Eine grosse Aerztecommission, eine Art Aerztekammer, soweit eine Bernfiiver-
tretung politisch möglich.
4. Ein Lehrstuhl für Hygieine am eidg. Polytechnicum.
Nach Baader kam alt Oberfeldarzt Schnyder mit dem Vorschläge der Revision von
Art. 33 und Art. 69 der Bundesverfassung, in folgender Weise:
1. ln Art. 33 soll es den Cantonen nicht länger freigestellt bleiben, den eidgenös¬
sischen Befähigungsausweis zu verlangen. Dieser soll überall gefordert werden und zur
Praxis ausschliesslich berechtigen.
2. In Art. 69 soll dem Bunde nicht bloss die Gesetzgebung gegen Epidemien und
Epizootien gegeben, sondern grundsätzlich und allgemein gesagt werden: „Das Gesund¬
heitswesen ist Sache des Bundes."
Der gemeinsame sohweizerische Aerztetag zu Lausanne den 26. Mai 1888 be¬
schränkte dieses Programm und gab der Aerztecommission den Auftrag, dahin zu wirken,
dass beim eidg. Departement des Innern wenigstens eine Centralstelle für das Sanitäts¬
wesen geschaffen und ein Arzt als Referent angestellt werde, nach dem Vorschläge Baader,
Die cantonalen Aerztevereine wurden durch ein Kreisschreiben vom August 1888
um ihre Meinungsabgabe ersucht. Die meisten beriethen die Frage in ihrer Herbstsitzung
und schickten bis zum Frühling ihre Antworten ein. Alle stimmten für die Bestellung
eines Sanitätsreferenten. Die Mehrzahl schlug vor, anstatt einer eidg. Sanitatscommissiou
die schweizerische Aerztecommission als berathendes Expertencollegium des eidgenössischen
Departements des Innern fortbestehen zu lassen.
Herr Bnndesrath Schenk, der seit dem Bestände der drei schweizerischen Aerzto-
vereine und ihres Organes, der Aerztecommission, nnsem Bestrebungen alle nur mögliche
Unterstützung gewährt und das Sanitätswesen mit so viel Verständniss und Wohlwollen
behandelt batte, wie man es von einem Arzte nicht besser hätte erwarten dürfen, erklärte
sich mit dem Vorschläge eines Sanitätsreferenten einverstanden, konnte ihn aber als
solchen nicht anstellen, weil ihm, wie seiner Zeit bei der eidg. Sanitätskommission, die
gesetzliche Vollmacht fehlte. Der neue Beamte musste vorläufig als provisorischer Ersatz
für einen verstorbenen Juristen gewählt werden, der bisher sanitätspolizeiliche Arbeiten
besorgt hatte.
Im Mai 1889 wurde Herr Dr. Fr. Schmid an die Stelle gewählt, die ihm ein
grosses Maass von Arbeit darbot. Er hat sich vortrefflich bewährt, alles nachgeholt, was
die Aerztecommission nothgedrungen hatte liegen lassen, und ebenso auch eine Reibe
neuer Arbeiten zur Hand genommen.
Als berathendes Collegium, erklärte das Departement in der bisherigen Weise die
schweizerische Aerztecommission verwenden zu wollen, oder, ebenfalls nach dem Vorschläge
der meisten cantonalen Aerztevereine, für besondere Fälle Specialcommissionen einzuberufen.
Zu dieser Zeit gelangte an ffle schweizerische Aerztecommission ein Schreiben des
schweizerischen Apothekervereins, der den Zeitpunkt für gekommen hielt, eine eidgenös¬
sische Medicinalgesetzgebung anzustreben. Die Aerztecommission glaubte auf dem unbe¬
strittenen Wege der öffentlichen Gesundheitspflege vorwärts gehen und es grundsätzlich
vermeiden zu sollen, eine Discussion über.die Grundlagen der Medicinalpolizei heraufzu¬
beschwören. Die betreffenden Acten Anden sich im Corresp.-Blatt von 1889, pag. 277
und 278.
Im Mai 1889 gab die vereinigte Aerzteversammlung zu Bern der ärztlichen Com¬
mission den Auftrag, gelegentlich fürzusorgen, dass eine Revision der Bundesverfassungs-
Artikel 33 und 69 im Sinne der Schnyder'Bchen Vorschläge stattfinde. Die Aerztecom-
mission erliess dann, nach schriftlicher und mündlicher Beratbung, und einstimmig: d. d.
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25. Ooiober 1890 ein KreiBschreiben an die cantonalen Aerztevereine, damit sie sieh
über alle Hauptpunkte, ganz besonders aber über die Opportunität eines ReTisionsbegehrens
aussprechen. C. f. Oorr.-Blatt 1890, pag. 784-787.
Die Antworten waren folgende:
,,La sociätä mädioale de Gendye est d^avis, qne le d^yeloppement d’une
Organisation des affaires m^dicales en Suisse ne serait en oe moment faToris^ en aucune
fa^on par une tentation de provoqner une rerision partielle de la Constitution föderale,
et eile estime que la Constitution füd^rale actuelle permet suffisamment de d^relopper
dayantage Phygidne publique."
Liestal, 22. Januar 1891. Ist mit einer Oentralisation des Medicinalwesens
grundsätzlich einyerstanden; „will aber auf die einzelnen Fragen nicht eintreten, weil
dadurch nur eine unglückliche Zersplitterung der Ansichten über das Wie? der Centrali-
sation entstünde, was der Erreichung des Zieles nur schaden würde."
Basel-Stadt, 28. Jan. 1891. „Wir geben dem Ausbau des Medicinalwesens
und der Yolksgesundheitspflege auf dem Boden der jetzigen Bundesyerfassung den Vorzug
yor dem Versuche, durch partielle Reyision der Bundesyerfassung rascher fortzusohreiten.
Wir halten diesen Schritt für gefährlich."
Glarus sagt, d. d. 15. Febr. 1891: „In Uebereinstimmung mit der schweize¬
rischen Aerztecommission geben wir einstweilen dem Ausbau des Medicinalwesens auf der
Basis der gegenwärtigen Bundesyerfassung den Vorzug."
Waadt sagt, d. d. 17. März 1891: „La soci6t6 estime que le däyeloppement qui
a ätä donnä ä Porganisaiion sanitaire yaudoise a produit des räsultats satisfaisants.
et que l’hygidne publique peut ütre d6yelopp6e d’une fa^n satisfaisante par la 16gis1ation
snr la base de la Constitution füdärale actuelle."
Bünden, d. d. März 1891, sagt: „Wir konnten uns zu keinem Anträge in cen-
tralistischem Sinne entschliessen und beschlossen daher, es yorläufig bei der dermaligen
Flickarbeit bewenden zu lassen."
Neuchätel, 1 Ayril 1891. „La reyision de la Constitution föderale n’est pas
n^cessaire."
St. Gallen, d. d. 12. Mai 1891. „Wir halten eine Oentralisation des schwei-
zerischhn Medicinalwesens durch theilweise Bundesyerfassungsreyision im gegenwärtigen
Zeitpunkt nicht für opportun und geben dem Ausbau des Medicinalwesens auf Basis der
jetzigen Verfassung den Vorzug."
Appenzell A.-Rh., d. 16. Juni 1891. „Angesichts der Möglichkeit, dass die
Beyregung leicht verderblich werden könnte, ist zur Zeit entschieden davon abzusehen,
eine theilweise Bundesyerfassungsreyision anzustreben, und ist es besser, auf der gegen¬
wärtigen Basis weiter zu arbeiten."
Zug, Oclober 1891. „Wir halten eine Oentralisation durch Revision der Bundes-
verfkssung nicht für wünschenswerth."
Aargau, d. d. 25. Septbr. 1892, giebt Bericht über die 3 ersten Fragen und
stellt einen solchen über die folgenden in Aussicht. Da die Frage 5 für die schweize¬
rische Aerztecommission entscheidend ist, muss dieses Votum noch offen gelassen werden.
Seither sind keine weiteren Antworten eingegangen, und es ist auffallend, dass die
beiden grössten Cantone, Bern und Zürich, auf die als so wichtig und dringlich erklärte
Frage gar nicht reagirt haben.
Von den zehn vorhandenen Antworten lautet eine ehizige, die von Baselland, dem
Verfassungsrevisions-Vorschlage günstig.
Die schweizerische Aerztecommission wird nun gewärtigen, ob und welche weitere
Anregungen in dieser Frage an sie gelangen; einstweilen ist sie verpflichtet, diejenigen
Aufgaben zu bebauen, bei denen sie sich der Uebereinstimmung mit den cantonalen
Aerztevereinen und mit den Versammlungen versichert hallen kann.
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60
IL Krankentransport auf Eisenbahnen. Am 19. December 1891
erliess die schweizerische Aerztecommission eine Petition an den schweizerischen Bandes¬
rath, die im Corr.-Blatt von 1892, pag. 119—121, abgedruckt ist. Persönliche Nach¬
frage beim Chef des Departementes, Herrn Bundesrath Zemp, hat ergeben, dass die Frage
wohlwollend aufgenommen worden ist und eine befriedigende Lösung in Aussicht steht.
Wir warten.
HI. Schweizerisches Gesundheitsamt. Die Angelegenheit hat die
schweizerische Aerztecommission lebhaft beschäftigt, sowohl materiell als formell. Schliess¬
lich erschien es am richtigsten, mit einem sehr bescheidenen Programm vorzugehen und
die weitere Entwicklung abzuwarten, die sowohl durch die Zahl und Grösse der neuen
Aufgaben, als durch die Initiative des dirigirenden Beamten bestimmt sein wird. Mit
einem grossen, akademischen Programme wären wir voraussichtlich abgewiesen worden.
Es kam vor allem darauf an, einen eidgenössischen Sanitätsdienst, der bisher nur durch
geschäftliche Bedürfnisse und durch das persönliche Wohlwollen des Departements-Chefs
bestanden, endlich einmal gesetzlich festzustellen und so zu organisiren, dass er eine
Zukunft hat. Das ist durch den Bundesbeschlass vom 28. Juni 1893 zu Stande gekom¬
men. Das eidgenössische Gesundheitsamt ist nun, wie das eidgenössische statistische
Bureau, eine besondere Dienstabtheilung beim Departement des Innern. Der Director hat
seinen ärztlichen Adjuncten und einen Bureauarbeiter und kann seine persönliche Arbeit
erheblich umfangreicher und intensiver gestalten.
lY. Eidg. Krankenkassen- und Unfallversicherungsgesetze.
In der grossen Expertencommission, welche aus Yertretem der verschiedensten Berufe,
Lebensstellungen und Parteien zusammengesetzt worden, hatten der eidg. Sanitätsreferent
und der Präsident der schweizerischen Aerztecommission, später auch Herr Dr. Kaufmann
aus Zürich, die Anschauungen der Aerzte zu vertreten. Die AerzteVersammlung zu Bern,
im Mai 1893, nahm die vorläufigen Mittheilungen über jene Yerhandlungen stillschweigend
an. Nachher gelangten dann an die Aerztecommission Eingaben der cantonalen Aerzte-
vereine von: Thurgau, d. d. 24. Juli 1893; Zug, d. d. 14. September; Bünden, d. d.
5. October und Bern, d. d. 4. October.
Die von den Aerztevereinen gestellten Postulate sind unter Aerzten sehr selbst¬
verständliche und deshalb auch sehr gleichartige. Wir hoffen, dass sie im Lattfe der
weitem und weitläufigen Yerhandlungen, die den beiden Gesetzen noch bevorstehen, die¬
selbe verständnissvolle und wohlwollende Aufnahme finden, wie bei der Expertencommis-
sion. Ueber die Yerhandlungen derselben berichtet das Corr.-Blatt 1893, pag. 761.
Y. Association des mödecins du canton de Genöve. Diese neue
Gesellschaft, die sich neben dem cantonalen Aerzteverein und wesentlich zum Zwecke
gebildet hat, die öconomischen Interessen der Aerzte wahrzunehmen und zu fordern, hat
sich im Sommer 1892 unmittelbar an die cantonalen Aerztevereine gewandt, und dann
im Mai 1893 auch wieder an die vereinigte Aerzteversammlung zu Bern. Alles Sach-
bezügliche ist in Nr. 23 des Corr.-Blattes von 1893 erschienen.
YI. Asyle für Tuberculöse. C. f. Protokoll der schweizerischen Aerzte-
commission von heute. (Corr.-Blatt 1893, pag. 800.)
St. Gallen, den 28. October 1893.
Der abtretende Präsident der Schweiz. Aerztecommission:
Dr. Sonderegger,
oolieiil>eiriclit.
Schweiz.
— In einer öffentlichen Besprechung der Greolieh^sehei Verlaine betr* aieit-
gelUlehe Kraikeaplege führte ein Redner zu Gunsten derselben die Thatsache ins Feld,
dass,in den 15 grössera Ortschaften der Schweiz durchschnittlich 263 Menschen perYierteljahr
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Sterben, ohne ärztlich behandelt worden za sein," also Leute, welche, wie der Redner meint
und glauben machen will, „den Arzt nicht zu halten und zu zahlen vermocht hätten.^ Wer
unsere Todtenscheinformulare kennt, weiss, woher diese 263 nicht Behandelten rühren. Bei
Verunglückten, Selbstmördern, Todtgeburten, auf dem Transport Gestorbenen etc. unter¬
schreibt natürlich nicht „der behandelnde Arzt", sondern „der nach dem Tode zugezogene
Arzt", und diese Categorien liefern die 263 Nichtbehandelten. — Dass eine absicht¬
liche Missdeutung der erwähnten Thatsache dem Redner fern lag, wollen wir gerne
glauben; indess darf von Wegweisern des Volkes für diese so tief eingreifende Frage
wohl verlangt werden, dass sie — sei es pro oder contra — ihre Gründe ernst und ge¬
wissenhaft abwägen und gründlich studiren, wenn sie nicht der Oberflächlichkeit und
fahrlässigen Täuschung geziehen sein wollen.
— Ueber die von der internationalen Jury für Yerwundetentransportmittel zu Rom
prämirte GeUr|fBtrm|fe von Major Fröhlich (Vergl. Corresp.-Blatt 1893 pag. 775) schreibt
die österr. militärärztl. Zeitschrift „Der Militärarzt" Folgendes: Sie erinnert in ihrem
obem Theile mit den Achselstützen und dem Stirngurt an die MichcteWwihQ Sanitätskraxe,
unterscheidet sich aber von dieser wesentlich durch den breiten Sitz und dadurch, dass
die untern Gliedmassen des Verwundeten nicht lose herabhängen, sondern auf flxen
Schienen, welche beiderseits vom Sitze gerade nach vom am Träger vorbei verlaufen,
sicher und bequem gelagert werden können. In der schwierigen Frage des Verwundeten¬
transportes im Gebirgskriege bezeichnet diese Trage, welche mit Hülfe von zwei zu¬
gehörigen Bergstöcken, die unter den Riemen und dem Sitze in eiserne Ringe einzn-
schieben sind, auch von 2 Trägem wie eine verkürzte Feldtrage getragen werden kann,
ohne Zweifel einen Fortschritt etc.
Ausland.
— XI. iDteinatioBaler Bedielaiseher Cengress. Ron, 29. Hirz Ms 5. April 1894.
Infolge Vereinbarung mit dem Ausschüsse der deutschen chirurgischen Gesellschaft wurde
die diesjährige Versammlung der letzteren auf den 18.—21 April 1894 verlegt, wodurch
vielen deutschen Aerzten der Besuch des Congresses zu Rom möglich gemacht wurde.
Prof. A. Jacobi, New-York, hat sich auf Ersuchen des Comitös bereit erklärt, in
einer Plenarsitzung des Congresses einen Vortrag zu halten, dessen Titel lautet: „Non
nocerel"
Das Comite hat in Rom ein besonderes Bureau eingerichtet, welches den Congress-
besuchem Wohnungen besorgen wird; die Firma Thos. Cook & Son in Rom hat sich auf
Ersuchen des Comitös ebenfalls hiezu bereit erklärt.
In Rom werden unter Führung.des bekannten Alterthumsforschers Prof. Forbes^ Aus¬
flüge veranstaltet werden, desgleichen von der Firma Thos. Cook & Son in Neapel nach
der Umgegend von Neapel und nach Sicilien. Die Congressbesucher geniessen 50^/o Er-
mässigung für die Reise von Rom nach Neapel und zurück.
— Die Denlsehe derBatoleglsehe Oesellsehafk wird ihren IV. Congress vom
14.—16. Mai in Breslau abhalten. Die wissenschaftlichen Hauptthemata sind:
1. Ueber die modernen Systematisirungsversuche in der Dermatologie. Ref.: Prof. Kaposi
(Wien). 2. Ueber den gegenwärtigen Stand der Lehre von den Dermatomycosen. Ref.:
Prof. Pick (Prag). Anmeldungen an Prof. Netsser^ Breslau. Mit dem Congress ist eine
Ausstellung verbunden.
— Gestorben : In Berlin: Sanitätsrath Dr. S. Outtmann^ der Redactor der
„Deutschen medicinischen Wochenschrift", 53 Jahre alt an Herzschwäche nach Influenza.
— In der Novembersitzung der freien Vereinigung der Chirurgen
Berlins rühmte Zeller die Bier^sehe Behnndlnnf der GelenktHberenlose Bit Sinn-
UgskyperlBle. (Vergl. Corr.-Bl. 1893 pag. 679.) Er hat zur Prüfung dieser Methode
nur Fälle von nicht aufgebrochener Tuberculose und nicht zu alte Patienten aasgewählt.
Bei erhobener Extremität des Kranken wickelte er die unterhalb des Gelenks gelegenen
Theile sorgfältig mit Binden ein, Hess dann zur Erzeugung von Hyperämie die Extremität
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herunter und legte einen Drainschlanch überhalb dem Gelenk über einen Wattestreifen.
Die Regulimng des Schlauches bezüglich des festen Anziehens lernen die Pat. sehr bald
so genau, dass der Schlauch (besser ertragen wird eine Gummibinde; der Knoten des
Schlauches drückt bald schmerzhafL Red.) schliesslich Tag und Na^t liegen bleiben
kann. — ln allen Fällen Hess sich unter dieser Behandlung eine wesentliche
Besserung in Bezug auf Schmerzhaftigkeit und behinderte Beweglichkeit constastiren.
Ref. (Red.) hat auch bei offener Tnberculose am Ellbogen und am Fasse ganz
überraschenden und schnellen Erfolg beobachtet. Ein ganz trostlos aussehender Fall von
weitausgebreiteter und fistulös eiternder Ellbogengelenktuberculose bei einem 18jährigen
Mädchen, mit heftiger Schmerzhaftigkeit und totaler Functionsstörung — trotz langer
Jodoformbehandlung bis zur Amputationsnothwendigkeit vorgeschritten — konnte nach
dreiwöchentlicher Behandlung dem Vereine der thnrg. Aerzte (im November 1893) als
bedeutend und ganz auffällig gebessert vorgestellt werden. Die spontanen, wie Druck¬
schmerzen waren total verschwunden, die Function so weit hergestellt, dass Patientin den
Vorderarm bis über einen rechten Winkel hinaus activ fiectiren und fkst complet strecken
konnte. Von 4 vorhandenen Fisteln waren 2 geheilt, 2 secernirten nur noch unbe¬
deutend. Die letztem haben sich unterdessen auch noch geschlossen und das functionelle
Resultat ist — wie auch das vor der Behandlung sehr mitgenommene Allgemeinbefinden
der Kranken — ein vorzügliches geworden. Die Fistelnarben sind trichterförmig weit
eingezogen, ähnlich wie nach erfolgreicher Jodoformtherapie.
— Behandluf der Isehias ueh Weir Hilehell; Bettruhe; blutige Schröpf köpfe;
häufige Sinapismen. Bei heftigen Schmerzen: 0,015 bis 0,03 Co^n. muriat. suboutan.
— Eine leichte Ischias wird auf diese Weise rasch heilen. Für schwere Fälle empfiehlt
W. M, Immobiiisimng der Extremität durch Schienenverband bei leichter Flexionsstellung
in Hüfte und Knie; die Binden müssen von der Fussspitze bis zur Hüfte angelegt
werden. Wenn dem Kranken das Gehen erlaubt wird, so muss ihm doch das Sitzen
noch einige Zeit verboten bleiben, da bei dieser Stellung die Schmerzen Anfangs sehr
leicht exacerbiren.
— lieber die Bedeutuf der diphtherltiseheD Hembrauen ia Beiaf aaf die
Tberaple äussert sich Prof. Oertel (Berl. klin. Wochensohr. 1893, Nr. 13 u. 14; Wiener
med. Bl. 1894, Nr. ) folgendermassen:
Wenn man bei einem diphtheritischen Kinde vom ersten Beginn an die Entwicke¬
lung der Pseudomenbranen auf den Mandela und der Rachenschleimhaut sorgfältig ver¬
folgt, kann man zwei Bildungsweisen derselben unterscheiden:
1. Die Bildung der Membranen beginnt unmittelbarauf der Oberfläche; der Process
erstreckt sich von oben nach abwärts.
2. Die Membranbildung nimmt von der Tiefe des Schleimhautgewebes aus ihren
Ausgang, und die oberflächliche Lage der Schleimhaut, insbesondere des Epithels, wird
zuletzt in den Process hineingezogen, der sich hier von Beginn an in der Form einer
ausgedehnten massenhaften Exsudation von fibrinogener Lymphe oder von Fibrin dar¬
stellt. Diese AufiPassnngsweise ist nun für die Therapie von höchster Bedeutung. Was
die auf der Oberfläche der Schleimhaut sich entwickelnden Pseudomembrauen betrifft, so
sind sie das Product der directen Infection, der unmittelbaren Einwirkung der in der
Mund- und Rachenhöhle sich bildenden Bacillen und des von ihnen erzeugten Giftes. Sie
indiciren somit eine sorgfältige antiseptische Behandlung, die in der Vernichtung der Bac-
terien liegt und damit auch eine weitere Vermehrung und Resorption des von ihnen
erzeugten Virus verhindert. Verfasser benutzt für die Application der antiseptischen Lo¬
sungen (2 — 5 Procent Carbollösung) fast ausschliesslich den Dampfzerstäubungsapparat,
durch welchen sowohl die erkrankten, wie die jederzeit bereits iuficirten, aber noch intact
aussehenden Schleimhäute mit einer genügend starken antiseptischen Flüssigkeit 3, 4 und
5 Minuten lang beständig überrieselt werden können, und diese Einwirkung alle 2 bis
3 Stunden wiederholt werden kann. Nothwendig ist dabei, dass der zuleitende weite
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Glastrichier vom Kranken tief in den Mund zwiaohen die Zähne genommen wird und die
abfliessende Flüssigkeit, welche Sohleim, Zersetzungsproduote und abgestossene Partien
der Pseudomembranen etc. mit abführt, nicht in die zu zerstäubende Flüssigkeit zurück-
strömt, sondern in einem besonderen Gefässe aufgefangen wird. In dieser abstromenden
Flüssigkeit sieht man erst, wie gut die Mund- und Rachenhöhle zugleich durch diese
Art von Irrigation gereinigt wird. Carbolsäure - Intoxicationen hat Verfasser dabei nie
beobachtet. Als Indicator für die Grösse der Resorption benutzt er die Färbung des
Urins, der 24 Stunden an der Luft gestanden bat. Er lässt zu diesem Zwecke den Tag¬
end Nachturin in gesonderten, am besten porzellanenen Gefässen circa 24 Stunden stehen,
so dass immer am Morgen der Urin vom Laufe des vergangenen Tages, und Abends der
Urin von der verflossenen Nacht weggeschüttet wird. Tritt entschieden dunkelgpraue oder
graugrüne Färbung ein, nicht früher, so setzt er die Carbolsäure-Inhalationen aus und
verwendet 4procentige Borsäure, bis der Urin wieder klar ist; er kehrt zur Carbolsäure
wieder zurück, wenn es die Krankheit noch weiter verlangt, oder bleibt bei der Borsäure,
wenn die Abstossung der Pseudomembranen während dieser Zeit erfolgt ist. Albuminurie,
die in schweren Fällen immer vorhanden ist, bildet nach Verfasser keine Contraindication
für die Anwendung der Carbolsäure.
Wesentlich verschieden von der Möglichkeit einer erfolgreichen Einwirkung auf die
primären Membranen zeigt sich aber die Voraussicht der Behandlung der secundären
Membranen. Der directe Erfolg, den wir durch eine unmittelbare Behandlung dieser
Membranen erzielen können, ist gleich Null zu setzen. Diese Membranen sind das Pro¬
duct der allgemeinen Infection, die erregende Ursache ist nicht mehr wie bei der
Bildung der primären Membranen dem entgegenwirkenden Agens, dem antiseptisehen Me-
dicament unmittelbar zugänglich, sondern liegt unerreichbar in der Tiefe der Schleimbaut.
Nur indirect können wir dadurch, dass wir durch gründliche antiseptische Behandlung
der primären Membranen, oder vielmehr der infleirten Mund- und R^henhöhle der Er¬
zeugung und Resorption von neuen Giftmengen entgegenwirken, eine immer noch fort¬
schreitende allgemeine Infection und dadurch die weitere Bildung von secundären Mem¬
branen verhindern. Auf das einmal resorbirte Gift haben wir nach den bis jetzt uns
zur Verfügung stehenden Mitteln jede Einwirkung verloren.
Mit dieser Erkenntniss werden wir aber auch manche überflüssige Behandlung bei¬
seite lassen, die für den Kranken dann nur eine Plage bringt und die den Verlauf der
Krankheit nichts weniger als günstig beeinflussen kann.
— Die Behandlnnf der Psoriasis dareh iaaeriieiie Darreiehaaf vea Sekild*
driseaextraet, von Dr. Byrom Bramwell in Edinburg.
ln der letzten Sitzung der British Medical Association, Section für Dermatologie,
brachte Br. einige sehr interessante Mittheilungen über seine Ergebnkse der Behandlung
der Hautkrankheiten mit Thyroidextract. Er hatte nämlich bei der innerlichen Dar¬
reichung dieses Mittels in Fällen von Myxcedem und ähnlichen Zuständen stets eine sehr
reichliche Abschuppung der Haut, speciell an den Handflächen und den Fusssohlen con-
statiren können. Es war ihm auf diese Weise der Gedanke gekommen, dass wenn dieses
Extract bei so hartnäckigen Affectionen eine solche Desquamation zu erzeugen im Stande
sei, es sicherlich auch zur Bekämpfung gewisser Hautkrankheiten sich als nützlich er¬
weisen könnte. Er wandte daher das Mittel bei drei Patientinnen der Royal Inflrmary
zu Edinburg an und zwar mit sehr gutem Erfolge. Die Krankengeschichten sowie die
Abbildungen ?or und nach der Darreichung des Mittels bitten wir den Leser im British
Medical Journal vom 28. October 1893 nachzusehen. — Neben diesen drei Fällen hat
Brammoell das Mittel bei mehreren andern, allerdings leichtern Fällen von Psoriasis an¬
gewandt. In einem derselben, wo gleichzeitig Epilepsie bestand, wurde während der
Darreichung des Extractes auch Bromkalium in ziemlich hohen Dosen verabreicht. Hier
blieb das Thyroidextract ohne Wirkung. Ob dies vom Bromkalium herrührt, will Br.
nicht entscheiden. Bei einem andern Falle recidivirte die Krankheit mehrmals. Dies
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sind unter allen seinen Fällen seine beiden einzigen Misserfolge. Er hält es demnach
für sehr indicirt, das Mittel bei diesen hartnäckigen Hautaffectionen anznwenden.
Dumont,
— Cholera asiatiea dnreh Laboratorinsiafeetion. Ein zu gastrischen Storungen
disponirter Assistenzarzt des Krankenhauses Moabit in Berlin erkrankte, ganz isolirt, an
ächter Cholera asiatiea, nachdem er häufig mit künstlich gezüchteten Kommabacillen
hantirt hatte. Sechs Wochen nach der Heilung wurde sein Blut auf seine immunisirende
Kraft geprüft. 0,001 Serum genügte, um ein Meerschweinchen gegen Cholerainfection
zu schützen. Vor der Erkrankung hatte 1,0 Serum desselben Collegen ein gleiches
Thier gegen die todtliche Choleradosis nicht schützen können. Der Immunisirungswerth
des Blutes wurde also durch die kurz vorhergegangene Choleraerkrankung um mehr als
das Tausendfache gesteigert.
— Cholera: Seit dem 22. December ist im ganzen deutschen Reichsgebiet kein
Cholerafall mehr vorgekommen. Während sich 1892 die Zahl der amtlich festgestellten
Erkrankungställe auf 19,719 belief (darunter 8590 Todesfälle) und vom 1. Januar bis
4. März 1893 auf 213 (89), führte das Wiederauftreten der Seuche im Sommer 1893
nur zu insgesammt 569 Erkrankungen (288 Todesfälle), obschon die Gefahr der Ein¬
schleppungen in Folge des Auftretens der Krankheit in östlichen und westlichen Nach¬
barstaaten eine grosse war. Den zielbewusst durchgeführten Massnahmen ist diese Ein¬
schränkung zu verdanken. Auch in den übrigen Ländern Europa's ist eine Abnahme
der Seuche zu konstatiren.
— Eine HoDatssehrift fir praktisehe Wassorheilkaade und verwandte Heil¬
methoden (Mechano- und Elektrotherapie) wird unter Mitwirkung von Prof. Eulenlntrg^
Berlin, Prof. i^osenbac/i-Breslau, Sanitätsrath HorM^tnsA^i-EIgersburg und einer Reihe be¬
kannter Hydropathen demnächst unter der Redaktion von Dr. A. Krücke in München
im Verlag von Seitz & Schauer daselbst erscheinen. Die Monatsschrift verfolgt den
Zweck, durch Austausch praktischer Erfahrungen den Aerzten in Stadt und Land
genaueren Einblick iu die Yerwerthung dieser wichtigen Heilfactoren zu geben. —
Durch jede Buchhandlung, sowie direct vom Verlag sind Probenummem kostenfrei zu
beziehen.
— flallBSsaares Erfotia bei Hämoptoe wird von Blaschko empfohlen: Rp. Acid.
gallic.; Ergotini aä 1,0, Aq. dest. Syr. Alth. ää 25,0. Zweistündlich 1 Theelöffel voll.
Ist starker Hustenreiz vorhanden, so wird der Syr. Alth. durch Syr. Diacodii ersetzt.
(Centralbl. f. d. gesammte Therap. Nr. XH. 1893.)
— Benzel als Expeetaraas bei Influenza und Bronchitis: Rp. Benzol, pur. 3,0,
01. menth. pip. 1,0, 01. olivar. 35,0. Alle 2—4 Stunden 10—30 Tropfen auf ein
Stück Zucker. (Nouv. rem^des Nr. 23, 1893.)
Briefkasten«
Semelweis-Denkmal. Eingegangen: Durch Prof. Bapin von Aerzten Lansanne’s Fr. 36. —;
von Prof. W. in Zürich Fr. 50. —; von der ärztlichen Gesellschaft des Gantons Aargan Fr. 30. —.
Von früher her Fr. 340. —; Total Fr. 466. —, welche Summe am 31. December 1893 an die Adresse
des Schatzmeisters, Herrn J. Elischer, in Pest abging. Nachträgliche Eingänge: Durch
Prof. MmUr in Bern: von Prof. J. in Bern Fr. 5. —. Die Sammelstelle bleibt noch weiter ge¬
öffnet hei der Redaction; E, H,
Dr. Keller y Rheinfelden: Alle betr. des Congresses in Rom gestellten Fragen finden Sie be¬
antwortet im Corr.-Blatt 1893, pag. 94, 285, 349 etc. Speciell mache ich Sie aufmerksam auf § 11
der Statuten: die für den Congress bestimmteu Vorträge sind vor 31. Januar 1894 anzumelden.
Die Anmeldung muss von einem kurz gefassten Auszuge und den Schlussfolgerungen begleitet sein.
Schweighauserische Buchdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
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CORRESPONDENZ-BUTT
Erscheint am 1. und 15.
jedes Monats.
Inserate
35 Cts. die gesp. Petitzeile.
für
Schweizer Aerzte.
Herausgegeben von
Preis des Jahrgangs
Fr. 12. — für die Schweiz,
Fr. 14.50 fdr das Ausland.
Alle Posthnreaux nehmen
Bestellungen entgegen.
Dr« E. Hafflei* und T>r. A. Ja^quet
in Frauenfeld. in Basel.
N! 3. XXIV. Jahrg. 1894. 1. Februar.
Inhalts 1) Orlginalarbeltan: Dr. B. Kummin Ueber die Bildung eines FersenIsppens. — Dr. Alexander Pe^tr: Vom
aHambeeebnaen*. — 2) Verei nsberlcbte: Medieinisoh-pbannaeentischer BezirksTerein Bern. — Zflreher Oesellachaft rär
wieeensehaftlkhe Oeenadheitepflege. — 3) Referate nnd Kritiken: Prof. Dr. Kocher: Zur Eenntniss der Phospbomecrose. —
B. Sekmaui und L. Bom: Ueber den Ansgang der eyanotisehen Induration der Niere in Orannlaratrophie. — Prof. B. Sckwartg$:
Handbooh der Ohrenhoilknnde. 4) Cantonale Correspond ensen: Medicinlsches ans Amerika.— 5) Wocb en be r ieh t;
Frequenz der nedidn. FaenliAten.— Genf: Prof. if. Schiff, Doctorjnbil&nm. — Genf: Ansstellnng pharm. Produkte. — Birmenstorfer
Bittenraaeer. — Durobliasig gewobene Gnmmistr&ropfe. — XIII. Congrees für innde Medidn. — Epilepsia tarda. — Ueber Vadeine.—
Nerium Oleaador. -- Terpentingegen Diphtherie. — 6) Briefkasten. — 7) U&lfskasse fftr Sehweiser Aerste.
Oi*igpina.l .
Ueber die Bildung eines Fersenlappens zur Erzielung eines direct auf-
stOtzbaren Stumpfes bei supramalleolärer Amputation des Unterschenkels.
Von Dr. E. Kummer, Docent, Arzt am Bntinispital id Genf.
(Mit 3 Zeiohnnngen.)
„Noch immer gibt es Chirurgen — und za diesen gehört auch Herr Geheimrath
von Esmareh — welche es vorziehen, alle ünterschenkelamputationen bei Leuten ans
der arbeitenden Klasse am Orte der Wahl (unter der spina tibia — Verf. —) Tor-
zunehmen, selbst wenn die Art der Erkrankung eine viel tiefere Absetzung gestattet.“)
So schreibt ein Assistent der Kieler Klinik. Solche Patienten sind dann ungefähr in
der gleichen Lage, wie wenn sie exarticulatio genu, oder amputatio femoris transcon-
dylica überstanden hätten. Es darf gewiss nicht als eine glänzende Errungenschaft
der Chirurgie gelten, dass zur Heilung eines kranken Fusses ein gesunder Un¬
terschenkel geopfert wird; das seltsame Vorgehen findet aber seine Erklärung
darin, dass die quer durcbsägten, dünnen Unterschenkelknochen znm directen
Anfstfitzen völlig untauglich sind, nnd bis zur ersten Hälfte unseres Jahrhun¬
derts musste ein tief am Unterschenkel Ampntirter mit gebeugtem Knie auf einer
Stelze gehen; er batte, wie Attibroise FarS sagte: ,die Mühe 3 Beine zu tragen
anstatt bloss zwei.*
Mit der Vervollkornrnnnng der Prothesenfabrikation ist es einem solchen Patienten
gegenwärtig mOglich, mit einem articnlirten künstlichen Beine zu gehen; aber solche
A. Sier. Ueber plastische Bildnog eines kSnstlichen Fasses etc, Dentsch. Zeitschr. f. Chir.
Bd. XXXIV, 189-2, p. 436.
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Apparate verursachen häufig Schmerzen, sind immer ermüdend und theuer und bringed
den Amputirten in stetige Abhängigkeit vom Instrumentenmacher.
Es frägt sich nun: Ist es mOglich einen ünterschenkelstumpf zu erzielen, der,
ohne Apparat, zum Auftreten gebraucht werden kann?
Vorerst muss bemerkt werden, dass nach transmalleolärer Unterschenkelamputation
ein directes Anfstützen des Stumpfes bei gut gelegener Narbe gewöhnlich mOglich ist.
Es wird dabei ein breites Enocbenplateau geschaffen, das als Unterstütznngsfläche für
die EOrperlast günstige Bedingungen darbietet; ganz anders bei supramalleolären
Amputationen; hier haben wir nicht mehr ein breites Enocbenplateau, sondern zwei
gesonderte ziemlich dünne Röhrenknochen, die dazu noch durch Atrophie sich znspitzen
können und beim directen Auftreten in die bedeckenden Weicbtheile eindringen und
Schmerzen verursachen. Solche supramalleoläre Amputationsstümpfe können zum
directen Aufstützen daher durchaus nicht gebraucht werden; die betreffenden Patienten
sind genOthigt mit Apparaten zu gehen, welche den Stumpf frei lassen und am ^nie
oder an der Hüfte anstemmen.
Bei aller Anerkennung der grossen Fortschritte der Protbesenfabrikation darf
jedoch rundweg behauptet werden, dass diese Apparate für die meisten Ampu¬
tirten eine wahre Qual und Plage sind, und die Chirurgen können des Dankes
ihrer Patienten sicher sein, wenn es ihnen gelingen sollte, durch eine verbesserte
Operationstechnik das Tragen von Apparaten zu erleichtern, oder sogar überflüssig zu
machen.
In diesem Sinne ist denn auch ein Vorschlag lebhaft zu begrüssen, der iu letzter
Zeit von einem Assistenten von Esmarch, Bier, gemacht worden ist.
Das Verfahren Bier's besteht darin, dass nach vollendeter Amputation des
Unterschenkels im Verlauf der Tibia ein vorderer Eeil heransgemeisselt wird,
wodurch es gelingt, das untere Ende der Tibia nach vorne nmzulegen und in
dieser Stellung festheilen zu lassen. Es ist so eine Art künstlichen Fusses ge¬
schaffen , der in zwei von Bier operirten Fällen zum Auftreten benutzt werden
konnte, freilich bloss durch Vermittlung einer Stelze, welche die nicht geringe Ver¬
kürzung ansglich.
Originalität wird man dem Verfahren nicht absprechen kOnnen; über dessen
practischen Werth darf definitiv erst geurtheilt werden, wenn mehr Erfahrungen damit
gemacht worden sind.
Die etwas complicirte Operationstechnik kann wohl nicht als grosser Nachtheil
des Verfahrens angesehen werden; die Operation beansprucht ziemlich viel 2jeit, was
jedoch in vielen Fällen ganz gleichgültig erscheint; unter besondern Verhältnissen
künnte freilich dieser Umstand das Verfahren ausschliessen.
Dass die Hinterfläche des nach vorne nmgelegten Unterschenkels zum directen
Auftreten nicht so geeignet ist, wie etwa die Fusssohle, speciell die Ferse, wird eben¬
falls zugegeben werden müssen; immerhin aber mag, mit der Zeit, dieser künstliche
Fnss doch recht stützfthig werden.
Bedenklich erscheint der Umstand, dass durch die Fussbildung eine wesentliche
Verkürzung des Unterschenkelstumpfes erzeugt wird, was später das Tragen einer
Stelze benüthigt zur Ausgleichung der Beinlänge.
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Die ?0D Bier empfohlene Stelze b&ngt an einer mit seitlichen Eisen verstärkten
Lederkapsel, die bis znm Knie reicht. Der Apparat erscheint ziemlich schwer und
kann nur vom Bandagisten verfertigt werden.
In diesem Umstand liegt, wie nns scheint, die Schwäche von Bier'i Verfahren.
Wenn wir einen stützfähigen Stumpf zn bekommen wänschen, so ist es doch nur, um
dem Kranken das Tragen eines Apparates zu ersparen. Dieser Anforderung kommt
das .Bier’sche Verfahren nicht nach; sein practiscber Werth ist aus diesem Grunde
in nnsern Augen ein beschränkter.
Unserem Ermessen nach profitirt ein Patient kaum von einem aufstntzbaren
Unterschenkeletump^ wenn er znm Geben gleichwohl noch einer Prothese bendtbigt;
das Ideal geht vielmehr dahin, dass der Unterschenkelstump^ ohne Apparat, bloss mit
einem gewöhnlichen Schuh versehen, zum Geben benutzt werden kann.
Dieses wird nur dann möglich sein, wenn die Verkürzung des amputirten Beins
keine'ZU grosse ist; Bier vermehrt aber durch seine Bildung eines künstlichen Fusses
die Verkürzung des Beines so bedeutend, dass eine Ausgleichung der Beinlänge durch
einen Apparat unumgänglich wird. Es scheint uns daher die Btcr’sche Methode, so
interessant sie sonst ist, dem Unterschenkel Amputirter keinen practischen Nutzen
zn sichern.
Viel glücklicher ist, unserem Ermessen nach, der Vorgang von OKter,’) der den
/Sjfme’schen Fersenlappen nicht nur wie der Erfinder bei transmalleolärer, sondern auch
bei supramalleolärer Untersehenkelamputation verwendet und Stümpfe erhielt, die den
Patienten erlaubten, ohne Apparat, mit einem einfachen, runden, etwas erhöhten Schuh
zn gehen.
Dieses Besultat wurde möglich dadurch, dass die dünnen, znm directen Auf¬
treten wenig geeigneten Enochenenden der Tibia und Fibula, mit einer ausserordentlich
derben und dicken Weicbtheilmasse, nämlich der Fersenkappe, unterpolstert worden;
diese letztere, zum Tragen der Eörperlast von der Natur eigens geschaffen, verträgt
den Druck der beiden Unterschenkelknochen sehr wohl, und das Geben wird dabei,
wie wir ans einer eigenen Beobachtung berichten können, durchaus befriedigend.
OTUer betont die Wünscbbarkeit, den /Syme’scben Fersenlappen innen mit dem
Calcanensperiost zu füttern, indem durch nachberige Knochenbiidung die Tragfähig¬
keit der Stützfläche bedeutend erhöht werde. Dieses sicher rationelle Verfahren ist
jedoch nicht unumgänglich notbwendig; in Fällen, wo das Periost des Calcanens
selbst auch erkrankt ist, darf man dasselbe ganz ruhig entfernen und bekommt dabei
doch einen Fersenlappen, der den Druck der Unterscbenkelkndchen sehr gut aushält.
Einem Vorwurf kann aber dieses OStcr’sehe Verfahren um so weniger entgehen, als
er schon mit vollem Recht der Syfwe’schen Methode entgegengebalten wird.
Viele Chirurgen entscbliessen sich desshalb sehr ungern zur i%ttie’schen Ampu¬
tation, weil dabei in der Fersenkappe eine starre Höhle gebildet wird, in der sich
Blut und Wundseerete ansammeln müssen und leicht zwsetzen, was die Wundbeilung
stören, 8<^r vereiteln kann. Wir selbst verzeichneten nach einer iS’ynte’schen Am-
pntation eine Blntverhaltnng, welche die Heilung, durch hinzugetretene Eiterung,
*) OUier. Des ampotations dn pied lambean talonnier, donbld du pdrioate calcanden. Bev.
d. chir., 1891, p. 277.
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Wochen lang verzögerte. Auf diesen üebelstand stossen wir in noch erhöhtem Masse
bei der Operation von Ollier, wo die Fersenkappe an den snpramalleolär abgesftgten
Unterschenkel angenäht wird; es entsteht dabei eine Tasche, deren völlige ünschOnheit
Ollier selbst zugesteht, die aber, was wichtiger ist, eine Ansammlung von Blut und
Wundsecreten ganz unvermeidlich erscheinen Iftsst. Es gibt nnn allerdings eine Wnnd-
bebandlungsmethode, welche nach der Operation eine Ansammlung von Blnt und
Wundsecreten absichtlich herbei führt, und wir haben mit Scheede prima Heilungen
.unter dem feuchten Blutschorf“ verzeichnet, aber zugleich erfahren, dass schwere
Complicationen nicht ausbleiben, wenn die Asepsis nicht ganz absolut vollkommen war.
Unsere Ansprüche an absolute Asepsis der Wunden sind jedoch seit einigen Jahren
bescheidener geworden, als sie früher waren, und wir gehen gegenwürtig lieber durch
Vorsichtsmassregeln einer Infection aus dem Wege, als auf die Unfehlbarkeit unserer
Asepsis zu pochen. Es ist daher denn auch ohne Weiteres zuzugestehen, dass die
todten R&ume bei der Syme’schen, und noch mehr bei der erwähnten OUter’schen
Operation Uebelstände sind, die hie und da die Heilung verzögern oder vereiteln.
Diesen Üebelstand haben wir, in dem gleich
zu erwähnenden Falle, so beseitigt, dass wir
nach der OUter’schen supramalleolären Ampn-
tation die Wunde überhaupt nicht schlossen,
sondern 47« Wochen lang offen behandelten;
während dieser Zeit zog sich der Fersenlappen
so weit nach oben, dass er sich nun an die
Sägefläche des Unterschenkels ezact anlegen
Hess und durch Secundärnaht in wenigen Tagen
zur Anheilung kam. (Fig. 1 und 2.)
In der Weise gelang es, einen anfangs
übermässig lang erscheinenden Fersenlappen so
umzuformen, dass er nun als Decke der supra*
malleolär amputirten Unterschenkelknochen treff¬
lich passte; ohne dass das Calcaneusperiost
im Innern des Lappens erhalten worden war,
bildete sich ein Stumpf, der mittelst eines run¬
den stark erhöhten Schuhes zum Gehen ver¬
wendet wird.
Diese Operationsweise hat nun zur nothwendigen Vorbedingung, dass die Fersen¬
baut gesund sei, aber selbst für Fälle, wo irgend welche Zweifel bestehen über die
völlige Gesundheit der Fersenkappe, wird die offene Behandlung mit Jodoformtam¬
ponade sehr erwünscht sein, indem sie erlaubt, den Zustand des Lappens fortdauernd
zu controlliren und eventuelle locale Recidive zu zerstören.
Fig. 1.
Fig. 2.
In Folge der Schrumpfung des tamponirten Fersenlappens wird es mOglich sein,
denselben zur Verwendung zu ziehen, auch wenn die Amputation noch hoher oben
nOtbig erscheint, als es in unserem Falle zutraf; es wäre freilich schwer, sich zahlen-
mässig auszusprechen. Bei Fällen, welche für Fusscaries amputirt werden, wird die
Erkrankung der Unterscbenkelknochen selten 8—10 cm überschreiten; in geeigneten
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traumatisohen Fällen könnte aber immerhin versncht werden, die Methode auf noch
höhere Amputationen anszndehnen; dabei muss aber berficksichtigt werden, dass, abgesehen
von der Aufstötzbarkeit des Stumpfes, die directe Gehfähigkeit entsprechend mit der
Höhe der Amputation abnimmt, wegen der Verminderung der Beinlänge.
Bei Amputationen in der Mitte des Unterschenkels und höher kann von einem
direct aufstötzbaren Stumpfe wohl nicht mehr die Kede sein, schon desshalb weil die
Ausgleichung der Beinlänge nur mit einem Apparat erreicht werden kann. Bei snpra-
malleolärer Amputation aber ist es möglich, einen direct aufstötzbaren Stumpf zu er¬
halten durch Bildung eines offen zu behandelnden Fersenlappens; diese Methode über*
trifft bei weitem diejenige von Bier, welch’ letztere, ausser andern üebelständen, den
Unterschenkel so verkörzt, dass das spätere Tragen eines Apparates nöthig wird; die
von uns geöbte Methode empfiehlt sich speciell auch för Leute aus der arbeitenden
Klasse, bei denen bisher noch aus Opportnnitätsgrönden die hohe Unterschenkel¬
amputation gemacht worden war und welche das Tragen einer Kniestelze benöthigte;
während die von mir beförwortete Operation den Patienten in den Stand setzt, seinen
Unterschenkel, so weit er gesund ist, zn behalten und mit einem run¬
den, erhöhten Schuh zu gehen. (Fig. 3.) ,
Wir erlauben uns den Gollegen dieses modificirte Syme-OUier'sche
Verfahren zn empfehlen in der Hoffnung, dass durch Anwendung des¬
selben hie und da ein Unterschenkel erhalten wird, der sonst geopfert
worden wäre; ich selbst habe, bevor ich das angegebene Verfahren kannte,
wegen Caries pedis zwei Mal einen Unterschenkel entfernt, den ich nun
zn erhalten verstünde; ich bin desshalb in der Lage, das functionelle
Besültat beider Methoden zn vergleichen, und kann versichern, dass die
nach der neuen Methode Operirten ungemein viel besser daran sind, als
die frühem. Durch Bildung eines Fersenlappens kann bei richtiger 3 ,
Wundbehandlung auch bei supramalleolärer Amputation ein direct auf-
stützbarer Stumpf erzielt werden, dessen Functionsfähigkeit derjenigen eines gewöhn¬
lichen Pirogoff oder Syme sehr nahe kommt.
Zum Schlüsse seien noch einige Bemerkungen über die Gonstruction des er¬
wähnten Schuhes gestattet. (Siehe Fig. 3.)
Ein ans weichem Leder oder Tuchstoff verfertigtes vorne zum Schnüren offenes
Bohr umfasst die Wade, das untere Ende des Stumpfes wird von einer 8—10 cm
festen ledernen Kappe umschlossen, ein mit Leder überzogener Korkabsatz gleicht die
Beinlänge ans, der Absatz ist nach unten abgeschlossen mit einer Kaoutschoukplatte,
welche einen elastischen Gang bewirkt, und am Ausgleiten hindert. Preis des Schuhes
12—15 Pr.
Frl. J. W., 28 Jahre alt, wurde von der medicinisohen Abtheilung des Höpital
Butini, wo sie wegen Bronchitis behandelt worden war, auf die chirurgische Abtheilung
transferirt wegen einer Fusserkranknng, die sich langsam entwickelt hat und trotz ver¬
schiedener Behandlung nach und nach ausbreitete und gegenwärtig Patientin am Gehen
verhindert.
Man constatirt eine Anschwellung, von der Gegend des Fnssgelenks bis zur Basis
der Zehen reichend, und besonders in der Umgebung des Mall. int. entwickelt; bloss die
Zehen und die Feisenhaoke sind von der Anschwellung verschont. Die Haut ist gespannt
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und glänzend und von einer Anzahl aasgedehnter Venen dorohzogen; in der Gegend des
Mall. int. erkennt man eine Gruppe von Narben von Ignipuncturen herrährend. Die
Temperatur über der Anschwellung ist erhöht. Der Fass ist in Prouationsstellung. Die
Extensions- und Flexionsbewegungen im Fassgelenk sind möglich, aber nicht bis
zur Grenze erhalten, die Bewegungen der Zehen ebenfalls etwas reducirt, die Ro¬
tationsbewegungen Tollstandig verhindert; die Patientin kann auf ihren Fass stehen
und einige Tritte allein gehen, aber mit Schmerzen. Am Unterschenkel ist nichts Ab¬
normes zu sehen.
Die Palpation ist schmerzlos an dem Gelenkende der Tibia und über dem Fass¬
gelenk, Druckschmerz über dem Taluskopf, dem scaphoideum, dem cuneiforme I. II. III.
und der Basis der oss. metatars. I. II. III. Schmerz in der Gegend des Tarsus bei Druck
nach hinten auf die erste, zweite und dritte Zehe.
1. Operation 27. December 1892. Pirogoff.
Antiseptische Vorbereitungen. Chloroformnaroose mit Kappeler^s Apparat. Esmarch-
sehe Binde. Längs-Incision auf der Innenseite des Fasses dem vordem Tarsus entspre¬
chend. Entfernung der 3 ossa cuneiformia, die alle fungös erkrankt sind, sowie der
ebenfalls erkrankten Basen der ossa metatars^ I. II. III. Die fungöse Erkrankung der
Weichtheile jener Gegend ist so ausgedehnt, dass von einer Erhaltung des Yorderfusses
abgesehen wird. EröfiEhung des Chopart^schen Gelenks; der Taluskopf ist von fungösen
Granulationen bedeckt, die sieh auf die Fussgelenkkapsel ausdehnen; letztere wird theil-
weise resecirt unter Eröffnung des Fussgelenks. Um völlig im Gesunden zu bleiben, wird
eine Pirogoff^wke Amputation ausgeführt und der Fersenhöcker an die Tibia angenagelt,
nachdem vorher der Esmarch^Bche Schlauch entfernt und die blutenden Gefässe unter¬
bunden waren. Naht der Wunde, antiseptischer Verband und Hochlagerung des Beines
im Bett. Verbandwechsel nach 8 Tagen. Der Nagel wird entfernt, weil der Fersen¬
höcker nicht mehr am Unterschenkel festhält. Keine Eiterang.
9. Febmar 1893. Die Wunde ist nicht per primam geschlossen. Sie zeigt keine
Tendenz zur Heilung. Es haben sich am Wandrande fungöse Granulationen entwickelt
und auf der Innenseite der Achillessehne ist eine Eiterung eingetreten. Kein Fieber.
Man entschliesst sich zu einer
2. Operation. Eröffnung der frühem Wunde. Dieselbe ist mit fungösen Gra¬
nulationen erfüllt. Der Fersenhöcker, der schon theilweise mit der Tibia verknöchert
ist, wird abgetrennt und man findet fungöse Granulationen sowohl in der Spongiosa des
tuber calcanei als in der Tibia, der Fersenhöcker wird in toto mit sammt seinem Periost
excidirt, und ebenso etwa 7 cm. von der Tibia und ebensoviel von der Fibula abgetragen;
der Fersenlappen wird intact erhalten. Fungöse Massen erstrecken sich etwa 10 cm.
hoch längs der Achillessehne nach oben und werden mit sammt einem Stück erkrankter
Haut excidirt. Die Wunde wird nun tüchtig (unter Esmarch) mit l^oo Sublimat aus¬
gewaschen, nachher mit Salzwasser nachgespült. Der sehr lange Fersenlappen hängt am
Unterschenkel und ist viel zu ausgiebig, als dass er direct an denselben angenäht werden
konnte. Er wird daher vorläufig mit Jodoform-Gaze tamponirt und soll erst nach
einigen Wochen, nachdem er sich retrahirt hat, secundär ge¬
näht werden.
13. Februar 1893. Verbandwechsel. Der Lappen ist am Rande an umschriebener
Stelle necrotisch geworden, sieht aber sonst gut aus. Die Wunde wird mit Thymolüber¬
schlägen behandelt.
14. März 1893. Der Fersenlappen hat sich nun stark verkleinert und auf das
Niveau der amputirten Unterschenkelknochen zurückgezogen. Die Wunde ist mit guten
Granulationen bedeckt. Es wird nun zur Secundäraaht geschritten. Die Granulationen
werden abgekratzt, der Fersenlappen angefnscht und aufgeklappt, so viel als nöthig, um
anf die Unterschenkelknochen gelegt zu werden. Anlegung mehrerer Knopfnähte. In
Folge der frühem Hautexcision bleibt auf der Aussenseite eine etwa 5-Fr.-Stückgrosse
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Stelle, welche nicht mit Haut bekleidet werden kann, man bedeckt sie daher sofort mit
Thiersch^Bohen Transplantationen. Jodoformsalbe-Yerband.
Die Heilung erfolgt ohne Zwischenfall. Die Transplantationen sind alle gelungen.
Patientin fangt nach circa 3 Wochen an zu gehen; sie bekommt einen Schuh und wird
am 5. Mai geheilt entlassen. Pat. zeigt sich von Zeit zu Zeit. Ein Recidiv ist nicht
aufgetreten, sie kann mit ihrem Schuh recht gut und ohne Stock gehen. Eine Messung
am 24. Juni ergab eine Verkürzung des kranken Beines um 7 cm. Diese Verkürzung
wird durch einen erhöhten Absatz am Schuh ausgeglichen. Das Allgemeinbefinden ist
ganz gut und Pat. ist im Stande selbst ihr Brod zu verdienen.
Vom „Harnbeschauen“.
Ein Beitrag zur Lehre von der Uroscopie, speciell dem Practiker gewidmet.
Von Dr. Alexander Peyer.
Wie Sie Alle wohl wissen, hat die Betrachtung und Untersuchung des Harns
seit den ältesten Zeiten für ein wichtiges diagnostisches Hfilfsmittel gegolten. Später
wurde dieselbe von Charlatans vielfach missbraucht und kam dadurch längere Zeit bei
den wissenschaftlichen Aerzten in Misscredit. Erst mit der Vervollkommnung der
organischen Chemie und dem Allgemeinerwerden microscopischer Untersuchungen wurde
auch die Uroscopie wieder ein wichtiger und wesentlicher Tbeil der ärztlichen
Diagnostik.
Man sollte wohl denken, dass mit dieser Tbatsache ein Zurfickgehen des Ghatla-
tanismns auf diesem Gebiete zu constatiren sein würde. Dem ist aber, wie wohl den
Meisten von Ihnen bekannt ist, nicht so, — im Gegentheil! Seit einer Beibe von
Jahren ist die von den Kurpfuschern geübte Harnbeschaunng wieder ausserordentlich
in Mode gekommen, und zwar sind es nicht blos ungebildete, den untern Ständen an-
gehörige Personen, welche diesen Wnnderdoctoren ihr .Wasser* bringen, sondern ebenso
häufig auch Angehörige der hohem und gebildeten Stände.
Ich hoffe. Sie halten es nicht für überflüssig, wenn ich versuche, einen kleinen
Beitrag zu liefern, wie der gebildete Arzt die macroscopische Harnuntersuchung nutz*
bringend verwerthen und damit dem Cbarlatanismus einen Tbeil seines Bodens ent¬
ziehen kann. — Zu diesem Zwecke müssen wir den Urin aber
auch wirklich beschauen, was wir eben regelmässig nicht
thun, wenn wir glauben, eine Krankheit der Nieren oder
Blase nicht vermuthenzu'mfissen. Und doch ist diese Art der Wahr-
scheinlicbkeitsdiagnose eine so ungemein einfache und ergibt für den Practiker oft
wichtige Resultate. Es erscheint deswegen doppelt als Pflicht des Arztes, das Publicum
darüber aufzuklären, was eine wissenschaftliche Harauntersnchnng für die
Diagnose, Prognose und Therapie der verschiedenen Krankheiten zu leisten vermag.
Es soll dieselbe Aufschluss geben: 1) über gewisse Örtliche Erkrankungen des
Uro-Genitalsystems, 2) über allgemeine Zustände des Organismus, die Verhält¬
nisse des Stoffwechsels, der Verdauung, des Nervensystems und die Beschaffenheit
des Blutes.
In allererster Linie ist für die macroscopische BesichtigninS nothwendig, dass
wir den Harn nicht im Nachttopf ansebauen, oder sonst in einem Gefäss mit undnreh-
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sichtigen Wandungen, sondern in einer säubern Qlasflasche und zwar bei durcbfallendem
Licht, indem wir dieselbe z. B. gegen das Fenster halten.
Kommt Patient in die Sprechstunde, so ist es gut, denselben in ein Kolbenglas
uriniren zu lassen und dem Uriniren selbst zuzusehen. Den weiblichen Patienten stellt
man zu diesem Zwecke das Glas auf dem Abort zur Disposition.
Die Harnbeschauung hat nun folgende Hauptpunkte zu berQcksichtigen:
1. Farbe, 2..Geruch, 3. trübe oder klare Beschaffenheit.
Die Harnfarbe liefert dem Arzte gar nicht selten mehr oder minder wichtige
Anhaltspuncte zur Beurtheilung eines Krankheitszustandes. Noch häufiger aber kann
sie dazu dienen, wie die trübe oder klare Beschaffenheit, denselben im Allgemeinen
zu orientiren, in welcher Sichtung weitere Untersuchungen Torzunehmen sind.
Die normale Uarnfarbe ist gelb, mit einer variirenden Beimischung von roth.
Die verschiedenen Farbennuancen des normalen Harns lassen sich in folgende
grössere Gruppen zusammenfassen: Blasse Garne (farblos bis strohgelb); normal
gefärbte Garne (bernsteingelb bis goldgelb); hochgestellte Harne (rothgelb bis
rotb); dunkle Garne (dunkelbierfarbig bis schwärzlich).
Ein blasser Harn enthält wenig Farbstoff und mit Ausnahme beim Diabetes
mellitus auch wenig feste Bestandtheile. Eine Ursache des blassen Garns ist eine
sehr bekannte und volksthümliche, besonders bei den Biertrinkern, nämlich der reich¬
liche Genuss von Flüssigkeit — Urina potus. —
Weniger populär ist das Krampfharnen (urina spastica, nervosa). Doch
haben wohl eine grosse Anzahl von Aerzten die Thatsache constatirt, dass ein Patient
während längerer oder kürzerer Zeit, auf bestimmte äussere Gelegenheitsursachen oder
auch ohne solche eine ganz erstaunliche Menge Wasserhellen klaren Urins entleert hat,
trotzdem die vorher aufgenommene Flüssigkeitsmenge absolut keine vermehrte war.
Es fällt deshalb diese Thatsache dem Patienten oft selbst auf und er macht den Arzt
darauf aufmerksam. Diese Polyurie kann in acuter und chronischer Form auftreten.
Bei der acuten Form zeigt sich dieselbe oft nur an vereinzelten Tagen und nur einmal
im Tage. Patient entleert dann vielleicht in einer Stunde 1500—4500 ccm Urin.
Einer meiner Patienten z. B., ein 32jähriger neurasthenischer Professor erwacht des
Morgens zuweilen mit dem Gefühl eines allgemeinen Unbehagens, besonders aber ist sein
Unterleib der Sitz verschiedener abnormer Sensationen. Er ist auffallend müde und ab¬
geschlagen und entleert nun in Zeit einer halben Stunde ca. 2000 ccm wasserhellen
Urins, ohne dass er am Tage vorher eine vermehrte Flüssigkeitsmenge anfgenommen
hätte. Den Tag über ist das Uriniren wieder ganz normal.
Bei der chronischen Form der Polyurie kann die Absonderung des wasser¬
hellen Harns Monate und sogar Jahre in beinahe gleicher Weise anhalten. — Ist das
specifiscbe Gewicht der abnorm grossen Harnmenge nicht vermindert, besteht also auch
eine constante Abfuhr der festen Stoffe, so nennen wir diesen Zustand Diabetes
i n s i p i d u s. — Ist das specifiscbe Gewicht nicht nur nicht vermindert, sondern ver¬
mehrt, so bandelt es sich wahrscheinlich um wirklichen Diabetes.
Diagnostisch lässt sich die blasse Urinfarbe folgendermassen verwerthen: 1. Ist
ein blasser Harn für den Arzt ein fast absolut sicheres Zeichen, dass der betreffende
Kranke an keiner intensivem fieberhaften Erkrankung leidet. — 2. Liegt der Secretion
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eines nur temporären blassen Harns meist eine vorfibergehende Functionsanomalie der
Nieren zu Grande, wobei Hysterie und Neurasthenie gewöhnlich eine bedeutende ur¬
sächliche Rolle spielen. 8. Ein längere Zeit anhaltend blasser reichlicher Harn lässt
fitst immer auf einen Grad von Ansemie scbliessen und als Grundursache sehen wir
Hysterie, Neurasthenie, psychische Einflüsse, anatomische Veränderungen des Central¬
nervensystems, Erkrankungen der Medulla, des Kleinhirns, des Rückenmarks (Syphilis,
Tnberculose, Baseäoto'sche Krankheit), ferner Erkrankungen der Harn- und Geschlechts¬
organe, welche auf reflectorischem Wege diese abnorme Secretion veranlassen.
Hochgestellte Harne sind in der Regel concentrirt, reich an festen Be-
standtheilen nnd Harnstoff. Sie treten auch bei Gesunden auf nach copiOsen Mahl¬
zeiten oder nach starken körperlichen Anstrengungen, wobei stark geschwitzt und
wenig getrunken wird.
In der Regel begleiten sie alle fleberhaften Krankheiten und sind deswegen ein
wichtiges Symptom für den Arzt.
Abnorme Färbungen entstehen hauptsächlich durch Blutfarbstoff.
Die dadurch bedingten Nuancen können wechseln von hellgranatroth bis zu voll¬
kommenem Schwan.
Durch Gallenfarbstoff wird die Harnfarbe gelbgrün bis braungrün. —
Verschiedene Farbstoffe, welche als Bestandtheile von Speisen, Getränken
nnd Arzneien in den Organismus kommen, färben den Urin ebenfalls.
Auch der Geruch des Harns muss bei der Harnbeschauung verwerthet werden
nnd dem yoxi Alfred H<xrtmafm in seinem .Wunderdoctor* so meisterhaft geschilderten
Wasserdoctor wäre wohl der Lapsus, ein Fläschchen Cognac für Urin zu halten, nicht
passirt, wenn er sein Riechorgan besser verwertbet hätte. Trotzdem müssen wir
sagen, dass die Fälle, wo die Geruchsnerven in diagnostischer Beziehung eine grosse
Bolle spielen, nicht bäuflg sind; sie kommen aber doch vor und zwar in markanter
Weise. Der Geruch des normalen frischen Harns nach Fleischbrühe ist Ihnen bekannt
und ebenso die Thatsache, dass gewisse Arznei- und Nahrungsmittel demselben einen
eigenthümlichen Geruch verleihen. Na^h Genuss von Spargeln oder Terpentinöl wird
er veilchenartig, was die vornehmen Römerinnen bewog, diese Stoffe als Toilettemittel
zu benutzen. Eigenthümlich wird der Gernebsinn von einem viel kohlensanren Am¬
moniak haltigen Urin berührt und wir unterscheiden dadurch oft sofort einen trüben
Ham bei Blasenkatarrh von einer Fhosphaturie.
Am auffallendsten aber nnd vollkommen pathognomonisch ist der Geruch bei der
Bacteriurie. Wer diesen unausstehlichen, sflsslich-faden, ekelhaften Geruch auch nur
einmal in seiner richtigen Intensität genossen, der wird eine Bacteriurie in Zukunft
ä distance diagnosticiren. Mir gelang es, diese Diagnose auf solche Weise zu stellen
bei einem Ck>llegen, der lange Jahre auf schweren Blasenkatarrh behandelt und als
unheilbar erklärt worden war.
Wichtiger und häufiger ausschlaggebend ist die Frage, ob der Harn klar oder
getrübt sei.
Die häufigste Trübung, welche der Practiker zu Gesichte bekommt, ist das
sogenannte Sedimentnm lateritium. Es wird dasselbe bedingt durch das Ausfallen der
Urate ans dem Harn. Sie bilden gelblich- bis rOthlichbraun geförbte Massen, welche
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die characteristische Eigenschaft haben, beim Ausfallen Farbstoffe ans dem Urin mit-
znreissen. Der Laie wird oft erschreckt durch diesen Vorgang, welcher den Urin in
eine dicke träbe Flössigkeit verwandeln kann. Characteristiscb — andern Trübungen
gegenüber — ist hier, dass dieselbe' erst, sich zeigt, nachdem der Urin erkaltet ist,
and dass sich ein ziegelrother Ansatz an der Wand des Gewisses bildet, ferner dass
bei blossem Erwärmen die Trübung sich wieder löst.
Diagnostisch hat diese Erscheinung keine sehr wichtige Bedeutung. Die Urate
sind eben in warmem Urin leichter lüslich als in kaltem und die Ausfüllung findet
in concentrirten Harnen schon bei blosser Abkühlung statt. Wir finden daher diese
Trübung nach starkem anhaltendem Schwitzen, ferner in der Krise verschiedener
Krankheiten, wenn dieselbe mit starker Diaphorese einhergeht und bei Krankheiten
des Magens und Darmcanals.
Viel häufiger sieht der urologische Specialist eine andere Trübung des Harns,
nämlich die Phosphatarie und nach meinen sehr zahlreichen Erfahrungen bildet diese
Affection die überhaupt häufigste Ursache jeder Harntrübung. Klinisch zeigt sie sich
auf folgende Weise: Einer unserer neurasthenischen Patienten, oder ein solcher, der
wegen einer chronischen Erkrankung seines sexuellen Systems in unserer Behandlnng
steht und dessen Urin wir vielleicht schon verschiedene Male untersucht, ohne eine
abnorme Beaction oder Trübung zu entdecken, bringt uns plötzlich eines Tages voll
Schrecken einen vollständig trüben Harn, der beim Stehen ein starkes Sediment bildet.
Der Betreffende glaubt, dass es sich um eine bedeutende Abnormität seines Harnes
handle, dass vielleicht ein plötzliches Nieren- oder Blasenleiden anfgetreten sei. Be¬
sonders bestärkt wird er in dieser Ansicht, wenn der Abgang des trüben Urins mit
Brennen in der Harnröhre, oder mit einem starken Drängen während oder nach
demselben verbunden ist, oder gar, wenn ein allgemeines Unwohlsein, z. B. Hitze,
Frieren etc. den Act einleitet, oder ihm folgt.
Noch häufiger hat der Betreffende gar keine Idee, dass er zuweilen trüben Harn
absondert und in meiner Sprechstunde z. B., wenn er in ein Kolbenglas pisst, mache
ich ihn erst darauf aufmerksam.
Es passiren in Bezug auf das Auftreten der Phosphatnrie oft komische Dinge.
Vor 2 Jahren z. B. consultirte mich ein junger deutscher College, ein Doctor
doctus und Träger eines in der medicinischen Welt bekannten Namens wegen Schlaflosig¬
keit, deprimirter OemflthsstimmuDg und Herzklopfens. Er hatte mehrere Jahre vorher
eine Entfettungscur durohgemacht und ein bekannter Kliniker schrieb die angeführten
Beschwerden einer von daher rührenden Ansemie des Herzens zu. Der junge College
hatte sich längere Zeit vorzugsweise mit der Chemie des Harns befasst und auf meine
Frage, ob er auch den seinigen untersucht, erklärte er mir, dass derselbe vollkommen
normal sei. Als er nun in meiner Gegenwart seine Blase entleerte, war er aufs äusserste
betroffen, einen vollkommen trüben Urin zu erblicken, in dem sich nur vereinzelte Fetz-
eben erkennen Hessen. Auf Grund dieses Vorkommnisses, das ich sofort als Phos-
phaturie mit Urethralfäden erklärte, fragte ich auch nach der Anamnese in sexueller
Beziehung: Langjährige jugendliche Masturbation, Gonorrhoe mit 18 Jahren, jetzt be¬
deutende Abnahme der Libido sex. und reducirto Potenz. — Die locale Untersuchung
ergibt zwei ziemlich bedeutende Stricturen, wovon die eine in der Mitte der pars
cavemosa, die andere in der pars bnlbosa; die Urethralföden sind theilweise mit Sperma
überlagert.
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Hier hat uns die Pboephaturie sofort die Richtung bestimmt, in welcher die ge¬
nauere Untersuchung vorzunebmen war.
Die phospbatiscbe Trübung ist, wie schon gesagt, ungemein häu6g und ich selbst
sehe wohl jeden Tag durchschnittlich ein halbes Dutzend phospbatischer Harne, denn es
gibt kaum eine chronische Gonorrhoe, oder schwere Neurasthenie, in deren Verlauf der
Urin nicht mehr oder minder oft durch Phosphate getrübt entleert wird.
Macroscopisch erkennen wir die phosphatische Trübung daran,\ dass der Harn
gleich trübe entleert wird, und nicht erst beim Erkalten sich trübt, wie beim
Sediment laterit. Ferner ist die Trübung nicht gelb^rüthlich, sondern grau-weisslich.
Vom Blasenkatarrh unterscheiden wir die Phosphaturie schon macroscopisch dadurch,
dass beim erstem der Urin regelmässig trübe entleert wird und dabei gewöhnlich un¬
angenehme subjective Symptome sich zeigen, während letztere bei der Phosphaturie
nur ausnahmsweise Vorkommen. Die Phosphaturie ist eine Secretionsneurose der Nieren
nnd ihre Bedeutung in diagnostischer Hinsicht ist die, dass sie uns in den meisten
Fällen auf die Existenz eines Genitalleidens aufmerksam macht. (Sammlung klinischer
Vorträge von B, v. Volkmann Nr. 336, die Phosphaturie von A. Beyer.)
Als Kennzeichen der katarrhalischen Trübung haben wir noch beizufügen,
dass sich am Boden oft ein kuchenfOrmiges Sediment bildet, das aus Schleim und
Eiter besteht. Sehr häufig bat der Harn hier einen ammoniakalischen Gemch.
Die bacterielle Trübung erkennen wir an dem schon beschriebenen Geruch
und daran, dass der Harn durch Filtriren nicht hell wird. — Selten wird eine voll¬
ständige Trübung des Urins verursacht durch Spermatorrhoe, aber doch kommt
es vor. Ich habe Fälle gesehen, wo der Harn wirklich vom ersten Spritzer vollkommen
trübe entleert wird. Diese Trübungen werden wir am ehesten mit Phosphaturie ver¬
wechseln, weil sie bei demselben Individuum selten auftreten nnd in der Regel von
keinen unangenehmen Symptomen (Brennen) begleitet sind. Hier wird nur der micro-
scopiscbe Befund entscheiden.
Ausser diesen hochgradigen, sofort dem Patienten und dem Arzt in die Augen
springenden Trübungen kommen aber auch noch andere, viel weniger intensive, aber
deswegen nicht unwichtigere vor, welche meist vollkommen übersehen werden. Es
repräsentiren dieselben meist morphologische Beimischungen aus den Sexualorganen.
Betrachten wir die beim weiblichen Geschlechte vorkommenden Trübungen dieser Art.
Ich nehme als Typ gleich den Fall, der soeben meine Sprechstunde verlassen hat.
‘ Die 36jährige, kräftig gebaute, gut genährte, kinderlose Frau, dem wohlhabenden
BQrgeratande angehörig, consnltirte mich wegen Rüokenschmerzen, an denen sie schon
mindestens 14—15 Jahre mehr oder minder stark leidet. Sie will als junge Fran einen
Fall über eine Treppe gethan haben nnd schiebt darauf ihre Bttckenschmerzen. Ein
Professor, der sie bald nachher untersuchte, hatte keine Verletzung naohweisen können
nnd sie mit dem Bescheide entlassen, es werde wohl von selbst wieder bessern. Dies
war aber nicht der Fall, sondern das Leiden verschlimmerte sich stetig, besonders zur
Zeit der Perioden. Verschiedene Einreibungen, Electricität und Kaltwassercur blieben
ohne Erfolg. In den letzten Jahren gesellte sich noch ein lästiger Urindrang zu dem
Bfickenleiden.
Die Untersuchong der Wirbelsäule ergibt auch jetzt vrieder ein negatives Resultat.
Wegen des Harndranges fragte ich nach etwaigem Fluor albus und erhalte die Auskunft,
dass derselbe in früheren Jahren vorhanden gewesen, jetzt nicht mehr. Nun gab ich der
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Patientin ein Glas und Hess sie ihren Ham entleeren. Derselbe ist fast farblos wie
Braunen Wasser (Urina spastioa) und dabei leicht getrübt. Der Patientin, welche im Nachi-
topf die Trübung nie bemerkt hat, fällt dieselbe bei durchfallendem Licht im Glase
sofort auf und ebenso constatirt sie kleine weisse Fetzchen im Harne. Meine Wahr¬
scheinlichkeitsdiagnose lautete nun: Gebärmntterleiden und davon abhängig die Spinalirri-
tation und die reizbare Blase. Die microscopische Untersuchung des Harns constatirte, dass
die Trübung aus beigemischtem Fluor albus bestand, d. h. aus Pflasterepithel und Leuko-
cyten, wie ich vorausgesetzt und die örtliche Untersuchung des Genitalsystems, die ich
auf diesen Befund voraahm, ergab Yaginitis, chron. Endometritis und Retroflexio uteri.
Ein zweiter Typ:
Eine 24jäbrige unverheirathete Dame von anämischem Aussehen klagt seit mehreren
Jahren über intensive Magenschmerzen. Sie ist von ihrem tüchtigen Hausarzt mit strenger
Diät und Magenspülungen behandelt worden, aber ohne Erfolg. Die Spülungen hat Pat.
über 1 Jahr selbst fortgesetzt. Der eigenthümliche Character der Schmerzen, die sich
auch bei nüchternem Magen zeigten, der geringe Einfluss der Diät und der Spülungen
auf dieselben Hessen mich an eine nervöse Affection denken. Der Urin ist getrübt, aber
nicht gleichmässig wie durch suspendirte Leukocyten, sondern durch grössere Form-
bestandtheile. Sehr rasch bildet sich ein Sediment, das ans einer grossen Masse von
schönem Pflasterepithel besteht. Nun gibt mir die Patientin auf Befragen noch an, dass
sie zuweilen an Blasenbeschwerden leide; öfters Urindrang, zuweilen aber auch Harn-
verhaltung, so dass der Arzt schon habe catheterisiren müssen; häufiges Wasserbrennen.
Der mehrmals untersuchte Harn zeigt immer dasselbe Bild. — Diagnose: Masturbation.
Ein dritter Typ:
Das 14jährige, kräftig gebaute aber anämisch aussehende Mädchen M. ist nach dem
Tode seiner Eltern von seiner Tante vom Lande in die Stadt genommen worden und
letztere schreibt es theils dem schweren Schicksal, das ihre Nichte durchgemacht, theils
der plötzHchen totalen Aenderung der Lebensweise zu, dass das Mädchen wenig isst,
häufig constipirt ist und eine eigenthümliche Geistes- und Gemüthsrichtung annimmt.
Es meidet seine Altersgenossinnen und jede harmlose Freude, ist peinlich streng in der
Erfüllung seiner Pflichten, betet und weint sehr häufig und äussert unnatürliches Heim¬
weh nach seinen verstorbenen Eltern und entschiedenen Lebensüberdruss. Der Schlaf ist
aufgeregt und häufig treten während der Nacht nervöse Krämpfe im ganzen Körper auf.
— Ein längerer Aufenthalt im Gebirge hatte gar keinen Effect. — Ohne jegliche Ab¬
sicht und Erwartung untersuchte ich hier den Urin, aus blosser Gewohnheit, und war
erstaunt einen trüben Harn zu finden, in dem grössere Fetzen herumschwammen. Es
bestanden dieselben microscopisch aus Schleim, viel Pflasterepithel, massenhaften Leuko¬
cyten und Bacterien. Non ergänzte ich meine Anamnese: Schon als Ojähriges Kind
brachte Patientin den Sommer und Herbst meist auf dem freien Felde mit Yiehhüten zu.
Sie selbst schrieb es Erkältungen zu, dass sich ein häufiger Urindrang einstellt, der oft
von einem leichten Brennen begleitet ist. Im Winter nun geuirt sich das Mädchen
während der Schulstunden oft hinauszugehen und hält den Urin gewaltsam zurück,
wobei es die Beine längere Zeit zusammenklemmt. Die Folge davon ist, dass eines
Tages ein eigenthümliches zuckendes Reizgefühl ein tritt, worauf das Mädchen seinen Ham
sofort entleeren muss. Dieser Yorgang wiederholt sich nun allmälig fast jedesmal, wenn
Patientin ihrem Urindrang nicht sofort nachgibt, und kann in 24 Standen 4—5 Mal
eintreten. Jedesmal nachher fühlt sich Patientin müde nnd verstimmt; es treten all¬
mälig die hysterischen Krämpfe auf und mit der Zeit resulürt der oben beschrie¬
bene Zustand. Wir haben also in diesem Fall durch die Harnuntersuchung einen
entzündlichen Reizzustand des Uro-Genitalsystems nachgewiesen. Als Folge desselben
betrachte ich die pollutionsartigen Yorgänge und die Yerstimmung des ganzen Nerven¬
systems.
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Sie sehen, dass in diesen und sehr zahlreichen ähnlichen Fällen allein schon die
macroscopische Harnbeschaunng den Weg bezeichnete, auf dem eine weitere Unter¬
suchung zur Eruirnng der Krankheitsursache vorzugehen hat und dies ist für den
Practiker eine ausserordentlich wichtige Tbatsache; denn er wird damit auf ein Organ
hingewiesen, welches die Patienten selbst nicht krank glauben, oder dessen Affection
sie dem Arzte gerne verbeimlichen möchten.
Bei dem weiblichen Geschlechte sind es — wie wir gesehen — hauptsächlich
die Beimischungen ans Vagina und Uterus, welche hier in Betracht kommen. Unter¬
suchen wir z. B. den Urin einer nervösen Frau oder eines hochgradig hysterischen
anämischen Mädchens, so werden wir in vielen Fällen eine chemische Abnormität nicht
nachweisen können; die einfache macroscopische Harnbeschauung indessen wird ergeben,
dass der Urin trotzdem nicht normal, sondern etwas getröbt ist. Wenn derselbe
einige Zeit steht, so bildet sich ein wolkiges Sediment, welches aus Schleim, Pflaster¬
epithel und Lenkocyten besteht. Halten wir nun eine örtliche Untersuchung für
wnnschenswertb, so werden wir eine solche verlangen können gestützt auf den Befund
der Harnbeschaunng. Gestatten aber die Verhältnisse eine weitere Untersuchung nicht,
z. B. bei Unverheiratheten, so werden wir doch aus der Harnbescbanung mit grosser
Wahrscheinlichkeit einen chronisch entzündlichen Reizzustand des Genitalsystems dia-
gnoeticiren. Letzterer ist in vielen Fällen nicht die Folge, oder von zuftlliger Go-
existenz, sondern die Ursache des ganzen hysterisch-nervösen Leidens, besonders wenn
er, was ja oft der Fall ist, durch langjährige Masturbation oder bei Frauen durch
Infection von Seite des Mannes oder Congressus interrnptns bedingt ist.
Wir sind also in einem solchen Falle durch die Harnbeschauung — und beinahe
nur durch dieselbe — im Stande, die Ursache des Leidens und die pathologisch¬
anatomische Grundlage desselben zu erkennen und zu diagnosticiren.
Auch beim männlichen Geschlechte spielen die leichten Trübungen des Harns,
welche wir nur in der Glasflasche bei durchfallendem Lichte deutlich erkennen, eine
bedeutende Rolle.
Sie sehen hier sechs mit Urin gefüllte Flaschen nebeneinander; sämmtliche
weisen leichte Trübungen auf, die aber alle wieder ganz verschiedene Bedeutung haben.
Es repräsentiren dieselben ungefähr die Haupttypen der leichten Harntrübungen beim
männlichen Geschlecht, welche ich mit Ihnen besprechen möchte.
Der erste Urin, der vor circa ‘/a Stunde entleert wurde, ist durchsetzt von einer
grossen Anzahl kleiner Wölkchen. Es ist Ihnen bekannt, dass diese Nubeculse in ganz
geringer Anzahl zuweilen auch im normalen Harn verkommen; sie bestehen aus Schleim,
in welchen vereinzelte Leukocyten eingebettet sind. Das Auftreten einer solchen
grossen Anzahl ist aber ganz entschieden pathologisch. Frisch gelassen war der Urin
ganz leicht gleichmässig getrübt, ungefähr wie nicht gesunder Wein, der seine krystall-
helle Lauterkeit verloren hat und von dem man bei uns im Dialect sagt, ,er ist nicht
mehr glanz*. Erst nach einigem Stehen haben sich obige Nnbecnlie ausgeschieden.
Was bedeutet nun dieser macroscopische Befund? Die kurze Krankengeschichte
wird Ihnen die Frage beantworten.
Der betreffende Patient, ein magerer, anämischer, öftjähriger Bauer, wurde mir von
seinem Hausärzte mit der Diagnose „allgemeine Nervosität and Blasenleiden* zageschickt.
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Hauptklage ist Schlaflosigkeit und ungemein häuflger Urindrang. Patient muss während der
Nacht oft 10—14 Mal seinen Ham entleeren. Am Tage ist er hochgradig psychisch Torstimmt,
körperlich müde und hat eine Masse von abnormen Sensationen und Parästhesien wie
eine hysterische Frau. Nie sexuelle Infection; jung yerheirathet; seine Frau hatte rasch
nach einander fünf Kinder geboren. Deswegen seit dem 29. Jahre Congressns interruptus.
Keine Prostatahypertrophie.
Diagnose: gestützt auf die macroscopische Harabeschauung und Anamnese: Reizbare
Blase in Folge Irritation der Pars prostatica und des Blasenhalses. Beweis dafür ist die
stark yermehrte Schleimabsonderang. Dieselbe ist entstanden durch den langjährigen
Congressus interruptus und bildet auch die anatomische Grundlage der neurasthenischen
Symptome.
Dieser zweite Urin hat sich yon dem yorigen im frischen Zustande nur dadurch
unterschieden, dass die Trübung noch leichter und wirklich nur für einen aufmerksamen
Beobachter bemerklich war. — Jetzt nach etwa drei Stunden hat sich eine ganz kleine
zarte Wolke am Boden des Gefässes angesammelt und der Urin ist glanzhell ge¬
worden.
Der Urin stammt yon einem 12jährigen Knaben, der über heftiges Brennen beim
Wasserlösen klagt, „wie wenn glühendes Blei durch seine Harnröhre flösse^. Patient
kam mit der Diagnose Nenralgia urethrse. Ich selbst stellte sofort die Diagnose auf
Masturbation. Die microsoopische Untersuchung bestätigte meine Annahme, dass das
Wölkchen aus yereinzelten Leukocyten bestehe. Nun gibt Patient meine Diagnose trotz
anfänglichem Leugnen zu.
In dem dritten Urin war die Trübung gleich frisch etwas stärker, als in beiden
vorigen. Auch das Sediment, das sich jetzt nach einigen Stunden gebildet, ist etwas
stärker. Patient spürt keine Beschwerden beim Uriniren; er consultirt mich wegen
Magenschmerzeo, die bei nüchternem Magen anftreten und sofort nach Nahrungsauf¬
nahme yersch winden.
Der 22jährige Bauer ist etwas anämisch und gemüthlich gedrückt; sein Stuhl ist
träge; oft auffallende Müdigkeit im Kreuz; in seiner ersten Jugend hat Patient an Bett¬
nässen gelitten, das sich im 10. Jahre yerlor. Mit 13 Jahren Beginn einer mässigen
Onanie, die bald wieder aufgesteckt wird, aber trotzdem yon sehr häufigen nächtlichen
Pollutionen gefolgt ist. Letztere sind in den letzten Jahren schlaff geworden, Patient
erwacht nicht mehr daran; er denkt er sei deshalb auf der Besserung, aber die oben
angeführten Beschwerden zeigen sich immer stärker. Diagnose: Mictionsspermatorrhoe
in Folge angebomer Schwäche der Uro-Genitalorgane und späterer Masturbation.
Der yierte Urin hat sich seit seiner Entleerung yor einer Stunde bis jetzt nicht
verändert, er hat kein Depot gebildet und zeigt jetzt noch eine eigenthümliche weiss-
liche leichte Trübung; wir bezeichnen diesen Zustand mit Opalescenz. Ein Arzt, der
den Ham regelmässig beschaut, wird gleich die Diagnose dieser Trübung stellen: es
ist eine leichte Phosphatiirie.
Die fünfte Harnprobe ist vollkommen klar. Am Boden des Gefässes sehen Sie
eine Anzahl grössere und kleinere weisslich graue Bröckelchen liegen. Dieselben
sind specifisch ziemlich schwer, denn sie senken sich sofort wieder, wenn man sie im
Gefässe aufschüttelt. Man könnte sie für zufällige Verunreinigungen halten, aber sie
finden sich in allen Urinproben dieses Patienten. Von vorneherein können wir schon
macroscopisch ausschliessen, dass es sich um Urethralfäden handelt. Was nun?
Der mit der Harnbeschauung vertraute Arzt wird ans den oben genannten Merk-
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malen sofort auf Smegmapartikelchen schliessen. Und die diagnostische Bedeutung
derselben ?
Patient ist katholischer Geistlicher, Professor an einem Gymnasium, ein sehr be<
gabter seriöser Mann von ca. 82 Jahren. Seine Gesondheit hat in den letzten Jahren
in bedenklicher Weise gelitten; er musste seine Stelluug anfgeben wegen hochgradiger
nenrasthenischer Symptome und ist nicht mehr arbeitsfähig. Er selbst betrachtet als die
Ursache seiner Krankheit massenhaft anftretende nächtliche schlaffe Pollutionen, die ihn
körperlich und geistig ruiniren. Nie Masturbation. Kaltwasserkur und die verschiedensten
innem Mittel ohne Erfolg. Auf Grund dieses ständigen Befundes bei der Hambeschauung
verlangte ich eine örtliche Untersuchung und fand keine Phimose, wie ich vermuthet,
sondern die etwas lange Vorhaut liess sich leicht znrückschieben. Unter derselben war
eine unglanbliche Smegmaanhäufung, welche vollständig eingetrocknet war tmd als starre
zähe Haut von der Dicke eines festen Gartons die Eichel gleichmässig umschloss und zu-
sammendrfickte. Letztere, sowie die Vorhaut waren gereizt und entzündet. Patient hatte
in seinem Leben die Vorhaut noch nie zurückgezogen.
Hier haben wir durch die Harnbeschauung sofort die Ursachen der krankhaften
Pollutionen und damit die Neurasthenie entdeckt. — Dieser Smegmabefund ist nicht
selten und muss uns sofort zu einer örtlichen Untersuchung veranlassen, indem der*
selben sehr häufig eine mehr oder minder hochgradige Phimose oder Smegmaanhäufung
zu Grunde liegen, welche ihrerseits wieder Functionsanomalien der Uro-Genitalorgane
auslösen können.
Die sechste Urinprobe präsentirt sich gerade wie die fünfte. Der Urin ist nach
einigem Stehen klar und am Boden des Gefässes sehen Sie eine Anzahl grösserer und
kleinerer graulich weisser Fäden liegen. Sie unterscheiden dieselben sofort an ihrer
Form von den Smegmabröckelchen und auch daran, dass sie specifisch leichter sind
und sich nicht so rasch setzen beim Emporwirbeln wie die Smegmabröckelchen. Es
sind diese Urethralfäden das Product einer chronischen Entzündung der Urethral¬
schleimhaut, sei letztere nun entstanden durch Infection, Abusus sexualis, Gongressus
interruptus, oder auf andere Weise.
Die Bedeutung der UrethralBlden ist ungemein verschieden. Hat der betreffende
Patient eine Gonorrhoe dnrcbgemacht, so zeigen dieselben nach ihrem mehr oder minder
zahlreichen Auftreten an, dass ein stärkerer oder schwächerer Rest der Entzündung
noch vorhanden ist, d. h. dass eine chronische Gonorrhoe existirt. Wie Ihnen wohl
bekannt, wird diese Affection jetzt in manchen Beziehungen anders und viel ernster
taxirt als früher.
Ist keine Gonorrhoe voransgegangen und sind wir trotzdem im Falle Uretbralfäden
nachzuweisen, so werden wir bei Jüngern Leuten meist langjährigen Abnsus sexualis
diagnosticiren und bei längere Zeit verheiratheten Männern Gongressus interrnptns,
wenn hier nicht mit beiden Factoren zu rechnen ist.
In diesem Falle haben die UrethralRlden natürlich wieder eine ganz andere Be¬
deutung; sie stammen vorzüglich aus der Pars prostat. und zeigen an, dass dieser
Tbeil in einem chronischen, entzündlichen Reizzustand sich befindet.')
*) Ueber die Frage, ob flberhaapt Abosoa sexualis eine entzündliche Beizung nnd Urethral-
fiden hervorbringen könne, will ich nier nur beiläufig bemerken, dass ich schon Dutzende von
Fällen genau beobachtet, wo sicher nie eine Gonorrhoe, sogar nicht einmal Coitus vorangegangen,
nnd trotzdem im Urin sehr schöne Urethralfäden sich fanden, die allein durch Abnsus sexualis be¬
dingt sein konnten. Das Gleiche kann ich Uber die Wirkung des Gongressus interrnptns behaupten.
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Der Plexus hypogastricus des Sympathicus innervirt vermittelst seiner Neben¬
geflechte die Prostata des Mannes. Es ist dies ein sehr nervenreiches Gebilde, welches
auch an seinen Rindenschichten zahlreiche Ganglienknoten und Paciniscbe EOrperchen
enthält, die nur in sehr nervenreicben und empfindlichen Organen vorzukommen
pflegen. Wenn nun die peripheren Endigungen der Nerven dieses Organs, das wie
kaum ein anderes bestimmt ist, unser Nervensystem mächtig zu beeinflussen und
demselben die höchsten Lustgefähle zu erwecken, wenn diese Nervenendigungen durch
chronisch entzündliche Reizzustände, die sich auf der Schleimhaut und zuweilen im
ganzen Organ festgesetzt haben, in continuirlicher Erregung gehalten werden, so wird
durch Uebertragung derselben auf das ganze Gebiet des Sympathicus eine Anzahl von
centripetalen abnormen Gefühlen und Eindrücken entstehen. Diese lösen ihrerseits
wieder eine Summe von Neurosen aus, welche mau unter dem Namen der sexuellen
Neurasthenie zusammenfasst.
Besonders leicht verständlich wird dieses Factum noch durch den schon erwähnten
Umstand, dass das Nervensystem gerade durch die sexuellen Excesse, welche die
schliessliche entzündliche Reizung zur Folge haben, an Kraft geschwächt ist. Die
locale, von der Prostataschleimhaut ausgehende krankhafte Erregung wirkt also schon
nicht mehr auf ein normales und gesundes Nervensystem, sondern auf ein solches,
welches schon vorher durch Abusus, oder verschiedene Excesse geschwächt und weniger
widerstandsföhig gemacht worden ist. Selbstverständlich wird dadurch der schlimme
Einfluss der localen Erkrankung noch bedeutend erhöht.
Der Einfluss der letzteren Affection auf das Nervensystem macht es aber auch
begreiflich, dass ein durch sie hervorgerufenes Nervenleiden nicht mehr verschwindet
mit dem Sistiren der Excesse, sondern fortdauert oder wächst, so lange die locale
Affection noch existirt, welche eben eine selbständige Erkrankung geworden ist.
Sie verzeihen mir, wenn ich bei diesem Abschnitt etwas länger verweilt habe,
weil derselbe eine noch nicht landläufige Ansicht vertritt und die Excursion nöthig
war, um Ihnen die Wichtigkeit des Nachweises von Urethralfäden bei vielen Fällen
von Neurasthenie klar zu legen.
Es fällt mir hier gerade noch ein kleines Erlebniss ein, das hierauf Bezug hat.
Einer meiner Patienten, ein ganz schwerer Magenneurastheniker, der vollständig
cachectisch geworden war und nun wieder geheilt ist, erzählte einem seiner Bekannten,
einem gelehrten Docenten, dass er seinen Harn oft habe untersuchen lassen und der¬
selbe sei immer für vollständig normal erklärt worden. Dagegen habe ich ihn bei
der ersten Untersuchung auf eine Anzahl Urethralfflden in seinem Harn aufmerksam
gemacht und gestützt auf diesen Befund die Diagnose eines nervösen Magenleidens
gestellt.
Der Herr College bewies nun meinem Patienten, der noch nicht geheilt war,
dass meine Ansicht zum mindesten eine Täuschung sein müsse, denn einige Tripper-
Rlden im Urin haben absolut gar keine Bedeutung, indem die Hälfte aller Männer,
besonders in grössern Städten solche aufweisen und doch keine gefährlichen Neura¬
stheniker seien.
Ganz gewiss! Aber der Herr College irrte sich doch diesmal; denn es han¬
delte sich eben um keine Tripperfäden, sondern um Urethralfäden anderer
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Provenienz. Patient hatte n i e einen Tripper gehabt, wohl aber als Junggeselle durch
Jahre lange unfruchtbare sexuelle Aufregungen und Spielereien sein Nervensystem
vollkommen zerrüttet und durch häufigen und langen Congressus interruptus seine
Potenz ganz eingebösst. Der Urethralfaden veranlasste mich diesen Dingen nach¬
zuforschen, weil er eben ihr Product war.
"Vereiiisberiolit^.
Medicinisch-pharmaceutischer Bezirksverein Bern.
1. SitzMif in WlnterseBester 1893/94, DlenstaiT den 14. Nov. Im Casine.O
Präsident: Dr. Dumont. — Actuar: Dr. Bohr,
Anwesend 30 Mitglieder. — 5 Gäste.
1. Das Präsidium theilt mit, dass die Petition des Bezirksyereins an den Gemeinde¬
rath betr. die Errichtung einer stidtlsehen DeslBfeetienSMStmlt nun auch vom Stadt¬
rath erheblich erklärt worden sei.
Ferner begrüsst es die dem Verein beitretenden HH. DDr. Miniat, Howald, Seiler,
Jord^.
2. Vortrag von Prof. Dr. Lesser: „lieber SypUUsbehandlnBif^. Der Vortragende
erwähnt kurz die neuerdings mit sehr zweifelhaftem Erfolg angestellten Versuche, die
Syphilis durch Injectionen von Thierblutsemm zu heilen, und geht zur Besprechung der
beiden Hauptmittel gegen Syphilis über, des Jodes, resp. Jodkalium und des Quecksilbers.
Die eclatante Wirksamkeit des Jodkalium gegenüber der tertiären Syphilis ist allgemein ge¬
kannt und anerkannt, weniger bekannt ist, dass auch in der secundären Periode das Jodkalium
gegen eine Reihe von Erscheinungen, die gesammten Affectionen des Locomotionsapparates,
ferner die ulcerirenden Papeln der Mund-, Zungen- und Rachenschleimhaut weit wirk¬
samer ist, als das Quecksilber. Während in der letzten Zeit vielfach sehr hohe, ja
gelegentlich enorme Dosirungen des Jodkalinm empfohlen sind, glaubt Vortragender, dass
man gewöhnlich mit 1—2 gr pro die aaskommt, welche Dosis bei längerem Gebrauch
so wie so erhöht werden muss. Bei dringenden Fällen ist natürlich eine höhere Gabe
erlaubt und sogar geboten. — Wenn das Quecksilber an momentaner Wirksamkeit dem
Jodkalium vielleicht etwas nachsteht, so übertrifft es dasselbe durch das längere An¬
dauern des Heilerfolges. Die Einverleibung des Mittels geschieht: 1) auf endermatischem,
2) auf hypodermatisohem, 3) auf internem Wege.
Ad 1. Die Schmierkur ist die älteste Methode, sie wird demnächst ihr 400jähriges
Jubiläum feiern und dieses ehrwürdige Alter spricht schon für ihre Wirksamkeit. Für
die Erklärung des Zustandekommens der Resorption bei dieser Kur sind die PFe^onder’schen
Untersuchungen wichtig, der nachwies, dass das Ueberstreichen (nicht Einreiben) der
grauen Salbe genügt, um eine starke Hg-Wirkung zu erzielen, ja dass ungefähr die
gleiche Wirkung eintritt, wenn Wachstaffet um ein Glied gewickelt und auf der äusseren
Fläche mit grauer Salbe bestrichen wird. Die Resorption findet also hauptsächlich durch
Aufnahme des abgedunsteten Hg statt. Die unangenehmen Nebenwirkungen sind localer
(pustulöse Ausschläge, Mercurialdermatitis) oder allgemeiner Natur, durch das au^^e-
nommeoe Hg bedingt (universelles Erythem, Stomatitis, Enteritis).
Ad 2. Die Injectionsmethode ist die modernste. Es ist zu unterscheiden die
Anwendung der löslichen und der unlöslichen Hg-Verbindungen. Hauptvertreter der
ersteren ist das Sublimat, welches in Ya%iger Lösung mit dem lOfachen Zusatz von
Natr. chlor, sehr empfehlenswerth ist. Unangenehm ist die grosse Zahl der Injectionen,
die, wie ein harter und gewiss nicht überall gerechter Beurtheiler sagt, vielleicht dem
>) Eingegangen 14. Dec. 1893. Red.
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Kranken, sicher aber dem Arzte nützen. Dieser Uebelstand wird vermieden durch An¬
wendung der unlöslichen Hg-Präparate, die seltener, dafür aber in grösseren Mengen
injicirt werden. Es sind Calomel, Hg. oxyd. flav., Hg. tannic., Hg. thymol.. Hg. salicyl.,
metallisches Quecksilber (Ol. einer.) u. A. m. angewendet. Yortr. empfiehlt das Hg.
salicyl.; Calomel ist zwar ausserordentlich wirksam, macht dagegen stärkere Local- und
gelegentlich auch Allgemeinerscheinungen, das Ol. einer, ist ein unsicheres und gefähr¬
liches Mittel. Die localen Störungen (schmerzhafte Infiltrate, Erweichungen), lassen sich
durch sorgfältige Technik so gut wie ganz vermeiden; sehr zu beachten sind die durch
beschleunigte Resorption gelegentlich vorkommenden Intoxicationserscheinungen (Enteritis),
welche leider in einigen Fällen zum Exitus führten. In der Mehrzahl dieser Fälle trug
die unvernünftig hohe Dosirung des Mittels die Schuld. Lungenembolien sind durch In-
jection in eine Vene einige Male vorgekommen; dies lässt sich durch Vorsicht leicht und
sicher vermeiden.
Ad 3. Für die interne Behandlung sind ungefähr alle Hg.-Präparate benutzt
worden, die wichtigsten sind Sublimat, Hg. jodat. flav., Hydr. tannic. Die unangenehmen
Nebenerscheinungen sind bei dieser Methode die relativ geringsten.
Die Frage: welche Methode ist die beste? lässt sich natürlich nicht beantworten,
da in jedem Fall die Verhältnisse verschieden sind. Dagegen lässt sich — wenn auch
immer noch mit einer gewissen Reserve — sagen, dass ceteris paribus die Schmierkur
und die Injectionen unlöslicher Hg.-Verbindungen die wirksamsten Methoden sind.
Wann hat die Allgemein-Behandlung der Syphilis zu beginnen? Wann ist sie
wieder aufzunehmeu, resp. wie lange ist sie fortzusetzen?
Ad 1. Die Allgemeinbehandlung ist -- abgesehen von gewissen Ausnahmen —
dann erst einzuleiten, wenn durch das Erscheinen der secundären Symptome die Diagnose
ganz sicher gestellt ist. Sie darf auf keinen Fall eingeleitet werden, so lange die
Diagnose eines Schankers bezüglich seiner syphilitischen Natur noch zweifelhaft ist. —
Ad 2. Während vielfach die Anschauung herrscht, die Syphilis sei nur zu behandeln,
wenn Symptome vorhanden sind, ist Vortr. von der Richtigkeit der Fmmier'^ch^n An¬
schauung überzeugt, dass die Syphilis während der ganzen secundären Periode, d. h.
ungefähr während der ersten drei Jahre, natürlich mit Pausen, behandelt werden muss
(chronische intermittirende Behandlung). Diese Anschauung ist nicht nur aus der theore¬
tischen Erwägung entsprungen, „dass eine chronische Krankheit auch chronisch behandelt
werden muss*^, sondern findet eine sehr wesentliche Stütze in der überall gemachten
Beobachtung, dass die tertiären Erscheinungen der Syphilis, welche die eigentliche Gefahr
der Krankheit bilden, bei weitem am häufigsten in Fällen auftreten, welche während der
secundären Periode völlig unbehandelt oder ganz ungenügend behandelt worden sind.
Discussion: Dr. von Ins erwähnt das interessante Factum, dass im alten
„äussem Krankenhaus* mit seinen engen, schlecht ventilirbaren Räumen, wo Syphilitische
und Blennorhoiker oft im nämlichen Zimmer zusammenwohnen mussten, die letztem öfters
an Stomatitis mercurial. erkrankten, während die ersteren ihre Schmiercur durchmachten
und wegen des Gurgelns und übriger Mundpflege davon verschont blieben.
Prof. Tavel glaubt nicht, dass von der vom Vortragenden gestreiften Seramtherapie
in nächster Zeit für die Syphilis etwas zu erwarten sei, denn Antitoxine kann man nur
von immunisirten, nicht von immunen Thieren erhalten. Alle Tbiere sind aber, soweit
bekannt, gegen Syphilis immun — die angeblich geglückten Impfungen beim Affen be«
rahen wohl auf Irrthum, indem es sich um Tuberculose handelte — folglich ist es nicht
möglich, solche zur Gewinnung eines Antitoxins zu immunisiren. Prof. Lesser erwidert,
dass es vielleicht mit der Zeit möglich werde, monschliches Serum zu gewinnen und zu
verwenden.
Oberfeldarzt Dr. Ziegler empfiehlt als eine bequeme und einfache Modification der
Schmiercar die Einreibung des unguent. ein. altemirend an^ die beiden Fnsssohlen, wobei
keine Wäsche verdorben wird und das Herumgehen gerade das Eindringen des unguent.
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in die Haut befördert. Er wendet sieh gegen die Injectionetherapie, die eventuell Schorfe
oder A.b8c688e mache, während einfachere Procedoren besser zum Ziele führen.'^TYon
Prof. Lesser and Tavel wird die Injectionstherapie gegen diese Angriffe in Schutz ge¬
nommen; bei der jetzt yerbesserten Technik und Asepsis seien unangenehme Nebener¬
scheinungen zu vermeiden.
Nachdem noch von Dr. Osi^ v. Ins und Prof. Lesser die Frage der Excision des
Primäraffeets mit den so wenig günstigen Resultaten berührt wurde, fand Schluss der
Discussion statt.
3. Vortrag von Dr. Lüseher: Bin Liffatarfaden als Kern eines Blasenstelnes.
(Deküntes Autoreferat.) Im Herbst 1890 wurde Frau N. N. von Herrn Prof. Dr.
Girard wegen einer bedeutenden linksseitigen Oruralhernie operirt. Um die grosse
Bruohpforte zu sohliessen, wurde ein Periostlappen, von der Tibia entnommen und mit
Seide aufgenäht. (Ueber die Art der Operation wird später Herr Prof. Girard refe-
riren.) Der Krankheitsverlauf war ein tadelloser, Pat. ging mit einer Prima geheilt
nach Hause.
Nach 7^ meldete die Pat. ihr vollständiges Wohlbefinden. Im Herbst 1891
erkrankte sie an Influenza. Von da an empfand sie in der operirten Seite Schmerzen;
nach einiger Zeit traten Schmerzen in der Blase, Brennen beim Uriniren auf. Der Urin
wurde trübe. Eine kleine Oeffhung im medianen Winkel der Narbe, aus der ein wenig
Eiter ausfloss, schloss sich bald. Das Blasenleiden blieb bestehen. Eines Tages ging
dieser Stein (Demonstr.) ab, in dem Sie deutlich den Faden erkennen können. Trotzdem
besserte sich die Blase nicht, so dass Pat. im Herbst 1892 wiederum das Inselspital
aufsuchte. Herr Prof. Dr. Girard nahm sogleich die Cystoscopie vor, nachdem eine
Sondenuntersuchung kein sicheres Resultat lieferte. Nach gründlicher Reinigung der
Blase sah man an der 1. lateralen Seite der Blase einen ähnlichen Phosphatstein wie
der vorliegende. Ganz deutlich erkannte man den Faden, um den er sich gebildet. Er
wurde mit dem Litbotryptor zertrümmert und zum Theil entfernt; (einige Stücke werden
demonstrirt). Die Frau wurde nach 6 Wochen als geheilt entlassen. Durchgehen wir
die Krankengeschichte, so interessirt uns die Spätinfection, die zur Abscedirung mit
Durchbruch in die Blase und Steinbildung führte. Sie mahnt uns, bei jedem Eingriff in
die Gewebe, dieselben möglichst zu schonen, in ihren physiologischen Functionen so wenig
als möglich zu schädigen. Ferner legt sie uns die Frage vor, ob Catgut oder Seide ? Die
Pro und Contra dieser Frage will ich hier weiter nicht erörtern, ein späteres Referat
von Herrn Prof. Dr. Girard wird Gelegenheit bieten, sich darüber zu äussern. Auf
jeden Fall hat das Catgut seine grossen Vorzüge. Unserer Pat. wären sicher viele un¬
angenehme Stunden erspart geblieben, hätte man Catgut verwendet. Dass sich derselbe
sicher sterilisiren lässt, davon habe ich mich baoteriologisch und practisoh zur Genüge
überzougen können.
Noch möchte ich der Cystoscopie erwähnen und für sie eine Lanze brechen. Dass
sie auch auf Irrwege führen kann, oder in gewissen Fällen nicht verwendbar ist, gebe
ich zu; immerhin aber ist sie oft ein recht nützliches diagnostisches Hülfsmittel, dessen
man sich, wenigstens in Spitälern, nicht entschlagen sollte. Die Ausführung lässt sich
mit einiger Geduld nicht schwer erlernen.
Discussion: Dr. Dumant demonstrirt als Gegenstück zum Präparat des Herrn
Vortragenden einen 4 mm breiten Phosphatstein, der sich um eine Seidenligatur gebildet
hatte. Der Stein rührt von einem 25jährigen Patienten her, bei dem im Jahre 1887
auf Salem von Prof. Reicher der Blasenschnitt ausgeführt und die Blasenwand mit Seide
vernäht wurde. Der jetzige Stein wurde spontan unter ziemlich Schmerzen entleert.
Dr. Dubais warnt davor, sich zu sehr und ausschliesslich auf das vermeintliche
Ergebniss der Cystoscopie zu stützen; er erwähnt einen Pat., bei dem nach Hssmaturie
und andern Erscheinungen — entgegen seiner Diagnose — Blasencarcinom chirurgischer-
seits diagnosticirt und demgemäss operative Behandlung empfohlen wurde. Der Pat.
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Wollte sich nicht operiren lassen und lebt heute nach vielen Jahren noch in bestem
Wohlbefinden.
Von Dr. Lascher und Dr. Lam wird die Cystoscopie in Schutz genommen, letzterer
erwähnt die (^ampimnibre'^eYieii Publicationen über Blasenhernie, er hat selbst auch 3
Mal Blasenhernien gesehen und betont die Möglichkeit des Eindringens einer Ligatur in
die Blase bei Gelegenheit der Radicaloperation einer solchen. Häufiger kommt dieses
wegen der Möglichkeit der Steinbildung fatale Ereigniss bei den neuen Retroflexions-
operationen vor, sowohl der Schüching'seh&fi als auch der verbesserten Moc^^enrod^’schen;
sei es, dass die Faden direct durch die Blasen wand geführt werden, sei es durch secun-
däres Einwandern, was ja bei den der mangelhaften Antisepsis der Scheide halber nicht
so seltenen Infectionen leicht möglich ist.
4. Mit grosser Mehrheit wird der bisherige Vorstand, Präsident: Dr. Dummt,
Actuar und Kassier: Dr. Eohr^ für eine weitere Amtsperiode gewählt.
Zürcher Gesellschaft für wissenschaftliche Gesundheitspflege.
Präsident: Prof. Dr. 0. Wgss. — Actuar: Dr. 0, Roth,
Sltzang: 31. Mai 1893 !■ Hyg^ieae-IasUtatO
Gemäss einer in der letzten Sitzung gemachten Anregung wird die Frage erörtert,
ob ein Artikel betreffend die BrnettBan|f vea EhreBBltglledera in die Statuten aufzu¬
nehmen sei. Dieselbe wird nach gewalteter Discussion von der Geselbchaft bejaht und
es wird beschlossen, dem Artikel die Fassung zu geben: „Die Gesellschaft ist berechtigt,
Ehrenmitglieder zu ernennen.^
Hierauf wird die vom Comite redigirte Adresse an Herrn Geh. Rath von Fettenhofer
verlesen und genehmigt und zugleich beschlossen, den hochverdienten Forscher und Lehrer
der Hygiene zum Ehrenmitgliede zu ernennen.
Die für diese Sitzung vorgesehene Besichtigung der gewerbehygienischen Sammlung
des eidgen. Polytechnicums wird der vorgerückten Zeit wegen auf später verschoben.
Referate und IXritiken.
Zur Kenntniss der Phosphornecrose.
Bericht von Prof. Dr. Kocher j erstattet im Aufträge des schweizerischen Industrie- und
Landwirthschaftsdepartementes.
Herr Prof. Dr. Kocher wurde seinerzeit vom erwähnten Departement eingeladen,
Bericht über seine Erfahrungen und sein Urtheil bezüglich Zündhölzchenfabrikation abzu¬
statten. Zum Studium der Frage unternahm Prof. Kocher in Begleitung von Dr. Kauf-
mmn, Secretär des eidg. Industriedepartementes, und des cand. med. A. Kocher im April
1893 eine Reise nach dem Frutigthal. Die Ergebnisse dieser Reise sind nun in einer
Broschüre von 50 Seiten mit 17 ausgezeichneten Abbildungen niedergelegt. Der Inhalt
ist in grossen Zügen folgender:
Die Gefahr der Phosphorvergiftung betrifft nur diejenigen Categorien von Arbeitern,
welche mit dem Eintauchen, mit dem Ausschütteln und mit dem EinfüUen der Hölzchen
in die Schachteln beschäftigt sind. Wie aber durch Exempel bewiesen werden kann,
sind selbst bei dieser Beschäftigung die Vergiftungserscheinungeh keineswegs eine noth-
wendige Folge des Umgangs mit gelbem Phosphor. Dieselben sind vielmehr davon ab¬
hängig, ob die Fabrik von einem mehr oder weniger einsichtigen Besitzer betrieben wird.
Nach Prof. Kocher besteht bei Individuen, welche schlecht genährt und blutarm
sind oder gar schon ein Organleiden wie Brustcatarrh, Verdauungsstörnngen darbieten,
Eingegangen 8. Dec. 1893. Red.
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ome Disposition zur Phospliorerkrankung. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, wenn
das weibliche Geschlecht leichter befallen wird als das männliche. Eine ganz besonders
bedeutungsvolle Disposition zu Phosphomecrose ist in dem mangelhaften Zustand des Ge¬
bisses gelegen. Das Vorausgehen von Zahnkrankheiten ist bei Phosphomecrose so oon-
stant, dass man das Recht hat zu behaupten, dass bei Individuen mit gesunden Zähnen
eine Kiefemecrose überhaupt nicht beobachtet wird. Es liegt darin eine weitere Er¬
klärung für die grössere Häufigkeit der Erkrankung weiblicher Individuen. Mit den
anämischen Zuständen, wie sie den Pubertätsjahren des weiblichen Geschlechtes so
häufig folgen, sind Verdauungsstörungen und damit Zahnerkrankungen sehr oft ver¬
bunden. Die Durchführung der Verordnung, bloss Leute mit gesunden Zähnen zur An¬
stellung in Zündholzfabriken znznlassen, ist practisch unmöglich. Die vorgeschriebenen
Mundspülungen und Reinigungen werden von den Arbeitern nur mangelhaft ausgefübrt.
Bei dem häufigen Vorkommen von Zahncaries sind solche dringend nothwendig. Wenn
der Staat Vorschriften erlässt, so soll er auch dafür sorgen, dass dieselben erfüllt werden.
Dazu gehört für alles dasjenige, was persönliche Gesundheitspfiege anbelangt, in aller¬
erster Linie ärztliche Anleitung und Ueberwachung, mit andern Worten gehörig re-
munerirte Fabrikärzte.
Zur Verhütung von Schädlichkeiten kommt zu der Frage der Reinhaltung des
Mundes, der Hände, des Körpers überhaupt diejenige der Reinhaltung der Luft, die Ven¬
tilation. Alle Räume, in welchen Fenster mit und vollends ohne Oberlichter bloss auf
einer Seite sich finden, sind ungenügend ventilirt.
Aeusserst wichtig ist die periodische Auslüftung des eigenen Körpers. In einer
Fabrik, wo nur ausnahmsweise Erkrankungen vorgekommeu sind, besteht die Einrichtung,
dass im Frühling und Herbst die Arbeiter 14 Tage Ferien bekommen, um ihrer Land¬
arbeit obzuliegen.
Am gefährlichsten ist die Zündholzfabrikation, wenn sie als Hausindustrie betrieben
wird. Es ist bei allen Eingeweihten nur eine Stimme darüber, dass die üblen Einflüsse
der Fabrikation sich zu keiner Zeit in so hohem Masse fühlbar gemacht hatten, als in
dem Zeitraum, da die Herstellung der Zündhölzer mit gelbem Phosphor verboten war,
nämlich in den Jahren 1880 und 1881. Da die Gewohnheiten des Volkes sich nicht
mit einem Federstriche abdecretiren Hessen und die Nachfrage nach den gewöhnlichen
Zündhölzern gross war, so wurde erst in Privatwohnungen, dann in Scheunen und Stal¬
lungen, oft auf ganz abgelegenen Höfen bei geschlossenen Thüren und Fenstern die Fa¬
brikation schwunghaft betrieben, und als nothwendige Folge dieses Vorgehens erreichte
denn auch die Zahl der Phosphorerkrankungen in den folgenden Jahren eine nie dage¬
wesene Höhe. Auch wurden die Fälle besonders hochgradig, da Grund vorhanden war,
sie möglichst lange zu verheimHchen, und die Jahre 1883—86 sind deshalb diejenigen,
wo beeonders viele eingreifende Operationen nothwendig wurden.
Der Vortheil strenger Vorschriften bei der Zündhölzchenfabrikation wird von ein¬
sichtsvollen Leuten des Frutigthales sehr wohl eingesehen; einzelne betrachten deshalb
auch das Monopol als einen Fortschritt. Der Staat ist gerade so weit berechtigt , die
bisherige Zündhölzchenfabrikation weiter bestehen zu lassen, als er selber die Verant¬
wortung übernehmen kann und will:
1) Dass die Fabriken so eingerichtet werden, dass in völlig gut ventilirten Räumen
gearbeitet werden kann;
2) dass den Arbeitern eine gehörige Ernährung ermöglicht werde;
3) dass neben Fabrikarbeit abwechselnd eine Arbeit in freier Luft Platz greife;
4) dass unter Ueberwachung staatlich angestellter Fabrikärzte bestimmte Vorschriften
der Körperpflege im Allgemeinen und der Zahnpflege im Speciellen durch die Arbeiter
mit Sicherheit, wo nöthig zwangsweise, durchgeführt werden.
Dies die Schlüsse des ersten Theiles der interessanten Broschüre. Der zweite Theil
ist dem Studium der Verheerungen der Phosphorvergiftung gewidmet.
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Nach der Schätzung erfahrener Aerzte hat die Phosphorerkrankung bei uns niemals
den hohen Grad anderer Länder erreicht. Die Zahl der Erkrankungen beläuft sich nach
Erfahrungen des Dr. Schärer in Frutigen bei einer Arbeiterzahl von 300 auf 5 bis 10
jährlich, d. h. auf 2 — 3 Procent gegenüber 10 Procent eines Lyoner Berichtes. Prof.
Kocher hat ausser der Kiefernecrose keine andere Form der Phosphorerkranknng ent¬
decken können. Die Erkrankung der Lunge hält er nicht als directe Folge der Phosphor-
yergiftung, sondern vielmehr ist dieselbe in Zusammenhang zu bringen mit einer hoch¬
gradigen Vernachlässigung der Folgen der Kiefernecrose. Was die Prognose quoad vitam
anbelangt, so ist zwischen Necrose des Oberkiefers und derjenigen des Unterkiefers zu
unterscheiden. Erstere ist bedeutend ungünstiger, weil der destructive Process auf Knochen
des Gehirnschädels übergehen und das Gehirn und dessen Häute in Mitleidenschaft ziehen
kann. Ein tödtlicher Ausgang ist glücklicherweise ein seltenes Yorkommniss und derselbe
ist nur unter erschwerenden äusseren Umständen erfolgt, unter welchen Sitz und Aus¬
dehnung der Erkrankung, im Vereine mit grober Vernachlässigung des Leidens, und ab¬
geschwächte Constitution die Hauptrolle spielen. Ganz spontan ausheilende Fälle, für
welche zu keiner Zeit, früher oder später, ärztlicher Rath nachgesucbt wird, kommen
vor, sind aber doch Ausnahme. Aus der Zusammenstellung von 13 genau untersuchten
leichteren Fällen ist zu entnehmen, dass die leichtesten Fälle von Kiefernecrose, wie
anderseits die allerschwersten, dem Oberkiefer angehören. Die Veränderung am Ober¬
kiefer bleibt offenbar viel häufiger auf eine geringe Ausdehnung beschränkt als am
Unterkiefer und fehlende Stücke des Oberkiefers machen viel weniger Entstellung. Bei
den geschilderten 8 Fällen partieller Entfernung des Unterkiefers zeigt sich als Regel
eine Entstellung mässigen Grades, insofern als das Kinn etwas zurücksteht, aber ganz
besonders nach der operirten Seite verschoben ist; deshalb erscheint die gesunde Seite
etwas abgefiacht, die kranke Seite vom Kieferwinkel bis zum Kinn verkürzt. In allen
Fällen ist der verloren gegangene Knochen durch einen neuen, wenn auch in reducirter
Grösse ersetzt, deshalb ist die Function des Kiefers nicht erheblich beeinträchtigt. Die
Patienten vermögen den Kiefer gut zu öfihen und, vermnthlioh dank den noch erhaltenen
gesunden Knochenpartien, verhältnissmässig gut zu kauen. Schlucken and Sprechen geht
in der Regel ohne erhebliche Störung vor sich. Grössere Störungen treten nur ein, wenn
die Erkrankung auf einer Seite den aufsteigenden Eieferast bis zum Gelenk mitbetroffen
hat. Wenn ein künstliches Gebiss getragen wird, ist die Function eine ungleich bessere.
Die vollkommensten Fälle sind die, bei welchen relativ spät eine Entfernung des Knochens
stattgefunden hat. Die functioneil ungünstigsten sind die, bei welchen der Unterkiefer
in seiner ganzen Ausdehnung oder bis auf unbedeutende Reste abgestorben ist und ent¬
fernt werden musste. Eine Regoneration des Zahnfortsatzes der Kiefer und damit der
Zähne findet in keinem f'alle statt, dagegen eine vollständige Neubildung des übrigen
Unterkiefers, ja sogar eine neue, der normalen ähnliche, bewegliche Gelenkverbindung.
Die Ausbildung und Form des neuen Kiefers wird durch das Tragen eines künstlichen
Gebisses nicht in bemerkenswerther Weise günstig beeinfiusst. Was die Höhe und Dicke
anbelangt, so hat der neugebildete Kiefer in der Regel etwa die halbe Höhe des nor¬
malen. Im Ganzen ist der neugebildete Kiefer einem natürlichen Kiefer ähnlich, resp.
dem atrophischen und zahnlosen Kiefer des höhem Greisenalters.
Der dritte Theil der Broschüre beschäftigt sich mit der Art und Weise; wie der
Phosphor auf den Knochen wirkt. Nach den Experimenten von Wegner ist die Einwir¬
kung speciell auf den Kiefer wesentlich eine locale. Nach Kocher ist der Beweis bis
jetzt durchaus nicht erbracht, dass irgend wann ein Arbeiter einer Zündhölzchenfabrik mit
vollkommen gesunden Zähnen und unbeschädigtem Zahnfleisch an Necrose erkrankt sei,
es musste immer eine directe Einwirkung des Mundspeichels auf die Knochensubstanz zu
der schädlichen Einwirkung des Phosphors hinzukommen. Die Phosphoreinwirkung besteht
in einer Ernährungsstörung, welche eine bedenkliche Disposition zum Absterben bei Zu¬
treten einer eitrigen Entzündung darstellt. Ohne Sepsis keine Necrosel
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Merkwürdigerweise ist es bis jetzt nie gelungen, Phosphor im necrotischen Knochen
nachiuweisen. Was die Zeit der Operation anbelangt, so hat das Zuwarten gewisse
schwerwiegende Nachtheile (langdauernde Eiterung etc.). Es könnte der Versuch gemacht
werden, den künstlich entfernten Kiefer sofort durch einen künstlichen Kiefer aus Elfen¬
bein oder einem leichten Metall zu ersetzen, so lange bis der neue Kiefer die richtige
Form angenommen hat und vollkommen fest und hart geworden ist. Die Operation muss
stets vom Munde aus, ohne äussorn Schnitt vorgenommen werden.
Schlusssätze:
1. Der gelbe Phosphor soll durch den ungiftigen rothen ersetzt werden.
2. Da ein Schutz der Arbeiter vor Schädlichkeiten im Bereiche der Möglichkeit
liegt, so soll er durchgeführt werden.
3. So lange die Erlaubniss zur Verarbeitung des giftigen Phosphors gegeben ist,
hat der Staat die Garantie zu übernehmen, dass es ohne Schädigung der Arbeiter ge*
schiebt. EAnn er diese Garantien nur durch Schaffung des Monopols übernehmen, so
ist dieses einzuführen.
4. Die Haftpflicht des Fabrikanten oder des Staates überdauert 2 Jahre die Ent¬
lassung aus der Fabrik.
5. Der Arbeiter soll über die Gefahren und die Verhütungsmassregeln belehrt und
gezwungen werden, binnen 8 Tagen dem Arzte Anzeige von jeder Erkrankung im Be¬
reich der Kiefer zu machen. Dr. Hämelmann^ Biel.
lieber den Ausgang der cyanotiseben Induration der Niere in Granularatrophie.
Von H, Schmaus und L. Horn. Ans dem pathologischen Institut zu München. Wiesbaden,
J. F. Bergmann 1893.
Die Arbeit ist Bollinger gewidmet, auf dessen Anregung sie in letzter Linie zurück¬
zuführen ist, ausgeführt ist sie theils von Schmaus selbst, theils unter dessen Leitung von
Horn, Sie liefert das Resultat einer systematischen Untersuchung älterer Stauungsnieren,
um Klarheit darüber zu schaffen, ob die lange dauernde venöse Hyperämie zu atrophischen
Processen des Parenchyms und Zunahme des bindegewebigen Gerüsts führe, eine Frage,
welche bis jetzt nicht einheitlich von den verschiedenen Untersuohern beantwortet worden
war. Das Ergebniss ist ein positives. Makroskopisch zeigt sich die Atrophie wesentlich
in Gestalt kleiner Einziehungen, die sich oft an Venensteme anschliessen, und welche
schliesslich zu einer feinen Granulirung der Oberfläche führen. Später kommen locali-
sirte Kapseladhmrenzen dazu und schliesslich verleiht das Auftreten gröberer Einsen¬
kungen dem Organ eine grob- und feingranulirte unregelmässig höckerige Form, die mit
Verschmälerung der Rinde einhergeht. Die Markkegel atrophiren unter Verkürzung,
wobei das äussere Volum der Niere ziemlich gewahrt bleibt, während der Substanzver-
lust sich wesentlich in der Hilusgegend zeigt und oft durch Fett gedeckt wird. Das
Gewicht kann bis auf die Hälfte herabgehen. Das Mikroskop zeigt, dass die Schrumpfungs-
herde sich wesentlich an kleine Venengebiete, besonders der Stellulm aber des weiteren
auch an Artenden anschliessen und auf Folgen der Druckatrophie von Harncanälchen be¬
wirkt durch Gefassectasie zurückzuführen sind. Die Verödung der Glomeruli und Verdickung
der Bowman^schea Kapseln folgt dann nach. Von Wichtigkeit ist noch namentlich die
Verdickung und Verschmelzung der Membranm proprim some die Zunahme des inter¬
stitiellen Gewebes durch Bildung einer „theils homogenen, theils fadig oder körnig aus¬
sehenden Substanz, seltener durch Rundzelleninflltration und faseriges Bindegewebe.^ Die
Gefasswände verdicken sich auch und zwar an den Venen mehr durch Zunahme der
Adventitia, an den Arterien durch eine solche der Intima. Verf. glauben die Stauungs-
schrumpfniere von der gemeinen und der arteriosclerotischen gut scheiden zu können.
(Ref. verweist im Anschluss an die besprochene Arbeit auf die jüngst erschienene Mit-
theilung Bibheri\ welcher bei der Stauungsniere — wie bei fettiger Degeneration und
bei toxischer und infectiöser Epithelnecrose — zunächst Untergang des Epithels der
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Tabali contorti zweiter Ordnung fand und im Anschluss an diese eine einfache Zunahme
des interstitiellen Gewebes, ohne wesentliche Kemvermehrung. Centralblatt für allgem.
Patholog. Bd. III. Nr. 9. 1892.) Hanau,
Handbuch der Ohrenheilkunde.
Herausgegeben von Prof. H, Schwartze, 11. Hälfte. Leipzig, F. C. W. Vogel. 915 S.
Mit diesem 2. Bande liegt nun das ganze Sammelwerk vollständig vor uns. Natür¬
lich ist es unmöglich, auf jedes der 28 Kapitel einzutreten; dagegen müssen wir min¬
destens einige Augenblicke verweilen bei Abschnitt Y, YII und XI des 2. Bandes,
deren Inhalt auch für den practischen Arzt, den pathologischen Anatomen und selbst für
den Chirurgen ein bedeutendes Interesse besitzen dürfte: Bezold^ welcher die Krank¬
heiten des Warzentheils bearbeitet hat, stellt auf Grund seiner Sectionsergeb-
nisse zunächst fest, dass nicht nur bei Scharlach, sondern auch bei Masern und Typhus
— wahrscheinlich auch bei den anderen acuten Allgemein-Infectionskrankheiten — die
Schleimhaut des ganzen Mittelohrs gewöhnlich in Mitleidenschaft gezogen wird. Die
Pars mastoidea erkrankt demgemäss viel häufiger, als gewöhnlich angenommen wird, an
acuten Processen derselben und zwar sowohl in Form des Catarrhs als der Eiterung;
dieselben heilen aber auch viel öfter spontan, als wir dies nach Beobachtungen am
Lebenden geahnt haben. Eine bloss auf Paukenhöhle und Antrum beschränkte Mittel-
ohreiterung läuft meistens in ca. 2 Wochen ab; bei längerer Dauer findet sich als Ur¬
sache derselben eine stärkere Betheiligung der pneumatischen Zellen des Warzenfortsatzes.
Sind diese Zellen abnorm umfangreich, so ist die Möglichkeit einer spontanen Resorption
ihres eitrigen Inhaltes entsprechend geringer; und hier bleibt dann, während unterdessen
Paukenhöhle und Antrum, sowie die Hörweite sich der Norm wieder nähern können, die
Eiterung bestehen. Oft schliesst sich an diesen Process excentrische Erweiterung als
Ausdruck eines einfachen Resorptionsprocesses der Knochensalze. Unter ungünstigen Ver¬
hältnissen tritt Caries und Nekrose hinzu. In Uebereinstimmung mit andern Beobachtern
fand Bezold^ dass die acuten Empyeme des Warzenfortsatzes seltener gegen Hirnhäute
und Sinus als gegen die retroauriculare Gegend den Knochen durchbrechen; bei 800
Fällen von Mittelohreiterungen seiner Praxis sah er Exitus eintreten 2 Mal an Meningitis,
2 Mal an Pyämie und 1 Mal an Hirnabscess. — Auch beim chronischen Em¬
pyem des Warzenfortsatzes spielen die Infectionskrankheiten mtiologisch eine wichtige
Rolle. Im Vordergrund stehen hier die Eiterungen in epidermoidal ausgekleideten Mittel¬
ohrräumen, welche wir als Cholesteatom des Felsenbeins bezeichnen. Dagegen findet B.,
wenn er von der eigentlichen Tuberculose des Mittelohres absieht, cariöse Processe bei
chronischer Erkrankung des Warzenfortsatzes viel seltener, als allgemein angenommen
wird, eine Beobachtung, welche mit derjenigen des Referenten übereinstimmt. Die
Prognose der sich selbst überlassenen Eiterung ist bei den chronischen Processen wesent¬
lich ungünstiger, als bei den acuten. Ueber die Therapie der Otitis media purulenta
chronica und speciell über diejenige des Cholesteatoms ist im Sinne der Baro^’schen
Schule schon wiederholt in diesem Blatte berichtet worden.
Die Fremdkörper im Ohr (von Kiesselbach) sollen nur unter Anwendung
des Reflectors entfernt werden. Das beste Mittel ist der Wasserstrahl. Nur da, wo
forcirte Injectionen versagt haben, dürfen Instrumente eingeführt werden und auch hier
soll die Extraction bloss von geübter Hand ausgeführt werden. Das nämliche gilt von
der Abmeisselung der hintern Gehörgangswand, welche auch da noch zum Ziele führt,
wo vorausgegangene ungeschickte Extractionsversuche zu fester Einkeilung des Fremd¬
körpers in den Grund des Gehörgangs oder in die Paukenhöhle geführt haben.
Einer der wichtigsten Abschnitte des Werkes ist Schwartze's Operations¬
lehre. Dieselbe wird eingeleitet durch ein Capitel über Desinfection und Ansssthetica.
Was Verf. pag. 718 über die Therapie der angebornenAtresie des Ge-
hörganges sagt, ist so beherzigenswerth und doch noch so wenig bekannt, dass ich den
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betreffenden Passus citiren will: ^Sehr selten handelt es sich nur um einen oberfläch¬
lichen häutigen Verschluss. Gewöhnlich findet sich hinter dem durch eine Delle
markirten Beginne des Gehorganges ein knöcherner Verschluss .... Die in grosser
Zahl unternommenen Versuche, solche congenitale knöcherne Gehörgangsatresien operativ
zu beseitigen und einen Gehörgang künstlich zu bilden, sind bisher für das Hörver¬
mögen resultatlos verlaufen." lieber den Werth der Tenotomie des Tensor tympani und
die Plicotomie als hörverbessemde Mittel kann Schwariae sein schon früher in absprechen¬
dem Sinne gefälltes Urtheil bestätigen. Auch gibt Schw. die sehr zeitgemässe Warnung,
alle operativen Eingriffe zu unterlassen, welche von anderer Seite empfohlen worden sind
zur Heilung der Mittelohrsolerose oder gar der nervösen Schwerhörigkeit. Fernere Kapitel
hat der vielerfahrene Autor gewidmet der Freilegung des Euppelraumes, der operativen
Eröffnung des Warzenfortsatzes, der Operation des otitischen Himabscesses und dem
operativen Verfahren bei Phlebitis des Sinus transversus.
Schliesslich habe ich noch hinzuzufügen, dass einzelnen Abschnitten, z. B. den¬
jenigen, welche Habermann und Moos über die Aetiologie und die pathologische Anatomie
geschrieben haben, derart vollständige Literaturverzeichnisse beigegeben sind, dass schon
aus diesem Grunde das besprochene Handbuch Jedem unentbehrlich sein wird, der auf
irgend einem Gebiete der Ohrenheilkunde sich eingehender orientiren und selbstständig
arbeiten will. Siebenmann.
Oantonale Oorrespondenzen.
Hedlclniaeliiea ana Amerika. ') Es war im Spätherbst 1890, als ich in
meinem Bestimmungsort Indianapolis ankam. Die Baumalleen, welche im Sommer den
sonst einförmigen Strassen der amerikanischen Städte einen so freundlichen, behaglichen
und festlichen Heiz verleihen, batten fast alles Laub verloren und bot so die Stadt einen
etwas frostigen Empfang. Auch sonst vermisste das Auge landschaftliche grosse Scenerien.
Die Stadt, Hauptstadt des Staates Indiana, liegt in endloser Ebene, welche zum Theil
noch auf grossem und kleinern Strecken mit Wald bedeckt ist. Sie wurde 1820 dem
Namen nach gegründet, anno 1821 der Platz am White River, einem Nebenfluss des
Mississippi, in Mitten des Urwaldes, 60 Meilen von der Grenze der Civilisation entfernt,
ausgewäblt. Die Bevölkerung, welche anno 1850 ca. 8000 betrug, hat sich in 40 Jahren
auf ca. 120,000 vermehrt. Ich kann eine nähere Beschreibung der Stadt unterlassen,
da sie mit 100 andern amerikanischen Städten im Grossen und Ganzen identisch ist.
Im Centrum lediglich Geschäftshäuser, ausserhalb die Wohnhäuser, von der unscheinbar¬
sten aus 2 Zimmern bestehenden Hütte bis zum fürstlichen Palais alle Zwischenstufen
repräsentirend. Die Verkehrsmittel sind von neuester Constmetion und höchster Ent¬
wicklung. Die Haupttramlinien werden electrisch betrieben ; das Telephonnetz ist sehr
aasgebreitet und die Benützung eine ganz allgemeine. Daneben, der kolossal raschen
Entwicklung entsprechend, miserable Strassen, mit zahllosen Fuhrwerken jeglicher Güte.
In den Strassen überall reges, hastiges Treiben und Jagen der Bevölkerung, den Grund¬
satz: Time is money illustrirend.
Nun galt es die Praxis zu eröffnen, wobei mir mein lieber Freund und Associe
Dr. Fantzer mit Rath und That zur Seite stand. Ich will gleich hier bemerken, dass es in
Amerika nicht selten vorkommt, dass zwei Aerzte sich mit einander verassociren, um ge¬
meinsam zu practiciren. Meistens ist es ein Aelterer und ein Jüngerer, wobei der Aeltere
entlastet und der Jüngere in die Praxis eingefübrt wird, wobei aber Beide selbstständig
arbeiten. — Eine Erlaubniss zur Ausübung meines Berufes wurde mir gestützt auf meine
vorgewiesenen Zeugnisse gegen ein paar Thaler umgehend ertheilt. In vielen andern
Staaten wird dagegen ein Examen gefordert.
Vortrag, gehalten in der Sitzung der Aerzte der Stadt Zürich am 2ö. November 1893.
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Wie hier ist der junge unbekannte Arzt im Anfang hauptsächlich auf die Praxis
in den niedem Volksschichten angewiesen. Desshalb wurde mein Sprechzimmer in's
deutsche Arbeiterviertel und zwar in eine befreundete Apotheke verlegt, daneben ertheilte
ich aber auch so bald wie möglich im Centrum der Stadt Consultationen.
Während hier zu Lande die zu nahe Nachharschafi eines Oollegen wenn nicht als
Unglück, so doch als gar nicht wünschenswerth angesehen wird, so geschieht es dort
im Gegentheil, dass im Centrum der Stadt, nahe am Knotenpunkt aller Strasseneisenbahnen
ein grosser Theil aller Aerzte Sprechstunde hält. Ganze Häuserreihen enthalten im
Parterre und im ersten Stock ausschliesslich Warte- und Sprechzimmer für Aerzte. Um
nun die hohen Miethzinse im centralen Theil der Stadt einigermassen zu beschränken,
geschieht es vielfach, dass 2 Aerzte das gleiche Wartezimmer, hingegen getrennte Sprech¬
zimmer benützen. Diese überraschenden Verhältnisse erleiden z. B. in der Weltstadt
Chicago noch eine Steigerung. Ganze Geschäftshäuser sind mit Aerzte-Consultations-
Räumlichkeiten geradezu angefüllt. So zählte ich im Venetian Building über 30 Firma¬
tafeln. Nach längerer aber allerdings müheloser Fahrt auf dem Lift fand ich mich in
ein Wartezimmer im 10. und 12. Stock versetzt, von wo aus die Wartenden einen gross¬
artigen Ausblick auf die Riesenstadt, auf den See und den Hafen genossen. Die An¬
noncentäfelchen an der Thür zeigten an, dass sich 4 Collegen abwechslungsweise am
Vor- und Nachmittage in 1 Warte- und 2 Consultationszimmer theilten. Der Hülfe-
snchende hat somit in einem Hause (gleich einem Bazar) Allopathen, Homöopathen, die
verschiedensten Special isten zur Verfügung.
Doch kehren wir wieder zum Anfang der Praxis zurück. In erster Linie galt es
nun bekannt zu werden. Da mir Bekannte und Verwandte völlig fehlten, so musste die
Presse Alles besorgen. Was nun im Annonciren erlaubt und verpönt ist, dies ist auch
in Amerika keine constante Grösse. Während z. B. in St. Paul, wie ich von meinem
Freunde Dr. Sch. weiss, jegliche Anzeige anstössig erscheint, so ist es in Indianapolis
Usus, sich 1—2 Jahre in einer oder in mehreren Zeitungen täglich auszuschreiben. Unter
anständiger erlaubter Annonce versteht man dort einfach Angabe von Adresse, Sprech¬
stunde, Nummer des Telephons und eventuell Specialität. Sich als Schüler dieses oder
jenes Professors oder als gewesener so und so zu erklären, würde als marktschreierisch
verurtheilt. Also — de gustibus non est disputandum. Wenn diese Art der Anzeige
Norm ist für den respectablen Theil der Collegen, so muss erwähnt werden, dass von
anderer Seite in höchst ekelhafter, drastischer u. s. v. v. genialer Weise Wort und
Schrift, Dichtkunst und Malerei — überhaupt jedes Mittel angewendet wird, um die
kranke Menschheit zum besten Helfer zu leiten. Als non plus ultra möchte ein ca. 2
grosses Gemälde am Hause eines solchen Heilsapostels erwähnen, das eine Patientin mit
vom Krebs schrecklich zerstörter Wange darstellt mit der Ueberschrift: cancer cured
(Krebs geheilt); doch sind dies Producte der Quacksalber und dürfen nicht dem Aerzte-
stand zur Last gelegt werden. Viel häufiger als bei uns kann man in Zeitungen lesen
von interessanten Operationen, welche ein Arzt ausgeführt, von allgemein interessanten
Vorträgen, welche gehalten wurden. Regelmässig wird auch der behandelnde Arzt bei
Unglücksfällen interviewt und dessen Status und Ansicht in extenso mitgetheilt. Aus¬
wüchse in dieser Hinsicht überwacht und ahndet im gegebenen Fall der judicial council
(Ehrenrath).
Doch kehren wir zurück: Ort und Zeit der Sprechstunde sind dem Publikum nun
bekannt. Was die Zeit anbelangt, so muss der Anfänger eigentlich Tag und Nacht,
Sonntag und Wochentag zur Verfügung stehen. Besonders möchte ich hervorheben, dass
die Abendstunde von 7—8 von den Meisten inne gehalten wird, um der Arbeiterklasse
ein Zeitversäumniss zu ersparen.
Wie schnell ist nun lohnende Beschäftigung zu erwarten? Dies wird jeder Leser
gleich fragen. In allen Geschäften steht die Schnelligkeit des Erfolges ceteris paribus
im umgekehrten Verhältniss zur bestehenden Concurrenz, welche in unserem Falle be-
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dingt ist durch die Anzahl und Qualität der Collegen. Wer nun etwa glaubt, in ameri¬
kanischen Städten, welche eine gewisse Entwicklung erreicht haben, nur wenige Oollegen
zu finden, der täuscht sich sehr. In meiner Stadt von ca. 120,000 Einwohnern prac-
ticirten 320, wovon 214 reguläre Aerzte. Ebenso oft wird die Qualität derselben unter¬
schätzt. Wäre die ärztliche Praxis nur Wissenschaft, dann könnten sich die europäischen
Vertreter ohne Weiteres zu den Besten zählen, denn an Allgemeinheit der Erziehung und
systematischer Schulung steht er über dem amerikanischen Collegen. Aber die Praxis ist
auch eine Kunst. Im Allgemeinen wenden wir Alle die ziemlich gleichen Mittel an,
aber das wie der Anwendung entscheidet oft. Das genauere Studium der Hypnose, der
Suggestionen in neuerer Zeit hat gewiss manche Ueberrascbung in der Carriöre der ver¬
schiedenen Aerzte begreiflich gemacht. Je selbstvertrauender, erfahrener, gewandter der
Arzt seine Kenntnisse anwendet, je sicherer er die verschiedenen Individuen beurtheilt
und beeinflusst, je ruhiger er auch die unerwartetsten und schwierigsten Situationen be¬
herrscht, desto grösser der Erfolg. Diese Lebenserfahrung, dies auf frühere practische
Erfolge gestützte Selbstvertrauen geht dem von unsern Universitäten scheidenden jungen
Arzt ab. In vielen Fällen ist er durch das sorgenlose fröhliche Studentenleben nicht
wenig verwöhnt worden und fällt es Manchem schwer, selbstständig aufzutreten und selbst¬
ständig zu handeln.
Anders drüben. Sehr oft verschafft sich dort der Student vor oder während seines
medicinischen Studiums die nothwendigen finanziellen Mittel. Oft hat er schon einen
langen Weg auf selbstständiger Bahn zurückgelegt und hat seine Kraft in dem Kampf
des Lebens gestählt. Dadurch ist er aber zum selbstbewussten Manne geworden mit
dem persönlichen Einflüsse, der solchen self-made men eigen ist. Auf der andern Seite
sind die Ansprüche an die Elxaminanden auch stetig gewachsen.
Aus einer Classification, welche der Illinois board of health (Gesundheitsamt) aufge¬
stellt hat, entnehme ich, dass über ein Drittheil der medicinischen Schulen 4 und mehr
Jahre professionellen Studiums nebst 3 und mehr terms of lectures, ungefähr die Hälfte
aller Schulen 3 und mehr Jahre professionellen Studiums und 3 terms of lectures vor¬
schreiben. Weniger grosse Ansprüche machen nur 17% hauptsächlich in den südlichen
Staaten. Die lectures sind Vorlesungen über die vorbereitenden, hauptsächlich naturwis¬
senschaftlichen Fächer. Ein professionelles Studienjahr umfasst 8 Monate, 5 im Winter,
3 im Sommer und wird stricte eingehalten. Dazu kömmt, dass der Student als Lecturer
(Leser) bei einem selbstgewählten Arzte einen grossen Theil seines Studiums zubringt und
so ndanche höchst wichtige practische Belehrung findet, welcher er an einer Klinik nicht
theilhaftig wird. Ich hatte nicht Gelegenheit, die Studien in den Colleges näher zu ver¬
folgen, dagegen konnte ich die Concurrenzarbeiten für die Spitalstellen einsehen und muss
gestehen, dass die Leistungen sich unsem wohl nähern. Es ist meine feste Ueberzeugung,
gewonnen aus manchen Beobachtungen, dass die wissenschaftliche Ausbildung des jungen
amerikanischen Arztes, ohne die unsrige an Vielseitigkeit und Gründlichkeit zu erreichen,
doch bedeutend besser ist, als man unter den gegebenen Verhältnissen anzunehmen ge¬
neigt sein könnte.
Dazu kommt nun, dass der amerikanische Arzt in vorzüglicher Weise bestrebt ist,
sich später mehr und mehr auszubilden. Davon zeugen die Hunderte von amerikanischen
Aerzten, welche in Europas besten Kliniken arbeiten und allgemein als überaus strebsame
Männer bekannt sind. Oft werden die Ersparnisse der ersten Jahre der Praxis zu diesem
Zwecke verwendet. Noch zahlreicher sind Jene, welche alljährlich oder mindestens in
längern Abständen mehrere Wochen in den Instituten in New-York, Chicago, Philadel¬
phia, Washington etc. ihre Kenntnisse erweitern. Es bestehen da^r in diesen grossen
Centren sogenannte Post gradnate schools, also für solche berechnet, welche ihre Examina
schon bestanden haben. Dieser Drang nach Vervollkommnung, dieses immer rege Interesse
ist ein characteristischer Zug des amerikanischen Collegen. Woher kommt er wohl? Nicht
zum mindesten mag der Umstand dazu beitragen, dass das relativ kurze Studium weniger
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Uebersäitigung yerursacht. Sei dem nun wie ihm wolle, es ist unleugbare Thatsache,
dass drüben eine grosse Anzahl vortrefflich gebildeter, auf der Höhe der modernen Wissen¬
schaft stehender Männer exisdrt. Ausserdem darf der europäische Einwanderer nicht
vergessen, dass er unter der deutschen Bevölkerung, seinem gegebenen Wirkungsfelde,
mit vielen früher eingewanderten, tüchtigen Collegen, welche deutsche Studien gemacht
haben, zu concurriren hat. Trotz alledem wird es noch sehr vielen tüchtigen und aus¬
dauernden europäischen Aerzten gelingen, schöne Wirkungsfelder nebst gesichertem Ver¬
dienst zu erringen.
Auch ist dort noch jeder tüchtige junge Mann willkommen als Hülfskraft, um den
wissenschaftlichen Standard (das Ansehen) des Standes zu heben. Wie ist dies bei solcher
numerischen Uebersetzung möglich? Die Antwort müssen wir wiederum in den allge¬
meinen Verhältnissen suchen. In erster Linie ist der Procentsatz der im Spital Verpflegten
viel geringer als bei uns. So ist es mir z. B. in meiner Praxis, welche ich hauptsächlich
in Arbeiterfamilien ausübte, nie vorgekommen, dass ich einen Patienten zur Pflege oder
zur Vornahme einer grössere oder kleinem Operation in den Spital schicken musste.
Dass dadurch ein schönes Feld besonders dem jungen Chirurgen eröflhet ist, brauche nur
anzudeuten. Dazu kommt, dass, da die Bezahlung eine viel bessere ist. Niemand sich
zu quantitativen Parforceleistungen veranlasst sieht. „Raum für Alle hat die Erde.^
Dies fühlt man dort allgemeiner und intensiver.
Unter solchen Umständen ist es einleuchtend, dass auch das collegiale Verhältniss
kein schlimmes sein muss, und wirklich kann man die Beobachtung machen, dass (ich
rede stets nur von den respectablen Collegen, nicht von den zahlreichen Quacksalbern)
der Verkehr stets gentlemanlike ist. Betreffs Uebernahme von anderwärts behandelten
Patienten gelten ohne gedruckte Vorschriften so ziemlich die in der „Gesellschaft der
Aerzte von Zürich^ stipulirten Regeln. Nicht seltene kurze Besuche im Sprechzimmer
unterhalten die freundschaftlichen Beziehungen, während die Aerztegesellschaft, welche
jeden Dienstag Zusammentritt, Gelegenheit gibt zum wissenschaftlichen Gedankenaustausch.
Der zweite Act wird dabei allerdings stiefmütterlich behandelt und existirt nur durch die
Unterstützung des deutschen Elementes. Es mag interessant sein, das Leben und Streben
in dieser Gesellschaft kurz zu beschreiben. Obwohl unsera nachgebildet, bietet sie dennoch
manche wichtige Verschiedenheit. Nach Vorweisung von Präparaten, nach kurzem Re¬
ferat über interessante Operationen oder Beobachtungen wird eine Arbeit verlesen, woran
sich eine allgemein benützte, meist sehr interessante Besprechung anschliesst, welche durch
zwei leaders of discussion (Discussionsanfübrer) eingeleitet wird. Diese allgemeine Dis-
cussion wird dadurch ermöglicht, dass meist Themata von allgemeinem practischem Interesse
gewählt werden, und dadurch, dass überhaupt Jeder nach Kräften sein Scherflein bei¬
steuert. Hat einer nichts Epochemachendes entdeckt, so hat er doch vielleicht aus einigen
genauen Beobachtungen Schlüsse gezogen, welche er nun der Prüfung unterbreitet.
Stimmt das Resultat mit demjenigen des Vortragenden überein, so verleiht er der Ueber-
einstimmung verbindlichen Ausdruck; ist das Gegentheil der Fall, so wird in gewandter
sachlicher Weise opponirt, und nie habe ich im Verlaufe solcher Discussionen persönliche
Verstimmungen beobachtet. Jedes Mitglied wurde früher vom Comitö zur Mithülfe ver¬
bindlich aufgefordert. Die Themata sind für ein ganzes Jahr zum Voraus bekannt, wo¬
durch Jedem Gelegenheit gegeben wird, sich auf die Discussion vorzubereiten. Ich stehe
nicht an, in solcher allgemeiner Discussion ein Hauptmoment für das fhichtbringende Ver-
ständniss eines Vortrages und im Allgemeinen für die gewünschte Anregung solcher Zu¬
sammenkünfte zu erkennen.
Neben diesem allgemeinen ärztlichen Verein wurde zu meiner Zeit eine neue Gesell¬
schaft, die „J. surgical society" mit beschränkter Mitgliederzahl gegründet, in welcher
specifisch chirurgische Themata in kleinerm Kreise besprochen wurden.
Hier ist es auch am Platze, Einiges über die Fachlitteratur zu sagen. Wo das
Zeitnngs wesen zu solcher Entwicklung gelangt ist wie in Amerika, darf es auch nicht
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wandern, wenn die medicinischen Blätter sehr zahlreich sind. Im Ganzen wird jedenfalls
aach viel zu riel geschrieben. Ein Urtheil über den Werth der Publicationen abzugeben,
liegt mir ferne; eines fällt aber sogleich auf: Weniger theoretische wissenschaftliche For¬
schung, mehr practische Belehrung und Anregung. Neben den amerikanischen Zeitschriften
werden die deutschen und englischen viel gelesen und freut es mich hier mittheilen zu
können, dass auch das Corresp.-Bl. f. Schw. Aerzte manchen warmen Verehrer hat.
(Schluss folgt.)
Schweiz.
Selaweis« ITiilwersltiUen. Frequenz der medicinischen Facultäten
im Wintersemester 1893/94. Aus dem Aus andern
Canton
Cantonen
Ausländer
Summa
Total
M.
W.
M.
W.
M.
W.
M.
W.
Basel
Winter
1893/94
46
2
90
1
21
—
157
3
160^)
Sommer
1893
48
1
84
—
19
—
151
1
152
Winter
1892/93
48
1
86
—
23
—
157
1
158
Sommer
1892
47
1
80
—
18
—
145
1
146
Bern
Winter
1893/94
78
2
69
1
25
40
172
43
215
Sommer
1893
76
—
75
1
27
45
178
46
224
Winter
1892/93
77
—
84
2
27
57
188
59
247
Sommer
1892
64
—
77
1
23
62
164
63
227
Genf '
Winter
1893/94
35
2
74
—
64
65
178
67
240*)
Sommer
1893
30
2
64
—
78
50
172
52
224
Winter
1892/93
32
2
69
—
83
62
184
64
248
Sommer
1892
26
1
71
—
88
47
185
48
233
Lanssnne Winter
1893/94
31
—
39
—
13
21
83
21
104*)
Sommer
1893
25
—
33
—
20
7
78
7
85
Winter
1892/93
28
—
40
—
16
11
84
11
95
Sommer
1892
26
—
41
—
13
1
80
1
81
Zttrieh
Winter
1893/94
52
1
118
2
46
71
216
74
290")
Sommer
1893
53
2
121
2
55
64
229
68
297
Winter
1892/93
57
2
105
2
49
60
211
64
275
Sommer
1892
60
5
103
1
59
38
222
44
266
Total der Medicinstudirenden in der Schweiz im Wintersemester 1893/94 = 1009
davon 643 Schweizer (1892/93 = 1023, davon 635 Schweizer). Ausserdem zahlt
^) Basel; 5 Auditoren; ^ Genf: 9 Auditoren (1 weibliche) und 24 Schüler (1 weibliche)
und 2 Auditoren der zahnärztlichen Schule; ^ Lausanne: 1 Auditor; ^) Zürich: 23
Auditoren (4 weibliche).
— Genf: Prof. M. Schiff, der berühmte Physiologe, beging am 24. Januar sein
fünfzigjähriges Doctorjubiläum. Der Jubilar wurde in der Aula der
Universität in grossartiger Kundgebung gefeiert. Den zahlreichen Gratulanten schliesst
sich mit Wärme auch das Corresp.-Blatt an.
— Die Aerzte, welche in nächster Zeit Genf besuchen, sollten es nicht versäumen,
die laut Revue mödicale hochinteressante historische AasstoÜMg phamaccitisehea
Prcdaktoi Hd Gcgcastiadea des Herrn B, Eeber sich anzusehen. (Geöffnet täglich
von 1—4 Uhr bis zum 25. Februar im Gebäude der Uhrmacherschale.)
— Das Biraeastorfer-Bitterwasser erhielt auch in Chicago (VH. internationaler
pharmaceutischer Congress) wieder die goldene Medaille. Es ist unbegreiflich, dass
wir jahraus, jahrein für ungezählte Tausende ausländische Bitterwässer bei uns einführen.
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94
Dichtes Gewebe.
während das eigene Land ein Product liefert, dessen Vorzüglichkeit das Ausland bei
jeder Gelegenheit hervorhebt. Wir schweizerischen Aerzte sollten in Zukunft — dieser
Thatsache eingedenk — das „naheliegende Gute^ mehr als bisher verwenden und nicht
immer wieder, aus alter Gepflogenheit, die thenrern fremden Wässer verschreiben«
— Dirchlissif GMalstrlmpfe. Es gibt Leute, welche bei der ge¬
ringsten Anstrengung oder bei etwas hoher Temperatur, z. B. im Sommer, unter den
Gummistrümpfen gewöhnlicher Webeart in Schweiss gerathen, weil das gewöhnliche Ge¬
webe nahezu undurchlässig ist. Dadurch wird die Haut unter dem
Strumpf wie gesotten und der Patient erhält durch den nassen
Strumpf das Gefühl der Kälte. Nasse Gummistrümpfe trocknen ver¬
möge ihres dicken, undurchlässigen Gewebes bei gewöhnlicher Tem¬
peratur sehr langsam. Trocknet man sie aber z. B. am warmen
Ofen, BO ziehen sie sich zusammen, werden enger und leiden auch
sonst Schaden.
Diesen Uebelständen beugt das durchlässige Gewebe vor, wie
Durchlässiges Gewebe, es von der Gummi-Wirkerei Hofmann in Elgg (Zü¬
rich) hergestellt wird. Die Durchlässigkeit wird erreicht, indem die
Gummifaden nicht so hart neben einander liegen wie beim gewöhn¬
lichen Gewebe. Es wird also bei dieser neuen Webeart von einem
Faden zum andern ein kleiner Zwischenraum gelassen, der die Durch¬
lässigkeit bewirkt Nebenstehende Abbildungen veranschaulichen den
Unterschied der beiden Gewebearten. Ich habe diese durchlässigen
Gummistrümpfe wiederholt verordnet und bin damit nach jeder Rich¬
tung so sehr zufrieden, dass ich sie mit gutem Gewissen empfehlen kann. Sie werden
nur nach Maas angefertigt, sind aber trotzdem nicht wesentlich theurer als die gewöhn¬
lichen, im Handel vorkommenden dicht gewobenen Gummistrümpfe. Be8tell-(Post-)Karten
mit Massfigur und Anleitung zum Massnahmen können vom Fabrikanten gratis bezogen
werden« J. Hartmmn,
Ausland.
— Der für April 1894 in München vorausgesehene XIII. Coigfress fir Inere Hedlda
soll mit Rücksicht auf den vom 29. März bis 5. April 1894 tagenden internationalen
Congress in Rom in diesem Jahre ausfallen und auf die Osterferien 1895 verlegt werden.
— Bpilepsia tarda. Wenn auch die Epilepsie zu den Krankheiten gehört, welche
weitaus in der Mehrzahl der Fälle in den ersten Deoennien des Lebens ihren Anfang
nehmen, so sind doch die Fälle durchaus nicht selten, in welchen die ersten Anfälle der
Krankheit erst im reifen oder sogar im vorgerücktem Alter auftreten. Der Zeitpunkt,
wann die auftretende Epilepsie als eine tarda bezeichnet werden soll, ist allerdings ein
willkürlicher; während Charcot und seine Schüler alle nach dem 30. Lebensjahre vor¬
kommenden Fälle als Spätformen bezeichnen, will Mendel die Grenze erst nach vollendetem
vierzigsten Jahre ziehen. Dennoch konnte er unter 904 Fällen 53, d. h. 5,8^/o Beobach¬
tungen sammeln, bei welchen der erste epileptische Anfall nach dem 40. Lebensjahre auf¬
trat. Nach der Mendelhehsn. Statistik scheint das männliche Geschlecht öfter von Epilepsia
tarda befallen zu werden (38 Fälle) als das weibliche (18 Fälle), während andere Autoren
der entgegengesetzten Ansicht sind. Besonders interessant ist die Frage der hereditären
Anlage. Einige Autoren bezeichnen diesen Factor als kaum in Betracht kommend, wäh¬
rend Mendel in etwa V« seiner Beobachtungen eine hereditäre Anlage bestimmt nach-
weisen konnte. In einem Falle, in dem eine 41jährige Frau epileptisch wurde, litt die
Matter an circularer Psychose, in einem anderen Falle einer 52jährigen Frau litten ein
Bruder und ein Sohn an Epilepsie, ein im 52. Jahre epileptisch gewordener Mann hatte
einen epileptischen Onkel, etc. Was die direct veranlassenden Ursachen anbetrifft, so
hatte Mendel Gelegenheit einen Fall zu beobachten, bei welchem der so oft angegebene,
aber ebenso schwer als veranlassendes Moment sicher nachzuweisende Schreck, unmittelbar
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Yon einem epileptischen Anfall gefolgt wnrde. Es handelte sich um einen 41 Jahre alten
Maschinisten auf einem Dampfer, der durch einen unmittelbar bevorstehenden Zusammen-
stoss mit einem andern Dampfer einen heftigen Schreck erlitt und eine Viertelstunde
danach zwei typische epileptische Anfälle bekam. Nach einem Jahre trat der dritte und
in den folgenden drei Jahren je ein Anfall auf. Irgend ein anderes ätiologisches Moment
fehlte hier, auch hereditäre Belastung war nicht nachzuweisen. In anderen Fällen Hess
sich das Ausbrechen der Erkrankung auf traumatische Momente, in zweien speciell auf
chirurgische Eingriffe in Obren und Nase zuriiokfähren. Einen besondern Einfluss der
Schwangerschaft und des Puerperiums konnte Mendel auf die Entwickelung der Epilepsia
tarda nicht erkennen. Die nacbtbeilige Wirkung dieser Factoren besteht aber nicht desto
weniger und ist bei vorhandener Disposition häuflg bei jüngeren Individuen erkennbar.
Ans diesem Grunde schliesst sich Mendel dem Schlüsse Nerlinger's vollständig an, dass
es „unberechtigt und höchst verantwortungsvoll ist, der epileptischen Frau zur Heirath
zu rathen, geschweige denn, ihr Aussicht zu machen, auf Heilung ihrer Krankheit durch
eine Schwangerschaft.^ Was den Verlauf der Epilepsia tarda anbetrifft, so ist er im All¬
gemeinen ein milderer und verhältnissmäasig selten so progredienter wie bei den meisten
Fällen der jugendlicheu Epilepsie. Besonders scheint die Psyche bei Epilepsia tarda auch
nach längerem Bestehen derselben weniger zu leiden, als bei der im jugendlichen Alter
aufgetreten; Lehrer, Beamte, Kaufleute mit Epilepsia tarda konnten trotz öfter wieder¬
kehrender Anfälle ihren Beruf weiter ohne Störung ausfullen.
(Deutsch, med. Wochenschr. Nr. 46, 1893.)
— lieber Vaeelne. Trotz zahlreicher Versuche ist es bis dato den Bacteriologen
nicht gelungen, den Vaccinekeim zu isoliren und auf künstlichem Nährboden zu züchten.
Die verschiedenen als für die Vaccine specifisch beschriebenen Gebilde haben sich alle
als Verunreinigungen erwiesen und mit keinem ist es gelungen, auf mehrere Generationen
hinaus sicher Vaccine hervorzurufen. In einer jüngst in der Gesellschaft der Charitö-Aerzte
gemachten Mittheilung berichtete Buttersack über die Resultate einer im kaiserlichen
Gesundheitsamte ausgefiihrten Versuchsreihe zur Erforschung des Wesens des Vaccine-
processes. Dass der Vaccinekeim im Pustelinhalt zu suchen ist, ist allgemein anerkannt.
Die Lymphe ist aber im frischen Zustande vollkommen klar, was nicht der Fall sein
würde, wenn darin Microorganismen von genügender Grösse und von einem der Lymphe
verschiedenen Brechungsexponenten enthalten wären. Keime mit auch nur einem ähnlich
grossen Lichtbrechungsexponenten könnten in grosser Zahl in der Lymphe enthalten, aber
für uns nicht wahrnehmbar sein, so lange es nicht gelungen ist, dieselben entweder zn
färben oder künstlich zu isoliren. Da die fraglichen Gebilde scheinbar gar nicht oder
nur sehr schwer färbbar sind, bettete Buüersack seine Präparate zur Untersuchung in
Luft, d. h. in ein Medium mit schwachem Brechungsexponenten ein. Mit Hülfe dieser
Methode hatte schon früher Koch ungefärbte Geissein erkannt. B. untersuchte zunächst
einige frisch geimpfte Kinder. In seinen Präparaten fand er constant ausgedehnte Netz¬
werke aus blassen Fäden. Die Fäden hatten überall die gleiche Breite, Hessen sich über
weite Strecken verfolgen und enthielten in manchen Präparaten sehr zahlreiche ganz
kleine, blasse, immer gleich grosse, theilweise in Ketten angeordnete Körperchen.
Ein Vergleich mit dem klinischen Verlauf der Pustel lehrte bald, dass die Fäden
in der wachsenden und vollentwickelten, die Körperchen in der in Rückbildung begriffenen
Pustel vorwiegend vorhanden waren. Aus verschiedenen Impfanslalten wurden Trocken¬
präparate sowie Dauerlymphe von Kälbervaccinen untersucht, und immer fanden sich die
erwähnten Körperchen in der Dauerlymphe, während die aus frischer Lymphe hergestellten
Deckglaspräparate durchweg Fäden enthielten. Ausgedehnte Untersuchungen auf 100
Kinder, sowie Impfversuche nnd Ueberimpfungen auf Kälber ergaben constant die gleichen
Gebilde, so dass Verf. in denselben ein Characteristicum der Vaccinepusteln sehen will.
Dass es sich dabei nicht um Fibrinfäden handelte, überzeugte sich Verf. durch einen
Vergleich im Verhalten gegenüber den üblichen Fibrinreagentien. Ferner fehlten dieselben
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constant bei allen anderen untersuchten Pusteln : Acnepusteln, Brandblasen, Exsudaten,
Transsudaten und in aus normaler Haut Giessender Lymphe; dagegen fand er dieselben
in verschiedenen Pockenfallen und zwar in frischen Fällen die Fäden, in weiter vorge¬
schrittenen die Sporen. Auf Kälber überimpft, lieferte das Yariolamaterial dieselben In¬
filtrationen mit denselben Fäden, wie die gewöhnliche Lymphe.
(Deutsch, med. Wochenschr. Nr. 51, 1893.)
— Neriaa Oleander ein Herztonicum. Die Oleander-Präparate wurden schon in
den fünfziger Jahren besonders von französischen Forschern als wirksame Herzmittel em¬
pfohlen. Im Jahre 1885 isolirte Schmiedeberg aus dem Nerium Oleander zwei Glycoside,
das Neriin und das Oleandrin, welche in chemischer sowie in pharmacologischer Hinsicht mit
den wirksamen Digitalisglycosiden die grösste Aehnlichkeit zeigten. Eine eingehendere
pharmacologische Prüfung dieser Präparate wurde jedoch bis zum heutigen Tage unter¬
lassen und dieselben haben auch keinen Eingang in der Praxis gefunden. Neuerdings
untersuchte v, Oefele die Wirkung der Blätter, der Rinde und der Früchte des Nerium
Oleander auf den Ereislanfapparat. Die Wirkung ist eine prompte und nachhaltige; der
Puls wird langsamer, kräftiger und regelmässiger. Die Respirationsfreqnenz nimmt ab,
die Diurese zu, bei gleichzeitiger Beförderung des Stuhlganges. Die peristaltikerregende
Wirkung des Oleanders ist eine Contraindication zu seiner Anwendung bei bestehendem
Erbrechen und Durchfallen. Als grosse Dose gibt v. Oefele Dosen an, die etwa 0,5 der
Rohdrogue entsprechen, wie z. B. 5 gr. der Merck'schen Tinctur je ein bis zwei Tage
zu nehmen. Mb kleine Dose rechnet er 0,05 — 0,1 der Rohdrogue. Nach ihm sind
folgende Formeln zur Receptur empfehlenswerth:
Rp. Tr. Nerii Oleandri Merck 10,0, Aq. Lauro cer. 1,0; zwei- bis dreimal täglich
20 Tropfen in einem Elsslöffel voll Zuckerwasser.
Rp. Pulv. fol. Nerii Oleandri 1,0, Pulv. flor. Sambuc. 1,0, Succ. Juniper. inspiss,
q. s. ad pilul. No. XXX, D. 8. tgl. 3—5 Pillen.
Rp. Fruct. Nerii Oleandr. exsiccat. conc. 1,0, Stipit. Spartii Scoparii 5,0, Aq.
fervid. 100,0, Macer. per hör. dimid., cola, filtra, adde Aq. Menth, pip. 10,0. M. D. S.
Stündlich ein Esslöffel. (Deutsch, med. Wochenschr. Nr. 45, 1893.)
— Terpentia gefon Diphtherie ist vielfach empfohlen und von zuverlässiger Seite
in seiner Wirkung sehr gerühmt. Allein der unangenehme Geschmack des Terpentinöls
erschwert seine Anwendung; die Verabreichung in Kapseln aber, die sich erst im Magen
lösen, widerspricht der Forderung, dass das Präparat in unmittelbare Berührung mit den
erkrankten Geweben des Rachens kommen soll. Generalarzt Fröhlich empfiehlt nun in
Nr. 51 der Münchner med. Wochenschrift eine Darreichungsform, welche bei der Ein¬
führung in den Mund keinen andern Geschmack zeigt, als den eines Zuckerplätzchens.
Die 5 Tropfen Ol. tereb. enthaltenden mit leicht löslicher Zuckerhülle gebildeten Kapseln
öffnen sich beim Lutschen an dem Gaumen oder während der Schluckpressung und er-
giessen ihren Inhalt an die gewünschte Stelle, wo der Geschmack dann nicht mehr so
unangenehm berührt, wie auf der Zunge. — Dr. Fröhlich empfiehlt als Yorbengungs-
mittel im Hausgebrauche 3stündlich eine Kapsel nehmen zu lassen. — Bei Erkrankten
sind 25 Kapseln täglich (5 gr. Ol. tereb.) das erlaubte Maass. Zu beziehen sind die
Kapseln (Schachteln zu 24 Stück ä 75, zu 12 ä 40 Pfg.) durch Vermittlung der Apo¬
theken bei dem Erfinder, Herr Bücking, Conditor in Plauen.
Brlerkasten.
Besucher des Congresses in Rom: Die Firma Th. Cook & Son ist durch das Centralcomitd des
Congresses beauftr^t, sich der Beschaffung von Unterkunft für die Congressbesucher zu unterziehen
und Ausflüge um Kom, nach Neapel und Sicilien zu reducirten Preisen zu veranstalten. Wer noch
nicht weise, wo er sein Haupt hinlegen soll, wende sich also an obige Firma. (Filiale in Luzern.)
Verschiedene Correspondenten: Bitte um Geduld. Krankheitshalber blieb in den letzten 14
Tagen Manches unerledigt. E, H,
Scbweighauserische Buchdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
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COREESPONDENZ-BLATT
Erscheint am 1. nnd 15.
jedes Monats.
Inserate
35 Cts. die gesp. Fetiizeile.
fQr Preis des Jahrgangs
Fr. 12. — für die Schweiz,
Fr. 14.50 für das Ansland.
* Alle Fostbnreanx nehmen
Bestellungen entgegen.
Herausgegeben von -
Schweizer Aerzte
I>i*. Ej. Hafftex* and T>r. A.. Ja-quet
in Frauenfeld. in Basel.
N! 4. XXIV. Jahrg. 1894. 15. Februar.
lahAltt 1) OrlflBalarbAlten: Dr. Dr, Hotek: Zur Lehre tod der SehDerreBkrenznog heiBi MeBtekeB. — Prot Dr.
Tmü: Beiinc lar Sennatbermtl* TeUnne. — 2) Verei neberiehke: Oeselleeheft der Aerste in Zfirieh. — Medicinieehe
QtfelltcbBfl der SUdt Baeel. — 8) Befernte and KrülkeB: Dr. W. Mariig: Beitrige inr Chirurgie der OnUenwege. ~ •
5. HBBtBBomslieB bei innem KmnkheiteB. ~ Paul Uifart: La pntiqne gjDdeolo^qne et obetmenle dee höpitenz de
Pnrii. — Dr. A. Kükntn Die habituelle Obetipation. — Prof. Dr. A. «om Winiuanir: Die ohirargiaehoB KrankhelteB der Haut.
» 4)CanteBale Correapond enzent Xedidniachea aua Anerika. ^ehluaa.) — 5) Woeh an be r ich t: Baael: Berufung
TOB Dr. K B u mm ala Profeaaor. — Baael: Einweihung dea hrgienfachen Inatitutea. -> Pedometriaehe Meaaungen. — XI. internat.
ned. Congreaa in Born. — Prof. BtUrofAf. —Prof. Frankiahä%uar — Prof. Dr. Äug, Hineh f. ^ XIIL Congreaa fhr innere Me.
Sida. — 19. VeraaaiBilnng dea deutachen Vereina fhr öffanil. Geanndheitapfloffe. — Jahreeeongreaa der InroB* und NerrenArate
ftraasda. ZuBge. — lAhnung Bach Aetherinjeetionen. — BromAUiyltodoofbll. — Aethertodeafhll. — Pathologie dea Mnakel-
rhanmatiaBoa. — Zeraetinng dea Ohloroforraa. -- Verbreitung der anateokenden Krankheiten in AuatraHen. — Magenana*
waaehuBgen gegenhartniekigeB Singultua. — Chareot-Denkmal. — 6)Hfilfakaaae ffir Soh weiter Aerate. — 7) Biblio-
graphiaehea.
Origfixial - A.z*l>eiteit.
Zur Lehre von der Sehnervenkreuzung beim Menschen.
Von Dr. Fr. Hasch.
In der von Prof. Michel in Wfirzburg für das QerhardPatAie Handbach der
Kinderkrankheiten bearbeiteten zweiten Abtheilung der .Krankheiten des Auges im
Kindesaiter* (1889) lesen wir auf Seite 495:
.Wie für das Thier, so erachte ich auch für den Menschen eine volbtandige
Krenznng der Sehneryenfasem im Chissma als anatomisch nachgewiesen, wobei aber das
Verhalten des Chiasma nnd des entgegengesetzten Tractns nach Enucleation eines Auges
beim neugebornen Thiere nicht znr Entscheidung der Frage verwerthet werden kann, ob
im Chiasma eine ToUständige oder unvollständige Kreuzung stattfindet Erst der gleiche
operative Eingriff beim erwachsenen Thiere oder eine lange bestehende einseitige Phthisis
bnlbi heim Menschen zeigt, dass die Erscheinungen der anfeteigenden Atrophie oder
Degeneration dnrch das Chiasma hindnrch nur in den entgegengesetzten Tractns sich
geltend machen, was eine vollständige Kreuzung im Chiasma voraussetzt.“
Man kfinnte leicht versucht sein zu glauben, dass diese so apodiktisch hinge*
stellten Sätze den Standpunct der Mehrzahl der Anatomen und Pathologen kenn¬
zeichnen sollen, während doch in Wirklichkeit Michd hente so ziemlich isolirt mit
seiner Auffassung dasteht
Es schien mir daher am Platze, auch für weitere Kreise die Auffassung der
Gegner einmal zur Sprache zu bringen und einige neue fdr dieselbe sprechende
Thatsachen vorzuffihren.
Vorher müge mir jedoch gestattet sein, an einige Uauptdaten ans der so sehr
interessanten Geschichte des zuweilen vielleicht mit etwa allzu grosser Animosität
geführten Streites zu erinnern.
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Vor Galen glaubte man, dass beim Menschen die beiden Sehnerven sich im
Chiasma vollständig kreuzen, ohne dass wir jedoch genauere Andeutungen besitzen,
wie man sich diese Kreuzung dachte.
Galen, Vesal, Varolius, Santorini u. A. nehmen, gestutzt auf einzelne Beob¬
achtungen, an, dass die Sehnerven im Chiasma sich einfach ohne Kreuzung an einander
legen, indem die Fasern des rechten Tractus zum rechten, die des linken Tractus
zum linken Auge verlaufen.
Eine dritte Erklärung des Faserverlaufs im Chiasma wurde vertreten durch
Caldani, Ackermann, Michaelis, Wenzel, Weher u. A., die eine nur theilweise
Kreuzung der Sehnerven des Menschen u. zw. der inneren Bändel beobachtet haben
wollten, während die äusseren Bändel jedes Tractus zum Auge derselben Seite verlaufen
sollten. Auch der englische Physiker Wollaslon (1824), der selbst an vorübergehender
Gesichtsfeldbeschränkung litt, trug viel zur Begründung dieser Lehre von der ,Semi-
decussation* der Sehnerven bei.
Eine durchgreifende Bedeutung gewann dieselbe jedoch erst mit Joh. Midier
(1826), welcher sie zur Erklärung der Identität der Netzhaut zu verwerthen suchte.
Nach seiner Ansicht sollte jede Tractusfaser im Chiasma sich in zwei Fasern theilen,
von denen die eine nach dem rechten, die andere nach dem linken Auge gehen sollte,
u. zw. in der Weise, dass sie auf correspondirende Netzhautstellen, also z. B. auf die
Nasenseite des einen und auf die Schläfenseite des andern Auges treten sollten.
Bald jedoch, nachdem schon Treviranus (1835) und Volkmann (1836) die ün-
haltbarkeit dieser Theorie erkannt und sich für eine thmlweise Kreuzung, d. b. eine
Kreuzung der innern Faserbändel des einen mit denen des andern Tractus ausge¬
sprochen hatten, trat auch J. Müller (1837) dieser Auffassung bei.
Diese Theorie von der Semidecussation der Sehnerven im Chiasma, nach welcher
nur die inneren Bändel beider Tractus sich kreuzen, das rechte also zum
linken, das linke zum rechten Auge geht, während die äussern Bündel ungekreuzt
zum gleichnamigen Auge verlaufen, blieb bis in die neueste Zeit die massgebende und
allgemein anerkannte Lehre, namentlich als anch A. v. Gräfe auf Grnnd klinischer
Erfahrungen rückhaltlos derselben beigetreten war.
Dem gegenüber fanden denn auch die gegentheiligen Angaben von Biesiadichi,
welcher 1861 für das Chiasma aller Wirbelthiere mit Einschluss des Menschen die
totale Decussation behauptete, und trotzdem im Jahre 1871 auch Broum-SSquard auf
Grund zahlreicher Durchschneidungen des Chiasma sich dieser Ansicht anschloss,
wenig Beachtung, bis 1873 Mandelstamm und Michel, gleichzeitig und unabhängig
von einander, auf anatomische Untersuchungen, ersterer auch auf an Kaninchen vor¬
genommene Versuche gestützt, wiederum die totale Kreuzung vertheidigten. Zn dem¬
selben Resultate gelangte im Jahre 1874 auch Scheel auf Grnnd vieler über sämmt-
liche Wirbelthierklassen sich erstreckender anatomischer Untersuchungen.
Dem widersprechen indessen für den Menschen und die hohem Sängethiere direct
die Ergebnisse von Gudden (1874, 1875 und 1879). Während dieser Forscher fand,
dass bei allen andern Thierklassen und auch bei den niedern Sängethieren, deren Ge¬
sichtsfelder getrennt sind, die Sehnerven sich vollständig kreuzen, kam er für die
hühern Sängethiere (Hund, Affe) und den Menschen, deren Gesichtsfelder sich theil-
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99
weise decken, zu dem Schlüsse, dass die Kreuzung eine unvollständige sei. Dieses
Ergebniss wurde bekanntlich sowohl auf anatomischem Wege durch Anfertigung einer
lückenlosen Beihe von Schnitten mittelst des Mikrotom als auch namentlich in sehr
eleganter Weise auf experimentellem Wege erzielt.
Diese v. Guddm'achen Versuche wurden seither von einer grossen Anzahl von
Forschern, z. Th. mit neuen Methoden, wiederholt und führten meist zu gleichen oder
wenigstens nur in Nebendingen abweichenden Resultaten. So schien denn die Hauptthese
jenes Forschers sicher gestellt und allgemein adoptirt, als im Jahre 1887 Michel in
einer glänzend ansgestatteten, reich illustrirten Monographie „über Sehnerven-Degene-
ration und Sebnerven-Krenzung* seinen frühem Standpunkt von der totalen Kreuzung
der Sehnervenfasern, auch für den Menschen, mit neuer Kraft und neuen Mitteln zu
vertheidigen suchte.
So viel über die Geschichte der Frage. Uns interessirt zunächst, wie sich die
Sache wohl beim Menschen verhält, ob wir mit einiger Sicherheit oder doch Wahr¬
scheinlichkeit für den Menschen eine theilweise oder vollständige Durchkreuzung der
Sehnervenfasern im Ghiasma annehmon müssen.
Von der normalen Anatomie dürfen wir keine entscheidende Antwort erwarten.
Die einzelnen Fasern sind ausserordentlich zart und beschreiben zudem in ihrem
Verlauf allerlei Krümmungen, so dass es kaum müglich ist, sie auf ebenen Durch¬
schnitten mit hinlänglicher Sicherheit zu verfolgen. Auch der Weg, welchen Nicati
eingeschlagen hat, war nicht ganz von dem erwünschten Erfolge begleitet. Zwar er¬
gaben ihm vergleichende Messungen von sagittalen und transversalen (vertical von
rechts nach links durch die Gbiasmamitte hindurch geführten) Querschnitten des ge¬
härteten Ghiasma das Verhältniss von 1:3. Und doch glaubt Nicati selbst trotz
dieses so auffallenden Unterschiedes nicht unmittelbar den Schluss ziehen zu dürfen, dass
auf dem Sagittalschnitt weniger Fasern getroffen würden wie auf dem transversalen,
dass also uogekrenzte Fasern vorhanden sein müssen. Es ist dabei eben zu bedenken,
dass der sagittale Schnitt die Nervenfasern ziemlich genau senkrecht trifft, während
sie auf dem Transversalschnitt sehr schief geschnitten werden. Ebenso wenig scheint
mir die von Bemheimer angewandte, recht originelle Methode geeignet, die Gegner
der Lehre von der Partialkreuzung zu überzeugen. B. studirte an menschlichen Em¬
bryonen verschiedenen Alters die Entwicklung der Nervenfasern im Ghiasma und fand
die ersten Spuren der Markscheidenbildung in der 30. Schwangerschaftswoche. Doch
gelang es ihm nie in solchen oder noch reifem Ghiasmen eine Markfaser in ihrem
ganzen Verlaufe weder von dem Tractns in den gleichseitigen, noch in den gegen¬
überliegenden Sehnerven zu verfolgen.
Da nun auch das Experiment hier nicht statthaft ist, so ruht eben unsere ganze
Hoffnung auf den klinischen Beobachtungen, die gewissermassen als Experimente zu
betrachten sind, welche die Natur selbst am Menschen vernimmt, und dann vor allen
Dingen auf der pathologischen Anatomie.
Von grosser Bedeutung in dieser Hinsicht sind zunächst die Fälle von Hemianopsie,
bei welchen in Folge von Leitungsunterbrechung der centralen Sehuervenfaserung auf
einer Seite nicht etwa Blindheit des der Läsion entgegengesetzten Auges eintritt, sondern
ein Ausfall der dem verletzten Tractus (resp. dessen centralen Ausstrahlungen) ungleich-
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namigen Gesichtsfeldhälften beider Augen. Diese Thatsache an sich dentet schon mit
fast zwingender Gewalt darauf hin, dass ans jedem Sehnerven Fasern in beide Tractus
übertreten, dass also im Cbiasma eine partielle Kreuzung derselben statthaben muss.
Dem entg^en meint jedoch Michd, dass die Hemianopsie mit der anatomischen Frage
einer unvollständigen oder vollständigen Kreuzung der Sehnerven im Cbiasma gar
nichts zu thun habe. ,Die gleichseitige Hemianopsie aus centralen Ursachen ist eine
physiologische Forderung, welche sich aus der Kreuzung der motorischen und sensiblen
Bahnen für die KOrperhälften im Gehirn ergibt und sonach als die centrale Hemi¬
plegie oder Hemianästhesie beider Augen zu betrachten ist.*
Diesem Einwand lässt sich am einfachsten begegnen, wenn es möglich ist, die
von der lädirten Stelle ausgehende Atrophie der Nervenfasern durch das Cbiasma
hindurch in die beiden Optici zu verfolgen. Es muss ja wohl, wenn die Hemianopsie
lange genug besteht, eine ununterbrochene, centrifugal fortschreitende Atrophie sich
ausbilden, die, sobald sie bis zum Auge vorgedrungen ist, dort mit Hülfe des Augen¬
spiegels zu constatiren sein wird.
Nun sind aber solche ophthalmoscopiscbe Befunde von secundärer Atrophie an
der Sehnervenpapilie noch sehr selten gemacht worden, offenbar weil es recht langer
Zeit bedarf, bis dieselbe soweit vorgedmngen ist. Aus den Untersuchungen von
V. Monakow (Corr. f. S. A. 1888 p. 348) geht sogar hervor, dass nach Zerstörung
der Rinde eines Hinterhanptlappens — ziemlich häufiger Ausgangspunkt für Hemianopsie
— die deutlich sichtbare Atrophie auf den zugehörigen Stabkranztbeil und die Gang¬
lienzellen der gleichseitigen drei primären Opticusganglien sich beschränkt und nicht
weiter in die Peripherie sich verfolgen lässt. Diese Enttäuschung ist mir erst noch in
allerletzter Zeit zu Theil geworden bei einer rechtseitigen Hemianopsie, welche im
Jahre 1885 nach einer Apoplexie aufgetreten war. Die Gesichtsfelder blieben sich,
wie wiederholt constatirt wurde, seither gleich. Am 4. Febr. v. J. starb Pat., 78
Jahre alt, in Folge einer Himembolie. Als Ursache für die Hemianopsie ergab sich
ein alter cystoider Erweichungsherd im linken Occipitallappen. Das mir gütigst von
Herrn Prof. Bofh zur Verfügung gestellte Cbiasma wurde nach Mareki behandelt,
zeigte jedoch ebensowenig wie die anhaftenden Stückchen der Tractus und Optici
irgend welche Spuren von Degeneration.
Nor ganz ausnahmsweise kommt es nachträglich doch noch zu sichtbaren Ver¬
änderungen am Tractus, Ghiasma und Sehnerv. Enies meint, dass es sich io diesen
seltnen Fällen um ein Weiterkriechen eines degenerativen entzündlichen Processes
bandle, der nach Zerstörung der Ganglienzellen auch die Sehnervenfaserendnetze in
den primären Opticnsganglien ergreift und dann auch zur Entartung der Tractus- und
Sehnervenfasern, weiterhin zu der der Ganglien der Netzhaut führt.
Eher wird man dazu kommen, eine Atrophie des Sehnerven und der Papille
nachzuweisen, wenn die Dmcknrsacbe, welche die Hemianopsie hervorgemfen hat,
weiter nach vorn, besonders wenn sie in der Nähe des Ghiasma sitzt. Aber auch in
diesen Fällen wird es ja oft genug geschehen, dass die Kranken sterben, ehe es zu
intraorbitalen oder intraocularen Veränderungen gekommen ist Andrerseits mag daran
auch Schuld sein, dass ein solcher Patient wohl noch lange Zeit am Leben bleibt,
aber später nicht mehr mit dem Augenspiegel untersucht wird. Selbstverständlich
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liegt dann nach dem Tode auch kein Anlass vor, die Sehnerven einer genaueren ana*
tomischen Untersuchung zu unterziehen.
Nun finden sich in der Litteratnr aber doch einige Beobachtungen vor, bei welchen
die Atrophie wirklich mit Sicherheit über das Ghiasma hinaus in die Sehnerven ver¬
folgt werden konnte.
Einen derartigen Fall habe ich im Jahre 1878 beschrieben:
Bei einer nach Himapoplexie entstandenen linksseitigen Hemianopsie ergab nach
3 Jahren die Section rechts hinter dem Thalamus eine grosse, bis ins Unterhorn
reichende Höhle, die den grössten Theil des Hinterhauptlappens zerstört hatte. Der
rechte Tractus und Opticus waren dünner als der linke. Microscopiscb bestand auf
Querschnitten sowohl rechts als links unzweifelhafte Atrophie der centralen Bündel der
Sehnenren.
Leider standen damals die ausgezeichneten Methoden zur Färbung degenerirter
Nervenfasern {Weigert^ Fol, Marchi) noch nicht zu Gebote.
Sehr wichtig ist ferner eine Beobachtung von Siemerling (1888).
Es handelt sich um einen Fall von gummöser Erkrankung der Himbasis mit Be¬
theiligung des Ghiasma. Im Leben wurde beidseits Atrophie des Opticus constatirt; links
bestand totale Amaurose, rechts hochgradige Amblyopie und typische temporale Hemi¬
anopsie. Dem entsprechend zeigte sich der linke Tractus in seinem ganzen Verlauf bis
einschliesslich der corp. geniculata und des pulvinar umgewandelt in einen Tumor, welcher
weit auf die Umgebung übergegriifen hatte. Rechter Tractus, Ghiasma und beide Optici
waren zum Theil syphilitisch infiltrirt, und zwar auf der linken Seite stärker, zum Theil
atrophisch. — Für uns ist nun wichtig, dass sich im ganzen Verlaufe von der rechten
Papille an bis zur Ausstrahlung des rechten Tractus im corp. geniculatum ein zusam¬
menhängender, dem ungekreuzten Bündel entsprechender Nerrenfaserzug verfolgen Hess.
Am internationalen Ophthalmologencongress in Heidelberg (1888) machte Schmidt^
Rimpier folgende Mittheilung:
Im Jahre 1882 bekommt ein Mann einen Hieb ron 4 cm Länge auf den Schädel
und wird bewusstlos; als er wieder zu sich kam, bemerkte er eine linkseitige Hemianopsie
am rechten Auge (das linke war blind seit dem 9. Jahre durch Verletzung). Es traten
▼erschiedene Dimerscheinungen ein; auf der Ro^er’schen Klinik behandelt, wird ein Abs-
eesa entleert; der Pat. wird gesund und ohne Lähmung entlassen. Anfang 1887 traten
Erscheinungen von Phthisis auf; Pat. stirbt Ende 1887. — Die Hemianopsie war wieder¬
holt constatirt worden und vollständig gleich geblieben, wie sie Anfangs war; Sehschärfe
stets normal; ophthalmoscopische Veränderungen mit Sicherheit nicht nachzuweisen. —
Die Section des Gehirns (Prof. Marchand) ergab Zerstömng des rechten Hinterhaupt¬
lappens, entsprechend der Verletzung; sie liess nur den hintersten Theil frei. Gortical-
masse und Hiramasse waren in Narbengewebe yerwandelt, der Hinterhauptlappen ge¬
schrumpft. Die Untersuchung des Opticus durch Querschnitte ergab am for. optienm eine
atrophische Partie, die die untere Peripherie einnahm und sich mit sichelförmigen Enden
hoch in die nasale, weniger in die temporale Hälfte des Nerven erstreckte. Nach Ein¬
tritt der Arterie schob sich ein Keil gesunder Nervenmasse zwischen die temporale Seite
ein und verschob so die atrophischen Partien an die obere und untere Peripherie, wo sie
auch nasalwärts Übergriffen.
Auf einen letzten Fall, der als eigentliches „experimentnm crucis'^ darf ange¬
sehen werden, macht Wübrand aufmerksam. Weir^MitcheU (1889) erzählt folgende
Krankengeschichte:
Ein 45jähnger Mann batte seit etwa 5 Jahren über schwere Sehstörungen, Kopf¬
schmerzen, leichte Ermüdbarkeit und andere unbestimmte Cerebralbeschwerden geklagt« Die
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102
Untersuchung der Augen (durch Thomson) ergab normales Yerhalten der Augenmuskeln,
Iris etc., dann aber absolute Aneesthesie der nasalen Hälfte beider Netzhäute und Herab*
Setzung der noch vorhandenen Sehschärfe ^nf ’/in ohne Stauungspapille und mit nasaler
Papillenatrophie. Ohne wesentliche Aenderung — nur die Sehkraft nahm auf dem linken
4uge allmälig bis auf ^/so ab — trat plötzlich Coma und Tod ein. — Die Section er¬
gab neben hochgradigem Hydrocephalus externus eine citronengrosse Cyste, die die Sella
turcica zum Druckschwund gebracht und das Chiasma in der Medianlinie aus einander
gesprengt hatte, so dass jede Verbindung zwischen dem rechten und dem linken Tractus
opticus zerstört war. Jeder Tractus setzte sich nach vorne nur in seinem Antheil an
dem gleichseitigen Nervus opticus fort. Die gekreuzten Fasern zum entgegengesetzten
Sehnerven waren völlig geschwunden. Statt des Chiasma fanden sich also 2 dünne
atrophische Nervenbündel, welche direct vom Tractus erst nach vorn und aussen zum
Augapfel hin verliefen und die wie Tangenten den rundlichen Tumor an seinen Aussen-
flächen berührten. Die genauere Untersuchung stellte dann noch fest, dass der Tumor
durch ein Aneurysma gebildet war, das sich an einem abnormen Yerbindungsast, der
unter dem ursprünglichen Chiasma von einer zur andern Carotis interna verlaufen war,
ausgebildet hatte. — Die klinischen Symptome von Seiten des Sehorgans entsprachen,
also vollständig dem anatomischen Befunde, der einem Durchschneiden des Chiasma in
sagittaler Richtung zu vergleichen war.
Ob unter den massenhaften Mittheilnngen über Hemianopsie, die in der opbthal-
mologiscben Litteratur aufgespeichert sind, nicht noch weitere hieher passende Beob¬
achtungen zu finden wären, kann ich nicht sagen. Beim Durchgehen der verschiedenen
Jahrgänge unseres Jahresberichtes konnte ich wenigstens keine weitem entdecken.
Etwa übergangene Autoren mögen mich daher entschuldigen. Immerhin scheinen mir
die citirten Beobachtungen mit Nothwendigkeit darauf hinzudeuten, dass die Partial¬
kreuzung der Sehnervenfasern im Chiasma des Menschen nun eben einmal als eine
unerschütterliche Thatsache anzusehen ist.
Von grösster Wichtigkeit für die Frage der Total- oder Partialkreuzung im
menschlichen Chiasma sind dann noch alle jene Fälle, wo ein Auge zerstört oder er¬
blindet ist und das Leben noch längere Zeit angedauert hat. Wie bei Läsionen in
den centralen Partien eine descendirende Atrophie der Sehnerven eintritt, die, wie wir
gesehen haben, bis zum Auge fortschreiten kann, ebenso gibt die Zerstömng der
peripheren Opticus-Enden Anlass zu einer aufsteigenden Entartung, nur dass dieselbe
rascher und sicherer, im Allgemeinen um so rascher, je jünger das betreffende In¬
dividuum, über das Chiasma hinaus auf die Tractus übergreift. Diese ascendirende
Degeneration der Sehnerven beginnt mit einem Schwund der Markhülle der Nerven¬
fasern und führt allmälig zu einem vollständigen Untergang der Nervensubstanz, so
dass schliesslich nur noch das bindegewebige Gerüst der Nerven übrig bleibt.
Dank den von Weigert und PcU einerseits, von Marchi und Algeri andrerseits
in die microscopische Technik eingeführten Färbmethoden ist es uns nun möglich, alle
degenerirten Nervenfasern mit Sicherheit von den normalen zu sondern. Bei der
erstem wird bekanntlich die Markscheide der normalen Fasern intensiv blauschwarz
gefärbt, während die degenerirten ungeftrbt bleiben und eventuell durch irgend eine
Contrastfarbe nachträglich tingirt werden können. Umgekehrt bei der zweitgenannten
Methode, welche die normalen Fasern fast ungeförbt (blassbräunlich) lässt, während
die in Degeneration begriffenen durch zahlreiche, innerhalb der Markscheiden auf¬
tretende schwarze Tropfen deutlich sich abheben.
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—. 103
Es ist klar, dass mit Hülfe dieser Mittel jeweilen sicher sich wird entscheiden
lassen, oh eine durch Leitiingsunterbrechang oder Zerstörung des einen peripheren
optischen Endapparates hervorgerufene Atrophie sich nur in den einen oder in beide
Tractus erstreckt. Durch die Qöte von Herrn Prof. Both und Dr. Dubler habe ich
non in der letzten Zeit drei Chiasmata zur Untersuchung bekommen von Personen,
welche früher schon von mir behandelt und zum Theil seit vielen Jahren auf einer
Seite erblindet gewesen waren. Ehe ich auf diese Fälle näher eintrete, will ich auch
hier die bisherigen einschlägigen Beobachtungen kurz erwähnen, so weit sie für unsere
Schlussfolgerungen in Betracht kommen können.
Die älteren Beobachtungen, über einseitige Opticusatrophie und deren Fort¬
pflanzung auf Chiasma und Tractus sind in ihrer grossen Mehrheit zu Gunsten einer
Partialkreuzung gedeutet worden {Woinow 1875, Bonders 1875, Spritnon 1875,
Plenk 1876, Sehmidt-IUmpler 1877, Mane 1877, Baumgarten 1878, Kellertnann 1879,
Becker 1879, v. Gudden 1879, Ädamäck 1880, Burtscher 1880, Samelson 1881,
Marchand 1882, Deutsehmann 1883, Burdach 1883.) Nur 3 Autoren (v. Biesiadecki
1861, V, Mandaeh 1873, Popp 1875) neigen eher zur Annahme einer vollständigen
Kreuzung der Sehnervenfasern. Doch muss diese Auffassung, wie übrigens v. Biesia¬
decki für seine Fälle sofort selbst zugesteht, nicht so ohne Weiteres getheilt werden;
der mitgetheilte pathologische Befund beweist im Grunde eben bloss, dass der grössere
Theil der Tractusfasern zum entgegengesetzten Nerven geht. Es bleiben dann noch
zwei Fälle (Gowers 1878, Nieden 1879) etwas zweifelhafter Natur übrig; jedenfalls war
kein Unterschied im Verhalten der beiden Tractus zu constatiren. Die Atrophie schien
eben am Chiasma Halt gemacht zu haben.
Diese sämmtliche Fälle sind noch mit recht unvollkommenen und trügerischen
Hülfsmitteln (Färbung mit Carmin, Pikrocarmin, Zerzupfung u. dgl.) untersucht worden.
Höchstens verdient hier KeUermann hervorgehoben zu werden, welcher ausser der
Carminfärbung auch noch die Gold- und Osminmimprägnation versucht hat, ohne
jedoch damit bessere Resultate zu erzielen, als mit der Carminbebandlung.
Einzelne Forscher haben sich gar nur mit der Feststellung des macroscopiscben
Verhaltens oder einer Messung und Vergleichung der Querschnitte der Optici und
Tractus begnügt. Solche Untersuchungen haben selbstverständlich einen sehr bedingten
Werth; die Verhältnisse liegen ja selten so klar, dass sie keinen Zweifel zulassen.
Im Jahre 1884 wurde dann die vortreffliche Wei^erf’scbe Hsematoxylinmethode,
von deren Leistungsfähigkeit und Wirkungsweise bereits die Bede war, in die histo-
l(^sche Technik eingeführt und später von Pal in der bekannten Weise vereinfacht.
Müdiel war der erste, welcher im Jahre 1887 in der schon erwähnten Monographie
das neue werthvolle Hülfsmittel auf unsern Gegenstand anzuwenden suchte. Gleich
wie aus seinen Thierversuchen glaubt er auch aus der Untersuchung von 4 mensch¬
lichen Chiasmata (3 Fälle von einseitiger Opticusatrophie, 1 Fall von einseitigem
Anopbthalmus) auf eine totale Kreuzung sämmtlicber Tractusfasern schliessen zu
müssen.
Leider hat Michd nur an Horizontalschnitten untersucht oder wenigstens nur
selche abgebildet, wovor schon Samelson gewarnt hatte, ,da sie gar zu leicht zu
Täuschungen Anlass gäben*.
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Die Schlussfolgerungen JMfcÄeTs sind seither von Bemheimer (1889), Geermak
(1889) und Hebdld (1892), welche sich ebenfalls der Weigert'schen Methode bedienten,
lebhaft bestritten und wohl auch widerlegt worden. Bemheimer fand bei Zerlegung
eines Ghiasma mit inseitiger Sehnervenatrophie in Serienschnitte auf der untern
Chiasmahälfte ganz dasselbe Aussehen, wie es Michd für das ganze Ghiasma beschreibt,
während die Schnitte der obern Hälfte eben nur im Sinne einer theilweisen Kreuzung
sich deuten lassen. Aehnlich meint Hebold^ dass Michel zu solchem Ergebniss ge¬
kommen sei, weil ,die Anwendung der horizontalen Schnittrichtung ihm die Thatsachen
verdunkelt^ habe, während Querschnitte sofort das richtige Licht in die Sache ge¬
bracht hätten. Geermak endlich konnte sich ebenfalls an 2 Ghiasmen, wovon das
eine horizontal, das andere quer geschnitten wurde, von der theilweisen Kreuzung
überzeugen.
So viel über die Litteratur. Bei dem noch immer etwas zweifelhaften Stand der
Frage scheint es mir sehr erwünscht noch weitere, mit Hülfe der neuern Methoden
durchgeführte Beobachtungen ins Feld führen zu können.
Der erste Fall betrifft eine Frau Bless, bei welcher ich im Jahre 1888 recht¬
seitige Amaurose iu Folge Ton Glaucoma absolutum constatirt hatte. Im Oktober 1892
starb Patientin im Alter von 70 Vs Jahren durch Himapoplexie. Wie lange das rechte
Auge erblindet war, Hess sich nicht sicher nachweisen; jedenfalls handelt es sich um
mindestens 4 Jahre.
Schon bei macroscopischer Untersuchung zeigte sich der rechte Sehnerv auffallend
dünner als der linke; der linke Traetns schmäler als der rechte..
Das Ghiasma wird sammt Sehnerven und Tractus in Müller'scher Flüssigkeit und
steigendem Alcohol gehärtet, in eine Serie von Querschnitten zerlegt; letztere nach Weigeri-
Pal behandelt und mit alcoh. Boraxcarmin nachgefärbt.
Bechter Opticus ganz atrophisch und frei von jeder Nervenfaser; der linke durch¬
aus normal.
In der Nähe des Ghiasma treten am untern (basalen) Rande des rechten Sehnerven-
querschnittes einzelne, in der Längsrichtung getroffene, schwarz gefärbte, feine Nerven¬
fasern auf, während am linken Sehnerven die meisten Fasern quer getroffen sind.
Noch näher dem Ghiasma hat der sichelförmige Streifen von Markfasern an Aus¬
dehnung etwas zugenommen, und zeigt beim Uebergang in das Ghiasma selbst einen
ganz deutlichen Zusammenhang mit ebensolchen Fasern der linken Seite, indem dieselben
in bogenförmigem Verlauf und mit nach dem Gehirn zu gerichteter Gonvexität von der
linken zur rechten Seite binüberziehen. Dieses von links nach rechts die Mittellinie über¬
schreitende Bündel gut erhaltener Nervenfasern wird auf den folgenden Schnitten immer
stärker, seine Fasern vertheilen sich auf dem ganzen rechten Querschnitte mehr und
mehr, finden sich aber in der basalen Partie einstweilen noch reichlicher vor, als an
andern Stellen.
Zu Anfang ist am linken Querschnitt keine Abnahme zu bemerken. Weiter hinten
jedoch tritt am basalen Rande des mittlern Theils eine bald auch von freiem Auge sicht¬
bare atrophische Stelle auf, die mehr und mehr an Ausdehnung wächst, während gleich¬
zeitig auf der rechten Seite des Querschnittes die Masse der normalen Fasern ganz be¬
deutend zunimmt.
So kommt es, dass schliesslich der ganze linke Tractus, so weit er verfolgt werden
kann, auffallend hinter dem rechten zurückbleibt. Wir sehen dann auf den letzten
Schnitten den rechten Tractus (resp. die markhaltigen Fasern desselben) viel stärker ent¬
wickelt als den linken, etwa im Yerhältniss von 2:1. Von der Mittellinie her schiebt
sich eine keilförmige, massig atrophische Partie zwischen die normalen Fasern hinein,
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um sich gegen den lateralen Band allmllig zn verlieren. Am linken Traotus betrifft die
Atrophie den ganzen medialen Theil des Querschnittes und namentlich auch den basalen
Rand desselben.
Ans den beschriebenec Präparaten scheint mir in unzweidentiger Weise hervor¬
zugehen :
1) Dass die Fasern des einen Opticus in beide Tractns flbergehen;
2) dass der gekreuzte Antheil die grossere Masse bildet;
3) dass die Fasern des ungekrouzten Bändels im Tractus nicht ganz dicht ge¬
drängt bei einander liegen und eine keilfOrmige Figur bilden, die sich von der Mittel¬
linie her bis gegen den lateralen Band hin zwischen die normalen Fasern hineinschiebt,
während das gekreuzte Bändel wesentlich den medialen Theil und den basalen Band
einnimmt. •
Ein ganz ähnliches Besultat ergab die Untersuchung des Cbiasma von M i n a
Blum, welche mit 19 Jahren an Pbthisis starb, nachdem im 5. Jahre das linke
Ange an Entzändnng zu Grunde gegangen und im 15. Jahre wegen grosser Empfind¬
lichkeit von mir enucleirt worden war. Oie Behandlung des Cbiasma war dieselbe
wie im vorigen Falle. Bei der grossen Aehnlichkeit mit dem letztem ist es kaum
nötbig, näher auf die Präparate einzugeben.
In einem dritten Falle: Hans Vollenhals: Verlust des rechten Auges im
12. Jahre dnrcb Pnlverexplosion; Tod im 37. Jahre an Pbthisis pulm., wollte ich das
IfarcAt’sche Verfahren in Anwendung ziehen. Sei es nun, dass das Präparat nicht
frisch genug oder die Degeneration der Nervenfasern schon zu weit gediehen war; jeden¬
falls entsprach das Besultat der Färbung nicht der von den Erfindern der Methode ge¬
gebenen Beschreibung. Die noch myelinhaltigen Theile nahmen eine blass graulichgrfine
Färbung an, während die atrophischen Partien zunächst ungefärbt blieben und erst durch
Boraxcarmin lebhaft roth tingirt wurden. Leider Hess sich nachträglich nicht mehr
nach Pa/ färben, da es sich ja hier um Schnittfärbung handelt, bei der Jforcht’schen
Methode aber schon die Stücke geförbt werden müssen. Immerhin war an den Schnitten
doch die Hauptsache, die Trennung der normalen von den atrophischen Partien, zum
Theil schon macroscopisch ganz gut zu sehen.
Der rechte Opticus ist ganz atrophisch, auf dem Querschnitt durchweg roth gefärbt,
auf ca. Ys der Dicke des linken reducirt.
Schon gleich beim Uebergang ins Cbiasma treten auch rechts markhaltige Fasern
auf, deren Masse mehr und mehr zunimmt, so dass sie in der Mitte des Chiasma auf
beiden Seiten so ziemlich gleichmässig vorhanden sind.
Jenseits des Chiasma zeigt sich die linke Seite, also der linke Tractus, merklich
dünner als die rechte.
Auch diese Beobachtung kann wohl nur im Sinne einer Partialkreuzung aufge¬
fasst werden, wenn es auch bei der blassen Färbung weniger leicht mäglich war, die
verschiedenen Bändel auseinanderzuhalten, als dies bei den zwei ersten, nach Weigert-
PtU gefärbten, der Fall war.
Ich habe im Vorliegenden die sebOnen experimentellen üntersnebungen v. Oudden’s
u. A. (von neuern Autoren seien namentlich Sitiger und Müneer angeführt) absichtlich
unberücksichtigt gelassen, weil ich mir ja vorgenommen hatte, ausschliesslich am
Menschen constatirte Befunde in Betracht zn ziehen. Dieselben scheinen mir denn
auch — bei objectiver Benrtheilnng — vollauf genügend, um auf die Frage, ob
partielle oder totale Kreuzung, eine unzweideutige Antwort zu geben. Weniger möchte
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ich dies behaupten bezüglich der Frage nach der Verlaufsrichtung des gekreuzten
und ungekreuzten Bündels im Tractus, über welche die einzelnen Forscher bedeutend
von einander abweichen. Auch auf Grund meiner eigenen Beobachtungen wage ich
nicht mich für die eine oder andere dieser Anschauungen zu entscheiden. Bis weitere,
mit den neusten technischen Hülfsmitteln ausgeführte Untersuchungen vorliegen, möchte
ich mich noch am ehesten der von Wübrand vertretenen Auffassung anschliessen,
welche vorderhand die Möglichkeit von zahlreichen individuellen Varianten zulftsst.
Beitrag zur Serumtherapie des Tetanus.
Von Prof. Dr. Tavel, Born.
Wie bekannt, ist nicht bei jeder Infectionskrankheit die Wirkungsweise des Heil*
serums eine einheitliche.
Beim Tetanus, bei der Diphtherie ist die Hauptwirkung eine antitozische, indem
das Heilserum die Eigenschaft besitzt die vom Tetanus- resp. Diphtheriebacillus pro-
ducirten Gifte im Körper zu neutralisireu oder auf den Organismus derart einzuwirken,
dass dieser seinerseits den Einwirkungen der Bacteriengifte entgegenarbeitet. Die Ent¬
wickelung der Bacillen im Körper wird hingegen vom Heilserum nicht beeinflusst.
Bei andern Infectionskrankheiten, wie z. B. beim Typhus, bei der Cholera, bei
der Bacillus pyocyaneus - Krankheit findet nach Einführung von Heilserum eine Zerstörung
der Bacterien statt, sei es auf statischem Wege, indem das Heilserum direct Bacterien-
tödtend oder abschwächend wirkt, sei es auf dynamischem Wege, indem die Phagocytose
angeregt wird. Eine Wirkung des therapeutischen Serums auf die von den Bacterien
producirten Toxine fehlt, die Thiere sind nach der Sernmbehandlung dem Gifte gegen¬
über ebenso empfindlich wie vorher. Ist ein Thier einem Bacteriengifte gegenüber
unempfindlich gemacht worden, so ist es giftfest, ist es aber gegen die Entwickelung
der Bacterien im Körper geschützt, so ist es immun.
Wie die Immunität kann auch die Giftfestigung vor oder nach der Bacterien-
resp. Gifteinführung erzielt werden.
Die Verhältnisse der Giftfestigung sind experimentell beim Tetanus am besten
studirt worden. Man nimmt bei dieser Krankbeit an, dass die von den Bacillen pro¬
ducirten Gifte, ähnlich wie Fermente im Körper, gewisse Spaltungen bewirken, welch’
letztere erst die bekannten Intoxicationserscheinungen hervorrufen. Das Heilserum wirkt
nur auf die Bacteriengifte, indem es ihre fermentative Wirkung hemmt oder die Bil¬
dung eines Antiferment veranlasst; die Spaltungsproducte des Giftes lässt es aber un¬
beeinflusst. Dies erklärt uns, warum die Wirkung des Serums nur während der
Periode der Krankheit stattfindet, in welcher das Gift die toxischen Spaltungsproducte
noch producirt; ist einmal diese fermentative Periode beendet oder sind schon zu viele
toxische Spaltungsproducte producirt worden, so nützt die Serumbehandlung auch
nichts mehr.
Will man also die antitoxische Serumtherapie anwenden, so muss dieselbe früh
d. h. so bald wie möglich nach Ausbruch der ersten Erscheinungen eingeleitet werden;
nur unter diesen Umständen hat man die Aussicht, auch bei Fällen, die sonst tödtlich
yerlaufeu wären, Erfolge zu erzielen. Die speciell aus Italien günstig lautenden Be-
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richte über Semmbehandlung des Tetanus veranlasste auch uns, dementsprechend
Thiere zu immunisiren, um die Serumtherapie gelegentlich anwenden zu können, und
durch das Entgegenkommen der Inselspitaldirection konnten wir zwei Hunde beschaffen
und verpflegen, die während des Sommersemesters 1893 immunisirt worden sind.
Schon bald bot sich die Gelegenheit, die Wirkung ihres Heilserums zu prüfen.
Am 15. September 1893 wurde das Kind A. A. wegen einer inficirten Wunde der
Wange ins Spital Salem gebracht, wo ich es in Abwesenheit von Herrn Dr, Durmnt sah;
anamnestische Details konnten erst später von der Mutter des Kindes in Erfahrung ge¬
bracht werden:
Am 7. September wurde es auf dem Felde von einem jungen, nicht beschlagenen
Pferde mit dem Hufe auf die linke Wange geschlagen. Pat. wurde zu Hause aus¬
gewaschen und am Nachmittag des gleichen Tages zum Arzte gebracht. Dieser legte
nach Desinfection der Wunde drei Nadelsuturen an der Wange und eine an der Nase an.
Am ersten Tage war das Allgemeinbefinden des Kindes gut, am folgenden trat Schwellung
auf, die am 9. September noch zuuahm. Am 10. September wurden die Nähte weg¬
genommen, die Wunde war verklebt. Die folgenden Nächte schlief das Kind nicht. Am
13. September hatte sich die Wunde wieder geöffnet, der Arzt wusch die Wunde aus
und suchte die Ränder mit Heftpflaster zusammen zu bringen. Am 14. September be¬
merkte die Mutter, dass das Kind den Mund nicht mehr gut aufmachen konnte. Am
15. ging es noch schlechter, der Aligemeinzustand war schlimmer, sehr starke Schwellung
der ganzen linken Wange vorhanden. An diesem Tage wurde das Kind ins Spital ge¬
bracht, die Wunde antiseptisch gewaschen und Umschläge gemacht. Ich sah das Kind am
16. September Abends und schob die Verziehung des Mundes und die Schwierigkeit beim
Aufmachen desselben zuerst auf die sehr starke Schwellung der Wange; Krämpfe und
Nackenstarre fehlten vollständig. Es wurde jedoch auf die Möglichkeit des Auftretens
eines Tetanus aufmerksam gemacht. Am 17. Abends wurde mir berichtet, das Kind habe
Zuckungen und Nackenstarre gehabt.
Am 18. September Morgens wurde folgender Status notirt: Das Kind liegt in
Rückenlage, den Kopf etwas nach rückwärts gebeugt, schwitzt sehr stark, ohne besonders
roth zu sein, sieht nicht schlecht aus, athmet zeitweise ganz ruhig, zeitweise ziemlich
mühsam, bewegt Arme und Beine ganz gut; die Augen sind halb geschlossen. Das
rechte Auge wird beim Anrühren mit dem Finger ganz geschlossen, das linke nicht
vollständig.
Der Mund ist nach rechts verzogen, die Verziehung wird noch deutlicher beim
Schreien oder Weinen. Auf Befehl wird der Mund etwas anfgemacht und die Zähne
etwa 1 cm weit von einander entfernt. Bei der Untersuchung des Nackens findet man
entschieden eine Muskelstarre, obgleich Pat. den Kopf- nach rechts und links drehen kann.
Man bemerkt auch etwas Spannung im Platysma, während die Masseteren nicht stark
contrahirt sind.
Die Streckmuskeln der Wirbelsäule scheinen zeitweise etwas contrahirt zu sein,
die Bauchwand ist gespannt, zeitweise bretthart, nicht eingezogen. Während Pat. schläft,
bekommt er plötzlich Zuckungen und wacht auf, dabei sieht man einen ausgesprochenen
Krampf im Gebiete des rechten untern Facialisastes, während im Gebiete des linken
Fadalis keine Krämpfe entstehen.
Ein Unterschied in den Pupillen fehlt, sie reagiren beide gut. Puls etwas unregel¬
mässig, 96 Schläge, sonst gut, Reflexe erhöbt.
Die Wunde, deren Umgebung stark geschwollen ist, geht vom linken Nasenflügel
quer durch die Wange. Ans derselben fliesst ein dünner Eiter. Beim Sondiren kommt
man durch zwei Löcher in die Tiefe auf den blossgelegten Oberkiefer. Die Brücke
zwischen beiden Löchern wird durchgeschnitten und die Wunde mit Jodoformgaze tam-
ponirt.
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Gleich nachher entsteht ein heftiger Krampfanfall, besonders im Gebiete des rechten
Facialis, des Nackens nnd des Rückens; die Athmnng wird erst mühsamer und hört dann
ganz auf, jedoch geht der von hochgradiger Cjanose begleitete, höchst bedrohliche £r-
stickungsanfall bald vorüber, das Kind erholt sich wieder.
Die anfänglich zwischen Meningitis und Tetanus etwas schwankende Diagnose wird
durch diesen Anfall sicher gestellt und es wird gleich zur Bereitung des antitoxischen
Serums geschritten.
Im Laufe des Tages wurden sehr häufige Krampfanfalle und darunter einige sehr
heftige Erstickungsanfälle beobachtet; das Schwitzen dauert fast ununterbrochen.
Abends 1 gr Chloral; um 9 Uhr 8 com Heilserum subcutan. Temp. 36,9^,
Puls 76. Die Nacht ist schlecht: das Kind hatte mehrere sehr heftige Anfälle.
19. September. Temp. 37,4^, Puls 112. Das Schlucken geht etwas besser vor
sich; 1 gr Chloral und lOccmSerum.
Der Zustand ist derselbe wie gestern Abend: alle 5—10 Minuten ein leichter
Anfall, wobei das Kind Schmerz äussert. Während des Anfalls bemerkt man neben der
immer bestehenden leichten Starre im Gebiete des linken Facialis einen ausgesprochenen
Krampf im rechten Facialis, so dass man das Bild einer linksseitigen Facialislähmung
hat. Die Krämpfe erstrecken sich auf die untern Extremitäten, die gestreckt sind, mit
Equinusstellung der Füsse, während die obem Extremitäten in den meisten Anfallen frei
bleiben. Pat. klagt über den Bauch nnd die Masseterengegend. Abends: Temp. 37,2^,
Puls 108. 1 gr Chloral, 7 ccm Serum. Die Nacht ist besser wie die vorige, nur
zwei stärkere Anfälle.
20. September. Temp. 37,5®, Puls 96. Die Umgebung der Wunde ist odematos
und geschwollen: Chloroformnarcose, breite Eröffnung, Thermocauterisation, Jodtinctur-
bepinselung, Salicylsäurepulververband, 5 ccm Serum. Während des Tages mehrere
stärkere Anfälle; das fortwährende frühere Schwitzen wurde gestern nur während der An-
fälle beobachtet und heute noch viel seltener. Abends: Temp. 36,8®, Puls 100. Chloral
1 gr, 8 ccm Serum. Während der Einspritzung entsteht ein heftiger Krampfanfall
mit Betheiligung der obem Extremitäten. Die Nacht war ziemlich gut, das Kind schlief
viel. Zwei stärkere Anfälle.
21. September. Temp. 37,6, Puls 120. 8 ccm Serum. Das Oedem der Wunde
hat nicht zugenommen, die Wundränder fühlen sich immer noch derb an. Das Kind
klagt immer stark über den Kopf, die Wangen und den Bauch, hat ausser den seltenen
schwächem Anfällen im Laufe des Nachmittags drei stärkere Anfälle. Abends Temp.
37,5®, Puls 124. 8 ccm Serum. Während der Nacht hat Pat. einen äusserst hef¬
tigen Krampfanfall mit Erstickung, Cyanose und kaum fühlbarem Puls.
22. ^ptember. Temp. 37,1®, Puls 116, schwach. 8 ccm Serum. Pat.
schläft während des Tages viel, hat weniger Anfälle, bekommt weiter Peptonclysmata
mit im Ganzen täglich 2 gr Chloral; die Schwellung der Wunde hat abgenommen.
Abends: Temp. 37,0®, Puls 104. 10 ccm Serum. Nacht ruhig, nur ein schwacher
Anfall.
23. September. Temp. 37,0®, Puls 116, besser. 8 ccm Serum. Während der
Anfälle bemerkt man jetzt auch etwas Krampf im Gebiete des linken gelähmten Facialis;
die Wunde hat sich unter Lysolvorband gereinigt. Abends: Temp. 36,3®, Puls 104.
10 ccm Serum. Um 8 Uhr Abends und um Mitternacht Erstickungsanfälle, Nacht
sonst ziemlich ruhig.
24. September. Temp. 36,9®, Puls 124. 10 ccm Serum. Während des
Tages keine stärkeren Anfälle. Abends: Temp. 37,1®, Puls 116. Peptonclysmata mit
Chloral werden weiter gegeben. Pat. bat eine unruhige Nacht mit einigen nicht heftigen
Anfällen.
25. September. Temp. 37,0®, Puls 112. 10 ccm Serum. Das Kind ist
unruhig, ohne starke Anfölle zu haben. Abends: Temp. 36,9®, Pnls 108. 10 com
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Serum. Auch während der Nacht Unruhe; das Kind hat Schmerzen, jedoch nur einen
Btärkem Anfall.
26. September. Temp. 37,2**, Puls 124. Da an den Injectionsstellen die Haut
cyanotisch aussieht und in der Umgebung eine erythematöse Röthung entstanden ist,
werden die Seruminjectionen ausgesetzt. Der Allgemeinzustand sowie die Wunde sind
übrigens besser, die Anfälle haben fast aufgehSrt, nur die Starre besteht weiter.
Am 26. und 27. September hat das Kind öfters Nieskrämpfe, kann aber riel besser
schlncken. Der Urticaria-ähnliche Ausschlag ist auch auf Brust und Ctosioht aufgetreten;
die Injectionsstellen sehen am 27. September weniger cyanotisch ans.
Am 28. September ist der ganze Körper von Urticariaflecken bedeckt, die oft rasch
verschwinden und dann wieder anftreten. An diesem Tage werden noch zwei Krampf¬
anfälle beobachtet, von da ab keiner mehr. Das Kind kann jetzt ziemlich gut schlncken,
es trinkt viel. Der weitere Verlauf bietet nur noch folgendes Bemerkenswerthe: Die
Facialislähmnng verschwand erst gegen Ende Ootober. Anfangs Ootober sah das Kind
ödematös und gednnsen ans, am Scrotnm ziemlich starkes Oedem, im Urin kein Eiweiss.
Das Oedem verschwindet am 10. October.
Am 12. October Temperaturerhöhung bis 38,5**, vom 14. bis zum 26. October
abendliche Temperaturen zwischen 39,0 und 39,8** ohne Appetitstörung und ohne andere
anfBndbare Ursache als vier kleine Abscesse der Kopfschwarte und des Halses, die theils
incidirt wurden, theils spontan sich öfineten. — Das Kind wird am 7. November mit fast
geheilter Wunde entlassen.
Klinisch sind an diesem Falle folgende Punkte hervorzuheben;
1) Die Inenbationszeit. Die ersten Erscheinnngen wurden von der
Mutter am 14. September also 7 Tage nach der Verletzung beobachtet. Das Kind
konnte den Mund nicht mehr gut aufmachen, die Schluckbeschwerden, die beim Ein¬
tritt am 15. von der pflegenden Schwester beobachtet wurden, bestanden wahrschein¬
lich auch schon damals; heftigere Krämpfe zeigten sich erst am 17. also nach 10 Tagen.
Prognostisch ist die Incnbationszeit von sehr grosser Wichtigkeit; während nach
Brvumer bei einer Incnbationszeit von 1—5 Tagen die Mortalität 907« beträgt, geht
dieselbe bei einer solchen von 5—10 Tagen auf 707o herunter.
Eine Incubation von 12 oder mehr Tagen sieht man bei den chronischen Fällen,
die gewöhnlich in Genesung übergehen.
2) Die Ausdehnung der tetanischen Starre gibt ebenfalls
nach der Zusammenstellung von Bnmner wichtige Anhaltspunkte für die Prognose;
die Zahlen zeigen, «dass die Aussichten dort sich besser gestalten, wo die Krämpfe
localisirt bleiben*. Bezüglich dieses Punktes wäre nun unser Fall prognostisch als
ein schwerer zu bezeichnen gewesen, da schon am 18. die Krämpfe ganz allgemein
geworden waren und zwischen den Anfällen eine beständige Rücken- und Banebstarre
bestand.
3) Die Facialislähmnng, die beim Kopftetanns häufig beobachtet wird,
zeigte hier folgende Eigenthümlichkeiten: Zwischen den Anfällen, wenn das Kind ganz
ruhig lag oder schlief, konnte im Gebiete des rechten Facialis keine Starre constatirt
werden; der linke Mundwinkel stand aber etwas weiter unten als der rechte und die
Lippen schienen links etwas starr zu sein, welche Eigenthümlichkeiten vielleicht nur
auf die starke Schwellung der Wange znrückzuführen sind.
War das Kind nicht sehr ruhig, so entstand im Gebiete des rechten Facialis
eine tonische Starre, die eine deutliche Verziehung des Mondes nach rechts bedingte.
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Während den stärkeren Anfällen war die Verziehung eine sehr starke; erst später,
nämlich am 23. September, wurde im Gebiete des linken -Facialis eine positive Starre
während der Anfölle beobachtet.
Die Lähmung des Sphincter palpebrarum konnte an den 2 ersten Tagen sicher
constatirt werden, später war die cedematöse Schwellung zu stark, um darüber artheilen
zu können.
Sehr schön war die Lähmung des unteren Facialisastes am Verhalten des Mnsc.
mentalis zu beurtheilen, da nur links Einziehung der Haut des Kinns beobachtet
wurde.
Die Facialisläbmung gibt speciell beim acuten Eopftetanus eine ungünstige
Prognose. Klemm zählt unter 16 mit Lähmung complicirten, acuten Fällen nur ein¬
mal Genesung, während von 6 chronischen Fällen der Art keiner letal endete. (C.
Brunner: Beiträge zur klin. Chirurgie, Bd. X, 309.) AWert, der allerdings die Fälle
nicht in acute und chronische theilt, gibt eine viel günstigere Prognose; die Mortalität
beläuft sich auf ungefähr 58VO.
4) Die Dysphagie ist bei Eopftetanus eine häufige, aber nicht immer vor¬
kommende Erscheinung; in unserem Falle traten die Schlingbeschwerden sehr früh auf
und dauerten so lange wie die Erampfanßdle. Bis zum 20. September konnte Pat.
mit Mühe noch Milch, Bouillon und Wasser trinken, von da an bis zum 27. nur noch
hie und da etwas Wasser, was uns zur künstlichen Ernährung per rectum zwang.
5) Die asphyktischen Anfälle müssen, glaube ich, auf einen Olottis-
krampf zurückgeführt werden. Zwischen den Anfällen war die Atbmung von normaler
Frequenz, oft aber sehr mühsam ünd zwar ging die Erschwerung der Athmung parallel
mit der Starre der Banchwand.
Während des asphyktischen Anfalles, der gewöhnlich ganz plötzlich eintrat,
konnten die Respirationsanstrengnngen und Bewegungen des Brustkorbes sehr gut con¬
statirt werden, es ging aber keine Luft durch die Glottis. Bei dem Nachlassen des
Anfalles giug zuerst einige Male Luft. langsam mit zischendem Geräusch wie beim
Croup durch und erst nach und nach wurde die Respiration wieder normal. Die Be-
theiligung der Respirationsmukein wird stets und allerseits als ein ungünstiges Zeichen
quoad eventum betrachtet.
6) Auf eine in nnserm Falle speciell auffällige Erscheinung möchten wir noch
aufmerksam machen: das Schwitzen. Man nimmt im Allgemeinen an, dass diese
Function parallel mit der Muskelarbeit einhergeht, was in unserm Falle nicht ganz
zutraf, bewiesen dnreh den Umstand, dass das Schwitzen am Anfang der Krankheit,
zu einer Zeit, wo die Krämpfe sich noch nicht eingestellt hatten, am stärksten be¬
obachtet wurde; seit dem Eintritt ins Spital wurde das beständige Schwitzen von der
pflegenden Schwester hervorgehoben. Am Tage nach dem Beginn der Serumbehand¬
lung wurden freie Intervalle beobachtet und am 20. hatte das Schwitzen fast ganz
aufgehört.
7) Eine andere Erscheinung muss auch in causale Verbindung mit der Serum-
therapie gebracht werden, wir meinen das Auftreten der Urticaria, die schon
von verschiedenen Autoren beobachtet worden ist. Es ist interessant, zu constatiren,
dass mit dem Auftreten derselben die tetanischen Erscheinungen bis auf eine leichte
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Muskelstarre fast verschwanden; speciell wurde zu dieser Zeit eine Besserung des
Schlingaktes beobachtet. Die grosse Unruhe des Kindes während der zwei ersten
Tage wird wohl mit dem Auftreten des Ausschlages Zusammenhängen.
Bakteriologisch ist folgendes zu bemerken:
1) Im Eiter der Wunde konnten keine Tetanusbacillen gefunden werden.
Nach meiner Erfahrung sind dieselben in den meisten Fällen sehr schwer zu finden.
Ich habe im Laufe der letzten Jahre bei 10 Fällen von Tetanus nach Bacillen ge¬
sucht und nur in einem einzigen ein positives Resultat bekommen, da allerdings in
ziemlich grosser Anzahl.
Eine mit dem Eiter am 19. geimpfte Maus blieb gesund. Dies beweist jedoch
durchaus nicht, dass der Tetanus nicht von dieser Wunde ansgegangen ist, sondern
nur, dass zu dieser Zeit die Bacillen schon abgestorben und das Gift resorbirt war.
2) Der Urin des Pat. wirkte auch in einer Dosis von 10 ccm subcutan einem
Kaninchen eingespritzt nicht toxisch.
3) Die antitoxische Kraft des angewendeten Serums konnte wegen Mangels an
Mäusen nicht gleich festgestellt werden; eine nachträgliche Untersuchung mehrere
Tage nach Beendigung der Behandlung ergab noch eine antitoxische Wirkung bei
Mäusen nach Impfung von 1:500000 des Körpergewichtes also mit einer Dosis von
25 ^
Das Serum desselben Hundes konnte einige Wochen später sofort nach der Ent¬
nahme genauer untersucht werden und ergab einen viel stärkeren Giftfestigungswerth,
da eine Maus nach Präventivimpfung mit einer Dosis Serum von 1:1000000 des
Körpergewichts die doppelte minimale tödtliche Tetannsgiftdosis vertrug und nur einen
localen einseitigen Tetanus bekam, was nach der Berechnung von Bering einem Im-
munisirungswerth des Serum von 1:2000000 entspricht. Berechnet man nach den
Untersuchungen von Bering an Mäusen die zur Heilung des Tetanus nöthige Anti-
toxindosis nach Ausbruch der Krankheit, so sieht man, dass eine tägliche Dosis von
20 ccm eines Serums mit 1 :2000000 Immunisirungswerth (resp. 40 ccm des Normal¬
serum 1: 1000000) nöthig ist, um ein Thier von 20 kg vor dem sicheren Tod zu
retten. Unsere Dosen waren allerdings etwas weniger stark, jedoch genügend, da das
Kind, dem Alter entsprechend, ungefähr 16 kg gewogen haben muss.
4) Die Zubereitung des Serums geschah folgenderweise: Unter
leichter Cbloroformnarkose wurde .unter Assistenz des Herrn Dr. Krumiein, Assistent
des Instituts, ans der Femoralis des Hundes Blut entzogen und in sterilisirte Glas-
cjlinder aufgenommen. Nach einer Viertelstunde wurde das Coagulum vom Rande
des Glases abgelöst, das Blut während 1 Stunden centrifugirt und alsdann das oben
abgeschiedene klare Serum in sterile Reagensgläschen vertheilt.
Diese uns von Herrn Professor Drechsel empfohlene Methode der Sernmge-
winnung ist ausserordentlich bequem, indem sie in sehr kurzer Zeit ein absolut klares
und helles Serum liefert; wartet man nicht lange genug die vollständige Ausbil¬
dung der Goagulation vor dem Centrifugiren ab, so bekommt man allerdings ein
mit Blutfarbstoff geßrbtes Serum, das oft noch nachträgliche leichte Gerinnselbildun¬
gen zeigt.
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Aus einem einzigen Falle ist selbstverständlich die Wirkung der Serumtherapie
des Tetanus nicht zu beurtheilen, um so mehr als man weiss, dass der Tetanus oft
auch spontan oder mit den sonstigen therapeutischen Massnahmen heilt.
Die experimentellen Versuche sprechen aber ganz entschieden ffir die Zweck*
mSssigkeit dieser ätiologischen Therapie, indem es nach Darreichung einer
sicher tödtlichen Tetanustoxindosis mit keinem anderen Mittel gelungen ist, ein Thier
zu retten, während das Heilserum in der nöthigen Quantität und zur rechten an¬
gewendet, ganz sicher lebensrettend wirkt.
Die Serumtherapie des Tetanus wirkt wie Eingangs gesagt nur auf das Tetanus-
gift nicht aber auf die toxischen Spaltungsprodncte desselben im Körper; ausserdem
beeinflusst die Serumtherapie in keiner Weise die localen Wund Verhältnisse, noch die
allgemeinen Erankheitserscbeinungen, sie schliesst also, wie ich hier noch ausdröcklich
betonen möchte, weder die locale Therapie, noch speciell die symptoma¬
tische Therapie, die sie nicht ersetzen kann und will, aus.
Einen zweiten Fall von acutem, allgemeinem traumatischem Tetanus, hatte ich
Gelegenheit, dank der Freundlichkeit meines Collegen Herrn Prof. SahU^ auf seiner
Abtheilnng mitzuheobachten und ebenfalls mit Antitoxin zu behandeln; wir werden
später über diesen ebenfalls in kurzer Zeit zur Heilung gebrachten Fall zu berichten
Gelegenheit nehmen.
'Vei*eiiä8l>eiriolit;e.
Gesellschaft der Aerzte in ZDrich.
3. WlatereltzMf, dea 9. Deeeaiber 1893, iai Hireaal der eUrarg. KUalk.')
Präsident: Prof. Haah, — Actuar: Dr. Cmrad Brunner.
I. Prof. Krönlein: Demnstnitltnen.
1) Fall Yon Meningooele spuria traumatica. Bei dem jetzt Ijährigen
Jungen entwickelte sich bald nach der Geburt, die unter Anwendung der Zange erfolgte,
ein langsam wachsender fluctuirender Tumor am Occipnt. Der Tumor ist also nicht
congenital, und dieses anamüestisch festgestellte Factum sichert vor Allem die gestellte
Diagnose. Bei der vorgenommenen Punktion entleerte sich eine wasserhelle Flüssigkeit
Ton characteristischer Beschaffenheit. Der Tumor füllte sich bald von Neuem. Prof. Krön¬
lein erinnert daran, dass der erste derartige Fall von Bülroih beschrieben worden sei
und dass Dr. Kappeier in Zürich 13 derartige Beobachtungen io seiner Dissertation zu¬
sammengestellt habe.
2) Fall von congenitalem Carcinom der Halsgegend. Bei einem Jungen
von 1 Jahr und 3 Wochen zeigte sich hinter der Clavicula ein wallnnssgrosser Tumor,
der namentlich beim Schreien Stridor und Dyspnos verursachte. Dieser Tumor wurde
durch eine schwierige Operation exstirpirt; es verlief über die Geschwulst die Carotis.
Die microscopische Untersuchung stellte die Diagnose auf Carcinom.
3) Fall von Oesophagotomie wegen Fremdkörper zum 2. Mal an dem
nämlichen Pat ausgeführt. Die 1. Operation wurde von Dr. Fritzsche in Glarus wegen
eines im Oesophagus stecken gebliebenen Knochenstückes ausgeführt. Diesmal verschluckte
Pat. ein grosses Stück zähen Kuhfleisches, welches sich so fest einkeilte, dass die Ent¬
fernung auf anderem Wege unmöglich wurde. Die Operation wurde am 21. November
1893 ausgeführt. Die Heilung erfolgte ohne jede Störung.
') EiDgeganges 27. Januar 1894. Bed.
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4) Fall von Herniotomie und Darmresection wegen Hernia cruralis
incarcerata mit Gangrsen des Darmes. Vollständig glatte Heilung.
5) Fall von Hernia inguino-properitonealis der linken Seite
mit Verlagerung des Coecums sammt proc. vermiformis und
Perforation des letztem. Herniotomie. Eine bisher wohl einzig da¬
stehende Beobachtung. Bei der vorhandenen ciÄumscripten Peritonitis war anfangs der
Heilverlauf mit Fieber verbunden; die Patientin genas aber vollständig. Prof. Krönkin
theilt mit, dass sich in den letzten Jahren die Mittheilungen über H. properitonealis sehr
gemehrt haben und dass jetzt die Fälle durch die Operation meistens geheilt werden,
während früher fast alle starben, da man nicht im Stande war, die Diagnose zu stellen.
6) Fall von Laparotomie wegen Peritonitis nach Contusion des Abdomens
durch Fall. Die Operation wurde in Abwesenheit von Prof. Krönlein durch Dr. Schlatler^
Secundararzt, ausgeführt; dabei entleerte sich eine grosse Menge von Eiter und zersetztem
Blut. Es ist anzunehmen, dass die eitererregenden Microorganismen hier die durch das
Trauma leedirte Darmwand passirten und im günstigen Nährboden des Blutergusses sich
vermehrten. Die Heilung nach der Operation erfolgte sehr rasch.
7) Stichwunde der Bauchwand mit Darmprolaps und
Darmverletzung. Die prolabirten verletzten Darmschlingen wurden in richtiger
Weise vom zuerst gerufenen Arzte nicht reponirt, sondern es wurde von demselben die
Stichwunde des Darmes durch eine Naht verschlossen, und über den vorgelagerten Darm
ein Verband angelegt. Dr. SchlaUer nahm eine gründliche Desinfection vor, legte an
den Darmwunden neue Nähte an und reponirte. Die Heilung erfolgt^ glntt.
Discussion: Prof. Haah frägt den Vortragenden an, ob das Kind mit dem
congenitalen Carcinom schon vor der Operation eine Verschmälerung der Lidspalte ge¬
zeigt habe. Prof. Krönlein bejaht diese Frage.
II. Dr. Eingier ; Hysterfseiier HiIIshis seil 15 Mtnaleii* (Autoreferat.) X... zwölf-
iähriges chlorotiscbes Mädchen, machte bis zum 6. Jahre eine Lungenentzündung, die Maseru
und eine diphtheritische Mandelentzündung durch. Von letzterer Krankheit an delicater Zu¬
stand ihres Nervensystems; sie erschrak wegen nichts, war ungewöhnlich empfindlich. Vor
20 Monaten starb ihr Vater, dessen Tod sie sehr angriff und ihre Erregbarkeit steigerte.
Bald nachher verschiedene, ihr Nervensystem erschütternde Begebenheiten. So wurde in
einem Nachbarhause eine Katze (die sie sehr liebte) zum 2. Stockwerk hinausgeworfen.
Pat. kam dadurch in nervöse Bewegungen, Zittern, Angstanfälle und fand erst nach und
nach ihre Sprache wieder; von da an schnell Emotionen und Schrecken. Einige Wochen
nachher sagt man ihr, ein Hund hätte ihrem Bruder das Ohr abgefressen, wodurch sie
in eine Krise von Krämpfen und Zittern kam, wie gelähmt war. Niemanden mehr er¬
kannte; sie kam nur langsam zu sich und hatte ihre Sprache vollständig verloren. Von
da an starke Aufregung, empfindliche, gereizte Stimmung, oft Anfälle von Zittern und
Krämpfen. Durch Douchen und dreimonatlichen Landaufenthalt einige Besserung und
Kräftigung, doch keine Sprachföhigkeit. Mit der Zeit kam sie dazu, sich für den Um¬
gang mit ihrer Mutter und Geschwistern ein kleines Wortregister zu bilden und etwa
19 sinnlose Worte deutlich auszusprechen. Dieselben sind z. B. mamandre für maman,
aouhad = moi-möme, dog = monsienr, dog aouhad = son frere, hue = joli, hue
es^dre = Dien etc. Das einzig richtige Wort „rester**, dessen sie sich bedienen konnte,
hatte sie in einem Momente von Angst wieder ergriffeu.
Pat. kam drei Tage vor Weihnachten 1892 in die suggestive Behandlung und ver¬
fiel in erster Sitzung in tiefen Somnambulismus. Da die Versuche, sie in der Hypnose
sprechen zu machen, fehlschlugen, so gab ich ihr die Suggestion ä echeance, dass sie
vom Neujahr an wieder sprechen könne. Während der Nacht auf Weihnachten brannten
ihrer Wohnung gegenüber zwei Häuser nieder. Als ich nach ca. Ys Stunde zu ihr
kam, war sie in grosser Aufregung und hatte starke Anfälle von Zittern. Ich Hess sie
ins Bett bringen, schloss ihr die Augen und befahl ihr zu schlafen bis nächsten Mittag
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und vom Brande nichts mehr zu wissen. Andern Tags schlief sie nach 12 Stunden noch
ganz ruhig, und erweckt hatte sie keine Ahnung mehr von dem Vorgefallenen. Ohne
den verlängerten Schlaf hätte der Zufall höchst bedenkliche Folgen haben können. Schon
am Sylvester brachte ich die Pat. dazu, erst zögernd, dann deutlich alles nachzusprechen
und bald auch Antworten zu geben. Als ich ihr aber ein Wort, das sie nicht nach¬
sagen konnte, aufschrieb, nahm ich wiÄr, dass sie nicht lesen konnte und bei weiterer
Prüfung zeigte es sich, dass sie weder Buchstaben noch Zahlen kannte und ich ihr auch
das Lesen sowohl, als das Schreiben einüben musste. Die Einübung von Sprechen, Lesen
und Schreiben nahm etwa zwei Stunden in Anspruch. Am Neujahrstage erwachte sie
freudig und es war eine günstige Umstimmung in ihrem Wesen wahrnehmbar. Nach
einer Woche trat sie, leider zu früh aus der Behandlung; zur vollständigen Beruhigung
ihrer Nervosität hätte diese etwas länger dauern sollen, obwohl es ihr seither gut geht.
Man nahm gewöhnlich mit Charcot^) an, dass der hysterische Mutismus eine rein
motorische Aphasie der Sprache sei und sich sowohl durch ihre Vollständigkeit als auch
durch ihren absoluten Character auszeichne, indem der Patient nicht etwa auf den Ge¬
brauch einzelner Worte eingeschränkt, sondern vollkommen sprach- und selbst stimmlos
(aphonisch) sei, ferner dass das Schreibvermögen eher gesteigert sei. Nun hat aber
Charcot selbst in den poliklinischen Vorlesungen (die jüngst von Freud übersetzt er¬
schienen sind) dieses frühere Bild als „zu eingeschränkt^ erklären müssen. Er bespricht
hier einen Fall^, bei dem eine gewisse Zeit lang Agraphie bestand; die Patientin konnte
„einige Striche, selbst Buchstaben bezeichnen, es gelang ihr aber damals nicht, ihren
Gedanken Ausdruck durch die Schrift zu geben, sie hatte, wie sie sagte, die Orthographie
des Wortes vergessen“. In einem andern Falle, der acht Tage vorher stumm war, be¬
stand „Amnesie gewisser Worte und Theile von Wörtern, wenn diese etwas länger
waren; das erinnert also lebhaft an das Verhalten bei organischer Aphasie, nur fehlt bei
dem Kranken das Symptom der Paraphasie, der Wortverwechslung“ sagt Charcot. Bei
meiner Patientin war Paraphasie, Agraphie und Alezie vorhanden. Es scheint somit das
Bild des hysterischen Mutismus durchaus nicht eingeschränkt zu sein und sehr zu variiren.
Discussion: Dr. Ad. Frick glaubt, dass die allzu minutiöse Untersuchung
und Beschreibung des hysterischen Krankbeitsbildes keinen grossen Werth habe. Bei
so ausserordentlich suggestiblen Personen, wie es die Hysterischen sind, hat eben die
blosse Untersuchung einen grossen suggestiven Einfluss, und es werden auf diesem Wege
eine Reihe künstlicher Krankheitsbilder geschaffen. Sprecher wundert sich, das dies z. B.
Charcot entgangen zu sein scheint; denn gerade Charcot hat eine Unzahl solcher hyste¬
rischer Krankheitstypen geschaffen; fand er doch fast jede nicht hysterische Nervenkrank¬
heit bei Hysterischen copirt als hysterische Pseudotabes, Pseudosclerose etc. Und doch
war es gerade Charcot^ der den hysterischen Ursprung dieser Krankheitsbilder zu dia-
gnosticiren lehrte aus dem auffallenden, man kann nicht wohl anders sagen als laien¬
haften Zug, der denselben, eigenthümlich ist, und der sich ganz besonders deutlich
zeigt bei den Anästhesien, die meist nicht auf bestimmte Nervengebiete beschränkt sind,
sondern auf nach laienhaften Begriffen abgegrenzte Gebiete, z. B. auf die Hand mit
ringförmiger Abgrenzung am Handgelenk, auf den Arm mit ebensolcher Abgrenzung an
der Schulter etc. Es zeigt dies deutlich den Einfluss der Autosuggestion des Laien, die
freilich nach und nach durch die ärztliche Untersuchung modifleirt und schliesslich völlig
corrigirt werden kann. Ein hysterischer Anatom würde zweifellos eine den Nervenbahnen
entsprechend abgegrenzte Ansesthesie bekommen.
Von dem therapeutischen Einfluss der Suggestion bei Schreckneurosen hat Frick
mehrere eclatante Beispiele gehabt. Ein besonders schöner Fall war der Folgende: Ein
Mädchen war vor Jahren aus dem Fenster des dritten Stockwerkes auf die Strasse ge¬
fallen. Aeussere Verletzungen gering. Seither war das Mädchen psychisch verändert,
*) Legons sur les roaladies du Systeme nerveux. Tome III, legon 26. p. 422 ff.
*) Poliklinische Vorträge. 3. Lieferung. S. 272 ff.
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ungehorsam und unwirsch. Besonders aber hatte es Anfälle von Jähzorn, in welchen es
sich auf dem Boden wälzte, alles zu Boden warf, selbst die Fensterscheiben einschlug
u. 8. w. Solche Anfälle traten ziemlich häufig ein, namentlich jedesmal bei psychischer
Erregung, Tadel u. dgl. Sie hatten Jahre lang gedauert und man hatte sie als Folge
einer Hirnverletzung bei dem Fall aufgefasst.
Das Mädchen wurde nun von F, hypnotisirt, was sehr leicht gelang. Es wurde
Beruhigung der Nerven und Aufhören der Anfälle suggerirt. Er war an dem Tage, an
welchem Abends der Brand im Grimmenthurm statt hatte. Die Familie wohnte in der
Nähe, die Feuersbrunst verursachte grosse Aufregung; die Mutter erwartete einen An¬
fall, statt dessen kam bloss ein Weinkrampf, der gegen eine halbe Stunde dauerte. Am
folgenden Tage noch eine Hypnotisirung; seither sind nie mehr solche oder ähnliche
Anfälle aufgetreten (Sprecher sieht die Pat. auch jetzt noch von Zeit zu Zeit), das
Mädchen war auch sonst psychisch wiederhergestellt und hatte sein widerspenstisches,
ungehorsames Wesen abgelegt.
Auch bei der traumatischen Neurose hat eine vorsichtige suggestive Behandlung
den besten Erfolg. Sie ist auch eine Schreckneurose, eine autosuggestive Krankheit; nicht
das körperliche, sondern das psychische Trauma ist die wirkliche Ursache der traumatischen
Neurose. Sie ist ausserordentlich nahe verwandt, wenn nicht identisch mit der Hysterie,
reepective mit gewissen Formen nicht traumatischer Hysterie, und auch für die trauma¬
tische Neurose gilt der Satz, dass man durch allzu minutiöse, unvorsichtige Untersuchung
leicht künstlich neue Krankheitssymptome und schliesslich neue Krankheitsbilder erzeugt.
Dr. Bingier: Ich bin mit der Ansicht des Herrn Collegen einverstanden. Es hat
ja besonders Bemhem auf diese Fehlerquelle der Schule Charcofs aufmerksam gemacht
und die sogen, hysterischen Stigmata als nichts anderes, denn Artefacto erklärt. Ein
Beweis für die Richtigkeit der Ansicht Bemheim*^ scheint mir auch zu sein, dass man
in der Landpraxis weder hysterogene Zonen noch die vielgestaltigen Acsthesien bei den
Patienten wahmimmt und das Bild der Hysterie hier ein viel einfacheres ist, wie ich cs
selbst beobachten konnte. Man kann eben den Hysterischen alle möglichen Gefühle
hineinfragen d. h. suggeriren.
UI. Prof. Bibbert, Demonstration eines Falles von Obllteratian der Vena eava
Inferler mit hochgradiger Ektasie der collateralen Yenen.
Discussion: Prof. Krbnlein bemerkt, dass er ähnliche Fälle zu beobachten
Gelegenheit hatte. Bei einem dieser Fälle, einem jungen Manne entwickelte sich das¬
selbe Bild nach vollständiger Ablatio penis et scroti.
Dr. n. Müller kennt den vorgestellten Pat. von früher her; es war derselbe früher
wegen Typhus im hiesiger Spitalbehandlung; damals wurde die Diagnose auf Thrombose
beider vense femorales gestellt.
Prof. Wyss sind 3 derartige Fälle bekannt; einer entstand nach Typhus, ein anderer
ebenfalls nach einem Trauma; ein weiterer wurde seiner Zeit von Dr. Kaufmann der
Gesellschaft vorgestellt.
Medicinische Geseilschaft der Stadt Basei.
SltzBBff ¥•■ 16. Nereaber 1893J)
Präsident: Dr. Th, Loiz, — Actuar: Dr. VmderMühll.
Prof. Bunge: lieber PleHaioe nad TexalbBHine.
SitzBBf vffli 21. Deeeaiber 1893.0
Präsident: Dr. Th, Loiz, — Actuar: Dr. VonderMühll,
Zum Präsident für 1894 wird Prof. Siebenmann gewählt; Cassier Dr. Hoff mann
und Aktuar Dr. VonderMühll werden auf ein weiteres Jahr bestätigt.
Prof. Immermann stellt eine 19jährige sonst gesunde und hereditär nicht belastete
Eingegangeu 21. Januar 1894. Red.
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Patientin vor, bei der sich im Laufe der letzten 4 Jahre unter anfänglichen sensiblen
Reizerscheinungen (neuralgischen Symptomen) und Parmsthesien (subjectiven Wärme- und
Kälte Wahrnehmungen, sowie Formicationen) allraählig eine complete Analgesie und Ther-
moanaesthesie der rechten obern Extremität und der angrenzenden Theile der rechten
Brusthälfte, vorn und hinten ausgebildct hat. Zugleich entwickelte sich im Bereiche des
rechten Armes eine mässige Hyperplasie des Untcrhautbiudegewehes (Elephantiasis Arabum)
und eine Hyperostose namentlich der Phalangen und der Epiphysen des Ellenbogen¬
gelenkes, vor Allem des Olekranon. Keine vasomotorische Erscheinungen, auch keine
Anomalien der Schweissabsonderung (weder Hyperidrosis, noch Anidrosis) — dagegen
wiederholte, wenn auch nur leicht verlaufende Panaritien. Die Muskeln verhalten sich
trophisch normal, zeigen auch keine qualitativen Veränderungen der electrischen Erreg¬
barkeit, und erwiesen sich sowohl für gröbere, wie auch für feinere Verrichtungen
(Häkeln, Schreiben) bis jetzt brauchbar. Dementsprechend ist auch das Muskelgef&hl
und das stereognostische Vermögen gut erhalten, — wogegen der einfache Tastsinn
deutlich, — der Raumsinn der Haut sogar sehr erheblich abgestumpft sind.
Am wahrscheinlichsten ist nach den vorliegenden Erscheinungen die Annahme
einer Syringomyelie im Bereiche des unteren Halsmarkes und des obern Brustmarkes
rechterseits, da sowohl eine hysterische Analgesie und Thermoansssthesie, wie auch eine
Affection der sensibeln Endapparate der Haut oder der gemischten Nervenstämme im
Bereiche des rechten Plexus brachialis mit Bestimmtheit sich ausschliessen lassen.
Dr. Jaqiiet: Zir Diftfiesllk der fanelltBellen KreisleofsstSrnnfeii. (Wird in
extenso erscheinen.)
Dr. Keller (Rheinfelden) zeigt Pläne für ein neu zu erstellendes Araenbad in
Rheinfelden.
und Sliritilcen.
Mittheilungen aus Kliniken und medicinischen Instituten der Schweiz.
Beiträge zur Chirurgie der Gallenwege.
Von Dr. W, Martig in Ranflüh. 3. Heft.
Die nach Indicationsstellung und Art des Eingriffs so mannigfaltige Chirurgie der
Galleuwege bedarf zur weitern Abklärung der noch sehr auseinander gehenden Meinungen
sorgfältiger und unparteiischer Verwerthung der rasch anwachsenden Casuistik. In
seiner Doctordissertation unterzieht sich Martig der Aufgabe, die seit dem Erscheinen der
„Beiträge zur chirurgischen Therapie der Gallenwege“ von Prof. Courvoisier (1890) ver¬
öffentlichten oder aus nahen Krankenhäusern ihm persönlich bekannt gewordenen Kran¬
kengeschichten zusammenzustellen. Die Ordnung geschah nach der Art der ausgeführten
Operation; so gelangt Verf. am Schlüsse jedes Capitels zur Feststellung der unbedingten
und relativen Indicationen, der Vor- und Nachtheile jedes einzelnen Verfahrens. Eine
Zusammenstellung dieser Schlusssätze wäre der Würdigung concurrirender Operationen
förderlich gewesen. Indem Verf. den Standpunkt Courvoisier's vertritt, vermeidet er,
bevorzugte Verfahren besonders ins Licht zu setzen und sucht der Mannigfaltigkeit der
Erkrankungen die berechtigte Mannigfaltigkeit der operativen Eingriffe unparteiisch gegen¬
überzuordnen; das hinderte nicht, die Thatsache hervorzuheben, dass die von Einzelnen
bekämpfte Chclecystendyse {Courvoisier)^ die Versenkung der eröffneten und durch Naht
wieder geschlossenen Gallenblase in die Bauchhöhle, in letzter Zeit an Boden zu gewin¬
nen scheint. A, Christ,
Hautanomalien bei Innern Krankheiten.
Klinische Vorträge für Aerzte und Studirende von S. Jessner, Berlin 1893, A. Hirschwald.
Liegen in andern Specialdisciplinen (Ophthalmologie, Gynäkologie etc.) vorzügliche
Monographien über die pathologischen Beziehungen des Gesammtorganismus zum betreffen-
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den Organe vor, so fehlte es bis jetzt vollständig an einer übersichtlichen kritischen Zu¬
sammenstellung der Veränderungen der Haut bei innern Krankheiten. Mit Unrecht;
geben doch die Anomalien der Haut so manchen werthvollen Fingerzeig für tiefer¬
liegende Erkrankungen der Körpers; ist die Haut doch in vielen Beziehungen der
Spiegel des Körpers! Wer aber in diesem Spiegel zu lesen versteht, hat einen grossen
Theil der vielbewunderten und heutzutage leider nur wenig geübten Kunst der alten
Aerzte, des ärztlichen Blickes, erfasst! Ueber dem m i k r o skopischen Sehen wird das
m a k r o skopische Sehen gegenwärtig häufig nur zu sehr vernachlässigt!
In Yortragsform erörtert Verfasser die Beziehungen der innern Krankheiten zu den
Anomalien der Haut, hiebei stets die Wichtigkeit der Kenntniss der Haut Veränderungen
für den idnern Mediciner, der innern Krankheiten für den Dermatologen hervorhebend.
Wir müssen uns versagen, auf den reichen Inhalt der Arbeit näher einzugeben.
Sie bietet eine Fülle von worthvollen Details, von Beobachtungen, die, allenthalben in
der medicinischen Litteratur zerstreut, Verfasser mit grossem Fleiss und fachmännischem
Verständniss zusammengetragen. Lobend müssen wir in diesem specioll zu Unter¬
richtszwecken geschriebenen Werke erwähnen, dass Verf. es vermieden hat (so ver¬
führerisch nahe es lag), auf weitläufige Speculationen und geistreiche Erklärungsversuche
in der Deutung der Beziehung der Hautefflorescenzen zu den betreffenden Krankheiten
sich näher einzulassen.
Sind besonders die Nervenkrankheiten und ihr Verhältniss zur Haut mit sichtlicher
Vorliebe behandelt, so hätten wir Anderes, so die Krankheiten der Verdauungsorgane,
etwas ausführlicher gewünscht. Welch interessante, diagnostisch werthvolle Beziehungen
ergeben sich z. B. zwischen chronischen Intoxicationen (Blei, Quecksilber, Arsen etc.)
und Haut, zwischen gewissen Medicamenten und Haut (Arzneiexantheme)! —
Eine übersich^tliche Inhaltsangabe erhöbt die Brauchbarkeit des kleinen (112 Seiten
umfassenden), klar und anregend geschriebenen Werkchens.
Dasselbe kann den Collegen zur Auffrischung und zum Studium bestens empfohlen
werden; niemand wird es unbefriedigt und ohne Gewinn aus den Händen legen.
Hems (Zürich).
La praiique gyn£cologique et obst^tricale des höpiiaux de Paris.
Par Paul Lefert. Paris 1893. J. B, Bailliöre et fils. Preis 3 Fr.
Der Verf. gibt in kurzer und gedrängter Form die von 65 Autoren empfohlenen Be¬
handlungsmethoden der verschiedenen gynmcologischen und gehurtshülfliehen Affectionen.
Das Büchlein gibt ein genaues Bild von den gegenwärtig in dieser Materie herrschenden
Anschauungs- und Behandlungsweisen. Es wird so nicht nur für denjenigen, welcher
durch persönlichen Verkehr in den verschiedenen Pariser Kliniken und Spitälern die
Methoden kennen gelernt hat, ein wünschenswerthes Nachschlagebuch, sondern auch für
denjenigen Practiker empfehlenswerth, welcher aus der Feme sich mit den in der fran¬
zösischen, spec. Pariser-Gynfficologie und Geburtshülfe bestehenden Anschauungen und
Therapie etwas bekannt machen möchte, ohne Sammelwerke oder Monographien durch¬
sehen zu müssen. Bei den einzelnen Affectionen sind jeweils die Methoden verschie¬
dener Autoren, allerdings meist ohne Begründung oder Kritik angegeben. So lassen sich
leicht Vergleiche anstellen. Viele Angaben sind ganz neu. Ein Sach- und Autoren¬
register erleichtert die Aufsuchung des Einzelnen sehr. Dr. H, Keller.
Die habituelle Obstipation und ihre diätetisch-hygienische Behandlungsweise.
‘ Von Dr. Ä. Kühner. Leipzig 1892. B. Konegen. Preis 40 Pf.
Verf. weist zunächst auf die Prophylaxis hin, indem dafür gesorgt werden
muss, dass die vorübergehende Verstopfung nicht zur habituellen werde durch Vermeidung
von schwer verdaulichen Nahrungsmitteln. Durch zweckmässige Ernährung
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in den beiden ersten Lebensjahren mit Milch, Fleischbrühe etc., Beschränken
der compacten Speisen, namentlich Amylaceen und Yegetabilien und durch regelmässiges
Anhalten zur täglichen Defeccation wird die vielfach als erblich betrachtete Obstipation
schon bei Kindern verhindert werden. Für das spätere Alter wird die Berücksichtigung
der vegetabilischen Kost sehr empfohlen, da diese die nöthige Menge von Ballast
liefert, welcher als Cellulose besonders im Kleienbrod (Grahambrod) die peristaltische Be¬
wegung des Darmes befördert. Genügende Flüssigkeit zur Verdünnung des Speisebreies
ist nothwendig. Die sog. kleinen Mittelchen wie Trinken eines Glases kalten oder heissen
Wassers nüchtern, Rauchen einer Pfeife Tabak, Obstgenuss nüchtern etc. leisten oft
Grosses.
Das beste und wirksamste Mittel nennt Yerf. die Gewohnheit, zur be¬
stimmten Stunde zu Stuhl zu gehen, wobei die hockende Stellung anempfohlen
wird. Fernere Mittel sind angemessene Körperbewegung im Freien und
als Hausgymnastik und Massage mit oder ohne schwedische Heil¬
gymnastik. ln medico - mechanischen Instituten werden ebenfalls günstige Resultate
erzielt, namentlich mit der maschinellen Massage in Form der Bauchwalkung.
Das Wasser bei innerlichem und äusserlichem Gebrauche ist
ein Universalmittel nach der Erfahrung des Verfassers zur Heilung der Obstipation.
Ein besonderes Capitel widmet Yerf. der Obstipation im Kindesalter,
welche er durch Massage, die mit trockener Hand und fast nur auf der linken Seite
und den untern Seitentheilen ausgeübt wird, mit grösstem Erfolg behandelt. Die Dauer
der Massage darf 10 Minuten nicht übersteigen. JET. Keller.
Die chirurgischen Krankheiten der Haut und des Zellgewebes.
Von Prof. Dr. A. von Winiwarier. Deutsche Chirurgie, Lieferung 23. Stuttgart bei Enke.
Octav, 754 pag. Preis Fr. 26. 70.
In wirklich sehr anziehender und gründlicher Weise werden wir dnrch den Yerf.
in die chirurgischen Krankheiten der Haut und des Zellgewebes eingeführt. Zuerst
werden uns deren Verletzungen: die Quetschung und die Quetschwunden, die Zerreissung
und die Risswunden, sodann die Combination Beider mit Anschluss der Bisswunden ge¬
schildert. Bei den einfachen Verletzungen kommen die Schnitt- und Hiebwunden zur
Sprache; daran anschliessend allgemeine Bemerkungen über den Heilungsprocess und die
Behandlung dieser Verletzungen. Ein letztes Capitel ist den vergifteten Wunden und
ihrer Behandlung gewidmet. Die Anomalien der Blutvertheilung in der Haut bilden
den Inhalt des zweiten Abschnittes, weniger weil sie häufig Gegenstand des chirurgischen
Handelns werden, als vielmehr weil es wichtig ist, diese Zustände von andern zu unter¬
scheiden, bei denen die Hyperämie oder die Anämie nur ein Symptom darstellt. Die
acuten Entzündungen der Haut, welche W. in Entzündungen mit serösem Exsudat und
von desquamativem Character (erythematöse Dermatitis, Erysipel) und in solche mit pla¬
stischem Exsudat und destructivem Character (Phlegmone, Furunkel und Carbunkel) ein-
theilt, werden hier in geradezu mustergültiger Weise behandelt; ebenso die Gangrän
der Haut in ihren verschiedenen Formen, Ursachen und Behandlungen. Die chro¬
nischen Entzündungen theilt W. in nicht infectiöse der Haut (Geschwüre, Ulcera)
und des Zellgewebes (Elephantiasis Arabum und Sclerodermie) und in infectiöse ein
(Lupus, Tuberculose der Haut und Tuberculose des Zellgewebes: Scrophuloderma). Der
Umstand, dass W. über 200 Seiten zur Besprechung dieser Krankheiten bedurfte, spricht
hinlänglich für die Einlässlichkeit, mit der er diesen für die Praxis so wichtigen Gegen¬
stand behandelt. Im VI. Abschnitt werden die Neubildungen der Haut, zuerst die ein¬
fachen Hyperplasien (Schwiele, Clavus, Warze etc.), dann die echten Geschwülste, die
desmoiden und epithelialen und als Anhang dazu die Narben behandelt. Den letzten
Abschnitt bildet die Besprechung der Fremdkörper in der Haut und dem Zellgewebe und
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zwar zunächst der sog. todten Fremdkörper (Emphysem, Oedera, eigentliche Fremdkörper :
Pulver, Glas etc.) und sodann der lebendigen Fremdkörper oder chirurgisch wichtiger
Parasiten (Cysticercus und Elchinococcus telm cellulosee, Dipterenlarven und Milben). Dies
in Kurzem der Inhalt eines Buches, welches kein Leser ohne Befriedigung aus der Hand
legen wird. Dumont.
Oemtoneile Ooi^ireispoiideiizeii.
Hedlelnlscbes ans Amerika. (Schluss.)
Gehen wir nun zum Verhältniss zwischen Arzt und Patient über, so begegnen wir
auch da ungewohnten Ansichten und Practiken. Das Verhältniss hat an Patriarchalisch-
freundschaftlichem verloren und an Geschäftlichem gewonnen. Nach Bezahlung der Rechnung
fühlt sich der Amerikaner quitt und specielle Dankbarkeit und Anhänglichkeit darf man von
ihm nicht verlangen. Ohne triftigere Gründe wird er daher auch seinen Arzt wechseln. Die
eingewanderten deutschen Familien machen in diesem Punkte bis zu einem gewissen Grade
eine rühmliche Ausnahme, so dass auch die amerikanischen Aerzte diese Eigenschaft besonders
schätzen. Nach diesem wird es Niemand wundern, dass das Recbnungsgeschäft wirklich
geschäftlich abgewickelt wird. In regelmässigen Intervallen werden die Rechnungen aus¬
gestellt und eventuell die Säumigen gemahnt. Vielfach geschieht es, dass sogenannte
Collectors (Einzieher) dies besorgen. Eine Aufrundung der Summe oder gar eine Selbst¬
taxation ist unerhört. Beschenken lässt sich der Arzt nicht. Sehr oft dagegen wird auf
Reduction der Rechnung gedrungen und zwar nicht nur von bedürftigen, sondern gelegent¬
lich sogar von sehr wohlhabenden Familien, welche dann als Aequivalent z. B. Baarbezah-
lung proponiren. Im Grossen und Ganzen ist man vom guten Willen der Leute abhängig
und wird das Gesetz kaum angerufen. Zur Ehre der deutschen Arbeiterbevölkerung sei
es gesagt, dass sie in dieser Beziehung sich von der amerikanisch-irischen, besonders
aber von den Schwarzen auszeichnen. Die Letztem sind sehr freundliche, dankbare, sogar
delikate Patienten, aber bezahlen thun sie principiell nicht.
Was nun die öffentliche Gesundheitspflege anbetrifft, so wird auch da sehr viel ge¬
leistet. Ein Board of health (Gesundheitsrath), aus drei Mitgliedern bestehend, sorgt für
die allgemeinen hygieinischen Ausführungen. Es besteht Anmeldepflicht für die epide¬
mischen und ansteckenden Krankheiten. Die inficirten Häuser werden mit grossen ver¬
schiedenfarbigen Zetteln versehen, welche nach bestimmter Zeit vom Sanitätspersonal ent¬
fernt werden. Sofort wird der betreffenden Schule Anzeige gemacht.
Auch für die Desinfection sind Vorschriften vorhanden, eventuell wird sie von Sani¬
tätspolizisten ausgeführt.
An öffentlichen Krankenanstalten erwähne in erster Linie den Stadtspital (City
hospital), welcher sich aus kleinen Anfängen seit ca. 20 Jahren zu einem wohlversorgten
Institut herangebildet hat. Aus der Art der Leitung ersehen wir, wie weit die poli¬
tischen Eigenthümlichkeiten ihre Wellen werfen. An der Spitze steht der Superintendent,
ein vom Stadtrath gewählter Arzt, der sowohl die Behandlung als die Verpflegung über¬
wacht. Er wird aus der herrschenden politischen Partei erwählt und wechselt unerbitt¬
lich mit der siegenden Partei. Der Superintendent erwählt nun aus den Reihen der
tüchtigsten Aerzte mehrere ans, denen die einzelnen Krankenabtheilungen anvertraut
werden. Natürlich handelt es sich um eine Gratisleistung von Seiten der Aerzte. Ist
nun der betreffende Abtheilungsarzt mit einem der bestehenden Colleges in Verbindung,
so kann er sein Material den Studenten zur Verfügung stellen. Unter diesen Consulting
physicians of the hospital wirken mehrere Assistenzärzte, welche nach absolvirtem Aerzte-
examen um die Stelle erfolgreich concurrirt haben.
Als Pendant zu unserer Poliklinik ist die City dispensary zu nennen, welche eben¬
falls unentgeltlich Consultationen ertheilt und Hausbesuche macht. Auch hier functio-
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niren neben dem Chef und den Assistenzärzten mehrere Consulting physicians, welche
abwechselnd die Patienten behandeln und dabei den Studenten Unterricht ertheilen. Wenn
wohl auch mancher Nachtheil aus dieser Decentralisation der ärztlichen Oberaufsicht ent¬
springt, so sind auch die Yortheilo nicht zu übersehen: Kleinere Krankenabtheilungen
für die Kranken, vielseitigere Anregung für die Studenten, Wetteifer unter den berufenen
Aerzten.
Neben dem Cityhospital für die ärmere Bevölkerung besteht der St. Yincenthospital
k la hiesigem Schwesternhaus, in welchem die Patienten durch ihre Privatärzte behandelt
werden. Schon lange existirt eine Privatklinik für Nervenkranke unter ausgezeichneter
ärztlicher Leitung. Während noch in den letzten Jahren auch die grössten Operationen
(Laparotomien z. B.) fast ausnahmslos im Privathause ausgeführt wurden, so wurden in
jüngster Zeit drei Privatspitäler für Frauenkrankheiten und chirurgische Fälle eingerichtet,
welche alle prosperiren.
Ausserhalb der Stadt finden wir das Insane Asylum (Irrenanstalt), das von einem
St. Galler erbaut wurde. Dasselbe ist in Anlage und innerer Einrichtung mustergültig
zu nennen und bietet Raum für 1313 Patienten. Die gleichen Yorzüge vereinigt das
von schönen Anlagen umgebene, mitten in der Stadt gelegene Deaf und Dumb Asylum
(Taubstummenanstalt).
Indianapolis besitzt zwei reguläre Medical Colleges, beide nach amerikanischer Art
Privatuntemehmen, welche durch Beiträge und Legate Privater gegründet wurden und
unterhalten werden. Oft hört man von verschwenderischen Mitteln, welche solchen In¬
stituten zufliessen und es ist Thatsache, dass einzelne zu den reichst dotirten Anstalten
gehören. Wenn auch ein solcher Goldregen auf diese noch nicht herniedergefallen, so
wird doch mit den vorhandenen Mitteln durch weise Sparsamkeit und practische Yer-
wendung viel geleistet. Die Professoren und Docenten beziehen keine bestimmten Ge¬
hälter. Trotzdem versäumen sie nicht, durch weite Reisen und lange Studien auswärts
ihre Kenntnisse zu vermehren.
Um die relativ hohe Entwicklung dieser vielen medicinischen Einrichtungen richtig
zu beurtheilen, darf man nie vergessen, dass die Stadt, wie oben mitgetheilt, anno 1850
nur 8000 Einwohner zählte und dass es sich mit wenigen Ausnahmen (Insane asylum)
lediglich um Privatunternehmen handelt ohne nennenswerthe staatliche Unterstützung.
Um einigermassen erschöpfend zu sein, muss hier auch einzelner Hülfsbranchen
Erwähnung gethan werden, in erster Linie des Apothekerwesens. Auch es hat
sich ganz unabhängig von europäischen Regeln entwickelt. Yergeblich sucht man ein
chemisches Laboratorium, in welchem das Rohmaterial verarbeitet wird. Diese Arbeit ist
schon lange an die chemischen Fabriken übergegangen und wird von jenen mit einer
Sorgfalt, Genauigkeit und Preiswürdigkeit besorgt, wie es eben nur der Grossbetrieb er¬
möglicht. So bleibt der Apotheke nur der Detailverkauf übrig. Die unsichern Infuse,
Decocte, Macerationen etc. werden selten oder nie verschrieben. Die Grossindustrie liefert
täglich eine Unmasse von combinirten Medicamenten, besonders in Pillen und comprimirten
Formen, welche alle den Yorzug der genauen Dosirung, des angenehmen Geschmackes
und Aussehens haben. Uebrigens bestrebt sich auch der Arzt, eine möglichst gefällige
Form ausfindig zu machen und werden trockene Medicinen fast ausnahmslos in Gelatine¬
kapseln dispensirt. Grosse Medicinfiaschen mit Esslöffeldosen sind nicht salonfähig.
Wenn das Arbeitsfeld des Apothekers in oben erwähnter Richtung hin eingeschränkt
ist, so hat es in anderer eine Erweiterung erfahren, welche uns Europäer in Staunen
versetzt. Ein sehr bedeutender Yerkauf von kohlensäurehaltigem Wasser mit den mannig¬
faltigsten Zusätzen, ein unglaublicher jDonsum von Ice cream geht Hand in Hand mit
dem Yerkauf von Toiletteartikeln (Spiegel, Bürsten, Parfümerien), von Schreibmaterialien,
von Farbwaaren, Glaswaaren, Cigarren, Kautabak, Liqueuren, Wein, Yerbandstoffen,
Krankenpflege-Utensilien etc. Neben allen möglichen Patentmedicinen verkauft jede Apo¬
theke ihre besondern Specialitäten gegen Hühneraugen, Husten, Wunden etc. Von einer
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staatlichen Controlle über den Besitz von gewissen Medicamenten etc. ist keine Rede.
Doch würde man sich irren, wenn man darum annehmen wollte, man könne sich deshalb
weniger verlassen. Die Concnrrenz ist eine bessere Aufsicht als die Staatsgewalt. Da¬
neben dispensiren auch in der Stadt viele Aerzte selbst.
lieber das Hebammenwesen kann ich nur wenig berichten. Die Aerzte werden mei¬
stens an deren Statt auch zu den normalen Geburten engagirt und jedenfalls zum Vor¬
theil der Frauen, denn es kommen auffällig wenig alte exsudative Prozesse zur gynsecolo-
gisdien Behandlung.
Was die chirurgischen Instrumente^) anbetrifft, so ist allgemein bekannt, dass sie
unvernünftig theuer sind; doch muss zugefügt werden, dass sie in Eleganz, Exactheit der
Ansführung und Qualität des Materials von den unsern kaum erreicht werden. In der
Construction von immer neuen und verbesserten Untersuchungsstühlen, Operationstischen,
Sterilisations-Apparaten und andern Utensilien steht Amerika wohl obenan.
Damit will ich nun meine allgemeinen Betrachtungen schliessen und im Folgenden
noch einige persönliche Beobachtungen mittbeilen.
Indianapolis ist ein Malariaplatz. Früher ist die Krankheit mit grosser Heftigkeit
aofgetreten, so dass sie noch vor 25 Jahren nicht selten unter Krampferscheinnngeu in
kurzer Zeit (wenigen Stunden) zum Tode führte. Jetzt ist die Infection weniger maligner
Natur, hat aber an Ausdehnung noch nicht viel eingebüsst. Jeder Ankömmling muss
früher oder später seinen Tribut bezahlen. In schweren Fällen wird das Fieber remit-
tirend und zuletzt constant, so dass die Differenzial-Diagnose mit Typhus oft schwierig
wird. Aus persönlicher Erfahrung kann ich berichten, dass die Temperatur wochenlang
zwischen 40 und 41 schwankt und durch Chinin vorübergehend nicht mehr beeinflusst
wird. Malaria complicirt und modiflcirt so ziemlich jede Erkrankung, jeden chirurgischen
Eingriff und tritt in den wunderlichsten Formen auf, so dass deren Diagnose und Be¬
handlung trotz der Alltäglichkeit eine sehr interessante ist. Im Gegensatz zu der Malaria,
die das tägliche Brod genannt werden kann, fallt die Seltenheit tuberculöser Erkrankung
insbesondere bei den gebornen Amerikanern auf. Tuberculöse Knochenerkrankungen sind
ganz selten. Aehnlich verhält es sich mit der Rachitis, welche dem Geburtshelfer nur
wenig Arbeit verschafft. Der Unterschied muss jedenfalls in der kräftigeren Volks- und
besonders Kinder-Emährung liegen; Butter, Fleisch, Milch und Eier fehlen selbst auf dem
Tisch der Armen nie.
Der Ruf der amerikanischen Chirurgen ist schon lange nach Europa gedrungen. Es
war daher mein Bestreben, in den verschiedenen Städten, wohin mich die Reise führte,
die Chirurgen an der Arbeit zu sehen. Eine Visitenkarte genügt zum Eintritt und ist
man überall eines freundlichen Empfanges sicher.
Obne Ausnahme wird überall die Anti- resp. in neuerer Zeit meistens die Asepsis
aufs minutiöseste dnrchgeführt. Die Antiseptica variiren und erkennt man auch darin
eine stark bervortretende Individualisirnng. Karbolsäure und Sublimat stehen an der
Spitze der Antiseptica. Instrumente und Verbandstoffe werden meistentheils sterilisirt.
Als Nahtmaterial wird neben Seide und Catgut vielfach Silkworm verwendet. Im Ganzen
verfügt der Amerikaner über eine nicht gewöhnliche Technik und befleissigt sich der
möglichsten Einfachheit in Assistenz und Instrumentarium.
Einen höchst interessanten und lehrreichen Nachmittag verlebte ich im Presbyterian
hospital in Chicago bei unserm Landsmann Prof. Senn, Ein äusserst reichhaltiges Material
wird in gedrängter Kürze wissenschaftlich und practisch erschöpfend behandelt. Die Prac-
ticanten werden gehörig gequetscht und deren Fingernägel sogar vor der Operation einer
genauen Besichtigung unterworfen. Die Operationen gehen glatt und elegant vor sich
und, was die Hauptsache für den Zuschauer ist, können wirklich von Allen genau verfolgt
werden, wobei allerdings die Herren Assistenten nicht die beneidcnswerthesten Positionen
einnehmen müssen. Unter den grössern Operationen erwähne die Extirpation eines Manns-
*) Die Instrumente, welche der Arzt persönlich einführt, sind zollfrei.
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kopf-grossen subserösen und interstitiellen Desmoids aus der Bauchwand; die Trepanation
eines handtellergrossen eingedrückten Schädelknochens wegen epileptischer Anfälle. Nach
completer Blutstillung durch massige Compression wurde nicht das Knochenstück in toto
zur Bedeckung des Defectes benützt, sondern es wurden zahlreiche kleine glatte Knochen¬
partikelchen auf die Dura implantirt und mit dem Hautlappen bedeckt. Capilläre Drai¬
nage mit Catgutfaden an den untern Wund winkeln. Ausserdem wurde eine Uranoplastik
ausgeführt, eine Cyste des Präputiums excidirt, eine Phimosen-, eine Varicocelen-Operation
gemacht, eine Osteosarcom der Tibia vorgestellt und zudem noch die Resultate früherer
Operationen gezeigt.
Im Chicagoer Woman’s hospital operirten Dr. Robinson und Dr. Martin einen Fall
von Ileus. Da das Hindemiss nicht gehoben werden konnte, so wurde eine Anastomose
zwischen Colon ascendens und einer Dünndarmschlinge angelegt, wobei anstatt der iS^n'schen
decalcinirten Knochenplatte die von Robinson construirte Kautschuk platte in Anwendung
kam. Zwei Stück weichen Gummis sind vermittelst Catgut so vereinigt, dass sie nach
Resorption des Catgutes frei werden und mit dem Koth entfernt werden. Die Anlegung
der Anastomose dauerte kaum eine Viertelstunde. (Vorweisung der Platte.)
Bei Dr. Eastman in Indianapolis hatte Gelegenheit, einer nach ihm modificirten
Fr«/nd’schen Operation beizuwohnen. Die Methode wurde ursprünglich für jene Fälle
von Myomectomien ausgebildet, bei welchen eine extraperitoneale Stielversorgnng erwünscht
ist, der Stiel aber nicht lange genug, um in die Bauchdecken eingenäht zu werden.
Das hintere Scheidengewölbe wird auf einem extra construirten, mit einer Rinne versehenen
Stab, der durch die Scheide eingeführt wird, eingeschnitten. Die Ligaturfäden der
Scheidengewölbe werden lang abgeschnitten and am Schluss zusammen vermittelst einer
Zange durch die Vagina herausgeführt. Dadurch kommt im Becken drinn Serosa an
Serosa und die rauhe Wundfläche liegt in der Vagina, also extraperitoneal.^)
Im St. Francis hospital in New-York konnte bei Dr. Edebohls einer vaginalen Total-
exstirpation beiwohnen. Die beiden Lig. lata wurden in Pincetten abgeklemmt und nach¬
träglich ausserhalb noch mit einem Seidenfaden ligirt. ln allen Einzelheiten bekundigt
sich ein scharf kritischer Geist und ein nimmer rastender Drang nach Vervollkommnung.
Der Griff eines hintern Simm'schen Speculums ist in einen Haken verwandelt, an wel¬
chem ein Gefäss hängt, weiches das ablaufende Blut und die Irrigationsflüssigkeit auf¬
nimmt und so durch seine Schwere das Speculum flxirt und damit die Hand eines
Assistenten ersetzt. Edebohls hat auch einen Operationstisch construirt, der für den
Gynmcologen wohl die meisten Vortheile vereinigt. Mit grösster Leichtigkeit wird während
der Operation die Trendelenburg'hch^ Lage hergestellt. Daneben ist der Tisch gleicher-
massen geeignet für Operationen am Damm. Als Material wurden ausschliesslich Eisen
und Glas verwendet und werden somit alle Anforderungen der Antiseptik erfüllt. Auch
die Frage der Beinstützen scheint mir glücklich gelöst zu sein. Die untern Extremitäten
werden durch Doppelbänder auf einfache Weise an den Füssen aufgehängt, wodurch
keine Circulationshindernisse bedingt werden und die Lage auch bei Bewegungen des
Rumpfes unverändert beibehalten werden kann.^ Tisch und Beinstützen haben sich mir
gut bewährt.
Mit wenigen Worten will ich noch Dr. Langes Privatspital in New-York erwähnen.
Dr. Lang ist wohl der bekannteste Chirurg des Ostens. Die Einrichtung des Operations¬
saales mit Oberlicht, die practische und doch geschmackvolle Ausstattung der Kranken¬
zimmer, die einfachen Bade-Einrichtungen, die musterhafte Ordnung werden mir stets in
bester Erinnerung bleiben.
In letzter Zeit sind einige neue Zander'Bche Institute in Chicago und New-York,
mit den besten und neuesten Maschinen ausgestattet, errichtet worden und erfreuen sich
einer stets wachsenden Kundschaft und Popularität.
1) Beschrieben in the medical News, 1. August 1891.
*) Der Operationsstuhl wurde beschrieben in der Illustr. Monatsschr. für ärztl. Polyt., Sept. 18‘.^.
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Zum Schluss habe ich noch der New-York Academy of medicine in der West 43.
Strasse einen Besuch abgestattet, last but not least. Es ist dies der stolze Mittelpunkt
des medicinischen Lebens, worin in mehreren grossem und kleinern Sitzungssälen alle
medicinischen Gesellschaften ihre Versammlungen abhalten, wo neben einei: grossen Fach¬
bibliothek Lese-, Rauch- und Gesellschaftszimmer bestehen. Das mehrstöckige, einfache,
aber imposante Gebäude wurde aus Schenkungen von Laien und Aerzten erbaut und darf
jeden New-Yorker Arzt mit Stolz erfüllen.
Meine Herren! Dies sind in Kürze einzelne Beobachtungen, welche ich in 1 ihrigem
Aufenthalte zu machen Gelegenheit hatte. Ich habe eine längere Zeit Torübergehen
lassen, damit sich meine Eindrücke möglichst abklären konnten. Dennoch yerlangeo Sie
kein absolut objectires Urtheil. Meine Schilderung wird in vielen Punkten nicht über-
einstimmen mit den Eindrücken, welche europäische medicinische Reiseonkels bekommen.
Nur ein längerer Aufenthalt, ein längeres Zusammen-Leben und -Streben, eine nähere
Bekanntschaft mit der Elntwicklung der Verhältnisse kann zu einem annähernd gerechten
Urtheil führen. Mein Zweck wird erreicht sein, wenn es mir gelungen sein sollte, das
Interesse für und die Achtung vor den amerikanischen medicinischen Verhältnissen ge¬
fordert zu haben, so dass die Ansicht allgemeiner wird: es kann auch aus Amerika
etwas Gutes kommen. Dr. H, Häberlin (Zürich).
W oolieikböiricliti.
Schweiz.
BaseL Als Nachfolger von Prof. Fehling wurde Docent Dr. E. Bumm in Würz¬
burg zum Professor der Geburtshülfe und Gynäcologie an der Universität Basel ernannt.
Der neue Professor, der vielen unserer jüngeren Collegen von den Feriencursen her wohl
bekannt sein wird, war zunächst Assistent von Scanzoni, dann verweilte er längere Zeit
in Paris, wo er an der Materaite arbeitete, und als er nach Würzburg zuröckkehrte,
habilitirte er sich dorthin für Geburtshülfe und Gynäcologie. Die zahlreichen wissen¬
schaftlichen Arbeiten des Herrn Bumm^ worunter wir nur die Untersuchungen über den
Gonococcus und die Erreger des Puerperalfiebers nennen möchten, vor allem aber sein
aossergewöhnliches Lehrtalent gestatten jetzt schon, diese Wahl als eine sehr glückliche
zu bezeichnen.
BaseL Am 12. Januar wurde das vor zwei Jahren von den Behörden be¬
willigte hygienische Institut in Basel eingeweiht. Bis dahin hatte der
Docent für Hygiene ein einziges Zimmer im physiologischen Institute als Privatlaboratorium
zur Verfügung, so dass an eine Entwickelung des hygienischen Unterrichtes in practischem
Sinne gar nicht zu denken war. Das neue hygienische Institut befindet sich in einem
alten Schulhause zusammen mit der cantonalen chemischen Versuchsstation, und enthält
neben Hörsaal, Sammlung und Privatlaboratorium des Directors noch Laboratorien für
Schüler, welche practisch hygienisch zu arbeiten wünschen. Zur Einweihung seiner neuen
Anstalt hatte der Docent für Hygiene an der Basler Universität, Prof. A, E. Burckhardt^
seine jetzigen und früheren Schüler eingeladen. In einer höchst interessanten Eröffnungs-
vorlesung brachte er ihnen das Resultat eigener Forschungen über epidemiologische
Verhältnisse in Basel in früheren Jahrhunderten und schloss mit dem Wunsche, dass
die neue Anstalt zum Nutzen der Stadt, der Studirenden und der kranken Menschheit
gedeihen möge. Ein kleines Nachtessen vereinigte nach der Vorlesung Lehrer und
Schüler, und man trennte sich in später Stunde, nachdem wiederholt aufs Wohl der
Hygiene und ihres neuen Tempels toastirt worden war. J.
— Pedenetiisehe Messugea der I•k•■tl•ri8clle■ LeistaBgea elaes gesudea
Arztes« Durch die Güte des schweizer. Oberfeldarztes gelangten wir in den Besitz von
brieflichen Mittheilungen eines schweizerischen Arztes (Stadtarzt) über während des Jahres
1893 exakt und konsequent vorgenommene Schrittzählungen mittelst Pedometers. Diese
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Messungen bilden einen interessanten Beitrag zur physiologischen Leistungsfähigkeit eines
gesunden Arztes; wir entnehmen dem Berichte folgende wesentliche Angaben:
Der Pedometer zeigte jeden mehr oder weniger feldmässigen Schritt an, ebenso jede
Treppenstufe, dagegen nicht die ganz kleinen Schritte und Bewegungen in der Sprech¬
stunde. Solcher Schritte machte der betr. Arzt ira Jahr 1893: 9,760,900, also per Tag
26,742 (darunter 1500—2000 Treppenstufen). Während des ganzen Jahres war er
ohne Ausnahme von früh Morgens bis Abends 10 Uhr auf den Beinen gewesen und
selten mit Tram oder sonstwie gefahren. Die Arbeit war stets die gleiche; Spaziergänge
kamen so gut, wie gar nicht vor (15,000 Besuche und Consultationen). Bei einer täg¬
lichen Leistung von 30,000 Schritten war spürbare Müdigkeit da, während bei einer
Schrittzahl von über 30,000 (z. B. 34,000) am andern Morgen eine wesentliche Steifig¬
keit in den Beinen sich fühlbar machte und eine vollständige Restitution der Kräfte in
der sonst gewohnten Schlafzeit (10 Uhr Abends bis 4 Uhr Morgens) entschieden nicht
eintrat. Bei 30,000 täglichen Schritten war für den Untorsucher die Grenze zwischen
behaglicher Müdigkeit und Uebermüdung. — Interessant ist die Regelmässigkeit, mit
welcher er, ohne auf den Pedometer zu sehen, mit Rücksicht auf den Grad der be¬
stehenden Müdigkeit auf 100 Schritte genau errathen konnte, wie viel der Pedometer
anzeigen werde.
— Mitttaeilnnfea für die sehweizerisflieH Besaeher des XL iateraatleaalea
aiedleiaisehea Cea^resses ia Reai: 29. Hirs bis 5. April 1894. Den im Laufe der
letzten Wochen beim Präsidenten des schweizerischen Nationalcomite^s, Herrn Prof. Kocher^
eingegangenen Zuschriften und Programmen entnehmen wir folgendes Wissenswerthe:
Um den Congressisten und ihren Angehörigen das AufBnden von Wohnungen und
den Besuch der interessantesten und schönsten Punkte Süditaliens zu erleichtern, hat das
Centralcomitö des Congresses die Firma Th. Cook & Sohn von Amtes wegen beauftragt,
sich der Beschaffung von Unterkunft für die Congressbesucher zu unterziehen und Aus¬
flüge in Rom selbst, in die Umgegend von Neapel und nach Sicilien zu veranstalten.
Mit Hülfe dieser Einrichtung werden der Aufenthalt in Rom, sowie die sich eventuell
daran anschliessenden Ausflüge mit aussergewöhnlich ermässigten Ausgaben verbunden.
Die Firma Cook berechnet für Wohnung, Mahlzeiten, Bedienung und Beleuchtung in den
ersten H6tels und Pensionen Roms Fr. 12. 50 per Tag und Person, eventuell mehr nach
Massgabe des beanspruchten höheren Comforts. Die Excursionen von Neapel auf den
Vesuv, nach Pompeji, Capri, Sorrento, Castellamare und ßajae, in der Dauer von 3 Tagen,
werden Alles inbegriffen circa Fr. 70 per Person kosten. Die Excursionen nach Sicilien,
von zehntägiger Dauer, werden folgenden Fahrplan verfolgen: Neapel-Messina-Taormina-
Catania-Girgenti-SyrakuS'Palermo-Neapel, und werden circa Fr. 280 per Person kosten,
Dampfboot, Eisenbahn, Hotels, Mahlzeiten, Wagen, Führer, Trinkgelder u. s. w. inbe¬
griffen. Selbstredend Reise und Verpflegung erster Classe. Für Ausflügler zweiter Classe
werden geringere Preise berechnet werden. Die Congressisten werden ersucht, sich so»
wohl wegen Unterkunft in Rom, als wegen Theilnahme an den Ausflügen so bald wie
möglich an die nächstgelegene Agentur der Firma Cook & Sohn zu wenden, womöglich
noch vor dem 15. Februar. Detaillirte Programme und Instructionen für die Reise
werden vom Centralcomite allen Eingeschriebenen zugesandt.
Ansuchen um Instructionen, Reiselegitimationspapiere und Programme sind an den
Generalsecretär des XL internationalen medicinischen (Kongresses in Genua zu richten.
Die aussergewöhnlich günstige und nicht wiederkehrende Gelegenheit, mit relativ
geringen Auslagen nicht nur die in seltener Bequemlichkeit dargebotenen Herrlichkeiten
Roms, sondern auch die schönsten Punkte Italiens besuchen zu können, wird, so hofft
das Centralcoraitö, manchen Collegen veranlassen den Congress zu besuchen, der vielleicht
aus irgend einem Grunde zu Hause geblieben wäre.
In einem vom 20. Januar datirten Schreiben des Generalsecretärs Prof. Maragliano
werden alle Bedenken zerstreut, welche man allenfalls in Erinnerung an die von der
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Presse gemeldeten öfiPentlichen Rahestörungen in Italien haben könnte. £s wird versichert^
dass diese ganz isolirten Ereignisse, „das geringe Aequivalent der in ganz Europa vor¬
kommenden anarchistischen Bewegung*^, die Rübe and Ordnung Italiens in keiner Weise
zu stören vermochten und dass die Congressbesucher das nämliche Gefühl absoluter
Sicherheit haben dürfen, welches sie — die im Lande der betr. Ereignisse Wohnenden,
keinen Augenblick verlassen hat.
ln Wiederholung früherer Mittheilungen (vergl. Corr.-Blatt 1893, pag. 94, 285,
349 etc.) wird hier nochmals ausdrücklich daran erinnert, dass die Anmeldungen beim
Präsidenten oder Schriftführer des schweizerischen Nationalcomite’s (Prof Kocher in
Bern; Prof. D^Espine in Genf) zu geschehen haben, von wo her jede Auskunft erhält¬
lich ist. Wer sich nicht baldigst zur Anmeldung entschliesst,
wird von zahllosen Vergünstigungen, wie sie den frühzeitig
inscribirten C o n g r e s s t h e i l n e h m e r n zukommen, ausgeschlos¬
sen sein. Wer durch das Nationalcomite beim Centralcomite in Rom angemeldet
ist, dem werden baldigst die Reiselegitimationspapiere und alle nöthigen Ausweise zuge¬
stellt werden.
Ist einmal die Zahl der schweizerischen Theilnehmer bekannt, so Hessen sich viel¬
leicht gemeinschaftliche Reiserouten etc. via Correspondenz-Blatt arrangiren. Thatsächlich
sind die Anstrengungen, welche das Centralcomite, Baccelli an der Spitze, zum Gelingen
des Congresses machen, ganz ausserordentliche und derselbe wird seine Vorgänger an
Grossartigkeit und Reichthum in erhabenen Genüssen bei Weitem übertreffen. Für den
Arzt gibt es keine gleich günstige Gelegenheit mehr, als Mitglied eines wissenschaftlichen
Congresses Italien und das ewige Rom so bequem und mit so geringen Opfern kennen
zu lernen.
An die schweizerischen Militärärzte, welche den Congress zu be¬
suchen gedenken, ergeht hiemit die Einladung, sich bis spätestens den
2 5. Februar beim Schweiz. Oberfeldarzt anzumelden. Sie er¬
halten alsdann ein specielles Programm der XIV. Section zugesandt und werden in Rom
als schweizerische Militärärzte legitimirt; weitere Verbindlichkeiten erwachsen ihnen aus
der Anmeldung nicht.
Ausland.
— Aus A b b a z i a kommt die Trauerkunde, dass daselbst am 6. Februar Prsf.
Biliretb, 67 Jahre alt, gestorben ist. Das bedeutet einen unersetzlichen Verlust für die
medicinische Wissenschaft, aber vor Allem ist es auch der edle und grosse Mensch, um
den stahllose Freunde und Verehrer wahrhaftig und von ganzem Herzen trauern. — Das
Corr.-Blatt wird baldigst einen Necrolog aus der Feder eines Freundes des Verstorbenen
bringen.
— In Halle starb, seit Jahren an Körper und Geist gebrochen, Prtf. Frankea-
hiaser, einst Lehrer der Geburtshülfe und Gynajcologie in Zürich; zahlreiche Schüler
werden dem einstigen vorzüglichen und liebeuswürdigen Lehrer ein dankbares Andenken
bewahren.
— In Berlin starb Prof. Dr. Aa|^. Hirsch, 77 Jahre alt, Verfasser des berühmten
„Handbuches der historisch-geographischen Pathologie^.
— Der Xin, Coagrcss fhr laaere Medicia ist, mit Rücksicht auf den XI. inter¬
nationalen medic. Congress in Rom verschoben und wird erst im Jahre 1895 in München
abgehalten werden.
— Die acaazebate Vcrsaainilaaf des Heatschea Vereias fbr dffeatllebe Ge-
saadheilsplCfC wird vom 19. bis 22. September 1894 in Magdeburg stattfinden. Als
Verhandlungsgegenstände sind in Aussicht genommen: 1. Die Massregeln
zur Bekämpfung der Cholera; 2. Hygienische Beurtheilung von Trink- und Nutzwasser;
3. Die Nothwendigkeit extensiverer Bebauung und die rechtlichen und technischen Mittel
zu ihrer Auaführung; 4. Beseitigung des Kehrichts und anderer städtischer Abfälle, be-
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Bonders durch Verbrennung; 5. Abtritts- und Ausgusseiurichtungen in Wohnhäusern;
B. Zulässigkeit der Gasheizung in gesundheitlicher Beziehung.
— Der JfthreseoBgress der Irres- ni Nerveaftrzte franzdsisclier Zan^e findet
vom 6.—11. August 1894 in Clermont-Ferrand statt. Verhandlungs¬
gegenstände: 1) Pathologie mentale: Des rapports de THysterie et de ia Folie.
Ref.: Gilbert Ballei, prof., Paris; 2) Pathologie nerveuse: Des Nevrites-Peripheriques.
Ref.: M. P. Marie, prof., Paris; 3) Legislation et Administration: De l’Assistance et de
la Legislation relatives aux alcooliques. Ref.: M. Ladame, privat-docent, Gen^ve. Alle
Anmeldungen an Dr. P. Hospital^ medecin en chef de l’etablissement d’alienes de Sainte-
Marie-de-l’Assomption, ä Clermont-Ferrand.
— Ein Fall von Lfthaiaagf aaeh Aetharlajectiaaea wurde von Eherhart (Köln) ^
beobachtet. Es handelte sich um eine collabirte Frau, welcher zwei Aetherinjectionen,
die eine in der Mitte des rechten Vorderarmes, die andere handbreit unterhalb des Ole-
cranons gemacht wurden. Am anderen Tag war eine Lähmung des Mittel-, Ring- und
kleinen Fingers der rechten Hand vorhanden. Dabei hatte die Patientin gar keine
Schmerzen, speciell waren die Injectionsstellen nicht schmerzhaft. Erst nach längerer
Behandlung kehrte die Beweglichkeit wieder, zuerst im Mittelfinger, dann in den beiden
anderen. Bis zur vollständigen Restitutio ad integrum waren aber volle sechs Wochen
nöthig. Diese Fälle, wenn auch selten, sind schon wiederholt beobachtet worden. Es
handelt sich dabei wahrscheinlich um eine Neuritis der peripheren Nerven, durch die
Einwirkung des Aethers auf dieselben hervorgerufen, und keineswegs um eine directe
Verletzung der Nerven bei den Einspritzungen. (Deutsche med. Wochenscbr. Nr. 47.)
Eine analoge Lähmung (Extensoren des kleinen und des Ringfingers) beobachtete
ich nach Campherätherinjection in die Streckseite des rechten Vorderarms bei einer II
para mit atonischer Uterusblutung. Die Lähmung, mit welcher auch sensorische Störungen
verbunden waren, verlor sich erst nach 7 Monaten unter dem Gebrauche des constanten
Stroms. E, H.
— Aus der Bardelehen'hehm Klinik in Berlin wird ein Broaikthyltodesfall ge¬
meldet. (Centralbl. f. Chir. 1894 Nr. 2.) Eine 21jährige Frau, schwächlich aber bis auf
eine zu operirende Mastdarmfistel scheinbar gesund, wurde bromäthylisirt, indem die mit
10 Tropfen angefeuchtete Maske Minute lang vorgehalten und nachher der Rest des
Mittels, 15 gr aufgegossen wurde. Nach einem sehr kurzen Excitationsstadium, in
welchem die Athmung ganz frei war, trat nach weniger als Ys Minute die Betäubung
ein. Fast gleichzeitig hörte aber das Herz zu schlagen auf. Die Athmung ging, erst
in normaler Weise, dann schnappend, noch Stunde weiter. Herzmassage, Aether¬
injectionen, faradischer Strom, Kochsalzinfusion (1500 gr) in die Vena med. basil. blieben
erfolglos.
Sectionsbefund : linkes Herz fest contrahirt, leer; Muskulatur buntscheckig (fettige
Entartung); rechtes Herz schlaff, leer. „Ob hier das Betäubungsmittel, das bisher im
Allgemeinen für harmlos (nur in kleinen Dosen; Red.) gehaltene Bromäthyl, die
Herzlähmung herbeigeführt hat, oder ob es sich um jenen Zustand der Herzschwäche
handelte, den wir mit den jetzigen Hülfsmitteln nicht nachweisen können und das schon
oft den plötzlichen Tod eines Menschen auch ohne Anästhetikum verursacht hat, ist
schwer zu bestimmen.^ Jedenfalls mahnt der Fall zur Vorsicht! Auf gleicher Klinik
ereignete sich ein Aetbertodesfaii. Eine Frau mit Insufficienz der Aortenklappen wurde
zur Herniotomie ätherisirt. (Asphyktische Methode nach Juülard,) Nach 48 Minuten
und Verbrauch von 240 gr Aether trat Schlechterwerden des Pulses ein. Nach 53
Minuten (250 gr Aether): Herz- und Athemstillstand. Die Obduction ergab: „Aethertod
durch Herzlähmung; nirgends Erstickungserscheinungen. (C.-Bl. f. Chir. 1894, Nr. 5.)
— Zur PatboUgie des Haskeirheaaatisaias* Trotz der Häufigkeit dieser Affec-
tion sind unsere Kenntnisse über seine Aetiologie und Pathologie noch sehr mangelhaft.
Als Grund dafür mag die relativ kurze Dauer und die Benignität der Krankheit ange-
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fuhrt werden, so dass es kaum Vorkommen durfte, dass ein Fall von uncomplicirtem
Muskelrheumatismus zur Seotiou käme. Auf Grund zahlreicher Beobachtungen ist doch
Leute der Meinung, dass der Muskelrheumatismus auf eine Infection zurückzuführen sei,
wofür ihm verschiedene beobachtete Erscheinungen zu sprechen scheinen. In einzelnen
Fällen geht dem Auftreten der Muskelschmerzen ein Prodromalstadium voraus: es besteht
eine Zeit lang Mattigkeit, Appetitlosigkeit, Kopfschmerz, Schwindel, Erbrechen, hie
und da auch Erhöhung der Temperatur. In den meisten Fällen setzt aber die Affec-
tion plötzlich mit einem äusserst heftigen Schmerz in diese oder jene Muskelgruppe
ein. Die als Ursache dieser Schmerzen oft angegebene Ueberanstrengung ist nicht ge¬
nügend, um die hochgradige Schmerzhaftigkeit zu erklären; ferner ist nach einer Muskel-
zerreissung der Schmerz streng localisirt und verbreitet sich nicht wie bei der Lumbago
auf andere Muskelgruppen. In der Mehrzahl der Fälle verläuft der Muskelrheumatismus
fieberlos; jedoch beobachtete Leute in ungefähr einem Drittel seiner Fälle ein bald
schwächer, bald stärker ausgesprochenes Fieber. Eine wichtige Complication, welche
man bis jetzt als ausschliesslich bei Gelenkrheumatismus vorkommende l)etrachtete und
welche allerdings für die infectiöse Natur des Muskelrheumatismus zu sprechen scheint,
ist die Endocarditis. In drei Fällen hatte Leute Gelegenheit, im Verlaufe eines reinen
Muskelrheumatismus das Auftreten einer Endocarditis zu beobachten. In nicht wenigen
anderen Fällen bestanden ebenfalls Geräusche am Herzen; da die Patienten aber mit
denselben ins Spital eingetreten waren, war die Möglichkeit vorhanden, dass es sich dabei
nm alte Geräusche handeln könnte. Aus diesen Gründen hält es Leute für-wahrschein¬
lich , dass der Muskelrheumatismus in naher Beziehung mit dem Gelenkrheumatismus
stehe, so dass vielleicht beiden derselbe, aber verschieden virulente Infectionsstoff zu
Grunde liege. (Deutsch, med. Wochenschr. Nr. 1, 1894.)
— Ueber die ZerselzHf des ChUreferais Mm Chltroftrairen bei Gasliebt
stellte Kyll eine Reibe von Versuchen an. Als er ein Gemisch von Leuchtgas und
Chloroformdämpfen anzündete, erschien die Flamme grünblau umsäumt. Jodkaliumstärke¬
papier über die Flamme gehalten, bläute sich sofort; mit Indigolösung befeuchtetes Papier
wurde entförbt. Ein über die Flamme gehaltenes Becherglas füllte sich mit erstickenden
dichten Nebeln von Salzsäure und Chlordämpfen. Ein mit Chloroform getränktes Fliess¬
papier an die Zuglöcher einer Petroleumlampe gehalten, genügte, um dieselben Erschei¬
nungen hervorzurufen. Das von Langenteck als schädliches Zersetzungsproduct des Chloro¬
forms in Gegenwart von Gaslicht angegebene Phosgengas konnte Kyll in keinem Falle
nach weisen. Er fand qur grosse Mengen von activem Chlor und Salzsäure. Diese zwei
Körper sind beide heftige Reizmittel des Respirationstractus und ihre Gegenwart genügt,
um die unangenehmen Erscheinungen des Chloroformirens bei künstlicher Beleuchtung zu
erklären. (Deutsch, med. Wochenschr. Nr. 47.)
— Ueber die Verbreitiof der aBsteckeadeD Krankheiten des Hensehen nnd
der Thiere in AnstraÜen enthält die Revue generale des Sciences (Nr. 1, 1894) interes¬
sante Angaben von Dr. Loir^ Director des JPasteur^sehen Institutes in Sydney. Die geo¬
graphische Lage dieser grossen Insel, welche für den Verkehr mit der übrigen Welt
ausschliesslich auf die Wasserstrassen angewiesen ist, gestattet mit einer an anderen Orten
kaum erreichbaren Sicherheit, den Ursprung jeder einzelnen Epidemie festzustellen und den
Modus ihrer Verbreitung zu verfolgen. Zur Zeit der Ankunft der ersten Europäer nach
Australien waren unsere Infectionskrankheiten dort unbekannt; dieselben wurden nach
und nach importirt, nnd zwar so, dass es fast für jede Krankheit möglich war, genau
den Zeitpunkt und die Bedingungen anzugeben, unter welchen dieselbe ausbrach. Die
Zeit der Ueberfahrt, die früher volle vier Monate dauerte, und heute immerhin noch
vier Wochen in Anspruch nimmt, genügt, um eine in Europa contrahirte Ansteckung zum
Ausbruch zu bringen, so dass bei der Ankunft in Australien die Krankheit in voller
Entwickelung oder bereits in Heilung begriffen ist. So ist es auch gelungen, mit Hülfe
einer strengen Quarantäne der inficirten Schiffe bis zum heutigen Tage den australischen
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ContiDeDt vor der Variola zu schützen. Zum ersten Male wurden die Blattern 1825
durch ein mit Deportirten beladenes englisches Schiff nach Sydney gebracht; dieselben
verbreiteten sich aber nicht. Im Jnni 1892 brachen ebenfalls auf einem englischen
Schiff die Blattern aus; dieselben wurden aber erst in Sydney als solche erkannt, nach¬
dem in Melbourne einige Passagiere das Schiff bereits verlassen hatten. Die Gasthöfe,
in welchen diese Passagiere abgestiegen waren, wurden in Quarantäne gesetzt und eine
weitere Verbreitung der Epidemie konnte verhindert werden. Ebenfalls wurde 1838
Flecktyphus nach Sydney gebracht. Ein Schiff mit 285 Auswanderern musste eine
Quarantäne von drei Monaten halten; es starben 33 Personen; die Verbreitung der
Epidemie wurde aber aufgehalten. Cholera wurde 1841 importirt; durch Quarantäne
des inficirten Schiffes gelang es aber, die Landbevölkerung zu schützen, und seitdem hat
Australien noch nie eine Oholeraepidemie gesehen. — Das Eindringen des Typhus ab¬
dominalis, welcher 1831 zum ersten Male in Sydney erschien, der Masern (1828), der
Influenza (1838) und des Keuchhustens (1828) konnte aber trotz Quarantäne nicht ver¬
hindert werden, weil man damals die Bedeutung der indirecten Infection für diese Er¬
krankungen noch nicht genügend gewürdigt hatte. Diphtherie existirte bereits in den
ersten Jahren der Oolonisation und gilt im Allgemeinen als eine sehr ernste Krankheit.
Scharlach erschien zum ersten Male 1841 und richtete grosse Verheerungen unter der
kindlichen Bevölkerung an. Lepra wurde von den Chinesen importirt und verbreitete
sich mit denselben ira ganzen Lande.
Für die Epizootien gestalten sich die Verhältnisse ganz analog. Rotz und Hunds-
wuth sind z. Z. in Australien noch unbekannt. Die Pferde werden vor dem Ausladen
von einem Thierarzt und einem Viehinspector sorgfältig untersucht und beim geringsten
Zweifel über die Gesundheit der Thiere wird die Erlaubuiss zum Ausladen verweigert.
So musste z. B. wegen Rotz ein aus Amerika mit 60 Pferden ankommender Circus mit
demselben Schiff nach Amerika zurückkehren, ohne den australischen Boden berührt zu
haben. Die nach Australien importirten Hunde müssen eine Quarantäne von sechs
Monaten auf Kosten des Inhabers halten, so dass sehr wenig Hunde überhaupt importirt
werden können. Milzbrand, Rauschbrand und Rinderpneumouie wurden in den vierziger
und fünfziger Jahren nach Australien gebracht, und die dortigen Viehzüchter haben viel
darunter zu leiden. In den letzten Jahren wurden die Pas/eur'sehen Präventivimpfungen
gegen diese Krankheiten anscheinend mit sehr guten Resultaten vorgenommen. Gegen
Milzbrand allein sind bis jetzt über 400,000 Schafe inoculirt worden.
— Maf^eaanswasebaDfrea gegen hnrtniekigen Slngnltnn« ln den Fällen, in
welchen alle Mittel im Stich lassen, und trotz Anwendung von Eis, Cocain, Morphium,
Pilocarpin, der Singultus nicht coupirt worden kann, hilft oft noch in überraschender Weise,
wie schon früher (Corr.-Blatt 1893, pag. 807) erwähnt, eine Auswaschung des Magens
mit warmem Wasser. Gallani und Colemann theilen zwei derartige Fälle mit (Centralbl.
f. gesammto Therap. Nr. 1. 1894) und wir selbst hatten wiederholt Gelegenheit, die
günstige Wirkung dieses Eingriffs zu constatiren. Im Falle von Colemann war der Pat.
70 Jahre alt, der Singultus hielt trotz aller angewendeten Mittel durch neun Tage an,
auch in tiefster Narcose; der Kranke war schon ganz erschöpft. Unmittelbar nach einer
Magenauswaschung hörte das Schluchzen auf, worauf sich der Kranke rasch erholte.
— Cbareot-Denkmal. Um das Andenken des jüngst verstorbenen Meisters zu ehren,
hat sich ein aus Schülern und Verehrern GmrcoVs zusammengesetztes Comitö zur Er¬
richtung eines CÄarco^Denkmals gebildet. Die grossen Verdienste CharcoV% um die med.
Wissenschaft gehen diesem Projecte den Character einer internationalen Kundgebung, und
es wird bereits überall dafür gesammelt. Da unter den schweizerischen Aerzten zahl¬
reiche frühere Schüler und Zuhörer CharcoVs sich befluden, ist das Corr.-Blatt gerne
bereit Beiträge in Empfang zu nehmen und dem Comite zu übermitteln. Etwaige Bei¬
träge sind zu senden an Dr. E. Haffter^ Frauenfeld, oder Dr. A. Jaquet in Basel.
Schweighauserische Buchdmekerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlang in Basel.
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COERESPONDMZ-BLATT
Erscheint am 1. und 15.
jedes Monats.
Inserate
35 Cts. die gesp. Petitzeile.
Preis des Jahrgangs
Fr. 12. — für die Schweiz,
ÄpIi TITDl A öl* ^ Ausland,
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^ Herausgegeben von
X>x*. £2. Hafftex* and T>r. A.» Ja^net
in Frauenfeld. in Basel.
Alle Postbureanx nehmen
Bestellungen entgegen.
N: 5. _ XXIV. Jahrg. 1894. _ 1, Mftrz.
lahallt 1) OrleiaeUrbait«!!! i. Soein: Tk, BiÜroiM, — Prot Massini: Die PhumaeopcM helTetiea. — 8) Verelnf*
berichte: Geeelle^ft der Aente ia Zfirieb. — 3) Beferete aed Kritiken: B, Hüdibrondt: Bzpeiimentelle Uater-
•aohaafen Aber AaUaepiie btf der Staaroperatioa. — Paul RdüMsburgtr: AaeepdlnagM der TOrdern Aageokaninier bei der
Staarextractioa. — Prot Dr. A. Dnucka: Bibliothek der geeammten medicinischen Wiaeenaobaften. ~ Dr. A. Bar: Der Ver¬
brecher in anthropologifcber Bexiehaag. — Dr. Carl 0$hrmcmn: Kürper, Gehirn, Seele, Gott. — M.D. 8.: Aerxtliebe Knnet und
aedieiaieche Wieeeiiechaft. — Dr. Ctm Wautl: Alte Brihhrnagen in Liobie der aenea Zeit. — Prof. Dr. Adolf S jrümpHl :
Batatehnag and Hailaag Toa Kraakheiten darob Voratellnngen. ^ W. B, Oowtro: Sjphilia aad Nerrenayatem. — P. Looohaft:
Graadlagen der theoreiLKbea Anatomie. — Dr. B. Haug: Die Krankhdten dea Obrea. — Dr. Th. Bum^: Aaa den Hanbarger
StaatakrankenbAaaani. — fHodrieh von Sotmaxh and B. KowaUig: Chirargiacbe Technik. — B. F^ramk: Badiealoperation Ton
Lejetenhamiea. — IV*. Morkel and B. Bonnol: Ergebniaae der Anatomie and Bntwiekelnngageachiohte. — 4) Ga atonale Ger>
reapoad enaeai Aargaa: Dr. it^guaf BeAagdar f. -< 5) Woeh ea ber ieh t: Baael: Baoteriologiacher Cars. — Xedidn.
Pachezanen. — niaatrhter Catalog ron Hauowumn in 8t. Gallen. — Prof. Dr. Albarl iMcko f. — AlTareaga-Prdaanfgabe. —
Dr. ünna't dermatologiaehe Preiaaafi^be. — SanitAtageaeta für die Stadt London. — Abaonderang and Deainfeetion bei Maaern.
— BehaadJaag den S^ra. — Synptomatiache Taohjeardie der Phthiaiker. — GlaaAtfllBaelgkeit. — Baatea aar Uateratfttsaag
der Taxis dea eingeklemmten Braches. — XI. internationaler Coograaa in Bom. — 6) Bri e fk a st en.
Oi* igf izi.a .1 ten .
Th. Billroth.
Dea 6. Februar früb 1 ‘/s übr starb in Abbazia Theodor Biüroth, der bedeutendste
und verdienstvollste Chirurg unserer Zeit. Einem alten Freund und warmen Verehrer
des grossen Todten sei es gestattet, ihm in diesem Blatt, dessen Leserkreis so viele
seiner Scbfiler zählt, einen Nachruf zu widmen. Freilich sind die folgenden Zeilen
allza sehr unter dem lähmenden Eindruck des herben Verlustes und mit zu eiliger
Feder geschrieben, als dass sie ein irgendwie abgerundetes Bild des erloschenen reichen
Lebens geben wollten.
Christian Albert Theodor BiUroth wurde am 26. April 1829 zu Bergen auf der
Insel Bägen geboren als Sohn eines evangelischen Predigers und Neffe des Dr. TTtl*
hdtn Friedrich B., verdienten Stadtphysicus zu Stettin.. ,Ich bin freilich in Pommern
geboren, doch von schwedischem Blut beiderseitiger Grosseltern, mit französischem ar>
grossmätterlichem Einschlag, ein sonderbarer Mischling, im Vaterlande Ernst Moriz
Amdt’s gezüchtet und erzogen.*') Diesem nordischen Ursprung verdankte aohl Billroth
die zähe Ausdauer, und unermüdliche Thatkraft, die wir stets an ihm anstaunten.
Freilich lässt der durch Krankheit gebrochene und weich gestimmte Mann dies nicht
gelten; denn im gleichen Brief heisst es:
,Ich glaube, dass man sich über mich vielfach täuscht. Man hält mich meist
für eine energische, immer nach neuer schaffender Thätigkeit ringende Natur. Ganz
im Qegentbeile. Ich bin eigentlich ein durch und durch sentimentaler Ostseehäring,
eine Hamlet-Natur, die nur durch äussere Verhältnisse und Selbsterziehung sich jede
') Brief au Ed. Bantliek vom 11. Juli 1893.
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energische Action mit Mähe abringt und eist, wenn sie nicht mehr rückgängig za
machen ist, aus Ehrgeiz and Eitelkeit das einmal ausgesprochene Wort nicht mehr zuräck-
nebmen will und dann mit äusserstem innerem Anpeitschen zur Tbat keucht* Wir
kennen diese .erkeuchten* Tbaten und anerkennen sie besser! An dem .senti¬
mentalen Häring* aber ist etwas Wahres: der Hang zur Schwärmerei und die
Liebe zum Meere. .Ein Lieblingswnnsch von mir ist, auf einem Balcone mit dem
Blick aufs Meer und auf die Berge mich commod zum Sterben znrechtzulegen und
ruhig das allmälige Stillstehen meiner Maschine zu beobachten.“) Dieser Wunsch ist
in Erfüllung gegangen; der gewaltige Geist, der von der Brandung des baltischen
Meeres seine ersten Eindrücke erhielt, löschte ruhig und gelassen aus am Gestade des
Quarneros.
BiUroth besuchte das Gymnasium in Greifswald und wurde 1848 an der Uni¬
versität immatrikulirt; 1849 zog er mit Baum nach Güttingen. Letzterer sowie Conrad
Martin Langenbeck, Wähler, Wilhelm Weher und Rudolf Wagner waren dort seine
Lehrer, Seine Studien beschloss er in Berlin unter Johannes Müller, Schönlein, Traube,
Bernhard von Langenbeck und promovirte 1852 mit der Dissertation: ,De natura et
causa pulmonum affectionis, qus nervo utroqne vago dissecto exoritnr.“ Nach einer
wissenschaftlichen Reise nach Wien und Paris wurde er 1853 Assistenzarzt an Lern-
genbeck'i Klinik und habilitirte sich 1856 als Privatdocent iür Histologie und Chirurgie;
1860 zum Director der chirurgischen Klinik in Zürich ernannt, blieb er in dieser
Stellung, bis er 1867 an SeshuVs Stelle nach Wien berufen wurde.
Dies der äussere Rahmen, weicher ein ungewöhnlich glänzendes Lebensbild von
harmonischer Vollendung umfasste. Denn BiUroth war nicht nur von Gottes Gnaden
ein Fürst der Wissenschaft, ein Forscher auf breitester Basis, ein begeisterter und be¬
geisternder Lehrer, ein Chirurg von grosser technischer Begabung und vollendeter
Ausbildung, ein überaus productiver gedankenreicher Schriftsteller von klassischem
Styl, sondern auch ein Mensch, dem nichts Menschliches fremd blieb, von dem Shakes¬
peare gesagt hätte, er sei .in der Verschwendung der Natur* geboren. Die wissen¬
schaftliche Bedeutung des Mannes auch nur zu skizziren, biesse eine Geschichte der
Chirurgie der letzten 30 Jahre schreiben.
BiUroth fing an selbstständig zu arbeiten zu einer Zeit, wo die practische Me-
dicin and mit ihr die Chirurgie sich nicht mehr begnügen konnte, therapeutische Ziele
zu verfolgen. Physiologie, Histologie waren damals rasch sich emporschwingende
Wissenschaften und die grössten Vertreter derselben, Lotte, Johannes Mütter, Wagner,
Henle, Vogel u. A. bemühten sich, ihre Forschungen auch für die Pathologie frucht¬
bringend zu gestalten. Es dämmerte die MorgenrOtbe einer neuen Zeit, die mit Ftr-
chm und seiner Schule zu glänzender Tageshelle emporstieg. Langenbeck selbst war
von der Physiologie zur Chirurgie übergegangen, ein Entwicklungsgang, der seiner Lehr¬
methode den Stempel aufdrückte und seinen Einfluss auf Schüler und Assistenten
wesentlich bestimmte. Der junge, reich begabte Assistent der chirurgischen Klinik
entzog sich diesem Einflnss nicht; seine ersten Arbeiten .über den Bau der Schleim-
polypen“, .über die Entwicklung der Gefässe“, seine „Beiträge zur pathologischen
Histologie* legten Zengniss ab für den Eifer, mit welchem er solchen Untersuchungen
*) Abbazia, Wiener med. Wacheuschrift, 1885.
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oblag, zugleich fiSr die Reife und Selbstständigkeit seiner Arbeitskraft Ansser den
genannten grossem Abhandlungen finden sieb ans dieser Assistentenzeit (1858—1860)
in der „Deutschen Klinik*, in J. MüUer'a «Archiv ffir Anatomie und Physiologie*,
in der «Zeitschrift fSr wissenscbaftliobe Zoologie*, in Virchote'B «Archiv* zahlreiche
grossere und kleinere Arbeiten aus BiUrofh'a Feder, s&mmtlicb der normalen und
pathologischen Histologie angebOrend. Daneben in der «Deutschen Klinik* eine
Reihe von Beobachtungen und casuistischen Hittheilnngen klinisch - chirurgischen
Inhalts. BiOroth erhielt 1858 einen Ruf als Professor der pathologischen Ana¬
tomie nach Greifswald, konnte sich aber nicht entschliessen, der Chirurgie untren zu
werden.
Vertraut mit allen Hfilfsmitteln der feineren microscopischen Untersuchung,
practisch erzogen an mner Schule, die stets darauf ausging, der Chirurgie neue Ge¬
biete zu erschliessen und an Kähnheit des operativen Handelns alle andern fiberstrahlte,
gewohnt ffir die Forderung seines Wissens und Könnens allein auf die Mittel und
Methoden der modernen Naturforschung — Beobachtung und Experiment — sieh zu
stützen und dadurch von vorneherein vor jeder üeberschreitung gesichert, war BülroBi
wie kein anderer vorbereitet und beAbigt, die selbststftndige Leitung einer grossem
Klinik zu fibernebmen. Es war daher ein glücklicher Griff der Zürcher Erziehnngs-
behOrde, bei Neubesetzung der Lehrkanzel für Chirurgie ihre Wahl auf den Sljfthrigen
Berliner Assistenten zu lenken. Dieser entwickelte sich rasch za einem Kliniker aller¬
ersten Ranges.
Seine erste grossere Leistung waren die Arbeiten über «Wundfieber und aceidentelle
Wnndkrankheiten*, in welchen zum ersten Male über fortgesetzte exacte Temperatnr-
beobachtungen an chirurgisch Erkrankten berichtet wurde. Das Bestreben des Ver¬
fassers, einen Typus, eine Regel zu finden, unter welche sich die Erscheinungen bringen
liessen, batte wenig Erfolg. Die Frage wurde daher experimentell wieder in Angriff
genommen; nach unzähligen, in der mannigfaltigsten Weise modificirten Thierversuchen
konnte der Satz formulirt werden, dass jedes Wundfieber die Folge einer Blutintoxi-
eation, einer Infection sei. Die Fiebererreger sind auch meist Entzfindungserreger; sie
sind wahrscheinlich moleculserer, vielleicht organisirter Natur ; sind es kleinste Lebe¬
wesen, so wirken sie nicht an sich, sondern durch die unter ihrem Einfluss gebildeten che¬
mischen Gifte. In einer dritten Arbeit galt es zu 4 )rfifen, in wie weit Experiment und
klinische Beobachtung sich decken und mit der Hypothese stimmen. Zu einer Zeit,
wo die Bacteriologie noch im Schoosse der Zukunft schlummerte, gehörten die Problmie,
die hier zu einem gewissen Abschlüsse gebracht wurden, zu den denkbar schwierigstea
und verwickeltsten. Beim nochmaligen Dnrchlesen der BiUroth'sßhen Arbeiten staunt
man über die Fülle von neuen Gedanken, von geistreichen, grOsstentheils später be¬
stätigten Hypothesen, über den prophetischen Seherblick des genialen Verfassers. Es
war eine ganz nngewOhnliche Erscheinung, dass ein Chirurg es wagen durfte in den
«Hysterien der inneren Medioin zu wfihlen*. — Für uns schweizerische Chirurgen
war es eine sehOne Zeit. Der persönliche Verkehr mit dem liebenswürdigen, zu ge¬
meinsamem Gedankenaustausch stets bereitwilligen Collegen gab unserm chirargischen
Denken eine ungewohnte Richtung. Es zog ein warmer Geistesfrfihling in unser
Ländcben!
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Sülroth empfand bald das Bedürfniss, die Besultate seiner Forschung seinen
Schölem mnndgerecht zn machen. Es entstand in Zfiricb «Die allgemeine
chirurgische Pathologie*, ein Lehrbuch, aber nicht in der starren, ,rein
objectiren Form der alten Lehrbficher*, «kfihl bis an das Herz hinan*, .trocken vom
Wirbel bis zur Zehe*, sondern in der Form von Vorlesungen, in welchen das warm
pnlsirende Denken und Tr^hten des begeisterten Lehrers in subjectivester Weise anregend
und befruchtend auf den Geist des Lesers wirkt. Trotz manchem Achselzucken Älterer
Collegen hat doch wohl kaum ein Lehrbuch solch’ einen immensen Erfolg gehabt In
alle Sprachen äbersetzt, hat es eben seine 15. deutsche Aufli^e erlebt und steht jetzt
noch unäbertroifen da. — Eine zweite ebenso neue, ja ffir die damalige Zeit kühne
That waren die .Chirurgischen Erfahrungen*, eine wahrheitsgetreue, vollst&ndig inte¬
grale Berichterstattung über Alles und Jedes, was in der Klinik vorkam. Sie ent¬
standen ans dem Bedürfniss .nach Klarheit über das, was wir wissen, und das, was
wir nicht wissen*, nach .unbedingter Wahrhaftigkeit gegen sich selbst und gegen die
Andern* und sollten die Möglichkeit darthun, auch auf dem Gebiet der klinischen
Heilkunde eine ebenso sichere Beobachtungsbasis zu gewinnen wie auf dem Gebiet
anderer Theile der Naturwissenschaft. Dies setzt allerdings eine gleichmässige Methode
der Beobachtung, gleichmässige Art der Verwerthnng der Beobachtungen voraus. Für
die junge Generation der Mediciner, die zumeist historischer Forschung nicht hold sind,
ist es schwer, sich eine Vorstellung der reformatorischen, ja revolutionären Wirkung
dieser Jahresberichte zn machen. Wenn bis dahin in chirurgischen Büchern überhaupt
von Zahlen die Bede war, setzten sich dieselben aus mehr oder weniger zufälligen
Veröffentlichungen aus Kliniken und Spitälern zusammen. Letztere selbst waren
in der Begel einem bestimmten therapeutischen Zweck zulieb entstanden, sie sollten
einer neuen Operation das Wort reden oder ein neues Heilverfahren empfehlen und
theilteu vorzugsweise glückliche Ergebnisse mit. — Damit soll nicht gesagt
werden, dass unsere alten Meister unredliche Autoren waren, aber sie fühlten
sich keineswegs verpflichtet, schlimme Erfahrungen und ungünstige Besultate zn
veröffentlichen. Von da zur bewussten oder unbewussten Vertuschung und Schön¬
färberei war freilich der Schritt nicht gross. Es leuchtet ein, dass aus solchen
Materialien unter dem Schein des Exacten eine Statistik entstand, die, an sich viel¬
leicht richtig, dem richtigen Sachverhalt nicht entsprach und dass bei Vielen eine
unüberwindliche Abneigung gegen die Anwendung der statistischen Methode in der
practischen Chirurgie überhaupt erzeugt wurde. — Es gehörte für einen jungen
Kliniker ein grosser Mutb dazu, mit dem Hergebrachten zu brechen und rficksichts-
und vornrtheilslos über alles klinisch Erlebte zn berichten. Eine solche periodisch
abgelegte Generalbeicbte, die sich keine andere Aufgabe stellt als an Stelle allge¬
meiner Eindrücke und nebelhafter Vorstellungen die mathematische Strenge der Zlahl
zu setzen, ist und soll nicht wissenschaftliche Production im eigentlichen Sinn sein;
sie bildet aber das Material zum Studium vieler wichtiger chirurgischer Fragen:
Häufigkeit und Tödlichkeit der accidentellen Wundkrankheiten, endliches Schicksal der
an Tumoren, an localer Tuberculose Behandelten u. s. w. u. s. w.
Die drei genannten Arbeiten sind für die weiteren Forschungen BiUroth's grund¬
legend geblieben. Unablässig beschäftigte ihn die Frage nach Aetiologie und Behänd-
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133
lang der Wandkrankheiten; 1874 erschienen die , Untersuchungen über die Vegetations-
formen der Goccobacteria septica“, das Besnltat Sjfthriger rastloser Arbeit und unermess¬
licher geistiger Eraftanstrengnng. Trotz der noch unTollkommenen Zfichtnngstechnik
gelang es Billroth eine Anzahl büchst werthroller, durch die exacte Forschung späterer
Zeit bestätigter bacteriologischer Thatsachen festzustellen und in das Wesen der In-
fection tiefer einzudringen. Ganz erstaunlich ist auch hier die Summe der Beob¬
achtungen, die lichtvolle Behandlung der Probleme, welche sich im Verlauf der Unter¬
suchung aofdrängten, die genialen Ausblicke in die Zukunft und die Nutzanwendungen
für die Gegenwart. Doch fühlte der Verfasser, dass die ihm zu Gebot stehenden
Methoden nicht genügten, um die riesige Aufgabe, die or sich gestellt batte, voll be¬
wältigen zu künnen. .Ich bin schon oft bald in diese, bald in jene Sackgasse ge-
ratben“, schreibt er einem Freund mitten ans seinen Stadien. .Ich habe von dieser
Arbeit zu sehr das Bewusstsein zurückbehalten, dass ich etwas schajDTen wollte, wozu
meine Kräfte nicht ausreichten.* .Es ist eine Thorheit sich darüber zu grämen, es
ist albern darüber za spütteln. Freuen wollen wir uns, dass die Zeit so rasch arbeitet.
Freuen wollen wir uns, dass immer Besseres geschaffen wird, dass wir der Wahrheit
immer näher kommen*, heisst es in der Einleitung!
Es ist eigentlich nicht verwanderlicb, dass BiUroth Lister's Wundbehandlung
nicht blindlings acceptirte. Er erkannte sofort, dass die physiopathologische Begründung
derselben nicht ganz richtig sein künne, dass es nüthig sei. Unwesentliches vom
Wesentlichen in der Methode auszuscheiden. Die vielen schon längst über Bord ge¬
worfenen kleinlichen Umständlichkeiten des ursprünglichen Ver&hrens forderten seinen
Humor heraus: .Wir baden in Ostende gewühnlich ohne Garbolsäure; auch brauchst
Du kein Silk-protective mitzubringen, denn wir baden immer im .Paradis**, schrieb
er mir 1875 aas Garlsbad!
Als im Juli 1870 der Eriegsruf erschallte, da flammte wieder die .unter der
Asche der Zeit durch Oxydation des internationalen Verkehrs kaum noch glimmende
Glnth seines deutschen Patriotismus* hell auf und Billroth war einer der Ersten, der
in den Lazarethen von Weissenbnrg und Mannheim sein Wissen und sein Eünnen in
den freiwilligen Dienst der Humanität stellte. So entstanden die .Chirurgischen
Briefe aus den Eriegslazarethen*, Einder des Augenblicks, wie er
sie nannte, in welchen aber die wichtigsten Abschnitte der Eri^chimrgie der Reihe
nach and stets an der Hand der eigenen Beobachtung zur Behandlung kamen. In
diesen Briefen kommt das eigene schriftstellerische Talent Bülroth'B recht zum Aus-
draek. Er fürchtete nichts so sehr als .langweilig gefunden zu werden*; er war
daher stets bemüht, die Schablone des Systems zu vermeiden and neue litterarische
Formen zu finden. Dies ist ibm hier besonders gut gelungen. Welche ungeheure,
theilweise an sieh recht trockene Anhäufung von Arbeitsstoff, von exaeten Beob¬
achtungen, sind da gleichsam spielend in der angenehmen Form einer zwanglosen Er¬
zählung streng wissenschaftlich verwerthet! Wie versteht er es, den Emst und die
Schwierigkmt seiner Thema mit Schilderungen und Ergüssen von subjectiven Empfin¬
dungen zu würzen, die aus ganz persönlichen momentanen Stimmungen und Eindrücken
hervorgegangen sind!
Kaum aus dem Feldzuge zurückgekehrt, geht es zu neuer Friedensarbeit und
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zwar auf «inem Gebiet, das der Berufsthätigkeit nicht unmittelbar angehörte. Da
wird aus aller Herren Länder ein ungeheures Material über die Gesehiehte und die
Organisation des höhern medicinischen Dnterrichts gesammelt und aus dem Chaos des
spröden Arbeitsstoffes entsteht wieder ein wahrheitgetreues, alle Schw&dien und Löcken
unbarmherzig anfdeckendes, formrollendetes Buch: .lieber das Lehren und
Lernen der medicinischen Wissenschaften an den ünirer*
sit&ten der deutschen Nation*. — Ich muss es mir versagen, auf den
Inhalt dieses Buches, als dessen Ergänzung 10 Jahre später (1886) die „Aphoris-
men zum Lehren und Lernen etc.* erschienen, näher einzugehen. Das-
sribe erregte ein gerechtes Aufsehen und die offene Art, wie viele bisher mehr oder
minder ignorirte Schäden aufgedeckt und die zeitgemässen Vorschläge zu deren Be¬
seitigung gemacht wurde, rief vielfachen Widerspruch hervor.
Die weitere Verfolgung der litterarischen Thätigkeit BiUroth's als Herausgeber
der .Deutschen Chirurgie*, des .Archiv für klinische Chirurgie* würde mich weit
über die mir gesteckten Grenzen hinausfübren; es gibt wohl keine Frage der chirur¬
gischen Pathologie, die während der letzten 30 Jahre in der medicinischen Welt an¬
geregt worden wäre, ohne dass BiUroth zu derselben Stellung genommen hätte. Die
Aufzählung aller seiner Aufsätze über geschichtliche Themata, seiner Necrologe, seiner
kritischen Anzeigen, seiner Publicationen auf dem Gebiete der Krankenpflege im Frieden
und im Felde, der zahllosen unter seinem Einflüsse entstandenen Arbeiten einer ganzen
Schaar talentvoller Schüler würden allein ganze Seiten ausfüllen.
BiUroth hat aber seinen Namen mit goldenen Lettern nicht nur in das
Buch der Geschichte der Chirurgie, sondern in Kopf und Herz seiner Schüler
eingetragen. Wie er als Lehrer wirkte, steht noch im Gedächtniss vieler Leser
dieser Blattes. Sein Vortrag in der Klinik zeichnete sich durch Gedankenreich¬
thum und durch die originelle fesselnde Form aus. Er trachtete stets seine
Zuhörer der klinischen Beobachtung und der innern Medidn näher zu führen und
tadelte, dass in der Chirurgie die anatomische und operative Biohtnug die Oberhand
gewinne.
Im Verkehr mit seinen Assistenten war er von einer geradezu bestrickenden
Liebenswürdigkeit und wurde auch dafür durch rückhaltlose Anhänglichkeit belohnt.
Nächst Langenbeek hat er die grösste Anzahl tüchtiger Fachchirurgen herangebildet; die
chirurgischen Lehrstühle in Heidelberg, Breslau, Prag, Graz, Lüttich, Utrecht sind mit
seinen Schülern besetzt. Er batte eben, wie Langenbeek, den Scharfblick für das
Talent und noch mehr das Wohlwollen, das Interesse, das er den Bestrebungen jüngerer
erlegen entgegenbrachte, zog das Talent zu ihm heran; er verstand es auch meister¬
haft in Jedem gerade die Seiten zu befruchten, die ihm der Ausbildung am fähigsten
schienen und noch etwas: die eigene Schöpfungskraft Hess ihn nie auf den Gedanken
kommen, er könne durch Heranbilden geistvoller Schüler an der eigenen Autorität
Schaden nehmen. .Was ich über dem Strich zu sagen habe, überlasse ich mit Vor¬
liebe der jüngem Generation meiner Schüler*, heisst es in einem Feuilleton ans
Abbazia (1885).
In der operativen Technik hat BiUroth Grossartiges gelüstet. Ich
erinnere nur an die Ausbildung der Kropfoperationen, der Darm- und Dterusebirurgie.
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Am 31. December 1873 wurde yon ihm die erste ain Menschen ausgeföhrte Total¬
exstirpation des Keblkopiö vorgenoihmen, am 29. Jannar 1881 die erste Magen-
resection. Beide Eingriffe waren nicht, wie man es vielfach glauben machen wollte,
.tollkühne Experimente am Menschen*, sondern anatomisch, physiologisch und tech¬
nisch in allen Theilen wohl vorbereitet und wohl erwogen; Operationen, die, vielfach
nachgemacht nnd nachgepröft, eine bleibende Bereicherung unseres chirurgischen EOn-
nens sind.
BiUroth war eine gottbegnadete, harmonisch ansgebildete Persönlichkeit: scharfer
Verstand, lebhaftes Auffassungsvermögen gepaart mit schöpferischer Phantasie in einem
edel geformten kräftigen Körper. Sein tiefliegendes, aber lebhaftes blaues Auge blickte
mild strahlend vor sich nnd das Lächeln seiner Lippen war von bestrickender Liebens¬
würdigkeit. In seinem Charakter war Thatkraft und starker Wille in seltsamer Weise
verbunden mit aussergewöhnlichem Wohlwollen und Milde des ürtheils. Im persön¬
lichen Verkehr stets bei gutem Humor und voll Lebensfreude, übte er nie heissende
Kritik, hatte vielmehr die seltene Gabe, bei Jedem die guten Seiten herauszufinden.
Er war ein leidenschaftlicher Musikfreund und gewandter Musiker, ein feiner Kenner
der Meisterwerke der Tonkunst, auch guter Zeichner und Maler. Seit 1856 mit Frau
Christel geb. Michaelis (Tochter des Hofmedicus) verheirathet, hatte er ein sehr glück¬
liches Familienleben. Von der Natur so verschwenderisch ausgerüstet, musste BiUroth
äberall der Mittelpunkt einer edlen, lebensfrohen Geselligkeit werden. So war es in
Zürich, wo ich im Kreise der Seinigen und der hervorragenden Männer, die sich um
ihn schaarten, unvergessliche Stunden verlebte. Aber erst in Wien fand BiUroth
voll und ganz den Thätigkeitskreis, für den er geschaffen war. Das Grosse und
Schöne, das die Kaiserstadt ihm bot, erfasste seine Gelehrten- und Künstlernatur mit
der ganzen ihr eigenen Arbeite- und Lebensenergie. Doch blieben ihm hier die Ent-
täuschnngen nicht erspart; nicht ohne Kampf gegen kleinlichen Neid und niedrige
Intrigue musste er sich seine Stellung erringen. Dann aber kam die Zeit, wo Biü-
rxAh unter seinen Collegen, seinen Schülern, den Künstlern und der ganzen Bevölkerung
der Hauptstadt eine höchst populäre, überall mit Begeisterung begrüsste Persönlich¬
keit ward. Kein Wunder, dass er in diesem Boden, welcher seiner Eigenart so adäquat
war, tiefe Wurzeln fasste und durch die glänzendsten Anerbietungen sich nicht be¬
stimmen lies, sein Adoptivvaterland zu verlassen; 1872 lehnte er einen Ruf nach Strass-
bnrg, 1882 den durch Langeribeck'i Rücktritt verwaisten Lehrstuhl an der ersten
Universität Deutschlands ab. Die glänzendsten äusseren Zeichen der Anerkennung
wurden BiUroth in reichstem Maass zu Theil; er war k. k. Hofrath, Mitglied des
Herrenhauses, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, Ehrenmitglied einer Unzahl
gelehrter und ärztlicher Gesellschaften, Inhaber hoher und höchster Orden, etc. etc.
Weder dies Alles, noch die Jahre, noch die heranschleichende, tückische Herzkrankheit
mit ihrem Gefolge von körperlichen Beschwerden vermochten seinen Blick zu trüben,
seine Empfindlichkeit für alles Schöne und Grosse zu mindern, sein für alte Freund-
sdiaft warm schlagendes Herz zu schwächen. Er wurde nur noch milder. Ein weicher,
melancholischer Hauch legte sich verklärend auf sein ganzes Wesen. — Am Abend
des schönen Festes, das ihm bei seinem 25jäbrigen Wieneijubiläum bereitet wurde,
schrieb er mir:
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Lieber alter Freund!
.Herzlichen Dank für Deine Qlnckwfinsebe! Man hat mir heute hier ein sehr
schönes Fest bereitet. Die Lente sagen, es sei erhebend gewesen. Ich sage Dir
heimlich auf gut wienerisch: ,A scbOne Leich war’s!“ So ein Dreiriertel-Bogrübniss,
wobei man zugleich Begrabener und Leidtragender ist. Man bat mich mit Ehre, aber
noch mehr mit Liebe zngedeckt. Da wird sich’s denn bald sanft ruhen lassen! Ade!
Ade! Ade! Still alter Maulwurf!“ » • m -o
Der schonen Zfircherzeit gedachte Bülroth immer gerne.
Unterm 18. März 1892 schreibt er:
.Wie schon war unser Zusammenleben in der Schweiz!! es war die Idylle
meines Lebens. Ich hatte nicht viel, erwarb wenig, war aber innerlich lustig und
lebensfroh und glücklich. Auch im ersten Decennium in Wien schwamm ich noch
behaglich im Meer des Daseins. Doch das ist lange vorbei, und ich gäbe wahrlich
alle meine sogenannte Berühmtheit um die berühmte Heiterkeit und Flottheit meines
früheren Daseins. Ich bin ganz Malbeureux imaginaire geworden. Doch was nützt
es, wenn ich mir täglich sage, dass es wenigen Menschen so gut ergangen ist, wie
mir — die melancholische Grundstimmung ist einmal da, mit oder ohne Grund, das
ist einerlei .... Gerne mOchte ich sagen: Auf Wiedersehen! . . . .“
.Mein Tagewerk ist vollbracht. Alles von mir Geschaffene ist so organisirt,
dass der Bestand desselben gesichert erscheint“, heisst es in einem seiner letzten
Briefe. Diese Worte gelten in erster Linie für sein geistiges Werk, das fortleben und
fortwirken wird unter den Menschen. Mit dem Tode Bülroth's trifft also die Wissen¬
schaft kein Verlust. Die hehre Gleichgültige schreitet, im Bewusstsein ihrer unversieg¬
baren SchOpfungskraft, mit souveräner Ruhe über die Gräber ihrer edelsten Sohne
hinweg. Eine nnausfüllbare Lücke aber wird Bülroth's Tod in den Herzen Aller lassen,
die ihm nahe standen und seine Freunde sich nennen durften. Die milde Harmonie
seines Wesens, das völlige Ebenmaass seiner ganzen Art, die gleichmässige Ausbildung
aller vornehmen Seiten seiner edlen Menschennatur, die Treue seiner Gesinnung, das
haben sie in Wien unwiderbringlich in die Gruft versenkt, unter Blumen und Mnsik-
klängen, wie es für den Fürsten Bülroth sich ziemte. . o •
Die Pharmacopcea Helvetica Editio tertia, im Vergleich mit der Editio II
und dem deutschen Arzneibuch.
Von Prof. Massini, Basel.
Endlich ist der Zeitpunkt berangekommen, wo das längst erwartete Werk einer
officiellen Schweizerischen Pharmacopoe das Licht der Welt erblickt hat. Im Laufe
des Monats December ist dieselbe im Buchhandel erschienen und auf 1. Juli 1894
soll sie in Kraft treten. Wir erinnern nur kurz daran, dass die zwei ersten Ausgaben
der Schweiz. Pharmacopce, diejenige des Jahres 1865 und die Editio altera aus dem
Jahre 1872 mit Supplement vom Jahre 1876 der Initiative des Schweiz.
Apothekervereins ihr Entstehen verdankten und als privates Unternehmen im
Aufträge dieses Vereins durch eine ans seiner Mitte aufgestellte Commission sind re-
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digirt worden. Freilich hat der Bandesrath schon die erste Ausgabe im Jahre 1867
für die Schweiz. Armee als massgebend erkl&rt und mit Ausnahme der Gantone Genf
und Unterwalden wurde dieselbe auch in den Cantonen als officielles Arzneibuch ein-
geführt, allein erst im Jahre 1888, als sich das dringende Bedfirfoiss einer Revision
der II. Ausgabe geltend machte, wurde durch Herrn Bandesrath Schenk, dem Vor¬
steher des Schweis. Departements des Innern, Herr Prof. Ed. Schär, dazumal Vor¬
steher des pharmaceutischen Institutes am Polytechnikum im Zflrich eingeladen, ein
vom Standpunkte der wissenschaftlichen Pharmade ausgehendes Gutachten über Um¬
fang und Gharaeter einer schweizerischen Landespharmacopoe, sowie
über den Modus procedendi für die Erstellung eines solchen Werkes einzureicben.
Dies geschah und es wurde durch den Schweiz. Bandesrath am 15. Februar 1889
die Aufstellung einer Schweizerischen Pharmacopoecommission, bestehend aus 4 Medici-
nem, 6 Pharmaceuten, 2 Ghemikem, 1 Veterinär und ebenso vielen Suppleanten, be¬
schlossen. Diese Gommission trat erstmals am 2. Mai 1889 zusammen und wählte
eine Bedactionscommission, bestehend ans 3 Apothekern, 2 Aerzten, 1 Gbemiker und
1 Thierarzt: dieselbe trat am 25.—26. Mai 1889 zusammen, stellte die Series medica-
minnm der neuen Pbarmacopoe fest und verschickte dieselbe im Juli gleichen Jahres
zur Prüfung an alle hetheiligten Kreise der Schweiz; als Termin zur Eingabe von
Wünschen und Bemerkungen war . der 15. November festgesetzt und diese Frist auf
den 1. December verlängert worden. Dass seit jener Zeit 4 volle Jahre verstrichen
sind, bis das Werk dmckfertig wurde, rührt einestheils daher, dass zahlreiche Artikel
einer vülligen Umarbeitung unterzogen worden sind, wobei theilweise büchst zeit¬
raubende Versuche nüthig waren, anderntheils davon, dass die Uebersetznng in die
8 Landessprachen weit grosseren Schwierigkeiten begegnete, als von vomeherein war
angenommen worden. Nun aber haben wir die Befriedigung, dass die Schweizerische
PharmacopcB jedem Landestheil in seiner Muttersprache dargeboten wird, und wenn
auch diese Polyglottie dem Bureau der Redactionscommission, dem Herrn Prof. Dr.
Schär in Strassbarg und den Herren Apothekern Weber in Zürich und Odot in
Lausanne viel Mühe und Arbeit bereitet hat, so ist eben doch für das Verständniss
der Znbereitungsart die Redaction in modernen Sprachen viel zweckmässiger gewesen,
als ein lateinischer Text.
Wenn wir nun auf das Werk selbst einen Blick werfen, so dürfen wir wobl be¬
haupten, dass dasselbe unter den neuem Pharmacopoen einen sehr ehrenvollen Platz
einnimmt und dass dasselbe nicht allein den frühem Ausgaben der Schweizerischen
Pbarmacopoe, sondern auch denjenigen unserer Nachbarländer gegenüber sehr nam¬
hafte Fortschritte aufweist, und diess mücbte ich ganz besonders hervorheben in
Bezug auf die sorgfältige Redigirung der Herstellnngsweise chemischer Producte uud
galeniscber Präparate, wie auch in Bezug auf die Prüfungen derselben auf Reinheit
and auf Gehalt.
Als eine namhafte Neuemng, welche unsere neue Pbarmacopoe mit dem deutschen
Arzneibuch gemein bat, ist zu begrüssen die Aufnahme einer grosseren Anzahl von
allgemeinen Artikeln über die Zubereitung einzelner Arzneiformen; während
die Editio altera der S. P. deren nur 4 zählte, nämlich Decocta, Elsosacchara, Extracta
ond Tinctnrs, finden wir in der neuen Ausgabe 19, nämlich Aquse destillats, Decocta,
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Elseosacobara, Emplastra, Emulsiones, Extracta, Granula, InAisa, Linimenta, Olea
setherea, Pastilli, Percolatio, Pulveres, Sirupi, Species, Suppositoria, Tinetune, Unguenta
und Vina; das deutsche Arzneibuch z&blt deren 24, nämlich es fehlen dort die Artikel
Pulveres, indem die betreffenden Vorschriften in der Vorrede enthalten sind, Percolatio,
statt welcher ein besonderer Artikel Extracta fluida aufgenommen ist, und Olea »tberea;
dafür aber sind noch aufgefOhrt Capsuls, Eleotuaria, Pilnl», Saturaticmes, Styli cans-
tici. Tabul» und Trochisci. Ans den in den obigen Artikeln enthaltenen Vorschriften
hebe ich folgende hervor: Die destillirten Wasser sollen durch Dampf¬
destillation <dine vorborgehende Befeuchtung der Substanzen bergestellt werden, während
nach der bisherigen Pharmacopoe nnd nach dem Deutschen Arzaeibnch die Drogne
erst mit Wasser bezw. Wasser nnd Weingeist übergossen und dann destillirt wird.
Bei den Decocten wird wie bisher angenommen, dass Mangels einer bestimmten
Vorschrift die Golatnr das lOfache der Drogne betrage, für die schleimigen Substanzen
aber in Abweichung von der bisherigen Vorschrift das 20fache; ausserdem wird be¬
stimmt, dass bei Substanzen, welche in der Tabelle der Separenda und Venena stehen, die
Vorschrift des Arztes verlangt werde, was sehr zu begrüssen ist. Das Deutsche
Arzneibuch enthält diese letztere Verordnung für die ArznäkOrper, bei denen eine Dosis
maxima festgesteilt ist.
Die eingreifendsten Veränderungen betreffen die Extracte, indem hier die
bei uns durchaus neue Form der flüssigen Extracte, der sogenannten Fluid-
extracte eingeführt wird, welche mit Hülfe des Percolators hergestellt eine
möglichst vollständige Erschöpfung der Drognen erzielt, so dass dieselben als überaus
wirksame und daher bei den toxischen Substanzen mit grosser Vorsicht zu gebrauchende
Präparate müssen angesehen werden. Obwohl 1 Theil des Flnidexbactes in der
Kegel 1 Theil der Drogne entspricht, so muss das Fluidextract entschieden als
kräftiger angesehen werden, als die Drogne selbst, weil letztere, wenn in Sub¬
stanz gegeben, vom KOrper eben nicht vollständig erschöpft wird und wohl auch viel
langsamer zur Resorption kommt als das Fluidextract. Herr Prof. Prevost in
Genf hat sich der Mühe unterzogen, mit mehreren der starkwirkenden Flnidextracte
Versuche anzustellen und ist dabei zu Resultaten gekommen, welche diese Tbatsache
ausser allen Zweifel stellen: Prevost erhielt bei Rana tempmraria Herzstillstand bei
folgenden Dosen:
Exlract. fluid. Extract. fluid. Extract. fluid.
Convallari» Digitalis EHgitalis von anderer Drogne
0,003 0,02 0,04
Digitaline Digitalin. Digitaline Infus Digit.
Homolle et germanic. Nativelle 1:20
Quevenne (Digitoxin)
0,0015 0,003 0,0008 0,1
ferner für Aconitpräparate bei Rattoi und Meerschweinehen von eirca 100 gr Kürper¬
gewicht betrug die tödliche Dosis
Tinctura aeoniti Extr. fluid. Extr. fluid. Aconitini
e herba recente Mr. 1 Nr. 17 Dnquesnel
0,67 0,003 0,08 0,0001
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Eb ergeben sieh hieraus die Thatsachen, dass, da die Herstellung der Fluidextraete
stets in derselben Weise erfolgte, diese Prftparate die Differenz der Droguen fiberans
scharf wiederspiegeln, b« zwei Digitaliseitracten Differenzen von 1:2, bei Aconitex-
traeten ans 2 versehiedenen Knollen von 1:10; ferner dass das Gonvallariaextraot
fir Batrachier ein sehr starkwirkendes Herzgift ist, und endlich, dass die Fluidextraete
5 bis 2,5 Mal so stark wirken, als Infuse.
Wir haben ans diesem Grunde die Maxinuüdosen ffir die Fluidextraete halb so
stark angesetzt, als ffir die Drogue, also z. B.
ffir Folium Digitalis Dosis simpl. max. 0,2, Dosis pro die 1,0,
ffir Extr. fluid. Digitalis • . • 0,1, , , . 0,5.
Noch wichtiger ist die Differenz der Bxtracta sicca der neuen Pharmacopoe von
denjenigen der Editio altera und denjenigen des Deutschen Arzneibuches; diese Extracta
sicca werden entsprechend den Abstracta der amerikanischen Pharmacopoe nach vorher¬
gegangenem Percolationsverfahren auf Trockensubstanz reducirt und mit Reispulver so
vermischt, dass ein Theil Extractum siccum zwei Theilen der Drogue entspricht; um
von vorneherein jedem Irrthnm vorzubeugen, werden diese Trockenextracte als Extractum
duplex bezeichnet und die Dosirung beträgt folgerichtig die Hälfte der Fluidex- •
traetdosis. Nach der bisherigen Pharmacopos werden die Extracta sicca so bereitet, dass
ein Tbeil des Extractum spissum mit 2 Theilen Milchzucker getrocknet und dann soviel
Milchzucker noch zugesetzt wird, dass das Gewicht des Trockenextractes das Sfache
des Extractum spissum beträgt, das erstere ist also 3 Mal schwächer; das Deutsche
Arzneibuch bereitet die Trockenextracte der narcotischen Substanzen durch Vermischen
mit Sfissbolzpulver, so dass 2 Theile des Extractum siccum 1 Theil von Extrac¬
tum spissum entsprechen, also das Trockenextract halb so stark ist, als das Extractum
spissum.
Es mag nun gewagt erscheinen, gerade bei den narcotischen Substanzen so fiber-
aus kräftige Präparate einzuffibren und es ist in der Tbat von verschiedenen Seiten
dies Bedenken geäussert worden; dem gegenüber muss aber bemerkt werden, dass bei
gleicher Drogue das Percolationsverfahren eine viel grfissere Oleicbmässigkeit des
Extractes garantirt als das bisherige Verfahren der einfachen Maceration und Ein¬
dickung , bei welcher ja nie ein bestimmtes Verhältniss zwischen Drogue und
Extraetnaasse postulirt war, sondern bei welcher vorgesebrieben war, es werde die
Macerationsflfissigkeit zur Dichtigkeit zweiten Grades eingedickt, ohne dass erhellte
ob 1 Theil Extract 2, 3 oder 5 Theilen der Drogue entsprach. Auch die Haltbar¬
keit der Fluidextraete, die io leicht zu verschliessenden Geffissen anfbewahrt werden
kfinnen, erscheint als eine weit grfissere, als die der in offenen Tfipfen aufbewahrten
und mit der Zeit leicht eintrocknenden oder, wenn bygroscopiscb, Wasser anziehenden
Extracta spissa.
Die Editio tertia enthält Extracta flnida und Extracta duplicia ffir folgende
Arzneikfirper: Tuber Aeoniti. Radix Belladonn», Fructus Conii, Folium Digitalis,
Folium Hyoscyami und Semen Stramoaii; von dw Chinarinde erstellt sie ein Extractum
flaidoii» und ein pulverffirmiges Extractum spiritnosum, ebenfalls auf dem Pereolator
bergeetellt; nur Fhiidextraote bringt sie von Semmi Colebici, Cortex Condnrango,
Herba Convallariie, Folium Eucalypti, Rhizoma Hydrastis, Radix Ipecaenanhte, Cortex
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Mezerei, Cascara Sagrada, Badix Senegse. Von Secale oornntum wird ein dünnes Ex-
tract anf dem Percolator dargestellt im Yerh<niss von 8 Theilen Drogne zu 1 Theil
Extract, und von diesem mit 1 Theil Extract, 2 Theilen Wasser und 1 Theil Glycerin
zu Injectionszwecken ein Bxtractnm Secalis cornnti solntum bereitet, 1 Theil des¬
selben entspricht 2 Theilen Mutterkorn. Ebenfalls mittelst des Percolationsverfahrens
werden bereitet: das Extractnm Cannabis indicse (spissnm), Cubeba (dünn), Filicis
(dünn), Strychni (trocken); die übrigen Extracte werden nach dem alten Verfobren
bergestellt
Das Deutsche Arzneibuch enthält Fluidextracte nur von Cortex Condurango,
Cortex Frangula, Rbizoma Hydrastis und Secale cornutum; bei allen übrigen wurde
das Percolationsverfahren noch nicht eingeführt.
In Bezug auf die Consistenz bestimmt die neue Schweizerische Pharmacopa
ansser den Flnidextracten 3 Grade, dünne, dem frischen Honig gleichend, dicke, bei
110** getrocknet 18—20**/» ihres Gewichtes verlierend, trockene, bei 110** nicht mehr
als 4*’/o ihres Gewichtes verlierend; das deutsche Arzneibuch: dünne, welche dem fn-
schen Honig gleichen, dicke, welche erkaltet sich nicht ausgiessen lassen, und trockene,
welche sich zerreiben lassen; die Pharmacopaa helv. Ed. 11. Extracta I. Grades, von
der Consistenz eines dicken Sirups, II. Grades von der Consistenz eines dicken Honigs,
III. Grades von Pillenconsistenz (Extract. Quassia).
Der Artikel Granula bringt die dem Practiker willkommene Vorschrift für
die Herstellung dieser für die Verordnung von kleindosirten Mitteln zweckmässigen
Arzneiform; dieselben halten 5 cgr Gewicht und sind zu 8 Theilen aus Gummi
und zu 7 Theilen aus Zucker erstellt; im deutschen Arzneibucbe werden die¬
selben bei gleichem Gewichte aus 1 Theil Gummi und 4 Theilen Milchzucker mit
107o glycerinhaltigem Sirupus simplex formirt. Es genügt also in Zukunft die
Verordnung Granula atropini sulfurici 0,3 mgr continentia Nr. X, oder
Atropini sulfur. 0,003.
Massa granulorum q. s. ut flant granula Nr. X.
Boi den I n f u s e n gelten in Bezug anf die Dosirung die gleichen Kegeln wie
bei den Decocten, es soll mit kochendem Wasser übergossen und vor dem Coliren
eine Viertelstunde stehen gelassen werden. Der Gebrauch sogenannter Infusa sicca ist
nicht gestattet. Im Deutschen Arzneibuch wird nach dem Uebergiessen mit kochendem
Wasser das Infus 5 Minuten lang dem Dampf des siedenden Wasserbades ausgesetzt
und die Flüssigkeit erst nach dem Erkalten abgeschieden.
Das Percolationsverfahren ist in einem besonderen Artikel Percolatio
beschrieben, da in der neuen Pharmacopoea belvetica auch einzelne Tinctnren auf dem
Percolator bereitet werden; im deutschen Arzneibuche findet sich die Vorschrift zur
Percolation unter dem Titel Extracta flnida.
Im Artikel Pulver es ist für die wichtigsten Droguen der Feinheitsgrad der Zer¬
kleinerung nach der in den Vorbemerkungen angegebenen Scala bestimmt und einige
practiscbe Winke und Vorschriften für die Art der Trocknung und Zerkleinernng angegeben;
die Vorschriften über die Feinheit der Pulver sind bei uns neu, aber in den meisten
neueren Pharmacopoeen eingeführt.
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Bei den S p e c i e e wird io der Begel för Blätter, Blätben and Eränter Sieb I,
fär Hdlzer, Rinden und Wurzeln Sieb II, ffir Früchte und Samen Sieb III verwendet,
Ausnahmen sind bei den einzelnen Species notirt.
Sehr willkommen ist der Artikel Suppositoria, bei welchem ausser
den mit Gacaobutter hergestellten Stuhlzäpfchen zweckmässige Vorschriften für
Glycerinsuppositorien und för Qelatinevaginalkngeln enthalten sind. Hoble Zäpf>
eben (iSaM^er’sche Suppositorien) sind nur auf ärztliche Verordnung hin zu ver¬
wenden.
Bei den Tincturen bleibt die bisherige Verordnung in Kraft, dass fehlende
Flüssigkeit nach dem Pressen nicht darf ersetzt werden. Mittelst des Percolations-
verfabrens werden bereitet die Tinctura Aconiti tuberis, Belladonnse, Calami, Galnmbse,
Cannabis indiese, Cantharidis, Gapsici, Cardamomi, Gascarillie, Cinchonm, Ginchons
composita, Cinnamomi, Goes, Colchici, Digitalis, Eucalypti, Galls, Gelsemii, Gentiana,
Ipecacuanhs, Lobelis, Pimpinells, Quebracho, Secalis cornuti, Strophanti, Strychni,
Valeriana, Valeriana stherea und Zingiberis.
Bei den Salben findet sich die zweckmässige Vorschrift, dass för Decksalben
Mineralfctte, för Salben mit Beimengungen, welche resorbirt werden sollen, thierische
Fette verwendet werden sollen, weil letztere leichter in die Haut eindringen.
Der Artikel V i n a endlich enthält werthvolle Bestimmungen zur Vermeidung
von Verunreinigungen (Gypsen, Deplätriren etc.); solche fehlen gänzlich im deutschen
Arzneibuch.
Nach Abzug der 19 Artikel, welche allgemeine Vorschriften enthalten, finden
wir in der neuen Schweizerischen Pharmacopoe 778 Arzneimittel; die 2. Ausgabe ent¬
hielt 589 Artikel, wovon 4 allgemeine Vorschriften, also 585 Arzneimittel, das Sup¬
plement 446 Artikel mit 1 allgemeinen Vorschrift, also 445 Arzneimittel, zusammen
im Haupttheil und Supplement der Editio altera 1080 Arzneimittel. Das Deutsche
Arzneibuch enthält 599 Artikel, wovon 24 allgemeine Vorschriften, also 575 Arznei¬
mittel; wir können also wohl behaupten, dass das neue schweizerische Werk die rich¬
tige Mitte hält, denn die starke Bednetion im Deutschen Arzneibuch rief sofort
einem Supplement, das schon im Jahre 1891 erschien und nicht weniger als 811
Nummern enthält; dasselbe wurde bearbeitet und herausgegeben vom Deutschen Apo¬
thekerverein und enthält ein grossartiges Sammelsurium alter und neuer Arzneimittel,
darunter nahezu alle Präparate unseres Supplementes.
Ich habe nun folgende Tabellen aufgestellt, welche zunächst die Veränderungen in
der Series medicaminum der neuen Schweizerischen Pharmacopoe hervorheben:
Tabelle I. Uebersicht über die in die Editio tertia neu aufgenommenen
Mittel, welche weder in der Editio altera noch im Supplement zu derselben ent¬
halten sind.
Tabelle II. Uebersicht über die Arzneistoffe, welche in der Editio altera
enthalten, aber in die Editio tertia nicht aufgenommen worden sind.
Tabelle III. Uebersicht fiber die Arzneistoffe, welche im Supplement ent¬
halten, aber nicht in die neue Pharmacopoe aufgenommen wurden.
Die im Deutschen Arzneibuch enthaltenen Artikel sind in allen Tabellen mit
D. A. bezeichnet.
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142
I. Uebersieht ttb«r 4ie Arzneistoffe der Pharmacopesa helvetiea Ed. IH, welche weder in
Editio II noch hn Supplement enthalten sind (154).
AdepB LanK.
Agaricns albns.
Amylam Oryzse.
Bolus alba. D. A.
Chrysarobinnm. D. A.
Coccionella.
Gortex Condurango. D. A.
Gortex Mexerei.
Gortex Quebracbo.
Gortex Ehamni Frangul». D. A.
Gortex Bhamni Pursblanse.
Gortex Salicis.
Dextrinum.
Flos SpirsBffi.
Folium Gocse.
Folium Eucalypti.
Folium Jaborandi. D. A.
Folium Juglandis. D. A.
Acetanilidum. D. A.
Acidum agariciuicnm. D. A.
Acidum formicicum. D. A.
Acid. hydrobromicum dilut.
Acid. hydrochloricum.
Acid. nitricum dilut.
Acid. valeriauicum.
Aether bromatus. D. A.
Alcohol absolutus.
Aluminium aceticotartar.
Aluminium sulfuricum.
Ammonium benzoicum.
Ammonium sulfoichtbyolic.
Ammonium salfuricum.
Ammonium valerianicum.
Antipyrinum. D. A.
Apomorpbinum hydrochloricum
D. A.
Bismuthum salicylicum.
Galcium sulfuricum ustum. D. A.
Gamphora monobromata.
AiQmoninm valerianic. solutum.
Aqua phenolata. D. A.
Extraetom Golchici fluid um.
Extractum Gondurango fluid.
D. A.
Extractum Gonvallariae fluid.
Extractum Eucalypt. fluid.
A. Rohstoffo und Droguan ( 52 ).
Folium Bosmarini.
Folium Bubi fruticosi.
Fmctus Gapsici. D. A.
Fructus Carvi. D. A.
Fructus GassisB fistulsc.
Fructus Gonii.
Fructus Myrtilli.
Fmotns Papaveris immaturi.
D. A.
Fructus Petroselini.
Fructus Sennse.
Gelatina animalis.
Gutti. D. A.
Herba cannabis indicce».
Herba GonYallarite.
Herba Lobelise. D. A.
Herba Butce.
Herba Thymi. D. A.
B. Chamitcha Präparata ( 59 ).
Gerium oxalicum.
Ghininum hydrobromicum.
Ghininum salicylicum.
Goeainum hydroehloric. D. A.
Codeinum phosphoricum. £>. A.
Goffeinonatrium benzoicum.
Goffeinonatrium salicylicum.
Goffeinum citricum.
Ghiajacolum.
Homatropinum sulfuric. D. A.
Hydrargy r.chlorat. vapore parat.
D. A.
Hydrargyr. sulfuric. basicum.
Hyoscinum hydrobromicum.D.A.
Jodolom.
Kalium sulfuratum (purum).
Kalium carbonic. purum.
Lithium salicylicum.
Mannitum.
Mentholum. D. A.
Naphtbalinum. D. A.
C. Galanlscha Präparata (43).
Extractum Hydrastis fluid.
Extractum Ipecacuanha» fluid.
Extractum Mezerei fluid.
Extr. Bhamni Purshiaum fluid.
Extractum Secalis cornuti solut.
Extractum Stramonii duplex
e Semine.
Hirudo. D. A.
Oleum Santali.
Badix Gelsemii.
Badix Ononidis.
Bhizoma Hydrastis. 1). A.
Bhizoma Zedoarisc. D. A.
Sapo kalinus. D. A.
Semen Gydoniss.
Semen Sabadillm.
Semen Strophanti. D. A.
Spiritus e vino. D. A.
Sulfur sublim, crudum. D. A.
Talcum. D. A.
Tuber Aconiti. D. A.
Turio Pini.
Yaselinum.
Yioum Marsalense.
Naphtholum. D. A.
Natrium benzoicum.
Natrium jodatum. D. A.
Natrium salicylicum. D. A.
Phenaoetioum. D. A.
Phosphorus amorphus.
Physostigminum salicylicum.
D. A.
Pilocarpinnm hydroehloric. D. A.
Plumbum nitricum.
Besorcinum. D. A.
Saccharinum.
Salolum. D. A.
Sparteinum sulfuric.
Strychninum sulfuric.
Sulfonalum. D. A.
Terpinum hydratum. D. A.
Thymolum. D. A.
Urethanum.
Zincum oxydatum purum. D. A.
Extractum Stramonii flnidum
e Semine.
Ferrum albnminatum solntum.
D. A.
Ferrum oxycbloratum solutum.
D. A.
Oleum jecoris aselli jodat.
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143
Pastilli Ammonii chlorati.
Pa^tilli MenIhcD angliei.
Phenolnm liqaefactum. D. A.
Pilnlffi hyoscyami compoB.
Pnlvi« pro pedibus.
Sebmn benzoinatam.
Sirupns Picis cum codeino.
Sirupus Rateubise.
Sirupus Tamarindi.
Sirupus TerebinthineB.
Sirupus Turionis Pini.
Spiritus Citri.
Tinctura Aconiti herb» recentis.
Tinctura Aconiti tuberis. D. A.
Tiuctura Benaoes setberea.
Tinctura Caacarill».
Tinctura Cocsb.
Tinctura Gelsemii.
Tinctura Jalap» compos.
Tinctura Qnebracho.
Tinctura Strophanti. D. A.
Unguentum boricnm. D. A.
Unguentum Hydrargyr. bijodati.
Unguentum Plumbi jodati.
Yinnm Coc».
Vinum Condurango. D. A.
Vinnm Pepsini. D. A.
IL Uebersicht derjenigen Arzneistoffe, weiche bi der Pharmacopeea heivetica Ed. It ent¬
halten, aber in die Ed. Hl nicht sind aufgenommen worden.
Acetum. D. A.
Amylnm Marantee.
Carics.
Colla piscinm.
Cortex ChinsB fuscns.
Flores Farfar».
Flores Millefolii.
Folia Lanrocerasi.
Folia Millefolii.
Formics.
Fmctns Lanri. D. A.
Fmctns Coriaodri.
Fructns Pbellandrii.
Herbe Conii. D. A.
Acid. hydrochlor. crndum.
Acid. chloronitrosum.
Acid. nitrio. crndum. D. A.
Acid. phosphor. glaciale.
Acid. snocinicum.
Acid. snlfaric. crndum. D. A.
Aconitinnm.
Ammon, carbon. pyrooleosnm.
Benzolnm. D. A.
Ammoniacnm pnlveratum.
Aqua Anisi.
Aqnn Ceraaorum.
Aqna cinnamomi.
Aqna Melissa.
Aqna Peiroselini.
Aqna Sambnci.
Aqna Tilia.
Aqna Valeriana.
Emplastmm Cerussa. D. A.
Emplastmm resinoinm.
Emnlsio Amygdalarum.
Emulaio oleosa.
A. Rohstoffe und Droguon (40).
Lactucarium.
Lignnm Sandall.
Macis.
Mastiche.
OL Amygd. athereum.
Ol. Anrantii corticis.
Ol. Calami. D. A.
Ol. Papaveris. D. A.
Ol. Petra.
Ol. Ruta.
Ol. Sesami.
01. Succini.
01. Valeriana.
Olibanum.
B. Cbomiacho Prffparato (26).
Bismutbum.
Calcium chloratum.
Carboneum sulfuratum.
Coniioum.
Ferrum chloratum.
Ferrum phosphoricnm.
Ferrum sesqnichloratum. D. A.
Hydrarg. nitric. oxydnlatnm.
Kalium carbon. crndum. D. A.
C. Galoaitche Präparate (46).
Extractum Anraniiomm.
Extractnm Calami. D. A.
Extractum China frigid, parat.
D. A.
Extractnm Chelidonii.
Extractnm Colnmba.
Extractnm Dnlcamaree.
Extractnm Graminis.
Extractnm Lactoea.
Extractnm MillefoliL
Extractum Myrrha.
Folia Senna depurata.
Galbanum pnlveratum.
Radix Carlina.
Radix Ennla.
Radix Pyrethri.
Sandaraca.
Rhizoma Arnica.
Rhizoma Asari.
Rhizoma Caricis.
Rbizoma Cnrcnma.
Semen Cardamomi.
Semen Hyoscyami.
Spongia.
Tuber China.
Morphinnm.
Morpbinnm aceticnm.
Natrium carbon. cmdnm. D. A.
Natrium carbon. dilapsnm. D. A.
Spiritus concentratns.
Strychninum.
Tartarus ferratus cmdus.
Zincum aceticnm. D. A.
Gossypium fnlminans.
Liq. ammonii carbon. pyrooleosi.
Liquor ammonii suoeinici.
Oleum Chamomilla ooctum.
Opium pnlveratum.
Oxymel.
Plumbum tannic. humidum.
Pnlv. aromaticns ruber.
Syrupus amygdalarum. D. A.
Syrupus balsami pemviani.
Syrupus Rhoeados.
Spiritus Aetheris chlorati.
Spiritus aromaticns.
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144
Spiritus Rosmarini. Tincturs St ramonii. UDguentom rosatum.
Tinctura Aconiti (e foliis siccis). Unguentum Belladonnse. ^ Yanilla saocharata.
Tiuctura aromatic. acida. Unguentum Digitalis.
III. Uebersicht der im Supplement der Schweizer. Pharmacopoe enthaltenen, aber in die
Editio
Acidum phenylicum crudum.
Fel Tauri inspissatum.
Lactucarium gallicum.
Pulpa Cassise.
Acidum arsenicicum.
Acidum oxalicum.
Acidum sulfurosum solutum.
Acidum trichloraceticum. D. A.
Aether ansestheticus.
Aethylenum chloratum.
Argentum oxydatum.
Baryum chloratum.
Bismuthum carhouicum.
Bismuthum valerianicum.
Ghinidinum sulfuricum.
Ghininum arsenicicum.
Ghininum citricum.
Ghininum ferrocitricum.
Ghininum lacticum.
Ginchonidinum sulfuricum.
Acetum aromatioum spirit. D. A.
Acetum camphoratnm.
Acetum phenylatum.
Acetum Digitalis.
Acetum Rubi idaei.
Aether cantbaridatus.
Aether phosphoratus.
Antimon, diaphoret. ablutum.
Aqua aromatica.
Aqua camphorata.
Aqua Gastorei Rademacheri.
Aqua chamomill. concentrata.
Aqua gland. Quercus Rädern.
Aqua Kreosoti.
Aqua Melissse concentrat.
Aqua Menthae spirituosa.
Aqua NicotiansB Rädern.
Aqua Nuc. vomic. Rädern.
Aqua Opii.
Aqua phagedinnioa flava.
Aqua phagedsenica nigra.
Aqua Quassiae Rademacher.
tertia nicht aufgenommenen
A. Rohstoffe und Droguen (16).
Resina Scammoniae.
Oleum Absinthii.
Oleum animale aetiier.
Oleum cinnamom. ceylan.
B. Chemische Prflpante (48).
Ginchoninum.
Ginchoninum sulfuricum.
Guprum oxydatum.
Guprum sulfuric. ammoniatum.
Digitalinum.
Ferrum acetic. oxydat. solubile.
Ferrum citricum oxydat. D. A.
Ferrum oxydnlato oxydatum.
Ferrum pyrophosphor. natronat.
Ferrum pyrophosphor. oxydat.
Hydrargyrom cyanatum. D. A.
Hydrargyrum oxydnlat. nigrum.
Hydrargyrum snlfurat nigrum.
Hydrargyrum sulfurat. rubrum.
Kalium bioxalicum.
Kalium carbonic. crudum 65*/o.
C. Galenische Prflparate (233).
Aqua Rubi idaei concentrata.
Aqua Seidschütz facticia.
Aqua Yalerian» concentrata.
Baisamum nervinum.
Baisamum Nucists. D. A.
Goiocynthis prsparata.
Gonserva Rosarum.
Decoctum album Sydeuhami.
Decoctum Sarsaparillae comp,
fortius. D. A.
Decoctum Sarsaparilbe comp,
mitius.
Electuarium phosphoricum.
Electuarium Theriaca.
Elixir proprietatis Paracelsi.
Emplastrum adhsesiv. Pharm,
german.
Emplastrum Ammoniaci.
Emplastrum aromaticum.
Emplastrum fcstidum.
Emplastrum frigidum.
Emplastrum de Galbano crocat.
Artikel.
Oleum MajoransB.
Oleum Salvi».
Kalium chloratum.
Kalium cyanatum.
Liquor natrii silicici. D. A.
Magnesium citricum.
Magnesium lacticum.
Magnesium tartaricnm.
Manganum carbonicum.
Narceinum.
Narcotinum.
Natrium chloricum.
Natrium santonicum.
Sulfur jodatum.
Tri me thy laminum.
Zincum carbonicum.
Zincum ferrocyanatum.
Zincum lacticum.
Emplastrum Hyoscyami.
Emplastrum Meliloti.
Emplastrum Minii rubrum.
Emplastrum miraculos. Rädern.
Emplastrum phenylatum.
Emplastrum viride.
Emulsio cerata.
Emulsio resinosa.
Emulsio Ricini.
Essentia dulcis.
Extractum Arnicse.
Extractum Aloes acido sulfuric.
correct.
Extractum Gentaurii minoris.
Extractum Gbamomillm.
Extractum GinsB.
Extractum Enule.
Extractum fab» calabari».
Extractum Fumarie.
Extractum Gratiola.
Extractum Guajaci.
Extractum Hellebori nigri.
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145
Extractnm Laetue» Yiros».
Extractom Ligni Gampechiani.
Extractnm Malti.
Extractom Malti com Chinino.
Extract. Malti com Ferro jodato.
Extractnin Malti ferratom.
Extractom Marrobii.
Extractom Nicotianse Hadem.
Extract. Nocia yomicffi aquosom.
Extractom Polaatillffi.
Extractom Saponari».
Extractom Stramooii herbse.
Extractom Sarsaparille spirit.
Ferrom jodatom saccbaratom.
Fomigatio chlori.
Gelatina Licbenis islandici.
HjdrargyTom atibiatom aolfor.
Lichen islandicoaamaritie privat.
Liqoor Ammonii carbonici.
Liqoor Ammonii caoatici api-
ritooa.
Liqoor anodynos Terebint. Rad.
Liqoor Calcarie ohiorate Badem.
Liqoor Hydrarg. nitriei oxydol.
Liqoor Hydrarg. nitriei oxydati.
Liqoor Natrii nitriei Badem.
Magneaiom citricom liquidum.
Mastix odontalgica.
Maaaa pilolarom e Cynoglosao.
Mel e Mercoriak.
Mellago Qraminis.
Mellago Taraxaci.
Mixtora Chopartii.
Mixtura volneraria aeida.
Oleom Belladonne coctom.
Oleom carboliaatom.
Oleom Carvi pingue.
Oleom Chamomille citratum.
Oleum Hyoacyami camphoratom.
Oleom H 3 rperici.
Oleom Jecoria aselli ferratom.
Oleom Lini aolforatohi.
Oleom morphinatom.
Oleom terebinthine sulforatom.
Oxymel Aerogioia.
Oxymel Colchid.
Pasta gnmmosa alba.
Pasta gommoaa flava.
Pasta Liqoiritie.
Pastilli Althee.
Pastilli Ferri lactici.
Pastilli Liqoiritie.
Pastilli Magoeska (carbon).
Pastilli Magneaie oste.
Pastilli stromales.
Pastilli Solforis.
Pilule alterantes Plomeri.
Pilole hydrarg. protpjodaticomp.
Pilole kxaotea.
Pilole mercorialea coerulee.
Pilule mercuriales laxantes.
Pilole odontalgice.
Pulvis alterans Plumeri.
Pulvis aromaticos laxans.
Polvis dentifricius camphoratos.
Pulvis diureticuB.
Pulvis effervescens e Magnesia.
Pulvis equorum.
Polvia ad Limonadam.
Polvis Stibii compoaitos.
Polvia Btramalis.
Polvis temperans mber.
Roob Ebuli.
Sapo eamphoratns.
Sapo guajacinos.
Serom Laotis.
Simpoa Asparagi.
Sirupoa Belladonne.
Sirupus Calcii hypophosphorosi.
Sirupus Cerasorum. D. A.
Sirupus Chamomille.
Sirnpus Chine ferratos.
Sirupus Chlorali hydrati.
Shrupoa Cichorii cum Bheo.
Sirupus Croci.
Sirupus Cydoniorum.
Sirupus Digitalis.
Sirupus Ferri oxydati solobilis.
D. A.
Sirupus Manne. D. A.
Sirupus Menthe. D. A.
Sirupus Papaveris. D. A.
Sirupus Persicorom.
Sirnpus Rubi fruticosi.
SiropoB Yiolarum.
Species ad Elixir domestienm.
Species laxantes.
Species narcotice.
Species nervine Hofelandi.
Species pectoraks cum froctibos.
Species poerperarum.
Spiritus ammonii aromaticos.
Spiritus Angelice compos. D. A.
Spiritus anhaltinuB.
Spiritus Mastiches comp.
Spiritus Thymi.
Soccos herbarom.
Tinctura Aooniti etherea.
Tinctora Ambre com Moscho.
Tinct Artemisie radic. Badem.
Tinctora Bensoes compos.
Tinctora Burse pastoria Badem.
Tinctora Cardamomi compoa.
Tinctora Cardoi Marie Badem.
Tinctora Chelidonii Rademach.
Tinct. Chelidonii compos. Badem.
Tinctora Coccionelle.
Tinctora Coocionelle Badem.
Tinctora Cooii.
Tinctora Copri acet. Badem.
Tinctora Cynosbati fiingi Badem.
Tinctora Digitalis etherea.
Tinctora Ferri acetic. Badem.
Tinctora Ferri chlorati.
Tinctora Ferri tartarici.
Tinctora Goajaci ammoniata.
Tinctura Hyoscyami.
Tinctura Jodi decolorata.
Tinctora nareotic. Pharm, gallic.
Tinctora narcot. Pharm, germao.
Tinctora Nocum vomic. Badem.
Tinctora odontalgica Botot
Tinctora Opii acetosa.
Tinctora Pini composita.
Tinctora Rhois toxicodendri.
Tinctora Scille compoa.
Tinctura Scille kalina.
Tinctora Senne.
Tinctura Spilanthis comp.
Tinctora Yaleriane ammoniata.
Tinctora Yeratri. D. A. *
Tinctura volneraria rubra.
Tinctora Zingiberis anglica.
Ungnentum acre.
Unguentum basilicom. D. A.
UnguentomBorse pastor.Badem.
Ungnentnra Calami naris Badem.
Ungoentom carboliaatom.
Unguentum Cerosse. D. A.
Unguentum Chine.
Unguentum Conii.
Unguentum Dupuytren.
Ungoentom Hydrarg. citri nom.
Ungoentom Hyoacyami.
Ungoentom Jodi Bademach.
Unguentom labiale.
Ungnentum narcotico - balsam.
Heltmondi.
Unguentom nervinom.
10
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tJnguentum stramale.
Unguentum Styracis.
Unguentum Terebinth. comp.
Unguentum Picis.
Unguentum ophthalm. JaninL
Ung. ophthabn. Lausanniense.
Ung. ophtbalm. simplex.
Unguentum opiatum.
Unguentum oxygenatum.
Yinum camphorat. D. A.
Yinnm Chin» malacens.
Yinum ferratum.
Yinum strumale.
Zur Tabelle I erlaube ich mir folgende Bemerkungen: Selbstverständlich
figoriren in derselben alle jene Arzneimittel, welche sich seit dem Erscheinen der
Editio altera bei uns eingebärgert haben, und es beweist nur die Länge der Frist, die
seit dem Erscheinen der 2. Ausgabe verflossen ist, wenn Präparate wie Natrium
salicylicum als Novum figuriren. Die Auswahl der neuen Mittel ist im Ganzen eine
vorsichtige gewesen und nur wenige wurden anfgenommen, denen wir wohl in einer
zukünftigen Ausgabe nicht mehr begegnen werden; dazu wird wohl zu rechnen sein,
das Jodol, der Mannit, das ürethan.
Von ältern Präparaten sind einige als Ersatz oder zur Ergänzung schon vor¬
handener Mittel aufgenommen worden, z. B. die Fructus Gonii statt der Herba
Conii, Tuber Aconiti neben Folium Aconiti, Sapo kalinns, pharmaoeutisch hergestellt,
neben der käuflichen Ealiseife, Zincum oxydatum purum neben den Flores Zinci. Bei
manchen Artikeln macht sich der italienische und romanische Einfluss geltend und es
muthet uns sonderbar an, die Fructus Cassise fistulae und neben der schon übermässig
grossen Zahl der Sirupe noch 5 neue von zweifelhafter Wünschbarkeit zu sehen.
Einzelne Mittel sind für den Veterinärgebrauch bestimmt, wie Cortex Salicis,
Hydrarg. sulfnricum basicum, Plumbum nitricum, Unguentum Hydrargyri bijodati.
Eine Anzahl Rohstoffe sind als Bestandtheil galenischer Präparate aufgenommen,
z. B. Folium Rosmarini, Fructus Capsici, Fructus Petroselini, Herba Rute und Herba
Thymi, Radix Ononidis, Rhizoma Zedoarise.
Immerhin bleiben noch eine Anzahl Präparate, die zum mindesten als Luxus
erscheinen müssen, z. B. die 2 neuen Ghininsalze, das Lithium salicylicum neben dem
carbonicum, das Strychninum sulfuricnm neben dem nitricum und manche andere mehr.
In der Tabelle II bemerken wir zunächst den Wegfall einer Reihe von
Rohproducten, deren chemisch reines Präparat aufgenommen ist, z. B. Acetum, den
rohen Weinessig; es wurde nur der aus Essigsäure bergestellte Acetum purum be¬
halten, ferner fallen weg Acid. hydrochloric. crudum, Acid. nitricum crudum, Acid.
sulfnricum crudum, Kalium carbonicum crudum, Natrium carbonicum crudum, Tartarus
ferratns crudus, während Fern sulfur. crudum, Zinc. oxyd. beibehalten sind.
Von den übrigen aus der Editio li weggefallenen Präparaten werden wir nur
wenige ernstlich vermissen; als solche wären vielleicht zu bezeichnen das Benzol und
das crystallisirte Ferrum sesquichloratnm, alle übrigen sind zum mindesten entbehrlich,
die Emulsionen, die narcotischen Salben, an sich von zweifelhaftem Werthe, sind durch
allgemeine Vorschriften ersetzt; Präparate, die doch nur frisch zur Herstellung galoni-
scher Mittel verwendet werden, wie Formicse'und Folia lanrocerasi sind ebenfalls aus¬
gefallen; ebenso die Artikel Ammoniacum, Galban um und Opium pulverratum, da über
die Pulverisirung derselben im Allgemeinen Titel Pulveres das Nüthige enthalten ist.
Sehr erfreulich ist die grosse Zahl der aus dem Supplement der Editio altera
weggelassenen Artikel und wenn wir die lange Liste der Tabelle III durchgehen,
so werden wir selbst bei denjenigen Mitteln, welche das Deutsche Arzneibuch noch
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147
aaff&hrt, kaum eines finden, dessen Beibehaltung einem dringenden Bedfirfnisse ent>
sprechen würde; mir persSnlich wäre die Aufnahme der Trichloressigsäure, der Aqna
Kreosoti, des Decoctum Sarsaparillae compositnm und des Sirupus Mann» erwünscht
geweS6n. (Fortsetzimg folgt.)
Gesellschaft der Aerzte in ZOrich.
4. WiitersitEUf Im HSrsMl der ■edlclilsehei Kliilk des CMtoisspitols, des
20. Jaioar 1894.0
Präsident: Prof. Haab. — Actaar: Dr. Conrad Brunner.
1. Dr. W. V. Murali. Demonstration eines Präparates yoa. ceifeiitaler Pyeie-
pkrese. Entfernung des Tumors bei einem 9jährigen Knaben. Schnittfiihrang nach
König. M. wird über den seltenen Fall ausführlicher berichten nach genauer Unter¬
suchung des Präparates.
2. Prof. Eickhorst stellt 1. zwei Praaei mH IilaeBzaeaBplleatlanen vor. Yor-
tragender erinnert, dass man heute der Krankheit viel ruhiger gegenüber steht, als im
Jahre 1889—90, weil damals viele Aerzte die Krankheit nur aus den Büchern kannten;
er hab« von jener Epidemie noch eine Reihe von interessanten Nachkrankheiten gesehen,
s. B. Diabetes mellitus, Diabetes insipidus, progressive Bulbärparalyse, Polyneuritis und
Anderen. Schon Ende November 1893 habe der Vortragende in dem ärztlichen Verein
die Collegen aufmerksam gemacht, dass er sehr eigen thümliohe Formen von Pneumonie
auf der Klinik zu behandeln bekommen habe, die ihm den Gedanken nahe gelegt hätten,
dass es sich um loüuenzaeinflüsse handle; es waren Pneumonien mit geringem Fieber,
mehrfachen zerstreuten kleinen Herden, meist doppelseitig, nicht kritisch endigend> da¬
gegen mit schwerem Ergriffensein des Allgemeinbefindens und häufigem tödtlichen Ausgang;
seitdem hat der Vortragende 31 solcher Fälle auf der medic. Klinik behandelt, und es
zweifelt wohl kein Zürcher Arzt daran, dass wir seit Wochen in Zürich eine ausgedehnte
Influenzaepidemie haben. Vortragender sah innerhalb einer Woche 3 Fälle von Pneumonie
in Lnngengangrän übergehen. Ein kräftiger junger Mensch war plötzlich mit Schüttel¬
frost unter pneumonischen Erscheinungeo erkrmikt, kam nach 10 Tagen mit einer links¬
seitigen serösen Pleuritis zur Aufnahme (die seröse Natur wurde durch Probepunction
festgestellt). Nach 4 Tagen fotide Exspirationsluft, am nächsten Tage reichliche Expeo-
toration von eitrigen Massen und Zeichen von Pneumothorax; nochmalige Probepunction
entleert hämorrhagisches, eitriges, stinkendes Exsudat aus der Pleurahöhle; Pat. wurde
auf die chirurgische Klinik verlegt und dort mit Erfolg operirt.
Die 2. Beobachtung betrifft einen Studenten der Theologie, der mit einer doppel¬
seitigen Pneumonie zur Aufnahme gelangt; die Pneumonie verlief scheinbar günstig, aber
am Anfang der 2. Woche bekommt Pat. plötzlich stinkenden Auswurf, am nächsten Tage
Zeichen der Pneumothorax, dessen jauchige Natur durch Probepunction festgestellt wurde;
auch er wurde von Prof. Krönkin mit Erfolg operirt.
Endlich sah der Vortragende noch in der konsultativen Praxis eine junge Frau,
welche vor 8 Tagen an einer handtellergrossen fibrinösen Pneumonie des Unterlappens
erkrankte; sie hatte vor 2 Tagen beim Aushusten selbst den Geruch ihrer Aus-
athmungsluft bemerkt; hier dehnte sich allmälig der Lungenbrand über den Unter- und
Oberlappen rechts aus, zu einer Perforation in die Pleurahöhle kam es nicht und die
junge Frau ging in der 3. Krankheitswoche durch Kräfte verfall zu Grunde.
Von den beiden vorzustellenden Kranken ist die eine Mitte December unter den Er¬
scheinungen eines Bronchokatarrhs verbanden mit Frost, Fieber und Gliederschmerzen er-
') Eingegangen 5. Februar 1894. Red.
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krankt; kaum waren die Erscheinungen im Abnehmen begriffen, so bildete sich eine
Schwellung der rechten Parotis aus; Pat. musste vor 3 Tagen incidirt werden, da die
geröthete und geschwollene Parotis an 2 Stellen deutlich fluctuirte und ausserdem der
Eiter beim Oeffnen des Mundes theilweise aus dem Ductus stenonianus ausfloss. Pat. ist
ganz fleberfrei und fühlt sich gut.
Der Eiter wurde bakteriologisch untersucht; es Hessen sich in ihm neben dem
Staphylococcus aureus auch sogenannte Influenzabaoillen nach weisen.
Sehr viel ernster steht es um die 2. Patientin; sie liegt seit einigen Wochen auf
der Abtheilung mit einem Ekzem der Kopfhaut, welches geheilt war. Yor ungefähr
10 Tagen erkrankte sie fieberhaft unter den Erscheinungen des Bronchokatarrhs, zu dem
sehr bald eine umschriebene Pneumonie im rechten Unterlappen hinzutrat; nach wenigen
Tagen bekommt sie plötzlich um y24 Uhr Morgens einen heftigen Schmerz im rechten
Arm, der Arm ist pulslos, kalt und leichenblass, die Pulslosigkeit geht bis über die Art.
subclayia hinaus; allmälig beginnen die Erscheinungen der Mumification an den Fingern
und des feuchten Brandes am Unterarme und es dürfte der Tod in kürzester Zeit zu
erwarten sein. Bei dieser Pat. wies man Bacillen nach, welche bei Färbung mit Ztc^/’scher
Carboifuchsinlösung genau den Influenzabacillen glichen; Präparate wurden unter dem
Mioroscop demonstrirt. Herr Dr. Banholeer legte auf Blut-Agar Oulturen an ; dieselben
wuchsen nach der von Pfeiffer geschilderten Weise. P. S. Ob es sich bei der Pat.
um eine Embolie oder Thrombose handle wurde offen gelassen, doch die Embolie für
wahrscheinlich erklärt, weil das Ereigniss so plötzlich eingetreten war; nichtsdestoweniger
ergab die 2 Tage später ausgeführte Autopsie einen Thrombus in der rechten Art.
subclavia.
2. Arfyrie bei eiiem Juffea ■Mehea. Ein Mädchen von 25 Jahren war im
Jahre 1889—90 auf der medic. Klinik wegen multipler Him-Rückenmarkssklerose be¬
handelt worden; sie hatte von Juli 1889 bis December 1889 etwas mehr als 4 gr Argent.
nitric. genommen; im März 1890 verliess sie die Klinik, da sie so weit gebessert war,
dass sie wieder arbeiten konnte; das Intentionszittem war nach der Suspensionsbehand-
lung sehr schnell geschwunden; Pat. arbeitete viel auf dem freien Felde und bemerkte
erst im December 1890, obwohl sie inzwischen keine Medicinen gebraucht hatte, dass
ihre Gesichtsfarbe schwärzlich verfärbt wurde; die Verfärbung wurde allmälig intensiver,
breitete sich auch über die übrige Haut und allmälig wurde das Intentionszittem sehr be¬
trächtlich und Pat. gelangte im December 1893 wieder zur Aufnahme. Man findet
die schwärzliche YerHlrbung auch auf der Conjunct. sclerm, so weit die Lidspalte offen
ist, ebenso auf der Mundschleimhaut. Ein schwarzer Saum findet sich am Zahn¬
fleisch vor. Auf der Innenfläche der Hornhaut hat sich ein glitzernder zackiger Kranz
niedergeschlagen, dessen Ausdehnung von der Coraea-scleralgrenze gerechnet 2—3 mm
beträgt.
3. VeretellnBi^ vei 2 ■Uehei mit MlUpler Hiri-RlekeBBarkssclerese bbiI
elBer Ptbb biH Paralysls agltoBS. Vortragender demonstrirt zunächst an dem eben
erwähnten Mädchen mit Argyrie das Intentionszittem und die skandirende Sprache; da¬
neben besteht leichte Schwäche des detrusor vesicm; es wird ganz besonders hervorgehoben,
dass, wenn die Pat. aufgeregt ist und unter dem Eindmck steht, Bewegungen ausführen
zu müssen, dann scheinbar in der Ruhe an der Armmuskulatur eine Art von
Zitterbewegungen aufzutreten scheinen; im Krankensaal verhalten sich die Muskeln in
der Ruhe absolut bewegungslos und zum Ueberfluss werden noch Muskelknrven demon¬
strirt, aus denen mit mathematischer Beweiskraft hervorgeht, dass bei gewohnter Um¬
gebung und frei von Aufregung Schüttelbewegungen sich nur bei beabsichtigten Be¬
wegungen einstellen. Pat. stammt aus einer schwer nervös belasteten Familie; eine
Schirester ist im Irrenhause, zwei Brüder leiden an myopathischer Muskelatrophie und
befanden sich zur Beobachtung einige Zeit auf der medicinischen Klinik; der eine Bmder
zeigte die Erscheinungen der Pseudohypertrophie der Muskeln, der andere diejenigen der
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infimtileQ Moskelatrophie. Pat. wird wieder saspendirt werden; es wird die Art der
Suspension an ihr demonstrirt.
Die zweite Kranke, ein Mädchen Ton 29 Jahren, bietet die specifisohen Symptome
von multipler Him-Bäckenmarkssclerose (Intentionszittem, scandirende Sprache) in noch
höherem Grade dar; nach einem Torgehaltenen Gegenstände kann sie nur greifen, wenn
sie mit der anderen Hand den Arm möglichst fest^lt, und auch beim Sprechen greift
sie mit der Hand nach dem Unterkiefer, um ein übermässiges Schütteln zu vermeiden.
Nystagmus hat diese Pat. ebenso wenig wie die vorausgegangene, dagegen hat sie wieder-
holentlich Anfälle von Bewusstlosigkeit ohne nachfolgende Lähmung gehabt. Interessant
ist, dass sich die ersten Erscheinungen des Intentionszittems bis in das 6. Lebensjahr
verfolgen lassen und dass die Pat. bei Sjähriger Beobachtung auf der Klinik fast täglich
Fieberbewegungen von 37,8—39^ zeigt, ohne dass sich an den inneren Organen etwas
Besonderes nachweisen lässt und die Pat. an Appetit und Kräften gelitten hätte. Ge¬
nauer g^ht der Vortragende auf eine Besprechung der Beranken und ihrer Elrankheit
wegen der vorgerückten Zeit nicht ein, demonstrirt aber auch von dieser Kranken eine
Muskelknrve während des Intentionszittems.
Zum Vergleich wird noch eine alte Frau mit ausgesprochenen Erscheinungen von
Paralysis agitans gezeigt und auf das vorübergehende Aufhören der sonst ununter¬
brochen bestehenden Schüttelbewegungen bei Aufforderung und auf die Erscheinungen
der Retropulsion aufmerksam gemacht. Auf der vorgewiesenen Kurve sieht man sofort
den Unterschied zwischen den beiden demonstrirten Krankheiten.
An der Discussion betheiligen sich die Herren Dr. v, Monakow und Prof.
EichhorsL
3) Dr. Conrad Brunner. Weitere Hitthellnnfen Iber TetMis« Der Vortragende
giebt ein Rösumö seiner. Untersuchungen über die Art der Wirkung des Tetanusgiftea
auf das Nervensystem und demonstrirt bei dieser Gelegenheit das Symptomenbild des
Tetanus beim Frosche. Die ausführliche Mittheilung dieser Untersuchungen
erfolgt in den „Beiträgen zur klinischen Chirurgie".
Referate und Kritiken.
Experimentelle Untersuchungen Ober Antisepsis bei der Sturoperation.
Inangnral'DiBsertation von R. Hildebrandt, Assistenzarzt der Unirersitäts-Augenklinik Zürich.
. Hamburg 1893.
lieber die Ausspülungen der vordem Augenkammer bei der Staarextraction
an der Basler ophthalmologischen Klinik. Inaugural-Dissertation von Faul Böthlisberger,
med. pract. (Herzogenbuc^ee). Bern 1893.
Ob die jetzt allgemein vor Augenoperationen geübte Desinfection des Conjunctival-
Backes mehr bloss eine mechanische Reinigung oder eine wirkliche Sterilisation sei, ist
die Frage, welche Verf. zum Thema seiner Dissertation gewählt hat. Es darf als fest¬
stehende Thatsache angesehen werden, dass in jedem, macroscopisch vollkommen normal
aossehenden Conjunctivalsack Bacterien der gefährlichsten Art vorhanden sein können.
An 11 von Prof. Haab operirten Fällen von Cataracta senil, stellte Verf. seine Beob¬
achtungen an. Kurz vor der Desinfection des Conjunctivalsackes, ferner ein und mehrere
Tage nach der Operation wurden Impfungen ans dem Conjunctivalsack in Agar und Ge¬
latine ausgeführt. Elf Fälle sind, wie Verf. selbst sagt, eine zu geringe Zahl, als dass
man den Ergebnissen eine allzu grosse Beweiskraft beimessen dürfte. Immerhin ergeben
sich aus den Beobachtungen recht interessante und bemerkenswerthe Resultate: Ein Zu¬
sammenhang zwischen der Beschaffenheit des Conjunctivalsackes und dem Verlauf der
Wundheilung erscheint als zweifellos. Gerade bei den Fällen, deren Heilungsverlauf ein
sehr günstiger war, zeigte sich, dass in dem geimpften Röhrchen entweder keine Wuche-
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rung aoftrat, oder dass eine Colonie nicht pathogener Coccen das Ergebniss der Im¬
pfang war.
Eine complete Sterilisation des Augenbindehautsackes hält Yerf. nicht wohl für
möglich; dagegen wird durch unsere Desinficientien die Menge der Keime vermindert
und daher doch immerhin die Infectionsmöglichkeit eingeschränkt. Yerfasser betont noch
besonders, dass die mehr oder weniger schweren iritischen Processe im Gefolge der Staar-
Operation bis jetzt zu wenig mit Infection in Yerbindung gebracht worden seien, während
dieselbe hier gewiss eine mindestens ebenso grosse Rolle spiele wie andere haupt¬
sächlich beschuldigte Momente (Quetschung, Constitutionsverbältnisse etc.).
In der vorantiseptischen Zeit wusste man aus reiflicher Erfahrung genau, dass das
Resultat der Augenoperationen ein um so besseres war, je weniger Instrumente ins er-
öffnete Auge eingefuhrt wurden. Die Ausspülung der vordem Augenkammer bei der
Staaroperation wurde zwar zu jeder Zeit von einzelnen Operateuren geübt; allein man
kam immer wieder und aus guten Gründen davon ab. Fast alle Autoren vom Schluss
des vorigen Jahrhunderts und der ersten Hälfte des gegenwärtigen äusserten sich in sehr
absprechender Weise über diese Operation. Erst die Periode der Antisepsis hat die
Frage neuerdings in Discossion gebracht. Warum sollte bei rigorosester Yermeidung
einer Infection die Ausspülung der vordem Augenkammer bei der Staaroperation nicht
ihre Yortheile haben?
Die Resultate der Mellinger^9Q\iG!\. Yersuche über Einbringung differenter und in«
differenter Flüssigkeiten in die vordere Kammer sind in der Arbeit ausführlich verwerthet.
Es geht aus ihnen hervor, dass die schlimmen Folgen einer Yorderkammerausspülung um
so grösser sind, je differenter sich die Flüssigkeiten gegenüber der Endothelauskleidung
dieses Raumes verhalten. Gerade die zuverlässigen Antiseptica greifen stark an und
können zu bleibenden Trübungen Anlass geben. Besonders ominös sind Sublimat, Aqua
chlorata uod Alcohol.
4% Borsäurelösung hat sich als sehr gute und absolut unschädliche Ausspülungs-
flüssigkeit erwiesen.
Der Schluss der Arbeit gipfelt in dem Satze: Die Ausspülung der vordem Augen¬
kammer ist indicirt, aber nur zum Zwecke der mechanischen Reinigung des Papillär-
gebietes und allenfalls zur Reposition der Iris, niemals zu Zwecken der Antisepsis. Beste
Ausspülungsflüssigkeit ist: concentrirte Borsäurelösung. Das angewendete Instrument ist
die von Th, ühk modificirte Undine. Fßster,
Bibliothek der gesammten medicinischen Wissenschaften.
Für practische Aerzte und Specialärzte. Herausgegeben von Hofrath Prof. Dr. A, Dräsche
in Wien. Max Merlin, Wien und Leipzig 1893. Liefemng 10—12.
In rascher Folge erscheinen die einzelnen Hefte, durchgängig mit sehr guter Aus¬
führung der verschiedenen Artikel. Es ist unmöglich, genauer auf den Inhalt einzugehen;
es sollen deshalb nur die Titel angegeben werden, vielleicht dann und wann mit ganz
kurzer Nebenbemerkung. In diesen Lieferungen werden behandelt: Bleipräparate, Blut¬
egel, Blutgifte, Blutpräparate — Hämatogen, Hommels moderne sogenannte Specialität,
verdient keine besondere Würdigung und ergab keine sichtliche Wirkung auf den Blut¬
befund; Borsäure, Brechmittel, Brom, Calcium, Campher, Cannabis, Canthariden, Carbol-
säure, Cardiaca, Carminativa, Cascarille, Castoreum — lieber das interessante Thier er¬
halten helfen, als hysterischen Launen und kaum zu rechtfertigendem Luxus dienen;
Catechu, Chamomilla, Chinapräparate — wesentliche Wirkung Abtödtung der Malaria¬
plasmodien. Bronchialasthma — Reflexneurose; Bronchialaffectionen, Brust- und Bauch-
eingeweidetopographie, Cachexie, Cardialgie, Catarrhus sestivus, Cerebrospinalmeningitis,
Chorea — Neurose; chylöses Ascites, circuläres Irresein, Colitis, Convulsionen, Coordina-
tionsstörungen; Croup — Symptomenbild für verschiedene Ursachen. Seüz.
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Der Verbrecher in anthropologischer Beziehung.
Yon Dr. Ä. Bter^ Geh.-Sanitätsratb, Oberarzt an dem Strafgefängniss Piöizensee und
fiezirksphysikus in Berlin. Mit 4 lithogr. Tafeln. Leipzig, G. Thieme 1893. Preis Fr. 20.
Der Yersuoh, gewissermassen eine besondere menschliche Rasse des Verbrechens
mit eigenthümlichem Körperbau und besonderer Geistesbeschaffenheit anfzustellen, findet
eine eingehende Kritik dureh den Verfasser, dem ein ungewöhnlich grosses Beobachtungs¬
material und jahrelange Erfahrung zu GelM)te stehen. Sein Urtheil ist, wie jeder Leser
sieh tiberzengen wird, ein sehr wohl begründetes und geht dahin:
„Der Verbrecher, der gewohnheitsmassige und der scheinbar als solcher geborene,
tragt viele Zeichen einer körperlichen und geistigen Missgestaltung an sich, diese haben
jedoch weder in ihrer Gesammtheit noch einzeln ein so bestimmtes und eigenartiges Ge¬
präge, dass sie den Verbrecher als etwas Typisches von seinen Zeit- und Stammes¬
genossen unterscheiden und kennzeichnen. Der Verbrecher trägt die Spuren der Ent¬
artung an sich, welche in den niedem Volksklassen, denen er meist entstammt, häufig
verkommen, welche durch die socialen Lebensbedingungen erworben und vererbt, bei ihm
bisweilen in potenzirter Gestalt auftreten. Wer die Verbrechen beseitigen will, muss die
socialen Schaden, in denen das Verbrechen wurzelt und wuchert, beseitigen, muss bei den
Feststellungen der Strafarten und bei ihrem Vollzüge mehr Gewicht auf die Individualität
des Verbrechers als auf die Kategorie des Verbrechens legen."
„Dort, wo das Verbrechen der Individualität so inne wohnt, dass eine Umänderung
80 wenig möglich ist, wie der Neger seine Haut oder der Leopard seine Fleckung nicht
ändern kann, dort wurzelt das Verbrechen in einem kranken Geistesleben, dort haben
wir es mit einem Geisteskranken, nicht mit einem Verbrecher zu thun." Seiis.
Körper, Gehirn, Seele, Gott.
Von Dr. med. Carl Oehrmann^ pract. Arzt in Berlin. Vier Theile mit elf Tafeln. Erster
und zweiter Theil. Dritter Theil. Berlin, Felix L. Dames 1893. Preis 48 Mark.
Wenige Zeilen, wortgetreu abgedruckt, ergeben völlig Inhalt und Bedeutung dieser
achtzehnhundert Druckseiten:
yEin sehr wichtiges Mittel zur Erforschung der Grosshimrinde sind nun Experimente,
die ich ihrer Natur nach als künstliche Träume bezeichnen möchte. Ich bepinselte
nämlich zur Nacht dieses oder jenes Glied, respective dieses oder jenes Muskelgebiet mit
Collodium, wodurch einerseits dessen Gentrnm erregt, andererseits seine normale Lösung
nach diesem Gliede gehindert wurde. In Folge dessen entäusserte sich das betreffende
Centrum durch Traumvorstellungen — welche eben über sein Wesen Aufschluss geben
— wie z. B. bei dem Experiment, welches die Bedeutung der zweiten linken Zehe als
Symbol des Gehorsams ergab." HI. S. 303.
„In diesem Falle hatten sich also Scientia essend!, Vis und Navis durch Symptome
entäussert, welche dem Ideenkreise entsprechen, dass Gott in den Nachen des Herzens
eingestiegen ist, und zeigt das Gemüth seine doppelte Bedeutung einerseits im Dienste
Gottes, andererseits im Dienste der Inertia (Anziehungskraft). Das Resultat dieser
doppelten Function ist das Aufgehen der Innern Windmühlenthür (die Entlastung des
Grenzstrauches und der Wahrheit durch den weissen Hut), deren Thürgerüst die Inertia
ist, vom Languor aus; denn die Vis-Gesundheit ist die Verbindung der Conscientia Dei
mit dem Languor." UI. S. 799.
„Die Tafeln A. 1. 1. und r. 1 stellen die nur durch die Hirnhäute getrennten
medianen Flächen des hinteren Grosshims dar, so dass die Centren „Zeit" und „ver¬
lassen", „schwimmen" und „Unendlichkeit" an einander grenzen." II. S. 295.
„16. November 1891. Frau S. Lungenleidend (das Gentrnm der Armuth ver¬
bindet das Centrum des Blutes mit demjenigen der Athmnng) bat vor 10 Tagen um
meinen Besuch; sie ist hoffnungslos. Gestern war ihr tagüber sehr schlecht. Abends
bekam sie mit einmal wie einen Schlag vom Scheitel bis zur Zehe, verlor die Sprache
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und wurde steif and kalt; das Ghuize dauerte aber nur wenige Minuten. Vorgestern
hatte sie Schmerzen im linken M. leyator scap. (Symbol des ThttrflOgels der Inertia
meditata.)" HI. S. 1448. SeiUf.
Aerztliche Kunst und medicinische Wissenschaft
Ein Beitrag zur Klarstellung der wahren Ursachen der „ärztlichen Misere" von Dr. Martin
Mendelssohn, Wiesbaden, J. F. Bergmano. 1894. 2. Aufl. Preis 80 Pfg.
„Wenn vrir erst wieder einmal die ärztliche Kunst treiben und nicht mehr das
medicinische Handwerk, dann werden wir auch die Känstlerpreise wieder haben.*
Seite.
ARe Erfahrungen inr Lichte der neuen Zeit und ihrer Anschauungen Ober die Entstehung
von Krankheiten.
Von Dr. Carl JVeneelj Geh. Medicinalrath in Mainz. Ueber den Schutz gegen die
Gefahren von Scharlach und Masern. — Ueber die natürliche und künstliche Entleerung
des Magens durch den Mund. — Eine Blasenmole im Eileiter und einige andere Ergeb¬
nisse bei Leichenuntersuchungen. — Wiesbaden, J. F. Bergmann. 1893. Preis Fr. 4. 80.
Der würdige Herr verdient mehr Nachfolger, wenn er bei 1364 von den 2335
Leichen seiner Praxis die Sectionen ausführte und daher einige interessante Befunde mit¬
theilen kann, als indem er mit Speckeinreibungen Masern und Scharlach und mit
Brechmitteln, den „mächtigsten unter allen Fiebermitteln* die Cholera bekämpft.
Seile.
lieber die Entstehung und die Heilung von Krankheiten durch Vorstellungen.
Bede beim Antritt des Prorectorats der kgl. Universität Erlangen, gehalten am 4. Novem*
ber 1892 von Dr. Adolf Strümpell^ ord. Professor der speciellen Pathologie und Therapie.
Fr. Junge. 1892. Preis 60 Pfjg.
Die Hypnose ist nichts Anderes als eine künstlich hervorgerufene schwere Hysterie,
Anlass zu fortschreitender psychischer Entartung. Zur häufigen berufiimässigen Ausübung
des Hypnotisirens gehört eine ganz besondere Neigung und ein gewisses schauspielerisches
Talent. Würde der Hypnotismus sich die Stellung einer allgemein verbreiteten Heil¬
methode erringen, so müsste er gerade hierdurch seine gepriesene Heilkraft verlieren,
weil das allgemeine Bekanntwerden seiner Erscheinungen und seines Wesens sein Ansehen
bei den Hülfe Suchenden untergraben würde. Seüz.
Syphilis und Nervensystem.
Von W, B. Oowers. Autorisirte deutsche Uebersetzuug von Dr. med. Lehfeldt. Berlin.
S. Karger, 1893.
Der sehr erfahrene Verfasser gibt eine werthvolie Uebersicht über diese höchst¬
wichtigen Beziehungen, indem er eben so sehr bestrebt ist, alle dunkeln und strittigen
Punkte hervorzuheben als anderseits das Sichere und Gewisse in seiner vollen Bedeutung
hinznstellen. Seile,
Grundlagen der theoretischen Anatomie.
Von P, Lesshafl. I. Theil. Mit 52 eingedruckten Holzschnitten, gr. 8^. 341 Seiten.
Leipzig. J. C. Hinrich'sche Buchhandlung. 1892. 5 Mark.
Der Verfasser, welcher durch seine Untersuchungen über das Becken einem weiteren
Kreise bekannt sein dürfte, leitet sein Buch nicht allzuglücklich mit folgenden Worten
ein: „Die Erforschung der Grundidee des Bauet des menschlichen Körpers und die Er¬
klärung seiner Formen auf Grund dieser Idee bildet den Gegenstand der theoretischen
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«Anatomie^. ThaUaohlioh handelt es sich um eine breite Behandlung des allgemeinen
Theiles der systematischen Anatomie mit der Tendenz überall die Zweckmässigkeit und
Oekonomie des Baues nachzuweisen. Die Frage nach den Ursachen der zweckmässigen
Ausgestaltung, welche man vielleicht von einem neueren Versuche dieser Art erwartet,
ist kaum ernstlich angefasst.
Im I. Capitel werden die Qewebe des festen Eörperskeletes und
ihre allgemeinen Eigenschaften behandelt. Auch das Bindegewebe, das
elastische Gewebe, das Fettgewebe, das Blut, die Zelltheilung finden hier Berücksichtigung.
Der Vorgang der Ossification aber kommt recht schlecht dabei weg. Das II. Capitel ist
dem Enochensystem gewidmet: Eintheilung der Enochen, Bedeutung des Periostes,
Enochenarchitectnr, Enochenmark, mechanische Verhältnisse der Enochen, Wachsthum
derselben — mit Strelzow tritt der Verfasser für ein interstitielles Wachsthum in die
Schranken — Abhängigkeit des E^nochenwachsthums von der mechanischen Einwirkung
der Umgebung und von den Ernäbrungsbedingungen (Hinweis auf Experimente russischer
Forscher), Entwicklung des Enochensystems, wobei eine Skizze der Entwicklung vom Ei
an bis zum Auftreten der ersten Skeletanlagen (10 Seiten) voransgeschickt wird.
III. Capitel. Allgemeine Anatomie der Enochenverbindungen.
Die Gelenke werden eingetheilt in einfache und complicirte; bei letzteren ist die Con-
gruenz durch Synovia, dickere Enorpellagen, fasrige Menisci, oder einfache und gegliederte
Enochenmenisci bergestellt. Die Bänder werden im Leben durch Muskeln direct oder
indirect vor maximaler Beanspruchung und Dehnung geschützt. Besondere Bedeutung
kommt den Gelenken zu für die Milderung der Stösse. Hier besonders tritt die Neigung
des Verfassers, von allgemeinen Sätzen aus die einzelnen Verhältnisse, z. B. ganzer Ge¬
lenke aprioristisch zu oonstruiren, zu Tage. Zum Schluss werden einzelne grössere Ge¬
lenke ziemlich speziell aber ohne Abbildungen besprochen.
IV. Capitel. Allgemeine Anatomie des Muskelsystems. Referent
hält die Grundlagen, welche vom Verf. für die Beurtheilung der mechanischen Verhält¬
nisse der Muskelwirkuug aufgestellt werden, für ungenügend und fehlerhaft. Auch fehlt
hier, so gut wie bei den Geweben der Stützsubstanz, jedes Verständniss für Wirksamkeit
der functioneilen Anpassung. Eine genauere Analyse des langen und im Ganzen uner¬
quicklichen Capitels würde zu weit führen.
Doch findet man sorgfältige Literaturangaben namentlich über russische Arbeiten,
die uns schwer zugänglich sind. Recht ansprechend ist auch der Excurs über den
Mechanismus des Gesichtsausdruckes. Ferner sind lehrreich die Zusammenstellungen über
Muskelgewichte und im V. Capitel diejenigen über Schwerpunkts- und Gewichtsbe¬
stimmungen des Eörpers und seiner Glieder und über die Proportionen.
Im zweiten Theile sollen die allgemeinen Grundlagen des Baues der vegetativen
Organe und der Organe der activ-psychischen Thätigkeit auseinander gesetzt werden *, auch
soll sich anschliessen eine kurze historische Uebersicht der biologischen Theorien und die
Behandlung der Vererbungsfrage, als Folgerung aus allem vorher Gesagten. Sirasser,
Die Krankheiten des Ohres in ihrer Beziehung zu den Allgemeinerkrankungen.
Von Dr. B. Haug, Wien, Urban und Schwarzenberg. 296 S.
Verfasser hat mit enormem Fleiss die betreffende Literatur gesanunelt, zweckmässig
geordnet und verwerthet. Indem er hauptsächlich die klinischen Erscheinungen berück¬
sichtigt, hat er damit eine Ergänzung geschaffen zu der Arbeit von MooSy welche 1892
in 8chfcartee^% Handbuch der Ohrenheilkunde als Capitel XII erschienen ist und
mehr die pathologisch-anatomische Seite dieser interessanten Fragen beleuchtet. Haug
bat vor allem aus versucht, den Wünschen des practischen Arztes nachzukommen; er hat
in allgenieinverständlicher Weise geschildert, wie beinahe jede der allgemeinen Infections-
krankheiten in mehr oder minder hohem Grade sich auch im Ohr localisirt, wie nament¬
lich Scharlach und Diphtherie hier verhäugnissvoll einwirken, wie aber auch bei Influenza,
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Masern, Pneumonie, Keuchhusten, Mumps, Typhus, CerebrospinalmeningiiiB, Variola,
Erysipel und ferner bei Tuberculoso, Syphilis und Malaria sowohl das Mittelohr, als das
Labyrinth erkrankt. Ferner finden wir eingehende Beschreibungen von den Ohraffectionen,
welche bei Rachitis, Leukämie, Circulationssiorungen, Nephritis, Qenitalleiden, Tabes,
Himkrankheiten und Intoxicationen relativ häufiger zur Beobachtung gelangen. Ein
Schlusscapitel ist den Erkrankungen gewidmet, welche auf entgegengesetztem Wege,
nämlich von dem primär erkrankten Ohre aus, in andern Organen entstehen; und an¬
hangsweise finden sich auf 6 Tafeln 102 chromolithographirte Trommelfellbilder eigener
Beobachtung.
Einzelne Stellen des Textes, welche durch ihren unpassend burschikosen Ton oder
durch unrichtig gewählte Fremdwörter den günstigen Gesammteindruck momentan stören
müssen, werden in einer zweiten Auflage sich leicht ändern lassen. Siebenmann.
Aus den Hamburger Staatskrankenhäusern.
Pathologisch-anatomische Tafeln nach frischen Präparaten. Unter Mitwirkung von Prof.
Kost redigirt von Dr. Th. Bumpel. Kunstanstalt (vorm. Gustav W. Seitz) Wandsbeck-
Hamburg. Lieferung III.—VI.
Von dem Pracht werke, dessen I. und 11. Lieferung wir bereits besprochen, sind
seitdem 4 weitere erschienen. Die Tafeln geben folgende Präparate wieder: Kre^ des
Zwölffingerdarms; Zottenkrebs desselben Organs, beide in der Gegend der Papille; Miliar-
tuberculose des Peritoneum; Knochenmark bei perniciöser Anrnmie; desgl. bei Leukssmie.
Ferner eine reiche Serie makro- und mikroskopischer Cbolerabefunde (Darm in ver¬
schiedenen Abschnitten und Krankheitsphasen, Niere in verschiedenen Zuständen, Cholera¬
exanthem). Lebercirhose, Periostales und myelogenes Sarcom. Secundäre Sarcome im
Knochenmark und im Darm.
Die Abbildungen sind ausgezeichnet, der Text kurz und prägnant. Wir können
das früher geäusserte Lob nur wiederholen. Hanau.
Chirurgische Technik.
Von Friedrich von Esmarch und E. Kowalzig.
I. Band: Verbandlehre.
Die rühmlichst bekannte gekrönte Preisschrift von v. Esmarch erscheint hier in
4. Auflage, neubearbeitet. Verf. wählte sich zum Mitarbeiter seinen frühem Assistenten
und sehr gewandten Zeichner Dr. Kowalzig. Das ausgezeichnete Werk bedarf hier keiner
ausführlichen Besprechung; der frühere Grundsatz mit Hülfe vieler Abbildungen und mit
möglichst wenig Worten, „kurz und bündig*^ alle Operationen zu schildern scheint uns
in dieser neuen Auflage ganz besonders glücklich durcbgeführt zu sein.
Die „chirurgische Technik" v. EsmarcKs besteht nun aus folgenden Bänden:
I. Band: Wundbehandlung und Verbände.
n. Band: Die im Kriege vorzugsweise vorkommenden Operationen.
III. Band: Alle übrigen Operationen. Dr. E. Kummer (Genf).
lieber die Radicaioperation von Leistenhernien.
Von B. Frank. Wien 1893. 32 Seiten. 8 Abbildungen.
Hübsche kritische Besprechung des gegenwärtigen Standes der Frage. Mittheilung
eines neuen Verfahrens der Versorgung des Samenstranges, welcher durch eine künstlich
angelegte Rinne der Symphyse geführt wird, so dass völliger Verschluss des Leisten-
kanals möglich wird. Bei 32 so ausgeführten Radicaloperationen niemals Necrose des
Hodens. Ueber Endresultate lässt sich bei dem jungen Verfahren noch nicht sprechen.
E. Kummer (Genf).
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Ergebnisse der Anatomie und Entwickeiungsgeschichte.
Herausgegeben von Fr, Merkel und B, Bonnet, I. Band, 1891, mit 47 Abbildungen
im Texte. Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1892. 8^ ca. 790 Seiten.
Die vorhandenen vorzüglichen Jahresberichte der Anatomie und Entwiche!uogs-
geschichte sind im Wesentlichen Register der alljährlich erschienenen Arbeiten mit kurzer
Inhaltsangabe; ihr Ruhm ist möglichst grosse Objectivität und Vollständigkeit. So nütz¬
lich und unentbehrlich sie dem Forscher geworden sind, so wenig befriedigen sie den
Leser, der sich über Stand und Entwickelung irgend einer anatomischen Frage rasch und
erschöpfend orientiren will. Das Jahrbuch von Merkel und Bonnet will hier einem wirk¬
lich vorhandenen Bedürfniss abhelfen und schon der vorliegende erste Band, welcher von
der fachmännischen Kritik sehr wohlwollend aufgenommen worden ist, scheint ganz ge¬
eignet zu sein, auch weitere Kreise für die auf anatomischem Gebiete herrschende rege
Thätigkeit zu interessiren.
Unsere Referate, so erklärt der eine der Herausgeber in der Vorrede, sollen grössere
und wichtigere Fragen in der Form von möglichst übersichtlichen Essays besprechen.
„Von erfahrenen Forschern sollen lebensvolle und farbenreiche Bilder gezeichnet werden.
Die Arbeiten sollen nicht trockene Auszüge sein, sondern sie beanspruchen durchaus den
Werth von Originalarbeiten individuellen Gepräges und die Redaction hat es sorgfältig
vermieden, ihren Mitarbeitern einen uniformirenden Zwang anzulegen.^
Man muss zugeben, dass dieses Programm im Grossen und Ganzen glücklich durch¬
geführt worden ist.
Ganz 'besonders verdienen hervorgehoben zu werden die Berichte von W. Flemming
über die Zelle, von B, Barfurth: Regeneration, B, Bonnet: Einleitender Ueberblick über
den gegenwärtigen Stand der Entwickeiungsgeschichte, Th, Boveri: Befruchtung (eine wahr¬
haft klassische Abhandlung, allein 90 Seiten), G, Bom: Erste Entwickelungsvorgänge,
Ä, Froriep: Entwickeiungsgeschichte des Kopfes, J.Bückert: Entwickelung der Exeretions-
Organe, ferner das Referat MerkeV^ über Haut, Sinnesorgane und topographische Ana¬
tomie, von Cam-Golgi über die Histologie des Nervensystems, von Fh, Stöhr über den
Verdauungsapparat, von U. Strahl über Placenta und Eihäute. Die Ausstattung des
Werkes ist eine musterhafte. Strasser,
Oantonale Oox*i*eeipoxidenzexi.
Aargan. Dr. Aifist Sehiyder ii Kalseratahl f. Dr. Schnyder ist gestorben!
Wie ein Schreckensruf drang diese Trauerbotschaft den 15. Januar Morgens von Hohen-
thengen nach Kaiserstuhl und in die umliegenden Gemeinden diesseits und jenseits des
Rheins. Wer den kräftigen, blühend aussehenden, im schönsten Mannesalter stehenden
Arzt noch zwei Tage zuvor gesehen hatte, der konnte trotz der Nachricht von dessen
plötzlich erfolgter Erkrankung das Furchtbare kaum glauben.
Dr. Schnyder, in letzter Zeit durch die auch in jener Gegend heftig anfgetretene
Inflnenzaepidemie noch mehr als sonst in Anspruch genommen, litt schon seit circa 3
Wochen ab und zu an Magenschmerzen, denen er aber leider weiter keine grössere Beachtung
schenkte; wie immer lag er rastlos seiner sehr ausgedehnten Praxis ob. Als er am 13.
Januar, Mittags 2 Uhr, in Begleitung seines Jagdaufsehers von G ü n z g e n (Grossherzog¬
thum Baden) sich auf dem Heimweg befand, wurde er plötzlich mitten auf dem Weg
von solch' furchtbaren Magenschmerzen befallen, dass er sich niederlegen wollte und nur
durch eifriges Zureden seines Begleiters und gestützt auf denselben unter unsäglichen
Schmerzen in das in der Nähe sich befindliche Gasthaus zum Lamm in Hohenthengen sich
schleppen konnte. Eine von ihm selbst sofort richtig diagnosticirte Magenperfo¬
ration mit ihren foudroyanten Folgeerscheinungen liess leider über die Prognose keinen
Zweifel. Nach kaum 35 Stunden währendem Krankenlager erlag er seinen Leiden im
Alter von nur 41 Jahren.
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Dr. Äugtet Schnyder war geboren den 8. März 1853 als der Sohn Ton Hm. Getnlius
Schnyder f, gewesenem Kaufmann und Gemeindeammann in Ennetbaden. — Er besuchte
die Gemeindeschnlen von Ennetbaden und Baden, die Bezirksschule von Baden und trat
im Jahr 1870 ins Gymnasium in Zürich ein. Nach woblbestandener Maturität im Jahr
1874 besuchte er als Student der Medicin die Universität in Zürich. Alle seine Studien¬
freunde werden sich des liebenswürdigen, gefälligen und stets pflichteifrigen Comroiiitonen
erinnern, der als Assistent des Hm. Prof. Hermann Meyer den unwissenden Neuling in
die Geheimnisse der Anatomie quasi als Prosector einführte. Nach absolvirtem Propä-
deuticum war er Assistent bei Hrn. Prof. Hugueninf später während zwei Semestern
Privatassistent des Hrn. Bezirksarztes Dr. Zehnder in Oberstrass, wo er sich reichliche
Erfahrungen für die kommende Praxis sammelte und damals schon bei den Patienten
sehr angesehen und beliebt war. Im Wintersemester 1878/79 wurde er Assistent der
Poliklinik und bekleidete diese Stelle auch noch zum Theil im Sommersemester 1879.
Nach absolvirtem Staatsexamen begab er sich im November 1879 nach Wien, um sich
in verschiedenen Specialcursen weiter auszubilden. — Bald nach seiner Rückkehr im
März 1880 starb auch noch im kräftigsten Mannesalter Dr. Schmid in Kaiserstuhl und
Schnyder^ der sich nach reger medicinischer Thätigkeit sehnte, entschloss sich sofort, dessen
Praxis auflsunehmen. — Mit grossem Geschick und Glück hatte er sich sehr bald das
Zutrauen von Kaiserstuhl und der umliegenden Gemeinden auf schweizerischem und
badischem Gebiete erworben, und er vergalt dasselbe durch regen Pflichteifer bei Tag
und Nacht, durch sein gerades, offenes und leutseliges Wesen. Ja, Dr. Schnyder war
ein wissenschaftlich gebildeter und practisch tüchtiger Arzt, es galt aber auch bei ihm
der Spruch: „Dass nur ein wahrhaft guter Mensch ein guter Arzt sein könne.^
Ein grosses Leichengeleite und die allgemeine uugeheuchelte Trauer um den ge¬
liebten Arzt und Berather legte Zeugniss ab für die ungetheilte Achtung und Liebe, die
er genossen. Das mag der schmerzgebeugten jungen Wittwe und ihren beiden Kindern
einigermassen zum Trost gereichen. Wir aber, die wir dem theuren Verblichenen so
nahe gestanden,
. . . wir weinen und wünschen Ruhe hinab
in unseres Bruders stilles Grab. K.
^%Voolieiil>eiriolit.
Schweiz.
Basel. Bacterioiogischer Ours vom 19. März bis zum 14. April. Be¬
ginn Vormittags 9 Uhr im Microsoopirsaal der pathol.-anatom. Anstalt. Anmeldungen
bei Dr. A, Dubler,
— Das medlclilsehe Faehexamea haben 1893 bestanden:
In Basel. Hermann Christ von Basel; Otto Burckhardi von Basel; Hermann
Wille von Basel; Joseph Heinema/nn von Hitzkirch (Solothurn); Pius Jäggi von Rechers-
wil (Solothurn); Max Bider von Basel; Eugen Nienhaus von Basel; Ernst Niebergaü
von Basel; Theodor Schneider von Basel; Arthur Gloor von Basel; Walther Jann von
Stans; Wilhelm Kesselbach von Luzern; Eugen Bürcher von Brig (Wallis); Emst Bau¬
mann von Herisau; Alfred Schweieer von Neuenburg; Bobert Kistler von Schwyz; Jacob
Nadler von Frauenfeld.
In Bern. Joseph Fischer von Triengen (Luzern); Eduard Bauer von Neuohätel;
Eugen Bychner von Aarau; Edwin Scheidegger von Sumiswald (Bern); Ernst Mosmann von
Bergdorf; Anton Schnöller von Katzis (Graubünden); Hermann Oitiger von Rothenburg
(Luzern); Carl Döpfner von Zürich; Jacob Amhühl von Schötz (Luzern); Joseph Huber
von Besenbüren (Aargau); August Seiler von Basel; Hermann Bey von Lens (Wallis);
Xaver Moser von Hitzkirch (Luzern); Julius duster von Altstätten (St. Gallen); Budolf
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LhM von Bern; Alfred v, Lerber Ton Bern; Hans Schenk yon Sigoaa (Bern); Carl
StetÜer von Bern; Laura Farster von Sidney (Australien); ClSmeniine Broge von Estavayer
(Freibarg); Hans Christen von Herzogenbuchsee; Hugo Hiss von Isenfluh (Bern); Albert
Knaus von St Johann (St. Qallen); Alfred Clement von Romont (Freiburg); Henri de
Stbcklm von Freiburg; Eduard Michel von Netstall (Glaros).
In Genf. Friedrich Blank von Bolligen (Bern); Jean Braun von Petit Saconnex
(Genf); Victor Broccard von Ardon (Wallis); Frank Bracher von Caronge (Genf); Georg
W^lin von Bischoffiszell (Thurgau); Camille Levy von Langenthal; AndrS Monastier
von Lausanne; Eughne PcUry von Genf; Auguste Chätelain von Neach4tel.
In Lausanne, üieodor Stephani von Genf; F. Ch, CSsar JPaccoud von Pr6von-
loup (Vaud); Albert Jommi von Payeme (Vaud); O. H, Adolphe Bochas von Romain-
motier (Vaud); Ch. Louis Zimmer von Eohiohens (Vaud); Alfred Ackermann von Romans-
hom (Thurgau); Charles Hegglin von Menzingen (Zog); Eugh^ Olwier von La Sarraz
(Vaud); Michl. Wühm. Luber von Amsterdam; Jean Stöcklm von Hermetschwyl (Aargau).
In Zürich. Dominik Bezzola von Zemetz (Granbünden); Wühelm BreUer von
Andelfingen (Zürich); Anton BiMer von Davos; Theodor Hitzig von Burgdorf; Budolf
Wolfensberg von Bauma (Zürich); Milde Bosenzweig von Berlin; Milica Sikglin you
Agram; Oihmar Altermatt von Nieder - Gösgen (Solothurn); Otto Briner von Zürich;
Wiüy DSteindre von St. Gallen; Augtwt Egloff von Tägerweilen (Thurgau); Fried-
rieh Homer von Zürich; Wedo Koch von Laufenbnrg (Aargau); Theodor Lang von
Oftringen (Aargau); Ludwig von Mur alt von Zürich; Erhard Pßster von Taggen (Schwyz);
Gabriele von Pössanner von \7ien (Oesterreich); Otto Bahm von Hallau (Schaffhausen);
Emma Bhyner von Stäfa (Zürich); Otto Spbndly von Zürich; Alfred Ulrich von Stammheim
(Zürich); Karl Blattner von Aarau; Molly Herbig von Maraunenhof (Ostproussen); Maria
Prita von Panesova (Ungarn); Fridolin Schßnenberger von Bützschwyl (St. Gallen); Her-
mann Steiner von Zürich; Bemard Winkler von Luzern.
— Ein soeben erschienener Illnslrirter Calalei^ des Sanitatsgeschäftes Hausmann
in St Gallen über chirurgische, medicinische, pharmacentische, hygieinische etc. Instru*
mente und Apparate verdient die Aufmerksamkeit der Aerzte in besonderem Masse. Der
prachtvoll ausgestattete, über 600 Quartseiten grosse und mit zahllosen guten Illustrationen
versehene Band hat einen weit hohem Werth, als den einer gewöhnlichen Preisliste^ er
enthält, mit grossem Yerständniss und übersichtlich geordnet, alle Artikel, welche den
Arzt auf allen möglichen Gebieten seiner practischen und wissenschaftlichen
Tbätigkeit interessiren können und wird dem Practiker auch als Nachacblage- und Orien-
tirungsmittel gute Dienste leisten.
Ausland.
— Pref. Dr. Albert Ueke f. Nur 14 Tage nach Billroth starb sein Altersgenosse
und Mitherausgeber des Sammelwerkes der deutschen Chirurgie, Prof. Lücke in Strassburg,
1865—70 klinischer Lehrer in Bern. Während der Sprechstunde erlag er einem Herz¬
schlage. — Seine Arbeiten auf dem Gebiete der Kriegschirurgie, über Krankheiten der
Schilddrüse etc. sichern ihm einen unvergänglichen Namen.
— Alvarenga-Prelsaallfabe. Die Hufeland^Bche Gesellschaft stellt folgende
Preisaufgabe: Ueber Autointoxication vom Intestinaltractus aus und über Verhütung und
Beseitigung derselben. Der Preis beträgt 800 Mark.
Einzureichen sind die Arbeiten bis zum 1. März 1895 an Dr. Oscar Liebreich^
Berlin lY, Margarethenstrasse 7.
Die Arbeiten müssen mit einem Motto versehen sein, welches auf einem dabei ein¬
zureichenden Briefcouvert, in dem eingeschlossen der Name des Verfassers sich befinden
soll, zu stehen hat.
Zulässige Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch. Die nicht preisgekrönten Ar¬
beiten werden auf Verlangen bis zum 1. August 1895 den Einsendern zurückgegeben.
Die Bekanntmachung der Zuertheilung des Preises findet am 14. Juli 1895 statt.
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— Dr. lIiM*8 deraatoUi^sehe Preisaofpike für 1894 lautet: ^Es soll untenaeht
werden, ob und in wie weit die in neuerer Zeit aufgestellten Behauptungen, dass colla-
gene, elastische Fasern und sesshafte (pigmentirte) Bindegewebszellen in die normale
Stachelschicht hineinreichen, begründet sind." — Der Preis betragt 300 Mark. Näheres
über die Bedingungen der diesjährigen Preisaufgabe ist zu erfahren von der Yerlags-
buchhandlung Leopold Voss, Hamburg, Hohe Bleichen 34.
— In Vollführnng des Sultitsgesetzes fir die Stadt Leadea vom Jahre 1831
hat die Sanitätsbehörde dieser Stadt ein fünfstöckiges Gebäude eingerichtet zur Unter¬
bringung der bedürftigen Familien, deren Wohnungen infolge Ton Infectionskrankheiten
desinficirt werden müssen. Die Kosten fallen gänzlich auf Last der Sanitätsbehörde,
welche noch für die durch die Desinfectionsproceduren beschädigten Gegenstände ange¬
messene Indemnisirung gewährt. Vivat sequens. (Sem. mödio. Nr. 10.)
— Ueber Absaaderoaf aad Desiafeetiaa bei Haaera. Bei Anlass der Abfassung
eines Gutachtens der Academie de medecine über die Nothwendigkeit der obligatorischen
Anzeige der Infectionskrankheiten, entspann sich vor einigen Monaten eine sehr lebhafte
Discussion darüber, ob die Masern als Infectionskrankheit ebenfalls anzuzeigen und bei
denselben ähnlich wie bei Scharlach, Diphtherie etc. zu verfahren sei. Die Commission
der Acadömie war für Anzeige, der bekannte Kinderarzt Grancher dagegen, und seine
zahlreichen in einer meisterhaften Rede auseinandergesetzten Gründe fanden die Zustim¬
mung der Acadömie, welche den fraglichen Artikel verwarf. In der Nr. 2 der „Mödecine
moderne" behandelt Cemhy dieselbe Frage, indem er die Hanptargumente von Qrancher
wiederholt und erläutert. Bevor man die Kranken isolirt und die durch dieselben be¬
nutzten Gegenstände einer umständlichen Desinfection unterwirft, wird es gut sein sich
zu fragen: was ist die Desinfection im Stande zu leisten und darf man von derselben
erwarten, dass sie der Verbreitung der Seuche effectiv entgegenwirken wird?
Die Incubationszeit der Masern ist bekannt und ziemlich constant; zehn Tage braucht
gewöhnlich der Keim vom Augenblicke der Ansteckung bis zum Ausbruch der fieber¬
haften Symptome, mit den catarrhalischen Erscheinungen. Das Exanthem, das einzig
charakteristische Zeichen, zeigt sich erst drei oder vier Tage später. Während dieser
ganzen Zeit bleibt der kleine Masernkranke in Contact mit Geschwistern und Freunden
und wird erst isolirt, nachdem die Diagnose durch das ausgebrochene Exanthem gesichert
wurde. Diese Absonderung ist aber meist erfolglos; nach und nach erkranken die übri¬
gen Geschwister und die Krankheit verbreitet sich unausgesetzt. Das Kind ist eben zu
spät isolirt worden. Zu einer Zeit, wo die Diagnose noch nicht gestellt werden kann,
am ersten Tage der Invasionsperiode, sind die Masern schon ansteckend, und nach ge¬
wissen Autoren hört in vielen Fällen ihre Virulenz mit dem Erscheinen des Hautaus¬
schlags auf. Im Gegentheil zu dem, was noch vielfach angenommen wird, sind es nicht
die Abschuppungen der Epidermis, welche am meisten zur Verbreitung der Seuche bei¬
tragen, sondern hauptsächlich die catarrhalischen Absonderungen der entzündeten Schleim¬
häute. Inoculationsversuche haben die Virulenz der letzten Producte aufs Evidenteste
nachgewiesen. — Wie vollzieht sich nun die Ansteckung der Masern? Sie kann eine
directe oder eine indirecte sein. Die directe Ansteckung ist weitaus die häufigste, wäh¬
rend die indirecte durch inficirte Personen und Gegenstände, wenn auch möglich viel
seltener vorkommt, als viele Autoren es angenommen haben. Der Grund dazu ist die
allem Anschein nach sehr geringe Vitalität des Maserncontagiums. Sevesire z. B. glaubt
nicht, dass die Dauer der Virulenz zwei bis drei Stunden überschreite; andere nehmen
einen etwas grösseren Zeitraum an; im Allgemeinen aber sind die Autoren über die
schwache Lebenskraft des Masemgiftes einig.
Aus den beiden angeführten Gründen ergibt sich, dass die Isolirnng der Masem-
kranken zur richtigen Zeit nicht durchzuführen ist und erst zu einer Zeit erfolgt, zu
welcher dieselben nicht mehr oder nur in geringem Grade für ihre Umgebung zu fürch¬
ten sind. Die in den grossen Kinderspitälem vorgenommenen Massenisolirungen haben
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bis jetzt keine günstigen Resultate ergeben. Die Morbidität innerhalb der Spitalbevölke-
mng nahm nicht ab, während im Gegentheil die Mortalität unter den in grosseren Bäu¬
men gemeinschaftlich untergebrachten Kindern in ganz bedenklicher Weise znnahm. So
stieg z. B. im Hüpital des Enfants malades die Mortalität, welche vor der Isolirung
27—38^0 betrug, auf 40—48, sobald die Massenabsonderung streng durchgeführt wurde.
Die Ursache dieser ungünstigen Resultate liegt in den Complicationen der Masern, ganz
besonders in der Bronchopneumonie. Die Masern erhöhen in ganz bedenklichem Grade
die Empfänglichkeit für die Bronchopneumonie. Wird ein Masernkranker in einem Raum
untergebracht, in welchem bereits zahlreiche Kinder mit Bronchopneumonie gelegen sind, so
läuft er grosse Gefahr, yon dieser unheimlichen Affection befallen zu werden und der¬
selben zu unterliegen, ln einer Privatwohnung ist bei genügender Pflege diese Gefahr
lange nicht so gross, was auch die weitaus besseren Resultate der Maserobehandlung in
der Stadtpraxis gegenüber derjenigen der Spitalpraxis erklären kann, selbst wenn man
Ton den Fällen abstrahirt, welche schon mit Complicationen behaftet ins Spital gebracht
werden.
Wenn aber bei den gewöhnlichen, uncomplicirten Masern eine Absonderung erfolglos
ist, weil sie zu spät yorgenommen wird, und eine Desinfection der Gegenstände in An¬
betracht der geringen Lebensfähigkeit des Maserncontagiums nicht nothwendig erscheint,
so gestaltet sich die Frage anders, sobald die Masern mit Bronchopneumonie complicirt
sind. In diesen Fällen ist eine Isolirung der Kranken, sowie die Desinfection der in-
fieirten Räumlichkeiten und der Gegenstände dringend nothwendig. Die Virulenz der
Pneumoniekeime ist yerschieden; sie kann aber durch wiederholte Uebergänge yon einem
Masemkranken auf den andern hochgradig gesteigert und resistenzfähig gemacht werden.
In Anbetracht der grossen Disposition der Masernkranken für Bronchopneumonie
muss man selbst in den anscheinend gutartigsten Fällen durch richtige hygienische Maass¬
regeln den Ausbruch dieser gefährlichen Complication zu yerhindem suchen. Durch
häufige Reinigungen der Nasenhöhle, des Mundes und des Rachens mit Borsäurelösung oder
anderen unschädlichen Antisepticis, durch sorgfältige Reinhaltung der Genitalien und der
Analgegend, durch Lüftung der Krankenzimmer ist in dieser Beziehung yiel zu machen
und selbst in den ungünstigsten Verhältnissen lassen sich diese prophylaotischen Maass¬
nahmen leicht durchführen.
— Zur Behaudlug des Sters !■ der Speiserihre nd Im Mugn wird yon
Aufrecht die innere Darreichung einer dreiprocentigen Lösung yon Natron biboracicum,
2stündlich einen Esslöffel, empfohlen. Mit Hülfe dieses indifferenten Mittels sah er in
yerschiodenen Fällen nach 1—2 Tagen die durch den Soor heryorgernfenen Beschwerden
yollständig yerschwinden. (Therap. Monatsschr. Nr. 8, 1893.)
Nttiien fir die Besseher des ialermt. Genfresses in Btm.
Die Eröffnung desselben findet Donnerstag, den 29. März, Morgens, in Anwesenheit
des Königs, im Costanzi-Theater statt. — Auf dem Capitol yeranstaltet
die Stadt Rom den Congressbesuchern sammt ihren Damen einen feierlichen Empfangs¬
abend. Zu all’ den zahlreichen Festlichkeiten sind sämmtliche mit Festkarten
yersehenen Herren und Damen berechtigt.
Die Festkarten bezieht man unmittelbar nach der Ankunft in Rom im Anmelde-
und Auskunftsbureau in der Via Genoya, nach Vorweisung seiner Legitimations¬
papiere. Letztere muss der zum Congress Reisende durchaus bei sich führen, wenn
er die enorme Fahrpreisermässigung der Bahn- und Dampfschifffahrtgesellschaften ge¬
messen will. Diese Legitimationspapiere, welche zudem Alles für den Congress, die Reise
nach Rom, Unterkunft daselbst, Ausflüge, Rundtouren etc. Wissenswerthe enthalten, er¬
hält man, sobald man sich beim Nationalcomite (Prof. Kocher, Bern ; Prof. D'Espine,
Genf) oder beim Generalsecretär (Prof. Maragliano, Genua) zur Thoilnahme am Congress
gemeldet hat. (Visitenkarte mitsenden.) — Vorausbezahlung der Einschreibegebühr (für
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Herren 25 Fr., fSr Damen 10 Fr.) ist nicht unbedingt nöthig, ermdgiioht aber eine
raschere Erledigung der ersten Geschäfte des in Rom ankommenden Congressisten auf
dem Empfangsbnreau.
Für Unterkunft wende man sich an Cook & Son in Rom, oder direct an ein HAtel,
oder aber erst bei Ankunft in Rom an das Wohnnngsbureau des Congp^sses am Cen¬
tralbahnhof.
Tour- und Retourbillets oder aber Rundfahrtbillets beliebiger Combination (alle nur
wünscbbaren und möglichen Details sind in den jedem Einzelnen zugeschickten Legi¬
timationspapieren zu finden) werden an der italienischen Grenzstation (Chiasso, Luino,
Modane etc.) gelost und bezahlt; es ist gestattet, das Land an beliebig anderer Grenz¬
station zu verlassen, als es betreten wurde.
Wer von Rom Ausflüge nach Neapel oder Sicilien zu machen gedenkt, kann sich
jetzt schon bei Cook & Son, welche derartige Excursionen zu fabelhaft billigen Taxen
arrangiren und persönlich leiten, anmelden. Er kann aber auch mit seinem Entschlösse
bis zur Ankunft in Rom warten; auch als Einzelreisender wird er alle AusflQge zu re-
ducirten Taxen machen können. — Beispiel einer schönen Rundtour: via Gotthard-
C h i a s s 0 -Mailand-Turin-Geuna-Spezia (von Genua bis Chiavari wenn immer möglich
im WagenI Herrlichster Theil der Riviera!) -Livomo-Rom-Neapel-Rom-Florenz-Bologaa-
Yenedig - Verona - A1 a und via Insbruck heim. Auslage für I. Classe: Fr. 152,60;
U. Classe: 106,85. Gültigkeit aller Rundreisebillets: 60 Tage.
In Chiasso braucht man nur unter Vorweisung der Legitimation
die aus einem Schema (Beilage der Legifimationspapiere) ersichtlichen Buchstaben und
Zahlen der verschiedenen Combinationen (für obiges Beispiel XXII H. H. 5) am Schalter
zu nennen und — zu bezahlen, um sofort das gewünschte Billet zu erhalten.
Auch Angehörige der Congressisten, welche nicht am Oongresse sich ein-
schreiben lassen, haben Anspruch auf Ermassigung der Reisetaxen (30^/o gegenüber 50^0
für die Congrosstheilnehmer — Herren und Damen). Ueber Hötels etc. ertheile ich
gerne private Auskunft so gut, als möglich. E, H,
Den leider erst nach Schluss dieser Nummer eingehen¬
den C on gr e SS ac t e n entnehmen wir nur noch die Notiz, dass
vom 1. März an alle Anmeldungen für den Congress beidem
NnUonaiceBUe zu geschehen haben (lieht mehr in Rom-Genna), wel¬
ches den Angemeldeten dann die nöthigen L e g i t i m a t i on s-
papiere zustellen wird.
Brlefkaiten«
Spitalarzt Dr. Kappeier^ Münsterlingen: Ihre Reminiscenzen an Biüroth mussten ans änssern
Gründen leider auf nächste Nnmmer verschoben werden.
Dr. N. in Feldkirch: Wir müssen, nm eine Grenze zn haben, daran festhalten, dass nur über
solche Bücher referirt wird, welche vom Verleger oder Antor an die nBedaction des Corr.-Blattes“
eingeschickt nnd von derselben einem bestimmten Referenten zngesteÜt worden, was mit dem be¬
treuenden (^ns bereits geschehen ist. Immerhin freundlichen Dank.
Dr. A. in Z.: Sie wünschen Organisation eines gemeinschaftlichen Vorgehens der schwei¬
zerischen Aerzte gegen die Gb’enlich’sche Initiative nnd betonen, dass wir die Vorwürfe, welche
nnserm Stande von Seiten der Arbeiter gemacht werden, nicht sitzen lassen dürfen. — Zur Abwehr
der letztem mögen unsere T baten sprechen. Mit za energischer nnd »wohlor^anisirter* öffent¬
licher Stellungnahme aber würden wir, wie in Erinnemng an die Erfahmngen wahrend des Impf-
stnrms zn furchten ist, wieder nichts erreichen, als bei Krämerseelen kleinliche Verdächtigungen
wachmfen nnd am Ende der guten Sache mehr schaden als nützen. — Damit sei nicht gesagt, dass
ein Arzt nicht verdienstlich handelt, wenn er bei Gelegenheit seiner Ueberzengnng auch in öfient-
licher Versammlung Ausdruck verleiht. Im Ganzen aber werden wir mehr erreichen, wenn
wir, ein Jeder im Kreise seiner Client^le, auf die grossen Gefahren der von Greulich
f eforderten unentgeltlichen Krankenj^ege hinweisen nnd die Zweckmässigkeit, ja Nothwendigkeit
er Forrer’schen Vorlage betonen. Dies zn thnn, bei jeder Gelegenheit — ein Jeder nach seiner
Ueberzengnng im Zwiegespräche zn belehren nnd anfznklären ist eine patriotische Pflicht des schwei¬
zerischen Arztes, deren gewissenhafter Erfüllung ein grosser Erfolg gesichert wäre.
Schweighanserische Bnchdmckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
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COERESPONDENZ-BLATT
Encheint am 1. nnd 15.
jedes Monats.
Inserate
35 Cts. die gesp. Petitzeile.
fär
Preis des Jahrgangs
Pr. 12. — für die Schweiz,
ÄpIi TXTÖl f/ÖT* A Ö'P ^ Aosland
W KjlnKjl JWjL /j tül ah« Posthnr«aux n«hm«»
Herausgegeben von
Alle Posthnreaux nehmen
Bestellungen entgegen.
I>r. E. Haflflei*
in Frauenfeld.
und Dr* Jaqiiet
in Basel.
N! 6.
XXIV. Jahrg. 1894.
15. März.
lakalts 1) OriginaUrb«ii«n: Dr. 0. KapptUr: Zur Erinaerong aa Theodor SiUroih, — Prof. JOtuoini: Die Phanaa-
eopoa heWetiea. (Fortaetsnag and Sohlnsa.) — 2) Vereinsberletite: Geiellaohaft der Aerite in Zftrich. — lledielaisoh-
pbarauteenliacber Besirkarerdn Bern. — 8) Referate und Kritiken: Prof. Dr. C. Qarri: Die Aetheraareose. — Dr. 0.
Sedöger: Let um mn'o medidnisohe Tasokenatlanten. — Prof. Dr. Äth. Bulmibwrg: Beal-Enojelopädie der geaammtea Heilkonde.—
OCantoaale Correapondenien: Genf: Hietoriache Anaatellnng. — 5) W oeh «n ber ich t: Sanitariaeb-demographUehea
WoebeaMiUeUo. — Beobnnng der Hlilftkaaae für Sohweiier Aerete. — Zur Frage der aaentgeltlicben Krankenpflege. — Sebweia.
HebaaiMaBaitnag. — Henkranke Uidcban. — DarmAnlniaa nnd Hantexantbeme. — Bömiaeber Oongreaa. — 6) Briefkaaten.
— 7) Hftlfakaaae Iflr Sohweiier Aerite.
Oi'igp’inal - JlLjrl>ei ten.
Zur Erinnerung an Theodor Billroth.
Es war zar Zeit der Ferien, als BiUroth nach Zfirich kam und die chirurgische
Klinik Obernahm. Er lud uns junge Studenten eines Tages in den Operationssaal und
operirte einen Nasenrachenpolypen. Noch sehe ich ihn vor mir. Auf dem jugendlich¬
elastischen ESrper den geistvollen, bartumrahmten Kopf mit den ernst, fast strenge
blickenden, blauen Augen nnd der schön gewölbten Stirne, wie er uns freundlich
begrfisste nnd nur bedauerte, dass wir so wenig von der Operation sehen konnten.
Mit einena Schlag batte er unsere Sympathie und unsere ganze Aufmerksamkeit ge¬
wonnen.
Mit BiBroth zog die moderne Chirurgie in die Hörrftume der Zäricher chirurgischen
Klinik ein, die Chirurgie, die abweichend von der rein anatomisch operativen Richtung
auf die physiologische nnd pathologisch-anatomische Forschung sich auf baut, dem
Wesen nnd den Ursachen der Krankheiten nachforscht und alle Hölfsmittel nnd
Forscbnngswege der modernen Naturwissenschaft sich zu eigen macht. Hat es doch
Billroth als eine seiner Lebensaufgaben betrachtet, die Chirurgie der klinischen Be¬
obachtung nnd innern Medicin wieder näher zu führen. Und welch’ ein glänzender
Vertreter dieser neuen Richtung war der junge Professor. Auf der Höhe seiner Auf¬
gabe, ein vollendeter Microscopiker, mit allen Untersuchungsmethoden äuFs innigste
vertrant, ein begeisterter und begeisternder Lehrer, dabei ein kühner Operateur, ein
feinfühlender Arzt nnd ein edler Mensch. Wer von seinen frühem Schälern könnte
jemals die schönen nnd genussreichen Stunden vergessen, die wir in seiner Klinik
verlebten.
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BiUroth war kein Schulmeister und Eindriller. An den Praktikanten wurden
nur die nöthigsten Fragen gestellt, dann ging er selbst an die wissenschaftliche Er¬
örterung des Falles und knöpfte daran, sofern die Zeit nicht durch Operationen ganz
in Beschlag genommen war, äusserst reizvolle, sehr oft improvisirte, klinische Vor¬
träge. Unvergesslich sind mir namentlich die Schilderungen der feinem Vorgänge
der Wundbeilung, der Bildung des Gallus bei Enochenbrüchen, der anatomischen Ver¬
änderungen bei Enochenentzünduug u. s. w., alles mit Vorweisung von Präparaten,
Zeichnungen, Photographien. Oder bei Vorstellung eines Lippencarcinom’s macht er
einen geistvollen Excurs in die Aetiologie der Geschwülste oder ein fiebernder Ver¬
letzter gibt ihm Anlass zu einer lebendigen Schilderung der Wundinfectionskrankheiten,
ein Capitel, das ihn damals so intensiv beschäftigte und durch seine schönen Unter¬
suchungen eine wesentliche Klärung und Sichtung erfuhr.
BiUroth'a Vortrag hatte etwas Temperamentvolles; holprig sprudelnd wie ein
Bergbach, war er auch erfrischend, wie ein solcher, oftmals sorgföltig vorbereitet, auf
den Gegenstand concentrirt, aber noch häufiger improvisirt, abspringend, scheinbar
fernliegende Dinge herbeiziehend und bis an die Grenze des Wissens vordringend.
Aber immer wurden nebenbei an der Hand des vorliegenden Materials die wichtigsten
Gegenstände der Chirurgie in jedem Semester eingehend und systematisch besprochen.
Aber auch in der chirurgischen Kunst war mit BiUroth eine neue Zeit in
Zürich aufgegangen. Die Grenzen der operativen Chirurgie wurden bis in’s Ungeahnte
erweitert. Plastische Operationen, conservirende Enochenoperationen u. V. a., bisher
in der Züricher Klinik nicht geübt, waren tägliche Geschehnisse. Aber was damals zu¬
meist das Erstaunen und die Bewunderung der Schüler erregte, das waren die grossen
Geschwulstoperationeu Bülroth's, denen nicht selten auch die Chirurgen der benach¬
barten Universitäten beiwohnten.
Die Raschheit und Sicherheit seines Operirens war wohl damals unerreicht, auch
später sah ich niemals Gleiches, selten Aehnliches. Die unerschütterliche Buhe ver-
liess ihn auch in den schwierigsten Lagen niemals. Er fasste mit derselben Sicherheit
die spritzende Carotis, wie die kleinste Muskelarterie; besondere Schwierigkeiten und
Complicationen hatten einen besondern Reiz für ihn und wurden spielend überwunden.
Auch während der subtilsten Operationen machte er fast ohne Unterbruch erläuternde
Bemerkungen, erklärte das weitere Vorgehen und gewährte den Zuschauern zuweilen
einen kurzen Blick auPs Operationsfeld, sodass auch der ferner Stehende den Gang
der Operation bis zu Ende verfolgen konnte, und selten leerte sich, wie anderswo, der
Hörsaal vor Schluss der Operation.
BiUroth operirte in Zürich mit 3 Assistenten. Der erste besorgte die eigentliche
Assistenz, der zweite reichte die Instrumente, der dritte und jüngste chloroformirte.
Anleitung wurde keine ertheilt. Jeder musste rasch über seine Stellung und Thätigkeit
bei der Operation mit sich selbst in’s Klare kommen und dass er mit gespanntester
Aufmerksamköit der Operation folgte und sein Bestes that, das verstand sich von
selbst. Wer sich nicht für diese Art von Arbeit eignete, wurde kurzer Hand bei
Seite gesetzt. Ein anerkennendes Wort des Chefs am Schluss der Operation war unser
Stolz und wenn einer von uns im spätem Verlauf der Klinik oder des Tages selbst
operiren durfte, so wusste er, dass er die Sache ganz besonders gut gemacht hatte.
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Die Bauchchirurgie war damals noch im Embryonalzustand und die gynäcologischen
Operationen waren der Frauenklinik zugewiesen. Ich sah während meines Aufenthalts
in Zfirich eine einzige Ovariotomie in der alten Gebäranstalt. Spencer Wells hatte,
kurze Zeit vorher von Breslau hergerufen, eine Ovariotomie in Zürich gemacht, und
Breslau operirte kurze Zeit nachher eine Ovariencyste unter der wirksamen Assistenz
BmrotK's. Der Fall war complicirt, die Operation dauerte ungewöhnlich lange und
Patientin starb andern T^s an septischer Peritonitis. Erst nach meinem Weggang
von Zürich machte BiXlroth in seiner Klinik eine Ovariotomie mit günstigem Erfolg.
Noch auf 2 Punkte seiner klinischen Thätigkeit möchte ich hinweisen: Bei den vielen
und schweren Verletzungen, die zu Anfang der 60er Jahre der chirurgischen Klinik
zuflossen, war in der damaligen vorantiseptiseben Zeit Pysemie und Septiesemie kein
seltenes Vorkommniss. Die Arbeit in der Klinik war mitunter eine riesengrosse.
Bälroth verband die schweren Fälle selbst und war unermüdlich in der Ergrfindung
der Ursachen dieser mörderischen Krankheiten. Das Alles ist in seinen Studien über
Wundinfection niedergelegt und gehört nicht hieher, aber hervorheben möchte ich, dass
die Kranken — keineswegs der Stolz der Klinik — immer und immer wieder den
Studirenden vorgeführt und vorgestellt wurden, damit auch sie die Schattenseiten der
chirurgischen Thätigkeit und die Mängel des chirurgischen Könnens aus eigener An¬
schauung kennen lernten. Und noch etwas: Auf der ftlfro^A’schen Klinik wurde
damals fflr die Ausbildung des Gypsverbandes ausserordentlich viel gethan; die ge¬
wonnenen Resultate sind in der Dissertation des damaligen Assistenten, Dr. Bis, der
sich speciell mit diesem Gegenstand beschäftigte und die Technik sehr vervollkommnete,
zusammengestellt und es wurde damals dem Gypsverband ein grosses Gebiet von Ver*
letzungen und Verkrümmungen, Gelenkleiden etc. gewonnen. Da folgte BiUroth auch
einmal dem Vorschläge Bonnet's und schloss der Tenotomie bei pes varus unmittelbar
das Redressement und den Gypsverband an. Er hatte dabei das Unglück, dass der
Fass des kleinen und zarten Patienten theilweise gangränös wurde. Auch dieser Kranke
wurde wiederholt und in jedem Stadium der Gangrän vorgestellt als warnendes Bei¬
spiel einer gefährlichen Behandlungsmethode.
Ein Vertuschen schlechter Resultate kannte die BiUroth'aehe Klinik nicht.
BiUroth besass eine Arbeitskraft und Arbeitslust von seltener Ausdauer. Ich
erinnere an sein erstes Sommersemester. Von 7—8 Uhr hielt er Operationscurs, von
8—9 Uhr las er allgemeine Chirurgie, um 9 Uhr begann die Spitalvisite, bei der alle
wichtigeren Verbände gemacht und die neu eintretenden Kranken untersucht wurden,
von or Klinik und dann wurde fast regelmässig bis 1, oft bis
2 Uhr fort operirt. Um 3 Uhr sass er schon wieder hinter dem Microscop in seinem
Spitalarbeitszimmer, woselbst er den Nachmittag verbrachte, ab und zu auch kleinere
Operationen vollführend, oder Kranke besuchend. Um 6 Uhr trafen wir ihn gewöhnlich
in Vischer’s Vorlesungen über Faust, und wenn wir in später Abendstunde — wir
wohnten im gleichen Hause — nach Hause gingen, brannte in seinem Arbeitszimmer
noch Licht. Er hatte, wie er uns zuweilen erzählte, wieder einen Druckbogen seiner
chirurgischen Pathologie und Therapie geschrieben. Aber auch bei fröhlichen Anlässen
and academischen Festen war er einer der ausdauerndsten. Er war kein Gelegenheits¬
redner und sprach selten oder nie, aber schon seine Anwesenheit gab jedem Fest eine
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besondere Weihe. Sein Bestreben ging bei solchen Anl&ssen namentlich dahin, die
künstlerische Seite zu pflegen und zu hegen. Ich erinnere mich noch, wie einst,
lediglich auf sein unwiderstehliches Drängen, der damalige Privatdocent und Dichter
Carl Morell in mitternächtiger Stunde unter dem Jubel der Versammlung uns die
jüngsten Kinder seiner Muse verführte. Billroth lebte, so lange ich in Zürich war,
ganz seinem Lehrberuf. Privatprazis hatte er keine nennenswerthe, — er suchte sie
nicht — und es wurden zu meiner Zeit kaum 6—8 grossere Operationen ausserhalb
des Spitals gemacht. So ist auch seine damalige, geradezu erstennliche, litterarisebe
Thätigkeit einigermassen zu erklären. Er, der Professor der Chirurgie, gab damals
noch mehrere, rein histologische grossere Arbeiten heraus, so über die Milz, über die
Beziehungen der Qefässerkranknngen zur chronischen Encephalitis; dann erschienen in
rascher Folge: Ueber abscedirende Pleuritis. Ueber einige, durch Enochendefecte be>
dingte, Verkrümmungen des Fusses, ferner kleinere chirurgische Mittheilungen. Ueber
Knochenresorption, dann die hoch bedeutsamen Beobachtungsstudien über Wnndfieber
und accidentelle Wundkrankheiten, ferner osteoplastische Miscellen, Meningocele spnria.
Zur Frage, ob gewisse chirurgische Krankheiten epidemisch Vorkommen. 1863 erschien
seine Allgemeine chirurgische Pathologie und Therapie, ein Werk, das wir, als seine
ersten Schüler in Zürich, io seinen Vorlesungen über allgemeine Chirurgie entstehen
und sich entwickeln sahen und dessen reformatorischer Einfluss auf die ganze Chirurgie
jetzt allgemein anerkannt ist. Dann folgen ein Nekrolog auf seinen Freund C. Fock,
Beobachtungsstudien über Wundfleber und accidentelle Krankheiten zweite Abhandlung,
Anatomische Beobachtungen über das normale Knochen wachsthum. Ueber Periostitis
und Caries, Aphorismen über Adenom und Epitbelialkrebs, Beobaebtungsstudien über
Wundfieber und accidentelle Krankheiten dritte Abhandlung und endlich die chirur¬
gischen Erfahrungen 1860—1867, die für die chirurgische Statistik eine neue Aera,
die der Vollständigkeit und Wahrhaftigkeit, inaugurirten. Mit diesen schliesst die
schriftstellerische Thätigkeit in Zürich ab.
Und BiUroth am Krankenbett. Um seine Macht über den Kranken zu verstehen,
muss mau selbst miterlebt und mitgefühlt haben, wie sich beim ersten Erscheinen
BiUroth's am Krankenlager das volle nnd unbedingte Vertrauen in die Seele des
Kranken schlich. War es der Zauber seiuer Persönlichkeit, war es die autoritative
Sicherheit seines Auftretens, die liebevolle Sorge, die Freude über jeden Wandel zur
Besserung, die sich mehr auf seinem Gesichte wiederspiegelte, als in Worten sich
kundgab, es ist schwer zu sagen.
BiHroth'a grosse Menschenkenntniss gestattete ihm ein sicheres Urtheil über
seine damals schon zahlreichen Schüler. Hatte er einmal redliches Streben und Lust
und Liebe zum Fach in einem derselben erkannt, so war er auch unermüdlich und
jederzeit bereit, ihn durch ein aufmunterndes Wort und wohl auch durch directes Ein¬
greifen zu fördern. Es ist wohl nur Wenigen bekannt, dass er, überhäuft mit Arbeiten
und bei einer Zeiteintheilung, wo jede Minute ausgefüllt war, Schülern, die mit histo¬
logischen Arbeiten beschäftigt waren, Injectionspräparate, Zeichnungen anfertigte, die
microscopischen Schnitte durchsah. Hatte er einen guten Kern gefunden, so übersah
er auch kleine Fehler, und hatte er Grund zur Rüge, so geschah es in der rücksichts¬
vollsten Form. Trotz aller Unbefangenheit und Offenheit des Urtheils und trotz der
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strengen und gerechten Kritik, die er an seine und Anderer Leistungen anzulegen
gewohnt war, war er doch auch immer bereit, an seinen speciellen Fachgeuossen-nnd
an den practischen Aerzten zu loben, was zu loben war. Unter den letztem hat er
heute noch zahlreiche Verehrer in der Schweiz.
Denen aber, die das Glfick hatten, ihm näher zu treten, war er zeitlebens ein
väterlicher Frennd, der anfmuntert, anregt, anerkennt, wo anzuerkennen ist, auch wohl
zur Ruhe und Erholung räth. Als ich ihm einst, schon länger selbstständig thätig,
bei einer persönlichen Begegnung, äber schlechte Resultate einer Operation vorklagte,
gab er mir zur Antwort: der ist kein richtiger Chirurg, der nicht auch einmal ein
schlechtes Resultat vertragen kann. Als ihm Freund Haffter 1880 über meine Genesung
und nunmehrige Reisefähigkeit berichtete, stellte er mir in ausführlichster Auseinander¬
setzung seine eigenen reichen Erfahrungen über südliche Curorte zur Verfügung. Eine
Charaktereigenschaft, die gerade bei BiUroth, der doch unstreitig an der Spitze der
deutschen Chirurgie stand, nicht hoch genug geschätzt werden kann, ist seine wahrhaft
rührende Bescheidenheit in Beurtheilung seiner eigenen Leistungen und ich kann mir
nicht versagen als Beweis hiefür einige Stellen aus seinen Briefen anzuführen. '1879,
als ich ihm meinen Beitrag zu dem grossen Handbuch der Chirurgie zuschickte, schrieb
er:.Wie kann es für einen Lehrer grossere Genng-
thnnng geben, als zu erfahren, dass seine Aussaat auf
fruchtbaren Boden gefallen ist.Meine Arbeits¬
kraft gebt zu Ende. Bart und Haar sind fast weiss geworden,
doch habe ich auch hier Freude an meinen Schülern, die
nicht nur meine flüchtig h i n g e w o r f e n e n Ideen fruchtbar
zu gestalten wissen, sondern nicht minder selbstständig
denken und arbeiten. So sehe ich denn freudig dem Abend
meines Lebens entgegen und darf mich wohl im Kreise
meiner Familie und meiner Schüler, meiner, geistigen
Sohne und Enkel, glücklich schätzen! Und das schrieb BfttrotA zu
einer Zeit, als er eben der Chirurgie des Magens neue Bahnen Öffnete. Oder im Jahre 1880
bei Zusendung einer andern Arbeit:.Ich bin sehr stolz auf meine
Schüler, sie werden Manches vollenden, was ich erstrebte.
Ich bin inzwischen ganz grau geworden, kann wohl als
Lehrer und Arzt noch hie und da mit der Erfahrung des
Alters anregen und rathen, doch nicht mehr mit meinen
Schülern in die Wette arbeiten .
1864 verliess ich Zürich. Ein Jahr später wohnte ich dem grossartigen Fest
und Fackelznge bei, den die Studentenschaft zu Ehren BiUroth's gab, als er die Be¬
rufung nach Heidelberg ablehnte. Vom Balkon des Züricherhofs hielt er eine be¬
geisternde Rede an die gesammte Studentenschaft und beim Bankett schilderte er in
entzückender Weise, was Alles er Zürich danke und wie er nie vergessen werde,
wie einst als schönstes Geschenk an dem Weihnachtsbaum des Berliner Privatdocenten
der Brief hing, der ihm die Ernennung zum Professor der Chirurgie in Zürich brachte.
Zwei Jahre später begann er seine Siegeslaufbabn in Wien.
ln der Schweiz leben noch viele seiner frühem Schüler, manche, so seine
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Assistenten Dr. Wäckerling und Dr. Ziiblin, sind ihm im Tode vorausgegangen, alle
bewunderten und liebten in ihm den grossen Chirurgen, den mächtig anregenden
Lehrer, den genialen Forscher von seltener Arbeitskraft und nicht zum wenigsten den
edlen Menschen, der eine Fülle schöner Gedanken und Glück und Segen spendender
Arbeit ausstrOmte. Die aber, denen er näher stand, betrachten es zeitlebens als eine
besonders glückliche Fügung des Geschicks, dass ihr Lebensweg eine kurze Spanne
Zeit neben der Bahn dieses wunderbaren Mannes einherging.
Münsterlingen, Februar 1894. Dr. 0. Kappeier.
Die Pharmacopcea Helvetica Editio tertia, im Vergleich mit der Editio il
und dem deutschen Arzneibuch.
Von Prof. Massini, Basel.
(Fortsetzong and Schlags.)
Die zwei folgenden Tabellen IV und V ergeben die Differenzen in der Serics me-
dicaminum zwischen Pb. helr. III und Deutschem Arzneibuch.
IV. Uebersicht derjenigen Arzneistoffe, welche in die Pharmacopoea helvetica Editio III
aufgenommen sind, aber im Deutschen Arzneibuche fehlen (271).
Adeps Lanse.
A. Rohstoffe und Droguen (71).
Fructus Cannabis.
Oleum Santali.
Aether Petrolei.
Fructus Cassia fistula.
Pbospborus amorphus.
AgaricuB albns.
Fructus CoQÜ.
Radix Belladonna.
Amylum Oryza.
Fructus Myrtilli.
Radix Gelsemii,
Castorenm.
Fructus Petroselini.
Resioa Guajaci.
Gaulis Dulcamarffi.
Fructus Senna.
Resina Pini.
Coccionella.
Gelatina alba.
Rhizoma Graminis.
Cortei Ciunamomi ceylanic.
Glandula Lupuli.
Rhizoma Imperatoria.
Cortex Mezerei. .
Guarana.
Rhizoma Tormentilla.
Cortex Quebracbo.
Herba Cannabis.
Sapo stearinicns.
Cortex Rhamni Purshiana.
Herba Convallaria.
Scammonium.
Dextrinum.
Herba Majorana.
Semen Cydonia.
Elemi.
Herba Ruta.
Semen Sabadilla.
Flos Chamomilla romana.
Herba Sabina.
Semen Sinapis alba.
Flos Rhoeados.
Kino.
Semen Stramonii.
Flos Spiraa.
Lignum Juniperi.,
Spiritus e Saccbaro.
Folium Aconiti.
Mel.
Strobilus Lupuli.
Folium Adianti.
Oleum Aurantii floris.
Turio Pini.
Folium Aurantii.
Oleum Bergamotta.
Vaselinum.
Folium Coca.
Oleum Cajeputi.
Vinum album.
Folium Eucalypti.
Oleum Cbamomilla.
Vinum malacense.
Folium Rosmarin!.
Oleum Juniperi empyreumat.
Vinum marsalense.
Folium Rubi fmticosi.
Oleum Pini Pumilionis.
Vinum robrum.
Fructus Anisi stellati.
Oleum Rusci.
Acidum nitricum dilutum.
B. Chemitche Präparate (51).
Aluminium acetico tartaric.
Ammonium sulfuricum.
Acidum valerianicum.
Ammonium benzoicum.
Ammonium valerianicam.
Alcohol abw)lutus.
Ammonium jodatum.
Bismuthum salicylicnm.
Alumina hydrata.
Ammonium sulfoichthyolicum.
Calcium hypophosphorosum.
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Camphora monobromata.
Cerinm ozalicum.
Chinin um.
Chininiun bisalfnricnm.
Chininnm hydrobromicnm.
Chininum salicylicom.
Chininnm yalerianicam.
Codeinnm.
Coffeinonatrinm benzoicom.
Coffeinonatrinm salicylicnm.
Coffeinum citricnm.
Cnpnun aceticnm.
Feimm citricnm ammoniatnm.
Fermm ozydatnm.
Ammoninm valerianicnm solnt.
Antidotum Arsenici.
Aqua Anrantii (flormn).
Aqua Lanrocerasi.
Aqua Salvise concentrata.
Aqua Sambnci concentrata.
Aqna Sedativa.
Aqna Tili» concentrata.
Argentum nitricnm fnsnm.
Calcinm snlfaratnm solntnm.
Ceratnm Cetacei.
Electuarinm Copaiv».
Emplastrnm Belladonnse.
Emplastrom Conii.
Emplastrnm hydrargyr. compos.
Emplastrnm opiatnm.
Emplastrnm oxycrocenm.
Emplastrnm resinosnm.
Extractnm Aconiti dnplex.
Extractnm Aconiti flnidom.
Extractnm Cannabis indic».
Extractnm Cinchon» flnidnm.
Extractnm Colchici flnidnm.
ExtractnmColocynthidis compos.
Extractnm Conii dnplex.
Extractnm Conii flnidnm.
Extractnm ConvaUari» flnidnm.
Extractnm Digitalis dnplex.
Extractnm Digitalis flnidnm.
Extractnm Encaljrpti flnidnm.
Extractnm Ipecacnanh» flnidnm.
Extractnm Jnglandis.
Extractnm Mezerei.
Extractnm PimpineU».
Extractnm Qnassiee.
Extractnm Hatanhiee.
Extr. Bhamni purshianse fluid.
Ferrnm pyrophosphoricnm cum
Ammonio citrico.
Gnajacolnm.
Hydrargymm jodatum.
Hydrargyr. snlfnricnm basicnm.
Jodolnm.
Kalium carbonicnm depnratnm.
Kalinm snlfuratnm (pnmm).
Lithium salicylicnm.
Mangannm hyperoxydatum.
Mannitnm.
Morphinnm snlfnricnm.
Natrium arsenicicnm.
Natrium benzoicnm.
C. Salenitcbe Priptrate (149).
Extractnm Sei 11».
Extractnm Secalis cornnti solnt.
Extractnm Seneg» flnidnm.
Extractnm Stramonii dnplex.
Extractnm Stramonii flnidnm.
Extractnm Valerian».
Ferrnm snlfnricnm oxydatnm
solntnm.
Hydrargymm bicbloratnm solnt.
Kalinm silicienm solntnm.
Limonata aerata laxans.
Linimentnm Calcis.
Linimentum Styracis.
Linimentnm Terebinthin» com¬
positum.
Looch albnm oleosum.
Mel boraxatnm.
Mixtura gummosa.
Mncilago Cydoni».
Natrium arsenicicnm solntnm.
Natrium hypochlorosnm solnt.
Olenm Cbloroformii.
Oleum Hyoscyami compositum.
Olenm Jecoris jodatum.
Olenm phosphoratnm.
Opodeldoc jodatum.
Opodeldoc jodatum liquidum.
Pastilli Ammonii chlorati.
Pastilli ipecaenanh».
Pastilli Ipecaenanh» c. Opio.
Pastilli Kalii chlorici.
Pastilli Kennetis.
Pastilli Kermetis cum Opio.
Pastilli Menth» anglic».
Pastilli Natrii bicarbonici. .
Pilnl» aloetic».
Pilnl» ferrat» kalin».
Natrium pyrophosphoricnm.
Plnmbnm jodatum.
Plumbum nitricnm.
Plnmbnm tannicum.
Saccharinum.
Sparteinnm snlfnricnm.
Stibinm snlfuratnm rubrum.
Strychninnm snlfnricnm.
Tartarus ferratns.
Urethannm.
Zincum snlfophenolicnm.
Zincum valerianicnm.
Pilnl» Fern jodati.
Pilnl» hydragog» Heimii.
Pilnl» Hyoscyami composit«.
Pilnl» Rhei composit».
Pulvis aromatiens.
Pulvis caustiens.
Pulvis effervescens ferratns.
Simpns Adianti.
Simpus Aetheris.
SimpuB Anrantii floris.
Sirnpns Balsami tolntani.
Sirupns Cinchon».
Simpns Citri.
Sirupns (k)chleari» compositns.
Simpns Cochleari» jodatns.
Sirnpns Codeini.
Sirnpns Ferri pomati composit.
Simpus Gummi arabici.
Sirupns hollandicns.
Simpus Mann» compositns.
Simpns Mori.
Sirnpns Morphini.
Sirnpns Opii.
Simpns Picis cnm Codeino.
Simpus Ratanhi».
Simpns Sarsaparill» compositns.
Sirnpns Tamarindi.
Simpus Terebinthin».
Sirnpns Turionis Pini.
Species amar».
Spiritus balsamicns.
Spiritus Citri.
Spiritus Rosmarini composit.
Spiritus Serpylli.
Stibinm chloratum solutum.
Succus Citri facticins.
Snccns Sambnci inspissatus.
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Tinctura Absinthii composit.
Tinctara Aconiti herb« recentis.
Tinctara Aloes.
Tinctura Asae fcetidae.
Tinctara Belladonn».
Tinctura Benzoes aetherea.
Tinctora Calurabae.
Tinctura Cannabis indicae.
Tinctura Cantharidis.
Tinctura Cardamomi.
Tinctura Cascarillae.
Tinctura Castorei.
Tinctura Cocae.
Tinctara Croci.
Tinctara Eucalypti.
Tinctura Fceniculi compos.
Tinctura Gelsemii.
Tinctura Guajaci.
Tinctara Jalapae compos.
Tinctura Ipecacuanhse.
Tinctura Kino.
Tinctara Pimpinellse.
Tinctura Quebracho.
Tinctura Sabadille.
Tinctura Secalis cornuti.
Tinctura Vanillae.
Unguenta narcotica.
Unguentum camphoratum.
Unguentum Eiemi.
Ung. Hydrargyri bijodati.
Unguentum Mezerei.
Unguentum Plnmbi jodati.
Unguentum Populi.
Unguentum sulfuratum.
Unguentum sulfuratum compos.
Vinum aromaticum.
Vinum Gincbonae.
Vinum Coca.
Vinum diureticum.
Vinum Gentiana.
V. Uebersicht derjenigen Arzneistoffe, welche im Deutschen Arzneibuch enthalten sind,
aber in der Pharmacopoea helvetica Editio III fehlen (72).
Acetum crudum.
Acetum pyrolignosum. rectif.^)
Albumen ovi siccum.
Argentum foliatum.
Cortex Quillaia.
Folia Farfara.
Fructus Aurantii immaturi.
Fructus Lauri.
Acidum chloronitrosum.
Acidum nitricnm crudum.
Acidum sulfuricum crudum.
Acidum trichloraceticum.
Amylenum hydratum.
Benzinum Petrolei.
Baisamum Nucista.
Charta sinapisata.
Decoctum Sarsaparilla compos.
Elixir amarum.
Emplastrum cantharid. pro usu
veterinario.
Emplastrum cerussa.
Extractum Calami.
Extractum China aquosum.
Extractum Frangula.
Liquor natrii silicici®)
A. Rohstoffe und Droguen (24).
Fructus Rhamni cathartic«.®)
Fungus chirurgorum.
Gossypium depuraium.
Gutta Percha.
Herba Cochlearia.
Herba Conii.®)
Herba Meliloti.
Keratinum.
B. Chemische Präparate (18).
Chloralum formamidatum.
Ferrum citricum oxydatum.®)
Ferrum sesquichloratum.
Hydrargyrum cyanatum.
Kalium carbonicum crudum.
Natrium carbonicum crudum.
C. Galenische Präparate (30).
Oleum cantharidatum.
Rotulte Sacchari.
Pilulse Jalapie.
Sirupus Amygdalarum.
Sirupus Cerasorum.
Sirupus Ferri qxydati.
Sirupus Manns.
Sirupus Menthse.
Sirupus Papaveris.
Sirupus Senate.
Spiritus angelicffi compositus.
Oleum Calami.
Oleum Olivarum commune.^) .
Oleum Papaveris.
Paraffinum liquidum.®)
Paraffinum solidum.®)
Placenta Seminis Lini.
Resina Dammar.
Semen Arecte.
Natrium carbonicum siccum.
Paraldehydum.
Physostigminum sulfuricum.®)
Plumbum aceticum crudum.
Thallinum sulfuricum.
Zincum aceticum.
Tinctura amara.
Tinctara Veratri.
Unguentum basilicum.
Unguentum Cerussae.
Unguentum Cerussse camphorat.
Unguentum Paraffini.®)
Unguentum Terebinthin«.
Vinum camphoratum.
Vinum Ipecacuanhse.
Bei den aus der II. Ausgabe in die III. Ausgabe aufgenommenen Artikeln finden
wir folgende Aendernngen der Namen und Bezeichnungen. (Der Zu-
^) Neben A. p. crudum. *) Sirup. Rhamni catharticie bei uns aus frischen Beeren bereitet.
*) Bei uns Fructus Conii. ®) Neben Ol. olivar. purum. ®) Bei uns Vaselinum. ®) Bei uns Ferr.
citric. ammoniatum. ®) Neben Ph. salicyl. (pro usu veterinär.). ®) Bei uns Kalium silic. solutom.
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Satz D. A. bedeutet, dass die betreffende Bezeichnung ins Deutschen Arzneibuch ent¬
halten ist. S. bezeichnet die Artikel des Supplementes der Ed. II.)
1. Die neue Pharmacopoe bringt allgemein die Bezeichnung der Droguen im
Singularis, gegenüber dem Pluralis der bisherigen Ausgabe und des Deutschen Arznei¬
buchs, nämlich:
Amjgdala amara statt Amjgdalse.
Amjgdala dnicis.
Aqoa Amygdal« statt Amygdalarum.
Aqna Rosas statt Rosaram.
Caotharis statt Caotharides.
Caryophyllns statt Caryophylli.
Colocyntbis.
Cortex Anraatii statt Aarantionun.
fimplastmm Cantharidis statt Emplast. Cantha-
ridnm.
Emplastram Cantharidis perpet.
Extractum Cubebss statt Extractnm Gnbebarnm.
Flos Arnicse statt Flores Arnicae.*
— Chamomiils.
— Cinae u. s. w.
Folinm Aconiti statt Folia Aconiti.
— Althaeae.
— Belladonnse u. s. w.
Galla statt Gallas.
Oleom Amygdalae statt Amygdalarom.
— Olivas statt Olivarom.
Spiritus Formicae statt Formicarom.
Tinctura Anrantii statt Anrantiomm.
Uogoent. Cantharidis statt Cantharidnm n. s. w.
2. Kleinere Aendernngen in der Schreibweise finden wir bei folgenden Artikeln:
Editio IL
Pharmacopoea helvet. Editio III.
Acidnm arsenicosom D. A.
Adeps benzoinatns.
Bismothnm snbnitricom D. A.
Calcaria chlorata D. A.
Chloroformnm.
Cortex Cinnamomi ceylanicns.
Extractnm Ferri pomatnm D. A.
Ferrnm sulfnricnm oxydatnm solotnm.
Flos Kosso.
Jodoformnm.
Linimentnm ammoniatnm camphoratnm.
Mel Rosae.
Natrinm snlfnricnin siccom D. A.
Sapo Stearinicos.
Semen Foenngraeci D. A.
Simpns D. A.
Siropns gnmmi arabici.
Simpns Opii.
Spiritns Saponis.
Soccns Citri facticins.
Acidnm arseniosom.
Adeps benpatns D. A.
Bismnthom nitricum.
Calcinm hypochlorosnm.
Chloroformiom D. A.
Cortex Cinnamomi ceylanici.
Extractnm Ferri pomati.
S. Ferrnm snlfuricom oxydatnm liqnidnm.
Flores Koso D. A.
S. Jodoformiom D. A.
Linimentnm ammoniato camphoratnm D. A.
Mel rosatom D. A.
Natrinm solfuricam dilapsnm.
Sapo sebacens.
Semen Foeni grseci.
Syrnpns.
Syropns gnmmosns.
Syrnpns opiatns.
Spiritos saponatns D. A.
S. Snccns Citri artificialis.
3. Bei eiuer Reihe von Pflanzendroguen wird statt des bisher gebräuchlichen
vulgären Namens der botanische Genusname eingeführt:
Pharmacopoea helv. Editio 111. Editio II.
Cortex Ciochonae.
Extract. —
Tinctnra —
Simpns —
Yinnm —
Extractnm Menyanthis.
Folinm —
Extractnm Strychni D. A.
Semen Strychni D. A.
Cortex Chin» Calysay®.
Extract. Chin®.
Tinctnra — D. A.
Syrnpns —
Yinnm —
Extractnm Trifolii fibrini D. A.
Folia — — D. A.
Extractnm Nncis vomic®.
Nux vomica.
D. A.
Cortex Chin».
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170
Tinctura Strychni D. A.
Oleom Myristicffi.
Foliom Adianti.
Siropos Adianti.
Strobilns Lupnli.
Tinctura nucis vomice.
Oleum nuoistse D. A.
Folinm Capilli.
SyrnpuB Gapillorom Veneris.
Strobilns Hnmnli.
Warum in letzterm nun auf einmal der Speciesname statt des Genusnamens
figurirt, weiss ich nicht.
4. Eine Reihe weiterer Abänderungen betrifft die Bezeichnung des Pflanzentheils,
welcher die Drogue bildet.
Pharmacopoea helv. Ed. III.
Canlis Dnlcamaree.
Colocynthis.
Cortex Sassafras.
Frnctns Cubebae.
Fmctns Tamarindi.
Frnctns Vanillm D. A.
Folinm Hyoscyami.
Glandola Lnpoli.
Semen Strychni D. A.
Pharm, helv. Ed. II.
Stipites Dnlcamar».
Fmctns Colocynthidis I>. A.
Lignnm Sassafras D. A.
CnbelwB D. A.
Tamarindi. D. A. Pnipa tamarindornm crnda.
Vanilla.
Herba Hyoscyami.
Lnpnlinnm.
Nnx vomica.
5. Die Liquores der bisherigen Pharmacopm und des Deutschen Arzneibuches
werden in der neuen Ausgabe mit „solntum* bezeichnet.
Pharmacop. helv. Ed. III.
Alumininm aceticnm solntnm.
Ammonium aceticnm solotnm.
Ammoninm hydricnm solntnm.
Calcium hydricnm solntnm.
Chlornm solntnm.
Ferrum albnminatom solntnm.
Ferrum aceticnm solntnm.
Ferrnm jodatum.
Ferrum oxychloratnm solutom.
Ferrom sesqaichloratnm solutom.
Kalium aceticum solntnm.
Kalium arsenicosom solntnm.
Kalium carbonicum solutum.
Kalium hydricnm solntnm.
Kalium silicicum solotnm.
Natrium hydricnm solutum.
Natrium hypochlorosum solutum.
Plumbum subaceticnm solutom.
Stibinm chloratum solntnm.
Dagegen.
Spiritus Ammonii anisatos.
Pharmacop. helv. Ed. II.
S. Liquor Aluminii acetici D. A.
Liquor Ammonii acetici D. A.
Liqnor Ammonii caustici D. A.
Liquor Calcii oxydati. D. A. Aqna Calcariss.
Liquor Chlori. D. A. Aqna chlorata.
D. A. Liqnor lerri albnminati.
Liquor Ferri acetici D. A.
Ferrnm jodatnm. D. A.: Liquor ferri jodati.
D. A. Liqnor ferri oxychlorati.
Liqnor Ferri sesqnichlorati D. .A.
Liqnor Kalii acetici D. A.
Liqnor Kalii arseniosi D. A. Liquor Kalii ar-
senicosi.
Liqnor Kalii carbonici D. A.
Liqnor Kalii hydrid D. A. Liqnor Kali canstici.
S. Liquor Kalii silicici.
Liqnor Natrii hydrici D. A. Liqnor Natri canstici.
S. Liqnor Natrii hypochlorosi.
Liquor Plumbi acetici. D. A. Liquor Plnmbi sub-
acetici.
Liqnor Stibii chlorati.
Liqnor Ammonii anisatns D. A.
6. Znfägang bezw. Weglassung genauerer Bezeichnungen.
Pharmacop. helv. Ed. III.
Acidum aceticnm D. A.
Acidum phosphoricnm dilntum.
Acidum hydrochloricnm dilntum D. A.
Aqua Cinnamomi D. A.
Pharmacop. helv. Ed. II.
Acid. acetic. crystallisatnm.
Acid. phosphoricnm D. A.
Acid. hydrochloricum.
Aqua Cinnamomi spirituosa.
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171
Aqaa Menthae, ebenso Foliam^ Olenm, Spiritns.
Aqua Sedativa.
Calcium aulfuratum solutom.
Emplaatrum Minii fuscum.
Emplastrum Plumbi.
Extractum Cubebee.
Extractom Filicia D. A.
Extractum Joglandis.
Ferrum citricum ammoniatum.
Ferrum sulfuricum aiccum D. A.
Flos Ros» D. A.
Guarana.
Hydrargyrum bichloratum D. A.
Hydrargyrum bichloratum solutnm.
Hydrargyrum chloratum D. A.
Hydrargyrum jodatum.
Looch aibum oleosum.
Natrium arseuicicum solutum.
Oleum Garvi D. A.
Oleum Chamomill».
Oleum Cinuamomi D. A.
Oleum Hyoscyami D. A.
Opium D. A.
Pulpa Tamariüdi depurata D. A.
Sal Carolinum faetitium D. A.
Sapo Kalinus venalis D. A.
Species laxantes D. A.
Spiritns D. A.
Terebiuthina D. A.
Unguentum Plumbi Hebr».
Vinum aibum.
Yinum rubrum.
Im PriDoip wurde beschlossen, den
wie van Swieten, Raspail, St. Germain, doch
Pilulse bydragogse Heimii beibehalten.
Aqua Menth» piperit» D. A.
S. Aqua sedativa Raspail.
S. Liquor Calcii snlfurati Vlemingkx.
Emplastrum fuscum. D. A. Emplastrum fuscum
camphoratum.
Emplastrum Plumbi simpler. D. A. Emplastrum
Litbargyri.
Extractum cnbebarum »thereum. D. A. Extract.
cubebarum.
Extractum Filicis »thereum.
S. Extractum Juglandis foliorum.
S. Ferrum citricum oxydatum ammoniatum.
S. Ferrum sulfuricum oxydulatum siccum.
Flores Kos» gallic».
S. Pasta Quarana.
Hydrargyrum bichloratum corrosivnm.
S. Liquor mercnrialis van Swieten.
Hydrargyrum chloratum mite.
Hydrargyrum jodatum flavum.
S. Looch aibum.
S. Liquor arsenicalis Pearsoni.
S. Oleum Garvi »thereum.
Oleum Chamomill» »thereum.
Oleum Ginnamomi chinensis.
Oleum Hyoscyami coctum.
Opium crudum.
Pulpa Tamarindornm.
S. Sal Thermarum Carolinensium faetitium.
Sapo Kalinus.
Species laxantes St. Germain.
Spiritus alcoholisatus.
Terebiuthina Laricis.
S. Unguentum Hebr». D. A. Ung. diachylon.
Vinum aibum generosum.
Vinum rubrum generosum.
Präparaten keine Eigennamen beizufngen
sehen wir solche bei Ung. Plumbi Hebrae,
7. Anderweitige Aenderungen.
Ph. helv. Ed. 111. Ph. helv. Ed. 11. Deutsches Arzneibuch.
Acidum agaricinicum. Agaricinum.
Aqua phenolata. Aqua carbolisata.
Calcium oxydatum. Calcium oxydatum. Calcaria usta.
Electuarium lenitivum. Electuarium lenitivum. Electuarium e Senna.
Elixir pectorale. Elixir pectorale. Elixii\c Succo Liquiriti».
Emplastrum Hydrargyricompos. S. Emplastrum de Vigo cum
Mercurio.
Emplastrum resinosum. S. Emplastrum Picis.
Hydrargyrum amydato-bichlor. Hydrarg. pr»cip. aibum. Hg. pr»cip. albiim.
Kalium hydricum. Kalium hydricum. Kalium causticum fusum.
Linimentum Terebinth. compos. S. Linim. Terebinthin» Stockes.
Magnesium oxydatum. Magnesium oxydatum. Magnesia usta.
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172
Ph. helv. Ed. IIT.
Natrium hyposnlfurosum.
Oleum chloroformi.
Oleum hyoscyami compo».
Oleum Pini Pumilionie.
Oleum Tiglii.
Opodeldoc.
Opodeldoc jodatum liquidum.
Opodeldoc liquidum.
Paetilli Menthae.
Phenolum.
Pilulm ferratffi kalinse.
PilulaB fern carbonici.
Plumbum oxydatum.
Potio effervesceng.
Pulvis effervesceng.
— — anglicus.
— — laxans.
Pulvis IpecacuanhsB opiatus.
Pulvis Magnesiae comp.
Pyrogallolum.
Sirupus Cochleariae compos.
Sirupus Cochleariae jodatus.
Spiritus aethereus ferratus.
Spiritus e Saccharo.
Spiritus Rosmarini compositus.
Succus Juniperus inspissatuK.
Succus Liquiritiae depuratus.
Succus Sambuci inspissatus.
Tinctura Aloes composita.
Unguentum cereum.
Unguentum refrigerans.
Yinum Aurantii compositum.
Vinum Rhei compositum.
Zincum sulfophenolicum.
Ph. helv. Ed. II.
Natrium hyposulfurosum.
S. Linimentum Chloroformii.
S. Baisamum tranquillans.
S. Oleum templinum.
Oleum Tiglii.
Opodeldoc.
S. Spiritus Stnunalis.
Opodeldoc liquidum.
Pastilli Menthae piperitae.
Acidum phenyiicum.
S. Pilulae ferratae Blaudii.
S. Pilulae ferratae Valleti.
Plumbum oxydatum.
S. Potio Riveri.
Pulvis effervesceng.
— — anglicus.
— — laxans.
Pulvis Doveri.
Pulvis Magnesiae comp.
S. Acidum pyrogallicum.
S. Sirupus antiscorbuticus.
S. Sirupus antiscorbuticus jodat.
Spiritus aethereus ferratus.
S. Rhum.
S. Spiritus vulnerarius.
Roob Juniperi.
Extractum liquiritiae.
Roob Sambuci.
S. Elixir ad longam vitam.
Unguentum simplex.
Unguentum refrigerans.
Elixir Aurantiorum.
Tinctura Rhei vinosa.
Deutsches Arsneibuch.
Natrium thiosulfuricum.
Oleum Crotonis.
Linimentum saponato-camphor.
Spiritus saponato-camphoratus.
Rotulae Menthae piperitae.
Acidum carbolicum.
Pilulae ferri carbonici.
Lithargyrum.
Potio Riveri.
Pulvis aerophorus.
— — anglicus.
— — laxans.
Pulvis Magnesiae cum Rheo.
Pyrogallolum.
Tinctura ferri chlorati aethcra.
Succus Juniperi inspissatus.
Succus Liquiritiae depuratus.
Tinctura Aloes composita.
Unguentum cereum.
Unguentum leniens.
Elixir Aurantiorum.
Tinctura Rhei vinosa.
Zincum sulfocarbolicum.
Da durch diese diversen und meiner Ansicht nach nicht immer ganz consequenten
und glücklichen Namensänderungen das Aufsuchen der Artikel erschwert wird, werden
im Synonymenverzeichniss alle Bezeichnungen der Ed. II. aufgefuhrt.
Wichtiger noch als die Veränderungen der Bezeichnungen sind die Aen-
derungen des Gehaltes und der Zusammensetzung, welche die neue Ausgabe
unserer Pharmacopoe sowohl der bisherigen Ausgabe als dem Deutschen Arzneibuch
gegenüber bringt.
Eine grosse Zahl dieser Abänderungen betreffen complicirtere galenische Präparate
und sind mehr pharmaceutisch-technischor Natur, ohne dass die Wirkungsweise des
Präparates dadurch wesentlich modificirt wird; wir werden auf die Abänderungen nur
aufmerksam machen, ohne jedoch in die Details einzugehen, welche den Arzt weniger
als den Apotheker interessiren.
Einen wesentlichen Unterschied sehen wir zunächst bei den Acida, indem
versucht wurde, den Procentgehalt der verdünnten Säuren auf einfachere und gleich-
mässigere Verhältnisse zu bringen. '
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173
Ph. helv. Ed. III.
Ph. helv. Ed. II.
Deutsches Arzneibuch.
Acetam purum 57o
67o
Acetum pjrolignosum 57o Essigsäure
67o Essigsäure
6—8®/o Theer
6-l07o Theer
Acidum aceticum di lut. d(P/o
20,470
30®/o
Acidum hydrochloricum dilut. 107o
12,470
12,570
Acidum nitric. dilut. 257«
18,5770
2570
Acidum phosphoricum 107o
14,8Vo
2570
Acid. sufuricum dilut. W/o
13,47o
167o
Bei A d e p s findet bei uns die Benzoinirnng mit Benzoeharz, 2 anf 100 Fett,
nach Editio II 1 Benzoe auf 40 Fett, im Deutschen Anneibuch mit Benzoesäure 1 :99
statt. Nach der gleichen Weise wird, nach Editio III Sebum benzoinatum
bereitet, während in Editio II keine Vorschrift besteht und im Deutschen Arzneibuch
der Hammelstalg mit 2”/« Salicylsäure behandelt wird (Sebum salicylatum).
A e t h e r wird in der Editio tertia entsprechend dem Deutschen Arzneibuch in
grösserer Reinheit rerlangt, so dass er sich dem absoluten Aether nähert, was bei der
vermehrten Verwendung dieses Präparates zur Narcose sehr zu begrössen ist; das
specifiscbe Gewicht wird zu 0,720—0,722, in Editio II zu 0,725—0,730, im D. A.-
B. zn 0,720 festgestellt.
Argentum nitricum fusum wird in Ed. III mit 57» Ealiumnitrat
verschmolzen, in Ed. II und D. A.«B. besteht es aus reinem Argentum nitricum; der
Zusatz bedingt eine grössere Festigkeit des Stiftes; daneben findet sich noch wie in
Ed. U und D. A.>B. das Argentum nitricum cum kälio nitrico 1:2.
Aqua Ros» wird in Ed. III als käufliches Rosenwasser, in Ed. II durch
Destillation von 5 Theilen ans 1 Theil Rosenblättern, im D. A.-B. durch Schütteln
von 4 Tropfen Rosenöl mit 1 Liter lauen Wassers vorgeschrieben.
Aqua phenolata ist in Ed. III 57», im D. A.-B. 37».
Das G 011 0 d i u m wird in Ed. III und dem D. A.-B. aus 2 Theilen Schiess*
baumwolle, 6 Theilen Weingeist und 42 Theilen Aether bereitet, in Ed. II ans 1 Theil
Schiessbaumwolle, 1 Theil Weingeist und 18 Theilen Aether.
Das Electnarium lenitivum besteht nach der
Editio III ans Pulpa tamarind. 4 Fol. Senn» 2 Mel 3 Tart. depnratns 1
, II , , , 18 n ■ 20 Syr. simpl. 50 Fructus coriandri 2
D. A.-B. , , , 5 , , 1 Syr. simpl. 4.
Bei den Pflastern sind fast bei sämmtlichen Vorschriften Veränderungen
sowohl gegenüber der Editio II als gegenüber dem D. A.-B. eingetreten, welche theils
als Vereinfachungen, theils als technische Verbesserungen aufzu fassen sind. Ohne in
alle Details einzutreten bemerken wir, dass statt dem Emplastrnm Cantharidis perpetnum
unter diesem Namen in Ed. III eine practiscbe Vorschrift zur Bereitung von Mouches
de Milan aufgenommen wurde; das neue Emplastrum Plnmbi wird durch Kochen von
60 Oleum Oliv» mit 32 Lithargyrum bereitet, nach Ed. II durch Kochen von 10
Lithargymm, 9 Adeps, 9 Oleum Oliv, und 2 Aqua, nach D. A.-B. aus 5 Lithargyrum,
5 Adeps, 5 01. Olivar. und 1 Wasser. Das Emplastrum adhssivum nach Ed. Hl
durch Schmelzen von 80 Emplastr. Plumbi mit je 5 Elemi, Gera flava, Golophonium
und Terpentin, nach Ed. II aus 5 Emplastr. Plumbi mit 1 Golophonium, nach D.
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174
A.-B. aus 100 Empl. Plumb., je 10 Gera flava, Resina Dammara, Colophooiam und
1 Terpentin.
Was die Extracte anbelangt, so haben wir schon bei dem allgemeinen Titel
auf die wichtigsten Veränderungen aufmerksam gemacht; sehr zweckmässig erscheint, dass
bei Eztractum Ginchonm, Extractum Opii und Extractum Strychni der Alkaloidgehalt des
Extractes bestimmt wird, und zwar fflr Extractum Ginchonm fluidum auf 3,57o, für
Extract. Ginchonse spirituosum auf 127o an Alkaloid, für Extract. Opii 18—207»
Morphin, für Extract. Strychni 157o Alcaloid; bei den übrigen Extracten, welche
Alcaloide oder Glycoside enthalten, bei denen aber eine quantitative Bestimmung
grössere Schwierigkeit bietet, werden wenigstens sehr genaue Pröfungsmethoden ange¬
geben. Die Editio II giebt gar keine Procentgehalte an und auch keine Bestimmungen
über den qualitativen Nachweis der Alkaloide, ebensowenig das D. A.-B., welches nur
bei Extractum Opii in 3 gr wenigstens 0,34 Morphin verlangt.
Von weiteren Aenderungen dürfte interessiren, dass Extract. Aconiti nach Ed. III
ans den Knollen, nach Ed. II aus den Blättern, Extract. Bellad. nach Ed. III aus
der Wurzel, nach Ed. II aus den Blättern, nach D. A.-B aus dem frischen Kraut
bereitet wird. Extractum Gonii nach Ed. III ans den Früchten, nach Ed. II aus den
getrockneten Blättern; diese Extracte der Ed. III sind kräftiger als die bisherigen,
da die Rohdrogue reicher an wirksamen Bestandtheilen ist. Extractum Juglandis wird
aus den grünen Wallnussschalen, nach Ed. II aus den Blättern bereitet. Die bisherige
Pharmacopoe bot uns 3 Gbinaextracte, ein pulverförmiges Extractum Ghinse durch üeber-
giessen von Gort. Ghinse fuscus mit 4 Theilen siedendem Wasser; ein Extractum Gbin.
frigide paratum durch Maceration von Gortex Ghinse fuscus mit kaltem Wasser
(2. Grades) und ein Extract. Ghinse spirituosum (Suppl.) durch Digeriren von Gort.
Ghinse Huanuco mit Spiritus dilutus (2. Grades); die Ed. III enthält ein Fluidextract
aus Gort. Ginchonse ruber und ein trockenes Extract. spirituosum; das D. A.-B. enthält
ein dünnes Extract. Ghinse aquos., durch Maceration mit Wasser bereitet, und ein
trockenes Extractum Ghinse spirituosum, durch Digestion mit Spiritus bei 15—20**.
Das Extractum Strychni der Ed. III ist ein trockenes Extract, auf dem Percolator
mit Spiritus dilutus bereitet; die Ed. II enthält ein Extract. Strychni spirituosum
II. Grades und im Suppl. ein trockenes Extract. Strychn. aquosum. Das Extractum
Strychni des D. A.-B. wird durch Digestion bei 40** mit verdünntem Weingeist be¬
reitet und ist trocken. — Das Extractum Ferri pomati wird nach Ed. III mit frisch
geftlltem Ferrum oxydatum bereitet, enthält 77o Eisen, ebenso in Ed. II; im D. A.-B.
aus 1 Tbeil Ferrum pulveratum mit 100 Theilen frischem Apfelsaft.
Von den übrigen Eisenpräparaten zeigen Folgende Differenzen:
Ed. UI.
Ed. U.
D. A.-B.
Ferrum aceticnm solutum
5®/o Eisen
87o
4 , 8—570
Fermm carbonicnm saccharatom
l(P/f
20—287o
9 , 5-1070
Ferrum jodatum
257 .
2bVü
50»/.
Ferrum citricum ammon. mit 20 Th.
Eiaenchlorid
mit 10 Th. Eiseuchlor. bereitet
Ferrum oxjdatum saccharat. solubile
SVo
370
2,8»/o
Ferrum sulfuricum oxydatum solutum
KP/o
870
Piluls ferrate kalinse k
0,01 Eisen
0,02
Pil. Ferri carbouici
0,02 ,
0,05
0,02
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175
Ed. m. Ed. n. D. A.-B.
Sirup, ferr. jodat. l*/o Jodeisen l“/« 5%
Tinctnr. Ferri scetic. tetherea 4*/o 6*/o 4®/»
Hydrargyrum bichlorat solutum wird nach der
Ed. III 1 Sublimat nach dem 1 Sublimat
aus 100 Spiritus Suppl. der 500 Spiritus coucentratus
900 Wasser Ed. II aus 500 Wasser bereitet.
Das L i n i m e n t u m S t y r a c i s der Ed. III besteht aus gleichen Theilen
Styrax and 01. Lini, das der Ed. II aus 30 Styrax, 10 Spiritus concentratus und
50 01. Sesami.
Das Oleom Ghloroformi besteht bei Ed. III ans 1 Chloroform und 3 01.
olivse, bei Ed. II aus 1 Chloroform und 4 01. olivarum.
Das Linimentum ammoniatnm ist bei uns mit 01. olivs 1:3, im
D. A.-B. mit 1 Liquor ammon. caustic. und 3 01. oliv., 1 01. papaver. bereitet, ähnlich
das Liniment, ammoniatum camphoratnm.
Zahlreiche Detailänderungen zeigen die übrigen Linimente und die Opodeldoc.
M ncilago Gummi arab i ci in Ed. 111 1:3, in Ed. II und D. A.-B. 1:2.
M u c i 1 a g 0 S a 1 e p. in Ed. III mit Sacch. lactis, in Ed. 11 mit Saccb. album,
im D. A.-B. ohne Zucker bereitet.
Bei den Pastillen sind folgende Aenderungen zu erwähnen:
Im Suppl. Ed. II sind die Pastilli Ipecacoanbte, Kali chlorici und Eermetis mit
Aq. naphs», io Ed. III ohne solches ; die Pastilli Na. bicarb. im Supplement
ohne OL Menthm, in Ed. III mit 01. Menthse. Die Pastilli Eermetis cum Opio ent¬
halten im Suppl. 4 mgr Extr. Opii und 8 mgr Kermes, in Ed. II je 2 mgr
Opium und Kermes. Die Pastilli Ipecac. c. Opio (Vignier) im Supplement je 5 mgr
Bad. Ipecac. und Opium, in Ed. III je 2 mgr; die Santoninpastillen, bisher Tabernacula
ä 0,033 werden jetzt als eingrammige Pastillen zu 25 mgr Santonin bereitet, ebenso
im D. A.-B.
Kleinere Veränderungen zeigen Pulvis effervescens. Pulvis Li-
quir. comp., Pulvis Magnesi» cumRbeo, Pul v. effervescens
ferrat., Pulvis aromaticus. Bei uns wird das Pulvis pro pedibus
bereitet aus 15 Al^un und 85 Talk, im D. A.-B. aus 3 Acid. salicyl., 10 Weizenstärke
und 87 Talk.
Vom Sal Carolinum enthielt das Supplement 2 Formeln, ein pulverf&rmiges
durch Mischen von 100 Natr. sulf. sicc., 75 Na. bicarb., 25 Na. chlorat. bereitet und
ein crystallisirtes, durch Lösen und Crystallisiren von 125 Na. sulf. crystall., 25 Na.
chlorat. und 50 Na. carb. in 250 Aqua. Die Editio tertia gibt nur ein pulverförmiges
an. Na. sulf. sicc. 22, Na. chlor. 9, Na. bicarb. 18, kali sulf. 1, entsprechend der
Vorschrift des D. A.-B.
Das Oleum phosphoratnm der Ed. III ist P/o, das der Ed. II 1:80.
Von den Sirupen der Ed. III sind Sirupus Ginchonm (10:90), Sirup. Ipecac.
(1:99) und Sirup. Senegse (5:95) aus Fluidextract bereitet, die narcotischen Sirupe
zeigen den gleichen Gehalt wie in der Editio II, nämlich Sirupus Codeini 27oo< Sirup.
Morphin! 17oo, Sirup. Opii 2^jwt (Extract. opii), dazu kommt noch der Sirup. Picis
cum Codeino, der l7oo Codein enthält. In den Bereitungsvorschriften sämmtiicher
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176 -r-
Sirupe besteheu bald grössere, bald kleinere Abweichungen der Ed. III gegen Ed. II
und D. A.-B., dasselbe gilt von den Species und von den aromatischen
Spiritus. Spiritus Saponis ist in Ed. III aus Sapo kalinus bereitet, in Ed. II aus
Sapo oleaceus (Natronseife), im D. A.-B. aus Kaliseife.
Wichtiger ist das Verhältniss der Alkoholdilutionen:
Ed. m. Ed. IL D. A.-B.
Alcohol absolntas
Spec. Gew. 0,80.
Spiritus 92,5—94 Gew. ®/o
Spec. Gtew. 0,812—0,816.
Spiritus diiutns 62,5 Gew. ®/o
2 Th. Spiritus, 1 Th. Wasser
Spec. Gew. 0,890—0,892
Spiritus alcoholisatus 957o
0,81—0,80.
Spiritus coucentratus 86—86®/o
0,834—0,830
Spiritus dilutus 64®/o
100 Spir. conc.
37 Aqua
0,892 -0,889
Spiritus 87,2—85,6®/o
0,83—0,834.
Spiritus dilutus 60—öl®/«
7 Spiritus
3 Aqua
0,892—0,896.
In Bezug auf die Tincturen haben wir beim allgemeinen Artikel gesehen, dass
zahlreiche derselben auf dem Percolator bereitet werden; dieselben sind zweifelsohne
viel kräftiger als die durch einfache Maceration oder Digestion bereiteten Tincturen
der bisherigen Pharmacopoe und des Deutschen Arzneibuchs.
Von weiteren Abweichungen notire ich:
ln Editio III haben wir 2 Aconittinctnren, die Tinctnra Aconiti herbe recentis
aus 1 Theil frischen Aconitblättern und 1 Theil Weingeist bereitet, den Alcoholatnres
der französischen Pharmacope entsprechend, und die ans Knollen auf dem Percolator
bereitete sehr kräftige Tinctura Aconiti tuberis 1:10, erstere ist wenig giftig, Dosis
simpl. 1,0, pro die 8,0; letztere Dosis simpl. 0,25, pro die 1,0. Die Editio II hat
eine Tinct. Aconiti aus getrockneten Blättern 1:5 und im Supplement eine Tinct.
Aconiti setherea aus den trockenen Blättern 1:5; das D. A.*B. eine Tinctur aus
Knollen 1:10, Dos. maxim. 0,5, pro die 2,0. Tinct. Belladonnse in Ed. III aus dem
Kraut 1:10, in Ed. II Snppl. 1:5. Tinct. Cannabis in der Ed. III aus Herbte
Cannabis 1:10, in der Ed. II ans 1 Th. Extr. Cannabis und 20 Spiritus concentratns.
Tinct. Colchici in Ed. III 1:10, in Ed. II 1:5, D. A.*B. 1:10. Tinct Digitalis in
Ed. III 1:10, in Ed. II 1 :5, D. A.>B. aus 5 Theilen frischem Kraut mit 6 Wein¬
geist (Alcoolatnre). Tinct Lobelise in Ed. III 1:10, in Ed. II 1:5, D. A.-B. 1:10.
Bei den Salben ist hervorzuheben, dass die Unguenta narcotica nach Ed. III
aus 2 Theilen Fluidextract und 8 Schweinefett bestehen, nach Ed. II Suppl. aus 10
Theilen Extract., 1 Spiritus, 1 Aqua und 90 Unguentum cereum.
Mit Vaselin sind bereitet Ung. boricum lO^o, Ung. prsecipitati albi IO**/«, Ung.
Plumbi 10*/«* Ung. Zinci 10®/o (weisses Vaselin) und Ung. Hydrargyr. bijodat. 10*/o,
Ung. Hg. oxydati 5*/o, Ung. Plumbi tannici (gelbes Vaselin); Das D. A.-B. verwendet
das aus 1 Theil festem und 4 Theilen flüssigem Paraffin bereitete Unguentum Paraffini,
das in einzelnen Fällen auf die Haut reizend wirkt.
Für Ung. cinereum gibt die Ed. III eine sehr gute Vorschrift, das Hg. wird
mit Lanolin exstingnirt und dann dem Schweinefett vermischt (34*/o); Unguentum
cereum besteht nach Ed. III aus 01. Oliv» 70, Cera a 1 b a 30, Benzoe 2, nach Ed. II
ans Cera alba 1 und Adeps suillus 6, nach D. A.*B. ans Cera flava 3 und 01.
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177
olivar 7. Sehr zu begrässen ist auch die uun einheitliche und zweckmässige Vorschrift
für Ung. Hebrse, nämlich 25 Lithargyrum mit 75 Ol. oliv» gekocht und 2 Benzoe
zngesetzt; in Ed. II 8uppl. waren bekannterweise 2 Vorschriften, die 1. bessere durch
Kochen von 100 Lith. mit 400 01. olivae und Zusatz von 01. Larendulse 8 bereitet, wobei
letzteres oft reizend wirkte, und die 2. schlechtere durch Schmelzen von je 50 Theilen
Emplastr. Plumbi und OlirenOl und 1 Qlycerin. Nicht besser ist die Vorschrift des
D. A.-B. (Schmelzen gleicher Theile von Dng. Plumbi und 01. Olivae).
Bei den Weinen ist die Einffihrung des herben und zu Bitterstoffen im Qeschmack
besser harmonirenden Marsala statt des süssen Malaga sehr erfreulich; Malaga findet
sich nur noch im Vinum Aurantii compos., dem alten Elixir Aurantiornm; Marsala
dagegen im Chinawein (27o Fluideztract), Cocawein (57o Blätter), Vinum Colchici
{107o Fluideztract), Vin. Condurango (107» Fluideztract), Vin. Gentianse (57o Wurzel),
Vinum Pepsini (57o), Vinum Bhei comp., der bisherigen Tinct. Khei vinosa und im
Vinum Stibiatum. Das D. A.-B. hat bekanntlich schon früher in Ed. II den ebenfalls
herben Xeres rorgezogen. Die an Eztractivstoff ärmeren herben Weine nehmen auch viel
mehr von den löslichen Stoffen der Droguen in sich auf als der an Eztractivstoff und
Zucker reiche Malaga, wie dies von Prof. Buttin ist nachgewiesen worden.
Als sehr zweckmässige Neuerungen sind sodann hervorzuheben, dass wie auch in
den meisten neuern Pharmacopoen die Mazimaldosen nicht allein in einer Tabelle
am Schluss vereinigt sich finden, sondern jeweilen auch den Artikeln beigedruckt sind;
ferner dass bei den Bohstoffen die aus ihnen bereiteten einfachen Galenischen Präparate
angemerkt sind, z. B. Cortez Cinchonm (Eztract. fluid, et spirit., Sirup. Tinct., Vinum);
diese letzteren Angaben hätte ich gerne noch vollständiger gewünscht.
Beich ausgestattet ist die neue Pharmacopoe mit Tabellen, nämlich mit
17, die bisherige inclusive Supplement enthielt deren 13; das D. A.-B. nur 6, eine
Reagentientabeile, die Mazimaldosentabelle, die Tabelle der Gifte, die Tabelle der Sepa-
randa, die Tabelle der speciflscben Gewichte und die sehr reichhaltige Synonymentabelle.
Unsere Ed. III gibt von pharmaceutisch-chemischen Uilfs-
tabellen eine Beagentientabelle, eine Tabelle der volumetrischen Lösungen, eine
Löslichkeitstabelle, eine Alkoboltabelle nach Hehner, die Tabelle des spec. Gewichtes
von Ammoniaklösungen, von Kalilaugen, von Natronlaugen, von Salpetersäuren, von
Salzsäuren, von Schwefelsäuren; eine Vergleichstabelle der Grade des .Bawm^schen
Aräometers mit den spec. Gewichten, 2 Saturationstabellen und eine Beductionstabelle
der specifischen Gewichte, sodann führt sie neu ein die in andern Pharmacopcen längst
enthaltenen T a b e 11 e n derVenena und Separanda, welche endlich Anhaltspunkte
geben za Vorschriften über die Abgabe von Giften; daneben folgt die Mazimal¬
dosentabelle, bei der das Bestreben dahin ging, sich so weit als möglich den
Vorschriften des D. A.-B. anzuschliessen, der frühem Ed. II gegenüber werden die
Dosen erweitert für Acid. arsenicosum, Acid. hydrochloricnni, Bulbus Scillae, Godein,
Eztract. Opii, Eztract. Scillse, Folium Digitalis, Folium Stramonii,' Calomel, Hydrarg.
ozydatam, Kal. arsenicosum solutum, Kreosot, Morpbinum, Natr. arsenicosum solutum,
Opium, Phenolum, Strychniu, Tart. stibiat,, Tinct. opii simpl. und crocata.
Namhaftere Herabsetzung der Dosen finden wir bei Arg. nitricum, Atropin,
Cantharis, den möisten Fluideztracten und Eztracta duplicia, dem Phosphor, dem San-
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178
tonin, Semen Strycbni, den Tincturen von Cannabis, Cantbaris, Colchicum, Strychnos,
bei Vinnm Colchici, Zincum valerianicum.
Neu aufgenommen in die Maximaldosentabelle sind Acetanilid, Antipyrin, Auro-
Natrium chloratum, Chloroformum, Cocainnm hydrochloricum, Codeinum phosphoricum,
die Coffeinsalze; Colocyntliis, Extract. Colocynthidis compositum, Folium Jaborandi,
Homatropinum, Herba Cannabis, Frnctus Conii, Hg. chloratum vapore paratnm, Kalium
chloricum, Natrium arsenicicum, Ol. phosphoratum, Pheuacetiiium, Physostigminum
salicylicum und Pilocarpiuum hydrochloricum, Podophyllin, Salol, Scammonium, Semen
Colchici, Sparteinum sulfuricum, Sulfonal, Tinct. Gelsemii, Tinct. Ipecacuanhse, Tinct.
Scillse, Tinct. Seealts cornuti, Tinct. Stropbanti, Tuber Aconiti, Tuber Jaiaprn, Urethan,
Vioum stibiatum; gestrichen, ausser denjenigen der nicht mehr aufgenommenen Artikel
die Maximaldosen von Kalium jodatum, Kalium bromatum und Kalium nitricum,
Oleum Sinapis und Zincum chloratum.
Von der Aufnahme einer Maximaldosentabelle fdr Kinder wurde abgesehen, weil
befürchtet wurde, dieselbe könnte in gerichtlichen Fällen verbindlich gemacht werden,
während doch der Apotheker über das Alter des Patienten nicht immer unterrichtet ist.
Ich habe eine Zusammenstellung der Maximaldosentabellen der Editio 111, der
Editio 11 und des D. A.-B. ausgearbeitet, welche am besten eine Uebersicht über die
Aenderungen in der Dosirung gestattet; ebenso eine Maximaldosentabelle für Kinder,
nach 4 Altersklassen getrennt. Die Zahlen, welche unter dem Namen des Arzneimittels
stehen, geben die Dosen der Maximaldosentabelle für Kinder bis zum Ende des
2. Jahres in dem Supplement der Ed. II der Pharmac. helv. an; die letzte Colonne ent¬
hält zum Vergleich die Maximaidosen für Erwachsene der Editio III.
Als eine Neuerung, welche, so viel mir bekannt, unsere neue Pharmacopoe allein
eingeführt bat, ist sodann zu nennen eine hauptsächlich für die Aerzte berechnete
Gehaltstabelle, welche eine vergleichende Uebersicht des Gehaltes und der
Dosirung der heroischen Arzneimittel unserer Pharmacopoe gibt.
Die Synonymentabelle ist bei weitem nicht so reich gehalten wie diejenige
des Deutschen Arzneibuchs; es wurden vorzüglich die noch gebräuchlichen Bezeichnungen
der beiden früheren Ausgaben unserer schweizerischen Pharmacopoe berücksichtigt.
Was endlich die Ausstattung der Pharmacopoe in Bezug auf Druck und Papier
anbelangt, so darf sie sich neben den besten neuern Pharmacopoen wohl sehen lassen
und so glaube ich, dass das neue Werk, wenn es auch wohl nach dieser oder jener
Seite hin zu Ausstellungen Anlass geben mag, indem es dem Einen zu viel, dem
Andern zu wenig bietet, doch als ein durchaus gelungenes und der Schweiz Ehre
bringendes darf angesehen werden.
Vergleichende Tabelle der Maximaldosen für Erwachsene.
Pharm, helv. Ed. III.
1 Pharm, helv. Ed. 11. |
peutsches Arzneibuch.
Dos. max.
Dos. max.
Dos. max.
Dos. max.
Dos. max.
Dos. max.
Acetanilidam
simpl.
0,5
pro die.
3,0
simpl.
pro die.
simpl.
0,5
pro die.
4,0
Acidmn agaricinicum
Acidum arseuicosum
0,03
0,005
0,1 .
0,02
0,005
0,01
0,1
0,005
0,02
Acidum hjdrobromicum dilut.
1,5
5,0
—
-
—
—
Digitized by LjOOQle
179
1 Pharm, helv. Ed. III. 1
1 Pharm, helv. Ed. II. |
peutsches Arzneibuch.
Dos. max.
1 Dos. max.
Dos. max.
1 Dos. max.
Dos. max.
Dos. max
simpl.
pro die.
simpl.
pro die.
simpl.
pro die.
Acidum hydrochloricom dilut.
1,0
5,0
1,0
1 4,0
—
j —
Acidum hydrocyanicam
—
—
0,05
' 0,2
—
—
Acidum nitricum dilat.
1,0
3,0
1,0
4,0
—
—
Acidum sulfuricum dilut.
1,5
5,0
2,0
8,0
—
—
Acoaitinum
—
—
0,001
0,005
—
—
Aether phosphoratus
—
—
0,25
0,75
—
—
Amylenum hydratam
—
—
—
—
4,0
8,0
Amylum nitrosum ad inhalat.
0,25
1,0
0,25
1,0
— •
—
gtt V.
gtt. XX.
gtt. V.
gtt. XX.
Antipyrinnm
2,0
6,0
—
—
—
—
Apomorphinom hydrochloricum
0,02
0,1
0,02
0,06
0,02
0,1
ad inject, snbcut.
0,005
0,015
0,005
0,015
—
—
Aqoa Amygdal»
2,0
8,0
2,0
10,0
2,0
8,0
Aqna Lauroceraai
2,0
8,0
2,0
10,0
—
—
Argentum nitricum
0,03
0,2
0,05
0,25
0,03
0,2
Argentum oxydatum
—
—
0,1
0,5
—
Atropin am sulfuricum
0,001
0,003
0,001
0,005
0,001
0,003
Anronatrium chloratum
0,05
0,2
—
—
0,05
0,2
Baryum chloratum
—
—
0,2
1,0
—
—
Bulbus Scillae
0,5
3,0
0,2
0,8
—
—
Cantharis
0,05
0,15
0,05
0,25
0,05
0,15
Chininum arsenicicnm
—
—
0,01
0,05
—
—
Chloralum formamidatum
—
—
—
—
4,0
8,0
Chloralum hydratum
3,0
6,0
2,0
8,0
3,0
6,0
Chloroformnm
0,5
1,0
—
—
0,5
1,0
Cocainum hydrochloricum
0,05
0,15
—
—
0,05
0,15
ad inject, snbcntan.
0,05
0,1
—
—
—
—
Codeinum
0,1
0,4
0,05
0,25
—
—
Codeinum phosphoricum
0,1
0,4
—
—
0,1
0,4
CofFeino-Natrium benzoicum
1,0
3,0
—
—
—
Coffeino-Natrium salicylicum
1,0
3,0
—
—
—
—
Coffeinum
0,5
1,5
—
—
0,5
1,6
Coffeinum citricum
0,5
1,5
—
—
—
—
Colchicinum
—
—
0,002
0,01
—
—
Colocynthis
0,25
1,0
—
0,004
0,5
1,6
Coniinnm
—
—
0,001
—
—
Croton chloralum hydratam
—
—
1,5
6,0
—
—
Cuprum sulfuricnm
0,05
0,5
0,05
0,5
1,0
—
ad usum emeticnm
—
1,0
0,5
1,0
—
'-
Coprum sulfuricnm ammoniatum
—
—
0,05
0,5
—
Corare ad inject, subcutan
—
—
0,002
0,006
— 1
—
Digital! num
—
—
0,002
0,01
—
—
Extractum Aconiti duplex
0,005
0,015
—
—
Extract. Aconiti fluidum ^
0,01 i
0,03
—
—
—
—
Extract. Aconiti
—
—
0,2
0,6
—
1 -
Extract. Belladonnae duplex
0,025
0,075
—
—
—
' -
Extract. Bellad. fluidum
0,05
0,15
—
—
—
1
Extract. Belladonnae
—
—
0,05
0,15
0,06
I 0,2
Extract. Cannabis indicae i
0,1
0,5
0,2
0,8
- 1
1
Digitized by LjOOQle
180
1 Pharm, helv. Ed. III. |
1 Pharm, helv. Ed. II. |
IDeutsches Arzneibuch.
Dos. max.
Dos. max.
Dos. max.
Dos. max.
Dos. max.
Dos. max.
simpl.
pro die.
simpl.
pro die.
simpl.
pro die.
Extract. Colchici flaidam
0,05
0,1
—
—
—
—
Extract. Colocynthidis
0,05
0,2
0,05
0,25
0,05
0 ,2.
Extract Colocynthidis comp.
0,25
1,0
—
—
—
—
Extract. Cooii duplex
0,05
0,25
—
—
—
—
Extract Conii fluidum
0,1
0,5
—
—
—
—
Extract. Conii
—
—
0,1
0,4
—
—
Extract. Convallariae fluid.
0,1
0,2
—
—
Extract. Digitalis duplex
0,05
0,25
—
—
—
—
Extract. Digitalis fluid.
0,1
0,5
—
—
—
—
Extract. Digitalis
—
—
0,1
0,5
—
—
Extract. Fabse Calabar.
—
—
0,02
0,06
—
—
Extract Filicis
—
10,0
—
—
—
—
Extract. Hyoscyami duplex
0,05
0,15
—
—
—
—
Extract. Hyosc. fluid.
0,1
0,3
—
—
—
—
Extract. Hyoscyami
—
—•
0,2
0,8
0,2
1,0
Extract Ipecac. fluid.
0,05
0,25
—
—
—
—
Extract Opii
0,1
0,25
0,05
0,5
0,15
0,5
Extract Sei 11»
0,2
1,0
0,2
0,8
—
—
Extract Secaiis cornuti
0,1
0,5
0,2
0,8
—
—
ad inject, subcut.
—
—
0,1
0,5
—
—
Extract. secaiis cornuti solutnm
0,5
2,0
—
—
—
Extract. Stramonii duplex
0,025
0,075
—
—
—
—
Extract. Stramonii fluidum
0,05
0,15
—
—
—
—
Extract. Stramonii
—
—
0,1
0,4
—
—
Extract. Strycbni
0,05
0,15
0,05
0,2
0,05
0,15
Extract Strycbni aquosum
—
—
0,2
0,6
—
—
Ferrum sesquicbloratumsolutum
1 ,0^
4,0
1,0
4,0
—
—
Folium Aconiti
0,1
0,5
0,1
0,5
—
—
Folinm Belladonn»
0,1
0,5
0,1
0,5
0,2
1,0
ad infus
, —
0,25
1,0
Foiium Digitalis
0,2
1.0
0,1
0,5
0,2
1,0
Folium Digitalis ad infusum
—
2,0
1,5
4,0
—
Folium Hyoscyami
0,2
1,0
0,2
1,0
0,5
1,5
Folium Jaborandi ad infusum
—
6,0
—
—
—
Folium Stramonii
0,2
1,0
0,2
0,8
—
_
Fructus Conii
0,2
1,0
_
Guajacolum
0,5 .
3,0
—
—
—
—
Gutti
0,2
1,0
0,2
1,0
0,5
1,0
Herba Cannabis indic»
0,5
2,0
Herba Conii
—
0,1
0,5
0,5
2,0
Herba Sabinse
1,0
2,0
1,0
4,0
_
ad infusum
—
2,0
8,0
_
_
Homatropinum bydrobromicum
0,001
0,002
-.r-
0,001
0,003
Hydrargyrum bicbloratum
0,02
0,05
0,02
0,05
0,02
0,1
Hydrargyrum bijodatnm
0,02
0,05
0,02
0,05
0,02
0,1
Hydrargyrum chloratum
0,5
2,0
0,2
1,0
—
ad US. laxat.
—
—
0,5
2,0
—
—
Hydrarg. chlorat. vap. parat
0,1
0,5
—
—
—
—
Hydrarg. cyanatum
—
—
0,01
0,04
0,02
0,1
Digitized by LjOOQle
1 Pharm, helv. Ed. III. |
1 Pbarm. helv. Ed. II. |
iDeutsches Arzneibuch.
Dos. max. |
Dos. max.
Dos. max.
Dos. max. |
Dos. max.
Dos. max.
simpl.
pro die.
simpl.
pro die.
simpl.
pro die.
Hydrarg. jodatnm
0,05
0,2
0,05
0,2
—
—
Hydrarg. nitric. oxydnlat.
—
—
0,01
0,05
—
—
Hydrarg. oxydat.
0,02
0,1
0,02
0,05
0,02
0,1
Hydrarg. oxydat. flaviun
0,02
0,05
—
I —
0,02
0,1
flydrargyr. oxydulat. nigrnm
—
—
0,1
0,5
—
—
Hyoscinnm hydrobromicom
0,0005
0,002
—
—-
0,0005
0,002
ad inject, sabcnt.
0,0002
0,001
—
—
—
—
Jodoformnm
0,2
1,0
—
—
0,2
1,0
Jodum
0,05
0,2
0,05
0,25
0,05
0,2
Kalium arsenicosum solutnm
0,5
2,0
0,5
1,5
0,5
2,0
gtt. X.
gtt. XXX.
Kalium bromatum
—
—
4,0
10,0
—
—
Kalium chloricum
1,0
5,0
—
—
Kaliam cyanatum
—
—
0,02
0,05
—
—
Kalium jodatum
—
—
2,0
8,0
—
—
Kalium nitricum
—
—
4,0
15,0
—
—
KreoBotum
0,5
3,0
0,05
0,2
0,2
1,0
Lactucarium (germanicum)
—
—
0,5
1,5
—
—
Morpbinnm aceticam
—
—
0,02
0,06
—
—
Morphin um hydrochloricum
0,03
0,1
0,02
0,06
0,03
0,1
Morphinum sulfuricum
0,03
0,1
0,02
0,06
—
—
ad inject, subcut.
—
—
0,01
0,05
—
—
Natrium arsenicicum
0,005
0,01
—
—
—
Natrium arsenicicum solnt.
1,0
4,0
0,5
1,5
—
gtt. X.
gtt. XXX.
Olenm Amygdalarum setherenm
—
—
0,05
0,2
—
—
Oleum phosphoratum
0,1
0,5
—
—
—
—
Olenm Sabinas
—
—
0,1
0,5
—
—
Olenm Sinapis asthereum
—
—
0,01
0,05
—
—
Oleum Tiglii
0,05
0,1
0,05
0,2
0,05
0,1
gutta nna
gnttae U.
gutta una
gtt. quatt.
Opium
0,15
0,5
0,1
0,5
0,15
0,5
Paraldehydum
—
—
—
—
5,0
10,0
Phenacetinum
1,0
5,0
—
—
1.0
5,0
Phenolnm
0,1
0,5
0,05
0,5
0,1
0,5
PhoBpborDB
0,001
0,005
0,005
0,05
0,001
0,005
Physostigminum salicylicum
0,001
0,003
—
—
0,001
0,003
Pilocarpinum hydrochloricum
0,02
0,05
__
—
0,02
0,05
Plumbum aceticum
0,1
0,5
0,1
0,5
0,1
. 0,5
Podophyllinnm
0,1
0,3
—
—
—
—
Pulyis Ipecacnanhas opiatus
1,0
4,0
1,0
4,0
—
—
Radix Belladonnas
0,1
0,5
0,1 .
0,5
—
—
Radix Ipecacnanhas
0,1
0,5
0,2
1,0
—
—
ad infusnm
—
2,0
0,5
2,0
—
—
ad UBum emeticum
—
5,0
1,0
4,0
—
i —
ad US. emet. pro infus
—
—
2,0
6,0
—
t —
Reaina Jalapas
0,6
1,5
0,5
1,5
—
—
Rhizoma Vera tri
—
—
0,2
0,8
—
—
Salolnm
2,0
8,0
—
—
—
—
Digitized by LjOOQle
182
Pharm, helv. Ed. III. 1
1 Pharm, helv. Ed. II. |
iDentsches Arzneibuch.
L
Dos. max.
Dos. max.
Dos. max.'
Dos. max. |
Dos. max.
Dos. max.
simpl.
pro die.
simpl.
pro die.
simpl.
pro die.
Santoninom
0,05
0,25
0,1
0,5
0,1
0,5
Scammoniam
0,2
0,5
— 1
—
—
Secale cornatnm
1,0
5,0
1,0
5,0 1
—
—
— ad infasum
—
10,0
2,0
10,0 )
, —
1 —
Semen Colchici
0,2
LO
—
—
—
—
Semen Strychni
0,1
0,2
0,1 i
0,5
0,1
0,2
Spartein nm snlfnricnm
0,2
0,8
_ i
—
—
—
Stiychninnm oitricnm
0,01
0,02
0,005
0,02
0,01
0,02
— ad inject, snbcnt.
0,005
0,01
—
—
—
—
Strychninnm snlfnricnm
0,01
0,02
0,005
0,02
—
—
ad inject, snbcnt.
0,005
0,01
0,001
0,005
—
—
Snlfonalnm
4,0
8,0
—
—
4,0
8,0
Tartarus stibiatns
0,2
0,5
0,05
0,2
0,2
0,5
ad ns. emeticnm
—
—
0,2
0,8
—
—
Thallinnm snlfnricnm
—
—
—
0,5
1,5
Tinctnra Aconiti herbs recent.
1,0
3,0
—
—
—
Tinct. Aconiti tnberis
0,25
1,0
—
—
0,5
2,0
Tinct. Aconiti foliomm
—
—
1,0
5,0
—
—
Tinct. Belladonn»
0,5
2,5
0,5
2,5
—
—
Tinct. Cannabis indic»
1,0
5,0
2,0
15,0
—
—
Tinct. Cantharidis
' 0,5
1,5
0,5
2,0
0,5
1,5
Tinct. Colchici
1,0
3,0
1,0
5,0
2,0
5,0
Tinct. Colocyntbidis
1,0
5,0
1,0
5,0
1,0
5,0
Tinct. Conii
—
—
1,0
5,0
—
—
Tinct. Digitalis
1,0
5,0
1,0
5,0
1,5
5,0
Tinct. Gelsemii
1,0
5,0
—
—
—
—
Tinct Jodi
0,25
1,0
0,25
1,0
0,2
1,0
Tinct. Ipecacnanbse
0,5
2,5
—
—
—
Tinct. Lobelie
1,0
5,0
1,0
5,0
1,0
5,0
Tinct. Opii benzoica
10,0
40,0
10,0
40,0 i
—
—
Tinct. Opii crocata
1,5
5,0
1,0
5,0
1,5
5,0
Tinct. Opii simplex
1,5
5,0
1,0
5,0
1,5
5,0
Tinct. Scillffi
2,5
10,0
—
—
—
—
Tinct. Secalis cornnti
5,0
20,0
—
—
—
—
Tinct Stramonii
—
—
1,0
5,0
—
Tinct. Strophanthi
1,0
3,0
—
0,5
2,0
Tinct Strychni
0,5
2,0
1,0
5,0
1,0
2,0
Tnber Aconiti
0,1
0,5
—
—
0,1
0,5
Tnber Jalape
1,0
5,0
—
—
—
Uretliannm
4,0
8,0
—
—
—
—
Veratrinnm
0,005
0,02
0,005
0,02
0,005
0,02
Vinnm Colchici
1,0
3,0
2,0
6,0
2,0
5,0
Yinnm Stibiatnm
10,0
20,0
—
—
—
—
Zincnm chloratnm
—
—
0,02
0,1
—
—
Zincnm oyanatnm pur.
—
—
0,01
0,05
—
—
Zincnm oxydatnm pnr.
0,2
1,0
0,2
1,0
—
—
Zincnm snlfnricnm
0,1
1,0
0,1
0,5
1,0
' —
ad ns. emetic.
—
—
1,0
—
j —
Zincnm valerianicnm
0,1
0,5
0,2
1,0
—
1 _
Digitized by LjOOQle
183
Maximaldosentabelle für Kinder.
0—1 Jahr
2—4 Jahre
5—]
.0 Jahre
11—15 Jahre
Vio
1
A
V» .
1
Acetanilidum
0,02
0,1
0,05
0,2
0,15
0,5
0,25
1,0
Acid. hydrochloricum dilut.
0,05
0,15
0,1
0,3
0,2
1,0
0,25
1.0
0,5—2,0
Acidum tannicnm
0,005
0,02
0,01
0,05
0,05
0,2
0,05
0,5
Antipyrinum
0,05
0,1
0,1
0,4
0,5
1,0
1,0
2,0
Apomorphinmn
0,001
0,005
0,001
0,01
0,003 0,02
0,005
0,05
0,005—0,015
ad inject, subcut.
—
—
0,001
0,005
0,002 0,01
0,005
0,01
0,002^0,006
Aqna Amygdalse u. Aqua
Lanrocerasi 0,5—1,5
0,05
0,2
0,1
0,5
0,25
1,0
0,5
2,0
Argent. nitric. 0,005—0,05
—
—
0,005
0,02
0,01
0,04
0,02
0,06
Atropinnm sulfaric.
—
—
0,0001
0,0002
0,0002 0,0001
0,0005 0,001
Camphora
0,02
0,05
0,05
0,2
0,1
0,5
0,2
1,0
Chinin, snlfuricum
0,05
0,1
0,1
0,2
0,2
0,6
0,3
1,0
Chinin, tannic.
0,05
0,1
0,1
0,3
0,2
1,0
0,3
1,5
Chloral. hydrat. 0,5—1,5
0,1
0,3
0,2
0,5
0,5
1,0
1,0
2,0
Cocainnm hydrochlor.
0,002
0,005
0,005
0,015
0,01
0,03
0,025
0,05
Codeinum phosphoricum
0,005
0,01
0,005
0,02
0,01
0,03
0,02
0,05
Coffeino-Natr. benzoicum
u. salicylicum
0,02
0,05
0,05
0,2
0,1
0,5
0,2
1,0
Cnpnun sulfuric. 0,1—0,5
—
0,2
0,3
0,5
Exiract. Beilad. fluid.
—
0,01
0,03
0,015 0,05
0,02
0,06
(Spiss. 0,002—0,02)
Extract. Digital, fluid.
—
—
0,02
0,06
0,02
0,1
0,05
0,25
(Spiss. 0,01—0,05)
Extract. Ipecac. fluid.
0,002
0,01
0,005
0,03
0,01
0,05
0,02
0,1
Extr. Strychni 0,005—0,02
0,002
0,01
0,005
0,03
0,01
0,05
0,02
0,1
Extr. Opii 0,003—0,015
—
—
0,005
0,02
0,02
0,05
0,03
0,1
Extract. Filicis
—
2,0
3,0
5,0
Extr. Sec. cornut. 0,05—0,2
—
—
0,02
0,1
0,03
0,2
0,05
0,25
Ferrum lacticum
—
—
0,01
0,03
0,05
0,15
0,05
0,15
Fcrr. sesquichl. 8ol.0,2—1,0
—
—
0,1
0,3
0,25
1,0
0,25
1,5
Flores Cinse
0,3
1,5
3,0
6,0
Fol. Digit, ad infus.0,5—1,5
0,05
0,25
0,5
1,0
FoL Jahorandi ad infus.
—
1,0
2,0
3,0
flydrargyrum chlorat. mite
0,01
0,03
0,05
0,15
0,1
0,3
0,2
0,6
0,1—0,5
Hydrargyrum jod. flav.
0,002
0,006
0,005
0,015
0,01
0,03
0,03
0,06
Kalium arsenicosum solnt.
0,02
0,06
0,05
0,15
0,1
0,3
0,1
0,5
0,1—0,5
Kalinm bromatum
0,1
0,3
0,2
0,5
0,5
1,0
0,5
2,0
Kalium chloricum
0,05
0,25
0,2
1,0
0,3
1,5
0,5
2,5
Kalium jodatum
0,05
0,1
0,1
0,3
0,5
1,0
0,5
2,0
Kreosotum depuratum
0,01
0,03
0,02
0,06
0,05
0,1
0,1
0,5
Erwachsene
0,5 3,0
1,0 5,0
2,0 6,0
0,02 0,1
0,005 0,015
2,0 8,0
0,05 0,2
0,001 0,003
2,0 6,0
0,05 0,15
0,1 0,4
1,0 3,0
1,0
0,05 0,15
0,1 0,5
0,05 0,25
0,05 0,15
0,1 0,25
10,0
0,1 0,5
1,0 4,0
2,0
6,0
0,5 2,0
0,05 0,2
0,5 1,5
1,0 5,0
0,5 3,0
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— 184 —
0-1
Jahr
2—4 Jahre
5—10 Jahre
11—15 Jahre
1
/jo
‘A
V*'
V
Morphin, hydrochloric. u.
—
—
0,001
0,003
0,005
0,01
0,01
0,03
snlfur. 0,001—0,005
Moschus
0,01
0,03
0,02
0,05
0,05
0,1
0,05
0,15
Natrum arsenicicnm solut.
0,05
0,15
0,1
0,3
0,25
1,0
0,5
1,5
01. phosphoratum
0,05
0,05
0,05
0,1
0,1
0,2
04
0,3
Opium 0,005—0,02
0,005
0,01
0,01
0,04
0,04
0,1
0,04
0,2
Fhenacetinnm
—
—
0,05
0,5
0,2
0,5
0,3
1,0
Phosphoms
0,0005 0,0005
0,0005 0,001
0,001
0,002
0,001 0,003
Kassowitz 0,01:100
1-2 Caffeelöffel
Physostigmin, salicyl.
—
—
0,0002 0,0006
0,0003 0,001
0,0003
0,001
Pulv. Ipec. Opiat. 0,05—0,2
0,025
0,05
0,05
0,2
0,2
0,5
0,2
1,0
Rad. Ipec. ad infus. 0,2—0,8
0,05
0,1
0,2
0,3
ad usum emetic. 0,5—1,0
0,2
0,5
1,0
2,0
Resina Jalapse 0,1—0,5
0,025
0,075
0,1
0,3
0,2
0,6
0,2
1,0
Salolum
0,05
0,2
0,2
1,0
0,5
2,0
0,5
3,0
Santoninum 0,025—0,15
0,005
0,01
0,02
0,1
0,05
0,15
0,05
0,2
Scammoninm
—
—
0,02
0,06
0,05
0,15
0,1
0,25
Secale cornntnm 0,5—1,5
—
—
0,05
0,5
0,1
1,0
0,5
2,5
ad infusum
—
1,0
2,0
5,0
Strychnin, nitr. et sulfuric.
—
0,001
0,003
0,002
0,006
0,005
0,01
ad inject, subcut.
—
—
0,0005 0,001
0,001
0,003
0,0025 0,005
Sulfonalum
—
—
0,2
0,5
0,5
1,0
0,5
2,0
Tartarus 8tibiatus0,01—0,05
_
0,02
0,05
0,05
0,1
0,05
0,2
0,05—0,15 ad us. emet.
Tinctura Aconit, ex herba
0,05
0,15
0,2
0,6
0,3
1,0
0,5
1,5
Tinctura Belladonnse
0,02
0,05
0,05
0,2
0,1
0,5
0,2
1,0
Tinct. Cannabis
0,05
0,15
0,1
0,5
0,2
1,0
0,5
2,0
Tinct. Colocynthidis
—
—
0,1
0,25
0,2
1,0
0,5
1,5
Tinct. Digitalis 0,5—1,5
0,05
0,15
0,1
0,5
0,2
1,0
0,5
2,0
Tinct. Gelsemii
—
—
0,1
0,5
0,2
1,0
0,5
2,0
Tinct. Jodi
—
—
0,05
0,15
0,1
0,3
0,15
0,5
Tinct LobelisB
—
—
0,2
1,0
0,3
1,5
0,5
2,5
Tinct. Opii benzoica
0,1
0,5
0,5
2,0
1,0
5,0
2,0
10,0
Tinct. Opii crocata et Sim¬
plex 0,1—0,5
0,01
0,05
0,05
0,15
0,1
0,5
0,5
2,0
Tinct. Scillse
0,05
0,15
0,15
1,0
0,5
2,0
1,0
5,0
Tinct. Strychni. 0,5—2,0
0,025
0,05
0,1
0,3
0,25
0,75
0,25
1,0
Tinct Strophanthi
—
—
0,2
0,6
0,3
1,0
0,5
1,5
Tuber Jalapse 0,5—2,0
0,05
0,15
0,1
0,5
0,2
1,0
0,5
2,0
Urethanum
—
—
0,5
1,0
1,0
2,0
2,0
4,0
Vinum Colchici
—
—
0,1
0,5
0,3
1,0
0,5
1,5
Vinum stibiatum 4,0—10,0
—
—
2,0
4,0
3,0
6,0
5,0
10,0
Zinc. oxydatum 0,05—0,2
0,01
0,05
0,05
0,2
0,05
0,3
0,1
0,5
Zinc. sulfuricum
—
—
0,02
0,2
0,03
0,3
0,05
0,5
Zinc. valcrianicum
0,005
0,015
0,01
0,05
0,03
0.1
0,05
0,2
Erwachsene
0,03 0,1
1,0 4,0
0,1 0,5
0,15 0,5
1,0 5,0
0,001 0,005
0,001 0,003
1,0 4,0
4,0
5,0
0,5 1,5
2,0 8,0
0,1 0,25
0,2 0,5
1,0 5,0
10,0
0,01 0,02
0,005 0,01
3,0 6,0
0,2 0,5
1,0 3,0
0,5 2,5
1,0 5,0
1,0 5,0
1,0 5,0
1,0 5,0
0,25 1,0
1,0 5,0
10,0 40,0
1.5 5,0
2.5 10,0
0,5 2,0
1,0 3,0
1,0 5,0
4,0 8,0
1,0 3,0
10,0 20,0
0,2 1,0
0,1 1,0
0,1 0,5
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185
'Vereinsberiolite.
Gesellschaft der Aerzte in ZUrich.
5. WiatersIliHag', Samstef 3. Fekniar 1894.')
Präsident: Prof. Haab. — Actuar: Dr. Conrad Brunner.
1) Dr. Heuss, Demonstration eines Falles von Hycosls faifoldes, der durch das
lange Bestehen der Affection und deren Circumscriptheit von besonderem Interesse ist.
Bei diesem seltenen Hautleiden handelt es sich bekanntlich um eine gewöhnlich mit
eczem- oder psoriasisähnlichen Erscheinungen einsetzende, später mit Bildung von knotigen
Infiltraten und sarcomähnlichen Tumoren, die Neigung zur Ulceration zeigen, einher¬
gehende und meist innert l-r-S Jahren unter Erscheinungen von Marasmus etc. zum Exit.
let. führende, in ihren Ursachen noch vollständig unbekannte Erkrankung.
Pat. ist ein 40jähriger, im Uebrigen vollständig gesunder, aus gesunder Familie
stammender Landmann aus dem Canton Schaff hausen. Affection soll im 12. Jahr als
rother, leicht juckender Fleck am Oberarm begonnen haben; trotz ärztlicher Behandlung
dehnte sich der Fleck weiter aus, neue Flecken traten in der Umgebung auf, im Jahr
1882 fingen die bisher nie nässenden Efflorescenzen zu ulceriren an, im Frühjahr 1898
begann die Geschwulst am Oberarm.
Zeigt die obere Hälfte dos Oberarms lebhaft rothe, guirlandenförmige, einer Psoria¬
sis gyrata ähnliche, schwach juckende Efflorescenzen, so ist die Gegend nach ab¬
wärts, besonders Innenseite des Oberarms, Ellenbeuge, oberes Drittel der Ulnarseite^ des
Vorderarms in eine mehr oder weniger rothe, theils ulcerirende, reichlich gelben Eiter
secernirende, theils mit gelbbraunen dicken Eiterborken, oder dünnen Schuppen, theils
mit glänzend rother, gespannter Haut bedeckte Fläche verwandelt. Bemerkenswerth
ist ein im untern Drittel an der Innenseite des Oberarms sitzender haselnussgrosser
flacher Tumor. Derselbe ist mit eingetrocknetem Eiter bedeckt, mässig derb, soll noch
grosser, wallnussgross, gewesen sein. — Keine Lymphdrüsenschwellungen, keine Blut¬
veränderungen nachweisbar.
Trotz des auffallend langen, 28jährigen Bestehens {Besnier erwähnt 2 Fälle von 15,
bezw. 18 Jahren Dauer) von der Beschränkung der Erkrankung auf die rechte obere
Extremität musste im Hinblick auf die characteristische Combination von vorausgegangenen
und gleichzeitig bestehenden oberflächlichen psoriasisähnlichen Efflorescenzen und von
Ulceration und Neubildung die Diagnose auf Mycosis fungoides gestellt werden. Andere
chronische Erkrankungen: Eczem, Psoriasis, Lues, Tuberculose, Sarcom, Lepra etc. Hessen
sich mit Sicherheit ausschliessen. — Die mikroscopische Untersuchung eines excidirten
Hautstückchens, entnommen einer psoriasiformen Efflorescenz, bestätigten die klinische
Diagnose (Bildung von epithelioiden Zellen, ausgehend von den Papillargefässen, in
Nestern und nischenförmigen Spalten bis ins gewucherte Epithel reichend).
Trotz der fatalen Prognose im Allgemeinen (nur Eöbner und Wolff berichten von
je einem geheilten Fall) möchte der Vortragende dieselbe in diesem speciellen Fall in
Anbetracht des bisherigen, relativ günstigen Verlaufes nicht so ungünstig stellen und
therapeutisch einen Versuch mit steigenden Arseninjectionen, local mit 5—10®/o Pyro-
gallolpaste machen.
Schliesslich weist H, die Photographien eines 1889 in Bern an der dortigen der¬
matologischen Klinik beobachteten Falles vor, der durch überaus rasche Entwicklung von
Tumoren ohne eczematiformes Vorstadium und schnellen Verlauf (Tod nach Jahren
an Marasmus) sich auszeichnete (Mycosis fungoid. d’emblee). — Ein weiterer Fall wurde
von Prof. Immerma/nn in Basel kurze Zeit darauf beobachtet, der heutige dürfte der
dritte in der Schweiz bekannt gewordene sein.
Eiugegangen den 19. Febmar 1894. Red.
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186
Discussion: Dr. W. Schulthess erwähnt, dass er in den Jahren 1880—82
Gelegenheit hatte, einen Fall von Mycosis fongoides zu beobachten.
Die betreffende Patientin zeigte über den ganzen Körper verbreitete kirsch- bis
nossgrosse Knoten, welche in geröthetem Grande standen, der in ähnlicher Weise erhaben
war wie die befallenen Stellen in der Gegend des rechten Deltoides bei dem h^ute de-
monstrirten Patienten. Die Knoten secernirten meistens eine seröse Flüssigkeit. Sie
wanderten, aber nur äusserst langsam. Abheilung der zuerst befallenen Stellen,
wenigstens soweit es sich nicht um eigentliche Knotenbildung, sondern nur um flache
Hautinfiltration handelte. Die Patientin starb nach 4—öjähriger Dauer des Leidens an
catarrhalischer Pneumonie.
2) Prof. Bibbert. Uebersicht Iber die pathogene BedentODf der Protozoen nti
besonderer Bericksiehtirnnf des Cnrcinonis. Er schildert die morphologischen, ent¬
wicklungsgeschichtlichen und sßtiologischen Verhältnisse der Amceben, Sporozoen und In¬
fusorien und hebt besonders die Bildung der Pseudonavicellen und der sichelförmigen
Körper bei den Coccidien, der segmentirten Zustände bei dem Plasmodium malarise hervor.
Sodann gibt er eine Uebersicht über die in Carcinomen vorkommenden intercellularen und
intracellularen, intravacuolären Gebilde, der multiplen als „Sporocysten" bezeichneten
Dinge, der Körper mit sichelförmigen Einlagerungen etc. Er zeigt, dass alle diese ver¬
schiedenartigen Dinge durchaus nichts Typisches darstellen, dass die zelligen Gebilde mo-
dificirte Epithelzellen oder Leukocyten, die übrigen kugeligen, körnigen Einschlüsse de-
generirte Zellen und Kerne, die Sicheln Degenerationsproducte von Kernen darstellen
u. s. w. Nichts spricht dafür, dass die Einschlüsse auch nur zum Theil parasitärer
Natur sein müssten.
3) Der von Prof. Krönlein angekündigte Vortrag: Uebor die BedeBiDDi^ der
OpermilOB Biollf Ber OesIchtstBBioreB kann wogen vorgerückter Zeit nicht mehr gehalten
werden und wird auf nächste Sitzung verschoben. Prof. Krönlein demonstrirt einen als
Ausgangspunkt für den Vortrag dienenden Pall von geheilter totaler Resection eines
Oberkiefers nach v. Langenbeck. Die Operation wurde vor 3 Wochen vorgenommen mit
Erhaltung des Involucrum palati duri, so dass vollständiger Abschluss gegen die Choanen
zu Stande kam.
Dr. Conrad Brunner demonstrirt eine Patientin, bei welcher er im Jahre 1887 in
Vertretung von Herrn Prof. Krönlein als Assistent der Chirurg. Klinik die totale Resection
eines Oberkiefers wegen SmrcoBi vorgenommen hatte. Pat. ist gegenwärtig, nachdem
8 Jahre seit der Operation verflossen, vollständig frei geblieben von Recidiv.
Medicinisch-pharmaceutischer Bezirksverein Bern.
II. Sitzuif !■ Wiaterseaester 1893/94, Dieastof dea 28. Naveaiber, Abeads 8 Uhr,
tai Caslaa. *)
Präsident: Dr. Bumont. — Actuar: Dr. Bohr.
Anwesend 22 Mitglieder, 2 Gäste.
1) Vortrag von Prof. Dr. Girard über RBdiealopeniUOB VOB iBgfBlBBiherBieB. Der
Vortragende bespricht den gegenwärtigen Stand der Technik bei der Radicaloperation der
Inguinalhernien. Vom Herbst 1884 bis zum 30. Juni 1893 hat er 101 Radicaloperationen
ausgeführt, wovon 45 nach Czerny^ 17 nach Ma^evoen^ 4 nach Bassinij 2 nach Kocher
und 33 nach eigenem, näher zu beschreibendem Verfahren. Um einen möglichst ge¬
nauen und hohen Verschluss des Bruchsackes ohne Zurücklassen eines Trichters zu er¬
reichen, hält G. für nothwendig, in den meisten Fällen den Inguinalcanal zu spalten,
wodurch eine genaue Controlle der Bruchsacknaht oder Ligatur gestattet wird. Das blosse
Herausziehen {Czerny)^ Torquiren (Kocher, Wölfler\ oder Falten zur Pelottenbildung, ge-
Eingegangen den 18. Februar 1894. Red.
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187
nügt nicht immer. In einem Falle von schräger Hernie, wo die Operation nach Kocher
mit Torsion des Sackes ansgeführt wurde, liess sich das Torhandensein eines Trichters
nach weisen, indem G. vor Vollziehung der Hautnaht sich noch entschloss, den Leisten¬
canal zu spalten und den torquirten Sack am Uebergang in das parietale Peritoneum zu
incidiren, worauf der Bruchsack nach höherer Unterbindung resecirt wurde. Vielleicht
mag bei jener Ausführung des übrigens eleganten Kocher^wiheu Verfahrens die Torsion
des Sackes nicht energisch genug vorgenommen worden sein.
Die Spaltung des Inguinalcanals zur besseren Bruchsackobiiteration wurde be¬
kanntlich schon im Jahre 1876 von Kiesel consequent ausgeübt. G. hält dafür, dass
die guten Resultate der Ro^mrsohen Operation zum grossen Theil durch die Canal¬
spaltung und damit verbundene exacte Versorgung des Bruchsackhalses erklärt werden.
Bezüglich der Behandlung des Bruchsackes bemerkt G., dass die Torsions- und
Faltungsmethoden {Macewen , Kocher , Wölfier) nicht ganz gefahrlos sind. Bei einer
üfocwew’schen Operation (59jähriger, etwas decrepider Patient) sah er den zu einer
Pelotte freilich energisch zusammengefalteten voluminösen Bruchsack necrotisiren und
Exitus eintreten. Dieser Todesfall ist übrigens der einzige, welchen G, unter den er¬
wähnten 101 Operationsfällen zu beklagen hatte. Es ist nicht einzusehen, warum die
Torsion oder Faltung des Bruchsackes gegenüber der unter Oontrolle des Auges ausge¬
führten möglichst hohen Verschliessung des Bruchsackhalses ein Vortheil sein soll. Der
Macewen'sehen Pelottenbildung dürfte übrigens nur bei dickeren Brucbsäcken eine Wirk¬
samkeit zuerkannt werden. Nach 17 Macewen'schen Operationen sah G, 2 Mal Recidive
eintreten, vielleicht weil er die Patienten nicht so lang im Bett behalten konnte, als es
von Macewen verlangt wird.
Die Behandlung des Inguinalcanals besitzt eine grosse Bedeutung. Die einfache
Naht des äusseren Leistenringes ist wohl als ungenügend zu bezeichnen. Logischer ist
die Verengerung des Canals mittelst tiefer Nähte durch die Aponeurose des Obliq. ex-
ternus {Macewenj Kocher^ Lucas^ Championnüre)\ ferner die Verlagerung des Samen¬
stranges nach Bassini oder nach Wölfier (durch einen Spalt des M. rect. abdom.) oder
nach Frank (in eine im horizontalen Schambeinast eingemeisselte Rinne). Endlich die
Verstärkungen der Bauchwand durch Theile des Rectus {Wölfier, Berger),
G. bedient sich seit Sommer 1892 in den meisten Fällen folgenden Verfahrens:
1. Ausgedehnte Spaltung des Ingninalcanals resp. der Obliquusaponeurose parallel
mit den Fasern und, beim Erwachsenen, 3—4 cm oberhalb des lig. Ponparti.
2. Wenn es leicht geht, Ablösung des Bruchsackes und möglichst hohe Unter¬
bindung, bei breitem Infundibulum Naht desselben unter Controlle des Auges. Ist die
Ablösung des ganzen Bruchsackes vom Funiculus sehr schwierig, so wird sie nur am
Annnl. inguin. internus vorgenommen und der Verschluss mit Naht oder Ligatur je nach
Breite des Halses ausgeführt.
3. Knopfnaht des unteren Randes des obliq. internus möglichst tief gegen das
lig. Ponparti, also wie Bassini, jedoch ohne Verlagerung des Funiculus.
4. Knopfnaht des oberen Randes des Einschnittes durch die Obliquusaponeurose,
ebenfalls am lig. Ponparti.
5. Herüberschlagen des unteren 3—4 cm breiten Randes des Spaltes der Obliquus¬
aponeurose über den schon vernähten oberen Rand und Befestigung desselben mit Knopf¬
nahten. So bekommt man eine 3—4 cm breite Verdoppelung der Obliquusaponeurose
längs des lig. Ponparti, welche nicht nur eine Verstärkung der Dicke und eine Ver¬
minderung der Wölbung, sondern auch eine festere Spannung des bezüglichen Banch-
wandtheiles abgibt. Der Ingninalcanal wird damit gleichzeitig wesentlich verengert und
der äussere Leistenring derart verkleinert, dass nur ganz knapp die Oeffnnng zurück-
bleibt, welche für den Durchgang des Samenstranges nothwendig ist. Beim weiblichen
Geschlecht erhält man einen gänzlichen Verschluss. In gewissen Fällen von grossen ver¬
alteten schrägen Brüchen, wo der Inguinalcanal sehr verbreitet und in sagittaler Richtung
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verschoben ist, sowie bei directen Brüchen mit breiter Brachpforte, suchte G, ausserdem
eine besondere Verstärkung der Baachwand zu erreichen, indem er ein grösseres 5—6 cm
langes, 3 cm breites Stück Periost von der vorderen Tibiafläche entfernte und mit
4—6 Nähten in den unteren Theil des Inguinalcanals ausgebreitet fixirte, resp. trans-
plantirte.
In 6 Fällen von Inguinal- und 2 Fällen von Cruralhernien heilte der Periostlappen
ohne Zwischenfall ein und bildete eine breite, derbe, resistente Verstärkung, jedoch ohne
nachweisbare Enochenneubildung. Die Unterschenkelwunde heilte unter Zurücklassen
einer beweglichen lineären Hautnarbe.
Dass eine Heilung per primam für das Erreichen eines guten definitiven Resultates
bei jedem beliebigen Operationsverfahren nöthig ist, braucht nicht betont zu werden.
Aber auch Hämatombildung kann eine gute primäre Verklebung stören; aus diesem
Grande draiqirt G, principiell und mitunter an 2 verschiedenen Stellen.
Wichtig ist endlich die Frage, welches Nähmaterial für Verschluss des Brachsackes
und Muskel- resp. Aponeurosennaht verwendet werden soll.
Ueber die Schede'sehe verlorene Silbernaht besitzt G. keine persönliche Erfahrung;
er zieht dickeres Catgut der Seide entschieden vor.
Wenn nämlich eine Eiterung noch so gelinder Natur vorkommt, ein Ereigniss,
welches sich schwerlich stets mit absoluter Sicherheit in praxi vermeiden lässt, besonders
wenn man, wie 6r., in nicht ganz günstigen Verhältnissen operiren muss, so erlebt man
bei Seidennähten die allerunangenehmsten Complicationen. Bis die letzten Seidenknoten
herausgekommen sind, dauert die Eiterung mitunter Monate lang, während die Elimination
von Catgut viel leichter und rascher vor sich geht. Es kann auch nachträglich, trotz
prima intentio, Eiterung um versenkte Seidennähte eintreten. Bei der Operation einer
faustgrossen Cruralhemie mit Periosttransplantation von der Tibia her, wo sämmtliche
Nähte aus Seide bestanden, heilte die Wunde absolut reactionslos zu. Der breite Periost¬
lappen veranlasste nicht die geringste Störung. Acht Monate später berichtete die Pat.
über ihre gänzliche Heilung. Circa 1 Jahr nach der Operation stellte sich ans unbe¬
kannter Ursache in der Tiefe eine Eiterung ein, welche in die Blase perforirte, so dass
die Nähte in die letztere gelangten, wo sie zur Bildung von grossen Blasensteinen Anlass
gaben. Circa 2 Jahre nach der Operation wurden die Steine mittelst Lithotripsie ent¬
fernt ; sie enthielten die dicken Seidenknoten der Brachsackunterbindung und der
Baachpfortennaht. Der Bruch war übrigens vollkommen gut und radical geheilt ge¬
blieben.
Ueber die Enderfolge seiner Hernienoperatiouen lässt G, gegenwärtig eine genaue
Nachforschung anstellen; die betreffenden Resultate werden demnächst veröffentlicht
werden.
Discussion: Prof. Tavel gibt zu, dass seiner Zeit mit der Verwerfung des
Catgut zu weit gegangen wurde. Die aseptisch (nicht antiseptisch) präparirte Seide hat
sich nicht ganz bewährt, indem öfters dabei Infectionen auftraten. Diese sind wohl so
zu erklären, dass während der Operation pathogene Pilze aus der Luft oder durch Contaot
sich an die Faden setzten, und auf diesen als auf Fremdkörpern weiter wachsen konnten.
Bei antiseptisch präparirter Seide hingegen wirkt das Antisepticum noch längere Zeit
nach und hindert die Entwicklung allfällig auf ihr haftender Keime. Die Rückkehr zum
Catgut in vielen Fällen ist insofern sehr berechtigt, als man jetzt bessere Desinfections-
metboden kennt als früher, wo man ölige oder alcoholische Lösungen von Antiseptica
dazu verwandte, während nur wässerige Lösungen sicher antiseptisch wirken. So hat
man in letzter Zeit viel schönere Erfolge mit Catgut als früher; ob gerade die Bruch-
pfortennaht durch Anwendung des Catgut gewinnt ist Prof. Tavel fraglich.
Dr. Latus constatirt, dass seine mit Dr. Flach auf der chirurgischen Klinik unter¬
nommenen zahlreichen Untersuchungen über Nahtmaterial die Vorzüge des antiseptischen
vor dem aseptischen zur Evidenz bewiesen.
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Prof. GHrard hat seinen Catgnt seit jeher mit wässerigen Lösungen yon Antisepticis
desinficirt. Seine Bereitungsweise, die ihm stets gute Resultate gegeben, ist folgende:
1) Gründliche Entfettung mit S<^mier8eife, dann Erhitzung auf 145® während 7*—^^1
Stunde, nun ganz langsame Abkühlung; Einlegen während 8—12 Stunden in wässerige
l®/oo HgJs-Lösung und schliesslich Auf bewahren in l®/oo alcoholischer HgJs-Lösung. So
bereiteter Catgut ist auch bacteriologisch oft, aber immer mit negativem Resultat unter¬
sucht worden. Das Hg*Jodid zieht Girard dem £[g-Chlorid entschieden vor, bei gleicher
Desinfectionskraft wirkt es doch weniger toxisch, indem das Molecül des ersteren bedeu¬
tend weniger Hg enthält, als das des letzteren.
Prof. Tavel glaubt, dass das Erhitzen im Ofen bei dieser Bereitungsweise eigentlich
überflüssig sei; Prof. Oirard behält dieses Procedere gern bei, er müsste sonst den Catgut
länger als nur 8—12 Stunden in der wässerigen Jodidlösung belassen, wobei dieser aber
leicht brüchig würde.
Dr. Dumoni erwähnt, dass er nie vom Catgut abgegangen sei; auch vom früher
gebrauchten Juniperuscatgut, dessen Präparationsweise bacteriologisch wohl anzufechten
sei, habe er klinisch doch ganz gute Erfolge gehabt.
2) Dr. Lam: Demonstration zahlreicher Pholeg^me von chirurgischen, in Pom¬
peji aufgefundenen Apparaten und Instrumenten.
Keine Discussion.
, 3) Dr. Bich: Demonstration frisch exstirpirter VtenisadBexe (Tuben und Ovarien),
die klinisch das ausgesprochene Bild der Genitaltuberculose darboten. Die 27jährige
Patientin (Yirgo) litt seit zwei Jahren an öfters sich wiederholenden Pelvioperitonitiden
und in den letzten Monaten an beständigen Schmerzen im Unterleib. Da trotz der man¬
nigfachsten Behandlung keine Besserung eintrat, suchte sie chirurgische Hülfe zur Hebung
ihrer Leiden.
Der Befund ergab einen kleinen antefleotirten Uterus, rechts und links daneben
stark bleistiftdicke, harte Stränge; deijenige der rechten Seite vergrösserte sich nach der
peripheren Seite zu einem zwetschgengrossen harten Tumor.. Diagnose: Tuberculosis
tubarum, da Gonorrhoe absolut auszuschliessen war.
Die Operation bestätigte die Diagnose. In der rechten Tube war ein zwetschgen¬
grosser käsiger Herd, beide Tuben stark hypertrophisch, hart; beim Durchschneiden quoll
die Tubenschleimhaut in der Form fungöser Granulationen aus dem Lumen heraus.
Die Tubenaffectionen, die durch Gonorrhce hervorgerufen werden, bieten meist ein
ganz anderes Bild dar und stellen dünnwandige, wellenförmig verlaufende, weite Säcke
dar. Hierzu bemerkt Referent, dass hierzulande die gonorrhoischen Tubenaffectionen
weit seltener verkommen als anderswo, was aus vielen Operationsstatistiken ersichtlich
ist; der Grund hievon mag darin liegen, dass Gonorrhoe weniger verbreitet ist als in
andern Ländern und namentlich in grossen Städten; vielleicht haben auch bei uns die
gonorrhoischen Affectionen der weiblichen Genitalien weniger Neigung, in die höhem
Partien derselben zu ascendiren.
Die bacteriologische Untersuchung ergab ein negatives Resultat, da keine Tuberkel¬
bacillen nachgewiesen werden konnten. Patientin zeigt sonst nirgends Erscheinungen von
Tuberculosis.
Zur Zeit der Einreichung des Referates, 11 Tage nach der Operation, ist Patientin
geheilt und hat alle ihre Beschwerden im Unterleib verloren.
ln der Discussion bemerkt Prof. Tavel, dass der Umstand, dass bei der bac-
teriologiscben Untersuchung des Präparates nichts von Culturen gewachsen sei, sehr für
Tuberculose spreche; allerdings gebe es auch wieder Salpingitiden mit Granulationen und
Eiterbildung, wo bacteriologisch nichts wachse und die doch nicht tuberculösen Characters
seien.
Von Dr. Bumoni und Dr. Bich wird hervorgehoben, wie die dünnwandigen, am-
pullenfSnnigen, mit dünnflüssigem Eiter gefüllten Säcke typisch für die gonorrhoische
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Salpingitis seien und wie sie den Patienten durch die Möglichkeit des Platzens bei An¬
strengungen und Untersuchungen gefährlich werden können.
4) Das Präsidium begrUsst den bisherigen Sanitatsreferenten Dr. Schmid als Dtrector
des DSD creirten schweizerisehen OesnidheilSAiites.
5) DenenstratiOB des Modells einer telephonlsehen Kofelsonde, speciell für den
Felddienst, durch Hrn. Dr. Mieville von St. Imier: Im August laufenden Jahres hatte ich Ge¬
legenheit, die j^e^Psche telephonische Sonde zur Diagnose und Extraction einer 7 mm Reyol-
verkugel aus der Schädelcapsei anzuwenden. Ein 33 Jahre alter Mann in St. Immer er¬
hielt einen Revolverschuss in die linke Schläfe: Einschussöffnung mit geschwärzten Rändern
in der Mitte zwischen Meatus acustic. ext. und Linea semicirc. os. front. Eine Stunde
nach dem Vorfall Erscheinungen von Himdruck. * Puls 48. Keinerlei Lähmungserschei¬
nungen, welche auf eine Verletzung von Hirnsubstanz deuten würden. Herr Prof. Girard,
um eine Consultation gebeten, hatte die Freundlichkeit, noch gleichen Abends die Ex¬
traction des Projectils vorzunehmen. Er improvisirte mit einem Handtelephon eine tele¬
phonische Sonde, indem an der einen Leitungsschnur ein silberner Löffel, an der andern
eine solche Sonde angebracht wurde. Der Löffel wird in den Mund des Patienten placirt,
die Sonde in den Schusscanal eingeführt. Sie stösst in der Tiefe von ca. 3 cm auf einen
harten Körper, wobei im Telephon ein sehr deutliches »Clik^ gehört wird, d. h. der
harte Körper ist das gesuchte Projectil oder ein Stück desselben. Die Extraction des
stark deformirton Geschosses gelingt nach breiter Durchschneidung des M. temporalis und
Entfernung kleinerer Knochensplitter ohne besonderen Zufall. In der circa 1 cm langen
ovalen Oeffnung der Pars squamos. alse magnse os. sphenoüd. präsentirt sich nach Ent¬
fernung des Geschosses das Gehirn. Es verdient erwähnt zu werden, dass eine 7 mm
Revolverkugel zu einem guten Bruchtheil in die Sohädelhöhle eingedrungen ist ohne das
Gehirn zu verletzen. Die Kugel plattete sich nach Durchdringung der Schläfenbein¬
schuppe an der resistenten Knochenmasse des grossen Keilbeinflügels ab. Die Heilung
erfolgte ohne Störung unter Jodoformgazetampons durch Granulation. Im Verlaufe der
Heilung tritt keine Temperaturerhöhung ein. Druckpnls besteht noch an einigen Tagen
nach der Operation«
Der eminente Nutzen der telephonischen Sonde zu einer raschen, keinen Zweifel
zulassenden Diagnose des Sitzes des metallischen Fremdkörpers ist in die Augen springend.
Die Wünschbarkeit, ein handliches Instrument zu besitzeo, das die nicht immer und
überall mögliche, jedenfalls auch zeitraubende Improvisation einer telephonischen Sonde
mit Hülfe öffentlich Telephone ersetze, veranlasste Herrn A. Weber, technischen Director
der Fabrik electrischer Apparate in Sonceboz, ein solches Instrument zu combiniren, das
für den Chirurgen und ganz besonders für Kriegschirurgie in Ambulancen und Militär¬
spitälern stets zur Hand sei.
Der ganze Apparat lässt sich in einer Rocktasche leicht unterbringen und besteht
aus einem kleinen, sehr feinen Telephon, das mit Hülfe eines Lederriemens am „bessern^
Ohr befestigt wird, aus zwei Leitungsschnüren, von denen die eine eine silberne Platte trägt,
die andere das beliebige Einfügen von Sonden, Punctionsnadeln, Kugelzangen etc. ge¬
stattet. Ein Brett aus Nussbaumholz erlaubt, Telephon, Sonden und Leitungsschnüre nach
Art der Angelschnüre schonend aufzuheben.
Ueber telephonische Sonden hat Herr Dr. Bubois im medicinisch-pharmaceutischen
Bezirks verein von Bern einen Vortrag gehalten. (Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte,
Jahrg. XVm, 1888.)
Die Beschreibung des ursprünglichen von Harwey Girdner combinirten Apparates
befindet sich in der illustrirten Monatsschrift der ärztlichen Polytechnik (X. Jahrg., 1888,
pag. 229 u. w.). Besonders einlässlich wurde die telephonische Sonde in der Kocher^schen
Festschrift (1891) von Dr. Kaufmann in Zürich behandelt, welcher einen von ihm com¬
binirten Apparat angibt, welcher den ursprünglichen Apparat von Girdner vervollkommnet
Erstannlicherweise begnügt sich Dr. Kaufmann mit der Aussicht, jeweilen ein Telephon
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zur ImproYisation einer telephonischen Sonde zu finden. Eine solche Hoffnung wird ge¬
rade im Kriegsfall trugen. Der vorgewiesene Apparat hingegen steht dem Militärarzt
stets zur Verfügung.
In der Discussion wird die Brauchbarkeit des Instrumentes von den HH. Ober¬
feldarzt Ziegler, Prof. Girard, Dr. Ihibois und Dr. Dumoni hervorgehoben.
Referate und Kritiken.
Die Aethernarcose.
Von Prof. Dr. C, Garrh, I. Assistenzarzt der Chirurg. Klinik Tübingen. H. Laupp'sche
Buchhandlung Tübingen 1893. 8® geh. 48 S. Preis Fr. 1. 35.
Seitdem durch genaue statistische Erhebungen festgestellt wurde, dass man bei
Anwendung von Chloroform für Narcose einen ungleich viel grösseren Procentsatz von
Todesfällen zu beklagen hat, als bei Aetherisirung, hat der Aether auf dem Oontinent
wieder festen Fuss gefasst. Langsam bekennt sich ein Chirurg nach dem andern wieder
dazu und es spricht jedenfalls für dieses Narcoticum, dass, wer es eine Zeitlang versucht
hatte, nicht mehr zum Chloroform zurückgriff. Immerhin ist „Hie Aether I — Hie
Chloroform I“ noch ein eigentlicher Streitruf.
Die objectiv und anziehend geschriebene Arbeit Garrh\ wird von allen Aether-
freunden mit Freuden begrübst werden und dem Aether auch neue Freunde gewinnen.
Es ist keine Streitschrift, sondern eine sachliche Darstellung von Allem, was die Aether¬
narcose betrifft auf Grund eigener (1200 Narcosen) sorgfältig bearbeiteter Erfahrungen.
Licht- und Schattenseiten werden gleichmässig hervorgezogen und doch spricht aus der
Arbeit eine Begeisterung für den Aether und eine Ueberzeugung, der man sich nicht
verschliessen kann!
Zuerst wird die Geschichte der Aethernarcose kurz behandelt; interessant ist
für uns, dass auf dem Continente Chirurgen der Schweiz fast die ersten waren, die sich
dem Aether wieder zuwandten {Julliard, Roux, Dumont und Fueter) und zur Verbreitung
der Aethernarcose wesentlich beitrugen. Im Capitel Technik empfiehlt ß. die Jiilliard^-
sehe Maske (besonders in der Modification von Dumonf) und gibt auch Anleitung zum
Improvisiren von Aethermasken, was für den practischen Arzt unter Umständen wichtig
ist. Ueber Technik- und Narcosenverlauf braucht wohl kaum eingehender
referirt zu werden im ärztlichen Blatte eines Landes, wo an den meisten grossem In¬
stituten die Aethernarcose eingefübrt ist und die meisten practischen Aerzte Gelegenheit
batten, dieselbe durch Anschauung kennen zu lernen.
Mit lauten Zungen redet für die Aethernarcose die Besprechung eigener und fremder
Untersuchungsresultate über die physiologische Wirkung der Aetherinhalation:
Der Blutdmck ist erhöht, die Pulsstärke gesteigert, die Herzaction regelmässig (in
mehrem Fällen hoben einige Aetherinhalationen den durch Chloroform schlecht ge¬
wordenen Puls rasch wieder).
Das Herz ist also nur in zweiter Linie bedroht; zuerst lähmt der Aether das
Respirationscentrum’ und hier ist durch künstliche Respirationen wohl immer noch zu
helfen. Das Gespenst der Aethernephritis existirt nicht! — Erbrechen sah G, in
25®/o während und in 40®/o nach der Narcose und schreibt es hauptsächlich dem zähen
Schleim im Rachen und dem Ekel über die lange nach Aether riechende Exhalationsluft
zu. — Die Schleimansammlung im Rachen und in der Luftröhre hat nichts zu bedeuten.
Wer gewohnt ist, mit Chloroform zu arbeiten, der wird allerdings durch dieses beständige
Röcheln erschreckt; es führt aber dieser schaumige Schleim nie zu ernsten Respirations-
hindemissen.
Ein Blick auf die Statistik der Todesfälle wird die Chloroformfreunde jedenfalls
zom Nachdenken zwingen. Es figuriren da 350500 Aetheraarcosen mit 25 Todesfällen
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(1:14000), daneben 133729 Chloroformnarcosen mit 46 Todesföllen (1:2907)! —
Contraindicationen gegen Aetherisirong sind nur Erkrankungen des Respirationstracius
und die Nähe des Glübeisens.
Die anziehend geschriebene Arbeit mit ihrer Fülle von Anleitung und practischen
Bemerkungen kann jedem Arzte angelegentlich empfohlen werden, sei er nun Aether-
oder Chloroformfreund. C. Hmgler,
Lehmann’s medicinische Taschenatlanten.
Band II. Geburtsbülfe U. Theil. Geburtshülfliche Diagnostik und Therapie. Mit 145
Abbildungen von Dr. 0. Schäffer, München, J. F. LeWann, 1894. Preis 8 Mark.
Geber den ersten Band wurde im Jahrgang 1892 dieses Blattes pag. 679 referirt.
Der vorliegende Band ist eine Ergänzung des ersten, insofern er sich mit der anatomischen
Basis der physiologischen und pathologischen Erscheinungen in der Schwangerschaft und
während der Geburt befasst und daraus die diagnostischen Merkmale und die Indicationen
für die Therapie ableitet. — Ein knapper, in Form von festen Lehrsätzen aufgesetzter
Text erhöht die Brauchbarkeit des kleinen Atlas für den practischen Arzt. — Die
Technik in der Herstellung der Tafeln ist bedeutend vervollkommnet; zahlreiche Original-
zeichungen sind in instructivem und grossentheils recht schönem Buntdruck ausgeführt.
In einem Schlusscapitel sind die geburtshülüich nothwendigsten, Recepte, Instrumente und
Vorschriften für Asepsis und Antisepsis zusammengestellt. Im Yerhältniss zu dem, was
das Werk bietet, ist der Preis ein sehr mässiger. E. Haffter.
Real-Encyclopädie der gesammten Heilkunde.
Medicinisch-chirurgisches Handwörterbuch für practische Aerzte. Unter Mitvrirkung zahl¬
reicher Gelehrter herausgegeben von Prof. Dr. Alb, Eulenburg, Mit zahlreichen Illu¬
strationen in Holzschnitt und Farbendrucktafeln. 3. gänzlich umgearbeitete Auflage.
Wien und Leipzig, Urban & Schwarzenberg. Preis pro Lieferung M. 1. 50.
Vor uns liegt der erste Band (1.—10. Lieferung) dieses monumentalen Riesen¬
werkes, auf dessen grosse Bedeutung in diesem Blatte schon mehrmals hingewiesen wurde.
(1879 pag. 583; 1885, 1886 und 1887.) Das ganze Werk, ca. 20 Bände stark, wird
im Verlaufe der nächsten 5 Jahre in regelmässigen Zwischenräumen erscheinen. Der
Herausgeber an der Spitze von 128 Mitarbeitern, für jede specielle Disciplin anerkannte
Autoritäten, stellt sich die riesenmässige Aufgabe, Alles, was immer zum Besitz der
medicinischen Wissenschaft und Praxis gehört, in gedrängter Form aber vollständig und
übersichtlich zusammenzustellen. — Für den Arzt, der nicht in der Lage ist, Special¬
archive sich anzuschaffen und zu studiren, bildet dieses Werk ein unschätzbares Besitzthum,
ein Nachschlagebuch für alle ihn im Laufe der Praxis berührenden Fragen, einen
Ersatz für eine complete medicinisch - chirurgische Bibliothek. Die einzelnen Artikel
sind von practischer Kürze, meist vorzüglich abgefasst und ermöglichen, durch jeweilige
genaue Literaturangabe am Schlüsse, mühelos ein tieferes Eindringen in die betreffende
Materie.
Band I behandelt: Aachen—Antisepsis. Von dem reichen Inhalt seien erwähnt
und besonders hervorgehoben die Artikel: Abasie (Ziehen)] Abdominaltyphus (Zueleer) mit
guten Holzschnitten und schönem Farbendruck; Abführmittel (Lewin)] Abortus (Hofmann)]
Abscess (Albert); Accommodation (Schmidt-Bimpler)] Acne (Kaposi)] Actinomycose (Birch-
Eirschfeld) ; Agarophobie (Binswanger) ; Albuminurie (Munh) ; Amputation (Qurlf) ; Angina
pectoris (A, Fr(Bnkel)] Antisepsis und Asepsis (Küster).
Die Ausstattung des Werkes ist, wie man das von der verlegenden Firma gewohnt
ist, eine vorzügliche. Es soll hier über jeden erschienenen Band einlässlicher referirt
werden. E. Haffter.
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Oantonale Ooinreeipondeiizeii«
Oenf. Biae Ustoiisehe Aasstelluf aaf den Gebiete der Hedlela and Phar-
mele. Herr Apotheker Burkhard Beher in Genf hat das erste Vierteljahrhundert seiner
pharmacentischen und schriftstellerischen Thätigkeit mit der Ausstellung seiner reichen
in Beziehung zur Geschichte der Heilkunde stehenden Sammlungen abgeschlossen.
Einem grossen Saale des Mus6e des arts d6coratifs wurde zu diesem Zwecke, soviel
es die Umstande erlaubten, das Ansehen einer mittelalterlichen Apotheke verliehen.
Dazu tragt besonders die Errichtung eines mit antiken Apparaten behängten und über¬
stellten Herdes mit Kamin nicht wenig bei. Auf Gestellen, Piedestalen und in Glas¬
schranken stehen etwa 400, theilweise aus den berühmtesten Töpfereien Europa’s stam¬
mende alte Apothekergefässe, in Majolika, Fayence und Porzellan. Als grossartige
Museumsstücke müssen besonders angesehen werden: ein grosser in maurischem Style ge¬
haltener Topf aus Palermo, etwa 20 Stücke aus Urbino und Casteldurante in pracht¬
vollem Farbenglanze, ungefähr 70 Stücke aus Savona, Genua, Mailand, 5 Gefasse aus
der Töpferei Winterthur des XVII. Jahrhunderts, u. s. w. Dann sind vorhanden etwa
400 sehr verschieden geformte Glasgefasse mit eingebrannten Schildern, über 30, z. Th.
grosse, meistens mit Wappen, Inschriften und Ornamenten gezierte Bronzemörser aus der
deutschen Schweiz. Dann Saugdaschen für Kinder und Kranke, Reiseapotheken, Gewichte,
Wagen, aller Art sowohl in der Apotheke als in der Chirurgie und Medicin angewandte
Apparate, viele Droguen früherer Zeiten und Specialitaten. Drei Glaskästen sind mit
Portraitmedaillen gefüllt; unzählige Portraitstiche zieren die Wände, sodass man hier über
1000 Portraits von Medicinem, Naturforschern, Chemikern u. s. w. zu studiren Gelegen¬
heit hat. Besonders zahlreich liegt auf, die alte therapeutische Litteratur: Pharmacopoen,
Kräuterbücher, Werke über Chemie, Botanik und medicinisch-pharmaceutische Geschichte,
viele Manuscripte (worunter ein Pergamentband der Alexandrin. Schule aus dem XII. Jahr¬
hundert), Documente, Diplome von Aerzten, Chirurgen und Apothekern, Receptsammlungen,
Correspondenzen berühmter Aerzte, Apotheker und anderer Naturforscher, überhaupt noch
viele Gegenstände aller Art, welche sich mit der Pharmacie oder der Medicin in Be¬
ziehung bringen lassen. Es mögen im Gtinzen wohl bei 3000 Nummern sein, was füg¬
lich zu der Voraussetzung berechtigt, dass diese kostbare Sammlung einzig in ihrer Art
dasteht. Dass es aber nichts Neues unter der Sonne gibt, beweisen wieder eine Anzahl
dieser Antiquitäten.
So fand Herr Beher in einer Reiseapotheke des XVII. oder Anfangs XVHI. Jahr¬
hunderts eine mit Flüssigkeit gefüllte Glasperle, wie sie jetzt für sterilisirte Flüssigkeiten
im Gebrauche sind. Eine ganz in getriebenem Kupfer dargestellte Lampe der Sammlung,
aus einer alten Winterthurer Apotheke, diente wohl lange vor Humphry Bavy als Keller¬
lampe und doch gleicht sie den Sicherheitslampen für Kohlenbergwerke auf ein Haar.
Ein Biberon in Glas, mit Luftloch mitten in der Ausbauchung, neu patentirt vor ein
paar Jahren, hat hier einen 200jährigen Vorgänger gefunden. Wie die hier ausgestellten
altgriechischen und römischen Augenbädergefässe beweisen, haben diese die nämliche
Form bis auf unsere Tage bewahrt. Und so steht es noch mit manchen andern Dingen.
Für medicinisch-pharmaceutische Kreise sehr interessant erscheint eine grosse Vase
aus Holz mit der Aufschrift „Theriaca Andromachi^. Es dürfte dieses der ofücielle Be¬
hälter sein, worin in früheren Jahrhunderten in Genf der Theriac öffentlich dargestellt
wurde. Solche Gefässe sind äusscrst selten geworden und man erinnert sich des grossen
Aufsehens, welches die Auffindung eines solchen Gefasses vor einigen Jahren in der
Pariser medicinischen Fakultät verursachte. Wer Zeit findet, die Ausstellung des Herrn
B, Beher zu besuchen, der versäume dieses nicht. Es dürfte sich wohl nicht so schnell
wieder eine so glänzende Gelegenheit finden, die Geschichte unserer Wissenschaft an der
Hand einer Sammlung zu studiren. Dr. Ckyrnte,
13
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194
W ooliLeiil>ei*iclit.
Schweiz.
— Das seit Neujahr erscheinende und jedem schweizerischen Arzte gratis zuge¬
stellte SeBltariseh-denofniphtsche Woeheebllleiie ist ein erstes, sichtbares Geschenk,
welches unser neu geschaffenes Gesundheitsamt (an der Spitze nnser viel verdienter ehe¬
maliger Sanitätsreferent) in Verbindung mit dem statistischen Bureau uns zukommen
lässt und wofür wir ihm recht dankbar sein dürfen. Das Bulletin bringt uns die wich¬
tigen und exacten Zusammenstellungen des seit Jahren unermüdlichen und schöpferischen
statistischen Bureau (Director Guillaume) und — zweisprachig — alles Wissenswerthe
über die epidemischen Krankheiten im Ausland und alle das schweizer. Gesundheitswesen
betreffenden Erlasse. Am Ende des Jahres wird der schweizer. Arzt einen stattlichen
Band in Händen haben, der ihm als Nachschlagebuch bald unentbehrlich sein dürfte. —
milfiikMfle für Schwelxer Aerzte and Barekhardt-Baader-
Stlftong.
Verehrte Collegenl
Wir brauchen den Zahlen der nachfolgenden Rechnung wenig beizufügen, da sie
für sich selbst deutlich sprechen. Unsere Ausgaben für Unterstützungen sind im Laufe
der letzten beiden Jahre bedeutend gestiegen (von 3440 auf 6090 Fr.), unsere Einnahmen
ungeföhr gleich geblieben; dem entsprechend ist die Zunahme des Vermögens die zweit¬
niedrigste seit dem Bestände der Kasse. Wir betreten das neue Jahr mit Verpßichtungen,
welche schon die Höhe des Vorjahres erreichen, und neue Begehren melden sich. So
sind wir denn mehr als je in der Lage, nicht nur die alten Freunde der Kasse um ihre
fernere thatkräftige Unterstützung zu bitten, sondern an die Mitwirkung Aller zu appelliren,
um das segensreiche Werk in bisheriger Weise weiter führen zu können.
Bern und Basel. Der Präsident der schweizerischen Aerztecommission:
Prof. Th, Kocher,
Der Verwalter der Hülfskasse:
Dr. Th, Lotz-Landerer,
Bllfte Reehaong von 1. Junar bis 31. Deeenber 1893.
Einnahmen. Fr. Ct.
Saldo alter Rechnung
Beiträge für die Hülfskasse: Anzahl
Aus
dem
Canton
Aargau
16 zus. 230)
‘)1 & 160/
^ 17
380.
—
T>
ff
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Appenzell
1 k 10\
*) 1 k 100/
2
110.
—
n
ff
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Baselstadt
29
940.
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w
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Baselland
4
60.
—
»
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Bern
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1195.
—
ft
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Freiburg
3 zus. 30)
*) 1 k 30/
^ 4
60.
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St. Gallen
26 zus. 720)
') 1 k 200/
[ 27
920.
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V
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Genf
7
105.
—
ff
ff
Glarus
2
50.
—
Ji
ff
ff
Graubünden
13
160.
—
N
Uebertrag
171
3980.
—
') Beiträge
von Vereinen.
Fr. Ct.
659. 15
659. 15
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195
Anzahl
Fr.
Ct.
Aus
üebertrag
171
3980.
_
1 dem Canton Luzern
14
220.
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„ „ Neuenburg
7
125.
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1250.
—
331
Von Diversen:
Von
Herrn Dr. Eduard Hess in Cairo
1
25.
n
„ „ Hensser in Davos-Platz zum Andenken
an seinen Vater, Herrn Dr. Heusser-v. Flugi sei.,
früher Arzt in Richtersweil
1
150.
n
Ungenannt
1
4.
_
n
Herrn Dr. Zürcher in Nizza
1
40.
_
„ „ Wilh. Odermatt in Rapperswyl Namens
der Hinterlassenen zum Andenken an ihren ver¬
storbenen Vater, Herrn Dr. Adolf Odermatt-
Hottinger sei., früher Arzt in Beckenried
1
200.
Herrn Dr. F. Born in Buenos-Aires durch tit.
Solothurner Kan tonalbank
1
50.
Anonym, Ueberschuss einer Reohnung
Legat von Fräulein Eleonore Gattiker sei. in Bern als
1
7.
60
Andenken an ihren Vater
1
100.
_
Von
Herrn Dr. Emil Welti in Paris
1
10.
_
•»
der Verlassenschaft des Herrn F. Paravicini-Trümpy
sei. in Ennenda zu dessen Andenken
1
500.
—
10
Beiträge für die Burckhardt-
Baader-Stiftung:
Aus
dem Canton Appenzell
*) 1
50.
_
yf
,, y, Baselstadt
1
25.
_
yt
yy 1 » Bern
2
25.
_
*»
n y, St. Gallen
2
110.
_
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r, V Luzern
1
10.
n
rt V Solothurn
1
10.
n
^ fl Tessin
0 1
100.
_
V
fl fl Thurgau
1
10.
_
yj
fl fl Waadt
1
20.
_.
V
fl fl Zürich
1
10.
—
üebertrag
12
Beitrage von Vereinen. *
Fr. Ct.
659. 15
6,612. -
1,086. 60
370. —
8727. 75
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196
Anzahl
Von Diversen: üebertrag 12
Von Herrn Dr. Heusser in Davos-Platz zum Andenken
an seinen Vater Herrn Dr. Heusser-v. Flugi sei.,
früher Arzt in Richtersweil 1
Capitalien:
Rückzahlung der Bank in Basel
„ des Cantons Neuenburg 2 Oblig. 4 4®/o
Capitalzinse:
wovon Zinsen der Hülfskasse
„ , der Burckhardt-Baader-Stiftung von Fr. 14,921.—
4 37470
Agiogewinnst auf den angekauften Fr. 3000, Oblig. der
Stadt Zürich a 977o
Ausgaben.
1. Capitalanlagen
2. Bezahlter Marchzins auf den angokauften Oblig. der Stadl
Zürich
3. Depositengebühr, Incassoprovision etc. an die Bank in Basel
4. Frankaturen und Posttaxen
5. Druckkosten und dergleichen
6. Verwaltungskosten
7. Unterstützungen an 6 Collegen in 17 Spenden
„ ,13 Wittwen von Collegen in 71 Spenden
und zwar aus der Hülfskasse Ft, 5530. 46
ans der Burckhardt-Baader-Stiftung, deren
Zinsen , 559. 54
Zusammen 88 Spenden an 19 Personen Fr. 6090. —
8. Baarsaldo auf neue Rechnung
Fr. Ct. Fr. Ct.
8,727. 75
150. — 150. —
910. 40
2000. ~ 2,910. 40
2,652. 68
2093. 14
559. 54
2652. 68
90. —
14,530. 83
7,000. ~
44. 30
58. 78
64. 18
176. —
141. 75
1280. —
4810. — 6,090.- —
955. 82
Die eigentlichen Einnahmen sind:
Freiwillige Beiträge von Aerzten für die Hülfskasse 6612. —
Diverse Beiträge für die Hülfskasse 1086. 60
Freiwillige Beiträge von Aerzten für die Burckhardt-Baader-
Stiftung 370. —
Eine Gabe zum Andenken an einen Verstorbenen 150. —
Eingegangene Capitalzinse 2652. 68
Agiogewinnst 90. —
Die eigentlichen Ausgaben sind:
Die Posten 2—7 wie oben
Also Mehreinnahme gleich dem Betrag der Vermögenszunahme
Status.
Verzinsliche Rechnung der Bank in Basel
84 bei der Bank in Basel deponirte Schuldtitel
Baar-Saldo
Summe des Vermögens am 31. December 1893
14,530. 83
10,961.
28
6,575.
01
4,386.
27
2,281.
26
72,000.
—
955.
82
75,237.
08
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197
Dasselbe besteht aus
dem Fond ohne besondere Bestimmung (Hülfskasse)
der Burokhardt-Baader-Stiftnng
Am 31. December 1892 betrug das Vermögen:
Fond ohne besondere Bestimmung
Burckhardt-Baader-Stiftung
Zunahme im Jahre 1893
Fr. Ct. Fr. Ct.
59796. 08
15441. — 75,237. 08
55929. 81
14921. — 70,850. 81
4,386. 27
Nämlich Zunahme des Fonds ohne besondere Bestimmung
(Hülfskasse)
3866. 27
Zunahme der Burckhardt-Baader-Stiftung
520. —
4386. 27
Jahr
Freiwillige
Beiträge
von Aerzten
Diverse
Beiträge
Legate
Unter¬
stützungen
Bestand der
Kasse Ende
des Jahres
Vennögens-
zunahme
Fr. Ct.
Fr. Ct.
Fr.
Fr. Ct.
Fr. Ct.
Fr. Ct.
1883
7,042. —
530. —
—
— . —
7,396. 95
7,396. 95
1884
3,607. —
100. —
—
— . —
11,391. 91
3,994. 96
1885
7,371. —
105. —
2,500
200. —
21,387. 06
9,995. 15
1886
7,242. —
25. —
2,000
1,530. -
29,725. 48
8,338. 42
1887
7,183. —
140. —
1,000
2,365. ^
36,551. 94
6,826. 46
1888
5,509. 50
285. —
1,000
3,153. 35
41,439. 91
4,887. 97
1889
6,976. —
156. 85
—
3,575. 35
46,367. 47
4,927. 56
1890
11,541. —
375. —
2,300
3,685. —
58,587. 31
12,219. 84
1891
6,345. —
103. 75
2,000
3,440. -
65,671. 30
7,083. 99
1892
6,737. —
485. —
1,000
5,180. —
70,850. 81
5,179. 51
1893
6,982. —
1,136. 60
100
6,090. —
75,237. 08
4,386. 27
76,535. 50
3,442. 20
11,900
29,218. 70
75,237. 08
Fr. 91,877. 70
Basel, Januar 1894. Der Verwalter: Dr. Th, Lotz-Landerer,
Basel, den 3. März 1894.
Herrn Professor Kocher,^ Präsident der schweizer. Aerzte^Commission in Bern.
Hochgeehrter Herr!
Die Unterzeichneten haben die Rechnung der Hülfskasse für Schweizer Aerzte pro
1893, ausgestellt und vorgelegt von dem Herrn Verwalter Dr. Theoph, Lötz-Länderer^
geprüft, die Posten der Rechnung mit den Einträgen in den Büchern verglichen und den
Titelbestand mit dem Depositenscheine der Bank in Basel confrontirt.
Diese Prüfung hat die Richtigkeit der Rechnung in allen ihren Theilen ergeben,
so dass wir beantragen, es möge dieselbe gutgeheissen und dem Verwalter, Herrn Dr. Lotz^
alle seine Arbeit und Bemühung bestens verdankt werden.
Der Ghing und Stand dieser Rechnung lässt erkennen, dass das allgemeine Bekannt¬
werden der Leistungen der Kasse eine stetige Vermehrung der Ausgaben nach sich zieht,
mit der die Vermehrung der Einnahmen nicht Schritt hält, und ebenso, dass die ver¬
schiedenen Landestheile sich in sehr ungleichem Maasse durch Beiträge betheiligen. Dies
mag den Wunsch rechtfertigen, es möchten alle in günstigeren Verhältnissen lebenden
und wirkenden Aerzte der Schweiz nach dem Maasse ihrer Kräfte an dem patriotischen
Werke mitwirken.
Hochachtungsvoll empfehlen sich Ihnen
Die Rechnungsrevisoren:
Prof. Fr, Burckhardi, E, Iselin, Dr. Eud, Massini.
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76,436. 70 15,441 76,436. 70
15,441. —
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— Mit Freude nehmen wir Notiz von der Errichtung einer Professor fBr Hyifieine
am eidl^enSssischen PolytechnikoB« Damit ist ein schon vor 10 Jahren durch die
schweizerische Aerztecommission aufgestelltes Postulat erfüllt worden. Gewählt wurde
auf den neu creirten Lehrstuhl Dr. Otto Bolh vom hygieinischen Institut der Universität
Zürich. Ihm sowohl, wie der durch diese Wahl vorzüglich ausgerüsteten Lehranstalt
unsere besten Glückwünsche.
— Zor Frofe der Dnentgfeltlichen Kronkenpleife. Negationen und Positionen
von Dr. med. Gustav Beck in Bern, betitelt sich eine kürzlich bei Schmid, Francke & Co.
erschienene Brochure, welche berechtigtes Aufsehen erregt hat, vor Allem durch die
Originalität der darin gemachten Vorschläge und durch die consequente und sehr ge¬
schickte Durchführung einer ganz neuen, allerdings am Studirtische ausgedachten
und practisch kaum realisirbaren Idee. — Nicht die Kranken, sondern die Gesunden
sollen den Arzt bezahlen. Die Yolksgesundheit, der wichtigste Bestandtheil der allge¬
meinen Yolkswohlfahrt ist das Resultat der Functionen der zur Ausübung der Gesund¬
heitspflege concessionirten Gesundheitserhalter, der Aerzte, und daher soll der Patient
für die gesunden Tage des Jahres, nicht für die Krankheitstage
den Arzt entschädigen.
Je gesunder die Bewohner eines Districtes bleiben, desto grösser ist die Einnahme
des ihn besorgenden Arztes, desto beträchtlicher ist die Summe des von ihm einzu-
kassirenden Gesundheitsgeldes, während jeder Krankheitstag eines ihm Anvertrauten eine
Verdienst red uction für ihn bedeutet. — So geht das Privatinteresse des Arztes parallel
mit demjenigen des Publikums; die Erhaltung eines vorzüglichen allgemeinen Gesund¬
heitszustandes bedeutet für ihn das einträglichste Geschäft; er soll aber auch verant¬
wortlich gemacht werden für die Gesundheit sämmtlicher Individuen seines Wirkungs¬
kreises etc. etc. (deren Lebensführung er natürlich in keiner Weise beeinflussen kann!).
Sei es, dass der Verfasser durch ein Gegenstück den Greulich’schen Entwurf ad
absurdum führen wollte oder aber, dass er an die Ausführbarkeit seiner Propositionen
ernstlich glaubt — seine Brochure ist äusserst lesenswerth, sehr anregend geschrieben,
und enthält Manches, das zum Nachdenken aufiPordert, und jeder College, der sich um die
wichtigste der jetzt schwebenden socialpolitisehen Fragen interessirt — und das thun
wohl Alle — sollte sie lesen.
Das aber wollen wir hier noch betonen, dass auch die schweizerischen Aerzte,
namentlich unter Anführung Sonderegger^a^ seit Jahren einen guten Tbeil ihrer Kraft der
Gesundheitspflege zugewendet haben, ja dass, was überhaupt im Capitel Volksgesundheits-
pflege geleistet worden, von jeher von den Aerzten ausgegangen ist und dass es der
Einrichtung der projectirten „verkehrten Welt" jedenfalls nicht dazu bedarf, um sie in
dieser Beziehung zu ihrer Pflicht zu führen.
— Nachdem wir auf pag. 540 des letzten Jahrganges die von Herrn Hoffmann,
elastische Strumpfwirkerei in Elgg, erfundene: Schweiz. Mütter- und Hebammenzeitung
nach Gebühr beurtheilt, geziemt es uns, mitzutheilen, dass die Sache nun in ein besseres
Fahrwasser gelenkt hat. Seit Neujahr erscheint unter der fachmünnischen Redaction des
Herrn Dr. Häberlin in Zürich die Sekweizerisehe HebaBnenzeitani^, als Organ eines
soeben an einem ersten schweizerischen Hebammen tag in Zürich gegründeten schweizer.
Hebammenvereines und es ist zu hoffen, dass das so redigirte Blatt dazu beitrage, die
in der Praxis stehenden und von der „Wissenschaft" abgeschnittenen Hebammen auf
einem gewissen Niveau zu erhalten.
Ausland.
— Gesteigerte DamfkalBiss nad Haatexaathene. Es ist seit langem bekannt,
dass eine wichtige Hauterkrankung, die Urticaria, mit Storungen im Digestionstractus in
einem bestinunten Zusammenhang steht. So interessant dieser Zusammenhang an sich
sein kann, blieb doch bis zum heutigen Tage die Natur desselben ohne Erklärung. Einen
Versuch zur Lösung des Räthsols machte Singer^ indem er sich über die Zustände im
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200
Darmtractus durch eine genaue Untersuchung der abnormen Fäulnissproducte im Harne
zu orientiren suchte. Er untersuchte regelmässig den Ham auf seinen Gehalt an Indican
und an gepaarten Schwefelsäuren und kam zur Ueberzeugung, dass es eine Gruppe von
Dermatosen giebt, bei welcher die Zeichen der gesteigerten Darmfäulniss mit grosser
Regelmässigkeit auftreten und mit dem spontanen Ablauf der Affection wieder zuräck-
gehen, während umgekehrt Massnahmen zur Bekämpfung der Darmstörnng einen nicht
zu verkennenden heilenden Einfluss auf die Hauterkrankung ausüben. Ein fast constantes
Symptom bei der idiopathischen Urticaria (ausgeschlossen sind natürlich Urticaria aus
äusseren Ursachen, Epizoen, Dysmenorrhoe, u. s. w.) ist das Auftreten gesteigerter Indican-
mengen im Harne; ausserdem beobachtet man regelmässig eine Vermehrung der Aus¬
scheidung der Aetherschwefelsäuren. Dieselben Erscheinungen fand Singer ebenfalls bei
gewissen Formen von Acne vulgaris, und bei Pruritus senilis, so dass er dazu geführt
wurde einen bestimmten Zusammenhang zwischen der Resorption der Fäulnissproducte
und dem Hautausschlag anzunehmen. Die Darmaffection braucht nicht nothwendigerweiso
von erheblichen Störungen mit äusserlich wahrnehmbaren Symptomen begleitet zu sein;
die gesteigerte Fäulniss kann bei anscheinendem Wohlbeflnden vorhanden sein, während
in anderen nicht seltenen Fällen Yerdauungsbeschwerden, Brechreiz, Aufstossen, Pyrosis,
Trägheit des Darmes, Obstipation, Flatulenz, beobachtet werden können. Durch Dar¬
reichung von Menthol in Gelatinekapseln von 0,1 täglich 6—8 Stück, trat eine Rück¬
bildung der Hautaffection ein, während eine ausschliessliche Behandlung mit gelinden
Abführmitteln zwar Besserung der Symptome, aber nie vollständige Heilung zur Folge
hatte. E, Freund berichtet ebenfalls über Fälle von Erythema multiforme, in welchen
eine Intoxication vom Darme aus angenommen wurde, und welche auf Darreichung von
Calomel überraschend schnell heilten. (Wien. klin. Wochenschr. Nr. 3.)
— Ab die Besocher des rtaisehea CoBfresses. Cook & Son, Luzern, theilen
mit, dass ihre Firma mit allen Eisenbahngesellschaften Verträge ab¬
geschlossen hat, welche sie in den Stand setzen, Congressbesuchern alle möglichen Billets
zu ganz ausserordentlich reducirten Preisen abzugeben.
WichU^e NoUz: 1) Wer über französisches Gebiet reist bedarf, um der bewilligten
Ermässigungen theilhaftig zu werden, unbedingt (nebst den übrigen Legitimations-
papieren) eines lettre dMnvitation (erhältlich bei den Herren Prof. Kocher^ Bern, und
B'Espiney Genf).
2) Jedes schweizerische Congressmitglied möge sich unmittelbar nach der Ajikunft
in Rom anmelden
a) beim römischen Anmelde- und Auskunftsbureau (Via Genova), um dort die
Mitgliedkarte etc. zu erhalten,
b) im Bureau des schweizerischen Nationalcomites (Mittelbau des Policlinicums).
Brlefliuteii.
Dr. S, in B. Dass die nächste Versammlung des Centralvereins (in Zürich) die Greulich’sche
Initiative auf die Traktandenliste setzt und ihre Meinung zu Händen der Behörden darüber abgibt,
liegt auch in meinem Sinne und es sind bereits die nötigen Schritte dafür gethan. Meine Brief-
kastennotiz in letzter Nummer ging nur gegen die yorgescmagene Organisation von ärztlichen Orts¬
und Wanderpredi^rn. E. H.
Dr. B. in B.: Schweizerische Retourbillets bis zur italienischen Grenzstation von längerer als
gewohnter Gültigkeit (60 Tage und darüber) verschafi’en Cook & Son, Luzern, durch welche über¬
haupt alles nur Denkbare erhältlich ist, beispielsweise auch die sehr bequemen, zum Besuche Hötels
ersten Ranges berechnenden Hotelcoupons. Auch die Berechtigung, mit Zügen ausschliesslich
I. Classe fanren zu dürfen, kann durch die betr. Firma erworben werden. — Dr. Fr, in Bern: Ihre
Arbeit über Castration erscheint in nächster Nummer.
Separatabdrucke der In Nr. 5 und 6 dieses Blattes erschienenen Arbeit des Herrn Professor
Dr. Maasinif „Die Pharmacopcsa Helvetica Editio tertia etc.** sind von der Verlagsbuchhandlung Benno
Schwabe In Basel zum Preise von Fr. 1. — zu beziehen.
Schweighauserische Bucbdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
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CORRESPONDENZ-BUTT
Erscheint am 1. und 15.
jedes Monats.
Inserate
35 Cts. die gesp. Petitzeile.
für
Schweizer Aerzte.
Herausgegeben von
Preis des Jahrgangs
Fr. 12. — für die Schweiz,
Fr. 14.50 für das Ansland.
Alle Postbureaux nehmen
Bestellungen entgegen.
"Em HAfflei* und Dr» Ja^quet
in Franenfeld. in Basel.
N! 7. XXIV. Jahrg. 1894. 1. April.
iBlieU: 1) Ori g inaUrbeiten: Dr. Max Frandt: Zar Beartheilaog des Werihet der Outraiion bei Myomen dea Uterne.
— Dr. Fr, Bnmnar: SobaasTerletxang dnreh dai neue echweit. Ordonnanxgewebr. — Dr. CaW Blunmr: Erfolg der Sablimai-
methode bei Lebereebinoooccaa. — A. Mauehle: Intolerani gegen Jodpr&pnrate. — Prof. Pflügtr and Dr. MMingtr: Beitrag aar
Myopie-Frage. — 2) Vereineberiehte: Medieiniecbe Gesellaehaft der Stadt Basel. — lle^claisob-pbarmaeeatieeber Besirke-
▼ereia Bern. — 8) Referate and Kritiken: Lo%uneau: Cbirargle dee Toiee arinairee. — Dr. Zpof Maür: Geriehtlieh'
medieiniecbe Otsoistik der Konetfehler. — Dr. PA. Zamtr: Therapentisebea Handlexikon. — JShief Barth : Die Cbolera. — B.
Bmmaridt and JEf. IVilUeh: Anleitang in hygienischen Untersaehangen. — Tk%tr» Brandt: Behaadlnag weiblieher Geeehleehte-
krankheiteo. — 4) Cantonale Correspond ensen: Baselland: Dr. med. JTums f. — 5) Woeh en be r ieh t: Sehweiserisohe
Pharmaeopm. — Mittheilangen aas der Praxis. — Deatsche otologisehe Oeeellscbaft Berxkranke Midoben. — Der Besigither.
— Behandlnng der Stomatitis. — Symptomatische Taohyeardie der Phthisiker. — GlasAtsflftasigkeit. — Hasten sar Unterstfttiang
der Tiaxie eingeklemmter Brüche. — Zinkleim. — Aoonitin bei Nenralgien. —6) Bri efkasten.
Oirigfinalten.
Aus der geburtshülflichen-gynsekologiscbeu Klinik in Bern.
Zur Beurtheilung des Werthes der Castration bei Myomen des Uterus.
Von Dr. Max Frank, Assistent der Klinik.
Wenn ich dazu schreite, einige kurze Mittheilungen über ein schon viel be¬
sprochenes Thema, die Gastration, insbesondere deren Wirkung bei Uterusmyomen zu
machen, so sind es vor allem 2 Umst&nde, die mich dazu auffordern. Vor allem er¬
scheint es mir angebracht, dass über die Erfolge gewisser Operationen, gegen deren
Berechtigung sich noch immer, besonders auch wieder in der letzten Zeit Stimmen
Tomehmen lassen {Fritsch, Martin) und deren Einführung also allein die Erfahrung
der Statistik entscheidet, von Zeit zu Zeit berichtet wird. Und zwar ist es dabei
noch von Belang, dass die betreffenden Fälle möglichst von ein und demselben Operateur
ausgesucht und operirt wurden. Es wurden aus der hiesigen Klinik bis zum Jahre
188d die Resultate-der Castration bei Uterus-Myomen von Dr. Staheli zusammenge-
stellt. (Gonfr. dieses Blatt Jahrgang 1889.) Diese Zusammenstellung soll im Fol¬
genden weiter geführt werden.
Der zweite Grund, welcher mich veranlasste, auf diesen Gegenstand zurück-
znkommen, ist der, dass gerade in der letzten Zeit ein Vorschlag zur Behandlung der
Uterus-Myome gemacht wurde, der, wenn er sich bewähren sollte, in eine aussichts¬
volle Conenrrenz mit der Gastration treten könnte; ich meine die von Oottsehalk und
Küstner vorgeschlagene Unterbindung der Aa. uterin, von der Vagina aus, über deren
Wirkung zunächst noch weitere Mittheilungen abzuwarten sind. (Confr. Gentralblatt
für Gynskologie 1893, Nr. 33 und 39.)
14
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202
Die Castration bei Uterus-Myomen ist, als sie vor etwa 17 Jahren zum ersten
Male ausgefübrt wurde, anfangs in ihren Erfolgen stark angezweifelt worden und
wenn man sie schliesslich auch anerkannte, so wollte man sie doch nur fär eine ganz
bestimmte, relativ kleine Anzahl von Fällen, als berechtigte und nutzbringende Be¬
handlungsweise zulassen. Zunächst glaubten Viele, dass die Castration nur bei Tumoren
anzuwenden sei, als deren Hauptsymptom Blutungen auftreten und vor allem noch
dann, wenn diese Blutungen einen menstruellen Typus erkennen Hessen. Man neigte
zu dieser Meinung, da man annahm, dass mit der Entfernung der Ovarien auch der
von ihnen ausgehende ,menstruelle Reiz* und mithin auch die menstruelle Blutung
fortfalle. Doch das ist nicht das einzige Ziel, welches durch die Entfernung der
Ovarien erstrebt wird. Die Erklärung der Wirkung dieser Operation hat man vor
allem von 2 Gesichtspunkten aus zu geben. Einmal kommt, wie eben erst bemerkt,
durch die Abtragung der Ovarien der regelmässig wiederkebrende die Menstruation
bedingende Reiz in Fortfall. Wir wissen nun aber, besonders auch nach den neueren
Untersuchungen von GoUschalk (Ztschrft. für Geburtsh. und Gynsek., Band XXVII,
Heft I, S. 168), dass beim Zustandekommen und vor allem beim weiteren Wachs¬
thum der Myome gewisse irritative Vorgänge eine grosse Rolle spielen. Durch das
Aufhüren des menstruellen Reizes fällt also ein Umstand fort, der eventuell eine
Weiterentwickelung der Myome fördern könnte. Nun kommt noch hinzu, dass durch
die künstlich anticipirte Klimax, wie auch nach der natürlichen Menopause, eine
Atrophie der ganzen Genitalorgane einzutreten pflegt, wie uns die Untersuchungen von
Hegar und Kehrer darthun. Es tritt dann aber nicht nur eine Atrophie der Uterus¬
muskulatur, sondern auch eine solche der von ihr eingeschlossenen Geschwulstmasseii
ein, die ja auch ihrem Hauptbestandtbeil nach ebenfalls aus glatten Muskelfasern be¬
stehen, — Ferner ist auch in den ausgesprochenen Fällen von künstlich erzeugtem
Klimax eine deutliche .4trophie der Schleimhaut des Uterus eingetreten (vergl. die
Versuche von Beissmann und Weissmann, ref. in Schmidt's Jahrbüchern 1890), ein
Umstand, der von ziemlicher Bedeutung ist, da doch von dem bei Myomen fast stets
krankhaft veränderten Endometrium Hauptsymptome, wie oft lebepsgefährlicbe Blutungen
und schwächender Fluor auszugehen pflegen. Zu diesen Wirkungen der Gastration
kommt, als nicht ausser Acht zu lassendes Moment, die so plötzlich veränderten Gir-
culationsverhältnisse und speciell die geringere Blutzufuhr. Wenn sich auch allmählich
wieder Anastomosen bilden werden, so bleibt doch für einige Zeit eine Beschränkung
in dieser Beziehung bestehen und es ist stark zu bezweifeln, ob überhaupt bei der
eintretenden Tbromben-Bildung jemals sich die GirculationsVerhältnisse vollkommen
ausgleichen werden und nicht vielmehr ein dauernder, wenn auch nur geringer Aus¬
fall der Blutzufuhr und eine dauernde Abnahme des Fnllungsgrades der Arterien sich
geltend machen wird. Auf diese Wirkungsweise dürfte auch wohl einzig und allein
der Erfolg nach der vaginalen Unterbindung der Art. uterin, zurückzuführen sein.
Auch Rydygier hat (Wien. klin. Wochenschrift 1890) nach Unterbindung der Arterien
allein per Laparotomiam, ohne Gastration, eine Verkleinerung eines Myoms ein-
treten sehen.
Bei der Gastration geht es absolut nicht an, bestimmte Indicationen für sie auf¬
zustellen, dagegen sind gewisse Gontraindicationen aufrecht zu erhalten. Dies sind vor
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203
aUem schon eingetretene oder nur drohende Veränderungen der Geschwulst, besonders
regressiver Art, Diese würden durch die in Folge der Operation gesetzte venöse
Stase nur beschleunigt und befördert werden. Besonders sind in dieser Beziehung
cystische und stark erweichte, also auf beginnende Nekrose suspecte Fälle zu beachten.
Allerdings sind auch Fälle von cystischen Geschwülsten beschrieben worden, bei
welchen mit Erfolg die Castration angewendet wurde {Schleich, Inaug.-Dissertation,
Gddenberg Centralbiatt f. Gynsekol. 1886). — Ferner ist auch diese Operationsart
ansznschliesseu, wenn man Vei'dacht auf maligne, sarcomatöse Degeneration des Tumors
hat. Dieser Verdacht dürfte sich besonders auf schnelles Wachsthum, raschen Kräfte*
verfall, starken, übelriechenden Ausfluss und Ascites stützen. — Endlich wird man die
Castration nicht unternehmen, wenn für den Augenblick direct lebensgefährliche Symp*
tome zu bekämpfen sind, die durch die Grösse und Ausdehnung der Geschwulst her*
vorgernfen werden, die also auch nur durch eine Radicaloperation sofort beseitigt
werden können, ich meine hier vor allem stark ausgesprochene Incarcerations*
erscfaeinungen. — Auch bei solitären, dünnstieligen, subperitonealen Myomen resp.
Polypen dürfte die Entfernung des Tumors selbst vor der Castration den Vorzug ver*
dienen, da erstere Operation keine grössere Gefahr, als die letztere, bedingt.
Diese Categorie von Geschwülsten ausgeschlossen, kann man bei allen andern,
auch bei den vom Collum ausgehenden Myomen die Castration anwenden. Mit Vor*
liebe wird man sich jedoch zu ihr bei mittelgrossen, vom Uteruskörper ausgehenden,
sei es interstitiellen oder submncösen Myomen entschliessen, wenn noch eine Anzahl
anderer kleinerer, eben erst im Weiter*Wachstbum begriffener Myomknollen vor*
banden sind.
Was man bei der Castration immer bedenken soll, ist, dass man eigentlich nur
eine palliative Therapie ausübt, die jedoch, mit wenigen Ausnahmen, für immer die
lästigsten Symptome und Beschwerden (Blutungen und Schmerzen) beseitigt, ja in sehr
vielen Fällen auch ein Schrumpfen des Tumors selbst herbeiführt. Man wird deshalb
die Castration nur in den Fällen vorziehen, wo die Entfernung der Ovarien voraus*
sichtlich leichter stattfinden kann, als die Abtragung des Myoms selbst. Ferner dann,
wenn die Symptome nicht so schwere sind, dass sie den Gefahren der Radicaloperation
die Wage halten, die Patienten auf der andern Seite aber erklären, wo möglich von
den Beschwerden befreit oder wenigstens gebessert zu werden. — Die Myomotomie
gibt, besonders in complicirten Fällen, auch in der Hand geübter Operateure noch
nicht die relativ guten Resultate der Castration. Lawson-Tait hatte in 262 Fällen
von Castration eine Mortalität von 1,2% und Honoite hat bei seinen Myomotomien
resp. Amputat nteri snpravagin. 257» Mortalität, auch bei der extraperitonealen
Methode; dagegen hat er von 21 Castrationen keine Patientin verloren. (Centralblatt
f. Gynaek. 1892, Nr. 16.)
In vielen Fällen wird man noch direct vor der Eröffnung des Abdomens unent*
schieden sein, ob man sich zur Castration oder der Radicaloperation entschliessen soll.
Man wird in diesen Fällen, auf beide Operationen vorbereitet, zunächst die Laparotomie
nnr als eine explorative betrachten und sich je nach den gefundenen Verhältnissen zu
dem zweckmässigsten Verfahren entschliessen. Wir werden die radicale Entfernung
des Tumors dann ins Auge fassen, wenn er leicht in die Höhe zu schieben, ohne Ver*
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204
wachsuQgen ist, die Stielverb&Unisse güDstige sind, so dass, wo möglich, das Cteras-
Cavum nicht eröffnet zu werden braucht. — Wir werden aber ausser diesen, den
Tumor selbst betreffenden Momenten auch noch den allgemeinen Kräftezustand der
Patiefitin in Betracht ziehen mflssen, ob diese uns stark genug erscheint, um eine
längere Operation aushalten zu können. Denn gerade unter diesen Kranken finden
wir durch die Ansemie stark geschwächte Patienten, welchen vor allem von Seiten
des Herzens (braune Atrophie) Gefahr droht, und welchen besonders die ungünstige
Wirkung einer längeren Operation resp. Narkose, und eines stärkeren Blutverlustes
erspart werden muss. Für solche Frauen ist entschieden die Castration, vorausgesetzt,
dass sie incomplicirt ist, die leichtere, d. h. schneller auszuführende und mit weniger
Blutverlust verbundene Operation. — Die Üastration werden wir aber auch unter Um¬
ständen noch neben der Abtragung eines Myoms vorznnehmen haben, z. B. wenn ein
subserOses, leicht abtragbares Myom entfernt wurde, und wenn noch kleinere, zur Zeit
noch keine Beschwerden verursachende Myome vorhanden sind, deren WeiterentWickelung
wir hemmen wollen.
Die Gefahren der Castration sind jedoch nicht immer so geringe, die Technik
der Operation ist nicht immer eine leichte. Einmal kOnnen die Ovarien so versteckt
liegen, dass sie kaum oder gar nicht aufzufinden sind. Ferner sind sie bisweilen so
in die Länge gezogen und so fest auf der Geschwulst aufsitzend, dass es äusserst
schwierig ist, alles Ovarialgewebe zu entfernen. Endlich können sie auch durch Ad¬
häsionen in der Tiefe des Beckens fixirt oder so von stark entwickelten Gefässen um¬
geben sein, dass ihre Isolirnng und Auslösung ohne grössere Gefahr kaum möglich
erscheint. Solchen Verhältnissen sind wir, wie wir unten sehen werden, auch in
unseren Fällen begegnet. Es hängt dann von dem richtigen Tact und Urtheil des
Operateurs ab, ob er dann die Castration oder die Myomotomie oder das vollkommene
Abstehen von einem weiteren operativen Eingriff für zweckmässig hält.
Wenn wir nun als Vortheile der Castration die. im Allgemeinen günstigere
Mortalitätsstatistik und die leichtere technische Ausführbarkeit angeführt haben, dürfen
wir auch nicht vergessen, auf die eventuellen Nachtheile hinzuweisen. Vor allem ist
hier der schon oben erwähnte Hauptvorwurf, welcher der Castration gemacht wird,
hervorznheben, dass die Operation das eigentlich Kranke, den Tumor selbst, unange¬
tastet lässt und nur die lästigen Symptome desselben zu beseitigen trachtet. Wir
müssen bedenken, dass eventuell auch der erhoffte Erfolg ausbleiben kann und wir
genötbigt werden können zum zweiten Male, zum Zwecke einer radicaleren Operation
die Laparotomie zu machen. Im Allgemeinen wird jedoch dieses fatale Ereigniss nicht
allzu oft Vorkommen. — Dann müssen wir noch anführen, dass wir durch die
Castration die Unannehmlichkeiten der anticipirten Klimax, die vor allem in nervösen
Symptomen bestehen, herbeiführen. Ferner ist auch von den Pat., welche der Castra¬
tion sich unterzogen haben, wenn auch nicht von allen gleichmässig, besonders von
Nulliparen, Klage über das Verschwinden der Libido sexualis geführt worden. Diese
Beschwerden werden sich jedoch auch einstellen, wenn die radicale Operation gemacht
wurde, bei der doch auch fast immer die Ovarien mit abgetragen werden müssen.
Endlich ist auch der Castration noch der Vorwurf gemacht worden, dass sie zur
cystischen Degeneration und dann zur raschen Vergrösserung der Tumoren führe, auch
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wenn vor der Operation noch keine Andeutung dieser Veränderung bestand. Man hat
da besonders anf einen Fall von Hegar und Schröder hingewiesen. — Also auch diese
eben erwähnten Nachtheile mfissen bei der Indicationsstellung, bei der Wahl der
Operationsmethode in Erwägung gezogen werden.
Seit 1889 bis zum Abschluss dieser Zeilen wurden in hiesiger Klinik im Ganzen
20 Fälle von Myoma uteri ffir die Gastration bestimmt. Eine kleine Tabelle mag
knrz die einzelnen Fälle besonders auch bezüglich der weiteren Erfolge näher charac-
terisiren.
In dem oben erwähnten Zeitabschnitt, also von 1889 an, wurden an unserer
Klinik im Ganzen 116 Fälle von Myomen behandelt. Von diesen kamen 69 Fälle,
d. i. 59,57» 2 nr Operation und von diesen wieder 20 resp. 21 zur Castration d. i.
28,97». Der eine Fall ist insofern kein reiner Fall und deshalb nicht in der Tabelle
angeführt, weil als Hanptoperation eine Enucleation von 2 subserüsen Myomen vor*
genommen und daran erst die Castration angeschlossen wurde, da im zurückbleibenden
üterns ganz kleine Myomkeime noch nachweisbar waren.
Von den 20 in der Tabelle aufgeführten Fällen konnte in nicht allen die Opera¬
tion glatt dnrcbgeführt werden. — Im Fall 5 und 8 waren die Ovarien trotz langen
Snchens und trotz der Zuhülfenafame einer in den Uterus eingeführten Sonde (confr.
Stähdi 1. c.) nicht aufzufinden, resp. das eine, nachdem eine kleine Cyste desselben
geplatzt war, wegen Kürze des Stieles nicht abzutragen (Fall 5). Diese Fälle sind
also bei der Beurtheilung der späteren und Dauer-Erfolge der Operation ganz aus-
zuschliessen. Ebenso war auch der Fall 19 derart, dass man nur 1 Ovarium ent¬
fernen konnte. Das linksseitige war so von grossen, etwa daumendicken Geßssen um¬
geben, dass eine Isolirnng desselben nur mit grösster Lebensgefahr der Pat. hätte
stattfinden können. Dieser Fall ist demnach ebenfalls ausser Rechnung zu setzen.
Dagegen bietet er uns nach anderer Richtung bin, die allerdings von unserem Gebiet
ziemlich fern liegt, manches Interessante. Es wurde in diesem Falle bei wenig vor¬
geschrittener Schwangerschaft der conservative Kaiserschnitt ausgeführt; er beweist
demnach, dass man zur Vornahme der Sectio csesarea nicht erst den Wehenbeginn ab¬
solut abwarten muss. Er erfüllt jene Forderung von Fritsch, der die Hoffnung aus-
spricbt, dass ein Fall zur Beobachtung kommen möge, bei dem in der Schwangerschaft
ohne jede Wehen der Kaiserschnitt indicirt sei. (Früsdi, Bericht über die gynsekol.
Operationen des Jahrganges 1891/92, S. 198.)
Bei dieser Patientin gaben die Indication zum operativen Eingreifen heftige
Schmerzen ab, unter welchen dieselbe Tag und Nacht fortwährend zu leiden hatte und
von welchen sie unter allen Umständen befreit sein wollte. Neben einer fünfmonatlichen
Gravidität war ein linksseitiges, intraligamentäres Uber kindskopfgrosses Myom constatirt
worden. Man machte die Laparotomie, um womöglich das Myom allein, oder zusammen mit
dem Uterus zu entfernen. Es ergab sich jedoch, dass das Myom allseitig so von dicken
Gewissen umgeben war, dass ohne die grösste Lebensgefahr für die Pat. dasselbe nicht
entfernt werden konnte. Man musste sich sagen, dass die Hauptbeschwerden wohl der
wachsende Uterus mache, vielleicht in Folge der grossen Spannung des peritonealen
Ueberzuges, und dass nach Unterbrechung der Gravidität voraussichtlich die Schmerzen
sistiren würden und auch das Myom in seiner Wachsthumsenergie herabgesetzt werden
würde. Man entschloss sich deshalb zum conservativen Kaiserschnitt. Der Schnitt durch
den Utems wurde so angelegt, dass er vorzugsweise den Fundus traf. Es dürfte von
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einiger Bedeutung sein, das untere Uterinsegment bei der Schnittfiihrung möglichst zu
vermeiden. Der Fundus ist musculöser und von stärkerem Dickendurchmesser, Eigen¬
schaften, die günstig auf die Blutstillung und Wundverklebung einwirken. — Der etwa
dem 5.—6. Monat entsprechende Foetus wurde mit der intacten Eiblase entfernt. Die
Beherrschung der Blutung fand durch manuelle Compression statt, da das Myom ver¬
hinderte, den elastischen Schlauch fest umzulegen. Die Uteruswunde wurde durch fort¬
laufende Catgutnaht, die die Uterusschleimbaut mitfasste, in 3 und an einzelnen Stellen
in 4 Etagen vernäht. Die oberste Nahtreihe vereinigte dabei das Peritoneum. Der
Uterus contrahirte sich gut, der Blutverlust war kein allzu grosser. Um das Myom im
Wachsthum zu hemmen und eventuell auch zur Rückbildung zu bringen, sollte die
Castration angeschlossen werden. Doch es war aus den oben angeführten Gründen nur
1 Ovarium zu entfernen. Auf der andern Seite wurde nur die Tube abgebunden. Die
Reconvalescenz wurde durch Anfplatzen der Bauchwnnde, die in 3 Etagen (Peritoneum,
Muscnlatur -f. Fascie, Haut) genäht war, gestört. Nachdem die Därme etwa Stunde
unter dem Verband frei gelegen waren und fibrinösen Belag zeigten, wurde nach
Ausspülen der Abdominalhöble mit Kochsalz-Sodalösung die Wunde durch tiefe und ober¬
flächliche Seidenknopfnähte wieder geschlossen. Pat. befand sich bei der Entlassung
leidlich. Es hatten sich jedoch Zeichen einer floriden Phthise entwickelt, welcher die Pat.
nach 4 Monaten zu Hause erlag.
Es kommen also bei Beurtheilang des Werthes und des Erfolges der Castration
bei Dterusmyomen 17 Fülle in Betracht.
Wir ersehen zunächst aus denselben, dass gegen die verschiedensten Arten von
Myomen die Castration vorgenommen wurde, sowohl bei interstitiellen, als auch bei
submucösen und subperitonealen. Auch der speciellere Sitz der Myome war nicht
massgebend für die Indication resp. Contraindication der Operation. Es worden sowohl
vom Fundus ausgehende Tumoren, ebenso auch solche, die vom Collum ausgingen
(Fall 4 und 8), als auch intraligamentäre (Fall 1 und 13) mit Erfolg behandelt.
Was das Alter der Operirten anlangt, so findet sich unter denselben eine Patientin
von 48 Jahren (Fall 10), eine von 47 Jahren (Fall 2) und mehrere von 45 Jahren.
Das Durchschnittsalter war 40 Jahre. Also auch das dem Klimakterium nahe Alter
war kein Qegengrund der Castration. Es ist von verschiedenen Seiten früher hervor¬
gehoben worden, dass es bei Frauen dieses Alters nnnOtbig sei, das künstliche Klimak¬
terium herbeizuführen, da doch ihnen das physiologische direct bevorstehe. Dem
gegenüber ist jedoch zu bemerken, dass bei Myomen es gerade schwer ist, zu ent¬
scheiden, ob die Blutung noch eine rein menstruelle ist, ferner, dass gerade bei
‘Myomen das Klimakterium um ein Bedeutendes weiter hinaus geschoben zu sein
scheint. Wir haben gegenwärtig eine Pat. mit einem kleinkindskopfgrossen Myom in
Beobachtung, die 51 Jahre alt und noch alle 4 Wochen menstruirt ist, die Regel hält
öfters 14 Tage und darüber an und ist profus. Dieses Hinausgeschobenwerden der
Klimax ist in einzelnen Fällen nicht allzu sehr zu verwundern, da wir bei Myomen
so oft eine Veränderung der Ovarien und zwar in irritativer Richtung hin antreffen.
— Wir haben bei unseren Pat., die etwas vorgerückteren Alters waren, besonders im
Fall 10 (48jährig) einen prompten Erfolg verzeichnen können. Wir werden uns um
so eher, auch im klimakterischen Alter zur Castration entschliessen, als uns für den
Erfolg der Operation, wie schon anfönglich bemerkt, nicht allein der Fortfall des
ovariellen Reizes, sondern auch die momentane Veränderung resp. Beschränkung der
Circulation von Belang zu sein scheint. Was die Beschwerden betrifft, welche die
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Operation indicirten, so waren es die gewöbnlicben, die bei der Myomtberapie zu
einem activeren Vergeben zu nOthigen pflegen: Blutungen, Schmerzen, Zunahme der
Geschwulst, Druck- resp. Zerrungssymptome auf benachbarte Organe. Bei dem Typus
der Blutungen achteten wir nicht darauf, wie einige vorschreiben, ob dieselben noch
einen menstruellen Cbaracter erkennen liessen und wir haben auch bei den ganz
atypischen Hsemorrbagien eine günstige Wirkung der Operation nicht vermisst.
Deber Schmerzen war bei den meisten unserer Fälle Klage geführt worden, be¬
sonders über solche kurz vor oder zur Zeit der Menses. Auch Druck- oder besser
Zerrungserscheinnngen auf Nacbbarorgane gaben für uns keinen Qegengrund gegen
die Castration ab. Selbstverständlich wurden nicht solche Fälle genommen, wo diese
letztgenannten Beschwerden so stark waren, dass sie sofort und dringend dauernde
Abhilfe verlangten. Speciell im Fall 18 wurde über ürinbeschwerden, speciell über
Öfters eintretende Urinverhaltung geklagt. Auch in diesem Falle wurde die Castration
vorgenommen, in der Erwartung, dass durch Schrumpfen der Geschwulst auch dieses
lästige Symptom verschwinden würde.
Um nun den Einfluss, welchen die Operation gehabt hat, darzuthun, wollen wir
zunächst auf die Menstruations- resp. Blutungsverhältnisse hinweisen. In 12 Fällen
d. i. in 70 ,570 setzten die Blutungen, nachdem nach der Operation kurze Zeit blutiger
Ausfluss bestanden hatte, ganz aus. (Fall 2, 4, 6, 7, 9, 10, 11, 12, 14, 15, 18,
20.) In Fall I, 13 und 17 sind noch einige Male atypische Blutungen von kurzer
Dauer und geringer Stärke aufgetreten, in den letzten 2 Monaten ist keine Blutung
mehr erfolgt. Im Fall 16 tritt die Regel noch alle 4 Wochen ein, jedoch ist der
Blutverlust um die Hälfte geringer, als vor der Operation. In einem Falle war über
den Erfolg der Operation keine Auskunft zu erhalten. In den bekannten Fällen ist
also, was die Beschränkung der Blutung anlangt, ein gutes Resultat zu verzeichnen.
Betrachten wir ferner die Grüssenverhältnisse der Tumoren, wie sie durch die Operation
beeinflusst wurden. In 9 Fällen sind die Tnmoren zurückgegangen bisweilen so, dass
man sie auch in Narkose nicht mehr nach weisen konnte. (Fall 2, 6, 7, 9, 10, 12,
14, 15, 18.) Einmal wurde die Geschwulst grösser (Fall 1), ohne indess, wenigstens
bis jetzt, stärkere Beschwerden hervorzurufen. In 4 Fällen hlieb sich die Geschwulst
gleich (Fall 11, 13, 17 und 20). Im Fall 17 veränderte sich ihre Consistenz, so dass
sie sich jetzt fast cystisch anfühlt. In 3 Fällen war keine genügende Auskunft über
die Grösse des Tumors zu erhalten. — Was die Beseitigung von Schmerzen anlangt
und anderer Symptome (Urinheschwerden), die vor der Operation bestanden, so waren
diese unter den Beschwerden, welche die Operation mit indicirten, 10 Mal angegeben.
(Fall 1, 6, 9, 11, 12, 13, 15, 17, 18, 20). In allen diesen Fällen gingen diese Be¬
schwerden ganz zurück oder wurden so gering, dass sie keine nennenswerthen Störungen
hervorriefen. Um auf die Nachtheile, welche die Operation mit sich brachte, hinzu¬
weisen, so Anden sich bei 7 Fällen nervöse Beschwerden, wie Herzklopfen, Congestionen,
Hitze- und Angstgefühl, besonders zur Zeit der fälligen Regel erwähnt, Beschwerden,
welche jedoch von den Fat. keineswegs in den Vordergrund gestellt wurden. Mehr
klagten einzelne Fat., besonders Fall 10, über stärkeren Ausfluss. Derselbe ist wohl
seiner Entstehung nach mit den Alterscatarrhen in Analogie zu setzen. Durch den
Schwund des Fettes and die Rückbildung der Gewebe in der Umgebung der Genitalien
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208
kommt wohl leicht ein Eiaffen der Vagina und in Folge dessen häufiger ein Zutritt
schädigender Momente zu Stande. In einem Fall klagte die Pat. Ober das Erloschen¬
sein der Sexualempfindung (Nr. 17) und einmal über Neigung zu stärkerem Fettansatz.
(Nr. 9.)
Von den 20 Pat. ist keine der Operation erlegen. Was die Reconvalescenz an¬
langt, so verlief sie im Allgemeinen ungestört. Einige Male konnten wir nach der
Operation einen stärkeren und längere Zeit anhaltenden Blutabgang ans den Genitalien,
welcher wohl auf die in Folge der Gefässunterbindung gesetzten Stauung zurfickzn-
ffihren ist, beobachten, gegen welchen wir Extr. Hydrast. und Injectionen von ver-
dänntem Acet. pyroliqnos. wirksam fanden. 2 Mal wurde eine Lungenembolie, die
einen Infarct hervorrief, beobachtet, welche jedoch keine ernsteren Folgen fQr die Pat.
hinterliess. (Nr. 12 und 16.) Diese Emholien sind wohl auf die von der Unter¬
bindung der GeAsse herröhrenden Thromben znröckzuföhren.
Ich möchte endlich noch kurz auf einen Befund an den exstirpirten Ovarien auf¬
merksam machen. Oie Untersuchung derselben fand, soweit sie vorgenommen wurde,
im hiesigen patholog. Institut statt. In 2 Fällen (2 und 10) fand man eine Atrophie
der Ovarien; trotzdem machten in denselben starke Blutungen Beschwerden, die durch
die Castration gehoben wurden. Es sind dies Fälle, auf welche Hofmeyer (Congress
ffir Gynsekologie in Bonn) hingewiesen hat und auf welche sich stötzend er be¬
hauptet , dass besonders die Geftssunterbindung das wirksame Moment bei der
Gastration sei. Die sonst noch untersuchten Ovarien zeigten meist pathologische
Veränderungen, auf welche schon von Tapar (Gentralblatt för Gyniekologie 1890,
Nr. 49) und von Btdius (Verhandlungen d. Gynsek. Congresses in Bonn) hingewieseo
worden ist.
Was nun die Technik und die Vorbereitungen zur Operation anlangt, so wurde
zunächst, wenigstens in den in der letzten Zeit operirten Fällen schon einige Tage
vor der Operation eine genaue Desinfection der Vagina mit Sublimat vorgenommen
und besonders auch die Portio und der Gervicalcanal mit Tinctr. Jodi getränkt. Diese
Vorsichtsmassregel wurde deshalb ausgeführt, damit man bei besonderer Erschwerung
der Gastration direct die Radicaloperation, wobei mau ja auf eine Eröffnung des Gavum
Uteri gefasst sein muss, anschliessen kann.
Ferner dürfte es sich empfehlen, wie wir es öfters gethan haben, in Fällen, wo
starke Blutungen vorhanden sind, wenn möglich einige Tage vorher eine Dilatation
und Ahtastnng des Gavum uteri vorzunehmen, zu curettiren, eveni Unebenheiten zu
entfernen und daran eine Aetzung mit 507« Acid. carbolic. oder einem andern Mittel
anzuschliessen. Dieses Vorgeben ist deshalb gerechtfertigt, weil einmal der Erfolg
der Operation durch kleine im Endometrium und besonders im Cervix zuröckgebliebene,
polypöse Gebilde vereitelt werden kann. Ferner ist es auch wönschenswertb, dass
die bei Myomen fast stets krankhaft veränderte Mucosa beseitigt resp. umgebildet
werde.
Die Laparotomien werden bei uns vollkommen aseptisch ausgeführt und zwar seit
einem Jahr mit feuchter Asepsis. (Feucbthalten der Abdominalhöhle mit warmer Eoch-
salz-Sodalösung während des Offenstehens der Peritonealhöhle, feuchte Eochsalz-Soda-
Tupfer, vergl. deren Vortheile in diesem Blatte 1893, Wdlthard, zur Verhütung der
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peritonealen Adhäsionen, und denselben im Archiv f. experim. Patbol. und Pharmakol.
Band XXX.) Als Dnterbindungs- und Ligaturmaterial benützen wir in der letzten
Zeit Catgut, welches durch trockene Hitze sterilisirt und in Sublimatalkobol anfbe*
wahrt wird. Wir haben deshalb die Seide als Unterbindnngsmaterial aufgegeben, weil
dieselbe nicht resorbirt wird und einen dauernden Beiz ansObt, der Veranlassung zu
Eisudation, besonders um den Stumpf, und zu Verwachsungen liefern kann. Die
sonstige Technik der Operation ist die allgemein übliche. Die Lagerung zur Operation
ist die Hochlagerung nach Trendelenburg, welche den Vorfall der Därme einschränkt
und den Zugang zur Tiefe des Beckens erleichtert. Der Bauchschnitt wird relativ
klein angelegt, so dass etwa die halbe Hand eingehen kann. Die Ovarien werden
durch die Finger nach Orientirung vom Uterus aus aufgesucht und wenn müglich
ohne weitere Instrumente vor die Bauchwunde gezogen. Wo dies nicht geht, wird,
um möglichst exact abbinden zu können, die Hegar'wbe Ovarienzange angewandt.
Bei der Abbindnng wird die Tube mit zu entfernen gesucht, vor allem schon deshalb,
um einen besseren Stiel bilden zu können. Auf diese Weise wird man auch der For¬
derung von Lawson-Tait gerecht, welcher Autor das Hauptgewicht auf die Entfernung
der Tube legt, da mit derselben ein Nerv ziehe, auf dessen Bahnen der Impuls zur
Menstruation nach dem Uterus verlaufe. Dieser Nerv müsse, wenn die Operation
Effect haben soll, durchtrennt werden. — Die Unterbindung geschieht mit der Des-
cftdwtp’schen Nadel nach 2 Seiten hin. Um eine eventuelle Nachblutung zu ver¬
hüten, wird oberhalb dieser Doppelligatur eine zweite in die Gewebe verankerte an¬
gelegt, die, wenn sich die erste lösen sollte, noch genügend comprimirt. Die
Abtragung der Ovarien erfolgt mit dem Paquelin. Durch die Anwendung desselben
vermeidet man nach Küstner am ehesten Adhäsionen, dann kann man aber auch
noch durch denselben etwa zurückgebliebene Reste des Ovariums am besten zer¬
stören.
Die Vereinigung der Bauchwnnde fand in der letzten Zeit in 3 fortlaufenden
Etagen statt. (Peritoneum, Musculatur -H Fascie, Haut.) Die versenkten Nähte
worden mit Gatgut ausgeführt, die Haotnaht mit Seide. Zur Compression der einzelnen
Wundschichten wurden noch einzelne tiefere Seidenknopfnähte gelegt.
Wenn wir die aus der Operation erwachsenen Besoltate, speciell die Vortheile,
gegen die etwaigen Nachtheile abwägen, so müssen wir zu dem Schlüsse kommen,
dass die Castration als Operation gegen die Beschwerden der Myome angelegentlichst
zu empfehlen ist, besonders dann, wenn eine radicalere Operation, wie es wohl meist
der Fall sein wird, grössere Gefahren involviren würde. Wir können sie, mit Aus¬
nahme der zu Beginn erwähnten Kategorien in allen Fällen mit Aussicht auf Erfolg
anwenden. Und wenn wirklich hie und da einmal eine Gastration ohne Erfolg aus¬
geführt wurde, so dass später noch eine 2. Laparotomie zum Zweck einer Radicalbe-
handlung nöthig wird, so ist dies noch kein Grund, um ein principieller Gegner zu
werden. Wir könnten sonst nicht bei der jetzt noch immerhin ziemlich wenig gün¬
stigen Prognose der Myomotomie einer ganzen Anzahl von Pat., deren Beschwer¬
den nicht den event. Gefahren einer Radicaloperation entsprechen, durch diese
relativ leichtere und günstigere Operation Erleichtung, ja sogar dauernde Heilung
verschaffen.
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Name
Alter
1
■ ? p.
.. . .. ■
Beschwerden
! Sitz des Tumors und Grösse
1) FranSch.
36
8 P.
Starke stechende Schmerzen im Leib.
Kindskop^r., intraligamentäres
Myom, von der r. Üteruskantc
ausgehend.
2) Frau N.
1
47
12 P.
Blutungen, die oft 3 Wochen anhielten. Starke
Anämie.
Faustgrosses interstit. Myom des
Fundus.
3) Frl. B.
31
0 P.
Blutungen bis 6 Wochen anhaltend, Harn¬
drang, Drängen nach unten. Nervöse Symp¬
tome.
Ueber faustgrosses interstit. Myom
des Fundus.
4) Frau Cr.
42
0 P.
Sehr profuse, unregelmässige, anteponirende,
schwächende Menses. Herzklopfen und Magen¬
beschwerden.
Eigrosses Myom der l. Wand
des Uterus, besonders de-s Cer vis.
5) Frau R.
45
0 P.
Profuse Menses, starke Dysmenorrhoe.
Apfelgrosses interstit. Myom der
hintern Wand des Corpus.
6) Frl. M.
33
0 P.
Starke Schmerzen im Leib und Kreuz, so
dass Pat. arbeitsunfähig war.
Klein eigrosses interstit. Myom
des Fundus.
7) Fr. Tsch.
45
0 P.
Starke Blutungen.
Ueber gänseeigrosser Tumor der
hintern Uteruswand.
8) Frl. B.
30
0 P.
Starke anteponirende Menses, Schmerz im
Leib, Zunahme des Umfanges des Abdomens,
Harndrang.
Faustgrosser interstit. Tomor der
vorderen Wand, apfelgrosses inter-
ligament. Myom der r. Wand.
9) Frau V.
41
1 P.
Starke, unregelmässige Menses, Uri nbeschwer¬
den. Nervöse Beschwerden.
Eigrosser subperit. Polyp der
vordem Wand, eigrosses interstit.
Myom der hintern Wand, meh¬
rere kleine subperitoneale Myome
am Fundus, kleines interljgam.
Myom r.
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- 211 ~
Einfluss der Operation
a. Grösse des Tamors. b. Blutangen. Bemerkungen
c. Nervöse Beschwerden.
Unregelmässige 5—6tägige Blutungen, wenig Heilung p. jpr. Bei der Pat. war 7 Monate vor der Castration,
^tark, ohne l^bmerzen. In der letzten Zeit als sie im tV. Monat gravid war. wegen starker Schmerzen die
keine Blutungen mehr. Geschwulst etwas ge- Laparotomie gemacht worden, aa man event. einen Ovarial-
wachsen. Keine nervösen Besehwerden, tumor vor sich zu haben glaubte. Da jedoch das Myom vor-
Schmerzen geringer wie früher. aussichtlich die Geburt ni(dit störte, wurde, um die Gravidität
nicht zu unterbrechen, weiter kein Eingriff vorgenommen und
4 Wochen nach der Entbindui^, bei welcher eine starke Nach-
geburtsblntung auftrat, die Castration gemacht. Operation:
14. October 1889.
Keine Menses. Tumor abgenommen. Keine Heilung p. pr. Vor der Operation vergeblich mit Curettement
nervösen Beschwerden. Zunahme der Kräfte, behanoelt. Befund d. Ovarien: Ovar, klein, Kinde mit nor¬
malem Stroma, aber ohne Follikel, also Atrophie. Operation:
8. Januar 1890.
Heilung p. Ovarien klein, cystisch degenerirt. Operation :
Menses erloschen, Allgemeinbefinden gut. Heilung p. pr. Operation: 14. April 1890.
Heilung p. pr. K. Ovarium nicht zu finden. L. Ovarinm
schwer in die Höhe zu ziehen, fast ganz von einer kleinen
Cyste eingenommen. Als dieselbe platzte, war der Rest nicht
mehr abzubinden. Die supra-vaginale Anmutation war nicht
möglich, da der Uterus sicn nicht in die Höhe ziehen liess.
Keine Menses, Allgemeinbefinden gut. Uterus Heilung durch geringe Stichcanaleiterung verzögert. Befund
klein, vom Tumor nichts zu fühlen. der Ovarien: Stroma normal, ohne LjTnphkörperchen. Sehr
wenig kleine Follikel, dagegen mehrere grosse. Auch collabirte
Follikel mit Membran. Granulös, und Corpor. alb. Operation :
7. Februar 1891.
Blutangen verschwunden. Tumor kleiner ge- Heilung p. pr. Vor der Operation Curettement und Ergotin
worden. Allgemeinbefinden sehr gut. Zur vergeblich versucht. Befund der Ovarien: Stroma unter der
Zeit der erwarteten Menses Congestionen. Oberfiäche stellenweise sehr kernreich. Zahlreiche Corpor. alb.
und kleine Follikel. Von der Oberfläche gehen zanlreiche
Einbuchtungen aus, die mit Cylinderepithel ausgekleidet sind.
An mehreren Stellen im Hilus-Stroma Gruppen von theils zu¬
sammenhängenden, schmalen Drüsenschläocnen, die von einem
einschichtigen Cylinder-Epithel ansgekleidet sind. Operation:
6. Mai 1891.
Heilung p. pr. Die Enucleation wegen starker Venenentwicke¬
lung zu gefährlich. Deshalb Castration beschlossen. Kein
Ovarium aufzufinden. Auch nicht nach Einführen der Sonde.
Operation: 15. Juni 1891.
Keine Blutung, Tumoren zurückgegangen. Heilung p. pr. Befund der Ovarien: Das kleinere 1. Ovarium
Allgemeinbefinden sehr gut. Geringe Con- zeigt zellreiches Stroma mit vielen Gräflichen Follikeln und
gestionen. Stärkere Corpulenz. Corp. alb. Das rechte grössere Ovarium zeigt einen ähnlichen
Befund, nur dass sich hier noch 2 collabirte Follikel mit
gewucherter Theea und ein Corp. lut. ver. finden. Operation :
6. Februar 1892. Direct vor der Operation Curettement und
Aetzen mit 507o Carbol.
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212
Name
Alter
? p.
Beschwerden
Sitz des Tumors und Grösse
10) Frau E.
48
1 P.
Blutungen, bis 6 Wochen anhaltend.
Gänseeigrosses interstit. Myom
der 1. Wand.
11) Frl. J.
41
0 P.
Starke Schmerzen im Leib, Anschwellung
desselben.
Subseröses eigrosses Myom der
vorderen Wand. Eine Reihe
kleinerer.
12) Frau Gf.
38
0 P.
Starke unregelmässige Menses, Schmerz im
Leib. Nervöse Beschwerden.
Eigrosser subser. Tumor der vor¬
dem Wand, kindskopfgrosse»
interstit. Myom des Funoos.
13) Frl. Gl.
38
0 P.
Starke unregelmässige Blutungen. Grosse
Schwäche. Schmerzen im Leib.
lieber faustgrosses 1. interligam.
Myom.
14) Frau M.
41
0 P.
Atypische bis 1 Monat anhaltende Blutungen,
starke Ansemie.
Eigrosser Tumor der vordem
Uteruswand.
15) Frau B.
42
0 P.
Schmerzen und Gefühl eines Fremdkörpers
im Abdomen.
Apfelgrosses, subperiton. Myom
der vordem Wand.
16) Frau L.
41
5 P.
Starke unregelmässige Blutungen, Schmerzen
im Leib.
Kindskopfgrosses interstit. Myom*
17) Frau WJ
38
0 P.
Profuse Menses, öfters Harnverhaltung.
üeber kindskopfgrosses interstit.,
z. Th. snbmucös entwickeltes
Myom.
18) Frl. P.
45
0 P.
Dysmenorrhoe. Schmerzen im Leib, öfters
Harnverhaltung, so dass Catheter nöthig war.
Mannskopfgrosses intcrstitMyom
des Funaus.
19) Frau L.
36
2 P.
Starke Schmerzen.
Kindskopfgr. interligam. Myom
des Cervix.
20) Fraa B.
43
3 P.
Starke unregelmässige Menses, starke Ansemie,
Schmerzen im Leib.
Rindskop^r. submucöses Myom
der vordem Wand.
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213
Einfluss der Operation
t. Grome des Tamors. b. Bluiangen.
c. Nervöse Beschwerden.
Keine Blutung mehr. Tnmor anch in Nar¬
kose nicht m^r nachznweisen. Fluor.
Keine Menses. Allgemeinbefinden gnt. Frü¬
here Schmerzen verschwanden. Tnmor gleich
geblieben.
Menses erloschen. Tumoren kleiner gewor¬
den. Schmerzen verschwunden. Allge¬
meinbefinden gut. Keine nervösen Beschwer¬
den. Im Gegentheil die firühern sind ver¬
schwunden.
Nach der Operation hie und da etwas Blut-
ibgang: seit keine Blutung mehr.
Geschwulst gleich geblieben. Gutes Allge-
nieinbefinden. Keine Ansemie. Zunahme des
Körpergewichtes um 20 Pfund. Zur Zeit
der erwarteten Menses Hitze und Ziehen
im ganzen Körper. Fluor.
5 Wochen lang nach der Operation Blutung,
seitdem keine Menses, die Geschwulst ist
kleiner geworden. Allgemeinbefinden be¬
deutend oesser. — Congestionen und Herz¬
klopfen.
Menses verschwanden. Tumor kleiner ge¬
worden. Allgemeinbefinden gut. Hie und
da Congestionen.
Menses alle 4 Wochen, die Hälfte weniger
Blutverlust als vor der Operation. Schmerzen
aur noch gering. Allgemeinbefinden gut.
1 Mal Blutung im Sept. 1893, viertägig,
seitdem nicht mehr. Tumor kindskopfgross,
weich sich anfühlend. Keine Beschwerden.
Beischlaf lästig geworden.
Keine Menses, Tumor zurückgegangen, ab¬
solut keine Beschwerden.
4 Monate nach der ^eration an Phthise
gestorben. Bei der Entlassnug war Pat.
frei von Schmerzen.
Bis letzt keine Menses, nachdem etwa 3
Wochen lang nach der Operation schwache
Bintang angehalten hatte. G^hwulst nicht
reriadert. Pat. fohlt sich kräftiger als vor
der Operation.
Bemerkungen
Heiln^ p. pr. Befand der Ovarien: Rinde schmal, ohne Pri-
mitiv-FoUikel, mit spärlichen grossem Follikeln, die noch
Membran, granulös, haben. Stroma normal. Viele Corpor.
alb. Atroph, der Ovarien. — Operation: 9. Angnst 1890. Am
Tage vorher Abtasten des Cavnm nteri, Cnrettement, Aetzen
mit Acid. nitr. fnm. Tamponade mit Jodoformgaze.
Heilung p. pr. Befand der Ovarien; Stroma normal. Zahl¬
reiche grosse Follikel und Corpor. alb. An einer Stelle eine
grosse Anzahl kleiner Follikel. Operation. 23. Mai 1892.
Heilung durch einen r. Lnngeninfarct gestört. Befand der
Ovarien: Im einen Ovarinm ein Corp. Int. Zahlreiche grosse
Follikel und Corpor. alb. Wenig kleiue Follikel. Stroma
normal. Operation 8. Juni 1892.
Heilung p. pr. Operation: 9. November 1892.* Vorher Curette-
ment, Aetznng mit Acid. nitr. fnm. Tamponade des Utems
mit Jodoformgaze.
Heilung p. pr. Operation: 21. November 1892. Vorher Cu-
rettement, Aetzen mit Acid. nitr. fnm. Tamponade des Uterus
mit Jodofonngaze.
Heilnng p. pr.
Heilung durch
Mai 1892.
Heilung p. pr.
Operation: 7. December 1892.
einen Lnngeninfarct gestört. Operation:
Operation: 5. März 1893.
16.
Heilnug p. pr. Operation: 2. März 1893.
Conservative Sectio ceesar. im V. Monat der Gravidität. Ver¬
such der Castration. Das zweite Ovarinm kann wegen starker
Gefässentwickelnng nicht entfernt werden. Abbinden der ent¬
sprechenden Tube. Reconvalescenz dnrch Anfplatzen der Bauch¬
wunde gestört. Operation: 6. März 1893.
Heilung p. pr. Operation: August 1893.
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214
Ein Fall von Schussverletzung durch das neue Schweiz. Ordonnanzgewehr,
Modeli 1889.
Von Dr. Fr- Brunner am Krankenasyl Neumünster.
Die Eigenthümlichkeiten der durch die modernen kleinkalibrigen Geschosse er¬
zeugten Wunden sind durch theoretische Betrachtungen und Schiessversuche längst
klargelegt und in der deutschen Litteratur namentlich von BircJier, v, Bruns und
Bdbart eingehend erörtert worden. Es hat sich gezeigt, dass die Wirkung der neuen
Waffen auf den menschlichen Körper vielfach anders ist als die der alten. In Folge
der viel grössern Energie und der geringen Deformirbarkeit der neuen Geschosse findet
die Wirkung viel ausschliesslicher in der Bichtung der Flugbahn statt und sind die
seitlichen Wirkungen weniger bedeutend oder ganz null: das Durchschlagsvermögen ist
bedeutend erhöht, selten bleibt ein Projectil im Körper stecken, es ist im Gegentheil im
Stande, drei bis vier menschliche Körper zu durchdringen, bevor sich seine Kraft er¬
schöpft, die hydraulische Pressung ist geringer, die Röhrenknochen werden weniger
zersplittert und es kommen viel häufiger reine Lochscbösse ohne seitliche Zerstö¬
rungen vor.
Es ist nun interessant, diese durch Schiessversuche an Leichen und lebenden
Thieren gewonnenen Resultate durch Beobachtungen am lebenden Menschen, der sich
in einigen Beziehungen anders verhält, zu controliren und es sind bereits aus Oester¬
reich durch Bogdanik und Hdbart eine ganze Reihe von Schussverletzungen mit dem
8 mm Mannlicher - Gewehr, welche bei den Aufständen in Biala und Nnrschan
vorkamen, beschrieben worden. Daher verlohnt es sich wohl auch, einen Fall von
Schussverletzung durch unser neues Gewehr bekannt zu geben, um so mehr, als es der
erste ernstliche derartige Fall zu sein scheint und als die Construction unseres Ge¬
schosses eine besondere ist und deshalb die Ergebnisse deutscher Autoren nicht ohne
Weiteres auf unsere Waffe übertragen werden können. Der Fall ist folgender:
Am 18. April 1893 kehrten einige Bewohner des Dorfes D. von einer freiwilligen
Schiessübung auf der Wollishofer Allmend in ihren Wohnort zurück. Oberhalb des Dorfes
Hirslanden auf offener Landstrasse wollte ein Schütze den andern zeigen wie man zielen
müsse, er legte auf einen ca. 20 Meter vor ihm stehenden Cameraden an, drückte los
und traf denselben, da er vergessen hatte sein Gewehr zu entladen, in die linke Schulter.
Ein zufällig vorbeifahrender Wagen brachte den Verletzten nach dem nahe gelegenen Kran¬
kenasyl Neumünster, wo ich ihn^leich nach der Ankunft, ca. Stunde nach dem Unfall,
sah. Derselbe, ein magerer aber musculöser 29jähriger Landwirth, hatte den Schuss er¬
halten, während er sich in aufrechter Stellung mit herabhängendem linken Arm dem
Schützen zukehrte, er hatte nur geringen Schmerz verspürt, war nie besinnungslos ge¬
wesen, zitterte aber wie Espenlaub. Eine stärkere Blutung soll nie bestanden haben.
Zuerst wurde vom Geschosse der fest auf dem Laufe sitzende Mün¬
dungsdeckel durchbohrt, weggerissen und dem Verletzten in Nabelhöhe an die Weste
geschleudert, ohne ihm weiter Schaden zu thun. An seinem Boden fand sich ein rundes
Loch vom Geschossdurchmesser mit nach aussen umgestülpten Rändern ohne grössere
Risse oder Sprünge. Dann schlug das Projectil durch die Vorderseite von Rock, Weste
und Hemd, in diesen Kleidungsstücken ein scharfes, wie mit dem Locheisen gemachtes,
7 mm im Durchmesser haltendes Loch verursachend, drang ca. 3 cm unterhalb des
Schlüsselbeins in der AfoArcnÄeewi’schen Grube in den Körper, verliess denselben etwas
unterhalb der Spina scapulee und erzeugte noch in den Rücktheilen der Kleider drei-
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215
strablige Risse. Der Einschuss war kreisrund, wie mit dem Locheisen geschlagen, vom
Durchmesser des Geschosses, mit bräunlichen Rändern, seine Umgebung ziemlich stark
Yorgetrieben, blutunterlaufen, deutlich pulsirend; auch der nächstliegende (äussere) Theil
der Supraclaviculargrube war angeschwollen. Der Ausschuss war ebenfalls kreisrund,
scharfrandig, ohne Einrisse, 10 mm im Durchmesser, mit blutunterlaufener, yorgetriebener
Umgebung. Die Lunge war unverletzt, überall hörte man Yesiculärathmen, keine Dyspnoe,
kein Husten. Eine Fractur der Scapula liess sich nicht nach weisen, das Schultergelenk
war unverletzt. Der Radialpuls, nach dem ich zuerst gegriffen, war links ebenso kräftig
wie rechts, soweit sich dies bei dem zitternden Menschen feststellen Hess. Setzte man
das Stethoscop in die Supraclaviculargrube, so hörte man ein lautes brausendes
systolisches Geräusch.
Der genaue Verlauf des Schusscanales liess sich erst später nach circa drei Wochen,
als die Theile wieder abgeschwollen waren, feststellen; er ging die Spitze des Proc.
coracoides streifend hart über die grossen Gefösse und den N. medianus hin nach dem
Schulterblatt, das er 2 Y 2 cm unterhalb der Spina durchbohrte, seine Richtung war von
vom nach hinten und etwas nach aufwärts und nach aussen gehend. Versuche an der
Leiche zeigen in der That, dass man in dieser Richtung einen 7,5 mm dicken Stab
durch den Körper stossen kann und hiebei unmittelbar über dem Nerven hingleitet ohne
ihn oder die Gefässe zu verletzen.
Anfangs erweckte das Geräusch in der Supraclaviculargrube in mir den Verdacht
einer seitlichen Verletzung der Art. subclavia; da jedoch eine primäre Blutung sicher
nicht vorhanden gewesen war — auch das Hemd war nur mässig mit Blut durchtränkt —
und es nicht mehr wichtig blutete, so beschloss ich zu warten, indem ich Alles zur
Unterbindung der Subclavia bereit machte. Die Umgebung der Wunden wurde ohne
letztere selbst zu berühren desinficirt und mit Jodoformgaze und Holzwolle verbunden.
Der Heilnngsverlauf war günstig, wenn auch nicht ganz aseptisch. Eine Nachblutung
trat nicht ein, es musste zwar am zweiten Tage der Verband wegen blutiger Durch¬
tränkung gewechselt werden, allein der zweite Verband blieb 8 Tage bis zum 25. April
liegen. Es fand sich damals in ihm dünnflüssiges, eitriges, etwas grünlich gefärbtes
Secret nnd vor dem Ausschuss ein feiner, 2 mm langer Bleisplitter. Die höchste Tem¬
peratur (38,0^ bestand am dritten Tage, von da ab flel die Temperatur in vier
Tagen auf die Norm. Am 13. Mai Entlassung: die Wunden waren trotz ihrer Kleinheit
noch nicht völlig vernarbt, granulirten aber gut und waren in 8 Tagen zu Hause voll¬
ständig geheilt. Die Mohrevtheim*%Q\ie Grube war immer noch etwas geschwollen, pul-
sirte noch und in der Supraclaviculargrube war Brausen zu hören, dagegen war an der
Brachialis kein Geräusch hörbar. An der Scapula keine nachweisbare Fractur, Schulter¬
gelenk passiv gut beweglich, doch kann wegen Atrophie des Deltoides der Arm activ
nicht gehoben werden, es besteht aber keine Entartungsreaction und nirgends im Gebiete
des Plexus brachialis motorische oder sensorische Lähmung. Radialpuls beiderseits gleich.
Als ich am 5. September 1893, also fünf Monate nach der Verletzung, den Pa¬
tienten wieder sah, war alles vernarbt: unter beiden Hautnarben ziehen sich Stränge
senkrecht in die Tiefe, die MohrenheM^oYLB Grube ist nicht mehr vorgetrieben, nirgends
ist mehr Brausen zu hören, wenn das Stethoscop sorgfältig aufgesetzt wird. Eine Aneu-
rysmenbildung ist ausgeschlossen, auch der Deltoides hat sich erholt.
Der Fall zeigt in typischer Weise die Wirkung der kleinoalibrigen Geschosse.
Obschon das Projectil beim Durchbohren des Mündungsdeckels gewiss beträchtlich von
seiner Energie einbösste, so war es doch noch im Stande/den Körper in einem engen
Canale za durchsetzen, ohne seitliche Zerstörungen zu bewirken, ohne die Gef&sse und
Nerven, über welche es hart vorbeistrich, zu verletzen und ohne das Schulterblatt zu
zersplittern. Eine Vetterlikugel hätte unter ähnlichen Verhältnissen wegen ihres
grössern Calibers und geringem lebendigen Kraft grössere Gefäss- und Knochen-
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216
Verletzungen gemacht. Auffallend ist die grosse, runde, nicht eingerissene Ausschuss-
Öffnung, da sonst bei den Schiessversucben in der Gegend des Schulterblattes nur kleine
runde oder schlitzförmige Ausschüsse beobachtet wurden. Es bängt dies vielleicht ab
von der Construction unseres Geschosses und hätte sich ein Mantelgeschoss anders
verhalten. Wahrscheinlich hat sich das Projectil vor dem Schulterblatt, an dem etwas
Blei abgerieben wurde, ein wenig gestaucht. Die rissfOrmige Durchlöcherung der
Bücktbeile der Kleider deutet die verminderte Energie an. — Obschon die Subclavia
selbst nicht getroffen wurde, so ist es doch leicht möglich, dass eine grossere Arterie
verletzt wurde, denn die Sugillation war bedeutend; trotzdem floss nur wenig Blut
nach aussen und es scheint gerade eine Eigenschaft der neuen Schusswunden — die
sich an der Leiche nicht constatiren lässt — zu sein, dass in dem engen Canal das
Blut leichter gerinnt und die Blutung nach aussen und im Ganzen geringer ist.
Schliesslich noch ein Wort über das brausende Geräusch über der Art. subclavia,
das mich Anfangs eine Verletzung dieses Gewisses annehmen Hess. Ich habe mich
seither überzeugt, dass man bei manchen (durchaus nicht immer anämischen) Indi¬
viduen ohne Weiteres ein ähnliches Geräusch hOrt, bei vielen sowie auf das Stethoscop
gedrückt wird. Unser Patient hatte einen stark hebenden Herzstoss ohne Herzhjper-
trophie und die übrigens reinen HerztOne waren weit über die Grenzen des Herzens
hinaus hOrbar. Auch in der rechten Snpraclaviculargrube war das Geräusch zu hOren,
sowie nur ein wenig auf das Stethoscop gedrückt wurde, links aber war es Anfangs
immer, auch ohne Druck hOrbar und wurde offenbar hervorgebracbt durch Compression
der Art. subclavia durch den ihr unmittelbar anliegenden Bluterguss. Letzterer ver¬
mittelte auch die auffallend starken Pulsationen in der Jtfo/wenAeim’scben Grube. Es
verdient das Vorkommen dieses Compressionsgeräusches bei Verletzungen in unmittel¬
barer Nähe der Subclavia gewiss Beachtung. Leider wurde unterlassen, gleich Anfangs
die Art. azill. oder bracbialis zu auscultiren, was für die Diagnose der Gefässverletzung
nach den Ausführungen v. WaM'i wichtig gewesen wäre. Später fand sich kein Ge¬
räusch an denselben.
Ein schöner Erfolg der Sublimatmethode bei Leberechinococcus.')
Von Dr. Carl Blumer in Mühlehomv
Frau E. M.-Z. in N. ist seit 1879 leidend. In jener Zeit, also vor circa 15
Jahren, stellten sich bei der Patientin ausserordentlich heftige Schmerzen im Epi-
gastrium ein, die in die rechte hintere Thoraxhälfte bis unter die Scapula und die
Schulter hinauf ausstrahlten. Die Schmerzen worden damals anf den Magen bezogen.
Morphiuminjectionen brachten jeweilen Erleichterung, nach circa 5 Wochen trat Besserung
ein. Dieselben ErscheinuDgen wiederholten sich nun namentlich jedes Frühjahr und
fesselten die Patientin für 4 bis 5 Wochen an’s Bett. Allmählig wölbte sich das rechte
Hypochondrium vor. Die Leber schien zu wachsen und nun wurden die Symptome auf
diese bezogen. 1881 gesellte sich hartnäckige Gelbsucht hinzu mit starkem Durst und
unausstehlichem Jucken. Dieser Icterus dauerte 2 Jahre und war sehr intensiv. Seit
dem Beginn desselben schwellten zeitweilig die Füsse und Unterschenkel ziemlich stark
an; 1892 machte Fr. M. eine localisirte, linksseitige trockene Pleuritis durch. Ende
December 1892 nun weilte Patientin auf Besuch bei ihren Eltern in M. Sie war gravida
*) Vorgestellt in der med. Gesellschaft des Cantons Glarus, 25. Nov. 1893.
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217
und da sich ganz unverhofft am 31. d. M. sehr lebhafte Wehen einstellten, wurde ich
gerufen, weil Fr. M. für ihre kranke Riesenleber fürchtete. Am Neujahrsmorgen erfolgte
die Geburt eines circa 24 Wochen alten Mädchens.
Das Abdomen der Patientin wies bei meinem Besuche sehr auffallende Erscheinungen.
auf, deren Deutung mir vorher nicht geglückt war. Jetzt, nachdem der Uterus entleert,
contrahirt hinter der Symphyse lag, hatte man einfachere Verhältnisse. Der gewaltige
Leibesumfang hatte sich durch die Geburt kaum merklich vermindert. Derselbe betrug
bei der magern Patientin über den Nabel gemessen 101 cm. Aufgetrieben war besonders
die rechte Bauchhälfte und daselbst constatirte man percutorisch und palpatorisch einen
riesigen, fluctuirenden Tumor mit grossbückeligem Rande. Von diesem Tumor wird die
rechte Abdominalhälfte fast complet ausgefüllt, er reicht herunter beinahe bis zur Crista
ossis ilei. In die Regio inguinalis dext. hinein ragt zapfenformig noch ein besonders
langer Fortsatz. In der Medianlinie überschreitet die Geschwulst den Nabel nicht. — Die
untere rechte Thoraxapertur ist aufgetrieben und in der Mitte zwischen dem Rippenrande
und dem Nabel in der Mamillarlinie hatte der Tumor seine höchste Erhebung. Die Ge¬
schwulst, obschon respiratorisch nicht verschieblich, schien doch ganz unzweifelhaft der
Leber anzugehdren. Die Untersuchung der andern Organe fällt negativ aus. Es besteht
kein Ascites. Nirgends finden sich Oedeme. Die Diurese gab niemals zu Klagen
Anlass. Dagegen leidet Pat. seit dem Bestehen dieser Geschwulst an hartnäckiger Ob¬
stipation. Temperatur, Puls, Respiration zeigen jetzt bei ruhiger Bettlage keine be-
merkenswerthen Veränderungen. Fr. M. ist sehr abgemagert und macht einen cachecti-
schen Eindruck. Sie fühlt sich schwach und ist psychisch sehr deprimirt. Die Geschwulst
beschwere sie derart, dass sich beim Herumgehen und namentlich beim Steigen Athemnoth
und Beklemmung einstelle. Seit circa 1 Jahre quäle sie beständig trockener Husten.
Die Diagnose „Echinococcus der Leber^ schien mir nach der Anamnese und dem
Befunde kaum zweifelhaft, zumal da ich wusste, dass sich der Vater der Patientin als
Metzger stets Hunde hielt.
Am 31. Januar dieses Jahres machte ich dann die Probepunction und schloss hieran
gleich die Aspiration um ein Ausfliessen, eine Aussaat in die Peritonealhöhle zu ver¬
hindern. Mit einem feinen Trocart stach ich auf der Höhe des Tumors des besseren
Verschlusses wegen möglichst schräg ein und entleerte gut 572 Liter einer gleichmässig
gelberbsenfarbigen, fleckenlosen, emulsiven Brühe. Die Punctionsstelle wurde mit etwas
Sublimatcollodium verschlossen und nun hatte Patientin einige Tage absoluter Bettruhe
zu pflegen. In diesem Sinne verschrieb ich ihr auch noch etwas Opium. In wenigen
Tagen hatte die Geschwulst wieder die frühere Grösse erreicht bei lebhaftem Durst und
sparsamer Diurese. In einem halben Dutzend mikroscop. Präparate der Punctionsflüssigkeit
fanden sich keine Blasen, keine Scolices, keine geschichteten Membranen oder Haken, auch
enthielt die Flüssigkeit keinen Eiter oder Harnstoff.
Am 14. März punctirte ich abermals. Es gelang aber nicht, den Tumor zu ent¬
leeren, da sich die Kanüle immer und immer wieder mit Flocken verstopfte. Nachdem
ich mit Mühe circa 30 ccm des Cysteninhaltes herausbekommen hatte, injicirte ich dem
Verfahren von Bacelli und andern folgend (Der Loberechinococcus und seine Chirurgie
von Prof. C. Langenbuch 1890, pag. 94) 20 gr van Swieten^scher Lösung (Sublimat
1,0 : 1000,0 Aqua). Auf die Punctionsstelle kam diesmal ein Wattetampon, befestigt
mit Heftpflaster und Collodium. Patientin lag diesmal 8 Tage. Vom Erfolg dieser Iii-
jection versprach ich mir nicht viel, da die Verdünnung von 20 gr l®/o Sublimatlösung
mit über 5500 ccm Cysteninhalt doch eine zu grosse werden musste, um dem Wurm den
Tod zu bringen.
Als ich nach lys Monate langem Zuwarten am Tumor keine deutlichen Spuren
des Abnehmens beobachtete, entschloss ich mich zur dritten Punction. An der Stolle der
früheren Einstiche Adhäsionen voraussetzend und auf die definicirende Wirkung des
Sublimats vertrauend wählte ich am 2. Mai einen dickeren Trocart; diesmal konnte die
15
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Cyste wieder leer gepumpt werden und ich füllte dann 30 gr van ÄW^fe^’scher Lösung
nach und entfernte, dieselbe zurücklassend, den Trocart.
Bei dieser Aspiration wurden nur 4 Liter einer gleichmässig schmutzig bernstein-
gelblichgrünen Brühe gewonnen. Die Yermuthung liegt sehr nahe, dass schon die erste
Sublimatwasserinjection nach und nach doch zum Ziele geführt haben würde. Der Tumor
wuchs in früherer Weise rasch wieder, erlangte aber nie mehr seine alte Prallheit und
am 28. Mai war das Abnehmen der Geschwulst ganz evideQt. Die Hydatide war
schwappend schlaff und der Leibesumfang auf 82 cm zurückgegangen. Am 30. Juni
endlich betrug derselbe nur noch 76 cm, also etwa das normale Maass. Der Tumor
freilich war immer noch gut kindskopfgross, indessen ent Hess ich die Patientin in der
Voraussetzung, die Sache werde sich successive schon machen. Das Allgemeinbefinden
war jetzt schon ein wesentlich besseres. Nach geraumer Zeit sollte sich Fr. M. wieder
zeigen. Meine Voraussetzung findet sich heute vollauf bestätigt. Die Patientin sieht
verjüngt und gut genährt aus, ist lebensfroh und hat über gar nichts zu klagen. An
Stelle des alten, grossen Tumors palpirt man heute, also 30 Wochen nach der letzten
Punction einen sehr viel kleinem gut faustgrossen. Vermuthlich wird dieser Geschwulst-
rest nach und nach noch mehr schrumpfen, vielleicht verkalken. Der Leibesumfang be¬
trägt heute bei besserem Fettpolster 73 cm.
Diese Art der Behandlung hatte Patientin ausserordentlich wenig alterirt oder
genirt; sie lag jeweilen nur 5 bis 8 Tage zu Bette; dazwischen besorgte sie wie vorher
leichtere, häusliche Arbeiten oder ging promeniren. Erscheinungen von Sublimat-Intoxi-
cation wurden niemals beobachtet. Die Resorption fand übrigens nur sehr langsam statt
und die Verdünnung in der Cyste war zudem noch eine sehr starke.
Beim Durchmustera der diesbezüglichen Litteratur ist mir aufgefallen, wie wenig
diese einfache Methode geübt wird; dieselbe dürfte bei Etablirung des Wurms an subtilem
Localitäten, Auge, Rückenmark, mit der Pravazspritze ausgefdhrt, besonders werthvoll
sein. Statt Sublimat sind auch /3-Naphthol, Jodoformöl im gleichen Sinne mit Erfolg an¬
gewendet worden. Ob in meinem Palle der Wurm todt war, weiss ich nicht; nach dem
Aussehen der Punctionsfiüssigkeit möchte man es glauben. Der Erfolg des Sublimats bei
todtem Wurm wird bezweifelt, indessen dürfte das Sublimat nicht nur intensiv wurmtödtende
Eigenschaften besitzen, sondern auch die Cystenwand selbst günstig beeinflussen.
ln der Discussion wurde differentialdiagnostisch an die Möglichkeit einer Eydro-
nephrose gedacht. Herr Dr. FrüzscJie findet den Tumorrest noch fluctuirend, nach der
Leber zu verschieblich und derselben angehörend.
Aus der conservirten Flüssigkeit der dritten Punction gelingt es Herrn Dr. Cloetia^
z. Z. Assistenzarzt im Cantonsspital, mittelst Centrifugiren Kriterien (Haken) des Echino¬
coccus zu gewinnen, wodurch über die Natur des Tumors jeder Zweifel gehoben wurde.
Ein Fall ausgeprägter Intoleranz gegen Jodpräparate.
Im Februar 1891 erlitt ich durch Sturz auf die rechte Parietooccipital-Gegend eine
Commotio cerebri. Seit dieser Zeit machen sich hie und da unangenehme Kopf¬
schmerzen von eigenthümlich reissendem Charakter an dieser Stelle geltend. Um diesem
Uebel abzuhelfen, entschloss ich mich am 12. Februar 1894, als die bezüglichen Er¬
scheinungen wieder auftraten, Jodkali als Resorbens anzuwenden. 872 Uhr Vormittags
1 gr in wässeriger Lösung; momentan Brechreiz, der aber unterdrückt werden kann;
5 Minuten später eine Tasse Milch-Caffee. Um 11 Uhr a. m. stellen sich bereits die
ersten Erscheinungen eines Nasen-Racben-Catarrhs ein. Kaum eine Stunde später hat
sich schon eine Stomatitis mit sehr lästiger Gingivitis hinzngesellt; das Zahnfleisch ist
erheblich geschwollen und blutet auf Druck leicht. Um 2 Uhr p. m. stellt sich eine
Neuralgia supra-orbitalis sinistra ein mit intensiv stechenden ziehenden Schmerzen. Die
linke Gesichtshälfte ist gerötet, die rechte blass. Nach Verfluss von kaum einer
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219
Stunde die gleiche Erscheinung im Bereich des rechten Nervus snpraorbitalis. Circa
um 4 Uhr p. m. haben die Neuralgien ihren Höhepunkt erreicht, indem nun alle 3
Trigeminus - Aeste sehr schmerzhaft werden; Flimmern in den Augen, starkes Thränen,
Ohrensausen, spannendes Gefühl in beiden Parotiden, starke Speichelsecretion. Zu
gleicher Zeit tritt im linken, äussern Augenwinkel im Bereich des obem Lides eine
ziemlich schmerzhafte Schwellung auf, die sich langsam gegen die Nase hin ausbreitet.
Kurz nachher dieselbe Erscheinung am rechten Auge. Um 6 Uhr Abends Temperatur
37,8®, Puls 62—80 unregelmässig, welchselnd stark, voll und gespannt. Ausgesprochene
Herz-Palpitationen. Antineuralgica bleiben erfolglos, so dass schliesslich Morphium
muriatic. in Anwendung kommt (innerhalb 2 Stunden 3X0,015 gr) sowie kalte Umschläge
auf Gesicht und Hals. Die fürchterlichen Schmerzen werden nach und nach dumpfer,
Schlaf unmöglich. Gegen Mitternacht beängstigender Kehlkopf-Catarrb ; typisches stridoröses
Athmen, verstärkte Herz-Palpitationen. Am 13. Februar, 8 Uhr a. m., hat die Schwel¬
lung der beiden obern Augenlider ihren Höhepunkt erreicht. Die Haut ist über dieser
Partie des Gesichtes blassrot, fühlt sich nicht erhöht temperirt an. Die Geschwulst ist
weich elastisch; die Nasenwurzel und die untern Augenlider sind frei. Temperatur 37,5®,
Puls 68—75. Stimme immer noch fast aphonisch. Gegen Mittag gehen nach fleissigem
Gurgeln mit kaltem Wasser die catarrhalischen Erscheinungen wesentlich zurück. Harn¬
menge am 12. Februar 1894 bedeutend vermehrt, Urin hell und klar; am 13. Februar
trotz vielen Wassertrinkens Urinmenge vermindert, Harn dunkel, starkes Sediment. Es
fehlt leider die Gelegenheit, den Harn auf Jod und eventuell auf Eiweiss- und Zucker¬
gehalt zu untersuchen. Stuhl diarrhoisch, Appetit schlecht, Zunge stark belegt; Neural¬
gien nicht mehr bedeutend.
Schlaf vom 13. auf den 14. Februar ordentlich auch ohne Morphium. Am 14. Fe¬
bruar Morgens immer noch ausgesprochener Jodgeschmack im Munde; im Speichel, der
weniger dünnflüssig, mässige Zahl tiefblauschwarzer Körnchen. Die Schwellung der
Augenlider geht wesentlich zurück.
15. Februar 1894. Sozusagen völlige Restitutio ad integrum; immerhin resistirt
eine leichte Conjunctivitis und am rechten obern Augenlid hat sich ein kleines Hordeolum
entwickelt, das auf der innem Seite des Lides leicht eröffnet werden kann.
Zürich, Februar 1894. A. Mauchk,
Beitrag zur Myopie-Frage.
Die unter meiner Leitung von Herrn Dr* B, Jankowski ausgeführte statistische
Bearbeitung eines von Herrn Dr. Eissen herrührenden auserlesenen Untersuchungsmaterials
betreffend die Relationen zwischen Orbitabau und Myopie ist in Nr. 22 dieses Blattes,
pag. 773 und 774, von Herrn Dr. MelUnger referirt worden in einer Weise, die mich
zu einigen Bemerkungen veranlasst.
Aus den ausserordentlich reichen positiven Zahlenresultaten, die zur Zeit Niemanden
mehr überrascht haben, als mich selbst, theilt der Referent ein einziges mit, das abrupt
hingestellt keinen Leser des Corr.-Blattcs in den Stand setzt, auch nur einigermassen
eine Einsicht in die Ergebnisse der mühevollen Arbeit zu gewinnen.
„Die Arbeit zeigt,“ resümirt allerdings der Kritiker, „dass wir mit Anwendung der
SUlling^^eYken. Methode bei der Myopie niedrige Orbit® Anden, doch beweist sie auch
nicht, dass die Myopie eine Folge der niedrigen Orbita ist.“
Die zuerst von Schmidi-Ilimpler ausgesprochene Idee, nicht die Orbita übe einen form-
verändemden Einfluss auf den Bulbus, sondern im Gegentheil dürfte die Gestalt der Orbita
von der Grösse und Form des Bulbus ihr Gepräge erhalten, wird von Herrn MelUnger
aufgegriffen und weiter ausgeführt; „Die Stilling^Qh^ Theorie wird für mich immer
etwas Unwahrscheinliches behalten , weil sie die Voraussetzung verlangt, dass bei der
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220
Myopie ausnahmsweise der Weichtheil (Bulbus) sich nach dem Wachsthum des Knochens
(Orbita) richte.“
Es kann hier nicht meine Aufgabe sein, auf den Inhalt des zweiten Heftes der Mit-
theihingen aus Kliniken und medicinischen Instituten der Schweiz näher einzutreten.
Hoffe, dass eine Reihe Collegen durch Lectüre des Originals eine eigene Meinung sich
bilden werde. Einzig gegen die erwähnte Auffassung der Verhältnisse durch Schmidt-
Bimpler und Mellinger seien mir einige Einwendungen gestattet.
Die Thatsaohe, dass frühzeitiger Verlust des Bulbus ein Kleinerbleiben der kind¬
lichen Orbita zur Folge hat, wird von den beiden Herren als Stütze ihrer Ansicht be¬
nützt. Dieser Grund ist aber nicht einwandsfrei. Würde hier der mangelnde Gegendruck
des fehlenden oder verkleinerten Auges gegenüber dem allgemeinen Wachsthum des
umgebenden Knochengerüstes einzig und allein die Formveränderung der Orbita bedingen,
so müsste entsprechend der annähernden Kugelgestalt des normalen kindlichen Auges die
Orbita concentrisch sich verengern. Dem ist aber keineswegs so. Die Orbita reducirt
sich in diesem Falle wesentlich nur in ihrer Höhe, sie wird zu einer horizontalen Spalte.
Es liegt viel näher anzunehmen und es ist dies auch von anderer Seite angenommen
worden, dass in diesen Fällen der Druck des Unterkiefers auf den Oberkiefer beim
Kauen die ausschlaggebende Potenz sei. Die von unten nach oben wirkende Kraft findet
am fehlenden Bulbus keinen passiven Widerstand. Von der Seite her wirkt keine ana¬
loge Kraft und hier macht sich das Fehlen des Bulbus für Grösse und Gestalt der Orbita
nicht oder in sehr untergeordneter Weise geltend.
Sollte aber einzig die Form des Bulbus für die feinem aber gesetzmässigen Ge-
staltsVeränderungen, wie sie im Typus der Masse sich aussprechen oder wie sie bei den
verschiedenen Refractionen sich finden, verantwortlich gemacht werden, wären die that-
sächlich beobachteten Veränderungen der kindlichen Orbita nicht erklärbar.
Da ich, wie angedeutet, von einem Eingehen in die Arbeit von Jankowshi absehen
muss, sei es mir nur gestattet, an die Tabelle VIII derselben zu erinnern, welche die
Durchschnittsmasse der Höhe und Breite der Augenhöhlen bei den verschiedenen Re¬
fractionen enthält. Diese Tabelle sagt uns, dass der erwachsene Myope eine Orbita be¬
sitzt, die durchschnittlich um 1 mm breiter und um 2 mm niedriger ist als die der
Emmetropen und Hypermetropen.
Käme bei der Formirung der Orbita wesentlich nur der Gegendruck des wachsen¬
den Bulbus in Betracht, so wäre es nicht erklärlich, dass der nicht nur in der Längs¬
achse, sondern vielfach auch in andern Richtungen vergrösserte myopische Bulbus eine
Verbreiterung der Orbita von 1 mm verursachte, während er rücksichtlich der Höhe
nicht nur nicht eine analoge Vergrösserung zu Stande brächte, sondern sogar eine Ver¬
kleinerung derselben um 2 mm unter den Durchschnitt der Orbita bei den übrigen
Refractionen mit geringem mittleren Bulbusgrössen zuliesse.
Hier kann auch die von unten nach oben wirkende Kraft der Kaumusculatur nicht
zur Erklärung beigezogen werden, denn sie müsste sich hier in entgegengesetztem Sinne
geltend machen; auf geringem Widerstand bei den kleinern Bulbi anderer Refractionen
stossend müsste sie bei diesen eine Verjüngung der Orbitahöhe bedingen, während that-
sächlich hier höhere Orbitae beobachtet werden. Die in der Natur cooperirenden Kräfte
sind nicht immer so einfach und klar zu Tage liegend.
Die angegebenen Differenzen der durchschnittlichen Orbita-Masse bei Myopie und
den übrigen Refractionen lassen den Gedanken an eine feinere formgestaltende Wirkung
des Bulbus auf die Orbita nicht auf kommen, sonst müssten wir, streng logisch vorgehend,
annehmon, der myopische Bulbus sei in seinem vordem Abschnitte im Mittel 1 mm breiter
und 2 mm niedriger als das hypermetrope und das emmetrope Auge, was im Ernste an¬
zunehmen Niemanden einfallen wird. Solch grobe Missgestaltungen wären ohne jedes
Messinstrument durch die Inspection allein zu constatiren.
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221
Diese Art der BeweisfÜhroDg verlassend erwähne nur noch kurz die Fälle von
hochgradigerAsymetrie des Schädels, gepaart mit hochgradiger
A n 1 s o m e t r i e. Mehrfach habe ich Gelegenheit gehabt, solche Fälle in der Klinik
und in ärztlichen Gesellschaften vorzustellen. Die Mittellinie des Gesichtes verläuft
im Bogen mit der concaven Seite nach der verkleinerten Gesichtshälfte; dieser
le^tem entspricht halbseitig ein ausgesprochener dulichocephaler Typus, hochgradige
Myopie meist mit bedeutendem Astigmatismus, während mit der grossem Gesichtshälfte
Brachycephalie mit viel geringerer Refraction, geringerer Myopie resp. Emmetropie oder
gar Hypermetropie meist ebenfalls mit Astigmatismus correspondirt. Es wird aber kaum
Jemanden in den Sinn kommen, die Entwicklung eines kurzsichtigen Auges für die ver¬
änderte Form der Orbita und im Weitern des Gesichts- und Gehirnschädels verantwortlich
zu machen. Der gegentheilige Schluss, dass die veränderten Schädel- und Orbitaformen
auf die Refractionen resp. auf die Bulbusformen einen ausschlaggebenden Einfluss in
diesen Fällen ausgeübt haben werden, drängt sich unwillkürlich auf und ist dieser Schluss,
so viel mir bekannt, bisher auch immer gezogen worden.
Bern. Prof. Pflüger,
Herr Professor Pflüger tadelt in obigem „Beitrag zur Myopie-Frage“ mein Referat
über die Arbeit JmkowskPs in Nr. 22 des Jahrganges 1893 dieser Blätter und sagt,
kein Leser des Corr.-Blattes sei in Stand gesetzt, aus dem Referat auch nur einiger-
massen eine Einsicht in die Ergebnisse der mühevollen Arbeit zu gewinnen. Dieser Vor¬
wurf scheint mir nicht berechtigt. Ich habe mir in meinem Referat über die Jan-
kowski'^sche Arbeit die Aufgabe gestellt, durch der Einleitung dieser Arbeit entnommene
Mittheilungen die ausführlich und wörtlich angeführten Ergebnisse der Untersuchungen
verständlich zu machen. Wie weit mir das gelungen ist, muss ich dem Urtheil der
Leser dieses Blattes überlassen. Auf die für den Ophthalmologen sehr interessanten
Details der JankowskVsahen Abhandlung näher einzugehen, hielt ich in einer nicht oph-
thalmologischen Fachschrift für nicht angezeigt. Auf der andern Seite glaube ich war
es am Platze, dem Loser dieses Blattes auch einige Gründe der Gegner der Stilling'sohen
Theorie mitzutheilen, um nur darauf aufmerksam zu machen, dass die Entstehung der
Myopie vorläuflg noch eine Streitfrage bleibt.
Die für Stilling angeführten Argumente sprechen auch meistens gegen ihn. Wenn
Herr Prof. Pflüger in seiner obigen Mittbeilung sagt, dass der Druck des Unterkiefers
auf den Oberkiefer ein Flachwerden der frühzeitig augenlos gewordenen Orbita zur Folge
habe, so spricht das doch gewiss für eine Passivität der Orbita gegen ihre Umgebung
und deren Einfluss! Warum soll nun diese gleiche nachgiebige Orbita auf die Form
ihres Inhaltes von so bestimmender Wirkung sein?
Die Fälle von Asymetrie des Schädels mit Anisometropie sprechen ebenfalls theil-
weise gegen Stilling^ weil manchmal gerade auf der Seite der höheren Orbita die Myopie
gefunden wird, was auch Jankowski in seiner Arbeit, pag. 207, erwähnt.
Basel. MelUnger,
Veireiiieil>ei?lclite.
Medicinische Geseilschaft der Stadt Basel.
SitzBug^ von 18. Jaiaar 1894*0
Präsident: Prof. Siehenmann, — Stellvertretender Actuar: Dr. A, Hägler^ Sohn.
Die Gesellschaft beschliesst einstimmig im Sinne der Aerztecommission auf die An¬
regung des Prof. Vaucher in Genf betreffend Gründung eines schweizerischen Aerzte-
vereines zur Wahrung der Standesinteressen nicht einzutreten.
0 Eingegangen 24. Februar 1894. Red.
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222
Prof. Massini: Ueber die leee sehweiz. PharnaeopcB« (Erschien in extenso in
dieser Zeitschrift.)
Sitzoogf von 1. Fobroar 1894. >)
Präsident: Prof. Siebenmann, — Actuar: Dr. YonderMuhll.
Dr. Max Bider, Assistenzarzt der Allgemeinen Poliklinik wird als ordentliches Mit¬
glied aufgenommen.
Prof. Socin bespricht Natur, Häufigkeit, Ursachen der bei Kropf kranken vorkommen¬
den pIStzlicheo Erstlckoogfsaofilie. Er teilt die Ansicht Krönlein% dass solche mit
und ohne chronische Dyspnoe auftreten können und zunächst einer plötzlichen Zunahme
der Tracheostenose zuzuschreiben sind. Letztere selbst ist weniger durch eine acute
Volums Vermehrung der Kropfgeschwulst bedingt, als die Folge einer verstärkten Action
der constant hypertrophirten inspiratorischen Halsmuskeln. Bei der Behandlung
ist die Tracheotomie möglichst zu vermeiden; ein ohne Narkose rasch ausgeführter Quer¬
schnitt. die Durchschneidnng der Muskeln, und das Herausheben der ganzen Schilddrüse
zur Wunde heraus beseitigt die unmittelbare Lebensgefahr. — Man kann dann in aller
Ruhe, mit oder ohne Narkose, zur Exstirpation derjenigen Schilddrüsentheile schreiten,
welche man für die Tracheostenose verantwortlich macht. In der Regel ist diess die
umfangreichere eine Hälfte, jedoch sind Täuschungen möglich, so dass boim Zurücklegen
der nicht entfernten Drüsentheile die Erscheinungen der Stenose in beunruhigender Weise
sich wieder einstellen können, ln solchen Fällen kann man sich dadurch helfen, dass
man die Reste der kropfigen Schilddrüse gar nicht reponirt, sondern in der offen zu
lassenden Wunde ektopirt lässt. Es tritt eine rasche Schrumpfung der an der Luft ge¬
lassenen Gewebspartien ein, über welche die aseptisch gehaltene Wunde sich langsam
schliesst, ohne eine sehr auffallende Narbe zu hinterlassen. Diese Schrumpfung und
Atrophie der „an die Luft gesetzten" Kröpfe ist jedenfalls eine höchst interessante That-
sache. Vielleicht Hesse sich dasselbe Verfahren bei anderen inoperablen Tumoren an¬
wenden, vorausgesetzt, dass wie bei der Struma, Vereiterung und Verjauchung sich
sicher verhindern Hessen. Für den suffokativen Kropf ist diese Behandlungsweise jedenfalls
der immer noch viel geübten Tracheotomie vorzuziehen. Sie beseitigt die drohende Er¬
stickungsgefahr ebenso prompt, und erlaubt eine absolut aseptische Wundversorgung,
welche bei Anwesenheit einer Trachealkanüle selten vollständig gelingt. Dazn kommt
es zuweilen vor, dass das Dekanüliren grosse Schwierigkeiten bereitet, indem trotz aus¬
gedehnter Kropfexstirpation die Athemuoth sich sofort oder wenige Tage nach Entfernung
der Kanüle wieder einstellt. Die schrumpfenden Drüsentheile scheinen der leicht ein-
drückbaren Luftröhre eine äussere Stütze zu gewähren und wirken gleichsam wie eine
Schiene. — Das Verfahren ist übrigens nicht neu und bereits unter dem Namen Exothy-
ropexie von Dr. Jahoulay^ Assistenten von Prof. Pmcet in Lyon schon geübt und be¬
schrieben worden. Der Ref. stellt ein nach der beschriebenen Methode operirtes Ifijähr.
Mädchen vor, welches im Zustand höchster Asphyxie auf die Klinik gebracht wurde.
Im Anschluss an das Gesagte werden noch zwei Fälle von Totalexstirpation des Kehl¬
kopfes vorgeführt: ein 41jähriger Mann, vor 3 Jahren operirt und bis jetzt recidivfrei;
eine, den 25. November 1893 operirte 29jährige Frau, bei welcher die Heilung so glatt
vor sich ging, dass schon am 11. Tage post oper. die Sprechkanüle eingelegt werden
konnte; ferner 2 Fälle von lateraler Pharyngotomie, wegen maligner Tumoren des
Gaumens und des Schlundkopfes ausgeführt. Prof. S, bespricht besonders die Nachbe¬
handlung solcher Operirter und legt grossen Werth auf die vorausznschickende Trache¬
otomie, welche während und in der ersten Zeit nach der Operation eine völlige Ab¬
sonderung des Athmungsrohres gestatte, die gefürchtete Schluckpneumonie vermeide und
die aseptische Versorgung der Schlund wunde sichere.
') Eingegangfn 24. Februar 1894. Red.
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223
SilzBigf von 8. Febrnftr 1894.*)
Präsident: Prof. Siebenmann. — Actuar: Dr. Vond^MühlL
Dr. Markees^ Assistenzarzt der Chirurg. Klinik, und Dr. de Seigneux^ Assistenzarzt
der geburtshülflichen Klinik werden zu ordentlichen Mitgliedern aufgenommen.
Prof. Albrecht Burckhardt: Hygleiisches aos Basels VergaDgeahelt. Die Er-
ofoung der hygienischen Anstalt in dem alten Stachelschützenhause gibt Gelegenheit zu
Mitlheilungen über die früheren sanitarischen Zustande Basels. — Fremde und ein¬
heimische Berichterstatter des 15. und 16. Jahrhunderts rühmen den Reichthum an
Trinkwasser, die Cloaken und die freie Bauart. Auch die Lebensmittelpolizei, das Spital¬
wesen etc. waren gut. Dennoch hatte Basel, als Handelsstadt und Festung an der
Grenze, von epidemischen Krankheiten sehr viel zu leiden, wie durch eine auf Quellen¬
studien beruhende Chronologie der Seuchen für die Jahre 1501 —1767 bewiesen wird.
Noch anschaulicher werden die Verhältnisse durch eine graphische Darstellung der Ge¬
tauften und Begrabenen, deren Zahl seit 1597 Jahr für Jahr für alle Kirchgemeinden
vollständig erhalten ist. Der Vortragende schildert hierauf die damaligen Ansichten und
Maassregeln der öffentlichen und privaten Hygiene und legt viele seltene alte Drucke
vor. Allerhöchsten Werth haben die leider noch nicht edirten Manuscripte von Felix
Platter über Morbidität und Mortalität bei der grossen Pest (1609—1611); es vergingen
fast 150 Jahre bis von den Aerzten wieder exacte Statistik getrieben wurde. {J. R.
Zwitter.) Die Einführung der Variolation und der Vaccination leiten in die neueste
Zeit, über welche später referirt werden soll.
Vor und nach dem Vortrag besichtigen die Mitglieder der med. Gesellschaft das
neue hyg. Institut.
Medicinisch-pharmaceutischer Bezirksverein Bern.
111. SltzBOf in Wiiteraenesler 1893/94, Diensüig den 12. Decenber, Abeids 8 Uhr,
in Casiio.O
Präsident: Dr. Dumont. — Actuar; Dr. Rohr.
Anwesend 24 Mitglieder und 2 Gäste.
1. Vortrag von Prof. Dr. Valentin: Ueber Siifiiiisiirelis Piiiiitivni^ei beileotei
Gltarrhei« Die im Jahre 1883 von Ehrlich und Krönig zur Bekämpfung des Jodismus
eingeführte Sulfanilsäure (C 6 H 4 NH 2 .SO 2 .OH) ist, wie ich bei einer längern Reihe von
Formen acuter Coryza, Laryngitis und Otitis media gesehen habe, ein vorzügliches und
rasch wirkendes Mittel gegen gewisse Symptome der acuten Catarrhe. Die Schwellung
der Nasenmuscheln bei acuter Coryza und die wässerige profuse Secretioii wird in weniger
als zwei Stunden wesentlich verringert oder ganz gehoben, die Röthung nimmt auffällig
ab. Ebenso, wenn auch weniger sicher, wirkt das Mittel bei acuter Laryngitis, wo die
starke Röthung ebenfalls verschwindet; bei Mittelohrcatarrh nimmt der Schmerz rasch ab,
jedoch ohne dass vollständige Heilung eintritt. Die concomitirenden neuralgieartigen
Schmerzen bei den verschiedenen Catarrhen, besonders bei influenzaartigen Formen,
werden rasch gebessert, ächte Neuralgien aber nicht beeinflusst.
Die Dauer der Wirkung ist keine sehr lange; nach 24 bis 48 Stunden muss man
die Dosis wiederholen, da sonst der Catarrh meist wiederkehrt.
Bei chronischen Catarrhen, wo man kleinere Gaben längere Zeit verordnen kann,
werden wenigstens die besonders bei chronischer Otitis media so lästigen, schmerzhaften
Exacerbationen seltener; die Heilwirkung ist im übrigen geringer, als bei acuten Formen.
Das Mittel ist in Dosen von höchstens 8 gr pro die ungiftig; der Gebrauch von
1 bis 2,0 pro die während 4—6 Wochen stört weder die Verdauung noch andere Func¬
tionen; nur tritt bisweilen zuletzt leichte Diarrhoe ein. Anilinwirkungen oder sonstige
Eingegangen den 24. Februar 1894. Red.
*) Eingegangen den 18. Februar 1894. Red.
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224
Yergiftungssjmptome der aromatischen Gruppe fehlen, wie das ja von vielen Sulfover-
bindungen aromatischer Körper bekannt ist.
Die Wirkung bei acuter Coryza tritt auf Gaben von 2 bis 4 gr nach etwa 2 Stunden
ein. Am besten gibt man die Säure mit kohlensaurem Natron saturirt; 10,0 Acidi sul-
fanil. pnrissimi werden von 8,5 Natr. bicarb. in 200 Wasser neutralisirt und von dieser
Lösung 40,0 bis 80,0 pro die verabreicht, am zweckmässigsten in einer oder zwei grossen
Gaben. Merk in Darmstadt hat übrigens jetzt ein Natrium sulfanilicum neutrale dar¬
gestellt, welches bedeutend reiner ist, als die übrigens recht gut wirkenden Sulfanilsäure-
lösungen unserer Droguerien. Das Mittel ist sehr billig und schmeckt nicht allzu un¬
angenehm.
Wie das sulfanilsanre Natrium eigentlich wirkt, ist noch nicht sicher. Es ist kein
Antisepticum und kein Antipyreticum, also nicht dem Acetanilid oder Phenacetin anzu¬
reihen. Vielleicht handelt es sich, wie schon Ehrlich bei seinen Versuchen über Jodismus
hervorgehoben bat, um die Zerstörung von schädlich wirkenden Nitriten, welche die Sul-
fanilsäure unter Bildung von Diazokörpem bindet. Im Nasenschleim bei acuter Coryza
fand sich eine sehr deutliche Nitritreaction (Färbung mit Metaphenylendiamin, welches
mit Nitriten Bismarckbraun gibt), während im normalen Nasenschleim die Reaction meist
fehlt. Im Larynx- und Pharynxauswurf beweist diese Schleimreaction wenig, da der ver¬
unreinigende Speichel fast immer auch im Normalzustand die Färbung gibt. Möglicher¬
weise spielt bacilläre Nitritbildung im acuten Catarrh durch ihren die Schleimhaut ver¬
ändernden und congestionirenden Einfluss eine wesentliche Rolle.
üeber begonnene Thierversuche wird später berichtet werden.
Discussion: Auf die Frage Dr. LindV^^ wie so bei Jodismus gerade die Nitrite
— auf deren Bindung zu Diazokörpem Prof. Valentin die anticatarrhalische Wirkung der Sul-
fanilsäure eventuell schieben zu sollen glaubt — in vermehrter Menge auftreten, erwidert
der Vortragende, dass beim acuten Schnupfen die Nitrite nach der ausgeführten Hypothese
eben vermehrt wären, und der Jodschnupfen wäre dann als ein aus anderer Ursache ent¬
standener Catarrh, der nur secundär durch das Jod hochgradig verstärkt würde, auf¬
zufassen.
Dr. Miniat möchte wissen, ob sich das Mittel auch gegen acute Bronchialcatarrhe
mit Erfolg aawenden lasse. Prof. Valentin hat darüber keine Versuche gemacht, da Con-
trolluntersuchungen mit dem Spiegel, auf die er bei seinen Versuchen grossen Werth
legt, hierbei ja nicht möglich sind. Jedenfalls ist eine günstige Wirkung nur im Anfang
des Catarrhs eventuell zu erwarten, bald aber nicht mehr, wenn schon intensivere ba-
cilläre Processe im Spiele sind.
2. Vortrag von Dr. Dubais: lieber die therapeDtisehe Verwerthbarkeit der Va-
gfascompressiOD. (Autoreferat bisher nicht erhältlich.)
In der Discussion constatirte Prof. Sahli^ dass in neuster Zeit die therapeutischen
Handgriffe sich mehren und zum Theil mit vollem Recht in Aufschwung kommen. Er
erwähnt folgende drei, die ähnliche Wirkung haben, wie der besprochene. Ein Fall
von paroxysmaler Tachycardie war durch Kitzeln im Halse oder Sondiren coupirbar; ein
anderer durch Darreichung eines Brechmittels, ein Verfahren, welches freilich bei mani¬
fester Herzkrankheit contraindicirt ist. Hochheben der untern Extremitäten des liegenden
Patienten, verlangsamt ebenfalls die Herzaction; auch dieses Verfahren ist freilich nicht
irrelevant, indem schwerere Erscheinungen dadurch hervorgerufen werden können.
Dr. Buhler erwähnt, dass Gertsch bei der Halsmassage, die bei cardialem Asthma
schöne Erfolge zu verzeichnen hat, einen grossen Theil der Wirkung auf die Compression
des Vagus beziehe.
3. Der Actuar frägt den Verein an, ob er entsprechend einer im Correspondenz-
Blatt für Schweiz. Aerzte vom 1. Dezember 1893 im Briefkasten erschienenen Anregung
wünsche, dass fortan — wie es die basier medicinische Gesellschaft für sich beschlossen
hat — die an Vorträge sich anschliessende Discussion nicht mehr quasi in extenso,
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sondern in ganz wenig Sätze condensirt in den Sitzungsberichten im Correspondenz-Blatt
erscheine. Nach gewalteter Discussion, an der sich die Herren Prof. Sahli^ DDr. Lindty
Dubaisj Durmnt betheiligen, beschliesst der Verein bei der bisherigen Art der Veröffent¬
lichung zu bleiben.
IV. SitzDig^ im Wintersemester 1893/94, Dienstag^ den 9. Jnnnnr, Abends 8 Uhr,
im Cnsino.*)
Anwesend 25 Mitglieder.
Präsident: Dr. Dumont, — Actuar: Dr. Bohr.
1) Herr Apotheker Lindt wird als neues Mitglied begrüsst.
2) Dr. Dumont demonstrirt einen 6Jlhrl|:ei Kuben, bei dem er mit Prof. Tavel
am 7. December 1893 die circuläre Craniectomie wegen hochgradiger Idiotie ausgefuhrt
hat. Der Knabe, der früher sehr störrisch und unruhig, namentlich aber sehr unreinlich
war, zeigt schon jetzt deutliche Besserung nach dieser Richtung. Die bei der Trepanation
gewonnenen Schädelrondellen werden ebenfalls demonstrirt, sie erwiesen sich ziemlich
dünn, gegenüber denjenigen eines andern Falles von Craniectomie, bei dem der Tod drei
Stunden nach der Operation ein trat. Hier war der Schädel sehr dick, sodass die Wahr¬
scheinlichkeit nahe liegt, der Exitus sei in Folge der stärker werdenden Erschütterungen
beim Einschneiden der Furche in den Schädel eingetreten. Im Anschluss hieran bespricht
2>. einzelne Details der Ausführung der Operation, sowie die Indicationen zu derselben.
Discussion: Prof. Sahli wünscht, dass die Indicationen zur Craniectomie ge¬
nauer präcisirt werden möchten. Es sind ja doch sicher bei weitem nicht alle jugend¬
lichen Idioten zu craniectomiren, sondern die Operation jedenfalls nur da indicirt, wo das
Gehirn im MissYerhältniss zur knöchernen Decke steht. Er vermisst in der Litteratur
genaue Angaben über die Scbädclmaasse vor der Operation und über den Grad der Ver¬
wachsung der Knochennähte. Da es schwierig sein dürfte, aus einzelnen Schädelmaassen
das Volum des Schädels genau zu bestimmen — und diess doch von grosser Wichtigkeit
ist — räth er, vor jeder Operation einen Gypsabguss des Schädels zu nehmen, um so
sein Volum genau ermitteln zu können.
Dr. Dumont ist mit Prof. Sahli puncto genauer Präcisirung der Indicationen ganz
einverstanden; in seinem Fall war die Indication durch das überaus ungeberdige Ge-
bahren des kleinen Pat., das jede Pflege verunmöglichte, gegeben. Dr. Lanz, der den
Pat. ante operationem auch gesehen hat, stimmt damit ganz überein und constatirt den
schönen Erfolg der Operation. Zur Verminderung des für den Schädelinhalt sicher
schädlichen Shok’s bei Ausführung der Operation, schlägt er vor, ein circularsägenartiges
Instrument zu verwenden.
Prof. Sahli wünscht auch, dass die Erschütterung des Schädelinhaltes möglichst
vermieden werde, er ist überzeugt, dass das Hämmern bei der Trepanation schädliche
Folgen für den Patienten haben kann.
Dr. Seiler^ der bei Prof. Boux zahlreiche Craniectomien gesehen hat, nimmt die
Ausführung mit der Hohlmeisselzange in Schutz. Er constatirt ferner, dass der Erfolg
jeweilen so lange die Beobachtung reichte ein guter blieb, obschon nach 5—6 Monaten
die Knochen wieder verwachsen und nur noch Furchen an ihrer Oberfläche zu erkennen
waren, und dies geschah auch, wenn um einen dauernderen Effect zu erhalten, Periost
und sogar Duralappen excidirt wurden.
Dr. Dumont erwähnt, dass bei seiner Operation der Hammer nicht gebraucht
wurde.
2) Vortrag von Dr. Miniat: lieber die Behandloog der Laagfentobercolose. Der
Vortragende hat bei Lungentuberculose eine forcirte Gujacolbehandlang versucht, welche
sich ihm als nutzbringend erwiesen hat und zur Anwendung empfohlen werden dürfte.
Bevor er auf den Modus der Application dieses Medicamentes näher eintrat, berührte Dr.
D Eingegangen den 18. Februar 1894. Red.
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M, die herrschenden Anschauungen über die Lnngentuberculose von empyrischem Stand-
pnncte aus. Er bezeichnete die Lnngentuberculose als eine rein örtliche infectiöse
webserkrankung der Lunge, bedingt durch einen pathogenen Stoff, welcher die Fähigkeit
besitzt, sich in dem von ihm ergriffenen Organe zu vermehren. Als disponirende Ursachen
für Schwindsucht sind nebst Heredität die unproportionelle Entwickelungsform (langer
Wuchs mit schmalem paralytischem Thorax), wie auch nach Erfahrungen von Brehmer
das kleine erethische Herz. Kein Organ im menschlichen Körper befindet sich in so ab¬
hängiger Stellung zum Herzen wie die Lungen. Bei vermehrter Thätigkeit des Herzens
entsteht eine unvollkommene Entleerung seines Ventrikels, in Folge dessen eine un¬
genügende Zuführung von Blut nach der Lunge und eine mangelhafte Oxydation der
letzteren. Dieser Umstand, verbunden mit respiratorischer Unbeweglichkeit des Spitzen¬
parenchyms sind die Hauptgründe der eigenthümlichen Localisation der menschlichen
Tuberculose, vorwiegend in den Lungenspitzen. Der Bacillus tuber. ist nicht der alleinige
Träger der Tuberculose, da in späteren Stadien der Schwindsucht, bei ulcerösen und
septischen Formen das grosse Zerstörungswerk in den Lungen auf Rechnung der ange¬
siedelten pyogenen Coccen zu setzen ist. Die primären Formen der Lnngentuberculose,
die latente und catarrhalische, haben als anatomisches Substract die eingeschlossenen tuber-
culösen Herde in der Lunge und bieten keine so schweren allgemeinen Erscheinungen dar,
wie die oben angeführte mit secundären Infectionen, welche beide als Mischformen zu
betrachten sind. Nachdem noch die verschiedenen Fieberformen und ihre Bedeutung bei
Beurtheilung des stat. praes., wie auch der Prognose Lungentuberculose näher besprochen
waren, ging der Vortragende zur Therapie mit forcirter GujacolanWendung über. Miniat
glanbt, dass, obschon Gujacol keine specifische, rein auf Tuberkelbacillen gerichtete Wir¬
kung hat, es doch mehr als ein nur symptomatisch wirkendes Medicament sei, indem nach
Seifert Gujacol die labilen, giftigen Eiweissstoffe im Blute, die Producte der Bacillen, in
stabile Verbindungen überführt. Je mehr Gujacol dem Blute zugeführt wird, desto voll¬
kommener werden die labilen Eiweisskörper eliminirt und um so günstiger wird also die
Gujacol Wirkung sein. Das stimmt mit den practischen Beobachtungen überein. M,
wendet daher Gujacol per os, per rectum und noch als Gujacolschmiercur an, und diese
letzte Form scheint ihm die wirksamste zu sein, insofern sie richtig und gewissenhaft
durchgeführt wird. Per os wird Gujacol in Verbindung mit einem Stomaobicum Menthol
und einem Analepticum Alcohol nach der Formel: Gujacoli 10,0, Menth. 2,0, Spt. vini
200,0, S. 10,0 täglich zweimal im Zuckerwasser nach den Hauptmahlzeiten zu nehmen,
angewendet. Ferner Rectaleingiessungen von einer Emulsion von 50,0 Wasser, ein Ei¬
dotter, ein Esslöffel Olivenöl und 10 Tropfen Gujacol, Abends im Bette zu appliciren.
Endlich die Gujacolschmiercur, bestehend in täglich einmaliger tüchtiger Einreibung in
den Subaxillargegenden einer aus 10,0 Gujacol und 50,0 Axungia bestehenden Salbe,
durchzuführen in 10 bis 5 Tagen, sodass, je nach der Schwere des Falles 1,0 bis 2,0
Gujacol täglich eingerieben werden musste. Die günstige Wirkung dieser Schmiercur
zeigt sich in rascher Abnahme des Fiebers selbst mit ulceröser oder septischer Form der
Erkrankung. Nicht zu vergessen, dass die Anwendung des Gujacols auch nach Abnahme
der bedrohlichsten Symptome der Krankheit noch Wochen lang, allerdings in grösseren
Intervallen fortgesetzt werden muss, um die Gujacolwirkung nicht abzuschwächen.
In der Discussion erwähnt Prof. Besser^ dass er bei Länderer öfters die intravenösen
Zimmtsäureinjectionen zu sehen Gelegenheit hatte; er sah dabei nie einen unangenehmen
Zwischenfall, einzelne vorübergehende Collapserscheinungen rührten von zu wenig feiner
Emulsion her; sowohl der Localbefund als auch das Allgemeinbefinden besserten sich
stets. Er hat selbst das Verfahren bei Lupus versucht, aber — als zu umständlich —
verlassen. Länderer ging vom Perubalsam zur Zimmtsäure über, weil ersterer nie ganz
rein und die letztere sein wirksamer Hauptbestandtheil ist.
Im Anschluss daran frägt Apotheker Studer^ ob den verschiedenen Formen des
Tuberkelbacillus, die beschrieben werden, der rein stäbchenförmigen und der an den
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Enden angeschwellten hantelfSrmigen verschiedene Wichtigkeit oder Bedeutung zukomme.
Prof. S(ihlt und Dr. Lanz erwidern darauf, dass den einzelnen Formen keine differente,
diagnostische oder prognostische Bedeutung zuzuschreiben sei.
Chirurgie des voies urinaires.
Von Loumeau, Bordeaux, Feret & fils, 1894.
Das vorliegende Buch enthält in 23 Capiteln casuistische Mittheilungen über Er¬
krankungen der Hamwege — fast ausschliesslich sind es frühere Publicationen des Autors,
die zu einem Bande vereinigt sind. Aus diesem Grunde erhebt sich der Werth der
Mittheilungen nicht über den casuistischer Daten überhaupt, obschon der Yerf. an den
einzelnen Fall seine Bemerkungen über Therapie oder Aetiologie der Affection anknüpft.
Wenn auch manche Capitel kaum etwas Bemerkenswerthes bieten, so enthalten doch die
meisten ausserordentlich interessante und z. Th. auch seltene Beobachtungen, die mit
behaglicher Breite, aber anziehend geschrieben sind, loh greife nur Einiges heraus.
Perinephritischer Abscess mit Durchbruch in die Bronchien; seltene Missbildung der
Urethra in Form eines 8. Behandlung der chronischen Cystitis mit Sublimat nach Guym
mit guten Resultaten. L, empfiehlt zunächst mit Instillationen von 1 : 5000 zu beginnen
und langsam bis 1 : 2000 aufzusteigen. Hydrocelen in Verbindung mit Harnröhrenstric-
turen verschwanden unter der Behandlung der Strictur. Einige Capitel sind Fremd¬
körpern und Steinen der Blase gewidmet — sie bieten wenig Neues. Verf. hat sich
nicht einmal die Mühe genommen, solche Capitel zu verschmelzen und unter einheitlichem
Gesichtspunkte zu bearbeiten, sondern hat einfach die früheren Publicationen aus den
med. Wochenblättern tale quäle wieder abgedruckt. — Ferner finden wir besprochen
Fälle von Urethrotomia interna, die Sectio alta, einen mächtigen Urethralstein u. s. w.
Von Interesse ist ein Fall von unbeabsichtigter Resection eines grossen Stückes der
Blase, wo der Rest der Blase an der Symphyse angenäht wurde und die Pat mit über¬
raschend guter Blasenfunction genas. Die Litteratur ist über derartige Fälle sehr sorg¬
fältig zusammengestellt. Maniakalische Zustande, die sich an die Operation anschlossen,
wurden von L. auf den Ausfall der Function der exstirpirten Ovarien bezogen. Der
Frau wurde in Analogie des Broton^Sequard^Bchen Verfahrens Ovarialsaft eingespritzt und
wie es scheint nicht ohne Erfolg. Das Krankheitsbild gleicht aber auffallend dem der
Jodoform Vergiftung und da doch Jodoform gebraucht wurde, so ist es dem Ref. unerfind¬
lich, weshalb L, die gewagte Diagnose Mania ovariopriva stellt.
Das Buch ist mit einigen Tafeln und Holzschnitten illustrirt, die Ausstattung eine
vorzügliche. Garr'e (Tübingen).
6erichtlich*medicini8che CasuMik der Kunstfehler.
II. Abtheilung: Antiseptik und Narkose. Von Dr. Ignaz Maier, Heuser’s Verlag, Berlin
1893. Preis Fr. 3. 35.
Im ersten Theile des Buches wurden uns drei Fälle von Verletzungen mitgetheilt,
bei denen antiseptische Massregeln nicht angewandt wurden und bei welchen die Patienten
alle drei starben. Während bei zwei derselben diese Vernachlässigung die Schuld am
Tode mitbedingen konnte, war sie beim dritten die directe Todesursache. Alle drei
Fälle sind von gerichtlichen Gutachten und Obergntachten der betreffenden medicinischen
Behörden und von einigen Bemerkungen des Verf. begleitet. — Beim zweiten Theile
der Arbeit sind wir bitterlich enttäuscht worden. Wir glaubten hier die leider zahlreich
genug vorgekommenen Fälle vorzufinden, bei denen der Tod in der Narcose auftrat und
welche — nach ihrem Vorkommen und nähern Verumständungen geordnet — sehr
schönen Stoff zu einer für den Arzt wirklich nutzbringenden und sehr wichtigen Arbeit
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abgegeben hätten. Statt dessen verliert sich aber der Yerf. in allgemeine Bemerkungen
über die Narcose, welche er confns von guten und schlechten Quellen ohne richtigen
Zusammenhang und Ordnung compilirt. — Dem Inhalte ist aber auch die Ausstattung
der Arbeit entsprechend: Alles lose und ohne Zusammenhang! Wenn man das Buch
anrührt, so bleibt einem der Umschlag in den Händen! Dumont,
Therapeutisches Handlexikon für Aerzte und Studirende.
Enthaltend in 350 Artikeln und 3100 Receptformeln die gebräuchlichen und neuesten
Heilmittel und Heilmethoden nebst einem Anhänge: Allgemeine Therapie. Von Dr. Th,
Zerner jun. Zweite vermehrte und verbesserte Auflage. Wien 1893, M. Perles. 506 S.
Trotz vielseitiger Concurrenz ähnlicher Werke zeugt die relativ rasche zweite
Auflage von der Brauchbarkeit dieses Handlexikons, das auch Ref. bestens empfehlen
kann.
ln alphabetischer Anordnung sind die Krankheiten mit jeweils folgenden prophylac-
tischen Massnahmeu, causaler und symptomatischer Behandlung aufgeführt. Der Anhang
enthält kurze Abhandlungen über Electro-, Hydro-, Mechanotherapie, Diätvorschriften und
Maxiraaldosen. Alphabetische Sach- und Medicamenten-Register bilden den Schluss.
Es folgen Angaben über Behandlung der Insolation und die doch gewiss erwähnens-
werthe Sauerstofftherapie. Die einzige Notiz über Hypnose: es brauche ein weites ärzt¬
liches Gewissen, bei Neurasthenie Hypnose anzuwenden, widerspricht den heutigen Re¬
sultaten der Suggestionstherapie, so auch einer einschlägigen Notiz des Vorwortes.
Sigg (Andelfingen).
Die Cholera.
Von Emst Barth, Für Aerzte und Beamte. 253 S. Breslau 1893. Preis Fr. 5. 35.
Eine fleissige Compilation über Geschichte, Epidemiologie, Pathologie und Therapie
der Cholera. Der Verf., preussischer Stabsarzt, war zur letztjährigen Epidemie nach
Hamburg commandirt; sein Buch soll die Kenntniss von dem Wesen der Cholera erleich¬
tern, so dass überall eine rationelle Prophylaxe und Therapie in Scene gesetzt werden
kann. „Wissenschaftlich“ können wir zwar die Darstellung nicht immer nennen, aber in
gutem Sinne populär und jedenfalls practisch. Dankenswerth ist der Anhang: er enthält
alle die vielen Verordungen, Anweisungen und Rathschläge, die im Jahre 1892 von den
Behörden Norddeutschlands erlassen wurden. A, B,
Anleitung zu hygienischen Untersuchungen.
Von B, Emmerich und H, Trillich, II. vermehrte Auflage. 8®. 415 S. 97 Abbil¬
dungen. München, M. Rieger. In Leinwand gebunden Fr. 10. 50.
Bayern verlangt bekanntlich in seinem Physicatsexamen auch die Ausführung einer
hygienischen Untersuchung. Um den Candidaten die nöthigen Kenntnisse und Fertig¬
keiten zu vermitteln, werden im hygienischen Institute zu München Curse abgehalten.
Die in diesen Cursen geübten und demonstrirten Untersuchungsmethoden sind in der vor¬
liegenden „Anleitung“ zusammengestellt. In kurzer, fast allzu elementarer Weise wird
das Wichtigste vorgeführt über die chemische, physicalische und bacteriologisohe Unter¬
suchung von Luft, Wasser, Boden, Nahrungs- und Genussmitteln, Gebrauchsgegenständen,
Heizung, Beleuchtung und Ventilation. Die Zeichnungen sind nur schematisch aber gut.
Das Buch kann empfohlen werden, denn es erfüllt seinen Zweck: es ist ein viel¬
seitiges Hülfsmittel für Solche, die im Laboratorium noch nicht oder nicht mehr zu Hause
sind und die sich vor grösseren Büchern {Flügge^ Lehmann) fürchten. Für eine dritte
Auflage möchten wir eine nochmalige sorgfältige Revision der Namen und Zahlen
wünschen« A, B,
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Behandlung weiblicher Geschlechtskrankheiten.
Von Tkure Brandt, Zweite vermehrte Auflage mit 55 Abbildungen im Text. Berlin,
Fischer. 1893. Preis 6 Mark.
Die erste 1891 erschienene Auflage ist damals im Corr.-Blatt für Schw. Aerzte
besprochen worden, wir können uns daher jetzt kurz fassen.
Das Buch hat durch Gliederung in einen allgemeinen* und speciellen Theil an
Uebersichtlichkeit gewonnen. Es sind einige zweckmässige Abbildungen hinzugekommen,
welche die Art der Untersuchung des Verf., seine Repositionsmethode, weitere Techni-
cismen etc. deutlich machen. Der Abschnitt über Hebebewegungen des Uterus ist ver¬
vollständigt worden. Die Bezeichnungen straffe und schlaffe Lage Veränderungen sind
durch die gebräuchlicheren fixirte und bewegliche ersetzt. In einem Anhang wird die
Behapdlung der Blinddarmentzündung beschrieben. Allo diese Aenderungen sind auch
Verbesserungen, so dass das Buch den Fachgenossen nur empfohlen werden kann.
Goßnner.
Oant^onale Oonreispondevizeii.
Baselland. Unter allgemeiner Betheiligung von Stadt und Land wurde den
19. Februar in Liestal unser verehrter Freund und College Dr. med. KDnz 9 nach über
40jäbriger ärztlicher Thätigkeit zu Grabe getragen.
Geboren den 26. Mai 1825 zu Arisdorf (Kanton Baselland) zeigte er im frühen
Knabenalter Lust und Fähigkeit zum Studium und besuchte fünf Jahre hindurch die
Bezirksschule in Liestal. Mit grossem Eifer lag er sodann in Basel, Zürich und Heidel¬
berg dem Fachstudium ob. Nachdem er die ärztliche Patentprüfung vor der Behörde
seines Heimatkantons mit Auszeichnung bestanden hatte, besuchte er zu seiner weitem
Ausbildung die berühmten Spitäler in Wien, München und Prag. Von dieser Studien¬
reise heimgekehrt, liess er sich 1852 als practiscber Arzt in seiner Heimatgemeinde
nieder, siedelte jedoch im Jahre darauf nach Liestal über, wo er sehr bald eine aus¬
gedehnte Praxis fand.
Im Jahre 1853 führte er Anna Christen, eine seinen innersten Neigungen ent¬
sprechende Gattin, in sein Heim, die ihm nach glücklicher Ehe vor 2 Jahren im Tode
voranging. In seine Zeit theilten sich fast ausschliesslich seine Familie und sein Beruf.
Die Anforderung an seinen Beruf wurde von Jahr zu Jahr grösser. Der Ruf seines
scharfen Auges und seiner geschickten Hand drang rasch in weite Kreise, so dass seine
Hülfe von immer zahlreichem Familien in Anspruch genommen wurde. Und zu der
grossen Privatpraxis gesellte sich bald die weitschicbtige Arbeit im Kantonsspital. Am
30. November 1872 übertrug ihm der hohe Landrath die ärztliche Leitung der kantonalen
Anstalten, welche er bis zu seinem Hinscheide mit grosser Hingebung besorgt hat. Dank
der thatkräftigen Unterstützung seines Freundes Ständerath Dr. Birmann durfte er vom
Jahre 1877 an seine Patienten in einem wohleingerichteten Krankenhause pflegen, dessen
gedeihliche Entwicklung zunächst dem unermüdlichen Eifer und der seltenen Gewissen¬
haftigkeit ihres Oberarztes zu verdanken ist. Nach Popularität hat er nie gehascht. Er
lebte ausschliesslich seinem Berufe und stellte, um demselben völlig gerecht zu werden,
an seine eigene, wissenschaftliche Ausbildung fortwährend so hohe Anforderungen, dass
er alle seine Mussestunden dem Studium der neuesten Litteratur widmete und weder für
die Pflege gewöhnlicher Geselligkeit, noch für irgend welche Betheiligung an der Tages¬
politik Zeit übrig hatte. Im 66. Alterejahre noch arbeitete er sich vollständig in die
Bacteriologie hinein, richtete ein eigenes bacteriologisches Laboratorium im Kantonsspital
ein und arbeitete dann mit jugendlichem Eifer, so oft er nur immer Zeit fand.
Im Jahre 1891, bei Anlass der Jahresfeier der Basler-Universität wurde sein treues
Wirken von berufenster Seite öffentlich anerkannt, als er von der medicinischen Fakultät
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zu ihrem Ehrendoctor emanDt wurde. Diese Auszeichnung bereitete ihm grosse Freude
und seine Freunde, die seine seltene Bemfstreue kannten, fühlten sich der gelehrten
Körperschaft zu Dank verpflichtet, dass des Mannes Verdienst einmal aus der Verbor¬
genheit an’s belle Tageslicht gezogen und allseitig beleuchtet wurde.
Im Jahre 1892 brachte ihn eine Blutvergiftung an den Rand des Grabes, doch
erholte er sich wieder vollständig und stand im letzten Jahre seiner Aufgabe mit grosser ^
Frische vor. Seine vor einigen Wochen erfolgte ehrenvolle periodische Wiederwahl be-
grüsste er ahnungsvoll mit den Worten: „Das ist nun das letzte Mal.^ Und als er am
Sonntag, den 11. Februar, von einem Besuche bei seinem an. Lungenentzündung todtkrank
dar nieder liegenden Freunde und Oollegen Dr. jR. in Sissach zurückkebrend, von einem
Schüttelfrost ergriffen wurde, erklärte er sofort mit Bestimmtheit: „Nun ist mein Tage¬
werk vollbracht.“
Eine heftige Lungenentzündung setzte nach wenigen Tagen in der Frühü des
17. Februar dem bewegten Leben ein Ziel.
Nicht nur den Seinigen, sondern allen Freunden und Oollegen, die den Verstorbenen
genauer kannten, wird sein Andenken in Liebe und Verehrung fortleben. P.
W oolieikbeiriolit.
Schweiz.
— Schweizerische PhmmmeepsB. Oollegen, welche sich um die genauem Details
der Unterschiede zwischen 2. und 3. Ausgabe der schweizer. Pharmacopce interessiren,
machen wir auf die im Verlag von G. Bridel & Oie. in Lausanne erscheinende von Prof.
Buttin, dem hervorragenden Mitgliede der Oommission für die II. und UI. Edition redi-
girte Synopse de la pharmacopee föderale aufmerksam.
— Hiltheiloig^en mos der Praxis. Ein empfehlenswerthes Mittel gegen Schnupfen
ist: Acid. boric. subt. pulv. 7,0, Euphorine 3,0 (nicht zu verwechseln mit Europhen). Das
Mittel erzeugt erst leichtes Kitzeln in der Nase, worauf ziemliche Secretion erfolgt. Auf
nicht catarrhalisch afflcirter Schleimhaut ruft das Mittel ein Gefühl von Trockenheit in
der Nase hervor.
Gegen Laryngit. und Tracheitis cat. sowie leichtere Fälle von Pertussis bringt der
von der Firma Bouroughs Welcome & Oie., London,* in Handel gebrachte »Dry Inhaler“
bedeutende Erleichterung, bei den ersten Affectionen oft in erstaunlich kurzer Zeit Heilung.
Der Apparat besteht in einem cigarettenspitzartigen Glasrohrchen, vorn mit feinem Draht¬
geflecht abgeschlossen. Der vordere Theil bis zum Mundstück ist mit kleinen Korkstück-
chen angefüllt. Auf das Gitter wird Eucalyptol (ol. Eucalypt. glob.) und ol. templin. (ol.
pin. pumil.) ää 10—15 gtt. geträufelt und das Medicament so „trocken geraucht“. Eine
einmalige Beschickung genügt für einen Tag. Die jedesmalige Inhalation (3—4 täglich)
dauert ca. 15 Minuten. Das Röhrchen kann bei jeder Arbeit leicht gebraucht werden.
Vor den andern Inhalationen mit ol. templin. auf beissem Wasser hat diese Trocken-
Inhalation den bedeutenden Vortheil, dass man directen Erkältungen viel weniger aus¬
gesetzt ist, auch in der Kinderpraxis lassen sich diese Inhalationen besser durchführen,
als die genannte andere Art.
Gegen Ozsena schien mir in einem Falle Euphor. acid. boric. Jodof. ää zu Ein¬
blasungen mehrmals täglich von sehr gutem Erfolg. Dr. Brandenberg (Zug).
Ausland.
— Die deutsche otologische Clesellsehmfl, eine Vereinigung der Ohrenärzte Deutsch¬
lands, Oesterreichs und der Schweiz, wird ihre diesjährige Versammlung am 12. und 13.
Mai (Pfingsten) in Bonn abbalten. Anmeldungen zur Aufnahme nimmt entgegen Prof.
Dr. Bürkner in Göttingen, d. Z. Sekretär.
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— Ob einem herzkraikei MidekeB die Bke mbzirmihei ist, ist eine Frage, in
welcher noch Meinungsverschiedenheiten unter den Aerzten bestehen. So widerrathet
Peier jedem mit einem Klappenfehler behafteten Frauenzimmer absolut die Ehe im Hin¬
blick auf die Gefahren, welche von einer eventuellen Schwangerschaft und Geburt für
die Patientinnen resultiren könnten. Nach den Beobachtungen von Fma^ muss jedoch diese
Regel in ihrer Strenge als nicht vollständig berechtigt, und die Schwangerschaft als nicht
so absolut gefährlich für die herzkranken Frauen betrachtet werden, als man es gewöhn¬
lich annimmt. Während der Jahre 1891 und 1892 untersuchte Vinaj/ in der Lyoner
Maternität 1700 Schwangere in Bezug auf den Zustand ihrer Herzens. Darunter fand
er 29 Klappenfehler. In 18 Fällen verlief die Schwangerschaft glücklich, dreimal traten
intercurrente Krankheiten auf, viermal beobachtete er Oedeme der unteren Extremitäten
bei Frauen, die aber schon vorher an Yaricen litten, und blos in 4 Fällen trat während
der Schwangerschaft eine erhebliche Verschlimmerung des Herzleidens auf. ln 24 Fällen
wurde die Frucht ausgetragen, fünfmal wurde die Schwangerschaft durch Abortus oder
Frühgeburt unterbrochen. Eiweiss im Urin fand sich blos in zwei Fällen. Aus seinen
Beobachtungen zieht Vinai/ den Schluss, dass ein bestehender Klappenfehler keine ab¬
solute Contraindication zur Ehe und Schwangerschaft bilde. Dieselbe kann gestattet
werden, so lange der Klappenfehler gut compensirt ist, keine Albuminurie vorhanden ist,
und in früheren Zeiten keine erheblichen Compensationsstörungen bestanden haben. Von
der Ehe entschieden abzuhalten sind die Fälle, bei welchen Zeichen von Herzinsufhcienz
bereits bestehen oder bestanden haben; dieselben können durch eine Schwangerschaft
und eine Geburt nur verschlimmert werden. (Revue de therapeutique, No. 2.)
— Der Bssigfilher ist nach Eins ein vorzügliches Stimulans. Er regt die Athmung
vortrefflich an, selbst wenn sie vorher durch Morphin bedeutend abgeschwächt worden
war. Im Magen erzeugt er ein angenehmes Gefühl von Wärme und Erregung. Wahr¬
scheinlich beruht ein guter Theil der wohlthuenden Wirkung des Cognacs, Rhums, Aracs
und anderer derartiger Getränke auf der Anwesenheit des Essigäthers und der verwandten
Aether. Dosen wie für Aethyläther. (Deutsch, med. Wochenschr. Nr. 2.)
— Zur Behudlongf der Stonmtitts empfiehlt Boennecken das Wasserstoffsuperoxyd
in 2% Lösung, ln dieser Verdünnung besitzt die Lösung noch bedeutende antiseptische
Eigenschaften ohne die entzündete Mundschleimhaut im geringsten zu reizen. Bringt
man Wasserstofibuperoxyd in Berührung mit der entzündeten Schleimhaut, so wird letztere
augenblicklich mit einer Schicht von Sauerstoffbläschen bedeckt. Dieser nascircnde Sauer¬
stoff besitzt ausgesprochene antiseptische Eigenschaften; sobald aber das HsOi Molecül
zersetzt ist, hört die Wirkung auf, so dass die tiefer liegenden Schichten nicht angegriffen
werden. Lässt man bei bestehender Stomatitis die Mundhöhle einige Minuten mit einer
2^/o Lösung von H 2 O 2 ausspülen, so verschwindet augenblicklich der penetrante Geruch,
und nach 248töndiger Anwendung des Mittels hat sich schon der schmierige Belag des
Zahnfleisches abgestossen. Nach 5—6 Tagen können selbst schwere Stomatitiden durch
diese Behandlung zur Heilung gebracht werden. Die chemische Fabrik von Marquart in
Bonn liefert 1 Kilo Hydrogenium peroxydum (10®/o Lösung) für 1 Mark.
(Deutsch, med. Wochenschr. Nr. 2.)
— Die symptonmUseke Tmekyeardie der Phtklsiker. Eine anhaltende abnorme
Erhöhung der Pulsfrequenz ist bei Lungentuberculose eine sehr häufige Erscheinung,
welche sozusagen in allen Stadien der Krankheit beobachtet werden kann, deren Ursache
aber uns noch vollständig unbekannt ist. ln einzelnen Fällen hat man eine Compression
eines oder der beiden Vagusstämme durch tuberculöse Bronchialdrüsen beobachtet. Diese
Fälle sind aber selten und wenn die Annahme von Bezanson, der in der durch die
Nervencompression bedingten Vaguslähmung die Erklärung der Tachycardie finden will,
hie und da zutreffen mag, so lässt sie doch unerklärt die Tachycardie, welche bei frei¬
gebliebenen Vagis oft beobachtet wird. Klippel sucht dieselbe zu erklären durch
eine mit der allgemeinen Amyotrophie verbundene Ueberreizbarkeit der Muskeln und
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speciell des Herzmuskels. Marfan ist der Ansicht, dass die Erhöhung der Pulsfrequenz
mit der Beeinträchtigung der Athmung Zusammenhänge, eine Erklärung, welche uns
nicht sehr glücklich erscheint. Zuletzt hat man auch in der Tachycardie den Ausdruck
der directen Wirkung der Secretionsproducte des Koch^schen Bacillus gesehen. Bouchard
hat aus dem Tuberculin einen Körper isolirt mit ausgesprochenen yasodilatatorischen Eigen¬
schaften; mit der Gefässerweiterung ist eine bei Phthisikern thatsächlich vorhandene Ab¬
nahme des Blutdrucks verbunden, welche als directe Folge Erhöhung der Pulsfrequenz
nach sich zieht. (Revue de mödecine Nr. 1, 1894.)
— «lasitzflfissigrkelt. 36 gr. Fluornatrium werden in einem halben Liter destil-
lirtem Wasser gelöst und nach erfolgter Lösung 7 gr. Kaliumsulfat zugesetzt. Anderer¬
seits löst inan 14 gr. Chlorzink ebenfalls in einem halben Liter destillirtem Wasser und
giesst zu der Lösung 65 gr. conc. Salzsäure. Diese Lösungen können in gewöhnlichen
Glasflasohen vorräthig gehalten werden. Zum Gebrauche mischt man gleiche Volumen
dieser beiden Flüssigkeiten zusammen und setzt der Mischung einige Tropfen chinesischer
Tusche zu, um die Schriftzüge beim Schreiben sehen zu können. Zum Mischen beider
Flüssigkeiten eignet sich am besten ein Würfel Paraffin, in welchem mau eine passend
grosse Aushöhlung gemacht hat.
Empfehlenswerth zum Signiren von Glasbehältern und Selbstanfertigung von Maass-
gefassen. J, (Pharm. Centralh. Nr. 50, 1893.)
— Hosteii zur UnlerstlllzDDgf der Taxis des eingeklemmten Brnckes. Wherry
(Cambridge) erinnert an die bekannte, aber oft wieder vergessene Thatsache, dass ein¬
geklemmte Hernien, die vorher allen Taxisversuchen widerstunden, oft erstaunlich leicht
zurückgehen, wenn man den Patienten während der Taxisversuche husten und dadurch
den Bruchring erweitern lässt. (Sem. möd.)
— Zinkleim. Die Eigenschaften eines guten Zinkleims, dessen günstige Wirkung
bei Wunden, Geschwüren allgemein anerkannt ist, sollen zunächst in einer niedrigen Ver¬
flüssigungstemperatur bestehen, andrerseits soll die Gelatine aber bei einer verhältniss-
mässig noch hohen Temperatur erstarren, damit sie so schnell wie möglich fest wird,
und schliesslich soll sie hohen Contractionsgrad besitzen.
Für einen weichen Zinkleim empfiehlt Hodarck folgende Formel: Rp. Aq. destill.
55,0, Gelatinse 12,5, Glycerini 12,5, Zinci oxyd. 20,0. * Dieser Leim schmilzt bei 37,75^,
erstarrt bei 28^ und besitzt eine Contractilität von 16 mm für ein Stäbchen von 10 cm
Länge innerhalb 5 Tagen.
Formel eines harten, recht contractilen Leimes: Rp. Aq. destill. 50,0, Gelatinm 15,0,
Glycerini 10,0, Zinci oxydat. 25,0. Dieser Leim schmilzt bei 38,75®, erstarrt bei 31®
und erreicht eine Contractilität von 22 mm auf ein 10 cm langes Stäbchen.
(Pharm.. Centralh. Nr. 11.)
— AeODlUn bei Neoralgiei. Bei Migräne, Pleurodynie. Gesichtsneuralgien, bei
Gelenkrheumatismus und acuten Gelenkentzündungen wirkt oft Aconitin auffallend günstig.
Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass das Mittel äusserst giftig ist, so dass nur
Präparate von bekannter Herkunft und sicherer Dosirung angewendet werden dürfen.
Anfangs wird man auch gut thun, die Empfindlichkeit der Kranken zu erproben, und
mit 3 Pillen zu zu beginnen; dann steigt man täglich um eine Pille
bis zu sechs pro die. Diese Dose soll nur in Ausnahmefällen überschritten werden. Tritt
während dieser Medication DiarrhoB auf, so gehe man mit der Dosis herab. Den Aconitin¬
pillen kann mit Vortheil noch etwas Chinin zugesetzt werden.
(Centralbl. f. d. gesammte Therap. Nr. U.)
Brlefk asten.
Prof. <Senn, Chicago: Besten Dank. In*Rom soll Ihrer lebhaft gedacht werden.
Dr. Moryj Thun: Aufgeschoben, nicht aufgehoben. Sie dürfen sich durch eine meiner,
dem Uebermass von Arbeit entsprungenen Unterlassungssünden nicht „lakirt fühlen**.
Schweighauserische Buchdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
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CORRESPONDENZ-BLATT
Erscheint am 1. nnd 15.
jedes Monats.
Inserate
35 Cts. die gesp. Petitzeile.
für
Schweizer Aerzte.
Herausgegeben von
Preis des Jahrgangs
Fr. 12. — für die Schweiz,
Fr. 14.50 für das Ausland.
Alle Postbureaux nehmen
Bestellutgen entgegen.
JOi*. Ern HeifSteir und T>r» «Tctquet
in Frauenfeld. in Basel.
N! 8. XXIV. Jahrg. 1894. 15. April
Inlialt: I) Originalarbeileii; Or. i. Jaquet: Zar Diagnostik dor faneiionellen KreialanÜBtöraagea. A. Kali: Thuja
octidontalia als Ennnenagogam nnd Abortifnm. — Dr. OarlSehUMer: Uobor Dr. Oypswaite. — 2) Vereinsbericht«:
Uedidnisoh'phannaeeatischer Besirksterein Bern. — Gesellschaft der Aerst« in Zftrieh. — 8) Referate nnd Kritiken:
Prof. Dr. H. Fehling: Lehrbach der Frauenkrankheiten. — Prof. Dr. H. Magnus: Angeniretliche Unterrichtstafeln. — Q. Nager:
OebSrprbfhngen an den Stadtschulen Lnxems. — Dr.P*. Wesener: Mediclnisch-klinische Diagnostik. Dr. B. Lenharts: Mikro-
ikopie nnd Chemie am Krankenbette. — Dr. AdcHf StrimpeU: Lehrbuch der speciellen Pathologie nnd Therapie. — L. UdtU-
wUs: Ueher des auf natfirlichem Weg« diognoeticirte nnd behandelte latente Empyem des Sinns frontalis. — Dr. P. Hsgutann:
Die Bedeutung der Galyanoeanstik. — Dr. Egbert Braais: Die Grundlagen der Aseptik. — 4>Cantonale Correspond en-
sen: Basel: Hoehxeitsreisen. — 5) Wochenbericht: Dijodoform. — Behandlnng der Ischias. — Die Ecoeme der Singlinge.
Varicellen. — 6) Briefkasten.— 7) Uttlfskasse fhr Sohweiser Aerste. — 8) Bibliographisches.
inal - ja.x*1>eiten.
Aus der medicioischen Klinik zu Basel.
Zur Diagnostik der functionelien Kreislaufstörungen.')
Von Privatdocent Dr. A. Jaquet.
Neben den durch organische Verftndernngen am Klappenapparate des Herzens
bedingten Kreislaufstörungen gibt es zahlreiche Fälle, in welchen ein Darniederliegen
der zur Erhaltung des normalen Gesundheitszustandes nothwendigen Blutbewegung bei
Tollkommen gesunden Herzklappen allein auf eine gestörte Herzaction zuröckzufähren
ist. Diese im Gegensatz zu den organischen Klappenerkranknngen mit mehr oder
weniger Recht als functiouelle bezeichneten Störungen spielen in der Pathologie
eine höchst nichtige Rolle, welche unbegreifiicherneise bis zum heutigen Tage so zu
sagen nicht gewQrdigt worden ist. Blättern wir die zahlreichen Lehrbücher der
Pathologie des Kreislaufs durch, so finden wir überall eingehende Besprechungen der
Folgen der Klappenerkrankungen, während die anderweitigen Störungen der Blut*
Bewegung in den meisten Fällen übergangen oder nur mit wenigen Worten erwähnt
werden. Dass aber die Kenntniss dieser Zustände für den Arzt zum mindesten ebenso
wichtig ist wie diejenige der Klappenerkranknngen, wird man sofort zugeben, wenn
man sich daran erinnert, dass zu diesem Gebiete die im Anschluss an acute Infections-
krankheiten gar nicht selten vorkommende und gefürchtete sog. acnte Herzparalyse
gehört, ebenso die häufige und mannigfaltige Erscheinung des Herzklopfens, ferner
die idiopathische Herzhypertrophie, die Herzdilatation, etc. Mit diesen verschiedenen
‘) Vortrag gehalten in der medicin. Geaellachaft zn Basel.
16
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Störungen muss sieb der Arzt tagtäglich befassen, ohne aber nur ini geringsten Ober
die Natur derselben und ihre Entstehungsnrsachen orientirt zu sein.
Die Vernachlässigung dieses Gebietes von Seiten der Pathologen und Kliniker
ist um so weniger verständlich, als dasselbe wie kaum ein anderes in der Pathologie
durch die physiologischen Vorarbeiten zu experimentellen und klinischen Untersuchungen
vorbereitet erscheint. Eine einzige Ausnahme bildet bis zu einem gewissen Grade die
Lehre von der sog. idiopathischen Herzhypertrophie, Ober welche
wir eine Anzahl werthvoller Beobachtungen besitzen. Vor nahezu zwanzig Jahren
stellten Seitz und gleichzeitig mit ihm Albutt, Myers und da Costa die Lehre auf,
dass in Folge von körperlichen Ueberanstrengungen schwere Störungen der Herzactiou
entstehen können, welche bei vollkommen erhaltenem Klappenapparate, unter den
Symptomen einer hochgradigen Herzinsufficienz einsetzend, in zahlreichen Fällen nach
raschem Verlaufe zum Tode führen können. Solche Zustände hatte Albvtt besonders
häufig bei Docks- und Eisenwerkarbeitern beobachtet, während Myers und da Costa
auf die bei Soldaten nach schweren Ueberanstrengungen auftretenden Kreislaufstörungen
die Aufmerksamkeit lenkten. Von besonderem Werthe für die Beurtheilung der Frage
sind aber die sorgföltigen Beobachtungen von Seite^ bei welchen in mner ganzen An¬
zahl von Fällen die klinische Diagnose durch die Section gesichert wurde. Die beob¬
achteten Kranken, fast alle Männer im besten Lebensalter, durch ihren Beruf zu
grossen Körperanstrengungen gezwungen, wurden tbeilweise direct im Anschluss an
eine Ueberanstrengung, tbeilweise schleichend im Laufe von Wochen oder Monaten
von Herzklopfen und Kurzathmigkeit befallen, zu welchen sich Mb oder später die
ganze Reibe der Erscheinungen der Herzinsufficienz hinzugesellte. In den meisten
Fällen war die Herzdämpfung beträchtlich vergrössert und an den Ostien waren Ge¬
räusche zu hören; hie und da konnten dagegen letztere vollständig fehlen. Durch
Buhe und passende Behandlung wurden oft die bedrohlichen Symptome rückgängig
gemacht; sie kehrten aber bei den geringsten Anstrengungen wieder, so dass früh oder
später die Patienten doch an ihrem Herzleiden zu Grunde gingen. Bei der Obduction
der tödtlich verlaufenden Fälle fand man nur mehr oder weniger ausgesprochene
Wand Verdickung mit Ausweitung der Herzhöhlen, unveränderte Klappen und meist
unbedeutende Zeichen von Degeneration der Muskulatur. Aehnliche Beobachtungen
von Müneinger an den Tübinger Weingärtnern und von Leyden haben später der
Lehre von der Herzüberanstrengung noch eine weitere Stütze gegeben.
Als weitere Ursache solcher Kreislaufstörungen wurde von BoUinger und Bauer
der übermässige Biergenuss angegeben. Diese Autoren haben die Beobachtung gemacht,
dass in Mönchen eine dilatatoriscbe Herzbypertropbie ausserordentlich häufig vor¬
kommt, und zwar besonders bei Individuen, die von Bernfswegen dem übermässigen
Biertrinken im Allgemeinen sehr ergeben sind, wie Bierbrauer, Küfer, Schenkkellner,
etc. Die dabei beobachteten Erscheinungen zeigen grosse Aehnlichkeit mit den nach
Körperüberanstrengung vorkommenden, und die genannten Autoren betrachten als Ur¬
sache der Erkrankung eine Erschlaffung des Herzens in Folge der durch die Plethora
an dasselbe gestellten höheren Anforderungen. Wie im ersten Falle findet man bei der
Section Dilatation und Hypertrophie des Herzens bei vollkommen gesunden Klappen
und anscheinend normaler Muskulatur. Eine fernere wichtige Ursache zur Ent-
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stebung von Herzbypertrophie ist die Arteriosclerose, ebenso die cbroniscbe interstitielle
Nephritis. Da aber in beiden Fallen organische Läsionen vorhanden sind, welche dem
vermehrten Widerstand im arteriellen System zu Grunde liegen, so gehören dieselben
nicht in den Rahmen nnserer Betrachtungen.
Ebenso wichtig, aber weniger bekannt wie die idiopathische Herzhypertrophie, ist
die Herzdilatation. Dass dieselbe auch in Folge von Ueberanstrengung ent¬
stehen kann, lehrt eine Beobachtung von Älbuit, welche dieser Forscher an sich selbst
zu machen Gelegenheit batte. Bei einer sehr strengen Fusstour in den Alpen wurde
er plötzlich von einer sonderbaren und eigentbömlichen Engigkeit und Athemnoth er¬
griffen, welche von einem höchst unangenehmen Gefühle von Ausdehnung und Pul¬
sation im Epigastrium begleitet war. Als er seine Hand aufs Herz legte, fühlte er
einen angestrengten diffusen Anschlag über das ganze Epigastrium, und die auf der
Steile vorgenommene Percussion ergab eine sehr bedeutende Dilatation des rechten
Ventrikels. Nach kurzer Rast in horizontaler Stellung verschwanden die Beschwerden
sowie die VergrOsserung der Herzfigur. Er konnte sich auf ebener Fläche bewegen,
ohne Dyspnoe oder Herzklopfen zu verspüren; sobald er aber zu steigen anfing, kehrten
die Symptome wieder. In dieser Beschreibung erkennen wir ohne Mühe den bekannten
Symptomencomplex des ,mal de niontagne*. Diese Beobachtung von ÄlbuU, die bis
jetzt unberücksichtigt geblieben ist, scheint mir sogar für die Erklärung der Natur
der Bergkrankheit von der grössten Bedeutung zu sein. Paul Bert und mit ihm die
meisten Autoren betrachten als Ursache der Bergkrankheit eine ungenügende Sättigung
des Blutes mit Sauerstoff, eine Anoxybämie. Unsere Kenntnisse über die Atbmung
in verdünnter Loft stehen aber mit dieser Auffassung bis zu einem gewissen Grade in
Widerspruch, so dass man neben der mangelhaften Lungenventilation noch die strenge
Muskelarbeit in Betracht zu ziehen gezwungen war. Neben diesen beiden Factoren
scheint uns aber die acute Herzermüdung die wichtigste Rolle zu spielen. Die mus¬
kuläre Ueberanstrengung sowie die verminderte Sanerstoffspannong im Blute können
wesentlich zur Entstehung derselben beitragen; die Symptome der Bergkrankheit sind
aber im Wesentlichen der Ausdruck der Herzermüdung. Sie erklärt uns das Herz¬
klopfen, die Dyspnoe, den Schmerz im Epigastrium, den Schwindel, lauter Symptome,
die wir bei Saoerstoffdyspnoe niemals, wenigstens nicht in so ausgesprochener Weise
antreffen.
Andere Beobachtungen von acuter Herzdilatation nach KOrperanstrengung wurden
bei Anlass des letzten Congresses der Association fran 9 aise pour l’avancement des
Sciences in Besan 9 on von Le Gendre mitgetbeilt. In Folge von einem forcirten Lauf¬
schritt sah er Öfters bei Knaben zwischen dem 11. und dem 16. Jahre acute und sehr
intensive Kreislaufstörungen auftreten. In den meisten Fällen handelte es sich um
schwere Anfälle von Tacbycardie, in anderen um acute Dilatation des rechten
Herzens mit Asystolie. Im Anschluss au Infectionskrankheiten tritt diese Dilatation
des rechten Herzens gar nicht selten auf, wie später zu erwähnende Beobachtungen
zeigen sollen.
Dass die erwähnten Factoren, die forcirte Muskelarbeit, der übermässige Bier¬
genuss, direct schädigend auf das Herz wirken kOnnen, scheint auf Grund der vor¬
handenen Beobachtungen unbedingt angenommen werden zu müssen. Dass aber dabei
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236
noch andere Factoren wirksam sein müssen, ergibt sich aus der immerhin noch
relativ sehr geringen Zahl von Herzkranken unter den vielen Tausenden von Docks¬
arbeitern und von Soldaten, welche denselben Schädlichkeiten unterworfen waren wie
die von Albutt und Myers beobachteten Fälle. Ebenfalls steht die Menge der Bier¬
trinker, besonders in München, in keinem Verbältniss zur Zahl der Herzerkrankungen,
so dass, wenn wir diese Factoren als ausschlaggebende Momente betrachten, wir doch noch
daneben eine besondere Prädisposition zu solchen Störungen annehmen müssen.
üeber die Natur dieser Prädisposition lassen sich zur Zeit nur Vermuthungen
aufstellen; dieselbe könnte angeboren oder erworben sein. Ebenso gut wie die von
Yirchoto constatirte mangelhafte anatomische Entwickelung des Kreislaufsapparates bei
Chlorotischen, wäre eine congenitale, mangelhafte physiologische, functioneile Ent¬
wickelung denkbar. Zwei anscheinend vollständig gesunde Individuen vertragen die¬
selbe Muskelanstrengung in sehr verschiedener Weise. Während der Erste seine
Arbeit ohne Störung bis zum Ende verrichtet, bekommt der Ändere bald Athemnotb,
Herzklopfen und ist gezwungen auszusetzen. Für die erworbene Natur solcher Schwäche-
Zustände sprechen die sehr interessanten und werthvollen Beobachtungen von Bömberg
über die im Anschluss an Infectionskrankheiten, Typhus, Scharlach und Diphtherie
auftretenden Myocarditiden. Diese Erkrankungen des Herzmuskels können in gewissen
Fällen noch lange nach der vollständigen Heilung der betreffenden Infectionskrankheit
bestehen, und es ist ganz gut möglich, dass als Folge einer solchen Myocarditis ein
gewisser Grad von functioneller Schwäche auf längere Zeit hinaus zurfickbleibt.
Sei es aber wie es wolle, es ist eine wichtige Aufgabe für den Arzt und den
Kliniker solche Zustände frühzeitig zu erkennen, um die damit befallenen Individuen
auf die Gefahren der oben erwähnten Schädlichkeiten aufmerksam zu machen und
davor zu schützen.
Die bisher üblichen Methoden der Diagnostik der Kreislaufstörungen sind aber
zu diesem Zwecke wenig geeignet. Durch Percussion und Auscultation des Herzens
können wir wohl in den meisten Fällen grobe organische Veränderungen am Herzen
wahrnehmen, obschon es noch Fälle genug gibt, bei welchen die Obduction bedeutende
Veränderungen an den Klappen aufdeckt, ohne dass sich dieselben intra vitam durch
Geräusche an den entsprechenden Ostien hätten diagnosticiren lassen. Diese im Ruhe¬
zustände der Patienten vorgenommenen Untersuchungen sagen uns aber nichts über den
Grad der Resistenz und Accommodationsiähigkeit des Gerzens unter dem Einflüsse der
verschiedenen auf ihn wirkenden äusseren Factoren, obschon diese Seite der Herz-
thätigkeit im Allgemeinen für den Arzt die wichtigste sein dürfte.
Bei einer solchen Untersuchung, die man im Gegensatz zur statischen, die
dynamische Diagnostik der Kreislaufstörungen nennen könnte, muss man
durch künstliche Eingriffe Störungen der Herzthätigkeit hervorzurufen suchen, deren
Stärke uns bis zu einem gewissen Grade über die Herabsetzung der Widerstandsfähig¬
keit des Herzens Aufschluss geben kann. Als derartige künstliche Eingriffe, welche
auf den Gesammtkreislauf einen Einfluss auszuüben im Stande sind, nenne ich in erster
Linie die Muskelarbeit, den Lagewechsel, die Athembewegungen, die Füllung des
Magens und die Verdauung, die Application localer peripherer Reize, u. s. w. Einen
ersten Versuch in dieser Richtung machte im Jahre 1887 Spengler unter der Leitung
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237
fOD Prof. O. Wyss, und wenn auch seine Resnltate sich nicht direct in der von ihm
angedeuteten Weise verwerthen lassen, so enthält diese Arbeit doch sehr bemerkens-
werthe Beobachtungen ffir die uns interessirende Frage.
Spengler untersuchte bei Gesunden und Kranken den Einfluss des Lagewecbsels
auf die Frequenz und Gestalt der Pulscurve, und fand, dass die Unterschiede des
Pulses in der verticalen und horizontalen Station viel ausgesprochener bei Kranken als
bei Gesunden sind, und mit dem Fortschreiten der Reconvalescenz immer geringer werden.
Unsererseits haben wir auf der hiesigen medicinischen Klinik in einer Serie von
Untersuchungen, wovon die erste bereits zum Abschluss gelangt ist, die Bearbeitung
dieser Seite der Diagnostik der Kreislaufstörungen unternommen. Wir haben mit dem
fänflusse der Muskelarbeit auf die Tbätigkeit des Herzens begonnen. Zu diesem
Zwecke eignet sich nicht jede beliebige Art von Muskelthätigkeit; denn um einen
Eindruck über die Wirkung derselben auf die Herzaction zu gewinnen, muss sie mög*
liehst ohne Störung der Athmung geleistet werden können.- Ferner ist es notbwendig,
eine einfache gleichförmige Form der Arbeit zu wählen, damit dieselbe wenigstens
approximativ quantitativ geschätzt werden kann. Als solche eignet sich weitaus am
besten das Treppensteigen. In einer gleichförmigen Bewegung wird ohne Beein¬
trächtigung der Athmung der Körper bis zu einer bestimmten Höbe gehoben, eine
Arbeit, die sich leicht in Zahlen ausdriieken lässt. Die daneben durch die Herz- und
Atbmungsmuskulatur sowie durch die Rumpfmuskeln zur Erhaltung des Gleichgewichts
geleistete Arbeit kann man bis zu einem gewissen Grade als Constante betrachten und
ausser Rechnung fallen lassen. Den Ein¬
fluss des Treppensteigens an einer gewöhn¬
lichen Treppe von genügender Stufenzahl
untersuchen zu wollen ist mit grossen
Schwierigkeiten verbunden; denn der Be¬
obachter ist gezwungen gleichzeitig mit
der Untersuchungsperson zu arbeiten, und
leidet am Ende des Steigens ebenfalls an
Dyspnoe und vermehrter Herzaction, so
dass er nicht mit der genügenden Ruhe
seine Beobachtung machen kann. Aus
diesem Grunde habe ich beim Mechaniker
Bunne einen Tretapparat construiren lassen,
welcher die Muskelarbeit an Ort und Stelle
zu leisten gestattet, so dass der Beob¬
achter in aller Ruhe den Versuch über¬
wachen kann.
Dieser Apparat, den wir Ergostat genannt haben, ist nach dem Prinoip einer
aitemirenden Druck- und Säugpumpe gebaut. In beiden gusseisernen Cylindern A und
Al befindet sich ein Kolben a, welcher durch die Kraft des auf das Trittbrett T wirken¬
den Körpergewichts nach unten gedrückt wird, während nach vollendeter Excursion und
sobald die Körperiast zu wirken aufhört, er durch das Gegengewicht D wieder in die Höhe
gehoben wird. Die Cylinder A und Ai communiciren beide mit einem gemeinschaftlichen
dritten Behälter B durch die Leitungen m und mi, so dass die durch den nach unten
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238
sich bewegenden Kolben verdrängte Flüssigkeit von A nach B fliesst. Für gewöhnlich
ist die Communicationsöffnung 0 im Behälter B durch ein Kegelventil abgesperrt. Dieses
Ventil wird mit Gewichten G belastet, welche die zu seiner Ueberwindung nothwendige
Kraft, d. h. das Körpergewicht balanciren sollen. Das liUmen o verhält sich zum Quer¬
schnitt des Cylinders A wie 1:10, so dass zur Equilibrirung des Körpergewichtes die
Belastung G blos Yio dieses Gewichtes zu betragen braucht. Damit der Apparat func-
tioniren kann, muss aber selbstverständlich das Gegengewicht etwas geringer als das
Körpergewicht sein. Da A und Ai beide durch das Lumen o in B münden, war es
nothwendig in den Leitungen m und mi die Ventile 1 und li anzubringen, welche bei
der Excursion des Kolbens a einen Rückfluss durch die Leitung mi nach Ai und um¬
gekehrt verhindern. Die durch die Excursion des Kolbens nach B verdrängte Flüssigkeit
fliesst weiter durch die Leitung r in den Behälter 0. Dieses gemeinschaftliche Reservoir
steht wiederum mit A und Ai durch die Leitungen n und ni in Verbindung und ist an
den Mündungsstellen p und pi durch ein Kegelventil abgesperrt. Wird der Kolben a
nach unten gedrückt, so schliesst sich das Ventil p durch den darauf wirkenden Druck,
während 1 und o sich öffnen; sobald aber a durch das Gegengewicht D in die Höhe
gezogen wird, schliesst sich 1 während p geöffnet wird, so dass Flüssigkeit ans C nach
A aspirirt werden kann. Ist der Apparat in Thätigkeit, so wirkt die eine Hälfte als
Saug-, die andere als Druckpumpe; das eine Trittbrett tritt in die Ruhestellung zurück,
während das andere seine Excursion nach unten vollführt. Der Apparat ist mit Oel ge¬
füllt. Die gewöhnliche Geschwindigkeit, mit der gearbeitet wird, beträgt 40 Tritte in
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239
der Minute und kann innerhalb gewisser Grenzen durch Abänderung des Ventilgewichtes
G vermehrt oder vermindert werden. Die Excursionsweite des Kolbens beträgt 20 cm,
folglich wird bei jedem wohlausgeführten Tritte das Körpergewicht um 20 cm gehoben.')
Die geleistete Arbeit ist das Product der Anzahl der Tritte n des Körpergewichtes K
und der Tritthöhe 0,2 m, und kann mit Leichtigkeit in Kilogrammetern ausgedrückt
werden x = n.K.0,2.
Mit diesem Apparate hat im Verlaufe des letzten Jahres Herr College Christ
eine Reihe von Versuchen angestellt, äber welche ich hier in aller Kürze berichten
möchte. Zur Bestimmung der Aenderungen im Kreislaufapparate ist heute noch die
sphygmographische Methode die zuverlässigste. Leider fehlen uns genaue Mittel um
bequem und schnell Blutdruck und Kreislaufsgeschwindigkeit zu bestimmen, und so
müssen wir uns mit den, wenn auch einigermassen dürftigen Angaben des Sphygmo-
graphen begnügen. Abgesehen von einer allgemeinen Orientirung über die Herzaction
und den Spannungszustand der Gefässwände, sind es hauptsächlich zwei Punkte, welche
wir mit dem Sphygmochronographen genau zu untersuchen im Stande sind: die Fre¬
quenz und die Gleichmässigkeit des Pulsrhythmus. Dem zweiten Punkte hatten wir
im Beginne unserer Untersuchungen eine besondere Wichtigkeit zugeschrieben, indem
wir von der Annahme ausgingen, dass die Ermüdung des Herzmuskels sich durch eine
mehr oder weniger ausgesprochene Arythmie und Asystolie documentiren würde. Wenn
dies auch in einzelnen Fällen in der That zutrifft, so bleibt aber, wie wir es durch
unsere Untersuchungen constatireu konnten, die Gleichmässigkeit des Rhythmus auf¬
fallend lange erhalten, und die beginnende Herzermüdung offenbart sich zunächst durch
eine Anzahl anderer Symptome. Die Asystolie dürfte eben für gewöhnlich als das
letzte der Herzlähmung direct vorangehende Symptom angesehen werden, ein Zustand,
den wir bei unseren vorsichtig geleiteten Untersuchungen nie erreicht haben. Zur
Bestimmung des Einflusses der Muskelarbeit auf die Herztbätigkeit wurden zunächst
die Patienten im Ruhezustand untersucht, dann Hessen wir sie eine bestimmte Anzahl
von Stufen am Ergostat treten, um sofort nach beendigter Arbeit den Puls wieder zu
untersuchen. Während der Arbeit blieb der Sphygmograph auf dem Vorderarm be¬
festigt, um die Pulsuntersucbung sofort nach beendigter Arbeit vornehmen zu können.
In dieser Weise wurden 29 Individuen, Gesunde und Reconvalescenten unter¬
sucht. Folgende Tabellen enthalten als Beispiele einige der bei diesen Versuchen ge¬
wonnenen Resultate:
Tabelle I.
Gesunde
Name
Pulsfrequenz
Zunahme
Arbeitsgrösse
vor Arbeit
nach Arbeit
d. Pulsfrequenz
in Kgrmm.
Keller
58
58
0
2590
Haller
115
130
15
3960
B,
71
103
32
5500
Schilling
64
102
38
6500
B,
74
130
56
7000
Thomann
86
136
50
8800
Jaquet
67
125
58
10200
Kündig
73
128
55
14600
*) Für alle Einzelheiten der Technik der Versuche, a. H. Christ: üeber den Einflnag der Muskel¬
arbeit auf die Herztbätigkeit. Dias. Basel, 1B94. Auch Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1894.
I
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240
Tabelle II.
Kranke und Recon t aIesoenten
Name
Pulsfrequenz
vor Arbeit nach Arbeit
Zunahme
d. Pulsfrequenz
Arbeitsgrosse „
. jr Bemerkungen
in Kgrmm. ®
NeUhold
88
113
25
830
Typhusreconvalescen t.
Hoffmann
92
130
38
1200
Typhusreconvalescent.
Widmer
130
154
24
1800
Typhusreconyalesoent.
Senn
91
123
32
2950
Pneumoniereconval.
Dippel
90
146
56
5400
Vitium cordis.
Hoppe
67
150
83
6500
Vitium cordis.
Jede Muskelarbeit bewirkt wie ersichtlich eine gewisse Beschieunigung des Pulses.
Bei gesunden Individuen ist ffir eine geringe Arbeit diese Beschleunigung schwach;
sie nimmt aber mit der Arbeitsleistung zu, bis sie einen gewissen Grad erreicht hat.
Aber welchen sie selbst bei beträchtlichen Muskelanstrengungen nicht hinausgeht. So
haben wir selbst durch eine Arbeit von 14000 Kilogrammmetern in 25 Minuten die
Pulsfrequenz nie Aber 160 Pulsscbläge in der Minute steigen gesehen; in eiuem ein¬
zigen Falle, bei einem Typhusreconvalescenten erreichte sie nach relativ geringer Arbeit
die 2^hl von 166 in der Minute. Diese Zahl scheint offenbar die Grenze der Be¬
schleunigung der Herzaction darzustellen; dabei kann das Herz in gewissen Fällen
seine Aufgabe noch vollständig erfAllen. Dieser Zustand darf aber nicht zu lange an¬
dauern, sonst treten bald die ersten Erscheinungen der HerzermAduug (Herzklopfen,
Dyspnoe) auf. — Wenn auch im Allgemeinen ein gewisser Parallelismus zwischen Puls¬
frequenz und Höhe der Arbeitsleistung sich constatiren lässt, so darf dieser jedoch
nicht zu strenge genommen werden. Lässt man dasselbe Individuum wiederholt ar¬
beiten, so findet man, dass einmal eine grössere Arbeit eine relativ mässige Pulsbe-
schleunigung zur Folge hat, während das andere Mal durch dieselbe Arbeit die Puls¬
frequenz fast bis zum Maximum gesteigert wird. Dies wird uns aber nicht befremden,
wenn wir alle Factoren berAcksichtigen, welche die momentane Erregbarkeit des Herzens
beeinflussen können.')
Vergleichen wir non die Wirkung der Arbeit bei Typhus- und Pneumonie-
reconvalescenten oder bei Individuen mit einem Klappenfehler, so sehen wir, dass in
diesen Fällen eine minimale Arbeit schon genügt, um eine Beschleunigung des Pulses
hervorznrufen, wie wir sie bei Gesunden nur nach maximaler Anstrengung beobachten.
In diesen Fällen hat das Herz offenbar viel von seiner Widerstandsßhigkeit eingebAsst
und ist dem Einflüsse der äusseren Factoren viel mehr ausgesetzt. Dass diese erhöhte
Reizbarkeit des Herzens, mit einem gewissen Grade von Herzschwäche gleichbedeutend
ist, scheint aus den Symptomen hervorzugehen, welche wir in gewissen Fällen neben
dem beschleunigten Pulse angetroffen haben. Am meisten klagen die Versuchsindividuen
Aber etwas Athemnotb, ferner haben wir in einigen Fällen Herzklopfen beobachtet,
und in zwei oder drei Fällen Arythmie des Pulses. Ueber die Bedeutung dieser ver¬
schiedenen Erscheinungen und die Berechtigung dieselben als Symptome einer be¬
ginnenden Herzschwäche hinzustellen, können wir hier nicht näher eingehen; es soll
an einer anderen Stelle geschehen. Eine andere Erscheinung aber will ich hier nicht
unerwähnt lassen, weil, so viel mir bekannt, dieselbe in der Litteratur noch nicht er-
•) S. darüber Christ l. c.
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241
w&bnt worden ist and sie eine gewisse pathologische Bedeutung heansprnchen darf.
In drei F&llen von Typhnsreconvalescenten, in welchen wir eine starke Empfindlichkeit
des Herzens g^enflber Muskelarbeit beobachtet hatten, konnten wir durch eine sorg¬
fältige Percussion der Hengegend eine acute Dilatation des Herzens im Anschluss
an Muskelarbeit feststellen, welche nach einiger Zeit, wenn sich die Patienten ruhig
verhielten, wieder verschwand. In einem Falle ergab sogar die Auscultation ein vor¬
übergehendes systolisches Geräusch an der Spitze. Diese Beobachtung, welche am un¬
zweideutigsten für das Vorhandensein von Herzermüdung spricht, ist eil schlagender
Beweis für die Bedeutung der functionellen Kreislaufstörungen im Anschluss an acute
Infectionskrankheiten und für die Nothwendigkeit ihrer Berücksichtigung bei der
Untersuchung des Kreislaufsapparates.
Durch vorliegende Versuche, welche, wie schon bemerkt, das erste Glied einer
Serie von Arbeiten darstellen sollen, haben wir nur versucht uns in diesem neuen
Gebiete zu orientiren. Wir wollten nur bestimmen, in welchem Grade die längst be¬
kannte Erscheinbng der Pnlsbeschleunigung bei Miiskelthätigkeit durch Vorhandensein
eines krankhaften Zustandes des Organismus beeinflusst wird und welche Folgen eine
solche Anstrengung für den schon heruntergekommenen Organismus eventuell haben
kann. Ohne aber irgendwelche verfrühte Schlussfolgerungen aus unseren Resultaten
ziehen zu wollen, möchten wir auf die Aussichten hinweisen, welche dieselben uns in
diagnostischer Hinsicht zu versprechen scheinen: Unter den von uns untersuchten
Fällen befindet sich die Beobachtung eines Studenten der anscheinend gesund bis jetzt
nie über erhebliche Störungen von Seiten des Herzens geklagt hatte, ausser hie und da
Herzklopfen nach Turnübungen. Als wir ihn am Ergostat untersuchten, fanden wir
nach einer mittelschweren Arbeit von 5500 Kgmm in 11 Minuten eine auffallende
Beschleunigung der Pulsfrequenz um 54 Pulsationen in der Minute, sowie das Auf¬
treten von Herzklopfen und Unregelmässigkeit des Pulses. Eine genauere Erhebung
der Anamnese ergab, dass diese auffallend geringe Resistenzfähigkeit von Seiten des
Herzens in einer hochgradigen hereditären tubercnlösen Belastung des betreffenden In¬
dividuums möglicherweise ihre Erklärung finden könnte. Ist aber ein solcher Zustand
diagnosticirt, so kann der Betreffende auf die Gefahren einer Ueberanstrengung auf¬
merksam gemacht werden und somit von der ini Beginne unserer Betrachtungen er¬
wähnten idiopathischen Herzbypertrophie und Dilatation bewahrt bleiben. Von be¬
sonderer Wichtigkeit werden solche Befunde bei jungen Leuten sein, bei welchen es
sieb um die Wahl eines Berufes bandelt. Ist eine starke Reaction des Herzens auf
mässige Anstrengung vorhanden, so wird mau gut tbnn, für solche Individuen von
den mit grossen Anforderungen an die Muskeltbätigkeit verbundenen Berufsarten zu
abstrahiren. In anderen Fällen werden wir uns dagegen, wie es in zwei unserer Be¬
obachtungen der Fall war, überzeugen können, ob bei vorhandenem sogen, nervösem
Herzklopfen gleichzeitig eine constitutionelle Schwäche des Herzens besteht, und somit
vorsichtig mit den körperlichen Uebungen verfahren werden soll, oder ob bei gesundem
und widerstandsßbigem Herzen das Herzklopfen als ausschliessliche nervöse Erscheinung
aufzufassen sei, welche durch körperliche Uebungen nur günstig beeinflusst werden
kann. Es sind uns eine Anzahl von Fällen bekannt, welche wegen Herzklopfen vom
Militärdienste befreit wurden und die ohne die geringsten Störungen die anstrengendsten
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242
Fusstouren in den Bergen vertragen können. Endlich wird man durch die dynamische
Untersuchung von mit Kreislaufstörungen behafteten Patienten bestimmen können, ob
und bis zu welchem Grade solche Kranken für die sogen. Terraincnren geeignet er¬
scheinen, und in vielen Fällen Patienten von therapeutischen Proceduren abhalten, die
für dieselben die verderblichsten Folgen hätten haben können.
Thuja occidentalis als Emmenagogum und Abortivum.
Mittheilung aus der geburtshilflichea Abtheiluog der caot. Krankenanstalt in Aarau.
Von A. Kalt, Oberarzt.
Es ist eine allgemein verbreitete Annahme unter dem Volke, dass die „Sevi-
ptlanzen* und ihre verwandten Arten sowohl die Menstruation befördern als auch als
Abtreibemittel verwendet werden und als solche eine Wirkung hätten. Fragt man
aber nach concreten Fällen, so bleibt die Antwort aus. Den Aerzten selbst kommen
meines Wissens bei uns solche Fälle recht selten zur Beobachtung und in der mir
zur Verfügung stehenden Litteratur suchte ich vergebens nach einer Casuistik.
Diese Thatsache sowohl als auch der weitere Umstand, dass der von mir beob¬
achtete Fall durch seine diversen Complicationen noch einiges Interesse bietet, mag
die Veröffentlichung desselben rechtfertigen.
Die kaum 18jährige, unverheirathete W. von S. wurde angeblich in Folge eines
einmaligen Coitus, begangen am 6. März 1893, gravida. Da die Menses dann ausblieben,
so „meinte“ sie, die Ursache des Ausbleibens bestehe, wie früher schon einmal, in Chlo-
rosis. Sie theilte dies, angeblich am 24. Juli, ihrem Complicen mit, welcher ihr dann
sagte, sie solle „Sevithee“ trinken; „das sei gut,“ die Menses wieder zu „befördern“.
Am gleichen Abend bereitete nun die W. einen solchen Thee, indem sie von einer be¬
nachbarten Thujahecke zwei „Hand voll“ Zweige nahm und dieselben V« Stunde lang
abkochte; sie trank von zwei gewöhnlichen Kaffeetassen die eine ganz, die andere nur
zum Theil aus, weil sie von dem angeblich hinzugekommenen Vater durch die Mitthei-
luug, „sie treibe ja damit die Frucht ab,“ von weiterem Trinken verhindert wurde, resp.
abstand. (In diesem Moment scheint man also doch an Schwangerschaft gedacht zu haben.)
Die nächste Wirkung des Thee’s sei nun die gewesen, dass die W. in der Nacht
Leibschmerzen und des andern Tages Durchfall bekommen habe.
Wir müssen hier beifügen, dass die W. zuerst angab, sie habe den Thee am 5.
oder 7. August getrunken, dass sie sich dann wieder einmal mehr für den 5. August
entschied, schliesslich aber sich den Angaben ihres Vaters, es sei am 24. Juli gewesen,
anschloss. Auch will sie, trotz den angeblichen Weisungen ihres Complicen, „sie solle
alle Tage eine Maass Sevithee trinken,“ nur ein Mal, d. h. also am 24. Juli getrunken
haben.
Wir wollen bezüglich dieser divergirenden Angaben über den Genuss des „Sevithee“
mit unserer Kritik zurückhalten und das objective Urtheil durch den weiteren Verlauf
fallen lassen.
Die W. ging in die Fabrik. Am 6. August hätte sich Schwellung der Beine, des
Gesichtes, am 8. August beständiges Erbrechen eingestellt. Am 9. August habe sie das
Bewusstsein verloren; denn es traten dann, gemäss Zeugniss des gerufenen Arztes, zahl¬
reiche eklamptische Anfälle (13—15 vor Absendung in den Spital), Anurie, Koma, dif¬
fuser Bronchialcatarrh auf. Am 10. August Mittags 12 Uhr lan^e die Person in der
Gebäranstalt an. Von der Begleitung der Patientin konnte beim Eintritte nichts Anam¬
nestisches erhoben werden.
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Der Krankengeschichte, geführt von Assistenzarzt Dr. Sturzmegger, entnehmen wir
Folgendes:
Status praesens. Mittelgrosses, kräftig gebautes Mädchen, von guter Ernährung.
Gesicht, namentlich um die Angen herum, gedunsen; Lippen cyanotisch; Handrücken und
Unterschenkel ebenfalls ödematos, sowie die Rückenhaut im untern Theile. Starke Ent¬
wickelung der Fettpolster, pastöse Constitution. Temp. 38,0, Puls voll, regelm., 100.
Sensorium ist fast vollständig benommen; Pat. liegt meist mit geschlossenen Augen da,
hie und da stöhnend, sich herumwälzend, öfters hustend, aber nichts auswerfend, mit
beschleunigter, anscheinend etwas behemmter Athmung; sie gibt auf Fragen keine Ant¬
worten; nur bei lautem Namensaufruf schlägt sie die Augen auf; Befehlen, dieses oder
jenes zu thun (Zunge zeigen etc.) gibt sie keine Folge. Pupillen gleich, mittel weit,
ordentlich reagirend, Bulbusbewegungen frei. Ziemlich grosse, namentlich linksseitige
Struma. Zunge stark weiss belegt, kein auffallender Foetor. Lungen: überall lauter
Schall, vesiculäres Athmen mit diffusen, namentlich über den untern Partien zahlreichen,
mittel- und grossblasigen, hellen, nicht klingenden Ronchi. Herz: normale Verhältnisse
über den Klappen. Brüste stark entwickelt, enthalten reichlich Colostrum. Warzenhöfe
pigmentirt. Fundus uteri steht in Nabelhöhe. Leibesumfang 90 cm. Aeussere Unter¬
suchung ergibt Kindeskopf über dem Becken, Steiss im Fundus. Uteringeräusche und
kindliche Herztöne zu hören. Innere Untersuchung ergibt: Portio weit hinten, aufge¬
lockert, kurz; Os uteri ext. für eine Fingerspitze durchgängig; F'ruchtblase nicht zu er¬
reichen. Kopf im vorderen Scheidengewölbe zu fühlen.
Mit dem Katheter können circa 80 cm® trüben, roth-gelben Urins entleert werden;
derselbe ist stark sauer, hltrirt etwas unklar, spec. Gewicht 1033, enthält lO^/oo Albumen
(Esbach); das Sediment besteht aus Bacterien, wenig verfetteten Plattenepithelien, zahl¬
reichen hyalinen und fein granulirten Nierencylindern, Niereuepithelien und Rundzellen.
Keine rothen Blutkörperchen; Heller^ehe Blutprobe negativ, ebenso die spectralanalytische.
Bei dem precären Zustande der Patientin, sowie für den Fall weiterer Verschlim¬
merung dachte man an die Einleitung der Frühgeburt und es wurden diesbezüglich vor-
läuhg warme Vaginalirrigationen angeordnet, im Uebrigen die Patientin auch warm ge¬
badet und in feuchtwarme Tücher eingehüllt.
10. August Abends 5 Uhr. Bisher keinerlei Anfälle, Convulsionen und dergleichen,
kein Erbrechen, kein Sluhl. In Zwischenpausen von ^4 — Stunde sind kurze, nicht
sehr kräftige Wehen aufgetreten. Pat. ist sehr unruhig und ungeberdig; innerer Befund
unverändert; Gesammthabitus derselbe. Durch Catheter 50 cm® eines noch trüben, etwas
dunklen Urines entleert. Temp. 38,2. Abends 9 Uhr. Keine Anfälle, kein Erbrechen,
kein Stuhl. Spärliche Wehen. Temp. 38,2. Puls voll, 116, regelmässig. Cyanose
etwas geringer, Sensorium etwas freier, Patientin ruhiger. Husten geringer, immer noch,
namentl. r. h. u., zahlreiche Ronchi. Neuerdings 30 cm® eines bedeutend weniger ge¬
trübten, aber auffallend dunklen, fast schwärzlichen Harns per Catheter entleert. Innerer
Befund gleich, wie früher. Pat. nimmt ordentlich Milch zu sich, klagt über Kopfweh
und erhält Eisblase auf den Kopf.
Angesichts der gebesserten Verhältnisse wird von der Einleitung der Geburt noch¬
mals abgesehen und Zuwarten beschlossen.
11. Aug. Vorm. In der Nacht noch einige Wehen; im Allgemeinen war Patientin
ziemlich ruhig, hat geschlafen. Sensorium bedeutend freier. Cyanose geschwunden; Ge¬
sicht immer noch gedunsen. Wenig Husten; immer noch, namentlich r. h. u., zahlreiche
feuchte Ronchi, doch entschieden weniger als beim Eintritte. Temp. Morgens 3 Uhr 37,9,
Morgens 6 Uhr 36,9; Puls unter 100. In der Nacht durch zweimaliges Catheterisiren
100, heute Morgen 30 cm® Urin entleert. Derselbe ist von bronceschwarzer Farbe, leicht
getrübt, hat 1025 spec. Gewicht; das klare Filtrat enthält 6®/oo Eiweiss, keinen Zucker;
Indicangehalt nicht vermehrt. Im Sediment immer noch zahlreiche lange, hyaline Cy-
linder, Nieren-und Plattenepithelien, Rundzellen; keine rothen Blutkörperchen; Heller'soYni
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244
Blutprobe negativ. Beim Erhitzen des durch Kalilauge alcalisirten Harns fallt ein eigen-
thümlioh ätherischer Geruch der Dämpfe auf. Eine chemische Untersuchung des Urins
auf ätherische Oele blieb aber negativ, ebenso eine solche auf Carbolsäure.
11. August 12 Uhr Mittags. Pat. ist noch etwas schlafsüchtig, liegt meist rnhig
schlummernd da. Wchenthätigkeit hat vollständig sistirt und der Kopf steht höher als
gestern. Aus den Brüsten entleert sich diesen Vormittag von selber Colostrum. Sen-
sorium vollständig frei, Patientin klagt nur noch über intensiven Kopfschmerz; sie trinkt
ordentlich Milch und Wasser. Temp. 37,3; Puls 92. Hat auf Bad ordentlich geschwitzt.
6 Uhr Abends. Sensorium vollständig klar; noch etwas Kopfschmerz; keine Uebel-
keit; bisher kein Stuhl. Temp. und Puls normal. Keine Wehen mehr. Nachm. 2 Uhr
wurden durch Catheter neuerdings 160 cm^ eines noch gleich aussehenden Urins entleert.
Noch immer spontaner Colostrumabgang.
7 Uhr Abends. Pat. hat 100 cm^ Urin selbst gelöst; er ist bereits weniger stark
braun-schwarz gefärbt, dunkelt aber, wie die frühem, beim Stehenlassen etwas nach. Er
ist noch immer leicht getrübt und enthält neben kleinen Flöckchen einen 5 cm langen
und bis 2 cm breiten Gewebsfetzen, der aus geschichtetem Plattenepithel besteht, neben
vielen Rundzellen.
12. August. Sensorium immer vollständig klar; Pat. hat die Nacht durch ordent¬
lich geschlafen. Temp. und Puls normal. Oedeme haben abgenommen, an Handrücken
und Malleoleo nicht mehr zu constatiren. Gesicht noch immer etwas gedunsen; Wangen
geröthet. Zunge noch immer gelbweiss belegt. Husten gering, über den hintern untern
Partien noch immer feuchte mittelgrosse Ronchi, aber bedeutend weniger zahlreich. Colo¬
strum nicht mehr abgeüossen. Kein Kopfweh mehr. Auf Seifenelystier erfolgte heute
Morgen ein ziemlich fester, gelber Stuhl. Das Clystierwasser zeigte grünliche Farbe;
nach der Entleerung klagte Pat. über Bauchschmerzen und Uebligkeit. Nimmt ordentlich
Milch zu sich. Kindliche Herztöne deutlich zu hören, 128.
Morgens 6 Uhr wurden 220 cm® eines wiederum etwas helleren, leicht nachdun¬
kelnden Harns spontan entleert; derselbe reagirt sauer, hat 1023 spec. Gewicht, 4^/oo
Eiweissgehalt; er ist immer noch getrübt, enthält zahlreiche kleine weisse Flocken, die
sich als aus Plattenepithelien bestehend erweisen; daneben enthält er zahlreiche vereinzelte,
verfettete Plattenepithelien, Rundzellen, verfettete Nierenepithelien und noch immer schön
ausgebildete hyaline und feinkörnige Cylinder, hie und da auch ein Epithelcylindroid; keine
rothen Blutkörperchen.
Im Verlaufe des Tages noch 2 Mal Entleerung von dünnem, gelbem, etwas schlei¬
migem Stuhl, mit jeweiligem, gleichzeitig abgegangenem Urin. Ausserdem werden noch
130 und 110 cm® Urin gelöst, welcher allmälig weniger trüb ist, nicht mehr so stark
nachdunkelt, doch immer noch zahlreiche Gewebsfetzen enthält. Allgemeinbefinden gut,
Temp. normal. Noch etwas Kopfweh.
13. August. Pat. klagt über starkes Kopfweh, hat fast gar nicht geschlafen; etwas
behemmte, beschleunigte Athmung, ohne dass auf den Lungen etwas Neues nachzuweisen
wäre. Puls langsam, 56, voll, hart, etwas unregelmässig. Kein Colostrum mehr ge¬
flossen; keine Wehen. Gesicht immer noch leicht gedunsen. — Es werden wiederholte
warme Bäder und strenge Milchdiät verordnet.
Der Urin von heute Morgen, 180 cm®, ist etwas dunkler als gestern Abend, röth-
lichgelb, leicht getrübt; enthält immer noch Fetzchen von Plattenepithel; Reaction sauer,
1021 spec. Gewicht; Eiweissgehalt 2®/4%o. Bestandtheile des Sedimentes dieselben; nur
Cylinder entschieden spärlicher, dafür mehr Rundzellen; Plattenepithelien vorherrschend.
Um 12 Uhr werden 100, um 4 Uhr 270 cm® eines ordentlich hellen, wenig ge¬
trübten, immer noch Fetzchen enthaltenden Urins entleert. Im Verlaufe des Tages
schwankt der Puls, bald beschleunigt, bald bis auf 40 verlangsamt. Starkes Kopfweh;
Nachmittags 3 Mal profuses Erbrechen geronnener, säuerlich riechender Milchmassen. Um
472 Uhr ein 3 Minuten dauernder Anfall mit Benommenheit, Convulsionen in Armen,
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Beinen und im Gesicht, Schaum vor dem Munde, Cyanose, Zähneknirschen. Nach dem
Anfälle kurz dauernde Somnolenz, Stöhnen, Klagen über Kopfschmerz. Puls nicht ganz
regelmässig, 80. Pupillen nach dem Anfalle eng. Abends 9 Uhr ein zweiter Anfall.
14. August. Morgens 5 Uhr kurz nach einander 2 Anfälle von circa 3 Minuten
Dauer. Darauf kurze Zeit Benommenheit. Morgens 8 Uhr Sensorium vollständig frei,
Klage über Kopfschmerz, noch einmal erbrochen. Pupillen reagiren gut, Zunge fast rein;
über den Lungen nur ganz vereinzelte Ronchi; Herzaction noch nicht vollständig regel¬
mässig , 64. Keine Wehen, kein Colostrum geflossen. Kindliche Herztöne deutlich
hörbar, 160.
Morgens 5 Uhr wurden per Catheter 420 cm^ eines hellgelben, noch minimal ge¬
trabten Urins entleert; derselbe reagirt neutral, hat 1015 speo. Gewicht, SYs^/oo Eiweiss-
gchalt; enthält keine grössern Fetzchen mehr.
Den Vormittag durch schlief Pat. meistens; dann stellten sich zwischen llYs und
12 Uhr rasch hintereinander 2 Anfölle von circa 3 Minuten Dauer ein. Der soporöse
Zustand dauerte nachher Y^ Stunde unter intensivem Traohealrasseln fort; spärliche
Hustonstösse. Pupillen nach dem Anfall eng. Puls stark gespannt, circa 60. Gegen die
eclamptischen Anfälle wurde Morph, subcutan angewandt. 8Ys Uhr 90, 2 Y 2 Uhr Nach¬
mittags 150, Abends 140 cm^ Urin: Reaction sauer, mässig getrübt. Der Kopfschmerz
dauert fort. Eine Untersuchung des Blutes ergab 40^0 Hämoglobingehalt, Blutkörper¬
chen 6,000,000.
15. August, ln der Nacht keine Anfälle mehr, noch 2 Mal Erbrechen. Pat. hat
meistens geschlafen. Immer noch Kopfschmerz; gute Pupillenreaction. Sehr wenig Ronchi
über den Lungen. Herzaction normal. Heute keine kindlichen Herztöne zu hören.
Morgens 4 Uhr 140 cm^ Urin: etwas mehr getrübt, einzelne Flöckchen enthaltend,
von saurer Reaction, 1026 spec. Gewicht, 9^/oo Eiweissgehalt. Im Sediment wiegen
Eiterzellen und meist stark verfettete Piattenepithelien vor; ganz selten noch ein hyaliner
Cylinder.
1 6. August. Gestern Abend und heute Morgen je 450 cm^ Urin gelöst. Er ist
hellgelb, noch minimal getrübt, schwach alcalisch reagirend; spec. Gewicht 1013, Eiweiss¬
gehalt 2^/4 Voo. Keine Anfälle, kein Erbrechen mehr; aber immer noch dumpfes Kopf¬
weh. Herzaction regelmässig; kindliche Herztöne hörbar. Struma, die während und
nach den Anfallen angeschwollen war, wieder kleiner. Gesiebt noch etwas gedunsen.
17. August. Sensorium immer frei; doch will Pat., Nachmittags einmal aus dem
Schlafe erwacht, unbewusst fort. Immer noch schwerer Kopf, Schmerzen in den Beinen.
Qestern Abend und heute Morgen je über 500 cm^ hellgelben, fast klaren Urin; er
zeigt ein leichtes wolkiges Sediment, reagirt schwach alcalisch, hat 1010 spec. Gewicht,
17oo Eiweissgehalt. Sediment nur noch Rundzellen und verfettete Piattenepithelien; keine
Cylinder mehr. Kindliche Herztöne hörbar, mit dem aufgelegten Ohre werden Kindes¬
bewegungen wahrgenoromen.
18. August. Befinden immer gut. Hat von gestern Morgen bis heute Morgen
3650 gr Urin gelöst; hellgelb, leichtes Sediment, alcalische Reaction, Eiweiss 1
19. August. Keine Veränderung. Urinmenge 2650 gr (dazu noch 2 Mal mit Stuhl¬
abgang); spec. Gewicht 1011, Reaction neutral, Eiweissgehalt l^/oo. Das spärliche Sedi¬
ment besteht aus Piattenepithelien und Eiterzellen; keine Cylinder mehr. In der Nacht
etwas Kopfschmerzen.
20. August. Urinmenge 1500; wieder etwas mehr getrübt; Eiweissgehalt
21 . August. Urinmenge 1500 gr; Eiweiss 4^/oo.
22. August. Im Allgemeinen geht es der Pat. gut; sie hat ordentlich Appetit.
Sensorium ganz frei. Oedeme ziemlich vollständig geschwunden. Kein Colostrum mehr
geflossen. Kindliche Herztöne immer deutlich zu hören. Urinmenge von gestern auf
heute 950 gr; der Ham ist wieder etwas dunkler, stark getrübt, von saurer Reaction;
spec. Gewicht 1021, Eiweissgehalt 4^/oO) enthält wieder sehr viele hyaline und granu-
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lirte Cylinder, verfettete Nieren- und Platteuepithelien. Die Therapie besteht aus warmen
Badem und Milchdiät.
23. August. Urinmenge 950; sauer; spec. Gewicht 1016; Eiweissgehalt 3^/oo.
Allgemeinbefinden gut.
Abends nach 7 Uhr klagte Pat. plötzlich über heftige Bauch- und Rreuzschmerzen.
Die Untersuchung ergab, dass Wehen vorhanden und der os uteri extern, bereits zu
lO-Cts.-Stückgrösse erweitert war. Um 8 Uhr war ein Theil des Foetus, noch in der
Blase, bereits geboren; die Blase wurde gesprengt, das Kind lag in I. Stcisslage bis an
die Schultern zu Tage; der Kopf wurde unschwer entwickelt und gleich nach ihm trat
auch die Nachgeburt heraus. Die Nabelschnur pulsirte deutlich. Der kleine Foetus wurde
in warmem Wasser gewaschen, mit Watte eingebüllt und auf jede Seite desselben ein
Wärmekrug gelegt. Man nahm anfänglich ausser Herzpulsation kein Lebenszeichen wahr;
nach einiger Zeit machte er schnappende Athemzüge.
Kindesmaasse: Länge 30 cm. Fr. O. 7; M. 0. 8 V 4 ; S. 0. F. 6 V 2 , B. T. 5; B. P.
5Vs ; Schulterbreite 6 Va, Hüften 4*/« cm. Gewicht 550 gr. Geschlecht: weibl. Typus;
kleine Labien stark hervorragend; Nägel kurz, schwach entwickelt; Nasen- und Ohr¬
knorpel nicht deutlich wahrnehmbar; seniler Habitus, mager; wenig Lanugo. Nacbge-
burtsverhältnisse: Gewicht des Ganzen 200 gramm. Länge der Nabelschnur 43 cm,
Breite 11 und 14 cm. Die Placenta zeigt ovale Form und nicht centrale Insertion der
Nabelschnur. Das von der Insertion entferntere Segment, circa V» <1®*^ gesamraten Pla¬
centa, durch ziemlich scharfe Linie abgegreuzt, zeigt andere Beschaffenheit als die übrige
Placenta; es hat eine rötblich-weisse, in röthlich-braun übergehende Farbe, eine viel
derbere Consistenz und ragt über das Niveau des übrigen Theiles etwas hervor. Wäh¬
rend letzterer, schwer zu schneiden, die etwas rauhe, unebene Schnittfläche eines lockeren
Gewebes bietet, zeigt dieser pathologisch veränderte, leicht schneidbare Theil eine schön
glatte, homogene, „hepatisirte" Schnittfläche. Die Eihäute sind am Rande dieses Theiles
abgerissen. Die foetale Seite derselben ist im Allgemeinen glatt, die uterine zeigt fetzige
Beschaffenheit und eine über nussgrosse, glattwandige, mit Blutklumpen ausgefullte Höhle.
Zu beiden Seiten der Nabelschnurinsertion fühlt man, durch leichte Hervorwölbung ange-
deutet, noch je einen runden Knoten, deren einer, der foetalen Fläche anliegend, kirsch¬
gross, weisse Farbe, derbe Consistenz und glatte Schnittfläche darbietet, während der
andere, interstitiell gelegen, einen in etwas derberes Gewebe eingebetteten Blutklumpen
von Kleinkirschgrösse aufweist. Der gesammte pathologisch veränderte Theil der Pla¬
centa beträgt über Va derselben.
Bei der Mutter keine Blutung, Sensoriura frei; Allgemeinbefinden gut. Urinmenge
950 cm®.
24. August. Befinden der Mutter gut; heute Morgen etwas Blntkluropen und
Eihautfetzen abgegangeu. Urinmenge reichlich.
Der Foetus, welcher immerhin einige Laute von sich gegeben und einige Bewe¬
gungen mit den Gliedmassen gemacht hatte, starb Abends 10 Uhr, 26 Stunden p. p.
Die Section desselben ergab nichts Abnormes. Die Lungen beiderseits fast voll¬
ständig entfaltet, überall lufthaltig, schwimmen im Wasser. Grosser durchgängiger Ductus
Botalli. Circulationsorgane ohne Besonderheiten.
25. August. Befinden der Mutter gut. Temp. unter 37,0. Urin reichlich gelöst;
er ist hellgelb, noch leicht flockig getrübt; Reaction schwach alcalisch, spec. Gew. *1013.
Eiweissgehalt 1 V^^/oo. Sediment enthält hauptsächlich Rundzellen und Platteuepithelien,
keine Cylinder mehr.
26. —28. August. Allgemeinbefinden gut. Tomp. normal. Diurese reichlich. Urin
klar, hellgelb, alcalisch. Eiweissgehalt 2 , schliesslich nur ®/ 4 ®/oo.
29. August. Temp. 37,3. Gegen Schmerzen in der linken Seite (will früher
an Rheumatismus gelitten haben) Phenacetin , worauf Besserung. Bedeutende Ab¬
nahme des Gehörs links, ohne wesentliche Veränderung am Trommelfell; auf Luft-
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douche sofortige Besserung. Urin heute etwas dunkler, alcalisch, spec. Gew. 1020, Al¬
banien 1V»>0.
3. Sept. bis 27. Oct. Vom 3. Sept. an traten unter Temperaturerhöhung Throm-
bosimngen beider Yen® saphen® auf, vorerst links in der Gegend des ÄJar^a’schen
Dreieckes, in der linken Wadengegend, am linken Knie, dann auch rechts an den gleichen
Stellen. Die Temperatur stieg dabei bis 39,1^, nahm in der letztem Zeit einen sub-
febrilen Typus an, bis endlich am 20. Oct. sie zur Norm zurückkehrte. Am 26. October
konnte die Pat. aufstehen, nachdem auch jede Schmerzhaftigkeit an den thrombosirten
Stellen geschwunden war. Die Involutio uteri machte sich in normaler, wenn auch lang¬
samer Weise.
Die Diurese war immer reichlich; am 9. Sept. war der Urin noch etwas dunkler,
leicht getrübt, schwach sauer, Albumen enthaltend; im Sediment noch spärlich Cy-
linder. Am 18. Sept. war er ganz klar, stark sauer, von 1011 spec. Gewicht, mit nur
noch Spuren von Eiweiss; am 22. Sept. enthielt der Urin kein Albumen mehr.
Eine Blutuntersuchung am 9. Sept. ergab Hämoglobin 63%, Blutkörperchenzahl
normal.
Die Behandlung der Thrombose im entzündlichen Stadium bestand in Auflegen von
Eis und Emplastr. cinereum, nachher wurden zur Resorption Priemitz'^^i^hQ Einwicke¬
lungen gemacht.
30. Oct. Gestern Abend Temperatur 39,2, heute Morgen 38,0®. Keine Schmerz¬
haftigkeit in den Beinen oder im Unterleib. Puls etwas klein, frequent, 112. Der erste
Ton über der Herzbasis etwas unrein, hie und da leichtes pericarditiscbes Reiben wahr¬
nehmbar; leichte Druckempfindlichkeit in der Herzgegend. Therapie: Inf. digit., Eisblase
auf’s Herz.
I . Nov. Am obem innern Rande der rechten Brustdrüse ist eine thrombosirte, sehr
schmerzhafte Stelle. Temperatur rnässig erhöht. Gleiche Behandlung wie bei den Schenkel¬
thrombosen. Herz: Befund wieder normal. Puls 80.
3. Nov. Pat. ist fieberfrei. Thrombosirte Stelle an der Brust noch etwas empfind¬
lich. Am Herzen keine Veränderungen.
8 . —11. Nov. Eine neue Thrombose zeigt sich unter massiger Temperaturerhöhung,
aber ziemlicher Schmerzhaftigkeit in der Struma. Unter derselben Behandlung tritt bald
Besserung ein.
17, Nov. Seit mehrern Tagen normale Temperatur; seit 4 Tagen Aufstehen; Füsse
und Unterschenkel schwellen auf den Abend je weilen stark an. Urin hellgelb, klar, ohne
Eiweiss, sauer, enthält noch einige Rundzellen und Plattenepithelien.
II . Dec. Seit einiger Zeit wird unter behutsamer Massage die abendliche Schwel¬
lung der Unterschenkel allmälig geringer.
Vom 5.—7. Dec. machte die Pat. eine leicht febrile Bronchitis durch, wobei sich
wieder etwas Eiweiss im Urin zeigte. Zur Zeit (11. Dec.) ist das Allgemeinbefinden
ganz gut; Pat. bringt den ganzen Tag ausser Bett zu ohne Beschwerden. Urin zwar
nicht völlig klar, aber sauer; mittelst Picrinsäureprobe noch minimale Spuren von Eiweiss
nachzuweisen.
19. Dec. Allgemeinbefinden gut. Hämoglobin 75®/o; Zahl der Blutkörperchen über
4 Millionen in 1 cmm. Pat. befindet sich seit einiger Zeit Tags über ausser Bett. Abends
sind noch immer leichte Oedeme der untern Extremitäten bis gegen die Kniee wahrnehmbar.
Pat. wurde an diesem Tage wegen „Versuchs der Fruchtabtreibung“ vor Schwur¬
gericht gestellt. Sie verneinte, die Absicht gehabt zu haben, einen Abortus zu produ-
ciren; sie hätte nicht geglaubt, als sie den „Sevithee“ trank, schwanger zu sein, auch
nicht gewusst, dass „Sevithee“ die Wirkung habe, Abortus zu bewirken; sie sei der Mei¬
nung gewesen, chlorotisch zu sein und habe gewünscht, durch den Genuss dieses Tbee’s
die Menses wieder zu bekommen und so die Chlorose wieder zu verlieren. Die Ge-
Schwornen sprachen die W. frei, worauf sie auch sofort die Krankenanstalt verliess.
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Wir wollen nun zur Besprechung der hauptsächlichsten Punkte des Falles über¬
gehen.
1. Genuss einer Abkochung von Thuja occidentalis. Im Ganzen sprechen sich
Aber die Wirkungen der Sabina und deren verwandte Droguen die Handbücher der
Arzneimittellehre übereinstimmend aus, so schreibt z. B. Husemann in der dritten Auf¬
lage (1892) seines Lehrbuches hierüber:
„Sehr scharfe ätherische Gele enthaltende Droguen, die früher im Rufe menstrua-
tionsbefordernder Mittel standen, jedoch in ihrer von Erzeugung starker Blutüberfüllung
in den Beckeneingeweiden herrührenden Wirkung in kleinen Dosen sehr unsicher sind
und in grossem sehr leicht bei bestehender Schwangerschaft zum Eintritte von Abortus
führen. Sie sind deshalb auch vielfach als Abortiva gemissbraucht. Ihre Action be¬
schränkt sich jedoch nicht auf die Gebärmutter, vielmehr treten nach Einführung grösserer
Mengen zunächst heftige Gastro-enteritis mit intensiven Magenschmerzen, Erbrechen,
Durchfall, Reizung der Nieren und Blase, später auch Gehirnerscheinungen, Athemnoth,
Krämpfe, Schlafsucht ein und es kann danach im Laufe von 12—14 Stunden zum Tode
kommen, ohne dass der Zweck der Abtreibung der Leibesfrucht erreicht wird. Das be¬
kannteste dieser vermeintlichen Emmenagoga sind die als Herba s. summitates, s. frondes
Sabinas in Oesterreich ofBcinellen Sadebaumspitzen (Sabinenkraut, Sevenbaumkraut) ....
Sie enthalten im frischen Zustande etwa iV^Vo eines ätherischen Oeles.
Der Sabina steht botanisch der Lebensbaum, Thuja occident. L. nahe, dessen Blätter
beim Volke als Abortivum ebenfalls bekannt sind und ein ausserordentlich scharf wir¬
kendes ätherisches Oel enthalten."
Tale quäle hätten wir nun bei der W. Erscheinungen beobachtet, wie sie Huse^
mann als Folgen des Genusses von Thuja occident. angibt, und man könnte geneigt
sein, den ganzen complicirten Erankheitsvorgang der Nephritis, der necrotisirenden
Cystitis, der Infarctbildungen in der Placenta als Wirkung des in der Thuja enthaltenen
scharfen ätherischen Oeles und somit als die Folgen starker Blutüberfüllung der Becken¬
organe darzustellen. Man würde jedenfalls nicht anstehen, diesen Vorgang als that-
sächlichen zu acceptiren, wenn ein wiederholter Genuss von „Sevithee" zugestanden
würde, ja wahrscheinlich auch schon, wenn das Datura, an welchem angeblich nur ein
Mal „Sevithee“ genossen wurde, der 5. oder 7. August, wie ursprünglich angegeben,
und nicht der 24. Juli gewesen wäre.
Die starke Cystitis, welche vorhanden war, spricht entschieden für eine chemische
Noxe. Allein fragen wir: ist es möglich anzunehmen, dass die Wirkung des ätheri¬
schen Oeles der Thuja, genossen am 24. Juli, erst am 11. August, also nach 19 Tagen,
eine Necroso der Blasenscbleimhaut zu Stande brachte? A priori möchten wir nein
sagen und behaupten, der schädliche Thee ist später oder zu wiederholten Malen ge¬
trunken worden. Aber wenn man uns weiter fragt: wie lange Zeit braucht es, bis
das ätherische Oel von circa 2 Tassen einer Abkochung von „zwei Hand voll" Lebens¬
baumzweigen Theile der Blasenschleimhaut zur Abstossung bringt? können wir da
antworten: nach 4 Tagen, nach 8 Tagen, nach 10 Tagen? Können wir sagen: jeden¬
falls nicht erst nach 19 Tagen? Wir glauben nicht, dass diese Fragen mit Bestimmt¬
heit zu beantworten seien, d. h. dass wir uns anssprechen dürfen, die Necrose der
Es scheint, dass bei unsenu Volke Sabina and Thuja nnter dem bleichen Namen „Scvi**
bekannt sind; die uns vorgewiesenen Zweige, aus denen im vorliegenden Falle der Thee bereitet
wurde, waren Thujazweige.
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Blasenschleimhaut, wie sie sich eventuell nach 19 Tagen nach dem angeblichen Qe«
nasse der Thnja-Abkochung änsserte, könne absolut nicht mehr dem chemischen Gifte
der Tbnja zugesprochen werden.
Die Necrose konnte aber auch die Folge der schon länger bestandenen Cystitis
gewesen sein. Wir würden dieser Annahme zustimmen, wenn der Urin schon im Be¬
ginne unserer Beobachtung des Falles alcaliscbe Beaction und nicht saure gezeigt
hätte. Gerade die lang andauernde saure Reaction des Urins spricht dafür, dass die
Necrose durch die chemische Noxe des ätherischen Oeles erzeugt war; die saure Re-
aetion mag auch die Abstossung der Schleimhaut verzögert haben, eine ammoniacalische
Zersetzung des Urins hätte sie befördert oder von sich ans erzeugt.
Ein eigenthümlicher Vorgang ist auch der spontane Abgang von Colostrum am
11. August. Ob wir hier einen directen Reiz des ätherischen Oeles der Thuja auf
die Brustdrüse vor uns haben, oder mehr eine reflectorische der hyperämischen inter¬
nen Sexualcrgane, wollen wir nicht entscheiden. Dass es ein zufälliger Befund war,
scheint uns nicht plausibel.
2. Ueber die vorhanden gewesene Nephritis machten wir uns folgende Ansicht:
Anamnestisch erfahren wir, dass die W. früher schon an Chlorosis gelitten batte;
wir beobachteten bei uns reducirten Hämoglobingehalt bei normaler Zahl der Blut¬
körperchen. Chlorotische Zustände bilden nun eine Disposition zu Schwangerschafts-
nepbritis. Es ist also möglich, dass letztere schon vor Genuss der Thuja-Abkochung
vorhanden war, allein durch den Genuss derselben acuter, eventuell aber auch gar
erst hervörgerufen wurde.
3. Eclampsia gravidarum. Die Anfälle, wie sie vor dem Spitaleintritte, wie
nachher, beobachtet wurden, lassen an der Diagnose Eclampsie keinen Zweifel. Da
nun Eclampsie mehr am Ende der Gravidität, selten schon in der 24. Schwanger¬
schaftswoche auftritt, so nahmen wir an, die durch den Genuss der Thuja-Abkochung
hervorgerufene oder eventuell schon vorhandene, aber acuter gewordene Nephritis sei
die Ursache der Eclampsie geworden. Wenn Husemann sagt, dass durch Sabina etc.
Reizung der Nieren und Blase, später auch Gehirnerscbeinungen, Athemnoth, Krämpfe,
Schlafsucht auftreten, so ist das doch ein Erankheitshild, welches dem urämischen,
dem eclamptischen sehr gleich sieht.
4. Einleitung der künstlichen Frühgeburt. In Anbetracht des sehr bedenklichen
Zustandes der Matter beim Eintritte, glaubten wir in schonender Weise mittelst
warmer Irrigationen die Einleitung der Frühgeburt vorbereiten zu sollen. Wir
standen aber nach dem Eintreten besserer Verhältnisse von weiterem Vorgehen
ab und halten uns so diesbezüglich in Uebereinstimmung mit den Ansichten, wie
sie gegenwärtig in neuern Lehrbüchern der Geburtshilfe vertreten sind. Auch wir
erwarteten, dass nach dem Aufhören der Eclampsie die Schwangerschaft weiter
bis zum regelmässigen Ende bestehen werde. Trotzdem nun aber die Eclampsie
in nnserm Falle aufhörte, trat doch 9 Tage nachher die Unterbrechung der Schwan¬
gerschaft ein.
5. Infarcte der Placenta. Solche ausgedehnte Infarctbildungen, wie wir sie in
nnserm Falle fanden, sollen nach Fehling bei Nephritis Vorkommen. Ohne Zweifel
sind dieselben nicht zu gleicher Zeit entstanden, indem wir ganz weisse (jedenfalls
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altere) Partien, dann solche, die sich noch nicht ganz entfhrbt hatten, sowie noch
frische Blutergüsse vorfanden. Trotzdem wohl' der dritte Theil der Placenta durch
Hepatisation der physiologischen Thätigkeit entzogen war, wurde doch nicht dadurch
der Tod des Foetus verursacht; wohl aber glauben wir, es sei durch die Blutung an
der materneu Seite eine stellenweise Lösung der Placenta und dadurch der Eintritt
der Wehen mit anschliessender Geburt bewirkt worden.
6. Aus dem Puerperium heben wir nur noch die ausgedehnten Thrombosimngen
im Gebiete beider Vense saphenae, in Venen einer Mamma und sogar der Struma
hervor. Diese Thrombosenbildung, welche ja erst 11 Tage post partum auftrat, ist
ohne Zweifel nicht infectiösen Charakters gewesen, sondern beruhte auf Herzschw&che,
wie ja solche Thrombenbildung sich auch im Gefolge von Typhus, von Phtbisis pul¬
monum etc. zeigen. Herzschw&che durfte bei diesem chlorotiscben, durch Nephritis
etc. geschwächten Mädchen ebenfalls angenommen werden.
Ueber Dr. Breiger’s Gypswatte.
Von Dr. med. Carl Schiatter, Secundararzt der chirurgischen Klinik Zürich.
Bereits vor 2 Jahren wurde von Dr. Breiger ein aus Gyps und Watte com-
ponirter neuer plastischer Verbandstoff in den Handel gebracht, welchem hauptsächlich
wegen seiner raschen und bequemen Applicationsweise grosse Vorzüge vor dem bisher
üblichen Gypsbindenverbande nachgerühmt werden. Diese Gypswatte hat sich im
Ausland rasch einer grossen Beliebtheit erfreut und findet mit Recht auch hierorts
ein steigendes Interesse. Doch scheint über den Indicationskreis der Bre%ger'ac\i6n
Gypsverbände nicht überall die erforderliche Klarheit zu herrschen. Die Prospecte
schweigen sich darüber aus und die leicht Platz greifende irrige Ansicht, dass die
Gypswatte verbände die Gypsbindenverbände in jeder Hinsicht zu ersetzen vermöchten,
kann zu unangenehmen, die Werthschätzung der Gypswatte gefährdenden Enttäuschun¬
gen führen. Diese Gründe geben uns nach einer beinahe 2 Jahre hindurch fort¬
gesetzten eingehenden Prüfung der Gypswatte in klinischer wie poliklinischer Ver¬
wendung die Veranlassung, die Vor- und Nacbtbeile des neuen plastischen Verband¬
stoffes vor einem weitern Aerztekreise klar zu legen.
Ein durchgreifender Unterschied zwischen dem Gypsbindenverband und dem
neuen Breiger'aahan Gypswatteverband besteht darin, dass bei letzterem die Gyps-
schichten nicht in Circulärtouren wie beim Gypsbindenverband auf den zu immobili-
sirenden Körpertheil aufgetragen werden, sondern in Form von meist zwei sich gegen¬
über liegenden Längsschienen, welche durch eine gewöhnliche (Cambric-)Bindenum¬
wicklung fixirt werden. Dr. Breiger hebt ausser dieser Leichtigkeit der
Application als weitere Vorzüge seiner Gypswatte hervor, dass dieselbe im
Gegensatz zum gewöhnlichen Gyps in der Feuchtigkeit haltbar sei,
dass sie zum Eintauchen nur kaltes, und nicht wie die Gypsbinden warmes
Wasser erfordern, und dass dieser Gypsschienenverband in
wenigen Secunden ohne Schädigung abgenommen werden
könne und zu jeder Zeit einen Einblick zur Fracturstelle erlaube. In der That
für den practiscben Arzt äusserst werthvolle Eigenschaften.
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Die Herstellung der Hre^er’schen Verbände ist überaus einfach. Die Unter-
polstemng durch eine Watte-Binden>Umwicklnng weicht in nichts von dem bisher
üblichen Verfahren ab. In Anbetracht der leichten Controlle kann sie eher etwas
dünner angelegt werden. Von den in verschiedenen Breiten und Längen käuflichen
Gypswatteschienenrollen schneidet man sich zwei entsprechende Schienenstücke ab,
taucht sie aufgerollt in kaltes Wasser und rollt sie darin langsam ab und sofort
wieder auf um durch diese Manipulation dem Wasser Zutritt zu allen Bindentheilen
zu ermöglichen. Die beiden (nun aufgerollten) Schienen werden nach Auspressung des
überflüssigen Wassers an den Seiten des zu verbindenden Gliedes durch einen
Assistenten abgerollt, während der Arzt sie gleichzeitig mit einer Binde umwickelt.
Ist auf diese Weise der Verband fertig erstellt, so übernimmt der Arzt das Glied
und fixirt es selbst in der gewünschten Stellung eventuelle Correcturen vernehmend
bis zum Erhärten des Verbandes.
Von einem ausgiebigen Gebrauch der Gypswatte für Abtheilungsfälle sind wir
nach knrzhr Zeit abgestanden. Schon in seinem ersten Prospect über den neuen
plastischen Verbandstoff hat Dr. Breiger selbst angedeutet, dass seine Gypswatte in
Kliniken nnd grossen Krankenhäusern wohl auf keine grosse Verwendung hoffen dürfe.
In einem mit allen für die Gypstechnik erforderlichen nnd wünsebenswerthen Ein¬
richtungen ausgestatteten Krankenhause wird kaum ein lebhafter, wohlberechtigter
Wunsch nach wesentlicher Vereinfachung der jetzigen gebräuchlichen Immobilisations¬
methoden aufkommen können. Bei dem Einkauf des Gypses im Grossen und der
Selbstfabrication der Gypsbinden durch das Wartpersonal kommen die Gypsverbände
so billig zu stehen, dass kaum ein anderes plastisches Verbandmaterial von der gleichen
Leistungsfähigkeit und Billigkeit in Konkurrenz treten kann. Zudem verhindert der
rasche Verbrauch das gefürchtete Feucht- und Unbrauchbar werden des Gypses. Zur
richtigen Präparation der Binden beim Anlegen des Verbandes ist ein geschultes Per¬
sonal vorhanden.
Unter welch weit ungünstigeren Verhältnissen hat der practische Arzt, besonders
der Landarzt seine Gypsverbände anzulegen. Seine Gypsbinden, welche er bei dem
geringen Bedarf ans naheliegenden Gründen nicht selbst berstellen wird, bleiben oft
Wochen, oft Monate lang als Vorrathsbinden für einen Nothfall aufgespeichert. Kommt
der Arzt endlich in die Lage einen Verband anzulegen, so sieht er sich — und
welchem sich mit Gypstechnik befassenden practiseben Arzte ist die Erfahrung fremd
— in seinen Bemühungen häufig peinlich enttäuscht: der Gypsverband erstarrt nicht,
bildet eine lappenweiche Hülle, die Gypsbinden sind bei dem langen Ablagern durch
Fenchtigkeitsanfnahme total verdorben worden. Zudem ist das Gypsbrei- und Gyps-
bindenverfahren bei Mangel einer sachkundigen Assistenz in Privatwohnungen äusserst
umständlich. Nicht zu unterschätzen ist die schwer vermeidliche, meist übel vermerkte
Beschmutzung der Wohnränme mit Gypsbrei. Diese Gründe mögen wohl nicht zum
kleinsten Tbeil mitwirken, dass beute noch mancher Arzt vor der Anlegung eines
Gypsverbandes znrückschreckt und denselben, wenn irgend möglich, durch einen weniger
leistungsfähigen Holz- oder Metallschienenverband ersetzt.
Hier nun, beim practiseben Arzte ist der gute Boden für die Breiger'sche
Gypswatte, hier darf der Breiger'sche Verbandstoff aufs wärmste empfohlen werden.
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Wer einmal in solch’ ungünstigen Umständen die Einfachheit und Reinlichkeit des
Breiger'schm Verfahrens kennen gelernt hat, wird die Neuerung aufrichtig begrüssen.
Kaltes Wasser in einer Schale ist alles was man zur Application der Gypsschienen
braucht.
üeber diese trefflichen Eigenschaften des Verbandes ist als sein Hauptvorzug
seine Gefahrlosigkeit zu setzen. Drucknecrosen und Gangrän der durch Gyps-
verbände immobilisirten Eörpertheile, diese traurigsten und verhängnissvollsten Vor¬
kommnisse einer ärztlichen Thätigkeit sind beim Gypsschienenverbande so gut wie ver¬
unmöglicht. Auf Klagen des Patienten über Unbehagen und Schmerzen im Verband
wird sich der Arzt sehr viel leichter als beim festen Gypsbindenverband zu einem
controlirenden Einblick entschliessen können. Ermöglichen einmal ausnahmsweise äussere
Verhältnisse dem Arzte nicht, die Vornahme der in den ersten Tagen nach der An¬
legung des Verbandes principiell erforderlichen Controlbesuche, so ist im Nothfalle der
Patient selbst jederzeit in den Stand gesetzt, durch Lockern der äussern Binde ein
drohendes Unheil abzuwenden.
Die Gypswatte ist in der That weit haltbarer als die gewöhnlichen Gypsbinden.
Selbst nach Jahresfrist konnten wir auch bei nicht gerade sorgfältigster Aufbewahrung
des Verbandstoffes keine Abnahme der Leistungsfähigkeit wahrnehmen.
In geeigneten Fällen kann eine Fractur mit dem gleichen Schienenverband zu
Ende behandelt werden, falls nicht eine anfängliche starke Schwellung eine spätere
Aenderung der Schiene bedingt. Dr. Breiger scheint seine Fracturbehandlung durch¬
weg in einem einzigen Schienenverband durchzuführen. Er lässt das fracturirte Glied
unter dem ersten Verband 8 Tage liegen falls keine Schwellung eintritt. (Tritt
Schwellung ein, so lockert er die fixirende Binde.) Dann erneuert er den Verband
mit den gleichen Schienen. Durch diese meist nur einmal erforderliche Herstellung
des Verbandes bei einer Fracturbehandlung wird der sonst zu Ungunsten Dr. Breiger'a
ausfallende finanzielle Unterschied der beiden Gypsverbandmethoden compensirt.
Bei unsern Versuchen trat anfänglich der auch von anderer Seite schon gerügte
Uebelstand ein, dass die Gypswatteschienen sehr leicht brachen. Durchweg lag der
Fehler in der Verwendung von zu schmalen Schienen. Seitdem wir die beiden Schienen
so breit auswählen, dass sie sich seitlich mindestens berühren, ja oft noch leicht
decken, blieben uns die Verbände fest.
Auf einen für die Behandlung gewisser Fracturformen sehr empfindlichen Nach¬
theil der Gypswatte muss mit Nachdruck aufmerksam gemacht werden. Ein einiger-
massen stärkeres Redressement, eine Fixation des Gliedes in schwer corrigirt zu
haltender Stellung kann wegen des langsamen Erstarrens der Gypswatte nicht erzielt
werden. Desshalb eignet sie sich schlecht zur Behandlung leicht
d i 81 0 cirender Fracturen, gar nicht zur orthopäd i schen Be-
handlung von Knochen- und Gelenkverbildungen. Dieser Uebel¬
stand der Gypswatte ist jedoch für den practischen Arzt grösstentheils belanglos, da
die Behandlung von orthopädischen Affectionen und stark dislocirten Fracturen meisten-
theils dem Spitalarzt überlassen wird.
Es lässt sich nicht bestreiten, dass die Gypswatte für die erste Hülfe bei Un¬
glücksfällen iu ärztlich geleiteten Samariteranstalten u. dgl. gute Dienste leisten kann.
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253
Die BerechtigUDg der weitergehenden Erwartung des Erfinders, dass die Gypswatte in
der Kriegschirurgie eine nicht unbedeutende Rolle zu spielen berufen sei, entzieht sich
unserer BeurtheilungJ)
Medicinisch-pharmaceutischer Bezirksverein Bern.
IV. SitzDBip im Wiatersemester 1893/94, Dienstagf den 30. Januar, Abends 8 Uhr,
im Casino.
Anwesend 22 Mitglieder.
Präsident: Dr. Diimont. — Actuar: Dr. Bohr,
1 ) Prof. P. 3IäUer spricht über operative Fixirnng des retrovertirten Uterns.
Er ist nicht für die Ventrofixatioo eingenommen: Ist der Uterus mobil, so hält er die Vor¬
theile der künstlichen Befestigung nicht gross genug, um eine Laparotomie mit ihren
Gefahren ad hoc, sowie für die Zukunft (Bauchbrüche etc.) zu rechtfertigen. Nur bei nach
rückwärts fixirtem Uterus lässt er die Laparotomie zu: Hier sind es jedoch meist Adnex-
affectionen, welche die Fixirung bedingen, und die meist an und für sich den operativen
Eingriff erfordern. Sind die Anhänge des Uterus aber entfernt, so ist es meist gleich¬
gültig, ob der Uterns nach vorn oder hinten liegt, die vorzeitige senile Involution des
Organs macht eine Fixirung an der vordem Bauchwand überflüssig, die übrigen Fixirungs-
operationen hat der Vortragende selten ausgeführt, da er meist mit den Pessarien aus¬
kam. Erst in neuerer Zeit hat er sich denselben zugewandt. Es wurden deshalb in den
letzten Monaten auf der hiesigen gynsekologischen Klinik zwei Reihen von Parallelopera¬
tionen (A/cxandfer-Operation und Vaginafixation) ausgeführt. Die Zahl derselben ist in
beiden Reihen bereits über ein Dutzend gestiegen, diese Paralleloperationen sollen den
Zweck haben, die beiden Methoden in ihren Vorzügen und Nachtheilen vergleichen zu
können.
Vortragender will heute nur über die Vaginafixalion sprechen; dieselbe wird hier
in folgender Weise ausgeführt: Spaltung der vordem Vaginal wand in vertikaler Richtung
von dem Cervix an bis 1 cm vor der Mündung der Harnröhre. Durch diesen Spalt wird
die Blase vom Uterus losgelöst und mittelst stumpfer Haken unter die Symphyse ge¬
bracht. Hierauf wird mit der Sonde der Uteruskörper in Anteversionsstellung gebracht
und in den Spalt herein gebracht, dann wird die vordere Wand des Uteruskörpers durch
ungefähr 6 Catgutfäden durchstochen, dann beide Enden durch die entsprechenden Ränder
der Vaginalwunde durchgeführt, aber nicht geknüpft. Hierauf wird der Spalt durch
fortlaufende Catgutnaht geschlossen und über derselben die den Uteruskörper per-
forirenden Fäden geknüpft. Die Blase liegt dann oberhalb des stark antevertirten
Utemskörpers.
Bis jetzt konnte man mit den Resultaten der Operationen zufrieden sein, indem
bei der Entlassung der Patienten der Uterus seine Anteversionsstellung nicht verlassen
hatte. Selbstverständlich ist damit noch nicht der Beweis der Vorzüglichkeit der Opera¬
tion geliefert. Man muss abwarten, ob ein Dauererfolg eintritt und wie sich der Uterus
nach einer Conception verhält.
So viel darf gesagt werden, dass die Operation ziemlich einfach ist und, wie es
scheint, keine Gefahren in sich schliesst.
Vortragender vergleicht die vaginale Fixation mit der A/earanf/er-Operation, deren
Vorzüge er ebenfalls gelten lässt. Er suchte auch im Weiteren die Indicationen für beide
Operationen festzustellen. So giebt er z. B. bei Nulliparen mit engen Genitalien und
^) Dr. Breiger'% Gypswatte ist erhältlich bei Hanhart & Ziegler, Zürich.
*) Eingegangen 20. März 1894. Red.
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grossen, stark retroflectirten und starren Uterus und kurzer Yaginalwand der Alexander-
Operation den Vorzug.
Disoussion: Dr. Dick ist mit Prof. Müller gegen die Ventrofixation, die eine
zu eingreifende Operation ist im Verhältniss zu den Beschwerden einer nicht fixirten
Retroflexio; ausserdem schafft die Ventrofixatio abnorme anatomische Verhältnisse und
die Möglichkeit von Blasenstorungen oder gar Ileus. Mit den Erfolgen der A/eo^ander’schen
Operation, deren er ca. 35 gemacht hat, ist er sehr zufrieden. Alle Operirten, die er
später wieder gesehen hat, sind geheilt geblieben, in 3 Fällen ist post operationem ein¬
getretene Gravidität normal verlaufen und der Uterus post partum in normaler Lage ge¬
blieben. Ob sich nach Vaginahxatio der Uterus in graviditate auch ganz normal aus¬
dehnen könnte, ist ihm fraglich, die feste Verwachsung mit der vorderen Scheidenwand
dürfte ihn vielleicht daran hindern. Das Aufünden der lig. rot. ist, wenn man sie
direct über dem innem Leistenringe sucht, leicht; in ca. 7* Stunde waren die beiden
Ligam. immer aufgefunden und vernäht. Die Heilungsdauer betrug im Allgemeinen 10
Tage, am 11. stunden die Pat. auf, und am 14. wurden sie ohne Pessar entlassen. Die
Gefahr des Eintritts von Hernien post operationem ist bei solider Naht der Pforte
sicher nicht gross, wenigstens hat er selbst nie eine Hernie bei seinen Operirten
entstehn sehn. Weil die Alexander'Wihe Operation ein relativ leichter Eingriff ist,
so darf man ihre Indication etwas weit stellen und die Retroflexionsfölle mit erheb¬
lichen Beschwerden, die durch ein Pessar nicht zu heben sind, ihr unterwerfen, speciell
eignet sie sich auch für Mädchen und Jungfrauen im Gegensatz zu den vaginalen Ope¬
rationsmethoden.
Dr. Walthard bestätigt das leichte Auffinden der Ligamente und die geringe Däner
der Operation — in toto gegen eine Stunde, der allerdings die Vaginafixatio mit nur
20—25 Minuten Dauer noch überlegen ist. Dasselbe gilt auch für die Heilungsdauer
der letztem, indem die Vaginaüxirten am dritten Tage aufstehen und am siebenten ent¬
lassen werden konnten.
Dr. Dumont hat auch bei einem seiner Fälle von Alexander'scher Operation seither
normal verlaufende Gravidität und normale Geburt gesehen.
Auf die möglichst kurze Dauer der Operation möchte er weniger Gewicht legen
als darauf, dass das Operationsfeld gut und klar zu überblicken sei, was für die Ale-
xander'sche Operation wohl eher zutreffe als für die Vaginafixation.
Prof. Müller erwidert auf die gemachten Einwände, dass von anderer Seite auch
schon normal verlaufende Gravidität bei Vaginafixatio beschrieben worden sei; das Ope¬
rationsfeld ist auch bei dieser Operation sehr gut zu überblicken. Welche Fälle sich
mehr für diese Methode und welche mehr für die Alexander'sehe Operation eignen, wird
sich erst später nach mehr Erfahrungen klar zeigen; für jugendliche Individuen ist die
Alexander'sehe Methode vorzuziehen. Andrerseits lässt sie z. B. bei den Fällen von
Retrofiexio mit starkem Knickungswinkel und erheblich vergrössertem chronisch metritischem
Uteras und chronisch verhärteter Knickungsstelle oft im Stich, indem das schwere Corpus
schon wenige Tage post operationem wieder zurücksinkt.
Dr. Dick hat auch solche Fälle mit Erfolg nach Alexander operirt; Recidiv hatte
er nur in einem Fall von fixirtem Uterus. Wenn Descensus oder Prolapsus uteri das
Krankheitsbild complicirten, schloss er in der gleichen Sitzung die entsprechende Scheiden-
resp. Dammplastik an.
Prof. Müller hat auch der Vaginafixation gegebenen Falles Portioamputation oder
Scheiden- oder Dammplastik angeschlossen. Er hebt noch einmal hervor^ dass er die
beiden Operationsverfahren nur für den mobilen oder leicht mobilisirbaren Uterus indicirt
hält, während der fixirte sich nicht dazu eignet, sondern eher durch Massage allmälig
zu lösen ist.
2 ) Vortrag von Apotheker B, Studer: Die aeue Phamaeop«« Die neue Auflage
der Pharmacopoe mit der Ed. 11 vergleichend macht der Vortragende aufmerksam auf
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die wichtigsten Differenzen. Ausführlicher werden die Extracta fluida besprochen, ihr
Normalgehalt, ihre Darstellung, Maximaldoson u. s. w.
Eine übersichtliche Darstellung der Abweichungen der neuen Pharmacopoe, die für
den Mediciner von Interesse sind, findet sich im diesjährigen ärztlichen Kalender.
Keine Discussion.
3) Es wird ein Schreiben des Centralcomites des internationalen ärztlichen Con-
gresses in Rom verlesen, worin der medicinisch-pharmaceutische Bezirksverein ersucht wird,
seine Delegirten zum Congress zu bezeichnen.
Gesellschaft der Aerzte in Zürich.
6. WintersitzaBHf den 17. Febrnar in CaDtonsspitol.*)
Präsident: Prof. Haab, — Actuar: Dr. Conrad Brunner.
Prof. Haab eröffnet die Sitzung mit Worten der Erinnerung an Billroth; er gedenkt
dessen vielseitiger Wirksamkeit in Zürich und liest in extenso vor, was jener in seinem
klassischen Berichte über die Jahre seiner Thätigkeit an der chirurgischen Klinik in
Zürich speciell über die Frage der Errichtung einer eidgenössischen Hochschule nieder¬
geschrieben hat.
Der Vorstand der Gesellschaft hat am Sarge Billroih'B einen Kranz niederlegen
lassen; dasselbe geschah von Seiten der cantonalen ärztlichen Gesellschaft und ^der medi-
cinischen Facultät. — Die Anwesenden erheben sich zu Ehren des Verstorbenen von
ihren Sitzen.
Prof. Krönlein: I. Kliaisehe Denoastratioa. 1 ) Fall von Darmresection
wegen Gangrän nach Hernia incarcerata. Die Operation wurde von
Dr. Schlotter ausgeführt. Glatte Heilung.
2 ) Darmresection wegen Hernia inguino-interstitialis
incarcerata. Pat. wurde am 9. Tag nach Beginn der Incarceration aufgenommen;
es hatte, wie es bei der Operation sich zeigte, zweifellos Scheinreduction stattgefunden.
Die eingeklemmte Schlinge war vollständig durchgeschnürt; Resection eines 20 cm langen
Stückes. Sehr guter Heilverlauf. Am 5. Tage kleine Perforation mit Entleerung von
Darminhalt nach aussen. Die Fistel schliesst sich von selbst.
n. Prof. Krönlein hält seinen angekündigten Vortrag 9,Deber die BedenUlBIf der
OpemtiOB BimliifBer GesiehtstBBloreB^« Der Vortragende erinnert daran, dass Billroth
das grosse Verdienst gehört, zuerst durch genaue und gewissenhafte Kritik mit Fest¬
stellung der Endresultate der Welt gezeigt zu haben, was zu jener Zeit die Chirurgie
zu leisten vermochte. Zur Ausführung dieser Arbeit gehörte dazumal viel moralischer
Muth.
Was die von Krönlein ausgeführten Operationen wegen malignen Gesichts¬
tumoren betrifft, so sind die Endresultate von Dr. Bazaroff in einer trefflichen Disser¬
tation zusammengestellt worden. Der Vortragende berichtet auf das Eingehendste über
die in dieser Arbeit gemachten Erhebungen und gibt so ein genaues Bild über die bei
der Behandlung von 217 Gesichtstumoreü von ihm gemachten Erfahrungen. Was
die Einzelheiten des Vortrages, die statistischen Daten etc. betrifft, so sei auf die
erwähnte von Bazaroff verfasste Dissertation, welcher diese Erfahrungen zu Grunde
liegen, verwiesen: (Ueber die malignen Tumoren des Gesichtes und die Resultate
ihrer operativen Behandlung nach Beobachtungen auf der chirurgischen Klinik zu
Zürich und in der Privatpraxis des Herrn Prof. Dr. Krönlein. Inaugural - Dissertation
Zürich 1892.)
Eingegangen den 12. März 1894. Red.
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256
Eteferate und Ki^itilcen.
Lehrbuch der Frauenkrankheiten.
Von Prof. Dr. H, Fehling, Mit 240 in den Text gedruckten Abbildungen. 8® geh.
540 S. F. Enke, Leipzig. Preis Fr. 17. 35.
Fehling hat, von der Verlagsbuchhandlung F. Enke angeregt, für den Practiker
speciell ein Handbuch der Frauenkrankheiten zu bearbeiten, der Bibliothek des prac-
tischen Arztes ein vortreffliches Buch geboten. Das Ziel, das der Verf. vor Augen hatte,
dass das Buch dem Arzte in seinem verantwortungsvollen Berufe ein zuverlässiger Be-
rather sein möge, ist durch Inhalt und Form glänzend erreicht.
Das Werk umfasst neun Capitel. Das erste — die Untersuchungsmethoden — ist,
was Inhalt und Anordnung des Stoffes anbelangt, ähnlich verfasst wie in andern gyneeco-
logischen Lehrbüchern. Im zweiten Capitel schickt der Verf. in ca. 30 Seiten eine ein¬
gehende Besprechung der allgemeinen gyneecologischen Therapie voraus. Hier findet der
Arzt, wie in keinem anderen Lehrbuche, die vielen Manipulationen der kleinen Gynceco-
logie kurz und gut beschrieben. Der Practiker kann sich in diesem Capitel über Schei¬
den- und Uterusspülungen orientiren. Über intrauterine Injectionen verschiedener Flüssig¬
keiten, örtliche Behandlung der Schleimhaut des Genitaltractus mit flüssigen, pulver¬
förmigen und festen Medicamenten; er kann sich Rath holen über die Verwendung des
Glüheisens, die örtliche Blutentziehung, die Tamponade der Scheide und der Gebärmutter¬
höhle; er findet darin Allgemeines über die Verwendung von Vaginal- und Uteruspessarien.
Sogar der Bäder und Badecuren bei Frauenkrankheiten ist gedacht. Die Besprechung
des antiseptischen Verfahrens in der Gynaecologie bildet den Schluss des zweiten Capitels.
Der Uebergang zur Asepsis ist angebahnt. Fehling will für die „aseptischen“ Mass¬
nahmen ausdrücklich die Bezeichnung der „antiseptischen“ beibehalten.
In den sieben folgenden Capitoln werden der Reihe nach die verschiedenen Frauen¬
krankheiten beschrieben. Literaturverzeichnisse bei den einzelnen Capiteln sind weg¬
gelassen. Da Anordnung und Behandlung des Stoffes nicht wesentlich von andern Lehr¬
büchern abweichen, so wird man es dem Referenten verzeihen, dass er nicht jedes ein¬
zelne Capitel characterisirt. Summarisch genommen hat der Referent beim Durchlesen
des Fehling'm)im Werkes den Eindruck gewonnen, dass das Buch für den Practiker vor¬
trefflich geschrieben ist und dass sich der Arzt darin sehr rasch orientiren wird. Die
Ausstattung des Lehrbuches ist, wie es von der berühmten medicinischen Verlagsbuch¬
handlung F. Enke nicht anders zu erwarten war, sehr gut.
Das Werk darf den practischen Aerzten warm empfohlen werden. Behrunner,
Augenärztliche Unferrichtstafeln für den academischen und Selbstunterricht.
Herausgegeben von Prof. Dr. U. Magnus, 1893. Breslau, J. U. Kem’s Verlag.
Heft IV. Die Haupttypen der ophthalmoscop. Veränderun¬
gen des Augengrundes bei Allgemeinerkrankungen, von Prof.
Dr. H, Magnus,
Auf 8 kleinen Tafeln sind 17 ophthalmoscop. Bilder in meisterhafter Ausführung
wiedergegeben. Gerade dem im Ophthalmoscopiren weniger Geübten werden diese Bilder
eine kräftige Stütze für richtige Beurtheilung eigener Beobachtungen sein. Es ist schade,
dass das Thema durch die 8 kleinen Tafeln nicht vollständig erschöpft werden konnte.
Erläuternder Text ist in einem Extrahefte beigegeben.
Heft V.' Die wichtigsten Störungen des Gesichtsfeldes.
Für Kliniker, Aerzte und Studirende übersichtlich zusammengestellt von Dr. 0, llaab,
Professor der Augenheilkunde in Zürich.
Auf zwei Tafeln sind im Ganzen 40 Gesichtsfeldtypen sehr übersichtlich dargestellt.
Der begleitende Text gibt die iiöthige Erläuterung. Auch ist für jeden Fall eine kurze
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characteristischo Krankengeschichte heigefügt. An Hand dieser Typen ist die richtige
Würdigung jedes aufgenommenen Gesichtsfeldes wesentlich erleichtert und die charac-
teilstischen Abweichungen von der Norm pr^en sich auf diese Weise am schnellsten ein.
Pßster,
GehSrprUfungen an den Stadtschulen Luzerns.
Von 0. Nager, Luzern. (S.-A. aus dem Jahresbericht der luz. Stadtschulen.) Luzern 1893.
Die Tbatsache, dass die Schwerhörigkeit io der Schule eine ebenso bedeutungsvolle
Rolle spielt wie die Sehstörungen, ist noch viel zu wenig bekannt und gewürdigt. Um
so mehr ist es zu begrüssen, dass mit dieser Arbeit nun auch die Schweiz in die Reihe
derjenigen Staaten (Dänemark, Deutschland, England, Frankreich, Nordamerika, Russland,
Schweden) getreten ist, in welchen genaue Untersuchungen nach dieser Richtung hin vor¬
genommen worden sind.
„Da die Hörstörungen meistens doppelseitig auftreten, so ist es klar, welch’ hohe
Bedeutung dieselben für das Schulkind und dessen Fortschritt im Unterricht haben müssen.
Verhängnissvoll für solche schwerhörige Kinder im Vergleich zu ihren augenleidenden
Genossen ist der Umstand, dass das Gebrechen häufig genug von der Umgebung, selbst
von den weniger aufmerksamen Eltern und dem durch eine übergrosse Schülerzahl sonst
genug in Anspruch genommenen Lehrer übersehen oder noch öfters als Zerstreutheit und
Launenhaftigkeit erklärt und dementsprechend gerügt wird; denn einerseits ist äusserlich
hier nichts Auffälliges vorhanden im Vergleiche zu manchen Sehstörungen (rothe Augen,
Schielen etc.) und anderseits schwankt der Grad der Schwerhörigkeit oft bedeutend.“
Nager hat 1386 Schüler der Luzerner Primär- und Secundarschulen untersucht, die
Resultate tabellarisch zusammengestellt und einlässlich commentirt: bei 40,69^/o wurde
mehr oder minder ausgesprochene Schwerhörigkeit constatirt; hochgradige Schwerhörigkeit
fand sich bloss einseitig bei 2,88®/o, beidseitig bei 2,65®/o. Die Ursache für die abnorme
Höhe dieser Procentzahlen {Besold berechnet für München 25,08®/o, Weil für die Stutt¬
garter Schulen 32,6% Schwerhörige) erblickt Nager in dem feuchten Seeklima Luzerns;
ein Fehler in den Untersuchungsmethoden liegt, soweit Ref. und Besold sich persönlich
davon überzeugen konnten, entschieden nicht vor.
Von der wirklichen, das Lernen erschwerenden Bedeutung der starkem Formen
von Schwerhörigkeit in dieser Untersuchungsreihe hat Nager nach dem Vorgehen Besold'^
einen Massstab in Zahlen gebildet, indem er die einzelnen Fortschrittsnoten der Schüler
mit ihren Hörweiten zusammenstellte; dabei entfallen auf die stärker Schwerhörigen an¬
nähernd doppelt so viele schlechte Noten als auf die Normalhörenden.
Aus der kleinen aber wichtigen Arbeit, welche grossen Fleiss und viel Zeit er¬
forderte, spricht durchwegs nicht nur der Arzt, sondern auch der mit den localen Ver¬
hältnissen wohl vertraute, weitblickende Schulmann und Kinderfreund. Es wäre zu
wünschen, dass in andern Schweizerstädten solche Untersuchungen vorgenommen und in
ähnlicher Weise publicirt würden. S,
Medicinisch-klinische Diagnostik.
Lehrbuch der Untersuchungsmethoden innerer Krankheiten. Von Dr. F. Wesener.
Berlin, Springer, 1892. 490 S.
Das Buch von W,, welches sich in seiner Tendenz, das Gesammtgebiet der klinischen
Diagnostik lehrbuchmässig, aber doch knapper, als dies in den grösseren Werken von
EiMiorsl u. A. geschieht, darzustellen, am meisten der ausgezeichneten Diagnostik innerer
Krankheiten von Vierordt anschliesst, befolgt bei dieser Aufgabe eine ganz eigenartige
Gruppirung des Stoffes. In einem ersten Theile wird die gesammte Methodik und
Technik der Untersuchung abgehandelt: Untersuchung mittelst des Gesichtssinns (Ocular-
inspection, Mensuration, chemische und mikroskopische Untersuchung, electrodiagnostische
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Untersuchung), dann Untersuchung mittelst des Gefuhlssinns, Palpation u. s. w. Im zweiten
Theile wird in gewohnter Weise die specielle Diagnostik der Erkrankung der einzelnen
Organgruppen erörtert und hier neben den übrigen diagnostischen Methoden speciell fiie
mikrosk.-ehern. Diagnostik besprochen. Im dritten Theile wird in einer angewandten
Diagnostik in äusserst gedrängter Weise das klinische Bild der wichtigsten Krankheits¬
gruppen gegeben. Es will uns scheinen, dass diese von der gewohnten abweichende An¬
ordnung des Stoffes keine besonders glückliche ist und die Möglichkeit rascher Orientirung
über gewisse Punkte keineswegs erhöht; auch werden bei dieser Eintheilung vielfach
Wiederholungen und Hinweisungen auf schon Gesagtes nothwendig. Auch erscheinen im
mittleren, für den Practiker wichtigsten Theile gewisse technische Untersuchungsmethoden
oft nur allzu knapp abgehandelt; so dürfte, um nur eines herauszugreifen, der Anfänger
bei Herstellung gefärbter Blutpräparate, nur auf die hier gegebenen Anleitungen ange¬
wiesen, Mühe haben, rasch zu brauchbaren Resultaten zu kommen. Zur Erläuterung des
Textes dienen 100 Figuren im Text und auf 12 lithogr. Tafeln, die meist, besonders
die Bilder der Hariisedimente und Bacterien hübsch ausgeführt sind. Die übrige Aus¬
stattung des Buches ist eine sehr gute. Büiimeyer,
Mikroskopie und Chemie am Krankenbette.
Leitfaden bei der klinischen Untersuchung und Diagnose. Von Dr. H. Lenhartz.
Berlin, Springer, 1893. 293 S.
Das vorliegende kleine Werk ist sowohl für den Cursisten, wie für den practischen
Arzt ein ausgezeichneter Leitfaden im eigentlichen Sinne des Wortes, um sich auf dom
ganzen Gebiete der klinischen Mikroskopie und Chemie in allen jenen speciellen Unter-
snehungsmethoden, die auch für den Practiker je länger je unentbehrlicher werden, in
übersichtlicher, kurzer und erschöpfender Weise Rath zu holen. In der Vertheilung
des Stoffes beginnt Yerf. mit einleitenden technischen Bemerkungen, um dann in grossem
Capiteln die klinisch wichtigen pflanzlichen und thierischen Parasiten, die Untersuchung
des Blutes, des Auswurfs, des Mundhöhlensecrets,' des Magen- und Darminhalts, des Harns
und der Punctionsflüssigkeiten folgen zu lassen. Das äusserst brauchbare Buch sei hie-
mit den Collegen bestens empfohlen. Rütimeyer. '
Lehrbuch der speciellen Pathologie und Therapie der Innern Krankheiten.
Für Studirende und Aerzte. Von Dr. Adolf SirümpelL 7. Auflage. 2. Bd. 1892.
Leipzig, C. W. Vogel.
Die neueste Auflage des Strümpeirsdhen Lehrbuches (die 7. in 9 Jahren) besonders
zu empfehlen ist eigentlich unnöthig; denn wer kennt es nicht schon durch seine früheren
Auflagen dieses Lehrbuch, das gleich bei seinem ersten Erscheinen die Herzen der Stu-
direnden und bald auch der Aerzte im Sturme gewann. Mit besonderer Sorgfalt, mit
Meisterschaft ist der 1. Theil des 2. Bandes „Krankheiten des Nervensystems“ behandelt.
Hier Anden wir auch gegenüber den früheren Auflagen sehr wesentliche Veränderungen
und reiche Zusätze. Sehr zweckmässig hat der Verfasser bei den Rückenmarks-Degene¬
rationen ein neues Capitel geschaffen: „Die primären Degenerationen der
motorischen Leitungsbahn incl. der Muskeln.“ worin er nach klaren,
leicht verständlichen Vorbemerkungen in 5 Abschnitten die amyotrophische Lateralsclerose,
die spinale progressive Muskelatropbie, die neurotische Muskelatrophie, die Dystrophia
muscularis progressiva und die primäre Degeneration der Pyramidenbahnen behandelt.
Das Verständniss dieser pathologisch-anatomisch verwandten Erkrankungen wird dadurch
sehr erleichtert. Eine wesentliche Neubearbeitung hat auch das Capitel über „Einfache
und multiple degenerative Neuritis“ erfahren.
Nicht ganz so glücklich behandelt und der Klarheit, die das Werk sonst ziert,
etwas entbehrend sind die Capitel über acute und chronische Nasen-, Nasenrachen- und
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Racheoerkranknngen. Nicht umfangreicher, sondern eher kurzer aber übersichtlicher
sollte der Stofif hier behandelt sein. Die Eintheilung erscheint mir nicht passend, ver¬
altet. Es geht nicht an, die Nasenkrankheiten bei den Respirationsorganen und die
Nasenrachen- und Rachenerkrankungen bei den Digestionsorganen unterzubringen. Der
innige Zusammenhang besonders der chronischen Leiden in Nase, Nasenrachenraum und
Rachen kann so nicht verständlich werden, die Besprechung der Aetiologie, Symptomato¬
logie und Therapie leidet bei dieser Eintheilung an Klarheit, Gründlichkeit und ruft un*
nöthigen Wiederholungen. Und warum der Hypertrophie der Gaumentonsillen ein eigenes
Capitel widmen und die nun gewiss gross und wichtig genug gewordene Tonsilla tertia
(adenoide Vegetationen) in einen dunkeln Winkel des Abschnittes über chronischen
Bachenkatarrh verbannen, als ob dieses Gebilde nur von den Specialisten richtig gewür¬
digt zu werden verdiente. Das ganze Nasen- und Rachencapitel würde bedeutend an
Klarheit und Vollständigkeit gewinnen, wenn es in einer folgenden Auflage ganz um¬
gearbeitet und einheitlicher verfasst würde.
Die äussere Ausstattung des Werkes und die Abbildungen sind trefflich. LindL
Ueber das auf natürlichem Wege diagnosticirte und behandelte latente Empyem des
Sinus frontalis.
Von L. LichiwUz in Bordeaux. Therap. Monatshefte Nr. 8 und 9, 1893.
Das latente Stimbeinhoblenempyem der Rhinologen ist nicht das klassische mit
äussern Erscheinungen, sondern kann nur durch genaue Sondirung und Ausspülung dieser
Hohle selbst von ebenso latenten und plaghaften Empyemen, der in der Nachbarschaft
ausmündenden Keilbein-, Siebbein- und Oberkieferhdhlen unterschieden, daher auch nicht
häufig sicher diagnosticirt werden. Manchem schon, wie auch Ref. ist es begegnet, bei
Aufmeisselung der Stimbeinhöhle auf ein normales Innere zu stossen. L. gibt nun eine
mit dem vordersten Centimeter rechtwinklig abgebogene Canüle von Vji —27* löni Durch¬
messer und 11 — 15 cm Länge an, mit der er in der Mehrzahl seiner, wegen der kurzen
Beobachtungszeit nicht zahlreichen, sieben Fälle zur Ausspülung und ein Mal zur gänz¬
lichen Heilung gelangte. Die Einzelheiten müssen 1. c. nachgelesen werden.
G, Jonquihre.
Die Bedeutung der Galvanocaustik fUr die Behandlung der Krankheiten der Nase und
des Schlundes.
Von Dr. P. Heymmn^ Berlin. Berliner Klinik Heft 61, 1893.
Eine 20 Seiten beschlagende, sachlich gehaltene Besprechung des Werthes der
Galvanocaustik in obgenannten Gebieten. So vollkommen auch Ref. für die Verwerfung
der Glühschlinge bei Entfernung von Nasenpolypen und adenoiden Vegetationen ist, so
mochte er dieselbe doch zur Abtragung von Hypertrophien und leicht übersehbaren, nicht
polypösen Auswüchsen an der unteren Nasenmuschel und an dem vordem Ende sowie
dem vordem untern Rande der mittlern Nasenmuschel beibehalten. Sehr gut ist es u. a.,
dass Verf. zur sorgfältigen Nachbehandlung der Cauterisationswundcn ermahnt und
vor dem quantitativen Missbrauch der Galvanocaustik warnt. G. Jonquiere.
Die Grundlagen der Aseptik und practische Anleitung zur aseptischen Wundbehandlung.
Von Dr. Egbert Braatz.
Nach einer Einleitung, in welcher der Autor die Begriffe der Aseptik und Anti-
septik erklärt, wird die Reinigung der Hände besprochen. Verfasser beschreibt
einen eigenen Nagelreiniger und einen eigenen Waschtisch und macht auf die Wichtigkeit
der Alcoholvorbehandlung der Hände nach Fürbringer aufmerksam.
Die Catgutsterilisation hat nach gründlicher Entfettung am besten in
einer wässerigen Sublimatlösung und nicht in einer alcoholischen Lösung nach Bergmann
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260
zu geschehen; auch die von Revcrdin anempfohlene Trockensterilisation ist zweckmässig
und wird von B, in einem eigenen Apparate vorgenommen.
Das Sterilisiren mit strömendem Dampf wird mit viel Sach-
kenntniss besprochen und dabei auf die noch viel energischere Wirkung des gespannten
Dampfes aufmerksam gemacht; auch für diese Sterilisationsraethode werden eigene Apparate
beschrieben, die jedoch von vielen Anderen angewendeten, keine wesentliche Vortheile
zeigen dürften.
Bei der Behandlung inficirter Wunden kommt B, zuerst auf die Frage
der Aetiologie der Pyeemie und der Septicsemie und stellt hier die merkwürdige Hypothese
auf, dass diesen Krankheiten specifische Erreger zu Grunde liegen, während es wohl
zweifellos feststeht, dass diese Krankheiten nur klinisch schwerere Formen und verschieden¬
artige Localisatiouen der gewöhnlichen Infectionskeime sind.
Der Wirkung des Sauerstoffes auf die Wundinfection werden über 30 Seiten ge¬
widmet !
Mit vollem Recht macht B, im Capitel über den Einfluss der äus¬
seren Verhältnisse auf die Durchführbarkeit der asepti¬
schen Wundbehandlung auf die Nothwendigkeit aufmerksam, dass die Wund¬
behandlung uud die Asepsis vom bacteriologischen Standpunkte aus gelehrt werden müssen
und dass es weniger die tadellosen äusseren Verhältnisse sind, die das Resultat der
Operation beeinflussen als die gute diesbezügliche Erziehung des Arztes.
Die drei letzten Capitel sind einer praotischen Anweisung zur
aseptischen Wundbehandlung, der N a r c o s e und der Beschreibung ver¬
schiedener Apparate gewidmet, unter welchen ein vom Verfasser ausgedachter Operations¬
tisch entschieden Berücksichtigung verdient.
Das Buch ist weniger eine practische Anleitung zur Wundbehandlung als eine
originelle Darlegung einzelner Hauptcapitel in dieser Frage, die den Verfasser speciell
interessiren und die nicht mit der Routine als Basis, sondern auf Grund eigener Ideen
behandelt werden. Tavel,
Grundriss der Anatomie des Menschen.
Von Dr. Paul Eisler^ Privatdocent und Frosektor am anat. Institut zu Halle a./S. Mit
15 Abbildungen. Stuttgart, Enke, 1893. 8^
Das vorliegende Werkchen beschränkt sich auf die systematische oder sogenannte
grobe Anatomie und lässt wie billig Embryologie und Entwicklungsgeschichte bei Seite.
Bei solchen „Grundrissen“ ist knappe Darstellung zwar die Hauptsache, aber der Leser
muss doch auch den Eindruck erhalten, dass die Hauptzüge der Organisation scharf ge¬
zeichnet sind. Am besten ist die Darstellung des Muskel- und Kervensystems gelungen,
auf deren Gebiet der Verfasser schon litterarisch thätig war. In den allgemeinen Ge¬
sichtspunkten, die dort dargelegt sind, könnte man bei solchen Grundrissen noch weiter
gehen; denn sie führen dann am schnellsten zur Beherrschung des überreichen Stoffes,
den die Anatomie enthält. Kollmann,
Oantonale Ooi*]:*e»poiideiizeii.
Basel« Hochzeitsreisen. ^^Ah, denkt Euch die Freude: mein Zukünftiger
will mich nach Wien, von dort nach Venedig und dann noch durch ganz Italien führen;
unterdessen besorgt mein Mütterchen unsere Einrichtung, so dass wir bei der Heimkunft
nur ins fertige Nestchen zu sitzen brauchen!“ So etwas ungefähr, zwitscherte eine junge
Braut ihren Freundinnen vor.
Bald nachher, es war ira Herbst 1880, traf ich das Hochzeitspärchen in Zürich
an. Wir kannten uns schon von früher her, und so war cs ganz selbstverständlich, dass
mir der Reiseplan mitgetheilt wurde. Auf meine besorgte Frage, ob sie denn auf der
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weiten Reise und ob dem vielen Sehen sich nicht allzusehr ermüden werden, lachten sie
mir leichten Herzens ins Gesicht, und meine Ermahnungen zur Vorsicht und Mässigung
trafen offenbar taube Ohren. Schon am frühen Morgen darauf war das Paar ausgeflogen,
natürlich „auf den Flügeln der Liebe“, nach München und Wien.
Unterdessen reiste ich etwas langsam über Davos, Lugano, Mailand und Florenz
nach Rom. Eines schönen Nachmittags stand ich im Casino der Villa Borghese vor Ca-
novas Marmor-Bildwerk, in welchem die Fürstin Paulina Borghese, die schöne Schwester
Napoleons L, als Venus in halbliegender Stellung und tief bis zu den Hüften decolletiert,
sich hatte verewigen lassen, und hörte, wie ein Cicerone hinter mir stehenden Fremden
das Kunstwerk mit dem bekannten entschuldigenden Ausrufe Paulinens: „0, la chambre
etait chauffee!“ in das richtige Licht rückte.
Als ich mich nach den Wissensdurstigen umsah, war es mein Hochzeitspärchen.
Noch nicht ganz fünf Wochen waren verflossen, seitdem wir uns in Zürich getroffen,
und schon hatte das Paar von Wien aus Triest, Venedig, Florenz, Rom und Neapel be¬
sucht und war Tags zuvor von Sorento her wieder in der Eterna eingetroffen, um noch
einiges zu sehen, das beim ersten Besuche übergangen worden war.
Aber in welchem Zustande sah ich die junge Frau wieder! Blass, eingefallen, die
Uebermüdung auf dem Antlitz! Auch klagte sie mir ihr Unwohlsein, das unendliche
Müdigkei tage fühl. Ich riet, ungesäumt die Heimreise auzutreten, und diesmal wurde
mein Rat befolgt. Leider aber hielt die Flugkraft der abgehetzten Frau nur noch bis
in die Nähe von Genua aus; dort musste sie sich zu Bette legen und lag dann Wochen
lang schwerkrank darnieder, glücklicherweise in befreundetem Hause . . .
Hochzeitsreisen mit ähnlichem Ausgange sind mir im Laufe der Jahre zur Genüge
bekannt geworden. Namentlich sind mir an der Riviera mehrere junge Hochzeitspaare
gleichsam als „Strandgut“ in die Hände gelaufen, darunter drei junge Frauen mit
schweren Aborten. Dort traf ich auch mehr als eine unterleibskranke ältere Dame, die
mit grosser Bestimmtheit und voller Ueberzeugung ihr langes Leiden auf dieselbe Ursache
zurückführte und ihre Hochzeitsreise als das „Grab ihrer früher blühenden Gesundheit“
bezeichne te.
Die langen, weit ausgreifenden Hochzeitsreisen sind denn auch etwas ausser Mode
gekommen, wenigstens in den obem Regionen. Allmählig sah man eben das Unsinnige
des aufregenden Rennens nach Sehenswürdigkeiten und Genüssen aller Art ein. Nur die
Schwiegermütter, d. h. die Mütter der Bräute sind immer noch schwer zu belehren; sie
möchten eben ihre Töchter gar zu gerne auf einer Reise wissen, auf der sich ihr Ge¬
sichtskreis erweitere. Ja, man könnte sagen, sie erhoffen davon einen ähnlichen Erfolg,
wie moderne Chirurgen ihn bei beschränkten Schädeln durch die Craniotomie zu er¬
reichen suchen. Sehr oft dringen sie mit der Begründung durch, dass später in der Ehe,
wenn einmal Kinder vorhanden, es doch mit dem Reisen zu Ende sei; da komme man
nirgends mehr hin!
Und doch, was sieht denn so ein junges Ehepaar auf der Hochzeitsreise anders
als den Himmel voller Bassgeigen! Und diese brummen bekanntlich überall in dem¬
selben Grund tone, in Paris wie in Wien und in Rom. Ein junger Liebesfrühling bedarf
keiner weiteren Anregungen durch französische Komödien oder durch den Besuch be¬
rühmter Gemäldegallerien und Sammlungen antiker Kunstwerke mit oder ohne Feigen¬
blätter. So etwas kann höchstens für ältere, bestandene Hochzeitspaare von einigem
Nutzen sein. Jungverheiratete dagegen sollten sich einen landschaftlich schönen Ort auf-
Buchen und dort während vierzehn Tagen oder drei Wochen still vergnügt für sich leben,
die schöne Gegend nach allen Seiten durchstreifend. Das würde sie auch seelisch einander
näher bringen, als Zerstreuungen, wie Gressstädte sie bieten. Der Gewinn wäre ein
doppelter: man bliebe gesund und würde als miteinander vertraute Eheleute in seine
Heimat zurückkehren.
November 1893. Schnyder,
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Ausland.
— Dijodoforil. Tetrajodäthylen C 2 J 4 wurde von Maquenne und Taine als Ersatz¬
mittel des Jodoforms empfohlen. Es hat vor dem Jodoform den Vorzug der Geruchlosig¬
keit, so lange es vorsichtig im Dunkeln aufbewahrt wird. Der Einwirkung des Tages¬
lichtes ausgesetzt, bräunt sich die Verbindung unter Entwickelung eines schwachen
Geruchs, der aber lange nicht so intensiv und penetrant ist, wie der des Jodoforms.
Hallopeau und Erodier haben das Mittel bei Ulcus molle angewendet, und konnten in
zwölf Fällen eine günstige Wirkung constatiren. ln einem einzigen Falle von Ulcus pha-
gadenicum blieb die Application des Mittels ohne Erfolg. Jodoform selbst wirkte aber nicht
günstiger. Die Application, welche mehrere Male täglich wiederholt werden muss, ist
schmerz- und reizlos. Die mittlere Heilungsdauer betrug 18 bis 20 Tage, im Minimum
6, im Maximum 36 Tage. (Nouv. remedes. Nr. 3. 1894.)
— Behandlnngf der Isehias nach Weir-Müchell, Bei bestehender Ischias muss
man zunächst genau untersuchen, ob dieselbe nicht eine verkappte Coxitis oder eine
nervöse, hysterische Coxalgie vortäuscht. Ebenfalls sollte eine Rectalnntersuchung nie
unterlassen werden; denn es kommt nicht selten vor, dass Beckengeschwülste, Rectum-
carcinome, Deviationen des Uterus und Ovarialtumoren auf den Plexus einen Druck aus¬
üben, welcher mit der Zeit eine Neuritis im Gebiete des Ischiadicus hervorruft. So sah
z. B. TV.-Jf. in zwei Fällen eine Kothstauung, die hinreichend war, um einen schmerz¬
haften Druck zu erzeugen. Ebenfalls kann Ischias durch Periostitis oder Caries der
Knochen der Lumbal Wirbelsäule oder des Sacrums bedingt werden. Wochenbett, Diabetes,
Malaria, Gicht, Syphilis, sowie Intoxicationen mit Alcohol, Blei oder Arsenik können
ebenfalls eine Ischias auf neuritischer Basis hervorrufen. Die Therapie muss sich also
zunächst nach den causalen Momenten richten; je nachdem ist für den Fall eine chirurgische,
eine gynäkologische oder eine interne Behandlung indicirt. Hat man mit einer genuinen
Neuralgie des Ischiadicus zu thun, so wird man zunächst constante Bettruhe verordnen,
bis sich eine allgemeine wesentliche Erleichterung zeigt. Wenig Mittel wirken so günstig
wie trockene Schröpfköpfe, wenn dieselben frühzeitig und in ausgedehntem Maasse an¬
gewendet werden. Man applicirt eine zwei- oder gar dreifache Reihe von Schröpf köpfen
an der Austrittstelle des Ischiadicus, längs des Verlauf desselben und entlang seiner
Aeste bis zu den Malleolen. Es ist zweckmässig zwei bis drei Dutzend Schröpfköpfe zu
gleicher Zeit aufzusetzen und dieselben etwa eine halbe Stunde liegen zu lassen. Dieses
Verfahren wird am nächsten Tage wiederholt, sodann zwei weitere Tage und dies allein
genügt in vielen' Fällen vollkommen. Können keine Schröpfköpfe angewendet werden,
so lassen sich dieselben durch Senfteige ersetzen. Die Application soll ebenfalls von der
Austrittstelle bis zu den Malleolen geschehen. Mit etwas Melasse gemischt wirken die
Senfteige milder und können dann mehrere Stunden liegen bleiben. Genügt diese Medi-
cation nicht und sind heftige Schmerzparoxysmen vorhanden, so sind subcutane Cocain¬
einspritzungen von 0,015—0,03 empfehlenswerth.
Bei chronischen Fällen muss zunächst der Nerv durch passende Lagerung des
Beines möglichst entspannt werden, was am besten durch eine leichte Beugung im Knie
und Hüftgelenk zu erreichen ist. In vielen Fällen muss eine Schiene angelegt werden,
um die kranke Extremität absolut zu immobilisiren. Ferner muss das Glied vor jeder
Berührung geschützt werden durch Einwickelung desselben mit einem Flanellverband der
von der Zehe bis zur Hüfte reicht. Dabei wird eine mässige* Compression ausgeübt.
Eine derartige Behandlung dauert im Allgemeinen drei Wochen. Bei vollständigem Nach¬
lass der Schmerzen kann vor dem Anlegen des Verbandes dad Bein täglich vorsichtig
etwas massirt werden. Tn veralteten und hartnäckigen Fällen kann auch die Dehnung
des Nerven probirt werden. (Oentralbl. f. d. gesammt. Therap. Nr. II.)
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— Die Eczeiie der Singflinge haben seit Jahren Dermatologen nnd Kinderärzte
yielfach beschäftigt, ohne jedoch zu einheitlichen Ansichten über diese so häufigen Er¬
krankungen zu führen. Während Unna die Eczeme der zwei ersten Lebensjahre in
drei Gruppen eintheilt und ein Eczema seborrhoicum parasitärer Natur, ein Dentitionseczem
nervöser Natur und ein scrophulöses Eczem unterscheidet, anerkennt Marfan bloss zwei
ursprüngliche Eczemformen, aus welchen durch secundäre Infection andere Varietäten
entstehen können. Die erste Gruppe bezeichnet er wie Unna als Eczema seborrhoicum;
sie ist characterisirt durch den Ausgangspunkt in der behaarten Kopfhaut, durch die die
Dermatitis immer begleitende Seborrhoe, durch ihre Topographie: es werden vorzugsweise
die behaarte Kopfhaut, die Ohren, die Schläfen und die Stirn befallen, während der
Mund, die Nase und die Umgebung der Augen meist frei bleiben. Hie und da greift
der Ausschlag noch auf die Schultern und die Arme über. Er sieht verschieden aus,
je nachdem er mehr oder weniger nässt oder die befallenen Stellen durch Borken odeP
Schuppen bedeckt sind. Die zweite Form nennt Marfan Eczema siccum disseminatum.
Die Kopfhaut bleibt bei dieser Form frei, während alle übrigen Stellen befallen werden
können. Sie tritt als kleine rothe, mit trockenen, oft rissigen Borken oder Schuppen
bedeckten Flecken auf, welche aber nicht das fettige Aussehen des seborrhoischen Eczems
bieten. Der gewöhnlich trockene Ansschlag kann jedoch an einigen Stellen zu einem
nässenden werden, besonders hinter den Ohren. Im Gegensatz zum seborrhoischen Eczem,
welches vorzugsweise wohlgenährte, fette Kinder befällt, beobachtet man das disseminirte
trockene Eczem bei abgemagerten, heruntergekommenen und ganz besonders bei rachi¬
tischen Kindern. Was die Aetiologie dieser beiden Eczemformen anbetrifft, so spielen
nach Marfan die nnzweckmässige Ernährung und dyspeptische Störungen die Hauptrolle.
Für das Zustandekommen des seborrhoischen Eczems beschuldigt er hauptsächlich die
Ueberfutterung und die Planlosigkeit in der Ernährung der Kinder; sobald das Kind un¬
ruhig ist und zu schreien anfängt, gibt man ihm zu trinken, so dass viele Kinder nach
und nach stündlich sogar noch öfters die Brust oder die Flasche bekommen. Diese un¬
zweckmässige Ernährungsweise ist nicht nothwendigerweise von auffallenden Verdauungs¬
störungen begleitet, aber die daraus resultirende Ueberfutterung findet oft ihren Wieder¬
hall in den genannten Hautausschlägen. Die zweite Eczemform beobachtet man vorzugs¬
weise bei künstlich ernährten Kindern, welche schlechte Milch oder mangelhaft vor¬
bereitete Suppen bekommen. Die daraus resultirende Gastroenteritis ist eine regelmässige
Begleiterscheinung des trockenen disseminirten Eczems. Was die übrigen ätiologischen
Factoren, Durchbruch der Zähne, Heredität anbetrifft, so schreibt ihnen Marfan nur
eine secundäre Rolle zu. Die von Unna angenommene parasitäre Natur des seborrhoischen
Eczems ist für Marfan zum Mindesten zweifelhaft; denn der primären Dermatitis gesellt
sich gewöhnlich eine secundäre infectiöse Hautaffection hinzu, hervorgerufen durch das
Eindringen von Microorganismen, welche in den Hautefflorescenzen die günstigsten Wachs¬
thumsbedingungen finden. Möglicherweise ist auf eine solche secundäre Infection die
Nephritis, die man hie und da bei mit Eczemen behafteten Säuglingen beobachtet, zu¬
rückzuführen. Diese ätiologischen Prämissen führen Marfan zn folgenden thera¬
peutischen Deductionen. Die erste Forderung für eine erfolgreiche Behandlung ist
eine genaue Controle und sorgfältige Regelung der Nahrungsaufnahme; fehlt diese,
so wird jede interne und externe Therapie wenig Aussicht auf Erfolg haben. Eine
genaue Ueberwachung der Amme in Bezug auf ihre Kost ist ebenfalls wichtig. Inner¬
lich ist eine wiederholte gründliche Entleerung und Desinfection des Magendarmcanals
geboten; dazu empfiehlt Marfan kleine Dosen von Calomel (Calomel 0,03—0,05,
Sacch. 0,4. M. f. pulv. divid. in part. lU. Alle drei Pulver im Laufe eines Vormittags
zu nehmen). Diese Calomelbehandlung wird alle Wochen oder alle 10 Tage wiederholt.
Bei vorhandenen dyspeptischen Beschwerden mit grüner Diarrhoe verordnet man Bismuth.
salicylic. 0,25—0,75, Tr. opii benzoic. gtt». V—X M. gummös. 60,0, zweistündlich 1
Caffeeloffel. Dazu kann man noch, besonders wenn Erbrechen besteht, Magenauswaschun-
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gen vornehmen. Was die locale Behandlung anbetrifft, so müssen zunächst die kranken
Stellen von den daran haftenden Borken gereinigt werden, was am besten durch Cata-
plasmen mit Kartoffelmehl oder mit Hülfe der Cautschucmaske geschieht; damit werden
tägliche Waschungen mit 3% Borsäurelösung oder 0,1 ^/oo Sublimatlösung verbunden.
Nach drei bis vier Tagen werden die Cataplasmen ausgesetzt und bei Eczema seborrhoicum
Morgens und Abends folgende Salbe applicirt: Vaselini, Lanolini äa löjO, Zinc. oxyd. 4,0,
Flor. sulf. 1,0. M. f. ung. Anstatt Schwefel kann auch Resorcin 0,3 —1,0 angewendet
werden. Bei disseminirtem trockenem Ekzem verschreibt Marfan Vaselin, Lanolin aa
15,0 Pulv. amyl., Zinc. oxyd. ää 4,0, Acid. salicyl. 0,05—0,1. M. f. ung.
(Sem. medic., Nr. 18.)
— Im Allgemeinen gelten die Varleellen als eine benigne, leicht zu erkennende Er¬
krankung mit regelmässigem Verlaufe und günstigem Ausgange. Es gibt jedoch Fälle,
in welchen die Diagnose gewisse Schwierigkeiten bieten kann, oder wo durch hinzutretende
Complicationen der glatte Verlauf gestört und der günstige Ausgang sehr verzögert
werden kann. Mit diesen Anomalien und Complicationen beschäftigt sich Galliard in der
M6d. mod. Nr. 4, aus welcher wir folgende Notizen entnehmen, ln seltenen Fällen
beobachtet man neben dem eigentlichen Varicellenausschlag einen Rash, welcher aber
nicht immer dem Ausschlag vorangeht, sondern gleichzeitig mit demselben auttreten kann.
Eine besondere Bedeutung kann dieser Erscheinung nicht beigelegt werden; bei spär¬
lichem Ausschlag könnte sie eine Scarlatina vortänschen, wenn nicht die fehlende An¬
gina die Diagnose sichern würde. Abweichungen vom gewöhnlichen elastischen Exanthem
kommen nicht selten vor; in einzelnen Fällen bleibt der Ausschlag papulös ohne in das
vesiculöse Stadium überzugehen, in andern confluiren die ursprünglichen discreten Bläschen
und können grosse Blasen bilden. Mit besonderer Sorgfalt ist auf das Exanthem der
Schleimhäute zu achten; die Conjunctiven sowie die Cornea können befallen werden und
die Keratitis varicellosa hinterlässt dauernde Spuren. In seltenen Fällen kann die Mund¬
schleimhaut der Sitz einer so abundanten Eruption sein, dass eine schwere Stomatitis mit
Angina und allen damit verbundenen Beschwerden daraus resultirt. Nasenblutungen sind
ein häufigeB Vorkommniss beim Ausbruch der Varicellen; ausnahmsweise beobachtet man
eine allgemeine hämorrhagische Diathese, Petechien, Hämaturie; in den seltensten Fällen
werden die Varicellen selbst hämorrhagisch. Eine die Varicellen complicirende Nephritis
ist schon wiederholt beobachtet worden; meist verläuft dieselbe gutartig, sie kann aber
auch in gewissen Fällen malign werden und den Tod verursachen. Deshalb sollte bei
Varicellen die Untersuchung des Urins nie unterlassen werden. Eine sehr seltene Com-
plication ist der acute Rheumatismus; in der ganzen Literatur sind bloss zwei glaub¬
würdige Fälle erwähnt. Dagegen ist Gangrän eine nicht allzu seltene schwere Compli-
cation der Varicellen. Sie ist schon seit längerer Zeit bekannt; über ihre Ursachen
wissen wir aber heute noch nichts. Plötzlich werden einzelne Varicellenbläschen blutig
infiltrirt, sie uloeriren und es entsteht ein tiefer Hautdofect, der bis zur darunter liegen¬
den Fascie reichen kann. In einem Falle hat man eine Gangrän der Extremitäten in
Folge von arteriellen Embolien beobachtet. Diese Complication ist eine sehr schwere,
die seltensten Fälle verlaufen günstig. Meist gehen die Kranken an Marasmus oder an
Septicasmie zu Grunde. Eiterungen der verschiedensten Art sowie Erysipel sind nach
Varicellen wiederholt beobachtet worden; sie beruhen aber wohl auf einer secundären
Infection.
Briefkasten«
Berichtigung, ln Nr. 7 des Corr.-Blattes vom 1. April 1894, Seite 228, Zeile 17 von oben, soll
es statt „Es folgen“ heissen: „Es fehlen“.
Schweighanserische Bncbdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbnchhandlnng in Basel.
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N! 9. XXIV. Jahrg. 1894. 1. Mai.
lahalt: 1) Ori ginftlarbeiten: Dr. E. LceUcher: Ernihningsthenpie der Magenkrankheiten. ^ Dr. A. Jaquet: Ueber
die Wirkung des Laetophenina. — Dr. B. Wehtr: Hamatocele retronterina. — Dr. A, Forti: Influenza-Epidemie der Anstalt
Borghölzli. Dr. B. Nägtii: Polydactylis mit Spontanabechnttmng. — Lana: Urticaria. — 2) Vereinsberichte: Uedicinisch-
^srmacentiscber BezirksTerein Bern. — Medicinische Gesellschaft der Stadt Basel. — 3) Referate nnd Kritiken; Btm-
rkk L6kr: Beform des Irrenweeens in Prenssen. — Jahressitzong des Vereins der deutschen Irren&rzte. — Prof. R. Wüdtrt-
heim: Der Baa des Menschen. — Dr. Carl Fr. Th. Roetnihal: Die Erkrankungen des Kehlkopfes. — F^rita Ammer: EineSchnl-
epidemie von Tremor hystericus. — Dr. Bermann Rieder: Atlas der klinisohen Microscopie des Blutes. — Dr. Frama König:
Lehrbuch der speciellen Chirurgie. — Prot Dr. Albert Eultnbttrg: Beal-Eneyclop&die der gesummten Heilkunde. — 4> Canto-
nale Correspond enzen: Bfickblick auf den XI. internat. mediciniscben Congress in Bom. — Bern: Offener Brief von
Dr. Bt^ — 5) Wochenbericht; 47. Versammlnns des hrztl. Centralvereins. — Cantonale Oewerbeausstellung in Zhrieh. —
Feuilles d'Hygihne. — Die ünfallfolgen in Bezug auf die Un&Ugeeetzgebung. — Ueber Oastroplicatio. — 66. Versammlung
deutscher Naturforscher und Aerzte. — Srotm-Seguard f. — Fondroyante parenohymatdse Nephrits. — Malakin. — Cocafn-
Anasthesie. — Folgen des Opiumgenussea. — Aetiologie der aonten Dysenterie. — Guajacolpinselungen auf die Haut. —
Quantitative Bestimmung der Harnsäure. — 6) Briefkasten.— 7) Bibliographisohes.
Ox*ig^na.l ten.
lieber die Ernährungstherapie der Magenkrankheiten.
Von Dr. H. Lffitscher, Zärich.
Nach den von Strabo ans überlieferten Beobachtungen des griechischen Arztes
Megasthenes sachten schon die alten indischen Aerzte die Krankheiten in der Regel
durch geeignete Nahrung, nicht durch Arzneien za heilen, indem sie die schädlichen
Nebenwirkungen der Arzneimittel bereits kannten. Und Hippohrates der ,Grosse*, der
Vater und Altmeister unserer heutigen practiscben Medicin, legte das Hauptgewicht auf
die Verordnung und Befolgung einer individualisirenden Diät am Kranken¬
bette. Trotzdem ist diese Heilmethode bis in die Neuzeit ein Stiefkind der ärztlichen
Praxis geblieben und musste stets der .lateinischen Küche* den Vorrang und selbst
die Alleinherrschaft überlassen. Wir ältere Collegen wissen nur zu gut, welchen
ärmlichen Schatz an Wissen in Diätetik wir ans der medicinischen Klinik ins prac-
tische Leben mit hinübergenommen haben, wie alle unsere Znkunftsträume auf einige
meist schablonenhafte, modesüchtige Beceptformeln in der Rocktasche sich brüsteten.
Erst die klassischen Arbeiten Fot^’s nnd seiner Schule über die Ernährung und
den Stoffwechsel des menschlichen Organismus legten den wissenschaftlichen Grundstein,
auf dem die zahlreichen biologischen Forscher der letzten drei Decennien das Lehr¬
gebäude der Diätetik für den gesunden und kranken Menschen aufbauen konnten. Sehr
langsam ist die Ernährungsfrage in die klinischen Hürsäle eingedrungen und hat auch
da Schritt für Schritt an festem Boden gewonnen, so dass gegenwärtig die Diätetik
der .Materia medica* nicht nur ebenbürtig ist, sondern sie in vielen Beziehungen
überflügelt hat. Unsere grössten Kliniker beschäftigen sich mit Vorliebe mit Diätetik
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und die neuesten Lehrbücher über Pathologie und Therapie wissen dieselbe nait ver¬
dienter Anerkennung zu würdigen.
Aber gerade auf dem Gebiete der Pathologie, wo eine rationelle Diätetik die
schönsten und dankbarsten Erfolge zu erwarten hat, auf dem Gebiete der Magenkrank¬
heiten wurde dieselbe bis vor kurzer Zeit sehr mangelhaft therapeutisch verwendet,
ans dem einfachen Grunde, weil es uns an zuverlässigen üntersuchungsmethoden fehlte,
um die anatomisch-physiologischen Störungen des Verdauungsapparates zu erkennen,
weil wir über den pathologischen Chemismus des Verdauungsprocesses so viel wie nichts
wussten. Ich erinnere mich noch sehr lebhaft der peinlichen Beobachtungen aus den
ersten Jahren meiner Landpraxis, wo von den ältern Herren Collegen bei jeder Klage
über Verdauungsstörungen sofort zum Tartarus stibiatus oder einem drastischen Laxans
gegriffen wurde, um den Magen gründlich auszukehren, und wo diese Purgir- und
Blutreinigungscuren regelmässig jedes Frühjahr wiederkehrten wie die Schwalben oder
wie seiner Zeit der Aderlass-Vampyr.
Es wirkte wie eine Erlösung aus dem Banne der Ignoranz nnd Charlatanerie als
vor 25 Jahren Kussmaul mit einer neuen epochemachenden Behandlnngsmethode eines
der qualvollsten Magenleiden, nämlich der Magenerweiterung, gegen die man bisher
hniflos dastand, die ärztliche Welt überraschte. Ettssmatd griff in einem solchen
verzweifelten Falle zu der vom amerikanischen Arzte Dr. Wymmn erfundenen und
zur Entleerung von Empyemen benutzten Pumpe, um den enorm dilatirten, mit saurem
Inhalt prall gefüllten Magen eines 25jährigen Mädchens vollständig zu entleeren,
worauf die Kranke sich sofort ,einige Tage ungemein erleichtert fühlte*. Und nach
15 weitern Ausspülungen in den folgenden Monaten konnte die Patientin, welche von
der bisherigen ärztlichen Kunst aufgegeben worden war, ,gesund, blühend und kräftig
entlassen werden*. Gleiche Erfahrungen wurden bald auch auf andern Kliniken ge¬
macht nnd in kurzer Zeit der hohe Werth der Magensonde nicht nur zu tberapen-
tischen, sondern auch zu diagnostischen Zwecken allgemein anerkannt, und verdanken
wir den äusserst zahlreichen, seither angestellten üntersnchungen der Magenfunctionen
mittelst der Sonde, oder richtiger des Schlauches, eine Fülle neuer physiologischer und
pathologischer Kenntnisse in diesem Specialfacbe, die auch unsere Therapie auf ganz
andere rationellere und zielbewusste Wege lenkten. In diätetischer Beziehung ist es ein
besonderes Verdienst von Leube, uns durch methodische Ausheberungen und chemische
Untersuchungen des Mageninhaltes in gesundem und krankem Zustande eine Scala der
Verdaulichkeit der einzelnen Nahrungsmittel geschaffen zu haben, die bis heutigen
Tages dem practischen Arzte als zuverlässiger Wegweiser dienen kann.
Und dennoch hat diese neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode in der
allgemeinen ärztlichen Praxis noch nicht den Anklang und die Aufnahme gefunden,
wie man von vornherein hätte erwarten dürfen. Es mögen daran verschiedene Um¬
stände schuld sein, einerseits ein unbegreifliches, unüberwindliches Vorurtheil oder eine
allzugrosse Aengstlichkeit vor der Anwendung des Magenschlauches beim Patient wie
beim Arzte, andererseits Mangel an der nöthigen Dexterität, Geduld nnd Zeit beim
letztem, verschiedene Schwierigkeiten der Durchführung einer rationellen Lebensweise
beim erstem. Auch kann zur Erklärung dieser Erscheinung herangezogen werden, dass
die chemischen Untersuchungsmethoden allmälig zu einer Complicirtheit der Analysen
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des Mageninhaltes geführt haben, die ein regelrechtes Laboratorium mit einem rou*
tinirten Chemiker voraussetzen — ein Umstand, der gewiss schon manchen Practiker
abgeschreckt hat. Hier sei nur des hartnäckigen, weitschichtigen und unerquicklichen
Streites um die beste Methode der Gesammt-Salzsäure-Bestimmung
des Mageninhaltes erwähnt, die doch für unsere Zwecke nicht viel mehr als ,verlorne
Liebesmüh“ bedeutet. Der Arzt, von dem der Magenkranke möglichst rasche, ange¬
nehme und billige Heilung verlangt, hat sich ganz auf den Standpunct G. von
Noorden’a, Honigmann's und der gegenwärtigen Qiessener-Schnle zu stellen,
die die sehr einfachen, aber vorzüglichen qualitativen Farbstoffreactionen zur Unter*
suchung des Magensaftes und des darauf gestützten therapeutischen Handelns in den
meisten Fällen für völlig genügend erachten. Bei schwierigen Differentialdiagnosen ist
allerdings der Nachweis von der Anwesenheit oder dem völligen Mangel von Pepsin,
Labzymogen und Labferment im Magensaft nicht zu umgeben, aber auch da sind die
qualitativ analytischen Methoden so einfach, dass sie auch dem Nicht-Chemiker keine
Schwierigkeiten und keinen grossen Zeitverlust verursachen. Sind aber tiefergehende
rein chemische Fragen zu lOsen, so überlassen wir diese Aufgabe vertrauensvoll dem Facb-
manne und sind ihm für seine aufklärenden Befunde jeweils sehr zu Dank verpflichtet.
Bei der Beband 1 ung jedes Kranken ist die Berücksich¬
tigung des Allgemeinzustandes, der Gesammtconstitntion,
sowie die Forderung und Aufbesserung seiner virtuellen Leistungs¬
fähigkeit erstes und oberstes Ziel (Boas). Eine Diät kann nicht ra¬
tionell sein, sobald sie über der Krankheit das kranke Individuum ausser
Acht lässt; eine Diät kann nicht rationell genannt werden, wenn sie über der Be¬
handlung eines kranken Organes die bestmöglichste Ernährung des Gesammtorganismus
vernachlässigt. Selbst bei den Krankheiten des Verdauungsapparates, wo der kranke
Abschnitt desselben temporär nothwendig entweder ganz oder tbeilweise ausser Functiou
gesetzt werden muss, wie z. B. bei Ulcus ventriculi, chronischen Enteritiden, oder wo
nur mehr reducirte Functionsfähigkeit vorhanden ist, wie bei Carcinoma ventriculi, ist
es erste Aufgabe des ärztlichen Handelns, dem KOrper das möglichst volle Maass der
nothwendigen Nährstoffe znzuführen, um den Verfall der Kräfte zu verhüten und die
Reactionsfäbigkeit des Organismus ungeschwächt zu erhalten.
Für den erwachsenen, gesunden, arbeitsfähigen Menschen hat uns Voit die Quali¬
täten und Durchschnitts-Quantitäten von Nährstoffen für eine ausreichende Ernährung
längst festgestellt, während für den kranken, mehr oder weniger der Ruhe bedürftigen
Organismus erst in neuester Zeit von von Noorden, auf vielseitige Untersuche gestützt,
exactere Kostmaasse, besonders bei chronischen Magencatarrhen angegeben worden sind.
Es haben in letzter Zeit verschiedene Forscher namentlich gegen die Grosse des Ei¬
weissbedürfnisses nach VoU Einsprache erhoben, indem sie dieselbe für einige Wochen,
ohne das Stickstoffgleichgewicht zu stOren, bis auf die Hälfte reduciren konnten. Doch
bleibt es eine offene Frage, ob für die Dauer eine erhebliche Reduction des Nähr-
eiweisses zu Gunsten der Kohlenhydrate und Fette selbst dem gesunden, geschweige
dem kranken Organismus nicht Schaden bringen dürfte. Immerhin beweisen uns die
interessanten Versuche von Kimagatoa, Hirschfeld, Klemperer u. A., dass man da,
wo EiweisskOrper ans irgend einem pathologischen Grunde schlecht ausgenutzt oder
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nicht vertragen werden, wenigstens für kürzere Zeit die Eiweiss¬
ration bei erhöhter Fett- und namentlich K o h 1 e h y dr a t z u-
fuhr ohne Schaden herabsetzen kann.
Von nicht geringerer diätetischer Bedeutung für die chronischen Magenaffectionen
sind die neuesten Untersncbungen von Nooräen'i über die Ausnutzung der
Nahrungsmittel im Darmcanale, welche die frühem Beobachtungen von
Kaiser und Ogata an dem des Magens beraubten Hunde auch für den Menschen voll¬
ständig bestätigen, nämlich „dass die Ausnutzung der EiweisskOrper bei völligem
Mangel der Salzsäure-Pepsinverdauung in vollkommen ausreichender Weise im Darme
vor sich geht“. Auch die Ausnutzung der Fette und Kohlehydrate war in diesem
Falle keineswegs herabgesetzt. Aber neben und in Folge chronischer Gastritiden und
anderer Affectionen des Magens mit verminderter oder gänzlich aufgehobener Magen-
saftsecretion kommen sehr oft intercurrente und chronische Darmcatarrhe, sowie Er¬
krankungen der Leber und des Pankreas vor, welche temporäre oder dauernde Ver¬
änderungen der Dünndarmsecrete verursachen, wodurch die wechselseitige
Compensation zwischen Magen- und Dünndarmverdaunng
mehr oder weniger aufgehoben wird. Auch muss nach dem Princip der Theilong der
Arbeit die alleinige oder vorwiegende Inanspruchnahme des Darmes für den Ver-
dauungsprocess allmälig eine Ueberanstrengung, schnellere Ermüdung und secretorische
Erschöpfung des Dünndarmes und der grossen ünterleibsdrüsen besonders des Pankreas
herbeiführen. Der gesunde Darm kann also wohl auf kürzere oder längere Zeit für
den kranken Magen die compensatorische digestive Mehrleistung übernehmen, und die
Ausnutzung der Nahrung leidet keinen wesentlichen Schaden, sobald aber der Darm
oder seine adnexen Organe mit erkrankt sind, hört diese Compensation mehr oder
weniger auf und die Ausnutzung wird eine defecte. Sobald die letztere eine unvoll¬
kommene ist, reicht auch das gewöhnliche Kostmaass zu einer genügenden Ernährung
des Körpers nicht mehr aus und es entwickelt sich allmälig der bekannte Inanitions-Maras-
mus der chronischen Magen-Darmaffectionen, wo das Körpergewicht in Zeit von 2 bis
3 Monaten um 10—20 Kilo sinkt. In solchen Fällen hat vor Allem die Diätetik
ihre Hebel anzusetzen, um der drohenden Gefahr zu wehren, und sie wird auch
meistens schöne Erfolge erzielen.
Sobald die Verdauung, Resorption und motorische Function des Magens und Darms
gestört sind, wird die chemische Umsetzung der Proteine, Fette und Kohlehydrate
eine abnorme; es entstehen mehr oder weniger hochgradige Fäulnissprocesse, welche
dem Patienten nicht nur verschiedene, zum Theil peinliche Beschwerden verursachen,
sondern auch für den Gesammtorganismus schädliche Gifte erzeugen, die zur Auto-
intoxication führen können. Regelmässig wiederholte Untersuchungen des mit dem
Heber exprimirten oder aspirirten Mageninhaltes, sowie der mikroskopisch-chemische
Befund desselben und der Faeces werden uns die nöthigen Aufschlüsse geben, ob die
motorisch-resorptive Function des Verdauungskanales normal ist oder nicht, welche
Nahrungsmittel vom Patienten momentan am besten verdaut und ausgenützt werden,
welche quantitativ einzuschränken oder gänzlich zu vermeiden sind. Wenn z. B. die
Morgenspülung bei einem nüchternen dilatirten Magen bedeutende Quantitäten Speise¬
reste vom vorherigen Tage herausbefördert, wie Brod, Reis, Kartoffeln, Nudeln, Bohnen,
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grüne Gemüse, oben auf schwimmendes flüssiges Fett etc., so wissen wir, dass ent¬
weder die motorische Thätigkeit des Magens in hohem Grade vermindert oder dass
eine bedeutende Stenose des Pylorus vorhanden ist, welche die regelmässige Entleerung
des Chymns in den Darm erschwert. Finden wir vielleicht gleichzeitig in den Faeces
eine grossere Menge unverdauter Fleisch fasern, Fettnadeln, so ist uns dies ein Beweis,
dass auch die Eiweiss- nnd Fettverdauung des Darmes eine mangelhafte ist und wir
werden unsere Diät und Behandlungsmethode nach diesen Wahrnehmungen einzurichten
haben. Ausserdem haben wir bei der Wahl der Diät das subjective Wohlbefinden
des Patienten zu berücksichtigen, welches sehr oft nicht bloss von der leichten Ver¬
daulichkeit und richtigen Quantität der Nahrung abhängt, sondern auch von indi¬
viduellen Eigenthümlichkeiten nnd Gewohnheiten beeinflusst wird. Die Milch z. B.,
das Nahrungsmittel der Einderwelt par excellence, verhält sich im Magen und Darm¬
kanal Erwachsener oft ganz verschieden. Die Einen vertragen sie sehr gut. Andere
gar nicht; bei den Einen verursacht sie Hemmung der Peristaltik, bei Andern Diarrhoe;
bei vielen Magenkranken, besonders bei solchen mit Salzsäuremangel im Magensecret
geht sie leicht in Gährungsprocesse über unter Entwicklung von organischen Säuren
nnd Gasen, welche ein lästiges Gefühl von Volle und Druck in der Magengegend ver¬
bunden mit Rnctus und saurem Anfstossen veranlassen. Es ist deshalb unmöglich,
ja sinnlos, allgemein gültige Schemata, Schablonen für die
Ernährnng der Magenkranken aufstellen zu wollen, sondern wir müssen
bei der Verordnung der Diät im Einzelfalle streng i n d i v i d n a 1 i s i r e n, d. h. die
bisherigen Lebensgewohnheiten, Neigungen und Abneigungen gegen gewisse Lebens¬
mittel möglichst berücksichtigen, wir müssen den Diätzeddel nach den Tag für Tag
gemachten Beobachtungen moduliren und ausbessern, möglichst viel Abwechslung in'
die Zubereitung der Speisen hineinzubringen suchen, und die jeweiligen Wünsche des
Kranken nach Gebühr berücksichtigen. „Je besser wir über die subjec-
tiven nnd objectiven Veränderungen des V erdauungsge-
schäftes unterrichtet sind, um so sicherer werden wir bei
der speciellen Eostbestimmung das Passende herausfinden.*
Die vage Ordination: „Der Kranke solle nur leichtverdauliche Nahrung geniessen,
solle alles Saure nnd Fette meiden* etc., ist für den Patienten eine Instruction ohne
begrifflichen Inhalt. Denn die Verdaulichkeit der einzelnen Nahrungsmittel kann in
letzter Instanz nur durch die tägliche Beobachtung und durch das am Kranken selbst
angestellte Experiment entschieden werden. Nur ein auf diesem Wege gewonnener
ausführlicher Diätzeddel bietet eine sichere Garantie für eine erfolgreiche Therapie
der Magenkrankheiten und hat einen unvergleichlich hohem Werth für den Kranken
als die Verschreibung des trefflichsten Receptes. Die specielle Instruction für jeden
Magenkranken sollte demnach nothwendig enthalten: ein ausführliches Ver¬
zeichniss der erlaubten Nahrungs- und Genussmittel auf
der einen Seite, der verbotenen auf der andern, und zwar
immer mit Rücksicht auf die gesellschaftliche nnd financielie Stellung des Einzelnen;
dann eine approximative, keine ailzu pedantische Angabe der pro 24 Stunden erlaubten
Quantitäten der einzelnen Speisen nnd Flüssigkeiten, stets mit Rücksicht auf die ge¬
fundene Grösse der Ansnutzungsfähigkeit. In den meisten Fällen ist eine Ueberer-
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näbrung, eine kleine Lniusconsumption, einer ünterernährnng entschieden vor 2 uzieben.
Die ordinirten Speisen und Getränke sollen nach Maassgabe der gefundenen Ver-
dauungsföhigkeit, Motilität und Besorptionskraft des Magen>Darmkanales auf eine ge-;
wisse Anzahl zeitlich streng einzuhaltender Mahlzeiten vertbeilt werden. Ina All¬
gemeinen darf man den Grundsatz festhalten, dass die Magenkranken alle 3 Standen
eine kleine Mahlzeit einnebmen sollten. Bei allzu häufigen Mahlzeiten kommt das
kranke, meist geschwächte Organ nie zum genfigenden Aasruhen, und es muss sich
allmälig eine Ueberanstrengung and Ueberreizung resp. Erschöpfung des Dräsenapparates
und der Muskulatur einstellen. Bei schon abnorm gesteigerter Drüsensecretion, wie
z. B. bei Hyperacidität, ist selbstverständlich jede derartige Geberreizang streng za
verhüten, während bei Atonie der Magenmuskulatur and mangelhafter Magensaftab¬
sonderung häufige und ganz kleine Mahlzeiten sehr am Platze sind. Denn bei nur
sehr wenigen, temporär weit anseinanderliegenden Mahlzeiten ist Gefahr vorhanden,
dass der Magen jeweils mit Ingesta überladen wird, so dass weder der Drüsenapparat
noch die Muskulatur den gestellten Anforderungen gewachsen sind.
Ein äusserst wichtiges Capitel des Diätzeddels, quasi ein Gommentar desselben,
sollte die Zubereitungsart der einzelnen Speisen und Getränke bilden. Jeder
Arzt sollte eigentlich auch ein Kochkünstler sein und die physikalisch-chemischen
Processe in der Bratpfanne besser verstehen als der routinirteste Koch. Gerade die
rationelle Zubereitung des Fleisches z. B. spielt auf dem Tische des Magenkranken
eine wichtige Rolle. Das Rind- und Ochsenfleisch soll vor dem Consum ähnlich wie
das Wildpret durch Lagern auf Eis resp. Hängen in freier Luft mürbe gemacht
werden. Alles Fett, alle Fasern und Sehnen sind vor der Präparation zu entfernen.
Das nahrhafteste, feinste und leichtverdaulichste Fleisch ist das Filet, das aber eine
ganz exacte Zubereitung erfordert, wenn es nicht an Näbrwerth und Verdaulichkeit
verlieren soll. Geschabtes oder gehacktes Ochsenfleiscb roh oder nach englischer Art
nur oberflächlich gebraten ist nach meinen Erfahrungen leichter verdaulich als ge¬
kochtes Ealbshirn, Thymusdrüse, gekochtes Huhn und Taube. Oft sind aber die
bessern Fleischqnalitäten für den Patienten, namentlich auf dem Lande, nicht erhältlich
und muss sich derselbe mit einem ordinären Siedestück begnügen. In diesem Falle
ist das Schaben mit einem Löffel oder stampfen Messer, feines Wiegen oder das mehr¬
malige Durchpassiren des Muskels durch eine Fleiscbbackmaschine unerlässliche Be¬
dingung, um ein leicht verdauliches Gericht herzustellen. Um ein so gehacktes Beef¬
steak noch nahrhafter und schmackhafter zu machen, sowie zweckmässiger braten zu
können, wird das rohe Schabe- oder Hackfleisch mit einem Eiweiss gut gemischt und
zu einem kleinen Euchen geballt. Bei jeder Fleischspeise muss angegeben werden, ob
Beigabe von Sauce erlaubt ist oder nicht, wie viel und wie sie beschaffen sein muss;
auf sorgfältige Entfettung ist meistens zu achten. Auch soll genau angegeben werden,
welche Gewürze erlaubt und welche verboten sind, weil auf eine bereits gereizte oder
entzündlich afficirte Magenschleimhaut alle scharfen Gewürze, Pfeffer, Senf, Paprika,
Zwiebeln, Knoblauch, Nelken etc. sehr schädlich einwirken. Fette Fische eignen sich
für den kranken Magen ebenso wenig als fette Rind- oder Ealbfleischsorten oder gar
fettes Schweine- nnd Hammelfleisch. Am leichtesten werden verdaut nicht gar zu
grosse Hechte, Blaufelchen, Forellen, Sol, Schill, Zander. Von scharfen piquanten
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Saucen, wie z. B. Mayonnaise, ist unter allen Umständen zu nbstrahiren, am besten ist
eine einfache Eiersance mit Gitronensaft zu empfehlen. Gebratene oder gebackene
Fische, sowie alle mit Panirmehl oder Teigumhällungen gebratenen Fleischgerichte, z. B.
gebackene Ealbsfässe, Ealbskopf, panirte Cötelette und Wienerschnitzel etc., sind als
schwerverdaulich und Gäbrungsprocesse verursachend zu verbieten. Gebratenes Geflügel,
selbst das magerste wie Taube, Huhn, ist scbwerverdaulicher als gesottenes, weil das
subcutane und intermuskuläre Fett beim Braten tief zwischen die einzelnen Muskel*
fasern eindringt, dieselben umspüblt und so dem Magensaft seinen chemischen Einfluss
erschwert. Eine angenehme Zugabe zu den Fleischspeisen, mehr Genuss* als Nahrungs¬
mittel sind die Leimpräparate, die Geläes, für Magenkranke, die viel Fleischspeisen,
nur wenig Kohlehydrate und gar keine grünen Gemüse essen dürfen, die fast fort*
während von Durstgefühl geplagt sind, ohne nach Herzenslust trinken zu dürfen —
für solche ist erfrischendes Gelde eine wahre Wobltbat.
Bei der Ernährung der Magenkranken spielen unter den Albuminaten neben dem
Fleisch die Eierspeisen die Hauptrolle. Auch ihre Verdaulichkeit hängt wesent¬
lich von der Zubereitnngsart ab. Rohe Eier, wie sie öfter ans der Schale getrunken
werden, sind viel schwerer verdaulich als weiche Eier, weil das Eiweiss im Magen zu
grössern Klumpen gerinnt, wie das Casein rasch getrunkener Milch. Man thut des¬
halb gut, die rohen und selbst die weich gekochten Bier vor dem Genüsse in einer
Tasse tüchtig zu quirlen. Sehr leicht verdaulich und angenehm sind die sogen. Eier¬
milch und Omelette soufflöe im Bratofen leicht gebacken. Dagegen sind Rühreier und
namentlich alle mit Mehl und Butter zubereiteten gebackenen Eierspeisen sehr schwer
verdaulich und zu Gährungen geneigt.
Obschon das F e 11 als Nahrungsmittel sehr grosse Galorienziffern aufweist und
deshalb im Stoffwechsel des thierischen Organismus eine äusserst wichtige Rolle spielt,
so muss es doch in der Diät für Magenkranke mehr oder weniger in den Hintergrund
treten, weil es von denselben meist schlecht vertragen wird. Am leichtesten ver¬
daulich ist es in Form frischer Butter, in der Milch und in den Milchspeisen, sehr
schlecht dagegen in Form von Speck oder fettem Fleisch, so dass man in den Fmces
ganze Klumpen und Knäuel wiederflndet, abgesehen von der Buttersäuregährnng, die
das bekannte ranzige Anfstossen verursacht.
Auf die Auswahl und Verordnung der grünen Gemüse ist eine besondere Sorg¬
falt zu verwenden. Bei entzündlich afflcirter Magenschleimhaut, acuter Gastritis und
acuten Exacerbationen eines chronischen Catarrhs, bei ulciis ventriculi, Carcinom, bei
mangelhafter Magensaftabsonderung, Atonie der Muscularis, Gastrectasie, hochgradigen
Qährungszuständen sind dieselben gänzlich zu meiden. Aber auch in allen den Fällen,
wo das Magenleiden grüne Gemüse nicht gerade contraindicirt, wo dasselbe aber mit
einem Darmdatarrhe combinirt ist, was so häufig vorkommt, sind sie der Darmver¬
dauung nachtheilig. Bei chronischem Magencatarrh ohne Gährungssymptome, bei ge¬
steigerter Salzsäureabsondernng ohne Gastrectasie, bei nervöser Dyspepsie sind feinere
Gemüse, wie Spinat, Spargel, Blumenkohl, Schwarzwurz, Carotten, junge grüne Erbsen
in breiiger Form, durch den Tamis passirt, zu erlauben. Ein angenehmes, sehr leicht
verdauliches Gemüse, das von den meisten Magenkranken gut vertragen wird, ist ein
feiner, mit Milch gekochter Kartoffelbrei.
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Eine sehr wichtige Gruppe von Nahrungsmitteln für Magenkranke sind die
Kohlehydrate, weil iu der Mehrzahl der Fälle Fett nur schwer vertragen
und ungenügend verdaut wird. Auch bei diesen ist eine zweckmässige Zubereitung
unerlässlich, wenn sie im Verdauungscanal genügend ausgenützt werden sollen. Da
der menschliche Magen- und Darmsaft keine Cellulose losende Fermente besitzt, so
müssen alle StärkekOrner durch eine geeignete Präparation der verschiedenen Getreide-
nnd Wurzelarten aufgeschlossen und das Amylum aus ihren Cellulosekapseln befreit
werden. Am längsten bekannt und angewendet bei uns sind die deutschen Fabrikate
von Knorr & Hartenstein, die sog. Suppenstoffe für Kinder und Kranke, Hafer-, Gerste-,
Reis- und Erbsenmehl, F^ule, Grünkern, Sago, Tapioca, Maizena, Mondamin etc.;
dann die neuern Schweizerproducte aus den Conservenfabriken in Lachen am Zürichsee,
Affoltern a. Albis, Kemptthal bei Winterthur. Alle diese Präparate haben den grossen
Vortheil, dass sie nur 10 bis 15 Minuten mit magerer Bouillon oder Milch gekocht
zu werden brauchen, um eine kräftige, schmackhafte und leicht verdauliche Suppe oder
Brei zu geben, deren Näbrwertb durch Zusatz von Eiweiss oder Pepton noch bedeutend
erhobt werden kann. Bei weniger empfindlicher Magenschleimhaut und guten mo¬
torischen Functionen der Mnscularis können auch kOrnige und compactere Milch- und
Mehlspeisen mit vorzüglichem Effect verwendet werden, wie z. B. ganz weich gekochte
Gries-, Reis- und Tapiocabrei, zur Abwechslung mit Eiweissschnee gemischt und im
Bratofen gebacken in der sehr leicht verdaulichen Form von sogen. Anfiäufen; dann
zarte, lockere Schwabenspätzli, Nudeln, Maccaroni — Alles sehr weich in Bouillon
gekocht, um die chemische Umsetzung der Stärke in Dextrin und Zucker zu begünstigen
— aber niemals mit Buttersaucen übergossen. Alle Gebäcke ans Butterteig, sowie
mit Fett geschmorte Mehlspeisen sind streng zu verbieten.
Ein viel umstrittenes und sehr verschieden beurtbeiltes Capitel in der Diätetik
für Magenkranke bilden die Getränke. Der erwachsene Mensch braucht bekannt¬
lich per Tag im Durchschnitt 1'/*—2 Liter Flüssigkeit für seinen körperlichen Haus¬
halt, die er zum Theil in den Speisen, aber auch direct in den Getränken zu sich
nimmt. Das natürlichste und beste Getränk für den Gesunden ist frisches, reines
Quellwasser. Auch für viele Magenkranke trifft dieser Grundsatz zu, nur kommt
es bei ihnen mehr auf das Quantum und die Zeit des Genusses an. Während dem
Essen oder im Anfang der Verdauungsperiode sollte es in der Regel gar nicht oder
nur in geringer Menge getrunken werden, weil es sonst unnOthiger Weise den Magen¬
inhalt vermehrt und den Magensaft verdünnt, hiemit die Verdauung verlangsamt. Noch
störender, durchaus nicht fordernd, wie noch vielfach geglaubt wird, auf den Ver-
dauungsprocess wirken während der Mahlzeit im üebermass genossene alkoholische
Getränke, welche den meisten Ms^enkranken sogar sehr schlecht bekommen. Wo sie
erlaubt oder selbst indicirt sind, wirken sie als Reizmittel am besten vor der Mahlzeit
auf die Schleimhaut. Unentbehrliche Genussmittel resp. Getränke für den Magen¬
kranken sind Thee, Cacao und auch mitunter Gaffee. Der am meisten gebräuchliche
Schwarzthee, zur richtigen Zeit getrunken, wirkt auf den Magen und das Nervensystem
calmirend, erfrischend, in keiner Beziehung verdauuugsbemmend, wenn er richtig zn-
bereitet wird. Die Dosis darf nicht zu stark sein, das Infundiren darf nicht länger
als 3 bis 4 Minuten dauern, um nicht zu viel Tannin zu extrahiren; am besten wird
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er mit Invertzocker versüsst. Ein Caffeeinfns wird meist schlechter vertragen als
Thee. Ein ganz vortreffliches Genuss- und zugleich Nahrungsmittel ist der Cacao in
entöltem Zustande, der je nach dem Magenleiden etwas verschieden znbereitet werden
muss. Dass aber der Cacao sehr leicht verdaulich sei, hat meine bisherige Erfahrung
nicht bestätigt, sondern er verursacht im Gegentheil bei schwacher Verdauung, aber
auch bei übermässiger Salzsäurebildnng sehr oft Drücken, ein Gefühl von Völle und
Aufstossen, mit andern Worten Gährungssymptome. Ein ganz angenehmes erfrischendes
Getränk für Magenkranke (ohne Hyperacidität) ist ein Glas Invert-Zuckerwasser mit
einigen Tropfen Citronensaft oder einem Theelöffel feinem Cognac. Man kann also
den Wünschen des Patienten auch in dieser Richtung genügend Rechnung tragen, um
einige Abwechslung in den Diätzeddel hineinzubringen, aber puncto Quantität darf
ein strictes Maass niemals überschritten werden.
Um diese etwas rigoros scheinende Verordnung an einem konkreten Falle zu
rechtfertigen, möchte ich nur an den peniblen Zustand einer hochgradigen Gastrectasie
erinnern, die ihr Opfer bereits an den Rand des Grabes geführt bat. Nicht nur
die Peristaltik, sondern auch die Resorption eines solch dilatirten Magens ist derart
vermindert, dass der grösste Theil der genossenen Nahrung und Flüssigkeiten Tage
lang in demselben liegen bleibt, durch die eigene Secretion und Transsudation der
Schleimhaut noch erheblich vermehrt und schliesslich als stechend saure Masse wasch¬
schüsselweise ausgebrochen wird. Es entwickelt sich allmälig eine solche Wasserver¬
armung des Blutes und der Gewebe, dass der Kranke fortwährend über Durstempflndungen
klagt nnd Tantalusqualen leidet. Eine absolute Trockenkost, wie sie seit van Suneten
bis zu den Schroth- und Oerfel-Euren der Nenzeit vielfach angewendet worden ist,
würde für einen solchen Kranken nicht nur die peinlichste Tortur, sondern selbst
directe Lebensgefahr involviren. Im Gegentheil, um das peinliche Ourstgeföbl zu be¬
schwichtigen, lässt man solche Kranke zwischen den 4—5 kleinen Tagesmahlzeiten,
niemals während derselben, kleine Dosen frischen Wassers oder noch
besser kleine Eisstückchen geniessen und sie fleissig mit kaltem Wasser gurgeln. Das
Manco an Wasser, welches der menschliche Organismus zu seinem normalen Stoff¬
wechsel absolut bedarf, decken wir in solchen Fällen durch Wassereinläufe per anum,
denen zweckmässiger Weise noch Traubenzncker zugesetzt werden kann, um dem
Körper leicht resorbirbare Kohlehydrate zuzuführen. Denn ein so hochgradig dilatirter
Magen schafft alle Kohlehydrate äusserst langsam ins Darmrohr hinüber, so dass
Brod, Reis, Kartoffeln, Nudeln etc. Tage lang daselbst liegen bleiben nnd zu höchst
beschwerlichen Gährungsprocessen Anlass geben, ln solchen fast verzweifelten Fällen
müssen wir dem Magen Flüssigkeit vorentbalten, nicht aber dem Gesammtkörper, um
die Verdanungsfunctionen zu verbessern, die Gesammternäbrung zu heben und die
Magenbeschwerden allmälig verschwinden zu machen. Da, wo selbst die Darmschleim¬
baut secnndär erkrankt ist und ihre Resorptionskraft gelitten bat, können vorüber¬
gebend snbcntane .Kocbsalzwasser-Infusionen gute Dienste leisten. Die Magensonde,
die Bauehmassage, die Electricität und eine rationelle Hydrotherapie werden uns
weiter bei Lösung dieser Aufgabe die erprobtesten natürlichen Gehülfen sein. Selbst
in dem prognostisch trostlosesten Falle einer Strictur des Pylorus oder Duodenums in
Folge einer malignen Neubildung können durch eine rationelle Diät grosse Erleich-
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terong der Beschwerden und oft eine bedeutende Verschiebung des Exitus erzielt
werden.
Schliesslich möchte ich noch eines wesentlichen diätetischen Hölfsmittels erwähnen,
welches bei keiner Krankheit ausser Acht gelassen werden sollte, nämlich der mög¬
lichsten Ruhe des kranken Organes. Was der Chirurg durch die richtige ruhige
Lage einer Extremität oder eines andern Körpertheils erzielt, können wir auch am
Magen mehr oder weniger erreichen. Nicht bloss, dass einem kranken Magen durch
eine zweckmässige Nahrung der Verdauungsact erleichtert werden kann, sollte er auch
während dieser Function nicht durch Heruralaufen oder gar körperliche Anstrengungen
insultirt und in seinen Leistungen beeinträchtigt werden. Nach dem Gesetz der Blnt-
vertbeilung entzieht der arbeitende Muskel dem in Verdauung begriffenen Magen ein
bedeutendes Blutqnantum und schädigt die Magensaftsecretion. Die Verdauung wesent¬
lich unterstützend wirkt ferner die Wärme, welche bei schwacher Magensaftabsonde¬
rung, bei Druckbeschwerden und Schmerzen nach der Mahlzeit wohlthätige Dienste leistet.
Leider sind bei dieser rationellen diätetischen Behandlung der Magenkrankheiten
die gewünschten Erfolge meist nicht so rasch sichtbar wie beim .schneidigen* Operateur,
sondern diese Curen brauchen oft Monate und Jahre lang Zeit, bis sie zum ersehnten
Ziele führen: medicus curat, natura sanat. Mit eiserner Geduld und Consequenz von
Seite des Arztes und Patienten, bei unermüdlicher sorgfältiger üeberwachung des
Patienten und der Küche, bei zweckmässiger Benutzung aller übrigen physikalischen
Hülfsfactoren sind auch die hartnäckigsten Magenleiden, von malignen Neoplasmen und
Degenerationen abgesehen, heilbar oder wenigstens besserungsfähig. Der Grundsatz:
qui bene diagnoscit et bene nutrit, bene curat gilt, wie für alle Krankheiten, so ganz
besonders für die Magen- und Darmkrankheiten!
Aus der medicinischen Klinik zu Basel.
lieber die Wirkung des Lactophenins.
Von Dr. A. Jaquet.
Unter den zahlreichen antipyretischen Mitteln, welche im Laufe des letzten Jahres
untersucht und empfohlen worden sind, verdient wohl das Lactopbenin am meisten
berücksichtigt zu werden. Dieses Präparat nninx 3 \nn *8t einfach ein
\JNn. LAl(Uil)vJtl8
Milchsäurederivat des p. Phenetidins, welches sich vom Phenacetin nur dadurch unter¬
scheidet, dass an der Stelle der an das Ammoniak gebundenen Essigsäure ein Milch-
Säurerest hinzugetreten ist. Es bildet ein schönes krystallinisches Pulver von leicht
bitterem Geschmack, löslich in 330 Theilen Wasser.
Das Lactopbenin wurde zunächst von Schmiedeberg an Tbieren geprüft und auf
Grund der pharmacologischen Untersuchung zur Vornahme therapeutischer Versuche
empfohlen. Wie Antipyrin und Phenacetin bewirkt es ganz prompt eine Herabsetzung
namentlich der künstlich gesteigerten Körpertemperatur. Gleichzeitig erzeugt es aber
einen Zustand von Hypnose und setzt die Empfindlichkeit gegen schmerzhafte Eingriffe
bedeutend herab. Es lassen sich an Kaninchen sogar Empfindung und willkürliche
Bewegungen vollständig und die Reflexerregbarkeit nahezu vollständig unterdrücken.
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ohne dass eine wahrnehmbare Mitbotbeiligung der Atbmnng und Herzthätigkeit ein-
treten würde. Bekanntlich wirkt Phenacetin ebenfalls beruhigend; diese Eigenschaft
kommt aber dem Lactophenin in bedeutend höherem Grade zu und die am Thiere
beobachtete Wirkung erinnert am meisten an eine Urethannarcose.
Die ersten therapeutischen Versuche mit Lactophenin wurden von Landowski in
Paris und von Jaksch in Prag ausgeföhrt, und die vor wenigen Wochen von diesen
Forschern veröffentlichten Berichte lauten beide sehr günstig. In Dosen von 0,6 gr
ist nach LandowsJci die Wirkung des Lactophenins fast identisch mit derjenigen des
Antipyrins; wird die Dose aber auf 1,0 erhöht, so tritt noch eine deutliche hypno¬
tische Wirkung hinzu. JaJcseh, der vorzugsweise an Typhuskranken experimentirte
und das Mittel in Dosen von 0,5—1,0 in Amylumcapseln verabreichte, stimmt in Bezug
auf die Wirksamkeit des Lactophenins mit Landowski überein und empfiehlt das Mittel
aufs Wärmste. Die temperaturherabsetzende Wirkung ist eine prompte und sichere;
sie tritt allmälig ein und hält stundenlang an; der Anstieg erfolgt ebenfalls langsam
und ohne Schüttelfrost. Den Hauptwerth des Lactophenins sieht aber Jaksch in der
beruhigenden Wirkung des Mittels, welche nach seinen Beobachtungen besonders
deutlich bei Typhuskranken hervortritt. Die Delirien schwinden, das Sensorium wird
frei und die Kranken erfreuen sich alle ohne Ausnahme eines subjectiven Wohlbefin¬
dens, wie Jaksch es bis dahin bei keiner anderen Behandlungsart des Typhus beob¬
achtet haben will.
Von der Firma Böhringer und Söhne in Mannheim aufgefordert, stellten wir
unsererseits ebenfalls eine Reihe von Versuchen mit dem Lactophenin an den Patienten der
Basler medicinischen Klinik an. Bei der Feststellung der Wirkung eines Medicamentes
spielt die Wahl der geeigneten Versuchsobjecte eine hervorragende Rolle, damit die
Deutung der Versuchsergebnisse möglichst objectiv und eindeutig hervortritt. Aus
diesem Grunde haben wir für unsere Beobachtungen hauptsächlich Pneumonie-, Infiuenza-
und Erysipelkranke benutzt, da bekanntlich das diese Erkrankungen gewöhnlich beglei¬
tende hohe Fieber oft sehr hartnäckig ist und neben dem Fieber häufig heftige Auf¬
regungszustände und Delirien beobachtet werden können. Daneben haben wir allerdings
noch eine Anzahl von Typhuskranken und von Patienten mit acuten fieberhaften tuber-
culösen Affectionen mit Lactophenin behandelt, so dass wir im Ganzen das Mittel
in 42 Fällen angewendet haben.
Was die temperaturherabsetzeude Wirkung des Lactophenins anbetrifft, so stimmen
unsere Beobachtungen mit denjenigen der obengenannten Autoren vollständig fiberein.
Lactophenin ist ein angenehmes und zuverlässiges Antipyreticum, welches schon in
Dosen von 0,5—0,7 gr selbst beim hartnäckigen Erysipelfieber fast regelmässig eine
deutliche und anhaltende Herabsetzung der Temperatur bewirkt. Dabei bleiben be¬
ängstigende oder unangenehme Nebenerscheinungen sozusagen vollständig aus; nur
zwei Mal haben wir auf Lactophenindarreichung Erbrechen auftreten sehen bei zwei
sehr empfindlichen Patientinnen, die auch ohne Medicamente öfters brechen mussten,
ln einem anderen Falle von Kopferysipel haben wir nach der Absorption von Lacto¬
phenin einen abnorm starken Abfall der Temperatur um 5,5° C. beobachtet, bei sonst
vollständigem Wohlbefinden der betreffenden Patientin. Morgens 11 Uhr erhielt sie
bei einer Temperatur von 40,2° 1,0 gr Lactophenin; um 1 Uhr Nachmittags war die
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Temperatur auf 38,8* gesunken, um 3 Uhr zeigte das Thermometer nur noch 37,0®
an, um 5 Uhr 35,8®, um 7 Uhr 34,7*; dann fing die Temperatur wieder an zu
steigen, um am anderen Tage zwischen 37,5* und 38,5* zu schwanken. Während der
ganzen Zeit fühlte sich aber die Patientin vollständig wohl; der Puls war voll und
ruhig, die Äthmung regelmässig, das Sensorinm klar und ausser etwas Schwitzen in
den ersten Stunden nach der Absorption des Medicaments hatte sie gar keine Klagen.
Die zwei einzigen Erscheinungen, welche bei Lactopbeninbehandlung öfters beobachtet
werden können, sind mässige Schweissausbrficbe und schwache Benommenheit; die¬
selben erreichen aber nie einen solchen Grad, dass die Patienten darunter eigentlich
zu leiden haben. Eine schwächende Wirkung auf Herz- oder Athemthätigkeit konnten wir
nicht feststellen ; der Puls wird nach Lactopbenin gewöhnlich etwas langsamer und voller,
die Athmung bleibt unverändert; Dyspnoeanfälle oder Collaps haben wir nie gesehen.
Der Hauptvorzug des Lactophenins liegt aber nicht in seinen antipyretischen
Eigenschaften, sondern in der gleichzeitig mit der Antipyrese sich geltend machen¬
den beruhigenden hypnotischen Wirkung. Um aber diese Seite der Wirkung mit
Bestimmtheit wahrnehmen zu können, müssen etwas höhere Dosen, 0,8—1,0 gr,
angewendet werden; bei Dosen von 0,5 gr tritt sie nicht constant hervor. In
einzelnen Fällen tritt etwa eine bis zwei Stunden nach der Absorption von 1,0
Lactopbenin ein mehrstündiger ruhiger Schlaf ein; in den meisten Fällen dagegen
sieht man die aufgeregten Kranken nur sich beruhigen; sie schlafen nicht ein,
fühlen sich aber subjectiv wesentlich besser. In Fällen von cronpöser Pneumonie
gaben die Patienten bestimmt an, weniger Schmerzen zu verspüren und besser athmen
zu können. Ebenfalls konnten wir in vier Fällen von Phthisis fiorida bei einer wochen¬
lang fortgesetzten abendlichen Darreichung von 1 gr. Lactopbenin eine Linderung des
Hustenreizes verbunden mit einer deutlichen Besserung des Schlafes erzielen. Am
auffälligsten trat aber die beruhigende Wirkung des Mittels bei einigen Fällen von
Erysipel mit heftigen Delirien ein. Ein dreissigjähriger Patient, Potator, mit starker
Gesichtsrose und Temperaturen von 40,8*, wurde so unruhig, dass er in die Deliranten¬
zelle gebracht werden musste; zwei Personen konnten ihn nicht halten. Auf 3 gr Lacto-
phenin beruhigte er sich nach einigen Stunden so vollständig, dass er einschlafen konnte,
und als er nach einem mehrstündigen Schlafe erwachte, delirirte er weiter, blieb aber
ruhig im Bette liegen. Durch fortgesetzte Darreichung von Lactopbenin konnte er in
einem balbsomnolenten Zustand bis zum spontanen Nachlass der Delirien erhalten werden.
Aus Privatmittbeilungen von practiscben Aerzten konnten wir sehen, dass die¬
selben diese beruhigende Wirkung des Lactophenins an ihren Kranken ebenfalls beob¬
achtet batten, und zwar in vielleicht noch höherem Grade als dies bei unseren Spital¬
patienten der Fall war. Dies hat auch nichts Befremdendes; denn in einem Spital¬
krankenzimmer mit all der damit verbundenen Unruhe wird eine Beruhigung ungleich
schwerer auftreten, als bei einem Einzelkranken, der in vollkommen ruhiger Umgebung
sich selbst überlassen wird. Den hypnotischen Werth des Lactophenins zu schätzen
ist uns zur Zeit noch nicht möglich; er wird aber wahrscheinlich nngefthr in der
Mitte zwischen Sulfonal und Urethan stehen; auf jeden Fall scheint uns Lactopbenin
in gleicher Dose deutlich stärker zu wirken als Oretban.
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ELleinere Mittheilungen.
Haamatocele retrouterina. — Ruptur derselben in die Bauchhöhle. —
Wahrscheinliche Graviditas extrauterina.
Frau R., 36 Jahre alt, in Anyernier, nnllipara, sehr kräftig gebaute Frau, Hess
mich am 13. ^November 1893 rufen. Dieselbe, seit 7 Jahren verheirathet, steril, litt
an Metrorrhagie mit heftigen Schmerzen. Die innere Untersuchung ergibt: kleine spitze
Portio vaginalis, ziemlich copiöser Ausfluss einer blutigen chocoladefarbenen Flüssigkeit.
Subjectiv: intensive Schmerzen um den scheinbar etwas vergrösserten Uterus. Anam¬
nestisch: Regel angeblich immer normal eingetreten, obwohl quantitativ verschieden, aber
seit vielen Jahren jedesmal mit Schmerzen verbunden. Sonst gesunde und energische
Person. Kein Fieber. Nach der Untersuchung wird die Diagnose gestellt: Dysmenorrhoe,
leichte Perimetritis, wahrscheinlich Stenose des Orificium internum (da Orific. ext. durch¬
gängig war). Prognose wurde leider günstig gestellt, da ich keineswegs ahnte, dass diese
Symptome die Vorboten des nahen Todes waren.
Am folgenden Tage, 14. November, Ructns, leichte Ohnmacht. Temp. 36,8, starke
Schmerzen, Symptome einer beginnenden Peritonitis. Patientin erhält Tinct. opii. —
Am 15. November Zustand scheinbar gebessert. — Am 16. November Retentio urinm.
Untersuchung ergibt: Im kleinen Becken ein Tumor, der im Douglas nach unten her-
vorragt. Die Portio vaginalis liegt tief unten und ist nach vorn
gegen die Symphyse gedrängt. Es muss oatheterisirt werden. — An den folgenden
Tagen bis zum 23. November geht es bedeutend besser. Patientin begreift nicht, warum
sie noch das Bett hüten soll. Am 23. November steht dieselbe ungeduldig auf und be¬
findet sich wohl. Am 24. November desgleichen, Abends verspürt sie indessen wieder
heftige Schmerzen. In der Nacht muss catheterisirt werden. Der Tumor im kleinen
Becken ist wieder umfangreicher geworden. Für den folgenden Morgen verlange ich eine
Consultation mit Collega Matihey^ Arzt des Hüpital Pourtalös in Neuchätel. — Die
nochmals gemeinsam vorgenommene Untersuchung ergibt: Tumor im kleinen Becken, von
der Grösse eines Uterus im 5. Monat der Schwangerschaft. Der Uterus ist von dem¬
selben nicht deutlich abzugrenzen. Im Douglas ragt der Tumor etwas vor, ist elastisch,
nicht fluctuirend; man hat den Eindruck bei der Palpation, dass derselbe mit Blutcoagula
gefüllt ist. Der chocoladefarbene Ausfluss, die Thatsache, dass der Uterus vom Tumor
nicht abzugrenzen ist, der Tiefstand der Portio vaginalis, die, wie die Anamnese ergibt,
regelmässig eiugetretene Dysmenorrhoe würden eher an Hämatometra als an Hämatocele
denken lassen. — Patientin wird an demselben Tage in das Höpital Pourtalös aufge¬
nommen, wo zur genaueren Stellung der Diagnose noch die Cervix durch Laminaria er¬
weitert wird. Die Erweiterung lässt feststellen: Uterus etwas vergrössert (Sonde dringt
9 cm tief), Cavum uteri leer. Die Untersuchung in Narcose ergibt keine weiteren An¬
haltspunkte. Die Diagnose war demnach unzweifelhaft: Hsematocele retrouterina.
Patientin befand sich relativ wohl bis am 3. December. An diesem Tage steht
dieselbe unvorsichtig und unerlaubt auf, collabirt sofort darauf und stirbt mit den
Symptomen einer inneren Verblutung.
Die Obduction ergibt: Hsematocele retrouterina, das kleine Becken ausfüllend, ab-
gegreuzt durch Rectum, Uterus und oben durch eng miteinander verklebte Darmschlingen.
Zwischen diesen Darmschlingen und der Hmmatocele findet sich eine Membran; diese
Membran war perforirt und es hatte eine Blutung in die Bauchhöhle stattgefunden. Der
Blotinhalt der Bauchhöhle wurde auf Liter geschätzt. Das war die Todesursache
gewesen. — In der Hasmatocele findet man dunkle Blutgerinnsel. Der anatomische Be¬
fand der Genitalorgane war etwas schwer entwirrbar. Indessen konnte Folgendes fest¬
gestellt werden: Die linke Tube lag vor dem Tumor, die rechte Tube lag hinter dem¬
selben und war wurstförmig erweitert. Am Ende derselben fand man eine sackförmige
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Ausbuchtung, die von der Hasmatocele nicht abgrenzbar war, aber
das Ovarium zu sein schien. Die Membran dieses Sackes war ver¬
dickt und fibrös. Ein deutlicher Embryo wurde darin nicht gefun¬
den. Dennoch denken wir, dass Extrauterinschwangerschaft vor¬
handen war. — Im Douglas fand man adhäsive Stränge. — Ein
erfolgreicher chirurgischer Eingriff wäre demnach wohl kaum denk¬
bar gewesen. (Warum nicht? Red.)
Colombier, 12. December 1893. Dr. E, Weber,
Influenza-Epidemie der Anstalt Burghölzli.
Das Corr.-Blatt für Schweizer Aerzte 1890, Nr. 3, Seite 92,
hat eine kleine Curve über unsere damalige Influenza-Epidemie der
Anstalt Burghölzli veröffentlicht, die s. Z. Herr Collega Dr. Mercier
gemacht hatte.
Die beistehende Curve ist genau in gleicher Weise angefertigt
wie die damalige.
Der Vergleich zeigt sofort, wie die diesjährige Epidemie mehr
als doppelt so lang wie 1890 dauerte und viel weniger Fälle
(weniger als die Hälfte) aufwies, also viel schwächer und protra-
hirter war, jedoch einen in diesem abgeänderten Tempo ähnlichen
Verlauf zeigte. Die beigegebene kleine Tabelle demonstrirt die
Zahl der Fälle. Es scheint mir von Interesse, die geschlossene
und seither an Zahl fast gleich gebliebene (von 440 auf ca. 450
angewacbsene), obwohl in ihrem Bestand, den Personen nach, stark
geänderte Anstaltsbevölkerung in ihrem Verhalten zu diesen beiden
Epidemien zu vergleichen.
Auch dieses Mal fingen zwei Personen, die Beziehungen nach
Aussen durch Ausgänge hatten (zwei Wärterinnen) an, und zwar
fast am gleichen Jahrestag wie 1889 (24. December). Die Symp¬
tome, die sie zeigten, waren sehr auffällig und von denjenigen der
gewöhnlichen fieberhaften Catarrhe verschieden. Einige alte, maran¬
tische, meist emphysematöse Kranke erlagen der Krankheit. Die
höchste Erkrankungszahl an einem Tage war 7, während 1890
bis 19 Personen an einem Tag erkrankten.
Die vorliegende Zusammenstellung der diesjährigen Epidemie
verdanke ich den Assistenzärzten, Herrn Dr. Bach, Frl. GoUschall,
med. pract., und Herrn Dr. Kölle.
Seit 1890 konnte ich mich nie dazu entschliessen „spora¬
dische Influenzafälle" auzuerkennen. Es wurden bekanntlich seither
in kritiklosester Weise alle möglichen und gewöhnlichen fieber¬
haften Catarrhe und dazu noch alle möglichen und unmöglichen
sonstigen Krankheitsfälle mit diesem Paradenamen betitelt. Doch
solche Fälle hat es ja stets unter anderen Namen gegeben — so un¬
gefähr wie die Fälle von Psychopathie, Nervosität, Hysterie und
Hypochondrie, die man heute modebalber (denn leider gibt es Moden
in der Medicin wie bei der Damen teile tte 1) „Neurasthenie" zu be¬
titeln und als moderne Neuerung zu bezeichnen beliebt, die jedoch
früher ebenso gut vorkamen wie heute, nur anders etikettirt und
weniger zart behandelt wurden.
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Aber dieses Jahr scheint es wirklich in Burgholzli wie in Zürich und an andern
Orten eine zweite, wenn auch etwas modificirte Influenzaepidemie gegeben zu haben.
Influenza
-Fälle.
1893
16.
Januar
7
6 .
Februar 1
24.
December
1
17.
4
8 .
. 1
28.
ji
1
18.
V
2
9.
, 4
1894.
20 .
*
1
11 .
, 1
6 .
Januar
3
21 .
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2
14.
7.
Ji
2
23.
n
1
16.
, 1
8 .
1 »
2
24.
rt
1
23.
, 1
9.
2
26.
1
10 .
2
28.
3
Summa 68
11 .
1
30.
1
Fälle in 62 Tagen.
13.
yi
7
31.
n
3
(1889—1890 waren es
14.
»
2
1 .
Februar
4
151 Fälle in 26 Tagen.)
15.
3
5.
2
Dr. -A. ForeL
Poiydactylis mit Spontanabschnilrung.
Im Anschluss an die Mittheilung von Dr. Bruggisser in Nr. 16 dieses Blattes er¬
laube ich mir in Kürze über einen interessanten Fall zu berichten, den ich im Anfang
des Jahres als Assistent an der allgemeinen Poliklinik Basel beobachtete.
Patient, ein Kind von einigen Wochen, war im Uebrigen vollkommen normal. An
der linken Hand jedoch waren 6 Finger, und zwar betraf die Verdopplung den kleinen
Finger. Wie in einem der Fälle von Dr. Bruggisser waren nur 2 Glieder am über¬
zähligen (äussern) Finger zu constatiren. Diese, Nagel- und Mittelglied, waren voll¬
kommen normaler Grösse. An Stelle des Grundgliedes jedoch war ein ca. 8 mm langer
und 1,5 mm dicker Strang vorhanden, welcher in die Haut überging, die das Meta-
carpophalangealgelenk des innern, normalen kleinen Fingers bedeckte. Ein Soheeren-
Bchnitt mach Ligatur war die einzig nöthige Operation.
Die genaue Untersuchung des abgetrennten Fingers geschah mittelst Längsschnitten
durch das in Alcohol gehärtete Object.
Nagel- und Mittelphalanx waren vollkommen entwickelt, ersterer ganz, letztere nur
an den Gelenkenden verknöchert; von der Grandphalanx war nur das distale, übrigens
mit der Mittelphalanx vollkommen articulirte Ende als kleiner Kegel vorhanden. Auf
der dorsalen und palmaren Seite verliefen, deutlich zu isoliren, die Sehnen der Extensoren
und Flexoren, über dem Rudimente der Grundphalaox sich zu dem oben beschriebenen,
nur mit dünner Hautdecke umhüllten Strange vereinigend.
Gueniot beschreibt in Nr. 58 der Semaine medicale 1893 einen Fall, bei welchem
neben andern Veränderungen an einem Foetns deutliche Einschnürungen an den einzelnen
Fingern sich zeigten, erzeugt durch (bei der Geburt noch vorhandene) Amniosstränge.
Es ist vielleicht auch in diesem Falle die beinahe complete Abschnürung des überzähligen
kleinen Fingers durch einen Amniosstrang verursacht worden. Leider war nicht zu
eruiren, ob ein solcher bei der Geburt vorhanden war und durchtrennt werden musste,
doch musste jedenfalls die Einschnürung schon frühe beginnen und lange andauem, um
ohne Wachsthumshemmniss der andern Phalangen die Grundphalanx so zu atrophiren.
Dr. H. Nägelif Rüthi (St. Gallen).
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Urticaria.
Im AnBchlusse an die in Nr, 6 des Corr.-Blattes enthaltene Notiz über Urticaria
dürfte vielleicht meine eigene Krankengeschichte interessiren:
Schon zu wiederholten Malen machte ich Urticaria durch und zwar immer in Folge
von Verdauungsstörungen, namentlich nach Genuss von kohlensäurehaltigen Getränken, ins¬
besondere zwei Male nach Genuss von weissem Neuenburger Wein, ln den letzten Tagen
verspürte ich wieder eine heftige Attaque von Urticaria bei Trägheit des Darmes und zwar
sehr wahrscheinlich nach Genuss von Limonade. Ich hatte eben die Notiz im Corr.-BJatt
über Urticaria gelesen und nahm daher Menthol 0,2 in Pulver nach dem Morgenessen,
da das Exanthem sich' immer nach den Mahlzeiten am heftigsten einstellte. Nach kurzer
Zeit zeigte sich ein Nachlass im Jucken, doch kein vollständiges Sistiren und nach der
nächsten Mahlzeit war wieder der frühere Status. Ich nahm daher nach dem Mittag-
und Abendessen noch je 0,2 Menthol, immer mit dem gleichen vorübergehenden Erfolg.
In der folgenden Nacht machte mir das Menthol Magenbeschwerden in der Form von
Uebligkeiten, zugleich hatte ich das Gefühl, als ob im Magen ein grosser Klumpen Eis
läge. Als daher am folgenden Morgen das Jucken mich wieder zum Rasendwerden
irritirte, verzichtete ich auf das Menthol, nahm dagegen 0,2 Ichthyol (in Capsein), das
ich äusserlich vielfach an wende. Nach Verfluss von kaum einer halben Stunde war die
Urticaria wie weggeblasen und blieb es auch. Zur Sicherheit nahm ich noch zwei Mal
je 0,2 Ichthyol nach der Mahlzeit und blieb seither von dem lästigen Uebel verschont.
Laupen. Lam,
Medicinisch-pharmaceutischer Bezirksverein Bern.
V. Sitzuf !■ Wiaterseaester 1893/94, Dieastair 4ea 13. Febraar, Abeads 8 Uhr.
ia Casiuo.’)
Anwesend 14 Mitglieder.
Präsident: Dr. Dumont. — Actuar: Dr. Bohr,
1 . Vortrag von Dr. v, Werdt: Zwei TotaiexstirpationeB des Uterns Bmeh der
saeraleB Methode« Nachdem der Vortragende zwei neuere Arbeiten über die Total-
exstirpation des Uterus nach der sacralen Methode (die eine von Dr. Herzfeld in Wien,
die andere von Dr. Abel in Leipzig) besprochen hat, berichtet er über drei ähnliche
Operationen, die er mit den Herren DDr. JDick und Dumont im Spital Salem ausgeführt hat.
Während er sich im Ganzen streng an die von Herzfeld beschriebene Operationsmethode
gehalten hat, ist es ihm gelungen, durch einige Modificationen beim Schluss der Wunde
eine bedeutend kürzere Heilungsdauer herbeizuführen. Während bis jetzt sämmtliche
Operateure die grosse sacrale Wunde entweder ganz oder theilweise offen lassen und mit
Jodoformgaze tamponiren, theilweise noch nach der Scheide zu drainiren, schliesst v, Werdt
die Vaginalwunde mit B^opfnähten vollständig zu. Darauf wird der ganze tiefe Trichter
etagenweise mit tiefgehenden Seidennähten verkleinert und nun die Hautwunde mit einer
Girard'^(Aim Entspannungsnaht und einer fortlaufenden oberflächlichen Hautnaht voll¬
ständig geschlossen. Im oberen Wundwinkel wird ein kleiner Drain eingeführt, der am
2.—3. Tage schon entfernt wird. Durch diese Behandlungsweise erlangte der Vortragende
bei allen drei Operirten einen primären Verschluss der ganzen Wunden. Die Nähte
konnten am 7,—8. Tage entfernt werden und zwei Patientinnen sind am 17. und 21.
Tage aufgestanden. Die dritte starb leider an Ileus; doch auch hier erwies die Section
eine vollständige primäre Heilung der Wunde.
^) Eingegangen 20. März 1894. Red.
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Diese Art der Wundbehandlung vereinfacht auch die bis jetzt so unangenehme
Nachbehandlung bedeutend, indem die Patientinnen die Rückenlage einnehmen können
und der Verband nur zwei bis drei Mal gewechselt werden muss, nämlich bei Weg¬
nahme der Drains und bei Wegnahme der Nähte. Mit diesen Resultaten glaubt
der Vortragende einen der Hauptmängel, welche der Operation bis jetzt anhafteten,
nämlich die lange Heilungsdauer und die mühsame Nachbehandlung, über welche sich
fast sämmtliche Operateure beklagen, beseitigt zu haben. Zieht man dazu noch die
Resultate der letzten Operationsreihen in Betracht, welche der vaginalen Exstirpation
kaum mehr nachstehen, so ist die sacrale Methode mit ihren grossen Vorzügen der
grossem üebersichtlichkeit und Reinlichkeit der Operation jedenfalls der ersteren gleich¬
zustellen, wenn nicht vorznziehen.
Discussion: Prof. Müller hat vor zwei Jahren schon im Verein seinen Stand¬
punkt in der Frage der sacralen Methode dar gelegt. Er hat auch damals schon die
Anregung gemacht, die Heilungsdauer dadurch zu verkürzen, dass die grosse resultirende
Wundfläche wenigstens in der Tiefe durch Nähte verschlossen wird. Eine analoge, ge¬
waltige, trichterförmige Wundfläche, wie sie bei seinen Totalexstirpationen von Uterus
und Vagina wegen Totalprolaps im Ciimacterium resultirt, hat er auch in drei Fällen
mit vollständigem Erfolg durch Etagennähte ganz geschlossen. Bei der sacralen Methode
hat er vom Kreuzbein nichts resecirt, die Exstirpation des Sleissbeines schaffte stets ge¬
nügenden Zugang. Als überflüssig exstirpirt er lieber das Steissbein, statt es nur nach
Zweifel temporär zurückzuklappen.
Man kommt auch ohne die sacrale Methode ganz gut aus, denn bei Enge der
Vagina kann man sich durch Längsspaltung derselben genügend Raum und Zugang zum
Uterus verschaffen und Fälle, wo der Uterus gleichwohl nicht heruntergezogen werden
kann, eignen sich auch nicht für die sacrale Methode, weil dann meist die Ligamente
schon krebsig infiltrirt sind. Wenn man wie Votant streng darauf hält, keine nur pallia¬
tiven Operationen zu machen, sondern nur dann die Totalexstirpation vorznnehmen, wenn
in der Narcose der Uterus ganz frei beweglich ist, keine Metastasen in den Ligamenten
und nicht zu erheblicher Uebergang der Geschwulst auf die Scheide sich finden, so
kommt man mit der vaginalen Methode wohl aus. Fasst man aber die Indication zur
Totaldxstirpation weiter und operirt auch vorgeschrittenere Fälle, so hat man auch bei
der sacralen Methode enorme Mortalitätsziffern (bis 30®/o) und keine grössere Sicherheit
vor Recidiven als bei der vaginalen Methode.
Dr. V, Werdt ist mit Prof. Müller puncto strenger Indicationsstellung bei der
Totalexstirpation ganz einverstanden. Es gibt aber doch Fälle, wo man trotz genauer
vorheriger Untersuchung beginnende Infiltration der Ligamente erst bei der Operation
entdeckt; da eignet sich die sacrale Methode entschieden besser. Ganz sicher hat sie
auch darin einen grossen Vorzug, dass man erst bei der Durchschneidung der Scheide,
also beim Schlüsse der Operation , mit dem krebsig erkrankten Gewebe in Berührung
kommt.
Prof. Müller gibt die Schwierigkeit zu, in allen Fällen ante operationem sicher zu
entscheiden, ob die Ligamente schon infiltrirt seien oder nicht ; die Untersuchung vom
Rectum aus hilft dabei oft; in gleichwohl noch zweifelhaften Fällen beginnt er die vaginale
Operation statt mit der Blasenlösung wie gewöhnlich, mit seitlichem Scheidenschnitt zur
Freilegung der Ligamente, die nun digital genau abgetastet werden können.
2. Vortrag von Dr. Beck: ,,Die Monbijeiifnige Jb SBBltarischer HiBSicht^. Vor¬
tragender führt aus, dass die Ueberbauung des Monbijoufriedhofes von keineswegs zu
unterschätzender Bedeutung sei und zwar nicht nur desshalb, weil mittelst derselben der
letzte für die Erholung der Jugend wie für diejenige der Erwachsenen mit alten pracht¬
vollen Bäumen bestandene Platz verloren gehe, sondern auch weil der vom städtischen
ßauamt hiefür ausgearbeitete Uebcrbauungsplan einen allen hygienischen Grundsätzen
stracks zuwiderlaufenden Parcellirungs-Entwurf vorlege, den 7i. an einer in ^/boo Massstab
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aasgeführten Skizze dem Verein vordemonstrirt. Es ist hieraus ersichtlich, dass drei ihre
grossen Fronten gegen Süden kehrende Häuservierecke vorgesehen sind, welche einander
so folgen, dass je die vordere Häuserreihe nicht nur die hinter ihr liegenden Höfe bezw.
die Durchgangsstrassen, sondern auch die jeweils hinter ihr liegende Häuserreihe im
Winter bis zur Hälfte ihrer Firsthöhe beschatten, somit die denkbar ungesundeste Anlage
zeigen. B, demonstrirt nun an der nämlichen Skizze, wie durch eine ganz geringe Ver¬
änderung des die Stelle der Könizstrasse einnehmenden Alignements ohne Störung irgend¬
welcher Verkehrs- oder Privatinteressen das ganze Terrain des Friedhofes fast mit seinem
ganzen Baumbestände erhalten werden und zugleich zwei Plätze von je circa 8000 m*
gewonnen werden können, deren einer als vornehmlich für die weibliche und männliche
Schuljugend reservirter Turnplatz, der andere für eine öffentliche Promenade reservirt
würde. Zur Befriedigung städtischer finanzieller Interessen würde dann längs der Um¬
randung des ganzen Friedhofes, sowie auch nach einer von Ost nach West durch die
Mitte des Friedhofes gezogenen Linie immer noch circa 12,000 m^ übrig bleiben. Diese
würden am zweckmässigsten erstens zum Neubau eines Mädchenschulhauses, zweitens zur
Erstellung von Verwaltungsgebäuden für eidgenössische und internationale Bureaus,
drittens zur Anlage eines Villenquartiers Verwendung finden. Nach diesem Plane würde
das ganze Terrain des Monbijoufriedhofes nicht nur zur Hebung gegenwärtig bestehender
grosser sanitarischer Uebelstände verwendet, wobei B, hauptsächlich an das kellermässige
Turnlocal der Secundarmädchenschule erinnert, sondern noch zur Befriedigung einer Menge
anderer jetzt und in Zukunft auftretender Bedürfnisse dienen und schliesslich überdies noch
eine vorzügliche Capitalanlage für die Stadt bilden.
In der Discussion wird von DDr. Seiler und Kürsteiner darauf hingewieseu,
wie die Anlage verschiedener neuer Strassen, wie der Wallgasse, der Seilerstrasse u. a.
im directesten Widerspruch mit den 5hnitarischen Forderungen gemacht worden sei; der
Bezirksverein müsse energisch gegen ähnliche Alignements protestiren und in dieser Sache
mehr Fühlung mit der städtischen Sanitätscommission zu erhalten suchen.
Apotheker Stucler sieht den Grund des Missstandes in dem Mangel eines hygieinisch
richtigen Baugesetzes; seit längerem liege ein Project der Regierung vor, sei aber vom
Grossen Rathe immer noch nicht behandelt worden.
Dr. Dntoit constatirt, dass für den Stadtbezirk seit 1880 eine Bauordnung mit
wesentlich bessern und strengem Bestimmungen als für die alte Stadt existire. Ueber
die Alignements ist darin allerdings nichts bestimmt, ebenso wenig wie über die Zeit
des Bezugs einer neuen Wohnung. Es wäre dringend nöthig, dass die Ansicht des Be¬
zirksvereins in diesen baulich-sanitarischen Fragen im Stadtrath durch Mitglieder,^ die zu¬
gleich dem Bezirksverein angehören, energisch vertreten würden.
Dr. Dtibois wünscht ebenfalls, dass bei Erstellung neuer Quartiere mehr den
hygieinischen Interessen gemäss gehandelt und die Sanitätskommission mehr als bisher
um ihre Meinung gefragt werden möchte; in wichtigen Fragen wäre von ihr auch der
Bezirksverein zu begrüssen.
Dr. Jordi theilt mit, dass der deutsche Verein für Gesundheitspflege in seinen
Postulaten betreffend Bauhygieine Altstadt und Aussenquartiere verschieden behandelt
wissen will; für letztere sollen möglichst strenge bygieinische Vorschriften gelten; für
erstere ist dies, weil zu viel bauliche Veränderungen nöthig würden, unmöglich. Er regt
ferner an, der städtischen Presse Beschlüsse des Vereins, die von allgemeinem Interesse
sind, mitzutheilen, damit auch im Publicum das Interesse für solche Fragen geweckt und
genährt werde. Es wird schliesslich einstimmig zu Händen der zuständigen Behörde
folgende Resolution angenommen:
Der mediciuisch-pharmaceutische Bezirksverein Bern hat in seiner Sitzung vom
13. Februar 1894 nach Anhörung eines von Alignementsplänen begleiteten Vortrages
des Herrn Dr. G. Beck über die Monbijoufrage in hygieinischer Beziehung und gewalteter
reger Discussion einstimmig beschlossen, an Sic, hochgeehrte Herren, das Gesuch zu
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richten, es möchte bei der in Aussicht stehenden baulichen Verwerthung des Monbijou¬
friedhofes ein den hygieinischen Anforderungen entsprechendes Alignement geschaffen und
dementsprechend auch* die Promenade mit ihrer Hauptzierde, der Baumallee, soweit irgend
möglich erhalten werden. Der medicinisch-pharmaceutische Bezirksverein Bern hatte schon
mehrfach die Ehre, sich in Fragen, die das Wohl unserer Stadt betrafen, mit Erfolg an
Sie, hochgeehrte Herren, zu wenden, er hofft es möge auch diesmal wo es sich um eine
wichtige hygieinische Frage handelt, gütige Berücksichtigung seines Gesuches finden,
damit nicht wieder gut zu machende hygieinische Missstände verhütet werden, wie
sie sich leider nicht vereinzelt in der baulichen Anlage der Aussenquartiere der Stadt
Bern finden.
Medicinische Gesellschaft der Stadt Basel.
SitzMig' vom 1. Hirz 1894.*)
Präsident: Prof. Siebenmann, — Actuar: Dr. VonderMühlL
Prof. Siebenmann: Zwei FreadkSrper mit seltenem Sitz In den Lnftwegen.
Der eine der beiden Fremdkörper ist ein keilförmiges Stück eines Wallnusskerns, welcher
einem Knaben von 6 Jahren in den linken Hauptbronchus gerathen war und
nach 35 Tagen in gequollenem Zustande mit einem einzigen kräftigen Hustenstoss durch
die Glottis herausbefordert wurde. Bemerkenswerth war ausserdem das Aufgehobensein
des Yesiculärathmens über der ganzen linken Brustseite, das laute Giemen bei tiefem
Inspirium, namentlich aber das anhaltend ungestörte Wohlbefinden des (stets im Bett ge¬
haltenen) Kleinen.
Der 2. Fremdkörper ist ein 20-Rappenstück, welches einem 1jährigen Kinde beim
Versuch einer Entfernung aus der Mundhöhle unbemerkt in den Nasenrachenraum ge¬
schoben worden war und welches, mit der Fläche in der Froutalebene liegend, dort
4 Tage lang verweilt hatte.
Das Kind schnarchte auffallend, schrie während dieser Zeit viel, war schlaflos und
fieberte. Das Geldstück erwies sich bei der Entfernung fest angepresst einerseits an die
Yereinigungsstelle von weichem und hartem Gaumen und Septum, anderseits an das
Rachendach.
Fremdkörper im Retronasalraum gehören zu den allergrössten Seltenheiten.
In der Discussion wird die Ansicht ausgesprochen, dass in Fällen, wie der
an erster Stelle berichtete, es oft gewagt sein würde, die spontane Ausstossung des Fremd¬
körpers abzuwarten, und dass, wenn die Diagnose über den Sitz des Fremdkörpers wirk¬
lich feststeht, eine tiefe Tracheotomie auszuführen sei und der Fremdkörper von der
Luftröhre aus herausgeholt werden solle.
Prof. Siebenmann führt dagegen eine Statistik von MacTcenzie an, aus welcher her¬
vorgeht, dass das Liegenlassen der Fremdkörper in den Bronchien in der Mehrzahl der
Fälle keinen Schaden bringt. — ln dem hier in Frage kommenden Fall hätte er zu der
Tracheotomie gerathen, sobald Fieber oder andere bedrohliche Erscheinungen aufgetreten
wären.
Prof. Fehling spricht über operative Bestrebaagfea zar Helinngf der Lapfever-
kaderaaifeB des Uteras.
Yor Eintritt in sein eigentliches Thema stellt er 2 Patientinnen vor, an welchen
wegen schwerer Osteomalacie die Castration ausgeführt wurde; die eine, operirt als erster
Fall in Basel Juli 1887, ist seither wohl und leistungsfähig, die andere Kranke, im Mai
1891 dem schweizer. Central verein als schwerster Fall vorgestellt (Corresp.-Blatt 1891
S. 409 sub 1), war auf die Castration hin bis Herbst 1893 wohl und gehfähig, dann
trat Yerschlimmernng, jetzt im Spital wieder Besserung ein.
*) Eingegangen 18. März 189L Red.
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Üebergehend zum Vortrag skizzirt er kurz die Geschichte der Prolapsopera-»
t i 0 n e n seit den letzten 50 Jahren. Am meisten Verbreitung hat wohl das Simon-
Hegar^sehe Verfahren gefunden, das der Vortr. ebenfalls am häufigsten ausübt. Die
Misserfolge, die man hiebei trotz guter Ausführung der Methode erhält, haben gezeigt,
dass es sehr wichtig ist zu unterscheiden zwischen Vorfällen bedingt durch Insufficienz
des Schlossapparats und solchen, bedingt durch Erschlaffung des Beckenbauchfells. Bei den
erstem genügt in der Regel das Hegar'sehe Verfahren, bei den letztem nicht. Bei
diesen letztem, sowie bei den Combinationen beider muss man andere Operationen hinzu¬
fügen, um Erfolg zu haben. Vortr. bespricht hier: 1. die Ventrofixation nach Olshausm^
2. die Verkürzung der Ligamenta rotunda nach Alexander Adams^ 3. die Amputatio uteri
supravaginalis, 4. die Totalexstirpation des Uterus, 5. die Tabaksbentelnaht bei Vorfällen
alter Frauen nach Freund jun.
Von diesen Methoden hat ihm die Ventrofixation nach Olshausen die besten Resultate
in Combination mit dem Hegar^schen Verfahren gegeben (nur 1 Misserfolg auf 9 Fälle);
die Totalexstirpation bei Prolaps macht er nur, wenn der Uterus stark vergrössert ist
und schwere Blutung verursacht. Mit der Amputatio uteri supravaginalis nach Prof. P.
Müller hat Vortr. keine so schlechten Resultate gehabt.
Schliesslich werden Kranke, welche nach den besprochenen Methoden operirt sind,
vorgestellt.
Üebergehend zur operativen Behandlung der Rückwärtslagerungen der Gebärmutter
erinnert er daran, dass manche Retrofiexionen symptomlos verlaufen, keiner Behandlung
bedürfen, dass die meisten leicht aufzurichten und durch Pessarbehandlung in Normallage
zu halten sind. Es gibt aber nicht reponirbare, theilweise angewachsene Retrofiexionen
bei ledigen wie bei Frauen, die steril sind oder Kinder haben, wo alle Pessarbehandlung
nutzlose Quälerei ist und wo das bekannte schwere Krankheitsbild zum Eingriff drängt.
Auch hier empfiehlt er in erster Linie die Ventrofixation nach Olshausen^ die ihm
stets befriedigende Resultate gab; er warnt dabei davor unnütz die Castration binznzu-
fügen; manchmal genügt die Lösung der Ovarien aus ihrer Verwachsung. Was die von
Kocher u. a. so empfohlene Methode der Verkürzung der Ligamenta rotunda betrifft, so glaubt
er, nach dem was er an eigenem und fremdem Material gesehen, nicht, dass sie für alle
Fälle genügen wird; er möchte sie besonders bei der Retrofiexion der Ledigen zuerst
versuchen.
Uober die Retrofixatio colli nach Sänger von der Vagina aus, oder nach Freund Ver¬
kürzung der Douglasfalte nach Laparotomie hat er keine eigene Erfahrung.
Die von Schücking eingeführte, von Zweifelj Mackenrodty Dührssen verbesserte Methode
der Vaginalfixation des Uterus schafft keine natürlichen Verhältnisse, indem der Fundus
in die vordere Peritonealtasche eingenäht und eine dadurch spitzwinklige fixirte
Anteflexion erzielt wird. Auch kann die Ausführung schwieriger sein und grössere
Verletzungen geben, als die Ventrofixation,
Zum Schlüsse wurden auch hier die einzelnen Operationen durch einschlägige Fälle
demonstrirt; Vortr. warnt aber eindringlich vor zu laxer Indicationsstellung im Operiren
bei Retroflexio uteri.
und ÜHiritiken«
Zur Reform des Irrenwesens in Preussen.
Von Heinrich Löhr, Sonderabdruck aus der „Deutschen medicinischen Wochenschrift“
1893. Leipzig, Georg Thieme 1893. 18 S.
Wesentlich in ganz gleichem Sinne wie Zinn bespricht hier der hochverdiente
Herausgeber der allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie die Stöcker’schen Reform Vor¬
schläge. Bach,
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Bericht Uber die von dem „Verein der deutschen Irrenärzte^^ in der Jahressitzung vom
25. Mai 1893 in Frankfurt a./M. gepflogenen Verhandlungen und
gefassten Beschlüsse.
1. Psychiatrie und Seelsorge. Referenten: /SeemewÄ-Lauenburg i. P. und Zinn
senior - Eberswalde. II. Zur Reform des Irrenwesens in Preussen und
des Verfahrens in Entmündigungssachen wegen Geistes¬
krankheit. Referenten : Zinn sen. - Eberswalde und Pe^man-Bonn. Herausgegeben
im Auftrag des Vereins der deutschen Irrenärzte von dem Vorstand. München 1893,
bei J. F. Lehmann. 115 S. Fr. 2. 70.
I. Psychiatrie und Seelsorge. Das Corresp. - Blatt (Nr. 14, 1893)
brachte bereits die Thesen, welche über diesen Verhandlungsgegenstand vom Verein der
deutschen Irrenärzte nach Vorschlag des Vorstandes und der Referenten einstimmig an¬
genommen wurden. Begründung und Commentar zu diesen Thesen geben die grossen
und erschöpfenden Referate von Siemens und Zmw, welche der „Bericht“ in extenso mit¬
theilt. — Gegen die den ungeheuerlichsten, orthodox-theologischen Anschauungen über
das Wesen des Irreseins entspringenden Bestrebungen der Pastoren v. Bodelschwingh,
Hafner und Genossen, die religiöse Einwirkung in der Behandlung der Geisteskranken
intensiver und von der ärztlichen Behandlung in den Anstalten unabhängiger zu ge¬
stalten, und — als ideales Endziel — die Leitung der Irrenanstalten den Aerzten mög¬
lichst zu entziehen und den Geistlichen zu überantworten, — gegen dieses Treiben
energisch Stellung zu nehmen und auf die Gefahren aufmerksam zu machen, welche die
theologischem Unverstand ausgelieferten Geisteskranken laufen würden, lag für die
deutschen Psychiater um so mehr Veranlassung vor, als die Agitation der frommen Herren
bereits namhafte Erfolge zu verzeichnen hat (Gründung pastoraler Irrenanstalten und Er¬
weiterung schon bestehender) und als ausserdem auch in katholischen Provinzen (Rhein¬
lande) die Theilnahme der katholischen Orden an der Irrenpflege schon sehr weit ge¬
diehen ist (pag. 9 und 10 des Berichtes).
II. Zur Reform des Irrenwesens in Preussen etc. Noch einer
andern Hetze gegen die Irrenanstalten und ihro Leiter, sowie gegen die dermalige
Ordnung des Irrenwesens (in Preussen) überhaupt sah die Frankfurter Psychiater-Ver¬
sammlung sich genöthigt entgegenzutreten. Unter Wiederaufwärmnng der alten Mähr
von der Einsperrung geistesgesunder Leute in Irrenhäusern und von der ungerechtfertigten
Entmündigung jährlich als geisteskrank begutachteter Personen verlangte Pastor Stöcker
mit einem Theil seines Parteianhangs im preussischen Abgeordnetenhaus und in der
Presse rigorosere Bestimmungen für die Aufnahme in eine Irrenanstalt und bei Bevor¬
mundung wegen Geisteskrankheit, ausserdem strengere Ueberwachung der Irrenanstalten,
namentlich der privaten. Er wünscht die Entscheidung über jede Entmündigung und
jede Internirung in eine Irrenanstalt in die Hand einer Commission „unabhängiger
Männer“ gelegt, „die nicht nach Facbkenntnissen urtheilen, auch nicht durch ärztliche
Gutachten beeinflusst sind, sondern auf den Augenschein sehen.“ Solche unabhängige
Männer sollen auch in den Aufsichtscommissionen über die Irrenanstalten sitzen.
In einem glänzenden Referat, dem sich der Correferent Pelman in allen Punkten
anschliesst, übt Zinn an diesen Stöcker’schen Reform Vorschlägen eine vernichtende Kritik.
Er rührt aus, dass der Nachweis von ungerechtfertigten Entmündigungen oder Inter-
nirungen in Irrenanstalten für Deutschland nie geleistet worden sei, dass die Durchführung
der gewünschten Reformen eine rationelle Pflege und Verwahrung der Geisteskranken
unmöglich machen und die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden würde, dass
die zur Zeit in Preussen und Deutschland gültigen Bestimmungen über Aufnahme in
Irrenanstalten, Beaufsichtigung derselben, sowie über Entmündigung volle Sicherheit gegen
ungerechtfertigte Beraubung von Freiheit und bürgerlicher Selbstständigkeit bieten, dass
sogar (in Preussen) eine Milderung der Aufnabmsvorschriften im Interesse der
Kranken und ihrer Familien dringend zu wünschen sei. — Dagegen wäre in jeder Hin-
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sicht zu begrüssen (u. a. auch zur Beruhigung des Publicums sehr dienlich), wenn der
Centralbehörde jeden (deutschen) Staates ein theoretisch und practisch gründlich durch¬
gebildeter Irrenarzt als technischer Rath beigegeben würde, welchem die Leitung des
gesammten Irrenwesens und die Oberaufsicht über die Irrenpfiege zu übertragen wäre
und der diesem Amt ausschliesslich zu leben hätte.
Eine Reihe im Sinne des Referates aufgestellter Thesen wurde von der Frankfurter
Versammlung ohne Discussion einstimmig angenommen.
Wenn auch zunächst deutsche Zustände betreffend, gewinnen doch die Verhand¬
lungen der Irrenärzte in Frankfurt in Anbetracht, dass absurde Anschauungen über Geistes¬
krankheit sowie crasse Vorurtheile und ungerechtfertigtes Misstrauen gegen die Irren¬
anstalten noch überall reichlich sich finden, allgemeine Bedeutung; ausserdem dürfte
namentlich der zweite Theil der Verhandlungen für fachgenössische und gesetzgebende
Kreise unseres Landes Interesse dadurch erhalten, dass eben jetzt eine Commission des
Vereins schweizer. Irrenärzte mit Ausarbeitung eines Entwurfs für ein eidgen. Irreugesetz
sich beschäftigt. Bach,
Der Bau des Menschen als Zeugniss fUr seine Vergangenheit.
Von B, Wiedersheim^ Professor an der Universität Freiburg. 2. gänzlich uragearbeitete
und stark vermehrte Auflage. Freiburg und Leipzig 1893. 8®. Mit 109 Fig. im Text.
Diese interessante Schrift, 12 Bogen stark, haben wir schon in der ersten Auflage
mit Zustimmung begrüsst. Jetzt erscheint sie mit vielen Abbildungen bereichert und
auch inhaltlich vermehrt. Der Einblick in die wechselnden Erscheinungen des Atavismus,
des Rückschlages auf weit zurückliegende Vorfahren und des Zusammenhanges mit der
ganzen Organisation des Wirbelthierkreises treten deutlich hervor und eröffnen eine fast
unbegrenzte Perspektive in das Kapitel der Vererbung. Kollmann,
Die Erkrankungen des Kehlkopfes.
Ein kurzgefasstes Lehrbuch für Aerzte und Studirendo von Dr. med. Carl Fr, Th,
BosenthaL Berlin. Mit 68 Figuren im Text. Berlin 1893. Verlag von
August Hirschwald. 372 S.
Nach kaum Jahresfrist hat der Autor seinem „Lehrbuch der Erkrankungen der
Nase und des Nasen-Rachenraumes“ den hübschen Band über „die Erkrankungen des Kehl¬
kopfes^ folgen lassen. Auch diesem Band gebührt, wie dem ersten, das Lob rationeller
Anlage, conciser Fassung, klaren Stiles und schulgerechter Durcharbeitung des Stoffes,
ohne in Pedanterie oder Doctrinarismus zu verfallen. Bosenthal steht auf dem rühmlichen
und nachahmenswerthen Standpunkt, dass der Specialist vor allem Arzt
sei und jeder Arzt das Nothwendigste der Specialitäten sich
zu eigen mache. Für diesen Zweck ist das vorliegende Buch vorzüglich geeignet.
Dasselbe wahrt auch aufs Beste den Zusammenhang mit der Gesammtmedicin und weiss
genau zu unterscheiden, was in den Bereich der speciellen operativen
Chirurgie und was in den Bereich der 1 o c a 1 c h i r u r g i s c h e n
Encheirese gehört. Es thäte auch andern Specialitäten gut, sich an
diesen fundamentalen Grundsatz zu erinnern, und der Mahnruf, den Dr. Victor Lange
in Kopenhagen in der „Wiener medic. Presse“ gegen die Ausschreitungen
einer leichtherzigen Operationsfröhlichkeit erhebt, dürfte nicht
sobald verhallen.
Das Lehrbuch BosenthaV^ hat eine 36 Seiten starke Uebersicht der Litteratur.
Prfficise Angaben über Anatomie, Physiologie und Untersuchungstechnik leiten über zur
Speciellen Pathologie und Therapie, ln 8 Capitelu ist die letztere sehr geschickt und
übersichtlich gegliedert und erörtert. Im Capitel 1 „den Entzündungen“ ist ganz be¬
sonders zu erwähnen der Abschnitt Croup, im Capitel 2 Constitutionelle Erkran-
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kangen die Abschnitte über „Syphilis und Tuberculose^. Im Capitel 3 folgen die Miss¬
bildungen, im Capitel 4 die Verletzungen des Kehlkopfes. Vorzüglich ist das Capitel 5
„die Geschwülste^ gerathen. In Capitel 6 ist die wichtige Frage der „Fremdkörper^
erörtert. Capitel 7 bietet wieder ganz besonderes Interesse und umfasst „die Störungen
im Gebiete der Nerven des Kehlkopfes^, woran sich naturgemäss im 8. und Schlusscapitel
„die Functionsstörungen des Kehlkopfes im Verlaufe einiger Krankheiten des centralen
Nervensystems" anreihen. Druck, Abbildungen und Ausstattung entsprechen dem be¬
deutenden Rufe der Verlagsfirma. Bohrer^ Zürich.
Eine Schulepidemie von Tremor hystericus (sogenannte Choreaepidemie).
Inaug.-Dissertat. von Fritz Aemmer, Basel 1893.
Vorliegende Arbeit hat eine epidemisch auftretende Neurose — anfallsweises Zittern
der Extremitäten — zum Vorwurf, welche im Herbst 1891 in einer Basler Mädchen¬
schule ausbrach.
Prof. Hagenbach hat darüber der med. Gesellschaft Basel am 1. Juni 1893 be¬
richtet; betreffend der Einzelheiten sei auf das Referat dieses Vortrags verwiesen (Cor-
respondenzblatt Nr. 18, 8. G31, 632).
Verf. hat den Verlauf der Epidemie genau erforscht und stets einen Zusammenhang
zwischen den einzelnen Fällen nachweisen können. Die Ausbreitung erfolgte concentrisch;
ergriffen wurden besonders anämische, schlecht genährte Mädchen, die Uebertragung er¬
folgte durch unbewusste Imitation, die Anfälle wurden durch äussere Anlässe (Angst,
Anstrengung etc.) ausgelöst. Das Zittern ist als ein hysterisches aufzufassen, wie in den
meisten oder allen sogenannten Choreaepidemien. — Nachdem die Epidemie im Oct. 1892
erloschen war, brach sie im Juni 1893 wieder aus, von Schülerinnen einer früher be¬
fallenen Klasse ausgehend.
Die Abhandlung Über diese interessante, nur selten beobachtete Krankheitsform
zeugt von grossem Fleiss und Geschick des Verf. und kann zur Lectüre bestens empfohlen
werden. Feer.
Atlas der klinischen Mikroscopie des Blutes.
Von Dr. Hermann Biedery Privatdocent und Assistent der medic. Klinik in München.
12 Tafeln mit 48 Abbildungen in Farbendruck. Leipzig 1893. Preis 8 Mk.
Das was dieses Werk erreichen will, fasst der Verfasser selbst in folgenden Worten
zusammen: ^Der Practiker soll durch die vorliegenden Tafeln der Schwierigkeit über¬
hoben werden, in einzelnen Publicationen sich hinsichtlich der bei den verschiedenen
Blutkrankheiten zu beobachtenden mikroscopischen Befunde orientiren zu müssen; er soll
auf gedrängtem Raume das finden, was für die Beurtheilung eines Krankheitsbildes in
Bezug auf Blutbefund massgebend ist." Diese Aufgabe lösen die vortrefflich colorirten,
mit knappem Text versehenen, auf Veranlassung v. Ziemssen^s entstandenen Tafeln in
geradezu glänzender Weise. Leuch.
Lehrbuch der speciellen Chirurgie.
Für Aerzte und Studirende von Dr. Franz König. Sechste Auflage. Berlin, August
Hirschwald 1893. I. und II. Band.
Von dem klassischen Buche Königes liegen die 2 ersten Bände in 6. Auflage vor.
Trotzdem die Krankheiten der Wirbelsäule diesmal erst im 3. Bande abgehandelt werden
sollen, ist der Umfang der beiden Bände ungefflhr der gleiche geblieben. Berücksichtigt
man die Wandlungen der letzten Jahre auf dem Gebiete der Gehirn-, der Lungen-, der
Darm- und Nierenchirurgie, so darf uns eine kleine stetig sich bemerkbar machende
Umfangszunahme eines Lehrbuches nicht wundern, wohl aber das Geschick des Verfassers,
mit dem dieser bei der allseitigen Gründlichkeit seiner Bearbeitung den riesigen Stoff
in diesen Rahmen zu zwingen verstanden hat.
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Mag der Studirende vielleicht nach einem der zahlreichen kurzem Lehrbücher,
Abrisse, Compendion greifen — der practische Arzt und Chirurg kann sich unbestritten
kaum einen zuverlässigeren, den gegenwärtigen Stand unserer Wissenschaft treuer wieder¬
gebenden Berather halten, als die neueste Auflage von Lehrbuch. Schiller.
Real-Encyclopädie der gesammten Heilkunde.
Medicin.-chirurg. Handwörterbuch für practische Aerzte. Dritte, gänzlich umgearbeitete
Auflage. Unter Mitwirkung von 144 Fachgenossen herausgegeben von Prof. Dt. Albert Fjulm-
bürg in Berlin. II. Band. Lex. 8. 704 Seiten mit 70 Holzschnitten und einer Farben¬
drucktafel. Preis 17 M. 50 Pf. Wien und Leipzig, Urban & Schwarzenberg.
Ueber den ersten Band dieses Riesenwerkes ist in Nr. 6 unseres Blattes, Jahrgang
1894, referirt worden. Der zweite Band umfasst die Artikel Antiseptica—Bauche (La)
=: Eisenbad in Savoyen. — Auch die sociale Medicin ist einlässlich berücksichtigt. Im
Capitel Arbeiterschutz i^Wernich) und Arbeiterhygieine {Uffelmcmn) finden auch die Jah¬
resberichte unserer schweizer. Fabrikinspectoren gebührende Verwendung. Prüfung der
Literaturverzeichnisse z. B. nach den grossem Abschnitten Aphakie und Aphasie ergibt
eine anerkennenswerthe Vollständigkeit; beispielsweise sind auch kleinere Mittheilungen
aus dem Corr.-Blatt erwähnt und verwerthet. — Einige Gegenstände sind mit grosser
Ausführlichkeit und in vollständiger Abrundung behandelt, z. B. Aphasie, Arterien,
Asthma, Armenkrankenpflege, Apotheke, Auscultation, Bacterien, Basedow’sche Krankheit.
Mannigfach herausgeholte Stichproben ergaben, dass das vorliegende Werk ein wirklich
empfehlenswertber und zuverlässiger — weil vollständiger — Rathgeber zu werden ver¬
spricht. — Beim Capitel Arsen {Leconr) vermisst Ref. die Erwähnung der Arsenmelanose;
bei den Augeiiverletzungen sind die neuesten Resultate Haab's mit seinem grossen Electro-
magneten noch nicht berücksichtigt. E. Haffier.
Oamtonaile Ooi'^irespoiideiiaceui.
Rückblick anf den XI. Internat, medlclnlscben Congress
in Rom. Der ärztliche Weltcongress ist zu Ende. Eine gewaltige Schlacht bildete das
Finale, eine Schlacht originellster Art, wie sie nur in Rom geschlagen wird. Die WaflTen sind
Blumen, die Kämpfenden elegante Epigonen der alten Römer. Tausende von Wagen und
Zehntausendo von Fussgängern durchwogten den Corso von Nachmittags 4 Uhr an und
bewarfen sich gegenseitig mit Blumen; Millionen von Blüthen und bunten Papierschnitzeln
flogen von den dichtbesetzten Baikonen auf die unten Vorüberziehenden; wo aber Einer
nach einem besonders herrlichen, ihm zufliegenden Veilchenbouquet seine Hand aus-
strecken und dankbar die Blicke zu einer schönen Römerin erbeben wollte, da konnte es
passiren, dass die Neckische an unsichtbarem Faden die Blumenspende wieder zurückriss
und dem Verblüfften graziös ein Schnippchen schlug. — Noch toller ging es nach Ein¬
bruch der Nacht her und zu, wo ein Moccolifest sich an den Blumencorso anschloss. Die
Theilnehmer tragen brennende Wachskerzchen, suchen das Licht der Nachbarn auszu¬
löschen und ihr eigenes brennend zu erhalten und in diesem Kampfe entwickelt sich eine
Komik, die ihres Gleichen auf der Welt suchen dürfte. Ein imposanter, künstlerisch
ausgestatteter Fackelzug, der sich — von Musik angeführt — mit grösster Mühe durch
die dicht zusammengepressten Hundert tausende bewegte, schloss das Fest ab. In der
Form prächtig und humorvoll ausgestatteter Papierlampen zog Alles, was auf den Con-
gress und seine Feste Bezug hatte, vorbei — ungezählte Fiaschi aller Grössen, Insignien
des ärztlichen Standes, humoristische Transparents, nationale Abzeichen etc. und — als
bewundernswürdigste Leistung — alle Wunderwerke des Forums vom Vespasiantempel
bis zum Colosseum.
Der wissenschaftliche Theil des Congresses hatte seinen Abschluss schon Vormittags
gefunden in einer letzten allgemeinen Sitzung, worin BaccelU mittheilte, dass der XII.
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ärztliche Weltcongress (am den sich auch Spanien beworben batte) in Russland
stattfinden werde. Mit einem mächtig applaudirten: Yalete Salvete entliess er die inter¬
nationale Gesellschaft.
Und nun ist’s wieder ruhig geworden! Die 9000 CongresstheiLnehmer haben sich
verlaufen. Auch Ihr Berichterstatter sitzt wieder daheim und zieht wie vorher am Be¬
rufskarren; aber in der Erinnerung tönen die vergangenen Congresstage wie eine ferne
Brandung an sein Ohr, und erst allmälig wird es möglich, in objectiver Weise einiges
Wesentliche daraus zu fixiren.^) Die Aufgabe ist auch jetzt keine leichte; denn das
nach Rom und in die vergangenen Tage sich versenkende Auge trifft zu allererst die
sonnenbestrahlte Kuppel der Peterskirche, dieses mächtige, hoch in die Lüfte gestellte
Pantheon Michelangelo’s und sucht, in das moderne Häusermeer eingostreut, jene mäch¬
tigen Wahrzeichen eines glanzvollen Alterthums; die imposanten Ruinen der Kaiserpaläste
auf dem Palatin, die in Grösse und Schönheit unübertroffenen Ueberreste des römischen
Forums und über all’ diese Stätten grüsst herüber der klassische mons Soractes, jetzt wie
zu Horazens Zeiten nive candidus. In dieser Umgebung hält sich die Feder schwer an
die ihr gestellte Aufgabe und möchte lieber von dem berichten, was in Rom Herz und
Sinne vollkommen gefangen nimmt — von den Wunderwerken der Natur, Kunst und
Geschichte — anstatt von dem Durcheinander eines Weltcongresses.
Und ein Durcheinander war’s. — Was ist während der vergangenen Festwoche
in allen Zungen der Erde nicht darüber geschimpft worden! Wer spät Abends, nach
einem verunglückten Versuche, sich — auch noch so vorzüglich mit Billet und Extra-
einladnng ausgerüstet — bei einer officiellen Festlichkeit einen guten Platz zu erringen,
schliesslich müde, ärgerlich und durstig in ein Bierlocal trat, fand dasselbe mit Leidens¬
gefährten vollgepfropft, widerhallend von kräftigster Kritik über den Verlauf der soge¬
nannten „Vergnügungen“ des Congresses und manch Einer erlebte nach der ersten Misere
noch die zweite, d. h. er musste wegen Platzmangel auch vom Bierquell unbefriedigt,
ungelöschten Durstes und halb todt vor Lärm und Dunst wieder abziehen.
Nach den grossartigen Programmen, welche seit Monaten — kilozentnerweise ge¬
druckt — von Rom aus die ärztliche Welt überschwemmt hatten, war es gerechtfertigt,
seine Erwartungen aufs Allerhöchste zu spannen. Der Wahrheit gemäss muss auch ge¬
sagt werden, dass sowohl die Comites, die italienischen Aerzte wie die Behörden ganz
ausserordentliche Anstrengungen gemacht haben, um in geradezu phänomenaler Gastlich¬
keit den Congressbesuchern das Beste und Interessanteste zu bieten; aber die richtige
Ausführung der glänzenden Projecte scheiterte nicht nur an einer übermässig grossen
Zahl der Theilnehmer (es waren deren über 9000, aus der Schweiz allein ca. 240, incl.
Damen) und einem entschieden ungenügenden Organisationstalent, wobei stellenweise sinn¬
lose Kraft Verschleuderung stattfand, sondern namentlich auch daran, dass genusssüchtige
Römer familienweise, ohne Rücksicht auf die fremden Gäste, sich die ersten und besten
Plätze zu verschaffen wussten, bei den Eröffnungsfeierlichkeiten wie bei den Vergnügungen,
an den reich besetzten Buffets wie bei den Fest Vorstellungen, und was auf sog. ehrlichem
Wege nicht erhältlich war, wurde en gros gestohlen. So lautete ein Inserat in der
täglich erscheinenden (an die Congresstheilnehmer zu 10 Cts. per
Nummer verkauften!) Festzeitung: „Da einige Pakete der Einladungskarten zum
Lunch in den Thermen des Caracalla entwendet worden sind, so werden die bis anhin aus¬
gegebenen als ungültig erklärt und durch neue, anders gefärbte ersetzt.** Auch die
Congresskarten der Damen mussten im Verlaufe des Festes an andere ausgewechselt
werden, weil zahllose abhanden gekommen und von Unberechtigten benützt worden waren.
Der seit Monaten mit Pomp angekündigte, von einer „weltberühmten Firma“ in
Wien angefertigte, jedem Congressisten gratis zuzustellende Führer war nicht erhältlich ;
*) Einen in Rom vei-fassten und dort bereits zur Post gegebenen ausführlichen Bericht (Motto:
Difficile est satiram non scribere) habe ich auf den Rath eines Freundes wieder zurückgezogen und
bin jetzt, bei ruhiger Ueberlegung, dankbar für diesen Rath. E. H.
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man wurde von einem Tag auf den andern vertröstet und schliesslich gegen das Ende
des Congresses erschien — ridiculus mus — ein nunmehr überflüssiges, sonst ganz
brauchbar angelegtes, aber äusserst anspruchloses Heftchen, in welchem nebst vielen
anderen Inserenten u. A. auch Papa Hunyadi Janos eine ganze Seite lang sich breit
macht. —
Unbegreiflicher Weise war auch bei Gelegenheiten, zu welchen die Congressisten
oft nur mit grosser Mühe und Zeitverlust sich Eintrittskarten hatten verschaffen können,
z. B. bei der Beleuchtung der herrlichen römischen Ruinen des Palatins und des Forums
trotz zahlloser herumstehender Polizisten, welche dem Eintretenden die Karten abverlangten,
alles dicht mit römischem Volke überstellt, so dass von einem richtigen Geniessen in
dem Gedränge nicht die Rede sein konnte.
Wer aber gar der Festvorstellung im Costanzitheater (Oper) beiwohnen wollte,
musste, da aus dem Unternehmen eine Speculation gemacht worden war, horrende Preise
bezahlen, um schliesslich von einem mittelmässigen oder schlechten Platze aus zu sehen,
dass ganze Logenreihen leer stunden, weil nur wenige Congressisten Lust hatten,
flO und mehr Franken für einen Logenplatz auszulegen.
Vorzüglich gelungen war dagegen das Gartenfest im Quirinal, wo das italienische
Königspaar einige tausend Gäste in liebenswürdiger Weise empfing und bewirthen Hess.
Leider hatte man versäumt, zu publiciren, dass die Einladungskarten zu diesem könig¬
lichen Feste für die Adressaten poste restante bereit liegen und so blieben, auch von
Schweizercollegen und ihren Damen, Manche fern, die erwartet worden waren und welche
dann — ärgerlich und sehr post festum — Tags darauf die fein ausgestatteten Karten
im Postfache vorfanden. Bei dieser Gelegenheit sei auch dankbar erwähnt, dass sich's
der schweizerische Gesandte in Rom, Herr Minister Bavier, in liebenswürdigster Weise
angelegen sein Hess, für seine Landsleute die Pforten des Quirinals zu öffnen und ihnen
überhaupt mit Rath und That an die Hand zu gehen.
So confus es im Grossen und Ganzen an den allgemeinen Festlichkeiten des
Congresses her und zuging, so vorzüglich waren die Arrangements der einzelnen Sectionen
und speciell die militär-ärztliche Abtheilung erfuhr eine gastfreundliche Ueberraschung
nach der andern, alles wohlgeordnet, mit militärischem Schneid und soldatischer Pünkt¬
lichkeit organisirt.
Man wird es einem Berichterstatter zum Vorwurf machen, wenn er das Neben¬
sächliche und Unwesentliche eines Congresses, die allgemeinen Vergnügungen und Fest¬
lichkeiten in den Vordergrund stellt, bevor er den wissenschaftlichen Theil nur mit einem
Worte erwähnt hat. Es geschieht dies aber nicht ohne Absicht. Die Art und Weise,
wie der Congress von Rom aus inscenirt wurde, hatte etwas ausserordentlich Verlockendes
und zahllose, wahrscheinlich die grössere Mehrzahl der 9000 Congress-Theilnehmer, sind
nach der ewigen Stadt gepilgert, nicht um au der wissenschaftlichen Seite des Congresses
theilzunehmen, sondern um allenfalls die dabei dargebotenen Vergnügungen zu geniessen
und daneben vor Allem Rom kennen zu lernen. Bei Manchem mag desshalb die Wissen¬
schaft des XI. internationalen Congresses keine andern Spuren hinterlassen haben, als
schmerzhaft getretene Hühneraugen und wundgeriebene Ellenbogen, wie man sie bei der
Jagd nach Festkarten acquiriren konnte.*)
Wenn man erfährt, dass das Lokal für die allgemeinen Versammlungen kaum 500
Zuhörer fasste und doch — mit Ausnahme des ersten Tages, da Yirchow sprach — sich
als — zu gross erwies, so ist das wohl eine deutliche Illustration für den wissenschaft¬
lichen Drang der 9000 Congressbesucher. —
W'as der verflossene Congress für die Wissenschaft geleistet hat, wird sich erst
Dem Vernehmen nach haben mehr als 3000 Herren — welche zu der medicinischen Wis¬
senschaft in keinerlei Beziehung stehen — von der für den Verlauf des Congresses sehr verhängniss-
vollen Erlaubniss Gebrauch gemacht, sich durch Einsendung von 10 Fr. als invitati die Theilnahme
an den „CongressFreuden“ zu sichern.
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ermessen lassen, wenn einmal die Sammelberichte darüber erschienen sind. Unter den
bedeutungsvollen Vorträgen in den allgemeinen Sitzungen sei hier auch derjenige von
Professor Kocher erwähnt: üeber die Wirkung der modernen Schusswaffen, welcher un¬
gefähr in folgendem Resume gipfelte: Da der Sprengeflfect eines Projectils mit der Ge¬
schwindigkeit znnimmt, die neuern Waffen aber immer noch eine Vermehrung der Ge¬
schwindigkeit anstreben, so kann von einem Aufhören der Sprengwirkung bei den
modernen Geschossen nicht die Rede sein. Eine Herabsetzung derselben ist nur dadurch
zu erreichen, dass man den Durchmesser des Projectils ad minimum vermindert, ferner
dass man dasselbe aus nicht deformirbarer Masse anfertigt, mit fester, konischer Stahl-
spitze versieht und ihm eine kräftige Rotation verleiht, letzteres, um mit Sicherheit ein
Aufschlagen mit der Spitze zu erzielen, wodurch allein die Erzeugung eines ganz
kleinen Hautloches garantirt wird, der besten Bedingung für die günstige Ausheilung
einer auch noch so complicirten Knochenverletzung.
Sehr fleissig gearbeitet wurde in den Sectionssitzungen, namentlich bei den kleinem
Sectionen. Es war eine wahre Wohltbat, aus dem geräuschvollen Taubenscblag der In¬
ternen, oder der Chirurgen sich einmal beispielsweise zu den Anatomen zu flüchten,
welche bei geschlossenen Thüren — Eis an der Spitze — mit würdevollem Ernste ihrer
Arbeit oblagen. — Eine bessere Organisation der wissenschaftlichen Arbeiten ist für zu¬
künftige Weltcongresse durchaus nothwendig; die kunterbunt zusammengetragenen zahl¬
losen Mittheilungen und Forschungsergebnisse bilden — wenn nicht nach gewissen leitenden
Gesichtspunkten geordnet — ein sehr mühsam und unvollständig verwendbares Material.
Einen beachtenswerthen Versuch hat die Section für innere Medicin nach dieser Richtung
gemacht. Nach einem Schema, das sich im Wesentlichen an die verschiedenen physiolo¬
gischen Apparate des menschlichen Körpers anschloss, wurden die angemeldeten Vorträge
geordnet; beispielsweise brachte die erste Sitzung nur Mittheilungen über Pathologie etc.
des Kreislaufapparates. Dazu lieferte Prof. Sahli einen interessanten Beitrag durch Mit¬
theilung von Versuchen, welche die gerinnungshemmende Wirkung des Blutegelkopf-
extractes auf das Blut zum Gegenstand hatten und zeigten, wie man durch dieses chemisch
noch nicht genau präcisirte Agens die Thrombenbildung im Blute hindern kann.
Als bedenkliches Zeichen der babylonischen Sprachverwirrung eines polyglotten
Congresses sei hier notirt, dass der Inhalt des SahWschen Vortrages folgendermassen in
dem gedmekten Sitzungsprotocolle publicirt wurde: „üeber die Wirkung des Blutextractes
als Thrombenbildner** ! I
Das Bewusstsein einer babylonischen Sprachverwirrung hatte man namentlich auch
bei den Discussionen; bei den grössern Sectionen verliefen dieselben nie ohne Störung;
wenn der Engländer sprach, so räusperte der Italiener, verlangte letzterer das Wort, so
verduftete der Franzose und die deutschen Votanten wurden von den 3 andern Sprachen
erst recht nicht verstanden. — Die Aufstellung einer internationalen Congresssprache,
als welche wohl einzig das Französische in Frage käme, müsste ein wesentliches
Förderungsmittel für die wissenschaftliche Ausbeute eines solchen Congresses sein. An
diese eine Forderung reiht sich aber noch eine andere: Man wird in Rom so ziemlich
allgemein zu der Ueberzeugung gelangt sein, dass internationale ärztliche Congresse nach
dem Muster des soeben verlebten nicht weitergehen können. Ein Festb^dürfniss, zu
dessen Befriedigung nicht einmal Rom die nöthigen Mittel und erforderlichen Localitäten
aufwies, darf in Zukunft nicht mehr so genährt werden, wie diess von Seiten der römi¬
schen Organisation aus — allerdings in gastfreundlicher und hochherziger Weise aber
sehr zum Schaden des Congresses — geschehen ist. — Man muss in Zukunft diese Ver¬
sammlungen einfacher und würdiger gestalten, mehr Ernst und Wahrheit, weniger Lust¬
barkeiten und Phrasen hineinbringen.
Roma locuta est! Was der römische Congress zur Evidenz bewiesen bat, sollte man
sich für spätere Congresse dieser Art zur Lehre dienen lassen; nur auf diese Weise wird
es möglich sein, diese internationalen ärztlichen Vereinigungen wirklich lebensfähig zu
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erhalten und sie ihren ursprünglichen ernsten, der Wissenschaft und dem Wohle der
Menschheit geweihten Zwecke wieder zurückzugeben.
(Fortsetzung folgt.)
Sehr geehrter Herr College! Wenn ich in Gegenwärtigem auf Ihre Re-
cension über meine Broschüre reagire, so dürfen Sie überzeugt sein, dass es nicht ge¬
schieht, um das gefällte ürtheil zu bemängeln, sondern in der Ueberzeugung, dass es
zeitgemäss sein dürfte, in Ihrem geschätzten Blatte eine Discussion über die gerade jetzt
so hoch actuelle Frage der Kranken- und Gesundheitspflege anzuregen. Auch verfolge
ich keineswegs etwa den anmasslichen Zweck, dem Forrer'schen Entwurf, der unter den
gegebenen Umständen jedenfalls das Beste sein dürfte, was pro tempora erreichbar ist,
ein Bein zu stellen. Da jedoch derselbe fast ausschliesslich die Industriebevölkerung
berücksichtigt, und diese Übel berathene Heerde sich am meisten gegen die Annahme
desselben sträubt, so dürfte die Zeit vielleicht doch nicht ferne sein, wo unsere Käthe
genöthigt sein werden, die Gesundheitspflege auf allgemeinere Grundlagen zu stellen und
diese nach allen Seiten zu studiren und zu ventiliren. Es möchte daher auch aus
diesem speciellen Grunde nicht überflüssig sein, jetzt schon, während das allgemeine
Interesse sich diesen Fragen zuwendet, das Eisen zu jschraieden, dieweil es noch warm ist.
Nur möchte ich vor Allem aus diese Ansicht festnageln, dass weder der Greulich’sche
ganze, noch der vielerorts als „Bezirksarzt“ fungirende partielle Staatsarzt
auch nur von ferne sowohl in der Wiederherstellung als in der Erhaltung der Gesundheit
dasjenige zu leisten im Stande ist, was einer collegial arbeitenden Bezirks-Poliklinik zu¬
zutrauen wäre. Hierüber, meine ich, kann kein Zweifel obwalten und war dies daher
der Ausgangspunkt meiner Ideen, die mir als „Zukunftsstoffe“ schon lange im Blute
steckten und deren „Secretion“ ich bei Gelegenheit der Zürcher-Initiative kaum mehr
hintanzuhalten vermochte. Nun musste ich mir sagen, dass ein aufrichtiges Zusammen¬
wirken der Aorzte in einem solchen poliklinischen Collegium kaum anzuordnen möglich
sei, so lange der einzelne Arzt, er mag wollen oder nicht, mit seinen Collegen den
Kampf ums Dasein zu führen genöthigt ist. So kam ich zu der allerdings ziemlich
baroken Idee meines Coupon-Systems, das von verschiedenen Seiten, wie ich bereits vor-
aussab, wonnegrunzelnd als alte „chinesische“ Erfindung bezeichnet wird. Nun, wenn
auch die zu Grunde liegende Idee chinesisch ist, so ist jedenfalls die von mir vorge-
schlagene Ausführungstechnik derselben höchst modern und bezüglich ihrer Anwendung
auf das medicinische Gebiet gewiss „etwas Neues unter der Sonne“. Mir selbst kommt
diese Technik jo nach Stimmung heute als spasshaft und unrealisirbar, morgen zum
Mindestens als discutirbar vor, ein Stimmungswechsel, den ich auch bei denjenigen Herren
bemerke, welche im Uebrigen meine Ideen wohlwollend beurtheilen. Somit möchte ich
wohl vermuthen, dass auch hierin ein Kern steckt, der vielleicht bei richtiger Behandlung
sich zu einer lebensfähigen Pflanze entwickeln dürfte.
Versichern möchte ich Sie auch, dass es mir ferne lag, unsern Stand im Allge¬
meinen des Eigennutzes anzuklagen und dass ich Ihre Bemerkung, alles was bis jetzt
staatlich in Prophylaxe geleistet ward, sei vom Aerztestand angeregt worden, für unan¬
fechtbar halte. Allein die einzelnen Aerzte, dies werden Sie mir wohl zugeben, müssen
in ihrer grossen Mehrzahl erst in „collegiale Stimmung“ versetzt werden, um den Vor¬
schlägen der Humanitätsvorkämpfer Nachdruck zu verleihen. Die Initiative zur Prophy¬
laxe, und zwar nicht nur zur staatlichen sondern auch zur örtlichen und individuellen,
geht der Mehrzahl der wirklich practicirenden Aerzte fast vollständig ab, was auch keinem
zu verdenken ist, da nur wenige neben dem sauren Kampf ums Dasein noch Zeit finden,
gleichsam den Spürhund für die seinem Erwerbe eher schädlichen als nützlichen hygie¬
nischen Interessen des Publicums zu machen und dies um so weniger, als das Publicum
selbst diesen Interessen aus Unverstand sehr oft feindlich sich gegenüber stellt.
Hieran lässt sich noch die bemühende Betrachtung knüpfen, dass es beinahe un¬
möglich erscheint, die Leistungen unseres Berufes, die unstreitig in qualitativer Beziehung
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höher stehen als diejenigen irgend einer andern Berufsart, anders als quantitativ zu
schätzen und zu bewerihen, ein Umstand, der von jeher und bei der heutigen Ueber-
fullung des Standes mehr denn je geeignet war, das Ansehen des Staudes bei verschie¬
denen Yorkommuissen auf das Niveau der niedrigsten Gewerbe herabzudrücken (vide u. a.
die deutsche Gewerbeordnung).
Für heute schliessend würde es mich freuen, wenn Sie diesen „offenen Briefe der
Aufnahme in das Correspondenz-Biatt für würdig hielten. Mit coli. Gruss und Hoch¬
achtung! Ihr ergebener Dr. Becky Red. der „ärztl. Polytechnik“.
Schweiz.
Die 47. Versammlnng des firzUIehen Centralverelns findet am 26. Mai oder 2.
Juni (Definitives in nächster Nummer) in Zürich statt.
— An der kantonalen Gewerbeansstellnng in Zllrieh (15. Juni bis 15. Oct. 1894)
werden einige Gruppen für die Aerzte von ganz besonderm Interesse sein, so vor Allem
Gruppe I a) der „eidgenössischen Abtheilungen“: Unfallverhütung, Fabrik-
h y g i e i n e , welche die Fortschritte auf diesem Gebiete, wenn immer möglich
in Verbindung mit dem Maschinenbetriebe, zeigen wird. Dann I b):
Samariterwesen und freiwillige Krankenpflege. Das leitende
Comite hat in einem Schreiben an den Präsidenten des ärztlichen Centralvereins die
schweizerischen Aerzte eindringlich zum Besuche der Ausstellung eingeladen und sich
bereit erklärt, zur Abhaltung einer fachmännischen Versammlung (in welcher specielle
oder allgemeine Fragen unserer Wissenschaft besprochen werden konnten) die Hand zu bieten.
Eine schon in 3. Nummer vorliegende illustrirte Ausstellungszeitung — in vorzüg¬
licher Ausstattung — wird 20 Nummern stark erscheinen und ist zum Preise von 5 Fr.
bei Meyer & Männer in Zürich zu abonniren.
— Die von GailUmme begründeten und nun durch die DDr. Sandoz und de Mont-
mollin in seinem Geiste sehr geschickt fortgeföhrten Feullles iPHy^ibne erscheinen seit
Neujahr 1894 (20. Jahrgang) in neuem Gewände und gedruckt statt wie bisher auto-
grapbirt.
— Eine von Dr. C. Kaufmann in Zürich verfasste und in den Schweiz. Blättern für Wirth-
schafts- und Socialpolitik erschienene, sehr lesenswerthe Arbeit: Die Ulifallfol^eii in Bezu^
aaf die Unfall^eselzgfebungf ist zu 50 Rp. als Separatabdruck im Buchhandel erhältlich.
Sie sucht nachzuweisen, dass unsere bisherige Haftpfiiehtgesetzgebung die Aufgabe des
Arbeiterschutzes in ungenügender Weise erfasste und dass die staatliche Unfall¬
versicherung diese viel energischer thun und namentlich dadurch von grösstem
Segen sein wird, dass sie sich nicht damit begnügt, mit Geldentschädiguug die Unfall¬
folgen abzufinden, sondern das grösste Gewicht legt auf eine rationelle und leistungs¬
fähige Behandlung der Unfallverletzungen.
Ausland.
— In Nr. 16 des Centralblattes für Chirurgie erscheint wieder einmal eine „vor¬
läufige Mittbeilung“ : lieber Gastroplleatio (Faltung des Magens bei Magenektasie. Der
Autor, Prof. Brandt in Klausenburg, kann sich „nachläufig“ überzeugen, dass die Ope¬
ration erfunden und beschrieben worden ist von Spitalarzt Dr. Bircher in Aarau (Corr.-
Blatt für Schweizer Aerzte 1891, pag. 714). Alle bedeutenden medicinischen Blätter
haben s. Z. darüber referirt.
— Mit der 66. VersmHBiluig deotscher Natarforseher ond Aerzte, welche Ende
September 1894 in Wien stattfindet, wird eine Ausstellung von Gegenständen aus allen
Gebieten der Naturwissenschaft und Medicin verbunden sein, zu deren Beschickung hie¬
durch eingeladen wird. Anmeldungen sind bis 20. Juni an das „Ausstcllungscomitc der
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Naturforscherversammlung (Wien I. Universität)“ zu richten, von welchem die Anmel-
dungsscheine, Ausstellungsbestiramungen und alle Auskünfte zu erhalten sind.
— Brown-S^qaard, der bekannte Pariser Physiologe, ist am 4. April im Alter
von 76 Jahren gestorben. Auf der Insel Mauritius geboren, begann er seine wissen¬
schaftliche Laufbahn in Amerika, dann ging er nach England, um 1869 nach Paris zu
übersiedeln, wo er 1878 zum Nachfolger von Claude Bernard am physiologischen Lehr¬
stuhle des College de France ernannt wurde. Während seiner langen wissenschaftlichen
Carriero hat er sich um die Physiologie und Pathologie des centralen Nervensystems be¬
sonders verdient gemacht; auch auf verschiedene andere Gebiete wirkte seine durchaus
originelle Geistesrichtung anregend und fruchtbringend. Mit ihm verschwindet der letzte
üeberlebende der Schule von 3Iaffendie, welcher wir die Gründung der modernen Phy¬
siologie verdanken. Verewigt ist er u. A. auch in jenem eigenthümlichen Symptomen-
complex, der nach halbseitiger Durchschneidung des Rückenmarks eintritt, der Broten-
/S(^gMrtrd’schen Lähmung.
— Als eine häufige lebensgefährliche Frühcomplication
der Rachendiphtherie nennt Aufrecht in Magdeburg (Therap. Monatsh. 1894,
Heft 3) die — wenn zu raschem Exitus führend — meist als Herzparalyse auf¬
gefasste fondroyanle pareoebynatSse Nephritis. Er empfiehlt dringend, in allen Fällen
von Diphtherie, ja auch bei folliculärer Angina, von Beginn der Krankheit au den Harn
auf Eiweiss zu untersuchen. — Unerlässlich ist diese Frühuntersuchung in allen Fällen,
wo grosse Unruhe bei benommenem Sensorium und hohe Pulsfrequenz besteht. Ist unter
diesen Verhältnissen Albuminurie constatirt worden, dann reiche man ohne Zögern reich¬
liche Quantitäten eines alkalisch-salinischen Wassers (z. B. Wildungen), um die Ham-
secretion durch Entfernung der die i/ew^e’schen schleifenformigen Canäle verstopfenden
Cylinder zu befördern.
— An der DraschehchQn mediciu. Klinik in Wien wurden von Dr. 0. v. Bauer
Versuche über die therapeutische Verwendbarkeit des von Jaquet (Corresp.-Blatt 1893,
pag. 609) empfohlenen Mslaklns angestcllt, die zu folgendem Ergebniss führten:
1. Das Malakin wirkt als Antirheumaticum, doch steht es entschieden an Sicher¬
heit des Effectes dem Salicyl nach, hat dagegen den Vortheil, der unangenehmen Neben¬
erscheinungen (Ohrensausen, Brechreiz etc.), welche das letztgenannte Mittel sehr oft in
Begleitung hat, zu entbehren.
2. Das Malakin kann zu den Antipyretica gezählt werden, deren mildestes es in
der That genannt zu werden verdiente. Die Temperatureruiedrigung pflegt zwar im All¬
gemeinen nie so bedeutend zu sein, wie nach Darreichung von Antipyriu oder Phenacetin.
Doch kann dies nicht als Nachtheil dieses Arzneimittels bezeichnet werden, weil es
unseren gegenwärtigen Anschauungen über die Antipyrese keineswegs entspricht, die
Temperatur eines Fiebernden bis auf die Norm zu erniedrigen, als vielmehr die hyper-
pyretischen Temperaturen auf ein gewisses Maass herabzudrücken. Hiedurch schaffen
wir den Patienten subjective Erleichterung und dieses muss wohl mit Recht als der Haupt¬
zweck einer Fieberbehandlung bezeichnet werden. Namentlich gegen das
Fieber der Phthisiker dürfte sich die Verordnung des Ma-
lakins empfehlen, da die herabgekommenen und marastischen Tuberculotiker
bekanntermassen gegen die stark wirkenden Antipyretica oft mit schweren Collapserschei-
nungen reagiren.
3. Am wenigsten empfehlenswerth ist das Malakin als Anodynum, indem die stärker
wirkenden Arzneistoffe gleicher Art (Antipyrin, Phenacetin etc.) jedenfalls den Vorzug
verdienen. Nur dort, wo besondere Verhältnisse, sensible, herabgekommene Individuen,
specielle Idiosynkrasien vorhanden sind, wird Malakin als Anodynum zu verwenden sein.
(Wiener med. Bl. 1894, Nr. 2.)
— Eine neue Art der Erzeugung von CoeaTn-Anassthesie empfiehlt Dr. Kroghts
in Helsingfors. Er injicirt die Coca’inlösung nicht an Ort und Stelle des nothwendigen
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chirurgischen Eingriflfes, sondern centralwärts in der Umgebung des Nervenstammes,
welcher jene Gegend versorgt. Um beispielsweise die Eröffnung eines Panaritiums
schmerzlos ausführen zu können, spritzt K, an der Basis des betreffenden Fingers, im
gesunden Gewebe, seine CocaYnlösung in die Tiefe der Weichtheile und erzeugt dadurch
Anaesthesie des ganzen Fingers und zwar nicht nur der Haut, sondern auch der tiefem
Gewebe, einschliesslich des Periost. —
Injection über dem Sulcus ulnaris des humerus erzeugt Anaesthesie des ganzen vom
nervös ulnaris versorgten Gebietes.
Von einer 2®/oigen CocaYnlösung sind im Maximum 3 Pravas'sehe Spritzen voll
nothig, um den beabsichtigten Zweck zu erreichen; meist genügt eine Spritze voll (also
0,02 Cocain). Die Anaesthesie erreicht ihr Maxiraum 5 —10 Minuten nach der Injection
und dauert mindestens eine Viertelstunde. Der Effect kann noch verstärkt respective
verlängert werden durch Application des Esmarch'sehen Schlauches überhalb der Injec-
tionsstelle. —
Phimosenoperation konnte nach einer Einspritzung an der Wurzel des Penis ganz
schmerzlos vorgenommen werden.
K, betont die Nothwendigkeit, den Patienten während und noch ^4 Stunde lang
nach der Operation horizontal liegen zu lassen; auf diese Weise hat er niemals unan¬
genehme Zufälle beobachtet. (Nach Semaine med. 1894, Nr. 21.)
— Die Ansicht der Commission, welche von der indischen Regierung unter dem
Drucke der Anti-Opium-Bewegung eingesetzt wurde, um die Folgen des Opiumgffnosses
für die öffentliche Gesundheit zu untersuchen, wird vielleicht manchen Leser, welcher
entweder aus eigener Anschauung oder durch Reisebeschreibungen sich einmal über diese
Frage ein eigenes Urtheil gebildet hat, etwas befremden. Ohne direct gegen die Anti-
Opium-Bewegung Stellung zu nehmen, ist die Commission der Meinung, dass Opium in
massiger Menge genossen unschädlich, sogar unter Umständen von Nutzen sein könne,
und ein Versuch, den Opiumgenuss zu verbieten würde auf grossen Widerstand stossen,
möglicherweise sogar zu Ruhestörungen Anlass geben. Es muss allerdings zugegeben werden,
dass der Opium missbrauch schlimme Consequenzen haben kann; Beispiele dieser Art sind
aber selten und sind von den Gegnern des Opiums sehr übertrieben worden. Die Zahl
der Fälle von unmässigem Opiumgenusse ist verschwindend klein im Vergleich zur Zahl
der Opfer des Alcohols und der schädliche Einfluss des Opiums auf die indische Rasse
kann mit den unheilvollen physischen und moralischen Folgen des Alcoholismus in Indien
nicht verglichen werden. (Lancet Nr. VIII, 1894.)
— Ueber die Aeliologie der aeaten Dysenterie hat Arnaud eine Serie von Unter¬
suchungen angestellt und zu diesem Zwecke die Dejectionen von sechszig Dysenteriekranken
bacteriologisch und experimentell geprüft. Während andere Autoren die Dysenterie der Tropen
auf das Vorhandensein von Amoeben zurückführen (Karitilis)^ fand Arnaud im diarrhoischen
Stuhl aller von ihm untersuchten Fälle entweder allein oder vermischt mit anderen Micro-
organismen einen beweglichen Bacillus, der in allen seinen culturellen und sonstigen
Eigenschaften mit dem Bacillus coli übereinstimmte. Bei einem im acuten Stadium der
Dysenterie zu Grunde gegangenen Patienten fand er in der Milz denselben Microorganis-
mus. Inoculationsversuche an Thieren ergaben zunächst keine eindeutigen Resultate;
Kaninchen, Meerschweinchen und Ratten gingen nach kurzer Zeit an allgemeiner In-
fection zu Grunde. Fütterungsversuche mit Reinculturen an Hunden blieben ebenfalls
zunächst ohne Erfolg; dagegen konnte A, durch intrarectale Application in jedem
Falle eine schwere und typische Dysenterie mit schleimig - blutigen Dejectionen her-
vorrufen, an welcher vier Hunde von fünf zu Grunde gingen. Bei der Section fanden
sich zahlreiche, unregelmässige, scharfkantige Geschwüre mit Zerstörung der Darmwand
bis zur Serosa; selbst der Dünndarm war der Sitz einer lebhaften Schwellung und Hypor-
lemie mit einzelnen discreten Ulcerationen.
(Compt. rend. Soc. Biolog. Nr. 10, 1894.)
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— Bard und Lannois haben zunächst die temperaturherabsetzende Wirkung der
Giajacolpinselungeii aof die Haol beobachtet. Ihre Versuche hatten sie hauptsächlich
an fiebernden Phthisikern angestellt; seither wurden diese Beobachtungen von verschie¬
dener Seite wiederholt und die oberflächlicben Guajacolapplicationen auch bei anderen
Fieberformen versucht. Nach Gilbert bewirkt in den meisten Fällen eine Dose von 1,5
gr von verflüssigtem krystallisirtem Guajacol, auf irgend einer Stelle der Körperoberfläche
angebracht, eine Temperatnrherabsetzung von 1—1,5®. Der Abfall der Temperatur be¬
ginnt schon eine Stunde nach der Bepinselung, um nach 2—3 Stunden sein Maximum
zu erreichen. Nach 5—7 Stunden ist in den meisten Fällen die Wirkung vorüber.
Flüssiges Guajacol und Creosol wirken in ähnlicher Weise wie das krystallisirte Präparat.
Mit den Applicationen sei man aber vorsichtig, denn nach einer Dose von 2 gr beob¬
achtete Gilbert bereits Collapserscbeinungen. (Compt. rend. soc. Biol. 14. IV.)
Dieselbe Medication empfiehlt Ferrand (Sem. med. 18. IV.) bei Neuralgien und
Ischias. Er benutzt eine Mischung von Guajacol und Glycerin äüÄ und bedeckt die be¬
pinselte Stelle mit Guttapercha, um die Verdunstung zu verhindern. Die Wirkung tritt
rasch und sicher ein; dagegen fehlt die Temperaturherabsetzung, wahrscheinlich in Folge
der sehr geringen Penetrationskraft des Glycerins in die Haut.
— Zur quanliUliven BesÜBBang der Harasiare geben Ärihaud und Butte eine
neue bequeme und exacte Methode an, die sich besser als die bisher üblichen für die
oft beschränkten Verhältnisse einer Klinik oder der Privatpraxis eignen dürfte: Das Princip
dieser Methode ist die Fällung der Harnsäure als harnsaures Kupferoxydul. Zu diesem
Zwecke bereitet man sich zwei Lösungen, die getrennt lange Zeit haltbar sind, und aus
welchen die Titrirlösung gemacht wird. Die erste Lösung A besteht aus Cupr. sulfuric.
14,84 gr, Wasser 1000,0, Weinsäure Spuren; zur Herstellung der zweiten Lösung B
löst man in 1000,0 Wasser unterschwefligsaures Natron 80 gr, Seignette-Salz 160 gr,
Carbolsäure q. s. Die Carbolsäure hat nur den Zweck, die Entwicklung von Schimmel¬
pilzen zu unterdrücken. Ebenfalls dient die Weinsäure der Lösung A bloss zur voll¬
ständigen Auflösung des Kupfersulfates. Vor jeder Titrirung mischt man 8 Theile der
Lösung B mit 2 Theilen der Lösung A und so erhält man eine Flüssigkeit, welche in
10 cc gerade so viel Kupfersalz enthält als nothwendig ist, um 0,02 Harnsäure zu fällen.
Zur Harnsäurebestimmung nimmt man gewöhnlich 100 cc Ham, welche unter Er¬
wärmen mit C03Na2 zur Fällung der Phosphorsäure und Lösung der gefällten Harnsäure
versetzt werden. Vom Filtrat nimmt man 50 cc und lässt aus einer graduirten Bürette
die Titrirflüssigkeit tropfenweise hineinfliessen. Es entsteht ein weisser flockiger Nieder¬
schlag, der sichtbar zunimmt, so lange grössere Mengen von Harnsäure noch vorhanden
sind. Zur Wahrnehmung der Endreaction filtrirt man und sieht, ob nach Zusatz eines
Tropfens der Kupferlösung noch eine Opalescenz entsteht. Ist dies nicht der Fall, so
ist die Operation beendigt. Um sich aber auch zu überzeugen, dass die Endreaction
nicht überschritten worden ist, setzt man einen Tropfen der Flüssigkeit zu einer 10®/o
Lösung von xanthinsaurem Natron; bei vorhandenem Kupferüberschuss bildet sich ein
characteristischer gelber Niederschlag. (Progres medical Nr. 36, 1893.)
BrierkMten.
Prof. Brandt in Klausenbnrg: Das Referat von Bartsch (Breslau) in Nr. 46 des Centralblattes
für Chirurgie, 1892, dessen 8ie in Ihrer „vorläufigen Mittheilung“ in letzterschienener Nummer jenes
Blattes beiläufig gerleiiken, weist sehr deutlich auf den Erfinder „Ihrer Gastroplicatio“ hin und wenn
Sie die dort referirte üriginalarbeit von Weir (New-York) nachlesen (New-York Medical Journal
1892, 9 July), ßo finden Sie darin eine exacte Beschreibung der Bircher'schevi Fälle, eingeleitet durch
folgende Sätze: „Ich hatte geglaubt, etwas Neues in Chirurgie zu bringen. Indess erfuhr ich, zwei
Tage vor der Operation, dass diese gleiche Operation von Bircher in Aarau schon bei 3 Fällen von
Magendilatation ausgeführt worden w ar.“ Die Bircher Arbeit erschien schon 18 91 in diesem
Blatte. — Prof. Hufjuenin, Zürich; Dr. Dubais, Bern: Besten Dank. — Prof. Siilling, Strassburg:
Ihre sachliche Entgegnung erscheint in nächster Nummer. Nachher acta clausa. Die Streitfrage
ist für unser Blatt zu specialistisch.
Schweighauserische Buchdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
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Schweizer Aerzte.
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lalialt: I) Originalarbeiteu: Dr.Jhtbois: Therapeutische Yenrerthbarkeit der Yaguscompression. — Dt. Ernst Hmss:
Keratosis und Melanosis nach innerlichem Arsengebranch. — Dr. Vümann: Heilung der Stnblrerstopfnng. — Prof. J. StiUing:
Myopie nnd Cham&konehie. — 2) Verei nsberich te: Medicinlsehe Gesellschaft der Stadt Basel. — Gesellschaft der Aerste
in ZArich. — 3) Referate nnd Kritiken: Dt, 8. Kirchsnbttgsr: Aetiologie nnd Histogenese der raricdsen Yenen>Br*
kranknngen — Dr. Albsrt Boffa: Technik der Massage. — Dr. R. BtvrwüA nnd QnsUa Brauer: Das Turnen im Hanse. —
J. Sekwalhe: Grundriss der spielten Pathologie nnd Therapie. — Dr. A, Uehü: Die neuern Behandlungsmethoden derMetritis
clironiea. — Dr. de la Barpe: Formnlaire des eanz mindrales de In Balndotbdrapie. — Prof. Dr. A. Socin, DDr. A. Christ nnd
C. BägUr: Jahres^rlcbt Aber die chirurgische Abtheilnng des Spitals zu Basel. — Prof. Dr. i^'sdr. Zimmer: Sünde oder
Krankheit. — Dr. 8. Jessner: Compendinm der Hantkrankheiten. — Prof, (kirl fHedlander: Microecopische Technik. — Prof.
C. V, Kakläen: Technik der histologischen Untersuchung. — Ed. Schwtrts: La pratiqne de l'asepsie en Chirurgie. Dr. Otto
s.Bstff: Grundriss der gebnrtshüflichen Operationslehre. — O.Kdmer: Dis otitischen Erkrankungen des Difns. ^E.Zuekerkandl:
Normale nnd pathologische Anatomie der Nasenhöhle.— 4) Can tonale Correspond enzen: Rückblick auf den XI.Internat,
medieininchen Oongress in Rom. — 5)Woehenberioht: 47. Yersaromlnng des Arztl. Cenlralrereins. — 77. Jahresversamm-
Inn^ der sehweis, natnrforschenden Gesellschaft. — 19. Yersammlnog des deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege.
— 66. Yersammlnog dentscher Naturforscher nnd Aerzte. — Unfallrersichernng für Aerzte. — Mechanische Behandinng Ton
snbcatanen Phlegm<Hien. — InfectiönskTankheiten mit fleberlosem Yerlanf. — Das Dulcin. — Garbols&nre. — 6) Br I e fk a s ten.
7) HAlfskasse für Schweizer Aerste. — 8) Bibliographisches.
Orisfina.! -.A_x*l>eiten .
lieber therapeutische Verwerthbarkeit der Vaguscompression.
Von Dr. Dubois, Bern.
Im Jahre 1875 erschien in der Berl. kl. Wochenschrift, Nr. 15, ein Aufsatz
meines verehrten Lehrers Prof. Dr. Quincke, betitelt: ,Ueber Vagusreizung beim
Menschen.*
Angeregt durch Beobachtungen, die er 1874 an zwei Fällen von chronischer Hirn*
krankbeit gemacht hatte, machte Herr Prof. Quincke eine Reihe von Versuchen und
zeigte, dass durch Gompression der Carotisgegend am Halse eine deutliche Pulsver-
langsamung erzeugt werden kann. — Die Thatsache war nicht neu; verschiedene Be¬
obachter wie Ceermak, Oerhardt, Concato, de la Harpe, de Cerenville hatten bei
Kranken und Gesunden diese Erscheinung constatirt. Auch dem verstorbenen Prof.
Valeniin war die Thatsache nicht entgangen.
Immerhin galt die Erscheinung als eine seltene. Dagegen fand Prof. Quincke,
dass P u 1 8 V e r 1 a n g s am u n g bei Druck auf die Carotis eine
sehr häufige Erscheinung, sowohl bei Gesunden wie bei
Kranken ist. In mehr als der Hälfte der untersuchten Personen gab der Ver¬
such ein positives Resultat.
lieber die Art und Weise, wie diese Gompression ausgeübt wird, macht Q. fol¬
gende Angaben: Mit Daumen oder mit Zeige- und Mittelfinger wird die Carotis am
Halse aufgesucht und womöglich so ein Druck auf dieselbe (von vorn nach hinten,
g^en die Wirbelsäule) ausgefibt, dass sie nicht seitlich entschlüpfen kann.
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Bald muss der Druck stark genug sein, um die Carotis g&nzlicb zu comprimiren,
bald genügt schon ein schwacher Druck zur Hervorbringung des Phaenomens. In ein¬
zelnen Fällen gelingt der Versuch selbst, wenn der Druck am äusseren Bande des
Gefösses ausgeübt wird, so dass dieses nur ein wenig nach innen verschoben und
jedenfalls nur unbedeutend verengt wird. Ob der Druck etwas hoher oder niedriger
ausgeübt werde, scheint gleichgültig zu sein. Wegen der bequemen Erreichbarkeit
der Carotis an dieser Stelle empfiehlt Prof. Q. das Niveau des Schildknorpels.
Bei den damaligen Versuchen wurde gewöhnlich ein einmaliger kurzdauernder
Druck ausgeübt, seltener wurde der Druck mehrere Secunden oder selbst Minuten
fortgesetzt.
Stets wurde nur auf einer Seite comprimirt. In der Mehrzahl der Fälle gelang
der Versuch beiderseitig gleich gut, zuweilen auf einer Seite allein oder besser als auf
der anderen; und zwar war dies Öfter rechts als links der Fall.
Der Erfolg dieses Druckes ist eine Verlangsamung der Herz¬
action und der Pulse, welche sich bei Palpation und Auscultation leicht
nachweisen lässt. Schon mittelst der comprimirenden Finger nimmt man die Ver¬
änderung der Pulsfrequenz wahr.
Bald ist die erzeugte Verlangsamung der Herzaction eine geringfügige, bald
kommt es zu vollständigem Aussetzen des Pulses und Verlängerung der Herzdiastole
auf mehrere (3, 4, selbst 7) Secunden. Der arterielle Druck sinkt in dieser Zeit con-
tinuirlich ab.
Die nun folgende Pulswelle ist ungewöhnlich kräftig und zeigt eine höhere As¬
censionslinie als normal; die folgende Diastole ist, wenn nur ein einmaliger kurzer
Druck ausgeübt wurde, schon weniger verlängert als die vorangehende und nach
wenigen Pulsen bat die Curve ihre alte Hohe und Regelmässigkeit wieder erreicht.
Auch bei fortgesetztem Druck lässt sich keine bleibende Verlangsamung erzielen.
Die im Aufsatz des Herrn Prof. Q. abgebildeten Sphjgmogramme geben ein
klares Bild dieser Veränderungen der Pulsbeschaffenheit.
Die Pulsverlangsamung war, so zu sagen, die einzige Wirkung, welche
beobachtet wurde. Veränderungen der Respiration kamen nicht vor, ausser bei einem
Falle wo, bei continuirlichem Druck, tiefere und etwas häufigere Respirationen vor¬
kamen; daboi klagte der Patient über Druck und Schmerz in der Brust.
Andere Erscheinungen wurden nicht verzeichnet, weder von Seite des Kehlkopfes,
noch im Gebiete der Abdominalorgane.
Im Allgemeinen wird die in dieser Weise ausgeübte Gompression gut ertragen,
ruft keine oder nur unbedeutende Schmerzen hervor.
Erwähnenswerth ist noch, dass Prof. Q. bei Erregung der Herzthätig-
k e i t aus psychischen Ursachen, oder nach Anstrengung, bei fieberhaften Zuständen,
bei Herzklappenfehler mit bedeutender Erregung der Herzaction, den Erfolg ge¬
ringfügig oder null fand. Der künstliche Reiz war, sagt er, wohl nicht
stark genug, um den hier bestehenden physiologischen, resp. pathologischen Reiz zu
hemmen.
Am Schlüsse seiner Arbeit bespricht Prof. Q. die Frage, worauf die auf Com-
pression der Garotisgegend auftretende Pulsverlangsamung zurückzuführen sei. Die
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Idee einer Compression der Garotiden und dadurch bedingten Erhöhung des Aorten¬
druckes verwirft er, weil die Compression der beiden Crurales, welche den Aortendruck
noch mehr erhöhen würde, dennoch keine PulsVerlangsamung bewirkt. Die Annahme
einer Bimansemie weist er ebenfalls ab, weil Hirnansemie eher Pnlsbeschleunigung er¬
zeugen würde. Dagegen spricht auch die Thatsache, dass Pulsverlangsamung auch
ohne erheblichen Druck auf die Carotis, ohne Verengerung derselben eintreten kann.
Compression der Jugularis findet wohl bei jedem Versuch statt, bringt aber nicht
einmal Gjanose und könnte nicht wohl zur Erklärung herangezogen werden.
Das Wahrscheinlichste ist also mechanische Seizung
des Vagusstammes der nach hinten und aussen der Ca¬
rotis gelegen ist.
Einen grossen Theil der Versuche von Herrn Prof. Q. habe ich mitgemacht und
mich von der raschen Wirkung dieser Vaguscompression überzeugen können. Warum
habe ich nicht schon lange daran gedacht, die Vaguscompression therapeutisch zu ver-
werthenP Hat doch schon damals Prof. Q. auf die Möglichkeit diagnostischer oder
therapeutischer Verwerthung aufmerksam gemacht. — Er erwähnt (S. 13) 2 dies¬
bezügliche Beobachtungen und fügt bei: Vielleicht wird der Druckver¬
such erlauben, Pu 1 s b e s c h 1 e u n i g u n g e n, d i e a nf N a c h 1 a s s des
Vagustonns beruhen, von solchen Formen zu unterscheiden,
die Folge einer erhöhten Erregung der Besch1eunigungs-
nerven sind.
Hätte ich difisen Satz nicht vergessen, so wäre ich wahrscheinlich öfters in den
Fall gekommen, die Vaguscompression zu verwerthen. Doch war Vergessen nicht
allein daran Schuld. Zwei Gründe muss ich erwähnen, die mich von solchen Ver¬
suchen abhielten.
1) Prof. Q. hatte schon betont, dass die bei Gesunden erzielte Pulsverlang¬
samung eine ganz vorübergehende ist und dass sie bei pathologisch erregter Herzaction
nur geringfügig oder null ist. Diese Thatsache machte therapeutische Erfolge un¬
wahrscheinlich.
2) Hie und da kann die Vaguscompression ihre Gefahren haben. Bei dem ersten
Patienten des Herrn Prof. Q., einem 51jährigen Manne mit rechtseitiger Hemiparese,
psychischer Schwäche, bei welchem die Section diffuse Hirnsclerose ergab, hätte ich
beinahe durch die Compression plötzlichen Tod verursacht. Ich demonstrirte die Vagus¬
compression im Auscultationscurs und muss wohl etwas zu demonstrativ gedrückt
haben, denn der Puls setzte ganz aus; Patient streckte sich convulsivisch, liess unter
sich gehen! Erst nach mehreren Secunden, die mir wie Stunden vorkamen, zeigte
sich der Puls wieder und Patient kam wieder zu sich. —
Ich hatte in den letzten Jahren nicht mehr an die Vaguscompression gedacht,
als mir vor Kurzem, im richtigen Moment, der Gedanke wieder kam und mir ein
verblüffendes therapeutisches Kesultat ergab. — Die Beobachtung ist kurz folgende:
Eine 60jährige Dame consultirte mich wegen Athenmoth und Herzklopfen. Ich
erfuhr, dass die Dame, im Lehrfache thätig, sich in den letzten Jahren überangestrengt
habe. Sie hielt Vorträge, gab Stunden, war schriftstellerisch thätig. Dabei vernach¬
lässigte sie ihre Mahlzeiten, ass zu wenig und zu rasch, regte sich mit Theetrinken auf.
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Sie litt ausserdem an Metrorrhagien in Folge Uterusfibromen und war dadurch hochgradig
ansBmisch (45^/o Hsemoglobin) geworden.
Was aber die Patientin hauptsächlich beunruhigte war das Auftreten von Herz¬
klopfen. Diese Anfalle paroxysmaler Tachycardie traten sehr oft und plötzlich auf. Sie
dauerten 5, 10, ja 15 Stunden und führten zu schweren Collapszuständen. Ein englischer
Arzt hatte Angina pectoris angenommen, schlechte Prognose gestellt und strenge Diät
Yorgeschrieben.
Bei der Untersuchung fand ich keine wichtigeren Veränderungen, ausser Ansemie
und leichten Bronchialcatarrh. — Dagegen war die Patientin augenscheinlich hochgradig
nervös. Das Fehlen jeglicher Veränderung am Herzen sprach auch für nervöse
Tachycardie.
Ich kam nun zufällig dazu, einen Anfall von Herzklopfen zu beobachten. Ich traf
die Patientin einige Minuten nach Beginn des Anfalls. Sie war etwas blass, Dyspnoe
Hess sich nicht constatiren, der Puls war aber auf 140 gestiegen, war klein, aber
regelmässig.
Ich wohnte dem Anfall zuerst bei, ohne recht zu wissen, was zu thun sei. —
Digitalis, Strophanthus, Coffein, schienen mir zu langsam zu wirken, um hier in Frage
zu kommen.
Plötzlich denke ich an Vaguscompression. Zeige- und Mittelfinger der rechten
Hand lege ich auf die linke Carotis, schiebe dieselbe etwas nach innen, um den Vagus¬
stamm allein zu erreichen und übe einen mässigen stetigen Druck. — Kaum habe ich
5 Secunden gedrückt, so zeigt sich eine Verlangsamung des Pulses auf 128, ich drücke
noch stärker und in etwa 5 weiteren Secunden ist der Puls 961 Dabei bemerkt die
Patientin: Sie haben den Anfall coupirt!
Als ich sie frug, woran sie das Aufhören bemerkt habe, ob sie^die Verlangsamung
wahrgenommen habe, antwortete sie: nein, ich habe aber im Kehlkopf ein eigentbüm-
liches Knacken, wie das Springen von drei, vier Blasen empfunden, eine Erscheinung,
die regelmässig das Ende meiner Anfalle von Herzklopfen ankündigt. — Die Patientin
war von der erzielten Wirkung verblüfft und ich nicht weniger. Noch nie habe ich
innerhalb 10 Secunden den Puls von 140 auf 96 gebracht und noch mehr erstaunte ich
über den weiteren Verlauf, indem die Verlangsamung andauerte. Der Puls blieb mehrere
Tage auf 88. — Seither hat Patientin in meiner Abwesenheit mehrere Anfälle paroxysmaler
Tachycardie gehabt. Ohne Compression des Vagus verliefen diese Anfälle wie früher,
sie dauerten 5, 10 und 15 Stunden. — ln ihrem Leben bat Pat. nur einen Anfall ge¬
habt, der nur einige Minuten dauerte. Es war derjenige, wo ich die Vaguscompression
ausübte.
Ich anerkenne voll und ganz die Macht der Suggestion und bin geneigt viele
therapeutische Erfolge auf diese Einwirkung zuröckzufuhren. In diesem Falle wage
ich es nicht. Von beabsichtigter Suggestion war wenigstens keine Rede. Die Patientin
kannte mein Vorhaben nicht; ich selbst übte die Vaguscompression experimenti causa
und ohne bestimmte Hoffnung, einen Erfolg zu erzielen. — Unwahrscheinlich ist auch
die Annahme der Suggestion wegen der Reinheit der erzielten Wirkung. Sämmtliche
Erscheinungen weisen auf ausschliessliche Vagusreizung: Pulsverlangsamung
und Geräusche im Rachen, welche wohl auf Contraction
der Schlund- oder Kehlkopfmusculatur beruhen.
Man kann mir einwenden, dass ein einziger Fall nichts beweist. Es wäre aller¬
dings besser, eine Reihe von Fällen und wiederholte Beobachtungen bringen zu können.
Es war mir dies aber nicht möglich und es kann geraume Zeit vergehen, bis ich auf einen
solchen Fall von reiner paroxysmaler Tachycardie stosse. Die erwähnte Kranken-
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301
geschichte scheint mir nnzweideutig; die Beobachtung bietet die Reinheit eines physio*
logischen Experiments.
Ich habe seither bei Fällen von permanenter Tachycardie, wie sie bei hysterischen,
neurastbenischen, melancholischen Patienten so häufig Vorkommen, den Druckversuch
gemacht. Regelmässig habe ich die Pulsverlangsamung erzielt, aber nach erfolgter
Compression trat wieder Beschleunigung ein. Bleibende Wirkung, d. b. Goupi-
r u n g d es A n fa lls ist wohl nur bei paroxysmaler Tachycardie
zu erwarten, namentlich bei Fällen, wo das Herzklopfen auch ganz plötzlich
anfzuhören pflegt. In solchen Fällen scheint wirklich, wie Prof. Q. vermuthete,
mangelhafter Vagustonus zu bestehen. Reizung des Nerven scheint durch Druck rasch
and bleibend den Tonns wieder hersteilen zu können.
Zwei Fälle von Keratosis und Melanosis nach innerlichem Arsengebrauch.
Von Dr. Ernst Heuss in Zfirich.
Sind die fröher nicht so selten beobachteten Fälle von Pigmentation der Haut
nach Argent. nitric. (Argyrosis) gegenwärtig, Dank der grössern Vorsicht in der Or¬
dination und wohl auch den seltener gewordenen Indicationen, ziemlich spärlich gewor¬
den, so häufen sich in der letzten Zeit um so mehr Beispiele von Pigmentation nach
Arsengebrauch. Besonders aus Nordamerika und England erscheinen daröber jedes
Jahr neue Publikationen, was wohl mit der dort herrschenden starken Arsenikmedi-
cation (empfiehlt z. B. HtUehinson fast bei jeder chronischen Hautkrankheit Arsen)
Zusammenhängen mag. Doch auch auf dem Continent werden Arsenmelanosen im
letzten Jahrzehnt häufiger beschrieben, so von Förster (Berl. klin. Woch. 1892, 11),
Hugo MüUer (Arch. für Dermat. und Syph. 1893), Engd-Beimers (Jahrb. d. Hamb.
Staatsanstalten 1891), und speciell diese Zeitschrift brachte zur Arsenmelanosis zwei
werthvolle Beiträge von E. Heißer (Jabrg. 1889, S. 347) und von 0. Wyss (1890,
S. 473).
Ungleich seltener, den spärlichen Mittheilnngen nach zu schliessen und auch
bei Dermatologen von Fach wenig beachtet, sind eigenthflmlicbe, schwielige und war¬
zige Verdickungen von Hand- und Fusssohle, die man hie und da nach längerem
innerlichem Arsenikgebrauch auftreten sieht. So äussert sich Kaposi noch in aller-
jfingster Zeit (siehe Sitzungsbericht der Wiener dermatol. Ges. vom 25. October 1893
im Archiv für Derm. und Syph. 1894, S. 277) anlässlich der Mittheilung einer ein¬
schlägigen Beobachtung von H. Hebra darüber eher in ablehnendem Sinn, und nach
Neunuam (s. ebendort) .wäre es etwas Neues, dass durch das Arsen eine Verdickung
der Epidermis herbeigeführt werde*.
Es dürfte daher die kurze Mittheilung zweier Beobachtungen über Keratosis pal-
maris et plantaris arsenicfdis, der zweite mit Melanosis combinirt, gerechtfertigt er¬
scheinen.
1. Beobachtung. Am 6. October 1892 consnltirte mich Frau M. von Aussersihl
wegen eines juckenden Ansschlages ihres 8jährigen Kindes. Dasselbe, ein etwas anämi¬
sches, gracii gebautes Mädchen mit blonden Haaren, stammt aus gesunder Familie und
war bis zum Frühjahr dieses Jahres vollständig gesund. Damals traten ohne Ursache
an den Beinen heftig juckende Knötchen auf, die sich trotz ärztlicher Behandlung mit
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Theerpräparaten etc. aof Rumpf und obere Extremitäten weiter verbreiteten. — Status:
Typische Prurigoknötchen, hauptsächlich Streckseiten der untern Extremitäten und Glutäai-
gegend, weniger die Arme befallend. Am Fussrücken vereinzelte Knötchen; Planta wie
auch Hände, Gesicht etc. frei. Pityriasis capitis, Prurigobubonen. Zunge etwas belegt;
häufig an Appetitmangel und Verstopfung leidend. Innere Organe bieten nichts Abnormes ;
kein Eiweiss, kein Zucker.
In Betracht der Unbemitteltheit der Eltern und der hohen Apothekertaxe des
Cantons Zürich verordnete ich tägliche Einreibungen von Schwefelblumen (beim Krämer
zu kaufen) mit einer Speckschwarte; innerlich: Rp. Solut. Fowler., Aq. cinnam. ää 10,0.
D. S. Täglich 5 Tropfen. Jeden 3. Tag 1 Tropfen mehr.
Patientin zeigt sich mehrmals innert der nächsten Wochen; das Arsen wird gut ver¬
tragen, das Jucken geringer, die Knötchen kleiner, Appetit hebt sich. — Am 9. November,
nach mehrwöchigem Wegbleiben, zeigt sich die kleine Patientin mit ihrer Mutter wieder.
Die Mutter, in Folge Unwohlseins am Kommen verhindert, theilt mit, dass auch das Kind
in letzter Zeit nicht wohl gewesen. Es habe über Bauchschmerzen, Verstopfung ge¬
klagt, dann besonders über Brennen in den Fusssohlen; das Gehen sei ihm beschwerlich
geworden. Tropfen nahm es in letzter Zeit 16 pro die, seit Beginn der Behandlung im
Ganzen ca. 20,0 gr der Lösung, also etwa 10,0 Solut. Fowleri.
Das Kind sieht etwas abgemagert aus; Gesichtsfarbe gelblich, Scleren weiss.
Haut trocken, das Phänomen des Autographismus zeigend, d. h. beim Ueberstreichen der
Haut mit einem harten Gegenstand, dem Fingernagel, wird die betreffende Stelle zuerst
roth, dann weiss, reliefartig erhaben o h n e Juckgefühl. Nur in der Glutäalgegend lassen
sich noch einige Prurigoknötchen fühlen. — Die untern Augenlider sind ödematös ge¬
schwellt, ebenso Hand- und Fussrücken. Sonst keine entzündlichen Erscheinungen, kein
Eiweiss, kein Zucker.
Am meisten auffallend an den Händen sind symmetrisch über die ganze Volar¬
fläche bis zu den Fingerspitzen sich ausdehnende schwieleuartige Hautverdickungen, so-
dass dieselben Aehnlichkeit mit Arbeiterhänden haben. Auch die Seitenränder der Hände,
sowie die Interdigitalräume sind, wenn auch in geringerm Masse, ergriffen, in der Aus¬
breitung ziemlich genau an die Rillenbildung sich haltend. Der Uebergang in die nor¬
male Umgebung ist allmälig, ohne rothen Saum. Die Fingerbeugen, sowie die gröbern
Handfurchen, also die rillenfreien Partien der Hohlhand, sind nicht verdickt. Auch der
Daumen- und Kleinfingerballen sind nur schwach ergriffen, während besonders die Gegend
oberhalb der Metacarpalknöchelchen des ersten und letzten Fingergliedes überaus starke
Schwielenbildung zeigt. An diesen Partien ist die Hornhaut ausgesprochen gelb, wachs¬
artig durchscheinend.
Analoge Verhältnisse weisen die Fussflächen auf, wo die dem Boden aufruhenden
Partieen am meisten verdickt sind. Weniger befallen ist das Fussgewölbe, ganz frei die
Zehenbeugen und -Zwischenräume. Eine intensive Verdickung weist die Haut unter
den freien Nagelrändern auf.
Ein besonderes Befallensein der Schweissdrüsenmündungen, das Hutchinson für
characteristisch erklärt, lässt sich nicht nachweisen. Hand- und Fussflächen fühlen sich
trocken an; eine abnorm reichliche Schweissbildung soll auch früher nicht bestan¬
den haben. Keine Rhagaden, doch besteht ein etwas schmerzhaftes Spannungsgefuhl.
Nägel unverändert. Haut von Ellbogen und Knie nicht verdickt. Leichte kleienformige
Abschuppung im Gesicht; die Pityr. capit. hat zugenommen. Eine Verfärbung der Haut
konnte ich nicht nachweisen.
Traumatische Ursachen für die auch der Mutter auffallende Scliwielenbildung
Hessen sich mit Sicherheit ausschliessen. Mit dem fast verschwundenen Prurigo war
die Affection auch nicht in Verbindung zu bringen; an anderweitige mit Abnormitäten
in der Verhornung einhergehende Erkrankungen: Ichthyosis, Eczem, Psoriasis, Lichen,
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Lues, gewisse Keratodermien von Besnier und HaUopeau konnte ebenfalls nicht ge¬
dacht werden.
Angesichts der anderweitigen Erscheinungen von Arsenicosis: Verdauungsbeschwer¬
den, Oedem der untern Augenlider, von Hand- und Fussrficken, dem nicht so selten
nach Arseneiunabme beobachteten autographischen Hautphänomen war es naheliegend,
diese eigenthfimlicbe Hyperkeratosis mit dem verabreichten Arsen in Verbindung zu
bringen, als eine Folgeerscheinung desselben zu betrachten.
Noch wahrscheinlicher musste die Annahme werden, wenn mit Aussetzen des
Arsens die Eeratosis zurfickging. — Ich liess jeden Tag einen Tropfen weniger nehmen,
gegen das schmerzhafte Spannungsgefübl der Hand- und Fussflächen Fett einreiben.
Innert der nächsten 14 Tage, wonach mit dem As sistirt wurde, gingen die vaso¬
motorischen Storungen der Haut vollständig zurück, das Allgemeinbefinden, der Ap¬
petit etc. hob sich, in der Scbwielenbildung liess sich jedoch ausser einem Nachlass
des Spannungsgeffihls kein Bfickgang constatiren.
Ende der dritten Woche sab die Haut der Handflächen wie bestäubt aus und
begann wie auch die der Plantse zuerst in feinen, dann in breiten dünnen Lamellen
sich abzustossen. Die überaus reichliche Abschilferung sistirte erst nach etwa sechs
Wochen, wo die Hände wieder ihr normales Aussehen erlangt hatten. Auch im Uebrigen
batte sich die kleine Patientin vollständig erholt. Die Prurigosymptome waren bis
auf die noch fühlbaren Leistendrüsen geschwunden. Gegen ein leichtes Juckgefühl
wurden Abreibungen mit Campherspiritus, Morgens mit Vaselin verordnet
Am 5. Juli 1893 zeigte sich Pat. mit einem leichten Prurigorecidiv. Schop
experimenti causa verordnete ich wieder As innerlich. Die Patientin erschien nicht mehr.
Ein glücklicher Zufall verschaffte mir bald darauf eine zweite ähnliche Be¬
obachtung.
Am 21. October 1893 kam Frau Lehrer A. von Zürich in meine Sprechstunde
wegen eines hartnäckigen Ausschlages, der vor l’/s Jahren an den Armen aufgetreten
war und sich allmälig auch auf die Beine ausgebreitet hatte. Mehrere Aerzte hatte sie
bis dato vergebens consnltirt; das Uebel nahm langsam, aber stetig zu.
An den obem und untern Extremitäten fanden sich je vier bis sechs unregelmässig
über Benge- und Streokseiten vertheilte, erbsen- bis fünifrankenstOckgrosse rundliche, flache
Efflorescenzen, blass- bis dunkelroth, leicht schuppend, nicht juckend, etwas drnckempfind-
lich. Vereinzelte dicht unter der Haut liegende, stecknadelkopfgrosse, wachsartig durch¬
scheinende, weiche Knötchen von gelbbräunlicher Färbung in diesen Flecken Hessen im
Verein mit den andern Symptomen, dem chronischen Verlauf, dem Mangel an Drüsen¬
schwellung die Diagnose auf Lnp. vulg. disseminat. stellen. Eine nachträgliche micro-
scopische Untersnchnng eines excidirten Knötchens bestätigte die klinische Diagnose. Im
Uebrigen halte die kräftige, 37jährige Frau eine gesunde Gesichtsfarbe von etwas
dunklem Teint, schwarze Haare. Bis auf die Hautaffection und ein Unterleibsleiden,
wesswegen Patientin gynsecologisch behandelt wurde, war Patientin vollständig gesund.
Mann und Kinder sind gesund.
Ans äussem Gründen musste, wenigstens vorderhand, von einer energischen chirur¬
gischen Behandlung abgesehen werden. Versuchsweise wurden im Einverständniss mit
der Patientin gleichzeitig an fünf verschiedenen Stellen folgende Behandlungsmethoden
inscenirt: 1. Stelle Scarification -\r Salicylkreosotpflaster — 2. Aetzen mit Rp. Hg. bichlor.
corros. 1,0, Acid. carbol. liq. 5,0, Spirit, vin. 14,0. —‘ 3. Aufpinseln von Rp. Acid.
lact. Acid. salicyl. Collod. elast. as 5,0. — 4. Aetzen mit Rp. Acid. carbol. liq., Tinct.
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Jodi, Creosot. ää 5,0. — 5. Scarification und Einreiben von Rp. Bals. peruv., Ol. ricini
ää 10,0. Innerlich verordnete ich, eingedenk günstiger Erfahrungen und in Betracht,
dass Patientin zuverlässig war und hier wohnte, Arsen in steigenden Dosen, genommen
bis zur Grenze der Toleranz. — Patientin begann mit 6 Tropfen Solut. Fowleri täglich,
stieg Anfangs jeden 3., später jeden 4. Tag um einen Tropfen und erreichte um Weih¬
nachten, wo die Erscheinungen von Arsenicosis ihren Höhepunkt erreicht, das Maximum
mit 30 Tropfen, d. h. ca. 0,015 reines Kal. arsenicos. täglich, im Ganzen innert zwei
Monaten ca. 50,0 gr resp. 0,5 Kal. arsenicos.
Ich übergehe als nicht zur Sache gehörig den Verlauf der eigentlichen Erkrankung
und theile nur mit, dass in der Folge die 4. Methode, Aetzen mit Acid. carb. liq.,
Tinct. jod., Creosot. ää, wenn auch etwas schmerzhaft, als die vortheilhafteste sich erwies,
besonders in Verbindung mit multipeln, tiefgehenden Scarificationen, wesshalb sämmtliche
Stellen dieser Behandlung unterzogen wurden. Die lupösen Erscheinungen gingen innert
sechs Wochen vollständig zurück, und ich kann gegenwärtig den Fall — wenigstens
einstweilen — als geheilt betrachten.
Das As vertrug Patientin Anfangs sehr gut. An Magendarmbeschwerden hatte
dieselbe während des ganzen Krankheitsverlaufes nie zu leiden. Dagegen schienen gleich
von Anfang an die Respirationsschleimhäute in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Einem
schon in den ersten Tagen sich einstellenden Schnupfen schenkte ich Anfangs keine
grosse Beachtung. Derselbe wurde jedoch immer intensiver und steigerte sich zum
eigentlichen Stockschnupfen. Heftige Stimkopfschroerzen, ein hartnäckiger trockener Husten
traten hinzu, die sich gegen alle therapeutischen Massnahmen refraetär erwiesen. Erst mit
Aussetzen des As schwanden spontan auch diese Erscheinungen.
Am Anfang der Cur klagte die Frau über Schlaflosigkeit und Herzklopfen, die im
Verlaufe derselben sich hoben; nach Aussetzen des As trat Schlaflosigkeit von Neuem
auf, welche nur langsam schwand. Körpergewichtsbestimmungen machte ich keine; doch
theilte mir die sehr zuverlässige Patientin mit, dass sie nach Aussetzen des As innert
10 Tagen um 8 Pfund abgenommen und heute, fast 3 Monate nach Aussetzen des As,
trotz vortrefflichen Allgemeinbefindens nicht mehr das „Arsengewicht“ erreicht habe.
In den Weihnachtstagen, als die Intoxication ihren Höhepunkt erreicht, machte ich
einige microscopische Blutuntersuchungen nach Ehrlich. Die Leuoocyten waren auffallend
spärlich, die eosinophilen Zellen nicht vermehrt. Hämoglobinbestimmung nach Gowers-
Sahli ergab ca. 90®/o.
Noch eines interessanten Vorkommnisses möchte ich erwähnen, das sich therapeutisch
vielleicht mit dom As in Beziehung bringen lässt. Seit Jahren hatte Pat. an heftigen
Migräneanfällen, Erbrechen etc. gelitten, ^e sich mit den bekannten Mitteln nur für
kurze Zeit coupiren Hessen. Seit der forcirten As-Kur will Pat. vollständig von diesen
Leiden verschont geblieben sein.
Am auffallendsten waren die im Verlauf der As-Medication innert kürzester Zeit
sich einstellenden Veränderungen der Haut, hauptsächlich in einer intensiven allgemeinen
Melanosis und einer Hyperkeratosis palmaris et plantaris bestehend.
Am 21. December, also genau 2 Monate nach Beginn der As-Kur, nachdem ich
Pat. seit Anfang December, wo ich ausser einer jedenfalls sehr unbedeutenden Zunahme
der an und für sich schon ziemlich intensiven Hautpigmentirung nichts Abnormes oon-
statiren konnte, nicht mehr gesehen, wurde ich plötzlich zu ihr gerufen. Hier bot
sich mir folgender Symptomencomplex, der sich während 10—12 Tagen ziemHch auf
der gleichen Höhe hielt und erst nach vollständigem Aussetzen des As zurückging, die
Erscheinungen von Seite der Respirationsschleimhäute schneller, innert 8 Tagen, diejenigen
der Haut sehr langsam, d. h. heute, nach 3 Monaten, noch nicht vollständig.
Status: Starker Stockschnupfen, heftige Stirnkopfschmerzen, trockener Beizhusten,
Stimme belegt, Conjunctiven leicht geröthet, nicht entzündliches Oedem der untern Augen¬
lider, von Hand- und Fussrücken. Temperatur normal, Puls etwas beschleunigt; Appetit-
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mangel, Zunge trocken, leicht belegt; keine Bauchschmerzen, kein Durchfall, kein Eiweiss,
kein Zucker.
Sozusagen die ganze Körperoberfläche mit Ausnahme der Schleimhäute, die frei
geblieben, zeigt eine mehr oder weniger ausgesprochene Braunfärbung. Dieselbe hat bis
auf einige*wenige Stellen einen diffusen Charakter und yariirt vom schmutzigen Gelb¬
braun bis zum tiefsten Schwarzbraun, an Intensität von oben nach unten zunehmend.
Die Haut fühlt sich auffallend trocken an. — Im Gesicht ist am intensivsten, dunkel¬
braun gefärbt, die Gegend der Nasolabialfurchen, sowie der untern Augenlider, besonders
gegen den innern Augenwinkel zu, was nach einigen Tagen nach Rückgang des Oedems
noch auffälliger wird. Am Kinn zwei linsengrosse fast schwarze Flecken. Starke Bräu¬
nung zeigt die seitliche Halsgegond, die nach vom, weniger nach hinten, heller wird.
Sehr intensiv pigmentirt sind die Achselhöhlen, noch mehr, schwarzbraun, die Areolae
mammsB und Umgebung. Nur schwach gelbbraun tingirt sind vordere Schulterpartie und
Intermamillargegend, etwas dunkler der Rücken, besonders aber seitliche Brust- und
Bauebgegend. Stark verfärbt sind (nach Aussage der Patientin, eine Inspection unterliess
ich) Bauch-, Inguinal-, Genital-, weniger Glutäalgegend. Dunkelbraune Färbung weisen
Bllbeugen und Kniekehlen auf. Die Streckseite der Gelenke ist im Gegensatz zur Beuge¬
seite schwach befallen; nur zu beiden Seiten von Olecranon und Patella wird die Färbung
etwas intensiver. Vorderarme und Unterschenkel zeigen gegenüber Oberarm und Ober¬
schenkel eine geringe Zunahme der Pigmentation, am meisten (mit Ausnahme von Ell¬
bogen und Knie) die Streckseiten. Eine stärkere Pigmentation findet man an den Hand¬
beugen, dann auf den Fingerrücken, die gegen das Nagelglied hin noch zunimmt. Die
Fingernägel selbst sind normal; doch zeigt der Nagelgrund eine früher nicht beobachtete
lebhafte hjperämische Färbung. An den Füssen ist die Umgebung der Malleoli, be¬
sonders unterhalb des Malleol. ext., dunkelgebräunt. Auffallend stark pigmentirt sind
die Zehenrücken, welche Färbung gegen die Zehenspitzen so intensiv wird, dass die
Nägel von dunkel sebwarzbraunen Rändern eingefalzt sind. Eine oberflächliche Ver¬
unreinigung ist auszuschHessen. Die Deformation einiger Zehennägel ist auf äussere
Einflüsse, Traumen zurückzufuhren. Eine 1—2 cm breite Pigmentzone umgibt die
nach Abheilung der Lupusefflorescenzen zurückbleibenden röthlichen, allmälig blasser
werdenden flachen Narben. Diese besonders an den untern Extremitäten ausgesprochen
braune Randfärbung als d i r e c t e Wirkung der A e t z flüssigkeit d. h. der darin ent¬
haltenen Jodtinctur anzusehen, war nicht wohl angängig, da die Verfärbung erst später
mit dem Auftreten der allgemeinen Melanose entstand und auch, gleichen Schritt haltend,
mit derselben langsam zurückging.
Eine durch keine traumatischen Einflüsse erklärbare diffuse Schwielenbildung hatte
Hand- und Fussflächen der Pat. symmetrisch ergriffen, wodurch dieser Fall mit dem erst¬
beschriebenen die grösste Aehnlichkeit bot. Immerhin schienen die Hände schwächer be¬
fallen: Daumen- und Kleinfingerballen waren nur wenig affleirt, rauh und trocken beim
Anfühlen. Stark verdickt war die Haut über den Metacarpalknöchelchen und den
Fingerbeeren. — Die diffuse Hyperkeratose der Fusssohlen nahm gegen die Fersen hin
einen mehr chagrinlederartigen bis flachwarzenförmigen Typus an.
Auffallend war die scharf auf die g^bern, nicht verdickten Palmarfurchen und Finger¬
beugen sich beschränkende braune Pigmentation, deren linienförmige Zeichnung sich von
der nicht pigmentirten schwieligen Umgebung charakteristisch abhob. Die Färbung lag
in der Haut und war auch durch Reiben etc. nicht zu beseitigen.
Auch in diesem Fall Hess sich constatiren, dass die Schwielenbildnng an die
schon normal zu starker Verhornung neigenden, Rillenbildung zeigenden Partien ge¬
bunden war. Mit Aufhören der Rillen endete auch die Verdickung an den Seiten¬
rändern von Händen und Füssen. — Keine Hyperidrosis nachweisbar. — Ein über
haselnussgrosser, schmutzig graubrauner, nicht druckempfindlicher Clavus befand sich
auf dem Rücken des linken grossen Zehens. Er soll erst in den letzten Woeben
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ohne äussere Veranlassung schmerzlos aus einem flachen, durch keine auffallenden Merk*
male vor seinesgleichen sich auszeichnenden Hühnerauge zu diesem Riesen sich ent>
wickelt haben. Einige Wochen nach Aussetzen des As ging der Clavus spontan unter
starkem Abblättern auf normale Dimensionen zurück. — Fast eben so rasch, in Verbindung
mit überaus reichlicher Bildung von trockenen dünnen Hornlamellen, bildetd sich die
Keratosis palm. et plantaris zurück, langsamer, anfangs rascher, die Melanosis, so dass
gegenwärtig, nach fast 3 Monaten, die Gelenkbeugen, sowie die Umgebung der Narben
etc. noch deutlich pigmentirt sind.
Ich glaube, dass auch in diesem 2. Fall an einer Beziehung zwischen der Hyper-
keratosis und der As-Intoxication nicht zu zweifeln ist. Die Patientin hatte nie an
einer ähnlichen Affection gelitten; Hyperidrosis bestand weder vor noch während der
Behandlung; unzweifelhafte Zeichen einer Arsenvergiftung waren vorhanden; mit den¬
selben, noch rascher als die Melanosis, schwand auch die Keratosis.
Charakteristische Symptome der Hyperkeratosis arsenicalis sind nicht bekannt.
Wohl betont HtUchinson das primäre Befallensein der Schweissporen als pathog-
nomonisch. Wie andere Beobachter konnte auch ich diesen Befund nicht be¬
stätigen. Dagegen ist in beiden Fällen die Beschränkung der Schwielenbildung auf
die Rillen führenden Partieen, die sich bekanntlich durch reichliche Schweissporen aus¬
zeichnen, hervorzuheben, während dicht daneben liegende Theile, z. B. die gröbern
Handfurchen, Fingerbeugen, die schweissporenarm sind, keine Verdickung aufwiesen.
Gleichsam als Ersatz dafür waren in meinem 2. Fall diese Partien stark pigmentirt.
— Die Annahme liegt nabe, dass das As durch die Schweissporen zur Ausscheidung
gelangt, und dass dasselbe hiebei diese eigenthümlicben keratoplastischen Wirkungen
entfaltet. Auffallend bleibt immerhin diese Wirkung des As, das doch gewöhnlich,
d. b. in geringen Gaben, eine gegentheilige Wirkung, eine Hornhautverdünnung, her¬
beiführt. Einen exakten Nachweis zu führen, ob As durch die Schweissdrüsen secernirt
wird, musste ich leider unterlassen. Und die Pigmentation, speciell der Handfurchen?
Sollte es sich hier nicht um eine Abli^erung von As (d. b. einer As-Verbindung)
bandeln, das in Folge der spärlichen Schweissporen an diesen Stellen nur langsam zur
Ausscheidung gelangt? Damit fände auch die hier fehlende Hyperkeratosis eine un¬
gezwungene Erklärung. Gegen diese Annahme sprechen die Untersuchungen von 0.
Wyss und anderen Autoren, wonach bei diesen Farbstoffablagerungen, die besonders
in der Stachel- und Papillarschicht der Haut sehr reichlich sind, es sich nicht um eine
As-Verbindung, jedenfalls um kein Schwefelarsen handelt. Immerhin mochte ich
die Möglichkeit, dass dieses bilirubin- resp. hämatoidin-ähnliche Pigment doch eine
As-Verbindung sei, vielleicht mit einem Derivat des Blutfarbstoffes, nicht ganz von
der Hand weisen.
Nach den vorliegenden Beobachtungen zu urtbeilen, scheint die Prognose
betreffend vollständigen Rückganges der As-Melanose, noch mehr der Keratosis, nicht
so ungünstig zu sein, ln den Fällen von Wyss, Förster, Müller schwand die Brann-
färbung theils vollständig, theils nahezu, welches „nahezu* mit einigen andern Fällen,
in denen die Pigmentirung als «bleibend* registrirt wurde, vielleicht auf die zu
kurze Beobachtungszeit (’/>—I J^hr) zurückzuführen ist. Nicht ganz eindeutig, da
mit Lues complicirt, ist der von Engel-Beimers publicirte Fall von Arsenmelanosis,
die nur theilweise zurück ging.
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Eine eigentliche Behandlung der Eeratosis erwies sich angesichts
des spontanen Käckganges in beiden Fällen als unnötbig. H. v. Hehra versuche das
bei andern Eeratosen so prompt wirkende Salicylpflaster hier ohne Erfolg. Ich begnügte
mich mit indifferenten Fetteinreibungen zur Beseitigung des Spannnngsgefnhles. — Gegen
dieMelanosis therapeutisch einzuschreiten batte ich angesichts der raschen Besserung
nach Aussetzen des As ebenfalls keine Veranlassung. Eventuell hätte ich neben der von
O. Wyss Torgeschlagenen Massage, warmen Bädern in Beräcksichtigung der von Leveri
erhaltenen Untersuchungsergebnisse, wonach der As grOsstentheils durch den Harn
ausgeschieden wird, auf eine ausgiebige Diurese gedrungen.
In einer lesenswerthen Arbeit (Gontribution ä l’dtude des dermatoses d’origine
arsenicale, Annales de dermat. et de sypb. 1893, S. 150) hat C. Basch im An¬
schluss an eine eigene Beobachtung (s. u.) die bis 1892 publicirten spärlichen Fälle
über Eeratosis palm. et plant, nach As-Gebrauch zusammengestellt. Schon im Jahr
1851 machte Bömberg auf eigenthümliche Epidermisabschilferungen von Palma und
Planta nach As-Gebrauch aufmerksam. Doch erst das Jahr 1887 brachte 3 typische
Fälle von Arsenkeratosis durch Hutchinson zur allgemeinen Eenntniss, 1889 folgte
P. BarthSUmy mit einer Beobachtung. Drei weitere Mittheilungen wurden 1891 aus
England gemacht, sämmtliche im Brit. Journal of Dermat., Jahrgang 1891, ent¬
halten. Der 1. Fall, von Broohe, betrifft eine 50jähr. Dame mit Lichen ruber, wo im
Verlauf der As-Behandlung beide Hände ein schwieliges, einer Arbeiterhand ähnliches
Aussehen bekamen; der 2. von B. Crocker eine 56jährige Frau mit Pemphigus, deren
Hand- und Fussfläch^ nach As diffuse Verdickungen aufweisen. OrocTter selbst führt
(mit Unrecht) die Ursache auf eine bestehende Hyperidrosis zurück. Pringle endlich
citirt ein 20jähriges, an Psoriasis leidendes Mädchen, bei der nach einjährigem As-
Gebrauch diffuse, theilweise warzenförmige Schwielen an Hand- und Fnsssohlen anftraten.
Einen sehr interessanten eigenen Fall erwähnt C. Basc^ (1. c.), wo bei einer 63jähr.
Frau mit Dermatite g4n4ralis4e rouge im Gefolge von As neben Zoster gangränosus,
allgemeiner Pnstelausschlag mit nachfolgender Ulceration und Narbenbildung eine
Chagrinleder- bis warzenförmige Eeratosis palmaris beider Hände sich einstellte. Zwei
weitere Beobachtungen, einer localen Icbthyosis ähnlich, machte C. Bock (Ref. Monatsh.
f. prakt. Dermat. 1893, S. 184). Endlich dürfte hieher noch ein Fall von H. Hehra
zu zählen sein, den er anlässlich einer Discussion in der Wiener dermatologischen Ge¬
sellschaft am 25. October 1893 citirt. Derselbe betraf eine Lehrerstochter mit
Schwielen an Hand- und Fussfläohen, welche Affection auch Pringle, der den Fall
sah, als As-Eeratose ansprach.
Unzweifelhaft werden Arsen-Eeratosen viel häufiger beobachtet, aber nicht als
solche diagnosticirt, d. h. sie werden mit der ursprünglichen Erankheit, Psoriasis,
Eczem, Lichen ruber, Dermatitis herpetiformis etc., gegen welche das Arsen gereicht
wurde, in Beziehung gebracht. So kann ich mich eines Falles aus meiner Assistenten¬
zeit erinnern, wo bei einer Psoriatikerin im Verlauf der As-Behandlung eine Eeratosis
palmaris sich entwickelte, welche Affection damals als psoriatischen Ursprungs diagoo-
sticirt wurde. Heute würde ich mich anders bedenken. In den meisten Fällen dürfte,
sobald inan an die M ü g 1 i c h k e i t einer vorliegenden As-Eeratosis denkt, die
Diagnose nicht zu schwer fallen. 1) Das isolirte Befallensein der Palmse oder Plantse,
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oder Palmae und Plantae, 2) der charakteristische, an die As-Medication sich haltende
zeitliche Verlauf, 3) das gleichzeitige Vorhandensein anderer As-Symptome, 4) der
Ausschluss anderer Keratosen — gehen genügend Anhaltspunkte. Der auffallende Um¬
stand, dass sämmtliche Fälle (soweit sie mir bekannt sind) Personen weiblichen
Geschlechtes betreffen, durfte ebenfalls zur Diagnose berangezogen werden.
Zur Heilung der Stuhlverstopfung.
Von Dr. Ullmann, Mammern.
Herr Professor Forel in Zürich empfiehlt in einer geistreichen practischen und
theoretischen Studie (Berlin 1894, Verlag von Hermann Brieger) die Heilung der
Stuhlverstopfung durch Suggestion. Er qualificirt die gewöhnliche habituelle Obsti¬
pation als chronische Neurose, die in hohem Grade vom Gehirn abbänge und als deren
Ursache pathologische Innervation vom Gehirn angenommen werden müsse. Es sei ein
ülissgriff der Medicin, bei solchen Störungen (wie z. B. unzählige Magen- und Darm-
catarrbe, Eierstockentzündungen, Gelenk- uud Muskelaffectionen, Neuritiden, Uterus¬
krankbeiten, sogar Augenkrankheiten etc.) periphere Erkrankungen zu suchen, zu finden
und örtlich zu behandeln. Analog dieser Auffassung einer pathologischen Gewohnheit
des Centralnervensystems bei der habituellen Stuhlverstopfung, verwirft Ford die bis¬
herige Therapie und redet der Suggestion das Wort (mit Beigabe einer Kranken¬
geschichte), deren Wirkung er in geistreicher Weise analysirt.
Wenn man nun auch in der Hauptsache einig geben muss mit den scharfsinnigen
Auseinandersetzungen des Autors, wenn man auch zugeben muss, dass Abführmittel,
Clystiere etc. nur temporäre Wirkungen haben und dass sogar, wie Ford sich ausdrückt,
die Anwendung ebenso verfehlt als schädlich sei, so anerkenne ich nur bis zu einem
gewissen Grade die Ansicht, die er auf Seite 5 knndgibt, indem er sagt in 3) „Diese
Mittel — nämlich Obstgenuss, Massage, Badecuren, Electrotberapie, Bewegung und
.... ja nicht zu vergessen Lourdeswasser, Pilgerfahrten, Händeauflegen, Eneippcuren,
Mathei, Homöopathie etc. versagen oft genug und wenn sie zum Ziele führen, beruht
ihre Wirkung auf Suggestion.“ Beim zweiten Theil dieser aufgezählten Factoren mag
es unbestritten zugegeben werden, aber beim ersten Theil mit objectiver Beurtheilung
nicht. Ich bin fest überzeugt und die practiscbe Thätigkeit lehrt es wohl täglich,
dass richtige Banchmassage, Gymnastik, Faradisation des
Leibes, kurze kühle Sitzbäder, fliessende Sitzbäder, Sitz>
douchen, kurze locale Uebergiessungen oder Douchen auf
Bauch und Bücken, Wellenbäder mit kräftigem Aufschla¬
gen etc. nicht nur suggestive Wirkung haben, sondern
durch ihre phy sicalischen, durch ihre thermalen und
mechanischen Effecte als Bewegungs- und Innervations¬
reize auf Nerven- und Muskelsystem wirken, wie denn auch in
der Praxis oft direct Stuhldrang und Peristaltik durch diese Proceduren ausgelöst
werden können. Es möge mir gestattet sein, auch aus meinen Krankengeschichten nur
eine wiederzugeben, die in gewissem Gegensatz zu ForeVi Beispiele steht.
Fräulein Sch., 20 Jahre alt, leidet seit mehreren Jahren an hartnäcki^r habi¬
tueller Obstipation und wurde schon in verschiedenen Kliniken längere Zeit behandelt.
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Defacation musste immer künstlich bewirkt werden und zwar durch Oel-Wasser-Clystiere.
Da die Defacation in Folge der jeweils starken Eindickuiig stets Schmerzen verursachte,
trat jedes Mal bei dem Acte ein hysterischer Anfall auf und Patientin litt im Laufe von
zwei Jahren physisch und psychisch in hohem Grade. Hindernisse im Darm (wie Stric-
turen etc.) waren nicht zu constatiren und fand eine Untersuchung per anum in Narcose
durch einen Chirurgen statt. Vor zwei Jahren trat Patientin zum ersteu Mal in unsere
Anstalt und mussten wir uns, weil Patientin sehr elend war, auf milde Mittel beschränken :
allgemeine Rohorirung, Abwaschungen mit Schwamm im Bett, locale Massage, Sitzbäder
etc. Der Allgemeinzustand besserte sich wesentlich, Patientin nahm an Gewicht zu,
wurde frischer und munter; aber die Obstipation war und hlieh dieselbe, nur mochten
die hysterischen Anfälle heim Stuhlgang weniger stark gewesen sein. Ich versuchte
daher — wie ich's übrigens in solchen Fällen schon oft that, sofern es mir gerne er¬
laubt wurde — die Hypnose. Dieselbe gelang prompt und wurde nun mit Freuden und in
siegreicher Hoffnung lege artis — wenn ich so sagen darf — (Verbalsuggestion verbun¬
den nn^ materiell unterstützt mit Bauch-Frictionen) fortgesetzt; allein ein Erfolg war
nicht zu constatiren. Die Obstipation blieb das quälende Moment in dem sonst heitern
Leben der Patientin. Nach a\V diesen meinen Monate langen consequenten Versuchen,
deren sphon viele von Hausärzten und Klinikern vorausgingen, verordnete ich das kräf¬
tigste Mittel, das ich für solche Fälle kenne — nämlich Wellen- oder Sturzbäder, d. h.
diejenige Procedur, hei welcher eine starke kühle Wassermasse auf
Abdomen, Gesäss und Rücken tüchtig aufschlägt und peitscht.
Nach dem dritten Bade — nachdem Patientin in demselben bereits ein „Wurmsen^ im
Bauche gefühlt hatte, trat spontan Stuhl ein, ein Factum, das seit drei Jahren nie
dagewesen und (wenn es auch noch etwas schwer vor sich ging) mit unendlicher Freude
begrüsst wurde. — Es war also doch dieser starke mechanisch-ther¬
mische Reiz mit peripherem Angriffspunkt und local appli-
cirt, — ohne centrale Suggestion — der die Defacation auslöste und von
da ab für immer und täglich leichter auslösen konnte.
Ich könnte nun wohl noch manche Krankengeschichte einschieben — denn habi¬
tuelle Stuhlverstopfung ist bei uns keine Rarität und jeder Practiker würde das
thnn können — bei denen andere Agentien gewirkt und Heilung gebracht haben, und
gerade eben diejenigen, von denen Forel sagt, wenn sie zum Ziele führen, beruhe ihre
Wirkung auf Suggestion wie bei Obstgenuss, Massage, Electrotherapie, Badecuren,
Bewegung etc. Wenn ich zum Schlüsse noch erinnere an die Thatsache, wie z. B.
Gebrauch von Gemüse, Früchten, Grahambrod, Genuss von Wasser vor dem Frühstück,
reichliche gemischte Nahrung etc. bedeutenden Erfolg haben können, so brauche
ich auch da wohl nicht die Suggestion zur Erklärung herbeizuziehen. Ich gebe voll¬
kommen zu, dass — wie Ford in seiner interessanten und sehr zu empfehlenden
Studie bewiesen hat — Suggestion wirken kann und dass man dieselbe als thera¬
peutisches Agens anerkennen soll; aber ich behaupte, dass die oben genannten Mittel
es auch können und auch anerkannt werden sollen.
Im Fernem glaube ich, wenn man auch Anhänger der Hypnose ist und den
grossen Einfluss und die psjchofugalen Wirkungen anerkennt (wie ich es in hohem
Masse thue), wenn man auch zugeben muss, dass z. B. schon durch positive suggestive
Verordnungen im Wachen viel «Darmdressur* geübt werden kann und dies vielfach
von Seiten der Aerzte zu wenig berücksichtigt wird — ich glaube also, dass es eben
doch Störungen gibt, die in den loci minoris resistentim sich abspielen (Herzneurose,
Dyspepsien, Darminnervationsstörungen), bei denen neben der allgemeinen die locale
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310
Behandlung nicht unterschätzt werden darf und — wie bei der habituellen Obstipation
— die peripheren Angriffspunkte immerhin ihre Berechtigung haben. Ausserdem bin
ich der Ueberzeugung, dass in vielen Fällen die Hypnose nicht gelingen wird, nament¬
lich in der Privatpraxis, wo die Verhältnisse anders liegen als in der Anstalt, und dass
endlich ein grosser Theil der Patienten sich eben überhaupt nicht hypnotisiren lassen will.
In der individuellen Berücksichtigung, in der idealen
Gombination centraler (allgemeiner) und peripherer (localer)
Therapie liegt wohl auch bei der habituellen Stuhlver-
Stopfung der meiste Erfolg bedingt und auch dabei werden
wir leider immer noch auf Fälle stossen, die jeder Behand¬
lung trotzen.
Myopie und Chamäkonchie.')
Von Prof. J. Stilling in Strassburg.
Nach den in der Ophthalmiatrischen Klinik zu Bern unter Pflüger^n Leitung aus-
gefuhrten Untersuchungen muss es als bewiesen angesehen werden (wie auch Herr Dr.
Mellinger ausdrücklich zugibt), dass die myopische Augenhöhle niedriger ist, als die
emmetropische.
Dr. Mellinger behauptet nunmehr, der Meinung Schmidt-Bimpler's folgend, dass die
niedrige Form der Augenhöhle sich secundär in Folge der Myopie entwickle. Pflüger
selbst hat dem bereits Verschiedenes entgegengehalten. Ich möchte mir erlauben, noch
einige andere Gründe anzuführen, welche die Haltlosigkeit des erwähnten Einwandes
gegen meine Lehre darthun dürften.
Mellinger fuhrt als ein Hanptargument gegen mich an, dass meiner Lehre zufolge
der Knochen auf die Form der Weichtheile wirken müsse, während dem allgemein
gültigen Gesetze nach das Umgekehrte der Fall sei.
Meiner Lehre zufolge wirkt nicht die Form der Orbita auf die des Auges,
sondern nur auf die Höhe der Trochlea und damit auf den Verlauf der Obliquussehne.
Die letztere erst ist es, deren Verlauf für das Wachsthum unter dem Gesammtmuskel-
druck entscheidend wirkt, indem sie dessen Richtung bestimmt. Demnach wirkt nicht
Knochen auf Weichtheil, sondern Weich theil auf Weichtheil. Obendrein ist der wirkende,
nämlich die Obliquussehne, weicher als die Sclera, auf welche sie wirkt. Demnach ist
meine Lehre mit jenem allgemeinen Gesetze in der schönsten Uebereinstimmung.
Es ist weiter ein feststehendes anthropologisches Gesetz, dass die Chamäkonchie
mit der Chamäprosopie, der Breitgesichtigkeit genetisch zusammenhängt, wie dies haupt¬
sächlich Prof. KoUmann in Basel nach gewiesen hat. Die Chamäkonchie und ihr Gegen¬
stück, die Hypsikonchie, sind die beiden feststehenden Haupttypen der Orbitalform. Sie
finden sich, zwar in verschiedenem Verhältniss, aber doch überall, bei allen Völker¬
schaften, civilislrten wie wilden. Sie sind bereits beim Neugeborenen prteformirt, deren
Augenhöhlen im Verlaufe des Wachsthums wohl die Dimensionen, aber nicht die Form
ändern.
Es ist daher schon desshalb undenkbar, dass die Chamäkonchie die Folge der
Myopie sei. Wäre das wirklich der Fall, so könnte bei uncivilisirten Völkerschaften
diese Form nicht Vorkommen, bei civilisirten aber würde sie nur den gebildeten Classen
zukommen dürfen, was notorisch Alles nicht der Fall ist. Ebenso dürfte diese typische
Form sich nicht beim Neugeborenen finden, sie müsste im Laufe des Wachsthums aus¬
schliesslich sich bei Kindern entwickeln, welche anstrengender Nahearbeit unterworfen
sind. Auch dies ist notorisch nicht der Fall.
*) Damit erklären wir Schluss der Discussion über diese Streitfrage. Red.
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311
Man könnte nun allenfalls annehmen, dass, wenigstens für die hochgradige Myopie,
durch die pathologische Dehnung des Bulbus in allen drei Durchmessern eine Formver-
änderung der Orbita während des Wachsthums möglich sei. Diese könnte aber doch
nur derart sein, dass sämmtliche Orbitalmaasse grösser würden, dass sich also nicht die
hypsikonche Form der Augenhöhle herausbildete, eine runde oder annähernd runde
Orbita entstände. Wie aber dabei Chamäkonchie entstehen soll, ist ebenso unerklärlich
wie für die Kurzsichtigkeit schwachen und mittleren Grades. Pflüger hat Mellinger be¬
reits entgegengehalten, dass die myopische Orbita nicht nur relativ, sondern auch ab¬
solut niedriger ist, als die emmetropische. Kirchner hat allerdings den Versuch gemacht,
diese Formveränderung als durch den Zug der Augenmuskeln beim Nahesehen zu erklären.
Wie es aber die beiden Obliqni, denen er diese Wirkung zuschreibt, anfangen sollen an
den Knochen zu ziehen, wird wohl ein Geheinmiss dieses Autors bleiben müssen.
Ich habe in einer grösseren Anzahl von Fällen deletärer Myopie, in denen das
Auge zweifellos in allen drei Durchmessern pathologisch gedehnt war, die Orbitalmaasse
genommen. Hätte die hochgradige Myopie einen Einfluss auf das Knochenwachsthum,
der sehr bemerkenswerth wäre, so müsste die Form der Orbita regelmässig die hypsi¬
konche sein. Die chamäkonche Form kommt aber auch hier so häufig vor, dass von
einem wesentlichen Einfluss der Vergrössorung des Bulbus auf die Form der Orbita nicht
die Rede sein kann. Es ist dies übrigens sehr natürlich, denn auch das pathologisch
stark vergrösserte Auge hat Platz genug, um nach vom auszuweichen, es entsteht der
für die hochgradige Myopie characteristische Exophthalmus.
Schmidt-Rimpler hat zur Begründung seiner Meinung darauf hingewiesen, dass der
Orbitalinhalt zur Orbita sich verhalte, wie das Gehirn zum Schädel, dass nach Benedict
der Kampf am den Inhalt die Form bedinge.
Ich habe den berühmten Botaniker de Barg einmal sagen hören, es gäbe Bacterio-
logen, welche zwei Bacterienformen für ähnlich erklärten, wenn die eine anssähe wie
ein Regenschirm und die andere wie ein Tintenfass. Non besteht aber zwischen einem
halbgeöfihieten Regenschirm und einem Tintenfasse eine immer noch grössere Aehnlichkeit,
als zwischen der Orbita und der Schädelkapsel. Denn ein Tintenfass besitzt eine mehr
oder weniger grosse Oeifnung, durch welche Flüssigkeit nach aussen gelangen kann, die
Schädelkapsel aber, obwohl sie Löcher genug besitzt, ist dennoch durch die Medulla
und die austreteuden Nerven so gut wie absolut geschlossen, soweit das Gehirn in Be¬
tracht kommt. Die Gesetze des Hirnwachsthums können auf den Inhalt der Orbita, einer
nach vorn weit geö&eten Pyramide (die Form eines halb geöffneten Regenschirms) nicht
angewandt werden. Insbesondere nicht auf den Augapfel, der, wie der Exophthalmus bei
hochgradiger Myopie und bei anderen pathologischen Dehnongsprocessen deutlich zeigt,
Platz genug zum Ausweichen nach vorn hat.
Der von Bchmidt-Bimpler erhobene Einwand gegen meine Lehre, den ich selbst
zuerst angeführt, aber als einen rein dialectischen bezeichnet und desshalb keiner aus¬
führlichen Widerlegung für bedürftig hielt, ist der letzte Posten, auf welchen sich die
Gegner meiner Theorie zurückziehen. Mir scheut, dass er ein verlorner Posten ist.
Veireii»8l>©i*iolite.
Medicinische Gesellschaft der Stadt Basel.
SitiMir 5. April 1894.*)
Präsident: Prof. Siebenmann, — Actuar: Dr. VonderMÜhll,
Prof. Ed, Hagenbach^Burckhardt verliest einen Nekrolog für den am 30. März
plötzlich verstorbenen Collegen Dr. Ed, Geigy.
*) Eingegangeu 16. April 1894. Red.
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Dr. A. Häglef'^ Vater: Referat Iber dea heiti|peB SlaBd der SaBaterieBfraife.
Nach der Entscheidang, dass ein Sanatorinm für ärmere und wenig bemittelte Brust¬
kranke zu erstellen sei, bot die grösste ^bwierigkeit die Wahl des Ortes dafür. Die
medicinische Gesellschaft hatte sich für die Hochalpen ausgesprochen; aber die zur Durch¬
führung des Werkes gewählte Sanatoriencommission der gemeinnützigen Gesellschaft wies
die Delegirten an, zunächst in dem viel leichter erreichbaren Jura eine passende Stätte
zu suchen, da auch schon hier günstige Resultate erzielt worden seien. Wenn alle
anderen Vorbedingungen, die an Ort, Bau, Einrichtung und Leitung einer solchen Anstalt
gestellt werden müssen, erfüllt werden, so dürfe in unsern Verhältnissen die Höhenlage
nicht in erster Linie massgebend sein.
Als solche Bedingungen für die Lage der Heilstätte wurden angenommen: reine
Luft, sonnige, gegen Süden offene, gegen Norden und Osten geschützte, möglichst nebel¬
freie Lage, trockener Untergrund, Anlehnung an Wald, reichliches Quellwasser, leichte
Erreichbarkeit und Wegsamkeit.
Es wurden nun die Baselbieter und Solothurner Jurahöhen auf diese verschiedenen
Punkte hin gewissenhaft untersucht; aber überall fehlte die Erfüllung einer oder
mehrerer unerlässlicher Bedingungen. An einigen, sonst geeignet scheinenden Orten
fehlte das Wasser, an welchem überhaupt der Jura fast überall sehr arm ist; andere
lagen noch zu häufig im Bereiche des Nebelmeeres der Aare; andere, darüber hinans-
reichende Lagen erwiesen sieb als unwegsam und schwer erreichbar, während viele andere
den Winden sehr ausgesetzt waren. Nach manchen fruchtlosen Nachforschungen im Jura
fand sich die Erfüllung der verschiedenen Requisiten in günstiger Weise vereinigt mit
den Heilfaktoren des Hochgebirgsklimas in der Nähe der Station St. Wolfgang an der
Davoserbahn.
So schätzbar nun aber auch und in seiner Heilwirkung unübertroffen ein gut ge¬
leitetes Volkssanatorium in den Hochalpen für viele Kranke sein würde, so ist es doch
nicht das richtige Mittel für alle Kranke; es eignet sich nicht für Schwerkranke,
Widerstandsschwache, Kehlkopf-, Herz- und Nierenleidende. Sanatorien für die Arbeiter¬
klassen haben überdiess andere Rücksichten zu nehmen als ähnliche Anstalten für Wohl¬
habende. Der Unbemittelte, der für den Unterhalt seiner Familie aufzukommen hat,
drängt rascher wieder zur Arbeit zurück, als der Reiche. Besonders die Leichtkranken
werden oft nur kurze Restaurationskuren machen können zur jeweiligen Wiederherstellung
der Arbeitsfähigkeit. Für solche eignen sich die Hochalpen nicht, da in diesen ein grosser
Tbeil der kurzen Kurzeit schon allein in der Acclimatisation aufgehen und dann der
Kurand vor Erreichung nachhaltiger Wirkung wieder heimkehren müsste. Aber auch
dann, wenn im Hochgebirge Heilung oder sehr wesentliche Besserung eingetreten ist,
würden durch deu jähen Uebergang aus solcher Höhe in die hygienisch oft ungünstigen
Wohnungs- und Arbeitsverhältnisse die erreichten Erfolge weit mehr als beim Reichen
gefährdet werden, wenn nicht in einer gesunden Uebergangsstation die Reacclimatisation
vermittelt werden kann. Es muss sich aus diesen verschiedenen Gründen ein Volks¬
sanatorium stützen können auf eine ähnliche Einrichtung in der Nähe des Wohnortes.
Im Blick nun einerseits auf die grosse Zahl der Brustkranken, welche die
nöthige Hülfe und Aufbesserung nicht durch eigene Mittel und nicht ohne sachkundige
Führung erreichen können, und in Berücksichtigung andrerseits der grossen Ver¬
schiedenheit der Widerstandskraft der einzelnen Kranken und der jeweilen zu einer
Erholungskur ausreichenden Zeit, wurde es immer klarer, dass eine Gebirgsheilstätte für
sich allein allen den an ein Volkssanatorium zu machenden Ansprüchen nicht gerecht
werden, sondern nur dann segensreich wirken kann, wenn in erster Linie das Spital
als allgemeines Krankenhaus in einer nach Art der Sanatorien eingerich¬
teten Filiale alle Brustkranken der Arbeiterbevölkerung und
der weniger begüterten Bürgerschaft aufnimmt und nach den in den sogenannten ^-
schlossenen Anstalten erprobten Grundsätzen verpflegt. Hier würden dann die für das
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Gebirgssanatoriam geeigneten Kuranden ausgewählt und nöthigenfalls auch nach der Heim¬
kehr aus demselben durch einen kurzen Aufenthalt den Uebergang in das städtische Ar¬
beitsleben yermitteln. In diesem Spitalsanatorium, welches ausserhalb der Stadt, nicht
beeinträchtigt von deren Lärm, Staub, Rauch oder gesundheitsschädlichen Gasen, an ge¬
sunder Lage zu errichten wäre (z. B. in einem der geschützten Einschnitte des bewaldeten
östlichen Abhanges des Bmderholzes), würden auch diejenigen Leichtkrankon mit grossem
Vortheil verpflegt werden, welche nur kürzere, die Arbeitsfähigkeit wieder auffrischende
Kräftigungsknren bedürfen, wie diese bisher schon in den näheren offenen Kurorten meist
weniger zweckmässig gemacht wurden.
Es wurde überdiess durch die Vorsteher der medicinischen Abtheilung des Spitals
und der allgemeinen Poliklinik in einem Gutachten hervorgehoben, dass in Folge der
Bevolkerungszunahme der Stadt und hauptsächlich in Folge des grossen Zndranges der
durch die erweiterte staatliche Poliklinik zu unentgeltlicher Verpflegung Berechtigten, die
Spitäler immer an Raummangel leiden, und dass ein sehr grosser Theil aller Kranken
aus Phthisikern bestehe, die nicht nur für lange Zeit andern Kranken den Platz vor¬
wegnehmen, sondern auch für die andern Kranken eine gewisse Gefahr darbieten, ohne
dass die Brustkranken selbst im Spital die zu ihrer Behandlung günstigen Bedingungen
finden konnten. Es sei desshalb die Verlegung derselben in eine eigene, vor der Stadt
nach Art der Sanatorien zu errichtende Filiale nicht nur eine grosse Erleichterung des
Spitals und Raumgewinnnng für andere Kranke, sondern auch für die Brustkranken
selbst die günstigste Lösung dieser Spitalfrage. — Es sind nun Verhandlungen der zu¬
ständigen Behörden im Gange, und es darf die Errichtung einer solchen nahen Volks-
heilstätte für Phthisiker als Filiale des Spitals als ziemlich gesichert erwartet werden.
Da nun auf solche Weise für die grosse Zahl der spitalbedürftigen Tnberculösen
in einer dem Heilzwecke entsprechenden Weise gesorgt werden wird, so hat die Sana¬
toriencommission die Freudigkeit gewonnen, mit Hülfe der privaten Werkthätigkeit und
Nächstenliebe einGebirgssanatorium zu gründen, in welchem für die geeigneten
Fälle nicht allein der Vortheil einer sachgemässen Behandlung, sondern auch der robo-
rirende Einfluss des Höhenklimas geboten würde. In diesem Höhensanatorium sollte nicht
nur für die ganz Unbemittelten, sondern ganz besonders auch für die Brustkranken des
weniger begüterten Mittelstandes gesorgt werden, dem die theuren Hochgebirgssanatorien
nicht oder nur mit unverhältnissmässigen Opfern zugänglich sind, während diese Kranken
auch bei längerer Kur in der Volksheilstätte die Selbstkosten leicht decken könnten. Der
für die Anlage dieser Anstalt in Aussicht genommene Platz vereinigt alle günstigen Be¬
dingungen (Besonnung, Windschutz, Wasserversorgung, leichte Erreichbarkeit, Aufsicht
durch die Davoser Freunde) in einer Weise in sich, wie diess nirgends im Jura möglich
gewesen wäre. Da sich dieses Höhensanatorium auf eine nach gleichen Grundsätzen er¬
richtete und betriebene Spitalanstalt in der Nähe der Stadt stützen zu können die Aus¬
sicht hat, so wird nicht nur etwas Halbes geschaffen, sondern eine möglichst vollständige
Hülfe geboten werden.
Die medicinische Gesellschaft erklärt sich einstimmig mit dem Plane,
dass auf die Gründung zweier Sanatorien hinzuwirken sei, einverstanden.
Prof. M, Both demonstrirt einen Fall von GraniloBa ■ereiriale (vergl. Cor-
respondenzblatt 1893, S. 626) der Musculi glutmi maximi, vier wurstförmige 6—9 cm
lange Geschwülste, die sich nach viermaliger Injection von Oleum cinereum entwickelt
hatten. Die 21jährige Patientin war am 22. März in die medicinische Klinik eingetreten;
sie gab an, vor etwa sechs Wochen einen Ausschlag am ganzen Körper gehabt und
schon zuvor vier subcutane Einspritzungen von Ol. einer, bekommen zu haben. Syphili¬
tische Infection stellte sie in Abrede. Es wurde Schwellung des Zahnfleisches, Gangrsen
dea linken Znngenrandes und Ausfluss aus dem rechten Ohr nachgewiesen. In den
nächsten Tagen bestand heftige Diarrhoe; der Harn enthielt Eiweiss und Cylinder; die
Abendtemperatur bewegte sich zwischen 38 und 38,7^ Die Diagnose lautete auf Queck-
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Bilbervergiftung, bedingt durch lujection von Oleum cinereum. Da keine Infiltrate der
Rückengegend nachweisbar waren, nahm Prof. Immermann von einem chirurgischen Ein¬
griffe abstand. Der Tod erfolgte am 4. April. — Die Section ergab Gangrmn der
Zungenränder und der rechten Tonsille, Otitis media gangrsenosa, Nephritis parenchymat.,
Sublimatenteritis und die vorliegenden Muskelgranulome. Auf dem Durchschnitt derselben
gewahrt man viele Quecksilberkügelchen. Die Geschwülste stimmen im Wesentlichen mit
den früher beschriebenen überein; sie unterscheiden sich hauptsächlich durch das Vor¬
handensein buchtiger bis haselnussgrosser mit molkenähnlicher Flüssigkeit gefüllter Hohlen.
Die Flüssigkeit dieser Höhlen zeigt bei mikroskopischer Untersuchung fein vertheil tes
Quecksilber, Gewebsdetritus und spärliche Eiterkörperchen.
Gesellschaft der Aerzte in Zürich.
6. Wlntersitzuif den 10. Hirz 1894J)
Präsident: Prof. Haab. — Actuar: Dr. Conrad Brunner.
Prof. Haab gedenkt des jüngst verstorbenen ehemaligen Lehrers der Geburtshülfe
und Mitgliedes unserer Gesellschaft, Prof. Fra/nhenhäuser. Die Gesellschaft erhebt sich
zu seinen Ehren von ihren Sitzen.
I. Dr. W. Schulthess: Referat über die Untersuchungen von E. Zschokhe und Jul.
Wolff betreffend die Archltectur der KaeeheB. (Erscheint in extenso.)
Discussion: Dr. Fich: Bekanntlich lassen sich Röhren hersteilen, die ebenso
fest sind, wie ein solider Stab von gleichem Querschnitt. Das hat die Natur benutzt
und daher die Röhrenknochen geschaffen. Ihr Inhalt, das Knochenmark, hat mit der
Festigkeit des Knochens nichts zu thun, sondern dient wohl der Blntbildung. Die
Enden der Röhrenknochen sind nnn anders gebaut, sie sind nicht hohl, sondern spongiös.
An den herumgereichten Präparaten ist mir zweierlei aufgefallen, einmal dass der Schen¬
kelhals eine knöcherne, mit Spongiosa ausgefüllte Röhre ist, und dann ferner, dass an
verschiedenen Stellen des Oberschenkelbeines Spongiosabälkchen frei in den Hohlranm des
Knochens hineinragen. Ich schliesse daraus, dass der Schenkelhals auch ohne Spongiosa
eine grosse Festigkeit haben wird und dass man nicht jedes Spongiosabälkchen ohne
Weiteres als Strebepfeiler auffassen darf.
Ich meine nun, um die statische Bedeutung der Spongiosa des Schenkelhalses zu
verstehen, sollte man den Versuch machen, in die Achse des Schenkelhalses ein Loch zu
bohren, dadurch die »Zug- und Druckcurven® zu durchbrechen und nunmehr zu messen,
ob und um wie viel hierdurch die Festigkeit des Schenkelhalses vermindert ist. Ich
erlaube mir, den Herrn Vortragenden anzufragen, ob derartige Versuche gemacht
worden sind?
Dr. Schulthess erwidert, dass seines Wissens solche Versuche noch nicht angestellt
worden seien, dass es sich sehr wohl lohnen dürfte, dies zu thun.
Es betheiligen sich ferner an der Discussion die Herren 0. Wyss und Stöhr.
II. Prof. Haab: Demonstration der StrahscheiB^schea Gllser. Es sind dies ge¬
blasene, kleine, verschiedenfarbige Kölbchen zum Auf bewahren von Atropin, Eserin,
Homatropin, Cocain; der Verschluss wird durch ein Tropfröhrchen gebildet, das am obem
Ende einen kleinen Gummiballon trägt. Vor jeder Operation werden die Flüssigkeiten
sterilisirt durch 5 Minuten langes Kochenlassen. Dazu müssen die Gummihütchen ab¬
genommen, das Tropfröhrchen umgekehrt und jedesmal 10 Tr. Aq. dest. zagegeben
werden. Vortheil: rasches und billiges Sterilisiren, Kölbchen springen nicht. Preis Fr. 2.
Zu beziehen bei Würsdorfer, Zähringerstrasse Z. I.
») Eingegangen den 30. März 1894. Red.
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Refeirate und Kiritiken«
Aetiologie und Histogenese der varicSsen Venen-Erkrankungen
und ihr Einfluss auf die Diensttauglichkeit. Von Dr. 8, Kirchenberger. Gekrönte Preis¬
schrift. Wien, J. Safdr’s Verlag. 131 Seiten. Preis 3 M. 20 Pf.
ln den beiden ersten Capiteln behandelt Verf. die Aetiologie und Histo¬
genese der varicösen Venen-Erkrankungen im Allgemeinen und kann dabei die be¬
kannten Angaben, wonach neben einer Stauuugsdilatation durch mechanische Behinderung
des Blutrückflusses noch eine besonders ererbte oder erworbene Disposition bei Varicen-
bildnng in Betracht kommt, bestätigen. Die Strukturveränderungen der Venenwand sind
somit als secundäre anzusehen, wenngleich eine primäre Wanderkrankung der Venen sich
für einzelne Fälle nicht ganz von der Hand weisen lässt.
Im zweiten Theile werden die drei hauptsächlich in Betracht fallenden varicösen
Venen-Erkrankungen unter dem besonderen Gesichtspunkte ihres Einflusses auf die Dienst¬
tauglichkeit besprochen. * Berücksichtigt werden hiebei vor Allem die Verhältnisse und
Erfahrungen in der österreichischen Armee, jedoch vergisst Verfasser dabei die einschlä¬
gigen Ergebnisse der deutschen und französischen Armee keineswegs.
1. Varicocele. In der österreichischen Armee wurden in dem 18jährigen
Zeiträume von 1873—1890 jährlich im Durchschnitte 122 Mann, d. h. 9,5^/oo sämmt-
licher Invalid-entlassener wegen Samenaderbruch entlassen. 67 ^/o derselben hatten sich
noch nicht 3 Monate resp. ein Jahr im Präsenzdienste befunden. Bei den wegen Va-
riocele als dienstunbranchbar Entlassenen war das Leiden zumeist schon vor der Einstel¬
lung , wenn auch in minderem Grade vorhanden, verschlimmerte sich aber unter dem
Einflüsse der militärisch-dienstlichen Verhältnisse in Kurzem, so dass es die Entlassung
herbeiführte.
2. Hsemorrhoiden. Bezüglich ihres Einflusses auf die Diensttauglichkeit
schliesst sich Verfasser Neumann an, dass die Hsemorrhoiden trotz ihres häufigen Vor¬
kommens für die körperliche Leistungsfähigkeit sonst gesunder Menschen keine wesent¬
liche Rolle spielen. Während des 21jährigen Zeitraumes 1870—1891 wurde durch¬
schnittlich von je 3000 Nichtassentirten 1 Mann wegen Haemorrhoiden als untauglich
befunden. Etwas häufiger beeinflusst das Leiden die Diensttauglichkeit länger dienender
Offiziere und Unteroffiziere (Kanzleidienst oder vieles Sitzen zu Pferde), ln den letzten
Jahren wurden öfters Hsemorrhoiden operativ entfernt. Sämmtliche Fälle sind geheilt
(keine Pyämie!).
3. Varicen. ln dem 18jährigen Zeiträume 1873—1890 sind durchschnittlich
jährlich 383 Mann, 3^/o sämmtlicher Invalidisirten, wegen Varicen als dienstuntauglich
entlassen worden; die Fusstruppen sind dabei mehr betheiligt als die berittenen Truppen
(Verschlimmerung durch Stehen und Gehen). Der Einfluss des ersten Dienstjahres ist
ein relativ geringer (im Gegensatz zur Varicocele). Kaufmann.
Technik der Massage.
Von Dr. Albert Hoffa^ Privatdocent für Chirurgie in Würzburg.
Stuttgart, F. Enke, 1893. 74 8.
Wir begrüssen mit Freude diese neueste Arbeit Hb/fa’s; ist doch diese Technik
der Massage die erste zusammenhängende Darstellung der sog. wissenschaftlichen
Massage, deren Grundlage die Anatomie bildet. Das kleine Werk ragt durch Inhalt und
Darstellung so weit über alles bis jetzt Geschriebene hervor, dass dadurch alle früheren
Publicationen auf diesem Gebiete überflüssig werden.
Im Vorwort wendet sich Hoffa speciell gegen die Laienmassage; er strebt sogar
das gesetzliche Verbot derselben an. Ich glaube, der Verfasser geht hier zu weit; wenn
die Massage ein Gemeingut aller Aerzte geworden ist, so wird auch das Pfuscherthum
der Laienmassage von selbst verschwinden.
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Im ersten allgemeinen Theil gibt H, eine genaue, durch vorzügliche Zeichnungen
erläuterte Beschreibung der 5 Qrundhandgriffe der Massage mit Berücksichtignng ihrer
physiologischen Wirkung. Er hält sich dabei genau an die Vorschriften v, MosengeiP%^ des
Altmeisters und wissenschaftlichen Begründers der Massage. Jeder Eingriff richtet sich genau
nach den anatomischen Verhältnissen des zu behandelnden Theiles, jeder „Strich“ und jede
„Knetung“ folgt den in den Muskelinterstitien verlaufenden Lymphgefässen. Eine kurze
Beschreibung der sog. „schwedischen Heilgymnastik“ vervollständigt den ersten Theil.
Im zweiten speciellen Theil wird unter Verweis auf anatomische Zeichnungen ge¬
lehrt, wie die Massage der einzelnen Körpertheile streng den Mnskelgmppen zu folgen
hat. Eingezeichnete farbige Striche geben die Führnngslinien für die ärztliche Hand.
Es folgt hierauf die Massage der Gelenke mit specieller Berücksichtigung der im Gefolge
von Gelenkkrankheiten stets auftretenden sog. arthritischen Muskelatrophie.
Im Weiteren wird die Bauchmassage nach Mesger~v, Mosengeil, sowie die allgemeine
Körpermassage beschrieben. Die nun folgende Massage des Auges, sowie die mehr apho¬
ristisch und kritisch gehaltene gynsekologische Massage nach Thure-Brandt gehören nach
meiner Ansicht in Specialwerke. Zum Schluss gibt uns Hoffa noch einige Winke, wie
die Massage bei frischen Knochenbrüchen, bei Neuralgien, bei Mnskelrheumatismus, sowie
im Dienste der Orthopmdie zu handhaben ist. Hübscher,
Das Turnen im Hause.
Leibesübungen zur Förderung und Erhaltung der Gesundheit für Jung und Alt. Von
E, Beerwald, Dr. med., und Gustav Brauer, städt. Turnlehrer in Leipzig.
Th. Grieben, Leipzig. 144 S.
Wen Beruf und Lebensstellung zum Stubenhocken verdammen und wer nach des
Tages Last und Mühe Zeit und vor Allem die nöthige Energie hat, durch Leibesübungen
seinen Körper vor dem Einrosten zu schützen, der sei auf obiges kleine Werk gerne
aufmerksam gemacht. Schon die Verbindung der Autoren, eines Arztes mit einem erfah¬
renen Turnlehrer, bürgt für einen guten Inhalt. Höchst originell ist die Verwendung
von Hausgeräthen (Bett, Stuhl etc.) zum Turnen; jedenfalls muss ein währschaftes Mo¬
biliar vorhanden sein, sonst wird manche sorgsame Hausmutter reclamiren. Die beigege¬
benen zahlreichen Holzschnitte sind durchwegs besser, als in ähnlichen Werken.
Hübscher.
Grundriss der speciellen Pathologie und Therapie.
Für Stndirende und Aerzte. Von J. Schwalbe (Berlin). Stuttgart, Enke, 1892. 763 S.
34 Holzschnitte und 1 lithogr. Tafel. Preis 14 Mk.
Trotz der zahlreichen und guten in den letzten Jahren erschienenen und noch er¬
scheinenden Lehrbücher und Compendien der internen Medicin und Therapie wird der
practische Arzt mit grossem Vortheil gerade zu obigem „Grundriss“ greifen.
In äusserst klarer und knapper Diction mit Weglassung allen unnöthigen Ballastes,
aber mit scharfer Hervorhebung des wirklich Wissenswerthen und Feststehenden, getragen
von gesundem, kritischem Geiste, werden die einzelnen Krankheitsgruppen in kurzer
Weise und in gewohnter Anordnung — Aetiologie und pathologische Anatomie, Krank¬
heitsbild, Diagnose, Prognose, Therapie — besprochen. Höchst erwünscht sind ferner die
den einzelnen Hauptabschnitten als Einleitung beigegebenen Kapitel über klinische
Diagnostik, wobei auch hier an Hand der neuesten Untersuchungsmethoden das Wichtigste
kurz hervorgehoben wird. Endlich werden neben der eigentlichen internen Medicin von
der Feder zweier Specialisten, von Dr. Czempin die Krankheiten der weiblichen, von Dr.
Joseph diejenigen der männlichen Geschlechtsorgane, sowie die Hautkrankheiten in ana¬
loger Weise abgehandelt. Ein Anhang bringt die wichtigsten Vergiftungen, die Maximal¬
dosen, Recepte und Uebersicht über Bäder und Curorte. 34 Holzschnitte, sowie eine
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317
lithogr. Farbentafel, aus der besonders die hübschen, meist nach Ehrlich* Original-
Präparaten dargestellten normalen und pathologisch-mikroskopischen ßlutbefunde hervor-
gehoben seien, dienen zur Illustration des Textes.
Das äusserst brauchbare Buch, auf dessen Einzelheiten hier nicht kann eingegangen
werden, sei allen Collegen, die sich in rascher und sicherer Weise über den heutigen
Stand des Wissens auf dem Gebiete der innem Medicin orientiren wollen, aufs beste
empfohlen. Büiimeyer,
Die neuern Behandlungsmethoden der Metritis chronica
bei gleichzeitigem Gebrauche von Brunnen und Badekuren. Von Dr. Ä, Lcebel,
Leipzig, B. Konegen, 1892. 80 Pf.
Nach langem Erörterungen über die Aetiologie und pathologische Anatomie der
Metritis chronica weist Yerf. darauf hin, dass die Prognose derselben ganz und gar ver¬
schieden ist, je nach der Aetiologie der von dieser abhängigen pathologisch-anatomischen
Veränderungen, dass demgemäss die Therapie sich danach zu richten hat. Er scheidet
strenge von einander die Alterationen, die aus functionellen Abnormitäten des Uterus
resultiren, und diejenigen Affectionen, welche vornehmlich auf texturelle Veränderungen
des Uterusparenchyms mit regressiver Tendenz desselben hinauslaufen.
Durch Ableitung auf den Darm, die Nieren und die Haut wird versucht, das blutüber-
füllte Organ zu verkleinern, sowohl auf dem Wege des Reflexes als durch Beeinflussung
der peripheren Blutbahnen und des Gesammt-Stoffwechsels, und die Resorption von Ex¬
sudaten anzuregen.
Wo die Bäder und Brunnen nicht ausreichen, müssen andere Hilfsmethoden, so
namentlich mechanische und elektrische herangezogen werden. Ganz besonders müssen
die vorausgegangenen Behandlungsmethoden berücksichtigt werden.
1) Die Behandlung der Volumszunahme des Uterus, als Folge einer chron. Hyper¬
ämie, bietet die günstigsten Aussichten auf Heilung. Neben Trinkeuren gibt Verfasser
Stahl- und Moorbäder. (An andern Orten werden dieselben Resultate mit schwachen bis sehr
starken Soolbädern erzielt. Ref.) Mit der Ansicht des Verf., dass in Fällen, wo die Affec-
tion bei chlorot. pastösen oder soroph. Individuen sich vorfindet, die Badebehandlung nur
unbedeutende Aenderungen der Methode verlange, stimmen die persönlichen Erfahrungen
des Ref. mit Soolbädern nicht überein.
2) Die Volumszunahme des Uterus als Folge des Wochenbettes behandelt der Verf.
sehr vortheilhaft mit einer Combination von balneotberapeutischen Massnahmen mit Mas¬
sage und Heilgymnastik, deren Wirkung er hier den mit Scarificationen und Glyoerin-
tamponade erzielten Resultaten vorzieht.
3) Bei der Behandlung der hypertroph. Zustände des Uterus, welche Folge von
entzündlichen Vorgängen sind und wobei es sich nicht nur darum handelt, die Resorption
der Bindegewebswucherungen anzuregen, sondern auch darum, die Anbildnng der nor¬
malen Elemente anzustreben, richtet Verf. die Behandlung sehr nach den Symptomen:
Menorrhagien, Dysmenorrhoe und Mittelschmerz. Er macht vielfach, namentlich bei Fällen
mit Blutungen, Gebrauch von AposiolV^ Methode (Galvanisation, positiver Pol im Fornix
vaginae 50—80 M. A., 3—5 Min. Dauer) und verbindet die Moorbäder mit kalten Va-
ginaldouchen und mit Bewegungscuren; bei Fällen mit Dysmenorrhoe und Mittelschmerz
gelangen ausserdem noch warme Sitz- und Vollbäder selbst während der Periode zur
Verwendung.
Auch die Sterilität und die Neigung zu Abort als Folgeübel der Metritis chronica
lassen vom baineotherapeutischen Verfahren günstige Resultate erwarten.
Der Titel des Büchleins lässt erwarten, dass darin sämmtliche Bäderarten Berück¬
sichtigung finden; factisch ist aber nur von Moor- und Stahlbädem die Rede. H. Keller.
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318
Formulaire des eaux mindrales de la Balndothdrapie et de THydrothdrapie.
Von Dr. de la Harpe, Paris, Bailli^re et fils. 1894. kl. 8®. 300 pag. Preis (ge¬
bunden) 3 Fr.
Ein recht nützliches nnd empfehlenswerthes kleines Buch. Es enthält eine ge¬
schickte Zusammenstellung der Elemente der Balneotherapie. Mit Weglassung aller
wissenschaftlichen Hypothesen und Theorien hat Verfasser in sehr übersiehllicher Weise
das für den practischen Arzt Wissenswerthe geordnet. Ein erster Abschnitt (56 Seiten)
gibt ein R68um6 der allgemeinen Balneotherapie. (Hygieinische Factoren der Badecuren.
Das Bad. Inhalationen. Innerliche Anwendung des Wassers. Eigenschaften und Indi-
cationen der verschiedenen Mineralwässer. Meerbäder. Hydrotherapeutische Proceduren.)
Ein zweiter Abschnitt (193 Seiten) enthält in systematischer Uebersicht „die wichtigsten
Badeorte^ mit allem für den Arzt, der Rathgeber sein soll, Wissens wer then. Dass hier
die blossen Luftcurorte weggelassen sind, ist natürlich; unverständlich aber bleibt es,
warum von den Kaltwasserheilanstalten nur Champel und Schoenbrnnn aufgezählt werden.
In einem dritten Abschnitt (40 Seiten) sind, alphabetisch geordnet, die wichtigsten Krank¬
heiten, gegen welche Mineralwässer nnd Hydrotherapie in Anwendung kommen, mit ge¬
nauer therapeutischer Wegleitung.
Ein kleiner Anhang gibt eine Liste der Badeärzte an den in alphabetischer Reihen¬
folge geordneten Curorten. — Eingeführt ist das Werk durch ein Vorwort von Bujardin-
Beaumeiz, Das kleine Buch wird dem practischen Arzte ein recht nützlicher und zuver¬
lässiger Rathgeber sein. E. Haffter,
Jahresbericht Uber die chirurgische Abtheilung des Spitals zu Basel,
erstattet von Prof. Dr. A. Socin, Oberarzt; Dr. Ä, Christ^ Assistenzarzt, und Dr. C. Hägler,
Assistenzarzt der Poliklinik. 1892.
Es ist immer eine Freude, diese Jahresberichte der Basler Chirurg. Klinik zu durch¬
gehen und man ündet darin mannigfache Belehrung, sofern man sich nicht mit dem
flüchtigen Durchblättern begnügt, sondern die interessante Casuistik wirklich liest. —
Als Beispiele, welche namentlich auch den practischen Arzt ermuntern sollen, sich diese
Berichte zu Nutze zu machen, geben wir hier folgende Notizen:
Traumatische Epilepsie: 18jähriges Mädchen; Anfälle seit 6. Lebens¬
jahre nach Schlag auf den Kopf. Nach Trepanation einige Monate Ruhe, dann Recidiv
mit vermehrten Anfällen. Excision der Dura-Narbe; Bedeckung des Knochendefectes mit
ausgekochter Celluloidplatte (frankengross). Naht darüber. Heilung p. p. Anfölle bleiben
dauernd weg.
Frankenstückgrosses Druckgeschwür der Unterlippe bei einem
52jährigen Pfeifenraucher. Excision unter Cocain-Anästhesie. Das als Carcinom angesehene
Geschwür erweist sich als aus Granulationsgewebe bestehend. Keine Riesen-
zellen, keine Krebsstructur, keine Fettdegeneration. (Prof. Roth.)
Fibrosarcom des Oberkiefers: 33jährige Frau; stürzte vor 20
Jahren auf das Gesicht; die damals entstandene Schwellung des Oberkieferzahnfleisches
blieb bestehen und nahm ohne Schmerzen, langsam und stetig an Härte und Grösse zu,
rascher seit durchgemachtem Puerperium. Aus dem geöffneten Munde ragt eine hellrothe,
geschwürige Geschwulst, dem Oberkieferzahnfleisch breit aufsitzend. Excision mit Messer
und Meissei. Fibrosarcoma myxomatosum (Prof. Roth). Heilung ohne jede functioneile
Störung.
Unter 2 3 St r u m e n o pe r a t i o n e n befinden sich 10 glatt verlaufene (6—11
Heilungstage) Enucleationen, 6 dito Enucleationen mit Resection (7,5 Heilungstage) etc.
Bei den Operationen nicht eingeklemmter Leistenbrüche ist ein
Fall bemerkenswerth und für die Prognose dieses Eingriffes unter gewissen Umständen
immerhin zu berücksichtigen: 29jähriger Mann. Rechts doppelt hühnereigrosse, derbe,
kleinhöckerige, knisternde Geschwulst, durch den daumenweiten Leistenring nicht zurück-
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319
zubringen. Geringe Drackempfindliohkeit. Fieber. Bei. der Operation ist ein fanstgrosser,
dem untern Pole des Brucbsackes adhärenter, injicirter, hämorrhagisch pigmentirter Netz¬
klumpen abzutragen. Entfernung des Bruchsackes; Naht der Bruchpforte und der Fascien.
Drain. Afebrile Heilung p. p. Vom 5. Tag an hohes Fieber, Schwellung .der Ileoccecal-
gegend, Delirien, Collaps. f. Sectionsbefund: Retroperitoneale Jauchung in die r. Pleura
durchgebrochen etc.
Tuberculose der Harnblase. Bei 39jähriger Erankenwärterin wird
wegen Schmerzen und Harndrang die Cystotomia suprapubica ausgefiihrt; zwei granolirende
dunkelrothe Geschwüre werden ausgekratzt und thermocauterisirt. Besserung der Schmerzen.
Eine enorme Ziffer weist, wie überall in der Welt, die Knochentuberculose auf.
Von den 417 Chloroformnarcosen verliefen 246 ruhig, 59 mit erheblicher Ex-
citation, 104 mit Brechen, 6 mit Athmungsstörnngen, 1 mit Ohnmacht, 1 mit Exitus.
(Pat. der medicinischen Abtheilung wird znm Zwecke der Rippenresection vorsichtig chloro-
formirt. Nach 5 Minuten hört die Athmung plötzlich auf, während der Puls nicht aus¬
setzte. Künstliche Respiration nützt nichts. Sectionsbefund: Empyem in eine Caveme
durchgebrochen.) Die Bromäthylnarcose (160 Fälle) wird sehr gerühmt. In der chirur¬
gischen Poliklinik worden 1200 Bromäthylnarcosen (2—45 Gramm; Narcose bis zu 12
Minuten) ohne alle üblen Zufälle ausgeführt. (Dr. C. Hägler,) Wundbehandlung:
trockener aseptischer Verband nach Operationen; feuchte Sublimatverbände (1 — 5^/oo) bei
inficirten Wunden und eitrigen Entzündungen. Lysol zur Desinfection der Hände. Kresapol
wird ausserdem, als ein dem Lysol ebenbürtiges Mittel, das weniger unangenehmen Ge¬
ruch hat und bedeutend billiger ist, empfohlen. — Diaphtherin dagegen, ein allem An¬
schein nach allerdings ungiftiges Antisepticum, ist unangenehmer und weniger wirksam
als z. B. Jodoform. E, Haffter.
Sünde oder Krankheit.
Von Prof. Dr. Friedr. Zimmer. Leipzig, Druck und Verlag von F. Richter. 1894.
48 Seiten in 8®.
Diese kleine anspruchslose Broschüre eines Professors der Theologie tritt muthig
für den wissenschaftlichen ärztlichen Standpunkt in der Behandlung der Geistesstörungen,
gegen die Uebergriffe der Pastoren Stöcker und Bodelschwingh in das mediciuische Gebiet
ein. Daher mag sie hier erwähnt werden. Der Verfasser weist ruhig und klar dem
Seelsorger nach, wie sein Gebiet von dem ärztlichen zu trennen und wie thöricht es
ist, den Fortschritten der Wissenschaft und der Medioin sich entgegenstemmen zu wollen.
Wir müssen ihm hiefür dankbar sein. Forel.
Compendium der Hautkrankheiten einschliesslich der Syphiiide und einer kurzen Casuistik.
Für Studirende und Aerzte. Von Dr. 8. Jessner, Königsberg i./Pr. 276 Seiten.
Königsberg i./Pr., Ferd. Beyer’s Buchhandlung. 1893.
Besässen wir nicht Lesser^s classisches Lehrbuch der Haut- und Geschlechtskrank¬
heiten, das dem Practiker zur raschen Orientirung dient, das mit seiner präcisen Kürze
ihm in der Dermatologie das leistet, was in der Chirurgie Esmarch („kurz und bündig“),
so würden wir Jessner's Compendium als eine einem tiefgefühlten Bedürfniss entsprechende
Neuerung auf dem Büchermärkte begrüssen. Es ist aber gleichwohl nicht unnütz, das
kleine handliche Büchlein, das in seinem engen Rahmen des Interessanten, und Wissens-
werthen so viel wie möglich bietet und bis in alle Details den neuesten Anschauungen
Rechnung trägt. Dasselbe legt grossen Werth auf die bei Dermatosen oft so schwierige
und heikle Differentialdiagnose und behandelt jeweilen die Therapie recht eingehend.
Sehr willkommen dürfte die allgemeine Therapie sein. In der Eintheilung folgt der be¬
kannte und verdiente Autor dem von ihm früher publicirten System (Dermatologische
Studien, Heft XVII). C. Emm, Wyl.
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320
Mi€ro8copi8€he Technik zum Gebrauch bei mediciniechen und pathologiech-anatomiechen
Unterauchungen.
Von Prof. Carl FriedUender. 5. vormehrto und verbesserte Auflage, bearbeitet von Prof.
Eberih. ßerlin 1894.
Technik der histologiechen Unterauchung pathologiach-anatomiacher Präparate
fiir Studirende und Aerzte. Von Prof. C, v, Kahlden. 3. vermehrte und verbesserte
Auflage. Jena 1893.
Die beiden Bücher sind von ihren frühem Auflagen her als sehr gut bekannt und
haben in den neuen Auflagen noch gewonnen. In Friedländer-Eberth's Werk ist z. B.
die alte Tafel durch bessere Textfiguren ersetzt worden und die Microphotographie hat
durch Braunschweig eine besondere Bearbeitung erfahren. In beiden hat eine Vervoll¬
ständigung des Inhalts durch die Aufnahme der neueren Errungenschaften in ausgiebiger
Weise stattgefunden. Hanau,
La pratique de Taaepaie et de Tantiaepsie en Chirurgie.
Von Ed. Schioartz. Paris, Bailli^re & Als. 1894. 8®. 374 Seiten.
In vorliegender Schrift behandelt der wohlbekannte Pariser Chirurge das Capitel
der Antisepsis sowohl in theoretischer als ganz besonders in practischer Richtung.
Abweichend von ähnlichen deutschen Schriften durchgeht der Verf. so ziemlich die
ganze specielle Chirurgie und beschreibt in genauer Weise die antiseptischen Massnahmen
für alle bedeutendem Operationsgruppen. Es kann dabei nicht ausbleiben, dass Wieder¬
holungen Vorkommen und dass Details in grosser Breite behandelt werden, deren Eennt-
niss sich aus den allgemeinen Principien der Antisepsis von selbst ergibt. Wer aber die
grosse Bedeutung dieser Details für das Gelingen vieler Operationen aus Erfahrung kennt,
wird dem Verfasser diese Weitschweifigkeit nicht übel nehmen, und Derjenige, der ohne
specielle chirurgische Schulung Operationen zu unternehmen hat, kann aus dem Buche
nützliche Käthe holen. E. Kummer (Genf).
Grundrias der geburtahliiflichen Operationalehre.
Für Aerzte und Studirendo. Von Dr. Otto v, Herff, Privatdocent, Assistenzarzt an der kgl.
Universitäts-Frauenklinik zu Halle a./S. Mit 90 Abbildungen. Berlin 1894. geb. 8 M.
Dieses Werk kann Studirenden und Aerzten bestens empfohlen werden. Bei Weg¬
lassung aller statistischen und geschichtlichen Bemerkungen enthält dasselbe, in nicht zu
knäpper Form, wirklich alles Wissenswerthe, was zur geburtshülflichen Operationslebre
gehört. Die Abbildungen, vom Verfasser selbst mit der Feder gezeichnet, sind recht
gut ausgeführt. Tramer.
Die otitiachen Erkrankungen dea Hirna, der Hirnhäute und der Blutleiter.
Von 0. Körner (Frankfurt). Mit einem Vorwort von E. v, Bergmann. Frankfurt 1894.
163 Seiten.
Die Arbeit Eomcr’s basirt auf einem grossen fremden und eigenen Material, wel¬
ches sorgfältig gesammelt, kritisch gesichtet und in werthvoller Weise verarbeitet ist.
Von den Schlussfolgerungen, zu welchen K. gelangt, möchte ich einige der wichtigsten
mittheilen: Grössere Beobachtungsreihen ergeben, dass auf ca. 158 Sectionen von an
verschiedenen Krankheiten Gestorbenen ein Todesfall durch Ohreiterung entfällt; für die
acuten und chronischen Ohreiterungen findet man eine Mortalität von etwa 2,5®/o. Die
betreffenden Todesfälle vertheilen sich in annähernd gleichen Zahlen auf 1) Sinusphlebitis
und Pyämie, 2) Hirnabscess, 3) uncomplicirte Meningitis; letztere steht indessen gegen¬
über den beiden erstem numerisch etwas zurück. Nach zuverlässigen Statistiken ist etwas
weniger als der dritte Theil aller zur Section gelangten Fälle von Hirnabscess otitischen
Ursprungs; */3 der Sinusphlebitiden sind durch Krankheiten des Schläfenbeins bedingt,
während die otitische Meningitis im Vergleich zu andern Meningitiden selten vorkommt.
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321
Bei der Section fast aller otitischen Himkrankheiten war der Knochen bis zur Dura
krank; chronische Eiterungen und namentlich das Cholesteatom wirken in dieser Beziehung
verhängnissvoller als die acuten Eiterungen. Dagegen ist die von Tröltsch u. A. her¬
vorgehobene Gefahr eines Fortschreitens der Eiterung vom Mittelohr durch präformirte
Dehiszenzen und durch die Knochennähte überschätzt worden. — Der von einem erkrankten
Felsenbein aus angeregte Himabscess liegt in den benachbarten Himtheilen, also in der
Nähe der Basis des Gross- oder Kleinhirns. Bezüglich des ^ Heilwerthes eines operativen
Vorgehens bei Himabscess hält K, ein endgültiges Urtheil noch nicht für erlaubt (vgl.
pag. 146); dagegen müsse die Sinusphlebitis operirt werden sobald sie erkannt sei, und
in zweifelhaften Fällen müsse die probatorische Eröffnung ausgeführt werden. Die Arbeit
Körner*^ bietet nicht nur für den Chirurgen, den pathologischen Anatomen und den Ohren¬
arzt, sondern auch für den allgemein practischen Arzt manches Neue und Interessante;
ihre Resultate sprechen unzweideutig für die hohe Wichtigkeit einer rechtzeitigen ratio¬
nellen Behandlung der Eiterungen in den Cavitäten des Schläfenbeins. Siehenmannn.
Normale und pathologische Anatomie der Nasenhtthle und ihrer pneumatischen Anhänge.
Von E. Zucherkandl. Braumüller in Wien. 1. Band, 2. Auflage 1893 und II. Band,
1. Auflage 1892.
Bei dem wachsenden Interesse, welches gegenwärtig von Seiten der Laryngologen
und Ohrenärzte den Erkrankungen der Nase entgegengebracht wird und bei der momen¬
tanen Hochfluth diesbezüglicher specialistisch - klinischer Beobachtungen, von denen ein
Theil fühlbar der pathologisch-anatomischen Basis entbehrt und mehr als nur in der Luft
steht, bilden die vorliegenden Studien eine hochwillkommen nüchterne Erscheinung. Vor¬
aussichtlich werden dieselben für eine längere Reihe von Jahren grundlegend wirken für
die anatomischen, theilweise wohl auch für die klinischen Anschauungen auf diesem
Gebiet.
Der I. Baud wurde 1882 in erster Auflage gedruckt, die zweite Auflage desselben
ist auf das doppelte Volumen angewachsen und auch die Zahl der Tafeln ist von 22 auf
34 gestiegen. Eine Geschichte der Anatomie der Nasenhöhle, genaue Vorschriften über
die Präparations- und Sectionstechnik, eine Schilderung der normalen anatomischen Ver¬
hältnisse, vergleichend anatomische Bemerkungen und ein Capitel über den Mechanis¬
mus des Riechens bilden die erste Hälfte des I. Bandes. In der zweiten Hälfte Anden
wir einen mit Casuistik und Zeichnungen reich illustrirten Abschnitt über Polypen und
anderweitige Geschwülste der Nasenhöhle sowie über die in ätiologischer Beziehung stets
noch räthselhafte sogenannte genuine Atrophie der Nasenmuscheln (Ozaena). Zucherkandl
glaubt, auf Grund seiner anatomischen Erfahrungen schliessen zu dürfen, dass dem
atrophischen Stadium der Ozaena ein hypertrophisches voransgehe (? Ref.); angeborene
Defecte der Nasenmuscheln hat er nie gesehen; cariöse Processe fand Z. selten bei Ozaena
und in diesen wenigen Fällen beruhten erstere auf Syphilis. Es ist auch für den all¬
gemein practischen Arzt wichtig, letzteres zu wissen und darauf fussend Stellung nehmen zu
können gegenüber den oft dringenden Wünschen des Patienten, durch eine Operation curirt
zu werden von ihrem einer definitiven Heilung ja meist unzugänglichen lästigen
Leiden und es ist wichtig, dies neuerdings zu betonen angesichts der unheilvollen Ver¬
wirrung und Polypragmasie, welche auf diesem Gebiete durch die von der Kritik un¬
verdient günstig aufgenommene Publication Grünwald'% über Naseneiterung kürzlich
hervorgerufen worden ist. Auch bei der Besprechung der Pathologie der Nebenhöhlen
kommt Z. noch einmal auf GriJ^wald'% Lehre von den Naseneiterungen zurück und auf
seine „vielen barocken Behauptungen". Letzterer glaubte u. A. bei seinen 24 Fällen
von Oberkieferhöhlenempyem 17 Mal cariöse Processe mit der Sonde nachgewiesen zu
haben. Z. weist nun nach, dass dabei eine Verwechslung mit Osteophytenbildung vorliege;
Z. selbst hat bei keinem seiner zahlreichen Präparate Caries als Folge von Empyem, wie
Grünwald dies für das Siebbein sogar als Regel angibt, beobachten können, ein Resultat,
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322
welches übereinstimmt mit den klinischen und anatomischen (von Kuchenhecher publicirten)
Untersuchungen des Referenten und weichem auch Hajek neuerdings energisch bei¬
stimmt. — Die beigegebenen Abbildungen zeigen eine geradezu wunderbare Plastik der
Darstellung.
Im zweiten Bande finden wir neben manchem Neuen (Septumaffection, Rhinitis,
habituelles Nasenbluten, Syphilis, Tuberculose) auch viele Wiederholungen (Empyem der
Nasenhöhlen, Polypen etc.) aus dem I. Bande. Siehenmann,
Oamtonaile Ooinreispoiideiizeii«
RAekbliek anf den XI. Internat, medlelnlseken Congreaa
in Rom. (Schluss.) Im Quadrate der zeitlichen Entfernung von den römischen
Congresstagen erblasst mancher unangenehme Eindruck, mancher Aerger und Missmuth,
den der Besucher dabei erlebte, und die schliessliche Bilanz zeigt denn doch einen ge¬
waltigen Ueberschuss von Schönem und Interessantem und resultirt in einem Gefühle
von Dankbarkeit gegenüber dem römischen Organisationscomite, welches es so sirenenhaft
verstanden hat. Einen nach Rom zu locken, dem einzig und allein es also schliesslich
Mancher verdankt, dass er in seinem Leben überhaupt die ewige Stadt mit ihren Wun¬
dem einmal zu sehen bekam. — An dieser Stelle ein zusammenhängendes und voll¬
ständiges Bild des vergangenen Oongresses zu geben, dazu fehlen Zeit, Kraft und Raum.
Dagegen seien hier noch einige Reminiscenzen aufgefrischt und einige wesentliche Punkte
kurz hervorgehoben.
Haoptsilz des Cesgresses war die vor der Porta pia gelegene neue Poliklinik,
ein grossartig angelegtes Institut, kaum zu ^5 des Projectes erstellt und auch dieser
Bruchtheil mit dem Stempel des Unfertigen. Auf einem Areal von 160,000 Quadrat¬
metern soll sich einst die grösste medicinische Centralanstalt der Welt erheben mit 48
mächtigen Spitalgebäuden, wissenschaftlichen Instituten, Kliniken etc. Aber das anno
1888 begonnene, nach zwei Jahren fertig zu erstellende Werk ist bis zur Stunde noch
grösstentheils auf dem Papier; nur die eine Front — Verwaltungspalast und Lehrgebäude
— ist annähernd beendigt, kann aber natürlich keine zweckentsprechende Verwendung
finden, so lange für Unterkunft von Kranken nicht gesorgt ist, wozu, nach dem be¬
stehenden Projecte noch die Kleinigkeit von ca. 20 Millionen Lire nöthig sein wird.
Das hat also gute Zeit und indessen dürften die Paläste der Kliniken und der Ver¬
waltung mit ihrem Marmorüberfiuss fast wieder baufällig werden. — Als Congressgebäude
aber eigneten sich dieselben ganz vorzüglich; nicht nur waren die 19 wissenschaftlichen
Sectionen bequem darin unterzubringen, sondern es fand sich auch genügend Platz für
alle nationalen Bureau, für Post, Telegraph und Wechselstube (wo man selbstverständlich
stets nach niedrigstem Curs wechselte), Restaurants etc. etc. Kurz, die Anlage
des Ganzen war gut und zweckmässig, aber der Betrieb Hess insofern zu wünschen
übrig, als die vermittelnden Instanzen zwischen Congresscentrum (Organisationscomite etc.)
und den nationalen Mitgliedern des Oongresses — den Nationalcomites — zu wenig Be¬
rührungspunkte mit jenem hatten und meist ohne alle und jede Instruction blieben. Eine
Art militörischen Rapports wäre ganz am Platze gewesen.
Vormittags war ein tolles Leben in der Poliklinik. Hunderte von Droschken kamen
angerasselt; (die angekündigte Tramverbindung suchte man vergeblich) zwischen Schutz¬
männern und kgl. Leibgardisten flutheten die Männer der Wissenschaft über die Marmor¬
treppen des Hauptgebäudes, wo links vor dem Inscriptions- und Centralbureau, rechts vor
der Post Queue gestanden wurde, vor ersterem oft Stunden lang. — An Zeitungsverkäufem
und Händlern aller Art vorbei entwickelte man sich, oft schiebend, oft geschoben in die
Seitengebäude, um seine Section zu suchen; auf dieser Reise (welche von Manchen trotz
der überall angeschlagenen Grundrisse und Schematas mit klassischer Unbeholfenheit zu
einer eigentlichen Irrfahrt ausgedehnt wurde) konnte man en passant aus den geö&eten
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oder nicht überall vorhandenen Thüren da und dort oinen Brocken internationaler Wissen¬
schaft erhaschen (ein Bischen Inneres, ein Bischen Chirurgie etc. etc). Sesshaft blieben
die Wenigsten, denn es kam alle Augenblicke etwas, was nicht verstanden werden konnte
und aus den Qesten der Vortragenden allein war der Inhalt nicht immer zu errathen.
2700 Vorträge waren für die Sectionssitzungen angemeldet! Oft mussten aber 10 Autoren
hintereinander erfolglos zum Worte geladen werden und erst der 11. meldete sich als
anwesend. Auch dieser Umstand ruft nach besserer Organisation. Unsere schweizerischen
Mediciner haben sich tüchtig an den wissenschaftlichen Arbeiten bethätigt und erfuhren
auch allerorts ehrenvolle Anerkennung. Fast jede^Section zählte einen Schweizer in der
Liste der Ehrenpräsidenten (Anatomie: His; Eternod; Interne Medicin: Sahli;
Chirurgie: Kocher; Pädiatrie: B'Espine; Militärohirurgie: Alhrecht;
H y g i e i n e : Schmid etc.).
Aosstelloigf : Die mit dem Congress verbundene wissenschaftliche Ausstellung war
etwas einseitig beschickt. Weit über alles Andere hervor ragte die Abtheilung des
Deutschen Reiches; ja ohne dieselbe müsste die ganze Ausstellung als ziemlich bedeu¬
tungslos taxirt werden. Deutschland hatte für die Besucher einen vorzüglich orientirenden
Catalog zur Verfügung, während ein Catalog für die italienische Ausstellung zwar in
Aussicht gestellt war, aber — nie erschien. — Es war in letzterer viel Trödelkram zu
finden und stellenweise erhielt man den Eindruck eines Jahrmarktes, speciell da, wo die
Aussteller Wetzsteine, Patentflaschenzapfen und dergl. mit Geräusch an priesen und stück¬
weise verkauften. Reichhaltig und schön war dagegen die balneologische Ab¬
theilung und darin hatten am glänzendsten ausgestellt und wurden mit goldener Me¬
daille bedacht die Kochsalzthermen zu ß a 11 a g 1 i a bei Padua, z. Zt. gepachtet und
vorzüglich geleitet von einem Schweizer, Herrn Wiget, der das dortige Etablissement im
Stile bester Schweizerhötels umgebaut hat. Ueber die Wirkung des in Battaglia massen¬
haft deponirten Thermalschlammes, einer butterweichen, leicht auf die Körperoberfläche
zu streichenden Masse, bei gichtischer und rheumatischer Erkrankung werden von Aerzten
und Laien Wunder erzählt und Herr Wiget hofft, aus demselben einen Exportartikel von
Bedeutung machen zu können.
Was das deutsche Reichsgesundheitsamt ausgestellt, beschlng so ziemlich vollständig
das ganze Arbeitsgebiet dieses Staunenswerthen Musterinstitutes und bot eine Fülle des
Lehrreichen: Allgemeine hygieinische Einrichtungen; Fürsorge für Hülfsbedürftige (Rinder,
Kranke, Blinde); Massregeln gegen Infectionskrankheiten, mit einem Anhang: Thier-
senchen und Veterinär wesen; dann: die verschiedenen Zweige der medic. Wissenschaft
und die Hülfswissenschaften (Microscropie, Bacteriologie und Microphotographie, Chemie
etc.) — alle vorzüglich beschickt, speciell mit bewunderungswürdigen Präparaten jeder
Art, zu Unterrichtszwecken, unter welchen die mittelst 5 und 10®/o Formollösung conser-
virten anatomischen, zoologischen und botanischen Objecte durch ihre naturfrischen Formen
und Farben besonders auffielen. — Eine sehr instructive Sammlung hatte die ortho¬
pädische Unfallklinik des Dr. GolebiewsJci in Berlin ausgestellt: ca. 200 Gipsmodelle
von verletzten Füssen und Händen mit Angabe der Art der Verletzung, des Zustande¬
kommens derselben, der Diagnose (nach der 13. Woche, gemäss der practischen Aus¬
führung des deutschen Unfallversicherungsgesetzes vom 6. Juli 1884), Therapie, Function,
Invalidität, Dauer der Beobachtung, Höhe der Entschädigung. In einer derartigen, mög¬
lichst vollständigen Sammlung, kann sich der Arzt in dieser von Jahr zu Jahr wichtigem
Materie raschere Belehrung und Wegleitung holen, als in gedruckten Instructionen. —
Auffällig war mir, dass die Invaliditäts-Entschädigungen durchwegs ungleich höher aus¬
fielen, als man sich’s bei uns gewohnt ist, z. B. traumatischer Platt- oder Klumpfuss
bis zu 50®/o.
In der italienischen Ausstellung fielen Laien und Aerzten gleichmässig in die Augen
— durch ihre grauenerregende Natürlichkeit — die Objecte der Conservirungsmethode
des Dr. Efisio Marini in Neapel, menschliche Cadaver, welche, ohne dass die Körper-
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höhlen eröffnet werden müssen, durch blosses Einlegen in eine Flüssigkeit (Geheimniss
des Erfinders!) während 3X24 Stunden, total unverändert und mit completer Erhaltung
der Geschmeidigkeit unbeschränkte Zeit, Jahrzehnte lang, an der Luft äuf bewahrt
werden können.
Die militirkrztliehe Seetiei bot stets ein ganz besonders interessantes Bild. Am
Präsidenten tisch und unter den Zuhörern glänzten die Uniformen aus aller Herren Länder.
Nur die Franzosen hatten die ihrigen zu Hause gelassen; auf dem ganzen Congress war
keine französische Uniform zu sehen und Colin^ der vielfach Gefeierte, der sich überall
hervorthat, erschien stets in schwaraem Gehrock. Die Sitzungen der Militärärzte, bei
gewissen Gelegenheiten z. B. bei der Discussion über die Wirkung der modernen Schuss¬
waffen mit den Chirurgen combinirt, boten viel des Interessanten, worüber an anderer
Stelle berichtet werden soll. — Und die von dieser Section arrangirten Feste waren stets
eine famose Combination von Angenehmem und Nützlichem. Donnerstag den 29. März,
von Nachmittags 4 Uhr an, fand ein Besuch des neuen Militärspitals auf dem Monte
Celio statt. Dieses Institut, in klassischer Nachbarschaft des Forums und Capitols, wurde
1885—91 auf einem Areal von 50,000 Quadratmetern erstellt und besteht aus 27, voll¬
ständig isolirten, durch Gärten und Strassen getrennten, massiven Gebäuden, welche aber
in der Luft durch schlanke, von eisernen Säulen getragene Gänge unter sich und mit
einer mächtigen centralen, offenen Gallerte, welche in der Höhe des 2. Stockwerkes die
ganze Anlage durchquert, verbunden sind. — Die innem Einrichtungen entsprechen voll¬
ständig den neuern Anforderungen; für jeden Kranken ist ein Athmungsraum von 62,4
Cubikmeter, für jedes Bett 12 Quadratmeter Flächenraum vorhanden und der Besucher
gewinnt die behagliche Ueberzeugung, dass man hier nicht, wie so mancherorts in Italien,
die Hauptfinanzkraft in monumentalem Aussenbau erschöpft, sondern in anspruchslosem
und doch geschmackvollem Exterieur eine tadellose innere Ausstattung geschaffen hat.
Auch Congressdamen nahmen Theil an der Spitalvisito und zum Schlüsse ent¬
wickelte sich in den geräumigen, nach dem Garten zu offenen Corridoren der Verwaltungs¬
gebäude, wo die Direction ein brillantes Buffet erstellt hatte, ein ganz originelles und
äusserst gemüthliches und zwangloses Kneipstündchen, wobei der ausgezeichnete Frascati-
Wein auch den Solidesten die Zunge freundlich löste.
Nicht weniger interessant und instructiv war ein Besuch in der neuen Caserne
Vittorio Emanuele, woselbst der Oberst des dort stationirten Garderegiments persönlich
den liebenswürdigen Führer machte, während die Truppen überall in vielseitigster Weise
beschäftigt wurden. Einen besonders günstigen Eindruck machen die Schlafsäle, wo die
eisernen Bettstatten tagsüber zu einem schmalen, Matraze und Bettzeug in sich fassenden
Gestell zusammengeklappt dastehen und äusserst wenig Platz einnehmen. Auch hier
schloss der mehrstündige Besuch mit Buffet und Militärconcert.
Die Perle der festlichen Veranstaltungen der militärärztlichen Section bildete aber
der auf Sonntag den 1. April angesetzte Ausflug nach Tivoli. Dem zu diesem Zwecke
bereit gehaltenen Extrazug war ein Spitalzug des rothen Kreuzes angehängt und man fand
Gelegenheit, die reiche und vorzügliche Ausstattung dieser in grosser Anzahl einzig und
allein für Zwecke des rothen Kreuzes bereit gehaltenen Waggons zu bewundern. Die Be¬
festigung der Krankenlager auf festen Gestellen, welche beim Fahren starke Erschütterung
erleiden, scheint weniger zweckmässig, als unsere schweizerische Suspensionsmethode. — In
Tivoli, dem alten Horaz^schen Tibur angekommen und von einer bunten Volksmenge und
markerschütternder „Stadtmusik“ in Empfang genommen, begab man sich nach Besichtigung
der herrlichen Schluchten und Wasserfälle, als deren Krönung ein reizender Sibyllenrund¬
tempel in die blaue Luft ragt, zur Sommerbehausung des Cardinais Fürst v. Hohenlohe
— der weltberühmten Villa d'Este —, wo ein feines Frühstück servirt wurde. Dabei
donnerte es förmlich von Toasten; auch der Geist General Dufour’s wurde herbeschworen,
als Major Dr. B,eali von Lugano unter grossem Applaus — der Svizzero sprach zum
unverkennbaren Erstaunen der Zuhörer ein feines Italienisch — auf den Ursprung des
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rothen Kreuzes zuriickging. — Nach Tisch verlor man sich gruppenweise in dem grossen,
durch seine herrlichen Bäume und Wasserkünste bekannten Qarten. Aus dem Dickicht
der ungepflegten, märchenhaft überwachsenen Anlagen schweift der Blick über die me¬
lancholische Campagna und sieht als Begrenzung des Horizonts das Häusermeer der
Stadt Rom und, über Alles hoch erhaben, die himmelanstrebende Kuppel der Peterskirche,
deren Grosse man sich erst hier so recht bewusst wird.
Damit schliessen wir unsem lückenhaften Bericht und nehmen gerne Abschied von
dem XI. internationalen Congress, bis die unterdessen ausgegebenen, aber nach gemachten
Erfahrungen gewiss noch lange Zeit „in Sicht stehenden^ gedruckten Verhandlungen uns
nöthigen, darauf zurückzukommen.
Nachträglich noch ein Wort über Unterkunft in Rom während der Congresstage.
Wer nicht bei Zeiten für Quartier gesorgt hatte, war übel daran, denn das sog. Woh-
nungscomite konnte keine Hülfe bringen und über die meisten Hdtels verfügte der all¬
mächtige Th. Cook und von manchen Seiten wurden horrende Üeberforderungen gemacht.
Vorzüglich aufgehoben waren wir bei unserem Landsmann, Herrn Hassler, und seiner für alle
Wünsche der Gäste besorgten Gattin, deren H6tel in der denkbar schönsten und günstigsten
Lage auf dem Monte Pincio in jeder Beziehung allen Anforderungen entspricht und dabei
mässige Preise hat. Dort versammelten sich auch eines Abends die Sohne und Tochter
Helvetia^s in grosser Anzahl, erst sorgfältig nach Geschlechtern getrennt, dann — in
Erinnerung an die schneidigen alten Römer, den Raub der Sabinerinnen ansführend und
nachher bunt durcheinander gewürfelt, bis Mitternacht über Erlebnisse auf fremder Erde
und Congresssorgen plaudernd und der lieben Heimat gedenkend. — Eine weitere Ver¬
einigung wurde vom Nationalcomite im Grand H6tel veranstaltet, woselbst eine leider wegen
beschränkten Raums sehr limitirte Zahl schweizerischer Congresstheilnehmer zu einem
feinen Diner sich zusammenfand.
Der letzte Abend in Rom wird mir unvergesslich bleiben. Durch die herrlichen
Anlagen auf dem Monte Pincio wogte die glänzende Welt der ewigen Stadt und athmete
die abendfrische, von Blüthen balsamische Luft. Eine vorzügliche Militärcapelle spielte
den 3. Act der Walküre von Richard Wagner in seltener Vollendung. Zwischen den
wunderbar gegen den tiefblauen Himmel sich abhebenden Palmen und Steineichen fiel
der Blick auf die zu Füssen liegende Stadt mit ihren Jahrtausenden, im Glanze der
untergehenden Sonne majestätisch anzuschauen — Alles Gold und Purpur. — Der An¬
blick bleibt mir unvergesslich und die Erinnerung daran wird mir zeitlebens den Wunsch
nähren, Rom nochmals wiederzusehen, aber — nicht mehr im Gewühle eines Welt-
congresses. E. Haffter.
W odientoeriolit.
Schweiz.
47. Veramwlieg' des krctUchea Cestrsivereiis. Samstag den 2. Juni 1894
in Zürich.
Tagesordnung:
Freitag den 1. Juni. Abends 8 Uhr: Versammlung der Gesellschaft der
Aerzte in Zürich im Hötel National (gegenüber dem Centralbahnhof) zum Empfang der
auswärtigen Herren Collegen. Kurze Mittheilungen und Demonstrationen.
Nach der Sitzung gemüthliche Vereinigung. Bier und kaltes Buffet.
Samstag den 2. Juni. I. Von 8 bis 11 Uhr Besuch der Kliniken und
sonstigen medicinischen Institute.
Von 8—9 Uhr: Ophthalmologische Demonstrationen im Hörsaale der Augenklinik
des Cantonsspitales. Prof. Dr. Uaah,
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Von 8—9: Pathologie und Therapie der üterusmptur mit Demonstrationen im Hor¬
saale der ■edieio. Kliiik des Cantonsspitales. Prof. Dr. Wyder,
Von 9—10: Medioinische Klinik im Oantonsspital. Prof. Dr. Eichhorst,
Von 10—11 : Chirurgische Klinik im Oantonsspital. Prof. Dr. Krönlein,
Von 8—10: Empfang in der Irrenheilanstalt Burghölzli. Prof. Dr. Forel,
Ausserdem stehen von 8—11 Uhr folgende Institute den Herren Collegen zum
Besuche offen: Das anatomische Institut (Demonstration von Nervenpräparaten nach Golgfs
Methode), das pathologische Institut, das hygieinische Institut (Ausstellung von Tachy-
phagen etc.), das physiologische Institut, alle vier in der Nähe des Cantonsspitales, ferner
das orthopädische Institut der Herren Dr. Lüning und Dr. W, Schulthess (Löwenstr. 16),
sowie von 10—11 Uhr das Kinderspital (Steinwiesstrasse).
n. Von 11—12 Uhr: Frühschoppen in der blauen Fahne.
in. Poikt 12 Uhr: Allgemeine Versammlung im Rathhaussaale.
Tractanden:
1) Zur operativen Behandlung des Magencarcinoms. Spitalarzt Dr. Kappeier, Mün-
sterlingen.
2) Ueber Fettembolie. Prof. Dr. Bibbert, Zürich.
3) Eidgenössische Kranken- und Unfallversicherung. Aerztliche Betrachtung der
Vorschläge von 1893. Dr. Sonderegger, St. Gallen.
4) Vorschriften für die aus der Behandlung entlassenen Syphilitischen. Prof. Dr.
Lesser, Bern.
5) Die mechan. Behandlung der Frauenkrankheiten. Dr. Häberlin, Zürich.
IV. Um 3 Uhr: Bankett im Hötel Bauer am See.
V. Abends von 8 Uhr an: Gesellige Vereinigung der noch anwesenden Herren
Collegen am Zürichhom.
Für Sonntags den 3. Juni sind die in Zürich versammelten Aerzte von
den Herren Collegen und der Casinogesellschaft zu Baden zum Besuche eingeladen und
zwar nach folgendem Programm:
10 Uhr 02: Empfang der Herren Aerzte am Bahnhof zu Baden. Spaziergang
auf Belvedere mit Frühschoppen daselbst. 12^2 Uhr: Bankett im Casino. Nachher
Besuch der Bäder.
Zu dieser vielversprechenden Versammlung im schönen Zürich sind die Mitglieder
des Centralvereins, sowie unsere Freunde in den ärztlichen Gesellschaften der französischen
und italienischen Schweiz aufs Herzlichste eingeladen.
Namens der oan tonalen Aerzte-Gesellschaft Zürich, Namens des ärztl. Central Vereins,
Der Präses: Prof. Dr. Goll. Der Präses: Dr. E, Haffter,
Namens der Gesellschaft der Aerzte in Zürich, Der Schriftführer: Dr. H, v, Wyss,
Der Präses: Prof. Dr. Stöhr.
^ Die 77. JahresversaBBloDip der Schweiz. utarforscheBdeB Gesellschaft findet
am 30. und 31. Juli und 1. August in Schaff hausen statt. Wissenschaftliche Arbeiten,
für die allgemeinen, wie für die Sectionssitzungen müssen bis spätestens 15. Juli beim
Jahrespräsidenten, Prof. J. Meister in Schaffhausen, angemeldet werden. Detaillirtes
Programm folgt später.
Ausland.
— Für die 66. VersaBiBilnBg deutscher Natarforscher uud Aerzte, welche in
den letzten Septembertagen dieses Jahres zu Wien abgehalten werden wird, gibt sich
schon jetzt rege Theilnahme kund. Die allgemeinen Versammlungen werden, um allen
Theilnehmem den Zutritt zu ermöglichen, im grossen Musikvereinssaale stattfinden. Dieser
Saal wird auch den Schauplatz der Eröffnungssitzung bilden, welche wohl mit besonderen
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Feierlichkeiten verbunden sein dürfte. Es sind im Ganzen drei allgemeine Versammlungen
geplant und für jede derselben sind zwei Vorträge in Aussicht genommen. Ausserdem
werden fachwissenschaftliche Vorträge in Jeder der 40 Sectionen gehalten werden. Für
diese Vorträge, ferner für die Sectionssitzungen und die Ausstellung ist das Universitäts-
Gebäude zur Verfügung gestellt und die fremden Gäste werden hierdurch Gelegenheit
haben, den herrlichen Bau Ferstefs, wie sich dessen wenige Hochschulen rühmen können,
in seiner ganzen prächtigen und zweckmässigen Anlage kennen zu lernen. Für die Er¬
holung und das Vergnügen der Theilnehmer wird durch Ausflüge auf den Kahlenberg,
nach Greifenstein und durch eine Gesammttour auf den Semmering gesorgt werden. Eine
Festtafel wird wohl auch im Programme nfcht fehlen. Es sei besonders bemerkt, dass
die Theilnahme an der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte nicht bloss den
Mitgliedern der Gesellschaft der Naturforscher und Aerzte, sondern überhaupt jedem Arzte,
ja jedem Freunde und auch jeder Freundin der Naturwissenschaft frei steht.
— ÜBfallversieherangf fllr Aerzte. Es mag vielen Collcgen wichtig sein, zu er¬
fahren, dass die zwei bekannten und grossen deutschen Unfallversicherungsgesellschaften
— die Victoria zu Berlin nnd die Unfallversicherungsactiengesellschaft zu Cöln a./Rh. —
sich neuesten Datums bereit erklären, ihren Aerzteunfallversichernugspolicen noch eine
besondere Clausel anzufügen, welche besagt, dass Blutvergiftungen etc. nach jeder
äussem Verletzung, nach jeder unbedeutenden Hautschürfung, Schramme oder Schrunde,
gleichviel aus welcher Ursache dieselbe entstanden sein
möge, als entschädigungspflichtig taxirt werden.
— HeehaDisehe BehandloDg von sabeotaBeD PhlegBiBBeB bb deB ExtreBiititeB.
Krcdl hat s. Zt. empfohlen, das Erysipel der Glieder durch circulär angelegte Heftpflaster¬
streifen zu heilen, resp. abzugranzen. Diese Behandlungsweise hat nun Trier (Therapeut.
Monatshefte 1894, Heft 4) mit Erfolg bei einer ausgedehnten Phlegmone der untern Ex¬
tremität angewendet. Es handelte sich um eine mit hohem Fieber und schweren All¬
gemeinerscheinungen verlaufende, rasch progrediente Unterhautzellgewebseiterung bei einem
20jährigen Manne, im Anschluss an Schürfwunden des rechten Unterschenkels. Trotz
energischer Incision in die fluctuirende Umgebung, wobei schlechter, dünnflüssiger Eiter
in Menge sich entleerte, und feuchten Ca rbolverbänden wanderte die Phlegmone innert
24 Stunden bis zur Mitte des Oberschenkels, welcher sich hoch geschwollen und geröthet
zeigte. — Bei der Intensität des Krankheitsbildes war baldiges Uebergreifen auf den
Rumpf zu befürchten. Da legte Trier eine 5 m lange nnd 5 cm breite Mullbinde circa
Sfingerbreit oberhalb der Grenze der Entzündung rund um den Oberschenkel, wobei er
die Binde derart fest anzog, dass er eben noch den kleinen Finger zwischen sie und
den Schenkel stecken konnte. Es entstand auf diese Weise ein die Hant und die da¬
runterliegenden Gewebstheile comprimirender Ring. Hochlagerung der Extremität und
feuchter, antiseptischer Verband. — Nach wenigen Stunden war der Oberschenkel bis
hart an die Ringbinde geschwollen und hochroth entzündet, oberhalb derselben aber intact
und blieb es auch während der nächsten Tage, da Unterhautzellgewebe und Fascien des
Unterschenkels nnd des unterhalb der Binde gelegenen Theils des Oberschenkels necrotisch
wurden und durch tiefe Incisionen entleert werden mussten.
Noch in anderer Weise zeigte sich die vortrefflich localisirende Wirkung der Methode.
Als Trier nach einigen Tagen den reichlich mit Eiter durchtränkten Verband wechselte^
war er genöthigt, auch die durch Secret stark beschmutzte Ringbinde zu entfernen, legte
aber sofort eine neue Binde an, aber ca. 1 cm weiter oben.
Die Phlegmone bemächtigte sich innerhalb der nächsten 12 Stunden der fireigelegten
Zone und blieb abermals vor der Halt gebietenden Grenze stehen. Am 9. Tage konnte
die Ringbinde entfernt werden und Pat. ging seiner völligen Genesung entgegen.
— Ueber iBfeetieBskraBkheiteB Biit leberleseBi Verlauf. Seit der Einführung
der Thermometrie als klinische Untersuchungsmethode hat die Berücksichtigung der
Körpertemperatur bei der Beurtheilung eines krankhaften Zustandes derart die Oberhand
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gewonnen, dass die übrigen Erscheinungen dadurch in den Hintergrund zurückgedrängt
worden sind und nur zu oft nicht gebührend berücksichtigt werden. Nach und nach hat
man sich daran gewöhnt, eine Störung des Allgemeinbefindens erst einer näheren Be¬
rücksichtigung würdig zu halten, wenn dieselbe von einer mehr oder weniger starken
Steigerung der Temperatur begleitet ist. Erst seit wenigen Jahren ist man zur Einsicht
gekommen, dass mit der Temperatursteigerung nicht alles gesagt ist, und dass es Fälle
von Infectionskrankheiten gibt, welche, selbst bei schwerem Verlauf, absolut fieberfrei
bleiben. Fälle dieser Art sind z. B. wiederholt bei Typhus abdominalis beobachtet
worden (ihtom, von Gerloczy, Wendland) \ die Patienten zeigten alle charakteristischen
Symptome des Typhus, schwere Störung des Allgemeinbefindens, Milztumor, Roseolen,
charakteristische Stühle, die Temperatur allein bewegte sich beständig innerhalb der
normalen Grenzen. Unter dem Titel „des pyrexies apyretiques^ (eine etwas paradoxe
Bezeichnung) beschreibt Teissier in der Semaine medicale Nr. 25 einen typischen Fall
von croupöser Pneumonie mit unverkennbaren physikalischen Erscheinungen, rostfarbenen
Sputa, Seitenstechen und hochgradiger Dyspnoe, welcher bis zur Lösung am 9. Tage nie
eine höhere Temperatur als 37,4^ im Rectum gemessen aufwies. Ferner erwähnt er
zwei Fälle von Intermittens, bei welchen die regelmässig wiederkehrenden typischen An¬
falle mit Schwellung der Milz niemals von der geringsten Temperatursteigerung begleitet
waren. Ebenfalls ist es bekannt, dass Scharlach unter Umständen fieberlos verlaufen
kann, was dann für die Differentialdiagnose der Affection grosse Schwierigkeiten bereiten
kann. Aber am häufigsten beobachtet man diesen fieberlosen Verlauf der Krankheit bei
Influenza. Hier fehlt dieses Symptom so häufig, dass einige Kliniker diese Fälle als
eine bestimmte Form der Influenza aufgefasst und beschrieben haben. Was die Natur
dieser Erscheinung und ihre Erklärung anbetrifft, so könnte man vielleicht an die Wir¬
kung besonderer Toxine denken. Es ist hauptsächlich von Bouchard und seinen Schülern
gezeigt worden, dass in den Excretionsproducten vieler Bacterien Substanzen enthalten
sind, welche, gesunden Thieren eingespritzt, nach kurzer Zeit bedeutende Teroperatur-
herabsetzungen zu bewirken im Stande sind. Diese Hypothermien sind aber von kurzer
Dauer, und bei ihrem Zustandekommen spielen noch verschiedene Factoren mit, die wir
zur Zeit noch nicht genügend übersehen können. Ein weiterer Factor, welchem Teissier
eine grosse Bedeutung beim Zustandekommen dieser apyretischen Zustände zuschreiben
möchte, ist eine Störung der Nierenthätigkeit, in Folge welcher eine Retention der Stoff-
wechselproducte mit consecutiver Hypothermie statt hat. Bei mehreren dieser Fälle Hess
sich in der That zu einer früheren oder späteren Zeit der Erkrankung Eiweiss im Urin
nachweisen.
— Bei Coliken der Skng^liDge wendet Escherich Calomel 3 Mal täglich 0,005
an und lässt gleichzeitig zweistündlich einen Theelöffel von nachstehender Lösung nehmen:
Tinct. thebaic. gtt. I, Aq. Lauroceras. gtt. XV, Aq. Menth. 30,0, Aq. foenicul. 30,0, Aq.
destill. 30,0, Sir. simpl. 10,0. (Medico.)
— Gegen ehrenisehe ObstipatieD bei Kindern empfiehlt Starr: Extract. Bella¬
donna 0,03; Aloes 0,6; Butyr. Cacao 6,0; f. suppositoria Nr. XII. D. S. Täglich 1
oder 2 Zäpfchen cinzuführen. (Sem. med.)
Briefkanten«
Dr. B. in L. : Da Ihr Fall von „acnter Alcoholintoxication“ mit Kopfweh, Erbrechen, mehr¬
tägigem Coma, Cheyne-Stokes etc. viel näher liegend und gewiss richtig als Uraemie gedeutet werden
muss, hat die Veröffentlichung desselben kein Interesse. — Dr. Schwalbe, Berlin: Stellungnahme zu
Ihren Vorschlägen ist erfolgt, bevor ich von denselben Kenntniss hatte. Vergl. letzte Nummer
dieser Zeitschrift, pag. 290 und 291.
Das schweizerische Aerzte-Album bittet um Zusendung der Photographien verstorbener Collegen,
damit es an der Frühjahrs Versammlung des Central Vereins in Zürich möglichst completirt er¬
scheinen kann.
Schweighauserische Buchdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
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CORRESPONDENZ-BLATT
Erscheint am 1. und 15.
jedes Monats.
Inserate
35 Cts. die gesp. Petitzeile.
für
Schweizer Aerzte.
Herausgegeben von
Preis des Jahrgangs
Fr. 12. — für die Schweiz,
Fr. 14.50 für das Ausland.
Alle Postbureaux nehmen
Bestellungen entgegen.
T>rm Haffter und Dr. A.» Jaqiiet
in Frauenfeld. in Basel.
N! 11. XXIV. Jahrg. 1894. 1. Juni.
lalialtt Znr 47. Yeraammlang üm &rstl. Centralrereiiia. — I) Ori gI d alarbeiten: Dr. E. Perregaux: üeber Morbne
Baaedowii. — Dr. Bmmkard: Ueber Operation unreifer Staare. Dr. Re^trs CronpÖse Entsttndnng der Aneseren Gebörgftnge.
— A. For$l: StnhlTeretopfnng. — 2) Referate and Kritiken: Dr. Bttgm WifUtnÜM: Die ehronieehe Oophoritie. —
Dr. SUtdbHk WoüuimUtck: Bxenteratio (Efieeeratio) bnlbi. — Dr. A%^gHat SSfopHbf; Beitrige snr Kenntniss Ton Wesen nnd
Sita der Uemiorania ophtbalmiea. — Dr. Jf. Bartü»: Die Medicin der Natnrrölker. — 8)Cantonale Correepond ensen:
Der Cnrort Lejsin. — 4) Woehenberiebt: Basel: Dr. Att>4rt Dutier^ Professor. — Bern: Kliniscbe Aerstetage. — Prof.
Cr«ni|f, Bemfbng nach Wien abgelebnt. — YII). internet. Coogreos Ittr Hygiene and Demographie. — 19. Yersammlang des
dentsMan Yereins für dffentliehe Gesandheitspflege. — Congr« international de Beins de mer et d'Hydrotbdrapie marine. —
Ueber geistige Arbeit. — Gbolero. — Pasfsttr*8cke Bcbatzimpfangen. — Weber stammt die Syphilis? — Antipyrin als Local-
aamsthetiemm. — Cnrarin bei Tetanie. — Wirkung der Gow&rxe auf die Yerdannng. — Ein improrisirter Aspirationsapparat. —
DasDoldn. — Garbolsiare. ~ Locale Bebandlang der Angina diphtheritiea. — Erg&nsang. — 5) Briefkasten. — 6) Biblio-
grapbisebes.
Zur 47. Versammlung des ärztlichen Central-Yereins.
Ans sonnenglSnzeDdem Himmel ein fruchtbarer Kegen auf die herrliche Frählings*
weit, über. dem dunkelgrünen Walde die Majestät eines Begenbogens — das ist die
Naturscenerie, in welcher die Redaction des Corresp.-Blattes sich anschickt, ihren
Sammelrnf in die Gauen des Vaterlandes hinauszusenden. Alle Greatur wird frisch
nnd fröhlich unter dem Hauche solchen Lenzes nnd die ruhige Pracht der Natur
reflectirt woblthätig auf das unruhige menschliche Gemütb und macht dankbar nnd
zufrieden.
Männiglich ziehe seinen muffigen Winterrock ans, schüttle den Werktagsstanb
von der Seele und lasse täglich einige desinflcirende Frühlingssonnenstrahlen hinein
fallen. So vorbereitet nnd in dieser Tenue werden die lieben Collegen zur Frühjahrs¬
versammlung in Zürich erwartet, zum dies academicus des practischen Arztes. Dort
hat der letztere folgende Metamorphosen dnrchzumachen: Freitag Abends: Altes Hans,
allmälig 'die Verbindung mit dem längst vergangenen academischen Lebensfrühling
wieder herstellend; Samstags Vormittags: Fleissiger Studiosus und Nachmittags dito
nnd pflich^etreuer socialpolitiktreibender Staatsbürger, Abends fröhlicher Student;
Sonntags unter wohlthätigem baineologischem Einflüsse — auf kleinern oder grössern
Umwegen aber gestärkt — wieder zum Stadium des practischen Arztes und zu Muttern
zurückkehrend.
Diese fröhliche Kegenerationskur hat einen sehr ernsten nnd wichtigen Mittel¬
punkt. Es ist hohe Zeit, dass die schweizerischen Aerzte zu der Frage der eidgenössi¬
schen Kranken- und Unfall-Versicherung, welche seit dem letztjährigen Aerztetag
mancherlei Wandlung erfahren hat, Stellung nehmen; unsere Collegen der romanischen
Schweiz haben dies bereits gethan. Der Central-Verein aber wird am 2. Juni in der
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Lage sein, die verschiedenen vorliegenden Projecte zu berathen und durch, wie wir
hoffen, in der Hauptsache einmfitbige Beschlüsse an massgebender Stelle zu zeigen,
dass der schweizerische Aerztestand dieser hochwichtigen socialpolitischen Frage mit
warmem Interesse und Verständniss gegenübersteht und dass seine Meinung verdient,
gehört zu werden.
Möge die Wichtigkeit der Verhandlungen und die mächtige Anziehungskraft
Zürichs am 2. Juni eine recht grosse Zahl von Collegen zu ernster Arbeit und zu
frohem Feste vereinigen. Die gastlichen Zürcher werden Alle willkommen heissen; sie
haben uns noch immer warm empfangen und den Abschied schwer gemacht!
lieber Morbus Basedowii.
Von Dr. E. Perregaux, Basel.
Das eigenthümliche, durch seine Häufigkeit einen gewissen Znsammenhang bekun¬
dende Vorkommen der Hauptsymptome der Hasedow’scben Krankheit, scheint bereits im
vorigen Jahrhundert (1785) dem Autoren Parry den Gedanken an die Berechtigung einer
Zusammenfassung der bekannten Trias zu einem einheitlichen Krankheitsbilde nahe gelegt
zu haben. Die aus diesen ersten Beobachtungen gezogenen Schlussfolgerungen ver¬
öffentlichte dieser Forscher indessen erst 40 Jahre später (1825). Wahrscheinlich
dürfte die Uebereinstimmnng, welche sich aus seinen Angaben und denjenigen eines
anonym gebliebenen Autoren (die Arbeit erschien 1816 im Medico-Ghirnrgical Journal),
sowie den Arbeiten Demours 1818 und Adekmnn’s 1825 ergab, Parry zur Wieder¬
aufnahme und Weiterführung der gepflogenen Erwägungen veranlasst haben. Diese
ihre Vorläufer stellten aber Groves in England 1835 und Basedow in Deutschland
1848 vollkommen in den Schatten und unter ihrem Namen wurde nach und nach das
Krankheitsbild allgemein bekannt. In der Folgezeit durfte dasselbe des regen Interesses
der ärztlichen Welt sich erfreuen und kann heute auf eine stattliche Anzahl wichtiger
Arbeiten hinweisen. Wir müssen aber gestehen, dass diese reichhaltige Litteratur über
die wichtige Frage nach dem Wesen der Krankheit nur spärlichen Aufschluss zu ge¬
währen vermag und dass letztere mit ebenso viel Recht wie vor 58 Jahren eine
räthselhafte genannt zu werden verdient. Andrerseits aber ist es natürlich, dass diese
vielfachen Bemühungen nicht unbelohnt bleiben konnten, und sind die Fortschritte, welche
in Bezug auf Sicherstellung und Erweiterung unserer Kenntnisse der Symptomatologie,
Zuverlässigkeit und Diagnose zweifelsohne erzielt worden sind, dieser Litteratur zu ver¬
danken. Wenn wir dieselbe durchgehen, so finden wir, dass besonders die seit den
80er Jahren gelieferten Beiträge den an objective Darstellung und kritische Beleuchtung
zu stellenden Ansprüchen gerecht zu werden trachteten. Hiebei wäre vielleicht in
erster Linie der englischen, dann aber auch der deutschen und französischen Autoren
zu erwähnen. Bei den englischen Mittheilungen handelt es sich um Veröffentlichung
von Beobachtungen jeweilen nur weniger (oder gar nur einzelner) Fälle, bei denen aber
der Schwerpunkt auf möglichst erschöpfende und klare Darstellung einer einzelnen
Erscheinung verlegt wird. Dass dies der einzig richtige Weg ist, der zur wahren
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WordiguDg der ErscheinungeD und zum fruchtbaren Eindringen in das Wesen der
Krankheit allein führen kann und muss, braucht kaum betont zu werden.
Die beiden Fälle, die ich hier skizziren möchte, bieten meines Erachtens manche
interessante Einzelnheiten in Bezug auf Symptomatologie und vielleicht auch Therapie,
sowie auf mit dem Morbus Basedowii auftretende Complicationen, was deren Veröffent*
lichung rechtfertigen dürfte. Ich werde mich aber mit knapper Besprechung der
betreffenden Punkte begnügen müssen und kann von einer vollständigen Litteratur-
angabe oder erschöpfenden Besprechung der Symptome, wie sie von der Krankheit an
verschiedenen Organen gesetzt werden und beschrieben worden sind, hier keine
Bede sein.
Der erste dieser beiden Fälle, über welchen ich schon vor längerer Zeit in der
Basler medic. Gesellschaft referirte, betrifft einen 19jährigen, in neuropathischer Hinsicht
hereditär bedenklich belasteten Bäckergesellen D., welchen folgende Beschwerden am
26. October 1892 zu mir führten.
Vor 5 Jahren bereits (also 1887) stellte sich bei D. anhaltendes Herzklopfen ein,
welches von Jahr zu Jahr und besonders seit Eintritt des D. in die Lehre (was vor 3 Jahren
geschah) sich verschlimmerte. Während dieser Lehrzeit wurde D. von seinem Meister
vielfach körperlich misshandelt und wurden an seine Leistungsfähigkeit Ansprüche ge¬
stellt, denen ein gesunder Erwachsener kaum hätte gerecht werden können. Die vor
diesem Eintritt von Herzklopfen hie und da gewährten Remissionen oder Intermissionen
worden immer kürzer und seltener; nach und nach kam es Abends zu höchst be¬
ängstigenden, von heftigen Schmerzen begleiteten Anfällen, bei welchen die Herzaction
höchst unregelmässig und schwach wurde. Unter diesen Umständen bemächtigte sich des
Patienten eine hochgradige moralische Depression. D. wurde schwach, magerte ab, bekam
Tremor der Hände und will damals häufig doppelt gesehen haben. Ebenfalls während
dieser Lehrzeit (also vor 3 Jahren) stellten sich Nachts wöchentlich mehrmals Krämpfe
und Wuthausbrücbe beim Patienten ein, die oft lange, mehrere Stunden andauerten,
wobei das Bewusstsein theilweise sicher erhalten blieb. (Diese Anfälle, die der Patient
anfangs leugnete, die aber doch von ihm zugegeben wurden, werden von der ihn be¬
gleitenden Tante als epileptische bezeichnet.)
Patient schläft wenig und schlecht.
Während anfänglich die erwähnten Anfälle von Angina pectoris nur Abends aufzu-
treten pflegten, Pat. aber tagsüber von denselben verschont blieb, wurde er vor 3 Monaten
am hellen Tag auf offener Strasse von einem so heftigen Anfall überrascht, dass er um¬
fiel und in kläglichem Zustande nach Hause geschleppt werden musste. Von diesem
Tage an wiederholten sich die Krisen im Laufe des Tages mehrmals und wurde D. total
arbeitsunfähig und fiel seiner Mutter zur Last. Schliesslich sei bemerkt, dass der Pat.
in mehrfacher Behandlung gestanden haben wollte und sich nebenbei für herzkrank hielt.
Anamnestische Daten wurden von der Tante nur spärlich angegeben. In des Patienten
Familie sind Geisteskrankheiten und Nervosität zu Hause. Pat. ist das einzige Kind
eines alkohol. Vaters, war als Kind (Frühgeburt) sehr schwächlich, litt lange an der
englischen Krankheit, kam dann in der Schule im Unterricht nur mühsam nach, da er
auffallend wenig begabt ist. Seit Beginn seiner Krankheit ist er sehr reizbar geworden
und wechselten Zomesausbrüche mit weinerlicher Stimmung bei ihm beständig ab. —
Zu bemerken ist ferner, dass die nächtlichen, von der Umgebung des Kranken für „epi¬
leptisch*^ ausgegebenen Anfälle unfehlbar und mit erneuter Vehemenz dann ein traten,
wenn Pat. zufällig über den Tag seines früheren Meisters auf der Strasse oder sonstwo
ansichtig wurde.
D. ist ein schmächtiger, in der Entwickelung zurückgebliebener Junge mit auffallend
rachitischem Schädel. Er macht den Eindruck eines beschränkten mürrischen Menschen,
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der aus seiner Indolenz eich kaum rütteln lässt und an ihn gerichtete Fragen nur ungern
beantwortet.
Auffallend ist an ihm zunächst der hochgradige Exophthalmus (mit Thränen der
Augen). Pupillen sind gleich gross und reaglren normal. Kein Gfrd/c'sches Symptom, keine
mangelhaften Convergenzen; das einzige, was neben dem Exophthalmus festzustellen ist, ist
deutlich ausgeprägtes Stellwag'' Zeichen.^) So viel über die Augen.
Die Untei'suchung des Thorax ergibt, neben rachitischen Verbildungen der Knochen,
nur für das Herz von der Norm abweichende Verhältnisse. Das linke Herz ist etwas
hypertrophisch, der Shok iheilt sich den Brustwandungen mit. Herztöne laut, über der
Mitralis ein undeutliches surrendes Geräusch. 90—100 Schläge in der Minute. Radial¬
puls entsprechend beschleunigt, aber rhythmisch, eher weich und klein. Körperliche Be¬
wegungen, selbst längere Zeit fortgesetzt, vermehren die Herzschläge nicht, trotzdem Pat
über Beklemmung klagt. Der intensive Tremor der Hände, Arme, ja der Schultern
vereitelt den Versuch einer sphygmographischen Aufnahme der Pulscurve. Dieses Zittern
ist ziemlich fein, wird aber oft von einer Schleuderbewegung der Extremitäten unter¬
brochen, lässt in Bezug auf seine Intensität einen Unterschied zu Gunsten der linken
Seite deutlich erkennen, soll nach Aussage des Kranken und seiner Tante oft Tage lang
ausbleiben, um ohne plausible Ursache plötzlich wieder aufzutreten, wird nach Bewegungen
und durch Aufregung bedeutend vermehrt, hat sich aber nie in das Gebiet der Kopf¬
nerven fortgepflanzt.
Die weitere Untersuchung ergibt eine totale Hemianaesthesie der rechten Körper¬
hälfte (mit Einschluss der Sinnesnerven) und dem entsprechend concentrirte Einengung
des rechten Gesichtsfeldes für Weiss und Farben, wie Herr College Dr. Hosch es festzu¬
stellen die Güte hatte. Sicherlich haben aber verschiedene Gefühlsqualitäten links ebenfalls
eine, wenn auch sehr geringe Einbusse erlitten.
Was endlich die mehrfach erwähnten Anfälle des D. betrifft, so war ich zwei Mal
Zeuge solcher lärmenden nächtlichen Auftritte, bei denen D. um sich schlug und tobte,
die ihn zur Ruhe Zwingenden in die Finger zu heissen suchte, thierisch heulte, dann
weinte, kurz und gut Auftritte, über deren rein hysterische Natur keine Zweifel obwalten
konnten und die durch Druck auf das Abdomen unverkennbar günstig beeinflusst wurden.
Nach schweren Anfällen Morgens hie und da etwas Fieber. Unabhängig von dem¬
selben vorübergehend Eiweiss im Harne, dessen Quantität und sonstige Beschaffenheit
normal ist.
Der n. Fall betrifft einen 50jährigen Handelsmann, Herrn H. aus dem Eisass, der
im Januar 1893 wegen Lähmung des rechten Armes sich von mir untersuchen liess.
Derselbe gab mir an, aus gesunder Familie zu stammen und sich selbst bis vor 3 Jahren,
bis zum Eintritt der später zu schildernden nervösen Beschwerden, vollkommenen Wohl-
beflndens erfreut zu haben. Da er mich ausschliesslich wegen der Lähmung seines rechten
Armes aufsuchte, so will ich auch mit Schilderung derselben seine Leidensgeschichte beginnen.
Im November 1892 nämlich fiel dieser Herr eines Abends auf einer hölzernen
Treppe in seinem Hause. Der hiebei entstandene Schmerz war ziemlich heftig und schon
1 Stunde nach dem Fall trat die Lähmung deutlich auf; dieselbe war um so leichter
anzunehmen, als eine hochgradige Schwellung, welche eine Bewegungsstörung hätte ver¬
ursachen können, vollkommen ausblieb. Die von Herrn H. kurze Zeit nach dem Falle
wabrgenommene Motilitätsstörung bestand in einer beinahe vollständigen Unmöglichkeit
den Arm zu erheben ; erst später bemerkte er die bedeutende Erschwerung aller mit
Auswärtsrollen des Humerus verbundenen Bewegungen, worauf die von ihm höchst unan¬
genehm empfundenen Schwierigkeiten, auf welche Schreibversuche stossen, ausschliesslich
zurückführen. An dem auf den Fall folgenden Tage wurden die Schmerzen in der
Schulter, aber fast noch mehr im Nacken und Hinterhaupte so unerträglich, dass Mor-
0 Vergl. pag. 336. Red.
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phiumeinspritzangen nothwendig erachtet wurden. Die Schulter wurde dann der Sitz
einer massigen Schwellung und Röthung. Auf Blutentziehungen , Einreibungen und
spater Massage, sowie nach Darreichung innerer Mittel waren Schmerzen und Schwellung
verschwunden, nicht aber die Lähmung, welche im Laufe des Decembers aber etwas
besser wurde; in der kurzen Zeit hatte Herr H. Gelegenheit den beginnenden Schwund
der Schultermuskulatur selbst wahrzunehmen, was ihn sehr ängstigte.
Und non die erwähnte Nervosität. Vor 3 Jahren hatte Herr H. eine unglückliche
Periode durchzumachen, während welcher pecuniäre Verluste, Sorgen um Unternehmungen,
deren glücklicher Ausgang durch diese Verluste io Frage gestellt wurde, Trauerfälle in
der Familie in der Weise auf sein Nervensystem ein wirkten, dass zunächst der gute Schlaf,
dessen er sich bis dahin immer erfreut hatte, sehr beeinträchtigt wurde, nächtliche Angst¬
zustände, sehr lästiges Herzklopfen und nicht minder unangenehme colossale Hyperhidrosis
(Pat. soll oft buchstäblich in seinem Schweiss gebadet haben), DruckgefQhl im Kopf den
sonst ruhig heiteren Mann moralisch ungemein deprimirten. Er magerte sehr stark ab,
fühlte sich elend, nach der kleinsten körperlichen Bewegung matt und müde, so dass er
sich einer Cur in einer Wasserheilanstalt unterwerfen musste. Dieselbe wurde während
zwei Monaten mit verhältnissmässig günstigem Erfolg durchgeführt, H. nahm an Gewicht
ordentlich zu, konnte wieder schlafen und war, wenn auch nicht heiter, so doch wieder
ruhiger nach Hause zurückgekehrt. Dort zeigte sich aber bald, dass die Besserung deü
Aufregungen des Berufes nicht Stand hielt und wenn auch die Beschwerden niemals
wieder dieselbe Intensität, wie beim Ausbruch der Krankheit erreichten, so bestanden doch
zeitweise Schlaflosigkeit und hohe Depression fort, während Herzklopfen nie mehr aus¬
blieb, obgleich Pat. von Zeit zu Zeit kleinere Garen im Sommer unternahm. Pat. klagt
über Kopfdruck, Gedächtnissschwäche und Reizbarkeit. Kein Potus, keine Syphilis. H.
ist vor etwa 2 Jahren von Seite seiner Freunde auf das Hervortreten seiner Augen auf¬
merksam gemacht worden.
Dieser Exophthalmus fällt auch an dem kräftig gebauten, wenn auch etwas ma¬
geren Manne sofort auf. Die prominirten Bulbi weisen einen geringfügigen Nystagmus
auf, abgesehen von demselben keine besonderen Störungen, keine Lähmung der Augen¬
muskeln gegenwärtig, obgleich Pat. ebenfalls mit Sicherheit angibt, zeitweise doppelt ge¬
sehen zu haben. Keine Pupillendifferenz, dieselben reagiren normal. Keine Ajiomalien
seitens der Gehirnnorven. Am Halse eine schon grössere Struma, die Pat. merkwürdiger¬
weise nicht bemerkt haben will. Bei Untersuchung der Brustorgane ist es in diesem
Falle auch nur das Herz, welches im Gegensatz zu den andern Organen nicht ganz
normale Verhältnisse aufweist.
Dasselbe ist auch leicht vergrössert, seine Töne von einem schwachen systolischen
Geräusch begleitet, seine Action bedeutend vermehrt (bis 120 pro Minute). Puls regel¬
mässig beschleunigt.
Bei der Untersuchung schwitzt Pat. ziemlich stark. — Unregelmässiger inter-
mittirender Tremor der Hände.
Bei der Adspection des Thorax flel mir schon die veränderte Form der rechten
Schulter auf, die an Fülle und Rundung ziemlich eingebüsst hat. Auch ist eine geringe
Atrophie der mm. Biceps und Brachialis nicht zu übersehen. Im Folgenden will ich die
Ergebnisse der ziemlich langwierigen und genauen Untersuchung der Verhältnisse kurz
zusamro en fassen.
Während sämmtliche passive Bewegungen ohne jedes Hinderniss leicht ausgeführt
werden, gelingt die Hebung, Abduction des Armes nach vorn und hinten activ nur
äusserst schwer und nur theilweise; während actives Einwärtsrollen des Humerüs prompt
geschieht, ist Auswärtsrollen beinahe unmöglich. Active Streckung im Ellbogengelenk
ist vollkommen erhalten, ebenso Pro- und Supination, bei Versuchen einer activen Beugung
finden wir aber
1) dass jeder solcher Versuche heftige Schmerzen in der Schulter hervorruft.
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2) wird der Vorderarm supinirt oder massig pronirt, so kommt von der beabsich¬
tigten Flexion nur ein Bruchtheil zn Stande,
3) aber gelingt die Ausführung dieser Bewegung bei starker Pronation des Vorder¬
armes, wobei das Handgelenk überextendirt wird, auffallend besser.
Aus diesen Versuchen dürfen wir schliessen, dass an der Schulter jedenfalls die
Motilität des Deltamuskels, des Infraspinatus und vielleicht auch des Teres minor bedeutend
herabgesetzt, resp. aufgehoben ist.
Dass ferner Coracobrachialis, Biceps und Supinator longus ebenfalls stark gelitten
haben und dass, was an activer Beugung noch zu erreichen ist, dem vicariirenden Ein¬
setzen des M. extens. digit. communis zn verdanken ist.
Die sorgfältig ausgeführte elektrodiagnostische Untersuchung (galvan. und farad.
Strom) ergab denn anch für den Deltoides totale, für Infraspinatus und Beuger des Vorder¬
armes partielle Entartungsreaction, welche wiederum am Supinator longus weniger scharf
ausgesprochen war. Keine Sensibilitätsstörungen. Die übrige Arnunuskulatur vollkommen
normal.
Ich sah Pat. nur einmal und es musste also bei dieser einzigen Untersuchung
bleiben.
Neben einer Hauptgruppe charakteristischer, beiden Fällen gemeinsamer Symp¬
tome, die ohne weiteres die Diagnose von Morbus Basedowii sichern, begegnen wir
einer anderen Categorie von Symptomen, welche in jedem der beiden Fälle eine com-
plicirende Affection bedingen, in dem einen Hysterie, im anderen eine Lähmung. Was
zunächst den Morbus Basedowii betrifft, so ist in Bezug auf die Entstehung des Leidens
Folgendes zu bemerken. Während bei Herrn H. eine nenropathische Anlage nicht
nachweisbar ist, entwickelt sich bei D. die Krankheit während der Lehneit, in welcher
er körperlich misshandelt und in beständiger Angst und Furcht die traurige Zeit
verbringen musste. Dieses moralische Trauma wirkte, wie aus der Anamnese erhellt,
auf einen zur Entwickelung von Neurosen überhaupt sehr günstig vorbereiteten Boden
ein. Ich nahm um so weniger Anstand, in diesem Gefühl der Furcht und Angst die
hauptsächlichste in Betracht kommende Gelegenheitsursache zn erblicken, als, wie
ich mich bei der mehrmonatlichen Beobachtung des Falles überzeugte, das znMlige
Begegnen mit dem rohen Meister, trotz des aufgelösten Abhängigkeitsverhältnisses
zu wiederholten Malen plötzliche Verschlimmerung sämmtlicher Symptome auf 1 Tag
und Auftreten heftiger nächtlicher Grisen nach sich zog.
In der Litteratur, besonders der englischen {Gmers, Budson, Alkms), wird meist
plötzlich eintretendem Schrecken, aber Furcht und Angst überhaupt anch eine be¬
sondere Wichtigkeit in ätiologischer Beziehung beigemessen und hatte man Gelegen¬
heit, nach Ansgang der grossen Kriege dieses Jahrhunderts, besonders des deutsch¬
französischen in verschiedenen Gegenden, besonders im Eisass, eine merkliche Zunahme
der sonst nicht sehr häufigen Krankheit festznstellen. (Nach Angabe englischer
Autoren.) Obwohl ich keine Erfahrungen selbst darin besitze, scheint es mir, dass in
denjenigen Fällen, wo diese Gelegenheitsursache eine Hauptrolle spielt, die hypnotische
Behandlung nicht unversucht bleiben dürfte.
In unseren beiden Fällen eröffnete eines der sogenannten Cardinalsymptome, das
Herzklopfen den Reigen, ein Umstand, welcher ebenfalls den bisherigen Erfahrungen
entspricht. Dieses Symptom ist vielleicht das constanteste bei Morbus Basedowii und
Charcot will die Diagnose überhaupt nur dann als berechtigt anerkennen, wenn Herz-
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klopfen vorhanden ist. Dasselbe ist in der Kegel von körperlichen Bewegungen in
sofern abhängig, als es eine Zunahme derselben mit einer nicht unbedeutenden Stei¬
gerung beantwortet, in unseren Fällen dagegen war dieses Verhalten der Herzthätigkeit
nur angedeutet. Das Vorkommen von Angina pectoris bei Morbus Basedowii wurde
schon von Trousseau, Lesonge, neuerdings, 1890, von Bawlins und wenn ich mich
recht erinnere auch von Bussei Beynolds, sodann von P. Marie ausdrücklich erwähnt.
Durch seine Heftigkeit und weitere Anwesenheit eines systolischen Geräusches, welches
nach englischen Forschern, besonders Qowers, an der Herzspitze die grösste Intensität
anfweisen soll, durch einzelne Beobachtungen von Hydrops Hess man sich verleiten,
eine organische Erkrankung des Herzens als ein der Krankheit zugehöriges Symptom
aufzustellen.
Dass mit den vorgenannten Symptomen sich vollkommen deckende, vielleicht
nicht gerade seltene Erschöpfungs- und Degenerationszustände dieses Organs als com-
plicirende Erscheinungen zu den gewöhnlichen Symptomen hinzutreten können, wird
niemand leugnen wollen. Dieselben dürften aber nach allgemeiner Anschauung doch
nnr den Werth einer zuflLlligen Gomplication beanspruchen. Ist es doch bekannt, dass,
wie Chareot es besonders betont, die Herzstörungen einigermassen als ein Mittel zur
Beurtheilnng des Verlaufes der Krankheit insofern gewähren, als Palpitationen, Angst¬
gefühl, Tachycardie mit der Besserung an Intensität abnehmen, um nach der doch hie
und da erfolgenden Heilung zu verschwinden, dass ebenso die Angina pectoris mit der
Besserung Schritt hält, nm ebenfalls ganz zu verschwinden. Dies war auch bei
D. der Fall und desshalb dürfte die Annahme P. Marie% welcher die Ursache der
Erscheinung ins Centralnervensystem verlegt, nicht ohne weiteres von der Hand zu
weisen sein. Freilich dürfte die bei D. erwähnte Angina pectoris der Hysterie zur
Last gel^t werden und, da dieses Leiden die uns beschäftigende Krankheit sehr oft
begleitet, der nervöse Ursprung der Angina auf dasselbe zurückgeführt werden. Gegen
eine organische Erkrankung spricht ferner die gewöhnlich beobachtete Regelmässig¬
keit des meist kleinen Pulses, die bei D. deutlich vorhanden war und die ich sphyg-
mographisch in andern Fällen constatirte. Dass die vermehrte Berzaction zu der,
auch in meinen Fällen erwähnten, wohl überhaupt die Regel bildenden mässigen
Hypertrophie fuhren muss, ist eigentlich selbstverständlich. Dem erwähnten
systolischen Geräusch scheint nach den einlässlichen Beobachtungen Oower’a die Be¬
deutung eines häufig vorkommenden, mehr oder weniger genau lokalisirten (Herzspitze)
accidentellen Geräusches zugesprochen werden zu müssen. Ueber den Exophthalmus
ist weiter nichts zu bemerken.
Es hiesse meine Aufgabe vollkommen verkennen, wollte ich mich auf eine Schil¬
derung der so zahlreichen und interessanten Augen-Innervationsstörungen einlassen. Auf
meine Fälle bezugnehmend hebe ich nur hervor, dass, welche Störungen auch immer
vorhanden sein mögen, eine Ungleichheit der Pupillen sowie aufgehobene Reaction
derselben niemals auf Rechnung des Morbus Basedowii gesetzt werden, sondern als
durch andere Ursachen bedingte Complicationen angesehen werden müssen. Die bei
D. und H. angegebene normale Weite und Reaction bildet somit die Kegel. Beim
Bäckergesellen D. fiel auf, dass an beiden Augen der spontane Lidschlag nnr äusserst
selten erfolgte, beinahe vollkommen aufgehoben war. Diese Erscheinung, welche man
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das Stellioag'ache Zeichen nennt, verdient entschieden besondere Erwähnung.
Sie ist auch erst spät erkannt und gewürdigt worden, kommt aber sehr selten vor.
Für diese Seltenheit ihres Vorkommens spricht der Umstand wohl sehr deutlich, dass,
wie Eulenburg es vor 5 Jahren bemerkte, dieselbe einem so belesenen, ja vielleicht dem
belesensten Autoren, nämlich Charcot entgangen war. Die mir zu Gebote stehende, sonst
so werthvolle englische Litteratur der Krankheit scheint dasselbe ebenfalls zu ignoriren,
so besonders Gotoers und zwar sowohl in seinem seit 2—3 Jahren besonders citirten
ausgezeichneten Handbuch, als auch in anderen bezüglichen Abhandlungen. Es ist
ferner zu bemerken, dass auch dieses Symptom zu denjenigen gebürt, welche die
Besserung resp. Heilung nicht überleben, denn mein Pat., welcher dasselbe deutlich
anfwies, liess es nach eingetretener, beinahe vollständiger Heilung ganz vermissen.
Unsere Anschauungen betreffs Wesen des Morbus Basedowii haben wesentliche Wand¬
lungen durchgemacbt und haben leider wenig Hoffnung auf endgiltige befriedigende
Begründung. Zur Zeit der Annahme der bekannten paralytischen Natur des Leidens
wurde auch für die Erklärung des merkwürdigen Symptomes eine Lähmung gewisser
Associationsfunctionen geltend gemacht. Diese Annahme steht aber, wie es Eulen-
burg auch trefflich bemerkte, mit verschiedenen anderen Annahmen in offenem Wider¬
spruch. In letzterer Zeit ist sowohl für das Sfeüwag'sche, als für das viel häufigere, all¬
gemein bekannte Gräfe'sche Symptom (das dagegen bei unseren 2 Kranken, wie ich
bemerken will, ganz vermisst wird) eine andere Erklärung versucht worden, welche
durch ihre Einfachheit etwas Bestechendes hat und die ich nur kurz andeuten will.
Nach neueren Autoren befinden sich beim Vorkommen dieser 2 Zeichen, die die Oeff-
nnng der Lidspalte bedingenden Muskeln im Zustand eines bedeutend gesteigerten
Tonus, welcher, wie leicht begreiflich, die unwillkürlichen Lidbewegungen, also den
Lidschlag nur erschweren bezw. ganz aufbeben kann. Es muss aber dieser Zustand
bei gegebenem Exophthalmus den mit den Bewegungen des Bulbus in der Vertical-
ebene in einem gewissen Consensus erfolgenden Hebungen, ganz besonders aber den
Senkungen des oberen Lides ein grosses Hinderniss entgegensetzen. Eine wichtige
symptomatische Bedeutung wurde besonders von Charcoi dem Tremor der Hände
bei der Krankheit beigemessen. Wenn ich mich nicht irre, ging der Vorschlag,
die herkömmliche Trias der Gardinalsymptome, um dasselbe zu vermehren, von
diesem Autor aus. Dieser Vorschlag bat aber wenig Anklang gefunden, denn wenn,
wie allerseits zugegeben, das Zittern häufig beobachtet wird, so fehlt es in an¬
deren Fällen von Morbus Basedowii doch auch nicht selten. Gegen eine solche
Annahme scheint nun aber besonders in erster Linie die Natur dieses Tremors zu
sprechen. Letzterer könnte nur dann eine besondere diagnostische Wichtigkeit bean¬
spruchen, wenn er in Folge seiner Beschaffenheit auch unter den anderen Formen eine
gesonderte Stellung einnähme, was nicht der Fall ist, wenn er auch in der Mehrzahl
der Fälle (so auch bei Bene) einer Form hysterischen Tremors (was er in meinem
Fall vielleicht auch wirklich ist) zum Verwechseln ähnlich sieht, so sind schliesslich,
wenn man die Litteratur durchgeht, von den Autoren die verschiedensten Formen be¬
obachtet worden. Während deutsche und französische Autoren (P. Marie, dessen An¬
gaben Köhler bestätigte) ein rhythmisches, ans kleinen Bewegungen bestehendes Zittern
als Prototyp aufstellen, wollen die Engländer {Goteers, GrestoeU, Besbed u. A.) diese
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Bedeutang fflr einen ans groben mehr nnregelmftssigen einzelnen Zncknngen bestehenden
Tremor beanspruchen. Es gibt aber sicherlich auch Formen, die, wie dies bei Herrn
H. (Fall II) zntraf, ganz unregelmSssig sind und nicht so selten.
Allgemein aber wird eingerftnmt, dass dieser Tremor bei Bewegungen und seelischen
Affecten gesteigert wird, dass er Inter- oder Remissionen (Fall D.) darbietet und ge¬
wöhnlich, welchem besonderen Typus er sonst auch zu unterordnen sei, mehr oder
weniger oft von schlendernden Bewegungen, die an Chorea erinnern, unterbrochen
wird. Diese choreaartigen Bewegungen können, wie ich es vor einigen Jahren zu con-
statiren Gelegenheit hatte, hei jüngeren Individuen besonders dann, wenn das Erank-
heitsbild in Folge Complicationen und bei Zuröcktreten der Cardinalsymptome verwischt
ist, den Eindruck erwecken, als ob man es mit einer wirklichen Chorea zu thun habe.
Nach alledem dürfte doch der Tremor bei Stellung der Diagnose von Morbus
Basedowii nur eine sehr schwache Stütze darstellen.
Wir haben noch eines Organs zu bedenken, welches von der Krankheit nach
verschiedenen Richtungen hin und zwar theilweise recht eigenthümlich in Bezug auf
seine Ernährung und seine sekretorischen Verhältnisse beeinträchtigt oder allgemeiner
ausgedrückt modificirt wird, ich nenne die Haut.
Dass Basedow’sche Kranke für gewöhnlich auffallend blass erscheinen, bei ihnen
die Hantgefässinnervation in einem sehr labilen Gleichgewichte sich befindet, dass in
Folge trophiscber Störungen die Haut oft besonders dünn, andrerseits als der Sitz
abnormer Pigmentirnng angetroffen wird, sind längst bekannte Thatsachen.
Seit 7 oder 8 Jahren haben wir durch die Arbeiten Vigouroux'a zunächst ein
höchst interessantes eigenthümliches Verhalten der Gant Basedow’scher Kranken in
Bezug auf den Vi^derstand, den. dieselbe dem Eindringen des galvanischen Stromes
entgegensetzt, kennen gelernt.
Bonum Vigouirowe, ein Schüler Charcot% machte eine Beobachtung, die kein
Geringerer als sein Lehrer in seinen berühmten ,Le 9 ons du Mardi* wiederholt an-
führte. Vigouroux hatte gefunden, dass bei Basedow’schen Kranken der galvanische
Leitnngswiderstand der Haut herabgesetzt sei, dass die bedeutende Herabsetzung durch
die Gonstanz ihres Vorkommens eine diagnostische Bedeutung beanspruchen dürfe.
Nach einiger Zeit folgten dann die Arbeiten Martin'a, KoMer'a und Eulenburg'a,
welche, da ihre Verfasser über viel besser gearbeitete Apparate verfügten, an der
Hand genauerer Methoden die Angaben F.’s im Allgemeinen bestätigten, besonders aber
dieselben so vervollständigten, dass erst durch dieselben an eine practiscbe Verwerthong
der Erscheinung zu diagnostischen Zwecken überhaupt ernstlich gedacht werden konnte.
Ich kann auf diese interessanten Arbeiten, unter denen ich besonders diejenigen Etden-
burg'a hervorhebe, hier nicht näher eingeben und muss mich auf eine kurze Wieder¬
gabe der durch sie festgestellten Hauptpunkte beschränken. Demnach wird jetzt
angenommen, dass
1) ein groaser Unterschied zwischen Verhalten des absoluten und des relativen
galvanischen Leitungswiderstandsminimums existirt,
2) wurde gefunden, dass das absolute galvanische Leitungswiderstandsminimum
der Haut an und für sich bei Morbus Basedowii nicht verschieden ist von demjenigen,
das die gesunde Haut darbietet. Wohl aber wird dieses absolute Leitungswiderstands-
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minimum bei Basedow’scben Kranken mittelst geringerer Stromesintensitftt wie bei Ge¬
sunden erreicht.
3) dass, und das ist die Hauptsache, das relative Leitungswiderstands-
minimum besonders bei Anwendung geringer Stromstftrke dagegen bedeutend unter
demjenigen Gesunder oder an andern Krankheiten Leidender liegt und ferner viel
schneller erreicht wird, als bei den an letzterer Stelle erwähnten Personen.
In allen seinen letzteren, diesbezüglichen Auseinandersetzungen betont Etdenburg,
gewiss mit vollem Recht, dass das zuletzt angegebene Moment das bei weitem wich¬
tigere ist.
Ich verfüge non über 4 genaue Untersuchungen dieser Verhältnisse bei Morbus
Basedowii, unter denen auch Fall D. (I) und H. (II) figuriren. Besonders habe ich, aus
bald anzngebenden Gründen bei D. diese Bestimmungen sehr häufig und genau vor¬
genommen, was mir um so leichter wurde, als der Kranke mehrere Monate lang in
meiner Behandlung resp. Beobachtung stand. So lautet eine solche Bestimmung, bei
welcher ich das relative Minimum bei D. und bei zwei anderen zu gleicher Zeit regel¬
mässig von mir electerisirten Patienten (3 Neurastheniker, 1 Hysteriker) bei Anwendung
von 5—10 und 15 Elementen folgendermassen:
Pat D.
B.
D.
M.
S.
(Fall I)
Neurasth.
Neurasth.
Neurasth.
Hysterie.
Anzahl der Elemente V
1100
3500
3600
3400
4700
X
900
3200
3300
3100
4500
XV
800
2800
2600
3000
3650
Dies mehr als Paradigma. Diese Tabelle veranschaulicht aber ein wichtiges Mo¬
ment nicht, nämlich die Zeit, in welcher bei den einzelnen das relative Minimum erreicht
wurde. Dasselbe lässt sich am besten durch eine Gnrve darstellen (Absc. = Intensität.
Ordin. = Zeiteinh.). Sowohl bei D. (Fall I) und H. (Fall II) als wie bei den
andern Fällen war das geschilderte Verhalten des Leitungswiderstandes deutlich erkenn¬
bar, auch möchte ich einen besonderen Nachdruck auf die Schwankungen des relativen
Minimums als die Hauptsache legen und dürften dieselben in der That ein ganz brauch¬
bares Mittel abgeben, welches in dunklen Fällen von Morbus Basedowii die Diagnose
stützen hilft. Daneben untersuchte ich in letzter Zeit viele Gesunde und Nerven¬
leidende meist Neurastheniker in Bezug anf das Leitungsvermögen ihrer Haut und
gebe zu, dass hie und da bei ausserordentlich günstigen Leitungsverhältnissen der Haut
(starker Schweiss n. dergl.) das Verhalten des absoluten Leitungswiderstandsminimum
mit dem bei Morbus Basedowii geschilderten beinahe zu identificiren wäre.
Dagegen habe ich bei zahlreichen und genauesten Untersuchungen von Kranken
und Gesunden, deren Haut die verschiedensten Leitnngsverhältnisse erwarten liess, die
für das Eintreten des relativen Widerstandsminimums bei Morbus Basedowii geschilderte
Verlaufsweise der Abnahme des anfänglichen Widerstandes bei schwacher eleotro-
motorischer Kraft besonders niemals beobachtet.
Bei Anlass der bekannten Versammlung der Electrotberapeuten in Frankfurt a. M.
(1890) hat B. Vigouroux in einem Schreiben die Wichtigkeit seines Symptoms wieder
bervorgehoben, was auf eine weitere Bestätigung durch die seit der ersten Veröffentlichung
dieses Forschers gesammelten Beobachtungen schliessen lässt. Ich glaube also, dass
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man das Recht besitzt, diese electrische Reaction überall, wo sie vorkommt, als eine
wichtige Stütze der Diagnose Morbus Basedowii anznspreoben, w&hrend allerdings ans
ihrem Ausbleiben eine durch andere Symptome gerechtfertigte Diagnose Morbus Base¬
dowii nicht umgeworfen werden darf. Letzteres, nämlich das Fehlen der Reaction,
war der Fall von Herrn H. (Fall II) und an diesen Unterschied zwischen einzelnen
Fällen derselben Krankheit schliesst sich die Frage nach der Erklärung des electro-
diagnostischen F.’schen Zeichens ganz natürlich an.
Wir müssen von vorneherein eingestehen, dass diese Frage keineswegs bis jetzt
genügend beantwortet werden konnte. Sowohl die sehr dünne Hant, als die Neigung
zum starken Schweiss bei Morbus Basedowii, als auch circulatorische, die Füllung der Qe-
fässe verändernde Momente sind zwar von verschiedenen Autoren als Antwort vorgeschlagen
worden. Dass dieselbe keineswegs befriedigt, geht ans der Ueberlegnng hervor, dass
wir ähnliche Abnormitäten bei zahlreichen Gesunden und Kranken antreffen, ohne aber
der electrodiagnostiscben Reaction je bei denselben zu begegnen. An diese Ausschliess¬
lichkeit ihres Vorkommens möchte ich eine Bemerkung anknüpfen: Ich habe mich in
den letzten Jahren sehr eingehend mit electrolytischen Phänomen, wie sie thieriscbe
Gewebe darbieten, beschäftigt. Die ungemein complicirten Gemenge, welche ans der
Verbindung primärer und secundärer Zersetzungsproducte hervorgehen, bewirken eine
Reihe unentwirrbarer Veränderungen des LeitungsVermögens eines Gewebes. Ich sage
unentwirrbar, denn ich glaube, dass selbst im einfachsten Falle eine einigermassen
erschöpfende Darstellung derselben ein Ding der Unmöglichkeit wäre und der Eindruck,
den diese Untersuchungen bei mir bervorriefen, war der, dass eine nutzbringende Ver¬
folgung der zeitlichen Schwankungen des Leitungsvermögens an der Hand unserer
Hälfsmittel und Apparate jeder Anstrengung spotten müsste.
Angesichts dieses electrolytischen Einflusses und der Beständigkeit des Auftretens
der einen dieser Reactionen bei Morbus Basedowii liesse sich, meine ich, denn doch fragen,
ob nicht eine besondere Zusammensetzung sämmtlicber der Electrolyse unterworfenen
Säfte oder aber, wenn man keine besondere Zusammensetzung annehmen will, eine
eigenthümlicbe Spaltung und eine nach einer bestimmten Richtung erfolgende Ver¬
bindung primärer und secundärer Producte diese besondere constante Beeinflussung
des Leitungsvermögens bedingen? Käme nun eine dieser beiden Eigenthümlichkeiten
dem Morbus Basedowii zu, so würden wir leicht verstehen, warum ausserhalb dieser
Affektion selbst bei günstigsten Leitungsverhältnissen der besondere Charakter unseres
Zeichens so scharf gewahrt bleibt.
Während Deutsche und Franzosen dem geschilderten elektrodiagnostischen Zeichen
allgemeine Beachtung schenken, scheinen, soweit ich es beurtheilen kann, die Eng¬
länder sich wenig darum zu kümmern.
Ob die in den letzten Jahren begonnenen Versuche einer directen Messung des
Leitungsvermögens gegenüber dem faradischen Strome bei Morbus Basedowii wichtige
Ergebnisse wohl liefern dürften, ist sehr schwer zu sagen; da wir noch über keine
einigermassen einwandsfreien Messungsmetboden verfügen, so haben die von Cottrad
und AÜ (Archiv für Psychiatrie u. Nervenkrankb.) nach einer von diesen Autoren
angegebenen Modification der KoMrausch'schen Methode angestellten Untersuchungen
bei Basedow’scher Krankheit absolut nichts Sicheres nachweisen können.
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Das deotliche Auftreten des electrodiagnostiscben Zeichens bei unserem Pat. D.
ist aber aus einem besonderen Grunde sehr interessant Von B. Vigouroux war näm¬
lich der Vorschlag ausgegangen, ein Fehlen desselben bei Morbus Basedowii durch die
Annahme zu begründen, es handle sich in solchen Fällen um Complicationen von
Morbus Basedowii mit Hysterie. Die letztere Affection gebärt nämlich, wie zuerst gerade
von V. experimentell festgestellt worden war, zu denjenigen Processen, welche den Lei¬
tungswiderstand der Haut für galvanische Ströme sehr bedeutend vermehren (was auch
ffir mehrere andere Zustände nach neueren üntersucbnngen zutrifft), und man konnte
allerdings theoretisch den Satz aussprecheu, dass bei der häufig zu Stande kommenden
Vereinigung von Basedow’scher Krankheit und Hysterie das Leitungsvermögen der Haut
nach einer Richtung hin eine Modification erleiden mfisse, die im Allgemeinen der
vorwiegende Einfluss des einen Zustandes bestimmen werde.
Dass aber, wie F.’s Erklärung es voranssetzt, beide Einflfisse immer absolut
gleiche, eutgegengesetzte Schwankungen des Widerstandes bedingen, in Folge deren
jede Veränderung in positivem oder negativem Sinne aufgehoben werden sollte, ist
eine Vorstellung, die gewiss etwas Gezwungenes und üunatfirliches an sich trägt.
Allerdings sind Fälle von Morbus Basedowii und Hysterie beschrieben worden, welche
in electrodiagnostischer Beziehung gar keine Eigenthömlichkeiten darboten, nichts¬
destoweniger gibt es aber zahlreiche negativ ausgefallene üntersucbnngen, die auf
Fälle sich beziehen, bei welchen Hysterie auszuschliessen ist (so mein II. Fall). —
Mein erster Fall D. ist aber die Illustration zu der anderen gegentbeiligen Behauptung,
dass nälulich intensive Hysterie, da wo sie mit Morbus Basedowii gepaart vorkommt,
die, für letztere Affection charakteristische Veränderung des relativen Widerstandsmini¬
mums für galvanischen Strom nicht zu beeinflussen braucht, eine Thatsache, die
theoretisch zwar leicht zu construiren war, bis jetzt aber durch üntersuchnng eines
passenden Falles nicht festgestellt war. Durch alle diese Ausnahmen erleidet die
Gültigkeit der allgemeinen Regel gar keine Abschwächung.
Vielfach ist über das gegenseitige Verhältniss von Hysterie und Morbus Base¬
dowii, die so oft in einem einzelnen Falle vereint verkommen, discutirt worden. Ob
das eine Leiden vom anderen abhänge, etwa so dass, wie Moibiua sich ausdrückt,
Hysterie die Rolle eines Agent provocateur der Basedow’sehen Krankheit spiele, dürfte
nicht zu entscheiden sein. Wahrscheinlicher ist in der That die Annahme, nach welcher
die Ursache beider Krankheiten auf eiue gemeinsame Anlt^e zurückzuffihren sei.
Unser zweiter Fall beansprucht unser Interesse eigentlich nur dank der ihn com-
plicirenden Lähmungen. Wie die allerdings sehr kurz und bündig zusammenge-
fassten Ergebnisse meiner Untersuchungen sowie Berücksichtigung der Klagen des
Patienten angaben, bandelte es sich um eine Lähmung von Muskeln, die von
verschiedenen Nerven innervirt werden und es kommen hier in Frage: Nervus cir-
cumflexor humeri, Nervus suprascapnlaris und der Nervus radialis. Es ban¬
delte sich um eine auf ein Trauma gefolgte peripherische Lähmung, welche ohne
weiteres den Typus der sogenannten jEVd'schen oder in Betracht der Betheiligung
des Suprascapnlaris der Z>ucAenne’scben Plexuslähmung erkennen lässt. Streng genommen
handelt es sich wahrscheinlich, in Folge Mitbetheiligung des Suprascapnlaris um eine
radiculäre Lähmung. Wir wissen ja, dass dieser Nerv ffir gewöhnlich von den zwei
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oberen Stammantheilen des hinteren Plexnsstranges (also aus 1. theilweise der Wurzel
des 4. hauptsächlich der 5. und 6. Halsnerven und 2. aus derjenigen des 5. Halsnerven)
abgegeben wird nnd zwar vor deren Vereinigung oder gerade an ihrem Vereinigungs-
pnnkt, ein Umstand, welcher zur Schlussfolgerung berechtigt, dass wo die Supra-
scapularis bei einem Fall der uns beschäftigenden Lähmung intact geblieben, es sich sehr
wehl nm eine eigentliche Plexuserkranknng handeln kann, wo dieser Nerr dagegen
mitbetroffen ist, die Annahme einer radiculären Erkrankung sehr wahrscheinlich wird.
Das Ausbleiben von Anästhesien, die ja auch zur Zeit der Untersuchung ausgeglichen
sein konnten, spricht nicht im Mindesten gegen unsere Diagnose.
Sehr eigenthämlich aber ist die Entstehungsweise der Lähmung. Wir müssen
uns wohl rorstellen, dass in Folge des Falles auf die Schulter eine bedeutende Zer¬
rung an den betreffenden Wurzeln zu Stande gekommen, denn alle Momente sprechen
gegen die Annahme einer weiter unten ursprünglich entstandenen Läsion, die im Laufe
der Krankheit durch UeberWanderung auf mehr centralwärts gelegene Abschnitte
endlich die Wurzeln ergriffen habe. Es ist ferner die Zeit, welche zwischen dem Fall
nnd der ersten Wahrnehmung des Herrn H., dass sein Arm gelähmt sei, verfloss, eine
ausserordentlich kurze gewesen. Dieses durch seine Plötzlichkeit geradezu verblüffende
Auftreten der Lähmung erinnert lebhaft an die von Dubais vor einigen Jahren ') ge¬
schilderten so interessanten drei Beobachtungen von apoplectiformem Einsetzen von
neuritischen Erscheinungen nnd ich glaube, dass überhaupt kein Moment gegen eine
solche Benennung meines Falles sprechen dürfte. Bei diesen Fällen Duhoif^ handelte
es sich nm Patienten, die vornehmlich an rheumatischer Diathese litten, ein Moment,
wMches von dem Verfasser auch zur Erklärung der auffallenden Erscheinnngen seitens
des Nervensystems in den Vordergrund gestellt wurde. Herr H. ist, wie aus der Anamnese
hervorgeht, kein Rheumatiker, hat überhaupt keine Infectionskrankheit durchgemacht.
Die Basedow’sche Krankheit aber, die bei ihm sicherlich seit einiger Zeit sich
entwickelt hat, fasst heutzutage Niemand mehr als eine locale Affection gewisser Nerven,
sondern gewiss als eine Krankheit auf, welche, wie jede Neurose das gesammte centrale
Nervensystem mehr oder weniger iii Mitleidenschaft zieht nnd die Lebenserscheinnngen
desselben in Folge mannigfaltiger Vorgänge so umstimmt, dass die ursprünglich dem
normalen System zukommende Widerstandskraft gegenüber äusseren Beizen oder Schäd¬
lichkeiten ebenfalls wesentlich alterirt werden dürfte. So entsteht oft bei diesen Kranken
eine zuerst von Charcot beschriebene Paraparese der Beine (bei deren Zustandekommen
Hysterie keine Bolle spielt) den giring way of the legs der Engländer, als einen beson¬
deren Gang bedingend. — Wenn wir also auch auf eine Erklärung der eigentlichen Form
und des Wesens der uns beschäftigenden Neuritis verzichten müssen, so dürfte doch
nach dem Gesagten der Umstand, dass ein äusserer Beiz von wenig Bedeutung von
einem dermassen alterirten Nervensystem mit allerdings höchst eigenthümlichen Symp¬
tomen beantwortet wurde, als kein Ding der Unmöglichkeit erscheinen.
Die Basedow’sche Krankheit ist eine sehr ernste Krankheit nnd unheilbare Fälle
kommen hier gewiss nicht selten vor. Auf der andern Seite führt eine nähere Unter¬
suchung zu dem Ergebniss, dass es ebenso zweifellos eine sehr grosse Anzahl von sehr
wesentlichen Besserungen, ja von Heilungen gibt.
*) Vergl. Corr.-Blatt 1888, pag. 425. Red.
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In Bezug anf die Therapie verh< es sich mit der Basedow’schen Krankheit wie
bei allen Leiden, deren Wesen unbekannt und geheimnissvoll ist. Die älteste Behänd-
lungsweise ist die medicaraentöse, welche neben den Herzmitteln die sogenannten
Nervina umfasst. Dann aber gab man den Vorzug den allgemeinen Behandlungsmethoden
Hydro- und Electrotherapie, Luftcuren etc. Heutzutage haben letztere die erstem in
den Hintergrund gedrängt und werden vorzugsweise angewendet. Wie viele Heilungs-
oder Besserungsiälle auf expectativem Wege zu erzielen, wie viele therapeutischen Mass¬
nahmen zu verdanken sind, ist ja hier besonders eine nicht leicht zu beantwortende
Frage. — Eulenburg hat vor einigen Jahren dem Aufenthalt im Gebirge ganz beson¬
ders das Wort geredet und will das Engadin als besonders geeignet an erster Stelle
erwähnen. (Es sei mir gestattet zu erwähnen, dass ich im Februar 1889 bei einem
bekannten Nervenärzte in Berlin einen weit vorgeschrittenen Fall vou Morbus Basedowii
zu sehen Gelegenheit hatte und die Pat. im Spätsommer desselben Jahres nach also
relativ kurzem Gurgebranch im Engadin bei einer zufälligen Begegnung beinahe nicht
erkannt hätte, da sie diesem Aufenthalt ein blühendes Aensseres und beinahe voll¬
ständige Heilung verdankte.) Aber wie es Etdenburg selbst bemerkt und vorausgesetzt,
dass die so erzielten therapeutischen Erfolge noch viel zuverlässiger wären als sie es in
derTbat sind: ou rcavzös dv^pbs h Kbptvdov iaä' h ttAoIjs', zu Deutsch, der Geldbeutel
erlaubt nicht jedem Patienten diese kostspieligen Beisen und muss auf anderem
Wege geholfen werden. Unter den sonstigen therapeutische Massnahmen möchte ich
die Electrotherapie voranstellen und besonders die von B, Vigouroux (besonders farad.
Strom) und Qiropeik's (galv.) angewandten Methoden besprechen. In Bezug auf An¬
griffspunkte unterscheiden sich beide wenig von einander. Vigouroux electrisirt mit
dem faradiscben und Chropeik mit dem galvanischen Strom. Ersterer hat bis in die
heueste Zeit wiederholt günstige, durch diese Behandlung erzielte Erfolge anffihren
können, und auch andere Autoren scheinen mit derselben Befriedigendes erreicht zu
haben. Sie besteht in: 1) Faradisation am Halse (sogen, frühere Sympatbicns electr.),
2) an der Struma, 3) an den Bnlbis, 4) in der Herzgegend.
Diese Methode wählte ich und zwar bei D. ausschliesslich. Die Anode des Oeff-
nnngsstromes wurde ein für alle Mal als Nackenelectrode aufgesetzt und blieb ruhig
liegen. Mit einer 4 cm* breiten Kathode wurden 3' am Halse, mit einer 5 cm* breiten
5' an der Struma faradisirt. Die Bulbi dagegen wurden schonungshalber mit der
Hand electrisirt. Alle drei Proceduren dauern also etwa 10 Minuten; dann wurde
eine mittelgrosse Bleielectrode mit Torfmoosfällung (30 cm anf 40) gut angefeuchtet auf
die Herzgegend applicirt und wählte ich aus besondem Gründen hier den galvanischen
Strom (wobei die Herzelectrode mit dem positiven Pol verbunden wird) und lasse einen
Strom von 4—5 Milliamperes etwa 10 Minuten durchfliessen. Zn meiner höchsten
Verwunderung war Pat. nach zwei Monaten (während welcher drei Mal wöchentlich
electrisirt wurde) soweit wieder hergestellt, dass zuerst und zwar nach kurzer Zeit die
Pulsbescblennigung und das Herzklopfen sowie die Anfälle von Angina pectoris und
der Tremor der Hände verschwanden, die Stimmung des Pat in jeder Beziehung
besser wurde; keine Zornesausbrnche, keine nächtlichen Krisen mehr; auch verlor
sich die abnorme Reizbarkeit und der Kopfdrnck. Nach Beendigung der Gur (und
kurz nach dieser referirte ich über den Fall in der hiesigen medicinischen Ge-
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343
Seilschaft) war D. wieder arbeitsßlhig und trat iu eine neue Stelle ein. Ich hatte
Oel^enbeit, ihn Ende April 1893, da er sich in Deutschland zum Militär stellen musste,
noch einmal zu untersuchen. Er erfreute sich trotz Arbeit eines ganz vortrefflichen
Wohlbefindens. Das Herz war in Ordnung und war die Hypertrophie noch vorhanden,
das Geräusch aber nicht. Exophthalmus, Ansesthesie, Struma bestanden fort. Seit der
denkwfirdigen Versammlung der Electrotherapenten in Heidelberg, wo allerlei Fragen
und Zweifel, von denen ein Jeder in seinem Innern wohl oft bestfirmt worden war,
als neue Thesen aufgestellt und mit verschiedenem Glfick behandelt wurden, ist es
überhaupt eine bbse Geschichte, das Gebiet der Eleotrotherapie zu berfihren. Trotzdem
die anfängliche Aufregung sich endlich etwas gelegt hat, sollte man, um dem Beispiel
Vieler zu folgen, zuerst sein Credo ablegen und b^n^nden, ob man, um den Heidel¬
berger Ausdruck zu gebrauchen, zum Gentrum oder zur Links- oder Rechtspartei ge¬
bäre. Ich verzichte auf eine solche »Entschuldigung*, denn einer solchen bedarf man
in den Augen Vieler, wenn man die Eleotrotherapie noch anwendet, und füge nur hinzu,
dass bei D. von einer Suggestion keine Bede sein konnte, da ich ihm am Anfang der
Behandlung einfoch erklärte, ich halte es ffir das Beste, ihn electrisch zu behandeln,
könne aber in Bezug auf Erfolg der Behandlung gar keine Verpfiiohtnng fibernehmen.
Dieser glückliche Ausgang einer so schwere Symptome darbietenden, bei einem
in jeder Hinsicht schlecht gestellten Pat. (Heredität, Armnth) eingewurzelten Krank¬
heit ist entschieden sehr beachtenswerth und erinnert an eine ähnliche, von Hedinger
in einem allerdings viel leichtern Fall ebenfalls durch electrotberapeutiscbe Behandlung
erfolgte Heilung.
Von der Vigouroux'aehea Behandlung darf aber behauptet werden, dass sie sicher¬
lich nicht schadet.
lieber Operation unreifer Staare.
Von Dr. Bernhard, Augenarzt in Chur.
Wenn ich es unternehme, dieses specialistische Thema gerade im Correspondenz-
blatt einmal zur Sprache zu bringen, so haben mich hauptsächlich practische Gründe
dazu bewogen.
In gebirgigen, dünn bevölkerten Gegenden, die ja bekanntlich einen grossen
Tbeil der Schweiz ausmacben, sind die Augenkranken in erster Linie auf die practischen
Landärzte angewiesen, denn sie scheuen die weite und kostspielige Reise zum Augen¬
arzt. Mein Zweck ist es nun, diesen Gollegen, denen ophthalmologische Zeitschriften
wohl selten zu Gesiebt kommen, zu zeigen, dass die Augenheilkunde der neueren Zeit
auch unreife Staare mit Glück zu operiren gelernt hai Es hat
dies aber eine gewisse Bedeutung in national-ökonomischer Beziehung.
Wiederholt habe ich nämlich auch in allerneuester Zeit noch gesehen, wie Leute
mit langsam sich entwickelndem Stau von ihren Aerzten Monate und selbst Jahre
lang mit dem Ausspruch hingehalten werden, ihr Staar sei noch nicht reif und könne
daher nicht operirt werden, sie müssten eben noch warten.
So leben denn diese Leute dahin, ohne geradezu blind, aber auch ohne arbeits¬
fähig zu sein, was ja natürlich grosse ökonomische Nachtheile mit sich bringt, und
doch wäre ihnen so leicht zu helfen!
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344
Die alte Lehre: .ein nicht ganz reifer Staar ist ein uoli me tangere*, diese
Lehre, welche noch mancher Schäler v. ÄrWs mit sich in die Praxis nahm, ist heute
nicht mehr haltbar; im Gegentheil ist es in gewissen F&llen geboten,
auch unreife Staare zu operiren. Diese Errungenschaft der modernen
Augenheilkunde einem grösseren Kreise bekannt zu machen, hielt ich aus genannten
Gründen für wohl der Mühe werth.
Der Wunsch, bei doppelseitiger langsam reifender Eataract eine künstliche
Reifung herbeizuführen, um dann einen reifen Staar mit Glück operiren zu können,
bestimmte schon v. Chräfe, in solchen Fällen der alten Lappenextraction als Vor¬
operation eine Discission der Linsenkapsel Torauszuschicken, um so nach Analogie des
Wundstaars eine totale Trübung der Linse zu bewirken. Aus besonders in der vor-
antiseptischen Zeit wohl begründeter Furcht vor stürmischer Quellung der Linse mit
nachfolgender Iritis und Cyclitis kam das Verfahren nicht zu allgemeinem Gebrauch.
Als später v. Cfräfe'a klassische Linearextraction mit Iridectomie fast allgemein
aufkam, hatte man ein Mittel in der Band, bei älteren Leuten auch nicht ganz reife
Staare mit bestem Erfolg operiren zu können, indem das Verfahren eine möglichst
genaue .Toilette*, d. h. ein möglichst genaues Entfernen von zurückgebliebenen
Linsentheilen erlaubte.
Immerhin gilt letzteres eigentlich doch nur für die Fälle, wo ein harter Kern
von einer wenigstens theilweise getrübten Binde umschlossen ist. Wo aber, besonders
bei Individuen von unter 60 Jahren, die Rinde noch grösstentheils durchsichtig ist,
bleibt auch bei sorgftitigster Toilette ein beträchtlicher Theil derselben an der Kapsel
kleben und das unmittelbar nach der Operation schön schwarze Pupillargebiet ist nach
wenigen Tagen durch nachträgliches Quellen dieser Beste völlig grau und undurch¬
sichtig geworden. Allerdings kann bei ganz aseptischem Heilverlauf das Endresultat
derartiger Fälle doch ein gutes sein, indem diese Massen sich nach und nach resor-
biren und eine allfällig restirende dünne Trübung im Pupillargebiet durch Discission
beseitigt werden kann. Aber auch in solchen schliesslich günstig endenden Fällen ist
das ein grosser Uebelstand, dass der Patient nach Abnahme des Verbandes nicht
oder wenig besser sieht als vor der Operation. Er hält dann schon Alles für verloren
und schenkt den Versicherungen des Arztes, dass Alles noch gut werde, keinen oder
wenig Glauben.
Diese Debelstände veranlassten wohl Förster, (Heidelberger Versammlung 1881)
ein neues Verfahren zu versuchen und zu empfehlen, nachdem es ihm gute Resultate
ergeben. Es besteht dasselbe darin, dass man durch eine Iridectomie mit nachfolgen¬
der Massage der Linse eine rasche Reifung des Staars zu erreichen sucht,
um dann nachher einen reifen Staar nach der gewöhnlichen Methode extrahiren zu
können. Zu diesem Zweck übte Förster nach vollzogener Iridectomie mit einem
Schieihaken einen streichenden und reibenden Druck auf die Cornea ans, welcher sich
auf die unmittelbar dahinter liegende Linse direct übertragen und dadurch rasche
complete Trübung bewirken sollte.
Ueber dieses Verfahren sind seither wiederholt günstige Erfahrungen mitgetheilt
worden. Trotzdem hat es bisher nur eine relativ spärliche Verwendung gefunden;
wenigstens habe ich es während 27ajähriger Assistentenzeit nie anwenden sehen.
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345
Sei es nun Zufall, sei es, dass in meinem Wirkungskreise sehr langsam sich
entwickelnde und sogar stationär werdende Staarformen öfters Vorkommen als anderswo,
genug, ich habe seit Beginn meiner Praxis eine relativ grosse Zahl solcher Fälle in
Behandlung bekommen, wo 4—8 Monate nach der ersten Untersuchung fast kein Fort¬
schreiten der Trübung zu finden war, von den Patienten aber die Operation dringend
gewünscht wurde, da sie nicht mehr arbeitsfähig waren.
In den 2 ersten Fällen nahm ich ohne Voroperation die Extraction in einer
Sitzung nach der gewöhnlichen Methode vor. Trotz sorgfältigster Toilette und nor¬
malem Operations- und Heilverlauf traten die oben erwähnten üebelstände dieses Ver¬
fahrens deutlich zu Tage, denn als der Verband entfernt werden konnte, war die Ver¬
besserung der Sehschärfe wegen Quellung und Trübung der zurückgebliebenen Gorti-
calismasse sehr gering. Das Schlussresultat war allerdings in beiden Fällen ganz gut,
aber erst nach 10 Wochen im einen und 12 Wochen im andern Fall, bei dem schliess¬
lich noch eine Discission nöthig wurde.
In einem 3. derartigen Fall entschloss ich mich nun zur Anwendung des Förster'-
scheu Verfahrens und nachdem es sich hier sehr gut bewährt batte, habe ich seither
dasselbe in 7 weiteren Fällen mit bestem Erfolg angewendet und niemals Unannehm¬
lichkeiten dabei erlebt. Die Wunden heilten ebenso schön und rasch wie bei gewöhn¬
licher Iridectomie ohne Massage. In einem Fall entstand ohne jede weitere Reiz-
erscheinung eine vereinzelte hintere Synechie, die aber die spätere Extraction durchaus
nicht störte. Hätte ich auch hier wie sonst schon am ersten Abend Atropin installirt,
so wäre wohl auch diese Synechie verhütet worden.
In einem einzigen Fall hatte ich einen negativen Erfolg zu verzeichnen, indem
durchaus kein Fortschreiten der Trübung erfolgte. Es war dies um so auffallender,
als das andere Auge der gleichen Patientin einige Monate früher nach der Massage
sehr rasch gereift und 3 Wochen später mit bestem Erfolg extrahirt worden war.
Ich bin erst nachträglich auf den wahrscheinlichen Grund des Misslingens gekommen
und glaube denselben darin suchen zu müssen, dass ich einzig in diesem Fall wegen
grosser Empfindlichkeit der Patientin ohne Einlegen des Sperrelevateurs operirt habe.
Durch den Elevateur wird aber ein mässiger Druck auf das Auge ausgeübt, die Linse
dadurch stärker gegen die Cornea gepresst und umgekehrt müssen daher auch die
Massage-Bewegungen stärker auf die Linse einwirken. Leider stieg mir diese Ver-
muthung erst auf, als ich schon die Extraction des noch unreifen Staars ausgefnhrt
hatte, sonst hätte ich nochmals bei eingelegtem Elevateur massirt und wahrscheinlich
mit besserem Erfolg.
Gerade bei dieser Patientin, deren beide Augen vor der Operation 8 Monate
lang stets die gleiche Sehschärfe von 7 «> besassen, war der günstige Effect der ge¬
lungenen Matnration sehr schön zu sehen. Denn während beim 1. Auge die ganze
Linse sich sehr schön und leicht entband und nach reactionsloser Heilung schon 14
Tage nach der Operation S = 7>2 gefunden wurde, blieb beim 2. Auge ein grosser
Theil der noch durchsichtigen Corticalis so fest an der Kapsel kleben, dass trotz sorg-
föltigster und lange fortgesetzter Toilette das anscheinend schwarze Pupillargebiet
schon bei der ersten genaueren Besichtigung am 3. Tage von quellenden Rindenmassen
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346
ganz erfflllt war. Auch hier wurde zwar das Schlussresultat ganz gut, aber erst
nach etwa 3 Monaten.
Die in Bede stehende Patientin war fibrigens schon 63 Jahre alt und scheint
mir daher die Schweigger'sche Ansicht (Deutsche med. Wochenschrift 1890, S. 695),
wonach jenseits des 60. Jahres alle bedeutende Sehstörungen verursachenden Staare
ruhig ohne künstliche Maturation operirt werden sollen, nicht für alle Fälle zuzutreffen,
denn ich kann wohl behaupten, dass in diesem Fall, der allerdings noch S = '/‘o
sass und bei Mydriasis den Augenhintergrund noch ordentlich erkennen Hess, auch ein
viel geübterer Operateur nicht alle Üorticalismassen herausgebracht hätte.
In den übrigen nach Förster behandelten 7 Fällen war nun der Erfolg der
Massage sehr schön. Schon am 2. oder 3. Tag war ein Fortschreiten der Trübung
deutlich zu sehen und nach 14 Tagen hätte in allen Fällen die Extraction folgen
können und wo es nicht geschah, unterblieb es aus äusseren Gründen. Die S.
betrugen in all’ diesen Fällen vor der Maturation noch mindestens V*« bei Mydriasis
und hatten sich in den letzten 3—6 Monaten wenig oder gar nicht verschlechtert.
In einem Fall wurde schon am 10., in 2 weiteren am 14. und 17. Tag nach der
Maturation die Extraction ausgefübrt und Operation und Heilung verliefen ganz gut.
Nicht genug rühmen kann ich, wie in all’ diesen Fällen die ganze Linse leicht
und schön heransspazierte, sodass die Toilette sich meistens auf die Entfernung der
Blutgerinnselchen beschränkte. Nachoperationen worden nicht nöthig.
Ueber die Technik der Massage bemerke ich nur, dass ich nach der wie ge-
wöhnlich ausgeführten Iridectomie mit dem Dataerschen Löffel aus Hartgummi
mindestens 1 Minute lang ziemlich dreist kreisförmige Bewegungen auf der Gornea
ausführe und zwar bei noch liegendem Elevateur. Atropineinträufelnng am 1. Tag
halte ich für sehr indicirt zur Verhütung von hinteren Synechien, da deren Entstehung
wegen Volnmenzunahme der Linse und durch die Operation bedingter Reizbarkeit der
Iris doch sehr begünstigt ist.
Die neuerdings von Bettmann-Bcerne (Med. Record, Juli 1892) empfohlene directe
Massage der Linse durch Einführung eines Spatels in die vordere Kammer habe ich
nicht versucht.
Ouaita (Annal. d. Ottalm. Bd. XIX 5—6), der beide Verfobren klinisch und
experimentell erprobt hat, gibt der Förster'achea Maturation den Vorzug. Ferner
haben in neuerer Zeit Schweigger (1. c.), Bäuerlein (Meine Erfahrungen über Staar und
Staaroperation, Wiesbaden 1894), Äntoneüi (Referat in Michel'e Jahresbericht 1891,
pag. 291) und Andere dasselbe für passende Fälle empfohlen.
Welches diese passenden Fälle sind, dies hier genauer zu untersuchen würde
Rahmen und Zweck dieser kleinen Abhandlung überschreiten und ich bemerke nur
noch, dass meiner Meinung nach bei einem mit Staar behafteten In¬
dividuum das schlechtere Auge operirt werden kann und
soll, sobald die S. am besseren Auge auf unter */** bis */m
gesunken ist, mag nun der betreffende Staar «reif* sein oder nicht.
Wenn durch diese Zeilen hie und da einem Staarkranken ein grausames, Monate
und Jahre langes Warten auf die ersehnte Operation in nutzbringender Weise erspart
wird, so haben sie ihren Zweck erreicht.
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Croupöse Entzündung der äusseren Gehörgänge in Folge von Einträufelung
von Kreosot in dieselben.
Die weit verbreitete Unsitte gegen Zahnschmerzen Einträufelungen von spiritnösen
oder ätherischen Lösungen in den Gehörgang zu machen, wird durch nachstehenden Fall,
der so recht geeignet ist als abschreckendes Beispiel zu dienen, trefflich illustrirt. Ein
vieljähriger Bahnangestellter, Zugführer, im Alter von 42 Jahren stehend, erkrankte im
Frühjahr 1893 an Influenza, die eine 2 Monate dauernde Arbeitsunfähigkeit bedingte
und sich mit subacntem Gelenkrheumatismus und rechtseitiger Hemicramie vergesell-
scbaftete. Wenige Wochen nach Heilung dieser Leiden stellte sich eine starke eitrige
Entzündung der Nasenschleimhaut ein, welche eine doppelseitige Prosopalgie unter dem
Bild der £racA;’schen Neurose des II. und III. Trigeminusastes hervorrief.
Gegen die quälenden Gesichtsschmerzen machte der Patient Ende Juli 1893 Ein¬
träufelungen von purem Kreosot in beide Gehörgänge und oomplicirte sein ohnehin
schweres und hochgradig schmerzhaftes Leiden durch eine foudroyante Entzündung des
äusseren Ohres in der Form der croupösen Otitis externa diffusa trau¬
matica bedingt durch Verätzung. Es stellten sich rasende Ohrschmerzen
und entzündliche Schwellung in der Oavitas conchm, dem introitus meatus und den Ge¬
hörgängen ein.
Am 5. August 1893 stellte sich der Kranke zum ersten Mal bei mir vor.
Beide Gehörgänge waren bis auf ein kleines Lumen, das offen blieb, vollkommen
mit fest aufsitzenden croupösen Membranen austapezirt und auch in der Umgebung des
Tragus, Antitragus, der Concha und spina helicis zeigten sich Spuren der vorausgegangenen
Verätzung in der Form kleinerer und grösserer Eschara.
Das Trommelfell war weder links noch rechts sichtbar. Doch mnss die ätzende
Lösung nicht bis zu demselben vorgedrungen sein, denn die Hörweite war relativ gut
erhalten, indem beiderseits die accentuirte Flüstersprache mindestens 3 Meter weit richtig
verstanden wurde. Ebenso percipirte Patient die hohen Töne sehr gut, Galtonpfeife 1 & r
Skala 20 = 42000 Vibrationen, KÖne^'sche Klangstäbe beidseitig bis Sol. 8 = 24576
Schwingungen. Tiefste Töne wurden mit der Appunn^wahm Contrabass-Stimmgabel in
Luft- und Knochenleitung von 16—36 Vibrationen gehört; gedachte Orgelpfeifen wurden
von a*—f^ beiderseits richtig gehört. Der i?mnc'sche Versuch war beiderseits positiv für
die Stimmgabeln c^, a^, c^, A und C-i; ebenso war die directe Luftleitung für diese
Ghibeln intact Der TFeöcr’sche Versuch lateralisirte nach rechts und ergab eine starke
Reduction der Kopfknochenleitung. Es betrug die Perceptionszeit
für
C»
1024
Vibrationen
= 18
Secunden,
normale Perceptionszeit
= 20 Secunden
a*
440
V
= 36
n
J!
w
= 41
V
0^
264
»
= 18
r
Jt
n
= 23
A
110
V
= 28
V
V
= 65
V
C-i
64
n
= 14
n
n
= 40
Die Reduction betraf hauptsächlich die tiefen Töne und konnte bedingt sein durch Torpor
des Nervus acusticus, hervorgerufen sowohl durch den lärmenden Beruf im
Fahrdienst der Eisenbahn, als auch durch die neuralgischen Schmerzen,
die von der Nase und den äusseren Gehörgängen ausstrahlten.
Die Behandlung bestand in desinflcirenden Ausspühlungen der Gehörgänge, Aus-
trockuen mit hydrophilen Wattetampons, Instillation einer 1% Atropin-Cocalnlösung,
Insnfflation von Jodoform und Einlegen eines Tampons mit 5^/o Carbolöl. Gegen die
neuralgischen Schmerzen wurde innerlich Natr. salicyl. mit Salol verordnet. Gegen die
Rhinitis purulenta wurden Irrigationen der Nasengänge mit 2^/o Borsäure-Kochsalzlösungen
gemacht und die ganze Nasenschleimhaut mittelst KabierskfB Pulverbläser mit Aristol-
Europhen (4 : 5) eingepndert und in den vorderen Partien und der Umgebung der Nasen¬
löcher mit 3^/o rother Priecipitalsalbe eingefettet. Endlich wurde der Schädel mit
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848
schwaohem constantem Katodenstrom galvanisch behandelt. Der Erfolg der Behandlnng
war ein vollkommen befriedigender. Nach 5 Tagen begannen die äusseren Gehörgänge
sich zu reinigen, und die Tendenz zu desquamativer Otitis externa superficialis wich der
Application von Ungt. Hehr» mit Acid. salicyl., welche mittelst Wattetampon eingelegt
wurde. Die eitrige Secretion der Nase schwand nach mehrmaliger Bestreichung der ge¬
schwellten Schleimhaut mit 2^0 Solutio argenti nitrici.
Am 14. August 1893 wurde Patient geheilt entlassen.
Ausser diesem besonders schweren Fall sah ich sehr oft diffuse Entzündungen der
äusseren Gehorgänge nach Einträufelungen von „Painexpeller'^ in dieselben. Die
Anwendung dieser amerikanischen Patentmischung in die Gehorgänge ist ein Unfug, vor
dem nicht genug gewarnt werden kann. Wenn der Laie durchaus das Bedürfniss hat,
sich etwas in die Ohren zu träufeln, so bleibt er am besten bei einigen Tropfen lau¬
warmem Mandelöl. Docent Dr. Bohrer.
Stuhlverstopfung.
Herr College Ullmann bespricht in freundlicher Weise meine kleine Studie und
fuhrt einen Fall an (Oorresp.-Blatt vom 15. Mai, Seite 308), der „in einem gewissen
Gegensatz^ zu meinen Beispielen stehen soll. Dieses veranlasst mich, meine Ansicht in
einem Punkt noch deutlicher zu erläutern, da sie offenbar noch nicht ganz begriffen
worden ist. In dem Fall von College Ullmann hätte ich so oder ähnlich gehandelt wie
er, das Resultat jedoch anders gedeutet. Wie erklärt College Ullmann^ dass ein Wasser¬
strahl von da ab für immer und täglich die Defäoation auslöst?
Er sagt uns vorerst nicht, ob von da ab für immer ein Wasserstrahl zu jedem Stuhl¬
gang nothwendig war, oder ob die Heilung dann ohne solche tägliche Procednr be¬
stehen blieb. In letzterem Falle kann man, behaupte ich, nicht annehmen, dass der
einmalige oder nur einige Male angewendete Wasserstrahl „mechanisch oder
thermisch^ ad infinitum für die Zukunft den automatischen Vorgang der täglichen
Defäcation erhalte, weil complicirte, sich selbst erhaltende Automatismen, weder in den
Muskeln, noch in den peripheren Nerven, nicht einmal im Rückenmark für sich allein
bestehen. Deshalb schon fasse ich auch diese Wirkung als suggestive auf. Im Fall da¬
gegen, wo eine tägliche Wiederholung des Mittels ad infinitum nöthig ist und selbst an¬
genommen, es handle sich dann nicht um eine täglich wiederholte Suggestionswirkung,
sondern um wirkliche directe thermisch-mechanische Wirkungen peripherer Art, hätten
wir es mit der gleichen Fatalität zu thuu, die bei Clystiren, Abführmitteln und dergl.
zutrifft, und die ich in meinem Aufsatz beklagte, nämlich mit der Angewöhnung an eine
tägliche künstliche Hülfe.
Aber Herr College Ullmann scheint nicht ganz einzusehen, dass vrir eben die
Wirkungen angeblicher örtlicher Nervenreize als Suggestionswirkungen, und zwar als
sehr wirksame, auffassen. Wir bestreiten nicht die Thatsachen; wir erklären sie nur
ganz anders und in einer, mit der Physiologie des Nervensystems in viel besserem Ein¬
klang stehender Art. Er scheint nur oder fast nur die Yerbalsuggestion als Suggestion
anzuerkennen. Nichts wäre irriger. Die Suggestionswirkung wird durch nichts so ver¬
stärkt, wie durch die Anregung der sensiblen Nervenenden des kranken Theiles, weil
dadurch die Aufmerksamkeit, d. h. die Concentration der Himthätigkeit auf die vor¬
genommene Procedur am besten, anschaulichsten, sinnlichsten gelenkt und dadurch die
heilenden Hirnautomatismen am erfolgreichsten ausgelöst werden. Darin liegt auch die
Erklärung der Wirkung des Aufiegens der Hand, der sogenannten „magnetischen Striche“,
der Metallotherapie.und der localen Wassorapplicationen. — Letztere können
nicht eine dauernde Heilung durch directe Reizung der Darmwand, nicht einmal
durch Erregung von spinalen Refiexen, sondern nur durch die bleibende, unter bewusster
Vorstellung der definitiven Wiederherstellung des Defacationsautomatismus (in Folge ihrer
Wirkung) hervorrufen. Und dieses nennen wir SuggestionsWirkung. A. Forel.
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Referate nnd Kritiken.
Die chronische OophorHis.
Von Dr. Eugen Winiemüz, Tübingen, 1893. Preis 3 M. 60.
Verfasser bespricht in einer Einleitung mit zwei Capiteln (p. 1—30) die combinirte
Untersuchnng, deren geschichtliche Entwicklung und grosse Bedeutung für die Erkennung
der pathologischen Zustande der Beckenorgane, speciell der Ovarien im I. Kapitel. Im
n. Capitel theilt er, znm Theil auf Grund von Beobachtungen, die auf der gynäkolo¬
gischen Klinik in Tübingen an 245 Fällen aufgenomroen wurden, das Beachtenswerthe
über die Lage, Grosse, Gewicht, Form, Consistenz und die Schmerzhaftigkeit der Ovarien,
die Verf. bei massigem biraanuellem Druck bei normalen Ovarien vermisst hat, mit.
Der specielle Theil der Arbeit mit 8 Capiteln (pag. 30—125) beginnt mit der
Häufigkeit und dem Vorkommen der chronischen Oophoritis (III. Cap.).
Von 2318 Kranken kann Verf. 245 Fälle von sicher diagnosticirter chron. Oophoritis
= 10,5 ®/o zusammenstellen (Olshausen und Vedeler Fontana Er findet
das rechte Ovarium häufiger erkrankt als das linke, und dass die Affection ausschliess¬
lich im geschlechtsreifen Alter vorkomme und * daher im engsten Zusammenhang mit der
physiologischen Thätigkeit der Ovarien zu bringen sei.
ln der Aetiologie (IV. Cap.) spielen die schädlichen Einfiüsse und Störungen
während der Periode (22 ®/o), die Geburt, besonders der Abortus resp. das Wochenbett
(37®/o), die Gonorrhoe (107o), die Hauptrollen. Erkältungen (8,5 ®/o) während der Pe¬
riode und Ueberanstrengung der Bauchpresse, starke Erschütterungen des Unterleibes,
Fabrikarbeit, Chlorose sind häufig Veranlassung (12^/o zusammen).
2) Die Ursache der Oophoritis nach der Geburt ist meist eine manifeste, oft aber
auch nur eine latente Infection, besonders nach operativ beendigten Geburten (Placentar-
losung, Dammrissen). Lage Veränderungen, besonders die Retroflexion, spielen eine grosse
Rolle in der Aetiologie.
3) Die gonorrh. Infection der Ovarien ist stets eine secundäre. Die Entzündung
geht von der Scheidenschleimhaut auf das Endometrium, die Tubenschleimhaut und von
da durch das ost. abd. tub. oder durch die Eileiterwand hindurch auf das Ovarium über.
4) Widernatürliche Befriedigung des Geschlechtstriebes, Infectionskrankheiten
(Typhus, Tuberculose, Scharlach, Influenza), Erkrankung der benachbarten Theile des
Darmcanales, therapeutische Eingriffe, Fibrome, Herzkrankheiten, Abusns spirituosorum et
laxantium und Adnexerkrankungen sind seltener Ursache der Oophoritis chron.
Im V. Capitel, pathologische Anatomie, sind an Hand von einzelnen Fällen und
unter Verweisen zahlreicher microscopischer Schnitte die einzelnen Untersuchungsresultate
beschrieben. Die Ovarien entstammen 7 Fällen, wo die Castration ausgefübrt worden
ist. Die Untersuchung ergab Folgendes: Verdickung der Albuginea, Bindegewebshyper-
tropbie des Parenchyms, Schwund der Primärfollikel, Mangel an Cfraaf^schen Follikeln,
Verdickung und hyaline Degeneration der Intima der Gefässe.
Nur in einem von den 7 Fällen war eine ganz winzige Rundzellenanhäufung zu
sehen, bei „allen übrigen fehlte jedwede kleinzellige Infiltration oder Zellenanhäufung,
auch war ausser den fibrösen Körpern an keinem Präparate Narbengewebe nachweisbar,
so dass man also vom histologischen Standpunkte aus keine Veranlassung hat, eine
Oophoritis, d. h. eine Entzündung des Ovariums zu diagnosticiren."
Cap. VI, Symptomatologie. Schmerzen, auch der „Mittelschmerz“, Unregelmässig¬
keit der Periode, Metrorrhagien, frühzeitige Menopause, habituelle Constipation, Blasen¬
störungen, Neurosen, selten Fieber werden der Reihe nach als Symptome aufgeführt.
Cap. VH. Der Verlauf der Krankheit ist meist ein langwieriger. Heilung
selten ausser nach der Menopause. Ueberwanderung des Processes von einer Seite auf
die andere. Hmmatocele und Cystenbildung sind nicht selten. Endometritis, Perioophoritis
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und Perimetritis sind häufige Folgen der Affeciion. Sterilität und nervöse Beschwerden
sind weitere Folgezustände und Begleiterscheinungen.
Cap. YUI. Die Diagnose stützt sich hauptsächlich auf das sichere Heraus¬
tasten des Ovariums und die auf das Ovarium localisirte Schmerzhaftigkeit. Sie ist nur
durch bimanuelle Untersuchung möglich. Io 63^/o der Fälle war das Ovarium vergrössert.
Cap. IX. Die Diagnose für eine vollständige Heilung ist sehr ungünstig, Heilung
sehr selten, eine Besserung oft möglich. Die Gefahr zu Recidiven ist gross. Das Ge¬
schlechtsleben übt einen sehr schädlichen Einfluss aus. Conception ist selten.
Cap. X. Therapie. Haupterfordemisse sind, ausser der prophylactischen Be¬
handlung : Einhaltung der absoluten Bettruhe, Sorge für regelmässige Entleerung des
Darmes. Ricinusöl und salin. Abführmittel oder Natr. sulf. 15,0, Sulfur depur. 5,0,
Elasos. Menth. 15,0 Abends 1—2 kl, Glycerinclystiere zu 10—20,0 oder Glycerin sup-
posit.; iVt^snüts’sche Umschläge, Ungt. einer., Jodtinctur auf die Bauchhaut, Ichthyol
innerlich und äusserlich, vaginale Injectionen von 28^—40^ R., Bepinselungen der Portio
mit Jod und Ichthyol, Tampons mit Ichthyol und KJ-Glycerintampons sind der gewöhn¬
liche Behandlungsapparat. Innerlich werden Jodkali, Brom und Gold- und Eisenpräparate
gegeben. Die Abrasio mncosm auch vereinzelt empfohlen. Secale gegen die Blutungen.
Massage in Fällen von Exsudaten und Fixationen, aber mit Vorsicht nnd nach Ablauf
der acuten Erscheinungen. Galvanisation nach Apost4)li, Badecuren: Vor Allem Sool-
bäder und Moorbäder; Alkal. sulfat., Kochsalz und Eisenwasser innerlich. Die Castration
hat sehr ungünstige Resultate ergeben; sie ist jedoch angezeigt bei isolirter Oophoritis
und bei Blutungen.
Vollständige Heilung des Leidens ist sehr selten. H. Keller.
Mittheilungen aus Kliniken und medicinischen Instituten der Schweiz.
Exenteratio (Evieceratio) bulbi.
Von Dr. med. Elisabeth Wolkomüsch, I. Reihe. Heft 8. Carl Sallmann, Basel und
Leipzig. 1894. Preis Pr. 1. 50.
Die in der Arbeit deponirton Erfahrungen stammen aus Prof. Pflüger^s Augenklinik
in Bern und betreffen die an Stelle der Enucleatio bulbi in die Augenheilkunde ein¬
geführten Operationsmethoden. Als einzige Indication bleibt für die Neurectomia
optico-ciliaris in der Augenklinik Bern noch in Kraft: „absolutes schmerzhaftes
Glaucom, wo die Patienten grosses Gewicht auf die Erhaltung des blinden Auges legen."
Entgegen der Ansicht anderer Autoren, welche die Exenteratio bulbi verwerfen,
weil sie eine unchirargiscbe Operation sei, indem anstatt der totalen und gründlichen
Ausräumung einer Höhle, direct eine neue Höhle durch den Operationsact geschaffen
werde, vertritt Verf. nach den Erfahrungen, die in der Berner-Klinik gemacht worden
sind, den Standpunkt, dass die genannte Operation ihre Berechtigung habe. Der Indi-
cationskreis wird freilich viel enger gezogen, als dies von der Schule Alfred Oräfe^'s ge¬
schieht, welche die Enucleation fast ganz durch die Exenteration verdrängen will. Das
Beobachtungsmaterial der Arbeit bezieht sich auf 154 Fälle, während im Ganzen bis
jetzt ca. 750 Fälle von Exenteratio litterarisch bekannt geworden sind. Als absolute In-
dicationen für die Exenteratio will Verf. festhalten; '
1) Die Panophthalmie exogener und endogener Natur.
2) Die mehr plastischen und weniger eitrigen Formen von Iridocyclitis, acuter,
subacnter und chronischer Natur, die meist im Anschluss an ein Trauma zum Verlust
der Function des Organes und zur Gefährdung des zweiten Auges führen.
Durchschnittliche Heilungsdauer =11 Tage.
Als besonders zu erwähnender Vortheil der Exenteration gegenüber der Enucleation
wird die relative Leichtigkeit der Ausführung am Schluss der Arbeit noch nachdrücklich
hervorgehoben.
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Beiträge zur Kenntniss von Wesen und Sitz der Hemicrania ophthalmica.
Von Dr. August Siegrist^ I. Assistenzarzt der Uniy.-Augenklinik Bern. I. Reihe. Heft 10.
1894. Verlag von Carl Sallmann, Basel. Preis Fr. 1. 25.
Als Hemicrania ophth. fasst Yerf. eine Affection auf, die durch folgende
3 Hauptsymptome characteristisch ist:
a) Acut auftretender und nach einiger Zeit wieder ver¬
schwindender h 0 m 0 n y m - h e m i a n 0 p i s c h e r G e s i c h t s f e 1 d d e f e c t,
b) Flimmern, das meist in der Nähe des Fixirpunktes be¬
ginnt und sich allmälig nach d e r P e r i p h e r i e der vom Skotom
betroffenen Gesichtsfe1dhälfte ausbreitet,
c) Kopfschmerz von hemicranischem Character, der
sich stets auf der dem G e s i c h ts f e 1 d d e f e c t e entgegenge¬
setzten Seite geltend macht.
Aufs Einlässlichste wird die einschlägige Krankengeschichte eines Patienten mit-
getheilt, der beim Yerf. selbst, sowie bei Herrn Prof. Dufour in Lausanne in Beobachtung
stand. — Von sehr bemerkenswerthem Interesse ist, dass Yerf. zweimal ophthalmoscopisch
auffallende Verengerung der Arterien jenes Auges allein, auf dessen Seite die Hemicranie
sich einstollte, beobachten konnte. Dieser Befund deutet in der That auf einen spastischen
Vorgang im Bereich der Gefässe der einen Hälfte des Schädelinhaltes. Das Symptomen-
bild der Migraine ophthalmique kann Yerf. nnr durch eine doppelte Localisation der
erwähnten vasomotorischen Storung erklären: das Symptomenbild der Migräne durch Lo¬
calisation in der Dura; dasjenige des Flimmerscotoms durch Localisation in der Occipital-
rinde. Der Yerf. stützt in eingehendster Erörterung die Auffassung, dass der Sitz der
Affection nicht im peripheren Theil des Sehapparates und nicht in der Leitung, sondern
im Wahmehmungscentrum selbst sein muss. Aufmerksame und intelligente Patienten
gaben direct an, dass sie den Ausfall des Gesichtsfeldes nicht als schwarz, sondern als
„nichts* empfinden.
Was die Aetiologie betrifft, so neigt Yerf. zur Ansicht, dass ausser den allgemein
bekannten Momenten Refractionsfehler spec. Astigmatismus eine Bolle spielen. Ans der
ansführlich mitgetheilten Krankengeschichte geht hervor, dass Verdauungsstörung, ins¬
besondere chronische Obstipation ätiologisch in Betracht fällt immerhin mit der auffallen¬
den Erscheinung, dass auf experimentellem Wege d. h. durch künstliche Verdauungs¬
störung kein Anfall anszulösen war. Pfister.
Die Medicin der NaiurvSiker.
Ethnologische Beiträge zur Urgeschichte der Medicin. Von Dr. M. Bartels. Leipzig,
Th. Grieben’s Verlag. 361 Seiten und 175 Originalholzschnitte.
Der Verfasser hat sich der grossen und sehr dankenswerthen Mühe unterzogen, die
in zahllosen Reiseberichten und Mittheilungen zerstreuten Angaben über das Heilwesen
der Naturvölker zu sammeln und kritisch zu verarbeiten, wobei eine Disposition nach
medicinischen Gesichtspunkten vom Verfasser durchgeführt worden ist.
Nach einer Schilderung der Auffassungen vom Wesen der Krankheit, des ärztlichen
Standes und der Art der ärztlichen Diagnostik bei den Naturvölkern, berichtet der Ver¬
fasser über die von ihnen gebrauchten Medicamente und die Art ihrer Anwendung, ferner
über jene eigenthümlichen Ourverfahren, wobei die übernatürliche Diagnose und Be¬
handlung eine besonders grosse Rolle spielt. Auch die Gesundheitspflege, die kleine
und selbst die grosse Chirurgie liefern Stoff zu besondem Capiteln. Die zahlreichen
Abbildungen veranschaulichen die Proceduren, die angewandten Geräthe u. s. w. aufs
Beste.
Als Ergebniss dieser Schilderungen finden wir ein buntes Wirrsal zum Theil ziem¬
lich vernünftiger und sogar weit vorgeschrittener Anschauungen und dem krassesten
Aberglauben. Während sich Vieles mit den auch heute noch in der Volksmedicin der
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Culturländer herrsclienden ÄDschaaungen deckt, beruht ein sehr grosser Theil der so¬
genannten Medicin der Naturvölker lediglich auf den Vorstellungen des Dämonenglaubens,
wobei als Vehikel der Dämonen theils die Naturgewalten, theils die Menschen selbst er¬
scheinen. Die richtige Deutung dieser oft ganz absonderlichen Gebräuche und Ideen
mag übrigens häufig grosse Schwierigkeiten gemacht haben.
Das sehr reichhaltige Buch möge allen, die sich für die Entwicklung der medi-
cinischen Anschauungen interessiren, bestens empfohlen sein. Bloss wären hie und da
einige geographisch-historische Wegleitungen erwünscht gewesen, da es den mit der Eth¬
nologie weniger Vertrauten sonst schwer fallen dürfte, sich in den so zahlreichen fremd¬
artigen Namen der einzelnen Stämme und Völker immer zurechtzufinden.
H. V. W^ss.
Oantonale Ooinreeipondleiizeii.
Der Kurort Keyelu« Nachdem ich vor Jahren die Waadtländer Kurorte
ziemlich gründlich hatte kennen lernen, stellte ich meine Eindrücke auf Wunsch der Re¬
daction im Jahrgang 1882 (Nr. 9 —12) dieses Blattes zusammen. Damals war es mir
leider nicht vergönnt, den noch sehr bescheidenen Kurort Leysin zu besuchen. So ergriff
ich denn das erste Mal, das ich über Montreux hinauskam, gern die Gelegenheit, das
Versäumte nachzuholen. Es geschah dies am 9. Oct. 1893. Ich ging Nachmittags bei
Zeiten bei starkem Föhn, der anderswo verschiedenes Unheil anrichtete, von Aigle nach
dem auf der andern Seite der Grande Eau gelegenen Fontaine hinüber, schwenkte bei
Fontaney links ab, stieg den in der schwülen Atmosphäre doppelt steil vorkommenden
Saumweg nach Veyge empor. Dieser bietet, wie übrigens schon das vorhergehende Stück
Weg, manchen hübschen Blick auf die schöne Gegend von Aigle mit dem prächtigen
Hintergrund der Dent du Midi, die sich dort besonders schön ausnimmt. Eine Zeit lang
führt dann der Weg durch Wald, bevor er die kleine Hochebene des Weilers Veyge
erreicht. Von dort gelangt man auf sanft ansteigendem gutem Wege, der beständig
eine prachtvolle Aussicht bietet, in einer guten halben Stunde nach dem kleinen Pfarr-
dorf L e y s i n. Der ganze Weg von Aigle beträgt stark 2 Stunden. Leysin liegt auf
einer ziemlich breiten Hochebene 1264 m ü. M. Es hat, wie auch andere waadtländische
Bergdörfohen eine Anzahl malerischer, z. Th. bemalter Häuser aus verschiedenen Zeiten
des vorigen Jahrhunderts aufzuweisen und sogar eines von 1698 mit z. Th. lateinischer
Inschrift.
Im Dorfe selbst sieht die aus zwei neben einander stehenden, schmucken neuen
Holzhäusern bestehende Pension du Ghälet (Frl. Cullaz) recht einladend aus. Sie
war im October geschlossen und sollte mit dem 1. November ihre Pforten wieder öffnen,
um Wintergäste aufzunehmen. Der Pensionspreis beträgt Fr. 5 bis 6. 50. In^ ver¬
schiedenen Bauernhäusern kann man auch Unterkunft finden, so bei HH. Jules Drapei
(Fr. 4 — 4. 50) und Jean Vaudroz-Monod (Fr. 8. 60 — 4. 50). 7 oder 8 andere Häuser
werden an Familien vermiethet, die selbst Haushaltung machen. Den Meisten werden
die Zimmer dieser Bauernhäuser bedenklich niedrig Vorkommen. Die Bauern von L.
sollen sich übrigens durchschnittlich eines ziemlichen Wohlstandes erfreuen. Einige be¬
sitzen Reben bei Aigle, ähnlich wie dies bei vielen Bergbewohnern des mittlem und
untern Wallis der Fall ist.
Vom Dorfe aus gelangt man in 20 Minuten — wenn man langsam geht und den
Windungen der Strasse folgt, braucht man Y« Stunde — ?ar Stelle (1450 m), wo sich
das Sanatorium erhebt, sowie das kurz vorher gebaute Hötel-Pension du Mont¬
blanc. Das letztere, von Herrn G. Dequis gehalten, sah ich nur von aussen. Es ver¬
mag 30—35 Personen aufzunehmen und besteht aus 2 hübschen Holzhäusern, welche
durch eine gedeckte, mit Fenstern versehene Gallerie verbunden sind. Daran stösst ein
kleines Gebäude aus Stein, dessen flaches Dach durch eine Gallerie mit dem einen Holz-
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353
bau verbunden ist. — Seit meinem Besncb würde, wie College Trechsel ans Locle be¬
richtet, der 2 Tage dort zubraohte, auf diesem kleinen Gebäude eine nach Süden offene,
sonst gut eingemachte Qallerie mit Chaiseslongnes angebracht, wo die Lungenkranken
die langen Winterabende bis 10 Uhr bei guter Beleuchtung zubringen. Uebrigens bleiben
in der Regel auch in den Zimmern die Fenster offen. — Gegenüber dem H6tel-Pension
du Montblanc wird nun noch ein kleiner Rursaal gebaut.
Das Sanatorium — Grand H6tel de Leysin — ist ein gewaltiger Bau aus
Stein mit 5 Stockwerken, die durch einen hydraulischen Aufzug loicht zugänglich gemacht
werden. Aus dem 2. Stock kann man vermittelst einer kleinen Brücke direct auf den
hinter dem Gebäude ansteigenden Abhang gelangen. Die Einrichtung lässt nichts zn
wünschen übrig; nur sind zu viele Zimmer zn 2 Betten und zu wenig zu 1 Bett. Keines
von den 110 Zimmern hat unter 3 m Höhe und die kleinsten über 70 m^ Kubikinhalt.
^4 der Zimmer sehen nach Süden, die Übrigen nach Osten oder Westen. Die meisten
sind mit Balkon versehen. Für die Ventilation ist ausgiebig gesorgt. Unter anderm
hat jedes Zimmer eine direote Luftzufuhr von aussen. Die Heizung geschieht durch eine
Niederdruckdampfheizung, die eine beliebige Regulirung der Temperatur in den ver¬
schiedenen gemeinschaftlichen Räumen, sowie in den Zimmern gestattet. Manche der
letztem haben übrigens noch Kamine. Die Zimmer und ihr Mobiliar sind so beschaffen,
dass sie leicht zu reinigen sind. Wollene Decken, Teppiche, Federbetten u. s. w.
kommen nach der Abreise eines Tuberculösen in den in der Nähe des Hötels befindlichen
Dam pfdesinfectionsappara t.
Wie an anderen Kurorten für Tuberculöse sind die Kranken gehalten, ihre Sputa
in besondere Gefässe, die sie stets bei sich haben, zu spucken, ln den Corridoren sind
ausserdem grossere Gefösse zu allgemeinem Gebrauch anfgestellt. Die Sputa werden
täglich durch Kochen desiuficirt. Die Bäder und Douchen sind im 1. Stock eingerichtet.
So viel ich mich erinnere, dürften jene für eine so grosse Anstalt etwas zahlreicher sein.
Der grosse Speisesaal ist in einem westlichen Anbau des Erdgeschosses angebracht, daran
schliessen sich verschiedene andere gemeinschaftliche Räume von zweckmässiger Einrich¬
tung, unter anderm eine heizbare Glasgallerie, die im Winter als Wintergarten dient.
Im Osten schliesst sich eine gedeckte nach Süden offene Holzgallerie an, in welcher die
Patienten liegend auf zweckmässigen Möbeln Luft und Sonne geniessen können, ähnlich
wie wir dies schon beim Hötel-Pension du Montblanc gesehen haben. Sie soll verlängert
werden. Das Trinkwasser ist gut und in hinreichender Menge. — Ein kleiner Teich dient
im Winter als Eisbahn; er sollte schon für diesen Winter vergrössert werden, was aller¬
dings nöthig ist.
Die Lage ist grossartig und die Aussicht schon ziemlich freier als vom
Dorf aus; sie übertrifft im Ganzen diejenige des naben Yillars an Ausdehnung und Mannig¬
faltigkeit Von dort sieht man freilich die Muverankette viel schöner, während hier der
König derselben, der Grand Muveran durch don Leysin gegenüberliegenden Chamossaire
und seinen westlichen Ausläufer grösstentheile verdeckt ist, so dass nur der Gipfel her-
vorschant Die westlicheren Berge dieser Kette siebt man allerdings besser, besonders
die Dents de Mordes. Im Gegensatz zu Yillars sieht man mehr von den Walliser Alpen,
sowie einige Berge der Montblanokette; zwischen 2 Zacken der Dent du Midi, welche den
Glanzpunkt der Aussicht bildet, ragt, wenn man so sagen darf, die Spitze des Montblanc
hervor. An die Dent du Midi schliessen sich die das Thal der Rhone im Westen und den Gen-
fersee im Süden begrenzenden Berge bis zu den Dents d’Oche. Das Rhonethal unterhalb
St. Maurice ist in grosser Ausdehnung sichtbar, sowie das bei Monthey in dasselbe mün¬
dende Yal d'Illiez. —* Links vom Chamossaire tauchen ein Theil der Diablerets, das
ihnen benachbarte Oldenhorn, das Sanetschborn und das Schlanchhom auf und auf der
Nordseite des Pillonpasses und des Ormontthaies die Kette, welche im Westen mit dem
Chaussy abschliesst. Westlich von dem letztem siebt man über den Pass von Comballaz
das feUige Rüblihom, die malerische Gumfluh und andere Gipfel des oberen Sganen*
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tbales her Vorschauen. Den Mittelgrund dieser grossariigen Aussicht bildet die saftiggrüne
Hochebene von Leysin mit dem heimeligen Dorfe, im Süden von Hügeln mit dunkeim
Tannenwald begrenzt. Dicht oberhalb des Sanatoriums beginnt ein grosser Tannenwald,
der sich weit am Berg hinaufzieht. Durch dessen untern Theil, sowie an seinem
Saume führen bequeme Wege. Wer als Sommerfrischler nach Leysin geht, wird eine
hübsche Auswahl von kleinern und grossem Ausflügen finden. Yon letztem will
ich nur die Tours d’Ay (nach Tschudi schwindlig) und de Mayen (leicht zu ersteigen)
nennen. Solche, welche ihre Lungen schonen müssen, finden ausser den schon genannten
Spazierwegen und dem Wege nach Veyge verschiedene ebene Fnsswege auf dem Plateau
von Leysin und die zuerst fast ebene, dann aber recht abschüssige neue Strasse nach
Sepey oder Ormont-dessous, welche die Post (2 Mal täglich in jeder Richtung) und die
Privatwagen benutzen. Der grosse Umweg, welchen diese von Aigle aus machen müssen,
so dass sie 4 volle Stunden brauchen, ist eine der Schattenseiten von Leysin. Ich wählte
zum Abstieg nach Aigle den angeblich bessern Fussweg über Pontit, fand ihn aber z. Th.
in ziemlich schlechtem Zustand. Auch ist er wenig kürzer als der über Veyge führende
und bietet nicht eine so schöne Aussicht, wie wir sie zwischen Leysin und Veyge finden.
Das letzte Stück ist übrigens beiden gemeinsam. Merkwürdigerweise ist das Sanatorium
von Leysin von französischen Schweizern und speciell von Waadtländern wenig besucht,
obwohl es gerade ihnen die lange Reise nach Davos ersparen sollte. Seine Gäste sind
vorzugsweise Franzosen. Der tüchtige Rurarzt Dr. Lauth ist Franzose, der liebenswürdige
Gerant, Herr Kirchner^ Deutscher. Beide gaben mir über alles Wissenswertbe bereit¬
willig Auskunft.*) Auch dem eben anwesenden Dr« Suchard^ dem Kurarzt des nahen
Lavey, bin ich in dieser Beziehung zu Dank verpfiichtet. — Dass die Einheimischen das
Sanatorium nicht stärker besuchen, mag z. Th. an den etwas hoben Preisen liegen. Der
Pensionspreis beträgt Fr. 8—12, für einzelne Zimmer bis 15; doch sind Bedienung, Be¬
leuchtung und Heizung inbegriffen. Da die Einrichtungen, wie schon gesagt, vortrefflich,
auch der Tisch gut ist und da bei der Desinfection manches leidet, sind die Preise ver-
hältnissmässig nicht zu hoch. — Im Hötel-Pension du Montblahc ist man allerdings
billiger (Fr. 6—10, im Sommer etwas weniger) und auch gut, wie Freund Trechsel aus
eigener Erfahrung weiss. — Nördlich davon ist eine kleinere Pension (P. Beiteei) mit
noch billigeren Preisen (Fr. 6—7 im Winter), Fr. 5—6 im Sommer.*) Die daneben
befindlichen Chalets Chessex und Lecoultre werden an Familien vermiethet, ebenso einige
benachbarte ältere, umgeänderte Häuser.
Das Klima von Leysin nähert sich im Ganzen dem des 110 m höher gelegenen
Davos. Die Sonnenscheindauer ist beim Sanatorium sogar grösser als dort. Auch hat
es, da es nicht in einem Thale liegt, nicht den Nachtheil eines Thalwindes. Der Winter
ist weniger kalt als in Davos, und das Klima soll gleichmässiger sein. Es ist im Winter
trocken, deshalb nimmt auch die Secretion der Lungen rasch ab.
Die Vorzüge des Klimas von Leysin und ihre Wirkung auf die Gesundheit waren
übrigens schon lange bekannt. Für diejenigen, welche Davos ebenso leicht oder leichter
erreichen können — man kann bekanntlich mit der Eisenbahn bis zum Ort fahren —
wird es allerdings eine grössere Anziehungskraft ausühen, da es zwar nicht ein besseres
Klima, aber für Kranke, die sich freier bewegen können, sonst einige Vorzüge besitzt.
Die aussichtsreiche Lage von Leysiu wird allerdings auf den Freund der Natur einen
besondem Reiz ausüben, zumal im Sommer, und daher scheint mir dieser Ort sich sehr
gut für Erholungskuren und überhaupt ab Sommerfrische zu eignen.
Burgdorf im April 1894. Fankhauser.
Man findet übrigens gründliche Belehrung in einer guten illnstrirten Broschüre; besonders
ansführlicb ist darin das Klima und speciell die meteorologischen Verhältnisse behandelt
*) Noch billiger sind die schon oben angegebenen Pensionspreise im Dorfe (Pension du Chälet
n. s. w.). In Leysin praciicirt noch unser Landsmann Dr. Morel.
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855
W oolieiil>e]riolit.
Sehweiz.
Basel. Dr. Albert Dubkr von Wohlen, Privatdocent für Baoteriologie und patho¬
logische Anatomie, wurde vom Regierungsrath zum ausserordentlichen Professor ernannt.
Bera. Klinische Aerztetage. Nach näherer Besprechung mit dem Vor¬
stand der medicinisch-chirurgisohen Gesellschaft des Cantons Bern und den Herren Do-
centen wurde — gemäss dem Wunsche der im December 1893 versammelten Mitglieder
der erst genannten Gesellschaft — beschlossen, dass nunmehr per Semester e i n klin.
Aerztetag stattfinden solle und zwar der nächste Ende Juni.
Ausland.
— Prof. Czerny^ als Nachfolger BiUroM% nach Wien gewählt, hat die ehrenvolle
Berufung abgelehnt und wird der Heidelberger-Universität erhalten bleiben.
— Der vom 1.—9. September 1894 stattfindende VIII. InlermtleMle Ceiffress
flr Hyifieae nad Deaieifniplile hat, conform dem Beschlüsse des Londoner Cougresses,
die Erörterung der Frage der Diphtherie aufs Programm gesetzt. Zur
wissenschaftlichen Vorbereitung dieser Frage sind überall nationale Comites gebildet
worden. Präsident des schweizerischen Comitös ist Prof. Uagenbach’Burckhardt ] übrige
Mitglieder (zur Vereinfachung des Geschäftsganges sämmtlioh einer Stadt entnommen)
Dr. Lotz-^Landerer, Prof. Älbr. Burckhardt und Dr. Feer^ alle in Basel. — Mitglieder¬
taxe für den grossartig vorbereiteten Congress und alle Anfragen etc. an das General-
Secretariat (Budapest, Rochusspital).
— Die 19. Versammlung des deatsehea Verelas flr IBealliehe Gesaadhelteplef e
wird vom 19.—21. September 1894 in Magdeburg stattfinden.
Behandlungsgegenstände:
1. Hygienische Beurtheilung von Trink- und Nntzwasser. (Prof. Dr. Flügge, Breslau.)
2. Beseitigung des Kehrichts und anderer städtischer Abfälle, besonders durch Verbren¬
nung. (Oberingenieur F, Andreas Meyer, Hamburg, und Medicinalrath Dr. J. J. Beinche,
Hamburg.) 3. Die Nothwendigkeit einer extensiveren städtischen Bebauung und die recht¬
lichen und technischen Mittel zu ihrer Ausführung. (Oberbürgermeister Adickes, Frank¬
furt a. M., Geh. Baurath Hinckeldeyn, Berlin, und Baupolizeiinspector Glossen, Hamburg.)
4. Technische Einrichtungen für Wasserversorgung und Canalisation in Wohnhäusern.
(Ingenieur H, Alfred Boechling, Leicester.) 5. Die Massregeln zur Bekämpfung der
Cholera. (Geheimrath Dr. v, Kerschensteiner, München, und Prof. Dr. Gaffky, Giessen.)
Alles Nähere, die diesjährige Versammlung Betreffende wird den verehrlichen Mitgliedern
mit den von den Herren Referenten aufgestellten Thesen oder Schlusssätzen Mitte August
mitgetheilt werden.
— Vom 25.—29. Juli findet in Boulogne snr mer ein CeapfTte lateraattoaal de
Baias de mer et d^Hydrethdraple mariae statt. Folgende Traktanden stehen auf der
Tagesordnung: 1) de Pinfluence du traitement marin dans les tuberculoses. 2) Indications
et Contreindications du traitement marin. Alle beliebigen Aufschlüsse sind erhältlich
bei Dr. Hauzel, secretaire gönöral du Congrös, 4 rue des vieillards, Boulogne s./mer oder
bei Dr. Batru^ 9 rue du Commerce, Genf.
— üeber feistife Arkdt. Die Nothwendigkeit sich über die geistige Befähigung
gewisser Menschen zu orientiren um, wenn auch nur annähernd, ein Maass ihrer Leistungs¬
fähigkeit zu bekommen, hat seit längerer Zeit dazu geführt, dass besonders im staatlichen
Betriebe Einrichtungen getroffen wurden, welche den Zweck haben sollen, über die
geistige Beschaffenheit deijenigen Individuen Aufschluss zu geben, welchen nach irgend
einer Richtung eine Berechtigung zugestanden oder eine Verpflichtung auferlegt wird.
Diese Examina, die uns allerdings bis zu einem gewissen Grade über die Ausdehnung
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der Kenntnisse des Candidaten^ zu urtheilen gestatten, sind aber so zu sagen wertbJos,
sobald es sich darum bandelt zu bestimmen, was mit diesem Erlernten der Betreffende
anzufangen im Stande ist, oder mit anderen Worten nach den Kenntnissen eines Menschen
lässt sich der Grad seines Könnens nicht bestimmen. Die practische Wichtigkeit einer,
wenn auch nur annähernd quantitativen Schätzung dieser letztem Eigenschaft verleiht
jedem in dieser Richtung angestellten Versuche ein ganz besonderes Interesse. Es hat
nun in letzter Zeit Prof. E, Kräpelin in Heidelberg den Versuch gemacht, einige der
Factoren aufzudecken, welche die Leistungsfähigkeit zu beeinflussen im Stande sind, und
die Arbeitskraft des einzelnen Individuums zu bestimmen. Als Maass derselben betrachtet
er die Menge von kleinen, gleichartigen Einzelaufgaben (Zählen von Buchstaben, Lesen,
Auswendiglernen von Zahlen oder Silbenreihen, Addiren einstelliger Zahlen, u. s. w.),
welche in einer bestimmten Zeit vom untersuchten Individuum gelöst wird.
Nimmt man nun eine Reihe von Versuchsindividuen aus den gleichen socialen Ver¬
hältnissen, von annähernd gleichem Bildungsgrade, und prüft man dieselben in der an¬
gegebenen Weise, so fallt zunächst als erstes Resultat der Untersuchung die ver¬
schiedene Geschwindigkeit auf, mit der verschiedene Leute arbeiten. Während
einer bestimmten Zeit kommt es vor, dass der Eine zwei und ein halb Mal so viel
leistet als der Andere. Diese Arbeitsgeschwindigkeit wird aber sehr bald durch einen
zweiten Factor, die Uebung, beeinflusst. Von Versuch zu Versuch sieht man z. B.
beim Addiren längerer Zahlenreihen die Schnelligkeit des Arbeitens zunehmen, und zwar
so, dass der ursprünglich Langsame durch häufige Wiederholung der Arbeit allmählich
den zunächst schneller Rechnenden einholen und überflügeln kann. Damit ist gleichzeitig
gesagt, dass die Uebungsfahigkeit individuell verschieden ist, so dass bei gewissen In¬
dividuen günstige angeborene Eigenschaften durch geringe Uebungsfahigkeit sich nicht
voll entwickeln können. Diese Uebungsfahigkeit hat aber auch ihre Grenzen und es
kommt ein Moment, wo eine Steigerung der Arbeitsgeschwindigkeit durch die Uebung
nicht mehr erzielt werden kann. Die einmal erworbene Uebung bleibt bekanntlich nicht
durch das ganze Leben hindurch bestehen, sondern verschwindet allmählich wieder. Die
fortschreitende Steigerung der Arbeitsfähigkeit durch die Uebung findet in der Ermü¬
dung ein mächtiges Hindemiss. Die Ermüdung bedingt überall eine Abnahme der
Arbeitsleistung, wenn auch diese Abnahme durch die wachsende Uebung zunächst aus¬
geglichen werden kann. Gewinnt aber die Ermüdung die Oberhand, so sinkt die Leistungs¬
fähigkeit rasch und unaufhaltsam. Die Ermüdbarkeit ist für jedes einzelne Individuum
verschieden; sie lässt sich zwar innerhalb gewisser Grenzen beeinflussen; kn Grossen und
Ganzen aber bildet sie den massgebenden Factor für die Leistungsfähigkeit des betreffenden
Individuums. Je grösser die Ermüdbarkeit, desto kürzer die Zeit, innerhalb deren die
Arbeitsleistung auf ihrer Höhe bleibt, und desto entschiedener das Sinken derselben.
Ferner kommt noch die A b 1 e n k b a r k e i t, d. h. die Abhängigkeit der Arbeitsge¬
schwindigkeit von äusseren und inneren störenden Einflüssen, bei der Bestimmung der
Leistungsfähigkeit eines Menschen in Betracht.
Nicht gleichbedeutend mit der Menge der Leistungen ist der qualitative
Werth derselben. Jedoch ist die Leistungsfähigkeit eines Menschen in hohem Grade
von der Qualität seiner Arbeit abhängig; eine hervorragende quantitative Leistung ist
bei einer geringen Qualität derselben gänzlich nutzlos. In welcher Weise aber die
Qualität der Leistung von verschiedenen Factoren beeinflusst werden kann, haben um¬
fangreiche Untersuchungen von Burgerstein an Schulkindern dargethan. Ganz besonders
spielt da die Ermüdbarkeit eine Rolle. Ihr Einfluss macht sich viel früher geltend als
bei der Quantität der Leistung. Von Anfang des Versuchs an findet Burgerstein^ dass
die Zahl der begangenen Fehler und der angebrachten Verbesserungen stetig zunimmt,
während die Schnelligkeit, mit welcher gearbeitet wird, noch lange nicht im Sinken be¬
griffen ist. Die Menge der geleisteten Arbeit weist also eine Steigerung, der Werth der-
9^1 ben dagegen eine unaufhaltsame Verschlechterung auf. Der Einfluss der Uebung ver-
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liert sich erst nach Wochen oder Monaten, während die Ermüdung sehr rasch yer-
schwindet, so dass, wenn einmal die Grenze der Uebungsfahigkeit erreicht worden ist,
der Einflnss von kürzeren oder längeren Erholungspausen auf die Ermüdung leicht zu
bestimmen ist. Bei Erwachsenen genügen z. B. Pansen von 10 Minuten zwischen halb¬
stündigen Arbeitszeiten höchstens ein- oder zweimal, um eine vollständige Erholung zu
erzielen; setzt man den Versuch noch weiter fort, so vermag die kurze Pause die Eiv
müdungsWirkung nicht mehr auszugleichen, und die Leistungsfähigkeit sinkt endgültig
herab. Bei Kindern tritt der Einfluss der Ermüdung noch früher auf, so dass, wenn
keine anderen Factoren dabei mitwirken würden, unsere Schulkinder sich von der ersten
Unterrichtsstunde an dauernd in einer Ermüdungsnarcose befinden würden, welche sie
unfähig machen würde, die natürlichen Kräfte zur Erfassung des Unterrichtsstoffes aus¬
zunutzen.
Das beste Sicherheitsventil gegen die Ueberarbeitung der Schuljugend ist die Un¬
aufmerksamkeit. Ihr hat man es eigentlich zu verdanken, dass thatsäohlich verhältniss-
mässig Wenige durch die Ueberbürdung in der Schule geistig sdiwer geschädigt werden.
Langweilige Lehrer sind bei der heutigen Ausdehnung des Schulunterrichtes sozusagen
eine Nothwendigkeit; denn sie befördern geradezu die Beaction bei den ermüdeten
Kindern. Als Gegenmittel gegen die geistige Ermüdung ist die körperliche Anstrengung
vorgeschlagen worden. Man hat sich bemüht, den Schulunterricht so zu organisiren, dass
zwischen den geistig anstrengenden Lehrstunden, die Turn-, Sing- und Zeichenstunden
hineingeschoben werden, um dem ermüdeten Gehirn Zeit zu seiner Erholung zu geben.
Falsch ist es aber, körperliche Anstrengung als zweckmässige Vorbereitung für geistige
Arbeit hinzustellen. Nach den Versuchen von Kräpelin hat sich herausgestellt, dass
ein einfacher ein- bis zweistündiger Spaziergang beim Erwachsenen die geistige Leistungs¬
fähigkeit mindestens in demselben Maasse herabsetzt, wie etwa einstündiges Addiren. Das
wichtigste Mittel zur Beseitigung aller Ermüdungssymptome ist der Schlaf. Die wohl-
thuende Wirkung des Schlafes hängt aber ganz ^sonders von der Tiefe desselben ab.
Je tiefer der Schlaf, desto vollständiger wird die Erholung sein. Bei langsamem Ein¬
schlafen und oberflächlichem Schlaf bleibt die Erholung aus. Ausser dem Schlaf bedürfen
wir zur Erhaltung unserer Arbeitskraft noch der Nahrungsaufnahme. Während der Ver¬
dauung, namentlich nach kräftigen Mahlzeiten, wird die geistige Leistungsfähigkeit ent¬
schieden herabgesetzt. Späterhin bessert sie sich aber allmählich, und nimmt zugleich
die Ermüdbarkeit ab. Mit oder nächst den Morgenstunden ist die Zeit 3—4 Stunden
nach der Hauptmahlzeit diejenige, welche für die geistige Arbeit die günstigsten Ver¬
hältnisse darbietet.
— Cholera* Nach offlciellen Berichten ist die Cholera, in Galizien in den Bezirken
Borszczow und Husiatyn aufgetreten. Ebenfalls ist die schon seit einigen Wochen in
Lissabon herrschende Cbolerine als Cholera erkannt worden.
— Ueber den Werth der Pastenr^sehea SehalilBpfiiaifea gibt ein Bericht von Prof.
Butyra in Budapest über die Epizootien in Ungarn während des Jahres 1892 werthvolle
Aufschlüsse. Während dieser Periode wurden in Ungarn 3838 Pferde, 54,633 Binder
und Kühe, 263,310 Schafe und 462,310 Schweine vaccinirt. ln den Gegenden, in
welchen geimpft wurde, rechnete man durchschnittlich eine jährliche Mortalität von 5
bis 6®/o für die Pferde und Binder, von 10—12 ^ Schafe und von 25®/o für
die Schweine. Im Jahr 1892 sank die Mortalität auf 0,12^0 für die Pferde, 0,21%
für die Binder, 0,61% für die Schafe und 0,45% für die Schweine.
Nach den statistischen Erhebungen von Chamberland sind seit dem berühmten Ver¬
such von Fouilly-le-Fori (1881) 1,788,677 Schafe und 200,962 Binder vaccinirt und
beobachtet worden. Eine ungefähr gleich grosse Zahl wurde geimpft aber nicht weiter
beobachtet. Während dieser 12 Jahre betrug die Mortalität für die Schafe 0,94%, für
die Binder 0,34—1)3%, während vor dieser Periode die Mortalität unter den ^hafen
bis zu 10% und unter den Rindern bis zu 5% stieg* Den Werth der dadurch ge-
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358
rotteten Thiere schätzt Chamberland auf 5 Millionen Franken für die Schafe und 2 Mil¬
lionen für die Rinder. (M5d. mod. Nr. 32 und 34.)
— Waher stuiBt die SypUils? Bims (Bonn) hat nachgewiesen (Dtsch. Med.
Wochenschr. 1893, 44), dass die Syphilis bei den alten Oalturrölkern gänzlich unbekannt
war. Erst nach der Entdeckung Amerikas ist diese Krankheit, wie mit einem Schlage,
in Mittel-Europa au^etreten und hat bei der Sittenlosigkeit damaliger Zeit rasche Ver¬
breitung gefunden. Ihren Ursprung hatte sie in Hayti; von dort ?mrde sie durch die
Leute des Columbus nach Barcelona gebracht (1493). Als 1495 der König Karl YlII.
von Frankreich nach Italien zog, um den König von Sicilien zu bekriegen und Ton
Neapel Besitz nahm, da wurden von Spanien aus Hülfstruppen gegen ihn entsandt. Das
Kriegsglück beider Heerlager war wechselnd, aber das machte keinen Unterschied fttr
den weiblichen Theil der Bevölkerung, welcher nach damaligem Kriegsgebranch stets die
Beute des Siegers war. Dieser Umstand erklärt es, warum mit einem Male die Seuche
in und um Neapel bei beiden Heeren und bei der Bevölkerung auftrat, von den Franzosen
Mal de Naples, von den Italienern Mal francese genannt, welch* letztere Be¬
zeichnung ‘ als „Franzosenkrankheit" in Mitteleuropa gang und gäbe wurde. — Hayti,
die Ursprungsstatte der Syphilis, hat auch das erste Heilmittel dagegen geliefert, das von
den dortigen Eingebornen schon lange vor der Entdeckung Amerika’s dagegen gebrauchte
Guajakholz.
— AaUpyria ab LoeahMistheUena empfiehlt Neumann bei schmerzhaften Affec-
tionen des Kehlkopfs und des Rachens. Die von SairU-HUaire entdeckte anästhesirende
Wirkung des Antipyrios auf die Schleimhäute soll gegenüber dem Cocain den Vorzug
haben, dass sie länger anhält und für die Fälle, in welchen eine wiederholte Application
nothwendig ist, keine Gefahr von Intoxication mit sich trägt. Das Mittel wird entweder
in Form einer 30 bis öO^oigen Lösung eingepinselt, oder mit Amylum in derselben Con-
centration zu Pulver verrieben eingeblasen. Die Application verursacht ein momentanes
Brennen, welchem nach etwa Stunde Anästhesie folgt. Wenn auch diese Anästhesie
nicht so ausgiebig ist wie die Cocainanästhesie, so ist sie in den meisten Fällen voll¬
ständig genügend und hat den grossen Vortheil mehrere Stunden anzuhalten. Besonders
günstige Resultate soll diese Medication bei der palliativen Behandlung der schmerzhaften
Kehlkopftuberculose geben. Mit täglich zwei bis dreimal wiederholten Einblasungen ge¬
lingt es die Schmerzen derart herabznsetzen, dass die Patienten wieder ohne Beschwerden
schlucken können. Das Antipyrin hat auf die Geschwüre keine nachtheilige Wirkung;
man soll im Gegentheil in gewissen Fällen nach Antipyrinbehandlung eine Besserung des
objectiven Befundes beobachtet haben. (Ungar. Arch. f. Medic. Bd. H. 8. 81.)
— Carmria kel Tetaale. Das wirksame Princip des Curare wurde zuerst von
Böhm isolirt, in einer Weise, die uns die beste Garantie gibt, dass wir nun endlich im
Besitz einer Reinsubstanz uns befinden. Von seinem Schüler Tillie wurde das Präparat
eingehend pharmakologisch untersucht, und die kleinste Dosis, welche bei subcutaner An¬
wendung beim Frosch vollständige Lähmung aller willkürlichen Bewegungen bedingt, von
ihm auf 0,00000028 gr festgesetzt (Normaldosis). Es gelang ihm ferner, durch vorsich¬
tige Application kleiner Dosen ein Kaninchen mehrere Stunden lang im Zustande voll¬
kommener Lähmung zu erhalten, ohne künstliche Athmung anwenden za müssen. Den
ersten Versuch am Menschen mit jßöi^m'schem Curarin machte jP. A, Hoffmann bei einem
kräftigen 20jährigen Manne mit ziemlich schwerem typischem Tetanus. Durch eine In-
jection von 1 mgr blieben zwar die Anfalle unverändert. Puls und Respiration dagegen
nahmen an Frequenz ab; 3 mgr bewirkten einen entschiedenen Nachlass der Krämpfe
und subjective Beruhigung. Bei Injection von 12 mgr schliesslich traten eigenthümliche
Zuckungen dos Unterkiefers, Speichelfluss, Andeutungen von Singnltus und aussetzende
Respiration auf. Der Patient erholte sich von seinem Tetanus. — Weitere Versuche
mit Curarin stellte nun Hocke auf der J*ftrs^n^’schen Klinik in Strassbnrg an einem
Falle von Tetanie auf. Die von ihm verwendeten Dosen waren wesentlich kleiner als
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359
in oben erwähnten Falle von Hoffmann (0,3—0,7 mgr). Trotzdem konnte er nach In-
jection von Cnrarin eine entfiohiedene Abkürzung der Dauer der Anfälle beobachten, ver¬
bunden mit Besserung des Allgemeinbefindens, ohne dass an irgend einem Punkte des
willkürlichen Bewegnngsapparates Lähmungserscheinungen bestanden hätten. Die Wirkung
zeigte sich nach 10 bis 20 Minuten, schien aber nicht lange anzuhalten; ebenfalls batte
Hocke den Eindruck, dass eine rasche Gewöhnnng an das Mittel stattfand. Trotzdem
lassen uns diese vereinzelten Beobachtungen hoffen, dass, wenn wir in der Manipulation
des Mittels mehr Sicherheit erlangt, wir im Curarin ein werthvolles Unterstützungsmittel
bei der Behandlung der verschiedenen mit Oonvulsionen einhergehenden Affectionen haben
werden. (Neurolog. Centralbl. Nr. 8.)
— Die seit ältester Zeit beobachtete günstige Wlrknff der Gewine uf die
Verdanniff hatte man als Folge einer durch den localen Reiz vermehrten motorischen
und secretorischen Thätigkeit des Magens aufgefasst, ohne dass bisher eine unwiderlegbare
Bestätigung dieser Annahme durch das Experiment geliefert worden wäre, ln einer
Versuchsreihe über den Einfluss pharmacologischer Agentien auf die Pancreassecretion
machte Goiilieb die sehr interessante Beobachtung, dass der auf die Magenschleimhaut
wirkende locale Reiz der scharfen Stoffe im Stande sei, auf reflectorischem Wege die
Pancreassecretion in hohem Qrade anzuregen. Die Einführung einer Canüle im Ductus
pancreaticus ist ein Eingriff, der vom Kaninchen sehr gut vertragen wird ohne Beein¬
trächtigung der Secretionsfähigkeit der Drüse. Man kann dann stundenlang die constante
und regelmässige Secretion des Pancreassaftes beobachten. Injicirt man geringe Mengen
von Senfpulver oder Pfefferextract in den Magen, so sieht man nach wenigen Minuten die
Secretion des Pancreassaftes um das drei- bis vierfache zunehmen. Die secemirte Flüssig¬
keit ist allerdings etwas wasserreicher als normales Pancreassecret, sie besitzt aber die¬
selben verdauenden Eigenschaften. Kohlensäure Alcalien und verdünnte Säuren wirken
ebenso secretionsbefordemd als Senf oder Pfeffer.
(Yerh. d. naturhist.-med. Vereins zu Heidelberg, Bd. V, Heft 2.)
— Einen imprOTlsirtei AspIrmUeiSiHipurM beschreibt Fouremr in den Archives
de m6decine militaire Nr. 5. Er nimmt eine gewöhnliche Flasche von etwa 1 Liter
Inhalt, welche mit einem mit einer kurzen Glasröhre versehenen durchbohrten Kork¬
zapfen verschlossen wird. An der Glasröhre wird ein Cautschukschlauch angesetzt, wel¬
cher eine Hohlnadel am anderen Ende trägt. Man giesst etwa 40 gr Aether in die
Flasche, verkorkt dieselbe sorgfältig und taucht sie in warmes Wasser. Die Aether-
dämpfe reissen die im Gefässe sich befindende Luft mit, so dass wenn die ganze Aether-
menge verdampft ist, die Luft beinahe vollständig vertrieben ist. Die Hohlnadel wird
nun in die Pleura eingestoeben und die Flasche aus dem warmen Wasser herausgenommen.
Durch die Abkühlung und die Condensation der Aetherdämpfe bildet sich in der Flasche
ein Inftverdünnter Raum, welcher beinahe 1 Liter Flüssigkeit zu aspiriren im Stande ist.
Dieser Apparat, der eine Aspirationsspritze vollkommen ersetzt, hat den grossen Vortheil
der möglichsten Einfachheit und Sicherheit, während die Spritzen nur zu oft den Dienst
versagen, wenn man sie braucht.
— Das
Oaleia CO |
NHg
NH. C.H4. O. CsHs
ist ein mit dem Phenacetin verwandtes
aromatisches Hamstoffderivat, welches, wie das Saccharin intensiv süss schmeckt und in
dieser Eigenschaft den Zucker um 200—250 Mal übertrifft. Während aber der Saccha¬
ringeschmack nicht rein süss ist und bei längerem Gebrauch empfindlichen Individuen ge¬
radezu widerwärtig wird, schmeckt das Dulcin rein süss. Es stellt ein weisses, krystalli-
nisches Pulver dar, löslich in 800 Theilen kalten, 50 Theilen kochenden Wassers und
25 Theilen concentrirten Alkohols. Bei längerem Kochen mit Wasser geht es eine Zer¬
setzung ein und verliert den süssen Geschmack. Thierversnehe haben ergeben, dass in
kleinen Dosen das Dulcin lange Zeit dargereicht werden kann ohne Erscheinungen zu
machen. In grösseren Dosen, grammweise gegeben, verursacht es beim Hunde nach
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längerer Darreichung Icterus und schwere Verdauungsstörungen. Kaninchen er¥rie8en
sich als auffallend widerstandsffihig und konnten mit Dulcin nicht vergiftet werden,
während bei Katzen das Dulcin neben Uebelkeit und Erbrechen, deutliche Lähmung^-
erscheinungen, unsicheren, schwankenden Gang, Apathie, Narcose hervorrief. Solche
Erscheinungen wurden nur beobachtet bei Dosen von 1,0—2,0; kleine Dosen von 0,3 gr
konnten längere Zeit ohne Schaden gereicht werden.
Nach den bis jetzt vorliegenden Beobachtungen an Menschen (Ewalde Hager, Paschkis,
Wengköffer) scheint Dulcin in mässigen Dosen (0,5 gr) längere Zeit genommen (6 Monate)
unschädlich zu sein. (Kobert. Centralbl. f. innere Med. Nr. 16.)
— Die Verwendung der Carbelsiere in selbstmörderischer Absicht scheint nach
einem Bericht des Local Government Board in England grosse Verbreitung gefunden zu
haben. So betrug 18S7 die Zahl der Carboisäuretodesfälle 52, wovon blos 27 accidentelle.
1888 stieg diese Zahl auf 92, der Zuwachs fast lediglich von Selbstmorden herröhrend,
und 1891 erreichte sie 375. ln Anbetracht dieser Resultate muss man sich fragen, ob
es nicht angezeigt wäre, den quasi freien Verkauf der Carbolsäure einzuschränken und
denselben den gleichen Bestimmungen wie den Verkauf der übrigen Gifte zu unter¬
werfen. (Lancet, 27. Januar 1894.)
— Zur bealea Behaadlaaif der AnglBa diphtherliiea« Nachdem der Rachen von
den anhaftenden diphtheritischen Membranen befreit worden ist, werden die kranken
Stellen alle 3—4 Stunden mit einer der folgenden Lösungen betupft:
1) Rp. Camphor. 20,0, Ol. ricin. 15,0, Spirit, vini rectif. 10,0, Acid. carbol.
cristall. 5,0, Acid. tartar. 1,0 M. D. S. (Gaucher.) 2) Rp. Acid. carbol. cristall. 5,0,
Camphor. 20,0, Spirit, vini rectific. 10,0, Glycerini 25,0 M. D. S. {HuiineL) 3) Rp.
Creosot. pur. 1,0, Spirit, vini rectific. 10,0, Glycerini 20,0 M. D. S. (Sevestre et
Legroux,) 4) Rp. Acid. salicylic. 4,0, Spirit, vin. dilut., Aq. destill., Glycerini aä 40,0
M. D. S. (Huchard.) 5) Rp. Acid. salicylic. 0,5—1,0, Spirit, vini q. s. ad solut.,
Glycerini 40,0, Infus, folior. Eucalypti 60,0 M. D. S. (J, Simon,) *
ln Deutschland wird anstatt Carbolsäure oder Salicylsäure vielfach Sublimat 0,5
bis ],0^/oo oder Chromsäure 5->8^/o angewendet. ln letzter Zeit ist von Ijevy und
Knopf (Strassburger Kinderklinik) das Papayotin wiederum empfohlen worden.
1) Rp. Papayotin. 10,0, Acid. carbol. crist. 5,0, Aq. dest. 100,0 M. D. S. 2) Rp.
Papayotin. 1,0, Aq. destill. 20,0, Acid. hydrochlor. q. s. ad react. acid. M. D. S.
Die Pinselungen mit Papayotin müssen öfters wiederholt werden: alle 15 Minuten
während der 3—4 ersten Stunden, dann zweistündlich. (Presse medic. 31. 111.)
Krgimtng : Im Referat über den Jahresbericht der chirurg. Abtheilung des Basler-
Spitals (pag. 318 der letzten Nummer) sollten die Worte „unter gewissen Umständen"
(Zeile 3 von unten) gesperrt sein. Diese Umstände bestunden im betr. Falle (wie im
Referate zu wenig deutlich hervorgehoben ist) in einer vor der Operation stattgebabten
Infection. — Ob die bei der Obduction constatirte Jauchung in der Fossa iliaca als Folge
eines Recidivs einer früher bestandenen Perityphlitis aufzufassen war oder aber als Re¬
sultat — von Alcoholinjectionen, die sich Patient zuvor von einem Ungenannten in die
Bruchgeschwulst hatte machen lassen, blieb unklar.
Briefkasten«
Dr. Wülg, Columbus, Neb. U. S. A.: Prosit, alter Preuad! Alles nach Wunsch besorgt. Das
Aerztealbum dankt bestens für überschickte Photographie.
An die Besucher der Versammlung des Centralvereins in Zürich: Collega
Gross von Neaenstadt gedenkt auch dieses Jahr wieder eine photographische Aufnahme der versammelten
Collegen zu machen und zwar Je nach Umstlnden beim Frühschoppen In der blauen Fahne oder aber ha
Garten des Hbtel Baur.
Schweighauserische Bucbdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlnng in Basel.
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Beilage zum Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte 18d4 Nr. 11 vom 1. Juni.
lieber die Wirkung des Ferratin
bei der Behandlung der Blutarmuth.')
Von
Dr. A. Jaquet und A. Kündig,
Assistenzärzten der medicinischen Klinik zu Basel.
Schmiedeberg ist es gelungen, eine eigenartige organische Eisenverbindung aus
der Schweineleber zu isoliren, die er als die natürliche Form ansieht, in welcher das
Eisen mit der Nahrung angenommen wird. Er fasst diese in der Leber abgelagerte
Verbindung als directe Vorstufe zur Blutbildung auf, also als Reserrestoff für den
Oi^^anismus. ^
Das von Schmiedeberg dargestellte Präparat enthielt circa 7 *’/o Eisen und wurde
Ferratin genannt. Da dasselbe alle Eigenschaften der resorbirbaren Eisenalbumine
der Nahrung besitzt, so dürfen wir es selbst als Nahrungsmittel im eigentlichen Sinne
des Wortes bezeichnen, da es nur mit Hülfe dieses Mittels möglich ist, dem Orga¬
nismus in methodischer Weise diejenige Menge des natürlichen Eisens zuzuführen,
dessen er bedarf, um bei Emährungs- und Wachstbumsstorungen die erwünschte
Qualität der Nahrungsstoffe zu erhalten.
Es YTÜrde jedoch aus leicht ersichtlichen practischen Gründen kaum möglich
gewesen sein, das aus thierischen Organen gewonnene Ferratin anzuwenden. Nun
ist es aber Schmiedeherg durch mehijährige Versuche geglückt, künstlich die gleiche
Substanz darznstellen. Auch diese synthetische Verbindung konnte immer von gleich-
mässiger Beschaffenheit erhalten werden, so dass es sich um ein chemisches Indivi¬
duum handeln muss, da das durch verschiedene Methoden gewonnene Präparat sich in
seinem Verhalten gegen Reagentien als identisch mit dem natürlichen erwies.
Die Resorbirbarkeit des Ferratin vom Darme aus wurde ebenfalls durch
Thierversnche dargethan und dabei gezeigt, dass das Präparat absolut schadlos auch
‘) Vortrag, gehalten in der medic. Gesellschaft zn Basel.
*) Archiv fhr exper. Pathol. n. Pharm. Bd. XXXIIl. S. 101.
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längere Zeit hindurch von der Schleimhaut ertragen wird und nicht, wie andere
Eisenverbindungen, in grösseren Dosen beigebracht, ätzend wirkt.
Die Firma C. F. Boehringer & Söhne in Waldhof bei Mannheim hat
die Aufgabe übernommen, das Ferratin im Grossen fabrikmässig darzustellen und
brachte nun letztes Jahr ein Präparat in den Handel, welches in chemischer Hinsicht
mit dem ursprünglichen Sc}imiedeberg'B(Aim übereinstimmt.
Letztes Jahr hatte der eine von uns Gelegenheit, Ihnen über „die neuesten
Forschungen auf dem Gebiete der Eisenpharmacologie“ Mittheilungen zu machen; er
hat auch damals ein von Marfm i dargestelltes, dem Ferratin sehr ähnliches Präparat
speciell berücksichtigt, so dass wir nicht mehr ausführlich darüber zu berichten brau¬
chen. Es soll vielmehr jetzt unsere Aufgabe sein, die Resultate der damals in Aus¬
sicht gestellten Versuche mitzutheilen.
Das zu unsem ausgedehnten Untersuchungen nöthige grosse Quantum Ferratin
wurde uns bereitwilligst von der Firma C. F. Boehringer & Söhne zur Verfügung gestellt.
Das fabrikmässig dargestellte Mittel kommt in zweierlei Form in den Handel:
1. als freies, in Wasser unlösliches Ferratin; 2. als Natrium Verbindung, die sich im
Wasser leicht löst, also auch mit den flüssigen Nahrungsstoffen, wie Milch, gegeben
werden kann.
Wenn auch die Resorbirbarkeit des ursprünglichen Präparates festgestellt war,
so war es doch geboten, das fabrikmässig dargestellte Ferratin in dieser Hinsicht
zu prüfen.
Zu diesem Zwecke stellten wir zunächst einen Versuch am Hunde an.
Ein kleiner Hund v. 6,850 g bekommt vom 24.—30. Juni täglich 1 L Milch;
während dieser Zeit wird er 2 Mal mit Earlsbadersalz abgeführt.
Hammenge vom 30. VI Abends 6 Uhr — 1. VH Abends 6 Uhr 420 cm®
= 0,0012 g Fe.
Haramenge vom 1. VH Abends 6 Uhr — 2. VH Abends 6 Uhr 740 cm®
== 0,001 g Fe.
Am 3. und 4. VH erhält das Thier im Ganzen 3 g Ferratin in 3 Dosen ver¬
theilt mit 270 cm® Milch. Ein kleiner Theil wird erbrochen, das Erbrochene aber
sorgfältig gesammelt, abgespült und analysirt.
Am 5. VII wird das Thier verblutet, durch die Vena jugularis mit Kochsalz¬
lösung durchspült, Magen und Darm sorgfältig abpräparirt, Inhalt abgespült und ge¬
trennt, sowie die Leber und der während der Periode vom 3.—5. VH entleerte Koth
getrennt analysirt.
Eisengehalt des absorbirten Ferratin = 5,93 ®/o = 0,166 Fe.
Davon ist abzuziehen Eisengehalt des Erbrochenen = 0,012 Fe.
Also wurden absorbirt 0,154 Fe.
Eisengehalt des vom 3.—5. VH entleerten Kothes = 0,092 Fe.
Eisengehalt des Darminhalts = 0,002 Fe.
Eisengehalt der Leber = 0,049 Fe.
Eisengehalt des Magens und Darmes = 0,009 Fe.
Zieht man von der dargereichten Eisenmenge die im Kothe, sowie im Magen-
und Darminhalt enthaltene Eisenmenge ab, so findet man, dass 38,7 ®/o der gesammten
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3
Menge ver sch wunden, also resorbirt worden sind und sieb zum grossen Thcil in der
Leber wiederfinden.
Ein weiterer Beweis der Eisenresorption ist der Eisengehalt des während der
Periode vom 3,—5. VH gelassenen Harns: 140 cm* mit 0,004 Fe.
Auf Grund dieses Yersuches hielten wir uns für berechtigt, auch Beobachtungen
an Kranken der medicinischen Abtheilung zu Basel anzustellen.
Zur objectiven Beurtheilung der Wirkung eines Präparates hat man bis jetzt
immer hauptsächlich die Blutbeschaffenheit im Auge gehabt. Sie eignet sich auch
viel besser zur objectiven Feststellung einer Wirkung, welche noch von zahlreichen
andern Factoren abhängen kann, als die subjectiven Empfindungen des Patienten, wie
Besserung des Allgemeinbefindens, Zunahme des Appetits und Verschwinden der ge¬
wöhnlichen Symptome der Anasmie.
Die Blutuntersuchungen an Kranken und an Reconvalescenten wurden, wenn immer
möglich, alle 8 Tage gemacht, so dass wir auf diese Weise durch eine Reihe von Resultaten
bei einer und derselben Person deutlich die Wirkung des Ferratin vor Augen hatten.
Die Methode der Untersuchungen war kurz folgende:
Zur Blutkörperchenzäblung bedienten wir uns der Zeiss-Thmm'wih&a Zähl¬
kammer, und zwar wurde das Blut in einer Verdünnung von 1 : 200 mit dem von
Miescher verbesserten Mölangeur entnommen,‘) 5 Minuten lang gemischt und das Prä¬
parat nach dem Füllen der Kammer zunächst mit schwacher Vergrössemng auf eine
gleichmässige Vertheilung der einzelnen Zellen untersucht. Erst wenn ein Präparat
mit guter und überall gleich dichter Besäung mit Körperchen erzielt war, wurde
mit der Zählung begonnen, und zwar brachten wir immer die Zeilenzahl von 200 Fel¬
dern zur Berechnung. Oft wurde auch durch zweite Füllung der Kammer das erst-
gewonnene Resultat controllirt.
Wie aus der Arbeit von Miesclier hervoi^ht, wird durch die Verbesserung des
Apparates der wahrscheinliche Fehler von 1,66 7o auf 0,697» herabgesetzt.
Die Hsemoglobinbestimmung wurde mit dem ebenfalls von Miescher wesent¬
lich verbesserten Apparat von Fidschi ausgeführt.*) Die Genauigkeit der Resultate,
welche mit demselben erzielt werden, ist eine ungleich grössere, als nach dem Ver¬
fahren von Gowers. Vor Allem ermöglicht der FleischVeche Hsemoglobinimeter für
eine Blutnuschung Ablesungen in unbeschränkter Zahl, abgesehen davon, dass auch
die einzelne Bestimmung schärfer gemacht werden kann.
Die von Miescher angegebenen Verbesserungen beruhen im Wesentlichen darauf,
dass nicht mehr eine bestimmte Menge, sondern eine gegebene Goncentration des
Blutes in Betracht kommt.
Die Methode der Abmessung des Blutes mit Hülfe der Fleischrechen Röhrchen
führt zahlreiche Fehler mit sich. Es ist kaum möglich, eine solche Capillare absolut
genau zu calibriren, und die Auflösung des darin enthaltenen Blutes erfolgt nur
schwierig und oft unvollständig. Aus diesem Grund hat Miescher vorgezogen, die
Blutmischung in einer extra zu diesem Zweck construirten Mischpipette vorzunehmen,
damit bei jeder Bestimmung eine gegebene Blutmenge auf dne bestimmte Verdünnung
Corr.-Blatt für Schweizer-Aerzte, 1893, S. 830.
*) Ibid. S. 814.
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4
gebracht werde. Zur Verdünnung und zur be8*8em Lösung der Körperchen verwendet
man Normal-Sodalösung.
Diese HsBrnoglobinlösung, deren Concentration genau bekannt ist, wird in eine
der i^TmcÄZ’schen ähnliche Kammer gebracht.
Diese Kammer unterscheidet sich von der ursprünglichen dadurch, dass die
beiden Hälften bedeutend schmäler sind und also eine kleinere Flüssigkeitsmenge zu
deren Füllung nothwendig ist. Ferner ist die Scheidewand, welche die beiden Kammer¬
hälften trennt, über das Niveau derselben etwas erhaben, sodass mit Sicherheit ein
Ueberfliessen von einer Zelle in die andere vermieden wird. Eine Glasplatte, welche
in ihrer Mitte zur Aufnahme der Scheidewand mit einer Rinne versehen ist, wird
nun über die Kammer geschoben, sodass man immer eine constante Höhe der Flüssig¬
keitssäule, .also der Hmmoglobinlösung, hat. Ein weiterer Vortheil dieses Deckels be¬
steht in der Wegschaflfung der lichtstörenden Reflexe, welche bei selbst niedrigen
Menisken immer Vorkommen. lieber den Deckel kommt endlich ein mit einem 3 mm
breiten Spalt versehenes Diaphragma, damit der dem Auge zugängliche Abschnitt des
Qlaskeils eine möglichst gleichmässige Nuance darbietet.
Der Glaskeil selbst wurde mit Hülfe einer Serie von Lösungen, deren Hsemoglobin-
gehalt am Ifö/wer’schen Spectro-Photometer auf das genaueste ermittelt wurde, calibrirt,
sodass wir im Stande sind, die abgelesenen Werthe genau auf die absolute Hsemo-
globinzahl zurückzuführen. — lieber die näheren Einzelheiten im Bau und in der
Manipulation des FleischVsehen Apparates soll anderswo berichtet werden.
Ein weiterer Vortheil unserer Methode der Haemoglobüibestimmung beruht darauf,
dass man mit Hülfe zweier Kammern von verschiedener Höhe an verschiedenen Stellen
des Glaskeils Ablesungen machen kann, sodass sich beide Bestimmungen gegenseitig
controlliren.
Die mit dieser Methode erhaltenen Resultate geben eine Genauigkeit von l,77o
der FleischVschen Scala für die einzelne Ablesung. Da wir jedoch zu einer Be¬
stimmung immer das Mittel aus zehn Ablesungen nahmen, so muss der wahrscheinliche
Fehler ein noch geringerer sein. Da die von uns geübte Methode der Hfismoglobin-
bestimmung klinisch noch nicht gebräuchlich ist und eine blosse Wiedergabe der ab¬
soluten Heemoglobinwerthe die Vergleichbarkeit derselben mit den Resultaten anderer
Forscher erschweren könnte, so haben wir es für zweckmässig gehalten, die Resultate
der directen Ablesungen am Apparate ebenfalls mitzutheilen.
Die Resultate der Blutuntersuchungen während der Ferradnbehandlung sind in
den beiden Tabellen zusammengestellt.
Es umfasst die erste Tabelle diejenigen Fälle, welche im Spital selbst beobachtet
wurden, die zweite die ambulant behandelten Kranken.
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Tabelle I.
Zahl der
rothen
Blutkör¬
perchen
Hsemoglobin
Patient
(Datum)
a
'S? ?
2 la X
Eu
8«
ß*®
Dietsche, Caroline, 19 J.,
Fabrikarbeiterin.
Eintritt: 1. IX. 93
9. IX.
4,262,000
4,608,000
47,5
57,8
• 8,38
10,66
22. IX.
5,320,000
76,2
13,88
Schulz, Johanna, 28 J.,
Bnfifetdame
29. Vm. 93
9. IX.
21. IX.
4,876,000
4,476,000
4,820,000
63,6
70,9
77,3
11,66
12,74
14,18
Eckert, Hermine, 48 J.,
Hausfrau
25. IX. 93
3. X.
5. X.
3,128,000
3,466,000
20,2
25,1
4,52
5,24
6. X.
11. X.
24. X.
1. XI.
2,964,000
3,580,000
3,248,000
20,9
24,7
28,16
4,62
5,16
5,66
Wipfler, Franz, 46 J.,
Schreiner
30. X. 93
7. XI. i
8. XI.
1
3,172,000
4,276,000
48,7
55,3
8,70
10,20
Bnser, Emilie, 18 J.,
Magd
9. XI. 93
4,312,000
39,5
7,30
16. XI.
24. XI.
30. XI.
7. XII.
14. xn.
5,040,000
5,228,000
5,468,000
5,184,000
5,212,000
52,53
55,2
62,1
70,8
77,6
9,68
10,20
11,38
12,74
14,34
Leuenberger, Anna, 42
J. Magd
23. XI. 93
2. XU.
9. XII.
16. XU.
22. XII.
8. I. 94
2,740,000
2,954,000
3,544,000
3,876,000
4,156,000
4,956,000
38,5
37,1
42,94
42,3
52.9
68.9
7,14
6,96
7,70
7,50
9,74
12,46
Ordi-
nation
(Ferra-
tin)
täglich
Bemerküogen
3X1,0
2X1,0
3X1,0
3X1,0
Eingctreten als Bronchitis chron. foetida. Tnber-
cnlose? Ansemie: Kopfschmerzen, Müdigkeit. Ap¬
petit und Schlaf schient. Aussehen blass.
Keine Kopfschmerzen, Appetit gut. Pat. verrichtet
ohne Ermüdung Zimmerarbeiten. Schlaf besser.
Gutes Ailgemeinbefinden. Gewichtszunahme in 3
Wochen 4,9 kg.
Ansemie: Müdigkeit, Schwäche, Appetit schlecht,
Schmerzen in den Füssen und im Isacken.
Allgemeinbefinden besser, ebenso ^jjetit.
Ailg. Zustand und Appetit gut. Keine Müdigkeit
mehr.
Myoma Uteri mit abundanten Blutungen. Zu¬
stand sehr ansemisch, kachectisch. Appetit » 0,
sonst keine weitern Beschwerden.
Appetit besser. Pat. steht auf. Aussehen sehr blass.
Untersuchung in Chloroformnarcose. Erhebl. Blut¬
verlust.
Aufnahme auf die medicin. Abtheilung.
Blutungen dauern noch fort.
Status nicht wesentlich verändert.
2. XI. Supravaginale Amputation des Uterus.
Keine Gewichtszunahme. f.
Abundante Magenblutung 22. IX. 93.
Schwarze Stühle; grosse Schwäche, sehr blasses
Aussehen.
Allg. Befinden besser. Keine Ermüdung. Appetit gut.
Aussehen noch blass. Austritt. Gewichtszunahme
in 3 Wochen 4,7 kg.
3X1,0
Chlorose: Herzklopfen, grosse Müdigkeit, Schwin¬
del, Kopfweh, Engigkeit. Appetit nuttelmässig.
Grosse Blässe. Kein Yenensausen. Herzbefund
normal.
Wenig Kopfweh. Appetit gut. Aussehen viel besser.
Noch leichtes Kopfweh, sonst Wohlbefinden.
Allg. Befinden gut. Appetit gross.
Aussehen sehr gut. Blühende Gesichtsfarbe.
Gewichtszunahme in 3 Wochen = 3 kg.
3X0,5^‘
3X1,03
t»
ausges.
Ulcus ventriculi. Heem atemesis. Anee-
mie. Aussehen soll immer blass gewesen sein.
Mehrmals Bleichsucht. — Schwindel, Herzklopfen.
Sehr blasses Aussehen. Appetit gut.
Noch leicht Ermüdung beim Gehen.
Lippen etwas geröthet. Wenig Ermüdung.
Austritt. Pat. arbeitet noch nicht.
Aussehen gut. Kräftezustand erlaubt die Wieder¬
aufnahme der Arbeit.
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6
Zahl der
rothen
Blutkör¬
perchen
Hsemoglobin |
Ordi-
Patient
(Datum)
fi
•o S a
JBM Ü
sH
S OB
e-o
nation
(Ferra¬
tin)
täglich
Bav, Oscar, 41 J., Tag-
1
föhner
21. XI. 93
4,192,000
62,1
70,4
11,04
3X1,0
29. XI.
4,708,000
12,68
rt
8. XIL
5,232,000
77,2
14,12
n
Bnrri, Anna, 17 Jahre,
Fabrikarbeiterin
1. XII. 93
2,916,000
33,8
6,50
3X1,0
9. xn.
3,558,000
43,3
7^
16 . xn.
3,848,000
56,8
10,48
23. XU.
4,452,000
64,1
11,72
30. XII.
9
81,5
15,30
ausges.
6. I. 94
4,988,000
80,0
14,88
Schöttli, Uftrie, 19 J.,
Magd
26. XIL 93
5. L 94
3,462,000
33,2
6,38
3X1,0
12. I.
3,972,000
41,5
7,56
19. I.
4,480,000
58,1
10,70
rt
26. I.
29. L
5,220,000
66,0
12,04
n
Malakin
F. weiter
2. II.
5,332,000
70,3
12,68
ft
7. 11.
Suter, Bertha, 17 J.,
Tochter
5. L 94
2,712,000
18,7
4,26
3X1,0
14. I.
3,382,000
22,74
4,90
n
21. I.
3,804,000
35,33
6,72
n
27. I.
4,058,000
43,22
7,74
n
3. n.
4,528,000
44,8
7,78
n
10. n.
4,748,000
54,7
10,12
p
17. n.
5,160,000
58,25
10,74
24. n.
5,316,000
66,4
12,10
n
3. IIL
5,016,000
66,9
12,16
n
Jacot, Marie, 21 Jahre,
Magd
a I. 94
3,192,000
30,13
5,94
O
X
CO
15. I.
4,296,000
40,45
7,42
n
23. L
4,620,000
42,86
7,68
p
30. I.
4,682,000
46,0
8,00
n
Bemerkungen
Icterus und gastrische Beschwerden.
Ansmi e. Oft Kopfweh, Athemuoth. Hersklopfen,
Müdigkeit.
Aussäen sehr blass und ansmisch. Abmagerung,
^petit gut. Aussehen besser.
Wohlbefmden. Gewichtszunahme in 2 Wochen s
1,6 kg.
Ph thisis i n cipiens, Ansmie. Seit 2 Jahren
oft Kopfweh, Schwindel, Herzklopfen, Müdigkeit,
Appetitlosigkeit. Aussehen blass.
Appetit wesentlich besser, ebenso Allgemeinbefinden.
Schleimhäute und Wangen geröthet. Heisshunger.
Besserung des Allg. Befindens nimmt täglich zu.
2.1.94. Kolikarti^ Schmerzen, Diarrhoe, Ferratin
auBgesetzt. — 6. L Gutes Aussehen. WoMbefinden.
Gewichtszunahme in 3 Wochen b 3,6 kg.
Pericarditi-s et Endocarditis rheumat.
Ansemie. Tonsillarabscess. Müdigkeit, Mattigkeit,
Kopfweh, Herzklopfen. . Appetit mittelmässig.
Kräftesustand besser. Ebenso Aussehen. Appetit gut
Allg. Befinden gut Appetit gross. Keine Müdigkeit.
Wegen rheumat Schmerzen u. Temperatursteigerung.
Vom 3. II. an wieder afebril, schmersfreL
Austritt mit guter Gesichtsfarbe, subj. Wohlbefinden.
Gewichtszunahme in 4 Wochen » 2,7 kg.
Chlorose. (Eingetreten als pernicidse Anssmie.)
Vom 11. Jahr an immer recidivirende Bleichsucht
Seit 7 Wochen wieder Kopfweh, Athembeschwerden,
Herzklopfen.
Pat. Stent auf, Befinden ordentlich. Appetit mi.
Aussehen noch blass. Sichtbare Schleimhäute blass.
Wesentl. besseres Aussehen. Subject Befinden gut
Noch schwaches Nonnenfl^räusch. Appetit gross.
Schwache Menstrsation ohne Beschwerden.
15. II. Austritt. Blasses Aussehen. Gutes subject
Befinden.
Ambulante Weiterbehandlung.
20. II. schwache Menses. Aussehen viel besser. Ap¬
petit gut.
Wegen Abreise Behandlung unterbrochen.
Gewichtszunahme in 3 Wochen — 3,2 kg.
Pneumonia post Influenz am. Schon lange
blasses Aussehen. Schnelle Ermüdung, Herzklopfen.
Appetit gut Kein Kopfweh. Ansemie.
lo. I. Austritt mit voltst Wohlbefinden. Ferratin
wird weiter gegeben. Pat. versieht ihren Dienst ohne
Beschwerden. Wegen Abreise Beobachtung unter¬
brochen.
Digitized by tjOOQle
Patient
(Datum)
Hsemoglobin
e
* 'S
•o jg a
oiJ
s
.. ft ..
Id Procent dea
betr. Blntes
tin)
täglich
Wias, Louise,
Magd
13. I. 94
22 . 1 .
29. 1.
ö. U.
12 . 11 .
13. II.
19. n.
26. II.
5. ni.
12. UI.
19, m.
8,796,000
3,560,000
3,744,000
4,532,000
4,860,000
4,864,000
4,528,000
4,614,000
4,624,000
4,542,000
24,75 6,18
30,33 5,96
36,63 6,88
46,55 8,16
54,95 10,18
Chlorose. Gastralgie. Viel Kopfweh, Hers-
klopfen, Athemnoth beimTreppensteigen. Scherzen
3Xl»0 im Magen. Grosse Blässe der Scfaleimhänte.
„ Anpetit zieml.^t. Pat. steht auf. Noch leicht müde.
„ Wangen geröthet. Appetit gross. Allg. Befinden gut.
n
„ Aussehen blühend. Appetit gross.
f, Austritt. Ambulante Weiterbehandlung. Pat.
n tritt in einen Dienst ein.
„ 1 Immer gutes Aussehen. Appetit gut. Pat. kann
„ /ihren Dienst ohne Beschwerden verrichten,
n /Keine Magenschmerzen. Wohlbefinden,
ausges. Gewichtszunahme vom 29. I.—7. II. = 1,5 kg.
Ludwig, Babetts, 8
15. I. 94
24. I.
31. I.
7. U.
14. n.
20. U.
Ulcus ventriculi. Ansmie. Phthisis in-
ci pi e n 8. Schmerzen in der Magengegend. Brechen.
3,168,000 50,72 9,20 3Xl>0 Viel Kopfweh, Müdigkeit. Blasses Aussehen.
3,560,000 57,0 10,50 „ ^petit gut. Aussehen noch blass. Keine Schmerzen.
4,044,000 60,2 11,06 „ Heisshunger. Kräfteznstand wesentlich besser.
4,408,000 72,2 12,94 „ Aussehen gut. Allg. Befinden sehr gut.
4,608,000 76,47 13,94
5,268,000 87i62 16,80
Gewichtszunahme in 4 Wochen = 7,4 kg.
Pfienninger, Elise, 25 J.,
Magd
25. L 94
1. n.
8. II.
15. n.
5,208,000 62,9 9,74
5,956,000 58,43 10,76
6,448,000 62,1 11,38
6,108,000 73,14 13,06
Ansemie. Rheumatismus chronicus. Kopf¬
weh, Ohrensausen, Müdigkeit. Appetit gering.
9,74 3XlfO Brechreia^ Herzklopfen.
0,76 „ Von Beginn der Behandlung an Appetit gross.
1,38 „ Aussen blühend. Appetit sehr gross.
3,06 Vollständiges Wohlbefinden.
Gewichtszunahme in 2 Wochen = 5,0 kg.
Krentner, Sophie, 20 J.,
Magd
31. I. 94
6. U.
13. IL
30. IL
27. n.
2,852,000 37,1 «,94
8,480,000 50,0 9,00
4,448,000 66,76 12,14
4,528,000 71,4 12,82
5,140,000 81,3 15,24
Schwere Ansemie nach Morbus macn-
losus Werlhofii. Abundante Uterus-, Dum-
und Nasenblotungen.
6,94 3 X Ck'osse Müdigkeit und Schläfrigkeit. Grosse Blässe.
9,00 „ ApTOtit gut. Aussehen schon wesentlich besser.
.2,14 „ 10. U. zur normalen Zeit starke Menses bis 12. IL
.2,82 „ Blühendes Aussehen. Appetit gross.
.5,24 Ausgezeichnetes Allgemeinbefinden.
‘ Oeu^chtszunahme in 3 Wochen = 2,4 kg.
Schwarz, Rosaiie, 13 J.,
ScUleriw
1. n. 94
6. U.
13. U.
23. n.
2. m.
Rheumatismus artic. acutus. Ansemie.
SchwindM, Kopfweh, Schlaflosigkeit. Appetit gut.
60,4 11,06 SX^fO Schmerzen im uen Gelenken der ExUnmitäten.
3,660,000 68,62 12,42 „ Au.s8€hen sehr blass.
4,236,000 69,8 12,58 „ Schlaf sehr gut. Aussehen noch blass. Appetit gross.
4,640,000 75,95 13,80 „ AUg.-Befinoen sehr gut.
4,858,000 78,42 14,48 Appetit ausgezeichnet. Kräftezustand gut
Gewichtszunahme in 4 Wochen = 4,8 kg.
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8
Zahl der
rothen
Blutkör¬
perchen
Hämoglobin
Ordi-
Patient
(Datum)
s «
s
s ■
1“
.1
nation
(Ferra-
tin)
täglich
Fischer. Franziska, 30
J., Magd
6. n. 94
10. II.
3,408,000
53,2
9,78
3X1,0
14. II.
4,084,000
59,0
10,86
n
21. n.
3,916,000
55,1 1
10,18
11
1. III.
4,172,000
67,76
12,30
7. III.
4,456,000
69,75
12,58
14. m.
4,652,000
73,4
18,14
21. III.
5,152,000
80,0
14,88
Bannwarth, Agathe, 26
J., Magd
12. II. 94
4,072,000
34,3
6,56
3X1,0
20. II.
3,840,000
37,7
7,04
27. IL
4,356,000
50,45
9,12
6. m.
4,688,000
58,35
10,74
13. m.
4,820,000
59,85
11,00
3X0,5
20. lU.
4,592,000
63,6
11,64
27. in.
3,532,000
50,25
9,08
M^er, Hieronym., 18 J.,
Fuhrknecht ;
2. n. 94.
3,500,000
55,0
10,18
3X1,0
14. II.
4,172,000
69,4
12,52
Tf
1. III.
4,504,000
75,2
90,84
13,60
n
9. in.
5,032,000
17,50
Cartier, Kosa, 30 J.,
Magd
24. III. 94.
29. m.
1,461,000
10,20
3,06
3X0,5
Bolnbil.
5. IV.
1,772,000
15,27
3,80
3X1,0
solvbiL
16. IV.
2,354,000
31,70
6,16
n
24. rv.
3,544,000
44,35
7,84
n
2. V.
4,640,000
52,72
9,70
w
16. V.
4,680,000
71,26
12,80
Bemerkungen
Gastralgie. Ausmie. Stechende Schmerzen
nach dem Essen im Manen. Brechen, Schwindel,
Kopfweh, Herzklopfen. Leichte Ermüdung. Appe¬
titlosigkeit. i
Austritt: W iederaufnahme d. Dienstes. Appetit gut.
Im Dienst wegen nozweckmässiger Nahrung soiort
Verschlechterung. Brechen, Kopfweh. Appetit = 0.
16. 11. Wiedereintritt. Sofortige Besserung.
Allg. Befinden viel besser. Appetit wieder gut.
Snbjectives Wohlbefinden.
Appetit gross. GKites Aussehen.
Senr gutes Aussehen. Keinerlei Beschwerden.
Gewientszunahme in 4 Wochen = 7,2 kg.
Chlorose. Leichte Ermüdbarkeit, Kopfweh, Ohren¬
sausen, Schlafiosigkeit. Appetit vermindert.
Blasse Schleimhäute. Kein Venensausen.
Aussehen besser. Subj. Befinden nicht verändert
Immer noch Kopfweh und Müdigkeit Appetit gut
9. III. Austritt Wiederaufnahme des Dienstes.
Befinden auch bei der Arbeit gut.
Aussehen gut. Subject. Befinden ebenfalls.
Ursache der Abnahme unbekannt.
Gewichtszunahme in 2 Wochen = 2,1 kg.
Grosser Abcess unter der linken Scapula.
Anssmie.
rStetige Zunahme der Besserung. Appetit sehr
'gross. Kräftezustand gut. Keine Müdigkeit trotz
1 stundenlangen Umhergehens.
Gewichtszunahme in 4 Wochen b 6,9 kg.
Ulcus ventriculi. Schwere Anämie. Schon
öfters Blutbrechen. 12. III. abundante Blutung
(angeb 1. 2 L.).
Eintritt 13. III. mit blassem wachsartigem Aussehen.
Kein Blutbrechen mehr. Stühle bis zum 24. lU.
schwarz. Grosse Mattigkeit u. Schläfrigkeit. Venen¬
sausen.
Allg. Befinden ordentlich, Appetit besser. Aussehen
gleich.
Subj. Wohlbefinden. Sichtbare Schleimhäute etwas
reröthet. Appetit sehr gut. Fat. steht auf.
Viel besseres Aussehen. Subj. gutes Befinden.
Aussehen gut. .^petit gross.
Sehr gutes Allg.-üefinden, Schleimhäute geröthet.
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9
TabeOe II
Patient
(Datum)
Zahl der
rothen
Blutkör¬
perchen
Hsemoglobin
Hcpp, Frieda, lö'/i J.,
Fabrikarbeiterin
26. I. 94.
3. U.
10 . n.
17. II.
24. II.
3. m.
10. III.
3,868,000
4,068,000
4,104,000
4,872,000
4,548,000
4,624,000
4,864,000
40.8
43,45
45,38
55,0
53,35
55.9
58,15
7,50
10,18
9,84
10,34
10,70
Ordi-
nation
(Ferra-
tin)
täglich
Bemerkungen
3X1,0
Seit Ende 1893 Bleichsucht: Müdigkeit, Kopf¬
weh, Herzklopfen, Engigkeit bei Tr^pensteieen.
Appetitlosigkeit. Periode regelm. — Elasses Aus-
senen.
Wegen schwacher Menses Ferratin 2 Tage ausgesetzt.
Aussehen und Allg. Befinden etwas b^er.
Appetit etwas besser. Kräftezustand ordentlich.
Kost zu Hause: wenig Fleisch, dagegen viel Milch.
Am 26. 11. bei ordentl. Befinden schwache Menses.
Aussehen zml. gut. Sichtbare Schleimhäute geröthet.
Appetit etwas besser. Arbeit wieder aufgenommen.
Sauer, Elise, 16Vi J.,
Schneiderin
27. I. 94
3,380,000
42,93
7,70
3. II.
10. II.
17. II.
24. II.
3. UI.
10. III.
3,648,000
3,940,000
4,000,000
3,708,000
4,168,000
4,116,000
47,69
47,66
49,20
45,55
50,25
47,4
8,42
8,40
8,80
7,94
9,06
8,30
3X1,0
n
n
Blutarmut: Seit den Schuljahren bleichsüchtig.
In letzter Zeit Magenweh, Herzklopfen, Kopfweb,
leichte Ermüdnng. Appetit gering. Anssehen sehr
blass.
Pat. arbeitet z. Z. nicht, geht viel spazieren.
Noch keine wesentliche ^sserung.
Appetit etwas besser, sonst noch Statns idem.
Keine wesentl. Besserung des Allgemeinbefindens.
Aussehen immer noch blass, wachsartig.
Appetit soll besser sein. Pat. arbeitet wieder.
Nb. Pat. wurde vor der Ferratinbehandlung mit
allen möglichen Fe Präparaten ohne Erfolg behandelt.
Br^ger, Elise, 27 J.,
Wärterin
17. n. 94
4,056,000?
66,5
12,10
1. III.
9. III.
3,924,000 67,48
4,124,000 65,05
12,24
11,92
3X1,0
»
if
Ansemie nach starken menstrualen Blutungen.
Oft Bleichsucht. Periode oft unregelmässig. Im
Januar 1894 14 Tage lang abundante Blutungen.
Grosse Müdigkeit. Schlaf und Appetit gering. Kopf¬
weh, Schwindel Sichtbare l^hleimhäute blass.
Appetit gering.
Sehr viele kleine Blutzellen. Schlaf besser. Appetit
16. III.
24. m.
31. III.
11. IV.
4,546,000
4,384,000
4,312,000
4,652,000
66,2
64,7
64,43
66,40
12,06
11,84
11,78
12,08
3X0,5
fl
n
3X1,0
solubil
genng.
Kräftezustand besser. Appetit gleich. Mehrmals
Brechen.
Aussehen besser. Kein Brechen. Weniger Ermüd¬
barkeit.
Vom 2. IV. an 3X^,0 F. solnb. Appetit etwas
besser.
Pat. geht am 16. IV. für 14 Tage in die Ferien,
soll mit F. solnb. 3X1,0 fortfahren.
Ruh, Eugenia, 22 J.,
Schneiderin
20.
m. 94
?
27.
m.
4,130,000
2.
IV.
16.
IV.
26.
IV.
4,520,000
42,9
44,8
51,90
F. solnb.
7,70 2X1,0
7,88
ansges.
9,50
2X1,0
3X1,0
Chlorose. Vater leidet an Phthise. — Oft Bleich¬
sucht. Menses unregelm. schwach. Kopfweh, Schwin¬
del, üebelsein.
Grosse Müdigkeit. Schlaf nnd Appetit schlecht.
Obstipation.
Allg, Befinden etwas besser, Appetit noch gering.
Wegen Brechen, Magenweh, Allg. Unwohlsein.
Vom Arzt in d. Stadt Diät, arg. nit%ic. Darauf
Besserung.
Aussehen wie im Beginn der Behandlung.
Allg. Befinden wesenU. besser. Appetit nnd Schlaf
ordentlich.
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10
Zahl der
rotheu
Blutkör¬
perchen
Hsemoglobin |
Ordi-
Patient
(Datum)
5 . 8 -
3|l
*«
s
In Proeent des
betr. Blntea
nation
(Ferra¬
tin)
täglich
Bemerkungen
Stegmüller, Auguste, 16
J., Tochter
Seit 2 Jahren Bleichsucht, die aller Eisenbehandlung
trotzte. Müdigkeit, Herzklopfen b. Tre^ensteigen.
Appetit massig. Vorliebe für saure Speisen. —
Noch nicht menstruirt.
7. IV. 94
16. IV.
3,182,000
24,3
5,12
3X1,0
solnhU.
Schleimhäute sehr blass. Wachsartiges Aussehen.
Venensausen.
23. IV.
4,112,000
31,45
6,14
»
Allg. Befinden besser, Appetit gut, ebenso Schlaf.
Sichtbare Schleimhäute lei(mt geröthet. K. Müdigkeit
Wegen Abreise Untersuchung unterbrochen.
4,152,000
37,37
7,00
1
n
Zu den oben zusammengeatellten Beobachtungen haben wir noch Folgendes zu
bemerken:
Das Ferratln wurde von allen E^ranken ohne Ausnahme sehr gut ertragen, und
nur drei Mal beobachteten wir während der Behandlung Erbrechen bei Personen, die
auch Yorher schon öfters gebrochen hatten. Selbst bei langer, mehrwöchentlicher
Medication traten keine Symptome von Seiten des Digestionsapparates auf, die ein
Aussetzen des Mittels nöthig gemacht hätten. Ganz besonders konnten keine Störungen
von Seiten des Stuhlgangs wahrgenommen werden.
Die Aenderung der Blutbeschaffenheit brachte objectiv in allen Fällen Besserung
des Allgemeinbefindens, eine Abnahme der aneemischen Symptome. Ein Theil dieser
Hebung des Gesammtzustandes ist wohl auf die günstigen Spitalverhältnisse zurfick-
zufuhron, jedoch ist der Erfolg der Behandlung ein so constanter und in verhältniss-
massig kurzer Zeit ein so grosser, dass man sich dem Eindruck nicht versohliessen
kann, die Besserung sei schneller eingetreten bei der Anwendung des Ferratin, als bei
andern Medicationen.
Das Resultat bei ambulant Behandelten ergab diese Besserung in viel geringerem
Grad; dabei ist aber in jedem Falle eine deutliche Hebung des Allgemeinbefindens
eingetreten. Namentlich wenn man berücksichtigt, dass alle diese Fälle vorher mit
allen möglichen Eisenpräparaten ohne Erfolg behandelt worden sind, so müssen wir
doch eine günstige Beeinfiussung durch das Ferratin constatiren. Der geringe Grad
der Besserung wundert uns nicht zu sehr, wenn man die ungünstigen Verhältnisse, in
welchen diese Patienten zu leben gezwungen sind, berücksichtigt: einerseits mangel¬
hafte Ernährung, unzweckmässige Lebensweise, andrerseits strenge und anhaltende
Arbeit.
Sehr auffallend war bei unseren Beobachtungen die während, oder geradezu in
Folge der Medication auftretende Zunahme des Appetits. Wir hatten sogar Gelegen¬
heit Fälle zu verfolgen, bei welchen vollständige Anorexie bestand und die durch
Ferratin wieder zum Essen zu bringen waren. Bei zwei an torpider Phthisis pulmonum
leidenden Patienten, bei welchen der Reihe nach die verschiedensten appetiterregenden
Mittel ohne Erfolg angewendet worden waren und welche in Folge der Verweigerung
jeder Nahrungsaufnahme einer raschen Consumpüon anheimfielen, gelang es durch
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fortgesetzte Ferratinbehandlung eine Hebung des Appetits zu erzielen und derart eine
wesentliche Besserung des Allgemeinzustandes herbeizuführen. Währenddem eine der
Patientinnen yor Ferratin beständig erheblich an Gewicht abgenommen hatte, stieg das
Körpergewicht während der Behandlung in 3 Wochen um 1 kg.
Auf Grund dieser Beobachtimgen ist man wohl berechtigt, dem Ferratin eine
entschiedene Bedeutung als disBtetischem und therapeutischem Mittel zuzusprechen. Es
wäre zu weit gegangen, einem subjectiven Eindruck zu folgen und zu behaupten, dass
das Ferratin besser als diese oder jene Eisenverbindung wirke. Zur Begründung einer
solchen Behauptung müssten uns hunderte von vergleichenden Beobachtungen unter
gleichen Bedingungen zur Verfügung stehen. Wenn wir aber berücksichtigen, dass
wir im Ferratin ein Mittel besitzen, von dem wir mit Sicherheit wissen, dass es vom
Organismus resorbirt wird, was bei den andern Eisenpräparaten nur in kaum wahr¬
nehmbarem Grad geschieht; wenn wir uns ferner vergegenwärtigen, dass diese Eisen¬
verbindung als gleichwerthig anzusehen ist der in den Nahrungsstoffen enthaltenen,
und wenn wir schliesslich noch dazu die Thatsache beifügen, dass selbst bei wochen¬
lang fortgesetzter Anwendung von hohen Dosen des Prseparates wir nie die geringsten
Verdauungsstörungen beobachtet haben, dass selbst kleine Kinder das Mittel sehr gut
ertragen, so stehen wir nicht an in demselben ein werthvolles Prmparat zu erblicken,
welches allem Anschein nach eine grosse Zukunft bei der Behandlung von ansemischen
Zuständen haben wird.
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Erscheint am 1. nnd 15.
jedes Monats.
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35 Cts. die gesp. Petitzeile.
für
Schweizer Aerzte.
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Fr. 12. — für die Schweiz,
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Alle Posthureaux nehmen
Bestellungen entgegen.
r>r. E. Haflrtev und Dr. A.. Ja^quet
in Frauenfeld. in Basel.
N! 12. XXIV. Jahrg. 1894. 15. Juni.
Inhalt 1 1) Originalarbeilen: Prol Dr. Oarri: Kropfbebandlnng mit parenchjmaMeen Jodofonneinepritzangen. —
Dr. Oakear BmUtn^r: Ist Fractnr des Schlftsselbeins Contraindi<»tion, ein lief aspbjcliscb geborenes Kind xn schwingen ? >—
Tix, AeMUis HordHumm Znr Casnistik der Ergoiingangrän. — Dr. Smderßggtr : Eidgenössische Kranken- nnd ünfkllrersicbemng.
— 2) Verei ns berichte: ZOrcber Gesellschaft fOr wissenschaftliche Gesundheitspflege. — I. Versanmlnng sOddentscher La-
r/ngologen und Bhinologen. — 3) Referate nud Kritiken: Dr. W. Plange: Die Infectionskrankheiten, ihre Entstehung,
ihr Wesen und ihre Bekftmpfnng. — Dr. C. Wtgdt: Die di&tetisehe Behandlung der Magen-Dannerkrankungen. — MaxBirich:
Suggestion und Hypnose. — Dr. L. Früdrick: Die Hypnose als Heilmittel. — Dr. v. Schrenck-Ndning: Der Hypnotismus im
Mflnchner Krankenhause. — Dr. A, Jagud: Der Alcohol als Genuss- nnd Arzneimittel. — Dr. B. Büdtbremdt: Compendinm
der Toxicologie. — Prof. Dr. B. Koben: Arbeiten des pharmacologiscben Institutes zu Dorpat. — Prof. Dr, e. Bateh: Ueber
latente Arteriosclerose und deren Beziehung zur Fettleibigkeit. — Prof. Dr. 0. Roaonbaeh: Die Krankheiten des Herzens und
ihre Behandlnng. — A. Weide: Bechhold's Handlezieon der Naturwissenschaften nnd Hedicin. — B. LeMr und B. Tidal: Symp¬
tomatologie und Histologie der Hautkrankheiten. — Archires des Sciences biologiques. — 0. IVeitog: Die contagiösen Sexual¬
krankheiten. — Prof. Wolff: Lehrbuch der Haut- und Geschlechtskrankheiten. — Prof. Dr. B, Sahli: Lehrbuch der klin. ünter-
sncbungsmethoden. — 4) Woehenberioht: 47. Versammlung des irztl. CentnÜTereins. — Prof. Maddung, nach Strass¬
burg berufen. — Ungewöhnliche Hyperthermie. — Tod durch Bromethyl. — Essig als Gegenmittel des Erbrechens nach
Cbloroformnarcose. — (^loralose. — Ausginge der tuberculösen Goxitis. — Opinmbehandlnng bei Larynzstenosen. — Gystitis tuber-
euloML — Behandlung des Empyems der Pleura. — 5) Briefkasten. — 6) Hftlfskasse f&r Schweizer Aerzte. —
7) Bibliographisches.
Oi'is'ina.l ten .
Aus der Chirurg. Klinik zu Tübingen.
Zur Kropfbehandlung mit parenchymatösen Jodoformeinspritzungen.
Von Professor Dr. Garr^, I. Assistenzarzt der Klinik.
Von parenchymatösen Einspritzungen bei der Eropfbebandlung ist man in den
letzten Jahren fast ganz zurückgekommen. Die Gründe hiefür liegen meines Er¬
achtens weniger in der vervollkommneten Technik der Eropfoperation, wodurch die
Mortalit&t auf einen minimalen Procentsatz herabgedrfickt wurde, als in den im all¬
gemeinen wenig befriedigenden Erfolgen der bisher angewandten Injectionsbebandlung.
Wie weit wir auch die Grenzen für die operative Behandlung stecken mögen,
es bleibt immer noch eine sehr grosse Zahl von Füllen übrig, die ans diesem oder
jenem Grunde sich nicht znr Operation eignen, oder nicht operirt sein wollen. Für
all’ die steht uns aber einzig das Jodkalium innerlich und änsserlich znr Verfügung.
Jeder von uns kennt jedoch die wenig zuverlässige nnd wenig intensive Wirkung dieses
Mittels, das sogar bei bestimmten Kropfformen vollständig versagt. So ist es durch¬
aus begreiflich, dass auch trotz der mannigfaltigen Operationsmethoden, die wir be¬
sitzen, der Wunsch nicht erloschen ist, ein Mittel zu haben, das local applicirt eine
energische Verkleinerung der vergrösserten oder erkrankten Schilddrüse gefahrlos er¬
zielt. Als der directeste nnd wirksamste Weg der Application musste die Einspritzung
ins Parenchym des erkrankten Organes selbst erscheinen. Aber keines der auf solche
Art angewandten Mittel vermochte sich bisher dauernd in der Praxis einzubürgem.
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Die Einspritzungen von J o d t i n c t u r in die Struma wurden zuerst von Sköld-
berg in Schweden (1856) gemacht, fanden aber erst durch die Empfehlung von
Laton (1867) und Lücke (1868) allgemeine Verbreitung. Die Wirkung der Jodtinctur
ist eine doppelte: neben der specifiscben Wirkung des Jods auf die Drüse, kommt es
local zur Entzündung mit folgender Narbenschrumpfung. Je nach der Grüsse des
Kropfes sind 3—20 Injectionen von —1 ccm nüthig, die entsprechend der localen
Beaction, die der einzelnen Einspritzung folgt, in kleinem oder grössern Pausen ge¬
macht werden. Die Indicationen sind ungefähr die gleichen, wie für die Jodbeband-
lung überhaupt. Nach Kocher treten die Jodeiuspritzungen erst in ihr Recht, wenn
die Inunctionsbehandlung und die innerliche Darreichung von Jod erfolglos geblieben sind.
Die Resultate gestalten sich verschieden. In der grossem Zahl von Fällen er¬
fährt der Kropf eine mehr oder weniger beträchtliche Schrumpfung, theilweise aller¬
dings nur vorübergehender Natur; seltener ist kein Erfolg erzielt worden, und endlich
ist den Patienten durch diese Behandlungsart auch Schaden zugeffigt worden, indem
schwere Jodvergiftungen, heftige Strumitiden, Stimmbandlähmung, ja sogar tOdtliche Em¬
bolie zu Stande kamen. Heymann weiss von 16 solchen Todesftllen zu berichten, denen Wölf-
ler noch 12 weitere zufügen kann. Diese Todesfälle in Folge von Jodeinspritzungen sind
es, welche die ganze Methode in Misscredit gebracht haben — und nicht mit Unrecht!
Es ist begreiflich, dass man alsbald nach einem gleich wirksamen, aber weniger
gefthrlicben Mittel suchte, das die Jodtinctur ersetzen könnte.
So rühmte Schwaibe den Alcohol absolutus, in der Annahme, dass das
wirksame Princip der Jodtinctur nicht dem Jod, sondern dem Spiritus zuzuschreiben
sei. Seine Wirkung erwies sich aber als geringwerthiger und doch nicht ohne Gefahr.
Bülroth und Lücke berichteten bald von je einem Todesfall.
Auch das E r g o t i n fand keinen Anklang, weil es meist trotz lange fortge¬
setzter Injectionsbehandlung ohne den gewünschten Erfolg blieb; ebensowenig haben
sich Einspritzungen mit 17» U e b er o s m i u m - Säu r e eingebürgert.
Arsenik in Form von Solutio arsen. Fowleri, empfohlen von Orunmach, ist
nach den Erfahrungen von Dumont und auch von Bülroth keineswegs günstig be-
urtheilt worden. Dumont flndet, gestützt auf 26 Versuche, dass das Mittel gegen die
bisher zu diesem Zwecke gebrauchten keine besondere Vortbeile voraus habe.
Endlich hat man es versucht mit Strychnin {Demme), mit Carboi-
Spiritus, mit Papajotin, mit Kal. hypermanganicum ( Vohsen), mit
Ohromsäure (Heymann) und mit Jodoform (Lemaistre, v. Mosetig) — aber
mit Ausnahme dieses letztem, ist über keines dieser Medicamente seither etwas Weiteres
bekannt geworden.
A priori dürfte mau am ehesten etwas vom Jodoform erwarten, weil gerade die
Jodpräparate in specifischer Weise auf die drüsigen Organe und speciell die Schilddrüse
einwirken. Diese theoretische Ueberlegung und das practiscbe Bedürfniss nach einem erner-
gisch wirkenden Kropfmittel veranlasste mich vor einigen Jahren auf v. Mosdig's Empfeh¬
lung das Jodoform zu parenchymatösen Einspritzungen bei Struma zu versuchen.')
*) Bei dieser Gelegenheit sei hier nochmals (vergl. Corr.-Blatt 1890, pag. 333) erwähnt, dass
Jioechat der Erste war, welcher parenchymatöse Jodoformeinspritzungen in Strömen machte und
(^Corr.-Blatt 1880, pag. 12) empfahl. Red.
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Im Verlauf von 2Vt Jahren habe ich in der Tübinger Chirurg. Poliklinik 140
Strumen mit Jodoformeinspritzungen behandelt, in der Weise, dass ich im Allgemeinen
die Methode v. MoseHg's befolgte. Oie Resultate dieser Behandlung fielen so über¬
raschend günstig aus, dass ich glaube, das Verfahren empfehlen zu dürfen. Die Mög¬
lichkeit der Durchführung der ambulanten Behandlung, ohne dass der Kranke in
irgend einer Weise in seinem Berufe oder seiner gewohnten Lebensweise gestört wäre,
die Einfachheit der Ausführung und die Ungeföhrlichkeit, dürften dieser Kropf behand-
lung wohl allgemein Eingang in der Praxis verschaffen.
Zur Einspritzung habe ich gewöhnlich folgende Lösung genommen: Jodoform 1,0,
01. olivar., Aether sulf. ää 7,0.')
Die Flüssigkeit muss im Dunkeln, geschützt vor Licht aufbewahrt werden. Wenn
sich das Jodoform unter Einfluss des Lichtes zersetzt, bekommt die ursprünglich ganz
hellgelbe, durchsichtige Lösung durch freigewordenes Jod eine bräunliche Farbe; so
darf sie nicht zur Verwendung kommen.
Als Injectionsspritze benütze ich die gewöhnliche Prame'sche Spritze, die in
57« Garbolwasser desinficirt wird.
Die Halshaut wird nun desinficirt, am einfachsten nach vorgängiger Entfettung
mit einem mit Aether befeuchteten Wattebausch und nachfolgender Abwaschung mit
Sublimatlösung. Ich fixire hierauf denjenigen Theil des Kropfes, in den ich die In-
jection machen will, zwischen den gespreitzten 2. und 3. Finger meiner linken Hand,
indem ich, hinter dem Patienten stehend, die Struma gegen die Wirbelsäule drücke.
Unter Vermeidung sichtbarer Hautvenen, steche ich nun die Canüle in raschem Stoss
2—3 cm tief ins Kropfparenchym ein. Man lässt nun mit der linken Hand los, hält
die Spritze ganz locker und fordert den Patieuten auf, eine Schluckbewegung zu machen.
Steckt die Nadel wirklich in der Drüse, so bewegt sich die Spritze beim Schlucken
entsprechend nach oben und unten mit. Nun wird der Inhalt der Spritze (1 ccm)
langsam ins Gewebe entleert, die Canäle herausgezogen und die kleine Stichöffnung,
ans der vielleicht ein Tropfen Blut nachsickert, einfach abgewischt oder mit einem
Stückchen Pflaster (Zinkpflastermull) verschlossen.
Gewöhnlich spritze ich nicht mehr als die eine iVava^i’sche Spritze voll ein;
öfter habe ich bei Wiederholung der Einspritzung zwei oder drei, auch 4 ccm an ver¬
schiedenen Stellen eingespritzt.
Die Einspritzungen verursachen meist nur ganz unbedeutenden brennenden
Schmerz, der jedenfalls dem Aether zuzuschreibeu ist. Hie und da klagen die Patienten
über Schmerzen im Ohr, oder in den Zähnen, die ziemlich heftig sind, aber in wenigen
Minuten sich verlieren. Einzelne klagen über eine gewisse Spannung im Hals, die
bei Kopfdrehungen sich bemerklich macht und einen, höchstens zwei Tage anhält;
andere fühlen sich '/2 oder einen Tag laug belästigt durch den widerwärtigen Jodo¬
formgeschmack, den-sie im Schlund haben.
Nur wenige von den 140 Kranken Hessen sich durch diese Unbequemlichkeiten
veranlassen, die Cur vorzeitig abzubrechen, ln einem einzigen Falle habe ich die
') V. Mosetig gibt noch eine andere Formel für die Injectionafliia^igkeit, nämlich Jodof. 1,0,
Aether 5,0, 01. oliv. 9,0. Aus dieser Lösung fällt das Jodoform nach Verdunstung des Aether
leichter ans. — Ferner habe ich zwischendurch versuchsweise eine »“/oig® Jodoformlösnng in 01.
amygd. dnic. (nach Böhni) benutzt. —
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Einspritzungen sistirt, weil die Patientin jedesmal einen krampfartigen Hustenanfall
bekam.
Das ist aber auch Alles von unangenehmen ZuAllen, was ich bei den über 1000
Einspritzungen gesehen habe. Kein plötzliches Erblassen, keinen Ohnmachtsanfall —
nichts von jenen gefürchteten Zeichen, wie sie bei Jodtinctureinspritzungen oft vorge¬
kommen sind, habe ich zu constatiren, ebensowenig irgend welche üble Folgezustände,
wie Jodoformvergiftung, Strumitis etc. So weit meine Erfahrung reicht, kann ich also
die parenchymatösen Jodoforminjectionen beim Kropf als völlig gefahrlos
bezeichnen.
Die Einspritzungen habe ich in der Regel alle 2—5 Tage, ausnahmsweise alle
Tage, nicht selten je in 8 Tagen wiederholt. Bestimmend für diese Termine waren
lediglich äussere Verhältnisse.
Die Zahl der nothwendigen Injectionen schwankt zwischen 3 und 16; ans 50
Fällen rechne ich einen Durchschnitt von 7 Einspritzungen. Demnach würde die Be¬
handlungszeit im Mittel drei bis vier Wochen in Anspruch nehmen.
Eine strenge Auswahl für die zur Injectionsbehandlung bestimmten Kranken
wurde nicht getroffen, denn ich wollte erst die Methode auf ihre Leistnngsfthigkeit
prüfen. Immerhin blieben von vorneherein ausgeschlossen die malignen Formen, die
reinen Cysten und die isolirten grossen cystisch-colloiden Knoten, bei denen hinsicht¬
lich der Indication zu einem operativen Eingriff kein Zweifel obwalten konnte.
Die grosse Mehrzahl der behandelten Kropfpatienten standen im Alter von 10
bis 30 Jahren; 72 standen im 2. nnd 40 im 3. Jahrzehnt.
Die Endresultate der Behandlung konnte ich bei 87 Patienten erheben.
Sie gestalten sich so, dass 51 Mal eine bedeutende Verkleinerung d. h. Vermindernng
des Halsnmfangs von 2 bis 7 cm, und 26 Mal eine geringe Verkleinerung d. i. 2 cm
und weniger erzielt wurde. Im Ganzen hätte ich also in 77 Fällen von 87 d. i. in fast
907 « überhaupt einen Erfolg zu verzeichnen. 8 Mal konnte keine
Abnahme des Halsumfanges und 2 Mal musste sogar eine Zunahme verzeichnet werden.
Ich wiederhole,'um die übrigen Zahlen ins richtige Licht zu stellen, dass keine strenge
Auswahl der in Behandlung genommenen Patienten getroffen wurde.
Hiezu kommen noch einige Fälle von retrosternaler Struma, bei denen Stridor
bestand in Folge der Compression der Trachea. Durch Feststellung des Halsnmfanges
ist bei diesen natürlich kein Maassstab für den Erfolg zu gewinnen. Das subjective
Befinden hob sich, der Stridor verschwand und soweit der retrosternale Knoten abzu¬
tasten war, erschien er deutlich, z. Th. sogar auffallend verkleinert.
Zur Illustration des eben Angeführten will ich einige Beispiele anführen;
Paul H., 19 Jahre. St. colloid. fibrosa, gleichmässige Vergrössemng beider Lappen,
durchsetzt von harten Knoten, Pulsation, Stridor und strumöse Sprache. H.-U. (Hals-
nmfang) = 43 cm; 6 Einspritzungen von je 1 ccm Jodoformlösung, nach 8 Wochen
H.-U. = 38 cm, Athmung frei. Pat. ist militärdiensttauglich.
Fritz K., 11 Jahre. St. hyperplast. — Stridor, H.-ü. 33'/* cm. Inj. am 22. April
1 Spritze. 14. Mai H.-U. 30,5. Athmung frei.
Ther. R., 14 Jahre. St. coli, vasculosa. H.-U. 43 cm. 14. Nov. bis 20. Dec.
7 Inj. H.-U. 39 cm. Vom 20. Dec. ab in 3—4 wöchentlichen Zwischenräumen je 3
bis 4 ccm inj. H.-U. 37 cm.
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Konr. K., 20 Jahre. Str. hyperplast. nodos. Stridor. H.-U. 42 cm. 11 Inj. vom
24. Not. 1893 bis 26. Jan. 1894. Bedeutende Besserung schon nach der 5. Injection,
Stridor Terschwunden. H.-U. 37'/s cm. Str. normal.
Anna F., 17 Jahre. Str. hyperplast. Athembeschwerden. H.>U. 387a cm. Vom
5. Febr. bis 14. März 1894 7 ccm injicirt. H.-U. 3372 cm. Athmnng frei. Schild¬
drüse normal.
Magd. L., 22 Jahre. Str. parench. H.-U. 40 cm. Nach der 3. Injection H.-U.
3772 cm.
Stnd. H., 21 Jahre. Str. gelatinosa. H.-U. 45 cm. 10 Inj. in 8 Wochen; nach
der 3. Inj. H.-U. 41 72 cm. Endresultat H.-U. 38 72 cm. —
Diese Beispiele dürften deutlich zeigen, in welch’ eclatanter Weise die paren¬
chymatösen Einspritzungen von Jodoform auf die Struma einzuwirken vermögen. Wenn
auch lange nicht alle Fälle in diesem Maasse reagirten, so konnte ich doch fast durch¬
wegs schon nach den ersten 3 oder 5 Einspritzungen eine Beduction des Halsumfangs
von 2—3 cm feststellen. Andrerseits aber will ich nicht verschweigen, dass in 26
Fällen trotz 10 und mehr Injectionen der Halsumfang bloss um 1 oder 2 cm geringer
wurde.
Einige 40 Patienten, bei denen die Behandlung vor 72 — 1 Jahr oder länger ab¬
geschlossen war, konnte ich in den letzten Wochen nachuntersuchen. Ich war erstaunt,
in der Mehrzahl der Fälle nicht nur den dauernden Erfolg der Behandlung constatiren
zu können,' sondern oft auch eine Nachwirkung des Jodoforms durch noch weitere Be-
duction des Halsumfangs nach Beendigung der Cur. Daneben habe ich freilich auch
einige ßecidive gesehen, die aber bei einer so leicht dnrchzuführenden Behandlung
nicht allzu schwer ins Gewicht fallen dürften.
Fragen wir, welche Eropfformen am besten auf die parenchymatösen Jodoform¬
einspritzungen reagiren, so müssen zweifellos die weichen KrOpfe in erster Linie ge¬
nannt werden: Die einfache Str. hyperplastica, die diffuse und die knotige Form, wie
die Str. follicularis mollis. Bei diesen Formen wirkt übrigens auch Jodsalbe zuweilen
recht gut; sie kommen aber als rein hyperplastiscbe und rein folliculäre Formen gar
nicht häufig vor — wenigstens in meiner poliklinischen Sprechstunde nicht. Weitaus
die Mehrzahl der von mir behandelten Fälle waren Strumen in mehr oder weniger
fortgeschrittener colloider Degeneration, bei denen bekanntlich von der Jodkalium-
therapie kaum etwas zu erhoffen ist.
Entweder waren die Lappen durchsetzt von grossem oder kleinern Knoten von
derb-fibrOser bis zn fast fiuctuirender Gonsistenz (hsemorrhagisch-colloide Form) oder
die Lappen fühlten sich kOraig und prall an (Str. gelatinosa). Es waren ErOpfe von
ganz beträchtlicher GrOsse dabei, mit einem Halsumfang von 45 cm. Die Wirkung
der Jodoformeinspritzungen war in diesen Fällen oft überraschend prompt und der
Erfolg ein nachhaltiger.
Bei der Str. vascnlosa ist eine Verkleinerung nicht so rasch zu erzielen; sie
bleibt aber nicht ans, wenn man auch bis zu 16 Injectionen gehen muss.
Das sind, soweit ich es Obersehen kann, die Kropfformen, bei denen sich die
Jodoformbehandlung erfolgreich zeigen wird. Ich glaube, dass sich die parenchyma¬
tösen Jodoformeinspritznngen leicht in der Praxis einführen werden, denn bei der Ge-
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fahrlosigkeit der Methode, der Möglichkeit ambulanter Behandlung, und der aueser-
ordentlich bequemen und einfachen Anwendungsweise werden dieselben sicher eine
willkommene Bereicherung unserer Therapie bilden. —
(Aus der TTniversitätsfrauenklinik zu Bern.)
Ist Fraktur des Schlüsselbeins Contraindication, ein tief asphyctisch
geborenes Kind zu schwingen?
Von Dr. Oskar Beuttner.
In Nr. 8 dieses Jahrganges des Centralblattes für Gynaekologie hat B. S. SchuUee
obige Frage aufgeworfen und beantwortet.
Den ersten Anstoss zu dieser Fragestellung gab bekanntlich Heydrich% indem
er aus der geburtshülflichen Poliklinik zu Breslau ,eine seltene Verletzung des Kindes
bei der Geburt“ publicirte; es handelte sich um eine Claviculafraktur mit Durch¬
bohrung der Pleura costalis und des Lungengewebes, nebst den consecutiven Erschei¬
nungen eines Pneumothorax, Emphysem des vordem und hintern Mediastinum und des
tiefen Halsbindegewebes, Hautemphysem der rechten ßrnsthälfte und des Halses.
Heydrich glaubt, dass oben angeführte Verletzung bei der nöthig gewordenen
Armlösung sich ereignet hätte; den drei ausgeführten Schtdtse'schen Schwingungen
misst er bei der Perforation des distolen Frakturendes in die Pleura costalis und die
Lunge keine Schuld bei. — Anderer Ansicht scheint bezüglich dieses Heydrich'schea
Falles Leopold Meyer’’^ zu sein, der die bei der Claviculafraktur gesetzten Verletzungen
den ScÄttl<£’e’schen Schwingungen in die Schuhe schiebt. Im Falle einer solchen
Fraktur würde er lieber andere Methoden der Wiederbelebung, wie Catheterismus
laryngis mit Lufteinblasen und Compression des Brustkorbes im warmen Bad, in An¬
wendung ziehen. -
Korber^) acceptirte die von Leopold Meyer aufgestellte Contraindication betreffs
des Schwingens tief asphyctischer Kinder; ja selbst SchuUee*) sah sich zu folgendem
Ansspruch veranlasst: ,Ich stimme mit Körher der von Leopold Meyer aufgestellten
Contraindication bei, dass man bei der Geburt zerbrochene, speciell mit Fraktur des
Schlüsselbeins geborene Kinder nicht schwingen soll.“
Nachdem also SchuUee selbst diese Contraindication anerkannt, wäre es wohl
schwerlich einem Geburtshelfer eingefallen, diese nicht zu respectiren, vorausgesetzt
natürlich, dass die Claviculafraktur sofort diagnosticirt worden wäre.
Wenn sich SchttUee in der Folgezeit trotz dieser oben erwähnten Contraindication
veranlasst sah, bei Claviculafraktur Schwingungen anszuführen, so rechtfertigt er diesen
Schritt durch die weitere Bemerkung, dass seine Beistimmung zu der Meyer-Körber'-
schen Ansicht nur auf theoretischen Voraussetzungen beruht habe.
In Nr. 8 des Centralblattes für Gynaekologie 1894, pag. 177, findet sich der
SdiuUee'sehe Fall beschrieben:
Centralblatt für Gynsekologie, 18fK), Nr. 7, pag. 109.
•) Centralblatt für Gyna:kologie, 189ti, Nr. 10, pag. 153.
•) Petersburger med. Wochenschrift, 1892, Nr. öl.
Centralblatt für Gynäkologie, 1893, Nr. 15, pag. 3.35.
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Es handelte sich um eine Wendung des in I Hchädellage sich befindenden zweiten
Zwillingskindes auf den Fuss mit anschliessender Extraction; bei der Armlösung brach
die rechte Clavicula; da das Kind tief asphyctisch war, so wurden trotz der Fraktur
Schwingungen gemacht; die Zahl dieser belief sich auf 50; das Kind nahm keinen
Schaden; nach 9 Tagen war völlige ConsoLidation der Frakturenden eingetreten.
Gestutzt auf diesen Fall kommt SchuUze zu dem, dem frühem entgegengesetzten
Schluss, dass die Anwendung der künstlichen Athmung durch Schwingen bei in tiefer
Asphyxie geborenem Kinde nicht contraindicirt ist durch Fraktur
derClavicula.
Ich bin in der Lage, der Ansicht von SchuUze auf Grund eines selbst erlebten
Falles beizutreten.
Unser Fall ist folgender:
W. B.. 35 Jahre alt, ziemlich gross, kräftig gebaut, trat am 4. Mai 1894, Abends
6 Ubr, in Wehen in die Entbindungsanstalt ein; sie hatte bereits drei normale Geburten
überstanden und kam nun zur vierten Niederkunft.
Die Untersuchung ergab ein normales Becken; der Unterleib war schwach aus¬
gedehnt und reichte der Fundus uteri nur 2 Querfinger über den Nabel. Steiss in
Becken-Mitte; Herztöne links.
Bei der inneren Untersuchung zeigte sich die Vaginal-Portion verstrichen; der
Muttermund war 2 Frankenstück gross.
Die letzte Menstruation will Gravida Ende September gehabt haben; die Geburt
wäre also auf Anfang Juli zu erwarten gewesen; wir hatten es somit mit einer Früh¬
geburt in der 31.—32. Woche zu thun.
Drei Stunden nach dem Eintritt auf die Klinik sprang die Blase und folgte nach
kurzer Zeit der Steiss; das Kind wurde spontan bis zum Nabel geboren; die Herztbätig-
keit wurde an der Nabelschnur controllirt; da sich bald eine bedeutende Abnahme der
Pulsation ergab, so wurde zur Extraction geschritten; diese vollzog sich bis zu den An-
gnli scapulse ohne Schwierigkeiten; nun versuchte man den hinteren, also den rechten
Arm zu lösen, was aber nicht gelang, da dieser in die Hohe geschlagen war und der
äussere Muttermund den Hals der Frucht krampfhaft umschloss; es wurde nun zur Lösung
des vorderen Armes geschritten; auch dieser war in die Höhe geschlagen und die Nabel¬
schnur umschnürte fest den Oberarm, von da verlief sie um den kindlichen Hals; nun
war Zeit nicht mehr zu verlieren; init ziemlicher Anstrengung gelang es, den Arm zu
lösen und den comprimirten Nabelstrang frei zu machen; hierauf wurde der hintere Arm
heruntergeholt; da es in Folge des intensiven Widerstandes des äusseren Muttermund nicht
möglich war, einen Finger in den Mund einzuführen, so musste vom Smellie-Veii'^chQU
Handgriff Umgang genommen werden; es wurde der Prager Handgriff zur Extraction
des Kopfes in Anwendung gezogen; die Extraction machte einige Schwierigkeiten; der
kindliche Hals wurde schleunigst von der Nabelschnur-Umschlingung befreit und das tief
asphyotische Kind abgenabelt und geschwungen.
Die Schwingungen wurden so ausgeführt, dass nach je sechsmaligem Schwingen das
Kind ins warme Bad verbracht wurde; im Ganzen wurden circa 24 Schwingungen ge¬
macht bis die Wiederbelebung eine vollständige war.
Die Frucht, 46 cm lang und 1900 gr schwer, wurde nach Beseitigung der tiefen
Asphyxie sofort in die Wärmewanne gelegt; am Morgen des folgenden Tages constatirte
man in der linken Temporalgegend eine circa 5 Frankenstück grosse, deutlich ausge¬
sprochene Hervorwölbung (Hmmatom). Nahrung hatte das Kind an diesem Tage keine
zu sich genommen; es war immer mehr oder weniger somnolent; am Morgen des 6. Mai,
wie auch am Mittag desselben Tages hatte es an der Brust getrunken; Nachmittags ver¬
weigerte es wieder die Nahrungsaufnahme. Abends 6 Uhr erfolgte ohne besondere
Symptome der Exitus.
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Die am folgenden Tag vorgenonunene Autopsie ergab folgenden Befund:
Ausgedehntes Heematom zwischen Haut und Muse, tomporalis, links; ein kleines
Hasmatom subperiostal über dem linken Os. parietale, nabe der Sutura sagittalis.
Abdominalorgane intakt; im untersten Theil des Diokdarmes noch Mekonium. Niere
zeigt Hamsäureinfarkt.
Linke Clavicula in der Mitte gebrochen, in der Umgebung
das Gewebe leicht blutig durchtränkt; keine Verletzungen der Pleura
costalis und des Lungengewebes (links); linke wie rechte Lunge luft¬
haltig; ohne Besonderheiten.
Die weichen Hirnhäute an der Conrexität blutig durchsetzt, mit zahlreichen Blut-
austritten auf die Oberfläche versehen.
Was zunächst die Frage nach der Zeit resp. der Aetioiogie der Entstehung der
Claviculafraktur aubetrifft, so muss man unbedingt annehmen, dass selbe bei der Arm-
lösnng entstanden ist. Diese war sehr schwierig, erstens, weil der äussere Muttermund
den linken Arm fest an den kindlichen Schädel anpresste, und zweitens, weil der linke
Arm durch die Nabelschnurumschlingung noch nach oben dxirt war; um letzteren nach
unten zu bekommen, musste man mit ziemlicher Gewalt an demselben ziehen, dadurch
wurde die zwischen dem linken Oberarm und dem äusseren Muttermund verlaufende Nabel¬
schnur gespannt; wie der Arm einmal den krampfhaft contrahirten äusseren Muttermund
passirt hatte, versuchte er gleichsam, durch den gespannten Nabeistrang gehalten, in
die alte Stellung zurfickzuscbnellen; in diesem Augenblick muss die Fraktur entstanden
sein; ihre Entstehung konnte aber nicht gefühlt werden, da das .Schnellen“ und das
.Brechen“ wahrscheinlich zeitlich zusammenfällt.
Dass die Fraktur nicht erst während der Schwingungen sich ereignete, beweist
einigermassen sicher der Umstand, dass keine Lungen Verletzungen gesetzt wurden;
denn hätte man die SchuMee'achen Schwingungen derart fehlerhaft ausgefflhrt, dass
eine Claviculafraktur zu Stande gekommen wäre, so wäre kaum eine Perforation des
distalen Frakturendes in die Pleura costalis und eventuell ins Lungengewebe aus¬
geblieben.
Bezüglich der Entstehung einer Claviculafraktur während des Schwingens sagt
SchuUee wörtlich:
Ich nehme übrigens wahr, dass viele beim Schwingen das Kind zu fest am die
Schultern fassen. Ich führe dies an dieser Stelle an, nicht als ob ich meinte, dass der
Griff so fest wäre, um ein Schlüsselbein zu brechen, aber das Brachende eines schon ge¬
brochenen Schlüsselbeins kann durch festes Angreifen sehr wohl in den Thorax gedrängt
werden.
Dass ein Bruch des Schlüsselbeins unentdeckt bleiben kann, zeigt ausser unserem
Falle auch derjenige von Heydrieh; in beiden Fällen wurde die Diagnose erst bei der
Section gestellt.
Werden ,SchuUee'ache Schwingungen* bei nicht festgestellter Claviculafraktur
nicht richtig ausgeföhrt, dann allerdings liegt die Gefahr einer Verletzung lebens¬
wichtiger Organe nahe.
Im Allgemeinen wächst die Wahrscheinlichkeit einer Perforation des distalen
Frakturendes in die Lunge mit dessen Länge; am kleinsten ist die Gefahr, wenn die
Frakturstelle möglichst peripher sitzt; unter den soeben angegebenen Verhältnissen
dürfte eine Lungenverletzung ziemlich selten sein, während andererseits die Gefahr
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einer Lsesion der Nervi cerricales und der Arteria subclavia sieb in den Vordergrund
drängen könnte.
Im Heydrich'acihm Fall sass die Bruchstelle im inneren Drittel; ob hier die
Lungenverletznng bei der Armlösung sich ereignet, oder bei den 3 ausgefflhrten
Schwingungen, wage ich nicht zu entscheiden; unser Fall war insofern günstiger, als
die Fraktur in der Mitte sass.
Ans den 3 bis jetzt beschriebenen Fällen von Clavicnlafraktur, die wegen tiefer
Asphyxie ScJiuUee'schB Schwingungen erforderten, ziehe ich folgenden Schluss:
1 ) Jedes Kind, das in tief as p h y c ti s c h e m Zustand ans
B e c k e n e n d 1 ag e zur Welt kommt, muss, wenn immer mög¬
lich vor Ausführung der iSeAwlf^e’schen Schwingungen, auf
Clavicnlafraktur untersucht werden.
2 ) Die Sehultge'aehoa Schwingungen sind bei tief as-
phyctischem Kinde, das eine Clavicnlafraktur erlitten,
nicht contraindicirt, müssen aber dann mit besonderer Vor-
sichtausgeführtwerden. '
In unserem Falle bildete die Todesursache die intracranielle Blutung. Letztere
ist meiner Ansicht nach nicht etwa durch Trauma entstanden; der kindliche Schädel
war bei der frühzeitigen Frucht ja so klein, dass er am knöchernen Becken keinen
Widerstand finden konnte. Die Blutung in und auf die weichen Hirnhäute führe ich
auf Stauung in Folge der tiefen Asphyxie zurück; ich erkläre sie mir also im gleichen
Sinne, wie SdiuUge^) die Aetiologie der Leberhaematome, deren Entstehung man irr-
thümlicher Weise den SehuUge'aohea Schwingungen zugemuthet.
Das Haematom in der linken Temporalgegend wurde sehr wahrscheinlich durch
die Armlösung verursacht; ebenso wird es sich mit dem subperiostalen Haematom
verhalten.
Die Verletzung in nächster Nähe der Brochenden war eine unbedeutende und
nehmen wir selbe auch in Zukunft gerne in Kauf, wenn wir als Aequivalent ein kind¬
liches Leben erhalten.
Zur Casuistik der Ergotingangrän.
Von Dr. Achilles Nordmann in Basel.
Die nekrotisirenden Wirkungen gewisser Bestandtheile des Mutterkorns bilden
den bekannten Symptomencomplex der als Brgotismus gangraenosus beschriebenen Ver¬
giftung. Pharmacologisch sind sie in neuerer Zeit namentlich von Robert (Archiv für
experimentelle Pathologie und Pharmacologie, Band XVIII, S. 316 ff.) genauer unter¬
sucht und in der Hauptsache auf die Wirkungen der in dieser Drogne enthaltenen
Sphacelinsäure zurückgeführt worden. Auch Fälle von örtlichem Qewebstod nach
therapeutischem Gebrauch des Secale oder seiner Derivate sind veröffentlicht, im Ver-
hältniss zu seiner verbreiteten Anwendung allerdings in relativ geringer Zahl. Die
folgende Beobachtung, die neben gewissen Besonderheiten auch differenzialdiagnostisches
Interesse darbietet, dürfte darum der Mittheilong werth erscheinen.
Centralblatt für Gynsekologie, 1893, Nr. 15, pag. 329.
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370
Frau M. M., 24 Jahre alt, Primipara, hereditär in keiner Weise belastet, bisher
bis auf die Erscheinungen einer leichten Chlorose gesund, war in der Sylvesternacht
1892 ohne ärztliche Hülfe von einem gesunden Knaben entbunden worden. Als eine
Stunde nachher die Placenta trotz Anwendung äussem Drucks nicht folgte, und stärkere
Gebärmutterblutungen hinzutraten, wurde nach mir geschickt. Zwischen der Geburt des
Kindes und meiner Ankunft lagen etwa 2 Stunden. Nach erfolglos versuchtem äusserem
Handgriff schritt ich bei der durch den nachweislichen Blutverlust bereits ziemlich anä¬
mischen Frau, ohne zu narcotisiren, unter den üblichen Yorsichtsmassregeln zur manuellen
Losung der Placenta. Es zeigte sich, dass das Hinderniss durch eine sogenannte Strictur
des Innern Muttermundes gebildet war. Ein Theil des Fruchtkuchens hing in die Scheide
herab, die grössere Hälfte sass im üteruskörper fest und wurde ohne grosse Schwierig¬
keiten zu Tage gefordert. Ausspülung der Gebärmutterhöhle mit 40gradiger 2^/o Carbol-
lösung. Trotz zeitweiliger Massage und einer erneuten heissen Ausspülung traten die
Blutungen in beunruhigender Weise immer von Neuem auf; die Wöchnerin hatte bereits
leichte Ohnmachtsanwandlungen. Injection einer ganzen 1,0 enthaltenden Spritze von
Be^izeV^ Ergotinum fluidum. Darauf und bei fortgesetztem Reiben und üeber-
wachen der Gebärmutter Auf hören der Blutung. Naht eines Dammrisses 1. Grades.
Während des Wochenbetts keinerlei Temperatnrsteigerung. Beim ersten Besuch
am 3. Tag post partum gibt die Frau an, dass sie fast unmittelbar nach meinem Weg¬
gehen ein Gefühl des Unbehagens in der Kreuzbeingegend verspürt habe, das seither iu
vermehrtem Maasse fortbestehe. Bei genauerem Zusehen fand sich, dem untersten Theil
des Sacrums entsprechend, genau in der Mittellinie, eine in ihren grössten Breiten- und
Längendurchmessem etwa 6 cm messende schwarzbraun verfärbte, nicht schmerzhafte,
trockene, lederartig anzufühlende Hautstelle. Die Umgebung derselben zeigte in der
Breite von 1 cm beginnende Röthung und war im Gegensatz zu ihr selbst leicht druck¬
empfindlich. Im Uebrigen an den äusseren Geschlechtstheilen und am ganzen übrigen
Körper nichts Regelwidriges. In den folgenden Tagen wurde der rothe Hof noch deut¬
licher, die schwarzen Partien fingen an von ihrer Umgebung und dem Untergrund sich
stellenweise loszulösen; es entwickelte sich vom Gesunden her eine leichte Eiterung.
Gegen den 10. Tag des Wochenbetts war unter Mithülfe der Scheere die Abstossung des
Krankhaften beendet. Es lag in der geschilderten Ausdehnung ein Geschwür vor, das
bis auf das Periost des Kreuzbeins reichte. Es verheilte in den nächsten Wochen unter
Behandlung mit antiseptischen Salben ohne weitern Zwischenfall, binterliess aber eine an
dem Knochen adhärente Narbe. Das gute Allgemeinbefinden der Wöchnerin, die sonst
Nichts zu klagen hatte, wurde durch diesen localen Vorgang nicht gestört.
Der beschriebene Fall lässt sich dahin zusammenfassen, dass bei einer zwar
anämischen aber sonst gesunden Erstgebärenden, wahrscheinlich im unmittelbaren An¬
schluss an die Geburt eine allerdings erst am 3. Tag des Wochenbetts sicher consta-
tirte, acute Nekrose der Haut der Ereuzbeingegend anftrat, die als streng
umschriebene trockene Gangrän sich darstellte und unter den gewöhnlichen Demar-
cationsvorgängen zur Geschwürs- und Narbenbildung führte.^)
Die Deutung dieser Beobachtung erschien vorerst nicht ganz klar. Man konnte
an die Möglichkeit einer Verbrennung durch das znrückfliessende Wasser der heissen
Ausspülung denken, doch Hess sich dagegen einwenden, dass, abgesehen von der be¬
sonderen Art der Hautveränderung, dadurch sicherlich ein mehr diffuser, nicht so
Ueber die histologische Beschaffenheit der nekrotischen Partie können leider keine Angaben
gemacht werden, da deren microscopische üntersnehung versäumt wurde. Nach t?. RecklingJMWtcn
(Allgemeine Pathologie, deutsche Chirurgie, Lief. 2 und 3, 1883, S. 319) liegen der Ergotingangrän
wesentlich hyaline Thrombosen der Arterienästchen zu Grunde, die durch spastische Contraction
derselben zu StanjJe kommen sollen.
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streng localisirter Befand entstanden wäre. Ein gewöhnlicher Decubitus durch Druck¬
wirkung bei einer 24jährigen, im Ganzen gesunden Frau, ohne organisches Herzleiden,
erschien ausgeschlossen. Zur Annahme eines Decubitus acutus, wie er als trophische
Störung bei gewissen Krankheiten des Gentrainervensystems beschrieben ist, lag keine
Veranlassung vor. Ein emboTischer Ursprung liess sich nirgends ableiten. För eine
infectiöse Entstehung der Hautgangrän fehlten die Anhaltspunkte. — Bei Ausschluss
aller dieser Möglichkeiten erhält der beschriebene Befand seine befriedigende Erklärung,
wenn man dafSr auf die während der Nachgeburtsperiode applicirte Ergotininjection
znröckgreift und den Fall als acute Ergotingangrän der Haut und des
ünterhautzellgewebes auffasst. Dem entspricht die plötzliche Art der Entstehung, das
Gefühl des Unbehagens, das gleich nach der Gebart in der Kreuzbeingegend vor¬
handen war, die streng umschriebene Form der Nekrose an einem tief gelegenen
Körpertheile, sowie der Verlauf und Ausgang des ganzen Processes.
Bei der Besprechung des Falles ist zunächst auf die Qualität und Quantität des
verwendeten Ergotins näher einzngehen. Dasselbe war von Apotheker ' Denee^ in
Tübingen direct bezogen und nach seiner eigenen, för sein Ergotinum fluidum gegebenen
Formel: Ergotin. Denzel 25,0, Borac. 2,5, Aq. destillat. 72,5 verdünnt. Eine Spritze
enthielt demnach 0,25 reines Extract, das seinerseits, immer nach Dened's Angaben
(vgl. sein Circular, sowie Mank: Ein neues Mutterkornextract, Tübingen 1884) 2,0
Pulv. secal. comut. entspricht.') Das einverleibte Quantum ist diesen Quellen nach
nicht zu hoch gegriffen. Säxtnger gibt nach Mank (a. a. 0. S. 13. 14. 15) manch¬
mal sogar 2 Spritzen kurz nach einander. Ich kann aus meiner eigenen Erfahrung
beifügen, dass ich gerade bei Blutungen der Nacbgebnrtsperiode vielfach schon 2 volle
Spritzen der genannten Lösung injicirte, ohne den geringsten Nachtheil davon zu
sehen. Es ist darum nicht wohl tbunlich, das angewendete Quantum von vorne herein
für die eingetretene Hautgangrän verantwortlich zu machen. Vielmehr dürfte es sich
hier um einen jener Fälle handeln, in denen, wie das auch von anderer Seite be¬
stätigt wird (vgl. Fritsch: Frauenkrankheiten, 2. Auflage, 1884, S. 286, sowie Falck
Intoxicationen in Virchow'a Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie, 1855,
II'., S. 318), eine individuell geringe Toleranz gegen Ergotin vorliegt, nach welcher
einzelne Menschen ohne nachweisbaren Grund viel höhere Dosen dieser Substanz er-,
tragen als andere, die darauf sofort mit Vergiftungssymptomen reagiren. Dazu kommt,
dass, wie namentlich Wemich (in Beiträge zur Gebnrtshülfe und Gynäkologie, Berlin
1874, III., S. 134) und Bosek (Intoxicationen im Handbuch der speciellen Pathologie
und Therapie von v. Ziemssen, XV., S. 594 ff.) hervorheben, bei Schwächezuständen
des Herzens und bei Anämischen viel leichter eine Blutleere und somit ein Absterben
peripherer Theile zu Stande kommt, als wenn das Blutqnantüm nicht vermindert
wurde. Der bedeutende, der Ergotineinspritzung vorausgegangene Blutverlust mag
daher zur Entstehung der Nekrose wenigstens indirect beigetragen haben.
Benzei gibt an, dass für sein Präparat die Dosirung des officioellen Extractes beibehalten
werden könne, für welches allerdings weder die 2. noch die 3. Auflage der deutschen Pharmacopoe
Maximaldosen aulstellen. Nach dem Supplement zur Edit. alter, phanuac. helvet. ist für das Extract.
secal. cornut. ad inject, subcutan. die M. D. simplex 0,1, die M. D. pro die 0,5. Von den ge¬
bräuchlichsten Lehrbüchern der Gynäkologie und Geburtshülfe bew^egen sich die meisten in der
Dosirung innerhalb der oben angeführten Grenzen. Einzig r. Winckel (Lehrbuch der Geburtshülfe,
2. Auflage, 1893, S. 477 und 718) räth mit geringem Dosen, von 0,05 an, zu beginnen.
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Die Erscheinungen des Ergotismns gangrsenosus sind nach Kdbert (a. a. 0.
S. 327 ff.) auf die Wirkungen der im Mutterkorn enthaltenen Sphacelinsfture znräck-
Zufuhren. Es ist hier nicht die Stelle, die verschiedenen Ansichten zu erOrtern, nach
denen sie entweder durch eine krampfhafte Gontraction der Geffissmusknlatur oder
indirect durch Beeinflussung der vasomotorischen Nerven zu Stande kommen. Wohl
aber därfte es von practisch*pharmacoiogischem Interesse sein, darauf hinzuweisen, dass
nach Dentd (vgl. sein Circular sowie Arch. d. Pharmacie, 3. Reihe, Bd. 22, S. 49 ff.)
sein Pr¶t keine Sphacelinsfture enthalten soll. Aus der beschriebenen Beobachtung
ergibt sich, dass entweder diese Tbatsache nicht absolut richtig ist, oder dass in dem
DeihveTschen Extract, wenn nicht die Sphacelinsfture, so doch ein anderer, Nekrose er¬
zeugender Kftrper enthalten sein müsse.
Die veröffentlichten Fftlle von Ergotingangrftn nach therapeutischer Anwendung
dieser Substanz sind, wie schon Eingangs bemerkt, nicht gerade zahlreich. Im Gegen¬
satz zu den Symptomen der spasmodischen Form des Ergotismns, die besonders in
ihren Anfahgsstadien in der gebnrtshülflich-gynftkologischen Litteratur nicht selten er-
wfthnt werden, entbftlt die letztere nur spftrliohe Mittheilungen über Mutterkornbrand.
Von den betreffenden Hand- und Lehrbüchern erwfthnt nur das von Schrceder (Geburts¬
hülfe, 12. Auflage, S. 543 Anmerkung) einen im Jahrgang 1870 des Lancet pnbli-
cirten Fall von Begg, indem bei einer schlecht genährten Frau nach Secaleverordnung
Gangrftn der vier Extremitftten eintrat. Die übrige hieher gehörige Casuistik ist von
Robert (a. a. 0., S. 348) zusammengestellt. Bemerkenswerth bleibt dabei, dass nur
vereinzelt die Haut und am wenigsten die Gesftsshaut von Gangrftn befallen werden,
wfthrend andere periphere Theile wie Finger, Hände, Nase viel häufiger afflcirt er¬
scheinen. Ueber besonders interessante Fftlle von Hautnekrose' berichtet Taube (Die
Geschichte der Kriebelkrankheit, Göttingen 1782). Einen dem meinigen analogen
Fall von isolirter Nekrose der Gesftsshaut, einen Decubitus vortauschend, habe ich in
der Litteratur nicht verzeichnet gefunden.
Im Anschluss an das Vorstehende möchte ich auf eine Arbeit von E. Marcus:
Glycosurie und Decubitus im Wochenbett. (Deutsche med. Wochenschr. 1892, Nr. 47,
S. 1066 ff.) zu sprechen kommen, die zu meiner Beobachtung nahe Beziehungen aufweist.
Es ist dort die Rede von einer 27jährigen Primipara, die mittelst Zange entbunden
wurde. Eine ziemlich starke Blutung nach Abgang der Placenta stand auf Compression
des Uterus und auf S e c a 1 e. (Welche Form und wie viel von dieser Drogue ver¬
abreicht wurde, ist nicht angegeben.) Am 3. Tage post partum klagte die Wöchnerin
über stechende Schmerzen im Kreuz. Die Besichtigung ergab in der Gegend des Sacrums
symmetrisch auf beiden Hinterbacken röthlich-blaue glänzende Flecken in der Oesammt-
ausdehnung einer Hand. Der Decubitus, mit dem man es zu thun hatte, entwickelte
sich in den nächsten Tagen zn einem tiefen Geschwür, das unter Anwendung der üb¬
lichen Mittel innerhalb 6 Wochen heilte. Znr Erklärung seiner Genese wurde wegen
angeblichen Mangels anderweitiger Anhaltspunkte an die Möglichkeit eines latenten Dia¬
betes gedacht. Die Untersuchung des Urins ergab während 6 Wochen nach der Geburt
einen Gehalt von 0,7'’/o Traubenzucker, der dann verschwand und im zweiten Wochen¬
bett der Frau nicht wiederkehrte; wohl aber fand sich während des letztem im Urin
0,5'*/o Milchzucker.
An der Hand dieses Falles gibt Marcus eine längere Auseinandersetzung über
das Vorkommen von Zucker und namentlich von Traubenzucker im Wöchnerinnenurin.
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Er besteht darauf, dass es sich in seinem Fall um Trauben- und nicht um Milch¬
zucker gehandelt habe und ist geneigt, den 48 Stunden nach der Geburt zu Stande
gekommenen Decubitus mit der Mellitnrie in Zusammenhang zu bringen, denselben
somit als Folge eines ächten Diabetes aufzufassen.
Die Aehnlichkeit der Afarcws’schen Beobachtung mit der Eingangs geschilderten
liegt auf der Hand. Hier wie dort stärkere Blutungen in der dritten Geburtsperiode,
in beiden Fällen Anwendung von Secalepräparaten, bei den zwei Frauen umschriebene
Hautnekrosen in der Ereuzbeingegend.
Wie verhält sich die Erklärung dieses Hautbrandes als einer Folge eines Dia¬
betes zu meiner Auffassung desselben als Ergotingangrän? Die Vermuthung lässt sich
nicht von der Hand weisen, dass trotz den Versicherungen von Marcus es sich in
seinem Fall um die Gegenwart von Milch- und nicht von Traubenzucker gehandelt
hat. Dafür sprechen das kurze Anhalten jener angeblichen Melliturie, das mit der
physiologischen Dauer des Puerperiums zusammenfällt, der Mangel aller anderweitiger
diabetischer Symptome, der im zweiten Wochenbett constatirte und quantitativ mit
dem angeblichen Traubenzuckergehalt des ersten Wochenbettes beinahe übereinstimmende
Milchzuckergehalt des Urins. Die von Marcus, als für Traubenzucker massgebend, ange¬
führten Reactionen (Beductionsprobe, Gährung und Polarisation) sind nicht entscheidend.
Auch mit Milchzucker können alle drei erhalten werden. (Vgl. hierüber die Lehr¬
bücher der Chemie, z. B. Oorup-Besartee. 6. Aufl. II. S. 340.) Wie Marcus
seinen eigenen Auseinandersetzungen entnehmen konnte, ist ja der Streit, ob der Wöch¬
nerinnenharn trauben- oder milchzuckerhaltig sei, von Hofmeister und Kdltenback nicht
mit Hülfe der angeführten Reactionen, sondern auf ganz anderem Wege zu Ende ge¬
führt worden. Mit der Thatsache, dass diese Proben nicht von vorne herein gegen die
Gegenwart von Milch- und für diejenige von Traubenzucker sprechen, steht und fällt
die vermuthete diabetische Natur des beschriebenen Decubitus und die Aufgabe, seine
Aetiologie aufzuklären, erwächst von Neuem. Auf Grund meiner Eingangs mitgetheilten
Beobachtung und mit Berücksichtigung des Umstandes, dass auch in diesem Fall
Mutterkornpräparate bei einer durch Blutverluste geschwächten Frau verabreicht
wurden, scheint mir, bei Ausschluss anderer Möglichkeiten, seine Auffassung als einer
Ergotingangrän der Haut durchaus berechtigt.
Zuzugeben ist allerdings, dass eine endgültige Entscheidung über diese Frage
nur durch controlirende klinische und experimentelle Versuche gewonnen werden kann.
Zweifelsohne aber ist vorausgegangene Ergotinanwendung für die Benrtheiinng eines
Decubitus im Wochenbett nicht belanglos.
Eidgenössische Kranken- und Unfallversicherung.
Aerztliche Betrachtung der Vorschläge von 1893
von Dr. Sonderegger. 0
^Der Bund wird auf dem Wege der Gesetzgebung die
Kranken- und U n f a 11 y e r si c h e r u n g einrichten, unter Berück¬
sichtigung der bestehenden Krankenkassen;^ so lautet der Bundes-
') Referat an der 47. Yersamminng des ärztlichen Centraivereina in Zürich.
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beschluss vom 13. Juni 1890, der am 26. October gleichen Jahres mit 283,228 Stimmen
gegen 92,200, und mit 18 ganzen und 5 halben Standesstimmen gegen IY 2 angenom¬
men wurde.
Das Votum war deutlich und stark, die Stimme eines Volkes, das keine Klassen
kennt und redlich für Alle sorgen will. Der Bundesrath hat nicht ermangelt, den Be¬
schluss gewissenhaft auszuführen. Einem hervorragenden schweizerischen Juristen, der
als umsichtiger und energischer Anwalt der Arbeiter bekannt war, wurde die Verarbeitung
des gross angewachsenen Materiales und die Redaction eines Gesetzesentwurfes übergeben,
wie ihn die Volksabstimmung verlangt hatte. Die Geschichte der grossen Experten¬
commission ist bekannt und kann hier übergangen werden.
Bald nach Schluss dieser Commission organisirte die Gruppe derselben, welche
immer in kleiner Minderheit geblieben, z. B. bei der unentgeltlichen Krankenpflege, mit
8 gegen 32, — ihren Widerstand durch Vermittlung des Arbeitertages von Zürich,
5. November 1893, der alle Ansichten und Forderungen, wie er sie schon im Mai 1893
zu Biel aufgestellt hatte, vereinte und unter der Fahne einer Volks-Initiative dem amt¬
lichen Projecte Forrer gegenüberstellte.
Seither sind dem Schweizervolke noch mehrere andere Vorschläge empfohlen worden,
mit cantonalem, regionalem, ja mit bloss individuellem Gepräge. Wir übergehen sie hier
und halten uns an die Besprechung der beiden grossen, sich gegenseitig ausschliessenden
Projecte Forrer und Greulich.
Da bei der Kranken- und Unfallversicherung die Aerzte doch einigermassen be¬
theiligt sind und nicht ganz ohne Erfahrung sein können, wurden auch solche in die
grosso Expertencommission berufen und dort wohlwollend aufgenommen, auch wenn sie
etwas zu opponiren hatten. Die Männer der Volksinitiative dagegen haben sich die
Mitwirkung der Aerzte verbeten. Im Referate von Biel sagt Greulich: „Die Aerzte als
Privatindustrielle mit grossem Einkommen werden sich wahrscheinlich ablehnend ver¬
halten.^ Damit sind sie hinausmanöverirt und wenn sie sich dennoch eine Opposition
erlauben sollten, so ist sie als gemeiner Eigennutz gebrandmarkt.
Es entsprach den Grundsätzen der practischen Medicin, die erste Periode der
leidenschaftlichen Aufregung abzuwarten und den Beruf nicht zu schädigen, indem man
ihn gegen Phantasien ankämpfen Hess. Unterdessen klären sich die Fragen langsam ab,
die Ueberlegung kommt zum Worte und es ist selbstverständlich, dass auch die schwei¬
zerischen Aerzte ihre Ansichten aussprccheu. Sie können das thun als Bürger, denen
persönliche Erfahrungen im Kranken wesen zur Verfügung stehen und brauchen sich gar
nicht auf ihren Erwerbsstandpunkt zu begeben.
Der Inhalt der beiden grossen sich bekämpfenden Projecte ist allgemein bekannt und
kann hier mit wenigen Worten gezeichnet werden.
1. Forrer verlangt territoriale Krankenkassen, weil unser ganzes öffentliches Leben
sich auf der Gemeinde aufbaut und der Grundsatz der Zusammengehörigkeit die einzige
Grundlage ist, auf der unser Vaterland überhaupt bestehen kann. Flottantes und fremdes
Volk kann nur für den Augenblick und für sich selber sorgen. Der lebenskräftige Staat
beruht ausschliesslich auf der sesshaften Bevölkerung.
Greulich will, im Gegensatz hiezu, nur Berufskrankenktssen. Alle Bauhandwerker,
alle Eisenarbeiter, alle Spinner und Weber, alle Uhrenmacher und Sticker u. s. w.
würden ideelle, durch das ganze Land verstreute, aber durch gemeinsame Elrwerbsinteressen
verbundene Gemeinden bilden. Die Mitglieder der schwächer vertretenen Berufe aber
müssten dann doch von territorialen Kassen aufgonommen werden. Ja noch mehr: Diese
hätten kurzweg für Alle zu sorgen, die in den Berufskassen keine Aufnahme mehr ge¬
funden, das sind die Schwachen, wenig Erwerbsfähigen, der V. Stand, für welchen die
Initiative die bürgerlichen Gemeinden gut genug findet. Es ist wohl richtiger, den Ge¬
meinden nicht nur das schlechte, sondern auch das gute Versicherungsrisico zuzuweisen,
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denn die Gemeinden bestehen ans Bürgern, die nicht mehr, aber auch nicht weniger
werth sind als die organisirten Arbeiter.
2. Die Krankenkassenversicherung soll sich nach dem Gesetzes Vorschläge Forrer
erstrecken auf alle unselbstständig erwerbenden Personen, die mehr als 14 Jahre alt sind
und nicht über Fr. 3000 Jahresverdienst haben. Die Initiative beschränkt die sogenannte
Krankenkasse auf die nach ihrem System zu Berufsgenossenschaften verbundenen Arbeiter.
' Nach Forrer werden für die Versicherten 3—4®/o ihres Lohnes an die Kranken¬
kasse einbezahlt. Davon bestreitet der Arbeiter die eine Hälfte und der Arbeitgeber die
andere. Die Verwaltung der Kasse wird durch beide Theile gemeinsam besorgt.
Die Initiative nimmt den ganzen Krankenkassenbeitrag nur von den Arbeitern und
verbittet sich dafür auch jede Controle von Seite der Arbeitgeber.
3. Der Gesetzesvorschlag verwendet die gemeinsam aufgebrachten Beiträge für
die Krankenpflege: Arzt und Apotheker oder den Spital, ferner für ein Krankengeld von
^/s des versicherten Lohnes. Die Initiative verwendet die eingegangenen Beiträge aus¬
schliesslich zur Lohnentschädigung.
4. Nach der Krankenkasse kommt bei Forrer die Unfallversicherung, bei der
Initiative aber nothwendigerweise die Krankenpflege. Diese soll gänzlich vom Bunde
bestritten werden, unentgeltlich sein und alle „Bewohner^ der Schweiz umfassen, um
auch auf diesem Gebiete, wie bei der Volksschule, die socialen Unterschiede aufzuheben.
Die grossen Summen, welche diese Bundeskrankeupflege erfordert, zu der 75 bis 80^/o
aller Nutzniesser nichts unmittelbar beitragen, hat der Staat zu bestreiten, dem dafür
das Tabakmonopol gewährt wird. Wir kennen die Rechnungen und treten hier nicht
auf dieselben ein; wir nehmen an, dass der Tabak wirklich 15 Millionen Reingewinn
abwerfe (Millet berechnet ihn nur auf 87^ Millionen) und untersuchen als Aerzte nur:
5. Die Kostenberechnung der allgemeinen Krankenpflege überhaupt. Der Gesetzesent¬
wurf ist von möglichst vielen erfahrungsmässigen Thatsachen ausgegangen, hat die Rechnungen
der deutschen und der österreichischen Krankencassen, dann diejenigen verschiedener grosser
schweizerischer Verbände, besonders die der Stadt Basel, des Cantons Waadi und
des Cantons Bern zu Grunde gelegt und ist zu einem Jahresbudget von 20 Millionen
gekommen, von denen also die eine Hälfte von den Arbeitern, die andere von den Arbeit¬
gebern aufzubringen wäre.
Nach einlässlichen, mit ärztlicher Sachkenntnis und Erfahrung angestellten Berech¬
nungen des damaligen Sanitätsreferenten und des Mathematikers Moser belaufen sich die
Kosten des Iniiiativprogrammes für den Bund auf 34 Millionen, eine Summe, die uns
practizironden Aerzten wohl richtiger erscheint, als die ursprüngliche Annahme von 24
Millionen.
Die Initiative hat den umgekehrten Weg eingeschlagen und geht einfach von der
Zahl der Aerzte aus, berechnet für jeden eine Netto-Einnahme von Fr. 4000 bis 8000,
zusammen als Aerzte-Budget: Fr. 7,350,000, für Staatsapotheken: Fr. 4,748,000, als
Zuschuss für Spitäler: 2 Millionen.
Dass diese Rechnungsweise mehr bequem als genau ist, braucht unter Aerzten kaum
bewiesen zu werden. Characteristisch ist die Versicherung, dass das, was Cantone und
Gemeinden bisher an die Spitäler beigetragen, vom eidg. Budget als schon gedeckt abge¬
zogen werden könne, 7 während es doch bekannt ist, dass überall die freiwilligen und
die obligatorischen Krankencassen durch die Taxen ihrer Mitglieder einen grossen Theil ihrer
Spitalkosten bezahlen. Diese Summen fielen dann selbstverständlich weg. Ebenso berechnet
die Initiative alle Amtsärzte als bereits vom Staate bezahlt und nicht mehr in Rechnung
fallend.7 Aber ausser den Irrenhaus-Directoren und sehr wenigen Spitalärzten beziehen
diese Aerzte Gehalte von Fr. 1000 bis 3000. Die Bezirksärzte von Fr. 200 bis 400,
die Adjuncte gar nichts.
Der Arbeitertag zu Zürich 5. Nov. 1893, pag. 59.
7 Ebendaselbst pag. 62.
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6. Intoressant ist die Frage der freien Krankencassen. Der Gesetzesentwurf lässt
sie, genau nach der Forderung des Bundesbeschlusses, bestehen und Terlangt nur, dass
sie nicht weniger leisten als die eidg. Krankencasse und dass sie sich der staatlichen
Oberaufsicht, die übrigens in allen Cantonen längst besteht, unterziehen.
Dem gegenüber verlangt die Initiative, dass auch bei den freien Krankencassen
die Arbeitgeber gezwungen werden, die Hälfte der Wochenbeiträge za bezahlen, ohne
desswegen bei der Verwaltung mitbetheiligt zu sein. Diese Form der Freiheit blieb bei
der Experten-Commission als unverständlich in der Minderheit; 8 gegen 32.
7. Bei der Aerztefrage galt und gilt der Grundsatz: Suprema lex salus publica.
Das ganze Institut muss für die Kranken und nicht für die Aerzte gemacht sein, aber
diese müssen nach den Gesetzen des socialen Lebens doch so gestellt sein, dass sie über¬
haupt leistungsfähig bleiben und dass ihr Beruf nicht zur Zuflucht für minderwerthige
Geister werde, die nichts Besseres anzufangen wissen.
Der Forrer'sche Gesetzesvorschlag geht auch hier von gegebenen und bekannten
Verhältnissen aas, belässt die Aerzte der Eisenbahnen, Fabriken, Schalen und Hülfsgesell-
schaften, wie sie seit Jahr und Tag bestehen, und weist seinen neuen Cassenärzten ganz
dieselbe Stellung an, wie sie gegenwärtig jeder einzelne Arzt hat, und wie sie in muster¬
gültiger Weise bei der „allgemeinen Krankenpflege^ in Basel erscheint: die Gasse setzt
ihre Taxen für die einzelnen Categorien von Dienstleistungen fest, wählt Vertrauensärzte,
stellt es aber aach jedem andern legitimen Arzte, den ein Versicherter rufen mag, gänzlich
frei, zu den gleichen Bedingungen za arbeiten. Oekonomisch wird der Arzt dabei nichts
gewinnen und nichts verlieren, denn es kommt für ihn weniger auf die Hohe der Taxe
als darauf an, dass er ein bescheidenes Honorar überhaupt erhalte, and vor einem scan-
dalösen Kampfe mit der Armuth bewahrt bleibe. Maassgebend sind also folgende zwei
Grundsätze:
I. Die ärztliche Behandlung soll nach den einzelnen Leistungen, and nicht mit
einer Pauschalsumme honorirt werden.
U. Dem Kranken soll eine möglichst grosse Auswahl unter den, ihm überhaupt
zugänglichen Aerzten gesichert sein.
Die Verakkordirung des ärztlichen Dienstes mit den Absteigernngen und mit den
Massenabfertigungen wie sie bei deutschen und österreichischen Krankencassen mancherorts
Vorkommen, wurden grundsätzlich ausgeschlossen. Es ist selbstverständlich, dass manche
einsame oder arme Gegend, die bisher ganz ohne Arzt gewesen, beim Betriebe der eidg.
Krankencasse einen Arzt haben wird, weil sie ihm ein bescheidenes Auskommen sichert,
das er dort sonst nicht gefunden hätte.
8. Anders gestaltet sich die Sache bei der Initiative. Diese nimmt, wie ökonomisch
so auch medicinisch, auf die gegebenen Verhältnisse keine Rücksicht und gestaltet den
ganzen ärztlichen Dienst von oben herab. Für so und so viele Einwohner ein Arzt, der
Alle und Alles behandelt oder nöthigenfalls in den Spital schickt. Es wird zugegeben,
dass noch eine Anzahl neuer Spitäler nöthig wäre, und aach ein Budget von 1 bis 2
ungeraden Millionen für dieselben aufgestellt. Die Initiative würfe ihren Staatsärzten
Jahresgehalte von 4000 bis 8000 Franken aus. Da die Medicamente und Bandagen von
den Staatsapotheken geliefert werden, so wird das Honorar besser, als es für viele Gegenden
und für viele Aerzte gegenwärtig ist. Abgesehen von alltäglichen Wahrnehmungen zeigt
auch die Hülfscasse für Schweizerärzte, dass der Arzt sehr oft nichts minder als ein
„Privatindustrieller mit hohem Einkommen^ ist. Die Schwierigkeiten liegen nicht im
Gehalte, der versprochen wird, sondern in folgenden Verhältnissen:
9. Der Arzt mit Wartgeld, der den Kranken nichts kostet, ist ein so geplagter
und misshandelter Mann, dass ihm sehr oft nur die Wahl bleibt zwischen Gewissenlosigkeit
oder Abdankung. Wir sehen das in den italienischen Städten, wo es seit Jahrhunderten
Staatsärzte giebt, and ebenso in den Cantonen Tessin und Bünden mit ihren Gemeinde-
und Landschaftsärzten, wo jeder Arzt, der leistungsfähig uud beliebt geworden ist, den
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Posten aufgiebt und freier Practiker wird, „Medico libero“. Dieses Institut ist auf Anfänger,
auf Schiffbrüchige und auf Invalide angewiesen.
Von den freien Aerzten, die eine grosse Schwierigkeit für Staatsarzte würden, spncht
die Initiative gar nicht. Sie sind aber nicht nur nicht auszurotten, sondern entwickeln
sich zu einer Aristokratie gegenüber den Plebejern. Für den Patienten wird der Unter¬
schied zwischen Reich und Arm viel grosser und widerwärtiger als er jetzt ist.
10. Vor allem aber hat die Initiative vergessen, dass die totliche Praxis. der
individuellste Dienst ist, den es in der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt gibt. Der
Arzt ist verloren, wenn ihn sein Patient haben muss, der einen andern haben möchte
und haben könnte. In ihrer Noth findet auch die bittere Armuth noch Geld für den
Arzt oder auch für den Quacksalber ihres Vertrauens. Die militärische Yertheilung der
Praxis ist ein schwerer psychologischer Rechnungsfehler. Die mustergültige „allgemeine
Krankenpfiege^ von Basel, bekanntlich ein freier Verein init circa 15,000-Mitgliedern,
lässt den Kranken die Auswahl unter 35 Aerzten und 19 Apotheken. Die neue Poliklinik
des Cantons Basel-Stadt gewährt, wie jede andere Poliklinik, keine Auswahl, erstreckt
sich aber nur auf Leute mit weniger als Fr. 800, und wenn sie verheirathet sind, mit
weniger als Fr. 1200 Jahresverdienst, und gibt diesen die Anwartschaft, in schweren
Fällen sich im Spitale und von den ärztlichen Not^bUitäten der Universität behandeln zu
lassen. Das ist etwas anderes, als die Poliklinik für Alle und ohne die Rüokzugslinie auf
einen nahegelegenen und ausgezeichneten Spital. Aber sogar die Poliklinik in Basel
empfindet jetzt schon ihre grossen Schwierigkeiten. Wie würde es erst auf dem Lande
gehen?
Wir stossen hier auf einen zweiten psychologischen Rechnungsfehler der Initiative:
die absolute Unentgeltlichkeit. Diese setzt einen Seelenadel der Empfänger voraus, welcher
in der Thai so illusorisch ist, wie ein Geburtsadel. Die gewöhnliche Folge ist der schnöde
Missbrauch. Unter denen, die ihren Arzt nie bezahlen, sind es bekanntlich nicht die
Armen und Schwerkranken, sondern die Liederlichen und die Leichtkranken, die ihn nach
Mitternacht rufen und überhaupt erbarmungslos behandeln. Diese sind auch der Schrecken
der Spitäler.
Und nun vollends die Simulanten! Sind sie etwa selten? Die Initiative rechnet
mit diesen bei ihren Lohnversicheruogscassen und sagt: „Bei ungenügender Controle erhöht
sich durch Simulation die Zahl der Krankentage leicht auf die Hälfte, ja bis auf das
Doppelte der Durchschnittshöhe." Bei der Krankenpfiege, die sie kurzweg dem Bunde,
und bei der Unfallversicherung, die sie kurzweg dem Arbeitgeber zugewiesen hat, kommen
die Simulanten nicht mehr zur Sprache, und vollends nicht beim Staatsarzte. -Helf Gott
diesem Festbesoldeten, der einen Simulanten ab weist! Wer sich nicht will Bequemlichkeit
und Herzeiishärtigkeit vorwerfen lassen, oder auch: wer wieder gewählt sein will, der
muss die Simulanten so bereitwillig und jedenfalls höflicher behandeln als die Schwerkranken.
Und diesem Sdaven aller Launen muthet die Initiative dann noch zu, Volksgesund¬
heitspflege zu treiben!*)
Von einem Manne, der nicht als unabhängig gilt, lässt man sich überhaupt nichts
dreinreden. Der beschäftigtste Practiker kann sich unpopulär machen, wenn er die Nase
in alle häuslichen Dinge steckt „die ihn nichts angehen." Man will den Doctor für die
ELranken und nicht für die Gesunden und der festbesoldete Mann soll sich nicht durch
allerlei Hygieine seinen Dienste zu erleichtern suchen.
Will die bürgerliche Gesellschaft, die auch für vieles Unnöthige und Schädliche grosse
Summen aufbringt, überhaupt Volksgesundheitspflege betreiben, so kann sie es nur mit der
Methode der Engländer, die auch in deutschen und schweizerischen Städten allmählig
Eingang findet: durch Anstellung festbesoldeter Aerzte, denen jede Krankenbehandlung
verboten ist. Wir gerathen mit der Initiative in eine ganz mittelalterliche Mixturenwirthschaft,
bei der kein Interesse und kein Geld für die Volksgesundheiispflege mehr übrig bleibt.
*) Arbeitertag in Zürich 5. Nov. 1893, pag. 61.
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Uod doch ist die Sorge für Wohnung und Ernährung de» Volkes viel wichtiger als die
nachträgliche Beschaffung von Medicamenten. Dass die Verhütung von Krankheiten sehr
Tiel mehr leistet als alle Behandlung, das hat die Tuberculose, das haben besonders auch
die Cholera- und Typhusi-Epidemien überall gelehrt, das weiss jetzt die ganze Welt, nnr
die lajtiatiTO scheint es nicht zu wissen. Unsere Arbeiterbevölkerung braucht vor allem
Hygieine der Wohnungen und Lebensmittel, nicht Staatsapotheken.
Der Gesetsesentwurf beschränkt sich in der Krankenbehandlung auf das Nothwendige;
die Initiative geudet und verschleudert, auf Kosten des Bundes. Man könnte heutzutage
diese mittelalterliche Humanität der Staatsapotheken überhaupt nicht begreifen, wenn man
nicht zugleich auch sähe, dass sie wesentlich zur Wiederherstellung eines mittelalterlichen
Zunft«* und Kastensystems dienen soll.
11. Von der Unfallversicherung haben wir hier wenig zu sprechen. Für uns
Aerzte war die grösste Frage, ob und welche Carenzzeit angenommen werden soll. Im
Gesetzesentwuife ist festgesetzt, dass der Unfallpatient die ersten 6 Wochen der Eranken-
oasso angehdre. Ist er unterdessen nicht genesen, sondern verstümmelt geblieben oder
gestorben, so hat die Unfallversicherung jedenfalls für ihn einzustehen.
die gewährt als Rente ‘/s des Taglohnes. Es liegt ein bedeutender Fortschritt in
der Bestimmung, dass die Unftillversicherung alle Mitglieder der Krankenversicherung
aufhimmt, an diese ansehliesst und sich auf alle Unfälle erstreckt.
12. Von grosser Tragweite, bei der Initiative von grundlegender Bedeutung, Ist
die Frage, ob die Versicherten für die Krankenpflege und für die Unfallversicherung auch
einen Beitrag zu leisten haben? Der Gesetzesentwurf hat, nachdem er den Arbeitern die
Hälfte des Krankencassenbeitrages abgenommen und auf den Arbeitgeber übergetragen, auch
fü» die Unfallversicherung dem Arbeiter Y4 des Beitrages zugemuthet, und das wesentlich
ans psycbologischmi Gründen, um die Versicherten für das Unternehmen zu interessiren
und sie zur BekiUnpfung der Simulation oder anderer Missbräuche mit heranznziehen.
Dass die Ai4)eiter sich im eigenen Interesse und von ihren eigenen Genossen eine gehörige
Oentrelle gefallen lassen, weiss jede Krankencassenverwaltung; aber ebenso bestimmt weiss
man, dass sie sich von Fremden nicht viel gefallen lassen. Dass nach dem Vorschläge
der Initiative die Versicherten bei der Krankenpflege und bei der Unfallversicherung
ökonomisch nicht betheiligt sind, ist na(di aller Erfahrung ein Grund zu Misstrauen,
Verwürfen und Geldverschleuderung, eine unversiegliche Quelle des Classenhasses, und eine
Garantie für doe Misslingen des ganzen Unternehmens.
12) Wenn wir die beiden Rathschläge, den Forrer'schen Glesetzesvorschlag und die
Greulieh'sche Initiative gegen einander abwägen, finden wir aber auch noch ein schweres
constituticmelles Bedenken.
Der Forrer^sche Entwurf ist eine sehr sorgfältige, ja ängstlich gewissenhafte Ant¬
wort auf die im Volksbeschlusse vom 26. Oetober 1893 gestellten Fragen. Von der
Gkeulieh'eohen Initiative lässt sich das nicht behaupten; sie ist nach ihrer Anlage und
Ausführung etwas ganz Anderes, als was der Bondesbeschluss verlangt; sie enthält gar
keine Krimken- und Unfallversicherung. Versicherung ist ein zweiseitiger Vertrag, mit
ökenomischer Leistung und Gegenleistung, hier gleichviel, ob die Gruppe der gesunden
Arbeiter die Gruppe der kranken Arbeiter versichere, oder ob Arbeiter und Arbeitgeber,
oder ob der emzelne Bürger und der Staat mit einander in das Vertragsverhältniss treten.
Immer gehören zu einer Versicherung ihrer Zwei. Wenn aber ein Kranker oder ein
Vemngllkdcter kurzweg an die Gemeinde oder an den Staat gelangt, um sich verpflegen
zu lassen, so ist das keine Versicherung, sondern eine Unterstützung, ganz gleich wie
die milde Gabe, die ein Abgebrannter einsammelt, der sich nicht versichern konnte oder
wollte. Es ist geradezu verblüffbnd, wie man die naive Anweisung an den Staat oder
den Arbeitgeber eine Versicherung nennen kann. Diese Anweisung mag noch so stolz
präsentirt werden, so ist sie eia Almosen, das dem Empfänger momentan hilft, aber
ihn schliesslich unbeholfener und ärmer macht.
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Eiue wirkliche Versicherung ist bei der luitkitiTe nur die sogenannte Krankenkasse,
richtiger gesagt: Lohnverstcherungskasse. Die InitiatiYe beh< dieVer-
sichernng für sich selber, übergibt die Kranken dem Bande,
und nennt dann das eine Krankenyersicherung»
Der Forrer’sohe Gesetseseiitwurf sieht auf dem ehrlichen Standpunkt einer Kranken¬
kasse, wie man sie überall versteht, die von Arbeitern und Arbetlgebem gebildet and
von beiden, als engverbundenen Schicksalsgenossen und Mitbürgern, gemeinsam verwaltet
wird. Die Orenlioh^sche Initiative protestirt auf das heftigste dagegen und erklärt die
voUständige Scheidung ewiaehen Arbeitern und Arbeitg^ern als die unerlässliche Be¬
dingung des ganami Werkes« Da es wohl unbestritten ist, dass Arbeiter ohne Arbeit¬
geber so wenig bestehen können, als Arbeitgeber ohne Arbeiter^ und dass die grundsäta-
liche Trmmaag in zwei Lager als ein Widerspruch in sich selber erscheint^ wird man ge-
Ewangen, nach einem zureichenden Grunde dieser gani unerlässlichen Scheidung der
gemeinsamen Humanitätsfrage au suchen«
Soll die Lohnversioherungskasse überhaupt für die Verpflegung von Kranken dienen^
so findet man ihn nicht. Man findet ihn aber in der Erklärung des Herrn Prof. Beck^
welcher sagt: «Der schlimmste, gefährlichste Feind der freien Krankenkassen sei: die
Last der Krankenpflege
Jede Kriegskasse hat ihre Berechtigung, aber sie soll sich nicht den Mantel einer
Krankenkasse ntnhingm.
14) Das Studium der beiden vorliegenden Entwürfe führt zu folgenden Ergebnissen:
l. Die Greulich'sche Initiative bezeichnet etwas ganz anderes, als
was der Volksbesohluss verlangt, insbesondere bezeichnet sie keine Krankenversicherung,
da die ganze Last der Krankenpflege und Unfallentschädigung ohne irgend eine Gegen¬
leistung von dem Nutzniesser abgewälzt wird.
tl. Die Begründungen der Initiative sind irrthümlich, so weit sie das Kranken¬
wesen, und ungenau, so weit sie die ökonomischen Berechnungen betreffen. Insbesondere
fehlen genügende Angaben, wie man sich die Ausführung im Einzelnen vorstellen soll.
m. Die Initiative ist ohne eine gänzliche Umwälzung unserer socialen Verhältnisse
nicht ausführbar; sie fängt beim Ibrnen Ende an, anstatt beim Anfänge'und verläugnet
die Gesetze des socialen Lebens, nach denen das Grosse ans dem Kleinen, das Viel¬
gestaltige aus dem Einfachen sich entwickelt, wenn es überhaupt lebensfähig ist.
IV. Die Trennung des Volkes in zwei scharf abgegrenzte Lager ist für die Kr^ken-
pflege unnöthig und für die ganze bürgerliche Gesellschoft verderblich.
Dagegen ist vom Forrer’schen Geseizesentwurfe folgendes zu
sagen:
I. Er hält sich genau an die Forderungen des Volksbeschlusses voni 2fi. Oct. 1893
und steht auf dem Böden einer wirklichen und ehrlichen Versicherung für Krankheit
und Unfall.
II. Er sohliesst sich natnrgemäss an bekannte und bewährte Einrichtungen an,
speculirt weder mit den Menschen noch mit ihrem Gel de, bietet die Möglichkeit einer
weiteren Entwicklung zur Invaliden- und zur Altersversicherung, und bildet kein Hinder¬
niss für dia staatliche VottDSgcsa&dlicIlBpflege;
III. Der Vorschlag ist unter Anstrengung aller Hülfsmittel gegenwärtig ausführbar.
IV. Er ist dazu angethan, in bewegten Zeiten ein Werk der Eintracht zu werden,
die Kraft und Einheit des Vaterlandes zu fördern.
Tit. I Die schweizerischen Aerzte haben sich bekanatlieh bei den sogenannten
VoHcsversamfiiluagen der Inüiatlvfpeuiide sehr seiten zum Worte gemeldet; aber gänzßoh
stumm und mhig dürfen sie dennodir nicht bleiben; sie müssen als Bürger und; als
*) Der Arbsitertag in Zürich, ö. Nov. 1893. psg. 40.
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Menschenfreunde für die Humanität ihrer Berufes einstehen^ und dagegen protestiren, dass
er zum Versuchsfeld für socialistische Streber gemacht werde.
Der Oentralverein wird gut thun, gleich wie die ärztliche Gesellschaft des Cantons
Waadt, sich einmal deutlich auszusprechen.
loh bringe deshalb folgenden Vorschlag zu Ihrer Discnssion und beantrage eine
Abstimmung über denselben.
— Vorschlag. —
Der centrale ärztliche Verein der Schweiz wolle besch Hessen:
Wir betrachten die G r e n 1 i o h ’ s c h e Initiative nicht als
eine Antwort auf den Volksbesohluss vom 2 6. October 1890
und sind der Ansicht, dass, wenn die Kranken- und Unfall-
Versicherung ernsthaft zur Hand genommen und nicht auf
unabsehbare Zeiten verschoben werden soll, es nur auf der
Grundlage des Forrer’schen Gese tzesen t wurfes geschehen
kann.
'Vereineibericlite.
Zürcher Gesellschaft für wissenschaftliche Gesundheitspflege.
Sitcng 6. Dezeaber 1893 ia CaK dafnm.')
Auf Antrag des Comites wird beschlossen, den Artikel betreffend Ehrenmitglieder
als $ 4 b in die Statuten einzureihen.
Das Präsidium teilt den Austritt des Herrn Dr. Keren aus der Gesellschaft mit.
Vortrag von Herrn Professor 0. Wyssi Rflekblick aaf die letzte Choleraepidenle.
Discussion: Dr. Zehnder weist darauf hin, dass auch während der Zürcher
Epidemie vom Jahre 1867, die nicht als eigentliche Trinkwasserepidemie aufgefasst
werden kann, Infectionen durch Sodbrunnenwasser vorkamen, also locale Trinkwasser¬
epidemien. Es verging dann längere Zeit bis die Epidemie einen explosiven Character
annahm.
Prof. Lunge macht namentlich auf die bedenklichen Folgen von getrennten Trink-
und Brauch Wasser Versorgungen aufmerksam, bei welchem System letztere mit minder-
werthigem Wasser gespeist werden, welches trotz eines Verbotes doch getrunken wird.
Ferner wendet er sich gegen die offenen Sandfilter, die zur Winterszeit durch Einfrieren
insufücient werden, ln Zürich deckt man zur Zeit auch die beiden bisher offenen Filter.
Professor Zschohke wirft die Frage auf, ob es nicht möglich wäre, dass thierische
Fmces Cholerakeime enthalten. Wenn es auch bekannt ist, dass Cholera bei Thieren
spontan nicht auftritt, so könnte es doch Vorkommen, dass die Keime dieser Krankheit
z. B. durch Trinkwasser in den Darm gelangten und denselben in virulentem Zustande
wieder verliessen.
Die I. Versammlung süddeutscher Laryngologen und Rhinoiogen
fand am verflossenen Pflngstmontag in dem ja längst für solche Zusammenkünfte (z. B.
der Ophthalmologen) beliebten schönen Heidelberg * statt. Die Initiative dazu hatten in
verdankenswerther Weise der dortige Prof. Jurasz^ der bekannte Frankfurter Prof. M.
Schmidt und Docent Dr. Seiffert in Würzburg ergriffen: es sollte eine engere Fühlung
zwischen den stammverwandten Fachcollegen angestrebt werden, eine Vereinigung, ähnlich
wie sie zur Zeit von unserm verewigten Albert Burckhardt unter den Otologen Süd-
deutsohlands und der Schweiz gegründet Yind zur schönen Blüthe gebracht worden war.
*) Eingegangen 28. April 1894. Red.
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Dem Sammelrufe waren eine grössere Anzahl badischer und württembergischer ColLegen
gefolgt; dann waren mehrfach vertreten Frankfurt a./M., Mainz, Wiesbaden, Würzburg,
Nürnberg, Strassburg, endlich auch die Schweiz durch Prof. Siebenmmn (Basel), Neukomm
(Heustrich) und Nager (Luzern). —
Unter dem schneidigen Präsidium von Prof. Schmidt wurden in weniger als einer
Stunde alle* die Constitoirung betreffenden Fragen abgewickelt, das Initiativoomite als
neuer Vorstand bestätigt und Heidelberg vorläufig wieder als Versammlungsort bestimmt.
Dem neuen Verein traten sofort 38 Mitglieder definitiv bei. Bezüglich der Schweizer-
Collegen vnirde noch speciell die Erwartung ausgesprochen, es werden dieselben sich in
Zukunft auch zahlreicher anschliessen, was bei einer rechtzeitigen Bekanntmachung der
nächsten Jahresversammlung — am besten jedenfalls durch gef. Vermittlung des Corresp.-
Blattes gewiss der Fall sein dürfte.
Die nachfolgenden drei Stunden wurden mit einer kurzen Unterbrechung (Buffetpause)
wissenschaftlichen Vorträgen und Demonstrationen gewidmet. Unter denselben erregten
besonderes Interesse ein Fall Jurasz^s von sogenannter Xerostomie, jener »tlologisch noch
räthselhaften Erkrankung der Mundschleimhaut, dann eine vor der Versammlung durch
Prof. Schmidt an einem Patienten ausgeführte Keseotion an der Nasenscheidewand mittelst
einer elektrisch betriebenen Trephine sowie die ebenso eleganten als lehrreichen ana¬
tomischen Präparate (sogenannte Terpentin-Trocken-Corrosionen und Nasenhohlen-Ausgüsse)
unseres Landsmannes Siebenmann.
Gegen 2 Uhr Nachmittags zog man „an Weisheit schwer^ zum alten Schlosse
hinan, wo im herrlich gelegenen Schloss-Hötel das Mittagessen mit Damen einen sehr
erwünschten Ruhepunkt bot. Als dann nach 4 Uhr die gesammte Tafelrunde aufbrach
und, begleitet von den Knaben einiger Heidelberger Collegen, durch den Wald Neckar
aufwärts nach dem Dorfe Ziegelhausen wanderte, hatte man den Eindruck eines riesigen
Familienbummels, wie er ja in eine so prächtige Pfingstlandschaft hinein gehört.
Die Heimfahrt geschah in grossen Nachen bei einer goldig warmen Abendbe-
leuchtung und in einer weihevollen Stimmung, wie sich beide vereint Einem selten so
schön wie gerade hier einstellen. Herr Prof. JurasZy der nachher die ganze Gesellschaft
in sein Haus zur „Abschiedszusammehkunft^ eingeladen und sich überhaupt als höchst
liebenswürdiger College . und ebenso geschickter Festordner ausgeaeiehnet hat, gebührt
jedenfalls das Hauptverdienst am schönen Gelingen dieser Vereinigung, die allen Theil-
nehmem in unauslöschlicher Erinnerung bleiben wird. N.
Referatse lAud Xiliritilceiii.
Lehrbuch der klinischen Untersuchungsmethoden für Studierende und practische Aerzte.
Von Dr. Sahliy Prof, in Bern. Mit 191 theilweise farbigen Holzschnitten im Text
und 2 lithographirten Tafeln. Leipzig und Wien, Franz Deuticke 1894. 676 pag.
Preis Fr. 18. 70.
Die auf physiologischer Wissenschaft aufgebaute Untersuchungsmethodik bildet eine
unerlässliche und jedenfalls die sicherste Basis alles ärztlichen Könnens. Wer erfolgreicher
Therapeut sein will, muss vor Allem gut untersuchen können. — Die Diagnostik ist
aber nicht ein abgerundetes Etwas, das man sich von der Universität als unveränderliches
Besitzthum zur Verwerthung mit in die Praxis nimmt. Kein anderes Gebiet der inhern
Medicin hat ähnliche Erweiterungen und Aufstellung neuer Gesichtspunkte erfahren und
entwickelt sich noch fortwährend so ausgiebig, wie gerade die Lehre von den klinischen
Untersuchungsmethoden und der Arzt, welcher oben bleiben will, muss vor Allem unaus¬
gesetzt mit den Errungenschaften auf dem genannten Gebiete Schritt zu halten und sie
sich anzueignen suchen. —
Ein ganz vortreffliches Hülfsmittel dazu, das ich den Collegen aus eigener Erfahrung
warm empfehle, ist das unlängst erschienene Lehrbuch von Professor SMi. Es hat mir
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während der paar Woeben, die ich es besitse, schon nnsählige, werthvolle Dienste ge¬
leistet und ist fliir ein unentbehrlicher Rathgel^r geworden. Der Hauptwerth des Buehes
liegt in der absoluten VoHständigkeis des darin behandelten Stoffes und in der gans ror-
züglichen, klaren Darstellongsweise, wie sie nur demjenigen eigen ist, d^ selbstständig
und gewissenhaft Alles geprift und erthhren hat. — Die reiche eigene Erfahrung des
Autors Hess ihn dann auch überall Wesentliches und BedeutnngsYolles hervorheben, Un¬
wesentliches nebensädüich behandeln — ein grosser Yomg des Budm, in wachem dev
Practiker nicht, wie in manchen oompilatoriseken Werken WMitiges and Unwichtiges,
Erprobtes und Unsicheres kritiklos neben einander findet. —
Der Stoff wurde von Sahli nicht nach Methoden oder Organen strenge gesondert,
sondern in freierer Weise nach der wirirKehen Znsammengebdrigkeit der Gegenstände
eingetbeilt, wodurch dem Buche das Schablonenhafte and Langweilige schon sum Tome«
herein benommen ist. — Mit besonderer Anfmerksamkeit ist die physikalisobe Diagnostik
behandelt. Das Capitol der Heraklappenfshler bildet einen der Glanzpunkte des rohalt-
sohweren Baches; die Erklärung der hydraulischen Verhältnisse der einzelnen Klappen¬
fehler kt nach einheitlichen Grundsätzen prächtig durehgefÜhrt. Ceberhaupt begnägt
sieh dev Verlasser nirgends damit, einfatdie dogmatische Sätze hinzustellen, sondern ver¬
sucht Alles, was znr Sprache kommt, zu erklären und so abzuleiten, dass ein wirkliches
Yersiändntss des Gegenstandes mogKcb wird — die beste Garantie für erfolgreiche and
bleibende Belehrung. — Besonders eingehend behandelt sind n. A. auch: Untersuehang
des Magens und seines Inhaltes, dann der Feees und des Barnes, des Ausworfes und
des Blutes. — You klassischer Klarheit ist die Methodik der Untersachuugen des Nervea-
systesis, wobei speciell die eleetrische Dntersachoug eine eingehende und auf selbst¬
ständigen Forschungen beruhende Besprechung erfährt. Kurzum, das ^oält’sche Lehrbuch
bildet eine wertbvolle Beveiehemng der Bibliothek des practischen Arztes; es wird bald
zu jenen wenigen Büohem g^ören, die d^ Practiker nicht mehr entbehren kann, sondern
jeden Augenblick zu Rathe zieht. —
Druck, Illustrationen und änssere Ausstattung des Werkes sind vorzüglich.
_ K Haffier.
Bie Infactifinakranklioiten, ihre Eiitaiehang, ihr Weten und ihre Bekämpfanf.
You Dr. W, Plange^ Kreisphysikus. Berlin 1894, Karger.
Eine Abhandlung für Aerzte und Yerwaltungsbeamte bestimmt, die über das Wesen
der Krankheitserreger und ihre Beziehungen zu den Infectionskrankheiten gemeinverständ¬
lich orientirt und dann im specFelfen Theil die Enistehungsursaehen und Yerbreitungs-
weise der Infectionskrankheiten, sowie ihre Bekämpfung bespricht. Huber.
Mt dütetistbt BebamHiiag der Magen-Darmcrkrankangeii, mH einem Anhing:
Die dtttetieebe Kttcke.
Von Dr. C. Wegele^ Arzt in Bad Könfgsbom. Jena, G. Fischer 1893.
Wir können das kleine Buch (154 Seiten) dem practischen Arzte bestens empfehlen.
Von Anfang bis zu Ende imponirt eine überaus glücklich gemischte Yerwerthung der
täglichen Erfahrung und der wissenschaftlichen Yersuebsergebnisse.
Allgemeine diätetische Grundsätze leiten das Büchelchen ein. Sodann folgt der
Yersuoh einer Beurtheilung der Nahrungsmittel nach dem Grad ihrer Verdaulichkeit und
eine Abhandlung über die Bedeutung des Nährwerthes der Nahrungsmittel. Den Haupt¬
inhalt beanspruchen dann die diätetische Behandlung der acuten und der chronischen Er¬
krankungen der Yerdauungsorgane.
Anhangsweise findet noch die „diätetische Küche" ihren Platz, wo man
über die Herstellung der einfachsten Gerichte in diätetisch zweckentsprechender Weise
Aufklärung findet. Huber.
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CompendHim der Toxicelogie.
VoH Dr. H, Hitdebrandt^ Leiter des pharmakologischen Laboratoriums der Farbenfabriken
Yorm. Hr. Bajer & Co. in Elberfeld. Mit 3 Abbildungen im Text. Preiburg Änd
Leipzig 1893, J. C. B. Mohr.
Man kann den Yergleich mit dem ITo^arfschen Lehrbuch nicht umgehen und dieser
muss zu Gunsten der ausführlicheren Darstellung ausfallen für Jeden, der einen allseitigen
Berather wünscht. Auf seinen 60 Seiten bietet aber das Compendium eine kurze, leicht
zu bewältigende Uebcrsicht des Wichtigsten aus dem grossen Gebiete der Giftlehre«
Seiiz,
I. Suggdstton und Hypnose.
Von Max Hirsch^ aus der Sammlung von ÄbeVs medicin. Lehrbüchern. Leipzig 1893.
Die kleine, 209 Seiten starke „ausschliesslich für den practischen Arzt berechnete,
kurze Anleitung" kann als eine ihrem Zwecke und der Absicht des Verfassers entsprechende,
gediegene Abhandlung betrachtet werden. Es fehlte bis jetzt in der That eine solche,
welche allein die Bedürfnisse des practischen Arztes im Auge hatte.
Im ersten Capitel gibt der Verfasser eine kurze geschichtliche Uebersicht. Im
zweiten bespricht er das Theoretische der Suggestion und des Hypnotismus. Wie Lie-
beauH nimmt der Verfasser hier an, dass die verschiedene Verwendung der Aufmerksam¬
keit eine wesentliche Rolle ^iele; er sieht aber nicht wie LUbwuU die Vertheilung der
Aufmerksamkeit in der Hypnose als ähnlich derjenigen im gewöhnlichen Schlafe an,
sondern er nimmt dort eine Concentrationsfähigkeit derselben für ihr Zustandekommen,
hier aber eine völlige Deconcentration für das Zustandekommen des Schlafes und während
desselben an. Im dritten Capitel bespricht er die allgemeine Suggestionslehre (Anwendung
der Suggestion im wachen Zustande, Anwendung der Hypnose, deren Technik etc.). Ifn
vierten Capitel ist die specielle Snggestionslehre resp. Suggestionstherapie bei den ver¬
schiedenen Krankheiten behandelt. Bei der Erörterung der verschiedenen Hypnotisations-
methoden vermissen wir diejenige von WeUersirand (im Anschluss an die LiHbeaulV^ehe)^
indem der Verfasser einfach auf die Besehreibung der WeUers^and*9(^m Methode hn Buche
ForeV% verweist. Der Wichtigkeit der IVcWcrrfratwfsehen Methode halber wäre diese
Uoterlasstmg in einer zweiten Auflage nachzuholen.
Das verständlich, gut und übersichtlich geschriebene Buch ist jedem practischen
Arzte zu empfehlen, dessen Bedürfnisse es durch die Berücksichtigung der practischen
Seite vollkommen entspricht. Auch der SpeciaHst Wird darin gute Bemerkungen finden.
2. Did Hypnose als Heilmiftel.
Vdn Dr. Xr. Friedrich^ Arzt in San Luis-PotosI (Mexiko), früherem Assistenzamte der
I. medicin. Abtheilung. Separatabdruck aus den „Annalen der städtischen allgemeinen
Krankenhäuser in München", Band VI. Bei Lehmann in Mönchen (1894).
3. Der Hypnoiiomifo hn Münchner Kranhenhausc (links der Isar).
Bitte kritische Studie Über die Gefahren der Snggestivbehandlnng von Dr. Freiherm
V. Schrenck-Noissing, Leipzig bei Abel 1894.
Die 39 Seiten starke Broschüre u. Schrenck-Notzing^s ist eine kritische Erörterung
der unter 2. angegebenen Abhandlung des frühem Assistenzarztes Friedrich der
V. Ziemssen*9then Klinik. Wer sieh eine Vorstellung von fbblerhafter Technik und
psychologischer Unkenntniss auf dem Gebiete der suggestiven Behandlung (spec. Hypnose)
macheii will, der kann ea in dieser Abhandlung in den Annalen der Krankenhänser
TOB Münobea naeblesen. r. Sehrench-Noizmg geiseelt dieeelbe denn anoh mit veilem
Rechte. Besser wäre es gewesen, wenn eine solche Znreehtweisang post fSrntm aieht
nothwendig geworden wäre und der Assistenzarzt Friedrich inefa, bevor er an 20 Personen
seine Versoehe angeetellt, von kandiger Seite Anleitung und Belelnrnng geholt hätte.
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Man darf das heutzutage verlangen, die Menschheit hat ein Recht darauf. Die Ab¬
handlung von Friedrich macht daher mehr deo Eindruck unreifer Versuche oder einer
Spielerei. Sie beweist aber auch zugleich, welcher Werth den frühem Angriffen des
Herrn Geheimrath v. Ziemssen (»die Gefahren des Hypnotismus^) beizulegen ist, welche
sich auf diese Pfuscherversuche basirten. Gegen eine solche Anwendung der Hypnose
ist freilich nicht nur vom medicinischen, sondern mit vollem Rechte auch — vom juri¬
stischen Standpuncte aus ein Veto einzulegen! Dr. Ringier (Zürich).
lieber latente Arteriosclerose und deren Beziehung zu Fettleibigkeit, Herzerkrankungen
und anderen Begleiterscheinungen.
Von Prof. Dr. v, Basch, Sep.-Abdr. aus der Wiener med. Presse. 1893. Nr. 20—30.
Wien und Leipzig. Urban & Schwarzenberg. 1893.
Es ist bekanntlich sehr wichtig, klinisch recht häufig an die Arteriosclerose zu
denken und schon möglichst früh deren Vorhandensein zu beweisen. Eines der Mittel
dazu ist der Nachweis des erhöhten Arteriendruckes, besonders mit Hülfe des Pulsdruck¬
messers. Ueber 150 mm Quecksilber Blutdruck in der Radialis ist schon als krankhaft
zu bezeichen. Verfasser theilt vorläufig die Ergebnisse seiner Beobachtungen an mnd
400 Fällen mit; sie zeigen Uebereinstimmung mit den allgemein gültigen Anschauungen.
Seite.
Die Krankheiten des Herzens und ihre Behandlung.
Von Dr. 0. Bosenbach, a. o. Profes^r an der Universität in Breslau. Erste Hälfte.
Wien und Leipzig. Urban & Schwarzenberg 1893.
Auf reicher Erfahrung fussend stellt der Verfasser in den Vordergrund aller Be-
urtheilung der Herzleiden die Leistung des Herzens und kommt so zu einer von der ge¬
wöhnlichen etwas abweichenden Anordnung seines Buches. Auch geht er in dieser und
jener Auffassung der Vorgänge seine eigenen Wege und hat dadurch schon lebhaftem
Widersprach gerufen (Wien. med. Wochenschr. 1894, S. 75). Das beweist, dass das
Werk wenigstens anregend wirkt und wirklich wird dasselbe nicht unbeachtet lassen
dürfen, wer sich bemüht, zu einem tieferen Verständniss vorzudringen der Vorgänge im
kranken Herzen und der natürlichen Mittel zur Ausgleichung der von ihm abhängigen
Störungen. Seite.
Bechhold’s Handlexikon der Naturwiesenschaft und Medicin.
Bearbeitet von A, Weide und Andern. Frankfurt a. M.; H. Bechhold, 1894.
Preis Mark 14. 40.
Des Auszugs Auszug aller Wissenschaft im Handbereich auf dem Schreibtisch ist oft
ein angenehmer Trost in bloss augenblicklicher oder andauernder Unwissenheit. Dass auf
1127 Seiten nicht lückenlos die ganze Medicin, Chemie, Botanik, Zoologie u. s. w., auch
nur in Andeutungen, vertreten sein kann, versteht sich von selbst. Aber was man
billiger Weise in Bezug auf kürzeste Angabe des Wesentlichsten, schöne Ausstattung
und wohlfeilen Preis verlangen kann, bietet das Werk in vollem Maasse. Seite.
Symptomatologie und Histologie der Hautkrankheiten.
Von H. Leloir und F. Vidal. In deutscher Bearbeitung von Dr. Eduard Schiff.
Lieferung 4. Hamburg und Leipzig. L. Voss, 1893. Preis 8 Mark.
Elephantiasis kann nicht mehr als Krankheitsindividualität hingestellt werden, sondern
ist zu zerlegen in die ganz verschiedenen Krankheitsformen, welche unter diesem Namen
zusammengewürfelt wurden. — Frostbeulen finden eine Darstellung, welche musterhaft
zeigt, wie auch scheinbar kleinliche Uebel durch wissenschaftliche Betrachtung interessant
werden. — Practisch wichtig ist, Kenntniss zu nehmen von der Zusammenstellung der
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Hautaasschlage durch Heilmittel und andere Reizeinflüsse. — Die klärende und sichtende
Arbeit der Verfasser zeigt sich sehr schön beim Capitel Erythema.
Leider hat den einen der Herausgeber des Yortrefflichen Werkes, Vidal^ der Tod
dahingerafft. Möge das glänzend Begonnene dadurch nicht zu Schaden kommen!
Seitz.
Archives des Sciences biologiques.
Tome II, Nr. 3.
Sur la composition chimique du goudron de pin et sur ses
proprietes desinfectantes.
Par MM. üf. Nenchi et N. Sieber.
Die ausführlichen Untersuchungon dieser Forscher zeigen uns, dass wir im Holz-
theer ein billiges und allgemein verbreitetes Präparat besitzen, dem eine sehr energische
desinficirende Wirkung zukommt, die allerdings sehr verschieden ist je nach der Her¬
kunft und der Bereitungsweise, welche Factoren einen wechselnden Gehalt an Phenolen
und Grad an Acidität bedingen. In Russland wird Theer hauptsächlich aus Birken,
Zitterpappeln und Fichten bereitet.
Im ersten Theil ihrer Arbeit geben N. und N. eine ausführliche chemische Analyse
des Fiohtentheers, die im Original nachzulesen ist. Was die desinficirenden Eigenschaften
dieser Theerarten betrifft, so zeigen die zahlreichen Versuche, deren Resultate in über¬
sichtlichen Tabellen zusammengestellt sind, dass die Tbeerpräparate, speciell der Fichten-
holztheer und das acetum pyrolignosum orudum der Carbolsäure nicht nachstehen. Ein
specielles Interesse verdienen die Versuche mit den so resistenten Milzbrandsporen. Die
verschiedenen Fichten theerarten brauchten —17 Tage um die Abtödtung zu Stande zu
bringen, Birkentheer 6—26 Tage, Zitterpappeln theer 2—14 Tage, acetum pyrolignosum
3—lö Tage, mit 5®/o Carbolsäure hingegen wurde auch nach 30 Tagen nie eine Ab¬
tod tung zu Stande gebracht.
L^action desinfectante des monochlorophenols et de leur.s
ethers salicyliques et leurs inetamorphoses dans Porganisme.
Par M. le Dr. 6. Karpaw.
Diese unter der Leitung von Nenchi ausgeführte Arbeit bringt uns wieder einige
neue Antiseptica, die Monochlorphenols, welche, den Versuchen nach zu be-
urtheilen, in ihrer Wirkung nicht nur die Phenole, sondern auch die Oresole weit über¬
treffen.
Von den 3 untersuchten Isomeren wird sich das Metapräparat in der Praxis, wegen
seines hohen Preises, nicht gut einbürgem; betreffs der desinficirenden Wirkung steht es
zwischen dem Ortho- und dem Parapräparat.
Sehr interessante vergleichende Versuche zeigen, dass während Milzbrandsporen
auch nach 20 Tagen in 57o Carbolsäure noch nicht abgetödtet waren, eine 4tägige Ein-
Wirkung der 2% Ortho- und eine 2stündige Einwirkung der 2^/o Paramonocfalorphenol-
lösung genügte, um sie ztt vernichten. Nach den in derselben Weise angestellten Ver¬
suchen von C. Frankel wirken ö®/o Meta- und Paracresollösungen erst nach 5—6 Tagen
tödtend auf Milzbrandsporen, die Orthocresollösung hatte nach 7 Tagen nur eine Ver¬
spätung der Entwickelung bewirkt. Intoxicationsversuche zeigen, dass diese Präparate in
der Dosis von ungefähr 1 gr pro Kilo bei Kaninchen letal wirken. Es fehlen leider
vergleichende Versuche oder Angaben über die toxische Wirkung der Phenole.
Die nach bacteriologischer und toxischer Richtung ausgeführten Versuche über die
Wirkung der 2 Isomeren der Salicylsäureverbindungen dieser Chlorphenole, der Ortbo-
und Parachlorsalole, zeigen, dass sie eine etwas losere antiseptische Wirkung als die
einfachen Salole entfalten; die Versuche scheinen jedoch dem Ref. zu wenig ausführlich,
um ein ürtheil über den Werth dieser Präparate abgeben zu können.
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386
Therapeutisohe Versuche mit diesen Präparaten werden in einer weiteren Hittheilung
desselben Heftes Ton Dr. Tschomrihuj puhliciri. Derselbe hatte Gelegenheit, während
eines Zeitraumes von 3 Jahren äber 200 Fälle Ton Erysipd so behandeln und konnte
die Wirkangslosigkeit anderer Behandliittgsinethodett constatiren, während er die Abortiy-
therapie der Krankheit mit diesen Präparaten nach Beobachtung an 24 Fällen sehr
rühmt.
Teme II. No. 4.
Sur une modificatiou dans Pop6ration de la fistule Eck
entre la reine porte et la reine care infärieure.
Par M. J, P. Btiwlow.
lieber die Technik dieser feinen Operation, die den Zweck hat, das Blut des Pfort¬
adergebietes direct in die Oara einsuitihren und so die Function der Leber auszusebalten,
haben wir schon früher referiri (cf. Corr.-Blatt 8. 668, 1893). Die nach der Operation
auflretenden Störungen führten Nenckij Pawlow und ihre Mitarbeiter auf eine Carbamin-
säureintoxication zurück und schlossen daraus, dass eine der Hauptfunctionen der Leber
die Umwandlung der Oarbaminsäure in Harnstoff sei.
Vom Gesichtspuncte ausgehend, dass, wenn noch mehr Blot in die Leber geführt
wird, die Function dieses Organs sich noch erhöht, modificirte Pawlow die Eck'ache
Operation in der Weise, dass er statt die Pfbrtader zu unterbinden, die Gara oberhalb
der AnastooKMe ligirte, so dass das Blut der unteren Extremitäten gezwnngen war die
Leber zu passiren, um ins rechte Hera zu gelangen; und in der That fehlten alle die
Intoxieationserschemungen, die nach Ausführung der Eck^Bch&n Operation bei Hunden
aufgetreten waren, rollständig, womit ein wichtiger Beweispunct für die Richtigkeit der
früheren Versuche gegeben war. Diese Operation erlaubte ferner den giftzerstörenden
Einüttss der Leber und ihre schützende Wirkung auf den Organismus riel genauer zu
studireo, als es bisher geschehen konnte. Versuche nach dieser Richtung hin führte
Kotliar an den ron Pawlow operirten Hunden aus. Die Resultate seiner sehr interessanten
Beobachtungen sind im nachstehenden Referate seiner Arbeit dargestelit.
Contribution ä Pötude du röle du foie comme organe dö-
fensif contre les substances toxiques.
Par M. le Dr. E. L KoiUar.
Die historisohe Entwickelung der Theorie, dass die Leber als ein Zerstöningsorgaa
der Gifte, speeiell denjenigen, die rom Danncanal aus in den Organismus gelangen, an¬
zusehen sei, wäre im Original nachzulesen. Kotliar hat die giftzerstörende Wirkung der
Leber auf renchiedene Substanzen untersueht, reröffentlieht aber hier nur seine Versuche
mit Atiopin, das er in phrsiologisohen nicht toxisdien Dosen anwendete.
Bei normalen Hunden ron ca. 20 kg bewirkte eine Dosis ron 0,005 Atropin intra-
stemaehal nur eine spätein tretende, rorübergehende Polsbeschleunigung, aber keine Re-
action seitens der Pupille, während bei nach Eck operirten Hunden kurz nachher in
Folge der direoten Aufnahme des Giftes in die Cicculation unter Aussebluss der Leber-
fonetios eine zMxhnale Popillenerweiternng mit unzählbarem Puls beobachtet wurde.
Don Einwand, dass die stärkere Reaetion bei den operiiien Hunden eine Folgw der
altgenwinen durch die Operation bedingten Sohwäohong sei, widerlegt KotUar durch fol¬
gende weitere Versuche: 0,002 Atropin wurde zwei Hunden in die Vena feuKiraHs ein-
genpritzi; der eine derselben war normal, der andere hatte (he naeh Pawlow mediÜctrte
Operation dnrehgemneht, kenn ersten floM also das FemoraHsrenenblnt direoi ins rechte
Hmrz, beim operirten Honde musste das Blut zuerst die Leber passiren. Ba zeigte sich
mm, dass die Reaetion beim operirten Hunde weit geringer war als beim normalen.
Um aber auch jedweden Einfluss dar Operation ausznschliessen, nmebte KotUmr
nodt folgenden Versuch: Bei einem naeh der Pawlow'oohoa ModifimUkm eparirtett Hunde
wurde Atropin intrarenös an der oberen Extremität, bei einem anderen in derselben
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387
Weise operirten zweiten Hunde wurde dieselbe Dosis mtravenÖB en der unteren Extremität
ehigespritzt; beim ersten gelangte also das Gift direot ins rechte Hera, beim aweiten
mueste das Gift die Leber passiren und auch hier wurde in den zwei Versncben ein
grosser Untersobied eonstatirt; bei den an der unteren Extremität eingespritzten Hunden
wurde eine Yemdgerung der Wirkung, die ausserdem riel weniger intensiY auftrat, oon-
statirt.
Yersoohe mit rtärkeren Dosen zeigten dem eingespritzten Quantum entsprechende
Unterschiede« Der schützende Einfluss der Leb^ machte sich aber auch hier in deraelben
Weise bemerkbar. TaoeL
Die eontagitteen Sexualkraekiieiteii.
Von Gr. Freiiag. Terlag von Abel, Leipzig 1883.
Ein kurzes Lehrbuch für practische Aerate und Studirende, das, ohne Anspruch auf
Originalität machen zu wollen, in übersichtlicher Form die gegenwärtig geltenden Lehren
und Anschauungen über die venerischen Krankheiten zur Kenntniss bringt. GonorrhoB,
Ulcus molle und Syphilis werden mit ihren Complicationen nach Aetiologie, Symptoma¬
tologie, Anatomie, Prognose und Therapie besprochen. Ein Anhang von brauchbaren
Receptformeln dürfte besonders dem practischen Arzt willkommen sein.
Zweifellos würde das sauber ausgestattete Werkchen erhöhtes Interesse gewinnen,
wenn der Yerf. aus seiner Bescheidenheit etwas herausgetreten wäre und seine eigenen
reichen Erfahrungen mehr hätte mitsprechen lassen, als sieh in die für ein „kurzes Lehr¬
buch^ gar zu vielen Details einzulassen. Berns (Zürich)«
Lehrbuch der Haut- und Geschleehtekrankbeiien.
«
Yon Prof. Wolff in Strassburg. Stuttgart, Verlag von Ferd. Enke.
Selten hat Bef. ein Werk mit solcher Befriedigung aus der Hand gelegt, wie das
vorliegende Lehrbuch des bekannten Strassburger Dermatologen.
Wohl mindestens 'j% Dutzend deutscher Lehrbücher dieser jüngsten aller Disciplinen
mögen in Cours sein. Es mochte daher auf den ersten Blick fraglich sein, ob das
Wolff sAq Werk einem „nachweisbaren Bedürfnisse entspringe. Und doch, vergleichen
wir diese Lehrbücher miteinander, so fällt uns mit geringer Ausnahme die seltene Ueber-
einstimmung der Ansichten, ich möchte fast sagen, Einförmigkeit auf; in der Mehrzahl
macht sich der gewaltige Einfluss F. Hebra's in fast übermächtiger Weise geltend. —
Dieser einheitliche Typus der dormetologisidheu deulsehm Lehrbücher machte schoa lange
ein Werk, das sich von vcnrid^rabi auf neutralen Boden stellte, wünschesswerth und
musste demselben von Anfang an eine günstige ProgiBOse sichern. — Das Wvlff^Bche
Lehrbuch kouunt diesen hohen Anforderungen in mustergültiger Weise nach; es steht als
ein Markstein in der dermatologisohen Litteratur da..
Nihil alienum a me puto. Hit gleichem Maasa hat W. sowohl die deuteche, als
auch die — leider oit so vernachlässigte fremde, speciell franzoaisoke und englische
Faohlitteratur gemessen, das Werthvolle und practisch Wichtige von allem Nebensächlichen
und Froblematiscben gesichtet und daraus ein Werk geschaffen, das sich den andern
Lehrbüchern würdig zur Seite stellen darf. Klare und anschauliche Darstellung der
einzelnen Krankheitsbilder, den erfahrenen Lehrer verrathend, flotte und anregende
Schreibweise, das Ganze von der scharfen Beobachtungsgabe des Forschers, der reichen
Erfahrung des gewiegten Practikers durehwirkt, sind weitere Vorzüge des prächtigen
Werkes,
Das 02Ü Seiten starke Bach zerfallt in zwei ungefähr gleich grosse Hälften. Die
1. Abtheilnng, der ein allgemeiner Theil: Anatomie and Physiologie der Haut, voraos-
geschiokt ist, behandelt die Hautkrankheiteu, der 2., etwas ausführlicher, die Geschlechts¬
krankheiten. Angenehm ühermscht wurden wir, dass W. gleich Kaposi auch die acuten
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InfeotioDskrankheiten, speciell Pocken, Masern, Scharlach, in die Beschreibung der Haut¬
krankheiten einbezogen hat. Gehören diese mit Recht zum grössten Theil ins Gebiet
der „innem Medicin^, so sollte doch schon aus Gründen der Differenzialdiagnose in keinem
„Hautwerk^ die kurze Schilderung derselben mit besonderer Berücksichtigung der so
charakteristischen Haut- und Hauptsymptome fehlen. Würden wir nicht ein Lehrbuch
z. B. der Augenkrankheiten, das Chorioidealtuberkel , Retinitis albuminurica etc. yoll-
stündig ignorirt, nur weil diese Affectionen keine „selbstständigen" Augenkrankheiten
sind, mit Recht der Unvollständigkeit zeihen?
Etwas auffallend ist ein gewisses Missverhältniss der Behandlung einzelner Ab¬
schnitte. Erfordert z. B. das Capitel über Behandlung der Syphilis volle 35 Seiten, so
wird die (übrigens trefüich geschriebene) Therapie des Eczems in etwas über 3 Seiten
abgethan. — Wohl nur wenige Aerzte werden sich mit der gleich einem Märchen aus
alten Zeiten uns anmuthenden, von W, empfohlenen Methode der Blutstillung mit Eisen¬
chloridwatte (S. 137), speciell im Gesicht, befreunden können. Doch was bedeuten diese
wenigen und unbedeutenden Aussetzungen gegenüber dem musterhaften Ganzen!
97 meist sehr gut ausgeführte und instructive Abbildungen, grösstentheils Originale,
erhöhen den Werth des auch im Druck vorzüglich ausgestatteten Werkes, das für seine
Collegen ein gefährlicher Concurrent werden durfte. Heuss (Zürich).
Arbeiten des pharmakologischen Institutes zu Dorpat.
Herausgegeben von Prof. Dr. R, Robert^ kais. russ. Staatsrath. IX. Mit drei farbigen
Tafeln. Stuttgart, P. Enke, 1893.
Die eingehenden geschichtlichen und pharmacologisohen Untersuchungen gipfeln für
das Zink darin, dass dasselbe in bisher üblicher Weise weiter gebraucht werden solle
und dass auch Versuche .mit Zinkhämol gemacht werden dürften.
Silbervergiftung kann auch rasch auftreten und es findet dabei Ablagerung des
Metalles in den Geweben statt.
Für uns sind am wichtigsten die Beiträge zur Kenntniss des Verhaltens des Eisens
im thierischen Organismus. Ferrum oxychloratum und Ferrum oxydatum saccharatum
sind nur in verschwindend kleinen procentischen Quantitäten resorbirbar, dagegen wird
das Hämogallol in beträchtlichen Mengen aufgenommen. Es ist anzunehmen, dass Hämol
und Hämogallol in Leber, Milz und Knochenmark zum Zweck künftiger Blutbildung ab¬
gelagert werden und dabei den eventuell schon vorhandenen normalen Par-Hämoglobin-
gehalt der genannten Organe vermehren. Seite,
« Der Alkohol als Genuss- und Arzneimittel.
Vortrag von Dr. A, Jaquet. Basel, Benno Schwabe. Preis Pr. 1. 20.
„Die in dem Vortrag vertheidigten Ansichten stehen in manchen Beziehnngen zu
den Theorien der Anhänger der totalen Enthaltsamkeit in directem Widerspräche, so dass
vielleicht vorliegende Publication irrthümlicher Weise als eine gegen die Abstinenz ge¬
richtete Polemik aufgefasst werden könnte. Meine Absicht war, zu zeigen, dass einzig
und allein der Missbrauch des Alcohols schädlich ist und dass mässiger Genuss von Wein
oder Bier unschädlich ist, ja sogar in gewissen Fällen von Nutzen sein kann."
Mit diesen Sätzen aus dem Vorworte seien die Herren Collegen auf den JctqueV^^hen
Vortrag hingewiesen. Der^lbe besagt in präciser und vorzüglicher Form, was Tausende
von Gebildeten, was namentlich die Mehrzahl der Aerzte aus Ueberzeugung und viel¬
facher Erfahrung glauben, Tausende, die es zu ihren socialen Pflichten rechnen, am
Kampfe gegen den Alcoholismus ruhig mitzuhelfen, welche aber — nur einem Systeme
oder einer ins Extreme getriebenen Theorie zu liebe — nicht gewillt sind, auf die seit
grauen Zeiten vielfach erprobten.wohlthätigen Wirkungen mässiger Alcoholdosen zu ver¬
zichten. — Jaquet geht als kritischer, experimenteller Pharmacologe ins Zeug, fährt ab
mit allen Uebersehätzungen der Bedeutung des Alcohols, z. B. als Nahrungsmittel, und
andern unsinnigen Anschauungen von empirischen Alcoholfreunden, rangirt den Alcohol
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389
— ein Gennas- und Arzneimittel — pharmacologiaoh allerdings in eine Reihe mit den
rein lähmenden und sohlaferzeugenden Arzneimitteln, ohne aber, wie diess Yon Einzelnen
geschieht, die erregenden Eigenschaften des Alcohols im ersten Stadium der Wir¬
kung zu übersehen oder gar (entgegen der lOOOfachen Erfahrung, dass Alcohol drohenden
Collaps beseitigen kann) zu läugnen. Er führt den letztgenannten Effect auf die Eigen¬
schaft des Alcohols als locales Reizmittel zurück. Der Bedeutung des Alcohols als
Arzneimittel ist der Schlusstheil des Vortrages gewidmet. — Derselbe sei hiemit den
Herren Coliegen zur Lectüre und Kritik wärmstens empfohlen. Er »trifft in so vielen
Punkten den Nagel auf den Kopf, wie diess eben nur bei einem mit der Materie ganz
Vertrauten möglich ist und wird auf Wahrheit basirt — im Kampfe gegen den Al¬
cohol missbrauch als kräftige Waffe dienen können. E, Haffter.
W oolaejEäbeiriolit.
Schweiz.
— Die 47. Veraamnleef des irzdiehee Ceetralvereies in Zürich war von circa
400 Aerzten besucht und nahm einen sehr schönen Verlauf, ln der 3 Stunden dauernden
Hauptsitzung im Grossrathssaale, in welcher bis zum Schlüsse ungetheilte Aufmerksamkeit
herrschte, wurden einstimmig folgende Anträge gut geheissen:
1) Wir betrachten die Greulich'sche Initiative nicht als eine Antwort auf den
Volksbeschluss vom 20. October 1890, und sind der Ansicht, dass, wenn die Kranken-
und Unfallversicherung ernsthaft zur Hand genommen, und nicht auf unabsehbare Zeiten
verschoben werden soll, es nur auf der Grundlage des Forreriscben Gesetzentwurfes ge¬
schehen kann. (Antrag Sonderegger»)
2) Im Laufe des Sommers soll in sämmtliehen ärztlichen Cantonaivereinen über
die Thesen Sonderegger''s betr. Krankenversicherung (Corresp.-Blatt 1893, pag. 469) ab¬
gestimmt und das Resultat der Abstimmung dem Präsidenten des Central Vereins zu
Händen der Herbstversaramlung in Olten mitgetheilt werden. (Antrag Kaufmann.)
Mit Bedauern vernahm die Versammlung die Kunde von der schweren Erkrankung
des allgemein verehrten und geliebten Sonderegger^B. Glücklicherweise lauten heute
(11. Juni) die Nachrichten über sein Befinden ganz befriedigend.
Auslands
— Als Nachfolger von Prof. LiJiche hat Prof. Madelung (Rostock) den an ihn eiv
gangonen Ruf als Director der chirurgischen Klinik zu Strassburg angenommen.
— Einen Fall von anifewihBllfher Byperfheraiie bei Intermittens erwähnt Ch.
Bichei in den Comptes rend. d. Soc. de Biolog. Nr. 16. Der Fall, der von Capparelli
in Catana beobachtet wurde, betrifft eine zwanzigjährige Frau, welche plötzlich von einem
heftigen Fieber befallen wurde. Der behandelnde Arzt machte die Beobachtung, dass
während der Fieberanfalle die Temperatur bis 45^ C. erreichte. Als Capparelli den Fall
sah, betrug die Temperatur 46^ odmr sogar mehr; die Grenze konnte aber nicht er¬
mittelt werden, da C. keinen Thermometer bei sich hatte, der über 46^ hinausging. Die
Beobachtung wurde mit aller Sorgfalt angestelit, so dass jede Garantie für die Richtig¬
keit derselben vorhanden war. Auf Chinindarreichung wurde die Temperatur zur Norm
herabgesetzt; zwei Tage später stieg sie aber wieder auf 46^. Seither hatte die Kranke
noch wiederholt Fieberanfälle, die Temperatur überschritt aber nie mehr 40^. Dieser
Fall bildet mit einem Falle von Gannett^ bei welchem nach einer Insolation eine Tem-»
peratürsteigerung bis zu 46,1^ beobachtet wurde, die oberste Grenze, welche die Körper¬
temperatur im menschlichen Organismus erreichen kann, ohne dass die betreffenden In¬
dividuen dabei nothwendigerweise zu Grunde gehen.
— Ted dnrch BromiethjK In der Sitzung der Acadömie de mödecine vom 7. Mai
1894 berichtet Inane de Mendoza über einen Todesfall in der Brommthylnarcose. Zehn
Seounden nach Darreichung des Mittels auf einer Com^Hresse (20 Tropfen) wurde das Ge-
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390
Biokt des Pat. cyanotkcb, die Augen nach oben gedreht, die Pupillen weit dilatirt. Trotz
Heraumehmen der Zunge, Anwendung der kftnstliohen Athmung während 40 Minuten
und kalter WassergüBee trat der Tod ein. Ein meehanischee Hinderniss konnte denselben
nkht hervorgerufen haben, da die Zunge nicht nach hinten lag und da man während
der künstlichen Respiration den Lnftein* und Austritt aus den Lungen ganz gut hörte.
Es handelte sich aüio um eine eigentliche Initialsynoope, wie man sie auch beim Chloro¬
form antrifft.
(Union mädicale, 10.' Mai 1894.) Dumont.
— Durch Vereinigung von Chloral und Glycose haben Hanrioi und Eichet eine
neue Substanz, Chlnrnlose genannt, dargestellt und als Hypnoticum empfohlen. Diese
Verbindung ist in Wasser sehr wenig löslich und hat einen unangenehmen bitteren Ge¬
schmack. In Dosen von 0,25—0,5 provocirt sie nach Vs—^ Stunde einen mehrstündigen
ruhigen Schlaf. Nach dem Brwwdien beatmen weder Kopfschmerzen, noch Uebelkeit,
noch Verdauungsstörungen. Das Mittel scheint wenig oder sogar gar nicht auf Herz
und Gefässe zu wirken. Dagegen hat man schon wiederholt, und zwar nach mässigen
Gaben, ein eigenthümliches Zittern in den Gliedern beobachtet, welches sogar, in aller¬
dings seltenen Fällen, sich zu eigentlichen Anfällen von clonischen Convulsionen steigerte.
In anderen Fällen wurden nach Absorption von Ohloralose die Patienten äusserst unruhig,
fingen an ^u deliriren und konnten nur mit Mühe im Bette zurfickgehalten werden. Am
Tage nach der Absorption des Medicaments constatirte man bei einigen Patienten eine
ausgesprochene Amnesie. Wenn auch diese Nebenerscheinungen nicht direct lebensge¬
fährlich erscheinen mögen, so mahnen sie doch zur Vorsicht in der Manipulation dieses
neuen Mittels, das in letzter Zeit eine ziemlich grosse Verbreitung gefhnden hat. Ohlo¬
ralose wird gegeben in allen Fällen von Schlaflosigkeit, sogar in den Fällen, wo die
Schlaflosigkeit auf Schmerzen zurückzuführen ist, denn neben seinen hypnotischen Eigen¬
schaften wirkt Ohloralose noch ausgesprochen schmerzstillend. Am zweckmässigsten wird
das Mittel ln Oblaten gegeben. (Nouveaux remödes Nr. 4.)
— Ueber die Ansfinfe der tebereaWsei Cexitia hei eoiservativer Beiaadlanir
hat Bruns an der Hand des Materials der chirurgischen Klinik zu Tübingen ausgedehnte
Nachforschungen angestellt. Seine Bnquöte umfhsst sämmtlicfae Ooxitiskranke der Klinik
aus einem Zeitraum von 40 Jahren, d. h. über 690 Fälle. Von diesen stellten sieh
über 200 zur Nachuntersuchung in der Klinik ein; über die Anderen wurden mittels
Fragebogen Erkundigungen eingezogen.
Von der chronischen CoxiÜs muss zunätdtft eine dorchaus nicht seltene, meist aber
unter der Rubrik Coxitis figurirende Affection, die sogenannte Schenkelhalsverbiegung,
gesondert werden. Dieselbe ist eine typische Belastungsdifformität des Waohsihumsalters,
genau wie das Genu valgum, und könnte vielleioht mit dem Namen Ooxa vara be-
leichnet werden« Ebenfalls wird oft die chronische Osteomyelitis des oberen Femnreudes
mit der gewöhnliehon Ooxitis verwechselt« Bei derselben setzt die Gelenkentzündung oft
acut oder snbacut ein, im Gegensatz zum schleichenden Beginn der Hüftgelenktebeiouloee.
Sie kann aber auch einen eminmit ehrooiBohen Begimi und Verlauf haben, so dass die
Unterscheidung von der tuberoiüösen Form die grössten Schwierigkeiten bieten kann.
Nachdem Bruns nun diese zwei Gategorien von Fällen, sowie alle Fälle, deren Krank-
heitsdaner weniger als lVs-^9 Jahre betrug und diciemgen, welche mit nonaider oder
nieht wesevtlich beemträchtigter Function ausgeheilt waren, ansgeschieden hatte, blieben
nach 390 Fälle eigentlicher tubereulösm* Coxitis übrig. Von diesen wurden 821 Fälle
eonservativ, 99 Fälle mit Beeection bdiandelt. Die weitaus grösste Mehrzahl der
Fälle beliiffi junge Individuen im ersten (48^/o) odm- zweiten Deceunhim (877o)«
Das dritte Decennium liefert nur noch ein Oentingent von der Gesammtzahl der
Fälle, ln einem Drittel der Fälle bleibt die tuberculöse Coxitis frei von manifester
ERernng, während in zwei Dritteln der Fälle Absces^ildnng, Aufbrach und Fisteleiterung
zu Stande kommt. Bei oonservativer Behandlung wird die tnbercnlöae Coxitis in 557»
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891
der Fälle geheilt; die darchtohnittliehe Heilangedaner beträgt 4 Jahre. Der tödtliche
Ausgang in 40^/o der Fälle ¥rird meistens bedingt durch Tuberculose anderer Organe,
ferner durch Brsehöpfung, amyloYde Degeneration oder septische Infbotion. Die Prognose
wird sehr wesentlich durch das Ausbleiben oder Auftreten der Eiterung beeinflusst; von
den nicht eitrigen Fällen gelangten 77^/s sur Heilnng, während nur 42®/o der fungös-
eitrigen Fälle einen günstigen Ausgang anfzuwmsen hatten. Ebenfalls verschlechtert sich
die Prognose mit zunehmmidem Lebensalter. Die von der tuberoulösen Coxitis Geheilten
können aber auch zum Theil nachträglich an Tubercolose anderer Organe zu Grunde
gehen. Was aber die functienellen Endresultate der definitiv Geheilten anbetrifft, so ge¬
stalten sich dieselben im Ganzen über Erwarten günstig. In allen Fällen ist zwar die
Bew^liphkeit im Hüftgelenk wesentlich bescbränl^ oder ganz aufgehoben; eine voll¬
ständige oder nahezu vollständige Ankylose ist in etwa zwei Drittel der Fälle vorhanden.
Dadurch ist aber die Arbeite- und Erwerbsfähigkeit für viele Beruflutrien nieht im ge¬
ringsten beeinträchtigt. Mit ziemlich seltenen Aosnahmen besteht fbmer eine mehr oder
weniger ansgeeprocbene typisdieContractarstellung, meist in Flezions- und Adduotionsstellung.
Die absolute Verkürzung, durch Zurückbleiben des Oberschenkels im Wachsthnm, beträgt
gewöhnlich nur 1 — 2 cm; die Verkürzung dagegen, welche durch den Höhestand des
Troohanten am Becken ansgedrückt wird, und in etwa der Fälle vorhanden ist, be¬
trägt im Durchschnitt 4 cm. Dazu kommt noch eine scheinbare Vorkürenng durch
Beokenhebnng, welche dieselben oder noch höhere Grade erreichen kann, so dass die ge-
saminte fnnotionelle Verkfirznng durohschnitilich 7 cm, oft aber auch 10—12 cm er¬
reichen kann.
Was die Besectionen betrifft, so sind die Todesfälle zu % auf Tuberculose anderer
Organe und allgtemeine Tuberculase zarückznführmi, während bh» Ys an den Folgen der
Gelenkeitemng zu Grande gehen. Die Ansschneidnng des taberonlösen Gelenkes ist aber
nicht im Stande, jene Hanptgefahr für das Leben wesentlich herabznsetzeii, so dass Br.
den Schluss meht, dass die Beseolion erst vorgenommen werden soll, wenn ebe oonseqnente
Oonservativbehandlang nicht zum Ziele führt.
(Deutsche mediciniache Woohensobrift Nr. 17.)
— lieber #|»iaiibeknndhinf der Lnrynstenesen Im Klndesaller« In den thera-
pontischen Monatsheften 1894 fünftes Heft pubUcirt Dr. C. Stern im Marienbospital in
Düsseldorf eine Arbeit, welche die Aufmerksamkeit des practischen Arztes verdient. Aus¬
gehend von der Beobachtung, dass Kinder mit diphtherischer resp. croupöser Larynxstenose
bei psyohisoher Erregung eine stärkere Behinderung der Athmung zeigen, während umgekehrt
im Schlafe em deutlicher Nachlass der Beschwerden eintritt, versuchte Stern die Erschei¬
nungen der Larynxstenose durdi Opium zu behandeln und zu mildem. Die Kinder kamen
meist erst dann in Behandlung, wenn nach Ansicht des behandelnden Arztes die Tracheotomie
unmittelbar oder möglichst bald nöthig erschien. Die Wirkung des Opiums machte sich
bei den in diesem Stadium beflndlichen Kindern in der Weise .geltend, dass vor Allem
der Hustenreiz gemildert und die Athmnng eine ruhigere und gleichmässigere wurde.
«Die Cyanose bessert sich^ die blauen Lippen werden wieder roth; die A^emnoth wird
gemildert,^ Abgesehen davon, dass die einzelnen Athemzüge langsamer, tiefer und dadurch
ergiebiger werden, spielt der Fortfall des Hustenreizes eine grosse Bolle. Dadurch wird
namentlich verhmdert, dass durch plötzliche Stauung in dem von der Krankheit ergriffenen
Gewebe die nothwendig folgende ödematöse Durchtränknng eine weitere Verengerung der
Passage erzeugt. Die unmittelbare Gefahr der Kohlensäurevergiftnng wird dadurch
gemildert und d|U ist jedenfalls ein nicht zu unterschätzender Vortheil. Zur Beleuchtung
der Wirkung erzählt Stern einige Krankengeschichten von 1—8jährigen Rindern, welche
traobeetomiereif (starke Oyanose« lauter Stridor, boUender Husten, Einziehung am processns
xiphoid. ete.) in’s Spital gebracht und durch wiederholte dreiste Opiumdosen (3 Tropfen
T» opii simpl. b 1 TheelöfPe! Znckerwasser, nach ßedürfniss 3 — 4 Mal täglich wiederholt)
an der Tracheotomie oder Intubation «vorbeigeführt werden konnten.*^
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392
Stern empfiehlt die Opiambehandlung 1) bei beginnender Larynxstenose, am sq von
Yorneberein die Gefahr der Eohlensäurevergiftung zu vermmdera. 2) Auch für yorge¬
schrittene Fälle; dort könne man sicher die onmitttelbare Gefahr mildern und dadurch
die Tracheotomie eine Zeitlang hmausschiebeo. (Unter gewissen Umständen, bei grosser
Entfernung vom Spital etc. ein grosser Gewnn.) Unter allen Umstähden bleibt dann die
Opiumbehandiung — nach Stern's Erfahrung — abgesehen von der event. Zeiterspamiss
eine gute Vorbereitung für die Ohlorofonn-Narcose während der Operation. —
Art der Anwendung: Je nach dem Alter des Kindes und nach der Intensität der
Erscheinungen 2—5 Tropfen T® opii simpl. z. B. bei Kindern über 1 Jidir zuerst 8 Tropfen in
einen Theelöffel Zuckerwasser. Tritt kein wesentlicher Erfolg ein, so folgen nach V* Stunde
weitere 2 Tropfen. Tritt dann, wie gewöhnlich, Besserung ein, so wartet man ruhig weiter
ab; bei Steigerung der Beschwerden hat man sich zu entscheiden, ob der Fall zu weiterer
Opiumbehandlung geeignet erscheint, oder ob Tracheotomie nöthig ist.
Dass durch mehrmalige dreiste Gaben von Opium (3—5 Tropfen 3^—4 Mal täglich)
Kinder, die der Tracheotomie verfallen schienen, ohne operativen Eingriff gesund werden
können, wird durch einige neueste Beobachtungen des Ref. (E. H.) bestätigt; indess muss
erst die Erfahrung lehren, ob durch dieses fiinausschieben der Indication für die Tracheotomie
(oder Intubation) die Prognose der nachher allenfalls doch nöthigen Operation unter keinen
Umständen etwa verschlechtert wird.
— Bei Cystltis tnbemlosa empfiehlt WiUzack folgende Behandlung: Rp. Cooain.
lactic. 1,0, Acid. lactic., Aq. destill. aa 5,0 M. D. S. Ein bis zwei Mal wöchentlich
1 gr der Lösung nach Entleerung der Blase in dieselbe einzuspritzen.
(Presse med., 31. IlL)
— BebandlaBg des Empyems der Plenrn mit Perrifntion des Thorax. Dr. Michael
in Hamburg übte bei kindlichem Empyem, wo der elende Zustand des Patienten eine Ohloro-
formnarcose und Schnittoperatiön nicht gestattet und wo die einfache Punction durch die sich
anschliessende rasche Druckerniedrigung im Thorax den plötzlichen Tod der fast in extremis
befindlichen Kranken verursachen konnte, folgende Methode mit vorzüglichem Erfolg: Eine
vorn eingestossene Canüle wird mit Kork verstopft. Eine zweite Canüle wird hinten in
der Höhe der 5ten Rippe circa 3 Finger nach aussen von der Wirbelsäule eingeführt und
durch Schlauch mit einem mit Chlorwasser gefüllten Irrigateur verbunden. Dann wird vom
dem Eiter Abfluss gewährt. Sobald die Intercostalräume einzusinken beginnen, was eine
Druck Verminderung im Thorax anzeigt, wird der Irrigateur gehoben, so dass hinten ebenso
viel ein-,. als vorne ausfiiesst. Diese Procedur wird circa 20 Minuten fortgesetzt, bis
vorne nur noch wenig getrübtes Chlorwasser sich entleert. Beide Canülen werden dann
verkorkt und um den nun mit Chlorwasser gefüllten Thorax ein Watteverband gelegt
Nach 2 und 5 Tagen: Wiederholung des Verfahrens. Zum Schluss wird statt Chlorwasser
Jodtinctur (15 Tropfen auf ein Liter gekochtes Wasser) verwendet. Dann wird die Rücken-
canüle und 2 Tage später auch die vordere entfernt. Rasche Heilung (innert 15 Tagen).
Das Wesentliche der beachtenswerthen Methode ist:
Ersatz der Empyemflüssigkeit durch eine harmlose Flüssigkeit (wie Kochsalzlösung) oder
durch eine antiseptische Lösung (Chlorwasser etc.) oder durch eine „direct heilende,^ wie die
schon früher vielfach empfohlene Jodlösung. (Dtsch. Med. Zeitg. 1894, Nr. 41.)
Brierkasteii«
Herrn Med. pract. F, in Zürich: Das Aerztealbnm dankt für die Photographie des f Collega
Dr. J. H. Fiertz von Riesbach.— Dr. Jf. in Korbas: Das Aerztealbnm dankt für die Photographie
von t Collega ünholz. Ein Nachruf ist bis heute nicht eingegangen. Und doch wäre das Corr.-
Blatt so gerne bereit, jedem braven Collegen ein paar Zeilen der Erinnerung zu widmen.
An dltrBssuclier der letzten Frühlthrsvertmnmilung des Centrslverefns in ZOrieh: Wer ein Exemplar
des in der blauen Fahne angefertigten Gruppenbildes zu haben wünscht, möge sich per Gorrespon-
denzkarte an Herrn Dr. Gross in Neuenstadt (Bern) wenden, welcher es mm unter Naehnamne
(Fr. 1. 50 zu Gunsten unserer Hülfskasse) zusteUen wird.
Schweighauseriscbe Buchdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
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CORRESPONDENZ-BUn
Erscheint am 1. nnd 15.
jedes Monats.
Inserate
35 Cts. die gesp. Petitzeile.
für
Schweizer Aerzte.
Herausgegeben von
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Fr. 14.50 für das Ansland.
Alle Postbureanx nehmen
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Dr*. E. Haffler und Dr* A.. «Ta.qixet
in Frauenfeld. in Basel.
N! 13. XXIV. Jahrg. 1894. 1. Juli.
lalieltt I) Ori glnalarbeiten: VrotDr. : ü«b«r Saennd&r-Infection bei LoDgeninberciilose. — Dr. 4. Dobber;
Beiirmg smo Anflreten TOn Cyllndcm im Ham. - Dr. F, Ballff: Die •chwediache Heflgymnaftik and daa Zander'^t^e Inatitnt
in Kagaa. —2) Verei naberiehie: 111. Yeraamminng der Oentachen Otologiachen Oeaellacbaft in Bonn. — 8) Referate nnd
K rl tike n: Dr, L Lätunftidt Pathologie nnd Therapie der Nenraathenie nnd Uyaterie. — Prof. a. Krafft-Ebmg: HypnoUaeke
Riperimente. — Schweis. Apotbeker-Terein: Fealachrift. — Dr. Otto Roths Kliniaobe Terminologie. — Prof. R, Kotmi: Com-
pendinm der Arsnelrerordnangslehre. — Dr. L. Ungmrs lieber KindereroAbrnng and DiüeUk. — Pa%ä Ltfori: La PraUqne des
Maladiea dea Enfanta dana lea Uöpitanz de Paria. — 4).Cantonale Correapond ensen: Ana den Acten der acbweiier.
Aerstecomroiaaion. — 5) Woeh en b e r Ich t: Freqnenr der scbweis. medicin. Facnlt&ten. — Basel: Bacteriologiacher Sommer-
cnra. >- Prof. Owsaaibaircr, nach Wien berufen. — Zur lnjectionabebandlnng der Strumen. — Der Leberthran. — Syphiliebehand*
lang. — Pflege der Binde bei Carbolgebranch. — Pathologische Angatxnatinde. — Znlasanng der Franen snm irxtl. Mndinm
in Dentaehland. — Beeig als Gegenmittel des Erbrechens nach Chloroformnarcose. — Priorit&tsreclamation. — 6) Briefkasten.
— 7) Bibllegraphisches.
Ueber Secundär-Infection bei Lungentuberculose.
Vortrag gehalten im ärztlichen Vereine der Stadt Zürich von Prof. Dr. Huguenin.*)
Es ist auffallend, dass sich die Lehre von der eitrigen Secnndär-In-
fection bei Lnngentuberculose relativ spät entwickelt hat. Heute stehen
wir mitten in dieser Entwicklung drin, während sie bei andern Infectionskrankbeiten
sich schon ihrem Abschlüsse nähert. Es hat zwar schon früher nicht an Stimmen
gefehlt, welche das Stadium der tuberculösen Hectik mit seinem Fieber und fort¬
schreitenden Consnmption auf eine Mischinfection bezogen wissen wollten; 2aegler hat
sich schon in der I. Auflage seiner pathologischen Anatomie kurz nnd bündig darüber
vernehmen lassen, und 1888 erklärte Holst (Norsk. Mag. f. Läg.), nachdem er neben
Tuberculose der Lungen in Milz nnd Nieren den Streptococcus gefunden, ganz einfach
das letzte Stadium der Lungentuberculose für eine Art Pjämie. Und Andere kamen
bei der Betrachtung des eigenthümlichen Verlaufes der chronischen Lungentuberculose
zum gleichen Besultat: fleberloser Beginn, oder mehr oder weniger langes nnd inten¬
sives Initialfleber, eine lange Beihe episodischer, analoger, febriler Zeiten, welche sehr
häufig im physikalischen Befunde nur eine mangelhafte Deckung finden, endlich ein
terminales Stadium mit dem ziemlich cbaracteristiscben Typus der Febris hectica,
und daneben eine rasch vorschreitende Vereiterung der kranken und noch jüngst ge¬
sunder Lüngenpartien — nnd das Alles hänfig genug bei einem Individuum, von dem
') Diener Vortrag erscheint hier verspätet nnd in etwas veränderter Gestalt; der Qrnnd liegt
darin, dass ich nnmitteibar nachdem er gehalten worden, iin Blote fiebernder Tubercolöser den
Streptococcns pyogenes fand. Dadurch ist der ganze Standpunkt etwas verschoben worden.
26
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abzunebmen, dass es tuberculOse Veränderungen in seiner Lunge schon lange besitzt,
also den Bacillus beherbergt und ihn, wie wir bei der Sputumuntersuchung sehen,
auch in theilweise wenigstens virulentem Zustande auch nach Aussen schafft, ohne
dass allemal in Temperatur und Allgemeinbefinden wesentliche Abweichungen zur Be¬
obachtung kämen, — das Alles legt thatsächlich die Ansicht sehr nahe, dass man
es beim ganzen E r an k h e i t s v e r 1 a u f e n oc b m i t ei n e m z w e i t e n,
später erst dazu gekommenen Momente zu thun habe, welches,
wenn man einmal seine ganze Tbätigkeit übersieht, vielleicht noch als das schlimmere
zu betrachten wäre, als die primäre tuberculöse Affection; wenigstens macht es häüfig
genug einem bisher ganz chronischen Krankheitsverlaufe ein rapides Ende. Man zögerte
auch nicht, bei den unzähligen Untersuchungen des Answurfes dies Moment zu ent¬
decken; von allem Anfang an waren ja die Goccenbeimischungen zum Auswurf wohl-
bekannt, und es ist nur auffallend, dass sie in ihrer fundamentalen Bedeutung nicht
von Anfang an gehörig gewürdigt worden sind. Es bedurfte ihrer Constatirnng
im Blute und vielen Organen, um sie ins richtige Licht zu setzen. Dazu
hat viel beigetragen die steigende Einsicht-in die Rolle der. Eitererreger bei den andern
Infectionskrankbeiten. Die croupöse Pneumonie mit ihren Folgekrankheitcn ist seit
Jahren keine einfache Infection mehr; die Ausschlag gebende Rolle, welche die Eiter¬
bacillen in ihrem Verlaufe spielen, kann hier als bekannt vorausgesetzt werden. Ebenso
steht es mit den vielen Formen der sogenannten Bronchopneumonie; ihr ganzer Ver¬
lauf und Ausgang wird ja beherrscht von den secundären Einwanderungen, welche
wieder in 907« der Fälle die Eitercoccen sind; und dass es sich ebenso verhält bei
den Influenzapneumonien ist durch zahlreiche und verlässliche Untersuchungen festge-
stellt. Beim Typhus ist die Holle, welche die Eitererreger spielen, eine ausserordent¬
liche und allgemein anerkannte, und es kann an der Thatsache nichts ändern, dass
einzelne Gomplicationen neuerdings der Sphäre der Eiterbacillen wieder entrückt worden
sind. Wie wichtig die Einwirkung der Eitererreger bei der Diphtherie ist, kann schon
daraus ersehen werden, dass einzelne gute französische Forscher {Roux, Barbier) die
ganzen diphtheritischen Erkrankungen in zwei grosse Kategorien tbeilen wollten, in
solche Erkrankungen, welche bloss durch den Löffter’schen Bacillus und solche, welche
durch den genannten plus die Eitercoccen veranlasst sind. Man bat allerdings ge¬
funden, eine solche Schematisirung lasse sich nicht durchführen, weil es sich dabei
immer um ein Mehr oder Weniger von Beimischung von Eitercoccen handle und eine
ganz reine Diphtherie mit nur Löffler'aehom Bacillus kaum existire, und einen ähnlichen
Standpunkt werden wir in Bezug auf die Tuberculöse auch einzunehmen haben. Es
bleibt schliesslich noch der Hinweis auf die acuten Exantheme: Pocken, Scharlach,
Masern, welche ja durch den Hinzutritt der Eitercoccen eine ganz andere Gestalt ge¬
winnen, so dass ganze Epidemien von vornherein schon einen abweichenden Gharacter
und eine Summe von Gomplicationen zeigen, welche durchaus der Secundär-Infection
zuzuschreiben sind. —
Alles das war lange bekannt, ohne dass für die Tuberculöse der Lungen die
entsprechenden Analogien wären gezogen worden. Hindernd trat dann dazwischen der
ziemlich lange andauernde Streit über die Fähigkeit des Tuberkelbacillns, ächte
Eiterung zu erzeugen; ich meinerseits muss erklären, dass ich mich von
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dieser Fähigkeit niemals habe fiberzeugen können und dass ich heute noch auf dem
Standpunkte stehe, den die ersten massgebenden Autoren (Bosenbach, Garre etc.) ein-
nahmen: Wo neben Tuberculose eine ächte Eiterung vor¬
kommt, ist sie bedingt durch die primäre Anwesenheit,
oder die secundäre Einwanderung der pyogenen Bacterien.
— Ferner trat der Entwicklung der Anschauung stOrend entgegen die Unklarheit fiber
die Ursache des Fiebers, nicht bloss des Fiebers der terminalen Periode, sondern des
Fiebers im Verlaufe der Lungentuberculose fiberhaupt. Der Bacillus, der sich im
Körper in irgend einem Gewebe zu ganzen Kolonien entwickelt, besitzt zweifelsohne
das Vermögen Fieber herrorzurufen, eine Thatsache, welche durch das KocA’sche
Tubercolin ein ganz besonderes Relief bekam; wo sich Bacillen bilden, entwickeln,
vermehren, sterben, entwickeln sich unzweifelhaft kleine Mengen Tuberculin,
welches, in den Kreislauf aufgenommen, das Fieber erzeugt.
Und trotzdem sehen wir Fälle von primärer beschränkter Lungentuberculose mit
Bacillen im Auswurf, so dass also an der Bedeutung der Krankheit nicht gezweifelt
werden kann, vom Anfang bis zur Heilung ohne Fieber ver¬
laufen; fortgesetzte genaue Sputomuntersuchung ergibt neben den Tuber-
kelbaoillen keine oder kaum n e n n e n s w e r t b e Spuren von
Eiterbacillen.
Eine andere Reihe von Fällen aber zeigt von Anfang an ein verschieden hohes
und versdiieden verlaufendes Fieber, das sich nach Tagen und Wochen, oft aber auch
nach Monaten bemisst. Zeigen etwa diese von Anfang an febrilen Fälle einen con-
stanten grossem Gehalt an Eitercoccen im Sputum? Keineswegs, die letztem
können ebenso gut vorhanden sein, oder fehlen.
Es kann die Differenz im Verhalten des Anfangsfiebers nicht erklärt
werden durch eine Concurrenz von Eiterbacillen, wie etwa schon geänssert wurde, denn
Fieber und Eiterbacillen gehen jetzt wenigstens noch nicht Hand in Hand.
Dass das gebildete Tuberculin zur Resorption kommt und doch seine Fieber
erregende Wirkung nicht entfaltet, muss andere Ursachen haben.
Wir stehen hier vor dem gleichen Rätbsel, wie bei jenen Fällen, in denen wir die
Etablirung von Lungentuberk^n in einer Spitze mit aller Sicherheit coustatiren, und
es bleibt doch jede weitere Propagation durch die Lymph-
wege der Lunge hartnäckig aus, während in andern Fällen dem
sich verbreitenden Bacillus alle Pforten des Lymph-
systemes offen zu stehen scheinen. Es bleibt eben positiv nichts
anderes fibrig, als die Annahme, dass die Menschen nach dieser Richtung sich nicht
gläcb verhalten; dass die einen in ihren Geweben Mittel und Wege besitzen, sich
g^en die Invasion des Bacillus siegreich zu vertbeidigen, während den andern diese
Mittel abgehen; dass in den Säften der einmi Stoffe vorhanden sind, oder sich
entwickeln, welche die Producte der Bacillen neutralisiren, während den andern
diese Fähigkeit abgeht. —
Aber im weitern Verlaufe der chronischen Lungentuberculose ereignen sich nun
eine Menge von Episoden, welche als wiederholte Eiter-Infectionen von
aussen taxirt werden mfissen. Wir kennen die Infectionen der Bronchialscbleimhaut
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- §96
Vön atissen auf dem Wege der Respirationsluft, welche dem Streptococcus pyogenes
zuzuschreiben und geradezu als Streptococcen-Bronchitis zu bezeichnen sind. Betrifft
das Ereigniss eine Lunge mit tuberculösen, vorläufig zur Buhe gekommenen Ver«
änderungen, so ist die Einnistung des Streptococcus in die veränderte Lungenpartie
eine leicht zu begreifende und jeden Tag sich wiederholende Thatsache. Wir be¬
merken dann durch die Untersuchung des Auswurfes nicht nur, dass der Streptococcus
recht üppig wächst, sondern wir finden auch eine recht acute Zunahme der Tnberkel-
bacillen, sei es, dass den letztem günstigere Wachsthumsbedingungen geschaffen
worden sind, sei es, dass sie durch die sich etablirende Eiterung aus ihren seqne-
strirenden GeAngnissen frei gemacht worden sind. Vor Allem aber sehen wir ein ver¬
schiedene Zeit dauerndes Fieber, welches durchaus den Gharacter der
Febris hectica hat, und das in solchem Falle jedenfalls mit der ge¬
schehenen und nach weisbare n Ei ter-1 n fecti0n causalen Zu¬
sammenhang hat. Eine dieser wiederholten Infectionen, welche jedesmal eine
weitergehende Zerstörung der Longe veranlasst, macht dann dem Leben schliesslich
ein Ende, nachdem man mit dem andauernden Fieber einen resultatlosen Kampf ge¬
führt und die Anwesenheit und zunehmende Zahl von Bitercoccen in dem Auswurfe
unzählige Male constatirt bat. In der Lunge herrscht somit dabei eine
Symbiose von Bacillen verschiedener Art, welche sich unter ein¬
ander ganz gut verstehen und deren Entstehen, Vegetiren und Sterben das Fieber
ganz gewiss zuznschreiben ist. Bleibt bloss die dunkle Frage übrig, ob dem einen
oder andern allein, ob beiden zusammen? Ob dem Stoffwechselproduct und Leibesinhalt
des Tnberkelbacillns, also dem Tuberculin allein, oder den analogen Prodocten der Eiter-
coccen, oder einem neuen, von beiden zusammen gebildeten
Stoffe? ln diesem Dilemma sind gewiss auch Gründe gegeben, warum man relativ
spät der Frage von der M i s c h i n f e e t i o n bei der Lungentnberculose nahe trat.
Zudem schien auch den meisten das Verhalten der knrzlebigen tuber-
cnlOsen Neubildung mit der Eigenschaft der centralen Verkäsung und Er¬
weichung znr Erklärung der destruirenden Vorgänge in der Lunge zu genügen, ohne
dass die Nothwendigkeit der Annahme eines weitern zerstörenden Momentes Vorgelegen
hätte. Aber dies zweite Moment .ezistirt und kann nicht eliminirt werden und wir
werden sehen, dass zum Verständniss vieler Dinge wir dasselbe auch nothwendig
brauchen.
Es ist wohl nötbig, über das Vorkommen und Wesen der sogenannten Sym¬
biosen differenter Bacillen vorerst einige Worte zu sagen. Einige einschlägige Ver¬
hältnisse sind vorhin schon flüchtig berührt worden.
Schon 1887 haben Gramti und de Bary (V. A., CVIII, 1887) den Satz aus¬
gesprochen, dass die Stoffwechselprodncte eines Bacillus den Boden oder die Gewebe
für die Invasion eines andern vorzubereiten im Stande sind. Das leidet wohl keinen
Widerspruch, wenn wir sehen, wie der Pneumococcus in der Lunge dem Eindringen
der Eiterbacillen die Wege ebnet, wie der Typhnsbacillus im Darme den gleichen
Eitererregern die Pforten öffnet und das Gewebe präparirt, und wie bei den acuten
Exanthemen Aehnliches in gleichem Maassstabe geschieht. Wir begehen wohl auch
keinen Fehler, wenn wir das leichte Haften des Tnberkelbacillns an vorher schon von
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infectidsen Entzändungen heimgesuchten Stellen zu dieser Kategorie von Erscheinungen
rechnen. Schon etwas reicher an Interesse wurde die Frage durch Angaben franzdsi*
scher Autoren aus dem Jahre 1889. Roger (Effets des associations microbiennes, Soc.
de Biol., S4ance 11 Janv. 1889) zeigte, dass der Bacillus prodigiosus und
ein unbestimmter Anaerobius einzeln auf Kaninchen gar keine Wirkung aus*
übt, sowie sie aber zusammen dem Organismus des Thieres einverleibt werden,
sind sie fär dasselbe sofort 16 d 11 i c h. Monti (Atti della Beg. Acad. delli Lincei,
Yol. II, 1889) zeigte, dass der attennirte nnd nicht mehr wirksame
Pneumococcus seine Wirksamkeit sofort wieder erlangt,
sobald er mit einigen Saprophjten zusammen in Wirksamkeit tritt. Die Com-
bination zweier hlicroorganismen hat also eine ganz andre Wirkung, als einer allein
anszuüben im Stande wäre. — In diese Kategorie gehören auch bezügliche Experimente
von Klein (Rep. of Soc. Gov. Board, 1890/91) über combinirte Infectionen von Milz¬
brand und Diphtherie, namentlich aber von Diphtherie und Bac. Pyocyaneus.
Es zeigte sich, dass der Tod an Diphtherie bei den Thieren viel schneller eintrat,
sobald eiue Infection mit Pyocyaneus nachgeschickt wurde, und zwar sowohl
mit sterilisirter als nichtsterilisirter Pyocyaneuscultnr.
Irgend ein Stoffwechselproduct des zweiten Bac. erschwert also die Diphtherie-Infection
in hohem Grade. Und ähnliche Resultate bekam Klein noch von andern Bacillencom*
binationen. Attennirte Erysipelcoccencultnren z. B. bringen kleinen
Säugethieren (Mäusen) durchaus keinen Schaden mehr. Ebenso wenig eine Rein-
cultur von Proteus vulgaris. Sobald aber beide unmittelbar nach,
oder auch m i t einander zum Experimente verwendet werden, so entsteht eine schwere
tödtliche Erkrankung. Und ebenso ist es mit dem attenuirten Pneumo-
coccus, sobald er mit dem Proteus zusammen zur Wirkung
kommt. — ln mehr allgemeiner Weise beschäftigten sich mit der Frage der Misch-
infectionen (Verbdl. des X. Internat. Congr., Berlin, Band II, Abtb. III) Bäbes nnd Comü;
die Mischinfectionen werden in eine Anzahl von Kategorien eingetheilt, unter denen
hervorznheben sind: 1. Association verschiedener Varietäten der gleichen Bacillen-
species; 2. constante Association von zwei ganz differenten Bacillen (z. B. Diphtherie
und Streptococcus); 3. Association zweier analoger pathogener Arten (z. B. Stapbylo-
coccus und Streptocoöcns); 4. Infectionskrankheiten stricto sensu plus Eiterinfeotion
(Typbus, Cholera und Streptococcus); 5. Associationen, bei denen der zweite Bacillus
localisirt bleibt; 6. solche, bei denen der erste localisirt bleibt; 7. Association eines
pathogenen Bac. mit einem Saprophyten; 8. Association eines pathog. Bac. mit einem
Schimmelpilz (Tuberculose und Aspergillus fumigatus). — Dazu fugte Vemeuü (Sem.
Mdd. Tom. X. 1890) Beispiele von gleichzeitiger Infection mit Oedema malignum und
Tetanus. — In ähnlicher Weise, wie Bdbes und Comü ist Dunin (Bakt. Centralbl.,
XI, 2ß, 1892) der Frage der Mischinfection näher getreten. Die Fälle theilt er von
vornherein in 2 Kategorien; in der ersten macht der I. Bac. die Krankheit, der II.
die Gomplication; in der zweiten Kategorie wirken von vornherein zwei Bacillen zur
Production einer Krankheit zusammen, wobei man au die ausserordentlich enge Ver¬
bindung des Löffler'acbea Bacillus mit den Eiterbacillen denken mag. Von allgemeineren
Factoren kommen namentlich in Frage: Der erste Bacillus schwächt häufig den Or-
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ganismits derart ab, dass er dem zweiten nicht Widerstand leisten kann; oder der
erste Bac. eröffnet dem zweiten die Wege, so dass er mit Leichtigkeit Eingang findet.
Am häufigsten findet Dunin die Secundärinfection bei Scharlach, Pocken, Typhus und
Tuberculose. — Alle diese Angaben werden an Wichtigkeit weit fibertroffen von der
Untersuchung Nmcky'a (Baot. Centralbl., 1892, XI, 226). Die Arbeit verbreitet sich
über Miscbculturen von Bacterien, das Resultat ist der sichere Nachweis, dass zwei
Arten von Bacterien zusammen ein Product zu bilden ver¬
mögen, das einer von ihnen allein bei seinem Wachsthum
zu bilden nicht im Stande ist. DieReincultnrdesRauschbrand-
b a c i 11 n s producirt folgende Stoffe: Kohlensäure, normale Buttersäure und optisch
inactive Milchsäure. — Ein anderer kleiner Micrococcus (von Nmcky M i c r o c.
Aoidi paralactici benannt) producirt: Kohlensäure, normale Buttersäure,
Essigsäure und Paramilchsäure, deren Zinksalz das polarisirte Licht nach links
dreht. — Beide zusammen cultivirt aber ergeben: Kohlensäure,
Buttersänre, Essigsäure, optisch inactive Milchsäure, Paramilohsänre, und einen neuen
Stoff: Butylalc-ohol. —• Nenehy bemerkt, dass dergleichen Vorgänge bei den
Mischinfectionen gewiss sehr häufig verkommen, so z. B. hilft gewiss dem Cholera-
bacillns ein anderer seine toxische Substanz bilden. Es ist dies aber das erste Bei¬
spiel des sichern Nachweises eines solchen Vorgangs. — Von eben so grosser Wich¬
tigkeit ist eine zweite Untersuchung von Neneky und v. Sehreider (Bacter. Cen'-
tralbl., 1892, XII, 289). Sie beschlägt Experimente aber Miscbculturen des Diph-
theriebac. und Streptoc. pyogenes. Schon Roux und Yersin batten
gezeigt, dass, wenn der Löffler'sehe Diphtheriebac. mit dem Streptococcus pyogenes
zusammenkommt, sich seine Eigenschaften, namentlich die Giftwirkungen seiner
Producte plötzlich in hohem Grade ändern, beziehungsweise vermehren. Neneky
und V. Sehreider haben nachgewiesen:
- 1. Der Löffler'aß]ie Bacillus gibt ein bekanntes, in seinen Eigenschaften ziemlich
bestimmtes Toxin.
2. Der Streptoc. pyog. gibt ebenfalls ein von Neneky dargestelltes Toxin, welches
aber nur untergeordnete giftige Eigenschaften besitzt. Es erzeugt bei Kaninchen
starkes Fieber und eine nicht lange andauernde Parese der hintern
Extremitäten; wenige Thiere bloss erliegen dem Gifte.
3. Sobald man aber zu den Gultnren des läffler'aß\i»n. Bac. den Streptoc. pyog.
setzt, ergab die Untersuchung des nun entstandenen Toxins nach der gleichen Methode
ein ungemein schnell wirkendes, die Thiere in kleinster
Dosis nach zwei Stunden tödtendesGift. — In der gleichen Arbeit
weist Neneky hin auf die unzweifelhaft sehr bedeutende Rolle der pyog. Gocoen bei
der Tuberculose.
Zu ähnlichen Resultaten fährt eine Untersuchung von Trombetta (Bact. Gentral-
blatt, 1892, XII, 121). Der erste Theil derselben beschäftigt sich mit der Verimpfung
nur von pyogenen Bacterien: Attenuirter Streptoc. pyog., attenuirter Staphyloc.
aureus und atten. Pyocyaneus waren durchaus ausser Stande, noch Eiterung zu er¬
zeugen; aber die Miscbculturen erregten sie sofort wieder, so: atten.
Staphyloc. aureus und Streptoc. pyog.; Staph. aur. und Streptoc. und Pyocyaneus;
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Stapbyloc. aur. und Pyocyaneus. Einer gab dem andern seine Wirksamkeit wieder.
— Der zweite Tbeil beschäftigt sieb mit der Verimpfung attennirter pyog.
Bacterien, denen nicht pathogene (Proteus vulgaris, Proteus mirabilis) zugesetzt
wurden. Der atten. Stapbyloc. aur. hatte keine Virulenz mehr, bekam sie aber durch
den Zusatz der genannten nicht pathogenen sofort wieder. — In dritter Linie wurden
dem attenuirten und nicht mehr wirksamen Stapbyloc. aur. pathogene Bacillen
(Typhus, Tuberculose, Streptoc. Erys.) zugesetzt; der Stapbyloc. aureus bekam seine
Virulenz sofort wieder, eine Tbatsache, welche namentlich in Bezug anf den Tuberkel*
bac. unser Interesse erregen muss.
Damit ist für einmal der Beweis geliefert, dass Bacillencombina-
tionen bezüglich ihrer Producte durchaus nicht bloss eine
Addition der Producte der Gomponenten ergeben, sondern
de facto etwas Neues und viel schlimmer Wirkendes, ein
Oift von viel intensivem Eigenschaften; ferner, dass ein
Bacillus, der durch irgend welche Umstände seine Viru¬
lenz eingebfisst hat, sie durch Zusatz anderer Bacillen
oder iTirer Producte wieder gewinnt. —
Wir werden nunmehr diejenigen Facta beizubringen haben, welche den Tuber-
kelbac. als Participanten bei den Symbiosen beschlagen, wobei
nur zu bedauern, dass uns hier vorläufig Thatsachen von der Tragweite der Nenchy'-
schen fehlen. —
Es wäre bei dieser Gelegenheit zuerst hinzuweisen auf die äusserst zahlreichen
Angaben der Dntersucher über pyogene Bacterien bei Eiterungen neben Tuber¬
culose. Im Allgemeinen ist angenommen, dass def Tuberkelbac. kein Eitererreger
im wahren Sinne sei und dass, wenn wahre Eiterungen dabei verkommen, diess durch¬
aus auf Rechnung secundärer Einwanderer zu schieben sei. Ich erinnere dabei
namentlich auch an die vielen Untersuchungen und Discussionen über pleuritische
Exsudate neben chronischer Lungentuberculose.’) — Was die Vorgänge in der Lunge
selber betrifft, so haben wir seit 1888 eine ganze Reihe von Untersuchungen be¬
kommen, welche die Rolle der Eiterbacillen ins Licht zu setzen bestrebt waren.
Bahes (Progr. Mdd. Roumain, 1888) spricht es schon ganz einfach aus, dass es
sich in der Lunge immer um eine Bacterienoombination handle. Einerseits erleich¬
tere der Tuberkelbac. den andern das Eindringen, anderseits werden die Tuberkelbac.
durch das Goncurriren der pyog. Goccen wieder zu reichlicher Wucherung angeregt.
Die von Bdbes gefundenen concurrireuden Bact. sind: Streptoc. pyogenes,
Pneumococcus Fränckelii, Stapbyloc. albus. Bahes fugt hinzu, dass auf
Gulturböden von Streptoc. und Pneumoc. sich der Tuberkelbac. gut entwickle; aber in
Gulturen von Stapbyloc. gehe er n i c h t gut au; wird aber Stapbyloc. auf Tuberkel-
culturen übergepflanzt, so gedeiht er .gut; Streptoc.- und Pneumococcen-Gultnren kommen
aber in Tuberkelculturen nicht so gut fort. Ob das Alles in der Form völlig richtig
und überdiess einfach auf die Lunge überzutragen sei, bleibt dahingestellt. Wichtiger
*) Man wird sich wundern, dass hier der wichtigen Arbeit von v. Tavel keine Erwähnung
geschieht; ich gedenke mich später an dieser Stelle eingehend mit der bezüglichen Materie zu be¬
schäftigen. —
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400
erscheinen die Angaben von B(d>es aus dem Jahre 1891 {Baumg., Jahresb., 1891,
161); er erklärt, dass fast alle Complicationen der Tuberk. der Lungen durch andre
Bacillen veranlasst werden, und dass diese secundären Bacillen dem Tu-
berkelbac. seine Wachsthumsverhältnisse verbessern; in
Bronchien und Cavernen bei Lungentuberculose wies er nach: 1. Staphyloc. aureus,
2. Streptoc. pyogenes, 3. Diploc. pneumoniae, 4. diverse Saprophyten. — Dement¬
sprechend lauteten die Angaben von Holst (Norsk. Mag., 1888), welcher den Streptoc.
nachwies in Lunge, Milz und Niere, nnd erklärte, es bandle sich neben der Lungen-
tuberculose um eine Art Pyämie; und ganz ebenso Thue (Norsk. Mag. f. Läg., 1889,
276), der ebenfalls sehr reichliche Streptococcen in der ganzen Lunge und Milz nach¬
wies. Von grossem Interesse sind auch die Nachweise von Duflocq und M6närier
(Arch. g4n., 1890), welche bei Phthisikern in bisher gesund gebliebenen Lungenpartien
eine bacteritische Bronchitis mit Bronchectasie und Lungencollaps nacbwiesen, mit der
sichern Demonstration (von der Bronchialscbleinihaut) des Pneumoc., Staphyloc. und
Streptoc. pyog. (Bronchite capillaire ä Pneumococques etc.). Auch wäre hier nochmals
hinzuweisen auf die Angabe Tromhdtas (Bact. Centralbl., 1892, XII, 121), dass
attenuirter nnd unwirksamer Staphyloc. aureus durch Zugabe des Tuberkelbae. sofort
wieder stark virulent wird.
Comet (Bact. Centralbl., 1892) hat sich in eingehender Weise mit der Frage
der Mischinfection bei chron. Lungentub. beschäftigt; seine Sputumuntersuchungen er¬
gaben neben dem Bac. der Tuberculose: 1. 6 Arten Streptococcus, von denen aber
wohl mehrere nur eine Art darstellen; 2. kleine unbekannte und unbewegliche
Bac.; 3. Bac. pyocyaneus; 4. Staphyloc. aureus. Alle diese Formen sind von Comet
aus dem Sputum durch Cultur dargestellt. — Tschistewitsch (Berl. klin. Woch., 1892,
20 und 21) untersuchte den ausfliessenden Eiter aus einer auf die Oberfläche durch¬
gebrochenen tuberculösen Caverne und stellte durch Cultur eine grössere Anzahl von
Microorganismen dar: Staphylo^, aureus, Coccus albus non liquefaciens, Bacillus agilis,
Bac. fungoides, wodurch sich also zeigt, dass die Reibe der zu findenden Bacillen
noch lange nicht erschöpft ist.
Hoger (Traite de Möd., Paris, 1892 und 1893, t. I, 649 und 650) sagt ge¬
radezu, der Zerfall des infiltrirten Luugengewebes erfolge durch Mitwirkung der Eiter¬
bacillen, diese bedingen auch das Fieber, somit handle es sich um «Septicämie*.
Marfan (Ibid., tom. IV, 692) sagt, im Blute seien Streptococcen und Pneumococcen
gefunden worden, und im Herzblute nach dem Tode Streptococcen. — Päruschky
(Charitö-Ann., 1892) ist ebenfalls der Ansiebt, das Erankbeitsbild fiebernder Phthisiker
sei nicht durch den Tuberkelbacillus, sondern namentlich durch den Streptoc.
bedingt. Untersuchung von Auswurf und tungengewebe ergaben ihm: 1. Streptoc.
pyog., 2. den Influenzabac., 3. den Staphylococcus, 4. den Diplococc. Pneumoniae. In¬
folge dessen wurden auf Anordnung Koch’s die Inhalationen mit Terpentin, 01. Menttaae,
Eucalyptol, 01. Pini etc. angeweudet, um zu versuchen, die Kranken fieberfrei zu
machen, um alsdann mit der Tuberculinbehandlung zu beginnen. Von 34 Fällen
wurden 21 in der That fieberfrei und die nachfolgende Tuberculinbebandlnng ergab
ein befriedigendes Resultat. Man kann an der Wirksamkeit dieser Inhalationen
zweifeln, da bei guter Pflege und Abhaltung aller Schädlichkeiten ja das Fieber häufig
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von selbst aufbört; es soll aber hier ausdrficklich constatirt sein, dass die Aerzte nach
einer Methode suchten, um vor der Tuberculinbehandlung die Kranken fieberfrei
zubekommen.
Im Fräbjahr 1893 fand ich bei zwei fiebernden Phthisikern im letzten Stadium
der Krankheit im Blute den Streptoc. pyogenes. Beide Patienten hatten
Morgens constant Temperaturen von 38—38,9, Abends 39—40^ Hie und da zeigte
sich Typus inversus, beide hatten starke Nächtschweisse, einer einmal einen starken
Schüttelfrost, worauf durch Punction der vergrüsserten Milz etwas Blut entzogen wurde,
das den Streptoc. pyog. enthielt. Da die Constatirnng vorläufig bloss durch
microscopische Blutuntersnchung geschah, musste von der Gonstatirung anderer Bac-
terien ans naheliegenden Gründen abgesehen werden. Indessen erschienen die wich¬
tigen Untersuchungen von Jahotoski (Bact. Centralbl., 1893, XIV, 762), welche die
mir gebliebene Lücke vorläufig genügend ausgefüllt haben. Das Blut fiebernder
Phthisiker wurde sowohl microscopisch, als durch Cultur auf Gelatineplatten und in
Agarrübren in 9 Fällen untersucht: 1. Frostanfälle, Morgens fieberlos, am Abend 39,5;
Blut ergibt durch Cultur Staphyloc. aureus und albus. 2. Fiebernder Phthisiker, 38,0
bis 38,5 Morgens, 39 Abends; Blut ergibt durch Cultur Staphyloc. aureus.
3. Fiebernder Phthisiker, der schon im Auswurf zahlreiche Streptococcen zeigte; das
Blut ergibt: Streptoc. pyogenes, und bei der microscopiscben Untersuchung das Gleiche.
4. Fiebernder Phthisiker, Abends bis 38,5; Blut ergibt: Nichts. 5. Fiebernder
Phthisiker, Morgens 38, Abends 39,5. Blut ergibt bei der ersten Untersuchung nichts,
bei einer spätem Staphyloc. albus und aureus. 6. Fiebernder Phthisiker, Morgens
normal, Abends bis 40. Blut ergibt: Nichts. 7. Fiebernder Phthisiker, Fieber
,ab und zu"; Blut ergibt: Staphyloc. aureus. 8. Fiebernder Phthisiker, Morgens
normal, Abends bis 38,5; Blut ergibt: Staphyloc. aureus und albus. 9. Fiebernder
Phthisiker, Morgens 38, Abends 39,5; Blut ergibt: Streptoc. pyogenes.
Also in 7 Fällen von 9 pyogene Bacterien, Staphyloc.
häufiger; Pneumococcus niemals.
Damit ist die Rolle der pyogenen Coccen bei chronischer Lungentuberculose vor¬
läufig constatirt; sie gelangen in Blut und Organe. Klar gestellt ist diese Rolle da¬
mit noch nicht. Denn es bedarf nun vielfacher neuer anatomischer Untersuchungen
über das Verhalten, diu Verbreitung, das Weiterwandern der Eitercoccen in der Lunge,
sowie über den Modus des Eindringens in die Circulation. Denn es scheint that-
sächlich, dass die Eitercoccen in der letzten Zeit der Krankheit eine vom Tnberkelbac.
mehr oder weniger unabhängige Rolle spielen; allerdings nicht so, dass etwa der Tuber-
kelbac. durch sie verdrängt und todt gemacht würde, im Gegentheil steigt die Zahl
der Sputumbacillen, wenn einmal beträchtliche Eiterung sich etablirt bat, gewöhnlich
stark, seltene Ausnabmelälle abgerechnet. Bei den Verschleppungen durch die Lymph-
wege (Lymphgefässtuberkel), sowie durch die Bronchien (Aspirationstuberculose) sind
beide Kategorien von Bacillen offenbar untrennbar mit einander verbunden, denn das
neugebildete Product verfällt sofort der destruirenden Eiterung. Werden Tuberkel¬
bacillen ins Gefässsystem aufgenommen, so werden sie von den Eiterbacillen begleitet,
und die Anwesenheit der letztem verräth sich z. B. in der Pia oft genug schon durch
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die Reichlichkeit der Eiterung. Aber die Eiterbacillen vermögen auch eine mehr
selbstständige Rolle zu spielen; sie liefern z. B. einen guten Theil jener acut ent¬
stehenden Bronchopneumonieherde zur Seite der alten tuberculös veränderten Stellen;
dies sind keine primär tnberculösen Affectionen, sondern Staphylococcus-
und Streptococcus-Pneumonien, welche unter günstigen Umständen
auch wieder einmal zur Resorption kommen können. Diese Behauptung — statt¬
gehabte Resorption entstandener Infiltrate — ist vollkommen richtig, wäre aber, wenn
alle diese Dinge Tubereulose wären, nicht recht begreiflich. Wenn aber nach Bildung
solcher Knoten dann der Tuberkelbacillus ein wandert, wozu ja die reichlichste Gelegen¬
heit gegeben ist, dann allerdings tritt keine Resorption ein und steht Verkäsung der
Knoten in naher Aussicht. Oftmals aber ist, was man bei den Sectionen Verkäsung
nennt, gar keine solche, sondern eine ächte destruirende Eiterung; man kann ja bei
jeder Section alle Stadien dieser eitrigen Destruction neben, einander sehen. Die Rolle,
welche die in die Pleura, das Pericard, die Bronchialdrösen ein wandernden Eiterbacillen
spielen, ist längst bekannt und bedarf keiner Erwähnung. — Wie ■ gelangen nun die
Eiterbacillen in die Girculation und in die andern Organe?
Jedenfalls gelangen sie unendlich viel leichter aus
der Lunge hinaus in das G e fäss sy s t e m , als die Tuberkel¬
bacillen, denn bei fast allen chronischen Lnngentnberculosen ist die septische
Intoxication der Schlussact, während ja die allgemeine tuberculöse Ueberschwemmung
von der Lunge aus doch nicht zu den ganz alltäglichen Dingen gehört, jedenfalls nur
in einem mässigen Bruchtheil der Fälle vorkommt. Wir sind also bei der Ein¬
wanderung der pyogenen Bacterien nicht bloss auf die Tuberculöse der Venenwände
etc. angewiesen, sondern es spielen ohne Zweifel pyogen inficirte kleine Venenthromben
in und in der Umgebung der alten Krankheitsherde die Hauptrolle; ferner ereignen
sich häufig Durchbrüche kleiner Eiterherde in Venen hinein, so dass der ganze Eiter¬
herd ausgewaschen und mitgenommen wird. Dabei entsteht, wenn der Eiterherd auch
mit einem Bronchus communicirt, oder vorher communicirt hat, etwa auch eine Blutung,
welche sofort von vermehrtem Fieber und einer Allge-
meinerkranknng gefolgt ist; gerade in einem solchen Falle fand ich
zuerst den Streptoc. im Blute. Man wird also bei Blutungen, auf welche sofort Fieber
und eine Allgemeinerkranknng folgen, an solche Mechanismen in Zukunft zu denken
haben. Und es gibt - ausser den erwähnten noch eine Reihe anderer Einrichtungen
(Lymphwege!), welche der Infection des Blutes Vorschub leisten. —
Damit ist auch von vornherein klar, dass die Eiterinfection nicht wohl
eine permanente sein kann, d. h. sie erfolgt offenbar aus der Lunge heraus
8chub- oder episodenweise, genau, wie wir es vom Tuberkelbacillns auch
annehmen. In der terminalen Periode ist allerdings das Fieber p e r jn a n e n t, was
aber durchaus nicht ein permanentes Eindringen von Eiterbacillen ins Blut i n
einem fort bedeutet. Denn Resorption giftiger Prodncte in der Lunge in gelöster
Form und Eindringen corpnsculärer Elemente ins Blut ist selbstverständlich zweierlei.
Ist allgemeine Eiterung da, so ist das erstere wohl als eine permanente Noxe
zu taxiren, das zweite wohl nur als eine episodische, allerdings nicht seltene. So
wird man hie und da (siehe Jakowski) trotz bestehenden Fiebers im Blute nichts finden.
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Wir verstehen nun leicht, warnm bei chronischer Lungentubercnlose jede acute
Streptococcenbronchitis eine grosse Gefahr darstellt, denn allemal ist Ge¬
fahr vorhanden, dass die Eiterung in der Lunge nnn gar nicht mehr aufhöre, und der
Kranke in jenes terminale Stadium eintrete, dessen Hauptsymptom das hectisohe Fieber
ist. Glücklichertveise ist es aber doch nicht selten, dass die Eiterung in der Lunge
nach mehr oder weniger langer Dauer zurückgebt, nachdem sie zur Entfernung der
verkästen Partien in derselben mitgeholfen; Bitercoccen und Tuberkelbacillen nehmen
im Auswurf an Zahl ab, das bestandene Fieber hört langsam auf, die physicalischen
Zeichen deuten auf narbige Schrumpfung, und für eihmal erachten wir dann die Ge¬
fahr als wieder beseitigt. —
Was wir in solchen Fällen therapeutisch leisten,
trifft durchaus nicht den Tuberkelbaoillus, sondern die
Eiterung. Besitzen wir effectiv einige wirksame Behandlungsmethoden, so setzeü
sie sammt und sonders an der Eiterung ihre Hebel an, keine einzige
wirkt gegen den Tuberkelbac. direct (wobei das Tuberculin vorläufig
ausgenommen sein soll); wenn er aus der Lunge ganz verschwindet, so ist dies die
Folge des Aufhörens der Eiterung, welche dem Tuberkelbac. günstige Lebensbedingungen
schafft, und des Ueberwiegens der entgegenwirkenden Kräfte im Blute und den Säften
des Organismus selber.
Wir kennen nun die pyogenen Bacillen in der Lunge, im Blut und in ver¬
schiedenen Organen (Milz und Niere, Holst; Milz, Thue; Herzblut, Marfan; Milz
lind Gewebe der Pia (eigne Untersuchung), wobei wir selbstredend von dem Heer der
Fälle absehen, in denen (Tub. der Haut, Knochen, Gelenke, Schleimhäute, Drüsen etc.)
die pyogene Infection nicht auf dem Wege der Lungen und des Kreislaufes, sondern
von Aussen erfolgte. Wenn ich non heute mich zum Glauben bekenne, dass das
phthisische Fieber des terminalen Stadiums ein pyogen-septisches und den Fällen
chronischer Sepsis aus Streptococceninfection durchaus an die Seite zu stellen sei, so
bin ich mir wohl bewusst, dass damit die Sache lange nicht erschöpft ist, und dass
noch eine vielfache Zahl anderer in der kranken Lunge sich ansiedelnder Bacterien an
dem Krankheitsbilde auch noch concurrirt. — (SchtuM folgt.)
Beitrag zum Auftreten von Cylindern im Harn.
Von Dr. A. Oaiber, Zürich.
Die microscopische Untersuchung des Harnes in Beziehung auf Gylinder ist eine
ebenso interessante als auch wichtige Aufgabe des Arztes und Urologen. Ueber das
Auftreten und den diagnostischen Werth dieser Gebilde, welche schlechterdings chemisch
nichts Anderes sind als geronnenes Eiweiss,’) ist schon vielfach geschrieben und auch
gestritten worden, immerhin aber ist ihre Erscheinung in bestimmten Formen im Harne
viel häufiger als man bis jetzt vielleicht anzunebmen geneigt war. Dass das Auftreten
von Cylindern im Urine in einer ganzen Reibe von Fällen absolut nicht an die gleich¬
zeitige Begleitung von Albumin geknüpft sein muss, ist eine Thatsache, die meinen
*) Welche Arten von Eiweiss hier in Frage kommen können, ist bis jetat noch nicht ent-
«cbieden.
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vieljährigen Beobachtungen nach bedauerlicherweise noch zu wenig bekannt ist. Gibt
es doch Fälle ernster Nierenleiden, z. B. Amyloidniere, Staoungsniere, in deren
ganzem Verlauf niemals Albumin chemisch festgestellt werden konnte, dagegen aber
stets das Auftreten von Gylindern in der unten beschriebenen Form beobachtet wurde!
Indem ich dies vorgreifend bemerke, wende ich mich einer knrzgefassten Beschreibung
der Cylinder selbst zu.
Wir unterscheiden zweckmässig und am einfachsten die Harncylinder in ächte
Gebilde und in Psendogebilde; als Vermittler zwischen beiden Formen kann man die
Cylindroide betrachten. Zur ersten Categorie gehören vor Allem diejenigen Gebilde,
welche hyaline Grundsubstanz besitzen und je nachdem dieselbe frei von Auflagerungen
ist oder nicht, unterscheidet man dann die verschiedenen Arten von Cylindern. Von
diesen ächten Cylindergebilden nun sind es die granulirten (Grundsnbstanz hyalin,
aber durch organische Substanzen z. B. Eiweiss fein gekörnt) und meistens ganz be>
sonders die rein hyalinen Formen, welche im Harne auch ohne Albumin verkommen
können, eine Erscheinung, welche ich bei den zellige Gebilde tragenden oder ein-
schliessenden Formen niemals beobachtete. Ja die Menge dieser Art von Gylindern
kann im Urin eine relativ reichliche sein, bis man in demselben durch die chemische
Reaction Albumin fixiren kann. — Da es sich in solchen Fällen meist nur um
äusserst geringe Mengen Albumin handelt, so empfiehlt sich bei der Pröfung auf
dasselbe die Reactionen auf kaltem Wege vorzunehmen. Heller'eche Probe, Ferrocyan*
Wasserstoff.
Bei einer Reihe von microscopischen Harnuntersuchungen fand ich constant
granulirte und hyaline Gylinder, letztere Form gegenöber der erstem überwiegend.
Trotz fortgesetzter Prüfungen in dieser Richtung mit den fraglichen Urinen gelang es
mir nur hin und wieder, Spuren von Eiweiss zu entdecken, während ich wiederum in
andern Fällen Albumin nie auffinden konnte. — Bei einer solchen continuirlich längere
Zeit fortgesetzten Urinuntersuchung (die chemische Prüfung ergab keine positiven An¬
haltspunkte) wurde z. B. der microscopisChe Befund spärlicher hyaliner Gylinder, welche
in eine eigenthömliche korkzieherartige Endung ausliefen, auf ein Nierenleiden ausge¬
legt und diese Annahme durch das spätere Auftreten ursemischer Erscheinungen glän¬
zend gerechtfertigt.
Für mich ist es höchst wahrscheinlich, dass wo Gylinder im Harn auftreten,
stets auch Eiweiss vorhanden ist resp. sein muss. Wenn wir dasselbe nicht fixiren
können, so liegt die Ursache in der äusserst minimen Menge vorhandenen Albumens
überhaupt und in unsere relativ doch groben ebemiseben Reactionen, die diese kleinen
Mengen nicht zu fassen gestatten. Das Rösum4 meiner Erfahrungen betr. Auf¬
treten äebter Gylinder im Harn möchte ich kurz dahin znsammenfassen, dass wo auch
immer die beschriebenen Gebilde mit oder ohne Albumin auftreten, dieselben stets auf
Rechnung einer wenn auch vielleicht sehr rasch vorübergehenden Anomalie im Secretions-
apparat der Niere zu setzen sind, ferner dass, sobald im Urine auf diese Gebilde
gestossen wird, der Arzt dieser Erscheinung vollste Aufmerksamkeit schenken und zu
wiederholten Urinuntersuchungen schreiten muss.
Der zweiten Art von Gylindern, den sogen. Gylindroiden, begegnete ich oft in
Urinen, welche sich durch grössere Dichte und reichlicheren Gehalt an Uraten speciell
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Harnsäure aoszeicbneten, welche Körper gewöhnlich aus fraglichen Urinen als dichtes,
umfangreiches Sediment ausfielen. Auch in Begleitung von Alhnmin und neben ächten
Gylindergebilden wurden sie von mir häufig angetroffen; im Uebrigen fand ich diese
bandartigen, manchmal ganze Gesichtsfelder des Microscopes durchziehenden Gebilde
meistens vorherrschend in Urinen der oben beschriebenen Qualität ohne Albumin. In
wie weit diese Gylindroide mit den hyalinen Cylindern in eine gewisse Verbindung
gebracht werden können, d. h. in welchem Verhältnisse dieselben zu gewissen
Anomalien im Secretionsapparate der Niere stehen, ist eine noch zu lösende, inter¬
essante Aufgabe; vom chemischen Standpunkte aus existirt bemerkenswertber Weise
zwischen hyalinen Cylindern und Cylindroiden kein einschneidender Unterschied, da sie
sich genau wie ächte Cylinder verhalten und sich n. A. auch in Essigsäure lösen.
Für den microscopischen Nachweis der beschriebenen Cylindergebilde empfiehlt
es sich den hierauf zu prüfenden Urin der Sedimentirung zu fiberlassen, eventuell zu
centrifugiren. Das Sediment wird mittelst der Pipette in Tropfenform auf mehrere
Objectträger gegeben und, bevor die Deckgläschen aufgelegt werden, zweckmässig mit
einer Spur von Jodjodkaliumlösung (J 0,1; EJ 0,2; H<0 30,0) tingirt. Die Färbung
macht die Cylinder ffir das Auge sichtbarer und lässt dieselben weniger leicht fiber-
sehen. Sie repräsentiren sich dann cbaracterisch gelb gefärbt. Schliesslich muss noch
bei der Untersuchung auf Cylinder berficksichtigt werden, dass zu derselben möglichst
frischer Harn zur Verwendung gelangt.
Die schwedische medico - mechanische Heilgymnastik und das
Zander’sche Institut in Ragaz.
Von Dr. F. Bally.
Die Zznder’sche Gymnastik, erst seit 1884 in Deutschland eingeffihrt, wo seither
in rascher Aufeinanderfolge 18 derartige Anstalten entstanden, ist in der Schweiz
ihrem Wesen nach, selbst in ärztlichen Kreisen, so wenig bekannt, dass es nicht un¬
zweckmässig sein mag, sie an dieser Stelle einer kurzen Besprechung zu unterziehen.
Dr. Zand^, der anßnglich in einem Mädcbenpensionate auf dem Lande die
gymnastischen Uebnngen leitete, hat schon im Jahre 1857 die ersten Versuche ge¬
macht, eine «vollständige Gymnastik mittelst mechanischer Apparate berznstellen*,
um damit die zu wenig individualisirende, freistehende Liniengymnastik, oder die durch
lAng zu Anfang dieses Jahrhunderts in Schweden begründete manuelle Methode, durch
mechanische Hfilfsmittel zu ersetzen, welche eine genaue Dosirung der Kraftleistung,
und eine Modification in der Stärke der Bewegung, bei vollständiger Gleicbmässigkeit
der Letztem gestatten. Erst 1865 erOffnete Zander sein erstes medico-mecbanisches
Institut mit 27 Apparaten, zu denen jedes Jahr neue hinzugekommen. Vollständig
unrichtig ist die unter dem Publikum sehr verbreitete Ansicht, dass fast ffir jede
Krankheit eine besondere «Maschine* existire, oder dass auf mechanischem Wege
massirt wfirde. Die menschliche Hand, die sich jedem Körpertheil anznschmiegen
versteht, die, während sie massirt, über Muskeln oder Gelenke hinstroichend fühlt
und dabei dem sachkundigen Arzt die Diagnose ergänzen und verbessern hilft, kann
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durch keinen, auch noch so ingenidsen Apparat.ersetzt werden, und daran bit Zander
auch nie gedacht. Anders aber verhält es sich mit den sogenannten Widerstandsbe¬
wegungen, welche durch Ling in die schwedische Heilgymnastik eingeföhrt, dort eine
so grosse Bolle spielen. Abgesehen von der Geschicklichkeit, dem Kräftezustand, der
momentanen Disposition upd Lanne des manuellen Gymnasten, bedarf es einer grossen
Uebung und Erfahrung von Seiten des letzteren, d. h. des Bewegnngsgebers, den Wider¬
stand so eiuzuricbten, dass er nicht nur dem jeweiligen Eräftezustand des Patienten
entspricht, sondern auch in Uebereinstimmung steht mit den nach dem Hebelgesetz
arbeitenden Muskeln und deren Contractionszustand. ,Bei der mechanischen Methode,"
sagt Zander, .bleibt die Anstrengung des Patienten stets dieselbe, sei es, dass er den
Widerstand des A.pparates fiberwindet, sei es, dass er selbst den Widerstand gegen
den Apparat leistet. Wurde die erste Anstrengung seinen Kräften entsprechend ge¬
funden, so muss auch die letztere entsprechend sein. Bei diesen Bewegungen kann
der manuelle Gynmast, mt^ er noch so geäbt sein, memals garantiren, dass der Patient
sich nicht fiberanstrengt, oder einen allzusohwachen Widerstand leistet" Auf der Be¬
rücksichtigung dieser Grundprincipien beruht die ingeniöse Gonstruction der sogenannten
a c t i V e n Zander'aeben Apparate, welche nach den eigenen Worten des Erfinders es
gestatten, den Widerstand so einzurichten, dass er gradweise, in Uebereinstimmung
mit den Hebelgesetzen und mit den Gesetzen, nach welchen die Muskelkraft arbeitet,
(^toattn’sches Gesetz) zu- und abnimmt. Fast für jede Mnskelgruppe des Körpers
sind die betreffenden Apparate vorhanden, vermittelst denen man es in der Hand hat,
den Widerstand nach dem jeweiligen Kräfteznstand der Muskeln zu reguliren oder ihn
allmälig zu erhöhen, wodurch eine snccessive Kräftigung der betreffenden Muskeln
möglich ist, ohne dass die Gefahr einer Ueberanstrengung vorhanden wäre. Ebenso
lässt sich, bei den für active Bewegungen der Arm- und Beingelenke construirten
Apparate, bei denen es nicht auf die zu leistende Muskelarbeit und den entsprechenden
Widerstand., sondern auf die ExcursionsgrOsse der Bewegung ankommt, letztere genau
graduiren. Daneben existirt noch eine grössere Anzahl eigentlich passiver
Apparate, durch einen Motor getrieben, welche im Besonderen zur Mobilisirung
der Hand- und Fingergelenke, zur Brusterweituog, zur Bnmpfdrebung und Becken¬
hebung dienen, alles Bewegungen, wie sie in dieser Vollkommenheit nie durch die
menschliche Kraft ausgeffihrt werden könnten. Letzteres gilt auch von den sogenannten
mechanischen Einwirkungen: Erschfitterungs-, llackungs-, Knetungs¬
und Walkungsbewegungen, die jeder Körperregion angepasst und in ihrer Stärke be¬
liebig modifidrt werden können, keineswegs aber, wie schon erwähnt, die eigentliche
Massage überall ersetzen sollen. Vor Allem sind es die Erschfitterungsbe-
wegungen, denen die grösste Bedeutung zukommt, und über deren Wesen Zunder
sich folgendermassen ausdrückt: .Ein in Erschütterung versetzter Gegenstand übt,
mit dem weichen Gewebe des Körpers in Berührung gesetzt, eine dehnende, drückende
Wirkung in rascher Abwechslung auf dasselbe aus. Hierdurch wird die Girculatioa
in den Capillaren, Lymphgefässen und Saftkanälen befördert, Resorption vermehrt, In¬
filtration zur VerHieilung gebracht." Nach den Untersuchungen von Hasebrock sollen
die Erschütterungen von besonderem Einfiuss auf das Circulationssystem sein und sich
durch: 1) Abnahme der Pulsfrequenz, 2) vasomotorische Erhöhung der Arterien-
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spannuDg, 3) Erhöhung des Tonus der Herzmuskulatur (?), 4) Blutdrucksteigernng,
geltend machen.')
Sicher festgestellt ist die schmerzstillende Wirkung der Erschütterung,
wesshalb dieselbe in der manuellen Gymnastik und Massage schon seit Jahreti be¬
sonders bei Neuralgien, Migraine, Tic douloureux etc. verwendet wurde. Die manuelle
Ausführung dieser Procedur ist nicht leicht, bedarf grosser Hebung und wirkt rasch
ermüdend, so dass sicher der Zander'scho Erschütterungsapparat als ein vorzüglicher
Ersatz für die manuell so schwer auszuführenden Vibrationen gelten kann, um so mehr,
als es auch möglich ist, durch Anlehnung der Handwurzel des Arztes an die Pelotte
des Apparates, Hand und Finger in Erschütterung zu versetzen, und ^ie Vibrationen
vermittelst der Fingerspitzen auf den locus morbi in feinster Weise zu übertragen und
dies mit einer Gleichmässigkeit, wie es manuell, ganz abgesehen von der bald ein¬
tretenden Ermüdung, nie möglich wäre. —
Das Zander’ache Institut in ßagaz wurde von den Besitzern der Curanstalten
als integrirender Bestandtheil derselben, im vorigen Jahre gegründet und Anfangs Juli
dem Betrieb übergeben. Das eigens zu diesem Zwecke hergestollte Gebäude befindet
sich in unmittelbarer Nähe der Bäder und Hötels, und umfasst, ausser den zwei sehr
geräumigen, enorm hohen üebungssälen von circa 280 m* Bodenfläche, eine grössere
Anzahl Nebenlocaljtäten, wie Vorhalle, Garderobe, Toilette.
Im westlichen Theile des Gebäudes befinden sich Warte- und Consultationszimmer
des leitenden Arztes, ein chirurgisches Operationszimmer, ein kleines Laborat«)rinm, ein
eigener Raum, in dem die Messapparate für Skoliosenbehandlung untergebracht sind,
und ein Massagezimmer mit dem electrischeu Bad.
Die 4pferdige Dynamomaschine zum Betrieb der passiven Apparate ist im Sou¬
terrain aufgestelit, wo auch die Transmissionen angebracht sind, so dass die Riemen
unsichtbar zu jedem Apparat gelangen können. Def electrische Strom für die
Dynamo, sowie auch zum Betriebe des electrischen Bades, und der Apparate für
galvanische und faradische Behandlung wird von dem Electricitätswerk der Kuranstalten
geliefert.
Die Anstalt steht' unter der ärztlichen Leitung des Verfassers, die Hebungen
werden ausserdem durch einen sogenannten Instructenr und zwei Instructricen (von denen
das eine Fräulein im Winter Assistentin bei Dr. Zander in Stockholm ist) überwacht,
die Einstellung der Apparate selbst durch einige junge Mädchen besorgt. Die Hebungs¬
zeit ist für Herren und Damen eine getrennte und so eingerichtet, dass nebenbei die
Bäder ungehindert auch Vormittags genommen werden können.
Die Anstalt besitzt sämmtliche 71 J^attder’schen Apparate, nämlich 38 fflr active
Arm-, Bein-, Rumpf- und Balancirbewegungen, 6 für passive Bewegungen, 13 für
>) In diesem Sinne worden die Erschätterungsbewegnngeo, manneil ansgeübt, in Schweden
Schon seit Langem bei der Behandlung Herzkranker angewendet, ein Verfahren das leicht an erlernen,
jedem practischen Arzte warm zn empfehlen ist. Es beruht in einfacher Effleuraee nnd Tapotement
der Herzgegend, auf welche man schliesslich die in zitternde Bewegung versetzte Hand flach anflegt.
Die Behandinng, im Anfang gewöhnlich von den Patienten etwas misstraoisch benrtheilt, macht
sehr bald ihre guten Folgen ^merkbar, besonders bei nervösen Affectionen der Herzens, aber auch
bei eigentlichen vitia cordis, wo Herzklopfen, Beengung, Schlaflosigkeit weichen, und dies oft in
Fällen, die durch Medicamente nicht mehr beeinflusst werden. Verfasser hatte Anlass, die über¬
raschende Wirkung dieser Methode an sich selbst kennen zn lernen, nach einer dreiwöchentlichen
Behandinng im Stockholmer Centralinstitnt.
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mechanische Einwirkungen (Erschütterung, Hackung, Walkung etc.), 11 orthopaediscbe
Apparate für passive nnd active Redressirungen und 3 Messapparate.
Jeder Patient*) erhält nach genauer Untersuchung ein Recept mit den vorge-
schriebenen Uebungen, die in Gruppen zu je 3 Bewegungen getheilt sind. Im Allge¬
meinen ist die erste Bewegung in jeder Gruppe am meisten anstrengend, also eine
active Arm- oder Rumpfbewegnng. Darauf folgt eine active Beinbewegnng und dar¬
nach eine passive Bewegung oder eine der mechanischen Einwirkungen. Diese 3 Be¬
wegungen einer Gruppe werden unmittelbar nacheinander genommen, worauf man un¬
gefähr 5 Minuten ausruht. Im Anfang sind alle Bewegungen schwach zu nehmen.
Selbstverständlich variiren die Vorschriften für jeden einzelnen Fall. Nach einigen
Tagen wird die Stärke der Bewegung etwas vermehrt und auf solche Weise wachsen
die Kräfte des Bewegungsnehmers langsam aber sicher.
Es ist von grösster Wichtigkeit, dass der Patient während der Bewegungen tief
athmet, worüber Zander genaue Vorschriften gibt. Der Rhythmus der Bewegungen
soll mit dem normalen Rhythmus der Athmung übereinstimmen, d. h. mit demjenigen,
bei welchem man am bequemsten tiefe Ein- und Ausathmungen vornehmen kann.
Wie schon erwähnt, lassen sich keine ganz bestimmten Indicationen für die An¬
wendung der Zander’schen Methode geben, und noch viel unrichtiger wäre es, wollte
man den einzelnen Apparaten specifische Wirkungen für diese oder jene Krankheit
beimessen. Die Bebandlungsweise ist in erster Linie eine allgemeine, den gesummten
Organismus kräftigende, wie jede Bewegungskur. Der Stoffwechsel wird befördert, die
Girculation des Blutes und der Lymphe erhöht, und damit vor Allem die Herzthätig-
keit regulirend angeregt, das Nervensystem gestärkt. Der wohlthätige Einfluss einer
richtigen Muskelbewegung ist zu bekannt, als dass er hier noch weiterer Erörterung
bedürfte nnd gerade in unserer Zeit, bei all den Anforderungen des modernen Lebens
wird in dieser Hinsicht, namentlich in den wohlhabenden Kreisen, viel zu wenig
gethan.
Wer einmal Anlass hatte einige Zeit in Schweden zuznbringen, wird sich
wundern über den prächtigen Menschenschlag, vor Allem der männlichen Bevölkernng.
Der Grund hierfür liegt nahe, wenn man bedenkt, dass in diesem Lande, neben vielem
Sport, durch rationelle körperliche Uebungen, sei es in Form von manueller oder
mechanischer Gymnastik, jeder nur einigermassen Bemittelte täglich seine Muskeln
übt, wozu ihm sowohl in staatlichen als in Privatanstalten unentgeltlich oder gegen
geringe Entschädigung vielfach Anlass geboten ist. Es mag dies wohl auch die auf¬
fallende Thatsache erklären, dass trotz des reichlichen Alcoholgennsses, in concen-
trirtester Form und der sehr raffinirten Lebensweise, Herzdegenerationen in Schweden
verhältnissmässig selten Vorkommen, weil gleichsam prophylactisch dagegen gewirkt
wird. Als ein wahrer Fortschritt ist es desshalb zu betrachten, dass gegenwärtig in
vielen grossen Städten Deutschlands durch die Einrichtung Zander’scher Institute der
beste Anlass für eine vernünftige Bewegungskur allen denjenigen geboten wird, welche
in Folge ihrer Beschäftigung den Mangel der so nöthigen Bewegung nur zu bald
empflnden, nnd, einmal an die täglichen Uebungen in einer derartigen Anstalt gewöhnt,
dieselben nicht mehr entbehren können. Es Hesse sich vielleicht dagegen anführen,
*) Nach Zander, Die Apparate für mechanische heiigj’mnaatische Behandlnng.
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dass man sich auch durch Zimmergymnastik oder durch Beitritt zu einem Tnmverein
die nOthige körperliche Uebnng verschaffen könne, allein gegen Ersteres spricht die
tägliche Erfahrung, dass nur wenige Menschen die nöthige Energie besitzen, selbst¬
ständig an der Hand eines Lehrbuches längere Zeit gymnastische Hebungen fortzu¬
setzen, gegen Letzteres manche äussere und sociale Qrönde, ganz abgesehen von dem
grossen Nachtheil, dass bei gemeinsamem Turnen eine Berücksichtigung des einzelnen
Individuums und seiner Eörperkräfte undenkbar ist. Schwächliche oder gar Kranke eo
ipso von den Hebungen ausgeschlossen sind. Gegenüber diesen beiden bekannten Me¬
thoden hat diejenige von Zander den grossen Vortheil für sich, dass sie nicht nur
individualisirt, sondern für jeden einzelnen Fall genau localisirend und dosirend wirkt.
Von den zu behandelnden Krankheiten sind es ausser den Folgen des Bewegungs¬
mangels namentlich Constitutionsanomalien, Krankheiten der Circulationsorgane, der
Hnterleibsorgane, des Nervensystems und ferner das grosse Gebiet der chirurgischen
Leiden, die schon lange, bevor man die Zander'ae^ie Gymnastik kannte, durch Massage
und passive Bewegungen behandelt worden. Steifigkeiten nach Fractnren oder Gelenk-
verletznngen, Folgen chronischer Entzündung der Muskeln und Gelenke, Ankylosen etc.
erfahren durch die methodische Widerstandsgymnastik, an den für jeden Körper-
tbeil zweckmässig eingerichteten Apparaten, Heilung oder aber doch fnnctionelle
Besserung.
Da das hiesige Institut erst Anfangs Juli in Betrieb kam, so ist die Zahl der
im ersten Sommer (bis 15. October) Behandelten keine sehr grosse und beläuft sich
auf 51 männliche und 43 weibliche, total 94 Besucher, in der Mehrzahl der höheren
Altersklasse angehörend, bei welcher der Mangel körperlicher Bewegung sieb eher
bemerkbar macht, und die sich ganz besonders für die Meebanotberapie eignet.
Die Behandlungsdaner betrug, da die ganze Sache noch zu neu war und von
vielen Patienten erst gegen das Ende ihres Bagazerknraufenthaltes «versucht* wurde,
in den meisten Fällen viel zu kurze Zeit, als dass schon damit irgend welche Resultate
hätten erzielt werden können.
Diejenigen, welche wirkliche Besserungen anfwiesen, waren mindestens 4—5 Wochen
in Behandlung geblieben und das ist denn auch das änsserste Minimum für eine heil¬
gymnastische Cur. In fast allen Fällen wurden neben der Gymnastik die hiesigen
Bäder gebraucht, in einigen electrotberapeutisches Verfahren oder Massage angewendet.
Letztere wurde sowohl von dem leitenden Arzt, als auch in einfacheren Fällen von
dem eigens dazu ausgebildeten Personal der Anstalt ausgeübt. In keinem Falle der
94 behandelten Patienten der verschiedensten Altersstufen machten sich irgend welche
Beschwerden während der Cur geltend; das Allgemeinbefinden besserte sich, der Appetit
stieg, der Schlaf wurde ruhiger, und auch die gleichzeitig, meist täglich genommenen
Bäder wurden sehr gut ertragen, ein Beweis, dass sich die beilgymnastische Behandlung
in vortheilhaftester Weise mit einer Badecur combiniren lässt. Bisweilen machte sich
leichte Ermüdung geltend, die durch Herabsetzung des täglichen Pensums oder durch
Reducirung in der Stärke der Hebungen sofort wich. AufiAlIig war das Verhalten des
Körpergewichtes. Bei 49 Patienten nahm dasselbe zu, im Maximum bis zu
3 Kilo, während einer Behandlungsdaner von 3 Wochen; bei 32 Patienten blieb es
constant; 13 Patienten nahmen an Gewicht ab, allerdings um sehr geringe Zahlen,
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im Maximum Kilo 1,200. Für die häufigere Zunahme mag nun freilich der Grund
eher in dem ruhigen Landaufenthalt, dem fortwährenden Genuss der frischen Luft und
der reichlicheren Bötelkost zu suchen sein, und zudem ist wohl zu berücksichtigen,
dass nach den körperlichen Uebungen der Appetit wächst, also die Nahrungsaufnahme
und gewiss auch die Assimilation eine vermehrte ist. Als Entfetttungskur,
ohne genaue diätetische Vorschriften, lässt sich desshalb die Zonder’sche Methode ge¬
wiss nicht verwenden, am allerwenigsten bei einer so kurzen Behandlungsdauer, wie
sie an Curorten nun einmal nicht anders möglich ist, wo es zudem bei dem Table
d'höte-System schwer fällt, eine entsprechend strenge Diät durchzufnhren.
Von den verschiedenen, behandelten Krankheitsformen seien hier beispielsweise
erwähnt:
Constitutionsanomalien: Chlorose. Bekanntlich ist man in
neuerer Zeit an den betreffenden Curorten gänzlich davon abgekommen, Cblorotiscbe
zu grösseren Spaziergängen anzuhalten, sondern man begnügt sich mit mässiger Be¬
wegung im Freien, die aber wiederum leider nicht immer controllirbar ist. Durch
das Zonier’sche Verfahren ist nun ein Mittel geboten, um die für jeden Eräftezustand
passende Muskolthätigkeit genau zu bestimmen, die Bewegungen mit regelmässigen,
tiefen Athmuogen zu combiniren, wodurch die Blutcircnlation erhöht, die Blutbildung
verbessert wird. Ganz besondere Berücksichtigung kann in diesen Fällen auch auf
eine bessere Haltung und freiere Entwicklung des Thorax genommen werden, was gerade
bei dieser Krankheit für eine ausgiebigere Lungenthätigkeit von hoher Bedeutung ist.
Sämmtliche Patientinnen übten wenigstens 4 Wochen mit gutem Erfolg, bei gleich¬
zeitiger Zunahme des Körpergewichtes. Die bei einer Pat. bestehende Amenorrhoö,
wurde durch die Uebungen nicht beeinflusst.
Krankheiten der Circulationsorgane. Dieselben bieten das
dankbarste Feld für die mechanische Gymnastik, welch’ letztere leider in der Therapie
der Herzkrankheiten, ausserhalb Schwedens, viel zu wenig gewürdigt wurde. Leyden
und Ileüigenthal haben in Deutschland zuerst auf den günstigen Einfluss der heil¬
gymnastischen Behandlung dieser Affectionen aufmerksam gemacht. Oertd hat in der
letzten Auflage seiner ,Kreislaufstörungen* von den gymnastischen Methoden derjenigen
von Zander den ersten Rang eingeränmt, weil keine andere wie diese die Genauigkeit
der Dosirung, die Gleichmässigkeit der Ausführung der zu leistenden Arbeit ermöglicht.
Es würde zu weit führen, an dieser Stelle alle die Vorzüge der Zander 'Methode
zu erörtern und verweisen wir diesbezüglich auf die längeren Abhandlungen von Neöef
und Ueüigenthal; doch sei noch erwähnt, dass im Gegensatz zu der Oerferscheu
Terraincur, die mechanische Behandlung eine nicht nur absolut ungefährliche und
leicht controllirbare ist, sondern sich auch noch für schwere Fälle eignet, die zum
Bergsteigen absolut unfthig sind.
Dass sich damit ein diätetisches Verfahren mit eventueller Trockendiät combiniren
lässt, liegt auf der Hand. Begreiflicher Weise werden eigentliche Herzfehler durch
Gymnastik nicht geheilt, immerhin aber die subjectiven Beschwerden derartiger Kranken
bedeutend gebessert, ja selbst beseitigt.
Durch die allmälig gesteigerte Arbeit wird der Herzmuskel zu neuer Wachsthums¬
energie angeregt, seine Ernährung gebessert, was sich durch compeusatorische Hyper-
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411
trophie and Vermindernng der Dilatation geltend macht {N^el). Sehr wichtig
bei dieser Behandlung ist der richtige Rhythmus der Athmung, wozu Zander, wie schon
erwähnt, genaue Vorschriften gibt. Abgesehen von dem subjectiven Wohlbefinden der
Patienten in Folge dieser Behandlung Hessen sich die erzielten Resultate jederzeitig
sphygmographisch controlliren.
Von den Krankheiten der Unterleibsorgane war es hauptsächlich
die chronische Obstipation, die als habituelles Leiden bei einer grossen
Anzahl von Patienten bestand und meistens neben geeignetem diätetischem Verhalten
gönstige Beeinflussung erfuhr. Ob die gegenwärtig so sehr in Mode stehende Unter¬
leibsmassage, welche Methode sich meistens darauf beschränkt, die Eothmassen im
Colon mechanisch weiter zu befördern und welche zur Erzielung eines Resultates sehr
lange fortgesetzt werden muss, auch die Peristaltik anzuregen vermag, ist nicht er¬
wiesen; sie wird aber in Combination mit einer richtigen Gymnastik, der es obliegt,
die Circulationsverhältnisse im Darmgebiet zu verbessern und die zur Bauchpresse
nOtbigen Muskeln zu stärken, bessere Erfolge erreichen, als für sich allein angewandt.
Hoffa empfiehlt neuerdings die Patienten nach der Massagesitzung gymnastische
Uebungen machen zu lassen. Die auch bei der Massage geübten Erschütterungen des
Bauches zur Anregung des nervösen Plexus, lassen sich mit den betreffenden Apparaten
in viel gleichmässigerer und intensiverer Weise vornehmen, als mit der blossen Hand.
Zander lässt zu diesem Zwecke die Lendenwirbelsänle vermittelst einer grossen Pelotte
erschüttern. Die so häufig im Begleit der chronischen Obstipation vorkommenden
Hseniorrboiden werden nicht nur durch die allgemein circulationsbefördernde
Bewegungscur gebessert, sondern finden ganz besondere Beeinflussung durch einen zur
passiven Beckenhebung dienenden Apparat, durch welche Bewegung der Druck in der
Bauchhöhle vermindert, die hydrostatischen Verhältnisse derselben geändert werden, so
dass eine Abnahme der Blutüberfüllung der Beckenorgane zu Stande kommt. Die
Wirkung ist dermassen probat, dass es, nach Zander, häufig gelingt, schmerzhafte
Hsemorrhoidalanfälle zu coupiren.
Unter den chirurgischen Erkrankungen wurden namentlich bei
Steifigkeiten und Functionsstörungen nach geheilten Luxationen und Fractnren zum Theil
recht gute und hie und da überraschend schnelle Resultate erzielt. — Dabei möchte
ich noch auf die hohe Bedeutung der Zander'schen Methode aufmerksam machen,
welche dieser auf dem Gebiete der Unfallversicherung zukommt. Dr. Kauf¬
mann hat in einem kürzlich in Zürich gehaltenen Vortrag schon auf die Erfolge hin¬
gewiesen, welche in Deutschland in den Unfallkraukenhäusern durch die mechanischen
Hülfsmittel bei der Nachbehandlung von Verletzungen erzielt werden, und aus dem
Bericht von Schütt über die Thätigkeit der Heimstätte für Verletzte bei Berlin geht
hervor, dass im Jahre 1892 von 444 Entlassenen, 385 mit und nur 59 ohne Erfolg
mit mechanischer Heilgymnastik und Massage behandelt wurden, was einer Herab¬
setzung der ErwerbsunAhigkeit, in Procenten der Rente ausgedrnckt, von 41,67» ent¬
spricht. Die neu erschienene Monatsschrift für Unfallheilkunde, welche die erfahrensten
Fachmänner zu ihren Mitarbeitern zählt, wird sich speciell mit diesem Gebiete der
Therapie befassen.
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412
'Vereiastoeriolite.
Protocoll Uber die iii. Versammlung der Deutschen Otologischen Gesellschaft
zu Bonn am 12. und 13. Mai 1894.
Die im Jahre 1892 gegrüDdete Deutsche Otologische Gesellschaft hielt ihre dritte
Jahresversammlung am 12. und 13. Mai in Bonn ab.
a) Aus dem geschäftlichen Theile der Verhandlungen ist hervorzuheben,
dass die Mitgliederzahl, welche im Jahre 1892 64 betrug, sich, einschliesslich der 13
neu aufgenommenen Collegen, auf 103 beläuft. Der bisherige Ausschuss wurde durch
Acclamation wiedergewählt und besteht nach seiner Neuconstituirung aus den Herren
Prof. Aiu^n-Strassborg (Vorsitzender), Prof. Walb-Bonn (stellvertretender Vorsitzender),
Prof. .BitrÄrner-Göttingen (ständiger Sekretär), Prof. Siebenmann-BaAel (Schriftführer), Dr.
Oskar TFo^-Frankfurt a. M. (^hatzmeister), Prof. Kessel-JexiA^ Prof. ütic^-Berlin, Prof.
ilfoo^-Heidelberg, Prof. Zaw/a^Prag.
Als Versammlungsort für das Jahr 1895 wurde Jena bestimmt.
b) Wissenschaftlicher Theil.
I. SUzvBg. SQDiiftbeiid, 12. Mal, Vonlttegs.
Vorsitzender: Prof. Kessel-Jena.
I. Siebenmann - Basel: lieber das erste Auftreten der Gehör¬
knöchelchen und des tubo-tympanalen Raumes beim Menschen.
Untersuchungen an menschlichen Embryonen aus der 3. bis 6. Schwangerschafts-
woche ergaben, dass das Blastem der vorknorpligen Labyrinthkapsel sich schon in der
4. Woche findet, die Bildung des Annulus stapedialis in die 5., diejenige des Hammers
und Ambosses in die 6. Woche fallt. Schon in den jüngsten Stadien berührt das Blastem
des Annulus stapedialis locker sowohl die Labyrinthkapsel, als das dorsale Ende des
Vorknorpels des zweiten Kiemenbogens. Der Stapes ist nicht doppelten Ursprungs. Der
der Paukenhöhle entsprechende Raum ist schon Ende des ersten Monats deutlich
nachzuweisen. Das Vorgetragene wird durch Tafeln und Präparate erläutert.
II. j^ar^-Marburg: Einige Bemerkungen zum Ligamentum an-
nulare stapedis und Vorlegung eines Präparates, in welchem
jenes durch ein ächtes Gelenk ersetzt ist.
Die Fasern des Ligamentum annulare setzen sich noch eine ganze Strecke weit im
Knochen sowohl der Fensterumrahmung als der Steigbügelfussplatte fort, annähernd senk¬
recht zur Knochenoberfläche verlaufend. Es wird durch diese Anordnung eine sehr starke
Befestigung des Steigbügels erreicht. — An dem einem Meerschweinchen entnommenen
Präparate demonstrirte der Vortragende, wie sich Steigbügel und Fensterwand beinahe in
Form eines kugeligen, an den Berührungsflächen abgeplatteten Gelenkkopfes gegenüber¬
stehen. Der Gelenkspalt wurde durch ein Kapselband abgeschlossen, die Gelenkflächen
besassen einen Ueberzug von platten Endothelzellen.
III. jBe^o^d-Münchon: Ein weiterer im Leben diagnosticirter
Fall von doppelseitiger S t e i g b ü g e l a n k y 1 o s e mit Sections-
befund, manometrischer und histologischer Untersuchung.
Der Fall bot analoge functionelle Erscheinungen, wie die früher vom Vortragenden
beschriebenen Fälle von Stapesankylose. Die durch die Section bestätigte Fixation des
Steigbügels war bedingt durch einen hyperplastischen Knochenprocess, welcher sich aus¬
schliesslich auf Steigbügel und Fensternische beschränkte. Weitere Veränderungen fanden
sich nicht. (Demonstration von Schnitten.)
IV. Derselbe: Hörvermögen bei doppelseitiger ange¬
borener Atresie des Gehörganges mit rudimentärer Ohr¬
muschel.
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413
Bei einem 12jährigen Patienten betrug die Hörfähigkeit für Conversationssprache
12 cm; die untere Tongrenze lag bei d^, die obere im Galtonpfeifchen rechts 4,0, links
4,1; die Perceptionsdauer für Stimmgabeln c^ und fis^ betrug 0,4 derjenigen des Vor¬
tragenden. A wurde vom Scheitel + 8 wnd a‘ + 6 Secunden gehört, Einne^acher Ver¬
such mit a^ rechts — 15 Secunden, links — 20 Secunden.
Bei einem mit derselben Anomalie behafteten 7jährigen Mädchen wurde Conver-
sationssprache rechts 30 cm, links 18 cm gehört; die untere Tongrenze lag zwischen f^
und a^, die obere im Galtonpfeifohen bei 4,5.
V. Det4ker-K&gen i. W. : Vorstellung eines Falles von pri¬
märem E p i t h e 1 i a 1 c a r c i n 0 ro des knorpeligen und häutigen
Gehörganges und der Ohrmuschel.
Der 71 Jahre alte Patient, welchen der Vortragende vorstellte, war trotz wieder¬
holten Auskratzungen einer ulcerirten Stelle im Gehörgange mehrmals von Recidiven be¬
fallen worden. Später entwickelte sich an der Anthelix ein Knötchen, dessen carcino-
matöse Beschaffenheit microscopisch festgestellt wurde. Der Vortragende amputirte die
Ohrmuschel nebst knorpelig-häutigem Gehörgange und kratzte den knöchernen Gehörgang
bis an das intacte Trommelfell aus. Um die Wundfläche zu verkleinern, wurde aus der
Parietalgegend ein grosser Lappen heruntergezogen, auch wurden Läppchen aus dem
Oberarm in den Gehörgang transplantirt. Heilung ohne Stenose des Gehörganges.
Discussion: Bochemöhle-WXii&i&r i. W. erwähnt einen vor 3 Jahren operirten
Fall von Cancroid der Ohrmuschel, bei welchem innerhalb 2^1% Jahren kein Recidiv ein¬
getreten ist; auch jLemcX;e-Rostock sah nach Auskratzung eines erbsengrossen Carcinoms
kein Recidiv nach 5 Jahren. Rar^^-Marburg erinnert sich eines Falles von bilateralen
Veränderungen an der Ohrmuschel, welche wie Carcinome aussahen, aber auf Jodoform-
salben-Behandlung zurückgingen. Jansen-Berlin sah in einem Falle 2 Jahre nach der
Carcinomoperation kein Recidiv.
VI. i^eenhard-Duisburg: Die Behandlung des Cholesteatoms des
Felsenbeins mit persistenter retroauriculärer Oeffnung.
Der Vortragende gibt zu, dass es zwar bei kleinen, uncomplicirten Cholesteatomen
im Kuppelraume oder im Antrum genügen mag, die Pars ossea und die laterale Antrum¬
wand fortzunehmen und durch Ueberhäuten der so geschaffenen Lücke eine bleibende
Oeffnung in der hinteren Gehörgangs wand herzustellen, ist aber der Ansicht, dass bei
den grossen, mit Caries und Nekrose complicirten Cholesteatomen am besten eine persistente
Oeffnung sowohl nach dem Gehörgang, als nach der lateralen Wand angestrebt werden
muss. In den so operirten Fällen bat er niemals ein Recidiv, d. i. Wiederauftreten der
Otorrhoe, gesehen. Das Offenbleiben der retroauriculären Fistel sucht der Vortragende
zu erreichen, entweder durch Hineinlegen von Lappen aus der Kopfhaut nach Schvoartze
oder durch TAter^ch’sche Transplantation oder durch Hautlappen aus der Hinterfläche
der Auricula. Die Behandlungsdauer der vom Redner operirten 25 Fälle, von denen
13 dauernd geheilt wurden, betrug 2—9 Monate.
Discussion: Har^mann-Berlin hält bei ausgedehnten, an die äussere Oberfläche
gerückten Cholesteatomen die Herstellung einer permanenten Oeffnung für absolut er¬
forderlich, für kleinere Cholesteatome des Antrums genüge es, die vordere Wand des
Antra ms abzutragen und den Kuppelraum freizulegen. Jan^cn-Berlin berichtet, dass in
der Berliner Klinik in weit über 100 Fällen Heilung mit persistenter Oeffnung eingetreten
ist, fast stets ohne jSc^or^a’sche Lappenbildung, in vielen Fällen ohne jede Plastik,
oftmals bei Combination von Stcicke'a Plastik mit Lappenbildung aus der hintern Muschel¬
fläche. Die persistente Oeffnung schütze aber weder vor Recidiv der Membranbildung
noch der Eiterung. Die Behandlung von der Wundhöhle aus ist mit wenigen Ausnahmen
vorzuziehen. Das Cholesteatom komme vorwiegend bei tuberculösen Individuen vor und
sei jedenfalls häuflg tuberculöser Natur. ^e^c/iTironn-Magdeburg hebt die
Thatsache hervor, dass Cholesteatome fast ausnahmslos recidiviren. Die Frage, ob eine
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persistente retroauriculäre Oeffiiung anzulegen sei, sei noch nicht spruchreif. Wolle man
eine solche erreichen, so sei die Hauptsache, die Oeffnung schnell mit Haut zu bekleiden,
was am besten mit der von ihm angegebenen Lappenplastik, aber nur auf wund ge¬
machtem Knochen, geschehe. Siehmmann-BB&Q\ bemerkt, dass die I7iicr$c/»’sche Trans¬
plantation die Behandlung abkürze und auch bei kleinen räumlichen Verhältnissen an¬
wendbar sei. J9ar/^-Marburg wendet sich gegen die mehrfach in unrichtigem Sinne ge¬
brauchte Bezeichnung „Recidiv^. Ha?i$6er^-Dortmund ist der Meinung, dass sich die
Anlegung einer persistenten Oeffnung in den meisten Fällen vermeiden lässt. Das Haupt-
erfordemiss sei eine gründliche Freilegung der Mittelohrräume. Die Wunde am Warzen¬
fortsatze lässt H. sich schon nach 5—6 Wochen sohliessen. ATo/Zerwu^-Bremen fasst jede
Absonderung der Höhle als Recidiv auf; in diesem Sinne gebe es wohl kein Cholesteatom
ohne Recidiv. In seinem Schlussworte betont Bernhard^ dass es bei den Recidiven
wesentlich auf die Wiederkehr der Eiterung ankomme, welche am besten durch die
Oeffnung im Gehörgange und in der lateralen Mastoidwand vermieden werde. Den Op¬
timismus des Herrn Hamberg könne er nicht theilen.
IL SltzDBf. SoBnabead, 12. Mat» NaehaiUlafs«
Vorsitzender: Herr ATu^n-Strassburg.
VII. Hamberg-'Dorimxiud : Demonstration von Gjpsabgüssen und
Obturatoren nach aufgemeisselter Oberkieferhöhle.
Die zum Verschluss der aufgemeisselten Oberkieferhöhle vom Zahnarzt Witzei in
Dortmund aus Hartkautschuk angefertigten Obturatoren sind an einer Gaumenplatte mittels
eines beweglichen Gelenkes aus Gummi befestigt, sodass kein Druck auf den Alveolenfort¬
satz ausgeübt wird. Der Apparat wird so lange getragen, als Eiterung in der Kiefer¬
höhle besteht.
VIU. .BiirÄ;ner-Göttingen: Referat über die Behandlung der Tu¬
benkrankheiten.
Der Vortragende betont die Wichtigkeit des Katheterismus bei Verschwellung und
Verschleimung der Tuben und hebt dessen Vorzüge gegenüber dem Bolitzer'sehen Ver¬
fahren hervor, welches letztere gleichwohl in vielen Fällen mit Vortheil angewendet
werden könne. Die Furcht vor einer Infection des Mittelobres bei acuten Nasenrachen-
und Tubenaffeclionen sei eine übertriebene, und die Unterlassung der Luftdouche schade
bisweilen mehr als das Eindringen von Mikroorganismen, das ohnehin bei jedem Schnenzen
eintreten könne. Der Vortragende bespricht sodann die verschiedenen Methoden des
Katheterismus, welche bei Verengerung des Operationsgebietes angewandt werden, hält
aber die meisten besonderen Instrumente für entbehrlich. Von Wichtigkeit sei das
Gurgeln bei allen einfachen Tubenaffectionen; auch Einspritzungen von Flüssigkeiten und
Dämpfen durch den Katheter, wofern sie nicht chemisch reizen, werden empfohlen. Die
Bougirung der Ohrtrompete darf nicht übertrieben werden und ist nur anzuwenden, wenn
der Katheter keine Besserung schafft. Die Combination der Bougirung mit der medica-
mentösen Therapie liefert selten befriedigende Resultate, hingegen bewährt sich zuweilen
die von Urbantschisch angegebene Vibrationsmassage mit Hülfe der Sonde, in einfachen
Fällen auch Foliizer's äussere Massage. Es wurden sodann die Behandlungsmethoden
bei Atresie (Electrolyse, Trommel fei lexcision) und bei abnormem Offenstehen der Tube
besprochen und die sehr wichtigen Eingriffe gegen anormale Zustände im Nasenrachen¬
raume und in der Nase (ulcerative Processe, Synechien, adenoide Vegetationen, Hyper¬
trophie der Nasenmuscbeln) aufgezählt. Bezüglich der Anwendung des Galvanokauters
betont der Vortragende, dass grosse Vorsicht geboten sei, wolle man nur oberflächlich
wirken, so seien medicamontöse Aetzmittel, besonders Trichloressigsäure, vorzuziehen.
Discussion: J^es'o^-München stimmt dem Referenten bei, dass man bei acuten
Tubenaffectionen die Luftdouche anwenden dürfe und dass der Katheter auch bei Kindern
nicht selten unentbehrlich sei; die Bougirung sei einzuschränken. ^m^en-Frankfurt a. M.
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empfiehlt bei schwer ausführbarem Ratbeterismus die Hindernisse in der Nase operativ
zu beseitigen und gibt der Ohromsäure vor der Trichloressigsäure den Vorzug. Sieben^
Tnann-Basel betont, dass bei Verschluss der.Choanen normales Gehör und normaler Trom¬
melfellbefund vorkomme, die Obstruction der Nasenhöhlen an nnd für sich nicht in
ätiologischen Zusammenhang mit Tubenkatarrhen zu bringen sei. £ar^^-Marburg wendet
die Luftdouche therapeutisch nur selten an, seit er den Nasenaffectionen sorgfältigste
Beachtung schenkt. F^chen^^-Wiesbaden hat ähnliche Beobachtungen gemacht und
stimmt bezüglich der günstigen Wirkung der Trichloressigsäure dem Referenten bei.
Uartmann-^etMn wendet die Luftdouche an, so lange sie noch Nutzen schafft; die opera¬
tive Beseitigung von Hindernissen in der Nase sei meist unnöthig, wenn man sich dünner,
korzschnabeliger Katheter bediene.
IX. Lemche - Rostock: lieber acute Ca ries und Nekrose des
Felsenbeines nach Influenza.
Redner hat 4 Fälle von acuter Caries und Nekrose des Warzenfortsatzes nach In¬
fluenza beobachtet. In zwei von diesen Fällen, die sämmtlich operirt wurden, wurde die
Dura blossgelegt. Der Vortragende vergleicht diese Erkrankungen mit den Knochen¬
processen bei der acuten Osteomyelitis. Er betrachtet seine Beobachtungen als eine Stütze
der Ansicht, dass es eine Influenzaform der Otitis gibt und dass diese nicht so ganz
selten primär den Knochen befällt. Gegen den Knochenprocess treten die Mittelohrer¬
scheinungen in den Hintergrund.
Discussion: Rar^-Marburg macht auf die Verschiedenartigkeit der Influenza-
Epidemien in Bezug auf Ohrcomplicationen aufmerksam. Er hat bei einer Epidemie un¬
gewöhnlich zähe Secretmassen im Mittelohre, bei einer anderen sehr stürmisch verlaufende
Mittelohrentzündnngen beobachtet, welche in verhältnissmässig kurzer Zeit ohne Durch¬
bruch heilten. Jhnsew-Berlin hebt die ungewöhnlich grosse Zahl von Mastoidoperationen
hervor, welche er während des Auftretens der Influenza auszuführen Gelegenheit hatte.
Ein an Osteomyelitis erinnerndes Bild hat er nie gefunden. ^«fews^m-Frankfurt a. M.
sah in der letzten Influenzaepidemie öfters dicht unter der Corticalis sitzende, sehr aus¬
gedehnte Krankheitsherde, die sich in sehr kurzer Zeit entwickelt hatten und ohne er¬
hebliche Mittelobrerscheinungen bestanden. Es müsse sich in diesen Fällen oft um pri¬
märe Otitis handeln. Die Diagnose dieser meist fast symptomlos verlaufenden Mastoid-
erkrankung wurde durch die Percussion erleichtert. Hartmann-Berlm berichtet, dass im
Institute für Infectionskrankheiten in Berlin bei Säuglingen in etwa 10®/o Influenzabacillen,
meist in Verbindung mit andern Bacterien, gefunden worden seien. JPwc/jcnic/i-Wiesbaden
bestätigt, dass die Influenza-Epidemien das Ohr in sehr verschiedener Häufigkeit und Form
in Mitleidenschaft ziehen. Während er früher häufig hochgradige Schmerzhaftigkeit am
Warzenfortsatze ohne Caries sah, beobachtete er bei der letzten Epidemie viel bösartiger
verlaufende Fälle, darunter einige den von Lemche beschriebenen ähnliche. Aoirncr-Frank-
furt a. M. schliesst sich der Auffassung Eidensieih*3 vollkommen an, dass manche der
bei Influenza auftretenden Warzenfortsatzkrankheiten sich primär im Knochen entwickeln
und die Paukenhöhle erst secundär befallen. Die Affection ist dann hauptsächlich an
den diploetischen Stellen localisirt, erst später werden die pneumatischen Räume und die
Paukenhöhle ergriffen. Für die Entstehung der acuten Mastoiderkrankungen seien die
pneumatischen Hohlräume bisher überschätzt, die Diploe nicht genügend gewürdigt worden.
Lemche betont in seinem Schlusswort, dass er die stürmisch verlaufende Caries des War¬
zenfortsatzes nur in klinischer Beziehung mit der Osteomyelitis verglichen habe und dass
seiner Meinung nach verschiedene als Otitis und Myringitis hsemorrhagica, bullosa etc.
beschriebene Befunde für Influenza-Otitis characteristisch seien. Die Discussion habe er¬
geben, dass Caries und Nekrose im Gefolge der Influenza nicht selten seien.
X. AJmter-Frankfurt a. M.: lieber Gehörgangsplastik.
Der Vortragende hat versucht, die Heilung der zur Verklappung der Ohrmuschel
und Auslösung des Gehörganges bei Mastoidoperationen gesetzten Hautwunde unter dem
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ersten und einzigen Verbände, die Herstellung eines permanent erweiterten und gerade
gerichteten Qehörganges und die Beschleunigung der Ueberhäutung zu erzielen. Zu
diesem Zwecke bildet er einen Hautlappen, dessen Basis an der Ohrmuschel sitzt und
der aus einem Theil der Cymba conchm und aus dem ganzen hintern Theile des mus-
kelig-häutigen Gehörganges geschnitten wird. Die Heilung war in 3 so behandelten
Fällen in durchschnittlich 72 Tagen beendet.
Discussion: Zre^c/mann-Magdeburg bedauert, dass der Vortragende keinen
nach seiner Methode operirten Kranken vorstelleu könne. Nach seiner Meinung müssen
die tiefen Inoisionen in die Ohrmuschel entstellend wirken. Mit einem kürzeren Lappen
werde sich dasselbe erreichen lassen.
(Schluss folgt.)
Refeirate und ^Liritiken.
Pathologie und Therapie der Neurasthenie und Hysterie.
Von Dr. L. Löwenfeld in München. Wiesbaden, Verlag von Bergmann, 1894.
In-S. 744 8.
Le but que Tauteur s'est propose avant tout dans cette excellente etude, c'est de
donner au medecin les connaissances süffisantes pour pouvoir reconnaitre et traiter con-
venablement ces deux maladies, qui sont si frequentes aujourd'hui. Nous pensons quMl
a pleinement reussi et nous recommandons son ouvrage ä tous les praticiens. Depuis long-
temps il manquait en Allemagne un traite complet de THysterie et de la Neurasthenie qui
nt connaitre dans leur ensemble les travaux de Charcot et de Tecole de la Salpetriere.
Le livre de Löwenfeld remplit excellemment cette tache, et bien qu’il n'adopte pas cer-
taines opinions des au teure franc^is (la nature essentiellement psychique de FHysterie par
exemple) il n’en est pas moins vrai qu41 leur accorde la plus large place dans son oeuvre.
Nous n'avons pas besoin d'ajouter que la partie therapeutique a etö specialement soignee
et mise au point par Tauteur qui publiait en 1887 un travail tres appreciö sur „Die
moderne Behandlung der Neurasthenie und Hysterie^. Ladame.
Hypnotische Experimente.
Von Prof. V, KraffUEhing, 2. Auflage. Stuttgart 1893. In-8. 47 S.
Relation des experiences psychologiques trös interessantes faites sur un sujet extra-
ordinairement sensible que v. K,-E, considöre comme un type de bonne sante, spöcialement
dMntegrite du Systeme nerveux. Pas traces d*bysterie, ce qui am^ne Pautenr k conclure
que la disposition psychique 4 Phypnotisation est plus frequente chcz les personnes qui
possedent un systöme nerveux sain, que chez les hysteriques qui ne conviennent pas a
Pexperimentation et au traitement pas Phypnotisme! Nous sommes etonnes de cette con-
clnsion du cölöbre professeur de psychiatrie et nous hesitons malgre tout 4 considerer
comme un etat psychiquo normal les variations de la personnalitö qui peuvent ötre obtenues
pendant le somnambulisme de Phypnose. — Qui peut se vanter de connaitre aujourd'hui
les limites qui separent les phenomenes physiologiques et pathologiques de la vie mentale!
Le somnambulisme est-il un etat normal ? Sans parier bien entendu des possibilitös de la
Simulation sur un terrain experimental oü le contröle objectif fait absolument döfaut.
.. Ladame.
Schweizerischer Apotheker-Verein. Festschrift zur Erinnerung an die fünfzigjährige
Stiftungsfeier in Zürich, 16. und 17. August 1893.
Zürich, Artist. Inst. Orell Füssli.
Wenn diese s. Z. der Redaction des Correspondenzblattes resp. dem ärztlichen
Centralverein durch den Vorstand des Apotheker-Vereins übersandte Publication erst heute,
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einige Mooate nach deren Erscheinen, zur Besprechung gelangt, so ist dies keineswegs
auf Indifferenz weder gegenüber der freundlichen Widmung, noch hinsichtlich des Inhaltes
zurückzufübren, sondern erklärt sich in einfacher Weise durch eine inzwischen eingetretene
Veränderung der äusseren Verhältnisse bei dem Recensenten.
Die Festschrift, deren treffliohe Ausstattung dem weltbekannten Verlage des artist.
Institutes Orell Füssli in Zürich alle Ehre macht, darf nach verschiedenen Richtungen
auch auf Beachtung in ärztlichen Kreisen des Vaterlandes etwelchen Anspruch erheben,
wenn auch selbstverständlich ihr Hauptinhalt dem speciellen pharmacentischen Fachge¬
biete angehört. Von allgemeinerem Interesse sind namentlich die verschiedenen, unter den
Nummern 1, 2 und 6 aufgenommenen historischen Arbeiten, als deren erste zunächst
„Rückblicke auf die ersten 50 Jahre des Bestehens des Schwei¬
zerischen Apotheker-Vereins 1843 — 93, von Apotheker C. IV.
Stein in St. Gallen^, zu nennen sind. In gedrängter, aber übersichtlicher Form
wird hier die Gründung des Vereins und seine allmählige Entwicklung ans höchst be¬
scheidenen Anfängen vorgeführt und der Leser mit den verschiedenen, im Laufe der
ersten 5 Decennien zu Tage getretenen und theilweise realisirten Bestrebungen bekannt
gemacht. Sind auch letztere nicht immer und nicht in allen Beziehungen von Erfolg
gekrönt worden, so wird doch dem auf ein halbes Jahrhundert redlich gewollter Thätig-
keit zurückblickenden Vereine zugestanden werden müssen, dass er in verschiedenen
Punkten ein nicht ganz zu vernachlässigendes Scherflein zur Förderung und rationellen
Gestaltung des schweizer. Medicinalwesens, insoweit von einem solchen gesprochen werden
darf, beigetragen hat. In erster Linie gilt diess wohl für die Einführung einheitlicher
schweizerischer Fähigkeitausweise für Apotheker, wie solche durch das Bundesgesetz über
Freizügigkeit des schweizer. Medicinalpersonals geschaffen worden sind, nachdem zuvor
schon auf dem Wege eines intercan tonalen Medicinal-Concordates jenes Ziel theil weise
erreicht worden war; in zweiter Linie namentlich durch die Ausarbeitung einer für die
Gesammtschweiz bestimmten Pharmacopoe, deren 2 erste Ausgaben bekanntlich der Privat¬
initiative des schweizer. Apotheker-Vereins entsprangen und sich bereits in einer Mehr¬
zahl der Cantone gesetzliche Geltung errungen hatten, während nunmehr die auf 1. Juli
1894 in Kraft tretende „Editio tertia^, deren Bearbeitung, auf die erste Anregung des
Vereins hin, 1889 durch die Bundesbehörde einer schweizerischen Pharmacopoe-Commis-
sion übertragen wurde, als schweizerische Landespharmacopoe zu betrachten ist. Die
Ausnahmsstellung, welche in dieser Angelegenheit der Canton Glarus, ungeachtet des
Versuches besserer Belehrung, hartnäckig festhalten zu wollen glaubte und welche in der
Fachpresse des Auslandes unisono — leider müssen wir bekennen, mit Recht — in sehr
scharfen Ausdrücken verurtheilt wird, dürfte wohl das ihrige dazu beitragen, den in den
letzten Jahren besonders auch aus den Kreisen des schweizerischen Apotheker-Vereins
hervorgegangenen Anregungen zur definitiven Anhandnahme einer schweizerischen Medicinal-
gesetzgebung wesentlichen Vorschub zu leisten, damit endlich auch in jenem sonst so
ehren wer then Sch weizercan tone, wie noch in einigen andern Gebieten unseres Vater¬
landes, gewisse haarsträubende Zustände des Sanitätswesens, welche das wirkliche Medicinal-
personal der betreffenden Landestheile bis anhin mit schmerzlicher Resignation und Be¬
schämung hinnehmen musste, ihr Ende sehen!
Reich an interessanten Beiträgen zur Geschichte der Medicin und Pharroacie ist
die als Nr. 2 der 1 itterarischen Festschrift-Gaben sich anreihende Abhandlung des Alt¬
meisters wissenschaftlicher Pharmacie F. A. Flückiger^ welche das bernische Me-
dicinalwesen des 14. und 15. Jahrhunderts betrifft. Um aus dieser
historisch werthvollen Arbeit nicht einzelne aus dem Zusammenhang gerissene Daten
herauszugreifen, sei dieselbe der Durchsicht des Lesers in toto empfohlen.
In etwas ausschliesslicherer Weise für pharmaceutische Leserkreise bestimmt
sind die unter Nr. 3, 4, 5 folgenden Beiträge, nämlich „Zur Kenntniss einiger
Strychnosdrogen von Prof. C. HarUoich in Zürich“ (Nr. 3), „M i 11 h e i 1 u n g e n
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über die Werthbestimmung von Drogen und galenischen Prä¬
paraten von Cantonsapotheker C. C. Keller in Zürich“ (Nr. 4) und „Zur Ge¬
schichte des Berberins“ von dem Ref. (Nr. 5). In der erstgenanoten Arbeit
werden einige seltenere Drogen (Rinden und Samen) ans dem Genus Strychnos eingehen¬
der pharmacognostischer Erörterung unterworfen; in der zweiten Abhandlung finden sich,
im Anschlüsse an die für die neue Pharmacopoe nöthig gewordenen Vorarbeiten, neue
Vorschläge zur rationellen Bestimmung der wirksamen Substanzen in den stärker wirkenden
Rohstoffen und Extracten der Pharmacopoe und in dem letztgenannten Beitrage wird an
der Hand einer litterarhistorischen Studie der Beweis geliefert, dass das im Jahre 1824
von einem zürcherischen Apotheker (Dr. G. F, Häiienschmid) in der vermeintlich üblen
„Gort, anthelmintic. jamaicensis“ entdeckte, damals als „Jamaicin“ benannte Alkaloid
Berberin nicht von einer Omsalpiniaceen-Rinde (Andira) stammt, sondern aus einer Ru-
taceen-Droge (Xanthoxylon) isolirt wurde.
In jeder Beziehung bemerkenswertb und als wichtiger Beitrag zur Geschichte der
schweizerischen Pharmacie zu begrüssen ist die unter Nr. 6 den Schluss der Festschrift
bildende Arbeit „Zürcherische Apotheken und Apotheker“ von San.-
Rath und Cantonsapotheker C. C. Keller in Zürich. In diesem umfangreichen Beitrage
finden wir zum ersten Male einen auf sorgfältiges Quellenstudium in den Archiven und
Bibliotheken Zürichs gestützten systematischen und wohlgeordneten Versuch einer histori¬
schen Darlegung, welche uns über Gründung und Bestehen der Apotheken Zürichs, so¬
wie über die Thätigkeit und Bedeutung zürcherischer Apotheker vom 13. bis ins 19. Jahr¬
hundert Aufschluss gibt und neben streng geschichtlichen Daten über Apotheken und
Apotheker eine Reibe characteristischer Beiträge zur Geschichte der frühem Medicin in
Zürich, sowie der culturgeschichtlicben Zustände verfiossener Jahrhunderte in unsern
grösseren Schweizerstädten bietet. Die betreffende Abhandlung ist zu reichhaltig, um in
diesem Referate die Vorführung weiterer Einzelheiten zu gestatten; wir sind aber der
Meinung, dass deren Verfasser den verdienten Dank für seine mühevollen Nachforschungen
am ehesten darin finden wird, wenn Apotheker und Aerzte mit historischer Ader io
ähnlicher Weise auch für andere schweizerische Städte das Studium der medicinischen
und pharmaceutischen Verhältnisse früherer Zeiten an die Hand nehmen. —
Dem schweizerischen Apotheker-Vereine aber möge anlässlich der Besprechung seiner
ersten Festschrift seitens seines früheren, nun im Auslande weilenden Präsidenten der
Wunsch für fernere gedeihliche Wirksamkeit, zunächst auf weitere 50 Jahre, dargebracht
werden! Ed. Schär, Strassburg.
Klinische Terminologie.
Von weiland Dr. Otto Both. IV. Auflage. Leipzig, Ed. Besold. 1893.
Diese neue Auflage der Roih^scheu klinischen Terminologie, von Prof. Stinising in
Jena ausgegeben, bedarf wohl keiner besonderen Einführung beim ärztlichen Publicum
mehr. Die Art, nach welcher schon in der ersten Auflage dem lebhaften Bedürfnisse
nach einem solchen Werke entsprochen wurde, machte bald das Buch zu einem werth¬
vollen, in vielen Fällen unentbehrlichen Rathgeber des Arztes. Die in den letzten Jahren
erfundenen klinischen Bezeichnungen mit ihren hie und da sonderbaren, nicht sehr für
den classischen Sinn der modernen Aerzte sprechenden Etymologien sind, soviel wir
urtheilen können, in der neuen Auflage ziemlich vollständig angeführt. Jaquet.
Compendium der Arzneiverordnungslehre.
Für Studirende und Aerzte von Prof. R, Kobert. Stuttgart, Ferd. Enke. 1893. 7 Mk.
Von den zahlreichen Publicationen des Verfassers hat uns noch keine so gefallen, wie
dieses kleine Compendium. Ein so trockener Stoff wie die Arzneiverordnungslehre in
anziehender und anregender Weise darzulegen, ist eine wahre Kunst und in dieser Be¬
ziehung übertrifft das vorliegende Werk alle uns bekannten Arzneiverordnungslehren.
Dadurch hofft auch der Verf. mehr Interesse für das Fach bei der jüngeren ärztlichen
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Generation zu wecken und die Kunst des Yerordnens und Dispensirens Ton Arzneien,
welche seit einiger Zeit in hochgradigen Misscredit gefallen zu sein scheint, wieder zu
heben. Mit besonderer Sorgfalt ist der phannaceutisch-chemische Theil des Buches aus¬
gearbeitet, so die Capitel über unrationelle Arzneimisohungen, über Gewichte und Maasse
u. s. w. Zahlreiche Abbildungen besonders in den Capiteln Applicationsmethoden und
Vorbereitung der Arzneien erleichtern wesentlich das Yerstandniss des Textes. Interessant
sind auch die im ganzen Buch zerstreuten historischen Notizen über die Geschichte der
einzelnen Magistralformeln. Im speciellen Theile sind die Beispiele nicht allzu zahlreich
aber meist gut gewählt. Dem immer wachsenden Bedürfnisse nach Berücksichtigung des
Preises der verschriebenen Arzneien, besonders in der Kassenpraxis, ist insofern Rechnung
getragen, als jedem Recepte eine auf Grund der preussischeu Arzneitaxe aufgestellte
Kostenberechnung beigegeben ist. Die Fharmacopoea elegans findet aber ebenfalls ge¬
bührende Berücksichtigung und die zahlreichen in den letzten Jahren aufgetauohten neuen
Dispensirnngsformen werden mit Wort und Bild erläutert. Jaqmt,
lieber Kinderernährung und Diätetik.
Von Doc. Dr. L, ünger in Wien. Wien, Urban & Schwarzenberg 1893. 43 Seiten.
In dem engen Rahmen und in der Form zweier allerdings etwas gestreckter aka¬
demischer Vorlesungen bespricht der Autor zuerst ausführlich die Ernährung des Säuglings
und im Anschluss noch ganz kurz diejenige älterer Kinder.
Im ersten Vortrag werden die allgemeinen Stoffwechselverhältnisse und die Ver¬
dauungsphysiologie des Säuglingsalters abgehandelt.^ Hierauf folgt die Besprechung der
natürlichen Ernährung mit genauen Vorschriften über Zeit und Art des Anlegens,
Hygiene des Stillens, Entwöhnung, Ammenwahl, und anschliessend diejenige der künst¬
lichen Ernährung. Die chemischen Differenzen der Kuh- und Muttermilch und die sich
hieraus ergebenden Consequenzen, die verschiedenen Formen der Milchmischungen, Sterili¬
sation und Ersatzmittel werden eingehend erörtert.
Es ist nie überflüssig, wenn dieses Fundamentalcapitel der Kinderhygiene von be¬
rufener Hand wieder eine Bearbeitung fiudet, und speeiell die vorliegende Broschüre kann
nur bestens empfohlen werden, da sie gedrängt und doch vollständig, mit Berücksichtigung
der neuesten Untersuchungen und Erfahrungen und in angenehmer Form alles Wissens-
werthe dem Leser bietet. J,
La Pratique des Maladies des Enfants dans les Höpitaux de Paris.
Par Faul Lefert, Paris 1893, Librairie J.-B. Bailli^re et Fils. 285 S. Preis Fr. 3. —.
Das kleine handliche Büchlein bildet ein Bändchen der „Manuels du Medecin
Praticien.^ Es enthält, nach Krankheiten geordnet, eine Zusammenstellung der an den
verschiedenen Pariser Krankenanstalten üblichen therapeutischen Massnahmen, theils in
der Gestalt von kurzen Notizen und Receptformularen, theils in der Form kleiner zu¬
sammenhängender Abhandlungen. Für denjenigen, der die Pariser Spitäler und die da¬
selbst wirkenden Aerzte kennt, hat das Büchlein zur Auffrischung des dort Gesehenen
und Erfahrenen besonderes Interesse, allein auch andern Collegen kann dasselbe als Nach-
schlagebüchlein oft von Nutzen sein, da in demselben die Ansichten und das therapeutische
Vorgehen von ca. 85 Aerzten und Professoren von Ruf niedergelegt ist. J,
Oant^ovinle Ooi:*i*^»poiid^naK^iii*
Aus den Aeten der sehweiseriseben Aersteeommission.
SltzBBfp Freltsf, 4eB 1. JbbI, AbsBds 8Vs Ukr, lu Hätel NstltBsl Ib ZIrleb.
Anwesend: Kocher, Priuses, Casiella, de Cerenvüle, Haffter, Härlimann, Krönlein,
Näf, Schmid, v. Wgss. Es haben sich entschuldigt: ZfOle, Bruggisser.
1) Das Präsidium theilt mit, dass unser verehrte Herr Altpräsident durch ernstere
Erkrankung leider verhindert ist, an der Versammlung des Centralvereins theilzunehmen.
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2) Auf das an die cantonalen ärztlichen Vereine versandte Schreiben (s. Corresp.-
Blatt 1893, S. 801) sind bisher von 5 Vereinen Antworten eingegangen, nämlich Basel,
Bern, Zug, Schaff hausen, Glarus, welche den Antrag Vaucher sämmtlich ablehnen und
sich zu der Ansicht der schweizerischen Aerztecommission zustimmend äussem. In
gleichem Sinn verhält sich nach mündlicher Mittheilung die Sociät6 medicaie de la Suisse
Romande. Aus dem Stillschweigen der übrigen Vereine muss geschlossen werden, dass
sie sich ebenfalls dem Antrag unserer Commission anschliessen. Es ist daher der Antrag
Vmiclier als dahingefallen zu betrachten und wird beschlossen, davon im Protocoll Vor¬
merk zu nehmen und Herrn Prof. Vaucher von dem Ergebniss der Anfrage Mittheilung
zu machen.
3) Betreffend die Stellung, welche die cantonalen Vereine zu den Thesen einnehmen,
die am letzten Aerztetag in Bern bezüglich des eidgenössischen Krankenversicherungs¬
gesetzes von den Referenten Sanderegger und Kaufmann aufgestellt wurden, sind bis jetzt
bloss von zwei Vereinen Antworten eingegangen. Es wird beschlossen, von einer Dis-
cussion dieses Themas für heute Umgang zu nehmen, weil erst die Entscheidung über
die dem Forrer’schen Entwurf entgegengestellte Initiative Greulich abgewartet werden
muss, ehe ein Eingehen in das Detail jenes Entwurfs stattfinden kann.
4) Ueber einige bei der Verwaltung der Hülfskasse eingegangene Unterstützungs¬
gesuche referirt in Abwesenheit des Verwalters Lots v. Wgss. Eines derselben wird in
zustimmendem Sinn erledigt und der schon vom Bureau diesbezüglich gefasste Beschluss
bestätigt, über zwei weitere soll erst nach weiter eingezogenen Erkundigungen beschlossen
werden. *
5) Auf die Eingabe an das Eisenbahndepartement betreffend den Krankentransport
per Bahn ist eine detaillirte Antwort eingegangen und wird beschlossen diese erst behufs
genauerer Kenntnissnahme bei den Mitgliedern unserer Commission circuliren zu lassen,
ehe allfällige weitere Schritte berathen werden.
6) Das Präsidium regt als Mitglied der Commission für die Hygieineabtheilung
der schweizerischen Landesausstellnng in Genf die Frage an, ob unsere Commission sich
bei der Ausstellung ebenfalls betheiligen werde und in welcher Art. Es wird beschlossen,
sich erst über das Vorgehen der Aerztecommission bei der letzten Landesausstellung (1883)
zu informiren.
Schluss der Sitzung 107» Uhr. Der Schriftführer: H, v. Wgss.
W oofcteiibericlit.
Schweiz.
Schweis.
CnlTernifäten.
Frequenz der
m e d i c i
n i s c h e n Facultaten
im Sommcrsemester
1894.
Aus dem
Canton
M. W.
Aus andern
Cantonen
M. W.
Ausländer
M. W.
Summa
M. W.
Total
Basel
Sommer
1894
49
2
87
1
19
—
155
3
158
n
1893
48
1
84
—
19
—
151
1
152
Bern
jt
1894
75
1
60
2
27
39
162
42
204
n
1893
76
—
75
1
27
45
178
46
224
Genf
V
1894
33
2
69
—
71
41
173
43
216
yt
1898
30
2
64
—
78
50
172
52
. 224
Lausanne
n
1894
31
—
39
—
14
19
84
19
103
w
1893
25
—
33
—
20
7
78
7
85
Zttrieh
T»
1894
54
3
lU
2
70
75
235
80
315
n
1893
53
2
121
2
55
64
229
68
297
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Total für Sommersemester 1894 an allen Schweiz. Universitäten 996, worunter
608 + 13 Schweizer (Sommer 1893: 982, darunter 609 + 8 Schweizer; Winter 1893/94:
1009, worunter 632 + 11 Schweizer).
Basel mit 4, Genf mit 4 (3 + 1), Lausanne mit 3 (1 + 2), Zürich mit 8 (7 + 1)
Auditoren; dann Genf mit 26 (24 + 2) Schülern der zahnärztlichen Schule.
BmseL Bacteriologischer Sommercurs vom 18. Juli bis 14. August.
Beginn am 18. Juli, Vormittags 9 Uhr, im pathologisch-anatomischen Institut.
Au 8 land.
— Als Nachfolger BillroW^ ist Prof. Gussenhauer (Prag), einer seiner hervor¬
ragendsten Schüler, an den II. Lehrstuhl für Chirurgie nach Wien berufen.
— Zar iBjectlQBsbehudlBBf der StrnBieB. Herr Dr. F, Bich aus Burgdorf
schreibt mir auf meine Mittheilung über die Jodoformeinspritzungen bei Strumen, dass er
es nicht wagen möchte, zu parenchymatösen Injectionen zu greifen, weil es sich trotz
aller Sorgfalt nie mit Sicherheit vermeiden lasse, dass die Jodoformlösung in eine Vene
gerathe. Dann sei es nicht ausgeschlossen, dass schlimme Zufölle wie beim Jod ein-
treten. Es ist ja bekannt, dass in Folge eines solchen unglücklichen Zufalles bei der
frühem Jodtherapie viele Kropf kranke unter den Händen des Arztes gestorben sind, weil
die in eine Vene eingespritzte Jodtinctur fast augenblicklich ausgedehnte, bis ins rechte
Herz fortschreitende Thrombose erzeugt hat. Sollte nicht Aehnliches vom Jodoformmther
zu fürchten sein, wenn er in eine Vene gespritzt wird ?
Ich habe in meiner Publication die Jodoformeinspritzungen als völlig gefahr-
1 o s bezeichnet, habe es aber unterlassen, die weitern Beweise zu liefern, die in der
ausführlichen Arbeit in den Beiträgen zur klin. Chirurgie enthalten sein werden. So
möchte denn ich hier nochmals darauf hin weisen, dass v. MoseUg bei über 400 Einspritzungen,
Bapper nndBurg, jeder bei ebenso vielen und ich selbst bei weit über 1000 Injectionen
niemals etwas Unangenehmes erlebt haben. Ich nnterlasse es, vor der Einsprizung
nachzuseheu, ob aus der Nadel Blut sickert. Fast mit Sicherheit ist wohl anzunehmen,
dass unter den 2000 Einspritzungen öfter der Jodoformäther in eine Vene ging — und ich
bin vollständig der Meinung des Herrn Collegen D., dass trotz aller Sorgfalt bei Einspritzungen
in einen Kropf sich grössere Venen nicl\t immer vermeiden lassen und ich stimme auch
seinem Postulat zu, dass eine Injectionsflüssigkeit für den Kropf
nur dann als unschädlich zu bezeichnen ist, wenn sie auch
intravenös ohne Schaden ertragen wird.
Dass dies für die Jodoformlösung, wie ich sie brauche, in der That der Fall ist,
das unterliegt für mich keinem Zweifel, denn erstens ist nachgewiesen, dass 1 ccm lO^/o
Jodoformäther einem Hunde intravenös beigebracbt schadlos ertragen wird; ferner habe
ich selbst einem Kaninchen 2 Pravaz'sche Spritzen voll der Injectionsflüssigkeit intra¬
venös beigebracht. Auf die erste Einspritzung erfolgte gar keine Beaction, auf die zweite
wurde das Thier etwas taumelig, wie betrunken (Aetherwirkung), — erholte sich aber
in weniger als 2 Minuten soweit, dass es munter umhersprang. Eine Thrombo-
sirung der Vene ist nicht eingetreten; Von Seiten des Gefasssystems
wäre also für unsere Patienten nichts zu fürchten. Was das injicirte Quantum betrifft,
so genügt es darauf hiozuweisen, dass, auf das Körpergewicht nmgerechnet, dasselbe das
zehnfache der üblichen Dosis für den Menschen übersteigt!
Ich glaube also bei meiner in der Publication ausgesprochenen Ansicht, dass die
Einspritzungen von Jodoformlösung ins Kropfparenchym in der Weise, wie ich sie em¬
pfohlen, ganz ungefährlich sind, stehen bleiben zn dürfen.
Dem Herrn Collegen Bich bin ich aber sehr dankbar, dass er mich durch seine
folgerichtige Kritik veranlasst hat, den experimentellen Beweis für meine Behauptung an
dieser Stelle anzntreten. Prof. Garrh, Tübingen.
— Trotzdem der Lebertbran seit Anfang dieses Jahrhunderts zu den officindlen
Präparaten gehört, sind unsere Kenntnisse über seine nähere Zusammensetzung sowie
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über seine therapeutische Wirkung noch sehr lückenhaft. Die vielfach widersprechendeu
Resultate, welche die zahlreichen mit diesem Präparate gemachten Versuche ergeben
haben, rühren wohl zum grossen Theil von der Schwierigkeit, um nicht zu sagen Un¬
möglichkeit her, ein in seiner Zusammensetzung annähernd constantes Präparat zu be¬
kommen. Der officinelle Thran sollte eigentlich ausschliesslich aus der Leber des echten
Kabliaus (Qadus Morrbua) dargestellt werden. In Wirklichkeit werden dazu noch ver¬
schiedene Qadusarten verwendet, so der Q. cellarius (Dorsch), der G. carbonarius, der
G. merlangus. Dazu wird ja nicht selten noch Thran von Rochen- oder Hayfischlebern,
wenn nicht von Delphinen, Seehunden, jungen Wallfischen oder sogar vegetabilische Gele
zugesetzt. Von grosser Bedeutung für die Zusammensetzung des Thranes ist ferner noch
die Art seiner Bereitung. In Norwegen und Dänemark werden die abgehäuteten und
gewaschenen Lebern frisch in grosse Behälter gebracht, welche dann mit Wasser gefüllt
werden. Die Gefässe werden dann durch strömenden Wasserdampf oder auf dem Wasser¬
bade auf eine mässige lauwarme Temperatur gebracht, bei welcher die Abscheidung des
Thranes erfolgt. Die ersten Portionen sind fast farblos oder leicht gelbgrünlich gefärbt;
sie bestehen fast nur aus Fetten und enthalten sehr wenig Extractivbestandtheile. Da
der Extractionsprocess sehr langsam verläuft, findet allmälig eine Maceration, eine Änto-
digection des Leberparenchyms statt, in Folge welcher verschiedene Körper sich den
Fetten hinzugesellen und dem abfliessenden Thran eine blonde resp. hellbraune Farbe
geben. Die zuletzt abfliessenden Partien sind von dunkler Farbe und verbreiten einen
widerlichen Geruch. Die Verwesung der extrahirten Lebern hat bereits begonnen; die
Producte der Extraction werden dadurch verunreinigt und sind kaum mehr zu thera¬
peutischen Zwecken zu verwenden.
Den Hauptbestandtheil des Lebertbrans bildet das Olein; dazu kommen noch, aber
in viel geringerer Menge, Margarine. Von den anorganischen Bestandtheilen sind Chlor,
Jod und Phosphor in nicht unerheblichen Mengen darin vorhanden (CI. l,2^/oo, J. 0,3^00,
P. 0, 2 ^/ 00 ). Endlich hat Gautier im Thran noch eine ganze Reihe von LeucomaJnen,
Stoffwechselalcaloiden, nachgewiesen, welchen er eine bestimmte Rolle bei der Wirkung
des Lebertbrans zuzuschreiben geneigt ist. Unter diesen Körpern befinden sich einige,
welche wie das Butyl- und Amylamin ziemlich stark erregend auf das Nervensystem
wirken, während die andern ziemlich unschädlich sein sollen. Eine besondere Wirkung
scheint das Morrhuin (mit dem Gaduin von de Jongh nahe verwandt) zu haben; in kleinen
Dosen wirkt es stark diuretisch und diaphoretisch und wirkt intensiv desassimilirend. Von
allen flüssigen Fetten dringt der Leberthran am schnellsten durch animalische und vege¬
tabilische Membranen: fünf Mal schneller als Klauenöl und sieben Mal schneller als
Mohnöl. Injicirt man einem Thiere Leberthran in eine an beiden Enden unterbundene
Darmschlinge und einem anderen Thiere ceteris paribus vegetabilisches Oel, und reponirt
man die Darmscblingen, so findet man, dass nach einiger Zeit der Leberthran fast voll¬
ständig resorbirt worden ist, während das vegetabilische Oel noch zum grössten Theil in
der Darmschlinge sich befindet.
Diese Resorption des Xieberthrans hat aber ihre Grenzen. Gibt man denselben zu
lange oder in zu grossen Dosen, so tritt die allgemeine purgirende Oelwirkung hervor.
Die therapeutische Verwendung des Lebertbrans ist zu bekannt, als dass wir uns hier
noch darüber aufzuhalten brauchten. Man gibt das Mittel gewöhnlich in Dosen von an¬
fänglich 2 Esslöffel täglich, um nach und nach zu Tagesdosen von 60 bis 100 gr zu
steigen. Höhere Gaben hätten keinen Zweck und könnten Verdauungsstörungen hervor-
rufen. Am besten gibt man den Thran unmittelbar vor der Mahlzeit und lässt darauf
vorzüglich Kohlehydrate und eiweisshaltige Speisen geniessen. Nach vierzehn Tagen
setzt man dann den Thran für eine Woche ans, um dann wiederum mit demselben zu
beginnen. Die Anwendung des Lebertbrans soll vorzüglich für die Wintermonate reservirt
werden. Zur Deckung des unangenehmen Geschmackes kann man dem Thran etwas
Bittermandelöl oder Encalyptnsessenz zusetzen. Am besten aber lässt man unmittelbar vor
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dem Einnehmen den Mund mit Zuckerwasser oder Wein spülen, giesst den Thran in ein
etwas Wasser oder Wein enthaltendes Qlas und sucht das Ganze mit einem Schluck
herunterzu befördern. Unzweckmässig sind im Allgemeinen die emulgirten oder verseiften
Thranpräparate; ebenfalls ist es besser, keine andern Medicamente dem Thrane zuzn-
setzen, ausser etwa Kreosot. Kreosotleberthran scheint ein ganz zweckmässiges Präparat
zu sein. Yon allen Thransorten ist der blonde für die Therapie am meisten zu em¬
pfehlen; der sog. farblose natürliche Thran enthält viel weniger Extractivproducte als
der blonde, wird deshalb auch weniger leicht vertragen und weniger leicht resorbirt; er
hat allerdings den Yortheil des geringeren Geschmacks.
(Pateiny Nouv, rem^des Nr. 6, 1894.)
— Wie lange Zeit hindurch soll die SypllillsbekaBdiloB|f durcbgeführt werden?
Nach den Anschauungen von Foumier und seiner Schule sollte ein Syphilitiker Jahre
hindurch in periodisch sich wiederholenden Curen Jodkali oder Quecksilber zu sich nehmen,
seihst wenn die bestehende Syphilis gar keine Erscheinungen mehr macht. Diese Be¬
handlungsmethode vermag aber keineswegs die Becidive zu verhindern, und selbst nach
jahrelanger consequenter Anwendung von Jodkali können schwere tertiäre Erscheinungen auf-
treten. Auf der anderen Seite lässt es sich nicht leugnen, dass zahlreiche Fälle von
Syphilis nach einer einmaligen Behandlung nicht mehr recidiviren und dass wenn Reci-
dive auftreten, dieselben mit Hülfe einer specifischen Behandlung meist mit Erfolg be¬
kämpft werden können. Aus diesem Grunde tritt Kaposi gegen die Methode von Foumier
auf, welche für die Kranken in vielen Beziehungen sehr belästigend ist, sowie moralisch
für sie sehr beunruhigend wirkt. Nach Kaposi soll man nach der ersten gründlichen
Cur die Behandlung aussetzen und dieselbe von Recidiv zu Recidiv wieder aufnehmen.
(Centralbl. f. ges. Ther., Nr, III.)
— Zur Plefe 4er Hlade bei CarbolfebrrnBcb. Yor und nach dem Gebrauch der
Carbolsäure soll man nach Vogel dem Seifenschaum, der die Hände bedeckt, einen Caffee-
löffel voll gepulverten Borax zusetzen und nun die Hände eine Weile mit dieser Mischung
einreiben. Um dem Ekzem vorzubeugen, das bei manchen Personen nach der Beschäfti¬
gung mit Carbolsäure häufig an den Händen entsteht, muss man gleich nach der Be¬
rührung der Hände mit Carbolwasser diese mit Talkpulver einstreuen und diese Procedur
stündlich wiederholen; noch 1—2 Stunden verschwindet das stumpfe von der Carbol¬
säure herrührende Gefühl. (Centralbl. für die ges. Ther., Nr. UI.)
— Die Zahl der pBlbolO|fischeB ABgStZBStiBde oder Phobien hat sich seit der
im Jahre 1870 zuerst von Benedikt^ dann von Westphal beschriebenen Agoraphobie nach
den Erhebungen von Gelineau in auffallender Weise vermehrt. Heute kennt man die
Aichmophobie, Spitzen- oder Nadelangst; die Thalassophobie, Meerangst; die Astrophobie,
Angst vor den Gestirnen oder dem Himmelsgewölbe; die Claustrophobie, Angst vor ge¬
schlossenen Räumen; die Mysophobie, Schmutzangst; die Hämatophobie, Blutangst; die
Necrophobie, Angst vor den Todten; die Anthrophobie, Angst vor Menschengemengen;
die Monophobie, Angst vor der Einsamkeit; die Bacillophobie, Bacterienangst; die Sidero-
dromophobie, Eisenbahnangst; die Pathophobie, Angst vor Krankheiten mit ihren ver¬
schiedenen Yarietäten; die Anginophobie, die Ataxophobie, die Syphilophobie, die Lysso-
phobie u. s. w.; die Zoophobie oder Angst vor gewissen Thieren, Katzen, Pferden,
Mäusen, Hunden u. s. w. Dazu kommt ferner noch die Kleptophobie oder Diebstahls-
angst; die Pyrophobie, Feuerangst; die Stasophobie, Angst vor der verticalen Station;
die Aerophobie, Angst vor den Luftzügen und als „Comble“ der Phobien, die Phobo¬
phobie.
Dass die meisten dieser Phobien für den Betreffenden und seine Umgebung höchst
störend sind, ist ja einleuchtend; andere dagegen könnten für gewisse Bemfsarten nur
wünschenswerth erscheinen, so z. B. die Mysophobie bei den Dienstboten. Gelineau soll einen
Bedienten gehabt haben, der überglücklich war, wenn er den Tag hindurch die metallenen
Gegenstände der Wohnung poliren durfte. War er mit seiner übrigen Arbeit zu Ende,
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BO nahm er noch die Metallgeräthe mit in die Küche und polirte darauf los bis spät in
die Nacht. (Med. mod., Nr. 44.)
— lieber die Zilassn|^ der Fruee %mm irilliehei Stidlia hat kürzlich die
Petitionscommission des deutschen Reichstages verfügt, indem sie bei der Behandlung
einer vom „allgemeinen deutschen Frauenverein^ in Leipzig eingereichten Petition behufs
Zulassung der Frauen an den Universitäten und Freigebung der Praxis an approbirte
Aerztinnen einstimmig zur Tagesordnung geschritten ist. Massgebend für diesen Beschluss
war eine Erklärung des Regierungsvertreters, nach welcher die Zulassung der Frauen
zum Universitätsstudium ausserhalb der Competenz des Reiches steht, da die Regelung
des Unterrichtswesens lediglich Sache der einzelnen Bundesstaaten ist. Wenn gegenwärtig
Frauen an keinem deutschen Gymnasium zur Reifeprüfung und an keiner deutschen Uni¬
versität zum medicinischen Studium zugelasson werden, so bindert sie das nicht, die Heil¬
kunde auszuüben, da die Befugniss hiezu durch die Gewerbeordnung ohne Rücksicht auf
das Geschlecht oder eine vorher abgelegte Prüfung freigegeben ist. Allerdings ist den
Frauen die Approbation als «Arzt^ verschlossen, so lange sie den in der Prüfungsord¬
nung aufgestellten Vorbedingungen für die Zulassung zur ärztlichen Prüfung nicht ge¬
nügen können. Auf eine Abänderung der Prüfungsordnung dahin, dass Frauen gegen¬
über auf die Erfüllung dieser Vorbedingungen verzichtet werde, wird die Regierung
niemals eingeben, da dann auch die Männer mit Recht eine gleiche Herabminderung der
Anforderungen beanspruchen konnten. (D. med. W., Nr. 21.)
— Bsslir Als Gei^SABlUel des Erhreeheis ueh ChlereforaiMrcose. Warholm
empfiehlt nach der Operation ein mit Essig getränktes Nastuch vor die Nase des Pat. zu
halten und es so lange dort zu lassen bis der Pat. vollständig erwacht ist, oder, wenn
es ihm angenehm ist, noch länger. Von 30 Fällen, bei welchen W. dieses Verfahren
anwandte, war die Wirkung bei den meisten eine absolut zuverlässige. Nur in 2 Fällen
blieb sie aus, u. zw. war einer dieser 2 Patienten ein Alcoholiker. Dem Pat. sollte
auch ein mit Essig gefülltes Fläschchen auf den Nachttisch gegeben werden, damit er
nach Belieben daran riechen könne. (New-York med. Record, 14. April 1894.)
Priori tfttoreelamal ton«
Herr Prof. Mar fori in Ferrara beklagt sich in einem Schreiben an die Redaction
des Corresp.-Blattes, dass wir in unserem Aufsatz über die Wirkung des Ferratins seinen
Namen zu nennen unterlassen haben, und nur nebenbei bei Anlass der Darstellung eines
dem Ferratitt sehr ähnlichen Präparates von ibm sprechen. In der uns zur Verfügung
stehenden Litteratur befindet sich ein Aufsatz von Marfori^ in welchem er eine organische
Eisenverbindung mit einem Eisengehalt von etwa 0,7^/o beschreibt, ohne aber derselben
einen besonderen Namen beizulegen (s. eine eingehende Besprechung dieses Präparates,
Corresp.-Blatt XXIII, S. 451). Die Bezeichnung „Ferratin" erscheint zum ersten Male
(Centralbl. f. klin. Med. 1893, Nr. 45) in einer Mittheilung von Schmiedeherg^ in welcher
der Autor die Betheiligung von Marfori bei der Darstellung des Präparates hervorhebt
(Arch. f. exper. Path., Bd. XXXIII, S. 101). Da aber dieser Aufsatz unter dem Namen
von Schmiedeberg allein erschienen war, da ferner diese Bezeichnung in der Litteratur
bereits cursirte, trugen wir kein Bedenken, das Präparat einfach Schmiedeberg'sehes
Ferratin^ zu nennen. Es war uns dabei weniger um den Namen, als um die Wirkung
des Präparates zu thun. Wir sind aber gerne bereit, auf Wunsch des Herrn Marfori^
seine Verdienste um das Ferratin neben denjenigen von Schmiedeberg hervorzuheben, und
seine Vaterschaftsrechte auf das Präparat anzuerkennen. Jaquet.
BrlellcMteii«
Dr. Girard, maj. surg. Chicago: Besten Dank und Gruss. Es freute mich, in dem über¬
schickten Bande (Verhandlnngen der Jahresversammlungder amerikan. Militärärzte) die ansgezeichnete
Arbeit Sennes über Darmnaht und die Ihrige über Wirkung moderner Schusswaffen zu finden. —
Prof. Ford, Zürich: Referat bestens dankena erhalten.
Schweighanserische Bnchdruckerei. — B. Schwabe, Yerlagsbnchhandlung in Basel.
Digitized by LjOOQle
CORRESPONLENZ-BLATT
Eracbeint am 1. und 15.
jedes Monats.
Inserate
35 Cts. die gesp. Petitzeile.
ffir
Schweizer Aerzte.
Herausgegeben von
Preis des Jahrgangs
Fr. 12. — für die Schweiz,
Fr. 14.50 für das Ansland.
Alle Posthnreanx nehmen
Bestellungen entgegen.
I>i*. HAfftei? and Dr. A.« Ja.qri.et
in Franenfeld. in Basel.
N! 14. XXIV. Jahrg. 1894. 15. Juli
lalialt} I) Ori ginalarbeiten: B.Immemumn: üeber Blaeenbildnngen der Hani, inebeeondere Pemphigna. — Prof. Dr.
Bugutnim: üeWSeonndir-Infeetion bei Lnngentnberenloee. (Sehlnae.) — 2) Verei asberleh te: Medidnia^-phannaeenUieber
BesirksTerein Bern. — 111. Yereammlnng der Deateehen Otologisehen Qeeellecbaft in Bonn. (Sebima.) — 3) Cantonale Cor-
reapond enient Ein Beaneb der Therme BattagUa bei Padoa. — 4) Wochen bericht: Zürich*: Bacteriologieeber Oora. —
Patholoeie nnd Therapie der Blatangen anmittelnar nach der Gebart. — Behandlang dee Keaohhnatena. — Bebandlang der
Bachendiphtberie and dee Keblkopferoape. — Gegen Lapna. — Pleesimeter. — 5) Brlefkaaten. — 6) Hftlfakaaae fftr
Schweiler Aerite. — 7) B ib lio g raphiacbea.
Oi'lg'ina.l-Jk.i'beiten.
lieber Blasenbildungen der Haut, insbesondere Pemphigus.
Von H. immermann in Basel.*)
Meine Herren! Gestatten Sie mir, Ihnen am hentigen Abend zoYdrderst einen Fall
meiner Klinik yorznstellen, welcher seit einiger Zeit von uns beobachtet nnd behandelt
worden ist nnd in doppelter Beziehung Interesse verdient. Der Fall ist bemerkenswerth
schon wegen der grossen Seltenheit des fraglichen Leidens an sich, sodann aber nament¬
lich noch wegen der nngewObniichen Verlaofsweise, die das betreffende Uebel bisher bei
dem Patienten genommen hat. Um die Diagnose gleich vorweg zn nehmen, mochte
ich bemerken, dass rä sich, meiner Meinung nach, um einen Fall jener schrecklichen
Krankheit handelt, welche seit Ccumave als Pemphigus foliaceus be¬
zeichnet wird, nnd welche mit Becht wohl als die schlimmste Form des Pem¬
phigus seither gegolten hat. Was ferner die Besonderheit des VerlanfM anbetrifft,
so besteht dieselbe, kurz gesagt, gerade darin, dass unser Fall, trotz seiner übrigens
völlig typischen Ausbildung, dennoch, wie es scheint, eine gewisse Tendenz zur Besse¬
rung zeigt.
Die Anamnese ist folgende:
Patient N. M., 57 Jahre alt, Wagner aus Reinaoh, Baselland, hereditär nidit be¬
lastet und früher (bis auf einmalige Pneumonie) niemals erheblich krank, datirt den Be¬
ginn seines gegenwärtigen Leidens auf Deoember 1898. Um diese Zeit sollen zuerst an
den Seitentheilen des Thorax, sowie am Bücken diverse Stellen der Haut etwa hand¬
tellergross sich gerOthet haben nnd stellte sich im Gebiete dieser scharf begrenzten
Vortrage.
Nach einem in der medicinischen Gesellschaft zu Basel am 10. Hai 1894 gehaltenen
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Fartbien unter mässigen brennenden Schmerzen baldigst Nässen ein. Zugleich wuchsen
diese krankhaft afficirten Stellen zu immer grösseren rothen nässenden Flächen aus, und
kam es hiedurch sowohl, wie durch das Hinzutreten neuer ähnlicher Proruptionen, zwischen
den alten, bald zn ausgedehnter Confiuenz. Von nun an geschah die weitere Ausbreitung
des Leidens auf der Körperoberfläohe vornehmlich so, dass in den Randgebieten der be¬
reits ergriffenen Parthie bald hier, bald dort die noch unversehrte Haut, nach vorheriger
Röthnng, blasige Erhebungen bekam, ihre Epidermis verlor und von nun an ebenfalls
zn nässen anfing. Die Secretion war eine sehr reiche, und das ergossene Secret bildete
überall, wo es auf der exooriirten Haut mit der Luft in Berührung kam und eintrocknete,
dünne gelbliche, auf der rothen, blossgelegten Fläche locker anhaftende Borken. Da bei
ambulanter Behandlung des Leidens durch verschiedene Mittel (Salben, Ueberschläge
n. s. w.) keine Besserung sich zeigte, im Qegentheil das Uebel immer weitere Bezirke
der Eörperoberfläche ergriff, wurde der Patient Anfangs Februar dieses Jahres auf An¬
rathen seines Arztes nach Basel in die medicinisohe Klinik zur weiteren Beobachtung
und Behandlung verbracht.
Bei seiner Aufnahme zeigte der übrigens kräftig gebaute und sonst bezüglich
seiner innern Organe anscheinend normal sich verhaltende Patient bereits auf einem
sehr grossen Theile seiner KOrperobet^äche die soeben geschilderten Veränderungen
(ROthung, Nässen, Borkenbildung). Continuirlich ergriffen waren um diese Zeit bereits
fast der ganze Rumpf (Brust, Bauch und Rücken, bis auf einen Theil der Nacken¬
gegend), ferner vorn und hinten der Hals, sowie gut zwei Drittheile des Gesiebtes,
von welch letzterem nur die Stirn und die Ohren noch frei waren. Ergriffen waren
ferner bereits die Regio occipitalis, die Haut der Genitalien; weiterhin an den Extre¬
mitäten die Haut beider Oberarme und die angrenzenden Theile beider Vorderarme,
endlich die obem Drittheile beider Oberschenkel. In diesem ganzen Umfange bildete
die allgemeine Decke eine zusammenhängende rothe, nässende Fläche, welche durch
die aufliegenden dünnen, gelblichen Borken des eingetrockneten Secretes wie mit Blätter¬
teig bedeckt, sich aasnahm. Frei von der Krankheit waren zu jener Zeit noch ein
Theil des Nackens, Vorderarme und Hände, sowie der grösste Theil der untern Ex¬
tremitäten, obwohl am rechten Unterschenkel, getrennt von dem übrigen Ausbreitungs¬
gebiete des Leidens, sich ebenfalls bereits eine ziemlich umfängliche, rothe nässende
Insel gebildet hatte.
Aus der gegebenen Schilderung erhellt, dass der Anblick des Patienten mit dem¬
jenigen eines Falles von ausgedehntem Eczema rubrum die grösste Aebnlicbkeit hatte;
auch glaubten wir im ersten Augenblicke es mit einem solchen zu thun zu haben,
und war der Kranke in der Tbat auch, als mit schwerem Eczem behaftet, uns über¬
wiesen worden. Eine genauere Betrachtung diverser Partbien der Randzone des affl-
cirten Hautgebietes (in der Nackengegend, im obern Theile des Gesichtes, an den
Oberschenkeln und an den Vorderarmen) ergab indessen daselbst eine so eigenthümliche
Beschaffenheit der Haut, dass die Annahme eines Eczems doch alsbald fallen gelassen
werden musste. Die hier noch erhaltene Epidermis zeigte sich nämlich in diesen Re¬
gionen streckenweise durch eine dünne Flüssigkeitsschicht von dem darunter befindlichen
roth durchscheinenden Corium eben merklich abgehoben und bildete hier ziemlich um¬
fängliche, aber ganz flache, welke Blasen mit gefalteter Oberfläche, sodass hier ein
Bild existirte, was in Allem einer Verbrühung zweiten Grades glich. Auf Befragen
gab ferner der Kranke an, dass, in der That, sowohl der erste Beginn des Leidens,
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wie auch der ganze weitere Fortschritt desselben stets dadurch sich gekennzeichnet
b&tten, dass, wie nach Yerbröhungen, die Oberhaut sich von ihrer Unterlage zuerst
blasig abgehoben, sodann aber sich bald abgestossen habe, und dass so überall das
Nässen und die Borkenbildung zu Stande gebracht worden sei. Auch zeigte die
weitere Beobachtung uns selbst diesen Entwicklungsgang in durchaus typischer, regel¬
mässig sich wiederholender Weise überall da, wo das Leiden im Laufe der nächsten
Wochen noch um sich griff. Hiernach war klar, dass die pathologische Blasenbildung
auf der Haut in unserem Falle nicht ein accidentelles, oder complicatorisches Ereigniss
war, vielmehr einen integrirenden Bestandtheil des vorliegenden Hautleidens ausmachte;
ja noch mehr, dass es sogar mit Regelmässigkeit das erste Glied in der Kette der
pathologischen Erscheinungen bildete, somit recht eigentlich als das Gardinalsymptom
der Krankheit angesehen werden musste.
In diesem Sinne war man dann aber gewiss auch wohl berechtigt, hier von
Pemphigus zu reden, und zwar lag augenscheinlich hier ein typisches Beispiel des
sogenannten Pemphigus foliaceus vor, welchem besonderen Krankheitsbilde der
Fall ja, bei näherer Betrachtung, in allen seinen Einzelheiten vollkommen entsprach.
Es wurde darum auch die betreffende Diagnose von mir nach erhobenem Status un¬
bedenklich gestellt, ferner bei der klinischen Vorstellung und Besprechung des Falles
namentlich betont, dass die Affection voraussichtlich sich auch noch über den Best
der KOrperoberfläche ausbreiten und bald universell sein werde. Endlich musste ich
aber noch mir sowohl, wie meinen Zuhürern in der Klinik sagen, dass allen bisherigen
Erfahrungen über Pemphigus foliaceus zufolge, der Exitus letalis bei unserm Patienten
wohl nnabwendlich sei.
Therapeutisch versuchten wir zuerst, dem Rath» .Hebra’s folgend, permanente
lauwarme Bäder, denen wir einen adstringirenden Zusatz von Eichenrindendecoct (Lohe)
machten; innerlich bekam der Patient, bei kräftiger Nahrung, Arsenik (Solntio Fowleri,
3 Mal täglich 5 Tropfen). Da indessen der Kranke in den Lohbädern sich keineswegs
wohl fühlte, über vermehrtes Brennen in der Haut klagte und sich sehr unruhig ver¬
hielt, so vertauschten wir diese Bäder bereits seit Mitte März mit einem milde ans¬
trocknenden Streupulver (Zinkweiss und Amylum 1 : 5), welches bis jetzt ununterbrochen
bei dem Patienten in reichlichster Weise zur Anwendung gekommen ist, und welches,
neben dem innerlichen Fortgebrauche des Arsens, unsere alleinige Verordnung örtlich
gebildet hat. Hervorzuheben ist nun zunächst, dass der Kranke bei diesen Ein-
puderungen seiner excoriirten Haut sich subjectiv weitaus wohler befunden hat, als bei
den Bädern, und dass er nach einer Aenderung der äusserlichen Behandlung kein be¬
sonderes Verlangen trägt, obwohl seine Beschwerden seitdem nur gelindert, aber keines¬
wegs geschwunden sind.
Die Erwartung, dass die Affection bald universell sein werde, bestätigte sich
durchaus; denn in der Folge breitete sich der Pemphigus foliaceus auch noch über
den ganzen Best der Körperoberfläche aus. Hätte die Krankheit nun ihren anfänglichen
Cbaracter völlig beibehalten, so hätte nunmehr die ganze Hantoberfläche des Patienten
eine einzige zusammenhängende rothe, nässende und mit dünnen Borken bedeckte Ex-
coriationsfläche bilden müssen, wie solches ja sonst auch in dem Endstadium des Pem¬
phigus foliaceus zutrifft. In diesem einzigen Punkte nun aber zeigte unser Fall uns
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eine höchst bemerkenswerthe Abweichung von der Regel insofern, als nnter der Decke
des Strenpnlvers die verloren gegangene Epidermis allmfthlig.in sehr weitem Umfange
sich regenerirt hat. Dieser Wiederersatz der schützenden Oberbaut inrolvirt aber, wie
nicht näher auseinander zu setzen ist, zugleich auch die Möglichkeit einer Heilung
in unserem besondern Falle einer Krankheit, welche sonst gerade durch das üniversell-
werden der Excoriation und durch das Ausbleiben des regenerativen Vorganges rettungs¬
los zum Tode zu führen pflegt. Durch diese Tendenz zur Ausgleichung und Heilung
der schweren Hautveränderung stellt unser Fall sich prognostisch geradezu als ein
Unicnm heraus, da er der einzige Fall von Pemphigus foliaceus ist, bei welchem die
Hautveränderung, einmal universell geworden, dieses eigenthümliche Verhalten gezeigt
hat. Trotzdem wäre es aber doch verfrüht, schon jetzt eine künftige Heilung in
sichere Aussicht zu stellen. Denn obwohl in weitem Qesammtumfange und in sehr
verschiedenen Bezirken die erwähnte Regeneration der Epidermis zu Stande gekommen
ist, so sehen Sie doch noch heute, wo der Patient, von seiner Puderbülie zum Zwecke
der Demonstration befreit, hier vor Ihnen liegt, die ganze Eörperoberfläche desselben
doch noch dunkel geröthet, ferner an verschiedenen Steilen, so am Rücken, am Bauche,
an den Extremitäten n. s. w., fleckweise auch jetzt noch exooriirt und nässend, und
werden Sie endlich auch noch bei genauerer Betrachtung vereinzelte Nachschübe der
eigenthümlichen Blasenbildung entdecken können, mit der die Krankheit debütirt hat,
und die sie als Pemphigus foliaceus stempelt. So sehen Sie beispielsweise am linken
Unterschenkel, aussen, eine etwa handtellergrosse Parthie, welche Ihnen heute frappant
das Bild einer frischen Verbrühung zweiten Grades darbietet, und so vergeht in der
That auch kein Tag, wo nicht auch jetzt noch es bald hier, bald dort eine Abhebung
der Epidermis vom Corium durch Flüssigkeit absetzte, eine oder die andere umfängliche
flache Blase (nach Art einer Verbrühung) sich bildete und später eine Excoriation
entstände. Hieraus folgt nun, dass in unserm Fall zwar bis zu einem gewissen Grade
eine Neigung zur Heilung sich geltend macht, dass aber der Process selbst doch noch
nicht zur Ruhe gelangt ist, vielmehr noch immer durch begrenztere Nachschübe seine
Fortexistenz verrätb. Es ist darum auch noch nicht ausgemacht, ob nicht etwa die
Krankheit irgendwann einmal wieder rapide Umsichgreifen und dann doch schliesslich
noch durch Erschöpfung zum Exitus letalis führen wird.
Was noch das sonstige Befinden des Patienten anbetrifft, so bemerke ich, dass
der Kräftezustand, der anBlnglich rasch abnahm, auch jetzt noch ein ziemlich redncirter
ist. Interessant war das Verhalten des Körpergewichtes, welches zunächst vom Tage
der Aufnahme des Patienten in die Klinik bis Anfangs April langsam und gleich-
mässig von 62,1 auf 59,7 kg sank, jetzt aber in den letzten Wochen bei fortgesetzter,
reichlicher Ernährung und leidlichem Appetite sich erfreulicher Weise wieder allmählig
bis auf 67,6 kg gehoben hat. Ich erblicke in dieser Zunahme des Körpergewichtes
natürlich ebenfalls ein Zeichen, welches, ähnlich der erwähnten Epidermisregeneration,
für die weitere Gestaltung des Falles prognostisch einige Hoffnung gewährt.
Gestatten Sie mir nun zweitens heute noch zur Diagnose des vorliegenden
Falles einige epikritiscbe Bemerkungen, die sich auf das Vorkommen von Blasen¬
bildungen der Haut überhaupt, insbesondere aber auf den nosologischen Begriff des
Pemphigus beziehen sollen.
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So wenig nämlich eine jede Blasenbildung der Haut an sich schon als Ausdruck
eines vorhandenen Pemphigus bezeichnet werden darf, so wenig bilden anderseits selbst
diejenigen bnllOsen Erkrankungen der allgemeinen Decke, welche dem nosologischen
Begriffe des Pemphigus nach heutiger Auffassung zu subsumieren sind, mit einander
eine einzige nosologische Species. Es gibt also pemphigöse und nicht pemphigöse
Blasenbildungen, und auch die erstem, die pemphigOsen, sind nicht in allen Fällen
ihres Vorkommens, klinisch betrachtet, das Zeichen einer und derselben Krankheit.
Anszuschliessen von dem nosologischen Begriffe des Pemphigus sind vorerst alle die*
jenigen Blasenbildungen der Haut, die durch änsserliche (mechanische oder
chemische) Reize producirt worden sind; ebensowenig dürfen aber auch alle diejenigen
bullösen Proruptionen als pemphigOs bezeichnet werden, bei welchen die Blasenbildung
als ein accidente 11 es,* oder complicatoriscbes Ereigniss zu ander*
weitigen typischen Hautveränderungen nachträglich hinzutritt. — Im Gegensatz zu
allen diesen nicht peinphigOsen Blasenbildungen sind hinwiederum alle solchen Fälle
von Blasenbildung der Krankheitsgattung des Pemphigus irgendwie angehörig, bei
welchen, wie in unserem vorliegenden Falle, die Blasenbildung weder durch äusserliche
Beizung der Haut entstanden ist, noch auch accidentell oder complicatorisch anftritt,
vielmehr aus irgend welchen innerlichen Ursachen hervorgeht und zugleich das con*
staute und wesentliche Merkmal des vorhandenen Hautleidens bildet.
Dass durch äusserliche Reize Blasen auf der Haut entstehen können, ist
ja wohlbekannt; aber Niemand von uns Aerzten wird ein solches Vorkommniss als
Pemphigus bezeichnen wollen, mag nun die Blasenbildung durch eine Verbröhnng,
oder durch die Application eines Vesicators, oder mag sie am Fnsse bei Gelegenheit
eines Marsches durch den Druck schlechtsitzenden Schahwerkes zu Stande gekommen
sein. Desgleichen aber sprechen wir auch nicht von Pemphigus dann, wenn im Ver¬
laufe sonstiger typisch ablanfender Hautkrankheiten es in dem einen oder in dem
andern Einzelfalle accessorisch zur Blasenbildung kommt. Obwohl nun auch diese
Verhältnisse bekannt and zum Theil auch wohl gewürdigt sind, so sei es mir doch
vielleicht gestattet, aus der Fülle der ärztlichen Erfahrung heraus Ihnen einige Bei¬
spiele derartiger nicht pemphigöser (weil accidenteller) Blasenbildungen bei
anderweitigen Hautkrankheiten hier kurz namhaft zu machen.
So kommt es beispielsweise nicht selten im Verlaufe eines Erysipels vor,
dass im Bereiche der afficirten Hautpartbie regionär sieh flüssiges Exsudat in etwas
grösserer Menge zwischen Cutis und Epidermis ausscheidet und letztere blasenartig
aufhebt. Man bezeichnet alsdann ein solches Erysipel, dem diese accidentelle Ver¬
änderung zukommt, bekanntlich als ein Erysipelas bullosum, erblickt jedoch weder in
demselben eine besondere Krankheitsspecies, noch namentlich auch in der Blasenbildung
etwa einen Pemphigus. — Auch bei Eczemen setzt es bisweilen Blasenbildungen
ab, zwar nicht beim chronischen Eczem, wohl aber beim acnten, cyclisch verlaufenden,
und hier (nach meinen persönlichen Erfahrungen) vornehmlich nur dann, wenn das
acute Eczem an Händen und Füssen, speciell an Fingern und Zehen anftritt, und die
Ezsndation in besonders stürmischer Weise vor sich geht Man siebt alsdann neben
den sonstigen regelmässigen Erscheinungen der Krankheit (Böthung, Schwellung, Bläs-
chenbildnng und Nässen) mitunter, wie gesagt, an Fingern und Zehen durch Confluenz
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der Bläschen auch wohl Blasen entstehen, die in der Folge entweder platzen, oder
auch einfach eintrocknen können. Es ist nun aber klar, dass hier die Blasenbildung
doch gleichfalls nur ein accidentelles Gescbehniss ist, das ebenso eintreffen, wie auch,
öfter noch, fehlen kann, ein Gescbehniss also, welches weder die Diagnose des acuten
Eczemes zu bestimmen, noch eben dieser Diagnose etwa Eintrag zu thun hat. Letzteres
möchte ich besonders deswegen betonen, weil vielleicht gerade die Blasenbildung in
den betreffenden Fällen Manchen veranlassen könnte, die Affection nicht als das, was
sie doch ist, nämlich als acutes Eczem anzusehen.
Des Fernern erinnere ich Sie daran, dass auch die Urticaria oder Nessel'
sucht in besonders heftigen Fällen des Leidens bis zur Blasenbildung ausarten kann,
indem sich zum acuten Oedem des Papillarkörpers, das der Quaddelbildung zu Grunde
liegt, noch ein wässriger Erguss im Bete hinzugesellt, welcher die Horulage der Epi¬
dermis rasch bullös emportreibt. So sehen Sie hier zum Beispiel auf dieser Tafel des
ffehra’schen Atlas der Hautkraukheiten (Heft IX, 4) eine prächtige Abbildung einer
derartigen Urticaria bullosa an der untern Extremität, in welchem Falle die längs des
ganzen Unterschenkels zerstreuten Quaddeln sich gegen das Fnssgelenk hin theilweise
zu grossen Blasen umgewandelt haben. Auch mir selbst sind persönlich vereinzelte
Fälle von Blasenbildung bei Urticaria zur Beobachtung gekommen, und zwar sowohl
bei solcher Nesselsucht, die. bekanntermassen aus äusserlichen, wie auch bei solcher,
die aus innerlichen Irritamenten bervorgeht. So sah ich z. B. einmal ziemlich aus¬
gedehnte Blasenbildung neben typischen Quaddeln bei einem jungen Mädchen, das mit
den Brennhaaren der Processionsraupe in unvorsichtige Beröbrung gekommen war, —
so hinwiederum ein anderes Mal gleichfalls eine Urticaria bullosa nach Erdbeergenuss
bei einem jungen Mann, welcher von Natur aus mit jener Ihnen wohlbekannten Idio-
syncrasie gegen Erdbeeren ausgestattet war! —
Endlich möchte ich aber namentlich noch jenes interessante, nicht gerade häufige,
entzündliche Bautleiden, — das Erythema exsudativum multiforme
{Hdrä) — Ihnen hier als besonders frappantes Beispiel accidenteller Blasenbildung nennen.
Denn hier können in der That, wenn die Blasenbildung in reichlicherer und verbrei¬
teterer Weise zu Stande kommt, Erankheitsbilder entstehen, die beim ersten Anblick
ungemein an Pemphigus erinnern und mit solchem leicht verwechselt werden können.
Das Erythema exsudativum multiforme tritt bekanntlich an verschiedenen Eörperstellen,
mit Vorliebe jedoch an den Streckseiten der Extremitäten (Handrücken, Fnssrücken,
Vorderarm, Unterschenkel) zunächst in Form von rothen kreisförmigen fiachen Er¬
hebungen auf, die ähnlich der Psoriasis vulgaris, nur ungleich rascher und ohne die
für letztere characteristische Schoppenbildung, sich durch excentrisches Wachsthum zu
grösseren, regelmässig contourirten Figuren umgestalten (Erythema annulare, Erythema
gyratum). Während nun bei minderen Graden der exsudativen Entzündung die Grund¬
form auch dieser grösser gewordenen (ringförmigen, oder sonstwie regelmässiger ge¬
stalteten) Efflorescenzen die papulöse bleibt, und währeod in Einzelfällen des
Erythema multiforme viele, oder eventuell sogar alle Proroptionen auch thatsächlich
nur bis zu dieser Stofe der exsudativen Entzündung zu gedeihen brauchen, kommt es
anderntbeils ziemlich häufig durch abundantere Exsudation im Gebiete der gesetzten
Efflorescenzen, gerade bei dieser Erankheit, regionär auch zur Blasenbildung
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(Erythema b n 11 o s u m). Eine genauere Betrachtung der Edrperoberfläcbe belehrt
indessen den kundigen Untersacher sofort, dass die Blasenbildung, so massenhaft sie
häufig auch existirt, und so aufdringlich sie alsdann wohl auch im Erankheitsbilde
herrortritt, doch nur ein Accidens von localer Bedeutung ist, das nicht der Erankheit
eo ipso, sondern nur einer örtlichen Steigerung des ihr zu Grunde liegenden Processes
angehörig ist. Denn neben bullös gewordenen Proruptionen findet man in diesen
Fällen des verbreiteteren und intensiveren Erythema exsudativum multiforme stets auch
noch mehr oder minder reichlich, solche von typischer Gestaltung, die Aber die papu¬
löse Stufe nicht binausgekommen sind und keine Blasen auf sich tragen. Zur Illustra¬
tion des eben Gesagten lege ich Ihnen hier aus dem gleichen ffehra’schen Atlas der
Hautkrankheiten diverse schöne Abbildungen des Erythema multiforme vor (Heft VI,
1—5), welche Ihnen in buntester Auswahl die verschiedenen Entwicklungsgrade des
Leidens, — bullös gewordene, wie papulös verbliebene Efflorescenzen zum Theil am näm¬
lichen Individuum vor die Augen führen.
Alles dieses nun, meine Herren, und anderes Aehnliches, was ich, um kurz zu
sein, hier öbergehen will, ist noch kein Pemphigus, weil es, seinem ganzen Auftreten
nach und im Zusammenhang mit den sonstigen gegebenen Veränderungen in der Haut,
lediglich doch nur, wie wiederholt bemerkt, eine accidentelle Blasenbildung ist und
bedeutet. Dem gegenöber bedeutet Pemphigus, im strengeren Sinne dieses Wortes,
eine solche Tendenz zur Blasenbildung, die im Wesen der Erankheit selbst gelegen
ist und den morphologischen, wie klinischen Gharacter derselben bestimmt.
Aus letzterem Grande ist es auch eigentlich nicht völlig correct, im Ge-
gentheil sogar incorrect, wenn man die durch Syphilis bedingten Blasenexantheme
der Haut als Pemphigus syphiliticus bezeichnet. Dennoch hat sich diese Benennung
eingebürgert und will ich sie darum auch hier für bullöse Syphilide einmal augen¬
blicklich beibehalten. Am bekanntesten, weil jedenfalls am häufigsten beobachtet, ist
zweifellos der Pemphigus syphiliticus neonatorum, als Symptom
schwerer hereditärer Lues. Meist kommen die betreffenden Einder bereits mit dieser
Affection behaftet auf die Welt; die vornehmlicbsten Localisationen derselben sind
Handteller und Finger, Fnsssohlen und Zehen. Hier zeigen sich nach einander in be¬
ständigen Nachschüben mehr oder minder zahlreiche erbsen- bis bohnengrosse, etwas
abgeflacbte Blasen mit leicht getrübtem Inhalt, die gewöhnlich platzen, ihr Gontentum
ergiessen und Excoriationen Unterlassen. Die betreffenden Einder gehen, wie es
scheint, ausnahmslos bald zu Grunde, vielleicht weniger wegen des sogenannten Pem¬
phigus, als weil sie fast immer von Hause aus höchst decrepide und namentlich oft
auch zugleich mit schwerer visceraler Syphilis behaftet sind.
Während nun das Vorkommen eines pemphigoiden Syphilides als Zeichen con¬
genitaler Lues nnbezweifelt ist, ist das Vorkommen von bullösen Exanthemen im Ver¬
laufe gewöhnlicher acquirirter Syphilis von gewichtigen Autoritäten, wie z. B. von
IZebra, des lebhaftesten bestritten worden. Dem gegenüber weise ich Ihnen hier nun
aber in dem Hvcorcfschen Atlasse der venerischen Erkrankungen (Traitö complet des
maladies vön4riennes, Planche 25) die Abbildung eines Falles vor, in welchem sich
bei einer jungen Frau im Verlaufe der secundären Syphilis ein Blasenausschlag an den
Fasssohlen entwickelt hatte, der auf antisypbilitische Behandlung schnell wich, also
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wohl ein bullOses Syphilid war. Ich selbst hatte gleichfalls e i n mal in meinem
Leben die Gelegenheit, einen solchen Pemphigus syphiliticus adultorum zu sehen bei
einem an constitutioneller Syphilis leidenden Herrn, bei welchem die Affection gleich¬
falls. an den Fnsssohlen, sowie auch an den Handtellern aufgetreten war und wie in
dem ^tcortPschen Falle durch den Gebrauch von Mercurialien schnell zur Kdckbildnng
gelangte. Hiernach erscheint es mir zweifellos, dass auch im Verlaufe der acquirirten
Syphilis bei Erwachsenen bullöse Syphilide Vorkommen können; doch gehört ein der¬
artiger Pemphigus syphiliticus adultorum allem Anscheine nach zu den allergrössten
Seltenheiten.
Im Sonstigen hat eigentlicher Pemphigus Ätiologisch mit Syphilis absolut nichts
zu thun, wie namentlich auch daraus hervorgeht, dass die in sein Gebiet hinein ge¬
hörigen Rrankheitsftlle sich gegenöber den antisyphilitischen-Medicamenten (Queck¬
silber- und Jodpräparaten) völlig refractär erweisen. So sehr nun diese Fälle von eigent¬
lichem Pemphigus auch noch aus andern, bereits von mir angegebenen GrQnden eine
Sonderstellung in der Dermatologie einnehmen, so sind sie doch selbst wiederum unter¬
einander keineswegs gleichwerthig und erscheint es darum för den klinischen Stand¬
punkt durchaus nothwendig, verschiedene Formen von Pemphigus zu unter¬
scheiden. Zu nennen wäre hier erstlich der nach Art eines acuten Exanthemes anf-
tretende, wahrscheinlich infectiöse Pemphigus acutus febrilis. Auch seine
Existenz wurde von Bshra, wiewohl mit Unrecht, bestritten; doch ist andrerseits das
Vorkommen dieser Krankheit auch ein keineswegs häufiges. Steffen, Böser, Thomas,
Henoeh, Senator und Andere beobachteten diese namentlich im Eindesalter anftretende
Krankheit theils in EinzelftUen, theils in kleineren Epidemien; Bemme gelang es, aus
dem Inhalte der Pemphigusblasen pathogene Diplocoocen zu zficliten, deren ätiologische
Bedeutung för die Krankheit indessen später bcetritten worden ist. Die Frage nach
der Krankheitsursache des Pemphigus acutus ist wohl bis zur Stunde baoteriologiscb
noch nicht endgültig gelöst, dagegen ist kaum zu bezweifeln, dass wir in ihm (glmch
Masern, Scharlach, Varicellen u. s. w.) wohl eine specifische Infectionskrankheit zu
erblicken haben. Ich selbst erlebte während meiner poliklinischen Thätigkeit in Er¬
langen (wenn ich nicht irre, im Winter 1867—68) eine kleine Epidemie dieses Leidens.
Die Betroffenen, sämmtlich jüngere Kinder, hatten fieberhafte Initialerscbeinnngen,
denen eine Eruption von etwa haselnussgrossen, spärlich auf der Hautoberfläche ver¬
theilten Blasen klaren Inhaltes nachfolgte. Oefter setzte es in der Folge noch Nach¬
schübe des Exanthemes, die dann von neuen Invasionen des Fiebers jeweilen eingeleitet
wurden. Die Dauer der Gesammtaffection betrug etwa zwei Wochen; alle Fälle
genasen.
Zum Unterschiede nun von diesem acut verlaufenden epidemischen Pem¬
phigus ist der gewöhnliche Pemphigus, oder Pemphigus vulgaris, eine
chronische und nicht epidemische Krankheit. Die Ursachen derselben sind
noch nicht genügend aufgeklärt, namentlich wird die Ansicht, die Affection sei eine
infectiöse, durch die bacteriologische Untersuchung des Inhalts der Pemphignsblasen
in keinerlei Weise gestützt. Je sauberer und sorgftltiger vielmehr die letztere vor¬
genommen wird, desto sicherer kann man im Allgemeinen auf ein völlig negatives
Resultat der Cnlturversuche auf Gelatine, Agar, Blutserum etc. rechnen. So blieb
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z. B. in zwei Fällen von Pemphigus chronicns meiner Klinik, deren erster noch von
Herrn Prof. Qarrh, und deren zweiter im Lanfe des letzten Winters von Herrn Dr.
C. Hcegler auf meine Veranlassung hin bacteriologisoh untersucht wurde, hei pein¬
licher Sauberkeit in der Entnahme des flässigen Impfmateriales jede Spur einer Gnltur
auf den verschiedenen Nährböden aus. Ich bin darum geneigt, die Befunde Anderer,
welche auf Streptococcen oder Stapbylococcen lauteten, als durch Verunreinigungen be¬
dingt nnd nicht beweiskräftig anfznfassen.
Plausibler fär manche Fälle von Pemphigus vulgaris erscheint die Auffassung,
dass es sich bei ihm, ähnlich wie beim Herpes zoster, um eine Trophoneurose
der Haut handle. Man beobachtete nämlich wiederholt in Fällen von Pemphigus
während des ganzen Ablaufes der Krankheit ein auffällig symmetrisches Auftreten der
zeitlich aufeinander folgenden Blasenernptionen anf beiden Körperhälften. Andere
seltenere Male liessen die bullösen Proruptionen auf der Hautoberfläche mehr oder
minder deutlich in ihrer Anordnung eine Uebereinstimmung mit dem Verlaufe gewisser
Nervenbahnen erkennen. Aus diesen Qrfinden vor Allem hat man den gewöhnlichen
Pemphigus allgemein als eine Affection des Nervenapparates neuerdings an-
sehen wollen, deren Sitz und Ausgangspunkt, je nachdem, im Böckenmarke oder in
den Ganglia intervertebralia, oder endlich auch in den peripheren Nervenausbreitnngen
zn soeben nnd zu vermuthen sei. Immerhin fehlt es noch an directen anatomischen
Beweisen fBr diese ganze Theorie, die flberdies nur ffir manche, aber keineswegs
f ö r alle Fälle von chronischem Pemphigus ihr Verlockendes hat. Denn es darf
nicht verschwiegen werden, dass in andern Fällen von chronischem Pemphigus die
erfolgendem Blasenernptionen jene vorhin bezeichneten Eigenthömlichkeiten auch durchaus
vermissen lassen, völlig regellos stattbaben, und dass mithin für sie auch eine tropho-
neurotische Genese der Krankheit vorerst noch jeglichen klinischen Anhaltspunktes
entbehrt.
Obwohl Pemphigus vulgaris keine gerade sehr häufige Krankheit ist, so ist er doch,
dem Pemphigus foliaceus gegenflber, entschieden die gewöhnlichere Pempbignsform.
Sein wesentliches Merkmal sind die fort nnd fort neu anftretenden und einander
folgenden Eruptionen von erbsen- bis haselnuss-, ja selbst wallnnssgrossen prall-
gespannten Blasen mit klarem Inhalt, deren jede meist ohne besondere vorgängige
Gongestion der Haut an Ort und Stelle innerhalb weniger Stunden sieh erhebt, nach
kurzem Bestände eintrocknet, oder auch wohl durch Verlost der Epidermisdecke in
eine begrenzte Ezcoriation verwandelt wird. Möst erfolgt ferner auf der äusseren
Haut der Wiederersatz der Epidermis an den exeoriirten Stellen einigermassen schnell
und vollständig. — An den benachbarten Schleimhautgebieten der Mund- nnd Bachen¬
höhle, der Gonjnnctivse o. s. w., anf welchen es bei Pemphigus vulgaris ebenfalls zn
Blasenproruptionen kommt, geschieht dagegen die Begeneration des Schleimbantepitheles
gewöhnlich schwieriger und unvollständiger, so dass bleibende Exeoriationen hier viel
häufiger sind. Endlich können aber in schweren Fällen des Leidens die Blasenerup¬
tionen auch auf der änssem Haut zeitweilig wohl so massenhaft werden, dass die Ge-
sammtzahl der auf einmal vorhandenen Epidermisdefecte auf der ganzen Körperober-
fläche temporär eine äberaos grosse wird. Durch diese letztgenannten beiden Umstände
wird vornehmlich die Gefahr des Leidens bedingt, welches bekanntlich nicht selten
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mit der Zeit durch Erschöpfung zum Tode fährt, andere Male freilich auch mit
schliesslicher Genesung endet. Diese Verschiedenheit des möglichen Ausganges fährt
mich bezüglich des Pemphigns vulgaris noch zu einer kurzen Auseinandersetzung über
die vielfach gebräuchlichen, aber nichts besagenden unterscheidenden Bezeichnungen:
Pemphigus m a 1 i g n u s und andererseits Pemphigns b e n i g n u s.
Eine Unterscheidung dieser Art hat practisch keinen Werth, da der Verlauf des
Pemphigus vulgaris in keinem einzigen Falle irgendwie sicher vorauszusehen ist, und
da kaum irgend ein anderes Hautleiden einen gleich unberechenbaren Character darbietet.
Anfänglich scheinbar leichte Fälle mit spärlichen und intermittirenden Blaseneruptionen
können nichts destoweniger später durch progressive Verschlimmerung deletär werden,
andere Male aber auch noch in später Stunde wiederum Halt machen und schliesslich
nach manchen weiteren Fluctuationen doch noch heilen. Andere, gleich von Anfang
an intensiv gestaltete Fälle können desgleichen entweder durch weitere Verschlimmerung
bis zum Exitus letalis diesen ihren intensiven Character durchaus behaupten, oder aber
in der Folge irgend wann auf einmal milder werden und endlich günstig ansgehen.
Kurz, es lässt sich prognostisch kein einziger Fall von Pemphigus vulgaris
vor erfolgtem Tode oder vor erfolgter definitiver Genesung irgendwie sicherer ab*
schätzen. Da es demnach an entscheidenden klinischen Kriterien während der ganzen
Dauer der Krankheit fehlt, um die Benignität oder Malignität des Einzelfalles a priori
festzustellen, so sind auch die Bezeichnungen Pemphigns benignus und Pemphigus
malignus ohne jeglichen klinischen Werth und sollten darum auch, meiner Meinung
nach, für das Krankheitsgebiet des Pemphigus chronicus vulgaris gänzlich fiillen ge¬
lassen werden. Noch verkehrter aber erscheint es mir, wie mehrfach geschehen
den Pemphigus vulgaris als schlechthin .benignus* zu bezeichnen und ihm als
Pemphigns .malignus“ lediglich den Pemphigus foliaceus g^enüberzustellen, denn
wenn auch bei letzterem der Exitus letalis fast sicher wohl vorauszusehen ist, so geht doch
leider auch von dem fälschlich als gutartig bezeichneten Pemphigns vulgaris reichlich
die Hälfte der Kranken mit der Zeit an dem Uebel zu Grunde.
Dagegen muss, um des gesummten klinischen Habitus willen, doch zwischen
Pemphigns vulgaris und Pemphigus foliaceus im üebrigen noch unterschieden
werden, denn letzterer ist, allem Anscheine nach, ein .ens sui generis* oder eine be¬
sondere Krankheits s p e c i e s. Die Begründung dieser Auffassung von der Existenz
zweier verschiedener Pemphigusarten lässt sich zwar »tiologisch nicht beibringen,
da weder die Ursachen des Pemphigns vulgaris, noch diejenigen des Pemphigus foliaceus
uns irgendwie näher bekannt sind, von unbekannten GrSssen aber niemals behauptet
werden darf, sie seien einander gleich, oder sie seien einander ungleich. Hingegen ist
der ganze Entwicklungsgang der Blasenbildung und damit auch das gesammte Krank¬
heitsbild des Pemphigns foliaceus doch von Hause aus demjenigen des vulgären Pem¬
phigus so ungleich, dass man vom symptomatologischen Standpunkte ans
ganz gewiss beide Krankheiten als wesentlich verschieden bezeichnen darf. Endlich
kommt, um eine Trennung zu rechtfertigen, aber auch noch dazu, dass Uebergänge
der einen Pemphigusform in die andere nicht beobachtet werden.
Die Verschiedenheit des Pemphigus foliaceus vom Pemphigus vulgaris
spricht sich schon in der Form der Blasen aus. Diese letzteren, beim Pemphigus
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vulgaris von relativ kleinem Umfange, prall mit Flfissigkät gefällt und ohne Tendenz
zu exoentrischer Yergrässerung, erscheinen beim Pemphigus foliaceus als grössere,
flächenhafte Abhebungen der Epidermis vom Corinm durch eine relativ nur dünne
Flössigkeitsschicht, ähnlich wie bei Verbröhungen, und ganz so, wie auch unser Fall
es in durchaus typischer Weise iliustrirt. Im Bereiche dieser flächenhaften' Ab*
bebnngen der Epidermis durch Flüssigkeit erscheint die Epidermisdecke darum auch
nicht prall gespannt, sondern faltig, und es erhalten die anfänglich flachen Blasen
daher für Pemphigus foliaceus cbaracteristische, welke und matsche Beschaffen¬
heit Es besteht ausserdem hei Pemphigus foliaceus in sehr ausgesprochener Weise
die bei Pemphigus vulgaris durchaus fehlende Tendenz zur Ausbreitung
der Affection per continuum, indem theils die schon vorhandenen blasigen Ab¬
hebungen der Epidermis vom Corinm sich in der Folge selbst excentrisch ver-
grössern, theils im noch unversehrten Rand gebiete der ergriffenen Eörper-
parthien neue Abhebungen mit ähnlichen Eigenschaften der Blasen entstehn.
Daher denn auch bei Pemphigus foliaceus das schon erwähnte gewöhnliche Endresultat,
dass nämlich schliesslich die Abhebung eine universelle wird, d. h. dass im
6 e 8 a m m t gebiete der Eörperoberfläche die Epidermis von der Cutis sich losgelöst
hat (Pemphigus foliaceus universalis).
Dass nun der vorliegende Fall nach allen bisher bezeichneten Richtungen hin
wohl unbedingt als ein Pemphigus foliaceus anzusehen ist, liegt ohne Weiteres klar;
ebenso zeigte er aber auch noch anfänglich (d. h. bis zum Eintritt in die Be¬
handlung mit adstringirendem Streupulver) die weitere, dem Pemphigus foliaceus zu¬
geschriebene Besonderheit und Eigenthümlichkeit der fehlenden Neigung zur
Epidermisregeneration an den einmal excoriirten Parthien. Es trug auch dieser letztere
Umstand, wie ich gerne zugestehe, das Seinige dazu bei, dass ich die betreffende
Diagnose mit voller Zuversicht anfänglich stellte. Hingegen bat sich in diesem ein¬
zigen Punkte, wie Sie bereits von mir gehört haben, unser Fall in der Folge
allerdings exceptionell verhalten, da, höchst auffälliger Weise, eine ausgedehntere
Epidermisregeneration bei ihm neuerdings stattgefunden hat. Es könnte nunmehr
vielleicht die Frage sich erheben, ob um dieses einzigen Umstandes willen, der aller¬
dings prognostisch sehr schwer in die Wagscbaale fällt, die Erankheit unseres
Patienten auch nosologisch auf hörte, ein Pemphigus foliaceus zu sein, beziehungs¬
weise gewesen zu sein? Ich bin trotzdem nicht dieser Meinung, und ich glaube.
Sie werden mir darin Recht geben, dass auch in klinischen Dingen, soweit es sich um
Eiuzelheiten des Verlaufes handelt, keine Regel ohne Ausnahme ist, dass also auch
eine für gewöhnlich deletäre Erankheit unter besonderen Umständen eventuell einmal
znr Heilung sich anschicken kann, falls nur nicht geradezu irreparable Veränderungen
ihr zu Grunde liegen. Warum bei Pemphigus foliaceus für gewöhnlich die Epidermis¬
regeneration ausbleibt, ist ja völlig unklar und eigentlich,. Angesichts der gesetzten
Veränderungen in loco, viel räthselhafter, als warum bei den völlig analogen Ver¬
brühungen zweiten Grades die Epidermis sich meist wieder ersetzt. Hiernach, muss
die Möglichkeit des Wiederersatzes der Oberhaut auch bei Pemphigus foliaceus wohl
a priori unbedingt zugestanden werden, und unser Fall erscheint mir eben a posteriori
ein Beweis dafür, dass diese Prmsumption auch factisch einmal sich verwirklichen könnte.
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Ob es ferner erlaubt ist, fQr den vorliegenden Fall therapeutiseb ein ,post boc,
ergo propter boo!* zu statuiren, wage ich nicht zu entscheiden, da ein Fall nichts
fär den Werth oder ünwerth eines therapeutischen Verfahrens beweist. Ebenso wäre
es aber auch ganz gewiss verfrOht, schon jetzt eine völlige Heilung unserem Patienten
definitiv in Aussicht zu stellen, da ja das üebel auch jetzt noch nicht definitiv zur
Ruhe gebracht ist und vielleicht jeden Augenblick seinen Bundgang mit erneuter
Heftigkeit wieder antreten könnte. Es heisst also wohl, abwarten und mit der bis*
herigen Therapie bis auf Weiteres fortfahren, von welch letzterer ja wenigstens so viel
behauptet werden kann, dass sie dem Patienten vielleicht genätzt und jedenfalls nicht
geschadet hat!
Zum Schlüsse bitte ich Sie noch um geAllige Betrachtung diverser Abbildungen
des Pemphigus vulgaris im Hebra’schen Atlas (Heft IX, 5—7), sowie einer desgleichen
und vorzäglich gelungenen des Pemphigus foliaceus (Heft IX, 8). Aus dem Ver¬
gleiche erhellt ohne Weiteres die wesentliche Differenz beider Erankheitsbilder und
indirect damit wohl auch die Berechtigung, beide Processe als verschiedenartig an¬
zusehen. Ebenso seben Sie-aber auch noch, in wie hohem Maasse der im Atlas be¬
findliche JHebra’sche Fall von Pemphigus foliaceus dem Bilde gleicht, das unser
Patient zur Zeit seiner Aufnahme ins Spital darbot, — und das vorhin bei Ihnen
cireulirt hat.
lieber Secundär-Infection bei Lungentuberculose.
Vortrag, gehalten im ärztlichen Vereine der Stadt Zürich von Prof. Dr. Huguenin.
(Schloss.)
Ich bin genöthigt, eine Abschweifung nach anderer Seite zu machen. Lange vor
der Zeit, in welcher man die temporäre Anwesenheit der pyogenen Goccen im Blute
und in den Organen kennen lernte, war ihre Anwesenheit, oder auch ihr Fehlen in
den Sputa bekannt, und ich habe wenigstens seit Jahren jeden Fall prognostisch nach
diesem Kriterium beurtheilt. Nicht gerade so, dass den Fällen mit Eiterbacillen eine
ganz besonders schwere Bedeutung vindicirt wurde — es gibt ja viel schlimmere
Dinge — aber immerhin sind diese Fälle eben doch die schlimmem, und man kann
bei jeder Gur auf die Nothwendigkeit der doppelten Zeit bis zur relativen Heilung
rechnen. Klar ist auch seit Langem, dass unsere Bestrebungen, durch klimatische Ein-
flässe den bezäglichen Lnngenerkranknngen beizukommen, durchaus nur darin gipfeln,
dem Kranken eine Bespirationsluft zur Verfügung zu stellen, welche von
pyogenen Keimen frei ist. Das ist die wichtigste Seite aller und jeder
klimatischen Behandlung, heisse sie Hochalpenaufenthalt, Sommer oder Winter, Meeres-
strandanfenthalt, Leben auf Inseln im warmen oder kühlem Klima, Aufenthalt in der
Wüste im Westen oder Qsten, oder in den Steppen Süd-Afrikas. Davor treten alle
andern Momente: Temperatur, Feuchtigkeit, Inhalation, Luftdrack u. s. w. in zweite
Linie zurück. Ferner ist ebenso einleuchtend, dass unsere ganze Inhalationstherapie
keinen andern Zweck hat, als Stoffe bis zu den eiternden Flächen Vordringen zu
machen, welche die Eiterung zu beschränken im Stande sind, oder von denen wir
hoffen, dass sie einer rasch im Geleise normalen Geschehens verlaufenden demarkirenden
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und dann granulirenden Eiterung Vorschub leisten. Dem gleichen Ziele steuert die
Creosot* und Guajacolbehandlung zu; sie mindert positiv die Eiterung; den Tuberkel-
bacillus beeinflusst sie in seiner Lebensfähigkeit kein bischen.
Von den klimatischen Bestrebungen hat jedenfalls die Hochgebirgscur
im Winter den Preis davon getragen. Ich kann nicht von sehr vielen Fällen
meiner Beobachtung reden, in denen die Kranken den Tuberkelbacillus definitiv und
endgflltig verloren hätten, was vielleicht an der Qualität des Erankenmateriales liegt;
diejenigen Aerzte, welche mehr Initialfälle zur Behandlung bekommen, werden vielleicht
anders urtheilen. Aber bei allen Patienten, welche flberhaupt noch Chancen zur
Besserung und Heilung boten, hat das winterliche Hochgebirgsklima
Aber kurz oder lang, je nach Kräfteznstand, Emähmogsmäglichkeit n. s. w. die Ei¬
terung rückgängig gemacht und schliesslich besiegt. Dess-
wegen hat man auch längst die grundfalsche Meinung fallen lassen, ein fiebernder
Kranker gehöre nicht ins Hochgebirge; im Gegentheil, ein Kranker mit
Ei t e r i n fe c t i 0 n in der Lunge und Fieber, das daher stammt,
gehört erst recht dahin und nur dahin. Es verhält sich damit,
wie mit der kindischen Idee, das Hochgebirgsklima vermehre die Lnngenblutungen;
das gerade Gegentheil ist richtig; das Gebirgsklima, resp. seine von Eiterbacillen
relativ freie Luft vermindert die Blutungen, denn das Hauptmoment zu ihrer
Production, die Geftssarrosion durch Eiterung, wird wesentlich eingeschränkt. Damit
soll nicht gesagt sein, dass es keine Blutung aus tubercnlOser Gefässerkrankung
gebe, im Gegentheil beruhen die initialen Blutungen gewiss auf diesem Momente, aber
es tritt dem erstgenannten gegenüber an Wichtigkeit wesentlich zurück. — Ich stehe
daher, was pyogene Infection und Fieber betrifft, durchaus auf dem Standpunkte Pe-
truschkff’a. Und noch in einer andern Hinsicht. Wer heute noch Lungenkranke mit
dem £ocA’s eben Tnberculin behandeln will, wird grundschlechte Geschäfte
machen, wenn er, wie es 1891 und 1892 geschah, sich eine Anzahl fiebernder Fälle
dazu ansliest, welche es allerdings ganz besonders nOthig zu haben scheinen, dass ihnen
geholfen werde. Das kurze Resultat meiner Bemühungen nach dieser Richtung ist
folgendes: Nie habe ich von der £ocA’schen Behandlung den
mindesten Effect gesehen, sobald es sich um einen Kran¬
ken mit nachweisbarer pyogener Lnngeninfec t i o n neben
der Tnberculose handelte, d. b. um einen Kranken, der in namhafter
Menge und dauernd pyogene Bacterien im Auswurfe aufwies. Fieberte der Kranke,
so wurde sein Fieber immer dauernd verschlimmert, befand er sich in einer afebrilen
Zeit, so fing er an zu fiebern und wollte nicht mehr aufhOren; von einem gesetz-
mässigen Ablaufe der Reactionen, einer Gewöhnung an das Mittel war nie die Rede.
Ich habe oben hervorgehoben, dass das initiale Fieber der Lungentubercnlose
schwerlich auf der Secundärinfection mit den Eiterbacijlen beruht. Solche Fälle haben
oftmals auf die £ocä’sche Behandlung mit einem guten Resultate geantwortet; mein
Kriterium für die bezügliche Behandlung ist daher nicht das Vorhandensein oder Nicht¬
vorhandensein von Fieber, so n d e r n die Nachweisbarkeit oder Nicbt-
nach w ei s b ar ke i t der pyogenen Bacillen, dauernd und in
erheblicher Menge.
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Diese rein empirischen Erfahrungen, für deren Richtigkeit ich glanbe garantiren
zu dürfen, stimmen in merkwürdiger Weise zusammen mit dem Ergebniss der Unter¬
suchungen Ton Klein-Weußiselhaum {Klein, Ursache der Tuberculinwirknng, Wien und
Leipzig, Braumfiller, 1893). Es handelt sich nm die bacteriologische Untersuchung
von Fällen, welche mit Tnberculin waren behandelt worden. Die Resultate sind
folgende:
1) Aus den entzündeten Organen von mit Tuberculin behandelten Tnherculose-
fällen lassen sich in grüsster Menge nachweisen: Streptoc. pyog. immer, Diplococcus
Pneum. in einem Theil der Fälle, Stapbylococcns aureus zuweilen.
2) Einfache Entzündungs- und Eiterungsprocesse bei Kaninchen kann man durch
Injection kleinster Dosen von Tuberculin wieder zum Aufflackern bringen, allerdings
nur, wenn sie nicht vollkommen abgelaufen sind. —
3) Wenn die Nährböden des Streptoc. pyog. mit Tuberculin in geringem Pro-
centverhältniss versetzt werden (tnbercnlinisirte Nährböden), so ist vorläufig in den
Wacbsthumsverhältnissen kein Unterschied zu constatiren, aber nach 6 —10 Ge¬
nerationen nimmt die Wirkung des Streptoc. pyog. zu. Seine
Wirkung wird gesteigert, sowohl für tuberculöse, als nicht tubercnlöse Individuen. —
4) Diess erklärt die Tuberculinwirknng. Die Wirkung der pyog. ßac-
terien ist im tuberculösen Organismus (Tnberculinhaltiger
Nährboden) schon vorher gesteigert und wird es durch das
injicirte Tuberculin noch mehr.
5) Das Fieber rührt her von der unter der Wirkung des Tnberculin auftretenden
Localreaction.
6) Andere Bacillenprotelne (Malleln) zeigen analoge Wirkung.
Damit scheint es, als würden wir auf den Standpunkt hinausgedrängt, die fieber-
und entzündnngserregende Wirkung der Bacillenprotelne überhaupt und in
jedem Falle auf die Goncurrenz der pyogenen Bacterien beziehen zu sollen.
Dem ist aber gewiss nicht so. Wir sehen ja beim Tuberculin dieselben Wir¬
kungen und noch manche andere anftreten in Fällen ganz isolirter eingeschlossener
Organtnberculose, in denen eine Goncurrenz pyogener Bacterien vorläufig absolut nicht
nachweisbar und auch nicht wohl denkbar ist. Aber sicher ist, dass durch die
Goncurrenz der pyogenen Bacterien a 11 eTnbercn1 i nwirkun-
gen in der a 11 e r u n e r w ü n s c h t es t e n Weise gesteigert wer¬
den, und dass namentlich, wie viele Erfahrungen gezeigt haben, das Fieber
Grade, Formen und namentlich D a u e r f o r m e n erreicht, welche dem
Kranken häufig genug verderblich geworden sind. Und dahinter wird wohl noch etwas
Anderes stecken als nur die Wirkung eines gesteigerten Entzündungsprocesses an Ort
und Stelle.
Ich greife nochmals zurück auf die im Anfang geschilderten experimentellen
Nachweise. Werden zwei Bacillenarten von differenten Eigenschaften m i t oder nach
einander dem Organismus einverleibt, so entsteht ein Resultat, das nicht einfach die
Summe der Wirkungen jedes einzelnen darstellt, die beiden Arten zusammen liefern
Prodncte, die eines zu liefern nicht im Stande wäre und werden in ihren
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Lebensäusserungen häufig anderweitig noch verändert. So
wird die Wirkung des Diphtberiebacillus sofort eine weit intensivere, wenn eine Secun-
därinfection mit Pyocaneus — sterilisirt oder nicht sterilisirt — nachgescbiekt wird
(Klein)’, attenuirter Brysipelcoccus wird durch Proteus vulgaris sofort wieder virulent;
der Rauscbhrandbacillns und der Bac. ac. paralacL bilden ausser andern Producten
Butylalcohol, was keiner von beiden einzeln vermag (Nencky)', der Zö^^er’sche Diph-
theriebacillns bildet mit dem Streptococcus zusammen ein neues intensives Gift
(v. Schreider); attenuirter und nicht mehr wirksamer Stapfaylococcus aureus bekommt
seine Wirkung sofort wieder, sowie er mit dem Tuberkelbacillus zusammentrifft (Trom-
betta); von einem wesentlichen Antagonismus zwischen Tuberkelbacillen und
Biterbacillen ist nicht die Bede (Babes).
Es existiren zwar Angaben darüber, dass Erkrankung an Erysipel locale Tuber-
culose zu heilen im Stande sei, aber eine neueste Untersuchung von Nannoti (La Rif.
med., 1893) hat bewiesen, dass in den Wandungen tuberculüser Abscesse nach den
artificiellen Erysipelen ebenso lebensfähige Bacillen vorhanden sind wie vorher, dass
die Tuberculose sich nach dem Erysipel ebenso gut geueralisirt wie vorher und dass
ein Antagonismus absolut nicht existirt. — Wir kennen ferner eine Generalisirnng der
pyogenen Infection bei Tuberculose der Lungen und den Nachweis der Streptococcen
wenigstens im Blut und den innerh Organen.
Unter solchen Umständen wäre von hohem Werthe, die Stoffwechsel-
prodncte der gewöhnlichen pyogenen Bacillen genau zu
kennen; ferner die analogen Producte des Tuberkelbacillus, endlich
diejenigen, welche der letztere mit den pyogenen Bacillen zusam¬
men liefert. Diese Kenntnisse würden uns die genaue Einsicht gewähren in
die Genese des schlimmsten Symptomes der spätem Zeiten der Tuberculose, des
Fiebers.
Die Hauptrolle bei der pyogenen Infection spielen die gewöhnlichsten und beinahe
allgegenwärtigen Staphyloc. albus und aureus, sowie der Streptoc.
py 0 g. Am meisten vorgerückt sind die Untersuchungen beim Staphylococcns;
sie zeigen aber, dass von einem Abschluss noch lange nicht die Rede, die Sache
auch lange nicht so einfach ist, wie wir uns früher vorgestellt. Es stellt sich eine
Complication und Vielheit von Stoffen in den CnltnrflOssigkeiten heraus, die weit
über das, was erwartet, hinausgebt. Bis ins Jahr 1890 galt es als eine Art Axiom,
dass der Staphylococcns «weder Ptomalne noch Toxine* bilde; aber schon 1890 stellten
Srieger und Frankel aus den Cultnren ein für Thiere stark giftiges Toxalbumin dar.
Ferner zeigte Beiehd (1891), dass das keimfreie Filtrat bei Hunden schwere Erank-
heitserscheinnngen macht; doch wird es in langsam steigender Dosis
ertragen und macht schliesslich die Thiere gegen den
Staphyloc. selbst immun. Es folgen die Untersuchungen von Ärloing, 1891,
Nissen, 1892 (Blutserum von Menschen, die an Staphylococoen-Septicämie leiden,
ist für Mänse sofort tödtlich), von NannotH, 1892 (sterilisirte Cultnren enthalten ein
für Thiere tödtliches Gift), von Bummo, 1892 (Serum septicämischer Menschen ist
für Thiere tödtlich), ferner von Leber, Christmas, Hermumn. Massgebend sind die
Untersuchungen der letzten Jahre von Courmont und Bod^.
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Coumumt (Revue de M4d., 1891, Nr. 10) wies nach, dass sich ans den Gnltur-
flössigkeiten mehrerer Bacillen Stoffe gewinnen lassen, deren eine Categorie dem
Organismus nicht wesentlich schadet, aber ihn für den betreffenden
Bacillus günstig beeinflusst (p rüparato r i s ch e S to ff e!), deren
zweite — in Gombination mit der ersten nicht zur Wirkung kommende — da¬
gegen dem Körper gegen den betreffenden Bacillus Immu¬
nität verleiht Öi^inunisirende Stoffe!). Dies ist namentlich nach¬
gewiesen für den Bac. pyocyaneus und den Staphyloc. pyog. aureus. Die
(Präparatoriscbe* Substanz präparirt die Thiere so, dass sie dem Bac. mit grosser
Schnelligkeit erliegen. Sie ist in Alcohol löslich, bleibt somit zurück nach der
alcoholiscben Fällung der filtrirten Gultnr und wird aus dem Filtrate durch Abdampfen
bei 40° dargestellt. Die vaccinirende Substanz dagegen ist in Alcohol
unlöslich, Rillt somit durch alcobolische Fällung nieder; und wenn die Thiere
mit diesem Präparate behandelt werden, so bleiben sie gesund, zeigen aber nun¬
mehr Immunität gegen den Staphyloc. aureus. — Das gleiche
zeigt Courmont für den Streptoc. des Erysipeles, die prädisponirende Substanz existirt
in gleicherweise, wandelt sich aber beim Erhitzen auf 110° in
eine vaccinirende um, so dass man also annehmen muss, dieser Hitzegrad
zerstöre die prädisponirende Substanz.
Hier finden wir also nichts von positiv giftigen Toxinen, aber dass dies
nicht die einzig wirksamen Stoffe sind, beweisen die weitem Untersuchungen von
Bodet und Courmont (Bull. Mdd., 1892; Revue de Mdd., 1893), deren Resultate in
Kürze sind:
1. Die Bouillon, in welcher der Staphyloc. gelebt hat, enthielt verschiedene
Substanzen, die sie vorher nicht enthielt.
2. Aber eine specielle, i m m e r und unter allen Umständen vor¬
handene Qiftwirknng ist. nicht da, denn die Zusammensetzung wech¬
selt So sind z. B. die Qiftsubstanzen in 20 Tage alten Gulturen am reichlichsten
vorhanden.
3. Werden sie filtrirt oder erhitzt, so verlieren sie einen Theil ihrer
Eigenschaftmi, und durch Alcoholfällung tritt dieser Verlust noch schneller ein.
4. Die prädisponirende und die vaccinirende Substanz sind ein
Theil dieser Stoffe.
5. Unter ihnen befinden sich einige Oifte von heftiger Wirkung. Dies be¬
weisen folgende Experimente:
A. Wirkung völlig unveränderter Gultur; bei Hunden erscheinen
bei stärkera Injectionen folgende Symptome:
Aufhebung der Athmung in Exspirationsstellung,
Vermehrang des Blntdrackes,
Vermehmng der Schlagfolge des Herzens, dann
Schwäche des Herzens,
Erniedrigung der Körpertemperatur,
Erbrechen, allgemeine Gonvulsionen, Tod. Kaninchen sind gegen das Gift viel
resistenter.
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B. Durch Hitze sterilisirte Culturflüssigkeit; diese hat
beim Hunde ähnliche Wirkung:
Aufhebung der Athmnng in Exspiration,
Steigerung des Blutdruckes, dann
Herzschwäche, Erniedrigung der Temperatur, Erbrechen, Convul-
sionen, Tod.
G. Durch Porcellanfilter filtrirte Gultur. Die Giftigkeit der¬
selben ist gering, es bleiben offenbar viele Substanzen zurück.
D. Die in Alcohol löslichen Substanzen; sie sind ein Gemisch,
zeigen verschiedene, inconstante, sogar antagonistische Eigenschaften; alle erzeugen
Nephritis und sie zeigen beim Thierexperiment auch eine anästhesirende
Wirkung.
E. Die durch Alcohol pfäcipitirten Substanzen; sie machen
beim Hunde: Dyspnoe, Gheyne-Stockes’sche Respiration, Erniedrigung der
Temperatur, Erbrechen, Zittern und Chorea, Tetanus, Tod. Sie erzeugen
Nephritis.
Wo bleibt nach alledem der fiebererzeugende Stoff? Wir müssen
gestehen, dass wir über diesen für uns wichtigsten Punkt beim Staphylococcns noch
gar nichts Sicheres wissen. Steckt er noch in der Culturflüssigkeit? Steckt er nur
eine kurze Zeit darin und wandelt sich dann in einen andern um? Sicher gefasst ist
er bis heute nicht.
Ebenso wenig befriedigend sind unsere Kenntnisse über den Streptoc. pyo¬
genes. Setzen wir hier noch die Identität desselben mit dem Streptoc. des Ery¬
sipels voraus, so kann verwiesen werden auf die oben schon erwähnten Angaben von
Courmont über die Existenz einer prädisponirenden und einer vaccinirenden Substanz.
Ferner besitzen wir die Angaben von Boger (1891), welcher mit sterilisirter und
filtrirter Streptococcencultur experimentirte. Kaninchen starben bei Einverleibung
grösserer Dosen schnell unter Lähmung der Hinterbeine. Ganz kleine
Dosen davon werden ertragen, aber mit Streptoc. geimpft starben die
Thiere dann mindestens 12 Mal schneller als die Gontrol-
t h i e r e. Dies wäre also die prädisponirende Substanz. Auf lOd” erhitzt wirkt die
Substanz immunisirend; letztere Eigenschaft kommt zur Wirkung, während die
präparatoriscbe zerstört wird. Nencky (1892) stellte vom Streptoc.
pyog. eine Substanz her, welche ebenfalls Lähmung der hintern Beine macht. Diese
Stoffe wirken fiebererregend. Boger (1892) gibt ferner an, das Toxin
veranlasse eine Erkrankung der Vorderhomzellen, wodurch die Lähmungen ihre Er¬
klärung finden würden.
Nehmen wir bei allen diesen Substanzen an, es handle sich um reine Stoffwechsel-
producte, so geben wir uns gewiss einer Täuschung bin. Ohne Zweifel finden
sich darin auch die Stoffe, welche den Inhalt des Bacil¬
lenleibes ausmachen; es geht dies schon daraus hervor, dass (siehe oben)
nach Courmont und Bodet die Wirkungen der unveränderten Staphylococcns-Gultur
von denjenigen der durch Hitze sterilisirten gar nicht wesentlich diffe-
ri ren.
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Was den Fyocyaneos und den Pneumococcus betrifft, so sind wir in Bezug auf
deren Stoffwechselproducte in einer gäustigeren Lage. Aber es ist keine Bede davon,
dass diese Microorganismen bei der chronischen Lungentuberculose eine so selbst¬
ständige Rolle spielen wie die erwähnten pyogenen. Gewiss finden sie sich in der
erkrankten Lunge zumeist in abgeschwächtem Zustande; das ist das Wahrschein¬
lichste, doch immerhin namentlich in Bezug auf den Pyocyaneus mit Vorsicht auf¬
zunehmen.
Als Repräsentanten der Stoffwechselproducte des Tnberkelbac. kännen
wir das Tnberculin nicht bezeichnen, denn bekanntlich ist dasselbe (ebenso
wenig, wie die von CourmotU, Bodet etc. untersuchten Producte) kein bloss äusser-
liches Stoffwechselprodnct der Bacillen, sondern führt in sich auch den Inhalt derselben,
wie es ja auch nach dem Hergang der Darstellung nicht gut anders sein kann. Wir
stellen uns vor, dass da, wo der Bacillus im Organismus wächst und sich vermehrt,
Tuberculin gebildet wird, wozu freilich die Annahme gemacht werden muss, dass in
der betreffenden Localität auch Bacillen sterben; eine solche Annahme begegnet
aber beute keinem Widerspruche mehr. Auf die Gegenwart des Tuberculins im
Miliartuberkel sind eine Menge theoretischer Betrachtungen und Schlüsse bezüg¬
lich der histologischen Vorgänge aufgebant worden, welche ich als bekannt voraus¬
setzen darf.
Allgemein hat man auch für den Tuberkelbacillns das Bedfirfniss gefühlt, die
Stoffe, welche in der Gulturflüssigkeit vorhanden sind, gesondert vom Inhalte der
Bacillen zu prüfen. Aber zu abschliessenden Resultaten haben die Bemühungen nach
dieser Richtung noch nicht geführt. Strauss und Gamaieia (Arch. de M^d. exp. et d’Anat.
pathol., T. IlL, Nr. 6) berichten über bezügliche Untersuchungen. F i 11 r i r t e
Bacillencultur (junge Gultur) erzielt bei gesunden Versuchsthieren nur leichte
Gewichtsabnahme, bei tuberculOsen aber Tuberculinreaction. Aber bei Bouillonculturen,
die durch Erhitzen abgetOdtet sind, ist der Effect ein anderer; es erfolgt Abmage¬
rung und Tod, und in den Lungen findet man zahlreiche miliare Enütchen mit zell¬
reichem Granulationsgewebe, aber ohne Riesenzellen, doch mit gut tingirbaren Bacillen.
Diese sind trotzdem todt, wie schon Andere vorher bewiesen haben. Von einer weitern
Generalisimng der Tuberculose ist keine Rede mehr. Ans den Experimenten ziehen
und G^omoleta den Schloss: D i e eigentlich toxischen Producte
sind in, nicht ausserhalb der Bacillen; das Fieber kann
aus den Producten, die ausserhalb der Bacillen sind, nicht
erklärt werden, es hängt ab vom Bacilleninhalt.
Bacilleninhalt aber wird in Miliartuberkelgmppen frei, sobald Bacillen ab¬
sterben ; es kommt zur Resorption dieses neugebildeten Tuber-
c u 1 i n s; die Träger der tnberculösen Affection unterliegen der fiebererregenden
Eigenschaft des ■ im Krankheitsherde gebildeten Productes, sie bekommen «das tuber-
culOse Fieber“.
Aber das tnberculüse Fieber ist lange nicht bei allen Individuen, welche scheinbar
identische Initialaffectionen in einer Lungenspitze tragen, gleich. — Der eine kommt
mit 8 Tagen Initialfieber weg, der andere hat nie Fieber gehabt, oder die Periode
des Fiebers war so kurz, dass sie der Aufmerksamkeit entging; beide haben Bacillen
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und der zweite oft mehr als der erste. Ein dritter macht eine Fieberperiode von
3 Wochen durch, zeigt die gleichen Symptome, wie die beiden andern, und alle drei
bringen die Tuberculose zur Elimination und tragen ungefähr den gleichen Schaden
davon. Später kommen die pyogenen Bacillen, mit denen alle drei sich wieder in
differenter Weise abfinden. Und ein vierter endlich wird seines Fiebers gar nicht
mehr los; es kommt auch zu keiner, wenn auch nur temporären Elimination des Ba¬
cillus ; die pyogenen Coccen ziehen in seine Lunge ein, ohne dass ihm fieberfreie
Perioden wären vergönnt gewesen, und er stirbt an galoppirender Schwindsucht. Man
hat in der Tbat bei aller erstrebten Objectivität' hier wieder einmal den Eindruck,
als ob diese Differenzen vom Individuum abhangen, als ob es
Menschen gebe, welche im Stande sind, dem in ihren kranken Geweben
entstehenden Tuberculin gegenüber sofort und immer wie¬
der einen Schutzstoff zu erzeugen, der das Tnberculin auf irgend
eine Weise unwirksam macht und auch dem Bacillus selber zu Leibe geht. Solche
Menschen haben kein oder ganz kurzes Fieber. Anderseits gäbe es Menschen,
denen diese Fähigkeit nur in beschränktem Maasse eigen
ist, das wären diejenigen mit längerer Fieberdauer. Und schliesslich gäbe es solche,
welche dem Feinde schutzlos preisgegeben sind; sie vermögen in ihren
Säften den Schutzstoff gar nicht zu erzeugen, haben also weder
gegen den Bacillus eine Resistenz, noch gegen dessen täglich neu gebildetes Product.
Es führt dies auf das Gebiet der vielumstrittenen Disposition, als deren An¬
hänger in dem angedeuteten Sinne ich mich zu bekennen genöthigt bin, auf die Ge¬
fahr, mit den Anhängern der neuesten Richtung in Gonfiict zu gerathen.
Diese Differenz im Initialfieber bei den einzelnen Menschen existirt, ohne dass
die Eiterinfection damit etwas zu thun hätte. Es ist nicht
so, dass sie beim Niobtfiehemden fehlen würde und umgekehrt, wie ich mich des be¬
stimmtesten habe überzeugen können. Die Ursachen der Verschiedenheit müssen viel
tiefer liegen, nicht in einem äussern, sondern in einem innem Moment, in einem
differenten Verhalten des Blutserums dem gebildeten Tuberculin gegenüber.
Leitet man nun bei diesen Initialerkranknngen eine Tuherculinbehandlnng ein,
so macht man die Erfahrung, dass eine Serie von Kranken gehörige Reactioneu be¬
kommt; man sieht dieselben aber nach und nach bei Fortsetzung der Einverleibung
abnehmen, man sieht das Weitere so verlaufen, wie es seiner Zeit KocJt als normalen
Verlauf geschildert hat, und man kann sich dabei vorstellen, dass jener supponirto
Schutzstoff durch steigende Tnberculinzufuhr mehr und mehr zur Entwickelung komme,
so dass er auch die grössere Dosen überwindet. Das sind Fälle, bei denen man durch¬
aus parallel auch die massgebenden physikalischen Zeichen zurückgehen sieht. Und
solche Fälle hat es gegeben und gibt es beute noch, wie Jeder erfahren kann, der
sich die Mühe geben will, sich den passenden Fall anszulesen. Aber unter meinen
Fällen wenigstens, die in der Weise günstig verliefen, befindet sich kein
Hereditarier und kein hereditär Stigmatisi rter mit dem
bekannten Habitus.
Denn bei diesen Kranken, namentlich wenn noch eine Anzahl schwächender
Momente mitgewirkt haben, wird gewöhnlich kein Erfolg erzielt; die Reactionen gehen
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über alles Maass hinaus in Dauer und Intensität, es erscheinen ganz irreguläre Fieber¬
zustände und Dauerformen des Fiebers, neben der ganzen Summe anderer unheimlicher
Symptome, von denen die Annalen von 1891 und 1892 voll sind. Da — kann man
denken — wird der Scbutzstoff nicht gebildet, das gebildete Tuberculin kommt ohne
Hinderniss zur Wirkung und das neu injicirto dazu; auf den Bacillus in den
Herden findet ebenso wenig von Seite der Säfte des Individuums eine hemmende Wirkung
statt, die physikalischen Zeichen ändern sich daher ausschliesslich nach der schlimmen
Seite hin. — Solche üeberlegungen bedürfen heute noch der Bitte um Nachsicht.
Sollten sich aber die Ergebnisse yon HSric&urt und Bichet bewahrheiten, so wird dies
bald nicht mehr der Fall sein. HSricourt und Rich^ (Bull. Müd., 1892) weisen nach,
dass man Hunde mit Geflügeltuberculose impfen kann, ohne dass sie der Tuberculose
verfallen. Aber damit sind sie gegen menschliche Tubercu¬
lose refractär geworden. Wird ein nicht vorgeimpfter also intacter Hund
mit hochvirulenter menschlicher Tuberculose geimpft, so stirbt er im Mittel in 30
Tagen mit 257o Gewichtsabnahme; von den mit Geflügeltuberculose vorgeimpften
Hunden ist bis 54 Tage nach der virulenten Impfung mit mensch¬
licher Tuberculose kein einziger krank geworden. Nimmt man nun Serum
vom mit Geflügeltub. vorgeimpften Hunde, so hat dasselbe vaccinirende Kraft. Andere
Hunde, mit demselben imprägnirt, widerstehen der menschlichen Tu¬
berculose ebenfalls {Hericourt und Bichet, Compt. rend., 1892).
Wenden wir uns jetzt wieder zur pyogenen Infection. Kranke,
welche derselben unterliegen, haben nie von der jKoch’schen
Behandlung einen günstigen Effect gehabt, seien sie He-
reditarier oder nicht, das ist dabei vollkommen gleich¬
gültig. Die grüsste Mehrzahl der Kranken unterliegt ein- oder mehrmal oder oft¬
mals der Einwanderung der Eitererreger in die Lunge, resp. die kranken, in Vernarbung
begriffenen Stellen. Fast jede solche Episode lässt ihre Folgen, die physikalisch un¬
schwer zu bemessen sind; jede zeigt im Auswurf die Mengen von Eiterbacillen, da¬
neben ein acutes Aufflackern der Tuberbacillenvegetation; jede lässt im vermehrten
Gehalt au elastischen Fasern eine weitere Destruction erkennen; und jede solche
Episode zeigt ein mehr oder minder lange dauerndes Fieber vom Cbaracter der fe-
bris heotica. Jeder Versuch der ^ch’schen Behandlung ist vom üebel, wie ich
oft genug erfahren; jede Injection macht nicht nur ihren regulären Fieberstoss, sondern
relativ wenig hartnäckige Fioberzustände werden in irreguläre Dauerfieber mit Schüttel¬
frösten und Typus inversus umgewandelt, mit leicht nachweisbaren neuen Infiltraten
zur Seite der alten, welche ich nach einigen Sectionsbefunden als Streptococcen¬
pneumonien betrachten muss. Ich bin nun der Ansicht, dass am Fieber bei der
pyogenen Infection, auch derjenigen transitorischer Natur, neue giftige Stoff-
wechselprodncte, (nach der Analogie der Diphtherie plus Streptococcus, Nencky)
entstanden in Folge der Symbiose des Tuberkelbacillus
und der Eitercoccen, Schuld sind. Die eine der zu deren Bildung
nöthigen Componenten muss das im Krankheitsherd gebildete Tu¬
berculin sein; die andere wird geliefert von den pyogenen
C 0 c c e n, aber ob es einer von den bekannten und oben besprochenen Stoffen ist«
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ist vorläufig unbekannt; auch das neue Product kennen wir noch nicht.
Fähren wir also unter solchen Umständen frisches Tnberculin von Aussen
zu, so vermehren wir die eine Componente des Giftstoffes,
wir haben thatsächlich ,Oel ins Feuer gegossen*. Dazu hOren wir von Klem-Weichsd-
bäum, dass unter' dem Einflüsse der Injectionen die Eiterbacillen in den erkrankten
Organen eine gewaltige Entwicklung eingehen, und dass sie auf tuber-
culinisirtem Nährboden an Virulenz zunehmen. Es ist somit
verständlich, dass auch ich — wie Andere — zur Ansicht gekommen bin, ein Versuch
mit £<>(A’ 3 cher Behandlung dürfe eigentlich in einer Fieberzeit niemals unter*
nommen werden; und auch in fleberfreien Perioden wird man nur mit grosser Vorsicht
Vorgehen müssen, denn, wenn einmal in der Lunge Eiterhacillen sich festgesetzt haben,
so verlassen sie dieselbe nur langsam und unter grossen Schwierigkeiten. Das Fieber
kann fort sein, und doch wuchern auf einigen geschwürigen Oberflächen die Eiter*
coccen weiter.
Ein Einbruch ins gesunde Gewebe, in kleine Gefllsse, in Lymphwege passirt ja
als transitorisches Ereigniss alle Augenblicke.
Das Fieber der terminalen Periode ist wohl auf die gleiche Weise zu
erklären; es sei nochmals hingewiesen auf das Eindringen der Eitercoccen ins Blut und
in die Oi^ne, wodurch die Bildung des giftigen Productes wahrscheinlich auf einem
erweiterten Schauplatz vor sich geht Dass sich dabei nach den obigen Ueberlegungen
die Tuberculinzufnhr von selbst verbietet, liegt auf der Hand. Man kann sich nun
ungeföhr vorstellen, was man in solchen Fällen geschadet liat; leider waren es gerade
diese, die eine bezügliche Behandlung am ungestümsten verlangten und denen man in
der That am liebsten geholfen hätte.
Also von den Initialfällen behandle ich nach Koch’s Me¬
thode nie einen Hereditarier; im chronischen Stadium lasse ich eine
längere, eventuell bacteriologische Sputumuntersuch u n g
entscheiden; sind pyogene Coccen in erheblicher Menge
d a, dann schreite ich nie zur £o(A’schen Behandlung und n i e in einer Fieberzeit.
Im terminalen Stadium, namentlich wenn einmal im Blute
Streptococcen gesehen wurden, dann niemals. Man sieht leicht,
die Gelegenheit, mit gutem Gewissen dazu zu schreiten, ist in Folge dieser Ein*
Schränkungen selten genug.')
Ich weiss recht wohl, dass der Versuch, für die Zbch’sche Behandlung genaue
Indicationen zu Anden, bei der Mehrzahl der Collegen ein etwas mitleidiges Lächeln
hervorrufen wird; wer sich heute nicht ganz ablehnend verhält, riskirt unter die
«kritiklosen Optimisten* rangirt zu werden. Aber sollen denn die vielen Aerzte aller
Nationen, die von einigen günstigen Erfolgen zu berichten wussten und heute noch
wissen, unter die Unglaubwürdigen gerechnet werden? Ich denke, den Ausspruch wird
Niemand riskiren.
_e_
‘) üeber Modus und Applicationsweise, sowie die Modificationen des Präparates selbst ist hier
nicht der Ort, sich anszalassen, da von massgebender Seite bald weitere Anfscblfisse in Aussicht
stehen.
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’Vereiiisbeiricli te.
Medicinisch-pharmaceutischer Bezirksverein Bern.
VI. Sitzaif !■ Wiitersenester 1893/94, Dieastog dra 13. Hkrz, ia CMiat.')
Präsident: Dr. DumonL — Actuar: Dr. Bohr.
Anwesend 22 Mitglieder.
1. Das Präsidium yerliest die Eingabe des gemeinnützigen Frauen¬
vereins und des k a t h o 1 i s c h e u F r a u e n v e r e i ns betreffend die
ErriehtH|[f eines Insütnles fir KnwkenpleferlHen und hebt im Anschluss daran
hervor, dass in Bern allerdings ein gewisser Mangel an tüchtigen KrankenpÜegerinnen
bestehe und deshalb die Initiative der obigen Vereine zu begrüssen wäre, dass aber zur
richtigen Ausbildung solcher Pflegerinnen vor Allem Spitäler, die sich mit der gründlichen
Ausbildung befassen würden, gefunden werden müssten.
Dr. Schmid berichtet, dass in vielen ostschweizerischen Gemeinden von gemeinnützigen
Vereinen Gemeindekrankenpflegen in^s Leben gerufen worden seien, die zur grossen Befrie¬
digung der Bevölkerung functioniren; die Wohlhabenderen haben hir die Pflege durch die
Pflegerinnen — die in Altstätten z. B. 2 protestantische und 2 katholische sind — zu
bezahlen, für die Dürftigen zahlt der Verein, der die Schwestern angestellt hat. Das
Wichtigste aber — die gründliche Ausbildung — könnte nicht in der einfachen Weise
geschehen, die die Eingabe andeutet, sondern es wäre dazu ein längerer Dienst in Spitälern
absolut nöthig.
Director Surbeck befürchtet, dass eine solche Ausbildung, die allerdings nöthig wäre,
nicht wohl im Inselspital stattfinden könnte; der Versuch, Laienpfiegerinnen daselbst heranzu¬
bilden, wurde schon einmal auf Ansuchen der Societö gönerale des dames de la croix rouge
in Genf gemacht, aber, weil er keinerseits recht befriedigt hatte, wieder fallen gelassen.
Prof. Müller unterstützt lebhaft das Postulat, dass die betreffenden Krankenpflegerinnen
gründlich practisch ausgebildet sein und desshalb vorher den ganzen Dienst in Spitälern
machen müssten. Er hat sich des Oeftem von der Untauglichkeit der sogenannt gebildeten
Pflegerinnen mit vielen theoretischen aber wenig practischen Kenntnissen überzeugen müssen.
Aus der weitern Diskussion, an der sich ausser den obgenannten noch die
HH. Prof. Scüilif Lesser^ v. Spet/r, Dr. Ihimont und Dr. Bohr betheiligen, geht hervor,
dass der Verein die Initiative der betreffenden Frauenvereine begrüsst und ihr sympathisch
gegenüber steht, dass er aber, da die Sache noch sehr abgeklärt und vor Allem die Frage
der Ausbildung der Krankenpflegerinnen viel gründlicher erörtert werden muss, als es in
besagter Eingabe geschieht, noch keine irgendwie bindende Antwort geben kann. Es wird
ein Ausschuss von B Mitgliedern (das Comitö und Director Dr. Surbeck) bestimmt, der sich
den betreffenden Frauenvereinen zu weitern Verhandlungen zur Verfügung stellt.
Prof. Tavel referirt über drei in seinem Laboratorium gemachte Arbeiten.
Die erste Arbeit von Herrn Dr. Christen aus Bern betrifft Untersnehnigfei Iber
die Daner des SterlUsalienspreeesses in fespanstes Dampfe bei fffefebenea Ixen
Temperatnren. Frühere Arbeiten über diesen Gegenstand von Heydenreich, Globig sind
immer mit Autoclaven gemacht worden, bei welchen die Temperatur im Innern des Kessels
relativ langsam stieg, so dass die, vor Schluss des Kessels bei 100^, eingelegten Proben
alle Temper^turgrade zwischen 100 und der auszuprobirenden Temperatur durchmachen
mussten, was kein gutes Urtheil über die Wirkung einer bestimmten fixen Temperatur
erlaubt. Es ist aber um so wichtiger, Letztere zu kennen, als jezt Apparate existiren,
so z. B. in der chirurgischen Klinik in Bern, bei welchen die Temperatur so ausser¬
ordentlich rasch auf die gewünschte Höhe steigt, das die cumulative Wirkung der Tempe¬
raturen zwischen 100® und der wirksamen Temperatur von über 140® vollständig vernach¬
lässigt werden kann.
‘) Eingegangen 23. Juni 1894. Protocoll der V. Sitzung folgt später. Red.
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Durch eine spccielle Einrichtung am Ablasshahn eines gewöhnlichen Autoclavs, konnten
die Proben jederzeit und bei jeder Temperatur in’s Innere des Kessels eingebracht und wieder
herausgezogen werden. Zum Vergleich und als Kontrolle wurden Proben im strömenden
Dampfe bei 100^ in derselben Weise in's Innere des Kessels eingeführt.
Die Resultate waren folgende: der Sterilisationsprocess im strömenden Dampfe bei
100^ dauert für resistente Erdsporen nicht, wie bis jetzt nach den Arbeiten Yon Esm<Mrch,
Glohig etc. angenommen, 5—6 Stunden, sondern über 16 Stunden, länger konnten die
Versuche aus äussern Umstanden nicht ausgedehnt werden.
Bei 105 und 110^ schwankte die nöthige Zeit zur Sterilisation derselben Proben
zwischen 2—4 Stunden.
Bei 115^ zwischen 30 bis 60 Minuten. Bei 120^ zwischen 5 bis 15 Minuten.
Bei 125 und 130^ waren die meisten Proben nach 5 Minuten steril, einmal jedoch
ertrug eine Probe die Temperatur Yon 130^ über 5 Minuten.
Bei 135^ waren noch entwickelungsfahige Sporen nach einer Minute, nie aber mehr
nach 5 Minuten nachzuweisen. Bei 140^ waren sämmtliche Proben schon nach einer Minute
steril.
Diese colossal rasch abtödtende Wirkung dieser Temperatur Yon 140^ ist für chiurgische
Zwecke nicht ohne Bedeutung. Sie erlaubt bei einem geeigneten Apparate, wie er in der
Klinik in Bern existirt und auf Rath des Vortragenden eingerichtet wurde, innerhalb 5
Minuten alle die für eine Operation nöthigen Tücher, Tupf-, Compressen- und Verband¬
materialien absolut sicher zu sterilisiren, was für Nothoperationen, wie sie ja öfters Yor-
kommen, nicht zu unterschätzen und Yon allumfassender Wichtigkeit ist.
Die zweite Arbeit Yon Herrn Dr. Wieland aus Basel beschäftigt sich mit den
Bedingoaipen der Biitetehoa|[f der baeteriellea lad der cheaisehea Perlienllls. Der
klinische Ausgangspunkt dieser experimentellen Arbeit ist die öfters Yon Anderen und
Yom Vortragenden gemachte Erfahrung, dass bei circumscripten, ja sogar bei allgemeinen
Peritonitiden keine Bacterien gefunden werden.
Für die Erklärung dieses negatiYen Befundes können zwei Möglichkeiten aufgestellt
werden: entweder spielen überhaupt in solchen Fällen die Bacterien selbst keine Rolle,
sondern nur ihre Stoffwechselproducte oder sie sind spontan im Herde zu Qrunde
gegangen. Directe Einspritzungen Yon sterilisirten oder Yirulenten Culturen in die Bauch¬
höhle konnten in Einklang mit den Resultaten anderer Forscher nie zu dem gewünschten
Ziele führen. Entweder starben die Thiere an Intoxication, oder sie erholten sich ohne
locale oder allgemeine Perionitis, oder es waren Bactorien Yorhanden. Solche Einspritzungen
können aber nur einen ganz acuten Process nachahmen, während gerade in jenen oben
erwähnten Fällen man es mehr mit chronischen oder subacut Yerlaufenden Entzündungen
zu thun hat.
Um eine langsame Diffusion zu bewirken, wurden die sterilen oder Yiru¬
lenten Culturen in sterile Fischblasen eingeschlossen und Letztere ins Peritoneum ein¬
gebracht.
Leere, oder mit Bouillon gefüllte Blasen riefen nur eine leichte adhäsiYe Entzündung
herYor; ähnlich Yerhielten sich sterile leere Blasen bei nachträglicher directer Einspritzung
Yirulenter Culturen.
Enthielten aber die Blasen sterilisierte Culturen des Staphylococcus pyogenes aureus,
so fand Eiterung im Innern der Blase statt. War der Inhalt der Blase Yirulent, so kam,
je nach der Culturmenge, der Beschaffenheit und der Permeabilität der Blasenwand
entweder eine einfache circumscripte, eine multiple oder eine diffuse Eiterung im Peritoneum
zu Stande, bei ganz früh eintretendem Tod waren sogar weder Adhärenzen noch Fibrin
noch Eiterbeläge zu finden. Blieb die Eiterung local, so fand man den Inhalt der
Blase nach einigen Wochen steril.
Eine diffuse Peritonitis ohne Bacterien konnte auch so nicht erzielt werden, was
mit der klinischen Erfahrung in Einklang steht, da in solchen Fällen wohl immer noch
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andere Factoren wirken, welche die normalen Functionen des Peritoneum in ausgedehntem
Maasse beeinträchtigen.
Ferner stellt die Arbeit experimentell fest, dass bacterienfreie, circumscripte, eiterige
Peritonitiden auf zweierlei Weise entstehen können: einmal durch die Wirkung Yon Baoterien-
producten allein, zweitens durch das Absterben der eetiologischen Bacterien im Herde selbst.
Als ein interessanter Befund muss noch hervorgehoben werden, dass wenn die Blasen¬
wand vor der Impfung in’s Peritoneum mit Chloroformwasser behandelt war, die Eiterung
local blieb, wurde sie aber nur in der physiologischen Eochsalzsosung abgespült, so gingen
alle Thiere an mehr oder weniger diffuser Peritonitis zu Grunde.
Dass der Grund dieser Resultate nicht in der Desinfection etwaiger an der Ober¬
fläche liegender Keime beruht, zeigt ein Controllversuch, bei welchem die Blase statt in
Chloroformwasser in einer virulenten Cultur eingetaucht wurde, wonach die Eiterung
ebenfalls local blieb. Die Erklärung hierfür muss darin gesucht werden, dass bei Vor¬
handensein von reizenden Substanzen in der Membran eine schnelle Reaction und Abkapselung
seitens des Peritoneum stattfand, während dieselbe gegenüber einer völlig indifferenten
Membran fehlte.
Die dritte Arbeit, von Herrn Dr. Bun aus Edinburg ausgeführt, sucht die Ursaehe
der in der CUrargie so hknlg vorkomaenden Fadeneilernngen and die Tragweite
der dabei statttadenden FremdkSrperiaplantatloB näher an ergrladen. Bekanntlich
hat Kocher bei Gelegenheit der Catguteiterungen seine Theorie der Implantationsinfection
aufgestellt und hauptsächlich im Vorhandensein eines Fremdkörpers mit Bacterien den
Grund der stattflndenden Eiterung gesucht. Von der Meinung ausgehend, dass die Catgnt-
fäden nicht mit Sicherheit zu desinficiren seien, verwarf er dieses Material vollständig und
ersetzte es durch Seide, die aber den Nachtheil hatte, bei eventueller Infection sehr
langdauernde Eiterung zu bedingen.
Andere Erfahrungen, wie z. B. die schlechten Resultate, die man mit Seide erzielt,
wenn dieselbe einfach mit Salz-Sodalösung oder mit gespanntem Dampfe sterilisirt und
nicht mit einer antibacteriell nachwirkenden Substanz imprägnirt
wird, konnten ganz gut mit der Theorie der Implantationsinfection vereinbart werden, so
dass bei der Ausführung der Arbeit von dieser Annahme ausgegangen wurde.
Zuerst musste die minimale für eine Eiterung oder Entzündung nöthige Bacterien-
zahl festgestellt werden. Bekanntlich schwankt unter sonst gleichen Umständen dieser
Coefficient innerhalb relativ enger Grenzen. Nachdem dieser Punkt festgestellt war, wurde
eine gerade nicht mehr wirksame Bacterienmenge dem Factor der Implantation in Form
von mehr oder weniger dicken Seideknoten zugesetzt, wobei sich herausstellte, dass weder
mit antiseptischen noch mit aseptischen Fäden irgend ein Unterschied im Verlaufe zu
bemerken war. Erst wie zu dem Factor Bacterien und zu dem Factor Fremdkörper der
dritte Factor Gewebsschädigung hinzugefügt wurde, konnte ein Unterschied im
Ablauf festgestellt werden und zwar war dieser Unterschied unabhängig vom Vorhandensein
eines Fremdkörpers, so dass hierbei einzig und allein die Gewebsschädigung als maass¬
gebend anzusehen ist. Wirkte aber der mitgeimpfte Fremdkörper (Seideknoten) antiseptisch,
so war der Verlauf günstiger als wenn er nur aseptisch war.
Die Arbeit lässt also folgende für die Chirurgie sehr wichtige Schlüsse ziehen:
1) Für das Zustandekommen einer Wundinfection ist die Implantation von Fremd¬
körpern von geringem Belang (dagegen steht es fest, dass eine einmal ansgebrochene
Infection durch Fremdkörper unterhalten wird).
2) Die Hauptbedingung für das Zustandekommen der Infection bei Vorhandensein
von Bacterien in einer Wunde, was man ja nie wird absolut verhindern können, ist die
Gewebsschädigung.
3) Neben der Luft-, Contact-, Implantations- und hssmatogenen Infection muss wegen
ihrer hervorragenden Wichtigkeit dieLsssionsinfection als selbstständiger Infections-
modus aufgestellt und ganz speciell berücksichtigt werden.
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Die zwei ersten Arbeiten werden in extenso in den Mittheilnngen aus Kliniken und
medicinischen Instituten der Schweiz, die dritte in einer englischen Fachzeitschrift erscheinen.
In der kurzen Discussion gibt Prof. Tavel auf einige Fragen betreffend Art
der Bacillen, mit denen die Versuche gemacht wurden, Aufschluss und theilt mit, wie er
sich erkläre, dass langsame Einwirkung von Stoffwechselproducten das Peritoneum mehr
schädige als einmalige acute. Prof. Sahli erwähnt die neusten Versuche mit den
Revulsivabscessen vermittelst subcutaner Injection von ol. tereb., wo 1 ccm injicirtes
Terpentin 2—3 dcl. Eiter hervorzubringen im Stande ist.
Protocoll Ober die III. Versammlung der Deutschen Otologischen Gesellschaft
zu Bonn am 12. und 13. Mai 1894.
(Schloss.)
III. Siizolf« Seutagf« 13. Hai« VermlitifS.
Herr Kuhn eröffnet die Sitzung mit Verlesung eines Begrüssungs-Telegrammes von
Prof. Politzer-Yfien, Vor Eintritt in die Tagesordnung demonstrirt TFa^-Bonn an zwei
von Prof. Witzei operirten Kranken diejenigen Methoden, welche er im Verein mit diesem
Herrn bei der operativen Behandlung der acuten Mastoidabcesse und den chronischen
Warzenfortsatzerkrankungen ausgebildet hat. Bei den acuten Abscessen wird prima in-
tentio oder doch kurze Heilungsdauer durch vollständige Freilegung und von der Spitze
nach oben erfolgende Elimination des Warzenfortsatzes mit der Meisseizange erreicht;
bei chronischen Fällen wird von hinten her operirt und die frische Wunde nach Thiersch
transplantirt
XI. TFaZb-Bonn. Conservativ oder radical?
Vortragender betont, dass es trotz den Fortschritten der Ohrchirurgie nicht ange¬
bracht sei, in jedem Falle von chronischer Mittelohreiterung zu operiren, zumal wenn
bereits ein Ohr erheblich schwerhörig sei und durch die Operation die Function des
besseren Ohres gefährdet werde. In derartigen Fällen müsse man sich an die Indioatio
vitalis halten. Dass die conservative Methode Erfolg haben könne, zeige doch die grosse
Zahl der früher auf nicht operativem Wege geheilten Fälle. Recidive kommen auch
nach der chirurgischen Behandlung vor. Die relativ conservative Schwartze^sehe Mastoid-
operation, welche die Function möglichst schont, sei auch jetzt noch für manche Fälle
empfehlenswerth.
XII. Kuhn - Strassburg bespricht einen Fall von Atresia auris acqni-
8 i t a , entstanden bei einem 15jährigen Mädchen durch ein Jahre lang unterhaltenes
Blasenpflaster. Die hochgradige Verkrüppelung und die sehr verengte Ohröffiiung
wurden durch tiefe keilförmige Ausschnitte aus der knorpeligen Ohrmuschel beseitigt.
Im Anschluss an diese Mittheilung demonstrirt Jansen-Berlin mit Hülfe eines
Modells ein plastisches Verfahren zur Operation des stenosirten
Gehörganges mittelst Transplantation gestielter Hantlappen aus der Gegend des
Warzenfortsatzes auf die hintere Qehörgangswand und ans der hintern Fläche der Ohr¬
muschel auf die vordere Gehörgangswand nach Excision des narbigen Gewebes. Das
Verfahren wurde 1891 in zwei Fällen mit dauerndem Erfolge ausgeführt.
Xni. Xt^n-Strassburg berichtet ferner über einen bei einem einjährigen Knaben
beobachteten Fall von Myxosarkom der Paukenhöhle. Trotz wiederholter
Exstirpation der Neubildung ging der Patient nach mehreren Monaten an Marasmus
zu Grunde.
XIV. Hartmann^Berlin. Die Mittelohrentzündung bei Säuglingen
nach Beobachtungen am Institut für I n f e o t i o n s k r a n k h e i t e n
in Berlin.
Die an 47 Fällen gewonnenen Erfahrungen ergaben als Schlussfolgerungen: 1) Die
bei der Section von Säuglingen gemachte Erfahrung, dass bei mehr als 75^/o Mittelohr-
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eiterang besteht, wird durch die Untersuchung an lebenden Säuglingen bestätigt. 2) Die
Mittelohrentzündung ist durch die otoskopische Untersuchung fast ausnahmslos nachweisbar.
3. Die Erscheinungen der Mittelohrentzünduqg bestehen in Unruhe, Temperatursteigerung,
Gewichtsabnahme. , 4) Sehr häufig ist die Ohraffection mit bronchopneumonischen Pro¬
cessen complicirt. Beide Processe sind wahrscheinlich durch dieselbe Ursache (Aspiration)
bedingt. 5) Der Tod kann in Folge einer Mittelohrentzündung eintreten durch all¬
mählich fortschreitende Atrophie oder durch Fortpfianzung der Microorganismen in die
Schädelhöhle (Meningitis) oder ins Blut (Septikämie). 6) Die Mittelohrentzündung der
Säuglinge muss behandelt werden.
Discussion: TFe^mer-Coblenz hebt die Kothwendigkeit hervor, dass an grossen
Krankenhäusern Specialisten angestellt und dass die Hebammen beim Unterricht mit den
Erscheinungen der Mittelohrentzündung vertraut gemacht werden. iSiebenmann-Basel findet
in den Beobachtungen Hartmann^B eine Stütze für die Ansicht, dass wenigstens ein Theil
der bei Infectionskrankheiten auftretenden Mittelohrentzündungen nicht vom Rachen aus
einwandert, sondern als primäre, im Ohre localisirte Theilerscheinung der zu Gründe
liegenden Infection aufzufassen ist.
XV, Kessel-Jenii : Referat über die vordere Tenotomie, Mo-
bilisirung und Extraction des Steigbügels. Der Vortragende legt
dar, dass gute Erfolge mit der functioneilen Behandlung nur erzielt werden können,
wenn das acustische Nervensystem erhalten ist. Die Erhaltung der Nerven sei deshalb
Aufgabe und Ziel der Functionsbehandlung. Durch die vordere Tenotomie werde bei
erhaltenem Nerven und beweglichem Stapes eine Hörschärfe von 25 m Flüstersprache
erhalten, durch Ausschneiden des Trommelfelles nebst Hammer und Amboss eine solche
von 10 m, durch Extraction des Steigbügels unter günstigen Verhältnissen eine Hörschärfe
von 8 m; allein der Labyrinthdrnck müsse durch Correctionsapparate, welche zugleich
den Mittelohrapparat zu ersetzen haben, regulirt werden.
Discussion: Re^o^d-München findet die bei Extraction des Stapes vom Vor¬
tragenden erreichte Hörschärfe unerwartet günstig und fragt an, ob Kessel keine
Schwindelerscheinungen beobachtet habe?
XVI. Steinbrügge-i^iossen: Demonstration eines Prseparates aus
einer Missbildung des Gehörorganes.
Es fehlten in dem einem 54jährigen Manne entstammenden Präparate der äussere
Gehörgang, das Trommelfell, die Paukenhöhle und das Antrum; die Ohrmuschel war
verkrüppelt. Die häutigen Labyrinthgebilde und Nerven, letztere mit Ausnahme eines
kleinen Theiles im inneren Gehörgange und Modiolus wiesen keine Veränderungen auf.
Die Labyrinthkapsel war sclerotisch, die Schneckenachse verkürzt.
XVn. Äcem^-Frankfurt a. M.: Die neuesten Fortschritte in der
Behandlung otitischer Hirnkrankheiten. Von den ohne Unterbindung
der Jugularis operirlen Fällen sind nur 43^/o, von den mit Unterbindung der Jugularis
nach Ausräumung des Sinus öO^o, von den vor Ausräumung des Sinus mit Unterbindung
der Jugularis behandelten Fällen 69^0 geheilt worden.
XVni. Gi^^e-Amsterdam: Ein Fall von Pachymeningitis externa
ex otitide durch Trepanation geheilt. Es handelte sich um Infiuenza-
Otitis bei einem 16jährigen Jüngling, welcher 4 Wochen nach der in Heilung ausge¬
gangenen Mastoidoperation von Himerscheinungen befallen und durch Trepanation geheilt
wurde. Eiterige Meningitis bestand nicht; der Vortragende vergleicht die Wirkung der
Operation mit deijenigen bei Neuralgia mastoidea oder „Mastoiditis sicca."
XIX. Jbe^Gotha: Beiträge zur Hirnchirurgie.
27 ^ Monate nach der Aufmeisselung des Warzenfortsatzes und Spaltung tiefer
Senkungsabscesse traten bei einem jungen Manne Hirnsymptome auf. Spaltung der Dura,
Einschnitt ins Gehirn, Ausfinss von fötidem Eiter. Heilung nach 6 Monaten.
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Bei einem 11jährigen Knaben, bei welchem der Hammer extrahiri und der Euppel-
ranm freigelegt worden war, traten 2 Monate später gleichfalls Hirnerscheinungen ein.
Breite Eröffnung yon Warzenfortsatz und Paukenhöhle, Abmeisseln der Schuppe nach
oben und Yorn vom Antrum; die Dura wölbt sich unter ausserordentlichem Drucke
in die Knochenlücke, wird gespalten, Abscess nicht gefunden. Während der Nach¬
behandlung Abtragung eines Hirnprolapses, vorübergehende Aphasie. Nach 11 Monaten
Heilung.
XX. Hansh^^-Dortmund: Beitrag zur Operation des otitischen
Kleinhirnabscesses. Knabe von 14 Jahren, seit 6 Jahren mit OtorrhoB behaftet.
Anschwellung des Warzenfortsatzes, Schüttelfröste. 15. April 1894 Aufmeisselung des
ganz mit putridem Eiter gefüllten Warzenfortsatzes; Defect im Sulcus sigmoideus; breite
Eröffnung des letztem, des ganzen hinteren Theiles des Processus mastoideus nach innen
bis zum äusseren Bogengang, Entfernung eines Theiles der Schädeldecke oberhalb des
Sinus transversus. Taubeneigrosse Höhle im Hirn mit Fistel bis unterhalb des Antrums.
Beim Verbandwechsel am 4. Tage findet sich ein zweiter Abscess oberhalb des ersten,
der gleichfalls eröffnet wird. Tod am 24. April. Bei der Section wird in der hintern
Schädelgrube ein Abscess gefunden, der nicht dem Kleinhirn, sondern dem Schläfenlappen
angehörte. Der Vortragende bespricht die Schwierigkeit der Diagnose der Kleinhimabs-
cesse und empfiehlt zu ihrer Heilung die breite Aufmeisselung des Warzenfortsatzes und
ausgedehnte Freilegung des Kleinhirnes.
XXI. jßetnhard-Duisburg stellt einen durch Aufmeisselung des Warzenfortsatzes und
Eröffiaung des Sinusabscesses geheilten Fall von Sinusphlebitis ex
o t i t i d e vor.
XXII. Jansen - Berlin: Die Erfahrungen über Sinusthrombose
während des Jahres 1 8 93 an der Klinik des Herrn Geheim¬
rath Lucce,
Es kamen 12 Fälle zur Beobachtung: 2 Mal Verjauchung des Bulbus allein, 1 Mal
Thrombose des Sinus cavernosus und petrosus super.; in den übrigen 9 Fällen war der
Sinus transversus befallen, 6 Mal in Verbindung mit der Jugularis, 2 Mal mit dem Sinus
cavernosus. Der Vortragende bespricht im Anschluss an diese statistisohen Angaben die
Möglichkeit, durch einen frühzeitigen und energischen Eingriff die Thrombose auf den
Sinus transversus zu beschränken und auf eine isolirte Thrombose des Bulbus jugularis
zu stossen. Als Hauptgefahren der Sinus-Thrombose werden eitrige Arachnitis und Lungen¬
metastase hervorgehoben, dabei aber bemerkt, dass dieselben bei der Erkrankung der
verschiedenen Blutleiter in sehr verschiedener Häufigkeit Vorkommen. Pyämie ohne
Osteophlebitis ist nach den Erfahrungen des Redners sehr selten; bestehe nach einer
Mastoidoperation Pyämie fort, so müsse zuerst an eine Thrombose eines grösseren Venen¬
abschnittes gedacht werden, pie wichtigsten Erscheinungen sind pyämisches Fieber mit
Schüttelfrösten und Metastasen, Neuritis optica, meningitische Reizungssymptome etc. Reine
Sinusthrombose ohne Zerfall könne ohne alle Symptome bestehen. Besonders wichtig ist
der perisinuöse Abscess, dessen frühzeitige, oft aber sehr schwierige Diagnose insofern
grosse practische Bedeutung hat, als durch seine Entleerung die Bildung oder der eitrige
Zerfall eines Thrombus verhütet und in anderen Fällen die Diagnose der symptomlos
verlaufenden Thrombose ermöglicht wird. Der Vortragende fügt noch Angaben über das
Operationsverfahren hinzu, bei welchem für ihn der Standpunkt maassgebend ist, dass
die auf den Sinus beschränkte Thrombose nur am Sinus operirt werden solle.
XXIII. Derselbe: Einige Beobachtungen über cerebrale
Complicationen bei Mittelohreiterungen. a) Oircumscripte Him-
tuberculose, diffuse tuberculöse Arachnitis im Anschluss an perforirende Pachymeningitis
bei Cholesteatom, b) Geheilter Fall von circumscripter eitriger Pachy-Leptomeningitis an
der unteren Fläche des linken Schläfenlappens. Vorübergehende optische Aphasie nach
der Spaltung der Hirnhäute.
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XXIY. Hartmann - Berlin demonsirirt als Hülfsmittel für die Zer¬
störung und Entfernung von Tumoren im N a s e n r a c h e n r a u m e
eine galyanokaustische Schlinge mit getrennten Handgriffen und einen am Patienten
iixirbaren Qaumenhaken und empfiehlt zur Erleichterung die Resection der unteren
Muschel. Sodann legt Redner photographische Wandtafeln, vergrösserte
Photographien nach Präparaten seiner Sammlung, vor.
XXY. /Ste&cnmonn-Basel demonstrirt seinen Atlas über die Labyrinth-
gefä88e und eine Trockencorrosion des Felsenbeines.
Oantonale Oonresipoiideiizeii.
Kin Besaeh der Therme Battaglla bei Padaa. Wer zum ersten
Male das Land seiner Jugendträume, Italien, bereist, der wird vor Allem seine Blicke
nach Rom und nach Neapel richten. In Rom will er die ehrwürdigen Stätten gewaltiger
historischer Ereignisse sehen und die wunderbaren dort gesammelten Kunstschätze. Nach
Neapel aber geht er, um in den Naturschonheiten des gesegneten Landes zu schwelgen.
Ist er dann nach Genuss alP des Schönen mit neuen Ideen über die Entwicklung des
Menschengeschlechts, voll Bewunderung über die unübertrefflichen Kunstwerke und entzückt
über die Schönheit des neapolitanischen Golfes und über die Majestät der ewigen Natur¬
kraft im qualmenden Yesuv endlich mit Widerstreben dem inneren Pflichtruf nach
Hause gefolgt, so glaubt er, — im Yorbeiweg das schöne Florenz mit seinen gross¬
artigen Sammlungen berührend — nun Alles gesehen zu haben und straks nach Hause
eilen zu sollen. — Auch dem Schreiber dieser Zeilen ging es so. Allein ein altes Yer-
sprechen nöthigte ihn auf der Strecke Bologna—Padua einen Halt zu machen und das
Bad Battaglia, seit laufendem Jahr in der Hand eines Schweizers, zu besuchen. — Der
möglichst kurz planirte Besuch wurde aber zu einem langen und äusserst genussreichen.
Weit über alle Erwartungen hinaus ging der Eindruck der ebenso schönen und interes¬
santen Gegend und das wunderbare Arbeiten der unterirdischen Naturkräfte, denen
Battaglia seine Heilfactoren verdankt, erweckten nicht weniger das vollste Interesse wie
der donnernde, feuer- und rothglübende Steine speiende Yesuv. — Unter der kundigen
Führung des liebenswürdigen Landsmanns Herrn Alfred Wiget hielt ich Umschau über
die verschwenderischen Hülfsmittel, die dem Boden entspringen und über die vorzüglichen
Einrichtungen, welche dieselben dem leidenden Menschen nutzbar machen. — Am Fusse
der früher vulkanisch thätigen eugenseischen Berge gelegen, verdankt das Bad Battaglia
den Ueberresten dieser Tbätigkeit seine heissen Quellen, seinen Fango und seine Dampf¬
grotte. — Nicht weniger wie vier immer dampfende Quellen liefern das klare, 60—76® C.
heisse Thermalwasser, das neben andern mineralischen Bestandtheilen hauptsächlich circa
278 ®/o Kochsalz enthält. — Am Rande eines prächtigen kleinen Waldes, der den Hügel
mit dem darauf thronenden Schlosse umzieht, liegen die vier kleinen, weithin ihren Dampf
verbreitenden Seen, die neben dem heissen Salzwasser auch noch einen äusserst feinen
grauen Schlamm, den Fango, in unerschöpflicher Quantität aus dem Innern der Erde heraus-
schaflen. — Die Bildung dieses Fango geht unaufhörlich vor sich. Mindestens alle 4 Jahre
haben sich die Seebecken damit angefullt und werden in die bereitstehenden 3 Reservoirs
ausgeschöpft, um von Neuem sich wieder zu füllen. — Seit ältester Zeit wird dieser
Fango von den Bewohnern des Landes als besonders heilkräftig angesehen und in den
beiden Badeetablissements unter der bewährten Anleitung des tüchtigen Badearztes in
verschiedener Applicationsart zur sichern Heilung von bestimmten Krankheiten verwendet.
Nicht minder interessant ist die natürliche Dampfgrotte Battaglias. In unmittelbarer Nähe
des obern Badeetablissements gelegen, bietet die mehr lange als breite, abwechslungsvolle
Grotte von der Höhe eines Zimmers ein prächtiges natürliches Dampfbad, wie es sich
angenehmer nicht gedacht werden kann. Die Temperatur in derselben beträgt ca. 37
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bis 47^ C. Ein glatter Fussboden und Sitzplätze machen den Aufenthalt fUr den nur
mit einem um die Hüften geschlungenem Tuch bekleideten Patienten zu einem sehr an¬
genehmen. Dicht neben der Grotte befinden sich die sehr behaglich ausgerüsteten Räume,
in die der Patient nach dem Benutzen der Grotte zum Ausruhen beordert wd. —
Herr Dr. Fezzolo^ der dortige Badearzt, der ebenso kundig in der richtigen Ver¬
wendung der Heilkräfte Battaglias ist wie unermüdlich thätig, dieselben wissenschaftlich
zu begründen, war so freundlich, mir sowohl über die naturwissenschaftlichen Verhält¬
nisse der ganzen Gegend als auch über die Verwendung der Thermen, des Fango und
der Dampfgrotte zu Heilzwecken den präcisesten Aufschluss zu geben.
Die Therme und der Fango einerseits und die natürliche Dampfgrotte anderseits zeigen
eine grosse Differenz in der Wirkung. So soll die Grotte ein specifisches Heilmittel
gegen Syphilis sein, welches Leiden durch eine vier- bis sechswochentliche Cur sicher geheilt
werde. — Der Fango dagegen wirke bei dieser Krankheit schädlich und sei deshalb seit
vielen Jahrzehnten direct als Kriterium für syphilitische Ursache einer Erkrankung ver¬
wendet worden.
Während, nach den Angaben von Dr. P., die Grotte specifisch wirkt bei con-
stitutioneller Syphilis, Mercurialismus, Neuralgien z. B.
Ischias und gewissen Hautleiden, bewirken der Fango und die Kochsalz¬
therme bei Rheuma t. articul. chronic, und auch in den hartnäckigsten
Fällen, sowie bei Gicht geradezu wunderbare und ausnahmslos sichere Erfolge. —
Ebenso wichtig sind Fango und Therme bei den Folgekrankheiten von gewissen Trau¬
men, besonders bei schmerzhaften verkürzenden Narben, ferner nach den Aussagen des
Herrn Dr. Pestalozzi vom gynäkol. Institute in Florenz auch bei Exsudaten des Uterus.
Die Therme allein wird ausserdem bei gewissen leichten Erkrankungen der Re¬
spirationsorgane zu Inhalationen bei leichten Fällen von chronischem Magen-
und Darmcatarrh zu Trinkeuren mit Vortheil verwendet. — Die Einrichtung für
obige Inhalationen in einem eigenen Raume, das mit einem dichten Nebel^ zerstäubten
Thermalwassers oomplet gefüllt wird, ist vorzüglich. Ebenso lassen die vorhandenen Bade-
und Doucheneinrichtungen, electrische Bäder etc., nichts zu wünschen übrig.
Ueberblicke ich in grossen Zügen die gesummten Eindrücke, die ich in Battaglia
empfangen habe, so gewinne ich dabei die Ueberzeugnng, dass die reichen Heilkräfte,
mit denen Mutter Natur die dortigen Thermen in* so verschwenderischer Weise ausge¬
stattet hat, von grösster Bedeutung für die leidende Menschheit sind und daher das leb¬
hafteste Interesse der medicinischen Welt beanspruchen dürfen. — Es ist für mich auch
zweifellos, dass Battaglia einer grossen Zukunft entgegengeht und im Laufe der Jahr¬
zehnte zu einem Weltbad ersten Ranges sich entwickeln wird. —
Den richtigen Impuls dazu hat der neue Besitzer der Bäder von Battaglia Herrn Alfred
Wiget von St. Gallen bereits gegeben. Seit seinem Antritte (Neujahr 1894) hat derselbe
Alles gethan, um sowohl die beiden Curhäuser, wie auch die Bäder, die Trinkqnellen,
die Grotte etc., den heutigen Anforderungen an Comfort, practischen Einrichtungen und
Reinlichkeit entsprechend einzurichten. Die beiden Curhäuser, wovon das eine, kleinere
oben in der Nähe der Grotte und des Schlosses und das andere grosse H6tel ca. 7^ Stunde
davon entfernt in der Nähe des Dorfes Battaglia liegt, können ca. 150 Personen auf¬
nehmen. Eine eingehende Besichtigung beider Hötels zeigte neben eleganten Salons und
Schlafzimmern auch bescheidene Zimmer für weniger gespickte Börsen — immer waren
dieselben aber hübsch, behaglich und von richtiger Grösse und Höhe.
Die Betten sind sehr gut, die Zimmereinrichtung bequem und elegant, die Aborte
mit neuestem Spühlsystem versehen. — In einer bequemen Halle im grossen Hötel, direct
auf den prachtvollen Garten führend, wird in den heissen Tagen getäfelt.
Eine eigene Curmnsik, der schöne Garten, die prächtigen ebenen Alleen, geben
auch dem Schwerkranken, der nur wenig sich bewegen darf, genügend Abwechslung und
Zerstreuung. Wer aber über einigermassen rüstige Glieder verfügt und Spaziergänge
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nnd Fahrten nicht zu scheuen braucht, der hat in der prachtvollen Gegend von Battaglia
genug Gelegenheit, wochenlang Tag für Tag eine neue, schöne, interessante Tour zu
unternehmen. Bürgt so die schöne Natur für die nöthige Zerstreuung und Unterhaltung
und schafft der italienische Himmel dazu die fröhliche Stimmung und die neu auf-
spriessende Lebenslust, so sorgt anderseits die Leitung des Etablissement auch für die
leiblichen Bedürfnisse des Menschen durch vorzügliche Verpflegung mit Küche und Keller,
sowie durch aufmerksame Bedienung.
Den guten Ruf, den im Durchschnitt die Schweizer Höteliers in Italien gewonnen,
wird Herr Wiget zu bewahren und zu erhöhen verstehen. —
Für den Emst, mit dem derselbe seine Aufgabe erfasst, spricht gewiss nicht zum
mindesten auch der Umstand, dass ein eigenes Absonderungshaus vollständig getrennt
von den andern Gebäuden für den Fall der Einschleppung einer contagiösen Krankheit
reservirt wurde.
Ein drittes Hötel für einfachere Ansprüche — immer aber gut und sauber — wird
diesen Sommer noch in Betrieb gesetzt werden und ist Herr Wiget bereits mit weiteren
grossen Plänen betreffs Ausdehnung seiner Etablissemente beschäftigt.
Der Battaglia-Fango wird in Zukunft auch in schweizerischen Cnrorten zu Curen
erhältlich sein. Herr Wiget ist im Begriffe, den Fango in richtigem feuchtem Zustande
überall auch im Auslände einzuführen und an den wichtigsten Orten Döpöts davon zu
errichten.
Die Spitäler in Mailand, Brescia, Verona, Padua und Venedig benützen den expor-
tirten Fango bereits. Auch Tarasp-^huls, Rheinfelden und andere haben denselben
erhalten.
Die Anwendung des Fango geschieht in folgender Weise: Der in nassem Zustande
befindliche Schlamm von der Gonsisteuz einer weichen Butter wird heiss bis warm direct
auf die leidenden Körpertheile etwa 2—3 cm dick aufgetragen, mit einem Tuche über¬
deckt und dann der ganze Körper in wollene Decken oder Gummistoff eingehüllt. Die
Temperatur des aufgelegten Teiges muss je nach dem Leiden vom Arzte bestimmt werden
und schwankt zwischen 35^ C. (z. B. bei Neuralgien) und 50^ 0. (z. B. bei Rheuma¬
tismus). Die Empfindung eines Hitzegefühles bei der Application eines Umschlages dauert
nur kurz und bald bricht am ganzen Körper (auch an der bedeckten, leidenden Stelle)
ein kräftiger Schweiss aus, der während der ganzen Zeit der Application (ca. 20—30
Minuten) anhält, ln der Regel wird nachher ein 28^ R. warmes Bad genommen, oder
falls die leidende Stelle nur klein ist, dieselbe mit warmem Wasser abgewaschen. Eine
halbstündige Ruhepause im Bette vollendet die Procedur mit dem Fango.
Hausmann (St. Gallen).
ooläeii.1>e]rioli t«
Schweiz.
ZIrieh : Bacteriologischer Ours. Beginn 1. October 2 Uhr Nachmittags.
Dauer 4 Wochen. Anmeldung an den Cursleiter, Dr. Silberschmidt^ Assistent am hygiei-
nischen Institut.
Ausland.
— Zar Pathelefle nnd Therapie der Blntnng^en nnmitteibar nach der Gehnrt«
In Ergänzung nnd znm Theil entgegen den von J, Veit im 28. Bande der Zeitschrift
für Gebnrtshülfe und Gynäcologie veröffentlichten Grundsätzen für die Behandlung von
post partum Blutungen formulirt FMing seine therapeutischen Rathschläge folgender-
massen (Deutsche med. Wochenschr. 1894, Nr. 23):
In erster Linie halte ich mit Veit für sehr wichtig, bei einer Blutung in der Nach¬
geburtszeit sofort die Unterscheidung zwi^hen Riss- und atonischer Blutung vorzunehmen.
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Hat man in zweifelhaften Fällen durch Reiben des Uterus gute Zusammenziehung an¬
geregt, so ist der beste Zeitpunkt zur Entscheidung unmittelbar nach Ablauf einer Wehe.
Bei Atonie wird das Blut in dem eben erschlaffenden Uterus sich ansammeln, bei Riss¬
blutungen spritzt oder quillt dasselbe anhaltend heraus. Nach dem Verlauf der Geburt
kann man oft schon den Schluss machen, wo der Riss sitzt. Bei spontaner und Zangen¬
geburt entstehen eher Ynlvar- und Yaginalrisse, während nach Wendung und Steiss-
extraction die Möglichkeit eines Cervixrisses vorliegt. Die Cervixrisse sind, wie die
klinische Beobachtung lehrt, lange nicht so häufig, als vielfach angenommen wird; erhebt
man zur Regel, nach jeder operativen Geburt die Yaginalportion herab- und die
Lippen auseinanderzuziohen, so ist klar, dass die dilatirten Gefasse zu bluten anfangen
werden, dass man also scheinbar viel öfter eine Rissblutung hat, als der Wirklichkeit
entspricht.
Dass blutende Ynlvar- und Yaginalrisse durch Catgntnaht geschlossen werden, ist
selbstverständlich; dasselbe gilt für blutende Cervixrisse, falls der Arzt genügend Assi¬
stenz und Uebung hat. Ist letzteres nicht der Fall, so ist eine vorgängige Jodoformgaze¬
tamponade vorznziehen, bis Alles zur Stelle ist.
Eine schwere Verantwortung gegenüber dem Practiker ladet sich Veit durch den
Satz auf, dass wer nur die Ueberzeugung habe, eine Plaoenta durch Druck herausbefor-
dern zu können, dies erreichen könne. Man kann dies aber weder sich noch dem Uterus
snggeriren. Wichtig ist in jedem Fall, wenn die Expression misslungen ist, dieselbe
noch einmal in Narcose zu versuchen, ehe man znr Lösung schreitet; es gelang mir dies
manchmal noch, wo die Assistenten nicht zum Ziele kamen. Aber die „Ueberzeugung"
hilft da nichts, wir stehen vor der nackten Thatsache, dass es Fälle gibt, wo die Placenta
einfach dem Druck nicht folgt, weil nicht seiten ein Lappen in einer Tnbenecke stärker
adhärent ist; ausserdem gibt es Fälle, besonders bei Adipositas, bei sehr grosser Placenta,
ungeberdigem Wesen der Entbundenen, wo der Uterus zur Expression sich nicht ge¬
nügend umfassen lässt. Wartet der Arzt hier zu lange, im Vertrauen auf den Satz von
Veit^ dass man nie wegen Blutung vor Ausstossnng der Placenta nöthig habe, dieselbe
zu lösen, dann wird manch’ eine Patientin an Verblutung zu Grunde gehen.
Natürlich soll hier der Arzt so lange als irgend thunlich zuwarten; er soll ener¬
gisch den Uterus massiren, was heutzutage eben leider die Wenigsten mehr können, weil
an fast allen Kliniken exspectativ verfahren wird, wenn aber die Symptome beängstigend
werden, dann muss die Placenta gelöst werden; nach exacter Desinfection der Vulva,
Ausreiben von Vagina und Cervix mit einprocentigem Lysol ist — strenge Handdesinfection
vorausgesetzt — die Gefahr der Placentarlösung keine grosse, wie die Resultate meiner
Klinik zeigen.
Der in der Arbeit VeiV^ gefährlichste und am meisten zu bekämpfende Satz ist
der, Placentarreste im Uterus zu belassen und abzuwarten, bis gefahrdrohende Blutung
eintrete. In den höchst unangenehmen Fällen allerdings, wo der Arzt zweifelhaft ist,
ob die Placenta vollständig ist oder nicht, da rathe ich, abzuwarten und nur bei ato-
nischer Blutung einzugehen. Ist aber von vornherein klar, dass ein Lappen der Placenta
fehlt, so warte man nicht, bis es blutet oder bis sich der Cervix schliesst, sondern man
entferne das Fehlende nach den angegebenen Regeln sofort. Der Eingriff ist so weit
ungefährlicher, als wenn man ihn bei ausgebluteter Frau unternehmen muss oder wenn
schon Intoxications- oder Infeotionserscheinungen da sind.
Macht man dann zum Schluss eine heisse deeinficirende Ausspülung (50^ C.), so
ist eine solche der Vagina zwecklos; die Einführung des Rohres mittelst zweier Finger
über das Os internum ist leicht zu machen und bringt bei Vermeidung von Lufteintritt
und richtigem Durchfluss kaum je Gefahr.
Ich schliesse damit, der Arzt vermeide in der Nachgeburtszeit möglichst, in den
Uterus einzugehen; ist es aber durch Atonie oder Adhärenz der Placenta geboten, so
darf er den Eingriff ruhig machen, wenn er sich die Zeit zu genügender Desinfection
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nimmt, was ja nach Fürbrmger in fünf Minuten geschehen kann, und wenn er ror Aus*
f&hrung intrauteriner Eingriffe den Genitalschlauch zweckentsprechend reinigt.
— Baubäschek (Karolinenthal) empfiehlt (Therapeut. Monatshefte 1894, Nr. 4)
folgende Behandinigf des KeichhnsteBS« Man führe ein mit Sublimatlosung (100,0 Aq.
dest.: 0,1 Hydrg. bichlor. corr.) gehörig durchtränktes Wattebäuschchen oder Pinsel in
den Rachen, drücke es gegen den hinteren Zungengrnnd, so dass die Flüssigkeit den
Kehldeckel und die benachbarte Schleimhaut ordentlich benetze, und im Herausziehen
bestreiche man die Mandeln, das Zäpfchen und den weichen Gaumen, wenn möglich in
einer Sitzung. Diese Auswaschung genügt in schweren Fällen ein Mid täglich, in leich¬
teren jeden zweiten Tag. Die Besserung trat meist am 2.—3. Tage auf. In 8—14
Tagen war Heilung oder mindestens wesentliche Besserung erzielt.
— PUdallu (Paris) empfiehlt folgende Behudlngf der Raeheidiphtherle ud
des Kehlkepfcreips« Rp. Sirupi simpl. 100,00, Kal. jodati 5,00, Hjdrarg. bijodat.
rub. 0,05.
Von diesem Sirup nehmen die Kinder je imch Alter alle zwei Stunden einen Caffee-
bis einen Dessertlöffel voll. Kindern yon yier bis sechs Jahren hat PUdallu in sechs oder
acht Tagen bis 300 gr von diesem Sirup nehmen lassen. Einige Stunden nach Beginn
dieser Medication treten schon die Zeichen der Ausscheidung durch die Schleimhäute auf,
die wohlbekannten Zeichen des Jodismus: Schnupfen, Speichelfluss etc. Diese Erscheinungen
sind manchmal so ausgesprochen, dass das Kind förmlich geifert; dann muss die Dose
yermindert, jedoch stets ein Zustand yon Sättigung des Körpers mit Jod erhalten werden.
Der Zweck dieser Methode ist, dass der Kranke in Mund und Hals gewissermassen ein
ständiges antiseptisches Gargarisma habe.
— Acidum cinnamylicum (Zimmtsänre) wurde yon Länderer füfM LipiS em¬
pfohlen. Rp. Acid. cinnamyl., Cocain, muriatici ana 1,0, Spir. yini 18,0. S. In jedes
Knötchen 1—2 Tropfen einznspritzen.
— Ewald (Berlin) benützt seit Jahren als einfachstes und — weil ohne Eigeoklang
und also nicht mitklingend — zweckmässigstes Plessimeter ein Stück gewöhnlichen,
weichen Radiergummis, wie er in jedem Laden erhältlich ist. Derselbe schmiegt
sich auch Unebenheiten (Intercostalräume, Schlüsselbeingruben etc.) sehr gut an.
— Zir Verhlltonf von Jedismis empfiehlt folgende Formel bei der Dar¬
reichung yonJodkali: Rp. Kali jodat. 30,0; ferri citrici ammoniati 4,0; T£ nucis yomic.
8,0; Aq. destill. 30,0; T® chinee q. s. ad 120,0. D. S. Ein Kaffeelöffel yoll in 7« öla«
Wasser nach dem Essen. Das citronensaure Eisen, sowie die Tinct. nuc. yomic. sollen
die Tendenz zur Koryza bekämpfen und gleichzeitig als Tonica wirken.
(M6d. mod. Nr. 49.)
— Gegen Dysphagie bei Laryntaberealese : Rp. Cocain, hydrochlor. 0,6; Acid.
boric. 0,25; Glycerini 9,0; Aq. destill. q. s. ad 30,0. M. D. S. So oft als nöthig,
Rachen und Kehlkopfeingang mit der Lösung zu betupfen.
— Bei Gelegenheit der geplanten Umgestaltug der medlelnisehea PrMmgea
im Deutschen Reiche wurden yon auswärtigen Regierungen Gesuche um grundsätzliche
Gleichstellung des medicinischen Studiums an nicht deutschen Uniyersitäten eingereicht.
Dieselben sind dem Vernehmen nach ablehnend beschieden worden. Hingegen dürfte
einzelnen Anträgen um Anrechnung des medicinischen Studiums an auswärtigen, nament¬
lich schweizerischen Uniyersitäten, wie bisher, auch in Zukunft ohne Weiteres entsprochen
werden. (D. med. W. Nr. 27.)
Briefkasten«
Dr. Wys8f Laufen; Dr. Mory, Thun: Versäumtes kommt bald.
Schweighanseriiche Buchdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
t
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COßRESPONDMZ-BUTT
Erscheint am 1. und 15.
jedes Monats.
Inserate
35 Cts. die gesp. Petitzeile.
för
Schweizer Aerzte.
Herausgegeben von
Preis des Jahrgangs
Fr. 12. — für die Schweiz,
Fr. 14.50 für das Ansland.
Alle Postbureanx nehmen
Bestellungen entgegen.
Dr. 'Em und I>r* Al. J’aqu.et
in Frauenfeld. in Basel.
N! 15. XXIV. Jahrg. 1894. 1. Aagnst
laluiltt n Originalarbaiten: Prot Dr. lUhbmi: Ueb«r F«tlembo1i«. — Prof. S, Zaekokkst üobor den daiiDfleirMideD
Werth Ton Waschmethoden. — Ouhl: Pldtolicher Erstiekoiigtiod durch Blutung in einem alten ^atenkropf. — 8) Vereine*
berichte: XLYII. Yereammlung dea hrutliehen CeetruWereTna. Geeellaeheft der Aerite in Zfirieb. — 8) Referate und
Kritiken: Dr. X>. Jacokaon: Lehrbuch der Ohrenheilkunde fSr Aerite und StndirendcL — Prof. Dr. Sd. Baaenback-Bmck-
kardt: Das Kinderepital in Baeel 1868—189S. — 4> Cantonale Correepond enieni Bern: f Dr./ nIiim Eduard Bomand.
— Offener Brief an Herrn Dr. Haffian Bad Nanbeim. — 5) Wochenbericht: Organieation der dentechen medidn. Pach-
preaee. — Saccharin gegen OuMa. — f Prof. Joaaph ByriL — Braatsmittel fftr Qnrgelwiaeer. •— SjphiUe in der Indiecben
Armee. — Oeihhr einee plötiUchen Todee. — Peetepidemie in China. — 6) Brl efkaeten. — 7) Bibliographieehee.
Orig’ina.l -w^lur1>el ten.
lieber Feitembolie:')
Von Prof. Dr. Bibbert in Zfirieh.
Im Verlaufe des letzten halben Jahres hatte ich Gelegenheit, mehrere Fftlle hoch¬
gradiger Fettembolie zu untersuchen, die geeignet erscheinen, unsere Kenntnisse dieses
so viel besprochenen Processes nach mehreren Richtungen zu ergänzen. Wir verstehen
unter Fettcmholie bekanntlich jenen Vorgang, bei welchem flüssiges Fett irgendwo in
den Kreislauf gelangt und sich in dem Gapillargebiet verschiedener Organe, vor Allem
der Lungen festsetzt. Das Fett stammt in den meisten Fällen ans dem Knochenmark,
in anderen ans dem ünterhaut- oder sonstigem Fettgewebe, selten ferner ans der
Leber, noch seltener aus dem Gehirn und ans fettig zerfallenen Thromben. Da an
allen diesen Stellen normal ein Uebergang von Fett in das Blut nicht vor sich geht,
so müssen abnorme Bedingungen gegeben sein, unter denen er stattfinden kann. Am
häufigsten sind es Traumen, seltener Entzündungen und Degenerationen, welche den
Eintritt des Fettes in den Kreislauf veranlassen. Bei den Knochen kommen meist
Fraoturen in Betracht, deren Wirkung um so mehr hervortritt, je ausgedehnter sie
sind und je stärker sie das Mark geschädigt haben. Wir dürfen annehmen, dass bei
jeder Fractnr Fett in den Kreislauf hineingelangt, sofern nur das Mark nicht frei
davon war. Ausser Knochenbrüchen kann dann in seltenen Fällen auch eine Osteo¬
myelitis Fettembolie bedingen. Bei dem snbcutanen und sonstigen Fettgewebe spielen
Quetschungen eine Rolle, so z. B. bei dem Beckenfettgewebe der Druck des kindlichen
Kopfes bei der Geburt. Aehnlicb sollen auch Eiterungen wirken können. Für den
') Vortrag an der Versammlung des ärztlichen Centralvereins am 2. Juni 1894 in Zürich.
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Uebertritt des Fettes aus der Leber in das Blut beschuldigt man Quetschungen und
Zerreissungen.
Selbstrerständlicb mössen in den in Betracht kommenden Geweben unter den
genannten Bedingungen an den Gef&ssen Oeffnungen entstehen, welche das Hineinge¬
langen von Fett ermöglichen. Am leichtesten verständlich ist das bei den Knochen,
einmal wegen der leichten Verletzbarkeit der dünnwandigen Gefässröhren und dann, weil
im Innern des starren Enochengewebes die Lumina sich leicht klaffend erhalten. Be¬
günstigend wirkt, wie F. Busch experimentell nachwies, eine Erhöhung des Druckes
innerhalb der MarkhOhle. Bei Fracturen macht sich in diesem Sinne die Blutung
geltend.
Wenn wir nun hier voraussetzen, dass das Fett djrect in die Blntbahn ge¬
langt, so haben wir damit zweifellos den wichstigsten und quantitativ ausschlag¬
gebenden Weg ins Auge gefasst. Das geht aus den Untersuchungen des eben
genannten Autors hervor, der aber allerdings auch nachwies, dass das Lymph-
geftsssystem ebenfalls vermittelnd eintreten kann. Aber schon wegen der eingeschal¬
teten Lymphdrflsen dürfte auf die Weise eine umfangreichere Fettembolie nicht zu
Stande kommen.
Die genannten Bedingungen, unter denen Fett in das Blut gelangt, scheinen mir
nun aber nicht unter allen Umständen ausreichend zur Erklärung. Ich secirte einen
63jährigen Mann, der auf der Strasse krank gefunden wurde und bald darauf starb.')
Als einzige nennenswerthe macroscppische Organverändernng fand ich in beiden Nieren
von der Oberfläche durch Binde und Mark bis zum Nierenbecken reichende eitrige
Herde, die von einer Entzündung des Nierenbeckens und der Harnblase abhängig
waren. Ausserdem constatirte ich hochgradiges Lungenoedera. Als ich die Nieren
microscopisch prüfte, flel mir in vielen Glomerulis eine Ausfüllung einzelner Schlingen
durch Fett auf. Darauf hin untersuchte ich auch die Lungen und stellte eine ausge¬
dehnte Fettembolie fest. Woher rührte diese? Am Enocbensystem fand sich keine
Fractur, die Nierenerkrankungen konnten aber die Quelle nicht bilden. Nun zeigte
sich über dem linken Trochanter eine handtellergrosse Epidermisabscbürfung und ober¬
flächliche Blutung in das Zellgewebe. Hier war wohl eine Quetschung gegeben, aber
der Mann war hochgradig abgemagert, die Subcutis enthielt nur noch Sparen von
Fett. Da nun aber doch irgend eine traumatische Einwirkung wahrscheinlich war, so
dachte ich daran, ob nicht durch einfache, heftige Erschütterungen der
Knochen ohne Fractur eine Fettembolie entstehen könne. Ich entschied diese Frage
experimentell dadurch, dass ich bei Kaninchen in der Narkose während 1—2 Minuten
eine Reihe kurzer Schläge mit einem hölzernen Instrument auf beide Tibi» ausführte,
da wo dieselben dicht unter der dünnen Haut hervortraten. Als dann bei den zu
Tode betäubten Thieren die Lungen untersucht wurden, ergab sich eine mässig hoch-
' gradige Fettembolie. Das Fett lag in den Gefässen in Gestalt von Tropfen, aber hier
und da füllte es auch mehrere zusammenliegende Capillaren auf eine längere Strecke
aus. Das Knochenmark der Tibi» zeigte keine macroscopiscbe Veränderung und einen
Fettgehalt mässigen Grades. Wenn so schon bei einem nicht besonders fetthaltigen
*) Die kliniechen Notizen zu den von mir nnterrachten Fällen verdanke ich Herrn Collegen
Krönlein, anf dessen .Station die Patienten sämmtlich behandelt worden.
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Marke eine LoslOsung von Fett durch Ersohfitterung möglich ist, dann kann dasselbe
gewiss noch viel leichter bei dem oft so ausserordentlich fettreichen, fast nur aus Fett
bestehenden Mark menschlicher Knochen, besonders älterer Leute verkommen. Ich
glaube hierin auch eine Erklärung zu finden ffir die so häufig angefShrte Beobachtung,
dass die Fettembolie oft weit hochgradiger ist, als es der Verletzung des Markes, z. B.
einer Fibula, entspricht. Man nimmt dann freilich meist an, dass das Fett zum
grossen Theile aus dem gleichzeitig verletzten ünterhautzellgewebe stamme. Aber es
liegt wohl noch näher daran zu denken, dass es aus dem nicht direct verletzten, aber
erschätterten Marke der fracturirten oder auch anderer Knochen herrährt. Denn wir
dürfen nicht vergessen, dass der Eintritt des Fettes aus dem ünterhantfettgewebe in
das Blut gewiss weit schwieriger ist, als im Knochen, da dort die Gefässe, wenn sie
angerissen sind, nicht klaffend bleiben, vielmehr, wenn der Blntanstritt ans ihnen auf-
hürt, zusammensinken. Der erhöhte Gewebsdruck konnte höchstens dazu dienen, die
Venen noch mehr zu comprimiren. So stellt denn auch Scriba die Herkunft des Fettes
aus dem Unterhautzellgewebe ganz in Frage. Für jene Fettembolie durch Knochen-
erschütterung lässt sich ein von Beyner beobachteter Fall anführen, in welchem ein
Streifschuss der Tibia ohne Knochenverletzung dieselbe herbeigeführt batte.
Verfolgen wir nun das Schicksal des in das Blut überge¬
tretenen Fettes. Es wird, da es fast ausschliesslich in kleinere und grossere
Venen hineingelangt, zunächst, welches auch seine Quelle sein mag, in die Gefässe
der Lunge hineingetrieben, wo es sich seiner grössten Menge nach festsetzt. Jedoch
tritt ein Tbeil durch die Lungencapillaren hindurch und bleibt erst im Gehirn, in der
Niere, im Herzmuskel und anderen Organen stecken. Wenn wir nun Zusehen, welche
Veränderungen es hier hervorruft, so setzen wir voraus, dass es frei von infectiOsen
Eigenschaften ist.
In der Lunge verstopft es die Gapillaren, aber auch kleinere und grossere
Arterien, vor Allem wohl dann, wenn der Blutdruck zu gering ist, um das Fett in
die Gapillaren hinein- und durch dieselben bindurchznpressen. Nur bei grossen Fett¬
mengen finden wir umfangreichere Gefiissgebiete in allen ihren Theilen verstopft, meist
sind nur kürzere Strecken durch Fett verlegt und, da es im Blut entweder nur in
kleinen Tropfen circulirt oder bei dem Anprall an Theilnngsstellen der Gefässe in
solche zerlegt wird, so ist die Ausfüllung meist keine continuirliche, sondern sie ist
bedingt durch Tropfen und einzelne durch Blut von einander getrennte kürzere Fett-
cylinder. Bei reichlichem Fett und hohem Blutdruck kommt es aber auch zu ausser¬
ordentlich zierlichen Ausfüllungen ganzer Gapillarnetze. Besonders deutlich war das
bei einem jungen Manne, der durch einen mehrere Gentner schweren, ans grosserer
Hohe heratotürzenden Ballen niedergeworfen wurde und einen Bruch der linken Tibia
und Fibula erlitt. Er starb 2 Tage nach der Verletzung. Er zeigte die ausge¬
dehnteste und stärkste Fettembolie, die ich bis jetzt gesehen habe und die ich neben
der Fractur auf die Erschütterung des ganzen Knochensystems zurückführen mOcbte.
Es wäre selbstverständlich zur Beurtheilung .der Embolie nach ihrer Wirkung von
grossem Interesse, wenn man feststellen konnte, in welchem Umfange eine Verlegung
der Gefässbahnen der Lunge im einzelnen Falle stattgefunden hat. Aber das ist nur
sehr unvollkommen möglich, ln den hochgradigsten Fällen darf man annebmen, dass
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die Hälfte aller Capillaren verlegt ist. Zieht man aber noch in Betracht, dass durch
die Ausfällnng sehr zahlreicher Arterien noch grosse Gefässstrecken, die selbst nicht
embolisirt sind, ansgeschaltet werden, so kann man sagen, dass in manchen Fällen
weit mehr als die Hälfte aller Gefässbahnen der Lunge ausser Girculation gesetzt ist.
Das trifft dann natärlich auch fOr den Fall zu, dass nur oder vorwiegend Arterien
verstopft sind. Ich habe zwei Fälle der Art gesehen. Der eine betraf einen Mann,
dem bei einer Explosion der rechte Humerus zerschmettert wurde, der andere einen
Mann, der durch Ueberfahreuwerden zahlreiche Fracturen davongetragen hatte. Bei
beiden waren ausserordentlich zahlreiche und grosse Arterien verlegt, bei dem ersten
war aber auch entsprechend dem Umstande, dass eben das Fett nur wenig in und
durch die Capillaren gelangt war, das Stromgebiet der Aorta völlig frei davon, bei dem
zweiten war etwas Fett durch die Lunge hindurcbgetreten und hauptsächlich in das
Gehirn bineingetrieben worden. In den anderen Organen fanden sich nur Spuren davon.
Als Folgen der Embolie treten in den Lungen sehr häufig kleinere eccbymo*
tische Blutungen, selten umfangreiche Haemorrhagien ein, die zu inforktähnlichen
Herden fahren. Als eine weitere Folge hat man frfiber auch das Lungencsdem
betrachtet, bis experimentelle Untersuchungen ergaben, dass es bei Thieren nicht in
grösserem Umfange eintritt. Seitdem ist man mehr geneigt, das Oedem als eine
agonale Begleiterscheinung anzusehen. Es darf indessen sehr wohl die Frage aufge¬
worfen werden, ob der Schluss vom Thier auf den Menschen berechtigt ist und ob
nicht doch das Auftreten des Oedems durch die Fettembolie begfinstigt wird. In
meinen Fällen war es stets, meist hochgradig vorhanden.
In den Nieren setzt sich das Fett hauptsächlich in den Glomerulis fest, deren
Schlingen selten ganz, oft aber zum grössten Tbeil mit ihm ansgeföllt werden. Weitere
Veränderungen des Nierengewebes sind nicht beschrieben worden. Da aber die Ver¬
stopfung der Glomeruli die Girculation schädigt, so ist es gewiss nicht undenkbar,
dass dadurch pathologische Zustände bedingt sein können. Ich möchte wenigstens
eine deutliche fettige Degeneration der Tubuli contorti zweiter Ordnung, die nach
meinen Beobachtungen (Gentralblatt fär patholog. Anatomie 1892, pag. 353) stets
zuerst erkranken, in dem Falle des jungen Mannes auf diesen Zusammenhang beziehen.
Es fehlte im Uebrigen jede Veranlassung för dieselbe. Eine weitere Veränderung war
hier ferner in Gestalt einer Schwellung und leichten Ablösung des Glomerulns- und
Eapselepithels nachweisbar.
Besonders interessant ist das Verhalten des Gehirns. Wir wissen durch eine
Beobachtung von F. Busch, dass in ihm eccbymotische Blutungen auftreten
können. Ich habe den gleichen Befund unter 7 Fällen 3 Mal erhoben, er wäre da¬
nach also nicht so selten. Die erste merkwürdigste Beobachtung betraf eine alte Frau,
die an den Folgen zahlreicher Weichtheilverletznngen und Enochenbröche am vierten
Tage starb. Hier war die weisse Substanz dicht gesprenkelt durch zahllose bis steck¬
nadelkopfgrosse runde, meist mit centralem weissem Punkt versehene Blutungen. Die
Kinde war nur wenig betheiligt. Nach ungefährer Schätzung därfte etwa ein Drittel
des Markes durch die Hsemorrbagien eingenommen gewesen sein. Die microscopische
Untersuchung stellte fest, dass im Gentrum jeder einzelnen Blutung eine Fettembolie
vorhanden war, die eine oder mehrere Gapillaren ausföllte. Zwei weitere Fälle, der
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des jungen und der des dorch üeberfahren verletzten Mannes zeigten die Eccbymosen
vor Allem in der Decke und der parietalen Wand der Seiten Ventrikel, resp. der an*
grenzenden Gebirnsubstanz. Hier waren sie fast so zablreicb, wenn auch kleiner als
in jenem Falle. In dem Qbrigen Gebirn waren sie weniger reicblicb und zum Theil
nur punktförmig, immerbin aber erschien auch hier die weisse Substanz gesprenkelt,
während die Rinde nur einzelne Pfinktchen aufwies.
Von grosser Wichtigkeit sind ferner Veränderungen des M y o c a r d. F. Busch
fbnd in seinem Falle zahlreiche schon macroscopisch sichtbare träbe Fleckchen der
Herzmnskulatur, die durch fettige Degeneration der letzteren veranlasst
waren. Als Ursache dieser Entartung Hess sich jedes Mal ein Verschluss von Gefässen
im Bereich des entarteten Bezirkes feststellen. Von anderer Seite ist ein solcher Be*
fund nicht wieder erhoben worden. Um so bemerkenswerther ist es, dass ich unter
7 Fällen zwei Mal dieselbe Beobachtung gemacht habe. Das erste Mal war es jene
alte Frau, deren Herzmuskel, zumal unter dem Endocard des rechten Ventrikels, viele
träbe unregelmässige bis stecknadelkopfgrosse Flecke enthielt, die ich unter dem
Microscop auf fettige Degeneration zurückfQhren' konnte. Auch hier war dieselbe
durch ausgedehnte Fettembolie in die Gapillaren der degenerirten Theile veranlasst.
Niemals sah ich Fettentartnng ohne Fettembolie, so dass an dem causalen Zusammen¬
hang nicht zu zweifeln ist. Ganz ähnliche Befunde bot das Herz des jungen Mannes,
nur kamen hier noch einige Besonderheiten hinzu. Erstens waren die Fleckchen
fettiger Degeneration noch weit zahlreicher und meist auch kleiner als dort, stets an
Fettembolie gebunden und zum grossen Theil auch noch durch centrale Ecchymosirung
ausgezeichnet, so dass macroscopisch ein oft nur punktförmiges, häufig aber auch
grosseres Blutfleckchen von einem träben Saum rings uingeben wurde. Zweitens zeigte
die fettige Degeneration, zumal in der Wand des linken Ventrikels, vielfach eine
eigenthömlicbe Anordnung. Sie trat nämlich subepicardial auf in Gestalt von parallelen
bandförmigen Streifen, die quer zum Muskelverlauf gerichtet, in unregelmässiger Weise
zackig begrenzt und ein bis mehrere Centimeter lang waren. Dazwischen lagen dann,
natfirlich ebenfalls zackig begrenzte, Bänder nicht degenerirter Muskulatur. Ich er¬
wähne diesen Befund wegen der Frage nach den Ursachen des flecki¬
gen Auftretens der fettigen Degeneration des Herzens. Ich
will hierauf mit einigen Worten eingehen. Die beschriebenen Befnnde lehren zunächst,
dass die in kleinen Bezirken durch die Fettembolie bewirkte OirculationsstOrung es ist,
welche die Fettentartung hervorruft. Sollte etwas Aehnliches auch bei der sonstigen
fleckigen fettigen Degeneration in Betracht kommen? Embolische oder thrombotische
Vorgänge spielen dort meist keine Rolle, dagegen kommen Ansmien, infectiOse Ver¬
giftungen und die Folgen der Hypertrophien in Betracht. Fär die Wirkung infectiOser
Gifte habe ich bei meinen Untersuchungen über den Stapbylococcns pyogenes anreus
dn vortreffliches Beispiel erhalten. Die Injection von abgetOdteten Culturen rief die
zierlichste fleckige fettige Entartung hervor. In welcher Weise kann in allen diesen
Fällen die Gircnlation von Bedeutung sein? Es ist mir nun schon lange anfgefallen,
dass an fest contrahirten normalen Herzen die Muskulatur keine gleichmässige Farbe
bat, sondern dass quer zum Verlauf derselben, besonders deutlich meist in der Wand
des linken Ventrikels, blässere, zackige Streifen parallel neben einander hinziehen und
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etwa die Hälfte der Muskulatur betheiligen. Es ist das der Ausdruck eines ungleich-
mässigen Blntgebaltes; es wechseln also besser und schlechter injicirte Abschnitte mit
einander ab. Wir dürfen darin den Ausdruck einer gleichsam wellenförmigen Gon*
traction der Muskulatur sehen, durch welche die Gapillaren abwechselnd stärker oder
schwächer comprimirt und entleert werden und dürfen annehmen, dass die Erscheinung
bei jeder Contraction des Herzens an derselben Stelle wiederkehrt. Ist das aber richtig,
so stehen die blassen Stellen, wenn die genannten und andere pathologische Momente
zur Wirkung gelangen, ausser unter dem Einfluss der allgemeinen Erkrankung auch
unter dem der schlechteren Ernährung und nun degeneriren sie. In manchen Fällen
mag auch die immer wiederkehrende Ansemie allein ausreicben. Dass daraus meist
keine Streifen fettiger Degeneration, sondern nur zackige Flecken resultiren, liegt
daran, dass nur in den mittleren Theilen der blassen Abschnitte und zwar nur der
breitesten Stellen derselben die Verhältnisse für die Degeneration am günstigsten liegen.
Unser zweiter Fall lehrt aber, dass auch genau im Bereich der blassen Bänder die
Degeneration eintreten kann und so sehe ich in ihm eine Stütze meiner eben entwickelten
Anschauung.
Die Veränderungen anderer Organe durch die Fettembolie können hier über*
gangen werden.
Wir fragen nun ferner, was aus dem embolisirten Fette wird.
Wir wissen, dass es nach einiger Zeit verschwindet, aber nicht sicher, wie das geschieht.
Scriba hat angenommen, dass es hauptsächlich durch die Nieren aasge¬
schieden würde. Er konnte in vielen Fällen am Lebenden Fett im Harn
naohweisen and experimentell beim Frosch den üebertritt des Fettes in den Ham be¬
obachten. Er schloss auch auf Qrund hier nicht näher zu besprechender Versuche,
dass der Austritt durch die Glomeruli vor sich gehe. Ich kann aber einen Zweifel
nicht unterdrücken, ob wirklich eine Ausscheidung zu Stande kommt, die zur Elimi¬
nation des Fettes aus dem Körper führt. Wäre das der Fall, so sollte man es micro-
scopisch in hochgradigen Fällen auch nacbweisen können. Das ist mir nun aber niemals
gelungen. Ich habe bei ausgesprochener Fettembolie der Glomeruli niemals Fett in
den Kapseln oder den Harnkanälchen gefunden und auch bei einem Kaninchen, dem
ich nach einer eigenen Methode sämmtliche Glomeruli dicht mit Fett füllte, eine halbe
Stunde nach der Injection noch keine Spur davon aastreten sehen. Ich bezweifle aber
nicht, dass, wenn nach langer Dauer der Ansmie die Wandung der Glomerolus-
capillaren leidet und einreisst, oder wenn primär, wie im Gehirn, Blutungen erfolgen,
Fett aastreten kann. Dagegen möchte ich eine Secretion nach Analogie des Durch¬
trittes von Eiweiss und Wasser in Frage stellen.
Wir kommen schliesslich zur Bedeutung der Fettembolie für den
Kranken.
Dass eine hochgradige Fettembolie tOdtlich wirken kann, ist selbstverständlicb
und experimentell erwiesen. Scriba hat berechnet, wie viel Fett zu diesem letalen
Ansgang erforderlich ist und gefunden, dass die dreifache Mengen des im Oberschenkel
eines Thieres enthaltenen Fettes bei langsamer Injection in die Venen aasreicht, dass
aber bei rascher Einspritzung auch geringere Mengen genügen. Solche grosse Fett¬
mengen werden beim Menschen verhäitnissmässig selten, vielleicht niemals in Betracht
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kommen, gewiss aber nur dann, wenn neben der Fractur, die doch meist nur kleine
Markabscbnitte direct trifft, noch die oben besprochene Erschütterung in Betracht
kommt. Beim Menschen sind denn auch Todesftlle, die nur auf Fettembolie zu be¬
ziehen sind, nicht zahlreich. Mech konnte neuerdings 15 Fülle zusammenstellen, in
denen andere Todesursachen auszuschliessen waren.
Wie wirkt nun in einem solchen Falle das Fett? Fassen wir zunächst die
Lunge ins Auge, so wird eine Verstopfung des grüssten 'Theiles der Lungengef&sse
die Gircnlation so schädigen können, dass der Tod eintritt. Besonders instructiv war
mir der oben erwähnte Fall des Mannes mit der Zerschmetterung des Humerus. Hier
waren die meisten Arterien der Lungen mit Fett ausgeföllt, über die Lungen hinaus
aber war gar kein Fett gelangt. Dagegen fand sich nun noch im rechten Vorhof
etwas Eigenthümliches. Derselbe wurde ausgefüllt durch eine Gruormasse, die rings
von einer 1—2 mm dicken Schicht erstarrten Fettes eingehüllt war. Das gerinnende
Blut hatte wohl das in ihm enthaltene Fett nach allen Seiten heransgepresst. In
diesem Falle war eine andere Erklärung nicht möglich, als dass die ungeheure Menge
des Fettes den tödtlichen Ausgang yerschuldet hatte. Der Mann, der sich anfänglich
wohl fühlte, war unter mehrstündigem Goma und zunehmender Herzschwäche gestorben.
In zweiter Linie kommt das Gehirn in Frage. Scriba hat gemeint, dass alle
Todesfälle bei Fettembolie vom Gentralnervensystem aus erfolgten. Das geht nun ge¬
wiss zu weit, wie z. B. in dem eben besprochenen Falle, in welchem das Gehirn frei
von Fett war. Man darf aber nicht vergessen, dass natürlich eine auf ein geringes
Maass herabgesetzte Durchgängigkeit. der Lunge eine tödtliche Ansemie des Gehirns
zur Folge haben kann. Gewiss kann indessen auch die Gehirnembolie selbst den
letalen Ausgang herbeiführen. Wenn solche ausgedehnten Blutungen, wie sie oben
beschrieben wurden, vorliegen, so dürften sie wohl schon für sich allein genügen, den
Tod herbeiznführen.
Endlich ist noch das Herz zu berücksichtigen. Man hat wohl geglaubt, dass
die Zunahme der Blutmenge durch das hineingelangte Fett so beträchtlich sein könnte,
dass der rechte Ventrikel den vermehrten Anforderungen nicht ’ genügen könne und
daher erlahmen müsse. Aber das ist doch nur theoretisch construirt. Denn so grosse
Mengen spielen wohl bei dem Menschen überhaupt keine Bolle und jedenfalls kommen
sie nicht auf ein Mal, sondern so allmählich in den Kreislauf, dass das Herz sich an¬
passen kann. Dagegen sind die besprochenen Degenerationen gewiss von Bedeutung.
Ob sie freilich für sich allein tödtlich wirken können, ist fraglich, da sie nur mit
Embolien der Lungen und des Gehirns zugleich Vorkommen. Aus dem gleichen Grunde
sind auch die Folgen der Veränderungen dieser beiden Organe schwer zu beurtheilen.
So viel dürfen wir aber jedenfalls sagen, dass die Erkrankungen von Lunge, Gehirn
und Myocard vielleicht schon jede für sich allein, sicherlich aber mit einander com-
binirt den Tod herbeifflhren können. Aber bei hochgradiger Fettembolie kann zweifellos
der letale Ansgang schon eintreten, ehe die erörterten Folgezustände am Gehirn und
Herzen sich eingestellt haben.
Will man aber, abgesehen von diesen Fällen stärkster Embolie, die Wirkung
des Fettes benrtbeilen, so darf man sich gewiss nicht zu sehr auf das Thierexperiment
stützen. Denn wenn ein bestimmter Grad von Fettembolie ein Thier tödtet, eine etwas
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geringere Menge aber anscheinend keine ernste Störung bedingt, so kann das bei dem
Menschen eben anders sein. Zu Experimenten benutzt man ja gesunde Thiere, bei den
Menschen aber bestehen sehr oft Complicationen durch bereits vorhandene Er¬
krankungen z. E. des Herzens, durch die Wirkungen des Shoks, durch stärkere Blu¬
tungen und oft auch durch gleichzeitige Infectionen. Unter solchen Umständen werden
Fettmengen, die ein gesunder Mensch ohne Schaden ertragen wärde, zweifellos deletäre
Wirkung haben können und unter Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes wird man
der Fettembolie grössere Bedeutung beilegen müssen, als man es im Allgemeinen zu
thun geneigt ist.
lieber den desinficirenden Werth von Waschmethoden.
(Vortrag in der Gesellschaft für wissenschaftliche Gesundheitspflege im November 1893)
von Prof. E. Zschokke in Zürich.
Durch die Choleraausbrüche in verschiedenen Städten Europas haben sich nicht
nur die Behörden von Staaten und Gemeinden veranlasst gefunden, ihre Aufmerksam¬
keit mehr als sonst der hygienischen Seite des Volkslebens znzuwenden und Unter¬
suchungen und Vorbauungsmassregeln zu veranstalten, sondern auch Private, namentlich
Kreise, welche einer Infection in erhöhtem Maasse exponirt sind, waren thunlichst be¬
strebt, eine von dieser Seite drohende Gefahr fern zu halten. Hieher sind besonders
die Vorsteher von Hötels und von Waschanstalten zu nennen und sind es namentlich
die letztgenannten Institute, welche mit Recht verdienen, auch von Behörden speciell
überwacht zu werden; denn es unterliegt keinem Zweifel, dass das Waschpersoual
durch inficirte Wäsche aussergewöhnlich einer Ansteckung ausgesetzt ist und dass aber
auch Wäsche, welche von eventuell anhaftenden lebenden Krankheitskeimen nicht voll¬
ständig befreit worden ist, andere Wäsche und damit auch Personen inflciren kann.
Dass dabei vorab die Hötels, aber schliesslich auch das gesammte Publikum sehr
interessirt sind und dass man berechtigt ist, nicht nur , saubere, weisse", sondern eben
auch desinflcirte Wäsche zu verlangen, liegt klar auf der Hand.
Das war denn auch das Motiv, warum die gut freqnentirte Waschanstalt T. in
Zürich II die Wirkung ihrer Waschverfahren mit Bezug auf Zerstörung von Micro-
organismen prüfen Hess, wodurch mir Gelegenheit geboten wurde, mich zugleich mit
den hier üblichen Wasch- und Kleider-Reinignngsmethoden überhaupt etwas vertraut
zu machen. Und da die angestellten Versuche von allgemeinem Werth sein dürften,
so mögen sie denn auch einem, für diese Frage sich interessirenden Leserkreise nicht
vorenthalten werden. Dagegen bat es allerdings nicht die Meinung, mit der nach¬
folgenden Darlegung irgend ein wissenschaftliches Novum erschliessen zu wollen. Viel¬
mehr wäre es möglich gewesen, die Resultate an Gand bisheriger Kenntnisse über die
biologischen Eigenschaften der Spaltpilze bei blosser Beobachtung des Waschverfahrens
a priori zu bestimmen. Allein heute begnügt man sich mit Recht nicht mehr mit
einer theoretischen Deduction, sondern man verlangt den exacten, durch Versuche er¬
härteten Beweis in derlei Fragen.
Was nun die Sache selbst betrifft, so beziehen sich die Untersuchungen nur auf
die Baumwollen- und Leinenwäsche, nicht aber auf das Waschen von
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Wollstoffen. Letztere ertragen bekanntlich keine hohen Temperaturen, werden daher
nur in lauwarmem (40") Wasser gewaschen und im üebrigen chemisch (mit Benzin)
gereinigt. Die Annahme ist gewiss berechtigt, dass dadurch keine Desinfection erreicht
wird, so sehr eine solche, namentlich bei Unterkleidern und Bettdecken, wfinschenswerth
erscheint.
Anders steht es mit dem Baumwolle* und Leinentuch und ist es hier wohl an*
gezeigt, vorgängig der Darstellung der eigentlichen Versuche, das Waschver-
fahren dieser Stoffe in der genannten Anstalt kurz zu skizzireu.
Im Allgemeinen schliesst es sich dem landäblichen Waschverfnhren an, doch
lassen sich drei verschiedene Methoden unterscheiden:
1. Das gewöhnliche Waschen mit Sechten (Bauchen), 2. das Schuell-
waschen und 3. das Schwenk- oder Spählwaschen.
Das gewöhnliche Waschen, entsprechend jener Form, wie sie unsere
Hausfrauen in der Regel practiciren, besteht im Einweichen (Eindrücken), dem Sechten,
dem Waschen in der Maschine, dem Entlabgen (Spfihlen), Brühen, Bläuen, Aus¬
schwingen, Trocknen eventuell Stärken und Mangen oder Glätten.
Das Einweichen der schmutzigen Wäsche vollzieht sich in Cementbassins
in gewöhnlichem kaltem Wasser, das, beiläufig bemerkt, aus dem See angepumpt wird.
Es dauert gewöhnlich 24 Stunden, wobei keine Erneuerung des Wassers stattfindet.
Von hier gelangt des Material zum Sechten, d. h. in grosse, reichlich 8 Kubik¬
meter haltende, über einen Meter hohe Gylinder aus Zinkblech, mit concavem Boden
und Abflussrohr und einem Blecbdeckel, der durch einen Wasser Verschluss das Ent¬
weichen von Wasserdampf verhütet. Hierhinein wird die Wäsche schichtweise ein¬
gelegt und nun während 4 Stunden gleichmässig durchtränkt mit einer siedend heissen
Soda-Kaliseifenlauge von 2" Baumd. Die aus einer Art Turbine in vielen Strahlen
ansfliessende Lauge fällt gleichmässig auf die 80—100 cm hohe Schicht Wäsche,
durchsickert sie, wird unten gesammelt, neuerdings (durch Dampf) erhitzt, anfgepumpt
um den Kreislauf noch einmal zu beginnen. Auf diese Art wird der ganze, oft
800 Kilo fassende, Inhalt imbibirt, zugleich auf über 90" erhitzt. Fettige Stoffe
werden hiebei vollständig gelöst und alle Unreinigkeiten anfgeweicht und gelockert.
Das eigentliche Waschen wird maschinell ansgeführt. Aus dem Secht-
apparat wird die Wäsche in Abtbeilungen von ca. 80 Kilo in einen grossen ver-
scbliessbaren Hohlcylinder von 2 m Länge und 90 cm Durchmesser gebracht. Diese
aus durchlöchertem Eisenblech bestehende Trommel steckt in einem zweiten Hohlcylinder,
der einige Centimeter absteht. Dieses quasi Futteral ist bestimmt, die abfliessende
Lauge aufzusaugen, damit sie wieder erhitzt und von neuem zugeleitet werden kann.
Das Waschen selbst, das manuell bekanntlich in einem Reiben und Knetten be¬
steht, vollzieht sich hier sehr einfach, indem durch schaukelartige Rotationen des Innern
Cylinders, dessen Inhalt, die Wäsche, hin und her geworfen und gleichzeitig von einem
constanten heissen Laugenregen berieselt wird.
Die erweichten oder gelösten Schmutzstoffe werden hiebei ansgeschwemmt und
entfernt. Ein 20—40 Minuten langes Waschen in diesem Apparat, der übrigens sein
Analogon in den sog. WascBkübeln der Frauen hat, genügt, um die Wäsche vollständig
zu reinigen.
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Von hier gelangt die )iVft 3 clie einige Minuten in kaltes fliessendes Wasser, behufs
Ausschwemmen der anhaftenden Lange, wobei zugleich eine Controle
äber die Vollständigkeit der Reinigung stattfindet.
Hernach wird die Wäsche zum gleichen Zweck nochmals in siedendem
Wasser gespfihlt und ist damit der eigentliche Beinigungsprocess vollendet.
Die Wäsche gelangt nun in den Blänetrog, woselbst sie einfach darchträ.nkt
wird mit einer schwachen Bläuelösung um nun in einer Gentrifuge ausge¬
schwungen, d. h. um 607« ihres Wassers befreit zu werden.
Das Trocknen geschieht, wenn immer möglich au der Sonne, daneben aber auch
in einem auf 50—70” C. erhitzten Trockenranm, welchem sie in der Regel nach
20 Minuten vollständig getrocknet wieder entnommen wird.
Die weiteren Proceduren, wie das Stärken (mit einer Amylum-Boraxlösnng),
sowie das Mangen (mittelst einer auf 100” erwärmten Walze) und das Glätten (mit
dem Bfigeleisen) sind punkto Reinigung und Desinfection belanglos.
Boi dem Schnellwaschen, bei welchem die Wäsche nach längstens
24 Stunden wieder im Besitz des Abgebers sein soll, findet eine Abkfirzung des Ver¬
fahrens in der Art statt, dass der Einweichungsprocess nur '/^—1 Stunde dauert, wobei
dem Einweichwasser Soda bis zur 2”/oo-Lösung zugesetzt wird. Von hier gelangt die
Wäsche direct in die Waschmaschine, welche allerdings in diesem Fall länger
(mindestens 40 Minuten) functionirt und von da hat sie alle weitern Phasen durch-
zumachen, wie die gewöhnliche Wäsche.
Das Schwenkwaschen (seit Durchführung dieser Untersuchung nunmehr
ahgeschafft, übrigens ausschliesslich von Hötels und Restaurants verlangt) besteht in
einem einfachen Spühlen der Wäsche in kaltem Wasser, sowie im Trocknen und
Mangen derselben. Selbstredend ist diese Waschart nur für sehr wenig beschmutzte
Wäsche anwendbar, indem sie thatsächlich kein Reinignngsprocess, sondern nur ein
erneutes Mangen und Ausglätten darstellt.
Die Untersuchungen, mit freundlichster Assistenz von Herrn Dr. QaXli von Mai¬
land ausgeführt, wurden nun in der Art vorgenommen, dass erstens die zur Ver¬
wendung kommenden Flüssigkeiten auf ihren Bacteriengebalt, eventuell auf ihre des-
inficirende Kraft im Allgemeinen geprüft wurden. Im Weitem aber wurde dann auch
jeder Act des Waschens für sich untersucht auf seine bactericide Wirkung.
Zum Zweck der Bestimmung der Bacterienmengen wurden, wo es nicht anders
ging, die Flüssigkeiten zuerst in sterilisirte Reagensgläser gefasst, sonst aber direct
von der Quelle weg verimpft.
Zur Aussaat gelangten 0,2 cbm derselben, welche mittelst einer, jeweilen ansge¬
glühten und in der Luft wieder abgekühlten Pippette abgemessen und sofort mit der
Gelatine gemengt wurden. Der Zeitraum von der Entnahme der Flüssigkeit his zur
Impfung betrug einmal 40 Minuten. Sonst aber erfolgte die Aussaat unmittelbar
nach dem Fassen der Flüssigkeitsproben, und wurden die Gelatineröhrchen behufs
schnellem Erhärten jeweilen sofort ins kalte Wasser gestellt.
Als Nährhoden benutzten wir die ifbc&’sche Fleischwasser-Peptongelatine, wie
solche hier im Gebrauch ist, nnd wurden die Platten theils in Schalen, theils in
J^ricnmeyer’schen Kolben, thoils in den üofA'schen Flacons dargestellt.
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Das zahlen der Gulturen erfolgte regelmässig nach 24 und 48 Stunden. Nach
dieser Zeit waren die Gulturen sicht* und noch einzeln unterscheidbar, wenigstens mit
der Lupe. Die Zimmertemperatur betrug immer 20—28** G.
Wo es die Anzahl erlaubte, wurden alle Golonien einer Platte grzählt. Allein
wo die Keime zu zahlreich waren, stellten wir je die Anzahl einer bestimmten
Fläche (z. B. eines Quadratmillimeters, der in einem Papier ausgeschnitten war)
an verschiedenen Stellen der Platte fest und berechneten daraus die aproximative Ge*
sammtzahl.
Die Qualität der Keime festzustellen erwies sich als ein nutzloses Unterfangen,
da sich alle möglichen Formen vorfanden und wurde denn auch nicht weiter auf ihre
Pathogenität geprfift.
Zur Untersuchung des entwicklungshemmenden Einflusses der verschiedenen
Waschvorgänge wurden 1 cm breite und 7 cm lange Baumwolltuchstreifen verwendet.
Dieselben wurden nummerirt und theils steriüsirt, theils inflcirt mit einem leicht
wieder erkennbaren Pilz.
Selbstverständlich konnte keine dem Menschen allenfalls gefährliche Pilzart hiezu
verwendet werden, immerhin auch kein Sapropbyt, sondern wir benutzten einen, beim
Kalbe pathogenen Bacillus. Versuche mit dem eigentlichen und besten Testobject,
den Antbraxsporen, wagten wir ebenfalls nicht direct anznwenden, sondern wir be¬
schränkten uns mit diesbezQgliehen Experimenten auf das Laboratorium.
Es wurde jeder Waschprocess für sich untersucht.
Die Besultate sind folgende: ‘)
1. Das See wasser*) enthielt: a) Beim Eintritt in das Reservoir durchschnitt¬
lich 52 Keime; b) Im Reservoir, d. h. bei den Wasserhahnen 2500 Keime.
2. ZwOlfstflndiges Einweicbwasser enthielt: 1,729,800 — 2,543,200,
durchschnittlich 2,2 00,000 Keime, worunter auffallend viel gasbildende.
3) Das Sechtwasser in der Gelte war kei m 1 os; vom Abflnsshabn ge¬
wonnen enthielt es 8 Keime — offenbar durch Verunreinigung des Hahns.
4) Die Lauge der Waschmaschine, sowie das heisse Spfihlwasser er¬
wiesen sich in allen Proben als k e i m 1 o s.
5) Die Bläne enthielt 5 200 und bei der Untersuchnng vom 18. August
3 5,5 0 0 Keime.
6) Das Gentrifngenabwasser zeigte 3150 bis 1 8,0 0 0 Keime.
Entsprechend diesen Befunden gestalteten sich denn auch die Resultate der
eigentlichen Wascbproben.
Von den obbeschriebenen Tuchstreifen wurden jeweilen 4 Stflck ein und derselben
Waschprocedur unterworfen und hernach je ein 1 cm* grosses Stflck davon in ver-
flflssigte Gelatine gebracht und darin eine Zeit lang bewegt. Hier handelte es sich
*) Die Zahl der notirten Keime bezieht eich stete anf 1 cm* der Flüssigkeit. Die verschie¬
denen Proben worden am 6. and 10. Jnli and am 18. Angnst 1893 gefasst.
*) Es ist hier za bemerken, dass die Proben an hellen heissen Tagen entnommen worden.
Das Seewasser wird etwa 40 Meter vom Land, in einer Tiefe von 5 Meter gefasst. Wasserproben,
welche am 18. Angnst, Vormittags 11 Uhr, 200 Meter vom Land, 10 cm nnter der Oberfläche ent¬
nommen worden, erwiesen sich merkwürdigerweise als absolnt k e i m 1 o s, trotzdem dasselbe nicht
bewegt and 22“ C. warm war.
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weniger die Zahl der Keime zu ermitteln, als fiberhaupt zu erfahren, ob bei dem
Waschact Pilze zerstört werden oder neu dazu kommen.
Da es nicht zu umgehen war, dass, namentlich beim Abspfihlen der Tuchstreifen
mit sterilisirtem Wasser (um den allenfalls wachstbumshemmenden Einfluss der anhaf¬
tenden Lange aufzuheben) hin und wieder neue Keime angeschwemmt wurden, so. sind
jene Resultate, wo sich nur vereinzelte Gulturen entwickelten, doch wohl nicht so auf¬
zufassen, dass die Desinfection nicht stattgefunden habe, sondern vielmehr als Folgen
nachträglicher Verunreinigungen anzusehen.
Die Resultate der verschiedenen Waschacte sind folgende:
Das Sechten. Die Tnchstäcke wurden 85 cm tief in die Wäsche gelegt und
3 Stunden gesechtet, abgespQhlt und in Gelatine eingebettet. Von den 6 angelegten
Proben blieben 4 steril; in einem RObrchen entwickelte sieh 1, in einem andern
2 Keime.
Es findet also beim Sechten eine vollständige Desinfection statt.
Die Waschmaschine. In dieselbe wurden in 3 Versuchen zusammen
12 verschiedene, theils sterilisirte, theils inficirte Tuchstficke gelegt und mit der übrigen
Wäsche während 30—40 Minuten bearbeitet, abgespüblt und sofort in Gelatine ge¬
bracht. Sie erwiesen sich im Allgemeinen als sterilisirt, indem 3 Gläser ohne
Colonien blieben, auf 5 weitern bloss 1—1 und auf 3 je 8 solcher sich entwickelten. In
einem RObrchen mit vorher inficirten Streifen entwickelten sich allerdings noch 35 Keime,
indessen ist dieses Ergebniss ebenfalls nur auf eine Verünreinigung bei der Impfung
zurnckzuführen; denn Controlimpfungen mit gleichgrossen inficirten, aber ungewaschenen
Tuchstücken ergaben nicht nur 35, sondern unzählbare Keime.
Da die Desinfection in der Waschmaschine von grösstem Werth ist, indem z. B.
die Schnellwäsche einzig hier einen Reinigungsprocess erAhrt und nicht nur grosse
Mengen eigentlicher Schnellwäsche, sondern namentlich auch alle geArbten Stoffe
(Nastüoher etc.) nur diesen Wascbprocess durchmachen, so wurden auch Anthraxsporen
den gleichen Bedingungen ansgesetzt, um zu erfahren, ob auch bei sehr widerstands-
Abigen Keimen ein Absterben erfolge.
Gleiche Tuchstücke, vorher mit Anthraxsporenaufschwemmung durchtränkt,
wurden in verschiedene Reagensgläser gebracht, welche mit der in der Waschmaschine
verwendeten Lange gefällt waren. Dieselben wurden nun im Wasserdampf erhitzt und
nachdem eine Temperatur von 60, 70, 80, 90 und 98** erreicht worden, je ein Glas
entnommen und das darin liegende Stück auf Gelatine verpfianzt. Dabei zeigte sich,
dass bei Erhitzung der Lauge auf 60 und 70** während 40 Minuten die Wachstbums-
Ahigkeit der darin liegenden Milzbrandpilze nicht gestOrt war, dagegen blieb jede
Coloniebildung ans, bei einer Erhitzung auf 80** während 9 und einer solchen auf 90
bis 98** während 5 Minuten. Da nun aber nach unsem Messungen die Temperatur
der Lauge in der Waschmaschine beim Beginn 98** und nach 40 Minuten Arbeit noch
86** betrug, so darf angenommen werden, dass auch Milzbrandsporen darin getOdtet
würden, dass also die Desinfection eine vollsAndige ist.
Nichts d^stowenieer wurden die Pilzcolonien, welche sich in den GeUtineröhrchen ent¬
wickelten so viel als möglich gezählt Ein Quadratcentlmeter grosses Tuchstück absorbirte 0,03 cm’
Wasser,
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Die Schwenkw&sche wird offenbar nicht nur nicht desinficirt,
sondern eher noch inficirt, indem die anhaftenden Microben sich im Wasser vermehren
und mit demselben das Tuch vollständig infiltriren.
Tucbstreifen mit der übrigen Wäsche gespühlt und gemangt zeigten denn auch
enormen Gehalt an Keimen. Bei den desinficirten Tuchabschnitten konnten 90, 150,
200, bei den inücirten in 5 Proben 500—5300 Colonien festgestellt werden.
Dass auch in der Bläue eine Neninfection stattflndet, muss nach dem Bacterien-
gehalt dieser Lösung a priori angenommen werden, obwohl diese Infection, weil nur
aus Keimen des Seewassers bestehend, in der Kegel ungefthrlich ist.
Nichtsdestoweniger wurden auch hier Versuche in der Art ausgeführt, dass Tuch¬
streifen gebläut, ansgeschwungen und im Trockenranm getrocknet wurden. Dabei er¬
gab sich aber, dass alle Proben steril blieben, was offenbar der hohen Temperatur
des Trockenraumes, worin die Streifen 20 Minuten verblieben, zuzuschreiben ist. Drei
dieser Streifen Hessen gar keine, drei weitere je eine Gnltur zur Entwicklung
kommen.
Da die Mangewalze mit überhitztem Wasserdampf erwärmt wird, so lag der
Gedanke nahe, dass auch durch diese eine Desinfection erzielt werden könnte. Zur
Prüfung hierauf wurden feuchte, mit Milzbrandsporen geschwängerte und in einfache
Papierlage gehüllte Tuchstreifen tüchtig gemangt und hernach in Gelatine gelegt. Die
Milzbrandcultnren entwickelten sich jedoch rasch und vollständig.
Aus diesen Versuchen erhellt, dass das Sechten, wie das Waschen in
Lauge von über 80** Temperatur, einer hinlänglichen Des¬
infection gleicbkommt und dass auch im Trockenraum die meisten Pilze
getödtet werden.
Das blosse Schwenken und Mangen der Wäsche ist absolut ungenügend,
ja geradezu schädlich.')
Das Bläuen sollte, wenn möglich, in ausgekochtem (sterilisirtem) Wasser vor¬
genommen werden, und ist namentlich die eventuelle Behandlung von Schwenkwäsche
und ganz reiner Wäsche in ein und derselben Bläuelösung durchaus unthunlich.
Angesichts des so überaus entwickelten Hötelwesens und der Bedeutung der
Fremdenindustrie für unser Land erscheint es angezeigt, wenn dieser Seite der hygie¬
nischen Thätigkeit, nach welcher bekanntlich Liehig die Culturstufe eines Volkes zu
bemessen pflegte, etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt würde, vornehmlich ab Seite
der Behörden.
Kleinere Mittheilungen.
Plötzlicher Erstickungstod durch Blutung in einem alten Cystenkropf.
Wie YerhängnisBYoll unter Umständen eine alte, Yernachlässigte Struma werden
kann, zeigt folgender Fall:
Vergangenen Korember Abends eiligst zu der 60jährigen C. F. gerufen, fand
Unterzeichneter dieselbe sehr stark dyspnoisch, bleich-cyanotisch, mit ängstlichem Gesichts-
Es ist gewiss eine nnrichtigt anfgefasste und dnrchgeföhrte Wabrang der Interessen, wenn
Hdtels ans lauter Sparsamkeit Betthnge und sogar SerYietten nor schwenken und mengen anstatt
gründlich waschen fassen; denn sicherlich würden sich Keisende nicht weigern die Unkosten für
eine genügende Desinfection zu Yergüten.
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ausdruck dasitzend. Sie hatte Nachmittags im Felde leichtere. Arbeit verrichtet und war
völlig wohl und gesund nach Hause gekommen. — Kurz darauf schwoll ihr ohne be¬
kannte Ursache der Hals rasch an, und cs trat starke Beengung ein. — Derselbe zeigte
sich ringsum stark aufgetrieben, hart und gespannt, auf Druck sehr empfindlich. — Rapid
verschlimmerte sich der Zustand, und schon nach wenigen Stunden starb Patientin an
Erstickung.
Früher hatte sie von der schon viele Jahre bestehenden Struma nie Beengung und
brauchte desshalb auch nichts dagegen.
Die wahrscheinliche Diagnose einer acuten Strumitis bestätigte sich bei der Obduc-
tion nicht: die Struma war eine cystose, die Trachea umlagernd. Mehrere dieser Cysten
waren strotzend mit frischem Blute gefüllt und auch das Parenchym blutig durchtränkt.
Hiedurch wurde die ohnehin schon etwas atrophische, säbelscheidenfÖrmige Trachea plötz¬
lich stark zusammengedrüokt und der schnelle letale Ausgang bewirkt.
Von einer Tracheotomie, die offenbar äusserst blutig gewesen wäre, konnte unter
bestehenden Verhältnissen und zur Nachtzeit leider keine Rede mehr sein.
Steckborn, Mai 1894. Guhl,
"Vereiiieitoeirioh te.
XLVIL Versammlung des ärztlichen Centralvereins
Freltai', dea 1. aad Saastai'» dra 2. Jaai 1894« la ZBrIeh.
Präsident; Dr. E. Haffier. — Schriftführer ad hoc: Dr. Wilh. Spirig,
Nach langen regenschweren Tagen hatte der Himmel ein Einsehen; die Abendsonne
zerstreute die Wolken und traf mit ihrem erquickenden Schein auch Herz und Gemfith.
Mit heiterem Sinn und im Vorgefühl froher Stunden steuerte man nach dem allzeit gast¬
lichen Zürich, wo die alma mater dem durstenden Ankömmling Wahrheit und Wissen¬
schaft credenzte und zahlreich anwesende Freunde sehr bald die richtige Stimmung her¬
vorzauberten.
Empfaif Abeads 8 Uhr Im Hdtei NatioMi. Die Gesellschaft der Aerzte in Zürich
hatte sich zum Empfang der auswärtigen Collegen versammelt und mit herzlichen Worten
des Präsidenten, Herrn Professor Stöhr^ wurden diese begrüsst.
Im wissenschaftlichen Tbeil sprachen:
1) Prof. Gaule über: Die Gerlnuf des Eiwelss dsreh ErsehlUemaf. Der
Vortragende berichtet über Untersuchungen, welche Herr Bamsden aus Oxford in seinem
Laboratorium über den im Titel bezeichneten Gegenstand angestellt hat. Das Grund-
phänomen, welches gleichzeitig demonstrirt wird, besteht darin, dass eine vollkommen
reine und klare, aus krystallisirtem Eiweiss mit destillirtem Wasser bereitete Lösung beim
Schütteln alsbald Flocken ausscheidet, die rasch grösser werden und die Flüssigkeit nach
einigen Minuten dicht erfüllen. Die Flocken sind, wie die Prüfung ergibt, geronnenes
Eiweiss. Das ursprüngliche Eiweiss, welches in allen diesen Lösungsmitteln leicht löslich
war, muss also durch die Erschütterung in den coagulirten Zustand übergegangen sein.
Um den Einfluss der Luft kann es sich nicht handeln, weil das Phänomen im Vacuum
sich ebenso leicht demonstriren lässt. Auch das Glas der Gefässe hat keinen Antheil,
denn in Metallgefässen geht es ebenfalls. Man kann auch nicht annehmen, dass es eine
durch das Schütteln hervorgebrachte Temperaturerhöhung sei, weil sogar Eiweisslösungen,
welche durch die Temperatur gar nicht zum Gerinnen gebracht werden können wie z. B.
CaseTn durch Schütteln coaguliren. Es muss also die mechanische Bewegung sein, und
zwar diese allein, und nicht mit Hülfe eines Ferments, denn bei den eben erwähnten
CaselnlöBungen z. B. kann man vorher durch Siedhitze alle möglicherweise vorhandenen
Fermente zerstören und doch durch die Bewegung ganz den gleichen Erfolg erzielen«
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Quantitative Untersuchungen haben ergeben, dass man 96^/o des in einer Lösung vor¬
handenen Eiweisses durch Bewegung allein ausscheiden kann. Fast alle coagulirbaren
Eiweisskörper zeigen das Phänomen, also auch Lösungen von reinem Serumalbumin und
reinem Fibrinogen. Serum und Blut dagegen coaguliren nicht durch Erschütterung. Der
Qrund, wesshalb sie sich anders verhalten, als Lösungen der obengenannten Eiweiss¬
körper, wurde in dem Salzgehalt und der Alkalescenz gefunden. Das Schütteln erzeugt
auch im Serum Gerinnsel, welche jedoch sehr durchsichtig und nur mit dem Microscop
erkennbar sind und sich alsbald wieder auflösen. Versetzt man das Serum mit Neutral¬
salzen und schüttelt, so werden die Gerinnsel undurchsichtig, grösser, mit blossem Auge
erkennbar und lösen sich nicht wieder auf. Anderseits kann man eine in der gewöhn¬
lichen Weise bereitete Lösung von reinem Serumalbumin dazu bringen, dass sie sich
verhält, wie Serum, wenn man sie stark verdünnt, also salzarm macht und sie alkalisirt.
Dieses Verhalten des Blutes und Serums empfiehlt G. den Pathologen zur Beachtung. An
der fermentativen Theorie der gewöhnlichen Blutgerinnung wird zwar durch die Erkennt-
niss der gerinnungserzeugenden Wirkung der Bewegung nichts geändert; man wird sich
aber fragen müssen, ob man bei allen Gerinnungen des Blutes und der Transsudate
immer Fibrinferment als Ausgangspunkt annehmen muss. Die Bewegung kann auch
Gerinnsel hervorbringen; unter gewöhnlichen Umständen werden dieselben alsbald wieder
aufgelöst werden; wenn aber das Blut seine Alkalescenz oder seinen Salzgehalt ändert,
können sie zur Ausscheidung kommen» Ob das wirklich im Leben der Fall ist und ob
gewisse Gerinnungen einen solchen Ursprung haben, empfiehlt G. durch die Untersuchung
festzustellen. Er macht weiter darauf aufmerksam, dass aus diesen Experimenten sich ergibt,
dass es keinen Sinn hat, sich darüber zu streiten, ob das Protoplasma eine fibrilläre oder
granuläre oder andere Struktur habe, da die Bewegung schon hinreiche, einen Theil der
Eiweisskörper in fibrillärer oder membranöser Form zur Ausscheidung zu bringen. Der
Vortrag wird dadurch illustrirt, dass krystallisirtes Eiweiss in destillirtem Wasser gelöst,
filtrirt und das klare Filtrat durch Uebergiessen aus einem Keagensgläschen ins andere
in wenig Augenblicken fiockig getrübt wird.
2) Dr. iMning demonstrirt an Stelle des erkrankten Dr. W. Schulthess einen von
letzterem construirten und seit einiger Zeit im orthopsedischen Institute in Gebrauch be¬
findlichen BewegUBf[^pparai fir FissdeferattlteB. Der Apparat geht von der Idee
aus, den Pat. selbst durch eine geeignete einfache Bewegung,
(hier Tretbewegung) der ein während des Ablaufens der Bewegung allmälig sich steigern¬
der, aber genau dosirbarer Widerstand entgegengesetzt wird, die Correctur der
Deformität vornehmen zu lassen.
Es ist eine in der practischen Orthopsedie längst gewürdigte Thatsache, dass die
Besserung von Deformitäten nie besser und schneller von Statten geht, als wenn es
gelingt, den betreffenden Theil in redressirter Stellung activ func-
tioniren zu lassen (Gehapparate bei Klumpfuss, genu valgum etc.). Die Arbeiten
von Julius Wolff über das sogen. Transformationsgesetz der Knochen,
die anatomischen Untersuchungen von Bauber, Bmix, ZschokJce haben nun neuerdings auf
die Abhängigkeit der Knochenform von der Function resp. Beanspruchung hingewiesen,
wenn auch im Einzelnen noch vieles controvers bleibt. Von anatomischer Seite {Roux)
wurde geradezu eine functioneile Orthopädie postulirt, m. a. W. der
Grundsatz ansgesprocben, der Orthopäde solle sich nicht, wie meist geschieht, mit Re¬
dressement und Fixation in redressirter Stellung begnügen, sondern seine weitere Aufgabe
sei, den Theil in dieser Stellung functioniren zu lassen, die Beweguugen also zum
Zwecke der Correctur der Form in eine normale oder der normalen möglichst nahe
stehende Bahn zu lenken. Solche Apparate sind natürlich am besten portativ zu
gestalten, weil sie so am ausgiebigsten wirken.
Leider ist es in vielen Fällen nicht möglich, primär ein genügendes Redressement
zu Stande zu bringen, und es muss dann auf die Anwendung der Bewegung verzichtet
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werden, wenn diese nicht schädlich d. h. weiter deformirend wirken soll. Hier muss also auf
das primäre Redressement verzichtet werden und dem Apparat bloss eine Tendenz zur
Rückkehr in die normale Bewegnngsrichtung innewohnen.
Solche Apparate sind bisher nicht portativ construirt worden *) und können dies auch
aus leicht ersichtlichen Gründen nicht wohl werden, dagegen gibt es bereits ein System
von sitzungsweise zu benützenden Apparaten, unter welchen sich einige befinden, die in
diesem oder ähnlichem Sinne wirken. Eis sind dies die Zander’schen Apparate
für schwedische Heilgymnastik, deren Hauptziel, soweit sie activen Be¬
wegungen dienen, allerdings mehr die Kräftigung der Muskulatur durch dosirbare Wider¬
standsbewegungen und deren Rückwirknng auf den Gesammtorganismus ist, als speciell
die Correctur von Deformitäten; wiederum andere dieser Apparate sind für passive Be¬
wegungen, Mobilisirung der Gelenke, Massage u. dergl. bestimmt.
Die Thatsache, dass es häufig bei Fussdeformitäten nicht gelingt, einen für die
Anwendung eines Portativapparates wünscbbaren Grad von Redressement momentan her¬
beizuführen, veranlasste Collega Sch,^ seinen Uebungsapparat zu construiren, unter mög¬
lichst strenger Anlehnung an das Princip, dass die Bewegung des Pat.
selbst das Redressement nach jeder Richtung herbeiführen
solle. Als natürlichste Bewegung wurde die Tretbewegung gewählt.
Die zur Aufnahme des Fusses bestimmte eiserne Sohlenplatte liegt in einem um
eine senkrechte Achse drehbaren Bügel und ist zugleich um eine horizontale quere und
zwei längsgestellte Achsen beweglich. Die quere Achse entspricht dem Fnssgelenk. Dieser
ganze Apparat ist in die kurze Seite eines auf die Kante gestellten, an der andern kurzen
Seite beweglich eingelenkten Parallelogramms eingefügt. Das Parallelogramm sorgt da¬
für, dass die senkrechte Achse immer in dieser Stellung bleibt. Das Emporziehen des
Apparates erfolgt durch starke Gummizüge, welche somit den Widerstand für die Tret¬
bewegung abgeben. Durch Einschalten von schraubenförmigen Ebenen unter das Sohlen-
Stück oder von Federn am hintern und vordem Ende oder an den Seiten desselben, gelingt
es leicht den Apparat so einznstellen, dass während des Niedertretens eine Flexion, Rotation,
Supination oder Pronation oder eine Combination dieser Bewegungen dem Sohlenstück mit-
getheilt wird. Der fest aufgesetzte und fixirte Fuss macht diese Bewegung selbstverständlich
mit. Auch diese Bewegungen lassen sich sämmtlich in verschiedenem Ghrade zur Aus-
führang bringen. (Genaue Beschreibung des Apparates erfolgt in einem Facbblatte.)
Wenn wir zum Schlüsse noch rasch die I n d i c a t i o n e n für die Behandlung
mit diesem Apparate durchgehen, so sind es kurz gesagt, alle Zustände, weiche einen
Ausfall von Bewegung in irgend einer Richtung im Fussgelenk oder Kniegelenk, oder
endlich in Bezug auf Flexion, Extension oder Rotation im Hüftgelenk zeigen. — Es ge¬
hören hiezu also die gewöhnlichen Fussdeformitäten (varus, valgus, equinus, calcaneus)
auch die aus Paralyse hervorgegangenen, soweit sie nicht derart sind, dass die Lähmung
auch die Oberschenkelmuskulatur schwer betroffen bat. Ferner die Steifigkeiten des
Fuss-, Knie- und Hülftgelenks nach Ablauf von Entzündungen; hiebei bildet der Apparat,
wie wir schon während der kurzen Anwendungsdauer erfuhren, eine wesentliche Unter¬
stützung der Massagekur. Eine weitere Anwendung findet derselbe bei Lendenscoliosen,
bei welchen er durch Höhersteliung des einen Fusses mit zur Correctur und Mobilisirung
der Deviation dienen kann. Endlich bei sog. schlechten Gewohnheiten der Kinder, über¬
mässigem Auswärts- oder Einwärtsgeben und bei Genu vaig. und varam.
Diesem wissenschaftlichen Tbeil folgte die gemüthliche Vereinigung. In einzelnen,
kleinen und grössera Gruppen sassen die Döcter zusammen; hier die alten, dort junge,
hier Professoren und verehrte Lehrer, dort in der Praxis ergraute Collegen, alle sich der
Freude des Wiedersehens hingebend. Schöne Erinnerungen wurden aufgefrisoht, die hier
*) Vergl. dagegen: Kappeier und Uaffter: Der articulirt-mobile WasserglaBverband. (Deutache
Zeitschr. für Chir., VII. Bd., pag. 129.) Red.
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nur bis in jüngst verflossene Semester, dort bis in die ersten Anfänge der Zürcher Hoch¬
schule zurückreichten. Auf allen Gesichtem las man das Vergnügen, welches die Unter¬
haltung über dieselben idealen und practischen Interessen unter gleichgesinnten Collegen
erzeugte. Vorzüglicher Stoff und kaltes Buffet belebten den geselligen Verkehr, so dass
nur langsam gegen die Mitternaohtstnnde sich die gesprächigen Reihen zu lichten
begannen.
Der Vormittag des 2. Juni galt vorab dem Besuch der Kliniken.
OphthalBolofisehe Klhlk. Von Herrn Prof. Haab wurde folgendes demonstrirt
und besprochen:
1) Microscopische Demonstration von Schnitten, welche die Fovea centralis der
Netzhaut in aussergewohnlicher Deutlichkeit zeigen. — 2) Microscopische Schnitte eines
vor kurzem beobachteten und geheilten Falles von Localtuberculose der Bindehaut des
Augapfels. — 3) Microscopische Demonstration eines Schnittes von Herpes coraem febrilis
und Vorstellung eines Falles von solcher Erkrankung, erläutert durch Fluorescin-Färbung
des Geschwüres, das in ganz characteristischer Weise in der Hornhaut sich zeigte. 4) Wird
ein Fall von Molluscum contagiosum vorgestellt mit zahlreichen kleinen Knötchen
im Gesicht und anderwärts (zugleich bestand Conjunctivalcatarrh). Zwei microscopische
Schnitte zeigen die Structur dieser interessanten Erkrankung. Der eine derselben ent¬
stammt einem Fall, den Haab im Jahr 1887 beobachtete, der andere von ihm selbst,
indem er damals mit Erfolg eine Ueberimpfung auf seinen Vorderarm vomahm. 5) Zeigt
H einen Fall vor, bei dem eine sog. „essentielle Schrumpfung der Bindehaut^,
wohl richtiger Pemphigus genannt, zu fast gänzlicher Erblindung geführt hatte, wo aber
gestielte Hauttransplantationen den Zustand der Augen ganz wesentlich besserten. — 6) Im
Anschluss an diesen Fall wird ein solcher von Trachom vorgestellt, bei dem ähnliche
Narben der Bindehaut vorhanden waren, nur in viel geringerem Umfang. Es war hier
die gute Wirkung des Kupferstiftes und die wenig fordernde der in neuerer Zeit vielfach
empfohlenen Sublimatbehandlung sehr deutlich zu Tage getreten. — 7) Wird ein Patient
vorgestellt und besprochen, bei dem vor einer Woche ein Splitter, wahrscheinlich ein
Hackensplitter beim Arbeiten auf dem Feld ins Auge gespritzt war. Obschon die Ver¬
hältnisse für eine erfolgreiche Entfernung des Fremdkörpers hier theils wegen der Lage
desselben im Corpus ciliare, theils wegen der schon seit dem Eindringen verflossenen Zeit,
aussergewöhnlich ungünstige waren, versuchte H, doch, namentlich auch um die Methode
zu zeigen, die Rückziehung des Splitters mit seinem grossen Magnet. Es musste der
Versuch auch gemacht werden, um die Diagnose zu klären, da es sich auch um Ein¬
dringen eines Steinsplitters handeln konnte. Der Umstand, dass bei Annäherung des
Auges an den grossen Magnet keine Schmerzreaction anftrat und der Fremdkörper nicht
angezogen wurde, sprach dafür, dass ein Steinsplitter vor liege oder dann ein ganz kleiner
Eisensplitter, der durch fibrinöses Exsudat schon stark fixirt worden ist. Um die mäch¬
tige Wirkung des Magnets auf ins Auge gedrungene Eisensplitter zu zeigen, führt H.
an Schweineaugen mehrere Versuche aus, wobei ein Eisensplitter, der aus einem mensch¬
lichen Auge mit gutem Erfolg zurückgezogen worden war, durch einen kleinen Einstich
am hinteren Pol des Auges innerhalb die Netzhaut gebracht wurde. Dann wurde der
nun im hintersten Theil des Glaskörpers liegende Splitter bei Annäherung des Auges an
den Magnet nach vom hinter die Iris gezogen und von hier in umgekehrter Richtung
wieder nach hinten und zur Wunde heraus.
Diesen Demonstrationen fügte H. noch eine kurze Besprechung der Pläne der neuen
im Bau befindlichen Augenklinik bei.
FraaeBkllaik« Prof. Wyder referirt über verschiedene Fälle von Uterusruptur;
illustrirt seinen Vortrag durch Präparate und die Vorstellung von 2 durch Laparotomie
geheilten Frauen und plaidirt für die operative Behandlung der perforirenden Gebärmutter-
zerreissung.
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(Der Yortrag erscheiqt in ei^tenso in der Sammlung klinischer Vorträge von v, Serg-
mmn^ Erb und v, WinclceU)
l|fdicIql9Chfi KliiUk. 1) Demonstration lebender Malariaplas¬
modien. Die modernen hacteriologisohen Forsohnngen haben auch für die innere
Medicin eine grosse Bedentong, denn sie enndgiichen vielfleich eine frühe nnd sichere
Diagnosenstellnng in Fällen, denen man früher rathlos gegenüberstand. Aach für den
Kranken, von dem das Blutpräparat unter dem Microscop untergestellt ist, trifft dieses zu.
Patient, ein rassischer Student, ist über Jahresfrist in Zürich ansässig, war bisher immer
gesund und erkrankte am 22. Mai plötzlich mit Fieber gegen 40^ C. Am nächsten
Tage war Patient fieberfrei. Keine nachweisbare Veränderung an seinen Organen. Am
darauffolgenden Tage wieder Fieber bis 40® C. Es wird das Blut untersucht und man
findet in ihm sehr reichliche Malariaplasmodien. Damit ist die Diagnose einer Febris
intermittens sicher. Der Fund dieser Plasmodien war hier um so werthyoller, als Patient
erst beim dritten Anfall Schüttelfrost bekam und die Milz erst nach dem vierten Fieber¬
anfall leicht anschwoll. Die Ansteckungsqnelle kann nur in einem kurzen Aufenthalt
in Mailand gesucht werden, den Patient im März, also 2 Monate vor seiner Erkrankung
unternommen hatte. Ausser dem frischen Blutpräparat werden noch sogen. Halbmonde
auf getrockneten nnd gefärbten Blutpräparaten demonstrirt.
2) Vorstellung eines Mannes mit äusserer Langenhorn ie,
nach Estländer ’s eher Operation. Patient erkrankte vor 4 Jahren an einer
serdsen Pleuritis, welche nach einiger Zeit eitrig wurde. Man machte Rippenresection
und Incision; der Zustand besserte sich, doch blieb eine Fistel zurück. Es wurden nun
mehrere Rippen und in einer späteren Operation noch weitere Rippen auf der erkrankten
Seite resecirt. Seit der letzten Operation besteht der grosse Defect in der rechten
Thoraxseite, welcher sich von der 3. bis 8. Rippe erstreckt und bequem eine Hand auf¬
nimmt. Während die untere Hälfte desselben mit Epidermis überzogen ist, sieht man
in der oberen eine granulirende geröthete Fläche, offenbar die Lungenpleura. Man hört
über derselben lauten tympanitischen Schall and sehr lautes Vesiculärathmen. Beim Be¬
tasten fühlt man ein kleinhockoriges Gewebe, wohl interstitielle Bindegewebsherde in der
Longe und beim Hasten stülpt sich die Lunge aus der Thoraxniscbe weit nach aussen
heraus. Während der Inspiration scheint die Lunge an Volumen abznnehmen und sich
nach einwärts zu ziehen. Neben den respiratorischen Bewegungen sind noch pulsatorische
bemerkbar, die der Lunge vom Herzen mitgetheilt sind, welches übrigens an normaler
Stelle liegt. Man wird dem Patienten kaum etwas anderes rathen können, als durch
eine Pelotte wie bisher den Defect im Thorax und die frei zu Tage liegende Lunge vor
Verletzung von Aussen zu schützen.
8) Jnnges Mädchen mit Spina bifida occulta. Die junge Per¬
son wurde wegen Gesichtserysipel auf die medicinische Klinik aufgenommen und fiel sofort
durch eine dichte und lange Behaarung in der Nähe des I.—111. Lendenwirbels anf.
Man fühlt, dass sich die unteren Brustwirbel mit ihren Dornfortsätzen spalten, ebenso
die 3 oberen Lendenwirbel. In der Spalte liegt ein derbes, straffes Gewebe. Der Zu¬
stand bestand von der Geburt an, ebne andere Storungen.
4) 21jähriger Knecht mit Spina bifi da Inmbalis und Myo¬
sitis ossificans. Patient zeigt über dem l.—3. Lendenwirbel eine seit Geburt
bestehende apfelgrosse Geschwulst, die aus einer fühlbaren Lücke aus dem Wirbelcanal
heranskommt. Rings herum finden sich dichte lange Haarzopfe. Vor ca. Vjt Jahren
platzte diese Geschwulst spontan und entleerte einige Zeit klare wässerige Flüssigkeit.
Vor einigen Monaten kam der Kranke mit hohem Fieber zur Aufnahme, welches in den
ersten Tagen anerklärt war. Aber bald stellte sich eine schmerzhafte Schwellung der
Wadenmuskulatnr dicht über der linken Achillessehne ein; das Fieber liess mehr und
mehr nach, während die Schwellung steinhart wurde. Zwar wurde auch die Schwellung
allroählig kleiner, aber auch heute noch fühlt man an dem Sehnenansatz der linken
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Aehillessehne zwei Knockenkerne in der Muskulatur von Wallnussgrosse. Die Beobachtung
scheint davauf hinzuweisen, dass manche Fälle yon Myositis ossificans auf nervösen Ein¬
flüssen beruhen, und schon früher hat der Vortragende Myositis ossificans prc^essiva bei
einem Färbergesellen gesehen und durch einen damaligen Assistenzarzt der Klinik, Herrn
Dr. SchwarZy beschreiben lassen. Uebrigens hat Patient vorher Anästhesie auf der inneren
Hälfte des Fnssrückens linkerseits und unter dem Qrosszehenballen links Narben von
einem lang bestandenen, dann ausgeheilten Mal perforans.
Prof. Krönlein: MHnlscbe demoasirmtlaaeB Im OparalfOBSsaat der ehiraririsebeB
KilBlk.
I. lieber die Erfolge der operativen Behandlung des
Morbus Basedowii durch partielle Strumaexstirpation.
Kr. hat bisher 8 Fälle von exquisitem Morbus Basedowii im Verlaufe der letzten
6 Jahre in angedeuteter Weise operirt, von denen 7 Fälle vorgestellt werden, während
ein 8. Fall, vor 272 Jahren operirt, gegenwärtig an Haemoptee erkrankt ist und des¬
wegen nicht vorgestellt werden kann. — Sämmtliohe Fälle sind durch die Operation
zum Theil ganz ausserordentlich gebessert, zum Theil geradezu geheilt worden und es
ist hervorzuheben, dass dieser Erfolg nioht nur ein vorübergehender, sondern bei allen
ein bleibender war, und bis jetzt in den einzelnen Fällen 6, 4, 4, 4, 2, 2, 1 Jahre
and im letzten Falle 3 Monate nach der Operation noch eonstatirt werden konnte. Die
Fälle betrafen 7 Frauen und 1 Mann. Von den für Morbus Basedowii characterisiisehen
Symptomen sind durch die Operation beseitigt oder ganz wesentlich vermindert in erster
Linie die Tachycardie, dann der Tremor, dann die psychische Reizbarkeit nnd Schlaflosig¬
keit, selbstverständlich auch die Struma. Der Exophthalmus, ebenso das v. (rne/c’sche
und Skllwag^whe Symptom, erfuhren dagegen weniger constant eine Besserung, ja ersterer
blieb in einem sehr hochgradigen Falle völlig unverändert Glerade aber dieser Patient,
ein Mann von 57 Jahren, ist noch jetzt, 4 Jahre nach der Operation, ausserordentlich
dankbar, da Tremor, Tachycardie und hochgradige psychische Reizbarkeit seither ver¬
schwanden sind. „Er fühle sich seit der Operation wie neugeboren,* ist der Ausdrnck,
den Pat. selbst gebrauchte, als er beute untersucht wurde.
Ein Misserfolg war nie zu constatiren. Kr. verwahrt sich des entschiedensten gegen
die AufTassung, als handle es sieh bei dieser operativen Behandlung um eine sugges¬
tive Wirkung; nichts begründet diese Behauptung; die Jahre lang bedbochieten Ei^olge
sprechen ganz und gar dagegen.
Kr. gibt ferner der Strumectomie bei Morbus Basedowii den Vorzug vor der Ligatur
der Scbilddrüsenarterien, weil erstere Operation sicherer zum Ziele führt und ganz be¬
sonders auch der oft gleichzeitig bestehenden Indieation besser genügt, nämlich, bei be¬
stehender Tracbealcompressiou die Tradiea zu entlasten. Derartige Fälle von Morbus
Basedowii mit gleichzeitiger Trachealstenose, die sogar bis zu Erstickungsanfallen führen
kann, hat Kr. 2 Mal beobachtet und operirt.
Die 7 Fälle werden vorgeführt.
n. Demonstration zur Chirurgie der Harnorgane.
1) Vorstellung einer Frau von 67 Jahren, bei welcher wegmi Carcinom der
rechten Niere vor mehr als 9 Jahren (11. April 1885) die Nterenexstirpation
aesgeführt worden ist. — Die Frau ist vollständig noch gesund und ohne Recidiv ge¬
blieben. — So weit Kr. die Litteratur durchgehen konnte, ist dieser Fall bis jetzt am
längsten als recidiv frei verfolgt worden. Das Präparat wird gleichzeitig demonstrirt.
2) Vorstellni^ einer Frau von 26 Jahren, bei welcher wegen linksseitiger N e -
phrolithiasis vor einem Jahre (17. März 1893) die Nierenexstirpation gemacht
worden ist. Pat. ist seither gesund geblieben. Das Prssparat der exstirpirten Niere wird
demonstrirt; im Nierenbeckets fanden sich 11 facettirte, harte Uratsteine; die Niere selbst
zeigte zahlreiche kleine Abseesse in der Rinde und mkroseopisch den Befund einer klein¬
zelligen Infiltration der Interstitien, ohne Anhaltspunkte für Tnberculose.
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3) Vorstellung eines Patienten von 39 Jahren, bei welchem vor I72 Jahren ein
Nierenechinococcns rechts durch Operation (Nephrotomie) zur Heilung gebracht
wurde. Nierentumor, Ureterencoliken und spontaner Abgang von zahlreichen Echino-
coccus-Tochterblasen per urethram machten das Krankheitsbild so klar, dass die Diagnose
vor der Operation mit aller Sicherheit gestellt werden konnte. Der Pat. trug sein Leiden
nachweislich schon über 20 Jahre mit sich herum.
4) Vorstellung eines 13jährigen Jungen, mit geheilter Blasenschuss-
wunde. Es handelte sich um einen aus nächster Nähe abgefeuerten Schuss mit Vogel¬
dunst und starker Papierladung aus einem Jagdgewehr. Einschuss oberhalb der Symphyse;
ausgedehnte Zerreissung der vorderen Blasenwand, ohne Verletzung des Peri¬
toneum. Eintritt in die Klinik am folgenden Tage; Vorgehen wie bei der Sectio alta;
Ausräumung der Blase, in der sich eine ganze Postkarte, Tuchfetzen und zahlreiche
Schrotkömer befanden; Blasennaht; Verweilcatheter. Heilung und vollständige Restitutio
ad integrum, jetzt seit lYs Jahren beobachtet.
lU. Demonstrationen zur Hirnchirurgie.
1) Traumatischer Hirnabscess; Operation; Heilung. 26-
jähriger Mann, der vor 5 Jahren bei einer Rauferei mit einer Hacke eine Wunde auf
der rechten Schläfen-Stirnseite erlitten hatte, die in 14 Tagen geheilt war. Im August
1893 Militärdienst; unter der Narbe bildete sich ein kleiner Abscess, der inoidirt wurde,
worauf Pat. den Militärdienst weiter versah. Bald nachher bildete sich abermals unter
der Narbe eine fluctuirende Geschwulst, welche allmälig sich vergrösserte, so dass Pat.
im März 1894 die Klinik aufsuchte. — Operation am 2 4. März 1894:
Incision der Narbe in grosser Ausdehnung und Entleerung eines kleinen Abscesses; Bloss¬
legung des Knochens, der einen 3 cm langen und 2 cm breiten Defect zeigt, in welchem
mehrere mobile, in Granulationen eingebettete Sequester liegen, die entfernt werden.
Nach Entfernung aller Granulationen und Sequester liegt die Dura vor, unversehrt, aber
gelblich verfärbt, nicht pulsirend und gespannt. — Daeincorticaler Hirnabscess
vermuthet wird, erfolgt Incision der Dura und Blosslegung eines kirschgrossen Balg-
abscesses des Cortex cerebri, der entleert und ausgekratzt wird. — Auslegung der Abscess-
höhle mit Jodoformgaze, Naht, aseptischer Verband. Reactionslose Heilung. Nie Hirn¬
symptome. Jetzt zeigt Patient — 2 Monate p. op. — eine solide, lineäre Narbe im
Operationsgebiet.
2 ) Meningocele spuria traumatica cranii bei einem 1 7 ^ Jahre
alten Jungen. Operation, Heilung. Die kleinkindskopfgrosse Geschwulst über dem linken
Scheitelbein war bald nach der Geburt des Kindes vom Arzte beobachtet worden. Die
Geburt war eine schwierige, und erfolgte mit bedeutender Anstrengung durch den Forceps.
Der Befund bei der Aufnahme in die Klinik entsprach ganz dem Bilde, welches uns von
Billroih seiner Zeit von der Meningocele spuria entworfen worden ist: Grosse fluctnirende,
nicht compressible und nicht pulsirende Geschwulst über einem grossen Schädel defect, der
in vorliegendem Falle klcinhandtellergross war. Die Operation, am 15. December 1893
vorgenommen, bestand in der Blosslegung des bindegewebigen Meningocelensackes und
Exstirpation desselben. Drain und Naht. Heilung per primam. (Der Fall wird a.
a. 0. genauer publicirt werden.)
IV. Beitrag zur radicalen Heilung des Pharynx-Carcinoms
durch Exstirpation. Demonstration eines 63jährigen Herrn, bei welchem wegen
ausgedehntem Carcinom des linksseitigen Zungengrundes, des
Velum, der Tonsille und der Pharynxwand nebst Infil¬
tration der linksseitigen s u b m a x i 11 a r e n Lymphdrüsen die
Exstirpation mittelst temporärer Resection des Unterkie¬
fers am 21. April 1887 vorgenommen worden war. Die Operation geschah
nach der Methode, welche Kr, seiner Zeit im Corresp.-Blatt f. schw. Aerzte, Jahrgang
XVU (1887) genauer beschrieben hat. — Zwei Monate nach der reactionslosen Heilung,
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am 7. Juli 1887, massten 2 wallnussgrosse carcinöse Lymphdrüsentomore im linken Hals-
gefässspalt noch exstirpirt werden, worauf ebenfalls rasche Heilung erfolgte. Seither,
d. h. seit fliehen Jahren, ist Pat. kerngesund und ohne Recidiv; Sprache und
Schlingen Yollständig normal. — Das Praeparat des exstirpirten Pharynx-Tonsillen-Zungen-
carcinoms wird mit dem Pat. demonstrirt.
y. Neurectomia r. mandibularis n. trigemini nach der re-
trobuccalen Methode Krönlein's. Vor 2 Jahren hat Kr. im v. Langen-
6ccÄ;’schen Archiv f. klin. Chirurgie Bd. XLIII (Jubil.-Heft), eine neue Methode der
Freilegung des III. Astes des N. trigeminus (retrobuccale Methode) beschrieben. Damals
konnte er diese Methode aber nur auf Grund von Leichenoperationen empfehlen, da ep
noch keine Gelegenheit gefunden, die Operation am Lebenden auszuführeu. Jetzt kann
Kr. diese Lücke ausfdllen. Er demonstrirt einen 79jährigen Patienten, bei dem er zum
ersten Mal am Lebenden die genannte Operation vor 8 Tagen ausgeführt hat wegen einer
sehr heftigen Neuralgie im Gebiete des r. mandibularis sin. Die Operation erwies sich
als sehr gut ausführbar und hatte insofern vollen Erfolg, als Pat. von dem Tage der
Operation an von neuralgischen Anfällen frei ist. Heilung per primam. Pat. wird
entlassen.
VI. Zur Technik der Amputation des Unterschenkels. Kr.
demonstrirt einen 28jährigen Italiener, bei welchem er wegen traumatischer Gangrän des
rechten Unterschenkels die Amputation desselben in folgender Weise ausgeführt hat:
Cirkelschnitt durch Haut und Musculatur; zwei Lateralschnitte längs Fibula und
Tibia bis auf den Knochen; Aushülsung der Knochen nach P. Bruns genügend weit
nach oben, so dass 2 grosse Haut-Muskel-Periostlappen entstehen, welche sich quer von
vom und von hinten an einander legen; sorgfältige Blutstillung; Vereinigung der Muskeln
der Extensoren und der Flexoren über den Knochenflächen nach Sodn^^ Methode; totale
Hautnaht. Keine Drainage. Heilung per primam unter einem Verbände. — Kr. lobt
ganz besonders das /Sem'sche Verfahren, welches zur Folge hat, dass Pat. durch Spielen
der Strecker und Beuger das Muskelpolster über den Knochensägeflächen und die darunter
liegende Narbe ausgiebig bewegen kann. Auf diese Weise entstehen wohl die denkbar
besten Amputationsstümpfe.
Irreaheiiustait Barfhllzü: Herr Prof. Forel. Gegen 9 Uhr hatte sich eine in
Folge des schlechten regnerischen Wetters leider beschränkte Anzahl Collegen im Burg-
hölzli eingefunden. Herr College Delbrück erklärte uns zuerst in kurzen Zügen an der
Hand eines Planes den Bau der Anstalt. Auf den geäusserten Wunsch, uns Einiges aus
dem Gebiete des Hypnotismus zu zeigen, ging Herr Prof. Forel aufs Freundlichste
ein, indem er zuerst erläuternde Erklärungen gab und dann an zwei Wärterinnen die
Erscheinungen selbst demonstrirte. Mit Recht bedauerte er, dass diesem wichtigen Zweige
stets noch von Seiten der Aerzte nicht die Aufmerksamkeit geschenkt wird, welche er
verdient, währenddem sich Psychologen wie Delbccuf, Dessoir, Münsterberg u. A. mit
Eifer an das Studium desselben machen. Und doch — ist es denn nicht auffallend,
führte der Redner aus, und sollte es uns nicht ein wichtiger Fingerzeig sein — sehen
wir tagtäglich, wie bei ein und derselben Krankheit die verschiedenartigsten Mittel zum
Ziele führen: während der Eine eine Neuralgie durch Chinin heilt, macht es der Andere
durch Antipyrin, ein Dritter durch ein anderes inneres Mittel und wieder Andere heilen
sie durch Massage, Nervendehnung, Blasenpflaster, Electricität, Händeauflegen etc. Allen
diesen an sich so verschiedenartigen Mitteln muss doch wohl ein gemeinschaftlicher Factor
innewohnen, der unsera Organismus in gleicher Weise trifft. Der gemeinschaftliche
Factor ist die Suggestion und das Organ, welches sie in Bewegung setzt, ist unser
Gehirn und dessen Dynamismus; von hier aus allein kann unser Organismus durch so
verschiedenartige Mittel in dennoch so gleichartiger Weise getroffen werden.
Die zwei Wärterinnen hatte Forel durch hypnotische Suggestion dazu gebracht,
bei gefährlichen Patientinnen den Nachtdienst, der für das Wartpersonal sehr auf-
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reibend ist, dennoch mit grösster Leichtigkeit zu versehen, indem dieselben in Folge der
Suggestion ruhig schlafen, aber beim geringsten Geräusche, welches ihnen gefährlich vor¬
kömmt (z. B. wenn die Pat. ihr Bett verlässt und im Zimmer sich in auflPälliger Weise
zu schaffen gibt), sofort zu erwachen. Wie fein hier das Gehör auf Geräusche ausgo-
bildet werden kann, zeigte die A.rt und Weise, wie Torel die Wärterinnen weckte, in¬
dem er ihnen sagte zu erwachen, wenn er mit dem Taschentuch dreimal auf dem Tische
streiche. Für uns, die wir der Bewegung zusahen, war dieses feine Geräusch kaum
hörbar und doch erwachten die Wärterinnen auf dem Sopha. Wenn solche Geräusche
wahrnehmbar sind, so kann die Patientin sich unmöglich unbemerkt von der Wärterin
an Selbstmord machen. Es hat sich das an einem frappanten Beispiele in der Anstalt
bei einem andern Anlasse, einer gebärenden Patientin gezeigt, welche, wenn wir nicht
irren, wegen Tobsuchtanfällen dort war und welche früher mit plötzlichen Sturzgeburten
niedergekommen war. Da in der Anstalt unmöglich wochenlange Abwart für die Patientin
gegeben werden konnte, eine abermalige plötzliche Geburt aber wegen deren Unruhe zu
erwarten wat, so schlief die Wärterin im Corridor an der Zimraerwand ruhig in ihrem
Bett mit der Suggestion, es sofort zu merken, wenn die Patientin im Zimmer in Wehen
komme. Und siehe da, in einer Nacht steht die Wärterin plötzlich auf, öffnet die
Thüre und findet die Patientin ruhiger als sonst, aber verdächtig sich im Bette drehend.
Sie hatte das veränderte Benehmen derselben in ihrem Schlafe in Folge der Suggestion
wahrgenommen, rief den Anstaltsarzt und kaum war dieser da, so kam auch der Kopf
des Kindes schon zum Durchschneiden! Frappanter könnte das Beispiel nicht sein. —
Bei einer dieser zwei Wärterinnen, welche an unregelmässigen häufigen Menses litt,
hat Forel mit Erfolg zugleich durch Suggestion Regelmässigkeit derselben bewirkt.
Beide Wärterinnen verfallen mit grösster Leichtigkeit in tiefen Somnambulismus mit
posthypnotischer Hallutinationsfähigkeit. Die Ausführung posthypnotischer Suggestionen
hat stets etwas Zwangsartiges, Impulsives an sich.
Auf den Wunsch eines Anwesenden hypnotisirte Forel auch einen noch nie hypno-
tisirt gewesenen Wärter mit grösster Leichtigkeit und erfreulicher Sicherheit.
Ein kurzer Gang durch die Männerabtheilung der Anstalt erlaubte uns einen Ein¬
blick in den Umfang derselben; sie ist für 300 Kranke berechnet, beherbergt aber
bei 360. Die bauliche Einrichtung und Zweckmässigkeit entspricht nicht überall den
neuen Anforderungen. Leider fehlt es auch hier wie so mancherorts an den nöthigen
Mitteln, um zweckentsprechende grössere bauliche Yeränderungen vorzunehmen und muss
sich die Direotion daher mit zeitweiligen kleinem begnügen. Obwohl wir nicht näher
auf die einzelnen Abtheilungen eingehen können, so glauben wir sagen zu dürfen,
dass uns die Anstalt einen guten Eindruck hinterlassen hat und dass alle Besucher
mit Befriedigung und Anerkennung dieselbe verliessen, sowie auch mit Dank für
die uns in der kurzen 2^it gebotenen interessanten und anregenden Gedanken ihres
Vorstehers.
Antemisehes Herr Prof. Siöhr demonstrirte an Hand einer langen Reihe
von sehr schönen Präparaten die nach Oolgi'% Methode imprägnirten Nervenzellen und
verschiedenartigen Ausläufer. (Die Leser seien auf die Arbeit von Prof, von Lenhossek
im Corresp.-Blatt, Jahrgang 1891, Nr. 16 verwiesen.)
Ferner zeigte Herr Prof. Stöhr an einer präparirten Hand, wie er den Studenten
seine anatomischen Vorlesungen illustrirt. Die Muskeln, Bänder, Nerven etc. sind durch
Stecknadeln mit Nummern versehen ; neben dem Präparat stehen die bezüglichen Namen.
Das Ganze wird in der Vorlesung in Circulation gesetzt und ein Irrthum in der Deutung
der einzelnen Theile des Präparates ist durch diese Methode unmöglich gemacht.
PathoIog^SChesSlBStitaL Herr Prof. Ribbert hatte aufgestellt und demonstrirte:
1) Präparate über Fettembolie: Ein frisches Gehirn mit capillären Blutungen,
ein Herz mit fleckiger fettiger Degeneration, zahlreiche microscopische Präparate frischer
und mit Osmiumsäure gehärteter Objecte.
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2) Frische und gehärtete Objecto von Thrombose des Herzens, Myocarditis, Carcinom
des Kcctums mit Stenose und Dilatation des Colons mit perforirendem Geschwür, Ein¬
klemmung eines Gallensteines in den Ductus choledochus, Spina bifida, Syphilis der
Lungen, articulirende Kothsteine mit Perforation des Processus vermiformis etc.
3) Microscopisohe Präparate über multiple Cysten der Milz, einen sahnhaltigen
Tumor der Unterlippen, ein erbsengrosses Myxom der Tricuspidalis.
Byfleinisehes hstitat. Herr Prof. 0. Wyss zeigte zunächst das Institut mit
seinen neuen Sammlungsräumen. Dann wies er Taehyphagen vor, d. h. eine neue
Art Särge, hergestellt von einer Gesellschaft in Chaux^e-fonds, ans Holzgerüste und
Gypsmasse, die den Holzsärgen gegenüber den Yortheil haben, dass sie am Boden sehr
reichlich Flüssigkeit aufsaugen, ohne aussen nass zu werden, also keine Flüssigkeit aus
dem Innern durchlassen, dabei Wände haben, die für Gase permeabel sind; ferner im
Boden rasch zerfallen und die Zersetzung des Leichnams also begünstigen.
Ferner wurden miscroscopische Präparate von experimentell durch Gn^jacolvergiftung
erzeugter hssmorrhagischer Nephritis demonstrirt.
Die neBe PoUkÜBik wurde, trotzdem sie nicht im Programm aufgeführt war, sehr
zahlreich besucht. Allgemeine Befriedigung fand die practische und allen Anforderungen
gerecht werdende Einrichtung. Stellt man sich die oft sprichwörtlich gewordenen Locale
anderer Orte vor, die demselben Zwecke dienen sollen, so darf man dem Herrn Director
und den Studirenden zu ihrem neuen Heim bestens gratuHren.
Herr Dr. Uermann Müller wies gleichzeitig einige Kranke vor, so einen Morbus
Addisonii unbekannter Aetiologie, mit sehr starken Plgmentirungen der Schleimhäute
(Mund, Glans, Conjunctiva), ferner einen Knaben mit den Erscheinungen einer hoch¬
gradigen Pulmonalstenose, wahrscheinlich complicirt mit offenem Ductus Botalli; endlich
einen Knaben mit Alopecia, der nach M. zusammen mit andern Fällen seiner Praxis für
die neurotische und entschieden gegen die infectiöse Natur der Krankheit verwerthet
werden musste. _ (Fortsetzung folgt.)
Gesellschaft der Aerzte in Zürich.
1 . StHHeraitziSf des 5 . Isi 1894 !■ epenitiesssssl der ehirarflsehes Klisik.')
Präsident: Prof. Siöhr. — Actuar: Dr. Conrad Brunner,
1. Prof. Bibbert : Pmikoioglsek-aBBteBilseke DMiBBSirailBBeB.
1) Ein Cholesteatom an der Unterfiäche des Pons. Dasselbe besteht aus einer
mit verhornten Zellen gefüllten Höhle, die von einer Membran begrenzt wird, deren Innen¬
fläche einen 2—3 schichtigen Zellbelag trägt. Vortragender bespricht die Gründe, die es
wahrscheinlich machen, dass die Cholesteatome durch Verlagerung epidermoidaler Keime
entstehen.
2) Ein erbsengrosses Myxom der Tricuspidalis, dessen Genese aus dem
Endocard sich deutlich erkennen Hess.
3) Multiple Cysten der Milz, hervorgegangen aus einer Abschnürung von
Epithelzellen der Milzoberfläche, die ihre ursp^nglicbe Gestalt beibehalten haben.
An der Disoussion betheiligen sich die Herren Stöhr und Eicbhorst. Letzterer
fragt den Vortragenden an, wie gross der beschriebene Herztumor gewesen sei, ob er in
vivo Functionsstörung Verursacht habe. Prof. Bibbert erwidert, dass er nicht in der Lage
sei, über die Todesursache der betreffenden Patientin Auskunft geben zu können, jedeufalls
sei sie nicht an der Herzaffection gestorben.
U. Berathnngen über die Organisation des am 2. Juni siattfindended scbweizerisohen
Aerzteiages.
Eiigegangen 4. Juli 1894. Red.
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Refeirate und Kjritikien«
Lehrbuch der Ohrenheilkunde für Aerzte und Studirende.
Von Dr. L, Jacobson^ Privatdocent in Berlin. Leipzig. G. Thieme 1893. 348 Seiten
mit 20 Tafeln.
Der Verfasser hatte die beneidenswerthe Gelegenheit, während 16 Jahren an einer
der grössten deutschen Ohrenkliniken nach zwei Kichtungen hin reiche Erfahrungen zu
sammeln, 1. als Arzt bei den Ohrenkranken selbst und 2. als Docent im Verkehre mit
den Stndirenden und altem Aerzten (in den sogenannten Feriencursen). Sein Lehrbuch
zeigt uns den Werth dieser trefflichen Vorbildung fast auf jeder Seite. Wenn man die
Medicin, wie dies ja oft geschieht, als „Kunst" bezeichnet, so passt für die Ohrenheilkunde
speziell der Name „Kleinkunst", im Hinweis auf das örtlich beschränkte Arbeitsfeld und die
damit zusammenhängenden zahlreichen, kleinen, instramentellon Kunstgrifife und den nöthigen
therapeutischen Tact. Oft genug hängt hier wirklich der gesammte Erfolg von einem
peinlichen Beobachten und geschickten practischen Verwerthen minimer Einzelheiten ab.
Es scheint uns ein Haoptvorzug des vorliegenden Lehrbuches zu sein, dass der
Verfasser auch auf solche Minutiositäten mit Liebe und Nachdruck eingegangen ist, ohne
dabei selber kleinlich zu werden. So enthalten seine Vorschriften über die verschiedenen
operativen Eingriffe, Katheterismus, Sondirung, Bougirung und das Ausspritzen, ferner
seine Darstellung der Krankheiten des äussem Ohres etc.' viele diagnostisch und thera¬
peutisch werthvolle Winke, für die nicht bloss der Anfänger, sondern auch der gereifte
Practiker und — nicht am wenigsten — der Kranke selbst sehr dankbar sein werden.
Etwas gewundert hat es uns einzig, zu lesen (pag. 46), dass beim Gebrauche des S^^fe'schen
pneumatischen Ohrtrichter „der Arzt das freie Ende des Qummischlauches in den Mund
nehmen und daran periodisch saugen" soll, — gewiss eine wenig appetitliche und durch
den BeUtanche^wihQVL Rarefacteur instrumentell gut ausführbare Manipulation.
Im angenehmen Gegensätze zu manchen ähnlichen Büchern treten hier die Personen¬
fragen nie in den Vordergrund. Selbst da, wo Verfasser in grösserer Ausführlichkeit
seinen grundsätzlich (auch von dem unsrigen) abweichenden Standpunkt vertheidigt, wie
bei der Lehre von den differential-diagnostischen Hörprüfungen, geschieht dies im ruhigen
Tone wissenschaftlicher Erörterung. Als mehr äussere Eigenschaften des Buches, die uns
nicht ganz auf der Höhe des Inhaltes zu stehen scheinen, möchten wir in einer künftigen
Ausgabe weg wünschen, respective reducirt sehen die unnöthig zahlreichen, zu kleinen und
dabei unbequem eingebundenen Abbildungen, die gewiss überflüssigen Receptformeln für
pil. Blaudii, sol. arsen. Fowl., ol. ric., morph., chloral. etc. (pag. 145—148 und 196)
endlich auch den consequent wiederkehrenden Druckfehler „lethal."
Sonst ist die Austattung eine des wirklich vortrefflichen Buches würdige und
wäre es vielleicht noch mehr, wenn Verfasser nicht aus zu grosser Bescheidenheit, um
dem gar eiligen Leser „Zeit zu ersparen," das practisch hauptsächlich Wichtige durch
besonders grossen Druck hervorgehoben und damit etwas unruhige Retina-Bilder geschaffen
hätte. Nager.
Das Kinderspital in Basel 1862—1893.
Bericht über den Gang der Anstalt seit der Gründung, erstattet von Prof. Dr. Ed. Hagen^
bach-Burckhardt. Basel, Werner-Riehm 1894.
XXXI. Jahresbericht des Kinderspitals in Basel pro 189 3.
Im December 1893 waren es 25 Jahre, dass Prof. Hagenbach zum leitenden Arzte
des Kinderspitals ernannt wurde. Der verdiente Kinderarzt und academische Lehrer be-
Bchliesst das erste Vierteljahrhnndert mit einer schönen, litterarischen Gabe, einem Rück¬
blick auf die Geschichte seiner Anstalt, worin die allmählige Entwicklung derselben aus
kleinen Anfängen zur jetzigen, allen Anforderungen entsprechenden Anlage geschildert
wird. Die mustergiltigen Neubauten: Absonderungspavillon und Poliklinik sind in Grund¬
rissen beigegeben und können mancherorts, wo gebaut werden soll, als Wegleitung dienen.
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lieber die ärztliche Thätigkeit im Kinderspital gibt eia alljährlich erscheinender
Bericht Auskunft. Auch der vorliegende, pro 1893, überschreitet den Rahmen und die
Bedeutung eines blossen statistischen Rechenschaftsberichtes, indem darin alle wichtigeren
Fälle kurz beschrieben und sämmtliche Sectionsprotocolle im Auszug mitgetheilt sind.
Häufiger vorkommende Krankheiten erscheinen in tabellarischer üebersicht. — Der Be¬
richt ist ganz objectiv gehalten; ohne alle Schönfärberei sind günstige und ungünstige
Resultate neben einander gestellt, z. B. Hausinfectionen alle, auch wo sie den Gang der
primären Erkrankung kaum beeinflussten, aufgeführt etc. —
Da im Gegensatz zu vielen andern Jahresberichten auch die Therapie Erwähnung
findet, hat der vorliegende auch für den im Beruf stehenden Arzt einen practischen
Werth. E. Haffter,
Ooiiitoiiaile Oonreispoiidleiizeii«
Bern« f Dr. Jalias Ednard BeruBd, A^nei des sehwelz. Gesudheitsantes»
ia Bera. Am 21. Juni 1894 ist Dr. J. Ed. Bomand^ Adjunct des Schweiz. Gesund¬
heitsamts, erst 29 Jahre alt, als ein Opfer seines ärztlichen Berufes gestorben.
Während einer Artillerierekrutenschule in Biöre, welche der Verstorbene als Schul¬
arzt mitzumachen hatte, kam er in Berührung mit einem schweren, binnen 2 Tagen
tödtlich verlaufenden Variolafalle (in der Privatpraxis des im Militärdienste abwesenden
Platzarztes). Einige Tage nach Beendigung des Militärdienstes erkrankte Bomand^ der
als Kind ohne Erfolg geimpft und seither nicht revaccinirt worden war, ebenfalls an
schwerer, zum Theil confiuirender Variola, welcher der anscheinend sehr kräftige und ge¬
sunde Mann am 12. Tage im Absonderungshause der Stadt Bern erlag. Zn diesem un¬
glücklichen Ausgange bat nach Ansicht des behandelnden Arztes ein von einer acuten
Polyarthritis rheumat. zurückgebliebenes Herzleiden nicht unwesentlich beigetragen.
J. Ed. Bomand war ledig und hinterlässt weder Eltern noch Geschwister.^) Er
wurde geboren am 12. Mai 1866 in Ste. Oroix (Waadt) als der einzige Sohn des ühren-
fabrikanten Jnles-Constant Bomand. Kaum 7 Jahre alt verlor Eduard seinen Vater.
Die Mutter, eine energische Frau, suchte indessen dem Sohne den erlittenen Verlust nach
Kräften zu ersetzen und sie that ihr Möglichstes, um ihm eine vorzügliche Erziehung zu
Theil werden zu lassen. Leider sollte sie die Früchte ihrer sorglichen Bemühungen nicht
mehr schauen; denn auch sie starb, bevor er seine Studien vollendet hatte.
Nachdem Bomand bis zu seinem 15. Jabre die Schalen seines Heimatortes besucht
hatte, kam er für ein Jahr nach Uster (Canton Zürich), um Deutsch zu lernen. Mit
16 Jahren trat er ins College industriel von Lausanne und lag nach dessen Absolvirung
an der dortigen Akademie und später an der Universität Genf naturwissenschaftlichen
Stadien ob.
Im Jahr 1885/86 war er Inhaber des schweizer. Freiplatzes an der internationalen
zoologischen Station in Neapel. Aus dieser Zeit stammen folgende im Bulletin de la
societe vaudoise des Sciences naturelles (Vol. XXllI, 1887) erschienene Arbeiten: ^Sur
la nature et l’origine de la gatne de sarcolemme chez les poissons" und „Etüde histolo-
gique des nerfs et de la muqueuse buccale cbez les poissons^.
Nach Genf zurückgekehrt, widmete er sich mit Eifer dem Studium der Medicin,
setzte diese Stadien in Bera fort und bestand alsdann im Jahr 1891 an der medicinischen
Facnltät in Genf zuerst das Doctor- und nachher das Schweiz. Staatsexamen mit gutem
Erfolg. Seine unter der Leitung von Prof. Dr. Langhaus in Bern ausgeführte Doctor-
arbeit trägt den Titel: „Observations histologiques sur un cas d’Hypertropbie musculaire
unilatörale ou maladie de Thomson^.
') Sein ganzes Vermögen (abzüglich 10,000 Fr., die er für die Armen seiner Heimatgemeinde
bestimmte) vermachte B. der Universität Lausanne „zur Gründung eines Lehrstuhles für Embryogenie“.
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Nachdem Bornand noch längere Zeit; am Kantonsspitale in Lausanne als Assistenz¬
arzt thätig gewesen war, Hess er sich gegen Endo 1892 in seiner Heimatgemeinde
Sie. Croix, welche ihn kurz yorher als ihren Vertrauensmann in den waadtländischen
Grossen Rath gewählt hatte, als practischer Arzt nieder.
Seine gründlichen medicinischen Kenntnisse, sein practisches Geschick und nicht
zum Mindesten seine vorzüglichen Charactereigenschaften erwarben ihm in kurzer Zeit
das Vertrauen der Bevölkerung. Die Trauer war denn auch eine allgemeine, als sich
Dr. Bomand, nach kaum einjähriger Praxis entschloss, die auf ihn gefallene Wahl zum
Adjuncten des schweizer. Gesundheitsamts anzunehmen.
Es war weniger die Ehre, welche ihn zu der Annahme bewog, als vielmehr die
Ueberzeugnng, dass er auf diesem Posten der Menschheit und dem Vaterland mehr nützen
könne, als in dem engen Kreise einer ärztlichen Praxis.
Leider war es ihm nur eine kurze Spanne Zeit vergönnt in der neuen Stellung zu
wirken. Nach einer bloss Gmonatlichen Thätigkeit erlag er derjenigen Seuche, deren
sanitätspolizeiliche Bekämpfung mit zu seinen Obliegenheiten gehörte.
Wenige Wochen vor seinem Tode noch hatte Dr. Bornand in einer kleinen Schrift
„La variole en Suisse'^ in seiner bündigen, klaren und überzeugenden Weise den Nutzen
der Impfung und Revaccination nachgewiesen. Dass er selbst es unterlassen hat, sich
dieses Schutzmittels zu bedienen, ist um so beklagenswerther, als er angesichts der
herrschenden Pockenepidemien sich revacciniren lassen wollte und nur durch einen be¬
dauerlichen Zufall verhindert wurde, diess noch vor Antritt seines Militärdienstes zu thun,
der für ihn so verhängnissvoll werden sollte.
Mögen die Lehren, dio unser junger, unglücklicher Freund durch seinen Tod be¬
siegelt hat, eine immer allgemeinere Beachtung und Verbreitung finden I Dann wird auch
aus seinem Grabe noch der Menschheit, der er sein ganzes Leben geweiht hatte, Segen
erblühen. - &
An Herrn Dr. H aff t er in Frauenfeld.
Lieber Freund! Als ich im vergangenen Herbste nach meinem Aufenthalte im Bad
Nauheim Sie in Ihrem reizenden „Daheim^ besuchte und Sie sieh um meine Cur inter-
essirten, da versprach ich Ihnen, bei einer allfälligen Wiederholung einen ausführlichen
schriftlichen Bericht über dieselbe. Heute löse ich mein gegebenes Versprechen und wenn
ich Sie bitte, den Brief als „offenen*^ im Correspondenz-Blatte aufzunehmen, so geschieht
es vor Allem deshalb, weil ich mich immer und immer wieder überzeugen kann, dass
Nauheim bei den schweizerischen Aerzten sehr wenig bekannt ist. Baden-Baden, Wildbad,
Kissingen, Homburg, Carlsbad, Ems, Vichy, Kreuznach, und wie sie alle heissen, die
berühmten Bäder des Auslandes, sind schon von der Schule her im Munde eines jeden Medi-
ciners, und wer eine gute Praxis bekommt, schickt jährlich einige seiner Patienten dorthin.
Und doch ist jedes der Genannten im Nothfalle durch ein schweizerisches zu ersetzen,
und häufig entscheidet der Geldbeutel oder die Laune und besonders die Rücksicht auf
Unterhaltung und Luxus, ob der Patient im Vaterlande bleibe oder emem ausländischen
Collegen anvertraut werde.
Bad Nauheim hat sich aber eine ganz eigenthümliebe Stellung erobert und sich
Indicationen gewonnen, die andern Curorten, sowohl des Auslandes als der Schweiz ab¬
gehen. Die Natur hat ihm eine so merkwürdige Zusammensetzung seiner Thermen ge¬
geben, dass sie sich als erfolgreich bei Krankheiten erweisen, die sonst einer baineo¬
logischen Behandlung nicht zugänglich schienen. Es sind dies in erster Linie die
Herzkrankheiten, deren Behandlung zu einer eigentlichen
Specialität der Aerzte von Nauheim geworden ist. Da die Herzkrank¬
heiten in der Schweiz so häufig sind und besonders nach Rheumatismus so viele Opfer
fordern, da aber gerade in Baden und in Ragaz Klappenfehler als Contraindication für
die Cur von Rheumatikern gelten, so lohnt es sich wohl der Mühe, der Sache näher
zu treten zum Nutzen und Frommen der Patienten und zur Aufklärung der Aerzte.
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Die balneologische Behandlung der Herzkrankheiten in Nauheim begann schon Ende
der 1850er Jahre durch Professor Benekc aus Marburg, welcher bei Fällen Ton organischen
Herzleiden sich davon überzeugen konnte, dass entgegen seiner vorgefassten Meinung
durch die Bäder nicht nur nicht ein Schaden für den Patienten, sondern im Gegentheii ein
sichtbarer Nutzen eintrat. Seine Nachfolger haben ein eigentliches System der
Behandlung der Kreislaufsstorungen ausgebildet, das in seinen Grund¬
pfeilern immer noch auf der Erfahrung ruht, in welchen die Theorie aber doch schon
die Räume zu erhellen beginnt. Wenn ich den Ansichten von Medicinalrath Dr. Groedel,
meines gewissenhaften, geduldigen, scharf diagnosticirenden Leibarztes, die er in ver¬
schiedenen gründlichen und ernst wissenschaftlichen Artikeln in der Berliner klinischen
Wochenschrift, Deutschen medic. Wochenschrift, der Petersburger medic. Wochenschrift
etc. veröffentlicht und in mehr populärer Form in seinem „Führer durch Bad Nauheim*
niedergelegt hat, folge, so ergibt es sich, dass die Bäder von Nauheim nicht etwa nur
die Besserung und Heilung der durch rheumatische Processe bedingten Herzkrankheiten
im Auge haben, sondern dass sie ihre Wirkung auf alle diejenigen krankhaften Störungen
im Circulationsapparate auszudehnen suchen, wo es sich darum handelt, ein für die ge¬
gebenen Verhältnisse zu schwaches Herz in seinem Leistungsvermögen zu heben. Die
Cur hat sich als ein eigentliches Tonicum ersten Ranges
für das geschwächte Herz erwiesen. Aehnlich der Digitalis wirken die
Bäder beruhigend, regulirend auf die Herzaction und entschieden tonisirend auf den Herz¬
muskel. Dabei werden nicht etwa Stoffe aus dem Wasser in den Körper aufgenommen,
sondern die Wirkungsweise desselben auf den Organismus ist eine rein physicalische,
indem durch thermische, chemische und mechanische Momente die Hantnervenendigungen ge¬
reizt werden und eine Reflexaction auf das Herz, die Gefössnerven und die Respiration
entsteht. Dadurch ändert sich die Statik des Blutkreislaufes und die Ernährung des
Herzens und die reflectorisch ausgelösten Einflüsse auf den Herzmuskel bewirken in dem¬
selben Spannungen und Erschlaffungen, welche ähnlich der Heilgymnastik ihn alhnälig
kräftigen. Da aber nicht nur die Menschen im Allgemeinen in ihrer Reactionsfahigkeit
so verschieden sind, sondern auch speciell die Circulationsapparate darin bedeutend variiren,
so ist eine genaue und subtile Individualisirung der Heilmethode nothwendig und die
anzuwendenden Reizmomente müssen mannigfaltig und der feinsten Abstufnng fähig sein.
Dieser umständlichen Forderung genügen die Bäder von Nauheim in staunensworther
Weise und sie müssen als einzig in ihrer Art taxirt werden.
Sie sind kurz als kohl.ensaure Thermalsoolen zu bezeichnen und ent¬
steigen dem Schoosse der Erde als zwei mächtige, stark schäumende Ströme, welche in
ihrer Temperatur, ihrem Salzgehalte und in der Menge der freien Kohlensäure differiren.
Die eine Quelle besitzt eine Temperatur von 31,5® C. mit 3®/oo freier Kohlensäure und
circa 3®/c Chlorsalzen (Chlomatrium, Chlorcalcium, Chlormagnesium), die andere eine
Temperatur von 35,3® C. 2,8®/oo freier Kohlensäure und circa 4®/o Chlorsalzen. Der
Luft ausgesetzt entweicht die freie Kohlensäure und Eisenoxyd und Kalksalze schlagen
sich nieder und verleihen dem Wasser eine rothe Färbung und undurchsichtige Be¬
schaffenheit. Mit diesem Wasser, das aus grossen Reservoirs stammt, werden die sogen.
Thermalbäder hergestellt. Ein Theil der Quelle wird aber in der Tiefe der
Schächte durch Röhren direct abgeleitet und gelangt als klare, ausserordentlich stark
monssirende Flüssigkeit in die Badewanne und liefert die Sprudelbäder. Durch
vorzügliche Einrichtungen in den luxuriös ausgestatteten Badehäusem können die beiden
Quellen beliebig gemischt oder einzeln verwendet, können sie mit Süsswasser verdünnt,
mit Eis abgekühlt und durch Zusatz von Mutterlauge noch verstärkt werden. Durch
solche wohl ausgedachte Variationen werden die thermischen und chemischen Reizmomente
in ihrer verschiedenen Intensität erzeugt und dem Individuum angepasst. Meistens wird
mit den weniger angreifenden, kohlensäurearmen, stark mineralische Bestandtheile ent¬
haltenden Thermalbädern begonnen, weiche durch Steigerung der peripheren Circulation
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das Herz entlasten und dann allmälig zu den stark erregenden Sprudelbädern angestiegen,
welche durch ihre zu verwendende kühlere Temperatur und ihren reichen Kohlensäure-
gehalt ein Sporn zu erhöhter Leistung für den Herzmuskel sind. Dank dem Reize der
Soole und besonders der Kohlensäure werden niedrig temperirte Bäder mit Leichtigkeit
ertragen und solche sogar von 28^ C. bis zu zwanzig Minuten Dauer angewandt. Der
Reiz der Kohlensäure auf die Hautnerven verdeckt nicht nur das Kältegefühl, sondern
verhindert auch das Entstehen von Cyanose, wie sie gleich temperirte Bäder von ge¬
wöhnlichem Wasser erzeugen würden, indem in den Sprudelbädern nach ganz kurzem
Contractionsstadium die Hautcapillaren sich stark erweitern und das Blut von den innem
Organen abziehen. Die Haut wird ganz roth und in ihr entsteht ein prickelndes Gefühl.
Dadurch können Wirkungen erzielt werden, die in ihrem Effecte den in hydropathischen
Anstalten erzeugten gleichwerthig sind, nur dass sie bei geschwächtem Herzen keine
Gefahren und bei für Kältereize überempfindlichen Personen keine Unannehmlichkeiten
im Gefolge haben. Vorsichtshalber wird das Bad je den zweiten, dritten oder vierten
Tag ausgesetzt, indem es häufig Schlaflosigkeit und andere nervöse Reizsymptome ber-
vorrufl. Als dritte Art der in Nauheim verabfolgten Bäder müssen wir noch kurz
die einfachen Soolbäder erwähnen. Die Thermen werden auf Gradirwerken ihrer
Kohlensäure und der Mineralsalze verlustig und kommen als stark gesättigte Flüssige
keit in ein eigenes Badehaus, wo sie nach den neuesten Principien mit Dampf erwärmt
werden.
Vergleichen wir Bad Nauheim mit unsem Curorten der Schweiz, so können wir
uns ein Analogon für dasselbe nur durch Combination verschiedener einheimischer Bäder
construiren. ln der physicalischen und chemischen Beschaffenheit seiner Quellen finden
wir eine Therme ähnlich Ragaz, verbunden mit einem stark kohlensäurehaltigen Stahlbad
wie St. Moritz und einer Soole wie Rbeinfelden. Dieser Trias schreiben aber die Aerzte von
Nauheim ihre Erfolge zu und auf dieselbe gründeten sie ihr System der Behandlung der
Herzkrankheiten.
Die Dauer einer Cur beträgt vier bis sechs Wochen, die Zahl der Bäder beläuft sich
durchschnittlich auf vierundzwanzig. Die Balneotherapie nimmt bei Herzkranken die erste
Stelle ein; zu ihrer Unterstützung bei geeigneten Fällen besteht noch ein medico-mechanisches
Ihstitut für schwedische Heilgymnastik, sind auch in der Umgebung farbige Wegzeichen
zu Terraincuren nach Oertel angebracht.
Bad Nauheim erzielt günstige Erfolge bei Klappenfehlern, welche nach Rheumatismus
oder aus anderer Ursache entstanden sind und bei denen die Compensation nur zögernd sich
einstellt oder im Verlaufe der Zeit wieder verloren ging. Normale Circulationsverhältnisse
bilden sich hier rascher als zu Hause und dabei verhüten die Bäder noch weitere Recidive
des Rheumatismus und beugen einer Verschlimmerung der Herzkrankheit auch so vor.
Seit etwa zehn Jahren habe ich regelmässig Patienten mit Vitia cordis nach N. geschickt
und bei zwei Fällen von Insufficientia mitralis ganz ausgezeichnete Erfolge notiren können.
Bei beiden sind die Geräusche verschwunden und ist die Herzfunktion normal geworden.
Ferner behandelt N. die Affectionen des Myocardes, klinisch unter dem Bilde der Herz¬
schwäche und der Irregularität sich zeigend, seien dieselben Folge von entzündlichen Processen
oder von Degeneration des Herzmuskels, oder sei eine Dilatation entstanden nach über¬
mässigen, körperlichen Anstrengungen. Beginnender Hydrops, auch Arteriosklerose als Ursache
der Myocarditis bilden keine Contraindicationen und selbst in Fällen von Angina pectoris
und bei Aneurysma Aortm sollen noch Besserungen und Schaffung eines leidlichen Zustandes
für einige Zeit erzielt werden. Vorzügliche Resultate sind zu erwarten bei allen nervösen
Herzaffectionen beginnend mit dem Herzklopfen und ansteigend zur paroxysmalen Tachy-
cardie. Auch der in seiner Aetiologie umstrittene Morbus Basedowii macht gute Geschäfte
und ist auch reich vertreten, indem man auf Spaziergängen öfters glotzäugige Menschen¬
kinder antrifft. Für fast alle diese kurz berührten Krankheiten finden sich in den Pobli-
cationen Grocd^Vs Krankengeschichten mit sphygmographischen Curvon und es ist merkwürdig,
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wie der Pals unter dem Einfluss der Bader steh rasch zum Guten ändern kann, wie ein
ganz arhjthmischer nach und nach wieder regelmässig wird.
Eine zweite Specialität für Nauheim bilden die chronischen Erkrankungen des Rücken¬
markes und unter ihnen in erster Linie die Tabes dorsalis. Kein Geringerer als Erb schickt
seine Patienten hieher und hat den Ruf des Bades dafür begründet. Unter einer vorsichtig
geleiteten Cur verschwinden die Schmerzen rasch und das Gelivermögen bessert sich. Ein
aufmerksames, ärztlich gebildetes Ange kann auf der Terrasse des Curhauses täglich bei
diesen ihre Diagnose nicht verheimlichenden Kranken die Beobachtung machen, wie rasch
die Bäder sie stärken. Die ersten Tage erscheinen sie im Rollstuhl, nachher wagen sie
sich von einer Bank auf die andere, endlich aber sicheln sie ohne Stock in der Welt herum
und ihre Gesichter strahlen von Glück und Stolz und Selbstbewunderung. Sie kehren
jährlich, sogar häufig zweimal zu kürzeren Cnren wieder, um ihr Gehvermögen aufznfrisohen;
ob wirkliche Heilungen eintreten, weiss ich nicht, es soll aber bei frühzeitiger Anwendung
der Bäder Stillstand der Krankheit sich bilden können. Auch Residuen von Myelitis und
Meningitis spinalis, multipler Sklerose etc. sollen günstig beeinflusst werden. Häufig sind
Fälle von Polyneuritis mit Erfolg behandelt worden. Man sieht hier sogar Hemiplegiker
nach Apoplexie und Embolie und dieselben sollen nicht nur keinen Schaden leiden, sondern
Besserung ihrer Lähmungen finden.
Aus der Beobachtung von eigenen Patienten kann ich zum Schluss noch melden,
dass Nauheim den geschwächten und verzärtelten Körper stählt und abhärtet und so ähnlich
einer Kaltwassercur wirkt, nur rascher und für viele gegen das kühle Wasser renitente
Individuen angenehmer. Bei der einen, wie bei der andern Behandlung werden eben
die vasomotorischen Apparate geübt und ihnen die richtige und prompte Ausführung der
„Griffe^ beigebracht.
Natürlich nimmt Nauheim noch eine Menge anderer Krankheiten, wie Rheumatismus,
Gicht, Arthritis deformans, Nervenkrankheiten, Chlorose, Scrophulose, Frauenkrankheiten
in seine schützenden Arme auf und giebt jährlich gegen 150,000 Einzelbäder ab. Seinen
Ruf und seine jedes Jahr mächtig ansteigende F^uenz verdankt und unser Interesse gewinnt
es durch seine Specialitaten.
Da mein Schreiben schon über alle Gebühr lang geworden ist, so will ich Ihnen
nur noch kurz sagen, dass Bad Nauheim im Grossherzogthum Hessen-Darmstadt liegt und
mit der Eisenbahn in ungefähr einer Stunde von Frankfurt a./M. aus zu erreichen ist.
Nach Giessen gelangt man in einer halben Stunde Fahrt. Das Curhaus, die Bäder und
die Villen, in welchen man ein Zimmer sucht, befinden sich in und um einen ausgedehnten
wundervollen Park, in welchem schattige Bäume mit weiten Wiesen abwechseln. Dadurch
herrscht immer eine angenehme Kühle und die Luft ist frisch und rein. Mit Ausnahme des
niedern Johannisberges, eines Ausläufers des Taunus, in dessen Nähe sich ein grosser, präch¬
tiger Eichenwald befindet, ist das Land eben und neben einer reichen Obstcultur geben die
Felder hauptsächlich Korn. Nauheim ist kein Luxusbad, die Preise für Wohnungen und
für Speise und Getränk sind massige; für Unterhaltung ist durch eine gute Capelle, ein
Theater und ein reiches Lesezimmer gesorgt. Wer aber nicht gerne allein ist, thut gut,
sich einen Freund aus der Heimath mitzunehmen, indem Bekanntschaften sich schwer machen.
Ansflüge kann man nach Frankfurt, Giessen, Marburg, Homburg und C^el unternehmen;
d{it Cor macht aber träge und schläfrig und arbeitet so den Aerzten in die Hände, welche
ihre Patienten gern ruhig sehen. Die Ansprüche auf Unterhaltung und Lustbarkeit werden
gering und der Ausspruch Yischer'^ in seinem dritten Theile von Faust, dass „das Physi-
calische wirke auf das Moralische*^ wird voll bestätigt.
Leben Sie wohl, lieber Freund, bestens gegrüsst von Ihrem ergebenen
Bad Nauheim, den 16. Juni 1894. Dr* A. Koitmann.
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Sckwelz.
— Wie wir eben Temehmen, ist unser Landsmann und treuer Mitarbeiter Prof.
Garre in Tübingen als Nachfolger Yon Madelung zum DIrector der chirurgkohen Uni-
Yersitätsklinik nach Rostock ernannt worden. Wir freuen uns dieser ehrenvollen Berufung
und graiuliren unserem Freunde auf's Herzlichste.
Seettrer-PnMitlnmnw. Eine in zahllosen Ehcemplaren verbreitete Flugschrift,
welche nebst einigen spärlichen Wahrheiten über unnöthige und verwerfliche Rohheit
einzelner Thierexperimentatoren viel Uebertriebenes und Erfundenes in Bild und Wort
anffcreibt, um das Lgienpubliknm schaudern zu machen und gegen das so segensreiche
Thierexperiment zu empören, sucht durch Gründung eines Ymuins das gänzliche ge¬
setzliche Verbot derViviseetion anzustreben und scheint, so plump und
ohne alle fachmännische Kenntnisse das Machwerk auch abgefasst ist, damit doch ziem¬
liches Aufsehen zu erregen. Eine ganz vorzügliche, sachliche Antwort darauf gibt Dr.
Wlassak^ Privatdocent für Physiologie in Zürich, soeben in der Neuen Züreberzeitung und
weist dann n. A. nach, dass „den Verfasser des Flugblattes in den Augmi jedes ehrlich
denkenden Menschen der Vorwurf litterarischer Gewissenlongkeit trifft".
Ausland.
— Zur Orpinisntlon der deilseken ■edieintoehen Pnefepresse. Ein Bpitzen-
artikel der Deutschen medicin. Wochenschrift 1894, Nr. 22, — Prof. Fmlenburg und
Dr. Schwalbe — macht den bemerkenswerthen Vorschlag, auf dem Wege freier Vereini¬
gung die medieiniscbe Presse innerhalb des deutschen Sprachgebietes zu organisiren, als
wichtigen und vorbereitenden Schritt für eine künftig anzustrebende, auch in Rom an¬
geregte internationale Organisation der medicin. Fresse. Die
Franzosen sind längst in ähnlicher Weise vorgegangen und haben mit der in den 80er
Jahren gegründeten „Association de la presse mddicale" schon viel erreicht, namentlich
puncto Erleichterung des Pressdienstes bei Congressen, Ansknnftsertbeilungen u. dergl.
Eine Belebung des innern Zusammenhanges der medicinischen Presse nnd eine auf Wahr¬
nehmung ihrer gemeinsamen idealen Interessen abzielende Yerehii^üng wäre sehr zu be-
grüssen und in diesem Sinne stehen wir dem in Aussicht gestellten UntemehmeB vor-
länfig, namentlich auch im Interesse unserer Leser, sympathisch gegenüber nnd werden
gerne von weiteren Schritten hören.
— Snechnritt fogren Oznenn empflehlt Felici, Der Kranke soll zweimal tlglich
mit einer wässerigen Lösung desselben (1—1,5 : 500,0) die Nase aasspülen, worauf der
üble Gemdi rasch und vollständig verschwinde.
— Gosisrhen: In Wien: 84 Jahre alt, Prof. Joseph Hgril, der berühmte Anatom,
die letzte hohe Säule eines stolzen Qetstesiempels, der alten Wiener medteinisohen Schule.
— Bnnitzmlttel fir flnri^elwisner. Ausgehend von der Thatsache, dass beim
Ourgdti weder Mandeln noch hintere Rachentheile bespült nnd gereinigt werden können
(weil eben das Gaumensegel für das Gargarisma einen nnüberschreitbaren Wall bildet)
and dass nur der Schluckact zur vollständigen Bespülnng genannter Theile aas¬
reicht, suchte Dr. Bergmann in Worms a./Rh. auf letztem eine rationelle Heilmethode
bei Tonsiffitis etc. zu begründen, indem er aus unlöslicher Masse Pastillen hersteilen
Kess, welche, mit Antisepticis impr^nirt, durch anhaltendes Kauen im Munde ihre wirk¬
samen Bestandtheile an den Speichel abgeben und vermittelst des letztem bei jedem
Schluckaote die gesammte Rachenschleimhant nnd besonders die Tonsillen abspülen nnd
imprägniren. Diese > Kaupastillen" enthalten Thymol, Natrium benzoiciun und
Saccharin. Bergmann empfiehlt sie als Prophylacticum gegen Diphtherie und zur Be¬
handlung von Anginen.
— Die Frs^e der Syphilis in der indischen Armee bildete vor einigen Wochen
den Gegenstand einer interessanten Disenssion im englischen Parlament. Man erinnert
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sioh, dass unter den Druck einer öffentliohen Agitation die englische Regierung vor
einigen Jahren die sogenannten „Contagions Diseases Acts" abschaffte, welche die Pro¬
stitution in den Gamisonsstädten Englands und der ColonieD gewissen Verordnungen
unterwarfen. Seit jener Zeit .wurde über die Zweckmässigkeit dieser Maassnahme Tiel
disoutirt und die letzte parlamentarische Disoussion wirft über den jetzigen Zustand kein
erfrenliches Licht So behauptete dass unter den englischen Truppen in Ost-
und West-Indien die Syphilis in erschreckender Weise yerbreitet sei. Im Jahre 1871
vor der Abschaffung der „Acts" betrug die Zahl der Spitaleintritte für seoundave Syphilis
21,2Voo; während dieser drei letzten Jahre ist sie auf 33, 35 und 37^00 gestiegen.
YergleioU man die Jahre 1878 (vor der Abschaffung) und 1892, so findet man folgende
Zahlen für die yersohiedenen Stationen: Malta S^oo 1879 und 18,67oo 1392; West-
Indien 3,9 und 48,37oo; Süd-Afrika 19,1 und 68,57oo; CUna 11,4 und 58,4^00;
Bengalen 284 und 55,l7ooy Madras 25,3 und 747ecv Bombay 22,8 und 50,4^/oo. Ein
vor einigen Tagen aus Indien zurückgekehrter Offizier meldete, dass die Hälfte seiner
Mannschaft angesteckt sei; es besteht dabei nicht nur eine enorme Gefahr für die Armee
sondern auch für die Civilhevolkemng, welche nach der Rückkehr der Soldaten in ihrer
Heimat, der Gefahr der Ansteckung ausgesetzt ist. Nach der Aussage des Obersten
Lockwood bedauern alle Offiziere der Armee die Abschaffung des „Acts". Trotzdem
widersetzt sich die öffentliche Meinung in England einer Wiedereinführung derselben, so
dass die Regierung sich in grosser Verlegenheit befindet, für diese Uebelstände Abhülfe
zu schaffen. (Sem. medio. 20. Juni.)
— Darf ein Arzt seinem Clienten sagen, dass er der Gefahr eines pKlEllehea
Tn4es ausgesetzt kt? Br&umdel antwortet nein, und gibt als Beleg dafür folgende kleine
Anecdote. „Im Jahre 1877 wurde ich yon einem Patienten aus der Provinz consnltirt,
der an einer Aorteninsufficienz litt. Ich begnügte mich, ihm einige Verhaltungsmass-
regeln anzngeben, ihn Zur Vorsicht aufzufordern und im Uebrigen suchte ich ihn zu be¬
ruhigen. Dies gelang mir aber offenbar nicht vollständig, denn bevor er Paris verliesa,
consultirte mein Patient noch einen anderen Arzt, früherer Schüler von Bmillmd^ welcher
es für angezeigt hielt, ihm mitzutheilen, dass er eine Aorteninsufficienz habe, so dass
die grösste Vorsicht geboten sei: Er dürfe nicht mehr allein ausgehen, auf die Jagd
müsse er absolut verzichten, denn er könne von einem Angenblick zum anderen sterben.
In einem nnheschreiblichea Zustand der Aufregung kam der Patient wiederum zu
mir. Ich wusste ihm nichts anderes zu sagen als das erste Mal, und um ihn möglichst
zu beruhigen, schlug ich ihm für den nächsten Tag eine Consultation mit Bouillaud selbst
vor. Bouillmdy den ich von der Geschichte benachrichtigt hatte, wiederholte meine be¬
ruhigenden Aussagen. ,^Aber, sagte dann der Client, ich bin zum Dr. X. gegangen,
weil ich wusste^ dass er früher Oberarzt auf Ihrer Klinik gewesen sei, was soll nun das
bedeuten?" „Caligpla hat auch sein Pferd zum Consul gemacht", antwortete lächelnd
Bmillcmd,
Der Kranke ging beruhigt, davon, fuhr fort auf die Jagd zu gehen, und starb
letztes Jahr an — einer Lungenentzündung. (Rev. de thörap. Nr. 12.)
lieber die zur Zeit herrschende Peatepidemie in China, entnehmen wir der
„Philadelphia med. News" vom 23. Juni folgende Notizen: Den Beschreibungen nach
scheint die Epidemie grosse Aehnliehkeit mit der grossen Pest von London im Jahre 1365
zu haben«, Sie bsach zaevst inOmkou gegen Ende April nach einer ungewöhnlich langen
Trockenheitsperiode aus. Man behauptet, dass die Zahl der Todesfälle in Canton und
Pakhoi jetzt schon mehrere zehntausend erreicht. In Hongkong wurde der erste Fall
am 8. Mai beobachtet, und am 10. wneden bereits dreissig bis vierzig Todesfälle ge¬
meldet. Die Bpidemie wsrd als Bobonieapest be6c]u*iebeci, mit purpurixither oder schwarzer
Schwellung der Drüsen am Unterkiefer, im Nacken, iw des Achselhöhlen und in den
Leisten^ begleUek vew eitofiii iniMBiven» Fieber mit Temperaturen bk 41^ C. Der Ver¬
lauf ist ein sehr prompter. Die Temperatursteigerung erfolgt ziemlich plötztieft, entweder
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mitteD im besten Wohlbefinden oder nach einer kurzen Periode allgemeinen Unwohlseins
mit Schüttelfrost und erreicht bald 41® C. und mehr. Dabei besteht meist noch hoch¬
gradiger Kopfschmerz and Delirien. Gleichzeitig tritt Diarrhos ein, und in den schwersten
Fällen gehen schon nach zwei bis drei Stunden die Kranken unter den Erscheinungen
von Coma zu Grunde. Bald wird die Leiche schwarz, zersetzt sich sehr rasch und
schwillt an, so dass sie in zwölf bis vierundzwanzig Standen das Dreifache der ursprüng¬
lichen Grösse erreichen kann. In anderen Fällen erscheinen nach zwölf bis vierundzwanzig
Stunden die DrUsenschwellungen in der Unterkiefergegend, im Nacken und in der Achsel
rasch an Grösse zunehmend. Die Bubonen sind hart und sehr empfindlich. Mit oder
ohne Fieberabfall verfallen die Kranken in ein immer tieferes Coma und sterben ge¬
wöhnlich nach achtundvierzig Stunden oder früher. Wird der sechste Tag erreicht, so
ist Hoffnung auf Genesung vorhanden. Die geschwollenen Drüsen zeigen keine Zeichen
von Suppuration. In einzelnen Fällen beobachtet man Epistaxis oder Hsematemesis; auch
kommen Petechien vor. Sehr starke Individuen widerstehen der Krankheit zwei Tage,
um dann doch zu sterben; die grösste Zahl der Erkrankten aber, in Canton mehr ab
80®/o, starben im Laufe des ersten Tages. Diejenigen, welche drei oder vier Tage
widerstehen kommen gewöhnlich davon; es sind aber deren sehr wenig.
Nach einer Notiz dos „Progrös mödical^ vom 7. Juli soll Küasaio^ ein Schüler von
R, Koch^ den Pestbacillus entdeckt und isolirt haben. Dieser Microorganbmus soll die
grösste Aehnlichkeit mit dem Bacillus der Hühnercholera haben.
— Gegen Bnnresls noctnrna empfiehlt Mac Alisier folgende Behandlung, die ihm
in 20 Fällen die besten Resultate gegeben hat, und in der Anwendung von Atropin io
steigenden Dosen bis zur Grenze der Toleranz beruht: Für einen vierzehnjährigen Knaben
lautet seine Verordnung: Rp. Liquor, atropin. sulfur. (2®/o) 5,6 gr., Liquor, strychn.
hydrochlor. 0,25 gr., Syrup. aurantior. ad. 30,0 gr. S. 5 Tropfen des Syrups in einem
Esslöffel voll Wasser Abends 9 Uhr zu nehmen und mit den Dosen nach Verordnung
zu steigen.
Der Pat. darf nach 6 Uhr Abends nichts mehr trinken, um 9 Uhr soll er seine
Tropfen nehmen, und um 10 Uhr zu Bett gehen, nachdem er urinirt hat. Nachts 12 Uhr
und Morgens 6 Uhr soll er zum Wasserlassen geweckt werden. Nach drei Tagen wird
die Dose auf 10 Tropfen gesteigert, nach weiteren drei Tagen auf 15 Tropfen, und so
weiter bis zu 30 Tropfen im Laufe der vierten Woche. Während dieser Zeit beobachtete
Mac Alisier bloss Pupillenerweitorung und etwas Trockenheit des Schlundes, sonst keine
sorgenerweckende Symptome. Beim Fortbestehen des Bettnässens wurde eine Woche lang
mit 30 Tropfen weiter gefahren, und dann alle drei Nächte um 5 Tropfen gestiegen bis
zu 50 Tropfen täglich. Die Hauptbeschwerde ist dabei eine Störung der Accommodation,
welche den Patienten das Lesen und Schreiben unmöglich macht, im Uebrigen befinden
sie sich vollständig wohl. Nachdem man bis zu 60 Tropfen gestiegen ist, werden nun
die Dosen reducirt und zwar um 10 Tropfen alle drei Nächte. Nach neun Wochen
wird aasgesetzt, und gewöhnlich bleibt das Bettnässen dauernd aus. Man beginnt also
mit 0,0006 gr. Atropin und steigt bis 0,006 gr. und mehr. Das Geheimniss des Erfolges
in hartnäckigen Fällen liegt in den hohen Dosen. Der Zusatz von kleinen Strychnin¬
mengen soll die depressive Wirkung der hohen Atropindosen ausgleichen. Cerebrale oder
circulatorische Störungen hat Mac Alisier nie bcfobachtet.
(Medical chronicle, Juli 1894.)
Briefkasten«
Dr. V, N, in Wiesbaden: Wir warten gerne das versprochene „denmächstGenauere" ab, bevor
wir den Inhalt Ihrer „vorläufigen Mittheilnng" pnbliciren.
Schweizerischer Medicinalkalender pro 1895. Berichtigungen, Erganziingen, Wünsche eie.
gefälligst recht bald an JE. Haffter, Frauenfeld.
Schweighanserische Bnchdmckerei. — B. Schwabe, Verlagsbachhandlang in Basel.
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W. 16. XXIV. Jahrg. 1894. 15. August.
Inhalt: 11 Originalarbelten: Dr. 0. Kamader: Zur opentlren BehandluDg des Magencarcinoms. — Dr. E. Marcus:
Einige Bemerkungen zu Dr. JVerdfiMmn’s Aufsatz: «Zur Casuistik der Ergotingangr&n.* — 2) ^^rei nsberlebte: XLYII. Yer>
Sammlung des ArztUehen CentraWereins. (Sehluss.) ~ Medieinisobe Gesellsehaft der Stadt Basel. — 8) Beferate und Kri*
tlken : Prof. Si^snnumn: Die BlutgefAsse Im I^byrlnthe des menseblfohen Ohres. — v. Samarch und EowaLng: Chimrgisebe
Technik. — Carl SHIm: Grundriss der Kinderheilkunde. — Prof. Dr. Älbsrt Bulenburg: Beal-BneyclopAdie der gesummten Heil¬
kunde. — Dr. Conrad Cohn: Cursus der Zahnheilkunde. — tlCantonale Correspond enzent Zftrich: f Stmumn SMnor.
— Bericht des sdiweizer. Oberfeldarztes Ober die Typhueepidmnie wAhrend der letztjAhrigen CorpsmandTer. — 5) Wochen¬
bericht: Phosphorbehandlnng der Bachitis. — BandstAndige Sehnennaht. — Langsames Abbinden des Gjpses. — Dauer
der Wirkung der Digitalis. — Sphacelotozin. — Sparteinum sulfuricnm. — Chloralhydrat bei HAmoptm. — Kunstgriff beim
Gatheteritlsmus. — BanitAtedienst in Bulgarien. — Zur BekAmpfnng des acuten Gichtanflüles. — Sondertggor'ntiho ^esen. —
6) Bri efkasten. —< 7) Hfllfs kasse fOr Schweizer Aerzte. — 8) Bibliographisches.
Oirigrinesl -.Ajrbeiten.
Zur operativen Behandlung des Magencarcinoms.
Von Dr. 0. Kappeier, dir. Arzt in Mönsterlingen.
(Auszugsweise mitgetheilt in der Frähjahrssitzung des Schweiz, ärztl. Gentralvereins.)
M. H. Noch immer treffe ich, wenn ich mit practischen Aerzten über den Werth
und die Leistungsfflhigkeit der operativen Behandlung des Magencarcinoms spreche, auf
Ansichten, die gegenüber den Erfahrungen am Krankenbett und am Operationstisch nicht
Stand halten. Entweder wird angenommen, es sei so ziemlich jedes Magencarcinom
einer chirurgischen Behandlung zugänglich, oder es herrscht die Ansicht, dass bei der
Entfernung carcinomatöser M agentheile auch im besten Fall nicht viel herauskomme,
dass es sich um tollkühne Eingriffe bandle, die kaum zu rechtfertigen und daher besser
zu unterlassen seien. Diese grüsstentheils irrigen Ansichten haben mich denn auch
veranlasst, die Frage der Operation des Magencarcinoms hier zur Sprache zu bringen
und zwar mehr in dem Sinn, dass durch eine kurze Mittheilung meiner Besultate eine
Disenssion eingeleitet werde, an der sich möglichst viele der anwesenden Herren be¬
theiligen. Die Disenssion über diesen Gegenstand ist neuerdings auch für unser Land
durch eine äusserst interessante Arbeit Kocher's vom October letzthin gewissermassen
schon eröffnet und es ist diese Arbeit Koeher'i mit ein Grund, der mich bestimmte,
meine Besultate zusammen zu stellen. Kocher gab in seiner Publication eine neue
Methode der Magenresection an, mit der er ausgezeichnete Besultate erzielte. Er
machte in der kurzen Zeit von 8 Wochen 4 Magenresectionen nach seiner neuen Me¬
thode und erreichte in allen Fällen tadellose Primaheilung. Ich werde später bei
Besprechung der Technik der Operation noch auf diese Kocher'iche Methode zurück-
kominen, erlaube mir aber jetzt schon zu erwähnen, dass ich, im Wesentlichen nach
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der alten Methode BiUroth-Wolfier vorgehend, in der Zeit von 7 Monaten ebenfalls
4 Fälle von Pylornsresection nacheinander anstandslos in kürzester Zeit zur Heilung brachte.
1) H. Sophie, 52 Jahre alt, am 4. Juli 1893 ins Spital aufgenommen, erkrankte an¬
geblich vor 4—5 Monaten mit Abnahme des Appetits und leichten Uebligkeiten, vor
3 Monaten traten Schmerzen in der Magengegend auf und seit 4 Wochen gesellten sich
hiezu heftige Kreuzschmerzen. Während die Schmerzen gleich blieben und die Appetit¬
losigkeit zunahm, kam als neues Symptom vor 3 Wochen Erbrechen hinzu, täglich I Mal,
selten mehrere Male, dazu hartnäckige Obstipation. Status am 4. Juli 1893: Kleine,
magere Frau mit blassgelber Haut- und Gesichtsfarbe. Der massig erweiterte Magen
zeitweise, und immer nach Füllung mit Kohlensäure, durch die schlaffen Bauchdecken in
seinen Contouren erkennbar. Auf der Höhe des Nabels, denselben nach links um 3, nach
rechts um 2 Querfinger überragend ein mit seiner grössten Circumferenz horizontal ge¬
lagerter, etwa 9 cm langer, höckriger, harter Tumor, der nach allen Richtungen, aber
namentlich nach links und zwar bis unter den linken Rippenrand verschiebbar war.
Druckempfindlichkeit gering. Nach üblicher Vorbereitung Operation am 18. Juli 1893.
Chloroformnarcose. Längsschnitt vom process. xiphoid. bis zum Nabel. Die in die Bauch¬
höhle eindringende Hand kann zwar den, die pars pylorica einnehmenden, Tumor hervor¬
wälzen, allein sie fühlt hinter demselben einen zweiten grössern Tumor. Desshalb stumpfe
Durchtrennung des kleinen Netzes an einer Stelle und Abtastung der hintern Magen wand,
wobei constatirt werden kann, dass der hintere, der Wirbebäule fest aufsitzende Tumor
mit dem Pylorustumor nicht verwachsen ist, wesshalb denn auch bei der Möglichkeit der
Entfernung des carcinomatösen Pylorus und mit Rücksicht auf die bedrohlichen Er¬
scheinungen von Stenose die Entfernung des Magencarcinoms beschlossen wird. Ab¬
trennung an der grossen Curvatur vom grossen Netz durch schichtweise Unterbindung
mittelst Aneurysmanadeln und Exstirpation einiger kleiner harter Mesenterialdrüsen. Am
Duodenalanfang müssen einige kleine Yerwachsnngsstränge mit dem tiefen Drüsen tumor
durchtrennt werden, dann Ablösung an der kleinen Curvatur vom kleinen Netz. Der
hintere Tumor, von den Retroperitonealdrüsen ausgehend und das Pancreas in sich schliessend,
bleibt unberührt. Unterpolsterung des losgelösten Carcinoms mit sterilisirten Compressen,
Abschnüren des Duodenum durch eine dicke Seidenligatur. Absperrung des Magens gegen
den Tumor durch 2 Arterienklemmen. Zwischen diesen und den medianwärts abschliessenden
Fingern des Assistenten wird er nun von der kleinen Curvatur her zu ungefähr */s durch¬
geschnitten, dann sofort Occlusionsnaht, enge Schleimhautnabt, auf die eine enge Serosa-
muscularisnaht zu liegen kommt, dann Abtrennung des Tumors vom Magen und vom
Duodenum und Einnähung des Duodenum in die verengte Magenwunde, nachdem vorher
sowohl die Magen- als die vorquellende Duodenalschleimhaut circulär in einer Breite von
3—4 mm resecirt worden war, und zwar durch hintere Serosaknopfnaht, circuläre Sohleim-
hautnaht und vordere Serosanaht. Oberer und unterer Winkel werden durch Zwischennähte
noch eigens gedichtet. Ein Stück grosses Netz wird über die Nahtlinie gelegt und in
der Lage durch einige Nähte befestigt. Nabt der Bauchdecken in 3 Etagen. Dauer der
Operation 2 Stunden 10 Minuten. Puls nach der Operation 88. Verlauf vollkommen
glatt und fieberfrei. Bekommt am Operationstag nur ein Weinclysma. Am 19. stündlich
1, am 20. stündlich 2 Esslöffel sterilisirte Milch und da ihr diese nicht mehr zusagt, am
21. stündlich 3—4 Esslöffel Sauermilch. Am 22. spontaner Stuhl, am 23. wird Milch-
caffee und Fleischbrühe erlaubt, am 24. etwas Wein, am 28. geschabtes Beefsteak. Nach
20 Tagen verlässt die Kranke das Bett und nimmt dann rasch an Gewicht zu. (End¬
resultat siehe unten.) Das resecirte Stück misst an der grossen Curvatur gemessen 8 cm,
an der kleinen 7 cm. Pylorusgegend durch einen gross Hühnerei-grosse, nirgends uloe-
rirte Geschwulst eingenommen, die sich in Form eines blumenkohlartigen Pfropfes in das
Dnodenallumen hineinschiebt und den Pylorus bis auf Bleistiftdicke verengt. Microaco-
pische Diagnose: Medullarcarcinom.
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2) A. Anna, 58jährige Hausfrau, die am 11. Juli in's Spital aufgenommen wurde.
Früher stets gesund, erkrankte sie vor circa einem Jahr an Erbrechen und Schmerzen
in der Magengegend. Dabei kam sie sehr herunter und magerte ab. Der sie zuletzt
behandelnde Arzt spülte ihr den Magen aus und fand einen beweglichen Tumor in der
Magengegend, worauf er zur Spitalaufnahme rieth. Blut wurde nie gebrochen.
Status prsesens: Grosse, stark abgemagerte, elend und angegriffen aussehende Frau,
sehr anämisch, starke Schmerzen in der Magengegend. Durch die schlaffen Bauchdecken
erkennt man deutlich die Gontouren des Magens und zwar liegt die kleine Curvatur un¬
gefähr auf Nabelhöhe, die grosse reicht bis nahe an die Symphyse. Bei gefülltem Magen
ist ein Tumor nicht zu fühlen. Erst nach Entleerung mit der Sonde, die grosse Massen
alter, zersetzter, sauerriechender Speisereste zu Tage fördert, fiihlt man rechts vom Nabel
einen harten, taubeneigrossen, auf Druck etwas empfindlichen Tumor, der sich nach allen
Kichtungon verschieben lässt und später nach wiederholten Spülungen auch links vom
Nabel zu tasten ist. Bei Füllung des Magens mit CO 2 wandert er nach rechts und
unten. Operation am 25. Juli 1893. Nach gründlicher Spülung, zuletzt mit Salicyl-
lösung 1 : 1000, Chloroformnarcose. Schnitt in der Linea alba vom Process. xiphoid.
bis etwas unter den Nabel. Der sich in die Bauchwunde einstellende Tumor wird her¬
vorgezogen und erweist sich frei von Adhäsionen mit der Umgebung. Schichtweise Ab¬
trennung vom grossen und kleinen Netz. Unterpolsterung. Abschnürung des Duodenum
mit Seidenfaden, des Magens gegen den Tumor durch Arterienklemmen, gegen den ge¬
sunden Theil durch Assistentenhände. ^/4 Durchtrenuung von der kleinen Curvatur.
Occlusionsnaht durch fortlaufende Mucosanaht und enge Serosaknopfnaht. Abschneiden
des Tumors von Magen und Duodenum, llesection der vorquellenden Schleimhaut des
Magens und Duodenum, hintere Serosanaht, circoläre Schleimhautnaht und vordere Serosa-
naht. Ergänzungsnähte an den Ecken. Bauchnaht in 3 Etagen. Dauer der Operation
1 Stunde 10 Minuten. Puls nach der Operation 76. Verlauf ein völlig ungestörter.
Höchste Temperatur nach der Operation 38,3, der Puls steigt einige Male auf 128—132,
die Schmerzen sind unbedeutend und Patientin verträgt die Milch sehr gut, auch Wein-
und Eierklystiere werden immer zurückbehalten, nach 7 Tagen wird Milchreis gegeben,
am 8. Tage Fleisch. Nach 14 Tagen verlässt Kranke das Bett. Endresultat siehe
unten. •
Das resecirte Stück hat an der grossen Curvatur eine Länge von 9, an der kleinen
eine Länge von 7 cm. Pylorus bis auf Bleistiftdicke verengt. Mucosa nirgends ulcerirt,
nur stellenweise cedematös, glasig. Die Muscularis verdickt, derb, glaisig, stellenweise
homogen grau. Microscopischer Befund: Scirrhus.
3) M. Jakob, 54jähriger Erdarbeiter, am 30. October 1893 aufgenommen. Die
Mutter des Kranken starb an „Magenschluss^. Erkrankte Februar 1893 mit zunehmender
Schwäche und Kraftlosigkeit. Er verlor die Lust am Essen und fühlte nach jeder
Nahrungszufuhr Magendrücken bis zu eigentlichem Magenschmerz. Anfang August trat
ab und zu Erbrechen auf und die Magenschmerzen nahmen einen anhaltenden Character
an. Status prmsens: Stark abgemagerter Mann mit faltiger Haut und kachektischer Ge¬
sichtsfarbe. Hochgradige Anmmie. Wiederholte Untersuchungen und tägliche Spülungen
bis zum 15. Nov., die den Kranken sehr erleichterten, ergaben eine mässige Magener¬
weiterung, das Fehlen freier Salzsäure und das Vorhandensein eines harthöckrigen Tumors,
der in Form eines Geschwulstkamms sich 2 Querfinger über dem Nabel in einer Längen¬
ausdehnung von 5 cm quer über das Epigastrium zieht, bei ganz leerem Magen zwischen
Nabel und linken Rippenrand zu liegen kommt und bei vollem Magen nach rechts und
unten sinkt. Operation am 15. Nov. 1893. Aethernarcose. Längsschnitt vom Process.
xiphoid. bis 1 Querfinger über dem Nabel. Der Tumor, der der Pylorusgegend angohört,
ist frei beweglich und kann ohne Widerstand aus der Bauchhöhle herausgezogen werden.
Ablösung des erkrankten Magentheils von den peritonealen Anhängen, wobei man auf
keine erkrankten Drüsen stösst. Nach Unterpolsterung der Geschwulst und Anlegung
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von Arterienklemmen am Duodenum und der Geschwulstseite des Magens wird dieser zwischen
den Klemmen und den nach der gesunden Seite abschliessenden Fingern des Assistenten
in toto durchtrennt, die beiden Theile werden nach aussen geschlagen und der Qeschwulst-
theil wird in sterilisirte Compressen eingewickelt. Nun Naht des Magens bis auf ein dem
Duodenum entsprechendes Lumen durch fortlaufende Schleimhautnaht und fortlaufende
Mnscularisserosanaht. Dann Binnähung des Duodenum in das Magenlumen an der grossen
Curvatur durch Knopfnähte nach Resection der vorquellenden Schleimhaut der beiden
Darmtheile, und zwar zuuachst hintere Serosanaht nach Wöljler^ circulare Schleimhaut-
naht und vordere Serosanaht. Dichtung der Ecken, namentlich der obem Ecke. Die
Magenduodenalnaht ist wegen der stark vorspringenden Rippenpfeiler und der dadurch
bedingten tiefen Lage des Duodenum ausserordentlich schwierig. Naht der Bauchdecken
in 3 Etagen. Puls nach der Operation 88. Unmittelbar nach der Operation starker
Hustenreiz, der nur durch eine Morphiuminjection beseitigt werden kann. Auch in den
folgenden 2 Tagen, in denen die Körpertemperatur bis auf 38,6® C. steigt, fast fort¬
währender Hustenreiz und Hustenstösse, die jeweils heftige Schmerzen im Epigastrium
verursachen. Der Kranke benimmt sich sehr imbecil, ist kaum im Bette zu halten, will
auf den Abort und verlässt in der 3. Nacht, als die Krankenschwester für einige Minuten
das Zimmer verlässt, sein Bett, geht zur Wasserleitung und stillt seinen Durst nach
Herzenslust. Husten und Auswurf schleimig-eitriger Sputa quälen den Kranken auch in
den nächsten 8 Tagen; am 28. Nov. steigt die Temperatur, die seit dem 18. auf die
Norm gesunken war, wieder und erreicht am 29. und 30. Nov. die Höhe von 39,2® C.,
es kann rechts hinten und unten eine 3 Querfinger hohe Dämpfung mit Knisterrasseln
entdeckt werden. Am 4. Dec. fallt die Temperatur und nun verschwinden auch all-
mählig Husten und Auswurf. Abgesehen von dieser Bronchitis und Pneumonie war der
Verlauf ein glatter. Schmerzen hatte der Kranke nur bei Hustenstössen. Am 19. Nov.
flatus, am 23. der erste Stuhl. Bis zum 23. wurde per os nur Milch und Sauermilch
gegeben, dabei 38töndlich abwechselnd Wein und Eierklystiere. Am 23. bekam er Milch¬
gries, am 24. wurde zu Fleisch übergegangen. Endresultat siehe unten.
Dauer der Operation 2^/i Stunden. Länge des resecirten Stücks an der grossen
Curvatur 15, an der kleinen 9 cm. Pylorus stark verengt, lässt nur mit Mühe die Spitze
des kleinen Fingers durchtreten. Herr Dr. Hanau schreibt über die von ihm untersuchte
Geschwulst: Es liegen 2 symmetrisch zur kleinen Curvatur gestellte, auf der vordem und
auf der hintern Wand sitzende, carcinomatöse Ulcera vor. Sie sitzen also topographisch
ähnlich, wie viele Ulcera rotunda. Die Carcinomwucherung tritt in fiachen Knoten auch
auf der serösen Fläche des Magens auf. Microscopisch liegt Carcinoma cylindro-cellulare
mit hohlen Krebssträngen vor, wenn man die Ränder untersucht. In der Muscularis
findet sich derselbe histologische Charakter des Carcinoms an manchen Stellen, an andern
ist der Typus der Cylinderzelle nicht so rein, die Stränge sind auch dann solid. Die
Wucherang auf der serösen Seite zeigt schmale solide Krebsstränge, wie bei Scirrhua,
jedoch sind sie zahlreich. Dies kommt jedoch daher, dass daselbst die jüngste Probe
vorliegt und auch wohl mehr Widerstand der Umgebung. Gesammttypus: Carcinoma
cylindro-cellulare simplex, vielfach mit hohlen Strängen.
4) F. Barbara, 53 Jahre alt, am 19. Januar 1894 aufgenommen. In der Familie
der Kranken soll Niemand an Krebs gelitten haben. Sie selbst, eine früher gesunde
Frau, die 5 Kinder zur Welt gebracht, will ungefähr seit einem Vierteljahr krank sein
und das Leiden begann mit heftigen Schmerzen nach jeder Nahrungsaufnahme, dazu ge¬
sellte sich Brechen, das allmählig immer häufiger wurde; Hand in Hand damit Ab¬
magerung und Schwäche.
Status prsBsens: Magere Frau mit graugelber Gesichtsfarbe und mattem Blick. Sehr
anämisch. Der ausgedehnte Magen ist zuweilen, namentlich aber bei Kohlensäurefüllung,
durch die Bauchdecken sichtbar. Nach Entleerung desselben mit der Sonde fühlt man
im Epigastrium links vom Nabel einen taubeneigrossen, harten, nicht druckempfindlichen
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Tumor, der allseitig grosse Beweglichkeit zeigt und bei Füllung des Magens sich nach
rechts verschiebt. Der nach einem Probefrühstück gewonnene Magensaft enthält keine
freie Salzsäure.
Operation am 30. Januar 1894. Nach gründlicher Ausspülung des Magens Aether-
narcose. Längsschnitt vom Process. xiphoid. bis zum Nabel. Der die Pylomsgegend
einnehmende Tumor ist vollständig frei und lässt sich leicht herausheben. Schrittweise
Unterbindung der Peritonealduplicaturen an grosser und kleiner Curvatur mittelst Aneu¬
rysmanadeln. Abklemmen^ des Duodenum und des Magens nach der Tumorseite durch
Arterienklemmen. Zwischen diesen und den Fingern des Assistenten wird der Magen
von Seite der grossen Curvatur ganz durchtrennt. Occlusionsnaht durch fortlaufende
Mucosa- und Serosanaht bis in die Nähe der grossen Curvatur, dann Einnähung des
Duodenum in die grosse Curvatur durch 2 Reihen enger Knopfnähte. Ueberpflanzung
von Netz auf die Nahtlinie. Dreifache Bauchdeckennaht. Dauer der Operation Stunden.
Puls nach der Operation 80.
Länge des resecirten Stücks längs der grossen Curvatur 11, längs der kleinen
Curvatur 8 cm. Herr Dr. Hanau schreibt über die Untersuchung des resecirten Tumors:
1) Die Lymphdrüsen sind frei von Carcinom; 2) Pars pylorica (durch die mit Mühe
der kleine Finger durchgeführt werden kann): Vom Duodenum noch ein l'/s cm breiter
Streifen mitgenommen. Auf der obem Seite circa 2 cm gesunde Magenschleimhaut mit-
entfemt. Direct am Pylorus beginnt ein breit elliptischer Tumor von 7 cm Frontal- und
5 cm capito-caudaler Länge, der in seiner Hauptmasse der hintern Wand angehört, am
Pylorus jedoch nur noch einen schmalen Streifen an der grossen Curvatur frei lässt.
Sein Rand wulstig, ungleichmässig erhaben, ca. 2 cm vom Pylorus ist er frankstückgross
tief ulcerirt, der Rand des Ulcus unregelmässig buchtig. Eine 2. flachere, ähnliche
Ulceration sitzt nahe dem rechten Rand des Tumors. Beide sind durch unregelmässig
flachere verbunden. Die Magenwand 1 — 1 Ys cm dick, am dicksten am Tumorrand. Die
Verdickung zur Hälfte etwa durch den Mucosa und Submucosa einnehmenden Tumor,
zur andern Hälfte durch hypertrophische Musculatur bedingt. An einer Stelle des Grundes
des tiefem Ulcus durchsetzt das Tumorgewebe den ganzen Geschwürsgrund. Daselbst
aussen an der Serosa feine Knötchen, an Blutgefässen sitzend, die in die Magen wand
gehen. Microscopische Diagnose: Sehr zellenreiches, tubuläres Cylinderzellencarcinom.
Der Verlauf war ein vollständig reactionsloser. Schon nach 3 Tagen kann die
Durchgängigkeit des Darms constaiirt werden. Ernährung, wie nach den frühem Opera¬
tionen. Verlässt nach 20 Tagen das Bett. Endresultat siehe unten.
Grössere und vollständige Operatioosserien aus einer Hand besitzen wir überdies
noch sehr wenige und es mag dies ein weiterer Entschuldigungsgrund sein, dass ich
mit der Mittheilung einer grössern Serie eigener Beobachtungen nicht zurückhalte.
Unter meinen 14 am Magen resecirten Kranken waren 7 Männer und 7 Frauen,
gegenüber andern Statistiken ist somit in dieser kleinen Statistik das männliche Ge¬
schlecht verhältnissmässig stark vertreten. Es mag dies bei einer so kleinen Zahl
ganz zufällig sein, Hesse sich aber auch .so erklären, dass das Magencarcinom in der
Schweiz bei Männern häufiger ist, als bei Frauen (nach H<ßberl%n'% Untersuchungen stellt
sich das Verhältniss wie 7 : 5), dass aber Frauen sich leichter zur Operation entschliessen.
Bezüglich des Alters der 13 Krebskranken fand ich als unterste Grenze 32, als
obere Grenze 63 Jahre. 3 Patienten gehören der 3., 1 der 4., 5 der 5. und 4 der
6. Decade an.
Die Dauer des Leidens vor dem Spitaleintritt, d. h. die Zeit, seit welcher lästige
und auffallende Magensymptome bestehen, reicht zurück auf 3—18 Monate. Kürzere
Zeit als 1 Jahr waren krank 11, längere Zeit 2 Kranke.
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Als Gelegenheitsursache kommt bei einigen Fällen Alcoholmissbrauch in Betracht,
4 Mal konnte in der Familie des Kranken Krebs nachgewiesen werden, 8 Mal ist
ausdrücklich erwähnt, dass Krebs in der Familie nicht verkam, 1 Mal konnte Näheres
nicht in Erfahrung gebracht werden.
Bezüglich der wichtigsten Symptome ist Folgendes erwähnenswerth:
Nur ein Kranker war vüllig schmerzfrei, Magendrücken ohne eigentliche Schmerzen
hatten 4 Kranke, über drückende, würgende, brennende Magenschmerzen bis zu eigent¬
lichen Schmerzparoxysmen klagten 8 Kranke.
Die Schmerzen waren gewöhnlich am heftigsten nach jeder Nahrungsauhiahme,
einige Male strahlten sie auch ins Kreuz, selbst in die Schultern, aus.
Erbrechen ist bei sämmtliohen Kranken notirt, bald ist dasselbe seltener und
beschränkt sich auf Schleimbrechen, bald häufiger, endlich nach jeder Mahlzeit auf¬
tretend und in einigen Fällen äusserst copios. Frisches Blut brach kein einziger
Patient und caffeesatzähnliche Massen wurden nur von 3 Kranken herausbefördert.
Störungen des Allgemeinbefindens fanden sich ausnahmslos, doch bestanden sie
in einigen Fällen nur in Abnahme der Kräfte bei noch gutem Aussehen und gesunder
Gesichtsfarbe und in mehr oder weniger rapider Abmagerung (ein Kranker hatte zu
Hause in 8 Wochen um 9 Pfund, ein 2, in 6 Wochen um 15V* Pfund an Körper¬
gewicht abgenommen), während andere Kranke und zwar nicht weniger als 7 bei der
Spitalaufnahme schon Spuren deutlicher Kachexie: hochgradigste Abmagerung, erdfahle,
gelbliche Gesichtsfarbe, trockene Haut, leichte Knöcheloedeme etc. erkennen Hessen.
Ein harter, zuweilen deutlich höckriger Tumor von Taubenei- bis Kindskopf-
Grösse Hess sich bei sämmtlichen Operirten im Epigastrium, bald links, bald rechts,
von der Mittellinie abtasten, am deutlichsten bei vollständiger Entleerung des Darms
nach mehrtägiger Verabreichung von Abführmitteln und bei ebenfalls vollständiger
Entleerung des Magens mit der Sonde, nur bei einem Kranken mit hochgradiger
Magenerweiterung Hess sich der Tumor bei (mit Wasser oder Gas) gefülltem Magen
deutlicher abtasten, vermntblich, weil der hoch stehende, in einen höckrigen Tumor
verwandelte, Pylorus durch den gefüllten Magen nach abwärts gezerrt und der pal-
pirenden Hand zugänglicher gemacht wurde. Zwei der Kranken hatten, bevor sie
ärztliche Hülfe suchten, den Tumor selbst gefühlt.
Bei genügender Vorbereitung und vollständiger Entspannung der Bauchdecken
konnten wir auch in allen diesen Fällen durch mehrfache und sorgßiltige Abtastung
des Tumors seine allseitige und mitunter sehr ausgiebige Beweglichkeit nachweisen,
sank dabei der Tumor in der verticalen Körperstellung nach unten und wanderte er,
was bei 11 Kranken deutlich naebzuweisen war, bei vorher mit der Sonde entleertem
und nachher mit Kohlensäure gefülltem Magen, von links nach rechts, so war das
Fehlen von Verwachsungen mit den Nachbarorganen mit ziemlicher Sicherheit nach¬
gewiesen, denn in allen diesen Fällen war die carcinomatös entartete Pars pylorica
frei mit Ausnahme eines, wo ebenfalls bei allseitiger Verschiebbarkeit des Tumors sich
Verwachsungen mit dem Colon transversum fanden. Auch bei diesem Kranken konnte
man den Tumor bei erschlafften Bauchdecken von der Mitte des Epigastrium bis unter
den linken Rippenrand hinaufsebieben, was übrigens bei der grossen Beweglichkeit des
Colons leicht erklärlich ist. Immerhin sei hervorgehoben, dass mit Ausschluss dieser
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VerwacbsnDg mit dem Colon, durch mehrfache üntersuchungen, ohne Narcose und ohne
Frobeincision das Fehlen von Verwachsungen mit den Nachbarorganen nachznweisen
war. Je kleiner der Tumor, desto leichter ist die Diagnose auf Verwachsungen zu stellen.
Neun Mal war eine beträchtliche Magendilatation vorhanden. Entweder war der
Magen als eine bis in die Nähe der Symphyse reichende, sackartige Vorwdlbung schon
durch die schlaffen Bauchdecken erkennbar, oder es konnten grosse, mitunter enorme,
Mengen alter Speisereste herausgehebert werden, oder es war endlich möglich, durch
Füllung des Magens mit Kohlensäure die Gontouren der bis unter die horizontale
Nabellinie herunterreichenden grossen Curvatur sichtbar zu machen. In 4 Fällen fand
sich keine erhebliche Dilatation, obwohl die Untersuchung der exstirpirten Pars pylorica
jeweils Stenose und in 3 Fällen hochgradige Stenose des Pylorus ergab. Freie Salz¬
säure wurde bei 9 hierauf untersuchten Kranken keine gefunden, einmal, bei hoch¬
gradiger Dilatation des Magens, war solche vorhanden.
Es war somit in allen diesen Fällen durch die Allgemeinerscheinungen und den
vorhandenen Tumor die Diagnose des Magencarcinoms, durch die Magenerweiterung
und das Brechen die der Pylorusstenose zu machen und es war aus der Beweglichkeit
des Tumors die Möglichkeit der Entfernung desselben schon vor der Eröffnung der
Bauchhöhle mit grosser Wahrscheinlichkeit zu erkennen.
Bezüglich der Indication zu einem operativen Eingriff war unser Verhalten im
Allgemeinen Folgendes:
1) Bei sehr beweglichen und nicht zu grossen Tumoren wurde mit der Absicht,
den Tumor zu exstirpiren, incidirt und falls die Diagnose des Mangels an Ver¬
wachsungen durch den Baucbschnitt bestätigt war, die Exstirpation ausgeführt.
2) Bei grossen unbeweglichen Tumoren ohne die Erscheinungen der Pylorusstenose
wurde von jedem operativen Eingriff abgesehen.
8) Bei kleinen unbeweglichen und bei grossen beweglichen und unbeweglichen
Tumoren mit den ausgesprochenen Erscheinungen der Pförtnerverengerung wurde incidirt
mit der Absicht, eine Magendünndarmfistel anzulegen und dieser Plan auch in der
Regel ansgeführt. Einige Male, bei grosser Beweglichkeit auch grosser Tumoren, ent¬
schloss ich mich nachträglich noch zur Exstirpation.
Hinsichtlich der Technik der Operation hielt ich mich im Grossen und Ganzen
an die ursprüngliche Methode BiMroth-Wölfler.
Die Vorbereitung war stets eine sorgfältige. Der schon längere Zeit vorher
regelmässig ansgespülte Magen wurde am Operationstag, nachdem der Kranke früh
Morgens noch eine Tasse Milch mit etwas Cognac genossen, so lange mit Wasser aus¬
gewaschen, bis dasselbe völlig rein abfloss und zum Schlüsse folgte noch eine mehr¬
malige Spülung mit Salicyllösung 1 : 1000. Der Darm wurde ebenfalls einige Tage
vor der Operation durch Abführmittel vollständig entleert. Wirkten bei hochgradiger
Verengerung des Pylorus die Mittel nicht, so nahm man seine Zuflucht zu hohen Ein¬
giessungen. Die aseptischen und übrigen Massnahmen, die für die Magenresection
. nichts Specifisches haben, übergehe ich, nur sei noch erwähnt, dass die Operirten auf
einen geheizten Operationstisch gelegt wurden bei einer Zimmertemperatur von 20** C.
Die Narcose wurde 12 Mal durch Chloroform, 2 Mal durch Aether herbeigeführt. Die
Ghloroformnarcosen waren ohne Ausnahme in jeder Beziehung ausgezeichnet, ruhig.
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ohne Brechen und ohne Muskelspannung und der ChloroformTerbrauch mit meinem
Apparat betrug im Durchschnitt bei den 12 Narcosen 39,7 ccm. Die eine Aether-
narcose verlief zufriedenstellend, bei der 2. setzte am Operationstag eine heftige Bron¬
chitis ein, die den Kranken durch die Hustenstösse in Lebensgefahr brachte und die
Beconvalescenz sehr verzögerte. Es waren in 2’/« Stunden 525 gr Aether mit dem
JutUard'schea Korb verbraucht worden. Die Bauchhöhle eröffneten wir stets durch
medianen Längsschnitt, -der vom Processus ensiformis bis zum Nabel oder bei grossen
Tumoren, an demselben links votbei, noch weiter nach unten reichte. Dann wurde
mit der durch die Wunde eingeführten Hand der Magen abgetastet. Liess sich die
Geschwulst nicht mit Leichtigkeit hervorziehen und war der Mangel an Verwachsungen
mit der Umgebung nicht ohne Weiteres ersichtlich, so diente nach v. Hacker'^ Vor¬
schlag ein ins kleine Netz gebohrtes Loch, um durch dasselbe die Hinterseite des
Magens und das Pancreas abzntasten. Es liess sich auf diese Weise in einem Fall
(13) feststellen, dass ein 2. Tumor hinter dem Pylorus, aus Pancreas und infiltrirten
Betroperitonealdrüsen sich zusammensetzend, vorhanden und mit dem Pyloruscarcinom
nicht verwachsen war.
Eignete sich der Tumor zur Exstirpation, so gingen wir sofort an die Ablösung
des grossen und kleinen Netzes und benutzten bei dieser Ablösung mit Vorliebe
Aneurysmanadeln. Dann folgte die ünterpolsterung der frei gemachten Geschwulst
mit sterilisirten Gazecompressen und die provisorische Abschnürung des Duodenum mit
einer starken Seidenligatur. Dann wurde unter dem Schutze von Schieberpincetten gegen
die Geschwulstseite und unter provisorischem Verschluss des Magenlumens nach der
gesunden Seite hin, meist durch Assistentenhände, einige Male durch Hpdypier’sche
oder Gussendawer'sche Klemmen, die Durchschneidung des Magens von der kleinen
Gurvatur her bis auf den Theil, der mit dem Duodenum vereinigt werden sollte, vor¬
genommen, dann Naht des Magens, Abtrennung des Magenrestes, Durchtrennung des
Duodenum und Annähung seiner Schnittfläche ausnahmslos an die grosse Gurvatur.
Was noch speciell die Naht betrifft, so wurde ausschliesslich mit feiner, gedrehter
Seide genäht und zwar wurde stets eine Doppelnaht, eine enge Schleimhautnaht und
darüber eine sehr enge Serosamuscularisnaht angelegt. Am Magen selbst war die
Naht zuweilen eine fortlaufende, die Duodenalmagennaht war immer Knopfnaht. Die
über die Schnittlinie vorqnellende Schleimhaut des Magens sowohl, wie des Duodenum,
wurde mit einer einzigen Ausnahme in einer Breitenausdehnung von 2—5 mm resecirt,
welche Resection erst eine exacte Schleimhautnaht gestattete und die Bildung vor¬
stehender Schleimhautwülste verhinderte. Die Sicherung der Nahtlinie durch überge¬
pflanztes Netz unterliessen wir selten und einige Male, als die hintere, innere Magen¬
duodenalnaht besonders schwierig anzulegen war und nicht absolut zuverlässig schien,
nähten wir sie nachträglich durch einige Nähte an das Pancreas an. Die Bauch¬
deckennaht war immer eine dreifache: Peritoneal-, Fascienmnskel- und Hantnaht.
Wenn auch die Technik der Magenresection schon durch den Vater der Magenchirurgie,
durch BiUroth, und seine Assistenten zu einem gewissen Abschluss gebracht ist, so
sind Aendernngen und auch Verbesserungen derselben sehr wohl denkbar. Ich brauche
nur auf die schon erwähnte Arbeit ^cher'a hinzuweisen, der mit seiner Pyloms-
resection mit Gastroduodenostomie einen ganz neuen Weg eingeschlagen hat und zwar
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mit glänzenden Erfolgen. Es kann hier nicht der Ort sein diese neue Methode kritisch
zu belenchten, zudem besitze ich eigene Erfahrungen am Lebenden über selbe nicht,
allein es will mir an diesem neuen Verfahren nicht einleuchten, dass man in Fällen,
wo sich das Dnodeum an die grosse Curvatnr annähen lässt, womit gewiss auch fär
Abfluss des Mageninhaltes am Besten gesorgt ist und womit auch die natürliche Form
des Magens bergestellt wird, den Magen ganz schliessen und ein neues Loch in den¬
selben, mit erneuter Blutung und Blutstillung, schneiden soll. Allerdings fällt mit der
Zocäer’schen Methode das Zusammenstossen dreier Nahtlinien (der vorderen und hinteren
Gastrodnodenalnaht und der Occlusionsnaht) des Magens weg, allein schon v. Hacker^)
gibt in der von ihm publicirten Serie von 18 Mageuresectionen aus der BiHrof^’schen
Klinik an, dass eine Perforation der Nahtlinie nie an der Vereinigungsstelle von Bing-
und Occlusionsnaht stattgefnnden habe, wohl weil auf diesen gefthrlicbsten Punct die
grösste Sorgfalt verwendet ward und v. Msdsberg*) fand bei einer 2. Serie von 19
Magenresectionen aus der gleichen Klinik unter 7 Nahtlücken nur 2 Mal die Perforation
da, wo die Occlusionsnaht mit der Magendarmnaht zusammen stösst. Es scheint somit
in diesem Zusammenstossen dreier Nahtlinien keine besondere Gefahr hinsichtlich der
Nahtperforation zu bestehen. Dagegen ist unbestritten die Gastroenterostomie gegen¬
über der Magenresection die ungefährlichere Operation, und die Kocher'sche Operation
ist ja im Wesentlichen nichts anderes, als eine Gastroenterostomie. Allein es muss
wiederum nicht vergessen werden, dass die Gastroenterostomie hauptsächlich desshalb
die ungefährlichere Operation ist, weil sich hei der Gastroenterostomie der Darm voll¬
kommen spannungsfrei an den Magen anlegen und mit ihm vernähen lässt. Das
aber kann in allen Fällen von der Gastroduodenostomie Kocher'^ ebenso wenig behauptet
werden, wie von der Bittrcih-Wölfler'ticbva Operation, im Gegentheil, es bleibt nach
der Resection des Pylorns die grosse Curvatnr immer und jeder Zeit der dem Duodenum
nächst gelegene Theil des Magens. Ich bin daher geneigt, die guten Resultate Kocher's
mehr seiner Meisterschaft in der chirurgischen Technik überhaupt, als seiner speciellen
Methode, zuzuschreiben. Ich sehe weiter nicht ein, warum eine durch alle Schichten
der Magenwand geführte Naht und Versenkung dieser Naht unter eine Serosanaht
besser sein sollte, als eine exacte Schleim hantnaht, die von einer Serosamuscolarisnaht
überbrückt wird, und ich sehe nicht ein, warum die Lostrennung vom Duodenum der
Lostrennung vom Magen in allen Fällen vorausgehen soll, da das Herauswälzen des
Duodenum ungleich schwieriger ist, als das Herauswälzen des Duodenum plus Tumor.
Dagegen hat die Zoc&er’sche Anwendung der grossen Arterienklemmen sehr viel für
sich und auch die primäre vollständige Durcbtrennung des Magens hat den Vortheil,
dass die hintere Magenwand bei mehr diffuser Geschwulstinfiltration sehr viel genauer
untersucht, werden kann, wodurch es auch möglich wird, nachträglich noch verdächtige
Partien zu entfernen. Ich erinnere mich an einen Fall, wo erst am herausgeschnit¬
tenen Präparate Randpartien desselben als macroscopisch verdächtig und microscopisch
als erkrankt erkannt wurden. Bei der Dreiviertelsdurchtrennung des Magens sind die
hintern Partien desselben schwer zu übersehen. Und schliesslich ist auch zuzugeben,
*) ». Hacker-. Die Magenoperationen an Professor Bälroth's Klinik 1880—1885, Wien
TceplltZ'Dendike.
*) Langenbeck’s Archiv, Band 39, Heft 4.
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dass die fortlaufende Naht, die Kocher durchwegs anwendet, die Dauer der Operation
abkürzt.
Die Dauer der Magenresectionen ist immer noch eine verhältnissmässig lange.
Sie schwankt bei meinen Operationen zwischen 1 Stunde und 10 Minuten (NB. inclusive
Narcose und Reinigung des Operationsfeldes) bis zu 3 Stunden und betr> durch¬
schnittlich bei den 14 Kranken 2 Stunden und 8 Minuten. Alle Vorschläge daher,
die darauf ausgeben, die Dauer der Operation abzukfirzen, sind einer genauen Prüfung
werth, da in der langen Dauer der Operation allein schon eine gewisse Gefahr liegt.
Das resecirte Stück, das in allen Fällen den ganzen Pylorus enthielt, schwankte
sehr in der Grüsse, nämlich zwischen 4 cm an der kleinen und 5 cm an der grossen
Ourvatur bis zu 19 cm an der grossen und 16 cm an der kleinen Curvatur, siehe
folgende Tabelle:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
Kleine Curvatur
4,
6,
7,
7,
7,
8,
8,
9,
9,
10,
10,
11,
11,
16 cm
Grosse Curvatur
b,
8,
8,
9,
14,
9,
11,
11,
12,
16,
17,
16,
1672,
19 cm.
Die nähere Untersuchung der 18 Krebsgeschwülste ergab: 3 Mal Scirrhus, 5 Mal
Drüsenkrebs, 5 Mal Medullarkrebs.
Die Nachbehandlung wurde allmählig immer mehr*vereinfacht und schliesslich
folgendermassen durchgeführt:
Am Operationstag bekamen die Kranken gewühnlich nur ein Glysms mit Wein
und Wasser, bei heftigem Durst auch deren mehrere. Am Tage nach der Operation
stündlich einen Esslöffel voll sterilisirte Milch und alle 3 Stunden ein Clysma, abwechselnd
mit Wein und Wasser oder mit Ei und Salz, am 2. Tage wurden neben den Clysmen
stündlich 2 Esslöffel sterilisirte Milch verabreicht, am 3. Tage halbstündlich 3—4 Ess¬
löffel, am 4. Tage halbtassenweise Milch, ab und zu auch etwas Fleischbrühe mit
Beeftea, am 8. Tage wurde zu Fleischnabrung, zu geschabtem Beefsteak, übergegangen.
Nachts wurde die Milch fortgegeben, solange Patient nicht schlief.
In den ersten Tagen war Morphium nur bei ganz wenigen Kranken zu entbehren
und wurde nach Bedürfniss 1—6 Mal in 24 Stunden endermatiscb verabreicht. —
Wir kommen zu der wichtigsten Frage, zu der Frage nach den Resultaten der
14 Magenresectionen: Es wurde wegen Narbenstenose 1 Mal resecirt mit 1 Erfolg;
wegen Carcinom 18 Mal mit 8 Erfolgen. Die Mortalität beträgt also auf alle 14 Fälle
berechnet 35,7®/«, auf die wegen Carcinom operirten Kranken 38,4®/o. Es worden
quoad operationem geheilt 64,2®/o von allen Operirten und von den wegen Carcinom
Operirten kamen mit dem Leben durch und blieben längere Zeit gesund 61,5%.
Vergleichen wir damit einige andere Statistiken, so sind diese Resultate verhält-
nissmässig günstige zu nennen:
BiUroth hat laut seinem Generalbericht, vorgetragen in der chirurgischen Section
des internationalen Gongresses in Berlin, von 41 Pylorusresectionen wegen bös- und
gutartigen Pylorusstenosen 19 geheilt, 22 sind gestorben. Es sind also gestorben
53,6«/o, geheilt 46,3®/o.
Wegen Carcinom wurden operirt 29 mit 13 günstigen Ausgängen und 16 Todes¬
fällen. Die Mortalitätsziffer für das Carcinom beträgt also 55,1 ®/o, die Heilnnga-
Ziffer 44,8»/o.
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Bei Kocher beträgt die Mortalität seiner sämmtlichen in Klinik nnd Privatklinik -
ansgeffihrten Operationen nach der BiUroth^WSlfler'schea Methode and nach der Modi-
fication Büh-oth, wonach zuerst die Gastroenterostomie ausgefQhrt und dann die Ex¬
stirpation des Magencarcinoms Torgenommen wurde, 667». Bei seinem neuen Verfahren
sind 2 gestorben und 7 geheilt, also 22,27o Todesfälle und 77,77» Heilungen.
Ceemy hat auf 12 Magenresectionen wegen Krebs 7 Geheilte und 5 Gestorbene,
somit 58,37o Geheilte und 41,67« Gestorbene. Von sämmtlichen Pylorectomien
Czerny'^ sind 7 im Anschluss an die Operation gestorben 43,67«, geheilt wurden 56,27«*
Hunecke hat von 1881—1887 9 Pylorusresectionen gemacht, von denen 7 tödt-
lich verliefen.*) Er hat also 77,77« Todesfillle und 22,27« Heilungen.
Schönbom zählt auf 5 Pylorusresectionen 3 Todes- und 2 Heilungsfölle,7 also
6 O 7 * Todes- und 407« Heilungsfälle.
-Unterzieht man nun aber die 5 Todesfälle meiner Operationen einer genaueren
Analyse, so ergibt sich hieraus, wie Sie gleich sehen werden, die tröstliche Perspective,
dass bei grösserer üebnbg und Erfahrung ein weiteres Herabdrücken der Mortalitäts¬
ziffer -nicht allein möglich, sondern in hohem Grade wahrscheinlich ist. Schon der
Verlauf und der Obductionsbefund bei der erst gestorbenen Kranken zeigt, dass der
Tod nicht durch die Operation, sondern durch die Unwegsamkeit des neuen Pylorus
in Folge seines Hochstandes durch Lordose der BQckenwirbelsäule und in Folge Ab-
knickung des Duodenum durch den enorm erweiterten Magen herbeigeföhrt ward. Es
stellte sich bei dieser Kranken in den ersten 2 Tagen nach der Operation starker
Foetor oris, Aufstossen und Brechreiz ein, am 2. und 3. Tage Brechen grösserer Mengen
foetid, sauer riechender Flüssigkeit und als wir dann nach 4 Mal 24 Stunden den
Verband wechselten, konnte man durch die schlaffen Bauchdecken hindurch den Magen
als einen bis zur Symphyse herunterhängenden Sack erkennen. Die nun regelmässig
vorgenommenen Spülungen brachten wesentliche Erleichterung, das Brechen hörte auf,
Patient vertrug wieder etwas Milch, der Darm wurde wegsam und es gingen Gase ab,
— aber die Kräfte kamen nicht wieder und Patient verfiel immer mehr und starb
nach 8 Mal 24 Standen. Es fand sich keine Peritonitis; das über die Nahtlinie her¬
über gezogene Netzstück war fest mit derselben verwachsen und konnte nur mit Ge¬
waltanwendung weggerissen werden. Der neue Pylorus war für 2 Finger durchgängig,
allein der Magen war stark dilatirt und bei Füllung desselben mit Wasser wurde der
Anfangstheil des Duodenum nach abwärts gezogen und die Uebergangsstelle zum ab¬
steigenden Ast abgeknickt. Ueberdies stand in der Bückenlage des Kranken der neue
Pylorus, der gerade auf die Wirbelsäule zu liegen kam, nicht unerheblich höher, als
die Hauptmasse des Magens, sodass schon dadurch allein ein mechanisches Moment
gegeben war, das bei nicht mehr snfficienter Magenmuskulatur die Entleerung des
Magens erschwerte.
Die Magenerweiternng war diagnosticirt, allein ich wagte ans Furcht, die frische
Magennaht möchte Brechbewegungen nicht vertragen, nicht, die Sonde anzuwenden.
Als sie dann in Anwendung kam, war die Kranke schon zu sehr von Kräften, es war
mit einem Worte zu spät. In einem andern Fall, der durchkam, erlebten wir ähn-
V. Kolbt Dissertation Erlangen.
*) Hasslauer, Pylorusresection, Dissertation und Münchener med. Wochenschr. Nr. 21, 1892,
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liebe Erscheinungen. Es trat am Tage nach der Operation Aufstossen und Erbrechen
schwärzlicher Flüssigkeit auf, beim sofortigen Spülen entleerten wir circa einen Liter
einer schwärzlichen Brühe. Die Spülung wurde folgenden Tags wiederholt. Brechen
und Magendruck sistirten, der Kranke konnte Milch und Alles, was ihm gegeben
wurde, vortrefflich ertragen und die Reconvalescenz war von dort ab eine vüUig nnge>
stürte. Eine frühe Spülung hätte vielleicht auch die oben erwähnte Kranke gerettet
ln beiden Fällen bestand hochgradige Magenerweiterung.
Dass übrigens ein gut genähter Magen sehr viel ertragen kann und dass man
mit der Anwendung der Sonde nicht zu ängstlich zu sein braucht, bewies mir vor kurzer
Zeit ein etwas imbeciler Patient, der in der 3. Nacht post operationem in einem un*
bewachten Moment das Bett verliess und seinen grossen Durst an der Wasserleitung
stillte, ohne irgend welchen Nachtheil davon zu haben.
Ein 2. Kranker starb nach 3 Mal 24 Stunden an Peritonitis in Folge einer
Nabtlücke am üebergang der Magenduodenalnaht in die Magennaht, also in Folge
eines technischen Fehlers.
Ein 3. Kranker erlag der Gangraen des Colon transversum. Da die Verwach¬
sungen des Magens mit dem Colon nicht ausgedehnt und grösstentheils leicht und
stumpf zu lüsen waren und die erschöpfte Kranke eine Colonresection kaum überstanden
hätte, abstrahirte ich von einer solchen. Der Fall wäre besser der Gastroenterostomie
zugewiesen worden.
Der 4. Kranke starb nach 2 Mal 24 Stunden an Erschöpfung ohne Fieber und
ohne Pttlssteigerung. Gut schliessende, durch Eintreiben von Luft und Wasser ge¬
prüfte Nahtlinie und keine Peritonitis.
Der 5. Kranke ging an eitriger Peritonitis zu Grunde. Eine Nahtlücke konnte
bei sorgfältiger Untersuchung nicht gefunden werden, und es wird daher wohl ein
Fehler der Asepsis bei der sehr lange dauernden und ausserordentlich schwierigen
Operation Schuld an der Peritonitis sein. Das Carcinom reichte längs der kleinen
Curvatur bis fast zur Cardia hinauf und die Exstirpation des grossen Tumors wurde
hauptsächlich desshalb vorgenommen, weil der intelligente Kranke, dem die vorliegenden
Verhältnisse auseinander gesetzt werden konnten, eine Badicaloperation wünschte und
die Palliativoperation der Gastroenterostomie von vorneberein perborreszirte.
Fassen wir kurz das Ergebniss der Obductionen zusammen, so ergibt sich, wie folgt:
Bei der einen Gestorbenen hätte die frühe Anwendung der Sonde möglicherweise
den letalen Ausgang abwenden können, 2 Kranke wären besser nicht operirt worden
und ein Kranker erlag einem technischen Fehler. Unwiderleglich erhellt daher auch
aus dieser Serie von Operationen, dass auch bei dieser, wie bei jeder andern technisch
schwierigen Operation, wie oben schon erwähnt wurde, die Mortalitätsziffer durch
grössere Uebung und Erfahrung herabgesetzt werden kann.
Nun die Resultate bei den Kranken, die die Operation glücklich überstanden.
Nur nebenbei sei bemerkt, dass der wegen narbiger Stenose im Jahre 1886
operirte Kranke heute noch lebt, sich ganz wohl befindet und seinem Beruf als Han*
sirer nachgeht.
Von den wegen Carcinom Operirten blieb eine Kranke 8 Monate lang vollkommeo
gesund, sie konnte Haus- und Feldarbeit verrichten, wie früher, fühlte sich überhaupt
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so kräftig und rüstig, wie je zuvor, danu bekam sie wieder Schmerzen im Rücken,
einen Monat später wurde ärztlicherseits wieder ein Tumor im Epigastrium nachge¬
wiesen und es stellten sich neuerdings Erscheinungen von Pylorusstenose ein.
Ein 2. Kranker erholte sich ebenfalls vollständig und konnte noch 5 Monate
den anstrengenden Posten eines Fabrikdirectors versehen, dann wurde er icterisch in
Folge Verschlusses des Dnct. choledochus, es konnte neuerdings im Epigastrium ein
Tumor palpirt werden, und bei dem 7 Monate nach der Operation erfolgten Tode fand
der obducirende Arzt, Herr Dr. Bissegger, einen Tumor des Pancreas, der auf das
Duodenum, die Porta bepatis, die Leber und den Magen Übergriff und neuerdings den
Magenausgang stenosirte.
Ein 3. Kranker befand sich noch circa 1 Jahr nach der Operation ganz gut,
konnte alle Speisen vertragen und arbeiten wie früher, dann begann allmählig und
langsam ein schmerzloser Marasmus mit wechselnder Besserung und Verschlimmerung.
Erst 4 Wochen vor dem Tode trat seltenes Brechen auf, und der Kranke starb
17 Monate nach der Operation.
Eine 4. Kranke, die im Juli 1892 operirt worden war, blieb volle 1'/» Jahre
arbeits- und leistungsfähig bei blühendem Aussehen. Neujahr 1893/94 bekam sie
kolikartige Unterleibsscbmerzen mit hartnäckiger Verstopfung. Eine Untersuchung im
April 1894 ergab einen beweglichen kindskopfgrossen Tumor des rechten Ovarium und
einen unbeweglich dem Os sacrum in grosser Breite aufsitzenden, harthOckrigen Tumor
des Rectum, dasselbe schlitzfürmig verengend. Am 7. April wurde die Golotomia iliaca
gemacht. Bei Eröffnung der Bauchhöhle stellt sich der frei bewegliche, gestielte Tumor
des rechten Ovarium ein, der entfernt wurde. Der künstliche After functionirte schon
nach 14 Tagen in zufriedenstellender Weise, die Koliken verschwanden vollständig, die
Ernährung hob sich wieder und Patientin hat bereits das Bett wieder verlassen.
Bei einer 5. Kranken, die neben dem am 18. Juli 1893 operirten Pyloruscarcinom
noch ein Garcinom der Retroperitonealdrüsen und des Pancreas hatte, das nicht entfernt
werden konnte und die am 31. October des gleichen Jahres starb, verschwanden die
Magensymptome vollständig. Patientin konnte wieder alle Speisen, auch Obst und
süssen Most, vertragen und batte niemals mehr Erbrechen, allein sie wurde bald ma-
rastisch und starb, wie der ärztliche Bericht sagt, an Herzschwäche.
Die 6., am 25. Juli operirte. Kranke schreibt Mitte April 1894, 9 Monate nach
der Operation:
,1. habe ich einen sehr guten Appetit, 2. kein Magenleiden mehr, 3. schlafe ich
gut, 4. habe ich seit dem Austritt aus dem Spital um 34‘/i Pfund zngenommen,
5. verrichte ich stetsfort leichte Arbeit und fühle mich so gesund, wie in frühem
Jahren.*
Der 7., am 15. November 1893 operirte. Kranke stellte sich am 15. April, also
5 Monate nach der Operation, wieder vor mit frischem Blick und blühender Gesichts¬
farbe. Er arbeitet seit Anfang Februar täglich von Morgens 6 bis Abends 8 Ohr
als sogen. Erdarbeiter, ohne im Geringsten zu ermüden oder sich unbehaglich zu
fühlen und schläft die ganze Nacht ohne ein einziges Mal zu erwachen. Er geniesst
die gewöhnliche Arbeiterkost: Morgens Gaffee und Kartoffeln, 9 Uhr Brod und Apfel¬
most, Mittags gesottenes Rindfleisch, Kartoffeln und Most, Nachmittags Brod und
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Most, Abends Caffee und Brod. Er hat seit dem Spitalaustritt um 10 Pfund an Körper¬
gewicht zugenommen. Von Recidiv bis jetzt keine Spur.
Die letzte Kranke, die 8., die am 30. Januar 1894 operirt wurde, ist bis jetzt
gesund.')
Von den erfolgreichen Fällen ron Resection wegen Carcinom sind gestorben:
1 17 Monate nach der Operation
1 12 , . .
17,.,,
13 '/*, . ,
Es leben noch 4 und zwar:
1 23 Monate nach der Operation
13 , » • »
13, II » »
13, • t •
Meine Resultate der Magenresection beim Magencarcinom sind, wie Sie sehen,
nicht gerade glänzend, aber immerbin bemerkenswerth dadurch, dass hochgradig her¬
untergekommenen, zum Theil schon kachectischen, ausnahmslos von schweren Leiden
gequälten und dem Tode verfallenen. Kranken für kflrzere oder längere Zeit die frühere
Leistungsfähigkeit und frühere Lebensfreude zurückgegeben werden konnte. Wenn
man nun aber berücksichtigt, dass eine, wenn auch geringe, Zahl definitiver Heilungen
bekannt ist, so kann der heutige Standpnnct der Magenresection beim Carcinom
folgendermassen präcisirt werden:
Erst müssen die Resultate der Operation als solche noch bedeutend bessere
werden. Wir müssen bei den ansemiscben, kachectischen, mit fühlbarem Tumor be¬
hafteten, Individuen, die zur Zeit die Hülfe des Chirurgen suchen, die Mortalitätsziffer
noch bedeutend berunterdrücken und das halte ich für möglich, erst dann können wir
erwarten, dass uns die Vertrauensärzte Kranke in einem verbältnissmässig frühen
Stadium der Erkrankung zuscbicken und dass die Kranken selbst sich zu einer so¬
genannten Frühoperation entschliessen. Dann aber wird auch die Zahl der definitiven
Heilungen erheblich zunebmen und die Operation aus ihrer Sonderstellung heraustreten.
Aufgabe der innem Medicin aber wird es sein, uns die Wege und Mittel an die Hand
zu geben, die eine Frühdiagnose des Magencarcinoms ermöglichen.
Einige Bemerkungen zu Dr. Nordmann’s Aufsatz: „Zur Casuistik der
Ergotingangrän.“
Der von Nordmann vor Kurzem in diesem Blatte mitgetheilte Fall von Decubitus
bei einer Wöchnerin ist sehr interessant. Die Diagnose „Ergotingangran" hat viel für
sich, obwohl bei der puerperalen Disposition zu Thrombosen ein ätiologisches ürtheil
nicht leicht ist und Angaben über den Urinbefund sowie über die Stelle der Ergotin-
*) Sie zeigte sich am 19. Juli wieder mit so vortrefflichem Aussehen und Kräftezustand, dass
wir sie kaum mehr erkannten und gab an, dass sie sich vollständig gesund fühle, den ganzen Tag
arbeite, alle Speisen vertrage und nie mehr an Magen schm erzen, Aufstossen oder Brechen gelitten habe.
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Einspritzung fehlen.^) Ich selbst habe in 34 Jahren gebnrtshülflicher Thätigkeit bei
reichlichem Gebrauch von Secale- und Ergotininjectionen niemals eine Schädigung gesehen.
Ich horte auch nie etwas von Ergotismus gangrsenosus aus der Praxis anderer Collegen.
Wohl aber fand ich in dem klassischen Werke von L, Lewin ^Die Nebenwirkungen der
Arzneimittel*^ (2. Auflage, Berlin 1893) einen Fall notirt, in dem nach einer zur Wehen¬
erzeugung gereichten Gabe von 0,8 gr. Secale Brand an einer Zehe und dann am ganzen
Beine aufgetreten sein soll.
In gleicher Weise will Nordmann auch den Decubitus erklären, über den ich in
meiner Arbeit „Glykosurie und Decubitus im Wochenbett“ (D. Med. Wochenschrift 1892,
Nr. 47) berichtet habe. Die betreffende Wöchnerin hatte innerhalb Stunde 1,5 gr.
Secale erhalten und das genügt ihm, nicht etwa die vielleicht denkbare Möglichkeit einer
Secale-Mitwirkung anzunehmen, sondern die eingetretene Gewebszerstörung vermuthungs-
weise als Ergotingangrän — und nur als solche — aufzufassen. Diese Diagnose setzt
natürlich Nichtexistenz des von mir gefundenen Traubenzuckers voraus; denn Glykosurie,
selbst vorübergehende und quantitativ geringe, führt bekanntermassen unendlich viel
häufiger zu Erkrankungen der Haut, als Secale. Folgerichtig bemängelt denn auch
Nordmann meinen Nachweis von Dextrose.
Dem gegenüber wiederhole ich, dass im Urin meiner Wöchnerin Traubenzucker mit
aller Sicherheit nachgewiesen ist. Bei der Untersuchung wurden die Rathschläge einge¬
halten, die kein Geringerer, als Emil Fischer^ den gewiss auch Nordmann als erste
Zucker-Autorität anerkennt, mir gegeben und die in ähnlicher Weise auch fast alle Lehr¬
bücher ertheilen. Hiernach ist die Gährungsprobe eine höchst zuverlässige, empfindliche
Methode: Der Traubenzucker ist eben direct vergährbar, der Milchzucker ist nicht direct
vergährungsfähig. Ich bestreite aber nicht, dass die Unterscheidung auch einmal Schwie¬
rigkeiten bieten kann. Wenn jedoch, wie in concreto, die verschiedenen Reactionen sich
decken, namentlich hohes specifisches Gawicht, Reduction, Gährung und polarimetrisches
Yorhalten, dann ist die Annahme einer Täuschung vollständig unberechtigt. Und wenn nun
von mehreren zuverlässigen Seiten, unabhängig yon einander, durch Proben und Control-
proben innerhalb 6 Wochen wiederholt Traubenzucker und Aceton nachgewiesen wurden, wenn
die Heilung der Gangrän zeitlich mit dem Verschwinden jenes Zuckers zusammenfiel und
Beides nach Einhaltung geeigneter Diät erfolgte, dann lag es nahe, einen Zusammenhang
zwischen Glykosurie und Decubitus zu vermuthen. Und mehr habe ich nicht gethan;
ich habe sogar mit aller Vorsicht wörtlich gesagt: „Ob und welche Beziehung zwischen
der schweren Gangrän und der Zuckerausscheidung bestand, muss ich offen lassen; doch
verdient bemerkt zu werden, dass eine andere Ursache der ersteren nicht nachzuweisen
war.“ Der Einwand, dass die betreffende Frau im zweiten Wochenbett keine Glykosurie
hatte, beweist ebensowenig, als wenn Nordmann*% Patientin im zweiten Wochenbett
wiederum eine Ergotininjection erhält, aber keine Gangrän davonträgt. Gleich unhaltbar
ist auch die Einrede, dass „andere diabetische Symptome“ gefehlt haben; denn, abgesehen
davon, dass bekanntlich selbst bei wirklicher Zuckerharnruhr das Allgemeinbefinden oft
lange Zeit ungestört bleibt, habe ich dringend gemahnt, nicht jeden Znckerbefund in den
Sammelbegriff „Diabetes“ zusammenzuwerfen, und ausdrücklich betont, dass von einem
eigentlichen Diabetes mellitus trotz des Nachweises von Traubenzucker nicht gesprochen
werden könne. Das ist gerade das Gegentheil von dem Ausspruche Nordmann^s: ich sei
geneigt, den Decubitus als Folge eines ächten Diabetes aufzufassen.
Vollkommen einverstanden bin ich mit Nordmann^ dass die streitige Frage noch
weiterer Aufklärung bedarf, und hierzu anzuregen, war überhaupt der einzige Zweck
meiner Publication. Dr. E, Marens, Frankfurt a. M.
*) Im Jahre 1873 sah ich bei einem in Folge von Cirrhosis hepatis an ßlntbrechen Leidenden,
dem ich Ergotin. de Bonjean 0,1 eingespritzt, an der Einstichstelle eine kleine Entzündung,
die in Gangrän überging, aber heilte. Damals kannte man eine Sterilisation der Spritze etc.
noch nicht. Frühere und spätere Injectionen bei demselben Patienten verliefen reactionslos.
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'Vereinsberiolite.
XLYli. Versammlung des ärztlichen Centralvereins
Freltsf, dei 1. Ssastaif, dra 2. Jnl 1894, li Zlrieh.
Präsident; Dr. E. Haffier, — Schriftführer ad hoc: Dr. Wilh, Spirig.
(Schluss.)
Um 11 Uhr pilgerte man in Zügen der blauen Fahne zu, allwo sich beim Früh¬
schoppen mit kaltem Imbiss bald für kurze Zeit ein fröhliches Leben entwickelte. Hier
fand auch Collega Gross Gelegenheit, seine verdienstliche Photographie aufzunehmen,
welche unserer Hülfskasse einen willkommenen Beitrag abgeworfen hat.
Bald rief die Stunde zur neuen Arbeit.
Allffenelae VersaiiBlaBg: m 12 Uhr in lUthhaassmale.
Die sehr zahlreiche, gegen 400 Köpfe zählende Versammlung wurde vom Präsidenten,
Herr Dr. E* Haffter mit einer Rede eröffnet, deren Wortlaut wir nicht mittheilen können,
da das Manuscript nicht erhältlich war.*)
Hierauf macht das Präsidium die Mittheilung, dass unser verehrte Dr. Sonderegger
wegen Krankheit vom Feste abgehalten sei. Dieser mit allgemeiner Theilnahme anfge-
nommenen Nachricht folgte die tröstliche Versicherung, dass es dem verdienten Patienten
besser gehe und mit Acclamation wurde eine Telegrammadresse an ihn beschlossen.
Es trägt hierauf vor: Spitalarzt Dr. Münsterlingen: Zor operativen Be-
handlnngf des HagfenearcinoBS. (Der Vortrag ist an der Spitze dieser Nr.)
Discussion : Prof. Kocher : Die Resultate der operativen Behandlung des
Magencarcinoms werden bedeutend besser, wenn man Frühoperationen machen kann.
Denkt man sich selbst an die Stelle eines Patienten versetzt, so fallt es bei der gegen¬
wärtigen ungünstigen Operationsstatistik doch immer noch schwer, sich zur Operation zu
entschliessen. Wie lässt sich diese Statistik verbessern? Der Sprechende ist weiter ge¬
kommen, seit er die Methode der Operation verbessert hat. Kappeier operirt nach der
alten Billroth- Wölfier’*sehen Methode. Aber BilWoih selbst, der Eründer und Meister
der Methode, ist zu keinen bessern Resultaten gelangt, trotzdem er grosse Uebung bekam.
Das spricht doch dafür, dass die Methode vervollkommnet werden müsse. Kappeier selbst
gibt für einen Theil seiner Operirten zu, dass für sie die Gastroenterostomie besser ge¬
wesen wäre. Der Vortheil des Kocher'^sehen Verfahrens (s. Corresp.-Blatt 1893, Nr. 20
und 21) besteht darin, dass die Naht des Duodenum mit dem Magen leichter zu machen
ist. Es ist eben besser 2 Oeffnungen von gleicher Grösse wie bei der Gustroenterostomie
zu vernähen, als ungleich grosse Lumina. Bei der alten Methode ist der Winkel, wo
Magen-Duodenalnaht Zusammentreffen, die schwierigste Stelle der Naht; dieser Winkel
fällt bei der ^beherrschen Methode weg. Es könnte geradezu als das beste Verfahren
dasjenige vorgeschlagen werden, wo Magen und Duodenum für sich geschlossen werden
und dann eine Gastroenterostomie gemacht wird.
Als ein Beispiel von zweifelloser Heilung eines Magencarcinoms führt K. die von
ihm operirte Mutter eines Arztes an, die nun schon 7 Jahre recidivfrei geblieben und
damit als geheilt zu betrachten sei.
Prof. Krönlein: Die Erfahrungen, welche Kr, über Magenresection wegen Carcinom
bis jetzt gemacht hat, sind kurz folgende:
Im Jahre 1881 machte Kr. seine erste, im Jahre 1890 seine letzte Magenresection
wegen Carcinom, von 1881 —1890 in toto 8 Magenresectionen, von denen 5 heilten und
3 starben. Seit 1890 hat Kr, leider deswegen nie mehr Gelegenheit gehabt, eine Magen¬
resection auszuführen, weil alle Fälle von Magencarcinom, welche ihm zur Operation zn-
geführt wurden, die Grenzen für eine radicale Operation längst überschritten hatten. —
*) Abhanden gekommen, leider auch die Präsenzlisten. E. H.
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Die letzten 4 Magenreseotionen wegen Carcinom sind alle hinter einander glatt und re-
actionslos geheilt; dabei befolgte Kr, in der Hauptsache das Billroth-Wölfier\e\kQ Ver¬
fahren. Bei den 3 Todesfällen (der Jahre 1881, 1884 und 1888) spielten als Todes¬
ursache eine Rolle: einmal Collaps (nach 24 Stunden), einmal Peritonitis (nach 24 Stunden)
und einmal eine Bronchopneumonie (nach 5 Tagen). — Was die 5 Heilungen betrifft,
so war der Verlauf im Weiteren folgender:
1. Elis. H., 53 Jahre, starb nach 12 Tagen plötzlich an Herzschlag; die Section
ergab völlige Heilung der Magen- und der Bauchwunde. Pat. hatte schon Alles genossen
und sollte entlassen werden, als sie Morgens todt im Bette gefunden wurde.
2. Barb, G., 40 Jahre, starb 2^Ja Jahre post op. an Carcinomrecidiv,
nachdem ihr noch 2 Jahre nach der Magenresection die beiden in mannskopfgrosse Car-
cinome verwandelten Ovanen glücklich durch eine zweite Laparotomie in der Klinik ex-
stirpirt worden waren.
3. Johann F., 39 Jahre, starb 16 Monate post op. an Recidiv.
4. CatharinaB., 41 Jahre, starb 17 Monate post op. an Recidiv.
5. Caspar S., 48 Jahre, starb lOys Monate post op. an Recidiv.
Eine Uebersicht über das ganze Material von Magencarcinom,
welches Kr, zur Operation zugefuhrt wurde, ergibt folgende Zahlen:
Zur Operation Hessen sich während der Jahre 1881—1894 aufnehmen: 52 Fälle
von Carcinoma ventriculi, nämlich 28 Männer, 24 Frauen.
Von den 52 Fällen worden überhaupt nicht operirt 24 Fälle. Mit
Ausnahme weniger Fälle, welche fUr die Operation geeignet erschienen, aber bei der
Eröffnung, dass die Operation lebensgefährlich sei, jeglichen Eingriff ablehnten, waren
alle diese Fälle inoperabel.
Von den operirten Fällen wurden einer einfachen Probelaparotomie
unterworfen 18 Fälle; die Operation erwies sich als nicht mehr austiihrbar, und da
erhebHche Stenoseuerscheinungen fehlten, so wurde auch eine weitere symptomatische
Operation (Gastroenterostomie) nicht ausgeführt.
Die Gastroenterostomie wurde in 2 Fällen aasgeführt.
Die Resectio ventriculi (s. oben) in 8 Fällen. Total: 52 Fälle.
Wie spät die Patienten im Ganzen dem Chirurgen zugewiesen wurden, mag zum
Theil daraus hervorgehen, dass eine ganze Reihe der unoperirten Fälle von
Magencarcinom zu Hause schon nach kürzester Zeit ihrem Leiden erlagen, so
6 Fälle schon innerhalb der nächsten 14 Tage! 5 weitere Fälle innerhalb der nächsten
4 Wochen! u. s. w.
Kr, schliesst sich nach diesen Erfahrungen ganz der von dem Vortragenden aus¬
gesprochenen Ansicht an, dass eine Verbesserung der Resultate nach Magenresection in
Zukunft in erster Linie von einer frühzeitiger ausführbaren Operation zu erwarten sei.
Denn die Technik sei schon jetzt eine ausserordentlich vollkommene, wie gerade die von
den Schweizer Chirurgen mitgotheilten Resultate bewiesen. —
Prof. Bmx : Auch meine kleine Statistik hat seit einem Jahre eine günstige Wen¬
dung erfahren. Da ich am Verfahren nichts geändert habe, so möchte ich nicht ohne
weiteres annehmen dass, wie mein verehrter Lehrer Kocher geschrieben, die Art der
Einmündung des Duodenum ausschlaggebend sei. Doch ich komme darauf zurück«
Für mich gibt es verschiedene Factoren, welche die Resultate beeinflussen:
1) Vielleicht kommen die Kranken früher zum Chirurgen: in der vorigen Liste
hatte ich auf 35 Fälle nicht weniger als 15, bei welchen von einem weiteren Eingriff
nach der Probeincision nicht die Rede sein konnte. Dieses Jahr, bei einer Anzahl von
7 Gastroenterostomien und 7 Pylorectomien, ist es kaum einmal passirt. Und doch hatten
ein paar der Pat. noch keinen Arzt consnltirt, als sie mir in die Hände fielen.
2) Die Vorbereitungscur haben wir ad minimum reducirt, weil die Pat. es nicht
mehr lange aashalten: Wir purgiron nicht, um sie nicht zu schwächen. Wir waschen
33 .
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den Magen nicht einmal, damit uns die Kranken nicht davon laufen. Nach der
Operation aber scheuen wir die Magen pumpe nicht mehr.
3) Die Technik wird besser, in sofern, als die Operation viel schneller ausgefhhrt
wird, was ich bei herabgekommenen Pat. für sehr wichtig halte. Von 2 bis 3 und mehr
Stunden ist bei mir die Dauer einer Pylorectomie, sammt Jejuno-jejunostomie auf 1 Stunde
35 Minuten gesunken als Maximum, während die Gastroenterostomie, je nachdem sie
einfach oder nach Cmrvoisier ansgeführt wird, 25 bis 45 Minuten in Anspruch nimmt
Ein anderer Umstand, ebenfalls von einer besseren Technik abhängig, scheint mir
von der grössten Wichtigkeit: Eine exacte und feste Naht nämlich macht einerseits die
Blutstillung überflüssig, hebt die Gefahren der Perforation und erlaubt, wie ich es
principiell practicire, die sofortige Fütterung der Kranken, was nicht
hoch genug anzuschlagen ist. Gleich nach dem Erwachen aus der Narcose bekommt der
Operirte etwas Champagner, später Bouillon, Thee mit Citrone etc. und am folgenden
Tage bekommt er, wenn er nicht bricht, Alles was er wünscht: Gehirn
und Beefsteak bis zum Sauerkraut (dies ist nämlich sehr leicht zu vertragen!!!). Bricht
er dagegen oder hat er sehr viel Neigung dazu, so wird der Magen gewaschen und
gleich nachher mit den Emährungsversuchen wieder begonnen.
Die Festigkeit der Bauchnaht erlaubt ausserdem den Pat. vom 2. oder 3. Tage an
aufzustehen, was wir allen Laparotomirten erlauben (wie ich es am letzten Pariser
Chirurgen-Congress hervorgehoben).
4) Endlich habe ich in der systematischen Kochsalztransfusion vor, oft
während, aber besonders nach der Operation ein sehr wichtiges Unterstützungsmittel
schätzen gelernt.
Was meine Endresultate betrifft, so habe ich keine Zeit gehabt, eine Zusammen¬
stellung auszuarbeiten: Eine Pat. mit grossartigem Tumor an der Hinterwand des Magens
lebt noch nach 28 Monaten, eine zweite, vor 1 Jahr operirt, hat um 15 Pfund zuge¬
nommen, eine andere sogar um 120 Pfund! (seit Februar 1893 von 40 auf 100
/ Kilos.)
Nun noch ein Wort in Betreff der Technik: Ich sagte, meinem früheren Chef und
Freund Prof. Kocher nicht beistimmen zu können in seiner Meinung, dass die Naht des
Duodenum an die Hinterwand des Magens der wichtigste Factor sei am besseren Erfolg
seiner diesjährigen Serie, weil ich eben ohne Aenderung in der Technik dieselben Re¬
sultate erzielte. Ich muss nun gestehen, dass ich gewöhnlich nach Excision des Krebses
eine Gastroenterostomie nach Courvoisier gemacht (und auch einmal mit Erfolg die
Kocher^Bche Methode probirt) bei welcher, wie bekannt, das untere Jejunum sen^echt
in die hintere Magen wand eingepflanzt wird. Insofern stimmt es mit der Methode meines
Lehrers und darf ich nicht ohne weiteres den Einfluss einer senkrechten isolirten, leichter
und sicherer ausznführenden Einmündung des Darmes leugnen.
Prof. EichhorsL Der Grund, warum die Internen ihre Kranken erst spät zum
Chirurgen schicken, liegt darin, dass sie Magencarcinom nicht früh genug diagnosticiren
können. E. macht ohne Tumor nur eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose. Beim gesunden
Menschen kann man den Pylorus gar nicht fühlen. Wenn ein Tumor palpabel wird,
so ist der Moment schon verpasst, wo man von einer Frühoperation reden kann. Kein
Symptom ist stichhaltig ohne den Tumor; alle andern Symptome können vorhanden sein,
ohne dass ein Carcinom vorliegt. So ist auch das jüngst angeführte Vorhandensein von
Milchsäure im Mageninhalt kein sicheres Symptom. Ein sicheres Zeichen muss von den
Internen erst noch gefunden werden, bis Frühoperationen gemacht werden können.
Nach den Erfahrungen von E. ist es nicht immer zutreffend, dass verschiebbare
Tumoren, auch wenn sie klein sind, ohne Adhmsionen angetroffen werden.
Das Präsidium verdankt die lehrreiche Discussion und resumirt daraus für jeden
Arzt die Pflicht, durch möglichst frühe Diagnose eine erfolgreiche chirurgische Inter¬
vention zu ermöglichen.
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Das Wort erhält Herr Prof. Bibbert zu seinem Vortrag „Ueber FettenbeHe^*« (Er¬
schien in letzter Nummer des Corresp.-Blattes.)
Mit den Worten „es kommt auf den Wein an, nicht auf die Flasche", macht sich
unser Präsidium daran, das Referat des abwesenden Herrn Dr. Senderegger zu verlesen:
Dasselbe ist in Nr. 12 unseres Blattes in extenso mitgetheilt.
Zur Disoussion sprechen: Dr. Müller , Sumiswald, Nationalrath. Er be¬
dauert, dass sich einige Aerzte zu Gunsten der Greulich^schen Initiative ausgesprochen
haben. Sie haben sich verfuhren lassen. Der Vorwurf des Egoismus, den man den
Aerzten macht, ist unberechtigt; in dieser Sache erschiene aber Egoismus weit patriotischer,
als ein unangebrachter Socialismus. Die Staatsstellung des Arztes ist eine absolute Con-
sequenz der unentgeltlichen Krankenpflege, die Aerzte werden Staatsärzte werden. Weiches
sind die Naohtheile? Manche Collegen behaupten, sie verdienten als Staatsärzte mehr als
jetzt. Berücksichtigt man die ausserordentlich anfechtbare Financirnng der unentgelt¬
lichen Krankenpflege, so wird man eine financielle Noth sicher Voraussagen können. Es
wird nachher gespart werden müssen und da wird man beim Arzt ansetzen. Es ist
ferner für die sociale Stellung des Arztes ein grosser Nachtheil, dass der Staatsarzt seine
politische Unabhängigkeit verlieren wird. Endlich bedingt das Institut des Staatsarztes
eine zu frühe Abnutzung des Arztes.
All diesen Entwürfen gegenüber erscheint es als einzig patriotisches Vorgehen der
Aerzte, den Sonderegger'achen Thesen zuzustimmen, die der Redner empfiehlt.
Dr. Kaufmann (Zürich) empfiehlt in Sachen der unentgeltlichen Krankenpflege An¬
nahme der vorgeschlagenen Resolution.
Im Weitern bespricht er den Art. 42 des Entwurfes der eidgenössischen Kranken¬
versicherung nach der in dem Berichte der Commission des waadtländischen ärztlichen
Elaiitonali^reins stehenden Fassung. Er vermisst darin jede Berücksichtigung der durch
die Thesen 6 und 7 von Herrn Collega Sonderegger aufgestellten Postulate. Letztere
versucht er in Kürze durch einige Thatsachen aus der deutschen Versicherungspraxis zu
begründen. Er beweist an Hand statistischen Materials, dass es unrichtig ist, die Kassen¬
ärzte als das beste, das billigste und richtigste hinzustellen und weist die Behauptung
zurück, dass alle Kassen durch die Forderungen der Aerzte ruinirt werden könnten. K,
stellt als Beispiel die Leipziger Krankengenossensebaft mit freier Aerztewahl den 87
Münchnergesellschaften mit Kassenärzten gegenüber. Letztere haben für Medicamente und
Spitalbehandlung viel mehr ausgegeben als die Leipziger, die dafür mehr Arztkosten, mehr
Krankengelder und mehr an Reconvalescentenhäuser bezahlten. Die Leipziger Kasse hat
an der freien Aerztewahl festgehalten und sie schliesst ihren Bericht mit der Versicherung,
dass sie einen vollen Erfolg der socialpolitischen Gesetzgebung darstelle.
Vor allem noth wendig ist eine auf allseitige Prüfung basirte Stellungnahme der
Schweizer-Aerzte und zunächst eine Abstimmung über die Sonderegger'achen Thesen in sämmt-
lichen cantonalen Aerztegesellschaften. Zur Anregung der letzteren wird von dem Sprechen¬
den die Resolution vorgeschlagen, deren Wortlaut in Nr. 12 des Corresp.-Bl. gebracht wurde.
Dr. Schmid (Bern) erklärt, dass die von Herrn Dr. Kaufmann citirte und bean¬
standete neue Fassung des Artikels 42 des Forrer’schen Entwurfes von ihm herrühre
und genau den Beschlüssen der „Grossen Commission" entspreche. Ob der Gesetzes-
redactor Forrer diese auf seinen Wunsch vorgenommene Redaction definitiv in den neuen
^Entwurf aufgenommen habe, sei ihm indessen unbekannt. Im Allgemeinen ist Redner
mit den Desiderien K'a einverstanden, bezweifelt aber, dass eine für die Aerzte viel
günstigere Fassung von Artikel 42 erzielt werden könne, da die Vertreter der Aerzte in
der grossen Commission ihr Möglichstes für die „unbedingte freie Aerztewahl" gethan,
aber nicht mehr erzielt hätten, als der incriminirte Wortlaut citirten Artikels enthalte.
Gegen zu geringe Krankenkassentarife oder gegen unwürdige Unterbietungen gebe
es nur ein Mittel, das ärztliche Solidaritätsgefühl, welches zu entwickeln die Aufgabe
der ärztlichen Vereine sei.
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508
Einem weitern Postulat K/b betreffend Ausschluss von unpatentirten Aerzten sei
im letzten Alinea des vorgeschlagenen Artikel 42 im weitgehendsten Sinne Rechnung
getragen.
Vor allem aber handle es sich jetzt darum, zu der Hauptfrage Stellung zu nehmen,
ob Forrer, ob Greulich, und da beantragt Redner den Thesen von Dr. Sonderegger zu¬
zustimmen.
Es folgt die Abstimmung über die Anträge Dr. Sonderegger und Dr. Kaufmann,
Das Resultat ist bereits in Nr. 12 des Corresp.-Blattes mitgetheilt.
Die auf dem Programm angeführten beiden letzten Vorträge mussten wegen vor¬
gerückter Zeit verschoben werden.
Das Bankett fand in dem durch seine unvergleichliche Lage bekannten
Hdtel Baur am See statt. Der Theilnehmer waren so viele, dass der grosse Saal sie
nicht alle fasste und auch der kleine Saal sich vollständig anfüllte.
Bald herrschte frohe Stimmung an der grossen Tafelrunde. Das Präsidium,
überschänmend von den vielen schönen Eindrücken, die es kürzlich auf dem klassischen
Boden Roms empfangen, wollte auch uns alle daran Theil nehmen lassen und so sprach
es seine von idealem Geiste getragene, mit Horazens practischer Philosophie gewürzte
Rede also:
Verehrte Anwesende! Liebe Herren Collegen! Einen schönen Gruss von fforaiius
Flaccus ! Ich traf ihn vor einigen Wochen — procul negotiis — auf seinem Landgute
bei Tibur, wohin er sich mit einem gewissen Herrn Mcecen .aus Rom vor den Unruhen
des internationalen Congresses geflüchtet hatte. Beide behaupteten, gute alte Gjmnaaial-
bekannte von Ihnen zu sein. — Der lauriger Horatius war, wie immer, bei bestem
Humor, liess durch Jungfer Lalage einen feurigen Falerner credenzen und gab mir unter
schattigen Pinien eine kleine Privatstunde in Lebensphilosophie. Mcßcen aber sass stumm¬
vergnügt daneben, wirkte beistimmend und trank.
„Nil sine magno vita labore dedit mortalibus", begann der poeta philosophus.
„Mühe und Arbeit ist die unerlässliche Grundbedingung zu allem Glücke und Lebens¬
genüsse. Die habt Ihr Söhne Aesculaps nun freilich Jahraus Jahrein in vollem Maasse;
aber auf die Kunst des ruhigen, frohen Geniessens versteht Ihr Euch durchwegs zu wenig.
Da müht Ihr Euch ab von fnih bis spät. Andern Gesundheit und Leben zu erhalten and
zu verlängern, predigt all überall Gesundheitslehre, weise Mischung von Arbeit und Ge¬
nuss, für Euch selber aber kennt Ihr diese Kunst zu wenig. Die Allerwenigsten paaren
Müsse und Arbeit, wie sie's den Klienten predigen und wie es Körper und Geist frisch
und leistungsfähig erhält. Ihr rennt und jagt, zersplittert Eure Zeit, oft nur, weil Ihr
Euer Publicum nicht an eine rationelle Tageseintheilung gewöhnen mögt. Kaum eine
Mahlzeit in Ruhe! Keine Stande des Tages so ganz für Euch und Euere Familie! —
Der Eine härmt sich über therapeutische Misserfolge; den quält der Undank der Welt;
diesen ärgert die Rücksichts- und Taktlosigkeit des profanum vulgus; der hat Prioritätsangsten
und gebiert hastige vorläufige Mittheilungen; den legen „schwere Fälle" schlaflos, oder
aber Ohrenbläsereien, oder gar fremde Lorbeeren. — So drängt eine Aufregung die
andere und eh’ man sich’s versieht, ist die Kraft zu Ende und der Mann früh alt!
Und das Alles, weil Ihr mein altbewährtes Hauptrecept nicht kennt oder wenigstens
nicht mehr befolgt: Aequam memento rebus in arduis servare meutern!
Arbeiten, justus et propositi tenax, seine Pflicht erfüllen integer vitse jeden Tag
beschliessen! — Dann aber von Zeit zu Zeit: Vorhang runter! Von Zeit zu Zeit eine
behagliche Müsse, eine Stunde sorglosen Daseins: Familie, Freunde, Natur, Kunst, Bn-
kolika! Oder einen Funken alter Gymnasialbegeisterung an griechischer oder römischer
Klassicität entzündet! — Was es auch sei — nur ein Steckenpferd! Aber ein Steckenpferd
ohne Stethoscop und Verbandtasche, ohne Berufssorgen !
So sollt Ihr Euer Loben gestalten und so könnte es ein Jeder von Euch tfaon!
Dann bleibt Ihr bewahrt vor Hypochondrie, Neurasthenie, Melancholie, Morosität, In^*
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collegialität und wie die Laster alle heissen! — A.lso ganz speoiell Euch Aerzten gilt
mein Rath: Nach gethaner Arbeit: Weg mit den Grillen und Sorgen!"
^„Entschuldigen Sie, Herr " warf ich ein, „„das Recept stammt nun aber
nicht von Ihnen; das hat ein Späterer erfunden."" „Oho", lachte der fröhliche Dichter-
philosoph, „die Weisheit kenne ich schon lange; vide Carmin. lib. I, Nr. 26."
M. H. C.! Der lauriger Eoratius hat Recht. Wenn wir gesund, frisch, leistungs-
inhig und innerlich vergnügt bleiben wollen, müssen wir die Arbeit regelmässig mit Er¬
holung mischen. Und auch heute wollen wir seinen Rath befolgen: gearbeitet haben
wir; nun folgt die Müsse, . . . nunc pede libero pulsanda tellus I Nunc Saliaribus ornaye
pulvinar Deorum. E i n Deus aber, den wir saliarisch schmücken wollen, der unserer
Arbeit und unserer Müsse eine höhere Weihe verleiht, ist der Genius des Vaterlandes.
Des Vaterlandes lasst uns jetzt in Liebe gedenken! Ihm und seinen freiheitlichen In¬
stitutionen gilt ein grosses Stück unseres Lebens; ihm galt auch unsere heutige Arbeit
und der Gedanke an’s Vaterland sei auch der Grundton für die jetzt zu beginnende
frohe Festlichkeit!
M. H. C.! Die Hand aufs Herz! Das Glas in die Höhe und ein dreifach Hoch
dem lieben Vaterlandei
Begeistert und mächtig brauste es durch den Saal!
Prof. Dr. Goll entbot als Präsident der oantonalen Aerzte-Gesellschaft Zürich den
anwesenden Collegen seinen Grnss.
Stadtpräsident Pestalozzi gab seiner Befriedigung Ausdruck, dass der
ärztliche Stand in richtiger Erkennung der vielen socialen Fragen mit Zielbewusstheit in
der Erfüllung hygieinischer Aufgaben manche Lösung ermögliche. Er wies darauf hin,
dass gerade die Stadt Zürich für die modernen Anforderungen an die Hygiene und Volks¬
gesundheitspflege ein offenes Auge habe und dass sie durch die Schaffung einer Stadt¬
arztstelle hiefür beredtes Zengniss abgelegt habe.
Regierungsrath Oberst Bleuler entbietet den Willkommgruss im
Namen der Regierung. Er weist auf die Opferwilligkeit des Staates hin, der in Würdi¬
gung der Bedeutung der medicinischeii Wissenschaft keine Kosten scheue, ihr ein den
Zwecken entsprechendes Heim zu schaffen. Davon zeugen aufs neue die eben eröfifneto
Poliklinik und das im Bau befindliche Augenspital.
Das Präsidium verliest mit Acclamation entgegengenommene Begrüssungstelegramme
vom Schweiz. Oberfeldarzt und von Dr. Sonderegger, Das letztere lautete folgendermassen:
Meinen lieben Herren Collegen und Freunden warmen Dank für ihre wohlwollenden
Grüsse und Wünsche. Ich glaube an ein gesundes Sanitätswesen unseres Vaterlandes
ohne Klassenkämpfe, aber mit Entwicklung der Staatshygieine und Erstarkung der
wissenschaftlichen Medicin. Ihrer heutigen Arbeit meine Glücks wünsche. Ihnen Allen
meine herzlichen und hochachtungsvollen Grüsse. Sonderegger,
Noch sprachen Herr Prof. 0, Wyss^ Rektor der Universität, und Herr Dr. Stamm
aus St. Paul, Minn"*
Zwischen die Reden hinein Hess eine Abordnung des Studentengesangvereins ihre
Weisen vernehmen: schneidige vierstimmige Lieder und klangvolle Tenorsoli.
Rasch vergingen die fröhlichen Stunden; mit eiligen Schritten steuerten Manche
bereits dem Bahnhof zu, während Andere, der Einladung der Badener Collegen gehorchend
schon Abends nach Baden verreisten. So war denn auch die Gesellschaft, welche sich
Abends 8 Uhr am Zürichhom vereinigte, nicht mehr zahlreich, zumal auch das ungünstige
Wetter noch manch Einen abhielt.
Damit fanden die lehrreichen und durch die Gastfreundschaft der Zürcher so an¬
genehm gestalteten Versammlungstage ihren schönen Abschluss ; sie werden jedem Theil-
nehmer in bester Erinnerung bleiben und Alle den gastlichen Zürcher Collegen gegenüber
zu warmem Dank verpflichten.
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— 510
An der sonntäglichen Badenerfahrt nahmen ca. 50 Collegen theil. Erfrischender
Frühschoppen, fröhlicher Bummel nach dem Belvedere, animirtes Bankett im Casino, ge¬
würzt durch viele Reden und vorzüglichen Badener wein, belebt durch die Weisen des
Curorchesters, Rundgang durch die Bäder — das ist das abgewickelte Programm der
Badenerfahrt, welche sich — Dank der offerirten Gastfreundschaft zu einem würdigen
Abschluss des schönen Zürcherfestes gestaltete. —
Medicinische Gesellschaft der Stadt Basel.
SItnsf T*a 7. Jui 1894.')
Präsident: Prof. Siehenmann, — Stellvertretender Actuar: Dr. A, Hägler^ Sohn.
Prof. E, Hagenbach-Burckhardt berichtet über die im Kinderspital in den letzten
25 Jahren vorgekommenen SpitaliafeetieneB. Eine wichtige Angabe des Arztes eines
Eanderspitals ist die Sorge um Vermeidung von Hausinfectionen. Das Auftreten derselben
hängt weniger ab von Besuchen durch die Angehörigen, als von den baulichen Einrich¬
tungen und dem ärztlichen und Abwartpersonal. Die gegenwärtigen Kinderspitaler be¬
stehen meist aus einem Hauptgebäude und einer grösseren oder geringeren Zahl von
Pavillons für Infectionskrankheiten; jeder der letzteren wird in grössern Spitälern von
einem besonderen Arzte besorgt, um dadurch Uebertragnngen nach den andern Spital-
theilen zu vermeiden. — In kleineren Spitälern, wo die Besorgung aller Abtheilnngen
denselben Aerzten obliegt, sind Uebertragungen namentlich von Scharlach und Diphtherie
nicht ganz zu vermeiden. Im Kinderspital in Basel haben die Hausinfectionen von
Scharlach erst nachgelassen, als die Aufnahme von solchen Kranken sistirt wurde. —
Scharlach steckt in jedem Stadium der Krankheit an; auch frühe Isolirung des
Kranken schützt die anderen oft nicht vor Infection; die Absonderung sollte für jeden
Fall länger als 3 Wochen dauern, (dieser Zeitraum, der von der Basler Sanitätsbehörde
verlangt wird, ist entschieden zu kurz auch für leichte Fälle). — Das Contagium von
Scharlach haftet gerne und auf lange Zeit an Gegenständen und Zwischen¬
träger spielen da eine grosse Rolle. — Für Kinderspitäler ist nament¬
lich der chirurgische Scharlach gefährlich wegen der Verwundeten auf der
einen Seite und dor Nähe einer Scharlachabtheilung andrerseits; besonders empfänglich
sind die Tracheotomirten. — Diesem chirurgischen Scharlach ist eigenthümlich die
sehr kurze lucubation von hie und da unter 24 Stunden. — Von ebenso
grosser Bedeutung in der Frage der Spitalinfectionen ist die Diphtherie; auch da
liegt ein fixes Contagium vor: die Uebertragung geschieht direct, aber sehr oft auch
durch Zwischenträger und Gegenstände.
Die differentielle Diagnose muss auf bacteriologischem Wege hauptsächlich gemacht
werden zwischen Löffler'wAiet dipththeritischer Angina lacunaris und sog. Coccendiphtherie;
zur Aufnahme zweifelhafter Fälle dient die Beobachtungsstation. — Die genaue Diagnose
ist nothwendig nicht bloss für die Frage der Isolirung, sondern auch für Prog¬
nose, Behandlung und Art der Infection und sollte auch für die
Fälle in der Stadt populärer sein. Schwierig wird die Vermeidung von Uebertragungen
dadurch, dass Diphtheriebacillen im Halse bestehen noch lange, wenn keine Membranen
mehr da sind und dass Bacillen im Anfang da sein können ohne Membranen; daher
auch die dunkle Herkunft in vielen Fällen. — Längerer und häufiger Umgang mit
Diphtheritischen scheint giftfest (immun) zu machen. Escherich fand bei Wärterinnen
Diphtheriebaciilen im Halse ohne jegliches Unwohlsein. Wenn von häufig überstandener
Diphtherie des gleichen Individuums gesprochen wird, ist Verwechslung mit Angina la¬
cunaris anzunehmen. — Beim Auftreten von Scharlach oder Diphtherie in einem Kränken-
^) Eingegangen den 9. Juli 1894. Red.
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saal ist die gründlichste Reinigung vorzunehmen: Desinfection der Betten im strömenden
Dampf und der Wände und namentlich auch des Fussbodens.
Während bei Scharlach und Diphtherie die Herkunft der Infection häufig dunkel
ist, kann bei Masern die Quelle meist nachgewiesen werden. Da geht die Weiter-
verbreitung meist von Bett zu Bett, von Zimmer zu Zimmer; Zwischenträger kommen
kaum in Betracht. Darum ist auch erfolgreiche Isolirung in einem Zimmer des Hauptge¬
bäudes möglich. Masern sind für Einderspitäler sehr gefährlich wegen der vielen Tuber-
culösen, die befallen werden; dann sind nach Grancher Kinder mit Masempneumonien
geföhrlich für normale Masemkranke, wegen der Uebertragung der Pneumonie anf letztere.
Wegen der Flüchtigkeit des Masemcontagiums ist eine Desinfection der Localität weniger
nothwendig. Auch der Keuchhusten zeigt in Kinderspitälern eine grosse Sterblich¬
keit aus denselben Gründen wie die Masern. — Ein fernerer Feind der Kinderspitäler
sind die infectiösen Darmcatarrhe. Kinder im Säuglingsalter erkranken ähnlich,
wie Kinder in Findelhäusern, leicht an Darmcatarrhen nicht bloss, weil sie künstlich er¬
nährt werden müssen, sondern wohl, wie Fischl in Prag annimmt, wegen der Infection
mit vielfach vorhandenen Staphylococcen und Streptococcen. — Für die Begründung der
ausgesprochenen Behauptungen verweist Hagenhach auf die Arbeiten von Dr. Fahrn über
Spitalinfectionen, auf seinen Vertrag in der Strassburger naturforschenden Gesellschaft,
auf die ätiologischen und klinischen Beiträge zur Diphtherie von Dr. Feer und auf die
Dissertation über den chirurgischen Scharlach von Dr. Koch.
Sitzugf 5. Jill 1894.
Präsident: Prof. Siebenrrumn. — Actuar: Dr. VonderMMl.
Dr. Gönner: HinterseheitelbetnelBstellBBif. Lüzmann und Veit sind ös. welche
die wichtigsten Arbeiten über Hinterscheitelbeineinstellung publicirt haben. Ihre nicht
ganz übereinstimmenden Ansichten werden resumirt. In der Basler gebnrtshülfiichen Klinik
wurden bis 1880 unter 2400 Geburten 8 Mal Hinterscheitelbeineinstellung beobachtet,
also in etwas mehr als 0,37o* In 7 Fällen waren die Becken verengt, der einzige Fall
mit normalem Becken war durch Hydrocephalus oomplicirt, so dass also auch da das
Raumverhältniss ein abnormes war. Unter diesen 2400 Gebärenden waren 193 mit
engem Becken, bei 7 derselben wurde Hinterscheitelbeineinstellung beobachtet, also 7%.
7 Mütter sind genesen, eine ist an Uterusruptur gestorben. Von den Kindern sind 3
lebend geboren worden und am Leben geblieben, 2 starben während der Geburt, 3 wurden
perforirt. Die Prognose für die Kinder ist also schlecht. Ausgesprochene Hinterscheitel¬
beineinstellung mit engem Becken complicirt, corrigirt sich selten von selbst. Wenn der
für die Wendung günstige Moment vorüber ist, wird man sich oft zur Perforation ent-
schliessen müssen. Besonders empfehlenswerth scheint die von Bischoff zuerst ausgeführte
Entbindung auf folgende Weise zu sein: Anlegung der Zange, Correction der falschen
Haltung durch combinirte oder innere Handgriffe in der Zange, die zur Fixirung des
Kopfes in der verbesserten Lage dient, und darauf Extraction mit dem Forceps. Das ist
besser als der Li^mann’sche Vorschlag, zuerst Correction der Lage und darauf Anlegung
der Zange, da inzwischen durch die Wehen die schlechte Lage wieder zu Stande kommt.
Die Arbeit soll in der Zeitschrift für Gynäcologie und Geburshilfe veröffentlicht
werden.
Refeiraite und Kiritiken.
Die Blutgefässe im Labyrinthe des menschlichen Ohres.
Von Prof. F. Siebenmann, Aus dem anatomischen Institut im Vesalianum zu Basel.
Verlag von J. F. Bergmann. Wiesbaden 1894.
Die vorliegende Arbeit über die Vascularisation des menschlichen Labyrinthes darf
als eine abschliessende bezeichnet werden. Eine Reihe von Umständen musste glücklich
Zusammentreffen, um zu einem solchen Abschlus zu führen. Durch seine lange Beschäf-
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tigang mit der Metallcorrosion des macerirten Schläfenbeins war es Siebenmann mdglich
geworden, die Abflusswege des Blutes aus dem Labyrinth, welche die Corrosionspräparate
aus Harz-Wachsmasse nur zum Theil hatten erkennen lassen, Yollkommen darzustellen.
Für die Circulationsverhältnisse in der Schnecke hatiQ Schwalbe ein neues Interesse
erweckt. Im Jahre 1892 theilte Oswald Eichler seine anatomischen Untersuchungen über
die Wege des Blutstromes im menschlichen Ohrlabyrinth mit, deren erster Theil die
Schnecke behandelt; der zweite, den Vorhof und die Bogengänge enthaltende Theil wurde
erst vor Kurzem als Nachlass von C. Ludwig veröffentlicht, nachdem dieser verdienstvolle
junge Forscher der Wissenschaft durch den Tod entrissen worden. Ihm ist die erste
Anwendung der Celloidincorrosion, wie sie von Steinbrügge und Barth für das Labyrinth
eingeführt worden ist, auf Injectionspräparate des Labyrinths zu verdanken. Durch Modi-
fication der Injectionsmasse und der Aufhellungsmethoden ist es Siebenmann gelungen,
in allen ihren Theilen durchsichtige Präparate des ganzen Labyrinths mit vollkommener
Injection nicht nur der Arterien, sondern auch der Venen und Oapillaren herzustellen.
Von der Schönheit und Uebersichtlichkeit dieser Präparate lässt sich aus den unter
der sorgfältigen Leitung Siebenmann^s hergestellten 11 Farbendrucktafeln ein volles Bild
gewinnen. Die eingehende und vielfach Neues enthaltende Schilderung der Zu- und Ab¬
flüsse und der Gefässvertheilung in den einzelnen Bezirken des Labyrinths, bezüglich
deren auf das Original verwiesen werden muss, lässt uns erkennen, „dass eine Anzahl
von Vorrichtungen existiren, welche von hohem Werthe sind für die Sicherung eines un¬
gestörten Zu- und Abflusses des Blutes in den wichtigeren Theilen des Labyrinths.^
Ebenso erweist sich der zarte Nervenendapparat in der Schnecke durch Arkadenbildnng
und vielfache Krümmung sowohl der Arterien als der Venen vor einem zu starken An¬
prall des Blutes geschützt. Im Verlauf und in der Anordnung der Qefässe tritt allent¬
halben innerhalb des Labyrinths „eine wunderbare Uebereinstimmung und Gesetzmässig¬
keit^ zu Tage.
Die vorliegende Arbeit wird späteren Zeiten einen Beweis dafür liefern, dass die
gegenwärtige Entwicklung der Ohrenheilkunde nicht nur in praotischer, sondern auch in
theoretischer Richtung dauernde Früchte gezeitigt hat.
Durch die Verlagshandlung von J. F. Bergmann hat das Werk eine seines In¬
halts würdige Ausstattung erhalten. Beeold (München).
Chirurgische Technik.
Von V. Esmarch und Kowalzig. 2. Band: Operationslehre. Leipzig 1894.
In vorliegendem Bande findet man die bekannten Eigenschaften des v, EsmarcWmhen
Werkes: Kurz und bündig. Druck, Abbildungen und Papier des Buches sind muster¬
gültig. In den Abbildungen ist ausser der chirurgischen Topographie auch die lustru-
mentenlehre ausgiebig berücksichtigt. Im Capitel der Resectionen sind die Operations¬
methoden Kocher'^ ganz besonders gewürdigt worden. E. Kummer (Genf).
Grundriss der Kinderheilkunde.
Von Carl Seite. 478 Seiten. Verlag von S. Karger, Berlin 1894. Preis 12 Fr.
Das vorliegende Buch will dem Studirenden und dem Arzte einen Leitfaden bieten;
es darf aber füglich als Lehrbuch bezeichnet werden.
Als Einleitung dient ein allgemeiner Theil, der um vieles ausführlicher (108 S.)
angelegt ist, als in andern Lehrbüchern und der einen sehr grossen Vorzug des Werkes
bildet. In trefflicher Weise werden hier anatomische und physiologische Eigenthümlich-
keiten, Wachsthum, Ernährung, Pflege, Kleidung, Untersuchungsmethoden im Kindesalter
und Behandlung kranker Kinder erörtert.
Der specielle Theil gibt eine sorgföltige, kurze Beschreibung der einzelnen Krank¬
heiten unter ziemlich vollständiger Verwerthung der neueren Forschungen (ohne Littora-
turangaben). Einige Mängel und Unrichtigkeiten vermögen den Werth des Buches nicht
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erheblich zu beeinträchtigen und werden wohl bei einer eventuellen zweiten Auflage ge¬
tilgt werden. Die Behandlung ist mit besonderer Sorgfalt und Ausführlichkeit besprochen;
es sind dabei diätetische und hygienische Massregeln und Prophylaxe in erster Linie ge¬
würdigt und empfohlen. Die modicamentöse Therapie ist rationell gewählt und zeugt
von kritischer Erfahrung. (— Nicht unbedenklich ist aber z. B. der Rath, bei Scharlach
in Desquamation die Haut mit 5®/o Carbolöl einzufetten. —)
Die Darstellungsweise ist knapp, dabei aber doch Idar und anziehend. Das Buch
kann warm zur AnschafiTung empfohlen werden, besonders dem Studirenden, wenn nicht
ein grosseres Werk {Henoch, Baginshy, VogeUBiederf) gewünscht wird.. Seine Vorzüge
werden ihm voraussichtlich eine dauernde Stellung in der Litteratnr erwerben. Feer,
Real-Encyclopädie der gesammten Heilkunde.
Medicin .-Chirurg. Handwörterbuch für practische Aerzte. Dritte, gänzlich umgearbeitete
Auflage. Unter Mitwirkung von 142 Fachgenossen herausgegeben von Prof. Dr. Albert
Eulenburg in Berlin. Mit zahlreichen Illustrationen in Holzschnitt und Farbendrucktafeln.
Dritter Band (Bauchfell—Breege). Lex.-8. 708 Seiten mit 139 Holzschnitten. Preis: 15 M.
Urban und Schwarzenberg, Wien und Leipzig 1894.
Wenige Wochen nach dem Erscheinen des zweiten Bandes liegt der dritte Band
vor uns. — Dass alle Gebiete, die nur irgendwie mit der Medicin in Beziehung stehen,
berücksichtigt wurden, beweisen Abschnitte, wie: Bauhygieine, Bekleidung und Ausrüstung
des Soldaten, Bertillonage (anthropometrisches Verfahren nach Bertillon\ etc. — Einige
Gegenstände sind mit vorzüglicher Gründlichkeit und je nach der Bedeutung entsprechend
ausführlich behandelt, so z. B. „Becken^ (66 Seiten mit zahlreichen Holzschnitten) von
Kleinwächter „Beschäftigungsneurosen“ von 0. Berger und A7. Remak\ „Blasenkrank¬
heiten“ von Englisch^ „Blindenstatistik“ von CbÄ»; „Blut“ von Landeis {Miescher'sehe
Mischpipette beim Abschnitt Blutkörperchenzählung nicht erwähnt!) etc. etc. Betreffend
Anlage und Bedeutung des ganzen Riesenwerkes sei auf pag. 192 dieses Jahrganges
unseres Blattes verwiesen. E, Haffter,
Cursus der Zahnheilkunde.
Ein Hülfsbuch für Studirende und Zahnärzte von Dr. med. Conrad Cohn. H. Theil.
Fischer's med. Buchhandlung, Berlin, gr. 8^, 552 pag.
Ueber den I. Theil des vorliegenden Werkes vergl. Corr.-Bl. 1893 pag. 798. Der
11. Theil behandelt in drei Abschnitten Bacleriologie, Arzneimittellehre und Allgemeine
Chirurgie, soweit sie für den Zahnarzt in Betracht fallen, durchwegs in ziemlich elementarer
Weise. Aus dem vierten Abschnitte: über Zahn- und Mundkrankheiten kann der Arzt
Allerlei lernen. E. Haffter.
Oa.iitoiiAle Ooin^espondenzen.
ZArleli. Hermnn Stelaer f. „Ich möchte Sie aufmerksam machen auf den
jungen Hermann Steiner.,'*' sagte mir vor einigen Jahren ein befreundeter Lehrer des
Züricher Gymnasiums, zu der Zeit, wo dieser Jüngling nach glänzend absolvirtem Ma¬
turitätsexamen eben im Begriffe stand, als Studiosus medicinse in die Hallen unserer
alma mater oinzuziehen. „Er ist ein herrlicher Mensch, aussergewöhnlich begabt und
voll Begeisterung für die Wissenschaft: Sie werden an ihm Ihre Freude haben!“ Dieser
Worte erinnerte ich mich, als wir am 10. April dieses Jahres in langem stillem Zuge
dem blumengeschmückten Sarge folgten, welcher die irdische Hülle meines braven
Assistenten barg. Es war ein prächtiger Frühlingstag; der volle Glanz des Zürichersees
und seiner Ufer schimmerte zu uns hinauf, als wir oben auf dem Gottesacker der Rebalp
vor dem offenen Grabe standen; doch wie schlecht harmonirte mit der wiedererwachten
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lachenden Natur die tieftraurige Stimmung, welche sich auf jedem Gesicht der Leid¬
tragenden so deutlich offenbarte. Ja wohl! der einstige Lehrer hatte richtig prophezeit:
wir Alle, die wir Hermann Sieiner genauer kannten, hatten Freude an dem herrlichen
Menschen, der so viele weitgehende Hoffnungen erweckte und den ein grausames
Geschick ereilte, gerade als der blüthenreiche Baum die ersten Früchte anzusetzen be¬
gann. Hermann Steiner starb im 1. Semester seiner Thätigkeit als Assistent der Chirurg.
Klinik, nach monatelangem Krankenlager, ein Opfer seines ärztlichen Berufs. Ein kaum
wahrnehmbarer Nadelstich, den er sich aus Versehen beim Verband einer jauchigen
Phlegmone im Krankensaale zugezogen, wurde zum Ausgangspunkt einer allgemeinen
Streptooocceninfection, welche Metastase auf Metastase setzte, die zahlreiche operative Ein¬
griffe nothwendig machten. Wochen- und Monatelang schien es, als würde der jugend¬
liche, kräftige Organismus der schweren Durchseuchung erfolgreich trotzen; dann aber
versagten die Kräfte und nach unsäglich schweren Leiden schloss Hermann Steiner am
7. April die Augen für immer, beweint von seiner Familie und seinen Freunden, welche
in rührender Aufopferung 4 Monate lang Tag und Nacht in den Krankendienst sich ge-
theilt hatten, beweint auch von seinen Lehrern, die in ihm ihren besten Schüler verloren.
In die Annalen der chirurgischen Klinik aber hat er sich mit seinem Herzblut einge¬
schrieben; ihm bleibt das Andenken, welches wir dem jungen Helden schulden, der im
vollen Siegesläufe fällt, noch ehe der winkende Lorbeer seine Stirne berührte.
Prof. Dr. KrönUin,
Einem gleichzeitig durch den intimsten Freund des Verstorbenen eingeschickton
Nachrufe entnehmen wir Folgendes:
Der Besten Einer, ein junges, blühendes Loben ist am 7. April 1894 nach schwerem,
langem Kampfe der im Dienste der Pflicht erlittenen Krankheit erlegen. Erst 24 Jahre
alt, kaum am ersehnten Ziele angelangt, wurde Steiner durch den Feind weggerafft, den
zu bekämpfen er sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte. —
St. wurde geboren am 4. Mai 1869; schon frühe zeigte er so hervorragende Be¬
gabung, dass der Vater, der seinen Aeltesten ursprünglich zum Kaufmann bestimmt hatte,
der auffallend deutlich in seinem Sohne erwachten Neigung zum Studium der Medicin
nicht länger widerstand; ein musterhafter, an Erfolgen reicher Studiengang bewies, dass
St. den richtigen Weg gewählt hatte. Denn — dass er als Gymnasiast, wie auch später
als academischer Bürger stets als Erster aus den Prüfungen hervorging, war für uns
Freunde fast selbstverständlich geworden. Schon in den ersten Semestern publicirte er
als Assistent der Anatomie eine Arbeit über „Das Epithel der Ausftthrungsgange der
grösseren Drüsen". Das Erscheinen seiner Dissertation „lieber die Ecchondrosis physali-
fora sphenooccipitalis" hat er nicht mehr erlebt; sie ist nach seinem Tode durch Herrn
Prof. Rtbberty seinen Lehrer, im Auszuge mitgetheilt worden.
Nach dem Tode des Vaters wurde Si.j noch sehr jugendlich, der älteste Spross
eines ausgedehnten Familienkreises. Bezeichnend für die Art, wie er sich dieser Stellung
würdig zeigte und die Familie, namentlich die Mutter, zu erfreuen pflegte, ist der
charakteristische Zug, dass er sich auf alle medicinischen Prüfungen in aller Stille und
ohne Vorwissen seiner Verwandten vorbereitete und dann je weilen mit dem glänzenden
Zeugnisse vor die Ueberraschten hintrat. Eine Selbstbiographie und Tagebücher geben
ein würdiges Bild des tiefen Ernstes, mit welchem er alle, auch diese Aufgaben erfasste.
Neben dem Studium der Medicin widmete sich St. in intensiver Weise der Pflege der
klassischen Litteratur und erreichte auf diesem Gebiete seltene Kenntnisse und Belesen¬
heit; Goothe war ihm auf allen Reisen ein treuer Begleiter; manch gutes Product eines
eigenen, nicht unbedeutenden poetischen Talentes kam dem Studentengesangverein, dessen
langjähriges, treues Mitglied 6^. war, zu Gute. —
Am 1. November 1893 trat St. als Assistent der chirurgischen Klinik ein und
bereits hatte er begonnen, sich in der neuen Stellung heimisch und glücklich zu fühlen,
als schon am 26. November die unheimliche Wendung seines Schicksales eintrat.
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Der ia jeder Hinsicht ungewöhnlich und glücklich veranlagte Mensch, der ernste,
weit über seine Jahre hinaus gereifte, an sich selbst in strenger Selbstkritik die strengsten
Forderungen stellende Mann, der treue Freund und begeisterte Irzt, der in so tragischer
Weise seinem Berufe das junge Leben hat zum Opfer bringen müssen, hat mit seinem
frühen Tode ungezählte Hoffnungen vernichtet. Yenit mors velociter, nemini parcetur!
E, R
Bericlit des seliweis« Oberfeldarztes über die Tjrpbns-
fälle wftbrend der letz^äbrigen Corpsmandwer. An die Direction
des Innern des Kantons Bern.
Endlich komme ich dazu. Ihnen über die Delsberger Typhusangelegenheit vom
letzijährigen Manöver des IE. Armeecorps den in Ihrem Schreiben Nr. 3597 X vom
5. December 1893 gewünschten Bericht zu erstatten.
Bereits lange vor dem Manöver musste die Frage ins Auge gefasst werden, ob
nicht im Manövergebiet Herde von ansteckenden Krankheiten vorhanden seien, welche
die Gesundheit der Trappen gefährden dürften. Am meisten Gefahr drohte von den¬
jenigen Ortschaften, welche als Waffenplätze für die Vorkurse bestimmt waren, weil
daselbst die Trappen mehrere Tage sich aufhalten mussten (für die III. Division die
Ortschaften des untern St. Immerthaies, ferner Tavannes, Reconvillier, Tramelau und
Pery). lieber alle diese Ortschaften mit Ausnahme der letztgenannten zog der Divisions¬
arzt Oberstlieutenant Moll in Biel von den Ortsärzten Erkundigungen ein und fragte sie
namentlich auch an, ob und welche Häusergruppen als typhusverdächtig nicht zu belegen
und ob Brunnen, Quellen oder Wasserläufe in dieser Beziehung zu meiden seien. Alle
Antworten lauteten durchaus beruhigend und ebenso nachträgliche Erkundigungen im
August; nur über Pery, das durch Bieler Aerzte besorgt wird, liegen keine Daten vor.
Ferner gab der trockene Sommer der Befürchtung Raum, es möchte in den Frei¬
bergen, dem Manövergebiet der HI. Division vor den Corpsmanövern, Wassermangel ein-
treten. Der Armeecorpsarzt bereiste diese Gegenden persönlich und überzeugte sich, dass
die daherigen Befürchtungen nicht begründet waren, wie auch der Erfolg zeigte.
Bei der grossen Ausdehnung des Manövergebietes zwischen Basel und Biel war es
nicht wohl möglich, die Enquöte über allfallige Typhen zum Voraus auf alle Ortschaften
aaszudehnen.
Da bekam der Oberfeldarzt unterm 31. August, zwei Tage nach dem Einrücken
der Infanterie in die Vorkurse (29. August), durch den Arzt Hümhelin in Mellingen die
Anzeige, es seien vor einigen Tagen 3 Telegraphenarbeiter, die in Delsberg gearbeitet
hatten, typhuskrank von dort zurückgekehrt, 2 nach Mellingen, einer nach Baden.
Ich übermittelte diese Anzeige sofort dem Armeecorpsarzt H Oberst Bircher mit
der Einladung, die betreffenden Herde genau zu ermitteln und für die Truppe unschäd¬
lich zu machen. Eine nähere Mittheilnng des Herrn Hümbelin an Oberst Bircher vom
1. September lautete, die Patienten hätten von Anfang bis Mitte August in Breitenbach
(Kanton Solothum) gearbeitet und in Delsberg Kost und Logis in der „Sonne" gehabt.
Während der Arbeit hätten die Leute reichlich Wasser aus einem verdächtigen Bache
getrunken, welcher der Bahnlinie entlang fliesst. Am 19. August Versetzung der Ar¬
beiter nach Courtetelle (Kreuz); der ersterkrankte Arbeiter (Stöcker) blieb krank in
Delsberg und reiste von da direct nach Baden. Am 22. erkrankte der zweite (Hohlen-
weger Albert) in Courtetelle und reiste am 25. nach Mellingen; dessen Bruder und Mit¬
arbeiter sei blos einige Tage unwohl gewesen, aber am 29. bei seinem Bataillon (60. II)
eingerüokt. (Laut Rapport über sanitarische Eintrittsmusterung wurde derselbe beim
Einrücken wegen Initialerscheinungen von Typhus vom Bataillonsarzt nach Hause entlassen.)
Unterm 2. September meldete mir der Oorpsarzt als Resultat seiner Erhebungen in
Delsberg, es bestehe im Delsbergerthale eine kleine Typhusepidemie mit einzelnen
schweren Fällen; die Arbeiter an der Telegraphenlinie seien wahrscheinlich in Delsberg
erkrankt; factisch seien zwei davon in der „Sonne" krank gelegen. Er habe 1. beim
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516
Corpscommando den Antrag gestellt, sämmiliche Cantonsregierangen des Manovergebietes
zu ersuchen, den Ciyilärzten den Befehl zu ertheilen, bis zum 14. September dem Corps¬
arzt alle Fälle von Cholera, Pocken, Typhus und Scharlach telegraphisch anzuzeigen
(wurde genehmigt und erlassen); 2. habe er den Arzt des Hauptquartiers Hauptmann
Lotz beauftragt, mit Hülfe der Delsberger Aerzte innert zwei Tagen eine graphische
Darstellung des gegenwärtigen Standes der Typhuskranken und desjenigen im Juli und
August zu machen; 3. habe er in der „Sonne“ und allen Häusern, in welchen An¬
gehörige des Armeeoorps-Stabes liegen, die Abtritte desinficiren lassen; 4. dasselbe soll
geschehen in allen Typhushäusern des Delsbergerthales; beim Einrücken der Truppen
sollen dieselben durch gelbe Plakate kenntlich gemacht und durch Wachtposten der Ver¬
kehr mit denselben verhindert werden; 5. Brunnenuntersuchung und Unzugänglichmachang
verdächtiger Brunnen für die Truppen.
Der Rapport von Hauptmann Lots ad 2 ergab folgenden Bestand an Typhusfallen
im Delsbergerthal :
Gemeinde Delsberg noch krank 6, abgelaufen 4, Total 10 (ohne d. Telegraphenarbeiter)
» Courroux ^ „ 3 „ 3
n Soyhiöres „ „ 2 „ — „ 2
„ Develier „ „ 1 „1,2
„ Choindez „ „ 1 „1,2
„ Courtetelle „ „ 1 „ 1 „ 2
„ Courrendlin „ „ — „ 2 „ 2
zusammen noch krank 11, abgelaufen 12, Total 23.
Die rechtzeitige Anzeige des Arztes Uümhelin^ dessen 3 Fälle noch zu obigen 23
hinzukommen, hat somit zu der Entdeckung einer fUr die dortige Bevölkerungszahl recht
erheblichen Zahl von Typhusfallen geführt. Aerzte und Publikum scheinen dies dort als
quasi Normalzustand zu betrachten. Warum eine solche fatalistische Anschauungsweise
einreissen konnte, wird Jeder an der Hand der nachstehend geschilderten, als selbstver¬
ständlich betrachteten sanitarischen Verhältnisse begreifen, zumal die Verhältnisse nach
Aussage der Aerzte dieses Jahr besser waren als andere Jahre.
Die Vertreter des Militärsanitätsdienstes hingegen hatten alle Ursache, den Sach¬
verhalt mit anderen Augen anzusehen, denn eine im Manöver stark angestrengte Truppe
reagirt viel intensiver auf Typhusgift als eine in einem längst durchseuchten Medium
lebende Bevölkerung. Nicht ein einzelner Soldat, aber eine strapazirte Trappe ist ein
ebensofeines Reagens auf den Typhusbacillus wie das Meerschweinchen auf den Tuberkel-
bacillus. Delsberg ist nicht der erste Ort französischer Zunge, in welchen es der Inter¬
vention der Militärsanität bedurfte, um der Civilbehörde über vorhandene Typhusherde
die Augen zu öffnen.^)
Von den Fällen der Gemeinde Delsberg fallen nicht weniger als 4 (3 abgelaufene
und 1 noch bestehender) auf das Cafö du Moulin gegenüber der Sonne (s. unten); die
übrigen 6 waren in ebensoviel Häusern in und bei der Stadt zerstreut. Was die 3 Tele¬
graphenarbeiter anbetrifft, so ist bei ihnen die Krankheit so kurz nach ihrem Eintreffen
in Delsberg ausgebrochen, dass angesichts der Incubätionszeit von 2—3 Wochen ihre
Ansteckung viel wahrscheinlicher schon vorher in Breitenbach erfolgt ist als erst in Dels¬
berg. Dennoch hatten diese Fälle ein grosses sanitätspolizeiliches Interesse, weil sie zum
Theil in dem frequeutirten Gasthof zur Sonne in Delsberg krankgelegen hatten.
').... Je pounrais citer telles grandes villes de France oü il noas a falln, ä nous m^decins
militaires, d^montrer anz antorit^s locales Texistence, soit en ville, soit dans les hospices, de cas de
fi^vre typhoide chez Thabitant, ponr etre enfin cras et obtenir rassainissement de localitds qni d^ci-
maient non senlement nos r^giments, mais leur propre population .... (Auszug aas einer im März
1894 vor der Acaddmie des Sciences vom medecin inspecteur g^n^ral L, Colin g^altenen Reden über
die Pariser Typhusepidemie. Arch. de mdd. et pharm, milit. 1894. 5 [mai] pag. 437.)
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517 —
Zwei der Fälle von Coarroux und einer von Develier betrafen Arbeiter von Eisen¬
minen in der Gemeinde Delsberg.
Die Untersuchung der Brunnen in den verschiedenen Ortschaften des Delsberger-
thales ergab im Ganzen gQnstige Verhältnisse nach Quantität und Qualität mit Ausnahme
von Bassecourt, Courfaivre und Develier; an letzterem Orte wurde gerade eine neue
Leitung gebaut.
Ueber die Abtrittverhältnisse von Delsberg meldet der Corpsarzt in seinem Manöver-
bericht: „Es zeigte sich, dass Delsberg ein ganz verwerfliches Abtrittsystem hat. Alle
Abtritte eines Häuserviertels gehen auf einen sogenannten Ehgraben hinaus, in welchem
der Koth offen, theilweiae fusshoeh liegt. Kommt Regen, so wird die Sache ausgewaschen
und theilweise direct auf die Wiesen geschwemmt, theils durch die Canäle vereinigt
unten in der Stadt in der Mühle auf ein Wasserrad geleitet. Hier ist sowohl durch die
Zerstäubung als auch durch lange Infection der Grundmauem und Localitäten im Souter¬
rain der Hauptherd für die Ansteckung."
ln den Dörfern erwiesen sich die Abtrittverhältnisse als mangelhaft wie gewöhnlich
in den Juradörfern.
Am Morgen des 5. September hielt Hanptmann Lotz eine Conferenz mit dem Re¬
gierungsstatthalter und dem Gemeindepräsidenten von Delsberg und eröffnete denselben
im Auftrag des Corpscommando, dass unter allen Umständen sofort mit der energischsten
Desinfection aller öffentlichen Gebäude und Wirthschaften, aller Militärwohnungen und
aller Gebäude, in welchen Typhusverdächtige waren oder noch seien, begonnen werde;
andernfalls würden keine Truppen nach Delsberg verlegt werden.
Die Civilbeamten zeigten sich sehr erstaunt über die Eröffnung, dass Typhusfalle
in der Stadt vorgekommen seien, erklärten sich aber sofort zu den angeordneten Mass¬
nahmen bereit und stellten Hauptmann Lotz einen Landjägerwachtmeister zur Verfügung.
Ferner verlangte Hauptmann Lotz im Auftrag des Corpscommandos eine Erklärung
der Behörden von Delsberg über den Gesundheitszustand der Stadt, was ebenfalls an¬
genommen wurde unter Vorbehalt vorheriger Rücksprache mit den Aerzten.
Um 11 Uhr folgte eine zweite Sitzung unter Beiziehnng der Aerzte. Letztere
gaben an, die meisten der behandelten Fälle seien blos gewöhnliche Oastroenteritis ge¬
wesen und nicht Typhus, es gebe aber jedes Jahr richtige Typhusfälle. Auf Antrag
der Aerzte wurde dann folgende Declaration ausgestellt:
„Vu Tavis unanime des 4 medecins de la localite et les mesures de desinfection
qni sont prises, Pautorite communale se tronve en mesure de declarer qu’il n'y a pas de
danger de leger des troupes k Delemont, Petat sanitaire ne prösontant den d’extra-
ordinaire" (sic).
„Donnö k Delemont le cinq septembre 1893.
„Vu. Le pröfet: Boechat. Le maire: Fleury.
Auf den 9. September waren die ersten Truppen zu erwarten. Bis dorthin wurde
die Desinfection in der Weise vorgenommen, dass von einer Lösung von 300 gr. grüner
Seife und 500 gr. roher Carbolsäure auf 5 Liter Wasser circa 8 Liter in jede Latrine
gegossen wurde, in den schlimmen Quartieren zu wiederholten Malen. Gleichen Tags
wurde aus der Sonne ein neuer verdächtiger Fall gemeldet.
Daraufhin wurden die Häuser „Sonne" nnd „Moulin", zwischen denen der obge¬
nannte verdächtige Bach läuft, den Militärs verboten und die in ersterem logirenden
Offiziere ausquartiert.
Unterm 8. September meldete der Corpsarzt dem Corpscommando, die Desinfection
der schlimmsten Kloaken der Stadt Delsberg sei nach Anordnung durcbgeführt, unterstützt
durch einen sehr günstig wirkenden Platzregen; einer Belegung mit Truppen stehen
daher nicht mehr so ernste Bedenken entgegen. Auf seinen Antrag wurden vom Com-
mando folgende Looalien als Cantonnemente für Truppen geschlossen wegen darin vor¬
gekommener Typhen:
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1 . Hdtel Sonne und Moulin in Delsberg,
2 . die Fabrik in Courtetelle,
3. ein Haus (Widmer) in Choindez,
4. zwei Häuser in Develier (Greppin und Messerli),
5. ein Haus in Soyhi^res (Pleury),
6 . die ferme ? (unleserlich).
Die übrigen Typhushäuser kamen als Cantonnemente nicht in Betracht.
(Schloss folgt.)
Wooläeal>eiriclit.
Schweiz.
— Phespherbehudliif der Baehitls: Von den durch Kassowiiz eingeführten
Darreichungsformen: 1) Phosphori 0,01; Solve in ol. amygdal. dulc. (oder ol. olivar.)
10,0; Pulv. gummi arab., Sir. simpl. aä 5,0; Aq. dest. 80,0. 2 ) Ol. jecor. aselli 100,0;
Phosphori 0,01. 3) Ol. amygdal. 30,0; Phosphori 0,01; Pulv. gummi arab., Sacch. alb.
aa 15,0; Aq. dest. 40,0; = Linctus gummosus phosphoratus. 4) Phosphori 0,01;
Lipanini 30,0; Sacch. alb., Pulv. gummi arab. aä 15,0; Aq. dest. 40,0; (»von allen
Kindern gern genommen^) empfiehlt Prof. Hagenbach-Burckhardt (Handbuch der speciellen
Therapie innerer Krankheiten von Benzoldi und Slinzing^ V. Band) immer noch Nummer 1
in erster Linie, betont aber die Wichtigkeit folgender Vorsichtsmassregeln bei der Her¬
stellung der Emulsion:
1 ) Am besten wird eine Stammlösung bestimmter Concentration in fetten Oelen
( 1 : 200; 1 : 500) vorräthig gehalten. Dieselbe muss vom Apotheker möglichst unter
Luftabschluss bereitet werden, zur Verhütung der Verflüchtigung des Phosphors, darf
ferner nur kurze Zeit und nur an einem kühlen und dunklen Orte aufbewahrt bleiben.
2) Auch die Emulsion bedarf sorgfältigster Zubereitung, muss in gelbem Glase
verabreicht und vom Publicum an dunkeim Orte aufbewahrt werden. — Die Dosis be¬
trägt mindestens 4 Wochen lang täglich 7* Phosphor, also 5 gr. der Emulsion.
Hckgenbach bestätigt neuerdings seine schon früher (Corr.-Blatt 1884, pag. 313)
geäusserte Ansicht, dass der Phosphor eine specifische Wirkung ausübt auf den rachiti¬
schen Process und dass die Einwirkung zunächst auf sämmtliche, von der Rachitis ab¬
hängigen nervösen Symptome (Convulsionen, Schlaflosigkeit, respiratorische Krämpfe,
spontane Tetaniefälle, Spasmus glottidis), meist rasch und sicher vor sich gehe, dass aber
auch die raschere Verknöcherung am Schädel, Dentition inbegriffen, am Thorax, an der
Wirbelsäule und den Elxtremitäten nicht mehr zu leugnen ist. Die Phosphorbehandlung
wirkt sogar in Fällen, wo wir nicht in der Lage sind, einen sonst sehr wünschenswerthen,
wohlthätigen Einfluss auf Ernährung, Luftverhältnisse und Pflege auszuüben.
Ausland.
— Die Budstiadilfe Sehaeauht wird durch Oberstabsarzt BoUer (Münchn. Med.
Wochenschr. 1894, Nr. 30) warm und mit Recht empfohlen, weil sie bessere Garantie
für das Zusammenbleiben und -Heilen der Sehnenstümpfe bietet, als die sonst gebräuch¬
liche, allerdings vielfach modificirte (Kocher^ Wölfler) einfache Sehnennaht. Diese rand¬
ständige Sehnennaht hat wesentlich einen entspannenden Effect und ergänzt die übliche
Naht durch eine Anzahl Knopf- oder fortlaufende Suturen der Art, dass die Sehnenstümpfe
eine Strecke weit an das umgebende Gewebe (Sehnenscheiden, Aponeurosen etc.) festge¬
näht werden. Die Erhaltung der Sehnenstümpfe an ihrem Platze ohne Spannung der
Hauptnaht wird bei zweckmässiger Verwendung dieses Verfahrens eine absolut zuverlässige.
— Um ein Irngsrnrnt» Abbiadeu des Ciypses zu erzielen, hat man den Zusatz
von Salzen vorgeschlagen, so z. B. Borax; ferner erhält man durch Zusatz von 4— 8^0
Altheawurzelpulver einen sehr langsam erhärtenden Gypsbrei, der nach dem Trocknen so
zähe ist, dass er sich bohren, feilen, schneiden und drehen lässt. Durch Beimischung
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519
von 2—25®/o und mehr Alcohol zum Wasser, welches man zum Anmaohen des Gypsbreies
verwendet, kann man die Bindezeit des raschesten Gypses von Secunden bis auf Stunden
hinaus verlängern. Der Alcohol verflüchtigt sich ohne alle Nebenwirkung. Der Gypsguss
mit alcoholhaltigem Wasser ist stets dichter, als solcher mit reinem Wasser.
(Pharm. Centralhalle Nr. 30.)
— Dauer der Wirkaaip der DIgfitalis« Nach Pech (Lyon) wirkt Digitalis, in
kleinen Dosen 0,1 einmal oder mehrere Tage hindurch genommen, ^ erst am vierten oder
fünften Tage. Die Wirkung ist zunächst eine schwache, nimmt dann allmählich zu. In
Dosen von 0,2 wird die Wirkung am dritten Tage bemerkbar; um einen Nutzen von
der Medication zu haben, muss dieselbe einige Zeit fortgesetzt werden; sie darf jedoch
nicht über 1 Monat ausgedehnt werden. In Dosen von 0,5 gr. wirkt Digitalis bereits
12 Stunden nach der Absorption; die Dauer der Wirkung einer Einzeldose beträgt in
mittelschweren Fällen gewöhnlich 5 Tage; wird die Medication 4 bis 5 Tage fortgesetzt,
so kann die Wirkungsdauer etwa 18—20 Tage betragen. Die Wirkung einer Dose von
0,8 gr. tritt ebenfalls erst nach 12 Stunden zum Vorschein, sie ist bedeutend intensiver
als nach der Absorption von 0,5 gr. und dauert im Mittel 12 Tage. Mit einer solchen
Dose darf die Medication nicht länger als 4 Tage fortgesetzt werden.
(Gazette medicale de Strasbourg, Nr. 6.)
— Als Sphaceletoxlu bezeichnet Jacobj das von ihm isolirte wirksame Princip des
Mutterkorns. Robert hatte bereits im Jahre 1884 aus dem Secale cornutum zwei ver¬
schiedene wirksame Präparate erhalten; das eine, das Cornutin, erwies sich als ein Krampf¬
gift, während das andere, eine braune harzartige Masse, von ihm Sphacelinsäure genannt,
krampfartige Contractionen der kleinen Arterien erzeugte, oft von hyaliner Thrombose
und Gangrän der von den betroffenen Gelassen versorgten Gewebe gefolgt. Dass die
Sphacelinsäure keine Reinsubstanz war, lag auf der Hand. Das von Jacobj dargestellte
Sphacelotoxin dagegen präsentirt sich in Form von hellgelben Sphärokrystallen, unter
Umständen von kleinen Nadeln, mit wohl characterisirten Reactionen. Es ist in Aether,
Alcohol und Chloroform löslich, unlöslich in Wasser und verdünnten Säuren. In Alkalien
löst es sich sehr leicht mit intensiv gelber Farbe; durch Säurezusatz wird es aus der
Alkaliverbindung als hellgelber flockiger Niederschlag ausgeschieden. Thierversuche er¬
gaben im Wesentlichen die gleichen Wirkungen wie die der Sphacelinsäure (Gangrän.
Blutdruckerhöhung, Uteruscontraction, Durchfälle). Die auf der Fret^ntTschen Klinik zu
Strassburg an Menschen angesteilten Versuche zeigten, dass mit dem Sphacelotoxin die¬
selben Wirkungen wie mit dem Secale cornutum erzielt werden können. Da das
Sphacelotoxin rasch durch den Darm ausgeschieden wird, können ohne Bedenken Dosen
bis zu 0,1 gegeben werden. Gewöhnlich wurden Dosen von 0,04—0,08 in Form der
Natronverbindnng oder der alcoholischen Glycerinlösung angewendet. Die Wirkung be¬
ginnt nach wenigen Minuten und erreicht nach etwa einer halben Stunde ihren Höhepunkt.
(Deutsch, med. W., Nr. 22.)
— Zur Verhütung der Unfälle während der Chloroformnarcose empfehlen Langlois
und Maurange das Spartelam svlhiricim, welches sie vor dem Beginn der Narcose in
Dosen von 0,03—0,05 mit 0,01 Morph, hydrochlor. subcutan einspritzen. Das Spartein
ist einerseits ein ausgezeichnetes Herztonicum und hebt die Herzaction, andrerseits setzt
es die Erregbarkeit des Vagus herab, so dass die Gefahr der reflectorischen Herzsyncope
weniger zu befurchten wäre. (Compt. rend. Soc. biol., Nr. 22.)
— Chleralhydrat bei fltaepto empfiehlt Pal bei Patienten mit gesundem Herzen
in Dosen von 1,5—2,0 per rectum applicirt. Das Chloralhydrat vermindert den Tonus
der Gefässe und setzt den Blutdruck herab, so dass dadurch bessere Bedingungen zur
Sistirung der Blutung geschaffen werden. (Centralbl. für d. ges. Ther., Nr. VII.)
Bei schwerer und langdauernder Epistaxis haben wir auch wiederholt Chloral an¬
gewendet, in verschiedenen Fällen mit gutem Erfolge.
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520
— Kiistgriff kein Catketerisms. Bei Kranken mit Prostatahypertrophie gelingt
häufig die Einffihrung der weichen Gummicatheter nicht, weil das Ende derselben sich
gegen die Prostata, welche in die Harnröhre vorspringt, stemmt. Philip gibt ein ein*
faches Mittel znr UeberWindung des Hindernisses an. Zieht man eineu Faden dnrch das
Auge des Catheters, und führt ihn bei der Application des Catheters mit in die Harn¬
röhre ein, so kann man dnrch Zog an dem Faden heim Catheterismus das Catherende
heben nnd so über das Hindemiss fortgleiten lassen. (Centralbl. f. d. ges. Ther., Nr. YII.)
— Ans einem Bericht von Dr. Malochades über den SaoitiUsdleist Im Bilfftrieu
geht hervor, dass die Zahl der Aerzte, welche sich daselbst seit 15 Jahren etablirt haben,
progressiv sich vermehrt und zwar von 95 im Jahre 1879 auf 283 mit jßnde 1893.
Von diesen practiciren nur 63 auf eigene Gefahr, alle übrigen stehen im Staats- oder
Militärdienste, oder sind städtische Aerzte. Von den 75 Bezirken des Landes sind 13 —
mit einer Bevölkerung von 400,000 Einwohnern — ohne Aerzte. Diejenigen, welche als
Aerzte im Fürstenthume sich nieder lassen wollen, haben zuerst vor einer Aerztecommission
eine Prüfung abzulegen. (Semaine medicale Nr. 39.)
— Zur Bektaphlugf des ftCOtes GichUDfalles empfiehlt neben einer localen Be¬
handlung LecorchS die Tinct. colchici. Local sind alle Chloroform-, Campher- und Am¬
moniaklinimente zu verwerfen; sie erzeugen eine starke Hautreizung und vermehren nur
den Schmerz. Zweckmässiger sind die fetten Linimente mit Opium, Hyoscyamus, Bella¬
donna etc. Gute Resultate hat L, von der Anwendung folgenden Linimentes gesehen:
Morph, hydrochlor., Cocain hydrochlor. ää 0,2 ; Ol. amygdal. dulc. 20,0. Die kranke
Stelle wird damit eingepinselt und mit Watte und Guttapercha bedeckt. Innerlich gibt
er Tinct. semin. colchic. täglich 60 Tropfen in drei Dosen, oder auch in Form des Liqueur
de Laville 3 Mal 7* Kaffeelöffel. Nach drei Tagen reducirt er auf 2 Mal 20 Tropfen
oder 2 Mal 7^ Caffeelöffel des Liqueurs. In den meisten Fällen ist am dritten bis
fünften Tage der Anfall bereits coupirt. Die Salicylpräparate in Dosen von 6 gr für
das Natrium oder das Lithinmsalz haben sich ebenfalls als wirksam erwiesen; sie wirken
aber nicht so schnell und nicht so sicher wie die Colchicumpräparate. Der eigentliche
Gichtanfall ist aber gewöhnlich von einem allgemeinen Unwohlsein besonders von gast¬
rischen Störungen und von einer gesteigerten nervösen Reizbarkeit begleitet, welche
ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Hier sind die salinischen Abführmittel und die
gewöhnlichen Narcotica Chloral und Bromkali am Platze. Ist der Schmerz zu stark,
so bleiben letztere Mittel ohne Wirkung und man muss dann zum Morphium seine Zu¬
flucht nehmen. Während des Anfalls ist Massage absolut contraindicirt; nachdem die
Schmerzen nachgelassen haben, kann im Falle einer zurückbleibenden Schwellung eine
sanfte und vorsichtige Massage gute Dienste leisten. (Med. mod. Nr. 55.)
In Ausführung des Beschlusses der 47. Versammlung des ärztlichen Central-Yereins In ZOrich (Vergl.
Nr. 12, pag. 389 des Corr.-Bl.) werden die Sectionen des Central-Vereins (cantonalärztl. Vereine) einge¬
laden, zu den Sonderegger^%v^k9Xk Thesen Stellung zu nehmen und darOber — soweit es nicht bereits
geschehen ist — dem Präsidenten des Central-Vereins zu Händen der nächsten Versammlung in Olten
Bericht zu erstatten.
Brlefk asten«
Dr. Gross, Neaenstadt: Das Aerztealbam dankt für das ausgezeichnete Bild der letzten Yer-
sammlnng der Berner eantonalen Medicinisch-cbirurgischen Gesellschaft. — Zu Händen der in Bern
wohnenden Collegen erfolgt hier die Mittheilung, dass die hetr. Photographie in der Buchhandlung
Senuninger erhältlich ist.
Den Herren Collegen wird der Besuch der zürcherischen Gewerheausstellung — sneciell
auch der eidgenössischen Ahtheilungen; Gewerbehygieine (Sammlnng des Polytechnikums) und Un¬
fallversicherung; Samariterwesen — sehr empfohlen. Möglicherweise wird auf September ein gemein¬
schaftlicher Besuchstag, unter Führung von !«of. Eoth und Major Fröhlich, angesagt.
Schweiz. Modizinal-Kaleoder pro 1896. Erbitte dringend und baldigst Berichtigungen, Ergänzungen,
WOnsche etc. Nachträgliches Schimpfen corrigirt nichts mehr. J?. Haffter.
Schweighauserische Bnchdruckerei. — B. Schwabe, Yerlagsbuchhandlung in Basel.
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Erscheint am 1. und 15.
jedes Monats.
Inserate
35 Cts. die gesp. Petitzeile.
für
Schweizer Aerzte
Herausgegeben von
Preis des Jahrgangs
Fr. 12. — für die Schweiz,
Fr. 14.50 für das Ansland.
• Alle Postbureaux nehmen
Bestellaugen entgegen.
r>r« E« HafFtef und Dr« A.. jraqiiet
in Franenfeld. in Basel.
N* 17. XXIV. Jahrg. 1894. 1. September.
■■lulltt 1| Orifinmlarbalten: Prof. 0. Roih: Ueber das Vorkommen von Tuberkelbaeillen in der Bntter. — Dr. De-
bruNNsr: Casniatische IfiUbeilnngen ans der Oebnrtsbflife. — Chirorgiscbes Cnriosnm. — 2) Verei n sberl eh te:
Qaoailaelttft der Aanta In Zflridi. — 8) Bef ernte nnd Kritiken: Carl Saupinumn: Beiirige zu einer dynamischen
Theorie der Lebewesen. — Jahresbericht der Lieht* nnd Wasserwerke Zflrioh pro 1892. — Dr. Äibrand: Sebproben. — A. Jas-
ssnskii Aetion pharmacologlqne et th^rapentiqne. — Dr. P. KmsUanowt Bor le rdle de la rate an point de vne de la eompo-
sition morpbologiqne da sang etc. — Dr. Ed. son Frsudtnrsick: Bacteriologie in der llilehwirtbsehait. — Dr. Pa%d Zitgler:
Stadien Aber die intestinale Form der Peritonitis. — Dr. J. Htrz/eldsr: Perforation des Blinddarm-Warmfortsatzes. - Tokuso
Kinmra: Exstirpation des ThrAnensackes. — 4)Cantonale Correspond enzen: Ana dem Appenzellerlande. — Bericht des
Schweiz. Oberfeldarztes 5ber die Typhnaepidemie während der leUtjährigen Corpsmanörer. (Schloss.) — 5) Wochenbericht:
Einflass intraTends injicirten Blategelextractea. — Französischer Congress für innere Mediein. — M. Versammlnng dentscher
Natarlorscher nnd Aerzte. — Behandlnng des Fiebers bei Lnngenphthise. — Tnberkelbacillen in der Nasenhöhle gesnnder
Indifidnen. — Paraehlorphenol gegen Lnpns. — ündnrchdringlichkeit der Placenta fhr pathogene llieroorgMismen. — Darm-
blntnngen bei Diabetes. — Pahrlä^ge TMtnng dnrch ein Clystler. — Nachtachweisse der Phthbiker. — Coffein in der Einder-
prazia. — Kreosot gegen Kenchhnsten. — 6) Briefkasten. — 7) Bibliographisches.
Ofi gfiii a>lt eil.
Aus dem Zürcher Hygiene-Institut.
Ueber das Vorkommen von Tuberkelbacillen in der Butter.
Von Prof. 0. Roth in Zörich.
Unter den Eingangspforten, durch welche das tubercnlöse Virus in den Körper
gelangt, spielt auch der Verdauungstractus eine Rolle. Während nun bei gewissen
Thieren, z. B. Meerschweinchen und Schweinen der Beweis erbracht ist, dass sie sich
sehr leicht dnrch mit dem Futter verschluckte Tuberkelbacillen inficiren, scheint
der Mensch einer Infeclion auf diesem Wege lange nicht in demselben Maasse zu¬
gänglich zu sein. Wir schliessen dies namentlich aus dem bei Sectionen relativ selten
sicher constatirten Vorkommen der primären Darmtuberculose. Wenn nun in Folge
dessen auch die Nahrungsmittel bei der Tuberculoseinfection keineswegs die Hauptrolle
spielen, so kommt denselben doch eine gewisse nicht zu unterschätzende Bedeutung zu,
umsomehr als die häufigen im Kindesalter vorkommenden scrophulösen Erkrankungen
der submaxillären Lymphdrüsen auf die Möglichkeit binweisen, dass nicht nur vom
Darme, sondern auch von den oberen Verdauungswegen, der Mundhöhle nnd dem Rachen
ans ein Eintritt von Tnberkelbacillen erfolgen kann.
Unter den Nahrungsmitteln, welche eine derartige Uebertragnng vermitteln können,
wird seit Langem in erster Linie der Milch Beachtung geschenkt, nnd dies sicherlich
mit Recht; wissen wir ja doch, dass Milch perlsüchtiger Kühe oft grosse Mengen
Tuberkelbacillen enthält, und dass letztere in der Milch die Virulenz lange Zeit nicht
verlieren. Wie Heim durch den Versuch gezeigt hat, kann dieselbe nach 10 Tagen
noch erhalten sein.
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522
Diese Factoren gewinnen nun ganz besonders an practischem Interesse, wenn wir
die Häufigkeit der Tuberculose beim Rindvieh und speciell bei den külciikähen ins
Auge fassen. So wurden in der Zeit vom 1. April 1891/92 in Preussen unter den
geschlachteten Kindern mit Tuherculose behaftet gefunden 43425 = 8,27a (der ge¬
schlachteten Thiere), in Stralsund bis auf 267o, in Hannover dagegen nur 0,87«- ')
Ostertag*) gibt an, dass durchschnittlich 5 —107o aller Rinder tnberculös seien, stellen¬
weise jedoch weit mehr, Efihe his auf 367 a> Was die Rindertuberculose in der Schweiz
betrifft, so besitzen wir leider nur eine dürftige Statistik. Unter den im Canton
Appenzell A.-Rh. in der Zeit vom Januar 1886 bis Mitte 1888 geschlachteten Kühen
erwiesen sich nach den amtlichen Fleischschantabellen 3,87o als tuberculös.7 ln
Winterthur wurden im Jahre 1891 4,987« des geschlachteten Grossviehs und 16,57«
der geschlachteten Efihe, im Jahre 1892 5,767« des geschlachteten Grossviehs und
19,067« dar geschlachteten Efihe tuberculös befunden.*) In Zürich erwiesen sich im
Jahre 1893 nach den amtlichen Schlachthaustabellen als perlsfichtig im
ersten Quartal 3,4767« beim Grossvieh, 12,2347« der Efihe
zweiten , 3,0037« « . 12,0937« » »
dritten , 3,1847« , , 13,2697o , ,
vierten , 2,9307* , . 12,0467o , ,
Von den 244 tuberculösen Schlachtkfihen waren nicht weniger als 12 mit gene-
ralisirter Tuberculose behaftet.
Wie aus diesen statistischen Aufzeichnungen hervorgeht, war sowohl in Winter¬
thur als in Zürich die Zahl der tuberculösen Kühe analog den auch anderorts ge¬
machten Beobachtungen weit grösser als diejenige der übrigen tuberculösen Scblacht-
thiere. Einen gewissen Einblick in die Häufigkeit des Vorkommens der Perlsucht
unter dem Rindvieh geben uns auch folgende Zahlen der Viehasseknranzgesellschaft
Bischofszell.7 Es worden in den Jahren 1881—1893 wegen unheilbaren Krankheiten
oder Unfällen abgeschlachtet 119 Stück; darunter waren 34 tuberculös.
In den Zahlen der citirten statistischen Zusammenstellungen sind nun (ausser
derjenigen der Viehversicherungsgesellschaft Bischofszell) anch die ganz leichten Fälle
localisirter Tuberculose enthalten, z. B. solche mit tuberculösen Bronchialdrfisen. In
vielen Fällen war also eine Infectiosität der Milch nicht anznnehmen. Doch ist eine
solche weit häufiger vorhanden als gewöhnlich angenommen wird. Nachgewiesener-
massen kommen tnbercnlöse Erkranknngen des Euters keineswegs selten vor, wie dies schon
von Bang*) hervorgehoben wird. Herr Bär tbeilt in dem erwähnten mir gfitigst zöge-
') Schmaltz^ Betriebsresaltate der Schlachthäuser und Rossschlächtereien in der gesammten
preussischen Monarchie in der Zeit vom 1. j^ril 1891—92. Berl. Thierärztl. Wochenschrift. Referat
in Hygienische Rundschau, Jahrg. III, Nr. 6.
•) Ostertag, Die Regelung der Milch Versorgung mit Rücksicht auf übertragbare Krankheiten.
Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygieine, Jahrg. II, Nr. 1—3.
’) 0. Wyss, Die Häufigkeit der Tuhercmose bei den Kühen im Canton Appenzell A.-Rh.
Zeitschrift für Schweiz. Statistik 1889, S. 365.
Nach einer schriftlichen Mittheilung des städtischen Fleischschauers Herrn Thierarzt Bar
in Winterthur.
Ich entnehme diese Zahlen einem mir von Herrn Thierarzt Sigrist gütigst zugestellten
Auszug.
®) Bangt Ueher die Eutertuberculose der Milchkühe und über tuberculose Milch. Deutsche
Zeitschrift für Thiermedizin. Referat in Jahresbericht über die Leistungen aus dem Gebiete der
Veterinärmedizin. Jahrg. 1884, S. 42.
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523
stellten Bericht mit, dass im Jahre 1891 30 Euter wegen tuherculQsen Einlagerungen
als ungeniessbar vernichtet werden mussten, in den drei ersten Quartalen des Jahres
1893 deren 28. Eine Statistik Aber die Perlsncht beim lebenden Vieh besitzen wir
bis jetzt nicht.
Die Infectionsgefahr durch Milch aus tuberculOs erkrankten Eutern wird durch
den Umstand wesentlich erhobt, dass das Aussehen derselben trotz hohem Gehalt an
Tuberkelbacillen einige Zeit normal bleiben kann; erst bei fortschreitender Erkrankung
nach circa einem Monat nimmt dieselbe mehr wässerige Consistenz an und zeigt dann
kleine Flocken. Zudem sind mit Eutertuberculose behaftete Kfihe in der ersten Zeit
der Erkrankung oft scheinbar ganz gesund {Bang'). Somit kann es leicht Vor¬
kommen, dass im Anfang der Krankheit ohne die geringste Absicht von Seiten des
Producenten und ohne sein Wissen gesundbeitsgefäbrliche Milch in den Handel ge¬
bracht wird; andererseits aber ist nicht ausgeschlossen, dass bei leicht nachweisbarer
Erkrankung des Euters wissentlich solche Milch, gemischt mit anderer zum Verkauf
angeboten wird. Gewöhnlich sind nicht alle Euterviertel, oft sogar nur eines derselben
ergriffen. Das Secret der anderen sieht dann ganz normal aus, kann aber trotzdem,
wie dies auch von Bang bervorgehoben wurde, virulente Tnberkelbacillen enthalten.
Eine Mischung von in oben angegebener Weise veränderter und normaler Milch lässt
nur bei genauer Betrachtung Flocken erkennen, hat aber sonst ein unauffälliges
Aussehen.
Wenn wir nun ferner noch bedenken, dass, wie namentlich aus den Versuchen
von Hirschberger*) hervorgeht, auch tuberculöse Kfihe mit gesundem Euter unter Um¬
ständen iniicirte Milch liefern können, so gehen wir wohl nicht zu weit, wenn wir
das Vorhandensein von Tuberkelbacillen in der Milch als ein nicht so seltenes Vor-
kommniss hinstellen, und es muss denn doch als ein gewagtes Experiment bezeichnet
werden bei der enormen Häufigkeit der menschlichen Tuberculöse,*) gestützt auf den
bis jetzt relativ selten gelungenen Nachweis der primären Darmtubercnlose und iin
Vertrauen auf die Schutzvorrichtungen des Verdannngstractus, dem Genüsse roher Milch
das Wort zu reden, wie dies auch beute noch oft von ärztlicher Seite geschieht. Wie
gering die sanitäre Bedeutung der Kindertuberculose in der That von gewisser Seite
angeschlagen wird, beweist unter Anderem die Art und Weise, wie das an das eidge¬
nössische Landwirthscbaftsdepartement gerichtete Gesuch der landwirthschaftlicben
Vereine der romanischen Schweiz, dahin lautend, «es möchte im Interesse der schwei¬
zerischen Landwirthschaft wie in demjenigen der öffentlichen Gesundheitspflege mit
allen Mitteln die Absperrung und Beseitigung der tnberculösen Thiere unter Ent¬
schädigung der Betheiligten angestrebt werden* von einigen Cantonen begutachtet
wurde. F. Mfiller, Abtheilungschef des Landwirthschaftsdepartements, schreibt in seinem
diesbezüglichen Berichte an Letzteres, dass 3 Cantone die Nothwendigkeit gesetzlicher
Maassnahmen gegen die Tuberculöse des Rindviehes bestreiten, weil diese Krankheit
‘) I. c.
*) Hirsckberger. Experimentelle Beiträge zur Infectiozität der Milch tubercnlöser Kühe.
Münchener Inangaraldisgertation 1889. Refv in Fortschritte d. Medizin 1890, S. 153.
') E.S sei hier nochmals anf die bekannte Thatsache hingewiesen, dass ca. 'jt der Menschen
an Tnbercnlose sterben und dass nach dem übereinstimmenden Urtheil pathologischer Anatomen
mindestens */> secirten Leichen Besidnen von tnbercnlösen Processen aufweisen.
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^24
seiten Torkomme und Fälle von üebertragnng derselben vom Thier anf den Menschen
nicht constatirt worden seien. Die Irrigkeit einer solchen Auffassung geht schon ans
dem oben Gesagten, namentlich aus den aufgefQhrten Zahlen zur Genüge hervor.
Ffir die Milch' besitzen wir nun ein einfaches Mittel, um eine Uebertragung
der Tnbercnlose durch diese zu verhüten. Wie ans zahlreichen in letzter Zeit nament»
lieh von de Man^) in sehr genauer Weise mit dem Secret tuberenlüs erkrankter Euter
vorgenommenen 'Fersnehen hervorgeht, genügt ein kurzes Kochen der Milch um die
Tuberkelbacillen darin abzntüdten. Nach de Man ist sogar die eine Minute dauernde
Einwirkung einer Temperatur von 95° und ein Erhitzen von 2 Minuten Dauer auf 90°
ausreichend, was insofern ffir unsere schweizer. Verhältnisse von besonderer Bedeutung
ist, als in manchen hochgelegenen Orten der Siedepunkt^) bedeutend unter 100° steht °)
Unter solchen Verhältnissen wird es also geboten sein 1—2 Minuten auf Siede¬
temperatur zu erwärmen, was bei einiger Vorsicht anch ohne besondere Vorrichtungen
zur Verhütung des Ueberkochens leicht möglich ist. In unserer Höhe aber genügt
ein 1—2maliges Anf kochenlassen vollständig. Allerdings wird von denjenigen, die an
den Genuss roher Milch gewöhnt sind, bei der gekochten ein gewisser Wohlgeschmack
vermisst. Doch spielt auch hier die Gewohnheit eine grosse Rolle. Nur nebenbei sei
an diesem Orte daran erinnert, dass durch die Siedehitze anch die übrigen durch die-
Milch übertragbaren pathogenen Keime zerstört werden.
Dass in der That hochvirniente Tuberkelbacillen enthaltende Milch innert kürzester
Zeit durch Kochen ihrer Infectiosität beraubt werden kann, beweist auch folgender
Versuch, der von Herrn Dr. Keree angestellt wurde.
Durch die Güte der Herren Professor Zschohke und Dr. Ehrhard von der Tbier-
arzneischnle erhielt ich Milch von einer Kuh, die an hochgradiger Eutertuberculose
litt. Bei der Untersuchung des Thieres zeigten sich nach dem Bericht von Herrn
Thierarzt Schwäre alle Enterviertel von einer Geschwulstmasse durchsetzt; die Euter-
lymphdrüsen waren vergrössert, die Milchsecretion eine geringe. An 3 Vierteln war
die Milch weiss, normal aussehend, am rechten hinteren Enterviertel aber gelblich und
zeigte feinflockige Gerinnung. Die Lungen erwiesen sich ebenfalls als tnberculös er¬
krankt. In Jedem Tropfen Milch waren durch Anwendung der ZieMaehen Färbemethode
zahlreiche Tnberkelbacillen nachzuweisen.
Versuch 1. Mit dem Gemisch der Milch aller Euterviertel wurden 2 Meerschwein¬
chen gefüttert. Das eine davon starb nach 33, das andere nach 48 Tagen. Die Section
beider Thiere und die microscopische Untersuchung ergaben hochgradige Tnbercnlose.
Versuch 2. Ein kleines Quantum obiger Milch wurde 3 Minuten gekocht und
davon nach der Abkühlung einem Meerschweinchen ca. 20 ccm in die Peritonealhöhle
injicirt. Das Thier wurde nach 69 Tagten getödtet und zeigte keinerlei tuberculöse Ver¬
änderungen.
Versuch 3. 20 ccm derselben Milch nach einmaligem Aufkochen einem Meer¬
schweinchen in die Bauchhöhle injicirt. Das Thier blieb vollständig gesund und wurde
nach 70 Tagen getödtet. Die Section ergab anch hier einen absolut negativen Befund.
') C. de Man: Ueber die Einwirkung von hohen Temperaturen auf Tuberkelbacillen. Archiv
f. Hygiene, Bd. XVIII, 1893, S. 133.
') Der Siedepunkt der Milch liegt nur um einen geringeu Brnchtheii höher als dei^eoige des
Wassers.
*) In Pontresina beträgt der Siedepunkt ca. 94®.
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Es wurde bei dieeeu 2 letzten Versuchen die intraperitoneale Einbringung des
Impfmaterials gewählt, weil erwiesenermaassen die Infection auf diesem Wege bei An¬
wesenheit virulenter Keime viel sicherer erfolgt als bei der Verfiitterung.
Wir ersehen aus diesen Versuchen, dass selbst ein einmaliges Aufkochen die
ungeheuer zahlreich vorhandenen Infectionskeime getOdtet hatte.
Während wir also, wie auch aus vorstehenden Versuchsresultaten hervorgebt, mit
einem einfachen, in dem alltäglichen Leben leicht anzuwendenden Mittel die Milch
ihrer Infectionsßlbigkeit sicher berauben können, liegt die Sache ganz anders bei aus
inficirter Milch hergestellter Butter. Wenn wir diese einer hohen Temperatur aus¬
setzen, so verändern wir sie dergestalt, dass an eine Verwendung derselben als Snss-
ßutter nicht mehr zu denken ist. Es scheint mir desshalb die Frage, ob auch in
diesem so sehr werthvollen Nahrungsmittel virulente Tuberkelbacillen enthalten sein
können von allergrösster Wichtigkeit. Dass künstlich der Butter beigemischte Tuber-
kelbacillen ihre Virulenz lange Zeit behalten können, beweisen die Untersuchungen
Ueim's,') welcher derartig inficirte Butter nach verschieden langer Aufbewahrung
Meerschweinchen in die Bauchhöhle brachte. Die beiden Thiere, welche mit 2 resp.
10 Tage alter Butter inficirt worden, starben nach 35 und 59 Tagen und zeigten
hochgradige tnberculöse Veränderungen. Ein Meerschweinchen, dem Butter injicirt
worden, welche nach der Beimischung der Tuberkelbacillen 4 Wochen gestanden hatte,
wurde nach 95 Tagen getödtet. Die Section ergab ebenfalls ausgesprochene tubercu-
löse Veränderungen, wenn auch in bedeutend geringerm Grade.
Ausgedehnte Versuche über die Virulenz der Tuberkelbacillen in Rahm und
Butter, hergestellt aus Milch von einer mit Eutertuberculose behafteten Kuh wurden
von Bang*) ausgefübrt und ergaben folgende interessante Resultate. Beim Gentrifu-
giren geht ein grosser Theil der Tuberkelbacillen in den Bodensatz über. Impfversuche
mit Sahne und mit abgerahmter Milch hatten jedoch trotzdem Tuberculose der Impf-
thiere zur Folge.
Saurer und süsser Rahm aus derselben Milch durch Stehenlassen gewonnen, er¬
zeugten ebenfalls ausgedehnte Tuberculose der Versucbthiere; desgleichen erwies sich
bei der Verbutterung sauer gewordener Sahne gewonnene Buttermilch als virulent.
Butter, hergestellt aus Kahm, der durch Stehenlassen von Mischmilch aus ge¬
sunden und kranken Euter vierteln einer tuberculösen Kuh gewonnen wurde, erzeugte
bei Kaninchen, in einer Menge von ca. 2 ccm in die Bauchhöhle eingebracht, hoch¬
gradige Tuberculose, an welcher die Thiere nach 6—9 Wochen starben. Ein Thier,
dem grössere Mengen solcher Butter mit dem Futter gereicht wurden, zeigte, als es
nach 3 Monaten getödtet wurde, deutliche Erscheinungen der Fütterungstuberculose.
Bang bemerkt nun zu seinen Versuchen, dass die Butter bei denselben aus¬
schliesslich aus ausserordentlich bacillenreicher Milch von einer Kuh mit weit vorge¬
schrittener Eutertuberculose bereitet worden war, ein Fall, der im practischen Leben
Ueber das Verhalten der Krankheitserreger der Cholera, des Unterleibstyphus and der
Tuberculose in Milch, Butter, Molken und Käse. Arbeiten aus dem kais. Gesundheitsamt, Band V,
S. 294.
*) Bang, Experimentelle Untersuchungen über tuberculose Milch. Deutsche Zeitschrift für
Thiermedizin. Bana VlI, Heft 1, S. 5.
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kaum je stattfinde; er glaubt daher nicht, «dass der Genuss von Butter von einem
tuberculösen Viehbestände in der Regel besonders gefahrbringend sein wird.“
In Anbetracht der Tragweite dieser Frage schien es mir geboten zu sein, die
Möglichkeit der üebertragung der Tuberculose durch die Butter einer genauen experi¬
mentellen Prüfung zu unterziehen und namentlich die Butter des Handels auf die An¬
wesenheit von virulenten Tuberkelbacillen zu prüfen.
Bevor ich jedoch zur Beschreibung der diesbezüglichen Untersuchungen übergehe,
will ich hier kurz die Resultate von Versuchen anführen, welche ich mit Butter an¬
stellte, die ich nach dem Vorgehen von Bang aus Bahm von tuberkelbacillenhaltiger
Milch hergestellt hatte. Das hiezu verwendete Material war dasselbe, welches Dr. Keree
zu den beschriebenen Fütterungsversuchen benutzte. Den Grad der Infectiosität der
zur Herstellung der Butter verwendeten Milch bestimmte ich dadurch, dass ich mit
derselben Meerschweinchen inficirte, und zwar wurde als Impfmaterial genommen:
1) Stark veränderte Milch aus dem rechten hintern Euterviertel;
2) Normal aussehende Milch ven den übrigen Eutervierteln;
3) Mischmilch von 1 und 2.
Das Ergebniss war folgendes:
1) Versuche mit der stark veränderten Milch. 10 ccm in
die Bauchhöhle von Meerschweinchen injicirt.
Meerschweinchen 1: Todt nach 13 Tagen. Käsiger Eiter um die Eio-
stichstelle, Tuberculose des Netzes, in diesem zahlreiche Tuberkelbacillen. Andere Bac-
terien anch durch Züchtung nicht nachweisbar.
Meerschweinchen 2: Tuberculose dos Netzes, des Peritoneum und der Milz.
2) Versuche mit Mischmilch. Mischungsverhältniss 1:5. 2 Meer¬
schweinchen jo 10 ccm in die Bauchhöhle.
Meerschweinchen 1: Todt am 24. Tage. Käsiger Belag an der lojections-
Btelle, Tuberculose des Netzes, der Milz und der Leber.
Meerschweinchen 2: Todt am 35. Tage. Hoohgradig;e Tuberculose des
Netzes, der Leber und der Milz, sowie auch der Lungen.
3) Versuche mit normalaussehender Milch. 2 Meerschweinchen
10 ccm in die Bauchhöhle.
Meerschweinchen 1: Todt am 66. Tage. Hochgradige Tuberculose des
Netzes und Peritoneum, der Leber und Milz, sowie der Lungen.
Meerschweinchen 2: Todt am 67. Tage. Gleicher Befund.
In Leber und Milz beider Thiere wurden zahlreiche Tubcrkelbacillen naebgewiesen.
Aus diesen Befanden geht die hohe Infectiosität des verwendeten Materials hervor;
sie beweisen zugleich aufs Neue, welch’ grossen Einfluss die Zahl der eingebrachten
Bacillen auf den Verlauf der Krankheit ausübt.
Die Butter, welche ich aus diesem Material gewann und zu den nun. folgenden
Versuchen verwendete, stellte ich mir so her, dass ich einen Tbeil der abnorm ans-
sehenden Milch aus dem rechten hintern Euterviertel mit fünf Tbeilen aus den übrigen
mischte, dann zwei Tage zum Aufrahmen hinstellte und den abgenommenen Rahm
durch Schütteln in einem grossen Conservenglas verbutterte. Die Butter wurde in
zwei Portionen abgetheilt, die eine davon in dem üblichen Maasse durch Kneten mit
Wasser ausgewaschen, die andere aber einer viel längeren und gründlicheren Waschung
mit häufigem Wasserwechsel unterzogen. Es schien mir nicht uninteressant zu unter¬
suchen, ob hiedurch die Infectionsgefahr vielleicht herabgemindert werden könne. Nach
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4 Tage langem Stehen wurde die Butter bei ca. 35^ G. geschmolzen und Meerschwein¬
chen vermittelst iCocA'scher Spritze in die Bauchhöhle gebracht.
1) Versuche mit gewöhnlich ausgewaschener Butter.
10 ccm in die Bauchhöhle von 2 Meerschweinchen injicirt.
Das eine Thier starb am 26., das andere am 27. Tage nach der Injection.
Sectionsbefund bei beiden Thieren: Hochgradige Unterleibstuberculose. Vereinzelte
Tuberkelknötchen in der Lunge. Microscopische Präparate von der Milz beider Thiere:
zahlreiche Tuberkelbacillen.
2) Versuche mit sehr gründlich ausgewaschener Butter.
Zwei Meerschweinchen ca. 10 ccm in die Bauchhöhle.
Ein Meerschweinchen starb am 38., das andere am 46. Tage an hochgradiger
Tuberculose der Unterleibsorgane und der Lungen. Microscopische Präparate von Milz:
zahlreiche Tuberkolbacillen.
Wir entnehmen diesen Versuchen die hohe Infectiositat der zu denselben verwen¬
deten Butter und stimmen die Resultate insofern vollständig mit denjenigen von Bang
überein. Das gründlichere Auswaschen hatte allerdings eine ausgesprochene, aber nicht
sehr bedeutende Verlängerung des Krankheitsprocesses zur Folge.
Versiebe mit Mirktbitter«
Das Material für diese Versuchsreihe verschaffte ich mir aus 20 verschiedenen
Handlungen von Molkereiproducten. Dasselbe stammt aus verschiedenen Cantonen der
Schweiz. Die Butter wurde wie in den vorigen Versuchen je weilen vor der Injection bei
ca. 35^ C. geschmolzen.
1. Versuchsreihe: Butter von 12 Bezugsquellen je 2 oder 3 Meerschweinchen
zu 5—6 ccm in die Bauchhöhle injicirt.
Von allen Thieren starb nur eines und zwar an Peritonitis. Die übrigen wurden
getödtet und zeigten bei der Section keine tuberculösen Veränderungen.
2. Versuchsreihe: Butter von 2 verschiedenen Bezugsquellen je 2 Meer¬
schweinchen 10, 15 oder 25 ccm in die Bauchhöhle.
5 Thiere starben in den ersten 9 Tagen zum Theil an Peritonitis. Ein Thier er¬
krankte nicht und zeigte bei der später vorgenommenen Section keine Veränderungen.
Der Nachweis von Tuberkelbacillen gelang bei keinem der Thiere.
3. Versuchsreihe: Butter von 2 verschiedenen Bezugsquellen (a und b) zu
10 resp. 5 com in die Bauchhöhle von je 2 Meerschweinchen injicirt.
a. Meerschweinchen 1: 10 ccm Butter a. Tod am 2. Tage. (Peritonitis).
Meerschweinchen 2: 5 ccm Butter a. Nach 9 Wochen getödtet. Sections¬
befund: Mässige Tuberculose des Peritoneums und des Netzes. In käsig erweichten
Netzdrüsen Tuberkelbacillen, die in körnigem Zerfall begriffen und zum Theil sehr schwer
färbbar sind.
b. Meerschweinchen 3: 10 ccm Butter b. Tod nach 17 Tagen. Hochgradige
Tuberculose des Netzes; zahlreiche Tuberkelbacillen.
Meerschweinchen 4: 3 ccm Butter b. 12 Tage nach der Injection quillt
etwas käsiger Eiter aus der Injectionsstelle zahlreiche Tuberkelbacillen enthaltend. Das
Thier wurde nach 9 Wochen getödtet. Sectionsbefund : Tuberculose des Netzes und der
Milz; vereinzelte Knötchen in den Lungen, geschwollene Bronchialdrüsen.
4. Versuchsreihe: Butter von 4 verschiedenen Bezugsquellen, je 2 Meer¬
schweinchen 10 und 5 com in die Bauchhöhle.
Ein Thier starb an Peritonitis, die übrigen wurden nach 9 Wochen getödtet und
zeigten keinerlei Veränderungen.
In Versuchsreihe 3 b tritt ebenfalls wieder deutlich der schon von Koch betonte
Einfluss der Menge der eingeimpften Bacterien zu Tage. Das mit 10 ccm injicirte
Thier starb schon nach 17 Tagen an hochgradiger Tuberculose des Netzes, während
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das nur mit 3 ccm inficirte Thier nach 9 Wochen noch am Leben war und bei der
Section nicht sehr hochgradige tuberculöse Veränderungen zeigte. Der schnelle Ver*
lauf beim ersten Tbiere ist allerdings auffilllig, da die Butter des Handels wohl immer
aus Mischmilch von verschiedenen Kühen hergestellt wird, in welcher die Menge der
Tuberkelbacillen gewöhnlich keine sehr erhebliche sein wird, es sei denn, dass ver¬
schiedene Thiere des betreffenden Viehstandes an Perlsncht erkrankt sind. Dass etwa
andere neben den Tuberkelbacillen in der Butter enthaltene Bacterien den Tod des
betreffenden Versuchsthieres herbeigeiöhrt ist dessbalb unwahrscheinlich, weil Aus-
strichculturen auf schiefem Agar von Partikelchen der im Anfang der Erweichung
begriffenen Netzdrüsen sowie von Peritonealflüssigkeit, Milz, Leber und Blut negative
Resultate ergaben.
Es sei hier noch bemerkt, dass eine Infectiou der Versucbstbiere durch irgend
eine andere Ursache vollständig ausgeschlossen ist, da in dieser Beziehung alle Gautelen
beobachtet wurden. (Absonderung der einzelnen Thiere in Ställen, in denen früher
nie tnberculöse Thiere waren, gründliche Sterilisation der Injectionsspritzen). Zudem
habe ich spontane Tubercnlose bei unseren Versuchsthieren niemals beobachtet, auch
nicht bei den zahlreichen Tbieren, welche sich während der Ausführung der hier be¬
schriebenen Versuche in anderen Ställen desselben Raumes befanden. Uebrigens sprechen
auch die Sectionsbefunde deutlich genug für die Infectiou von der Bauchhöhle aus.
Es geht somit aus d e n V e r s u c b s r es u 1 ta t e n hervor, dass
in 2 von 20 Butterproben virulente Tuberkelbacillen sich
fanden. Wie sich in dieser Beziehung die Proben verhielten, welche bei der In-
jection schon im Verlauf der ersten Tage den Tod der Versucbstbiere bewirkten, lässt
sich nicht sagen. — Erst nach Abschluss dieser Untersuchungen bekam ich ein Referat
über eine Arbeit von Brusaferro') zu Gesichte, welcher in der Marktbutter ebenfalls
virulente Tuberkelbacillen fand und zwar unter 9 Proben 1 Mal. (Er brachte den
Versuchsthieren je '/» ccm Butter in die Bauchhöhle.)
Gestützt auf diese Befunde dürfen wir wohl verlangen, dass der Butter als
Trägerin des Tnberkelgiftes mehr Aufmerksamkeit geschenkt werde, als dies bis jetzt
geschehen. Nun sind wir aber nicht im Stande, dieses Nahrungsmittel, wenn es Tu¬
berkelbacillen beherbergt, seiner Infectionsfähigkeit zu berauben, ohne dass wir dasselbe
als solches für den Genuss unfähig machen. Auch das Salzen der Butter, wie es
z. B. in Norddeutschland geübt wird, hat keine Wirkung auf in derselben enthaltene
Tuberkelbacillen.*) Trotzdem stehen uns Mittel zu Gebote, die Möglichkeit der Ueber-
tragung der Tuberculose durch die Butter bedeutend herabzumindern. In allererster
Linie käme natürlich die Beschaffung einer nicht inficirten Milch in Betracht. Eine
solche aber werden wir uns nur dann sichern können, wenn wir Mittel in der Hand
haben, die Tuberculose der Milchkühe wirksam zu bekämpfen, oder die Milch tuber-
culöser Thiere vom Handel und von der weiteren Verarbeitung zu Molkereiproducten
auszuschliessen.
’) Brttsaferro: Alcane esperienze di inocalazione col bnrro del commercio. (Giornale de med.
veter. prat. Torino 1890, faac. 2—3.) Referat in Banmgartens Jahreabericht 1890, Seite 271.
’) H. Laser, lieber das Verhalten von Typhusbacillen, Cholerabacterien. Tuberkelbacillen in
der Butter. Zeitschrift für Hygiene, Bd. X.
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Leider treten uns bei der Bekämpfung der Perlsucht allerdings grosse, zum Theil
unüberwindliche Hindernisse entgegen. Doch liesse sich bei mehr Einsicht und gutem
Willen namentlich von Seiten der landwirthschaftlichen Bevölkerung in dieser Richtung
sehr viel mehr erreichen, als dies bis jetzt der Fall ist. Professor Zsehohke schlägt
daher in seiner Schrift ,Der Kampf gegen die Tubercnlose“, namentlich in Anbetracht
unserer demokratischen Verhältnisse vor, in erster Linie durch Belehrung des Volkes,
besonders der landwirthschaftlichen Kreise, gegen diese Seuche vorzugehen. Ferner
betont er die Nothwendigkeit einer zuverlässigen Statistik, gestützt auf genaue Auf*
Zeichnungen über das Vorkommen der Tuberculosis beim Schlachtvieh in Bezug auf
Thiergattung, Itasse, Geschlecht und Alter, sowie über die Intensität der Erkrankung.
Er bezeichnet gewiss mit Recht eine solche Statistik als die Basis für alle weiteren
Operationen. Leider scheint die Diagnose der Tuberculose beim Rindvieh oft eine sehr
schwierige zu sein, wodurch selbstverständlich statistische Erhebungen beim lebenden
Thiere bedeutend erschwert werden. Wegen der Schwierigkeit der Diagnose aber die
Untersuchungen der Viehbestände zu unterlassen, muss entschieden als ein grosser
Fehler bezeichnet werden; denn sicherlich könnten solche oft zur Entdeckung von
Tuberculosefällen namentlich auch Eutertuboreuiose führen. Was das foc&’sche Tuber-
culin anbetrifft, so verdient es als diagnostisches Mittel der Perlsucht volle Berück*
sichtigung. Hat doch in neuester Zeit erst wieder Nocard^) gezeigt, dass dasselbe
unter Umständen nicht zu unterschätzende Dienste zu leisten im Stande ist.
Jedenfalls wäre es dringend wflnschbar, dass von Zeit zu Zeit eine Untersuchung
der Viehbestände durch tüchtige Thierärzte statthätte, die eventuell eine Beseitigung
der kranken Thiere anzuordnen hätten. Natürlich muss in diesem Falle der Besitzer
auf irgendwelche Weise für den ihm erwachsenden Nacbtheil entschädigt werden.
Da nun der Staat eine solche Entschädigungsp&icht kaum übernehmen kann*) ist die
Gründung von Versicherungsgesellschaften zu empfehlen, wie dieselben mancherorts
schon seit geraumer Zeit bestehen. Mütter^) redet aus verschiedenen Gründen der
gegenseitigen obligatorischen Viehversicherung in kleinen Versicherungskreisen das
Wort. Ausserdem aber soll der Pflege der Milchkühe viel mehr Aufmerksamkeit ge¬
schenkt werden, und es steht, wie ich selbst zu beobachten oft Gelegenheit hatte,
namentlich mit der Stallhygiene mancherorts noch sehr traurig. So ist z. B. von einer
auch nur einigermassen ausreichenden Lüftung gewöhnlich gar nicht die Rede und die
Bauart derart, dass die Desinfection eines infleirten Stalles einfach unmöglich ist. Die
Reinhaltung der Ställe wird durch alle möglichen Umstände erschwert, namentlich
aber auch dadurch, dass dem für die Gesundheit in verschiedener Beziehung so wich*
tigen Tageslicht der Eintritt fast ganz verwehrt wird. Von welch’ grosser Bedeutung
die allgemein hygienischen Maassregeln in der Tuberculoseprophylaxe sind, ist allge¬
mein bekannt, und es wäre nur zu wünschen, dass von vielen Thierärzten auf dem
Lande die Viehbesitzer in dieser Beziehung mehr aufgeklärt würden. Mit Recht wird
von verschiedener Seite darauf aufmerksam gemacht, dass auch eine Uebertragung der
•) Nocturd, La tnbercnlose bovine k l’4cole nationale d’AgricnItnre de Grignon. Annales
d’bygiene pnbliqne 1894, Nr. 1. Referat in ^gien. Rnndschan 1894, Nr. 10.
*) Siehe Müller, Die Tubercnlose des Rindviehs und die Yiehversicherung. Bericht an das
Schweiz. Landwirthachaftedepartement 1892. S. 20.
•) 1. c.
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Tuberculose vom Menschen auf die Thiere statthaben kann, und es sind genügend
Fälle bekannt, in welchen phthisische Melker oder Viehknechte den Viehbeständen
gefährlich wurden.
Dies nur einige Gesichtspunkte, die bei der Bekämpfung der Tuberculose des
Rindviehs ins Auge zu fassen sind. Zahlreiche andere können hier keine Erwähnung
finden. Die Frage, ob die Perlsucht ebenfalls in das Viehseuchengesetz aufzunehmen
sei, wird in Veterinär* und laudwirtbschaftlicben Fachkreisen verschieden beantwortet.
Es wird dagegen unter Anderem geltend gemacht, dass bei der Schwierigkeit der
Diagnose der Anzeigepflicht nicht genügend nachgelebt werden könne.
Sehr wirksam Hesse sich eine üebertragung der Tuberculose durch inficirte Milch
oder Butter vermeiden, wenn wir Mittel besässen die Tuberkelbacillen in diesen
Nahrungsmitteln schnell nachzuweisen. Dies ist nun allerdings bei einer stark inficirten
Milch mit sehr zahlreichen Bacillen leicht möglich; anders aber verhält sich die Sache,
wenn die Zahl derselben eine geringere ist. In diesem Falle gibt uns oft nur das
Tbierexperiment Aufschluss. Eine einfache, sichere Methode zum Nachweis dieser
Microben in der Butter gibt es meines Wissens ebenfalls noch nicht. Diesbezügliche
von mir angestellte Versuche konnten noch nicht zum Abschluss gebracht werden.
Wie schon Eingangs bemerkt, gelingt es uns leicht, in der Milch das Tuberkel¬
virus durch Kochen zu zerstören, währenddem es nicht angebt, die Keime in der
Butter durch ein gleiches Vorgehen unschädlich zu machen. Trotzdem stehen uns
Wege offen, aus einer inficirten Milch Butter herzustellen, welche nicht mehr infectiös
wirkt. Wir können einmal so vorgeben, dass wir die Butter aus sterilisirtem Kahm
hersteilen, was, wie schon 5cAwpipan') u. A. gezeigt haben, leicht gelingt. Für
die Sterilisation, d. h. die Abtödtung der Tuberkelbacillen genügt vollständig ein
mehrmaliges Aufkochen des Rahmes, dessen Siedetemperatur von derjenigen der Milch
kaum abweicht. Um die ganze Menge des Kahmes wirklich auf Siedetemperatur zu
bringen, nahm ich das Aufkochen in Gefässen vor, die ich so in einen Kochherd ein¬
setzte, dass auch die Wände von den Heizgasen bespült wurden, wodurch eine Ab¬
kühlung an denselben verhütet wird. Coutrollen mit dem Thermometer ergaben über¬
all mindestens 98". Wie ich mich selbst überzeugt habe, geht die Verbutterung ge¬
kochten und nachher wieder abgeküblten Rahmes ganz leicht von Statten. Besonders inter-
essirte es mich zu wissen, inwiefern die Butter aus gekochtem Rahme der gewöhnlichen an
Wohlgeschmack nachsteht. Schuppan gibt an, dass die Butter aus sterilisirter Sahne,
welche in der Bolle’schen Meierei hergestellt wurde, von tadelloser Farbe und gutem Ge-
scbmacke, wenn auch etwas different von solcher ans Süssrahm gewesen sei. Ich habe die
Beobachtung gemacht, dass gleich nach der Herstellung der Butter der Kochgeschmack
entschieden störend war, derselbe aber bei der Aufbewahrung nach kurzer Zeit schwand.
Uebrigens kann einer solchen Beeinträchtigung des Wohlgeschmackes, wie ich aus
mehreren Versuchen ersah, dadurch begegnet werden, dass das Auswaschen der Butter¬
milch gründlicher geschieht, als dies gewöhnlich der Fall ist. Die besten Resultate
habe ich in dieser Beziehung erreicht, wenn ich die Buttermilch abgoss, so lange sich
erst kleine Butterklümpchen gebildet batten und dieselben dann durch 6—1 Omaligen
>) Schuppan, Die Bakteriologie in ihrer Beziehung zur Milchwirthschaft. Centralblatt für
Bakteriologie 1893, S. 558.
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Wasserwechsel Ton der anhaftenden Milch befreite und erst iro letzten Waschwasser
durch weiteres Schütteln zu einem Klumpen vereinigte. Die Butter aus sterilisirtem
Rahme erwies sich, wie zu erwarten war, als länger haltbar als diejenige, welche ich
zu gleicher Zeit aus demselben, aber nicht gekochten Rahm gewann.
Ein anderer Weg, der uns in dieser Richtung offen steht, ist die Gewinnung von
Butter aus Rahm von Milch, in der vorher die Tuberkelkeime durch Hitze abgetödtet
wurden. Martiny^) bemerkt, dass die Erhitzung der Milch auf die Butterbcreitung
keineswegs störend einwirkt. Ich habe desshalb versucht, aus Rahm von gekochter
Milch Butter herzustellen, jedoch ohne zufriedenstellende Resultate. Die Qualität der¬
selben war sehr gut, die Haltbarkeit eine ausserordentlich grosse, die Quantität aber
so gering, dass von einer practiscben Verwerthung dieser Methode nicht die Rede sein
kann. Es bleibt desshalb nichts Anderes übrig als eine längere Erwärmung der Milch
auf Temperaturen unter Siedehitze, wodurch die Tuberkelbacillen ebenfalls leicht ab¬
getödtet werden können (Bitter^ van Geuns). Ein solches Verfahren würde sich für
die Butterfabrikation im Grossen sehr gut eignen und namentlich ein sehr haltbares
Product liefern, für den Hausgebrauch aber ist das Aufkochen des auf gewöhnlichem
Wege gewonnenen Rahmes mit nachfolgender Verbutterung weit einfacher. Es wäre
nun zu wünschen, dass auch unsere Molkereien dieser Frage näher treten. Die Her¬
stellung von tuberkelvirusfreicr Butter auf einem der angegebenen Wege dürfte auch
im Grossen auf nicht allzu erhebliche Schwierigkeiten stossen, umsomehr, als die
Haltbarkeit der Butter durch die erwähnten Verfahren erheblich erhöht wird.
Casuistische Mittheilungen aus der GeburtshUlfe.
Von Dr. Debrunner, Frauenfeld.
I. Porro’sche Operation. Der Kaiserschnitt, Sectio caesarea, oder die La-
parohysterotomie ist, trotzdem die neuere operative Geburtshulfe die Anzeige zu diesem
Eingriff bedeutend ausgedehnt hat, zu den selteneren geburtshülflichen Operationen zu
rechnen. Ohne Zweifel wird die Frequenz dieser Operation in Zukunft wieder zurück-
gehen, da wahrscheinlich ein grosser Theil von Kaiserschnitten mit bedingter Anzeige
durch die wieder neu eingebürgerte Symphyseotomie verdrängt wird. Die schlechten Er¬
folge bei der Sectio caesarea in der vorantiseptischen Zeit — Kayser berechnete für die
Mütter eine Mortalität von 62®/o in den Jahren 1750 — 1839; Peter Müller von 1800
bis 1860 sogar 85®/o — brachte Porro auf den Gedanken, beim Kaiserschnitt den Uterus
zn entfernen, um so jene häufige Gefahr der Blutung und der Sepsis aus dem zurück-
gelassenen Organ zu eliminiren. Diese ibrro’sche Methode fand bald begeisterte An¬
hänger, welche mit Zahlen die geringere Gefahr gegenüber dem alten klassischen Kaiser¬
schnitt darlegen konnten. Nach der Zusammenstellung von Trmzi fiel die Mortalität
der Mütter auf ca. 36%. Ein grosser Fehler haftete an der neuen Methode: durch
Entfernung des Fruchtbehälters war ein weiterer Kindersegen für die betreffende Frau
unmöglich gemacht. Das Zurückgehen zum alten klassischen Kaiserschnitt mit Erhaltung
der Gebärmutter war die natürliche Folge der Vervollkommnung der operativen Technik,
die sich nach und nach seit Einführung der Ansesthetica, der Antiseptik und verbesserter
Blutstillungsmethoden herausgebildet hat. Unzweifelhaft gebührt Sänger^ Leopold und
Schauta das Verdienst, am meisten zur Wiedereinführung des conservativen Kaiserschnitts
das Feld geebnet zu haben. Die genannten Herren waren so glücklich, in kurzer Zeit
Martiny. Das Verarbeiten erhitzter Milch. Zeitschr. f. Fleisch- u. Milchhygiene. Jahr¬
gang lU. Heft 9.
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ihre gewonnenen Ueberzeugungen mit einer ganz ausgezeichneten Statistik zu vertheidigen,
80 dass nicht zu zweifeln ist, dass in Zukunft der conservative Kaiserschnitt die herr¬
schende Methode sein wird. Immerhin kann die ibrro'sche Methode nicht ganz aus dem
Felde geschlagen werden, denn eine kleinere Anzahl von Kaiserschnitten wird, um den Erfolg
zu sichern, die Entfernung des Fruchtbehälters dringend machen. Zu diesen Fällen ge¬
hört nun auch der von mir ausgeführte Kaiserschnitt, den ich hier in kurzen Zügen
Vorfahren will.
Am 15. Januar d. J. wurde ich Morgens 7 Uhr zu einer 35jährigen Erstgebärenden
gerufen. Der schriftliche Bericht der Hebamme lautete: Die Frau ist seit 2 V 2 Tagen
kreissend, das Fruchtwasser ging vor IV 2 Tagen ab. Der kindliche Schädel steht seit
Beginn der Gebart im kleinen Becken und macht trotz guter Wehenthätigkeit keine An¬
stalten zum Tiefertreten. Seit drei Standen geht Meconium ab. Die Bitte der Hebamme
ging dahin, ich möchte die Geburt wegen Gefahr fiir das kindliche Leben und wegen
der äusserst schmerzhaften Wehen so bald als möglich künstlich beenden. Anamnestisch
ist noch hervorzuheben, dass die Frau zum zweiten Mal verheiratet ist. Die erste Ehe
von vierjähriger Dauer blieb steril. Die Frau concipirte nach zweijähriger neuer Ehe.
Im Uebrigen war die Gebärende stets gesund. Bei meiner Ankunft, ca. 8 Uhr, fand ich
die mittelgrosse, mittelstarke magere Frau bei intensiver Wehenthätigkeit. Puls 92,
Temperatur 38^ Die kindlichen Herztöne waren rechts in halber Höhe zwischen 90
und 100 Schlägen zu hören. Die Frau äusserte bei jeder Wehe sehr starke Schmerzen
oberhalb der rechten Leiste. Daselbst fand man in der Wehenpause den kindlichen
Schädel sich auf die rechte Darmbeinschaufel aufstützend. Bei Druck auf jene Gegend
empfand die Gebärende ein intensives Schmerzgefühl. Der Gedanke an eine drohende
Uterusruptur war daher naheliegend. Das Becken bot keine besondorn Abweichungen
von der Norm. Die Diagonalis interna konnte wegen folgenden Gründen nicht gemessen
werden. Das mit Meconium verfärbte abgehende Fruchtwasser hatte bereits einen üblen
Geruch angenommen. Die innere Untersuchung bot ein überraschendes Bild: Das kleine
Becken war durch eine kindskopfgrosse, glatte, runde, harte Geschwulst ausgefüllt, die
der Hebamme den kindlichen Schädel vortäuschte. Hoch elevirt und anteponirt fand man,
ganz nach der rechten Beckenwand verschoben, kaum erreichbar, den ca. zweifrankstück¬
gross geöffneten äussem Muttermund. Der innere war nicht zu erreichen und damit
auch kein vorliegender Theil. Ein Versuch, die Geschwulst in Chlöroformnarcose aus
dem kleinen Becken zu heben, blieb erfolglos. Der Tumor war unbeweglich wie einge-
mauert im Becken. Boi dieser Sachlage war eine Entscheidung über das weitere Vor¬
gehen nicht schwer. Es lag hier eine unbedingte Anzeige zur Beförderung der Frucht
durch den Uterusschnitt vor. Behufs Einschränkung der Wehenthätigkeit wurde ein
starkes Opiumclysma verabfolgt. Die Kranke war um 11 Uhr in meiner Privatanstalt
und nach einer weitern Stande, welche Zeit zum Baden der Frau und Sterilisation der
Instrumente, Tupfer, Bauchcompressen etc. verwendet wurde, konnte die Operation be¬
ginnen. Herr Dr. E, Uaffter hatte die Freundlichkeit zu assistiren.
Peinliche Reinigung des Operationsfeldes und der Hände der Aerzte und Wär¬
terinnen nacheinander mit Seife, Alcohol und l^oo Sublimatlösung. Aus wischen der
Scheide mit gleichstarker Sublimatlösung und Ausstopfen mit Jodoformgaze. Während
der Operation vollständige Aseptik. In Chloroformnarcose wird die Bauchhöhle ca. drei¬
fingerbreit über dem Nabel bis zur Schamfuge in der linea alba eröffnet. Vernähen des
Peritoneum parietale mit der äussern Haut. Nach Hervorwälzen des Uterus wird die
Bauchhöhle oberhalb desselben durch tiefgreifende Nähte geschlossen. Ein mittelstarker
Gummischlauch wird dreifach um den Gebärmutterhals so tief als möglich angelegt und
lose geknotet. Durch Umlegen von Compression wird die Bauchhöhle so gut als möglich
nach aussen abgeschlossen. Auf ein Commando wird der Gummischlauch fest angezogen
und im gleichen Moment mit einem Symc'schen Amputationsmesser die Gebärmutter vorne
durch einen langen sagittalen Schnitt eröffnet. Der Schnitt trifft die Placentarfläche.
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Rasch wird die Nachgeburt manuell durchbohrt und der Fcetus an der zunächst liegenden
Schulter herausgezogen. Er ist vollständig reif, mit Meconium über und über beschmiert
und tief asphyctisch. 15 Minuten dauernde Belebungsversuche, bestehend in Schultze^wihexi
Schwingungen und nachher in Hautreizen, bringen die Frucht zum kräftigen Schreien
und freien Athmen. Während dieser Zeit musste die Operation aus Mangel an weiterer
Assistenz sistiren. Das Mädchen war 47 cm lang und wog 2950 Gramm.
Das Verhältniss des Fibroids zum Uterus war Folgendes: Der rechte Eierstock lag
oberhalb dem Constrictionsschlanch. Der linke war bedeutend in die Länge gezogen,
hypertrophisch, ähnlich wie man ihn hie und da bei Parovarialcysten antrifft und lag
unterhalb dem Schlauch. Das im kleinen Becken liegende Fibroid von Kindskopfgrösse
gehörte dem Hg. latum sinistrum an, der Cervix ntori war frei. Nachdem man sich
durch Catheterisation über den Ansatz der Blase am Gebärmntterhals orientirt hatte,
wird der Uterus in einem Zuge oberhalb des Schlanchs quer abgetragen, der Cervical-
canal trichterförmig ausgeschnitten und mit starker Sublimatlösung vorsichtig ausgetupft
und mit Catgut vernäht. Die wunden Muskelballen des Stumpfes werden durch tief¬
greifende Seidennähte quer vereinigt, ebenso der peritoneale Ueberzug des Stumpfes durch
fortlaufende Naht. Die durch Abtrennung des rechten Ovarium sich präsentirenden
offenen Gefasst umina werden isolirt unterbunden. Der linke Eierstock wird nach zwei
Seiten abgebnnden und entfernt, nachher der Gummischlauch gelöst. Plötzlich entsteht
aus dem kurzen aber breiten linken Eierstockstumpf, durch Retraction des Gewebes aus
den Fadenschlingen, eine intensive arterielle Blutung, die einige Augenblicke eine un¬
angenehme Situation schafft, aber durch partienweise gelegte Nähte, wie sie Zweifel für
die Myomotomie angegeben hat, beherrscht werden kann. Einige Umstechungsnähte sind
auch am Stumpfe nöthig. Derselbe wird stark nach vorn gezogen und das Peritoneum
der Bauchwunde circulär so tief als möglich an dasselbe des Stumpfes genäht und so die
Bauchhöhle nach aussen abgeschlossen. Ringsum werden durch tiefgreifende Seidennähte
die Bauchdecken an den Stumpf befestigt. Den Schluss der Operation bildet ein Druck¬
verband mit Jodoformgaze und Watte. — Der Verlauf der Operation war mit Ausnahme
eines drei Tage dauernden Chloroformerbrecheus sehr befriedigend. Die Temperatur er¬
reichte nur am 1. und 5. Tage nach dem Eingriff 38^. Der Puls bewegte sich zwischen
60 und 80 Schlägen und war stets kräftig und voll. Am 8. Tage erster Verbandwechsel.
Die Bauchdeckennähte werden entfernt. Behandlung des Stumpfes mit Dermatolgaze.
Die übrigen Nähte werden successive vom 10. Tage ab gelöst. Am 16. Tage stand die
Patientin zum ersten Male auf und verliess die Anstalt am 26. Tage bei vorzüglichem
Allgemeinbefinden. Drei Wochen später war die Wunde am Stumpf vernarbt. —
Noch ein kurzes Wort zur Rechtfertigung des von mir gewählten Operationsver¬
fahrens. Sobald die Inoperabilität des Fibroids feststand, war an eine Ausführung des
Kaiserschnittes nach der conservativen Methode nicht zu denken. Ich musste durch Ent¬
fernung der Eierstöcke und die dadurch herbeigefuhrte künstliche Climax einen günstigen
EinOuss auf die Rückbildung der Geschwulst hoffen und ich habe mich hierin nicht ge¬
täuscht. Das Zurücklassen des Frnchtbehälters ohne Ovarien hätte aber keinen Sinn
gehabt. Zugleich drängte das bereits jauchige Fruchtwasser zur gänzlichen Entfernung des
Uterus. Die extraperitoneale Stumpfbehandlung wählte ich desshalb, weil ich auch bei
der Myomotomie ein Anhänger derselben bin. Man kann es keinem Operateur verargen,
wenn er einer Methode treu bleibt, mit der er schöne Resultate erzielt hat. Meiner
Meinung nach lässt sich die Frage der extra- oder der intraperitonealen Stielbehandlung
bei der Myomotomie wie bei der ibrro’schen Operation nicht so leicht nach Analogie
der Ovariotomie lösen. Dort die dicken massigen Stümpfe, reichlich durchsetzt mit todtem
Nähmaterial, hier die dünnen Stiele mit höchstens ein oder einigen Ligaturen. —
Nach Verfluss von 6 Monaten nach der Operation habe ich* mich persönlich nach
Mutter und Kind erkundigt. Das Fibroid im Douglas ist mindestens um die Hälfte
kleiner geworden, immer noch unbeweglich. Die Mutter kann ihrer Beschäftigung, die
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in häuslichen Arbeiten und leichter Feldarbeit besteht, ohne Nachtheil nachkommen. Das
bei der Geburt etwas schwächliche Mädchen ist zu einem lebensfähigen, kräftigen Kinde
erstarkt.
II. Ein Fall von Eotasia vesiccB urinarim congenita und
damit verbundenem Gebnrtshinderniss. Am 21. Januar d. J. wurde
ich zu einer Kreissenden gerufen, bei der wegen langer Geburtsdauer und Wehen schwäche
von einem Collegen die Zange applicirt worden war. Der Kopf stand im kleinen Becken und
die Entwicklung des mittelgrossen Schädels gelang ohne besondere Schwierigkeiten.
Anamnestisch ist hervorzuheben, dass die jetzige Geburt nach Angabe der Frao um einen
Monat zu früh eintrat. Voraus gingen sechs normale Geburten und ein Abortus im
5. Monat. Alle Kinder waren wohl gebildet und lebensfähig. Der Blasensprung trat
Tags vorher ohne Wehenthätigkeit ein. Die Wehen begannen erst um Mitternacht und
waren während der ganzen Geburtszeit nie normal kräftig. Kindsbewegnngen will die
Frau bis zum Beginn der Gebart verspürt haben, doch haben dieselben einen anderen
Charakter als in früheren Schwangerschaften gehabt. Sie seien mehr in der Form von
starken Stossen, als in der Art von leichten Bewegungen erfolgt. Der Bauch sei ent¬
schieden viel grösser gewesen als in früheren Schwangerschaften. Die übermässige Zu¬
nahme des Leibesumfanges sei erst in der zweiten Hälfte der Gravidität ziemlich rasch
erfolgt. Nach Geburt des Kopfes traten keine Athembewegungen des Foetns ein. Der¬
selbe muss während der Zangenextraction oder kurz vorher abgestorben sein, wofür die
bestimmten Angaben der Frau über die Kindsbewegnngen sprechen. — Alle Versuche
des Herrn Collegen, nach der Geburt des Schädels den Rumpf zu entwickeln, waren
vergeblich. Unter den starken Tractionen am Kopf reisst die Halswirbelsäule ein und der
Kopf steht nur noch mit Haut nnd Muskeln des Halses mit dem Rumpfe in Verbindung.
Das weite Becken der Frau erlaubte dem Operateur durch Eingehen einer Hand neben
dem Hals des Kindes einen Arm zu entwickeln. Durch Zug an demselben gelingt es
aber nicht, die Gebart zu vollenden, sondern unter den forcirten Tractionen reisst der
Arm sammt Scapula aus. Bei meiner Ankunft war folgender Status zu erkennen; Die
stark gebaute Kreissende ist etwas erschöpft, Puls und Temperatur halten sich aber in
normalen Schranken. Die Wehen thätigkeit ist momentan stark. Der Leib ist übermässig
aufgetrieben und bietet überall Fluctuation. Kindestheile sind keine zu fühlen und keine
kindlichen Herztöne zu hören. Ein mittelgrosser kindlicher Schädel ist geboren und hängt
nur mit Haut nnd Muskeln des Halses mit dem Rumpf zusammen. Der rechte Arm
sammt Scapula ist aasgerissen. — Nach dem was vorausgegangen, konnte man mit ziem¬
licher Sicherheit annehmen, dass ein Geburtshinderniss von Seite des B^oetos vorhanden sein
muss. Eine Klärung der Verhältnisse und Sicherung der Diagnose über die Art des Ge-
burtshindemisses war für ein weiteres zielbewusstes Handeln durchaus nothwendig. Dazu
wurde der Kopf amputirt und der aus Hals und linker Schulter bestehende vorliegende
Theil reponirt. Durch diese Freilegung des Geburtscanals gelang es mir mit einer Hand
in die Uterinhöhle zu kommen und den Rumpf des Foetns als eine enorm ausgedehnte
Cyste zu erkennen. Versuche mit Finger und Nagel die Cyste zu durchbohren gelangen
nicht. Zur Eröffnung des Balges bediente ich mich einer kleinen spitzen Scheere, die
ich in die volle Faust nahm und damit in die Uterinhöhle eindrang. Mit der Spitze der
Scheere wurde ein Stich in die Cyste gemacht und derselbe durch Einhacken des Zeige¬
fingers erweitert. Es floss eine grosse Menge — ca. 6 Liter — einer hellgelben, klaren
Flüssigkeit ab. Die Geburt wurde dann durch Wendung auf die Füsse und Extraction
leicht beendet. Der Verlauf der Nachgeburtsperiode bot nichts Abnormes. Das Wochen¬
bett verlief ungestört.
Das interessante Präparat ist mir von den Ehegatten bereitwilligst überlassen worden.
Ich habe dann die erweiterte Harnblase wieder mit Wasser gefüllt — es gingen
ca. 5 Liter hinein — und nach der Füllung den mit der Scheere gemachten Schlitz
durch Billroth'wi\ie Klemmen abgeschlossen und so die Missbildung photographiren lassen.
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Durch diese Photographie erhält man ein anschanliches Bild von der colossalen Aus¬
dehnung der vesica urinaria.
Der Leichnam, den ich dem Basler pathologischen Institut übersandte, wurde von
Herrn Prof. Buhler secirt. Er hatte die Güte mir eine Abschrift aus dem Obductions-
protocoll zu übersenden. Sie lautet:
„Massig entwickelte Kindsleiche, mit etwas Vernix beschmiert. Kopf, Hals und der
rechte Oberarm bis auf einen kurzen Stumpf fehlen; an ihrer Stelle eine blutige fetzige
Wundfläche. Thorax kurz, tief. Fett spärlich, Musculatur blass. — Bauchdecken weit,
schlaff, schlotternd. Nabelschnur einfach unterbunden ca. 8 cm lang. Nabelgefässe ent¬
halten wenig dankelrothes flüssiges Blut. Die untern Extremitäten mit abnorm grosser
Beweglichkeit in den Hüftgelenken. — Hodensack klein. Haut gespannt, weissglänzend,
leicht oedematös; keine Hoden durchzufühlen. — Penis sehr klein mit stärkster
P h i m 0 8 i s , die den Zugang zum Orifle.
urethrsB ext. nur schwer gestattet. Preepu-
tium gespannt, glänzend, oedematös. —
Urethra für eine Sonde bequem passirbar.
— Aeusserlich keine weiteren Abnormitä¬
ten, ausser dem grossen Bauche keine Miss¬
gestaltung. — Rechts neben dem Nabel
ist Harnblase und Bauchhöhle eröffnet;
Magen eng, ebenso die Därme. Letztere
derb; steif, schnurartig; nur da und dort
eine geringe, grünlich durchscheinende An¬
häufung von Meconium. Mesenterium fä¬
cherförmig gefaltet, die Falten vielfach un¬
tereinander adhmrent. Harnblase sehr
weit, reicht über den Nabel hinaus und
ist mit der vordem und seitlichen Bauch¬
wand in grosser Ausdehnung locker ver¬
wachsen. Der unterste, hintere Theil der^
selben nach hinten ausgebuchtet, nimmt
fast das ganze kleine Becken ein. Schleim¬
haut der Harnblase blass. Oeffnung der
Ureteren hochstehend, über der linea ar-
cuata int. — Linke Niere mit nussgrossem
erweitertem Becken, Substanz grauroth,
Oberfläche gelappt. Das Organ ist in
sagittaler Richtung abgeplattet. Linker
Ureter über bleistiftdick, dünnwandig, vielfach gewunden, durchgängig. Die rechte
Niere verhält sich mit Ausnahme der Abplattung ähnlich wie die linke. Beide
Hoden liegen am untern Umfang der Nieren. Milz etwas vergrössert, dnnkelroth,
zäh. Brnstkorb mit Zwerchfell nach oben gedrängt. Herz mittelgross. Klappen gut er¬
halten; die grossen Gefässe in Ordnung. Beide Lungen luftleer, dunkelgrauroth, klein.
Thymus dunkelgrauroth.
Obdnctionsbefnnd: Ectasia vesicas urinarise congenita. Dilatatio ureter. Hydronephrosis
duplex. P h i m 0 s i s. Peritonitis adhsesiva partialis. Atelectasis pulmonum totalis." —
Wenn wir uns in der Litteratur über die Häuflgkeit dieser Missbildung umsehen,
so ist dieselbe als eine recht seltene zu bezeichnen. Dr. Schwyser^ ehemaliger Assistent
bei Prof. Wyder^ hat im A. f. W. 1893, Band XLIII, Heft 2, an der Hand eines in
der Zürcher Frauenklinik beobachteten Falles vierzehn Beobachtungen aus der Litteratur
znsammengestellt. Fälle von cystös entarteten Nieren, wie sie häufig bei andern Miss¬
bildungen, namentlich bei Hydrencephalocelen, Vorkommen, sind häufiger zu finden.
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Geburtshülflich and embrjologisch bieton nun diese Fälle Yerscbiedenheiten dar,
welche einer kurzen Besprechung werth sind. In ersterer Beziehung schliesst sich der
Unsrige dem VT^der’schen an. Beide zeichnen sich durch die überaus grosse Ectasie der
Harnblase ans, so dass sie zu einem absoluten Geburtshindemiss Veranlassung gaben. Anch
im TV^der^schen Falle sind Kopf und Arm bei den Extractionsversuchen ausgerissen
worden, ebenso bei einigen wenigen in der Litteratur verzeichneten Fällen, während bei
den meisten übrigen der Geburtsverlauf durch zu geringe Ausdehnung der Harnblase
ohne Verletzung des Foetus vor sich ging. — Embryologisch bieten diese Missbildungen
ebenfalls Verschiedenheiten dar, als in den meisten Fällen, wie auch in dem IV^der’schen,
der Dickdarm direct in die Blase einmündet. Es kam also durch Mangel einer Ein-
stülpnng von der Aussenhaut her zu keiner Afterbildung. Bei unserer Missgeburt und
bei wenigen andern in der Litteratur verzeichneten mündet der Mastdarm direct nach
aussen. Aetioiogisch am meisten Aehnlichkeit hat unsere Beobachtung mit zwei von
Arnold (Ftrc/kw’s Archiv 1869) und Cornelli (Wiener med. Wochenschrift 1879) publi-
cirten Fällen, wo eine angebome starke Verengerung der Harnrohre die Ursache der
Retentio nrinas bildete, während bei der unsrigen eine hochgradige Phimosls als Grund
der entstandenen Missbildung angesehen werden muss.
Chirurgisches Curiosum.
Mitte September letzten Jahres wurde Unterzeichneter zur Wittwe M. Bl. in hier
gerufen. Patientin, 54 Jahre alt, die stets gesnnd gewesen sein soll, will seit etwa
1 7^ Jahren mehrere erysipelatose Anfälle auf der linken Gesichtshälfte, ausgehend von
der betreffenden Augenhohlengegend, durchgemacht haben. Vor einigen 6 bis 7 Wochen
nun hätte eine neue Attake zu einem Abscess geführt, dessen Centrum, 172 cm unter
dem linken Augenhöhlenrand gelegen, sich durch eine trichterförmige Einsenkung kenn¬
zeichnet, deren Hautbedeckung mit dem Periost verwachsen ist und in der Tiefe gering-
fügige Granulationen um eine kleine, spärlichen und dünnflüssigen Eiter secernirende
Fisteloffnnng weist. Die Sonde constatirt rauhe Stellen in der Tiefe.
Die mühsamst erhaltenen anamnestischen Anhaltspunkte lassen zwischen luetischer
und tuberculöser Oberkieferaffection schwanken. Patientin wird einstweilen wegen ihres
herabgekommenen Kräfteznstandes roborirend behandelt, nebenbei durch Darreichung ge¬
eigneter Medicamente bei ihr die eine oder andere obengenannter Ursachen des Leidens
ausfindig zu machen gesucht.
Da gegen Ende des Jahres die Kräfte der Patientin ordentlich zugenommen, die
localen Erscheinungen der Affection dagegen (Wucherung der Granulationen und ver¬
mehrte Eiterabsonderung) eher sich verschärft hatten, erbat sich Einsender seinen werthen
Collegen, Herrn Dr. Alexander Favre^ professeur agr6g6 ä Tacad^mie de Neuchätel, zur
Consultation.
Der jetzige Status ergab kurz Folgendes;
Unterhalb des linken untern Augenhohlenrandes befindet sich eine Fistel mit breiten,
hervorgewölbten Granulationen; die nächste Umgebung dieser stark vortretenden Fistel ist
ringsum trichterförmig vertieft und mit dem Periost verwachsen. Die in die Fistel eingeführte
Sonde dringt bis lys cm in die Tiefe, woselbst sie auf eine rauhe Fläche stösst und
zngleich einen beweglichen, rauhen, nicht klingenden Körper constatirt — Die Eiter-
production ist eine bedeutende.
Diagnose: Caries des Oberkieferknochens mit Sequesterbildung.
Therapie: Auskratzung des erkrankten Gewebes, eventuell Oberkieferresection.
Die Operation wurde auf der hiesigen chirurgischen Privatklinik des Herrn Dr. Favre
Anfangs Januar dieses Jahres durch uns beide ausgeführt. Aetbemarkose.
Nachdem eine Incision, parallel dem untern Augenhöhlenrand, bis auf den Knochen
geführt, wurde der Sequester mit der Sequesterzange gefasst und mit Gewalt extrahirt.
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Zu unaerm Erstaunen entpuppte sich dieser vermeintliche Sequester als eine 272 cm lange
messingene Spiralfeder. In der That ermangelte das künstliche Gebiss unserer Patientin
einer solchen Feder, über deren Verschwinden sie. keine Auskunft geben konnte I (Das
extrahirte Stück ist das Analogon der noch am Gebiss befindlichen Feder.)
Im Munde fand sich weder Fistel noch Ulceration vor; dagegen Hess der gegen¬
über dem Gernchsorgane unbeschreibliche Parfüm, wie er sich bei der Entfernung des
Gebisses vor der Narkose meerwogenartig uns entgegentrug, auf die thatsächlich leider
nicht zu eruirende, gewiss aber schöne Anzahl von Jahren schliessen, während welcher
dies Gebiss unberührt und nngestört an seinem Platze blieb und die Spiralfeder Zeit fand,
Oberkieferrand, Highmorshöhle und wiederum festen Knochen zn perforiren, um schliesslich
unter allen charakteristischen Symptomen einer bestehenden Caries mit Sequesterbildung
uns zu einer unerwartet falschen Diagnose zu führen, die nicht umgangen werden konnte,
umsomehr, weil, abgesehen von der Seltenheit des Falles, weder Gefühl noch Ge¬
räusch bei den vorgenommenen Sondirungen den metallenen Charakter des Fremdkörpers
verrathen hatten.
Unter antiseptischer Behandlung (Drainage, Jodoformgaze, Seidennaht) heilte die
Wunde in kaum zwei Wochen aus und befindet sich Patientin seither gesund und wohl.
La Chaux-de-fonds. Dr. 0. Pfyffery med. pr.
Vei*eiiisl>ei*iolite*
Gesellschaft der Aerzte in Zürich.
II. Senaiersitziilf, in 30. J»i 1894. Im Gebinde der neuen niedieinlsehen Pellkllnik.^)
Präsident: Prof. Stöhr, — Actuar: Dr. Conrad Brunner.
I. Herr Sanitätsrath Keller begrüsst zuerst die Gesellschaft und führt die An¬
wesenden nach orientirenden Bemerkungen über die Anlage des Baues durch die äusserst
schön und zweckmässig eingerichteten Räumlichkeiten der neuen Cnntensnpoiheke.
II. 1) Dr. Hermann Müller begrüsst die ärztliche Gesellschaft im neuen Gebinde
der Pellklinik und schildert die Entwicklung des Instituts vom Zeitpunkt der Gründung
bis zum Einzug in das neue Heim. Nach einer ausführlichen Beschreibung des Baues
(der Bericht wird in extenso in diesem Blatte erscheinen) wurde ein Rnndgang durch die
Räume der medicinischen Poliklinik gemacht.
2) Auf die angekündigten klinischen Demonstrationen verzichtet Dr. M. wegen
schon stark vorgerückter Zeit zu Gunsten des Vortrages von Dr, SchuUhess und begnügt
sich die herbestellten Kranken ganz cursorisch zu demonstriren:
a) Einen Mann mit MorbusAddisonii;
b) einen Fall von Lichen ruber plan. (Recidiv des vor 4 Jahren der Ge¬
sellschaft vorgestellten schweren Falles von Lieh. r. pl.);
c) einen Pat. mit Scrophuloderma — zwei in Heilung begriffene pflaumen¬
grosse Geschwülste auf der rechten Wange — neben gewöhnlichem Lupus der Nase und
Lungen tuberculose;
d) eine schwere Neurasthenie mit den typisch objectiven Merkmalen —
nach Influenza.
III. Dr. Hermann SchuUhess: SUilstiseher Beitrag zar Keialaiss des Erylhena
■odesnm. (Autoreferat.)
Vortragender hat 113 Fälle dieser Krankheit, die von 1880—1891 in der medi¬
cinischen Poliklinik in Zürich zur Beobachtung kamen, auf ihre Vertheilung auf die
einzelnen Jahre und Jahreszeiten, auf Alter und Geschlecht untersucht und die gewonneuen
Daten in die Form von Curven gebracht. Auf dieselbe Weise wurde die Totalfrequenz
*) Eingegangen 16. Juli 1894. Red.
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der Poliklinik (gegen 80,000 Fälle), die Hantkrankheiten, die acuten allgemeinen In-
fectionskrankheiten und, soweit möglich, die einzelnen Krankheiten, die in der Litteratur
mit Erythema nodosum in Verbindung gebracht worden sind, verarbeitet Eine Ver¬
gleichung der entsprechenden Cnrven (Demonstration) liefert Resultate, welche die Ansicht
derjenigen stützen, die vom klinischen Standpunkte aus Erythema nodosum als acute all¬
gemeine Infectionskrankheit sni generis auffassen. Von Erythema exsudativum multiforme
ist es statistisch betrachtet sehr verschieden ; näher scheint ihm Purpura rheumatica zu
stehen. Die vielfach betonte Verwandtschaft mit acutem Gelenkrheumatismus wird
durch die Curven sehr unwahrscheinlich gemacht, wogegen sich eine eigenthümliche
Uebereinstimmung des Erythema nodosum mit Scharlach, mit dem es ja auch klinisch
viel Gemeinsames hat, ergibt. Was die speciello Aetiologie des Erythema nodosum an¬
langt, so fallt im Vergleich mit den atmosphärischen Niederschlagsmengen sehr zu Gunsten
der Annahme aus, dass feuchte Wohnungen die Krankheit vermitteln und dass möglicher¬
weise starkes Längenwachsthum der meist jugendlichen Patienten ebenfalls dazu disponirt.
Beides steht im Einklang mit Beobachtungen des Vortragenden und Anderer. — Der
Vortrag erscheint in extenso. —
Discussion: Dr. Wilhelm Schulihess dankt dem Vortragenden dafür, dass er
die eigenthümliche und iro Ganzen wenig gekannte Krankheit zum Gegenstände seiner
Studien gemacht bat. Es ist ihm noch bei dem relativ geringen Material, über das ein
einzelner Arzt verfügt, ebenfalls aufgefallen, dass in den letzten Jahren mehr Fälle zur
Beobachtung kamen als früher. Sch, wäre nicht abgeneigt, diese Erscheinung mit der
Influenza in Zusammenhang zu bringen. In Bezug auf die Aetiologie erwähnt er die
Mittheilung des Herrn Collegen Brunner in Pfäffikon, der in derselben Wohnung bei 2
verschiedenen Familien, welche dieselbe nach einander bewohnten, mehrere Fälle beobachtet
hat. Ferner sah Brunner 2 Mal Meningitis nach Erythema nodosum. Sch. betont ferner,
dass das Krankheitsbild des Erythema nodosum im Allgemeinen besonders bei Kindern
ein sehr schweres sei, dass Complicationen fast nie fehlen, und dass die Reconvalescenz
eine äusserst schwere, langwierige ist. Die Patienten bleiben auffallend lange anasmisch
und sind deprimirt. Diese Erscheinung ist weitaus deutlicher als bei irgend einer andern
Krankheit. Ganz besondere Beachtung, glaubt aber Sch.^ sei dem schon mehrfach ange¬
gebenen Zusammenhang mit Tuberculose zu schenken.
Selbstverständlich geben die statistischen Angaben des Herrn Vortragenden für
diese Frage keine Anhaltspunkte, überhaupt eignet sich hiefür das poliklinische Material
nicht. Dass aber ein gewisser Zusammenhang besteht, scheint für den Vortragenden um
so eher wahrscheinlich, als von 4 Fällen, welche er im Laufe des Jahres 1893 beob¬
achtet hat, 2 an tuberculöser Meningitis starben und 2 einige Zeit später an subacuter
exsudativer Pleuritis erkrankten. Ein jetzt in Behandlung stehender Fall hat gleichzeitig
eine schwere Bronchitis. Eine Erwachsene, welche Sch. dieses Jahr behandelte scheint
ohne schlimme Folgen geheilt zu sein; eine andere ebenfalls dieses Jahr erkrankte junge
Frau stellte sich in der Reconvalescenz mit Bronchitis vor ; über ibr weiteres Schicksal
ist Nichts bekannt.
Sch. wäre am ehesten geneigt anzunehmen, dass die Krankheit, ähnlich wie Morbilli,
in hohem Grade die Disposition für Erkrankung an Tuberculose weckt oder latente
Tuberculose zum Ausbruch bringt.
Dr. Hermann Müller dankt vorerst dem Vortragenden für seine grosse Arbeit.
Was den von Dr. W. Schulihess erwähnten Zusammenhang zwischen Tuberculose und
Erythem betrifft, so sprechen die Erfahrungen der medicinischen Poliklinik nicht für einen
solchen. Unter 113 Fällen, die in den letzten 15 Jahren beobachtet wurden, waren nur
wenige Phthisiker. Wahrscheinlich handelt es sich hier nur um ein zufälliges Zusammen¬
treffen. Einen wesentlichen Einfluss auf die Entstehung des Erythems müssen nach seinen
Erfahrungen die hygienischen Wohnungsverhältnisse spielen. In der Privatpraxis sind
die Fälle seltener.
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Dr. W. Sehul/hess erwidert auf die Angaben von H. Müller, dass es von Interesse
gewesen wäre, die betreffenden 113 Fälle von Erythem später zu untersuchen, ob sie
tuberculös geworden seien oder nicht.
Refei*a.te und Ki^itilcen«
Beiträge zu einer dynamischen Theorie der Lebewesen.
I. Die Metaphysik in der modernen Physiologie, Eine kritische Untersuchung von
Carl Hauptmann, Dresden. L. Ehlermann. 1892.
Nach unserm Gefühl ist der Untertitel ein Vorwurf gegen die moderne Physiologie,
welchen wir Aerzte auch als gegen uns gerichtet erachten müssen; haben wir es eben
in unserer Tbätigkeit ja mit nichts Anderem zu thun, als mit Physiologie und Physiologie
unter störenden Umständen. Nun glauben wir wirklich mitten im Natürlichen zu stehen
und alle Versuche über die Erfahrung hinausgehender reiner Vemunfterkenntniss allent¬
halben weit von uns zu weisen. Aber einige Berechtigung müssen wir bei genauerem
Zusehen Hauptmann^^ Vorwürfen schon zuerkennen, indess ist es mehr ein Redefehler,
was zu Grunde liegt. Mit ziemlicher Sicherheit dürfte man aussprechen, dass kaum ein
einziger Physiologe und Arzt wissenschaftlich noch der Meinung ist, als ob eine Seele
als ein Wesen für sich bestehend, für sich schaltend und waltend, die Lebensvorgänge
und damit den Körper beherrsche. Nun ist aber thatsächlich die Darstellung in medi-
cinischen Werken so sehr häufig derart gefasst, als ob man solches noch annehmen würde,
dass Haupimann eine ganze Bluroenlese solcher Aussprüche zusammen bringt. Es möchte
im Grunde nur dem gewöhnlichen Sprachgebrauche nachgegeben sein; statt umständlicherer
und genauerer Bezeichnungen hat man sich einfach der kurzen bündigen Ausdrücke be¬
dient, wie sie überkommen und noch in Uebung sind.
Hauptmann wendet sich in ausführlicher Darstellung gegen die jetzt geltende Auf¬
fassung, dasss Lichtbahn, Schallbahn, wie sie von ganz umschriebenen Organen durch
ganz vereinzelte Nerven ausgehen, auch noch in dem Gehirne weiter zu verfolgen seien,
dass Auslösung von Sprech-, Arm- und Beinbewegungen u. s. w. von bestimmten Hirn¬
rindengebieten aus erfolge.
Hauptmann bekämpft die Localisationslehre und lässt nur für Gfo^^^sche Theorien
Gnade walten. Nun ist den Einwänden dieses Forschers alle Achtung zu schenken und
sie bergen gewiss den Keim genauerer Kenntniss der Hirn Vorgänge. Aber es hat sich
recht deutlich herausgestellt, gerade beim berühmten Gfo/f^r^scben enthirnten Hunde, dass
doch die Thiere mit tieferen Nervengebieten noch Vieles leisten können, was beim
Menschen höher gerückt ist, dass also die Uebertragung der Ergebnisse des Thierexperi¬
mentes auf den Menschen auch hier wieder nicht ohne Weiteres gestattet ist. Beim
Menschen ist eine solche Fülle von Erfahrungen gewonnen, dass man nicht mehr daran
zweifeln kann, es seien bestimmte Hirngebiete besonders zum Sehen, Hören, Sprechen,
Bewegen in Beziehung gesetzt. Jede Woche bringt chirurgische Erfolge auf Grund dieser
Erkenntnisse. So werden, alle weiteren Fortschritte in unserem Verständnisse der Dinge
Vorbehalten, die Gründer der Himlocalisationslehre, trotz aller Unvollkommenheiten der¬
selben, unter den bedeutendsten Förderern der Heilkunde für alle Zeiten genannt bleiben
und deren Benrtheilnng durch Haupimann^ besonders die gänzliche Verurtheilung von
Munk kann nicht anders, denn als Ungerechtigkeit bezeichnet werden.
Alles Wissen drängt zu einheitlicher Auffassung aller Weltvorgänge. Die Schwie¬
rigkeit des Nachweises, wie die unorganische Welt zur organischen, das Unbewusste zum
Bewussten vorgeschritten sei, nöthigt noch lange nicht zur Aufstellung von unüberbrückten
Trennungen. Die Verbindung mag noch so tief liegen, in der Natur bestehen keine
Lücken. Das ist auch Hauptmann''^ Standpunct, und seine Versuche, das Verständniss
dieser Verhältnisse zu fordern, sind aller Beachtung werth.
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Es sollen auch die Aerzte zum Studium und zur Prüfung der Gedanken dieses
Forschers herantreten, welche dann ganz zu deren Gunsten ausfallen möge. Es ist den
Naturforschern besonders erspriesslich, auch aus andern Lagern Stimmen zu yernehmen.
Unsere Erfahrungen sind immer so handgreifliche, dass wir nns gerne in Sicherheit
wiegen, während Betrachtung von anderem Standpunct aus schwache Stellen aufzuweisen
vermag. Solcher Mahnrufe enthält diese Arbeit die Fülle im Einzelnen und Allgemeinen.
Sie bietet eine reiche Auswahl werthvollen Wissens, und ist also nach allen Seiten ge¬
eignet, aus der Praxis Einerlei in gewöhnlich wenig begangene Gefilde zn führen und
durch schone Ausblicke anzuregen. Seite,
Jahresbericht der Licht- und Wasserwerke Zürich pro 1892.
Nachdem die Wasserverhältnisse von Zürich durch die Typhus-Epidemie von 1884
eine besondere medicinisch-hygieinische Bedeutung erhalten, brachte das Corresp.-Blatt
bezügliche Mittheilungen an der Hand der alljährlich den Aerzten zugesandten Jahres¬
berichte. Ich erhielt den Bericht pro 1892 am 10. Januar dieses Jahres und wartete
seither vergeblich auf eine bezügliche Mittheilung in unserem Facborgane. Gerne ver¬
anlasse ich dieselbe zwar wiederum, erlaube mir aber doch die Bitte an jüngere Collegen,
sie mochten, sofern ihre Arbeitslast es ihnen gestattet, ähnliche Mittheilungen für das
Corresp.-Blatt in Zukunft übernehmen.
Der Jahresbericht pro 1892 bringt auf Tafel IV eine Uebersicht der Typhus-Er¬
krankungen und -Todesfälle in Zürich und 9 Ausgemeinden vom Jahre 1879 bis und mit
1892. Ans dem erklärenden Texte zu dieser interessanten Tafel auf Seite 32 führe ich
folgende Stellen wörtlich an:
„Es ist ganz auffällig, wie seit dem Jahre 1886, seit der Eröff¬
nung des Betriebes der neuen F i 11eran1agon, die Typhus-
Frequenz ohne irgend eine Ausnahme, plötzlich abgenommen hat.
„In den 5 normalen Jahren von 1880 bis und mit 1883
und 1 8 8 5, mit Ausnahme also des sog. Typhnsjahres 1884, dessen Erkrankungs¬
und Todesfölle an Typhus die durchschnittliche Zahl in den oben erwähnten fünf Jahren
um das Vier- bis Fünffache überstiegen, stellte sich eine mittlere Erkrankungs¬
ziffer per Jahr und 10000 Einwohner von 36,9 und eine
Typhus- Mortalität von 4,5 ein; in den 7 Jahren 1886/92
dagegen (neue Filteranlagen) durchschnittlich bloss eine Erkran¬
kungsziffer von 11,2 und eine Mortalitätsziffer von 1,0.
Das Minimum in den ersten 5 Jahren ging nicht unter 27,7 Erkrankungen ' und 2,0
Todesfälle, das Maximum in den folgenden 7 Jahren nicht über 15,8 Erkrankungen und
1,4 Todesfälle. Man darf bei dieser Sachlage und bei dem Umstande, dass früher stets
die Schuld an den ungünstigen Typhusverhältnissen dem Wasser beigemessen wurde,
nun consequenterweise die Besserung auf das seit 1886 unbestritten viel reinere Ge¬
brauchswasser zurückführen. Es bedeutet diess in absoluten Zahlen für den Platz Zürich
mit rund 100000 Einwohnern, dass nach der Einführung der neuen
F i 11 e r a n 1 ag e n durchschnittlich 2 5 7 Einwohner weniger per
Jahr an Typhus erkrankten und 35 Einwohner weniger an
dieser Krankheit verstarben.“ —
10 Jahre sind seit der Typhus-Epidemie von 1884 (mit 1625 Erkrankungen und
148 Todesfällen) verflossen. Wir haben seither eine viel klarere Einsicht in die Aetio-
logie der Infectionskrankheiten gewonnen. Die bekannten Ergebnisse über die Ver¬
seuchung der Flüsse während der Cholera-Epidemie in Deutschland warfen neues Licht
auf die Aetiologie der Zürcher-Epidemio von 1884. Während man 1884 noch an die
Möglichkeit der Erzeugung des Typhus durch fauligen Schlamm dachte, muss man heute
mit Entschiedenheit daran festhalten, dass nur der specifische Typhus-Stoff unseren
Zürcher-Typhus erzeugen konnte, mithin bleiben einzig die Typhus-Fälle der Schipfe für
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die Aetiologie der grossen Epidemie direct verantwortlich. Meminisse juvat! (Vgl. mein
Referat: Corresp.-Blatt 1885, S. 423—428.)
In dem so lesenswerthen Vortrage „üeber die Erzeugung von Typhus und anderen
Darmaffectionen durch Rieselwässer^ (Bert. klin. Wochenschrift 1893, Nr. 7, S. 155)
weist Virchow auf die Wichtigkeit älterer schweizerischer Beobachtungen über
die Verbreitung von Typhus längs dem Verlaufe gewisser Bäche hin, wo hintereinander
reihenweise Erkrankungen in den abwärtsgelegeneu Dörfern constatirt werden konnten.
Die ätiologischen Ergebnisse der Zürcher Typhus-Epidemie bilden einen fernem, nicht
minder wichtigen Beitrag zur Typhus-Aetiologie aus der Schweiz. Kaufmann.
Sehproben.
Znsammengestellt von Dr. Albrand, Verlag von H. Hartung & Sohn, Leipzig. Preis Fr. 4.30.
Verf. hat sich die Aufgabe gestellt, die eingebürgerten Sehproben in eine handlichere
Form zu bringen. Gaiiz besonders ist ihm das bei den Sehproben für die Nähe gelungen.
Er drängt die wichtigsten auf einem Blatte zusammen, das mit einem Papp¬
rahmen umgeben ist, der den Gebrauch erleichtert und vor Verunreinigung durch das
Fassen mit den Händen thunlichst schützt.
Zur Prüfung für die Ferne sind drei Blätter, darunter eines mit Haken für Anal¬
phabeten, nach dem bekannten Äwc/few’schen Princip beigegeben. Die Albrand^sehe Seh¬
probenmappe vereinigt alle zur Bestimmung des Sehvermögens nöthigen Tafeln in hand¬
licher Form und ist auch als solche preiswürdig zu empfohlen. Mellinger,
Contribution ä l’^tude de l’action pharmacologique et thdrapeutique des ph^nates
de bismuth.
Par A, Jassenski, Archives de medecino experimentale. Tome II. Nr. 2.
Die von Bouchard speciell empfohlene gleichzeitige Darreichung von salicylsaurem
Bismuth mit /3-Naphthol brachte Nencki auf den Gedanken, während der letzten Cholera¬
epidemie ein neues Präparat, das in Wasser ganz unlösliche ^-Naphtholbismuth als Anti-
septicum des Darmes anzuwenden. Die damit von erzielten günstigen Resultate
machten eine genauere Prüfung des Mittels wünschenswerth.
Je nach den angewendeten Phenolen bekommt man: Phenol bismuth, Metacresol-
bbmuth, Naphtholbismuth oderTribromopheuolbismuth. Deutliche bacterieiitödtende Wirkung
zeigte nur das Metacresolbismuth; alle Präparate jedoch wirkten entwickelungshemmend.
Qualitative und quantitative Bestimmungen zeigten, dass beim Hunde, Dank dem
grösseren Gehalte des Magensaftes an HCl, ein Theil des Bismuth resorbirt und durch
die Nieren ausgeschieden wird, während die Phenole alle in den Ham übergehen, ausser
dem Naphthol, das auch theilweise durch den Darm eliminirt wird.
Beim Menschen geht kein Bismuth in den Harn über, während die Phenole in
gleicher Weise wie beim Hunde eliminirt werden. Weder beim Hunde noch beim Men¬
schen wirkten diese Präparate auch nach mehrwöchentlicher täglicher Anwendung von
5—10 gr toxisch.
Das Naphthol und Phenolbismuth wurden dann in verschiedenen Fällen von Darm¬
erkrankungen in der Dosis von 1—3 gr pro die mit sehr günstigen Erfolgen angewendet,
so dass J. nicht ansteht, diese Präparate therapeutisch, weil viel wirksamer als die bis
jetzt angewendeten Bismuth Verbindungen, warm zu empfehlen. TaveL
Sur le rAle de la rate au point de vue de la composition morphologique du sang et sur
l’influence de Texstirpation de cet Organe sur la moSlle des os.
Par le Dr. P. Emelianow in Archives des Sciences biologiques. Tome U. Nr. 2.
E. gibt zuerst eine übersichtliche Darstellung der bisher herrschenden Ansichten
über die verschiedenen Formen der weissen Blutkörperchen, speciell der Eintheilung von
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Ehrlich^ welcher die Herkunft der Lymphocyten in die LymphdrUsen verlegt, während
die Leucc»cyien im Knochenmark und vielleicht auch in der Milz producirt werden
sollen.
Es werden dann die fünf verschiedenen Formen beschrieben, die Ouskow, in dessen
Laboratorium die Arbeit gemacht worden ist, unterscheidet. Nach der Ansicht des
Forschers sind alle diese Formen nur verschiedene Entwicklungsstadien des weissen Blut*
körperchens. In dieser Beziehung kann man dieselben in junge, reife und alte Zellen
eintheilen. Durch Zählungen des Milz-, Arterien- und Yenenblutes sucht E. nachzuweisen,
dass die Milz die Hauptbildungsstätto der Lencocyien darstellt. Er localisirt die jungen
Elemente in dio MalpighVscheik Körperchen, die reifen in die Pulpa und die alten in
die Gefasse.
Die Exstirpation der Milz hat eine Vorminderung der Zahl der rothen Blutkörper¬
chen zur Folge, ferner eine vorübergehende Vermehrung der Leucocyten, die aber weniger
von der Exstirpation als von dem Eingriffe selbst abzuhängen scheint, da auch Hunde,
bei welchen die Operation bis auf die Exstirpation in gleicher Weise gemacht worden
ist, ähnliche Verhältnisse zeigen. Nach Exstirpation der Milz wird ihre Function bald
ersetzt und zwar einerseits durch die Hyperplasie der Lymphdrüsen, die die jungen
Leucocyten bilden, andererseits durch das Knochenmark, in welchem die jungen Leuco¬
cyten reifen. Tavel,
Die Bacteriologie in der Milchwirthschaft.
Von Dr. Ed. voti Freudenreich. Carl Sallmann. 1893.
„Vorliegendes Büchlein hat vor Allem den Zweck, Molkereischülern als kurzer
Grundriss der Bacteriologie in ihrer Anwendung auf die Milchwirthschaft zu dienen,^ so
leitet Fr. sein Werkchen ein und man muss gestehen, dass er es meisterhaft verstanden
hat, die schwere Aufgabe zu erfüllen, auch für nicht wissenschaftlich Gebildete in einer
verständlichen Weise eine wissenschaftliche Disciplin darzulegen.
Auf 78 Seiten behandelt Fr. sein Thema in übersichtlicher, klarer und anziehen¬
der Weise.
In einem allgemeinen Theil macht der Leser Bekanntschaft mit der Morphologie und
der Biologie der Bacterien überhaupt, in einem speciellon Theil werden die in der Milch
vorkomraeuden gewöhnlichen und pathogenen Bacterien beschrieben; ganz speciell werden
natürlich die bacteriellen Krankheiten der Milch berücksichtigt.
Die Sterilisations- und Conservirungsmittel der Milch werden mit besonderer Rück¬
sicht auf das Abtöd ton der für den Menschen pathogenen Bacterien genau dargostellt.
Die hohe Bedeutung der Milch, ihrer Verunreinigungen und ihrer Krankheiten für
die Gesundheit und die Hygiene macht es wünschenswerth, dass ein jeder Arzt auch
nach dieser Richtung genau orientirt ist. In dieser Beziehung sei das Büchlein auch in
den ärztlichen Kreisen warm empfohlen.
Dass das Werkchen schon in verschiedenen Sprachen übersetzt worden ist, zeigt,
wie sehr es einem allgemeinen Bedürfnisse abgeholfen hat. Tavel.
Studien Uber die intestinale Form der Peritonitis.
Von Dr. Paul Ziegler^ I. Assistent der chirurg. Klinik zu München. Preis Fr. 2. 70.
Die Arbeit von Ziegler behandelt zuerst die Frage der Durchgängigkeit
der Darmwand für Bacterien. In fünf Fällen von eingeklemmten Hernien
beim Menschen konnte Z. im Bruchwasser keine Bacterien nachweisen.
Experimentell, an Kaninchen und Hunden prüfend, bringt Z. die Frage einen
Schritt weiter als Bönneckenf indem er nachweisen kann, dass in einigen Fällen ein
Durchgang auch dann stattgefunden hat, wo die Thiere doch am Leben blieben, wo also
ein noch erholungsfähiger Darm vorhanden war. Diese Fälle sind jedoch die Ausnahmen,
während sie bei den iimd^schen Versuchen die Regel sind; auch suchte Ziegler nicht den
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Durchgang einer bestimmten, im Darm nicht normalerweise vorhandenen Bacterienart zu
erreichen, wie dies Amd gelungen ist.
Im 2. Capitel bricht Z, eine Lanze für die Infectiosität des Bacterium coli; seine
Versuche scheinen aber dem Referenten gerade den Nachweis zu liefern, dass das Peri¬
toneum diesen Bacterien gegenüber enorm tolerant ist. Z. betont mit Recht die Bedeu¬
tung nicht resorbirbarer Theile für die Genese der partiellen und der allgemeinen Peri¬
tonitis, eine Frage, die Silberschmidt im Laboratorium des Referenten experimentell
gelöst hat.
Interessant sind die Versuche, die Z. über den Gehalt an Bacterien im Blute bei
Perforationsperitonitis anstellte. Sowohl am kranken Menschen wie experimentell an
Thieren fand Z, entweder keine oder nur spärliche Bacterien im Blute. Er schliesst
daraus, dass der Tod bei der Perforationsperitonitis nicht in Folge einer Infcction erfolgt,
aber auch nicht in Folge einer Intoxication, weil hltrirter Koth in enormer Quantität
Verträgen wird, sondern sucht die directe Ursache in einer Nervenüberreizung ähnlich
wie beim Shock.
Im Capitel über Therapie der Perforationsperitonitis bespricht Z. an der Hand
einer gründlich durchgearbeiteten Literatur der traumatischen Form derselben die Vor¬
theile und Nachtheile der operativen und der expectativen Therapie. Er bekennt sich
„auf Grund dieser Erwägungen zu dem Standpunkt der möglichst frühzeitigen Inter¬
vention^. TaveL
lieber die Perforation des Blinddarm-Wurmfortsatzes.
Von Dr. J, Uerzfelder, München.
Einleitend gibt U, eine Uebersicht über den Zustand unserer Kenntnisse über die
Anatomie des Wurmfortsatzes, sowie über die pathologische Anatomie und die Aetiologie
der Erkrankungen desselben. Bei der Symptomatologie adoptirt H, die Eintheilung von
Körte in 1. acute diffuse Perforationsperitonitis; 2. abgesackter Peritonoalabscess; 3. para-
typhlitischer Abscess; 4. recidivirende Perityphlitis.
Die Schwierigkeit der Diagnose der Perityphlitis und ihrer Complicationen gegen¬
über Typhlitis stercoralis, Ileus und Abscessen anderer Herkunft wird hervorgehoben.
Die Prognose hängt ganz von dem einzelnen Falle ab. Die operative Therapie befür¬
wortet auch U. wie jetzt wohl die meisten Autoren und stellt übereinstimmend mit
Sendler die Indication zur Operation bei Perityphlitis unter folgenden Umständen: 1. bei
den extra- und bei den intraperitonealen Abscessen und bei den retroperitonealen Phleg¬
monen; 2. bei der fibrinös eitrigen Wurmfortsatzperitonitis; 3. bei der acuten Perforation;
4. bei den schweren recidivirehden Formen.
Herzfelder will nur die Asepsis, keine Antisepsis angewendet wissen; auch die Aus¬
spülungen sind bei diffusen Peritonitiden zu vermeiden, nur Einlegen von Jodoformgaze-
streifen wird gestattet.
Contraindicirt ist die Operation im Endstadium bei frequentem, fadenförmigem Pulse
und niedriger Temperatur.
Der zweite Theil der Abhandlung H,'*% umfasst eine gute Zusammenstellung von
Referaten der Hauptarbeiten über die Fragen der Perityphlitis. Tavel.
lieber die Exstirpation des Thränensackes.
Dissertation von Tokuso Kimura aus Osaka, Japan. Zürich 1893.
Die historische Entwickelung, der Therapie der Thränensack- und Thränennasen-
gang-Erkrankungen ist als Einleitung kurz zusammengestellt. Die 1851 durch Bouman
in die Therapie eingeführte Sondencur hilft in vielen Fällen, führt aber nicht immer zum
Ziel. Daher musste man immer noch auf eine andere Behandlungsmethode Bedacht
nehmen. (Verödung oder Entfernung des sacc. lacrymal.) Die vorliegende Arbeit berichtet
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nun über 18 Fälle, bei denen in der Züricher Augenklinik die Entfernung des sacc.
lacrym. vorgenommen wurde. Verf. resumirt wie folgt: „Von den obigen Thränensaok-
exstirpationen, welche Herr Prof. Uaah in den letzten drei Jahren ausgeführt hat, ent¬
fallen 13 auf das weibliche und 5 auf das männliche Geschlecht. In 11 Fällen trat
die Heilung in 8 bis 11 Tagen, in 5 Fällen in 15 bis 20 Tagen ein; in 3 Fällen war
die Heilung durch Abscessbildung verzögert, erfolgte jedoch auch hier schliesslich in
durchaus zufriedenstellender Weise, so dass gesagt werden darf, dass für alle die Fälle
von Dacryostenose, wo die Indication hiefur vorhanden ist, die Exstirpation des Thränon-
sacks sehr zu empfehlen ist.“ Fßster,
Oa.iitoiia.le Ooi*i*espondenzea.
Correapondens aua dem Appenxellerlande. Am 14. Juni ver-
sammelten sich die Aerzte von Appenzell beider Rhoden zur ordentlichen Frühjahrssitzung
an der Ostmark des Cantons, in dem gar lieblich über dem gesegneten Rheinthal thro¬
nenden Walzenhausen. Von der Herrlichkeit, die sich dort oben dem Auge bietet, war
freilich an jenem Tage nur wenig zu sehen, da strömender Regen und düstere Nebel¬
schleier die Aussicht verhüllten. Klein auch war die Zahl der Collegen, die trotz des
weiten Weges und des schlechten Wetters sich in dem hübschen Kurhaus zur Sitzung
einfanden. Die piece de resistance unserer Verhandlungen bildete ein flotter Vortrag des
medicus loci, Dr. Ilöchner^ über den viel gepriesenen und viel gelästerten Theophrastus
Paracelsus^ dessen 400jähriger Gedenktag in diese Zeit flel. Von Leben und Thaten,
Wirken und Streben, Trinken und Wandern des seltsamen Arztes entwarf der Vortragende
uns ein so lebensvolles und anregendes Bild, dass der alte Theophrastus Paracelsus^ frei¬
lich erst inter pocula beim U. Act, feierlich als Schutzpatron unseres Vereins proclamirt
wurde.
Die nun endlich auch bei uns eingefuhrte Anzeigepflicht bei Infectionskrankheiteo,
und die für die drei Landesthcile successive zu erstellenden stabilen Dampfdesinfoctions-
anlagen gaben zu etwelcher Discussion Anlass. — Der Actus secundus, den wir als einen
integrirenden Bestandtheil unserer Sitzungen anzusehen gewohnt sind — soll er doch
ganz besonders der Pflege der für uns Aerzte so wichtigen Collcgialität gewidmet sein
— verlief beim delicaten Rheintbaler unter Reden und Gesang mit gewohnter Gemüth-
lichkeit. W,
Beriehit des seliweiz« Oberfeldarztes Aber die Typhus¬
fälle während der letztjährigen Corpsmanöwer« An die Direction
des Innern des Kantons Bern. (Schluss.)
Daraufhin rückten am 9. September (Samstag) die ersten Trappen in Delsberg und
Umgebung ein und zwar solche der V. Division. Die Vertheilung der Truppen auf die
verschiedenen, von der Gemeinde angewiesenen Cantonnemente war Sache nicht der Orts¬
behörden, sondern des Truppencommaiidos bezw. der Stäbe vom Divisionsstab abwärts;
letzterer bezeichnete jedem Corps seinen Cantonnementsrayon, in welchem die Unterführer
ihre Truppen zu vertheilen hatten.
Bei der V. Division scheint das Verbot der unter 1. genannten Cantonnemente
respectirt worden zu sein. Dieselbe blieb bis am Morgen des 11. September (Montag)
in Delsberg und wurde in Folge des Manövers dieses Tages durch die III. Division aus
Delsberg nach Nordosteu zurückgedrangt. Die III. Division bezog die verlassenen Can¬
tonnemente.
Hier wurden nun Fehler begangen, indem von ßeite des Divisionsstabes das Verbot
der unter 1 genannten Cantonnemente den Unterführern nicht richtig angezeigt worden
zu sein scheint.
Der Oberfeldarzt war am Abend des 10. in Delsberg angelangt, wohnte nachher
dem Manöver bei und besichtigte im späteren Nachmittag des 11. das als besonders
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schlecht bezeichneie und desshalb verbotene Cantonnemenislocal au Moulin. Dieses Haus,
eine ehemalige Mühle, sieht an steilem südfallendem Abhang südlich der bei der Sonne
vorbei in die Tiefe führenden Strasse. Von letzterer führen mehrere Treppen hinunter
in ein feuchtes, stiukendes Kellerlocal, neben welchem hart neben der einzigen Thür an
der Südseite zwischen den durchtränkten Seitenmauern dieses und des westlich benach¬
barten Hauses der stinkende Kloakenbach hernnterbraust und sich im Falle an einem
Wasserrad zerstäubt. Ein Plakat, welches diesen Raum zu benutzen verboten hätte, war
nicht sichtbar, und kein Mensch, der von den einfachsten Anforderungen an das Obdach
für einen halbwegs civilisirten Menschen eine Ahnung hat, wäre je auf die Idee ge¬
kommen, ein solches Loch Soldaten als Herberge anzuweisen.
Dennoch trafen wir in diesem Loch das zweite Peloton der lY. Comp, des Ba¬
taillons 28 im Begriff, sich häuslich zum Cantonnement einzurichten. Selbstverständlich
wirkten wir sofort den Befehl aus, die Leute aus- und anderswo einzuquartieren, was
denn auch zu ihrer grossen Befriedigung geschah.
Wie gut anderswo die Befehle des Armeecorpscommando ailsgeführt wurden, be¬
weist die Thatsache, dass in Soyhi^res das Feldlazareth V in einem Haus cantonnirt
wurde, in welchem ein Typhuskranker lag.
Nachher gingen die Manöver weiter; Delsberg wurde am Morgen des 12. September
von der gegen Basel vorrückenden III. Division wieder verlassen.
Nach den Manövern gelangten bald, nebst anderen Erkrankungen in Folge der¬
selben, auch einzelne Typhuserkrankungen zur Kenntniss des Oberfeldarztes. Unterm
3. October ertheilte er allen in Betracht fallenden Spitälern die Weisung, ihm auf den
Abend des 5. Octobers über die in der betr. Anstalt befindlichen Militärkranken Bericht
zu erstatten nach folgenden Rubriken: Typbuskranke, Typhusverdächtige, andere medic.
Fälle, chirurgische Fälle, alles nach Truppencorps ausgeschieden.
Das Datum des 5. October wurde gewählt, weil auf diesen Tag die lucubationszeit
von 2 bis 3 Wochen für die Folgen von Typhusansteckung im Manöver (Entlassungstag
14. September) abgelaufen und anzunehmen war, dass bis dorthin alle Manövertyphen
ausgebrocheu und die meisten in die Spitäler gebracht worden seien. Das Ergebniss
dieser ersten vorläufigen Enquöte war folgendes:
Am Abend des 5. Octobers befanden sich bereits 31 Typhusfälle vom Manöver her
in den Spitälern und zwar 19 Mann von der III., 13 Mann von der Y. Division.
Yon denjenigen der lll. Division waren auf Ansteckung bereits im Vorkurs zurück¬
zuführen :
vom Infanterie-Regiment 9 11 Mann (Vorkurs Tavannes-ReconvilHor)
„ Schützen-Bataillon 3 5 „ ( „ Pery).
Die übrigen 3 betrafen die Füs.-Bataillone 28 und 35 und die Batterie 13.
Bei der Y. Division wies nur das Bataillon 55 5 Fälle auf; die übrigen vertheilten
sich auf Bat. 50 und Schützenbat. 5 je 2, Bat. 52, 60 und Feldpost je 1.
Am Tage nachdem der Oberfeldarzt die erwähnte Weisung an die Spitäler hatte
ergehen lassen (4. October), erhielt er vom Schweiz. Militärdepartement ein Schreiben
des Corpscommando zum Bericht, in welchem letzteres zu Händen des Corpsarztes nähere
Mittheilungen über die seit den Manövern angemeldeten Typhusfälle zu erhalten wünschte.
Diesem Ansuchen wurde durch Mittheilung sowohl der am 6. October einlangenden Spital-
mittheiluDgen als auch späterer Anmeldungen von Typhusfällen entsprochen.
Der Corpsarzt gab sich grosse Mühe, dieses Material statistisch auszuarbeiten und
die Aetiologie der einzelnen Fälle zu verfolgen. Das Ergebniss unserer erneuerten Durch¬
arbeitung des Materials ist folgendes:
Eb sind im Ganzen 77 Fälle als typhusverdächtig angemeldet worden. Nach Aus¬
scheidung der nach ihrem Verlauf nicht als Typhen zu betrachtenden Fälle verbleiben
mindestens 47 wirkliche Typhusfalle in Folge des Armeecorps-Wiederholungskurses. Davon
fallen 27 Fälle auf die UI. Division, 19 auf die Y. Division und 1 auf den Armeestab
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(Post); letzterer, bereits am 11. September erkrankt, müsste in Delsberg angesteckt
worden sein, wenn er nicht den Krankheitskeim von Hause mitbrachte. Ein bereits am
9. September evacuirter Kanonier der Batterie 13 ist hier nicht mitgerechnet, weil höchst
wahrscheinlich bereits inficirt von Hause (Biel) eingerückt.
Sehr ungleichmässig war die Vertheilung der Fälle auf die einzelnen Truppenkörper.
Es hatten Typhusfalle:
Das Füs.-Bat. 25 8, davon die I. Oomp. 4, worunter 1 Todesfall, die III. 3, die
lY. 1, die II. keinen; die Füs.-Bat. 26 3; 27 3; 28 3; 29 1; 30—32 0; 33 2;
35 1; 34 und 36 0; das Schützenbat. 3 6, davon die III. Comp. 5 und die lY. 1 Fall.
Bei der Y. Division zählt das Bataillon 55/IY. 8; Schützenbataillon 5 3; Füs.-Bat.
60 2; die Füs. Bataillone 49 1 (f); 50 1 (f); 52, 56, 57 und 58 je 1 Fall.
Es ergibt sich ans dieser Zusammenstellung eine sehr ungleiche Yertheilung der
Typhen auf die einzelnen Truppencorps. Während die Specialwaffen und ein grosser
Theil der Infanterie ganz oder nahezu von dieser Krankheit verschont blieb, finden wir
andere in recht erheblichem Grade ergriffen, und zwar sind bei den ergriffenen Bataillonen
einzelne Compagnien ausschliesslich (55/IY.) oder doch erheblich stärker als die anderen
befallen (Schützenbat. 3/III., Füs.-Bat. 25/1. und III.).
Der Corpsarzt hat sich grosse Mühe gegeben, die Ansteckungsquellen für die stärker
befallenen Bataillone und Compagnien zu ermitteln. Die Resultate, theilweise ergänzt
und berichtigt, sind folgende:
Die Erkrankungen fallen bei der III. Division sämmtlich auf die Zeit vom 14. bis
24. September, ebenso bei der Y. Division mit Ausnahme der Bataillone 55, 56, 58 und
60. Bei letzteren fallen die Erkrankungen fast sämmtlich auf die Zeit nach dem
27. September; blos beim Bataillon 55 wird ein Fall als schon am 20. September er¬
krankt gemeldet.
Wir werden daher nicht weit fehl gehen, wenn wir bei den Bataillonen der ersten
Categorie die Infection als bereits während des Yorkurses, bei denen der zweiten als
erst während der Manöver erfolgt betrachten.
Bei den fast täglich wechselnden Cantonnementen war es nicht mehr möglich, bei
den Bataillonen der zweiten Categorie die Ansteckungsquelle (Cantonnement, Trinkwasser
etc.) mit einiger Sicherheit zu ermitteln. Sehr genau wurde das Itinerar der lY. Comp,
des Bat. 55 verfolgt, deren Cantoniiemente folgende waren: Yorkurs bis 4. September;
Geherkinden, 5. Bad Ramsach, 6. Bückten, 7. Oberdorf, 8. Büsserach, 9. und 10. Dels¬
berg (siehe unten), 11. Büsserach, 12. Breitenbach, 13. und 14. Basel.
lieber das obige 2 Tage benutzte Cantonnement in Delsberg sagt der Bericht des
Corpsarztes folgendes:
„Es ist eine Scheune in der untern Stadt gegen den Bahnhof zu. Die Localitäten
ebener Erde dienen als Stallungen; über denselben liegt die Einfahrt, die als Canton¬
nement diente. Hinter dem Hause befindet sich eine halb ausgetrocknete Pfütze, und
um die Scheune herum ist alles in hohem Grade unreinlich, die Luft auf der Einfahrt
von den unten befindlichen Yiehställen und den neben dem Lager der Mannschaft
stehenden Abtritten und Schweineställen geradezu ekelerregend. Yor dem Hause befindet
sich ein Brunnen mit schmutzigem Trog; er wurde für Menschen und Yieh benutzt
Im Baumgarten nördlich vom Haus fiiesst ein kleines schmutziges Bächlein durch; es
kommt von der Stadt her, und es münden in dasselbe namentlich die Abtrittablänfe des
College (ehemaliger Bischofspalast). Dieses von der Stadt her stark verunreinigte Bäch¬
lein diente zum Waschen der Füsse, der Koch- und Essgeschirre und wurde
wahrscheinlich auch zum Trinken benutzt. Es hat ein Bauer die am Bach beschäftigten
Soldaten vor dom Wasser desselben gewarnt. Wenn man bedenkt, dass damals in Dels¬
berg Typhen mehrfach vorkamen und alle mit Menschenkoth gefüllten Ehgräben ihre
Ueberlänfe den Bächen unterhalb der Stadt übermitteln, so liegt die Annahme nahe, dass
hier in diesem Bache die Ansteckungsquelle zu suchen sei. Damit soll nicht behauptet
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werdoi), dass nicht vielleicht eine Infectiou in der Scheune selbst stattfand. Unrath und
verpestete Luft war genug vorhanden.^
Ich schliesse mich vollständig dieser Ansicht au; doch möchte ich auch die Mög¬
lichkeit nicht ausgeschlossen haben, dass die Kranken des Bataillons 55 sich an der
Dämlichen Quelle inficirten wie die 3 Telegraphenarbeiter, nämlich in Breitenbach. Der
Augenschein an Ort und Stelle hat zwar nichts ergeben, was für diese Annahme
sprechen würde.
Wenden wir uns nun zu den Ansteckungsquellen der Bataillone der I. Categorie.
Fiis.-Bat. 25 bestand seinen Wiederholungsknrs in Roconvillier, einer Ortschaft, wo
wiederholt grössere Typhusepidemien vorgekommen waren (z. B. 1872, 1879, 1880 und
1881) und sporadische Fälle öfters auch seither. Die Wasserversorgung soll gegenwärtig
eine gute sein; die Hauptursache wurde schon 1872 in schlechten Abtritts-, Wohn- und
ReinlichkeitsVerhältnissen gesucht. In einem solchen Seucheherd sind besonders neue,
nicht acclimatisirte Ankömmlinge der Infection ausgesetzt, um so mehr wenn sie Soldaten
in dem für den Typhus empfänglichsten Lebensalter von 20—25 Jahren sind, die mitten
aus ihrer gewohnten Beschäftigung heraus in andere Wohn- und Nahrungsverhältnisse
versetzt und zu strengen Dienstleistungen aogehalten werden.
Auffallend ist hier das Freibleiben der II. Compagnie, welche das beste Cantonnement,
eine neugebaute Reitbahn, innehatte.
Tavannes, wo die Bataillone 26 und 27 lagen, galt von jo her für hygienisch
besser als Reconvillier, wenn auch keineswegs als typhusfrei. Jedes der Bataillone hatte
drei Fälle, Quelle nicht näher nachweisbar.
Dasselbe gilt von Tramelan, wo Regiment 10 lag, von dem das Bataillon 28 drei
und 29 einen Typhusfall hatte.
Qanz sicher lässt sich hingegen die Infectionsquelle für das Schützenbataillon 3 in
Pöry nach weisen. Es fällt sofort auf, dass die 1. und II. Comp, dieses Bataillons ganz
verschont blieben, während die IV. einen, die III. 5 Erkrankungsfalie hat. Die I. und
II. Comp, bewohnten den Osten und Norden des Dorfes, die IV. den Westen und die
III. die Mitte. Neben den Cantonnementen der letzteren liegt das Haus eines Wein¬
händlers Grosjean, welcher 2 Tage vor dem Einrücken des Schützenbataillons an Typhus
erkrankte und mehrere Wochen darniederlag. Er wurde gebadet und gepflegt von einem
Nachbar Alf. Criblez, welcher laut der sehr exacten Cantonnementsübersicht 28 Mann
der III. Comp, im Kantonnement hatte. Criblez bediente dann wieder seine Soldaten
mit Ess- und Trinkgeschirr, und es Anden sich von denselben auch wirklich unter den
Typhusfällen. Ueberdies constatirte der Corpsarzt nachträglich, dass der Abtritt des
typhuskranken Grosjean vielfach benutzt wurde, wenn der improvisirle Militärabtritt in
seinem Baumgarten stark benutzt war; auch wurde bei Grosjean Wein bezogen.
Dieser Typhusfall wurde offenbar gegenüber dem Militär geheim gehalten, denn in
den Sanitätsrapporten des Schützeubataillons findet sich keine Andeutung darüber; im
Gegentheil werden die Cantonnemente gelobt. Den Namen des behandelnden Arztes habe
ich nicht vernommen.
Gehen wir nun noch speciell zu der Rolle über, welche der Gemeinderath von
Delsberg in dieser Angelegenheit gespielt hat.
Aus der Verantwortung dieser Behörde vom 30. October ist zu entnehmen, dass
das incriminirte Local nicht zum Cafe du Moulin gehöre, sondern blos an letzteres an¬
gebaut und durch eine Scheidemauer von demselben getrennt sei; Eigenthümer des Cafe
du Moulin sei Herr Fellrath, des letzteren Gebäudes (offenbar, dem noch vorhandenen
Wasserrad nach zu schliessen, der eigentlichen früheren Mühle) Herr Jacquemai.
Letzterer besitze südlich davon noch grosse Liegenschaften, welche viele Truppen auf¬
nehmen konnten, und es wäre ihm nicht eingefallen, das incriminirte Local als Canton¬
nement zu verwenden; er habe es daher erst auf das ausdrückliche Verlangen Qines
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Offiziers mit Stroh belegen lassen. Uebrigens könne dieses Local gar
nicht inficirt sein, denn es sei ja nie bewohnt worden!
(Auge und Nase jedes Unbefangenen werden genügen, um diese köstlich naive Be¬
hauptung dahin zu verweisen wohin sie gehört.) Der Gemeinderath beruft sich ferner
auf das Zeugniss der 4 Delsberger Aerzte, dass Delsberg eine nahezu typhusfreie Stadt
sei; es seien daselbst seit 1889 blos zwei Einwohner der Stadt an Typhus gestorben.
Für sanitarische Verbesserungen herrsche übrigens der beste Wille, aber es fohle an Geld.
Unsere Antwort ist zum grössten Theil schon im Haupttheil dieses Berichtes ge¬
geben. Im Einzelnen bemerken wir nur noch folgendes:
Das Local au Moulin, recte im Haus Jacquemai war Herrn Hauptmann Lotz in
den ersten Tagen des September oifeiibar von der Behörde als künftiges Cantonnements-
local verzeigt worden, sonst hätte er dasselbe gewiss nicht als solches betrachtet und
nicht für dasselbe ein specielles Belegun^verbot ausgewirkt; er hätte auch keinen Grund
gehabt, dasselbe nachher seinem Vorgesetzten Oberst Bircher als Muster eines schlechten
Cantonnementslocales zu zeigen.
Daran ist allerdings die Gemeindebehörde von Schuld frei zu sprechen, dass am
11. September dieses Local in Unkenntniss oder Missachtung des erlassenen Verbotes mit
Truppen belegt worden sollte, was noch rechtzeitig verhindert werden konnte.
Die Ruhmredigkeit wegen angeblicher Typhusfreiheit von Delsberg wird durch die
Zahl von 6 noch vorhandenen und 4 kürzlich abgelaufcnen Typhusfällen Anfangs
September auf eine Bevölkerung von 3570, also circa S^/oo ohne die 3 Telegrapheu-
arbeiter, von selbst in ihr richtiges Licht gestellt, und es ist sehr zu bedauern, dass die
dortigen Aerzte sich zu Behauptungen verstiegen, welche mehr dem Localpatriotismus als
wissenschaftlicher Ueberzeugung entsprungen sind.
Allerdings lässt sich der bestimmte Nachweis nicht leisten, dass von den 47 Typhus¬
fällen des U. Armeecorps ein Theil durch Ansteckung in Delsberg veranlasst wurde;
doch besteht in dieser Beziehung dringender Verdacht wenigstens für die 8 Fälle des
Bataillons 55, und wenn ihrer nicht mehr sind, so dürfte dies wesentlich der vom Corps¬
arzt in den letzten Tagen vor dem Eintreffen der Truppe angeordneton gründlichen Des-
infeciion zu verdanken sein und nicht der gerühmten Salubrität von Delsberg.
Wenn diese Angelegenheit Delsberg den gleichen Dienst leistet wie die Cholera
Zürich im Jahre 1867, indem sie zum Ersatz des absolut unzweckmässigen Ehgraben-
systems durch eine rationelle Canalisation führt, so hat sie das Schlimme, das sie ge¬
stiftet hat, durch diesen Fortschritt wett gemacht.
Mit Hochachtung! Der Oberfeldarzt: Dr. Ziegler.
W oolien1>ei*iolit.
Schweiz.
— lieber den Einfluss ietraveels l^jicirtce Blitefelextnictes »ef 4ie Thrcahee*
hlMeeic hat Sahli eine Reihe von Versuchen anstellen lassen, deren interessante Resultate
er am XL internationalen Congress in der Section für innere Medicin mittheilte (vergl.
Corrosp.-Blatt 1894, pag. 291). Bekanntlich hat Uaycraft zuerst nachgewiesen, dass der
Blutegel in seinem Kopftheil eine Substanz enthält, welche sich mit Wasser extrahiren
lässt und, in Form eines Extractes dem Blute zugesetzt, im Stande ist, die Gerinnung
desselben zu verhindern. Diese Substanz scheint nach den vorliegenden Versuchen für
den Säugethierorganismus nicht giftig zu sein, und wird bald durch die Nieren aasge¬
schieden. Nach Uaycrafl beruht diese Wirkung auf einer Zerstörung des Fibrinfermentes
ohne anderweitige Alteration des Blutes oder der Gewebselemente. Boi den wahrschein¬
lichen Beziehungen, welche zwischen Thrombenbildung und Blutgerinnung bestehen, stellte
sich S. die Aufgabe, die Wirkung des Blutegelextractes auf die Thrombenbildung fest¬
zustellen. Letztere wurde durch Einführung von Fremdkörpern (Borsten) in die Jugular-
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yene yon Kaninchen yeranlasst; zehn Minuten nach der Einführung einer solchen Borste
war dieselbe ausnahmslos mit einem dicken Thrombus überzogen. Wurde dem Thiere
eine gewisse Menge Blutegelextract eingespritzt, so war nach yierzig Minuten keine Spur
yon Thrombose wahrzunehmen. Die Concentration des Extractes wurde so gewählt, dass
1 Blutegelkopf mit 5 ccm heissem Wasser infundirt wurde und die Flüssigkeit 24 Stunden
mit den Köpfen in Contact blieb. Das Infus eines Egelkopfes auf 50—60 ccm der be¬
rechneten Blntmenge genügte regelmässig, um für eine Dauer yon wenigstens 40 Minuten
die Thrombenbildung zu ycrhindern. Die Dauer der Wirkung ist aber eine beschränkte,
ein Moment, welches möglicherweise die practische Anwendung dieser theoretisch wichtigen
Beobachtungen beeinflussen könnte, ln theoretischer Hinsicht scheinen aber durch diese
Versuche die Beziehungen zwischen Gerinnung und Thrombosirung noch mehr gekräftigt
zu werden. (Ceutralbl. f. inn. Medic. Nr. 22.)
. Ausland.
— Vom 25. bis 29. October wird in Lyon der erste flraazSsisehe Conf^ress für
ianere Medizin tagen. Darauf bezügliche Meldungen sind an den Secretär: Dr. Bard^
nie de la Republique 30, Lyon zu richten.
— 66. Versnmmlonf denteeher Natirrerseher and Aerzte 24.—30. Sept. 1894
in Wien. Theiinehroerkarten zu 10 fl. öster. W., bei DetUiche J, Schottengasse 6 zu
beziehen, berechtigen zum Bezug aller Drucksachen, zum Besuche der Ausstellung, zur
Tbeilnahme an den Festlichkeiten, zum Bezug yon Damenkarten (ä 5 fl.) etc. Wohnung
wird am besten im Voraus bestellt, ist aber auch durch die jeden Schnellzug empfangen¬
den Wohnungscomite’s erhältlich.
Allgemeines Programm: Sonntag 23. Sept., 7 Uhr Abends: Zusammen¬
kunft im Gursalon des Stadtparkes. 24. Sept., 11 Uhr: Allgemeine Sitzung im grossen
Musikyereinssaale (u. A. Vortrag yon Leyden über: Gerhard yan Swieten und die moderne
Klinik.) Nachmittags: Ausflüge (Kahlenberg, Prater, Klosterneuburg etc.) 25. Sept,:
Ahtheilungssitzungen (40 Abtheilungen). Abends: Thiergarten. 26. Sept.: Allgemeine
Sitzung (u. A. Vortrag yon Forel über: Gehirn und Seele.) Nachmittags: Ausflüge.
27. Sept.: Ahtheilungssitzungen. Empfang bei Hofe (Redontensäle der k. k. Hofburg).
Nachmittags: Sitzungen, Ausflüge. 28. Sept.: Allgemeine Sitzung (u. A. Vortrag yon
Köllikeri Ueber die feinere Anatomie und die physiologische Bedeutung des sympath.
Neryensystems.) 3 Uhr: Festdtner im Etablissement Romcher. 29. Sept.: Ausflug
nach dem Semmering, woselbst Begrüssung durch die Aerzte und Naturforscher Steier-
marks. Nachmittags Fusspartien. Abends Rückkehr nach Wien.
Alle Sammlungen, Anstalten, Laboratorien etc. stehen den Gästen offen. Für die
Damen existirt ein besonderes Programm.
— ln der BehMdliDf^ des Fiebers bei LnoffeBphthise wird nur zu oft empirisch
und planlos yerfahren, so dass in manchen Fällen der Arzt durch sein Eingreifen seinen
Patienten mehr schadet, als er ihnen nützt. Darüber äussert sich HochhaU in den Jahrb.
d. Spitäler Budapests (cit. nach Centralbl. f. d. ges. Ther. No. V) folgendermassen: Es
müssen zunächst yerschiedene Fieberformen unterschieden werden, die nach besonderen
Grundsätzen zu behandeln sind. Im Allgemeinen werden drei Typen angenommen: der
continuirliche oder initiale, der concomitirende oder hectische und endlich der septische
Fiebertypus. Das sog. Initialfieber leitet gewissermassen die Erkrankung ein oder zeigt
die Recidiye eines zum Stillstand gelangten Processes an. Die Fiebercurye hat den
Character einer Continua oder Continua remittens, mit gewöhnlich hohen Tempera¬
turen ; das Fieber dauert oft wochenlang, hört dann auf oder nimmt den hectischen
Character an. In floriden, rasch yerlaufenden Fällen wird die Fiebercurye unregelmässig,
remittirend und die hohen Temperaturen dauern bis zur yollständigen Erschöpfung des
Kranken fort. Das concomitirende oder hectische Fieber überschreitet selten 39^, dauert
oft monatelang und während seiner Dauer schreitet der Process in der Lunge, wenn
auch nicht so rasch wie bei einer Continua, jedoch unaufhaltsam vor und führt schliess-
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lieh zar Consumption. Der septische Fiebertypus, der in der terminalen Periode der
Phthise auftritt, durch Anfsaugung der in der Lunge sich bildenden Zerfallsproducte be¬
dingt, beginnt gewöhnlich mit Schüttelfrost, geht mit häufigon hoch aufsteigenden Fieber-
paroxysmen einher und führt die baldige Erschöpfung der Patienten herbei.
Wie müssen nun die yerschiedenen Fieberformen behandelt werden? Bei der Be¬
handlung der zwei ersten Typen, des initialen und des heotischen Fiebers, verwirft Hoch¬
halt mit Entschiedenheit die heute noch so verbreitete symptomatische Behandlung mit
Narcotica und Antipyretica. Die Narcotica sind trotz ihres momentanen wohlthätigen
symptomatischen Einflusses zu verwerfen, weil sie auf die Dauer die Verdauung herab¬
setzen, die Expectoration und somit die Elimination der Zerfallsproducte behindern. Die
Darreichung der modernen Antipyretica ist ebenso zwecklos, da sie sammtlich die Energie
des Herzens herabsetzen, das Fieber nur symptomatisch beeinflussen, so dass wenn sie
ausgesetzt werden, die frühere hectische Fiel^rcurve zurückkehrt. Die symptomatische
Behandlung ist nur da am Platze, wo der tuberculöse Process rapid zu Ende geht und
die Humanität gebietet, die Krankheitserscheinungen symptomatisch zu binden.
Der wirksamste Factor zur Bekämpfung der concomitirenden Fieberanfälle ist die
Hebung der Widerstandsfähigkeit des Organismus, gute kräftige Ernährung, Aufenthalt
in frischer gesunder Luft etc. ln den leider zu zahlreichen Fällen, wo diese physica-
lische Behandlung nicht möglich ist, hat IlochhaU von einer systematischen und conse-
quenten Anwendung des Arseniks vqr allen anderen Medicamenten noch die besten
Resultate gehabt. Arsen verbessert den Appetit in jedem Falle, selbst bei Fiebernden
in wirksamer Weise und führt eine Zunahme des Körpergewichtes herbei. Auf den
Process in der Longe, mit Ausnahme vielleicht der recenten Spitzencatarrhe, übt es
absolut keinen Einfluss aus. Entschieden beeinflusst werden die hectischen Fieber mit
intermittirendem Typus und Abendtemperatnren unter 39 ^ Bei Continua, sowie bei
39^ C. überschreitenden Temperatarateigerungen ist Arsen allein ohne Wirkung. Die
Arsendarreichung erfolgt nach 77. in Form der ofTicinellen Solut. Fowleri, zunächst 1 bis
2 Tropfen, dann mit einem Tropfen täglich gestiegen bis zu 5 — 6 Tropfen, von da ab
nur jeden zweiten bis dritten Tag die Dose erhöht. Eine Dosis von mehr als 10 Tropfen
verträgt der fiebernde Phthisiker nur selten; bald treten die Symptome einer Gastroente¬
ritis, Diarrhoe, Koliken, Erbrechen auf. Mit der Entfieberung des Patienten, welche in
vielen Fällen schon zwischen dem fünften und zwölften Tage eintritt, wird zur Kreosot-
Therapie übergesehritten. Die Febris continua und continua remittens leisten der Arsen¬
behandlung hartnäckigen Widerstand.
Der raschen Verkäsung gelingt es am besten entgegenzuwirken durch Tonisirung
des Organismus und Erhöhung der Widerstandskraft, ^im Phthisiker sind die Energie
des Herzens sowie der Gefässtonus meist herabgesetzt. Während Brehmer und Betiweiler
die Hebung der Her/action durch dauernde Application der Eisblase, andere durch
Alkoholdarreichung zu erzielen sachten, wurde von Liebermeister die von den alten
Aerzten sehr gelobte Digitalis wiederum empfohlen. Als gutes Ersatzmittel der Digi¬
talis, die oft schlecht vertragen wird, und nur kurze Zeit gereicht werden darf, rühmt
H. die Tinct. coronill» scorpioides in Dosen von 8, 15 bis 20 Tropfen dreimal täglich.
Er wendet das Mittel bei hohen conünuirlichen Fiebertemperaturen der Phthisiker, theils
allein, theils in Verbindung mit Chinin (1 —1,5 gr. pro die) und hydropathischen Proce-
duren an.
In Bezug auf die Kreosotbehandlung, die er nach dem Verfahren von Sommerbrodt
per rectum in Form von Suppositorien oder Klysmen in Dosen von 0,5—0,6 pro die
anwendet, formulirt Hochhalt seine Erfahrungen in folgenden Sätzen: Kreosot wirkt con-
servirend auf den tuberculösen Organismus, wenn auch nicht als specifisches Mittel.
Einen entschiedenen Einfluss hat es auf die Zunahme des Appetites und die Hebung der
Ernährung. Die catarrhalischen Erscheinungen werden gemildert, oft vollkommen be¬
seitigt. Ein neuerer Fieberausbruch und neuerer Zerfall wird verhältnismässig viel
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seltener bei den mit Kreosot behandelten, im Spital unter gleichen Yerhältnissen lebenden
und im selben Stadium der Krankheit befindlichen Phthisikern beobachtet. Bei ausge¬
dehnter cavernaler Phthise kann von Erfolgen nicht die Rede sein^ aber beginnende
peribroncbitische Infiltrationen und Spitzencatarrhe können ganz oder theilweise schwinden.
— Die Gegenwart von viroieitei Tiherkelhaeillei Im der NaseihShle fesinder
Indlvldnei ist vor Kurzem von Sir aus (Paris) nachgewiesen worden. In einer bekannten
Versuchsreihe hatte vor einigen Jahren Comet gezeigt, dass der Staub der von Phthisikern
bewohnten Räume Tuberkelbacillen enthält, und somit den ersten Factor des Mechanis¬
mus der Inhalationstuberculose klar gelegt. Straus ist nun einen Schritt weiter gegangen,
er untersuchte 29 gesunde oder wenigstens sicher tuberculosefreie Individuen, welche im
Spital in täglichem Contact mit Phthisikern waren. Mit einem sterilisirten Wattebausch
wurde die Rasenhöhle abgewischt, der Inhalt in sterilisirten Bouillon vertheilt und einem
Meerschweinchen in die Bauchhöhle eingespritzt. Von 29 so behandelten Meerschweinchen
starben in den ersten Tagen 7 an Septicämie oder eitriger Peritonitis, 13 blieben am
Leben und zeigten keine Reaction, 9 dagegen gingen nach einigen Wochen zu Grunde
oder zeigten, als sie getödtet wurden, erhebliche tuberculöse Läsionen. Also beherbergte
in beinahe Ys der Fälle der gesunde Organismus virulente Bacillen.
(Sem. medic., Nr. 39.)
— Paraehlorpheioi Lnpas wird von Elsenberg empfohlen. Er benutzt
entweder pures crystallisirtes Parachlorphenol, welches auf dem Wasserbade bei 40^
schmilzt, oder ein flüssiges etwas Orthochlorphenol enthaltendes Präparat. Die erkrankten
Stellen worden zunächst sorgföltig mit Alcohol, dann mit Aether oder, was noch besser
ist, mit einer concentrirten Pottaschelösung gereinigt, darauf mehrmals mit Parachlor¬
phenol bepinselt und die ganze erkrankte Stelle mit folgender Salbe bedeckt: Parachlor¬
phenol, Lanolin, Vaselin, Amylum aa 10,0 M. f. Ung. Den Salbenverband lässt man
10—12 Standen liegen, dann wischt man ihn sorgfältig mit Watte ab und ersetzt ihn
durch eine Sajicyl- oder eine Jodoformsalbe. Nach zwei Tagen wird dieselbe Procedur
wiederholt u. s. w. bis zur Heilung. Diese Behandlung ist allerdings schmerzhaft; sie
wird aber besser vertragen als die Pyrogallussäureapplicationen, und die Resultate sollen
befriedigend sein. (Sem. medic. Nr. 39.)
— Wenn man von der UidRrchärinf llehkeil der Plaeenta fBr palhogeie Hicro-
orfaiiSHei spricht, so versteht man ohne weiteres die gesunde, normale Placenta. För
eine und dieselbe Infectionskrankheiten gibt es aber Fälle, in welchen die Frucht, trotz
einer erheblichen Erkrankung der Mutter, immun bleibt, während in anderen Fällen der
Fötus mitbefallen wird, ohne dass es bis jetzt möglich gewesen wäre, eine Ursache für
dieses verschiedene Verhalten anzugeben. Die anatomische Untersuchung der Placenta
in den letal verlaufenden Fällen hatte allerdings in verschiedenen Fällen mehr oder
weniger erhebliche Alterationen des Organs, wie Blutungen, Erkrankungen der Gefäss-
wandungen, etc. ergeben; in anderen Fällen aber waren keine besonderen Abnormitäten
wahrzunehmen. Charrin und Buclert haben nun diese Frage weiter untersucht, und ihre
Aufmerksamkeit auf den Einfluss der Intoxication des Organismus durch bacterielle Stoff-
wecbselproducte, durch Toxine, gerichtet. Sie infleirten 16 trächtige Meerschweinchen
mit starken Dosen von Bac. pyocyaneus. Vier derselben bekamen ausserdem noch Y^*
Malleln, vier Y* Tuberculin, vier 1 ccm der Toxine des blauen Eiters subcutan
eingespritzt; die vier übrigen sollten als Controlthiere dienen. Die Föten dieser letzten
Gruppe blieben immun, mit Ausnahme eines einzigen, in welchem der Bac. pyocyaneus
nachgewiesen werden konnte. In allen andern Fällen 'fand eine Infection der Frucht
statt, so dass von zweiundzwanzig angelegten Culturen eine einzige steril blieb. Entweder
befand sich der Pyocyaneus allein oder mit anderen aus dem Darme stammenden Bacterien
vermischt vor. Diese Resultate, welche den Einfluss der Toxine so klar hervortreten
lassen, stimmen auch mit dem, was wir von den Wirkungen der Toxine auf die Ge-
webselemente, besonders auf die Blutgefässe wissen. Auf eine, wenn auch microscopisch
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nicht nachweisbare, Läsion der zeitigen Elemente der Placonta wird wohl ihre herabge¬
setzte Leistungsfähigkeit und somit die Infection der Frucht zuruckzuführen sein.
• (Compt. rend. Soc. bioL, 9. VI. 1894.)
— Dass Darmblutiiiifen bei Diabetes meiülos geradezu pathognomonisch sind,
hat Roaenhach betont (Deutsche Med. Wochenschr. 30, 1890). Loßh (Frankfurt) berichtet
in der Deutsch. Med. Zeitg. 61, 1894, über folgenden Fall: ööjähriger Kaufmann,
leidet monatelang an Darmblutungen. Die genaueste Untersuchung ergab ein negatives
Resultat. Keine Hämorrhoidalknoten, keine Geschwüre, keine Neubildung. Dagegen fand
sich im Urin 4,3®/o Zucker; specifisches Gewicht 1027. Diabetes-Diät besserte den Zu¬
stand. — Diarrhoen sind bei Zuckerkranken sehr häufig, oft eine grosse Plage derselben,
weil der Drang zum Stuhl — in Folge abnormer Zersetzungen und Gährungen — oft
ein so grosser ist, dass Pat. nicht mehr die Zeit findet, den Abort aufzusuchen und sich
verunreinigt. Diese Erscheinungen, sowie „unmotivirte^ Darmblutungen sollten in allen
Fällen zur Untersuchung des Urins auf Zucker veranlassen.
— Fabrlissiice TMtang inek eli Clystler ¥oa 37o CarbollSsanf. Einem
21jährigen Gymnasiasten wird vom Hausarzt verordnet, sich gegen Maden- — resp.
Spülwürmer — ein Clystier von 30 gr. Carbolsäure auf 1 Liter Wasser zu appliciren.
272 Stunden nachher wird Pat. todt im Abtritt gefunden. Laut bestimmtem und über¬
einstimmendem Gutachten der Sachverständigen (3 Aerzte, 1 Chemiker) ist der Tod in
Folge des verordneten 3®/o Carbolclystiers eingetreten und es wurde der betreffende Arzt
zu 6 Wochen Gefängniss verurtheilt. (Deutsche Med. Zeit. 61, 1894.)
— Gegen die Naehtsehweisse der Pbtbisiker soll eine Verbindung von Arsenik
mit Belladonna viel kräftiger und rascher wirken, als die Belladonnapräparate allein.
Rp. Solut. arsenicalis Fowleri, T» Belladonnm ää 3,0; Aq. lauroceras. 20,0; D. S.
Gegen 5 Uhr Abends 15—20 Tropfen zu nehmen und bei Bedürfhiss diese Dosis Nachts
zu wiederholen. — Erfolgreich sind ferner Waschungen der Körperoberfläche mit Chloral-
hydrat 6,0; Aq. dest., Alcohol. äa 100,0. {Skezely; Sem. med. 44, 1894.)
— Die Anwendung des CalTeias in der Kladerpraxis wird von Sevestre sehr warm
empfohlen. Das Coffein ist ein äusserst werthvolles Mittel zur Bekämpfung der Herz¬
schwäche, die so häufig im Verlauf gewisser acuter Infectionskrankheiten wie Typhus,
Pneumonie, Diphtheritis u. s. w. auftritt. Ebenfalls bildet es ein ausgezeichnetes Prä¬
ventivmittel gegen die hie und da unter dem Einflüsse des kalten Bades auftretende
Syncope, und bei vorhandener Disposition zur Herzschwäche macht Sevestre vor jedem
Bade eine subcutane Coffeineinspritzuiig. Innerlich verordnet er folgende Mixtur: Coffein,
Natrium benzoic. äa 1,6 gr; Vanillin 0,05; Sirup, tolutan. 50,0; Rhum 10,0; Aqu»
60,0. M. D. S. 2 Mal täglich 1 Esslöffel voll. Zweckmässiger aber ist die subcutane
Application des Mittels in täglichen Dosen von etwa 0,4 gr auf zwei Einspritzungen ver¬
theilt. Diese Dose wendet Sevestre selbst bei kleinen Kindern von I72—2 Jahren an.
Diese Einspritzungen werden gut vertragen und sind nicht besonders schmerzhaft.
(Rev. des malad, de l’enfance, Jiiillet 1894.)
— Kreosot gegei Keaehhastea. Rp. Kreosoti fag. 0,25, Sulfonal 0,20, Sirup,
tolut. Aquee aä 30,0. M. D. S. 2stündlich 1 Kaffeelöffel.
(Gaz. mödic. de Strasbourg, Nr. 6.)
Briefkasten«
Dr. ilf. in D. Die von den genannten Aei*ztevei‘einen anfgestellten ärztlichen Postulate znm
eidgenössischen Kranken- und Unfallversichernngsgesetz — welche Sie soeben „zn sofortiger Publi-
cation“ einsenden — decken sich im Wesentlichen mit den Sonäeregger-Kaufmann\t\\txi Thesen
(Corr.-Bl. 1893 pag. 469 etc.) und bleiben im Sinne der Notiz auf pag. 520 der letzten Nummer bei
den Acten bis zn weiterer Verwertbung.
Schweighanserische Bncbdrnckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
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COßREgPONDENZ-BUTT
Erscheint am 1. und 15.
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Preis des Jahrgangs
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Bestellungen entgegen.
T>r. lEm Hctffler und Dr« A.« Ja^quet
in Frauenfeld. in Basel.
N! 18. XXIV. Jahrg. 1894. 15. September.
Inhalt! 1) Originnlnrbeiten: Dr. Beinrieh Bireher: BeiiHlge tur operativen Behandlung der Magenerweiternng. —
Dr. B. Wiäand: Die Nareoaen im Basier Kinderapital. — Dr. A.SchÖnemann: Ein neuer aaepUaeher Nareotiairapparat. — Prof.
Dr. A. I^nrel: Behandlnng der Paychopathen. — 2) Ver ei na berichte: Uediciniaeb-pharinacentischer Bezirkaverein Bern. —
3) Referate und Kritiken: Ado{f Büreder: Anwendung von Electromagneten bei Eiaenapiitterverlelznngen dea Angea,
— Dr. Karl Boor: Prophylaxe nnd Beaeitignng des Trachoms. — Dr. Marthen: Experimentelle ünteraachnngen Ober Anti-
aepsia bei Angen Operationen. — Ludwig Pflüger: Megalocomea nnd infantiles Olancom. — ZietMsen nnd Bauer: Arbeiten ans
dem medicinisch-kliniseben Institnte in Jlftnchen. ~ DDr. Anton Bum nnd M. P. Schniren Diagnoatiachea Lezicon fOr pmciiache
Aente. ~ Dr. iMdwig Orüntcald: Lehmann'e medicinische Handatlanten. — Anton Kleiber: Bacteriologlache Untersnehnngen
dea Zflricbseewaaaera. — Michel: Klinischer Leitfaden der Angenheilknnde. — Dr. Carl Günther: Einftthrnng in das Stndinm
der Bacteriologie. — Prof. Dr. 8, L, Schenk: Grundriss der Bacteriologie. Dr. Max Joawh: Lehrbuch der Haut- nnd 6e-
schleehtakrankbeitcn. — 4>Cantonale Correspond enxen: Zürich: Brief von Dr. C. Zehnder. — 5) W oc b e n b e r i ob t:
Zürich: Prof. Dr. Conatantin o. Monakow. — Pockenerkranknngen in der Schweis. — Gestorben t Dr. Jaromir Freiherr v. Mundff
in Wien nnd Prof. r. BdmhoUe in Berlin. — 10. Yersamminng dea deutschen Vereins ffir öffentliche Gesnndbeitspflege. — Bett-
rnhe bei der Bebandinng gewisser Hautkrankheiten. — Therapie von Neuralgien nnd Neurosen. — Fürsorge nnd Oeaetzgebnng
für die Alkoholiker. — Pilocarpin gegen den Dnrat der Diabetiker. — 66. Versammlung dentscher Naturforscher nnd Aerzte. —
6) Briefk asten. — 7) Hülfe kasse für Schweizer Aerzte. — 8) Bibliographisches.
Oirigrina.! -.A.x*1>ei ten.
Neue Beiträge zur operativen Behandiung der Magenerweiterung.
Von Dr. med. Heinrich Bireher, Krankenanstalt Äaran.
Seit meiner Pnblication Ober die operative Behandlung der Magenerweiterung
und speciell Aber die Verkleinerung des Magens durch „Faltenbildung* (Corresp.-Blatt
für Schweizer Aerzte, XXI, 1891) habe ich einige weitere Kranke in der nämlichen
Weise operirt nnd will hier über dieselben Bericht erstatten. In der Litteratur fand
ich nur zwei Fälle mitgeteilt. Robert Weir (New-Tork) hat im New-Tork Medical
Journal vom 9. Juli 1892 unter dem Titel „Gastrorrhaphie for Diminishing the Size
of a Dilated Stomach" einen am 9. Juli 1892 operirten Fall beschrieben nnd meine
Fälle daneben weiter veröffentlicht. Er ist unabhängig von mir auf die nämliche Idee
gekommen und lernte meine Pnblication erst zwei Tage vor Ansföhrung der geplanten
Operation kennen. Als Indication für die Magenfaltung betrachtet er die Erweiterungen,
welche jeder andern Therapie spotten, und will sie ausführen, wenn nach Beseitigung
eines Pylorushindernisses die Beschwerden nicht anfhOren, sowie bei den auf Erkrankung
der Muscularis beruhenden Dilatationen, wenn die innere Behandlung nur vorübergehend
Besserung bringt. Er stellt sich somit ganz auf den Standpunkt, welchen ich einge¬
nommen habe.
In Nr. 16 des Gentralblattes für Chirurgie vom 21. April 1894 hat als¬
dann Prof. Dr. Jos. Brandt in Klausenburg .eine vorläufige Mittheilung* über einen Fall
von Gastro-plicatio gemacht, welche am 18. Februar 1894 von ihm ausgeführt wurde.
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Dass seit meiner ersten Publication im November 1891 bis heute nur diese zwei
Fälle bekannt wurden, beweist eine grosse Zurückhaltung der Chirurgen. Ich will
deshalb nicht säumen, auch meine neueren Beobachtungen zu veröffentlichen. Wegen
der Einfachheit für die Besprechung werden die Fälle fortlaufend mit den früher
publicirten numerirt.
V. Dorothea A., 36 Jahre alt, machte 1889 nach Genuss einer schlechten Wurst
eine acute Magenentzündung durch. Von da an litt sie an Dyspepsie mit häufigem Er¬
brechen. Nachdem sie 1890 die Influenza überstanden hatte, verschlimmerte sich der
Magencatarrh derart, dass feste Nahrung nicht mehr vertragen wurde. Wiederholt traten
Magenblutungen auf und schliesslich nach jeder Mahlzeit Schmerzen. Die angewandten
therapeutischen Massnahmen blieben ohne Erfolg; die Patientin magerte immer mehr ab
und trat am 7. December 1891 mit der Diagnose einer Magenerweiterung bei uns ein.
Sie klagte über sehr geringen Appetit und häufiges Aufstossen und Herzklopfen. Alle
feste Nahrung wurde erbrochen und die nach 6 Stunden ausgeheberten Speisereste waren
noch fast ganz unverdaut. Nahrung in letzter Zeit ausschliesslich verdünnte Milch. Die
Zunge weiss belegt. Untere Magengrenze ohne Aufblähen 1 cm oberhalb des Nabels,
mit Aufblähen 4 cm unterhalb, Plätschern. Urinmenge sehr gering, 1 Mal täglich; Ob¬
stipation, alle 8 Tage 1 Stuhl. Salolprobe nach 7^ Stunde Reaction, nach 72 Stunden
noch sehr stark. Am 14. December wurde die Verkleinerung des Magens durch Faltung
vorgenommen. Am Pylorus zeigte sich eine leichte, ringförmige Einschnürung. Der be¬
deutend dilatirte Magen wurde nun gefaltet und die Bauchhöhle geschlossen. Die Wunde
heilte reactionslos. Nach 6 Tagen schon ertrug die Kranke nebst dünner Nahrung Brei.
Nach weitern 8 Tagen wurde feste Nahrung vorzüglich ertragen.
Am 4. Januar ergab die Untersuchung: reine Zunge; untere Magengrenze 4 cm
oberhalb des Nabels; kein Plätschern. Appetit gut; seit der Operation kein Aufstossen
und Erbrechen mehr. Urinmenge normal; täglich zwei Mal Stuhlgang. Die Salolprobe
ergab nach 7^ Stunde deutliche Reaction, nach 24 Stunden nur noch Spuren. Am
5. Januar wurde die A. entlassen. Die Störungen der Magenfunction waren vollständig
verschwunden und erfreut sich die Operirte seit 272 Jahren ungestörter Gesundheit.
VI. Fridoline M., 41 Jahre alt, Landarbeiterin, erkrankte vor 15 Jahren an
Magenschmerzen, welche 2—3 Stunden nach dem Essen am stärksten waren. In den
letzten zwei Jahren gesellte sich Erbrechen dazu, welches gewöhnlich nachmittags eintrat.
Blut war nie im Erbrochenen. Seit dieser Zeit musste sich die Patientin die Speisen
sehr auswählen. Suppe, Fleisch, Brod und Wein wurde gar nicht mehr ertragen, und
in der letzten Zeit bestand die Nahrung nur noch aus Milch und Eiern.
Die Untersuchung ergab eine bedeutende Magenerweiterung, gegen welche auf der
medicinischen Abtbeilung unserer Anstalt erfolglos Ausspülungen angewendet wurden. Auf
Verlangen der Kranken, deren lästigstes Symptom die Schmerzen nach dem Essen waren,
wurde am 6. August 1892 die Verkleinerung des Magens mittelst Faltenbildung gemacht
Dabei fanden wir am Pylorus narbige Stränge, welche theilweise gelöst wurden. Die
Wnndheilung ging ungestört von statten; nach wenigen Tagen wurde flüssige Nahrung
verabfolgt und später etwas consistentere. Sie wurde verdaut, aber es traten äusserst
heftige Schmerzen auf, welche gegen den Pylorus hin ausstrahlten. Es war das stets der
Fall, wenn dem Magen etwas zugeführt wurde und namentlich bei festeren Speisen. Nach
einiger Zeit machte derselbe dann heftige Contractionen und da er nun in seiner Ver¬
kleinerung die Speisen leicht bis an den Pylorus brachte, sich aber dort ein Widerstand
entgegenstellte, so entstanden die Koliken. Wir schlugen daher der Kranken die Be¬
seitigung des Hindernisses vor und Hessen uns Vollmacht für jedes Vorgehen, auch die
Gastroenterostomie und die Resection geben.
Die Operation wurde am 16. August ausgeführt. Durch einen Weich teilschnitt
parallel dem rechten Rippenrande wurde die Bauchhöhle eröffnet, die Leber und das
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Colon zurückgezogen und nun durch einen Längsschnitt von circa 5 cm im freigelegten
Pylorus sich Einsicht in die Verhältnisse verschafft. Es bestand eine narbige Verengerung,
welche nur noch ein Lumen von ßleistiftdicke frei Hess. Die mit auseinandergezogenen
Rändern breit klaffende Wunde führte nun auf den Gedanken, den Heinecke 1889 zuerst
ausgeführt hat, nämlich die Wundränder statt longitudinal quer zu vereinigen und damit
das Lumen der betreffenden Stelle auf Rechnung der Länge zu erweitern. Ohne erheb¬
liche Schwierigkeit gelang dies und es wurde zur grossem Sicherheit noch eine zweite
Etage von Nähten angelegt und dann die Bauchwunde geschlossen. Der Erfolg war ein
sehr guter. Schon am 21. August wurde Bouillon sowie Milch gut ertragen und am
30. August Fleisch ohne Beschwerde verdaut. Am 5. September wurde die Patientin
geheilt entlassen. Zur Zeit (Juni 1893) ist die Fridoline M. vollständig gesund.
Trotzdem sie die grobe Kost unserer Landbevölkerung geniesst, hat sie keine Ver¬
dauungsstörungen mehr. Sie sieht sehr wohlgenährt aus und verrichtet wieder alle
Landarbeiten.
VII. Wilhelm M., Förster, 35 Jahre alt, war von Jugend auf immer magenkrank.
Sein Zustand verschlimmerte sich im Frühjahr 1890 und bewog ihn, sich einige Zeit in
der Kuranstalt Eglisau behandeln zu lassen.
Während der Verpflegung daselbst trat Besserung ein, welche jedoch zu Hause nur
so lange anhielt, als die Magenausspülungen, die Massage und die Faradisation nebst
strenger Diät fortgesetzt wurden. Während des Winters 1891/92 kamen bei einem
Aufenthalt in Italien mehrfache Diätfehler vor und es musste wieder die frühere Be¬
handlung unter Leitung von Dr. Lötscher in Zürich durchgeführt werden. Am 5. Dec.
1892 trat M. in die kantonale Krankenanstalt Aarau ein. Er war äusserst blass und
abgemagert; Herz und Lungen gesund, der Magen auf Druck empfindlich, stark erweitert,
mit deutlichem Plätschern. Patient klagte über starken Durst und viel Aufstossen nach
dem Essen, Erbrechen bestand nicht. Salol war 2 Stunden nach dem Genuss im Urin
nachweisbar, nach 36 Stunden war die Reaction verschwunden. Die nochmals inscenirte
Therapie mit strenger Diät, Massage, Faradisation und Ausspülungen brachte nur ganz
geringe Besserung. Dennoch konnte sich der Kranke nicht zur operativen Behandlung
entschliessen und verliess die Anstalt am 15. Januar 1893. Am 20. Februar trat er
wieder ein mit etwelcher Verschlimmerung, d. h. äusserst schwach und hinfällig und
wurde nun am 22. Februar in beschriebener Weise operirt. Unmittelbar nachher war
der Körper kalt, blau und es drohte mehrere Stunden Collaps einzutreten. Man musste
deshalb mit Excitantien und Nahrungsmitteln durch den Magen schon früh beginnen.
Am 23. Februar erhielt Patient Cognac, am 24. und 25. jeweilen 3 Deciliter Milch, am
26. und 27. Bouillon mit Ei und Griessuppe, am 28. dazu noch gehacktes Kalbfleisch
und so wurde von Tag zu Tag zugesetzt, sodass am 5. März nebst Milchkaffee und Suppe,
ein Plattenmus, 4 Eier, 2 Forellen, eine Portion Schinken und Erbsen genossen wurden.
M. vertrug alles sehr gut und fühlte sich kräftiger.
Am 6. März bei der Morgenvisite wurde ihm gestattet, zum Mittagessen eine halbe
Stunde aufzustehen. Er wartete trotz Mahnung die Hülfe des Wärters nicht ab, sondern
verliess gegen 12 Uhr das Bett, kleidete sich an und ging im Zimmer auf und ab. So
tiaf ihn der Assistenzarzt kurz vor 12 Uhr; er machte ihm Vorstellungen und wies ihn
ins Bett. M. gehorchte und begann auf dem Bett sitzend sich zu entkleiden mit der
Bemerkung, er fühle sich allerdings noch etwas schwach und beim Stehen schwindlig.
Zehn Minuten später traf ihn der Wärter seitlich auf das Bett gelehnt, tot.
Die Section ergab eine enorme Abmagerung und Atrophie der Gewebe. Die
Operationswunde geheilt. Die Peritonealhöhle frei, im Bereich der Operationswnnde leichte
Verklebungen.
Das Gehirn zeigte sich sehr blass und ansemisch.
Die Lungen ohne Veränderung. Das Herz blass und atrophisch. Die Organe der
Bauchhöhle sehr anämisch.
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Am Magen ist die Falte gut geheilt resp. verklebt. Am Pylorus fühlt man hartes
Gewebe und sind strahlige Narben bemerkbar. Beim Eröffnen zeigt sich der Magen leer,
der Pylorus verengt, so dass die Kuppe des kleinen Fingers gerade noch passiren kann.
Es bestehen 2 Geschwüre auf der vordem und hintern Wand. Das vordere ist rund,
tief, von Erbsengrösse, mit schmutzig-gelbem Grund und harten scharfen Rändern, das
hintere ist 1 cm lang und 3 mm breit. Die Schleimhaut und Muscularis ist strablig
gegen die Geschwüre eingezogen. Entsprechend der äusseren Faltenbildung besteht auf
der Innenfläche des Magens ein daumensdicker Wulst mit gerunzelter Schleimhaut, wie an
der übrigen Magenwand. Die Falte ist also hier contrabirt und häugt nicht schlaff herab,
wie sie bei einem frühem Patienten H. S. gefunden und in der Publication (Corresp.-Blatt
1891) Fig. 4 abgebildet wurde.
Als Todesursache müssen wir die allgemeine Anmmie betrachten. Der Kranke hat
sieh zu viel zugetraut, als er das Bett verliess, sich anzog und im Zimmer herumging.
Die Gehirnanämie wurde offenbar beim aufrechten Stehen und Gehen zu hochgradig;
sie führte zur Ohnmacht und Herzlähmung.
YIII. S. R., 26 Jahre alt, erkrankte mit 21 Jahren an Magenkatarrh, und blieb von da
an stets magenleidend. Spannungsgefühl, Durst, Uebclkeit, saures Aufstossen, Schleim¬
brechen, unregelmässiger Stuhl mit Obstipation waren die Hauptsymptome; bei Aufstossen
von Gasen trat etwas Erleichterung ein, weshalb Patient durch Druck auf den Magen
dies öfters herbeiführte. Die Beschwerden zeigten sich besonders nach Genuss von grünem
Gemüse und Flüssigkeiten (Bier, Wein). Die Behandlung in einer Privatklinik für
Magenkranke hatte keinen Erfolg.
Die Magengrenze befand sich 1 cm unter dem Nabel, mit Aufblähung 3 cm. Nach
links war deutlich die starke Ausdehnung des Magens zu constatiren. Das Plätscher-
geränsch sehr stark entwickelt. Der Magen auf Druck empfindlich.
Der Ernährungszustand ist ein mittelmässiger. Der Kranke ist neurasthenisch mit
Hypochondrie, stark aufgeregt und äusserst empfindlich.
Am 22. Juni 1893 wurde die Magenfaltung ausgeführt; unter dem mechanischen
Reiz der Berührungen zog sich der Magen ziemlich gut zusammen. An der Wandung
konnten keine Veränderungen wahrgenoramen werden, so dass auf Atonie in Folge
Störung der Innervation geschlossen werden muss. Die Symptome der Dyspepsie ver¬
gingen nur langsam und musste der Magenkatarrh noch behandelt werden. Nach 8 Tagen
stellte sich jedoch ordentlicher Appetit ein; 3 Wochen nach der Operation förderte eine
Magenspülung 5 Stunden nach dem Essen (Suppe, Rindsbraten, Schinken, Kohl, Reis,
Torte) keine andern Speisereste zu Tage als eine Spur Kohl. Der Patient verliess die
Anstalt am 19. Juli, beklagte sich aber bei mehrmaligen Vorstellungen nach der Ent¬
lassung über die Erfolglosigkeit der Operation und entzog sich der weitern Beobachtung.
Es besteht auch zur Stunde die fixe Idee, es sei die Faltung nicht gross genug gemacht
worden (Patient versteht alles besser als seine Aerzte) und es sei nur eine schwache
Besserung erzielt. Es war unmöglich, von dem durch die Diagnose der Aetio-
logie beleidigten Hypochonder eine directe Auskunft zu erhalten. Von seiner Um¬
gebung (Haushälterin, Freunde, Hausarzt) bekamen wir jedoch die Mitteilung, dass
S. R. guten Appetit hat, kein Elrbrechen und kein Sodbrennen mehr. Er isst und
trinkt in normaler Weise und macht wieder Gesellschaften etc. mit. Die Hypochondrie
ist geblieben.
IX. M. J. 8., Lehrer, 48 Jahre alt, erkrankte vor 15 Jahren an Erbrechen und
Magenschmerzen. Nach Intervallen von Euphorie stellten sich wieder ähnliche Anfälle
ein. Vor 4 Jahren schon constatirte Prof. Huguenin eine ^ilatation, gegen welche jede
Therapie sich fruchtlos erwies. Vor 1 Jahren Influenza mit sehr gestörter Herzthätig-
keit und letztes Jahr trat mehrmals partieller und einmal allgemeiner Hydrops auf. Ein
heftiger cardialgischer Anfall mit Ohnmacht stellte sich am 12. Februar 1894 ein, gefolgt
von schwarzen Stühlen und dies bewog den Kranken, radicale Hülfe durch Operation zu
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sucheD. Eine weitere Blutung wurde nicht mehr constatirt, wohl aber dauerten die Car-
dialgien an und zeigten sich besonders Nachts am heftigsten und wurden durch Morphium
bekämpft. Beim Eintritt in die Krankenanstalt am 2. März 1894 war der Kranke bleich
und abgemagert, nervös mit unregelmässigem Puls. Der Symptomencomplex der Magen-
ectasie war deutlich; es fragte sich nur, ob vielleicht carcinomatöse Neubildungen bestehen.
Weder vor 4 Jahren durch Huguenin^ noch durch den behandelnden Arzt (Dr. Keller^
Endingen), noch durch uns konnte ein Tumor constatirt werden. Namentlich war von
vorneherein eine Verengerung des Pylorus ausgeschlossen. Der Magensaft enthielt Salz¬
säure. Die untere Magengrenze ging 2 cm unter den Nabel. Eine Auftreibung des
Magens mittelst Kohlensäure war unmöglich, weil bei Entwicklung derselben unter deut¬
lichem Rauschen und Kollern sich alles rasch durch den Pylorus entleerte; dieser war
eher dilatirt als verengt resp. incontinent.
Am 15. März wurde die Faltung vollzogen. Der Magen erwies sich als enorm
vergrössert und drängte, weil mit Gasen gefüllt, sehr stark hervor. Die Wandung erschien
dünn und atrophisch. An einer Stelle der grossen Curvatur, sowie in der Mitte der
kleinen, etwas mehr gegen den Pylorus hin, fand sich eine weissliche Stelle von grösserer
Resistenz. Beide Stellen machten jedoch nicht den Eindruck der malignen Neubildung,
sondern waren mehr narbiger Natur mit einer Infiltrationszone. Die Operation verlief
ohne Störung; die Wunde heilte gut. Nach wenigen Tagen konnte Nahrung per os ver¬
abfolgt werden und zwar am 18. und 19. täglich 2 Tassen Milch, am 20. und 21. je
1 Forelle, darauf nach und nach Beefsteak, gebratenes Kalbfleisch, Suppen und Gemüse
und vom 1. April an die gewöhnliche Kost der I. Classe. Einige Mal zeigten sich leichte
Krämpfe in der Magengegend, welche mit Morphium beseitigt wurden; sonst aber wurde
der Patient vom Morphium bis zur Entlassung entwöhnt. Diese erfolgte am 14. April,
zu welcher Zeit der Appetit ein guter geworden war. Aufstossen und Sodbrennen zeigte
sich nur selten noch und sehr gering; Brechen und Brechreiz war total verschwunden.
Bei leerem Magen zeigten sich cardialgische Schmerzen, welche nach etwas Nahrungs¬
aufnahme sofort schwanden. Die Incontinenz des Pylorus bestand noch.
Am 19. Mai stellte sich der Kranke wieder zur Untersuchung. Sein Aussehen war
bedeutend besser und batte das Körpergewicht um 4 Kilo in 2 Monaten zugenommen.
Der Appetit gut. Cardialgische Symptome sind nur noch 2 Mal und zwar nach Diät¬
fehlem aufgetreten. Die Salolprobe fallt schon nach einer Stunde positiv aus (früher
2 Stunden).
Der Magensaft riecht nicht mehr sauer wie beim Eintritt und auch die saure Re-
actioD auf Lakmuspapier hat abgenommen. Auffallenderweise kann mit keiner Reaction
Salzsäure nachgewiesen werden; Milchsäure ist in geringer Menge vorhanden.
Speisereste sind nur von der genossenen Probemahlzeit (1 Tasse Thee, 1 Weggli)
vorhanden, und nicht von frühem Mahlzeiten, wie vor der Operation.
X. L. K., 30 Jahre alt, Nähterin, stammt von einem Vater, in dessen Familie zahlreiche
Magenkrankheiten Vorkommen sollen. Im 16. Jahr wurde sie in Basel am l. ELnie resecirt.
Mit 24 Jahren stellte sich Chlorose, immer mit etwas Magenbeschwerden verbunden, ein.
Im Juni 1893 erkrankte die Patientin mit starken Schmerzen in der Magengegend, im
Herbst geseilte sich Erbrechen dazu, welches anfänglich selten war, später alle 8 Tage
auftrat, dann aber 4—5 Mal täglich. Reines Blut wurde nie erbrochen, wohl aber
schwarze Massen. Vor dem Erbrechen ist die Diurese stark vermindert und besteht
heftiger Durst. Seit Juni 1893 Menopause.
Beim Eintritt 27, März 1894 war Patientin äusserst mager und blass. Schlaflosig¬
keit. Blut 25—30^/o Hmmoglobin. Abdomen um den Nabel kuglig aufgetrieben mit
praller fluctuirender Resistenz und starkem Plätschern. Grenzen der Auftreibung 7 cm
unter, 5 rechts, 10 links vom Nabel (15 cm Durchschnitt des Tumors). Druck, sogar
Percussion schmerzhaft; aber auch spontan, besonders im nüchternen Zustand ist das
Epigastrium schmerzhaft.
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Die Zunge belegt, Appetit schlecbt, Durst stark, Aufstossen häufig, Sodbrennen alle
8 Tage jeweilen vor dem Erbrechen; der Stuhl retardirt, Diurese schwach, 940 ccm.
Magensaft stark sauer, kein IICI. 7 Stunden nach dem Essen können noch grosse Massen
übelriechender, mit schwärzlichen Flocken gemischter Speisereste entnommen werden.
Salolprobe: nach 2—3 Stunden Spuren, nach 4 Stunden deutlich, nach 48 Stunden noch
sehr viel Acid. sal. im Urin. Jodkaliprobe nach 45 Minuten noch keine Reaction.
Die Diagnose lautete auf Dilatatio ventriculi mit ulcus. Der therapeutische Plan
ging dahin, durch Faltung den Magen zu verkleinern, eine allfallige Pylorusverengerung
wie im Fall Fridoline M. operativ zu beseitigen und ein ulcus, wenn es ausser der Pylorus-
gegend bestehen sollte, durch Extrafaltenbildung zu decken resp. von der äussern Wand
des Magens zu entfernen und so einer Perforation vorzubeugen. Bei der Laparotomie
(Schnitt parallel dem linken Leberrand) am 11. April fanden wir folgenden Status: der
Magen in verticaler Stellung und etwas weniger ausgedehnt, als der äussere Befund er¬
warten Hess. An der vordem Wand des Magens, ca. 1 Handbreit unterhalb der kleinen
Curvatur, findet sich ein zwei Finger breiter und halb so dicker und 5 cm langer Strang,
welcher zum lig. teres sich hinzieht und durch Hebung der vordem Magenwand mit
Fixation dem Organ die verticale Stellung gibt. Rings um die Ansatzstelle ist die
Magenserosa sulzig infiltrirt und die Wand hart anzufühlen. Das Adheesionsband wurde
nun abgetragen, die Schnittfläche am lig. teres mit Serosa umsäumt und am Magen durch
eine kleine Faltenbildung zugedeckt, so dass auch die infiltrirte Wandpartie um dieselbe
herum von der Bauchhöhle abgeschlossen und so einer allfälligen Perforation vorgebeugt
wurde. Die Prüfung des sehr tief stehenden Pylorus ergab gute Durchgängigkeit des¬
selben; die Gase konnten bequem durchgepresst werden. Von einer grossen Faltenbildung
wie in den frühem Fällen sahen wir ab, weil wir nach Lösung der Adhsesion, die wir
als causa morbi betrachteten, ungestörtere Function erwarteten. Die Bauchhöhle wurde in
gewohnter Weise mit 3 Etagen geschlossen.
Nach der Operation war die Kranke sehr collabirt und wurde mit Nährelystieren
erhalten. Am 13. April wurde ihr wegen des heftigen Durstes etwas Milch gestattet
und verabreicht; sie benützte alsdann die Abwesenheit der Wärterin, um zwei Tassen
rasch zu trinken, worauf der Magen sich enorm vorwölbte und der Collaps sichtlich zn-
nahm. Eine Magenspülung entleerte ca. lYs Liter Inhalt. 56 Stunden nach der
Operation trat der Tod ein.
Bei der Section zeigte sich keine Spur von entzündlicher Reizung im Operations¬
gebiet. Der Magen ist mit seiner hintern Wand durch eine feste Masse alter peritonitischer
Adhäsionen in weiter Ausdehnung an der Wirbelsäule fixirt. Die Wandung ist an dieser
Stelle verdickt und sehr brüchig. Nach Lösung der Faltennaht erweist sich die von der
Falte bedeckte Magenwand ebenfalls als verdickt und als ganz morsches, brüchiges Ge¬
webe und in demselben Zustand wird die Umgebung des Pylorus getroffen. Derselbe ist
etwas verengt, für einen dicken Zeigefinger jedoch leicht durchgängig. Die Untersuchung
ergibt, dass es sich an allen 3 Stellen um alte, grösstentheils vernarbte Geschwüre
handelt, jedoch nicht mit derber Bindegewebsbildung, sondern mit brüchigem, infiltrirtem
Gewebe als Residuum. Die Magenschleimhaut ist stark injicirt und stellenweise mit
kleinen Hsemorrhagien besetzt. Die Muscularis ist atrophisch. Ausser der starken Blut¬
armut zeigen sich in den übrigen Organen keine weitern Veränderungen, als eine strang-
förmige Verwachsung der linken Lunge an der Spitze mit Cirrhose dieser letztem. Die
rechte Lunge überall verwachsen, besonders an der Spitze, welche ebenfalls narbig ist.
Die anatomische Diagnose lautet somit:
1 ) Vernarbte Ulcera der Magenschleimhaut an vorderer und hinterer Wand, sowie
am Pylorus.
2) Verwachsung des Magens mit lig. teres und Wirbelsäule an der peritonealen
Stelle der Ulcera und in Folge dessen Verticalstellung des Magens.
3) Allgemeine Ana}mie und Collaps als Todesursache.
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E p i k r i s e. Die hier mitgeteilten Fälle zeigen wiederum, dass die Magen¬
faltung weder technisch schwierig, noch gefährlich ist. Immerhin mahnen die beiden
Kranken M. W. VII und K. L. X zur änssersten Vorsicht und sorgfältigen Nach¬
behandlung bei solchen geschwächten Magenkranken. Meist sind sie in ihrem Nerven¬
system sehr empfindlich und neigen leicht zu Ohnmächten und CoIIaps. Bei der
letztdrn Kranken steht der Tod mit der Operation nnr. insofern in einem Zusammen¬
hang, als überhaupt ein operativer Eingriff von einiger Bedeutung nicht mehr ertragen
wurde; bei M. W. VII kann von einem Gausalzusammenhang gar keine Rede sein.
Bei diesem Kranken fanden wir bei der Obduction die gebildete Falte als c o n -
trabirten Wulst im Magen, nicht h e r a b b än g e n d, wie bei dem früher
publicirten Fall I H. S., nach welchem die dort beigegebene Figur 4 angefertigt
wurde. Es ist denkbar, dass dieselbe, wenigstens im Anfang, sich noch contrahirt.
Da sie aber von der motorischen Thätigkeit des Magens ausgeschlossen ist, so haben
ihre Oontractionen vielleicht nur noch Bedeutung für die Secretion ihrer drüsigen
Organe.
In der frühem Publication bin ich zum Schluss gekommen, dass die Fal¬
tung ein mechanisches Hindernis in der motorischen
Function des Magens beseitige und daher indicirt sei, wo
wegen Atonie der Muscnlaris weder die medicamentüse
Behandlung, noch die operative Beseit i g ung vonStenosen,
Adhäsionen etc. zum Ziele führt. Dabei wurde betont, dass unter Um¬
ständen eine innere Behandlung nachfolgen müsste, wie bei hartnäckigem Katarrh,
Ulcus etc. und dass auch die setiologiscb wichtigen Allgemeinerkrankungen zu berück¬
sichtigen seien.
Robert Weir in New-York stellt sich in Betreff der Indication auf denselben
Boden, und Jos. Brandt in Klausenburg will Magenerweiterungen, welche nicht auf
Pylorusstenose beruhen, sondern aus andern Ursachen entstanden sind, durch Faltung
beseitigen.
Die neuem Beobachtungen gestatten nun eine weitere Discnssion der Frage.
Vorab zeigen sie wiederum, dass mit der Faltung wirklich ein mechanisches Hinder¬
niss beseitigt und der Magen in einen Zustand gebracht wird, dass er seinen Inhalt
durch den Pylorus weiter befördern kann. Wie prompt der verkleinerte Magen arbeitet,
zeigt namentlich Fall VI M. Fridoline, bei welcher nun am zu engen Pylorus Koliken
entstanden; dass die Qesammtfunction sehr bald eine gute wird, beweist unter Andern
besonders M. W. VII und dass die Heilung von Dauer ist, sehen wir aus den Fällen
II, III, V, VI.
Die Heilnngsdauer der beobachteten Fälle beträgt von zwei Monaten bis drei
Jahre.
Geben wir zur Indicationsfrage über, so muss vorab betont werden, dass die
Verkleinerung des Magens durch Faltenbildung nnr einen Teil der operativen Be¬
handlung der Magenerweiterung bildet. Sie wird vielleicht in Zukunft die wichtigste
Rolle spielen, allein daneben werden Lösungen von Adhsesionen und besonders die Be¬
seitigung von Stenosen oft indicirt sein und nicht selten wird es Vorkommen, dass
Combinationen dieser Operationen nötig werden. Diejenigen Magendilatationen, bei
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welchen ausschliesslich die Verkleinerung durch Faltung als operative Therapie zur
Anwendung gelangt, sind jene Fälle, bei welchen es sich lediglich um Atonie der
Muscularis handelt, also die atonische Dilatation. Als Ursachen derselben gelten locale
Erkrankungen, besonders der chronische Magenkatarrh und das Ulcus, sowie Allgemein¬
erkrankungen, namentlich Ansemie, Chlorose, Neurasthenie, Hysterie und Hypochondrie.
Auf einem Nervenleiden basirte die Magenerweiterung bei II St. M. und VIII S. B.,
welche beide vollständig geheilt wurden, letzterer allerdings mit langsamer Recon-
valescenz. Chronischen Magenkatarrh mit Ulcerationen resp. Narben, welche sich
durch Blutungen verraten hatten oder bei der Operation constatirt worden
waren, hatten 6 Kranke (III M. F., V A. D., IX M. J., I H. S., VII M. W.,
VI M. Frid.) und zwar fanden sich die meisten Narben gegen den Pylorus hin;
nur 2 Mal war der Sitz an der vordem Wand. Bei 5 von diesen Kranken hat
die Verkleinerung des Organs Heilung gebracht. Der eine (III M. F.) mit Narbe
an der vordem Wand, würde vor 27« Jahren operirt und ist seither gesund ge¬
blieben; ebenso V A. D. operirt vor 2'/« Jahren mit Narbe am Pylorus; IX M. J.
ist ein noch ganz frischer Fall, hat aber vollständig gute Verdauung, nach 8 Wochen
gutes Aussehen und eine Gewichtszunahme von 4 Kilo. Bei I H. S. und bei VII M.
W. war die Dilatation in anatomischem und physiologischem Sinne gehoben. Beide
batten eine vorzfigliche Verdauung und der Magen förderte seinen Inhalt ohne Störung
weiter, trotzdem am Pylorus narbige Stenosen bestanden und zwar bei M. W. von
solchem Grad, dass gerade die Kuppe des kleinen Fingers noch passiren konnte. Wenn
uns der Tod dieser beiden Kranken einerseits die Einsicht verschafft hat, welch kleine
Oeffnung des Pylorns bei nicht mehr dilatirtem resp. verkleinertem Magen für die
Passage der Speisen genügt, so wissen wir andrerseits nicht, ob nicht ein Recidiv
der Dilatation eingetreten wäre. Einem solchen Pylorus gegenüber muss der Magen
doch jedenfalls mechanisch stärker arbeiten, als unter normalen Verhältnissen. Wir
wissen bei solchen Fällen auch gar nicht, in wie weit die Dilatation auf der Stenose
oder auf Atonie der Muscularis beruht. Jedenfalls sind fast immer beide Factoren
im Spiel, denn eine Magenwandnng, an welcher sich die Ulcera entwickeln, ist krank
und der Boden für die Dilatation gegeben. Tritt eine Stenose dazu, so begünstigt sie
die Dilatation und diese wirkt im Circulus vitiosus wieder degenerirend auf die Magen¬
wand zurück. So wird in den meisten Fällen der Hergang sein, wo wir bei Katarrh,
Ulcera, Stenose und Dilatation eine atrophische Magenwandung finden. Eine
gesunde Magenwandnng, welche einer Stenose gegenüber zu verstärkter Arbeit ver¬
urteilt ist, wird analog den Erfahrangen an andern Organen (Herz, Muskeln) eher
hypertrophisch und sollte man diesen Zustand bei Dilatation wegen Stenose in der
Begel erwarten. Bei unsern Kranken war das nicht der Fall; die Verkleinerung des
Magens hat auch genügt, um die Verdauung in Ordnung zu bringen und die Dilata¬
tionssymptome verschwinden zu lassen; wir müssen daher annebmen, dass die Atonie
resp. die Erkrankung der Magenwand die primäre Ursache der Dilatation war und die
Stenose am Pylorus nur ein begünstigendes Moment.
Wäre nun in diesen Fällen Heilung durch Beseitigung der Stenose versucht und
eine Resection oder Pyloroplastik gemacht worden, so wären wahrscheinlich die Zeichen
der Dilatation geblieben, weil die motorische Insufficienz des Magens nicht gehoben
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worden wäre. KöMer (Deutsche med. Wochenschrift 1890 XXI) betont auch bei Be¬
sprechung der narbigen Pylorusstenose, dass oft nach Pyloroplastik noch die Dilatation
zu behandeln sei. So kann man also nach glücklich vollendeter Hebung der Stenose
noch in den Fall kommen, zur Verkleinerung des Magens die Faltung machen zu
müssen. Deshalb fragt es sich, ob man nicht diese vorausgehen lassen soll. Die oben
mitgeteilten Beobachtungen sprechen dafür und besonders Fall V A. D., welche
Patientin nun nach 2'/» Jahren sich der besten Verdauung erfreut. Allein eine be¬
stehende Stenose darf jedenfalls einen gewissen Grad nicht überschritten haben, wenn
die Verkleinerung des Magens durch Faltung Beilung bringen soll. Eine Oeffnung
von Eieinfingerdicke scheint nach den Beobachtungen bei VII M. W. noch zu genügen;
der verkleinerte Magen entleerte die Ingesta gut durch denselben. Wenn aber das
Lumen noch geringer wird, so kann keine Rede davon sein, ohne Hebung der Stenose
Heilung zu verschaffen. Das lehrt aufs deutlichste VI M. Fridoline, der instructivste
Krankheitsfall unserer Beobachtungen. Hier war die motorische Insufficienz des Magens
gehoben und dieser entwickelte ganz energische Contractionen, besonders nach den
Mahlzeiten. Das Lumen des Pylorus war aber zu eng (Beistiftdicke) und so entstanden
jene Koliken in der Pylorusgegend, welche die Pyloroplastik veranlassten. Es kann
also die Pyloroplastik einer Magenfaltung folgen müssen und zwar sehr bald, wie um¬
gekehrt und da fragt es sich, ob man nicht beide Operationen in einem Acte aus-
führen soll, wenn bei einer Magendilatation nebst atrophischer Wandung Narben am
Pylorus bestehen. Dem stehen Bedenken entgegen. Vor allem aus ist uns der Grad
der Stenose unbekannt und wir können nicht von vornherein beurteilen, ob die Magen¬
faltung genügt oder nicht. Dann ist es nicht leicht möglich, beide Operationen vom
gleichen Schnitt aus vorzunehmen. Für die Magenfaltung ist der Schnitt parallel dem
linken Rippenrand, für Operationen am Pylorus und obern Ende des Duodenum der¬
jenige parallel dem rechten Rippenrand am zweckmässigsten. Ein dreieckiger Lappen¬
schnitt mit der Spitze am Proc. xiphoides wäre vielleicht am geeignetsten. Was aber
am meisten gegen die gleichzeitige Ausführung beider Operationen spricht, ist der Zu¬
stand des Patienten. Kranke, welche sich zu operativer Therapie am Magen ent-
schliessen, sind meistens sehr geschwächte Individuen, für welche schon einer der beiden
Eingriffe schwer ins Gewicht fällt. Bei einem guten Kräftezustand wäre es entschieden
erlaubt, beide Operationen zu verbinden, immerhin unter der Voraussetzung, dass hoch¬
gradige Stenose neben atonischer Dilatation, d. b. Atrophie der Wandung besteht.
Da aber, wie schon bemerkt, der Grad der Stenose schwer zu bestimmen ist, so werden
wir io den meisten Fällen uns vorderhand entscbliessen müssen, zwischen beiden
Operationen zu wählen. Die Erfahrungen sind noch zu spärlich, um ein abschliessendes
Urteil Billen zu können. Doch glaube ich nach den gemachten Beobachtungen meine
frühere Ansicht, wonach bei Dilatation, verbunden mit narbiger Stenose am Pylorus,
zuerst dieses Hindernis zu beseitigen sei, modificiren zu sollen. Ich glaube, dass vor¬
derhand in erster Linie die Verkleinerung durch Faltung gemacht werden sollte und
erst wenn es sich als nötig erweist, wie bei der VI M. Fridoline, die Pyloroplastik
oder Resection, welche Eingriffe denn doch weitaus geffihrlicher sind, als die Faltung,
indem sie den Darmtractus öffnen. Weitere Beobachtungen über das Verhalten der
Dilatation nach Pyloroplastik einerseits und dasjenige der Stenose nach Magenfaltung
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563
resp. Hebung der Dilatation andererseits werden diesen Standpunkt später vielleicht
ändern. Entschliesst man sich, zuerst das Hindernis am Pylorus zn heben und es be¬
stehen in der vordem Wand des Magens Ulcera mit dünnen Wandungen, welche be¬
kanntlich so leicht perforiren, während an andern Stellen eher verschliessende Ad-
bssionen zu Stande kommen, so dürfte es sich empfehlen, durch eine kleine Falten¬
bildung solche Geschwüre zuzudecken und von der Bauchhöhle besser abzuschliessen.
Wenn wir biemit unsern Standpunkt in der Behandlung der Magenectasie erörtert
haben, so wollen wir noch einmal hervorheben, dass mit der Faltung nicht immer
Alles gethan ist. Sie beseitigt eben nur ein mechanisches Hindernis in der motorischen
Function durch HOherlegeu des tiefsten Punktes. Für einige Patienten genügt dies
vollständig und ihre Verdauung wird eine ungestörte; bei Andern ist eine Behandlung
des Eatarrhes, der ülcera etc. noch nOtig; dafür aber sind nun auch günstige Be¬
dingungen geschaffen. Nur bei wenigen Kranken dürfte die allzuweit fortgeschrittene
Stenose des Pylorus die Plastik oder Besection nOtig machen.
Zum Schluss muss ich noch die beiden Fälle erwähnen IV B. L. und X K. L.,
bei welchen Adhmsionen aetiologisch eine Rolle spielten. Verwachsungen kOnnen den
Magen in seiner Bewegung stOren und ihm eine ganz abnorme Stellung und Form
geben, so besonders Verticalstellung und Sandubrform, begleitet von den Symptomen
der Dilatation.
Wie leicht in einzelnen solchen Fällen durch chirurgischen Eingriff geholfen
werden kann, zeigt Fall IV B. L., wo durch einen Narbenstrang der Magen bei gewisser
Stellung (beruntergezogen) und gewisser Füllung in der Nähe des Pylorus eine förmliche
Abschnürung erfuhr. Die dadurch entstehende zeitweilige Dilatation wurde durch Ent¬
fernung des Stranges vollständig gehoben, ohne dass eine Magenfaltung nOtig war.
Wenn aber der Magen so fixirt ist, wie bei Fall X E. L., an der hintern
Wandung in weiter Ausdehnung und vorn durch ein breites Band, so ist nicht viel
Hoffnung auf Besserung, geschweige Heilung, besonders wenn noch so grosse Partien
der Wandung narbig verdickt oder infiltrirt sind. Gleichwohl werden wir bei derartigen
Befunden die Stränge und auch breitere Adbsesionen lösen, so weit dies mOglich ist.
Um frische Verwachsungen zu verhüten, bedeckt man die Wunde am besten mit
einer Falte, wie bei X E. L. und ebenso allfällige Stellen von Geschwüren, wie oben
schon erwähnt. Ob eine Faltung des Magens zur Verkleinerung gemacht werden soll,
hängt von dem Zustand der Wandung resp. ihrer Contractilität ab; auch die Form
kann hier massgebend sein, indem es gewiss angezeigt erscheint, bestehende Divertikel,
Verticalstellung, Sanduhrform etc. durch entsprechende Faltung zu corrigireu.
So komme ich zum Schluss, dass die Faltung des Magens angezeigt ist:
1) Zur Verkleinerung des Organes bei Dilatation in Folge von Störungen der
Innervation oder Erkrankung der Wandung (Atonie, Atrophie), wenn die andern Be¬
handlungsweisen erfolglos sind.
2) Zur Beseitigung von partiellen Ectasien, sowie andern abnormen Formen und
Lageveränderungen.
3) Zur Deckung von Wunden nach Ablösen von Adhsesionen.
4) Zur Deckung von Stellen, welche an der Innenseite ein Geschwür vermuten
lassen, besonders bei Tendenz zur Perforation.
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564
Die Narcosen im Basier Kinderspitai.
Von Dr. E. Wieland, Assistenzarzt.
Ohne auf die immer noch schwebende und im Correspondenzblatt fär Schweizer
Aerzte raehrfacb von competenter Seite erörterte Streitfrage «Chloroformnarcose versus
Aetbernarcose* eingehen zu wollen, glauben wir eine bestehende Lücke in dem grossen,
über diesen Gegenstand angebäuften Litteraturmaterial auszuffillen, wenn wir, einem
von Herrn Prof. Hagenbach geäusserten Wunsche gerne nachkommend, über die Art
und Weise sowie über die Resultate der im Basler Kinderspital ausgeführten Narcosen
berichten.
Es dürfte in ärztlichen und speciell in chirurgischen Kreisen die Ansicht ziem¬
lich allgemein Geltung haben, dass die Narcose im Kindesalter ein verhältnismässig
(das heisst im Vergleich zu der Narcose bei Erwachsenen) gefahrloser Eingriff sei.
Die Gründe für dieses günstige Verhalten werden wohl mit Recht in der dem jugend¬
lichen Organismus eigenen Integrität und Zähigkeit, in dem Fehlen der mit dem Alter
sich einstellenden, degenerativen Vorgänge in innern Organen (Herz, Gefässen, Lungen)
und in der bei Kindern sehr ausgesprochenen Wirksamkeit kleinster Mengen von
Anästheticis gesucht. Dessbalb an eine Art Immunität des Kindesalters gegen¬
über Anästheticis zu glauben, wäre unrichtig.
In seiner Bearbeitung der Anästhetica im Gerhardt'8c\ieü Handbuch der Kinder¬
krankheiten bespricht Demme die Anwendungsweise, die Indicationen und Gefahren der
verschiedenen bekannten Arten von Anästheticis speciell für das Kindesalter. Wir
können daraus entnehmen, wie schwere ZuBllle jeder Art, auch Todesfälle, sich in der
Narcose bei Kindern aus denselben Gründen, wenngleich viel seltener ereignen als wie
bei Erwachsenen.
Von den zwei hauptsächlich in Frage kommenden Anästheticis, Chloroform und
Aether, giebt Demme dem Chloroform für alle Altersstufen der Kindheit den Vor¬
zug «der Leichtigkeit seiner Anwendung, der Schnelligkeit und Regelmässigkeit seiner
Wirkung wegen.* Den Aether hält Demme bei Säuglingen und jungen Kindern wegen
seiner stark reizenden Eigenschaften auf die Respirationsschleimhaut für contraindicirt,
. bei älteren Kindern dagegen für anwendbar. Dass Demme auch späterhin diese Ansicht
vertrat, zeigt eine Aeusserung an der XXXIII. Versammlung des ärztlichen Centralver¬
eins in Olten (1889)'), wo er sich als ständigen Anhänger der Chloroformnarcose bei
Kindern erklärte.
Durch den Umschwung zu Gunsten der Aethernarcose, der sich in den letzten
Jahren vollzogen hat und der an vielen chirurgischen Kliniken des Auslandes und der
Schweiz zu einer Verdrängung des Chloroforms durch den Aether geführt bat, ist auch
der Narcose bei Kindern wieder mehr Beachtung geschenkt worden. Von verschiede¬
nen Seiten ist in neuester Zeit die Aethernarcose auch bei Kindern jeden Lebensalters
mit Erfolg angewandt worden.^)
*) Correspondenz-Blatt für Schweizer Aerzte. Jahrgang XIX, 1889. Seite 719.
*) Julltard, Prof, de clin. chirurg. ä Geneve; „L’dther est-il prdferable an chloroforme?“ —
Revue mddicale de la Suiase Romande. Fdvr. 1891.
Dr. Fr. Dumont: «Ueber die Verantwortlichkeit dea Arztes bei der Chloroform- und Aether-
narcoae“ in der Festschr. herausgegehen zu Ehren des Prof. Kocher in Bern. 1891.
Prof. Garrii „Die Aethernarcose.“ Tfibingen 1893.
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Die Erfahrungen, welche seit mehr als 25 Jahren am Basler Einderspital mit
den Narcoseo gemacht wurden, dürften ein weiteres Interesse beanspruchen. Es wurde
in diesem ganzen Zeiträume, d. h. seitdem Herr Professor Hagenbach Vorsteher dieser
Anstalt ist, ausschliesslich — und wie wir gleich hier bemerken wollen — mit bestem
Erfolge die Chloroformnarcose angewandt.
Vom Beginn des Jahres 1869 bis Ende des Jahres'1893 wurden im Basler
Kinderspital 2548 Narcosen (mit Ausschluss der poliklinischen) ausgeffihrt. Davon
sind 2341 Chloroform-, 200 Bromäthyl-, 4 Aether- und 3 Pentalnarcosen. Zu dieser Ziffer
bemerken wir, dass die Zahl der in Wirklichkeit ausgefnhrten Narcosen sich beträchtlich
höher stellen dürfte, da nur die in den Erankenjournalen registrirten Narcosen
berücksichtigt wurden. Leider aber vermissten wir nicht selten, besonders in den
früheren Jahrgängen der Erankenjournale jede Angabe über die Narcose, auch bei
chirurgischen Eingriffen, die im Kindesalter ohne Anästhesirung nicht denkbar waren.
Wir halten uns für berechtigt, die nicht aufgezeichneten Narcosen als regelrecht
verlaufene zu betrachten und sie hei Beurtbeilung unserer Narcoseresultate ausser
Frage zu lassen. Wir dürfen dies um so eher, als Herrn Prof. Hagenbach während
seiner mehr als 25jahrigen Thätigkeit am hiesigen Kinderspitale nicht nur kein Todes¬
fall bei oder als unmittelbare Folge der Narcose, sondern auch keine der bei Erwachse¬
nen so häufigen schweren Zufälle (Gollapse, Asphyxien) vorgekommen sind.
Die Vorbereitungen der Patienten zur Narcose bestehen in mehrstündigem
Fasten vor der Operation, von welcher Regel nur bei ganz jungen Kindern, welchen
öfters zu trinken gereicht werden muss, abgewichen wird. Im letztem Falle wird 2
bis 4 Stunden vor der Operation noch etwas Milch verabfolgt.
Die Administrirung des Chloroforms geschah in der überwiegenden Zahl
der Fälle mit der Esmarch’scben Maske. Seit einigen Jahren steht ein dem Junker-
Kappeler’schen Apparate nachgebildeter, auf demselben Princip der Chloroformluft¬
mischung beruhender Inhalationsapparat ausschliesslich in Anwendung. Die Gründe,
welche zur Einführung dieser Neuerung führten und die Erfahrungen, welche mit
diesem etwas complicirten Cbloroformirungsapparate bei Kindern gemacht wurden,
sollen weiter unten zur Sprache kommen.
Das Geschäft des Cbloroformirens besorgt eine eigens darauf eingeschulte Schwester.
Die 2341 Chloroformnarcosen vertheilen sich auf das Alter der Kinder folgendermassen:
Chloroformnarcosen bei Kindern im Alter von 1 bis 30 Tagen = 22.
Chloroformnarcosen bei Kindern im Alter von 1 bis 12 Monaten = 173.
Chloroformnarcosen bei Kindern im Alter von 1 bis 5 Jahren = 1054.
Die übrigen 1092 Chloroformnarcosen fallen auf Kinder im Alter von 5 bis 16 Jahren.
Wie bereits erwähnt sind sämmtliche Chloroformnarcosen ohne gefahrdrohende
Störungen verlaufen. Die einzigen Unregelmässigkeiten, welche wir bei genauer
Durchsicht der Krankengeschichten aufzufinden vermochten, waren folgende Vor¬
kommnisse:
1. Siebenjähriges Mädchen; 2 Chloroformnarcosen. — Die
erste Narcose verlief glatt. Bei der zweiten Narcose heisst es in dem Journal : „Narcose
unvollständig. Bald trat heftiger Zwerchfellskrampf ein, der Erbrechen und vor¬
übergehend asphyktische Anfälle hervorrief.“
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Wir gehen schwerlich fehl, wenn wir diese asphyktischen Anfälle auf Eindringen
des Erbrochenen in den Larynx beziehen. Weitere schlimme Folgen traten
nicht ein.
II. Zweieinhalbjähriger Knabe; 1 Chloroformnarcose. Wir
finden an der betreffenden Stelle: „Nach einem Minimum von Chloroform Sopor.
Pupillen eng, reactionslos. Athmung langsam, röchelnd, aussetzend. Puls immer
gut. Bald Athmung spontan wieder regelmässig und kräftig.“ Die Narcose wird an¬
standslos zu Ende geführt.
Es scheint sich hier um einen der nicht so seltenen Fälle von vorübergehender,
reflectorischer Parese des Athmungscentrums im Beginn der Narcose zu handeln. Dass
Blutdruckcentrum und Herz nicht betheiligt waren, beweist das Gutbleiben des Pulses.
Dementsprechend gieng auch die Störung rasch und anstandslos vorüber. *)
III. Bei einem wegen hochgradigen Einziehungen tracheotomirten, zwei¬
einvierteljährigen, an Larynxcroup leidenden Rinde findet sich
bei Beschreibung der Operation folgender Passus: „^hon zu Beginn der Narcose Zunahme
der Einziehungen; Auftreten von Cyanose im Gesicht. Aufhören der Athmung.
Puls noch fühlbar.“ Die rasch ausgefübrte Tracheotomie rettet den Patienten.
Wir unterlassen es auf zwei ganz analoge Fälle (Tracheotomien bei
hochgradiger Dyspnoe) näher einzugehen. Wir dürfen in solchen Fällen kaum
von einer Chloroformwirkung als solcher, sondern blos von einer durch die ein¬
dringenden, irrespirabeln Dämpfe und die Abwehrbestrebungen des Patienten hervor¬
gerufenen Steigerung schon bestehender Athmungshindernisse
sprechen.
Wer Gelegenheit gehabt hat, bei vorgeschrittener inspiratorischer Dyspnoe zu
tracheotomiren, weiss, wie leicht aus den verschiedensten Gründen (Aufregung des
Patienten, unrichtige Lagerung des Kopfes, längere Dauer der Operation) Cyanose
und Stockung der Athmung auch ohne Mitwirkung eines Tropfens Chloroform ein-
treten kann.
Wir pflegen bei Tracheotomien wenn immer möglich zu chloroformiren und sehen
davon keine Nachtheile, sondern blos Vortheile, indem durch die eintretende Ruhe die
vorher stossweise, angestrengte Athmung tiefer, regelmässiger und langsam, und der
Puls nicht selten besser wird. Hochgradige Kohlensäureintoxication in Folge von
Tracheostenose verlangt allerdings sehr sorgfältige Anwendung von Chloroform;
in den schwersten Fällen wird die Narcose besser unterlassen, um nicht die geringen
Mengen von sauerstoffhaltiger Luft, welche ihren Weg zur Lunge finden, durch die
irrespirabeln Cbloroformdämpfe zu verdrängen. Die Aethernarcose halten wir,
wegen der reizenden Wirkung auf die Respirationsschleimbäute, bei Tracheotomien für
direct contraindicirt.
Von weitern Beobachtungen, die wir bei unsem Narcosen zu machen Gelegenheit
haben, sind noch folgende von Interesse: Reflectorisches Erbrechen sehen
Ein ähnliches aber ungleich aufregenderes Ereigniss ist das vollständige Sistiren
der Athmung (nicht blos anssetzende Athemznge wie in unserm Falle), welches bei Erwachse¬
nen und namentlich anch bei Kindern in besonders unvermittelter Weise in der
Aethernarcose hie und da vorkommt, aber nach Julliard Dank der Fortdauer der
Herzaction durch einfache Mittel (Anssetzen der Aetherinhalationen, Waschungen des Gesichts
mit kaltem Wasser) erfolgreich bekämpft werden kann. Prof. Julliard, ßev. m^d. d. 1. Suisse
Rom. 1891, p. 118.
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567
wir der Narcose, trotz vorgängigem Fasten, sehr häufig folgen; eine Ausnahme machen
ganz junge Kinder und Säuglinge. Oft finden wir, besonders bei älteren Kindern,
üebelkeit und Brechreiz noch am folgenden Tage verzeichnet. Empfindliche Kinder
sind manchmal Tage lang nicht im Stande, gehörig zu essen und kommen dadurch
vorübergehend mehr herunter als durch den operativen Eingriff (Blutverlust) selbst.
Dagegen begegnen wir nie, auch bei lange dauernden Chloroformnarkosen und starkem
Brechen einer schädlichen Einwirkung auf die Kespirationsschleimhaut (Bron¬
chitis, katarrhalische Pneumonie) wie dies in neuester Zeit auch für Chloroform betont
wird (Karewski). Im Fehlen der Reizerscheiniingen von Seiten der zarten, kindlichen
Respirationsschleimhäute sehen wir den Hauptgrund für die Bevorzugung des Chloro¬
forms in der Kinderpraxis gegenüber dem zweifellos stärker reizenden Aether.
Ein Umstand, dem nicht viel Beachtung geschenkt zu werden scheint und den
wir auch in der Litteratur nirgends berücksichtigt finden, dem aber^ eine praktische
Bedeutung nicht abzusprechen ist, ist das gelegentliche Auftreten von acuterOastroen-
teritis oder von acuter Steigerung einer schon bestehenden
Magendarmerkrankung alsFolge der einmaligenChloroform-
n a r c 0 s e bei ganz jungen Kindern. Diese zeigen, wie schon erwähnt, ungleich weni¬
ger Neigung zum refiectorischen Erbrechen als ältere Kinder. Nach Demme stellte
sich unter 33 Chloroformirten Säuglingen seiner Beobachtung nur bei einem Erbrechen
ein; bei dreien fanden Brechbewegungen ohne wirkliches Erbrechen statt.
Für die Aetiologie einer eigentlichen Gastroenteritis dürfte wohl ausschlies-
lich Verschlucken vonChloroform in concentrirter Form und da¬
durch örtliche Reizung der Magendarmschleimhaut massgebend
sein. Die grosse Mehrzahl der Kinder athmet bei der Narcose durch den Mond, wo¬
durch Gelegenheit zum Verschlucken von Chloroformdärapfen gegeben ist. Wir treffen
ferner diese Chloroformgastroenteritiden besonders häufig bei Kindern, die in Folge
angeborener Missbildungen der Mundhöhle (Labium fissum, Wolfsrachen) unfähig sind,
sich durch Schliessen des Mundes gegen das Eindringen zu concentrirter Dämpfe zu
schützen. Dass die C o n c e n t r a t i o n der Chloroformdämpfe dabei von Bedeutung
ist, geht für uns daraus hervör, dass diese lästigen und für das Kind lebensgefähr¬
lichen Folgen seit Anwendung des Chloroformluftgemisches im hiesigen Kinderspital
nicht mehr oder nur andeutungsweise zur Beobachtung gekommen sind. Einige Bei¬
spiele mögen das Gesagte verdeutlichen:
I. Zehn Tage altes, kräftiges Kind mit Labium fissum.
Vor der Operation Stuhlgang regelmässig, dickbreiig; im Anschluss an die glatt und ohne
Blutverlust verlaufene Operation der Hasenscharte folgen sich täglich 4 bis 5 und mehr
dünne, schlecht verdaute Stühle. Nach 10 Tagen Exitus letalis. Die Sectiou ergibt
Enteritis und allgemeine Atrophie.
II. Drei Monate altes Kind mit Labium fissum. Wegen
Platzens der Naht werden 2 Nachoperationen nothwendig. Bei der 2. Nachoperation
heisst es in der Krankengeschichte: y,Das Kind braucht enorm viel Chloroform.^ Vom
Tage der Operation treten anhaltende, unstillbare Diarrhcen auf; nach 14 Tagen er¬
folgt Tod.
in. Drei Monate altes Kind mit Labium fissum. Im An¬
schluss an die Operation erfolgt einmal Brechen, dann Eintritt profuser Diarrhoen. Das
Kind erholt sich nach wenigen Tagen und tritt geheilt ans.
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IV. Zwei Monate altes, völlig gesundes Kind mit einer
kleinen Teleangiectasie im Gesicht. Zwei Tage nach der Operation
(Excision in Chloroformnarcose ohne Blutverlust) tritt Brechen, etwas später treten profuse
Diarrhcsn ein, nach 4 Tagen erfolgt der Tod.
In diesem Falle mag vielleicht das etwas späte (2 Tage post operationem) Ein¬
setzen der Magendarmerkrankung aufbllen. Ein Zusammenhang mit dem chirurgischen
Eingriff oder vielmehr mit der Narcose erscheint uns gleichwohl bei dem vorher
durchaus gesunden Kinde sehr wahrscheinlich. Am ungezwungensten dürften
sich dieser und ähnliche Fälle in der Weise erklären lassen, dass in Folge Eindringens
von Chloroformdämpfen in den kindlichen Verdannngstractus eine Schädigung der
Funktionen der Magenschleimhaut und dadurch eine Disposition zu anderweitiger,
bacterieller Infection erzeugt wird.
Schliesslich erwähnen wir noch, dass wir nicht selten bei ganz jungen, schon
vorher an dünnem Stuhlgang leidenden Kindern, nach der Narcose Eintreten von meist
vorübergehender Diarrhoe (5 bis 8 Stühle täglich) anfgezeicbnet finden. Hier tritt zu
einer schon bestehenden, chronischen Verdauungsstörung eine acute Eiacerbation hin¬
zu, die wir dem Einfluss der Chloroformnarcose zuschreiben. Bei dem leichten Ein¬
treten von Verdauungsstörungen im ersten Kindesalter ist jedoch zuzugeben, dass auch
noch eine Möglichkeit für anderweitige Ursachen besteht.
Für sonstige, schlimme Nachwirkungen des Chloroforms, nach sehr langen
oder nach sehr oft und in kurzen Zwischenräumen wiederholten
Chloroformnarcosen (Degenerationen innerer Organe, Fettleber,
Fettherz; Nothnagel, Ungar und Strassmann, mit Vorbehalt auch Karewski)
— können wir in dem uns vorliegenden Materiale keine Belege Anden. Der Kinder¬
arzt kommt häufig iu den Fall wegen geringfügiger Eingriffe narcotisiren zu müssen
und die Narcose öfters zu wiederholen (z. B. beim Verbandwechsel ungeberdiger Pa¬
tienten). Es ist bei uns nichts Ungewöhnliches, dass Kinder sechs-, acht-, zehnmal
und mehr chloroformirt werden, ohne dass Nacbtbeile hievon erkennbar wären. So
machte ein siebeneinhalbjähriges, an schwerer multipler Tuberculose leidendes Mädchen
nicht weniger als 22, zum Theil lange dauernde Chloroformnarcosen durch. Das Kind
starb schliesslicb an miliarer Tuberculose.
Ein anderes, drei Jahre und zwei Monate altes Kind wurde Idmal chloroformirt
(jeden zweiten Tag beim Verbandwechsel). Drei weit|)re Kinder wurden je 9 m a 1,
nenn Kinder (wovon sechs unter fünf Jahren) je 8 m a 1, sieben Kinder je 7 m a 1,
fünfzehn (worunter ein blos 2 Monate altes) 6 m a 1 und über fünfzig Kinder je 4
oder 5mal chloroformirt.
Bei diesem Anlasse mag bemerkt werden, dass unser Kindermaterial durchaus
kein gutes und kräftiges ist, sondern sich zum grössten Tbeil aus den ärmsten Schichten
der Arbeiterbevölkerung Basels rekrutirt. Und dennoch haben wir beständig Gelegen¬
heit zu sehen, wie diese schlecht genährten, zudem oft durch lange dauernde Eite¬
rungen heruntergekommenen Kinder wiederholte Chloroformnarcosen merkwürdig gut
ertragen. . ^
Bei kleinen Eingriffen (schmerzhaften Verbandwechseln, Punktionen von Abscessen,
Jodoformölinjectionen) ist io den letzten Jahren vielfach die Bromäthylnar-
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cose') an Stelle der Chloroformnarcose getreten. Von 1890 bis 1893 worden 200
Broinäthylnarcosen ausgeführt In Wirklichkeit waren es jedenfalls weit mehr; wie
Eingangs erwähnt wurden aber nur die n o t i r t e n Narcosen berücksichtigt. Die
Erfolge sind recht befriedigende. Es wird durchschnittlich 1 gr Bromäthyl pro Alters¬
jahr des Kindes berechnet; häufig erzielen wir. auch mit geringem Dosen genügende
Anästhesie. Von unangenehmen Erscheinungen beobachteten wir gelegentlich Eintreten
vonCyanose des Gesichts am Schlüsse der Narcose, die bei Entfernung der
Maske sofort schwand. Die Angaben über abnorm häufiges Erbrechen bei und nach
der Bromäthylnarcose mit folgender grosser Erschöpfung, welche Bemme nach aller¬
dings blos zwei Versuchen von einer weitem Verwendung dieses Anästheticums bei
Kindern abstehen Hessen,*) können wir nicht bestätigen. Wir haben sogar öfters Kin¬
dern bald nach der Nahrungsaufnahme Bromäthyl reichen sehen, ohne dass Er¬
brechen eintrat. Das einzige Unangenehme des Bromäthyls bei Kindern liegt
in dem widerwärtigen Knoblaucbgeruch, welcher die kleinen Patienten Stunden und
oft noch Tage lang nach der Narcose plagt, und wegen dessen wir oft Mühe haben,
ein empfindliches Kind zum zweiten Mal zur Bromäthylnarcose zu bewegen.
Den 4 Aether- und den 8 Pentalnarcosen ist als blossen Versuchen nichts Weite¬
res beizufögen.
Dagegen möchten wir noch kurz über die Erfahrungen der letzten Jahre mit
dem Chloroformlnftgemisch bei Kindern berichten.
Die Versuche an Stelle von reinem Chloroform messbare Ghloroformluftmischungeu
zum Narcotisiren zu verwenden, geben bekanntlich auf experimentelle Untersuchungen
an Tbieren zurück, welche hauptsächlich von den Physiologen Paul Bert und Kronecker
angestellt worden sind. Die Versuche bestanden im Wesentlichen darin, dass es diesen
Forschern gelang, besagte Thiere (Hunde und Kaninchen), welche bei der gewöhnlichen
Cbloroformirungsmethode mit concentrirten Chloroformdämpfen nach kurzer Zeit un¬
fehlbar zu Grunde gingen, stundenlang in Narcose zu halten bei Verwendung von
Chloroformluftmischungen von bestimmtem, procentischem Chloroformgebalt. Für
Kaninchen ergab sich als die günstigste Mischung eine 5 bis 6 ccm., für Hunde eine
8 ccm., fßr den Menschen nach P. Bert eine 8 bis 12 ccm. Chloroform anf 100 Liter
Lnft haltende Cbloroformlnftmischung.
(Schluss folgt.)
Ein neuer aseptischer Narcotisirapparat
Von Dr. A. SchSnemanilp Arzt in Glarus.
ln verschiedenen ausländischen Fachzeitschriften (Fester med. Chirurg. Presse 1894
Nr. 4. — Wiener therap. Blätter 1894, Nr. 2. — Deutsche Monatschrift für Zahnheil¬
kunde 1894, 8. Heft) wird über einen „Narcotisirungsapparat aus Glas*^ referirt, welcher
construirt resp. erfunden wurde von Dr. med. Vajna^ Docent der Zahnheilkunde in Buda¬
pest. Diese Mittheilungen veranlassen mich über einen von mir schon im Januar 1893
‘) Bezoglich des Bromäthyls verweisen wir auf die bekannte Arbeit von Haffter („Die
Bromäthylnarcose.“ Correspond.-Bl. f. Schw. Aerzte. Jg. 1890), welche diesem ausgezeich¬
neten und vorher wenig beachteten Anästheticum zur richtigen Würdigung in ärztlichen Kreisen
verhalf.
*) D e m m e 1. c.
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570
constniirten resp. patentirten Narootisirapparat aus Glas zu beriohten, welcher dem Yajnc^-
sehen Apparat in Terschiedener Hinsicht überlegen sein dürfte. Der Grund, warum die
Publication erst jetzt, also 1 Vs n^ch seiner Erfindung erfolgt, ist lediglich der, weil
der Apparat zuerst seine practische Leistungsfähigkeit beweisen sollte, bevor er weiteren
Kreisen bekannt gemacht wurde.
Der in Frage stehende Apparat besteht im Wesentlichen aus einer dem Gesicht
angepassten Glasmaske, zwei in letztere eingepassten Einsätzen, einem Chloroformrecipienten
und einem Doppelgebläse.
Die Glasmaske weicht insofern von der gewöhnlichen Form der Masken ab,
als sie auf ihrem am meisten vorgewölbten Punkt einen röhrenartigen Fortsatz tragt
(Kamin), welches zur Aufnahme zweier, je nach der Narcotisirungsmethode verschiedener
Verschlüsse dient. Seitlich ist das Kamin durchbohrt von zwei Löchern, „den Respira-
tionslöchem". Die Einsätze reprasentiren mit Gaze resp. Wolltuch überzogene
Drahtgestelle und sind bestimmt zur Aufnahme des Narcoticums. Der Chloroformrecipient
ist eine Nachbildung des von Spitalarzt Dr. Kappeier in Münsterlingen construirten Ge-
fässes und dient speciell für die von ihm in die Praxis eingeführte Luftgemischmethode.
Die Verwendung dieser einzelnen Theile des Apparates ist nun verschieden, je nach
der Narcotisirungsmethode, welche angewendet werden soll.
a) Aether- und Brommthyl-Narcose. ln die Glasmaske wird der
mit Gaze überzogene glockenförmige Einsatz gesetzt. Das Kamin wird verschlossen mit
dem einen der beigegebeneh Pfropfen, der Aether, ca. 20—30 gr. auf einmal, (Brom-
rnthyl 10 gr. und weniger) von innen auf die Gaze geschüttet und nachher dem Patienten
die Maske zunächst in einiger Entfernung, hernach luftdicht vor das Gesicht gehalten.
Sollte die Maske in Folge abnormer Magerkeit des Patienten nicht luftdicht schliessen,
so wird mit Unterlegen von etwas Watte nachgeholfen. • So angewendet muss nun der
Patient die ihm zur Respiration dienende Luft durch die mit Aether resp. Broma3thyl
getränkte Gaze hindurchziehen, was einerseits eine Beschleunigung der Narcose, andrer¬
seits eine wesentliche quantitative Verminderung des Narcoticums bedingt.
b) Chloroformtropfmethode, ln die Glasmaske wird der schildförmige
Einsatz gepasst, das Kamin mit dem von einem kleinen Glastrichter durchbohrten Pfropf
verschlossen. Das Chloroform wird tropfenweise in das Trichterchen gegossen (während
dem Patienten die Maske aufgesetzt ist). Der schildförmige Einsatz, welcher das Ende
des Trichterchens umfangt, saugt das Chloroform auf und erzeugt im Innern der Maske
Chloroformdämpfe wie bei der Esmarch'wiheii Maske. —
c) Luftgemischmethode. Das Kamin der leeren Maske wird abgeschlossen
mit dem von einem abgebogenen Röhrphen durchbohrten Pfropf. Das Röhrchen ist
mittelst eines Gummischlauches mit dem Kappeler^sehen Recipienten in Verbindung, in
welchem durch das von Dr. Kappeier hinlänglich bekannt gegebene Verfahren Chloro¬
formdämpfe vermittelst des Doppelgebläses erzeugt und durch den Schlauch der Maske
resp. dem Patienten zugeführt werden.
Die Vortheile dieses Apparates sind aus dem Gesagten leicht zu ersehen.
1) Die universelle Brauchbarkeit nicht nur in Bezug auf das Narcoticum,
sondern auch in Bezug auf die Applicationsmethode.
2) Leichte Möglichkeit der Reinhaltung (Asepsis).
3) Durchsichtigkeit (sollte sich durch die Exspirationsluft die Innenwand
der Maske beschlagen, so wird di^lbe mit einem mit Glycerin eben befeuchteten Watte«
bäuschchen abgerieben).
An Einfachheit lässt wohl der ganze Apparat für das, was er leistet, nichts zu
wünschen übrig.
Derselbe ist, wie ich schon anfangs bemerkte, seit Sommer 1893 in mehreren
Ländern patentirt und zu beziehen durch die Fabrik ebirurg. Instrumente von Hanhart
und Ziegler in Zürich.
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Zur Behandlung der Psychopathen.
An verfehlten Existenzen, durch mangelhafte Himanlage, Psychopathie und der¬
gleichen mehr, fehlt es bekanntlich heutzutage nicht. Eine grosse Zahl solcher
Fälle werden irrthümlicherweise mit dem Schlag wort „Neurasthenie" abgefertigt, in
Badem und Curorten herumgeschickt, bis sie ihr bischen Hab und Gut verbraucht
haben und oft verzweifelt mit ihrem verpfuschten Dasein dem rathlosen Arzte gegen¬
über stehen.
Bekanntlich erzielt man in den Irrenanstalten durch landwirthschaftliche Beschäfti¬
gung, sogar oft durch zwangsmässige Anwendung derselben im Anfang, die besten Heil¬
resultate, besonders bei chronischen Fällen. Das kommt einfach daher, dass abnorme
und schwache Gehirne dem intensiven, einseitigen, geistigen Kampf um’s Dasein von
heute nicht gewachsen sind, während sie bei einer mehr harmonischen natürlichen Lebens¬
weise, starker Muskelthätigkeit, Nachahmung des Urzustandes der Menschheit sich oft
viel leistungsfähiger erweisen, sich erholen, und sogar ihr Leben selbst fristen und ver¬
dienen können. Dem kranken oder minderwerthigen Organ darf man nur die geringste
und einfachste Arbeit zumuthen.
Zwar hat die Medicin diese Thatsache vielfach erkannt und gesucht, ihr gerecht
zn werden. Doch begeht man meistens den Fehler, thenre „Curen" zu empfehlen, nach
deren Beendigung der Patient in die alte Lebensweise, etwas gestärkt, aber mit erleich¬
terter Börse zurückkehrt, so dass Alles bald wieder beim Alten ist. Auch hat man
Apparate zur Erzeugung gleichmässiger Körperbewegung (z. B."der Ergostat von Gärtner)
erfanden, die vor Allem zwecklose Arbeit und tödtliche Langeweile erzeugen. Man ver¬
gisst den „psychischen Factor", der darin besteht, dass der Mensch erst Freude hat,
wenn er für einen Zweck arbeitet, damit etwas ausrichtet, Geld verdient, und dass ferner
die Hebung des Gemüthes, das Gefühl, für seine Zukunft zu sorgen, enorm wichtige
Heilfaotoren sind.
Von diesem Gesichtspunkt ausgehend, erachte ich in solchen Fällen eine definitive
Aenderung der Lebensweise für angezeigt. Dieselbe besteht vor Allem im Verlassen
geistig anstrengender, mit Sorgen und Risiko verbundener Berufsarten, die so wie so
überfüllt sind und zu einem immer grösseren, nichtsnutzigen Proletariat von Literaten,
Kaufieuten, Oommis etc. führen — dafür resolutes Uebergehen zum landwirthschaftlichen
Beruf, zur Gärtnerei oder zu einem Handwerk. Dadurch habe ich schon in verzweifelten
Fällen recht gute Resultate erzielt; ich habe sogar schon vornehme Damen mit Erfolg
zu Bauemarbeit geschickt. Eine landwirthschaftliche Schule für Psychopathen wäre eine
gute Sache.
Herr A. Grohmann, Hegibach 22, Zürich Y., hat es sich zur speciellen Aufgabe
gestellt, für solche Nervenkranke und Psychopathen zn sorgen, denen besonders nützliche
körperliche Beschäftigung Noth thut, indem er ihnen das zu Gärtner-, Tischler- und son¬
stigen Arbeiten Nöthige in Anleitung und Werkzeug gibt und für eine dem individuellen
Fall angemessene Intensität, Abwechslung und Methode der Arbeit sorgt und sorgen
kann, da seine Aufmerksamkeit auf eine kleine Zahl von Patienten vertheilt ist und er
Erfahrung im Umgang mit solchen Kranken hat. Die Erfolge, die er damit in einzelnen
Fällen erzielt hat, (z. B. ein Fall Hypochondrie, ein Melancholie durch Fall auf den
Kopf, eine „Neurasthenie") verdienen alle Anerkennung.
Herr Grohmann ist Gärtner und zugleich durchaus gebildet. Ich kann seine dies¬
bezügliche Einrichtung den Collegeu bestens empfehlen, die solche Patienten haben. Die
Preise des Herrn Grohmann sind durchaus bescheiden.
Es ist ein Anfang, eine Versuchsstation. Möge sie gute Früchte tragen.
Dr. A, Forel^ Professor in Zürich.
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f
— 572 —
'Vex*eiiisi>eiriolite.
Medicinisch-pharmaceutischer Bezirksverein Bern,
i. Siteaif !■ SABBerseaester 1894 , Dieaster» ^ Uhr Aheads, Ib Casiaa.')
Präsident: Dr. Bummt. — Aotoar: Dr. Bohr,
Anwesend 33 Mitglieder.
1) Das Präsidium theilt mit, dass in Betreff der Monbijou-Angelegenheit noch
keine Antwort vom Qemeinderath eingetroffen sei.
2) Es wird die Anfrage des Vereins „Frei-Land“ an den Med.-pharm. Bezirks-
Verein betreffend TheiInahme an einer in der Stadt Bern vorzunehmenden Wohnungs-
enqu^te verlesen.
Dr. Schenk unterstützt die Anregung und theilt mit, dass die Sanitätsoommission
sich schon eifrig mit der Sache beschäftigt habe. Als Delegirte des Vereines zu den
diesbezüglichen Verhandlungen werden gewählt die Herren Prof. Tave^ Dr. Bubois und
Dr. Amd,
3) Herr Director Dr. Guillaume: Die OrfMlsmllen des Sanllitsweseas in Bn|f-
Innd. Die Choleraepidemie des Jahres 1831 veranlasste die Regierung zur Einsetzung
der Choleraoommission und diese Einriohtung gab den Anstoss zur Entwicklung der staat¬
lichen Gesundheitspflege. Unter der Führung von Edwin Chadwich bildeten sich zahl¬
reiche grosse Vereine, welche die Assanirung der Städte, die Verbesserung der Lage der
arbeitenden Klassen zum Zwecke hatten. 1834 schuf die Regierung eine Centralstelle
für das Armenwesen, ein Armengesetz, ein statistisches Bureau, 1838 eine Reichsgesund¬
heitscommission, 1848 ein Reichsgesundheitsgesetz und ein Reichsgesundheitsamt. 1858
wurden eigene Reichsgesnndheitsbeamie vorgesehen. Diese Einrichtungen waren den Er¬
folgen zu verdanken, die England durch seine prophylactische Medicin im Krimkriege
machte. Zur Durchführung derselben wurde die Militärarztschule in Netley gegründet,
bei der die Militärbygiene einen Hauptbestandtheil des Unterrichtes bildet. Die medici-
nischen Facultäten wurden angehalten, den Unterricht der Hygiene zu entwickeln. Der
Gesundheitsbeamte (ofdcer of health) muss ein patentirter Arzt sein, der auch ein Special¬
examen in Gesnndheitswissenschaft abzulegen hat. Er hat alles zu durchforschen, was
in dem ihm anvertrauten Bezirk auf die Gesundheit der Einwohner Einfluss haben konnte,
und die Berichte und Vorschläge darüber an die Behörden zu liefern. Der Thätigkeit
dieser Beamten ist zu verdanken, dass die Sterblichkeit seit 1875 stetig herabgegangen
ist. Die durchschnittliche Lebensdauer hat für die Altersperiode von 20—60 Jahren
für Männer um 2, für Frauen um 372 Jahre zugenommen. Damit geht Hand in Hand
eine Verminderung der Krankheitsfälle, der Zahl der Unterstützungsbedürftigen (um 30^0)
und der Verbrechen (um 227o). — Der Militärarzt hat seine Ausbildung bis in die
Einzelheiten des alltäglichen Lebens anszudehnen.
Die schweizerischen Gesundheitsverhältnisse sind nicht gerade schlimm, aber doch
vorbesserungsfahig. Wo die Mortalität 15®/oo übersteigt, lassen die hygienischen Ver¬
hältnisse zu wünschen übrig. Von den 15 grosseren Schweizerstädten hat nur Herisau
15®/oo im Jahre 1893. Der Durchschnitt beträgt 19,l®/oo. Von 43 Civilstandskreisen
mit 5—10000 Einwohnern haben nur 11 eine Mortalität unter 15®/oo. Es starben 1893
an Infectionskrankheiten in den 43 grosseren Civilstandskreisen 1333 Personen, an Tnber-
culose 2669, Kinderdiarrhoe 1345. Alle diese Krankheiten sind verhütbar. Zur
Verhütung derselben sollte auch in der Schweiz die Thätigkeit eines Gesundheitsbeamten
verwendet werden. Wenn man die Sterblichkeit durch Prophylaxis auf 15®/oo herab¬
drücken könnte, so würde das ein Verhüten von 3000 Todesfällen bedeuten. Dadurch
würde schon 1 Million Franken erspart und die Anstellung von 100 Gesundheitsbeamten
mit 8000 Fr. Besoldung ermöglicht werden.
‘) Eiogegangen 20. August 1894. Red.
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573
Die Cantone haben 1893 für den Sanitätsdienst 476,892 Fr. ausgegeben, oder
16 Rp. auf Fr. 25. 21 Gesammtausgabe pro Kopf der Bevölkerung. Würden alle Cantone
so viel wie Basel (75 Rp. pro Kopf) oder Genf (45 Rp.) ausgeben, so wäre die Ein¬
führung von Gesundheitsbeamten ermöglicht. Einstweilen muss das Volk über den
Nutzen derselben aufgeklärt werden.
Der Vortragende unterbreitet der Versammlung folgende Thesen:
1) Im Hinblick darauf, dass es wünschbar wäre, die Krankheits- und Sterblichkeits¬
ziffer in der Schweiz auf ein möglichst geringes Maass zu reduciren, sollte eine Organi¬
sation des Sanitätsdienstes angestrebt werden, bei der Bund und Cantone ihre An¬
strengungen auf die beste Art vereinigen würden. In jedem Canton sollten einer oder
mehrere, durch die erforderlichen sanitäts-wissenschaftlichen Kenntnisse hiefür geeignete
Aerzte amtlich beauftragt werden, über die öffentliche Gesundheit zu wachen, sowie auch
Epidemien und der Ausbreitung infectiöser Krankheiten vorznbeugen.
2) Mit zwei einzigen Ausnahmen erhält gegenwärtig nirgends ein Arzt vom Staate
einen Gehalt, der es ihm erlauben würde, sich ausschliesslich mit vorbeugender Medicin
zu beschäftigen. Es ist deshalb vorerst von Wichtigkeit, die öffentliche Meinung über
den Nutzen der Entwicklung des Sanitätsdienstes in den Cantonen aufzuklären.
3) Die medicinischen Gesellschaften können zu diesem Zwecke Wesentliches bei¬
tragen, indem sie fortfahren, Fragen öffentlicher Gesundheit und Hygieine in den Kreis
ihrer Besprechungen zu ziehen und den Inhalt solcher Besprechungen, sowie das Resultat
der Discussion in der Presse summarisch zu veröffentlichen. Auch könnten sie die
Gründung von hygieinischen Gesellschaften und Sammlungen anstreben, sowie die Or-
ganisirung periodischer, hygieinischer Ausstellungen, Institutionen, welche dem genannten
Ziele bedeutend Vorschub leisten würden.
Der schweizerische Aerzteverein sollte bei jeder seiner Versammlungen durch eines
seiner Mitglieder einen öffentlichen Vortrag über ein Thema aus der Hygieine, oder vor¬
beugenden Medicin halten lassen. Diese Vorträge wären zu veröffentlichen; sie würden
nach einigen Jahren eine Sammlung nützlicher Rathschläge bilden und so wesentlich dazu
helfen, die Entwicklung eines rationellen Sanitätsdienstes in der Schweiz zu beschleunigen.
4) Bis aber die Nothwendigkeit der Errichtung eines speciellen Vorbereitungskurses,
der die Erlangung eines Diploms als Doctor der Sanitätswissenschaft ermöglichen würde,
allgemein erkannt wird, sollte der gegenwärtig an den medicinischen Facultäten gegebene
Ours für Hygieine mehr entwickelt und zu einem Hauptstudiumszweig erweitert werden.
Ausserdem sollten bei den ärztlichen Fachprüfungen von den Examinatoren gründliche
und umfassende Kenntnisse auf dem Gebiete der Hygieine und Sanitätswissenschaft bei
den Candidaten verlangt werden.
Zur Verfügung des Professors der Hygieine und seiner Zuhörer sollte ein hygiei-
nisches Laboratorium und ein hygieinisches Museum gestellt werden.
5) Ein specieller Hygieinekurs sollte für die Militärärzte gegeben werden.
Discussion: Im Allgemeinen zeigt sich der Verein mit den Ausführungen und
speciell mit den 5 Schlussthesen des Verfassers einverstanden, und es werden diese im
Princip zu Händen des Protocolb einstimmig angenommen.
Dr. Schmid unterstützt auch die Forderung der Creirung von Gesundheitsbeamten.
Er erwähnt das Beispiel Genfs und Zürichs, deren neugeschaffene städtische Gesundheits¬
beamte zur allgemeinen Befiriedigung functioniren. Während jede englische Stadt von
ca. 100000 Einwohnern für Gesundheitsbeamte pro anno 50000 Fr. ausgibt, hat der
Bund ein Oesammtbudget von nur 80000 Fr. für das Gesundheitswesen. Besonders
wichtig ist aber eine gründliche hygieinische Ausbildung der Studirenden und Aerzte, die
bei uns sehr vernachlässigt wird. Dazu gehört auch die Errichtung eines hygieinischen
Institutes, ohne die ein gründlicher Unterricht in der Hygieine nicht denkbar ist.
Prof. Sahli und Prof. Müller unterstützen besonders die letztere Anregung. Sie
berichten, dass die medicinische Facultät obige Postulate schon früher gestellt habe und
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besonders in letzter Zeit die Errichtung eines hygienischen Institutes energisch angestrebt
habe. Die Unterstützung ihrer Bemühungen durch den Aerzte-Verein würde die Facultät
sehr begrüssen.
Dr. Schürer berichtet, dass die medicinisch-chirurgische Gesellschaft schon 1876
verschiedene ähnliche Postulate, wie der Referent in seinen Thesen, aufgestellt habe, so
die Errichtung eines oantonalen Gesundheitsamtes, cantonaler Sanitätsinspectoren etc.
Der Entwurf war seiner Zeit ausgearbeitet worden, aber nie in Kraft getreten; nur
einzelne Punkte wurden in einzelnen Verordnungen berücksichtigt.
Von Dr. Surhech^ Dr. Dutoit und Anderen wird darauf aufmerksam gemacht, dass
viele Aerzte, speciell auf dem Lande, die Verordnungen über Anzeigepflicht ansteckender
Krankheiten offenbar zu wenig kennen, wie denn gerade bei den letzten Epidemien zahl¬
reiche Unterlassungen vorgekommen seien. Eine gründliche Bekanntmachung der an¬
gehenden Aerzte mit diesen Verordnungen wäre also sehr nöthig.
Dr. Jordi wünscht, dass der Verein den Vortrag durch Druck verbreiten lasse.
Es wird schliesslich beschlossen, bei der Regierung die Schritte zur Errichtung eines
hygieinischen Institutes energisch zu unterstützen; zum nämlichen Zweck — nach Antrag
Dr. SchenVn — die städtischen Grossräthe zu einer Sitzung zur Anhörung des Vortrages
von Dr. Quillmme einzuladen, damit sie unsere Ansichten im plenum der Behörde ver¬
treten mögen.
Die Schlussthesen des Referenten sollen als Ausdruck der Ansicht des Vereins auch
dem Eidgenössischen Centralausschuss für die Medicinalprüfungen, dem Oberfeldarzt und
dem Ausschuss des Aerztlichen Central Vereins mitgetheilt werden.
Refeirate und X£i*itiken.
lieber die Anwendung von Electromagneten bei den Eisensplitterverletzungen des Auges.
Inangural-Dissertation (Zürich) von Adolf Hürzeler, pract. Arzt in Aarburg.
Hamburg, Leop. Voss. 1893.
An der Heidelberger Ophthalmologenversammlung im Sommer 1892 berichtete Prof.
Haab über einige Fälle, in denen es ihm gelungen war, mit Hülfe eines ausserordentlich
starken Magneten ins Augeninnere gedrungene Splitter derart aus dem Auge heraus-
zubefördem, dass sie den nämlichen Weg passirten, den sie beim Eindringen durchlaufen
hatten. Der Verf. der vorliegenden Arbeit theilt nun die diesbezüglichen Kranken¬
geschichten ausführlich mit und fügt noch weitere Fälle hinzu. Es sind im Ganzen 7
Beobachtungen. Ferner sind in der Arbeit 18 Fälle zusammengestellt, in denen nach
der frühem Methode mittelst schwächeren Magneten und unter Anwendung des Scleral-
Schnittes Splitter aus dem Auge herausbefordert wurden. Die Läsion des Glaskörpers
ist das Bedenklichste bei dieser ältem Methode. Es wird mit Recht betont, dass man
nicht zu früh über den Erfolg sich freuen soll, da Netzhautablösung recht häufig und
oft noch nachträglich hinzutritt. Bei Augenoperationen, die den Glaskörper in Mitleiden¬
schaft ziehen, soll der Erfolg erst nach Jahmsfrist notirt werden. Auf die grosse Vul¬
nerabilität der Macula lutea-Gegend bei Augenverletzungen — auch wenn jene Stelle
selbst nicht direct getroffen wird — ist auch in dieser Arbeit gebührend aufmerksam
gemacht.
Die Anwendung starker Electromagneten ist entschieden als ein grosser Fortschritt
in der Therapie der Angensplitterverletzungen zu betrachten. Wenn es durch blosse
Annäherang des Auges an einen solchen starken Magneten gelingt, nicht nur lose im
Glaskörper liegende, sondern in der Netzhaut steckende Splitter wenn nicht ganz aus
dem Auge heraus, so doch wenigstens in die vordersten Partien zu locken, so ist damit
viel gewonnen; denn der Glaskörper ist auf die Weise bestmöglichst geschont. Das Auge
ist sorgfältig in der Richtung des Einschlagswegs dem Magneten zu nähern, damit der
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Splitter keinen neuen Weg sich bahnen muss. Die Operation gibt um so bessere Pro¬
gnose, je früher sie ausgefuhrt werden kann.
Das sind die Hauptfolgerungen, die sich ans der sehr lesenswerthen Arbeit in Kürze
ziehen lassen. Pfister,
Prophylaxe und Beseitigung des Trachoms in der k. u. k. Bsterreichisch-
ungarischen Armee.
Von Dr. Karl Hoor^ k. u. k. Regimentsarzt, Docent an der Universität und Chefarzt der
Abtheilung für Augenkranke im Garnisons-Spital Nr. 17 in Budapest. Wien 1893.
Die 76 Seiten umfassende Abhandlung über die sogenannte „ägyptische Augen-
entzündung*^ betont in der Einleitung, dass die ausserordentliche Verbreitung der
Krankheit in Europa auf den ägyptischen Feldzug Napoleons znrückzuführen sei. In
Aegypten selbst ist das Leiden schon seit dem 16. Jahrhundert bekannt. Was die Frage
anbetrifft, ob die sogenannte chronische Blennorrhoe der Bindehaut und das Trachom
differente Erkrankungen seien, schliesst sich Yerf. der Auffassung derer an, die beide
Krankheiten identificiren. Auf das vorwiegende Befallensein der Gonjunctiva des Ober¬
lides ist differenzialdiagnostisch aufmerksam gemacht. Beim gutartigen Follicularcatarrh
ist fast ausschliesslich die Gonjunctiva des Unterlides afficirt. Yerf. zählt zu denen, die
diesen gutartigen Follicularcatarrh als durchaus in keinem Zusammenhang mit dem
bösartigen Trachom stehend betrachten. Was die Therapie anbetrifft, so hält Yerf. die
2^/oige Argentum nitricum-Lösung und den Guprum sulfuricum-Stift als die souveränen
Heilmittel. Erstere wird angewendet in den Fällen, wo die Entzündungserscheinungen
bedeutende und die Secretion eine stärkere ist; letzterer namentlich da, wo es Hyper¬
trophien zu beseitigen gilt. Geschwürsbildung der Cornea oder Pannus bilden keine
Gontraindication gegen die Behandlung mit Lapislösnng, wohl aber gegen den Guprum-
stift. Auf die galvanokaustische Therapie baut Yerf. viel weniger feste Hoffnung als
auf die vorhin genannten Mittel. Was speciell den trachomatösen Pannus anbetrifft, so
hat Yerf. mit der Anwendung des Glüheisens befriedigende Erfolge erzielt. Er durch¬
brennt dem Homhautlimbus concentrisch die Blutgefässe und betont, dass man mit dem
ferr. cand. ziemlich tief in das Gewebe der Sclera gehen dürfe. Unter Cocainwirkung
lässt sich der Eingriff ohne wesentliche Schmerzen vollfiihren. — Die Behandlung des
Trachoms mit Snblimatwaschungen hat Yerf. verhältnissmässig wenig practicirt. Besonders
gut soll sich das Verfahren dort bewähren, wo corneale Veränderungen das Leiden com-
pliciren. Excision der Uebergangsfalten hat Yerf. ebenfalls relativ wenig ausgeführt.
Der zweite Theil der Arbeit gibt eine Reihe beherzigenswerther Winke für Aerzte der¬
jenigen Armeen, in denen das Trachom heimisch ist. Die Abhandlung ist entschieden
eine bemerkenswerthe Bereicherung der militär-hygienischen Litteratur. Pfister.
Experimentelle Untersuchungen Uber Antisepsis bei Augenoperationen und die Bakterioiogie
des Conjunctivalsackes.
Von Dr. Marihen, Assistenzarzt der Universitäts-Augenklinik. (Aus der Universitäts-
Augenklinik zu Zürich.) Separatabdruck der Deutschmann*Bchen Beiträge zur Augen¬
heilkunde. Heft Xn. Leop. Voss, Hamburg 1893.
Die Arbeit bildet die Fortsetzung der Veröffentlichungen von Hildebrandt und
Bernheimj welche den nämlichen Gegenstand behandeln und gleichfalls an dieser Stelle
Erörterung fanden. Alle 3 Abhandlungen entspringen dem Laboratorium der Augen¬
klinik des Professors Haab. Marthen bat seine Beobachtungen zunächst an Patienten ge¬
macht, die wegen grauem Staar operirt wurden. Wie der Lidrand und der Conjunctival-
sack bacteriologisch sich verhalten, vor der Desinfection, nach derselben und nachdem
Tage lang ein Sublimatverband getragen worden war, das sind die Punkte, auf die nun
in erster Linie das Augenmerk gelenkt wurde. Der Keimgehalt der Goigunctiva im
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normalen Zustande ist meist ein ziemlich geringer. Selbst leichte Catarrhe können vor¬
handen sein, ohne dass eine Vermehrung der Microorganismen zu oonstatiren ist. Andrer¬
seits kann auch eine anscheinend normale Gonjunctiva zahlreiche und sogar exquisit
pathogene Keime enthalten. Der Lddrand zeigt meist mehr Keime als der Bindehaut¬
sack. Die Desinfection der Umgebung des Auges (mit Sublimat 1 : 5000 und 1 : 1000)
ist — so geht aus den Versuchen hervor — stets nur eine relative. Den Lidrand auch
nur für 24 Stunden keimfrei zu machen, gelang sogar in keinem Falle,
hingegen eine erhebliche Verminderung der Keimzahl ist sehr wohl zu erreichen, woraus
natürlich folgt, dass die Desinfection mit um so grösserer Energie betrieben werden soll.
Durch eine Anzahl von Versuchen weist auch der Verf. direct nach, dass „nach
alleiniger Reinigung mit steriler Kochsalzlösung der Keimgehalt grösser ist, als nach
Desinfection mit Sublimat und ähnlichen MittelnDer Verband wirkt für die Keim¬
bildung fordernd, einmal durch die Aufhebung des Lidschlages und ferner durch die
feuchte Wärme. Es wäre also das ünbedecktlassen operirter Augen — die keim-
vernichtende Eigenschaft der Thränen hat Verf. noch specieller nachgewiesen als Bemheim
— das Idealste und Einfachste, wenn nicht ectogene Infection z. B. durch die Finger
des Pat. zu fürchten wäre. Das Gefrieren wirkt nicht schädigend auf die keimtödtende
Wirkung der Thränen. Einzelne Microorganismen, wie z. B. ein bei Keratomalacie und
Xerose gefundener Bacillus können in der ThränenflUssigkeit recht üppig gedeihen.«
Besitzt der Humor aqueus eine keimvernichtende Kraft? Diese Frage prüfte Verf.,
indem er Vorderkammerwasser aus Schweins-, Rinds- und Kalbsaugen zu seinen bakteriol.
Versuchen benutzte. Er fand „tbeils nur ganz unbedeutende, theils gar keine Keim¬
vernichtung, mitunter sogar eine ziemlich schnelle Vermehrung der zur Aussaat gelangten
Microorganismen". Solange nicht directe Beobachtungen und Versuche mittelst Humor
aqueus des menschlichen Auges gemacht sind, darf dessen keimtödtende Eigenschaft
nicht supponirt werden. — Der letzte Abschnitt behandelt das biologische Verhalten
und die Frage der Pathogenität aller der Microorganismen, welche Verf. bei den er¬
wähnten Versuchen und Beobachtungen in der Umgebung des Auges gefunden hat.
Pfister.
lieber Megalocornea und infantiles Glaucom.
Inaug.-Dissertation von Ludwig Pflüger aus Frankfurt a. M. Zürich 1894.
Die Arbeit betont die differenzial-diagnostisch wichtigen Momente. Gute Durch¬
sichtigkeit der Cornea, keine Vergrösserung des ganzen Bulbus, Schlottern der Iris und
Linse, normale Spannung des Bulbus, bleibende gute Abgrenzung der Cornea von der
Sclera: das sind die Zeichen, die die Megalocornea characterisiren gegenüber dem infant.
Glaucom. Die Krankengeschichten von 5 Fällen von Megalocornea sind mitgetheilt. In
2 Fällen Hess sich feststellen, dass auch mehrere Geschwister „grosse Augen" gehabt
haben. Als auffallend wird das häufige Vorkommen einer greisenbogenähnlichen Horn¬
hauttrübung auch bei jugendlichen Individuen hervorgehoben.
Von den 11 Fällen von Glauc. inf., die in der Arbeit beschrieben sind, ist einer
besonders bemerkenswerth dadurch, dass er gewissennassen den Weg einer Selbstheilung
zeigt (Bildung einer Art Ventil der vordem Kammer und Erguss des Humor aquens unter
die Conjunct. bulbi). Als beste Operationsmethode beim infantilep Glaucom muss, wie
auch aus dieser Arbeit wieder hervorgeht, die wiederholt ausgeführte Sclerotomie be¬
zeichnet werden. Pfister.
Arbeiten aus dem medicinisch-klinischen Institute der k. Ludwig-Maximilians-Universität
in München.
Von Ziemssen und Bauer. 3. Bd. 1. Hälfte. Leipzig, Vogel 1893. 402 S. 12 Mk.
Wie die frühem Bände enthält auch dieser eine Anzahl (9) interessanter Mit¬
theilungen, grösstentheils klinischer Natur; sodann eine grössere Arbeit von Dr. U. Bieder^
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1. Assistent des medic.*klm. Instituts: Beiträge zur Kenntniss der Leukocytose und ver¬
wandter Zustande des Blutes. Vor Allem hervorzuheben ist die treffliche Ausstattung
was Druck und die farbigen Tafeln zur letztem Mittheilung betrifft, sowie das ausser¬
ordentlich fleissige Quellenstudium ihres Autors, das sich auf 220 grossere und kleinere
sachbezagliohe Auftätze erstreckt. Die Resultate dieser Untersuchung werden in 24
Schlusssätze zusammengefasst, die hier natürlich nicht complet aufgeführt werden können.
Unterschieden wird eine physiologische und eine pathologische Leukocytose (erstere durch
Verdauung und Schwangerschaft bedingt, und andrerseits bei Säuglingen beobachtet,
letztere durch Blutverluste, Kachexien, Agone, Entzündungen hervorgerufen, namentlich
durch croupöse Pneumonie.) Blutgifte erzeugen ebenfalls hochgradige Leukocytose neben
Auftreten von Zerfallsproducten der Erythroeyten. In Bezug auf Genese der Lenko-
cytose stellte sich als wahrscheinlich heraus, dass sich die Gesammtsumme der im
Blute kreisenden weissen Blutzellen nur unbedeutend vermehrt, dagegen eine ab¬
norme Yertheilung derselben in den verschiedenen Gefässbahnen zu Gunsten der Peripherie
statt hat.
Von den übrigen Mittheilungen sind noch besonders zu erwähnen die 2 ersten von
Heyne und Ziemssen^ Ueber allgemeine cutane und sensorische Anästhesie. Die beiden
beschriebenen Fälle dieses sehr selten beobachteten Vorkommnisses (bei Ausschluss von
Hysterie und gleichzeitigen directen motorischen Lähmungen) sind in mehrfacher Be¬
ziehung instructiv. Die (in Folge von Typhus im 1. Falle) zu Stande gekommenen
sensibeln Functionszerstorungen haben ziir Folge (die i^%cr’sche Theorie bestätigend),
dass der wache Gehirnzustand nur noch durch sensorische Reize erhalten wird, also
Schlaf eintritt, sobald Auge und Ohr ausser Function gesetzt werden, auch die motorischen
Erscheinungen kamen nur unter Betheiligung des Gesichtssinnes zu Stande. Der zweite,
ganz ähnliche Fall kam zur Autopsie, welche in Bezug auf Veränderungen im Central¬
nervensystem ein durchaus negatives Resultat ergab. Trechsel.
Diagnostisches Lexicon fUr praktische Aerzte.
Herausgegeben von Dr. Äntan Bum und Dr. M. F. Schnirer. 1. und 2. Band (die 40
ersten Lieferungen). Wien und Leipzig, Urban & Schwarzenberg 1892—3.
952 und 956 Seiten. 48 Mk.
Ein für eine specielle Disciplin weit ausholendes und zu gewaltigem Umfang an¬
schwellendes Werk, dessen erster Herausgeber übrigens in der medicinischen Litteratur
sich ausser durch kleinere Mittheilungen namentlich durch sein therapeutisches Lexicon
bekannt gemacht hat. Die Mitarbeiter sind zum grössem Theil Professoren und Docenten
an der Wiener und andern osterr. Facultäten, eine gewisse Anzahl an deutschen medic.
Unterrichtsanstalten wirkend; doch finden wir auch den Namen unseres Landsmanns
Alex. Feyer unter einer Reihe vorzüglicher urologischer Artikel.
Die lexicographische Form ist gegenwärtig beliebt für die Publication von Hand¬
büchern einzelner Abschnitte der medicinischen Wissenschaften. Ausser dem oben er¬
wähnten und dem hier besprochenen erscheint noch ein Reallexicon der medicinischen
Propsßdeutik; die Real-Encyclopmdie der gesammten Heilkunde Eulenhurg'^ eröflüiete seiner
Zeit den Reigen und setzt sich noch fort als Encyclopasdische Jahrbücher. Andere werden
folgen oder kommen vielleicht schon heraus, ohne unsere Kenntniss. Es haftet dieser
Form der Nachtheil an, dass die Aufzählung der Synonymen mit Verweisung von den
Einzelnen auf ein specielles, einen ungebührlich grossen Raum einnimmt. Ein Register,
welches dieselben in grosser Vollständigkeit enthielte, könnte die nothigen Verweisungen
ebenso gut und ohne solchen Platzverlust besorgen. Auch mancherlei Wiederholungen
sind hier unvermeidlich. Die einzelnen Capitel, welche mit denselben oder in naher
Beziehung zu einander stehenden Organen sich befassen, liegen zum Theil weit aus¬
einander, weil bald der anatomische, bald der pathologische Gesichtspunkt bei der Aus¬
wahl der Schlagwörter massgebend ist („Utilitätsprincip^ nach dem Vorwort); zu Compli-
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cationen fuhrt gelegentlich auch die bald deutsche, bald fremdwörtliche BezeichnuDg der
Abschnitte.
Diese und andere Besonderheiten tragen zwar einerseits zur Erleichterung des
Nachschlagens, andrerseits zur Vollständigkeit des Werkes bei; sie sind aber auch &hnid
an seinem grossen, wirklich allzu grossen Umfang und seiner Kostspieligkeit, welche seiner
Verbreitung voraussichtlich Eintrag thun wird. Ursprünglich zu circa 50 Lieferungen
(96 Seiten stark) berechnet, ist es bei der 40. erst bei der Lebersyphilis angelangt und
dürfte also über den Voranschlag stark hinausgehen.
Im Einzelnen leistet das Werk nun allerdings zum Theil Vorzügliches. Auf die
verschiedenen Capitel einzutreten, würde liier viel zu weit führen. Nicht zu vermeiden
war es, in manchen derselben auf andere Gebiete als das rein diagnostische hinüberzu¬
greifen. Es genügt, daran zu erinnern, dass in gewissen Zuständen volle Klarheit in
das Wesen derselben erst durch den Effect therapeutischer Massnahmen kommt (Syphilis,
Malaria etc.), und dass eine genaue anatomische Darlegung in sehr vielen Fällen uner¬
lässliche Bedingung zur Erkcnntniss des Krankheitsfalles ist. Auch eingehende Be¬
schreibung der Untersuchungsmethode musste geboten werden, was in trefflicher Weise
geschehen ist. Trechsel.
Lehmann’s medicinische Handatlanten.
Band IV: Atlas der Krankheiten der Mundhöhle, des Rachens und der Nase. Von Dr.
Ludwig Grünwald in München. München 1894. Verlag von J. F. Lehmann. Ver¬
tretung für die Schweiz: E. Speidel in Zürich. Preis 6 Mk. = 7 Fr. 50 Cts. 8®.
Das Sedez-Format von Band I, das nach unserer Ansicht unbequem ist, ist bei
Band U schon angenehmerweise verlassen worden und gelangen nun alle folgenden Bände
in 8® zur Ausgabe. Die Abbildungen dos IV. Bandes, typisch und anschaulich, belehrend
und zur Beobachtung anregend, sind in 5—8fachem Farbendruck ausgeführt. Der bei¬
gegebene beschreibende Text mit seinen präcisen differential-diagnostischen Winken ist
dem Practiker sehr willkommen, und der bescheidene Preis ermöglicht jedem die An¬
schaffung des hübschen Werkes. C, Henne^ Wyl (St. Gallen).
Qualitative und quantitative bacteriologische Untersuchungen des ZUrichseewassers.
Von Anton Kleiber. Inaugural-Dissertation. Zürich 1894.
Die aus dem hygieinischen Institut der Universität Zürich hervorgegangene, unter
der speciellen Leitung von Prof. Dr. 0. Boih ausgeführte Arbeit bietet, namentlich für
den praotischen Hygieiniker des Interessanten in Hülle und Fülle. Noch steht in Jeder¬
manns Erinnerung die Zürcher Typhusepidemie des Jahres 1884, welche zur Ausführung
der jetzigen rationellen städtischen Wasserversorgung Veranlassung gab. Betrieb und
Controlle dürfen gleich musterhaft genannt werden: genaue chemische und quantitativ-
bacteriologische Untersuchungen des unfiltrirten, ganz besonders aber des filtrirten Wassers
bieten die grösstmöglichen Garantien dafür, allfällige Störungen sofort auszuschalten.
Seither gehört auch in der Stadt Zürich der Typhus zu den seltenen Krankheiten; wo er
sich aber dennoch zeigt, da lässt er sich häufig auf noch bestehende Sodbmnnen zurücl^hren.
Leider fehlten — jedenfalls in Folge der grossen Mühe und des enormen Zeitauf¬
wandes, den die betreffenden Untersuchungen erheischen — bis anhin ausführliche quälitatiTe
Untersuchungen der im Wasser des Zürichsee’s vorkommenden Microorganismen. K. hat
sich an die grosse Aufgabe gemacht und erfahren wir aus dem ersten Theil seiner Arbeit,
dass ihm der Nachweis von 42 verschiedenen Bacterienarten gelungen ist: 7 Microcoooen-,
35 Bacillenarten; 23 Arten konnten mit Sicherheit, 15 mit mehr oder weniger grosser
Wahrscheinlichkeit, 4 dagegen, weil noch nicht beschrieben, gar nicht identifizirt werden.
Entnommen wurde das zu untersuchende Wasser an der Einmündnngsstelle des Baches,
der in dem circa lYs Stunden von Zürich entfernten Küsnacht in den See fliesst. Dass
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anter solchen Umständen die Anwesenheit des Bacterium coli commnne, eines Abkömmlings
des menschlichen Haushaltes nicht überraschen kann, ist einleuchtend, namentlich wenn
man noch in Betracht zieht, dass in manchen Dörfern am Zürichsee Abtrittüberläufe das
„zu viel*^ der Grube einfach dem Dorfbach oder direct dem See zuführen. Allein auch
an der Mündungsstelle des auf Stadtgebiet in den See fliessenden Mühlebacbes konnte K.
den Coli commune nachweisen, indessen führen eben auch hier noch trotz aller Verbote
einzelne Grubenüberläufe in den Bach und mit diesem in den See.
Der zweite Theil der Arbeit behandelt die quantitatiyen Untersuchungen: in kurzer
Entfernung vom Ufer nahm die Bacterienzahl rapid ab, eine Folge „einerseits der ausser¬
ordentlich starken Verdünnung des keimreichen Bachwassers durch das keimarme Seewasser
und anderseits der Sedimentation, welche erfolgt, sobald die Strömung des Wassers auf¬
hört." Nach der Tiefe hin konnte K, eine gesetzmässige Vertheilung der Bacterien nicht
finden, wie er annimmt, wahrscheinlich in Folge der einer regelmässigen Vertheilung hin¬
derlichen Wellen; daneben mögen auch die nach allen Richtungen hin sich bewegenden
Fische in Betracht kommen.
Mit den Ergebnissen einer Nachprüfung des i¥r^’schen Verfahrens — l®/oo Carbol-
säurezusatz zur Nährflüssigkeit — zur Isolirung des Coli commune macht uns der Verfasser
im dritten und letzten Theil seiner Arbeit bekannt. Im Gegensatz zu fand er jedoch
ein ausschliessliches Wachsthum des EschericKwahm Bacillus und ein Absterben aller übrigen
im Wasser vorhandenen Bacterien erst bei einem Carbolsänregehalt des Nährsubstrates
von 2®/oo.
Klinischer Leitfaden der Augenheilkunde.
Von Michel, Wiesbaden. Verlag von J. F. Bergmann 1894.
Verfasser gibt in seinem Leitfaden dem Studirenden einen Führer für Klinik und
Curse; dem Arzte soll durch das Buch die Möglichkeit geboten werden, an der Hand
der früher erworbenen Kenntnisse sich rasch über den jetzigen Stand der Augenheilkunde
zu unterrichten.
Bei der Besprechung der Untersuchung des Auges erfahrt die Skiaskopie eine
besondere Berücksichtigung, wie sie als leichtere Methode zur objectiven Bestimmung der
Refraotion gegenüber der im aufrechten Bilde verdient. Nach einer sehr lehrreichen
Abhandlung über die Untersuchungsmethoden folgt eine übersichtliche Zusammenstellung
der Functionsprüfungen des Auges.
Die zweite grössere Abtheilung behandelt die Augenkrankheiten mit zahlreichen
Bemerkungen über Beziehungen zu Allgemeinerkrankungeii. Den Schluss bilden kurze
Abhandlungen über angeborene Anomalien, Verletzungen und Operationen des Auges.
Das Buch bietet trotz seiner Kürze einen sehr reichhaltigen, klaren Ueberblick über
das Gebiet der Augenheilkunde. MelUnger,
Einführung in das Studium der Bacteriologie mit besonderer Berücksichtigung der
bacterioiogischen Technik.
Von Dr. Carl Günther. III. Auflage. 376 S. Leipzig. Georg Thieme 1893. Fr. 13. 35.
Das 6ritn//»er’sche Buch erscheint nun seit dem Jahr 1890 schon in der III. Auflage
und das spricht für die Vorzüge desselben wohl mehr als lange Excurse. Was den Inhalt
im Grossen und Ganzen betrifft, so kann auf die Besprechung der frühem Auflagen')
verwiesen werden. Das Buch ist diessmal bedeutend erweitert (um 100 Seiten) und den
neuesten Forschungen überall Rechnung getragen worden. Erweitert wurden die Abschnitte
über Wasseruntersuchuug (Cholera, Typhus), über Tetanusbacillen und besonders über Cholera¬
spirillen und ähnliche Vibrionen, über Gonorrhoecoccen (Züchtungsmethoden). Verschiedene
nenstudirte Bacterien sind berücksichtigt (Hühnertuberculose, Influenza, Vibrio bcrolinensis
etc.). Das Bacterium coli ist zu den pathogenen Microrganismen eingereiht worden,
‘) 15. April 1891. 15. Juli 1892.
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580
Die Zahl der vorzüglichen Photogpramme ist dieselbe geblieben (72), doch sind 28
derselben zorückgezogen und dafür 28 passendere und vollkommenere beigegeben worden.
Die Sammlung derselben ist jetzt eine tadellose.
Die Vorzüge sind die alten geblieben und das Buch behauptet seine erste Stellung
als Lehrbuch für Aerzte und Studirende. C. Hägler.
Grundriss der Bacteriologie für Aerzte und Studirende.
Von Prof. Dr. S. L, Schenk. Wien and Leipzig. Urban und Schwarzenberg 1893. 200 S.
(Fr. 9. 35).
In kurzer Fassung, wobei aber das Wesentliche für das Programm des Verfassers
vollständig berücksichtigt wird, behandelt S. die allgemeine Morphologie und Biologie der
Microorganismen (Sterilisation, Kährmaterialien, Züchtungsmethoden, microscopische Unter¬
suchung, Thierversuch). Die Beschreibungen der einzelnen Microorganismen, welche sodann
die grössere Hälfte des Buches einnehmen, bringt S. — abweichend von der Methode
aller andern Lehrbücher dieser Materie — nach den Fundorten derselben. Diese
Eintbeilung darf kaum als eine glückliche bezeichnet werden. Wenn auch für den practischen
Arzt das Nachschlagen dadurch etwas erleichtert wird, so ist es für den Anfänger oder
überhaupt für denjenigen, der den Stoff gründlich durchstudiren will, schwerer sich zu orientiren,
weil die zusammengehörigen Microorganismen auseinander gerissen sind und an vielen Orten
jeweilen auf eine Beschreibung an anderer Stelle verwiesen wird.
Trotz der Knappheit ist der Stil gut und anziehend. Die Ausstattung ist eine sehr
elegante; besonders hervorzuheben sind die zahlreichen guten Abbildungen im Kapitel der
allgemeinen Morphologie und Biologie, wie sie in keinem Grundriss dieser Art gefunden
werden. Auch die Abbildungen des Bacterienspecies sind zum grossen Theil recht gut,
einige aber etwas zu schematisch gehalten. C. Hägler.
Lehrbuch der Haut- und Geschlechtskrankheiten.
Von Dr. Max Joseph in Berlin. I. Theil: Hautkrankheiten 1892; II. Theil: Geschlechts¬
krankheiten 1894 (Leipzig bei G. Thieme).
Eine grosse Zahl von Lehrbüchern für Haut- und Geschlechtskrankheiten sind in den
letzten Jahren erschienen, ohne dass gerade grosses Bedürfniss danach vorhanden gewesen
wäre und ohne dass dieselben im Wesentlichen Neues hätten bieten können. Solche
Erscheinungen zeugen aber immerhin von grossem Streben und von grossem Fleisse und
nach dieser Richtung verdienen sie alle Anerkennung. Herr Joseph stellte sich zur Aufgabe,
ein Lehrbuch über Haut- und Geschlechtskrankheiten herauszugeben, das zur nothwendigen
Orientirung des Practikers dienen und in knapper Form einen Ueberbliok der Haut- und
Geschlechtskrankheiten, ihres Wesens und ihrer Diagnose, sowie der entsprechenden Therapie
geben soll. Der Autor hat seinen Zweck erreicht und vor Allem fand die therapeutische
Seite eine glückliche Behandlung. Das Lehrbuch von Joseph ist zu den besseren kürzeren
Lehrbüchern über Haut- und Geschlechtskrankheiten zu zählen. Santi.
Oantonale Ooi^irespondenzeii.
ZArlcli. Sehr verehrter Herr Redactor! Ich ersuche Sie, für die Berichtigung
eines kleinen historischen Irrthums, welcher sich in dem Bericht unseres v. Herrn
Oberfeldarzt Dr. Ziegler über die Typhusinfectionen in Delsberg (am Schluss) einge¬
schlichen hat, mir etwas Raum zu gönnen.
Nicht richtig ist nämlich, dass erst die Cholera des Jahres 1867 zur Beseitigung
der in Zürich vorhandenen abscheulichen Ehgraben Veranlassung gegeben habe. Dieses
„Winkes mit dem Scheunenthor“ bedurften wir Zürcher glücklicher Weise nicht. Viel¬
mehr verdanken wir es den damaligen Behörden der Stadt, vor Allem aber dem weiten
Blick und der Energie des unvergesslichen Stadtingenieurs A. Bürklif Dr. med. honoris
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causa, dass auf seinen schon im März 1 8 6 6 erschienenen Bericht über die Eloaken-
reform die Gemeindeversammlung im März 1867 das vorgeschlagene System der Cana-
lisation und der Abtrittkübel und damit die Beseitigung der Ehgraben angenommen hat.
Erst auf Ende Juli desselben Jahres fallen dann die ersten Cholerafalle und die näher
Betheiligten erinnern sich noch recht wohl, welche trefflichen Dienste uns die damals
schon vorhandenen Abtrittkübel leisteten.
Im September 1868 kam dann der Beschluss über die Wasserversorgung, welcher
sich auf einen auch schon im Mai 1867 veröffentlichten Bericht desselben unermüdlichen
Stadtingenieurs stützte. Auch da also fällt der Causalzusummenhang zwischen Cholera
und jenen Beschlüssen dahin. Dagegen trug allerdings zu denselben wesentlich die That-
sache bei, dass Zürich vorher regelmässig im Herbst seine grössere oder kleinere Typhus¬
epidemie hatte und in denselben such regelmässig die Typhusfälle sich um jene Ehgraben
häuften.
Zürich, den 6. September 1894.
Mit collegialer Hochachtung Dr. C. 2khnder,
Schweiz.
Zlrich* Medic. Facultät der Hochschule: Dr. CamtatUin v, Monakow
wurde als ausserordentlicher Professor „für himanatomische Fächer und Nervenpoliklinik"
gewählt.
— In der Zeitschrift für Schweiz. Statistik veröffentlicht der rührige Director des
eidgen. Gesundheitsamtes, Dr. Schmid in Bern, eine bedeutungsvolle Arbeit über: Die
PcckenerkrMknnfen In der Sehwels während der I. Hälfte des Jahres
1 8 9 4 nebst einer vergleichenden Zusammenstellung der
P o c k e n m o rb i d i t ä t und -Mortalität und der Impffrequenz in
der Schweiz 1876 — 9 3. Wir entnehmen derselben folgende Daten:
Seit den Pockenjahren 1885/86 hat kein Jahr nur annähernd so viele Pockener¬
krankungen aufzuweisen, wie das Jahr 1894 in seiner ersten Hälfte (852). Gründe zu
dieser — namentlich Angesichts der Bestimmungen des eidgen. Epidemiengesetzes vom
2. Juli 1886 — grossen und rapid ausgebreiteten Epidemie bilden:
1) Mangelhafte Handhabung der Vorschriften betr. Anzeigepflicht, Isolirung und
Desinfection.
2) Die unbefriedigenden Impf- und Revaednationszustände in vielen Cantonen. —
Director Schmid versucht, die Impfverhältnisse der einzelnen Cantone unter einander und
mit der Pockenmorbidität und -Mortalität zu vergleichen. Als einheitlicher Ausdruck für
den Impfzustand der Bevölkerung gebraucht er den sogen. Yaccinationsindex,
d. h. die Zahl, welche für eine bestimmte (kürzere oder längere) Zeit angibt, wie viele
Erstimpfungen auf 100 Kinder kommen, die während dieser Zeit das Ende des ersten
Lebensjahres erreicht haben. — Aus übersichtlichen tabellarischen Darstellungen ergibt
sich die wichtige Thatsache: „Dass bei den Cantonen, welche im Jahre 1883 bezw. 85,
den Impfzwang abgeschafft haben, der Yaccinationsindex sich um fast vermindert hat,
die Pockenmorbidität und -Mortalität dagegen auf ca. das Doppelte gestiegen ist, während
in den Cantonen mit obligater Impfung der Yaccinationsindex nicht wesentlich kleiner
geworden ist, die mittlere Zahl der Pockenerkrankungen und -Todesfälle aber bedeutend
abgenommen hat.^
Ausland.
Gestorben: in Wien; 72 J. alt Dr. Jaromir Freiherr v. Mundy, der Freund
ÄV/rotÄ’s, der unermüdliche Samariter, Reformator des Militärsanitätswesens etc. — In
Berlin am 8. September, 73 Jahre alt, an wiederholter Apoplexia cerebri, der ge-
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waltige und vielseitige Naturforscher (Anatoin, Physiologe, Physiker [Augenspiegel 1]
Mathematiker, Philosoph) Prof. v. HelmhoUz.
— Die 19. VerMaaluf des Deatsehes Verelss fir iresUiehe Clesudheits*
M«fe findet Tom 19.—22. September in Magdeburg statt. Vorträge: Hygiei-
nische Beurtheilung yon Trink- und Nntzwasser (Prof. Flügge, Breslau); Beseitigung des
Kehrichts und anderer städtischer Abfälle durch Verbrennung (Obering. Meyer und Med.-
Rath Reineke, Hamburg); Technische Einrichtungen für Wasserrersorgung und Canalisation
in Wohnhäusern (Ing. A, Rcechling, Leicester); Massr^eln zur Bekämpfung der Cholera
(Qeheimrath Kerschmsteiner^ München und Prof. Gaffky^ Giessen).
Mit der Versammlung ist eine Ausstellung technischer Einrich¬
tungen ans dem Gebiete der Wohnungshygiene verbunden.
Anmeldungen, Wünsche etc. an den ständigen Secretär: Dt. Alex, Spiess in Frank¬
furt a./M.
— Bettrahe bei der Behaadiuif gewisser iMtkrukheltea, speciell veralteter
Ekzeme soll oft überraschenden Erfolg haben. Das so einfache Mittel ist hauptsächlich
dann indicirt, wenn die Hauterkrankungen mit Schlaflosigkeit, Storungen des Appetits,
nervösen Symptomen etc. einhergehen. Es soll in diesen Fällen genügen, den Kranken
einige Tage im Bette liegen zu lassen, um die bisher erfolglos gegen die Dermatose an¬
gewandte Medication von raschem Erfolge gekrönt zu sehen. (Sem. med. 50/94.)
— Im ärztlichen Verein zu München hielt Dr. P. Ammann einen Vortrag über die
Therapie vea Nearalflen ud Nearesea dareh Haadfriffe aaeh Dr. Dtte Nifell.
(Vergl. die NägelCwAie Br^hüre: Verlag von Karl Sallmann in Basel. 1894. 114 pag.
18 Holzschnitte; Preis 6 Fr.) Der Vortragende stund ursprünglich skeptisch der neuen
Behandlungsmethode gegenüber, fand aber durch angestellte Versuche die Sache sehr der
Beachtung werth und erzählt verschiedene den Nutzen derselben illustrirende Fälle, so
Beseitigung von Kopfweh, das 25 Jahre lang ununterbrochen gedauert hatte, nach ^Kopf-
kniokgrlff^ bei einer 39jährigen, schlecht genährten, bettlägerigen, scheinbar dauerndem
Siechthum verfallenen Patientin. — Der Vortrag (München. Med. Wochenschr. Nr. 35)
sohliesst mit folgenden Worten: „Aus dem Gesagten ergibt sich, dass Dr. Nägelfs Hand¬
griffe eine recht brauchbare Bereicherung der Mechanotherapie darstellen und wohl werth
sind, von den Collagen beachtet und eventuell auch versucht zu werden; wollte man
aber die Wirkung dieser Griffe, wie das versucht wurde, auf Suggestion zurückführen,
dann gibt es überhaupt keine mechanische und sehr wenig medicinische Therapie, son¬
dern fast nur Suggestion, was wohl mit unserer medicinischen Wissenschaft nicht gut
vereinbar wäre.^
— FUmargt iid 6eseti|r«bu|r Ar die Aikeheiiker. Diese so wichtige Frage
bildete am letzten Congress der Neurologen und Irrenärzte französischer Zunge in Cler-
mont-Ferrand den Gegenstand einer eingehenden und lebhaften Discussion, welche durch
ein Referat des Herrn Br. Ladcme aus Genf eingeleitet wurde. Die Schlussfolgerungen
des Referenten lauten etwa folgendermassen: Im Kampf gegen den Alkoholismus sind
alle uns durch die private Initiative, die Gesetzgebung und die Hülfe der Staaten zu
Gebote stehenden prophylactischen, curativen und repressiven Mittel in Anwendung zu
bringen. Unter den prophylactischen Maassregeln spielt eine zweckmässige und sorgfältige
Erziehung der Kinder, besonders der moralisch und materiell verlassenen, die Hauptrolle;
daneben darf aber die Besserung der Wohnungs- und Ernährnngsverhältnisse, sowie der
Institutionen, welche die materielle, sittliche und intellectuelle Hebung der arbeitenden
Classon zum Zweck haben (Lesesäle, Volksküchen, Sparkassen, Kaffeehallen etc.) nicht
ausser Acht gelassen werden. Ferner muss Überall die Gründung von Mässigkeitsvereinen
angestrebt werden, ohne deren Hülfe die besten Gesetze wirkungslos bleiben. Diese
Vereine wirken nicht nur als Präventivmittel zur Aufnahme und zum Schutze der Trinker
gegen einen eventuellen Rückfall, sondern sie bereiten die öffentliche Meinung vor und
erhöhen somit die Wirksamkeit der getroffenen gesetzlichen Verordnungen.
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Das Strafsystem allein ist gegen den A.lkoholismus ohnmächtig; es ist niemals ge¬
langen einen Trinker selbst bei Anwendung der strengsten Strafen zu heilen. Besonders
yerwerflich ist die in gewissen Ländern gegen die Trunksucht übliche Methode der
Wiederholung von kurzen Strafen. Andererseits bildet das Princip der mildernden Um¬
stände für im betrunkenen Zustande oder von Alkoholikern begangenen Verbrechen eine
grosse sociale Gefahr xmd eine wahre Aufforderung zum Verbrechen.
Im Kampf gegen den Alkoholismus ist das Strafgesetz im Stande effeotiv mitzu¬
wirken, 1) durch Verhinderung des Verkaufs von minderwertigen und gefälschten Ge¬
tränken; 2) durch Bestrafung der Wirthe, welche ihre Gäste zur Unmässigkeit auffordern
oder geistige Getränke an Minderjährige verabreichen; 8) durch Bestrafung der öffent¬
lichen Trunkenheit Letztere Strafe Imt sich aber allein in den Ländern als wirksam
erwiesen, in welchen infolge von energischen Prilventivmassregeln die Trunkenheit selten
vorkommt und durch die öffentliche Meinung verurtheilt wird; 4) durch strengere Be¬
strafung nicht nur der Becidiven, sondern auch der an gewissen Orten vorkommenden
Trunkenheit (Gerichtssaal, Kirchen, öffentlichen Versammlungen) oder bei gewissen Be¬
schäftigungen, wo sie eine Gefahr für Andere darstelli; 5) die gerichtlich - medicinisohe
Unverantwortlichkeit der alkoholischen Deliranten soll eine Intemirung ex ofiäcio in be¬
sondere Anstalten als Folge haben, aus welchen die Internirten erst nach vollständiger
Heilung und nachdem keine Rückfallsgefahr mehr zu befürchten ist, austreten können.
Beim ersten Anschein eines Recidivs sollen sie sofort wieder intemirt werden.
Die Entziehung der bürgerlichen und Familienrechte ist eine wirksame und noth-
wendige Massnahme; dieselbe soll aber gewöhnlich nicht getroffen werden, bevor ein
Versuch, den Trinker zu curiren und zu heilen durch Intemirung desselben in eine An¬
stalt gemacht worden ist. Die Nichtanerkennung der Wirthschaftsschulden, sowie das
Verbot die Wirthshänser zu besuchen, können auch unter Umständen nützlich sein.
Die Besteuerung der geistigen Getränke hat an nnd für sich keinen Einfluss auf
die Grösse des Consums; einen Nutzen hat sie nur in Gemeinschaft mit anderen geeig¬
neten gesetzlichen Verordnungen und wenn sie von einer Entlastung der Steuer der so¬
genannten hygienischen Getränke (Caffee, Thee, Chocolade) begleitet ist. Die Entlastung
des Weines und des Bieres blieb ohne Einfluss auf die Verbreitung des Alkoholismus.
Die Zahl der Wirthshänser kann nicht als Criterinm der Stärke des Alkoholeon¬
sums in einer Gegend dienen, und durch Verminderung der Schenken lässt sich nicht
eine entsprechende Verminderung des Schnapsverbrauchs erzielen. Diese Verminderung
der Zahl der Wirthshänser ist jedoch nothwendig; ihre Wirksamkeit wird aber erst zu Tage
treten, wenn sie sehr weit getrieben wird und von anderen restrictiven Massnahmen, die
Fabrication und den Verkauf von Spirituosen betreffend, begleitet ist. Endlich muss die
öffentliche Meinung mit Entschiedenheit für die Sache der Massigkeit eintreten.
Die Licenzsysteme von Goeteborg und Bergen, welche in den scandinavisohen Län¬
dern ausgezeichnete Erfolge aufzuweisen haben, würden nicht überall die günstigen Be¬
dingungen finden, welche diesen Erfolg geiiohert haben. Diese Systeme wirken nur in-
direct auf die Verminderung des Alkoholismus und müssen von anderen restrictiven Ver¬
ordnungen unterstützt werden.
Das Staatsmonopol hat bisher befriedigende Resultate in der Schweiz gegeben, in¬
dem der Schnapsconsum dadurch um 25^0 vermindert und eine Garantie für die Quali¬
tät der verkauften Alkohole geschaffen wurde. Dieses System wäre aber nicht überall
mit denselben Vortheilen anwendbar, da die politischen und ökonomischen Umstände der
verschiedenen Ländern einen grossen Einfluss auf die Resultate eines solchen Systems
haben. Das Monopol kann unter drei verschiedenen Formen eingeführt werden, die sich
untereinander noch combiniren lassen: Fabricationsmonopol, Rectificationamonopol, Ver¬
kaufsmonopol. Je nachdem kann man das eine oder das andere Monopol adoptiren, oder
zwei derselben, oder alle drei zusammen; nie wird aber das Monopolsystem allein zur
wirksamen Bekämpfung des Alkoholismns genügen.
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Das Yon Amerika herstammende System des Totalverbots, national oder local, hat
zuweilen in mehreren Staaten Nord-Amerikas, sowie in gewissen Ortschaften Englands,
Hollands und Scandinayiens schöne Erfolge aofzaweisen. Die Sitten der Mehrzahl der
europäischen Staaten widerstreben der Einführung eines solchen Systems.
Die Fürsorge für die Alkoholiker verlangt vor allem die Gründung von Anstalten
zur Heilung der Trinker. Diese Anstalten sollen die Geföngnisse und Strafanstalten er¬
setzen, welche auf den physischen und moralen Zustand der darin nntergebrachten Trinker
schädlich einwirken und nur dazu beitragen, sie unheilbar zu machen. Diese Asyle
müssen nach den Grundsätzen der wissenschaftlichen Medicin eingerichtet und geleitet
werden. Darin sollen frische und heilbare Fälle aufgenommen werden. Das Gesetz
muss diesen Asylen das Recht zuerkennen, die darin internirten Trinker auf Grund eines
ärztlichen Gutachtens für einen Zeitraum von minimnm 6 Monaten, maximum 2 Jahren
in der Anstalt zurückzuhalten. Totale Enthaltsamkeit von alkoholischen Getränken,
Arbeit und Disciplin, sind die Grundprincipien der moralischen Behandlung in solchen
Asylen; diese Prinzipien gelten ebensowohl für die Angestellten als für die Pfleglinge.
Beim Austritt aus der Anstalt soll der geheilte Trinker der Fürsorge eines Mässigkeits-
vereines anvertraut werden. Beim ersten Anschein eines Rückfalles muss er sofort wieder
in die Anstalt reintemirt werden können.
Die auf Alkoholismus beruhenden Geisteskrankheiten, die Epileptiker sowie die
Verbrecher sollen nicht in Trinkerheilanstalten aufgenommen werden. Für diese sind
besondere Anstalten zu gründen. Ebenfalls wäre die Errichtung von besonderen An¬
stalten für unheilbare Trinker wünschenswerth, welche durch ihre Verschwendung, ihre
Immoralitat, ihre Bosheit eine beständige Gefahr für ihre Familie und die Gesellschaft
sind. Oft sind lange Jahre zur Heilung des durch den Alkoholismus bedingten neuras-
thenischen Zustandes nothwendig. Nach den competentesten Autoren soll ungefähr
ein Drittel der in den Asylen untergebrachten Trinker complet und deflnitiv geheilt
werden.
— Pllecarpln gtgtm dea Durst der Diabetiker. Das Mittel wird in Lösung oder
in Pillenform dargereicht. Die Pillen werden mit Glycerin und Gummi arabic. geformt;
jede Pille enthält 0,001 Pilocarpin, nitric. Für die Lösung wird folgende Formel em¬
pfohlen : Pilocarpin, nitric. 0,05, Spirit, vini dilut. 3,0, Aqnae 8,0. Vier bis fünfmal täg¬
lich die Zunge mit 5—6 Tropfen dieser Lösung befeuchten. (Nouv. remödes Nr. 11.)
— 66. Versanunluif deutscher Natarferseher und Aerzte in Wien. In den
allgemeinen Sitzungen (im grossen Musikvereinssaale) wird ferner noch sprechen der kürz¬
lich aus München nach Wien berufene Professor der Physik, Boltzmann i Ueber das
Thema der Luftschifffahrt.
BriefksMteia.
Dr. E. in Halle a. S.: Dank nnd Gmss and die Hand znm baldigen Willkomm in der alten
lieben Heimat! — Dr. Ladame, Genf: Besten Dank für die grosse nnd verdienstvolle Arbeit. —
Dr. Pf. in L. Wegen Abwesenheit der Collegen, die sich nns als Führer frenndlichst zur Verfügung
stellen, von Zürich, muss der planirte Collectivbesnch der Ausstellung auf Anfang October verschoben
werden. Positives in nächster Nummer. — Dr. X, in Basel: Weder Ihre Doctordissertation, die,
wie Sie berichten, als „eine der besten unter Prof. H. taxirt wurde“, noch der Umstand, dass Sic
„nach 11 Jahren Schweiz, medic. Staatsexamens noch das preussische glanzvoll, ganz, von A—Z be¬
standen haben“ gibt Ihnen das Recht, mir auf meine ehrliche und gut gemeinte Beurtheilnng Ihres
eingeschickten Mannscriptes eine so unver—flrorne offene Postkarte zu schreiben. E, H.
NB. Tarmiii fOr Correcturtn pro Medicinalkalender 1895 läuft mit 1. October tbl
Schweighauserische Bnchdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbnchhandlnng in Basel.
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Erscheint am 1. nnd 15.
jedes Monats.
Inserate
35 Cts. die gesp. Petitzeile.
für
Schweizer Aerzte.
Herausgegeben von
Preis des Jahrgangs
Fr. 12. — für die Schweiz,
Fr. 14.50 für das Ausland.
Alle Postbnreanx nehmen
Bestellungen entgegen.
I>x*. El. und Dr« J^quet
in Franenfeld. in Basel.
N! 19. XXIV. Jahrg. 1894. 1. October.
iBlmlts 1) Originalarbaiken: Dr. Armin H%ib«r: Ueber Magensaflflius. — Dr. B. Witland: Die Nareoeen im Basier
Kinderspital. -> Wiemiumn: Sehnhnagel, ans dem Larynx eines lOmonatlichen Kindes extrahirt. 2) Vereins berichte:
lledlelniseb-pharmaeentiseher BszirbsTerein Bern. — 8) Keferate nnd Kritiken: 0. Hildsbrand: Grundriss der ebirnr-
gisdi'topograpbisehen Anatomie. — K. won Bardäeben und H. Haekü: Atlas der topographischen Anatomie des Menschen. —
Prof. B. Misch: Ans der Breslaner Franenklinik. — Dr. A. Mariin: Pathologie nnd Therapie der Franenkrankbelten. — Prof.
Dt, Carl Sehrctdir: Die Krankheiten der weiblichen Geschlechtsorgane. — 4)Cantonale Gorrespondenseni Aargan:
Etwas Ober die alten ,8cb&rer*. — 5) Wochenbericht: Rerbsttrersammlnng der Socidtd Mddicale de laSniase Romande. —
Bebandlnng phleginondser and Ähnlicher Entxfindnngen mit dauernden AlcobolTerbinden. ~ AeUologie und Prophylaxe der
Diphtherie. — Behandlung der Furunkulose. — Medicinische Aphorismen. — Zftrcherische Gewerbeansstellnng.
Orig'ina.l beiten.
lieber Magensaftfluss.
Von Dr. Armin Huber in Zürich.
Unter diesem Namen hat Beü^mann als Erster ein Erankheitsbild be¬
schrieben, welches inzwischen durch Beobachtungen und Untersuchungen verschie¬
dener Autoren, ganz besonders aber von Riegel^ ein wohl characterisirtes und scharf
abgegrenztes geworden ist. Die erste NeicAmann’sche Mittheilung datirt aus dem
Jahre 1882.*)
JaworsJci und Riegel haben uns gezeigt, dass das Leiden als ein geradezu sehr
häufiges bezeichnet werden muss. Riegel lässt es fast die Hälfte aller Magenkrank¬
heiten betreffen; andere Autoren haben sich ihm angeschlossen; auch Ewald begegnet
dieser Krankheit häufig, aber immerhin in einem niedrigeren Procentsatze.
Gerade in den letzten Monaten und Wochen ist aber über die Existenzberechtigung
dieses Erankheitsbildes ein lebhafter Streit entbrannt, welcher mich veranlasst, meine
eigenen Erfahrungen in dieser Frage hier mitzntheilen.
Der Magensaftfluss — die Qastrosuccorrhoe Reiehmann's, die chroni¬
sche Hypersecretion von den Velden% die chronische continuir-
liche Magensaftsecretion Riegel'a, die Parasecretion Ewald’a, die
Gastrorrhcsa hyperacida Jatoorskra — das sind alles Bezeichnungen für
ein und dasselbe Leiden, welches nach der bisherigen Annahme darauf basiren sollte,
dass der Magen andauernd and nicht erst auf den Reiz der Ingesta einen wirk¬
samen, verdauungskräftigen Magensaft absondere.
*) Berliner klin. Wochenschrift, 1882 (nnd 1884).
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Was die Symptomatologie dieser Krankheit angeht, so sind die snb*
j e c t i T e n Angaben im grossen Ganzen als ziemlich gleichmissige zu bezeichnen:
Klagen Ober Sodbrennen, saures Aufstossen, Schmerzanfälle des Nachts nnd bei
Tag, starken Durst kehren vor Allem wieder. Dabei besteht meist guter Appetit oder
sogar Heisshunger. Manchmal ist die Appetenz stark wechselnd. Als sehr typisch ist
die Angabe der Kranken zu bezeichnen, dass der nagende, bohrende Schmerz, den sie
meist in das ganze Epigastrinm verlegen, nnd der sich einige Stunden nach Einnahme der
Mahlzeiten oder in der Nacht einzustellen pflegt, auf Zufuhr von FlQssigkeit gelindert
werde.
Von objectiven Zeichen haben wir sodann eines, ohne welches die Diagnose auf
Magensaftfluss unhaltbar ist: das Vorhandensein einer beträcht¬
lichen Menge eines speisefreien, salzsäurebaltigen Magen¬
saftes im nflehternen Zustande.
Sodann flndet man als regelmässig vorhandenes Symptom unserer Krankheit
schlechte Stärkeverdauung. Durch den schon von Anfang vorhandenen
salzsauren Magensaft wird die Amylolyse gehemmt. Die Eiweissverdauung ist gut.
Da mit der continuirlichen Saftsecretion eine Steigerung der Saftabsonderung ein¬
hergeht, findet man anf der Höhe der Verdauung gewöhnlich grosse Inhalts¬
mengen, nnd meistens eine abnorm stark salzsanre Flflssigkeit:
Die Hypersecretion bat eben eine Hyperacidität zur Folge.
Sehr verschieden verhalten sich die Kranken bezüglich des Erbrechens.
,Erbrechen“, sagt Biegd,^) .wird bei richtiger Behandlung nur ausnahmsweise beob¬
achtet; in der Klinik erbrechen solche Kranke, auch wenn sie an den schwersten
und mit den hochgradigsten Ektasien verbundenen Formen leiden, fast niemals. Wohl
aber spielt in der Vorgeschichte der Kranken das Erbrechen eine wichtige Bolle.
Dasselbe erfolgt zu verschiedenen Zeiten. Tbeils tritt es eine Reihe von Stunden
nach Einnahme der Mahlzeiten ein und werden dann sehr reichliche saure Speisemassen
erbrochen, tbeils erfolgt es in der Nacht, wobei eine mehr wässrige, trübe, häufig mit
etwas Galle vermischte Flüssigkeit entleert wird. Indessen*) gibt es auch Fälle, wo
das Erbrechen gänzlich fehlt, oder auch nur vorübergehend anftritt. Das beobachtet
man besonders in geringergradigen Fällen, in denen sich eine secundäre Ektasie noch
nicht ausgebildet hat.*
Als eine häufige Ciomplication der schweren und lange dauernden Formen unserer
Secretionsstörung muss dann die G a s t r e c t a s i e, mit höheren oder weniger starken
Graden motorischer Insufficienz bezeichnet werden.
So viel über die einzelnen Symptome!
Wir lassen jetzt in aller Kürze einige eigene Beobachtungen folgen:
I. W., 28 Jahre alt, Krankenwärter, leidet bereits seit 10 Jahren an Magenbe¬
schwerden. Die schweren Störangen, an denen Pat. jetzt wieder seit 2 Monaten un¬
unterbrochen laborirt, dauerten früher nur einige Wochen an, um in der Zwischenzeit
einem leidlichen Zustand Platz zu machen. Pat. klagt beständig Ober Appetitlosigkeit,
grossen Durst, grosse Müdigkeit, sehr häufiges Erbrechen, viel Schmerzen in der Magen-
*) Deutsche medic. Wocuenschr. 1892.
*) Deutsche medic. Wochensebr. 1887.
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gegend: 2—3 Stunden nach der Mahlzeit beginnt ein Nagen und Bohren, das sich von
der Mitte des Epigastriums nach rechts herüber zieht. Der Schlaf ist schlecht, wegen
der Schmerzen, des Brechreizes, des häufigen Aufstossens. Schwere Träume. Das Er¬
brechen hängt nicht direct mit den Mahlzeiten zusammen, sondern erfolgt fast ausnahms¬
los einige Stunden nach dem Essen. Stuhlgang constipirt.
Es handelt sich um einen blassen, mageren, zartgebauten Mann mit normalen
Thoraxorganen. Harn eiweiss- und zuckerfrei. Dünne Bauchdecken, Abdomen in toto
etwas stark vorgewölbt, der Magen lässt sich palpatorisch und durch den stark gedämpften
Percussioosschall gut abgrenzen. Er überschreitet mit der grossen Curvatur den Nabel
um 4—5 cm. Keine Drnckempfindlichkeit im Bereiche des Magens. Von einem
Tumor ist nichts zu fühlen. Leber und Milz nicht vergrössert. Nieren nicht dislocirt
und nicht fühlbar.
Pat. hat vor I72 Stunden sein gewöhnliches Mittagessen, Ei, mit Milch verrührt,
eingenommen. Der Magen wird durch Expression entleert. Es entleeren sich 1 Ys Liter
dünner gelber Flüssigkeit von stark saurer Reaction, die Congopapier azurblau ver¬
färbt, Gesammtacidität 77. Keine Milchsäure. Auch ]^sig- und Buttersäure fehlen.
Also auf HCl berechnet = 0,28^/o. In Anbetracht des grossen Flüssigkeitsquaniums
jedenfalls ein abnorm hoher Säuregehalt!
Am folgenden Morgen 1 Stunde nach Genuss von Ewald^s Probefrüh¬
stück werden durch Expression mit Leichtigkeit 7 20 com einer intensiv sanren, nicht
übel riechenden dünnen Flüssigkeit entleert. Intensivste Congoroth-Verfärbung, sehr
starke Phloroglucin-Vanillin-Reaction, keine Milch- oder sonstige organische Säure, Aci¬
dität 71 (0,26% HCl); starke Amylum-Reaction. Gute Biuretreaction.
6 Stunden nach einem EiegeVachen Probemittagsmahl entleeren sich 600 ccm eines
bräunlichgelben, ganz dünnen Breies, mit hochgradigster HCl-Reaction. 12 0 Ge¬
sammtacidität, ohne Milch-, Essig- und Buttersäure. Starke Amylum- und Biuret-
Reaction. Im Filterrückstand unter dem Microscop vorwiegend Stärkekömer, ganz wenige,
stark angedaute Muskelfibrillen. Der Salzsäuregehalt, nach Sjöquist
bestimmt, betrug 0,3 4 9 7o*
Im Anschluss an diese Expression wurde der Magen mit Wasser ausgespült, und
am folgenden Morgen nüchtern untersucht. Die Expression
förderte 180ccm einer fast wässrigen speisefreien Flüssig¬
keit zu Tage, welche intensive Günzbur g' ache HCl-Reaction
zeigte, mit einem HCl-Gehalt von 0,31 %. Keine Albuminate, dagegen
Peptonreaction.
Die Resorptionszeit für Jodkali erweist sich als normal (11 Minuten).
II. B., 47 Jahre alt, Schlosser, war gesund bis vor 1 Jahr. Damals hatte er
während mehrerer Tage sehr heftige klemmende Schmerzen über der Magengegend, die
ihn im Bette hielten. Dann hatte er Ruhe bis vor Jahr. Seither hat er 4 eigent¬
liche Attaquen durchgemacht mit heftigem Schroerzanfall; die Besserung hielt aber je weilen
nur einige Tage an. Reichliches und öfteres Erbrechen. Viel „Herzwasser", häufiges
Brennen bis in den Hals herauf (Sodbrennen). Die Schmerzen sind meistens des Nachts
Am stärksten. Trank und Speise verursachen keine Schmerzen, sondern wirken im Gegen-
theil meistens auffällig beruhigend. Während der Schmerzen besteht meistens quälender
Durst.
Die physicalische Untersuchung des Magens ergibt keine Auffälligkeiten. Eine Er¬
weiterung des Magens lässt sich auch am (luft-) aufgeblähten Organ nicht nachweisen.
Morgens nüchtern werden durch Expression ca. 150 ccm
einer leicht we i s s 1 ichgelb getrübten C 0 ngo stark b1äuenden
Flüssigkeit entleert, mit sehr starker Günzburg-Reaction.
A c i d. = 6 5 %. Biuret-Reaction wenig scharf ausgesprochen, Stärke- und Milchsäure-
Reactionen negativ.
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588
4 72 Standen nach EiegeV% Mittagsmahl werden ca. 300 ccm einer in t e n s i v
sauer riechenden Flüssigkeit entleert, die sehr fein verdaut ist, speciell absolut keine
gröberen Fleischpartikelchen enthält, sondern äusserst leicht den Schlauch passirt. Das
Filtrat zeigt eine Acidität von 120 (0,43^/o HCl) ohne organische Säuren, gibt starke
Pepton- und keine Stärke-Reaction.
Aus dem Abends vorher reingespülten Magen entleeren sich Morgens nüchtern
90 ccm einer klaren gelblich - grünen Flüssigkeit, von starker HCl-Reaction. 65^/o
Acidität.
Diese Beobachtung wird noch mehrere Tage hintereinander wiederholt. Trotz
abendlicher und morgendlicher Spülung mit einer Carls-
bader Salzlösung enthielt der nüchterne Magen stets ca. 50
bis 80 ccm einer stark HCl-haltigen Flüssigkeit.
III. Sch., 40 Jahre alt, Fabrikbesitzer von M. Ist schon mehr als 10 Jahre
magenleidend. Dazumal hatte er häufig starke Schmerzen im nüchtern, en Zustande.
Mit der Nahrungsaufnahme trat jeweilen Linderung auf. Der Schmerz war nagend,
bohrend, viel saures Aufstossen, selten Erbrechen. Der Appetit war sehr wechselnd.
Dieser Zustand dauerte etwa 6 Jahre. Dann bekam er äusserst heftiges und lästiges
nervöses Herzklopfen, mit ausgesprochener Herzintermittenz, besonders während
der Stunden der Verdauung. Die Magenschmerzen dagegen waren für
einige Jahre ganz in den Hintergrund getreten bis vor
einige-n Wochen. Seither ist das Herzklopfen verschwanden, dagegen tägliche,
bald stärkere, bald schwächere Magenscbmerzen, mit denselben Begleiterscheinungen wie
vor einigen Jahren. Der Appetit ist dabei ganz gut, der Durst nicht wesentlich ge¬
steigert. Der Pat. ist arbeitsfähig, des Abends sehr müde, schläft gut. Eigentliches Er¬
brechen ist schon lange nicht mehr aufgetreten, dagegen ziemlich häufig die Erscheinung
des sog. „HerzWassers", besonders dann, wenn Pat. zu lange auf das Essen warten muss.
Das Körpergewicht ist schon lange dasselbe geblieben. Pat. hält sich selbst für sehr
„nervös". x
Blasser, magerer Mann. Herzaction regelmässig, nicht beschleunigt. Zunge rein
und feucht. Harn in Ordnung. Inspection und Palpation der Magengegend ergeben
normale Verhältnisse; im besonderen lässt sich eine Gastrectasie nicht nach weisen.
Probefrühstück: Magensaft zeigt eine Gesammtacidität von 85^0, ohne organische
Säuren (0,31®/o HCl), hochgradige Congo- und Phloroglucin-Vanillin-Rektion. Schlechte
Stärkeverdauung.
67« Stunden nach dem Mittagsmahl enthält der Magen noch ca. 100 ccm einer
leichtgetrübten dünnen Flüssigkeit, ohne Speisereste mit hochgradigster Azurblau-Ver¬
färbung von Congoroth und einer Acidität von 92. Organische Säuren fehlen.
Aus dem nüchternen Magen entleert werden 110 ccm.
eines w a s s e r k l a r e n M a g e n s a f t e s, der s i c h a 1 s s e h r s t a r k HCl-
haltig erweist und weder organische Säuren noch Pepton
enthält.
IV. St., Eisenbahnbeamter, 25 Jahre alt, bekommt seit mehreren Wochen einige
Standen nach der Mahlzeit einen „fürchterlichen" stechenden und brennenden Schmer»
in der Magengegend, der ihn quält, bis er wieder Speise oder Trank zu sich ge¬
nommen hat Dann wird der Zustand sozusagen wieder sofort erträglich. Besonders
des Nachts muss der Kranke 1 bis 2 Mal aufstehen und sich Milch kochen, um die
Schmerzen los zu werden. Kein Erbrechen, kein Aufstossen, kein Brechreiz, kein Speichel¬
fluss. Guter Appetit. Durst nicht gesteigert.
Die Magengegend ist nicht druckempfindlich, der Magen erscheint nicht vergrössert.
1. Probefrühstück: Der Magensaft zeigt abnorm hohe Säurewerthe (90).
Keine organischen Säuren. Sehr starke HCl-Reaction (Günehurg). Schlechte Stärkever-
danung.
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2. Probefrühstück: Normale Acidität (50). Keine Amylom-Reaction, gute Congo-
Reaction. Keine Milchsäure.
3. Probefrühstück: lOS^/o Acid. Starke Jodreaction (viel Stärke). Keine Milch¬
säure.
Untersuchung des nüchternen Magens (an 2 verschiedenen Tagen).
I. Entleerung von 110 ccm einer fast vrasserklaren Flüssigkeit von ganz intensiver
Einwirkung auf Congo. Acidität 62. Wenig scharfe Biuret-Reaction. Keine organische
Säuren. Sehr starke Phlorogluoin-Yanillin-Reaction.
II. Es entleeren sich nur 40 ccm einer leicht grünlich-gelben Flüssigkeit, mit
starker Salzsäure-Reaction.
Die motorische Function des Magens erweist sich als eine gute: 6 Stunden
nach Biegel's Mahlzeit wird der Magen speisefrei gefunden.
An der Richtigkeit der Diagnose scheint in diesen Fällen nicht wohl gezweifelt
werden zu kSnnen.
Bosenheim sagt in seiner «Pathologie der Verdauungskrankheiten* hezQglich der
Diagnose:
Die Diagnose stützt sich auf folgenden ziemlich characteristischen Symptomen-
complez: Sodbrennen, Schmerzen in der Magengegend, oft gestörter Appetit, starker
Durst, Erbrechen resp. Aufstossen. Vornehmlich ist zu beachten, dass krampfartige
Schmerzen, ebenso wie Erbrechen besonders Nachts aufzutreten pflegen. Das Er¬
brechen erleichtert dann die Beschwerden, die durch die Reizwirkuug des scharfsauren
Saftes auf die Magenschleimhaut bervorgerufen sind. Auch tritt ein Nachlass selbst
heftiger Cardialgien sofort ein, wenn etwas Milch getrunken wird, oder noch besser,
wenn ein TheelOffel eines zerriebenen gekochten Hfihnereiweiss genossen wird. Die
schlaflosen Nächte verschulden auch zum Tbeil die schwere Schädigung des Allgemein¬
befindens, die sich durch starke Abmagerung und Ansemie kenntlich macht. Trotz
dieser sehr prägnanten Erscheinungen sind Verwechslungen mit anderen Afifectionen
nabe liegend. Absolut sicher wird die Diagnose, wenn wir des
Abends den Magen des Kranken gründlich ausspülen, den
Rest des Wassers auspumpen, die ganze Nacht den Kran¬
ken nichts zu essen und zu trinken geben, und dann des
Morgens aus dem nüchternen Magen reinen, Eiweiss schnell-
verdauenden Magensaft heraushebern.
Dass unsere 4 mitgetbeilten Beobachtungen diesen Anforderungen genügen, ist
zweifellos!
Allein gegen die Richtigkeit der Anschauung, wie sie bis dabin von Physiologen
und Klinikern gelehrt wurde, dass der gesunde nüchterne Magen von Magensaft frei
sei, ist schon vor Jahren, besonders von Seiten eines Autors, Schreiber in Königsberg,
scharfe Opposition gemacht worden.
Sc^eiber kommt vielmehr zu dem Schlüsse, dass auch aus dem speisefreien
nüchternen Magen gesunder, normaler Menschen verdauungskräftiger Magensaft ge¬
wonnen werden könne, und dies in Mengen und unter Bedingungen, welche der sog.
continuirlichen Magensaftsecretion diagnostisch zu Grunde gelegt werden. Also auch
der normale nüchterne Magen ruhe nicht, bis zu welchem Grade er aber arbeite,
das müsse weiteren Arbeiten Vorbehalten bleiben.
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590
Schreiber^) hatte im Jahre 1888 unter 15 (magengesunden) Versuchspersouen
bei 14 im nfichternen Zustande Salzsäure-Reaction der Magenschleimhaut, bezw. salz¬
säurehaltigen Magensaft gefunden und zwar 18 Mal 1—10 ccm, 5 Mal 11—20 ccm,
2 Mal 21—30 ccm, 1 Mal 40 ccm, 1 Mal 50 ccm und 1 Mal 60 ccm.
Verantwortlich fnr diese Secretion macht Schreiber das verschluckte Nasenrachen-
secret, bezw. den verschluckten Speichel.
Diese Untersuchungen fanden eine mehrfache Nachprüfung.
Nosm*) fand in 31 von 42 Fällen freie HCl im Magensaft. Meistens ergossen
sich aus den Fenstern der Sonde 4—5 ccm sauren Magensaftes.
Er fand in 29 Malen 1—10 ccm, in 2 Malen 11—12 ccm. Rosin kam zu dem
Schlüsse, dass der nüchterne Magen in zahlreichen Fällen Magensaft enthalten kann.
Auch Hofmann^) (aus Riegd's Klinik) und Pidc*) (Prag) fanden bei einer grossen
Zahl der von ihnen Untersuchten des Morgens nüchtern geringe Mengen Magensaft.
Es folgern aber Beide daraus nicht eine normale continuirliche Saftsecretion, sondern
erklären den positiven Ausfall der HCl-Reaction des Ausgepressten oder des im
Schlauchfenster befindlichen Magensaftes als einen Effect der Sondenreizung.
Riegel, welcher mit besonderem Eifer gegen die neue Lehre Schreiber's zu Felde
zog, ist dann neulich'^) selbst nochmals der Frage näher getreten und bat bei 39 Ge¬
sunden 46 Untersuchungen im nüchternen Zustande vorgenommen. Von den 35, die
nur einmal nüchtern ausgehebert wurden, ergaben 25, also mehr als keinen
messbaren Inhalt. Bei 13 davon fand sich auch am Sondenfenster keine Gongo-Roaction,
bei 12 Congobläuung nur am Sondenfenster. Nur bei 10 wurde nüchtern ein mess¬
barer Inhalt, schwankend von 3 Tropfen bis 5 ccm als Maximum gefunden. Dieselben
ergaben Congo-Reaction. Ein Fall ergab 3 Tropfen Flüssigkeit, aber ohne Sänre-
Reaction. ,Keiner derer, die diese Versuche mitgemacht haben, konnte sich, zumal
beim Vergleich mit dem Verhalten bei der eigentlichen «Hypersecretion" des Eindrucks
erwehren, dass hier von einer spontanen Secretion in keiner Weise die Rede sein
könne.*
Wenn man seine Ergebnisse zusammenstellt, so fand Riegel: 35 Mal Anfeuchtung
bis 5 ccm, 2 Mal 11—20 ccm und 1 Mal 28 ccm.
Inzwischen bat Schreiber*) nochmals bei 2 Gesunden Versuche vorgenommen und
bei einem davon HCl-haltigen Magensaft gefunden 6 .Mal 1—10 ccm, 4 Mal 11 bis
20 ccm und 1 Mal 22 ccm. Beim 2. Untersuchten war der nüchterne Magensaft
stets mit frischer Galle gemengt, aber trotzdem stets deutlich, ja stark salzsauer.
Diese Zeilen waren schon niedergeschrieben, als ich in Nr. 32 (9. August 1894)
der Deutschen mediciniscben Wochenschrift eine Arbeit von Martins zu Gesicht bekam,
der, um möglichst unbefangen sein Urtbeil in der Streitfrage Riegd-Schreiber abgeben
zu können, an 15 völlig magengesunden Soldaten Untersuchungen vornahm nnd
bei allen 15 im Nüchternen messbare Mengen von salzsäurehaltigem Mageninhalt ge-
Archiv für exp. Pathologie und Pharmakologie. Bd. 24. 1888.
*) Deutsche med. Wochenschrift 1888.
*) Berlin, klin. Wochenschr. 1889.
*) Prager med. Wochenschr. 1889.
Deutsche med. Wochenschr. 1893.
®) Deutsche med. Wochenschr. 1894. Mai.
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wionen konnte. In der Hälfte der Fälle Hess sich auch freie, nicht nnr ge¬
bundene HCl aufweisen’). Die Acidität schwankte zwischen 20 und 40.
Die Mengen des aspirirten Inhalts betrugen: 11 Mal 1 — 10 ccm, 4 Mal 11 his
20 ccm und 1 Mal 30 ccm.
Martius hat durchaus den Eindruck bekommen, dass dieser Mageninhalt prmfor-
mirt im Magen ist, und nicht etwa erst durch den Beiz des Magenschlauches abge¬
schieden wird. Den Reiz fär die Ahscheidung dieses Saftes sieht Martius gerade wie
Schreiber in dem verschluckten Speichel und Nasenrachensecret
Nach dem jetzt nun vorliegenden Material darf man, wie mir scheint, an der
Thatsache nicht mehr zweifeln, dass der nfichteme Magen des Gesunden ffir gewöhn¬
lich einen verdanungskräftigen HGl-haltigen Magensaft in geringer Menge enthält.
Meine eigenen Erfahrungen stimmen damit völlig äherein, aber trotzdem komme
ich nicht dazu, mit Schreiber das Krankheitsbild des Magensaftflusses im Sinne Bäch'
mann-Riegd's zu läugnen, sondern ich stehe vielmehr zu demselben aus voller Ueber-
zeugung.
Man darf dabei nur nicht das Wesen der Krankheit in einem bischen nüchternen
Magensaft inbegriffen wissen wollen. Der ganze übrige Symptomencom-
plex gehört eben auch dazu und sodann sind zur Stellung der
Diagnose: Magensaft fl iiss nach meiner Anschauung im All¬
gemeinen grossere Mengen HCI-haltigen Secretes aus dem
nüchternen Magen er forderlich, al s sie beim Gesunden ge¬
funden werden.
Es ist ja gewiss misslich, eine bestimmte Menge von Mageninhalt als
Schwelle für das Physiologische bezw. Pathologische bestimmen zu wollen, aber es
darf doch andererseits gewiss nicht als Zufall angesehen werden, dass alle Autoren,
welche den nüchternen Magen Gesunder ezprimirten, nur geringe Mengen erhielten,
gering wenigstens im Verhältniss zu den Fällen von .Magensaftfluss. Mehr als
2 0 ccm wurden eigentlich nur ausnahmsweise gefunden:
Nämlich von Schreiber 1888 von 28 positiven Ergebnissen nnr 5 Mal
Rosin
. 31
«
9
kein ,
Riegel
, 38
9
rt
nur 1 ,
Schreiber 1894
, 11
9
rt
. 1 .
Martius
. 16
9
9
. 1 .
Die Ergebnisse von Hofmam und Fick, als von Schreiber bezüglich ihrer Ver-
werthbarkeit in dieser Frage angefochten, lassen wir hier absichtlich ausser Betracht.
Nur in 6,47o der positiv ausgefallenen Einzelunter¬
suchungen wurden mehr als 20 com entleert, in 13,7 7o
zwischen 10 — 20 ccm und schliesslich in 79,97* 1 —10 ccm.
Nach diesen Ergebnissen werden wir mit gutem Grunde 50 —100 ccm Magen¬
saft im Nüchternen bereits als pathologisch bezeichnen dürfen.
') Bei Schreiber, Botin und Siegel handelt es sich bei den positiv ausgefallenen Versnchen
stets nm das Vorhandensein von freier HCl!
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592
Schon in den frühesten Publicationen über diesen Gegenstand') hat Biegd pro¬
phezeit: «Dass auch Fälle Vorkommen können, in denen kaum zu entscheiden sein
wird, ob sie im Sinne einer pathologischen Saftabscheidung zu deuten sind, ist von
vorneherein zu erwarten. Es muss eben auch hier zahlreiche Uebergänge von der
Norm bis zu hochgradig gesteigerter Secretion geben. Es haben aber diese geringeren
Grade, deren Nachweis naturgemäss auf grössere Schwierigkeiten ^tösst, bei weitem
weniger Dignität, als die hier beschriebenen Fälle hochgradiger Hypersecretion.*
In den früheren Abhandlungen hat Riegel noch mehr als später die Verwandt¬
schaft der einfachen Hyperacidität (Hyperchlorhydrie) mit der Hypersecretion bezw.
der chron. continuirlichen Magensaftsecretion betont: ,So verschieden Hyperacidität
und Hypersecretion an sich sind, so gibt es doch zwischen beiden zahlreiche Mittel¬
und Debergangsformen. Ich denke mir die Hyperacidität als den geringergradigen
Beizzustand.**)
ln einer andern Abhandlung*) äussert sich Riegd folgendermassen: «Man darf
nicht vergessen, dass Uebergänge zwischen Hyperacidität und Hypersecretion oder con-
tinuirlicher Saftsecretion bestehen. An sich sind ja beide Formen keineswegs gleich¬
artig. Bei der Hyperacidität handelt es sich nur um Steigerung der Saftproduction
beim Verdauungsacte, während in den Intervallen keine Saftabscheidung erfolgt,
Bei der continuirlichen Saftsecretion dagegen wird auch ohne den Beiz der Ingesta
fast beständig Magensaft abgeschieden. Das ist zweifelsohne ein principieller
Unterschied beider Formen und auch in ihren Gonsequenzen unterscheiden sich
beide sehr wesentlich. Trotz dieser auffälligen Unterschiede in den klinischen Symp¬
tomen glaube ich meine bereits in früheren Arbeiten ausgesprochene Meinung auch
jetzt noch festhalten zu sollen, dass beide Formen in einander übergehen können, dass
die Hyperacidität den geringergradigen Beizzustand des secretorischen Apparates der
Magenschleimhaut darstellt, der schliesslich bis zur typischen continuirlichen Saft¬
secretion sich steigern kann. In der Tbat begegnet man ja auch zuweilen Fällen, die
gewissermassen in der Mitte beider Formen stehen, bei denen man zunächst nur Hyper¬
acidität findet, zeitweise aber wenn auch nur geringe Saftabscheidung im nüchternen
Magen beobachtet. Trotz dieser nahen Beziehungen muss man klinisch dieselben
scbarf trennen.“
Ich selbst habe den Eindruck, dass sozusagen jeder höhere Grad von «Hyper¬
acidität* früher oder später zum Magensaftfiuss führen könne. Ein Anhaltspunkt für diese
Anschauung scheint mir darin gegeben, dass ich relativ häufig Kranke mit ausge¬
sprochener «Hyperchlorhydrie* behandle, bei welchen das eine Mal am Morgen nüchtern
nur wenige ccm oder gar nichts exprimirt werden kann, einige Tage darauf mit
Leichtigkeit 50 und mehr ccm einer stark HCl-haltigen Flüssigkeit.
V. Prl. W., 20 Jahre alt, von K., klagt seit einigen Monaten Ober einen starken
Druck in der Magengegend, am meisten, wenn sie nüchtern ist. Ganz besonders in
der Nacht, gegen Morgen hin wird der Druck zum eigentlichen bohrenden Stechen.
Unmittelbar nach der Nahrungsaufnahme (Milch) wird der Zustand etwas besser. Kein
') Zeitschr. f. klin. Medicin. Bd. XI. 1886.
*) Zeitschr. f. klio. Medicin. Bd. XII. 1887.
') Deutsche med. Wochenschrift 1887.
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Erbrechen. Viel saures Aufsiossen. Der Appetit ist nicht gut. Der Durst nicht ge¬
steigert. Ziemlich regelmässiger Stuhlgang.
Der Magen zeigt sich bei der Untersuchung als vergrössert, er überschreitet
mit der grossen Curyatur die Nabellinie um ca. 3 Finger breit. Der Pylorus nicht ver¬
dickt. Beim Aufblähen des Magens mit dem Gebläse klagt^ Patientin über einen inten¬
siven Schmerz im ganzen Magen. „Er sei zum Zerspringen."
Probefrühstück: Man erhält durch Expression 200 ccm einer dünnen gelb-
lichweissen Flüssigkeit mit einer Acidität von 60. Erythro-dextrin. Binretreaction.
8 Stunden nach RiegeVs Mittagsmahl wurden noch ca. 40 ccm eines gelblichbräun-
lichon Breies herausgepresst, mit Fleisch- und Stärkeresten. 115 Acidität (0,4 2®/o HCU),
ohne Milchsäure-Reaction.
Der Abends vorher gespülte Magen entleert am Morgen nüchtern ca. 50 ccm eines
leicht gelblichgrünen, dünnen, speisefreien Fluidums, das Congo sehr stark bläut. Acidität
69. Starke Gütusburg^Bche Reaction.
Ein zweites Mal konnte aus dem nüchternen Magen nichts entleert werden, ein
drittes Mal dagegen wieder 60 ccm einer intensiv salzsauren Flüssigkeit mit 55^/o
Acidität.
Als weitere Stütze für die Zusammengehörigkeit der „Hyperacidität* und „Hyper-
secretion* betrachte ich mit Riegel den Umstand, dass man häufig genug Fällen be¬
gegnet, welche als reine Uebergangsformen vom einen zum anderen bezeichnet
werden müssen. Ich führe 2 Beispiele an:
VI. W., Commis, 26 Jahre, von Zürich, klagt über Magenschmerzen,
die schon verschiedene Jahre dauern, manchmal mit Unterbruch von einigen Monaten.
Pat. kennt keine directe Veranlassung dazu, doch weiss er, dass ihm kalter Trunk, sowie
überhaupt jede Diätstörung nachtheilig ist.
Die Schmerzen treten besonders bei nüchternem Magen auf. Wenn er darauf
isst oder Milch trinkt, so werden die Schmerzen bedeutend geringer, oder verschwinden
ganz, sonst dauern sie an, bis Pat. etwas geniesst! In der Nacht hat Pat. in letzter Zeit
schlecht geschlafen, wegen der Magenschmerzen und häufigem lästigem Druckgefuhl in der
Bagengegend. Häufiges saures Aufstossen. Vor 7^ erbrochen
und ist noch häufiger von Brechreiz geplagt gewesen. Jetzt immer noch viel sauren
Speichel im Mund, aber kein Erbrechen mehr.
Alkohol verträgt Pat. sehr schlecht, eben so alle fetten Speisen. Der Appetit ist
gut. Der Durst nicht gesteigert. Patellarrefiexe in Ordnung. Pupillen refiectiren prompt.
I. Probefrühstück: Acidität 80, keine Milchsäure, starke Amylum- und gute Pepton-
Reaction.
II. Probefrühstück: Acidität 90 (also auf HCl berechnet = 0,328^/o!), sehr
starke Günzburgasche Reaction. Keine Milchsäure, aber viel Amylum nachweisbar. Aus
dem nüchternen Magen werden 25 ccm fast wasserklaro
Flüssigkeit entleert, mit einer HCl-Acidität von 5 0.
672 Stunden nach dem Mittagsmahl (Riegel) kann kein Mageninhalt entleert werden.
VII. K., 45 Jahre alt, Rentier, Zürich. Klagt seit 4 Monaten über den
Magen, und zwar über einen oft stundenweise anhaltenden brennenden Schmerz in der
Magengegend. Diese Schmerzen fangen häufig schon Morgens in aller Frühe an, und
verschwinden dann plötzlich, unabhängig von der Nahrungsaufnahme. Dann stellt sich
häufig ein wahrer Heisshunger ein. Kein Erbrechen, kein Brechreiz, dagegen häufiges,
nicht übelriechendes, erleichterndes, manchmal saures Aufstossen. Viel Durst.
Der Magen ist nicht erweitert, auch nicht merklich druckempfindlich. Der Harn
ist ei weiss- und zuckerfrei.
I. Probefrühstück: lOO^o Acidität (0,365^/o HCl!) ohne organische Säuren, viel
Stärke, starke Pepton-Reaction, äusserst intensive Blaufärbung von Congorothf
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594
II. ProbefrübstQck: Sehr starke Congo-Reaotion, 95'*/o Acidität, viel Stärke, keioe
Milchsäure, der Magensaft ist auffällig dünn, hell, fast wasserklar.
6 Stunden nach Siegel’» Mittagsmahl ist der Magen bis auf geringe Mengen einer
wasserklaren, intensiv HCl-baltigen Flüssigkeit leer.
Der nüchterne Magen entleert ca. 20 ccm einer wasserklaren Flüssigkeit,
welche starke Salzsäu*re-Reaction zeigt. (Aznrverfärbung von Congopapier.)
Aus dem Abends vorher ansgespDlten nnd am Morgen nüchternen Magen lassen
sich nur 15 ccm einer stark salzsauren, wasserklaren Flüssigkeit exprimiren.
Mit der Feststellung der Thatsache, dass der Magen Gesunder Morgens nüchtern
ein geringes Quantum HCl>haltigen Saftes beherbergt, einer Thatsache, mit welcher
man sich wohl oder übel abünden wird müssen, kann man m. E. auch sehr
wohl den principiellen Unterschied, den noch Riegel in seinem oben angeführten
Passuä für die beiden Zustände nrgirt, fallen lassen: Die ,continuirliche Saftsecretion*
ist offenbar nichts Weiteres als eine hochgradige „Hyperacidität*. Was Riegel ver¬
anlasst hatte, die Hyperacidität und die Hypersecretion principiell zu trennen, war die
scheinbar pathologische Erscheinung des Vorhandenseins von Magensaft
im Nüchternen. Seitdem diese Erscheinung als eine physiologische erkannt
worden i.st, fällt dieser Trennungsgrund dahin. Dabei möchte ich einer Streichung
des Ausdruckes: Hyperacidität resp. Hyperchlorhydrie als Bezeichnung
für einen Krankheitstypus das Wort reden. Er ist durch Hypersecretion zu
ersetzen, denn eine Hyperchlorhydrie ohne eine Hypersecretion gibt es nicht, ist ja
doch erstere immer nur die Folge einer gesteigerten Saftsecretion. Man
soll nach wie vor von einem hyperaciden oder noch besser von einem übersalzsauren
Magensaft sprechen, aber eine Hyperacidität von einer Hypersecretion klinisch zu
trennen, halten wir für unnöthig. Für die Hypersecretion mit stärkerer Ansammlung
von Secret im nüchternen Magen wird man den bisherigen Ausdruck .Magen-
saftflnss*, als den von den gebräuchlichen den unverfänglichsten, beibebalten
dürfen. Er scheint mir zweckmässiger als „cbron. continuirliche Magensaftsecretion*.
Uebrigens wird man jetzt, nachdem festgestellt worden ist, dass der Magen Ge¬
sunder im nüchternen Zustande etwas Secret enthält, für die Pathologie des Magen¬
saftflusses wohl kaum mehr den Hauptwertb auf die G o n t i n u i t ä t der Saftsecretion
gelegt wissen wollen, sondern viel eher wird man wieder auf von der Fefden’s') An¬
schauung zurückgreifen müssen, weiche den Zustand des Magensaflflusses durch ein
langsames Abklingen einer gesteigerten Saftsecretion erklärt. Der
nächtlicherweise verschluckte Speichel und andere Secretmassen rufen bei dem Magen¬
saftflusskranken eine im Verhältniss zu der Geringfügigkeit des Reizes eben krankhaft
gesteigerte und abnorm lang anhaltende Saftsecretion hervor. Durch diese Auffassung
wird dem Magensaftfluss alles Sonderbare: „keine Ruh bei Tag und Nacht*, „Dampf¬
maschine mit todtem Gang* u. s. w., genommen. Auch der Magen dieser Kranken
secornirt erst auf den Reiz: aber schneller, stärker und länger anhaltend.
Ich habe ^chon weiter oben angedeutet, dass zum Erankheitsbild des „Magen¬
saftflusses* aber noch mehr gehört, als eine gewisse, nicht zu geringe Menge von ver-
daunngskräftigem Saft im nüchternen Magen.
*) Volkmann’s klin. Vorträge. Nr. 280. 1886.
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Es ist gewiss kein Zufall, dass die Symptome von Seiten des Magens bei der
einfachen .Hyperacidität* (s. t. t.!) und beim Magensaftflnss, wenigstens bei reinen,
uncomplicirten Fällen, dieselben sind. Das Sodbrennen, das saure 4ufstossen, die nächt¬
lichen Schmerzattaqnen, die Linderung der Schmerzen durch Zufuhr von Speise und
Trank, das gelegentliche Erbrechen. Alle diese Erscheinungen finden sich beim Einen
und beim Andern, weil eben der Magensaftfluss nur eine hochgradige .Hyperacidität* ist.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Kranken, welche an .Hypersecretion*
(in dem von mir Torgeschlagenen Sinne gebraucht) leiden, im Allgemeinen so gleich-
mässige Angaben fiber ihre subjectiren Beschwerden machen, dass man bänfig daraus
schon eine .gesteigerte Saftsecretion* erschliessen kann. Ob dieselbe im einzelnen
Falle so stark ist, dass sie bereits im nfichternen Magen durch ihre Menge als
Magensaftflnss imponirt, darfiber entscheidet erst die ad hoc angestellte
üntersnchung.
Dass die Hypersecretion leicht zu Atonie, zu motorischer Insufficienz, bald vor¬
übergehender, bald dauernder führt, ist bei der mangelhaften Amylolyse nicht schwer
zn verstehen. Vielleicht schädigt der zu stark saure Inhalt schpn an und für sich
die Muscularis oder die normale Function des Pförtners. »
Dass auf diese Weise für das Zustandekommen einer Gastrectasie, auf deren Vor¬
handensein Riegel so grossen Werth legt, die besten Chancen bestehen, liegt auf der
Hand. Aber zum Krankheitsbilde des Magensaftflusses an und für sich gehört sie,
wie übrigens auch Riegel bervorhebt, eben doch nicht. Sie ist für gewöhnlich eine
Spät-Complication.
Nun erhebt sich die Frage, ob wir eigentlich die .einfache Hypersecretion*
(Hyperacidität) und den Magensaftfluss als Krankheitsbilder sni generis betrachten
dürfen? Fast alle Autoren bejahen diese Frage, nur Schreiber verneint sie, Martins
macht Einwendungen. Letzterer macht in seiner HJittbeilung darauf aufmerksam, dass der
pathologische Magensaftfluss gelegentlich, so z. B. bei Qlcus ventriculi, gewissen Formen
der Neurasthenie, gastrischen Krisen (SaUi) als symptomatische Begleit¬
erscheinung bekannter Krankheiten auftrete, dass er aber in anderen ,
Fällen, bei Abwesenheit derartiger bekannter Krankheiten so sehr in den Vordergrund
sich drängen und allein das Feld beherrschen könne, dass man vorläufig berechtigt
sei, ihn als Krankheit sni generis zu bezeichnen. Die Pathogenese ist vor der Hand
noch nicht aufgeklärt. Von den meisten Autoren wird der Magensaftflnss als eine
Secretions-Neurose des Magens aufgefasst. Nur Riegel hält diese Annahme für nicht
genügend fundirt. Jedenfalls kann unsere vorläufige Unkenntniss über das Wesen der
Krankheit kein Grund sein, der letzteren ihre Existenzberechtigung zu nehmen.
Die Prognose ist bei leichten Formen nicht ungünstig. Es scheint mir des¬
halb wichtig, dass man auch diese Zustände als krankhaft erkenne und eben jeden Grad
von Hypersecretion geeignet behandle. Schwere Formen bieten der Behandlung viel
Widerstand. Besserung des Befindens lässt sich jedoch häufig erzielen. Späteres
Hinzutreten von Dicus rotund. lässt sich nicht immer vermeiden. Ich selbst habe
auch mehrere solcher Erfahrungen gemacht.
Entsprechend der dunklen Pathogenese der Krankheit kann die Therapie nur
eine symptomatische sein.
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Nach den Vorschlägen Riegls hat dieselbe folgende Punkte zu berficksichtigen:
In erster Linie soll die Diät des Kranken so bestimmt werden, wie sie der
Verdannngsfähigkeit des Magensaftes entspricht. Der Kranke soll vorwiegend Eiweiss*
Substanzen (Fleischspeisen, Eier) und Leimstoffe bekommen. Die Amylaceen sollen
entsprechend der schlechten Verdauung, welche dieselben erfahren, möglichst einge¬
schränkt werden.
Sodann thun bei diesen Kranken, zumal bei solchen mit hochgradigeren Störungen,
methodische Ausspölungen des Magens sehr gute Dienste. Die Aus¬
spülungen, welche l—2 Mal vor den Mahlzeiten ausgefnhrt werden sollen, können mit
alkalischen Nachwaschungen (Lösung von Karlsbadersalz) combinirt werden.
Endlich werden gegen die «übermässige Säurebildung* (Hypersecretion) Alka¬
lien gereicht. Sie mildern die Schmerzen und bekämpfen die schädigende Wirkung
des byperaciden Magensaftes. Unter den Gurorten hat sich besonders Karlsbad eines
hervorragenden Benommöes bei dieser Krankheit zu erfreuen.
Qie Narcosen im Basler Kinderspital.
Von Dr. E. Wieland, Assistenzarzt.
(Schluss.)
Von den Apparaten, welche diesem Verlangen gerecht zu werden versuchen, ist
als praktisch vor allem der Junker’sche, sodann der in der Schweiz bekanntere Kap-
pelePsche (eine verbesserte Modification des Junker'schen Apparates) zu nennen.
Der Junker'sche Apparat besteht im Wesentlichen ans einem graduirten
Glascylinder, bestimmt zur Aufnahme des Chloroforms, einer zufübrenden
Metallröbre, welche bis auf den Boden des Cylinders reicht und an der Aussen-
seite durch einen Kautschukscblauch mit einem .Ballongebläse in Verbindung steht,
und einer oben in den Glascylinder eingelassenen abführenden Böhre, welche
ebenfalls in einen Kautschukscblauch ausläuft, an dem sich das Mundstück befindet.
* In dem glockenförmig gestalteten Mundstück sind ein Exspirationsventil und an der
Eintrittsstelle des Schlauches zwei durch ventilartige Klappen verschliessbare Inspi-
rationsöffnungen angebracht. Durch Druck auf das Ballongebläse wird die Luft durch
die zuführende Böhre bis auf den Boden des Glascylinders getrieben, steigt durch die
Ghloroformsäule hinauf und gebt mit Ghloroformdämpfen beladen durch das abführende
Kautschukrohr in das Mundstück, wo sie nach Verdünnung durch weitere zu den In-
spirationsklappen eindringende Luftmengen vom Patienten geathmet wird. Nach
Kappder'^) athmöt der Patient beim Junker’schen Apparate bei 30 Pumpenstössen in
der Minute und bei gefülltem Glascylinder eine Chloroforniluftmischnng von 88'/s gr.
auf 100 Liter Luft. Es werden ihm 3 Liter dieser Mischung in der Minute zu-
gefübrt. Dazu kommt eine Verdünnung mit 5 weitern Litern Luft pro Minute, die
der Kranke zum Gasaustansch braucht und die er durch die Inspirationsventile der
Maske bezieht. Die eigentliche, eingeathmete Chloroformluftmischung beträgt dann
*) „lieber dieMethodea der Chloroformirung, insbesondere über die Chloroformirnng mit mess¬
baren Chloroformlnftmischnngen“ von Br. O. Kappder. Verhandlungen der Deutsch. Gesollsch. für
Chirurgie. Bd. XIX. Vergl. Ref. im Corr.-Bl. 1891, pag. 416. Red.
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bloa S6'/i gr. anf 100 Liter Luft. Diese Berechnnug kann, wie Kappeier bemerkt,
natürlich nur Geltung haben für dichtes Anliegen der Maske am Gesicht. Lässt man
Luft neben dem Mundstücke eindringen, so kennt man die Concentration des Gemisches
nicht mehr und der grösste Theil des Chloroforms geht verloren.
Der Gehalt der mit dem Junker’schen Apparate erzielten Ghloroformluftmischang
an Chloroform entspricht den Forderungen P. Bert's nicht, sondern ist bedeutend zn
hoch. Kappeier (1. c.) hat dessbalb den Jnnker’schen Apparat sehr zweckmässig modi-
ficirt, indem er den Chloroformbehälter länger und dünner konstmirte, hauptsächlich
aber die zuführende Röhre nicht in’s Chloroform eintauchen, sondern beim höchsten
Füllnngsstande des Cjlinders 5 mm von der Chloroformoberfläche entfernt bleiben
liess, ,so dass also die Luft nicht durch das Chloroform gepresst wird, sondern nur
über die Oberfläche hinwegstreicht" Kappeier hat ferner die 2 Inspirationsklappen
und die Bispiratioosöffnung im Mundstück des Junker’schen Apparates durch ein ein*
faches Luftloch an der Kuppe der Maske ersetzt, durch welches der Patient frei aus*
und einathmen kann. Mit diesem modificirten Apparat erzielte Kappeier bei gleichem
Pumpmechanismus (30 Stösse per Minute liefern 3 Liter Mischung) und bei totaler
Füllung des Cylinders (50 ccm.) eine Chloroformlnftmischung von blos 14,8 gr. auf
100 Liter Luft. Bei Abnahme der Füllung nimmt entsprechend die Sättigung der
Luft mit Chloroform ab, so dass mit allmählig abnehmenden Chloroformmengen narcoti*
sirt wird. Todesftlle durch plötzlich einwirkende, concentrirte Chloroform*
mengen (frisches Nachgiessen), sowie die in Folge von Aufnahme absolut
zu grosser Mengen von Chloroform währenfl langen Narcosen eintretenden Todes*
flllle sind dadurch nach Kappder sicher zu vermeiden.
Der im hiesigen Einderspital seit mehr als 2 Jahren in Gebrauch stehende Appa¬
rat steht in der Mitte zwischen dem Junker’scben und dem Kappeler’schen, nähert
sich eher dem erstem, indem die zufübrende Röhre ebenfalls bis zum Boden des
graduirten Glascylinders reicht. Dagegen besitzt er wie der Kappeler’scbe eine ein¬
fache Luftöffnung' an der Kuppe der Maske. Die übrige Ausstattung*) ist durchaus
die gleiche wie bei den erwähnten Apparaten.
Eine genaue Bestimmung des procentiscben Cbloroformgebaltes der mit unserm
Apparat erzielten Chloroformluftmischung ist bis jetzt noch nicht vorgenommen worden.
Entsprechend der Konstruktion des Apparates müssen wir eine Zusammensetzung des
Gemisches erwarten, welche der von Kappder für den Junker’scben Apparat
berechneten nabe kommt. Unser Apparat ist also Jedenfalls kein idealer, sondern ar¬
beitet mit unnöthig koncentrirten Cbloroformluftmischungen.
Gleichwohl leistet er sehr gute Dienste, und scheint uns dieses Verfahren gerade
für die K i n d e r p r a z i s gewisse Vorzüge zn besitzen.
So befriedigend auch die bisherigen Resultate mit dem gewöhnlichen Chlorofor-
mirungsverfahren (Esmarch’eche Maske) in unserer Krankenanstalt genannt werden dürfen^
so schien doch die Methode mit messbaren Cbloroformluftmischungen eine Gewähr mehr
‘) Ursprünglich war der Apparat anascbliesalich für Pentalnarcosen bestimmt und
wurde von P. A. Kölliker & Cie. in Zürich nach Angaben von Prof. Holländer angefertigt, ln
Folge Bekanntwerdena mehrerer schwerer Znfölle bei Pentalnarcosen wurden die Versuche mit Pen-
tal im Kinderspital wieder eingestellt, der praktische Apparat aber für die Cbloroformnarcosen weiter
verwendet.
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far die Sicherheit der Narcose zu bieten. Diese Erwägung bewog Herrn Prof. Hagen-
bach seit dem Jahre 1892 fast ausschliesslich mit dem erwähnten Apparat zu chloro-
formiren. Eine Ausnahme machen nur die Narcosen bei Tracheotomien, wo wir der
Einfachheit halben immer noch die alte Cbloroformirungsmetbode anwenden.
Wir schätzen an unserm Apparate folgende, speciell fär Narcosen bei Kindern
wichtige Vorzüge:
I. Die genügende Mischung des e i n ge a t h m e t e n Chloroforms
mit atmosphärischer Luft. Abgesehen von der Verhütnng syncoptischer und
asphyktischer Zufälle durch zu eonceutrirt einwirkende Gbloroformdämpfe, hat die Erfül¬
lung dieser Bedingung speciell für Kinder noch den grossen Vorzug, dass im Falle des
Verschluckeos des Qemisches, die Reizung der zarten, kindlichen Magenschleimhaut
keine so hochgradige ist. Es sind denn auch thatsäcblich seit Anwendung dieses
Apparates die früher nicht seltenen Fälle von stunden- und sogar tagelangem Er¬
brechen nach der Narcose und besonders auch die für junge Kinder sehr gefährlichen
Chloroform-Gastroenteritiden nicht mehr oder doch nur in leichtem Grade beobachtet
worden.
Die Cbloroformluftmischung unseres Apparates, obgleich wir sie als unnüthig
concentrirt bezeichnen mussten, hat also genügt, diese beiden üebelstände, wenn nicht
ganz zu beseitigen, so doch wesentlich zu mildern.
II. Die gleichmässige Chloroformzufuhr. Dieselbe ist
mit keiner andern Cbloroformirungsmetbode (weder mit der Esmarcb’schen Maske noch
mit der sogenannten Tropfmethode) in* dem Maasse zu erzielen wie mit unserm Appa¬
rate. Auf die Wichtigkeit der gleichmässigen Chloroformzufuhr brauchen wir
hier nicht einzugeben. Die Gründe decken sich zum Theil mit den oben über den
Werth einer genügenden Mischung des Chloroforms mit Luft angegebenen. Wir
wollen nur bervorbeben, dass bei sich sträubenden Kindern ein gleicbmässiges Chloro-
förmiren, ähnlich wie bei aufgeregten Alkoholikornarcosen, eine vermehrte Bedeutung
gewinnt, indem es im Unterlassungsfälle zum plützlichen Eintritt einer tiefen Narcose
mit anschliessenden Collapserscbeinungen kommen kann.
III. Den geringen Cbloroformverbrauch. Bei festem Aufsetzen der
Maske auf Mund und Nase des Patienten kann kein Chloroform durch Verdunstung
verloren geben, mit Ausnahme desjenigen Tbeils der Cbloroformluftmischung, welcher
mit dem Exspirationsstrome durch das Luftloch unverbraucht wieder weggeblasen wird.
Mit Vernachlässigung dieses Betrages giebt uns der Apparat die Mittel an die
Hand, genau die bei einer Narcose vom Patienten consumirte Chloroformmenge zu be¬
stimmen.
Wir haben bei 60 Narcosen solche Bestimmungen ausgefübrt. Es wurde jedes¬
mal die Dauer der Narcose und die Menge des verbrauchten Chloroforms notirt. Für
alle 6 0 Narcosen zusammen wurden 644 gr. Chloroform') verbraucht. Das
macht für eine Narcose im Durchschnitt = 10,73 gr. Die Gesammtdauer aller
Da die Scala unseres Apparates die gebrauchten Chloroformmengen in Pentalgram*
men angiebt, das Chloroform aber 2,237 Mal schwerer ist als das Pental, (das specifische
Gewicht des Chloroforms zu 1,488, dasjenige des Pentals zu 0,665 angenommen), so hatten wir die
abgelesenen Zahlen entsprechend umzurechnen, um die Zahl der Chloroformgramme zuer-
haltea.
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Narcosen beträgt: = 1762 Minuten. Auf eine Minate Narcosendauer kommen also:
= 0,365 gr. Chloroform. Es sind dies sehr kleine Mengen ron Chloroform. Sie
stehen noch beträchtlich hinter den durchschnittlichen Chloroformmengen zurück,
welche Kappeier in einer grösseren Anzahl von Narcosen bei Erwachsenen mit
seinem Apparate verhrauchte.
Nach Kappeler^) wurden auf 80 0 Narcosen verbraucht: 9881 ccm. CHCIs; auf
eine Narcose kommen also: 12,3 ccm. CBClt = 18,41 gr. Chloroform (specifisches
Gewicht zu 1,488 angenommen). Diese 9881 ccm. Chloroform vertheilen sich auf 29,088
Minuten Narcosendauer. Auf eine Minute Narcosendauer kommen also 0,33 ccm. oder
0,491 gr. Chloroform.
Hätten wir bei unsern Kindernarcosen statt des dem Jnnker’schen nacbgebil-
deten Holländer’schen Apparates den von Kappder modificirten angewandt, so wäre
unser Chloroformverbranch voraussichtlich noch geringer ausgefallen. Wir schliessen
dies aus einer früheren Angabe Kappeler's*)^ wonach anf 1000 Chloroformirnngen mit
dem Junker’schen Apparat nicht weniger als 30,94 gr. Chloroform auf die einzelne
Narcose fallen (gegen 10,73 gr. bei unsern Versuchen!). Allerdings fehlen Angaben
über die Narcosendauer.
Aber auch abgesehen hievon und bei blosser Berücksichtignng der absoluten
Zahlen stehen wir mit unsern Resultaten punkto Chloroformverbranch günstig genug da.
IV. Ein weiterer Vorzug des Apparates, wenngleich nebensächlicher Art, besteht
in Vermeidung von zufälligem Contact des flüssigen Chloro'
forms mit der äussern Haut oder Sch leimhaut (speciell Bindehaut
der Augen) des Patienten. Wo von Hand Chloroform auf die Maske aufgegossen
wird, verirrt sich bei brüsken Bewegungen der oft nngeberdigen Kinder leicht einmal
ein Tropfen auf die Haut oder gar ins Auge des Patienten. Wir sehen im ersteren
Falle nicht selten ausgebreitete Erytheme, im letztem Fall schmerzhafte Conjunctivi¬
tiden entstehen. Diese unangenehmen Vorkommnisse werden nach dem neuen Ver¬
fahren vermieden.
Von Nacht hei len, die dem Apparat anhaften, ist vor Allem zu erwähnen,
dass die chloroformirende Person beide Hände zu seiner Bedienung braucht; die eine
zum Drücken des Ballongebläses, die andere zur Fixirung des Mundstückes. Es muss
also unbedingt eine weitere Assistenz zur Controlle des Pulses und zur Fixation des
Kopfes des Patienten herangezogen werden. Ein vorsichtiger Operateur wird zwar
jede Narcose lieber vier als hios zwei Händen anvertranen, so dass dieser Umstand in
Kliniken und Spitälern bei Ueberfluss an Assistenz nicht so sehr ins Gewicht fallen
dürfte. Immerhin wird dies bei Operationen in der Privatpraxis und besonders anf
dem Lande Mangels geeigneter Assistenz als ein wirklicher Uebelstand empfunden
werden.
Das bei lange dauernden Narcosen häufig nöthige, lästige Nachfüllen des
Chloroformhehälters kommt bei Kindernarcosen wegen des geringen Chloroformver¬
brauchs kaum vor.
') „Weitere Er&hrangen and neue Versache über die Narcose mit messbaren Chloroform-
Inftmischnngen** von Dr. O. in „Beiträge znr Chirnrgie.“ Festschrift gewidmet Th. Billroth.
Kappeier 1. c.
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Es konnte dem Apparat ferner vorgeworfen werden, er eigne sich in Folge seiner
etwas complicirten Zusammensetzung weniger zum Mitsichberumtragen, als die ein¬
fache Esmarch’sche Maske mit zugehöriger Cbloroformflasche oder Tropfgläschen.
Dieser Einwurf ist bis zu einem gewissen Grade berechtigt, darf aber nicht ausschlag¬
gebend werden, wenn es sich um eine nachweisbare Verbesserung des Chloroformimngs-
verfahrens bandelt. Sämmtliche Apparate werden zudem in handlichen Kästchen ver¬
sandt and aufbewahrt, lassen sich also ohne Mühe in dieser Weise vom Besitzer mit-
ffihren.
Von weitern Einwendungen, die speciell vom Standpunkte des Kinderarztes
gegen die Einführung dieser und ähnlicher Apparate in die K i n d e r p r a x i s ge¬
macht wurden, erwähnen wir nur^ dass nach Demme (1. c.) kleine Kinder häufig durch
deren Anwendung ,in eine für die Anästhesirung schädliche Aufregung und ängstliche
Unruhe versetzt werden.“ Wir können diese Angaben nach unsern Erfahrungen mit
dem Holländer’schen Apparate bei Kindern jeden Lebensalters nicht bestätigen.
Was die Kinder aufregt, ist. der Geruch der ungewohnten Ghloroformdämpfe, vor deren
Eindruck alle anderen Nebenumstände in den Hintergrund treten. A e 11 e r e Kinder
bat übrigens auch Demme erfolgreich mit dem Junker’schen Apparate chloroformirt.
Gestützt auf die nunmehr über zweijährigen guten Erfahrungen mit der An¬
wendung des Ghloroformluftgemisches im Basler Kindcrspital können wir dieses Ver¬
fahren (mit der Junker’scben oder noch besser mit der Kap peler’schen Maske)
auch für die K i n d e r p r a x i s empfehlen und halten dasselbe aus den oben ange¬
führten Gründen für den übrigen Ghloroformirnngsmethoden überlegen.
Wegen der Wünschbarkeit einer vermehrten Assistenz und wegen der immerhin
etwas complicirten Zusammensetzung des Apparats dürfte das Verfahren hauptsächlich
bei Operationen im Spital oder im Hause des Arztes angezeigt sein.
Aus dem Vorstehenden geht hervor, dass die Ghloroformnarcose im Basler Kinder¬
spital jeweilen gute Dienste geleistet hat. Man wird uns zugeben müssen, dass die
erwähnten drei oder vier Zufälle bei der Narcose, thatsächlich die einzigen, die im
Laufe von fünfundzwanzig Jahren vorgekommen sind, nicht dazu angethan sein konnten,
einen Ersatz für das Ghloroform wünschbar erscheinen zu lassen. Es lässt sich aber
nicht bestreiten, dass ein solcher Wunsch nach Ersatz gegebenen Falles, wenn auch
im Basler Kinderspital schlimme Erfahrungen gemacht werden sollten, laut werden
konnte. Wir wissen wohl, dass 2341 oder auch etwas mehr gut verlaufene Ghloro-
formnarcosen bei Kindern eine viel zu kleine Zahl sind, um daraus Schlüsse betreffend
Gefahrlosigkeit des Ghloroforms im Kindesalter abzuleiten. Zudem wissen wir ans
anderweitigen Veröffentlichungen, dass Todesftllle in der Ghloroformnarcose bei Kindern
keineswegs unbekannt sind.') Auf jeden Fall bestätigen unsere Narcoseresultate aufs
*) Nach einer Statistik von ComU (Revue m^d. de la Soisse Romande 1890) fallen von 232
gesammelten Chloroformtodesfällen nicht weniger als 21 anf Kinder nnter 12 Jahren.
JtMiard (1. c.) fährt 2 weitere Chloroformtodesfälle bei Kindern an. Endlich macht Dumont
(I. c.) 3 Todesfälle in der Chloroformoarcose bei Kindern ans Amerika namhaft.
Ans Referaten sind nns noch 2 Chloroform-Todesfälle bei Kindjern bekannt geworden. Oer
eine, beschrieben von M. W. af SchulUn, findet sich in den ,Finska läkaresällsk handl.“ XXXllI.
1891; der zweite, mitgetheilt von Or. de Saint-Germain, in der ,Revue mensuelle des maladies de
l’enfance,“ 1892, Paris.
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oeae die, soviel uds bekannt, bei den meisten Kinderärzten und Cbirurgen gältige An¬
sicht von der relativen Dngefthrlichkeit des Cblorc^orms im Kindesalter.
Es wird Sache fortgesetzter Prüfung von andern Anästbelicis, besonders des in
letzter Zeit auch für Narcosen im Kindesalter warm empfohlenen Äethers sein,
an Hand einer grossen Zahl guter Narcosen bei Kindern den Beweis
zu erbringen, dass deren relative Upgefäbrliebkmt iSs das K i n d e s a 11 e r eine
grossere ist als die des Chloroforms.
Vorderhand stehen wir noch immer auf .deiqselben StAsdpunkte, den Demme
schon im Jahre 1S80 vertrat.
Todesfälle inFolge der Narcose (be i Chloroform sognt
wie bei'Aether) werden auch bei Kindern, wenngleich weit
seltener als be i E r w ac hse n e n beobachtet; dem Chloroform
aber geben wir in der Kinderpraxis den Vorzug wegen «der
Beicbtigkeit seiner Anwendung, der Sebaelligkeit und Kegel-
mässigkeit se in er W i r k u n g.*
Schuhnagel, aus dem Larynx eines fOmonatlichen Kindes extrahirt.
Die Casuistik der Fremdkörper ist bekanntlich ausserordentlich reich an den eigen-
thümlichsten und bizarrsten Yorkommnissen. Eine Bereicherung dieser Casuistik möchte
durch die Mittheilung des nachstehenden seltsamen Falles gegeben sein.
Am 1. März d. J. wurde mir eiu Kind in die Sprechstunde gebracht, das an hef¬
tigen suffocatorischen Erscheinungen litt. Im ersten Moment glaubte icb es mit hoch¬
gradigem Kehikopferoup zu thun zu haben, wurde aber gleich nach meiner ersten anam¬
nestischen Frage eines Bessern belehrt. Das sehr magere 10 Monate alte Kind litt
nämlich bereits seit nicht weniger als 13 Wochen an Athemnoth. Ein Arzt, der dasselbe
Tags zuvor flüchtig gesehen, hatte einen retropharyngealen Abscess als wahrscheinliche
Ursache der Athembeschwerden angenommen, und das Kind sofort Ins Krankenhaus
Herisau dirigirt. Bei der hier vorgenommenen Digital Untersuchung des Pharynx traf ich
in der Höhe des Kehlkopfeingangs auf einen harten, scharfspitzigen Gegensünd, — ein
Fremdkörper musste also die Ursache der Dyspnoe sein. Da meine Explorations- und
Extractionsversuche die Dyspnoe zur vollständigen Asphyxie steigerten, sah ich mich ge-
nöthigt, vorerst die Tracheotomia superior auszuführen. Nachdem nun das Eintreten des
Erstickens nicht mehr zu fUrchten war, gelang es mir, durch grübelnde Bewegungen mit
der Spitze des Zeigefingers den Fremdkörper zu lockern und endlich herauszubefördem.
Es war — horribile dictu — ein Schuhnagel allergrössten Calibers. Derselbe stak, wie
ich mich leider nachher durch Autopsie überzeugen konnte, im Kehlkopfeingang, die
Spitze nach oben gerichtet und hatte sich mit den scharfen Bändern des Kopfes in die
Schleimhaut oberhalb der Taschenbänder eingebohrt. Jetzt erinnerte sich auch die Mutter,
dass sie das Kind eines Tages, Ende November v. J., auf den Boden setzte, während
ein älterer Knabe in der Nähe Holzschuhe nagelte, und dass sie bald darauf das Kind
mit heftiger Athemnoth antraf, die seither, verbunden mit Schlingbeschwerden, fortbestand.
Sie glaubte, das Kind habe sich an weichem Brot verschluckt; nur kurz dauernde ärzt¬
liche Behandlung war erfolglos, und seither Hessen die Eltern die Sache einfach gehen.
Das Kind war, wie gesagt, sehr abgemagert, da es nur mit grosser Mühe schlucken
konnte^ Die Dyspnoe war nun natürlich gehoben; da aber die Schlingbeschwerden auch
nach der Extraction des Fremdkörpers fortbestanden, so wurde das Kind mittelst des
elastischen Katheters ernährt. Leider entsprach der Erfolg nicht meinen Hoffnungen. In
Folge der bedeutenden Inanition, zu der sich noch eine (offenbar Schluck-) Pneumonie
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hinzugesellte, starb das Kind nach 7 Tagen. Der Schubnagel, mit 18 mm langer Spitze
und einem 9 mm breiten Kopf mit scharfen amgebogenen Bändern, hatte also nicht
weniger als 13 Wochen im Larynx des im zartesten Alter stehenden Kindes zugebracht.
Wiesmann (Herisau).
te.
Medicinisch-pharmaceiitischer Bezirksverein Bern.
II. SitEUif 29. M»i 1894 !■ Caf^ da PmC')
Präsident: Dr. Bumont, — Actuar a. v.: Dr. Asmd.
Anwesend 23 Mitglieder.
1) Das Präsidium theilt eine Einladung zur Theilnahme an der 66. Versammlung
deutscher Naturforscher und Aerzte in Wien 24.—30. September 1894 mit.
2) Prof. Brechsel: lieber eliea ElwelssUrper des Bintes. Er berichtet über
die Resultate zweier Untersuchungen, welche von den Herren Dr. med. B, Brunner und
Dr. phil. A. WröklewsTci in seinem Laboratorium ausgeführt worden sind. Die erstere
betraf die Eiweisskörper des Blutserums, ln diesem glaubte vor einigen
Jahren ELerr ChabrU einen neuen Eiweisskorper gefunden zu haben, den er Albumon
nannte; Herr Brunner hat nun in ganz einwandfreier Weise den Nachweis geliefert, dass
dieses sogenannte Albumon nicht im Blutserum vorgebildet enthalten, sondern yielmehr
ein Kunstproduct ist, entstanden aus den beiden bekannten Eiweisskörpem des Blutserums,
dem Serumalbumin und dem Paraglobulin, durch die Behandlung, welcher sie von ChdbrU
behufs Abscheidung durch Coagulation in der Hitze unterworfen worden waren.
Discussion: Prof. Sahli frägt nach den chemischen Reactionen des A1 -
b u m o n e 8.
Prof. Brechsel, Es gehört nicht zu den Albuminen, denn es wird durch Essigsäure
nicht gefallt, nicht zu den Peptonen, weil es die Biuretreaction nicht gibt, und auch nicht
zu den Globulinen, weil es löslich ist; es nimmt also eine ganz eigene Stellung ein.
3) Prof. Brechsel: Ueber die üitersehlede des Kabmileh- and des Fmemlieb-
CaseTns. Die zweite Untersuchung hatte das Casein der Frauenmilch zum
Gegenstände. Bekanntlich gehen über die Natur desselben die Meinungen noch sehr
auseinander, spedell darüber, ob es mit dem Casein der Kuhmilch identisch ist oder
nicht. Um hier eine Entscheidung treffen zu können, suchte Herr Wröhlewski zunächst
einen Weg aufzufinden, auf welchem man das Frauencasein rein darstellen kann, denn
die von früheren Untersuchern erhaltenen Präparate boten durchaus nicht immer die
nöthigen Garantien für ihre Reinheit dar. Herrn W. gelang es in der That, eine Methode
zu diesem Zwecke aaszuarbeiten, mittelst welcher er das Frauencasein als ein schnee-
weisses, lockeres, feines Pulver erhielt; dasselbe war in Wasser nicht ganz unlöslich,
leicht löslich in verdünnter Natronlauge (mit ganz schwacher Opalescenz), auch in ver¬
dünntem Ammoniak. In mancher Hinsicht zeigt es einige Unterschiede vom Kuhcasein;
so ist es z. B. in verdünnter Salzsäure schwerer löslich als dieses. Die Analyse ergab
in Mittel: 52,247o C, 7,337o H, 14,977o N, 0,687o P, l,127o S, 23,667o 0 (auf
aschefreie Substanz berechnet; Asche: 1,02—2,827o), während Hammarsten für Kuhcasmn
im Mittel fand: 63,007o C, 7,00^0 H, 15,707o N, 0,857o P, 0,807© S. Eine wesent¬
liche Verschiedenheit von Kuhcasein zeigte sich, als beide Caseine der Verdauung mit
künstlichem Magensafte unterworfen wurden: während hierbei das Kuhcasein einen Nieder¬
schlag von Paranuclein liefert, that dies das Frauencasein nicht; seine Lösung blieb klar.
Hieraus ergibt sich also ganz zweifellos, dass das Casein der Frauenmilch von demjenigen
') Eingegfingen 20. Angost 1894. Red.
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der Kuhmilch chemisch yerschiedeo ist, und dennoch ist es nicht möglich, Kuhmilch
durch Zusätze yerschiedener Art künstlich in Frauenmilch umzuwandeln. Ferner geht
hieraus aber noch heryor, dass es für die Ernährung des Säuglings nicht bedeutungslos
sein kann, ob derselbe mit Kuh- oder mit Frauenmilch genährt wird, namentlich dann
nicht, wenn das Kind schwache Yerdauungsorgane besitzt, oder überhaupt schwächlicher
Constitution ist. Betreffs der Einzelheiten beider Untersuchungen muss auf die Originale
yerwiesen werden, welche demnächst in den „Mittheilungen ans Kliniken und medicini-
schen Instituten der Schweiz" erscheinen werden.
Discussion: Prof. Müller. Die Frage dieses Unterschiedes ist practisch sehr
wichtig. Die Sterilisirung wird als wesentlich betrachtet. Allein es wird manchmal die
Ernährung eines Kindes durch Sterilisirung der Kuhmilch nicht gehoben und erst die
Ammenmilch bringt ein befriedigendes Resultat heryor. Es kommt also nicht nur auf
die Abwesenheit der Microorganismen, sondern auch auf die Zusammensetzung der Milch
au. Die Kuhmilch muss also yerändert werden, weil sie durch ihre Herkunft yon einer
anderen Art schädlich wirkt. Es wäre eine Aufgabe für den Chemiker, zu untersuchen,
wie man die Beschaffenheit der Kuhmilch der der Menschenmilch nähern kann.
Prof. Sahli fragt, ob sich die Verschiedenheit in der Fällbarkeit des Kuh- und des
Menschencasems (in grossen oder kleinen Flocken) sowohl auf die Fällung durch Säuren,
wie auf die Fällung durch Lab beziehe.
Prof. Brechsel. Dies ist nicht untersucht worden. Das Frauencasein soll auch
durch Lab in kleinen Flocken gefällt werden.
Prof. SaHili. Im Magen ist die Caseinföllung auch auf Lab zurückzuführen.
Prof. Brechsel. Kleine Kinder brechen auch die Muttermilch in grossen Flocken.
Prof. Sahli bittet um die betreffende Arbeit für das Archiv.
Prof. Brechsel. Die Verschiedenheit der beiden Milcharten kann man darin finden,
dass die Milch der Frau l^o, die der Kuh 8^/o Albumin enthält. Ferner ist der Fett¬
gehalt der. Menschenmilch geringer. Ein Theil der Verdauungserschwerung liegt wohl
darin. Ferner ist es nicht undenkbar, dass unter Umständen die Magensäfte des Kindes
nicht im Stande sind, das Casein der Kuh zu verdauen, während sie die Muttermilch
noch bewältigen. Es ist daher sehr wichtig, dass man auf die Ernährung der Kinder
dnroh Muttermilch dringe.
Prof. Sahli mochte wissen, ob die Labfallung mit Recht als eine Ca-Verbindung
des Caseins betrachtet werden darf.
Prof. Brechsel. Hammarsten hat gezeigt, dass eine Lösung von Casein in NaHO-
Lauge mit Lab in keine Verbindung tritt. Erst auf Zusatz von Ca findet eine Aus¬
scheidung von ELäse statt. Ein ähnlicher Vorgang findet bei der Blutgerinnung statt.
Der Unterschied ist der, dass die Alkaliverbindung des Caseins von dem Lab sofort yer¬
ändert wird. Setzt man Ca zu, so scheidet sich Käsestoff aus. In den Molken sind
noch kleine Theile Eiweissstoffe enthalten, die man für Globulin ansieht.
Dr. Miniat. Es ist gerathen worden, der Kuhmilch zum Zwecke der besseren
Verdauung 7^/o Milchzucker zuzusetzen. Welchen Einfluss kann dieser Zusatz haben?
Prof. Brechsel. Ausser seinem Nährwerth kann der Milchzucker keine weitere
günstige Eigenschaft aufweisen, als noch etwa seine antiseptische Wirksamkeit.
Prof. Müller. Der Milchzucker wird doch nur zugesetzt, um die Kuhmilch der
Menschenmilch ähnlicher zu machen. 7^/o sind zu diesem Zweck zu viel.
4) Dr. P. Niehans: Ueber die se|r* «»rheaBatisehei Sehwtelei*^ oid deren Be«
haidinngf. Der Vortragende bespricht eine Form von Rheumatismus, die dem Practiker
zuweilen bezüglich der Diagnose, wie auch einer erfolgreichen Therapie viel Schwierig¬
keiten bereiten kann, diejenige Form, welche im Muskelgewebe, in den Muskelscheiden,
in den bindegewebigen Interstitien zwischen den Muskeln und Sehnen, in den Nerven-
scheiden und endlich auch z. B. häufig im Unterhautzellgewebe als Exsudat yerschiedener
Gestalt und Ausdehnung gefunden wird und welche Exsudate, wenn sie nicht zur Rück-
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bildung gelangen, sich allmahlig zu schwieligen Verdickungen um wandeln, ron den alten
Aerzten „rheumatische Schwielen^ genannt. Dieselben verursachen je nach ihrer Lage
sehr verschiedenartige Beschwerden, locale oder ausstrahlende, in welch letzterem Fall
über die Quelle des Uebels leicht Täuschung obwalten kann. Sind sie klein oder dünn,
so sind sie nur bei genauer Vergleichung der congroenten Körpertheile aufzofinden, am
besten mit befetteter Hand, wie denn überhaupt feinere pathologische Veränderungen am
besten unter Befettong der Haut palpirt werden können. — Es sind gewisse Körpertheile,
die bei hiezu überhaupt disponirten Individuen vorzugsweise befallen werden und sind es
meist Theile, welche Erkältungen leicht ausgesetzt sind; Vorderarme, z. B. bei unge¬
wohnter Beschäftigung im kalten Wasser, Muskulatur des Nackens und obern Schalter¬
gürtels (beim weiblichen Qeschlecht, bei ungenügender Bekleidung), supraclavic. Plexus
der Armnerven, Sternocleidomastoideus, Lendenmuskeln (vornehmlich bei Männern)« —
Therapie: Solche rheumatische Herde, die noch nicht lange bestehen, weichen der ge¬
wöhnlichen Massage ohne Schwierigkeit, solche jedoch, welche schon längere Zeit bestanden
und schwielige Umbildung erfahren haben, trotzen derselben ebenso sehr, wie jeder me-
dicamentösen Behandlung. Für diese wird folgendes Verfahren empfohlen: Erweichung
der Schwielen mit heissem Wickel oder Oataplasmen während I—2 Tagen, alsdann Zer¬
quetschung und Zersprengung derselben in der Narcosa unter intensivster Massage (Haut
befettet). Nachbehandlung mittelst milder Massage zur Abfühmng und Resorption des
zersprengten Exsudates. — Der Erfolg ist zuweilen ein unmittelbarer, meist weichen die
Beschwerden in kurzer Frist und nur bei multiplen Herden (besonders bei eutanen nnd
subcutanen) dauert die Rückbildung etwas länger (1—2 Wochen). — (Folgen einige
Krankengeschichten.)
Prof. Sahli möchte erläutert wissen, warum Schwielen, die sich an Traumen an-
schliessen, als rheumatisch bezeichnet werden.
Dr. Nieham, Eine Myositis war nie zu constatiren, weil die Patienten ja ihre
Muskeln brauchen konnten und weil die Schmerzen meist in der Ruhe auftraten; die
Verdickungen befanden sich auch meist nicht in den Muskeln, sondern in den Interstitien.
Sie scheinen eine schleichende chronische Entzündung darzustellen. Bacteriologisohe Be¬
funde sind nicht erhoben worden.
Prof. Sahli möchte gerade deshalb den Vortragenden emladen eine Excision vorzu¬
nehmen und das excidirte Stück zu untersuchen.
Dr. Nieham, Solche Fälle kommen in der Spitalpraxis nicht zur Behandlung, weil
die dorthin gehenden Patienten schwer arbeiten mussten nnd solche Schwielen sich dann
nicht bilden, sondern in der Privatpraxis, die sich nicht so leicht zu operativen Ein¬
griffen bewegen lässt.
Prof. Sahli glaubt gerade die Blxcision als ein kürzeres Vorfahren betrachten zu
dürfen und hält sie deshalb fUr empfehlenswerth.
Dr. Niehans hat sie einmal aasgeführt und eine hära^nrhagische Infiltration ge¬
funden.
Prof. Sahli legt nicht das Hauptgewicht auf die Myositis im Gegensatz zur Eutzün-
dung des Bindegewebes. Sein erstes Votum wollte erklärt wissen, ob man ein Recht
habe, die traumatischen Schwielen als rheumatisch zu bezeichnen im Gegensatz zu den
spontanen.
Dr. Niehans, Es konnte hier nur eineir der angerührten Fälle in Frage kommen,
bei welchem wirklich ein Trauma vorlag. Gerade bei diesem jedoch war gar keine Haut¬
verletzung zu constatiren gewesen und die Schmerzen waren erst nach Ys Jahre auf-
getreten.
5) Dr. Niehans: Ein Fall ven Lymplifefl88Berreis8iiB|r ui •berarm* Herr F.,
32 Jahre alt, Ingenieur, mit Aufnalunen für eine Bergbahn beschäftigt an felsigen Hängen,
erlitt Mitte Juni 1893 auf folgende Weise obgenannte Verletzung : Um den Gürtd mit
einem Seil befestigt, wurde er über den Felsen herunter gelassen, die Füise gegen den-
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selben gestemmt, die rechte Hand hielt das Seil, welches in Form einer schrägen Längs-
tour um den Arm geschlungen war, die linke Hand führte das KiTellirinstrument. Am
untern Endo des überhängenden Felsens angelangt, verloren die Füsse den Gegenhalt,
glitten gegen die zurücktretende Felswand herein, der Körper gerieth in drehende
Schwankungen nnd der rechte Arm wurde hiebei zwischen Seil und Felsen mehrmals
hin- und hergerieben, wobei die Bekleidung weggerieben wurde. — Gleich nach dem
Unfall keine besondern Erscheinungen am rechten Arm; 5 Tage später Oedem ohne jede
Röthung oder Verfärbung erst an den Fingern, dann an der Hand. Kein Schmerz, Arbeit
nicht ausgesetzt. Rasches Verschwinden der Schwellung unter Massage, sie kehrt aber
bei Anstrengung bald wieder. Allmählig auch der Vorderarm ergriffen und endlich rückt
das wasserhelle Oedem bis zur Axilla herauf. Fingerbewegung durch dasselbe gestört,
auch jetzt noch rasche aber nur vorübergehende Besserung unter Massage.
Befund vom 14. September 1893: Finger, Hand, Vorder- nnd Ober¬
arm stark geschwollen, ohne Röthung, seröses dichtes Oedem (ähnlich dem Oedem nach
Insectenstichen). An der Vola des Oberarms ein dicker Strang fühlbar, übergehend in
einen Tumor in der Axilla, gebildet durch massige Lymphdrüsenanschwellang. Die
Venen an Oberarm, Schulter und benachbarter Brustgegend erweitert, letzteres Symptom
erst in letzter Zeit aufgetreten mit der Bildung des Tumors in der Axilla. Nie Schmerz.
Therapie: Massage.
Status vom 19. December 1893: Hand nnd Arm nur noch ganz leicht
verdickt, Strang am Oberarm und Knoten in der Axilla verschwunden, keinerlei Beschwer¬
den, Functionsfähigkeit gut. — Die Erscheinungen waren im vorliegenden Falle die¬
jenigen einer Lymphstauung ohne Entzündung und Schmerz, irgend bestimmte Symptome
einer Venenthrombose nicht zu constatiren.
Prof. Strasser sieht hier die Zeichen der Lymphstauung und frägt, warum eine
Zerreissnng angenommen werden muss.
Dr. Niehans. Der Fall ist nicht anders zu erklären. Es bestand keine Röthung
und keine Functionsstörung. Das Oedem war ganz hell und hatte an den Fingern be¬
gonnen. Die Lymphe hatte das Gewebe offenbar erfüllt, bis ein collateraler Kreislauf
zu Stande gekommen war.
Prof. Sirasser möchte annehmen, dass die Lymphe dann doch an der Stelle der
Verwundung (Vorderarm) ausgetreten wäre.
Dr. Niehans erklärt diesen scheinbaren Widerspruch dadurch, dass eben von Anfang
an massirt worden war.
Dr. Amd frägt, ob der Fall nicht dem von Dr. Bircher veröffentlichten von neu-
ropathischem Oedem parallel zu setzen wäre.
Dem widerspricht, wie Dr. Niehans erläutert, der Umstand, dass der Patient keine
Schmerzen hatte nnd 5 Tage arbeiten konnte.
Auf die Frage von Prof. Sahli^ ob nicht eine Venenthrombose möglich sei, erwidert
Dr. NiehanSj dass davon keine Zeichen Vorgelegen seien.
Etefeirate und Kiritiken.
Grundriss der chirurgisch-topographischen Anatomie.
Von 0. Uildebrand, Verlag von J. F. Bergmann, Wiesbaden. Preis 9,50 Fr.
Atlas der topographischen Anatomie des Menschen.
Von K. von Bardelehm und N. Bachel. Verlag von G. Fischer, Jena. Preis 20 Fr.
Diese beiden Werke verfolgen das gleiche Ziel: sie wollen dem Practiker die Mög¬
lichkeit bieten, sich rasch Über wichtige Regionen zu orientiren. Beide erfüllen, wie mir
scheint, die vorgesteckte Aufgabe, aber mit ganz verschiedenen Mitteln und auf ver-
sohiedenen Wegen. Damit ergänzen sie sich vielfach, statt sich auszuschliessen.
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606
Hildebran^^ Grundriss ist fiir den Chirurgen bestimmt; er hält sich streng an das
chirnrgisch Wichtige mit directem Hinweis auf bestimmte operative Eingriffe. Dieser un¬
mittelbare Hinweis auf die practische Bedeutung der Sache bei Besprechung mehr oder
weniger trockener anatomischer Beschreibung . hält das Interesse des Arztes rege und
trägt entschieden dazu bei, manches dem Gedächtniss fester einzuprägen. Der Text ist
gut und klar geschrieben, die Orientirung ist erleichtert durch 92 Illustrationen. Es sind
meist Holzschnitte, die in Art der Skizzenmanier direct am Leichenpräparat aufgenommen
sind. Die Wahl derselben darf grossentheils als glücklich bezeichnet werden, während
die Ausführung hie und da zu wünschen übrig lässt. In einzelnen Darstellungen z. B.
hat die Methode nicht ausgereicht, um verschiedene Gewebe und Organe mit der nöthigen
Deutlichkeit zu differenziren. Vergl. Figur 85 und 22; gerade in letzterer Figur ist
manches zu schematisch gehalten; hier fehlt z. B. der linke N. sympath. Ferner
könnte die Wiederholung gleicher Figuren vermieden werden, wie Figuren 24 und 21,
Figuren 51 und 54. Ich vermisse eine Zeichnung der Himoberfläche mit topographischer
Orientirung der verticalen Centren, sowie eine Illustration der Verhältnisse, die speoiell bei
der Kropfexstirpation in Betracht fallen.
Abgesehen von solch' n.'bensächlichen Ausstellungen halte ich das Buch für wohl
gelungen und zweckentsprechend. Der sehr niedrig angesetzte Preis dürfte mit zu seiner
Verbreitung beitragen. Sehr werthvoll erscheint mir speciell die jedem Abschnitt bei¬
gefügte topographische Anatomie am Lebenden, wo die Lage der Theile percutan be¬
stimmt wird, soweit sie durch Palpation und Inspection festzustellen ist. Solche anatomische
Orientirungspunkte sind für chirurgische Diagnosen von ausserordentlicher Wichtigkeit und
dürften beim Unterricht mehr verwendet werden, als es thatsächlich geschieht. —
Bardelehen und Hcßckel haben für ihre Darstellung die Form des Atlas gewählt,
der nicht ausschliesslich chirurgischen, sondern mehr allgemein medioinischen Interessen
dienen soll. 129 mehrfarbige Holzschnitte in Tafeln angeordnet geben die Orientirung
über die topographisch wichtigsten Theile: Hirnanatomie, Situs, Nerven und Gefassver-
theilung an den Extremitäten, Gelenke, Sehnenscheiden etc. Auf der der Tafel gegen¬
überliegenden Seite ist in knapper Fassung eine dazu gehörige Erläuterung gegeben, die
meist über Vieles noch Aufschluss gibt, was in der Figur nicht direct zum Ausdruck ge¬
bracht werden konnte. So ist möglich, durch Wort und Bild sich rasch über eine topo¬
graphische Frage zu orientiren. Das handliche Octavformat, das die Verfasser für den
Atlas gewählt haben, erleichtert dessen Nutzbarkeit in hohem Maasse. Die Figuren sind
so glücklich gdwählt, dass nur ein kleiner Theil wegen des kleinen Formates des Atlas
in reducirtem Maassstabe gegeben werden musste. Die Holzschnitte sind mehrfarbig, so
treten Arterien, Venen und Nerven sehr deutlich und augenfällig hervor, wieder ein
Umstand, der die rasche Orientirung bedeutend erleichtert.
Die Zeichnungen dürfen meist als sehr gelungen bezeichnet werden, sie sind klar
und plastisch und alles Nebensächliche ist sorgfältig vermieden. Dadurch erscheinen
einzelne bildliche Darstellungen etwas schematisirt, was aber denselben nur ganz aus¬
nahmsweise zum Tadel gereicht. Einige Figuren, oder Theile derselben sind zwar etwas
verzeichnet, doch • nicht so, dass dadurch unrichtige Vorstellungen zu Stande kommen
könnten.
Der Atlas kommt in der originalen Form, wie er uns vorliegt, entschieden einem
Bedürfnisse des practischen Arztes entgegen; er kann durch andere ähnliche Werke nicht
entsprechend ersetzt werden. Oarrb (Tübingen).
Aus der Breslauer Frauenklinik.
Bericht über die gynsecologischen Operationen des Jahrgangs 1891/92 von Prof. M, Früsch^
mit 13 Holzschnitten. 285 Seiten. Berlin, F. Wreden, 1893.
Der Bericht zerfallt in zwei Abschnitte. Derjenige, welcher sich mit operativer
Gynaocologie befasst, wird im ersten Abschnitt — Allgemeines zur Laparotomie, 47 Seiten
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— manchen guten Wink finden. Neu ist eine zu einem Bock gebogene Eautschukplatte
empfohlen als einfache Vorrichtung zur IVende^endur^'schen Beckenhochlagerung, ebenso
ein grösseres Bauchspeculum nach Art der Stms’schen Rinne gebaut. . Besonders rationell
erscheint dem Referenten seine einfache Nachbehandlung Laparotomirter, die einmal mit
aller früherer Vielgeschäftigkeit gründlich aufräomt. Im 2. Abschnitt ist das überaus
reiche operatiye Material der Breslauer Frauenklinik casuistisch und kritisch yerwerthet.
Aus dem Text spricht reiche Erfahrung und ein practischer Blick, ln einem Jahre 60
Ovariotomien (3 Todesfälle); 37 Myomotomien (4 Todesfälle); 30 Adnexaoperationen
(6 Todesfälle); 12 Laparotomien bei Extrauteringrayidität (kein Todesfall); 15 geheilte
Ventrofixationen; 7 Kaiserschnitte und JRorro’s (alle geheilt); 26 yaginale Uterusexstirpa¬
tionen (2 Todesfälle) und yiele plastische Operationen zeugen yon der grossen aber auch
glücklichen Thätigkeit dieses Breslauer Operateurs und seiner Assistenten. Debrunner,
Pathologie und Therapie der Frauenkrankheiten.
Von Dr. A, Marim^ Berlin, mit 204 Holzschnitten, ca. 500 Seiten. 3. umgearbeitete
Auflage. Urban & Schwarzenberg, Wien und Leipzig, 1893.
Dieses Buch ist bekanntlich dadurch entstanden, dass dem Wunsche der Schüler
des Docenten Martin^ er möchte seine Vorlesungen über Pathologie und Therapie der
Frauenkrankheiten in Buchform erscheinen lassen, nachgelebt wurde. Martin hat es
nicht zu bereuen gehabt, denn seine Schüler haben das Buch weit über die Grenzen
Deutschlands hinausgetragen, wovon die Uebersetzungen der neuem Auflagen in fremde
Sprachen beredtes Zeugniss ablegen. Das Buch ist kurz und bündig in leicht fasslicher
Form geschrieben und verräth auf jeder Seite reiches Wissen gepaart mit grosser Er¬
fahrung. Es trägt einen rein individuellen Charakter. Die erste Auflage ist bei den
practischen Aerzten warm aufgenommen worden. Die dritte verdient es ebenso.
Debrunner,
Die Krankheiten der weiblichen Geschlechtsorgane.
Von Prof. Dr. Carl Schroeder. 11. umgearbeitete Auflage von M, Hofmeyer mit 186
Abbildungen. 570 Seiten. Leipzig 1893, F. C. W. Vogel. Preis 16 Fr.
Einer besondem Empfehlung dieses Lehrbuches bedarf es nicht. Lange Zeit war
es ja das einzige Buch, aus dem sich Schüler und Arzt Rath holen konnten. Nicht alle
im letzten Jahmehnt entstandenen gynmcologischen Lehrbücher werden eine 11. Auflage
erleben.
Dass auch in den nach dem Tode Schroeder^a erschienenen Auflagen (9.—11.)
Lehren und Anschauungen des Autors weiter aufgebaut sind, dafür garantirt der Name
M. Hofmeyer, der durch seine langjährige Thätigkeit unter der trefflichen Leitung des
Verstorbenen am meisten berufen ist, im Sinne Sehrmder’^a weiter zu wirken.
Auch in dieser Auflage mussten, entsprechend der allmäligen Fortbildung unserer
Wissenschaft, viele Stellen im Buche abgeändert werden. Debrunner,
Oantonaile Oonreisipoiideiizeii.
Aargau. Etwas Aber die allea ,,Sehirer**. Auf der Höhe des Bötzbergs,
an der Landstrasse von Zürich nach Basel, in einem ziemlich einsam, unfern eines
grossen Waldes gelegenen Gehöfte wohnten meine Eltern. Da nach den Napoleon'schen
Kriegen viel verwegenes Volk im Lande herumstrich, so hielt mein Vater stets grosse
Haushunde, zum Schutz vor Menschen; vor Thieren war es nicht mehr so nöthig, wie
anno 1643, als Junker Hs. Jb. von StaaP) über den Bötzberg zu Fuss nach Ein-
^) Alfred Hartmann.
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siedeln wallfahrtete and sich „des öftern mit seinem Stecken der Wölfe erwebren musste,
die sich nicht scheuten, am hellen Tage den Wanderer zu molestiren^.
Als einmal ein Bekannter mit seinem Hunde zu meinem Yater ins Haus trat, fielen
zwei Hunde über einander her und je mehr die beiden Pfänner, um abzuwehren, mit
Stöcken einhieben, desto wütheuder bissen jene um sich. Mein Yater erhielt einen Biss
ins Bein und es erfolgte eine Blutvergiftung, woran er sterben musste. In Folge des
Todesfalles kam ich zu meinem Grossvater Jakob Amsler, der in dem benachbarten
Dorfe Schinznach practicirte. Er schrieb sich „Arzt und Wundarzt*, auch
etwa „Chirurg US*. Die Bauern redeten ihn unterthfinig „Herr Doctor“ an, aber
wenn sie unter sich waren, biess er nur „der Schärer*. Da mein Grossvater Nie¬
manden schor und nur sich selbst rasirte, so wurmte mich schon als Buben der Name
Schärer; das wussten meine Spielgenossen und wenn Wir etwa mit einander Händel
hatten und sie mich ärgern wollten, so riefen sie mir „Schärmaus* nach, worauf
dann ein Kampf entbrannte, der meist handgreiflich aasgetragen wurde.
Diese drollige Geschichte war die Yeraniassung, das ich nachmals oft an dio
Schärerei sann und um so eifriger nach dem Ursprung des Schärerthums forschte, als
mir später bekannt wurde« dass auch in andern Gegenden der Schweiz und in Deutsch¬
land die altern Aerzte von den Bauern gemeiniglich nur „Schärer* genannt wurden.
Auf dieser Suche wurde ich ins tiefe Mittelalter zuriickgeleitet.
In Folge eines alten Yorurtheils, vielleicht auch weil sie die Erbschaft der ge¬
bildeten Mönchsärzte angetreten hatten, denen wundärztliche Praxis verboten war, uber-
liessen die Aerzte im ganzen fünfzehnten Jahrhundert die Behandlung äusserer Schäden
und Gebrechen, die chirurgischen Operationen und Yerrichtungen gänzlich den Badern
und Barbieren, ja sie hielten chirurgische Handleistungen eigentlich für unehrenhaft
und unverträglich mit der Würde ihres Standes. Ihre spitzfindige Scholastik galt als
höchster Ruhm und Hess sie die Chirurgie vollständig vernachlässigen. Blieben alle die
unzähligen äussern Yerletzungen und Gebrechen, welche im Frieden zu Hause Vorkommen
können und chirurgisches Einschreiten verlangen, damals ganz und gar Barbieren über¬
lassen, so war es nicht anders in den beständigen Fehden und Kriegen des Mittelalters,
wo es der Wunden und Unfälle aller Art genug abgesetzt haben muss und wo es nach
Gefechten grösseren Stils im Felde oft wunderlich zugegangen sein mag.
So vernehmen wir,*) dass im K a p p e l e r - K r i e g e (1531) „die sechs Schärer
Zürich's mit ihren Knechten ob 1000 Yerwundete, eigene und zugezc^ne Leute, ver¬
bunden und gearznet haben*. Es war also ein Glück, dass sich ein Stand von Wund¬
ärzten bildete, um die Lücke aaszufüllen, welche die Aerzte in der Heilkunde ge¬
lassen hatten. Während diese, durch sinnlose Anwendung der Dialeetik in der Medicin,
wissenschaftlich und practisch verarmten, bearbeiteten jene den verlassenen Boden und
ernteten die reichen Früchte ihrer Bemühungen, weil die Chirurgie handgreifliche Er¬
fahrungen bietet und nicht zu Speculationen, sondern zu nüchterner Beobachtung anregt.
Ohne Zweifel gab es unter den Badern und Barbieren, die sich dem
chirurgischen Berufe widmeten, intelligente und muthige Leute, die von Haus aus Ge¬
schick und Lust zu dieser Beschäftigung hatten. Einzelne, die sich besonders hervor-
thaten, wurden „Meister* urtd waren dann als Lehrer von „Lehrlingen und
Gesellen*, wie von Hülfsbedürftigen gesucht. Aus der Gilde der Bader und Barbiere
schieden sich sodann die besser unterrichteten und gediegenen Wundärzte und
Schärer aus, indem sie sich schon früh zu Innungen und Zünften zusammenthaten
und bestimmte Statuten aufstellten, um Pflichten und Befugnisse der Zunftglieder unter
sich und dem Publicum gegenüber zu ordnen. So mussten die „Gesellen*, Um Selb¬
ständig und zünftig zu werden, bald Proben und Prüflingen, erst vor der ZUhft und
später vor den staatlichen Behörden ablegen. Durch Erfahrungen wurde die Kunst
') Zärch. Neujahrsblätter 1871.
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mehr und mehr ausgebildet, sodass die Schärer nicht nur die Verrichtungen der niedem
Chirurgie fibten, sondern auch schwere Operationen unternahmen, wie Staar-, Bruch*,
Steinoperationen, Kaiserschnitt, Einrichtung Ton verrenkten und gebrochenen Gliedern
u. s. w. Die Geschichte der Medicin nennt eine grosse Anzahl Männer, die sich durch
Geschicklichkeit aaszeichneten und zu hohem Ruhm und Gewinn gelangten. Viele gaben
sich als Wnnderdoctoren aus und waren Oharlatans und Markt«
Schreier, welche auf Jahrmärkten' operirted, feil hielten und deutsche und wälsche
Lande durchzogen. Andere, vielleicht die Hauptmasse, blieben in Wissen und Können
auf dem niedrigen Standpunkte der Bader und trugen nicht dazu bei, die Achtung vor
dem Stande zu erhöhen. Es muss auch gefnug Ungeschicktes vorgefhllen sein, wie aus
gelegentlichen Aeusserungen der zttnftigen „Meister“ und aus dem herben Tadel zeit¬
genössischer Schriftsteller hervorgebt. Der grosse Kurfürst ordnete (1685) an,
„dass die Operateure, Ooculisten, Zahnbrecher, Stein- und Brucbschneider u. dgl. ohne
vorheriges Examen und über vier Tage ati den Jahrmärkten nicht feil halten Sollen.“’)
Während lange Zeit das Gewerbe der Bader und Barbiere eigentlich als ein un¬
ehrliches betrachtet wurde, batten auch die Wundärzte und Schärer im Allgemeinen
keine angesehene, ja oft elende Stellung, trotzdem sie unentbehrlich waren und einen
humanen Beruf ausübten. In den Feldzügen folgten sie den Truppen; die Heere der
damaligen Zeit bestanden aus Söldnerschaaren, welche, wie die Schärer, von einzelnen
Führern angeworben und besoldet waren. Koch im siebenjährigen Kriege hatten die
Schärer den Rang der Tambouren, ja der obgenannte Kurfürst hielt daran fest, dass der
Wundarzt, welchem einer seiner grossen Grenadiere starb, die Fuchtel bekam.’)
Schon die Kriegsherren von damals züchteten die Ueberhebnng der Combattanten gegen¬
über den Kicht-CombattaUten, welche unter gänzlich veränderten Verhältnissen noch in
unsere Zeit hereinreicht.
Humanere Anschauungen treffen wir bei Prinz Eugen, dem edelen Ritter.
Ein Erlass von der Belagerung von Tournay (1709) lautet: „Zu Besorg- und Erhaltnng
der Blessirten bestelle ein wohl qualifizirt- und praktizirtes Subjectum, einen gewissen
Feldschärermeister Reckmann, welcher im abgewichenen Feldzug bei den
Blessirten zu Marquette ohne weitere Gage oder Belohnung gedient und dabei erwiesen
bat, dass er in seiner Profession sowohl in Theorie als Praxi die behörige Wissenschaft
besitze. Welchem dann zu seinem nöthigen Unterhalt oder Gage 20 oder 30 Gulden
des Monats zu zahlen verfügt.*®) Dieser Schärer war also Oberfeldarzt.
Allmählig standen in den verschiedenen Ländern einzelne Männer auf, welche weit
über die andern Mitglieder ihrer Gilde hervorragten und bald als Operateu re, bald
als Leibärzte, bald als Schriftsteller und Professoren glänzten. Vor
Allen zeichnete sich in Frankreich während des 16. Jahrhunderts Ambrotse Pare als
W u n d a r z t aus ; nur aus einer Barbierstabe hervorgegangen, hatte er sich in den
häufigen Kriegen der französischen Könige einen Schatz von Erfahrungen gesammelt und
weise verwerthet. Seinem gewaltigen Einfiusse war es zuzuschreiben, dass Frankreich
damals lange Zeit die Führung hatte in Allem, was Chirurgie betraf. So stellte Fried¬
rich der Grosse in seinem Heere meist französische Chirurgen an und errichtete
sogar eine Lehranstalt für Feldärzte nach französischem Muster.
In Deutschland begründete im 17. Jahrhui^dert Heister und daun im 18. Jahr¬
hundert besonders Bichter die wissenschaftliche Chirurgie. In der Schweiz waren die be¬
rühmtesten „Meister“ der Schärerzunft im 16. Jahrhundert Jakob Buff und
Felix Wirz.^) Immerhin hatten die Wundärzte bis Ende des 18. Jahrhunderts den Aerzten
gegenüber eine sehr Untergeordnete Stellung und wentt auch einzelne Häupter der Zunft
sich Bahn brachen, so drangen ihre Errungenschaften nur sehr allmählig nach dem Gros
*) Häseff Gesch. der Med. *) Wien. med. Wochenschrift 1893.
*) Vergl. Habilitationsrede von Dr. C. Brunner in Zürich: Die Zunft der Schärer etc, Zürich,
Albert Müller, 1891. Red.
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der Genossen durch und namentlich in der Schweiz Messen sie noch lange ^Schärer^,
auch wenn sie regelrechte medicinische Studien gemacht hatten. Im Anschluss an die
vorhergehenden Ausführungen sei mir gestattet, einen Blick zu werfen auf das Leben
und den Bildungsgang des Anfangs genannten Jakob Amsler^ welcher, geboren
1751, noch aus der alten Zeit stammt, mit seinem Thun und Denken aber weit in unsere
Zeit hereinreicbte. Wir sehen an ihm, wie in einem Spiegel, wie sich die neuen Zu¬
stände ans den alten entwickelt haben, wie der Arzt aus dem Bader-, Barbier- und
Schärerthuro herausgewachsen ist. Ich folge dabei Briefen, Tagbuchnotizen und eigenen
Erinnerungen aus meiner Jugendzeit.
Mein Grossvater wählte die CMrurgie aus „Inklination und mit Zustimmung seiner
Eltern. Zuerst, 1767, kam er zu einem „berühmten Ghirurgus" Müller in
Lenzborg, wo er zu rasiren hatte und nebenbei die Lateinschule besuchen durfte. Anno
1770 kam er nach Basel zu dem „geschickten Operateur*, Herrn Geigy^ wo
er 1 Vs Jahre lang die „mittlere Condition* und nachher ein Jahr lang die
„obere Condition* bediente. Die untere Condition, die Lehrlinge, hatte
nur zu .rasiren, ohne Entgelt; die mittlere,- die Gesellen, durfte zu Ader lassen
und schröpfen und bezog einen Antheil ans der „Büchse*, wohin die Klienten ihren
Tribut legten; die obere Condition, die Assistenten, durfte zu Ader lassen,
Zähne ausziehen, bei Operationen assistiren, auch Verbände wechseln und kleinere Ope¬
rationen selbständig ausÄihren. Diese erhielt ein bestimmtes Honoi*ar vom Principale.
Während dieser Anstellung hatte unser Jüngling vielfachen Anlass, chirurgische Fälle
zu sehen und dabei selbst Hand anzulegen. Zugleich setzte er das Studium der lateini¬
schen Sprache fleissig fort, um sich auf die akademischen Zeiten vorzubereiten. Denn
im Juni 1772 reiste er nach Strassburg, wo er während eines dreijährigen Aufent¬
haltes Physik, Chemie, Botanik, Anatomie und Sectionsübungen, Physiologie, Chirurgie
und Operationskurse, allgemeine und specielle Pathologie, sowie Geburtshülfe nahm und
zugleich bei vielfachen Operationen anwesend war.
Nachdem er sich in Strassburg noch chirurgische Instrumente und ein Skelett —
später der Popanz des Hauses — angeschafft hatte, verliess er diese Stadt und begab
sich nach Bern, um die gesammelten Kenntnisse nun auch practisch anwenden zu
lernen. Im Juli 1775 trat er bei Herrn Operator Brunner als erster Gehülfe ein und
verblieb in dieser Stellung 5^4 Jahre. Nun musste er sich nicht mehr mit dem
„elenden Rasiren* abgeben und hatte ein Honorar, sodass er von Hause keiner
Zuschüsse mehr bedurfte. Er hatte sowohl in der Stadt, als auch hauptsächlich „in
dem weitberühmten Krankenhaus der Insul*, sowie im „Schellen-
hauB*, dessen Besorgung ihm ganz übertragen war, viel zu thun und reiche Gelegen¬
heit, sich unter der practischen Anweisung des Herrn Principals zum „brauchbaren*
Wundarzte zu bilden.
Von Bern aus besuchte er einmal den Natur arzt Michael Schüppach,
genannt „Michel i* in Langnau, welcher durch seine Wunderkuren einen
Weltruf erlangt hatte und damals „das Wunder der Schweiz* hiess. Hohe
und höchste Herrschaften, selbst Gelehrte und Reisende kamen in Menge zu ihm,
um ihn zu berathen oder wenigstens zu sehen und zu sprechen. So besuchte ihn
G ö t h e auf seiner Schweizerreise und der königl. grossbritannisohe
Leibarzt J, G. Zimmermann von Brugg rühmt in seinen. Briefen nach der
Heimat, mit Micheli öffentlich Brüderschaft getrunken zu haben. Der Brief vom 31.
September 1780, welchen Amsler an seine Eltern, begüterte Mühlenbesitzer und Land-
wirthe in Schinznacb, richtet, verdient wegen der unmittelbaren Anschauung von MichelV%
Heimstätte um so mehr mitgetheilt zu werden, als sich medicinische Schriften sonst über
solche merkwürdige Erscheinungen des Stillschweigens befleissen.
„Als ich etwa um zwei Uhr Nachmittags in Langnau ankam, Hessen die vielen
Kutschen, die ich vorfand, von selbst etwas mehr vermuthen, als man gemeiniglich auf
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dem Lande findet. Nach meinem späten Mittagessen bestieg ich die kleine Anhöhe, auf
welcher Herr Doctor, nahe bei dem Dorfe, wohnt. Ich wunderte mich bei meinem Ein¬
gang in sein Haus über die Menge yon Kranken und yon denselben Gesendeten, welche
ich yon yerschiedenen Standen und Orten da erblickte. Ich wollte lieber eine Weile
unbemerkt bleiben, damit ich desto ungestörter Herrn Doctor, der auf einem beweglichen
Dreifuss der consultirenden Person gegenübersass, beobachten und die Aussprüche seines
prophetischen Geistes anhören könnte. Ich blieb aber nicht lange unbekannt; der Gross¬
tochtermann, Herr Schneider^ dessen Bekanntschaft ich in Strassburg gemacht, empfing
mich recht freundlich, und einer yon den drei Bedienten, welche sonst noch da waren,
erkannte mich sogleich. Herr Doctor fragte nach meinem Namen, nach unserer Be¬
kanntschaft u. dgl.
Er bewillkommnete mich freundlich und machte Anstalten zu einem netten Abend¬
essen. Wir redeten Verschiedenes yon unserer Begangonschaft, unter welcher Unter¬
redung ich genügsame Sparen seiner medicinischen Einsichten und ausserordentlichen Er¬
fahrung bemerkte. Herr Schneider leistete mir Gesellschaft und zeigte mir fast
Alles, was mir nur interessant sein konnte (auch sogar die Thiere, Hirsch und s. y.
ungemein grosse Schweine). Unter dieser Zeit ruckte der Abend heran und ich wollte
abreisen, allein Herr Schneider überredete mich zu bleiben und Herr Doctor hatte mir
das schon zum Voraus gesagt. Ich Hess mich bereden und blieb. Auf die Nacht kam
ein gewisser Prinz aus Hessen-Cassel in Gesellschaft zweier yornehmer
Herren und nahmen da ihre Herberge. Man wurde yortrefflich bewirthet und die Nacht
über wohl plazirt. Morgens fand ich ihn in ziemlicher Frühe über einem Buche betend;
nach dem Frühstück, etwa um 8 Uhr, setzte er sich wiederum auf seinen Dreifuss. Die
schon anwesenden Kranken-Boten erwarteten mit Schmerzen mehr oder weniger Trost
yon seinem yorhersagenden Genie. Herr Doctor nahm in Beurtheilung der Krankheiten
aus dem Wasser alle möglichen Beobachtungen wahr; das Betragen, das Gesicht der ge¬
sendeten Personen, oder die nähere Beschaffenheit der Kranken selbst, der schon be¬
kannte Verlauf ihrer Krankheiten, die schriftlich eingesendeten Berichte, gewisse yiel
entscheidende Fragen an die anwesenden Kranken oder an yon ihnen gesendete Personen
geben ihm gewiss mehr Erläuterung als die Beschaffenheit und etwanige Abänderung
des Wassers.
Nach dieser Untersuchung yerordnet Herr Doctor die Mittel; sein Grosstochtermann
schreibt diese Verordnung nebst Namen, Geburtsort und Datum in ein besonderes Buch
u. s. w., um bei wiederholten Consultationen wiederum nachsehen zu können. Zwei Be¬
diente rüsten die Arzneien und einer gibt mündliche oder schriftliche Anweisung über
ihren Gebrauch. Dass diese Praxis stark sei, kann man leicht glauben, denn an dem
Tage, als ich ankam, hatte er gegen 35 Wasser beguckt. Verschiedene Beobachtungen
habe ich sonst noch gemacht, die ungleich merkwürdig, aber zu weitläufig zu melden
wären.
Die Gesichtszüge dieses berühmten Mannes haben etwas Besonderes, seine Seele
scheint ebenso empfindsam, als seine Fähigkeiten gross sind. Im Umgang ist er unter¬
haltend, wenn gleich sein graues Alter ihm eine massige Ernsthaftigkeit auferlegt. Als
ich das gastliche Haus yerliess, um nach Bern zurückzukehren, yerlieh er mir noch
seinen patriarchalischen Segen.
Welcher Art mitunter seine C u r e n waren, erfuhr ich yon der glaubwürdigen Be¬
gleiterin einer yomehmen Dame. Madame de Brionne, Mutter der Prinzessin Charlotte,
magenleidend und yon der Pariser Facultät aufgegeben, kam zu Micheli. Er unter¬
suchte sie genau und heilte sie mit einem heftigen Faustschlag auf den Magen.
Ein innerer Abscess öffnete sich und die Kranke genas. Ein Kupferstich, die merkwürdige
Thatsache illustrirend, wurde später yerbreitet.^’)
*) Tagebuch der Frau v. E.
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Nach einer vierzehnjährigen Lehr- und Wanderzeit kehrte Amsler heim und Hess
sich in seinem Heimatorte Schinznach nieder, von wo aus er eine sehr ausgedehnte Praxis
besorgte. Nachdem er einmal im Fuhrwerke umgeworfen worden war, ging er fortan
zu Fuss und machte die unglaublichsten Touren. Er war von einer exemplarischen
Mässigkeit und dabei von einer Arbeitskraft, die Ihresgleichen suchte. Aus der Fremde
brachte er eine Urbanität und Sicherheit des Benehmens mit, die seiner Umgebung in
hohem Qräde imponirte. Das Ansehen, das er bei den Landleuten genoss, war ausser¬
ordentlich ; wenn er an einem Sonntage durchs Dorf schritt und die Leute vor den
Häusern sassen und schäkerten, so wurden sie bei seinem Herannahen still und*standen
auf, um ihn ehrfurchtsvoll zu grüssen. Hatte er sich von seinem Haarbeutel, den er
bei seiner Rückkehr von Bern noch trug, losgemacht, so trennte er sich dagegen von
dem damals üblichen Frack, dem sog. Schwalbenschwanz, so leicht nicht mehr. •
Die Familie, die er gründete, war zahlreich; er hatte 6 Tochter und 3 Sohne.
Letztere unterrichtete er selbst in der französischen und lateinischen Sprache, im Zeichnen
und in der Musik. Das Familienleben war nach damaliger Sitte streng patriarchalisch.
Wie sehr Amsler der Arzneikunst zugethan war, geht daraus hervor, dass er zwei Söhne
Medicin studiren, den dritten aber, der Künstler werden wollte und nachmals weltberühmt
wurde, nur mit Widerstreben zur „brotlosen" Kunst gehen Hess. Er war einer
der ersten Rathsherren des jungen Oautons Aargau und viele Jahre lang Bezirksarzt von
Brugg. Eine seiner liebsten Erinnerungen war es, mit dem berühmten Dr. Joh. Georg
Zimmermunn verkehrt und sein Buch „über die Einsamkeit" von ihm selbst
zum Geschenk erhalten zu haben.
Da mir genauere Nachrichten über die ersten fünfzig Jahre seiner Privatpraxis
fehlen, so muss ich diesen Zeitraum überspringen und nur noch Weniges über seine alten
Tage berichten, als ich in den droissiger Jahren in seine unmittelbare Nähe kam.
Ohne Zweifel hat er sehr viel operirt; ob er aber die sichelförmigen Amputations¬
messer oft gebrauchte, die ich mit Gruseln im Glasschrank hängen sah, weiss ich nicht
anzugeben. Eine jetzt nicht mehr übliche Vorbereitung zur Operation, wenn einer mit
einer mehr oder weniger selbstverschuldeten Verletzung vor dem gestrengen Chirurgen
erschien, war eine tüchtige Strafpredigt; nachher getraute sich der Patient aber auch
nicht mehr zu mucksen.
Noch in den dreissiger Jahren war es bei der Frauenwelt auf dem Lande Sitte,
sich öfter zu Ader zu lassen, namentlich an gewissen Tagen, die in jedem Dorfkalender
mit einem Aderlassmänncheu bezeichnet waren. Ganze Schaaren älterer und jüngerer
Frauen strömten dann herbei und das Blut floss gewöhnlich bei zweien zugleich, um Zeit
zu gewinnen. Nachher gingen sie ins Wirthshaus und tranken einen Schoppen Rothen,
um den abgelassenen rothen Saft durch besseren zu ersetzen. Aderlass und Schröpfen,
während Jahrhunderten Lieblingsoperationen des Laienpublicums, sind später vielleicht
nur zu sehr eingeschränkt worden«
Auch Zähne zog mein Grossvater aus; im Alter von 78 Jahren passirte es ihm
etwa, den Unrechten zu erwischen. Bei Zahn-Operationen konnte ich nicht assistiren;
ich verzog mich, sowie sich Jemand, den Kopf in der Hand, dem Hause näherte.
Blutende Wunden dagegen schreckten mich nicht; während die andern Hausgenossen sich
abseits hielten, assistirte der zehnjährige Knabe und kam gelegentlich in den Fall, dem
Operateur, dessen Sehschärfe bedeutend abgenommen hatte, eine spritzende Ader mit dem
Fingerchen zu weisen.
Eine Menge seiner Arzneien bereitete der Grossvater selbst, sammelte und trocknete
Wurzeln und Theespecies, kochte Sirupe und filtrirte Tinkturen; er röstete den Meer¬
schwamm zu spongia usta, zerrieb metallisches Quecksilber mit Fett zum unguentum
cinereum, schmolz die verschiedenen Pflastermassen, wie empl. adhmsiv., cantharid.,
matris u. s. w. zusammen.
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613
Noch hatte er, im Alter von 88 Jahren, keinen Zahn verloren, noch ging er aof-
reeht umher, aber die Augen wurden trQber, die Obren tanber, sein ganzes Wesen stiller
und matter. Als er endlich, kaum leidend, sich zum Sterben legte und seine beiden
Söhne ihm Arznei beliebt machen wollten, sagte er lächelnd: „I5nd das nurame si, i ha
mi Lebelaag nät uf dem Zög g*ha." — Amsler sen. (Wildegg).
Die Statte, die ein guter Mensch betrat, ist eingewoiht —
Nach hundert Jahren klingt sein Wort und seine That dem Enkel wieder.
_ (Tasso.)
W oolien1>eiriolit.
Schweiz.
— Die Herbstveraamiinnif der Seeidid Hddieale de Im SnisHe Renande findet
am 11. Ootober, Vormittags 11 Uhr im Grand Hötel de Vevey statt. Durch
ein Schreiben des Präsidenten der Gesellschaft, Herrn Dr. Weck in Freiburg, an den
Präsidenten des Oentralvereins werden die Mitglieder dieses letztem in herzlichen Worten
zu zahlreicher Theilnahme an der Versammlung eingeladen.
Ausland.
— In der Berliner Militarärztlichen Gesellschaft hielt Stabsarzt Dr. Salzwedel einen
Vortrag Uber die Bebaadfaaif phleffmeadser nd ihaHeher Batzladaogfea mit daaeradea
Aleehdtverhiadea. Anwendung: Die Haut der entzündeten Gegenden, sowie ein um-
faogreiehas Grenzgebiet wird zunächst mit Aether sauber abgerioben und entfettet. Als¬
dann wird eine mit Alcohol (mindestens 60%ig; je stärker, desto besser; am liebsten
90^/oig; alle stärkern Schnapsarten sind zu gebrauchen, auch Eau de Oologne; letzteres
ätzt leicht durch die vielen ätherischen Oele und ist daher besser etwas zu verdünnen)
mässig reichlich durchträakte, dicke Lage entfetteter Watte aufgelegt und diese mit
irgend einem undurchlässigen Verbandstoff so bedeckt, dass die Verdunstung des Alcohols
gebindert, aber nicht ganz aufgehoben wird. (Durchlocbtes, oder nur in Streifen aufge¬
legtes Impermeabel. Makintosh — der einseitig dünn mit Kautschuk überzogene Stoff
— ist gerade durchlässig genug, um ungeloeht gebraucht werden zu können ) Das Ganze
wird mit einer Cambricbinde befestigt. Versäumt man es, Lücken in dem Impermeabel
zu lassen, legt man also den Verband nach Art eines hydropathischen vollkommen ab¬
schliessend an, so wirkt der Alcohol leicht als Aotzmittel. — Der Verband reiche, be¬
sonders oentralwärts, weit über die erkrankte Gegend hinaus. Er bleibt für gewöhnlich
24 Stunden liegen. Nur in frischen oder besonders schweren Fällen sieht man besser
schon nach 12 Standen nach. Naoh Abschwellung der Entzündung wechselt man erst
am 2. oder 3. Tage. Wenn Wanden mit unter den Verband kommen, so werden sie
mit trockenem aseptischem oder Jodoformmull bedeckt; darüber alooholdurchfeuchtete
Compresse. Auf diese Weise ist der Schmerz Null. Das Verfahren kann natürlich eine
fachgemässe Unterstützung durch Buhigstellung, Suspension, Anwendung des Messers etc.
nicht entbehren. Der Einfluss desselben auf die entzündeten Glewebe ist folgender:
Frische Entzündungen gehen fast abortiv zurü^, das Fieber fällt meist schon in den
ersten 24 Standen. Niemals sah N. die Entzöndüing weiter fortschreiten. Bei tiefem
Erkrankungen erfolgt die Bildung fluctuirender Abscesse in kurzer Zeit (12—36 Standen).
Naoh gemachter Inckion werden dieselben nicht aasgespritzt; man fahrt einfach mit den
Alcoholverbänden fort bis kräftige Granulation im Gange ist, am besten bis zu voll¬
ständiger Heiinng. — Das geschilderte Verfahren hat bei Phlegmonen, bei Lymphangitis,
bei Pauaritien, Furunkeln und Mastitis, auch bei einzelnen Fällen acuter DrüsenschweU
lui^;en gute Dunste geleistet. (Deutsch, miiit.-ärztl. Zeitschr., 7/1894.)
— Aelloksie wmi Prophylaxe der Diphtherie. Der achte iuternationale Qongress
för Hygiene und Demographie, der vom 2. bis zum 8. September in Budape^ tagte,
dürfte wohl nach den bis jetzt vorhandenen Berichten zu den bedeutendsten wissonsohaft-
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liehen Yersammlungen zählen, die seit langer Zeit abgehalten wurden. Die hervorragend¬
sten Forscher aller Länder hatten sieh dorthin zusammengefunden, so dass, abgesehen
von der Wichtigkeit der behandelten Fragen, die Ergebnisse der Verhandlungen die
Resultate anderer ähnlicher Redetumiere bedeutend übertreffen.
Zn den wichtigsten Ereignissen des Congresses gehört wohl die Discussion über die
Aetiologie und Prophylaxe der Diphtherie, von welcher wir einen kurzen Auszug wieder¬
geben möchten:
Löffler (Greifswald). Die Diphtherie ist durch einen speciüschen Bacillus verursacht,
dessen Bedeutung von Niemandem mehr angezweifelt wird. Als Diphtherie darf demnach
nur die specifische vom Löffler^echen Bacillus herrührende Affection bezeichnet werden,
bei Ausschluss der ähnlichen, aber durch andere Microorganismen verorsaobten Läsionen.
In der That findet man oft Erkrankungen der oberen Luftwege, welche dasselbe Bild
bieten wie die ächte Diphtherie, aber auf Streplococoen-, Staphylococcen- oder Pneumo-
cocceninfection zurückzuführen sind, und, wie ächte Diphtherie, schwer oder gutartig ver¬
laufen können. Eine Differentialdiagnose ist allein auf Grund einer bacteriologischen
Untersuchung möglich und alle Statistiken über Diphtherie sind als werthlos zu be¬
trachten, so lange die eben erwähnte Unterscheidung nicht streng durchgefiihrt wird.
Der Verlauf einer Diphtherieepidemie hängt von verschiedenen Factoren ab : 1) von
der Menge und von der Virulenz der Diphtheriebacillen; 2) von den Mischinfectionen
durch welche die Virulenz des Bacillus gesteigert oder der Organismus durch Resorption
der Secretionsproducte abgeschwächt werden kann; 3) von der individuellen Prädisposition.
Den Diphtheriebacillus findet man oft im Rachen oder in der Nase gesunder In¬
dividuen, ohne dass seine Gegenwart irgend welche Erscheinungen hervorrnft; eine Er¬
krankung erzeugt er blos in den Fällen, in welchen er sich auf die Schleimhäute fixirt.
Läsionen der Schleimhaut begünstigen diese Ansiedelung, ebenfalls scheinen atmo¬
sphärische Variationen, feuchte Luft, etc. für den Ausbruch der Krankheit günstige Be¬
dingungen zu schaffen. In den meisten Fällen wird Diphtherie direct übertragen, durch
Husten, Küsse, durch mit frischem Secret beschmutzte Hände, oft aber auch durch
Nahrungsmittel, Wäsche, selbst lange Zeit nach geschehener Infection.
Der Kranke ist als ansteckend zu betrachten, so lange Bacillen auf der Schleimhaut
nachgewiesen werden können. Gewöhnlich verschwinden dieselben kurze Zeit nach der
Heilung des localen Processes; in gewissen Fällen findet man aber selbst nach Wochen
virulente Bacillen Im Rachen und in der Nase. In organischen Substanzen eingehüllt
und bei Lichtabschluss kann der Bacillus mehrere Monate ausserhalb des Organismus seine
Virulenz behalten. Schmutz, feuchte und dunkle Wohnungen sind also günstige Momente
für die Erhaltung der Bacillen und die Weiterverbreitung der Krankheit. Was aber
am meisten zur Ausbreitung der Krankheit beiträgt, sind Anhäufungen von empfänglichen
Individuen (Krippen, Schulen).
Als prophylactische Maassregeln sind besonders zu empfehlen: a) Sauberhaltung,
Trockenheit, Lüftung und Beleuchtung der Wohnungen; b) Hygiene des Mundes und der
Nase, wiederholte Gargarismen mit Lösungen von Ohlomatrium oder doppeltkohlensaurem
Natron, Reinigung der Zähne, Extraction der schlechten Zähne, Entfernung der hyper¬
trophischen Mandeln, c) kalte Waschungen des Halses. — Jeder verdächtige Fall soll
bacteriologisch untersucht werden; für die tägliche Praxis sollte der Arzt von der Apo¬
theke Nährböden beziehen können, die er nur zu impfen und einer bacteriologischen
Versuchsstation zu senden hätte. Die Anzeige aller Fälle von wahrer Diphtherie, sowie
der verdächtigen Fälle soll obligatorisch gemacht, und alle Diphtheriekranken müssen
isolirt werden. Zur möglichsten Vermeidung der Verbreitung der Krankheitskeime durch
den Kranken selbst soll man so bald wie möglich eine locale antiparasitäre Behandlung
einleiten, insofern der Sitz der Erkrankung es gestattet. Das wirksamste Mittel gegen
die Verbreitung der Diphtherie ist die prophylactische Impfung der Umgebung des
Kranken, ganz besonders der Kinder. Zahlreiche Versuche haben die absolute Unsebäd-
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lichkeit des P^Arin^’schen Heilserums dargethan, seine Wirkung als Präventiymittel sollte
nun auf möglichst breiter Basis in den Schulen und den Familien untersucht werden.
Die Desinfection des Zimmers und der Hegenstände, welche dem Diphtheriekranken ge¬
dient haben, soll in jedem Fall stattfinden. Ferner sollen Diphtheriereconvalescenten
nicht eher zu gesunden Individuen zugelassen werden, als durch die baeteriologische
Untersuchung die Abwesenheit des Bacills nachgewiesen worden ist. Beim Ausbruch einer
Diphtherieepidemie müssen in den Zeitungen populäre Instructionen veröffentlicht werden,
wie dies während der Oholerazeit geschehen ist, wo der Nutzen derselben deutlich zu
Tage getreten ist.
Namens des französischen Oomites legte Boi^x (Paris) folgende Schlussfolgerungen
und Wünsche vor: 1) Die Diphtherie ist eine ansteckende Krankheit, welche nothwendig
der Anzeigepflicht unterworfen werden muss; 2) Mit Diphtherie behaftete Kranke sind
zu isoliren; 3) Die Sanitätsbehörde hat dafür Sorge zu tragen, dass von Diphtherie¬
kranken inficirte Wohnräume, Wäsche, Kleidungsstücke, sowie das Bettzeug und überhaupt
alle Gegenstände, Spielzeug inbegriffeu, welche dem Kranken gedient haben, desinficirt
werden. Während der Erkrankung ist die beschmutzte Leib- und Bettwäsche zu desin-
ficiren, bevor sie zum Waschen gegeben wird; 4) Die zum Transport der Diphtherie¬
kranken benutzten Fuhrwerke sind nach jedem Transport zu desinficiren; 5) Kinder,
welche die Diphtherie gehabt haben, sind von der Schule fern zu halten, bis der Arzt
die Heilung constatirt und den Schulbesuch wieder gestattet hat; 6) Erkrankt in einer
Schule ein Kind an Diphtherie, so sind die übrigen Kinder während einiger Zeit einer
ärztlichen Beobachtung zu unterwerfen. Alle verdächtigen Anginafälle sind sofort von
der Schule auszuscbHessen. Besonders sorgfältig sind die Geschwister der Erkrankten zu
beaufsichtigen.
Ausser diesen durch officielle Verordnungen einzuführenden Maassregeln wäre die
Verbreitung folgender Grundsätze wünschenswerth: a) Um Diphtherie mit Erfolg be¬
handeln zu können, muss dieselbe fHlhzeitig erkannt werden. Der Anfang der Erkrankung
ist in vielen Fällen schleichend und würde durch häufigere Untersuchung des Rachens
der Kinder weniger oft verkannt werden. Es ist Sache der Mutter, diese Untersuchung
täglich vorzunehmen und die,Kinder von der frühesten Jugend an daran zu gewöhnen;
b) eine frühzeitige und sichere Diagnose auf Diphtherie kann nur mit Hülfe der bac-
teriologischen Untersuchung gemacht werden; es ist bei den Aerzten darauf hinzuwirken,
dass sie sich regelmässig dieses Hülfsmittels bedienen; c) unsere Kenntnisse über die
Wirkung des antidiphtheritischen Serums sind zur Zeit derart, dass die prophylactische
Anwendung dieses Serums bei den Kindern der Familien, in weichen Diphtberiefälle vor¬
handen sind, nur empfohlen werden kann.
Ferner haben die österreichischen, bayerischen, dänischen, ungarischen, schwedischen
und schweizerischen Ausschüsse auf die Wichtigkeit einer Diphtheriesammelforschung hin¬
gewiesen und schlagen die Zusendung von Fragebogen an alle Spitalärzte vor.
(Sem. möd., 8. Sept., 1894.)
— Bekaydinif der Pyronkalese nach van Hoorn, Im warmen Vollbade wird
die ganze Haut mit Schmierseife gereinigt. Dann werden die Furunkel und deren Um¬
gebung mit Sublimatlösung l^/oo gewasehen. Sonach wird mit Bruns’soher Watte abge¬
trocknet und auf die Furunkel Quecksilberkarbolpflastermu 11 ohne Falten aufgeklebt.
Schliesslich wird ganz reine Wäsche angezogen, auch dann, wenn der Kranke erst eine
Stande vorher die Wäsche gewechselt haben sollte. Jeden Tag, bezw. zweimal am Tage,
wird ein neues Pflaster aufgeklebt, und wo eine Perforation stattgefunden, erst mit Watte
leise aufgedrückt und aufs neue Furunkel und Umgebung mit Sublimat desinficirt. Bei
Nackenfdrunkel muss mindestens jeden zweiten Tag rasirt werden, weil sonst das Pflaster
nicht genügend hält und eine Isolation und Abschliessung des Herdes nicht mehr voll¬
ständig erreicht wird. Die Erfolge sind fast immer glänzend. Besteht keine Fluctnation,
so resorbiren sich die Infiltrate in der Regel in wenigen Tagen; ist schon Fluctnation auf-
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getreten, so ist zwar Resorption ohne Perforation selten, aber der Process breitet sich
nicht aus, die Perforation kommt frühzeitig, und die Wunde heilt rasch ab. Was be¬
sonders wichtig ist: neue Eruptionen im Anschluss an den behandelten Furunkel werden
selten beobaehtet. Wenn einzelne noch auftreten, so sind es kleine Infiltrate, welche
unter Application des Pflasters abortiren. (Prager med. Wochenschr. Nr. 28.)
— Medlefnisehe Apherisaen ron Prof. J, de Letamendi aus Madrid, übersetzt
von Dr. Kallmeyer, Petersb, med. Wochenschr. Nr. 31.
1) Für den Empirismus gibt es kein Milderungs wort. Der Grad seiner Allmacht
ist immer der genaue Maassstab für das, was der Medicin fehlt, um eine wirklich
wissenschaftliche Kunst zu sein, oder für das, was den Aerzten fehlt, om ihre würdigen
Vertreter zu sein.
2) Lass es dich nicht verdriessen, wenn es dem Oharlatan gelingt, sich mR einem
Schlage eine vortreffliche Stellung zu verschaffen, während deine eigene Sache nur langsam
vorwärts schreitet. Jedes Land hat genug intelligente Patienten, um die Zahl von an¬
ständigen Aerzten zu ernähren, welche die Natur den Müttern gestattet auf die Welt za
bringen. Aber, da diese und jene (d. h. intelligente Patienten and anständige Aerzte)
geringer an der Zahl sind, so brauchen sie mehr Zeit, um sich gegenseitig zu
finden.
3) Sich in einer Kunst irren, heisst nur irren; sich in der Medicio irren, heisst
tödten.
4) Wenn du ein Recept verschreibst, so sprich mit Niemandem und dulde es uioht,
dass Jemand mit dir spricht. Besonders vergiss nicht, es noch einmal durcbzulesen, be¬
vor du es übergibst.
5) Ein Arzt, welcher nur die Medicin kennt, kennt sogar nicht einmal diese.
6) Die Kunst der Medicin besteht vor allen Dingen in dem Handeln; es genügt
nicht, dass der Arzt viel weiss. Seine ganze Wissenschaft wird unnütz und sogar schäd¬
lich, wenn sie nicht eine practische ist.
7) Je unwissender ein Arzt ist, desto mehr glaubt er sich verpflichtet, Erklärungen
zu liefern für alles, was er sich einbildet zu beobachten.
8) Es gibt nichts Schwierigeres auf der Welt, als. die Beziehungen zwischen Ur¬
sache und Wirkung festzustellen, welche zwischen den einfachsten klinischen Erscheinungen
bestehen.
9) Der beständige Gesichtsaasdruck deines Patienten wird dir seinen Oharacter
kundgeben; der augenblickliche — seinen Geisteszustand.
10) Die Diagnose zeigt den Weg der Prognose, aber nicht immer der Behandlung.
Wie viel Fälle gibt es, bei denen die Prognose leicht zu stellen ist, die aber schwer zur
Heilung zu bringen sind, besonders in der Zeit und in dem Zustande, wo sie sich dem
Arzte vorstcllcn! Seitdem man eine Sonnen- und Mondflnstemiss „diagnosticirt^ hat, kann
man wohl ihr Erscheinen vorherbestimmen, aber man kann sie weder verhindern noch
verzögern. (Fortsetzung folgt.)
Als Termin für den Colleotivbesueh der zilrcherlscimn ÜeMcerbeausttellung — speziell der eidgsnds-
sReken AMhelluiigen: Geweitehygieine (Sammhieg des sekweiz. PojytepknUcums) und Upfallvenickerttng
(Sckutzvorrlobtungen kel Mascblnenbetiieb); Samarlterwesen — durch die schweizerischen Aerzte Ist der
4. October, Donnerstag, festgesetzt, Herr Professor Dr. Roth wird die Freundlichkeit haben, die Collegen
zu führen, und auch Herr Major Dr. FrOhllch wird — wenn dienstlich nicht verhindert — den belehrenden
Führer machen. Das Ausslsllusgscomltd hat dea am genannten Tage in corpore ersobeineiden schwei-
zerischea Aerztoa freien Eialritt und GraflsfOhrer zugesicbert.
Programm: Donaorstag, 4. Ootoher, Yormittags 9—10 Uhr: Sammlung in der bliuieo Fahne,
woseihst yerthsiinng der Freikarten und des gedruckten Führers. Punkt 10 Uhr Abmarsch nach der Aus¬
stellung. Nachmittags: Gemeinschaftliches Mittagessen daselbst
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iBhalti 1) OrigioalarbeiteD: Dr. 7%. LoU: Erfahrimffen fiber Variola. — Ä. KaU: Die VfokAer'aehe H&ngelage. —
Jaqtui: Hermcmn vonHdmhoUs. — 2) Verei n sberiebte: Uedidnieeb-pbarmacentiiicher Bezirksrerein Bern. — S) Referate
ooS Kritiken: Lantgenbuch: Chirargie der Leber und Gallenblaae. — DDr.Eugtn BlaaiuB nnd FSritg Schvmser: Eiektrotropia-
mne nnd rerwandte Eraebeinnngen. — DDr. Conrad AU nnd Kr. E. F. Schmidt: Taechenbnch der Elektrodiagnosiik nnd Elektro¬
therapie. Fant Ltfert: La Pratiqne des Haladiea de Systeme nerrenx dann lee H6pitanx de Paris. — Prof. Dr. A. Draoche:
Bibliothek der gesammten medicinlschen Wiasenschaften. — Prof. Küstncr: OrnndzQge der Oynaacologie. — ProH Dr. Ed. Lang:
Der renerisehe Catarrh. — Otto Lang: Erstlinge. — P. Brandt: Bloo-notes mddical. — 4) Wochen bericht: XLVIll. Yer*
saminlnng des Irztl. Centralvereins in Olten. — Sanatorien für nnbemittelte Lnngenkranke. — Eisenbier. — Erster französ.
Congreao fttr innere Mediein. — Anerkennnng für Sir Joteph Uaiir, — Cremation. — Behandinng der Ozana, — Behandlnng des
ehronisohen Gelenkrhenmaiismns. — Nachwirknng langdanernder Aetberinhalationen. — Medicinische Aphorismen. (Schlnss.) —
Notiz betr. Briefe von Theodor Bälroth. — 5) Briefkasten. — OHfllfskasse fSr Sch weiser Aerzte. — 7) Biblio¬
graph! sehet.
Oirigf iiia.1 .
Erfahrungen Ober Variola.
Von Dr. Th. Lotz, Physikus in Basel.
Nach den Millionen von Variolafällen, welche seit dem Anfänge dieses Jahr¬
hunderts nur in den civilisirteren Ländern von Europa vorgekommen sind, könnte es
als ein zum mindesten überflüssige» Unternehmen erscheinen, am Ende dieses Jahr¬
hunderts eine kleine Epidemie von nicht einmal hundert Fällen genauer zu beschreiben.
Aber so vortheilhaft das massenhafte Vorkommen einer Krankheit für deren
klinisches Studium sein kann, so wenig förderlich ist oft gerade bei Infectionskrank-
beiten die Grösse der Epidemie für die ätiologische Erkenntniss. Je dichter das Ge¬
webe, um so weniger sind die einzelnen Fäden zu verfolgen, um so weniger primäre
und secundäre Ursachen auseinander zu halten. Statt der Einsicht in den innem Zu¬
sammenhang bleibt oft nur der oberflächliche Eindruck des Umfangs; vor lauter Wald
sehen wir die einzelnen Bäume und ihre Verästlung nicht, ein Mangel, der für eine
richtige Erkenntniss ebenso hinderlich sein kann, als wenn man umgekehrt vor lauter
Bäumen den Wald nicht sieht.
Thatsächlich haben denn auch jene Millionen von Variolaerkrankungen nur einen
verhältnissmässig sehr geringen Niederschlag von wissenschaftlich brauchbarer Statistik
hinterlassen; insbesondere eine Morbiditätsstatistik, aus welcher die Grösse des Ein¬
flusses der Vaccination auch nach seiner zeitlichen Veränderung genauer ersichtlich
wäre, ist jetzt, bald ein Jahrhundert nach ihrer Entdeckung, erst noch zu schaffen.
Die grossen Zahlen, welche man nöthig hat, werden kaum je auf einmal durch
Massenbeobachtungen können gewonnen werden, weil zuverlässige Beob¬
achtungen sich nicht von amtswegen vorschreiben lassen.
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Vielmehr wird ein zuverlässiges Material nur zu Stande kommen können durch Samm¬
lung kleiner genau beobachteter Gruppen. Gerade wir in der Schweiz haben Dank der
in zahlreichen Gautonen vollzogenen Aufhebung des Impfzwangs mehr, als anderswo,
Gelegenheit solche Gruppen zu beobachten und haben die Pflicht aus dieser Sachlage
wissenschaftlichen Nutzen zu ziehen.
I. Variola und Vaccination in Basel vor 1892.
Eine genauere Statistik der Todesursachen auf Grund ärztlicher Bescheinigung
beginnt erst mit dem 1. Juli 1868; seit Mitte 1874 kommt dazu auch die Verpflich¬
tung der Aerzte zu fortlaufender Anmeldung aller Fälle von acuten Infectionskrank-
beiten und damit eine genaue Registrirung auch der Erkrankungen an Variola.
Für die frühere Zeit bis zum Jahre 1824 zurück hat Hagenbach*) die Todes¬
fälle an Infectionskrankheiten aus den Kirchenbüchern zusammengestellt, wo die Todes¬
ursachen von den Pfarrern auf Grund der Angaben der Angehörigen eingetragen
wurden. Speciell bei Variola dürften diese Angaben wohl ein annähernd richtiges Bild
geben. Die Summe der von 1824 bis 1869 vorgekommenen Todesfälle durch Variola
ist 115. Von den genannten 46 Jahren sind nur 15 frei von Pockentodesfällen; 15
Jahre weisen je 1 Todesfall auf, 16 mehr als einen; die grössten verzeichnöten Zahlen
sind: 1832 11, 1849 10, 1854 9, 1865 22. Von den 14 Jahren 1843 bis 1856 ist
nur 1847 ohne Pockentodesfall.
Nachdem 1868 und 1869 von Todesfällen frei gewesen waren, gestaltete sich
von 1870 an die Sache folgendermassen:
Erkrankungen
Todesfälle
Erkrankungen
Todesfälle
1870
?
7
1881
10
3
1871
ca. 450
64
1882
1
—
1872
ca. 100
13
1883
—
—
1873
—
—
1884
13
1
1874
—
—
1885
386
75
1875
1
—
1886
6
—
1876
—
—
1887
—
—
1877
1
—
1888
1
—
1878
—
—
1889
—
—
1879
12
3
1890
9
—
1880
7
1
1891
—
—
Während in der Epidemie Anfangs
der siebziger Jahre nur
über */& der Fälle
in Spitälern verpflegt wurden, ist seither nur ein Kranker (1885) mit amtlicher Be¬
willigung zu Hause verpflegt worden (einige weitere sind der Absonderung entgangen,
weil sie erst nach Ablauf der Krankheit zur Kenntuiss der Behörde kamen). Es ist
damit in der Regel gelungen die Einschleppungen im Keime zu ersticken oder doch
weitere Ansteckungen auf ein sehr bescheidenes Maass einzuschränken. Die Gründe,
welche vom December 1884 an zu einer ungewöhnlichen Ausbreitung der Blattern
führten, lagen jenseits unserer Grenzen.*)
*) Epidemiologisches aus Basel. Jahrboch für Kinderheilkunde. Neue Folge IX, pag. 46 u. ff.
*) Vergl. den Bericht über jene Epidemie. Correap.-Blatt f. Schw. Aerate 18«}, pag. 585
n. ff. und Ebd. 1885, pag. 36 n. ff.
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Bemerkenswerth ist die Häufigkeit der Einschleppung aus grösserer Entfernung.
So betrifft die Erkrankung von 1875 einen aus Brüssel zugereisten Bierbrauer, der
5 Tage nach seiner Ankunft erkrankte; der einzige Erkrankte von 1877 ist ein aus
Lyon zugereister Weinhändler; der Erkrankte von 1888 hat sich zur Zeit seiner In-
fection in Genna und Umgebung anfgehalten. Bei dem Falle von 1882 begann sogar
die Erkrankung in Barcelona; der am 8. Juni Erkrankte reiste von dort am 13. ab,
gelangte am 15. Juni nach Basel, wo er am 16. entdeckt und isolirt wurde, ohne dass
weitere Ansteckungen aufgetreten wären. Aus noch grösserer Entfernung stammt ein
Fall im December 1886 (die übrigen 5 Fälle jenes Jahres kamen als zeitliche Aus¬
läufer der Epidemie von 1885 in den Monaten Januar bis Mai vor). Auf der Fahrt zu
Schiff von Varna nach Konstantinopel inficirt, am 22. December in letzterer Stadt er¬
krankt, verliess der Betroffene Eonstantinopel am 25. und langte am 28. Abends in
Basel an; am 29. Isolirung, keine weitern Folgen. Der einzige Fall von 1893 ist ein
schwedischer Müller, der am 30. April erkrankte, nachdem er 14 Tage zuvor von
Budapest abgereist und am 29. April in Basel angekommen war.
Solche Thatsachen sind sehr beachtenswertb, weil sie uns einen Begriff geben von
der ausserordentlich grossen Bolle, welche der Z n f a 11 bei der Verbreitung von In-
fectionskrankheiten spielt. Es wäre leicht, von andern Krankheiten, z. B. von der In¬
fluenza eine Beihe ähnlicher Erfahrungen anznführen; speciell bei Blattern zeigt der
Verlauf der Epidemie von 1892 eine Menge von Zuffilligkeiten in der Weiter Verbreitung;
wir werden also später Gelegenheit haben nochmals auf den Zufall zurückzukommen.
Zunächst ist noch im Gegensätze zu den unberechenbaren Verschleppungen des
Contagiums von dem der Berechnung zugänglicheren Factor einer Epidemie zu reden,
von der Empfänglichkeit der Bevölkerung, deren Grad von der Menge der
vorhandenen Geblätterten und Vaccinirten abhängt. Die Geblätterten bilden
nur einen sehr geringen Bruchtheil unserer Bevölkerung. Selbst wenn wir annehmen,
dass vor 1870 auf jeden Todesfall 13 Genesene^) zn rechnen seien, so kommen wir für
die Jahre 1824 bis 1869 bei 115 Todten nur auf etwa 1500 Geblätterte; von 1870
bis 1890 mögen es wieder etwa 1000 bis 1100 sein. Bechnet man diesen auf Basler
Boden Geblätterten eine etwas höhere Zahl zugewanderter bei und zieht man ander¬
seits in Betracht, welche Verminderung die Somme dieser seit 1824 Geblätterten
durch alljährliehps Absterben erlitten haben muss, so kann man für den Beginn unseres
Jahrzehntes «höchstens 5—67« der Bevölkerung als geblättert annehmen. Nimmt man
an, einige weitere Procente seien von Natur immun, so hätte für die ünempßnglich-
keit aller übHgen, speciell der gesammten jüngern Bevölkerung die Impfung auf-
znkommen. Sehen wir uns nach ihrer Entwicklung in Basel um.
Die erste vom 17. Juni 1807 datirte .Verordnung wegen Einimpfung der Schntz-
blattern* bezieht sich darauf, dass trotz einer Publication vom 25. Mai 1805 noch viele
.den angebotenen Schutz* nicht anwenden, hebt den Nutzen der Impfung hervor, welche
„ohne Gefahr auch bei jungen Kindern vorgenommen werden könne*, und fordert —
unter lobendem Hinweis auf die Bereitwilligkeit der Aerzte zu unentgeltlicher Impfung der
Armen — alle Behörden zu Stadt und Land auf .allen denen fortan keine Unterstützung
•) Vergl. Corr.-Blatt 1881, pag. 497.
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zukommen zu lassen, welche nicht bescheinen können, dass ihre Kinder entweder
die Kinderblattern schon gehabt, oder mit den Schatzblattern eingeimpft worden
seien*. Eine Bekanntmachung vom 22. September 1825, veranlasst durch den
Ausbruch der Blattern an zwei Orten, ruft die Verordnung von 1807 wieder in Er¬
innerung und ffigt bei, .dass diejenigen, weiche die Einimpfung unterlassen, sich der
Gefahr aussetzen, dass, im Fall ihre Kinder mit den natürlichen Kinderblattern be¬
fallen werden sollten, ihre Bäuser gesperrt, oder die mit dieser Krankheit befallenen
in öffentliche Anstalten zur Verpflegung würden aufgenon)men werden.*
Hatte es sich zuvor nur um wohlwollende Empfehlung und indirecte Pressions¬
mittel gehandelt, so ging die neue für Baselstadt erlassene Verordnung über
das Impfwesen vom 6. Mai 1837, wenigstens auf dem Papiere, einen Schritt
weiter. Neben Verweigerung der Unterstützung von solchen, welche für ihre Kinder
keine Impfscheine besitzen etc., wird bestimmt: Alle Kinder sollen in der Regel im
Verlaufe ihres ersten Lebensjahres geimpft werden. Busse von 1 bis 10 Franken für
Eltern, deren Kinder ohne Grund nach Ablauf des zweiten Jahres nicht geimpft sind.
Bei Erfolglosigkeit der Impfung binnen zwei Jahren von der ersten Impfung an ge¬
rechnet Wiederholung. Familien, welche sich niederlassen, haben für ihre Kinder
Impfscheine beizubringen. Wohlthätige Anstalten, Waisenhäi\ser etc. sollen Kinder
nur nach geschehener Impfung aufnehmen. Kein Kind soll ohne Impfschein in Schulen
zugelassen werden. Diese letzte Bestimmung bildete eigentlich die einzige Controlle
über allgemeine Durchführung der Impfung. Dem entsprechend konnte diese
hinausgeschoben und versftumt werden bis zum Eintritt in die Schule; so ist es kein
Wunder, wenn im Jahre 1871 5 Kinder von 2 bis 5 Jahren an Blattern starben.
Die Erfahrungen der grossen Epidemie im Beginn der 70er Jahre weckten
natürlich das Bedürfniss nach besserer Durchführung der Impfung und nach obliga¬
torischer Revaccination. Dieses Bedürfniss fand seinen durch die vorberathenden Be¬
hörden abgeschwächten Ausdruck in der Impfordnung vom 10. Februar 1875,
deren wesentliche Bestimmungen folgende waren: Im Canton Baselstadt soll jedes
Kind vor Ablauf des auf sein Geburtsjahr folgenden Kalenderjahres geimpft werden.
Obligatorische Revaccination für alle Schüler öffentlicher und privater Schulen in der
Regel im 13. Altersjahre. Die öffentlichen Impfungen und Wiederimpfungen sind
unentgeltlich. Kein Kind soll ohne ärztlichen Impfschein in öffentliche oder private
Schulen anfgenommen werden. — Da erst der Eintritt in die Schule (in Verbindung
mit dem Schulzwang) die Gewähr für die wirkliche Ausführung der ersten Impfung
gab, so war man in dieser Beziehung nicht viel weiter, als zuvor durch die Verordnung
von 1837. Einen wirklichen Fortschritt bildete die klassenweise vorgenommene Re¬
vaccination auf der Secundarschulstufe.
Aber nur kurze Zeit blieben diese Bestimmungen in Kraft. Gerade in jenen
Jahren entwickelte die Agitation der durch wissenschaftliche Falschmünzer unterstützten
Impfgegner ihre lebhafteste Thätigkeit. Als renitente Eltern, weil ihre Kinder beim
Eintritte in die Schule den vorgeschriehenen Nachweis der Impfung nicht beibrachten,
ordnungsgemäss dem Polizeigerichte zur Bestrafung verzeigt wurden, gab das den An-
stoss zu einem Initiativbegebren um Aufhebung des Impfzwangs, bezw. des § 81 des
Polizeistrafgesetzes, welcher mit Geldbusse bis zu 30 Franken bedrohte „Eltern und
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Pflegeltern, welche .... sich weigern, den durch Verordnung erlassenen ßestimmungen
über das Impfwesen nachznkommen.“
Der Grosse Rath fasste (7. April 1879) hierüber keinen definitiven Entscheid,
weil damals gerade das erste schweizerische Seuchengesetz in Vorbereitung war, das
auch Bestimmungen über die Impfung enthalten sollte, und es nicht zweckmässig er¬
schien, diesem vorzugreifen; wohl aber wurde interimistisch der Impfzwang aufgehoben
resp. der genannte § 81 ausser Kraft erklärt.
Nachdem der Entwurf des schweizerischen Seuchengesetzes am 30. Jnli 1882
mit seinen Bestimmungen über das Impfen und hauptsächlich wegen derselben vom
Volke mit grosser Mehrheit war verworfen worden’) (in Baselstadt mit 4153 gegen
589 Stimmen), wurde am Ende desselben Jahres 1882 der Impfzwang resp.
der bezügliche § 81 in Baselstadt definitiv aufgehoben.
Welche Wirkung diese Aufhebung (erst die interimistische 1879 und dann die
definitive) auf die Ausführung der Impfung hatte, zeigen die nachfolgenden Zahlen:
Gestorbene ans den
Lebendgeborene
Geburtsjahren 1875—1884
Erst-Impfunge:
1875
1844
254
843
1876
1820
424
790
1877
1920
454
644
1878
1984
567
902
1879
2024
528
441
1880
2053
570
535
1881
1966
667
339
1882
2008
516
272
1883
1954
505
215
1884
1955
471
249
19528
4956
5230
10186
5230
9342 blieben mindestens am Ende des Jahrzehnts ungeimpft
am Leben.
Die Abnahme der Impfungen und ihre sehr geringe Zahl in den letzten Jahren
des vorgeführten Jahrzehnts ist augenfällig; die Folge davon ist, dass nach Abrechnung
aller aus jenen 10 Geburtsjahren Gestorbenen und aller ausgeführten Impfungen nahezu
die Hälfte der in dem Jahrzehnte 1875—1884 Lebendgeborenen am Ende des Jahr¬
zehnts ungeimpft am Leben ist. Diese 9342 umfassen aber noch nicht die Gesammt-
zahl der Ende 1884 in der Bevölkerung der Stadt Basel enthaltenen üngeimpften.
Mag zur Verkleinerung dieser Zahl in Anschlag zu bringen sein, dass die Impfungen
unvollständig registrirt wurden, so dass ihre Zahl thatsächlich etwas grösser war, dass
ferner eine Anzahl üngeimpfter die Stadt wieder verliessen, so wird das schon da¬
durch aufgewogen, dass unter den Geimpften auch Kinder aus den umliegenden Ort¬
schaften, welche die hiesigen unentgeltlichen Impfungen aufsnchten, mitgerechnet sind,
') Vergl. Corresp.-Blatt 1882, pag. 559 u. fif.
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dass ferner eine Anzahl Impfungen (in den 70ger Jahren mit animaler .Lymphe“,
nicht mit der sicher haftenden .Emulsion*!) erfolglos waren. Zur Vermehrung der
üngeimpften aber ist in Anschlag zu bringen, dass die nahezu 5000 Gestorbenen nicht
alle ungeimpft waren und durch ihren Tod die Zahl der Üngeimpften verringerten,
sondern dass darunter doch immerhin einige Hundert Geimpfte enthalten sind; ferner
ist zu erinnern an die Einwanderung, welche jedenfalls zahlreiche üngeimpfte lieferte;
auch die 4956 Gestorbenen recrutirten sich nicht nur aus den hier Geborenen, sondern
es sind darunter auch Eingewanderte aus jenen Altersklassen enthalten; endlich ist zu
erinnern an die in der obigen Rechnung noch gar nicht berücksichtigten Üngeimpften
über 10 Jahren, jedenfaUs eine beträchtliche Zahl, da in der Epidemie von 1885 nicht
weniger als 27 üngeimpfte an Blattern Erkrankte über 10 Jahren beobachtet wurden.
Zieht man das alles in Betracht, so wird man die Zahl der Ende 1884 Üngeimpften
in Basel nicht überschätzen, wenn man sie als annähernd 11000 annimmt, gleich dem
sechsten Theil der Bevölkerung (Ende 1884: 65945).
Das war der Boden, auf welchem die uncontrollirbaren Einschleppungen, besonders
von Oberwil und Binningen aus so reichlich aufgingen, dass vom December 1884 bis
Mai 1886 404 Blatternerkrankungen mit 76 Todesfällen amtlich constatirt worden,
wovon 379 resp. 70 der Stadtbevölkerung angehörten.
Falls aber Jemand erwarten würde, dieser schwere Schaden habe zu einer nach¬
haltigen Aendernng geführt, so befände er sich gänzlich im Irrthum. Nur die un¬
mittelbar auf dem Nacken sitzende Gefahr hatte einen Massenandrang zur Impfung zur
Folge, aber schon im Herbste 1885, während die Blattern noch nicht erloschen waren,
gab es Impftermine, bei welchen nur wenige Kinder, ja gar Niemand erschien. Die
Sachlage am Ende des Jahres 1885 geht aus den folgenden Zahlen hervor:
üngeimpfte Ende 1884 (approximativ) 11000
Lebendgeborene im Jahre 1885 1937
12937
Gestorbene 1885 aus den Geburtsjahren 1874—1885 575
Impfungen 1885, approximativ 3700 _ 4275
Ungeimpft blieben Ende 1885 wenigstens 8662
Also am Ende einer ziemlich bedeutenden Epidemie noch immer der achte Theil
der Bevölkerung, nach Abrechnung der Geblätterten rund 8500. Die Entwicklung in
den nächsten Jahren mag der Kürze wegen in der Summe vorgeführt werden, wobei
zu bemerken ist, dass zur Ergänzung der von den Privatärzten unvollständig beige-
, brachten Impflisten die Zahl der Impfungen jedenfalls mehr als genügend nach oben
abgerundet ist.
Ungeimpft am Ende des Jahres 1885 wenigstens 8500
Lebendgeborene 1886—1891 12056
Gestorben 1886—1891 aus den Geburtsjahren 1874—1891 3009
Erst-Impfungen 1886—1891 1800 4809
724r 7247
Ungeimpft waren Ende des Jahres 1891 wenigstens 15747
Man wird diese Zahl mindestens auf 16000 abrunden müssen, da nicht alle Ge¬
storbenen Üngeimpfte waren und Üngeimpfte noch eingewandert sind, also stark 217 o
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der Bevölkerung (Mitte 1892 approximativ 75668). Die 1850 ImpfuDgen des Jahres
1892 haben eben genSgt, um die Zahl der Ungeimpften nicht zunehmen zu lassen;
das Jahr 1893 zeigt wieder ein rasches Wacbsthum derselben und falls die Inschrift,
welche unsere alten Baslergulden zierte: Domine conserva nos in pace — falls dieser
fromme Wunsch in Erfüllung geht, so werden wir es schon allmählig dazu bringen,
dass 25, ja 30 und mehr Frocent unserer Bevölkerung ungeimpft sind.
Schon jetzt herrschen bei uns in Bezug auf Empfänglichkeit für Variola Zustände,
wie sie seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts in civilisirten Ländern nicht mehr da
gewesen sind. Nehmen wir an, es seien von den Geblätterten 57o, von den Geimpften
(incl. Revaccinirten und im Durchschnitte der verschiedenen Altersklassen) 207o, was
vielleicht, wie sich später zeigen wird, eher zu niedrig gerechnet ist, von den Unge¬
impften 907o für Variola empßlnglich, so ergibt sich für die Stadt Basel auf Ende
des Jahres 1891 folgende approximative Rechnung:
Geblätterte 4500 davon empfänglich 225
Geimpfte (incl. Revaccinirte) 54500 , , 10900
üngeimpfte 16 000 , _ „ 14400
75000 davon empfänglich 25525
Also rund ein Drittel unserer Bevölkerung ist bei gegebener Gelegenheit .pocken-
ßhig*, ein Verhäitniss, das nur im vorigen Jahrhundert bei abgeschlossenen, Jahr¬
zehnte lang von Variola nicht heimgesuchten Bevölkerungen seines Gleichen findet.
Setzt man die Zahl der Geblätterten • niedriger an oder die Empfilnglichkeit bei den
übrigen etwas höher, so ergibt sich ein noch ungünstigeres Verhäitniss.
Von den practischen Folgen dieses Zustandes wird am Ende dieser Darlegungen
die Rede sein. Vorläufig haben wir es nur mit der wissenschaftlich interessanten Seite
dieses Experimentes zu thun, mit den Beobachtungen über Variola, welche anderswo
sammt deren Weiterverbreitung durch obligatorische Immunisirung aller Gefährdeten
rasch abgeschnitten werden.
II. Variolois delenda.
Zunächst muss noch von einem Ausdrucke die Rede sein, welcher sonst, sobald
es sich um Blattern bandelt, unvermeidlich aufzutreten pfiegt, während er im Folgen¬
den absichtlich vermieden wird: Variolois. Der Scharlach ist in Bezug auf Vieige-
gestaltigkeit der Erscheinungsweise und auf Verschiedenheit im Grade der Geßhrlich-
keit den Blattern mindestens ebenbürtig; aber Niemandem ist es eingefallen, die
leichtern Fälle als Scarlatinois von den schwerem, als der Scarlatina vera, abzutrennen;
keine Commission für Sammelforschung führt dem verwunderten Leser unter besonderer
Nummer, als besonders zu erforschendes Ding Scarlatinois auf; keine Zeitung meldet
uns, es seien in X. 2 Fälle von ächtem Scharlach, in T. aber 5 Fälle von modificirtem
Scharlächerlich vorgekommen. Man hütet sich umsomehr den leichtern Fällen eine
verkleinernde Signatur anzuheften, als der leichteste Fall die schwerste Infection ver¬
anlassen kann, das k 1 inisch, für den Betroffenen, Geringfügige also sanitäts¬
polizeilich, für die durch die Ansteckung Gefährdeten, ganz vollwerthig ist.
Dasselbe gilt, wie Jedermann weiss, auch von Variola und es ist von einer der¬
artigen Bezeichnung nie die Rede gewesen, bis übel berathene Freunde der Vaccination
sie aufbrachten. Als die Illusion, die ein malige Impfung werde die Empfänglichkeit
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für Blattern auf immer tilgen, sich angesichts der Erkrankungen Geimpfter nicht mehr
festhalten Hess, suchte man nach einem Tröste und fand ihn in der Behauptung, die
Blattern der Geimpften seien nicht mehr ,ächt", sie seien .modificirt“, es seien ,nnr
Yarioloiden*. Die Erfinder dieser Bezeichnung hatten, wie es scheint, bereits ver¬
gessen, dass es jederzeit auch bei Ungeimpften leichte Erkrankungen gegeben hatte,
bei welchen nicht durch eine vorg&ngige Vaccination, sondern durch die individuelle
Empfänglichkeit der Betroffenen die Variola „modificirt* war, wie das ja auch bei
andern Infectionskrankheiten der Fall sein kann, (man denke an die leichten und
leichtesten Fälle von Scharlach, Cholera etc.) und sie wussten noch nicht, dass auch
die schwersten Formen der Blattern den Geimpften gelegentlich nicht erspart bleiben.
Heute wissen wir das seit Jahrzehnten; aber obgleich die Menschheit jahraus
jahrein an verschieden schweren Erkrankungen durch das eine Variolagift leidet,
leidet die Wissenschaft noch immer an Variolois. Sie leidet daran; denn unpräcise
Begriffe sind stets faule Buhekissen und Hindernisse exacter Forschung gewesen. Die
Morbiditätsstatistik der Blattern Hesse nicht so unsäglich viel zu wünschen übrig, wäre
man nicht ein halbes Jahrhundert lang befriedigt gewesen, wenn man am Ende einer
Epidemie herausfand, von den geimpften Erkrankten seien 807o an Variolois, nur 207»
an Variola krank gewesen, während umgekehrt von den Ungeimpften nur 157o an
Variolois, 857o an Variola vera gelitten hätten u. s. w. Gewiss ist es von hohem
Werthe, die Verschiedenheiten in der Intensität der Variola bei Geimpften und Un¬
geimpften in ihrer vollen Grüsse klar zu stellen. Dazu sind aber vor allem genaue
Maassstäbe nöthig, nicht eine so willkürliche Unterscheidung wie Variola und Variolois.
Wodurch unterscheiden sie sich denn? Wo hört die schwerere Variolois auf und fängt
die leichtere Variola an? Curschmann weiss es nicht und kein Beobachter, der auch
nur einige Dutzend Fälle gesehen bat, wird dieselben ohne Willkür unter diese zwei
Ueberscbriften rubriciren. Die Unterscheidung ist gerade so schwankend, wie etwa
zwischen dunklerem Hellgrau und hellerem Dunkelgrau.
Nun haben wir aber genaue Maassstäbe, vor allem den Ausgang der Er¬
krankungen, die Letalität, und wenn man mehr wissen will, für die Genesenen die
Dauer der Krankheit vom Beginne bis zum Abfalle der letzten Kruste. Das gibt
Ziffern, die vernehmlich sprechen und deren Grundlagen jeder Willkür entrückt sind.
Gewöhnen wir uns also, da für wissenschaftliche Brauchbarkeit nicht, wie für
Telegrammadressen, die Kürze der Güter höchstes ist — gewöhnen wir uns daran,
wieder von Variola leichtern Grades zu reden und verweisen wir noch vor der hundert¬
jährigen Jubelfeier der unsterblichen Entdeckung Jenner’s die Variolois wieder in das
Nichts zurück, aus dem sie nie hätte bervortreten sollen.’) Es wird das beiläufig auch
noch eine Woblthat sein für diejenigen, die, wenn sie erst einmal vom sichern Boden der
Variola auf die abschüssige Ebene der Variolois gerathen sind, dann haltlos auch noch in die
Varicellen hinuntergleiten, ein Schicksal, das nicht nur Einzelne, sondern eine ganze
Schule in ihrer wissenschaftlichen Klarheit lebenslänglich aufs schwerste geschädigt hat.
’) Wir stehen mit dieser Fordemng nicht allein; es sei n. A. nnr Brunner angeführt, der in
seiner trefflichen Arbeit über die »Pocken im Canton Zürich“ (Zürich 1873) pj^. 66 sagt: Wir
geben den Begriff Variolois vollständig auf, da er wissenschaftlich gar keinen Werth hat n. s. w.
Obermeier, den wir später noch als guten Beobachter werden kennen lernen, bemerkt: „es ist nur
bequem, eine dichte Eruption Variola, eine schwache Variolois zu nennen.“
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III. Liste der Variolakranken im Jahre 1892.
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IV. Kritik des Materials.
Jede brauchbare Statistik hat zur Voraussetzung, dass die Zählung der einzelnen
Fälle Torgenommen worden sei von Personen, welche fähig waren, den gezählten Fall
richtig zu erkennen und gewissenhaft genug, um richtige Angaben daräber zu machen.
Wenn es sich nur um Statistik von Pocken to desfällen bandelt, um ihre Menge im Ganzen
und ihre Vertheilung nach Altersklassen in einer Bevölkerung, so kann eine auf Laien¬
angaben sich aufbauende Statistik wohl brauchbar sein, da ein Todesfall an Variola
nicht so leicht zu verwechseln ist (die relativ seltenen Fälle von hämorrhagischer
Variola ausgenommen) und da es sich bei solchen Zahlen um Unterschiede im Grossen
handelt, welche selbst durch Fehler von ± lO’/o nicht beeinträchtigt werden.
Ganz anders ist es, sowie es sich handelt um Angabe des Impfzustandes
im einzelnen Falle und um Erkrankungen; da können nur Aerzte die gewissen¬
haften Sachverständigen sein und angesichts der Irrthämer, welche erfahrungsgemäss
auf diesem Gebiete möglich sind, wird man erst noch verlangen mössen, dass nur auf
den Angaben wirklich zuverlässiger Beobachter sich eine Statistik aufbaue. Wo diese
Bedingung nicht zu erfüllen ist — ihre Erfüllung sollte eigentlich bei richtiger sani¬
tätspolizeilicher Behandlung der Variola eo ipso gegeben sein — da thut man besser
keine Statistik zu machen, die immer noch viel nützlicher ist, als unrichtige, welche
hinterher noch ein wissenschaftliches Begräbniss') nöthig macht.
Es wird sich also ein statistischer Bericht über eine Epidemie vor allem darüber
zu äussern haben, inwieweit die mitgeteilten Zahlen und Angaben richtig sind, da mit
dieser Richtigkeit auch die Zuverlässigkeit der daraus gezogenen Schlüsse steht und
fällt oder doch — da es sich um absolute Richtigkeit nicht durchweg handeln kann
— mit dem Grade der Richtigkeit auch der Grad der Zuverlässigkeit zu- und ab¬
nimmt.
Bei uns ist die Sache insofern einfach, als j e d e r zu ärztlicher Kenntniss gelangende
Blatternfall weiterer Controile unterliegt. Erscheint die Diagnose ausser Zweifel, so
wird er sofort dem Absonderungshause zugewiesen; bei ünsicherbeit der Diagnose oder
Renitenz des Kranken oder seiner Angehörigen erfolgt zuvor noch Revision durch den
Physikus, ebenso in den seltenen Fällen, wo die Verhältnisse eine sichere Isolirnng des
Kranken zu Hanse möglich machen. So sind denn in unserer Epidemie alle Fälle, einige
allerdings erst spät, in Spitalbehandlung gelangt, mit Ausnahme des mit unzweideutigem
Ausschlage todt gefundenen Kindes (Nro. 36).
Die Erkrankungsliste beruht also auf den, in einzelnen Colonnen noch durch die
Erkundigungen in den Familien berichtigten, Anzeigen der behandelnden Spitalärzte.
Als Spital für die Blatternkranken diente im Beginne der Epidemie (Nr. 1—12 und 17)
und wieder am Ende derselben (Nro. 84—88) das Absouderungshaus des Bfirgerspitales
(Oberarzt: Prof. Immermann, damaliger Assistenzarzt: Dr. Martig). Die rasche Zu¬
nahme der Fälle im Beginne nöthigte nach wenigen Tagen zur Eröffnung des Hilfs¬
spitals, das nun nebst den zuerst in das Bürgerspital verbrachten Fällen alle weitern
Erkrankten (13—16 und 18—83) aufnahm; Arzt: Dr. W. BemoulU. Die weitere
') Vergl. Die Ergebnisse der Bearbeitnng sogenannter „Ur-Pockenlisten“, in „Beiträge znr
Benrtheilnng des Nutzens der ScbntzpOckenimpfnng etc." Berlin, 1888.
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633
Kritik des Materiales geht hervor aus der Besprechung der einzelnen Colonnen der Br*-
krankungsliste.
C 0 1 0 n n e 1 enthält die Nummern der Fälle in chronologischer Reihenfolge. Es
knüpft sich daran die Frage, ob die angeführten Fälle wirklich an Variola krank waren
und ferner, ob diese 88 auch alle vom Februar bis August 1892 in Basel vorgekomme¬
nen Blatternfälle umfassen. Die erste Frage ist ohne weiteres zu bejahen, da im Spitale
nicht nur irrthümlich hineingesandte Erkrankte rasch erkannt wurden, sondern auch
zweifelhafte Fälle auf Grund genauer Weiterbeobachtung in der einen oder andern Rich¬
tung sachkundig konnten entschieden werden.
Weniger sicher ist die zweite Frage zu beantworten. Bei der Verbreitung em¬
pfänglicher Individuen werden allerdings Blatternkranke, welche aus irgend einem Grunde
der amtlichen Eenntniss und damit der Isolirnng entgangen sind, sich meist durch weitere
Infectionen nachträglich bemerklich machen; unsere Epidemie besteht ja grösstentheils
aus 3 umfangreichen Beispielen für diese Regel; ferner wird die der Ansteckung ver¬
dächtige Umgebung , der einmal bekannten Fälle so genau revidirt, dass im Bereiche der¬
selben keine Erkrankung unbemerkt durchschlüpfen kann. Wäre nun bei allen bekannten
Fällen der Ursprung der Ansteckung klar, so fiele von vorneherein jeder Grund weg an
die Möglichkeit unbeachtet verlaufener Fälle zu denken. Bei einer Anzahl von Erkrankten
fehlt jedoch ein sicherer Nachweis des Ursprungs; einige derselben sind nicht sicher, die
Mehrzahl wohl sicher nicht von einem der bekannten Fälle angesteckt. Die genauere
Prüfung dieser Fälle (vgl. Abschnitt V und VII), ihre zeitliche und räumliche Verthei-
lung (e i n mal 2 ungeimpfte Kinder einer Familie gleichzeitig, sonst ebensoviele ver¬
schiedene Häuser als Erkrankungen) macht es viel wahrscheinlicher, dass Einschleppung
von aussen (anfangs vom Berner Jura, einmal aus Italien, später von Binningen aus) diesen
Fällen zu Grunde liege. Nirgends macht zeitliche und räumliche Gruppirung von Er¬
krankten einen unbekannt gebliebenen Fall in der Stadt als Ursache wahrscheinlich;
sicher auszuschliessen wird das Vorkommen des einen oder andern unbehandelt verlaufe¬
nen leichten Falles nie sein. Jedenfalls darf man sagen, die Liste der Erkrankten sei
so vollständig, als es bei Variola ausserhalb eines abgeschlossenen Menschencomplexes
(Kaserne, Irrenanstalt u. dgl.) erreichbar ist.
0 0 1 0 n n e 2 enthält die Initiale des Namens, das Geschlecht (m. w.), das Alter,
wo nichts anderes angegeben ist, in Jahren, bei Erwachsenen auch den Civilstand (l. =
ledig, e. = verehelicht, w. = verwittwet, g. = geschieden).
Colonne 3. Beruf, bei Kindern die besuchte Schulklasse. K. K. S. = Klein¬
kinderschule.
Colonne 4. Wohnung, wo die Erkrankung begonnen hat; falls während
der Incubationszeit ein Wechsel erfolgt ist, auch die frühere Wohnung.
Colonne 6. Hier sind nicht nur die unzweifelhaften Angaben über den Ur¬
sprung der Ansteckung angeführt, sondern auch mit ? wahrscheinliche Ver-
muthungen oder (in Klammern) nicht causale Beziehungen zu andern Kranken.
Colonne 6. V. = rechtzeitig vaccinirt d. h. hat den Vaccineprocess vor der
Iiifection mit Variola durchgemacht; R. = rechtzeitig revaccinirt u. s. f.
Die genaue Controle der Impfungsverhältnisse wurde natürlich in der
Spitalverpfiegung mit aller Sorgfalt ausgeführt. Die Narben sind auf diesem Gebiete ob-
jective Beweismittel. Jugendliche Individuen ohne erkennbare Narben sind sicher nicht
mit Erfolg geimpft. Dagegen können wohl auf der welken Haut alter Leute die Impf¬
narben undeutlich werden und die bestimmte Angabe einer sonst glaubwürdig erscheinen¬
den Person, sie sei in der Jugend einmal geimpft, darf bei Ermanglung deutlicher Narben
nicht ohne weiteres verworfen werden (Nro. 87). Anderseits muss auch betont werden,
dass das Vorhandensein einer Narbe in der üblichen Gegend des Oberarms nicht mit
absoluter Sicherheit eine vorausgegangene Impfung beweist. Bei älteren Erstimpfiingen —
wir haben es bei uns häufig nicht nur mit 8—10jährigen, sondern auch mit 16- und
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634
mehrjährigen zu thun — begegnet man wohl unter einigen hundert Fällen dem einen
oder andern, wo an der üblichen Stelle eine rundliche oder längliche Narbe vorhanden
ist, die an eine vorausgegangene Impfung denken liesse, während der Impfling bestimmt
angibt, er sei noch nie geimpft und die Narbe rühre von anderer Veranlassung her.
In Betreff der Revaccination, insbesondere eines Erfolges derselben, ist man wohl oder übel
auf die Aussagen der Erkrankten angewiesen und wird sich bemühen ein einfaches Ja durch
genaueres Ausfragen über Zeit, Veranlassung u. s. f. zu controlliren und richtig zu stellen.
Colonne 7 und 8. Für den Beginn der Erkrankung und des
Ausschlags ist man vielfach auf die Angaben der Erkrankten und ihrer Angehörigen
angewiesen und man wird, gerade wo erst spät ein Arzt beigezogen worden ist, mit der
Neigung rechnen müssen den Beginn von Erkrankung oder Ausschlag später, als in
Wirklichkeit, anzusetzen. Dazu kommt oft die gleichgültige Indolenz der Leute; wenn
man nach einigen Minuten wieder auf dieselbe Frage zurückkommt, kann es auf einmal
klar werden, der Patient sei schon am Montag Abend früher von der Arbeit heimge¬
kommen und habe nicht mehr essen mögen, während er vorher erst als am Dienstag
erkrankt angegeben wurde u. s. f. Durch wiederholtes Fragen, Collationirung der Angaben im
Spitale und der Aussagen der Angehörigen zu Hause wurde möglichste Richtigkeit erstrebt.
Es kann aber oft der Beginn der Erkrankung vag und dem entsprechend nicht mehr
genau fixirbar sein selbst bei ungeimpften Säuglingen (Nro. 17). Dass das suchende Auge
eines Arztes den Beginn des Ausschlags meist früher sähe, als der Erkrankte oder dessen
Familie, ist unnöthig zu bemerken, auch wenn die erste Wahrnehmung des Kranken nicht
erst darauf beruht, dass Nachts in der Dunkelheit der tastende Finger die Unebenheiten
des papulösen Exanthems bemerkt. Im Wesentlichen dürfen die Angaben dieser Colonnen
als richtig betrachtet werden; insbesondere die interessanten durch ein ! ausgezeichneten
Fälle von kurzem Initialstadium resp. früh auftretendem Ausschlage (20, 71, 72, 74)
sind zum Theil vom Verfasser selbst beobachtet. Wo die Angaben dauernd als unsicher
erschienen, ist ein ? beigesetzt.
Colonne 9 und 10. Die für die Oelegenheit zu weiteren Infectionen wichtige
Anzahl der in Privatpflege oder ambulant zugebrachten Tage ist die Differenz zwischen
Colonne 10, dem Beginne der Spital Verpflegung und der Colonne 7, dem Beginne der
Erkrankung. Unter Colonne 10 bedeutet A den Eintritt ins Absonderungshaus, wo
der Kranke zuvor in anderweitige Spitalverpflegung kam, ist das noch besonders be¬
merkt (29 : Bürgerspital, 88 : katholisches Spital). Die Zahl der Tage in Colonne 9
ist natürlich an sich eine ungenaue Grösse. Wenn ein Kranker z. B. am 1. nach Mitter¬
nacht erkrankt und am 5. Abends spät abgesondert worden ist, so haben die 5—1==4
Tage etwas Anderes zu bedeuten, als wenn er am 1. Abends erkrankt und am 5. Morgens
abgesondert worden ist. Die Differenz von + 12 Stunden an jedem Tage kann sich im
Ganzen zum Werthe eines Tages summiren. Aber es ist kaum thunlich diese Termine
genauer zu fixiren und für die Möglichkeit weiterer Infection kommt überdies das frühere
oder spätere Auftreten des Ausschlags und dessen Massenhaftigkeit oder Spärlichkeit ent¬
scheidend mit in Betracht.
Colonne 11 und 12. Das Ende der Krankheit ist in der Regel gleich dem
Austritte aus dem Absonderungshause und dem entsprechend die Dauer der Krankheit,
die Gesammtzahl der Krankheitstage, gleich der Differenz zwischen Colonne 11 und 7.
Nur bei wenigen Fällen ist die Krankheitsdauer anders zu berechnen, weil die schon
einige Tage früher zum Austritte fähige Mutter auf den Austritt eines kranken Kindes
wartete (23) oder ein Kind auf den Austritt der erkrankten Mutter (65). Der Austritt
aus der Absonderung setzt natürlich stets den Abfall der letzten Kruste voraus.
V. Verlauf der Epidemie von 1892.
Schon ein flüchtiges Durchgehen der Erankenliste mit Berücksichtigung der Co-
lonnen 5 und 9 lehrt, dass die Epidemie zum grössten Theile aus einigen grösseren
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in sich zusammenhängenden Gruppen bestand, als deren Urheber sich jeweilen Er¬
krankte ergaben, welche mehrere Wochen (19, 26 und 27 Tage) der Isolirung ent¬
gangen waren. So ist eine 1. Gruppe von zusammen 23 Fällen zurfickzuführen auf
Nro. 1, Rosentbalweg 26, eine II. Gruppe von 20 Fällen auf 27, Itelpfad 99, eine
III. Gruppe von 19 Fällen auf 2 Kinder (30 und 31) Allscbwilerstrasse 103. Eine
kleinere IV. Gruppe umfasst einige italienische Arbeiter und Infectionen, welche zum
Tbeil durch Vermittlung von Binningen, dem Wohnorte dieser Leute, auf sie zurSck-
zufäbren waren. Weniger als der Viertel aller Fälle sind ohne sicher nachweisbaren
Zusammenhang mit den genannten Gruppen.
In einer Uebersicht der Erkrankungen nach Wochen treten
die Gruppen in ihrer zeitlichen Geschlossenheit sehr deutlich hervor.
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Diese Gruppen, die Schlüsse, welche sich aus ihrer Ausdehnung und ans ihrer Be¬
schränkung auf die Contagiosität der Variola ziehen lassen, werden später genauer zu er¬
örtern sein. Zunächst mag in Kürze der Verlauf der Epidemie, wie er sich für unsere
Augen gestaltete, geschildert werden. Vorauszuschicken ist, dass, nachdem das Jahr
1891 ganz hlatternfrei verlaufen war, am 25. Januar 1892 ein am 20. Januar erkrankter
Maurer aus Birsfelden in unser Absonderungshans aufgenommen wurde; derselbe hatte
sich zum Besuche von Verwandten vom 8.—18. .lanuar in Ponte Tresa (Tessin) auf-
gehalten und dort inficirt. Dank der üebernahme in unser Absonderungshaus blieb
der Fall ohne weitere' Folge. Er bat keinerlei Beziehung zu unserer Epidemie und
ist der Erwähnung nur insofern werth, als die Italiener der IV. Gruppe aus dem nahe
der Grenze bei Ponte Tresa liegenden italienischen Dorfe Vicunago stammen und der
erste derselben von dort inficirt hieher (resp. nach Binningen) gekommen ist.
Am 16. März wurde angezeigt, dass im Hause Rosenthalweg 26 eine
ganze Familie von Blattern befallen sei (Gruppe I). Es ergab sich, dass schon am
26. Februar der Mann (1) erkrankt war; derselbe batte nun seine gesammto Familie
(2, 4, 5, 7) inficirt. Nur das jüngste 6 Wochen alte Kind (17) zeigte noch keine
deutlichen Krankbeitserscheinungen. Es blieb aber nichts anderes übrig, als dasselbe
— sofort geimpft — der Familie ins Absonderungshaus mitzugeben, wo am 18. März
nach undeutlichem eintägigem Prodromalstadium der Ausschlag erschien. Im Hause
selbst waren bei der Entdeckung keine weiteren Fälle; im übrigen aber erschien die
Möglichkeit weiterer Ansteckungen fast unübersehbar, da 1 in der grössten Bandfabrik
Basels (in 5 grossen Gebäuden ca. 1100 Arbeiter) mit Ausnahme des 29. Februar
keinen Arbeitstag versäumt batte. Die sofortige Nachfrage in der Fabrik ergab denn
auch, dass speciell in dem Saale, wo 1 arbeitete, verschiedene Arbeiter und Arbeite¬
rinnen in den letzten Tagen wegen Krankheit ausgeblieben waren. Eine Arbeiterin (3)
wurde noch am gleichen Abend ins Absonderungshaus befördert, während ihr 3 Tage
später als sie an Pr'odromalerscheinnngen erkrankter Mann erst am 18. März eine
deutliche Variola minima (wenige Pustelchen) aufwies. Die weitere Gestaltung dieser
Gruppe (wie auch der beiden folgenden) ist genauer in Abschnitt VII (Contagiosität)
dargelegt; hier genügt es zu sagen, dass am 31. März die letzte Erkrankte dieser
Gruppe (23) ins Absonderungshaus kam, und dass man damit hoffen durfte, mit der
Sache fertig zu sein.
Da wurden vom 7.—13. April 5 neue Fälle angezeigt (erkrankt 4.—9. April)
sämmtlich in Grossbasel ohne einen auch nur muthmasslichen Zusammenhang unter
einander oder mit der scharf umgrenzten Gruppe I. Ein Italiener (29) mit sehr mangel¬
haften Angaben mochte den Keim der Krankheit schon mitgebracht haben; für die
andern (24, 25, 26, 28) musste eine nicht genauer festzustellende Infection von aus¬
wärts, angenommen werden, wie das übrigens schon bei dem Urheber der Gruppe 1
der Fall war, bei welchem der Ursprung der Ansteckung auch nicht sicher konnte
festgestellt werden. Solche Fälle von nicht genauer zu bestimmendem Ursprung
pflegen stets aufzutauchen, wenn in der Nähe von Basel Variola in einiger Verbreitung
vorkommt. Ein solches Gebiet war auch jetzt wieder innerhalb unseres näheren Ver-
kebrsbereiches vorhanden: der Berner Jura, und es lagen Verschleppungen von dort
aus'auch in anderer Richtung als nach Basel vor. So war es vielleicht mehr als ein
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Znfall, dass ongeAhr 14 Tage vor der Erkrankung von 1 ein im Erdgeschosse des«
selben Hauses wohnendes Mädchen Kleider und Wäsche aus Delsberg nach Hause ge¬
holt batte. Für die vier neuen Fälle fehlte jede greifbare Beziehung; indessen blieben
sie Dank rechtzeitiger Isolirung (vielleicht mit einer später zu erörternden Ausnahme)
ohne Folgen.
Vom 14. April an wurde kein neuer Fall bekannt, bis am 3. Mai die Anzeige
kam, im Hause Itelpfad 99 (Gruppe II) seien in 2 Familien Blatternfölle, darunter
ein unbehandelt verstorbenes, eben erst bei der Leichenschau entdecktes Kind. Die
Nachschau ergab zunächst im Erdgeschosse die unzweideutige Leiche (36), daneben
2 kranke Geschwister (32, 35), deren Ausschlag allerlei vom gewohnten Bilde der
Variola Abweichendes bot; doch konnte er auch nicht als Varicellen, die in jener Gegend
gleichzeitig vorkamen, gedeutet werden. Um so klarer war das Bild von 2 Kindern
im II. Stockwerke (34, 37), seit 8 resp. 5 Tagen erkrankt. Aber wo war der Ur¬
sprung alles Gesehenen? Wir klopfen im I. Stockwerke an und-die Lampe in der
Hand der öffnenden Grossmutter (33) bescheint in deren Gesicht einen Pockenaus-
scblag. Das werde wohl nichts machen, das habe Frau P. (27, Mutter von 32, 35
und 36 t) auch gehabt — so lautet das Ende unseres Gesprächs.
Die sofortige Untersuchung der Frau P. ergab denn auch Reste eines Ausschlags
und anamestische Angaben, welche ganz mit einer durchgemachten mässigen Variola
übereinstimmten. Unerklärlich blieb aber bei Annahme von Frau P. als primärem
Falle, dass 4 ungeimpfte Kinder in der Familie ganz gesund waren. So wurden einst¬
weilen Frau K. (33), die beiden Kinder Sch. (34, 37) und die Leiche (36) ins Ab-
sondernngshaus befördert; erst am nächsten Morgen folgten nach, nochmaliger genauer
Untersuchung (es war bei den Kindern zum.Theil Variola siliquosa vorhanden), die
Kranken der Familie P. (27, 32, 35). Wiederum erschien die Lage höchst bedenklich.
Der Itelpfad, an der äussersten Peripherie Kleinbasels gelegen, ist wenig befahren
und bildet den Tummelplatz für die zahlreiche Jugend in der nur einseitig angebauten
Häuserreihe. Und nun mitten darin seit Wochen Variola, zu deren directer und durch die
zahlreichen gesunden Familienglieder indirecter Uebertragubg die reichlichste Gelegen¬
heit gegeben war. Die genauere Darstellung dieser Gruppe weiter unten zeigt, dass
die Sache viel glimpflicher abiief, als man hätte erwarten dürfen; am 20. Mai, 17
Tage nach Entdeckung des Ansteckungsherdes, kam der letzte secundäre, am 1. Juni
der letzte (tertiäre) Fall der Gruppe ins Absonderungsbaus.
Während diese fast ganz am Itelpfad sich abspielende und auch in ihren weite¬
sten, durch die Schule vermittelten, Ausläufern auf Kleinbasel beschränkte Groppe noch
in voller Entwicklung begriffen war, tauchte am diametral entgegengesetzten Ende
Grossbasels an der Missionsstrasse am 12. Mai ein neuer Fall auf, ein 7jähriges am
7. Mai erkranktes Mädchen (43). Keinerlei Beziehungen zu den gleichzeitigen Erkran¬
kungen in Kleinbasel, ebensowenig zu früheren Fällen in jener Gegend (z. B/ 24). Die
Nachfrage in der von der Erkrankten besuchten Schulklasse ergab nur, dass ein Kind
F. (39) seit einiger Zeit «wegen Blattern in der Familie* die Schule nicht besuche.
Wo so offen von amtlich unbekannten «Blattern* die Rede war, konnte es sich wohl
nur um „wilde* (Varicellen) handeln. Bei der Nachschau am 14. Mai zeigte sich aber
auf den ersten Blick ein unzweideutiges Bild: die Mutter (40) schleppt sich, noch an-
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gegriffen, mit Variolaansscblag entgegen; im Hintergrund in den Betten 3 Kinder
(38, 39, 45) mit verschiedenen Stadien des Exanthems; als Urheber der Familiener-
krankung und damit der Gruppe III, Allscbwilerstrasse, ergaben sich 2 schon am
17. resp. 19. April erkrankte weitere Kinder (30, 31), von welchen das erstere, ein
5j&hriger Knabe, sich mit den Besten seines vertrockneten Ausschlags auf der Strasse
hemmtrieb; dieser Familienherd hatte 13 weitere Erkrankungen zur Folge, welche
sich zum Theil auch auf das benachbarte St. Ludwig erstreckten; dieselben, sowie
der Ursprung der Ansteckung der beiden primären Fälle, sind im Abschnitt VII
näher erOrtert. Am 7. Juni war diese Gruppe mit Aufnahme ihres letzten Falles (77)
ins Absonderungshaus erledigt.
Weniger genau beobachtet aus gleich zu besprechenden Gründen nnd dessbalb
auch weniger interessant ist die IV. Gruppe. Sie ist von anderer Herkunft, als
der knrz zuvor als blattemkrank entdeckte Italiener (29), überhaupt als alle bisher
anfgezählten Fälle. Es handelt sich bei den ersten Kranken dieser Gruppe um
italienische Maurer, welche sämmtlich aus dem nahe bei der Tessiner
Grenze gelegenen Dorfe Vicunago stammten, in einem hiesigen Baugeschäft arbeiteten
nnd in Binningen wohnten. Dieser letztere Umstand machte die Gontrolle noch
schwieriger, als sie sonst schon bei diesen Leuten zu sein pflegt. Ausserhalb familiärer
Beziehungen, truppweise zusammenlebend (so dass man gelegentlich froh sein kann,
wenn es gelingt, znm Zwecke der Desinfection festzustellen, welches Bett der Kranke
benützt bat), von angeborener seuchenpolizeilicber .Wurstigkeit“ und bei leichter Er¬
krankung mit ausgesprochenem Widerwillen gegen das Ospedale behaftet, sind diese
italienischen Arbeiter ohnehin in sanitätspolizeilioher Bezie¬
hung ein sehr schwieriges Element. Kann man sie nicht einmal da
fassen, wo sie wohnen, wo sie eventnell ein prodromales Unwohlsein durcbmachen, so
ist es nnmüglieh, die auf verschiedenen entlegenen Bauplätzen zerstreuten Leute zu
oonfrontiren und genügend zu controlliren.
Der Urheber dieser Grnppe, der den Erankheitskeinr noch von zn Hause mit¬
brachte (41), kam am 23. April bieher (resp. nach Binningen), erkrankte am 5. Mai,
Ausschlag vom 6. anf den 7. Mai; es erkranken vom 17. bis 19. Mai 3 weitere (61,
63, 64). Wir übernahmen diese Leute in Berücksichtigung, dass sie hier arbeiteten,
in unser Absonderungshaus. Nnr zur Illnstration des oben Gesagten sei erwähnt, dass,
als der Wagen zur Abholung von 63 nach Binningen kam, sich der (leicht) Kranke
omnia sna secum portans davon gemacht hatte. Unsere sofort avisirte Polizei hielt
ihn aber unter dem besonderen Kennzeichen einer verbundenen Hand richtig am Gen-
tralbahnhofe fest, wie er im Begriffe war mit seiner Variola nach Strassburg zu reisen.
Es ist kein Wunder, dass unter solchen Umständen die Kranken nicht alle oder
nicht rechtzeitig abgefangen wurden, und dass sich von ihnen ans in Binningen selbst
eine kleine Epidemie entwickelte, welche sich durch die folgenden Monate hin-
scbleppte.
Wir haben es im Folgenden nur noch mit den auf unserm Gebiete beobachteten
Kranken dieser Gruppe zn tbun. Es gehüren hieher Nro. 69, ein im gleichen Bauge¬
schäfte, wie die genannten Italiener, arbeitender hiesiger Handlanger, erkrankt am
28. Mai; wahrscheinlich, nicht sicher, Nro. 76, ein Seidenftrbermeister, bei welchem
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Arbeiter aus demselben Baugeschäfte beschäftigt waren, erkrankt am 2. Juni. Sicher
hieher zn rechnen sind die Bräder 85 und 86, von welchen jedenfalls der erste sich in
Binningen bei dortigen Ausläufern dieser Gruppe die Ansteckung geholt hat.
Es sind endlich noch kurz die bisher noch nicht besprochenen Fälle ohne
sichern Zusammenhang mit den grOssern Gruppen zu durchgehen.
Nro. 52 und 56, erkrankt 13. und 14. Mai, sind mit einiger Wahrscheinlichkeit der
Gruppe II zuzurechnen und werden dort noch erwähnt werden. Ursächlich ganz
unklar ist die am 16. Mai erfolgte Erkrankung des Commis H. (60); ebenso die am
1. Juni erfolgte Erkrankung des Landwirthes Scb. (75), wenn man bei dieser nicht
die Nähe des Hilfsspitales verantwortlich machen will. (Entfernung der Wohnung
vom nächsten belegten Pavillon ca. 250 m., die vom Erkrankten täglich benützte
Strasse zur Stadt führt ca. 60 m. vom Giebel dieses Pavillons vorbei; persönlicher
Verkehr hat nach den Aussagen des zuverlässigen Mannes sicher nicht stattgefunden.)
Wir haben nach unsern hiesigen Erfahrungen Grund, anzunehmen, dass von
Räumen aus, welche reichlich Gontagium enthalten, wie das ja vor allem bei Spital*
zimmern der Fall ist, auf inässige Distanzen von 20—30 m. Uebertragungen durch
die Luft (Fliegen?) stattfinden können. Bei grössern Distanzen ist man wohl zu
Skepsis berechtigt. Das Absonderungshaus des Bürgerspitals steht parallel dem Mittel¬
bau des Hauptgebäudes, 80 m. von dessen Corridorseite entfernt; es zerfällt in mehrere
durch Mauern (ohne Thüren, die ja nur den Zweck haben könnten, geöffnet zu wer¬
den) gänzlich getrennte Segmente. Im äussersten derselben sind schon wiederholt
Monate lang Yariolakranke untergebracht gewesen, nicht nur einzelne, sondern auch schon
bis zn einem Dutzend, ohne irgend welchen Schaden (abgesehen von 2 auf wohl con-
statirtem persönlichem Verkehre beruhenden Fällen). Weder in die Nähe seitlich,
z. B. auf die Scharlachabtheilnng, noch zum Hauptgebäude fand irgend eine Ueber-
tragnng statt, während überdies dieselben Aerzte die Blatternabtheilung und einen
Theil der übrigen medicinischen Kranken besorgten.') Es erscheint also irgend ein
unbekannter Infectionsträger als Ursache für die Ansteckung von 75 wahrscheinlicher,
als die Nähe des Blatternspitals.
Der Vater von 78 ist Maurer und hatte 8 Italiener im Logis, welche in 5 ver¬
schiedenen Bangeschäften arbeiteten. Hier besteht natürlich die Vermutbung, es
möchten diese verdächtigen Arbeiter des Baugewerbes (welche selbst sieh als gesund
erwiesen) die Infection vermittelt haben. Ueberbaupt wird man für die zerstreuten
Fälle, welche nach Beendigung der grossen Gruppen von Mitte Juni bis Ende August
anftraten, am ehesten unbekannte Einfiüsse von Binningen verantwortlich machen
müssen; kam es doch z. B. vor, dass ein am 28. Juni hier in Dienst getretenes, am
30. wegen Unwohlsein wieder nach Hause entlassenes Mädchen aus Binningen sich
dort als Variola entpuppte.
*) Wawrinsky bat allerdings (Archiv für Hygiene, VUI, pag. 351 ff.) eine interessante kleine
Pockenepidemie in Stockholm 1884 beschriehen, bei welcher in sehr angenfälliger Weise die Infec-
tionen die Nähe des Pockenspitals bis anf die Entfernnng von 170 m. betrafen and mit Verlegung
der Kranken ans dem alten Gebäude mitten unter Häusern in eine isoUrte Baracke anfhörten. Ob
aber alle Fälle ohne dentliche anderweitige Aetiologie auf die Nähe des Pockenspitals znrückzu-
fähren waren, bleibt doch fraglich. (Erkrankung 8 z. B. ebenfalls ohne bekannten Lrsprnng und in
der Nähe des Pockenspitals begann einen Tag vor dessen Eröffnnng). Sodann waren uoch bei uns
die Verhältnisse ganz andere: die Kranken lagen in einem frei stehenden Pavillon mit glatten
Wänden, Terrazzoboden, mit reichlichster Gelegenheit zu Lüftung, feuchter Reinigung n. s. f.
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Complicirt ist die Lage bei 84, einem elsässischen Maurer, den ein auswärtiger
Arzt ambulant aus seiner Sprechstunde dem hiesigen Spitale zuwies. Derselbe arbeitete
in demselben Baugeschäfte, wie die zwei Monate zuvor erkrankten Italiener (41 u. ff.)
Aber nicht nur ist schon vierzehn Tage vor ihm auch sein Bruder in Busch wiler an
Variola erkrankt, sondern schon vorher ist dort seine Mutter an einer acnten Krank*
heit gestorben, deren Beschreibung Variola hämorrhagica sehr wahrscheinlich macht.
Klar ist die Erkrankung des Arztes (79), der nur einmal erfolglos vor 15 Jahren
revaccinirt, wiederholt im Hilfsspital gewesen war.
üebersieht man noch einmal die kleine Epidemie, so verdankt sie ihre Entstehung
Einschleppungen aus verschiedenen Gegenden:
1) Im Februar und März, vielleicht auch noch Anfangs April Einschleppungen
aus dem Berner Jura, deren Opfer zum Theil lange der Isolirung entgehen und
ausgedehnte, aber scharf umgrenzte Gruppen von Erkrankungen verursachen.
2) Einschleppung aus nicht näher bekannter Gegend Italiens (29), ohne weitere
Folgen.
8) Einschleppung ans dem italienischen Dorfe Vicunago (41 n. ff.) verursacht hier
unmittelbar einige Infectionen, ferner eine kleine Epidemie am Wohnorte dieser Leute,
in Binningen. Diese muss wieder als Ausgangspunkt für die zerstreuten Fälle, welche
vom Juni an bis Ende August hier auftreten, angesehen werden, wenn auch nur in weni¬
gen Fällen dieser Zusammenhang deutlich nachweisbar war.
Bechtzeitige Isolirung von 1, 27, 30 und 31 hätte die Epidemie von 88 auf
höchstens 30 Fälle reducirt.
VI. Zur Diagnose der Variola.
Wie es dazu kam, dass wiederholt Blatternffille der Diagnose entgingen und so
die Ausgangspunkte grösserer Erkrankungsgruppen wurden, das ist hier nicht im einzel¬
nen anseinanderzusetzen; wohl aber mögen einige allgemeine Bemerkungen über die
Diagno.se der Variola am Platze sein: über die Umstände, unter welchen Variola der
Diagnose entgehen kann, über die Exantheme, welche am leichtesten, wenigstens im
Beginne oder auch im weitern Verlaufe zu Verwechslung mit Variola Anlass geben,
wo also die Diagnose verzögert wird, erschwert ist, ja wohl auch einmal — so lange
sie nicht durch den Nachweis des Vorhandenseins oder Fehlens des Krankheitskeimes
sicher festgestellt werden kann — unsicher bleibt.
Denken wir uns zunächst einen ersten Fall in einer seit längerer Zeit gänzlich
blatternfreien Gegend.
Der Kranke selbst hat keine Ahnung, dass er sich mit Blattern inficirt hat; wie
das geschah ist nicht einmal später an den Tag zu bringen; auswärts ist er seit Monaten
nicht mehr gewesen, wohl aber bringt ihn sein Beruf in vielseitige Berührung mit aller¬
lei Leuten. Eines schönen Morgens wird der Arzt gerufen und erfährt, der Kranke sei
seit gestern Nachmittag unwohl: Frieren, Hitze, Kopfweh, Abgeschlagenheit in den Glie¬
dern, Uebelkeit u. s. w. Der Zustand hat sich seit gestern nicht gebessert, Temperatur
etwas über 39", kein Brechen, kein Kreuzweh. Diese beiden Erscheinungen, insbe¬
sondere die letztere, können fehlen {Curschmann fand Kreuzschmerz nur in „etwas mehr
als der Hälfte“ seiner Fälle) und sehr irriger Weise wird dieses Fehlen bisweilen da¬
hin gedeutet, nun handle es sich wohl nicht um Variola. Oertliche Gründe für das
Fieber in den Brustorganen, Hals n. s. f. fehlen ebenfalls; kein characteristisches Initial-
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exanthem ruft dem Gedanken an Variola; die Diagnose ist vorläufig unklar und es wird
etwas Antipyrin verordnet, um so mehr, da der Kranke seine Klagen sohliesst mit den
Worten: Es ist mir wieder, wie vor einigen Jahren bei der Influenza. Am folgenden
Tage keine Besserung, Temperatur zwischen 39 und 40®, Puls 96, seit 2 Tagen kein Stuhl,
keine Localerkrankung nachzuweisen, Milzdämpfung eher etwas gross. Sollte es am Ende
trotz dem für Typhus ungewöhnlichen Beginne mit rasch hoch gestiegenem Fieber ein
beginnender Typhus sein? Am folgenden Morgen, etwa 66 Stunden nach dem Beginne
der Erkrankung finden sich am Abdomen einige kleine rothe Fleckchen — beginnende
Roseola? Gesetzt auch das Vorhandensein ebensolcher Fleckchen auf der stark behaarten
Brust und im sonnegebräunten Gesichte*) werde übersehen, so wird doch nach weitern
24 Stunden das beginnende Exanthem kaum der Beachtung entgehen ; der Gedanke an
Variola und deren Diagnose sind nur noch eine Zeitfrage.
Kurz, wenn eine Erkrankung so intensiv ist, dass sie Behandlung nöthig macht,
und dass der Arzt den Kranken dauernd unter Augen behält, wo auch ein nicht ganz
spärlicher Ausschlag sich entwickelt, da findet man die Variola, selbst wenn man
nicht von vomeherein an sie denkt, wenigstens in der Regel; ausnahmsweise kann ja
auch da einmal das Unzulängliche Ereigniss werden.
Nehmen wir aber an unter gleichen Umständen, als erster Fall in einer zuvor
blattemfreien Gegend, trete eine leichte Erkrankung auf. Die Prodromalerscheinungen
sind weniger schwer, vag; charakteristische Symptome fehlen; erst am dritten Tage,
weil es doch nicht bessern will, holt der Kranke, vielleicht in der Sprechstunde, ärzt¬
lichen Rat ein; er wird verlassen oder entlassen mit der Verordnung eines Fieber¬
mittels und der Aufforderung nOthigenfalls wieder zu kommen oder wieder zu be¬
richten. Das geschieht aber nicht; die Pulver haben dem Kranken, wie er sich später
äussert, ,gut gethan;“ am nächsten Morgen (Abfall des Frodromalfiebers!) war ihm
wobler, nach 1 — 2 weitern Tagen geht er zur Arbeit; der vielleicht spärliche Aus¬
schlag, wenige Dutzend Pusteln, wird nicht beachtet, um so weniger, da der
Kranke sonst schon keine reine Haut hat, an Acne, Ekzem oder dergleichen leidet;
vierzehn Tage später bringen dann die secundären Fälle die Sache an den Tag.
Also bei einem leichten Falle, der dem entsprechend nur vorübergehend einmal
im Iiiitialstadium oder im Beginne einer mässigen Eruption dem Arzte unter die Angen
kommt, da findet man die Variola nicht eo ipso; man muss sie suchen und
das geschieht unter solchen Umständen häufig nicht.
Eine solche Unterlassungssünde kann bei dem ersten Falle in vorher blattern¬
freier Gegend je weilen einmal verkommen; aber wenn einmal Variola in Sicht oder
gar am Orte selbst ist, dann ist es ein Fehler, der nicht verkommen sollte, dann gilt
es eben bei Erkrankungen, deren Symptome eine beginnende Variola nicht ausschliessen,
an diese Möglichkeit denken, nach Variola suchen und den Kranken im Auge
behalten. Man wird bei solchem Verdachte nicht nur die ohnehin sichtbare Haut
inspiciren, sondern sich etwa unter dem Vorwände einer Brustuntersuchung über das
Aussehen der Haut des Körpers und der Arme, besonders über schon vorhandene Aus¬
schläge, Acne etc., genau vergewissern. Tritt dann nach dem vorausgegaugenen acuten
Unwohlsein in den nächsten Tagen unter Besserung des Allgemeinbefindens eine An¬
zahl Papeln auf, deren Mehrzahl sich zu Pusteln weiter entwickelt und wäre es auch
*) Oem Bupponirten Falle liegt die Initialerkrankong des Landwirtlis Nro. 7ä an Grande.
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nur ein halbes Dutzend, so weiss man schon, was davon zu halten ist, wenn uns der
Kranke sagt, er habe solchen Ausschlag .jedes Frühjahr", oder die Kranke: .vor jeder
Periode" — oder wie sonst die bezfiglichen Redensarten zu lauten pflegen.
Nicht zu vergessen ist dabei, dass es in Bezug auf Menge des Ausschlags
zwischen der Variola confluens und der Variola sine exanthemate alle denkbaren Zwi¬
schenstufen gibt, vor allem bei geimpften Erwachsenen F&lle, welche der letztem nahe
stehen, wo die Haut schliesslich kaum ein halbes Dutzend kümmerlich entwickelte
Pustelchen aufweist. So war zum Beispiel Nro. 9. Hier half nun Verschiedenes zur
Sicherang der Diagnose mit; der Mann arbeitete, wie seine 3 Tage vor ihm erkrankte
mit deutlichem Ausschlage versehene Frau, in demselben Fabriksaale, wie der Erster¬
krankte Nro. 1; über sein prodromales Unwohlsein war kein Zweifel; am 16. März
wurde seine Frau ins Absonderungsbans geschickt, er selbst wurde täglich beobachtet
und, nachdem auf der sonst glatten Haut am 18. März 4 zuvor fehlende Pustelchen
sich entwickelt hatten, zur Vorsorge noch revaccinirt, ebenfalls dem Absonderungshanse
überwiesen.
Aber denkt man sich eine ähnliche Erkrankung ausserhalb eines erkennbaren
Zusammenhangs mit früheren Fällen, ist über das Prodromalstadium nichts bekannt, will
der Kranke immer wohl gewesen sein und man findet, etwa neben sonstiger Acne,
einige frische Pustelchen, da hört die Diagnose, so lange sie nicht bacteriologiscb ge¬
sichert werden kann, einfach auf.
Zum Glück sind die Fälle, wo mangelnde äussere Momente und Mangelhaftigkeit
des Exanthems auch den aufmerksamen Beobachter zu keiner Sicherheit kommen lassen,
relativ seltene Ausnahmen, für deren practiscbe Bedeutung wohl als tröstlich in Be¬
tracht kommt, dass sie nur wenig Gontagium abzugeben haben und demgemäss wenig
schaden. Immerhin mögen derartige ärztlich gar nie beobachtete Fälle wohl da und
dort als Urheber von Erkrankungen in Betracht kommen, über deren Ursprung sich
später Patient und Arzt vergebens den Kopf zerbrechen.
Bei der möglichen Geringfügigkeit des Ausschlags und der gleich zu besprechen¬
den Möglichkeit seiner irregulären Localisation muss man es sich stets zur Regel
machen, die ganze Körperoberfläche zu untersuchen; diagnosticiren
kann man die Variola oft genug auf Grund eines beschränkten Stückes der Haut, aus-
schliessen kann man sie nur, wenn man die Haut ganz gesehen hat
So wird, wenn man an Variola denkt und sie sucht, der grösste Theil der ein¬
fach übersehenen Fälle zur Diagnose und zu rechtzeitiger Isolirnng kommen und
grosser weiterer Schaden damit verhütet werden.
Kommen wir non auf die Fälle, wo wir einen Ausschlag gesucht oder nngesucbt
finden, wo aber die Natur desselben, die Diagnose Variola, zweifelhaft erscheint.
Wir beschränken uns, um nicht alles zu wiederholen, was über Symptomatologie und
Differentialdiagnose der Variola in einem guten Handbncbe, vor allem bei Ourseh-
mann'), zu finden ist, auf das Gewöhnliche in praxi am häufigsten vorkommende und
verweisen für alles Seltenere und Ungewöhnliche auf die genannte Quelle und auf den
bezüglichen Aufsatz von W. Bemoulli.*) Wir sehen also ab von der Purpura vario-
') Ziemssens Handbuch der spec. Pathologie etc. 3. Aufl. Bd. II. 4. Theil.
Zur DiagooFtik der Blattern. Correspondenzhlatt f. Schw. Aerzte. 1880. pag. 333 ff.
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losa, welche f&r Scarlatina imponiren könnte, and sprechen nur von der Variola, bei
welcher nach kürzeren oder längeren, ohne ein pathognomonisches Initialexanthem oder
doch ohne Beobachtung eines solchen verlaufenen Prodromalerscheinungen ein mehr
oder weniger reichliches erst papulöses, dann pustulöses Exanthem sich entwickelt.
Ebenso sehen wir anderseits ab von all den möglichen und unmöglichen Dingen,
welche einmal per nefas in ein Blatternspital gerathen (Scabies, fieberlose Ekzeme,
Acne u. s. f.); ferner von den Ausnahmefällen, wo wenn auch nicht auf die Dauer,
aber doch vorübergehend, syphilitische Ausschläge uns berechtigte diagnostische Zweifel
erregen. Auch den Petechialtyphus können wir für unsere Verhältnisse aus dem Spiele
lassen.
Wohl aber muss daran erinnert werden, dass in Bezug auf Localisation
des Ausschlages mannigfache Abweichungen von der Regel verkommen. Regel
ist, dass der Ausschlag zuerst im Gesicht und am behaarten Theile des Kopfes er¬
scheint; etwas später folgen Rücken, Brust und Arme, Unterleib, untere Extremitäten.
Gerade bei den leichtern Formen kommen hierin häufig Abweichungen vor, so dass
bekleidete Körperstellen diagnostisch wichtig sein können.
Erwähnenswerth ist besonders auch, dass «diejenigen Stellen der Haut, auf
welche vor Ablauf des Incubationsstadiums mechanische oder chemische
Beize gewirkt hatten, selbst bei äusserst spärlichem Ausschlage am übrigen Körper,
mit Pocken dicht besetzt zu sein pflegen.* {Curschmann 1. c. pag. 170). Hautreize,
welche Curschmann erst im Initialstadium einwirken liess, führten nicht zu dieser
localen Vermehrung der Eruption. Meist ist der Ausschlag auch in der Entwicklung
vorgeschrittener an solchen gereizten Stellen, als am übrigen Körper. Es künnen
so eigenthümliche Streifen entstehen, welche etwa den Gedanken an einen Herpes
erwecken.
So fand sich bei einem 19jährigen Handwerksbursohen, erkrankt 27. Februar
1894, am 2. März an beiden Oberschenkeln etwa handbreit unter der Leiste je ein
Streifen von dichter Variolaeruption, der, wie ein militärisches Abzeichen an einem Aermel,
über die Vorderseite von oben aussen nach unten und innen verlief; Eruption am übrigen
Körper spärlich. Hier hatte wohl Reibung durch die Hose den Reiz bewirkt.
Bei dem Säugling Nro. 71 erschien der Ausschlag besonders dicht und früh (am
1. Tage der Erkrankung) auf der durch das Nässen gerötheten Haut des Gesässes und
der Rückseite der Oberschenkel.
Ebenfalls hieher werden die Fälle zu rechnen sein, wo man bei zu spät Ge¬
impften den Variolaausschlag besonders dicht um die Vaccinestellen herum sich ent¬
wickeln sieht.
Aber auch ohne dass eine wahrnehmbare besondere Reizung vorausgegangen wäre,
findet man etwa einmal solche eigenthümliche Localisationen. Ein Y^jähriges, am 30. März
1894 geimpftes Mädchen zeigt bei der Revision am 2. April an den grossen Labien einige
erhabene rothe Fleckchen, denen keine weitere Beachtung geschenkt wird, da die übrige Haut
ganz weise und auch keine ersichtliche Störung des Allgemeinbefindens vorhanden ist.
Zu meiner nicht geringen Verwunderung findet sich am 4. April an beiden Labien und
am Uebergang gegen die Oberschenkel ein vermehrter Ausschlag von zum Theil Papeln,
zum Theil zu deutlicher Variolaform entwickelten Pusteln, welche den sofortigen Trans¬
port ins Absonderungshaus veranlassen. Am übrigen Körper Exanthem noch im Beginne
und spärlich. Irgend welche Reizung resp. Röthung der Labien und ihrer Umgebung
durch Schwitzen, Nässen oder dergleichen war hier nicht wahrnehmbar gewesen.
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Die Neigung zu besonders früher und dichter Eruption an zuvor gereizten Hant^
stellen findet sich übrigens auch bei den Varicellen. Durch das freundliche Ent¬
gegenkommen von Herrn Prof. Hagenbach waren mir die Krankengeschichten der im
hiesigen Kinderspitale beobachteten Varicellenfälle zugänglich. Unter 36 Fällen aus den
Jahren 1878—1892 fand sich dreimal eine Notiz betreffend eine derartige Localisation.
J. St. 4jähriges Mädchen, 1878. Am 1. November ,10 Varicellenbläschen in
der Leiste, wo früher der Jodanstrich gemacht worden ist, sonst
nirgends“. 2. Nov. Zahlreiche neue. 4. Weitere Zunahme, Zahl ca. 520.
E. D. Sjähriger Knabe, mit Tracheotomiewuude (nach dem Decanulement). 1878,
21. November: einige Varicellen. 22. Nov. Heute mehr ,besonders um die Wunde
herum“.
K. E. 2jähriger Knabe mit Entzündung des linken Ellbogengelenks. Mai 1888.
Starke Eruption von Varicellen „besonders am erkranken Arm“.
Soviel Ober die irregalären Localisationen des Variolaausschlages. Als häufigste
Ursachen vorübergehender Zweifel oder dauernder Irrthümer bleiben uns 8 Arten von
Exanthemen: Masern, Varicellen und Ausschläge frisch Geimpfter.
Bei Masern kann der Zweifel natürlich nur ein vorübergehender sein; die
beginnende Bläscbenbildung macht ihm unter allen Umständen ein Ende. Schlimm
könnte es nur ausfallen, wenn der erst nach eingetretener Eruption herbeigerufene Arzt
den Fall ohne weiteres für Masern hielte und angesichts des mässigen (schon im Ab¬
falle begriffenen!) Fiebers ein weiteres Verfolgen des .leichten* Falles für überflüssig
hielte.
Ist der Fall schon vor der Eruption beobachtet, so dürfte in der Regel schon
der von dem Masernfieber verschiedene Gang des Fiebers auffallen (bei Variola höheres
Fro^malfieber mit Temperaturen bis zu 40“ und darüber, Abfall kurz nach Erschei¬
nen des Ausschlags — bei Masern niedrigeres Prodromalfleber, während mit dem Er¬
scheinen des Ausschlags und dessen Ausbreitung das Fieber meist eher noch steigt).
Vor allem aber kommt in Betracht das Vorhandensein oder Fehlen der für Masern
characteristischen katarrhalischen Erscheinungen. Zu erinnern ist dabei an die Rötheln,
welche unter masernähulichem Ausschlage aber ohne katarrhalische Erscheinungen ver¬
laufen können. Auch der beginnende Variolaausschlag selbst ist, wenn er auch bei
oberflächlicher Betrachtung im Ganzen wohl ein masernähnliches Bild darstellen kann,
doch im Einzelnen keineswegs gleich; die Masernflecke bei gleicher Entwicklungszeit
grösser, diffuser, weniger derb, als die aus feinen Stippchen hervorgehenden Papelchen
der Variola.
So wird man wohl im gegebenen Falle, gestützt auf die verschiedenen differen¬
tiellen Momente schon bevor die beginnende Bläschenbildung jeden Zweifel unmöglich
macht, die Diagnose Variola stellen können. Gesetzt aber es herrschen gleichzeitig
Masern verbreitet, die fragliche Erkrankung trete auf ohne erkennbaren Zusammenhang
mit andern Blatternfällen, nicht etwa mehr oder weniger erwartet 14 Tage nach einem
vorausgegangenen Falle in der gleichen Familie oder im gleichen Hause und es knüpfe
sich an die Diagnose der Transport in ein mit Blatternkranken besetztes Absonderungs¬
haus, so wird man doch für eine so folgenschwere Entscheidung gerne die absolute
Sicherheit haben, welche die beginnende Bläschenbildung gibt. Die Entscheidung kann
dadurch um 12 bis 24 Stunden verzögert werden; kaum länger, da meist einzelne Bläs-
phen den übrigen in der Entwicklung voraneilen.
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So in einem Falle im Frühjahre 1894: Tjäbriges Kind, im Gesichte reichlicher
Aasschlag von rothen erhabenen Fleckchen, am Rumpf und an den Extremitäten noch
spärliche; im Gesichte ist bei genauer Untersuchung kaum an einigen der grössten Fleck*
eben ein punktförmiger Beginn von Bläschenbildung zu sehen, aber hinter dem linken
Obre und in der Gegend des rechten Schulterblattes ein schön entwickeltes, flaches, grau¬
liches Bläschen, etwa einem Impfbläschen am Beginne des 6. Tages nach der Impfung
entsprechend. Non insipienti sat.
Bis zur sichern Entscheidung wird man den Kranken in der Wohnung so gut
als möglich isoliren, wenigstens den Contact auf eine pflegende Person beschränken,
impfen, so weit dazu Geneigtheit vorhanden ist, u. s. f. So wird der Schaden der
Verzögerung bei der geringen Contagiosität der Variola im Beginne unbedeutend oder
null sein, jedenfalls nicht in Betracht kommen gegenüber der Gefahr einen Masern-
kranken in das Blatternspital zu schicken. Die Gefahr beträfe zum kleinern Theile
den Masernkranken; wir haben seit mehr als einem Jahrzehnte keines der irrthömlich
in das Blatternspital gesandten ungeimpften Kinder erkranken sehen. Dank der sach¬
kundigen Aufmerksamkeit unseres Spitalarztes, welcher die Betreffenden sofort impfte.
Wir werden im Abschnitte VIII sehen, dass der Impfschutz, wenn die Impfung nur
kurz nach der Gelegenheit zur Variolainfection vorgenommen wird, in der Hegel noch
rechtzeitig einzntreten scheint.
Bedenklicher würde wohl die Einschleppung der Masern in das Blatternspital
für die variolakranken Kinder sein, welche bei uns ja meist ein Haupteontingent bilden.
Gerade für die jüngsten, noch nicht gemaserten, würden, wenn sie sich kaum eben
durch die Blattern dprchgeschlagen haben, die Masern eine gefährliche, oft tödtlicbe
Complication bilden. *
Während die Differentialdiagnose von Variola und Morbillen nur eine Frage der Zeit
ist, geben Varicellen nicht selten zu dauernder Verwechslung mit Variola Anlass.
Es werden sowohl Varicellen für Variola, als auch Variolatälle für Varicellen gehalten.
Ersteres ist noch das kleinere Unglück, da nach dem bei den Masern Gesagten selbst
der Transport des Varicellenkranken in das Blatternspital bei sofortiger Impfung im
Spitale in der Regel keinen weitern Schaden zur Folge hat.
Verbängnissvoller ist es, wenn Variolakranke unter der Firma der Vari¬
cellen der Isolirung entgehen. Erfahrungsgemäss werden in Städten schon von
mässiger Grösse (jedenfalls von 40—50,000 Einwohnern an) Varicellen ständig
jahraus, jahrein beobachtet. Unzweifelhaft flndet bei ihnen, wie bei Scarlatina und
Variola, die Infection oft indirect durch gesunde Zwischenträger statt, da man, wie
bei den letztem Krankheiten, oft Erkrankungen auftreten sieht unter Umständen,
welche eine directe Infection ausschliessen, z. B. bei Kindern, welche aus anderen
Gründen seit mehreren Wochen ausserhalb jeglichen uncontrolirbaren Contactes waren.
Sowie Blattern verkommen, kann man .also in einer grösseren Stadt jeden Augen¬
blick vor die Frage gestellt werden: Sind das Varicellen oder ist es Variola? und
man wird oft genöthigt sein, bei der Beantwortung auf Angaben über voransgegangene
Fälle in der einen oder andern Richtung zu verzichten. Ja, man wird sich, wenn
solche Angaben vorliegen, nicht einmal durch sie dürfen bestimmen lassen. Denn der
Zufall kann es fügen, dass in derselben Schule, oder in der Nachbarschaft, oder im
gleichen Hause, selbst in der gleichen Familie gleichzeitig oder getrennt durch eine
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646
der Incubationszeit entsprechende Frist Variola und Varicellen neben einander Vorkom¬
men; tbatsächlich sind wir schon wiederholt solchen räumlichen und zeitlichen Kreu¬
zungen gegenübergestanden.
Die Diagnose muss sich also ganz unabhängig von äusseren Momenten auf die
genaue Untersuchung des Erkrankten selbst stützen. Bemotdli schliesst (1. c. pag. 340)
seine im Jahre 1880 verfassten Bemerkungen hierüber mit den Worten: ,In zweifel¬
haften Fällen werden Sie kaum je irren, wenn Sie bei einem geimpften Kinde
Varicellen, bei einem Erwachsenen, (der nicht zufällig vor Kurzem mit Erfolg
revaccinirt wurde) Blattern annehmen. Am schlimmsten sind wir bei ungeimpften
Kindern daran. MOgen diese recht selten werden!“ Dieser Wunsch ist so wenig in
Erfüllung gegangen, dass gerade in den Bevülkeruiigsschichten, welche am häufigsten
von Variola heimgesucht werden, wir bei Kindern in der Minderzahl der Fälle den Impf¬
zustand diagnostisch verwerthen künnen. Sehen wir uns nach den übrigen diagnostisch
in Betracht kommenden Punkten um. Zunächst das Alter der Erkrankten. Cless
schliesst 1864 seine Studien über Varicellen und ihr Verhältniss zu Varioloiden und
Variolen’) mit dem Satze (1. c. pag. 130): «Jeder variolöse Ausschlag bei einem Er¬
wachsenen aber, wenn auch noch so varicellenartig, ist unbedingt als Variola zu be¬
handeln.“ Auch spätere Autoren (Thomas, Henoeh u. s. w.) haben keine Varicellen
bei Erwachsenen beobachtet Die Leser des Gorrespondenzblattes wissen aus der Arbeit
von Seite ,dass solche verkommen. Unsere Basler Erfahrungen erstrecken sich jetzt
auf die 19 Jahre 1875—1893. Die 3004 in diesem Zeiträume in Basel angezeigten
Varicellenfälle vertheilen sich nach dem Alter folgendermassen:*)
Varicellenfälle in Basel 1875—1893 nach dem Alter
Unter 1
Jahre
352
1—2
11
320
2—5
fl
1172
5—10
■
1062
10-15
77
15—20
«
11
20-30
II
7
30—40
fl
3
Summa
3004
Bei der allgemeinen Empfänglichkeit für Varicellen und ihrer ungehinderten Ver¬
breitung haben offenbar die meisten Menschen bis zum 10. Jahre die Krankheit durch¬
gemacht und sind für die Folge immun. Jenseits des 10. Jahres erfolgt ein plötz¬
licher Abfall und bei Erwachsenen (über 15 Jahren) sind Varicellen selten; aber sie
kommen vor und wenn die Menge der Varicellenerkrankungen bei Erwachsenen
allgemein der im Laufe von 19 Jahren in Basel beobachteten Zahl entspräche, so
') Wärttemberg. medicin. Correspondenzblatt 1864. Abdruck in „Clets Impfung und Pocken
im Württemberg.“ iStnttgart 1871, pag. 108 ff.
*) Correapondenzblatt f. Schweizer Aerzte. 1888, pae. 265 ff.
') Wobei anadrncklich zn bemerken ist, dass epeciell die VariceUenanzeigen über 15 Jahren
kritisch gesichtet nnd irrthümlich als Varicellen angezei^e Fälle von Variola und (in einem Falle)
Varicellffi s^philiticse ausgemerzt sind. Baader konnte ((JorrespondenzbL 1880, pag. 6 d 3) nur desshalb
einen „VariceUen“fall mit Becht beanstanden, weil er während Krankheit des Verf. das noch nnge-
sichtete Material der letzten Wochen benützte.
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647
müssten nur in den deutschen Städten über 40,000 Einwohnern alljährlich mehrere
Dutzend Fälle über 20 Jahren Vorkommen. Sie scheinen in ihrer Vereinzelung meist
der Aufmerksamkeit zu entgehen.')
Der Fieberverlauf ist von grosser diagnostischer Wichtigkeit: bei Variola
in der Regel {Curschmann in 42% der Fälle) dreitägiges Initialfieber, worauf unter
Eruption des Ausschlages Abfall d^s Fiebers erfolgt; dieser Abfall tritt bei leichten
Fällen rasch ein, bei schweren zügernder und allmäliger; nur bei sehr schweren Fällen
(V. confluens) ist der Abfall unbedeutend und wenig ausgesprochen. Bei Varicellen
im Gegentheil fehlt Prodromalfieber oft gänzlich und wenn solches vorhanden ist,
dauert es selten über einenTag, während dann die weitere Ausbildung und Ausbreitung
des Ausschlages meist von mehr oder weniger Fieber begleitet ist.
So kann es kommen, dass im gleichen Stadium der Entwicklung, etwa am 2. bis
3. Tage der Eruption ein ungeimpftes Kind mit leichter Variola viel leichter krank
erscheint, als mit intensiven Varicellen. Bei ungestörtem Allgemeinbefinden und
mässigem Ansschlage kann ein solcher Variolafall für ein Exemplar der leichtern
Erankheitsspecies, der Varicellen, gehalten werden, während umgekehrt das varicellen*
kranke Kind zu Variolalärm Anlass gibt, wenn es schwer angegriffen daliegt, Temp.
40**, die geröthete Haut übersät mit reichlichem Ausschlage. Wer sich des Fieberab¬
falles bei Variola erinnert, wird nicht in solche Irrthümer verfallen.
Aber auch der Fieberverlauf, insbesondere die verschiedene Dauer des Prodro¬
malfiebers, kann nicht als sicheres Kriterium zwischen Variola und Varicellen
verwendet werden, weil die Abweichungen von der Regel nicht so selten sind und
sehr stark sein können.
Bei Variola kann, auch bei nngeimpften Kindern, das Initialstadium kürzer
als 2-, ja kürzer als Imal 24 Stunden dauern. Unsere kleine Epidemie hat uns in
dieser Beziehung mehr interessante Beobachtungen geliefert, als die grosse Epidemie
von 1885. Es seien nur die wesentlichsten Fälle angeführt.’)
Nro. 2 0. üjähriges Mädchen.
20/III. Bei Spaziergang bald müde.
21. Morgens etwas Kopfweh, isst aber noch und spielt im Hofe bis Abends
5'/t Uhr. 8 Uhr Brechen, Nachts Hitze und Durst.
22. Seien schon Vormittags 3 gTQpfli“ dagewesen, Fieber habe fortgedauert,
Ausschlag bis zum Abend vermehrt. Absondergshs. Temp. Abds. 6 40.1.
23. Temp. 8 Morgens 37.8 „ 38.4.
24. „ , 37.3 , 37.4.
Also weniger als 24 Stunden, nachdem es noch munter herumgesprungen, befindet
sich das Kind schon auf Grund seines Ausschlags im Spitale!
Sodann die drei Brüder Sch. Nro. 71. fi'/smonatlicher Knabe.
31. Mai. Morgens unwohl und heiss. Nachmittags beginnender Ausschlag. Abends
sind besonders an den durch das Nässen gerötheten Parthien des Gesässes und der Ober¬
schenkel reichliche Papelchen vorhanden. Abs. Temperaturen (in diesen 3 Fällen im
Rectum gemessen).
ln einer „Statistik der Masern, des Scharlachs nnd der Varicellen nach den Daten der
Kieler medic. Poliklinik von 1865—1886,“ Dissertation. Kiel, 1887, theilt IFol/rtn^ unter 264 Fällen
einen erwachsenen Fall mit (37jährige Frau) and erwähnt ferner eine von Edlefsen heohacbtete
Erkrankung eines 27jäbrigen Hannes.
*) Die Angaben über die Temperaturen und den weitern Verlauf im Absonderungahause ver¬
danke ich der gefälligen Mittheilnng von Herrn Dr. W. Bernoulli.
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648
Juni 1. Morgens 7 38.5. Abends 5 38.3.
, 2. , 38.1. , 38.2.
„ 3. , 37.6. „ 37.9.
4. Juni. Im Gesicht und besonders an der Rückseite der Oberschenkel und am
Qesäss der Ausschlag ziemlich dicht. Die Temp. übersteigt im weitern nie mehr 38,0!
Nro. 7 2. 2®/4jähriger Knabe (Zwilling).
31. Mai erkrankt mit Brechen, Kopfschmerz, Fieber; Abends noch keinerlei Aus¬
schlag (während der gleichzeitig erkrankte 71 schon ins Absondernngshaus gesandt wird).
1. Juni papulöses Exanthem. Abs. Temperatur Abends 8 Uhr: 38.0.
2. Juni. 7 Uhr 37.3. 5 Uhr 37.7. Fieberfrei, munter; zerstreuter, im Gesicht
reichlicher Ausschlag sich entwickelnder Pustelchen.
3.
Juni.
7 Uhr
37.1.
5 Uhr
37.8. —
Ara Körper mehr als gestern.
4.
n
37.7.
V
38.1. —
Pustelchen füllen sich, sind zahlreicher.
5.
n
37.7.
n
38.3.
6.
V
n
38,2.
V
39.2. —
Eiterungsfieber.
Nro. 7 4. 274 jähriger Knabe (Zwillingsbruder von 72).
31. Mai Abends von mir selbst beim Besuch der Brüder noch vollkommen wohl
und munter gesehen.
1. Juni. Morgens matt, fiebrig. Abends einige beginnende Papelchen im Gesicht
und kleine punktförmige Süppchen am Rumpfe. Abs. Temp. Abends 40.0.
2. Juni. 39.5. 40.5. 40.4.
3. „ 39.0. 38.6. 39.6.
4. „ 37.9. 37.6. 38.1.
5. ^ 36.8. 37.5.
Am 4. Juni stossen im Gesicht einzelne der Pusteln zusammen, auch am Rumpf
vorn sind sie zahlreicher geworden. Vom 7. an Eiterung, Fieber, f 11. VI.
Also nach weniger als 2-, ja nach weniger als Imal 24 Stunden dauerndem Initial¬
fieber kann der Ausschlag erscheinen und der weitere Verlauf kann dabei sehr schwer
(74) oder auch sehr leicht (der Säugling 71!) sein.
Im Gegensätze dazu kommen bei Varicellen Fälle vor, wo die Dauer des
Prodromalfiebers sich auf 2 und selbst 3 Tage erstreckt. Ueberhaupt findet man bei
Varicellen alle denkbaren Möglichkeiten des Fieberverlaufes realisirt. *
Unter 16 ausserhalb der Varicellen fieberlosen Fällen des Kinderspitals war 1 ganz
fieberfrei (Maximum 37.2), 2 subfebril (Maximum 37.7); die übrigen 13 zeigten
mehr oder weniger Fieber. Dieses trat auf erst nach dem Tage des Beginnes der
Eruption zweimal; mit dem Tage der Eruption achtmal, in diesen Fällen begleitete es
dessen weitere Entwicklung noch 1—3 weitere Tage; dreimal war schon vor dem Beginne
der Eruption Fieber vorhanden, wobei einmal schon am Abend des zweiten Tages vor der
Eruption 37.8 vorkam. Wo schon vor dem Beginn der Eruption Fieber vorhanden ist,
begleitet es in der Regel noch mehr oder weniger lang deren weitere Entwicklung. Einen
besonders intensiven Fall theilt Henoch^) mit:
fijähriger Knabe, Reconvalescent von Masern und Croup mit Tracheotomie.
Am Abend vor der Eruption 38.6
1. Tag der Eruption 39.0 40.2
2. „ 38.6 40.5
3. „ 39.4 41.0
4. „ 39.0 39.3
5. „ fieberfrei.
*) Berliner klin. Wochenschrift 1874, Nro. 18; ebendaselbst anch ein Fall von prodromalem
diffusem Erythem mit Fieber bis 40.5, am zweiten Abend nur noch 38.3, am dritten Tage Fieber
verschwunden.
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649
Aber auch Abfall des prodromalen Fiebers mit der Eruption wird beobachtet, z. B.
ein Fall von Hunter:') Sjähriger Knabe, soll schon einige Tage zuvor unwohl gewesen
sein. Anfall von Convulsionen 20 Minuten dauernd; nach einigen Stunden zweiter halb*
ständiger Anfall, Temp. 40**. Am nächsten Tage das hohe Fieber geschwunden, Allge¬
meinbefinden befriedigend; reichliche Yaricelleneruption.
Fälle von länger als einen Tag dauerndem Prodromalfieber
finden sich bei Seite (1. c.): Fall XIII zeigt zwei Tage vor der Eruption 38.8. (Fall XI
und XII sind, wie mir Herr Dr. Seite auf eine bezügliche Anfrage mittheilt, ,nicht fUr
die Frage des reinen Yaricellenfiebers zu verwenden, da Bronchitis daneben bestand“,
doch hing das Fieber wesentlich mit den Yaricellen zusammen.)
Unter mehreren von Demme^ mitgetheilten Fällen von schweren Prodromalerschei-
nungen ist besonders der nachfolgende durch langes und intensives Fieber bemerkens-
werth: 2'/sjähriger, kräftiger Knabe, bei welchem 3 Tage vor dem Ausbruche der Yari¬
cellen die Nsichmittags und Abends gemessenen Mastdarmtemperaturen zwischen 40 und
41 " C. schwankten (bei Morgenremissionen bis auf 39 ** C.) und ausserdem anhaltende
Somnolenz, vollkommener Yerlust des Appetits, Brechneigung, sowie ein heftiger eklamp-
tischer Anfall dem Erscheinen des Exanthemes vorhergingen.“
Die angeführten Beispiele genügen, am zu zeigen, dass Dauer und Intensität der
prodromalen Erscheinungen, insbesondere des Fiebers, für sich allein kein absolutes
Kriterium bilden.
Man muss die Möglichkeit im Auge behalten, dass der Ausschlag bei Yariola
auch nach kurz dauerndem, bei Varicellen zur Seltenheit nach länger dauerndem Pro¬
dromalfieber erscheinen kann; natürlich wird man bei diagnostischer Yer-
werthung des Fiebers stets in erster Linie mit der Regel
rechnen, so dass Fälle, wo der Ausschlag nach einem Prodromalfieber von mehr
als 24 bis 36 Stunden erscheint, stets als sehr variolaverdächtig zu betrachten sind.
Oft genug aber kommen wir in die Lage die Diagnose machen zu müssen, ohne
dass über den bisherigen Fieberverlanf Beobachtungen vorliegen. Da werden wir uns
denn in erster Linie an das halten, was bei einem acuten Exantheme am nächsten liegt,
eben das Aussehen des Ausschlages. Freilich soll die Schwierigkeit der
Diagnose gerade darauf beruhen, dass Variola (besonders in leichtern Fällen) und Ya¬
ricellen sich ,zum Verwechseln* ähnlich sehen können. Das ist aber doch wahr nur
insoweit, als etwa auch zwei Chinesen für den des Anblicks ungewohnten Europäer
sich zum Verwechseln gleichen; sieht er sich dieselben genauer an, so findet er ebenso
viele Unterschiede, wie zwischen zwei Europäern.
Gehen wir aus von einem normal sich entwickelnden Ausschlage bei einem
(natürlich ungeimpften) Kinde. Zunächst die einzelne Efflorescenz. Die¬
selbe beginnt bei Yariola als feines rothes Süppchen, das zu einer kleinen Papel wird,
deren Grösse und Erhabenheit im Laufe des folgenden Tages weiter wächst; wenn nicht
schon am 2., so doch am 3. Tage der Eruption Ijeginnt auf der Papel die Bildung des
Bläschens. Die Ansammlung der Flüssigkeit entwickelt sich langsam, die abgehobene
Epidermisschicbt ist meist ziemlich dick, dem entsprechend das Bläschen, wenn es et¬
welche Grösse erreicht fiach, perlgrau; kurz, das Bild der Variolaeffiorescenz ist das¬
selbe, wie wir es bei jeder Impfung vom 4. Tage an von der leichten gerötheten Er-
*) Lancet 1875. I. Nro. 2.
*) Klinische Mittheilnngen an^ dem Gebiete der Kinderheilkunde im Jahresberichte über das
Jenner'sche Kinderspital von 1890, pag. 39.
42
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habenheit des Impfstiches bis zur Entwicklung des Impfbläschens verfolgen können.
Am 5. bis 6. Tage nach dem Beginne der Eruption erreicht die Pustel ihre volle
Grösse; sie ist dabei entweder mit centraler Delle versehen, dem entsprechend im
Ganzen flach oder ohne solche mehr halbkuglig, ungeßhr erbsengross; auch der anfangs
klare Inhalt bat sich durch zunehmende Beimengung von Eiterkörperchen getrübt, bis
er etwa am 6. Tage ganz eitrig geworden ist. Einige weitere Tage vergehen in der
Kegel bis zum Beginne der Eintrocknung. Die Lebensdauer der einzelnen Efflorescenz
vom beginnenden rothen Stippchen bis zum Beginne der Eintrocknung übersteigt also
in der Regel eine Woche. Nun treten wohl die Efflorescenzen nicht alle gleichzeitig
auf; nicht nur pflegt der Ausschlag im Gesiebte früher zu beginnen, als am Rumpfe
oder an den Extremitäten, sondern auch an dem einmal befallenen Körpertheile sehen
wir znerst vereinzelte Stippchen, denen im Laufe der nächsten zweimal 24 Stunden
weitere folgen, während die ersten in ihrer Entwicklung fortgeschritten sind. Bei der
Dauer der Bläschen haben aber auch die später aufgetretenen Zeit die früheren
einigermassen einzuholen: das bedingt das gleichmässige Aussehen eines
Variolaexanthems auf der Höbe seiner normalen Entwicklung.
Ganz anders bei Varicellen, für .welche die Bezeichnung petite veröle
V 0 1 a n t e die zutreffendste ist. Die Dauer der einzelnen Efflorescenzen ist viel kürzer,
ihr ganzes Kommen und Gehen rascher; in der Regel sieht man beim ersten Besuche
schon auf einem Theile der gerötheten linsengrossen Flecken eine Anzahl von Bläschen;
diese entwickeln sich rasch unter einer dünnen Epidermisschicht, sind dem entsprechend
klar, serös, durchscheinend. Wenn nicht die dünne Epidermisdecke durch Reibung
oder Kratzen abgestossen wird, so ist das heute prall gespannte Bläschen in Folge be¬
ginnender Eintrocknung in der Regel schon am nächsten Tage welk, einen Tag später
mehr oder weniger zur Kruste vertrocknet. Da überdies das Auftreten frischer Efflo¬
rescenzen sich meist über eine grössere Zahl von Tagen, als bei Variola, erstreckt, so
entsteht jenes für Varicellen characteristisebe Durcheinander von Flecken,
frischen und welken Bläschen und Krusten. Die Mannigfaltigkeit wird noch erhöht
durch die verschiedene Grösse und Form der Bläschen; während die einen rundlich
sind, halbkuglig oder auch einmal mit dickerer Epidermisdecke, flacher, einem Variola¬
bläschen ähnlich, sind andere oval bis zur Grösse einer kleinen Bohne, bisweilen mit
unregelmässig buebtigen Bändern. Bei der langsamem Eintrocknung dieser grössern
Bläschen hat der Inhalt noch Zeit zu eitriger Trübung, so dass man die braune Kruste
mit einem gelblich-trüben Saum umgeben findet u. s. f. Dass bei Varicellen, wie bei
Variola, sich das Exanthem auf Handteller, Fusssohlen, Conjunctivse, Mund- und
Rachenschleimhant erstrecken kann, ist bekannt. Bemerkt sei nnr noch, dass die Basis
der Bläschen nicht so derb prominent ist, wie bei den aus einer Papel hervorgehenden
Variolabläschen; doch kann auch bei Varicellen die unterliegende Haut durch Infiltration
deutlich erhaben sein. Eindrücklich ist mir in dieser Beziehung das Gesicht eines
25jäbrigen Mannes, das bei seitlichem Lampenlichte ein znerst etwas verblüffendes Re¬
lief zeigte, während bei genauerem Zusehen sich sofort sichere Varicellen ergaben.
Man kann also wohl sagen, dass Variola und Varicellen bei normaler Ent¬
wicklung des Ausschlages sich von dessen Beginn an niemals zum Verwechseln gleichen,
so lange nicht alle characteristischen Unterschiede in vorgeschrittener Eintrocknung
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ontergegangen sind. Nur muss man eben die ganze Eörperoberfläcbe an¬
seben; einzelne Bläschen, kleinere Hautpartbien können Zweifel erwecken, das 6e-
sammtbild kaum.
Nun gibt es freilich bei Variola und Varicellen Fälle von irregulärer, ru¬
dimentärer oder abortiver Entwicklung des Ausschlages^ Es gleicht ein irgendwie
irregulär entwickelter Ausschlag der einen Species nicht einem normal entwickelten der
andern, wohl aber kann man einmal im Zweifel sein, ob man einen irregulär ent¬
wickelten Ausschlag der einen oder der andern Art vor sich habe. Bei Variola handelt
es sich hier meist um geimpfte Erwachsene, bei welchen Varicellen selten sind, und
was ich von Varicellen bei Erwachsenen gesehen habe, das waren stets sehr charac-
teristische Ausschläge, bei welchen die durch sorgföltige Untersuchung bestätigte
Diagnose sich schon von vornherein aufdrängte. Aber auch bei ungeimpften Kindern
kann die Entwicklung des Ausschlags Abnormitäten zeigen; es können z. B. einzelne
grössere unregelmässig gestaltete, früher vertrocknende, kurz ganz varicellös aussehende
Bläschen dem Ausschlage beigemengt sein (vgl. den Fall am Ende des Abschnittes VIII}.
Im Ganzen tbut man gut, einen Ausschlag, der nicht bei Untersuchung der ge-
sammten Oberfläche den unzweideutigen Eindruck cbaracteristischer Varicellen macht,
bei ungeimpften Kindern, wie bei geimpften Erwachsenen, als sehr variolaverdächtig
anzusehen und demgemäss zu behandeln (Absonderung, eventuell zu diagnostischem
Zwecke Impfung u. s. f.).
Für einen etwas geübteren Beobachter werden aber die Fälle selten sein, bei
welchen nach Verwerthung aller einschlägigen Momente (Ausschlag, Anamnese, Alter,
Impfzustand) die Frage: Variola oder Varicellen? mehr als 24 Stunden unentschieden
bliebe; in der grossen Mehrzahl der Fälle ergibt sich die Diagnose sofort.’)
Zweideutiger als die Varicellen sind die Ausschläge bei frisch Ge¬
impften. Bekanntlich kommen im Gefolge der Vaccination verschiedenartige Aus¬
schläge vor: 1. generalisirte Vaccine, welche entweder spontan auftritt oder in Folge
von Kratzen entsteht durch Ueberimpfung von schon entwickelten Impfbläschen aus;
2. können bei disponirten Individuen im Anschluss an die Entwicklung der Vaccine
allerlei Ausschläge auftreten, Erytheme, fleckige, papulöse, vesiculöse, pustulöse Efflores-
cenzen. Datushee hat in seiner interessanten Schrift’*) hierüber die verschiedenen Formen
vielleicht zu schön nach Zeit des Erscheinens und Form des Ansschlags classificirt,
während in praxi alle diese Dinge vielfach in einander übergehen und gemischte Bilder
Vorkommen, so dass, wenn man auch noch die Irregularitäten im Bilde der Variola in
Betracht zieht, die Diagnose nicht so einfach ist. Bei unsern sanitätspolizeilichen
Gewohnheiten kommen wir nicht in die Lage zur Sicherung der Diagnose zu constatiren
.qu’aucun malade de la salle . . . n’a ätd atteint par cette möme Eruption, ce qui
prouve bien . .. que celle-ci ötait de nature vaccinale et non varioliqne* (1. c.
*) Anschannng ist freilich auf diesem Gebiete dringend nöthig nnd die Gelegen¬
heit dazu sollte, insbesondere von Anfängern, nie nnhenntzt versäumt werden; aber auch der Ge¬
übtere wird nnter einigen Dutzend Fällen immer wieder den einen oder andern sehen, der in Bezug
auf den Verlauf der Krankheit oder die Gestaltung des Ausschlages seine Erfahrung durch Neues
bereichert.
Des ^ruptions vaccinales gcneralisees et de queh^nes dermatoses suscitees ou rappelees par
la vaccination. Paris 1883.
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pag. 68); auch die Impfung aus solcher Eruption ist ein diagnostisches Mittel, das
einerseits nicht unbedenklich ist, anderseits erst nach einer Reihe von Tagen zum
Ziele führt.
Thatsächlich sieht man sich, wenn Blattern herrschen und geimpft wird, nicht
so selten einmal vor die Frage gestellt: Ist das ein indifferenter Ausschlag im Ge¬
folge der Vaccine oder ist es eine unter dem Einflüsse der Vaccination mangelhaft sich
entwickelnde und abortiv verlaufende Variola.') Man findet etwa am 8. bis 9. Tage
nach der Impfung neben der entwickelten und mit entzündlichem Hofe umgebenen
Vaccine eine Anzahl von Papelchen, dazwischen auch einige kleine Pustelchen; ein
Theil der Efflorescenzen ist in der Nähe der Impfstellen, aber auch im Gesichte findet
sich ein halbes Dutzend, einige weitere zerstreut am Rumpf und an den Beinen. Wegen
des vaocinalen Fiebers kann das bestehende Fieber nicht diagnostisch verwerthet werden.
Bei revaccinirten Erwachsenen, wo von vornherein eine Variola mit rudimentärem und
abortivem Ausschlage möglich ist, führt selbst die weitere Beobachtung nicht immer
zu zweifelloser Klarheit, besonders wenn der fragliche Kranke etwa noch an Acne
leidet; bei Kindern wird in der Regel der weitere Verlauf die Diagnose sichern. Meist
wird es aber bedenklich erscheinen, den dubiösen Fall bis zur Sicherung der Diagnose
zu Hause, in einer kinderreichen Miothkaseme, zu belassen. Glücklicherweise sind
diese Fälle stets viel einfacher in sanitätspolizeilicher, als in diagnostischer Beziehung.
Wo der Fall ernstlich auf Variola verdächtig und seine weitere Beobachtung zu Hause
bedenklich erscheint, wird er dem Absondernngshause überwiesen. Damit ist jeder
möglichen Ansteckungsgefahr vorgebeugt und dem fraglichen Patienten erwächst. Dank
seiner frischen Impfung, keinerlei Schaden, auch für den Fall, dass die genaue Weiter¬
beobachtung den Verdacht auf Variola nicht bekräftigt oder gar sicher beseitigt.
(Schloss folgt.)
Die Walcher’sche Hängelage.
Mittheilnng von A. Kalt, Aarau.
Im Centralblatt für Gynäkologie, Nr. 51, 1889, betitelt Dr. G. Walcher, Vor¬
stand der Landeshebammenschule in Stuttgart, einen kurzen Aufsatz, wie folgt: ,Die
Conjugata eines engen Beckens ist keine constante Grösse, sondern lässt sich durch
die Körperhaltung der Trägerin verändern.“ Waicher sagt diesbezüglich: .Legt
man eine Hochschwangere mit in der Conjugata verengtem Becken auf den Unter-
snchungstiscb in der Weise, dass man bei mässig erhöhtem Oberkörper die Kniee so
weit als möglich gegen den Leib heraufhalten lässt, so erreicht man das Promontorium
am leichtesten . . . Legt man nun ein Polster unter das Kreuz und lässt die Beine
so weit als möglich über den Dntersuchungstisch nach abwärts hängen, so fühlt man
während des Senkens der Kniee das Zurückweichen des Promontorium ... Die Con-
jngata diagonalis ist also in vielen Fällen eine um ca. 1 cm variable Grösse . . .“
Ich habe nun Gelegenheit gehabt, in einigen Fällen die Angaben Walcher^s nach-
znprüfen und kann dieselben nur bestätigen. Ich messe dieser von Waicher beobach¬
teten Thatsache für die practische Geburtshilfe eine grosse Bedeutung bei. Das letztere
*) Vergl. 2 . B. die Fälle 22 und 23 der Gruppe 1, Abschnitt VII.
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veraDlasst mich, meine Beobachtungen im Gorrespondenzblatt für Schweizer-Aerzte mit-
zutheilen, zumal meines Wissens in dieser Zeitschrift bis jetzt hierüber noch Nichts
erschienen ist.^)
1. Fall. Z. K., 31 Jahre alt, V para. Grosse 143 cm. Becken: Sp. 21 , Cr. 25,
Tr. 28, D. B. 17, C. d. 10, C. v. 8 cm. Promontorium bei gewöhnlicher Bettlage leicht
mit Zeigefinger erreichbar, bei Hängetage kaum mehr zu fühlen. Bei der 1 ., 2. und
4. Geburt sei Kunsthülfe nöthig gewesen; worin diese bestanden habe, kann die Person
nicht angeben; nur die dritte Geburt sei ohne ärztliche Hülfe verlaufen. — Beginn der
von mir beobachteten Geburt am 30. Juni Morgens O’/s Uhr. Kopf über’m Beckenein¬
gang, Rücken rechts. Wehen zeitweise schwach. Zeit des Yerstrichenseins des os uteri:
2. Juni, Morgens 4 Uhr, nachdem eine Stunde vorher die Blase gesprungen war. Trotz
kräftig gewordener Wehen trat in den nächsten 2 Stunden der Kopf nicht tiefer. Nun
machte man der Frau eine Walcher^%ii\iQ Hängelage. Nach Stunden Hängelage war
der Kopf ins Becken eingetreten und hatte das Promontorium passirt. Die kleine Fon¬
tanelle war rechts hinten; um 6®/4 Uhr fühlte man sie vorn und tief. Um 7 Uhr war
die Geburt des Kindes beendet. Dasselbe, ein reifer Knabe, hatte folgende Masse und
Gewicht: Länge: 55 cm, Gewicht: 3600 gr; Kopfdurchmesser: Fr. 0. 12 , M. 0. 1372 ,
B. T. 8 , B. P. 9, S. 0. F. 11 cm; Umfang um den Fr. 0.: 36 cm; Schultorbreite:
12 cm.
2 . Fall. D. A., 33 Jahre alt, II para. Grösse 134 cm. Etwas anämische Person.
Urin zeigt durch Kochen und Salpetersäurezusatz etwas Trübung. Becken: Sp. 23,
Cr. 25, Tr. 30, D. B. 17, C. d. 10 , C. v. 8 cm. Promontorium bei gewöhnlicher Bett¬
lage leicht mit Zeigefinger erreichbar, bei Hängelage weicht es bedeutend zurück.
Bei der ersten Geburt, welche ebenfalls unter meiner Beobachtung am 23. Sept. 1892
stattfand, verharrte der Kopf, trotz kräftiger Wehen, nach Abfiuss des Amnios und bei
Verstrichensein des os uteri, 172 Stunden im Beckeneingang und es wurde damals der
hochstehende Kopf, ohne dass man die Hängelage anwandte, mittelst ziemlich schwierig
durchzuführender Zange entwickelt. Das Kind hatte alle Zeichen der Reife.
Am 14. September 1894 kommt die gleiche Person wieder znr Geburt. Die kleine
Fontanelle war wie bei der ersten Geburt nach Abfiuss des Amnios und bei erweitertem
08 uteri links vom; Kopf auf dem Beckeneingang. Sofort wird bei diesem Befund die
Gebärende in Hängelage gebracht; nach 172 Stunden war bei kräftigen Wehen der
Kopf tiefer getreten; die Hängelage wurde dann beseitigt und nach einer weiteren
Stunde war das Kind ohne andere Kunsthülfe geboren. Es war ein grosser, 3700 gr
schwerer und 54 cm langer, Knabe mit folgenden Massen: Fr. 0. 12 , M. O. 14, B. T. 8 ,
B. P. 10, S. 0. Fr. 11 cm; Kopfnmfang: 35 cm; Schulterbreite: 11 72 cm.
3. Fall. G. L., 34 Jahre alt, II para. . 143 cm gross. Becken: Sp. 22, Cr. 26,
Tr. 29, D. B. 19, C. d. 11, C. v. 9 cm. Promontorium bei gewöhnlicher Lagerung
mit Zeigefinger leicht erreichbar, bei Hängelage kaum mehr zu fühlen. Die erste Ge¬
burt sei ohne Kunsthülfe verlaufen. — Beginn der letzten Geburt am 4. August, Nachts
1172 Uhr. Das Kind hatte eine Fusslage. Bei der am 6. August, Nachmittags 3 Uhr
vorgenommenen manuellen Entwickelung des Kopfes machte derselbe bedeutende Schwierig¬
keiten, ins Becken einzutreten. Erst durch Anwendung der Wa/c/ier’Bchen Hängelage
wurde das Promontorium passirt und ein reifes, mit normalen Körpermassen versehenes
Kind zu Tage befördert. Dasselbe war zwar Scheintod, konnte aber durch die gewöhn¬
lichen Manipulationen in 10 Minuten zu kräftiger Respiration und Stimmentwickelung ge¬
bracht werden.
Ich will damit die Casuistik schliessen, obwohl mir noch weitere Fälle zur Ver¬
fügung ständen. Bemerken will ich nur noch, dass man bei Hochschwangeren mit
') Vcrgl. Corresp.-Blatt 1893, pag. 834. Red.
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654 —
einem D. B. von 19 cm, bei denen man bei der gewöhnlichen Lagerung nicht mit
einem Finger das Promontorium erreichte, durch Anziehen der Oberschenkel und
mässige Erhöhung des Oberkörpers das Promontorium mit Leichtigkeit fühlen kann.
Ja es gelang mir dasselbe bei hochschwangeren Personen mit einem D. B. von 20
und 21 cm, während ich durch die gleiche Lagerung zweier nicht schwangerer Personen
von 26 und 32 Jahren mit einem D. B. von je 19 und 20 cm bei der Indigation mit
einem Finger das Promontorium nicht erreichte.
Die Bedeutung der Thatsache, dass der gerade Durchmesser des Beckeneinganges
durch eine bestimmte Lagerung der Erweiterung fähig ist, ist ebenso klar wie wichtig.
Es kann so bei mässigen Beckenverengerungen das Eintreten des Kopfes in das Becken,
das Tiefertreten desselben, durch entsprechende Lagerung der betreffenden Gebärenden
erleichtert und ermöglicht werden. Dadurch sind wir manchmal des unangenehmen
und für Mutter und Kind gefahrvollen Eingriffes enthoben, die Zange bei hochstehen¬
dem Kopfe anlegen zu müssen; ja eine Zangenoperation wird in denjenigen Fällen, in
welchen die Verengerung hauptsächlich nur im Beckeneingang besteht, nachdem der
letztere vom Kopfe in Folge der angewandten Hängelage überwunden ist, gar nicht
mehr nöthig sein. Auch bei regelmässigem Becken kann das Eintreten eines zu grossen
Kopfes durch die TFoZcAer’sche Hängelage begünstigt werden. Ferner begegnet man
bei der Entwickelung des nachfolgenden Kopfes nicht selten, besonders bei verengten
Becken, Schwierigkeiten, welche die Geburt verzögern, wodurch das Kind in Lebens¬
gefahr kommt und nicht selten abstirbt. Auch da kann die Hängelage dem Kopfe
das Passiren des Promontoriums erleichtern und dadurch das Leben des Kindes er¬
halten bleiben. Natürlich soll jeweilen, wenn der Kopf in den untern Beckenräumen
sich befindet, dib Hängelage aufgehoben werden.
Hermann von Helmholtz.
Sollten im Laufe der Jahrhunderte alle die grossartigen Errungenschaften unserer
modernen Wissenschaft auf eine Einzige zusammenschrumpfen, und mit derselben ein
einziger Name der Nachwelt erhalten bleiben, so wäre dies zweifellos der Name mn
Helmholtz mit der Lehre der Erhaltung der Kraft. Von allen grundlegenden An¬
schauungen, welche auf die Erforschung der Naturvorgänge einen Einfluss ausgeübt
haben, hat keine so tief und so mächtig hingewirkt, wie gerade dieser von Helmholtz
formulirte Satz. Die Lehre von der Erhaltung der Energie hätte an sich allein genügt,
um ihrem Schöpfer eine der ersten Stellen unter den Gelehrten dieses Jahrhunderts zu
sichern. Auf diese Leistung hat sich aber Helmholtz nicht beschränkt. Einzig in
seiner Art in unserer Zeit der Specialisirung des Wissens und der Theiinng der Arbeit,
gleichzeitig Physiolog, Philosoph, Physiker und Mathematiker, ist er beinahe fünfzig Jahre
lang an der Spitze des wissenschaftlichen Fortschrittes vorangegangen, in jedem der von
ihm beherrschten Gebiete Vorzügliches leistend.
Als Sohn eines Gymnasiallehrers wurde Helmholtz am 31. Aiignst 1821 zu
Potsdam geboren. Während seiner Gyinnasialzeit hatte er schon Gelegenheit seine un¬
gewöhnliche mathematische Begabung an den Tag zu legen, so dass sein Mathematiklehrer
von ihm sagte „Hermann ist wahrhaftig der beste Schüler, den ich jemals gehabt habe*.
Aeusserer Umstände halber sah er sich gezwungen seine ursprüngliche Neigung zur
Physik aufzugeben und in das Studium der Mcdicin einzutreten. Zu diesem Behufe trat
er in das roilitärärztliche Friedrich-Wilhelm Institut in Berlin ein, wo er unter seinen'
Lehrern den damals auf der Höhe seines Ruhmes stehenden Johannes Müller fand. Die
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Lehren des grossen Reformators der Physiologie waren wie keine Anderen dazu angethan,
den jungen nach positivem Wissen strebenden Studenten zu begeistern und anzuregen.
Dieses Studium der Medioin, welches er zunächst eher als ein Unglück betrachtete, hat
er in späteren Zeiten als das für seine geistige Entwickelung grösste Glück angesehen.
„Nicht allein", sagt er, (das Denken in der Medicin, Vorträge II, S. 169) „dass ich in
einer Periode in die Medioin eintrat, wo Jemand, der in physikalischen Betrachtungs¬
weisen auch nur mässig bewandert war, einen fruchtbaren jungfräulichen Boden zur Be-
ackerung vorfand, sondern ich betrachte auch das medioinisohe Studium als diejenige
Schule, welche mir eindringlicher und überzeugender, als es irgend eine andere hätte
thun können, die ewigen Grundsätze aller wissenschaftlichen Arbeiten gepredigt hat,
Grundsätze, so einfach und doch immer wieder vergessen, so klar und doch immer wieder
mit täuschendem Schleier verhängt."
Nach bestandenem Doctorexamen (1842) wobei er eine für die Zeit epochemachende
Inauguraldissertation „de fabrica systematis nervosi evertebra-
1 0 r u m" einreichte, wandte er sich vorzüglich der Physiologie zu. Selbst als Stabsarzt
in Potsdam fuhr er fort weiter wissenschaftlich zu arbeiten, und in diese Periode fällt
mit der Gründung der physikalischen Gesellschaft, die er mit du Bois-Beymond, Brücke
und Kirchhoff ins Leben rief, die Publication seiner Abhandlung über die Erhaltung
der Kraft (1847). „Das endliche Ziel der theoretischen Naturwissenschaften", heisst
es in der Einleitung zu dieser Abhandlung,^) „ist also, die letzten unveränderlichen Ur¬
sachen der Vorgänge in der Natur aufznfinden. Ob nun wirklich alle Vorgänge auf
solche zurückzuführen seien, ob also die Natur vollständig begreiflich sein müsse, oder ob
es Veränderungen in ihr gebe, die sich dem Gesetze einer nothwendigen Causalität ent¬
ziehen, die also in das Gebiet einer Spontaneität, Freiheit, fallen, ist hier nicht der Ort
zu entscheiden; jedenfalls ist es klar, dass die Wissenschaft, deren Zweck es ist, die
Natur zu begreifen, von der Voraussetzung ihrer Begreiflichkeit ausgehen müsse, und
dieser Voraussetzung gemäss schliessen und untersuchen, bis sie vielleicht durch unwider¬
legliche Facta zur Anerkennung ihrer Schranken genöthigt sein sollte." Mit diesem Satze
hat HelmhoUz endgültig mit den fruchtlosen Speculationen und Deductionen der alten
Schule gebrochen, und die Naturforschung in die neue sichere Bahn des Experiments und
der Induction gebracht. Ausser seiner Theorie der Erhaltung der Kraft stammen aus
dieser Periode der HelmhoUz^Bchen Thätigkeit eine ganze Reihe höchst wichtiger
physiologischer Arbeiten; zunächst eine für das encyklopädische. Handwörterbuch der
medicinischen Wissenschaften «bestimmte Abhandlung über „die thierische Wärme",
in welcher zum ersten Male die Frage nach physikalischen Grundsätzen behandelt wurde.
In einer Arbeit über „Fäulniss und Gährung" brachte er den Nachweis, dass,
entgegen den Anschauungen von Liebig, Fäulniss und Gährung keineswegs freiwillig ein¬
tretende oder durch Mitwirkung des atmosphärischen Sauerstoffs hervorgerufene rein
chemische Zersetzungen seien, und dass namentlich die Weingährung an die Anwesenheit
der Hefepilze gebunden sei. Ferner stammen aus dieser Zeit eine Arbeit über „den
Sauerstoffverbrauch bei der Muskelaction" und eine zweite über
„die Wärmeontwickelung bei der Muskelaction."
Im Jahre 1848 wurde er als Brücke'*^ Nachfolger nach Königsberg zum Professor
der Physiologie und allgemeinen Pathologie ernannt. In die Zeit seiner Königsberger
Thätigkeit fallen die Untersuchungen über den „zeitlichen Verlauf der
Zuckungen animalischer Muskeln", und die „Fortpflanzungs¬
geschwindigkeit der Reizung in den Nerven". In Königsberg fing
er auch an sich mit der Physiologie des Gesichtssinnes zu beschäftigen, und seine erste
Abhandlung auf diesem Gebiete, welche hauptsächlich zur Popularisirung seines Namens
in ärztlichen Kreisen beigetragen hat, war die Beschreibung des von ihm erfundenen
') Wissenschaftliche Abhandlungen. Bd. I, S. 13.
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656
„Aagenspiegels" (1850). Die Geschichte dieser für die Ophthalmologie so un¬
gemein wichtigen Entdeckung erzählt Hehnholtz selbst folgendermassen: „Ich hatte
die Theorie des Augenleuchtens, die von Brücke herrührte, meinen Schülern auseinander¬
zusetzen. Brücke war hiebei eigentlich nur noch um eines Haares Breite von der Er¬
findung des Augenspiegels entfernt gewesen. Er hatte nur versäumt, sich die Frage zu
stellen, welchem optischen Bilde die aus dem leuchtenden Auge zurückkommenden Strahlen
angehorten. Für seinen damaligen Zweck war es nicht nöthig, diese Frage zu stellen.
Hätte er sie sich gestellt, so war er durchaus der Mann dazu, sie sich ebenso schnell zu
beantworten wie ich, und der Plan des Augenspiegels wäre gegeben gewesen. Ich wendete
das Problem etwas hin und her, um zu sehen, wie ich es am einfachsten meinen Zu¬
hörern würde vortragen können, und stiess dabei auf die bezeichnete Frage. Die Noth
der Augenärzte um die Zustände, die man damals unter dem Namen des schwarzen
Staares zusammenfasste, kannte ich sehr wohl aus meinen medicinischen Studien, und
machte mich sogleich daran, das Instrument aus Brillengläsern und Deckgläschen für
mikroskopische Objecte zusammenzustellen. Zunächst war es noch mühsam zu gebrauchen.
Ohne die gesicherte theoretische Ueberzeugung, dass es gehen müsste, hätte ich vielleicht
nicht ausgeharrt, aber nach etwa acht Tagen hatte ich die grosse Freude, der erste zu
sein, der eine lebende menschliche Netzhaut klar vor sich liegen sah." Auf die Publi-
cation des Augenspiegels folgte in ununterbrochener Reihenfolge eine grossartige Serie
von theils noch aus Königsberg, theils aus Bonn, theils aus Heidelberg stammenden Ar¬
beiten über Accommodation des Auges, über Farbenblindheit, über
Contrasterscheinungen im Auge, über die Bewegungen des
menschlichen Auges, über den Horopter, über das stereoscopische
Sehen, etc. und, als Krönung des Gebäudes, das Handbuch der physiolo¬
gischen Optik (1867), die Bibel des wissenschaftlichen Augenarztes. In diesem
Werke tritt HelnihoUz in seiner ganzen Grösse hervor. Eine strenge mathematische
Logik, verbunden mit einem scharfen und glücklichen experimentellen Sinn, haben es dem
Verfasser ermöglicht, selbst die schwierigsten Probleme zu lösen und in klarer fasslicher
Weise darzustellen. „Die physiologische Optik,^ sagte mir einst ein bekannter Physiologe,
„ist das grossartigste physiologische Werk, was jemals geschrieben worden ist.^
In Heidelberg, wohin Helmholtz 1858 berufen wurde, beschäftigte er sich haupt¬
sächlich mit akustischen Problemen. Seine bekanntesten Arbeiten aus jener Zeit sind
die Versuche über Combinationstöne, über die Theofie der Luft-
schwingnngen in Röhren mit offenen Enden, über die Theorie
der Zungenpfeifen, die Arbeiten über die Vocale, die Klang¬
farben, etc. In der 1862 erschienenen „Lehre von den Tonempfindungen“
stellte Helmholtz die Ergebnisse seiner Vorarbeiten zusammen. In diesem Buch ist
die Theorie der Musik in solcher Weise bearbeitet, dass die darin enthaltenen Lehren
bis zum heutigen Tage so zu sagen unverändert geblieben sind.
Mit dem Jahre 1871 sah Helmholtz seinen Jugendtraum in Erfüllung gerathen.
Als Physiologe hatte er immer eine Vorliebe für die exacten physikalischen Erscheinungen
in den Lebensvorgängen gezeigt. Nach dem Tode von Magnus wurde er als Professor
der Physik nach Berlin berufen. Von nun an widmete er seine Arbeitskraft ausschliess¬
lich der Lösung physikalischer Probleme; ganz besonders sind es die hydro- und electro-
dynamischen Erscheinungen, welche sein Interesse fesselten. Aber selbst in seiner neuen
Stellung ist er der Medicin nicht untreu geworden; mit Freude verfolgte er die Fort¬
schritte dieser modernen Medicin, an deren Gründung er mitgeholfen hatte, und anstatt
wie mancher Theoretiker, auf die biologische Wissenschaft mit Verachtung herabzublicken,
hat er stets die Bedeutung der Medicin für die Entwickelung der naturwissenschaftlichen
Forschung anerkannt und betont: „Die Aerzte sind berufen, in diesem Werke der wahren
Aufklärung eine hervorragende Rolle zu spielen. Unter den Ständen, welche ihre Eennt-
niss der Natur gegenüber fortdauernd handelnd bewähren müssen, sind sie diejenigen,
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welche mit der besten geistigen Vorbereitung herantreten und mit den mannigfachsten
Gebieten der Naturerscheinungen bekannt werden,** (Das Denken in der Medicin. Vor¬
träge und Reden. Bd. II. S. 190.)
Im Jahre 1888 wurde er als Direotor der neu begründeten physikalisch-technischen
Reichsanstalt nach Charlottenburg berufen, wo er noch in vollem Besitz seiner Leistungs¬
fähigkeit von einem apoploctischen Anfall getroffen wurde, welchem er am 8. September
1894 erlegen ist.
Wir können diese Notiz nicht besser schliessen, als mit einer Wiederholung der
Worte, mit welchen der Verstorbene in seiner Rede zum Gedächtniss an Gustav Magnus^
die wissenschaftlichen Verdienste seines Lehrers und Vorgängers zusammengefasst hat
„Ueberall, wo er angegriffen hat, hat er eine Fülle neuer und oft überraschender That-
sachen hervorgeholt, er hat sie sorgfältig und zuverlässig beobachtet und in den Zu¬
sammenhang des grossen Baues der Wissenschaft eingefügt. Er hat ferner als einen für
die Wissenschaft ebenso werthvollen Schatz eine grosse Zahl sinnreich erfandener und
fein ausgebildeter neuer Methoden hinterlassen, als Instrumente, mit denen auch künftige
Generationen fortfahren werden, verborgene Adern edlen Metalls ewiger Gesetze in dem
scheinbar wüsten und wilden Spiele des Zufalls aufzudecken. Sein Name wird immer
mit in erster Linie zu nennen sein, wenn die genannt werden, auf deren Arbeit der
stolze Bau der Wissenschaft von der Natur beruht, dieser Wissenschaft, welche das Leben
der modernen Menschheit so eingreifend umgestaltet hat, sowohl durch ihren geistigen
Einfluss, wie durch die Unterwerfung der Naturkräfte unter die Zwecke des Geistes.“
Jaquet.
'VereiÄSberichte.
Med^inisch-pharmaceutischer Bezirksverein Bern.
111. SilKHr, 12. Juli 1894, Abends 8 Uhr, in CaK dn Poni.*)
Präsident: Dr. DumonL — Actuar a. v.: Dr. Arnd,
Anwesend 17 Mitglieder.
1) Das Protokoll wird verlesen und genehmigt.
2) Dr. Zimmermanny Prosector der Anatomie wird von dom Präsidium als Mitglied
des Vereines begrüsst.
3) Prof. Strassen lieber Blrelftingf oid Befrochtoigf. (Erscheint im Original.)
Discussion: Herr Prof. Kronecker. Es ist nachgewiesen worden, dass in
Muskeln eine Thätigkeit stattfinden kann, ohne dass eine Bewegung wahrnehmbar sei.
Die dabei vor sich gehende Wärmeentwicklung und Stoffumsetzung kann bedeutenden
Arbeitsäquivalenten entsprechen. Der Muskel kann dabei in einen festen Zustand ge-
rathen, der dem des ermüdeten gleicht, ohne Arbeit geleistet zu haben. So kommt man
zu dem Paradoxen, dass der Muskel in den Tod übergeht durch Thätigkeit. Eine
analoge Erscheinung, wie diese Thätigkeit hat man bei den Vorgängen der Teilung
und Bewegung der Kerne, deren Ursachen nicht wahrnehmbar sind. Es können da,
wie bei den Muskeln, verschiedene Substanzen auf einander einwirken, die nicht zu
unterscheiden sind.
Prof. Sahli bittet um die Fortsetzung der Besprechilng dieses Themas durch den
Vortragenden.
4) Prof. Valentin frägt nach dem gegenwärtigen Stand der Blatternepidemle, die
wieder im Zunehmen begriffen sein soll.
Dr. Dutoit gibt die gewünschte Auskunft. Es seien seit dem 7. Mai noch 5 Fälle
von Blattern aufgetreten, dereu letzter jetzt im Lazareth sei, das überhaupt noch 5 Kranke
beherbergt.
Eingegangen 25. August 1894. Red.
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Dr. Conrad bittet das Präsidium, zu yeranlassen, dass ein bereits angekündigt ge¬
wesener Vortrag über die Blattemepidemie gehalten werde, damit diese Frage der Ver¬
breitung der Blattern besprochen werden könne.
IV. 8itziii|[f, DieisUf dei 26. Joil 1894, in CaK do Poat*)
Präsident: Dr. Dummt. — Actuar a. v.: Dr. Ämd.
Anwesend 25 Mitglieder.
1) Prof, von Speyr. Zwei psyeUatrisehe Gataehtea. * Der Vortragende • legt dem
Verein das Gutachten vor, das er im vorigen Herbste mit Herrn Dr. Bramhli über einen
Eduard Schärer von Thörigen abgegeben hat. Schärer hat einen Landjäger erschossen,
als dieser in seinem Hause Ordnung schaffen wollte. Das Gutachten, das in der Zeit¬
schrift für Schweizer Strafrecht veröffentlicht werden soll, kommt zu den Schlüssen, dass
Sch. in Folge erblicher Belastung, bösen Beispieles und schlechter Erziehung der Trunk¬
sucht verfallen sei und an chronischem Alkoholismus leide und dass er den Landjäger
in einem Zustand von vorübergehender krankhafter Verwirrung (sogenanntem pathologischem
Rausch) erschossen habe. — Der Vortragende vergleicht den Fall kurz mit 2 gleich¬
zeitigen Gegenstücken: 2 ebenfalls belastete und entartete Männer haben im Rausche
und im Zorne * ähnliche, freilich weniger folgenschwere Handlungen begangen, doch ist
bei ihnen keine weitere Geistesstörung anzunehmen. Es fehlt auch die Amnesie, und in
einem Falle ist deutlicher Vorbedacht da. — Er macht unter anderem auch noch einige
Bemerkungen über die practischen Folgen des Gutachtens. Der Thäter, von der An¬
klagekammer ausser Verfolgung gesetzt, ist zwar noch in der Waldau, aber seine Heimat¬
gemeinde, die jetzt für ihn bezahlen muss, hat bereits mehrere Versuche gemacht, seine
Freilassung oder seine Versetzung in eine Armenanstalt oder in eine Arbcitsanstalt zu
erlangen, die nicht an grundsätzlichen Hindernissen gescheitert sind.
2) Herr Apotheker Siuder zeigt an, dass die neie Pkarnac^pse mit dem 1. Juli
im Canton Bern in Kraft trete.
Referate und !Rritilcen.
Chirurgie der Leber und Gallenblase.
Von Langmhmh. Deutsche Chirurgie, Lieferung 45, 1. Hälfte.
In der vorliegenden ersten Hälfte der Langenhnch^Qheo Arbeit werden nur drei
Capitel der Leber- und Gallenblasenerkrankungen abgehandelt; es sind das der Echino¬
coccus, der Leberabscess und der subphrenische Abscess. Den interessantesten Theil seiner
Aufgabe — die Gallenblasenerkrankungen und die Lebergeschwülste hat sich L, für den
2. Band aufgespart.
Als Einleitung in die 1. Hälfte gibt Verf. eine anatomisch-physiologische Einleitung.
Den Haupttheil des Ganzen (175 Seiten) nimmt die Besprechung der Echinococcen-Krank-
heit ein. Hier hält sich Verf. durchaus nicht streng nur an den Echinococcus der Leber
allein, sondern gibt uns einen ausführlichen Abriss der ganzen Pathogenese der Affection.
Das ist durchaus angezeigt wie mir scheint, da ja gerade nach L. Statistik über das
Vorkommen des Echinococcus in den verschiedenen Organen die Leber mit 47®/o oben¬
ansteht. Wir bemerken, dass dieses sehr sorgfältig und erschöpfend behandelte Capitel
vor 3 Jahren vom Verf. als Monographie unter dem Titel „Der Leberechinococcus und
seine Chirurgie“ herausgegeben wurde.
Der 2. Abschnitt umfasst den Leberabscess. Wir constatiren mit Vergnügen, dass
in den letzten Jahren eine Reihe von deutschen Arbeiten hinzugekommen sind, die
Wichtiges für die Erkenntniss dieser zum Theil noch wenig aufgeklärten Krankheit ge-
*) Eingegangeu 25. August 1894. Red.
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leistet haben; dass die englische und französische Literatur noch sehr praavalirt (bes. in
der reinen Casuistik) ist klar, denn die Mehrzahl der Leberabscesse sind doch die sogen,
tropischen Abscesse.
Sehr kurz — mir scheint gegenüber den ersten 2 Capiteln mit je 170 Seiten
zu kurz — ist der letzte Abschnitt über den subphrenischen Abscess abgethan, näm¬
lich auf 13 Seiten. Das Missverhältniss scheint nur gross, weil gerade in neuerer
Zeit die Literatur und die Praxis dieser Affection eine grössere Aufmerksamkeit ge¬
schenkt hat. —
Im Ganzen ist die Arbeit gut geschrieben und liest sich trotz manchen unnöthigen
Längen leicht. Garri (Tübingen.)
I. Elektrotropismus und verwandte Erscheinungen.
Von Dr. phil. Eugen Blasius und Dr. med. Früz Schweizer. Separat-Abdruck aus dem
Archiv für die gesammte Physiologie, Band LIII.
Auf Grund einer Reihe, nach eigener, glücklich gewählter Methode an zahlreichen
Kalt- (Fischen, Amphibien etc.) aber auch Warmblütern (Ratten, Mäusen) ausgeführten
Untersuchungen haben Blasius und Sclmeizer nicht nur einen Beitrag, sondern eine be¬
deutende Bereicherung unserer Kenntnisse des Elektrotropismus geliefert: eine Eigenschaft,
welche bekanntermassen manchen im Wasser lebenden Thieren zukommt, durch den con-
stanten Strom in ihrer Körperstellung und der Richtung ihrer Bewegungen sich beein¬
flussen zu lassen und die von Hermann früher beschrieben worden war. Betreffs Ycrsuchsan-
ordnung sei auf das Original verwiesen und hier bemerkt, dass durch Anschluss an die
Leitung des constanten Stromes der Berliner Electricitätswerke zu Beleuchtungszwecken
Verfasser über einen Strom von 108 Volt Spannung verfugten. Aus dieser sehr objectiv
und in Bezug auf Schlussfolgerungen sehr nüchtern geschriebenen Arbeit geht die That-
sache hervor, dass bei allen untersuchten Thieren, die in Bezug auf Körperstellung und
Erregbarkeit des Nervensystems beobachteten Wirkungen des constanten Stromes (auf- und
absteigender Strom) in jedem Falle scharf characterisirt auftreten und einander geradezu
entgegengesetzt sind. Ebenso sicher wurde bewiesen, dass die betreffenden Zustände nicht
positiven und negativen Schwankungen der Stromdichte bei Schliessung und Oeffnung der
Kette ihre Entstehung verdanken, sondern durch den ruhig fliessenden Strom allein be¬
dingt werden.
Abgesehen von anderen verwandten Erscheinungen waren es die krampferregenden
und krampfstillenden Wirkungen des galvanischen Stromes, welche die Aufmerksamkeit
der Verfasser fesselten und man darf sagen, dass die auf diese vervollständigenden Ver¬
suche angewandte Mühe reichlich belohnt wurde. Durch Abkühlung, Vergiftung, Köpfung
der Thiere wurde die Thätigkeit von Hirn und Rückenmark erregt oder herabgesetzt
oder endlich ganz ausgeschaltet und unter diesen verschiedenen Verhältnissen eine neue
Reihe von Versuchen angestellt. Auch hier Hessen sich bestimmte, mit den früheren
Annahmen in Bezug auf die Wirkung des galvanischen Stromes vielfach übereinstimmende
Ergebnisse erzielen. Wenn wohl vorausgesetzt werden konnte, dass die Electrotberapie
den auf den Meinungsaustausch in Frankfurt als erste Ursache zurückzuführenden An¬
sturm überstehen werde und welcher für sie die Bedeutung eines Läuterungsprocesses
gehabt haben dürfte, so ist es eine erfreuliche Thatsache zu constatiren, dass in letzterer
Zeit zu wiederholten Malen Grundgesetze, an denen in dieser Periode der Aufregung ge¬
rüttelt worden war, volle Bestätigung von Neuem erlangen. So wird durch die Arbeit
B. und N., welche ohne jede Voreiogenommenheit und besonders nicht zum Zweck einer
Vertheidigung electrotherapeutischer Regeln unternommen worden war, meistens älteren
Erfahrungen auf experimentellem Wege Geltung verschafft. Bei dieser Gelegenheit muss
wiederum betont werden, dass ältere Beobachtungen nicht so einfach über Bord zu werfen
sind, eine schon wiederholt leider erfolglos gegeisselte Tendenz, welche auch Balf IFm-
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mann seiner vortrefflichen kritischen Besprechung der Heilwirkungen der Electricitat das
Motto vorauszuschicken veranlasste:
' „We think our fathers fools, so wise we grow,
Our wises sons, I hope, will think not so."
II. Taschenbuch der Elekirodiagnostik und Elektrotherapie.
Mit 60 Abbildungen und 1 Tafel. Von Dr. Conrad AU^ ehemaliger I. Assistenz-Arzt
der königlichen Nervenklinik und Dr. Kr, E, F. Schmidt^ Privatdocent fflr Physik an
der Universität Halle. Verlag von Wilhelm Knapp, Halle a./S. 1893.
III. La Pratique des Maladies de Systeme nerveux dans les Höpitaux de Paris.
Par Paul Leferi, Paris, Bailliere et Als, Editeurs, 1894. 274 pag.
Wer die besondere, nicht Jedermann verliehene Gabe besitzt, in nutzbringender
Weise ein Compendium gebrauchen zu können, wird das Taschenbuch von AU und Schmidt
gerne begrüssen. Dasselbe erscheint in einer Zeit, wo sowohl ältere Lehrbücher der
Electrotherapie in neuer Auflage, und als neuere Werke in auffallend grosser Anzahl
aufeinander folgen und bietet, dank der klaren und angenehmen Bearbeitung des Stoffes,
was sich sowohl auf den medicinischen als auf den physicalischen Theil bezieht, eine
übersichtliche Zusammenstellung der Grundgesetze der medicinischen Electricitat. Die
Zeichnungen sind ebenfalls recht gut ausgeführt, besonders ist das die Zusammensetzung
der grossen stationären Apparate erläuternde Schema als gelungen hervorzuheben.
Anders verhält es sich mit der „Pratique des maladies nerveuses", die meiner An¬
sicht nach keinen grossen practischen Werth beanspruchen darf, denn eine ziemlich will¬
kürliche Zusammenstellung alP der Mittel, welche die Spitalärzte in Paris bei Nervenkrank¬
heiten anzuwenden pflegen, wird dem Practiker die Wahl einer, den Eigenthümlich-
keiten jedes einzelnen Falles anzupassenden Therapie nicht erleichtern, den Anfänger da¬
gegen nur verwirren. Dazu werden theilweise recht wunderliche Mittel empfohlen, so
bei cerebraler Anaemie Morphiumeinspritzungen (längere Zeit hindurch), bei Angina pectoris
„distraire le pneumo-gastrique avec des bonbons, des pastilles, des biseuits", was den An¬
schein hat, als wolle man den aufgeregten Vagus, wie ein verwöhntes Kind, mit Nasch¬
werk um den Finger zu kriegen suchen.
Basel. Perregaux.
Bibliothek der gesammten medicinischen Wissenschaften für practische Aerzte und
Specialärzte.
Herausgegeben von Hofrath Prof. Dr. A. Brasche in Wien. Wien und Leipzig, Max
Merlin 1893. Lieferung 13 bis 24.
Der Vortheil der Darstellung von grösseren Gebieten im Zusammenhang zeigt sich
auch in diesen Lieferungen, welche eine Reihe guter Monographien bieten z. B. über
Croup und Diphtherie, Curen, Cyanose, Dementia, Diabetes, Eingeweidewürmer, Electro-
diagnostik und Electrotherapie, Endocarditis, Embolie, Enterostenosis, Epilepsie etc. Die
Hefte für Pharmacologie und Toxicologie sind förmliche Lehrbücher. Seitz,
GrundzUge der Gynmcologie.
Von Prof. Kästner^ Dorpat. 370 Seiten, 3 chromolith. Tafeln und 117 Abbildungen.
Verlag von G. Fischer, Jena 1893.
Es ist vom Referenten schon früher darauf aufmerksam gemacht worden, dass die
an und für sich ausgezeichneten Lehrbücher von Winkel, Schrcßder^ Friisch, Zweifel
und Fehling für unsere studirende Jugend zu voluminös sind. Was über 500 Seiten
hinaus geht, ist des Guten zu viel. Daher ist das Erscheinen dieser Grundzüge zu be¬
grüssen und obwohl der Verfasser selbst betont, dass das Buch die Entstehung einem
Wunsche seiner näher stehenden Schüler verdankt, so entspricht dasselbe einem Bedürf¬
nisse, das über die örtlichen Grenzen der Lehrthätigkeit des Verfassers hinausgeht.
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Der Studirende findet in dem Leitfaden alles positiv Wissenswerthe der gynsecolo-
gischen Wissenschaft; er wird nicht geplagt mit grossen Literaturangaben und langen
Controversen. In der üblichen Anordnung des Stoffes wurde etwas abgewichen. In den
Text sind, wenn es dem Autor wünschenswerth schien, kurze Krankenberichte eingeflochten.
Dadurch kann das Buch vom didactischen Standpunkt aus nur gewinnen.
Das Buch kann den Studirenden empfohlen werden, auch denjenigen Aerzten, die
alle Disciplinen der Medicin in ungefähr gleichem Umfange betreiben. Debrunner.
Der venerische Caiarrh, dessen Pathologie und Therapie.
Von Prof. Dr. Ed. Lang, Wien. 11. Theiles 2. Hälfte der „Vorlesungen über Pathologie
und Therapie der Syphilis". Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1893. ca. 170 Seiten.
Alles Wissenswerthe wird in angenehmer Form in 12 Vorlesungen vom Autor
erschöpfend behandelt. Gut ausgeführto Abbildungen begleiten und beleben den Text.
Die ersten drei Vorlesungen haben als Inhalt die Geschichte des venerischen Catarrhs,
die Aetiologie (Gonococcus Neisser) und die preedisponireuden anatomischen Verhältnisse
der Geschlechtsorgane. In der 4.—8. Vorlesung werden die Pathologie des venerischen
Catarrhs der männlichen Urethra, der venerische Catarrh beim Weibe, sowie die Be¬
gleiterscheinungen des venerischen Catarrhs, die extragenitale Infection, der venerische
Catarrh im Kindesalter (Ophthalmo-Blennorrhoe, Stomatitis) und die venerischen Papillome
abgowickolt. Den Schluss des Buches bilden die Therapie der Gonorrhoe beim Manne
und des venerischen Catarrhs beim Weibe. Debrunner.
Erstlinge.
Gedichte von Otto Lanz. Schmid, Francke & Co., Bern 1894. 278 S.
Otto Lanz
Nicht deckt mit Staub das Wissen dich, denn hier
Lacht dein Gemüth hervor mit warmem Glanz! —r
Bloc-noies medical.
Par P. Brandt^ pharmacien-chimiste. Georg et Cie., editeurs, Genöve. Preis 40 Cts.,
50 Expl. 15 Fr., 100 Expl. 25 Fr.
M. Brandig phamacien k Gen5ve, vient de publier un Bloc-notes qui m6rite d’attirer
Fattention des medecins. Cet ouvrage tr5s-pratiqne se compose de deux parties.
Dans la premiere, M. Brandt a group6 en tableaux les indications numeriques les
plus importantes pour la prescription, table de solubilite, doses maximales, eanx minerales,
etc. Une liste soignee des medicaments nouveanx avec leur action, leur mode d'emploi
et leurs doses fait suite k ces tables. C’est un petit compendium de pharmacologie que
le m6decin peut consulter facilement k tout instant et qui sert k combler les lacunes si
frequentes dans les Souvenirs surtout en mati5re de chiffres.
La seconde partie est un registre k souches de 50 feuilles pour les prescriptions.
Le duplicata peut en etre inscrit snr Ponglet de mdme que les notes prises sur le
malade.
Quand nous aurons ajoute que Panalyse des urines est indiquee d’une manidre
pratique autant que 86rieusement scientifique, que les methodes usuelles pour la coloration
des bacteries, la liste des poisons et des contrepoisons se trouvent aussi dans le Bloc-notes,
chacun comprendra Putilite de cette publication. Grande commoditö pour la prescription,
facilite de renseignements sur des donnees tr^s-utiles au medecin, voilä les avantages
principaux de Fouvrage de M. Brandt, On peut ajouter que, malgre tout ce quMl renferme,
son format et son volume le rendent tr^s-portatiL D.
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W oohenbei^iolii.
Schweiz.
— Die XLVlll. \eTB%mm\mng des Irztllchei Centralvereins findet Samstag den
3. November in Olten statt. Programm gelangt nächstens zur Versendung.
— SaBAtorien für ■nbemlttelle Lie|[fenknieke. Die Frage der Fürsorge für die
armen Phthisiker ist endlich aus der Periode der Vorarbeiten herausgetreten und schreitet
rasch ihrer Verwirklichung entgegen. Die Berner sind in dieser edlen Bewegung den
anderen Cantonen vorangegangen, und vor einigen Wochen (14. August) fand bereits die
Grundsteinlegung der bernischen Heilstätte für Tuberculöse in Schwendi bei Thun statt.
Im Jahre 1891 wurde durch Herrn Dr. Glaser in Münchenbuchsee die cantonale öko¬
nomische gemeinnützige Gesellschaft aufgefordert, die Initiative zur Gründung eines Asyls
für arme Lungenkranke zu ergreifen, als bleibendes Denkmal der Gründungsfeier der
Stadt Born und der Eidgenossenschaft. Von der medicinisch-chirurgischen Gesellschaft
und vom Ausschuss für kirchliche Liebesthätigkeit warm unterstützt, ging dieser Vor¬
schlag bald seiner Verwirklichung entgegen. Durch Gaben und ^henkungen, sowie
durch Unterzeichnung von Antheilscheinen durch Private, Korporationen und Vereine,
wurden die zu diesem Unternehmen nöthigen Mittel zusammengebracht, und die Errichtung
einer Anstalt für 40—50 Kranke beschlossen. Eine 9gliedrige Commission unter dem
Vorsitz von Dr. Schwab in Bern wurde mit den Vorarbeiten beauftragt, welche mit
solcher Energie geführt wurden, dass letztes Frühjahr bereits mit dem Bau begonnen
werden konnte. Wir gratuliren den Bernern zu diesem glänzenden Erfolg, und rufen in
alle Gauen unseres Vaterlandes ein kräftiges vivat sequens I
— BIsenbler. Dass in der Verabreichung von Eisen gegen die Chlorose das Ideal
noch nicht gefunden ist, dafür sprechen die immer neu auftauchenden Eisenpräparate.
Originell aber, meines Wissens wenigstens, ist die Darreichung von Eisen mit Bier. Stellt
nun das Bier schon an und für sich ein nicht zu unterschätzendes Nahrungsmittel dar in Folge
seines Gehaltes an Dextrin und Zucker und wird desswegen zur Hebung von Schwäche-
ziiständen vielfach verordnet, zumal als Stout, so war es nur eine Frage der Technik,
diesem Roborans durch Zusatz von Eisen noch mehr Werth zu verleihen. Herrn Rinck
in Lyon ist es nun gelungen, dem Bier trotz Zusatz von Eisenoxyd die klare gelb-braune
Farbe zu belassen, ohne den Säuregehalt zu vermehren. Einer mir vorliegenden Analyse
der Untersuchungsstation für das schweizerische Brauergewerbe in Zürich entnehme ich
einen Extractgehalt nach Balling von 14,2^/o, Maltosegehalt l,79^/o, Milchsäuregehalt von
0,15^/o (Deutschland gestattet für Exportbiere 0,166^/o) und Eisengehalt von 0,038 per
Liter. Trotzdem das Bier 5 Wochen im Keller liegt, zeigt sich kein Säuregeschmack
und ist die Farbe bis auf den letzten Tropfen klar. Der angenehme Malzgoüt verdeckt
einen vom verwöhntesten Gaumen kaum zu entdeckenden adstringirenden Geschmack nach
Eisen. Da das Eisen in dieser Form den grossen Vortheil besitzt, „angenehm" ein¬
genommen werden zu können, so zweifle ich nicht, dass diese Erfindung bald beliebt sein
dürfte. Für die deutsche Schweiz wurde das Depot Herru Hediger, brasserie du Port in
Biel übertragen. Dr. Brandenberg,
Au s I and.
— Am ersteo franzSsiseheD Con|[fres8 für iaaere Hedlda (25.-29. October in
Lyon) werden folgende Gegenstände zur Discussion gelangen:
1) Aetiologie und Pathologie des Diabetes. Referenten: Dr. Laucereaux^ Paris und
Prof. Lipine^ Lyon.
2) Ueber den klinischen Werth des Magenchemismus (Prof. Rayem^ Paris und
Prof. Bmrgei,^ Lausanne).
3) Ueber Aphasie (Prof. Berrüidm,^ Nancy und Prof. Pitres^ Bordeaux).
— AnerkenaaBi^ fBr Sir Joseph Lisier. An den Herausgeber des Correspon-
denz-Blattes für Schweizer-Aerzte. P. P. Da Sir Joseph Lister sich
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nun definitiv von seiner Hospital- und Lehrthätigkeit zurückgezogen hat, dürfte der Zeit¬
punkt für eine anerkennende Ovation Seitens seiner früheren Collegen und Schüler ge¬
eignet sein. Ea haben sich daher Comite’s gebildet in Glasgow, Edinburgh und London,
um die dazu nothigen Fonds aufzubringen. Es besteht die Absicht, dem zu Feiernden
ein Ehrengeschenk in Gestalt eines Portraits zu offeriren.
Subsoriptionen sind auf zwei „Guineas^ (52 Fr.) festgesetzt, und man hofft, ge¬
nügende Fonds aufzutreibeu, um jedem Subscribenten dieses Betrages ein Andenken an
die Gelegenheit zutheilen zu können. Da wahrscheinlich in der Schweiz viele Aerzte,
deren Namen und genaue Adressen uns schwer erhältlich sind, gerne an dem schönen
Werke theilnehmen, bemerke ich Ihnen ergebenst, dass Subscriptionen von mir, 29 Wey-
mouth Street, Portland Place London W. in Empfang genommen werden, — oder von
irgend einem der folgenden Herren, die sich dazu erboten haben, als Schatzmeister zu
fungiren: Dr. James Finlayson, 2 Woodside Place Glasgow; Professor Chiene^ 26 Char¬
lotte Square, Edinburgh; Professor William Bose, 17 Harley Street, London W.
Gestatten Sie mir den Ausdruck meiner tiefsten Hochachtung
26. Sept. 1894. Ihr ergebener
Dr. med. B, W. Silk, Honr. Secretary, Lister testimonial fund.
— Crematian. Auf dem internationalen Hygieinecongress in Budapest wurde fol¬
gende Resolution einstimmig angenommen: Die gefahrloseste und bei grösserm Betriebe
billigste Bestattungsmethode ist die Feuerbestattung; sie ist eine Entlastung guter Fried¬
höfe, das beste Auskunftsmittel, wenn gute Friedhöfe fehlen. Sie ist zu Zeiten von
Epidemien von grosser Bedeutung für das Yolkswohl. Die Regierungen sind desshalb
zu ersuchen, die facultative Feuerbestattung gesetzlich zu gestatten und hiemit eine vor¬
treffliche Prophylaxe gegen Epidemien zu schaffeu. (Dtsch. Med. Ztg. 75, 1894.)
— Behandlnn|[f der Ozme. Man lässt zunächst mit Hülfe eines Zerstäubungs-
apparates durch beide Nasengänge folgende Lösung inhaliren: Glycerin 70,0, Borax 20,0,
Aq. dest. 30,0. Sind die Borken genügend erweicht, so entfernt man dieselben mit einer
Pincette, und lässt wiederum mit der Bor-Glycerinlösung inhaliren. Die Inhalationen
müssen zwei bis dreimal täglich wiederholt werden. Nach einigen Tagen verschwindet
der üble Geruch. (Presse medic. 29. IX.)
— Behaadlonig des ehrenisekei Gelenkrkeimatisiios. Eine specifische Behand¬
lung dieser Affection kennen wir zur Zeit noch nicht. Mit Hülfe von Palliativmitteln
kann man aber in vielen Fällen erhebliche und dauernde Besserungen erzielen. Nach
Letulle bildet zunächst Ruhe und vor allem Bettruhe zur Yermeidung jeder Anstrengung
und aller schroffen Tepiperaturwechsel die erste Forderung einer rationellen Behandlung.
Local empfiehlt er wiederholte und ausgiebige Anwendung des Glüheisens, in Form
von „pointes de feu"; dadurch wird der Schmerz gelindert und die Wiederkehr der Be¬
weglichkeit begünstigt. Ferner sollen täglich vorsichtige gymnastische Hebungen der Ge¬
lenke bei Yermeidung jeder Gewalt vorgenommen werden. Schwefelbäder altemirend mit
gewöhnlichen oder Schwefeldouchen können, wenn methodisch angewendet, von grossem
Nutzen sein. Alle zwei Tage bekommt der Kranke ein Bad von zehn Minuten oder eine
Douche von fünf bis zehn Secuuden, nach welcher Procedur er einige Zeit im Bett liegen
soll bis nach Ablauf der Reaction. Innerlich gibt man Jodkali in Dosen von 0,5 bis
2,0 pro die. Die Jodkalibehandlung soll mehrere Monate hindurch fortgesetzt werden.
(Presse medic. 29. IX.)
— Heber die NaekvirkiD|[f laii|[fdaoernder AetkerinkalatioDen. Bei der Beur-
theilung der mit der Chloroformanästhesie verbundenen Gefahren, hat man gewöhnlich
nur die während oder unmittelbar nach der Narkose vorgekommenen Hnglücksfälle be¬
rücksichtigt. Yerschiodene Autoren haben allerdings schon vor längerer Zeit an Thieren
die Beobachtung gemacht, dass eine langdauernde Ohloroformirung erhebliche Alterationen
der Gewebe, besonders fettige Degeneration der Herzmusculatur, zur Folge haben kann.
In neuester Zeit sind von Frankel einige Fälle veröffentlicht worden (^Yirchow^a Archiv
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127 u. 129), welche längere Zeit nach einer langdauernden Ohloroformnarcose zu Grande
gegangen waren, und bei welchen die anatomische Untersuchung deutliche und zum Theil
schwere Veränderungen lebenswichtiger Organe ergab, die nach dem Dafürhalten des
Autors auf die Cbloroforminhalationen zaruckgeführt werden mussten. Selbach untersuchte
nun, wie sich der Aether in dieser Beziehung verhält, ln einer Reihe von Versuchen
wurden Hunde, Kaninchen und Katzen langdauernden und wiederholten Aetherinhalationen
ausgesetzt und entweder in der Narcose oder einige Zeit nachher getödtet. In keinem
Falle konnten erhebliche Gewebsveränderungen nacbgewiesen werden, die auf die Aether-
einWirkung hätten zurückgeführt werden können, so dass Selbach aus seinen Versuchen
den Schluss zieht, dass fettige Entartung der Gewebe durch Aeiheraufnahme, wenn sie
überhaupt vorkommt, nicht bedeutend sein kann, so dass die Gefahr einer tödtliehen
Nachwirkung in Folge von langdauernden Aetherinhalationen ebenfalls geringer ist, als
die, welche für länger dauernde Chloroforminhalationen angenommen werden muss.
(Arch. für exper. Path. u. Pharm. 34. 1.)
— Hedieinisehe Aphorismen von Prof. J. de Letamendi aus Madrid, übersetzt
von Dr. Kallmeyer, Petersb. med. Wochenschr. Nr. 31. (Schluss.)
11) ln der Klinik ist es so, wie in Allem, was aus der Erfahrung stammt: wenn
die Dinge am wenigsten klar geworden und die Complicationen am grössten sind — dann
ist man am nächsten daran, klar zu sehen und einfach einzuschreiten.
12) Nur ein einziges Mittel, — das ist das Ideal der Behandlung, die grösste
Zahl von allen nur möglichen Vorsichtsmassregeln — dasjenige der Diät.
13) Die ganze Welt ist nur eine grosse Apotheke; die Schwierigkeit besteht darin,
für jede Erscheinung ihre therapeutische Indication zu finden. Ebenso ist derjenige Arzt
der nützlichste, welcher am meisten practische Kenntnisse besitzt und welcher es versteht,
im gegebenen Falle zu ebenso wirksamen als unerwarteten Mitteln seine Zufiucht zu
nehmen.
14) Die ganze Kunst der Therapie besteht darin: einerseits der lebendigen Natur
nachzuabmen und andrerseits den Einfluss oosmischer Factoren der vitalen Function an¬
zupassen.
15) Viele chronische Affectionen und selbst die allerschwersten, heilen in der Art,
wie ein durch Verschwendung eingeschmolzenes Vermögen sich wieder ansammelt; d. h.
durch einen strengen Haushalt. Am häufigsten genügt eine weise und gut geleitete
Hygiene um dort zu heilen, wo die stärksten Mittel nicht helfen konnten.
16) Eine Wohnung nach der Sonnenseite, Reinlichkeit der Haut, dreissig Gramm
Ricinusöl im Schrank, das sind die Cardinalbedingungen einer guten Hygiene des Kin¬
desalters.
17) Kinder sind wie Volker: sie klagen immer mit Recht, selbst dann, wenn sie
nicht wissen, wesshalb sie klagen.
Briefe von Theodor Billroth.
Dr. Qew^g Fiacher, Oberarzt am Stadtkrankenhause zu Hannover (WarmbQchenstrasse 22h
bereitet mit Einwilligung von Frau Hofrath Billroth in Wien eine Veröffentlichung der Briefe des grossen
Chirurgen Theodor BiUroth vor und bittet darum, ihm Briefe des Verstorbenen für kurze Zeit gütlgst
zur Einsicht zuschicken zu wollen.
Brieflcasteia«
Dr. H. in W.: Sie haben Recht: Der Versainmlangstag in Olten sollte früher — möglichst
früh — bekannt gegeben werden. Es soll in Zukunft geschehen. — Dr. S, in B.: Ihre entnusia-
Btische Empfehlung des Bromoforms gegen Keuchhusten soll bei der Besprechung der Ftrrjp’schen
Broschüre Verwendung finden. Ihre Darreichungsweise ist ziemlich dieselbe wie sie im Corr.-Blatt
1889, pag. 735 empfohlen wurde.
Schweighauserische Buchdrückerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
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Erscheint am 1. nnd 15.
jedes Monats.
Inserate
35 Cts. die gesp. Petitzeile.
für
Schweizer Aerzte.
Herausgegeben von
Preis des Jahrgangs
Fr. 12. — für die Schweiz,
Fr. 14.50 für das Ausland.
Alle Posthureaux nehmen
Bestellungen entgegen.
X>i*« U£Lff\:ei* und X>]?. A.m Jstqiiet
in Frauenfeld. in Basel.
N! 21. XXIV. Jahrg. 1894. 1. November.
IniMit: Zur 48. Venamrolang des ärztlichen CentralTereins. — 1) Ori ginalarbeiteu: Dr. Th. Lota: Erfahrungen über
Variola. (Schluss.) — 2) Verei n s ber i cb te: Klinischer Aerztetag in Bern. — 3) Referate nnd Kritiken: Gesundheite-
bbchlein. — Niedm: Der Nystagmus der Bergleute. — Edmund Parish: üeber die Trngwahmehmnng. — Dr. L. Steiner: Zur
Trschombebandlnng. üeber das Vorkommen ton Pigment in der Conjunctira der Malayen. — Hermann Schmidt-Rimpler:
Augenheilkunde nnd Ophthalmoscopie. — Prof. Dr. B. Fritsch: Die Krankheiten der Frauen. — Prot Dr. Ü. Atmmerk: Sections-
tectolk fbr Stndireode nnd Aerxte. — 4)Cantonale Correspond enzen: Basel: Zur Asylfrage hlr Tnberknldee.—
5) Wochen bericht: Einladung zur 48.Versammlung des &rztl. (^ntraWereins. — Hyperemesis gravidarum.— Deckgl&schen
zu microscopischen Pr¶ten. — Behandlung der Diphtherie mit Heilserum. — Fall von tddtlicher Laboratorinmscholera. —
Oeges rheumatische Neuralgien. — Ueinignsg behaarter Stellen. — 6) Briefkasten. — 7) Bibliographisches.
Zur 48. Versammlung des ärztlichen Centralvereins.
,In Olten auf Wiedersehn! Wenn nicht unvorhergesehene Hindernisse zwingender
Natur mich abhalten, so werde ich dort nicht fehlen. Man trägt immer eine schdne,
wohlthuende Anregung mit nach Hause und das Zusammentreffen mit alten Freunden
kann man auch nicht hoch genug schätzen.“
So schreibt ein lieber Freund in den letzten Tagen und so sollte eigentlich die
Denkweise eines jedes Collegen sein, dem der Ruf nach Olten gilt. Von den Gründen
und Ptlichtversäumnissen, welche man sich und Andern gegenüber als Entschuldigung
für Nichterscheinen ins Feld führt, ist die Hälfte nicht stichhaltig und müsste zer¬
rinnen, wenn die sanfte Macht einer schönen Erinnerung — z. B. an früher erlebtes
Zusammensein mit Berufe- und Gesinnungsgenossen — darüber ginge. — Guter Wille
und ein bischen, wenn nöthig aus alter Zeit geholte, Begeisterung machen Vieles
möglich und beseitigen manche scheinbare Fflichtencollision.
Die lieben grauen Häupter, denen man immer und immer wieder — in unge¬
störter Geistesfrische — an unsern Versammlungen begegnet, wissen auch, was Arbeit
und Pflicht heisst und sind ein glänzendes Beispiel dafür, dass man wohl daran thut,
nicht gänzlich der Sklave der täglichen Berufsgeschäfte zu werden, sondern ab und zu
bei unsern Vereinigungen sich jung und frisch zu baden.
Wer älter wird und sich nicht bei Lebzeiten in seine Medicamentenbude oder in
Bücherstaub oder in schmunzelnder Selbstgenügsamkeit oder gar unter Gapitalbriefen
(rara avis!) einbalsamirt, sondern seine Fühler ausstreckt nach Allem, was in seiner
Berufswissenschaft Neues geleistet und gefördert wurde, dem steigert sich von Jahr
zu Jahr das Bedürfniss, einem Sammelrufe zum belehrenden und anregenden Verkehr
mit Collegen Folge zu leisten.
43
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Und diesmal ist die Tafel reich gedeckt! — In dem von Herrn Prof. Lesser be¬
handelten Thema sollen neue wichtige, in erster Linie den practischen Arzt interessirende
Gesichtspunkte eröffnet werden.
Eine Orientirung, am Beispiel der Diphtherieheilserumtherapie, in der Zukunfts¬
therapie der infectiösen Krankheiten — im mächtig gewordenen Strahlenbündel des
8. Zt. aus Robert Koch'a Arbeitsräumen entspringenden Lichtstrahles — wird Allen
willkommen sein.
Ebenso zeitgemäss ist es zu hören, was die in neuester Zeit vielleicht mancher¬
orts zu wenig kritisch betriebene mechanische Behandlung der Frauenkrankheiten nützt
und was sie — schadet. Die Mittheilungen des Herrn Fröhlich sind nicht nur von
militärärztlichem, sondern von allgemeinem Interesse. — Endlich gilt es, in der wich¬
tigen Frage der eidg. Kranken- und Unfallversicherung nochmals Posto zu fassen und
die Abstimmungsresultate der cantonalen Gesellschaften durch einheitlichen Beschluss
zu bekräftigen.
Also nicht nur die Wissenschaft — auch das Vaterland ruft uns! Mögen recht
Viele dem Rnfe Folge leisten!
inal ten.
Erfahrungen Uber Variola.
Von Dr. Th. Lotz, Physikus in Basel.
(Schluss.)
VII. Coniaglosität der Variola.
Wenn man über Erkrankungen und Todesfälle an Variola genau, unter Berück¬
sichtigung von Alter, ImpCsustand u. s. f. Buch zu führen hat, so liegt der Wunsch
nahe, auch die Basis, auf welcher die Erkrankungen entstehen, die Zahl der Lebenden,
nach Alter und Impfzustand genau zu kennen, um feststelleu zu können, in welchem
Verhältnisse die Erkrankungen und Todesi^lle bei Geimpften und Ungeimpften auf*
treten. Wer schon erfahren hat, wie leichtfertig oft die Frage nach dem Impfzustande
beantwortet wird und wie Kreuz* und Querfragen nothweudig sind, um ein auch nur
annähernd richtiges Resultat zu erhalten, wird von vornherein von dem Versuche,
durch ad hoc instruirte Laien den Impfzustand bei einer gesummten Bevölkerung zu
erheben, wenig Zuverlässiges erwarten.
Viel eher scheint man auf dem von Cross seiner Zeit eingeschlagenen Wege zu
einem guten Ergebnisse zu gelangen. CVoss') registrirte 1819 in Norwich sämmtliche
Familienglieder in den von Blattern befallenen Familien. Nichts ist leichter als diesem
Beispiele zu folgen, da man ja ohnehin aus sanitätspolizeilichen Gründen hei Variola¬
fällen ein Register über alle Glieder der betroffenen Familie führen muss. So sind in
der Epidemie von 1885 über 200 Familien mit über 1000 Angehörigen genau regi*
strirt worden. Aber sehr bald ergab sich, dass aus diesem Materiale nicht ohne
weiteres Schlüsse auf Empfänglichkeit und Unempfänglichkeit und deren Beeinflussung
*) Lädars, Versuch einer kritischen Geschichte der bei Vaccinirten beobachteten Meuschen-
biattern (Altona lb24) pag. 32 ff.
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durch die Vaccination könneu gezogen werden. Denn während in den einen Fällen
der Erwartung gemäss im Gefolge des ersten Falles alle ungeimpften Familienglieder
ausnahmslos erkrankten, blieben sie in andern Fällen ebenso ausnahmslos alle gesund.
Als Grund für letzteres eine natürliche Immunität anzunehmen war bei der Häufig¬
keit dieses Verhaltens nicht möglich. Vielmehr ergab sich bei Vergleichung der Fälle
bald, dass Erkranken oder Nichterkranken ceteris paribus abhängig war von der spät
(resp. gar nicht) oder früh eintretenden Isolirung des ersten Falles. Trat diese Isolirung,
d. b. die Verlegung des Kranken aus der Familie in ein Absonderungshaus ein, sobald
die Anfönge des Ausschlags die Diagnose sicherten, so waren in der Regel weitere Er¬
krankungen nicht zu gewärtigen.
Zu einem Schlüsse auf Emp&nglichkeit oder Unempfänglichkeit ist aber vor allem
nöthig, dass der Betreffende wirklich der Infection ansgesetzt war, und somit ist zunächst
die Frage zu erörtern: wann und wie steckt der Variolakranke an?
— eine der wichtigsten Fragen bei jeder Infectionskrankheit, für die Prophylaxe die
allerwichtigste. Contagion ist dabei im gewohnten weitern Sinne verstanden, wobei
auch Infectionen ohne wirklichen Contact unter den Begriff Gontagion fallen.
Keine Verschiedenheit der Ansichten besteht wohl darüber, dass das Contagium in
den Pusteln enthalten sei und dass demgemäss erst nach dem Abfall der letzten Kruste
und nach sorgfältiger Reinigung vom Kopfe (Haare!) bis zu den Füssen der Genesene
aus der Isolirung zu entlassen sei. Streitig ist das Verhalten der Contagiosität im
Beginne der Erkrankung, was um so auffallender erscheint, da doch gewiss dieses Ver¬
halten mit dem ganzen Wesen der Krankheit, mit der Biologie ihres Keims, specifisch
verknüpft ist. Ohermeier^) war in der Lage in einer grösseren Zahl von Fällen, wo
nur einmalige Berührung stattgefundeu hatte, die lucubationszeit bei Pocken genau
festzustellen. Da in andern Fällen, wo die Inficirten in längerem Verkehre mit den
Inficienten gewesen waren, die Zwischenzeit zwischen der primären und der secundären
Erkrankung grösser war, als die beobachteten Incubationszeiten, so schloss er daraus,
man werde die Incubation .nicht leicht vom Beginn der Erkrankung des Inficienten
an, sondern erst nach der Eruption datiren dürfen.*
Omschmam dagegen bestreitet diese Ansicht als sicher unrichtig und gibt an,
für die Ansteckung durch Kranke im Initialstadium positive Beweise zu haben.
Die Erfahrungen in der Epidemie von 1885 haben uns deutlich gezeigt, dass die
C 0 ntagi 0 sität der Blatternkranken vor der Eruption kaum in Be¬
tracht kommen kann.’)
Sehen wir uns nach den Beweisen des Gegentheils um. Zunächst der interessante
Fall von Schaper, der sogar die Uebertragung von einem Kranken im Incubations-
stadium beweist. Einer scheinbar gesunden Frau wird wegen Maschinenverletzung der
rechte Arm amputirt und es werden von demselben 4 Patienten der Charitö Epidermis-
stückcben implantirt. Am Abend des Operationstages beginnt bei der Amputirten das
Initialstadium der^ Pocken. Das eine der Individuen mit Transplantation erkrankt am
*) Virchoto’a Archiv, ßd. 54, pag. 545 ff. lieber die Infection, Incnbation und das Primär-
stadinm bei den Pocken.
’) Ganz in dieeem Sinne und übereinstimmend anch in Bezug auf die saoitätapolizeilichen
CoDsequenzen dieser Ansicht spricht sich E. Müller in Winterthur aus. Correspondenzblatt IStiS,
pag. 325 ff.
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6. Tage nach ihrer Äusführnng an Variola, 2 weitere zeigen zweideutige Erankbeits-
erscheinungeo, das vierte bleibt gesund. Diese Variola am 6. Tage ist nun ohne
weiteres als inoculirt zu betrachten und ist als solche sehr interessant; für unsere
Frage der Contagiosität auf dem Wege des gewöhnlichen Verkehrs kommt der Fall
nicht in Betracht.
Die beweisenden F&lle für die Contagiosität im Initialstadium hat Ourschmam
nicht angeführt; man wird aber von vornherein sagen dürfen, dass einwandfreie
Fälle nicht so leicht zu finden sind. Sowie Variola eine gewisse Verbreitung hat,
nicht einmal an einem Orte selbst, sondern nur in dessen weiterer Umgebung, so muss
man sich immer wieder wundern, wie oft da Fälle auftreten, die, in Ermanglung einer
ersichtlichen Quelle am Orte selbst, als eingeschleppt müssen betrachtet werden, ohne
dass der Inficirte eine Ahnung hat, wo und wie er sich angesteckt hat. Es können
leicht auch einmal bei Personen, welche in Beziehungen zu einander stehen, nach ein*
ander solche Infectionen stattfinden, ohne dass dem post hoc ein propter hoc zu
Grunde liegt.
Nehmen wir das einzige Beispiel aus dem Jahre 1885, das den Schein einer solchen
frühen Contagion erwecken könnte. Ein GOjähriger Mann, seit dem 11. Februar im
Börgerspitale, erkrankt'dort am 25. an Variola und wird am 28. ins'Blatternspital ver*
bracht. Ursprung der Ansteckung nicht ganz klar, vielleicht im Spitale selbst. Am
24. Februar, also am Tage vor dem Beginne seiner Initiaterscheinungen hatte ihn seine
Frau besucht; diese erkrankt am 7. März. Ist das nun ein beweisender Fall für
Contagiosität der Variola sogar im Incubatiousstadium, wenn man weiss, dass diese Frau,
als Handwerkersfrau, vollends in Abwesenheit ihres Mannes, mit zahlreiehen Leuten zu
verkehren hatte und dass in denselben Tagen und in derselben Stadtgegend, wie sie,
verschiedene Personen (Magd, Hausfrau, Ladenjungfer) an Variola erkrankten ohne ge¬
nauer bekannten Ursprung der Infection? — In einem andern Falle stellte es sich bei
einer am 13. Februar erkrankten Frau nachträglich heraus, dass auch der Sohn eine
leichte, am 6. begonnene Variola dnrcbgemacht hatte. Hier steht es wohl ausser Zweifel,
dass der Sohn während seines Incubationsstadiums als Zwischenträger von einem (etwas
zu spät) bekannten Infectionsherde aus gewirkt hatte.
Die Sachlage muss schon ziemlich durchsichtig sein, am sicher sagen zu können,
A. und nur A. hat den B. inficirt. Gesetzt B. hätte in solchem Falle mit A. verkehrt
nur am Ende des ersten Tages von dessen Initialfieber, so bliebe dann erst noch die
Frage, hat A. den B. inficirt, weil er das Contagium i n sich hatte, oder nicht viel¬
mehr nur, weil er es vermöge seines früheren Verkehrs mit Variolakranken an sich
hatte. Der künftige Variolakranke im Incubationsstadium, der beginnende Kranke im
Initialstadium kann doch immer anch noch leisten, was jeder Gesunde: er kann Zwi¬
schenträger sein.
Warten wir also die beweisenden Fälle dafür ab, dass nicht nur der Variola¬
kranke, sondern wirklich die Variola schon im Initialstadium oder gar noch früher anstecke,
und sehen wir, wie in unsern durchsichtigen Gruppen thatsächlich Variola migesteckt
hat und wie nicht. Bei der schwankenden Dauer der Incubationszeit kann man natür¬
lich manchmal, je nachdem man 10 oder 14 Tage vom Beginne der secundären Er¬
krankung zurück rechnet, in das Eruptionsstadium oder in das Initialstadium des ersten
Erkrankten als Zeitpunkt der Infection gelangen. Wenn aber die Distanz zwischen
der Eruption des primären und dem Beginne der Erkrankung des secundären Falles
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kaam je weniger als 10 Tage beträgt,^) so hat man von vornherein keinen Grund
für die Contagiosität der initialen Periode und es spricht deutlich gegen sie, wenn
man immer wieder sieht, dass bei Isolirung gleich nach Beginn der Eruption keine
weitere Infection erfolgt.
Gruppe I. Der Stammvater der Gruppe, S. Bosenthalweg 26 I, erkrankt am
26. Feb., (über den Ursprung der Infection vergl. Abschnitt V); am 27. noch zur Arbeit;
28. Sonntag; am 29. Eruption, zugleich der einzige Tag, an welchem er von der Ar¬
beit wegbleibt. Erkrankungen sind zu erwarten in der Familie frühstens vom 10.,
in der Fabrik vom 11. März an. Isolirung erfolgt am 16. März, letzte secundäre Er¬
krankungen m&glich vom
26. bis 30.
2 .
1
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März.
10.—16./III.
12.—16./III.
12. —16./III.
13. —16./ni.
17.—16./in.
17.—21./III.
21.—22./III.
24.—25./III.
Gruppe I.*)
Rosenthalweg 26.
1. 26./1I.—16./IIL
(28./II. Sonntag,
29./II. zu Hause,
l./IIl. Fabrik.)
’S
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J 3. 11.-16./III.
\ 9. 14.~18./IIL
6. 12.—17./III.
8. 14.-17./III.
12. 15.—18./IIL
J13. 16.—20./IIL
\14. 16.—20./III.
15. 17.—20./III.
18. 18.—23./IIL
19. 19./20.—23./III.
*) Bei dieser und den fol-
f enden Gruppen beziehen sich
ie Zahlen aiu die Nummern der
Krankenliste; die Ungeimpften
und zu spät Geimpften über
2 Jahren sind durch Fettschrift
hervorgehoben. Von den bei-
gefügten Daten bezeichnet das
erste den Beginn der Erkran¬
kung, das zweite den Beginn der
Absonderung.
'S
ja
>
0
9
10.
14.—i8./in. .
1 22.
26.—27./in.
o
QQ
CO
00
o
Q
9
bf)
11.
15.—18.AII.
1 23.
29.—31./III.
Die erste secuodäre Erkrankung in der Familie beginnt richtig am 10. und be¬
trifft, vielleicht nicht zufällig, die Schwiegermutter (2), welche die Haushaltung be¬
sorgte und wohl am directesten mit dem Kranken verkehrte, während die Frau (4),
nach dnrchgemachtem Wochenbette noch an Pleuritis leidend, selbst zu Bette lag
und erst zwei Tage später erkrankte. Es erkranken alle Familienglieder, zuletzt, sei
es wegen späteren Contacts, oder wegen geringerer Disposition oder undeutlichen Be-
*) In drei von Eickhorst genau beobachteten Fällen betrog die Incubationszeit zweimal
9 Tage und 8 Stunden, einmal 9 Tage und 14 Stunden. Deutsche medicin. Wochenschrift 1886,
pag. 37.
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ginns der Prodromi, der Säugling (17), bei dem am 18. der Ausschlag erscheint.
Erst vom 17. an erfolgen 3 Erkrankungen im Hause, in jeder Familie je 1; zuerst
ein zu spät geimpftes Kind im II. Stock (16), das im Gegensatz zu seinem gesund
bleibenden Schwesterchen wiederholt mit der Grossmutter bei der Familie S. gewesen
war; dann ein ungeimpftes Kind im Erdgeschoss (20), endlich eine zu spät revacci-
nirte Frau im III. Stockwerk (21), die beiden letzten Fälle mit sehr rasch erscheinen¬
dem Ansschlage.
In der Fabrik erfolgt die erste Erkrankung am 11. März, 10 Tage nachdem
S. mit Ausschlag die Fabrik wieder betreten batte; 8 weitere Fälle folgen- bis zum
18., sämmtlich Arbeiter und Arbeiterinnen in dem gleichen Saale, wie S.; zu¬
letzt vom 19. auf den 20. die einzige Arbeiterin, welche nicht mit S. zusammen ar¬
beitete, aber als Einzieherin in verschiedenen Sälen, darunter auch in dem von S.,
verkehrte. Damit ist die Reihe der directen Infectionen zu Ende; und doch, wie
manche flSchtige Begegnung, wie manches Nebeneinandergehen etc. mag noch auf dem
Wege von und zu der Fabrik, beim Eintritte und Austritte stattgefunden haben ohne
infectiösen Erfolg!
Endlich die in ihrer Art interessantesten Fälle 10 und 11, Mitschüler von 7, ohne
irgendwelchen sonstigen Verkehr mit der Familie S., als eben die mit 7 gemeinsame
Schule. Nachdem am 29. Februar beim Vater S. die Eruption begonnen hatte, er¬
folgen schon am 4. März, vielleicht noch etwas früher, diese indirecten Infectionen,
indirect insofern, als 7 dabei kaum als Variola im Incubationsstadium, sondern als ge¬
sunder Zwischenträger wirksam ist.
Aber wie wirkt nun dieser Zwischenträger? Die fragliche Kleinkinderschule wird
im Mittel von gegen 70 Kindern besucht; nehmen wir an, es seien nur 50 da gewesen,
so waren von diesen 50 mindestens 35 ' (wahrscheinlich über 40) ungeimpft und von
diesen erkranken 2, nicht einmal die unmittelbaren Nachbarn des Knaben S. Der
ältere Knabe S. (5), mit welchem sich sein Vater nach seiner ausdrücklichen Aussage
mehr abgegeben batte, als mit dem jüngern, der also gewiss auch mit Contagium be¬
haftet war, vermittelte in seiner Primarschulklasse gar keine Infection, obgleich es dort
an Dutzenden von ungeimpften Mitschülern nicht fehlte.
Fügen wir hier gleich noch eine Erfahrung aus dem Jahre 1894 bei. Zwei
Geschwister von 12 und 14 Jahren erkranken am 28. und 31. Januar an Variola
(Infection unbekannt, notbwendigerweise von auswärts); sie bleiben als «Varicellen* in
freiem Verkehre; erst am 18. Februar werden sie durch secundäre Fälle bekannt und
isolirt Zuvor hatte der 12jährige Knabe vom 15. bis 17. seine Schule wieder be¬
sucht; am 19. befanden sich in seiner Klasse 37 Schüler, davon 15 geimpft, 22 un¬
geimpft. Es erfolgte keine Erkrankung. Gesicht und Hände batte sich der Junge
durch reichliches Waschen mit Seife ziemlich vollständig gesäubert; im übrigen hatte
er natürlich noch genügende Krusten am Leibe, wie schon daraus hervorgeht, dass
der sonst ganz gesunde Knabe erst nach 13 Tagen, am 3. März, ans der Isolirung
entlassen wurde.
Derartige Tbatsachen sind geeignet in Betreff der Gontagiosität der Variola die
leicht etwas zur Uebertreibnng geneigten Anschauungen auf ein bescheideneres Maass
zu reduciren. Vielleicht nicht das präcise Denken, aber doch das Gefühl i.st beein-
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flnsst durch die Angabe, schon die Luft in der Umgebung des Kranken sei ansteckend,
es genüge schon ein Verweilen in der N&he des Kranken ohne wirklichen Contact zur
Gontagion.
Da stellt man sich denn leicht auch den ambulanten Kranken, ja selbst den ge¬
sunden Zwischenträger vor, als ob er mit einer keimgeschwängerten Dunstschicht, wie
mit einem unsichtbaren Heiligenscheine, umgeben wäre, jedem, der in seine Nähe kommt,
Gefahr bringend. Das ist natürlich nicht der Fall. Denken wir uns der Junge eines
Malers hätte sich in der väterlichen Werkstatt hernmgetrieben und sich dort an eini¬
gen Stellen mit Farbe beschmutzt; nehmen wir an, die Flecke wären im Augenblicke
unsichtbar und hätten die Eigenschaft, erst in 10 Tagen sichtbar zu werden, so würde
es ganz vom Zufalle abhangen, ob und auf welche Mitschüler nun Uebertragungen statt¬
enden. Wären die Flecke seitlich an den Ellbogen, so wären die Nachbarn rechts
nnd links am meisten gefthrdet; wären sie aber vorn oder im Gesichte, in den Haaren
etc., so würde sich der eine oder andere, der sich gerade in der Freizeit am meisten
mit ihm berumbalgt, am ehesten ,anstecken" — gerade so, wie wir es von 'dem mit
Variola befleckten Knaben ans thatsäcblich haben erfolgen sehen.
Die Luft des Zimmers eines auf der Höhe des Ansschlags oder in der
Eintrocknung beflndlichen Kranken enthält sicher Keime und dieselben werden um so
reichlicher sein, je reichlicher der Ansschlag ist, je schlechter gelüftet wird, je un¬
reinlicher es überhaupt zugeht (Wechsel der Wäsche, Reinhaltung des Bodens etc.).
In Spitalzimmern wird es auch bei möglichster Reinlichkeit nie an der Aussaat von
Keimen fehlen; d a genügt für einen Disponirten ein Verweilen im Zimmer auch ohne
Contact eines Kranken.
Ein Kranker aber im Beginne der Eruption, ein ambulanter Kranker steckt
wohl kaum ohne Contact an nnd es wird erst noch der Contact einer contagiösen
Stelle sein müssen; noch viel mehr gilt das natürlich bei gesunden Zwischenträgern.
Erinnern wir uns noch einmal der trotz ihres Umfanges doch beschränkten di-
recten Infection, welche Nr. 1 in der Fabrik, überhaupt ausserhalb seines Hauses aus¬
übte; sie war beschränkt auf unmittelbare Mitarbeiter nnd eine im gleichen Saale
verkehrende Person. Die schnlbesuchenden unzweifelhaft mit Gontaginm behafteten
Knaben vermitteln unter Dutzenden Ungeimpfter der eine keine, der andere zwei An¬
steckungen.
Man muss sich immer wieder solche Erfahrungen vergegenwärtigen, um Fälle
zu begreifen, die sonst ganz räthselhaft wären, nämlich das Auftreten ganz vereinzelter
Erkrankungen ohne bekannten Ursprung der Infection, wie man es beobachtet, wenn
nicht am Orte selbst, aber in einiger Entfernung Variola herrscht. So war es z. B.
in Basel vom Januar bis Mai 1894. Wir batten damals einige Dutzend Variolafälle,
während jenseits des Jura im Canton Bern die Seuche sich ziemlicher Verbreitung er¬
freute. Da fehlte es denn unter unsern Fällen nicht an deutlich von auswärts Zuge¬
reisten: Handwerksburschen, Vaganten nnd dergl., welche vierzehn Tage zuvor in und
um Bern gewesen waren und nun zum Theil nach bunten Irrfahrten (z. B. einmal:
Aarau, Zürich, Schaffhansen, Waldshnt; einmal: Biel, Delsberg, Basel, Mülhausen,
Freibnrg i. B.) mit ihrer inzwischen aufgetretenen Variola in nnserm Absonderungs-
hanse landeten; es fehlten ferner nicht einzelne Fälle von deutlichem Zusammenhang
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mit früheren Erkrankungen in der Stadt. Ungewöhnlich zahlreich aber waren die F&lle
ohne irgend eine bekannte oder auch nur muthmassliche Beziehung mit auswärts oder
mit Torausgegangenen Fällen in der Stadt. Bei Erwachsenen bleibt da immer noch
der Verdacht, es möchte ein bekannter Gontact absichtlich Terheimlicbt werden, oder
es könne unbewusst in Wirthschaften etc. die Ansteckung stattgefunden haben; letzteres
traf gewiss mehrfach zu, so bei einer aushilfsweise in einer verkehrsreichen Wirthschaft
als Kellnerin fungirenden Nähterin u. s. f. Räthselbafter aber sind solche Erkrankungen
bei Kindern, also Fälle, wie der folgende:
Am 21. März erkrankt in dem Quartiere hinter dem badischen Bahnhofe ein sechs¬
jähriger Knabe, der sich sonst guter Gesundheit erfreut und sich auf der Strasse viel
mit seinesgleichen herumtreibt. In der Familie, im Hause, in der von dem Knaben be¬
suchten Kleinkinderschule ist nichts; überhaupt ist in dem ganzen Quartiere kein Fall
voransgegangen, keiner gleichzeitig aufgetreten, keiner nacbgefolgt; ebenso wenig irgend
eine erdenkliche Beziehung zu einer andern in der Stadt vorausgegangenen oder zu einer
importirten Erkrankung; keinerlei bekannte Gelegenheit zur Einschleppung von aussen;
die Eltern sind Badenser ohne irgendwelche Beziehungen mit der verdächtigen Gegend
jenseits des Jura, überhaupt mit der Schweiz; der Vater Locomotivführer im badischen
Bahnhöfe ohne Verkehr mit Fremden; der Fall ist ganz vereinzelt.
Was bleibt da übrig, als irgend ein unbekannter auswärtiger Infectionsträger,
der sich als Vagant, Hausirer oder dergl. hier herumgetrieben nnd zufällig auf der
Strasse die Infection des Kindes vermittelt hat?
Aber — so sind wir geneigt zu räsonniren — wenn ein leichter ambulanter
Kranker oder ein zn einer so zußlligen Infection mit genügendem Contagium
behafteter gesunder Zwischenträger sich hier herumgetrieben hat, da müsste doch
nicht nur eine Erkrankung, sondern unter den x Personen, mit denen ein solcher
Infectionsträger verkehrt hätte, müsste eine ganze Anzahl von Erkrankungen auftreten.
Gewiss trifft letzteres bisweilen zu und es setzen wohl die sonst ganz unmotivirten
im Laufe von 4 Tagen aufgetretenen Fälle 24—28 unserer Krankenliste einen der¬
artigen Urheber voraus. Häufig aber wird es auch anders gehen; wo es nicht am
Contacte fehlte, sind zußllig die Leute (Erwachsene!) unempfönglich und den EmpAng-
lichen gegenüber (meist Kinder!) fehlte es gerade am zündenden Contacte; es stimmt
unter den zahlreichen möglichen Fällen etwa einmal gar nicht oder nur einmal nnd
es ist -Sache des Zufalls, dass dieser nnd nicht ein anderer, nur dieser und nicht auch
ein anderer erkrankt — gerade so, wie wir es oben bei zwei bekannten Infections-
trägern in zwei Schulklassen haben gehen sehen und wie weitere Beispiele in den
andern Gruppen ferner beweisen werden.
Soviel darüber, wie sich die Uebertragung der Variola ausserhalb von Familie
und Haus im zufölligen unbewussten Verkehre gestaltet.
Es bleibt uns noch, nachdem wir die vom ersten Falle ausgegangenen Erkrankungen
der I. Gruppe kennen gelernt haben, übrig zu sehen, was nun diese secundären Fälle
für weitern Schaden angerichtet haben. In 18 Familien ausser der primären sind Er¬
krankungen vorgekommen; in 12 derselben erfolgt nichts weiter, weder in der
Familie selbst, noch /bei allfallsigen Besuchern, an denen es wohl auch nicht gefehlt
hat. Die Zahl der weitern Familienglieder in 11 von diesen Familien (eine wohnte
in Birsfelden) betrug zusammen 36; davon waren geblättert 4, einmal geimpft 11
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(daTOD 6 zu spät revaccinirt), revaccinirt mit Erfolg 8, za spät geimpft 13. Die Er¬
krankten sind alle bis znr Diagnose 1—5 Tage nach Beginn der Initialerscheinungen
in freiem Verkehre geblieben ohne Schaden. Nur in der Familie von 10 erfolgen
2 weitere Erkrankungen. Der Beginn der Eruption bei 10 ist nicht festgestellt, Iso-
lirung erfolgte bei dem schweren Falle (f 24. III.) erst 4 Tage nach Beginn der Er¬
krankung; die Verhältnisse waren die allerbeschränktesten, alles in einer Stube
beisammen, zu jeglichem Gontacte die reichlichste Gelegenheit. Die Mutter, am Tage
der Absonderung 18. III. mit Erfolg revaccinirt, erkrankt 11 Tage später sehr leicht;
das am gleichen Tage erstgeimpfte Brüderchen erkrankt schon 8 Tage später am
26. März, immerhin 12 Tage nach dem Beginn der primären Erkrankung; überhaupt
ist dieser an^der Grenze der Diagnose stehende Fall') kaum geeignet, den sonstigen
Eindruck der ganzen Gruppe zu beeinträchtigen, welche in der sonst blatternfreien
Stadt fast mit der Reinlichkeit eines Experimentes den Mangel der Contagiosität im
Initialstadium demonstrirt.
32. 24./IV.-4./V.
35. 26./IV.-4./V.
36. 28.?/IV.-3./V.(t)
Gruppe II.
Itelpfad 99.
27. 8./IV.—4./V.
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33.
25./IV.—3./V. 1
34.
25./IV.—3./V. 1
37.
28./IV.-3./V. /
59.
15.—17./V.
42.
6.—9./V.
55.
14.—18./V. 1
49. 12.—14./V.
50. 12.-17./V.
44. 7.-10./V.
70. 28.—31./V.
73. 31./V.—3./VI
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15.—20./V.
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15.—20./V.
( 72.
31./V.—l./VI.
1 74.
1.—l./VI.
Gruppe II. Frau P.(27) Itelpfad 99, Erdgeschoss, erkrankt am 8. April. Ur¬
sprung der Infection unklar; rechnet man 10—14 Tage zurück, so kommt man auf
den 25.—29. März als Zeit der Ansteckung. Die einzigen bekannten Blatternfälle
in jener Zeit waren die eben besprochenen tertiären Fälle der Gruppe I, 22 und 23,
welche allerdings auch räumlich nicht entfernt sind. (Entfernung dem Wege nach ca.
475 m., Luftlinie 300 m.) Aber auch wenn sie unmittelbar benachbart wären, so
Erkrankung und Ansschlag 8 Tage nach erfolgreicher Impfung, wo also fieberhaftes Un¬
wohlsein und das Auftreten von Fleckchen auch sonst Vorkommen können; erst am 3. April meldet
Dr. Bernoulli, der Knabe „könnte doch zur Variola gezählt werden; er hat am Kopfe und an der
Wade je 1 Pustel, letztere war gestern gedellt.“
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würde es allen unsem Erfahrungen znwiderlanfen, anzunehmen, dass diese leichten mit
den spärlichen Spuren eines beginnenden Exanthems isolirten Fälle eine Infection
könnten veranlasst haben; überdiess haben beide Theile unabhängig von einander auf
genauestes Ausfragen jeden gegenseitigen Verkehr, ja überhaupt jede Bekanntschaft
bestimmt in Abrede gestellt. Man wird also eher für Frau P. mit den gleichzeitigen
Erkrankungen 24—28 eine unbekannte Infection von auswärts annehmen müssen.
Am 8. IV. erkrankt, bleibt Frau P. im freien Verkehre bis zum 4. Mai. Be¬
ginn des Exanthems nachträglich nicht genau zu eruiren; frühste secnndäre Erkrankung
aber in der Familie erst 16, im Hause 17 Tage nach dem Beginn des ersten Falles;
Infection also jedenfalls erst vom Eruptionsstadium aus. In der Nachbarschaft erfolgen
nur 2 Erkrankungen, je eine in 2 Häusern; ob die üebertragung direct oder indirect
erfolgte, ist natürlich fraglich; für die spätere dieser Erkrankungen (55) am 14. Mai
wird die Infection wohl eher von den inzwischen contagiSs gewordenen Kindern P.
(32, 35, 36) ans erfolgt sein, als von der Mutter. Dasselbe gilt von den 2 Knaben
57 und 58, welche durch einen gesunden, dieselbe Schulklasse besuchenden, Knaben P.
inficirt worden sind. Ihre Erkrankung beginnt erst 11 Tage nach Ausräumung des
ganzen Infectionsherdes.
Diese 3 letzten Erkrankungen ausser dem Hanse, wie vielleicht auch die
gleichzeitige letzte im Hause selbst (59), wären danach, als inficirt von den Kindern
P. aus, zur 3. Generation und die von ihnen aus Angesteckten als 4. Generation zu
rechnen; für die Schlussfolgerungen ist das nebensächlich. Nachbarschaft, wie Schule
liefern übrigens wieder auffallende Beispiele, wie wenige von den möglichen Ueber-
tragungen thatsächlich wurden.
Und nun die tertiären Erkrankungen: Bei Frau K. (33) tritt die Eruption am
28. April auf, die Erkrankung eines Grosskindes (49) und eines Sohnes (50) beginnt
am 12. Mai. Von den beiden Kindern Sch. erkrankt das erste (34) äm 25., Ans¬
schlag am 26. April, die Mutter (44) erkrankt 7. Mai. Kind F. (55) erkrankt am
14., Ausschlag angeblich erst am 18. Mai; am gleichen Tage Isolirung. Die Mutter
(70) erkrankt am 28., die ältere Schwester (73) am 31. Mai. Während diese mit
der Pfiege des kranken Kindes Beschäftigten erkranken, bleiben 3 ungeimpfte Ge¬
schwister (Bruder 12-, Schwestern 9- und 6-jährig) gesund, ein Beispiel, wie wenig
mobil im Anfänge das Contagium ist.
Endlich der Knabe Sch. (58), erkrankt 15., Ansschlag 18. Mai, bleibt als ,Roth-
sucht* (Masern) zu Hause bis 20. Mai; 3 Geschwister erkranken am 31. Mai bis
1. Juni.
Nirgends in der II. Gruppe hat man den leisesten Grund, die Zeit vor der Erup¬
tion für eine Ansteckung verantwortlich zu machen; das Aufhören weiterer Erkran¬
kungen bei rechtzeitiger Isolirung und die dadurch erreichte rasche Beschränkung der
Gruppe bedarf keines weitern Commentars.
Zn erwähnen sind noch zwei im Stammbaume der Gruppe nicht aufgeführte Fälle,
welche möglicherweise doch hierher zu rechnen sind.
Das Mädchen M. (56) besuchte dasselbe Schnlhans (zu St. Theodor), das 3 ge¬
sunde Kinder P. in verschiedenen Klassen besuchten; in zwei Klassen erfolgte keine
Infection, wenn man nicht die Erkrankung des Kindes Sch. (34), das als Hausgenossin
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doch noch nähere and vermehrte Gelegenheit zur Ansteckung hatte, hieher rechnen
will; in einer Klasse erfolgte die Infection von 57 und 58. Kind M. besuchte keine
der von den Kindern P. besuchten Klassen, ist auch sonst gänzlich unbekannt mit
ihnen; es ist nicht unmöglich, wäre aber jedenfalls eine sonderbare Zufölligkeit, wenn
aus der zahlreichen SchulbevOlkerung heraus gerade dieses eine Kind inficirt worden
wäre, während Ober hundert specielle Klassengenossen und -genossinnen von Kindern
P. schadlos ansgiengen; zeitlich ftllt die Erkrankung 56 (14. Mai) auffallend mit 57
und 58 (15. Mai) zusammen.
Einfacher erscheint die Infection der Lnmpensammlerin 52 vom Ttelpfade aus;
ihre am 13. Mai begonnene Erkrankung setzt Ansteckung Anfang Mai voraus; damals
beherbergte das Haus Itelpfad 99 nicht weniger als 7 Kranke im contagiOsen Stadium.
Anamnestisch war aus der geistesschwachen Person nichts herauszubringen; aber ihr
Beruf und die geringe Entfernung (dem Wege nach ca. 600 m.) machen diesen Zu*
2. —14./V.
3. /4.—14./V.
3./4.—14./V.
9.—14./V.
sammenhang sehr wahrscheinlich.
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38.
39.
40.
45.
Gruppe III.
Allschwilerstr. 103.
30.17./IV.-14./V.
31.19./IV.—14./V.
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10.—17./V. l 26.P-29./V.
13.—17./V. ^
18.—20./V.
26.—29./V.
4.— 7./VI.
12.—16./V.
Nachbar¬
schaft.
66. 25./26.—28./V.
46. 10.-15./V.
51. 12./13.—16./V.
43. 7.—12./V.
54. 14.—16./V.
bo
Gruppe III. Die Kinder F. 30 und 31, Allschwilerstrasse 103, erkranken
am 17. und 19. April. Man darf wohl annehmen, dass die Infection gleichzeitig statt¬
fand und es würde sich daraus als für beide Fälle passender Termin die Zeit vom
5. bis 7.'April ergeben. Von den bekannten Kranken dieser Zeit konnte dann nur
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der Schneider B. (25) in Betracht kommen, der nar ca. 115 m. von der Familie F.
entfernt wohnt; derselbe erkrankte am 6., hatte Ausschlag vom 7. an. Der Zusam¬
menhang ist also nicht nnmöglich, erscheint aber doch sehr fraglich; ein zur Infection in
diesem Stadium sehr nothwendiger directer Verkehr zwischen 25 und 30, 31 ist nicht
nachgewiesen und wenn wirklich 25 am 7. April schon contagiös war, wie sollte man
sich dann erklären, dass seine erst am 9. April mit Erfolg geimpften 4 Kinder alle
gesund blieben, ohne auch nur eine Spur eines verdächtigen Ansschlags. Die Mög¬
lichkeit einer zufälligen von auswärts erfolgten Ansteckung der Kinder F. muss also
offen gelassen werden. Ihr Ausschlag beginnt am 20. resp. 23. April, sie bleiben in
freiem Verkehre bis zum 14. Mai; Erkrankungen in der Familie vom 2. Mai an, erst
am 9. Mai erkrankt der einjährige Bruder (45).
Am 10. und 13. erkranken in St. Ludwig ein einjähriger Knabe (47) und dessen
Mutter (53), welche bis zum 2. Mai im gleichen Hause bei den Eltern der Mutter
gewohnt haben. Diese Eltern (62 und 67) erkranken am 18. resp. 26. Mai; bei der
letztem Erkrankung ist es natQrlich zweifelhaft, ob die Infection durch die zuerst oder
durch die secundär erkrankten Kinder F. erfolgte, da auch letztere am 12. bis 14.
längst contagiös waren; am wahrscheinlichsten ist doch die Infection durch Nro. 30,
der sich in den Tagen vor der Entdeckung (14. Mai) schon im Hanse und auf der
Strasse herumtrieb; auf ihn ist auch am ehesten die Erkrankung des in der Nachbar¬
schaft wohnenden Knaben 66 zurückzuföhren.
Unklar ist die Infection der erst am 4. Juni erkrankten in einem Spezereiladen
im Erdgeschosse beschäftigten Frau des Hauseigenthämers (77). Es war 10—14 Tage
zuvor, 21.—25. Mai, kein Variolakranker im Hause. Am 20. Mai war Frau M. (62)
mit dem eben erst beginnenden Ausschlage, sicher noch nicht contagiös, ins Absonde¬
rungshaus gekommen; erst am 26. erkrankte deren Mann (67). Eine nachträgliche
Infection durch inficirte, der Desinfection entgangene, Gegenstände vom Hanptherde im
I. Stockwerke ans ist nicht nnmöglich.
Interessant sind auch hier wieder die durch indirecte Uebertragung Angesteckten;
die Erkrankungen erfolgen vom 7.—14. Mai. Infection also ca. 23. April bis 4. Mai;
die erste (43) und letzte (54) erfolgt in der von 39 besuchten Schulklasse; eben¬
falls nur 2 Erkrankungen erfolgen in der nahen von 38 (und 30) besuchten Klein¬
kinderschule. Beide Schulklassen enthielten natürlich Dutzende von Ungeimpften
und wieder erscheint es als Zufall, dass in jeder gerade nur 2, und gerade die 2 er¬
krankten.
Genau bekannt ist der Zeitpunct der Ansteckung von 48; derselbe batte in der
Nacht vom 28. auf den 29. April mit dem (gesund bleibenden) Vater der Blattern-
familie zusammen polizeilichen Dienst.
Tertiäre Erkrankungen erfolgten nur 2 in St. Ludwig. Erkrankung des Kindes
H. (47) am 10., Ausschlag 13. Mai, Erkrankung des im gleichen Hause wohnenden
Kindes J. (65) und dessen Mutter (68) vom 24. bis 26. Mai. Mit deren Aufnahme
in unser Absonderuogsbaus war die Sache für St. Ludwig und damit überhaupt die
Gruppe III zu Ende. Und doch hatte es in den Familien der hier Erkrankten nicht
an Empßnglichen gefehlt; u. A. blieb in den Familien von 66 und von 51 je ein
angeimpftes Kind gesund.
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Von der IV. Gruppe interessiren uns hier nur die Brüder Sp. Der erste (85)
inficirt in Binningen, löjährig, ungeimpft, erkrankt 3., Ausschlag am 6. August. Schon
am 14. erkrankt dessen erst am 8. geimpfter jüngerer Bruder (86). Hier würde man
allerdings mit der üblichen Incubationszeit in das Initialstadium des Bruders als Ter¬
min der Infection gelangen; aber gerade dieser Fall ist wegen seiner Beziehungen nach
auswärts, welche eine von der Erkrankung des Bruders unabhängige Infection von
Binningen aus nicht ansschliessen, nicht beweiskräftig (abgesehen von der Möglichkeit
einer ausnahmsweise kurzen Incubationszeit).
Dreimal haben wir von wochenlang unentdeckten Kranken aus (die Entdeckung
erfolgte bei 1 16 Tage, bei 27, 30 und 31 über 3 Woeben nach der Eruption) die
Variola in zahlreiche Familien und Häuser verschleppt werden sehen.
Alle Kranken waren bis zu der durch den Ausschlag gesicherten Diagnose in
freiem Verkehre und immer wieder sehen wir durch sichere Absonderung der diagnosti-
cirten Fälle die Weiterverbreitung rasch und sicher abgeschnitten. Bei einer
schon im Prodromalstadium contagiösen Krankheit wäre das
unmöglich.
Nun könnte man freilich einwenden, es sei unberechtigt die Erfahrungen aus
dieser Epidemie ohne weiteres zu verallgemeinern; diese Epidemie habe in mehr als
einer Beziehung sich als ungewöhnlich milde bewiesen: die Letalität habe nur 97o
betragen; in ungewohnter Häufigkeit habe die Infection auch bei Ungeimpften versagt,
nicht nur seien in der Familie P. trotz wochenlangem Verkehre mit der blattern¬
kranken Mutter (27) von 7 ungeimpften Kindern 4 gesund geblieben, auch bei Kind
55 sei wohl die Mutter und eine ungeimpfte Schwester erkrankt, aber 3 weitere un-
geimpfte Geschwister seien gesund geblieben; das Kind 58 habe 3 Geschwister infi¬
cirt, ein viertes habe sich unempfänglich bewiesen. Es spielen eben beim Auftreten
aller Infectionskrankheiten noch unbekannte Factoren mit; die sehr verschiedene Intensi¬
tät verschiedener Epidemien beruhe auf der Mitwirkung oder dem Mangel solcher be¬
günstigender Factoren. Die Variola — so konnte man wohl hören — habe eben 1892
bei uns nicht recht ,gezogen“.
Dem gegenüber wäre zu erwidern, dass man kaum von fehlendem .Ziehen“ reden
kann, wenn ambulante Fälle sofort 10—20 secundäre Erkrankungen zur Folge haben;
es hat auch Müho genug gekostet dem weitern Zuge Grenzen zu setzen. Ferner ist
die Letalität von 97« nichts Auffallendes. Geringe Letalitäten kamen schon im vorigen
Jahrhundert vor; Sarcone (Correspondenzblatt 1881, pag. 497) spricht von Letalitäten
von 2—3 bis über 607» und nimmt als Mittel 7,27o = 'A* an. Dass die Variola
in einer milden Epidemie später contagiös sein sollte, als in einer bösartigen, ist von
vornherein unwahrscheinlich. Auch Masernepidemien sind in ihrer Bösartigkeit sehr
verschieden; wir sehen aber nicht, dass die Masern in einer milden Epidemie später
anstecken; sie sind immer früh contagiös; wie das zu ihrem Wesen gehört, so
gehört es gewiss umgekehrt auch zum Wesen der Variola nicht früh contagiös
zu sein.
Vor allem aber ist zu betonen, dass sich 1892 nur an einem durchsichtigen und
desshalb auch für deu ferner stehenden beweiskräftigeren Materiale gezeigt hat, was
wir schon in der Epidemie von 1885 auf Schritt und Tritt erfahren haben. Jene
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Epidemie Hess an Extensität und Intensität nichts zu wünschen übrig, da gegen die
massenhaften Einschleppungen von aussen mit aller Anstrengung nicht genügend aufzu¬
kommen war. Wir hatten vom Dezember 1884 bis Mai 1886 404 Erkrankungen, von
welchen 354 auf die 8 Monate Dezember bis Juli fielen. An schweren Fällen,
an ganzen Gruppen schwerer Fälle, war kein Mangel, wie schon die 76 Todesfälle
(nahezu 19% der Erkrankten) beweisen. Aber sehr bald stellte sich auch damals —
für uns damals neu und überraschend — die Thatsache heraus, dass ein beim Beginne
des Ausschlags isolirter Fall keine weitere Infection veranlasst and dass die Contagiosi-
tät sich anfangs nur bei unmittelbarstem Verkehre geltend macht.
Ein typisches Beispiel aus jener Zeit mag veranschaulichen, wie es sich mit der
Contagiosität der Variola im Beginne verhält.
Am 3. Februar erkrankte ein 34jähriger Schreinergeselle K. und blieb bis zum 7.
in der Wohnung seines Meisters B. am Münzgässlein bei einem dort wohnenden andern
Gesellen B. Die Nacht vom 7. auf den 8. Februar verbrachte er in einem Hause an
der untern Rheingasse im gleichen Zimmer mit 2 Schlafgenossen. Am 8. wurde die
Erkrankung erkannt, K. ins Absonderungshaus verbracht, und die Desinfection der beiden
vom Erkrankten benützten Zimmer vorgenommen. Die Impfung wurde von dem betreffen¬
den Sohreinermeister R., der 6 ungeimpfte Kinder hattej mit Verachtung zurückgewiesen.
Es erkrankte nun am 20. Februar der Geselle B., welcher vom 3. bis zum 7. das
gleiche Schlafzimmer mit K. benützt hatte. Unter Vermeidung dieses desinficirten Schlaf¬
zimmers hatte B. bis zum 21. auswärts in einem Bette mit einem Bekannten (der, bei¬
läufig bemerkt, gesund blieb) geschlafen; wie es ihm gelang einige Tage der Revision
zu entgehen, ist hier nebensächlich; genug, seine Variola wurde erst am 26. Februar
Morgens constatirt, nachdem er noch am 25., schon mit Ausschlag behaftet, mit der Familie
des Meisters zu Mittag gegessen hatte. Nun erfolgte sofort Absonderung und nochmalige
Desinfection des Krankenzimmers; von der Impfung war nach den Erfahrungen beim
ersten Falle nicht mehr die Rede. Es blieb auch die ganze Familie gesund, insbesondere
blieben es auch die ungeimpfcen Kinder, welche am 25. mit dem am 20. erkrankten
B. am gleichen Tische zu Mittag gespeist hatten. Nach fortgesetzter genauer Revision
verlor ich die Familie R. aus den Augen, bis mehrere Monate später am 22. Juni Herr
R. dem Sanitätsdepartement anzeigte, er habe eine an Blattern erkrankte Magd. In¬
zwischen hatte nämlich Frau R. geboren; die Hausgeschäfte wurden von 2 Mägden be¬
sorgt, von welchen die ältere erkrankt war. Das nicht ganz 12jährige ungeimpfte Mäd¬
chen R. hatte die kranke Magd besorgt, da die Mutter noch ziemlich angegriffen war;
ärztliche Behandlung hatte keine stattgefunden, die Laiendiagnose war aber richtig, die
am 17. erkrankte Magd hatte einen deutlichen Yariolaaussschlag. Was den Ursprung der
Infection betrifft, so war darüber nichts Genaues in Erfahrung zu bringen; unzweifelhaft
war die Magd ein Opfer der damals von Binningen aus massenhaft erfolgten Einschlep¬
pungen, welche die schon in Abnahme begriffene Epidemie wieder zu vorher unerreichter
Höhe steigerten. (Correspondenzblatt 1886, pag. 586—88.) In Bezug auf Impfung wurde
nur die Nebenmagd revaccinirt (mit Erfolg), die Familie blieb, wie sie war; die Erkrankung
des Mädchens R., welche mit der entwickelten Variola unmittelbar verkehrt hatte, war
zü erwarten.
Am 5. YU. erkrankt wurde das Mädchen bei der Revision am 6. mit Fieber zu
Bette gefunden. Als Complication ergab sich, dass die Familie R. im Begriffe war, am
7. die Wohnung zu wechseln; ich war aber damals schon genügend beruhigt über die
Harmlosigkeit einer Variola vor der Eruption; nachdem ich mich vergewissert hatte, dass
die verlassene Wohnung nicht sofort wieder bezogen werde, dass ferner zum Transporte
des kranken Mädchens kein öffentliches Fuhrwerk verwendet werde, überliess ich die
Familie ruhig ihrem Schicksale in der Absicht, am 8. in der neuen Wohnung wieder
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679
nachzasehen, wo durch den inzwischen aufgetretenen Ausschlag die Diagnose sicher genug
sein würde zum Transporte der Kranken ins Absonderungshaus. Mehrstündige Impfung
und mehrere dringliche neue Fälle Hessen mich aber am 8. nicht mehr zur Ausführung
meiner Absicht kommen. Am 9. Vormittags empüng mich die Mutter mit der fröhlichen
Behauptung, das Kind sei wieder ganz wohl und gerade zur Besorgung eines Auftrages
ausgegangen. Wenn die Lüge so gänzlich ohne Aussicht auf Erfolg auftritt, so kann
man sie mit Humor nehmen; ich beglückwünschte also die Frau zu dieser unerwartet
günstigen Wendung der Sache und wies sie an, das Mädchen Abends, wo ich wieder
des Weges käme, zu Hause zu behalten, da es doch meine Pflicht sei, mich yon seinem
Zustande zu überzeugen. Am Abend war gänzlicher Wechsel der Scene; die Frau ge¬
stand, sie habe sich am Morgen ,durchschaut gefühlt, und führte mich in eine Mansarde,
wo das Kind mit seinem Ausschlage lag. Auch in Bezug auf die Impfung war an die
Stelle des bisherigen Frostes Thauwetter getreten. Ich erklärte mich bereit zu impfen,
wen sie wollten, mit dem üblichen Vorbehalte: es schütze „erst in 14 TagenSo
würden denn von den übrigen 6 Kindern 3 geimpft, 3, welche schwächlich waren und
kränkelten, blieben ungeimpft. Der Erfolg war der erwartete: es blieben alle, ungeimpfte
wie geimpfte, gesund, d. h. frei von Variola, dagegen starben nach einigen Wochen die
zwei jüngsten Ungeimpften, aber nicht an Blattern, sondern an Gastroenteritis.
Der Stand der Familie R. und ihr Verhalten zu Variola und Vacoination
ergibt sich aus der folgenden Uobersicht:
Stand der Famiüe R. bis 22. VI. 1885. 23. VI. — 9. VH. Nach 9. VH.
fl [ m 35. Vacc. angebl. 1875 zum ersten
S I Male mit Erfolg
S I w 36. Vacc., rev. 1871 ohne Erfolg
( m 5 Wochen ungeimpft.
m 1“A« » .
1 w
2»/4
w
2»A
m
4'/! 2
m
8
w
geimpft 9. VII.
.geimpft 9. VII.
.geimpft 9. VII.
.erkr. 5. Abs. 9. VII.
gesund.
gesund.
gesund, (f 5. VIH.)
gesund, (f 28. VH.)
beide Gastroenteritis!
mit Erfolg, gesund,
gesund.
mit Erfolg, gesund,
mit Erfolg, gesund.
^ f w 47 Vacc. Imal, erkr. 17. VI. Ab-
Sonderung 22. VI.
S ( w ? Vacc. Imal, revacc. 22. VI. . mit vollem Erfolg, gesund.
Recapituliren wir kurz die Hauptpuncte: 1) Der erste Geselle erkrankt am 3.,
bleibt in der Wohnung des Meisters bis 7. Februar; angesteckt wird nur der zweite
Geselle, erkrankt 13 Tage nach dem 7., am 20. Februar. Dieser isst noch am 25.
mit der Familie des Meisters zu Mittag; keine Ansteckung.
2) Die Magd erkrankt am 17., wird angezeigt und isolirt am 22. Juni. Ange¬
steckt wird nur das pflegende Mädchen, erkrankt 13 Tage nach dem 22. Juni, am
5. Juli. Es wird am 8. von den andern Kindern durch Verlegung in eine Mansarde
getrennt, am 9. Absonderungshaus, keine weitere Ansteckung.
Wenn man wieder und immer wieder derartige Erfahrungen macht und keine
entgegengesetzten, so ist man wohl berechtigt, die Contagiosität der Variola vor der
Eruption als eine irrelevante Grösse zu betrachten. Selbst nach begonnener Eruption
erstreckt sich die Contagion nur auf die, welche im unmittelbarsten Verkehre mit den
Erkrankten stehen, während andere, auch Ungeimpfte, sich schadlos im gleichen Raume
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680
aufhalten können. Mit der weitern Entwicklung des Ausschlags nimmt die Con-
tagiosität rasch zu. Daher denn die sanitätspolizeiliche
Wichtigkeit der Diagnose und der Anzeige, sobald das Exan¬
them diese Diagnose möglich macht.
VIII. Einfluss der Vaccination auf Morbidität, Letalität und Mortalität.
Nach dem eben Auseinandergesetzten kann man nicht einfach die Glieder einer
Familie, in welcher ein Blatternfall aufgetreten ist, als geßlhrdet ansehen und aus
dem Auftreten oder Nichtauftreten weiterer Erkrankungen auf vorhandene oder fehlende
Empfänglichkeit schliessen; vielmehr kommt bei frühzeitiger Diagnose die lolirung des
Erkrankten der weitern Contagion zuvor.
Man muss also nur solche Familien wählen, in welchen der erste Fall durch das
Auftreten wenigstens einer secundären Erkrankung innerhalb oder ausserhalb der
Familie seine Contagiosität bewiesen hat; auch dann sind anfangs nur die im un¬
mittelbarsten Verkehre mit dem Erkrankten Stehenden gefährdet, während Andere, an
deren Empfänglichkeit kaum zu zweifeln ist, der Ansteckung nicht unterliegen.
In unserer Epidemie haben wir 9 Familien mit secundären Erkrankungen; diese
Familien sind bei Erörterung der Gruppen im vorigen Abschnitte schon besprochen;
es ist dort auch erwähnt, dass Nro. 86 in der Familie S. möglicherweise direct von
auswärts inficirt ist, statt als secundärer Fall mit kurzer Incubationszeit von seinem
Bruder (85) aus.
Diese 9 Familien umfassen 69 Lebende mit 34 Erkrankten, welche sich fol-
gendermassen vertheilen:
Zu spät
Lebende
Primär erkrankt
üngeimpft.
28
8
Geimpft.
31
2
Geimpft.
8
Geblättert.
2
1
Summe.
69
11
Der Ansteckung ausgesetzt
20
29
8
1
58
Secundär erkrankt
12
7
4
—
23
Es bleiben gesund
8
22
4
1
35
Sehen wir uns nach den Umständen um, unter welchen von den 28 üngeimpften
nicht weniger als 8 der Erkrankung an Variola entgangen sind. Sie vertheilen sich
auf 3 sämmtlich der II. Gruppe angehörige Familien.
Von der Familie F. erkrankt am 14. Mai Nr. 55; der Ausschlag erscheint angeb¬
lich erst am 18.; am gleichen Tage Absonderung; die Impfung wird verweigert. Es er¬
kranken am 28. und 31. Mai die Mutter und eine ungeimpfte 13jährige Schwester (70
und 73); 3 weitere ungeimpfte Geschwister: m. 12, w. 9- und Bjährig bleiben gesund.
Der 12jährige Knabe wird am 15. Juni (wegen Eintrittes in eine Anstalt) geimpft —
mit Erfolg. Hier ist es nach den gesummten Umständen wahrscheinlich, dass die jungem
Geschwister noch gar nicht der Ansteckung ausgesetzt waren, wie vermöge der Pflege
des zuerst Erkrankten die Mutter und die ältere Schwester.
Familie Sch. Am 15. Mai erkrankt Nro. 58; erst am 20. wird ein Arzt zu der
„Rothsucht^ gerufen und es erfolgt Absonderung; die Impfung wird verweigert. Es er¬
kranken von den 4 üngeimpften Geschwistern die drei jüngern (71, 72, 74); ein
5jähriges Mädchen bleibt gesund. In diesem Falle ist kein Grund anzuuehmen, dass es
nicht der Infection so gut wie die andern Geschwister ausgesetzt gewesen sei.
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681
Das Haoptinterosse beansprucht die Familie P., bestehend ans dem 42jährigen,
1873 geblätterten Vater, der Mutter (Nro. 27) und 8 Kindern, wovon ein 7jähriger
Knabe geimpft, die andern 7 von 14 Jahren bis 7 Wochen ungeimpft. Die Mutter er¬
krankt am 8. April und bleibt bis zum 4. Mai zu Hause; es erkranken von den 7 Un-
geimpften 3 (32, 35, 36), der Säugling tödtlich, die andern sehr mässig. Qesund bleiben
ausser dem Vater, der geimpfte Knabe und 4 Ungeimpfte, letztere sämmtlich Mädchen
von 5, 6, 972 und 14 Jahren. Der Knabe vermittelte als gesunder Zwischenträger die
Infection seiner Klassengenossen 57 und 58. Die 4 Ungeimpften waren natürlich Gegen¬
stand wiederholter genauer Untersuchung; es waren weder Impfharben zu constatiren,
noch Spuren einer etwa kürzlich, vor Erkrankung der Mutter, durchgemachten Variola;
das 5jährige hatte rechts am Gesäss e i n stark hirsekorngrosses Krüstchen, das 6jährige
zufällig an ganz analoger Stelle eine frische Narbe von gleicher Grösse, sonst war die
Haut Aller ganz glatt und unverdächtig. Sie waren und blieben ungeimpft und —
trotz unzweifelhafter Gelegenheit zur Infection zuerst durch die Mutter, dann durch die
ebenfalls contagiösen Geschwister — gesund.
Gewiss ein seltener Fall nach allem, was wir aus dem vorigen Jahrhundert über
Unempfanglichkeit „ Pockenfähigerwissen und auch nach unsern bisherigen Erfahrungen,
ln der Epidemie von 1885 habe ich nur ein ungeimpftes Kind neben andern secundären
Erkrankungen in der Familie gesund bleiben sehen. Es handelte sich um die Familie
eines Schmiedes, bestehend aus den Eltern 29—30jährig, der 52jährigen Grossmutter,
4 ungeimpften Knaben (3^Yi2, l74jährig, Zwillingen von 4 Monaten), endlich einem
26jährigen Gesellen. Es erkrankt am 28. Februar der 174jährige Knabe und wird erst
am 5. März ins Absonderungshaus gebracht (f 9. März). Die Impfung wird zurückge¬
wiesen; erst am 11. lässt sich der älteste Knabe im nahen Schlachthause impfen (mit
Erfolg, aber ohne damit die am 15. beginnende tödtliche Elrkrankung zu verhindern);
es erkranken nach einander der eine der 4monatlichen Zwillinge, der genannte Knabe
(beide tödtlich), ferner die Grossmutter und der Geselle; der andere Zwilling bleibt ge¬
sund. Das ist der einzige Fall eines Ungeimpften, den ich vor 1892 unter Umständen,
welche die Infection als mindestens sehr wahrscheinlich annehmen Hessen, gesund bleiben
sah. (Eine erst im Herbste 1894 gemachte Beobachtung von 3 für Variola unempfäng¬
lichen ungeimpften Kindern siehe am Schlüsse dieses Abschnitts.)
In der Epidemie von 1885 kam überhaupt in 35 Familien mehr als 1
Erkrankung vor (ungerechnet Fälle beim Dienstpersonal, welche für die weitere Infection
nicht dieselben Bedingungen darbieten, wie Familienglieder). In etwa 10 Fällen han¬
delte es sich nicht oder sehr wahrscheinlich nicht um secundäre, vom ersten Erkrankten
inficirte Fälle; über einige weitere Familien im Beginne der Epidemie fehlen mir
genügend genaue Notizen über sämmtliche Familienglieder, so dass nur 19 Familien
verwerthbar sind, welche
zusammen 119
Personen
umfassen.
Diese vertheilen sieb
folgendermassen:
Ungeimpft.
Geimpft.
Zu spät
Geimpft.
Geblättert. Summe.
Lebende
30
72
15
2 119
Primär erkrankt
12
7
—
— 19
Der Ansteckung ausgesetzt
18
65
15
2 100
Secundär erkrankt
17
15
5
— 37
Es bleiben gesund
1
50
10
2 63
Hier sieht es für die Ungeimpften viel ungünstiger aus, als in den 9 Familien
von 1892.
44
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682
Von dem Beginne
mären Falles verliefen:
der Erkrankung
1885
bis zum Beginne nder Absonderung des pri-
1892
3 Tage 1 mal —mal
4 . 7 . 3 ,
5 , 4 , 1 ,
6 . 2 , - .
7 . 1 . - ,
8 . - . 2 .
über 15 , 4 „ 3 ,
Familien 19 9
Die Erkrankung nach nur 3tägigem Aufenthalte des ersten Falles in der Familie
betraf den 30jährigen Vater eines am 26. Februar erkrankten, am 1. März abgeson¬
derten Kindes; er erkrankte am 10., die übrige Familie, darunter 3 erst am
2. März mit Erfolg geimpfte Kinder, blieb gesund; anderweitige Infection des Vaters
ist in jener Zeit und speciell in jener Gegend nicht ausgeschlossen.
Summiren vir die 188 Personen aus den 28 in den beiden Epidemien beobachteten
’ - - --
Familien, so erhalten wir _ _ .
7 ~ ~
Lebende
Erkrankt
Gestorben
Geimpfte (incl. Bevaccinirte):
103
31
1
üngeimpfte (incl. eine 34jährige nur einmal
ohne Erfolg geimpfte):
58
49
10
Zu spät Geimpfte:
23
9
2
Geblätterte:
4
1
—
188
90
13
Nach dem Alter vertheilen sich die Geimpften und Ungeimpften folgender-
massen:
Geimpfte üngeimpfte
Unter 1
Jahre
Lebende
Erkrankt
Gestorben
Lebende
6
Erkrankt
5
Gestorben
4
1— 2
V
—
—
—
4
4
2
2— 5
1
—
—
17
17
4
5-10
»
5
—
—
20
14
—
10—15
9
14
o
u
—
7
5
—
15—20
n
10
4
—
3
3
—
20—30
9
23
8
—
—
—
—
30—40
9
28
8
—
1
1
—
40-50
9
12
6
1
—
—
—
50—60
9
7
2
—
—
—
—
60—70
*
3
1
—
—
—
—
Summe
103
31
1
58
49
10
Auf 100 Lebende
30
1
84
17
Trotz der Familie P., welche allein 4 von den 9 blatternfrei gebliebenen Unge¬
impften geliefert hat, ist die Differenz zu Gunsten der Geimpften so augenfällig, dass
sie keiner weitern Erörterung bedarf.
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68ä
Von den 103 Geimpften waren 21 mit 5 Erkrankten und 1 'todesfali
rechtzeitig und mit (angeblichem) Erfolg revaccinirt, sämmtlich von 20 — 50
Jahren, so dass sich für diese 3 Jahrzehnte die Geimpften folgendermasseu ver¬
theilen:
Lebende Erkrankte Gestorben
Geimpfteinmal 42 17 —
(incl. nicht, ohne Erfolg und zu spät Bevaccinirte).
Rechtzeitig mit Er folg revacci nirt 21 5 1
Auf die Revaccinirten treffen also relativ weniger Erkrankte, aber der einzige
geimpfte Gestorbene aus diesen 28 Familien.
Zieht man nur die Familien in Betracht, wo bis zur Absonderung des ersten
Falles 6 und mehr Tage verliefen, so haben wir im Ganzen 12 Familien mit 80 Per¬
sonen, davon 28 Ungeimpfte, von welchen nur jene 4 Kinder der aussergewOhnlichen
Familie P. gesund blieben.
Soviel über das Auftreten der Variola in Familien, welche der Infection aus¬
gesetzt waren. Die beigebrachten Zahlen sind klein; aber wie schon im Ein¬
gänge bemerkt ist, giebt es wohl keinen andern Weg um zuverlässige grössere
Zahlen zu erhalten, als das geduldige Summiren kleiner sorgfältig beobachteter
Gruppen.
Welchen Einfluss die Vernachlässigung der Impfung und die dadurch be¬
wirkte Anhäufung Empfänglicher auf die Ausbreitung der Variola hat,
mag das Beispiel der 3 grossen im vorigen Abschnitte genauer erörterten Gruppen
zeigen. Sie umfassen zusammen 62 Erkrankte in folgender Vertheilung.
Erkrankte:
primär
secundär
tertiär
Summe
I. Gruppe:
1
20
2
23
II. Gruppe:
1
ca. 11
ca. 8
20
III. Gruppe:
2
ca. 15
ca. 2
19
4
ca. 46
ca. 12
62
Wären alle Kinder mit Ablauf des
2. Lebensjahres geimpft und damit immunisirt
gewesen, so wären nicht nur
die öber‘2 Jahre alten Ungeimpften dieser Gruppen ge-
Sund geblieben, sondern auch diejenigen
Personen,
welche erst durch die Erkrankung
dieser Ungeimpften inficirt worden sind; es wären
also z. B. weggefallen: die ganze
III. Gruppe, deren primäre
Fälle ungeimpfte Kinder von 2 und 5 Jahren waren.
die einzigen tertiären Fälle
der I. Gruppe u. s. w. Es wären
somit erkrankt bei
Durchführung der Impfung mit Ende des zweiten Jahres:
primär
secundär
tertiär
Summe
I. Gruppe
1
14
0
15
II. Gruppe
1
4
1
6
III. Gruppe
0
0
0
0
2
18
1
21
Unter denselben Umständen, welche bei uns zu 62 Erkrankungen geführt haben,
hätte es also z. B. im benachbarten Mülhausen nur 21 gegeben; ein Drittel!
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684
Nach Alter, Geschlecht, Impfzustand und Ausgang der
E rankheit rertheilen sich die 88 F&lle unserer Epidemie fotgendermassen:
Rechtzeitig u. m. Erfolg geimpft
Revaccinirt
ohne Erfolg
recht-
^Ge-
zu spät
ün-
Total männ-
weib-
1 mal od. Erfolg
ZU
zeitig
blat-
ge-
ge-
lieh
lieh
fraglich
spät m.Erfolg tert
impft
impft
Unter 1
Jahre
42
2
22
—
—
—
—
—
2i
2i
1— 2
V
4i
Ol
1
--
—
—
—
—
1
3i
2— 5
9
ll2
52
6
—
—
—
—
—
2
92
5—10
V
16
7
9
—
—
—
—
—
1
15
10—15
11
5i
3i
2
1
—
—
—
—
1
3i
15—20
9
7
7
—
4
—
1
—
—
—
2
20—30
9
14
7
r?
•
5
2
2
2
—
—
3
30—40
9
13
6
7
11
1
—
1
—
—
—
40—50
9
6i
3
3i
3i
1
—
1
1
—
—
50—60
6
2
4
1
2
2
1
—
—
—
60—70
V
2i
li
1
2i
—
—
—
—
—
—
Summe
888
46»
42$
272
6
5
5
1
7i
375
382
Der jüngste geimpfte Erkrankte ist ein 14jähr. nicht revaccinirter Maurerhandianger
(Nro. 69). Die Zahl der Todesfälle ist eine relativ sehr kleine, nur 97« der Erkrankten.
Als schwere dauernde Schädigung ist noch zu erwähnen, dass ein Tjähriges ungeimpftes
Mädchen (54) das eine Auge verlor.
Die Erankheitsdauer der Genesenen war bei den 36 Geimpften
(incl. erfolglos oder zu spät Revaccinirten), 5 Revaccinirten und 32 Ungeimpften
folgende:
Erankheitsdauer der Genesenen in Tagen.
Vaccinirte
*Beyaccinirte
Ungeimpfte
Unter 1
Jahre
—
—
30
1— 2
n
—
—
23
2— 5
9
—
—
31
5—10
9
—
—
34
10—15
7i
19
—
22
15—20
9
17
—
33
20—30
Ji
17
20
32
30—40
9
22
23
—
40-50
Ti
21
16
—
50—60
9
28
21
—
60—70
9
25
—
—
Durchschnitt
21
20
32
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685
Die zu Grunde Hegenden Zahlen sind klein; immerhin tritt z. B. von 15—30
Jahren der Unterschied zwischen Geimpften und üngeimpften an dem objectiven Mass-
stabe der Krankbeitsdauer gemessen sehr deutlich hervor.
In der Summe der Jahre 1884 bis 1892 sind in Baselstadt 504 Blatterner
kiinkungen mit 84 Todesßlllen zu amtlicher Eenntniss gelangt; davon waren:
Erkrankte
Todesfälle
Geimpfte (incl. ohne Erfolg oder zu sp&t Bevaccinirte)
281
29
Bevaccinirte (rechtzeitig, mit Erfolg)
23
1
Ungeimpfte (incl. ohne Erfolg geimpfte)
172
50
Zu spät Geimpfte
24
3
Geblättert
2
—
Fraglich
2
1
Fraglich sind geblieben (aus der Epidemie von 1885) ein erst nach dem Tode
bekannt gewordener Fall und ein Erkrankter, der sich beim Beginne seiner Erkrankung
in ein benachbartes Dorf begeben hatte, so dass die Sache erst nach seinem dort er¬
folgten Tode zu unserer Eenntniss kam; er fehlt desshalb in unserer Zahl der Todten.
Die Hauptgruppen der Geimpften, Bevaccinirten und Üngeimpften vertheilen sich fol-
gendermassen:
Letalit&t der Variolakranken 1884 —189 2.
Unter 1
Geimpfte (incl. ohne Erfolg Bevaccinirte
oder zu spät Bevaccinirte) (mit Erfolg)
Er- Todesfälle Er- Todesfälle
krankte absolut in7o krankte absolut in 7o
Jahre — — — — — —
Ungeimpfte (incl. ohne
Erfolg geimpfte)
Er- Todesfälle
krankte absolut in 7«
10 8 80,0
1— 2
1 )
—
—
—
—
- -
12
8
66,7
2— 5
%
—
—
—
—
- -
49
18
36,7
5—10
9
—
—
—
—
- -
66
11
16,7
10—15
9
8
—
—
—
- -
19
3
15,8
15—20
9
24
1
4,2
—
- -
10
2
20,0
20-30
9
91
8,1
7
- —
4
—
—
30—40
9
69
4(
9
- -
1
—
—
40—50
9
46
41
13,5
3
1 ]
1
—
—
50—60
Jt
28
6/
3
—
—
—
60—70
9
11
fl
33,3
1
— —
—
—
—
70—80
9
4
—
- -
—
—
—
281
29
10,3
23
1 4,2
172
50
29,1
Die Abnahme der Letalit&t vom ersten Jahre bis zum Quinquennium von 10—15
Jahren, das Ansteigen von da an mit steigendem Alter, der Unterschied zwischen
Geimpften und Üngeimpften, sind ohne weiteres deutlich.
Gesondert sind stets die zu sp&t Geimpften aufzufähren und eine Statistik,
welche nur Geimpfte und Ungeimpfte kennt, erweckt von vornherein Misstrauen; als
Geimpfte können doch nur solche gerechnet werden, bei welchen der durch Inoculation
der Vaccine hervorgerufene Process abgelaufen ist. ,Zu spät" geimpft sind alle diejenigen.
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686
bei welchen vor diesem Abläufe Gelegenheit zu Infection mit Variola vorhanden war.
Natürlich soll damit nicht gesagt sein, dass dabei die Impfung stets zu spät
sei, um einen Nutzen zu haben; vielmehr wird ein solcher sich zeigen um so
mehr, je rascher der Infection mit Variola noch die Vaccination folgte, je weiter
dem entsprechend sich vor dem Ansbruch der Variola der Vaccineprocess ent¬
wickeln konnte. Eben desshalb dürfen diese Fälle auch nicht zu den Ungeimpften
gerechnet werden.
Von unsern 24 Fällen sind 3 (sämmtlich günstig verlaufene) nicht verwerthbar,
weil sie ans Binningen zu uns gebracht wurden und der Beginn der Erkrankung und
damit dessen Abstand vom Tage der Impfung nicht genau festzustellen war; die übri¬
gen 21 mit 3 Todesfälle vertheilen sich nach dem Alter der Erkrankten und dem Alter
der Vaccination, wie folgt:
Es erkrankten am Tage nach der Impfung
0123456789 10 11 Summe
___________ 1 1
_ i___ 2i
______ !_____ 1
— 1__ i-|-__ 2 1 1— - 6i
lt2 1 1— 1 1 1 1 — — _ 9i
______ !_____ 1
______ !_____ 1
~Yi Ti i i ii i 4 3 3 i i 21$
Von den 21 Erkrankungen begannen nur 2 jenseits des 8. Tages nach der
Impfung; die späteste, am 11. Tage, betraf eia 1885 im Absonderungsbanse geborenes
und 6 Stunden nach der Geburt mit vollem Erfolge geimpftes Kind; die Erkrankung
war sehr leicht, beinahe diagnostisch unsicher. Bei den tOdtlichen Fällen b^ann die
Erkrankung an den ersten Tagen nach der Impfung; speciell bei dem Gestorbenen
über 5 Jahren brach die Krankheit am Tage der Impfung aus; er war der Variola
gegenüber ein gänzlich ünvaccinirter.
Es knüpft sich an diese Fälle die Frage: Wann beginnt die gegen¬
seitige Immunität? Was die Immunität der Vaccinirten gegen
Variola betrifft, so hat unter unsern 21 Fällen die letzte, fast zweifelhafte, Er¬
krankung an Variola am 11. Tage nach der Impfung begonnen. Man findet in der
Literatur selten Angaben, welche über das Ende der zweiten Woche binausgehen.')
Unter 4 Fällen, über welche Brunner (1. c.) berichtet, begann einmal die Erkrankung
13, der Ausschlag 15 Tage nach der Impfung. Bei 16 Fällen Wedddnds*) ging die
Impfung dem Exanthem voraus: 1 Mal 14, 1 Mal 12, 3 Mal 11 Tage; in den andern
*) Vielfach bleibt eg wegen Ungenauigkeit des Aasdracks (Aogbmch, apparition, la variole
„se ddclare" etc.) fraglich, ob der Beginn der Erkrankung oder des Ansschlags gemeint ist; über-
haopt fehlt meist eine klare Disposition des Materiales nach Alter, Distanz von der Impfang and
Ansgang.
Die Pocken im Canton Zürich . . . mit besonderer Berficksichtigang der Epidemie von
1885/86.
Alter der
Erkrankten
0— 1 Monat
1 - 6 .
1— 2 Jahre
2- 5 ,
5—10 ,
10—15 ,
15-20 .
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687
Fällen war die Distanz noch kleiner. Von mehr als 30 Berichterstattern aas den
Jahren 1808 and 1809') berichtet nnr je einer Ober .apparition de la petite veröle
le treizidme“ and ,le qnartorzi^me jonr de la raccination*; alle übrigen Termine sind
kürzer.
Ans Württemberg berichtet Cless (1. c. pag. 9), es sei ,bis jetzt noch kein
sicher constatirter Fall znr Kenntniss gelangt, wo die Focken bei gelungener Vac-
cination oder Revaccination später als am zwölften Tage zum Ausbruche gekommen
wären*.
Dass unter den Erkrankungen im Laufe der zweiten Woche nach der Impfung
noch schwere Fälle Vorkommen können, wird mehrfach berichtet.^) Sehr selten
aber finden sich Angaben über Erkrankungen noch in den spätem Tagen der dritten
Woche. So erwähnt Legendre^) (nicht nach eigener Beobachtung) des exemples de
varioles survenant (Ausschlag oder Erkrankung?) 6, 7, 8 et möme 17 jours apres la
vaccination. BiUiet et Barthee*) beobachteten unter 7 Erkrankungen eine .vingt
jours aprös la vaccine qui ötait croüteuse*. Forhe^) berichtet u. A., .dass ein
12jähriges Kind, weiches bald, nachdem es der Blatteransteckung ansgesetzt ge¬
wesen war, vaccinirt wurde und die Euhpocken gehörig nberstand (wobei freilich ihr
Verlauf und ihre Zahl nicht angegeben wird) nach 3 Wochen ohne wieder
einer Ansteckung der Blattern aasgesetzt gewesen zu sein, mit diesen befallen wurde
und starb.*
Jedenfalls handelt es sich bei derartigen Fällen um individuelle Ausnahmen von
äusserster Seltenheit. In der Regel beobachtet man im Gegentheil, dass eine Schutz-
Wirkung der Vaccination sich schon viel früher geltend macht.
Schon bei Gelegenheit der Diagnose wurde bemerkt, dass (mit Ausnahme des
eben erwähnten, im Absonderungshause geborenen Kindes) keines der angeimpft hin¬
eingebrachten und erst dort geimpften Kinder an Variola erkrankte.
Der Impfschutz scheint, wenn die Impfung nur kurze
Zeit nach der Gelegenheit zur Infection mit Variola vor¬
genommen wird, in der Regel noch rechtzeitig einzu¬
treten; und wenn ein zu spät Geimpfter noch an Variola erkrankt, so verläuft die
Erkrankung durchschnittlich um so leichter, je weiter die Entwicklung der Vaccine
noch vor dem Beginne der Variola vorschreiten konnte.^) Es ist daher bei
drohender Variola stets angezeigt so rasch als möglich
*) Rapport da comitd central de raccine anr les raccinationa pratiqudea en France pendant
lea anndea 1808 et 1809.
*) So erwähnt z. B. Thomas (Beiträge znr Pockenataatiatik, Archiv der Heilkunde Bd. XIII
pag. 185 n. ff.) achwere Pocken noch in der Mitte der zweiten Woche nach der Impfang ala immer¬
hin aelten. Bivilliod, Etnde anr la variole, Bulletin de la aocidtd mdd. de la Sniaae romande 1871,
pag. 330, .Decäa par variole conflnente nnllement modifide par nne vaccine parfaitement legitime
pratiqnde neuf jonra avant le d^bnt dea prodromea."
*) Da ddveloppeAient aimnltand de la vaccine et de la variole, Archivea gdndralea de med., 4.
adrie, tome VI, pag. 21 n. ff.
*) Traitd cliniqne et pratiqne dea maladiea dea enfanta. Paria 1843, tome II, pag. 527.
*) Bei Laders., 1. c. pag. 102.
*) Analogen Erfahrungen begegnet man vielfach. So aagt z. B. Thomas (1. c.): .Nach hän-
figen Erfahrungen aber bleibt die Pockenerkranknng öftere achon früher ana, nämlich dann, wenn
aich nach der vermnthlicben Aufnahme dea Pockenconta^iuma in den Organiamna die inzwiachen ein-
geimpften Knhpocken recht intenaiv und extenaiv auabilden; ea acheint alao eeine Thätigkeit achon
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688
zu impfen; es schadet nie und kann mehr oder weniger nätzen, vielleicht noch
einer Erkrankung an Blattern zurorkommen.
Es wäre überflüssig das zu betonen, wenn nicht immer wieder von Zeit zu Zeit
die entgegengesetzte Behauptung auftauchte: es sei gefährlich im Incubationsstadium
der Variola zu impfen. Diese Behauptung stützt sich auf ältere, längst als irrig er¬
wiesene Anschauungen.')
Was anderseits die Immunität der Variolakranken gegen die Vaccine
betrifft, so bildete sich bei dem am Tage der Impfung tüdtlich erkrankten Sjährigen
Knaben die Vaccine noch gleich aus, wie die Variola. Dagegen sind Impfungen,
welche bei bereits vorhandenem Variolaausschlage *) wegen anAnglicher
diagnostischer Zweifel (z. B. bei wenigen Pustelchen in sehr leichten Fällen) ansge¬
führt wurden, stets erfolglos verlaufen. Wenn eine Impfung, welche bei bereits
vorhandenem Ausschlage gemacht wird, eine gut entwickelte Vaccine im Gefolge hat,
so ist der schon vorhandene Ausschlag wohl sicher nicht Variola gewesen.
Handelt es sich nicht darum, im Einzelnen den Einfluss der Vaccination zu be¬
messen, sondern will man sich einen Begriff machen vom Verhalten gesamm-
ter Bevülkerungen bei verschiedener Durchführung der Impfung, so liefert
schon die Vertheilung der Variolatodesfälle nach Altersklassen und noch mehr
deren Verhältniss zur Zahl der Lebenden die Variolamortalität sehr schlagende
Ergebnisse. Je vollständiger die obligatorische Impfung durcbgeführt ist, um so voll¬
ständiger fehlen auch in den dem Impftermine folgenden Altersjahren Todesfälle an
Variola, während dieselben Altersklassen sich bei Vernachlässigung der Impfung stets
schwer mit solchen belastet erweisen. Auch bei uns zeigt sich die Wirkung der im
1. Abschnitte geschilderten Abnahme der Vaccination beim Vergleiche der Variola¬
mortalität in der Epidemie der Jahre 1884—86 und in der Epidemie der Jahre 1870
bis 1872.
durch den sich entwickelnden Vsccineprocess gehemmt nnd anfgehoben werden zn können.“ . . .
„Die Pockenerkrankungen nnd besonders die schweren nnd tödtlichen Formen werden immer weniger
häufig, je mehr Tage seit der Impfung verfiossen sind* u. s. w. Aehnlich (1. c, pag. 41)
„L’influence avantageuse qu’exerce la vaccine sur^la variole parait 6tre d’autant plus marqude qu’aa
moment de Fdyolution de la variole Pdruption vaccinale est plus avancde*.
So berichten Büliet et Barthez (1. c.) über 7 Fälle, von welchen 6 tödtlich verliefen. „Chez
tous il se declara une variole des plus irregnlieres . . . Ces faits trop neu nombreux sem*
bient Indianer que la vaccine pratiqu^e chez des enfants qui sont sous rinuuence du contagium va-
riolique, n^emp§che pas le ddveloppement de la variole mais qu’il en rdsulte une pcrtor-
bation fächeuse.* Doch fügen sie bei: „Toutefois avant d*attribuer ä la vaccine seule
funeste rdsultat, il faut noter que Ta plnpart de ces enfants, tr^s jeunes, dtaient plus ou moins de-
bilitds, et presque tous placds dans des circonstances oü naissent les
varioles anomales...“ In der zweiten Aufiage, 1861, (Tome III, pag. 78) kommen dieselben
auf Grund ausgiebiger Literaturnachweise zum Resultate: dass, wenn bei einem im Incubationsstadium
geimpften Kinde die Eruption der Vaccine der Eruption der Variola vorausgeht, die letztere fast
immer modificirt wird, „que dans la grande majorite des cas la modification sera favo-
r a b 1 e; que si la fi4vre eruptive en se modifiant prend un caractere de ^ravitd il faut Tattribuer
surtont ä V^tat de santd anterieure Joint au träs jeune äge des enfhots“. Die ebendaselbst befindliche
Anmerkung „La vaccine est contre-indiqude par Füge seul dans les premiers Jours de la vie“ ist
durch die Erfahrung ebenfalls längst widerlegt. Die 1885 auf der geburtshülfiichen Abtheilnng
unseres Bürgerspitals vorgenommenen Impfungen haben vollständig die Mittheilungen von Gctst (Med.
Jahrb., Bd. 183, pag. 201 u. flP.) bestätigt, wonach die Impfungen Neugeborener erfolgreich und mit
wenig Reaction, auch ohne Fieber verlaufen.
•) Trousseau (Clini^ue mddicale, III. edit. I., pag. 71) citirt nach Tardieu „un cas oü il
avait vu rdussir la vaccination pratiqude au ddbut de Tdruption variolique“.
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689
Mortalität an Variola in Basel.
1870'biB 1872 1884 bis 1886
(Mangelhaft dnrchgefahrter) Impfzwang Kein Impfzwang
Bevölkerung Variolatodesfälle Bevölkerung Variolatodesfälle
Mitte
1870-
-18721)
Mitte
1884^-1886
des Jahres 1871
absolnt
auf 10000
des Jahres 1885
absolut
auf 10000
Lebende
Lebende
Unter 1
Jahre
1010
7
69,3
1436
7
48,7
1— 2
n
928
n
17,0
1425
44,5
2— 5
2602
5 /
3968
17 r
5—10
4079
—
—
6142
12
19,5
10—15
V
3453
1
2,9
5648
2
3,5
15—20
V
4092
3
7,3
6717
3
4,5
20—30
«
9911
17
174
13554
10
7,4
30—40
8001
15
18,7
10473
4
3,8
40—50
n
5461
14
25,6
7902
4
5,1
50—60
n
3375
11
32,6
5121
6
11,7
60—70
/
V
2008
4
19,9
2842
3
10,6
70-80
n
747
2
26,8
1075
1
9,3
Üeber80
9
135
—
—
199
—
—
45802
80
17,5
66502
76
11,4
Während die Mortalität in der spätem Epidemie durchschnittlich viel geringer
ist, als in der grossen Epidemie im Beginne der siebziger Jahre, erscheinen gerade die
von der Vernachlässigung der Vaccination betroffenen Altersklassen vom vollendeten
1. bis 15. Jahre als schwerer belastet; am grellsten ist die Differenz vom 5. bis
10. Jahre, wo 1870—72 kein Todesfall vorkam, während die Mortalität in der
Snmme der 3 Jahre 1884 bis 1886 nahezu 27oo betrug (vergl. die graphische Dar¬
stellung).
Zu erwähnen ist hier endlich noch die Verschiedenheit in der Em¬
pfänglichkeit für Variola und für Vaccine. Bekanntlich hat man
nicht so selten Gelegenheit eine Impfung erfolg reich verlaufen zu sehen bei Indivi¬
duen, welche zuvor erfolg I o s mit Variolakranken verkehrt haben. Es handelt sich
dabei wohl vielfach um Fälle, wo die Kranken noch gar nicht contagiös gewesen sind
oder doch nur contagiös im unmittelbarsten Verkehre, also Fälle, wie der oben (pag.
680) erwähnte des Knaben F. Aber auch bei unzweifelhaftem Verkehre mit contagiösen
Kranken können wir dasselbe Verhalten beobachten, so in einem Falle der Epidemie
von 1885:
Ein Landwirth batte einen Vaganten als Arbeiter eingestellt; dieser erkrankte am
26. Mai, wurde am 2. Juni entlassen, ttbernaohtete dann im Freien, bis er am 4. Juni
in Spitalbebandlung kam. Der Landwirtb wies die Impfung zurück für sieb und seine
Familie (m. 35, w. 28, Kinder un6 4 Wochen), ebenso seine Magd und seine
beiden Knechte, von welchen der eine, m. 26j., geimpft und ohne Erfolg beim Militär
revaccinirt, mit dem Variolakranken in einer Scheune geschlafen hatte. Der nahezu
*) Nicht mitgerechnet sind vier Todesfälle von französischen Militärs und ein (im Berichte über
die Epidemie von 1885 noch mitgerechneter) „ Varicellen^todesfall, Kind von 10 Monaten, bei welchem
es sich nach den Angaben des Todesscheines wirklich nm Varicellen kann gehandelt haben.
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690
2jährige Knabe, der sich schon selbstständig vor dem Hause herumtrieb, war offenbar
mit dem Kranken in Berührung gekommen; er erkrankte am 16. Juni, am 18. Abson¬
derungshaus. Nun war allgemeiner Drang zur Impfung, die u. A. bei dem Schlafgenossen
einen so yollkommenen Erfolg hatte, wie bei einem erstgeimpften Kinde.
Noch schlagender ist eine Beobachtung aus den letzten Wochen, bei welcher auch
eine diagnostisch interessante Erkrankung mit unterlief.
Nachdem die Stadt und ihre weitere Umgebung seit Monaten von Blattern frei
gewesen war, wurde am 15. September ein l72jähriges Mädchen als sehr wahrscheinlich
variolakrank angezeigt von dem Arzte, in dessen Sprechstunde es die Mutter gebracht
hatte.
Die Untersuchung zu Hause im engsten Raume und unter zahlreichen andern Kin¬
dern zeigte bei dem fraglichen Kinde einen über den ganzen Körper verbreiteten Aus¬
schlag, nach dem ersten Gesammteindrucke: n i c h t Varicellen, also, da ein Drittes nicht
in Frage kam, Variola. Bei näherm Zusehen ergaben sich aber doch einige Zweifel. Viel¬
fach entsprach der Ausschlag nicht einer normal entwickelten Variola eines nngeimpften
Kindes am dritten Tage der Eruption. Zahlreiche Bläschen erschienen als sehr dünn¬
wandig mit trübem, serös-eitrigem Inhalte, zum Theil etwas welk; da und dort war die
centrale Vertiefung nicht eine Delle, sondern deutlich das Resultat von Eintrocknung;
einzelne Bläschen waren grösser, unregelmässig, die Mitte zu einer bräunlichen Kruste
vertrocknet, ganz entsprechend einem grössere in Vertrocknung begriffenen Varicellen¬
bläschen. Daneben zeigte die Haut noch allerlei sonstige Fleckchen und Papelchen;
ferner war das Kind noch angegriffen und fiebernd, mehr als bei Variola dem Stadium
und der Menge seines Ausschlages entsprach. Als mögliche Ursache dieses Fiebers war
noch beidseits in der Hüftgegend ein Abscess im Unterhautzellgewebe vorhanden.
Immerhin war, auch abgesehen von den gleich näher zu erörternden, sehr für
Variola sprechenden sonstigen Umständen (mehrtägiges Prodromalfieber, vorausgegangene
Erkrankung der Mutter u. s. w.), der Verdacht auf Variola sehr gross und das Kind
wurde noch am gleichen Abend ins Absonderungshaus verbracht.
Am andern Morgen war das Variolabild unzweideutig, die Vertrocknung batte
nirgends Fortschritte gemacht, zahlreiche am Tage zuvor noch welk erscheinende oder
erst im Entstehen begriffene Bläschen hatten sich mehr gefüllt u. s. f. Der erste
Gesammteindruck, das seien nicht Varicellen, war richtig gewesen.
Erst allmälig Hess sich die Vorgeschichte des Falles genauer feststellen. Anfang
August war das geschilderte Kind mit seinen Eltern aus Amerika zurückgekehrt, unge-
impft; der Impfzwang der Vereinigten Staaten scheint sich, analog einem Zolle, nur auf
den Import, nicht auf die einheimische Production zu erstrecken. Am 11. August Sout¬
hampton; Eisenbahn über London nach Harwich; Abends Abfahrt nach Antwerpen auf
sehr überfülltem Schiffe; 12. August Morgens in Antwerpen; Nachts in Luxemburg;
13. Abends Ankunft in Basel. Hier stieg die Familie bei den Eltern des Mannes ab,
welche mit 6 Kindern von 12 bis l^/i Jahren einen ohnehin schon sehr engen Raum
bewohnen. Zwei Tage darauf siedelte die junge Familie nach Birsfelden über zu der
Mutter der Frau. Dort erkrankte die Frau (20jährig, einmal als Kind geimpft) am 21.
oder 22. August mit starkem Fieber, Uebelkeit (kein Brechen), Rücken weh; nach etwa
zweitägiger Dauer dieser Erscheinungen sei am „Freitag vor dem St. Jakobsfeste,“ also
am 24. August ein Ausschlag erschienen, angeblich nur im Gesichte, besonders reichlich
an der Stirn; am übrigen Körper, ausser einer Pustel am linken Handteller, nichts.
Mit der Entwicklung des Ausschlags wurde ihr wieder wohler. Am 29. August siedelte
die Familie wieder zu den Eltern des Mannes nach Basel über; der Ausschlag sei damals
am Abdorren gewesen. Nach den Erscheinungen der Krankheit und den weitem Folgen
ist es ausser Zweifel, dass es sich um eine leichte Variola handelte, deren Keim die
Frau gleich nach der Ankunft in Europa (auf der Ueberfahrt nach Antwerpen?) au(ge-
lesen hatte.
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Der Raum, in welchem nun die beiden Familien zusammen wohnten, bestand aus
einem, an der schmalen 3,52 m. breiten Seite mit einem Fenster versehenen, Zimmer
nebst anstossendem Alkoven. Gesammtluftraum: 54,25 cbm. Da die 4 Erwachsenen
und 7 Kinder sich iiberdiess zum Nachtlager in 2 grosse Betten, 2 Kinderbetten und
einen Kinderwagen zu theilen hatten, so Hessen gewiss die Bedingungen zur Uebertragung
einer contagiosen Krankheit nichts zu wünschen übrig.
Die Eltern hatten schon einmal, im Jahre 1885 in Birsfelden, eine Yariolaepidemie
mitgemacht und dabei ein Kind verloren; daher war denn der verheirathete Sohn (2172-
jährig) mit Erfolg revaccinirt, der älteste 12jährige Knabe geimpft. Die 5 jüngern Kinder
aber (m. w. 6 * 712 , w. 6 * 7 * 2 , m. 3, m. 174 ) waren ungeimpft, ein Beispiel, wie
man durch Schaden — unklug bleibt.
Der Ansteckung durch die zuerst erkrankte Frau waren also ausgesetzt 4 G e -
impfte: ihr Mann, dessen Eltern (in. 44 vacc., rev. 1871 mit „unbedeutendem“ Er¬
folge, w. 44 vacc. einmal) und der 12jährige Knabe; diese blieben alle gesund. Von
den 6 Ungeimpften erkrankten 3 (w. l*/ 2 , w. 6 **/i 3 und m. 3, letzterer tödtlich).
Zuerst erkrankte das schon erwähnte, von Anfang an der Ansteckung ansgesetzte, Kind
dei^ Frau am 10. September; auch bei Annahme einer Incubationszeit von 14 Tagen
ergiebt sich als Zeitpunkt derlnfection der 27. August, wo der Ausschlag bei der Mutter
am 3. bis 4. Tage der Entwicklung war. Die beiden vom 29. August an der Infectiou
ansgesetzten Kinder erkrankten am 12 . bis 13. September.
Das Zweideutige im Ausschlage des erstgenannten Kindes erklärte sich nachträg¬
lich aus den eigenthümlichen Umständen, welche seiner Erkrankung vorausgegangen
waren. Seit seiner Ankunft in Europa kratzte es beständig, besonders Nachts im Bette.
Eis wurde daher am 3. September wegen Verdachtes auf Scabies in die Poliklinik des
Kinderspitales gebracht und am 4. in dasselbe aufgenommen. Nach der dortigen Kranken¬
geschichte waren bei der Aufnahme über den ganzen Körper zerstreut, vorzugsweise an
Rücken, Nates und Bauch, aber auch im Gesichte, nicht confluirende papulöse Effloresceiizen
verbreitet. Dieselben bestanden in einem erhabenen rothen Hofe, im Centrum ein stark
stecknadelkopfgrosses Eiterbläschen, bei vielen auch nur ein schwärzlicher Punct. Dazu
Kratzeffecte und einzelne zu eigentlichen Pusteln umgewandelte Papeln; an den Fingern
ebenfalls einige knötchenförmige Erhebungen, keine deutlichen Milbengänge. 6 . Septem¬
ber: Nach der Krätzkur (Sapo viridis, Bäder, Naphtholsalbe) schwinden die Kratzeffecte
und die pustulösen Efflorescenzen, der röthlich - braune klein-papulöse Ausschlag bleibt
bestehen. Nachdem bis zum 10. Morgens die Temperatur 37,3 nie überschritten hatte,
trat am 10. Abends Fieber auf: 39,6, 11 . September 38,2; 40,4. 12 . September
Morgens 38,6. Objectiv sonst nichts nachweisbar; die Mutter nimmt trotz allen
Gegenvorstellungen das Kind nach Hause; (im Kinderspitale verursachte natürlich das
Prodromal-Kranke keine Infection). Zn Hause trat am 13. ein neuer Ausschlag auf.
Dass die Entwicklung der Variolabläschen auf der durch die vorausgegangene Behand¬
lung gelockerten Haut da und dort etwas von der Norm abwich, und dass die Bei¬
mengung von Resten des früheren Ausschlags das Bild noch mehr trübte, ist wohl nicht
verwunderlich.
Nun aber noch der Punct, welcher uns hier speciell interessirt: 3 Ungeimpfte er¬
krankten, 3 aber blieben gesund (m. 974 , w. 6 **/i 2 , m. I 74 ), obgleich sie jeden¬
falls zweimal der Ansteckung ausgesetzt waren, zuerst vom 29. August an durch ihre Schwäge¬
rin, dann durch deren Kind, dessen Ausschlag, wenn nicht schon am 14., doch sicher am
15. September vollkommen ins contagiöse Stadium vorgerückt war. Geimpft müssen die
Kinder werden, aber sie wolle jetzt noch „acht Tage Zusehen“, erklärte am 15. Sep¬
tember die Mutter. So sah man denn zu und zwar bis zum 3. Oktober, 16 Tage,
nachdem der letzte Blatternfall aus der Familie ins Absonderungshaus gekommen war.
Die am genannten Tage vollzogene Impfung der 3 Kinder hatte vollen Erfolg.
V^r- und nachher keine Variola.
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692
Wie sind nun solche F&Ile zu deuten? Ist wirklich die Empfänglichkeit nicht
dieselbe für Vaccine und für Variola? Kann dasselbe Individuum immun sein gegen
Variola und empßlnglich für Vaccine oder immun gegen Vaccine und empfänglich
für Variola? Die Erfolglosigkeit einer sorgfältig ausgeführten Impfung würde bei
dieser Voraussetzung dem Geimpften keine Garantie dafür geben, dass er nicht bei
nächster Gelegenheit an Variola erkranken könne, während man doch sonst anzunehmen
pflegt, der augenblicklichen Unempfänglichkeit für Vaccine entspreche auch in der
nächsten Zeit Unempfänglichkeit für Variola und es handle sich um ungenau oder
mit schlechter Vaccine ausgeführte Impfungen, wenn der erfolglos Geimpfte bald
darauf an Variola erkrankt. Wir befänden uns, wenn diese Annahme nicht zuträfe,
in einer unberechenbaren Unsicherheit.
Diese Annahme ist auch ohne Zweifel richtig und es besteht bei Erfahrungen,
wie die oben angeführten, nicht ein Unterschied in der Empftnglicbkeit für Vaccine
einer*, Variola anderseits, sondern für Infection durch Inoculation einerseits, Infection
auf dem Wege des gewöhnlichen Verkehrs anderseits. Die Impflancette öffnet dem
Contagium eine Pforte, die ihm sonst verschlossen bliebe. Dieselbe Variola, mit welcher
in den obigen Fällen das einemal ein Schlafgenosse, das anderemal 3 Kinder erfolglos
verkehrten, hätte ebenso sicher, wie die Vaccine, bei den Betreffenden gezogen, wenn
sie ihnen inocnlirt worden wäre. Es sei hiebei nur an den chirurgischen Scharlach
erinnert.
Es ist dem entsprechend gewiss nichts unrichtiger als die Annahme, alle die¬
jenigen, bei welchen eine Bevaccination Erfolg hat, hätten nun auch bei gegebener
Gelegenheit an Variola erkranken müssen. Der gewöhnliche Verkehr ist eben weniger
gefährlich, als die inficirte Lancette, während allerdings — aus Gründen, die uns un¬
bekannt sind, die aber vielleicht eben mit der Verschiedenheit der Eingangspforte Zu¬
sammenhängen — die inoculirte Variola weniger geßbrlich ist, als die durch gewöhn¬
liche Ansteckung erworbene.’)
IX. Sanitätspolizeiliches.
Wenn es sich um Massregeln gegen die Ausbreitung einer Infectionskrankheit
und die Weiterverschleppung ihrer Keime handelt, so ist in neuerer Zeit die Neigung
verbreitet, des Guten zu viel (mnlta statt multum) zu thun und über das Ziel hinaus-
zuschiessen. Bewusst oder unbewusst liegt dem wohl meist die Illusion zu Grunde,
es sei überhaupt möglich, jeder Verschleppung vorzubeugen, jeden Keim abzn-
fangen.
Da werden denn, nachdem man sich alle möglichen, oft auch unmöglichen, Wege
einer Verschleppung vergegenwärtigt bat, gegen alle Massregeln in Scene gesetzt, gegen
die unwahrscheinliche und seltene Möglichkeit gerade so gut, wie gegen die sichere
und häufige. Daraus entsteht ein Umfang von Massregeln, welcher von vornherein
nicht nur unnütz, sondern der Erreichung des erstrebten Zieles direct schädlich ist.
Nicht nur wird eine Menge Mühe, Zeit und Geld unnütz aufgewandt, sondern es wird
die Aufmerksamkeit, welche auf die exacte Durchführung des Wesentlichen gerichtet
sein sollte, zersplittert durch vieles Unwesentliche. Je umfassender man das Netz
') Vergl. hierüber Wolffberg, Uatersachangen zur Theorie des Impfschutzes {Ergänzungshefte
zum Ceutrslbl. f. nllg- Gesundheitspflege 1, 4) pag. 225 u. ff.
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— 693 —
construirt, nm jeden denkbaren Keim abzufangen, um so grösser erweisen sich seine
Löcher; Massnahmen, die an sich im einzelnen Falle wohl durchführbar sind, werden
practisch unmöglich, wenn sie in kurzer Zeit sich auf Hunderte und Tausende von
Fällen erstrecken sollen. Dazu kommt noch, dass das Missverhältniss zwischen dem
Apparate und dem überhaupt denkbaren Nutzen dösseiben zu nachlässiger Handhabung
verführt. Wer überzeugt ist, in 999 unter 1000 Fällen leeres Stroh zu dreschen, wird
sein Geschäft kaum mit der gewissenhaften Aufmerksamkeit betreiben, welche unerläss¬
lich ist, damit im tausendsten Falle die nöthige Wirkung wirklich erreicht werde. Nichts
ist aber schlimmer, als wenn sanitätspolizeiliche Vorschriften überhaupt mit Achsel¬
zucken oder auch gar nicht ausgeführt werden, statt mit Ueberzeugung und Ernst.
Ein Schlendrian, der auf diesem Gebiete einreisst, beschränkt sich dann nicht auf das
Nebensächliche und Undurchführbare, er trifft auch das absolut Nöthige.
Nehmen aber die Ausführenden die Sache nicht mehr ernst, so wird man auch
bei den durch die Massregeln Betroffeneu nicht williger Resignation begegnen. So wie
so ist ja immer zu bedenken, dass jedes Mehr von Massregeln auch ein Mehr von
Störung nnd Plage für die Betroffenen bedeutet und damit auch ein Motiv mehr, die
Erkrankung zu verheimlichen. Unnöthige sanitätspolizeiliche Ghicanen haben sich stets
als eine Prämie für Verheimlichung erwiesen.
Die Frage ist also nicht: Was kann man alles thun, um das Ziel zu er¬
reichen (je mehr, desto besser) — sondern: Was muss man alles thun, um
das Ziel zu erreichen nnd was kann man alles unterlassen ohne dessen Er¬
reichung zu gefährden (je weniger, desto besser).') Das als nöthig und als wirk¬
sam durchführbar Erkannte aber so gut, als möglich, mit vollem Ernste und mit
lückenloser Gleichmässigkeit!
Kein Wort ist zu verlieren über die Erleichterung, welche die seuchen¬
polizeiliche Aufgabe bei Variola durch obligatorische Vaccination er-
Ahrt. Nicht nur sind die jugendlichen Altersklassen von vornherein immunisirt, es
kann auch bei Auftreten eines Blatternfalls sofort durch Revaccination der geföhrdeten
Umgebung aller weitern Verbreitung der Seuche der Boden entzogen werden. Wir
können damit nicht rechnen, sondern müssen unsere Massregeln gegen die
Verbreitung des Contagiums so einrichten, dass dadurch auch in einer
empfänglichen Umgebung der Seuche Stillstand geboten wird. Diese Massregeln können
sich richten gegen den Erkrankten selbst, als den Träger des Contagiums, gegen die
von ihm beschmutzten Gegenstände und gegen die Personen, welche mit ihm ver¬
kehrt haben nnd also künftiger Erkrankung mehr oder weniger verdächtig sind.
1) Absolut nöthig ist die möglichst frühzeitige Isolirung der Kranken
und eine wirkliche Isolirung ist in 99,97» aller Fälle nur erreichbar in einem
Absonderungsbause. Von den räumlichen Bedingungen abgesehen, muss man für eine
Isolirung zu Hause auch volles Vertrauen in die Gewissenhaftigkeit und Intelligenz
des Kranken bezw. seiner Umgebung setzen können. Wie sollte die Ueberwachung
beschaffen sein, die bei unzuverlässigen Personen doch eine wirkliche Isolirung in
Frivatpflege garantirteP In einer geimpften Umgebung mag es auch mit einer nicht
Für die Cholera hat nach den verkehrspolizeilichen Fieberdelirien im Herbste 1892 die
Dresdener Conferenz diese Frage beantwortet.
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ganz genau durchgeführten Isolirung in Frivatpflege ohne Schaden ahgehen. Ohne
Impfzwang aber um so mehr Spital z wang!
2 ) Ebenso wenig discutirbar ist die Zweckmässigkeit einer Desinfection
von allen mit dem Contagium möglicherweise beschmutzten Dingen: Bett, Bettzeug,
Wäsche und Kleider des Kranken, Oberkleider des Pflegpersonals: kurz Desinfection
des Krankenzimmers und seines Inhaltes. Rationell wäre es gewiss auch, alle Personen,
welche mit einem ins contagiöse Stadium vorgerückten Variolakranken verkehrt haben,
zu desinficiren d. h. sie in Bäder zu stecken, vom Kopf bis zu den Füssen abznseifen
und sie nachher mit inzwischen desinficirten Kleidern wieder zu entlassen. Es setzt
das aber eine eigentliche Desinfectionsanstalt mit Zubehör (Bäder, Zimmer mit Betten
etc.) voraus, was wir einstweilen nicht besitzen. Man wird also die Möglichkeit hin¬
nehmen müssen, dass da und dort vielleicht noch ein Krankbeitskeim a n einer solchen
Person uns entgeht und sich mit der oben genügend belegten Unwahrscheinlichkeit
trösten, dass er vor spontanem Absterben auf einen empfänglichen Boden gelange.
3) Die gesunden Personen, welche, vor der Isolirung des Erkrankten,
in seiner Umgebung waren, also möglicherweise den Keim der Krankheit in
sich haben, sind — es ist das wohl im Abschnitte VII zur Genüge belegt — als
harmlos zu betrachten, so lange nicht die Keime wieder reproducirt im
Ausschlage herauskommen.
Ende 1884 mussten wir reichliche Einschleppung der Blattern aus benachbarten
Gemeinden von Baselland und damit zahlreiche Erkrankungen auch bei uns mit Sicher¬
heit vorausseben. Es schien uns damals geboten, von vornherein auf die Internirung
Gesunder zu verzichten, weil diese Massregel sich auf die Dauer, wegen der Menge
der davon Betroffenen, als undurchführbar erwiesen hätte. Was wir — ans der Noth
eine Tugend machend — unterlassen hatten, erwies sich damals sehr bald als über¬
flüssig; wir kamen vollkommen aus mit der Revision der Gesunden zu Hause und
haben seither nie Ursache gehabt, auf die Internirung zurnckzukommen. Der Verlauf
unserer Epidemie von 1892, die rasche Einschränkung der vorhandenen ausgedehnten
Gruppen entheben uns nach dem über die Gontagiosität Gesagten hier jeder weitern
Bemerkung.
Nur das sei hervorgehoben, dass die von uns geübte Beschränkung sanitäts¬
polizeilicher Massregeln gewiss der Erreichung des Zieles sehr förderlich ist Wir
hätten z. B. bei der ersten Gruppe allein 38 gesunde, auch später nicht erkrankende
Familienglieder interniren müssen. Und mit den Familiengliedern wäre ja die Zahl
der Gefthrdeten nicht zu Ende: Nachbarn auf dem gleichen Stockwerke, Verwandte
aus einer andern Stadtgegend, welche noch kurz vor der Diagnose im Krankenzimmer
und vielleicht in unmittelbarstem Contacte mit dem Kranken gewesen sind, wären ja
ebenso internirungsbednrflig. Wie viele überflüssige, durch alle Entschädigung für
entgangenen Arbeitslohn etc. nicht ausgeglichene Unannehmlichkeit für die Betroffenen,
nicÜ zu reden von den verursachten Kosten für den Staat
Um wie viel einladender aber ist ein Versuch der Verheimlichung, wenn man
damit so schweren Unannehmlichkeiten entgehen kann.
Der einzelne Fall gestaltet sich also bei uns durchschnittlich folgendermassen:
Es erfolgt (in der Regel telephonisch direct in die Wohnung des Physicus) die Anzeige:
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N. N. Wohnung u. s. w. ist entweder 1) als variolakrank ins Absonderungshaus gesandt
worden (Requisition des Blatternwagens durch den behandelnden Arzt) oder 2) variola-
krank, möchte aber zu Hause verpflegt werden, oder 3) variolaverdächtig. Im ersten
Falle wird sofort Desinfection angeordnet, in den beiden letzten erfolgt zuerst Revision
durch den Physicus, und, wenn Variola vorhanden ist, wird nun der Transport ins
Absonderungshaus angeordnet (mit seltenen Ausnahmen; seit 15 Jahren nur ein
mit amtlicher Bewilligung zu Hause verpflegter Fall), ln allen Fällen soll vom be¬
handelnden Arzte die Familie angewiesen werden bis zur Revision zu Hause zu bleiben,
damit alle Familienglieder inspicirt werden können. Denn der erste Besuch wird
zweckmässig dazu benützt, um nicht nur über den Ursprung der Erkrankung, über
Beginn von Erkrankung und Ausschlag, vorgekommene Besuche heim Kranken, Beruf
und sonstige Beziehungen aller Familienglieder etc. etc. sich zu vergewissern, sondern
auch die Leute alle auf allfallsig schon vorhandene Ausschläge (Acne!) zu inspiciren.
Zugleich wird der Impfzustand festgestellt und, soweit Geneigtheit vorhanden ist,
geimpft.
Die Desinfection erfolgt so bald als möglich nach Evacuirung des Kranken.
Wenn in der Familie eines Wirthes ein Glied erkrankt ist, so muss natürlich zu un¬
gestörter Ausführung der Desinfection meist die Wirthschaft für den Rest des Tages
geschlossen werden; ebenso kleine Läden in unmittelbarem Zusammenhänge mit der
Wohnung des Erkrankten. Ausnahmsweise wurde einmal in einem Falle von wochen¬
langer Verheimlichung (1885) ein Laden für einige Tage geschlossen. Sonst herrscht
mit Beendigung der Desinfection vollständige Freiheit.
Nur für die Schulkinder ist ähnlich, wie bei Scharlach, vom Erziehungsdepartement
dreiwöchentlicher Schulbann vorgeschrieben; im übrigen geht Jedermann seiner Beschäf¬
tigung nach; zu Händen ängstlicher Arbeitsgeber wird nöthigenfalls bescheinigt, der
Betreffende könne zur Arbeit zugelassen werden.
Natürlich sind die Leute strengstens angewiesen, bei Auftreten irgend einer
Krankheitserscbeinung sofort zu berichten. Die Revisionen erfolgen im übrigen
je nach Umständen früher oder später, seltener oder häufiger, bei verdächtigen Er¬
scheinungen täglich. Die passendste Zeit dazu sind die Abendstunden, wo man nach
Schluss der Arbeit Alle zu Hause findet. Bei zahlreicheren, zerstreuten Fällen kann
die Revision ziemlich zeitraubend sein. Aber die Internirung der verdächtigen Familien
in einem gemeinsamen Locale würde darin nichts ändern, weil man damit der Noth-
wendigkeit nicht enthoben würde, in die noch von andern Familien bewohnten Häuser
von Zeit zu Zeit einen Blick zu werfen. Selbst wenn das nicht der Fall wäre, müsste
doch immer der Grundsatz massgebend sein, dass die Sanitätspolizei* suchen
muss ihr Ziel mit möglichst geringer Belästigung des Pu-
blicums zu erreichen, selbst auf Kosten eigener Bequem¬
lichkeit.
Ausnahmsweise mag unter besondem Umständen gegenüber von Vaganten, Hand¬
werksburschen, italienischen Arbeitern und dergl. Internirung geboten sein; gegenüber
sesshaften Leuten ist sie mindestens überflüssig — vorausgesetzt natürlich, dass die
Kranken in ein Absonderungshaus verbracht sind. Das dürfte sich aber auch in länd¬
lichen Verhältnissen, wenn es sich nicht um abgelegene Häuser oder überhaupt sehr
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dfinn bevölkerte Gegenden bandelt, stets als das einfachere und zugleich erfolgreichere
erweisen. Also: Absonderungshänser, nicht nur in den grössern Städten
(wo sie auch Einzelzimmer enthalten sollen), sondern auch in den verschiedenen Be¬
zirken, Isolirung im Absonderungshause fOr die Kranken, Freiheit
unter Aufsicht f fl r die Gesunden, das ist der Weg, auf welchem man mit
Variola fertig wird.
Der Erfolg ist sicher; sein Ausbleiben in gewöhnlichen Friedenszeiten
setzt (abgesehen natürlich von fortdauernder Einschleppung von aussen) Fehler
voraus und für diese Fehler wird man in letzter Linie die Organisation der Seuchen¬
polizei und diejenigen, weiche sie handhaben, verantwortlich machen müssen.
Versuche absichtlicher Verheimlichung oder, besonders im Beginne einer Epidemie und
bei leichten Fällen, diagnostische Irrthümer können ja immer einmal Vorkommen. Aber
wenn von Seiten der Behörden die Sache ernst genommen wird, so bilden solche Fälle
die Ausnahme und werden nicht zum dauernd geduldeten Schlendrian; eine empfindliche
Bestrafung der ersten nacbgewiesenen Verheimlichung erstickt rasch die Lust zu weitern
Versuchen in dieser Richtung. Functionirt aber die Anzeigepfiicbt richtig, so könnte
nur grobe Nachlässigkeit in Durchführung von Isolirung der Kranken und Ueber-
wachung der Gesunden eine Fortdauer der Seuche möglich machen.
Man kann also wohl längeres Vorhandensein von Variola als Reagens auf Mangel¬
haftigkeit einer Seuchenpolizei betrachten und hat gewiss allen Grund überall, wo diess
der Fall ist, diesen Mängeln nachzuspören und sie abzustellen. Denn es unterliegt
keinem Zweifel, dass eine Sanitätspolizei, welche sich der Variola gegenüber nicht als
rasch und vollkommen leistungsfthig erweist, bei gegebener Gelegenheit der Cholera
gegenüber vollends insufficient wäre; diese Insufficienz aber könnte weit mehr noch,
als bei Variola, zu einer Gefahr im weitesten Umfange werden.
X. Aussichten fttr die Zukunft.
Nach dem über Contagiosität und Sanitätspolizeiliches Gesagten und durch die
Erfahrungen unserer Epidemie zur Genüge Belegten wird man wohl annehmen
dürfen, dass bei richtig organisirter Seuchenpolizei es unter gewöhnlichen
Verhältnissen wie bisher, so auch ferner gelingen werde, dem Umsichgreifen
der Variola zu einer ausgedehnten Epidemie vorzubengen. Man wird ja immer mit
der Möglichkeit rechnen müssen, dass einzelne Fälle unbehandelt oder undiagnosticirt
der rechtzeitigen Isolirung entgehen und je zahlreicher in der Bevölkerung die Em-
pAnglichen sind, um so öfter werden solche in freiem Verkehre gebliebene Fälle zu
secundären Erkrankungsgruppen Anlass geben, um so grösser und um so reicher an
schweren Fällen werden diese secundären Gruppen werden. Aber eben desswegen
werden sie auch mindestens ebenso rasch, als bisher, an den Tag kommen und damit
dem erfolgreichen Eingreifen der Sanitätspolizei zugänglich sein. Wir haben oben
(VIll pag. 683) gesehen, dass bei unserm jetzigen Zustande bei ca. 207» Ungeimpften
3 Blatterngruppen entstanden mit zusammen 62 Fällen, während unter denselben Um¬
ständen bei Durchführung der Impfung mit Ende des 2. Lebensjahres nur 2 Gruppen
mit zusammen 21 Fällen entstanden wären. Wenn wir es vielleicht einmal auf 307«
Ungeimpfte gebracht haben, so mag es ja unter sonst gleichen Umständen 6 ambulante
Kranke geben, welche 6 Erkrankungsgruppen von durchschnittlich 30 Fällen zur
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Folge haben und es mag so Schädigung und Unglück gegenüber dem jetzigen Zu¬
stande verdreifacht werden, aber es ist kein Grund vorhanden, warum nicht mit ent¬
sprechend vermehrter Mühe die 6 Gruppen nebst einer Anzahl zerstreuter Fälle ebenso
zum Abschlüsse könnten gebracht werden, wie es jetzt mit den 3 Gruppen gelungen
ist — immer unter Voraussetzung gewöhnlicher Verhältnisse, das will sagen: des
Friedens.
Der Friede ist für die Blattern, was die Windstille für eine Fenersbrunst; der
Krieg ist der Föhn. Hat im Frieden der Erkrankte in der Kegel seine bestimmte
Wohnung, seinen bestimmten Arbeitskreis, seinen, wenn auch in einer Stadt nicht
ganz übersehbaren, doch mehr oder weniger beschränkten Verkehr und ist in Bezug
auf zeitweilige Aufhebung des Verkehrs die Sanitätspolizei souverän, so ist im Kriege
der Massen verkehr und damit die Gelegenheit zur Verbreitung der Angesteckten und
zur Verschleppung des Gontagiums durch Gesunde oft auf grosse Entfernungen ins
Unberechenbare gesteigert, und andere Kücksichten als diejenigen der Seuchenpolizei
bilden die suprema lex.
Wir gefährlich es ist, wenn gerade mobile Elemente von der Variola betroffen
sind, das haben wir im Kleinen in diesem Jahre erfahren, wo Handwerksburschen,
Vaganten etc. in ungewöhnlicher Weise zur Verbreitung der Seuche im Ganton Bern
und ausserhalb desselben beigetragen haben. Was ein Krieg mit der modernen Massen¬
bewegung in dieser Beziehung leistet, das haben wir 1870/1871 gesehen. Es wurde
damals eine Fluthwelle von Variola erzeugt, welche auch über die am Kriege nicht
betheiligten Länder hinwegrollte und im Grossen die verschiedene Gefthrdung von Be¬
völkerungen mit mehr oder weniger gut durchgefübrter und mit vernachlässigter
Vaccination zur Anschauung brachte.
Unter gleichen Umständen würde sich die gleiche Erscheinung wiederholen und
die Schweiz würde dann zum eigentlichen Brennpunkte der Seuche werden. Der
Schaden würde nicht nur diejenigen treffen, welche nicht haben hören wollen und
welche nun fühlen müssten. Wohl und Wehe Aller sind in der modernen Gesellschaft
so innig verknüpft, dass auch der persönlich Geschützte sich nicht abfinden könnte
mit dem Tröste, es trage jeder mit freiem Willen seine eigene Haut zu Markte. Es
würde das auch für eine Blatternepidemie während eines Krieges am allerwenigsten
zutreffen, wo die Kraft Aller, welche den Waffenrock tragen, dem Vaterlande gehört.
Sonderbares Schauspiel! Unser Wehr wesen macht doch darauf Anspruch, ernst
genommen zu werden nach den Mitteln, die darauf verwandt werden, nach dem Eifer,
mit welchem darin gearbeitet wird; überall macht man sich die Erfahrungen anderer
Länder zu Nutze und nimmt berühmte Muster zum Vorbilde; der Unberufene, der in
einer Frage der Bewaffnung oder der Befestigung mitplaudern wollte, noch gar mit
dem Ansprüche, dass sein Urtheil in Betracht gezogen werde, würde es sofort deutlich
zu hören bekommen, dass in so ernsten Dingen nur solche mitzureden haben, welche
etwas von der Sache verstehen. Wenn es sich aber darum handelt, die Männer,
welche die neuen Waffen tragen, mit dem neuen Pulver schiessen, die Befestigungen
vertheidigen und — nicht nur im Frieden — die richtigen Manöver ausführen sollen,
diese Männer zu befestigen gegen eine Seuche, welche in den grossen Kriegen
der letzten Jahrzehnte sich stets als gefährlich für die Armeen erwiesen hat, da auf
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einmal macht man sich, im Gegensätze zu allen civilisirten Ländern, nicht mehr die
Erfahrung der Vergangenheit zu Nutze, da auf einmal ist nicht ein berühmtes Muster,
ist überhaupt nicht das Urtheil der Sachverständigen, sondern die Phrase ist mass¬
gebend und wir haben es glücklich dazu gebracht, dass in Bezug auf Empßlnglichkeit
für Variola unsere Wehrmänner um das vielfache schlimmer dastehen, als irgend eine
Armee zwischen dem Ural und der Mündung des Tajo!
Glaubt man im Augenblicke der Gefahr das Unterlassene rasch nachholen zu
können? Man denke sich, wenn einmal die Seuche verbreiteter auftritt und die Lässi¬
gen aufschreckt, das riesige Bedürfniss; Hunderttausende Unvaccinirter und nicht minder
zahlreiche Unrevaccinirte werden da plötzlich nach Schutz verlangen, ln solchen
Quantitäten findet sich die Vaccine nicht so rasch. An Kälbern und Farren wäre ja
kein Mangel, obgleich auch da gelegentlich z. B. Klauenseuche und dergl. sehr störend
dazwischen kommen kann; aber Einrichtungen zur reinlichen Gewinnung
von Vaccine im Grossen und erfahrenes Personal würden kaum mit der Baschheit und
in der Menge zu finden sein, wie es das momentane Bedürfniss erforderte. Das Aus¬
land würde mit sich selbst genug zu thuu haben. Und dann, wie viele fiüchtige
Impfungen mit ungenügendem Stoffe, wie wenig Garantien für entzündungsfreien Ver¬
lauf — gerade auch bei der Armee, wo in Bezug auf ruhige Haltung des geimpften
Tbeils und auf reinliche Wäsche die Bedingungen oft noch viel schlechter wären, als
durchschnittlich in bürgerlichen Verhältnissen.
Es würde sich die alte Erfahrung wiederholen, dass es ,der Impfung schwer
wird, gleich anfangs mit der Seuche gleichen Schritt zu halten, geschweige denn ihrem
Weitergreifen zuvorzukommen ... Die Impfungen selbst leiden unter der Hast, womit
sie der dringenden Gefahr wegen ausgeführt werden müssen. Die Qualität des Stoffes
sowohl, als die Sorgfalt der Ausführung und die Gontrole des Erfolges lassen nie mehr
zu wünschen übrig, als bei solchen Massenimpfungen. Und gegen die Schädigungen,
welche die Impfung ausnahmsweise mit sich bringt, ist gerade in solchem Falle am
allerwenigsten Garantie gegeben".*)
.,Es würde" — wir hätten schreiben sollen: es wird. Denn wie anders, als
eben erst durch eine blutige Schädigung sollen, (wenn es überhaupt denkbar ist?), die¬
jenigen klug werden, welche dem jetzigen Gehenlassen theils beifällig, tbeils gleich¬
gültig Zusehen. .1e länger der Friede dauert, um so mehr Zündstoff wird sich für den
Fall eines die Seuche verbreitenden Krieges ansammeln.
Wenn dann Erkrankung und Tod, wochenlange Arbeitsunfähigkeit und dauernde
Entstellung in weitem Umfange ihre Opfer fordern, wenn Krankenkassen und Armen¬
behörden dadurch betroffen sind, wenn unsere Armee aufs Empfindlichste in ihrer
Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist — kurz, wenn die Seuche zum grossen öffentlichen
Unglücke geworden ist, so wird sich allmälig ein Murren erheben und aus dem Marren
wird die Frage laut werden, warum es so habe kommen müssen, wer denn an diesem
Jammer schuld sei. Und als schuldig wird sich melden ein alter, stets rückfälliger
Uebeltbäter, den wir schon von Müncbenstein, Ouchy u. s. f. her kennen, der überhaupt
immer auf der Bildfläche erscheint, wo man nicht einen übernächtigen Weichenwärter
') Bericht aber die Impffrage an den schweizerischen Bnndesratb. 2 . Andage, pag. 123.
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oder sonst einen gänzlich unbewussten Menschen zum Sündenbocke für eine grosse
Niederträchtigkeit stempeln kann — Niemand, der bekannte ,Niemand* wird
schuldig sein wollen. In Wirklichkeit werden es Alle sein, die zur Aufhebung
des Impfzwanges mitgebolfen haben.
Nicht etwa nur oder auch nur zumeist die, welche mit dem Fanatismus der Un*
wissenbeit in dieser Sache das grosse Wort geführt haben. Ueber Dinge zu reden,
von welchen man nichts versteht, das gehört nun einmal zu unsern unveräusserlichen
Grundrechten; dem steht aber die Pflicht gegenüber, zu schauen, wem man traut.
Wären nicht Hunderttausende gedankenlos jenen unberufenen Wortführern gefolgt, so
hätten dieselben für sich allein so wenig zu bedeuten gehabt, als einzelne Einer zu
bedeuten haben, so lange nicht x Nullen hinter ihnen stehen. Jene gedankenlosen
Hunderttausende aber werden sagen: Wir können doch nicht selbst bei jeder Frage,
welche der Wille des Volkes zu entscheiden hat, das Gewicht der Gründe für und
wider prüfen; wir pflegen uns an Gewährsmänner zu halten, an das Urtheil mass*
gebender Personen, einflussreicher Organe der Presse, welche bei allen im politischen
und socialen Leben auftauchenden Fragen mit aller Kraft der Rede und der Schrift
für ein bewährtes Gutes oder für einen zeitgemässen Fortschritt einzustehen pfl^en.
Das sind die Leitsterne, nach welchen wir gewohnt sind, uns zu richten; wir wären
nicht Leithämmeln gefolgt, wenn nicht unsere gewohnten Leitsterne im Nebel unsicht¬
bar gewesen wären.
Ja, wo waren sie, die massgebenden Grössen? Gaben auch sie der Phrase ge¬
glaubt ohne selbst ernstlich, wozu sie ihr Bildungsgrad verpflichtete, die Gründe zu
prüfen? — oder waren sie penönlich vom Nutzen der Vaccination überzeugt, würden
sie sich hüten, ihre Kinder ungeimpft, sich selbst unrevaccinirt zu lassen; haben sie
es aber für inopportun gehalten, für diese Ueberzeugung einzusteben gegenüber dem
populären Schlachtrufe nach Aufhebung des Zwangs? Gleichviel, ob sie sich nicht die
Mühe gaben, die Wahrheit zu erkennen, oder ob sie dieselbe kannten und sagten sie
nicht — sie Alle werden mit schuldig sein. So wird sich denn vielleicht auf die
Frage nach den Schuldigen allmälig die Einsicht Bahn brechen, dass die Mehrheit
schuldig ist und dass ein Volk, das sich auch in sanitätspolizeilichen Dingen selbst
Gesetze gibt, zwar nicht immer die vermeidlichen Seuchen hat, welche es verdient,
aber sicher die vermeidlichen Seuchen verdient, welche es hat.
"Vereinsbericli te.
Klinischer Aerztetag in Bern
vom 26. Jaul 1894.
A. CUrarg^selie Klinik des Herrn Prof. Kocher. 1. Reseetion des Ober¬
kiefers wegen Carcinom nach vorheriger Unterbindung der Carotis externa; sehr ge¬
ringe Entstellung.
2. Carcinom der rechten Mandelgegend.
3. Knabe nach Laparotomie wegen Ileus nach Perityphlitis.
Netzstrange führten den Ileus herbei, und an vier verschiedenen Orten fanden sich ge¬
trennte Abscesse. Entfernung des Processus vermiformis.
4. Geheilte Magenresection. Methode nach \oii Frof, Kocher
modificirt. Vide Corr.-Bl. 1893, Nr. 20 und 21. Prof. JSToc/jer verfügt über fünf solche bisher
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vollständig geheilte Fälle. Wichtig für die Verhütung von Becidiven bleibt
die frühe Diagnose, zu welcher namentlich auch die Untersuchung in Narcose nützlich ist.
5. Ileus wegen Carcinom des Darms. Die 33jährige Frau wurde
1885 hysterotomirt. Bei ihrem Wiedereintritt Erscheinungen von acutem Ileus vom Dick¬
darm aus. Bei der Laparotomie zeigten sich keine Adhäsionen, wohl aber ein Carcinom
der flexura coli sinistra. Es ist zu beachten, dass Darmcarcinome sich oft sehr unan¬
scheinend entwickeln können (Constipation, Verdauungsstörungen, kein Schmerz); sogar
das Alter ist nicht immer massgebend. Zur Heilung der Darmnaht ist wichtig, dass nur
in ganz gut ernährtem Darme genäht werde, und wenn dies nicht
garantirt ist, ist die Anlegung eines provisorischen Anus prmtematuralis vorzuziehen.
6. Ileus nach schwerem Trauma des Bauches bei einem Mäd¬
chen. Diagnose: Darmquetschung. Bei der Operation stellte sich Darmtuberculose
heraus: Ulcerationen mit Stenose im oberen Darm und verkäste Drüsen. Auch die Darm¬
tuberculose kann oft sehr latent verlaufen. Frühdiagnose und Frühoperation ist auch
hier wichtig.
7. Fall mit falschen Wegen bei Prostatitis. Die Eatheterisation
bei Prostatahypertrophie, zuerst mit weichen Kathetern zu versuchen, später erst mit
den ' eigens dazu stark gekrümmten Kathetern; namentlich aber bringt der von Prof.
Kocher demonstrirte halbkreisförmig gekrümmte und lange Katheter zum Ziele.
8. Angeborne Hydronephrose bei einem 4jährigen Knaben, noch
nicht in Behandlung.
9. Fall von Allgemein-Infection von einem Panaritium ans:
Trotz Incision zuerst Lymphangitis und Lymphadenitis, dann Hämoptoe, eitriger und
staphylococcenhaltiger Auswurf, Staphylococcen auch im Blut, Venothrombosen und Ent¬
zündung der beiden Schultergelenke. Der Pat. ist jetzt reconvalenscent, ohne besondere
Allgemein-Therapie; dafür aber fleissige Behandlung der localen Erscheinungen.
« Dr. E. L,
B. HedlelDlsehe Klinik von Prof. Sahli. 1. Morbus Based 0 w i bei 20jähr.
Mädchen. Seit ihrem Eintritt (vor 3 Wochen) ist der Exophthalmus schon bedeutend
zurückgegangen, ebenso die Tachycardie (Puls Anfangs 150, jetzt 100—120). Man soll,
da die Krankheit keine primäre Erkrankung der Schilddrüse ist, nur operativ vergehen,
wenn die innere Behandlung erfolglos. Es wurde hier die neue, von Dr. v, Traczewski
vorgeschlagene Behandlung mit Natr. phosphor. in massigen Gaben versucht. Schon nach
2 Wochen gingen die Erscheinungen auffallend zurück. Es gibt auch Fälle mit spon¬
taner Besserung.
2. Periphere Neuritis hauptsächlich des rechten N. ulnaris, c o m b i n i r t
mit Hysterie bei 23jährigem Manne. Jene trat im Anschluss an eine forcirte Be¬
wegung der rechten Hand vor 2 Jahren auf und nahm progressiv zu. Die Begrenzung
der im Bereich des Ulnaris allerdings starkem Sensibilitätsstörungen auf beiden Seiten
vom Handgelenk u. s. w. sprachen zunächst für Hysterie. Der Umstand aber, dass die
Muskeln viel weniger, zum Theil gar nicht auf den faradischen Strom reagiren, spricht
für eine gleichzeitige periphere Neuritis. Dass die Electrotherapie die Lähmung so rasch
besserte, rührt jedoch daher, dass sie grossentheils nicht peripher, sondern functioneil ist.
3. Syringomyelie bei 47jähr. Manne. Erkrankte vor 6 Jahren. Zunächst
nahm die &aft der Finger ab, dann Abmagerung der Hände. Pat. bot im Ganzen das
Bild der progressiven Muskelatrophie. Der linke Deltoideus viel atrophischer als der
rechte. Fibrilläre Zuckungen im Deltoideus, Pectoralis major, Infraspinatus. Die Interossei
nicht nur atrophisch, sondern auch Contractur derselben. Pat. kann die Finger nicht
ganz strecken. Abweichend vom Bild der primären Muskelatrophie hat er auch Sensibi¬
litätsstörungen. Im Bereich des linken Ulnaris sind die Schmerz- und Wärmeempfindung
aufgehoben, was characteristisch für Syringomyelie ist; die Berührungsempfindung hat
weniger gelitten. Die vorliegende Krankheit kommt zu Stande durch centralen Zerfall im
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Innen) der grauen Substanz, in der Höhlen entstehen. Jene wird besonders für die
Leitung von Schmerz- und Temperaturemphndungen benutzt. Die Schmerzempfindung ist
nicht qualitativ, sondern nur quantitativ von der Berührungsempfindung verschieden.
4. Aneurysma der Aorta ascendens bei 2Ijähr. Manne. Erkrankte
vor 4 Jahren mit Herzklopfen. Herz kolossal vergrossert, reicht bis zur rechten Mammil-
larlinie. Ueberall ein systoles und ein diastoles Geräusch. Sie sind am deutlichsten an
der Herzspitze und rechts vom Sternum zu hören. Daselbst exquisite expansive Pulsation.
Gegen einen Fehler der Aortenklappen spricht das Fehlen von Circulationsstörungen.
Therapie! Da das Aneurysma in diesem Fall sackartig gut abgeschlossen ist, eignet es
sich zur Einführung von Fremdkörpern, welche die Gerinnung des Blutes bewirken sollen.
S. denkt au Crin de Florence.
5. Perityphlitis bei 23jähr. Manne,' vor 4 Tagen acut aufgetreten; kein
Erbrechen; Pat. erhält per os nichts, per anum kleine Klystiere von Wasser, später Er¬
nährungski ystiere. Fieber und Dämpfung sprechen für ein eitriges Exsudat, obwohl die
Palpation den Abscess nicht nachweisen lässt. Die Probepunotion, die S, warm empfiehlt,
ergab in der That ein Exsudat mit geringem Eitergehalt, ohne üblen Geruch — es be¬
steht also keine grobe Communication mit dem Darm. Die ausschliessliche Anwesenheit
von Streptococcen im Eiter indicirt einen baldigen operativen Eingriff.
6. Es wird sodann noch rasch ein Fall von Diabetes gezeigt, dabei eine neue
quantitative Zuckerbestimmung mittelst der Gährungsprobe vorgewiesen und zum Schluss
ein Fall von lienaler Leukämie kurz erörtert, der, wie die meisten Fälle in
Bern, gut aussieht. Die Diagnose stützt sich auf die hochgradige Yergrösserung der Milz
und die Untersuchung des Blutes (Vermehrung der weissen Blutkörperchen, worunter
eosinophile).
Nach Schluss der medic. Klinik zeigt Dr. Siooss^ Arzt des Kinderspitals, noch ein
4 Tage altes Kind mit grossem Defect am Hinterhaupt, durch welchen eine ansehnliche
Encephalocole ausgetreten ist. Das Zurücksinken des Stirnbeins (microcephaler
Schädeltypus) ist wohl secundär. Dr. F.
ۥ Gebnrtshmi.-fyMeoIog:. Klinik bei Hem Prof. Hllller. 1 . Placenta
prsevia centralis. Die Frau wurde entbunden (für Mutter und Kind günstiger
Ausgang) durch äussere Wendung auf den Fuss und nachfolgende Extraction, an
Stelle der bisher üblichen und allgemein gelehrten combinirten Methode der Wendung nach
Braxton-Hichs. Erstere hat den Vorzug der grösseren Raschheit des Verfahrens, während
letztere oft mühsam und lang ist; bei der in solchen Fällen schwebenden Gefahr ist die
eingreifendere Operation der inneren Wendung berechtigt, wenn für den Durchgang des
Kopfes auch kein weiteres Hindemiss besteht.
2. Eine Wöchnerin mit kyphotischem Becken, welche, obschon zur
Sectio cmsarea eingebracht, spontan geboren hat.
3. Geheilte Sectio cmsarea wegen Exostose; lebendes Kind.
4. Besuch der Isolirbarake für Puerperalfieber. Die Ab¬
theilung steht zur Verfügung des Publicums, wenn die Geburt auch nicht in der Ent¬
bindungsanstalt stattgefunden.
Die puerperalen Processe sind vorläufig als Local-Processe anzusehen und werden
demgemäss durch Ausräumung des Uterus, wenn Temperaturerhöhung auftritt, event. mit
nachfolgender Tamponade der Uterus-Höhle und intrauterinen Sublimat-Injectionen bei
Endometritis behandelt (1 :4000). Sublimat-Intoxicationen sind auf der Klinik nicht
mehr vorgekommen (früher 2 Fälle mit Diarrhoe, Collaps), seitdem nach jeder
Sublimat-Injection eine solche mit Kochsalzlösung folgt.
Vortragender bespricht sodann die verschiedenen Formen des Puerperal-Fiebers an
der Hand anwesender Patienten: Frau mit jauchiger Endometritis nach Kephalothrypsie nach
Breishy^ bei welcher die Cranioclasie nicht zum Ziele führte (consec. Peritonitis im Rückgang;
Opium und Ausspülungen); ferner die Phlegmasia alba dolens mit ihren 2
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Erscheinungsformen: der Yenothrombose und der fortgeleiteten Entzündung des Binde¬
gewebes vom Becken her.
5. Auf der gynmcologischen Abtheilung wurden mehrere Fälle ge¬
heilter Laparotomien vorgezeigt und namentlich besprochen die dabei möglichen
Nachtheile: Hernien und Verklebung von Därmen. Die dagegen ver¬
suchte Füllung der Bauchhöhle mit Kochsalzlösung ist verlassen, seitdem der Verdacht
sich bestärkt hat, dass darauffolgende häufigere Collapse der mühsamen Resorption der
Wassermenge, der das Herz momentan nicht gewachsen ist, zuzuschreiben seien.
Dr. E, L.
D. Der Vertnigf Aber Electrethenipie von Herrn Dr. Btibois im Hörsaal der med.
Klinik brachte in den 2 Stunden manch Neues, Interessantes und den Bedürfnissen des
practischen Arztes Entsprechendes; das rege Interesse der Zuhörer trotz der Nachmittags¬
stunden bewies, wie zeitgemäss dieses Thema war. Neu sind weniger die Indica-
t i o n e n zur Anwendung der Electricität und ihr Gebrauch zu diagnostischen
Zwecken, als die Verbesserung und Vereinfachung der Apparate.
Für die Faradisation zieht er den Schlittenapparat vor, wie er z. B. in der
Telegraphenwerkstätte in Bern • erstellt wird. Bei seinem Gebrauch hat man zu beachten,
dass, so lange die Secundärspnle ganz über die primäre hinausgeschoben ist, bei An¬
näherung jener die Stromstärke sehr langsam zunimmt. Wie sie über die primäre reicht,
wächst sie sehr rasch. Auch mit den Zinkkohlenelementen, wie sie die genannte Werk¬
stätte liefert, ist 2). zufrieden. Die Flüssigkeit besteht aus englischer Schwefelsäure,
verdünnt mit 18 Mal so viel Wasser (dem Gewicht hach, dem Volumen nach würde es
33 ausmachen). Die Flüssigkeit soll das Glas, wenn das Element darin, nur etwa zur
Hälfte füllen. Man bringt in das Glas noch 50,0 schwefelsaures Quecksilberoxyd. —
Die französischen Inductionsapparate, welche sich, wie der von Chardin^ durch compen-
diöse Form auszeichnen, haben den Nachtheil, dass die Abschwächung der Stromstärke
nur bis zu 80^/o möglich ist, so dass man sie nicht so weit abschwächen kann, um noch
eine Minimalznckung zu bewirken. Sie erfolgt in der Weise, dass eine Kupferröhre,
welche Inductionsströme macht, herausgezogen wird. Je weiter sie also herausgezogen
wird, um so stärker der Strom. Bei den deutschen Apparaten, die aber schlechtere Ele¬
mente haben, erfolgt die Abschwächung durch Entfernung des Magnetkerns. Sie ist
höchstens bis zu 20^/o möglich.
Für den constanten Strom eignen sich am besten die üeci^anc^-Elemente
{Kohle, mit Braunsteinstückchen umgeben, Zink, concentrirte Salmiaklösung), ln neuerer
Zeit wurden sie verbessert und zwar ganz geschlossen, so dass keine Verdunstung statt¬
findet. Der 'practische Arzt wird eine transportable Batterie vorziehen. Die beste ist
diejenige von Chardin von 24 Elementen. Es sind Zink- und Kohlenstäbe, welche in Gläs¬
chen tauchen, in denen 2 Korkstücke über einander sich befinden. Sobald die Stäbe
nicht darauf drücken, steigen sie empor und bedecken die Flüssigkeit, so dass die Ver¬
dunstung minim und das Verschütten beim Transport fast unmöglich ist. Die Flüssigkeit
besteht in einer Lösung von schwefelsaurem Quecksilberoxyd in Wasser mit Zusatz
von englischer Schwefelsäure. Die Elemente haben eine electromotorische Kraft von
ca. IV« Volt.
Wenn die Electricität als diagnostisches Hülfsmittel gebraucht wird,
so gehen die andern Untersuchungsmethoden voraus. Sie wird gewöhnlich mit dem
faradischen Strom begonnen. 2). empfiehlt die biegsamen plattenförmigen Electroden,
wie sie Chardin construirt hat. Sie werden nur in warmes Wasser gelegt, Salzzusatz ist
schädlich, weil er die Metalle angreift. Die Anode wird in der Regel am besten auf
den Nacken gelegt und durch den Kragen festgehalten. Sollte dies nicht genügen, so
bindet man sie fest. Da nur die OefPnungsströme wirksam sind, so muss man auch bei
den Inductionsströmen zwischen Anode und Kathode unterscheiden. Die Kathode wirkt
viel localer als die Anode. Man notirt den Abstand der Inductionsrolle von der indu-
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cirenden, bei welchem man die Minimalzuckung erhält. — Die electrische Re-
action ist vollständig erhalten bei cerebralen und functio-
nellen Lähmungen. Sie ist zeitweise, d. h. wenn mehr Erampferscheinun-
gen aoftreten, gesteigert bei Tetanie, Beschäftigungsneurosen
(Schreibkrampf n. s. w.). Eine Abnahme der electrischen Reizbarkeit
finden wir bei Neuritiden, Traumen, Rückenmarkserkrankungen.
Dann ist auch eine Untersuchung mit dem galvanischen Strom nöthig, die überfiQssig ist
bei normaler oder gesteigerter Reaction. — Es wird sodann die Entartungsreac-
t i o n nach dem Schema von Erb erläutert. Characteristisch für dieselbe ist vor allem
der Mangel des Parallelismus zwischen faradischem und galvanischem Strom bei massiger
Stromstärke für den Muskel, ebenso der Mangel des Parallelismus zwischen Muskel- und
Nervenreaction. Die Entartungsreaction spricht für eine periphere
Erkrankung; von centralen Erkrankungen kommt nur die Poliomyelitis in Betracht,
die Entartungsreaction ist da aber nicht so characteristisch. — Der Erfolg der
Electrotherapie zeigt sich zuerst in Wiederkehr der Beweglich¬
keit. Die Dauer kann sehr verschieden sein. — Es kommt vor, dass ein Nerv unter¬
halb der Lmsion gut reagirt, oberhalb nicht. — Die Electrotherapie verdankt bei
Lähmungen in Folge von Lmsionen, sowohl cerebro-spinalen als peripheren,
ihren Erfolg hauptsächlich dem Umstand, dass ein Theil der Lähmung nur functioneil
ist, dass eine Anzahl Nervenfasern sich nur im Zustand des Shoks befinden. Auf
diesen Theil wirkt die Electricität. Immerhin ist Geduld nothig. Bei motorischen
Lähmungen begnügt sich D. mit localer Electrisation, die für die gelähmten Muskeln
eine Art Gynmastik ist. Die Sitzung braucht in der Regel nicht länger als 15 Minuten
zu sein. Die Schliessung des Stroms muss in regelmässigen Abständen geschehen, nicht
zu rasch, noch von zu langer Dauer. Es ist bequem vom Nervenstamm aus zu reizen.
Ist die Reaction für den faradischen Strom erloschen, so braucht man den galvani¬
schen. Sieht man nach 14 Tagen keine Besserung, so hört man auf. Neural¬
gien behandelt man mit dem galvanischen Strom und lässt gewöhnlich die Anode
wirken. Für die Ischias aber setzt man besser eine grosse Kathode zuerst auf die
Gesässgegend, während eine ebenso grosse Anode auf den Rücken aufgelegt wird. Man
lässt einen Strom von 100 Milliamperes 3 Minuten lang wirken. Auch die statische
Electricität ist hier wirksam. (Besser aber ist das Aufspritzen von Aethylchlorür auf die
Gegend des Foramen ischiad. Man hat gewöhnlich schon nach 2—3 Sitzungen eine
bedeutende Besserung.) Bei Torticollis, Lumbago, anderen Formen von Mus¬
kelrheumatismus ist der faradische Strom sehr zu empfehlen, er muss aber kräftig sein
und ca. 10 Minuten lang gebraucht werden. Man wählt mittelgrosse Electroden und
drückt sie, gehörig benetzt, gut an. Wenn die Inductionsspule wegen des zu feinen
Drahtes im Stich lässt, so greift man zur primären Spule. Bei Gelenkrheuma¬
tismus kann die Electricität ebenfalls helfen; doch wirkt sie weniger zuverlässig als
beim Muskelrheumatismus. Die Electrolyse bewährt sich bei Angiomen.
Wegen ihrer Schmerzhaftigkeit ist die Narkose oöthig. Es ist eine Stromstärke bis zu
50 Milliamperes erforderlich. Man thut besser, mehrere Anodennadeln (von Gold) einzn-
stechen, als nur eine. Man bringt eine Kathode mit grosser Oberfläche in die Nähe.
Auch zur Epilation ist die Electrolyse dienlich. — Für die Galvanocaustik sind
die Accumulatoren von Marly sehr zu empfehlen.
Zum Studium der Electrodiagnostik empfiehlt 2). angelegentlich das neue Lehrbuch
der klin. Untersuchungsmethoden von Prof. Sahli, Dr. F.
Dass die klinischen Aerztetage an Interesse bei den Aerzten immer noch gewinnen,
beweist der zahlreiche Besuch dieses letzten Tages: mit 56 Zuhörern begann die chirur¬
gische Klinik. Den Herren Professoren und Docenten gebührt der Dank ihrer ehemaligen
Schüler und medicinischen Collegen, welchen die Tage in Bern lange zum Voraus will¬
kommen sind.
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Nach Demission des für die klin. Aerztetage eigens eingesetzten Aasschusses, der
sich in den letzten Jahren um dieselben unter Leitung des Herrn Dr. Kummer verdient
gemacht hat, wurde in der Winterversammlung der bernischen med.-chir. Gesellsch. ein
Ausschuss von nur zwei Mitgliedern, Herr Dr. Sicehlin und — in contumaciam — dem
Unterzeichneten eingesetzt. Die Erwählten mussten sich wohl fügen, gesellten sich aber
als Dritten Herr Dr. Fankhauser in Burgdorf bei.
Nach Besprechung und auf Wunsch der Herren Professoren und des Yorstandes
der med.-chirurg. Gesellschaft sind nun für die Zukunft jährlich zwei klin. Aerztetage in
Aussicht genommen, und ist zu erwarten, dass die Sitzungen der Gesellschaft und die
Aerztetage sich gegenseitig derart ergänzen, dass der Besuch der einen durch die anderen
nicht geschädigt werde.
Es soll dafür gesorgt werden, dass die Publication je weilen rechtzeitig geschehe; wenn
irgend möglich soll zu Händen auswärtiger Coilegen sowohl im „Correspondenz-Blatt^
als im „Schweiz, demographischen Bülletin" pubiicirt und zugleich die Mitglieder der
med.-chir. Gesellsch. durch Karten geboten werden; dass einige Coilegen auch das letzte
Mal wieder überg^gen wurden, bedauern wir lebhaft; die Schuld trifft nicht uns, sondern
die expedirende Druckerei; die Ursache ist uns bisher unerklärlich geblieben. Der
nächste Aerztetag findet voraussichtlich im Spätherbst statt. Dr. E. LatuSj Biel.
Refeirate und Bliritiken.
GesundheitsbUchlein,
bearbeitet vom kaiserlichen Gesundheitsamt. 244 Seiten, mit Abbildungen. Berlin bei
Springer 1894. Geb. Fr. 1.35.
Ein ganz vorzügliches Werk, nicht nur trotz, sondern auch wegen seines bescheide¬
nen Umfanges. Es braucht eine grosse Meisterschaft, in solcher Kürze so Vieles zu sagen,
schon zu sagen und notabene! gar nicht langweilig zu sein.
„Das kaiserliche Gesundheitsamt hat von jeher seine Aufgabe so aufgefassi, dass
es in erster Linie der practiscben Verwerthung wissenschaftlicher Lehren forderlich sein
soll, ln diesem Sinne erscheint es besonders dazu berufen, aus dem gesammten Be¬
reiche der Gesundheitswissenschaft dasjenige auszuwählen und gemeinfasslich wieder¬
zugeben, was überall bekannt sein sollte.^ So spricht die Vorrede. Das wird nun hier
in klassischer Weise geboten. Ausser den regelmässigen Capiteln jeder Gesundheitspflege:
Luft, Wasser, Nahrung, Kleidung und Wohnung, kommen auch alle BLauptpuncte der
socialen Gesundheitspfiege zur Sprache, ferner die Infectionskrankheiten und die modernen
Schutzmaassregeln gegen dieselben; ferner: die erste Hülfe bei Unglücksfällen und auch:
die Krankenpflege. Dabei findet der Deutsche regelmässig Hinweisungen auf seine Ge¬
setze über Kranken-, Alters- und Invalidenversicherung, über den Gewerbebetrieb, über
Lebensmittelpolizei u. s. w. Für den Schweizer ist das eine unbeabsichtigte aber sehr
ernste Mahnung, weniger Parteipolitik und mehr Socialpolitik zu treiben und gute Bei¬
spiele nachzuahmen, anstatt mit unsem 25 Souverainitäten zu prahlen.
Das Gesundheitsbüchlein hat das seltene Glück, wirklich „einem lange gefühlten
Bedürfnisse abzuhelfen^ und sollte auch in schweizerischen Schalen und Familien einge¬
bürgert werden. Der Kaufpreis ist eine fein angelegte Verführung zur Weisheit und zur
Gesundheit. Sonderegger,
Der Nystagmus der Bergleute.
Von Nieden. Mit 10 Tafeln und 3 Figuren im Text. 140 pag. Preis Fr. 8. 60.
Wiesbaden, J. F. Bergmann 1894.
Diese merkwürdige Krankheit einer eingehenden Besprechung zu unterziehen, war
kaum Jemand besser geeignet als San.-Rath Nieden^ der während seiner 19jährigen
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augenarztlichen Thätigkeit im westphälischen Eohlengebiete über 2000 solcher Fälle zu
beobachten Gelegenheit hatte.
Yerf. kommt zum Schlosse, dass der acquirirte Nystagmus der Bergleute auf einer
Parese des Muskeltonus der Elevatoren beruht, bervorgerufen durch Ueberanstrengong dieser
letztem bei der Hauerarbeit. Begünstigend wirken dabei mit mangelhafte Beleuchtung,
Insufücienz der Interni, etwaige Sehdefecte des Auges selbst, endlich allgemeine Schwäche¬
zustande der Constitution.
Sehr lehrreich, zumal für Fernerstehende, sind die Schilderungen der verschiedenen
Arbeiten der Hauer, Schlepper und Steiger, namentlich aber die nach Momentphoto¬
graphien arbeitender Bergleute ansgeführten Lichtdruckbilder. Hosch,
Ueber die Trugwahrnehmung
(Hallncination und Illusion) mit besonderer Berücksichtigung der internationalen Enquete
über Wachhallucination bei Gesunden von Edmund Parish. Leipzig 1894 bei Ambr. Abel.
246 Seiten in 8®. Preis 7 Mark.
Es ist dies eine Arbeit, die mit scharfer psychologischer Kritik alle Seiten der
Frage mit klarem Urtheil beleuchtet. Mit vollem Recht werden die vielen unreifen
grobhimanatomischen Deutungen der Trugwahmehmungen abfällig kritisirt. Yerf. unter¬
sucht die Bedeutung der Trugwahrnehmnng nicht nur bei Geisteskranken, sondern auch
im Traume, in der Hypnose etc. Bezüglich der Bestätigung oder Nichtbestätigung sogen, tele¬
pathischer Wahrsagerei durch die umfangreiche Hallucinationenstatistik verschiedener
Länder u. A. m. kommt Yerf., nach sorgfältigen kritischen Erwägungen des Wertbes
der bezüglichen Zahlen auf den Schlusssatz: Bezüglich der Telepathie muss man auf
dem Urtheil noch bestehen bleiben: non liquet.
Die Arbeit Parish's kann somit gut empfohlen werden. A. FareL
a) Zur Trachombehandlung.
b) Ueber das Vorkommen von Pigment in der Conjunctiva der Malayen.
Yon Dr. L. Steiner in Soerabaya. (Overgedrukt uit bet Geneeskundig Tijdschrift voor
Nederlandsch-Indie. Deel XXXIII ud XXXIY.
Unser im fernen Osten practicirender Landsmann theilt in der ersten Arbeit
seine Erfahrungen über Trachombehandlung mit. Dass diese sogenannte ägyptische
Ophthalmie mit ihren so deletären Folgen für das Sehorgan bei uns selten zur Be¬
obachtung kommt, darüber dürfen wir froh sein; da wir aber doch ab und zu in die
Lage kommen, auch in der Schweiz gelegentlich eingeschleppte Fälle behandeln zu müssen,
so sind therapeutische Winke aus Gegenden, wo genannte Krankheit heimisch ist, für
uns recht werthvoll. Yerf. hat innerhalb 20 Monaten über 300 Trachomkranke be¬
handelt. Er hat die verschiedenen in alter und neuer Zeit empfohlenen Behandlungs¬
methoden probirt und sich daher über deren Werth ein eigenes Urtheil bilden können.
Als beste Methode für die grosse Mehrzahl der Fälle bezeichnet Yerf. das Aus¬
drücken der Körner (mit den Fingern, ohne besonderes Instrument) und nachheriges Ab-
tnpfen mit in Sublimatlösung (1 : 1000) getauchten Wattebäuschen. Nach einigen Tagen
ist die Procedur zu wiederholen; eventuell auch noch ein 3. und 4. Mal. Gewöhnlich
dauert die Behandlung 3—4 Wochen. Bei ganz frischem Trachom mit heftiger acuter
Conjunctivitis ist das Ausdrücken der Körner zu meiden. Anstatt dessen kühle Sublimat-
oompressen, bis das Zurückgehen der Entzündung und das deutliche Hervortreten der
Körner die Inangriffnahme der letztem gestattet. Yon den beobachteten Fällen sind die
meisten recidivfrei geblieben.
In der zweiten Arbeit macht Yerfasser auf das häufige Yorkommen von
Pigmentflecken in der Conjunctiva von Individuen malayischer Rasse aufmerksam. Bei
der microscopischen Untersuchung fand Yerf. das Pigment im Epithel und im subepithe-
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Halen Gewebe, theils in den Zellen, theils zwischen denselben. Die circnmscripten tinten-
Bchwarzen Flecke der Bindehaut sind als Gegenstücke zu den Pigmentmälem (NsBvi pig-
mentosi) aufzufassen, die auf der Haut der Malayen so sehr zahlreich sind. Auf der
tracbomatösen Conjunctiva fand Yerf. die schwarzen Flecke viel häufiger als auf der
normalen. Dass gleichzeitige Einwirkung des Lichtes und der chronischen Entzündung
zu starker Pigmententwicklung in der Conjunctiva führen kann, konnte Yerf. an einem
Patienten mit Ectropium genau microscopisch beobachten. Pfister,
Augenheilkunde und Ophthalmoskopie.
Für Aerzte und Studirende von Hermann Schmidi-Eimpler. Sechste Auflage. Yerlag
von J. Wreden, Berlin 1894.
Rasch hat dieses beliebte Lehrbuch seine 6. Auflage erreicht. Yerf. erleichtert in
sehr angenehmer Art das Lesen der einzelnen Capitel seiner Augenheilkunde durch ein¬
leitende Bemerkungen der zum Yerständniss nothwendigen optischen und anatomisch¬
physiologischen Thatsachen.
Besonders instructiv wird das Capitel der Refractions- und Accommodationsanomalien
behandelt. Mit voller Berücksichtigung der bei Medicinem so verbreiteten Idiosynkrasie
gegen Mathematik, wird dieses so wichtige Capitel in einer für jeden verständlichen und
interessanten Weise abgehandelt. Weiter ist der Ophthalmoscopie eine eingehendere
Schilderung gewidmet unter Beigabe von zwei Farbendrucktafeln, die besonders in den
letzten Auflagen eine entschiedene Besserung erfahren haben.
Yerfasser ist es gelungen, ohne im Umfang zu gross zu werden, ein sehr brauch¬
bares Lehr- und Lern-Buch zu schaffen. Mellinger,
Die Krankheiten der Frauen.
Für Aerzte und Studirende von Dr. H. Fritsch^ Prof. etc. Sechste Auflage. Berlin 1894.
Preis 11 Mark 40 Pfg.
Aus dem relativ kurzen Lehrbuch der ersten Auflagen ist ein stattlicher Band von
ca. 550 Seiten geworden, dabei hat sich auch das Format vergrössert, so dass der Um¬
fang ähnlicher Werke ungefähr erreicht ist.
Früher war es mehr die kleine Gynäcologie, die alltäglicheu Yorkommnisse, die
jedem Practiker geläufig sein sollen, auf welche der Hauptnachdruck gelegt wurde.
Jetzt sind auch die grossen Operationen, wie sie nur auf Kliniken oder doch von Specia-
listen ausgefuhrt werden, neu bearbeitet und ausführlich besprochen worden.
Ganz neu ist der von Dr. Yintel verfasste Abschnitt über Kystoscopie. Den Schluss
bildet ein Capitel über Gonorrhoe, worin alle ihre Erscheinungen beim Weibe im Zu¬
sammenhang vorgeführt werden, nachdem schon bei den Erkrankungen der einzelnen
Organe die gonorrhoischen Erscheinungen erwähnt worden waren. Bei der Wichtigkeit
des Leidens ist diese Uebersicht gewiss zweckmässig.
Dass das Buch schon aufgeschnitten erscheint, ist ein, wenn auch nur äusserlicher,
doch nicht zu unterschätzender Yortheil; wir können dasselbe, wie das schon bei den
früheren Auflagen geschah, in jeder Beziehung empfehlen. Goenner,
Sectionstechnik für Studirende und Aerzte.
Yon Prof. Dr. C. Naiitvcrk, II. vermehrte Auflage. Mit 51 Abbildungen.. Jena,
Gustav Fischer. 1894. 160 pag. Preis Fr. 4. —.
Der Arzt soll seiner Lebtag Studiosus bleiben. Die Zahl der jährlichen Obductionen,
die er ausführt, sind ein ziemlich richtiger Massstab für die Intensität seines Studiosen¬
thums. Wer aufhört, in Sectionen — und wenn sie auch unter noch so erschwerenden
Umständen gemacht werden müssen — sich Belehrung und Aufklärung zu holen und
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seine zu Lebzeiten der Kranken gestellte Diagnose zu verificiren etc., der schreitet rück¬
wärts. —
Die Sectionstechnik ist seit Virclund'^ klassischer Anleitung eine ziemlich abge¬
schlossene. Indess enthält das vorliegende Buch eine Reihe wichtiger und zweckmässiger
Abweichungen und hat den immensen Yortheil, durch vorzügliche Illustrationen (mit An¬
gabe der Schnittführung in rothen Linien) dem Verständniss sehr rasch nachzuhelfen. —
Der Werth des Buches wird noch dadurch erhöht, dass die geriohtsärztliehen Vorschriften
an den entsprechenden Stellen jeweils aufgeführt sind, so dass auch für eine gerichtliche
Obduotion alle denkbare Wegleitung gegeben ist. Pathologisch-anatomische Diagnostik
musste, um das kleine Werk innerhalb des vorgesteckten Rahmens zu halten, freilich
vollständig aus dem Spiele bleiben. Dem Ref. ist kein besser und klarer orientirendes
Werk über Sectionstechnik bekannt, als das vorliegende, durch die Verlagsbuchhandlung
Fischer zudem tadellos ausgestattet. Wer es sich anschafft, bekommt neue Lust, als
Studiosus Obductionen zu machen. E, Haffier,
Oantonale Oonrespondeuzen.
Basel. Zar Asjlfrage für TaberkalSse. In neuester Zeit ist von hochachtbarer
philanthropischer Seite die Erstellung von Anstalten zur Behandlung unbemittelter und
wenig bemittelter Lungenkranker in der Schweiz als ein dringendes Bedürfniss erklärt
und sind in verschiedenen Cantonen schon wichtige Vorarbeiten in dieser Richtung ge¬
macht worden. Aerztecommissionen haben sich vielerorts auf den Weg gemacht, um ge¬
eignete Stellen zur Errichtung solcher Asyle auszuwählen; dagegen ist mir unbekannt
geblieben, ob eine auch nur annähernd richtige Schätzung der Anzahl der vorhandenen
und unterzubringenden Lungenkranken versucht worden ist. Man steht wohl in dieser
Beziehung einer ziemlich unbekannten Grösse gegenüber.
Es möge mir gestattet sein, einen sachbezüglichen Schätzungsversuch zu machen.
Der 66. Lieferung „Schweizerischer Statistik" entnehme ich die Thatsache, dass in
den Jahren 1877 bis und mit 1885 im ganzen 52,442 Schwindsuchtasterbefälle zur An¬
zeige gekommen sind. Demnach starben in den 9 besagten Jahren alljährlich ungefähr
5800 Menschen an Lungenschwindsucht. In Hinsicht auf die seit 1885 stattgefundene
Bevölkerungszunahme und zur Vereinfachung der Rechnung nehme ich an, es seien deren
sechstausend, die jährlich an Phthise dahinsterben.
Da Lungenschwindsucht bekanntlich eine meistens sehr langsam verlaufende Krank¬
heit ist und für jeden Sterbefall durchschnittlich ganz gut vorausgehende 10 Krankheits¬
jahre angenommen werden dürfen, müssen, will man sich nicht argen Täuschungen aus-
setzeu, auf die Gesamteinwohnerzahl der Schweiz volle 60,000 mehr oder weniger stark
ausgesprochene Schwindsuchtsfälle berechnet werden. Man wird kaum fehl gehen, wenn
mau zweidrittel dieser Kranken, d. h. 40,000 als unbemittelt oder wenig bemittelt an¬
nimmt. Nun wird es aber selbst im Traume niemand einfallen, eine solche Schwind¬
suchtsarmee in Asyle stecken zu wollen; aber auch sonst ist diese Gesamtziffer wenig
dazu geeignet, daraus den uns interessierenden Kern heraus zu schälen.
Versuchen wir es daher, der gestellten Aufgabe auf anderm Wege näher zu treten
und fassen wir zu diesem Zwecke die Zahl der Jahr um Jahr Neuerkrankenden ins Auge.
Nimmt man an, dass doch immerhin ein Drittel der an Tuberkulose Erkrankten zur de¬
finitiven Ausheilung kommt, d. h. schliesslich nicht in der Rubrik der Schwindsuchts¬
sterbefälle registriert wird, so wäre der jährliche Zuwachs an Neuerkrankten zu be¬
rechnen auf 6000 -h 3000 = 9000, wovon wie gesagt Ys, d. h. 3000 in Heilung über¬
gehen, Y») 6000 Fälle aber das Contingent der jährlichen Todesfälle liefern würden.
Von den 9000 Neuerkrankten dürfte aber für unsere Berechnnng von vorneherein
wieder ca. Y^ wohlhabend in Wegfall kommen. Es blieben also nach unserer
Rechnung als „unbemittelt oder wenig bemittelt“ nur 6000 Kranke, d. h. gerade das
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Aequivalent der mit Tod abgehenden übrig, die in die neu zu errichtenden Heilstätten
aufzunehmen wären.
Zur gleichzeitigen Aufnahme dieses reduzierten jährlichen Zuwachses bedürfte es
also 60 Heilstätten, jede für 100 Kranke.
Es ist nun aber weder nötig noch sonst angezeigt, alle diese Neuerkrankten gleich¬
zeitig und gerade je für die Dauer eines Jahres in die Asyle aufzunehmen. Nach der
Bedeutung, die diesen Anstalten zukommen soll, würde es wahrscheinlich genügen, wenn
jeder Neuerkrankte vorerst während dreier Monate, d. h. für die Dauer eines Vierteljahres
Aufnahme fände. Dadurch würde die Zahl der notigen Heilstätten sich auf fünfzehn
mit zusammen 1500 Betten verringern.
Nun ist ferner darauf Bedacht zu nehmen, dass derselbe Kranke während seiner
im Mittel zehnjährigen Leidenszeit wiederholt asylbedürftig werden wird; nehmen wir an,
das werde im ganzen wenigstens noch 2 Mal der Fall sein und zwar je für die Dauer
eines Monats, d. h. jeweilen für Y 12 Jahr. Um dieses Bedürfniss zu decken, müsste
eine Vermehrung von 2 X . = 100 Betten stattfinden.
® 12 X 10 60
Das ungefähre Qesamtbedürfniss würde nach obigen Voraussetzungen somit be¬
tragen :
1) zur erstmaligen, Smonatlichen Unterbringung von ca. 6000 Neuerkrankten oder
Kranken im Anfangsstadium 1500 Betten;
2) zur zweimaligen spätem Wiederaufnahme derselben Kranken je auf die Dauer
eines Monats 100 Betten, oder insgesamt 1600 Betten, wozu 16 Heilstätten je für 100
Kranke zu erstellen und einzurichten wären.
Ich bin der Ansicht, dass obige Berechnung der Anzahl asylbedürftiger Phthisiker,
beziehungsweise der für sie nötigen Bettenzahl eher zu tief als zu hoch gegriffen ist.
Dagegen ist darauf aufmerksam zu machen, dass vielleicht die Hälfte dieser Asyl¬
bedürftigen gar kein Verlangen danach tragen wird, in. einer dieser Heilstätten, die nach
„berühmten Mustern^ bald genug unter der Bezeichnung von „Zuchtanstalten^ populär
werden könnten, Aufnahme zu finden. Dieser Umstand dürfte die Zahl der Anstalten auf
acht herunter mindern, was aber für ein Unternehmen freiwilligen, philanthropischen
Opfersinns immerhin noch bedeutend genug wäre Was die mit der Erstellung und Ein¬
richtung dieser 8 Heilstätten und deren Betrieb verbundenen Kosten anbelangt, so haben
wir in unsera Reihen der erfahrenen Männer genug, denen dieser TeU des Voranschlags
überlassen werden kann.
Wenn auch lange nicht in demselben Masse wie die Erstellung und Einrichtung,
so wird doch auch die Fürsorge für eine fachkundige und richtige Leitung unserer Asyle
nicht unbedeutende Opfer erheischen.
Dass die Heilstätten nicht solche sein können, in denen die Kranken bis zu ihrer
vollständigen Genesung — um nur von diesem Ausgange zu reden — verbleiben, braucht
wohl nicht besonders betont zu werden. Ihre Aufgabe werden die Asyle erfüllen, wenn
darin während des ersten Aufenthalts die betreffenden Patienten, wie wir gemeinhin sagen,
„angeheilt" und während dieser Zeit zu disziplinierten, verständigen Kranken erzogen
werden. In meinen Augen ist letzteres sogar die Hauptsache, worüber niemand, der
meine seit zwanzig Jahren teils in Broschüren, teils in Reisebriefen hingeworfenen Be¬
merkungen über das Leben und Treiben in der Welt der Phthisiker gelesen hat, erstaunt
sein wird. Von dem Grundsätze ausgehend, dass auch der geheilte Phthisiker zeitlebens
ein Invalide bleiben wird, der in seiner Lebensführung sich immer an die Vorschriften
der Gesundheitslehre und zwar der speciellen für Lungenkranke halten muss, will er sich
nicht Rückfällen anssetzen, sehe ich eben in der richtigen Erziehung und Angewöhnung
der Kranken den grössten Dienst, den ihnen eine Heilstätte wird leisten können. Die
Disziplinierung und Angewöhnung der Patienten an ein sachgemässes Verhalten bringt
diese weiter, als eine noch so oft wiederholte Aufnahme in einen gewöhnlichen Spital,
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in dem der Kranke auf die ihn bedrohenden Schädlichkeiten kaum anders als etwa durch
einen sehr allgemein gehaltenen Zuspruch aufmerksam gemacht wird. Ein allgemeiner
Zuspruch nützt einem leichtsinnigen Brustkranken gegenüber rein nichts. Die Vorsicht
muss ihm anerzogen werden, gleich wie die militärische Disziplin dem Soldaten, und dazu
sind 3 Monate für einen ersten Aufenthalt im Asyle sicherlich nicht zu viel, eher zu wenig.
Also nicht nur Heilstätten, sondern auch spezielle Erziehungsinstitute sollten die
angestrebten Asyle werden. Wer aber werden die Lehrer oder Institutsvorsteher sein?
Offenbar können das nur die Anstaltsärzte selbst sein. Aber um das mit Erfolg
sein zu können, dazu gehört eine reiche Lebenserfahrung und grosse Energie in Dnrch-
führung des Gewollten. Beide zusammen, eine reiche Lebenserfahrung und die richtige
Schneidigkeit, welche eine solche Anstalt „fortiter in re, suaviter in modo^ zu führen
verstehen und dazu noch die wirkliche Neigung, sich einer solchen Aufgabe zu widmen,
finden sich aber sicherlich nur bei einei^ Minderzahl von Aerzten vereint. Die von Herrn
Dr. B. Turban postulierte Lehrzeit von drei Monaten, selbst au der bestgeleitetsten solcher
Anstalten, wird einem jungen Arzte weder den nötigen Scharfblick, noch die erforderliche
Autorität gegenüber dem Hülfspersonal und den Kranken zu geben vermögen. Man
wird also auf geeignete ältere Aerzte, die schon längere Zeit in der Praxis stehen, sein
Augenmerk richten müssen. Später aber dürften dann allerdings die Anstaltsleiter ans
der Zahl derjenigen jüngern Aerzte hervorgehen, die selbst mehr oder weniger brust¬
leidend, die Erfahrung schon an sich gemacht haben, was Selbstüberwindung und Kranken¬
disziplin vermag. Dass die Anstaltsärzte keiner lukrativen Privat- oder Ortspraxis werden
nachgehen können, ist, schon der wohl meistens ziemlich isolierten Lage der Asyle
wegen, selbstverständlich. Um so tiefer wird man daher in die Tasche langen müssen,
um die geeigneten Persönlichkeiten dafür zu gewinnen.
Das sind die zwei Punkte: die Anzahl der voraussichtlich nötigen Betten und die
Besetzung der Arztstellen in den angestrebten Heilstätten, welche ich kurz berühren wollte.
Basel, im September 1894. Dr. Schnyder.
W oolienbeiriolit^.
Schweiz.
Einladung zur 48. VersaBBlooif des ftralilehee Ceetralverelos Samstag den 3.
November 1894 in Olten. Verhandlungen im neuen Concertsaale. Anfang punct
1274 Uhr.‘)
Tractanden:
1) Eröffnnngswort.
2) Zur Fürsorge für die aus dem Spital entlassenen Syphilitischen. Prof. Dr. Lesser, Bern.
3) üeber Diphtherieheilserumtherapie. Orientirendes Referat von Dr. E, Feer, Basel.
4) Die mechanische Behandlung der Frauenkrankheiten. Dr. Häberliny Zürich.
5) Abstimmung über die Sonderegger^schen Thesen betr. eidgen. Kranken- und Unfall¬
versicherung.
6) Geschäftliches.
Essen circa 3 Uhr im Bahnhofrestaurant Biehly.
Zu dieser inhaltsreichen Versammlung sind auPs Herzlichste eingeladen die Mit¬
glieder des ärztlichen Centralvereins, unsere Freunde von der Societe medicale de la Suisse
romande und von der Societä medica della Svizzera italiana, — überhaupt alle Collegen,
welche die Devise: Wissenschaft und Freundschaft hochhalten!
Im Namen des Ausschusses des ärztlichen Central vereine:
Haffter, Präsident. v, Wyss^ Schriftführer.
Frauenfeld-Zürich, October 1894.
') Im verschickten Einladungscircular wurde die mitteleuropäische Zeit zu berücksichtigen
vergessen.
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— Gegenüber den vielen neuen gegen Hyperenesis empfohlenen
Mitteln dürfte es angezeigt sein, auf eine ältere, wie es scheint wenig bekannte, Yer-
ordnung aufmerksam zu machen. Seit Jahren verordne ich auf Grund einer irgendwo
gelesenen Notiz: Tct. jodi gtt. X—XII; Aq. 120—150. 2stündlich 1 Esslöffel in ‘/s
Glas Zuckerwasser zwischen den Mahlzeiten z. n.') Bei Magenschmerzen kann Morphium
oder Aq. Laurocer. zugesetzt werden. (Im letztem Falle entfärbt sich die Mischung.)
Die Wirkung ist in den meisten Fällen eine vorzügliche, ebenso beim Erbrechen Hyste¬
rischer. In einem Falle von Magencarcinom wurden die Brechanfälle und der Brechreiz
bedeutend verringert. Dürfte auch bei Alcoholikern versucht werden.
Steffen (Regensdorf).
— Deekg^lisehea za ■leraseaplsehea Priparateo kann sich Jeder leicht selbst
bereiten, indem er sogenanntes Marieuglas (erhältlich in jeder Eisenhandlung, die
Petroi-Kochapparate verkauft) mit einem scharfen * Messer spaltet. Dieselben bieten den
Yortheil, dass sie in allen möglichen Grössen und Dicken sehr leicht hergestellt werden
können; ausserdem sind sie kaum zerbrechlich und kosten— wenig Geld! — Die (selte¬
nen) schmalen und hellen Risslinien, die sich unter dem Microscop zeigen, stören in keiner
Weise die Deutlichkeit des Bildes und auch die Helligkeit desselben wird durch die dünne
Platte Marienglas in keinem wahrnehmbaren Grade beeinträchtigt — gegenüber solchen
aus reinstem Glas! ^ F. Y. A.
Ausland.
— Die Congresse der letzten Wochen haben zu einigen wichtigen Mittheilungen
über die Behaadlung^ der Diphtherie mH Hellseron Yeranlassung gegeben. Da die bei
diesen Anlässen mitgetheilten Resultate eine Aufforderung zur Einführung der neuen
Methode in die ärztliche Praxis in sich tragen, so halten wir es für angezeigt, an dieser
Stelle dieselben einer kurzen Besprechung zu unterziehen. Das erste Referat brachte
Boux (Paris) am hygienischen Congress in Budapest. Seit 1891 hat sich Roiix mit der
Frage der Diphtherieimmunisirung beschäftigt. Während Behring zu diesem Zwecke vor¬
zugsweise Schafe benutzte, verwendete Boux mit Yorliebe Pferde. Das Pferd ist für
Diphtherie relativ wenig empfänglich und das Serum immunisirter Pferde hat auch eine
geringere immunisirende Kraft als das Serum immunisirter Schafe. Auf der andern Seite
bietet das Pferd den Yortheil, dass es grosse Mengen Serum liefert und relativ rasch
immunisirt werden kann. Zur Immunisirung der das Heilserum liefernden Pferde wurde
ihnen zunächst ein gewisses Quantum von Diphtherietoxinen eingespritzt, deren Yirulenz
durch Zusatz von Gram’scher Lösung künstlich herabgesetzt wurde, so dass auf die Ein¬
spritzung keine erhebliche Reaction erfolgte. Nach einiger Zeit wurde wiederum ein
etwas stärkeres Quantum oingespritzt, und so weiter mit immer stärkeren Toxinen, bis die
Thiere im Stande waren, ohne Schaden das stärkste Diphtheriegift zu ertragen.
Das Serum solcher immunisirter Thiere, anderen Thieren eingespritzt, schützt die¬
selben vor der Wirkung des Diphtheriegiftes. Durch Zusatz einer gewissen Serummenge
wird ein virulentes Diphtherietoxin unwirksam, und seine Einspritzung ruft beim Yer-
suchsthiere keinerlei Wirkung hervor. Ferner ist man im Stande, nicht immunisirte
Thiere durch Einspritzung von Serum in kürzester Zeit für Diphtherie unempfänglich
zu machen, so dass die Einspritzung einer sicher tödtlichen Dosis Diphtheriegift keine
Erkrankung hervorruft. Selbst bei bereits inheirten Thieren kann man durch eine nach¬
trägliche Serumeinspritzung den Ausbruch der Erkrankung verhindern oder die bereits
ausgebrochene Krankheit unter gewissen Umständen coupiren. Für die letzteren Fälle
muss aber eine bedeutend stärkere Dosis Heilserum injicirt werden, als diejenige, welche
zur einfachen Immunisirung nothwendig ist. Während ein Meerschweinchen mit einer
Serummenge, die etwa — Ysoooo seines Gewichtes beträgt, für eine sonst sicher
*) Jodtinctur gegen Erbrechen wurde schon von verschiedenen Autoren empfohlen, so von
Cartier (Union meJicale 1889, Nr. 148) in folgender Weise: T» jodi guttas X, Aq. 125,0. D. S.
In 3 Portionen unmittelbar nach der Mahlzeit zu nehmen. Red.
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711
tÖdtliche Dosis von Diphtheriegift unempfänglich gemacht werden kann, muss man nach
bereits erfolgter Infection eine Serumdosis einspritzen, die Yiooo und mehr des Gewichtes
des Yersuchsthieres beträgt.
Die Thierversuche haben die vollständige Unschädlichkeit des Heilserums erwiesen,
so dass Rou>x die Methode bei der Diphtherie des Menschen zu erproben sich berechtigt
fühlte. Die Versuche wurden mit Martin und üiailkm im „Hopital des Enfants-
Malades^ gemacht. 300 Kinder mit bacteriologisch festgestellter Diphtherie behaftet,
wurden mit Heilserum behandelt. Davon starben 78 oder 267o. In den letzten drei
Jahren betrug die Diphtheriemortalität in diesem Krankenhause durchschnittlich 51,7^/o,
und während der Zeit, während welcher die Versuche gemacht wurden, starben im Höpital
Trousseau 63,2®/o der an Diphtherie erkrankten Kinder. Die ganze Behandlung bestand
in der sofortigen Einspritzung von 20 com Heilserum unter die Haut. Die Einspritzung
ist nicht schmerzhaft, und wenn aseptisch vorgenommen, von keiner Reaction gefolgt.
Nach 24 Stunden wurde eine zweite Einspritzung von 10 oder 20 ccm gemacht. Zwei
Injeotionen genügten in den meisten Fällen um die Erkrankung zu coupiren. Die
Temperatur sank in den meisten Fällen schon nach der ersten Injection, und zwar plötz¬
lich; blieb sie in schweren Fällen hoch, so fand der Temperaturabfall erst nach der
zweiten oder nach der dritten Injection und zwar lytisch statt. Der Puls kehrte lang¬
samer zur Norm, als die Temperatur. Der Allgemeinzustand wurde durch die Injectionen
sehr günstig beeinflusst. Die membranösen Auflagerungen nahmen 24 Stunden nach der
ersten Einspritzung nicht mehr zu, nach 36 bis spätestens 72 Stunden fingen sie an sich
zu lösen. Die günstigsten Erfolge wurden bei den reinen Diphtheriefällen kurze Zeit
nach dem Ausbruch*der Krankheit erzielt. Je später die Fälle in Behandlung kamen,
desto unsicherer wurden die Resultate. Ebenso waren die Resultate der Heilserumtherapie
in Fällen von reinem Larynxoroup günstig. Von 107 operirten Fällen starben 42 oder
39,25%.
Ueber die ersten Resultate der mit Behring'*^Q\xQm Heilserum angestellten Versuche
haben wir früher (Corresp.-Blatt 1893, S. 573) referirt. Die Resultate der weiteren Be¬
obachtungen wurden von Ehrlich bei Anlass der naturforachenden Versammlung in Wien
mitgetheilt. Von 230 Fällen starben 53 = 23%; von 78 schweren Fällen, welche schon
innerhalb der beiden ersten Tage zur Behandlung kamen, nur 2. Dagegen starben von
72 nicht mit Serum beliandelten Patienten 25.
Das Behring"*hchQ Heilserum ist in letzter Zeit durch die Farbwerke vorm. Meister, Lucius
und Brüning in Höchst in den Handel gebracht worden, und zwar in 3 verschiedenen
Stärken. Die Wirksamkeit oder Stärke seines Heilserums drückt Behring in sog. Anti¬
toxineinheiten aus. Das vom immunisirten Thiere gewonnene Serum wird daraufhin ge¬
prüft, wie viel von dem Serum nöthig ist, um 1 ccm der Normalgiftlösung gerade un¬
giftig zu machen. Ein Blutserum, von welchem 0,1 ccm genügt, um jenen 1 ccm Gift¬
lösung ungiftig zu machen, wird als Normalantitoxinlösung bezeichnet, von welcher jeder
Cubikcentimeter eine Normalantitoxineinheit repräsentirt. Jede Normalantitoxineinheit ist
also im Stande, 10 ccm Normalgift zu neutralisiren. Wird aber z. B. Serum von einem
Thier gewonnen, von welchem 0,01 ccm dieselbe Neutralisation bewirken würde, so
würde der Cubikcentimeter solchen Serums zehn Antitoxineinheiten enthalten, und ein
solches Serum wird dann als zehnfach-Normalserum bezeichnet. Das kräftigste Serum,
welches bis jetzt in den Handel gebracht worden ist, ist ein 140fache8 Normalserum.
Sollten spätere Erfahrungen die Resultate der bisherigen Beobachtungen bestätigen,
so wäre unbedingt die Serumtherapie der Diphtherie als eine der werthvollsten Errungen¬
schaften der modernen Medicin zu betrachten. Wir dürfen uns aber nicht verhehlen,
dass wir zur Zeit noch mit einer sehr mangelhaften Methode zu thun haben. Es ist
z. B. nicht möglich eine Substanz von constanten Eigenschaften und constanter Wirkung
darzustellen. Jedes immunisirte Thier liefert ein verschiedenes Serum, dessen Wirksam¬
keit zunächst am Thiere bestimmt werden muss. Wir sind also vollständig auf den
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Fabrikanten angewiesen und von seiner Zuverlässigkeit abhängig. Ferner werden wohl bei
der Beurtheilung des Werthes der Methode die Beobachtungen von Wassermann, über
die immunisirenden Eigenschaften des Serums gesunder Individuen, berücksichtigt
werden müssen. Dieser Autor hat gefunden, dass das Blut von Individuen, welche nie¬
mals Diphtherie oder Angina gehabt hatten, sehr häufig antitoxisch wirkt, oft in erstaun¬
lich «hohem Grade, so dass z. B. ein Gemisch von 1 ccm des Serums mit dem zehnfachen
der absolut tödtlichen Dosis für Meerschweinchen ganz wirkungslos bleibt. Je höher das
Alter der Individuen ist, um so häufiger erweist sich ihr Blutserum antitoxisch, während
unter 10 4—15 Jahre alten Personen 5 antitoxisches Blutserum besassen, hatten von
14 20—40jährigen 10 und von 8 mehr als 40 Jahre alten 7 antitoxisches Blutserum.
Nach den Thierversuchen scheint die künstlich hervorgerufene Immunität von kurzer
Dauer zu sein.
— Ein Fall voa tSdlileher LaboratoriMSehalera ereignete sich am hygieinischen
Institute in Hamburg. Dr. Oergel, ein Schüler Löffler^s, bot am Morgen des 15. Sept.
— nachdem er täglich mit Gholeraculturen gearbeitet — das typische Bild eines asphye-
tischen Cholerakranken* und starb trotz aufopferndster Pfiege am 2 1 . Sept. Section: Zahlreiche
Choleracolonien in der Flexur und an der Yalvula coli. (Deutsche med. Wochenschr.)
— Gegen rheuallsehe Neoralf^leo. Phenacetin, Salol ^ 2,5 <—4,0; Coffein.
0,25—0,4; Divid. in part. »quäl. Nr. X. S. täglich 2—4 Pulver.
— Zor f^iüadllehea Relaig^oog^ behaarter Stellea, die sich schwer rasieren lassen,
wie Scrotum und Analfalte empfiehlt Ämiequin die Anwendung von Calciumhydrosulfid oder
Schwefelbaryum als Epilirmittel. Das Calciumhydrosulfid wird dargestellt, indem man einen
Strom von Schwefelwasserstoffgas in Kalkmilch von breiiger Consisteüz leitet. Nach etwa
zwei Stunden ist die Keaction beendigt. Die zu epilirende Stelle wird mit einer etwa 2 mm
dicken Schicht des Breies bedeckt. Nach 8 —10 Minuten fängt dieselbe an zu trocknen,
und kann dann mit etwas Wasser leicht entfernt werden. Die Haare sind vollständig
zerstört, und man findet die Haut glatt und ohne Spur von Reizung. Die Haare wachsen
etwas langsamer als bei Anwendung des Rasiermessers wieder. Die Anwendung von
Schwefelbaryum ist von einem leichten Brennen begleitet. Dasselbe kann durch Zusatz
von Zinkoxyd vermindert werden; die Zerstörung der Haare erfordert aber etwas mehr
Zeit, 10—12 Minuten. An Sicherheit der Wirkung ist das Schwefelbaryum dem Calcium¬
hydrosulfid noch überlegen. (Arch. de med. et pharm, milit. Nr. 10.)
Brieflcasiieii«
Prof. F. in Halle. Sie haben bis zu einem gewissen Grade recht, wenn Sie Bob. Mayer als
Begründer der Lehre von der Erhaltnng der Kraft bezeichnen. Im Jahre 1842 veröffentlichte der¬
selbe seinen ersten Aufsatz in Liebig\ Annalen, dessen Schlnssfolgerung der Satz der Aequivalenz
von Wärme und Arbeit bildete. Die Lehre von der Erhaltung der Kraft in seiner allgemeinen
Tragweite und mit allen mathematischen Begründungen hat aber zuerst Helmholtz 1847 dargelegt
Die gegenseitigen Verdienste der verschiedenen Forscher in dieser Frage stellt MÜller-Pouillety Lehrb.
d. Physik, Bd. L, S. 257, folgendermassen dar: Dieses Princip ist für beschränkte Gebiete von
Naturerscheinungen schon von Newton und D. BemoulU ausgesprochen worden. Die Möglich¬
keit seiner allgemeinen Gültigkeit hat zuerst der deutsche Art «/. B. Mayer 1842 dargele^; eine
epochemachende Darstellung wurde von H. Helmholtz in seiner Schrift „lieber die Erhaltung der
Kraft“, 1847, geliefert, üeber Prioritätsfrage, siehe Helmholtz „Vorträge und Reden, Bd. I, S. 60*.
Bobert Mayer'% Priorität und „Wissenschaltl. Abhandlungen“, Bd. I, S. 71. — Dr. 0. M. in Fon taine-
melon: Herzkranke — specieil „ELinder mit Mitrabsinsufücienz* — ertragen, wie sich auch
aphygmographisch nachweisen lässt — eine kurze Bromäthernarkose sehr gut. Die Curve erfahrt
keinerlei Schädigung. Ich habe viele Herzkranke bromäthylisirt, ohne je einen Nachtheil zu sehen,
brauche .aber allerdings bei Kindern nie mehr als 5 gr, bei Erwachsenen 10—15 gr im Durchschnitt,
um zum Ziele (vollständige Analgesie) zu gelangen. — C. P. Honesdale, Penna. Jede Nummer
trägt Gruss und Lockruf, hoffentlich mit bmdigem Erfolge. — Dr. Brunnery Zürich; Dr. Walthard,
Bern; Dr. jPher, Basel; Dr. t>. Mandachy Schaffhausen; Dr. Häusler, Schöftland: Arbeiten erscheinen
in den nächsten 2 Nummern. — Dr. Boten, San Geronimo, Argentinien: Besten Dank. Erscheint
baldigst. Ihre patriotischen Grüsse werden aufs Herzlichste erwidert.
Schweighauserische Buchdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
Hltfu als Beilage: Graphische Uebersicht zu ,yLotZf Erfahrungen Uber Variola^^
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Beilegezu^Lof2, Erfidhrun^en über Vano/a'*Correspondenz ß/aft. für Scbwe/zerAerzte)t83^. //^20/2/.
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iJahre
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Erscheint am 1. und 15.
jedes Monats.
Inserate
35 Cts. die gesp. Fetitzeile.
für
Schweizer Aerzte.
Herausgegeben von
Preis des Jahrgangs
Fr. 12. — für die Schweiz,
Fr. 14.50 für das Ausland.
Alle Posthureanx nehmen
Bestellungen entgegen.
I>r*. "E. Ucitftei* und Dx*. A.» Ja^quet
in Franenfeld. in Basel.
N! 22. XXIV. Jahrg. 1894. 15. November.
IbImUi 1) Originalarbeiten: Dr. BmüFur: Ueber Altondlspoiitioo und Infeotionsgeleffenheit der enten Lebensjahre
Ar Diphtherie nnd andere Infectionskrankheiten. — S. HätuUr: Ein Beitrag snr Tachjcardie. — 2) Vereins berichte:
lledicinJseh-phamiaeentiseher BezirksTerein Hem. Gesellschaft der Aerste des Cantons Zfirioh. — 8) Referate undKri'
tiken: Phüipp BUdert: Lehrbuch der Kinderkrankheiten. — Zudätr: Klinisches Handbuch der Hara> und Sexnalorgane. —
H, Lmbbh: Die Besectionen der Knochen und Gelenke. — 4)Cantonale Correspond ensen: Bern: f Dr. ChritUlUr —
5) Wochenbericht: Bern: Klinischer Aerztetag. — Nachruf ap Dr. Freiherr v. Mundy in Wien. — Trockene Asepsis bei
Laparotomien. — Diagnose der Diphtherie. — Eztractnm flnidnm Gossypii herbaeeL — Abortive Behandlung der Coryza. —
Nachweis des Peptons im Ham. — Chinesisches Sprichwort. — Behandlung der HAmorrholden. — C) Briefkasten. —
7) Uiilfskasse tftr Schweizer Aerzte. — 8) Bibliographisches.
lieber Altersdisposition und Infectionsgelegenheit der ersten Lebensjahre
für Diphtherie und andere Infectionskrankheiten.
Von Frir.-Doc. Dr. Emil Feer in Basel.
Es ist eine bekannte Tbatsache, dass viele acute Infectionskrankheiten vorzugs¬
weise die Kindheit heimsuchen, dabei aber die ersten Lebensmonate oder die ersten
1—2 Jahre relativ verschonen. Es gilt dies besonders für Diphtherie, Scharlach,
Käsern, Keuchhusten, Varicellen, Rötheln, Mumps; aber auch die Infectionskrankheiten,
welche in der Kindheit nicht vorwiegen, verschonen sehr merklich, zum Theil voll¬
kommen, die früheste Lebensepoche, so Typhus abdom. und exanthemat., Dysenterie,
Febris recurrens, Meningitis cerebrospinalis epidemica, Influenza, Bbeumatismus acutus,
Erysipel, etc. Auch Tuberculose zählt hierher. Selbst Variola ist in den ersten
Lebensmonaten ungleich seltener wie später. Cholera asiatica nimmt eine zweifelhafte
Stellung ein; nach Monti (im Gegensatz zu Lt^ert) ist die Disposition dazu im Säug¬
lingsalter schon gleich gross wie in den folgenden Jahren.
Von all den genannten Kinderkrankheiten zeigen sich in den ersten Monaten
Fälle um so seltener, je jünger die Kinder sind. Sie betreffen also am seltensten
Neugeborene, so dass diese Altersperiode früher für gewisse dieser Krankheiten (Schar¬
lach, Diphtherie) geradezu als immun gegolten hat. Mit Unrecht. Alle diese Krank¬
heiten befallen gelegentlich auch Neugeborene; Scharlach und Masern wurden schon
ausnahmsweise, gar nicht selten Variola, angeboren oder am Foetus gesehen.
ln der Litteratur, auch in den Lehrbüchern der Kinderheilkunde, Anden sich nur
spärliche und theilweise unrichtige Angaben von der relativen Vertbeilung der kind-
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liehen Infectionskrankheiten über die ersten Lebensmonate und Jahre. Die amtlichen
Veröffentlichungen grösserer Städte, sofern sie auch die Morbidität berücksichtigen,
geben die Frequenz für Kinder fast stets nur für das erste, das 2.—5., 5.—10. Jahr
gesondert. Es mag darum nicht unwillkommen sein, wenn hier aus dem grossen
statistischen Material der Stadt Basel die Vertheilung der wichtigsten dieser Krank¬
heiten über das ganze Lebensalter im Allgemeinen, speciell aber innerhalb der ersten
zwei Jahre gezeigt wird.’) Diese Statistik dürfte in ihrer Grösse (über 4000 bis
5000 Fälle von jeder Krankheit) ein ziemlich wahrheitsgetreues Bild über die Bethei¬
ligung der einzelnen Lebensabschnitte liefern, trotz der Mängel, die jeder solchen
Statistik anhaften. Wenn auch viele KrankheitsMle sicherlich nicht zur Anzeige ge¬
langten, so sind doch alle Altersstufen hievon mehr oder weniger gleichmässig be¬
troffen. Im Allgemeinen muss man zwar annehmen, dass die Krankheitsfälle der
jüngsten Altersklassen vollständiger angezeigt sind, als diejenigen älterer Kinder, bei
welchen der Arzt weniger leicht beigezogen wird. Umgekehrt mögen aber wieder Er¬
krankungen der jüngeren Kinder sich der Kenntniss der Aerzte entziehen, welche deren
ältere Geschwister behandelt haben, wenn diese zuerst erkrankten, was gewöhnlich der
Fall ist, und die Eltern wegen des leichten Verlaufs der Krankheit es dann für über¬
flüssig erachteten, wiederum den Arzt zu rufen.
Aus nebenstehender Morbiditätstabeile erhellt, dass die relative Betheiligung
der einzelnen Altersklassen an Scharlach, Diphtherie und Croup, Masern, Keuchhusten
sich sehr ungleich verhält, wie die Procentzahlen leicht zeigen. Wir fassen hier nur
die Verhältnisse der ersten Kindheit etwas näher ins Auge. Das erste und zweite
Jahr haben folgenden Antbeil an den Krankheitsfällen in Frocenten:
Scharlach Diphtherie und Croup Masern Keuchhusten
Erstes Lebensjahr 1,6®/® 2,67o 6,3®/o 14,8®/o
Zweites Lebensjahr 4,5®/o 6,1®/® 11®/® 15,l®/o etc.
Diphtherie und Croup 7 zeigt sich in den ersten 3 Monaten nur ganz
vereinzelt (0,16®/o aller Fälle). Es sind angezeigt: 1 Fall von 7 Tagen, 1 von ca.
14 Tagen, 3 von 3 Wochen, 1 von 7 Wochen, 1 von 2 Monaten. Alle diese Kinder
mit Ausnahme des 2 Monate alten (SoorP) sind gestorben. Eine erhebliche Steigerung
tritt erst im dritten, besonders aber im vierten Trimester des ersten Jahres ein. Im
zweiten Jahre zeigt sich gegenüber dem Ende des ersten Jahres nur mehr eine geringe
Steigerung, die bis zum 4.—5. Jahr noch unbedeutend zunimmt. Von da an ver¬
mindern sich die Krankheitsfälle ziemlich rasch.
Siehe beistehende Tabelle. Die Zahlen entstammen den trefdichen statistischen
Mittheilungen des Kantons Basel-Stadt (Dr. Lotz), wo die Frequenz der seit 1875 obligatorisch
anzuzeigenden ansteckenden Krankheiten liir das erste, das zweite, das zweite bis fünfte Jahr
gesondert angegeben ist. Mit Erlaubniss von Herrn Dr. Lotz habe ich mir nun aus dem Urmaterial
noch die Zahlen für die Trimester des ersten und für die Semester des zweiten Jahres zusammen-
f estellt; bei Diphtherie, Scharlach und Keuchhusten für 1875—1891, bei Masern der grossen Summe
er Fälle wegen nur für 1885—1891.
*) Obwohl Kachendiphtherie und Kehlkopf-Lnftröhrencronp aetiologisch gleicher Natur sind,
so wäre es doch interessant gewesen, ihre Altersverhältnisse getrennt zu b^andeln, da die Disposition
zu Croup, resp. zu Complication der Diphtherie mit Croup, in früherem Alter beginnt und in früherem
Alter erlischt, als die reine Kachendiphtherie; ich musste aber in der Basler Statistik darauf ver¬
zichten, da die Aerzte auf den Anzeigescheinen die verschiedenen Localisationen nicht genügend be¬
zeichnen.
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Morbidität der Stadt Basel an den wichtigsten kind¬
lich en I n f e c t i o n s k ra n k h ei t e n in den verschi edeuen Alters¬
stuf e n.
Diphtherie und Croup 1875—1891 Scharlach 1875—1891
M.
W. Summe
®/o aller
M.
W. Summe
7o aller
Fälle
Fälle
0— 3
Mon.
7
0,16
0— 3
Mon.
17
0,32
3— 6
v
14
0,33
3— 6
.
9
0,17
6— 9
n
27
0,64
6— 9
V
26
0,6
9—12
V
64
1,6
9—12
1t
35
0,67
12—18
V
123
12-18
V
112
—
18—24
»
129
—
18—24
n
127
—
0— 1
Jahr
68
64
112
2,6
0—
1
Jahr
48
39
87
1,6
1— 2
rt
160
112
262
6,1
1—
2
9
124
115
239
4,5
2— 6
it
623
616
1039 ‘
24
2—
6
9
765
696
1461
28
6-10
it
620
611
1031
24
6 —
10
9
895
1040
1935
37
10—16
9
229
306
636
12
10—
15
9
326
444
770
15
16-20
n
130
169
299
7
15—
20
9
120
174
294
5V*
20—30
It
147
363
600
11
20—
30
9
96
180
275
5
30—40
It
102
178
280
6
30—
40
9
38
67
105
2,0
40 — 60
9
39
81
120
2,8
40—
50
9
11
20
31
0,6
60—60
9
12
38
60
1,2
50-
60
9
3
3
6
0,1
60—80
9
4
8
12
0,28
60-
90
9
1
2
3
0,0
Summe
1914
2326
4240
Summe
2426
2780
6206
Masern 1885-1891
Keuchhusten 1875
-1891
M.
w.
Somme
®/o aller
M.
W. 1
Summe
®/o aller
Fälle
Fälle
0— 3
Mon.
16
0,33
0-
3
Mon.
70
1,5
3— 6
It
42
0,82
3—
6
9
189
4,1
6- 9
9
111
2,3
6—
9
9
241
5,5
9—12
It
140
2,8
9—
12
9
174
3,8
12—18
It
266
12—
18
9
375
—
18 — 24
9
264
—
18—
24
9
313
—
0- 1
Jahr
166
144
309
6,3
0—
1
Jahr
324
360
674
14,8
1— 2
9
266
263
619
11
1—
2
9
310
378
688
15,1
2— 6
9
960
907
1867
38
2 —
5
9
884
1084
1968
43
6—10
It
894
966
1860
38
6—
10
9
464
595
1069
23
10—16
It
73
123
196
4,0
10-
15
9
31
62
93
2,0
16—20
It
26
46
70
1,4
16-
20
9
2
4
6
0,1
20—30
9
29
37
66
1,3
20-
30
9
4
23
27
0,5
30—40
9
7
19
26
0,6
30-
40
9
8
22
30
0,6
40—60
9
0
1
1
0,0
40-
60
9
0
4
4
0,1
60—60
It
0
0
0
0,0
50-
60
9
0
2
2
0,0
60—80
It
0
1
1
0,0
60-
80
9
1
3
4
0,1
Summe
2399
2496
4896
Summe
2028
2527
4555
Von Scharlach bleibt das ganze erste Jahr auffallend verschont, noch mehr
wie von Diphtherie. Im ersten Trimester sind die Fälle ziemlich zahlreicher als im
zweiten (17:9), was eine Ausnahme von allen übrigen hier erörterten Krankheiten bildet,
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und wofür ich sonst keine Bestätigung finde. Es ist nicht ausgeschlossen, dass hier
einige Verwechslungen mit Erythem oder Erysipelas neonatorum unterliefen. Die
jüngstbetroffenen Kinder sind alt: 9 Tage, 11 Tage, 3 Wochen (2), 4 Wochen (3),
5 Wochen, 6 Wochen (2), 7 Wochen (3). Die Zunahme im zweiten Semester ist
mässig, sie wird erheblich im zweiten Jahr, nimmt noch bis zum fünften wesentlich
zu; von da an sinkt die Frequenz sehr langsam bis zum zehnten Jahr, zwischen dem
10. und 15. Jahr sinkt sie rasch.
Ganz anders wie Scharlach und Diphtherie verhalten sich Masern und Keuchhusten.
Auch Masern sind im ersten Trimester selten (jüngste Fälle: 14 Tage (2), 3 Wochen,
4 Wochen). Im zweiten, besonders aber im dritten und vierten Trimester findet sich
eine sehr starke Zunahme; die Frequenz erhält sich dann ziemlich gleicbmässig bis
zum fünften Jahr um bis zum zehnten Jahr langsam, von da an rapid abzufallen.
Keuchhusten erreicht noch rascher sein Maximum wie Masern. Schon das
erste Trimester bietet ziemlich viele Fälle; die jüngsten Fälle sind alt: 7 Tage, 2
Wochen (2), 10—20 Tage. Im dritten Trimester ergibt sich bereits die stärkste
Frequenz; von da an sinkt sie langsam bis zum 6.—8. Jahr, später sehr rasch.
Für alle vier Krankheiten ergibt es sich, dass die Disposition für dieselben sich
um so rascher erschöpft, je früher sie auftritt und um so früher sie ihr Maximum
erlangt. Die Empfänglichkeit für Keuchhusten und Masern, welche ihre stärkste Fre*
quenz schon Ende des ersten und im zweiten Jahr (Keuchhusten), resp. im zweiten
und dritten Jahr (Masern) erreichen, erschöpft sich im zweiten Decennium (Keuch¬
husten) und im dritten Decennium (Masern) schon fast vollständig. Die Diphtherie
hat ihr Maximum im zweiten bis fünften Jahr; die Empfänglichkeit hiefür erlischt erst
im höheren Alter.‘) Scharlach findet sein Maximum vom dritten bis achten Jahr; die
Frequenz nähert sich erst nach dem fünften Decennium dem Nullpunkte.
Wie erklärt sich nun die Eigentbümlichkeit der in Rede stehenden Krankheiten,
die ersten Lebensmonate und zum Tbeil das ganze Säuglingsalter in so hervorragendem
Masse zu schonen, wogegen bald nachher schon die höchste Frequenz erreicht wird?
Da alle diese Krankheiten (auch die Zö^iler’sche Diphtherie) bei dem einmal befallenen
Individuum eine ausgesprochene Immunität binterlassen, so sollte man a priori an-
uehmen, dass die jüngsten Kinder am meisten Disponirte aufweisen, da darunter noch
keine durchseuchten sind und zudem die jüngsten Altersklassen am meisten gleichaltrig
Lebende besitzen.*) Für das merkwürdige gegentheilige Verhalten begnügen sich die
meisten Autoren mit dem Hinweis, dass eben die jüngsten Kinder für diese Infections-
krankheiten ,nocb wenig disponirt* sind. Einzig Krieger’^) versucht eine Erklärung
für Diphtherie und Group zu geben. Krieger fand, dass die Disposition zu Catarrh der
*) Ohne Zweifel sind aber viele der Diphtberieialle bei Erwachsenen in unserer Statistik
eigentlich bloss lacnnäre Anginen, woraus sich wohl auch das beträchtliche Wiederansteigen im
dritten Decennium erklärt. Näheres hierüber findet sich in meinen „Beiträgen zur Diphtherie".
•) Es ist der Zukunft Vorbehalten, zu ergründen, in wie fern die geringe Frequenz der In-
fectionskrankheiten in den ersten Monaten vi^leicht auf angeborener Immunität von mütterlicher
Seite her (im Sinne Ehrlich’i) beruht. Jedenfalls ist eine durch die Säugung übermittelte resp. ver¬
längerte Immunität für die Verhältnisse Basels fast ohne Bedeutung, da hier beinahe alle Kinder
künstlich ernährt werden.
*) Aetiologische Studien, lieber die Disposition zu Catarrh, Croup und Diphtheritis der Luft¬
wege. Strassbnrg 1877.
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Luftwege nicht angeboren ist, sondern allmälig erworben wird durch fortgesetzte Ein¬
wirkungen verschiedener Schädlichkeiten, unter denen er das ungünstige Binnenklima
der Wohnräume besonders verantwortlich macht. Er zeigt, dass die Disposition zu
Gatarrh sich von der Peripherie aus und absteigend entwickelt. Bei Neugeborenen
entwickelt sich zuerst vom Ende der ersten Woche an Disposition zu Schnupfen, später
tritt die Disposition zu Gatarrh der gröberen Luftröhren, (fröhstens Mitte des zweiten
Monats), sodann der feinem auf, erst später zeigen sich Pneumonie und Angina. Auf
dem durch Gatarrh vorbereiteten Boden der Schleimhäute fassen dann Group und
Diphtherie Fnss. Je schwerer und tiefgreifender der Krankbeitsprocess ist, um so lang¬
samer kommt erst die Disposition zur Ausbildung.
Die scharfsinnige JSn^er’sche Theorie enthält sehr viel Wahres. Sie lässt sich
auch auf andere Infectionskrankheiten anwendeo. Nehmen wir an, was höchst wahr¬
scheinlich ist, dass Masern und Keuchhusten meist durch die Luftwege eindringen,
so begreifen wir, dass die Empfänglichkeit dafür sich frühzeitig entwickelt, da auch
die Disposition zu Schnupfen und Bronchialcatarrh sehr früh auftritt. Wie die ein¬
fache Angina vor dem zweiten Halbjahre nicht häufig ist, so zeigt sich auch
Rachendiphtherie wenig vor dieser Zeit Scharlach kommt erst noch später zur Gel¬
tung, da diese Krankheit, welche ebenfalls durch die Rachenorgane eindringt, ein
tiefergreifender pathologischer Process ist wie Diphtherie. In ähnlicher Weise kann
man es sich erklären, dass Typhus abdominalis und Dysenterie in den ersten Jahren
selten sind, im Gegensatz zum einfachen Darmcatarrh, da erstere Krankheiten auf
tieferen anatomischen Veränderungen beruhen als der einfache Darmcatarrh. Die
Infectionskrankheiten treten im Allgemeinen in derjenigen Jahreszeit am meisten auf,
in welcher die Organe, wo sie in den Körper eindringen, auch sonst am meisten
erkranken und desshalb den betreffenden specifischen Microorganismen am wenigsten
Widerstand leisten. Wie einfache catarrhalische Angina und Bronchitis die kalte
Jahreszeit bevorzugen, so thun dies Pneumonie, Group und Diphtherie, auch Masern
und Variola. Typhus, Gbolera und Dysenterie dagegen erscheinen am meisten im
Sommer und Herbst, wo der Magendarmcanal, der diesen Krankheiten als Eintrittspforte
dient, auch sonst am häufigsten erkrankt.
Für das Zustandekommen aller dieser Krankheiten ist aber noch ein Punkt von
ausschlaggebender Bedeutung, den Krieger ausser Achtung lässt: die Infec-
tionsgelegenheit. Die Disposition ist nicht allein massgebend bei der Er¬
werbung einer Infectionskrankheit und es ist unrichtig, die Keime als ubiquitär anzu¬
nehmen, wie Krieger es für Diphtherie thut. Wenn dieser Forscher 1. c. Seite 77
sagt: »kein Arzt wird die Häufigkeit der Krankheiten der Respirationsorgane während
der ersten Lebensjahre in pathogenetische Verbindung mit dem Zimmer- oder Strassen-
stanb setzen; bei Gatarrhen ist ein Einfiuss noch denkbar, bei Group und Diphtherie
nimmermehr,“ so hat dies nur insofern Richtigkeit, dass der Staub nicht durch
mechanische Reizung Group und Diphtherie erzeugen kann.
Meine bacteriologischen und epidemiologischen Untersuchungen haben mich gerade
zur gegentheiligen üeberzeugung geführt, so dass ich annebmen muss, dass bei Diph¬
therie meist eine gröbere Ursache der Infection vorliegt und dass sie als Scbmutz-
krankheit im allgemeinsten Sinne bezeichnet werden muss. Diphtherie wird viel
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weniger direct von Kranken auf Gesunde übertragen, als auf indirectem Wege; die
starke Contagiositftt der Secrete wird oft durch die Seltenheit der Disposition illusorisch
gemacht. Die Infection ist an die Diphtheriebacillen gebunden, welche nur mit dem
Secret der erkrankten Rachen* und Nasenschleimhaut nach aussen gelangen. Ein er¬
wachsener reinlicher Diphtheriekranker, der seine Secrete sorgfältig beseitigt, bietet
für seine Umgebung sehr wenig Infectionsgefabr, während Kinder mit der krankhaften
Secretion Gesicht, Hände, Bett, Spielzeug etc. beschmutzen und so Alles infections-
tüchtig machen was in ihren Bereich kommt. Die plumpen Dipbtheriebacillen (so lang
wie Tuberkelbacillen, aber viel dicker) werden nach dem Eintrocknen meist auf
Gegenständen, auf dem Fussboden, im Staube etc. abgelagert, wo sie sich Monate
und selbst Jahre lebend erhalten, und zufällig in den Mund von Kindern gelangt,
von hier ans die Rachenorgane inficiren künnen. Für Kinder im ersten Lebenshalb¬
jahr ist die Gefahr gering, Diphtherie zu erwerben. Sie bleiben in ihrem Bettchen
oder auf dem Arm der Mutter; als Nahrung erhalten sie frisch gekochte Milch oder
Milchbrei, etwa vorhandene Diphtheriebacillen sind darin sicher abgetüdtet, da sie in
feuchtem Zustande schon bei einer Temperatur von 58** G. zu Grunde gehen. Die
Berührung der Kleinen mit der Aussenwelt ist sehr gering und die Luft konnte
ihnen nur in seltenen Ansnahmefällen den schweren Diphtheriebacillns zufübren.
Die Infectionsgelegenheit wächst aber in sehr hohem Masse von der Zeit an, wo
die Kinder mit ihren Händen greifen können oder sich fortzubewegen vermögen.
Alle Kinder haben in der ersten Zeit, wo sie den Gebrauch ihrer Hände erlangt haben,
die ausgesprochene Neigung, alle Dinge, die man ihnen gibt oder die sie ergreifen
können, - zum Munde zu führen, darauf zu beissen, zu kauen, daran zu lecken.
Ihr Tastbereich wächst ins Ungemessene von der Zeit an, wo sie sich fortbewegen
können. Sie werden nun auf den Fussboden gebracht, bewegen vSich hier kriechend
und stehend, wobei sie Hände und Mund und die in den Händen gehaltenen Ge¬
genstände (Brot, Spielzeuge etc.) mit dem Fussboden und allem Möglichen in
Berührung bringen. Hände und Gesicht der spielenden Kinder tragen stets deutliche
Spuren davon, mit wie viel Schmutz und Staub sie dabei in Berührung kommen. E s
wird so leicht begreiflich, dass die Infectionsgelegen¬
heit für Diphtherie in demjenigen Alter ausserordentlich
zunimmt, wo die Kinder gelernt haben, mit Händen zu
greifen und sich von Ort und Stelle zu bewegen.
Die ersten Greifbewegungen zeigen sich bei Kindern im Anfänge des fünften
Monates, sie werden aber erst im Alter von einem halben Jahr und später geschickt
und tüchtig. Mit 5—8 Monaten können die Kleinen selbstständig sitzen und werden
in diesem Alter oft schon auf den Fussboden gebracht. Mit 8—12 Monaten lernen
sie, sich rutschend vorwärts zu bewegen, mit 10—16 Monaten stehen und mit 11—20
Monaten gehen. Je selbstständiger sie werden, um so mehr haben sie Umgang mit
anderen Kindern.
Nach meiner Uebenengnng erklären die erwähnten Verhältnisse der Entwicklung
der willkürlichen Muskelbewegung das rasche Ansteigen der Diphtberiefrequenz im
zweiten Semester und im zweiten Jahre. Krieger schreibt im Gegentheil der Mnskel-
thätigkeit eine günstige Einwirkung gegen die krankmachenden Einflüsse zu. Er
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gibt zwar selbst an, dass zur Zeit, wo die Kinder geben lernen, Croup und Diphtherie
stark äberhandnehmen. Er sucht dies zum Theil so zu deuten, dass vollsaftige Kinder
sich um diese Zeit leicht erkälten sollen, wodurch sie empfänglicher würden.
Ich glaube, dass auch die Art der Ernährung im Säuglings¬
alter von einiger Bedeutung ist: Kinder, die gesäugt werden, sind mehr geschützt
als künstlich genährte; ausschliesslich mit Kuhmilch genährte sind mehr geschätzt,
als solche, welche noch feste und ungekochte Beikost erhalten. Gekochte Kuhmilch
kann keine lebenden Diphtheriebacillen entbalten; künstlich genährte Kinder bekommen
aber oft früher (ungekochte) Beikost, das Sanghötchen der Flasche kann verunreinigt
sein und besonders gibt man künstlich genährten Säuglingen viel häufiger einen
Lutscher, da sie mehr schreien als Brustkinder. Die Litteratur enthält einige An¬
gaben, welche geeignet sind, meine Ansicht hierüber zu unterstützen. Home') sagt
in seiner Schrift über Croup: ,Der Group befällt vorzugsweise Kinder, und zwar
um so häufiger, so bald sie einmal abgewSbnt, je jünger dieselben sind. Kinder,
die gestillt werden, scheinen für Group weniger disponirt zu sein.“ Canstatt^) schreibt:
.Group entsteht selten vor Ablauf des ersten Lebensjahres, bei säugenden Kindern
kommt er sehr selten vor.*
Ausserdem gibt es im Sänglingsalter noch andere Gründe, welche die Infections-
gelegenheit gegen später verringern. Die Säuglinge sind auch sonst mehr isolirt und
abgeschlossen als die ältern Kinder. Sie haben stets ein Bettchen für sich allein, sie
werden von Erwachsenen gepfiegt, während die nächstjüngsten Kinder häufig von
ältern Geschwistern gepfiegt werden, welche selbst noch für Kinderkrankheiten em¬
pfänglich sind, das Bett mit ihnen theilen etc. Die dem Säuglingsalter entwachsenen
Kinder gelangen in mannigfache Berührung mit andern Kindern innerhalb und ausser¬
halb des Hauses, während der Säugling als ein noli me tangere gilt.
Ebenso für die Entstehung nach meiner Auffassung spricht die Thatsache, dass
die sehr seltene Diphtherie bei Neugeborenen und in den ersten Monaten vorzugsweise
als Nasendiphtherie auftritt.^) Hier findet die Infection nicht auf dem gewöhnlichen
Wege durch den Mund statt, sondern durch die Nase (schmutzige Nastücher, Betten etc.).
Die gemachten Erwägungen können auch auf andere Infectionskrankheiten, als
Diphtherie, übertragen werden, besonders auf solche, die sich auch mehr auf indirectem
Wege verbreiten, wenn sie auch nirgends so sehr zutreffen, wie bei Diphtherie. Es
würde sich so in ungezwungener Weise erklären, warum bei den meisten Kinderkrank¬
heiten die Frequenz im zweiten Halbjahre und im zweiten Jahre so stark zunimmt.
Von den wichtigsten Kinderkrankheiten wird hauptsächlich noch Scharlach
auf die gleiche Art wie Diphtherie erworben. Scharlach überträgt sich häufig in-
direct, daneben aber viel mehr wie Diphtherie direct von Kranken auf Gesunde, was
bei Masern und Keuchhusten die vorwiegende Art der Uebertragung bildet. Von
Diphtherie und von Scharlach sind die Keime sehr zähe, sie erhalten sich Monate und
selbst Jahre lebend an Kleidern, Möbeln, Spielzeugen, in FussbOden etc., wogegen das
*) Home, Kecherches sur la nature, etc.; du croup. Paris, 1809. Citirt nach Krieger.
•) Canstatt, Handbuch der med. Klinik. III. 1843.
•) Anmerkung hei derCorrectur. Vor Kurzem beobachtete ich in einer Familie,
wo Mutter und zwei Geschwister an Kachendiphtherie erkrankt waren, Nasendiphtherie bei dem 27
Tage alten Säugling. Genesung bei Heilserumhehandlung.
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Gift von Masern und Keuchhusten ausserhalb des menschlichen Körpers rasch abstirbt,
ln einem Zimmer, wo ein Fall von Diphtherie oder Scharlach rorkam, bleibt noch
sehr lange Gefahr für empfängliche Individuen; das Zimmer eines Masern- oder Kencb-
hustenkranken kann schon ganz kurze Zeit {Sevestre: bei Masern nach 3—4 Stunden)
nach dessen Wegzug unbedenklich ohne Desinfection bezogen werden.
Wie man es ffir Diphtherie sicher weiss, deren Erreger sich fast stets zuerst auf
den Gaumenmandeln finden, ist es auch für Scharlach sehr wahrscheinlich, ja fast
sicher'), dass die Krankheit durch die Mundpforte, resp. durch den Rachen in den
Körper eindringt. Die üebertragung dieser zwei Krankheiten geschieht durch die
Nahrung selbst, durch in den Mund gebrachte Gegenstände, beschmutzte Hände etc.
(Infection durch die Nahrungswege). Vor dem Alter der Greif- und
Gehbewegungen kommt eine Infection nicht oft zn Stande.
Mit der Besprechung der Entstebungsweise von Masern und Keuchhusten mössen
wir uns ins Gebiet der Hypothese begeben, da über die Keime dieser Krankheiten
sowie über ihre Eintrittspforte am Körper nichts Sicheres bekannt ist.^ Die Keime
von Masern und Keuchhusten sind offenbar viel fiüchtiger und feiner als die Diphtherie¬
bacillen; sie können einige Zeit in der Luft suspendirt bleiben nnd dringen so direct
in die Luftwege, die wahrscheinlich meist die Eintrittspforte abgeben. (Infection
durch die Luftwege.) Masern und Keuchhusten sind darum schon vor dem
Auftreten von Greif- und Locomotionsbewegungen nicht selten. Durch die Luftwege
eindringende Infectionskrankbeiten werden im Allgemeinen schon jüngere Kinder heim-
snchen, als solche, welche durch die Nahrungswege eintreten. Vielleicht erklärt sich
auch die viel verbreitetere Disposition für Masern nnd Keuchhusten, auch Infiuenza,
gegenüber Diphtherie und Scharlach zum Theil so, dass eben die Keime der ersteren
Krankheiten viel flüchtiger sind nnd mit der Athmungsluft fast jedes Individuum treffen
können, während das Auftreten von Scharlach und Diphtherie, wo der Mund die Pforte
bildet, mehr an gewisse Zufälligkeiten gebunden ist.
Masern und Keuchhusten erreichen auch den hilflosen, passiven Säugling in der
Wiege, besonders Keuchhusten. Die Verbreitung wird wahrscheinlich wesentlich ge¬
fördert durch das starke Niessen und Husten bei diesen Krankheiten, wobei das
Schleimhantsecret von Nase und Bronchien, worin wir die Keime vermuthen müssen,
weit herumgeschleudert wird. Auch bei Masern und Keuchhusten gibt es Fälle, ohne
dass sich eine directe üebertragung nachweisen Hesse. Hier wird das Gift indirect
von Gegenständen, vom Fnssboden etc. übernommen, wohin es kurze Zeit vorher mit
dem Nasen- nnd Bronchialsecret (und von der Haut bei Masern?) gelangt ist. Dabei
werden oft Greif- und Gehbewegungen zur üebermittlung dienen, sei es, dass das Gift
durch den Mund in den Körper anfgenommen wird oder sei es, dass es eingeathmet
wird. Kinder, welche auf dem Boden sitzen, kriechen nnd spielen, sind viel mehr
in Gefahr, Erankheitskeime einzuathmen, als jüngere, die im hochstehenden Bette oder
im Arm der Pflegerin sind. In der Nähe des Fussbodens ist die Luft immer am
stärksten verunreinigt; bei jeder lebhaften Bewegung, beim Spielen, bei Zugluft,
*) Vergl. Sörensen, lieber Scbarlachdiphtheritie. Zeitschrift für klin. Medicin 1891, Bd. 19.
*) SiUer, Berliner klin. Wochenschrift 1893, Nr. 50, hat ans dem Bronchialsecret von Kench-
hnstenkranken einen Diplococcns isolirt, der vielleicht als ursächlich angesehen werden kann.
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Schreien etc. erbebt sich der Staub des Fussbodens und damit die flüchtigem, daselbst
abgesetzten Erankheitskeime.
Bei Keuchhusten und Masern trifft es sich oft, dass von allen Kindern einer
Familie nur das jüngste, sofern es noch im Säuglingsalter ist, verschont bleibt, «das
Kind in der Wiege". Es ist schwer zu entscheiden, in wie weit dabei die noch
nicht entwickelte Disposition oder der Mangel an Infectionsgelegenbeit schützend wirkt.
Die üebertragung von Masern und Keuchhusten durch die Luft ist Jedenfalls auf sehr
kurze Distanz beschränkt und reicht nur wenige Schritte weit, wie Beobachtungen aus
Spitälern darthun (Sevestre). Auch diese flüchtigen Keime sind eben dem Gesetze der
Schwere unterworfen und senken sich rasch zu Boden. Es ist sogar nicht unwahr¬
scheinlich, dass die lebenden Keime stets nur in feuchtem Zustande mit Schleimpar¬
tikeln (bei Hustenstüssen etc.) vermengt die üebertragung durch die Luft zu Stande
bringen, da das rasche Verschwinden der Infectionstüchtigkeit annebmen lässt, dass
diese Keime beim Eintrocknen, also vor dem Verstäuben, rasch zu Grunde geben, wie
man es thatsächlich von den Tnflnenzabacillen weiss. Die Wundinfectionskrankheiten
entstehen fast stets durch Contact, nur äusserst selten durch Vermittlung der Luft.
Dagegen ist zu bedenken, dass die Keime von Masern und Keuchhusten viel kleiner
sein können wie Strepto- und Staphylococcen und durch den Husten eine gewisse Pro-
jectilwirknng erhalten.
Die rabige Luft eignet sich sehr wenig dazu, Krankheiten weiterzuverbreiten.
Es geht dies u. A. aus den Beobachtungen von Crrancher^) hervor. Derselbe behan¬
delte Kinder mit verschiedenen Infectionskrankheiten (Scharlach, Diphtherie, Masern
und Keuchhusten) in den gleichen Sälen und sah ziemlich selten Infectionen (weitaus
am meisten Masern!) als er dafür sorgte, dass jedes Bett mit einem Schutzschirm um¬
geben war, seine besondere Wärterin hatte, jeder directe und indirecte Verkehr
zwischen den einzelnen Betten vermieden und der Fussboden nur feucht gereinigt
wurde.
Besumirend fasse ich meine Anschauung dahin zusam¬
men, dass die geringfügige Betheiligung des Säuglings¬
alters an Diphtherie, aber auch an anderen kindlichen In¬
fectionskrankheiten, besonders an den sich v o r w i e g e nd in-
direct verbreitenden, sich zurückfflhrt nicht nur auf:
1) den Mangel an Disposition, sondern auch
2) den Mangel an Infectionsgelegenbeit, hervorgehend
aus dem Fehlen des Greif- und F o r t b e w eg u n gs t e r m 0 g e n s
und ans der Isolirtheit im Säuglingsalter.
Diese Verhältnisse scheinen so naheliegend und überzeugend, dass man sich
wundern muss, dass diesem Punkte bis jetzt nicht mehr Bedeutung geschenkt wurde.
Die Sache hat auch practiscb Wichtigkeit in propbylactischer Beziehung. D i e
Aerzte haben die Pflicht, dem althergebrachten Mangel
an Reinlichkeit in der Kinderpflege zu steuern. Es ist er¬
staunlich, wie ganz andere Begriffe von Reinlichkeit die meisten Erwachsenen für sich
haben und üben als für ihre kleinen Sprösslinge oder Pfleglinge. In j^elen gebildeten
*) Revue meneuelle des maladies de Tenfance. Tome X. 1892. pag. 87 f.
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und für das Wohl ihrer Kleinen besorgten Familien siebt man z. B. nichts Dngehöriges
darin, dem Säuglinge Augen und Mund mit dem Badwasser zu reinigen. Ein Er-
wacbsener würde mit einem Löffel, der auf den Boden gehillen ist, nicht essen ohne ihn
mindestens abzuwiscben, er bedenkt sich aber kaum, dem Kinde den Lutscher oder
das Brot, welches es bst fallen lassen, wieder in den Mund oder in die Hand zu geben.
Das Kind wirft sein Spielzeug dutzendmal auf den schmutzigen Boden, man lässt es
dasselbe ohne Weiteres wieder zum Munde führen, etc. etc. Mütter und Pflegerinnen
müssen angehalten werden, bei den Kleinen viel mehr Reinlichkeit zu beobachten als
im Allgemeinen geschieht. Das Kinderzimmer darf nicht in Gegenwart der Kinder
besorgt werden, auf alle Fälle nicht trocken gewischt werden. Der Boden ist täglich mit
einem feuchten Lappen abzureiben. Man sollte ganz junge Kinder niemals auf dem Fuss-
boden spielen lassen, auf dem die Erwachsenen herumtreten. In jeder Haushaltung findet
sich ein reines Tuch oder ein unbenutzter Teppich, auf dem man die Kinder spielen
lassen kann, den man nur hiefür benutzt und nach dem Gebrauch jeweilen sorgfältig
bei Seite legt. Man soll die Kinder womöglich auch nicht in Höfen und auf der Gasse
spielen lassen. Den Spielsachen der Kinder ist besondere Sorgfalt zuzuwenden.
Die meisten derselben, wie sie den kleinen Kindern gegeben werden, taugen nichts.
Es empfehlen sich nur waschbare Spielsachen und solche, welche den
Staub nicht fangen, möglichst einfache, aus gedrehtem, glattem Holz, Bein, starkem
Porzellan, giftfreiem Gummi etc. Leider bieten die Kaufladen hierin wenig Brauch¬
bares. Die Spielsachen sind öfters zu waschen. Ganz zu vermeiden sind gerade die
beliebtesten Spielzeuge aus Stoff, Wolle, Filz, die allen Staub und Schmutz aufnebmen,
nie gereinigt werden und auch nicht gereinigt werden können. Jedes Kind soll sein
besonderes Taschentuch haben. Hände und Gesicht der Kinder sind vor Beschmutzung
möglichst zu bewahren und tagsüber oft zu waschen, jedenfalls vor Verabreichung von
Nahrung. Den Kindern ist möglichst früh Sinn für Reinlichkeit beiznbringen und ab¬
zugewöhnen, Gegenstände in den Mund zu nehmen. Rationelle Mund- und Zahnpflege
(Nahrung nicht zu heiss!), tägliches Gurgeln mit frischem Wasser, vorsichtige Ab¬
härtung sind ebenfalls so früh als möglich durchzufübren. Lutscher sind am besten
ganz zu vermeiden, Nahrungsmittel, welche auf den gewöhnlichen Fussboden gefallen
sind, dürfen dem Kinde nicht mehr, Spielzeuge nur nach Reinigung wieder gegeben
werden. Diese scheinbar grossen Anforderungen sind leicht zu erfüllen bei Anwendung
einer Vorrichtung, die man als Schutzpferch für kleine Kinder be¬
zeichnen könnte.
Dieser Schatzpferch, wie ich ihn als practisch befunden habe, stellt eine einfache,
viereckige, geschlossene Schutzhecke dar. Dieselbe ist 65—75 cm hoch, mindestens
100 cm lang und 100 cm breit (für zwei Kinder grösser). Sie setzt sich zusammen ans
4 Holzrahmen, deren Füllung aus senkrechten, abgerundeten Latten mit 5—6 cm breiten
Zwischenräumen oder einem starken Schnurnetz besteht. Die 4 Rahmen werden senkrecht
zusammengestellt, so dass sie eine geschlossene rechtwinklige Hecke bilden; 2 diagonale
Ecken sind innen durch starke Scharniere verbunden, die andern 2 diagonalen Ecken
haben aussen Haken oder Riegel, welche auch eine Verschiebung aus der rechtwinkligen
Form hindern müssen. Der Pferch kann so fest geschlossen werden; mit Leichtigkeit
lässt er sich auch znsammenklappen und transportiren. Man stellt ihn an einen passenden
Ort auf den Fussboden; die Bodenfläche im Pferch wird durch eine 5—6 cm dicke,
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harte Matratze (eveDtaell durch einen dicken Teppich) ausgeffillt, über welche ein reines
Leintuch gelegt wird, das man öfters wechselt. Diese Art Schntzpferch ist zweckmässiger
als solche, die man bisweilen abgebildet sieht, wo alle 4 Wände aus ganzen Polstern
bestehen und worin die Kinder wegen mangelnder Aussicht höchst ungern verweilen.
Es können auch ganz gut die sogenannten Netzbettstellen als Pferch Verwendung finden.
Dieser Schutzpferch fär kleine Kinder, den jeder Schreiner nach
obigen Angaben leicht erstellen kann, ist sehr empfehlensnerth. Ich habe ihn seit
über einem Jahre bei meinem eigenen Kind in Gebrauch und äusserst praktisch be¬
fanden. Er bildet für jüngere Kinder vom 4.—5. Monat an, wenn sie nicht schlafen
oder ins Freie gebracht werden, tagsüber den besten Aufenthaltsort. Seine Vortbeile
sind mannigfach: 1) Man kann darin die Kinder unbedenklich sich selbst überlassen,
ohne besorgen zu müssen, dass sie sich irgendwie beschädigen oder Unheil anstiften.
Dieser Vortheil allein macht schon die Anschaffung eines Schutzpferches für jede Fa¬
milie wünschbar; er gewährt jeder Mutter grosse Erleichterung und Beruhigung, da
sie nun das Jüngste nicht mehr unaufhörlich „im Auge zu haben' braucht. Keine
der Mütter, welche ich einen Sebutzpfereb anzuschailen veranlasste, möchte ihn mehr
entbehren. 2) Ein weiterer Nutzen ist die freie Bewegung, welche das Kind in
diesem Pferch bat, wodurch seine Muskeltbätigkeit und sein Gehvermögen früh¬
zeitig entwickelt wird. Das andauernde Bettliegen und das stundenlange schäd¬
liche Sitzen im Stühlchen, wozu man die Kleinen oft verdammt sieht, die noch nicht
gehen können und die man darum nicht gern auf den Boden lässt, fällt dadurch
weg. 3) Ein Hanptvorzug des Schutzpferches beruht aber in der Isolirung des
Kindes und in der Verringerung der Infectionsgefahr. Das Kind spielt in seinem
Pferch und bewegt sich nach Belieben darin herum. Fällt ihm ein Spielzeug aus der
Hand, so fällt es auf das reine Leintuch und nicht auf den schmutzigen Fussboden.
Hände, Spielzeuge, Brod etc. bleiben vor ünreinlicbkeit bewahrt. Es kann so wirksam
manch schlimmer Krankheit vorgebeugt werden. Die Anwendung des Schutzpferches
ist für jedes Kind bis zum Alter von 2—3 Jahren sehr zweckmässig, hauptsächlich
aber wenn ansteckende Krankheiten, insonderheit Diphtherie oder Scharlach in der
Familie oder im Hause verkommen oder vorgekommen sind, bei Kindern, die an Catarrh
leiden oder wo ein Familienglied an Lungentuberculose leidet oder die Familie tnber-
culös belastet ist.
Dem Schutzpferch gebührt für dieHygiene des ersten
Kindesalters eine hervorragende Bedeutung.
Vor einiger Zeit hat VoUand in Davos’jt eine besondere Anschauung über die
Entstehung der Lungentuberkulose entwickelt, wobei er theils zu ähnlichen Schlüssen
kam, wie ich in meinen Beiträgen zur Diphtherie über die Entstehung der Diphtherie,
welche ich nunmehr hier in weiterer und allgemeinerer Ausführung gegeben habe.
VoUand glaubt, dass die Tubercnlose eine Schmutzkrankheit ist, und dass der Ursprung
dazu in den ersten Kinderjahren gelegt wird. Die auf dem Boden spielenden Kinder
bringen mit ihren beschmutzten Händen die Keime der Tubercnlose an Mund und Ge¬
sicht, wo dieselben durch exeoriirte, ekzematöse Hautstellen, Bhagaden an Mundwinkel
*) Voüand, lieber den Weg der Tubercnlose zn den Lungenspitzen und über die Nothwendig-
keit der Errichtung von Kinderbflegerinnenschulen znr Verhütung der Infection. Zeitschrift für
klin. Medicin. Bd. XXIII. 1893.
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und Nase etc. eindringen und in den Lymphdrüsen des Halses deponirt werden (scro-
phulöse Lymphdrüsenschwellung). Ist nun das betreffende Kind zu Tuberculose dispo-
nirt, so entsteht von hier ans früher oder später, oft erst nach vielen Jahren Tuber¬
culose, besonders auf directem Weg in den Lungenspitzen. Volland leugnet die Ent¬
stehung der Tuberculose beim Menschen durch Inhalation, wogegen u. a. auch der
vorzugsweise Sitz der Lungentubercnlose in den Spitzen spreche. Als Prophylaxe ver¬
langt er gegen Tuberculose:
1) Sorgfältige Entfernung von Mund- und Nasenschleim bei Kindern, um Wund¬
werden an Mund und Nase zn verhindern.
2) Das Kind darf nie mit den Händen auf den Fnssboden kommen. Spielzeuge,
die auf den Hoden gefallen sind, müssen immer sorgfältig gesäubert werden. Das
Gebenlernen darf nur unter Führung oder in geeigneten Stützapparaten geschehen.
Ist ein Kind gefallen, so müssen ihm die Hände sofort gewaschen werden. Der Sinn
für Reinheit muss möglichst früh geweckt werden. Volland verlangt rationelle Aus¬
bildung und Helehrung der Kinderpflegerinnen, um diesen Anforderungen gerecht zu
werden.
So wichtig und verdienstvoll die FoJZand'scbe Arbeit und so sehr beachtenswerth
besonders seine propbylactischen Forderungen sind, so sehr zweifelhaft erscheint mir
die von ihm als ganz vorwiegend angegebene Infectionsart bei Tubercnlose in ihrer
Bedeutung andern Infectionsarten gegenüber. Ausser vielen Forschungen {Comet etc.)
über die Tuberkelbacillen'), sprechen denn doch sehr viele klinische Erfahrungen für
die grosse Wichtigkeit der Infection durch die Luftwege. Speziell die erschreckende
Frequenz der ßronchialdrüsentuberculose im Kindesalter^), welche den bäufigsten, sehr
oft primären, einzigen, oder ältesten Sitz der Tuberculose bildet, der häufige Befund
von Tuberkelbacillen in den Bronchialdrüsen plötzlich oder an acuten Krankheiten
verstorbener Erwachsenen {PUeini), lassen sich ohne Zwang nur so erklären, dass die
Tuberculose durch die Luftwege eingedrungen ist. Zudem ist gerade im ersten Kindes¬
alter die Tuberculose der Lungen oft in den unteren Partien derselben vorhanden, bei
Freisein oder erst späterer Erkrankung der Spitzen.
Beiläufig sei hier noch der merkwürdige und wenig beachtete Unterschied
in der Geschlechtsdisposition erwähnt: Bei vielen acuten Infectionskrank-
heiten, zum Theil auch bei anderen Krankheiten, überwiegen in der Morbidität und
mehr noch in der Letalität die Knaben im ersten Jahr, meist auch noch im zweiten
und selbst bis zum dritten bis fünften Jahr, viel mehr als dem geringen Geburten¬
überschuss an männlichen Kindern entspricht. Zwischen dem zweiten bis fünften Jahr
kehrt sich das Verhältniss um, so dass die Mädchen die Ueberzabl halten. Man ver-
gleiche in der oben gegebenen Tabelle die Frequenz der beiden Geschlechter, wo aller¬
dings die Untei'schiede zum Theil nicht so stark hervorspringen als in einigen anderen
Statistiken. Es zeigt Basel für Diphtherie ein starkes üebergewicht für Knaben im
zweiten Jahr; (das erste Jahr zeigt hier im Gegensatz zu den meisten sonstigen
Angaben nichts Prägnantes). Scharlach zeigt einen merklichen Knabenüberschuss von
') Siehe auch die Untersachungen Marpmann's über den Strassenstanb. Centralblatt für
Bacteriol. Bd. JIY. Nr. 8.
*) Vergleiche die zosammenfassende Arbeit hierüber von Neumann. Deutsche med. Wochen¬
schrift 1893 Nr. 7 ff.
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725
0 bis 5 Jahren, ebenso Masern im ersten und dritten bis fünften Jahr. Deutliches
üebergewicht erhält das weibliche Geschlecht für Diphtherie vom zehnten Jahr an
(in anderen Statistiken meist schon vom dritten bis fünften Jahr), für Scharlach und
Masern vom fünften Jahr an. Der Aufbau der Bevölkerung kann unmöglich die Ur¬
sache abgeben für diese merkwürdigen Geschlecbtsverhältnisse. Nach Bücher werden
in Basel durchschnittlich 103 Knaben auf 100 Mädchen geboren. Infolge der grösse¬
ren Sterblichkeit bei den Knaben überwiegt aber das weibliche Geschlecht bereits am
Ende des ersten Jahres. Bei der Volkszählung von 1888 ergaben sich in Basel auf
1000 männliche Personen der betreffenden Altersclasse: von 0—5 Jahren 1018 weib¬
liche, von 5—10 Jahren 1007 weibliche, von 10—15 Jahren 1121 weibliche, von
15—20 Jahren 1126, von 20—25 1370, von 25—30 1281, von 30—35 Jahren 1224
weibliche Personen. Daraus kann also wohl das starke Ueberwiegen beim weib¬
lichen Geschlecht vom zehnten Jahr aufwärts zum Theil erklärt werden, nicht jedoch
die Verhältnisse im ersten Decennium. Aebnliche Verhältnisse sind aber vielfach von
andern Orten bestätigt, so dass der Zufall ausgeschlossen ist.
Wenn auch das Vorherrschen der Knaben in der ersten Zeit für Infectionskrank-
heiten nicht allgemein constatirt ist und sich auch gegeutheilige Angaben finden, so
wird doch ein Knabennberschuss bei Diphtherie (und besonders bei Croup) in keiner
grösseren Statistik vermisst. Ebenso 'findet es sich überall bestätigt, dass der Keuch¬
husten eine Ausnahme macht, dass er nämlich stets schon vom Säuglingsalter an die
Mädchen bevorzugt. Sehr prägnant zeigen sich die Geschlechtsunterschiede in der
nebenstehenden, dem Werke Krieger's entnommenen Tabelle über die Sterblichkeit in
England. Die Procente sind dabei so berechnet, dass beim Ueberwiegen der männ¬
lichen Sterbefälle die Zahl der weiblichen als Einheit (100) angenommen ist und um¬
gekehrt.
Sterblichkeit der wichtigsten Infectionskrankheiten in England 1858 und 1859 in
Procenten:
Croup
Diphtherie
Scharlach
Pertussis
Pneumonie
Phthisis
M.
W.
M.
W.
M.
W.
M.
W.
M.
W.
M.
W.
1 Jahr
133
—
142
—
131
—
—
108
132
—
—
—
2 ,
109
—
113
—
108
—
—
127
112
—
—
—
3 ,
106
—
—
104
105
—
—
139
102
—
—
—
4 ,
119
—
—
112
—
101
—
163
—
102
—
—
6 »
109
—
—
118
—
104
—
123
—
109
—
—
6—10 Jahre
102
—
—
121
—
103
—
137
—
104
—
118
10-15 , 1
124
—
141
—
127
—
—,
—
112
—
182
15-25 , ;
—
107
—
112
—
—
118
—
—
133
Brieger sucht die Erklärung der eigenthnmlichen Geschlechtsdisposition für Diph¬
therie und Croup darin, dass die Knaben höher geschätzt werden und darum mehr
verweichlicht und überfüttert werden als die Mädchen (?), desshalb auch eher er¬
kranken. Vom dritten bis vierten Jahr an sind die Knaben mehr im Freien, haben
mehr Muskelbewegung, wogegen die Mädchen schon in diesem Alter zur späteren
Lebensweise des weiblichen Geschlechtes hingefübrt werden, viel im Zimmer sitzen etc.
und darum jetzt mehr erkranken wie die Knaben. So unbefriedigend der erste Theil
der Erklärung ist, so richtig ist wohl der zweite, der es leicht verständlich macht, dass
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726 —
aach ältere Mädchen und Frauen, denen zudem noch die Kinder- nnd Krankenpflege
obliegt, mehr an acuten lufectionskrankheiten (ausgenommen Pneumonie und Typhns)
leiden wie Männer.
Es fehlt also noch die Erklärung, warum im allerersten Lebensalter an vielen
acuten Infectionskrankheiten ausser an Keuchhusten mehr Knaben erkranken als Mäd¬
chen. Ich glaube, dass die Erklärung vielleicht darin liegen dürfte, dass bei den
Knaben die Muskelthätigkeit sich früher entfaltet, dass sie unternehmender sind und
sich sc mehr verunreinigen als gleichaltrige Mädchen, wodurch die Infectionsgelegenheit
früher an sie herankommt. Es würde auf diese Weise die unzweifelhafte Thatsache
sich so gut verstehen, dass besonders die Diphtherie in der ersten Zeit bei Knaben ver¬
wiegt, während Keuchhusten, der hauptsächlich direct übertragen wird und sich schon
häufiger im ersten Lebensjahre zeigt als jede andere Infectionskraokbeit, von Anfang an
das schwache Geschlecht mehr heimsucht.
Ein Beitrag zur Tachycardie.
Herr F. D., Gastwirth in Sch., erkrankte am 17. Jan. 1890 an Mnskelrhenmatismas
der rechten Schultergegend, ln der Nacht verspürte er ein Gefühl, „wie wenn eine
Schwarzwälderuhrschnur losgelassen würde Hierauf trat Beängstigung und Herzklopfen
ein. ln der Nacht gerufen, fand ich unzählbaren Puls ohne Fieber. Die Auscultation
am Herzen ergab ca. 200 Herzcontractionen. Ausgehend von den rheumatischen An¬
zeichen behandelte ich 2 Tage lang mit den neueren Antirheumaticis, nebenbei Digitalis
und zwar ohne Erfolg. Immer noch 200 Herzcontractionen und darüber. Der consultirte
College Beck constatirte mit mir am Herzen keine Veränderungen, jedoch 216 Herzoon-
tractionen. Zugleich erinnerte er sich eines Falles aus der ^t^mcr^schen Klinik in Zürich,
der mit grossen Gaben Chinin geheilt wurde. Wir verordneten 4 Pulver Chinin, sulf.
k 0,5 pro dosi innert 2 Stunden zu nehmen. Der Erfolg war ein eclatanter. Innert
3—4 Stunden fand ich 80, allerdings noch schwache Pulse, an der Radialis gezählt. Der
geschwächte Pat. erholte sich in wenigen Tagen.
Bis Februar 1892 ganz gesund, erfolgte am 26. Februar derselbe Anfall unter
den gleichen Vorläufern. Wieder über 200 Herzcontractionen. Sofortige Anwendung
von Chinin in gleicher Dosis mit bestem Erfolg.
Wiederum 2 Jahre später, Mitte Januar 1894, derselbe Anfall mit den gleichen Vor¬
läufern und dem gleichen Erfolg auf Chininbehandlung. Seither weiteres Wohlbefinden.
Pat. ist ca. 54 Jahre alt. Oben angeführten Rheumatismus ausgenommen, liegen
hier keine weitern pathologischen Veränderungen vor. Ich veröffentliche den Fall aus
3 Gründen: 1) wegen der Periodicität, 2) der ziemlich sichern rheumatischen Grundlage
und 3) der prompten Wirkung grosser Chinindosen, die jedesmal vorübergehende Heilung
bewirkt haben.
Schöftland, 19. April 1894. E, Häusler^ Arzt.
Einen analogen Fall beobachtete ich im Monat März dieses Jahres. Eine 32jährige
Dame, früher stets gesund, nur während der Secundarschuljahre (Entwicklung) an „ner¬
vösem Herzklopfen" leidend, erkrankte im Anschluss an Infiuenzapneumonie an links¬
seitigem Empyem. Es handelte sich um eine abgesackte Pleuraeiterung dicht neben dem
Herzen. Incision und Rippenresection mussten in der vordem Axillarlinie angelegt werden.
Während der nachherigen, erst sehr langsamen und durch bedrohliche Collapserscheinungen
öfters alarmirten Reconvalenscenz telephonirte mir die pflegende, ganz zuverlässige
Schwester mehrmals, Patientin befinde sich schlecht, habe unzählbaren Puls etc. Wenn
ich eine Stunde später zur Stelle war, constatirte ich einen zwar kleinen aber regel¬
mässigen Radialispuls von 84—88 und war geneigt, anzonehmen, die Schwester hätte
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sich getauscht, obschon mir auch die Patientin versicherte, an Stelle des regelmässigen
Herzschlages trete plötzlich und ohne Vorboten unter Bangigkeit ein vibrirendes Zittern,
welches Ys—Stunden anhalte und dann unter dem Gefühle gänzlicher Vernichtung,
des sofort eintretenden Todes, nach kurzer absoluter Pause in den ganz ruhigen und
normalen Gang übergehe. Bei diesem Uebergange entrinne, nicht znrückhaltbar, ein
Schrei der beklemmten Brust.
Eines Abends endlich fand ich Gelegenheit, den Anfall zu beobachten. Er hatte
schon 6 Stunden gedauert. Patientin lag bleich, mit etwas bläulichen Lippen, matt und
schwach auf dem Rücken und schien nicht mühsam, wenn auch etwas rascher und ober¬
flächlicher, als gewohnt, zu athmen. — Der Radialispuls war nicht fühlbar, nur zeitweise
ein undeutliches Zittern. Das über dem Herzen aufs Stethoscop gelegte Ohr constatirte
eine scheinbar unzählbare Herzaction; durch wiederholtes aufmerksames Zählen während
je 5 Secunden war aber ein Puls von 248—252 zu berechnen und diese Frequenz er¬
hielt sich ganz gleichmässig auf dieser Höhe während weiterer 4 Stunden, die ich nun
am Krankenbette zubrachte. — Herztöne rein. Herzcontractionen durchaus gleichmässig
und absolut regelmässig. Eisblase, Sinapismen, Caffee mit Cognac. — Alles blieb ohne
Erfolg. — Der Zustand war auch am folgenden und nächstfolgenden Tage derselbe.
Digitalis und andere eigentliche Herzgifte getraute ich mir nicht anzuwenden, wohl aber
gab ich 2stündlich 0,2 Chinin, muriaticum. Als 60 Stunden lang ununterbrochen dieser
Zustand angedauert hatte, erklärte ich in nicht unbedeutender Besorgniss dem Gatten, ich
sei ausser Stande zu sagen, wie lange ein Herzmuskel diese übermässige Arbeit, ohne zu er¬
lahmen, aushalten könne. — Der Ueberlegung folgend, es möchte am Ende durch die in der
Pleurahöhle liegenden ziemlich starren Cautschoukdrains ein directer Reiz auf das benachbarte
Herz stattflnden, hatte ich (ohne die Lage der Pat. zu ändern) schon Tags zuvor den Verband
und die Doppelröhre entfernt. Der ca. 5 cm weit eingeführte Finger kam sofort in Contact
mit dem zitternden Herzmuskel. Keine Aenderung. — Endlich nach 64 bangen Stunden,
nachdem ausser Chinin auch noch Bromnatrium (2,0) verabreicht worden war, trat
Morgens 3 Uhr jenes Gefühl der Vernichtung auf — ein Schrei und nach ca. 5 Secunden
arbeitete das Herz in ruhiger Weise, „als ob nichts passirt wäre*^. Dieser Zustand trat
nach wenigen Tagen nochmals für 12, später nochmals für 3 Stunden auf und ist seither
nicht wiedergekehrt. Die Drains mussten noch 5 Wochen liegen bleiben, waren also an
dem Ereigniss unschuldig. — Patientin machte mich darauf aufmerksam, dass sie mir
in frühem gesunden Jahren gelegentlich erzählt habe, wie ab und zu ihr Herz plötzlich
in unzählbare Tempobewegung verfalle, bis dann nach Genuss einer Tasse schwarzen
Caffees der Anfall in oben geschilderter Weise ein Ende nehme.
Ich hatte aber der Sache, da ich einen derartigen Zufall nie zur Beobachtung be¬
kommen konnte, bei der stark nervösen Frau keine Bedeutung beigelegt, bis mich eine
unter schwersten Umständen eintretende Attaque in die beschriebene Aufregung versetzte.
Zweifellos handelt es sich um eine reine Vagusneurose und werde ich — sollte der An¬
fall sich wieder einstellen — sofort zu Chinin und Brom greifen. E, Hajfter.
VereiÄsberiolite.
Medicinisch-pharmaceutischer Bezirksverein Bern.
V. Silziia, Dieistoa dei 10. Jali 1894, Abeids 8 Uhr, in Cifd di Poit.*)
Präsident: Dr. Dumont. — Actuar a. v.: Dr. Ämd,
Anwesend 37 Mitglieder.
1) Dr. F. Schenk: Ueber die körperliche Brziehangf inserer Jufend« Der Re¬
ferent sucht nachzuweisen, dass diesem Theil der Erziehung noch lange picht die ge¬
bührende Aufmerksamkeit geschenkt werde. Nicht nur, sagt er, werde den körperlichen
^) Eingegangen 16. October 1894. Red.
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728
Uebungen viel zu wenig Zeit im Unterrichlsplan eingeräumt, sondern es sei auch die
Betriebsweise des Turnens eine dem physiologischen Bewegungsbedürfnisse der Jugend
nicht angepasste und desshalb eine unrichtige. Die 5i>^$a’sche Turnschule, die die
Grundlage unseres Schulturnens bilde, sei lediglich dazu geeignet, das sog. Goordinations-
vermögen auszubilden. Das beweise schon die Auswahl und die systematische Gliederung
des in ihr enthaltenen Uebungsstoffes, dann aber auch die Art des Betriebes und der
dabei in Verwendung kommenden Geräthe. Bei Frei-, Stab-, Ordnungs- oder Geräth¬
übungen nach i^m’schem Muster handelt es sich immer und überall darum, durch all-
mäliges, langsames, stufen weises Weiterschreiten von den einfachsten zu combinirteren
und complicirteren Bewegungsformen den ganzen Muskelapparat beherrschen zu lernen,
oder, wie Spiess sich ausdrückt, den Körper zum gefügigen Werkzeug des Geistes zu
machen.
Wäre das der Hauptzweck unserer Gymnastik, so müsste ein Clown oder Schlangen¬
mensch im Cirkus uns als das Ideal eines körperlich gebildeten Menschen erscheinen.
Und in der That hat es allen Anschein, angesichts der Akrobatenkünste an unseren Turn¬
festen sowohl als bei Theatervorstellungen einzelner Turnvereine, als steuerten wir diesem
Ziel entgegen.
Ganz abgesehen davon, dass eine derartige Beherrschung der Muskulatur sich bei
zweistündiger Uebungszeit wöchentlich pro Klasse, wobei der Einzelne kaum ^|^ Stunde
turnt, nicht im entferntesten zu erreichen ist, entspricht ein solches Tnrnen in keiner
Weise den Forderungen der Hygiene, entbehrt überhaupt ganz und gar einer vernünftigen
physiologischen Grundlage. So kommt es, dass das Schulturnen nicht einmal die Ge¬
sundheitsschädigungen des Schulsitzens zu compensiren, geschweige denn die körperliche
Ausbildung erheblich zu fördern vermag.
Gegen die gesundheitlichen Nachtheile stundenlanger geistiger Anstrengung und
Stillsitzens in engen Schulbänken und stinkender Schulstubenatmosphäre hilft nur mög¬
lichst viel Bewegung in frischer Luft, hilft nur eine Gymnastik, bei welcher jeder
Einzelne alle seine individuellen Körper- und Geisteskräfte ungehindert entfalten
kann und bei der das Maass der Bewegung und nicht die Form derselben die Haupt¬
sache ist.
Als Vorbild dürfen uns hierin die Engländer gelten mit ihren Tnrnspielen, Cricket,
Lawn Tennis und foot-ball. Das ist ein gesunder Tnrnstoff für Knaben und Mädchen,
für Männer und Frauen. Da arbeitet der ganze Organismus, namentlich auch Herz und
Lungen, diese Organe, deren Ausbildung und functioneile Tüchtigkeit für die Gesundheit
unendlich wichtiger sind, als die Querschnittsgrösse des Biceps.
Glücklicherweise fängt diese freiere, besser individualisirende Form der körperlichen
Ausbildung auch bei uns an Boden zu fassen. Das verdanken wir namentlich Lagrange
und Dr. Schmidt die uns mit ihrer „Physiologie der körperlichen Uebungen“ eine wissen¬
schaftliche Grundlage für das Turnen geschaffen haben, auf welcher sich hoffentlich nun
eine neue Tnrnschule aufbauen wird.
Beide trennen ihren Uebungsstoff nicht mehr nach der aussem Form, wie Spiess,
in Frei-, Ordnungs- und Gcräthübungen, sondern nach dem Einfluss auf die physiologischen
Functionen einzelner Organe. Demgemäss unterscheiden sie zwischen Kraft-, Geschick-
lichkeits-, Dauer- und Schnelligkeitsübungen, zeigen uns dann, wie sehr diese einzelnen
Gruppen sich in ihrer Wirkung auf Herz-, Lungeur, Nerven- und Muskelarbeit von ein¬
ander unterscheiden und lehren uns damit, wie nothwendig es ist, die Auswahl des
Uebungsstoffes für jedes Alter ganz nach Massgabe der Entwicklungsstufe und des
Uebungsbedürfnisses der einzelnen Organe zu treffen.
So kommen beide, Lagrange und Schmid, unter anderem zn dem Schlüsse, dass
namentlich Ordnungs- und Freiübungen vorzugsweise Nervenarbeit sei, eher eine Mehr¬
belastung, als eine Erholung von geistiger Arbeit darstellen und desshalb im Schulturnen
mit grösstem Vortheil durch Jugend- und Turnspiele im Freien zn ersetzen seien.
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729
Das jüngst erschienene Uebungsprogramm für den Turnunterricht in unserer Volks¬
schule, heransgegeben von der bernischen Erziehungsdirection, zeigt in dieser Dichtung
einen sehr erfreulichen Fortschritt.
Der Referent sieht in diesen Turnspielen die beste Form, in welcher die körperlichen
Uebungen sich über das schulpflichtige Alter hinaus für Jedermann bis ins Greisenalter fort¬
setzen lassen und das kostbarste Mittel zur Erhaltung körperlicher und geistiger Gesund¬
heit. Desswegen wünscht er, dass vor Allen die Aerzte sich mit diesen Spielen vertraut
machen, und schliesst mit dem Antrag: Der medicinisch-pharmaceutische Bezirksverein
möge die Initiative ergreifen zur Gründung einer stadtbernischen TurnspielgeselLschaft und
derselben in corpore beispringen.
Discussion: Dr. OsL In England war er erstaunt, Männer jeden Alters
eifrig spielen zu sehen. Es wäre als ein gutes Beispiel zu empfehlen, wenn wir selbst
solche Turnspiele unternehmen wollten.
Prof. Kronecher: Auch in Italien werden jetzt durch Mosso die Turnspiele neben
dem eigentlichen Geräthturnen zur Einführung empfohlen. Er würde es namentlich be-
grüssen, wenn auch die Frauen zu Turnspielen mehr angeregt werden könnten.
Dr. Dumont hat mit Vergnügen gehört, dass der Vortragende die Kinder sich nur
so lange anstrengen lassen will, bis sie Athembeschwerden oder Herzklopfen haben. Durch
Ausserachtlassung dieser Vorsicht werden die Anstrengungen einfach schädlich.
Dr. Guillaume: Man sollte dem Publikum die englischen Spiele direct vorzeigen.
Dr. Dubois möchte die bisherige Turnart nicht ganz verdammen, die Spiele der
Engländer sollen aber in ihrer Ausbreitung unterstützt werden.
Dr. Schenk erklärt, dass noch auf lange Zeit der jetzige Turnmodus bestehen werde,
wegen der allgemeinen Einführung der ^i^em’schen Turnschule.
Dr. Büeler betrachtet das gegenwärtige Schulturnen als ein werthvolles Mittel die
Disciplin zu üben.
Prof. Drechsel glaubt nicht, dass die Spiele das Tarnen ersetzen können, weil doch
zahlreiche Uebungen dabei Vorkommen, deren Parallelen bei den Spielen fehlen.
Prof. Girard will auch den Turnspielen eine grössere Rolle zuweisen, weil bei dem
Turnen zu viel Pädagogik getrieben werde und dadurch der körperlichen eine ganz be¬
deutende geistige Anstrengung zugefügt werde.
(Seither hat sich in Bern auf Veranlassung von Herrn Dr. Schenk ein Turnspielclub
ins Leben rufen lassen.)
2) Die Blatiernepldenie in Bern vom Jnhr 1894*0 Vortrag von Dr. Ost^ Arzt
am Gemeindelazaroth in Bern. Autoreferat für das Correspondenz-Blatt. Die diesjährige
Blatternepidemie ist seit dem Kriegsjahr 1871 die grösste, welche in Bern beobachtet
worden ist. Sie umfasst ausser den 134 im Absonderungsspital (Gemeindelazareth) ver¬
pflegten Kranken noch weitere 13 Fälle, welche theils ohne Behandlung, theils in Folge
irriger Diagnose zu Hause die Pocken durchmachten, sodass mit denjenigen Fällen, welche
sich unserer Kenntniss entzogen, die Zahl der Blattemkranken in der Gemeinde Bern
auf über 150 geschätzt werden muss.
Der erste Kranke betrifft einen Handwerksburschen aus dem Kanton Neuenburg,
welcher in der Gesellenherberge zum Schlüssel übernachtete, dort weitere zwei Hand¬
werksburschen inflcirte und mittelbar Anlass gab zu 23 Erkrankungen, welche theils
auf die Herberge zum Schlüssel, theils auf den secundär inflcirten Gesellengasthof zum
Ochsen und im Inselspital zurückzuführen sind.
Eine zweite Einschleppung von auswärts hatte 4 Secundärinfectionen zu Folge.
10 weitere auswärts inflcirte Kranke führten nur zu einer Secundärinfection.
In der Gemeinde Bern Hessen sich 11 Infectionsherde, deren Ursprung unbekannt
blieb, auffinden. Auf einen dieser Herde waren zurückzuführen 22 Erkrankungen, von
Der Vortrag erschien in erweiterter Form in den „Mittheilnngen ans Kliniken und medici-
nischen Instituten der Schweiz**, Verlag Karl Sallmanu, Basel.
47
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730
denen 12 im Gemeindelazareth zur Behandlung kamen; 4 weitere Herde gaben Anlass
zu je 6 Secundärerkrankungen.
Hinsichtlich der Quartiere traten 48 Fälle in der innern Stadt, 59 in den Aussen-
quartieren auf, 27 Fälle waren zugereist oder ohne Aufenthalt.
^/4 der Erkrankten waren Erwachsene, ^/4 Kinder bis zum 15. Altersjahr.
Leichte Fälle (Spitalaufenthalt im Durchschnitt 14,3 Tage) waren 50.
Mittelschwere Fälle { y, „ 25,0 „ ) „ 45.
Schwere Fälle ( » » 34,5 „ ) „ 39.
Von den 37 Kindern (0—15J.) sind leicht: 6, mittelschwer: 16, schwer: 15 erkrankt t2
, , 97Erwach8.(16-70J.) , , 44, , 29, , 24 _ij
134 ' t3=o,97o
Auf die Schwere der Erkrankung scheint der frühere Gesundheitszustand einen ge¬
wissen Einfluss auszuüben, insofern als schwächliche Individuen schwere Erkrankungs¬
formen zeigen.
Wichtiger ist der Einfluss der Impfung. Obwohl die Ungeimpffcen und die in ihrer
Jugend ohne Erfolg Geimpften weniger als der Blattemkranken ausmachen, schliessen
sie 7» sämmtlicher schweren Formen und aller Todesfälle in sich ein.
Die Epidemie bestätigt hinsichtlich des Impfschutzes folgende Erfahrungssätze:
1) Es erkranken Ungeimpfte im Allgemeinen viel schwerer an Blattern als Geimpfte.
2) Geimpfte Kinder unter 13 Jahren erkranken nur ausnahmsweise an Blattern.
3) Der Schutz der Vaccination und der Revaccination gegenüber Blattern dauert
im Allgemeinen nicht länger als 12 Jahre; dagegen scheint eine kräftige Impfreaction,
welche sich in mehr als 4 deutlich sichtbaren Impfnarben auch nach Jahren documen-
tirt, eine nochmalige Blattemerkrankung auf lange Jahre hinaus milder zu gestalten.
Die Uebertragung der Blattern kann sowohl direct durch den Kranken als indiroct
durch die Luft und Gegenstände, die der Kranke benützt hat, vermittelt werden. Die
Incubation dauerte 9—13 Tage.
Häufig — in 38 Fällen — zeigten sich im Decrustationsstadium Complicationen :
Ekzeme mit Conjunctivitis, ekzemat., multiple Furunkel, Abscesse, tiefe Muskel- und Ge¬
lenkvereiterungen, Osteomyelitis, Keratitis in Form der Ringgeschwüre, acute Anginen,
Polyarthritis rheumatica, Erysipel, Eclampsie, periphere Muskellähmung und Manie.
(Wegen der vorgerückten Zeit wird der Schluss des Vortrages und die Discussion
verschoben.)
Gesellschaft der Aerzte des Cantons Zürich.
Ordenillche Herbslversumlangf den 17. Oeteber 1893 ii ZBrieh.0
Präsident: Prof. Dr. Goll, — Actuar: Dr. v. Schulthess-Rechberg,
Prof. Dr. Oscar Wj^ss spricht: lieber die neaesteii Choleraepidenlen, lisbeson-
dere nii BerBcksiehligfaogf der Trinkwasser- nnd Baeillenlehre.
Vortragender behandelt einige Puncte der Choleraaetiologie, besonders
desshalb, weil durch Mittheilungen verschiedener Art die Cholerabacillen Koches als Ur¬
sache dieser Krankheit stark angezweifelt worden sind. In dieser Hinsicht dürften daher
einige in nenester Zeit beobachtete Epidemien einen besonderen Werth haben, und wenn
darüber zwar in Tagesblättern und zerstreuten Artikeln auch bereits das Wichtigste be¬
kannt geworden, so erscheint eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Thatsachen
für den practischen Arzt doch opportun.
Bezüglich der grossen Hamburger Sommerepidemie von 1892
theilt er mit, dass Hamborg Anfangs December 1891 eine Einwohnerzahl von 640,400
') Eingegangen 10. October 1894. Diejenigen Abschnitte des sehr veralteten Protokolles,
welche kein Interesse mehr boten, wurden im Einverständniss mit dem Actuar nicht in Druck ge¬
geben. Red.
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hatte; dass in genannter Epidemie erkrankten 16,956 Einwohner und dass starben 8605.
Es erkrankten auf je 1000 Bewohner an Cholera 26,82 and starben 12,14. Die Epi¬
demie entwickelte sieh nngemein rapid, ln der Nacht vom 14. auf den 15. August
fand die erste Erkrankung statt; am 16. zwei; am 17. eine; am 18. 4; am 19. schon
20 Todesfälle; am 20. 49 Erkrankungen mit 23 Todesfällen. In rapider Progression
nahm die Epidemie zu, so dass am 29. 1100 Erkrankungen und am 30. August das
Maximum der Erkrankungen Statt hatte. Vom 7. September an nahm die Epidemie
stetig ab und erlöschte am 23. October.. Während anfänglich die Erkrankungen nur
auf Infectionen am „kleinen Grasbrock^, einem Theile des Hafens statt hatten, waren
schon am 20. August von 49 Erkrankten nur 20 vom Hafen inficirt; am 23. August
waren alle Stadttheile Hamburgs befallen. Von besonderem Interesse ist
1) dass auch die Säuglingsmortalität eine ganz bedeutend
gesteigerte war. Während von 1871 bis 1892 von lebend geborenen Kindern
im ersten Lebensjahre starben in maximo (excl. 1892) 30,l®/o, in minimo 20,3®/o, im
Mittel 23,9%, so starben anno 1892: 32,9%. In der Choleraepidemie starben 432
Säuglinge an Cholera.
2) Dass, obwohl Hamburg und Altona auf gleichem Boden liegen, gleichartige Be¬
völkerung, Canalisation und Bebauung haben, und die Strassen und Häuserreihen direct
aus einer Stadt in die andere übergehen, so dass sie factisch eine Stadt zusammen dar¬
stellen, die Cholera nur die Häuser in Hamburg, nicht aber die in Altona befiel. An
einer Strasse, welche auf einer längere Strecke die Grenze zwischen beiden Städten bildet,
wurde die Hamburger Seite befallen, die Altonaer Seite blieb frei. Alle in Altona im
Sommer 1892 beobachteten Choleraerkrankungen Hessen sich auf Infectionen in Hamborg
zurückführen. Während in Hamburg durch Cholera l,3^/o Todesfälle statt hatten,
hatten in Altona 0,2% statt. Der einzige Unterschied zwischen H. und
A. bestand darin, dass man in Hamburg unfiltrirtes, in Altona
dagegen filtrirtes Elbwasser trank.
3) Gewisse Gebäude in Altona, dessen Insassen Hamburger Wasser tranken, hatten
Cholerakranke; andere, deren Insassen Altonaer oder eigenes Wasser tranken, blieben
chlolerafrei, z. B. ein Hof (am Schulterblatt) an der Altonaergrenze, der aber zu Ham¬
burg gehört, mit 345 Einwohnern, versorgt mit Altonaer Wasser und nur von Altona aus
zugängig, hatte keine Erkrankungen. Eine Kaserne in Hamburg mit 540 Mann blieb
ganz frei; sie hatte eigenes Wasser, während in demjenigen Theil von derselben Truppe,
der in der Nachbarschaft in Bürgerquartieren lag, 17 Erkranknngen verkamen. In den
4 Anstalten Hamburgs: Alsterdorfer Anstalt mit 575 Einwohnern, Pestalozzistift mit 94
Einwohnern, Centralgefängniss in Fuchsbüttel mit 1100 Einwohnern und der ebenda be¬
findlichen Correctionsanstalt mit 600 Einwohnern, kam kein einziger Cholerafall vor.
Alle diese Anstalten hatten nur Brunnenwasser. Dagegen ereigneten
Bich in der Irrenanstalt Friedriehsberg mit 1363 Einwohnern 123 Cholerafälle mit 64
Todesfällen und in dem Werk- und Armenhaus mit 1230 Einwohnern 45 Erkrankungen
mit 12 Todesfällen. Diese beiden Anstalten hatten Hamburger Lei-
tungswasser.
üeber die Art und Weise, wie die Cholera nach Hamburg verschleppt wurde, ist
nichts Sicheres bekannt. Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass der Hamburger
Hafen, von dem die Epidemie sicher aasging, in folgender Weise inficirt wurde : Direct
stromaufwärts vom kleinen Grashock, der inficirenden Stelle des Hafens, lag am Amerika¬
quai die Baracke der russischen Auswanderer. Von letzterer gelangten die undesinfi-
cirten Fäcalien und von Wäschereinigung herrührenden Schmutzwässer in den Hafen.
Täglich langten hier einige Hundert Auswanderer an, blieben bis zur Weiterbeförderung
mehrere Tage in der Baracke. Zur Zeit des Ausbruchs der Cholera waren in der
Baracke ca. 1000 Auswanderer, unter denen allerdings keine schwöre, diagnostirte Cholera¬
fälle eonstatirt sind. Aber diese Leute kamen alle grösstentheils aus schwer choleraver*
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seuchtea Gegenden Russlands, so dass nicht bloss die Möglichkeit, sondern die Wahr¬
scheinlichkeit, dass diese die Infection des Wassers vermittelten, sehr gross ist.
Auf die grosse Hamburger Epidemie im Sommer 1892 folgte im Winter 1892/93
eine Nachepidemie und von dieser aus hatten Verschleppungen statt ausser nach andern Orten:
nach Altona und nach Nietleben bei Halle. Obwohl die Hamburger Nachepidemie eben
so lange dauerte wie die grosse des Sommers, so war ihre Intensität doch eine gänzlich
andere; es erkrankten nur 64 Personen und starben 18. Der Winter als kalte Jahres¬
zeit kann nicht als Ursache dieses mildern Verlaufes bezeichnet werden, da zu gleicher
Zeit in Nietleben eine sehr heftige Epidemie statthatte. Diese zweite Hamburger Epi¬
demie war auf drei umschriebene 'Stadttheile beschränkt: die Neustadt, St. Georg,
Vorstadt St. Pauli. Hier kann weder Wasser noch Boden bei der Entstehung eine
Rolle gespielt haben, sondern es waren „Krankheitsherde^, wo die Infection von Kranken
zu Kranken statthatte, genau wie gewisse Scbiffsepidemien, die sich wochenlang über
eine Seereise bin ausdebnten, nachweisbar, ln beschränktem Masse aber spielte gleich¬
wohl das Wasser eine Rolle in dieser Epidemie und zwar auf zwei Schiffen im Ham¬
burger Hafen.
Der spanische Dampfer Murciano, der auf seiner Fahrt nach Hamburg absolut keine
Erkrankung gehabt hatte, lag Anfangs Januar am Asiaquai in Hamburg. Am 8. Januar
wurden von demselben aus 2 Cholerakranke ins Krankenhaus gebracht, unter der
übrigen Mannschaft von 22 Köpfen, die evacuirt wurde, fanden sich noch 4 Cholera¬
kranke. Der Murciano wurde am 12. Januar nach dem jenseits gelegenen „Strandhafeu^
gebracht, hier gereinigt, die eingefrorenen Closets aufgethaut, desinhcirt. Hier lag neben
dem genannten Schiff ein anderes „Gretchen Bohlen.^ Dasselbe war seit dem 5. Januar
in Hamburg und hatte bis dahin eine aus 17 Negern bestehende ganz gesunde Mannschaft. Am
15. Januar brach auf Gretcben Bohlen die Cholera aus und zwar ereigneten sich 2 schwere
und 4 leichtere Fälle. Es liess sich nach weisen, dass diese Neger viel Elbwasser direct
aus dem Hafen getrunken hatten und eine andere Infection unmöglich war. — Die
Mannschaft des zuerst verseuchten Schiffes Murciano hatte sich nachweisbar an der Stelle,
wo es sich zuerst befand, ebenfalls mit cholerastuhlhaltigem Elbwasser inficirt.
Im Winter 1892/93 ereignete sich auch in Altona wieder eine Choleraepidemie,
und zwar vom 26. December, dem Maximum der Hamburger Winterepidemie an. Jetzt
erkrankten aber in Altona nicht Leute, die sich in Hamburg inficirt hatten, wie im
Sommer vorher, sondern solche, die Altona niemals verlassen hatten, nämlich kleine
Kinder, Hausfrauen, bettlägerige Kranke, Gefangene, und zwar zerstreut in der ganzen
Stadt. Es musste somit eine die ganze Stadt betreffende Infection, aber in schwachem
Grade stattgefunden haben. Es liess sich nun nach weisen, dass unmittelbar vorher im
Betriebe der Wasserfilter der Stadt Altona Störungen stattgefunden hatten. Die
Wasserentnahme für Speisung der Filter, resp. Wasserleitung von Altona hat unweit
unterhalb des Hamburger Hafens statt. Sowohl im Elbwasser dicht unter Hamburg, als auch
im unfiltrirten Wasser der Altonaer Wasserleitung wurden Cholerabacillen nachgewiesen.
An diese Epidemie schloss sich eine weitere interessante kleine Gruppenerkran¬
kung an, bei der das Wasser unzweifelhaft eine Rolle spielte, ln Ottensen im „langen
Jammer^ steht seit 1842 eine Häusergruppe, damals nach dem grossen Brande von
Hamburg für Obdachlose gebaut, jetzt an arme Leute vermiethet. Sie beherbergen 270
Einwohner, haben keine Wasserleitung, beziehen ihr Wasser aus 2 Pumpbrunnen; sie
haben Closets mit Tonneneinrichtung und da die benachbarten Strassen canalisirt sind,
so gehen an den Canälen auch mit Gullies versehene Thonröhrenleitungen bis in die
Höfe dieser Häusergruppe. Der Untergrund dieser Häusergruppe sowie die Grundwasser¬
verhältnisse verhielten sich genau gleich wie in den benachbarten (cholerafreien) Siadt-
theilen.
Im langen Jammer war im Sommer 1892 im August und im September je 1 eiu-
geschleppter Cholerafall vorgekommen. Dann keine Cholera mehr, bis vom 21. Januar
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bis 1. Februar 1893 sich in einer Woche 9 Choleraerkrankungen mit 7 Todesfällen er¬
eigneten. In 2 Häusern kamen 2 Fälle vor ; in den übrigen nur je 1 Fall, gleich-
mässig vertheilt über diejenigen Häuser, die ihr Wasser aus einem bestimmten Pump-
brnnnen bezogen. Dieser Pnmpbrunnen liegt an der tiefsten Stelle des Hofes, und zwar
so, dass alles Wasser im Hofe in denselben hineinfliessen müsste, wäre nicht dicht neben
dem Bronnen ein Einflussschacht (Gollie), welcher das Sohmutzwasser aufnimmt und in
die Thonröhrenleitung und die Canäle der benachbarten Strasse hineinleitet. Da dieser
Schacht aber im Januar zugefroren war, so konnte er diesen Dienst nicht mehr leisten;
das Schmutzwasser floss in den Brunnen hinein. Den Beweis dafür, dass das geschehen
war, konnte man 1) an der Wand des Sodbrunnens sehen : frische Schmutzstreifen be-
zeichneten den Weg, den diese unreinen Stoffe vom Hofe naih dem Brunnen eingenom¬
men hatten, und 2) als der Hof gereinigt und durch Carbolbesprengung desinficirt wurde,
bekam das Brunnenwasser Carbolgernch. Und doch war in den Brunnen selbst kein
Carbol hineingegossen worden. Somit konnten wohl Cholerakeime von schmutziger
Wäsche oder Dejectionen her in den Hof und von da in den Brunnen gelangt sein und
durch das Wasser die Menschen inficirt haben. Durch bacteriologische Untersuchung
des Wassers des besagten Brunnens, das am 31. Januar geschöpft wurde, gelang es auch
noch darin Cholerabacillen nachznweisen. Da in diesem in der Folge bei 3—5^ C. auf-
bewahrten Sodbrunnenwasser 18 Tage später noch lebende Cholerabacillen nachweisbar
waren, so ist der Schluss, es seien solche auch schon 12 bis 14 Tage vor dem 30. vor¬
handen gewesen, berechtigt und die Annahme, die Ursache der gruppenweisen Erkrankung
jener Häuser liege im Brunnen, gewiss begründet.
Die Schliessung des Brunnens am 26. Januar, die Isolation der Erkrankten hatte
im langen Jammer ebenso prompt ein Cessiren von Weitererkrankung zur Folge wie in der
Stadt Altona die Beseitigung der Storungen im Filterbetrieb, die Evacuation der In¬
sassen ungünstiger Wohnräume, in denen Choleraerkrankungen vorgekommen waren, und
die Desinfection diese Wirkung hatte.
Nicht minder wichtig sind die Thatsachen, die bei der Choleraepidemie in der
Irrenanstalt Nietleben, 4 Kilometer von Halle festgestellt worden sind. Die
Anstalt liegt auf einem 30 Meter hohen aus Porphyr bestehenden Hügel, an dessen Fuss
die „wilde Saale^, ein Arm der Saale, vorbeifliesst. Alle Gebäude stehen direct auf
dem Fels; nur die Gärtner wohn ung ist auf angeschwemmtem Boden mit steigendem und
fallendem Grundwasser, der sich in einer sattelförmigen Einbuchtung des Felsens an der
gegen die Saale hin sich abdachenden Seite angesammelt hat. Gebaut wurde die Anstalt
1840 und war ursprünglich für 600 Kranke bestimmt; jetzt beherbergt sie 1000. Ur¬
sprünglich wurde sie* mit unfiltrirtem Saalewasser versorgt und hatte Aborte mit Gruben.
Seit 10 Jahren wird zwar das Trink- und Brauchwasser auch noch der Saale entnom¬
men, doch durch Sandfiltration gereinigt. Seit derselben Zeit ist die Anstalt canalisirt,
das Canal wasser wird auf Rieselfeldern gereinigt und dann der Saale zugeleitet. Die
Einlaufsstelle dieser Wässer liegt etwas oberhalb der Entnahmsstelle des Trink Wassers.
Auch in früheren Jahren ist die Anstalt Nietleben schon von der Cholera heirage-'
sucht worden. So 1850. Da kamen innert 14 Tagen (vom 14. August bis 31. August)
19 Choleraerkrankungen mit 10 Todesfällen vor und ausserdem viele, 45 bis 50, Durch¬
fälle, und zwar nur auf der Frauenabtheilung. Zum zweiten Male suchte die Cholera
Nietleben heim anno 1866. Diesmal nur die Männerabtheilung und zwar erkrankten in
einer Zeit von 36 Tagen 22 Mann und starben 18; darunter der Director der Anstalt
und ein Wärter. Zu gleicher Zeit herrschte die Cholera in Halle, wo sie schon Mitte
Juli war, während sie in der Anstalt Nietleben erst vom 19. August bis zum 26. Sep¬
tember vorhanden war.
Im Jahre 1892 war sowohl Halle als auch Nietleben von Cholera freigeblieben.
Im Monat October herrschte in der Anstalt eine Epidemie an Diarrhoe, Dysenterie und
Typhus, die sich über den November bis in den Dezember hinein erstreckte, aber in der
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ersten Hälfte des Januar völlig erloschen war. Da trat am 14. Januar 1893 der erste und
tödtliche Choleraanfall bei einem Pflegling in der Anstalt auf. Am 15. Januar erkrankten
6, die alle starben, am 16. Januar 11, von denen 8 starben. Diese Erkrankungen
tauchten a tempo an den verschiedensten Stellen der Anstalt auf; die 18 Fälle der ersten
drei Tage kamen auf elf verschiedenen Abtheilungen in 10 verschiedenen Gebäuden vor. Im
Ganzen ereigneten sich 122 Erkrankungen mit 52 Todesföllen und zwar erkrankten 63
Männer, darunter 3 Aerzte, 59 Frauen, darunter 7 Wärterinnen und 3 Beamtenfrauen.
Die Epidemie 1893 übertraf somit die beiden früheren sowohl bezüglich Intensität
als auch Extensität. Die Suche nach den Ursachen ergab: dass der Boden, ein abso¬
lut undurchlässiger compacter Fels, nicht in Betracht fallen konnte, dass die Nahrungs¬
mittel unmöglich eine tlolle spielen konnten, da dieselben Lieferanten sie lieferten,
die solche auch für die Kliniken in Halle lieferten, woselbst gar keine Erkrankung sich
ereignete. Somit deutete alles auf das Wasser als Ursache hin. Und da ergab die
nähere Untersuchung: 1) dass die Wasserfllteranlage zwar gut war, aber die Benutzung
des Filters in einer Art und Weise statthatte, dass das Wasser fast unflltrirt durch die
Sandfilter gieng; 2) dass die Rieselfelder zwar in ihrer Construction vorschriftsgemäes
waren, dass aber keine Stanbassins für den Winter da waren; dass Niemand die richtige
Behandlung der Rieselanlage kannte. Das Schmutzwasser floss über den gefrorenen Boden
zum Abflussgraben der Rieselfelder. Während die Zahl der entwicklungsfähigen Keime
im Cubikcentimeter des Schmutzwassers = 400,000 betrug, war sie im Hauptdrainrohr¬
wasser = 470,000. Also fand keine Reinigung des Schmutz Wassers auf diesen Riesel¬
feldern statt.
Und die Untersuchung auf Cholerabacterien Hess solche mit Sicherheit nachweisen:
1. im Schmutzwasser beim Eintritt ins Rieselfeld,
2. auf den Rieselfeldern selbst,
3. im Abflusswasser von den Rieselfeldern,
4. im Wasser der Saale unterhalb der Einmündungsstello des sub. 3 genannten
Abwassers,
5. im (sogenannten) flltrirten Wasser eines Filters,
6. im Leitungswasser der Anstalt.
Ein Frauen-Pavillon blieb von der Cholera ganz verschont. Sein Bau, seine Lage
etc. war ganz so wie bei den andern Gebäuden der Anstalt. Nur der Unterschied be¬
stand, dass diese Station nur zur Hälfte belegt war und dass die Wärterin dieser Ab¬
theilung ihren Pfleglingen nur abgekochtes Wasser zu trinken gab. Gewiss ist der
letztere Factor für das Nichterkranken der Insassen dieser Abtheilung von grösserer
Wichtigkeit als-der erstgenannte.
Ueber die Art und Weise, wie die Cholerabacillen in die Anstalt importirt wurden,
ist leider absolute Gewissheit nicht zu erhalten gewesen. In Halle, überhaupt in der
ganzen Gegend, hatte keine Choleraerkrankung stattgefunden. Durch Kranke war der
Keim sicher nicht eingeschleppt worden, da man in dieser Hinsicht alle Vorsicht
walten Hess. Anders hinsichtlich des Wartpersonals. In den letzten drei Monaten waren
13 Wärter und Wärterinnen angestellt worden. Von diesen waren angeblich keine aus
Hamburg, wohin im Spätsommer ein bedeutendes Zuströmen solcher stattgefunden hatte,
gekommen. Aber zufällig wurde doch entdeckt, dass wenigstens ein Wärter, der zwar
direct aus Halle in die Anstalt kam, vorher in Hamburg als Krankenwärter fungirt hatte
und in der ersten Zeit seines Aufenthalts in der A^talt Nietleben an starkem (aber
verheimlichtem) Durchfall litt, von welch letzterem man erst nachträglich auf specielle
Recherchen hin und als derselbe wieder längst vorbei war, Kenntniss erhielt. Diese Diar¬
rhoe fand zwischen dem 5. und 8. Dezember statt. Die Möglichkeit, dass dieser Wärter
die Canalisationsröhren und Rieselfelder der Anstalt inficirte, liegt vor; dass diese In-
fection gelegentlich dann eine Infection der Ableitungscanäle resp. des Abwassers der
Rieselanlage (die ja nicht fungirten) und damit der Saale bedingten, liegt nahe. Das
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Saalewasser wurde — nur dem Namen nach, aber nicht in Wirklichkeit filtrirt in die
Wasserleitung gepumpt und so konnte durch dieses inficirte Trinkwasser die Einwohner¬
schaft der ganzen Anstalt rasch inficirt werden, wofür die plötzliche, explosionsartige
Entstehung dieser Epidemie in hohem Grade spricht. Im Gegensatz hiezu sind die
frühem zwei Epidemien in der Anstalt Nietleben viel gelinder verlaufen; sie bedingten
eine viel kleinere Krankenzahl sowohl als auch weit weniger raschen Verlauf der Epi¬
demie: z. B. 1866 in der Zeit von sechs Wochen (37 Tagen) bloss 22 Erkrankungen,
während 1893 in der Zeit von 30 Tagen 122 Erkrankungen stattfanden.In den
früheren Epidemien handelte es sich um directe Infectionen von einem Kranken auf
andere; das Trinkwasser spielt dort gar keine Rolle.
War — wenn möglicherweise auch nicht als Ursache, so doch in Folge der Epi¬
demie in Nietleben das Wasser der Saale mit Cholerabacillen inficirt, so musste oder
konnte sich diese Infection anderorts, in stromabwärts gelegenen Ortschaften, in denen
das Saale Wasser zum Trinken und Waschen benutzt wird, durch Auftreten von Cholera¬
erkrankungen verrathen. Das war in der That der Fall. Die Stadt Halle blieb zwar
gänzlich verschont. Aber diese konnte desshalb auch nicht in Betracht kommen, weil das
Wasser der „wilden Saale", die bei der Anstalt vorbeifliesst, erst unterhalb Halle sich
wieder mit der Saale vereinigt, und somit die Verunreinigung die Saale bei Halle
nicht betreffen konnte. Dagegen wurden unterhalb Halle 4 Ortschaften an den Ufern
der Saale von Choleraerkrankungen heimgesucht, und zwar kamen in Trotha am rechten Ufer
der Saale, 5 Kilometer unterhalb Halle, 4 Cholerafälle mit 1 Todesfall (24. Januar) vor; in
Wettin, 20 Kilometer unterhalb Halle, 1 tödtlich verlaufende Choleraerkrankung am
24. Januar vor; in Cröllwitz, 2 bis 3 Kilometer unterhalb Halle, 6 Erkrankungen mit
2 Todesfällen (30. Januar) und in Lettin, 6 bis 7 Kilometer unterhalb Halle, 3 Er¬
krankungen mit 1 Todesfall vom 2. bis 4. Februar vor. Und in allen diesen Fällen
war das Saalewasser getrunken worden und also wQhl die Ursadie der Erkrankung ge¬
wesen; überall schwand die Krankheit rasch nach dem Vermeiden des Genusses von
rohem Saalewasser. Unterhalb Wettin kamen keine Erkrankungen mehr zur Beobach¬
tung; wahrscheinlich desshalb, weil dort in Folge von Zuflüssen aus den Salzbergwerken
das Saalewasser so stark salzig wird, dass es ungeniessbar ist.
Behufs Bekämpfung der Choleraepidemie in Nietleben wurden folgende Maassnahmen
getroffen:
1. Es wurde vorgeschrieben, es dürfe nur gekochtes Wasser getrunken werden und
späterhin wurde
2. reines Trinkwasser aus Halle zugeführt,
3. die Wasseransläufe der Wasserleitung wurden zugelöthet. Das geschah, weil
Wärter und Kranke alle möglichen Mittel und Wege ausfindig machten, um die schon
vorher geschlossenen Wasserhahnen, ja selbst Abtrittspülvorrichtungen, zu benutzen, um
sich frisches, ungekochtes Trinkwasser zu verschaffen.
4. Isolation der Kranken;
5. Verlegen Verdächtiger auf eine Beobachtungsstation;
6. Untersuchung der Dejectionen Verdächtiger auf Cholerabacillen, wodurch sehr
rasch bei Abwesenheit solcher dieselben wieder zurückverlegt werden und so diese Station
rasch entlastet werden konnte.
7. Es ergab sich hiebei die Thatsache — die übrigens schon in Hamburg con-
statirt worden war, dass mehrere leichte Durchfälle als cholerabacillärer Natur constatirt
wurden; somit die leichten Diarhoeen, die zur Zeit von Choleraepidemien verkommen,
sehr wohl die Krankheit verschleppen können.
‘) Eigentlich dauerte die „Epidemie“ nur vom 14. bis 28. Januar, also 14 Tage und fielen
aut' diese 14 Tage 116 Erkrankungen mit 48 Todesfällen; während auf die späteren 16 Tage nur
6 Erkrankungen mit 4 Todesfällen kamen.
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8. Bei zwei Reconvalescenten von Cholera wurden in den StQhlen noch 3 Wochen
nach Beginn der Krankheit Cholerabacillen nachgewiesen.
9. Die Desinfection sämmtlicher Wäsche, Bettstücke etc., wurde durch strömenden
Dampf, diejenige der Dejectionen durch Carbol-Seifenlösungen oder durch Aetzkalk durch-
gefiihrt.
10. Die Desinfection der Krankenräume, der Wände, Fussböden, der Bettstellen,
hatte durch Waschen mit desinficirenden Flüssigkeiten statt.
11. Sodann wurde die ganze Wasserleitung dadurch desinficirt, dass 3^/oige Carbol-
säurelösuDg vom Pumpschachte in alle Theile der Leitung getrieben und 24 Stunden
darin stehen gelassen wurde. Dann wurde das Carbolwasser wieder mit Wasser aus
Halle ausgespült.
12. Auch die Rieselfelder, oder wenigstens die Zuführungs- und Ableitungsgräben,
wurden durch so reichliches Zufügen von Kalkmilch zum Canalwasser desinficirt, dass
unten im Hauptabfiussrohr reichlich Kalk und stark alkalische Reaction auftrat.
13. Aller Genuss von Saalewasser unterhalb der Anstalt wurde verboten und
14. durch Aufklärung der intelligenteren Leute über die Bedeutung des Wasser¬
genusses wurde der sub 13 genannten Verfügung nach Möglichkeit Nachdruck ver¬
liehen.
Das rasche und vollständige Verschwinden der Epidemie nicht nur in Nietleben
sondern auch in den stromabwärts gelegenen Ortschaften, das Auf hören der begonnenen
Epidemie an allen genannten Orten, spricht entschieden für die practische wie theoretische
Richtigkeit der instituirten Massnahmen.
(Schluss folgt.)
It^efeirciite und
Lehrbuch der Kinderkrankheiten.
Von Dr. Philipp Biedert, Elfte sehr vermehrte und verbesserte Auflage. Stuttgart.
Enke 1894.
Das älteren Aerzten wohlbekannte Fo^c^sche Lehrbuch der Kinderkrankheiten ist
von Biedert auf Grund der achten Auflage ganz neu bearbeitet worden. Nun ist die
elfte sehr vermehrte und verbesserte Auflage erschienen, fast zu gleicher Zeit aber auch ^
eine Anzahl kleinerer und grösserer Lehrbücher über denselben Gegenstand, so dass
mancher Arzt bei der Auswahl verlegen sein muss und das um so mehr, als darunter
mehrere tüchtige sich befinden, so u. a. dasjenige von Seite^ von Dr. Feer in Nr. 16
des Correspondenzblattes lebhaft empfohlen.
Als zuverlässiger Rathgeber für den practischen Arzt und den Studirenden in
allen Krankheiten des kindlichen Alters, chirurgischen und inneren, muss das BiederV-
sehe Lehrbuch in erster Linie empfohlen werden; denn die Rathschläge beruhen auf
ausgedehnten practischen Erfahrungen, auf kritischer Berücksichtigung und gewissenhafter
Benützung der gesammten einschlägigen Litteratur und für manche Kapitel darf der Her¬
ausgeber als eine Autorität ersten Ranges bezeichnet werden. So bringt uns diese neueste
Auflage die seit der vorletzten erschienenen litterarischen Producte in gelungener Ver¬
arbeitung. Da von dem ursprünglichen Fo^crschen Lehrbuch nur wenig mehr zu erkennen ist
in dessen heutiger Gestalt, hat der Verfasser seinen Namen mit vollem Recht an die Spitze
gestellt, findet man doch kaum eine Seite, wo die bessernde oder zufügende Hand Biedert'%
vermisst wird; eine grosse Anzahl von Abschnitten erscheint sogar entsprechend den
neuesten Ergebnissen der Wissenschaft gegenüber der auch von Biedert redigirten neunten
und zehnten Auflage gründlich umgestaltet. Ilagenbach,
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Klinisches Handbuch der Harn- und Sexualorgane.
Heraasgegeben von Zuelzer^ redigirt von Oberländer, 4. Band. Leipzig, C. W. Vogel.
Preis 38 Mark.
Es war ein guter Gedanke des seither verstorbenen Zuelzer die Erkrankungen der
Harn- und Sexualorgane, unter denen so mannigfache innere und äussere ßeziehungen
besteben, in einem Handbuche zusammenzufassen. Damit wird, wie ich glaube, nicht der
Specialisirung Vorschub geleistet, sondern im Gegen theil soll damit der begrenzte Ge¬
sichtskreis des Specialisten erweitert und der Anschluss an die allgemeine Medicin er¬
leichtert werden.
Unter den 27 Mitarbeitern sind sehr viele, die sich durch wissenschaftliche Arbeiten
bereits einen Namen erworben haben, darunter die unserer schweizerischen Collegen
Burckhardt (Basel) und Pei/er (Zürich). Die Eintheilung des Stoffes ist die folgende:
Im 1. Band ist Anatomie, Physiologie und Pathologie abgehandelt und dazu die Erkran¬
kungen der Nebennieren (Addison'sähe Krankheit), die Semiologie des Harns und endlich
die leichtern Nierenaffectionen.
Der 2. Band umschliesst die Erkrankungen des Nierenparenchyms, des Nierenbeckens
und der Harnleiter. Hier ist folgerichtig die Urmmie in einem besondem Capitel ab¬
gehandelt. —
Im 3. Band finden wir abgehandelt die Erkrankung der Blase, der Harnröhre, des
Hoden. Die chirurgischen Affectionen und die Erkrankungen der weiblichen Harnröhre
und Blase sind in gesonderten Capiteln besprochen.
Der 4. Band enthält die nervösen Störungen der sexuellen Sphäre und der Harn¬
organe, sowie besondere Capitel über Diabetes, Ulcus molle und Syphilis. —
Wir sehen aus dieser Inhaltsübersicht, dass die Grenzen des Themas möglichst weit
gezogen sind, und dass wir ein Werk erwarten dürfen, das keine Lücken aufzuweisen
hat. Und doch sind trotz der detaillirten Disposition wegen der sehr ungleichmässigen
Bearbeitung des Stoffes durch die verschiedenen Mitarbeiter Lücken fühlbar. Neben ganz
vorzüglichen und erschöpfenden Darstellungen in knapper Form und klarer Sprache, finden sich
Capitel, in denen der Stoff summarisch, zu ungenau und oberfiächlich behandelt ist; —
dies beeinträchtigt leider den Werth des Ganzen und lässt die Darstellung als lückenhaft
erscheinen.
Ich will nur einiges herausgreifen: Die Krankheiten der Hüllen des Hodens sind auf
28 Seiten abgethan; da wird man sich nicht wundern, wenn der Inhalt kaum das aller-
nothwendigste bietet, wie man es in einem Repetitorium, aber nicht in einem Handbuche
erwartet. Daneben sind der acuten Gonorrhoe allein 35 Seiten gewidmet und der Neu-
ropathia sexualis virorum 79 Seiten, der Amyloidniere 27 Seiten. Die betreffenden Mit¬
arbeiter trifft damit kein Vorwurf, es ist Sache der Redaction für eine gleichmässige
Durcharbeitung des Stoffes Sorge zu tragen.
Im übrigen will ich durchaus nicht verkennen, dass der grösste Theil der Autoren
ihre Aufgabe sehr • gut gelöst hat. Das gilt vor allem von den Arbeiten von Benda
(Anatomie), Beneke (path. Anatomie), Pel (Morb. Brightii), Burckhardt (Chir. Klinik der
Blasenkrankheiten und Cystoscopie) u. s. w.
Literaturangaben sind jedem Capitel vorausgeschickt. Auch das ist verschieden ge¬
halten. Der eine gibt erschöpfende Verzeichnisse, der andere citirt ein oder zwei Sam¬
melwerke als Quellenangabe. In den 2 Capiteln, die von Fenwick bearbeitet sind, wird
fast ausschliesslich englische Literatur citirt, derweil wichtige Arbeiten aus der deutschen
Literatur vorliegen.
In Folge ungenauer Stoffvertheilung kommt es, dass einige Krankheiten doppelt
besprochen sind z. B. die Hydrocele, aber beide Mal wird sie summarisch abgethan.
Im Capitel functionelle Albuminurie werden Dinge mit besprochen, die streng ge¬
nommen nicht dazu gehören. Noch viel mehr gilt dies für das Capitel der Neuropathia
sexualis virorum, wo Eulenhurg seiner Feder allzu freien Lauf lässt. Da sind meist
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Dinge abgehandelt, die gar nicht in eine Klinik der Sexualorgane gehören, sondern ganz
in das Gebiet der Psychiatrie gehören und nur vom Gesichtspunkte des Psychiaters aus
zu beurtheilen sind. Wie anders ein solches Thema für ein Handbuch der Sexual- und
Hamorgane zu behandeln ist, zeigt das folgende analoge Capitel über die Neuropathia
sex. feminarum, worin v, Kraffi-Ehing auf 22 Seiten (gegenüber 79 von Eulenhurg) eine
gute und erschöpfende Darstellung gibt. —
Gut illustrirt sind die Capitel Anatomie (worin die Zeichnungen über die Ent¬
wicklung der Genitalien pag. 87 zu klein gerathen sind), Prostataerkrankungen und
Chirurg. Blasenkrankheiten etc. Als ein Mangel aber muss es bezeichnet werden, wenn
das Capitel über Stricturen keine einzige Abbildung aufzuweisen hat.
Trotz all’ der gerügten Mängel ist das Buch doch zu empfehlen, weil eben doch
der grösste Thoil der darin enthaltenen Arbeiten sehr gut gelungen ist und überhaupt
der Versuch, ein derartiges Handbuch dem ärztlichen Stande zu bieten, sehr zu begrüssen
ist. Deshalb möchte ich wünschen, dass das Werk bald eine 2. Auflage erleben möchte,
für die gewiss nicht ohne Nutzen eine gleichmässigere Bearbeitung der Capitel erzielt
werden dürfte. Garre (Tübingen).
Die Resectionen der Knochen und Gelenke.
Von H. Lossen. Dtsch. Chirurgie, Liefrg. 29 b. P. Enke, Stuttgart.
Das grosse Sammelwerk der deutschen Chirurgie ist wieder bereichert durch die
wichtige Monographie über die Resectionen. Lossen hat sich die Aufgabe nicht leicht
gemacht. In erster Linie filllt die gewaltige Menge von Literatur auf, die der Verfasser
zu bewältigen hatte. Neben dem vorgedruckten Literaturverzeichniss von 48 eng¬
gedruckten Seiten, bringt fast jede Seite in den Fussnoten bis zu 10 Literaturangaben.
Man mag daraus einen Schluss ziehen auf die ausgedehnte Vorarbeit, die Verf. zu er¬
ledigen hatte, bevor er den Text ins Reine bringen konnte. —
Verf. liess sich nach meiner Ansicht (vielleicht gerade wegen der riesigen Literatur)
verleiten, den einleitenden geschichtlichen Theil allzu breit zu fassen; nimmt er doch einen
Fünftel des ganzen Buches ein! Nicht genug, dass die Geschichte der Resectionen allein
behandelt wird, lässt sich Verf. noch auf eine eingehende Schilderung des Wechsels der
Anschauungen über die Knochenregeneration ein, mit ausführlicher Wiedergabe von Thier¬
experimenten von Heine., Feigel u. A. Wir anerkennen ausdrücklich das Verdienst des
Verf. durch seine Forschung Manches, das der Vergessenheit anheimgefallen oder unrichtig
referirt worden, wieder ins richtige Licht gestellt zu haben, — meinen aber doch, dass
solche Exenrse besser in Specialschriften, welche medicinisch-geschichtlicbe Themata behan¬
deln, unterzubringen sind. —
In einem folgenden Capitel spricht Verf. über die Indicationen zur Resection, ferner
über die Neubildung resecirtor Knochen und Gelenke. Das 5. und 6. Capitel umfassen
die allgemeine und specielle Technik der Gelenkresectionen. Hier vermisse ich Ab¬
bildungen, welche die wichtigsten Operationsverfahren illustriren. Die meisten Abbildungen
— es sind im Ganzen 50 — stellen Instrumente, Schienen und Apparate dar. Nach
Schilderung des HeilungsVerlaufs und dessen Störungen, werden die Endergebnisse der
Resectionen besprochen — ein Abschnitt, der viel des Interessanten bietet. L. hat darin
die Einzelstatistiken, die bisher erschienen, vereinigt und ist damit im Stande, mit grossen
Zahlen zu operiren.
Die drei letzten Capitel umfassen: Die Resectionen in der Continuität, die Exstir¬
pation der Knochen und die Osteotomie.
Die Darstellung darf im Ganzen als eine gute bezeichnet werden, die Sprache ist
klar. Die Ausstattung ist gediegen. Garre (Tübingen).
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Oantonale Ooin^eispondenzen«
Bern« t Dr. Chrlsteller« Die ersten Boten des herraunahenden Winters
brachten von Zürich her die Trauerkunde, dass unser lieber Berner-College Dr. Alfred
Chrisieller dort unerwartet schnell einem Darmleiden erlegen sei, das mit ileusartigen Er¬
scheinungen beginnend, binnen wenigen Tagen dem Leben des rastlos thätigen, noch
rüstigen Arztes ein jähes Ende bereitete.
Dr. Alfred Chrisieller wurde 1837 zu Bern geboren; schon in früher Jugend wurde
ihm sein Vater durch den Tod entrissen, und seine Erziehung lag nun in den Händen
seiner liebevollen Mutter, die den lenksamen, freundlichen Knaben sorgsam überwachte
und anleitete, so dass er durch den Verlust seines Vaters keinen Schaden nahm.
Er durchlief das Gymnasium und die Hochschule von Bern und beendigte mit seinen
Altersgenossen seine Studien durch Ablegung eines guten Staatsexamens und Erlangung
der medicinischen Doctorwürde. Während seines ganzen Bildungsganges zeichnete er
sich durch gute Fassungsgabe, regen Eifer bei seinen Studien und tüchtige Arbeits¬
kraft aus.
Nach Abschluss seiner Laufbahn auf der Bemerhochschule, reiste er, wie es damals
Sitte war, nach den grossen medicinischen Lehranstalten in Wien, Berlin und Paris und
arbeitete sich dort zum Specialisten in Hals-, Kehlkopf- und Ohrenkrankheiten aus.
Nach etwa zwei Jahren Hess er sich in Bern nieder, um die erworbenen Kenntnisse
practisch zu verwerthen; doch schien ihm der Beruf des gewöhnlichen practischen Arztes
nicht recht zuzusagen, er vertauschte daher diese Carriöre bald mit der des Bade- oder
Curarztes und begann im Bade Heustrich seine Thätigkeiti Unter seiner ärztlichen
Leitung nahm dieser Curort einen offenkundigen Aufschwung, denn die Zahl der dort
Hülfe Suchenden nahm von Jahr zu Jahr zu und mit sichtlichem Behagen konnte der
junge Curarzt seine Verehrer sich stetsfort mehren sehen.
Dies munterte ihn jedenfalls dazu auf, seine jetzt begonnene Laufbahn auch im
Winter fortzusetzen; es bot sich ihm hiefür. Gelegenheit in der neu errichteten Winter¬
station Bordighera an der Riviera, wohin er als ärztlicher Leiter berufen wurde. In dieser
neuen Stellung befand er sich so wohl, dass ihm dieser ferne Ort gleichsam zur zweiten
Heimat wurde.
So zog er, wie die Schwalbe, im Spätherbst dem milden Süden zu, schickte am
Neujahr als Lebenszeichen den daheim gebliebenen Freunden ein Glückauf für das
kommende Jahr und kehrte dann im Frühling der lieben alten Heimat zu, um wieder
seine Sommer-Thätigkeit (früher im Heustrich, später in St. Moritz) aufzunehmen. Doch
that er das nie, ohne vorher seiner Vaterstadt Bern, an die ihn so viele Jugend-Er¬
innerungen fesselten, einen Besuch gemacht und hei dieser Gelegenheit seinen Freunden,
die sich jedes Mal auf sein Wiedererscheinen freuten, einige fröhliche Tage des Wieder¬
sehens und der Auffrischung alter Gemüthlichkeit gewidmet zu haben.
Auch jetzt war er bald im Begriffe, seine Rückreise nach dem ihm lieb gewordenen
Winter-Aufenthaltsort anzutreten, aber dies Mal setzte der unerbittliche Tod seinen
Wanderungen für immer ein Ziel.
Was Dr. Chrisieller neben seinem reichen medicinischen Wissen und Können über¬
all die Herzen seiner Mitmenschen und das Zutrauen seiner Kranken gewann, war seine
einnehmende äussere Erscheinung, der nur Wohlwollen und Herzensgüte entstrahlte. Er
war seinen Kranken gegenüber nicht nur ein ernster und aufopferungsföhiger Arzt, sondern
auch ein liebenswürdiger Freund und Gesellschafter, stets bereit, durch Trost und Auf¬
munterung den wankenden Muth zu heben. Wohlthuend wirkten dabei seine vielseitigen
Kenntnisse in den modernen Sprachen und die Gewandtheit, dieselben zu verwerthen,
die ihn befähigten, mit allen seinen Kranken, die meist fern von der Heimat waren, in
ihrer Muttersprache zu verkehren.
Jedermann, der mit ihm in gesellschaftliche Beziehung trat, war entzückt über die
feine und vornehme Art, mit der er seine Umgebung zu unterhalten und erheitern ver-
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stand, wobei neben anziehender Sprachform ihm auch seine wohlklingende Stimme, die
er gerne in den Dienst der Geselligkeit stellte und mit der er schon in Bern als Student
nnd auch als Mitglied der Liedertafel durch seine fröhlichen Gesänge engere und weitere
Kreise ergötzte, sehr zu Statten kam.
Nun ist er für immer von uns geschieden, und zwar viel zu früh, denn wir haben
immer noch gehofft, sein Wanderleben werde ihm doch mit der Zeit zu beschwerlich
werden, und wir alten Freunde werden dann das Glück haben, wieder öfter mit ihm
verkehren zu können.
Nicht nur für uns, sondern vielmehr für seine verlassene Familie ist er zu früh
gestorben; seine trauernde Gattin und die zwei Kinder werden oft den Rath des liebe¬
vollen Vaters vermissen. Möge der gleiche gute Stern über der Erziehung seiner beiden
viel versprechenden Kinder walten, wie er zur Zeit über der seinigen ge¬
waltet hat, und möge es der jetzt so tief gebeugten Mutter vergönnt sein, in dem tüchtigen
Gedeihen ihrer Kinder einen Ersatz für ihren herben Verlust zu finden!
Ruhe nun sanft von deinen Wanderungen, du guter lieber Freund, wir werden dich
nie vergossen. H.
W oolä^nbeirioljLt*.
Schweiz.
Bern. Der klinische Aerztetag, der auf diesen Spätherbst vorgesehen
war, ist in Anbetracht der nächstens stattfindenden Versammlung der med. chir. Gesell¬
schaft des Kantons Bern, an welcher klinische Demonstrationen stattfinden sollen, auf
nach Neujahr verschoben worden. Für den Ausschuss ad hoc: Dr. E, L.
Ausland.
— lieber das tragische Ende des menschenfreundlichen Samariters Dr« Freiherr
V. Mundy Im Wlea. Dr. E. Jordy in Bern widmet in der Schweiz. Frauenzeitung (1894,
Nr. 38) dem kürzlich in Wien auf so tragische Weise verstorbenen weltbekannten Sama¬
riter und Menschenfreunde Dr. Freiherr Jaromir von Mundy^ einen warmen Nachruf, dem
wir Folgendes entnehmen:
„Sein grossartigstes Werk jedoch, das seinem Namen wohl am meisten dauerndes
und ehrenvolles und dankbares Gedenken in alle Zukunft sichern wird, ist die Gründung
der Wiener freiwilligen Rettungsgesellscbaft. Anlass dazu bot die furchtbare Katastrophe
des Ringtheaterbrandes. Das primitive, planlose, zerfahrene Vorgehen seitens eines unge¬
schulten Rettungspersonales und mit weit ungenügenden Mitteln überliess dem grausigen
Tode in Rauch und Flammen eine Unzahl von Menschenleben, die mit mehr Vorsorge,
mehr Mitteln, mehr Ordnung und Geschicklichkeit noch hätten gerettet werden können.
Gleich am Tage nach dem Brande steht Baron Mundy mit den Grafen Wilczek und
Lamezan an der Spitze eines Actionscomites zur gründlichen Verbesserung des Ret¬
tungsdienstes.
Was er als Schriftführer der neugegründeten Wiener freiwilligen Rettungsgesell¬
schaft, als Seele der Unternehmung geleistet hat, lässt sich mit Worten schwer sagen.
Die grösste Schwierigkeit und Mühe bildete unstreitig der jahrelange Kampf mit ver¬
knöcherten bureaiikratischen Behörden und mit eifersüchtigen Aerzten, die dem Samariter-
und Rettungswesen abhold waren. Jahrelang hat er Anfeindung und Verfolgung ruhig
ertragen und mit Kaltblütigkeit und Besonnenheit rastlos thätig weiter gearbeitet. End¬
lich gelang es seiner Ueberzeugungstreue, seiner Selbstlosigkeit und seiner zähen Arbeits¬
kraft, seine Idee der organisirten ersten Hülfeleistung bei plötzlichen Unglücksfallen an
massgebender Stelle Geltung zu verschaffen, bei den Aerzten beliebter zu machen und sie
im Volke als ein unentbehrlich gewordenes Bedürfniss eingelebt zu sehen.
Ich hatte im Juli 1893 in Wien den Vortheil, das eigene Haus der freiwilligen
Rettungsgesellscbaft in der Ringstrasse am Ufer des Donaucaiiales besuchen zu können.
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Ich war voa der durchdachten Organisation, der vorbedachten Einrichtung bis ins einzelne
in höchstem Grade überrascht und erfreut. Zum Beispiel fehlte da sogar der Brieftauben*
schlag nicht, aus welchem Tauben mitgenommen werden, wenn ein Hülfezug aufs Land
hinaus fahren muss, wo weder Telegraph noch Telephon erreichbar ist. Die losgelassenen
Tauben bringen dann Nachricht und Befehle ins Bettungshaus zurück. Die Cholera¬
baracken am Donauufer dürfen als geradezu musterhaft bezeichnet werden, und sie wurden
auch, wie die ganze Einrichtung der freiwilligen Rettungsgesellscbaft, in vielen grösseren
Städten nachgeahmt.
Ferner beneidete ich die Wiener Collegen um die wohlthätige Einrichtung Mundy^%^
dass sich die Studierenden der Medicin im Hause der freiwilligen Rettungsgesellschaft als
Candidaten und Assistenten anmelden durften. Je für einmal 24 Stunden konnten sie,
im Institute verpflegt, bei allen Unglücksfällen werkthätig unter Leitung erfahrener Chef¬
ärzte mit dabei sein. Eine solche practische Schulung für rasches, entschlossenes, ge¬
ordnetes und zweokmässigstes Handeln bei plötzlichen Uuglücksfällen jeder verschiedensten
Art hatte ich noch nirgends gesehen. Vom Lehrstuhle im Hörsaale kann sie nicht ge¬
lehrt und gelernt werden. In der Besucherliste der Anstalt stehen mit anerkennenden
Worten der österreichische Kaiser Franz Joseph und Wilhelm II., der Kaiser von Deutsch¬
land. Ich besuchte diese Musteranstalt zweimal; sie ist mir eine der liebsten Erinnerungen
an Wien und ich verdanke ihr Sinn, Freude und Yerständniss für eine geschulte, frei¬
willige Rettungsgesellschaft, für das Samariterwesen.
Im Sinnen und Denken und Sorgen um diese seine Lieblingsschöpfung, also auf
dem Kampfplatze seines Lebens, ist Mundy auch gefallen. Wie ich aus den Berichten
aus Wien entnehmen kann, machte die freiwillige Rettungsgesellschaft wieder eine Krise
durch. Der Chefarzt sollte seines Amtes enthoben werden. Mundy erwartete, dass man
ihn zur Leitung berufe. Dies geschah nicht. Mundy musste auch, sich selbst prüfend,
einsehen, dass er mit seinen 72 Jahren, seinem Gesundheitszustände, auch seiner Leiden¬
schaftlichkeit zur Leitung eines solch grossen Werkes nicht mehr passe. Andererseits
sah er das grosse Werk, das er in jahrelangem Mühen und Ringen geschaffen, ins Wanken
gerathen. „In diesem schweren Seelenkampfe ist er gefallen," schreibt sein treuer Mit¬
kämpfer Graf Wilczek. Am 23. August besuchte Mundy noch einmal das Rettungshaus,
ohne hineinzugehen, musterte noch einmal die Musterbaracken an der Donau und —
machte dann auf einer Anhöhe bei der Sopbienbrücke mit einem Revolverschusse seinem
reichen Leben selbst ein Ende.
Mundy^ der sein ganzes Leben der Menschheit gewidmet, lebte allein ohne Familie.
Wäre eine liebende, verständnissvolle Gattin an seiner Seite durch das Leben gegangen,
dasselbe wäre für ihn persönlich gewiss auch schöner gewesen und hätte schwerlich
solchen Abschluss genommen. Die Mutter Mundy^s starb im Irrenhause. Ein schablonen¬
haftes, beschränktes Bureaukratenthum, Kränkungen, Undank, Zurücksetzung seitens eifer¬
süchtigen Neides haben sicherlich vieles dazu beigetragen, die volle Gesundheit von
Mundy^s Nervensystem und Gehirn zu untergraben. Wer dürfte unter solchen Umständen
diesen edlen Wohlthäter der Menschheit als einen Verbrecher behandeln? Ich traute
meinen Augen nicht, in der „Hyg. Korresp." folgende Sätze lesen zu müssen:
„Die Kirche verweigerte diesem Manne Sang und Klang I Die Einsegnung des
besten Bürgers Wien ging ohne Giockengeiäute und Orgelspiel vor sich! Keiner der
Wiener Gesangvereine fand sich zum Leichenbegängnisse ein! Selbst der Maltheserorden
fehlte, dessen Ruhm Mundy durch jahrzehntelange emsige Arbeit aufgefrischt hatte!"
Meine Verachtung solch herzloser Gesinnung, solchem Maltheserorden, solchen Ge¬
sangvereinen und solcher Geistlichkeit, die sich nach selbstgemachter, selbstgerechter
Satzung verschliesst dem echt religiösen Gedanken des Bibel Wortes: „Der Herr aber
siebet das Herz an."
Das Volk von Wien hingegen,*das sah das Herz an. Ehre ihm und unsere vollste
Sympathie! Ehre den wetterharten Sanitätsmännern, welche in der Leichenkammer mit
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Thränen in den Augen auf die entseelte HQlle desjenigen starrten, der ihnen Vorbild
und Leuchtstem gewesen. Ehre jenem alten, gebrechlichen Weib aus dem Volke, das
ein imscheinbares, kleines Blumensträusschen mit der Papierumhüllung aus einem alten
Schulheft und den darauf geschriebenen schlichten Worten: „Millionen Vergeltsgott er¬
warten dich dort oben^, einem der Theilnebmer am Leichenzuge in die Hand drückte,
mit der innigen Bitte, es dem Sarge mitzugeben. Ehre dem Rathe Hosting,
der es seinem Versprechen gemäss als letztes irdischen Zeichen in die Gruft warf, mit
den Worten: „Nimm sie hin, du treuer, bester Mann, diese Spende eines armen Weibes
aus dem Volke.^ Ehre dem dankbaren Volke, welches wohl fühlte, dass es einen un¬
ersetzlichen Verlust erlitten, welches Mundy liebte und verehrte, weil es wusste, dass es
im Reiche keinen einzigen mehr gab, der ihm an aufopfernder Hingabe, Pflichttreue und
Uneigennützigkeit gleichkam. Ein wogendes Menschenmeer, es umstand das Rettungshaus,
wo die Leiche aufgebahrt lag. Hunderte von Kränzen trug es bis zum letzten Augen¬
blick herbei. Ganz Wien nahm an der Trauerkundgebung theil. Kein Auge blieb
thränenleer, kein Haupt unentblösst, wo der lange Leichenzug vorbeikam. Graf Lamezan
nannte am Grabe treffend das Leben Mundy'^i eine fortgesetzte Reihe von Wohlthaten.“
— In einem Vortrag in der Gesellschaft für Geburtshilfe zu Leipzig am 18. Juni
1894 illustrirt T)r, Schiffer^ Assistent an Prof. Sänger'^s Frauenheilanstalt, die schädlichen
Folgen der „Iroekenea Asepsis** bei Laparetonlen. An 132 Patientinnen, bei denen
in der Sänger'^Bchen Klinik trockene Asepsis, Tupfer und Gazecompressen direct aus dem
Trocken-Sterilisirapparat in Anwendung kamen, wurde folgendes beobachtet:
Die trockenen Compressen verklebten oft mit den Darmschlingen; das Peritoneum
verlor seinen normalen Glanz und gewann selbst ein trockenes Aussehen. Vor allem aber
flel auf, dass es nach der Operation zu länger dauernden und ernsteren Störungen der
Darmperistaltik kam. 5 Patientinnen starben unter den Erscheinungen der inneren Ein¬
klemmung. Die Autopsie führte in allen Fällen das Hinderniss im Darm auf frische
AdhsBsionsbildungen zurück.
Auf die Mittheilung im Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte, Jahrgang XXIII
(1893), „Zur Aetiologie peritonealer Adhmsionen nach Laparotomien und deren Verhütung“
von Walthard^ wurde vom November 1893 an die feuchte Asepsis mit Kochsalzsoda¬
lösung sehe Lösung) eingeführt.
Nach Beobachtung von 76 Laparotomien vom November 1893 bis Juli 1894 be¬
stätigt Verfasser in vollem Umfange die in oben erwähnter Mittheilung hervorgehobenen
Vorzüge der feuchten Asepsis gegenüber der trockenen Asepsis. — Der Unterschied des
Verlaufes post operationem war seit Einführung der feuchten Asepsis gegenüber der frühe¬
ren Periode ein so frappanter, dass Verfasser schreibt:
„So ist denn unter dem Gebrauch der feuchten Asepsis die frühere stete und
immer mehr gesteigerte Sorge vor der gefürchteten Darmocclusion Angesichts der jetzt
immer glatten und glücklichen Verläufe einem Gefühl der Sicherheit gewichen, dass in
der Reihe der aseptischen Massnahmen nun kein Fehler mehr vorhanden sei. . . Es hat
sich die feuchte Asepsis nach Walihard-Tavel der trockenen derart überlegen gezeigt,
dass diejenigen, welche die letztere üben, sich wohl veranlasst sehen sollten, sich ihr
zuzu wenden.“
— Durch die Einführung der Sernmtherapie in die Praxis ist eine möglichst exacte
Diai^atse der Dipklkerie für die richtige Deutung der beobachteten Resultate dringend
nothwendig geworden. Dieselbe kann nur durch den bacteriologischen Nachweis des
Löffler^Bohen Bacills im diphtheritischen Belag mit Sicherheit gestellt werden. In vielen
Fällen kann durch die microscopische Untersuchung einer Membran die Diagnose mit ge¬
nügender Sicherheit gestalt we^en, in anderen ist aber das Cultorverfahren nicht zu
umgehen. Der practische Arzt ist aber gewöhnlich nicht im Stande, eine solche Unter¬
suchung selbst vorzunehmen. Es fehlen ihm dazu die Enirichtungen und meist auch die Zeit.
Um diesen Uebelständen abzuhelfen, hat die Sanitätsbehörde von New-York 40 Stationen
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eingerichtet, welche die practischen Aerzte mit den nothwendigsten Utensilien and Nähr¬
boden (Blntsernm) für die Züchtung der Diphthoriebacillen und einer Anweisung für die
Handhabung des Verfahrens versehen. Ein sterilisirtes Wattebäuschchen soll über die
erkrankten oder verdächtigen Rachonorgane hingeführt und dann auf die Serumröhrchen
aasgebreitet werden. Die letzteren werden dann täglich gesammelt und von der bacterio-
logischen Station des Health-Departement nach 248tündiger Aufbewahrung im Brüt¬
schrank untersucht. Am anderen Tage wird dem Arzte das Resultat der Prüfung schrift¬
lich mitgetheilt. — In Paris haben mehrere grosse Apotheken Laboratorien för diese
Untersuchungen eingerichtet, was wohl ohne grosse Schwierigkeiten in kleineren Städten
Nachahmung finden dürfte.
Für die microscopische Untersuchung der Membranen giebt Martin^ ein Mitarbeiter
von Roux^ folgende Vorschriften: Die diphtheritische Membran wird mit zwei Pincetten
gefasst und zunächst auf Fliesspapier etwas abgewischt. Ein Theil der Membran wird
dann sorgföltig auf ein Deckgläschen ausgebreitet, an der Luft getrocknet und dreimal
durch die Flamme gezogen. Das so fixirte Präparat kann nun nach Gram oder mit
der i2öMa?-Zfö/f7cr’8chen Flüssigkeit gefärbt werden. Zur Herstellung der letzteren bereitet
man sich zwei Lösungen: Die erste A besteht aus Gentianaviolett 1,0, Alkohol (zu 90^)
10,0; die Lösung B aus Methylgrün 1,0, Alkohol 10,0, dest. Wasser 90,0. Zur Färbung
mischt man '/s der Lösung A mit der Lösung B. Zwei bis drei Tropfen der Farbe
werden auf das Deckgläscben aufgetragen und nach einer Minute mit Wasser weggespült.
Durch diese Tinctionsmethode wird der Löffler'ache Bacillus rascher und intensiver ge¬
färbt als andere Microorganismen. Der Diphtheriebacillus hat mit dem Tuberkelbacillus
eine gewisse Aehnlichkeit; er ist jedoch dicker und an den Enden etwas aufgetrieben.
Er ist entweder so angeordnet, dass zwei Bacillen einen stumpfen Winkel bilden, oder
dass drei nebeneinander parallel gestellt sind. Meist sind die Bacillen in dichten Gruppen
angehäuft, in welchen beide Anordnungen nebeneinander getroffen werden. Die micro-
scopiscbe Untersuchung zeigt ferner, ob neben dem Diphtheriebacillus noch andere Micro¬
organismen vorhanden sind; zur genauen Diagnose der Mischinfection ist aber das Cultur-
verfahren nicht zu umgehen. (Med. mod. No. 81.)
— Das ExtraetiUB Boldom GossypH herbaeel ist nach Narhewüsch ein zuver¬
lässiges und ungefährliches Hämostaticum, von dessen Wirksamkeit er sich in zahlreichen
Fällen von Metrorrhagie, Hämoptoe, Epistaxis u. s. w. hat überzeugen können. Das
Medicament wird in Dosen von 20—30 (!) Tropfen drei- bis viermal täglich während
vier, fünf bis höchstens zehn Tagen gegeben. Die Wirkung tritt gewöhnlich nach einem
oder zwei Tagen ein. Störungen, namentlich von Seiten des Darmkanals, wurden nie
beobachtet. Zweckmässig ist auch die Anwendung des frischen Infuses (15:180). Davon
giebt man halbstündlich oder stündlich 1 Esslöffel. Die Wirkung ist eine noch sicherere
als die des Extractes. In den Fällen, in welchen die Darreichung per os wegen Nausea
und Brechen unmöglich ist, kann die Application per Rectum empfohlen werden.
(Möd. mod. No. 77.)
— Abortive Behandlonijf der Coryza. I. Acid. carbol. pur. 4,5; Spirit, vini
rectificatiss. 1,5; Ammon, hydric. solut. 4,5; Aq. dest. 10,0. Ein kleiner ^hwamm wird
mit der Flüssigkeit getränkt, in eine Papierdüte gesteckt und die Dämpfe durch die Nase
aspirirt.
II. Ichthyol 0,5; Aether, Alkohol ää 50,0. Im Beginn der Affection lässt man eine
kleine Menge der Flüssigkeit durch die Nase inhaliren. Die Inhalation soll nur einmal
geschehen. ( Unna.)
in. Acid. boric. 15,0; Salol. 5,0; Menthol. 0,2; Cocain, hydrochlor. 0,5; F. pulv.
subtil. Schnupfpulver. (Presse medic., 15. IX.)
— Zum Nachweis des Peptons im Harn {Salkoioski). 50 ccm des zu untersuchenden
Harns werden im Becherglas mit 5 ccm Salzsäure angesäuert, mit Phosphorwolframsäure
gefällt und erwärmt. Sobald der Niederschlag sich zu einer am Boden des Glases haf-
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tenden harzigen Masse zusammengezogen hat, giesst man die überstehende, fast klare
Flüssigkeit ab, spült die harzige, bröckelig werdende Masse zweimal mit destillirtem
Wasser ab, übergiesst dann den Niederschlag wieder mit etwa 8 ccm Wasser und fügt
0,5 ccm Natronlauge (von 1,16 spec. Gewicht) hinzu; der Niederschlag löst sich leicht
auf. Die entstandene tiefblaue Lösung wird nun erwärmt; sobald sie schmutzig graugelb
geworden ist, lässt man sie erkalten und setzt unter Umschütteln tropfenweise 1—2^/o
Kupfersulfatlösung hinzu; bei Gegenwart von Pepton färbt sich die Flüssigkeit lebhaft
roth (die Färbung wird deutlicher durch Filtriren der Flüssigkeit).
Der ganze Versuch nimmt nicht mehr als 5 Minuten in Anspruch. Mucin oder
Nucleoalbumin sind bei der geringen Menge des nothwendigen Harnquantums in den
wenigsten Fällen störend. Stark mucin- oder eiweisshaltige Harne müssten natürlich vor
der Fällung in der üblichen Weise bearbeitet werden.
An Feinheit steht dieses Verfahren dem Hofmeister'%Q\iexi wenig nach. Bei einem
Gehalt des Harns von 0,2 Pepton im Liter fallt die Reaction immer stark, bei 0,15 noch
deutlich aus. (Pharmac. Centralhalle, Nr. 42.)
— Chinesisches Sprichwort« Der Apotheker, der die Medicamente verkauft, muss
zwei Augen haben, der Arzt, der dieselben verschreibt, muss ein Auge haben, und der
Patient, der sie schluckt, muss blind sein.
— Behandlnnfr der HImorrhoTden nach C. Beck (New-York). Das Rectum wird
durch Clystiere gründlich entleert und durch wiederholte Irrigationen mit einer Salicyl-
lösung desinficirt. Dann wird ein Suppositorium mit 0,12 Cocain, hydrocblor. und 0,01
bis 0,02 Morphium eingeführt. Nach einer Viertelstunde werden auf jeder Seite des
Hämorrhoidalknoten einige Tropfen einer saturirten Jodoform-Aetherlösung eingespritzt.
Endlich wird ein Suppositorium mit 0,12 Acid. salicyl. applicirt und dem Patienten
Opium und Bismuth q. s. zur Ruhigstellung des Darmes während zwei bis drei Tagen
gegeben. Nach dieser Zeit wird Ricinusöl und ein Clystier von 60,0 Olivenöl verordnet.
Durch die Jodoform-Aether-Injectionen wird eine entzündliche Reaction hervorgerufen,
mit Bildung von Narbengewebe und nachträglicher Obliteration der ectatischen venösen
Gefässe. (Sem. med. No. 57.)
— Gestdrhen: In Wien am 20. October der soeben noch zum Vorstande der
dortigen I. Universitätsaugenklinik ernannte vorzügliche Ophthalmologe Ludwig Maiähner^
54 Jahre alt, an Herzschlag.
Der Schweiz. HedlcInalkaleDder pre 1895
wird nächstens verschickt werden. Derselbe enthält ansser den altbekannten, dem Practiker unent¬
behrlichen Abschnitten, (worunter die nach der neuen Pharmacopoe vorzüglich und gewissenhaft
durchgearbeitete, alles Wissenswerthe auf engen Raum condensirende Uebersicht der
Arzneimittel von Dr. Lan, Bernoulli) n. A. folgende neuen Capitel: Semiotik der Rückenmarks¬
erkrankungen von Docent Dr. Armin Huber^ Zürich: Methoden zur Entlarvung der Simulation der
Schwerhörigkeit von Prof. Dr. Siebenmann, Basel.
BrierkaAten«
Die Schweiz. Herren Collegen werden hiemit dringend ersucht, den von Herrn
Prof. Dr. Seddi in Bern verschickten Fragebogen über Perityphlitis ja doch und in Bälde
zu beantworten und dadurch Jeder sein Theil zur Erkenntniss des Wesens dieser wichtigen und bei
zielbewusster Behandlung in weitaus den meisten Fällen heilbaren Krankheit beizutragen.
Alles, was die Redactlon des Correspondenz-Blattes angeht (Original-Arbeiten, Referate, Vereinspro-
tokoile, Correspondenzen, Reciamationen, Wünsche etc.) sind zu adressiren an: Dr. Elia^s Haffter in
Frauenfeid; Abonnementsbestellungen, Inserate, Adressenänderungen etc. aber an den Verleger, Herrn Benno
Schwabe In Basel.
Schweighauserische Buchdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
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firecheint am 1. und 15.
jedes Monats.
Inserate
35 Cts. die gesp. Petitzeile.
rar
Schweizer Aerzte
Herausgegeben von
Preis des Jahrgangs
Pr. 12. — fdr die Schweiz,
Fr. 14.50 für das Ansland.
* Alle Postbnreanx nehmen
Bestellungen entgegen.
I>r*. lEm HAfftei* und Dr* A.* JAquet
in Franenfeld. in Basel.
N! 23. XXIV. Jahrg. 1894. 1. December.
lahaltt 1) Orlfinalarb«iten: Dr. Conrad Brunmr: Gooehonwirknng deo sehweis. Ordonnansgewehres Kodell 1889.—
Dr. M. f. Arxi Zar Contogiooit&tsfrmge der Variola. — Müüer: lieber CocainfiUratiOBB-Annstbeeie. — 2) Vereineberiehie:
Oeeellaehaft der Aerate dee CantoDO Zfirleh. (Sohlase.) — Medieinleehe Oeeelladiafk der Stadt BaaeL — 8) Referate oad
Kritiken: Dr. Emil Für: Aetiologieehe und kliniaehe Beitrige inr Diphtherie. — 8, Keaer: Contribntion A TStode kiato-
logiqoe de repitheUome paTimentenx. — R, Tkoma: Lehrbneh der patbologisehen Anatomie. — B. S. Bargh: Vorleeongen über
di« Zelle and die einfachen Oewehe dee thieriachen Körpers. — 4) Woebenberieht: „Die Taberonloae ist anat^kend.*
— Schweis. Aersteschematiamna. — Balneolog. climatolog. Conpeaa. — Sehilddrttaenfllttening. — Chloralhydrat. — Cannabis
indica. — Tannigen. — Einige seltene Ursachen der Bleivergiltang. — 8 FAlle Ton plötslichem Tod anf dem Velodped. —
6) Briefkasten. 6) Bib lieg raphiachea.
OfigrinAl -Arbeiten.
Zur Geschosswirkung des schweizerischen Ordonnanzgewehres Modell 1889.
Von Dr. Conrad Brunner in ZOrich.')
Hierzu 1 Tafel Abbildungen.
Das kleincalibrige Geschoss unseres neuen Ordonnanzgewehres unterscheidet sich
bekanntlich von den Gewehrprojectilen aller andern Staaten dadurch, dass der Hart¬
bleikern desselben nicht in seiner ganzen Länge von einem Mantel umhfillt ist,
sondern dass nur die Geschossspitze mit einer Stahlkappe versehen ist.‘) Tech¬
nische Grfinde haben Oberst B u b i n bewogen, dem Frojectil eine derartige partielle
Panzerung zu geben. Es soll damit der Vortheil verbunden sein, dass die Reibung
des Geschosses im Laufe vermindert wird, wodurch die Anfangsgeschwindigkeit sich
steigert. Ferner soll dadurch die Abnutzung des Laufes eine geringere sein, als bei
den mit Kupfer, Nickel, oder Stahl vollständig eingehällten Bleigeschossen. Diese
Gründe auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen, liegt nicht in meiner Gompetenz. Wer
sich für diese Fragen specieller interessirt, den verweise ich auf die fachtechnischen
Abhandlungen, insbesondere anf die Polemik , welche Oberst Hehler in dem
*) AnazugsweiBe vorgetragea am Bapporte der Sanitätsoffiziere der Vl. Division am 30. Oct.
1894 in Z fi r i 0 h.
*) Vergl. Anleitung znr Eenntniss der Mnnition aller Oeschttti^attnngen nnd HandfeoerwaSen
der schweizer. Armee, von Art.-Oberstlieutenant R n b i n, pag. 93: .Das cylindrisch-ogivale Geschoss
ans Hartblei, Legimng von 99 Theilen Blei nnd 1 Theil Antimon hat an der Bodenfläohe eine kleine
ExpansionshöhlnnK. Die Spitze ist mit einer nickelknpferpiattirten Stahlkappe geranzert, behnfs
grösserer Dnrcbschlagskraft des Geschosses auf barte Körper. Znm Verbindern des Verbleiens der
Gewebrlänfe ist das Geschoss, soweit die Stahlkappe dessen Oberfläche nicht bedeckt, mit Papier
amwickelt. Das Geschoss hat ein Gewicht von 13,7 gr nnd ist so in die Hfilse eingepresst, dass
dasselbe mit einem Druck von 35 kg heransgezogen werden kann.“
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jängst erschienenen Anhang zu seinem bekannten Werke ,Das kleinste Galiber*“) gegen
diese erwähnten Vortheile erbebt.
Von grösster Wichtigkeit ist dagegen für den Militärarzt und Eriegschirurgen
die Frage: Wie steht es mit der Deformirbarkeit dieses Eappen-Projectils? Unter¬
scheidet sich dasselbe in dieser Beziehung wesentlich von den Mantelgeschossen?
Werden durch dasselbe am Lebenden Verwundungen erzengt, welche von den durch
Mantelgeschosse verursachten sich unterscheiden?
Eine exacte Antwort auf die beiden ersten Fragen muss aus planmässig ansge¬
führten Schiessversuchen auf verschiedenartige Widerstände sich ergeben. — Es sind
nun wohl in der Schweiz derartige Versuche mit kleincalibrigen Gewehren sehr früh¬
zeitig und in umfassendem Masse von Beverdin, Bircher*) und Bovet*) angestellt
worden; doch gelangten dabei noch nicht die Eappengeschosse zur Verwendung, sondern
Projectile mit Eupfer- und Stahlmantel. In letzter Zeit sind, so viel ich in Erfahrung
bringen konnte, von Kocher und Bircher die Versuche auch mit dem jetzigen Geschosse
aufgenommen worden; es liegt mir jedoch darüber noch kein ausführlicher Bericht vor.
Aus dem Referate eines Vortrages, den Bircher im Offiziersverein zu Aarau kürzlich
gehalten,^) entnehme ich den Passus: «Weiterhin aber zeigte sich die Deformirnng
unseres Geschosses, welches mit Stahlmantel nur an der Spitze versehen ist, in 507o
der Enochenschüsse.“
Die Wirkung der Mantel gescbosse ist in den uns umgebenden Gross- nnd
Eieinstaaten von den Militärärzten in jeder Richtung auf das genaueste studirt worden,
und zwar nicht nur durch Schiessversuche auf todte Eörper, sondern auch an einer
grossen Zahl von Schussverletzungen am Lebenden. Aus den Ergebnissen dieser Stu¬
dien stelle ich im Folgenden das zusammen, was sich auf die Deformirung
der Geschosse bezieht, da ich diesem Punkte hier mein
Hauptaugenmerk znwende. Ich halte mich dabei speciell an die Arbeiten von
Bircher,^) Bovet,*) Bruns,') Habart,Bogdanik,^) von Coler-Schgeming.^'^)
Bircher hat vergleichsweise Beobachtungen gemacht über die Deformirbarkeit
des Vetterli-Hartbleiprojectils, des Rubin’schen Enpfermantelprojectils mit eingegossenem
oder eingepresstem Hartbleikern, sowie des Hebler’schen resp. Lorenz’schen Compound¬
geschosses, bei welchem ein Weichbleikern mit einem Mantel aus Stahl verlöthet ist.
Was die wichtige und sehr lebhaft ventilirte Frage betrifft, sagt Bircher, ob der
Eupfermantel oder Stablmantel vorzuziehen sei, so steht vorerst fest, dass das Stabl-
mantelcompoundgeschoss geringere Deformirung zeigt als das Eupfermantelgeschoss
nnd in Folge dessen grössere Percussionskraft beibebält. Gchutzwehren, bestehend aus
Bäumen, Verhauen, Erdwällen etc. werden vom Compoundgeschoss daher besser dnrch-
’) Das kleinste Caliber oder das zukänttize Infanterieirewehr. Anhang I. Zürich, Alb. Müller’s
Verlag, 1894.
’) Handbuch der Krienheilknnde 1888.
*) Correspondenzblatt i. Sch weiser-Aerzte 1887, pag. 746.
*) Allgemeine Schweiz. Militärzeitnng 1894, Nr. 31.
®) 1. c.
•) 1. c.
') Die Geschosswirkung der neuen Kleincalibergewehre. Tübingen 1894.
•) Die Geschosswirkung der 8 mm Handfeuerwaffen 1892. Wien.
*) Die Geschosswirkung des Mannlicher-Gewehrs. Wiener Klinik 1890.
'*’) Vortrag am internationalen Congress in Rom. Ref. Schweiz, milit. Blätter 1894, Nr. 7.
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drangen. Allein im menschlichen EOrper, dem bestimmten Zielobjecte des Projectiles
zeigt sich keine namhafte Differenz in der Wirkung. Das Lorenz'sche Compound¬
geschoss mit verlotbetem Stahlmantel gibt allerdings die vollste und beste Sicherheit
gegen die Nachtheile der Deformirung.
Bovet verglich mit der Wirkung des Bubin’schen Eupfermantelgeschosses nicht
das Stablmantelcompoundgeschoss, sondern das nach Roth’schem System angefertigte
Projectil, bei welchem der Stablmantel mit dem Hartbleikern nicht verlbthet, sondern
durch Dmbdrdeln des untern Mantelrandes befestigt ist. Das Heblergeschoss zeigt
nach B. ein ungeheures Widerstandsvermbgen. Da wo das Vetterli-Hartblei- und das
Bubin-Enpfermantelgeschoss gestaucht, ja zerrissen oder zerhackt anfgefnnden werden,
ist das Hebler-Stahlmantelprojectil fast intact geblieben und mit ganzem Mantel. Die
Festigkeit des allerdings an dem Schnitte weichen, aber doch zähen Stahlmantels ist
genfigend, um in allen Fällen den festesten Geweben des menscblicben Ebrpers Wider¬
stand leisten zu können. Der Zusammenhang zwischen Eern und Mantel ist genügend,
so dass sich diese nicht verlassen. Das Lorenz’sche Verfahren (Verlöthen und Ver¬
schmelzen von Eern und Mantel) ist zur Erreichung dieses Zusammenhanges nicht
nöthig, das Roth’sche System entspricht dem Zwecke.
Die Ueberlegenheit des Stahl mantelgescbosses über das Nickel mantel-
geschoss in Bezug auf Widerstandskraft wird von Brum^) hervorgehoben. Bei Nah¬
schüssen, die den härtesten Prüfstein für die Widerstandsfähigkeit der Geschosse dar¬
bieten, zeigten die ersteren entschieden grössere Resistenz. Bei Schüssen durch Weich-
theile, durch platte Enochen und die Epiphysen der langen Röhrenknochen blieben sie
ganz unverändert. Ueberdies hielten sie aber auch bei einzelnen Diaphysenschüssen
Stand; bei den andern traten starke Stauchungen, theils mit Verbiegung, theils mit
Zerreissung des vorderen Theiles des Mantels ein. Ein vollständiges Abstreifen des
Mantels vom Bleikern wurde nie beobachtet.
Die d4taillirtesten Beobachtungen über die Deformirbarkeit der von kleincalibrigen
Gewehren geschleuderten Stahl mantelgeschosse verdanken wir der Autorität Häbart'a.^)
Basirend auf seine Scbiessversncbe am Pferde berichtigt er die Behauptung anderer
Experimentatoren, es finde nur bei Nahschüssen eine Deformirung statt, dahin, dass
bei Schüssen gegen grosse Enochen w i derstände eine Stau¬
chung des Geschosses in allen S c b ussdistanzen erfolgen
und dasselbe allerlei Formen von Spaltung und Zerreis¬
sung erfahren könne. Auf Einzelheiten seiner Darstellung kann ich nicht
eingehen, sondern^muss auf die citirten erschöpfenden Originalarbeiten des verdienten
Forschers verweisen.
Die Berichte Bogcktmk's^) sind dadurch ausgezeichnet, dass sie die furchtbare
Wirkung deformirter Stahlmantelgeschosse (System Mannlicher) am
lebenden Menschen demonstriren. Am 23. April 1890, sagt .B., sah sich zu
Biala das Militär genöthigt zur Beruhigung (!) Excedirender mehrere Salven abzu-
') 1. c. pag. 44.
*) Die Geschosswirkung etc. 1. c. pag. 100. Ferner: Das Eleincaliber und die Behandlung
der Schusswunden im Felde. Wien 1894, pag. 29 und 31.
•) 1. c. pag. 329 u. ff.
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geben. Da zwischen Mauern geschossen wurde, prallten die Geschosse vom Pflaster,
von Mauern, eisernen Tbären etc. ab, deformirten sich in verschiedenster Weise und
erzeugten in dieser Form zum Theil furchtbare Verletzungen. In einem Fall z. B.
haben 2 verhSltnissmässig kleine Bleistückchen den Augapfel herausgerissen, die Knochen
der Augenhöhle zerschmettert, die Qehirnsubstanz zerquetscht, so dass sie aus der
Augenhöhle hervorquoll. Dann bildeten die Geschossstücke im Gehirn blind endigende
SchusscanOie.
Nach dem Vortrage von Oberstabsaret Dr. Schjeming ‘) am internationalen
Gongresse in Rom wurde eine Gestaltsveränderung der Mantelgeschosse in 4,5 von 100
aller Treffer, bei Berechnung der Knochen scbüsse in 14 vom Hundert der Treffer
beobachtet (bei unserm Geschoss nach Bircher 50 7o0i dieselbe von
der einfachen Abplattung der Spitze des Mantels bis zur Stauchung, ja bis zu völliger
Zerstörung und Zersplitterung des Geschosses nebst Mantel, was noch bis auf
1200 Meter vorkam. Erst von 1600 Meter ab horten die grossen Veränderungen
des Geschosses auf. Bei Weicbtbeilschüssen kommt nie eine Veränderung des Geschosses
zu Stande. Beim Auftreffen auf die grossen Bohrenknochen und deren härteste Stellen
entstanden die schwersten Veränderungen.
Während, wie gesagt, in andern Staaten bereits ein umfangreiches Beobachtnngs-
material auch über die Wirkung der kleincalibrigen Mantelgeschosse am lebenden
Menschen gesammelt worden ist, sind wir in der Schweiz bisher nicht in der Lage
gewesen, uns mit derartigen Friedenserfahrnngen für den Krieg wappnen zu können.
Es erheischt aber gerade die Sonderstellung unseres Frojectils ein besonderes Studium
seiner Wirkung vor Allem am lebenden KOrper; es decken sich, wie Habart her*
vorhebt,7 die Ergebnisse der Schiessversnche auf Leichen keineswegs in allen Punkten
mit der am Lebenden beobachteten Wirkung. Die Schiessversnche an Gadavern führen,
wie er sagt, zu mannigfachen Trugschlüssen, denn sie berücksichtigen nicht den Grad
der Elasticität, der Tnrgescenz oder Schlaffheit der einzelnen Organe. Damit soll nun
nicht etwa gesagt sein, dass ich die Seltenheit dieses Beobachtnngsmateriales hier zu
Lande bedaure! Selbstmorde und Unglücksfälle bei Scbiessübnngen sind zum Glücke
in unserer Milizarmee nicht hänfige Vorkommnisse. Absichtliche Selbstverstümmelungen
durch Gewehrschüsse kommen bei uns nicht vor. Es hat mich sehr traurig ange*
muthet, in der Abhandlung von Victor Wagner*) lesen zu müssen, dass in der Garnison
zu Przemysl in Galizien in den Jahren 1889—1891 9 Selbstmorde (!) von Soldaten
mit dem Mannlicher -Gewehre ausgeführt wurden.
Die einzige Schussverletzung am Lebenden, die bis jetzt bei uns beschrieben
worden ist, wurde zu Anfang dieses Jahres von Dr. Frite Brunner in diesem Blatte*)
publicirt. Es handelte sich bei diesem Falle um einen auf 20 m abgegebenen Nah¬
schuss, bei welchem das Geschoss den KOrper des Getroffenen in der Supraclavicular-
gegend durchschlug. Die Beobachtung, dass hier eine auffallend grosse, nicht einge¬
rissene AusscbussOffnung zu constatiren war, bringt Br. auf die Vermuthung, dass
>) I. c.
*) Das Eleincaliber etc., pa^. 16.
*) Beiträge zur Eenntniss der GeschosswirknDg des kleincalibrigeii Gewehres. Elinische Zeit-
and Streitfragen 1892, 8. and 9. Heft.
*) Nr. 7, pag. 214.
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bereits im Körper eine Deformirung des Geschosses (welches nicht aufgefunden wurde),
eine Stauchung vielleicht am Knochen des Schulterblattes stattgefunden habe. Er
deutet auf die grössere Deformirbarkeit unseres Kappenprojectils gegenüber dem voll¬
ständig gepanzerten Mantelgeschosse hin, indem er sagt, dass sich ein Mantelgeschoss
wohl anders verhalten hätte.
Als instructive Illustration zur Wirkung unseres neuen Gewehres überhaupt, als
Illustration speciell zu der durch die eigenartige Gonstruction bedingten Deformirbarkeit
unseres Geschosses, beschreibe ich zunächst folgende Beobachtung, die ich selbst zu
machen Gelegenheit hatte.
1) Am 2. Juli 1894 schrieb mir Herr Polizeiinspector Sulz er in Zürich, dass
in einem Hause der St.-strasse der 27jährige Ausläufer J. Sch., Oorporal der Infanterie,
durch einen Schuss mit dem Ordonnanzgewehre sich das Leben genommen habe, und lud
mich ein, die Section zu machen. Ich nahm diese zusammen mit Herrn Stadtarzt Dr.
Leuch im Leichenhause des Fraumünsteramtes vor.
Sectionsprotocoll. Sehr kräftige Leiche von ausgesprochener Todtenstarre.
Die von Blut durch tränkte Weste ist in der auf der Herzgegend gelegenen Partie in
grosser Ausdehnung zerrissen. Ein Längsriss geht von oben nach unten und misst 10 cm.
Das Tuch zeigt an den Rissrändem Zeichen von Verbrennung. Das Futter der Weste
bietet in derselben Gegend einen rundlichen Defect von 2 cm Durchmesser. Am Hemde
unter dem Defect der Weste ein 4zackiger Riss. Die Zacken gehn von einem Loche aus,
welches 3 mm im Durchmesser hat. Die Ränder der Oeffnung sind nach innen ge¬
schlagen und stark ausgefranst.
Die Haut der Herzgegend bietet an einer in der queren Mammillarlinie liegenden,
5 cm nach aussen links von der Mittellinie gelegenen Stelle eine Einschussöffnung dar,
welche mit Blutkrusten ausgefüllt ist. Der Defect ist rund und misst 4 mm im Durch¬
messer. Die Ränder der kleinen Wunde sind eingekrämpt und geschwärzt. Nachdem die
Haut von ihrer Unterlage sorgfältig abgetrennt worden, präsentirt sich der Eingang zu
dem, den m. pectoralis major durchsetzenden Schnsscaual. Die Mnskelwunde
hat stark zerrissene Ränder und eine rundlich-ovale Form; ihr grösster Durchmesser misst
2 cm. Die Muskelsubstanz der Umgebung ist von Blut stark suffundirt. Weiter setzt
sich der Schusscanal in den Intercostalraum zwischen 3. und 4. Rippe fort und stellt hier
in dem gespannten Muskel einen dreieckähnlichen Schlitz dar. Die Rippen¬
knorpel sind intaot. Nach Entfernung des Brustbeines kommt der Einschuss am
Herzbeutel zum Vorschein, ebenso zeigt sich der den Herzbeutel überragende
linke Lungenrand durschschossen. Der Einschuss im Lungengewebe ist rund
von 8 mm Durchmesser; gegen den Ausschuss hin erweitert sich der Canal trichtenörmig
bis zu einem Durchmesser von 3 cm. Die Pleura pulmonalis ist um die Ein¬
schussöffnung herum klaffend zerrissen, retrahirt. Die Einschussöffnung am Pericard,
d. h. die Perforation der vorderen Herzbeutel wand misst 4 mm im Durchmesser. Ln
Herzbeutel sind 100 ccm geronnenen Blutes enthalten.
Auf dem in situ gelassenen Herzen präsentirt sich der Einschuss dicht
unter dem Ansätze der Art. pulmonalis in dem Winkel, welcher von dem Ansätze
des Gefassrohres und dem Sulcus der Coronargefasse gebildet wird. Die Oeffiiung ist
oval, mit dem Längsdurohmesser senkrecht gestellt; die grösste Länge misst 1,3 cm, der
Querdurohmesser beträgt 5 mm. Der Ausschuss liegt in der Wand des L Yor-
h o f s Vs cm höher als der Einschuss; er ist von rundlicher Form, hat 6 mm
Durchmesser und scharfe Ränder. Der schräg von vom unten nach hinten oben führende
Schusscanal nimmt innerhalb des Herzens folgenden Weg: Er durchkreuzt den linken
V0rh 0 f, eröffnet die Wand des rechten Ventrikels da wo die art. pul¬
monalis aus letzterem hervorkommt. Die Mitralklappe lässt er unversehrt.
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durchsetzt aber deu Aortenbogen derart, dass an der Stelle, wo das Qefassrohr aus
dem Yentrikel hervorgeht und die Aortenklappe sich befindet, 2 Schussoffnungen entstanden
sind, zwischen welchen eine Brücke geblieben ist. Die Oeffnung in der Wand der Aorta
klafft weit; dieAdventitia hat sich dabei am meisten zurückgezogen. Eine Tasche
der Klappe ist zerfetzt. Vom Schusscanal aus gehen keine Risse in die Herzmusculatur
hinein.
Die Perforation der hintern Herzbeutelwand stellt einen 6 mm grossen
runden Defect dar.
Von hier aus zieht sich der Schusscanal, Aorta ‘ und Oesophagus intact lassend,
schräg durch die rechte Lunge hindurch, da wo diese mit ihrem unteren Lappen
der Wirbelsäule sich anlegt. Der Canal im Lungengewebe ist nicht geschlossen, sondern
bildet eine 5 cm lange Rinne, gleichzeitig ist die Wirbelsäule rin-
nenfdrmig angeschossen. Die Ränder der schräg rechts von der Mittellinie
verlaufenden Rinne sind aufgeworfen; es sind viele kleine Knochenpartikelohen daran
abgerissen.
Von der Wirbelsäule weg zieht sich der Canal schräg nach aussen rechts in die
hintere Thoraxwand und trifft hier die 8. Rippe; letztere ist in einer Länge von 6 cm
in eine Menge von Splittern zerschmettert. Zahlreiche Splitterchen sind ins Lungengewebe
eingesprengt, andere liegen frei im Pleuraraum. Keine Bleistückchen, keine Spuren von
Geschossbestandtheilen! Der Defect in der Pleura und der zerschmetterten Rippe bildet
eine 3—4 cm breite Furche; diese mündet in die Ausschussöffnung der Thorax¬
wand, welche 5 Vs cm nach rechts von der Mittellinie sich befindet, in der Höhe des
8. Brustwirbels liegt und bei rundlich-ovaler Form einen Durchmesser von iVs cm zeigt.
Die Ränder der Oeffnung sind unregelmässig, im Ganzen aber ziemlich scharf, nicht ein¬
gerissen und nicht auswärts gekrämpt.
Aus diesem Sectionsprotocoll, das ich im weiteren einer eingehenden Epikrise
unterwerfe, ziehe ich zunächst nur die eine Folgerung, dass nur 1 Projectil
den Körper des Selbstmörders durchschlagen hat. Es ist
nur 1 Schusscanal, nur 1 Einschuss- und 1 Ausschuss-
Öffnung vorhanden.
Nun war aber bei der Polizei der Rapport eingegangen, dass in dem, an das
Gemach des Selbstmörders anstossenden Zimmer durch die Wand hindurch eine
Frau getroffen worden sei, und dass diese 2 Schussöff¬
nungen darbiete; dieselbe war mit einem von Dr. E. Schwarz angelegten Noth-
verband ins Cantonsspital transportirt worden.
Ich nahm nun, begleitet von den Herren Polizeiinspector S u 1 z e r, Dr. Bär
und Polizeicommissär Germann am Thatorte einen genauen Augenschein vor, und
Hess mir gleichzeitig von den Polizeisoldaten, die unmittelbar nach dem Unglück gerufen
worden waren, einen ausführlichen Bericht darüber erstatten, in welcher Lage sie
den Erschossenen gefunden haben. Ihre Angaben lauteten:
Der Selbstmörder lag auf dem Rücken mit dem Kopfe gegen die an das Zimmer
der Frau anstossenden Wand. Das Ordonnanzgewehr lag zur Seite mit dem Kolben
zwischen den Füssen. Die Leiche war mit Schuhen, Hosen, Hemd und Weste bekleidet.
Am linken Schuh war die Schlinge einer Schnur befestigt,
deren Ende an den Drücker des Gewehres gebunden war. —
Im Patronenlager des Gewehres lag eine leere Patronenhülse. Auf einem Tische des
Zimmers befand sich eröffnet die Blechbüchse mit der eidgenössi¬
schen Nothmunition, die dem als Corporal dienenden Selbstmörder gehörte.
Es enthalten diese Büchsen 2 Päckchen zu je 12 Patronen, und 1 Lader mit 6 Patronen.
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Die beiden Paquete waren uneröffnet, im Lader aber fehlte 1 Patrone. Diese war allein
zum Schüsse verwendet worden, ihre Hülse fand sich, wie gesagt, im Gewehre. Das
Magazin war leer and geschlossen.
Damit war der weitere Beweis fär die Thatsache geliefert, dass nur 1 Schuss
abgefeuert worden war. Es war auch von den Bewohnern des Hauses und insbesondere
von der getroffenen Frau nur ein Knall vernommen worden.
An der Stelle, wo der Rücken des Selbstmörders mit der stark blutenden Aus«
schnssOffnung dem Zimmerboden auflag, war der letztere von einer Blutlache bedeckt.
Diese Stelle war von der Wand, welche die in Frage kommenden Zimmer trennte, 2
Meter entfernt. Der Selbstmörder hat, sein Gewehr als Einlader benutzend, den Schass
zweifellos in auf dem Boden sitzender Stellung abgefeuert, die Schnur als Abzugsvor-
richtung benutzend. (Ich habe, um den Vorgang und die Sachlage zu veranschaulichen,
die beistebende Skizze angefertigt.‘) (Fig. 1.)
An der Zwischenwand der beiden Zimmer waren nun
aber 1 Meter fibet dem Boden 2 perforirende Scbusscanäle
vorhanden (aai und bbi). Gestalt und Lage der Einschuss- und AusschussOffnun«
gen sind in nebenstehender Skizze dargestellt. Die Wand ist eine Riegelwand mit
beidseitigem Gypsäberwurf; ihre Dicke beträgt 9 cm. Der üeberwurf ist auf quer
und schräg gelegten Holzlatten aufgetragen. Die Einschussöffnungen a und
b sind, wie aus der Zeichnung zu ersehen ist, in GrOsse und Form verschieden. Die
tiefer gelegene (a) bat einen grössten Durchmesser von 2 cm. Schräg nach oben,
10,5 cm von dieser entfernt, liegt die zweite (b) mit einem queren Durchmesser von
18 mm und einem HOhendurchmesser von 11 mm. Die Ränder beider Oeffnungen
sind scharf.
Wir treten in das Zimmer der verletzten Frau. Bier ist
der Fassboden, wo er an die Wand grenzt mit einer Masse von durch die Erscbfitterung
abgebrOckeltem Gypse bedeckt. Die Wand selbst ist auf dieser Seite durch einen
senkrechten, 3 cm dicken Holzleisten verstärkt. (In der Zeichnung quer schraffiert.)
An in die Wand eingescblagenen Nägeln hangen Kleider in vielen Lagen und Falten
übereinander. Diese Kleidungsstücke zeigen eine grosse An¬
zahl verschieden geformter strahliger Risse; darunter sind
deutlich grossere von kleineren zu unterscheiden.
Unter den Kleidern versteckt kommen an der Wand die Ausschuss-
Öffnungen (ai und bl) zum Vorschein. Dieselben entsprechen in Bezug auf Lage
und Abstand den EinschnsslOcbern. Der hoher gelegene Schusscanal (bbi) gebt
zwischen 2 Holzlatten hindurch, die obere streifend, ^en Rand des Holzes absplitternd.
Der hier anfliegende Gypsüberwurf ward in weiter Ausdehnung abgeworfen, so dass
ein Hof von der in der Zeichnung entworfenen Form und GrOsse entstand. Der 2.
Canal (aai) geht durch eine quere Holzlatte hindurch und durchbohrt zudem den be-
zeichneten senkrechten Strebebalken. In diesem letztem ist der Canal rund, beim Aus¬
tritt nur ist er durch Absplitterung von Holzfasern und Spähnen stark erweitert und
fast viereckig; auch hier ist ringsum der Gypsüberwurf abgesprengt.
‘) Die Zeichnung ist schematisch. Die Ranmverhältnisse machten es nöthig, die Figuren den
Distanzen ngenüber unproportional zu vergrössern; dabei ist die Schusslinie steiler ausgefallen, als
sie jedenfaUa in Wirklichkeit verlieh
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Die Verwundungen der Frau: In dem Momente, als der Selbst¬
mörder im Nebenzimmer den Schuss abfeuerte, stand die 34jährige Frau M., mit Hemd,
ünterrock und Gorset bekleidet, ihre Haare kämmend vor dem Spiegel. Sie nahm
dabei, wie sie angiebt, ungefähr die in der Zeichnung angedeutete Stellung ein, den
linken Arm über den Kopf erhoben, mit der linken Hand an den Haaren sich zu
schaffen machend. Mit dem Hören des Knalls verspürte sie zugleich am erhobenen
Arm und am Kücken Schmerz, dann fühlte sie «Blut an sich herabrinnen*'. Die
Frojectile drangen über dem Gorset ein, am Hemde grössere Defecte zurücklassend.
(Diese konnte ich nicht frisch, sondern nur am gewaschenen Hemde sehen.) Die
Verwundete wurde, mit einem Nothverband versehen, Morgens 7 Uhr in die chirur¬
gische Klinik transportirt. Hier hatte ich Gelegenheit, sie mit Erlaubniss von Herrn
Prof. Krönlein wiederholt zu sehen und zu untersuchen.
Noch ist nachzutragen, dass im Zimmer der Frau sonst nirgends Spuren vom
Auftreffen eines Geschosses zu finden waren. Das einzig vorhandene Fenster lag in
der Schusslinie, war aber geschlossen und intact.
Status praesens der Verwundungen zur Zeit der Auf¬
nahme der verletzten Patientin ins Gantonsspital laut der mir
von Herrn Prof. Krönlein gütigst überlassenen Krankengeschichte:
Mittelgrosse Frau von gutem Elnochenbau, massig entwickelter Musculatur und
reichlichem Panniculus adiposus. Die Untersuchung der innem Organe, speciell der Bmst-
organe ergibt keinen abnormen Befund. Puls regelmässig, kräftig, nicht beschleunigt.
Pat. klagt über Schmerzen im linken Arm.
In der Mitte des linken Oberarmes befindet sich an
dessen Rückseite in der T r i c e p s g e g e n d eine Schusswunde,
welche in der Haut einen lOGts.-stück grossen Substanzverlust mit etwas zerrissenen
Wundrändem darstellt. Aus der Wunde entleert sich wenig Blut. In der Umgebung
geringe Infiltration der Weichtheile. Eine sterilisirte Sonde gelangt 6 cm weit in der
Richtung nach oben, stosst aber nicht auf ein Projectil; ein solches ist auch bei dem
starken Panniculus, trotz genauester Palpation von aussen, nicht durchzufühlen. Eine Aus-
schnssöffhung ist nicht vorhanden. Am getroffenen Arm weder Gefühls-, noch Bewegungs¬
störungen.
Eine zweite Wunde ist über dem lateralen Rande der
linken Scapula gelegen. Zu dieser führt auf der Haut ein rinnenformiger
Eindruck, hervorgerufen ohne Zweifel durch ein tangential auftreffendes Geschoss. Die
Wunde selbst misst im verticalen Durchmesser 1 cm, im horizontalen 2 cm. Nimmt
der linke Arm die in der Zeichnung angegebene Stellung
ein, so beträgt der Abstand der beiden Einschussöffnungen
18 cm. Beim Sondiren der Rückenwunde gelangt man in einen schräg nach hinten
sich ziehenden Schusscanal, welcher in der Interscapulargegend in einem erheblichen Hm-
matom unter der Haut blind endigt. Eine Knochenverletzung ist nicht nachweisbar. Die
Blutung aus dieser zweiten Wunde nach aussen ist gering. Durch das Hmmatom hin¬
durch ist zu dieser Zeit ein Geschoss nicht palpabel.
Beide Wunden wurden sammt ihrer Umgebung auf das sorgfältigste desinficirt und
mit Jodoformgaze bedeckt. Darüber Holzwolle-Watteverband.
9. Juli 1894. Nachdem sich das Heematom in der Rückengegend resorbirt hat, ist
an dieser Stelle ein harter, unter der Haut liegender Körper durchfühlbar geworden. In
leichter Aethernarcose wird von Herrn Prof. KrönXein auf diesen Körper eingeschnitten,
und dabei nebst einigen Tropfen Eiters ein Bleiprojectil zu Tage
befördert, welches platt gedrückt, die in Fig. 2 dargestellte Form besitzt. Dasselbe wiegt
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6,14 gr und hat einen grSsaten Durchmesser von 11 mm. Die Schusswunde
heilte in der Folge ohne Störung zu. Das im Arm geblie¬
bene Projectil ist reactionslos eingeheilt Pat. zeigte überhaupt nur
einmal Temperaturerhöhung bis 38,2**.
Aus der im Bisherigen gegebenen d^taillirten Darstellung ist folgender üeber-
blick über die so verschiedenfach sich ilussernde Geschosswirkung zu entnehmen und
einer kritischen Betrachtung Toranszuschicken: Der Selbstmörder hat sich am Boden
sitzend, 1 Patrone seiner Notbmunition benutzend, das Ordonnanzgewehr auf die Herz¬
gegend aufsetzend, k bout portant erschossen. Das Geschoss durchdrang den III. Inter-
costalraum, den linken Lnngenrand, das Herz, die Aorta, die rechte Lunge, streifte die
Wirbelsäule, und traf die 8. Rippe an ihrer Ansatzstelle am Wirbelkörper. In
diesem Momente muss sich das Geschoss getbeilt haben.
Die getrennten Theile durchsetzten noch dieselbe Aus-
Schussöffnung, schlagen dann aber eine divergirend ge¬
trennte Flugbahn ein. Sie perforirten die Scheidewand der Zimmer, die
öbereinanderbängenden Kleider, trafen die Frau von der Seite and blieben beide im
Körper derselben stecken.
Betrachten wir nun zuerst genauer die Zerstörungen, welche bei diesem Nah¬
schüsse das ungetheilte Projectil im Körper des Selbstmörders angerichtet
hat. Verfolgen wir nochmals den von ihm eingescblagenen Weg bis zum Momente
der Theilang:
Es zeichnen sich die durch das kleincalibrige Geschoss bewirkten Einschuss¬
öffnungen der Haut durch einen kleinen Diameter ihres Lumens aus, sowie durch
die geringe Quetschung der Hautränder. Die durchschossene Haut zieht sich vermöge
ihrer Elasticität auf ein kleineres Lumen zusammen, als der Durchmesser des Projectils
beträgt. Wir haben in unserem Fall auf der Haut eine kreisrunde Einschussöffnung
von 4 mm Durchmesser constatirt. Die Schussöffnung ist von einem schwärzlichen
Hof umgeben, ein Zeichen des Schusses ä bout portant. Eingesprengte Pnlverkörner
fehlen.*)
Während nach Bruns*) Nahschüsse durch die M u s k e 1 n an der Leiche einen
glatten cylindriscben Kanal darbieten, dessen Durchmesser das Galiber des Geschosses
kaum erreicht, stellt in unserm Fall der Schusskanal im m. pectoralis einen Defect
dar, dessen Lumen auf der Unterseite des Muskels 2 cm misst; dabei sind die Mus¬
kelränder stark eingerissen — eine Andeutung vielleicht von hydraulischer
Pressung. In dem dünnen, straff gespannten Intercostalmuskel sehen wir
dagegen nur eine schlitzförmige Oeffnung. So machen sich Structur und Anordnung
der einzelnen lebenden Gewebe bei der Formirung des Schusskanals in ganz verschie¬
dener Weise geltend.
Am Herzbeutel begegnen wir derselben kleinen Oeffnung wie auf der Haut.
Vom Herzmuskel sagt Habart, dass er nach den von ihm an Selbstmördern ge¬
machten Beobachtungen durch versteifte Geschosse entweder glatt durchschossen werde,
oder Zeichen von Explosivwirkung darbiete. Bekanntlich ist die Phase der Herzthätig-
*) Nach Habart Oeachogswirknng pag. 60 fehlen diese Einsprengangen beim ranch-
schwachen Pnlver stets.
’) I. 0 . pag. 41.
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keit im Augenblicke, da der Schass darchdringt, von entscheidendem Einflüsse auf die
Gestalt des Schnsseffectes. Die hydraulische Pressung tritt dann namentlich hervor,
wenn das Herz während der Diastole getroffen wird. In unserem Fall sind Zeichen
von Explosivwirkung am Herzen nicht zu constatiren; es fehlen jene Einrisse in die
Muskulatur der Herzwand, wie sie Habart') bei mehreren Fällen bis zu einer Länge
von 6—12 cm beobachtete. Die Vermuthung ist daher wohl gerechtfertigt, dass
hier das Herz in Systole durchschlagen wurde. Auch die Verletzung des Aorten*
b 0 g e n s ist nicht derart, dass aus ihrem Befund auf Hählenpressung geschlossen
werden könnte. Bei den Hauptgefässstämmen sind nach Habart isolirte Durchboh¬
rungen durch die Mantelgeschosse ohne gänzliche Zusammenhangstrennung des Gefäss-
rohres ausgeschlossen. Zahlreiche Befunde lehren ihn, dass Blutgefässe den rasanten
Panzerprojectilen nicht aaszuweichen vermögen, sondern von denselben glatt durch¬
schossen werden.*) Unsere Beobachtung liefert für diese Thatsache insofern eine Be¬
stätigung, als das Aortenrohr vom Geschoss derart durchbohrt wurde, dass eine Ein¬
schuss- und Ausschnssöffnung entstand, zwischen welchen eine Gewebsbrflcke stehen
blieb. Eine complete Gontinuitätstrennung des grossen Gefässtruncus aber kam nicht
zu Stande.
Im L n n g e n g e w e b e ist der Scbusskanal glatt, frei von Beratung oder Ge-
webszerfetzung.
In der Spongiosa des gestreiften Wirbelkörpers sehen wir
eine relativ glatte Rinne mit aufgeworfenen Enochenrändern. Es constatiren nach
Habart Befunde bei Selbstmördern an den spongiösen und glatten Knochen neben
Binnen- und Locbschnssen auch vollständige Splitterung.
In Uebereinstimmung mit den Erfahrungen bei Schiessversucben an Leichen und
mit ähnlichen an Selbstmördern gemachten Beobachtungen sehen wir durch unseren
Nahschuss den am Wirbelansatz getroffenen harten Bippenknochen in zahlreiche
kleine und kleinste Splitter zerschmettern.
Die Beobachtungen der Autoren stimmen alle darin überein, dass die durch
kleincalibrige Mantelgeschosse hervorgerufenen Ansschuss¬
öffnungen am Körper grösser ausfallen als die Einschnssöff-
n u n g e n. An Schüssen innerhalb der Explosivzone, also bei Nahschüssen, wird die
Ausschussöffuung dann durchwegs sehr gross, bis auf 5 und mehr cm Durchmesser,
wenn das Projectil deformirt wird, oder wenn Knochensplitter mit in den Ausschuss
mitgerissen werden. Durch das sich theilende Projectil können auch mehrere Aus-
schussöffnungen entstehen. Wir haben bei unserem Fall nur eine Aus-
schussöffnung von Vjt cm Durchmesser.
So weit wir bis anhin die den Gang des Projectiles kennzeichnenden Gewebs-
Isesionen besprochen haben, hatten wir es nur mit einem durch die verschiedensten
Organe sich hinziehenden Schusskanal zu thun. Dieser durchsetzt den
Körper in schräger Richtung von vorn links aussen nach
hinten rechts aussen. Zweifellos hat das Geschoss beim Auftreffen auf die
Wirbelsäule eine Ablenkung in der Flugbahn nach aussen und unten erlitten.
‘) Geschosswirkung Fall X und KII.
Geschosswirkung pag. 68. Kleincaliber u. Beh. d. Schussw. p. 21.
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Da non aber, wie wir gesehen haben, nicht nur im Körper der getroffenen Frau,
sondern schon in der Scheidewand des Zimmers, welcher der Selbstmörder den Rficken
zukehrte, 2 Schusskanäle vorhanden sind, so ist keine andere Mög¬
lich k e i t zn 1 äs s ig, al s d a s s, w i e f r äh e r g e sag t, dasProjectil
im Momente, da es die harte Rippe zerschmetterte, sich
t h e i 11 e. Diese Theilung fand dicht unter der Haut statt; die getrennten Stöcke
passirten noch dieselbe Ausschussöffnung und flogen dann getrennt, divergirend.
An welcher Stelle des Qeschosses fand nun die Trennung
statt? Wir haben gesehen, dass der aus dem Röcken der Frau extrahirte Projec-
tiltheil aus einem plattgedröckten, 6,14 Gramm schweren Bleistöcke bestand, an wel¬
chem von der Stahlkappe kein Rest zurückgeblieben war. Dieses Bleistöck repräsen-
tirt an Gewicht fast genau die Hälfte des 13,7 Gramm schweren ganzen Geschosses.
Es ist demgemäss anzunehmen, dass das im Arme der Frau zurückge¬
bliebene Stück aus dem mit der Stahlkap.pe versehenen Rest
des Pr 0 jectiIs besteht.
Da ich, wie im früheren bemerkt wurde, aus Schiessversuchen auf verschiedene
Medien, speciell auf menschliche Leichen über die Art, wie die Deformirung unseres
Stablkappengeschosses bei verschiedenen Widerständen sich gestaltet, von militär¬
chirurgischer Seite bisher nichts Ausführliches hatte in Erfahrung bringen können,
und ich selbst zur Zeit nicht in der Lage war, solche Versuche anstellen zu
können, so suchte ich gleichwohl durch einen Nothbehelf über diesen Punkt mir eini-
germassen ein ürtheil zu verschaffen, indem ich eine grosse Anzahl von bei Schiess¬
übungen auf verschiedene Distanzen abgefeuerten und im Erdwali aufgefangenen Pro-
jectilen auf ihre Formveränderung untersuchte. Herr Instructor Hauptmann Müller
in Zürich lieferte mir zu dieser Untersuchung in dankenswerthester Weise das nöthige
Material. An diesen Projectilen ist es nun unschwer zu erkennen, dass die auf den
Widerstand des Brdwalls stossenden Geschosse meistens an der Stelle einge¬
knickt oder auch ganz abgebrochen werden, wo die Panzerung
a u f h ö r t. Ich habe unter Fig. 3 eine Serie solcher Geschosse abbilden lassen. Wir
sehen die verschiedensten Grade der Stauchung, von ganz leichter Einbiegung bis zu
rechtwinkliger Knickung und vollständiger Abtrennung des in der Kappe enthaltenen
Bleies. Zahlreich Anden sich die abgebrochenen Kappenbleistücke vor, bäufig auch die
leeren Kappen.
Diese von mir unabhängig gemachte Wahrnehmung, dass das Stahlkappengeschoss
dort, wo die Panzerung aufhört, leicht sich staucht und auch leicht eine Trennung
erleidet, steht nun in Einklang mit dem was Hehler*) im erwähnten I. Anhänge zu
seinem Werke über die Deformirung unseres Kleincalibers schreibt. ,Es sind solche
Stahlkappengeschosse, sagt er, da wo die letztere aufhört und etwas
nmgebordelt ist (damit sich das Stahlkäppchen nicht von der Geschosspitze ab-
lösen kann) leicht zerbrechlich oder krümmen sich doch leicht
an jener Stelle. — Es giebt aber der Nachtheile noch mehr. Ein solches Ge¬
schoss muss auch nothwendig bei Nahschüssen, d. h. bei sehr bedeutender
Geschwindigkeit, wenn es z. B. auf harte Knochen trifft, ganz entsetz^
') L c. pag. 67.
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liehe Verwundungen herbeifähren, indem sich der hintere Theil des Geschosses, also
der von keinem Metallmantel znsammengehaltene BleikOrper umstälpt und über die
Stahlkappe hinweg nach vorn wegsprizt, so dass die Bleipartikel nach allen Richtungen
in den Körper eindringen. Ein solches Geschoss muss notbwendig mit der Zeit Völker*
rechtlich verboten werden, so gut wie die explosiven Geschosse für Handfeuerwaffen
verboten wurden! Leider wird dies aber, wie vorauszusehen ist, wohl erst dann ge¬
schehen, wenn mit derartigen unmenschlichen Geschossen bereits ein Krieg durchge-
fochten und ein entsetzliches Unheil angerichtet sein wird. Es scheint leider, man
könne eben durchaus nur durch Schaden klug werden.“
Ich glaube nicht, dass diese Vorstellung Hebler’s von der zerstörenden Wirkung
unseres Geschosses am Lebenden in der Zone der Nahschüsse eine übertriebene ist.
Nehmen wir an, es treffe ein solcher Nahschuss seinen Mann, es theile sich dabei das
Projectil, aber nicht wie bei unserem Selbstmörder erst beim Austritt ans dem Körper
am Knochen, sondern bei anderer Stellung des Getroffenen gleich beim Einschuss. Es
werden so die zwei getrennten, zackigen Stücke, (an dem einen derselben ragt viel¬
leicht die nur halb abgelöste Stahlkappe vor) im weiteren Fluge durch den Körper
die schwersten multiplen Zerreissnngen der Eingeweide herbeiführen; sie werden aber
nicht nur diesen einen Mann perforiren können, sondern jedes einzelne Stück ist im
Stande, wenn die Gelegenheit sich bietet, einen zweiten Mann tödtlich zu treffen.
Wären bei unserem Fall die beiden Geschosstheile nicht durch die Zimmerwand in
ihrer Energie hochgradig abgeschw&cht worden, so würde das eine derselben zweifels¬
ohne nicht im Arme der Frau stecken geblieben sein, sondern es hätte auch deren
Thorax perforirt
Es wird nun Niemand etwa behaupten wollen, dass in künftigen Kriegen Nah¬
schüsse selten sein werden. Im Entscheidungskampfe werden die Gegner auch die
Strecke der kurzen Schussdistanz von 500 Metern oft weit überschreiten. Befestigte
Stellungen, Gehöfte und Dörfer werden nach wie vor öfters durch den Nahkampf ge¬
nommen werden müssen; auch plötzliche Ueberfälle (Nachtgefechte!) werden nicht
ausbleiben, es dürften diese vielmehr gerade im Gebirgskriege kein seltenes Ereigniss
sein. Man denke sich da die Wirkung eines Magazinfeuers auf geschlossene Colonnen!
Bei der gewaltigen Rasanz der Kleincalibergeschosse werden künftig Deckungen in aus¬
gedehnterer Weise benützt werden müssen, als bisher. Jägergräben, mit breiterem
Erdwall freilich als früher, werden häufiger noch als vordem die Schützen anfnehmen.
Damit ist aber auch häufiger wieder Gelegenheit geboten, dass Geschosse schon de-
formirt den Schützen treffen. Habart^) berichtet von einem Infanteristen, der beim
Scheibenschiessen auf 200 Schritte durch einen 140 cm (!) dicken Erdwall hindurch
vom Mannlicher -Geschoss in die linke Brustseite getroffen wurde. Das voll¬
ständig mit Stahl gepanzerte Geschoss dieses Systems wurde nicht deformirt
aufgefundeo. Wir dürfen vermuthen, dass unser Kappen-Projectil im gegebenen Fall
seine Form verändert hätte.
Den Militärärzten kommt die edle Aufgabe zu, die derart vervollkommneten mo¬
dernen Schusswaffen darauf zu taxiren, ob ihre technisch befriedigende Wirkung nun auch
im Sinne der humanitären Bestrebungen liege. So lächerlich wie die gestellte Frage
*) Geschosswirkang, pag. 60 nnd 61.
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klingt vielfach die gegebene Antwort. Man hat das kleincalibrige Gewehr mit seinem
Mantelgeschoss eine .humane* Waffe genannt, ja verglichen mit den früheren Ge*
wehren nnd ihren Bleikngeln die humanste. Warum? Weil es glättere und reinere
Schusskanäle als die letzteren macht, dafür aber auf weiteste Distanzen statt eines
Mannes deren 3 oder 4 zn tüdten vermag! Ein hnmanes Geschoss ist anch im rela¬
tiven Sinne des Ausdrucks ein Unsinn. Der Krieg ist keine Hnmanitätseinrichtung,
sagt Barddehm.^) Nicht Gründe der Humanität sind es gewesen, welche zur voll¬
ständigen ümhüllnng des Bleigeschosses mit dem Stahlmantel geführt haben,
sondern die dadurch erreichte grüssere Durchschlagskraft, d. h. die grössere menschen¬
vernichtende Gewalt giebt den Ausschlag. Wer dies bedenkt, dem müssen die obigen
Klagen des hochverdienten Waffentechnikers, sowie dessen Postulat vom völkerrecht¬
lichen Verbote unseres leichter deformirbaren Kappengeschosses fast etwas tragi-komisch
klingen. Uebrigens darf ich hier nicht vergessen zu erwähnen, dass auch bei den
ganz mit Stahl umhüllten Geschossen bei Nahschüssen eine Theilung beim Anftreffen
auf Knochen erfolgen kanh. Udbart*) berichtet von einem auf 5 m abgefeuerten
Schüsse, welcher die grossen Schenkelgeffisse eröffnete, den Oberschenkelscbaft zer¬
trümmerte, und bei welchem die gespaltenen Geschosstheile 2 Aus-
schnsslöcher erzeugten.
Es bleibt uns, indem wir zu unserer Beobachtung zurückkehren, übrig, die im
Körper des Selbstmörders getrennten Projectilstücke auf ihrer weiteren
Flugbahn zn verfolgen: Die Durchschlagskraft dieser Geschosstheile musste, verglichen
mit derjenigen, welche das ganze Geschoss im Momente besass, als es den Körper des
Selbstmörders perforirte, natürlich eine bedeutend geringere geworden sein, denn 1) war
durch die üeberwindung der Widerstände im Körper des Selbstmörders die
Geschwindigkeit erheblich vermindert worden; 2) waren Geschossform, Gesohoss-
durchmesser und Geschossgewicht total verändert. Gleichwohl reichte die noch resul-
tirende lebendige Kraft beider Theile ans, um die allerdings nicht dicke Zimmerwand
zn durchschlagen. Die sehr ungleiche Form der Einschussöffnungen in dieser Wand
lässt schon auf die ungleiche Gestalt der beiden Geschosstheile schliessen. Wir haben
gesehen, dass zwischen den beiden Schnsskanälen in der Wand eine Distanz von
10,5 cm war, während der Abstand der Schusswunden am Körper der Frau bei der
muthmasslich eingenommenen Stellung des Armes 18 cm betrug. Unter Berücksichti¬
gung dieser gegebenen Distanzen, sowie der Entfernungen des Selbstmörders und der
Frau von der Wand lässt sich auf trigonometrischem Wege berechnen, dass der Ab¬
stand der Schussöffnungen der Frau dann ein erheblich grösserer hätte sein müssen,
wenn die Flugrichtung der beiden Geschosstbeile eine gerade geblieben wäre. Es
müssen also die Projectile höchst wahrscheinlich nach Perforation der Wand, beim
Durchschlagen der Kleidungsstücke im Sinne der Gonvergenz abgelenkt
worden sein.
Das plattgedrückte Bleigeschoss, das am Rücken der Frau entfernt wurde, bat
vermuthlich den Kanal bh durchsetzt, während das nicht aufgefundene mit der Stahl¬
kappe versehene Stück durch oai seinen Weg nahm. Das eine Projectil traf den Kör-
‘) Ueber die kriegscbirarg. Bedeutang der neuen Geschogee. Berlin lä92. pgg. 17.
Dag Kleincaliber etc., pag. 18.
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per der Frau tangential, was die Wunde am Rficken deutlich an der kunen Haut¬
rinne erkennen lässt, die zur eigentlichen SchussOffnung führt. Mit dem Aufschlagen
auf dieses neue Hinderniss war die Energie der Geschosse so weit erlahmt, dass sie
nach Schaffung verschieden langer Weichtheilkanäle stecken blieben. —
Was den Wundverlauf der Scbussverletzungen betrifft, so ist
bemerkenswerth, dass es in dem Hsmatom, wo das eine Projectil am Rücken stecken
blieb, zu einer gutartigen Abscedirung kam. Die Erreger dieser
Infection sind bacteriologisch nicht festgestellt.
Nach dem, was wir aus den entscheidenden Experimenten von Messner% sowie
aus den Untersuchungen von Lagarde*), Hahart und FauXhaber*) wissen, giebt es im
bacteriologischen Sinne dann niemals reine Schusswunden, wenn das Geschoss den mit
Kleidungsstücken bedeckten Körper trifft. Ob nun die, kleine Fremdkörper mit sich
reissenden, mit Mikroorganismen behafteten Geschosse zu Trägern der Infection werden,
hängt insofern vom Zufall ab, als die Entstehung der Wnndinfection vor Allem von der Vi r n-
1 e n z und Menge der eingeschleppten Keime abhängig ist. Es ist klar, dass in unserem
Fall die zackig unebenen Projectilstücke beim Durchdringen der Kleidungsstücke des
Selbstmörders, beim Passiren der Wand und der daran aufgebängten Röcke, beim Auf¬
treffen auf das Hemd und die Haut der Frau Gelegenheit genug fanden, Mikrobien
in ihren P'ugen mitzureissen. Dass darunter pyogene sich befanden, beweist die ein¬
getretene Abscedirung. Nach den bacteriologischen Untersuchungen von A. Frähkel*)
und Ff\M% sowie nach den Gontrollversuchen von Habart und Faulhaber soll die
Gefahr der Wnndinfection durch mitgerissene Kleidungsfetzen bisher überschätzt wor*
den sein. Diesen Versuchen gegenüber muss ich betonen, dass ans den negativen Ergeb¬
nissen der Ueberimpfung von in Kleiderfetzen enthaltenen Mikrobien auf die verschie¬
denen Versuchsthiere noch lange nicht der Schluss zu ziehen ist, dass diese Mikrobien
auch in menschlichen Wunden der pathogenen Wirkung ermangeln. Ich erinnere speciell
daran, dass nach den Untersuchungen von Petruschky^) gerade die Wirkung der¬
selben Streptococcen auf weisse Mäuse und den Menschen durchaus verschie¬
den sein kann, und dass bei Beurtheilung der Virulenz der Wundinfectionserreger eine
ganze Reibe von Hilfsmomenten zu berücksichtigen sind, wie Büdinger'') in seinen
Untersuchungen über die relative Virulenz der Eitererreger nachweist. Auf diese
Fragen trete ich in einer anderen Arbeit genauer ein.
Das Seitenstück zu dieser ersten Beobachtung bildet folgender Fall:
2) Am 26. September 1894 ereignete sich zu Lindau im Kanton Zürich fol¬
gender UnglUcksfail: In der Parterre-Wohnstube eines Hauses manipulirte ein Knabe
mit einem Ordonnanzgewehr, welches kurz vorher beim Scheibenschiessen verwendet
und unentladen hingestellt worden war. Der Knabe hielt das Gewehr in einem Neigungs¬
winkel von ca 45*’, als sich der Schuss entlud. Der starke messingene Mündungs-
‘) Bericht Uber die Verhandlungen der dentschen Gesellschaft für Chirnrgie, XXI. Congress.
•) New-York Medical Jonrnal 1892. October 22.
') Das Kleincaliber etc., pag. 34.
*) Ueber die Bedeutung von Fremdkörpern in Wunden. Wiener klin. Wochenschr. 1888.
Ueber die Infection von Schnsswnnden dnrch mitgerissene Kleiderfetzen. Zeitschrift fUr
Hygiene. Bd. XIII, pag. 487—494.
*) Untersnchnnnen Uber Infectionen mit pyogenen Coccen. Zeitsch. f. Hygiene. Bd. XVII. 1894.
’) Ueber die relative Virulenz pyogener Microorganismen in per primam geheilten Wnnden.
Wien. Klin. Wocbensch. 1892. No. 22 «.
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decke! war noch auf dem Rohr befestigt, er wurde durchschossen, vom eisernen Halte-
ring abgesprengt und weggeschleudert. Die Schussöffnung desselben zeigt fast senkrecht
aufgestellte Ränder.
Das Geschoss durchbohrte nun die 1 Meter von der Qewehrraündung entfernte
Zimmerdecke. Diese besteht aus 2 Bretterlagen von je 1 Zoll Dicke und einem
hohlen Zwischenraum. Der Einschuss unten am Boden hat eine längsovale Form
und lässt deutlich das schräge Einschlagen des Geschosses erkennen. (Fig. 4.) Am
Ausschuss, d. h. auf dem Bretterboden des über der Wohnstube befindlichen Schlaf¬
raumes ist das Holz in der Umgebung des Schusskanals weit abgesprengt. (Fig. 5.)
Von hier aus fiog das Geschoss gegen eine Bettlade und durchschlug in dieser zu¬
nächst ein querliegendes Stützbrett. Hier muss es, wie aus der Form des Kanals
zu schliessen ist, quer aufgeschlagen sein und zwar auf einem das Brett durch¬
setzenden barten Ast. (Fig. 6 .) In dem auf dem Stützbrett liegenden
Bettzeug lassen sich nun 2 Schusskanäle verfolgen. Dieselben
durchsetzen den Laubsack, das Unterbett und die Leinentücher, überall zerfetzte, schlitz¬
förmige Oeffhungen zurücklassend.
Im Momente, da der Schuss das Bett durchdrang, war die Mutter des Schützen,
im Begriffe stehend das Bett zu machen, eben daran, die Bettdecke überzulegen und die
Leintücher glatt zu streichen. Sie wurde von beiden, am Stützbrett der
Bettlade getheilten Projectilstücken getroffen.
Die beiden getrennten Geschosstbeile schlugen nach ihrem Austritt aus dem Stütz¬
brett eine divergirende Richtung ein, d. h. das eine derselben fiog ungefähr in der ge¬
raden Schusslinie weiter, durchschlug den Vorderarm der sich bücken¬
den Frau und fuhr oben an der Zimmerdecke in einen Balken.
Hier sass das sehr deformirte, platt gedrückte, eingebogene und zerklüftete Bleistück
(Fig. 7.) 172 cm tief im tannenen Holz.
Der vordere Theil des Geschosses, d. h. die mit Blei ge¬
füllte Stahlkappe (Fig. 8 ) erlitt offenbar bei der Spaltung im Stützbrett eine
Ablenkung, so dass es gegen die rechte Brustseite der Frau hinfiog und hier in der
Mamma stecken blieb.
Den so beschriebenen Weg, welchen die Geschosse eingeschlagen haben, konnte
ich selbst bei einem Besuche in Lindau an Ort und Stelle genau verfolgen. Die Er¬
gänzung des Berichtes verdanke ich Herrn Dr. Moor in Bassersdorf, welcher nach
dem Unfall gerufen wurde und die verwundete Frau in Behandlung nahm. Collega Moor
extrahirte die Projectile, das eine aus der Brust der Patientin, das andere aus dem Balken
der Zimmerdecke. Er hatte die Güte, mir die beiden Theile zu übersenden. Ich habe
dieselben photographiren und hier abbilden lassen. Ferner habe ich, um den Situations¬
plan zu veranschaulichen der vorstehenden Beschreibung beistehende Zeichnung hinzu¬
gefügt. (Fig. 9.)
Die Verletzungen der Frau sind nach dem folgenden Berichte von Herrn
Dr. Moor leichter Natur:
1 . Am linken Vorderarm zwischen mittlerem und vorderem Dritttheil findet
sich ein quer verlaufender Schusscanal. Die Oeffnung, die gemäss der Stellung der Frau
als Einschuss angesehen werden muss, liegt auf der dorsalen Seite der Ulna, etwas
näher dem Ellbogen als die andere Oeffnung, die Ausschussöffnung, die an der
radialen Seite des Armes sich befindet. Der Canal ist 4 cm lang, von ziemlich weitem
Lumen, verläuft unter der suggilirten Haut, die Muskeln oberflächlich streifend, den
Knochen nicht verletzend. Die Oeffnungen sind ungefähr von gleicher Grösse, sehr
unregelmässig mit stark zerfetzten Rändern, von 1—174 cm Durchmesser. An der Aus-
schussöffnung hangen einzelne Gewebsfetzen heraus.
2 . An der rechten Mamma findet sich 2 cm unterhalb der Warze eine
quergestellte Oeffnung mit ziemlich glatten Rändern. Der Kanal verläuft nach hinten
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und leicht aufwärts und endet blind. Am Ende desselben zwischen mittlerer und vorderer
Axillarlinie ist die Haut etwas gerissen und sugillirt. Uan fühlt an dieser Stelle einen
etwa bohnengrossen harten Gegenstand, der durch einen kleinen Hautschnitt entfernt
wird und sich als die plattgedrfickte Stahlspitze des Geschosses erweist.
Nach weiterer llittheilang von Herrn Dr. Moor heilten beide Schasswunden ohne
jede Spur von Infectionserscheinnng.
Wir sehen darch diesen zweiten Fall genau bestätigt, was wir aus der erst be¬
schriebenen Beobachtung in Bezug auf die Deformirbarkeit unseres neuen Geschosses ge¬
folgert haben. Das Eappenge schOS 3 hat sich auch hier wieder
be i m Aufschlagen anf einen barten E9rper ( Ho1zast) scharf
an der Grenze der Stahlhaube getheilt Die Vermnthung wird hier
nahe gelegt, dass diese Theilnng dann am leichtesten zu Stande kommt, wenn das
Langgescboss eine Drehung erfährt, so dass es quer anfscblägt, wobei dann der senk¬
recht oder schräg auf seine Längsachse wirkende Widerstand eine Abknickung an der
Grenze der Stahlhälse bewirkt. Die Durchschlagskraft des Geschosses wurde auch in
diesem Fall auf eine harte Probe gestellt, doch genügte der Widerstand der ver«
schiedenen todten Medien nicht, um die Energie der Projectilstöcke vollständig zu
paraljsiren. Trotz Mündungsdeckel, Zimmerboden und der verschiedenen Schichten
der Bettlade ist das eine Stück noch im Stande, die Weichtheile eines Vorderarmes
zu perforiren. — Bedeutend grüsser noch als bei dieser Beobachtung erscheint freilich
die Arbeitsleistung, welche ein sich nicht tbeilendes Mannlicher-Geschoss in
einem ganz ähnlichen Falle verrichtete, den Habart beschreibt:*) In einer Easerne ent¬
leibte sich ein Landwehrmann durch einen Schuss in den Mund. Das Geschoss drang durch
den Schädel des tödtlich Getroffenen, durchbohrte die Bretterdecke des Plafonds, drang
durch das Stützbrett in den Strobsack des in zweiter Etage stehenden Bettes und traf
den in demselben schlafenden Soldaten in den Unterleib, durchbohrte diesen und flog
durch das Ziegeldach hinaus. Der Mann starb während des Transportes ins Spital.
Die Autopsie ergab eine Zerreissung der Milz und doppelte Eröffnung des Quergrimm-
darmes. — Nach diesen Friedenserfahrungen versprechen die Mantelgeschosse und be¬
sonders unser theilbares Eappenprojectil eine sehr ausgiebige Wirkung im Hänser-
kampfe!
Ich schliesse meine Casuistik mit Aufführung zweier Schussverletzungen, die mir
durch gütige Mittheilung der beobachtenden Collegen bekannt geworden sind:
Beobachtung von Herrn Dr. Theodor Brunner, Bezirksarzt in Eüsnacht
(Zürich). — Nahschuss durch Mund und Wirbelsäule:
3) «Das zweijährige Kind B. B. wurde am 17. September in der Wohnstube
von seinem Vater ans Unvorsicbtigkeit mit einem Gewehr neuester Ordonnanz er¬
schossen. Die Entfernnng, ans der der Schnss abgegeben worden, betrug ein paar
Schritte. Der linke Vorderarm und linke Handrücken waren mit
Einsprengungen zahlreicher Pulverkömer bedeckt.*) An der Aussenseite der
Basis des linken kleinen Fingers war die Haut im Umkreise von 1 */s cm
tiefschwarz, trocken, hart und in der Mitte dieser Stelle fand sich ein Loch, in dessen
Tiefe man die tieferen Theile der Haut blossliegen sah. In der H o h 1 h a n d sah man
eine quer verlaufende Rinne von 1 cm Breite, mit zerfetztem Grnnd und zerfetzten
*) Dm Kleiacaliber etc., psg. 11 .
’) Vcrgl. hiezu pag. 9, Aumerkung.
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Rändern; im Grand derselben lagen die sehnigen Theile der Hohlhand bloss. An der
Basis des Daumens fand sich an jene Rinne anschliessend eine Schürfung. Die G e -
sichtshaut zeigte Einsprengung zahlreicher Pulverkorner. Der Schneidezahn links
von der Mittellinie am Unterkiefer war zum Theil abgesprengt, der Stumpf wackelig.
Die Zunge an der Spitze Y 2 cm weit nach hinten gespalten. Die Wandränder und
Flächen der Zunge scharf und glatt; unter der Zungenspitze bemerkte man ein trichter-
fÜrmiges Loch mit zerfetzten Rändern. Der eingeführte Zeigefinger gelangte bequem
durch einen Schusskana1 unter u n d durch d i e Zunge hindurch
an die A u s t r i 11 s o f f n u n g zu hinterst auf dem Zungenrücken
über dem Kehldeckel. Dieser Schusskanal zeigte fetzige Wandungen. An der hinteren
Rachenwand fand sich rechts von der Mittellinie eine Zerschmetterung der
Halswirbelsäule in der Höhe des zweiten Halswirbels. Sie betraf
die ganze rechte Hälfte des Wirbels und man fühlte bewegliche und zackige Knochen¬
stücke. Die dahinter gelegenen Weichtheile waren hochgradig
breiig zerfetzt und blutig imbibirt. Der Ausschuss fand sich am Nacken 2 cm
nach rechts von der Mittellinie und ungefähr ebenso hoch über dem proc. spinös, des
siebten Halswirbels. Man sah aussen auf der Haut eine 2 Fr. Stück grosse Stelle, die
blauroth verfärbt war, und in deren Mitte sich ein kleines Loch mit fetzigen Rändern
zeigte, so gross, dass man mit der Spitze des kleinen Fingers eindringen konnte. —
Von dort war die Kugel gegen ein hölzernes Fenstergesims geflogen, hatte dort eine Rinne
von mehreren cm Länge und 1 cm Breite aufgerissen und war schliesslich
mehrere cm tief indersteinernenQFensterbanksteckenge-
blieben. Das Kind gab gleich nach dem Schuss kein Lebenszeichen mehr von sich;
es verlor ausserordentlich viel Blut aus Mund und Nase und der Wunde am Nacken.
(Wohl Blutung aus der art. vertebralis und aus Lingualisästen.)"
4) Dr. Feurefj Spitalarzt, St. Gallen. — Blind endigender Prellschuss
in die Lendengegend:
„Der Mann stand als Scheibenzeiger hinter einem Felsen und wurde dort von
einer abgewichenen Kugel neuer Ordonnanz in die Lendengegend (Gegend des m. quad-
ratus lumborum) getroffen. Der Einschuss war so gross wie eine unge¬
öffnete Mandel, also sehr gross und sah so aus, dass ebenso gut ein Stück Stein
oder Holz hätte eingedrungen sein können. Da sich die neuen Geschosse wie es scheint
sehr deformiren, sehr platt werden beim Aufschlagen auf harte Gegenstände, so wird wohl
die Kugel selbst im Körper stecken. Dieselbe muss tief sitzen, ich habe sie nicht ge¬
funden. — Die Kugel soll erst an einer Buche aufgesohlagen haben, ehe sie seitwärts
den Mann erreichte, eine Angabe, deren Richtigkeit ich nicht controlliren kann."
Von diesen beiden Beobachtungen zeigt die erstere wieder die Wirkung eines
Nahschusses mit Sprengwirkung, wie es scheint, in der Wirbelsäule. Die letztere
wäre der einzige mir bekannte Fall, bei dem es um eine Schussverletzung auf weitere
Distanz sich handelte; indess traf hier das Projectil indirect als Prellschuss auf.
Erfahrungen an Lebenden über die Geschosswirkung unseres neuen Gewehres in der
Zone der Fernschüsse sind also erst noch zu sammeln.
Nachtrag. Der folgende Fall von Kopfschuss durch Selbstmord
ist von Herrn Dr. A, Brtmner in Pfäffikon beobachtet und mir nachträglich
brieflich mitgetheilt worden:
5) Es handelt sich um einen kräftig gebauten jungen Mann von 24 Jahren, der
sich, wohl um sicherer dem Tode za verfallen, im wasserreichen Bachbette mit seinem
kieinkalibrigen Ordonnanzgewehr erschoss. Dem damals von mir anfgenommenen Status
entnehme ich:
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Die Leiche des Selbstmörders liegt, mit Ausnahme des Kopfes, der zur Hälfte über
die Oberfläche hervorragt, vollständig im Wasser und ist auf die rechte Eörperseite
gelagert. Ich vermuthe, dass diese Körperlage in Beziehung zur Lage von Einschuss-
und Ausscfaussöffnung steht, welche beide auf der rechten Seite sich finden.
Die Stelle des Einschusses, die erst nach einigem Suchen gefunden wird, liegt un¬
mittelbar oberhalb des Kehlkopfes, ca. 5 mm nach rechts von der Medianlinie.
Die Oeffnung in der Haut ist oval; sie erscheint etwas verzogen, in der Grösse
entspricht sie ungefähr dem Querschnitte einer Ordonnanzpatrone. Die Wundränder sind
ziemlich scharf, an einer Stelle findet sich ein kleiner Einriss. Die ganze Wundum-
gebung ist in einem Umkreis von 5 cm von Pulver schwarz verfärbt, ein untrügliches
Zeichen, dass der Schuss ä bout-portant abgegeben worden ist.
Die Ausschussöffnung, die infolge ihrer Ausdehnung vom Auge zuerst bemerkt wird,
findet sich in der Scheitelgegend und hat die Grösse einer kleinen Faust; ihre Lage
entspricht so ziemlich der Gegend des os parietale dextr. Der Anblick dieser Wunde
ist ein frappanter: die ganze ca. handtellergrosse Oeffnung ist mit hervorquellender EUrn-
masse erfüllt, an der Peripherie ragen Fetzen losgerissener Dura hervor. Die Wunde
klafft in der Längsrichtung in einer Ausdehnung von 6 cm, weitere 4 cm ist die Haut
zwar eingerissen, aber nicht klaffend; in der Breite haben wir einen klaffenden Defect
von 8 cm. Die Ränder der Wunde sind unregelmässig, vielfach zerrissen und theilweise
nach aussen geschlagen. Dieser bedeutenden Verletzung der Weichtheile entspricht eine
mindestens gleichgrosse Oeffnung im Schädeldache, welche 10 cm in der Länge und 8 cm
in der Breite misst. Die annähernd ovale Knochenwunde ist ausgezeichnet durch scharfe,
ziemlich unregelmässige Ränder, die mehrfach eingerissen sind und so die Entstehung
verschiedener Fracturen und Fissuren begünstigten.
Ausser Einschuss- und Ausschussöffnung ist noch eine bedeutende Blutung aus dem
rechten Ohre und der rechten Nasenöffnung zu constatiren. Weitere Verletzungen an
der Kopfhaut sind nicht vorhanden. Bei der Palpation des Schädels dagegen lässt sich
durch die Kopfschwarte hindurch deutliches Pergamentknittern nach weisen, herrührend von
der abnormen Beweglichkeit gebrochener Knochentheile.
Die Eröffnung der Schädelhöhle bietet dem Auge, wie erwartet, ein erschreckendes
Bild der Zerstörung von Gehirn und Schädelcapsei. Es zeigt sich aufs deutlichste,
welch' enorme Gewaltwirkung durch die bei Gehimschüssen zur Geltung kommende hy¬
draulische Pressung erzeugt wird. Die meisten Knochen, sowohl des Schädeldaches, als
der Schädelbasis sind mehr oder weniger stark fracturirt oder fissurirt; selbstverständlich
ist die rechte Schädelhälfte etwas stärker betroffen, als die linksseitige Hälfte. Was
Form und Lage der Fracturen anbetrifft ist zu bemerken, dass wir in nächster Nähe des
Schusscanales neben Sprengung von Nahtlinien noch mehr weniger geradlinige, die
Knochen mitten durchtrennende Bruchlinien finden, während in einiger Entfernung vom
durchschlagenden Geschoss die Knochen vorzugsweise in den Nähten gesprengt sind. Im
ersten Falle kommt es zu einer scharfcantigen Fractur, die häufig senkrecht zum Schuas-
canal verläuft, letzternfalls entsteht die characteristische zackige Bruchfläche der Nähte.
Im Gegensätze zu der grossen Ausschussöffnung am Schädeldache steht die relativ
kleine Eintrittsöffnung an der Schädelbasis, entspricht doch der Durchmesser dieser Oeff¬
nung an Grösse kaum demjenigen eines 10 Centimesstückes. Der Defect zeigt rundliche
Form, die Ränder desselben sind weniger scharf als die der Ausschussöffnung. Der Ort
der Eintrittsstelle findet sich in der rechten Hälfte der hintern Schädelgrube, zwischen
Foramen magnum und der Mitte des Felsenbeines. Diese letztere Knochenparthie ist
mit am stärksten beschädigt, indem zwei quer durch sie verlaufende Fracturen dieselbe
in mehrere leicht aus dem Zusammenhänge auszuschälende Theile zerlegen.
Verfolgen wir nunmehr an Hand unserer Schilderungen den Weg, den das Ge¬
schoss zurückgelegt hat, so sehen wir die Kugel zuerst die rechtseitige vordere Hals-
muBculatur durchbohren; dann dringt sie hart an den obem Halswirbeln und unmittelbar
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nach rechts vom f^oramen magnum vorbei in die Schädelbasis ein, darchschlägt die be¬
treffende Eieinhirnhemisphäre, darauf folgt Hinterlappen nnd Scheitellappen des Gross-
himes und schliesslich tritt sie durch das os parietale dextr. nach aussen. Wir haben
also nur einen einzigen, ungetheilten, dabei sehr steil ansteigenden Schusscanal.
Es bleibt mir noch übrig, ein kurzes Wort der Beschaffenheit des Gehirnes zu
widmen, ich muss aber gestehen, dass die Section des Cerebrums keine eingehende war.
Wie bereits betont erfüllte ein Theil des Scheitellappens, welcher von der schützenden
Dura befreit war, die ganze Ausschussöffnung. Die Zeichnung der Gjri dieser Himpar-
thie ist auffallenderweise eine vollständig deutliche. Die Gefässe der Pia erscheinen ver¬
breitert und sind mit dunkelrothem Blute gefüllt, daneben finden sich über die Hirn¬
oberfläche zerstreute flächenartige Hmmorrhagien. Die rechte Hirnhälfte muss stück¬
weise aus dem Schädel entfernt werden, indem sie kein zusammenhängendes Ganzes mehr
bildet; dabei fällt namentlich der Hinterlappen durch ausgedehnte Zertrümmerung der
Hirnsubstanz auf. Die linke Hemisphäre ist noch vollständig von der Dura bedeckt.
Die pialen Gefässe zeigen gleichfalls starke Injection; ausserdem finden sich noch einige
kleinere heemorrhagische Herde über die Oberfläche vertheilt; im übrigen sind keine grobem
microscopischen Veränderungen wahrnehmbar. Die Sinus der Basis sind mit dunkelrothem,
geronnenem Blut erfüllt.
Da die geschilderte Verletzung, wenn ich recht berichtet bin, der erste bekannt
gewordene Hirnschuss unserer kleinkalibrigen Ordonnanzwaffe darstellt, dürfte die Berechti¬
gung der Veröffentlichung eine gegebene sein. Und zwar halte ich die Bekanntgabe
um so angezeigter, weil der vorliegende Fall, wie ich glaube, selbst nach Abzug der
wohl zu Lasten der hydraulischen Pressung fallenden Sprengwirkung, noch geeignet er¬
scheint, an der Zerstörung der Illusion von der humanem Wirkung unseres neuön Stahl-
kappengeschoBses mitzuhelfen.
Zur Contagiositätsfrage der Variola.
Von Dr. M. v. Arx, Spitalarzt, Olten.
Die höchst verdienstvolle Arbeit von Lote, Erfahrungen über Variola in No. 20
und 21 des Correspondenzblattes veranlasst mich, nachstehende zwei Fälle von Variola
io Kürze zu veröffentlichen, da sie die Frage der Contagionsgefahr im
Initialstadium dieser Krankheit in wesentlich schärferem Lichte erscheinen
lassen, als dies in der oben citirten Arbeit der Fall ist.
Bis Ende März waren Olten und Umgegend von der diesjährigen Pockenepidemie
verschont geblieben. Zwei Fälle von Variola in Läufelfingen und ein Fall in Schönen-
werdt fallen hier ausser Betracht.
Montags, den 16. März 1894, stellte Dachdeckermeister N. dahier einen Arbeiter
J. Pf. ein, der vorher „auf der Walz“ je eine Nacht in den Herbergen von Herzogen-
buchsee, Grenchen, Büren, Biel und Bern zugebracht hatte. Samstag, den 24. März, er¬
krankte dieser Arbeiter unter allgemeinen Symptomen, die sofort den Verdacht auf eine
Pockeninfection erwecken Hessen, um so me^, da Pf. aus einer Gegend (Bern, Biel) zu¬
gereist war, wo die Pockenepidemie schon beträchtliche Dimensionen angenommen hatte.
Am 25. und 26. März jedoch war bei dem Erkrankten von einem verdächtigen Exanthem
noch nichts zu erblicken, so dass der Verdacht auf Pocken bereits wieder fallen ge¬
lassen wurde. Das Fieber ging von 39.8® auf 37.8® herunter und am 27., an welchem
Tage ich den Kranken wieder ausser Bett sah, fühlte sich dieser so wohl, dass er
glaubte, am 28. März die Arbeit wieder aufnehmen zu können. In der Thai ging er
am Morgen des 2 8. März wieder zur Arbeit, stellte sich aber schon gegen Mittag
in meiner Wohnung ein mit einem deutlich ausgesprochenen Pockenausschlag.
Pf. wurde sofort in das neue von der Gemeinde Olten auf dem Areal des Kantonsspitals
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erbaute Absonderungshaus verbracht, alle Hausbewohner revaccinirt, Betten und Zimmer-
geräthe desinhcirt.
Dachdeckermeister N. beschäftigte damals neben dem erkrankten Pf. noch 3 Ar¬
beiter, von denen der eine mit Pf. in Olten arbeitete, während die beiden andern aus¬
wärts (in Pratteln) in Arbeit standen. Samstag den 24. März Abends, also am ersten
Erkrankungstage, als Pf. bereits zu Bette lag, kehrten die Beiden nach Olten zurück,
um daselbst die beiden Osterfeiertage (25. und 26. März) zuzubringen und zwar im
gleichen Schlafsaal, wo der kranke Kamerad lag. Am Montag Abend (26. März),
also bevor bei diesem ein Exanthem ausgebrochen war, reisten sie
wieder für die ganze Woche nach Pratteln ab und verblieben daselbst auf ergangene
Weisung hin auch am folgenden Sonntag (1. April). Nach eingezogenen Erkundigungen
bestand damals in Pratteln für sie keine Infectiongefahr für Pockenerkrankung. Sams¬
tag den 7. April Abends, kehrten sie nach Gewohnheit wieder nach Olten zurück und
zwar beide krank. Bei dem einen constatirte ich eine leichte linksseitige Pleuritis; der
andere P. Schn, war pockenverdächtig und zeigte am 9. April bereits ein deutliches
Variolaexanthem. P. Schn, wurde sofort ins Absonderungshaus überfuhrt, während sein
Mitarbeiter vorläufig im Kantonsspital separirt wurde, ohne dass sich bei ihm in der
Folge etwas anderes ausgebildet hätte. Von den beiden Pockenkranken war Pf., 20 Jahre
alt, in der Jugend geimpft, der andere, Schn., 35 Jahre alt, vor 15 Jahren zum zweiten
Mal mit Erfolg revaccinirt worden. Der Krankheitsverlauf war bei Beiden ein guter;
andere Fälle von Variola sind bei uns seither nicht mehr aufgetreten.
In Erwägung aller dieser genau beobachteten Thatsachen, dass nämlich:
1) der zweiterkrankte Schn, vor dem 24. März und nach dem 26. März nie¬
mals mit einem Pockenkranken in Berührung gekommen,
2) jedoch vom Abend des 24. bis zum Abend des 26. März mit Pf. in dem¬
selben Raume zusammen gewesen, als dieser bereits Prodromalerscheinnngen von
Pocken, wohl aber noch keinen Pockenausscblag aufwies,
3) das Incubationsstadium von 12—13 Tagen (vom 25./26. März bis 7. April)
der gewöhnlichen Incubationszeit der Variola entspricht,
4) Schn, erklärt, das er während seines zweitägigen Aufenthaltes im Zimmer
des pockenkranken Pf. seines Wissens niemals die Kleider des im Bette liegenden Pf.
berührt habe,
kommen wir zu dem von Lotz abweichenden Schluss: dass unter Umständen
das Pockengift auch im I n i t i a 1 s t a d i u m übertragbar ist.
Auf welche Weise und durch weiches Medium in unserem Falle die Gontagion statt¬
gefunden, bleibt dahingestellt; nur so viel wird dabei Jedermann klar, dass dem glück¬
lichen Zusammentreffen aller Umstände beinahe die Rolle eines Experimentes zufällt.
lieber Cocaininfiltrations-Anaesthesie.
Eine Abhandlung über Cocaininfiltrations-Anecsthesie im Septemberheft der „Thera¬
peutischen Monatshefte“ von Dr. A, Schleich in Berlin empfiehlt 0,2 ®/o Cocainlösungen
mit minimen Zusätzen von Carbolsäure, Morphium und Kochsalz zur Infiltrations-Aneesthesie
bei Ausführung der verschiedenartigsten Operationen.
Da ich seit mehr denn 7 Jahren die Cocainanaesthesie bei Zabnextractionen und
anderen kleinen chirurgischen Operationen in ausgedehntem Masse anwende (siehe Corres-
pondenzblatt No. 2, 1892), so sah ich mich veranlasst, auch Versuche mit den schwachen
Losungen von Dr. Schleich anzustellen. Ich bin nun leider im Falle, mittheilen zu
müssen, dass mich Dr. Schleich^B schwache Losungen vollständig im Stiche lassen, dass
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ich mit Lösungen unter l^o nur sehr massige GefiihlsYerminderung und erst bei S^o
bis 4^/o-Lösangen vollständige Anesthesie bekomme, immerhin mit Ausschluss der acuten,
zu Eiterung geneigten Entzündungen, wo es mir, abgesehen von dem nachträglich auf¬
tretenden reactiven Schmerze, nicht möglich ist eine vollständige Aniesthesie zu er¬
reichen. Hier heisst es Bromätber vor!
Stärkere Lösungen als 4% wirken bereits ätzend anf das Gewebe und machen,
obwohl vorübergehend sehr gut ansesthesirend, mehr oder weniger starke Entzündungen.
Zusätze von desinficirenden Mitteln, sowie Morphium und Kochsalz schienen mir
die Anesthesie nicht zu fördern, aber wohl zu stören, auch sind erstere bei gut sterili-
sirten Lösungen überflüssig. Darum habe ich alle Zusätze weggelassen.
Bezüglich der Technik der Einspritzungen, resp. der Infiltration, welche Bezeich¬
nung des Actes die richtige ist, stimme ich mit Dr. Schleich vollständig überein, auch
bezüglich der erlaubten Dosis. Ich habe noch nie über 0,1 verwendet und gehe ge¬
wöhnlich aüch nicht über 0,05. Von den vielen Tausenden Cocainisirten und Operirten
ist Niemand von einer schwereren Intoxication befallen worden, wenigstens ist mir nichts
bekannt geworden.
Wenn Dr. Schleich mit 0,2% Lösungen aneesthesiren kann, so muss er unbedingt
noch andere Hülfsmittel herbeiziehen und ich muss die von anderer Seite geäusserte
Yermuthung aussprechen, dass er eher eine Suggestions-Anmsthesie als eine Cocaininfil-
trations-Anmsthesie ausführt.
Wer also, wie ich, die Kunst zu suggeriren nicht versteht, der verlasse sich nicht
auf die schwachen Lösungen von Dr. Schleich^ sondern verwende, wie bisher üblich, 1%
bis 4%-sterilisirte, zusatzfreie Lösungen. Müller^ Arzt, Woblen.
■Vereiiieibeiriolite.
Gesellschaft der Aerzte des Cantons Zürich.
Ordeatllehe HerbstversaBBlaBf den 17. Oetober 1893 ia ZMrlch.
Präsident; Prof. Dr. GolL — Actuar: Dr. v, SchuUhess-Itechberg,
(Schluss.)
Gestützt auf die Erfahrung, dass in früheren Choleraepidemien die Seuche vieler¬
orts durch Schiffer und Plösser verschleppt worden war, wurde im September 1892 von
der deutschen Reichsregierung angeordnet, dass zunächst im Stromgebiet der Elbe eine
methodische Untersuchung sämmtlicher Flussschiffe und Flösse auf Cholerakranke und
-verdächtige stattfinden musste. In Folge dessen wurden vom 13. September bis 29. No¬
vember 1892 untersucht 57,108 Schiffe und Flösse, davon wurden 32,851 desinficirt und
gefunden 108 Choleraerkrankungen und 11 choleraverdächtige Erkrankungen festgestellt.
In Folge dieses Resultates wurden analoge Untersuchungen auch im Gebiete der Oder,
der Weichsel und des Rheines angeordnet und constatirt:
im Gebiete der Weichsel Choleraerkrankungen 3 Choleraverdächtige 2
» « » Oder ,4 ,3
„ „ des Rheines „5 „2
Selbstverständlich hatte auch hier Evacuation und Desinfection jeweilen statt, und
darf wohl angenommen werden, dass durch dieses Vorgehen der Ausbreitung der Cholera
im Deutschen Reiche wirklich entgegengearbeitet wurde.
Auch ausserhalb Deutschland sind wichtige Epidemien beobachtet und ist darüber
berichtet worden. Ueber eine solche in Riga berichtet Dr. Heerwagen, Riga wurde in
früheren Jahrzehnten schwer von der Cholera heimgesucht. Anno 1831 starben an
Cholera 4%, anno 1848 sogar 5% der Einwohnerschaft. Bis zum Jahr 1863 wurde
Riga durch eine Wasserkunst mit verunreinigtem, inmitten der Stadt aus dem Dünafluss
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entnommenen Wasser versehen. Von 1863 an wurde das Wasser 472 Kilometer ober¬
halb der Stadt dem Strome in unbewohnter Gegend entnommen und der Erfolg war
der, dass Riga in der Folge keine so schwere Choleraepidemie mehr hatte. Anno 1866,
1873 und 1892 fanden kleinere Epidemien, anno 1871 eine grössere Epidemie mit 480 Todes¬
fällen statt. Ueber die Epidemie von 1892 berichtet Dr. Eeerwagen eingehend. Auf 210,000
Einwohner fanden 129 Erkrankungen mit 72 Todesfällen statt. Der Import der Cholera¬
krankheit blieb unaufgehellt. Die Epidemie Hess sich mit Bestimmtheit in mehrere kleine
Lokalepidemien auflosen. Die erste, mit 32 Erkrankungen mit 27 directen und 5 in-
directen Infectionen betraf Matrosen und Arbeiter auf SchiflTen im Hafen. Die Epidemie
cessirte sofort nach dem Verbot Wasser aus dem Hafen zu schöpfen und der Gratisver-
abreichung von Thee als Getränk. Die zweite Gruppe kam auf einem Schiffe bei der
Cementfabrik und in letzterer vor. Von 26 Erkrankungen waren 17 directe, 9 indirecte
Infectionen. Die erste Erkrankung betraf den Schiffskapitän; dann die Arbeiter der
Cementfabrik, die ihr Trinkwasser der träg dahinfliessenden Duna entnahmen. Die Er¬
krankungen hörten auf die nämlichen Massregeln auf, wie bei Gruppe I. Gruppe III betraf
16 Erkrankungen (11 directe, 5 indirecte) an der Graben- und Trinitatisstrasse, die ihr
Trinkwasser gleichfalls dem Dünafluss direct entnahmen. Die vierte Gruppe umfasste
diverse auf der Düna beschäftigte Arbeiter, Baggerarbeiter etc., wovon 18 direct, 3 in-
direct inficirte, in Summa 21 Erkrankte. Die fünfte Gruppe, 34, Hess sich nicht genau
ätiologisch eruiren oder betraf von auswärts eingeschleppte Fälle.
Auch nach neuen Berichten der Englisch-Ostindischen Aerzte spielt nach Künppel
das Wasser bei der epidemischen Verbreitung der Cholera die wichtigste Rolle. Wohl
vermitteln zuweilen Milch oder Milchproducte und Früchte die Krankheit; aber der
Boden, wird jetzt behauptet, sei ohne Einfluss. Cholerafrei bleiben zuweilen Orte in
seenreiohen Gegenden, Orte mit hohem Grund wasserstand, während sie arg hauste in
Dörfern auf felsigen Hügeln. Der Cholerakranke sei auch der Träger des Choleragiftes.
In grossen Städten, z. B. Calcutta, zerfallen die grossen Epidemien in kleinere Local¬
epidemien, die sich um die Tanks gruppiren.
Vergleicht man die Mortalitätsziffern der oben geschilderten in Deutschland beob¬
achteten Choleraepidemien, so ergeben sich einige auSaUende Differenzen.
Mortalitätsprocent
In Hamburg
erkrankten im Sommer 1892 an
Cholera 16956 und starben 8605.
50.74
In Altona
. n 1892 „
n
516 ,
316.
61.05
In Hamburg
„ Winter 92/93 „
V
64 ,
18.
28.12
In Altona
„ „ 92/93 „
V
47 ,
27.
57.44
In Nietleben
ji
„ Januar 1893 „
r
122 ,
52.
42.62
Ganz besonders fällt der grosse Unterschied der Mortalitätsziffer auf, den die Ham¬
burger Winterepidemie 28.12 gegenüber der Altonaer Winterepidemie 57.44 aufweist.
Man kann nicht sagen, erstere Epidemie hätte eine „bessereresistentere Klasse der
Bevölkerung befallen; denn in Altona erkrankten im Winter 1892/93 Personen aller
Bevölkerungsklassen, in Hamburg dagegen hauptsächlich schlecht genährte Individuen,
Potatoren etc. Erst bei näherem Eingehen auf die Art und Weise des Vorgehens dos
„Verfolgens“ der Cholerakranken von Seite der Aerzte und Behörden wird klar, wieso
dieser grosse Unterschied zu Stande kam. In Hamburg wurden im Winter 1892/93 nicht
nur Cholera verdächtige Kranke sondern auch der Cholerainfection verdächtige, namentlich
da, wo gruppenweise Infection vermuthet wurde, evacuirt und der ärztlichen Beobachtung
unterworfen, resp. es wurden ihre Dejectionen, selbst wenn sie nicht diarrhoisch waren,
bacteriologisch untersucht. Und hiebei ergab es sich, dass nicht nur Individuen, die an
Diarrhoe litten, ohne weitere Cholerasymptome zu haben, in ihren Dejectionen Cholera¬
bacillen beherbergten, sondern dass — allerdings nur ganz ausnahmsweise auch In¬
dividuen mit nicht diarrhoischen Stühlen Cholerabacillen in diesen beherbergen können.
So z. B. wurde in der Hamburger Bettlerherberge, die im Sommer 1892 8 Cholera-
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erkrankungen mit 4 Todesfällen geliefert hatte, am 26. December 1892 wieder ein Cholera¬
verdächtiger gefunden, der in den Entleerungen Cholerabacillen hatte. Nunmehr wurden
alle Insassen dieser Herberge untersucht, trotzdem diese nicht choleraverdächtig schienen
und da wurde einer, der klinisch durchaus nicht choleraverdächtig war, gefunden, der
Cholerabacillen im Stuhle hatte. Niemals aber wurden Cholerabacillen in Dejectionen
solcher Gesunder gefunden, die derartigen Infectionen in ausgesprochenen Choleraherden
sich nicht ausgesetzt hatten und auch niemals wurden Cholerabacillen bei Kranken
gefunden, die hinsichtlich Cholerainfection absolut unverdächtig waren.
Diese Thatsache erklärt vollkommen jenen Unterschied der MortalitätszifPer. Aber
von weit grösserer Tragweite ist diese Thatsache für die Kenntniss der Cholera, ja der
Infectionskrankheiten überhaupt, sowie für die Prophylaxe. Man wird behaupten dürfen
und die Erfahrungen in Hamburg im Winter 1892/93 und in Nietleben sprechen dafür,
dass auch die „Cholerine" und die prämonitorische Diarrhoe, die ja zu Cholerazeiten eine
so wichtige Rolle spielen, in der Regel Cholerabacilleninvasionen in den Darm entsprechen,
und dass diese Fälle prophylactisch genau so wie wirkliche Choleraerkrankungen zu be¬
handeln sind. Und wenn es Cholerabacilleninfectionen des Darmkanals des Menschen
giebt, wo es nicht einmal zu einer Diarrhoe kommt, wo das Wohlbefinden fast gar nicht
gestört ist, so bedeutet das nur, dass die Cholerainfection eine Krankheit darstellt, die
von der leichtesten, ja nicht einmal subjective Symptome machenden bis zur rasch tödt-
lich verlaufenden Erkrankung alle Intensitätsgrade darbieten kann. Nun ist die genaue
und absolut sichere Diagnose in all diesen Fällen Dank der microscopischen Diagnose
des ifoc/i^schen Vibrio ‘jetzt möglich. Analogien haben wir bei zahlreichen genauer be¬
kannten Infectionskrankheiten. Ich erinnere an die Diphtherie, an der Sie alle ^ver-
zweifeit" leichte neben den traurigsten schweren kennen; an Scharlach, dessen leichteste
Erkrankungen wirklich fast ohne Temperatursteigerungen verlaufen können; an die Pocken
ohne Exanthem u. s. w. Und doch sind gerade, diese leichtesten Fälle — wegen der
oft zweifelhaften Diagnose die gefährlichsten; wie oft sind so Diphtherie, Scharlach,
Pocken in sehr unliebsamer Weise verschleppt worden! Und nicht minder auch die
Cholera. Wie anno 1867 die Cholera aus Rom durch ein diarrhoekrankes Rind (wie
man anfangs glaubte) nach Zürich verschleppt wurde und wie diese Erfahrung in Alten¬
burg in Sachsen 1873 sich wiederholte, so ist voriges Jahr die Cholera, wie Bugwid
in Warschau berichtet, aus Rostow am Don, Russland, nach Biscupice, einem kleinen
Städtchen im Gouvernement Lublin in Polen verschleppt worden. In Rostow wohnte die
Frau mit ihrem Kinde in einem Hause, in dem sich zwei Cholerafälle ereigneten. Zwei
Tage darauf erkrankte das Kind an Sommerdiarrhoe. In der Besorgniss, das Kind könnte
die Cholera bekommen, verliess die Frau am folgenden Tage dieses Haus und bezog
eine andere Wohnung. Zwei bis drei Tage darauf erkrankten auch in diesem Hause
einige Personen an Cholera. Die eben vorher eingezogene Frau wurde bezichtigt, sie
hätte die Cholera gebracht, musste ausziehen und nun musste sie Rostow verlassen. Sie
reiste mit ihrem Rinde nach Biscupice, langte da am 29. Juli 1892 an. Am 2. August
erkrankte sie selbst an der Cholera und starb und in demselben Hause, in dem sie abge¬
stiegen war, folgten vom 4. bis 12. August weitere Choleraerkrankungen, in deren Ent¬
leerungen Cholerabacillen nachgewiesen wurden. Von da aus breitete sich die Seuche
in Polen aus.
Ist also dadurch der alte Erfahrungssatz, dass der Cholerakranke den Ansteckungs¬
stoff, die Cholerabacillen, mit sich verträgt, bestätigt, so machen die oben mitgetheilten
Thatsachen, dass Cholerabacillen auch bei Leichterkrankten im Darme verkommen, ver¬
ständlich, dass auch leicht Erkrankte für die Dissemination der Cholera gefährlich
sind; ja dass selbst Individuen, die scheinbar ganz gesund sind, wenn sie cholerainficirt
sind, in ihrem Darm Cholerabacillen beherbergen und „züchten", die Cholera verbreiten
können. Die Beobachtung Pettenkofer's vom Jahre 1854 aus der Münchener Epidemie:
„Ein Gesunder reiste von München aus einem Hause, in dem seine Mutter gestorben
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war, nach dem immunen Dorfe Hausen bei Schweinfurt. Dort erkrankten in einer
Familie, wo er verkehrte, binnen einer Woche 9 Personen an Cholera, von welchen 6
starben. Der Reisende selbst und die übrigen 300 Einwohner des Dorfes blieben ge¬
sund“, wird nunmehr durchaus begreiflich: die Worte von Peitenkofer'‘%\ „so etwas Infi-
cirendes aus einem Cholerahause haftet sich hie und da an einen abreisenden Cholera¬
kranken, es kann aber auch einem Gesunden anhaften“, wird nach dem Mitgetheilten
durchaus verständlich zumal wenn wir berücksichtigen, dass die Cholerabacillen bei den
Cholerakranken, die genesen, nicht sofort mit Ablauf der Diarrhoe verschwunden sind.
Hat man doch, wie Hemke angibt, solche noch 23 Tage nach dem Beginn der Cholera
nachweisen können und in Nietleben noch nach 3 Wochen gefunden.
Wenn Bemmler nach Erfahrungen in Tonkin angibt, „dass die Uebertragung der
Cholera nur erfolgt durch Verkehr zwischen dem kranken und gesunden Individuum;
doch wird das Contagium nicht bloss durch die Stuhlentleerungen übertragen, sondern
auch durch Personen, welche sich einige Zeit bei Kranken aufgehalten haben“, so deutet
das unserer Meinung nach nur an, dass wir keineswegs schon am Ende unserer Erkennt-
niss über die Art und Weise der Verschleppung der Cholera stehen.
Werfen wir endlich noch einen Blick auf die an Menschen gemachten absichtlichen
und unabsichtlichen Versuche mit Cholerabacillen, so sind uns bekannt geworden von
zufälligen Infectionen, dass:
1. Macnamara 1885 berichtet, dass von 19 Personen, die zufällig mit Cholerade-
jectionen verunreinigtes Wasser tranken, 5 an Cholera erkrankten,
2. in Berlin im Lab. des D. G. A. 1885 bei einem sich mit Choleraculturen be¬
schäftigenden Arzte eine Cholera-Erkrankung ereignete,
3. in Danzig im Stadtlazareth 1893 eine ebensolche Erkrankung vorkam.
Von absichtlichen Versuchen:
4. der von Prof, von Pettenkofer an sich selbst gemachte Versuch, wo auf Ein¬
nehmen von Choleraculturen sich Verdauungsstörung mit Diarrhcn einstellte und Cholera¬
bacillen im Stuhl sich fanden,
5. der von Prof. Emmerich an sich selbst gemachte Versuch: stärkere Diarrhce,
sonst derselbe Erfolg,
6. in Paris ein Versuch mit schwerer, folgender Erkrankung,
7. in Wien hei Prof, Stricker: 8 Versuche an 6 Menschen; davon erkrankten 3 leicht
und 2 erheblich an Brechdurchfall. Sowie Erkrankungserscheinungen auftraten wurde
eine durchaus nicht indifferente Therapie angewendet. (Bettruhe, Wärme, Wasser irr igatio-
nen, heisser Roth wein etc.) In einem Falle kam es zu unwillkürlichen Stühlen, Er¬
brechen alles Genossenen, Urin Verminderung, Abnahme des Körpergewichtes in 5 Tagen
um 2 Kilo.
Die Gegner der Annahme, die Cholerabacillen seien die Ursache der Cholera, be¬
haupten, diese Versuche haben ein negatives Resultat gegeben. Uns scheint diese Be¬
hauptung nicht richtig zu sein. Nicht jeder, der sich in Gefahr begibt, kommt darin
um. Nicht jeder, der mit Pocken-, Scharlach-, Diphtherie-Kranken zu thun hat, inficirt
sich auch mit dieser Krankheit. Nicht jeder, der Arsen geniesst, stirbt an Vergiftung,
nicht jeder, der Alkohol geniesst, erkrankt an Alkoholismus. Eine Menge Bedingungen,
die erforderlich sind, damit eine Infectionskrankheit zu Stande kommt, oder dass sie
nicht zu Stande kommt, sind noch unbekannt. Wenn in den Hamburger Schiffen Murciano
und Gretchen Bohlen je 2 schwer und 4 leicht erkrankten, so sind die übrigen 18 resp.
13 zwar nicht erkrankt, hatten aber unzweifelhaft auch cholerabacillenhaltiges Elbwasser
getrunken. Und von den 1000 Einwohnern der Irrenanstalt Nietleben haben ganz ge¬
wiss nicht bloss die 122 Erkrankten cholerabacillenhaltiges Wasser der inficirten Wasser¬
leitung getrunken, sondern viel mehr, aber dieses Pias ist trotzdem nicht erkrankt; es
fehlte die „Disposition“, es fehlten gewisse, uns vielfach noch unbekannte Bedingungen
für das Zustandekommen der Krankheit. Die beabsichtigten und unbeabsichtigten Cholera-
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baeillenexperimente beweisen somit unserer Ueberzeugung nach durchaus nicht die In¬
differenz der Cholerabacillen; eher glauben wir das Gegentheil aus den bisherigen Ver¬
suchen schliessen zu müssen.
In der Schweiz hatten wir in den letzten zwei Jahren glücklicherweise keine Ge¬
legenheit über Cholera Erfahrungen zu machen, obwohl sie in den Nachbarstaaten rings¬
herum herrschte. Die Möglichkeit einer Importation lag sehr nahe; Behörden und Aerzte
richteten ihr specielles Interesse den Brechdurchfällen zu, um ja doch jede Cholera asiatica
zu entdecken. So kam es, dass das Zürcher Hygiene-Institut in diesen letzten Jahren
wiederholt beauftragt wurde, Dejectionen oder auch Darminhalt bei verdächtigen Fällen
zu untersuchen. In dieser Intention wurden im Ganzen 17 Fälle untersucht, im Jahre
1892 fünf, 1893 zwölf. Dreimal führte Herr Professor Both^ zehnmal Dr. med. Hitzig
und viermal der Vortragende die betreffende Untersuchung aus; letzterer alle im Septem¬
ber und October 1892. Im Jahre 1893 wurden niemals Cholerabacilien gefunden, da¬
gegen einmal im September 1892 und zwar vom Vortragenden selbst und zwar in den
Dejectionen einer Patientin, die aus Paris zugereist, am gleichen Abend, als sie in Zürich
angekommen war, wegen Brechdurchfall in die hiezu bereitgehaltenen Localitäten ver¬
bracht wurde. Die Patientin bot trotz Brechens und Diarrhoe doch keineswegs die Symp¬
tome einer Cholera, die Stühle blieben immer gallig und entsprachen eher einem Dick¬
darmkatarrh. Vorsichtshalber wurde untersucht, aber bevor der sichere Nachweis der
Cholerabacillen geleistet war — was verschiedener Umstände wegen allerdings damals
etwas länger dauerte, als dies heute der Fall sein würde, war Patientin wieder genesen
und drang darauf, entlassen zu werden. Dieser einzige Fall von cholerabacillenhaltiger
Diarrhoe betraf nicht eine Patientin, die in der Schweiz selbst erkrankt war, sondern
sie verdankte ihren Ursprung dem Genuss von Seinewasser in Paris; sowie Patient sich
unwohl fühlte, reiste sie ab, um ja nicht die Cholera zu kriegen, die ja damals in er¬
heblicher Ausdehnung in Paris herrschte, und so verschaffte sie uns die verdankenswerthe
Gelegenheit, Cholerabacillen aus Paris zu cultiviren, ohne dass wir wirkliche Cholera¬
kranke hier hatten, und dass wir zugleich Gelegenheit hatten, die Thatsache, die um
die gleiche Zeit in Hamburg, später in Nietleben festgestellt wurde, dass Cholerabacillen
auch bei leichteren Infectionen, nicht bloss in den schweren Fällen ausgesprochener Cholera
Vorkommen. Nicht minder bedeutungsvoll ist aber auch der negative Befund, die sicher
constatirte Absenz von Cholerabacillen in den Fällen nicht asiatischer Cholera und zwar
auch in derartigen, die das schwerste klinische Bild der Cholera nostras dargeboten
hatten.
Aus diesen Erfahrungen geht wohl zur Genüge hervor, dass die Bedeutung der
Koch^Bchen Cholerabacillen als Ursache der asiatischen Cholera nicht im geringsten ange-
zweifelt werden kann; dass vielmehr alle sorgfältigen Beobachtungen bestätigen, dass sie
mit der Genese der asiatischen Cholera aufs innigste verknüpft sind, und dass somit der
Kampf gegen die Cholera zusammenfallen muss mit dem Bestreben die Cholerabacillen
unschädlich zu machen.
Medicinische Geseilschaft der Stadt Basei.
Präsident: Prof. Siebenmann, — Actuar: Dr. VonderMühll.
SitzBDg vom 18. October 1894.0
Prof. Roth legt ein eben aus der Irrenanstalt eingelaufenes Präparat von Anenrysma
dissecans Aortae vor, herrührend von einer 57jährigen Frau, die neun Tage vor dem
Tode einen Anfall von Stenokardie und einen zweiten ähnlichen Anfall unmittelbar vor
dem Tode gehabt hatte. Bei der Section war der Herzbeutel mit Blut gefüllt. — An
der Aorta ascendens und am Arcus bildet die von den innern Schichten durch Blut ab¬
gehobene Adventitia eine blaurothe Geschwulst, die durch eine linsengrosse Oeffnung
*) EÜngegangen 14. November 1894. Red.
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zwischen rechtem Herzohr und Art. pulmonal, in den Herzbeutel durchgebrochen ist.
Während die inneren Schichten der Aorta gewöhnlich einen oder wenige Centimeter ober¬
halb der Semilunarklappen einreissen (wie z. B. in einem vor einundzwanzig Jahren —
Correspondenzblatt f. Schw. Aerzte 1873, S. 461 — und jetzt neuerdings vorgezeigten
Präparate), findet sich diessmal der Riss weiter unten, hinter den Aortenklappen, im
Bereich des rechten und linken Sinus Valsalv® und betrifft zugleich die obere Insertion
der entsprechenden mit einander verwachsenen Aortenklappen. — Wahrscheinlich stehn die
zwei Anfalle von Stenokardie mit der Entwicklung des Aneurysma dissecans in Zusammen¬
hang, der erste mit der Ruptur der inneren Schichten, der zweite mit dem Durchbruch
in das Perikard. Jedenfalls ist dem innern Riss ein gewisses Alter zuzugestehen, in¬
sofern die hier vorhandenen Thrombusmassen nicht ganz frisch sind, sondern bereits voll¬
ständig ausgebildete Fettkömchenzellen enthalten.
Prof. Bumm: lieber HarBleUerscheidenflstel (erscheint in extenso im Correspon¬
denzblatt.)
SItzug Yom 1. November 1894.
Vice-Präsident: Dr. Hoffmann, — Actuar: Dr. VonderMühU,
Dr. C. Hiibscher demonstrlrt zwei von ihm conntmirte Apparate» welche ihm
zur Behandlung und Untersuchung der sogenannten fixirten Scoliosen unerlässlich scheinen:
Der erste Apparat betrifft einen sogenannten Redresseur, welcher dazu dient, sämmt-
liche Difformitäten des skoliotischen Brustkorbes zu redressiren resp. überzucorrigiren, nachdem
die Wirbelgelenke durch ein mobilisirendes Verfahren (Massage, Gymnastik etc.) beweglich
gemacht wurden. Der Apparat arbeitet gleichzeitig gegen die Verkürzung durch
Suspension, gegen die Torsion durch Detorsion, gegen den Rippenbuckel durch
Druck auf denselben und endlich gegen die Seiten Verschiebung durch contralaterale
Verschiebung des Beckens. Als Druckapparat verwendet H. den Winkelhebel
mit constantem Laufgewicht, der einerseits eine leichte und rasche Dosirung der Kraft
zulässt, anderseits die Athmung des im Apparate befindlichen Kindes keineswegs hindert,
wie die Apparate mit Flaschenzug- und Schraubendruck von Hoffa^ Kirmisson, Bowell
u. A. Die Kinder benützen den Apparat neben der übrigen mobilisirenden und re-
dressirenden Behandlung täglich Vs Stunde und benützen diese Zeit zu Athemubungen.
Der zweite Apparat ist ein Zeichenapparat, welcher nach dem Princip des
Pantographen errichtet ist und Vollcontouren des Körpers in jeder beliebigen, aber ge¬
nau bestimmten Höhe in V& Grösse liefert. Jeder wichtige Punkt des Umrisses (Dorn¬
fortsatz, Brustbein etc.) kann aufgezeichnet werden. Als Basis des ganzen Bildes dient
jeweilen die in der Höhe der Spin. ant. sup. aufgenommene Beckencontour und die von
Schenk eingeführte Beckenlinie (Verbindung beider Spinaa.). Verticale Aufrisse lassen
sich frontal oder sagittal leicht herstellen. Der Apparat lässt sich mit dem Redresseur
in Verbindung bringen, so dass Bilder von dem im Redresseur befindlichen Kinde auf¬
genommen werden können, was mit den bis jetzt construirten Apparaten nicht möglich
war. Der Vortragende deroonstrirt noch eine Anzahl Massbilder, z. B. die Aufnahme
der Kopfcontour bei Schiefhals vor und nach der Operation, dann Bilder von allgemeine¬
rem Interesse, wie ßcckencontouren, Thoraxeurven bei In- und Exspiration am gesunden
und phthisischen Thorax, ferner eine Kopfcontour bei Exophthalmus in Folge Geschwulst
des Sehnerven. Sämmtliche Curven waren mittelst des Storchenschnabels auf Normalgrösse
reproducirt. *)
In der Discussion wird bemerkt, dass mit dem Zeiohenapparat wichtige theo¬
retische Untersuchungen angestellt werden könnten, namentlich über die Athmungsexten-
sionen der verschiedenen Thoraxabschnitte.
Eine genauere Beschreibung der Apparate folgt im nächsten Heft der „Beiträge zur klin.
Chirurgie“.
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Referate und Rritilcen
Aetiologische und klinische Beiträge zur Diphtherie.
Aus dem Kinderspital zu Basel. Von Dr. Emil Feer, vormals Assistent daselbst.
Mittheilungen aus Kliniken und medicinischen Instituten der Schweiz. I. Reihe, Heft 7.
Basel ond Leipzig, C. Sallman 1894.
Unter einem bescheidenen Titel bietet uns der Autor die werthvollen Früchte der
äusserst mühevollen Verarbeitung und kritischen Sichtung eines sehr grossen statistischen
Materials und die Resultate zahlreicher eigener genauer Untersuchungen.
Im ersten Kapitel bespricht er nach kurzer Uebersicht über die bisherigen Publi-
cationen seine eigenen bacteriologischen Untersuchungen bei Diphtherie. Die frühzeitige
Ausführnng derselben, wo immer die Möglichkeit es gestattet, ist darnm von grösster
practischer Bedeutung, weil hauptsächlich die bacilläre Form zu dem ganzen oft so bös¬
artigen Verlauf und zu den postdiphtherischen Lähmungen führt, während die Coccen-
diphtherien bei anfänglich gleichem klinischem Bilde, — mit Ausnahme der seltenem,
auf maligner Streptococceninfection beruhenden Formen — im Allgemeinen leichter ver¬
laufen und günstigere Prognose bieten.
Das zweite Kapitel enthält eine Abhandlung über die örtliche Looalisation und die
Verbreituugsweise der Diphtherie in Basel. Ans den diesbezüglichen mühevollen und
sehr verdienstlichen Untersuchungen geht hervor, dass Feuchtigkeit und Unreinlichkeit in
den einzelnen Strassen und Häusern ganz wesentlich einwirken auf die Frequenz und den
Verlauf der Erkrankungen. An solchen Orten hält sich das Gift mit grosser Zählebigkeit
und trägt auf endemischem Wege bei zu immer neuer Entstehung und Verbreitung der
Krankheit, während die Contagion dabei nur eine untergeordnete Rolle spielt.
Das dritte Kapitel bietet eine sehr genaue und umfassende Zusammejistellung der
am Basler Kinderspital innert der letzten 20 Jahre ausgefährten 333 Tracheotomien mit
Bezug auf den allgemeinen Krankheitsverlauf, die Methode der Operation, den Operations¬
verlauf, die Complicationen und die Folgezustände im spatem Leben. J»
Contribution ä l’^tude histologique de repitheliome pavimenteux (Carcinome de la peau).
S, Keser (Genf).
Die Frage der sog. „Carcinomcoccidien*^ hat K. an den Cancroiden geprüft und
seine Beobachtungen, die er im pathologischen Institut in Genf gemacht, in einer guten
und klar geschriebenen Arbeit niedergelegt. Er kommt zu dem Schlüsse, dass die beim
Epitheliom als Coccidien beschriebenen Figuren zweifellos vorhanden sind, dass sie aber
nichts anderes als das Resultat einer typischen Degenerationsform epithelialer Zellen sind.
K. konnte alle Entwicklnngsstadien dieser Zellentartung verfolgen, bis zu dem Zeitpunkt,
wo die Carcinomzelle einem Coccidium frappant ähnlich sieht. Ja sogar im Bereich des
Normalen findet sich genau dieselbe Art der Degeneration, in Verhältnissen, in denen
eine Mitbetheiligung von Parasiten eo ipso ausgeschlossen ist. Im Uebrigen zeigen diese
Gebilde niemals Proliferationsvorgänge und Sporenbildung.
Die Arbeit enthält eine sehr umfangreiche Citation von Arbeiten diese Frage be¬
treffend und es ist ihr eine gut ausgeführte Tafel beigegeben. Garre (Tübingen).
Lehrbuch der pathologischen Anatomie.
Von R, Thema. I. Theil: Allgemeine pathologische Anatomie mit Berücksichtigung der
allgemeinen Pathologie. 742 S. mit 436 Abbildungen und 4 Tafeln. Stuttgart,
Verlag von Ferd. Enke.
27iama^s,^de8 bisherigen Professors der pathologischen Anatomie in Dorpat, Werk
gehört zu der bei Enke erscheinenden Sammlung kurzer medicinischer Lehrbücher. Es
zerfällt in drei Abschnitte: 1) Allgemeine Aetiologie (Uebersicht, Traumen,
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Intoxicationen, Infectionen und Parasiten, Erblichkeit, Missbildungen); 2) Elemen¬
tare Formen der Erkrankung (Uebersicht, Storungen der Circulation,
allgemeine, locale, Störungen der Gewebsernährung); 3) Zusammengesetzte
Erkrankungsformen (Organerkrankung und Entzündung, Geschwülste, All¬
gemeinerkrankungen). Diese Eintheilung weicht erheblich Ton dem üblichen didac-
tischen Schema ab und ist ein Zeichen des selbstständig und nach seinen eigenen
neuen Gedanken auftretenden Forschers. In der Einleitung bespricht Verfasser die
verschiedenen Forschungsmethoden, die individualisirende, die vom einzelnen Fall hier
vom Sectionstisch ausgeht, die generalisirende der Statistik, er betont die Wichtigkeit
des Experiments und steht auf Seiten der Mehrheit der deutschen Pathologen, welche
fortdauernde enge Verbindung der allgemeinen Pathologie mit der pathologischen Anatomie,
der Leichenuntersuchung und des Experiments fordern.
In der Uebersicht über den ersten Abschnitt werden die verschiedenen
Arten der Krankheitsursachen z. Th. mit gut gewählten Beispielen kurz und gut er¬
läutert und besonders auch der Frage der Erblichkeit besondere Aufmerksamkeit geschenkt.
Die Wechselwirkung der verschiedenen Organe auf einander, die Thoma gebührend be¬
rücksichtigt, fuhrt ihn dazu, auch äusseren Einflüssen die Möglichkeit einer indirecten
Einwirkung auf die Keimzellen in höherem Grade zu vindiciren, als dies vielfach jetzt
geschieht. Auch die verschiedenen Krankheitsdispositionen werden gebührend besprochen.
Das Trauma wird — wie alle mechanischen Verhältnisse entsprechend Thoma'n
früherer Hauptarbeitsphäre — genau in seinen Rückwirkungen auf die allgemeinen nervösen
und circulatorischen Verhältnisse eingehend und vielfach auf Basis eigener Arbeiten be¬
handelt, wie die localen Störungen. Es wird hier theilweise bereits die Entzündung ab¬
gehandelt. {Thoma leitet die Emigration rein von mechanischen Kreislaufveränderungen
ab, ohne wie Cohnheim eine grössere Durchlässigkeit der Gefässwand als obligatorisch
anzunehmen.)^ In Bezug auf die Frage der Gewebsneubildung nach Trauma nimmt Verf.
eine Mittelstellung zwischen Virchmo und Weigert ein.
Bei den Intoxicationen werden gleichfalls locale ünd allgemeine Wirkungen
besprochen, letztere mit genauer Berücksichtigung der einzelnen Gewebe.
Die Infectionen werden durch eine knappe historische Besprechung eingeführt,
dann folgt kurze Erörterung der allgemeinen Lehre von den Wirkungen der organisirten
Krankheitserreger, an welche sich nach kurzer allgemein bacteriologischer Ausführung mit
Anführung der Methoden eine systematische Behandlung der pathogenen Bacterien, übrigen
Pilze, Protozoen und thierischen Parasiten anschliesst. Dabei werden die entsprechenden
Gewebsveränderungen mitbehandelt.
Die Missbildungen sind eingehend systematisch und pathogenetisch bearbeitet.
Besonders eingehend und sorgfältig ist im 2. Abschnitt das Gebiet der Cir-
culationsstörungen behandelt, das specielle Arbeitsfeld des Autors und seiner
Schüler. Namentlich die mechanischen Verhältnisse, die Pathogenese der Arteriosclerose
sind als Originalarbeit ausgefuhrt. Die Einflüsse mechanischer Momente auf die embryo¬
nale Bildung der Gefässbahnen sind nach eigenen Studien dargestellt und auf die Patho¬
logie angewandt. Ueberall sind auch die älteren Versuche, speciell die Co^n^mt’schen,
nachgeprüft, die Ergebnisse und Schlussfolgerungen oft berichtigt oder weiter ausgeführt
und viele neue Experimente werden mitgetheilt. Es ist dieses Capitel zweifellos das in¬
teressanteste des ganzen Buches.
Aus dem 3. Abschnitt sei besonders hervorgehoben, dass Thoma^ wie er es schon
früher gethan, den Entzündungsbegriff, wie schon einmal Andral^ ganz aufgeben oder viel¬
mehr auflösen möchte.
Die Geschwülste werden in cellulare (Sarkome und Carcinome) und in organoide
(alle übrigen) eingetheilt.
Den Schluss bildet eine kurze Besprechung eines Theils der Allgemeinerkrankungen
(Fieber, Marasmus und Kachexie).
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Das Buch ist kurz gefasst und doch inhaltsreich, die Ausstattung ist sehr gut; yiele
sehr gut gewählte und ausgefQhrte Abbildungen unterstützen das Yerständniss. Das Zu¬
sammenarbeiten des Verfassers mit seinen früheren Schülern und Collegen macht sich
allenthalben aufs Yortheilhafteste geltend.
Referent kann das Werk als lehrreich und anregend daher bestens empfehlen und
hofft, dass der zweite Band auch bald erscheinen wird. Hanau,
Vorlesungen Uber die Zelle und die einfachen Gewebe des thierischen KVrpers.
Von B, S, Bergh^ Docent der Histologie und Embryologie an der Universität Kopenhagen.
Mit einem Anhang: Technische Anleitung zu einfachen histologischen Untersuchungen.
Mit 138 Figuren im Text. 8®. 17 Bogen. 262 Seiten. Wiesbaden 1894. C. W. Kreidel.
Die Kenntniss der Lebensvorgänge sowohl im normalen, als im pathologischen Zu¬
stand hängt von unserm Wissen über den Bau der Zelle und der einfachen Gewebe ab.
Anatomen, Zoologen, Botaniker und Physiologen in grosser Zahl arbeiten an der gleichen
Aufgabe. Die Summe der Beobachtungen wächst dadurch in riesigen Dimensionen und
kurze Bücher, welche den angesammelten Stoff übersichtlich verwerthen und darstellen,
werden zu einem dringenden Bedürfniss. Das vorliegende Werk ist von diesem Gesichts¬
punkt aus willkommen, auch deswegen, weil der Standpunkt des Verfassers verschieden
ist von jenem 0, Hertwig's, der ebenfalls die Zelle und die Gewebe bearbeitet hat, nach
der alten Regel: audiatur et altera pars. Der Verfasser ist vorsichtig im Urtheil und
überall bemüht, auf die Probleme hinzu weisen, die noch der Lösung harren. Die ein¬
fache und verständliche Darstellungsweise wird angenehm empfunden; sie erstreckt sich
auf die Zelle, den Bau der Zelisubstanz, den des Zellkerns, auf ihre Bewegung, Reiz¬
barkeit, Vermehrung und Fortpflanzung. Auch die Vorgänge der Befruchtung sind be¬
achtet. Von den einfachen Geweben ist das Epithel-, Muskel-, Nerven- und Netzgewebe
abgehandelt worden. Kollmann,
W oolienbeiriolit.
Schweiz.
— ««Die Tnberenlese ist aBsieckend, vermeidbar and heiibar.^^ Unser Sonder-
egget hat soeben den vielfachen Verdiensten um das Volkswohl ein neues, glänzendes
hinzugefügt durch Publication einer Schrift (Tuberculose und Heilstätten
für Brustkranke in der Schweiz. Versuch zur Besprechung einer socialen
Frage. Im Aufträge der Schweiz, gemeinnützigen Gesellschaft. Mit einer Karte), welche
in ganz vorzüglicher Weise die Nothwendigkeit und die Pflicht zur gemeinsamen Be¬
kämpfung der verheerendsten aller Seuchen, der Tuberculose, durch Gründung von Sana¬
torien darthut. Diese herrliche Schrift, welche die reiche Erfahrung eines vielbeschäf¬
tigten Arztes, das warme Herz eines barmherzigen Samariters und der Geist eines gott¬
begnadigten Schriftstellers schufen, sollte vor Allem jeder schweizerische Arzt lesen und
besitzen. Sie wird die Herzen und die Kassen der Menschen öffnen, von deren Werkthätig-
keit die Ausführung der humanen Projecte abhängt. — Die 41 Seiten grosse, mit einer
die Sterblichkeit in Folge von Lungentuberculose in der Schweiz darstellenden Tafel ver¬
sehene Broschüre ist bei der Zollikofer'schen Buchdruckerei in St. Gallen zu beziehen und
verdient weiteste Verbreitung.
— Schweizeriseher Aerztesehematisrnns. Die Herstellung dieses Abschnittes für
den schweizerischen Medicinalkalender ist stets mit ganz besondem Schwierigkeiten ver¬
bunden. Trotz unausgesetzter Nachforschungen bei den amtlichen Stellen aller Cantone
einerseits und bei zuverlässigen Aerzten andrerseits gehen doch alljährlich Reclamationen
von einzelnen Collegen, speciell von Kurärzten oder von Domicilwechselnden, ein. Der
Grund liegt darin, dass diese Collegen es versäumten, sich bei den
betreffenden kantonalen Behörden zur Praxis anzumelden,
wesshalb sie in den amtlichen Listen nicht aufgeführt sind und daher, wenn nicht spe-
cielle Weisung ihrerseits erfolgte, auch im Aerzteverzeichniss des Med.-Kal. fehlen.
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Ausland.
— Im März 1895 findet in Berlin der balaeolog. fllmatolog. Csagress sUtt.
Vorträge sind sehr erwünscht und sollen von allfälligen Mittheilungen genaue Titelan¬
gaben bis Ende December 1894 an Herrn Dr, BrooÜi^ Secretair der balneolog. Gesellschaft
in Berlin, gerichtet werden. I. A. für die Schweiz Dr. H. Keller (Rheinfelden).
— Nachdem die SchilddrüseafilUerBiig sich neuerdings als ein specifisches Heil¬
mittel bei einer Reihe von Affectionen bewährt hat, welche mit mangelhafter Entwicklung,
Degeneration oder Verlust der Schilddrüse in Zusammenhang stehen, kam Prof. Bruns
in Tübingen auf die Idee, diese Therapie auch bei der häufigsten Affection der Schild¬
drüse, den Strameii in Anwendung zu ziehen, um eine Rückbildung derselben zu
bewirken. lieber die zum Theil überraschenden Resultate berichtete Bruns an der letzten
Naturforscherversammlung in Wien. Zur Fütterung wurden ganz frische, rohe Schild¬
drüsen vom Hammel und Kalb benützt, welche fein geschabt in Oblaten oder auf Butter¬
brot genossen wurden und zwar betrug die Einzeldose 5—10 Gramm, alle 2—3, später
alle 8 Tage wiederholt. — Nur Parenchymkropfe wurden dieser Behandlung unterzogen
und zwar zieht Bruns aus seinen dabei gemachten Erfahrungen den Schluss, „dass
die S c h i 1 d d r ü s e n f ü 11 e r u n g auf manche Strumen eine speci-
fisehe Wirkung ausübt und deren rasche Verkleinerung oder
vollständige Beseitigung bewirkt." Der Erfolg ist am sichersten bei
Kropfkranken im kindlichen und jugendlichen Alter und beginnt gewöhnlich schon nach
2 Dosen sich einzustellen.
Auch Beinhold (Münchener medicin. Wochenschrift 1894/31), welcher Geisteskranke
mit Schilddrüsen fütterte, beobachtete dabei eine auffällige Wirkung auf vorhandene
Strumen, in 5 Fällen ein vollständiges Schwinden derselben.
— Die schlaferzeugende Wirkung des Chloraihydrats hat bis jetzt fast ausschliess¬
lich in der therapeutischen Praxis Berücksichtigung gefunden. Die übrigen Eigenschaften
des Mittels, die sonst höchstens als unangenehme Nebenwirkungen betrachtet werden, sind
aber in gewissen Fällen ebenfalls im Stande wichtige therapeutische Indicationen zu er¬
füllen. Das Chloralhydrat setzt z. B. den Tonus der glatten Musculatur erheblich herab
und wirkt hochgradig erweiternd auf die peripheren Gefasse. Diese Eigenschaft hat in
letzter Zeit Bokitanshi bei der Behandlung des Asthma bronchiale berücksichtigt und
verwendet bei dieser Affection das Chloral combinirt mit Jodkali. Von Pal ist das Chloral
bei Hämoptoe empfohlen worden (Corresp.-Blatt XXIV, S. 519) und Cherchevsky verordnet
das Mittel in Dosen von 0,15—0,2 mehrmals täglich ebenfalls combinirt mit Jodkali bei
Aortenaneurysma. Dadurch erschlaffen die peripheren Gefasse, und die localen Beschwer¬
den werden gemildert. Chloralhydrat in kleinen Dosen mehrmals täglich, soll auch bei
habitueller Kälte der Extremitäten, wie sie bei anämischen Individuen oder bei gewissen
Nervenkranken so oft beobachtet wird, günstig wirken. Endlich hat Holstein günstige
Resultate von der Anwendung des Chloralhydrats gesehen, in Fällen von chronischer Ob¬
stipation nervöser Natur. Hier wirkt das Chloral ähnlich wie das Atropin, indem es den
abnorm erhöhten Tonus der Darmmusculatur herabsetzt, so dass die normale Peristaltik
eintreten kann. Die Stuhl erzeugende Dosis des Chloralhydrats beträgt ungefähr 1,5 gr.
Sie wird Abends genommen; die Wirkung tritt beim Erwachen ein. (Sem. m6d. Nr. 54.)
— Cmnambls indica wird von Stephen Mackenzie gegen alle Formen von Cephal-
algie functioneller oder organischer Natur empfohlen. Bei reiner Hemicranie wirkt aller¬
dings dieses Mittel im Allgemeinen weniger gnt als Antipyrin, Phenacetin, Trinitrin, etc.
Besonders günstige Resultate hat M, von der Anwendung der Cannabis ind. gesehen bei
einer gewissen Form von continuirlichem Kopfschmerz, welcher gewöhnlich jeder Medica-
tion hartnäckig trotzt. Der Schmerz ist dumpf und diffus im ganzen Kopf verbreitet,
wird vom Augenblick des Erwachens bis zum Moment des Einschlafens wahrgenommen
und kann Monate, ja Jahre lang bestehen. Dagegen verwendet M, Extr. cannabis indic.
in Dosen von 0,015—0,03 Morgens und Abends in Pillen. Tritt Besserung ein, so wird
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die Medication bei deu gleichen Dosen fortgesetzt. Im gegentheiligen Fall steigt man nach
acht oder vierzehn Tagen mit der Dose und gibt Abends 0,06 und Morgens 0,03. Sind
diese Dosen noch nicht genügend, so gibt man Abends un(i Morgens 0,06 gr. Bei Neu¬
ralgien wirkt Cannabis ebenfalls sehr gut, so wie bei den lancinirenden Schmerzen der
Tabeskranken. Eine weitere grosse Gruppe von Erkrankungen, welche durch Cannabis
indica günstig beeinflusst werden, sind Gastralgien und Enteralgien verschiedener Natur.
Bei Hautkrankheiten mit intensivem Pruritus, besonders bei Pruritus senilis rühmt M. die
Wirkung der Cannabis, indem sie das Hautjucken vermindert. In diesem Falle zieht er
die Anwendung der Tinctur vor, 5—10 Tropfen auf ein Stück Zucker, mehrere Male
wiederholt In seltenen Fällen hat M, unangenehme Nebenerscheinungen nach An¬
wendung von Cannabis ind. beobachtet. Dieselben bestanden in Schwindelgefühl, Schwere
des Kopfes, psychische Benommenheit, Unruhe, allgemeine Schwäche. Diese Zustände
sind aber von kurzer Dauer und können bei einiger Vorsicht in der Dosirung leicht ver¬
mieden werden. (Sem. m6d. Nr. 50.)
— Das von Meyer in Marburg dargestellte TaBBlffen stellt ein pulverformiges,
geruch- und geschmackloses Tanninderivat dar. Es ist in verdünnten Säuren und in
kaltem Wasser unlöslich, in Aether und in kochendem Wasser nur spurweise löslich, löst
sich aber leicht in kaltem Alkohol und verdünnten Lösungen von phosphorsaurem Natron,
Soda, Kalk und dergleichen. Das Tannigen wird von Kaninchen und Katzen in Dosen
von mehreren Gramm ohne merkliche Störung vertragen, im Darme beschränkt es aber
die Secretion und bewirkt eine Eindickung der Fäces. Aetzungen der Schleimhaut wurden
nie beobachtet. Das Mittel wurde von Fr. Müller bei zahlreichen Patienten der Mar-
burger Poliklinik mit Darmerkrankungen angewendet. Ohne Ausnahme wurde das Mittel
gern genommen. Appetit und Magenfunctionen wurden niemals ungünstig beeinflusst, und
selbst bei wochenlangem Gebrauch haben sich keine unangenehmen Folgeerscheinungen
herausgestellt. Dosen von 0,2 bis 0,5 dreimal täglich sind gewöhnlich zur Wirkung aus¬
reichend. Ohne Schaden kann das Mittel aber auch messerspitzenweise mehrere Male t^lich
gegeben werden und scheint also, soweit die Erfahrung reicht, ganz ungefährlich zu sein.
Bei chronischen Durchfallen wurde es mit sehr gutem Erfolg angewendet. Vor
dem Tannin hat es den Vorzug der Geschmacklosigkeit und der Schonung der Magen¬
functionen. Auch bei acuten Diarrhoen war die Wirkung eine befriedigende.
(Deutsche med. Wochenschr. No. 31.)
— Einlife selleo beobachtete Ursachea der Blelveriflftaag. In der Nähe von
Giessen erkrankten in kurzer Zeit eine ganze Anzahl von Personen an Bleikolik. Die
genaueste Untersuchung der Geräthe und Gegenstände vermochte die Vergiftungsquelle nicht
aufzndecken, bis es sich herausstellte, dass das von diesen Leuten genossene Mehl und
Brod bleihaltig waren. Da alle ihren Mehlbedarf ans ein und derselben Mühle gedeckt
hatten, wurde die Untersuchung bald auf den richtigen Weg geleitet. Die Füllmasse
des Mühlsteines erwies sich als bleihaltig, und zwar ergab die weitere Untersuchung,
dass dieselbe aus reinem Bleizucker bestand. (Zeitsch. f. Hygiene XVIII, S. 164). —
Eine 45jährige, seit Jahren an periodisch aüftretenden heftigen Krämpfen mit
galligem Erbrechen leidende Dame wurde von den Aerzten als mit Gallensteinkolik be¬
haftet nach Oarlsbad geschickt. Die Krankheitssymptome blieben nach dieser Cur während
einiger Zeit aus, um dann von Neuem auszubrechen. Eine sorgfältige Untersuchung der
Kranken ergab einen deutlichen Bleisaum der Zähne und eine beginnende doppelseitige
Radialislähmung. Durch weitere Nachforschungen Hess sich feststellen, dass die Dame
einen Puder aus Reismehl verwendete, welchem kohlensaures Blei beigemongt war.
Nachdem somit die Bleivergiftung sichergestellt und die entsprechende Behandlung durch-
geführt worden war, erfolgte vollkommene Genesung. (Centralbl. f. d. ges. Ther. No. X).
In der Pariser Academio de medicine berichtet Foveau de Courmelles über eine
Berie von Vergiftungsfallen, die er zu beobachten Gelegenheit hatte. Acht Landarbeiter
erkrankten successiv an heftigen Leibschmerzen. Der erste starb; bei den sieben Ueber-
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lebenden wurde die Diagnose Saturnismus gestellt. Trotz der genauesten Untersuchung
der Geräthe und der Nahrungsmittel dieser Leute Hess sich die Ursache der Intoxi-
catioD nicht aufdecken^ bis schliesslich der Arbeitgeber selbst auf den Gtedanken kam,
die Zinnkrüge, in welchen er seinen Arbeitern den Most vertheilte, untersuchen zu lassen.
Die Analyse derselben ergab einen ßleigehalt von 68,7®/o. In 18 Stunden war 1 Liter
Most im Stande 0,09 Blei zu lösen. Das zum Verzinnen benutzte Zinn darf laut Gesetz
nicht mehr als 1—3®/o Blei enthalten und der Bleigehalt des zur Fabrication von Zinn¬
geschirr in Anwendung kommenden Materials darf l^o nicht übersteigen. Diese Maxi¬
malgrenzen werden aber von den Zinngiessern häufig überschritten, wie aus obigem Bei¬
spiel hervorgeht, da 1 Kilo Zinn Fr. 1. 80, während 1 Kilo Blei bloss 25 Cts. kostet.
(Bullet. Acad. möd. No. 37.)
— Dr. L. Feilt berichtet über 3 Fälle von plStzliehem Tode anf dem Veloelped
bei Individuen mit Herzaffectionen. Der eine Mann, in'den sechziger Jahren, übte seit
ungefähr einem Monat täglich zweimal je eine Stunde auf dem Velociped. Während
einer dieser Uebungen fühlte er sich unwohl, stieg herab vom Velociped und starb plötz¬
lich. Der zweite Fall betraf einen Collegen, welcher nach überstandenem Typhus sich
dem Velosport ergeben hatte. Während einer Spazierfahrt fühlte er sich unwohl, stieg
vom Velo herab und fiel leblos um. Der dritte Fall betraf einen 40jährigen Mann,
der in einer Strasse von Paris plötzlich starb. In allen Fällen bestand Arteriosclerose
oder ein organischer Herzklappeufehler. lu der darauf in der Academie entstandenen
Discussion theilte HaUopeau einen weitern Todesfall bei einem jungen gesunden Mann
mit, der während einer raschen Fahrt in einen strömenden Regen kam und plötzlich starb. Den
Tod führt U, in diesem Falle auf eine Himcongestion, hervorgerufen durch den auf die
überhitzte Haut fallenden kalten Regen. Im Uebrigen ist H, der Meinung, dass der
Velosport bei gesunden Leuten und mässig getrieben keine schädliche Wirkung ansübt.
Auf die Athembewegungen wirkt das Velofahren vertiefend auf die Inspirationen ohne
eigentliche Dyspnoe hervorzurufen. Kurzathmigkeit tritt bloss bei übertrieben raschem
Fahren oder während der Lernzeit auf. Physiologisch bietet nach Marey der Velosport
den Vortheil einer allgemeinen Muskelbewegung, welche bei mässiger Ermüdung die Ath-
mung frei lässt und den Vorzug einer geringeren Eintönigkeit gegenüber anderen üb¬
lichen Turnübungen hat.
Briefkasten.
College ischiaticus, Aix-les-Bains. — Nach Wunsch besorgt. Gratuliren zum Kur¬
erfolge. — Dr. W. in B. Es ist zwar schmeichelhaft, dass Sie hartnäckig an „Dr. Schaffer'^
adressire^ der Wahrheit gemäss aber und um Verwechslungen zu vermeiden bitten wir um einen Blick
auf den Kopf dieses Blattes. — Dr. G. in W. Wir warnen Sie davor, mit einer Fabrikkrankenkasse
Pauschal Verträge einzngehen. Wenn Sie noch nicht davon überzeugt sind, dass Derartiges für den
Kranken von Nachtheil und für den Arzt unwürdig ist, so lesen Sie, bittc^ die Verhandlungen der
Versammlungen des Central Vereins in Bern (1893) und Zürich (1894), speciell die Referate von
Sonderegger und Kaufmann, — Dr. M. in Zürich: Sie offeriren dem Corr.-Blatt „eine kleine Ab¬
handlung über das Rehrtn^^sche Serum im Anschluss an eine von Ihnen beobachtete Krankengeschichte**.
Es wird der nämliche »FalP sein, den Sie in der Neuen Zörcher-Zeitung pnblicirt haben. Abgesehen
davon, dass ein Fall überhaupt nichts beweist, halten wir es für gefährlich und unerlaubt, durch
vorzeitige und wenig kritische Mittheilungen namentlich in der Tagespresse beim Publikum — aber
auch bei den Collegen — zu kühne und vielleicht trügerische Hoffnungen zu erwecken. — Dr. B,
in Pfaffnau: Wir werden Ihrem Wunsche baldmöglichst entsprechen. Das Corr.-Blatt wird seine
Leser — wie es bisher geschehen ist — über die Serumtherapie möglichst auf dem Laufenden er¬
halten, ohne den Wunsch zu verleugnen, dass die Sache, bevor sie Gemeingut des practischen Arztes
wird, erst durch die klinischen Institute und in Spitälern noch länger verfolgt, beobachtet und ab¬
geklärt werden sollte. Alles bis auhin Wissenswerthe finden Sie in dem trefflichen Referate von
Dr. Schmidt Director des eidgen. Gesundheitsamtes, über die Verhandlungen des internat. hygiein.
Congresses in Budapest. (Im Sanit. Dem. W. Bullet, reproducirt.) ~ Herr A, Zweifelt Lenzburg:
Gratuliren zu der höchsten Anerkennung, die Ihnen an der internationalen hygieinischen Ausstellung
in Antwerpen durch Verleihung des Grand prix zu Theil wurde.
Schweighauserlsche Buchdmckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
Hierzu eine Beilage zu Dr. Conrad Brunner: Zur Geschosswirkung.
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Origfina.! t:en.
Semiamputatio uteri gravidi bei Gravidität im rudimentären Uterushorn mit
völliger Genesung und späterer normal verlaufender Schwangerschaft
in der zurOckgelassenen Uterushälfte.
Von Dr. M. Walthard, Docent der Gynäcologie (Bern).
Angesicbts der hohen MortalitfttsTerhftltnisse in Folge von Ruptur des graviden
rndinoentären Utemshornes {Sänger 86,0®/«. Himmelfarh 88,8®/o, StoU 87,09*/o) em¬
pfahl Sänger') bei Mhzeitiger Diagnose einer solchen Combination von Dterusanomalie
mit Gravidität die Amputation des graviden rudimentären Hornes (Semiamputatio uteri
gravidi) auszufäbren und dabei das besser entwickelte und daher ffir eine Gravidität
geeignetere Horn zurückzulassen. Dieses radicale Vorgehen war um so gerechtfertigter,
als wir wissen,®) dass Conceptiou, Gravidität und Geburtsverlauf bei gut entwickeltem
Dteras onicornis völlig normal verlaufen können. Zur Präcision der Indicationen halten
wir es fär nätzlich, gerade solche Fälle zu veröffentlichen, welche klar zeigen, wie
durch entschiedenes Vorgehen glatte und bleibende Heilung, ja sogar Erhaltung völlig
normaler Organfunction erzielt werden kann, während bei Unterlassung des richtigen
operativen Eingriffes mit grosser Wahrscheinlichkeit Exitus eingetreten wäre.
E ra n k e n g e B ch i c h t e : N. B., 18 Jahre alt, Hausfraa, frOher stets gesund,
hatte im 15. Jahre die erste Menstruation; letztere immer regelmässig dreiwöchentlich,
mässig stark, 4—5 Tage anhaltend mit geringen Molimina. Patientin, seit einem Jahre
») Arch. f. Gyn. B. XXIV. S. 332.
*) P. Müller, Die Entwicklunesfehler des Utems. Deutsche Chirnrne von Bülroth %md Lücke.
Lief. 55. •
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verheirathet, hatte zuvor niemals geboren; letzte Menstruation Ende Mai 1892. Im An¬
fang der Schwangerschaft traten Uebligkeit, Erbrechen und Zahnschmerzen auf, welche
Patientin auf eine event. eingetretene Gravidität zuräckführte. Vier Monate lang blieb
die Menstruation völlig aus; Patientin fühlte sich dabei wohl; Exurese und Stuhl voll¬
kommen normal. Mitte October 1892 (im fünften Schwangerschaftsmonat) traten ohne
bekannte Veranlassung Schwindel- und Angstgefühl auf, so dass Patientin das Bett hüten
musste. Der zugezogene Arzt constatirte eine acute Peritonitis, welche im Verlaufe von
8—10 Wochen bis zum vollkommenen Wohlbefinden der Patientin zurückging.
Schon am zweiten Tage der erwähnten Erkrankung soll unter krampfartigen
Schmerzen im Unterleib Blut aus der Vagina abgegangen sein. Die Blutung dauerte
damals acht Tage.
Im December 1892 wiederholten sich die Bluturtgen noch zweimal mit einer Pause
von 4 Tagen. Die erste Blutung dauerte 14 Tage, die zweite 8 Tage. Auch diesmal
sollen sich zu den Blutungen krampfartige Schmerzen eingestellt haben. Fruchtwasser
oder Eihautsstücke sollen nie abgegangen sein.
Im Januar und Februar fühlte sich Patientin wiederum völlig gesund und arbeits¬
fähig; da sie sich noch immer für schwanger hielt, glaubte sie Kindesbewegungen bei
Lagewechsel zu spüren. Aehnliche Bewegungen im Unterleib will sie in Ruhelage nie
verspürt haben.
Anfangs März traten auf der linken Seite neue krampfartige Schmerzen auf,
welche seit 8 Tagen von ziemlich starken andauernden Blutungen begleitet sind, welch'
letztere noch andauern. Das Abdomen soll in den letzten Wochen an Volum eher kleiner
geworden sein; dafür soll im Munde ein unangenehmer Geschmack aufgetreten sein.
Appetit mässig; Stuhl angehalten; Exurese ohne Beschwerden.
College welcher Patientin wiederum sah, constatirte linkerseits einen Tumor im
Zusammenhang mit den inneren Genitalien und verwies Patientin zur Behandlung an
die Gynäcologische Klinik.
Status vom 24. März 1893. Mittelgrosse, blasse aber gut ernährte Frau; Tem¬
peratur normal; Puls etwas frequent, zwischen 90 und 100 pro Minute. Lungen und
Herz normal.
Die Gesichtshaut zeigt einige braune Pigmentirungen, welche seit Ausbleiben
der Menstruation aufgetreten sind; Linea alba deutlich pigmentirt. Brüste gut ent¬
wickelt, Warzenhof bräunlich verfärbt. Auf Druck entleert sich aus der Brustwarze
Colostrum.
Abdomen etwas ausgedehnt; Bauchdecken straff. Keine Strife, fettreich. Das
ganze Abdomen zeigt nirgends Druckempfindlichkeit. Die linke Unterbauchgegend scheint
besonders vorgewölbt. In derselben fühlt man eine circumscripte Resistenz von glatter
Oberfläche und derber Consistenz. Die Form der Resistenz entspricht einem Oval, dessen
Längsaxe in der Richtung von der Symphysenmitte zur linken Lendengegend liegt. Die
Messung ergab folgende Daten: Die Geschwulst erreicht nach oben die Horizontale durch
den Nabel; nach links bleibt sie 6 cm von der Spin. ant. sup. entfernt; nach rechts
überragt sie die Linea alba etwa 2—3 cm; nach unten setzt sie sich, schmaler werdend,
ins kleine Becken fort.
Veränderungen in der Consistenz, wie Härterwerden in Folge von Contractionen, lassen
sich bei der Palpation nicht nach weisen, ebensowenig Abnahme der Consistenz.
Die Leberdämpfung überragt den Rippenbogen um zwei Querfinger und zeigt
keinen Zusammenhang mit dem Tumor; Milzdämpfung nicht vergrössert. Der untere
Rand der Nieren ist beiderseits fühlbar und zeigen die Organe ebenfalls keinen Zu¬
sammenhang mit der Resistenz. Nur die Resistenz zeigt gedämpften Schall, sonst über
dem ganzen Abdomen tympanitiscber Schall. Das Coecum ist gut abtastbar, leer; Colon
ascendens, transversum und descendens sind nur nach Aufblasen des Darmes vom Rectum
her abzutasten und zeigen keinen Zusammenhang mit dem Tumor. Die Flexura sigmoidea
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geht hinter der Resistenz ins kleine Becken; Aufblasen derselben hebt den Tumor etwas in
die Höhe; seine äussere Form wird dadurch nicht verändert. Das Rectum war, soweit es
der Untersuchung mit zwei Fingern zugängig, normal; die Schleimhaut vollkommen glatt.
Scheidenschleimhaut zeigt einen leicht bläulichen Ton; es können in den Introitus vaginae
bequem zwei Finger eingefiihrt werden. Scheidenschleimhaut ist glatt, wenig aufge¬
lockert; die Scheide mittelweit.
Die bläuliche Yaginalportion, circa 1 cm lang, steht rechts von der Mittellinie; ist
etwas aufgelockert und ohne Schmerzen zu bewegen. Die Portio geht deutlich nach rechts
oben in einen kleinen rundlichen, bimförmigen Tumor über, den man als Corpus uteri
ansprechen kann. Die Consistenz ist etwas weicher als normal, scheint aber unter der
Palpation härter zu werden. Die Sonde gleitet durch die Vaginalportion bis auf 8 7*
cm in diesen kleinen Tumor — das Cavum uteri. — Rechte Adnexe zeigen nichts Ab¬
normes. Von der linken Uteruskante geht ein breiter Strang nach links in diese Resistenz
über, welche mit der von aussen gefühlten Resistenz zusammenhängt und einen Tumor
darstellt, der durch einen Stiel mit der linken Uteruskante in Verbindung steht. Die
untere Peripherie des Tumors ist unregelmässig, ihre Consistenz eher cystisch, weich
elastisch; am hinteren unteren Umfang fühlt man bei Aufblasen des Darmes vom Rectum
her, dass Darmschlingen mit der Hinterwand des Tumors verwachsen sind. Der Tumor
ist in toto wenig beweglich; der leere Uteruskörper nimmt an den Bewegungen des Tumors
nicht Theil.
Wird der Uterus mittelst Kugelzange angezogen, so spannt sich gegen den Tumor
hin ein breiter Strang; von einem isolirten Anspannen des Lig. rotund. kann man sich
nicht überzeugen. — Ovarium linkerseits ist nicht zu fühlen. — Urin klar, enthält kein
Eiweiss, keinen Zucker.
Operation am 28. März 1893. Incision vom oberen Rand der Symphyse be¬
ginnend, links am Nabel vorbei bis 5 cm oberhalb des Nabels. Das Peritoneum parie¬
tale ist stark verdickt von dicken Venen durchzogen und vielfach mit Omentum und der
vorderen Wand des graviden Uterushornes verwachsen. Schrittweise und nach vorheriger
Doppelligatur der Gefässe kann die vordere Wand des Tumor freigelegt werden. Die
obere Hälfte des graviden Uterushornes ist durch starke Gefassentwicklung im Omentum
in Form eines Wundemetzes überzogen und mit dem Omentum fest verwachsen. Um
Platz zu erhalten und parenchymatöse Blutungen zu vermeiden, wurde das Omentum
nicht stumpf abgelöst, sondern oberhalb der höchsten Adheesionsstelle resecirt. Unter
dem durchtrennten Omentum zeigten sich folgende Verhältnisse: Das gravide Uterushorn
ist von einem Kranz umgeben, der linkerseits von der flexura sigmoides, rechterseits vom
Ccßcum gebildet wird. Beide Darmstücke sind durch flächenhafte Adhäsionen mit dem
Tumor verwachsen. Nach sorgfältiger Ablösung der Därme unter Schonung der Darm¬
wand einerseits und der stellenweise nur noch papierdünnen, dem Platzen nahe stehen¬
den rudimentären Uteruswand war es möglich, das gravide Horn aus dem Becken zu
erheben. Dadurch werden die Verwachsungen der hinteren Tumor wand zugänglich und
deutlich sichtbar. Es zeigt sich dabei, dass die hintere untere Wand des graviden Uterus¬
hornes mit der Mesoflexur in breiter Fläche verwachsen war.
Nach vollständiger Ablösung der Adhsesionen zeigten sich folgende Verhältnisse : Das
nicht gravide gegen die Vagina hin permeable Uterushorn liegt, wie erwartet, anteflectirt
und dextrovertirt in der rechten Beckenhälfte; hinter demselben das normale Ovarium ohne
Corpus luteum. Die rechte Tube ebenfalls normal Das linke rudimentäre gegen die Vagina
hin impermeable gravide Corpus uteri ist mit der rechten Kante des rechten Hornes
durch einen breiten häutigen Stiel verwachsen. Die Tube liegt vor dem graviden Uterus¬
horn, ist vielfach gewunden und bildet mit dem ausgedehnten Home des Plexus pampini-
formis knäuelartige Anschwellungen; sie verläuft am vorderen Umfang des genannten
Homes zum Ovarium derselben Seite, welches der linken Hornseite langgestreckt anliegt
und ein Corpus luteum trägt. Das linke Lig. rotundum wurde bei Ablösung der Ad-
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hfiBsionen in eine Ligatur gefasst; seine Abgangsstelle befand sich am peripheren Ende
des graviden Uterusbornes.
Durch die allseitige Lösung der Adhmsionen gelang es den unverletzten graviden
Uterus in tote herausznheben und das ganze Horn glatt abzutragen. Hierauf wird die
Wundfläche der rechten üterusseite durch eine LemberV^Qhß Naht mit Serosa bedeckt und
derart an das Lig. latum des linken Stiels angenäht, dass das nach rechts dextrovertirte
rechte normale Uterushorn in die Mitte des Beckens zu stehen kam. Dadurch wurden
linke Tube und linkes Ovarium frei beweglich.
Vollkommener Schluss der Bauchhöhle mit dreifacher Naht:
1) Serosanaht; 2) Muskelfasciennaht; 3) Hautnstht.
Zum Schutz der Hautnaht wurde ein Bismuthcollodiumverband angelegt. Der Ver¬
lauf war völlig normal: Keine Temperatursteigerung; Schmerzen nur am ersten Tag. Am
15. Tage steht Pat. auf.
Entlassungsstatus am 21. Tage nach der Operation. Patientin fQhlt sich
vollkommen wohl; Rechtes Uterushom anteflectirt, nicht vergrössert; leicht beweglich in
der Mitte stehend. Rechte Adnexe normal. Auf der linken Seite ist nichts von Ex>
sudat nachweisbar; combinirte Untersuchung absolut schmerzlos. Die junge, frisch ver¬
heiratbete Patientin wird mit der Aussicht auf Nachkommenschaft entlassen.
Notiz 4 Monate später: Patientin fühlt sich vollkommen wohl; Wieder¬
eintritt der Menstruation drei Wochen nao.h der Entlassung aus dem Spital; Wiederholung
der Menses nach drei Wochen; acht Tage dauernd; mässig stark, ohne Molimina. Seit
2 Monaten Ausbleiben der Menstruation. Patientin trägt ihre Leibbinde schon seit 2
Monaten nicht mehr. Trotz schwerer Landarbeit fühlt sie kein Nachgeben in der Bauch-
narbe.
Status der Genitalien: Vagina bläulich verfärbt, schleimig, etwas aufgelockert;
Portio aufgelockert; äusserer Muttermund geschlossen. Art. cervicales pulsiren beiderseits
stark; die Portio geht in einen runden Körper über, welcher drei Querflnger die Symphyse
überragt; die Consistenz des Tumors ändert sich bei der combinirten Untersuchung.
Ovarien rechts deutlich fühlbar; beweglich. Links nichts von Exsudaten fühlbar. Diagnose:
Gravidität in 10. bis 12. Woche. Weiterer Verlauf der Gravidität ohne weitere Störung.
Am 21. Februar 1894 erfolgte die spontane Geburt eines Mädchens in Fusslage.
Verlauf des Wochenbettes normal; Patientin fühlt sich völlig gesund und arbeitsfähig.
Die patholog.-anatomischen Verhältnisse des Präparates waren folgende:
Das exstirpirte gravide Uterushorn besteht aus. einem theils cystisch, theils derb an¬
zufühlenden Tumor mit teigähnlich weichen Wandungen von verschiedener Dicke. Maxi¬
mum der Wandstärke 11 mm. Minimum 0,5 mm. Die 0,5 mm dünne Wand ist durch
den Inhalt ausgebuchtet und kann durch Compression des Tumors leicht zum Platzen
gebracht werden. Der Inhalt besteht aus einer gelblichbraunen, trüben, schleimigen
Masse, in welcher sich ein abgestorbener, 30 cm langer männlicher Foetus nebst Placenta
befindet. Aus dem Inhalt können weder microscopisch noch culturell Microorganismen
nachgewiesen werden. Der microscopische Bericht über den Fruchtsack aus dem patho¬
logischen Institut erklärt die Wandungen desselben für Uterusmusculatur mit Decidua-
bildung. Eine Communication des Tumors mit einem Gang gegen den Stiel und die
Vagina hin war nicht nachweisbar.
Verlauf und Symptome sind für Gravidität sprechend: Zunächst das plötz¬
liche Ausbleiben der regelmässigen Menstruation kurze Zeit nach der Verheirathung;
dazu reflectorische Störungen im Gebiete des Trigeminus und Vagus: Zahnneuralgien,
Uebligkeiten, Erbrechen. Dies Alles in Verbindung mit einer relativ raschen Entwick¬
lung eines aus dem kleinen Becken ins grosse Becken hinaufwachsenden Tumors liess
von vorneherein die gewöhnlichen Ovarial- und Uternstumoren als wenig wahrscheinlich
ausschliessen.
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Objectiv wurde die Diagnose Gravidität durch Schwangerschaftszeichen gestützt.
Vorerst die Pigmentirnngen am Gesicht, am Warzenbof der Mamma, in der Linea
alba; die Prominenz der Montgomery'aahm Drüsen am Warzenhof und die Anwesen¬
heit von Colostrum in den Brüsten; endlich bläuliche Verfärbung und Auflockerung
der Scheide und Portio.
Durch den Nachweis eines um 1,5 cm verlängerten, gut entwickelten leeren
Uterus, und dies bei einer Frau, die niemals zuvor geboren noch abortirt haben will,
lag die Annahme einer ectopischen Gravidität nahe. Die ünraüglichkeit, die
Sonde gegen den Tumor vorzuschieben, liess Gravidität in einem normal entwickelten
Horn eines Uterus bicornis ausschliessen; dagegen sprachen auch die vergeblichen Ex-
pnlsionsversuche des Fruchtsackes. Durch den Nachweis eines breiten Stranges als
Stiel und Verbindnngsstück des Tumors mit dem leeren Uternskörper konnte eine
interstitielle Tubargravidität ausgeschlossen werden. Die Diagnose Tubar-
gravidität konnte um so weniger befriedigen, als bei lebendem Foetus Buptur des Frucht-
sackes in den ersten 4 Monaten in 907o der Fälle beobachtet werden kann, während
das Gedeihen der Festen bis in spätere Monate (wie in unserem Falle) trotz der grossen
Zahl von exacten Beobachtungen nur verschwindend selten vorznkommen scheint. Weitere
differential-diagnostisch wichtige Aufschlüsse hätte die Abgangsstelle der Lig. rotunda
geben können. — Die voraufgegangene Peritonitis mit reichlichen Verwachsungen liess
auch in Narcose keine diesbezüglich entscheidenden Schlösse zu. — So konnte
die Diagnose mit Sicherheit auf Gravidität ausserhalb des
normalen Uterus, mit Wahrscheinlichkeit auf Gravidität
im rudimentären Uterushorn oder sehr seltener Verlauf
von Tubargravidität gestellt werden.
Prognose und Therapie sind für beide Eventualitäten die nämlichen.
Auch in unserem Falle befand sich die Gravidität linkerseits, entgegen der
Annahme älterer Autoren {Merkd, Camts), welche angeben, fiornschwaugerschaft sei
nur rechterseits beobachtet worden.
Besonderes Interesse haben die Graviditäten im rudimentären gegen die Vagina
hin impermeablen Uterushorn bezüglich des Conceptionsmodus.
Kann während der Operation oder bei Sectionen auch mittelst feinster Sonden
oder gar nur microscopisch in Querschnitten eine Verbindung des graviden Hornes mit
dem Cervicalcanal oder der Vagina nachgewiesen werden, so ist wohl anzunehmen, dass
das Sperma durch diesen feinen Canal eindringt, auch für den Fall, dass der Canal
während der Gravidität obliterirt und obliterirt gefunden wird.
Anders verhält es sich um den Conceptionsmodus, falls kein Weg zwischen Uterns-
horn und Vagina nachgewiesen werden kann, Fälle, die durch äussere Ueberwandernng
des Samens erklärt werden, wenn sich das Corpus luteum auf der dem graviden
Home entsprechenden Seite befindet; umgekehrt kann Conception nur durch äussere
Ueberwandernng des befruchteten Eies oder des Sperma und Eies entstehen, wenn das
Corpus luteum sich auf der dem graviden Home entgegengesetzten Seite be¬
findet. Beide Conceptionsmodi sind experimentell am Thier beobachtet worden. In
unserem Falle befand sich das Corpus luteum auf der nämlichen Seite des Neben-
hornes, linkerseits; das rechte Ovarium war völlig normal, die Gravidität entstand bei
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der Unmöglichkeit, eine Verbindung zwischen Vagina und Nebenhorn nachzuweisen
durch äussere Ueberwanderung des Sperma.
Wichtig ist die Frage des Verlaufs und der Prognose der Neben¬
bornschwangerschaften für die Mutter, falls das Horn nicht entfernt wird; hängt ja
doch gerade davon die Indication eines operativen Eingriffes ab.
Wir haben Eingangs erwähnt, dass drei Autoren äbereinstimmend Buptur des
Fruchtsackes mit Verblutungstod als den gewöhnlichen Ausgang dieser Aifection
gefunden haben. Wie nahe in unserem Falle die Ruptur mit ähnlichem Ausgang be¬
vorstand, bewies die an einer Stelle papierdfinne Wand, welche nach intacter Ent¬
fernung aus der Abdominalhöhle nur durch leichte Compression zum Platzen gebracht
werden konnte. Gewiss wäre bei den nächsten Expnlsionsversuchen des Fruchtsackes
dieses Ereigniss in abdomine eingetreten und bei der starken Vascularisirung die
Patientin verblutet. Ausserdem sind Fälle bekannt, wo durch Eiterung und Verjau¬
chung der Frucht der Trägerin Gefahr septischer Infection drohte.
Bacteriologische Notizen über solche Fälle sind den veröffentlichten Fällen nicht
beigefügt. In unserem Falle erwies sich der Inhalt steril.
Weiterer Schaden für die Mutter entsteht durch Resorption der Zerfalls-
producte. Die Patienten kränkeln; schlechter Geschmack tritt im Munde auf infolge
Ausscheidung resorbirter Stoffe aus dem Darmtractus und der Mundscl^leimhaut, wie dies
in unserem Falle intensiv aufgetreten sein soll. — Dadurch verlieren die Patienten den
Appetit, magern ab und verlieren an Widerstandskraft anderen schädlichen Einflüssen
gegenüber. Der Durchtritt chemischer Zerfallsproducte durch den Fruchtsack hat
chronische Peritonitis und Verlöthung des schwangeren Uterus mit seiner Umgebung
in Folge cbemiscber aseptischer Peritonitis zur Folge. (Vide Tavd und Lane, Äetiologie
der Peritonitis. Elin. Mittheilungen, Serie I, Nr. 1.)
In wie ausgedehntem Maasse solche Verwachsungen in Form von fläcbenhaften
breiten Adbsesionen zwischen Nebenborn und Omentum, Darm, Mesenterium eintreten
können, geht aus unserem Operationsbericht hervor.
Bacteriologische Untersuchungen von Fibrinauflagerungen fielen in unserem Falle
sämmtlich negativ aus. In ganz vereinzelten Fällen (Arch. f. Gyn. 1881. Bd. XVII,
S. 153) kommt es zu intrauteriner Lithopädionbildung.
Bei der so ungünstigen Prognose, welche Nebenhorn¬
schwangerschaften für die Mutter bieten, halten wir mit
Sänger und Anderen die baldmöglichste Entferung des
ganzen F r u c h t s ac k e s, wie bei T u b a r g r a v i dä t für unbedingt
i n d i c i r t. Wir glauben uns zu dieser Indication um so mehr berechtigt, als sogar
unter recht schwierigen und complicirten Verhältnissen, wie gerade unser Fall zeigt,
für die mit Exitus bedrohte Mutter nicht nur völlige Heilung, sondern vollkommene
Erhaltung der Genitalfunctionen erzielt werden kann.
Besonders wichtig erscheint uns hiezu der Operationsmodus.
Wir haben seiner Zeit Experimente veröffentlicht, welche klar zeigten, dass ohne
Gegenwart von Bacterien, bei völliger Asepsis, das Peritoneum durch chemische und
physicaliscbe Reize in den Zustand einer aseptischen Entzündung versetzt werden kann,
welche zu Verwachsungen der benachbarten Peritonealfläcben führt. Welche grosse
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ätiologische Rolle solche Verwachsungen des Peritonealüberzuges der weiblichen Gene¬
rationsorgane in Folge von Perimetritis, Perisalpingitis, Perioophoritis kurz in Folge
Ton Pelveoperitonitis, in der Lehre von der Sterilität beim Weibe spielen, braucht
nicht besonders hervorgehoben zu werden.
Gestützt auf diese Befunde haben wir es uns bei allen Laparotomien als suprema
lex aufgestellt, das Peritoneum während der Dauer der Operation vor allen diffe¬
renten Substanzen zu schützen, um dadurch den Patienten einen ungestörten Verlauf
mit bleibender Heilung zu sichern und durch Verhütung pelveoperitonitischer Ad-
bsesionen die normale Function der Generationsorgane, wofern solche nicht entfernt werden
müssen, zu erhalten. Die Möglichkeit, solch ideale Resultate zu
erzielen, ist durch unsern Fall auf's schönste illustrirt.
Wir suchen alle cystischen Tumoren, welche durch Verwachsungen mit der Dm-
gebung fast ausnahmslos die differente Natur ihres Inhalts verrathen, ohne Torherige
Entleerung (auch nicht durch Punction) intact und in toto aus ihren Verwachsungen
auszulösen und uneröffnet ans der Abdominalhöhle zu entfernen. Welche Vortheile
dies z. B. für die Prognose der Pyosalpinxoperationen bietet, ist leicht ersichtlich.
Entgegen dem üblichen Verfahren haben wir denn auch trotz der starken Vascu-
larisation, trotz der vielfachen und flächenhaften Adhaesionen den Fruchtsack nicht im
Abdomen zurückgelassen, entleert, austamponirt und der Naturbeilung überlassen, son¬
dern nach exacter Blutstillung und völliger Trennung aller Adhaesionen die supra-
vaginale Amputation des graviden Nebenhornes (Semiamputatio uteri gravidi nach
Sänger) ausgeführt.
Zur Vermeidung breiter Adhaesionen während der Beconvalescenz halten wir es
aus früher erörterten Gründen für zweckmässig, Wundflächen im Gavum peritonei mit
normaler Serosa zu bedecken, was in unserem Falle mit der Aufrichtung des normal
entwickelten rechten Uterushornes aus seiner Dextroversionslage verbunden werden konnte.
Die Bauchnabt legen wir nur in der Form der Etagennaht an, indem wir aus
Thierversnchen, sowie ans den guten Resulaten, welche diese Art des Baucbver-
schlusses bietet, zur Ueberzeugung gekommen sind, dass nur durch eine exact ange¬
legte Etagennaht inniger Gontact anatomisch zusammengehöriger Wundflächen garan-
tirt werden kann. Eine solche Fixirung der Wundränder hat lineäre Verklebung und
daher minimale Bildung von dehnbarem Narbengewebe zur Folge, welch’ letzteres als
primäres ätiologisches Moment — als locus minoris resistentise und Angriffspunkt der Bauch*
presse — beim Entstehen einer Bauchhernie nach Laparotomie angesehen werden muss.
Wenn wir nun in diesem durch mancherlei Gomplicationen erschwerten Falle
nicht nur glatte und bleibende Heilung, sondern Erhaltung völlig normaler Functionen
der zurückgelassenen Generationsorgane erzielt haben, so schreiben wir dies nicht nur
der Entfernung des Nebenhornes und Reposition des entwickelten rechten Uterushornes,
sondern hauptsächlich der feuchten Asepsis zu, durch welche jene oben erwähnten
chemischen und physicalischeu Pelveoperitonitiden und die dadurch bedingte Sterilität
vermieden werden können. Das Wesen und die wissenschaftliche Begründung der feuchten
Asepsis haben wir in dieser Zeitschrift, Jahrgang XXIII (1893), sowie im Archiv für
experimentelle Pathologie und Pharmacologie (1892) niedergelegt.
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Heilung eines Oesophagusdivertikels durch die Operation.
Von Dr. med. v. Mandach junior, Arzt am städtischen Erankenhause in Schaff hausen.
Nachdem sich die Chirurgie während der letzten zwei Decennieu auf allen Ge¬
bieten der Heilkunde neue Erfolge angeeignet hatte und nachdem die Sterblichkeits¬
ziffer aller Operationen, Dank der durchgeführten Reinlichkeit, erheblich herabgesetzt
worden war, lag es eigentlich auf der Hand, dass auch die Behandlung des Oesopha¬
gusdivertikels von Seite eines Chirurgen einer gründlichen Revision unterzogen werden
musste.
Nur der Umstand, dass die Fälle ächter Divertikel des Oesophagus sehr selten
sind, kann es erklären, warum diese Revision ziemlich lange auf sich warten Hess.
Fon Bergmann unternahm es dann im Jahre 1892 in einer sehr gründlichen
Arbeit’) das Symptombild dieser Krankheit wieder aufzufrischen, die anatomischen
Verhältnisse eines wirklichen Oesophagusdivertikels festzustellen, seine Aetiologie zu
besprechen und eine erfolgreiche Behandlung durch die Operation an Hand eines neuen
Palles zu illustriren. '
Unmittelbar nachher folgte Kocher^) mit zwei ebenfalls geheilten Patienten dieser
Categorie, wobei er, als wesentliche Verbesserung des Operationsmodus, die Ueber-
näbung des Divertikelstumpfes mit Oesophaguswand empfahl.
Schliesslich beschrieb kürzlich Carl Basch^) einen solchen Fall, den er auch durch
die Exstirpation des Divertikels heilte. Leider scheint Basch den Vorschlag Kocher^s
nicht gekannt zu haben.
Wenn ich mir erlaube, hierüber auch eine Krankengeschichte folgen zu lassen,
so geschieht das nicht, um etwas Neues zu bieten, sondern lediglich, einen Beitrag
zu der noch kleinen Statistik dieser Krankheit zu liefern und damit zu beweisen, dass
es auch in kleineren Verhältnissen möglich sei, diese Patienten vor ihrem elenden Da¬
sein und traurigen Ende zu schützen.
Anamnese: Russenberger, Samuel, 62 Jahre alt, Säger in Schaffhansen. Die
Eltern des Patienten starben über 70 Jahre alt an Altersschwäche; ein Bruder starb
an Typhus abdominalis, eine Schwester an „Fieber" in Amerika; ein Bruder lebt und
ist gesund; ebenso zwei Söhne des Kranken. Er selbst war noch nie erheblich krank
gewesen. Er kann sich nicht erinnern, jemals einen Fremdkörper oder sehr heisse Speisen
verschluckt zu haben, ebensowenig erlitt sein Hals äusserlich ein Trauma. Fieber, Eiter¬
auswurf, Husten etc., überhaupt Symptome, welche auf eine Vereiterung der Brouchial-
drüsen hinwiesen, hat er nie beobachtet. Es bestand auch nie Magencatarrh, nie heftiges
Erbrechen.
Der Patient weiss auch nichts davon, dass in seiner Kindheit eine Halsfistei vor¬
handen gewesen wäre und zeigt auch jetzt nirgends eine Hautnarbe, welche davon zeugen
könnte.
Ohne bestimmte Ursache bekam R. im Jahre 1887 das Gefühl von Wüi^en im
Halse, das sich ganz allmählig steigerte und ihm nach und nach den Eindruck aufnöthigte,
als wäre ein Fremdkörper im Halse stecken geblieben.
R. wurde nun von seinem Hausarzte drei Monate lang sondirt, während welcher
Zeit die Beschwerden eher zu- als abnahmen. Die Speisen gingen jedoch beim lang-
*) Langenbeck Arch. f. kl. Chir. Bd. 43. Heft I.
•) Corresp.-Blatt £ Schweiz. Aerztc, Nr. 8, 1892.
•) Prager med. Wochenschrift, Nr. 5, 1894.
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Samen Essen herunter, so dass der allgemeine Ernährungszustand wenig litt. Der be¬
treffende College schickte mir den Patienten mit der Bemerkung zu, er stelle die Dia¬
gnose auf Carcinom des Oesophagus und habe den Verwandten des Kranken erklärt, dass
„Nichts mehr zu machen^ sei.
Bei der ersten Untersuchung konnte ich mit Leichtigkeit eine zeigfingerdicke Schlund¬
sonde in den Magen einführen, ohne dass ich irgendwo auf ein Hindemiss gestossen wäre
oder der Patient Schmerzen gefühlt hätte. Da ich desshalb die Ansicht des Herrn Col-
legen nicht theilen konnte, bestellte ich den Patienten acht Tage später wieder. Dies¬
mal blieb ich mit jeder eingeführteii Sonde 25 cm vom oberen Zahnrande entfernt im
Oesophagus stecken und es gelang mir trotz lange fortgesetzter Versuche nicht, weiter
hinabzukommen. In nächster Zeit wiederholte ich diese Sondirung, bald mit positivem,
bald mit negativem Erfolge. Diese Hebungen setzte ich etwa ein halbes Jahr lang fort.
Die Schlingbeschwerden des Patienten vnichsen, sein Kräftezustand und seine Arbeits¬
fähigkeit dauerte aber immer gleich fort. Es war mir nun zur Gewissheit geworden,
dass kein maligner Tumor vorliege, dass es sich vielmehr um eine locale Erweiterung
resp. Verengerung des Oesophaguslumen ans irgend einer andern Ursache handeln müsse.
Da ich mit Arbeit überhäuB war, überliess ich die Sondirung längere Zeit meinem Assi¬
stenten. Der Zustand des Patienten war nach einem weitem halben Jahr nicht besser,
nicht schlimmer. Wir schickten R. daher an eine chirurgische Klinik zur Consultation.
Derselbe brachte uns den schriftlichen Bericht zurück: „Es handle sich höchst wahr¬
scheinlich um eine Exostose eines Halswirbels.“ Nihil faciendum. — Wir stellten daher
unsere Manöver mit der Sonde einstweilen ein und Qberliessen den Kranken seinem
Schicksale.
Da derselbe in der Nähe des Krankenhauses auf einer Säge arbeitete, traf ich ihn
während der nächsten vier Jahre häufig auf der Strasse an. Ich konnte dabei eine
langsame Abnahme der Kräfte constatiren, frug den Patienten oft nach seinem Befinden,
der mir seinen Zustand als schlimmer bezeichnete: die Speisen würden jetzt häufiger als
früher zurückgestossen. Der Mann war immer deprimirt und sah dem langsam kom¬
menden Ende bange entgegen.
Seine Begegnung war mir immer ein Stein des Anstosses und es überschlich mich
dabei jedesmal ein beschämendes Gefühl. Da erschienen 1892 die schon erwähnten Ar¬
beiten von von Bergmann und Kocher und ich zweifelte nun auch keinen Augenblick
mehr daran, dass es sich hier um ein ächtes Oesophagusdivertikel handle. Ich stieg
dem Patienten auf die Bude und trug ihm die Operation an. Derselbe wollte sich An¬
fangs nicht darauf einlassen. Er sagte mir, dass er in den letzten Jahren schon bei
verschiedenen Aerzten und Professoren gewesen sei und Alle hätten ihm denselben Be¬
scheid gegeben, dass nichts zu machen sei, und dass jeder operative Eingriff ihm das
Leben kosten würde. Natürlich wollte ich denselben nicht überredet, stellte mich aber
zur Verfügung, falls ihm sein Leiden .unerträglich würde.
Es verging nun noch ein volles Jahr bis sich der Kranke zur Operation meldete.
Seine Leiden waren wirklich unerträglich geworden. Schon ein ganzes Jahr lang konnte
er nur mit Mühe flüssige Nahrung zu sich nehmen. Seine Frau und seine beiden Söhne,
die mit ihm zusammen assen, verzichteten darauf, Brot, Fleisch, Gemüse etc., auf den
Tisch zu stellen, um die Tantalus-Qualen des Vaters nicht zu erhöhen und mussten alle
diese Speisen heimlich essen. Seine Kräfte schwanden, er magerte ab, würde fortwährend
von masslosem Hunger und Durst gequält und ging dem sicheren Hungertode entgegen.
ln dieser Verfassung trat R. Mitte September 1893 ins städtische Kranken¬
haus ein.
Status praesens: Das Aussehen des Patienten entspricht ungefähr seinem
Lebensalter. Der Blick ist matt, die Haut blass. Die Knochen und Muskeln sind sehr
kräftig entwickelt, der Panniculus adiposus ist volkommen geschwunden, die Haut liegt
den Muskeln dicht an, so dass jeder derselben scharf markirt hervor tritt.
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Aeusserlich ist am Halse ausser einer kleinen central gelegenen Strnma nichts
Abnormes zu constatiren. — Alle innem Organe sind gesund.
Lässt man den Patienten irgend eine Flüssigkeit schlucken, so wird jeder einzelne
Mundvoll mühsam heruntergewürgt. Es entsteht ein eigenthümliches gurrendes Geräusch,
nachher ein geräuschvolles Rülpsen, wie man es sonst nur bei Hysterischen hört, und
nach etwa 5 Minuten wird die verschluckte Menge ohne grosse Anstrengung wieder aus-
gestossen. Auch wenn man den Patienten nichts schlucken lässt, wird 3—4 Mal in
jeder Stunde ein Mundvoll geruchlosen Schleims herausgeworfen. Schläft der Patient
und dauert dadurch die Pause zwischen den einzelnen Exspectorationeu länger, so wird
eine furchtbar stinkende Flüssigkeit zu Tage gefördert. Es besteht überhaupt fortwährend
fostor ex ore. Das Ausstossen von Oesophagusinhalt erfolgt häufiger, wenn der Patient
auf dem Rücken oder auf der linken Seite, seltener wenn er rechts liegt oder steht.
Ist eine Ansammlung von Flüssigkeit im Divertikel vorhanden, so kann man die¬
selbe durch einen raschen und energischen Fingerdruck auf die Trachea oberhalb des
Jugulum sterni in den Mund heraufpressen, was nicht gelingt, wenn man rechts oder links
neben der Luftröhre eindrückt. Es lässt sich nirgends eine Geschwulst am Halse sehen
oder fühlen, es kann die eingeführte Schlundsonde hier auch nicht palpirt werden.
Niemals gelang es mir jetzt die Sonde am Divertikel Vorbeizufuhren, ebensowenig
konnte ich neben der eingeführten Sonde ein dickeres oder dünneres Bougie tiefer her¬
unterbringen.
Ich Hess nun dem Manne drei Mal täglich ein Pepton-Salzwasser-Klystier geben,
den Mund mit gesättigter Salicylsäurelösnng spülen und diese Lösung fleissig in das
Divertikel herunterschlucken, wodurch eine gründliche Reinigung desselben stattfand.
Zwei Tage später, am 14. September 1893, wurde die Operation unter Assi¬
stenz der Herren Dr. v. Mandach^ senior und Dr. Moser vorgenommen.
Der Hautschnitt beginnt in der Mitte des innem 7» Clavicula, verläuft in ge¬
rader Richtung nach oben und endet zwei Querfingor breit oberhalb der Cartilago thyre-
oidea. Beim Vordringen in die Tiefe werden die m. sternohyoideus und m. sternothy-
reoideus sammt einem kleinen Strumalappen medianwärts, der m. sterno-cleido-mastoideus
und m. omo-hyoideus mit art. carotis, v. jugnlaris und n. vagus lateral gezogen. Die
Halsfascien werden theils mit dem Messer, theils stumpf durchtrennt. Da die art. thyreoid.
sup. quer über die Mitte des Operationsfeldes verläuft und jede freie Action hindert,
wird dieselbe doppelt unterbunden und durchschnitten. Der n. recurrens vagi verläuft
als unheimlicher Gast etwas nach aussen von dem Oesophagus, parallel zu diesem durch
die ganze Wunde und wird mit stumpfem Haken vorsichtig nach aussen verlagert.
Der Oesophagus ist ziemlich schwierig hinter der Trachea aufzufinden. Während der
Patient räuspert, erscheint hinter dem linken Rande der Luftröhre ein weicher Schlauch.
Derselbe wird mit anatomischer Pincette und Finger vorsichtig vorgezogen und freiprä-
parirt; sein stumpfes, blind auslaufendes Ende reicht bis unter das Jugulum sterni. Nach
oben ist dieser Schlauch begrenzt durch den Muskel des Constrictor inferior pharyngis,
welcher ein ziemlich starkes Faserbündel um ihn herum sendet. Hier geht dieser
Schlauch in den Oesophagus über und bildet an demselben ein 6,5 cm langes Diver¬
tikel. Dasselbe scheint leer zu sein, wird aber zur Sicherheit noch kräftig ausgestrichen,
möglichst nahe an der Oesophagnswand mit Seide unterbunden und ca. 1 cm weiter oben
mit Paquelin abgetragen; die Schleimhaut und etwaiger Inhalt versengt und dann über
dem Wundrande eine fortlaufende Seidennaht angelegt. Vergeblich versuchte ich nun
diesen Stumpf einzustülpen und ihn nach Kocher mit normaler Oesophagnswand zu über¬
nähen. Der Versuch scheiterte. Ich weiss nicht, muss ich meiner eigenen Ungeschick¬
lichkeit oder der ausserordentlichen Weite des Divertikelhalses (derselbe hatte nämlich
9,5 cm Umfang) Schuld geben. Genug! Ich musste mich darauf beschränken, einen
schmalen Jodoformgaze-Tampon vom untern Haut-Wund Winkel bis zur Oesophagusnaht
einzulegen und daneben ein Drainrohr einzuschieben. Die Muskeln und Fascien wurden
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durch einige Knopfdähte aneinander gelegt und die Haut dnroh eine fortlaufende Naht
geschlossen.
Zur Narcose diente Aether sulfuricus. Die Operation hatte ^/4 Stunden gedauert.
Wundverlauf: Vom 15. bis 20. September war der Zustand des Patienten
sehr befriedigend. Abgesehen von heftigen subjectiyen Schlingbeschwerden, war nichts
Abnormes zu bemerken. T. 36,8—37,5. Puls 80—100. Die Nahrung bestand in
Nährclystieren von Pepton-Eigelb - Salzwasser. Ausserdem bekam der Patient frisch ge¬
kochtes Wasser zum Spülen des Mundes und durfte auch hie und da einen Schluck da¬
von trinken. Als ich am 21. September den Jodoformg.-Tamp. wechseln wollte, ge¬
wahrte ich, dass das Secret übelriechend war und dass sich kleine necrotische Fetzen
mit demselben entleerten. Als ich darauf den Kranken etwas Milch trinken Hess, floss
ein Theil derselben durch die äussere Wunde ab. Es wurde nun der Wundcanal drei¬
mal täglich mit l®/o Lysollösung ausgespritzt und alles abgehende Secret in feuchten l®/o
Lysol Umschlägen aufgefangen.
Am 23. September trat plötzlich eine sehr heftige Blutung ein. Obgleich
dieselbe von der anwesenden Diaconissin rasch durch Compression gestillt worden war,
fand ich den Patienten bei meiner Ankunft doch schon pulslos, bei mangelhaftem Be¬
wusstsein, im Zustande tiefster Anaemie. Nachdem ich zwei Campher-Aether-Injectionen
gemacht, sprengte ich sofort die ganze Hautnarbe, trennte die frischen Verklebungen der
tieferen Weichtheile mit dem Finger und überzeugte mich, dass sowohl der centrale, als
der periphere Stumpf der art, thyreoid. sup. noch gut unterbunden waren. Die etwa
gänseeigrosse Höhle war ganz mit necrotischen Fascien und Zellgewebe erfüllt.
Die Blutung war also wahrscheinlich eine venöse oder parenchymatöse gewesen
und rührte jedenfalls aus Oefässen her, welche beim Abstossen dieser Qewebe eröffnet
worden waren.
Nachdem ich nun die ganze Wunde mit Thymolgaze ausgestopft hatte, führte ich
eine Schlundsonde durch den Mund in den Magen ein und goss dem Patienten dadurch
72 Liter Milch und 2 Eier ein.
Mittags wiederholte ich die Sondirung und gab 7> Liter Bouillon mit Kemmerich,
2 Eier, 4 Deciliter Veltliner. Der Puls war wieder fühlbar geworden, zählte 140 i. M.,
das Bewusstsein klarer. Stündlich eine Campherölinjection. Abends Wechsel des Tampons.
Nochmalige Sondenernährung.
Vom 24. bis 30. September erholte sich R. langsam wieder. Unter fürchterlichem
Gestank stiessen sich die Fascien- und Zellgewebsfetzen, vom Proc. mastoid. bis zum
Jugulum, sammt dem übernähten Divertikelstumpfe ab, so dass die ganze linke Halsseite
einem regelrechten Muskelpräparate glich. Merkwürdigerweise stieg die Temperatur nie
über 38® C. und der Patient litt eigentlich, ausser an der durch die Blutung verur¬
sachten Anaemie, an keinen Störungen des Allgemeinbefindens.
Aus der weit klaffenden Oesophaguswunde entleerte sich bei jeder Schluckbewegnng
massenhaft Schleim und Speichel. Die Ernährung wurde zweimal täglich mit der Sonde
bewerkstelligt.
Vom l. bis 8 . October füllte sich die Wunde rasch mit schönen, rothen
Granulationen. Der Geruch hörte auf; die Thymoltamponade wurde täglich zweimal
fortgesetzt.
Am 10 . October war die Wunde geschlossen und der Patient konnte nun
flüssige Nahrung leicht schlucken. Am 11 . October bekam er Brei, am 12 . October ge¬
hacktes Fleisch und wurde am 14. October, also genau ein Monat nach der Ope¬
ration, nach Hause entlassen.
Da er in Schaffhausen wohnte, blieb er natürlich noch unter meiner Controle.
Bald konnte R. jede feste Nahrung gemessen und erholte sich zusehends.
Bis Anfangs Dezember ging Alles gut, da zeigte sich unter leichtem Frösteln und
einer Temperatur von 40® eine leichte, phlegmonöse Röthung und brettharte Schwellung
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am Halse. Ich machte sofort am untern Ende der Narbe eine kurze Incision und arbeitete
mich stumpf in die Tiefe, gelangte dabei bald in einen kleinen Abscess, der mit dem
Oesophagus communicirte. — Es war nun während der nächsten acht Tage sehr interes¬
sant, an dieser Oesophagus-Halsfistel den physiologischen Spritzact {Kronecker) bei der
Contraction der Constrictoren des Pharynx zu beobachten. So oft ich nämlich den
Kranken etwas Milch oder Wasser schlucken Hess, spritzte die Flüssigkeit unter starkem
Drucke in weitem Bogen aus dem Wundkanal heraus. Die Ernährung wurde 10 Tage
lang wieder mit der Sonde bewerkstelligt. Das Fieber schwand rasch und das Befinden
des Patienten besserte sich. Am 11. December schloss sich die Wunde und ist nie wie¬
der aufgebrochen.
R. isst und trinkt seither wie jeder andere Mensch, raucht Sonntags auch seine
Cigarre und arbeitet als fleissiger Taglöhner in jeglichem Dienste.
Anatomie des Divertikels: Wie ich oben schon erwähnt habe, ent¬
sprang das Divertikel links hinten an der Oesophaguswand in der Höhe der Cartilago
cricoidea. Dasselbe lagerte sich hinter den Oesophagus und reichte bis zur Gegend des
Jugulum sterni herab. Es stellt einen derben, bindegewebigen Blindsack von 6,5 cm
Länge dar, ist cylinderforraig gebaut 5 sein Umfang beträgt 9,5—10,0 cm und seine
Inoenfiäche ist mit einer Schleimhaut überzogen. Derselbe besitzt also alle Eigenschaften,
welche zur Characteristik eines ächten Oesophagusdivertikels gehören.
Da die Angaben über die histologische Structur dieser Gebilde immer noch diffe-
riren, habe ich zum Vergleiche bei der microscopischen Untersuchung genau an der¬
selben Stelle einer frischen Leiche ein Stück Oesophagus entnommen und mit meinem
Divertikel in Alcohol gehärtet, dann eine Serie Schnitte angefertigt, in Picrocarmin ge¬
färbt und in Canadabalsam eingeschlossen. Die Untersuchung ergab:
I. Normaler Oesophagus: In der Schleimhaut sind die vollkommen fiachen
Pfiasterepithelien so dicht geschichtet, dass dieselben eine fast homogene, durch das
Picrin gelblich gefärbte, Membran bilden, welche nur durch einige änsserst feine parallele
Linien und durch spärlich gesäete rotbgefarbte, längliche Kerne gezeichnet wird. Auf
der tiefsten Schichte derselben erheben sich kleine Papillen, welche sich in das anliegende
Bindegewebe einsenken. Ihre Zahl und Grösse variirt an verschiedenen Stellen sehr;
ihre Höhe übersteigt aber selten erheblich die Dicke der geschichteten Membran. Die
Zellen dieser Papillen sind meist cubische. — Daran schliesst sich eine Schichte ziemlich
lockeren Bindegewebes, welches einige Schleimdrüsen beherbergt und spärliche Geföase
und Nerven führt (Submucosa). Ihre Mächtigkeit mag etwa das Vierfache der epithelia¬
len Partie betragen. Sie wird umschlossen von einer mächtigen Schichte quergestreifter
Muskelfasern (crico-pharyngeus). Dieser schliessen sich einige längsverlaufende Muskel¬
fasern an nnd dann folgt die Adventitia als lockeres Bindegewebe, durchzogen von zahl¬
reichen Gruppen von Fettläppchen.
II. Divertikel: Hier findet sich zuerst genau dieselbe homogene Membran,
wie ich sie oben geschildert habe; dann folgt aber die papilläre Schichte in solcher
Mächtigkeit, dass sie das ganze Bild beherrscht. Sie ist wenigstens zehnmal so mächtig
als in der normalen Oesophaguswand. Die Papillen schieben sich als mächtige, stellen¬
weise verästelte Epithelzapfen in die Submucosa hinein. Die Zellen haben cubische
Form und werden am Rande der Papille von einem Kranze von Cylinderzellen einge¬
rahmt. Es fehlen eigentlich nur die Perlknoten zum Bilde eines typischen Epithelial-
carcinoms. In der Submucosa, deren Mächtigkeit gleich derjenigen des normalen Präpa¬
rates ist, sind die Blutgefässe ausserordentlich vermehrt und an vielen Stellen finden sich
Haufen kleiner Zellen um dieselben, als Zeichen fiorider Entzündung, gruppirt. Die Mus-
cularis ist sehr spärlich entwickelt; man hat oft Mühe, einige quergestreifte Fasern zu finden,
deren Verlauf keiner typischen Richtung folgt. Die Adventitia zeigt nichts Abnormes.
Das Krankhafte an unserem Präparate wären die Veränderungen im Epithel-
zapfenlager der Mucosa and im GeAssreichthum der Submucosa. Beides lässt sich
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als Resultat eines entzündlichen Reizes erklären, welcher offenbar theils durch den
mechanischen Insult durch Speisen und Sonden, theils aber auch durch die chemische
Zersetzung der Ingesta verursacht war.
Das mangelhafte Vorhandensein der Muscularis findet seinen Grund in der pas¬
siven Dehnung des ganzen Sackes. Da diesem Pseudoorgan keine Aufgabe activer
Tbätigkeit gestellt war, bestand auch für die Muscularis kein Motiv, eine compen-
sirende Hypertrophie der Muskelfasern zu schaffen.
Zum Schlüsse will ich noch hervorheben, dass ich die Krankengeschichte absicht¬
lich etwas ausführlich wiedergegeben habe. Man kann daraus ersehen, wie sich die
typischen Symptome dieser Krankheit sehr langsam entwickeln und wie lange ein solcher
Mann noch arbeitsAhig bleiben kann. Die Beschwerden sind Anfangs sehr mässige,
steigern sich aber successive derart, dass sie den Lebensgenuss sehr beschränken
können. Der Mensch kann sich an ein gewisses Mass von Entbehrungen und Leiden allmälig
gewöhnen; bei einer bestimmten Grenze treten hier aber die niciit zu unterschätzenden,
peinlichen Qualen eines langsamen Hungertodes ein. Als ich meinem Patienten, viel¬
leicht der dankbarste den ich je gehabt habe, zum ersten Male nach Schluss 'der
Wunde, ein Stück Brot und einen Teller mit Fleisch und Kartoffeln vorsetzen liess,
brach er vor Freude in ein lautes Schluchzen aus, denn er batte Jahre lang nur mit
Mühe kleine Mengen fiüssiger Nahrung beruntergewfirgt.
Die Operation sollte nie zu weit hinansgeschoben werden, damit das Herz nicht
zu viel unter der Inanition gelitten hat, bevor es den Folgen des operativen Eingriffes
Widerstand leisten muss. Gelingt die JKocAer’scbe Oesophagus-Uebernähung, so sind Ja
die Chancen für eine primäre Heilung vorhanden. Gelingt diese nicht, tritt sogar,
wie io meinem Falle, die gefürchtete Phlegmone ein, so haben wir in der antisepti¬
schen Tamponade ein Mittel, das noch in vielen Fällen es ermöglichen wird, den
schlimmen Ausgang zu verhindern.
In ätiologischer Beziehung bietet mein Fall nichts Neues und ich überlasse es
gerne einer berufeneren Feder, hierüber Hypothesen anfzustellen und weitern Forschungen
nachzugehen.
P.S. Während obiger Aufsatz unter der Presse war, erschien in Nr. 42 der
Berl. klin. Wochenschrift eine Arbeit von Prof. Koenig, in welcher der Verfasser zwei
neue durch die Operation geheilte Fälle von Oesophagusdivertikel mittheilt!
Zur Contagiositätsfrage der Variola.
Von Dr. Th. Lotz.
Unter dem obigen Titel bringt die letzte Nummer des Correspondenzblattes von
M. von Arx eine Beobachtung, aus welcher auf Gontagiosität der Variola im Initial-
stadinm geschlossen wird. Wenn ich mir dazu einige kritische Bemerkungen erlaube,
so gehen diese keineswegs aus dem Bedürfnisse hervor, die Möglichkeit einer solchen
frühen Contagion absolut zu bestreiten. So wenig etwa der Satz, die Empfänglichkeit
für Variola sei in den ersten 5 Jahren nach erfolgreich durchgemachter Vaccination
eine irrelevante Grösse, beeinträchtigt wird durch vereinzelte Fälle von Erkrankung
Geimpfter in dieser Zeit, so wenig wird der Satz, die Gontagiosität der Variola sei
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vor der Braption eine irrelevante Grösse, durch vereinzelte entgegengesetzte Beob¬
achtungen alterirt. Solche Beobachtungen sind aber nicht so leicht einwandfrei bei¬
zubringen, nnd dass gerade der durch v. Arx mitgetheilte Fall nicht einwandfrei ist,
das naöcbte ich kurz darlegen, um allfallsige weitere einschlägige Beobachtungen von
vorneherein zu genauerer Begründung zu veranlassen. Die Einleitung zum Nachfolgen¬
den ist in den bezüglichen Bemerkungen im Abschnitte VII (pag. 668 und über die
unbewusste Ansteckung im zufälligen Verkehre: pag. 671/672) enthalten, auf welche
hiemit verwiesen sei.
Der wesentliche Thatbestand des Oltener Falles ist, wenn wir die fraglichen Kran¬
ken A. and B. nennen, folgender: Am 24. März 1894 erkrankt in Olten der aus dem
Oanton Bern am 16. März zugereiste A. an den Prodromalerscheinungon der Variola; am
24. Abends kehrt der die Woche über in Pratteln beschäftigte B. nach Olten zurück und
benützt in den zwei folgenden Nächten den gleichen Schlafsaal wie A.; am 26. Abends,
„bevor bei A. ein Elxanthem ausgebrochen war“, fährt B. wieder nach Pratteln und
kehrt von dort erst am 7. April mit beginnender Variolaerkrankung nach Olten zurück.
Die zeitliche Distanz der beiden Fälle, der Umstand, dass weder in Olten noch in Pratteln
andere Blattemerkrankungen vorkamen, ruft natürlich der Voraussetzung, A. habe vor
seiner Eruption B. inficirt.
Da erheben sich nun zunächst zwei Fragen: 1) Kann B. sich nicht anderswo
inficirt haben, seine Erkrankung post A. also nur zufällig sein? 2) Kann A. den B.
nicht als Zwischenträger inficirt haben?
Die letztere Möglichkeit wird kaum ausgeschlossen durch die Erklärung des
B., er habe „seines Wissens niemals die Kleider des im Bette liegenden A. berührt*.
Wer weiss, ob der auf der Walz in einer Herberge, vielleicht in einem Bette, ange¬
steckte A. nicht am Hemde oder an den Haaren mit Contagium beschmutzt war? Er
wird auch während seiner Bettlägerigkeit das Bett zeitweise verlassen haben, ferner
mancherlei Handreichung bedürftig gewesen sein, Gelegenheit genug zu Gontact für
einen Schlafzimmergenossen.
Wichtiger noch ist die erste Frage; v. Arx versichert, dass B. „vor dem
24. März und nach dem 26. März niemals mit einem Pockenkranken in Berührung
gekommen* sei (d. h. einem andern als A.) Für diese Behauptung ist aber der Be¬
weis gar nicht beizubringen; man kann nur sagen, es sei keine anderweitige Berührung
bekannt, nicht, es habe keine stattgefunden. Hier fehlt eben die für einen ein¬
wandfreien Fall nöthige Durchsichtigkeit der Sachlage. Ja! wenn damals nicht nur
Olten und Pratteln, sondern die Schweiz, speciell die weitere Umgebung von
Olten blatternfrei gewesen wäre, wenn A. aus grösserer Entfernung, Frankreich, Italien
oder dergleichen zugereist wäre und man von sonstiger mobiler Variola weit und breit
nichts gewusst hätte! Aber im Gegentheile war ja damals Variola auf Keisen, wie
es seit Jahren nicht da gewesen war; von dem Hauptherde im Canton Bern flogen
die Funken reichlich in die weitere Nachbarschaft. Basel z. B. hatte in den 4 Wochen
vom 11. März bis 7. April 14 Erkrankungen, davon 2 von klarem Ursprung von
früheren Fällen aus, die übrigen 12 (darunter 2 mal 2 in Distanz von 5—6 Tagen
erkrankte Verwandte) ätiologisch dunkel, nach allen zeitlichen, örtlichen und persön¬
lichen Beziehungen in keinerlei ursächlichen Zusammenhang unter einander oder mit
vorausgegangenen Fällen in der Stadt zu bringen, sondern nur erklärlich durch reich-
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lieh vorhandene Gelegenheit zur Infection von auswärts, durch ambulante Kranke oder
Zwischenträger. Konnten diese ihren Weg nach Basel nicht auch über das verkehrs¬
reiche Olten nehmen, in dortigen Wirthschaften verkehren, im gleichen 2Tuge, wie B.,
nach Pratteln fahren? u. s. w. Insofern das negative Ergebniss ärztlicher Combination
und anamnestischen Gräbelns der Kranken und ihrer Angehörigen dazu genügte,
könnte man auch von den erwähnten 12 Basler Kranken sagen, sie seien zur Zeit
ihrer Infection «niemals mit einem Pockenkranken in Berührung gekommen“. Da aber
Variola nicht durch generatio sequivoca entsteht, werden wir eben nur sagen können,
wir kennen keine Berührung, aber stattgefunden muss eine haben; und so kann
man auch vom Oltener B. nur sagen: wir kennen keine andere Berührung als mit
A., aber es kann eine stattgefunden haben. Dessbalb ist der Fall nicht einwandfrei.
Ein skeptischer Leser kann aber noch weiter gehen und sagen: Nicht einmal
der Hanptpunkt, dass nämlich das Exanthem bei A. noch nicht ausgebrochen war,
als B. am 26. Abends abreiste, ist mit objectiver Beweiskraft dargethan. Die
bezügliche Stelle bei v. Arx lautet: ,Am 25. und 26. März jedoch war bei dem Er¬
krankten von einem verdächtigen Exanthem noch nichts zu erblicken, so dass der
Verdacht auf Pocken bereits wieder fallen gelassen wnrde.“ Der Grund zu diesem
Fallenlassen bei dem am 24. Erkrankten ist nicht ersichtlich und es wird geradezu
unbegreiflich durch die Fortsetzung: «Das Fieber ging von 39,8® auf 37,8® herunter
und am 27., an welchem Tage ich den Kranken wieder ausser Bett sah, fühlte sich
dieser so wohl* u. s. w. Das kann doch nur so verstanden werden, dass der Abfall
vor dem Zeitpunkte eintrat, wo der Kranke am 27. wieder „ausser Bett“ und «wohl“
gesehen wurde, also wenn nicht schon am 26. Abends, doch am 27. Morgens. Nun
ist es (Curschmmn, 2. Auflage, pag. 443) «für Variola äusserst bezeichnend, dass
kurz nach seinem“ (d. h. des Ausschlags) «Erscheinen die Temperatur constant einen
(oft ganz rapiden) Abfall macht.“
Wenn nun dieser Abfall spätestens am 27. Morgens schon vorhanden und das
Erscheinen des Ansschlags ihm voraus gegangen war, ist nicht der Beginn des
am 28. gegen Mittag „deutlich ausgesprochenen“ Pockenausschlages schon am 26. Abends
aufgetreten? Es konnte ja Abends ein Exanthem da sein, welches z. B. Mittags noch
nicht deutlich sichtbar war. Wann hat am 26. die Untersuchung stattgefunden, bei
welcher noch nichts zu erblicken war? Hat sie sich auf die ganze Körperoberfläcbe
erstreckt? Und vollends am 27., wo der Kranke ausser Bett, also wohl angekleidet
war, wie verhielt es sich da mit dem für ein suchendes Auge doch kaum unsichtbaren
Ausschlage? Wie weit war er damals entwickelt? Wie kam es, dass der durch den
Fieberabfall erst recht variolaverdächtige A. am 28. Morgens zur Arbeit gehen
durfte? u. s. w.
Ich möchte diese Einwfirfe nicht ganz zu den meinigen machen; ihre Anführung
soll nur zeigen, wie viel genauer eine Beobachtung dargelegt sein muss, um auch für
einen kritischen Leser beweiskräftig zu sein. Da muss von A. der klinische Verlauf,
insbesondere das Fieber, die Zeitpunkte und die genauen Befunde der auf die ganze
Körperoberfläche incl. Mundhöhle sich erstreckenden Untersuchung, Ort, Aussehen und
Menge des Ausschlags, in einer Weise mitgetheilt sein, welche Jedermann ein objec-
tivos Urtheil erlaubt, und die Beobachtung muss unter Umständen erfolgen, welche
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die Möglichkeit einer anderweitigen Infection des R. mit grosserer Sicherheit aus-
zuschliessen erlauben, als es Ende März 1894 in der Gegend Olten - Pratteln der
Fall war. *
Kleinere Mittheilungen.
Zur Pflege der Neugebornen im Winter.
Knabe, normal geboren 22. October 1892. Gewicht am zweiten Tage 3085 Gramm.
Ernährung: Kuhmilch mit Wasser im Yerhältniss von 1 : 3, sterilisirt im iSoo^/e^'schen
Apparat. Appetit gut, Stuhl in jeder Beziehung „schön^. Kind schreit viel, scheint
aber sonst gesund. Tägliche Wägung nach Stuhl vor Bad mit der FT. SchuUhess^sehen Wage
weist in den ersten 10 Tagen eine fast continuirliehe Abnahme von im Ganzen 463 gr
(pro Tag 46 gr) nach. Aenderung der Nahrung: Statt Wasser als Verdünnungsmittel
der Milch: Haferschleim. Knabe will aber immer noch nicht gedeihen; trotz wiederholter
genauer Untersuchung objectiv nichts zu finden. Verdauung immer sehr gut. Die tägliche
Wägung zeigt Wechsel zwischen Abnahme und Zunahme, so dass der Säugling in den weitern
17 Tagen um nur 183 gr zunimmt (pro Tag ca. 10 gr). Allgemeines Kopfschütteln.
Rettender Gedanke: Das Bürschchen hat trotz Wärmeflaschen zeitweise zu kalt; wird
also aus dem Eckzimmer, in dem die Temperatur auch bei fleissigem Heizen ziemlich
starken Schwankungen unterliegt, in ein Mittelzimmer gebracht, in welchem ein guter
Regulirofen eine gleichmässige Wärme garantirt. Vom Tag an continuirliche
Zunahme von durchschnittlich 30 gr pro Tag, so lange die tägliche Wägung fortgesetzt
wurde (bis 22. Februar 1893, wo das Gewicht 3853 gr betrug). Knabe seither immer
gesund und normal weiterentwickelt. H, Schulihess^ Hottingen.
Vei-einsbei-ioli te*
Medicinisch-pharmaceutischer Bezirksverein Bern.
I. SitzBBff des WiBtersBBiesters 1894/95, OieBStog deB 13. NoveBiber, AbeBds 8 Uhr,
iBi CbsIboJ)
Präsident: Dr. Dumont, — Actuar: Dr. Ämd.
Anwesend 56 Mitglieder und 6 Gäste.
1 ) Das Protokoll der letzten Sitzung wird verlesen und genehmigt.
2) Herr Prof. Kocher : DeBiBBSirBtioB eiBBS PripmrBies vob doppelter LiUrd'seher
BerBle. Die Patientin, von der das Präparat am 10. November durch Darmresection
gewonnen worden war, kam mit den Erscheinungen eines Ileus ins Spital. Eine einge¬
klemmte Nabelbernie wurde reponirt, doch gingen die Erscheinungen nicht vollständig
zurück und es zeigte sich noch eine kleine linksseitige Cruralhemie. Bei der Operation
derselben stiess der Operateur auf einen kleinen Bruchsack, gefüllt mit dnnkelblutig tin-
girter Flüssigkeit, in welchem die äussere Convexität einer Darmschlinge in Form eines
schlaffen, missfarbigen, kirschgrossen Sackes lag. Bei weiterer Freilegung des Darmes
zeigte sich einige mm davon entfernt und durch eine weitere deutliche Schnürfurche ge¬
trennt, ein ähnlicher, kleinerer Si ck, der ebenfalls nur einen Theil der Darm wand in
Anspruch nahm. Eine ausgedehnte Resection wurde ausgeführt. Die Patientin befindet
sich wohl. Der Fall ist wohl ein Unicum, insofern er eine doppelte LütrS ’ s c h e
Hernie darstellt, die eine durch eine Bride im Bruchsack, die andere durch die
Bruohpforte eingeklemmt.
^) Eingegangen 30. November 1894. Red.
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3) Herr Prof. Sahli: Zor EinnihriiBi: der Sernatherapie in Bern. Nach den
bisherigen Mittheilungen über die Resultate der Behring'seihen Serumtherapie der Diph¬
therie haben wir auch die Pflicht, in Bern unseren Patienten dieselbe zu Theil werden
zu lassen. Dass bei Diphtherie die Erfolge der Serumtherapie bessere sind als bei Te¬
tanus, beruht darauf, dass die Diphtherie, als eine ursprünglich locale Erkrankung ganz
im Beginne bereits diagnosticirt werden kann. Die dagegen ergriflonen Massregeln können
desshalb verhältnissmässig viel früher zur Wirkung kommen als beim Tetanus. Das
Diphtherieheilserum, das bei dem ersten Zeichen der Infection gegeben werden kann,
wird eher noch als immunisirend zur Geltung kommen. Der ^Unterschied der Wirksam¬
keit der Serum therapie bei Diphtherie und Tetanus ist also nichts Anderes, als eine Be¬
stätigung des alten Satzes, dass Prophylaxe leichter und wirksamer ist als Therapie.
Die Serum therapie der Diphtherie ist eigentlich weniger Therapie, als vielmehr Prophy¬
laxis gegen dasjenige, was dem am Anfang der Krankheit sich befindenden noch bevor-
stebt. Der von allen Serumtherapeutikern betonte Satz: principiis obsta, d. h. die Regel,
dass die Behandlung ganz frühe beginnen muss, ist deshalb sehr plausibel.
Die Pariser Statistik (Roux) gibt folgende Zahlen für die Mortalität der
Diphtherie ohne und mit Serumtberapie: Für die Fälle von klinischer Diphtherie
(dabei sind Streptococcendiphtherien etc. inbegriffen): vor der Serumtherapie 51^/o Morta¬
lität, mit Serumtherapie 24,5% Mortalität. Tracheotomirte Fälle klinischer Diphtherie:
vor der Serumtherapie 73% Mortalität, mit Serumtberapie 49% Mortalität. Aechte
Löffler'sehe Diphtherie (Totalität der Fälle mit und ohne Croup, operirt und nicht ope-
rirt) vor der Serumtherapie 50%, mit Serumtherapie 20%.
Berliner Statistik (Behring^ Kassel, Wassermann). Gesammtmortalität der
klinischen Diphtherie seit Einführung der Serumtherapie 23,6%, der tracheotomirten
Fälle klinischer Diphtherie (Serumtherapie) 44,9%.
Diese Zahlen bedeuten für die betreffenden Städte entschieden einen Fortschritt,
wenn sie auch noch nicht glänzend genannt werden können. Der Vortragende hält es
nicht für uninteressant, seine eigene seit sechs Jahren auf der medicinischen Klinik ge¬
sammelte Diphtheriestatistik damit zu vergleichen. Hier lauten die Zahlen folgender-
massen:
Medicinische Klinik Bern.
Mortalität der klinischen Diphtherie (meist Fälle, die zur Tracheotomie in die Insel
geschickt wurden, also durchschnittlich nicht ganz leichte), auf 547 Fälle 36,7%, Mor¬
talität der Tracheotomirten 537o.
Unter diesen 547 Fällen sind die seit April 1893 aufgenommenen 130 Fälle
bacteriologisch untersucht worden. Davon waren 95 (= 73%) Löffler'sehe Diphtherien.
Von letzteren betrug die Mortalität 36,8%, Mortalität der Tracheotomirten (Löfßer'sehen
Diphtherien) 55,87o.
Der Vortragende möchte diese verhältnissmässig günstige Statistik, die sich gegen¬
über der Heilsernmtherapie wohl noch sehen lassen darf, nicht etwa gegen die Nützlich¬
keit der Heilserumtherapie verwerthet wissen. Vielleicht hat Bern überhaupt leichte
Diphtherien. Freilich glaubt er auch, dass für die verhältnissmässig guten Resultate
(günstig namentlich insofern, als es sich bei den Berner Spitalfällen fast ausschliesslich
um sogenannte Croupkinder handelt) auch die aufopfernde und gewissenhafte Nachbe¬
handlung der Tracheotomirten seitens der Assistenten und Schwestern eine grosse Rolle
spielt. — Nachdem schon vor Jahresfrist in der bemischen Cantonalgesellschaft die Frage der
Serum therapie besprochen und ein diesbezügliches Gesuch um Anschaffung grösserer Heil-
thiere an den Director des Inneren gerichtet worden war, schien bei uns die Angelegen¬
heit längere Zeit zu schlummern. Heute ist der Vortragende in der angenehmen Lage,
davon Mittheilung zu machen, dass kürzlich die Regierung einen Credit bewilligt hat,
der die Anschaffung von zwei Heilpferden und deren Haltung im Thierspital ermöglicht.
Auch für die Bereitung von Tetanusheilserum hat Herr Prof. Tavel zwei Pferde zur
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Disposition. Die Immunisirung eines Pferdes gegen Diphtherie verlangt nun aber minde¬
stens 80 Tage. Da es wünschenswerth erscheint, das Diphtherieheilsemm rascher zn
erhalten, so richtet der Vortragende an den Verein die Einladung, eine Eingabe an den
Regierungsrath gelangen zu lassen, in welcher derselbe ersucht wird, ein Depot des Heil¬
serums der Höchster Farbwerke in der Berner Staatsapotheke zu errichten, aus welchem
das Semm an die Kliniken und Aerzte des Cantons (an letztere natürlich gegen Bezah¬
lung) verabfolgt werden könne. Es ist dies namentlich auch deshalb nothwendig, weil
die neue Heilmethode nach übereinstimmenden Angaben nur bei sofortiger Anwendung,
im Anfang der Krankheit, Erfolge verspricht, und man also das Serum sofort bei der
Hand haben muss. Der Wortlaut des Entwurfes zu einer diesbezüglichen Eingabe wird
vorgelegt.
Discussion. Prof. Taoeli Die Mortalität ist jedenfalls duroh die Serumtherapie
sehr weit herabzubringen. Doch muss die Diagnose sehr früh gemacht werden und da¬
rauf sind Eltern und Aerzte aufmerksam zu machen. Die Behandlung ist auch bei ver¬
dächtigen Fällen einzuleiten, da die Einspritzung nicht schaden kann. Klinisch ist die
Diagnose fast nicht zu machen. Streptococcenanginen sehen oft aus, wie Diphtherie,
und einfache Anginen können leichte Formen echter Diphtherie sein. Die bacterio-
logiscbe Diagnose ist daher noth wendig. Prof. Tavel empfiehlt zu diesem Zwecke
mit dem Platinlöffel (der mehr Material umfasst, als die Oese), von der Membran
etwas abzukratzen und in sterilisirtem Glasröhrchen zum Zwecke der Impfung zu
verschliessen, wenn eine zuverlässige Impfung an Ort und Stelle nicht möglich ist.
Das Eintrocknen halten die i^/T^er^schen Bacillen sehr gut aus. Die microscopische
Diagnose von einem Präparat der Membran ist schwierig und auch bei grosser Ue-
bung nicht ganz sicher. Die Cultur, für die als Nährboden Agar genügt, erlaubt in
24 Stunden die Diagnose mit voller Sicherheit zu stellen. Die Wahl des Pferdes, als
Träger des Heilstoffes ist desshalb nothwendig, weil es die grösste Menge an Heilserum
liefern kann. Ziegen, aus deren Milch man den Stoff gewinnen könnte, halten die Im¬
munisirung nicht gut aus. Auch Schafe sind empfindlich und liefern höchstens genug
Serum für 4—6 Fälle. Pferde sind jedoch sehr unempfindlich, werden schnell immun
und liefern sehr kräftiges Serum. Man kann von einem Pferde leicht in einem Jahr
200 Liter Serum gewinnen. Prof. Tavel würde es begrüssen, wenn man von der Re¬
gierung erlangen könnte, dass das Serum zu herabgesetzten Preisen verkauft würde.
Gegen . die letzte Anregung wendet sich Prof. Söhlig indem er der Befürchtung
Ausdruck gibt, dass man sich dadurch eher Schwierigkeiten aussetzen könne. Ganz arme
Patienten werden überhaupt schon das Spital aufsuchen.
Sanitätsreferent Dr. Schmid begrüsst den Antrag des Vortragenden. Die anderen
Universitäten der Schweiz sind uns schon vorangegangen. Br glaubt, es sei unzweck¬
mässig, von der Regierung weitere Geldopfer zu verlangen, besonders da die Behandlung,
frühzeitig angewandt, gar nicht so theuer komme. Er macht darauf aufmerksam, dass
die verschiedenen Serumarten auch sehr verschieden stark seien. Aronson^ der keine
genauen Angaben macht, behauptet, sein Serum sei noch stärker, als Nr. 3 Behring,
Seine Statistik ist die beste, da er nur 11 bis 12®/o Mortalität von 130 Fällen auf¬
weist. Es ist wohl zu glauben, dass bei frühzeitiger Impfung sehr wenig Fälle sterben
werden.
Dr. Dubois frägt an, warum die Staatsapotheke nicht ohne weiteres das Serum,
wie andere Medicamente auch beziehen könne.
Apotheker Sinder macht darauf aufmerksam, dass die Höchster Farbwerke sich be¬
reit erklären, es den Apothekern zu liefern, so dass die Aerzte es einfach verschreiben
können.
Prof. Sahli erklärt, dass die Regierung angefragt werden müsse, weil es sich um
eine grosse Ausgabe für die Staatsapotheke handle und diese kein Recht habe, ein Medi-
cament an Privatärzte zu verkaufen. Für Apotheker wird es schwierig sein, es auf
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Lager za halten, ohne der Abnahme sicher za sein. Prof. Sahli fügt hinzu, dass er
absichtlich seiner Darstellung nicht die günstigsten, sondern die zayerlässigsten Statistiken
zu Grunde gelegt habe.
Prof. Oirard hält es für wünschbar. Zuverlässiges darüber zu erfahren, wie lange
sich das Serum wirksam halte.
Dr. Miniat erwähnt, dass Virchow sich sehr skeptisch über die Serumtherapie ge-
äussert habe, und dass auch Kost die Mittheilung gemacht habe, es seien schon ähn¬
lich günstige Resultate auf anderem Wege erreicht worden.
Prof. Tavel erklärt, dass das Serum sich wahrscheinlich mehrere Monate halte.
Yon ungünstigem Einfluss sei die Anwesenheit von Luft und von Carbol. Die Höchster
Fläschchen sind nun allerdings halb mit Luft gefüllt und mit Carbol versetzt. Die Prä¬
parate von Roux sind desshalb besser. Hier wird das Serum aseptisch in spindelförmigen
Röhrchen aufbewahrt, die höchstens 1 cm^ Luft und 25 cm^ Serum enthalten.
Prof. Kocher hält auch eine Anfrage an die Regierung für zweckmässig. Die
Collegen auf dem Lande sollen auch auf dasselbe aufmerksam gemacht werden. Er hat
in Berlin die Therapie anwenden sehen und constatirt, dass auf dem Zbo/^’schen Institut
das Vertrauen in dasselbe sehr gross ist. Die Fieberkurve sinkt denn auch bei frischen
Fällen sofort ab. Ganz anders verhält sich die Sache nach 24 oder 48 Stunden. Drum
muss man Aerzten und Patienten, die das Spital benützen wollen, dringend ans Herz
legen, die Patienten sofort zu schicken. Er stimmt mit Prof. Sahli in der Ansicht über¬
ein, dass das Serum nicht ein Heilmittel im gewöhnlichen Sinne sei, sondern immunisirt
gegen das, was noch kommt. Er möchte fragen, ob es nicht besser wäre, wenn der
Arzt selbst die Nährböden impft. Ferner wäre zu untersuchen, ob man das Serum nicht
innerlich verwenden könnte, da das Einspritzen von 20—30 cm^, bei schweren Fällen
von doppelter Dosis, doch auch seine Unbequemlichkeiten hat.
Prof. Hess: Die Möglichkeit der Ueberimpfung von Tuberculose oder Rotz ist
nicht zu vergessen. Pferde gerade leiden oft an occulter Tuberculose oder an chroni¬
schem Rotz.
Prof. Tavel hält es für zweckmassiger, den Aerzten nur die Versendung des Impf¬
materiales zu überlassen, nicht die Impfung des Nährbodens selbst, weil aus dem Material
von geübter Hand stets die Untersuchung durchgeführt werden kann, eine misslungene
Impfung aber auch eine weitere Prüfung unmöglich macht. Er glaubt nicht, dass das
Trinken von Antitoxin viel helfen werde, weil die (äknlichen) Toxine vom Magen
sehr gut vertragen werden. Es ist zweckmässig, die Pferde genau zu untersuchen.
Rofux impft sie stets zuerst mit Malleln. Er möchte auch eine Tuberculinimpfung vor¬
nehmen.
Prof. Hess warnt vor der Impfung mit Tuberculin, weil man leicht dann eine
Miliartuberculose auftreten sieht. Auch kann man mit Mallein die Diagnose in der Regel
nicht sichern. Es ist am richtigsten, die Pferde aus absolut sicheren Gehöften zu be¬
ziehen.
Prof. Tavel will gerade desshalb mit Tuberculin impfen, da er ja dann die Pferde,
die reagiren, ausschliessen kann.
Dr. Dutoit frägt, ob die kürzlich von 3 Aerzten verschickten Fragebogen, die
Diphtherie betreffend, einen wirklichen Nutzen nach ihrer Beantwortung und Zusammen¬
stellung stiften können.
Prof. Hess macht darauf aufmerksam, dass auch manche Pferde, trotzdem dass sie
nicht auf Tuberculin unmittelbar reagiren, innerhalb 90 Tagen eine Miliartuberculose be¬
kommen.
Prof. Tavel erklärt, dass es dann immer noch Zeit sei, das betreffende Pferd bei
Seite zu stellen.
Prof. Sadili schlägt vor, das Serum zur Sicherheit auf Meerschweinchen zu verimpfen.
Was die Anfrage Dr. ButoiVs betrifft, so weiss er nicht, was eine solche Statistik nützen
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kann. Sie kann auch deshalb nicht gut ausfallen, weil die Diphtherie so schwer zu
diagnosticiren ist.
Von der Impfung des Serums auf Meerschweinchen verspricht sich Prof. Tavel
nicht viel, weil die Tuberkelbacillen nur zu Zeiten im Blut circuliren.
Der Verein schliesst sich einstimmig dem Vorschlag des Herrn Prof. Sahli an,
eine Eingabe an den Regierungsrath abzusenden, in welcher derselbe ersucht wird, in
der Staatsapotheke ein Depot von Diphtherieheilserum einrichten zu lassen.
3) Oberfeldarzt Oberst Ziegler macht darauf aufmerksam, dass die städtische Wasser¬
leitung in den letzten Tagen ein ganz trübes Wasser geliefert habe.
Es wird beschlossen, eine Eingabe an den Gememderath zu richten, die um mög¬
lichst rasche Abhilfe ersucht. Im Ferneren wird auch die Publication der betreffenden
Eingabe zum Beschluss erhoben.
4) Demonstration des Ambulanceninstrumentariums. Herr Oberfeldarzt Dr. Ziegler
demonstrirt
1. das Instrumentarium von 1872, welches nach den letzten Kriegserfahrungen,
hauptsächlich nach den Anträgen von Prof. Lücke erstellt wurde, das älteste der gegen¬
wärtig noch in Verwendung befindlichen und noch sehr gut brauchbar;
2. das neueste Instrumentarium für die deutschen Sanitätsanstalten von 1890, in
welchem die Instrumente mit den Griffen ans einem Stück Stahl angefertigt sind;
3. das neueste schweizerische Instrumentarium von 1894; Instrumente ebenso und
auch sonst in allen Theilen den Anforderungen der Aseptik und dem neuesten Stand der
Wissenschaft entsprechend und statt auf Holz auf Aluminiumplatten gelagert. Dies In¬
strumentarium ist bereits für eine grössere Zahl von Ambulancen des Auszuges ange¬
schafft.
5) Vorstandswahlen: Es werden gewählt zum Präsidenten: Dt. Bummi^ zum Actuar:
Dr. Arnd,
Gesellschaft der Aerzte in Zürich.
1. Wintersitzaigf den 10. November 1894 im HygieDisehen lastitate.^
Präsident: Prof. Stöhr, — Actuar: Dr. Conrad Brunner.
1) Dr. Conrad Brunner : lieber Wudiorection darch das Baeteriam coli eommane.
Der Vortragende gibt als Einleitung eine Uebersicht über die bisherigen Erforschungen
auf dem Gebiete der pathogenen Wirkung des Bacterium coli. Er bespricht die
Betheiligung dieses Microben bei Erkrankungen im Gebiete des Intestinal tractus,
der Gallenwege, bei Peritonitis, Perityphlitis, Darmincarce-
r a t i 0 n, bei verschieden sich äussernden Allgemeiniufectionen, bei Er¬
krankungen der Harnwege. Er bespricht weiter die Rollo, welche dieser
Microbe bei Erzeugung hämatogener Infectionen, so bei Strumitis
spielt. Ferner erörtert er die Bedeutung desselben bei pathologischen Pro¬
cessen der weiblichen Genitalorgane. Br geht dann über zur Be¬
sprechung eines von ihm beobachteten Falles von Wundinfection, bei welchem er
aus einer Wunde mit diphtheritischem Belag den Colibacillus nebst dem Strep¬
tococcus pyogenes rein züchtete. (Die letztere ausführliche Mittheilung wird
publicirt im Centralblatt für Bacteriologie.)
2) Dr. Silberschmidt. Die Diau^DOse der Diphtherie. Der Vortragende bespricht
zuerst die Wichtigkeit, welche die Diagnose der Diphtherie heutzutage erlangt hat und
betont deren Nothwendigkeit in Bezug auf Therapie, Prognose und Prophylaxe. Auch
ist für die statistischen Forschungen, die ganz besonders bei Anwendung eines neuen
Heilverfahrens von allergrösstem Werthe sind, eine genaue Diagnose erforderlich. Man
muss die einfachen Anginen von den diphtheritischen trennen und ebenfalls unter den
Eingegangen 28. November 1894. Red.
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Diphtherien sogenannte reine und coraplicirte (Mischinfectionen) unterscheiden. Die
Werthlosigkeit der klinischen Diagnose ist für viele Fälle nachgewiesen worden. Der
einzig sichere Weg ist die bacteriologische Diagnose; richtig ausgeführt, kommt man da¬
mit stets znm Ziel.
Der specifische Krankheitserreger ist erst seit etwa 10 Jahren bekannt; 1883 von
Klehs heschriehen, ist derselbe 1884 von Löffler zuerst rein gezüchtet und näher unter¬
sucht worden und es ist nachgewiesen, dass er in jedem Falle vorkommt. Volle Giltig¬
keit hat die Behauptung: „Ohne Diphtherie-Bacillus keine Diphtherie.^ Der Diphtherie-
Bacillus ist ein ziemlich plumpes, unbewegliches Stäbchen mit abgerundeten Enden; die
Länge variirt zwischen weiten Grenzen, im Durchschnitt beträgt dieselbe 2,5 bis 3 fi
und die Breite 0,7 fi. Nicht selten ist er leicht gekrümmt und weist schon in den
Pseudomemhranen, besonders aber in Culturen kolbige Verdickungen, hantelähnliche
Formen auf; der Pleomorphismus ist ein ziemlich ausgesprochener und wird von manchen
Autoren als cbaracteristisch betrachtet.
Mit den wässerigen Anilinfarbenlösungen färbt sich der Diphtheriehacillus nicht
gut; besser mit dem Löffler^ Methylenblau, dem Zic/^schen Carholfnchsin und dem
Anilinwasser Gentiana Violett {Ehrlich). Die Färbung ist keine gleichmässige; man be¬
obachtet vielmehr hellere Stellen im Bacillenkörper, die Endtheile nehmen die Farbe
besser auf. Die Gruppirung ist eine characteristische; die Stäbchen sind häufig zu drei
oder zu vier parallel gerichtet und zwar neben einander; längere Ketten kommen nicht vor;
zwei hintereinander gelegene Bacillen bilden gewöhnlich einen Winkel.
Es ist empfehlenswerth in jedem Falle die Untersuchung möglichst bald vorzu¬
nehmen; dieselbe zerfällt in zwei Theile, 1. den der directen microscopischen Untersuchung,
2. den der Anlegung der Culturen. Für die directe microscopische Untersuchung benutzt man
am besten ein abgelöstes oder frisch ausgehnstetes Stückchen Membran; wenn man das
betreffende Material nicht sofort Untersachen kann oder wenn man es vorzieht, dasselbe
einer Untersuchnngsstation zuznseiiden, so wickelt man die Pseudomembran in Pergament¬
papier, Guttapercha oder Heiltaffet etc. ein und bewahrt dieselbe in einem leeren, nicht
mit Flüssigkeit angefüllten Reagensröhrchen auf. Das Ausstreichen geschieht auf einigen
reinen Deckgläschen oder Ohjectträgem. Haftet die Membran fest, so kratzt man die
Oberfläche mittelst einem Spatel oder einem Platindraht ah und streicht auf derselben
Weise aus; ist kein deutlicher Belag vorhanden, so ist es empfehlenswerth, das Material
weit hinten zu entnehmen.
Man muss mindestens zwei microscopische Präparate anfertigen; nachdem beide
lufttrocken sind und fixirt, färbt man das eine mit Me||iylenblau oder Carbolfuohsin, das
zweite wird mit Ehrlich'*Wi\iem Gentianaviolett gefärbt und nach Gram behandelt. Das
Methylenblau lässt man 3 bis 5 Minuten bei etwa 60—80® C. einwirken; für die Fär¬
bung mit Anilingentianaviolett genügen schon 10 Secunden bei gewöhnlicher Temperatur.
Manchmal kann man die Diagnose auf den ersten Blick stellen; in vielen Fällen
ist aber sogar der Geübte im Zweifel und es ist schwer zu sagen, ob reine Diphtherie
oder Mischinfection vorliegt. Um volle Klarheit zu erlangen, ist es unbedingt nothwen-
dig, in jedem Falle Culturen anznlegen. ^
Die Anlegung der Culturen geschieht am besten sofort am Krankenbett, kann aber
auch mit der richtig aufhewahrten Pseudomembran vorgenommen werden. Der geeig¬
netste Nährboden ist das erstarrte Blutserum; für jeden Fall sind drei Röhrchen erfor¬
derlich. Wenn möglich wird zuerst der Schleim entfernt und das Impfmaterial mit einem
dicken, am Ende etwas ausgehreiteten Platindraht entnommen. Mit der Pseudomembran
legt man zuerst die Culturen und dann erst die Präparate an. Man macht Strichcnlturen
in der Weise, dass man mit dem einmal beladenen Draht alle Röhrchen impft, indem
man auf jedem 2—3 parallele Stiche ausführt; so erhält man 6 resp. 9 Verdünnungen.
Die geimpften Röhrchen werden sofort etikettirt und baldmöglichst in den Brutschrank
gestellt.
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Der Diphtheriebacillus wächst bei Bruttemperatur auf künstlichen Nährboden, beson¬
ders auf Blutserum, rascher als die meisten ihn begleitenden Microorganismen und es
ist daher geboten, die Cultnren nach 18 bis höchstens 24 Stunden zu untersuchen. Der
Diphtheriebacillus bietet schon nach dieser Zeit ein characteristisches Aussehen; er er¬
scheint in Form kreisrunder, ziemlich grosser Colonien mit hellem durchsichtigem Rande
und dichtem, etwas eingekerbtem Cedtrum; stets ist die microscopische Untersuchung der
verdächtigen Colonie vorzunehmen.
In den Culturen kommt der Diphtheriebaciilus niemals rein vor; er ist stets mit
anderen Microorganismen vermengt; neben den gewöhnlichen Bewohnern der Mundhöhle
trifft man pathogene Bacterien an, welche für die Prognose von Belang sein können.
Am häufigsten sind die «Streptococcen^, an ihren typischen Colonien erkenntlich;
sie sind kleiner als diejenigen des Diphtheriebacillus, gleichmässig durchscheinend und
halbkugelig. Die «Staphylocoocen^ sind etwas seltener; sie bilden abgeplattete,
diffluirende, unregelmässige Colonien, welche sich später sehr stark ausbreiten. Einige
«Microooooen^ bieten in ihrem Wachsthum eine grosse Aehnlichkeit mit dem Diph-
theriebacillus (Coccus Brison von Boux und Martin). Die microscopische Untersuchung
ist stets und allein ausschlaggebend.
Ausser dem Blutserum sind noch verschiedene Nährböden empfohlen worden, vor
allem der Glycerin-Agar. Die Colonien sind erst nach 36—48 Stunden characteristisch.
In Fleischwasserpeptonbouillon bildet der Diphtheriebaciilus einen Bandbelag mit fest an¬
einander hängenden Klümpchen; die Flüssigkeit bleibt meist klar. Auf der Nährgelatine
ist das Wacbsthum ein spärliches, da sich der Diphtheriebaciilus unter 20^ C. nur lang¬
sam entwickelt; die Cultur auf der Kartoffel variirt je nach' dem Alkaligehalt.
Zu einer vollständigen bacteriologischen Diagnose gehört noch der Thierversuch;
derselbe lässt manchmal im Stich und ist für einen jeden Fall nicht erforderlich. Bei
diesem Anlass erwähnt der Vortragende noch den Pseudodiphtheriebacillus, der in der
Mundhöhle Gesunder angetroffon wird und sich nur durch den Mangel an Virulenz vom
echten Diphtheriebaciilus unterscheidet; viele Autoren bestreiten die Existenz dieses
Psendodiphtheriebacillus und betrachten denselben als identisch mit dem Diphtherie¬
bacillus.
Für den practisohen Arzt hat dieser Bacillus, dessen Individualität nicht feststeht,
keine Bedeutung; in jedem verdächtigen Falle, wo der Diphtheriebaciilus nachgewiesen
worden ist, muss die Diagnose Diphtherie gestellt werden.
Discussion: Dr. Fick richtet an den Vortragenden die Fragen: 1) Wie ge¬
staltet sich im Allgemeinen die Prognose bei dem durch Streptococcen verursachten Diph-
therieföllen? 2) Sind hier in Zürich schon Versuche mit dem Diphtherieheilserum an¬
gestellt worden ?
Auf* die erste Frage antwortet Dr. Silberschmidt^ dass die Prognose der Fälle ohne
Diphtheriebacillen eine viel günstigere sei.
Dr. Wüh. von MuraU gibt auf die zweite der gestellten Fragen folgenden Auf¬
schluss :
Er hat aus Höchst eine Sendung von Serum bekommen und dieselbe im Kinder¬
spital bisher in 3 Fällen angewendet. Ans den wenigen Fällen kann natürlich auf den
Heilwerth des Mittels kein Schluss gezogen werden. Der erste Fall war ein mittelhoch¬
gradiger mit Tonsillenbelägen ohne starke Athemnoth.
Die Diagnose wurde hier, wie bei allen Fällen, bacteriologisch sicher gestellt. Am Tage
nach der ersten Injection war eine auffallende Besserung bemerkbar. Der Belag verschwand
zwei Tage darauf. Die Nephritis nahm rasch ab. Das Kind konnte nach acht Tagen
entlassen werden. Beim zweiten Fall handelte es sich um ein schon intubirtes Kind mit
Mischinfection mit Diphtherie- und Streptococcen. Auch dieser Fall* verlief schon nach
der ersten Injection unerwartet günstig. Der dritte Fall war dem zweiten analog, auch
bereits intubirt. Der Verlauf nach Injection von 10 ccm war auffallend günstig. Murali
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hat aus der Beobachtung dieser drei Fälle den Eindruck erhalten, dass das Serum einen
günstigen Einfluss ausgeübt hat.
Dr. Wilh. Schulihess frägt Dr. Silberschmidt an, ob es den practischen Aerzten
möglich gemacht werden könne, die bacteriologische Diagnose bei ihren Diphtheriefallen
irgendwo feststellen zu lassen.
Dr. Silberschmidt: Der practische Arzt ist häuflg nicht in der Lage, die bacterio¬
logische Untersuchung eines jeden Falles vorzunehmen, daher wäre es geboten, eine
klinische Anstalt oder ein Institut damit zu betrauen. Einstweilen ist das hygienische
Institut bereit, etwaige Untersuchnngen vorzunehmen.
Refeirate und SCiritiken.
Anatomie des Centres nerveux.
Par J, DijerinCy professeur agröge k la Faculte de mödecine de Paris, avec la collabo-
ration de Madame LSjertne-Kumphey Dr. med.
Erster Band: Untersuchungsmethoden; Embryologie; Histologie; Anatomie des Gross¬
hirns. Ein Grossoctavband, 816 Seiten mit 401 grossen Text-Abbildungen und 45 colo-
rirten Bildern. Paris, Rueff et Cie., ^diteurs, Paris. Preis 32 Fr.
Mit diesem grossartigen Werk, in welchem deutsche Gründlichkeit mit ft*anzösischer
Klarheit verbunden ist, haben Herr und Frau Professor DSjerine in Paris die erste voll¬
ständige, allseitige, durchaus exacte und wissenschaftliche Anatomie des Centralnerven¬
systems geschaffen, die bis jetzt existirt hat. Mit Spannung wird man das Erscheinen
des zweiten Bandes erwarten, das die Synthese der Faserverbindungen im Grossgehim,
sowie den übrigen Theil des Centralnervensystems enthalten wird. Die Autoren haben
grundsätzlich alle Schemata vermieden und sich streng an die macroscopischen und microscopi-
schen natürlichen Bilder des Gehirns gehalten. Sie haben es verstandei^ überall das wissenschaft¬
lich Festgestellte und Sichere klar zu legen und den Ballast der Irrthümer, Dichtungen und
falschen Theorien auszumerzen. Dabei sind sie von einer Yollständigkeit und kritischen
Gründlichkeit, die ihnen alle Ehre macht. Das vom Ref. schon mehrmals aufgestellte
Postulat nach gleichmässiger Berücksichtigung aller Untersuchungsmethoden ist nun end¬
lich und zwar glänzend verwirklicht. Die Figuren sind vortrefflich und so klar be¬
zeichnet, dass die verwickeltesten Verhältnisse überall mit didaotischer Klarheit und Con-
gruenz von Text und Figur Jedem verständlich werden müssen. Bis jetzt gab es nur
veraltete oder unverdaute und mehr oder weniger phantastische Hirnanatomien, Special¬
arbeiten oder Compendien, die nur eine Uebersicht der Thatsachen mit der subjectiven
Anschauungsweise und Richtung des Autors gaben. Nur das vorzügliche Werk KöUikers
macht eine Ausnahme, ist aber speciflscher histologisch, während Dijerine die Experi¬
mentalmethoden, die Embryologie, die Topographie, die pathologischen Fälle und zum
Theil auch die vergleichende Anatomie ausführlich durchnimmt. Die ganze Litteratnr
ist gründlich angegeben. Kurz, es ist ein Meisterwerk, das wir jedem empfehlen, der
das menschliche Gehirn kennen lernen will.
Die Abtheilungen sind folgende (wir übersetzen in's Deutsche):
Der erste Theil zerfallt in vier Capitel: 1) Untersuchungsmethoden (55 Seiten).
2) Entwicklungsgeschichte des Nervensystems. 3) Histogenese des Nervensystems. 4) All¬
gemeine Histologie des Nervensystems (bis Seite 230).
Der zweite Theil: Anatomie des Grosshirns, zerfällt in fünf Capitel. Capitel 1.
Morphologie des Gehirns (macroscopisch). Capitel 2. Topographie des Grosshirns auf drei
Schnittreihen: a) horizontalj b) quer, c) sagitlal. Capitel 3. Textur des Grosshirns
(Faserung und graue Masse) auf microscopischen Scbnittreihen: a) microscopische Quer¬
schnittserie , b) microscopische Horizontal - Schnittserie, c) Horizontal - Schnittserie des
oberen Theiles des Himstammes, d) microscopische Schnittserie der inneren Kapsel und
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der Regio subthalamica (schräg). Capitel 4. Histologische Stractar der Hirnrinde in air
ihren Partien. Capitel 5. Associations- und Commissurfasersysteme des Grosshims.
Die Projectionsfasersysteme werden erst im zweiten Bande erscheinen. Hoffentlich
wird dann noch ein vollständiges Sachregister folgen.
Die Arbeiten der letzten Decennien hatten bereits den ehemaligen Qblen Ruf der
Gehirnanatomie erheblich gebessert, und der Spott über phantastische Bilder und Faser-
verläufe war bedeutend verstummt. Doch fehlte es noch an einem zusammenfassenden
Lehrbuch. Das vorliegende didactische Werk bedeutet aber den definitiven Abschluss
der Unsicherheitsperiode. Mit demselben tritt die Gehirnanatomie ebenbürtig an die Seite
der Anatomie anderer Organe, als der stolzeste und complicirteste Bau der organischen
Natur, zwar noch nicht in allen Punkten erforscht, aber doch auf solider, wissenschaft¬
licher Basis stehend ein. A. Forti,
Neurologische Beiträge.
P. 1. Heft, üeber den Begriff der Hysterie und andere Vorwürfe vorwiegend
psychologischer Art. Leipzig, bei Abel 1894. 210 Seiten.
Diese frisch geschriebene klare Schrift sei hiemit bestens empfohlen. Yerf. übt eine
scharfe, sehr noththuende Kritik an einer Reihe von Begriffen, wie Hysterie, Simulation
u. s. f. Er lässt für die Suggestionstherapie volles Recht gelten und fordert mehr psycho¬
logische Bildung für die Aerzte, kritisirt die Electrotherapie in lichtvoller Weise. Die
vorliegende Arbeit ist der Hauptsache nach eine Sammlung von zerstreuten Abhandlungen,
enthält jedoch manches Neue. A, Forti,
Atlas des menschlichen Gehirns und des Faserverlaufes.
Von Dr. Edward Flatau, Mit einem Vorwort von Prof. Dr. E, Mtndtl,
Berlin 1894. S. Karger.
Der vorliegende Aj;]a8 gehört in die Reihe jener Arbeiten, welche die Fort¬
schritte in der Anatomie des Nervensystems darstellen. Ein Text gibt auf 27 Seiten
eine gedrängte Uebersicht, und eine farbige Doppeltafel mit 13 Figuren dient zur Er¬
klärung des Faserverlaufes. Diese Figuren sind zu gedrängt, wenn man berücksichtigt,
dass sie und der Text die eigentliche piöce de resistance darstellen, an der der nen-
gewonnene Standpunkt der Gehimanatomie erkannt werden soll. Das Studium dieser
Figuren fordert eine grössere Anstrengung, als man erwarten sollte, weil die Bezeich¬
nungen zu klein und versteckt sind. Für die Vorbereitung des Wissens sind ausführliche
Namensbezeichnungen den Zahlen vorzuziehen, auch auf die Gefahr hin, dass zwei Tafeln
mehr verwendet werden mussten. Die Verlagsfirma, welche dem Werke eine so schöne
Ausstattung gegeben, wäre wohl auch noch zu diesem Opfer zu bewegen gewesen.
Die andere Hälfte des Atlas besteht aus acht Photogravuren nach frischen
Präparaten des Gehirns. Sie gehören zum schönsten, was die photographische Technik
an Fignren vom ganzen Organ and von Gehimdurchschnitten bis jetzt geboten hat.
Kollmann,
Festigkeit der menschlichen Gelenke mit besonderer Berücksichtigung des Bandapparates.
Von Dr. med. J, Ftssltr, Habilitationsschrift. München 1894. 8®. Mit 5 Tafeln
und 22 Abbildungen im Text.
Die Abhandlung enthält die Beschreibung systematisch durchgeführter Versuche über
die Festigkeit der Gelenkkapseln und der Gelenkbänder. Drei Professoren sind dieser
Schrift zu Gevatter gestanden: ein Anatom, ein Chirurg und ein Techniker. Darin liegt
eine Garantie, dass die Resultate richtig wiedergegeben sind. In den speciellen Theil
werden die Ergebnisse über die Zugversuche au den Gelenken mitgetheilt. Am Schluss
findet sich eine Uebersicht, aus der ich folgenden Satz für den Leser herausgreife, um
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dadurch zu zeigen, was er zu erwarten hat: Schultergelenk Kapselfestigkeit 146 Kgr.
im Mittel. Luftdruckwirkung: 3,09 in maximo. Der erste Kapselriss liegt immer innen
und unten am Oberarmkopf. Hier ist die schwächste Seite der Kapsel. Der Text ist
übersichtlich, die Zahl der Versuche an jedem Gelenk (zwölf) hinreichend, um Zufällig¬
keiten ausznschliessen. Tafeln und Holzschnitte erklären die Anordnung der Versuche,
überall zeigt sich Sorgfalt, auch in der Ausstattung, aber wir mahnen den Docenten der
Ludovico-Maximilianea daran, seine Ausdrucksweise scharf ins Auge zu fassen. „In ihrer
Kapsel schwach bestellte Gelenke^ kennt die anatomische Wissenschaft nicht; die ersten
beiden Sätze der „historischen* Einleitung hätten wir lieber nicht gelesen, sie enthalten
lediglich Phrasen, der dritte und vierte aber historische Unrichtigkeiten. Wer kennt
nicht den Namen Borelli! Kollmann.
Leitfaden der physiologischen Psychologie.
In 15 Vorlesungen von Prof. Th, Ziehen in Jena. Jena bei Qust. Fischer. 1893. S. 220.
Verfasser behandelt, von den physiologischen nervösen Vorgängen des Reizes, der
Reaction, des Reflexes etc. etc. ausgehend, in aufsteigender Linie die einfachsten bis zu
den complicirtesten psychischen Erscheinungen. Es wird ihm dabei das Psychologische
nur eine andre Form des Physiologischen speciell des Nervenlebens, der nervösen centralen
Function, als deren Sitz er die Hirnrinde bezeichnet. Verf. schliesst sich zur Erklärung
der einzelnen psychischen Erscheinungen eng an die Associationspsychologie der Engländer
an, verwerthet ferner in weitgehender Weise die Selectionstheorie und benützt endlich
hiefür die krankhaften seelischen Erscheinungen. Er ist überzeugt, auf diese Weise alles
geistige Leben in naturwissenschaftlichem Sinne erklärt zu haben. Ohne Zweifel ist ein
solcher Standpunkt berechtigt, und es verdient der Verf. für seine geschickte und klare,
eingehende und consequente Beweisführung die Anerkennung des Lesers, auch wenn er
mit ihm nicht in allen Theilen gleicher Anschauung ist. Neben diesen Vorzügen des
Buches berührt jedoch der schroffe polemische Ton des Verfassers vielfach unangenehm,
mit dem er sich nicht nur gegen den in diesem Gebiete hochverdienten Wundt^ sondern
überhaupt gegen alle wendet, denen gegenüber er eine andre Ansicht vertreten zu müssen
glaubt. Und doch ist gewiss in keinem Gebiete mehr als in dem der physiologischen
Psychologie eine gewisse Selbstbeschränkung, ein kritisches Masshalten, nöthig, da ein
Mangel derselben Zweifel erwecken muss, ob ein Autor über die Tragweite seiner Be¬
hauptungen sich genügend klar ist. L. W,
Diagnostik der Geisteskrankheiten.
Von Dr. Bob, Sommer Privat-Docent in Würzburg. Wien und Leipzig.
Urban & Schwarzenberg. 1894. S. 302.
ln den 50er Jahren war es Spielmann'% Diagnostik der Geisteskrankheiten, die
die jungen Psychiater vorzugsweise in dieses Gebiet einführte. Trotz der wegwerfenden
Behandlung des Buches durch Meynert habe ich eine dankbare Erinnerung an dasselbe
bewahrt, da es immerhin aus der Wüste der damaligen deutschen psychiatrischen
Litteratur als eine der seltenen Oasen hervorragte, indem es dem angehenden Irrenarzte
von mancherlei Nutzen war. Aber welch ein Unterschied im Inhalte dieses mit dem des
obigen Buches! Es ist eine freudige Genugthuung für den älteren Psychiater zu sehen,
welche thatsächlichen Fortschritte die Psychiatrie seit jener Zeit gemacht hat. Und es
ist eine angenehme Aufgabe für mich, meine warme Anerkennung für den Werth dieses
Buches auszudrücken, dessen Durcharbeitung mir mehr Freude und Interesse machte, als
die einer Menge andrer neuer psychiatrischer Bücher. Ueberall trifft man die Wege
selbstständigen Forschens und Denkens, vom Anfang bis zum Ende erfreut man sich der
Klarheit der Darstellung, ihrer naturwissenschaftlichen Folgerichtigkeit, der Beherrschung
und Concentrirung des Stoffes und der Form, der sicheren Vertretung desselben. Dass
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bei dem selbstständigen, ja ich mochte sagen, individuellen Character des Buches, in
jedem Capitel eine Anzahl von Sätzen und Behauptungen sich findet, die die Zweifel
und den berechtigten Widerspruch, ja das Erstaunen des Lesers her vorrufen müssen, liegt
zum Theil eben im obigen Character des Buches, der ja wohl der Individualität des
Verfassers entspricht, zum Tbeil in dem verworrenen Character der Psychiatrie selbst,
dem Geistesbilde der Irrenärzte in globo et natura. Ich habe nicht den Raum, meinen
mannigfaltigen Ein wänden Ausdruck zu geben, er mangelt mir aber noch mehr, um die
noch zahlreicheren Zustimmungen anzuführen. Verschweigen kann ich aber nicht meine
ernsten Bedenken hinsichtlich der Capitel über psychogene und hypnotische Zustände.
Ich möchte daher das Buch mehr den psychiatrisch gebildeten und den speciellen Irren¬
ärzten, als den Studirendcn und den Aerzten überhaupt, für die es der Verfasser be¬
stimmt hat, empfehlen. L. W,
Die Kolonitirung der Geisteskranken in Verbindung mit dem Offen-ThUr-System
auf Alt-Scherbitz.
Von Dr. A. Director der Provinzial-Anstalt Alt-Scherbitz. S. 242. Berlin.
Verlag von Jul. Springer. 1893.
Es ist als eine günstige Fügung des Schicksals zu bezeichnen, dass der zu frühe
verstorbene verdiente Gründer von Alt-Scherbitz und dessen Irren-Behandlungs-System,
KöppCy im Verfasser obiger Schrift einen seiner würdigen Nachfolger fand. Dadurch ist
es möglich geworden, dass die koloniale Irrenanstalt, als modernstes System der Irren-
versorgung und Behandlung, den hohen Grad der Entwicklung und Ausbildung finden
konnte, wie er uns hier entgegentritt.
Wir erkennen darin das Ergebniss einer ebenso humanen als erkenntniss- und ver-
ständnissreichen wie pracAchen Geistesarbeit im Gebiete des Irrenwesens, die in Ver¬
bindung mit den noch neueren klinischen Irrenanstalten den von Griesinger seiner Zeit
angebahnten Bestrebungen eine ebenso rasche wie vollkommene Erfüllung brachte. Es hat
damit auch im Gebiete des Irrenwesens Deutschland die ihm gebührende hervorragende
Stellung unter den übrigen Culturvölkem gewonnen!
Die Schrift ist ihrem Inhalte nach in erster Linie eine practisch psychiatrische,
daher für die Irrenärzte bestimmte. Sie ist aber so geschrieben, dass Jeder, der sich für
das Irren wesen, besonders für Irren-Versorgung und -Behandlung, interessirt, sie mit
Nutzen und Vergnügen lesen wird. L, W,
lieber Drillingsgeburten.
Von Dr. 8igm, Mirdbeau. Münch, medic. Abhandlg. IV R. S. H.
Verf. hat aus der Literatur 75 Fälle von Drillingsgeburten herausgesucht und die
darüber vorhandenen Angaben statistisch, besonders mit Bezug auf die Aetiologie zu ver¬
wenden gesucht. Die nicht sehr reiche Ausbeute ist in übersichtlicher Weise vorgetragen.
— Die ffitiologischen Momente lassen sich fast sämmtlich auf grosse Fruchtbarkeit der
Frau zurückführen. Denn Drillingsgeburten kommen hauptsächlich vor bei Vielgebärenden,
die auch schon Aborten durchgemacht haben und aus Familien stammen, in welchen
Mehrgeburten schon beobachtet wurden. Die Mütter standen meist im Alter von 30 bis
34 Jahren. Die Häufigkeit ist bei einzelnen Völkern grösser als bei andern; Russland
und Schweden stehen oben an; Frankreich steht in der Scala an letzter, Deutschland an
vorletzter Stelle. — Aber auch der Mann kann durch seine individuelle, vererbliche
Fruchtbarkeit mithelfen.
Unter 105 Drillingskindern fanden sich 56 Mädchen und 49 Knaben. Ungefähr die
Hälfte war lebensfähig. Die Beckenendlagen sind viel häufiger als bei einfachen Geburten.
Die Prognose für die Mutter ist gut. Die Diagnose wird nur in seltenen Fällen gestellt.
H. M.
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Anleitung zur Untersuchung und Wahl der Amme.
Von Dr. F. Schlichter^ em. I. Sec.-Arzt d. niederösterr. Landesfindelanstalt.
Genügende Quantität Milch und e i n w a n d s f r e i e Gesund¬
heit sind die einzigen unerlässlichen Anforderungen, welche Verf. an eine Amme stellt.
Wo diese yorhanden sind, dürfen schlechtes Aussehen, Unreinlichkeit, Herzfehler, Gonor¬
rhoe, spitze Condylome in den Kauf genommen werden und sind Alter, Rasse, Ciyilstand,
Wiedereintritt der Menstruation, bis zu einer gewissen Grenze auch die Zahl der Ge¬
burten, sowie die Dauer der laufenden Lactationszeit yon untergeordneter Bedeutung. —
Wären die Bedingungen, die er fQr die Tauglichkeit der Warzen stellt, etwas
strengere, so könnte ich mit dem Verf. in jedem Puncte mich einverstanden erklären.
Aber eine Amme mit atrophischen Warzen oder gar Hohlwarzen, auch wenn sie heryor-
ziehbar sind, würde ich nur als Nothbehelf, bis besserer Ersatz zur Stelle wäre, anzu-
stellon mich entschliessen. — Das 68 Seiten starke Büchlein ist ein willkommener Weg¬
leiter bei der Ammen wähl. H. üf.
W oolieiibeiriolit.
Schweiz.
— Eine Besprechung der yor einigen Monaten yon Dr. ViquercU in yerschiedenen
politischen Zeitungen yeröffentlichten neuen Heilnugfsmethede der Tubercniose haben
wir bis jetzt unterlassen, da ein wissenschaftliches Beweismaterial, welches uns einiger-
massen die Bildung eines eigenen Urtheils gestattet hätte, nicht yorlag und wir nicht
unsere Informationen ans den Tagesblättern schöpfen wollten.^) Wir hätten noch weiter
gewartet, wenn wir nicht yon yerschiedenen Seiten aufgefordert worden wären, die Frage
im Correspondenzblatt zu behandeln. Die Aufmerksamkeit des Publikums ist ge¬
weckt worden, Patienten möchten eine Cur yersuchen, die ihnen Heilung yerspriCht und
die Aerzte wissen nichts darüber. In der Jahressitzung der Societe medicale de la Suisse
romande am 11. October in Veyey sollte Herr Viquerat seine neue Methode besprechen
und seine Heilerfolge einer ärztlichen Controle unterziehen. Von den zwei vorgestellten
Fällen stellte es sich aber heraus, dass der erste, ein Mädchen mit Lupus, nicht geheilt
war, während die tubefculöse Natur des zweiten Falles, eines Rippenabscesses, nicht sicher
festgestellt werden konnte.
Wie zu erwarten war, ist die Ftgz^a^sche Methode nichts anderes, als eine ziem¬
lich rohe Uebertragung der Grundsätze der Heilserumtherapie auf die Tuberculose. Für
denjenigen, der nicht mitten im wissenschaftlichen Gedränge steht und nur yon ferne die
Entwickelung der Heilserumfrage yerfolgt, erscheint dieselbe so einfach, so selbstyerständ-
lich, dass es uns wirklich nicht verwundern darf, wenn ein Unberufener auch einmal
den Versuch wagt, einen Zweig dieser leicht erreichbaren Lorbeeren zu pfiücken.
Von der damals als richtig geltenden Voraussetzung ausgehend, dass der Hund für
Tuberculose unempfindlich sei, haben schon vor einigen Jahren Richei und Hericourt
Versuche mit dem Blute dieses Thieres angestellt. Durch eine Injection von Hundeblut
glaubte Eichet den tödtlichen Ausgang der Inoculationstuberculose beim Kaninchen ver-
hindem zu können. Die Resultate dieser ersten Versuche waren aber zu wenig deut¬
lich, dass sich aus denselben hätte ein Schluss ziehen lassen. Dieselben Versuche
stellten Bertin und Picq mit Ziegenblut an, mit ungefähr ähnlichem Erfolge. Später
modificirten Eichet und HSricourt ihre Methode in der Weise, dass sie ihren Hunden
eine Cultur von Tuberkelbacillen einspritzten und ihnen erst nach 36 Tagen Blut zu Im-
munisirungsversuchen entnahmen. Die Autoren hofften dadurch die immnnisirende Kraft
*) Die uns erst vor karzer Zeit bekannt gewordene Broschüre von Dr. Viquerat Das Heil¬
verfahren der Tnberculose, Mondon 1894, enthält nur einige wenig verständliche und
ungenügend bewiesene Auseinandersetzungen über die Wirkung der Antitoxine und die Theorie der
Inununisirung, dagegen keine Versuchsprotocolle von Beobachtungen mit dem neuen Heilmittel an
tuberculösen Menschen.
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des Hundeblutes zu steigern. Durch die Injectionen wurde der tödtliche Ausgang bei
den inoculirten Kaninchen verzögert; sie starben aber schliesslich doch an Tuberculose.
Der Hauptunterschied zwischen den ebenerwähnten Versuchen und der ViqiieraC^Qhm
Methode ist, dass anstatt Hunde oder Ziegen zu benutzen, F. Eseiserum zu seinen In¬
jectionen verwendet. Nach ViquercU ist von allen Thieren der Esel dasjenige, welches
die grösste Widerstandsfähigkeit gegen Tuberculose zeigt. Injicirt man einem Esel eine
Cnltur von Tuberkelbacillen in das Blut, so findet man, weni^ man das Thier nach 25
bis 30 Tagen opfert, eine wohl characterisirte Miliartuberculose. Lässt man das Thier
am Leben, so erholt es sich von seiner tuberculösen Infection. Nach der Anffassang von
Viqtierat enthält nun das Blut des Thieres so viel tuberculicide Substanz, dass es ihm
möglich wurde, die weitere Entwickelung der tuberculösen Keime zu verhindern. Von
dieser Auffassung bis zum Gedanken der Heilung der Menschentuberculose mit diesem
Serum war nur ein Schritt, und diesen Schritt hat Herr ViqttercU gemacht, nachdem er
allerdings einige Versuche am Meerschweinchen angestellt hatte.
Die Tagesblätter haben von 25 behandelten Fällen mit 12 glänzenden Heilungen.ge¬
sprochen; in Vevey wurden bloss die zwei oben erwähnten Fälle vorgestellt, von denen der eine
nicht geheilt und der andere nicht sicher tuberculös war. In der Discussion theilte Prof. Bourget
mit, dass in einem als Tuberculose von Viquerat behandelten Falle er keine Spur von Tuber¬
culose, sondern nur Lungenemphysem (!) habe finden können. Eevilliod theilte die Resul¬
tate von drei auf seiner Klinik mit Eselserum behandelten Fällen von Lungentuberculose
mit; irgend welche Wirkung konnte nicht festgestellt werden. Das angewandte Serum
stammte allerdings von einem normalen d. h. nicht tubercnlisirten Esel.
Viquerat schloss seine Mittheilung mit dem etwas prätentiösen Witz: „Täne de
Viquerat a tue le savant Koch.^ Einstweilen macht es uns noch den Eindruck, dass
der „Äne de Viquerat^ in einer gewissen verwandschaftlichen Beziehung mit dem „äne
et la flüte“ von Florian steht.
Zum Schluss wurde von der Versammlung folgende Resolution angenommen: Die
Sociötö ra^dicale de la Suisse romande erklärt, dass infolge von Mangel an Beweismaterial
es ihr unmöglich ist, für oder gegen die Viquerat^sehe Methode ein Urtheil abzugebeu.
(Rev. medic. Nr. 10.)
Ausland.
Behandlang der Biphtlierle mit Hfellsernm.
Bericht Ober die Behandlang von 121 Diphtherlekraakea in städtischen Krnn-
kenhMse nm Urbnn, von TF. Körte, Die ersten Injectionen von Heilserum wurden im
Januar 1894 gemacht, dann wurden ununterbrochen bis Ende März die diphtheriekranken
Kinder der specifischen Behandlung unterworfen. Wegen Mangel an Heilserum mussten
die Injectionen bis Juni sistirt werden, wo sie dann bis zum 21. Juli wieder aufgenom¬
men werden konnten. Eine zweite Pause trat bis Mitte September ein, auf welche eine
dritte 'Heilserumperiode mit aus der Höchster Fabrik stammendem Serum folgte. Die
nebem dem Heilserum angewendete Behandlung war eine rein symptomatische. Bei
allen Kranken wurde die Diagnose erst nach vorgenoramener bacteriologischer Unter¬
suchung gestellt.
Von den 121 behandelten Fällen^) sind 81 geheilt = 66,9®/o und 40 gestorben =
33,l®/o, also genau der dritte Theil der Kranken. Von den vom Juni 1890 bis zum
31. December 1893 behandelten 1160 diphtheriekranken Kindern starben durchschnittlich
45,1 ®/o. Ebenso starben zwischen den erwähnten Perioden der Serumbehandlung, zu den
Zeiten, wo das Mittel nicht erhältlich war, von 106 behandelen Fällen 57 = 53,8®/o.
Diese Resultate, wenn auch nicht so günstig wie die von Eotix und Ehrlich mitge-
theilten, scheinen doch deutlich für eine Wirkung des Mittels zu sprechen. Zur richti¬
gen Deutung dieser Beobachtungen ist es aber nothwendig, die Fälle nach der Schwere
') Ueber die Resultate der 60 ersten Beobachtungen hat Vostciriktl, Deutsche raed. Wochen¬
schrift Nr. 22, berichtet.
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des Krankheitsverlaufes in gewisse Categorien zu zerlegen. Körte unterscheidet: 1. A
schwere Fälle, mit starken Allgemeinerscheinungen (Prognosis dubia vergens ad malam).
2. B mittelschwere, mit zwar starken localen Erkrankungen, jedoch ohne Zeichen
schwerer Allgemeininfection (Prognosis dubia). 3. C leichte Fälle. Von 43 schweren
Fällen sind geheilt 41,8 7o, gestorben 58,2 ®/o. Bei den ersten 30 derartigen Fällen
hatte Voswinckel 50®/o Heilungen beobachtet. Von 47 mittelscbweren Fällen sind geheilt
70,2®/o, gestorben 29,8®/<j. {Voswinckel 16 Fälle, 81®/o Heilungen.) Von 31 leichten
Fällen heilten 96,7®/o, starben 3,3®/o. {Voswinckel 100®/o Heilungen.) Wie sehr bei
einem so kleinen Beobachtungsmaterial die Resultate schwanken, geht aus obigem Ver¬
gleich hervor. Besonders wichtig ist die Betrachtung der Heilungsverhältnisse bei Kin¬
dern unter zwei Jahren. Von 15 in dieser Altersperiode behandelten Fällen starben
sieben, acht wurden geheilt. Die Tracheotomie musste bei 42 der Serumpatienten aus-
gefiihrt werden, in 20 Fällen = 47,6®/o mit günstigem Erfolge; es starben 22 = 52,4®/o
der operirten Kinder. Nach dem Durchschnitt der Vorjahre sind bei gleicher Indications-
stellung 77,5 der tracheotomirten Kinder gestorben. Die Serumbehandlung hätte also
die Mortalität um 25% herabgedrückt. Von den Kindern, die ohne Kehlkopfstenose mit
Serum behandelt wurden, kam keines im weitern Verlaufe zur Tracheotomie. Bemerkens¬
werth sind die Resultate der Tracheotomie bei Diphtheriekindern in den zwei ersten
Lebensjahren. Von 108 Kindern dieses Alters, die vom Juni 1890 bis 31. März 1893
operirt wurden, genasen nur 10 = 9,2%; von 8 desselben Alters, die mit Serum be¬
handelt wurden, genasen 3 = 37,5%.
Behring und seine Mitarbeiter haben bereits betont, dass man von den Heilserum-
injectionen nur iimerhalb der ersten Krankheitstage einen befriedigenden Erfolg erwarten
dürfe. Je früher die Serumbehandlung eintritt, desto besser die Resultate. Die Körte-
sehen Zahlen bestätigen durchaus diesen Satz. Von 14 innerhalb der ersten drei Tage
injicirten schweren Fällen heilten 11, während 3 starben. Bei 29 konnte das Serum
erst vom vierten Tage der Krankheit an einverleibt werden; 22 starben, 7 heilten.
Unter den mittelschweren Fällen, die frühzeitig in Behandlung kamen, heilten 18 und
starben 5, während bei den Fällen derselben Categorie, die erst vom vierten Tage der
Krankheit an behandelt wurden, blos 14 Heilungen und 8 Todesfälle vorkamen.
Die frühzeitige Behandlung genügt aber nicht in allen Fällen, um die Patienten
dem Tode zu entreissen. Es gibt Erkrankungen an Diphtherie, die so rasch eine All-
gemeinintoxication des Körpers mit sich bringen, dass in diesen Fällen, trotz grosser
Dosen Serum, der Erfolg ausbleibt. Körte theilt eine Anzahl von Krankengeschichten
von Patienten mit, die trotz frühzeitiger und reichlicher Seruminjectionen nach kurzer
Zeit an Sepsis, Bronchopneumonie, Nephritis, Lähmungen, Herzschwäche zu Grunde
gingen. Bei einem l%jährigen Kinde, welches mit Zeichen von leichter Diphtherie
gebracht wurde und erst am vierten Tage injicirt wurde, verschlechterte sich, trotz der
Behandlung, der Zustand und das Kind starb an Allgemeininfection. Die bacteriologische
Untersuchung des Belags ergab nur Streptococcen und keine Diphtheriebacillen.
Ungünstige Nebenwirkungen, von der Serumbehandlung herrührend, konnte Körte
keine beobachten. Auffallend war dagegen die im Anschluss an die Serumbehandlung
häufig zu beobachtende Besserung des Allgemeinbefindens. Obschon die eben mitge-
theilten Zahlen mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit für die Wirksamkeit der Serumbehand¬
lung zu sprechen scheinen, spricht sich in seinem Schlussworte Körte doch mit einer ge¬
wissen Reserve aus. Die Bacteriologen sagen, so drückt er sich aus, das Mittel heile
frühzeitig angewendet sicher die echte Diphtherie, und wollen damit die Fälle, bei
denen eine mehr oder weniger starke Mitbetheiligung anderer Coccen besteht, bei Seite
lassen. Dem gegenüber ist zu bemerken, dass wenn wir als Aerzte von Heilung oder
Behandlung der Diphtherie sprechen, wir uns an das klinische Krankheitsbild halten
müssen, und unter dies wohlbekannte und genau characterisirte Bild gehören auch jene
Fälle, welche als Mischinfection bezeichnet werden. Jeder Arzt wird einen solchen Fall
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als schwere Diphtherie bezeichnen. Dass wir mit dem Mittel alle Fälle von Diphtherie
in diesem Sinne heilen können, ist bis auf Weiteres nicht wahrscheinlich. — Auch die
Behauptung, dass bei rechtzeitiger und genügender Anwendung des Mittels alle Fälle
echter Diphtherie zur Heilung zu bringen sind, ist vorläufig noch nicht erwiesen. Die
Möglichkeit liegt durchaus vor, dass in einzelnen Epidemien jene „Mischfälle^ so häufig
sind, dass auch dem Heilserum Grenzen gezogen sind. Trotz der mitgetheilten, im
Ganzen günstigen Resultate muss also eine lange fortgesetzte Beobachtung am Kranken¬
bett die Entscheidung über den Werth des Mittels bringen.
(Berl. klin. Wochenschr. 12. Nov.)
— Eine Heilserumdebatte, eingeleitet durch Referate von Büchner, v. Banke, Seite
und Emmerich, fand im Münchener ärztlichen Verein statt. Nach v, Banke ist in
München die Diphtherie meist eine schwere Affection. So starben von 1048 in den
letzten sieben Jahren behandelten Kindern 49,2^/o. ln 575 Fällen wurde ein operativer
Eingriff, Tubage oder Tracheotomie, nothwendig; von den operirten Kindern starben
65,2^/o. Im Dezember 1893 wurden die ersten Beobachtungen mit Heilserum angestellt;
die damals angewendeten Dosen waren aber zu gering, so dass die traurigen Resultate
dieser ersten Versuchsreihe in diesem Umstand ihre Erklärung finden mögen. Bei den
injicirten Kindern, die später zur Section kamen, wurde wiederholt eine eigenthümliche
Form von Lungeninfiltration beobachtet, die sonst bei Kindern nicht beobachtet wird, so
dass an einen Zusammenhang zwischen diesen pneumonischen Läsionen und den Serum-
injectionen zunächst gedacht wurde. Später musste Banke wiederum sich von der Ge¬
fahrlosigkeit der Serumapplicationen überzeugen, so dass er die obige Vermuthung unbe¬
antwortet lassen möchte. Die Zahl der Beobachtungen mit Heilserum an der Münchener
Kinderklinik ist eine zu kleine, um aus denselben irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Eine
Reihe von 9 Kindern wurde mit .dron^on'schem Diphtherie-Antitoxin behandelt, wovon 2
zu Grunde gingen, ln einer anderen Reihe von 10 Fällen mit bloss 1 Todesfall wnrde
Behring^eehee Serum verwendet Wenn auch diese Resultate, im Vergleich zu den in
München beobachteten, auffallend günstig erscheinen, so darf man aus denselben keinen
Schluss ziehen. Auffallend mag es erscheinen, dass in den zur Section gelangten Fällen der
diphtheritiache Localprocess trotz grosser Serumdosen nach 22 resp. nach 28 Tagen noch
nicht abgelaufen war. ln seinem Votum betonte Emmerich, dass fast bei sämmtlichen tödt-
lich verlaufenden Fällen an Diphtherie in München neben dem Löffler^ßchBu. Bacillus
noch Streptococcen, Staphylococcen oder der Bac. pyog. foetid. gefunden werden. Bei
solchen Mischinfectionen ist die Aussicht auf eine eifolgreiche Behandlung mit Heilserum
eine geringe. Man weiss sogar, dass künstlich immunisirte Thiere für andere Infectionen
sehr empfindlich werden (Kaninchensopticämie), so dass der Fall denkbar wäre, wo die
Heilserumtherapie direct ungünstig wirken könnte durch die Beförderung der Entwick¬
lung der neben dem Diphtheriebacill wuchernden Strepto- und Staphylococcen. Folgender
Beschloss wurde von der Versammlung einstimmig angenommen: 1) Ein abschliessendes
Urtheil über die Heilkraft des Behring^echen Heilserum ist vorerst noch nicht möglich,
zumal bei der Verschiedenartigkeit der Diphtherie nach Form und Schwere ihres Auf¬
tretens nur längere und umfassende Beobachtungen sichere Anhaltspuncte ergeben können.
Es empfiehlt sich desshalb, zunächst noch keine allzuhochgespannten Erwartungen an das
Heilserum zu knüpfen und auch in diesem Sinne belehrend auf das Publicum einzuwirken.
2) Nach den bisherigen Erfahrungen über das Mittel erscheint es geboten, dass Versuche
mit dem Heilserum angestellt werden, und sind in erster Linie die klinischen und poli¬
klinischen Anstalten als diejenigen Stellen zu erachten, welche diese Versuche ausfuhren
sollen.^) (Münchener med. Wochenschr. Nr. 45.)
M Wie zu erwarten war, erscheinen bereits Mittheilungen von Einzelbeobachtungen in grosser
Zahl. Da solche Mittheilnngen keinen wissenschaftlichen Werth haben können, werden es unsere
Leser begreifen, wenn wir dieselben keiner Besprechung unterziehen, ebensowenig die in der T^es-
presse erscheinenden Artikel und die widerwärtige persönliche Polemik, die von Behring durch einen
gegen Virchow gerichteten in der „Zukunft* abgedruckten Artikel angefacht wurde.
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— UuDgenehme NftehwIrknig^eD nach I^JectioDeo vao Diphtherieheilseran.
Dr. Onyrim^ Oberarzt am Hospital zam Heiligen Geist in Frankfurt a. M., yeröffentlicht
in der Dentschen Med. Wochenschr. Nr. 48 die Krankengeschichte seiner beiden Assi¬
stenten, welche sich wegen einer leichten Angina im ersten Fall diphtheritischer, im
zweiten anscheinend nur catarrhalischer Natur, Injectionen von Behring^Wi\iem Heilserum
gemacht hatten. Im ersten Falle lief die Halsaffection rasch ab; die Conyalescenz schritt
aber in den nächsten Tagen langsam yor. Sechs Tage nach der letzten Serumeinspritz¬
ung (es waren im Ganzen zwei yon je 10 cc gemacht worden), brach an den Injections-
stellen ein stark juckender urticariaähnlicher Ausschlag aus. Die Temperatur ging wieder
in die Höhe, erreichte in den nächsten Tagen 39,5^. Geschwollene und schmerzhafte
Drüsen im Nacken hinter den Unterkieferwinkeln, an den Ellbogen und in der Inguinal¬
gegend. Kopfschmerzen und allgemeines Krankheitsgefühl. Am dritten Krankheitstag
Schmerzen im Knie und Ellbogengelenken, Muskelschmerzen, schweres Krankheitsgefühl.
Ausser der Urticaria kleine röthliche, nicht juckende Flecken an yerschiedenen Stellen
der Haut. Erst am achten Tage yerschwanden diese Symptome und die Temperatur
kehrte zur Norm zurück. Langsam fortschreitende Reconyalescenz. — Im zweiten Falle
hatte der Patient eine einzige Einspritzung bekommen. Am folgenden Tage Injections-
stelle sehr schmerzhaft, das Gehen beträchtlich erschwert. Drei Tage nach der Ein¬
spritzung Verminderung des Appetits, gestörter Schlaf, Hitzegefühl, Mattigkeit und Ziehen
in den Gliedern. Zwei Tage darauf heftige* reissende Schmerzen im Nacken, Tempera¬
tur 39,1^, heftiger Juckreiz an der Injectionsstelle, der sich weiter ausbreitete und andere
Körperstellen befiel, geschwollene Drüsen, schweres Krankheitsgefühl. Am sechsten Tage
nach Beginn der Erkrankung plötzliche Parästhesien in beiden Händen, darnach ziehende
Schmerzen im rechten, weniger im linken Arm, welche dem Patienten keine Ruhe Hessen.
Während die übrigen Krankbeitserscheinungen sich zurückgebildet hatten, dauerten die
Schmerzen fort. Als Patient 14 Tage nach Beginn der Erkrankung abreiste, war
Schmerzhaftigkeit im rechten Arm und behinderte Gebrauchsfähigkeit desselben noch yor-
handen.
Diese Erkrankungen führt Cnyrm mit Bestimmtheit auf die Injectionen zurück.
Dieselben wurden streng aseptisch gemacht, so dass die Möglichkeit einer Infection aus¬
geschlossen erscheint.
Einen anderen Pall yon Nachwirkung des Heilserums theilt Lublinski (Deutsche
med. Wochenschr. Nr. 45) mit. Ein achtjähriges Kind mit diphtheritischer Affection der
Nase und des Rachens erhielt drei Injectionen yon Behring^Bchem Serum Nr. 1 (yon je
600 Immun. Einheiten). Die Localerkrankung lief rasch und günstig ab. Acht Tage
nach der ersten Einspritzung, nachdem sich bereits kurz nach den Injectionen um die
Injectionsstellen ein handtellergrosser, rother, druckempfindlicher Hof gebildet hatte, zeigte
sich eine leichte Schwellung und Röthung beider Fussgelenke, besonders am Fuss-
rücken ausgesprochen. In der darauffolgenden Nacht kleinfieckiges, masernähnliches
Exanthem, die Streckseiten der unteren, später auch der oberen Extremitäten befallend.
Schmerzen in den Knie-, Ellbogen- und Fussgelenken. Temperatur Abends 38®. Die
Temperatur nahm in den nächsten Tagen noch zu bis 39,4® Abends, die Schmerzen wur¬
den sehr intensiy, das Kind war schwer krank. Am yierten Tag der Erkrankung stieg
das Fieber auf 40,3®, das Exanthem yerbreitete sich auf das etwas gedunsene Gesicht,
zeitweise soporöser Zustand. Yon nun an Abnahme der Beschwerden und langsame un¬
gestörte Reconyalescenz.
Vier weitere Fälle yon urticariaahnlichem Elxanthem mit Gelenk- und Muskel¬
schmerzen im Anschluss an Injectionen yon Diphtherieheilserum yeröffentlicht ausserdem
noch Scholz (Deutsche med. Wochenschr. Nr. 46). Diese Fälle yerliefen alle leicht, nach
drei bis yier Tagen waren alle Erscheinungen yerschwunden.
— lieber die Priventtvinpfang Blttelst DIphtherieheilseraB. ln der Sitzung
des unterelsässischen Aerzteyereins yom 27. October theilt Wiek mit, dass er an zehn
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Kindern Präventivinjectionen mit Heilserum gemacht habe, und zwar in Familien, wo
bereits Rinder an Diphtherie erkrankt waren. Kinder über sechs Jahre bekamen 2 cc,
jüngere 1 cc Serum. Von diesen präventiv Geimpften erkrankten zwei am fünften, eines
am sechsten Tage nach der Einspritzung an sehr leicht verlaufender Diphtherie. Die
bacteriologische Untersuchung ergab in allen Fällen Diphthoriebacillen.
In Königsberg wurden von der Universitäts-Poliklinik aus Schutzimpfungen in
35 Hausständen bei 64 Kindern mit vier verschieden starken Präparaten ausgeführt,
von denen zunächst später stets 1 cc injioirt wurde. Die Diagnose wurde bei den
erkrankten Geschwistern bacteriologisch controlirt. Von zehn mit dem einfachen Normal-
serum Behring'% gespritzen Kindern erkrankten vier an Diphtherie, von acht mit dem
sechsfachen ^ron.9(>n'sohen Serum keins, von 18 mit dem dreissigfachen Aronson'Bähen
Serum zwei, und von'28 mit dem sechzigfachen Serum Bchring\ injicirten Kindern eins.
Bei allen trotz der Immunisirung Erkrankten war der Verlauf ein milder, der Ausgang
ein günstiger. {Hilbert^ Deutsche med. Wochenschr. Ver. Beil. 18.)
— Warm tritt I/ucas Championniere in einer Schrift „La femme et la bicyclette“
für den Velosport bein weiblichen Geschiecht ein. Man scheint im Allgemeinen zu
vergessen, dass das Weib ebenso wie der Mann der körperlichen Hebungen zur Erhaltung
seiner Gesundheit bedarf. Ein ganze Anzahl der beim weiblichen Geschlechte so oft
vorkommenden Beschwerden sind allein auf den Mangel an körperlicher Uebung zurück¬
zuführen. Unter diesen letzteren betrachtet Giampionnüre das Velofahren als eine der
zweckmässigsten. Mässig getrieben mit Vermeidung aller Ueberanstrengungen und bei
Beobachtung der erforderlichen hygienischen Maassregeln wird dieser Sport ohne Schaden
vom weiblichen Geschlechte geübt, und in zahlreichen Fällen konnte Championniere den
Nutzen derselben direct feststellen.
— Bei Bleivorg^lftBOg^en empfiehlt Peyron neuerdings die schon früher gebräuch¬
liche Darreichung von Schwefelnatrium. Die Ausscheidung des Bleies wird ausserordent¬
lich gefordert, wie Analysen des Urines zeigten; auch in den Faeces wird Blei als
Schwefelblei ausgeschiedon. Die schmerzhaften Symptome der Bleiintoxication schwinden
fast sogleich; selbst Bleilähmungen werden günstig beeinflusst, wenn auch nicht immer
so unmittelbar. Eine Dosis von 0,3 bis 0,4 pro die in Glyoerinlösungen oder in Pillen
verabreicht, war auch bei monatelangem Gebrauch stets unschädlich.
— Zwbiner InleruatioDaler ■ediclnlseher CoBgress Ib Moscbb. Die in Peters¬
burg erscheinende medicin. Wochenschrift „Wratsch“ (Redactor Prof. W, A. Manas-
sein) verlangt mit Recht eine einheitliche Sprache für die wissenschaftlichen
Verhandlungen dieses Congresses und zwar — als meist verbreitet im Völkerverkehr —
das Französische.
Brlefkastieii.
Die Herren Universitätscorrespondenten werden um gefl. Einsendung der
Studentenfrequenz gebeten.
Zu psg. 768 der letzten Nummer ist folgende redactionelle Notiz nachzutragen: „VergL auch
den Fall von Laboratoriumscholera auf pag. 712 dieses Jahrganges des Corr.-Blattes.“
Schriftführer der ärztlichen Gesellschaften In Bern und ZOrtch: Die Protocolle der I. Wintersitzung
erscheinen wegen der Actualität des darin behandelten Themas ausnahmsweise schon in heutiger
Nummer. Drucklegung der Anfangs November eingegangenen Protocolle der letzten Sommersitzung
erfolgt umgehend.
Das Asrztealhum dankt bestens für Zusendung der Photographie von f Dr. Kuns, gew.
Spitalarzt in Liestal.
Dr. Girard, Chicago; Dr. de la Harpe, Lausanne; Dr. Bernheim, Graz; Dr. Idelson, Bern:
Besten Dank.
Allen Collegen zu Stadt und zu Land, allen Lesern des Correspondenz-Blattes von Nah und Fern
wUnscht mit herzlichem Griiste fHHiliohe Weihnachten, tchdne und ungetrübte Festtage im Kreise ihrer
L Familien . Die Redactlon.
Schweighauserische Buchdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
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Date Due
Demco-293 |
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